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MÜNCHENER
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
CH. BAUMLEH, 0.B0LLIN6ER. H. CURSCHMANN, C. GERHARDT, G, MERKEL, UMICHEL, H.f. RANKE, F. 1. WINCKEL, H.». ZIEMSSEN
Freibnrg i. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin.. München. München. München
REDIGIRT
HOFRATH D* BERNHARD SPATZ
PRAKT. ARZT.
XL VIII. JAHRGANG.
II. Hälfte (Juli—Dezember).
MÜNCHEN
' VERLAG VON J. F. LEHMANN
1901.
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tlo Manch. Mad. Wochenichr. ewohotnt wöcheatl.
ln Nummern von durch*chulttlloh 6—6 Bogen.
Preis ln Deutschi. u. Oeet.-Uug&rn vlertelj&hrl. 6 Ji,
Ins Ausland 7.60 JL Einseine No. 80 4-
MÜNCHENER
Zusendungen sind su adreeslren i Mr die Bedootion
Ottostrasee 1. — Für Abonnement an, J. P. Loh-
m a nn , Heustrasse 20. — Für Icserkfe urd'Beilagen
an Bndolt Mosse, Promeiladej>li.ted6^' .
Cb. Biumler,
Freiburg I. B.
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. Bolllnger, H. Curschmann, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, H. i. Ranke, F. v. Wlnckel,
München Lelpslg. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München.
V*
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H.!. Zlsnsseo,
München.
No. 27. 2. Juli 1901.
Redaction: Dr. B. Spats, Ottos trame 1.
Verlag: J. P. Lehmann, Heostrasse 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der chirurgischen Abtheilung des Allgemeinen Kranken¬
hauses Hamburg-Eppendorf (Oberarzt Dr. K ü m m e 11).
Ein Fall von schwerer Zertrümmerung des Thorax
mit Ausgang in Heilung.
Von Dr. Heineke, früherem Volontärarzt.
Der 39 jährige Quaiarbeiter H. verunglückte am 14. XI. 1900
auf folgende Weise: Er war damit beschäftigt, Heringsfässer
mittels eines Handkarrens vom Qual über eine Rampe in einen
Eisenbahnwaggon zu befördern. Im Waggon angekommen, und
im BegrifT, den Karren mit dem Fasse bei Seite zu schwenken,
glitt er aus und fiel rückwärts aus der Thüre des Wagens hinaus
auf die Quaimauer, so dass er auf den Rücken zu liegen kam.
Das Fass, das ein Gewicht von ca. 180 Pfund hatte, rollte nach
und fiel dem Manne auf die linke Brustseite. H. soll darauf kurze
Zeit bewusstlos gewesen sein.
Bel der Aufnahme im Krankenhaus, iy a Stunden nach dem
Unfall, war der Patient, dessen Gesichtszüge den Ausdruck der
grössten Angst trugen, hei vollem Bewusstsein. Er lag stöhnend
und mühsam nach Luft ringend auf dem Rücken. Die Athmung
angestrengt, beschleunigt, oft abgesetzt, jede Inspiration von unter¬
drückten Schmerzäusseruugen begleitet; Sprechen nur in abge¬
rissenen Lauten möglich. Das Gesicht von kaltem Schweiss be¬
deckt, leicht cyauotlsch, ohne Verletzungen und Sugillationen.
ln der r. Fossa snpraclavicularis grosser subkutaner Bluterguss; die
r. Clavieula zwischen mittlerem und üusserem Drittel gebrochen;
typische Verschiebung der Bruchstücke. Am Thorax sonst keine
Verletzungen sichtbar. In beiden Seiten des Thorax fühlt die auf¬
gelegte Hand lautes Knarren und Krachen, auch sind diese Ge¬
räusche bisweilen auf kurze Distanz hörbar; bei der Auscultatiou
verdecken sie vollkommen das Athmungsgeräusch. Im Pleuru-
raum keine Luft und kein Erguss nachweisbar. Kein Husten,
keine Lxpectoration. Herz ohne Befund, Puls klein, kaum fühl¬
bar, aussetzend. Sonst keine Verletzungen.
Diagnose: Fraktur zahlreicher Rippen und der r. Clavieula.
. bächsten Morgen hatte sich der Patient aus dem Collaps
lemiieh erholt und befand sich auch den Tag über, von den
fecümmen bei der Respiration abgesehen, verhältnissmüssig wohl,
v, laera P"; musste sich auf bequeme Lagerung, Excitautlen und
Morphium beschränken. Es bestand leichter Hustenreiz, aber
“ x P ectoratl °b. Am Abend des zweiten Tages Fieber (39,2)
hinti.. 1 Schmerzen in der 1. Brustseite, dabei wurde etwas
nnnp i!, 2 )te F Schlelm ausgehustet. In der Nacht starke Dys-
. ten und rostfarbenes Sputum. Die zur Schonung
£2* eln Mibüestmaass beschränkte Untersuchung
“ äch8t ® n Morgen, dem 3. Tage, intensive Dämpfung
d lautes Bronchlalathmen über dem ganzen 1. Unterlappen.
des PatieQ ten war in diesen Tagen im höchsten
SLÄ ernS «m^M^ 8tändiger Hustenreiz und reichliche
rHV ten ihn in entsetzlicher Weise; Jeder Husten-
b S ww5? m Ä Wa ^ von heft igen Stichen in beiden Thorax¬
mildern suchte « er durch Aufpressen der Hände zu
wetee sehr 3 ‘ ? n< ! 4 ‘ Tage wurdc di e Herzthätigkeit zelt-
»o dass der ü? t I aten lelcbte Abstinenzerscheinungen auf,
vLk £ U8tand hoffnungslos erschien.
die Temneratnr^mih wurde das Befinden indessen wieder besser,
lvtisch^r^lil TCKif? I e ,! ne Cont,nua zwischen 38 und 39 u , fiel
er schon am 7 tw i h0beU 8ic 5’ PaUent wurde ruhiger, so dass
Die Infiltration dm?*! . au f 8or Gefahr betrachtet werden konnte,
kationen in Lösiimr .J - H° terla P p ens ging dann rasch ohne Kompli-
später vollkommen normal % Lungenbefund berelt8 10 Tage
Erwa D rlen B XX g ^ 8 o. 8 , Ub i eCtl ^ n Beöndens ^n e dem sich wider
parallel die Bewf™ lteD< !f n ob J ectlven Befunde natürlich nicht
durch starke sSHS?** 11 deB Thorax waren booh wochenlang
erschwert; elue intensive di l
Oft grosse Quälen d ® r p beumonie einsetzte, bereitete
No *7 Leldcr konnte dI e Therapie auch nur sehr
48306
wenig leisten, da Versuche, dem Thorax durch Heftpflasterver¬
bände etwas Halt zu geben, am Widerstande des Patienten schei¬
terten.
Der weitere Verlauf bot wenig Bemerkenswerthes; Patient
konnte am 24. Tage aufstehen und fing bald darauf an, Athmungs-
übungen zu machen.
Die am 27. Krankheitstage aufgenommene Röntgenplatte
zeigte nun zu unserer Ueberraschung, dass der Patient nicht
weniger als 29 Rippenbrüche erlitten hatte. Die Frak¬
turen, die säramtlich auf der Platte deutlich zu erkennen waren,
vertheilten sich folgendermaassen:
Die linke Seite, also diejenige Seite, auf der die Gewalt
eingewirkt hatte, zeigte die stärkeren Veränderungen, nämlich
zunächst Frakturen der 3.—11. Rippe in der Scapularlinie, mit
glattem, senkrechtem Verlaufe der Bruchlinien; sowohl an der
3., wie an der 9.—11. Rippe war keine erhebliche Dislocation
der Bruchstücke vorhanden, während an der 4.—8. Rippe die
stemalen Bruchenden in dem nächst höher gelegenen Intercostal-
raum hineingekeilt und dort ca. 3 cm gegen die Wirbelsäule zu
sich verschoben zeigten. Ausserdem war die 6., 6. und 7. Rippe
nochmals in der hinteren Axillarlinie gebrochen, ohne stärkere
Verschiebung.
Auf der rechten Seite fanden sich Brüche der 3.—11. Rippe
dicht am Querfortsatz, zum Theil mit ziemlich starker Split¬
terung, endlich noch Frakturen der 3.—10. Rippe in der hinteren
Axillarlinie, die letzteren ohne erhebliche Dislocation.
Die Reconvalescenz verlief ohne weitere Störung. Zur Zeit,
d. h. öy 2 Monate nach der Verletzung, ist folgender Befund zu
erheben: Ernährungszustand, Allgemeinbefinden befriedigend.
Die Klagen des Patienten sind noch ziemlich lebhaft und beziehen
sich auf Stechen in der linken Thoraxseite bei tiefer Inspiration
und beim Husten. Bei Betrachtung des Thorax fällt vorne eine
leichte Abflachung der oberen Brusthälfte auf; hinten rechts,
handbreit von der Mittellinie, ein Rippenbuckel, der ln der ganzen
Länge des Thorax deutlich ausgeprägt ist. In der hinteren
Axillarlinie beiderseits, den Frakturstellen entsprechend, leichte
Callusringe fühlbar. Links hinten, an Stelle der stark dislocirten
Frakturen der 4.—8. Rippe, sind die Intercostalräume durch
Callusmassen ausgefüllt, aber der starken Musculatur wegen nicht
genau abzutasten. Bel der Athmung hebt sich der Thorax aus¬
giebig und ziemlich gleichmüssig. Ueber den Lungen ausser ein¬
zelnen trockenen Rasselgeräuschen nichts Besonderes nachweis¬
bar; die Lungenränder sämmtlich frei verschieblich. Der Herz¬
befund völlig normal. Der Bruch der r. Clavieula mit starker
Di8loeation, aber ohne Funktionsstörung geheilt
Eine neue Röntgenaufnahme zeigt fast sämmtliche Frak¬
turen mit reichlichem Callus umgeben, nur an den, wie schon er¬
wähnt, stark dislocirten Brüchen der 4., 5. und 6. Rippe ln der
Scapularlinie ist kein Callus sichtbar.
Der Fall bietet manches Bemerkenswerthe. Es erscheint
eigentlich kaum glaublich, dass bei einer derartig schweren Zer¬
trümmerung des Thorax die Brusteingeweide so wenig, bezw. gar
nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden.
Es handelte sich hier um einen durchaus gesunden Mann
in den besten Jahren, bei dem von einem Altersschwund der
Knochen keine Rede sein konnte, bei dem auch dioAnamnose nicht
den geringsten Anhalt für das Bestehen einer abnormen Knochen¬
brüchigkeit ergab. Bei einem normalen Brustkorb, mit dem wir
es also allem Anschein nach zu thun hatten, ist ein Brechen der
Rippen in solcher Ausdehnung ohne hochgradige, wenigstens
momentane Einengung des intrathoracalen Raumes gar nicht
denkbar und dennoch fehlten alle Symptome einer Verletzung
der Brustorgane.
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1084 MUENCHENF.R MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27.
•• Wdu*'Ä'äi‘'es allerdings nicht erlaubt, aus dem Fehlen von
; SjjrpfitoKion <)tp}e* Weiteres auf das Fehlen von inneren Verletz-
I ÄÜgeii scWrtiö'wn. Nur gröbere Laesionen des Herzens und
der grossen Gefässe waren mit Sicherheit von der Hand zu
weisen, da solche entweder mit dem Fortbestand des Lebens nicht
vereinbar gewesen wären oder doch (wie z. B. die Zerreissungen
der Klappen), wenn nicht sofort., so doch im Verlaufe der seither
verflossenen 5 Monate Erscheinungen gemacht hätten. Die lange
Beobachtungsdauer gestattet una jetzt auch, mit ziemlicher Be-
stiinmheit solche Beschädigungen des Herzens auszuschliessen,
die zur Entwicklung einer Myodegeneratio cordis Anlass geben
können, Veränderungen, die allerdings ihrem Wesen nach noch
grösstentheils unbekannt sind.
Anders stand es mit der sicheren Diagnose einer Lungen -
Verletzung. Wie zahlreiche Sektionsbefunde gelehrt haben,
brauchen selbst ausgedehnte Zerreissungen und Blutungen in’s
Lungenparenchym hinein nicht unbedingt klinische Erschein¬
ungen zu machen; die letzteren fehlen nur dann nicht, wenn die
Pleura pulmonalia oder die Schleimhaut grösserer Bronchien an
der Verletzung betheiligt ist. Musste nun aus diesem Grunde
einerseits die Möglichkeit einer Lungenverletzung durchaus offen
bleiben, so war es auch wiederum andererseits nicht erlaubt, aus
dem Auftreten der croupösen Pneumonie, die am 2. Krankheits¬
tage einsetzte, auf eine Continuitätstrennung der Lunge zu
schliessen.
Nach Stern 1 ) scheiden sich die nach Trauma auftretenden
lobären l’neumonien — und nur von lobären Pneumonien ist hier
die Rede — in 2 Gruppen, nämlich erstens in „typische“ croupö e
Pneumonien, d. h. solche, die sich in keiner Weise von nicht trau¬
matischen croupösen Pneumonien unterscheiden lassen und
zweitens in „atypische“ Lungenverdichtungen, die zum Theile
oder auch ganz auf haemorrhagischer Infarcirung des Lungen¬
gewebes beruhen, also die Folge von Continuitätstrennungcn
durstellen, aber unter Umständen durch Infektion des haemor-
rhagischen Herdes sich kompliziren.
Die klinische Trennung der beiden Formen soll nach Stern
dadurch möglich sein, dass bei der atypischen Form eine auf¬
fallende Ineongrucnz besteht zwischen der geringen Alteration
dee Allgemeinbefindens, der geringen Höhe des Fiebers etc. und der
Ausdehnung der Lungenverdichtung, auch soll die stärker hae-
morrhagi8che Beschaffenheit des Sputums einen Fingerzeig geben
können.
Mag nun auch in praxi eine so strenge Scheidung der beiden
Gruppen nur selten möglich sein, auf jeden Fall lässt doch die
typische Form der traumatischen Pneumonie — und um diese
handelte es sich zweifellos bei unserem Patienten — keinen
Schluss zu auf eine Lungenverletzung. Das beweisen die aller¬
dings in recht spärlicher Anzahl vorliegenden Sektionsberichte
von traumatischen Lungenentzündungen, von denen Stern eine
Reihe zusa nunenges teilt hat: es fanden sich wohl bei einem Theil
derselben die Residuen einer Lungenverletzung, dagegen fehlte
in anderen Fällen jede Spur davon.
In der That sind ja auch die Traumen der Brustwand, die
dem Ausbruche der croupösen Pneumonie vorangehen, mitunter
so geringfügig, dass cs schwor wird, an makroskopisch sichtbare
Laesionen der Lunge (Zerreissungen, Blutungen) zu glauben.
Die Art des Zusammenhangs zwischen Trauma und Infektion
harrt allerdings noch durchaus der Erklärung; vorläufig bleibt
nichts übrig, als auf die Annahme „molecularer“ Veränderungen
zurückzugreifen.
Wenn wir demnach mit der Wahrscheinlichkeit zu rechnen
hatten, dass unser Patient trotz der ausgedehnten Zertrümmerung
des Brustskelets keine Verletzung der Lunge davongetragen hatte,
so drängte sich nun die Frage auf, welche günstigen Umstände
gerade hier eine Verletzung der Lunge verhindert haben konnten,
während wir eine solche doch des Oefteren nach verhältniss-
mässig leichter Gewalteinwirkung eintreten sehen.
Eine Lungenverletzung kann bei Brustcontusionen auf
zweierlei Weise zu Stande kommen: die Lunge kann einmal
direct durch Rippenfragmente angespicsst werden, sie kann aber
zweitens auch bersten gleich einer elastischen Blase, wenn der
Druck im Pleuraräume über die Elasticitätsgrenze des Lungen¬
parenchyms hinaus gesteigert wird und wenn ein Ausgleich des
’) Stern: lieber traumatische Entstehung Innerer Krank¬
heiten. Jena 1900.
auf der Lungo lastenden Ueberdruckes durch Verschluss des
natürlichen Ventils, der Glottis, verhindert ist. Dieser Glottis-
schluss scheint in manchen Fällen im Momente des Traumas
reflektorisch einzutreten, er sclieint aber bei unserem Kranken
ausgeblieben zu sein. Man kann sich vorstellen, dass der Ein¬
tritt des Reflexes in gewissem Maasse von der Schnelligkeit der
Gc waltein Wirkung abhängig ist.
Das Fehlen dos reflektorischen Glottisschlusses dürfte übri¬
gens noch in anderer Beziehung eine Rollo gespielt haben. Es
ist in letzter Zeit viel die Rede gewesen von der sogen. Druck¬
stauung oder Stauungsblutung nach Rumpfkompression; wie die
Beobachtungen von Perthes gezeigt haben, kann der durch
Thoraxkoinpression gesteigerte intrathoracale Druck sich in das
Venengobiet des Kopfes und Halses fortpflanzen und dort zu
Blutaustritten Anlass geben. Aber auch hier wieder ist der re¬
flektorische Verschluss der Glottis die Voraussetzung, ohne welche
der Druck im Pleuraraum gar nicht plötzlich in die Höhe
schnellen kann. Wenn nun bei unserem Patienten trotz der bei¬
spiellos schweren Kompression des Thorax jede Spur einer
Stauungsblutung am Kopfe fehlte, so glauben wir dies Verhalten
ebenfalls aus dem Fohlen eines reflektorischen Glottisschlusscs
erklären zu müssen.
Ueber Injektionskuren bei Syphilis.*)
Von Dr. Max Stern.
M. II.! Wenn ich es unternehme, vor Ihnen ein Thema zu
b< sprechen, welches schon seit einer Reihe von Jahren in der
Special- wie übrigen medicinisehen Literatur Gegenstand eifriger
Erörterungen ist., so geschieht dies vor Allem in der Erwägung,
dass gerade hier in München — wie häufigen persönlichen An¬
fragen an mich zu entnehmen war — die Behandlung der Syphilis
mit Injektionen von Quecksill>erverbindungen im Allge¬
meinen wenig gebräuchlich ist und wohl von der Mehrzahl der
Aerzte der alt hergebrachten Schmierkur ein ausschliesslicher
Vorzug gegeben wird; in zweiter Linie glaube ich jedoch auch,
dass bei den Zweifeln, die immer noch über die Art der Queck¬
silberbehandlung vorhanden sind, jeder, wenn auch bescheideno
Beitrag zur Lösung dieser Frage erwünscht und von Vortheil für
die Allgemeinheit sein wird. Ohne begeisterter oder absoluter
Anhänger der Injektionen zu sein, muss man jetzt, wo eine
grosse Reiho von Erfahrungen darüber vorliegen, zugestehen,
dass dieselben zuweilen Vorzüge bieten, welche die Inunctionen
nicht gewähren, dass es Gründe gibt — worüber ich später
sprechen werde —, welche einen unbedingten Ersatz für die
Schmierkur verlangen und dass schliesslich bei der Syphilis¬
therapie oft verschiedene Arten der Quecksilbereinverleibung,
d. h. eine gewisse Abwechslung in der Behandlungsart, von
grossem Nutzen sein können. Ein kurzer historischer Rück¬
blick lehrt uns, dass schon Hunter Ende des 18. Jahrhunderts,
Berkeley Hill Anfang des 19. und H ebra um die Mitte des¬
selben sporadische Versuche zu subkutanen Injektionen von
Quecksilber machten, dass sie aber systematisch erst von
Scarenzio (1864), welcher das Kalomel in Suspension
anwandte und von L e w i n (1867), welcher das Sublimat
in wässeriger Lösung einspritzte, angewandt wurden. Während
eine grosse Anzahl von Aerztcn mit Begeisterung die Methode
L c w i n’s auf nahmen, blieben Andere, besonders die Wiener
Schule, derselben völlig ferne, jedoch auch diese bekehrte sich im
Laufe der Zeiten dazu, deren Anwendung wenigstens nicht für
schädlich zu erklären, wie cs Anfangs geschah. Es wurde die
Methode verbessert und in Deutschland, wie besonders auch in
Frankreich, wurden eine grosse Reihe weiterer Quecksilbersalze,
lösliche sowohl wie unlösliche, zur subkutanen Einverleibung,
die sich zur iatramusculären beinahe überall umge¬
staltete, beigezogen; F o u r n i e r in Paris, Tarnowsky in
Petersburg, Hutchinson in London, die Altmeister der
Syphilidologie, haben in ausgedehntem Maasse die Injektions-
therapio angewandt. In jüngster Zeit ging Baccelli noch
weiter und verwendete 1 proc. Kochsalz-Sublimatlösung zur
intravenösen Injektion, ähnlich wie Chinin gegen Malaria,
mit gutem Erfolge; wegen der Gefahren, die mit diesen Injek¬
tionen direkt in die Blutbahn hinein (Embolien) verknüpft sind,
*) Nach einem Vortrag, gehalten am 17. April 1901, lm Mün¬
chener ärztlichen Verein,
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2. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
1085
dürften dieselben wohl auf den kühnen Urheber selbst beschränkt
bleiben.
Die Hauptgründe, wesshalb Scarenzio und L e w i n nach
einer neuen Methode der Quecksilbereinverleibung suchten: die
Unreinlichkeit, welche den Inunctionen anhaftete, und deren
unsichere Wirkung, sind auch heute noch maassgebend. Die
Schmierkur, im Krankenhause oder in der Privatpraxis von ge¬
schultem Personale systematisch ausgeführt, ist un¬
zweifelhaft ein sicheres Mittel. Aber in der Privatpraxis sind
wir entweder genöthigt, den Patienten einem Masseur zu über¬
lassen, der dann sehr häufig die Kur selbständig übernimmt —
der Kurpfuscherei, welcher wir sonst entgegenzuwirken so sehr
das Bestreben haben, wird dadurch in hohem Grade Vorschub ge¬
leistet —, so dass wir unsere Patienten oft überhaupt nicht mehr
sehen; oder wir müssen den Kranken die Einreibungen eigen¬
händig, resp. von einem Angehörigen vornehmen lassen. Dass
sie dann häufig in nicht genügend energischer Weise ausgeführt
werden, dass der Patient sehr bald erlahmt, nicht genügend lange
schmiert und vor der Zeit seine Kur beendet, davon überzeugt
Sie wohl Alle die tägliche Erfahrung. Ein weiterer Punkt, der
bei der Schmierkur sehr wichtig ist, ist die Nothwendigkeit pein¬
licher Hautpflege, es sollte eigentlich; um die Haut geschmeidig
und für das Hg leicht durchgängig zu erhalten, täglich ein Bad
genommen werdon; wie viele Patienten der ambulatorischen
Praxis aber bequemen sich zu dieser hygienischen Forderung
oder hal>en nur genügend Zeit dazu, da es sich bei unserer
syphilitischen Klientel grossentheils um jugendliche Personen
handelt, die ihre Kur durchführen möchten, ohne aus dem Be¬
rufe herausgerissen zu werden? Vorausgesetzt, dass derselbe an
Körper oder Geist nicht sehr hohe Anforderungen stellt, vor¬
ausgesetzt, dass es sich nicht um sehr sehr schwere Formen
(maligne) von Syphilis handelt, bringt die ambulatorische Be¬
handlung auch keinen weiteren Schaden und ist die Forderung
mancher Aerzte, besonders der Badeärzte, man solle neben dem
eigentlicher Berufe niemals eine Schmierkur verordnen, in praxi
völlig undurchführbar. II ö f 1 e r-Tölz, der 2000 Fälle mit
Schmierkur behandelt hat, vertheidigt diesen Standpunkt damit,
dass die Berufsausübung das vollkommen nöthige Interesse an
der gründlichen Durchführung der Kur nbstrahire. Ich halte
vielmehr dieso Abstraction meist für sehr wohlthuend und für
geeignet, die Gefahr der Neurasthenie und Syphilidophobie, der
ersten Anfänge mancher parasyphilitischen Geistesstörungen, zu
vermindern. Bei jeder antisyphilitischen Kur handelt es sich
zwar in erster Linie darum, die momentan vorhandenen Erschei¬
nungen möglichst rasch zum Verschwinden zu bringen; ein bei¬
nahe noch wichtigeres Postulat aber möchte ich jenes bezeichnen,
den Patienten vor Recidiven und Folgeerscheinungen zu be¬
wahren oder dieselben auf ein möglichst geringes Maass zu be¬
schränken. Dass wir von diesem Ideale, einer raschen und
sicheren Primärheilung der Syphilis, noch sehr weit entfernt
sind, beweist u. a. die Statistik der geschlechtlichen Infektions¬
krankheiten in der Berliner Charite. Generalarzt Sch aper
setzte in seinem einleitenden Vortrage zu den jüngst dort ab¬
gehaltenen Vorträgen für praktische Aerzte auseinander, wie alle
Abtheilungen dieses Krankenhauses ein lebendiges Bild für die
schweren Folgeerkrankungcn der Lues (und Gonorrhoe) darböten,
die heute in viel grellerem Lichte erschienen, wie noch vor
wenigen Decennien. # Auf mehreren Abtheilungen der Nerven-
ldinik konnte bei 40 Proc. der Kranken luetische Infektion für
das erst viele Jahre später entstandene Nervenleiden verantwort¬
lich gemacht werden; auf der Klinik für Augenkranke gab bei
20 Proc., auf der Irrenstation bei 13 Proc. die Lucs die Krank¬
heitsursache ab. Wio Moeli ferner bei derselben Gelegenheit
ar.gibt, ist mangelhafte Behandlung des Grundleidens
von netialogischer Bedeutung für die Entstehung der Hirn-
svphilis. Immer mehr sehen wir den Kreis der auf Syphilis be¬
ruhenden Erkrankungen sich erweitern, immer mehr lehrt uns
dk* Forschung die verheerenden Folgen dieser Krankheit er¬
kennen. So erinnere ich Sie nur an die Fülle von Herz-, an jene
von Magensyphilis, die in den letzten Jahren veröffentlicht |
wurden ; nach Dieulafoy- Paris und Einhorn- New-York
«oJloii letztere weit häufiger sein, als gewöhnlich angenommen
wird, und besonders zu Verwechslung mit Magengeschwür Anlass
geben.
Wenn auch eine intensive Therapie des Primäraffektee und
der Sekundärerscheinungen keine volle Sicherheit gegen
spätere Erkrankungen des Nervensystems und anderer Organe
bietet, so ist doch damit die W ahrscheinlichkeit eine
grössere, die Zahl der Folgeerscheinungen bedeutend zu ver¬
mindern und dies Ziel zu erreichen, muss unser Hauptstreben
sein. Intensiv kann aber nur eine Therapie sein, die ständig
unter den Augen und womöglich der Leitung des Arztes sich voll¬
zieht, keineswegs jedoch, wenn dem Masseur oder Heilgehilfen
die Hauptbehandlung überlassen wird. Die primären und sekun¬
dären Erscheinungen bedürfen sehr häufig gar keiner eingrei¬
fenden Kur, sie verschwinden meist unter einer noch so ober¬
flächlich gehandhabten Schmierkur oder auch der Pillenbehand¬
lung, ja sie würden meist auch ohne diese zurückgehen. Das
Wichtigste ist nur, was aus dieseu Patienten späterhin wird, wie
viele Fälle von gummöser oder Knochonerkrankung, wie viele von
Tabes, von progressiver Paralyse, sonstiger Gehimlues auf
mangelhaft oder gar nicht behandelte Fälle treffen? Wenn wir
darüber einmal eine, genaue, umfassende Statistik, zu der uns
vor Allem die Nervenärzte verhelfen könnten, besitzen, dann
erst sind wir in der Lage, unser erstes therapeutisches Eingreifen
zu beurtheilen und genaue Indicationen über die verschiedenen
Arten der Quecksilberhehandlung zu geben. Es müssten aller¬
dings diese Beobachtungen über viele Jahre sich ausdehnen, ohne
noch so weit zu gehen, wie Eournier, der Recidive nach 30,
40, ja 50 Jahren für möglich hält und beobachtet hat. Um hier
sogleich Einwänden zu begegnen, muss ich die von Blaschko
bekannt gegebene Thatsaehe anfiihron, dass z. B. in Norwegen,
wo sehr viele Fälle von Syphilis nicht mit Quecksilber behandelt
werden, die Zahl der Tertiärsyphilitischen nicht grösser sein
soll als in anderen europäischen Staaten, und bei der Land¬
bevölkerung von Dalmatien und Bosnien, wo die Syphilis unge¬
heuer verbreitet, die Behandlung aber meist eine durchaus un¬
genügende ist, Tabes und Paralyse unbekannte Krankheiten sind
(nach Blaschko 1. c.). Bei unserer städtischen Bevölkerung
müssen wir mit der angeborenen oder erworbenen Empfindlich¬
keit des Nervensystems gegenüber dem syphilitischen, wie an¬
deren, Giften eben viel mehr rechnen wie hei der Landbevölkerung
mit ihrer das Nervensystem weit weniger aufreibenden Thätig-
keit. Wäre allerdings die Wirkung des Quecksilbers eine haupt¬
sächlich auf Inhalation beruhende, eine Theorie, die von
W eiander - Stockholm, Stern- Düsseldorf u. A. auf Grund
zahlreicher günstiger Resultate energisch verfochten wird, so
müssten die Erfolge mit den Mitteln, die in neuester Zeit von
diesem Gesichtspunkte aus empfohlen werden — Welander-
selio Säckchen. IU n s c h k o’s Merkolintschurz, Merkuramnlgam
(in flache Beutel eingestäubt) — ebenso wie die gewöhnlichen, zu
Hause vorgenommenen Quecksilbereinreibungen ganz hervor¬
ragende sein. J o r d a n - Moskau kam bei der Prüfung der
W e 1 a n d e Fschen Methode sowohl mit Merkuriol wie mit grauer
Salbe zu dem Resultate, dass sie an Sicherheit der Wirkung den
Einreibungen, sowie insbesondere den Injektionen nächstelie —
von 30 Fällen waren 12 mit negativem Erfolg behandelt worden
— und bloss in leichten Fällen als bequemes, ungefährliches
Mittel zu empfehlen sei. Die Frage, ob Quecksilber durch In¬
halation hauptsächlich aufgenommen werde oder nicht, muss vor¬
läufig noch als eine offene bezeichnet worden, da streng wissen¬
schaftliche Untersuchungen sowohl im negativen Sinne von
Sänger (Dermatol. Centralbl. 1900, Heft 10), wie im positiven
von Kreis- Zürich vorliegen.
Was nun die Injektionsniethoden vor den anderen aus-
zeiclmet, sind Sicherheit der Wirkung, schneller Ein¬
tritt derselben, Reinlichkeit der Applikation; die Menge
des in den Organismus eingeführten Quecksilbers ist genau be¬
kannt, was bei den Einreibungen und selbst bei den Pillen, die,
wenn sie alt oder schlecht gemacht sind, im Verdauungskanale
nur wenig oder gar nicht verändert werden, nicht der Fall sein
kann. Nachdem wir es ferner bei der Syphilisbehandlung sehr
oft mit jungen — zuweilen auch älteren — Leuten zu tliun
haben, welche das Geheimniss ihres Leidens vor ihrer Umgebung
bewahrt wissen möchten, was bei der Sehmierkur beinahe unmög¬
lich ist. so bietet auch in dieser Beziehung die lnjektion>kur
gewisse Vortheile. Bei der kürzeren Dauer derselben käme auch
in der Krnnkcnhausbchandlung die pekuniäre Ersparnis in Be¬
tracht. Nicht zu spreeheu von den Vortheilen, die sie bietet, um
bei den Inficirten, besonders den der Prostitution Er-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
1086
geben ern, die Dauer des kontagiösen Stadiums abzukürzen. Un¬
entbehrlich ist aber ein Ersatz der Schmierkur in allen
Fällen, wo der Zustand der Haut dieselbe nicht zulässt, wo durch
angeborene oder erworbene pathologische Zustände deren Follikel
für das Eindringen der Quecksilberkügelchen nicht geeignet sind.
So behandelte ich u. A. einen Fall, wo ausgebreitete, schon lange
bestehende Psoriasis vulgaris neben einemPrimäraffekt vorhanden
war, in gleicher Weise werden Prurigo, Ichthyosis, chronische und
akute Ekzeme, werden mangelhafte Hautpflege und deren Folgen
(Verstopfung der Talg- und Schweissdrüsen durch verhornte
und abgestossene Epidermiszellen) die Ausführung der ender-
matischen Methode unmöglich machen. Auch in der senilen Haut
ist die Aufnahme des Quecksilbers eine nur geringe; ein Greis
würde ebenso viele Monate als ein Jüngling Tage gebrauchen,
um durch die Schmierkur geheilt zu werden. Ob die Späterschei¬
nungen von Syphilis (Gehirn-, Rückenmarkssyphilis) durch die
Injektionen beeinflusst werden, darüber fehlt mir persönliche
Erfahrung. N e u m a n n glaubt, dies wäre nur in seltenen Fällen
möglich; Coplin S t i n s o n, eine amerikanische Autorität, hin¬
gegen schlägt bei tertiärer Syphilis die Injektion unlöslicher Hg-
Salze vor und führt sogar einon Fall von Gehirn-Rückenmarks¬
syphilis an, wo 5 proc. Salicyl-Quecksilber wahre Wunder gewirkt
habe. Die Augen- und Ohrenkomplikationen — syphilitische
Ohrerkrankungen sind nach Heermann -Kiel häufiger, als
allgemein angenommen wird — sollen nach dem Urtheile der Spe-
cialisten für Injektionen weniger zugänglich sein, wie für Inunc-
tionen; ich glaube jedoch, dass dieses Urtheil nicht als definitives
aufzufassen und noch weitere Versuche in dieser Richtung an¬
gezeigt sein dürften. Ein ausserordentlich wichtiges und ver¬
lässiges Mittel besitzen wir schliesslich in den Injektionen eben
wegen ihrer raschen und sicheren Wirkung, um zweifel¬
hafte Diagnosen aufzuklären. Mag es sich um ein
primäres Geschwür oder um sekundäre Erscheinungen — hier
erwähne ich vor Allem die Plaques im Munde, welche oft ausser¬
ordentlich schwierig als solche zu erkennen sind — handeln, auf
ein paar Injektionen von 2 proc. Sublimatlösung oder einer
anderen löslichen oder unlöslichen Quecksilberverbindung erfolgt
beinahe stets prompte Reaction, d. h. Zurückgehen des syphi¬
litischen Processes.
Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass den Vortheilen
der Injektionen auch gewisse Nachtheile gegenüberstehen, von
welchen der schwerwiegendste die Infiltratbildung an den Injek¬
tionsstellen ist; trotz aller Vorsichtsmaassregeln, die bei der In¬
jektion geübt werden, stellt sie sich ein und zwar zuweilen in so
hohem Grade, dass eine Fortsetzung der Kur ausgeschlossen ist.
Vor Beginn derselben ist es daher immer räthlich, die Patienten
auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen, bei gewissen Be¬
rufsarten mit ständig sitzender Beschäftigung, z. B. Schneidern,
muss man überhaupt auf diese Methode, wenigstens auf die der
häufig zu wiederholenden Einspritzungen, Verzicht leisten. Im
Uebrigen finden sich die Patienten mit den nicht zu hochgradigen
Knotenbildungen ziemlich gut ab. Ebenso ist es mit dem weiter
zu erwähnenden Uebelstande, der bei den Injektionen mit den
häufig — alle 2 Tage — zu wiederholenden Sublimatlösungen
vorhanden ist, dass nämlich die Patienten zu häufig zum Arzt
kommen müssen; sofern dieselben die nöthige Zeit dazu hatten,
hinderte dies nie die Ausführung der Kur.
Die weitere Frage, die sich nun ergibt, ist die, ob man den
unlöslichen oder löslichen Quecksilberverbindungen zu den In¬
jektionen den Vorzug geben soll. Erstere haben den nicht zu
unterschätzenden Vortheil, dass sie seltenerer Einführung be¬
dürfen, dass mit 6,8—10 Injektionen meistens die Kur beendet ist.
Um kurz die gebräuchlichsten aufzuzählen, so kommt wohl an erster
Stelle Kalomel (in Oelsuspension=1,0:10,0, Ol. olivar. oder in
Wasser = Calomel. vapore parat. 5,0, Natr. chlor. 1,25, Aqu. dest.
50,0, Munilag. gummi arab. 2,5), dann Hydrargyrum
8alicylicum (1:10,0 Paraffin, liquid.), das Ol. cinereum,
das Thymolquecksilber u. s. w. Von den löslichen ist
noch heute das gebräuchlichste das Sublimat, mit Chlor¬
natrium vermischt (1—2 proc. Lösung); dann sind zu nennen das
Hydrarg. cyanatum, das Hydrarg. peptonatum (1 proc.
Lösung), das Hydrarg. benzoicum (= 0,3 : Ammon, ben-
zoic. 1,5, Aqu. dest, 30,0) und so fort könnte noch eine ganze
Reihe von mehr oder weniger komplizirt zusammengesetzten
Präparaten, die von ihren Urhebern als wirksam gepriesen
wurden, aufgezählt werden. Genaue Dosirung der einzuver¬
leibenden Quecksilbermenge ist wohl nur bei den löslichen Mitteln
möglich, die Vertheilung der unlöslichen in der Suspensions¬
flüssigkeit hingegen bietet nicht jene Präcision, die erlaubt, die
resorbirten Mengen genau zu bemessen. Die Annahme, dass man
bei der Injektion der unlöslichen Substanzen dem Organismus
das Quecksilber allmählich zuführt und dadurch vor einer
unvermuthet eintretenden Intoxication schützt, ist nicht stich¬
haltig, da gerade gegentheilige Beobachtungen vorliegen, wonach
das nicht tesorbirte Quecksilber im Körper sich anhäuft, um,
plötzlich in den Circulationsapparat gelangend, oft gefährliche,
ja letale Vergiftungen hervorzurufen. Eine ganze Reihe von
solchen schlimmen Folgen nach Kalomelinjektionen sind ver¬
öffentlicht worden, so von Runeberg, Kraus, Neumann
(3 Fälle von schwerer Dysenterie) ;Lukasicwicz erlebte einen
tödtlich endigenden Fall nach der Injektion von Oleum cinereum.
Renault berichtet über capilläre Lungenembolien in Folge
von Kalomelinjektionen; er hält dieselben für direct gefährlich
und deren Anwendung höchstens dann für geboten, wenn alle
anderen Mittel versagt haben und das Leben in Folge schwerer
cerebrospinaler oder visceraler Syphilis direct bedroht ist; die Be¬
dingung, dass die Nieren tadellos funktioniren, müsse aber stets
gegeben sein. G a u c h e r warnt vor der Anwendung imlöslicher
Präparate, ohne die Wirksamkeit des Kalomels u. s. w. bestreiten
zu wollen, und brachte in der Vereinigung der Pariser Spitals¬
ärzte (Sitzung vom 17. November 1899) Fälle vor, wo dieses Mittel
mit hoher Wahrscheinlichkeit ein letales Ende verursacht habe.
Bei der allmählichen Resorption der im Körper, gleichsam
wie in Depots, aufgespeicherten unlöslichen Quocksilberverbin-
dungen hat es der Arzt nicht in der Hand, wie viel davon re-
sorbirt wird, er vermag demnach ihre Wirkung, falls sie unlieb¬
same Erscheinungen mit sich bringe, gar nicht einzuschränken
— Fall von sehr intensiver Stomatitis mit Blutungen erst
einige Wochen nach der Injektion (Renault, Soci6t6 fran-
caise de Dermatologie et Syphiligraphie, Sitzung vom 11. Fe¬
bruar 1897). Den löslichen Quecksilberverbindungen wird hin¬
gegen von einem Theile der Syphilidologen desshalb eine viel ge¬
ringere Wirksamkeit zugesehrieben, als den fein vertheilten,
suspendirten, weil sie zu rasch resorbirt und ebenso rasch
wieder ausgeschieden würden; ihre Wirkung könne daher keine
nachhaltige sein. Das klingt, sehr einleuchtend und ist theore¬
tisch schön erdacht, die praktischen Erfolge aber, die vielen
Aerzten, ebenso wie mir, zur Seite stehen, können unmöglich diese
Hypothese zu Recht bestehen lassen. Es wurde auch verschiedent¬
lich der Versuch gemacht, das Anwendungsgebiet der löslichen
von dem der unlöslichen Präparate zu trennen und zu präcisiren.
Nach Balz er und Thiroloix (in der Arbeit von Ray¬
mond) sind die löslichen Quecksilbersalze vor Allem dann an¬
gezeigt, wenn Magendarmstörungen und schlechte Beschaffenheit
der Mundhöhle weder die Injektion hoher Dosen (unlöslicher
Salze), noch die Friktionen erlauben, Methoden, welche die Un¬
annehmlichkeiten haben, sehr rasch Munderscheinungen zu be¬
wirken; Schwangerschaft, Albuminurie, Kachexie bilden eine
Gegenindication für die unlöslichen Salze, während die löslichen
bei schwangeren Frauen, bei anaemischen, schwachen Personen
wegen der dabei vorhandenen leichten Reizbarkeit der Verdau¬
ungsorgane einen unschätzbaren Vortheil bieten sollen. Bes¬
nier (Ibidem) beschränkt die Anwendung der unlöslichen Prä¬
parate auf jene Fälle allein, in welchen die anderen Methoden
erfolglos geblieben sind. Andere, wie Tarnowsky, Finger,
Ilallopeau und Bureau, die mit Vorliebe das salicylsaure
Quecksilber anwenden, scheinen solche Bedenken nicht zu tragen,
Blaschko geht sogar so weit, die Behandlung mit diesem
Mittel „die Standartkur gegen die Syphilis zu nennen, die
jedesmal, als der Schmierkur zum Mindesten gleichwerthig.
oft als dieser bei Weitem überlegen, in Frage komme“; die Ge¬
fahr der Lungenembolien, die unzweifelhaft bei allen unlöslichen
Präparaten grösser ist, wie bei den löslichen, hält B. für sehr
gering, da es sich dabei nur um kleine und aseptische Infarkte,
die nur schnell vorübergehende Reizerscheinungen machen,
handle.
In den wenigen (5) Fällen, wo ich das Salicylque c k -
s i Iber anwandte, handelte es sich um Patienten, welche ent¬
weder vergebens schon mit Schmierkur behandlet worden waren,
oder um solche, hei welchen (zweien der Fälle) aus äusseren
Gründen weder die Schmierkur, noch die Sublimatinjektionen
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2. Juli 19Ö1.
MUENCHEtfER MEDIOINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
1087
möglich waren. Es trat zwar bei der ja recht geringen Anzahl
von 30 Injektionen letzterwähnter Zufall glücklicherweise nicht
ein, jedoch in 2 Fällen recht heftige Stomatitis, ausserdem konnte
ich in keinem der Fälle ein besonders rasches Verschwinden
der Erscheinungen, wie es bei den Sublimatinjektionen fast stets
der Fall war, konstatiren. Auch mit Kalomel, welches
Fournierals das beste und schnellstens wirkende Quecksilber¬
präparat preist und mit Oleum cinereum, welches Lang-
Wien und nach ihm verschiedene französische Autoren, wie
J ullien, Thibierge, Besnier warm empfohlen haben,
machte ich Versuche, kann aber auf Grund derselben nur voll¬
ständig davon abrathen. Kalomel (1:10,0 Ol. oliv.) verursachte
ganz exorbitante Schmerzen in der Gegend der Injektionsstelle,
so dass Patient jedesmal ein paar Tage das Bett hüten musste.
Auch der Zusatz von Orthoform als Analgeticum bei Kalomel-
injektionen hat sich nach Sprecher (Giornale italiano delle
maladie veneree e della pelle, 1899, Heft V) nicht bewährt, ferner
wurde Cocain beigemischt, so dass wir zwei, für den Körper
keineswegs indifferente Substanzen gleichzeitig einspritzen
müssten. Das Oleum cinereum, welches übrigens keine
officinelle Zusammensetzung bei uns in Deutschland besitzt
(Lanolin, anhydr. 3,0, Hydrarg. 3,0, Ol. oliv. 4,0) ist vor der An¬
wendung zu erwärmen; trotzdem dies geschah und bei der Injek¬
tion alle Vorsichtsmaassregeln angewendet worden sind, brachte
es nach jeder Injektion so hochgradige lokale Reizerscheinungen
(Infiltrate und Abscesse), dass ich in einem Falle Patienten zu
einem zweiten Versuche nicht bewegen konnte, in einem anderen
nach vier heroisch überstandenen Injektionen, denen stets In-
cision der gebildeten Abscesse folgen musste, freiwillig davon
Abstand nahm.
Dasjenige Mittel, welches ich am häufigsten zu Injektionen
verwandte und welches nach meiner Erfahrung für den täglichen
Gebrauch des praktischen Arztes, trotz der ihm ebenfalls an¬
haftenden Mängel, am geeignetsten erscheint, ist von den lös¬
lichen Präparaten das Sublimat mit Kochsalz, in folgender Weise
(nach Lassar) verordnet:
Sublimat 1,0 (2,0 bei Männern)
Aqu. dest. 100,0, coque, adde
Natr. chlor. 3,0 (G,0)
Coque, flltra S. Zu Händen des Arztes.
All’ die Fälle einzeln anzuführen, in welchen diese Injek¬
tionen angewandt wurden, würde zu weit gehen; zuweilen schon
beim Auftreten des Primärgeschwürs, zuweilen erst mit dem
der sekundären Erscheinungen, sehr häufig aber nach Recidiven
und erfolglos (sei es von mir oder von anderer Seite) durch¬
geführter Schmierkur habe ich im Ganzen 78 Fälle verzeichnet,
bei welchen die Injektionen mit Sublimat völlig, d. h. mit der
Serie von 25—30 Einspritzungen, durchgeführt wurden. Die¬
jenigen Fälle, welche weniger als 1 Jahr zurückdatiren, ebenso
diejenigen, wo die Serie nicht vollendet wurde, d. h. die Patienten
vor Beendigung der Kur ausschieden, sind nicht mitgerechnet.
Davon trifft die Mehrzahl — 69 — auf das männliche und nur 9
auf das weibliche Geschlecht. Der jüngste der Patienten war
17, der älteste 60 Jahre alt; wie das Beispiel des Letzteren lehrte,
wirken in späteren Jahren die Injektionen sehr angreifend auf
das Allgemeinbefinden, so dass man mit roborirender Diät und
tonischen Mitteln unterstützend eingreifen muss.
Von einer genauen statistischen Aufstellung der recidivirten
und der primär geheilten Fälle muss ich absehen, da die Beobach¬
tungszeit theilweise eine zu kurze ist und man viele Patienten
nicht dazu bringt, dem eindringlichen Rathe des Arztes zu folgen,
von Zeit zu Zeit auch ohne sichtbare Krankheitserscheinung
sich zur Untersuchung zu stellen. Jedenfalls wurden Recidive
weit seltener beobachtet, wie nach der Schmicrkur, deren An¬
wendung in einer grossen Anzahl von weiteren Fällen (besonders
der Kassenpraxis), wenigstens als' erste Kur, nicht zu umgehen
war. Um mich jedoch streng objectiv an den Thatsachen zu
halten, muss ich gestehen, dass ich Patienten Jahre lang in Be¬
handlung hatte, bei welchen weder die Schmierkur, noch die
richtig durchgeführten Sublimat- und die Salicylquecksilber-
injektionen das wiederholte Auftreten von Recidiven zu ver¬
hindern im Stande waren. Daraus ersehen wir, dass auch die
letztgenannten kein Allheilmittel gegen Syphilis sind, dass es
vielmehr hartnäckige Formen derselben gibt, die auch dieser
Behandlung trotzen. Merkwürdiger Weise gelang es mir bei
zweien solcher Fälle, durch die innerliche Darreichung
So. 27 .
einer Mischung von Quecksilber und Jodkali (Hydrarg. bijodat.
0,5, Kal. jodat. 3,0, Aqu. dest. 30,0, MDS. 3 mal täglich 15 Tropfen
zu nehmen) endgiltige Heilung zu erzielen, obwohl ich im All¬
gemeinen dem Grundsatz huldige, Jodkali nur bei Späterschei¬
nungen (am Knochen-, Nervensystem u. s. w.) und nicht gleich¬
zeitig mit Quecksilber zu geben. Wenn Neumann (in dem
Handbuch für venerische und Hautkrankheiten von W o i s s,
Wien 1900) den Satz aufstellt, dass bei den Sublimatinjektionen
ausnahmslos nach 8 Monaten Recidive auftraten, so muss ich
auf meine obige gegentheiligo Behauptung hinweisen und zur
Illustration der Thatsache, dass die Injektionen einen gewissen
Schutz vor Recidiven bieten, unter anderen von mir beobachteten
Fällen 2 Fälle kurz beschreiben, welche nun seit 9 resp. 8 Jahren
recidivfrei geblieben sind.
Der eine Fall, welcher einen 23 jährigen Studierenden der
Chemie betraf, kam im Januar 1892 mit einer ausgesprochenen
Initialsklerose am L’raeputium, welche als solche auch von einem,
noch hinzugezogenen, Spezialarzte angesehen wurde, in meine
Behandlung. Die leicht ausführbare Exeision des Priraüraffektes
und die weiterhin nachfolgenden Sublimatinjektionen hatten das
erwähnte günstige Ergebniss, dass Patient bis heute von jeder
weiteren syphilitischen Erkrankung verschont blieb; er ist seit
ca. 4 Jahren verheiratliet und im Besitze zweier gesuuder Kinder.
Der zweite Patient, ein 24 jähr. Apotheker, war 4 Wochen lang wegen
eines beinahe 1 cm breiten, tief ausgehöhlten Ulcus an der Ueber-
gangsstelle von Glans penis und l’raeputium von anderer Seite mit
Umschlägen von Goulard’schem Wasser behandelt worden; das Ge¬
schwür drang natürlich immer tiefer und war, als Patient im Oktober
1892 in meine Behandlung kam, auf die beschriebene Ausdehnung
gelangt, reichliche eiterige Absonderung und die charakteristischen
harten Ränder zeigend. Es bestand ausserdem indolente Schwel¬
lung der beiderseitigen Leistendrüsen. Nach 3 Sublimatinjektionen
(alle 2 Tage wiederholt) war das Geschwür bereits um die Hälfte
verkleinert und nach weiteren 3—4 Injektionen, also in ca, 14
Tagen, völlig verschwunden, die Diagnose erwies sich demnach
auch ex therapia gesichert, da die lokale Behandlung mit Bor-
salicylwasser eine ganz indifferente war. Solche Erfolge sind nur
mit rasch wirkenden Allgemeinmitteln, wie den Injektionen, zu
erzielen und gleicher Welse für den Patienten wie für den Arzt
— das brauche ich Sie wohl nicht zu versichern — erfreulich.
Patient machte noch gewissenhaft seine Kur von 30 Injektionen
durch und hat bis vor Kurzem, wo ich ihn wieder sah, keine
weiteren Erscheinungen mehr erlebt, er ist ebenfalls verhelrathet
(seit einigen Jahren) und Vater zweier Kinder.
Im Anschluss an die beiden aufgeführten Fälle, welchen
ich noch ähnliche, jedoch nicht so lange zurückreichende, an¬
reihen könnte, muss ich die Frage streifen, wann eigentlich die
Allgemeinbehandlung zu beginnen ist? Es stehen sich hier be¬
kanntlich 2 Richtungen gegenüber, die eine will eine Behand¬
lung erst dann zulassen, wenn ausgesprochene Sym¬
ptome einer Allgemeinerkrankung (Exanthem, Drüsenschwel¬
lungen u. s. w.) vorhanden 9ind, d. h. man solle sein Pulver nicht
verschiessen, bevor es durchaas nöthig oder der Kampf ein ernster
geworden ist. B 1 a s c h k o (1. c.) rechtfertigt diesen Stand¬
punkt theoretisch damit, dass wir durch das Aufschiebeu der
Allgemeinbehandlung die natürliche Reaction des Körpers mit
ausnützen, während durch vorzeitige Quecksilbergabe dieselbe,
die ja oft an sich nicht sehr energisch sei, unnöthiger Weise ver¬
zettelt und auch die Diagnose verschleiert werde. In leichteren
Fällen kann dieses Vorgehen wohl eingehalten werden, wenn es
sich aber um tiefe, fressende Geschwüre handelt, die, genital oder
extragenital, dem Körper dauernden Schaden zuzufügen drohen,
sollen wir da abwarten, bis der Schaden ein irreparabler ist oder
sollen wir cs nicht vorziehen, durch geschickt eingeleitete Vor¬
postenkämpfe, d. h. einige Injektionen, unsere Position dem
Feinde gegenüber zu sichern und durch rasches Vorgehen schon
halben Sieg zu gewinnen? Ist nicht mit der Möglichkeit zu
rechnen, dass das Quecksilber vielmehr die natürliche Reaction
von Seite des Körpers erst anregt und zu einer energischeren
macht? Zumal ein paar Injektionen, sorgfältig ausgeführt und
unter Berücksichtigung aller individuellen Verschiedenheiten,
dem Körper keinerlei Schaden zufügen, uns aber vor diagno¬
stischen Irrthümern schützen können. Es bleiben immer noch
eine Anzahl Fälle, wo der Primäraffekt andererseits so harm¬
loser Natur ist, wo derselbe eine leichte, in 8—14 Tagen glatt
heilende Erosion darstellt, so dass wir gar nicht an Syphilis
denken, zu unserem Erstaunen aber 6—8 Wochen später eine
typische Roseola u. A. m. auftritt und erst dann die Indication
zu einer Allgemeinkur wirklich vorhanden ist.
Wenn ich mir nun erlaube, Ihnen die Art und Weise,
wie die Injektionen vorzunehmen sind, genauer zu beschreiben,
2
e
1088
MtJENCttENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
so geschieht dies desshalb, weil von deren richtigen Ausführung
meist die Möglichkeit abhängt, die Kur durchzuführen, und weil
viele Patienten schon nach der ersten misslungenen Injektion
vor deren weiterer Anwendung eine gerechte Scheu haben. Für
weibliche Patienten kommt die oben beschriebene 1 proc., für
männliche die 2 proc. Sublimat-Kochsalzlösung in Anwendung.
Dieselbe vor dem jedesmaligen Gebrauche aufzukochen, wäre
sehr erwünscht, ist aber in der Praxis kaum durchführbar und
nicht absolut erforderlich. Zu den Injektionen genügen die ge¬
wöhnlichen Pravazspritzen und -Nadeln, zu den Einspritzungen
mit Salicylquecksilber braucht man stärkere Nadeln von etwa
2!4—3 cm Länge, da sie sich leicht durch die ölige Flüssigkeit
verstopfen. Die Stelle in der Glutaealgegend, wo zu injiziren ist,
wird zuerst mit Alkohol, dann mit Sublimatlösung (0,1 proc.)
gereinigt, dann die gehörig desinfizirte (5 proc. Karbollösung)
Nadel gerade in die Musculatur und rasch eingestochen — ge¬
schieht dies, so merken die Patienten meist gar nichts von diesem
Vorgang — und die Spritze wieder herausgezogen, um ein paar
Minuten abzuwarten, ob etwa Blut aus der Nadel herausfliesst;
ist dies der Fall als ein Zeichen, dass man in ein Gefäss gerathen
ist, so muss man eben an einer zweiten Stelle einstechen, was
vernünftigen Patienten wohl einleuchtet. Die Injektion der
Flüssigkeit führt man recht langsam aus, während und nach
derselben haben die Patienten oft ziehende Schmerzen an dem
Beine der betreffenden Seite; rasch entfernt man sodann die
Nadel und massirt einige Minuten lang recht energisch die In¬
jektionsstelle. Trotz dieser letzteren Vorsichtsmaassregel kann
es manchmal zu Infiltraten kommen, welche dem Träger das
Sitzen erschweren, ja oft unmöglich machen. Die Nadel sollte so¬
fort nach der Benützung gut gereinigt und mit dem Mandrin
versehen werden; durch das Sublimat werden die Nadelspitzen
rasch stumpf, so dass der Gebrauch an Injektionsnadeln ein
ziemlich bedeutender ist. Für jeden, eben in Behandlung be¬
findlichen Patienten sollte eine eigene Nadel bestimmt sein.
Ein Zufall, mit dem man immerhin rechnen muss und der mir
bei mehr als 2000 Injektionen 2 mal unterlief, ist das Abbrcchcn
der Nadel im Körper; in dem einen Falle gelang es, durch so¬
fortige Incision den abgebrochenen Tlieil wieder zu entfernen,
in dem andern war ich nicht so glücklich, konnte mich aber die
paar Jahre hindurch, wo ich Patienten, einen recht hartnäckigen
Fall, noch sah, davon überzeugen, dass ein weiterer Schaden
durch die Nadelspitze im Körper nicht angerichtet wurde.
Abscessbildung an der Injektionsstelle habe ich mit den
Sublimateinspritzungen nur ein einziges Mal erlebt und zwar
bei einer Patientin mit schwerer Lues, welche schon vorher eine
Schmierkur durchgemacht hatte. Was nun die Stomatitis
betrifft, eine Komplikation, die, in Gemeinschaft mit dem so
lästigen Speichelfluss, bei der Schmierkur ziemlich häufig ist
und in manchen Fällen zu mehrmaliger Unterbrechung, ja Aus¬
setzen der Kur, mich zwang, so habe ich sie bei dieser Injektions¬
kur nur in ganz wenigen Fällen erlebt; in einem Fall jedoch,
bei einer Patientin mit hartnäckigem papulös-squamösem Sy¬
philid, trat schon nach den ersten 2 bis 3 Injektionen und jedes¬
mal bei wiederholtem Versuche derselben eine so heftige Zahn¬
fleischentzündung u. s. w. auf, dass eine Fortsetzung der Queck¬
silberkur auszuschliessen war und zu den Z i 11 m a n n’schen
Mitteln die Zuflucht genommen werden musste. Man kann jeden¬
falls in solchen Fällen eine individuelle Empfänglichkeit (Idio¬
synkrasie) gegen das Quecksilber annehmen, mit der man bei
jeder Quecksilberapplikation rechnen muss. Weitere Kompli¬
kationen, besonders die bei den unlöslichen Salzen zu fürchtenden
Embolien, kamen in nieinen Fällen nicht zur Beobachtung. Die
1—2 proc. Sublimatinjektionen werden jeden zweiten Tag wieder¬
holt, 25—30 genügen im Allgemeinen, so dass man i mm erhin
mit einer 2 monatlichen Dauer der Kur rechnen muss. Frauen
vertragen die Injektionen am Anfang zuweilen nicht besonders
gut : Ucbelkeit, allgemeines Unbehagen, Schwächegefühl treten
auf, nach 5—6 maliger Anwendung verschwinden aber meist
diese Symptome; es ist natürlich, dass sic, wenigstens ausserhalb
des Krankenhauses, viel seltener wie die Männer zu dieser Kur
sich entschliesscn.
Ich wandte auch — meist bei wiederholt nöthiger Queck¬
silberkur (Recidiven) — die von Lukasiewicz empfohlene
5proc. Sublimatlösung, ebenfalls mit Kochsalz vermischt, an;
sie hat den Vortheil, dass bloss wenige, 4—6, Injektionen in
Zwischenräumen von 8—10 Tagen nöthig sind. In der Wirkung
sind dieselben ziemlich erfolgreich, jedoch lässt sich wegen der
starken damit verbundenen Schmerzen an der Injektionsstelle,
die oft Tage lang anhalten, deren ausgedehnter Gebrauch nicht
empfehlen; auch Kobel, der zahlreiche Fälle mit diesem Mittel
behandelte, möchte desshalb dessen Anwendung auf das Kranken¬
haus beschränkt wissen. Es ist natürlich, dass bei den Injektions¬
kuren dieselbe Sorgfalt bezüglich der Mundpflege, dieselben
Kautelen in der Diät und Lebensweise einzuhalten sind wie bei
den lnunctionen und dass der Patient wenigstens einmal in der
Woche ein warmes Bad nehmen muss. Nach durchgeführter
Quecksilberkur jeder Art halte ich den fleissigen Gebrauch von
Dampfbädern oder wenigstens warmen Bädern für ausserordent¬
lich wichtig, wie überhaupt die Hydrotherapie als Unterstützungs¬
mittel der antisyphilitischen Behandlung und als Nachkur der¬
selben eine wichtige Rolle spielt.
Nach dem Angeführten sind wir wohl berechtigt, die intra-
musculären Injektionen mit 1- resp. 2-proc. Sublimatlösung als
ein sehr werthvolles, energisch wirkendes Behandlungsmittel,
welches zugleich das relativ unschädlichste aller gegen Lues
empfohlenen Injektionspräparate ist, zu bezeichnen. Wenn
deren Anwendung aus äusseren Gründen nicht möglich ist, so
käme in zweiter Linie das salicylsaure Quecksilber in Betracht,
bei dessen Gebrauch man jedoch sehr vorsichtig, mit kleinen
(14—14 Spritze) Dosen beginnend, Vorgehen muss. Die übrigen
unlöslichen Quecksilberverbindungen bieten alle mehr oder we¬
niger Gefahren und sind daher für die tägliche Praxis des Arztes
nicht zu empfehlen. Wenn auch weiterhin in vielen Fällen die
Einreibungskur nicht zu umgehen ist und noch ausgeführt wird,
so ist doch, wie nochmals kurz zusammengefasst sei, den In¬
jektionen unter folgenden Umständen der Vorzug zu geben:
1. Wenn sonstige Erkrankungen der Haut
oder der Verdauungsorgane die Anwendung
der Schmierkur oder Pillen nicht zulassen.
2. In Fällen von schwerer Syphilis, wenn
wichtige Organe ergriffen sind und es sich
darum handelt, rasch und energisch einzu-
greifen.
3. Wenn es gilt, eine zweifelhafte Diagnose
aufzuklären.
4. I n denjenigen Fällen, wo die anderen
Quecksilberpräparate schon vergebens ange¬
wandt worden sind — bei wiederholten Reci¬
diven — und schliesslich
5. Abwechselnd mit anderen Methoden bei
der intermittironden Behandlung (nach Four-
nier-Ncisscr).
Dabei dürfen wir aber nie vergessen, dass, gleich wie das
Syphilisvirus, ebenso das Quecksilber verschieden auf den einen
oder anderen Organismus wirkt, dass wir daher genau individua-
lisiren müssen. Ohne dass wir die inneren Gründe anzugeben
wissen, kann die eine Methode versagen und die andere den ge¬
wünschten Erfolg bringen, können wir in die Lage kommen, nicht
nur von Fall zu Fall, sondern auch bei ein und demselben Pa¬
tienten von einem zum anderen Male unsere Behandlung zu
ändern. Daher ist cs wichtig, dass wir mit allen Methoden der¬
selben vertraut sind und das gesammte Rüstzeug, da9 uns zu
Gebote steht, beherrschen, um die verheerende Syphilisseuche
mit ihren Folgeerscheinungen erfolgreich zu bekämpfen!
Literatur:
John H. Hunte r: On the veuereal diseases. London 1786.
— N e u m a n u - Wien ln Drasclie’s Bibliothek der gesammten
med. Wissenschaften: Venerische und Hautkrankheiten. Von Doe.
Dr. Weiss. Wien und Leipzig 1900. — M. H 0 f 1 e r - Tölz-
Krankenheil: lieber die Methode der Quecksilbereinrelbungskureu
im Bade Tölz-Krankenheil. Monatsh. f. prakt. Dermatologie 1899
(Bd. XXIX, No. 12). — H. Schaper: Zur Statistik der geschlecht¬
lichen Infektionskrankheiten in der Charitö. Berl. lclin. Wochen¬
schrift 1900, No. 44. — Mo eil: Ueber Hirnsyphllis. Ibidem 1901,
28. Januar. — M. E i n h o r n - New-York: Ueber Syphilis des
Magens. Arch. f. Verdnuungskrankb. VI. Bd., 2. H. Herausgo-
geben von Boas-Berlin. — A. Blaschko: Ueber einige Grund¬
fragen in der Behandlung der Syphilis. Vortrag, gehalten in der
kgl. Charitö zu Berlin am 2. Nov. 1900. Berlin 1901. Gedruckt
bei L. Schuhmacher. — We 1 a n d e r - Stockholm: Ersatz der
Schmierkur u. s. w. Archiv f. Dermat. u. Syph. Bd. 46. H. 2.
Referat in Münch, med. Wochenschr. 1900, G. März. — Jordan-
Moskau: Ein Beitrag zur Welander’schen Sackbehandlung der
Syphilis. Monatsh. f. prakt. Dermatologie. Bd. XXX, No. 11. —
Krelss-Züricb: Ueber die Verdunstung des Quecksilbers und
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2. Juli 1901.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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deren Bedeutung bei der Einreibungskur. Ibidem, Bd. XXXII,
No. G. — Gaueher - Paris: Die Behandlung der Syphilis. Referat
ibidem, Bd. XXXI. No. 6. — Coplin-Stinson - San Frau-
sisko: Gehirn- und RUckenmarkssyphills, mit intramuscularen In¬
jektionen unlöslicher Quecksilbersalze behandelt. New-York med.
Journ. 1S09, 2. Sept — A. Renault: Capilliire (Lungen-)Em-
lH>lien in Folge von Kalomelinjektion. Presse medicale 1891).
No. 102. — Paul Raymond: Die Quecksilberinjektionen bei
der Syphillsbehandlung. Gazette des Höpitaux 1892, No. 79. —
J. Kobel: Behandlung der Syphilis mit 5proc. Sublimatlösungen
nach Lukasicwiez. Wiener klin. Rundschau 1899, No. 30. —
Milnch. med. Wochenselir., Jalirg. 1896—1900: Berichte aus den
Pariser medicinlschen Gesellschaften. — G. Hcermann, Privat-
docent ln Kiel: Die Syphilis in ihren Beziehungen zum Gehör¬
organe. Halle a. S., Verlag von C. Marhold, 1900.
Kasuistische Beiträge zur Lehre von der ektogenen und
endogenen Intoxikation (nach Senator).*)
Von Dr. Tippei, dirig. Arzt der Heilanstalt zu Kaisers¬
werth a. Rh.
M. H.! Gegen Ausgang des vorigen Jahres hatte ich Ge¬
legenheit, zwei Fälle von Intoxicationen zu beobachten, über die
ich hier berichten möchte:
In dem ersten Falle handelt es sich um eine Metzgersfrau vom
Westerwalde, die vor Jahresfrist eine schwere Entbindung und elu
langwieriges Wochenbett durchgemacht hatte. Als einige Wochen
nach der Entbindung das Kind starb, zeigten sich bei der Mutter
bald Spuren von Melancholie mit hypochondrischen Selbst¬
beobachtungen und Beschwerden. Unter Anderem wurde monate¬
lang bald ül>er Kopfschmerzen, Herzbeschwerden und Magen¬
schmerzen geklagt, ohne dass sich fiir diese, nach Angabe der
Kranken abwechselnd auf tretenden Empfindungen ärztlicherseits
objektive Unterlagen in Organerkrankungen feststellen Hessen.
Mit Zunahme der psychischen Krankheitserscheinungen im
Herbst 1900 verweigerte die Frau dann zeitweilig die Nahrung, so
dass die Wägung bei der am 5. November erfolgten Aufnahme
in unsere Heilanstalt elu Körpergewicht von 52 kg ergab; im Ver-
liültnlss zur Körpergrösse von 174 cm und zu dem starken Knochen¬
bau ein niedriges, entsprechend dein dürftigen Stande der Er¬
nährung, der sich durch schlaffe, blasse Hautdecken, starke
Anaemie der Schleimhäute und gering entwickelten Muskel- und
Fettansatz kennzeichnete.
In den ersten Wochen des Anstaltsaufenthaltes befand sie
sich meist in mässiger Unruhe, war aber durch prolongirte Bäder
und geringe medikamentöse Unterstützung — sie erhielt im
Ganzen 4,0 Trional und 3,0 Dormiol — so in Ruhe zu halten, dass
sie auf der Ueberwachungsabthellung für Ruhige liegen konnte.
Dagegen machte die Nahrungsaufnahme beständig Schwierig¬
keiten.
Am 4. Dezember klagte sie nun plötzlich über Magenschmer¬
zen, ohne diese näher bezeichnen zu können und erbrach Früh¬
morgens nüchtern eine mässige Menge dünnbreiiger Massen, die
einen üblen fauligen Geruch verbreiteten. Nach dem Erbrechen
fiel bei der Kranken eine tiefe, ca. 2 Tage hindurch anhaltende
Prostration auf; ferner eine grüngelbe Hautfarbe, die sich über den
ganzen Körper erstreckte; die sonst sehr blassen Schleimhäute zeig¬
ten noch am 6. eine Andeutung davon. Die Palpation der Magen-
und Lebergegend schien etwas schmerzhaft zu sein, aber nirgends
war eine Resistenz, Dämpfung oder gasige Auftreibung festzu-
-stelleu. Der Puls war fadenförmig, regelmässig, ca. 60 Schläge
In der Minute. Der Verdacht auf eine Betheiligung seitens der
Galle liess sich nicht aufrecht erhalten nach den weiter anzu¬
führenden Gründen. Es wurden nun am 4. XII. und den 3 nächst¬
folgenden Tagen Ausspülungen des Magens mit ca. 3 proc. lnu-
wanner Borlösung vorgenommen; bei der ersten wurden in dev
Spülflüssigkeit, die am Anfang auch den Geruch nach Fäulniss
auf wies, krümmelige. schmutzig-graue Leber- und Fleisch theil-
chen neben Fettkügelchen in geringer Menge herausgefördert.
Es liess sich nun unschwer feststellen, dass der Mann der
Kranken am 3. XII. beim Besuche ein ca. 10 cm langes Stück
frischer, nicht geräucherter Leberwurst der Kranken übergeben
lies«, die er einige Tage vorher selbst bereitet und in der Rock¬
tasche, in Zeitungspapier gewickelt, umhorgetragen hatte. Sie soll
nach Aussage der Pflegerin aussen nicht sehr schön ausgesehen
haben und von der Kranken nur zum Theil genossen sein. Es liess
sich hinterher nichts weiter feststellen, da der Wurstrest bereits in
die Abfälle geworfen war. Die an den kritischen Tagen erfolgten
Dannentleerungen zeigten ebenfalls eine graugelbe Farbe, so dass
diese züerst den Verdacht auf Betheiligung der Gallenwege ver¬
stärkten. Bel entsprechender Diät erholte sich die Frau nur lang¬
sam. zumal sie auch aus psychischen Gründen die erforderliche
Nahrung nur unter einigen Schwierigkeiten nahm. Da nun andere
Kranke um Jene Zeit ln unserer Anstalt die gleichen oder ähnliche
Erscheinungen nicht boten, so dürfen wir schon mit Rücksicht auf
die zweifellos sichere Ursache die Erkrankung als eine „Wurst¬
vergiftung“ oder „ectogene Intoxikation“ bezeichnen.
•> Vortrag. gehalten Im Verein der Aerzte Düsseldorfs am
15. April 1901.
In dem anderen Falle handelt es sich um ein kleines Mädchen
vou ca. 6 Jahren; dieses, die Tochter eines Kollegen, verweilte bei
einer mir befreundeten Familie zu Besuch und befand sich bis zum
2. Weihnachtsfeiertage wohl. Da fiel sie plötzlich Früh gegeu
10 Uhr um, wurde bewusstlos, liess ohne Empfindung dafür Urin
unter sich gehen, hatte Krämpfe und zeigte Schaum vor dem
Munde. So lautete der Bericht, den ich bei meinem ca. >/. Stunde
später erfolgten Eintreffen erhielt. Bis dahin lag sie unverändert
da; aufgelegte kalte Umschläge blieben angeblich ohne Einfluss auf
das Krankheitsbild. Ich befreite das Kind sofort von den ein-
engenden Kleidungsstücken und stellte anamnestisch fest, dass es
vor ca. 4 Jahren ähnliche Erscheinungen gezeigt habe. Damals sei
von dem hinzugezogenen Kollegen als Ursache Obstipation ange¬
nommen und durch Eingüsse und Chloroform nach ca. 12 Stunden
eine Restitutio ad integrum erreicht worden. Ich beobachtete
währenddem klonische Krämpfe im rechten Facialis und mässige
klonische und tonische Krämpfe im rechten Bein. Die Pupillen,
beiderseits von mittlerer Weite, reagirten auf Lichteinfall prompt,
der Lidcomealreflex war erloschen, Patellarsehnenreflex nicht aus¬
zulösen. Die Haut war mit feuchtem, klebrigem Schwelss bedeckt,
der Puls sehr beschleunigt, kräftig, unregelmässig. Die kleine
Patientin war mir seit einigen Jahren als Tochter einer recht
lebhaften Mutter bekannt, in deren Familie Nervosität mit Reizbar¬
keit und Herzpnlpitationen verbreitet ist. Sie wurde mir auch
vor ca. ly 2 Jahren wegen Enuresis nocturna zugeführt; ausser¬
dem musste beständig über ihre Defaecation gewacht werden, da
sie sich wohl zum grössten Theil in Folge ihrer grossen IiObhaftig-
keit ln dieser Beziehung sehr unzuverlässig erwies. Trotzdem mir
nun versichert wurde, dass In der letzten Zeit jeden Tag Stulil-
eutleenmg erfolgt sei und In der Beköstigung die grösste Vorsicht
obgewaltet habe, hielt ich es schon mit Rücksicht auf die frühere
Erkrankung für angezeigt, ebenfalls eine Reinigung des Darm¬
rohres vorzunehmen. Bei der Einführung des welchen Gummi¬
rohres musste ein sehr starker Sphlnktereukrampf überwunden
werden; dieser schien nachher auch den Abfluss der eingeführten
Spülflüssigkeit zu verhindern. Um dies Hemmniss zu beseitigen,
führte ich ein Stuhlzäpfchen ein und konnte bei der Fixirung
desselben mit den Fingern nach ca. 5 Minuten fühlen, wie der
Krampf nachliess. gleichzeitig hörten die ln der Zwischenzeit bald
links bald rechts in den verschiedensten Gebieten aufgetretenen
Krämpfe meist klonischer Art auf. Die kleine Patientin erlangte
vorübergehend das Bewusstsein und konnte bei der Defaecation
etwas mitpressen. Die Eingüsse wurden dann mehrfach wieder¬
holt, nach und nach Hessen die Krämpfe an Intensität und Zeit¬
dauer nach, wenige Tropfen Chloroform lösten Erbrechen von
etwas Schleim aus und nach ca. 5 Stunden — von Beginn der
Krankheitszeichen gerechnet — verfiel Patientin nach wieder¬
erlangtem Bewusstsein in einen mehrstündigen Schlaf. Eine Er-
inhcrung an die Vorgänge hatte sie ln den nächsten Tagen nicht.
Auffallender W'eise zeigte nun die Spülflüssigkeit keineswegs viel
Koth. Dagegen fiel ein ausserordentlich übler fader Geruch auf;
das Spülwasser zeigte keine normale Kothfärbung. sondern mehr
das Aussehen von zerkochtem Eiweiss (zerfahrene Suppe). Jeden¬
falls konnte hier m. E. eine Obstipation nicht als Ursache ange^
sehen werden. Da nun nach den Angaben der mir seit Jahren
als zuverlässig bekannten Verwandten der kleinen Patientin die
vorher dargereichten Speisen keine schon in diesen bestandenen
Schädlichkeiten von aussen in den Körper gebracht haben konnten,
so lag der Gedanke an eine endogene Intoxikation nahe, um so
mehr als auch Würmer oder andere Darm Parasiten nicht nach¬
zuweisen waren. Wie eine solche Autointoxikation zu Stande
kommen kann, soll weiter unten Gegenstand der Erörterung sein.
Die Kleine war nämUcli, wie ich noch nachträglich erfuhr, plötz¬
lich wegen der Erkrankung ihres Bruders an Masern vom Hause
entfernt, zeigte aber nach ca. 8 Tagen ebenfalls Masernsymptome.
Wir dürfen desshalb annehmen, dass um Weihnachten bereits
das Masemgift In dem Körper vorhanden wär und eine Ursache
für die geschilderten Zustände abgab.
Wir würden demnach in beiden Fällen von einer Intoxication
sprechen können, und zwar in dem ersten von der ektogenen
Form, in dem zweiten von der endogenen. Dass ich in der Schil¬
derung der beiden Fälle nicht wesentlich Neues geboten habe,
dessen bin ich mir wohl bewusst. Ich möchte aber an dieselben
eine kurze TÜbersicht über die diesbezügliche Literatur an¬
knüpfen, und den praktischen Werth in Bezug auf das neue
Schlachtvieh- und Fleischbeschaugesetz vom 22. Mai 1900 er¬
wähnen.
Bei der Durchsicht der recht zahlreichen Angaben — ich
zählte über 70 — der Literatur der letzten Jahre fällt cs vor allen
Dingen auf, dass dieselbe in der letzten Zeit nur wenige Schil¬
derungen von gleichen oder ähnlichen Erkrankungsfüllen bringt.
Wenn ich nun auch annehme, dass nicht jeder der zur Beobach¬
tung gelangten Fälle auch veröffentlicht wurde, so erscheint doch
auch die Annahme berechtigt, dass bezüglich der Wurstvergiftung
der vielerorts eingeführte Schlachthausbetrieb, grössere Sauber¬
keit und grösseres Verständnis«* für die letztere bei den V urst-
macliern neben anderen Dingen viel zur Verminderung der Wurst¬
vergiftungen beigetrngen haben. Dass aber in dieser Beziehung
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
noch nicht alle Ucbelstände beseitigt sind, geht aus einer Unter¬
suchung SchillingV) in Leipzig hervor. Er fand imWurstdarme
Kotbrückständc (Wurstschmutz) in Mengen von 2,16 bis 5 Gramm
auf 1 Meter Darm. So ist es naheliegend, bei frischen oder
schwach geräucherten Würsten, die leicht Schimmelpilze an-
setzen und in diesem Schmutze bereits Bacterien enthalten, die
aetiologische Ursache einer grossen Zahl von Gastroenteritiden
zu suchen.
Eine besondere Beachtung verdient ferner die Veröffent¬
lichung von L a u k l ) allein schon ihrer historischen Angaben
und der Schilderung der speeiellen Krankheit-szeiehen wegen.
Eine grössere Epidemie in Prag 1895 schildert Bail’); er nimmt
als Krankheitserreger Mikroorganismen an, die im menschlichen
Körper nicht weiter wachsen können. Diese durch van Er-
m o n g h e in entdeckten Botulinuskeime werden nach B a i l’s
Experimenten durch die Fliegen an ihrem Körper fortgetragen
und so auf Nahrungsmittel deponirt. Dadurch ergibt sich der
praktische Hinweis auf möglichste Sauberkeit beim Verkehr mit
Nahrungsmitteln, auf Schutz des Fleisches gegen Fliegen durch
Bedecken mit Netzen und auf die Vermeidung alles dessen, was
die Ansammlung und Vermehrung der Fliegen begünstigt.
Was sodann die Veröffentlichungen über Krämpfe im Kindes¬
alter anbelangt, so möchte ich besonders auf das ebenso ausführ¬
liche wie vortreffliche Reierat von Lange*) auf der 71. Natur¬
forscherversammlung in München 1899 hinweisen. Von anderen
seien in aetiologischer Beziehung die Beobachtungen von West-
p h a 1 *) und Blum’) erwähnt des Inhalts, dass Entfernung
der Schilddrüse Tetanie hervorruft. Dass Tetanie nach In¬
toxikation mit Extr. filic. m. entstehen kann, schildert
Dämmer 7 ).
Aber in unserem Falle handelt es sich nicht um diese Ur¬
sachen, sondern um oinelntoxikation, deren Natur mir aber keines¬
wegs gesichert erscheint. Mit einiger Berechtigung weist ja
zweifellos die wenige Tage später erfolgte Masemeruption auf
die von Lange so bezeichnet© „initiale infektiöse Eklampsie“
hin. Da aber eine Temperatursteigerung weder bei der Krampf -
periodo am Tage noch später am Abend vorhanden war, wie
thermometrisoh festgestellt wurde, so müssen wir nach Lange
„eine bacteriologisehe Giftwirkung auf die nervösen Organe“ an¬
nehmen mit Ausschaltung von anatomischen Läsionen. Eine
epileptische Grundlage ist ebenso auszuschlicssen, da sich doch bei
dem Wiederauftreten der Krämpfe in so grossen Intervallen,
wie in unserem Falle, in den anfallsfreien Zeiten keine psychi¬
schen, vasomotrischen oder andere Störungen (ausser der Enuresis
nocturna) zeigten. Ebenso möchte ich die Idee der Reflex¬
konvulsion, wie sie G o w e s mit besonderer Schärfe vertritt,
bei dem Mangel an Koprostase und Würmern von der Hand
weisen. Dass schliesslich kein Ceruminalpropf oder adenoide
Wucherungen mit in das Bereich der Betrachtung gezogen werden
können, ergibt sich aus der spezialärztlichen Beobachtung des
Vaters der Kleinen. Es handelt sich m. E. demnach zweifellos
in beiden Fällen um Intoxikation. Diese hat vor Kurzem
Senator*) in der Deutschen Klinik von Lcyden-Klem-
p c r e r am Eingänge eines beachtenswerthen Aufsatzes folgender-
mnnssen definirt: „Die autochthone (endogene) Intoxikation be¬
deutet eine Erkrankung des Körpers durch ein in ihm gebildetes
Gift im Gegensatz zu jenen Erkrankungen, welche durch von
aussen her fertig einverleibte Gifte erzeugt werden (ektogene In¬
toxikationen).“ Er hat diesen Begriff 1868 mit besonderer Rück¬
sicht auf die vom Verdauungskanal ausgehenden Vergiftungs-
zustündo in die Pathologie eingeführt. Mit Bezug auf unser
Thema wollen wir auch nur dieses beschränkte Gebiet weiter
betrachten, wenn wir auch daran denken wollen, dass „allmählich
fast alle Symptomenkomplexe in das weitere Gebiet bezogen
worden sind, die sich nicht auf unmittelbar äussere Einwir¬
kungen, wie Vergiftungen und Verletzungen, oder grob me¬
chanische Verhältnisse, wie Circulationsstörungen, zurückführen
’) Deutsche med. Woehenschr. No. 37. 1000.
*) Miinch. med. Woehenschr. No. 39. 1900.
*) Münch, med. Woehenschr. 1901. No. 4.
*) Münch, med. Woehenschr. 1900. No. 2.
s ) Münch, med. Woehenschr. 1900. No. 50.
*) Münch, med. Woehenschr. 1900. No. 43.
9 Münch, med. Woehenschr. 1900. No. 46.
*) Die deutsche Klinik am Anfang des 20. Jahrhunderts von
Leyden-Klemperer. Heft 1.
lassen“ (nach Senator). „Eine solche Ausdehnung des Be¬
griffs der Autointoxikation ist nur möglich geworden, weil der
Begriff von Gift und Vergiftung selbst kein scharf um¬
grenzter ist.“
Nach Senator würden wir 4 Hauptgruppen dieser Auto¬
intoxikationen annehmen je nach dem Orte ihrer Entstehung
und nach der Art, wie sie von dort in das Blut gelangen, und
zwar:
1. Solche, welche durch behinderte Ausscheidung normaler
Auswurfstoffe, entstehen (Retentions-Autointoxikationen).
2. Solche, welche in (normalen oder abnormen) Ilohlräumen
des Körpers durch Zersetzung (Fäulniss, Gährung) entstehen
und von da durch Resorption in den Kreislauf gelangen (Re-
sorptions-Autointoxikationen).
3. Vergiftungen, entstanden durch abnorme Blutbeschaffen¬
heit und abnorme Stoff Wechselvorgänge in den Geweben dc3
Körpers (dyskrasische oder histogene Autointoxikationen).
4. Vergiftungen, bedingt durch Toxinbildung von Mikro¬
parasiten bei Infektionskrankheiten (Infektions-Autointoxi¬
kationen).
Bereits vor 30 Jahren hat Senator darauf hingewioseu,
dass im Magendarmkanale in der Norm, noch mehr aber unter
abnormen Verhältnissen, giftige Stoffe gebildet werden. „Wenn
es doch verhältnissmässig selten zu Vergiftungen durch dieso
namentlich aus der Eiweissfäulniss hervorgehenden Giftstoffe
(Phenole u. a.) kommt, so liegt der Grund dafür darin, dass die
Menge jener Stoffe zu gering ist oder dass sie zu schnell aus¬
geschieden werden oder dass sie von der unverletzten Magen-
Darmschleimhaut nicht hinreichend resorbirt werden oder
endlich, weil sie schon im Darm, noch mehr aber nach ihrer Re¬
sorption in der Leber und jenseits derselben im Blute und in
den Geweben, unschädlich gemacht werden, sei es durch Zer¬
setzung oder durch Ueberführung in ungiftige Verbindungen,
überhaupt durch Schutzvorrichtungen, welche dem Körper zur
Verfügung stehen. Erst, wenn diese Schutzvorrichtungen ver¬
sagen, kann es zu einer Vergiftung kommen.“ Ob jedesmal eine
Intoxikation und nicht vielmehr auch Reflexwirkungen bei der
Aetiologie so manches Krankheitsbildes, wie z. B. bei der Ob¬
stipation mit Kopfschmerz, Schwindel etc. eine Rolle spielen,
diese Frago lässt auch ^Senator offen.
Diese und andere Gesichtspunkte namentlich betreffs der
Therapie weiter an der Hand des sehr lesenswerthen Aufsatzes
hier auszuführen, würde uns über den Rahmen unseres Themas
hinausführen.
Was schliesslich die Fleischvergiftung im Speziellen anbe¬
langt, so kann man nach Gärtner“) unterscheiden: Intoxi¬
kationen und Infektionen mit Fleisch von Thieren, die vor der
Schlachtung krank waren; hier kommen hauptsächlich septi-
kaemischo Processe in Betracht. Die bei solchen Fleischver¬
giftungen gefundenen Mikroorganismen sind alle mehr oder
weniger dem Bacter. coli ähnlich. Hierbei ist zu berücksich¬
tigen, dass es Gifte gibt, die der Siedehitze widerstehen, während
andere durch diese völlig oder theilweiso zerstört werden. Die
Schädlichkeiten beruhen auf einer Intoxikation oder einer In¬
fektion mit nachfolgender oder gleichzeitiger Intoxikation. Hier
können die Bacterien proliferiren und ihr Gift kommt dann zu
dem schon vorhandenen hinzu. Vielfach vermehren sich die
Bacterien in dem Fleische und den Organen des geschlachteten
Thiercs. Dann kann es sich ereignen, dass die Personen, welche
Fleisch frisch gemessen, gesund bleiben oder leicht erkranken,
während andere schwer affizirt werden, welche es nach einigen
Tagen essen. Oft ist dem toxischen Fleische nichts anzumerken,
mitunter findet sich eine gewisse Verfärbung oder ein fader,
süsslicher, widerlicher Geruch oder Geschmack.
Ferner kommen Vergiftungen vor mit Fleisch und Wurst
von Thieren, die vor der Schlachtung nicht nachweislich krank
waren. Hier erweisen sich namentlich später genossene Theile,
wie Leber und Schinken, gänzlich oder theilweise giftig. Zu¬
weilen sind solche Fleischstücke im Beginn der Zersetzung und
es können die Ptomaine der Fäulniss (Muscarin, Neurin etc.)
die Erscheinungen bewirken. Meist sind es specifische Gifte;
so erzeugt z. B. der Bacillus botulinus (v. E r m e n g h e m) ein
dem Diphtherie- und Tetanustoxin nahe verwandtes Gift.
Gärtner nimmt an, dass diese toxinbildenden Mikroben ent-
•) Leitfaden der Hygiene 1899.
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2. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCitEttSCÖRIFf.
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weder in minimaler Zahl in dem lebenden Thiere schon vor¬
handen waren, ohne letzteres jedoch sichtbar krank zu machen,
oder dass sie in einzelne Stücke des geschlachteten Thieres ge¬
langten, sich dort vermehrten und das Gift erzeugten.
Die giftige Wirkung kommt nicht allen Substanzen zu, die
durch Bacterienwirkung aus den Eiweisskörpern abgespalteu
werden, sondern nur einigen. Diese bezeichnet man nach
B r i e g e r als Toxine, im Gegensatz zu den ungiftigen Pro¬
dukten der Leichenfäulniss, den Ptomainen (Selm i). So wurde
aus faulem Fleisch das ungiftige Putrescin, Cadaverin, Neuridin,
dagegen das giftige Methylguanidin, Neurin, Muscarin, Mydalin,
Tetanin u. a. gewonnen. Die stark giftigen Substanzen treten
erst in den späteren Fäulnissstadien auf. Brieger, welchem
das Hauptverdienst um die Erforschung dieses Gebietes gebührt,
gewann die Ptomaine und Toxine sowohl aus Fäulnissgemischen
als auch durch Einwirkung von Reinkulturen; er stellte z. B. das
Putrescin und Cadaverin aus Cholerakulturen, das Methyl¬
guanidin aus Cholerakulturen und den Finkler-Prior-Bacillen,
das Tetanin aus Tetanuskulturen dar.
Für diejenigen Herren, welche sich speciell für diese For¬
schungen interessiren, verweise ich noch auf die neuerdings er¬
schienenen Arbeiten von Czaplewski, Michelazzi,
Marcus, Bienstock, Escherich, R o o s , Grunow
u. A.
Jedenfalls können wir aus den letzten Ausführungen den
praktischen Nutzen ziehen, dass das Schlachtvieh- und Fleisch¬
beschaugesetz vom 22. Mai 1900 nicht die so sehr wünschens-
werthe Sicherheit für eine gesunde Volksverpflegung bietet. Es
ist dies ja auch schon mehrfach, so z. B. von Disselhorst
und Frankel im Verein der Aerztc zu Halle (24. X. 1900) er¬
örtert und die Nothwendigkeit eines Reichsgesetzes gegenüber
den bisherigen landespolizeilichen Bestimmungen der einzelnen
Bundesstaaten betont.
Ich muss zum Schluss eilen; eine Besprechung aller hier in
Betracht kommenden Fragen würde zu weit führen. Ich gebe
mich der Hoffnung hin, dass diese noch in der Discusaion Be¬
rücksichtigung finden werden.
lieber Ischias syphilitica und ihre Behandlung.
Von Dr. F. Mendel in Essena. d.Ruhr
Die mannigfaltigen Entstehungsursachen der Neuralgia
ischiadica machen es oft ganz besonders schwierig, in manchen
Fällen sogar unmöglich, eine aetiologische Diagnose zu stellen,
obwohl gerade diese für eine erfolgreiche Behandlung unum¬
gänglich ist. In einer ganzen Reihe von Erkrankungen dieser
Art und gerade in solchen, welche hartnäckig jeder Therapie
Trotz bieten, wird man auf den vagen Begriff der „rheuma¬
tischen Disposition“ zurückgreifen müssen, ohne, wie man es er¬
warten sollte, mit denjenigen Mitteln einen Erfolg zu erzielen,
welche als Specifica gegen rheumatische Affektionen gelten. Ob¬
wohl nun von allen aetiologischen Momenten, welche bei der
Ischias in Betracht kommen könnten, keines eine wirksamere
Handhabe für eine erfolgreiche Therapie darbieten würde, als der
Nachweis eines causalen Zusammenhanges zwischen Syphilis und
Ischias, so wird doch gerade diese Entstehungsursache in den
meisten Lehr- und Handbüchern entweder überhaupt nicht er¬
wähnt, oder der Zusammenhang beider Krankheiten wird zwar als
möglich zugestanden, aber als so wenig sicher bewiesen erachtet,
dass weitere Belege dafür unbedingt nothwendig erscheinen.
Der Aufsatz von Seeligmüller in Eulcnburg’s Real¬
en cyclopädie gedenkt der Syphilis als Ursache der Ischias über¬
haupt nicht, während Strümpell in seinem Lehrbuche bei der
Erörterung der Therapie Jodkalium, wenn ein Verdacht auf Lues
vorliegt, empfiehlt; bei der Besprechung der Aetiologie der Ischias
findet aber auch bei ihm die Syphilis keine Erwähnung. Oppen-
hoi mer hält in seinem Lehrbuche der Nervenkrankheiten „die
Beziehung der Neuralgia ischiadica zur Syphilis für wenig sicher
gestellt, wenn man davon absieht, dass zuweilen Gummi¬
goschwülste im Nerven constatirt worden sind“. Nach G o w e r 8
(Handbuch der Nervenkrankheiten) hat man die Syphilis in
einigen Fällen als Ursache der Neuritis des Ischiadicus ange¬
nommen, doch sollen die Fälle so selten sein, „dass zahlreichere
Belege wünschenswerth erscheinen“.
**) Münch, med. Wochen sehr. 1901. No. 2.
No. 27.
Bei der praktischen Bedeutung dieser Frage erschien es dess-
wegen wohl angezeigt, drei Fälle von Erkrankung des Nervu3
ischiadicus bekannt zu geben, deren syphilitischer Ursprung nicht
nur durch Anamnese und objectiven Befund, sondern auch durch
den eclatanten Erfolg einer specifischen Therapie mit untrüg¬
licher Sicherheit bewiesen wird.
Fall 1. Emil K., 23 J. alt, Musiker, stammt aus gesunder
Familie, von der kein Mitglied au Gicht oder rheumatischer Er¬
krankung gelitten, war, von Kinderkrankheiten abgesehen, stets
gesund. Vor 3 Jahren acqulrirte er ein Ulcus durum am Dorsum
penis, dem nach einigen Wochen ein fleckiger Ausschlag über den
ganzen Körper folgte. Er machte damals eine längere Einspritz¬
ungskur bei Prof. L a s s a r durch und blieb bis zum Beginn seiner
jetzigen Erkrankung anscheinend völlig gesund. Im Januar 1898
stellten sich reissende Schmerzen im rechten Beine ein, welche
vom Gesäss ausgingen und bis zur Mitte der Wade und manch¬
mal sogar bis zum Fussrücken ausstrahlten, Tag und Nacht ohne
Unterbrechung und stets in gleicher Heftigkeit anhielten und jedes
Gehen und sogar ruhiges Sitzen fast unmöglich machten. Alle
bisherige ärztliche Behandlung war erfolglos: Elektricitüt brachte
nur vorübergehende Erleichterung, Jodkalium längere Zelt ge¬
nommen (ca. 50 g) half nichts, ebenso wenig Antipyriuinjektlonen.
Das Allgemeinbefinden war in Folge der Schmerzen und der
schlaflosen Nächte immer schlechter geworden, die Kräfte auf’s
Aeusserste reduzirt und der Pat. der Verzweiflung nahe.
Als er am 28. 4. 98 in meine Behandlung trat, fand ich einen
abgezehrten Menschen, der bei mittlerer Grösse nur noch 95 Pfund
wog. Die Untersuchung der Sinnesorgane, der Brust und ganz
besonders des Unterleibs ergab nichts Pathologisches. Der Stuhl¬
gang war regelmässig, der Urin frei von Eiweiss und Zucker. Auf
dem behaarten Kopfe fand sich in der Gegend des rechten Os
parietale eine halbkugelige, prall elastisch sich anfühlende, fest
aufsitzende Geschwulst, deren Basis einen Durchmesser von
ca. 4 cm hatte. Die Geschwulst war auf Druck nur wenig schmerz¬
haft und verursachte dem Pat. auch kaum nennenswerthe Be¬
schwerden. Das linke Bein ist völlig normal, frei beweglich und
nirgends schmerzhaft. Das rechte kranke Bein erscheint im Ver¬
gleich mit dem linken entschieden abgemagert, die Musculatur
spärlicher als an der gesunden Seite. Die Sensibilität ist für alle
Erreguugsqualitäten intakt. Das Bein wird völlig steif in Hüft-
und Kniegelenk leicht flektirt gehalten, jede Bewegung ist überaus
schmerzhaft, der Gang desshalb sehr mühsam, das Bein wird in
der erwähnten, leicht flektirten Stellung nachgeschleppt und Jede
Berührung des Bodens nach Möglichkeit vermieden. Die Gelenke
erscheinen alle völlig intakt, der Nervus ischiadicus hingegen ist
ln seinem ganzen Verlauf auf Druck empfindlich, am Foraraen
i8chiadicum, in der Kniebeuge und in der Mitte der Wade hin¬
gegen direct schmerzhaft. Die Wirbelsäule zeigt eine deutliche
Skoliose nach der linken Seite, der Patellarreflex ist vorhanden,
auf der erkrankten Seite aber entschieden abgeschwächt.
Diagnose: Gumma oss. parietalis, Ichias syphilitica.
Therapie: Intramuskuläre Injektion von 1,0 einer lOproc.
Hydrnrg. sallcyl.-Paraffinemulsion ln die Gegend des Forameu
ischiadlc.
Der Erfolg war ein wunderbarer. Schon in der nächsten
Nacht nach einer Injektion hatten die Schmerzen derart nach¬
gelassen, dass Pat., was seit 3 Monaten nicht mehr der Fall ge¬
wesen, das Bett nicht zu verlassen brauchte. Nach 2 weiteren
Injektionen in der Nähe der ersten waren die Schmerzen völlig
aus dem Bein verschwunden. Das Gumma hatte sich während
dieser Behandlung nur wenig verkleinert. Nach 5 Injektionen
entzog sich der Pat., da er sich gesund glaubte, der weiteren Be¬
handlung, trotzdem das Gumma noch nicht völlig verschwunden
war. Ein Itecidiv seiner Ischias ist wenigstens In deu nächsten
Monaten nicht eingetreten, denn ich habe den Pat. öfters wie
einen Gesunden dahermarschiren sehen.
Fall 2. Anton R., 52 J. alt, Fabrikarbeiter, ist in seiner
Jugend stets gesund gewesen, will auch nie an irgend einer Ge¬
schlechtskrankheit gelitten haben. Im deutsch-französischen Kriege
wurde er durch einen Granatsplitter am rechten Beine verwundet.
Erst nach mehreren Monaten war die Wunde geheilt, aber er klagte
seitdem stets über herumziehende Schmerzen in allen Gliedern.
Vor 4 Jahren bildete sich auf dem linken Schienbein eine An¬
schwellung, die sich Anfangs hart anfühlte, auf Cataplasmen aber
erweichte und incidirt wurde. Die Wunde schloss sich aber nicht,
bis nach langer Eiterung auf eine energische Einreibungskur mit
grauer Salbe völlige Heilung folgte. Anfang März 1898 traten
Schmerzen im linken Bein auf, die vom Gesässe ausgingen und
bis zum Fussrücken reichten, Tag und Nacht gleichraässig an¬
hielten, dem Pat. Ruhe und Esslust raubten und seine Körper¬
kräfte auf’s Aeusserste erschöpften.
Als ich am 25. 4. 98 den stark abgemagerten Pat. untersuchte,
war er in Folge der Schmerzen und der Entkräftung nicht in»
Stande, das Bett zu verlassen. Brust und Bauchorgane sind nor¬
mal, auch der Kopf und die Sinnesorgane bieten nichts Patho¬
logisches. Am rechten Oberschenkel eine verheilte Haut- uud
Mu8keluarbe. Das linke Bein erscheint im Vergleich zum rechten
etwas abgemagert, seine Sensibilität entschieden herabgesetzt.
Der Nervus ischiadicus ist in seinem ganzen Verlaufe auf Druck
sehr empfindlich, ganz besonders aber in der Gegend des For.
ischiadic. Jede Bewegung des erkrankten Beines ist schmerzhaft.
Jede Lageveränderung wird nur passiv mit Hilfe der Hände vor-
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1092 MÜENCItENER MEDIClNlSCIIE WOCHENSCHRIFT. No. 27.
genommen. Auf der Mitte der Tibiaknnte befindet sieh eine auf
l)rnek empfindliche prall elastische Auftreibung.
Diagnose: Periostitis tlbiae syphilitica. Ischias syphi¬
litica.
Therapie: Intra muskuläre Injektion von 0,1 llydrarg.
snlicyl. in die Gegend des Kommen ischiadic. In der folgenden
Nacht hatte I*at. heftige Schmerzen au der Injektionsstelle, welche
am nilchsten Tage nachllessen. Gleichzeitig verminderten sich
aber auch die vorher unerträglichen Schmerzen im ganzen Ver¬
laufe des Hüftnerven und waren nach 3 im Zeitraum von 14 Tagen
gemachten Injektionen soweit gebessert, dass Pat ohne Be¬
schwerde das Bett verlassen konnte. Die Anschwellung am
Schienbein war ebenfalls bedeutend zurückgegangen.
Fall 3. Christian Iv., 34 J. alt, Bergmann, ist, von einer
Verletzung der rechten Hand und des rechten Auges abgesehen,
niemals ernstlich krank gewesen, hat auch nie über rheumatische
Schmerzen zu klagen gehabt. Im Jahre 1880 acquirirte er gleich¬
zeitig Tripper und Schanker, war aber, wie er angibt, nach
3 Wochen durch Einspritzungen und Schmierkur geheilt. Seit
Juli 1809 wird er von den heftigsten Schmerzen im linken Beine
geplagt, die von der Hüfte bis zum Fussrücken reichen und be¬
sonders des Nachts sich bis zur Unerträglichkeit steigern. Mitte
Oktober 1800 kam er, auf's Aeusserste abgemagei't, in meine Be¬
handlung. Die Schmerzen waren besonders in der letzten Zeit
noch intensiver geworden, Jede Bwegung des Beines schmerzhaft,
das Gehen nur in gebückter Stellung und bei gleichzeitiger Ver¬
biegung der Wirbelsäule nach der gesunden Seite möglich und auch
dann nur, wenn er das Bein mit beiden Händen gleichzeitig er¬
fasste und vorwärts schob. Auch beim Stehen ist eine völlige
Geradrichtung der Wirbelsäule nicht mehr möglich. Der Nerv,
ischiadic. ist in seinem ganzen Verlaufe auf Druck überaus em¬
pfindlich. besondere Schmerzpunkte sind an dem ubgemagerten
Beine nicht nachzuweisen. Die Sensibilität ist im ganzen Beine
entschieden herabgesetzt, besonders an der hinteren Seite des OlK*r-
schenkels: auch klagte Pat. Uber Kribbeln und Taubheitsgefühl
in der erkrankten Extremität.
Sonst ist, von den Folgen seiner Verletzung an Auge und
Hand abgesehen, nichts Pathologisches an ihm nachzuweisen.
Diagnose: Ischias syphilitica.
Schon nach einer einzigen Injektion von salicylsaurem Queck¬
silber in derselben Dosis und an derselben Stelle wie in den
vorher beschriebenen Fällen tritt eine bedeutende Besserung ein.
Die Injektionen werden sehr gut vertragen. Pat., der seit Mo¬
naten keine Nacht Im Bett zugebracht, empfindet zwar Nachts noch
Schmerz, kann aber zeitweilig schlafen. Nach 3 Injektionen sind
die Schmerzen völlig verschwunden, der Hüftnerv auf Druck nicht
mehr schmerzhaft. Nach 5 Injektionen entzieht sich Pat. der
weiteren Behandlung.
Dass es sich in diesen drei Fällen um typische Ischias
handelt, unterliegt wohl keinem Zweifel, die Schmerzen sind
sowohl subjektiv wie objektiv genau im Verlauf des Nerven-
stammes nachzuweisen, eine Erkrankung des Hüftgelenkes oder
des Beckens ist mit Sicherheit auszuschliessen. Aber auch die
Syphilis als aetiologisches Moment ist über jeden Zweifel er¬
haben. In dem ersten und dritten Falle bietet einen sicheren
Anhaltspunkt für die vorhandene Lues die Anamnese und wenn
diese uns auch bei dem zweiten Falle im Stiche lässt, so fallen
bei diesem, wie auch beim ersten Patienten die noch vorhandenen
anderweitigen Manifestationen der Syphilis (Gumma des
Schädels resp. Schienbeins) als schwerwiegendes Kriterium in
die Wagschale. Völlige Sicherheit aber bietet uns bezüglich der
Entstehungsursache in allen drei Erkrankungsfällen der wahr¬
haft frappante therapeutische Effekt der Quecksilberinjektionen,
welche ein fast augenblickliches Nachlassen der vorher unerträg¬
lichen Schmerzen zur Folge hatten. Die Heilwirkung trat über¬
raschend schnell ein, viel schneller als man sonst den Rückgang
syphilitischer Krankheitserscheinungen nach gleicher Behand¬
lung beobachtet und trotzdem die gleichzeitig vorhandenen
Gummigeschwülste kaum merkliche Veränderungen zeigten. Es
war desswegen der Gedanke nicht abzuweisen, das salicylsaure
Quecksilber sei im Stande, auch eine Ischias nichtsyphilitischen
Ursprungs günstig zu beeinflussen; aber eine Injektion in einem
über jeden Verdacht der Lues erhabenen, jedoch sehr hart¬
näckigen Falle von Ischias verlief ohne Spur eines Erfolges.
Die prompte Heilung nach llg-Behandlung in unseren drei
Fällen bietet uns also einen unumstößlichen Beweis für den
syphilitischen Ursprung der Erkrankungen, und die Schnelligkeit
der Wirkung findet dadurch ihre Erklärung, dass die Application
d(>s Heilmittels direct in loco morbi erfolgte und es hier sofort
seine volle Wirkung entfalten konnte.
Schwierig bleibt noch die Entscheidung, wie pathologisch-
anatomisch die syphilitische Erkrankung des Hüftnerven auf¬
zufassen ist, ob es sich um eine primäre oder sog. sekundäre,
durch Druck oder fortgeleitete Entzündung benachbarter Or¬
gane hervorgerufene Ichias handelte. Trotzdem sich in den
beiden ersten Fällen gleichzeitig gummöse Neubildungen an¬
derer Skelettheile vorfinden, die Möglichkeit eines syphilitischen
Tumors in der Gegend des Foramen isehiad. oder an einer an¬
deren, dem Nerven benachbarten Stelle a priori nicht mit Sicher¬
heit auszuschliessen ist, so spricht doch die starke Druck¬
empfindlichkeit des Nerven in seiner ganzen Länge entschieden
gegen eine derartige Erklärung der Neuralgie.
Ist die Erkrankung also als eine primäre aufzufassen, so
bliebe noch zu entscheiden, ob wir es mit einer echten Neuralgie
oder mit einer Neuritis zu thun haben, eine Frage, welche auch
bei der gewöhnlichen Ischias nicht selten in suspenso gelassen
werden muss. Für Neuritis spricht zunächst die Art der syphi¬
litischen Nervenerkrankungen überhaupt, dann aber auch das
Vorhandensein sensibler Störungen, welche besonders im Falle 2
und 3 deutlich nachzuweisen waren.
Gummatu im Verlauf des Nerven, wie sie nach Oppen¬
heimer als Ursache der Ischias bereits beobachtet sind, dürfen
wir wohl ausschliesscn, weil nirgends auch nur die Spur einer
circumskripten Anschwellung im Nervenstamm nachzuweiseu
war und auch die überall fast gleiche Druckempfindlichkeit des
Nerven eine solche Annahme widerlegt.
Klinisch unterscheidet sich die Ischias syphilitica in nichts
von den aus anderen Ursachen hergeleiteten Neuralgien des Hüft¬
nerven. Die nächtlichen Exacerbationen, welche sonst den lue¬
tischen Schmerzen eigentümlich sind, bestanden zwar im 3. Falle,
kommen aber auch bei nichtsyphilitischen Neuralgien vor und
fehlten bei I und II. Sie bieten uns also keinesfalls ein sicheres
Erkennungsmittcl bezüglich der Aetiologie. Entscheidend bleibt
stets für die Diagnose der Nachweis einer syphilitischen Infek¬
tion, das Vorhandensein anderer syphilitischer Erscheinungen
und in zweifelhaften Fällen als wuchtigstes Kriterium die Wir¬
kung einer Probeinjektion mit Hg. salicyl.
Von praktischer Bedeutung ist die Häufigkeit der Ischias
syphilitica. Ich habe, wenn ich nur die schweren typischen Fälle
in Anrechnung'bringe, unter ca. 12 Fällen von Ischias in den
letzten 3 Jahren die vorstehenden 3 syphilitischen Ursprungs be¬
obachtet. Mag hier der Zufall eine Rolle gespielt haben, so viel
ist nach den vorausgegnngenen Erläuterungen feststehend, dass
die Syphilis nicht selten eine Erkrankung des Nervus ischiadicus
hervorruft, welche sich in ihrem klinischen Bilde in nichts von
der gewöhnlichen Ischias unterscheidet.
Was nun die Wirksamkeit anderer antisyphilitischer Mittel
bei der vorliegenden Art der Ischias betrifft, so hat sich in un¬
serem ersten Falle Jodkalium selbst nach längerem Gebrauche
als völlig wirkungslos erwiesen; aber auch Hg-Inunctionen
dürften bei derartigen schmerzhaften Erkrankungen, wo es neben
dem endgiltigen Heilaffekt auch auf die Schnelligkeit der Wir¬
kung ankommt, den Hydr. salicyl.-Injektionen bedeutend nach¬
stehen.
Die Gefahren und unangenehmen Nebenwirkungen der intra-
musculären Injektionen Embolie, Abscesse, Infiltrate, Schmerzen)
sind aber nach meinen Erfahrungen so minimale und die Vor¬
züge vor der althergebrachten Inunctionskur so bedeutend, dass
sie dieser nicht nur bei der syphilitischen Erkrankung des Nerv,
ischiadicus wegen der direct lokalen Wirkung, sondern bei der
Behandlung der Syphilis überhaupt in vielen Fällen vorzuziehen
sind. Unter mehr als 1500 Injektionen, welche ich in den letzten
5 Jahren vorgenommen, habe ich nicht einen einzigen schweren
Unglücksfall erlebt und die Nebenwirkungen waren so geringfügig,
dass fast alle Patienten, welche beide Arten der Behandlung
kannten, schliesslich die Injektionskur den unsauberen und in
der Privatpraxis lästigen und unzuverlässigen Einreibungen vor¬
zogen. Viel mag auf die Art der Ausführung ankommen. Ich
benutze eine durch Lysol desinfizirte, gewöhnliche Pravazspritze
mit Gummistempel, welche wegen der Dickflüssigkeit der Paraffin¬
emulsion zur Vermeidung eines stärkeren Druckes mit einer
doppelt so dicken als der gewöhnlichen Nadel armirt ist. Diese
wird senkrecht zur Hautoberfläche in die Glutaealgegend
hinein geschnellt. Tritt, nachdem nach dem Rathe
L e s s e r’s die Spritze abgenommen, kein Blut aus der Nadel,
dann wird sie mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand in
ihrer Stellung genau fixirt und dann unter möglichst geringem
Druck die Flüsigkeit ganz allmählich ausgepresst. Die Schmerzen,
welche an der Injektionsstelle auftreten und nach 6—8 Stunden
ihren Höhepunkt erreichen, sind erträglich und werden, da eine
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2. Juli 1901
MIJENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
109:1
Art von Gewöhnung eintritt, mit jeder Einspritzung geringer.
Begonnen wird deswegen meist mit einer halben, bei empfind¬
lichen Patienten sogar mit einer % Spritze, um mit der ein¬
tretenden Gewöhnung die Dosis bis zu einer ganzen Spritze
(= 0,1 Hg salicyl.), welche alle 3—4 Tage applicirt wird, zu
steigern. Durch diese allmähliche Steigerung der Dosis, welche
ee gleichzeitig ermöglicht, die bei verschiedenen Patienten so
verschiedene Toleranz gegen Quecksilber zu prüfen, wird der
Schmerz nach der Injektion auf ein Minimum reduzirt. Abscesse
habe ich niemals beobachtet, trotzdem der Stichkanal weder ver¬
klebt noch verbunden wurde und die Patienten stets ungestört
ihrem Berufe nachgingen. Knotige Infiltrate von geringem Um¬
fange, welche sich nach den Injektionen zuweilen bildeten, gingen
stets spontan zurück.
3 mal trat sofort nach der' Injektion ein starker Husten¬
anfall und Seitenstechen auf, welches aber unter Bettruhe in
wenigen Tagen verschwand, obwohl in einem dieser 3 Fälle im
linken unteren Lungenlappen eine deutliche Dämpfung und
Knisterrasseln nachzuweisen war.
Stomatitis und Darmerscheinungen traten nicht öfter und
nicht stärker auf, wie bei jeder anderen Queeksilberkur und
nahmen den gleichen Verlauf.
In einem Falle stellte sich nach der 3. Injektion ein stark
juckendes Exanthem zuerst auf der Bauchhaut ein, welches sich
nach wenigen Tagen über den ganzen Körper einschliesslich
Kopf und Gesicht verbreitete. Die Haut erschien stark ge-
röthet und geschwollen wie bei einem schweren Scharlachexan¬
them und heilte bei Puder- und Salbenbehandlung unter kleien¬
förmiger Schuppcnbildung nach 14 Tagen ab. Um die Annahme
eines merkuriellen Exanthems zu sichern, wurde versuchsweise
eine neue Injektion von einer halben Spritze gemacht, worauf,
als sich Pat. nach 3 Tagen wieder vorstellte, der erneute Aus¬
bruch des Exanthems auf der Bauchhaut konstatirt werden
könnte. Aber auch dieser Pat. ertrug schliesslich die Injektion
ohne unangenehme Nebenwirkung in allmählich steigender Dosis.
Durch die beschriebene Injektionsmethode mit langsamer
Gewöhnung an das Medicament lassen sich also die gefürchteten
Nebenerscheinungen mit fast nie versagender Sicherheit ver¬
meiden und sie hat vor der Inunctionskur ausserdem noch den
Vorzug der schnelleren und in manchen Fällen auch sichereren
Wirkung. Denn mögen bei der Inunctionskur auch geringe
Quantitäten Merkur durch die Respi rationsorganc auf genommen
werden, die Hauptwirkung auf das syphilitische Virus müssen
wir nach den Untersuchungen von Schuster (Deutsche Me¬
dici nalzeitung No. 34) den beträchtlich grösseren Quecksilber¬
mengen zuschreiben, welche durch die Einreibung in die Talg-
und Knäueldrüsen der Haut getrieben werden und von dort aus
in die Blutbahn gelangen. Diese Mengen aber hängen des¬
wegen nicht nur von der Gründlichkeit und Zweckmässigkeit
der Einreibung ab, sondern nicht zum Mindesten auch von der
Beschaffenheit der recipirenden Haut und zwar von dem Reich¬
thum derselben an den erwähnten Drüsen und von der mehr
oder minder lebhaften Blutcirculation, von welcher diese tun¬
geben sind. Es werden also diejenigen Veränderungen der Haut,
wie wir sie im Alter und durch Marasmus entstehen sehen (Ver¬
dickung der Epidermis, Verödung der Hautdrüsen, verminderter
Turgor in Folge eines schwachen Blut- und Lymphstroms), dem
Eindringen des Quecksilbers Hindernisse in den Weg stellen,
welche die Wirksamkeit einer Inunctionskur nicht nur beein-
t richtigen, sondern sogar völlig illusorisch machen können. Fol¬
gendes Beispiel möge als Beweis des Vorhergehenden dienen:
Eine 61‘jähr. Frau, welche durch einen Lebertumor mit mehr
als 10 mal punktirtem, aber stets recidivlreudem Ascites zum
Skelet abgemagert war, wurde, als trotz der Unwirksamkeit
grosser Jodkallumgaben der Charakter der Geschwulst festgestellt
war, 4 Wochen lang von sachkundiger Hand mit Inuuction von
<*n. ICO g Ungt. ein. behandelt, ohne dass eine merkliche Verkleine¬
rn ng des Tumors oder ein Nachlassen der subjektiven Beschwerden
nachzuwelsen war. Als nach 3 Monaten der Stand der Dinge der¬
selbe geblieben, brachte eine einzige Einspritzung von Hg salicyl.-
I'Hraffineinulslon nach ganz kurzer Zeit eine objektive und sub¬
jektive Besserung und die Fortsetzung der Kur völlige Heilung,
welche bis heute (5 Monate nach der letzten Injektion) unge¬
halten hat.
Solche Beispiele mahnen uns, der Injektionsbehandlung vor
der Inunctionskur nicht nur da den Vorzug zu geben, wo un¬
erträgliche Schmerzen oder drohende Lebensgefahr eine mög¬
lichst schnelle Wirkung erheischen, sondern auch in denjenigen
Fällen, in welchen die Permeabilität der Haut für Quecksilber
durch Krankheit oder Alter so sehr herabgesetzt ist, dass trotz
sachverständigster Einreibung das Heilmittel nicht in ausreichen¬
den Quantitäten in die Lymph- und Blutbahn gelangen kann.
Aus der chirurg. Abtheilung des städt. Krankenhauses „Mariahilf“
in Aachen (Oberarzt Sanitütsrath Dr. K r a b b e 1).
Ueber einen Fall von chronischer ileocoecaler
Invag ination.*)
Von Dr. Quadflieg, Hausarzt der chirurg. Abtheilung.
Rafinesque theilt die Invagiuationcn vom klinischen
Standpunkt in vier Formen:
1. in die ultraakute, bei welcher der Patient innerhalb
24 Stunden stirbt;
2. in die akute, wenn die Krankheit 2 bis 7 Tage dauert;
3. in die subakute, wenn die Krankheit sich bis zum 30. Tage
hinzieht;
4. iu die chronische, wenn dieselbe monatelang andauert.
Diese Formen lassen sich selbstverständlich nicht strenge von
einander abgrenzen.
Es liegt nun nicht in meiner Absicht, Ihnen über ultraakuic,
akute oder subakute Invagination zu berichten, sondern über die
chronische Form.
Ich hatte Gelegenheit, einen Fall von chronischer Invagina¬
tion des Ileum und Coecum zu beobachten und zu operiren.
Am G. August 1900 wurde auf die chirurgische Abtheiluug
des städtischen Krankenhauses „Mariahilf“ der lu Frage kom¬
mende Patient, 28 Jahre alt, aufgenommen. Er berichtete Fol¬
gendes:
In der Nacht vom 24. bis 25. Mai 1900 seien während dos
Schlafes plötzlich so heftige Schmerzen und Krämpfe im Unter¬
leib aufgetreten, dass er das Bett habe verlassen müssen. Er
habe etwas Tliee genossen. Hierauf hätten sich die Schmerzen
etwas gemildert. Der Zustand sei aber noch so schmerzvoll ge¬
blieben, dass er schliesslich den Arzt habe kommen lassen. Die
von diesem verordnete Arznei und Diät hätten Linderung der
Schmerzen gebracht.
Schon vor diesem Anfall, vom 24. bis 25. Mal, will Patient
einlgermaassewan Unterleibskrämpfeu gelitten haben, aber er habe
denselben keine Bedeutung beigemessen, da sie gewöhnlich in
horizontaler Lagerung verschwanden.
Einige Tage nach dem starken Anfall vom 24. zum 25. Mai
begann er witVler Alles zu essen. Da stellten sich bald wieder die¬
selben Schmerzen und Krämpfe im Unterleib ein. wie früher. Die¬
selben dauerten so lange, bis alles Genossene erbrochen war. In
der Folgezeit wiederholte sich das Erbrechen, so oft Patient etwas
zu sich nahm. Es trat dann für einige Zeit wieder Besserung ein,
so dass er seine gewohnten Arbeiten wie früher verrichten konnte.
Leichte Speisen vertrug er jetzt. So wechselten nun in den nächst¬
folgenden Wochen gutes und schlechtes Befinden ab. Einmal
traten wieder Krämpfe auf, so dass er nicht arbeiten konnte und
sieh in ärztliche Behandlung begeben musste, ein anderes Mal
blieb er beschwerdefrei, als ob er niemals krank gewesen sei.
Als nun wieder ein heftiger Anfall von Krämpfen und
Schmerzen sich eiustellte und der Arzt seines Heimathortes Ihm
keine Hilfe bringen konnte, wandte Patient sich an einen hiesigen
Arzt, der ihn 5 mal untersuchte. Dersellx? constatlrte jedesmal
eine bewegliche Geschwulst lin Unterleib und war zu dem Schluss
gekommen, es müsse sich um einen Nieren- oder Darintumor
handeln. Er hatte dein Kranken schmerzstillende Tropfen ver¬
ordnet. Da keine Aenderung des Krankheitszustandes sich zeigte,
kam Patient zu Anfang des Monats August in die Poliklinik des
Maria hilf hospltals. Ich constatlrte eine sehr bewegliche Unter-
leihsgescliwulst von Faustgrösse, über deren Charakter Ich mir
noch kein definitives Urtheil bilden konnte.
Am G. August fund, wie vorher bemerkt, die KraHkeuhausauf-
nahme statt.
Patient war angeblich früher stets gesund und arbeitsfähig
gewesen; er stammt aus gesunder Familie. Er zeigte einen
massigen Ernährungszustand, war mässig abgemagert, hatte eine
blassgellie Haut. Lunge und Herz zeigten keinen abnormen Be¬
fund. Dns Abdomen war nicht aufgetrieben. Man fühlte einen
faustgrossen Tumor, der sehr beweglich war und sich nach der
linken Nierengegend verdrängen Hess. Ich fühlte den Tumor stets
nach einigem Suchen unterhalb des Nabels und vorwiegend links
gelagert. Auf Druck desselben äusserte Patient starke Schmerzen.
Haruheschwerden haben niemals bestanden. Auch wurde im Urin
des Patienten niemals etwas Abnormes wahrgenommen. Wold
bestand andauernd Hartleibigkeit, keine Diarrhoe. Kein Blut
wurde im Stuhl bemerkt. Der Stuhl war während des Aufenthaltes
im Krankenhause normal und ohne jegliche Beschwerden. Es
trat kein Erbrechen auf, es fehlten die Krämpfe und Schmerzen.
Der Appetit war sehr gut. Nach vorliegendem Befund nahm ich
nun an, dass es sich entweder um einen Dann- oder Nierentumor
*) Nach einem Vortrag, gehalten im ärztlichen Leseverein zu
Aachen im März 1901.
3*
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1094
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
handele. Für einen Nierentumor resp. linksseitige Wanderniere
sprach auch noch der Umstand, dass nach Aufblähung des Darms
mit Luft vom Rectum her der bewegliche Tumor vollständig ver¬
schwand. Die Untersuchung in Ohloroformnarkose brachte mich
ebenfalls nicht zu einer definitiven Diagnose. Patient war ohne
Jegliche Temperatursteigerung.
Am 8. August nahm Ich die Operation vor.
Ich machte zuerst den S 1 m o n’schen Nierenschnitt links und
fand die linke Niere unverändert festsitzend. Nach Schluss dieser
Wunde durch Naht und Drainage derselben eröffnete ich ln der
Medianlinie unterhalb des Nabels das Abdomen. Jetzt präsentlrte
sich nach einigem Suchen ein Darmtumor, der Im Lumen des
Darmes seinen Sitz haben musste und sich bald als Invaglnation
des Ileum und Coecum in’s Kolon erkennen Hess.
Das Ileum und Coecum waren bis in’s Colon transversum
hineingewandert und Hessen Bich bis auf eine Partie von 20 cm
Länge reponlren. Die nicht reponible Partie musste reseclrt
werden. Ileum und Kolon wurden sorgfältig durch Naht vereinigt,
hierauf die Bauchwunde durch Etagennähte geschlossen. Die
Operation nahm 2 Stunden ln Anspruch.
Das rosecirte Darmstück hatte eine Länge von 20 cm, von
denen 5 cm dem Ileum und 15 cm dem Coecum und einem kleinen
Theil des Kolon ascendens angehörten. Der peritoneale Ueberzug
dieses Dariutheiles war fibrinöseitrig belegt. Der ganze Darm theil
zeigte sich geschwollen, theils eine Folge der Stauung, thells eine
Folge der Entzündung. Die Darmmucosa war besonders stark ge¬
schwollen und gerütliet, hatte im Coecum breite, tiefe, ringförmige
Ulcera, die schmierig und graueitrig belegt waren. Der Sitz dieser
Ulcera entsprach der Spitze des iuvaginirten Theiles. In einer
Reihe von Füllen der chronischen, ileocoecalen Invaglnation kommt
es nur zur ulcerösen und schliesslich zur gangraenösen Zerstörung
der Spitze des lnvaginirten Theiles.
Der Heilverlauf war vollständig beschwerde- und fieberfrei.
Nach 3 Wochen durfte der Patient das Bett verlassen. Das Körper¬
gewicht nahm bedeutend zu. Appetit und Stuhl waren gut. Am
39. September wurde Patient geheilt entlassen.
Hinsichtlich der Aetiologie liegt unser Fall im Dunkeln.
Ich konnte kein voraufgegangenes Trauma des Abdomen fest¬
stellen. Auch lag keine intestinale Störung vor, wie Diarrhoe,
Darmpolypen, unverdaute Ingesta.
Am häufigsten werden von Invagination junge Leute be¬
fallen. Das Alter von 20—40 Jahren ist besonders für die chro¬
nische, ileocoecale Form disponirt. Unser Patient hatte ein Alter
von 28 Jahren. Nebenbei bemerkt, kommen Invaginationen beim
Menschen häufiger vor, als man vermuthet. Darmkoliken sind
stets verdächtig auf Invagination. Es handelte sich in unserem
Fall, wie wir gesehen haben, um eine ileocoecale Invagination,
die häufigste Form der Invagination, desshalb so häufig, weil das
Hernn sehr beweglich und das Kolon fester sitzt und weil Ileum
und Kolon verschieden an Umfang sind.
Leichtenstern u. A. schreiben der sphinkterartigen
Heocoecalklappe einen grossen Einfluss auf die Entstehung der
Invagination zu, wenn dieselbe mit Tenesmus gepaart ist. Sie
vergleichen die ileocoecale Oeffnung mit dem Anus. Es heisst,
dass Ileoeoecalinvaginationen nahezu immer plötzlich auftreten.
In unserem Fall spricht hierfür die Angabe des Patienten, dass
er in der Nacht während des Schlafes vom 24.—25. Mai plötzlich
unter den heftigsten Schmerzen erkrankt sei. Bei einem so plötz¬
lichen Beginn der Kranhkeit darf man noch lange nicht sogleich
an einen akuten Verlauf derselben denken.
Ein wichtiges Symptom, das uns eher auf die Diagnose der
chronischen Invagination führen musste, war der kolikartige
und paroxysmenweise auftretende Schmerz. Im Beginn unseres
Krankheitsfalles war der Schmerz unerträglich; er milderte sich
und verschwand dann für einige Zeit. Es wechselten schmerzvolle
und schmerzfreie Zeit in Intervallen ab. Unser Kranker hatte
schon einige Tage nach Beginn der Krankheit häufiges Er¬
brechen, so oft er etwas zu sich nahm, ein Symptom, das man
sonst bei der chronischen Ileocoecalinvagination inkonstant,
manchmal wenige Tage oder Stunden vor dem Exitus letalis nur
findet.
Diarrhöen, Blutungen fehlten in unserem Fall, ebenso
Tenesmus. Die Temperatur zeigte nichts Abnormes.
Das Abdomen war während des ganzen Krankheitsverlaufes
weich. In der Regel bleiben die Bauchdecken schlaff und von
normalem Aussehen; sie sind nicht schmerzhaft, ausser bei auf¬
tretender Peritonitis. Unser Kranker will an seinem Leib nichts
Besonderes bemerkt haben.
Meteorismus fehlte. Von grossem diagnostischen Werthe
war der von der Invagination gebildete, durch die Bauchwand
palpablo und auf Druck schmerzhafte Tumor, der Nierengrösse
zeigte und daher leicht mit der Niere verwechselt werden konnte.
No. 27.
Ein solcher Tumor ist in chronischen Fällen häufiger palpabel
als in akuten.
Leichtenstern fand denselben unter 433 Invagina¬
tionen aller Art 222 mal.
Rafinesque fand unter 53 Berichten chronischer Iu-
vagination 24 mal einen palpablen Tumor erwähnt.
Der Tumor in vorliegendem Fall zeigte Nierengrösse,
wechselte nicht sein Volumen, war hart und resistent.
Ob er sich während der Schmerzanfälle änderte, habe ich
nicht konstatiren können, da bei uns kein Schmerzanfall zur Be¬
obachtung kam.
Trotzdem nun manches Symptom für eine chronische In¬
vagination sprach, hatte ich mich doch nicht des Gedankens er¬
wehren können, es könne sich noch um eine linksseitige Wander¬
niere handeln. >
Eine Wanderniere, linksseitig und dann noch bei einem
Manne, ist zwar eine seltene, aber immerhin mögliche und in
diesem vorliegenden Falle mit absoluter Sicherheit nicht von der
Hand zu weisende Affektion. Die Percussion der Nieren ergab
zwar Dämpfung, jedoch ist sie nicht als maassgebend für die Lage
der Nieren zu betrachten. Für Wanderniere sprachen die
Krämpfe, das Erbrechen, der sich gleich bleibende, harte,
resistente, bewegliche Tumor, der stets nach der linken Nieren -
gegend zu reponiren war. Endlich musste auch die Darmauf¬
blähung mit Luft, durch welche der Abdominaltumor schwand,
auf die Diagnose: Wanderniere hinführeu.
In unserem Falle kann man die Krankheit auf circa
2 Vs Monate mit Sicherheit festsetzen. Man hat noch einen
längeren Verlauf der Krankheit beobachtet; so berichtet Pohl
über einen letal endigenden Fall von 11 jähriger Dauer. Der
Appetit unseres Patienten während des ganzen Verlaufes der
Krankheit war vermindert. Im Beginne derselben verursachte
die Nahrungsaufnahme Erbrechen. Nur während des Aufent¬
haltes im hiesigen Hospital vor der Operation konnte Patient
gut und ohne Beschwerden essen.
Der Zustand der Darmfunktion ist sehr verschieden.
Während man in manchen Fällen Diarrhoe, regelmässigen Stuhl
oder abwechselnd Obstipation und Diarrhoe findet, verlief unser
Fall die ganze Zeit hindurch unter den Zeichen der Obstipation.
Hinsichtlich des Allgemeinzustandes kann man bemerkeij,
dass unser anaemisch aussehender Patient eine mässige Ab¬
magerung erfahren hatte, im Uebrigen aber, abgesehen von den
Schmerzanfällen, den Eindruck eines ziemlich gesunden Menschen
gemacht hatte.
Die ileocoecale Invagination nimmt in drei Viertel der Fälle
einen subakuten oder chronischen Verlauf. 60 P r o c. aller
chronischen Invaginationen sind ileocoecale. Die Morbidität ist
bei dieser Form fast die geringste.
Abgesehen von Heilung durch Laparotomie oder durch
Klystiere und Lufteinblasungen kann auch Spontanheilung ein-
treten, indem die Invagination spontan reponirt wird oder durch
Abgang eines Theiles oder des ganzen invaginirten Theiles per
Anum zur Heilung kommt.
Nach Abgang des invaginirten Theiles ist es auch noch
häufig zur Perforation des Darmes in’s Peritoneum gekommen,
indem der Abgang des invaginirten Theiles zu früh erfolgte.
Es kann auch zur Bildung einer Kothfistel nach der Blase oder
nach aussen kommen.
Literatur:
Friedrich Treves, Chirurg und Professor, London, 1880:
Darmobstructiou.
Eine 35 tägige Obstipation mit „glattem“ Darmver¬
schluss.
Von Dr. Paul Ostermaier in München.
Der Fall, der dieser kleinen Mittheilung zu Grunde liegt,
ist kurz folgender:
14 jiihriges Mädchen, seit einem Jahre menstvulrt, ln den
letzten Jahren oft 6—8 Tage obstipirt. Nur einige Male war mit
Abführmitteln nachgeholfen worden. Vor 2 Monaten leichter Ge¬
lenkrheumatismus von vierwöchiger Dauer mit reichlicher
Schweisssekretion ohne besondere Steigerung des Durstgefühls.
Sonst stets gesund, nicht hysterisch, nicht einmal nervös.
19. III. Trotz diverser Abführmittel seit 8 Tagen kein Stuhl
und keine Flatus. Allgemeinbefinden völlig unge¬
stört. In der linken Regio illaca ein bis zur Medianlinie nach
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2. Juli 1901
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1095
oben gegen den Nabel reichender, druckempfindlicher Tumor, der
vom leeren Rectum aus sich uneben und stellenweise etwas eln-
drückbar erweist Jacque’B Patent No. 24 dringt unter Irri¬
gation, ohne sich aufzurollen, leicht durch den Sphinkter tertlus
14 cm vom Anus ln die Höhe. Das zurücklaufende Wasser Ist mit
vegetabilischen Bestandteilen untermengt Diagnose: Darm¬
verschluss durch Fäkaltumor lm S Romanum. Ordin.: Leicht
verdauliche Diät, täglich bis zu 6 Einläufen warmen Wassers, bis¬
weilen durch Oel, Seifen-, Salz- oder Essigwasser ersetzt; jedoch
wird nur 1 Liter auf einige Minuten zurückbehalten.
Diese Einläufe werden 10 Tage fortgesetzt. Jeder Einlauf
brachte etwas vegetabilische Stoffe, Kerne und Häute von
Orangen, ganze Sultaninen, Theile von Datteln, Haselnüssen etc.,
lauter Dinge, die vor etwa 4 bis 6 Wochen verzehrt oder richtiger
verschlungen worden waren.
Da vom 23. der bisher gute Appetit allmählich ln eine völlige
Anorexie umschlug und Erbrechen auftrat, wurde, nachdem
10 Tage lang mit Laxantien sistlrt und lm Sinne Trousseau’s [1]
der Darm (in moderner Dosis: 1,0! in 3 Tagen) mit Extr. Beilad.
„präpnrirt“ worden war, am 29. und 31. noch ein Versuch mit
Extr. Colocynth. bezw. Ol. Croton. (beide Male ln der MD!) ge¬
macht. Diese Medication, sowie Atropin (am 3. IV. subk. 7 mg! ln
24 Stunden auf 3 mal) blieben ohne jede Spur Irgend einer
Wirkung.
Am 5. IV. ersetzte Ich die Einläufe durch — täglich zwei —
protrahirte Darmausspülungen grösseren Maassstabs, wobei
jedesmal ca. 00 Liter warmen Wassers zur Ver¬
wendung kamen 1 ). Schon das erste Mal gelang es allmählich,
an den harten Kothmassen vorbei Wasser bis zu zwei Liter ln die
Höhe zu bringen, das auch, reich mit Darminhalt untermengt,
wieder zurückkam. Die Ausbeute war so ergiebig, dass ich hoffte,
schon beim 2. oder 3. Mal zum Ziel zu kommen. Allein erst
die 22. Ausspülung sollte die letzte sein und
doch waren sie alle gleich ergiebig w 1 e die
erste. Ein bedeutungsvoller Erfolg war. aber doch schon durch
die 1. Spülung erreicht worden: Der Darmverschluss wurde be¬
hoben, das Erbrechen sistlrte, der Appetit kehrte sofort wieder.
Die frischen Fäces, die bei der 2. Spülung kaum y a mm Durch¬
messer hatten, erreichten bis zur 22. die Dicke eines Bleistiftes.
Am 11. IV. und am 15. IV. Ol. Rlcin., das 1. Mal ohne Erfolg, das
2. Mal kamen nach 5 Stunden zwei coplöse Ausleerungen mit veri-
tabeln Boudlns stercoraux. Am 10. war der Tumor völlig ver¬
schwunden, das Abdomen, das übrigens während der
35 Tage niemals (ausser unmittelbar nach den Spülungen)
erheblich aufgetrieben war, überall ganz frei.
Zur Zelt ist Patientin von ihrer habituellen Obstipation
noch nicht befreit.
Obstipationen, meist habituelle, von einmonatlicher Dauer
(und darüber) finden sich in der älteren Literatur vereinzelt be¬
schrieben. Leichtenstern [2] hat dieselbe ziemlich aus¬
führlich zusammengestellt, einige Fälle kurz erwähnt, andere
wegen ihrer Unglaubwürdigkeit mit den nöthigen Fragezeichen
versehen. Seit Einführung des Clysopomps und besonders der
HcgaFsehen Einläufe, sowie der F 1 e i n e r’schen [3] „Oel-
kuien“ sind sie zweifellos selten geworden. Unter den geeigneten
Maassregeln gelingt es wohl meist nach 1—2 Wochen, die Pas¬
sage frei zu bekommen. Aber dass dies auch heutzutage nicht
immer gelingt, beweist der vorliegende Fall.
Aetiologisch haben hier mehrere Momente zusammen¬
gewirkt : In 'erster Linie natürlich die seit Jahren bestehende
habituelle Obstipation, fernere die ganz ungenügende Masti-
catiou. der übermässige Vegetabiliongenuss und der voraus-
gegangene Gelenkrheumatismus mit der Bettruhe, den Schweissen
und der ungenügenden Flüssigkeitszufuhr. Ein Abusus von Ab¬
führmittel dagegen bestand nicht. Die allmähliche Ausdehnung
des S romanum mit den stagnirenden Kothmassen hat sodann
den dauernden Stillstand der Kolonperistaltik herbeigeführt.
Da das S romanum ein Mesenterium besitzt, so sind Tumor¬
bildungen von noch grösserem Umfange wie hier keine Selten¬
heit. Schon im Jahre 1840 hat B r i ght [4] Fälle beschrieben
(einmal sogar als Nebenbefund bei einem an Croup verstor¬
benen Kinde), wo die Flexura sigmoid. in zwei Wülsten das ganze
Abdomen auszufüllen schien und die Umbiegungsstelle bis zur
Leber hinaufreichte.
Dass durch reine Fäkalobstruction ein Darmverschluss ohne
erhebliche Störung des Allgemeinbefindens längere Zeit, (im vor¬
liegenden Falle über 3 Wochen) bestehen könnte, hielt man
früher für unmöglich. Kirstein[5] jedoch hat durch sein
glänzendes Experiment bekanntlich den vollen Beweis für die Un¬
richtigkeit einer solchen Anschauung erbracht. Er durchtrennte
\yi einem Hunde dicht oberhalb des Coccum quer den Darm,
>) Eine solche Massenspülung, die Ich in der Literatur nirgends
empfohlen finde, hat soviel mir persönlich bekannt Ist, zuerst Herr
Dr. R. v. H ö s s 1 i n vor 15 Jahren ln seiner Heilanstalt Neu-
Wlttel#bacb-MOnchen mit bestem Erfolge in Verwendung gezogen.
No 27
vernähte in entsprechender Weise beide Darmstücke und erzeugte
dadurch, wie er ihn nannte, einen „glatten“ Darmverschluss.
Das Befinden des Thieres war in den ersten 10 Tagen ein völlig
ungestörtes, dann stellte sich Appetilosigkeit ein, vom 20. Tage
nahm das Thier nur mehr Wasser zu sich, magerte allmählich
ab und ging nach weiteren 3 Wochen an Inanition zu Grunde.
Bei der Sektion fand sich das obere Darmstück 60 cm nach auf¬
wärts stark mit Koth ausgedehnt.
Unsere Patientin nun zeigte 12 Tage gar keine Störung, in
den nächsten 13 Tagen eine bis zur völligen Anorexie sich stei¬
gernde Appetitilosigkeit, zunehmende Mattigkeit und zeitweiliges
Erbrechen, dann, nach Behebung des „glatten“ Darmverschlusscs,
vom 25. Tage rasch zunehmenden Appetit, Sistiren des Erbrechens
und baldiges völliges Wohlbefinden, obgleich Obstipation und
Koprostase nach 10 Tage fortbestand. Krankengeschichte und
Experiment könnten sich gegenseitig, wie ich glaube, kaum
besser ergänzen. Reichl [6] konnte, wenn auch nicht in so glück¬
licher Weise, K i r s t e i n’s Experiment bestätigen und die That-
sache feststellen, dass ohne Schädigung der Darmwand kein
„schwerer“ Darmverschluss entsteht und dass niemals bei
einem „glatte n“ Verschluss trotz der durch die tagelange Koth-
stauung im zuführenden Darm stets bedingten Circulations-
störung ein Durchtritt von Bacterium coli stattfindet.
Beim „glatte n“ Darmverschluss des Menschen scheint
es nun zu einem letalen Ausgang durch Inanition niemals zu
kommen. Trotz eifrigen Bemühens konnte ich in der Literatur
einen diesbezüglichen brauchbaren Beleg nicht finden. Entweder
glückt cs, die Passage frei zu bekommen oder es tritt unerwartet
eine Verschlimmerung ein, ein „akuter“ Darmverschluss
(Kirstein, Reichl) — mit Schädigung der Darmwand —
eine Invagination, eine Achsendrehung oder stercorale Geschwüre
mit septischer Peritonitis.
Prognostisch von grosser Bedeutung war das beinahe völlige
Fehlen einer meteoristisehen Auftreibung. Nach Nothnagel [7]
ist es zweifellos, dass es gesunde Individuen gibt, hei «Ionen alle
Darmgase in das Blut resorbirt werden und jeglicher Gasabgang
per os oder anum fehlt. Zu dieser Kategorie gehörte zwar die
Patientin nicht und dennoch ist die Resorption der Gaso wäh¬
rend ihrer Erkrankung quantitativ nicht erheblich hinter der
Gasbildung zurückgeblieben.
Bei dem immerhin bemerkenswerthen absoluten Versagen
der Abführmittel hätte man vielleicht durch eine forcirte Mas¬
sage, d. h. durch directen Druck behufs Weiterbeförderung dos
Darminhaltes nach abwärts, wie es 9. Z. z. B. von V ö t s c h [8]
mit Nutzen angewandt und für geeignete Fälle warm empfohlen
hat, eine Abkürzung des ganzen Verlaufs erzielen können. Allein
bei der Gefahr einer Schädigung der Darmwand war mir eine
derartige Manipulation sehr wenig sympathisch und ich habe dess-
halb davon Abstand genommen. Dass Belladonna und Atropin
auch in den hypermaximalen Dosen wirkungslos blieben, hat
mich nicht überrascht. So günstig ihre Wirkung bei reflek¬
torischen F u n k t i o n s s t ö r u n g e n [9] ist, — und da
auch in kleineren Dosen —, bei einfacher, reactionsloscr Kopro¬
stase hat es sich mir jedes Mal nutzlos erwiesen.
Zur Ausführung der Spülungen, bei denen im Gan¬
zen nahe an 1 Vz Tausend (!) Liter warmen Was¬
sers zur Verwendung kamen, leistete mir ein Darm¬
rohr aus Hartgummi, das ich mir bei Katsch- München an¬
fertigen licss, vortreffliche Dienste. Es war 12 cm lang, hatte
ein Lumen von 1 cm Durchmesser, vorn Olivenform von 2 cm
Durchmesser und 2 Fenster, jedes 2 cm lang und 1 cm breit.
Ferner benutzte ich einen Glastrichter (untere Oeffmmg 1 cm
Durchmesser) und zwei 70 cm lange Guminischläuche, mit einem
Glasrohr verbunden. Allenfallsige Hindernisse, die sich einige
Male bemerkbar machten, konnten so stets sofort leicht beseitigt
werden. Gegen das Zurücklaufen des Wassers
verwendete ich, da das Zusammen pressen der Nates, das
Andrücken des Anus an das Rohr, das Umwickeln desselben mit
Stoff oder Watte auf die Dauer sehr umständlich und doch ohne
genügende Wirkung war, eine Filzplatte von ca. 1 cm
I) u r <• hmesser, die ich mir i n d e r F o r m e i nes
II ü h n c r e i d u r c h s c h n i 11 e s (die Spitze gegen die Sym¬
physe) zurecht richtete. S t e e kt m a n d u r c h eine n
entsprechenden centralen Schnitt, in di e s e
Filzplatte das Darmrohr und gibt derselben
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1096 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27.
eine geringe Wölbung, so legt sich die con¬
vexe Seite unter leichtem Druck von zwei
Fingern gut an den Anus an und die concave
Seite umschliesst undurchlässig das Darm¬
rohr. (Nebenbei bemerkt, hat sich diese Filzplatte mir schon
öfters seither glänzend bewährt, einmal bei ganz insufficientem
Sphinkter, ein anderesmal undurchbohrt mit einem festen Watte¬
bausch darauf, durch eine T-Binde befestigt, zum Zurückhalten
von Nährklystieren an Stelle der auch nach Penzoldt [10]
ungenügenden Gummiballontamponade.) Mit Hilfe dieser
Filzplatte wird es bei einer Kothobstrue-
tion wohl immer gelingen, die geforderten
3—5 Liter bei recht langsamem Vorgehen in
den Darm einzugiessen — eine Forderung, die
nur zu oft ein pium desiderium bleiben
dürfte — und dies noch dazu ohne die ge¬
ringste Belästigung des Patienten, ohne Spur
einer Durchnässung des Krankenlagers, in
der Seitenlage, unter der Decke und oftmals
ohne Assistenz, da verständige Patienten,
wie ich mich überzeugte, das Andrücken der
Filzplatte selbst erfolgreich besorgen kön¬
nen.
Was die Dauer der einzelnen Spülungen betraf, so war den¬
selben eine ganz bestimmte Grenze gesetzt. Bei den einzelnen
Eingiessungen wurde stets ein mehr oder weniger kleiner Theil
vom Darm zurückbehalten. Auch bei der grössten Vorsicht war
es unmöglich, das Miteindringen von Luft dauernd zu verhindern.
Es kam schliesslich ein Zeitpunkt, wo das Abdomen, bezw. Kolon
und Coecum, hochgradig mit Luft und Wasser ausgedehnt war
und der paralytische Darm gar nichts mehr zürückgab. Dieser
Zustand, der jedoch keine Beschwerden verursachte, trat ziem¬
lich regelmässig nach %—1 Stunde und nach dem Verbrauch von
GO—65 Liter Wasser ein. Durch Wägung vor und nach der
Spülung konnte das zurückbehaltene Wasser auf ca. 3 Liter be¬
rechnet werden. Nach ungefähr einer Stunde war der Status
quo wieder hergestellt und zwar meist durch Resorption, nur bis¬
weilen wurde Vs —1 Liter fast reinen Wassers per an um entleert.
Zu solchen Ausspülungen empfiehlt es sich, zwei Kübel bereit
zu stellen, einen grossen für das zurücklaufende Wasser und
einen kleinen mit warmem Wasser gefüllt, aus dem man fort¬
während mit einem kleinen Gefäss Wasser entnehmen kann und
in den man wärmeres nach Bedarf wieder zugiesst.
Literatur:
1. CUnlque M6d. d. Hop. d. Dleu. Tome II, S. 494. —
2. Z 1 e m s s e n’s Handbuch Bd. VII, 2. — 3. Berlin, klln. Woclien-
schr. 1893, No. 3 u. 4. — 4. G u y’s Hosp. Rep. V, S. 307. —
5. Deutsch, med. Wochenschr. 1889, No. 49. — 6. Deutsch. Zeltschr.
f. Chlr. 35. Bd., S. 535. — 7. Nothnagel's spec. Pathol. u.
Tlierap. Bd. XVII, S. G4. — 8. Vötsch: Koprostase. Erlangen,
Enke, 1874. — 9. Münch, med. Wochenschr. 1900, S. 1096. —
10. Penzoldt und S 11 n t z 1 n g: Handbuch Bd. VI, a, S. 269.
Ein Fall von Vergiftung durch Extractum Filicis maris.
Von Dr. Willy Gott hilf, prakt. Arzt in Hofgeismar.
Wie die ärztliche Praxis, die man in einer kleinen Stadt
betreibt, auch so manches Interessante bietet, beweist folgender
Fall, den ich kürzlich Gelegenheit zu beobachten hatte.
Am 23. IV. 1901 wurde Ich Morgens um y 2 7 Uhr plötzlich um
Hilfe gebeten zu einem Patienten G. am hiesigen Orte, aber so
eilig als möglich, es handle sich wahrscheinlich um einen Schlag¬
anfall. Mit Kampher wie mit Morphium bewaffnet komme ich
zum besagten Patienten. Das Bild, das sich mir bot, war folgendes:
Ein robuster Mann von ca. 30 Jahren, sehr fettleibig, liegt vor
mir im Bette in vollständigem Koma, das Gesicht stark aufge¬
dunsen, auf der Stirne kalter Sehweiss. Auf mein Anrufen er¬
folgt keine Reaktion, ebenso reagirt Patient nicht auf Nadelstiche.
Die Nase zeigt eine blutige Risswunde, aus dem Munde
erfolgt zeitweilig geringer Blutaustritt. Mein erster Gedanke
war der, dass es sich um einen alten Epileptiker handele, wofür
auch viele der folgenden Symptome sprachen, im anderen Falle
war ein Schlaganfall nicht unwahrscheinlich. Was anamnestisch
beide Diagnosen unterstützen konnte, darüber liess sieh von Seiten
der Angehörigen durchaus nichts erulren, ein ähnlicher Anfall hat
niemals stattgefunden. Auf meine weiteren Fragen erfuhr ich
dann, dass Patient bereits seit zwei Tagen an starkem Kopfweh.
Schwindel. Benommenheit und Appetitlosigkeit zu leiden gehabt
halte, in der letzten Nacht soll Patient heftig erbrochen haben.
Eine halbe Stunde, betör ich Patienten sah, also ca. tun 6 I.'lir,
sei derselbe dann plötzlich bewusstlos zusammen gestürzt, daher
die Wunde an der Nase und die Blutung aus dem Zahnfleisch.
Die Untersuchung, die ich in aller Elle anstellte, ergab einen kaum
fühlbaren Puls, Herztöne leise, beschleunigt, regelmässig und rein,
Augen halb geöffnet, Pupillen weit, Patellarreflexe gesteigert, der
ganze Körper in einem Krampfzustande, besonders die Arme,
starker Trismus.
Ich machte sofort eine Kampherinjektion in die Brust, um
den Puls zu heben, und Eisblase auf den Kopf. Es verging eine
Viertelstunde, der Puls wurde voller und Patient reagirte plötzlich
auf Anruft n, der Krampf hielt aber noch an, und entschloss Ich
mich, eine Morphiuminjektion zu machen. Hierauf baldiger Nach¬
lass des Krampfes, während der Trismus recht langsam zurück¬
ging. Der Aufforderung, Beine und Arme zu heben, konnte Pat.
nachkommen; die Sensibilität zeigte an allen Körpertheilen nor¬
males Verhalten. Patient verfiel nun in Schlaf, und verliess ich
denselben, nachdem ich den Angehörigen noch einige Anweisungen
über Verhalten und Diät gegel>en hatte. Abends um 5 Uhr be¬
suchte ich ihn wieder. Derselbe war verhältnlssmässig munter
und hatte keine Klage mehr, schwitzte aber In ganz abnormer
Weise. Herzthütigkeit war noch etwas beschleunigt. Patient gab
an, dass er von allem, was mit ihm passlrt sei, speciell dass er
umgestürzt sei, keine Ahnung habe. Ich forschte nun weiter, weil
ich noch immer keine rechte Diagnose für den ganzen Zustand
finden konnte, und der Gedanke, es könne sich um eine Vergiftung
handeln, nicht von mir weichen wollte, woraufhin ich besonders
auch durch das starke Erbrechen, das Patient in der Nacht ge¬
habt haben sollte, geleitet wurde. Nach vieler Mühe erfuhr ich
vom Patienten, er hätte sich vor ca. 3 Tagen von einem Homoeo-
pathen, einem sogen. Bandwurmdoctor, ein Mittel gegen seinen
Bandwurm, an dem er leide, wenn ich nicht irre, brieflich ver¬
schafft und habe dann die Flasche mit einer ganz schwarzen
Flüssigkeit, die ca. % gefüllt war, vollständig ausgetrunken, ein
Abführmittel hat er nicht hinterher genommen. Es soll auch
der Bandwurm zum Theil abgegangen sein.
Ich bemühte mich um dieses Mittel und liegt das Präparat
vor mir, Extractum Filicis maris, ln der Flasche ca. 10—11 g.
Zwei Stunden nach Einnahme des Mittels, waren dann schon
bei unserem Patienten die Vergiftungserscheinungen aufgetreten,
bis am dritten Tage der eigentliche Anfall kam, den ich zu sehen
Gelegenheit hatte. Durchfälle und Ikterus waren nicht vorhanden.
Im Urin geringe Eiweissspuren. Ich hielt es für angezeigt, noch
einige Löffel Rlclnusöl zu geben und konnte Patient am 4. Tage
das Bett verlassen. Ich entliess denselben mit der Warnung, sich
in Zukunft vor ähnlicher Kurpfuscherei zu hüten.
Es beweist aber der Fall wiederum, wie gefährlich das Mittel
werden kann, selbst bei Dosen von 10 g und glaube ich, dass Alles
hätte vermieden werden können, wenn Patient nicht versäumt
hätte, ein Abführmittel zu nehmen. Immerhin soll aber auch der
Arzt, bei einer Bandwurmkur mit Extractum Filicis maris, alle
Vorsicht üben, und seine Patienten sorgfältig beobachten.
Behandlung chronischer Chorea durch hypnotische
Beeinflussung.
Von Dr. Schilling in Leipzig.
Der jedem Arzt in seinen Erscheinungen bekannte, in
ausgesprochenen Fällen nicht zu verkennende und von Athetose
und sklerotischen Bewegungen und posthemiplegischen Zuck¬
ungen leicht zu differenzirende Veitstanz ist in sich hinschlep¬
penden Erkrankungen oft eine crux medicorum. Während akute
Fälle meist spontan oder durch Arsenikgaben in 6—8 Wochen
unter geeigneter Pflege und Schonung heilen, vergehen bei einer
Reihe anderer Patienten Monate und Jahre, ohne dass das
Leiden aufhört. Das Bild bleibt dasselbe, die Intensität der
Zuckungen mildert sich nach wenigen Wochen des Ausbruches
der Krankheit, die unwillkürlichen Bewegungen bleiben, exacer-
biren gelegentlich neuer Anlässe, besonders psychischer Altera¬
tion, die Gebrauchsfähigkeit der Glieder aber leidet, Arme und
Füsse werden in ihrer Funktion herabgesetzt und die geplagten
Patienten sind vielfach der Spott ihrer Umgebung.
Am häufigsten wird das Kindesalter, öfter sogar mehrere
Male dasselbe Kind bis zur Pubertät oder noch später befallen;
akuter Gelenkrheumatisums mit Endocarditis, Abdominaltyphus
und andere Krankheiten gehen dem Ausbruch voraus, ohne dass
ein näherer Zusammenhang zwischen den Krankheiten und den
plötzlich auftretenden Zuckungen bisher erwiesen ist. Aber
auch nach der Pubertät und im späteren Lebensalter nach der
Verheirathung habe ich noch bei Frauen, wie bei Jünglingen
oder Männern, Chorea beobachtet. Je älter die Patienten sind,
desto hartnäckiger trotzt das Leiden. Eine unehelich Nieder-
gekomraene im Alter von 23 Jahren ist mir noch im Gedächt-
niss, die ich im 4. Monate ihrer Krankheit nach starken Arsenik¬
dosen heilte; Schreck und psychischer Schock oder psychisches
Trauma waren die Ursache. Nicht selten erkranken mehrere
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MUF.NCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1097
2. Juli 1901.
Geschwister nach einander; wiederholt hatte die Mutter als Kind
an Veitstanz gelitten und ihr Kind erkrankte im gleichen Alter.
In Schulen sah man epidemisches Auftreten, sobald ein er¬
kranktes Kind die Schule besuchte. Körner, Hirt und
B e r k h a n haben derartige Fälle gehäuften Auftretens be¬
schrieben, so dass Schulschluss erfolgen musste auf einige
Wochen wie bei einer Infektionskrankheit.
Das Krankheitsbild ist bekannt: Die unwillkürlichen, nicht
intendirten, noch unterdrückbaren Bewegungen einzelner Muskel
oder Muskelpartien und das Grimmassiren lassen keinen Zweifel
übrig. Seitdem die Chorea als epidemische Tanzwuth im süd¬
westlichen Deutschland im 14. Jahrhundert beschrieben worden
ist, sind neue Symptome nicht genannt und bekannt geworden.
Bisweilen findet man eine Verschiedenheit der Pupillen, Sen¬
sibilitätsstörungen der äusseren Haut und ein abweichendes Ver¬
halten der Nerven und Muskel gegen den elektrischen Strom,
besonders bei längerer Dauer des Leidens.
Pathologisch-anatomisch hat man in Fällen, die zur Sektion
kamen, wenig Anhalt gefunden. Nur Ilyperaemie des Rücken¬
markes und des Gehirns, sklerotische Flecke im Halstheile des
Rückenmarkes, Verdickung des Schädeldaches, Pachymeningitis,
Leptomeningitis, Atrophie der Hirnwindungen und graue Ver¬
färbungen auf dem Rückenmarksquerschnitt sind beobachtet. Ob
solche Befunde überhaupt allgemein anzutreffen sind, unterliegt
grossem Zweifel, da es sich bei Chorea nur um eine Symptomen¬
gruppe oder eine Neurose handelt. Wahrscheinlich dürfte sein,
dass wie bei der Arthritis rheumatica das Endocard ebenfalls
in der Regel befallen ist, auch bei nachfolgender Chorea Nerven-
stämme oder Rückenmarks- oder Gehirnhäute nachträglich oder
gleichzeitig erkranken, deren Ausdruck und Folgen für den Kli¬
niker oder Arzt die Zuckungen sind. Ist aber Schock die Ur¬
sache, dann liegt die Annahme näher, dass es sich lediglich um '
eine funktionelle Neurose handelt, deren Heilung auf psycho¬
therapeutischem Wege angestrebt werden muss, um die
Folgen des psychischen Traumas auszuschalten. Nur darf die
Behandlung nicht in brüsker Weise geschehen. Sagt man den
Patienten etwa, dass ihnen nichts fehle oder sie möchten nur das
Zucken sein lassen, dann kommt man nicht zum Ziele; der Patient
glaubt es nicht und noch weniger die Umgebung, welche den
Patienten bemitleidet, und der Arzt sagt es bei Chorea nicht, weil
er diese Neurose nach seiner gewöhnlichen Auffassung nicht der
Hysterie gleichwerthig anerkennt.
Die Behandlung aller Neurosen setzt ein anderes als kurz
abweisendes oder negirendes Verfahren voraus, wenn der Arzt
Erfolg erzielen will. Mit der Diagnose Hysterie und Neur¬
asthenie wird der Arzt mit den Jahren zunehmender Erfahrung
immer vorsichtiger; unter dieser Diagnose wird oft ein ernstes,
aber nicht erkanntes Leiden abgethan, das einer gründlichen
Untersuchung werth wäre. Habe ich doch noch vor wenigen
Tagen einen Fall von Hernia umbilicalis mit Verwachsung des
Netzes und Darmes gesehen, die nicht erkannt war; Patient
klagte, dass er Nachts, wenn er liege, Schmerzen in der Brust und
im Rücken empfinde, sonst nicht, weder am Tage, noch bei der
Arbeit, wesshalb eine ärztliche Autorität ihn sofort abwies mit
den Worten: „Ihnen fehlt nichts, machen Sie die Aerzte nicht
reich!“
Eine von mir vor einigen Monaten behandelte Patientin, die
über 5 Jahre an Veitstanz litt und unter der Hypnose in wenigen
Wochen geheilt wurde, gibt mir Anlass zu dieser Mittheilung,
zumal der Verlauf interessante Seitenblicke auf Homoeopathie,
Kurpfuscherei und andere ärztliche Tagesfragen gestattet.
Das 7 Jährige, mittelgrosse und nicht schwächlich konstituirte.
noch nervös erscheinende Mädchen erkrankte vor 5 Jahren, als die
Mutter in Folge von Abortus zu Bett lag. Es war sehr besorgt
und beängstigt um die Mutter und verlless nur auf Aufforderung
das Krankenzimmer. Kurz nachdem die Mutter das Bett wieder
verlassen hatte, zeigten sich die unverkennbaren Symptome des
Veitstanz. Die Eltern sind gesund und nicht nervös, auch in den
bekannten verwandten Familien fehlen Nervenleiden. Potatorium
und speclfische Infektion fehlen bei den Eltern, eine Ursache fin¬
den Abortus fehlt, ein Jüngerer Knabe ist gesund und kräftig.
Zunächst wurde die Patientin etwa G—8 Wochen mit Arsenik
behandelt, doch ohne wesentlichen Erfolg. Dann kam sie in ein
Soolbad, um durch Entfernung aus der Häuslichkeit und Bäder
geheilt zu werden; der Badeaufenthalt und ein nachfolgender Land¬
aufenthalt von mehreren Wochen Dauer brachten keine Heilung.
Darauf wurde sie einer Universitäts-Nervenklinik überwiesen, aus
der sie nach Vi Jahr trotz Behandlung mit hellen Tropfen in auf-
und absteigender Dosis ungebessert entlassen wurde; daselbst war
sie ausserdem gebadet, abgerieben und am Rücken abgebraust und
gedoucht worden. Nun wandten sich die Eltern an einen Homoeo-
pathen, der das Mädchen 12 Wochen mit Kügelchen behandelte,
ohne dass der Zustand eine Aenderung erfuhr. Dann kam noch
ein Schäfer an die Reihe, der 6 Wochen lang täglich vom Lande
in die Stadt zur Kranken kam, die Arme entlang strich und dabei
etwas sprach. Ein Erfolg blieb aus. Nachträglich wmrde ein
neuer Arzt konsultirt, ohne dass Hilfe gefunden wurde. Nun gaben
die Eltern, nachdem ärztliche und klinische Behandlung, Homoeo-
pathle und Sympathie nutzlos gewesen waren, Jede Hoffnung auf
Heilung auf und schickten das Kind wieder zur Schule, die es
während der langen Krankheit nicht mehr besucht hatte. Es
lernte mit der linken Hand schreiben, da die rechte zu sehr zuckte,
essen und hantireu, soweit es die körperlichen Bedürfnisse er¬
forderten. Es konnte sich aber nicht allein ankleiden, noch
kämmen oder waschen.
Am 27. September vorigen Jahres erkrankte die Grossmutter
und starb. Sofort verschlimmerte sich das Leiden, so dass beide
Arme zackten, der Körper im Bette förmlich hin- und herschlug
und die Beine lebhaft zappelten. Nachdem 14 Tage lang ärztliche
Hilfe vergeblich benutzt war, kam die Mutter zu mir und bat um
Rath. Die Patientin wurde nun warm gebadet (unter Kamilleu-
dekuktzusatz), streng im Bette gelassen und mit SoL Fowler. in
auf- und absteigender Dosis intern behandelt. Die Intensität der
Zuckungen liess zwar nach, doch blieb der Zustand ärger als vor
dem Tode der Grossmutter. Nun kam sie auf meinen Rath nach
13 Wochen zu Verwandten hierher, damit ich sie unter täglicher
Kontrole behandeln und, wenn nöthig, das Leiden mit stärkeren
Dosen von Arsen, die Bechterew 1 ) als reflexherabsetzendes
Mittel empfiehlt, bekämpfen konnte.
Die Untersuchung ergab ein mittelkräftiges, keineswegs anae-
misches Mädchen, das in der rechten Gesichtshälfte, besonders
im oberen und mittleren Facialisgebiete grimassirte und mit dem
linken Anne weniger, stärker aber mit dem rechten Anne, be¬
sonders der Schulter, dem Vorderarme und den Fingern und dem
rechten Schenkel zuckte. Die Musculatur der rechten Schulter war
im Gebiete der Rhomboldei, des M. supra- und infraspinal, abge¬
magert, der rechte Vorderarm mass im Verhältnis zum linken
in bestimmter Entfernung vom Ellenbogengelenk geringeren Um¬
fang und die Kleinfinger- und Daumeuballen waren im Vergleich
zu denen der linken Hand geringer an Volumen. Die rohe Kraft
des rechten Vorderarmes und der Hand war nach dem Ergebniss
dynamometrischer Messung herabgesetzt gegen links. Die Haut
war in dem Gebiete der Zuckungen thells hyperaesthetisch, theils
ln der Sensibilität herabgesetzt, soweit mechanischer Druck und
Prüfungen mit der Nadel und dem elektrischen Pinsel einen Schluss
zuliessen. Die mechanische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln
zeigte sich, sobald ich mit dem Stiel des Percussionshammers
darüberstrich, erhöht; die elektrische Erregbarkeit der motorischen
Nerven gegen den galvanischen und faradischeu Strom war herab¬
gesetzt, die faradomusculäre Erregbarkeit zeigte sich an den
Armen und am rechten Schenkel verändert, nur das Gebiet
des N. median, war hinsichtlich der Sensibilität und Motilität und
elektrischen Erregbarkeit unverändert.
Zunächst wurde die Behandlung damit begonnen, dass ich
Antipyrin gab und sofort am ersten Tage die Patientin hypnoti-
sirte. Später fiel Antipyrin fort Die Hypnose gelang leicht. In
der Hypnose wurde ihr suggerirt, dass die Magenscbraerzen, über
welche sie noch geklagt hatte, übermorgen nachlassen und die
Zuckungen links allmählich in dieser Woche auf hören würden;
schon morgen würde das Zucken seltener sein. In dieser Weise
ging ich von Woche zu Woche weiter und suggerirte später, dass
auch der rechte Arm, das rechte Bein und das Gesicht bald die
Zuckungen verlieren würden; dann folgten nach 3 Tagen dem
Hypnosetage bereits eine elektrische Behandlung und in der
2. Woche der Behandlung ein 3. Tag, an welchem die erkrankten
Muskeln masslrt wurden und das Mädchen zu aktiven und passiven
Bewegungen ungehalten wurde. Gegen Ende der 2. Woche er¬
zählte die Kranke, dass sie bereits 1 y 2 Stunden lang ohne Zuck¬
ungen sein könne; zu Anfang der 3. Woche fing sie an zu schreiben
und sandte an die Eltern, die sich nach dem Befinden öfter er¬
kundigten, einen selbstgeschriebenen Brief. Am Anfang der
4. Woche zuckte sie wenig noch in der Hypnose und nur lebhafter,
wenn die elektrische Strassenbahn vor meinem Hause unter lautem
Geräusch oder Geklingel vorbeifuhr. Jetzt beschäftigte sie sich
im Hause der Tante und unterstützte sie bei allen Hausarbeiten.
Ende der 5. Woche schrieb die Mutter, ob sie bald wieder käme;
wir theilteu der Kleinen dies mit, doch üusserte sie den Wunsch,
vorher vollständig gesund zu werden. Jetzt suggerirte ich, nächsten
Dienstag sind die Zuckungen vollständig verschwunden. That-
sächlich schwand von dem Tage auch die letzte Spur von un¬
willkürlichen Bewegungen.
Sie wurde am nächsten Sonntag vom Vater abgeholt. Der
Muskelumfang des rechten Vorderarms glich fast dem des linken
Arms; die Ballen der rechten Hand waren noch schwächer, doch
war die rohe Muskelkraft rechts wie links gleich. Die faradischo
und galvanische Erregbarkeit und die Sensibilität der erkrankten
Gliedmaasson zeigten keinen Unterschied mehr. Mir selbst schrieb
sie Ihren Namen und andere diktirte Worte mit der Bleifeder und
*) Zur Therapie der Chorea. Centralbl. f. Nervenheilk. u.
Psych. 1900.
4 *
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1098
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
Schreibfeder deutlich und ohne Zucken in den Haar- und Grund¬
strichen vor.
Es unterliegt für mich keinem Zweifel, dass die Hypnose,
deren Beeinflussung nach Weygandt 2 ) vier Fünftel aller
Menschen zugänglich sind, die Heilung eingeleitet und angebahnt
hat und die Galvanofaradisation, Massage und Gymnastik nur
unterstützend gewirkt haben. Hohe Arsenikdosen waren wieder¬
holt nur mit dem Resultate gegeben, dass die Intensität des
Leidens abnahm. Die Badebehandlung, die Abreibungen und
Doucheu, welche in der Universitätsnervenkliuik angewendet
wurden, neben Arsenik, waren nutzlos. Auch die Homoeopathie
und die Sympathie des Schäfers, der die Technik ärztlicher Sug¬
gestion und die Hypnose fehlte, blieben erfolglos. Nur die Be¬
einflussung der Vorstellung der allmählichen Abnahme der Zuck¬
ungen, das Erwecken der Hoffnung des Geheiltwerdens und das
Einleiten der Behandlung mit der Projektion einer Besserung
von Tag zu Tag, von Sitzung zu Sitzung, bahnte die Heilung an;
die Elektricität, Massage und Gymnastik waren nicht nutzlos,
dienten aber nur bei dem Behandlungspläne als larvirte Hypnose.
Dass die in der Hypnose ausgeübte Suggestion oder der Wille
oder die Psyche ein materielles Leiden beeinflussen kann, dürfte
schwer zu erweisen sein; sobald aber funktionelle Störungen der
Nerven vorliegen, kommt die Beeinflussung der Psyche und die
Kräftigung des Willens, der darauf gerichtet werden muss, die
Herrschaft über die willkürlich bewegliche Musculatur wieder
zu erlangen, wohl als Faktor der therapeutischen Behandlung in
Frage.
Barranger*) beschrieb jüngst einige Fälle von hyste¬
rischer Amblyopie, die mich lebhaft an meinen Choreafall er¬
innerten. Er ging bei seiner Therapie davon aus, dass er den
Hysterischen die UeberZeugung beibrachte, sie würden auf eine
bestimmte Weise von ihrem Augenleiden befreit; unter Appli¬
cation des galvanischen Stromes konnten nun die Patienten nach
jeder Funkensehe an der Sehprobetafel eine Reihe weiter lesen.
Um die Kranken nicht stutzig zu machen, wurde das Sehver¬
mögen Anfangs gehoben und zugleich ihnen mitgetheilt, dass es
am näclisten Tage wieder fallen würde. Unter stetem Fort¬
schrei ten des Visus von Ya auf % erlangten die Patienten in
10 Tagen das Sehvermögen wieder. Sogar die Anosmie war
geschwunden.
Es ist aber unser Choreafall nicht identisch mit Huting-
t o n’scher Chorea oder Chorea hereditaria chronica progressiva;
hier fehlt jede Vererbung, die choreatischen Bewegungen werden
nicht durch den Willen unterdrückt, obgleich die Eltern oft genug
dazu aufgefordert hatten, und das Leiden war nicht progressiv.
Auch handelt es sich nicht um fortgesetzte Recidive, da die
Zuckungen nie aufgehört haben vor meiner Behandlung.
Nachträglich habe ich mich über die hypnotische Behand¬
lung der Chorea in der Literatur orientirt und finde, dass bereits
B e r n h e i m ') angibt, gerade langdauernde Fälle radical und
partielle Residuen früherer Chorea auf hypnotischem Wege ge¬
heilt zu haben.
Ich glaube desshalb, dass der Fall für ähnliche Choreakranke,
deren Leiden Schock zu Grunde liegt, wohl Anhalt für eine gleiche
Behandlung gibt. Der Arzt muss sich klar sein, was er mit der
Hypnose erreichen will und kann und wesshalb er gerade die hyp¬
notische Suggestion anwendet, wo die verbale Suggestion nicht
ausreicht. Der Arzt muss Hydrotherapeut sein, gerade so gut,
als er andere Behandlungsmethoden, nicht bloss die physikalisch-
diätetischen, ausübt; aber er muss wissen, ob Douchen und kalte
Abreibungen in dem besonderen Falle indicirt sind und Nutzen
bringen.
Wenn Friedländer in einer Besprechung meines Com-
pendiums der diätetischen und physikalischen Heilmethoden
(Zeitsohr. f. diät. u. physikal. Therapie IV, Heft 8) den Ein¬
druck von der Lektüre des Buches erhält, als ob ich mich bei
der Bearbeitung der Elektrotherapie nicht so durchaus auf dem
Boden eigener elektrischer Erfahrung bewege, so irrt er. Und
wenn Saalfeld in einer Besprechung des gleichen Buches
(Therap. Monatsh. 1901, März) in dem Corupendium eine viel
empfohlene „Naturheilmethode“ sehen zu müssen glaubt, so frage
-) Behandlung der Neurasthenie 1901 (Würzburg. Abhand¬
lungen aus dem Gesammtgcbiet der prakt. Med. I. 5).
*) La (’liu. ophth. 1900. No. 24.
*) De la Suggestion et de ses applieations ä la. thörapeutique
1S7 C
ich ihn, ob er Krankenpflege und Psychotherapie, welche die
Schlusskapitel des Buches bilden, auch zu der Naturheilmethode
rechnet. Wenn endlich Dippe (Schmidt’s Jahrbücher 1900)
mein Compendium in ähnlichem Sinuc bespricht, so kann ich nur
die gleiche Frage an ihn wie an Saalfeld richten. Uebrigens
ist meine Thätigkeit jetzt vorwiegend eine specialistische, doch
nicht nervenärztliche; dass mir die seit vielen Jahren geübte
und lieb gewonnene allgemeine ärztliche Thätigkeit für die spe¬
cialistische nur förderlich ist, glaube ich behaupten zu können,
und dass auch der praktische Arzt Nervenkranke mit Erfolg
hypnotisch behandeln kann, glaube ich aus dem besprochenen
Choreafallo bewiesen zu haben.
Aus dem Augustahospital zu Berlin (chirurgische Abtheilung).
27 intrakraniell« Trigeminusresektionen (darunter
25 typische Exstirpationen des Ganglion Gasseri)
und ihre Ergebnisse.
Von F edorKrause, a. o. Professor an der Universität Berlin.
(Fortsetzung.)
Was nun die unmittelbaren Ergebnisse der
Operationen betrifft, so ist, wie oben schon erwähnt, eine 58 jähr.,
überaus schwache und an chronischer Nephritis leidende Frau
(Fall XXII) einige Stunden nach der Operation im Collaps, der
72 jährige Mann am 6. Tage danach in Folge eines schweren
Herzfehlers gestorben. Der Verlauf war in diesem Falle (VI)
fieberfrei, die Temperatur hatte niemals 38° überschritten, der
Puls war zwar unregelmässig, wie vor der Operation, aber kräftig
und schwankte in der Frequenz zwischen 68 und 76 Schlägen.
Wegen ausgesprochener Arteriosklerose und sehr unregelmässiger
Herzthätigkeit hatte ich die Operation verweigert, bis ich mich
nach vielen Wochen wegen der ausserordentlichen Qualen dee
alten Herrn doch dazu bestimmen Hess. Der Tod erfolgte an
Herzinsufficienz. Die Sektion ergab die Wunde reizlos verklebt
und in deren Umgebung keine pathologischen Veränderungen,
dagegen ausgedehnte Degeneration der Ilcrzmusoulatur, nament¬
lich auch starke Sklerose der Coronararterien.
Den 3. Todesfall an den Folgen der Operation sah ich in
meinem letzten Falle (XXVII), der einen höchst seltsamen Ver¬
lauf nahm und daher genauer wiedergegeben zu werden verdient.
Es bandelte sich um eine 00 jährige kräftige Frau, hei der
das rechte Gnnglion mit Erhaltung des Knochens exstirpirt wurde.
Das Befinden war nach der schnell und glatt verlaufenen Operation
ausgezeichnet, der Puls sehr kräftig, es bestanden nur Wund-
und Kopfschmerzen, die Neuralgie war beseitigt. Während
der ersten 10 Tage nach der Operation waren das Allgemein¬
befinden, Appetit und Schlaf gut, die Temperatur in der Achsel¬
höhle schwankte zwischen 36,8 und 37,2 und erreichte nur einmal
am 7. Tage Abends 37,5 °. Die Pulszahl betrug 00—82. Das Drain
war am 5. Tage entfernt und die Wunde in tadellosem Zustande.
Die Kranke schien bereits aus aller Gefahr, als am 11. Tage nach
der Operation leichte Uubesinulichkeit eintrat, die am nächsten
Tage zur Somnolenz fortsehritt. Dabei waren die Kopfbeweguugen
völlig frei, Puls 95, kräftig, Temperatur 38,1, der Augenhiuter-
grund normal, höchstens die Venen rechts ein wenig weiter als
links. Da Verdacht auf Nekrose des Knochens oder beginnenden
Hirnabscess vorlag, wurde in Chloroformnarkose der fest einge¬
heilte Welchtheilknocheniappen wieder herunterprilparirt. Die
Wundverhältnisse waren völlig einwandfrei, eine dünne Schicht
dunkelrothen festenBlutgerinnsels bedeckte die früheren Wund-
stelleu. Der Knochen war in allen Theilen lebensfähig; als er
heruutergeklappt wurde, spritzte im Strahl ganz klarer Liquor
cerebrospinalis in grösserer Menge hervor. Mehrfache Punk¬
tionen des Gehirns ergaben nichts, nur an der Basis des
Sobläfenlappens wurde ein Tröpfchen bräunlicher erweichter
j Hirnmasse mit der Spritze angesaugt. (Meine Sektionsbefunde
I haben hier mehrmals eine auf eine dünne Rindenschicht bc-
I schränkte, braunröthliche Erweichung ergeben.) Es wurde noch¬
mals ein Drain eiugeführt und die Wunde genäht. Am Abend war
! die Kranke geistig wieder völlig klar; am andern Tage war das
i Befinden ausgezeichnet, Temperatur 37.0, der Puls 84. So blieb der
‘ Zustand zwei Tage.
Dann aber trat von Neuem leichte Somnolenz ein, die Tem¬
peratur stieg Abends bis 38,6 an, Morgens betrug sie 37,8. Die
Pulszahl schwankte zwischen 84—90. Der Verbandwechsel ergab
an der Wunde nichts Abnormes, aus dem Drain floss kein Liquor
mehr ab. Der Augenhintergrund wurde häufig untersucht, er
veränderte sich nicht gegen das frühere Bild. In fortwährendem
I Schwanken zwischen klarem Bewusstsein und Somnolenz, nor-
! maler und leicht erhöhter Temperatur, während der Puls in den
1 letzten 4 Tagen auf 120 bis 120 anstieg. erfolgte 20 Tage nach der
I Operation der Tod. ln den letzten Tagen hatte die Kranke zu-
I weilen katheterisirt werden müssen, einige Male auch Harn und
| Faeces unter sich entleert. Andere Lähmungen waren nie-
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Ill'tl)
2. .Tuli 1001.
Ml - RNCIIENER MEDICINISC1IE WOCHENSCHRIFT.
»»als vorhanden, ebenso wenig Zuekungeu oder Abnormitäten der
Reflexe. Die Kopfbewegungen waren bis zum Tode völlig frei,
auch sonst nicht die geringsten Zeichen von Meningitis vorhanden.
Die Lumbalpunktion ergab in normaler Weise Abtröpfeln klarer
Flüssigkeit
Eine vollständige Sektion wurde nicht gestattet. Immerhin
konnte von der erweiterten Wunde aus Folgendes festgestellt
werden: Die Wund Verhältnisse boten nichts von der Norm Ab¬
weichendes. Der Trigeminusstamm fehlte bis zum Pons, ebenso
fehlte das Ganglion Gasseri, sowie der ganze 2. und 3. Ast intra¬
kraniell; vom 1. Ast war von der Flssura orbitalis superior an
nach hinten zu ein Stück von etwa 1 cm vorhanden. Das Gehirn
zeigte nur an der Basis des rechten Schläfenlappens eine bräun¬
liche Erweichung, die auf die oberflächliche Rindenschicht be¬
schränkt war. Sonst bot die rechte Hemisphäre keine Spuren von
Erweichung oder Abscedirung. Die welche Hirnhaut zeigte an
der Convexltät Oedem von geringer Stärke.
Auch in diesem Falle erachte ich den Tod als eine Folge der
Operation; offenbar hat sie Störungen im Gehirn veranlasst,
die, wenn auch nicht makroskopisch nachweisbar, doch den letalen
Ausgang herbeigeführt haben. Dagegen ist in den folgenden
Fällen dem operativen Eingriff nur insoweit eine Schuld beizu¬
messen, als er die Körperkräfte geschwächt und die Betreffenden
einer neuen Erkrankung gegenüber weniger widerstandsfähig
gemacht hat.
Eine 67jähr. Kranke (FallX) ist 19Tage nach der rechtsseitigen
Operation an Influenza gestorben. Der Verlauf war ohne Stö¬
rungen, nur am 2. Abend nach der Operation betrug die Tem¬
peratur 38,5, war hierauf bis zum 15. Tage vollkommen normal.
Wir hatten damals im Altonaer Krankenhause eine äusserst
schwere Influenzaepidemie (über 100 Inflzlrte unter 500 Kranken).
Am 15. Tage nach der Operation stieg bei jener Frau Abends die-
Temperatur plötzlich bis 39, am nächsten Tage bis 39,7. Die Re¬
vision der Wunde ergab diese per primam verheilt und völlig reiz¬
los. Da die Drainstelle noch ein wenig offen war, so wurde hier
punktlrt und die asplrirte Masse mikroskopisch und bacterio-
logisch von Herrn Prosektor Dr. H u e t e r untersucht Es handelte
sich um etwas Gehirnsubstanz ohne Eiterkörperchen; das Platten-
kulturverfahren fiel negativ aus. Auch der Augenhintergrund
wurde beiderseits normal gefunden. Der Tod erfolgte 4 Tage später
unter fortbestehendera hohem Fieber. Bei der Sektion fand sich
das Herz äusserst schlaff, lobuläre Pneumonie In beiden Unter¬
lappen. Die Wunde war in tadellosem Zustande; die Gehim-
substanz und die Meningen verhielten sich normal. Die Nu. troch-
lenris, abducens und oculomotorius waren intakt, das Ganglion
(iasserl und sein 2. und 3. Ast fehlten vollständig; vom 1. Ast war
der vorderste Thell erhalten. Der rechte Schläfenlappen erschien
an seiner basalen Fläche, wo er in der mittleren Schädelgrube lag,
bräunlich gefärbt und erweicht; auf dem Durchschnitt sah man,
dass die Erweichung nur die oberflächlichen Rindenschichten be¬
traf und nicht in die Tiefe ging.
Einen weiteren Todesfall an Pneumonie bei völlig verheilter
Wunde haben wir bei einer 71jährigen Frau (Fall XIV) erlebt.
Hier verlief die am 6. Oktober 1897 rechtsseitig ausgeführte
Operation ganz glatt, ebenso die Wundheilung, so dass die Kranke
bereits nach 5 Tagen im Lehnstuhl sitzen konnte; 10 Tage nach der
Operation ging sie im Zimmer umher. Sie war nach 14 Tagen bei
vernarbter Wunde zur Entlassung bestimmt, als sie sich beim
Spazierengehen im Garten eine Lungenentzündung zuzog, der sie
5 Tage später erlag. Die Sektion (Prosektor Dr. H u e t e r) ergab
die Operationswunde völlig verheilt. An der Basis des rechteu
Schläfenlappens fand sich die Rindenpartie in ganz schmaler
Schicht bräunlich erweicht, im Uebrigen das Gehirn ebenso wie die
Hirnhäute normal. Vom rechten Trigeminus fehlten der Stamm
bis zum Pons, das Ganglion Gasseri und der 2. und 3. Ast intra¬
kraniell; vom 1. Ast war der vordere, in der Wand des Sinus caver¬
nosus verlaufende Abschnitt vorhanden. Beide Lungen zeigten
im Unterlappen schlaffe Pneumonie.
Endlich ist im Falle XXVI bei einer 65 jährigen Frau der
Tod nach vollkommen abgeschlossener Wundheilung an Herz-
insufficienz und daran sich anschliessender Pneumonie erfolgt.
Die Kranke war durch die Jahrelangen Leiden körperlich sehr
heruntergekommen und litt an starker Arteriosklerose, sowie
Kyphoskoliose. Sie hatte trotzdem die Operation am 29. August
1900 auffallend gut überstanden, der Puls war 96, kräftig und
regelmässig; er schwankte in den weiteren 8 Tagen zwischen 76
und 92, um dann stets unter 76 zu bleiben; die Temperatur hielt
sich ln den Grenzen zwischen 36,8 Morgens und 37,9 Abends, nur
einmal, am 5. Tage nach der Operation (Verbandwechsel), erreichte
sie Abends 38,3. Vom 8. Tage an überschritt sie nicht mehr 37,5.
Am 6. September war die Wunde völlig geheilt, die Kranke war
schmerzfrei und verliesB das Bett; ihr Allgemeinbefinden war aus¬
gezeichnet. So blieb das Befinden bis zum 11. September; an
diesem Tage erwies sich der Knochen als fest eingehellt, die Haut¬
wunde als vernarbt. Am 12. September Mittags begannen plötz¬
lich ohne nachweisbare Ursache Störungen von Selten der Herz-
thätlgkeit. Der Puls stieg auf 136, war klein; Abends (Tempe¬
ratur 37,2) erschien der Zustand so bedrohlich, dass der tödtliche
Ansgang befürchtet wurde. Unter Kamphereinspritzungen und
Digitalis besserte sich die Herzthätlgkeit, am nächsten Tage war
die Pulszahl 96 (Temperatur 36,8), das Befinden so viel kräftiger,
dass die Kranke wieder Morgens und Nachmittags mehrere Stunden
No. 27.
im Lehnstuhle zu sitzen verlangte. Am 14. September aber trat
ein neuer Anfall ein, die Temperatur wnr eher subnormal (36).
der Puls 132, sehr klein. Dieser Zustand änderte sich nicht mehr
wesentlich; während der fadenförmige Puls am 15. und 16. in der
Zahl zwischen 124 und 136 schwankte, blieb die Temperatur sul>-
norninl (35,6—36,2). Dann trat noch einmal am 17. eine leichte
Besserung ein, der Puls ging Morgens auf 104 herunter, Abends
war er wieder 124, Temperatur 35,6—36,3. Die Narbe erwies sich
nach wie vor als normal, der Knochen als fest elugeheilt, es be¬
standen nicht die geringsten Schmerzen. Am 18. war eine pneu¬
monische Infiltration im rechteu Unterlappen festzustellen, dieTem-
peratur betrug 36,8. Ara 19. September war die Pulszahl 140,
die Temperatur stieg rasch auf 38,6, in der Nacht trat der Tod unter
allen Zeichen der Herzlnstifficienz ein.
Die Sektion (Prosektor Dr. II u e t e r - Altona) ergab nach
Lösung der glatt verheilten Hautnarbe und nach gewaltsamem
Heraushebcn der mit der harten Hirnhaut fest verwachsenen
Knochenplatte die Dura mit einer dünnen Schicht eines alten, nicht
zersetzten Blutgerinnsels bedeckt; das Duragewebe war au dieser
Stelle etwas blutig imbibirt. Das rechte Ganglion Gasseri, der 2.
und 3. Ast waren nicht vorhanden, der Trlgemluusstnmm fehlte
bis zum Pons; vom 1. Ast war von der Flssura orbitalis superior
an nach hinten zu ein Stück von reichlich 1 Centimeter zurück¬
geblieben. Das Gehirn bot weder auf der convexen noch auf der
basalen Fläche Irgendwelche Spuren der Erweichung; nur blieb
bei Herausnahme des Gehirns an der Basis des rechten Schläfen¬
lappens ein kaum linsengrosses, nl>or viel dünneres Partikelchen
an der basalen Dura hängen. Die Hirnhäute erwiesen sich als
völlig normal, ebenso auf Durchschnitten das Gross- und Klein¬
hirn. Das Herz war äusserst schlaff, braun, zeigte Myocarditis
chronica, starke atheromatöse Veränderungen. Die rechte Lunge
erwies sich im Unterlappen als pneumonisch infiltrirt. Die übrigen
Organe waren gesund bis auf alte dyseuterische Geschwüre im
Rectum und starke, rechtsconvexe Kyphoskoliose der Brust-, links¬
convexe der Lendenwirbelsäule.
Ein besonders bemerkenswerther Fall ist im Abschnitt
„Pathologische Anatomie“ meiner Monographie 1 ), Seite 101—105
genau wiedergegeben. Hier will ich nur erwähnen, dass bei der
Kranken (Fall XI) glatte Heilung der Wunde erfolgte, so dass
die Frau bereits am 8. Tage nach der Operation das Bett ver¬
lassen und am 11. Tage allein die Treppe herunter in den Garten
zu gehen vermochte. Sie starb 4 Wochen danach an einem grossen
Cholesteatom des Gehirns und seiner Häute. Da die Kranke
sich in glänzenden Vermögensverhältnissen befunden hatte, so
waren im Inlande wie im Auslande zahlreiche Autoritäten der
Nervenheilkunde konsultirt worden, aber von keiner hatten jemals
andere Krankheitserscheinungen als die der schwersten Neur¬
algie im ganzen linken Trigeminusgebiet festgestellt werden
können.
Von einem septischen Process ist in keinem Falle bei der
Autopsie etwas gefunden worden; das Operationsgebiet lässt sich
trotz der Nähe des Auges, Ohres und Mundes, wie meine Er¬
fahrungen lehren, bei gehöriger Sorgfalt durchaus aseptisch er¬
halten. Das gerade ist neben der Uebersichtlichkeit der tiefen
Wundhöhle der grosse Vortheil meines Verfahrens. Andere Chir¬
urgen haben noch nach einem Zwischenraum von mehreren Mo¬
naten einen Hirnabscess sich bilden sehen; glücklicher Weise ist
mir diese Erfahrung bisher erspart geblieben. Selbst in 2 Fällen,
in denen die Knochenplatte nekrotisch wurde, hat sich kein Hirn¬
abscess entwickelt. In dem einen Falle (II) war die intrakranielle
Resektion des 2. Astes zweizeitig ausgeführt und die Wunde
5 Tage lang durch Tamponade offen gehalten worden, da wegen
der Schwäche des 62jährigen Kranken die Operation nicht früher
vollendet werden konnte. In dem anderen Falle (IX), bei einer
37 jährigen Frau, war die Blutung sehr beträchtlich, was von
vornherein erwartet wurde, da sie bei zwei früher von mir aus¬
geführten peripheren Operationen ebenfalls ungewöhnlich stark ge¬
wesen war (gewisser Grad von Haemophilie). Die Exstirpation des
Ganglion konnte in einer Sitzung zu Endo geführt werden,
dauerte aber wegen der schwierigen Blutstillung drei volle
Stunden. Bei den vielfachen Manipulationen hatte sich die
Knochenplatte des Lappens trotz der schützenden Bindenein¬
wickelung in grösserer Ausdehnung vom Periost abgelöst und
hing nur in der unteren Hälfte noch mit diesem zusammen.
Trotzdem wurde der Knochenweiehtheillappen in der gewöhn¬
lichen Weise zurückgelagert und eingenäht.
In beiden Fällen verursachte die Nekrose der Knochenplatte
kein Fieber, sie offenbarte sich durch oedematose Schwellung des
Hautlappens und seiner Umgebung, namentlich des unteren
Augenlids. Die Wunde wurde am 10. und 11. Tage wieder gc-
*) F. Krause: Die Neuralgie des Trigeminus nebst der Ana¬
tomie und Physiologie des Nerven. Leipzig 1806, F. r. \V. V n g e I.
0
e
1100
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
öffnet und die Knochenplatte entfernt; sie zeigte an ihrer Innen¬
seite eine dünne Schicht fibrinösen Eiterbelags. Der Weichtheil-
lappen wurde wieder eingenäht, an jedem unteren Wundwinkel
ein Drain eingelegt und unter geringer Eiterabsonderung ging
die Heilung beide Male ohne Temperatursteigerung von statten.
Von grosser Wichtigkeit ist das Verhalten des
Auges nach der Operation; wegen der völligen
und dauernden Gefühllosigkeit der Horn- und Bindehaut
bedarf das Organ besonderer Sorgfalt. Früher hielt ich
es aus Furcht vor der neuroparalytisclien Keratitis für
nothwendig, von vornherein Atropin einzuträufeln; davon
habe ich ganz Abstand genommen. Am besten haben sich
folgende Vorsiehtsmaassregeln bewährt, denen wir einige Worte
widmen müssen. Vor der Operation wird das Auge nur mit
Borsäurelösung ausgegossen. Die von anderer Seite empfohlene
und geübte Vernähung der Lider verwerfe ich, weil sie die Be¬
trachtung der Hornhaut hindert. Ganz besonderer Aufmerksam¬
keit bedürfen diejenigen Fälle, in denen durch frühere periphere
Operationen der Lidschluss iu Folge von Facialislähmung be¬
hindert ist. Bei diesen bleibt dann das Auge immer etwas offen,
und wenn auch im wachen Zustande die Cornea nach oben unter
das obere Lid gerollt wird, so findet diese Schutzbewegung im
Schlaf offenbar nicht oder wenigstens nicht in genügender
Weise statt. Denn ich habe in einem derartigen Falle (XVII)
gesehen, dass unter dem feuchten Augenverbande, obwolil er
Morgens und Abends gewechselt wurde, sich in einem länglichen
Querstreifen, der genau dem Rande des Oberlides bei geschlos¬
senen Lidern entsprach, ein decubitusartiger Defekt im Horn¬
hautepithel entwickelte. Die Schwere des Verbandes genügte,
um bei der der Innervation beraubten Hornhaut entsprechend
der scharfen inneren Lidkante Decubitus zu erzeugen.
Fig. 4.
8 hutz des Auges nach Exstirpation des Ganglion Gnsseri durch Uhrglas.
10 Tage nach der Operation.
Seil jener Beobachtung habe ich den Verband zum Schutze
der Cornea verworfen, weil er immer etwas drückt, und ein
grosses ungeschliffenes Uhrglas benützt, wie es ja auch bei eitrigen
Entzündungen zum Schutze des gesunden Auges verwendet wird.
Man schneidet in ein entsprechendes Stück Zinkoxydpflaster in
der Mitte ein rundes Loch von der halben Grösse des Uhrglases
und klebt es, wenn nach Vollendung der Operation der Wund¬
verband angelegt ist, rings um den Orbitalrand fest an. Das Glas
beschlägt von innen sehr bald mit Feuchtigkeit., und diese
feuchte Kammer bildet den besten Schutz der Hornhaut. Auch
heilen in ihr kleine Decubitaldefekte des Epithels nöthigen Falls
unter Atropingebrauch ohne Störung. Ich pflege den Heft¬
pflasterverband alle 24 oder 48 Stunden zu erneuern und dann
das Auge mit Borwasser zart auszugiessen, niemals auszu¬
wischen. Das Schutzglas wird bis wenige Tage vor der Ent¬
lassung, nöthigen Falls so lange in Anwendung gezogen, als
etwaige Neigung zu Reizung und Entzündung des Auges be¬
steht. Kehrt letztere im weiteren Verlauf wieder, so wird das
Uhrglas wiederum getragen, ferner Atropin und Borsäurelösung
angewandt.
Um Lähmungen des unteren Lides auch geringer Art zu ver¬
hüten, verwende ich bei peripheren Trigeminusresektionen stets
Schnittführungen, welche den Facialisfasern parallel verlaufen
und stimme in dieser Beziehung den Ansichten Koche r’s völlig
bei. Auch für die Resektion des 2. und 3. Astes an der Schädel¬
basis habe ich eine jenes Ziel erreichende Schnittführung bei
meinen letzten derartigen Operationen benützt und im v.Berg-
in a n n’schen Handbuch (Stuttgart bei Ferdinand Enke 1900,
Seite 654) abgebildet.
Uebrigens befindet sich unter meinen Operirten eine Dame,
die von früheren Eingriffen her einen vollständigen Lagophthal-
mus besitzt. Bei ihr ist die Exstirpation des Ganglion Gasseri
am 23. August 1895 von mir ausgeführt worden (Fall IX), und
bis heutigen Tages ist, ohne dass irgend welche Schutzmaassregeln
angewandt wurden, niemals eine Augenentzündung eingetreten.
Im unmittelbaren Anschluss an die Operation habe ich ausser
der erwähnten folgende Störungen von Seiten des Auges beob¬
achtet. Bei einem 55jühr. Manne (Fall V) wurde das Auge 3 Tage
nach der Exstirpation des Ganglion von einer Keratitis befallen,
die sehr bald zum Hypopyon führte. Es handelte sich zweifel¬
los um eine schwere infektiöse Form, da ein eitriges Thränen-
sackleiden vorhanden wnr. Von dem central gelegenen Hornhaut¬
geschwür zogen gelbe strichförmige Infiltrate in die in toto grau-
weiss getrübte Hornhautsubstanz, nach unten gingen sie un¬
mittelbar in den ein gutes Drittel der Vorderkammer erfüllenden
Eiterherd über, auch erschien die ganze Hornhaut trocken. Die
Behandlung bestand in Atropinisirung, lauwarmen Chlorwasser¬
umschlägen und Schutzverband, und trotz des Fehlens des Tri¬
geminuseinflusses ist diese Hypopyonkeratitis ausgeheilt, indem
sich in gewöhnlicher Weise von der Peripherie her Gefässe in
das Hornhautgewebe hinein entwickelten. Als Rest ist nur ein
centraler, die Pupille beinahe deckender Hornhautfleck zurück¬
geblieben, in dem sich Andeutungen jener neugebildeten Gefässe
erhalten haben. Dagegen hat die übrige Hornhautsubstanz, na¬
mentlich auch unten, wo das Hypopyon bestanden, ihre normale
Durchsichtigkeit wiedererlangt. Der einzige Unterschied, den
dieser Fall gegenüber gleichen Entzündungen an normal inner-
virten Augen darbot, ist der, dass die Heilung sich äussert lang¬
sam vollzog.
Beim Bestehen eines eitrigen Thränensackleidens ist die
Gefahr für das Auge natürlich grösser als sonst. In einem
zweiten, dem obigen ähnlichen Falle, wo zugleich Lagophthalmus
paralyticus in Folge der von anderer Seite ausgeführten Lücke-
scheu Operation vorhanden war, schritt die Eiterung, zum Theil
offenbar wegen des mangelnden Lidschlussas und der dadurch
bedingten Austrocknung, unaufhaltsam in der Hornhaut fort
und führte zu Verlust des Auges (Fall XVI).
In der allorgrösst.en Gefahr aber befinden sieh diejenigen
Augen, auf die ununterbrochen kleine Schädlichkeiten einwirken,
und bei denen obige Vorsichtsmaassregeln vernachlässigt werden.
So sali ich bei der Frau eines Müllers die bis dahin völlig ge¬
sunde Hornhaut 10 Vz Wochen nach der Ganglionexstirpation sich
entzünden (Fall XXI). Trotz dringendsten Anrathens begab sie
sich erst 14 Tage später, als die Chemosis der Conjunctiva den
höchsten Grad erreicht hatte und die Hornhaut fast völlig getrübt
war, in die Behandlung eines Augenarztes. Diesem gelang es
wohl, die äussere Form des Auges zu erhalten; da aber die Horn¬
haut in der unteren Hälfte sich abstiess, war das Sehvermögen
verloren. Offenbar haben die fortdauernden reizenden Einwir¬
kungen des Mehlstaubes die Entzündung zunächst veranlasst; da
keine Behandlung erfolgte, schritt die neuroparalytische Kera¬
titis weiter fort und führte zu partieller Nekrose der Hornhaut.
Aehnliches habe ich bei einem 54 jährigen Müller 10 Wochen
Digitized by kjOOQie
2. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1101
nach der Operation beobachtet; bei diesem aber gelang die Er- j
haltung des Auges (Fall XV).
Im Allgemeinen lehren meine Beobachtungen, dass die Ge- j
fahr für die Hornhaut in den ersten Wochen nach der Operation j
am grössten ist; späterhin bedürfen die Augen meist keines
Schutzes mehr. Nur bei einer Operirten (Fall III) entstand
2 Jahre nach der Operation auf der Rückreise von Berlin, wo
sie auf dem Chirurgenkongress 1895 vorgestellt worden war, ein
Hornhautulcus. Dieses heilte im Laufe von 2 Monaten mit un- !
bedeutenden Hornhautfleck aus, und seitdem hat sich keine I
neue Entzündung eingestellt, obgleich besondere Schutzmaass- |
regeln nicht angewandt wurden. In allen anderen den als eben J
besprochenen Fällen sind bis zum Abschluss der Arbeit (Mitte j
Mai 1901) keine Entzündungen in den völlig anaesthetisehen j
A\igen eingetreten, und es sind seit den Gauglionoxstirpationen i
bereits bis zu 8 V* Jahren verstrichen.
Endlich liefern meine Beobachtungen den Beweis, dass auch j
an den des Trigeminuseinflusses dauernd beraubten Augen Horn- !
hautgeschwüre, ja selbst schwere llypopyonkeratitiden zur Hei- [
lung gelangen.
Zu Gunsten der Exstirpation des Ganglion Gasscri lässt
sich weiter anführen, dass ich einmal bei einem 62 jährigen
Pastor nach der peripher vorgenommenen Extraktion des j
N. supraorbitalis eine so schwere Hornhautentzündung cintreten ;
sah, dass der hinzugezogene Augenarzt mehrere Tage lang Per¬
foration und Verlust des Auges befürchtete. Schliesslich erfolgte
Heilung, die aber sehr langsam von statten ging; die Hornhaut j
ist fast in ganzer Ausdehnung tmdurchsichtig, das Auge also so '
gut wie blind geworden. |
I
Was anderweitige trop bische Störungen
nnlHiigt, so bildete sich in einem Falle (XVII) 12 Tage nach der
Operation eine Ulceration mit umgebender Schwellung an der
rechten anaesthetischen Oberlippe, wo sich die Kranke mit ihren
künstlichen Zähnen gebissen hatte. Beide Gebisse wurden ent- |
fernt, und dies genügte, um in wenigen Tagen das Geschwür zur
Heilung und die Schwellung zum- Schwinden zu bringen. Bei
einer zweiten Kranken (Fall XII) entstand am 6. Tage nach der
Ggnglionexstirpation ein 3 mm im Durchmesser haltender ober- j
flächlicher Epithelverlust an der rechten Seite der Zungenspitze,
ein etwas grösserer an der Innenseite der rechten Unterlippe. 1
Unter Borspüluugen heilte die Zunge in 5, das Unterlippen- !
gesehwür in 9 Tagen.
Augenmuskellähmungen in Folge des Druckes von j
Seiten des Ilimspatels sind in 5 Fällen beobachtet worden (I1T, j
XV, XVII, XXI, XXIV). Einmal war allein der Abducens ge- j
lälnnt; diese Lähmung ging nach wenigen Wochen zurück. Im !
Falle XXIV, bei einem 46 jährigen Heilgehilfen, handelte cs sich
um eine Trochlearislähmung, die so gering war, dass sie objectiv
nicht wahrgenommen werden konnte; indessen wurde der Mann
beim Heruntergehen der Treppen dadurch gehindert, dass die
Stufen „kreuzweise übereinander standen“; 7 Wochen nach der
Operation war auch diese störende Erscheinung verschwunden.
Im Fall XV war eine Lähmung des Levator palpebrae superioris,
des M. rectus internus und eine Schwäche des Sphincter pupillae, i
also partielle Oculomotoriuslähmung, vorhanden, während Tro- !
cblearis und Abducens gut funktionirten. Nach 9 Tagen konnte
das Oberlid etwas gehoben werden, auch der Rectus internus
wurde aktiv innervirt; nach 17 Tagen war die Lähmung noch
weiter zurückgegangen, nach 3Va Wochen fast ganz, nach zwei
Monaten völlig verschwunden.
Die schwerste Augenmuskellähmung zeigte sich im
Falle XXI; hier hatte die Operation wegen ungewöhnlich
starker Blutung 2 V 2 Stunden gedauert. In dem unten genauer
mitgetheilten Fall IX dauerte aus den» gleichen Grunde die Ope¬
ration 60 gar 3 Stunden, ohne dass eine Augenmuskellähmung
nachher vorhanden war. In jenem Falle XXI handelte es sich
um eine totale Ophthalmoplegie; die Pupille war jedoch nicht
maximal erweitert, sondern nur mittelweit, rcagirte aber weder
auf Licht noch auf Accommodation. Bereits nach 10 Tagen wurde
leichte Funktion des Abducens und eine geringe Verengerung der
Pupille festgestellt. Nach 10 Wochen konnte das Oberlid gehoben
und gesenkt werden, auch die Bewegungen des Augapfels waren
in beschränktem Maasse möglich; die Pupille fiing an* auf
Licht zu reagiren. Die Lähmung besserte sich weiterhin all¬
mählich, als 3 Monate nach der Operation die schwere Entzündung
der Hornhaut eintrat, die weiter oben beschrieben ist.
Dass in der That der Druck des Hirnspatels die Ursache der
Augenmuskellähmungen darstellt, dafür kann ich den sicheren
Beweis erbringen. Bei meiner 17. Operation (rechtsseitig, 55 jähr.
Fräulein) glitt der Spatel durch ein Versehen des Assistenten ein¬
mal ab und zu weit in die Tiefe. Während bis dahin beide Pupillen
gleich weit waren, trat mit jenem Augenblick Pupillenerweiterung
auf der Operationsseite ein, die nach kurzer Zeit wieder rück¬
gängig wurde. Es blieb aber nach der Operation eine Parese des
M. rectus internus, eine geringere des Rectus superior, also eine
partielle Oculomotoriuslähmung, zurück. Nach llTagen hatte
sich diese etwas gebessert; Doppeltsehen war noch beim Blick
geradeaus und nach links vorhanden, dauerte auch nach der Ent¬
lassung (20 Tage nach der Operation) noch fort und war erst
10 Wochen nach der Operation vollkommen verschwunden.
Die Augenmuskellähmungen sind in allen Fällen ohne irgend
welche Behandlung zurückgegangen.
Von cerebralen Störungen machen sich nach der Opera¬
tion Unruhe, Theilnahmlosigkeit, selten vorübergehende Somno¬
lenz Schmerzen im ganzen Kopf und Sausen geltend. Die Unruhe
war 3 mal auffallend stark und hielt mehrere Tage an; Mor¬
phium pflegte Abhilfe zu schaffen. Ein Kranker (Fall XV) hatte
während der ersten drei Tage kribbelnde Empfindungen in den
Beinen; eine Frau (Fall XX) klagte bis zum 9. Tage über
Schmerzen in beiden Beinen; eine Kranke (Fall XXIII) sah am
3. Tage vorübergehend fremde Gestalten am Bett.
In zwei Fällen (XIX, XXV), in denen das linke Ganglion
exstirpirt worden war, machten sich leichte aphasische Stör¬
ungen bemerkbar; sie gingen aber rasch vorüber. DerKrankeXIX
(ein Arzt) antwortete die ersten 3 Tage auf Fragen sehr langsam,
er suchte nach den Worten, versprach sich auch zuweilen. Zum
Beispiel sagte er: „ich ziehe (statt ich fühle) Schmerzen“; er fand
nicht das Wort Ganglion. Indessen wurde von der erfahrenen
Wärterin diese Sprachstörung gar nicht bemerkt, sie war also
sehr gering und bereits 5 Tage nach der Operation vollkommen
verschwunden. Bei der zweiten Kranken (XXV) traten die apha-
sisehen Störungen erst am 3. Tage nach der Operation auf; sie
verwechselte einzelne Worte (Krankenwerk statt Krankenhaus),
nannte mich Kreutzer statt Krause und brauchte hin und wieder
falsche Anfangsbuchstaben, z. B. Lecken statt Becken. Auch
hier war die Störung gering und wirkte auf die erwachsene
Tochter, da es der Kranlien sonst sehr gut ging, komisch. Acht
Tage nach der Operation war die Aphasie verschwunden. Bei
einem 55 jährigen Manne (Fall V) hatte in den ersten 3 Wochen
nach der linksseitigen Operation das Namensgedächtniss für Per¬
sonen ein wenig gelitten; dagegen waren keine motorisch-apha-
sisehen Symptome vorhanden.
Als anatomische Unterlage für solche Störungen haben wir
bei den meisten Sektionen eine ganz oberflächliche Erweichung
des basalen Theiles des Schläfenlappens gefunden, welche offen¬
bar durch den Druck des Hirnspatels verursacht wird.
Schwerere Erscheinungen von Seiten des Gehirns habe ich
im Falle XX gesehen, obgleich die Operation sehr rasch voll¬
endet worden war und nach Herausschneiden des Knochens nur
33 Minuten in Anspruch genommen hatte.
Bet der 59 jährigen Frau trat nach beendeter rechtsseitiger
Operation (2. November 1899), als die Kranke bereits aus der
Narkose erwacht war, beide Arme und Beine und den Kopf wäh¬
rend des Knotens der Nähte bewegt hatte und zur Anlegung des
Verbandes ein wenig auf gerichtet wurde, plötzlich ein Collaps
schwerster Art ein. Der bisher gute Puls war nicht mehr zu
fühlen, Athembewegungen kaum wahrnehmbar. Kurze Zeit vor¬
her war nach Vollendung der Exstirpation des Ganglion fest¬
gestellt worden, dass beide Pupillen gleich waren und auf Licht
reagirteu, ebenso die Augeubeweguugen sich normal verhielten.
Bei dem Collaps wurden beide Pupillen weit, die rechte noch etwas
weiter als die linke. Beide Augen waren in stärkstem Maasse
krampfhaft nach der linken Seite gewandt. Künstliche Athern-
und Herzbewegungen, rhythmisches Hervorziehen der Zunge, sub¬
kutane Kochsalzlnfusiou und Kampherölinjektionen besserten den
Zustand. Nach einer Stunde war der Puls wieder fühlbar, 120 in
der Minute. In dieser Zeit wurden die Pupillen enger, die rechte
blieb aber immer noch weiter als die linke. Die Augen gingen
aus der starren Lage von liuks ebenso starr nach der rechten Seite.
Allmählich besserte sich der Zustand noch mehr. Nach weiteren
2Stunden hörte die Kranke auf Anrufen und klagte über Schmerzen
in der Wunde. Nunmehr Hess sieh eine Lähmung des linken Armes,
abgesehen von Daumen und einigen Fingern, ferner eine Parese
des linken Beines und des linken unteren Facialisastos feststellen.
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1102 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27.
Auch Abends waren die Augen immer noch sehr Start: nach
rechts gewandt. In der Nacht hatte die Kranke klonische Zuck¬
ungen des linken Armes und der Augiipfel. Am anderen Tage
waren diese Symptome verschwunden: die Augen standen in der
Mittellage und wurden in normaler Weise bewegt. Das linke Bein
konnte etwas aktiv bewegt werden, ebenso die linke Hand, Ellen¬
bogen und Sehultergelenk noch nicht; letztere zeigten leichte Kon¬
trakturen, der linke Mundwiukel war nur wenig paretisch.
Nach 4 Tagen verhielten sich das linke Bein und der Facialis
wesentlich besser: die Kranke konnte Hand und Finger bewegen,
den Arm im Ellenbogengelenk bereits ein wenig beugen. Am
15. Tage nach der Operation vermochte die Kranke bereits mit
Unterstützung im Zimmer umher zu gehen; sie konnte damals den
Vorderarm bis zum Rechten aktiv beugen, den Oberann bis fast
zur Horizontalen erheben. Die Zunge wich ln der ganzen Zelt
beim Herausstrecken nach links ab. Die Kranke reiste 4 Wochen
nach der Operation (4. Dezember 1890) nach Hause. Im Wesent¬
lichen war noch eine Parese im linken Arm vorhanden. Diese
ging zu Hause weiter zurück, nach 3 Monaten bestand nur eine
geringe Schwache, der Arm konnte etwas über die Horizontale
erhoben werden.
Offenbar handelte es sich in die6em Falle um einen Blut¬
erguss in die. rechte Hemisphäre. Sie war entstanden, als der
Spateldruck auf’s Gehirn bereits eine Zeit lang — etwa 25 Mi¬
nuten — aufgehört hatte. In dieser Zeit waren die Periostnaht
und die Hautnaht ausgeführt worden, und der bereits umgelegte
Verband sollte eben festgewickelt werden. Am 4. April 1901 erhielt
ich folgenden brieflichen Bericht: „Die Schmerzen im Gesicht
sind ganz verschwunden geblieben; es besteht rechts ein steifes
Gefühl und ein leises Kribbeln von der Wange bis über das Auge.
Der linke Arm und das Bein sind noch etwas schwächer als
rechts.“
Ausserdem haben wir in zwei Fällen (VI und XVI) bei
einem 72 jährigen und einem 30 jährigen Manne schwere Zufälle
während der Chloroformnarkose erlebt. Im letzteren Falle musste
die Operation desshalb nach Versorgung der A. meningea media
unterbrochen werden und wurde in einer zweiten Zeit nach
4 Tagen ohne Zwischenfall vollendet, im ersteren Falle war die
Asphyxie nach Va Stunde beseitigt, so dass die Operation ein¬
zeitig zu Ende geführt werden konnte. Beide Male blieben keine
Störungen zurück.
Wir kommen nun zu dem wichtigsten Punkt, zu den
Dauerergebnissen der Exstirpation des Gang¬
lion Gasseri, und hier bin ich in der glücklichen Lage,
behaupten zu können, dass ich bei der typischen Trigeminusneur¬
algie, so schwer sie. auch gewesen sein möge, nach jener Ope¬
ration bisher bei keinem meiner überlebenden Kranken einen
Rückfall beobachtet habe. Am meisten beweisend sind natürlich
die ältesten Fälle, und von den erst Operirten sind noch am Leben
(Fall III) eine jetzt Tßjähr. Frau, bei der am 31. Januar 1893
(Fall V) ein jetzt 63jähr. Mann, bei dem am 20. Mai 1893
(Fall VII) eine jetzt 77 jähr. Frau, bei der am 19. September 1894
(Fall VIII) eine jetzt 54jahr. Frau, bei der am 29. November 1894
(Fall IX) eine jetzt 43 jähr. Frau, bei der am 23. August 1896
die Exstirpation vorgenommen worden ist. Sie sind auf der ope¬
rirten Seite völlig schmerzfrei geblieben, während die früher bei
ihnen allen ausgeführten peripheren Nervenresektionen nur
kurze Zeit oder überhaupt nicht von Erfolg gekrönt waren. In
jenen ältesten 5 Fällen sind also nahezu 6 bis 8V4 Jahre ver¬
strichen, ohne dass ein Rückfall eingetreten ist, und da glaube
ich berechtigt zu sein, von Heilung zu sprechen. Ferner sind
bei weiteren 11 Fällen seit der Operation mindestens 2 Jahre ver¬
flossen, gleichfalls ohne Recidiv. Am Schlüsse der Arbeit werde
ich alle 27 Krankengeschichten im Auszuge beifügen und ebenso
die letzten Befunde, damit ein Jeder selbst darüber urtheilen
kann, wie das Heilungsovgebniss sich gestaltet hat.
Ganz besonders beweisend für die Heilwirkung der Ganglion¬
exstirpation scheinen mir die Fälle zu sein, in denen auf der
nicht operirten Seite neuralgische Schmerzen sich eingestellt
haben, während die ursprünglich erkrankte schmerzfrei geblieben
ist. Zunächst sei hier die bereits oben erwähnte, jetzt 54 jähr.
Frau (Fall VIII) angeführt. Die Schmerzen treten Nachts am
heftigsten auf, wechseln von einem Nerven der nicht operirten
Seite zum andern, überschreiten aber niemals die Mittellinie.
Sie haben ihren Sitz im Ohr, im Nasenbein und in der Ober¬
lippe. Man könnte in diesem Falle an ein centrales Leiden
denken. Indessen hat die, fortgesetzte genaue Beobachtung der
Kranken dafür nicht den geringsten Anhalt geboten, und cs ver¬
dient besonders betont zu werden, dass die rechte Seite seit der
Ganglionexstirpation, d. h. seit 6Va Jahren, vollkommen frei von
Anfällen geblieben ist. Bei zwei weiteren Frauen (Fall IX und
XVIII) haben sich Schmerzanfälle auf der nicht operirten
Seite eingestellt, in letzterem Falle sind sie erheblich, in ersterem
gering. Sie erregen aber umsomehr das Gemüth dieser Kranken,
als sie die Sorge vor einem schweren Leiden der bisher gesunden
Seite nicht los werden.
Während die Exstirpation des Ganglion Gasseri mir bei der
typischen Trigeminusneuralgie so ausgezeichnete und dauernde
Erfolge geliefert hat, ist sie als völlig nutzlos in allen den Fällen
zu verwerfen, in denen es sich um hysterische oder neurasthe-
nische Pseudoneuralgien handelt. In drei derartigen Fällen habe
ich die Operation abgelehnt, es handelte sich jedes Mal um un-
verheirathete Damen im Alter von 26, 27 und 33 Jahren. Bei
allen dreien waren von hervorragenden Chirurgen periphere Tri¬
geminusresektionen ohne jeden Nutzen vorgenommen, bei der
27 jährigen Kranken in ihrer Heimath (Nordamerika) auch beide
Ovarien entfernt worden. Leider habe ich mich in einem vierten
Falle doch zu dem Eingriff verleiten lassen.
Es handelte sich (Kall XIX) um einen 03 jährigen Kollegcii
G. von C., der bis zur Entstehung seines schweren Nervenleidens
Oberarzt eines Krankenhauses und Chirurg gewesen war. Kr
wurde mir von einem Professor der Nervenheilkunde lm August
1899 zur Operation überwiesen, nachdem die seit 10 Jahren an¬
gewandten zahlreichen Kuren und Mittel sich als erfolglos er¬
wiesen hatten. Auch zwei periphere Nervenresektionen, von deueii
eine von der Hand eines unserer ersten Meister vorgenommeij
worden war, hatten nicht die geringste Wirkung gehabt. Die
Neuralgie war keine typische, vor Allem war sie nicht auf eine
Seite beschränkt, wenn sie sich hier auch mit Vorliebe und be¬
sonderer Heftigkeit äusserte. Der Kranke war schwer ueur-
astheniseh, und ich habe mich, da die Indlcation zur Operation nicht
begründet werden konnte, zunächst durchaus ablehnend verhalten.
Als aber der Kollege, der sich über alle Möglichkeiten genau
orientirt und meine Monographie eingehend studlrt hatte, mit
Selbstmord drohte, habe ich mich schweren Herzens dazu ent¬
schlossen, das Ganglion Gasseri zu exstlrpiren, nachdem ich zuvor
mit dem Bruder darüber Rücksprache genommen, dass die Ope¬
ration in diesem Falle nutzlos sein könnte. Die Ganglionexstir¬
pation hat auf die Schmerzen nicht den geringsten Einfluss aus¬
geübt. Die Operation ist ohne Erfolg geblieben, da es sich offen¬
bar um ein centrales Leiden handelte, das seinen Sitz in der Hirn¬
rinde oder in den Trigeminuskernen hat und chirurgisch unan¬
greifbar ist.
Im März 1901 hat mich der Kranke in Berlin besucht; er sah
körperlich blühend wohl aus und war in bestem Ernährungs¬
zustände. Ueber seine Schmerzen freilich klagte er nach wie vor;
glücklicher Welse hat er wenigstens von der Gangllonexstirpatiou
nicht die geringsten Beschwerden.
Alle meine Geheilten schätzen sich glücklich, dass sie mit ge¬
ringen Störungen von ihren furchtbaren Qualen befreit sind.
Was diese subjektiven Störungen anlangt, so muss als
nebensächliches Moment eine zuweilen eintretende massige Behin¬
derung in der Oeffnung des Mundes erwähnt werden, die offen¬
bar auf Schrumpfungsvorgänge im Schläfenmuskel zurückzu¬
führen ist. Fast immer können die Kranken zu allen Funktionen
den Mund genügend weit öffnen. Nur bei einer einzigen Frau
(Fall XX) bildete sich eine so starke Kieferklemme auf der ope¬
rirten Seite aus, dass sie nur mit Mühe essen konnte. Aus diesem
Grunde resecirte ich 10 Monate nach der Ganglionexstirpation
den Processus coronoideus mandibulae, 8 Tage darauf wurde die
Kranke entlassen. Ein halbes Jahr später vermochte sie, wie mir
brieflich mitgetheilt wurde, den Mund so weit zu öffnen, dass
man einen Finger „zwischen den Gaumen stecken konnte“.
Leichte sensible Störungen auf der operirten Seite machen
sich von Zeit zu Zeit bei einigen Kranken bemerkbar. Sie haben
die Empfindung des Kribbelns oder Ziehens; namentlich bei psy¬
chischen Aufregungen oder nach angestrengtem Arbeiten tritt
eine Empfindung des Stechens oder Brennens ein, die aber bei
Allen rasch vorübergeht und nur als Unannehmlichkeit, nicht
als Schmerz empfunden wird. Dagegen beklagten sich 2 Kranke,
eine 76 jähr. Frau (Fall III) und ein 56 jähr. Mann (Fall XV),
über die halbseitige Gefühllosigkeit der Mundschleimhaut, welche
beim Essen und Kauen sehr hinderlich sei; die übrigen Operirten
hatten sich an diesen Zustand gewöhnt.
Natürlich haben die Operirten sämmtliche Ausfalls¬
erscheinungen, welche durch die Entfernung des Ganglion
Gaeseri bedingt sind; jedoch erweisen sie sich in der That viel
geringer, als man nach der uns von den physiologischen Studien
her innewohnenden Ansicht von der grossen Bedeutung des
Ganglion erwarten sollte. Besonders erwähnt sei hier nur, da^s
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1103
2. Juli 1901.
MUENOIIENER MEDIC1NISCIIE WOCHENSCHRIFT.
die gelähmten Muskeln, namentlich der Masseter, Temporalis
und Pterygoideus internus, durch die gleichen Muskeln der ge¬
sunden Seite so vollständig ersetzt werden, dass im Schlüsse des
Unterkiefers keine Abweichung wahrgenommen werden kann.
Allerdings ist die grobe Kraft im Kauen auf der operirten Seite
vermindert, indessen macht sich diese Störung nicht besonders
bemerklicb. Denn die Kranken kauen schon wegen der halb¬
seitigen Anaesthesie der Mundschleimhaut stets auf der normal
empfindenden Seite.
Das Allgemeinbefinden, das durch die langen Qualen in
ausserordentlichem Grade zu leiden pflegt, bessert sich nach Auf-
hören der Schmerzen rasch, Nervosität und Schlaflosigkeit
schwinden, und die vorher durchauf auf fremde Hilfe ange¬
wiesenen Kranken werden wieder selbständig und arbeitsfähig.
In einem Falle (V) habe ich nach der Heilung eine Geistesver¬
wirrung, welche wie die verursachende Neuralgie mehrere Jahre
bestand, zurückgehen sehen.
Ohne Zweifel haften der Operation Gefahren an. Wenn
inan indessen im einzelnen Falle das Für und Wider genau ab¬
wägt und wenn man dann den armen Leidenden die Verhält¬
nisse ohne Rückhalt auseinandersetzt, wozu man meiner Ansicht
nach hier in weit höherem Maasse, als z. B. beim Carcinom, ver¬
pflichtet ist, da ja die entsetzlichen Schmerzen an sich das
Leben nicht in Gefahr bringen, so findet man keinen Wider¬
spruch gegen die Operation. „Lieber den Tod als solch ein Leben“,
diesen Ausspruch habe ich fast von allen meinen Kranken ge¬
hört. und ihre schmerzdurchfurchten Züge legen beredtes Zeug¬
nis« dafür ab, dass jenes Wort keine blosse Redensart ist. Sind
doch Selbstmordversuche in diesen schwersten Fällen von Ge¬
sichtsschmerz keine Sclteidieit.
Mehrmals war ich gezwungen, die Operation bei Leuten
auszuführen, die gänzlich entkräftet waren; einer dieser Fälle
betraf einen 52 jährigen, noch dazu schwer herzkranken Mann.
Nur eine 58 jährige Frau ist im Collaps gestorben, die anderen
derartigen Kranken sind geheilt. Bei ihnen waren extrakranielle
Eingriffe überhaupt nicht mehr möglich, daher blieb keine Wahl,
es muaste das Ganglion entfernt werden. In so schweren Fällen
wird es auch niemals gelingen, die Körperkräfte vorher zu heben;
die Sehmerzanfälle und ihre Folgen vereiteln alle unsere Be¬
mühungen. Bisher bin ich, bis auf eine Ausnahme (Fall XI),
der Ansicht treu geblieben, die ich im Jahre 1892 ausgesprochen,
dass nämlich die Exstirpation des Ganglion erst in Frage gezogen
werden dürfe, wenn die weniger eingreifenden Operationen sich
als erfolglos erwiesen hätten.
Nach meinen Erfahrungen führt die Entfernung des
Ganglion Gasseri in allen den Fällen dauernde Heilung herbei,
in denen die Ursache der Neuralgie dort oder weiter nach der
Peripherie zu ihren Sitz hat, d. h. bei der überwiegenden Zahl
der Erkrankungen. Denn nach unseren sonstigen Kenntnissen
findet eine Regeneration, wie sie nach Resektion der peripheren
Nervenverästelungcn eintritt, nicht statt, sobald die Wurzeln
selbst durchtrennt sind. Die Heilung der Neuralgie wird ver-
muthlich durch die intrakranielle Operation auch dann bewirkt,
wenn ein umschriebener llerd, der auf das Ganglion, den Tri¬
geminusstamm oder die intrakraniell gelegenen Aeste drückt,
selbst nicht beseitigt werden kann. Wenn aber die Neuralgie
durch eine Ursache hervorgerufen wird, welche central vom Tri-
geminusstamm gelegen ist, dann wird auch die Entfernung des
Ganglion Gasseri nichts nützen und ist daher zu verwerfen.
Der Wunsch, den ich vor 9 Jahren ausgesprochen, die intra¬
kranielle Operation möge sich Bürgerrecht in der Chirurgie er¬
werben, er ist erfüllt. Die Erfolge der Operation sind trotz der
ihr innewohnenden Gefahr so gross, dass sie voraussichtlich die
errungene Stellung behaupten wird. Aber es müssen die
Schwere der Symptome und die Erfolglosig¬
keit aller angewandten Mittel die Schwere
des Eingriffes rechtfertigen.
(Schluss folgt.)
Referate und Bücheranzeigen.
E. Ziegler: Lehrbuch der allgemeinen und speciellen
pathologischen Anatomie für Aerztc und Studirende. 10., neu
bearbeitete Auflage. I. Band: Allgemeine Pathologie. Mit
586 thoils schwarzen, thcils farbigen Abbildungen. Jena 3901.
Verlag von Gustuv F i s c li o r.
Ziegler hat die 10. Auflage seines Lehrbuches Rudolf
V i r c h o w zu seinem 80. Geburtstage gewidmet, wahrlich eine
Festgabe, auf welche nicht nur der Jubilar, sondern auch ihr
Autor mit berechtigtem Stolz blicken kann. Denn das Werk
ist die Frucht einer 22 jährigen, fast ununterbrochenen Arbeit,
welche ja auch allein es ermöglicht hat, dass das Lehrbuch trotz
der grossen Fortschritte auf dem Gebiete der pathologischen
Anatomie stets voll und ganz auf der Höhe der Wissenschaft sich
gehalten hat.
Vcrf. hat in der 10. Auflage seines Lehrbuches unter Yer-
werthung der neuesten Literatur und eigener Untersuchungen
sämmtliche Kapitel einer Revision unterzogen und überall, wo
es nöthig war, entsprechende Berichtigungen und Ergänzungen
vorgenommen. Vollständig umgearbeitet sind die 3 ersten, von
den allgemeinen Krankheitsursachen handelnden Abschnitte;
ebenso sind die Abschnitte über pflanzliche und thierische Para¬
siten umgearbeitet und erweitert und namentlich durch zahl¬
reiche neue, überaus klare und instruktive Abbildungen noch
weiter illustrirt worden. Aber auch in anderen Kapiteln sind
theils frühere Abbildungen durch neue ersetzt oder neue Ab¬
bildungen eingeschaltet worden, so dass deren Gesamintzahl
abermals um 40 vermehrt worden ist. Besonders dankenswerth
ist es, dass auch die Literaturzusammenstellungen bis zum
Schluss des Jahres 1900 fortgeführt sind. Hauser.
Hugo Ribbert: Lehrbuch der Allgemeinen Pathologie
und der Allgemeinen pathologischen Anatomie. Mit 338 zum
Theil farbigen Textfiguren. Leipzig, Verlag von F. C. W. V o ge 1,
1901. Preis 14 M.
R. hat in der ganzen Anlage dieses Lehrbuches seine Vor¬
lesungen über allgemeine Pathologie zu Grunde gelegt und zwar
nicht nur hinsichtlich der Eintheilung des Stoffes, sondern auch
in der Art der Behandlung desselben. In der Darstellung ist
daher auf eine den Gegenstand erschöpfende Schilderung ver¬
zichtet, wie auch ausführlichere Literaturangaben bei Seite ge¬
lassen sind. Gleichwohl ist aber in sümmtlichen Kapiteln alles
Wichtige und für das Verständnis» der einzelnen pathologischen
Vorgänge Nothwendige enthalten und dabei in so klarer und an¬
regender Form zur Darstellung gebracht, dass das Buch dem
vom Verfasser angestrebten Ziel in vortrefflicher Weise ent¬
spricht, nämlich „einer Förderung des Verständnisses allgemeiner
pathologischer Vorgänge“.
Die Eintheilung des Stoffes sehliesst sich im Allgemeinen
derjenigen in ähnlichen Lehrbüchern an und ist wohl im Ganzen
eine übersichtliche.
Die Titel der grösseren, die einzelnen Kapitel zusammen-
fassenden Abschnitte scheinen 'jedoch dem Referenten nicht
immer glücklich gewählt zu sein. So dürfte man nicht leicht auf
den Gedanken kommen unter dem Titel: „Die Bedeutung der
Organveränderungen für den übrigen Körper“ auch den Vorgang
der Thrombose und Embolie geschildert zu suchen, und in dem
Abschnitt: „Heber die einzelnen Veränderungen der Gewebe unter
dem Einfluss der verschiedenen Schädlichkeiten“ befremdet es
nur, die regressiven Veränderungen eingereiht zu finden. Eine
derartige Eintheilung erscheint vielfach unbegründet und will¬
kürlich.
In den von der pathologischen Neubildung und den Ge¬
schwülsten handelnden Kapiteln dürfte wohl die Mehrzahl der
Pathologen nicht im Stande sein, den von Ribbert hier ent¬
wickelten Theorien zu folgen, indem der Verfasser hier die
schwierigsten biologischen Fragen doch oft etwas allzu leicht
behandelt und durch ganz grob-mechanische Vorstellungen lösen
zu können glaubt.
Auch kann dem Verfasser nicht der Vorwurf'erspart bleiben,
dass speciell in dem Kapitel über das Carcinom Thatsachen,
welche der von ihm für die Krebsentwicklung aufgestellten
Theorie, absolut widersprechen, einfach übergangen oder in ge-
zwungendster Weise jener Theorie nngepasst sind.
Die dem Werke beigefügten Abbildungen sind sehr instructiv
und grösstentheils nach Originalzeiehnungen des Verfassers in
vortrefflicher Weise ausgeführt. Hause r.
G. Brühl: Atlas und Grundriss der Ohrenheilkunde.
Unter Mitwirkung von l’rof. Dr. A. Politzer in Wien.
244 farbige Abbildungen auf 39 Tafeln nach Origiiialaquarellen
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1104
MTTENOIIENER MEDIC1N1SGHE WOCHEN SCliRl FT.
No. 27.
von Maler G. Hammerschmidt. München, J. F. Lch-
m a n n’s Verlag 1901. Preis geh. M. 12.—.
Das vorliegende Buch muss als durchaus gelungen und seinen
Zweck erfüllend bezeichnet werden. Die Abbildungen — er¬
freulicherweise wurde neben den makroskopischen auch eine
grössere Zahl mikroskopischer Bilder aufgcuommcn — sind klar,
deutlich und durch den beigegebenen Text leicht verständlich,
ihre Ausführung macht dem mitwirkenden Künstler sowohl als
der Vorlagshandlung alle Ehre. Die Auswahl derselben ist Dank
der Unterstützung, welche Politzer dem Unternehmen durch
Uebcrlassung seiner berühmten anutomisch-pathologischen Samm¬
lung angedeihen liess, eine so schöne und interessante, dass das
Werk nicht nur für den praktischen Arzt, sondern auch für den
Spezialisten, welcher vielleicht weniger Gelegenheit hatte, Prä¬
parate zu studiren, von Nutzen sein muss.
Der „Grundriss“ enthält fast mehr, als für einen solchen ver¬
langt werden kann, jedenfalls Alles, was zur Orientirung in der
gestimmten Otiatrie nöthig ist. Dabei hat es der Verfasser ver¬
standen, das ganze grosse Gebiet in eine knappe und übersicht¬
liche Form zu bringen, was mit Anerkennung betont werden soll
und besonders für den beschäftigten Praktiker von Vortheil
sein dürfte. M a d e r - München.
Kehr, Berger und Welp: Beiträge zur Bauch-
chirurgie. Berlin 1901. Kornfeld.
Der in der Gallensteinchirurgie rühmlichst bekannte Ver¬
fasser Prof. Kehr, der im Ganzen jetzt etwa 530 Gallenstein-
kranke operirt hat, berichtet im Wesentlichen über 84 Gallen¬
steinoperationen des verflossenen Jahres, von denen 18 letal ver¬
liefen in Folge verschiedener Komplikationen. Die Cystostomic
ist möglichst einzuschränken und nur bei den akuten Processen
in der Gallenblase anzuwenden. Denn 1. können wir nie wissen,
wie die Gallenblase innen aussieht, 2. bleiben weiche kleine Steine
in den Falten des Cysticus zurück, 3. kann es wieder zu Ent¬
zündungen in der Gallenblase kommen.
Bei der chronischen recidivirenden Cholelithiasis ist die
Ektomie, combinirt mit der Hepathicusdrainage, bei uns jetzt das
Normalverfahren. In einer Reihe von Fällen muss man sich
mit der Cystostomie begnügen. Die Choledochotomie mit Naht
ist entbehrlich. Die Hepaticusdrainage ist besser. Anastomosen
zwischen Gallenwegen und Darm sind nach Möglichkeit ein¬
zuschränken. Er operirt nicht alle Fälle von Cholelithiasis, nur
etwas über die Hälfte der konsultirten Fälle, lv. richtet sich
nach der Form der Erkrankung, nach den socialen Verhältnissen,
nach der Häufigkeit der Koliken. Insofern begrüsst er auch die
negativen Befunde mittels des Röntgenverfahrens, da dieses,
wenn es gelänge, nur ein indieationsloscs Operiren bewirken
würde. In einer bacteriologischen Arbeit von Oberarzt
Dr. Berger fand sich unter 30 Untersuchungen des Gallen¬
blaseninhaltes derselbe 6 mal steril, in 2 dieser 6 Fälle fehlten
Steine, 18 mal fand sich Bact. coli allein, 3 mal mit Staphylo-
coccen, 1 mit Streptococcen. Je 1 mal fand sich nur Staphylo-
coccus resp. Streptococcus. In den Fällen von Hepaticusdrainage
fand sich meist an dem der Operation folgenden, spätestens am
2. Tage, die ausfliessende Galle steril, in einem Falle erst am
7. Tage. Diesen interessanten Galleusteinoperationen, die in
genauen Krankengeschichten mitgetheilt sind, folgen die Berichte
von 25 Gastroenterostomien, wovon 4 gestorben sind, 6 Pyloro-
plastikcn, wovon 1 gestorben, und einer ausgedehnten Magen¬
resektion, mit gutem Ausgange; ferner berichtet K. über 24 Ap-
pendicitisfälle, von denen 6 mit vorgeschrittener eitriger Peri¬
tonitis starben; im Allgemeinen hält er sich zu einer frühzeitigen
Operation. Den Schluss macht eine Abhandlung über Mesen¬
terialcysten von B-erger. Z i e g 1 e r - München.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medicin. I9ui. 70. Bd-
Uji. 2. Heft.
1) Th. Struppler- Ueber den physikalischen Befund und
die neueren klinischen Hilfsmittel bei der Diagnose Zwerchfells¬
hernie. (Aus der II. medicinisehen Klinik des Herrn Professor
Bauer in München.) (Mit 2 Abbildungen im Text u. Tafel I, II.)
Während man früher in (len wenigen Fällen, in denen die
Diagnose überhaupt Intra vitam gestellt wurde, lediglich auf die
Ergebnisse der Auscultation und Percussion angewiesen war. hat
Str. ln einem Fall von Zwerehfellshornio ausserdem die Röntgeno-
skopie, Itöntgeuogruphie und Gastrndiaplumic verwendet. Die Be¬
schwerden des Patienten waren im Anschluss an ein vor G Jahren
erlittenes Trauma aufgetreteu; in seiner linken Brusthiilfte fanden
sich, besonders nach flüssiger Nahrungszufubr, eine Reihe
plätschernder, glucksender Geräusche, wie sie eben uur in
einem mit Flüssigkeit unvollkommen gefüllten Hohlrauin
entsteheu köuneu, der, wie die Untersuchung ergab, selbständig
sein Volumen änderte und sich bewegte, abhängig und unabhängig
von den Bewegungen des Herzens und der Lunge. Auf Grund
dieses Befundes wurde sofort an eine Zwerchfellshernle gedacht,
deren Inhalt Magen sein musste, was die ltöutgenographie und
-skopie ln direct positiver Weise und geradezu illustrativ erwies.
Den negativen Ausfall der Gastrodiaplmnie (der Seheiu der
Edisonlampe verschwand 27,5 cm hinter der Zahnreihe) erklärt sich
Verfasser damit, dass ln Folge centraler Lage des Magens iui
Thorax, der vom Kolon, Netz und komprlmlrter Lunge umgeben
war, kein Licht durchdringen konnte.
2) E. Becker: Ueber die Veränderungen der Zusammen¬
setzung des Blutes durch vasomotorische Beeinflussungen, ins¬
besondere durch Einwirkung von Kälte auf den ganzen Körper.
(Aus der II. medlc. Universitätsklinik zu Berlin.)
Nach kurzer Uebersiclit über die bisherige Literatur berichtet
Verfasser über seine eigenen Untersuchungen, die ln Zählung der
rothen und welssen Blutkörperchen bestanden, da es ihm darauf
ankam, „die Beeinflussung des Verhältnisses der rothen zu den
welssen Blutkörperchen festzustellen“. Die Untersuchungen wur¬
den theilweisc am Kapillarblut von Gesunden bezw. leicht Kranken
vorgenommeu (kurzdauernde Kältewlrkuug), bezw. an Typhösen
(länger dauerndes Bad). Durch Kälteeinwirkung auf die gauze
Körperoberfläche wird eine geringe Vermehrung der Erythrocyten
und eine stärkere der Leukocyten liervorgerufen, weniger durch
Stauung der Blutkörperchen in den Kapillaren, als durch Wasser¬
abgabe aus dem Blute, ln pathologischen Fällen vielleicht auch
durch Aufhebung von Stasen. Die Vermehrung der Leukocyten
erfolgt ausserdem noch durch Randschiehtenbilduug.
3) L. v. K 61 h y uud E. Wels z: Inwiefern kann man die j
intercostalen Phonationserscheinungen bei Fällen von pleuri-
tischem Exsudat verwerthenP (Aus der II. medlc. Universitüts- Y
klinik zu Ofen-Pest.) / '
In 2 früheren Arbeiten hat W. gezeigt, dass während der
Phonation, besonders beim Sprechen gewisser Buchstaben und
Worte (Kitt. D, K), im Momente des Glottisschlusses die vermehrte
Bauchpresse den exspiratortsehen-phonatorischen Lungendruck
steigert. Dadurch stülpt sich die Lunge, besonders magerer Indi¬
viduen, an geeigneten Stellen vor, z. B. den Intercostalräumen, so
dass „mit dieser neuen physikalischen Untersuehungsraethode ln
vielen Fällen die unteren Lungengrenzen bestimmt werden können,
da diese Erscheinungen über Milz und Leber, schon vermöge deren
Konsistenz fehlen“.
Mit Hilfe dieser plionatorischen Untersuchung suchten die
Verf. ln 14 Fällen die untere Grenze von Ex- und Transsudaten
zu bestimmen, die ebenfalls Intereostale Hervorwölbungen ver¬
mitteln können, was auch annähernd gelang, abgesehen von dem
I. Falle, dem gerade in Folge seines negativen Ausfalles Beweis¬
kraft zukonnnt. (Es handelte sieh um einen Tumor der rechten
Thoraxhälfte, wesshalb die Phonationsersclieinuugeu fehlten.)
4) A. Jaquet und 1t. M e t z n e r: Cardiographische Unter¬
suchungen an einem Falle von Fissura stemi. (Aus der medlc.
Klinik und dem physiolog. Institute zu Basel.) (Mit 8 Kurven.)
Die Deutung des menschlichen Cardiogrannns Ist zur Zeit noch
Gegenstand lebhafter Controverse, wie auch der vorliegende Fall
liewelst, der von mehreren Autoren mit durchaus abweichenden
Ergebnissen untersucht wurde; Details im Original.
5) E. J e n d r a s s i k - Ofen-Pest: Klinische Beiträge zum
Studium der normalen und pathologischen Gangarten. (Aus der
II. medlc. Klink.) (Mit 21 Abbildungen im Text und Tafel III
bis VIII.)
Die Analyse der einzelnen Gnngfeliler Ist diagnostisch und
therapeutisch wichtig. Tenotomie, Sehnentransplantation können
nur erfolgreich sein auf Grund eingehender Kenntnlss der Störungs¬
ursache, die aber oft schwer zu linden ist. Denn Jede pathologische
Gangart ist nicht so sehr die Folge der krankhaften Veränderung,
als vielmehr das Resultat eines individuellen Kompensationsbe •
strebens. Nachdem J. einleitend die Arbeiten, die sich mit der
wissenschaftlichen Erforschung des Gehens beschäftigten, einer
kritischen Würdigung unterzogen, berichtet er ausführlich über
seine eigenen Untersuchungen, deren Ausgangspunkt eingehende
Studien über den Gang des gesunden Menschen bilden. Daran
sohliesst sieh die Besprechung der hypertonischen Gangarten (hemi-
plegische und paraspastische Form) und der hypotonischen (Dys¬
trophia imiscul. progr., spinale Muskelatrophie, einzelne Muskel¬
lähmungen), dann folgt der niyelitische und ataktische (tabisehe)
Gang, cerebollare Ataxie. Pnralysis agitans; den Schluss der inter¬
essanten Arbeit bilden 2 Fälle von hysterischer Gehstörung, die
nicht näher analysirt wurden.
G) ,T. A. Ivra e m c r: Beobachtungen bei der Typhusepid.em.ie
im Inf.-Reg. No. 40. Mit besonderer Berücksichtigung der
diagnostischen Bedeutung der W i d a l’schen Reaction. (Aus dem
städt. Maria-Hilf-Krnnkenliaus Aachen.)
Die W i d a l’sche Reaktion wurde der Einfachheit halber mit
verdünntem Blute (1:20) nach dem Vorschläge Babuke’s (vergl.
Centralbl. f. Baeteriologie, Bd. 23, No. 5), nicht mit Blutserum
ausgefühvt und liel nur dann positiv aus. wenn es sich um klinisch
(•eilten Typhus handelte; übrigens scheint Widal in seltenen Füllen
auch bei Niclittyphus positiv zu sein, wie z. B. in einem Falle von
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2. Juli 1901.
MÜENOITENER MEDTOINTSOIIE WOOTTENSdITRIET.
1105
Pneumonie. Neben Kalomel, dns sich gut bewährte, wurden be¬
sonders noch laue Bäder, ausreichende, flüssige Diät und stets
Alkohol gegeben; die Mortalität betrug 4,4 Proc.
7) J. Kollarits: Beitrag zur Kenntiiisa der anatomischen
Grundlage der Muskeldystrophie. (Aus der II. medic. Klinik zu
Ofen-Pest.)
In einem Falle von Dystrophia musc. progress. pseudohyper-
trophie fanden sich neben fettiger Degeneration und Atrophie der
Muskeln eine Faserurmuth in gewissen Kückenmarkstheilen, ganz
besonders aber eine Kleinheit der Ganglienzellen der Vorderhöruer,
die vielleicht als fehlerhafter Entwickelungsprocess die eigentliüin-
liche Muskelnffektion verursacht hat.
8) Neumann- Baden-Baden: lieber Sklerodermie nach
eigenen Beobachtungen.
N. beobachtete ln 3 Fällen von Sklerodermie, die sich längere
Zelt der üblichen Behandlung ohne Erfolg unterzogen hatten, theils
eine allgemeine, theils mehr lokale erhebliche Besserung, durch
den T a 11 e rin a n n’schen Apparat erzielt, bei dem trockene Hitze
von 120—150° C. verwendet wird. Die Sklerodermie ist nach ihm
eine chronische Iutoxication, die sich unter Zeichen konstitutio¬
neller Schwäche, hauptsächlich in der Haut lokallsirt.
9) M. Engelhardt: Untersuchungen über den Fettgehalt
des menschlichen Blutes. (Aus dem Laboratorium der medic-
Universitäts-Pollklinik Jena.) (Mit 1 Abbildung.)
E. untersuchte den Fettgehalt des menschlichen Blutes, dns
er durch Punktion der Vena mediana gewonnen hatte; die Be¬
stimmung erfolgte durch Aetherextraktion. Die Durchschnitts¬
zahl betrug 0,180 Proc., wobei Individuelle Schwankungen Vor¬
kommen; bei konsumirenden Krankheiten ist der Fettgehalt nicht
erhöht. Im Gegensatz zum Hungerthier. (Ein anderer Autor fand
allerdings bei konsumirenden Krankheiten 0,8 Proc. Fettgehalt.)
10) Besprechungen. B a m b e r g e r - Kronach.
Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P.v. Bruüs,
Tübingen, Lau pp. 30. Bd. 2. Heft. Mit 12 Abb. im Text u'
2 Tafeln.
Aus der Strassburger Klinik berichtet H. Gross zur Kennt-
niss des osteomyelitischen Knochenabscesses der langen Röhren¬
knochen in besonderer Berücksichtigung seines anatomischen
Verhaltens und sucht darin die Mannigfaltigkeit des Bildes, die
Verschiedenheit der Form, die Umgrenzung des Inhaltes auf die
anatomischen Verhältnisse des betreffenden Alters etc. zurück -
xuführen. G. stellte 141 Fälle zusammen, die auch die auffällige
Prävalenz des Befallenseins der Tibia erkennen lassen, indem da¬
runter 35 mal die obere Tibia, 35 mal die untere Partie der Tibia.
11 mal die Tibia im Allgemeinen. 15 mal der Femur, 9 mal dns
oliere und 7 mal das untere Humerusende. 4 mal der Radius be¬
fallen war. Als Durchschnittsalter für sämmtlicbe Fälle ergab
sich 29 Jahre; für den Knochen«bscess bei Erwachsenen als Durcli-
sehnittsdauer der Krankheit 4 Jahre.
Aus der T ii b i n g e r Klinik gibt A. LI n borg e r
eine Mittheilung über intermittirenden Gelenkhydrops und
stellt im Anschluss an zwei neu nrttgcthctftr—Püttc- der
lietreffenden Klinik 08 Beobachtungen zusammen: er sieht
darin nicht eine selbständige Krankheit, sondern nur ein Symptom,
das er nicht auf vasomotorische Störungen, sondern lediglich auf
Entzündnngszustände (in der Mehrzahl auf infektiöser oder trau¬
matischer Basis,) zurückführen will, analog den in regelmässigen
Intervallen auf tretenden Entzündungen der Lymphangiome und
der Gicht. Nach der Aetlologie waren 25 mal rheumatische Ein¬
flüsse, 8 mal Trauma. 10 mal 'T uberkulose mul_ Int oxieationeu zu
eonstatiren, weitaus anPnänfigsten war das Kniegelenk'böraUeiT
«r. und 1. Knie oder beide ln 97 Proc. der Fälle), das freie Intervall
betrug meist 1 Vs—2 Wochen, die Dauer des Anfalles 2—8 Tage.
Interne Mittel blieben meist erfolglos, dagegen bewährten sich die
bei chronischem Hydrops iiblicheu chirurgischen Eingriffe (anti-
septische Ausspülungen) meistens.
Aus der gleichen Klinik berichtet B. Honsell über die
Anwendung reiner Karbolsäure bei septischen Wunden und
Eiterungsprocessen und bestätigt darin die glänzenden Heilresul¬
tate. die bekanntlich P h e 1 p s, zumal an Hüftgelenken, hiedurch
erzielte, nach entsprechender experimenteller und praktischer Nach¬
prüfung. Die eoneentrirte Karbolsäure ist danach, wenn man die
MaximaldoHis von 0 g nicht überschreitet, weniger schädlich als
diluirte Isisungen, A’on denen eben mehr zur Resorption kommt.
Die Experimente ergaben u. a. die geringe Wirksamkeit des Subli¬
mats in eiweisshaltigen Lösungen. Concentrirtes Karbol wird in
seiner antiseptischen Kraft durch Gewebssilfte nicht wesentlich
t»eeintriiehtigt und ist eine gewisse Dauerwirkung zu erwarten, so
dass die Hauptanforderungen au ein Antisepticum (Brunner)
beim Karbol gegeben sind. Die praktischen Erfahrungen beziehen
sieh anf über 80 Fälle (% davon akute und tuberkulös-eiterige
Processe). Danach hat sich das Karbolverfahren bei septischen
Wnnden und Eiterungsprocessen als ein vortheilhaftes Unter¬
stützungsmittel der physikalischen Maassnahmen erwiesen. Die
Anwendung geschieht in der Weise, dass nach Reinigung der Um¬
gehung und Benetzung derselben mit Alkohol, die Menge von ca.
0 g concentrirter Karbolsäure auf Tupfern in die Wunde gebracht
wird (nicht wie bei Phelps durchEiuscliiitten). Nach 1 Minute folgt
eine sorgfältige Ausspülung mit Alkohol absolut, und wird die
Wunde mit steriler Gaze oder Airolgazestreifen tamponirt; am
rweckmüssigsten fand H. das Auslegen mit einfacher Schicht anti-
septischer Gaze und folgende Packung mit aseptischen Tupfern.
Wesentliche Schmerzhaftigkeit zeigt Rieh bei der Methode nicht
und in Folge rasch verminderter Sekretion kann der Verband
Wechsel wesentlich seltener vorgenommen werden, was den Tat.
viel Schmerz erspart, ln einer grossen Reihe vön Fällen konnte
seit Einführung des Phelps’schen Verfahrens der erste Verband
4—-8 Tage verbleiben. Bei den tuberkulösen Erkrankungen hält
H. das Verfahren für weniger wichtig und möchte keinesfalls durch
dasselbe die Grenzen des operativen Einschreitens zu Gunsten
einer FrUlioperution verschieben.
Aus der gleichen Klinik l>erlchtet E. Haas über die Resultate
der Castration bei Hodentuberkulose, gestützt auf 111 Fälle (44
rechtsseitige, 34 linksseitige. 15 doppelseitige in eiuer Sitzung;
18 nach der einseitigen, später auch die andere), von denen 52 noch
leben, 25 konnten nachuntersuclit, über 27 schriftliche Nachrichten
erhalten werden. Iu 2(J Proc. der Fälle waren diese mit ander¬
weitigen Tuberkulosen kompllzirt, in 20 Proc. Hess sich hereditäres
Moment, in 10 Proc. eine traumatische oder auf Erkältung be¬
ruhende Entstehung aunehmen. Gleichzeitige Erkrankung beider
Testikel (3.5 Proc.) ist im allgemeinen selten, dass nach dem 1.
früher oder später der 2. Iloden erkrankt, ist relativ liäuflg; die mit
Blasou- oder Nierentuberkulose komplizirten Fälle geben eine sehr
ungünstige Prognose. Wird bei einseitiger Ilodentuberkulose der
erkrankte Iloden exstirpirt, so erkrankt nach H. der 2. noch in
20.7 Proc. der Fälle. 44,0 Proc. der Fülle werden durch halbseitige
Castration dauernd geheilt; fast immer bleibt danach die Zeugungs¬
fähigkeit erhalten; durch beiderseits benötbigte Castration wurden
50.7 Proc. der Fälle gehellt; nie suh H. die vielfach befürchteten
Ausfallserscheinungen (Melancholie) etc. auftreteu. Die Mortalität
der doppelseitigen Hodeutuberkulose in den ersten 3 Jahren nach
der Castration ist fast doppelt so gross, als die der einseitigen (40,0
gegenüber 20,7 Proc.)
Aus der Strassburger Klinik berichtet ferner C. Adrian
über congenitale Humerus- und Femurdefekte lm Anschluss an
die Obduction eines 3 monatlichen Kindes mit rudimentärem 1.
Oberschenkel. In der grossen Mehrzahl der sogen. Humerus- und
Femurdefekte bandelt es sich um eine Hypoplasie, d. h. der Defekt
ist keiu vollständiger, ln der Regel Epiphysenreste vorhanden,
während die Diaphyse fehlt. A. stellt aus der Literatur 10 Fälle
von komplizirten und unkomplizirten Humerusdefekten und 45 von
Femurdefekten ln Gruppen zusammen, wobei er sich der K U m -
m e 1 l’sclien Nomenclatur bedient.
Aus dem städt. Kranken hause zu Nürnberg be¬
richtet Fel. F r ä n k e 1 über die subkutane Leberruptur und deren
Behandlung durch primäre Laparotomie im Anschluss au 3 dies¬
bezügliche eigene Beobachtungen. Die Hauptgefahr der Leber-
ruptur besteht In der primären Blutung (von 102 Fällen E d 1 e r’s
starben 01 an der primären, 9 an der sekundären Blutung), während
später die Komplikationen, wie Gallenerguss, sekundäre Hepa¬
titis ctc. in Betracht kommen. Bezüglich der Diagnose Ist der
primäre Schock, die Anaemie, die Erscheinungen vou Reizung des
Peritoneums (Erbrechen, Aufstossen), besonders Contractur der
Bauchdecken und der charakteristische rechtsseitige, iu die Schulter
ausstrahlende Schmerz zu erwähnen; Ikterus kommt nur lm An¬
fang vor (überhaupt nach E d 1 e r nur ln 22,8 Proc. der subkutanen
Lobcrrupturen). Besonders die von Stunde zu Stunde zu vergleichende
Beurtlieilung des Pulses, der Nachweis event. zunehmenden Blut¬
ergusses (Dämpfung in den abhängigen Partien des Abdomens),
allmähliches Verschwinden der vorher normalen Leberdümpfung
müssen für die Therapie maassgebend sein. Des Opiums soll man
sich stets enthalten, auch mit Excitantien sehr zurückhaltend sein,
allein frühzeitige Operation kann die Prognose bessern, Schock
darf davon nicht abhalten. Die Naht lässt sich an der Leber Er¬
wachsener nicht nur gut ausführen, sondern gewöhnlich kommt
auch dadurch die Blutuug sicher zum Stillstand, doch soll man sich
stumpfer Nadeln bedienen und die ganze Wundtiefe bei der Naht
durchstechen ov. die Nahtlinie mit dem Tampon bedecken. Zur
Blosslegung führt man am besten den gewöhnlichen Laparotomie¬
schnitt in der Linea alba und dazu winkligen entlang des r. Rippen¬
bogensbogens. wenn nöthig müssen Rippen reseclrt ev. das Llg.
suspens. hepatis getrennt werden, um zu dem Riss gelangen zu
könueu. Wo die Leberzerreissuug mit sehr gequetschten Wund¬
rändern und Zertrümmerung8lierden einliergeht, somit die Gefahr
bestellt, dass einzelne Stellen zur Nekrose kommen, Ist die Tam¬
ponade am Platz mit herausgeleitotem Tamponendc. Nach Ver¬
sorgung der Leberruptur wird der subphrenische Raum und die
Bauchhöhle mit feuchten sterlleu Kompressen ausgcwlscht oder
mit steriler Kochsalzlösung ausgespült.
Für die Bauchhaut benützt Fr. den Alumlniuinbronzedraht.
Fr. bespricht noch die Therapie ev. Mitverletzungen der Vena
portae und Vena cava (Venennaht) und Verletzung der Gallenblase
(Cystektomle), partielle oder totale Zerrelssung des Duct chole-
dochus. In dem einem der näher mltgetheilten, nach 11 Stunden
operirten, günstig verlaufenen Fälle wurde bald nach der Operation
noch eine subkutane Injektion von 2 proc. Gelatinekochsalzlösung
ausgeführt.
Aus der Tübinger Klinik schildert Prof. F. Hof¬
meister eine neue Repositionsmethode der Schulterluxation,
die den Vortheil grosser Einfachheit und Sicherheit hat und sich
desshalb ganz besonders für den praktischen Arzt eignet, da sie
Narkose und Assistenz nicht benöthigt, rohe Gewalt vermeidet,
das Neue dabei ist die bewusste Anwendung des konstanten Zuges
zum Zweck allmählicher Entspannung der Muskeln. Der Pat. wird
möglichst bequem auf die gesunde Seite gelagert, am luxirten Arm
eine starke Leinwandzugschlinge angelegt, welche bis zum Del-
toideus hinaufreicht und mit einer nassen Mullbinde so fest als
möglich nngewiokelt wird. Mittels Drahthnken und Zugschnur,
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310«
XirKNCllENKTt MEDIZINISCHE WOCT1 ENSC’ 1TItlFT.
No. 27.
*Iio über oim* in genügender Hülm angebrachte Kollo geleitet wird,
bringt man die Zugschlinge mit den extendirenden Gewichten (zu¬
nächst 5 kg, dann in 1—5 Min. Je 5 kg steigend bis 20 kg) an. bis die
Ileposition spontan erfolgt, oder wenn der Kopf in's Pfannen¬
niveau getreten, fasst man mit der einen Hand den luxirten Arm
möglichst hoch oben und zieht den Kopf gegen das Acromion heran,
mit der andern extendlrt man am Handgelenk und nachdem ein
Gehilfe die Extension abgenommen, adduclrt man langsam den
Arm. Letzteres Verfahren ist auch bei Einschnappen des Kopfes
wiihrend des Hilngens angezeigt, da bei unvorsichtigem Herab¬
holen des Arms leicht Iteluxntion eintritt. Unter 7 Füllen hatte
H. keinen Misserfolg, während er bei der S 11 m s o n'schen Me¬
thode 2 mal zu anderen Methoden übergehen musste.
Aus der gleichen Klinik bespricht Professor H. K ti 11 n e r
stereoskopische Röntgenaufnahmen und weist auf die grossen
Vorzüge dieser Bilder, speciell bei Schussfrakturen etc., hin.
II. Küttner schildert ferner das Vereinslazareth des rothen
Kreuzes auf dem chinesischen Kriegsschauplatz zu Yangtsun,
das besonders mit den in der dortigen Gegend grossen Temperatur-
Schwankungen und den starken Stürmen zu rechnen hatte und bei
dem desshalb die 12 1) ö e k e r'schen Baracken mit einer hölzernen
Winterbekleidung versehen werden mussten. I\. schildert den Bau.
die Einrichtung und Ausstattung des Spitals, den Dienst daselbsi
und illustrirt seine Schilderung mit entsprechenden Momentauf¬
nahmen.
Ebenfalls aus der Tübinger Klinik berichtet schliesslich
Burck über die Luxat. carpo metacarpea, eine sehr seltene
Luxation, von der immerhin 24 Beobachtungen vorliegen. Im An¬
schluss an einen typischen Fall. Bezüglich des Entstehungsmecha-
nismus wird die Luxation nur durch sehr bedeutende Gewaltein-
wirkungen erzeugt und ist bisher ausschliesslich bei Männern be¬
obachtet; sie kann direct und Indirect entstehen. Die dorsalen
Luxationen sind häufiger als die volaren, letztere sind meist unvoll¬
ständig, häufiger sind Luxationen mehrerer Metacarpi. als die
einzelner oder des ganzen Metacarpus. Bezüglich der Symptome
ist knöcherne Prominenz auf Handrücken oder in der Vola, Ver¬
kürzung der Hand oder der betreffenden Finger besonders zu be¬
tonen, die Reposition muss möglichst frühzeitig vorgenommen
werden. Sch r.
Centralblatt für Chirurgie. No. 24.
H u s c h e n b e 1 1 - Eschwege: lieber eine verbesserte Me¬
thode von Gehverbänden bei Ober- und TJntarschenkelbrüchen.
H. betont, dass bei Anlegung dieser Wunde von vornherein
das Kniegelenk beweglich sein soll, bei nicht zu starker Schwellung
legt er den Gipsverband direct auf. Tricot und die Kniebeuge wird
entsprechend gepolstert, oben erhält man dadurch einen sauberen
Abschluss, dass der Tricotschlauch über einen eingelegten Watte¬
ring umgelegt wird. Bei Oberschenkelhrlichen hält II. die Nar¬
kose für nothwendlg, bei Unterschenkelbriichen nicht. Auf den
Gipsverband werden die Chamierschieneu (aus 2 mm starkem,
1'/,—2 cm breitem Bandeisen) angepasst, in die seitlich nur Ein¬
halte gemacht sind, damit die Wasserglasbiuden fester haften
(Länge der Schiene und Breite des Tretstückcs richten sich natür¬
lich nach dem einzelnen Fall). Die Kniekehle wird durch ent¬
sprechende Ausschnitte freigemacht, ebenso vorn vom Gipsverband
über dem Knie weggenommen so viel als nöthig, sodann die
Schienen durch Wasserglasbinden iixirt. II. erreicht die denkbar
günstigsten Resultate, lässt seine Patienten vom 2. Tag an aer¬
stellen und mit Stock gehen.
F. Kuhn: Tüll bei der Transplantation.
K. empfiehlt, da die gelochten Guttaperchaschichten etc. grosse
Xachtlieile bei Bedeckung T h I e r s c li’scher Lappen haben, ein
Netz aus wasserdicht imprägnirten Fäden (d. li. einen mit Celluloid-
lösung imprägnirten Tüll) zur Bedeckung der Läppchen, derselbe
komprimirt die I.äi pchen gut an und nimmt man die Schichte mehr¬
fach. so hat in diese poröse Zwischenschicht jetles Sekret vorerst
Abfluss. Die Läppchen können ungestört unter einem Verband
festheilen. Sehr.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 45 . Band
2. Heft. Stuttgart, F. Enke. 11)01.
1) Y. Ikeda-Japan: Beiträge zur operativen Gynäkologie
und Geburtshilfe.
Die I.’sche Arbeit ist ein Bericht über seine operativen Er¬
fahrungen aus den Jahren 1885—1900. Er umfasst 325 Koello-
tomien, die sieli auf 207 Ovariotomien, 7 Kastrationen. 3 Salpingo-
tomien. 20 Myomotomlen, 10 vaginale Uterusexstirpationeu. 10 ek¬
topische Graviditäten und 2 Kaiserschnitte vertheilen. Die Arbeit
bringt für deutsche Leser nichts Neues’ und bezweckt nach I.’s
Angabe nur, eineu wissenschaftlichen Verkehr mit der aus¬
ländischen und besonders der deutschen Gynäkologie anzubahnen.
Wir verzichten daher, auf Einzelheiten einzugehen und wollen nur
das eine interessante Faktum herausheben, dass Bauchhernien nach
Laparotomien in Japan fast niemals beobachtet werden. Den
Grund hierfür sieht I. in der japanischen Sitte, dass die Kinder
schon vom 3. Jahre au einen laugen und breiten Gürtel um den
Leib tragen, der im Rücken in der Lumbalgegend zu einer Schleife
geknüpft wird. Dieser Gürtel, der auch nach der Operation be¬
ständig getragen wird, scheint in Bezug auf Bauchhernien eine
prophylaktische Wirkung zu äussem.
2) Otto S e y d e 1 - Berlin: Ein Enchondrom des Uterus.
S. ln'sehreibt einen durch Exstirpation gewonnenen Tumor des
Uterus (l’olyp), der histologisch hauptsächlich aus Knorpclgewcbo,
ferner aus glatten Muskclzellen bestand. Die Entstehung des
Knorpels könnte als aus den histologischen Bestandteilen der
Uteruswand hervorgegangen aufgefasst werden, da eine Ent¬
stehung des Knorpels aus Bindegewebe durch Metaplasie
tVirchow) zuzugeben ist. Doch bevorzugt. S. die von W Ilms
für die Miscbgeschwülste des Utenis aufgestellte Ansicht, wonach
solche Tumoren auf der Basis eines versprengten Tlielles indiffe¬
renten Gewebes, welches von den Ursegmenten ableitbar ist, ent¬
standen sind. Die nähere Begründung dieser Auffassung muss
im Original naehgeselien werden.
3) Konrad H e u s e - Königsberg: Adhaerenz der Placenta.
Die Ansichten über die Ursachen der adhaerenten Placenta
gehen noch auseinander. H. citirt die Anschauungen von Lang¬
haus. Leopold und Neumann. Untersuchungen an 0 ad-
hnerenten Placenten fielen negativ aus. ln einem letal verlaufenen
Fall ergab die Untersuchung des Utenis mit noch festhaftender
l’laeenta, dass die Docidua serotina an verschiedenen Stellen voll¬
ständig fehlte. Sie legte sieh also nicht als kontinuirliehe Gewebs-
scliIclit zwischen Utentsmusculatur und Zotten, sondern wies
Lücken auf, in denen die Zotten in unmittelbare Verbindung mit
der Musculatur traten. Hierin erblickt H. die Ursache der ad-
luierenten Placenta. Die Anomalie führt er auf mangelhafte Ent¬
wicklung der Utenismucosn und der sich aus ihr bildenden Deci-
dua zurück, ln zweiter Linie handelt es sich um eine Atrophie der
Docidua. Die bekannte Tliatsache, dass sich manuelle I'lacenta-
lösungen bei ein und derselben Person häufen, spricht auch dafür,
dass bei adhaerenten Placenten bestimmte anatomische Ursachen
vorliegen müssen.
4) Fr. II e i n s i u s - Breslau: Carcinombildung im Becken¬
bindegewebe.
Primäre C'areinome innerhalb des Llg. latuin sind bisher nur
in einem Falle von v. Herff beschrieben worden, ll.’s Fall be¬
traf eine 30 jährige Frau, die nach Exstirpation der rechten ent¬
zündlich vorgrösserten Adnexe einen carciuomatösen Tumor im
linken Lg. lntuni bekam, was mikroskopisch festgestellt wurde.
Zur Operation war cs zu spät.; Pat. ging bald darauf kachektiscli
zu Grunde.
Obgleich keine Sektion gemacht werden konnte, glaubte H.
doch den Tumor als primär, nicht als Metastase nuffassen zu
dürfen. Seine Entstehung verlegt er, wie v. Herff in seinem
Falle, in die G a rtne r'schen Gänge.
5) Fritz B e r n d t - Stralsund: Zur Kasuistik der Geburtä-
störungen nach Vaginoflxation.
Eine 29 jährige Frau war wegen Tube »Schwangerschaft zwei
Jahre vorher koeliotomirt und der Uterus vaginifixirt worden. Am
Ende der jetzigen Schwangerschaft staml nach 2 tägigem Kreissen
die Portio ganz vorn oben hinter der Symphyse, dahinter das tief
in die Vagina gedrängte, stark verdünnte hintere Uterinsegineut.
Pat. wurde durch Sectio caesarea entbunden; Mutter und Kind
Iilieben am Leben. B. nimmt an, dass eine besonders feste Narbe
sich zwischen vorderer Wand des Collum und den unteren Partien
des Corpus gebildet und der Uterus die Portio an dieser Narbe mit
nach oben gezogen hatte.
C) E. W e r t h e i m - Wien: Beitrag zur Klinik der über¬
zähligen Ureteren beim Weibe.
Eine IS jährige Virgo konsultirte W. wegen Urinnässen, das
von Geburt an bestehen sollte. W. fand neben dem äusseren Ori-
fleium mvthrae einen feinen Spalt, aus dem rhythmisch Ham
hervortropfte. Da die eystoskopisehe Untersuchung an normaler
Stelle 2 Uretermündungeu zeigte, so konnte es sieh nur um einen
verirrten überzähligen Ureter handeln. In der Vagina bestand
eine spindelförmige Erweiterung dos Ureters, die W. zuerst, aber
vergeblich, in die Blase zu implantiren versuchte. Es erfolgte erst
Heilung, als er den Ureter hoch hinauf loslöste mul nach Ampu¬
tation der Ampulle in die Blase hineinsteckte, wo er mit 3 Nähten
Iixirt wurde. W. empfiehlt dies Verfahren für alle Fälle von
offener Ausmündung eines verirrten Ureters als das sicherste.
7) J o r d a n - Heidelberg: Die chirurgische Behandlung der
U teruscarcinome.
Vortrag, gehalten auf dem XXX. Kongress der Deutsch. Ges.
f. Chirurgie in Berlin. April 1901. — Kef. in d. Woclienschr. No. 18,
pag. 725.
8) Max Henkel- Berlin: Ueber die im Gefolge der vaginalen
Totalexstirpation des carcinoma tosen Uterus entstehenden
Blasen- und Ureterverletzungen.
Zweck der Arbeit ist, an einem grossen Material festzustellen,
wie häutig Urinfisteln nacli der vaginalen Totalexstirpation des
eareinomatösen Utenis auftreten. Im Ganzen wurden an der
Berliner Frauenklinik binnen 8>/ B Jahren 001 vaginale Totalexstir-
pationon und 37 Conamina ausgeführt. Hierbei wurden verletzt:
Blase li) mnl, ein Ureter 10 mal, Blase und Ureter 3 mal, beide
Ureteren 1 mal.
Im Allgemeinen fand H., dass mit der Erweiterung der Iiull-
cationen zur Operation auch die Häufigkeit der Blasen- und TJreter-
verletzungen zuniramt, und zwar in erster Linie die Blasenver¬
letzungen. Am meisten Verletzungen wurden bei der operativen
Behandlung von Cervixcareinomen beobachtet. In der Berliner
Klinik wird ausschliesslich die Ligaturmethode angewendet. Bei
der anderen Orts üblichen Kiammerbeliandlung scheinen nach den
Litcrnturangnhcn die Ureteren mehr gefährdet zu sein, was auch
zu Gunsten der Ligatnrmethode spricht.
J a f f 6 - Hamburg.
Digitized by Cjoooie
2. Juli 1901.
MÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1107
Centralblatt für Gynäkologie. 1‘Jul. Mo. zb.
1) Herrn. G r u b e - Greifswald: Strychnin als Peristaltik
anregendes Mittel nach gynäkologischen Operationen in der
Bauchhöhle.
Zur Verhütung des postoperativen Ileus nach Laparotomien
gab G. auf Martln’s Vorschlag Strychnin, und zwar in 32 Fällen
als Pillen per os, in 35 Fällen subkutan. In der 1. Serie erhielt
Pat. die erste Pille 24 Stunden post operat., die zweite Pille
3 Stunden später. Jede Pille enthielt 0,0025 Strychnin, also im
Ganzen 0,005 g in 3 Stunden, liier traten in 25 Proc. der Falle
Flatus auf Strychnin ein. In der 2. Serie bekam Pat. zuerst 0,003 g
24 Stunden post operat.; trat keine Wirkung ein. nach 3 Stunden
dieselbe Dosis, eventuell nach 3 Stunden nochmals 0,004, also bis
zu 0.01 Innerhalb 0 Stunden. Hier erfolgten Flatus in 80 Proc.
bei Laparotomien, in 75 Proc. bei Kolpotomien. G. empfiehlt
weitere Versuche über die Wirkung subkutaner Strychnlninjek-
tionen auf die Darmperistaltik.
2) Jos. All). A m a n n - München: Ein neuer Weg zur Exstir¬
pation des carcinomatösen Uterus. (Vortrag, gehalten auf dem
diesjährigen Gynükologencongress in Giessen. Cfr. das Referat in
diesem Bl., No. 23, p. 944.) J a f f 6 - Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 53. Bd. Heft 5 u. 0.
20) S 1 a w y k: Bacteriologische Befunde bei infektiös er¬
krankten Kindern. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.)
Im Kindesalter finden sich bei verschiedenen infektiösen Er¬
krankungen häufig Bacterien im Blut, namentlich Streptococcen.
Als Eingangspforte kommen hauptsächlich Mundhöhle, Lunge und
Darm in Betracht. Das Einbrechen von Bacterien in die Blut¬
bahn verräth sich in der Regel nicht Im klinischen Krankheits¬
bilde; die Bildung multipler Eiterherde spricht für septische In¬
fektion. Der Streptococcus steht mit Scharlach nicht in ursäch¬
lichem Zusammenhang.
. 21) und Fortsetzung 26) S t o e 11 z n e r: Histologische Unter¬
suchung der Knochen von 9 mit Nebennierensubstanz be¬
handelten rachitischen Kindern. (Aus der Universitäts-Kinder¬
klinik in Berlin.)
Nur von rein specialistischem Interesse.
Verf. glaubt auf Grund seiner Färbemethode eine Einleitung
der Verknöcherung als Folge der specilischen Wirkung des „Rhachi-
tols“ auuehraen zu müssen.
22) Würtz: Zur Kasuistik der Empyeme im Kindesalter.
(Aus der Universitäts-Kinderklinik in Strassburg.)
18 Fälle von Empyem, mit Rippenresektion behandelt, von
denen 8 zur Heilung gelangten.
23) G e 1 s s 1 e r und ,T a p h a: Beitrag zu den Anaemien
junger Kinder. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.)
Das Auftreten kernhaltiger Erythrocythen ist ein patho¬
logischer Vorgang. Die Zahl der Leukocyteu ist für die Diagnose
einer Blutkrankheit weniger von Bedeutung als die Art der ver¬
mehrten IiCukocyton. Milztumoren sind bei der Auaemle im
Kindesalter häufig, kommen aber auch ohne Anaemie vor. Be¬
sonders bei Rachitis kommt ein Wechsel von der leichtesten bis
schwersten Anaemie und vom kleinsten bis grössten Milztumor
häufig vor. Die schwersten Anaemien zeigen stets Milzschwellung.
Die Pseudoleukaemia infantum als eigentliches Krankheitsbild
Ist noch unbewiesen.
24) G. R e y - Aachen: Ueber eine bisher nicht berücksichtigte
Condraindication der Phimosenoperation, die Cystitis des eraten
Lebensjahres.
Referirt in No. 42, 1900 dieser Wochenschrift.
25 Lorau<1- L<>e\vy : Das Koplik’sche Frühsymptom der
Masern. (Aus dem Ofen-Pester Stephanie-Kindcrspital.)
L. erklärt im Einklang mit lt o 11 y die K o p 1 i k’schen Flecken
für ein untrügliches Symptom der Masern. (Bei echten Rubeolen,
später gefolgt von Masern, hat Ref. dieselben in gleicher Intensität
beobachtet wie M o 11 a - C o c o, W 1 d o w 11 z u. A.)
S 1 e g e r t - Strassburg.
Archiv für Hygiene. 40. Bd. 2. Heft. JU01.
1) Zaubitzer - Marburg: Studien über eine dem Stroh-
infus entnommene Amoebe.
Es gelang, eine aus Strohinfus erhaltene Amoebe in Ver¬
einigung mit einem kleinen, beweglichen, sporenlosen Bacterium
ln ihrer Entwicklung und Theilung zu beobachten, aber es ge¬
lang nicht, dieselbe ganz rein zu züchten, so dass es deu Anschein
hat, als sei diese Symbiose zum Gedeihen der Amoebe nothwendig.
Wnchsthum konnte bereits auf Peptonwasser und sterilem
Strohinfus beobachtet werden, dagegen nicht auf Fleisch-
extrakt, Milch und Nutrosewasser. Auf Heyden-
N älirstofflös u ng und Soinatoselüsuug gediehen die
Amoeben vortrefflich. Die günstigste Temperatur scheint zwischen
10—3-1* zu liegen, bei 50° gehen die Protozoen zu Grunde.
Die Scheidung von deu Bacterien gelang bisher weder durch
Hitze. Sonnenbestrahlung, Austrocknung, chemische Mittel, noch
durch Behandlung mit Serum. Interessant ist dagegen die Beob¬
achtung, dass eine Agglutination bei den Amoeben zu Stande kam
und zwar, wie Verf. annimmt, mit Hilfe derj. nigen Substanzen,
welche aus den symbiotischen Bacterien auf dem Wege der Ver¬
dauung In das Plasma der Amoeben übergetreten sind.
Pathogenität war weder bei intraperitonealer noch
subkutaner Injektion, noch bei Einführung per os zu
kongtntiren.
2) L. L n u g e - Posen: Beitrag zur Frage der Fleischkonser-
virung mittels Borsäure-, Borax- und schwefligsauren Natron¬
zusätzen. Mit einem Anhang, Mllchkonservirung
betreffend.
Es sollte untersucht werden, in wie weit Borax, Bor¬
säure und schweflig saures Natron einen Schutz gegen
Fäulniss bilden würde und welche Konzentration dazu nötliig sei.
Als Untersuchungsmaterial diente zunächst Blut, dann ge¬
hacktes Fleisch.
Aus den Resultaten geht hervor, dass Borsäure ln Kon¬
zentrationen bis zu 1 Proc. eine Sterilisiruug des Blutes nicht
ermöglichen kann, es scheint sogar hei \\ und % Proc. für manche
Bacterionarten ein Wachstliumsreiz ausgelöst zu werden. Während
nach 4 wöchentlichem Stehen die Proben mit %— y 2 Proc. stark
zersetzt rochen, trat bei deu mit 1, 2 und 4 Proc. versetzten Proben
keine Geruchsentwickelung auf.
Für Borax gelten fast dieselben Verhältnisse, nur scheint
um 2—4 Proc. die Borsäure den Borax an Fäuluisswidrigkeit zu
übertreffen.
Stinkende Gase sind über 1 Proc. hinaus nicht mehr zu spüren.
Das schwefligsaure Natron zeigt die geringste Des-
infektionskraft für das Blut, da nach 3 Tagen bereits ein aashaft
stinkender Geruch bei jeder Konzentration von 1—4 Proc. auftritt.
Wurde gehacktes Fleisch mit Borsäure (*/*—4 Proc.)
versetzt, so zeigte sich schon nach 24 Stunden eine derartige grau¬
braune Verfärbung der Oberfläche, dass es als Verkaufsstück nicht
mehr zu verwenden war.
Auch die Bacterien werden erst bei 3—4 Proc. zurückgehalten,
liefe und Schimmelpilze gedeihen dagegen noch.
Für Borax gilt wieder fast dasselbe wie für Borsäure,
nur ist hier die Veränderung des Fleisches noch intensiver, weil
der Borax durch die Auflösung des Myosins das Fleisch stark
klebrig macht.
Im Gegensatz zu Borax und Borsäure weist Natrium-
sulfit insofern einen Unterschied auf, als das Fleisch in der
Tliat zwei Tage lang seine rothe Farbe behält, dann aber viel
schneller dureh Bacterien zersetzt wird, als mit Borax und Bor¬
säure kouservirtes.
Bei der Einwirkung dieser Salze auf M i 1 e li lässt sich koti-
statiren, dass die Spontangerinnung von 2 proc. Borsäure
ab sistirt, die Labgerinnung von 4 proe. ab. Natrium sulfit
dagegen scheint weder auf die eine noch auf die andere Gerinnung
von wesentlichem Einfluss zu sein. R. O. Neuman n-Kiel.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1901 .
37. Bd. 2. Heft.
3) A. Wassermann- Berlin: Experimentelle Beiträge
zur Kenntniss der natürlichen und künstlichen Immunität.
Lässt sich im kurzen Referat nicht genügend wiedergeben.
2) M. B e c k und Lydia Rabinowitscli - Berlin: Ueber den
Werth und die Bedeutung der Arloing-Courmon t’schen
Serumreaction, besonders in Bezug auf die frühzeitige Erken¬
nung der Rindertuberkulose.
Die von A r 1 o i u g und Courmout gezüchtete Tuberkulose-
kultur, die von der bckannlen Wuchst lumiswoise durch ihre saftige
Oberflüchenkultur abweicht, -soll die Eigenschaft besitzen, durch
das Serum tuberkulöser Thiere und Menschen agglutinirt zu
werden. Anderseits soll auch das Blut und das seröse Exsudat
hei tuberkulöser Pleuritis agglutinlrende Eigenschaften zeigen,
und dadurch die Möglichkeit vorliegen, diese Reaction diagnostisch
in den ersten Stadien der Tuberkulose zu verwenden. Die Nach¬
prüfungen des Verfassers ergaben aber, dass dies nicht möglich ist.
da die Resultate zu uugleichmässig sind und keinen einheitlichen
Charakter zeigen, indem sie einmnl bei notorisch Gesunden auf-
treten, andererseits aber wieder bei Fällen von beginnender Tuber¬
kulose Im Stich lassen.
3) J. K 1 s t e r - Hamburg: Ueber Gesundheitsschädiichkeit
der Borsäure als Konservirungsmittel für Nahrungsmittel.
Auf Grund seiner Versuche, die Kister an Hühnern,
Hunden, Kaninchen, M e e r schweinc li e n. Katzen
und an sich selbst ausgeführt hat. kommt er zu dem Schluss, dass
der Borsäure eine gesundheitsschädigende
Eigenschaft zuzusprechen sei. und demnach jeglicher Zusatz
zu Nahrungsmitteln als Conserviruugsmittel zu verbieten «ei.
(Dass es aber auch Personen gibt, die Borsäurepräparate ohne
Schaden ertragen können — wie Kister auch glaubt — geht
aus deu Versuchen des Referenten hervor, der längere Zeit
3 resp. 5 g Borax genoss, ohne das« eine ungünstige Einwir¬
kung auf den Eiweisszerfall und eine Störung des Allgemein¬
befindens constatirt werden konnte.)
4) A. K r a n s z - Ofen-Pest: Ueber die Infektionsfähigkeit
und Desinfektion von gebrauchten Büchern.
Es wurde, wie schon öfter, naehgewiesen, dass Bücher aus
dem S c h u 1 g e b r a u e li und besonders Leihbibliotheks¬
bücher von Bacterien dicht getränkt sind. Den Nachweis führte
Verfasser, indem er Streifen aus dem betreffenden Buche Meer¬
schweinchen in die Bauchhöhle brachte, welche stets an Peri¬
tonitis eingingen. Er empfiehlt Desinfektion der Bücher mit
strömendem Wasserdampf und F ormocblorol, wo¬
bei er in 30 Mluuten vollständige Abtödtung erzielte. Die Forde¬
rung, dass jeder Bücherverleiher seine Bücher vor der Jedes¬
maligen neuen Abgabe dosinflclren muss, dürfte wohl eiu frommer
Wunsch bleiben.
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1108
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
5) G. Dreyer und Th. Madsen- Kopenhagen: Ueher Im-
munisirung mit den Toxonen des Diphtheriegiftes.
Als Toxone werden Mischungen bezeichnet, welche Gift
und Antikörper In nicht ganz neutralislrter Menge enthalten.
Sie tödten nicht akut, sondern rufen nur nach einer mehrwöchent-
liclieu Incubationszelt typische Paresen hervor. Von den To¬
xinen unterscheiden sie sich durch die geringere Affinität zum
Antikörper.
Mit diesen Toxonen gelang es, mittels systematischer Injek¬
tionen, bei verschiedenen Thiergattungen Unempfindlichkeit gegen¬
über den schädlichen Wirkungen sowohl von T o x o n als von
Toxin hervorzubringeu.
Bel einer Ziege und einem Pferd gelang es auch, Anti¬
toxin zu erzeugen.
6) Georges D r e y e r - Kopenhagen: Ueber die Grenzen der
Wirkung des Diphtherieheilserums gegenüber den Toxonen
des Diphtheriegiftes. :
Während das Diphtherletoxiu fast unmittelbar nach
der Einverleibung gebunden wird und nur ganz kurze Zelt darauf
noch unschädlich gemacht werden kann, kann das T o x o n vom
Antitoxin noch 24 Stunden nach der Injektion paralysirt werden.
Es verschwindet eben langsamer aus dem Blut wie das Toxin.
7) B. Orzechowski - Lodz: Einfaches Mittel zur Bestim¬
mung des Salzgehaltes in der Butter.
Das Princip beruht darauf, dass man das Butterfett in einer
Alkohol-Aethermischung löst, die Lösung in einen
kleinen graduirten Cyliuder giesst, ln dessen ausgezogener Spitze
das Salz sich alsdann absetzt und in Procenten abgelesen werden
kann.
8) A. T u m p o w s k 1 - Lodz: Von der bacteriologischen
Untersuchung des Fleisches in den Läden und Fleischbänken
von Lodz.
Bei der Untersuchung 8 verschiedener Fleiscliprobeu aus ver¬
schiedenen Läden wurden 4 mal Krankheitserreger angetroffen,
darunter öfters Proteus und auch Pneumonie in der Luft
dos einen Schlachtladens. Tumpowski's Mittheilungen werfen
ein recht dunkles Licht auf die hygienischen Verhältnisse ln den
Lodzer Läden, für die er dringend xVbhilfe wünscht
9) II. Co n r a d 1 und H. Vogt: Ein Beitrag zur Aetiologie
der W e i l’schen Krankheit.
Der Urin und die Faeces eines an W e 1 l’scher Krank¬
heit leidenden Mannes lieferte bei der bacteriologischen Unter¬
suchung einen Organismus, der mit dem „Bacillus proteus
fluorescens“ Jäger fast genau übereinstimmt. Freilich ist
damit, wie die Verfasser auch angeben, noch nicht klar gestellt,
ob die W e 1 l'scke Krankheit wirklich dadurch ausgelöst wird.
Jedenfalls glauben sie aber, dass iu diesem Falle die Krankheits¬
symptome mit diesem Organismus in Zusammenhang gebracht
werden können.
10) Max Beck-Berlin: Ueber die desinflzirenden Eigen¬
schaften des Feroxole.
Die P e r o x o 1 e sind Verbindungen von Wasserstoffsuperoxyd
mit sauren antiseptischen Lösungen, z. B. mit Kam-
p h e r , - N a p h t h o 1, Menthol oder Thymol, die dann
als Ivampheroxol, Naphtoxol, Meuthoxol oder
Thymoxol ln wässerigen Lösungen in den Handel kommen.
Die desinficlrende Kraft, die an Diphtherie, Pyo-
cyaneus, Staphylococcen und Milzbrand geprüft
wurde, übertraf sowohl die Desinfektionswirkung des Menthols,
Naphthols, Thymols und des Kamphers, als auch die von Wasser¬
stoffsuperoxyd allein.
Eine Giftwirkung im Thierkörper konnte nicht cou-
statirt werden. Die Haltbarkeit ist bedeutend besser, als dies bei
II, O, allein der Fall war. Nach >/ z Jahr wurden an den Prä¬
paraten keine wesentlichen Veränderungen wahrgenommeu.
11) S c h il d e r - Berlin: Ueber das S c h u m b u r g’sche
Verfahren der Wasserreinigung mittels Brom.
Das Schumbur g’sche Verfahren, welches darin besteht,
dass pro Liter Wasser 0,00 freies Brom zugesetzt wird, und das¬
selbe später durch Natr. sulfuros und Natr. carb. sicc. entfernt
wird, versagt bei Cholera- und Typhusbacterlen so
gut wie ganz und damit wahrscheinlich auch bei den übrigen
im Wasser ln Betracht kommenden Krankheitserregern. S c h ü d e r
zeigt, auch durch Versuche, dass es auch bei Anwendung doppelter
Filter aus Filtrirpapier in der Mehrzahl der Fälle ungeeignet ist.
12) H. Schumacher- Halle: Beitrag zur Frage des Ueber-
ganges der im Serum gesunder und typhuskranker Wöch¬
nerinnen enthaltenen Agglutinine auf den kindlichen Or¬
ganismus.
Sobald das mütterliche Blut im Verlauf eines Typhus aggluti-
nirende Kraft erworben hat, so wird diese Wirkung ln einigen
Fällen auch dem Foetus auf dem Blutwege mitgetheilt, nicht aber
immer. Besonders aber dann nicht, wenn die Erkrankung
der Mutter vor dem Eintritt der Gravidität beendigt war.
Auch wenn die Erkrankung ln die erste Hälfte der
Schwangerschaft fällt, scheint das kindliche Blut wir¬
kungslos zu sein. Stets ist agglutinlrende Kraft im kindlichen
Blut vorhanden, wenn die Mutter in den letzten Schwangerschafts¬
monaten den Typhus überstanden hat. Die speciflsehen Stoffe
werden aber alsbald wieder aus dem kindlichen Organismus heraus¬
befördert, so dass die agglutinlrende Kraft nur von kurzem Be¬
stände ist R. O. Neumann - Kiel.
Centralblatt für Bacteriologie, Paraaitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. 190.. Bd. 19. No. 2i.
1) Arthur Meyer- Marburg: Notitz über das Verhalten der
Sporen und Fetttropfen der Bacterien gegen Eau de Javelle
und gegen Chloralhydratlösung.
Die Fetttröpfcheu, die in den Bacillen sehr oft enthalten sind,
lassen sich durch Chloralhydrat dadurch leicht kenntlich
machen, dass sie sich darin leicht lösen, dagegen von Eau d«
Javelle nur sehr wenig angegriffen werden, während die Zell¬
membran verloren geht.
2) Mark!- Wien: Zur Agglutination des Pestbacillus.
Mit verschiedenen, an Pferden erhaltenen Pestserum¬
proben, welche noch in ziemlich hohen Dosen agglutinirten,
Hess sich die Identität von weitergezüchteten Pestkulturen nach-
weisen. Es gelang auch auf diese Weise eine Verunreinigung eines
sicheren Peststammes zu ermitteln.
ö) CI. Feriul und Itaffaele Provaccinl - Sassari: Prophy¬
laktische Untersuchungen gegen Malaria an der Nordküste von
Sardinien.
Im Norden Sardiniens, au der Küste Palan, wurden von den
Verfassern, ähnlich wie es Celli und Grass! bereits ln Plana
di Capaccio und in Latium gethau hatten. Versuche mit Netzen
und Masken gegen den Stich der Anopheles angestellt. Es diente
dazu ein Raum einer Kaserne, in denen Soldaten schliefen, ausser¬
dem wurden Versuche bei Landausflügen und in der Nacht lm
Freien gemacht.
Bei den 4 Versuchen, bei denen 194 Personen betheiligt waren,
trat kein einziger Fall von unbestrittener Malaria auf.
4) N. S o 1 o w j e w - Tomsk: Das Balantidium coli als Erreger
chronischer Durchfälle. (Schluss folgt.)
5) Canon- Berlin: Bemerkungen zu der Mittheilung von
Dr. Hugo Marx: Ueber Sporenbildung und Sporenfärbung.
Unwesentliche Aeuderung der Sporenfärbungsmethode, die
aber längst anderen Orts auch ausgeführt wird.
R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische WochenBchrift. iboi. No. 25.
1) E. S t a d e 1 m a n,n - Berlin: Ueber Entfettungskuren.
Cfr. Referat pag. 947 der Münch, med. Wochenschr. 1901.
2) E. R o 8 e n q v 1 s t - Helslngfors: Ueber den Eiweisszerfall
bei der pemieiösen, speciell der durch den Bothriocephalus latus
hervorgerufenen Anaemie.
Die Stoffwechseluntersuchungeu an 18 Fällen von Bothrio-
cephalusanaemie und 3 Fällen von peruieiöser Anaemie ohne be¬
kannte Aetiologie ergaben, dass vor Abtreibung des Wurmes ein
erhöhter Eiweisszerfall vorhanden ist, während nach Abtreibung
des Wurmes eiweisssammelnde Kräfte im Körper wirksam werden.
Der Eiweisszerfall muss als ein toxogouer bezeichnet werden, be¬
dingt durch ein vom Wurm erzeugtes Gift. Aus dem Stillstände
ln dem anaemischen Processe kann nicht ohne Weiteres der Schluss
gezogen werden, dass das Gift aus dem Körper eutfernt ist. Es
können aber im Verlaufe der Krankheit trotz Anwesenheit des
Wurms auch Perioden von deutlicher Stickstoffretention Vor¬
kommen. Die gewöhnliche pernieiöse Anaemie zeigt hinsichtlich
des Eiweisszerfalls ganz analoge Verhältnisse und es ist die Auf¬
fassung berechtigt, dass auch die kryptogenetische pernieiöse
Anaemie als Glftanaemle zu deuten ist.
3) A 1 b u - Berlin: Zur Bewerthung der vegetarischen Diät.
Cfr. Referat pag. 375 der Münch, med. Wochenschr. 1901.
4) K a r e w s k 1 - Berlin: Zur Semiotik und Therapie der
Appendicitis.
Cfr. Referat pag. 1442 der Münch, med. Wochenschr. 1899.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 25.
1) Goetsch - Haweutzitz O. S.: Ueber die Behandlung der
Lungentuberkulose mit Tuberkulin.
In dieser Arbeit legt G. die Resultate seiner 10 jährigen Er¬
fahrungen über die Behandlung Tuberkulöser mit dem Koch-
sehen Tuberkulin dar und zeigt damit, welch’ günstige Erfolge
man bei richtiger Auswahl der Fälle und systematischer Behand¬
lung derselben erzielen kann. Sein Material umfasst 224 Tuber¬
kulöse, von denen 12 nach kurzer Zeit aus der Behandlung aus¬
geschieden sind, 37 noch ln Behandlung stehen; von den 175 ent¬
lassenen Kranken sind 125 geheilt (71 Proc.), die übrigen 50 haben
die Kur vorzeitig unterbrochen und sind also nur als gebessert
zu betrachten. Die Hauptgrundsätze, welche G. für die Tuber-
kulinbehaudlung aufstellt, stnd folgende: 1. fiebernde Tuberkulöse
dürfen nicht lnjicirt werden, 2. eine Steigerung der Dosis soll nicht
eher erfolgen, als bis die letzte Dosis ohne Reaetion verlaufen Ist,
3. am Tag der Einspritzung, sowie dem darauffolgenden Tag Ist
Bettruhe einzuhalten. Bezüglich der Details der Behandlungs¬
welse muss auf die Originalarbeit verwiesen werden, welche sehr
lesenswerth und auch mit einer Nachschrift von Prof. Koch ver¬
sehen Ist.
2) L. Lewin: Arzt, Apotheker und Kranker.
ln diesem „Ein Mahuwort“ bezeichneten Aufsatz gibt L.
historisch-kritische Bemerkungen zu dem gegenwärtig In Berlin
herrschenden Streit der Krankenkassen mit den Apothekern.
3) E. S t a d e 1 m a n n - Berlin: Klinische und therapeutische
Untersuchungen bei Phthisis pulmonum. I. Bacterielle Unter¬
suchungen bei Phthisikern. II. Die Diazoreaction im Urin von
Phthisikern. (Schluss folgt.)
4) Gustav B e 8 o 1 d - Falkenstein i. Th.: Ueber Behandlung
der Kehlkopftuberkulose.
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2. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1109
Bericht über die in der Heilanstalt Falkenstein gemachten
Erfahrungen, auf deren Details hier wegen Raummangel nicht,
näher eingegangen werden kann.
5) Aus der ärztlichen Praxis:
a) H e u 8 g e n - Gingen: Eine Schädeltrepanation.
b) A c h w 1 e d i a n 1 - Kaukasus: Ein Fall von Heilung des
Wasser krebs (Noma).
Kasuistische Mittheilungen. Bemerkenswetfh Ist, dass in dem
zweiten Falle das von Poljakoff empfohlene Fyoktnnin ln
1 proc. Lösung eine ebenso rasche als gründliche Heilwirkung
äusserte. F. Lacher- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg. No. 12.
Heinrich Staub: Die Behandlung der Lungentuberkulose
mit Zimmtsäure. (Aus der Zürlcherschen Heilstätte für Lungen¬
kranke in Wald.)
Die sehr klar und sachlich geschriebene Arbeit kommt zu dem
Schluss, „dass die Ziramtsäuretheraple, sofern wenigstens das ge¬
häufte Vorkommen von Haemoptysen (50 Proc., doch niemals er¬
heblich) doch nur ein Spiel des Zufalls sein sollte, vollkommen
indifferent ist, dass sie den Verlauf der Tuberkulose in keiner Weise
beeinflusst, und dass die Erfolge, die von uns erzielt worden sind,
nicht Ihr, sondern der gleichzeitig ln Anwendung gekommenen
hygienisch-diätetischen Behandlung gut geschrieben werden
müssen“. Es wurden 20 sorgfältig ausgewähite Fälle eingespritzt
(leider fehlen nähere Angaben über die Dosirung). Die Verände¬
rungen des objektiven Lungenbefundes, das Verhalten der Tuberkel¬
bacillen, des Allgemeinbefindens, Husten und Auswurf unter¬
scheiden sich ln keiner Weise von dem Durchschnitt der dortigen
Anstaltsresultate. Von 8 Patienten mit Fieber (4 mit hohem Fieber)
wurde 1 entflebert (hier werden nähere Angaben über die Zahl
der täglichen Messungen vermisst).
1 Fall mit Iris- und Kehlkopftuberkulose wurde durchaus nicht
beeinflusst. Endlich konnte bei sorgfältiger Nachprüfung keine
irgend wesentliche Vermehrung der Leukocyten durch die Ein¬
spritzung gefunden werden.
Theodor Zangger - Zürich: Beitrag zur Therapie des
Keuchhustens.
Verfasser schlägt eine Enquete über die Keuchhustentherapie
vor. Er ist von Bromoform abgekommen, verwendet Chinin, mur.
ln Lösung (Euchlnin ist nicht ganz ebenbürtig, Chinin, tann. nur
ein Nothbehelf), zusammen mit mehrmals täglich wiederholtem
%-Wickeln. So wurde das Stadium convulslvum in 2—4 Wochen
beendet O. Pischinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 25. 1) R. Moszkowicz-Wien: Heber subkutane In¬
jektionen von Unguentum parafBni.
Aus den Erfahrungen von Uber 30 Fällen hat Verfasser er¬
sehen. dass Injektionen von gereinigtem Parafflnöl als für den
Menschen ungiftig bezeichnet werden dürfen, da er niemals Irgend
welche Beschwerden nach denselben auftreten sah. Das injiclrte
Paraffin regt die Wucherung von Bindegewebszellen an, wird nicht
resorblrt sondern heilt bei steriler Injektion reactlonslos ein. Wie
Gerguny angegeben hat, wird cs am besten in eben nicht mehr
flüssiger Form zur Einspritzung verwendet, nachdem es durch
Kochen sterilisirt worden Ist. Die eingespritzte Masse wird gut
abgekapselt, wenn sie eine Zelt lang ruhig am Orte der Injektion
bleibt und keinen Muskelbewegungen aufgesetzt Ist. Die mlt-
getheilten Heil- resp. kosmetischen Erfolge sind sehr beachtens-
werth, z. B. Beseitigung von Incontinentia urlnae nach Verlust
des Sphinkter und der ganzen Urethra, Sprach Verbesserung nach
Verschluss einer .Gaumenspalte, Stenosenbildung bei fehlendem
oder ungenügendem Afterverschluss, Verschluss oder Verengerung
von Bruchpforten, Beseitigung von Scheldenprolapseu, vor Allem
Correctur der verschiedenen Deformitäten, wie solchen der Nase.
Hinsichtlich der letzteren sind dem Artikel sehr instructive Ab¬
bildungen l>eigegeben. Verfasser denkt auch an die Verwendung
der Injektionen bei ankylotischen Gelenken. Die Injektionen
werden unter S c b 1 e 1 c h’scher Anaesthesie vorgenommeu und
soll die Technik keine besonderen Schwierigkeiten darbieten.
2) H. F r 1 c k - Wien: Ueber objectiv nachweisbare Sensibill-
tätsstörung am Rumpfe bei Aneurysma aortae.
Bel dem 47 Jährigen Kranken, dessen Befund eingehend mlt-
gethellt wird, bestand eine Druckneuritis der Iutercostaluerveu
mit Anaesthesien und damit abwechselnden Hyperaesthesieu der
Haut, deren Bezirke einem fortgesetzten Wechsel unterworfen
waren. Auch wurde verspätete Schmerzempfindung an dem Pa¬
tienten als seltener Befund wahrgenommen. Verfasser hält es
für möglich, dass jäher Wechsel der sensiblen Ausfallssymptome
in Bezug auf Intensität, räumliche Ausdehnung und Betroffensein
der verschiedenen Empflndungsqualitäten etwas für das Aneu¬
rysma Charakteristisches sein könne. Von einer Anaesthesie
hysterischer Natur kann in dem geschilderten Falle keine Rede
sein.
3) H. Luka cs-Ofen-Pest: Ein Fall von Encephalopathia
Infantil!«.
In dem mltgetbellten Falle, einen 26jährigen Kranken be
treffend, bandelte es sich um 3 Symptomeucomplexe: Motilitäts¬
störungen (Hemiplegie mit Begleitsymptomen), ferner verminderte
„Geistesffthlgkeit“ und Epilepsie. Während Jede dieser 3 Sym-
ptomengrnppen als selbständige Krankheit Vorkommen kann, ist
das Vereinigtsein an einem Falle als typisch für die oben be-
zeichuete Erkrankungsform anzusehen. Die Ursache der letz¬
teren ist eine Laesion beliebiger Art, durch welche das in der Ent¬
wicklung befindliche Hirn geschädigt wird. Anatomisch handelt
es sich um Degenerationen und Hypoplasien und Aplasien im Cen-
traluervensystem. Grassmann - München.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 24. G. J u s 11 - Idstein: Geschichtliches über den scharfen
Löffel zur operativen Entfernung der adenoiden Neubildungen
im Nasenrachenraum.
Verf. weist darauf hin, dass er bereits 1870 einen scharfen
Löffel am Ring angegeben; einer Kritik der von Andern kou-
8truirten Instrumente fügte er dann die Beschreibung eines vou
Ihm ln letzter Zeit eingeführten scharfen Löffels mit Receptaculum
an. Nach seinen Erfahrungen ist das Operiren mit dem sterilen,
scharfen Löffel, der ohne irgend ein weiteres Hilfsmittel ein-
gefiihrt wird und die Beendigung der Operation in eine r kurzen
Sitzung ermöglicht, das rationellste Verfahren. Alle weiteren Ein¬
griffe am Operationsfeld zur Blutstillung u. dergl. unterbleiben,
dasselbe bleibt am besten sich selbst überlassen.
No. 23 u. 24 W. D e g r 6 - Wien-Darkau: Ueber Recidive und
Spätformen der Lues und deren Behandlung mit Jodsoolbädern.
Längeren Ausführungen über die Syphilis tarda, für deren
Vorkommen er eintritt,, wie über Heilbarkeit und Recidive der
Lues 8Chliesst Verf. 4 Krankengeschichten an, welche die gün¬
stigen Erfolge der Jodsoolbäder und Trinkkur von Darkau
illustriren. (Kinder von 7—14 Jahren mit Gelenk- und Knochen¬
schwellungen, recidivlrenderllaemoglobinurie, chronischer Rhinitis.)
Wiener klinische Rundschau.
No. 20, 22—24. A. Brabec - Trag: Ueber nosocomiale Gan-
graen.
Der Hospitnlbrand ist nicht, wie man annehmen möchte, ganz
verschwunden, er kommt zeitweilig und zwar fast nur in der
Privatpraxis immer noch zur Beobachtung. Auf der
M a y d l’schen Klinik kam im Jahre 1900 eine 13jälirige Patientin
zur Aufnahme mit einem total vernachlässigten, grossen, den
Fussrücken tind das untere Drittel des Unterschenkels einnehmen¬
den, tiefgreifenden Geschwür, das sich im Lauf mehrerer Monate
entwickelt hatte. Die Diagnose wurde auf Nosocomialgangraen
gestellt, die Amputation unterhalb des Knies ausgeführt, nach
46 Tagen erst schloss sich bei fast ununterbrochenem fieberhaften
Verlauf die Wunde.
Die mikroskopisch-bacterlologische Untersuchung der nekro¬
tischen Pulpa bestätigte die Ergebnisse Vincent's; das kom-
blnirte Auftreten der V I n c e n t’schen Stäbchen und bestimmter
Spirillen, auf deren Beschreibung wie auf manche andere Details
hier nicht eiugegangen werden kann, ist nach dem Verf. das Cha¬
rakteristische und sichert in zweifelhaften Fällen die Diagnose
dieser speclflschen, von ganz bestimmten Mikroorganismen hervor¬
gerufenen Erkrankung. In neuerer Zelt hat Matzenaner aus
der N e u m a n n’schen Klinik 23 als nosocomiale Gangraen 1 k»-
zeichnete Fülle mit einem konstanten Baelllenbefund bekannt ge¬
geben. Da die betreffenden Geschwüre alle ln nächster Umgebung
der Genitalien auftraten, neigt Brabec zu der Annahme, dass
es sich wohl um phagedaenische Geschwüre handle und die von
Matzenaner gefundenen Bacillen vielleicht für diese charak¬
teristisch sein mögen. Zudem lassen diese Fälle die bei
Nosocomialgangraen und auch in dem letzten Fall B r a b e c's
typisch nuftretenden Symptome: enorme nervöse Reizbarkeit,
Fieber und Durchfülle vermissen. B e r g e a t - München.
Skandinavische Literatur.
Prof. J. W. R u n e b e r g - Helslngfors : Ueber die diffuse
Nephritis (Morbus Brigthii) im Hinblick auf die klinische
Gruppirung und Diagnose ihrer verschiedenen Formen. (Nord,
med. Arkiv. Inn. Med. 1901, 1.)
Verfasser verwirft in seiner Ausführung die bis jetzt übliche
Art der Eintheilung der Nephritiden, bei der die Krankheitsfälle
ausschliesslich nach den pathologisch-anatomischen Veränderungen
oder nach den klinischen Symptomen oder nach den Krankheits¬
ursachen allein gruppirt werden. Von einer in klinischer Hin¬
sicht befriedigenden Gruppirung verlangt Verf., dass die aetlologi-
schen, symptomatischen und pathologisch-anatomischen Erschei¬
nungen allseitig berücksichtigt werden. Von diesem Gesichtspunkt
ausgehend stellt Verf. 7 Formen der „diffusen“ Nephritis auf.
Verf. schildert dann ausführlich und eingehend die aetiologischen
Momente, den klinischen Verlauf und die pathologisch-anatomi¬
schen Verhältnisse der einzelnen Formen. Zum Schluss seiner
Arbeit kommt Verf. dann noch zur Besprechung der Differentinl-
dingnose der verschiedenen Formen der „diffusen“ Nephritis.
Christian G r a m-Kopenhagen: Ein Fall von Malaria aestivo-
autumnalis mit Halbmonden ohne intraglobuläre Parasiten.
(Ibidem.)
Es handelt sich um einen 36 jährigen kräftig gebauten Mann,
der bei der Fahrt auf dem Ozean deutlich diejenigen Symptome
darbot, wie sie durch den tropischen Tertiana-acstivo-autuinnal-
I uraslten hervorgerufen werden. Während seines späteren Auf¬
enthaltes Im Krankenhaus ergab die täglich vorgeuoinmeuc Rim-
^Untersuchung nur zahlreiche Halbmondparasiten, die unter Chinin¬
gabe mehr und mehr schwanden, so dass nach 22 Tagen keine
Parasiten mehr im Blute nachweisbar waren.
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mo MTTENOHENER MEDICTNTRCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27.
Carl L o o f t - Bergen: La mlnlngite cßrfibrospinale Spid6-
mique en NorvÄge pendant les annßes 1875—1897.
Verf. beschreibt das Auftreten dieser Krankheit in den ver¬
schiedenen Distrikten Norwegens, erörtert die aetiologischeu Mo¬
mente und schildert den Krankheitsverlauf. Zur besseren Ueber-
sicht sind der Abhandlung fünf Tafeln und drei Karten beige¬
geben.
Lyder N l c o 1 a y s e n - Christlania: Bemerkungen über das
Verhalten des Oonococcus zu Agar. (Ibidem.)
Verfasser ist es zweimal gelungen, Gonococcenkulturen,
welche von gonorrhoischen Gelenkaffektlonen herstammten, auf
gewöhnlichem Agar zur Entwicklung zu bringen und bei Ueber-
impfung jeden Tag oder jeden 2. Tag auf Agar dieselben durch
15 Generationen hindurch zu erhalten, ohne dass mau ein ver¬
ringertes Wnchsthinn bemerken konnte. In Folge dessen kommt
Verf. zu der Annahme, dass es sich um „gewisse Stämme von
Gomicoous“ handelt, welche auch auf gewöhnlichem Agar wachsen.
K. G. L e n n a n d e r: Heber Spaltung der Nieren mit Re¬
sektion des Nierengewebes bei akuter Pyelonephritis mit
miliaren Abscessen. (Nord. med. Arkiv. Kirurg. 1001, 1.)
In einem der Fälle auch Uretero-Oysto-Neostomie. Verf. be¬
schreibt sehr ausführlich fünf von ihm operirte Fälle dieser Art.
von denen nur einer zu Grunde ging. Im Anschluss hieran be¬
spricht Verf. die Indication für den Eingriff und schildert ausführ¬
lich. wie die Operation in der Niere ausgeführt werden muss, und
ferner die Nachbehandlung.
C. D. Josephson: Ein Kaiserschnitt mit querem Fundal-
schnitt (nach Fritsch) wegen ankylotisch schräg verengten
Beckens; Ileus durch Darmadhaesionen an der TTteruswunde.
Laparotomie; Heilung. (Ibidem.)
Verf. redet der von Fritsch vorgeschlagenen Methode des
queren Fundalschnittes nicht das Wort, da bei einer 34 jährigen
von ihm operirten Patientin am 10. Tage nach dem Kaiserschnitt
wegen Darmadhaesionen nochmals zur Operation geschritten
werden muss. Verf. ist dieser Methode abhold, weil die Lage
der TTteruswunde unvortheilliaft ist wegen der naheliegenden Mög¬
lichkeit der Bildung von Parmndhaesionen an der frischen Wunde
und weil im Falle der Abscessbildung in der Wunde die Ilelluug
sehr schwer und die Gefahr der Infektion sehr gross sei.
Die Statistik spricht aber zu Gunsten des queren Fundal¬
schnittes, insofern in 04 Fällen von konservativem Kaiserschnitt
nur 3 Todesfälle zu verzeichnen sind.
B ii 1 o w - TI a n s e n - Ghristianin: Ein operierter Fall von
angeborenem Hochstand der Scapula. (Ibidem.)
Verf. bespricht ausführlich die Operation, die er bei einem
4 jährigen Knaben, der mit den typischen Symptomen zu ihm in
Behandlung kam. ansführte. Der Erfolg der Operation war so¬
wohl in kosmetischer als auch funktioneller Beziehung be¬
friedigend.
E. Sandelin. Docent der Chirurgie: Resektion einer
Narbenstriktur am Halstheil des Oesophagus. (Ibidem.)
Nachdem Verf. erst 2 Fälle aus der Literatur milgethellt, in
denen wegen Striktur des Oesophagus die Resektion vorgenommen
wurde, theilt er zum Schluss seiner Ausführung einen von ihm selbst
mit Erfolg operirten Fall mit. der einen 30 jähr. Arbeiter betrifft,
bei dem eine 2 cm lange, unmittelbar unterhalb der Cartilago crl-
coidea strikturirte Partie vollständig exeidirt wurde. -- Patient
erhielt in den nächsten 0 Tagen post operationem ernährende
Kl.vstlere. Verfasser empfiehlt überhaupt dies > Art der Ernährung
bei an Oesophagusstrlktur operirten Patienten in den nächsten
Tagen nach der Operation. Die Ernährung per Demeurekatheter.
der durch Nase, Mund oder die Oesophaguswunde eingeführt wird,
kann Verf. aus verschiedenen Gründen, die er ausführlicher be¬
spricht. nicht empfehlen.
.T. J u n d e 11 und Fritz Svensson: Ein Fall von chroni¬
scher progredienter, durch den Diplococcus pneumoniae Fraenk?l
verursachter Phlegmone, sekundär zu einer Angina hinzutretsnd.
(Ibidem.)
Bel einem 20 jährigen Weib, das unter den Erscheinungen ehier
hochgradigen Diphtherie erkrankte, entwickelte sich gleich am
1. Tage der Erkrankung ein Oedem am Hals, das trotz angewandter
Mittel immer weiter fortschritt. Später entwickelte sich auch
noch ein zweites Oedem am unteren Theil des Sternum, das wie
das erste dem Aeusseren nach am meisten dem akuten, circum-
scrlpten Oedem (Juineke's ähnelte. Doch die bacterlologlsehe
Untersuchung des aus dem Oedem entleerten Eiters ergab, dass
es sich zweifellos um den Diplococcus pneumoniae Fraenkel han¬
delte. wie ans den vorgenommenen Kulturversuchen und Thlev-
experimenten mit absoluter Sicherheit hervorgeht. Die wiederholt
vorgenommene Untersuchung auf Diphtheriebaclllen ergab stets
ein negatives Resultat. Die Krankheit dehnte sich über circa
3 Monate aus.
Adolf Kettoler- München.
Ophthalmologie.
E. Fuchs: Der centrale schwarze Fleck bei Myopie. (Zeit-
schr. f. Augenhellk. Bd. V. März 1001. ITeft 3. S. 171.)
Bel hochgradiger Kurzsichtigkeit ist die Gegend des gelben
Fleckes der Sitz vielfacher Veränderungen, wie diffuse Entfärbung,
umschriebene atrophische oder pigmentirte Flecken, andererseits
belle Streifen u. s. w. Von den gewöhnlichen maculflren Verände¬
rungen vollkommen verschieden ist der scharf umschriebene, rund¬
liche schwarze Fleck hu Gebiete der Macula lutea, der ganz unab¬
hängig von allen übrigen Hintergrunds Veränderungen auftritt und
seinen typischen Verlauf nimmt.
Die Erkrankung beginnt mit einer meist plötzlich einsetzenden
Sehstörang, in der Mehrzahl der Fälle mit Metamorphopsie, oft
auch mit einer Verdunkelung in der Milte des Gesichtsfeldes, in
deren Bereich manchmal hartnäckiges Flimmern die Patienten be¬
sonders ängstigt. — Das Sehvermögen zeigt sich stets herabgesetzt,
meist auf */, bis der normalen Sehschärfe, in schweren, sowie
in alten Fällen auf Fingerzählen in kurzer Entfernung. Als Ur¬
sache entdeckt man ein centrales Scotom. Der Augenspiegel lässt
den charakteristischen schwarzen Fleck erkennen. Die Grösse des¬
selben ist Anfangs erheblich kleiner als die der Papille. Der Fleck
Ist selten durch und durch gleich tief schwarz, sondern es schim¬
mert gewöhnlich in seinen mittleren Partien ein zart röthlichcr,
seltener ein grauer oder welsslicher Ton hindurch. Manchmal sieht
man in der Nachbarschaft eine oder mehrere kleine Blutungen.
Die wichtigsten Veränderungen, die der schwarze Fleck erfährt,
sind dreierlei: Vergrösserung. Aufhellung und Bildung einer atro¬
phischen Zone ringsherum. Die Vergrösserung ist meist derart,
dass der Fleck etwas über papillengross wird, doch kann er aus¬
nahmsweise auch eine viel bedeutendere Grösse erreichen. Hiebei
nimmt er eine ovale, zuweilen unregelmässige Form an.
Die Farbe ist manchmal schon lin Beginn der Mitte etwas
heller, wird dann schiefergrau mit Grapliitglauz und später selbst
weisslich oder blüuliehweiss. Das Aderhautstroma wird niemals
in der hellen centralen Partie sichtbar, ebenso wenig kommt die
Sklera zum Vorschein. F. schlicsst daraus, dass die Aderhaut hier
nicht einfach zu Grunde geht, sondern sich entweder selbst in eine
Schwiele verwandelt, oder dauernd von einer solchen bedeckt wird.
Der einmal entstandene Fleck bildet sich nie wieder voll¬
kommen zurück und niemals kehrt das normale Sehvermögen
wieder. Diese Erkrankung bietet also eine weniger günstige Pro¬
gnose als manche andere Veränderungen in der Maculagegend bei
Myopie.
Bisher war die allgemeine Meinung, dass der Ausgang des
schwarzen Fleckes eine maculäre Blutung sei. Nunmehr bringt
ein Sektionsbefund von Emilie Ii e li in u s (1. c. S. 2(5) über die
anatomischen Veränderungen Abfklärung. Danach war die Ader¬
haut an der Stelle des Fleckes nicht wesentlich verändert und
auch die Ginsmembran normal.
Das auf der Glasmembran liegende Piginentepithel war so
stark gewuchert, dass cs in der Mitte des Herdes bis auf % der
Dicke der Aderhaut angewachsen war. An der Peripherie der
Wucherung war das Piginentepithel blässer oder völlig pigment los.
In dem Herde lag auf dem Piginentepithel ein gelatinöses, zollen -
losos Exsudat (Fibringerinnsel?), dessen grösste Dicke ebenfalls
etwa % der Aderhautdieke erreichte. Mit der Oberfläche des durch
die gewucherte Pigmentschicht zusammen mit dem Exsudat ge¬
bildeten Hügel war die Netzhaut verwachsen. — In Bezug auf die.
Ursache dieser umschriebenen Entzündung nimmt Lchinns an,
dass durch die Ausdehnung der Sklera am hinteren Pol und die
damit verbundene Verschiebung der Gewebe die hinteren Ciliar
arteriell komprlmirt und dadurch Circulatiousstörungen hervor-
gerufen wurden.
Oscar Zoth: lieber den Einfluss der Blickrichtung auf die
scheinbare Grösse der Gestirne und die scheinbare Form dea
Himmelsgewölbes. (Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 78. S. 388.)
Bisher haben die Autoren zur Erklärung der Urthellstüuseb-
ungeii auf diesem Gebiete hauptsächlich vier Momente ln Be¬
tracht gezogen, die kurz als Abflachung«-. Vergleichung«-. Luft*
perspektive- und Abtliellungs-Moment bezeichnet werden, d. h. die
Bildobjekte des Himmels erscheinen dem Auge nabe dem Horizont,
grösser und nahe dem Zenith kleiner, weil der Himmel Im Zenitb
abgeflacht erscheint weil er uns also im Zenith näher erscheint
als am Horizont: oder weil beim Stande am Horizont die Ver¬
gleichung mit irdischen Objekten die Himmelskörper grösser er¬
scheinen lässt als lm Zenith; oder weil uns vom Himmel alle Winkel
um so kleiner erscheinen, je näher sie dem Zenlthe. und um so
grösser, je näher sie dem Horizonte sind; oder weil am gestirnten
Himmel die gleichen Winkelstücke dem Auge um so grösser
erscheinen, je grösser die Zenithdistanz eines betrachteten
Sternpaares ist.
Verfasser bringt nun auf Grund sehr sinnreicher und lm Detail
beschriebener Versuche eine ganz neue, sehr plausible Erklärung
in dieser Frage, die schon Ftolemacus und die arabischen Astro¬
nomen beschäftigt hat. Da bei den zwei Beobachtungen, des hoch-
nml des tiefstehenden Mondes die einzige veränderte Bedingung
die verschiedene Blickrichtung Ist. so kann nur diese die Ur¬
sache der verschiedenen scheinbaren Grösse der beiden Bilder sein.
Also: „Der hochstehende Mond erscheint kleiner,
weil er mit erhobener, der tiefstehende grösser,
well er mit annähernd horizontaler oder g o -
r a d e r (senkrecht zur Frontalebene des Kopfes stehender) Blick-
r I c li t u n g gesehen wird“.
Dieser Satz, allgemein gefasst, würde folgendermaasseii
lauten: „Objekte, für deren Entfernungs- und Grössenschätzung
keine Anhaltspunkte vorliegen, erscheinen bei erhobener Blickrich¬
tung kleiner, als bei horizontaler oder gerader“.
Die näheren, höchst interessanten Ausführungen und die Ver¬
suche mögen im Original nnchgelcsen werden.
D o 1 g a n o w und Kllmowltseh: TIeher d’e gelben
und gelbgrünen Gläser. (Wratsch, 1900, No. 30, S. 901.;
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2. Juli 1901.
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Auf Grund der physikalischen Untersuchung der Gliiser ver¬
schiedener Nuancen mit dem Spektroskop empfehlen die Verfasser
die Verordnung von gelben und gelbgrünen Glüsern: 1. wenn es
sich darum handelt, die Augen gegen violettes und ultraviolettes
Licht zu schützen, namentlich auch bei elektrischem Licht; 2. bei
Aphakie, da mit der Linse die Fähigkeit verloren gegangen Ist,
ultraviolette Strahlen zu absorbiren; 3. zur Erhöhung der Seh¬
schärfe bei Betrachtung ferner Gegenstände (z. B. beim Schiessen).
Die gelbgrünen Gläser sind besonders angezeigt bei sehr grellem
Licht, z. B. bei Arbeiten mit geschmolzenem Metall, da sie ausser
den violetten Strahlen auch noch die Wärmestrahlen In erhöhtem
Maasse absorbiren.
L. W o 1 f f b e r g: Zur Behandlung des Augenblinzelns.
(Wochensehr. f. Therapie u. Hygiene d. Auges 1901, No. 20, S. 205.)
Bei jener Form des Blinzelns, die einen Gewohnheitsfehler dar¬
stellt, wie er bei reizbaren und anaemlsclien Kindern häufig ge¬
troffen wird, empfiehlt W. für mehrere Stunden des Tages das
eine Auge fest zu verbinden. Hiedurch hat er selbst in ver¬
schiedenen Fällen Heilung erzielt. Den Vorgang erklärt Verfasser
so: „Wahrscheinlich wird das Sehen mit nur einem Auge durch
Blinzeln in so hohem Grade gestört, dass das betreffende In¬
dividuum mit aller Energie die böse Angewöhnung bekämpft, um
am Sehen nicht behindert zu sein; es könnte auch ln Betracht
kommen, dass es selbst beim besten Willen gesunden Individuen
Schwierigkeiten macht, mit einem Auge zu blinzeln, wenn die
Lider des anderen durch Verband fest geschlossen sind.“
Auch in anderer Weise lässt sich auf Blinzelnde eiuwirken,
und empfiehlt sich folgendes besonders für solche Kinder, die nur
zeitweilig in hohem Grade blinzeln. Es Ist nämlich eine Eigen¬
tümlichkeit. dass es überhaupt schwer hält, gleichzeitig zu blin¬
zeln und zu — pfeifen. Wenn man ein blinzelndes Kind auffordert
zu pfeifen, so vermag schon die blosse Ablenkung, ohne dass ge¬
pfiffen wird, zur Unterdrückung des Blinzelns beizutragen; aber in
vielen Fällen ist es tatsächlich der Akt des Pfeifens selbst,
welcher gewaltsam die Heilung hervorbringt. Natürlich gibt es
auch Ausnahmen.
Ed. Zirm: Zur Verwendung des Holocains. (Centralbl. f.
prakt. Augenheilk., April 1901, S. 117.)
Verfasser verwendet Holocnln nicht für sich allein, sondern
in 1 proc. Lösung zu gleichen Theilen mit Cocain (Holocain., Cocain,
muriat ää 0,10:10,0). Diese Mischung befriedigt ihn in hohem
Maasse, da nach seiner Beobachtung die anaesthesirende Wirkung
eine viel vollkommenere ist, als die des Cocains allein, aber auch
eine vollkommenere als die des Holocains für sich.
Z. hat diese Mischung auch zu subconjunctlvalen und zu
snbeutanen Injektionen verwendet und empfiehlt die erstere bei
entzündeten, schmerzhaften Bulbis, so bei entzündlichem Glaukom,
Hornhautabscessen, die letzteren bei Lidrandoperationen, Blepharo-
plastiken n. dergl.
(In der von den Höchster Farbwerken dem Präparat „salicyl-
saures Holocain“ beigegebenen Anweisung ist aber besonders
unterstrichen, dass Holocain wegen seiner Giftigkeit zu sub¬
kutaner Injektion nicht zu verwenden sei. D. Ref.)
Bär: lieber die Behandlung der Keratomalacie im Säug¬
lingsalter. (Klln. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1901, S. 287.)
Bei dem als Folge von Ernährungsmangel aufzufassenden Zer¬
fall der Cornea im Säuglingsalter hat Verfasser, auch ohne Lokal¬
behandlung, durch Zusatz von Kalkwasser zur verdünnten
Kuhmilch überraschende Heilerfolge erzielt. B. ist der Anschau¬
ung, dass Kalkwn8ser als Zusatz zur Kuhmilch nicht nur eine
mechanische "Wirkung, die sie leichter verdaulich macht, sondern
auch eine chemische Wirkung zu entfalten vermag, welche die
krankhaften Veränderungen der Magen- und Darmschleimhaut zur
Heilung bringen kann.
F. Dimmer: lieber Faltungstrübung der Hornhaut nach
Keratitis parenchymatosa. (Zeitschr. f. Augenheilk., Aprilheft
1901, S. 251.)
Die früher mit „Strelfeukeratitls“ bezelchnete Veränderung
der Cornea hat in neuerer Zelt, nachdem verschiedene Autoren die¬
sen« als Folge von Faltenbildung festgestellt haben, den Namen
„Faltentrübung“ erhalten.
Die Falten können entweder In den tiefsten Lagen der Cornea,
in der Descemetli und den ihr zunächst liegenden Hornhaut¬
lamellen oder in der B o w m a n'schen Membran und den vorderen
Hornhautlagen ihren Sitz haben.
Bei der Keratitis parenchymatosa sind 2 Arten von Streifen¬
bildung zu unterscheiden: 1. Jene grauen Streifen in der Cornea,
die während der floriden Keratitis entstehen und mit der Auf¬
hellung der Trübung wieder verschwinden. 2. Streifentrübungen,
die als Folgeerscheinung zur Beobachtung kommen zu einer Zeit,
wo nur mehr geringe Reste der Infiltration und der Gefässent-
wieklung vorhanden sind, und die dann unverändert bestellen
bleiben. D. hat nur in 2 Fällen, die er des Genaueren beschreibt,
die Entstehung dieser Faltungstrübung direct beobachtet und zwar
aus einer während der Krankheit aufgetretenen und wieder zur
Rückbildung gekommenen Ektasie der Cornea.
Rosenfeld: Eine Formel für presbyopische Brillen.
(Westnlk oftalm., No. 6.)
Verfasser hat folgende Formel zur Bestimmung der Presbyopie
aofgestellt: Pr = n — 30 -f- R, wobei n das Alter, R Refraktion, in
Dioptrien ausgedrückt, bei Myopie mit —, bei Hypermetropie
mit -f-. Diese Formel besteht zu Recht, wenn man annimmt dass
die Presbyopie nach dem 30. Lebensjahre beginnt. Bei der Au-
1111
nähme, dass dieselbe erst mit dem 40. Lebensjahre beginne, stelle
man in die Formel die Zahl 40 statt 30; dieselbe wird dann also
lauten: Pr = n — 40 -f- R. Verfasser hat diese Formel seit mehreren
Jnhren erprobt und sie als sehr bequem befunden zur raschen
Orientirung bei Bestimmung der Presbyopie. Dieselbe ist auch
vom physiologischen Standpunkt zu erklären und beweist, dass sie
vollständig dem Princip entspricht, dass bei der Arbeit nicht mehr
als % der Accomodation verwendet werden soll. Rhein.
O. Lange: Zur Anatomie des Ciliarmuskels des Neugebo¬
renen. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1901, No. 1.)
Da H.vpermetropen sehr viel bezw. ständig, Myopen relativ
wenig accommodiren müssen, so hatte man bisher angenommen,
dass die von I w a n o f f in hypermetropischen Augen gefundene,
sehr starke Entwicklung der Ringportiou des die Accommodation
vermittelnden Ciliannuskels als Arbeitshypertrophie,
dagegen die in myopischen Augen bestehende geringe Entwicklung
dieser Riugportion als Unthätigkeitsatrophle aufzu¬
fassen sei. Lange hat nun festgestellt, dass sich derartige indi¬
viduelle Verschiedenheiten im Bau des Ciliarmuskels schon in den
Augen Neugeborener finden, und eröffnet mit dieser ausserordent¬
lich wichtigen Mittheilung dieAussiclit auf einen sicheren Nachweis
für Entstehung der Kurzsichtigkeit. In einem Auge nämlich, in
dem die Ringportion schwach oder gar nicht entwickelt ist, würden,
wenn die Naharbeit Anforderungen an den Aceommodationsmuskel
stellt, die longitudinalen in das Stroma der Chorioidea sich ein¬
setzenden Fasern ganz oder fast ausschliesslich in Wirksamkeit
treten müssen und wäre deren Zerrung und Dehnung der hinteren
Abschnitte der Augenhäute und damit Verlängerung der Sehachse
die natürliche Folge. In Augen dagegen mit angeborener stark ent¬
wickelter Ringportion käme trotz angestrengtester Accomodation
diese Zerrung nicht zu Stande und blieben solche Augen em¬
metropisch bezw. hypermetropiseh. In der That hat die Annahme
Lauge’s, dass den individuellen angeborenen Verschiedenheiten
lin Bau des Ciliarmuskels des Neugeborenen eine wichtige Rolle
in Bezug auf die weitere Entwicklung und Configuration des Aug¬
apfels und damit auf die Refraktion zukomme, sehr viel für sich
und würden wir daher zur sicheren Begründung dieser Annahme
mit dem sie aufstelleuden Verf. sehr wünschen, dass ein glück¬
licher Zufall die Augen je eines Neugeborenen von festgestellt
hochgradig kurzsichtigen resp. hochgradig übersichtigen Eltern
der anatomischen Untersuchung zuführen würde. Zu einem solchen
glücklichen Funde Beihilfe zu ieisten, mögen alle Herren Kollegen
sich angelegen sein lassen. S e g g e 1.
Vereins- und Congressberichte.
VIII. Versammlung des Vereins süddeutscher
Laryngologen
zu Heidelberg am 27. Mai 1901.
Kurzer Bericht des Schriftführers Herrn Georg A vol 1 i s in
Frankfurt a. M.
Die Versammlung war dieses Mal nur von 50 Mitgliedern
besucht und wurde von Herrn Betz- Mainz als I. Vorsitzenden
und Herrn F i s c 4 h e n i e h - Wiesbaden als II. Vorsitzenden ge¬
leitet. Zum Schriftführer wurde Herr A v e 11 i s-Frankfurt
bestimmt. Der übrige Theil des Vorstandes bleibt unverändert.
Herr Betz- Mainz: Stimmphysiologische Bemerkungen.
An die Darstellung E w a 1 d’s im Handbuch der Laryngologie
anknüpfend bespricht Herr Betz einige feinere Details der
Stimmphysiologie und berücksichtigt besonders die zwei Arten
der Glottisform, die er bei der Erzeugung der Kopfstimme be¬
obachtet hat. Bei den hohen Tönen der Kopfstimme wird
ausscldieslieh „die vordere Spindel“ gebildet, deren Ende
gerade dort sich findet, wo Sängerknötchen und Schleiman¬
häufungen regelmässig gefunden werden. Diese Stelle ist physi¬
kalisch als Knotenpunkt, pathologisch als Knötchenpunkt an¬
zusehen.
Discussion: Herr Avellis: Der Grund, wesslialb bei
der Kopfstimme die Glottis spindelförmig klafft, bei der Brust¬
stimme geradlinig verengt ist, muss nicht im Kehlkopf resp. in der
physikalischen Eigenschaft der Stimmlippen oder Muskeln gesucht
werden, sondern in der Absicht, bei der Bruststimme die tönenden
Schwingungen möglichst zurückzuhalten und nach der Brust zu re-
flektiren; bei der Kopfstimme die tönenden Schwingungen mög¬
lichst nach den Resonanzräumen des Kopfes zu leiten. Die Form
der Glottis ist also nichts Primäres, nicht als Typus des Registers
anzusehen, sondern nur ein Mittel zum Zwecke; das je nach der
Schule, der individuellen Anlage und der musikalischen Absicht
variirt werden knnn, ja muss; Avellis exeinplifizirt ferner
das Entstehen und F i x i r t w e r d e n ein e r i n n e r e n
S 11 m m 1 i p p e u s t r u k t u r an der Anordnung der elastischen
Fasern hei der Amselsyrinx, die hei einer jungen Amsel eine andere
Struktur aufweist als hei einem Vogel, der schon eingesumren ist
und erklärt die Variationen der menschlichen Sängerglottis als
ein Arbeitsprodukt, das abhängig ist von der individuellen Art
der Resouanzerzeugung und der Fixirnng der Stimmlippenstruktur,
wie sie durch längeren Gebrauch In Folge der Belastungsgesetze
sich herausbildct.
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1112
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT,
No. 27.
Herr Müller- Heidelberg: Heber natürliches Singen
und Sprechen.
Vortr. ist auf diesem Gebiete besonders erfahren und be¬
rechtigt, ein Urtheil abzugeben, weil er selbst lange Zeit aus-
gebildeter Sänger war. Er legt dar, dass die beste Art. zu singen
und zu sprechen diejenige sei, die ohne jeden Zwang erreicht
wird, eine deutliche Aussprache erzielt, den Ton gut nach vorn
bringt etc. und macht in mustergiltiger Weise — durch De¬
klamation und Gesang — der Versammlung eine Reihe von
Fehlern vor, die der Schönheit der Stimme und ihrem kunst¬
gerechten Gebrauchen Eintrag thun, z. B. das Knödeln, das
Quetschen, das Näseln etc.
Dlseussion: Herr Avellis sucht für die tiefe Kehlkopf¬
stellung ''nach Stock hausen) beim Singen physikalische uml
physiologische Gründe beizubringen (Verlängerung des Ansatz-
roh res, Fixiruug der Kehlkopfknorpel und damit der Ansatz¬
punkte der Stinnninuskeln) und exempllfizlrt auch auf die Lage
der Syrinx beim Singvogel, wo die Zweitheilung des Kehlkopfes
in Athuiungs- und Gesaugapparat so vorgeht, dass der Gesang-
apparat ganz am Ende des Ansatzrohres sitzt, das sogar noch
durch Krümmungen besonders verlängert wird.
Herren V o h s e u und M ii 11 e r widersprechen diesen Aus¬
führungen, da nach ihrer Meinung die Verlängerung des Ansatz-
rohres durch die Tiefstellung des Kehlkopfes nicht bedeutend
genug Ist.
Herr K i 11 i a n - Freiburg hält das Referat: Heber die
Hysterie in ihren Beziehungen zum Kehlkopf.
Seine Ausführungen gipfeln in der Ansicht, dass die Bilder
von Stimmlippenparesen, die wir bei hysterischer Dysphonie und
Aphonie sehen, nicht als Muskelparesen bezeichnet werden
können, da die Muskeln nicht dauernd paretisch sind, sondern das
Bild der Parese nur der periphere Ausdruck des Ausfalles einer
cerebralen Willensbewegung ist. Diese Auffassung ist ja schon
früher ausgesprochen worden (z. B. Rosenbach, der deutlich
von hysterischer „Stimmlähmung“, nicht „Stimmbandlähmung“
spricht) und in der Versammlung erhebt sich auch kein prin-
cipieller Widerspruch dagegen. Sämmtliehe hysterischen Er¬
scheinungen (auch die ungewöhnlichen Formen der Krampf-
bewegungen) können auch willkürlich von Gesunden erzeugt
werden, nur bedarf es manchmal dazu einer längeren Einübung.
Discusslon: Herr T lii 1 e n i u s berichtet von einem Falle
hysterischer Inspirationskrämpfe, wo es beinahe zur Tracheotomie
gekommen wäre und Herr V o h s e n von einer Beobachtung, wo
schnelle rhythmische Zuckungen der Epiglottis zu sehen waren,
nicht ndt dem Ansaugen der Epiglottis zu verwechseln.
Herr K r e b s : Hildesheim: Stimmstörungen nach Ver¬
letzung des Halssympaticus.
In Folge der Herausschälung eines Angiofibroms im Kiefer¬
winkel (beim Vortragenden selbst) ist der Ilalgsympathicus ver¬
letzt worden (Ptosis, Speichelsekretionsanomalie etc.). Es zeigte
sich aber auch, dass die Singstimme nothgelitten hat, obwohl der
Recurrens nicht verletzt wurde. Krebs meint, dass das
Laryngoskop keine Veränderungen am Muse, thyreo aryt. finden
kann, solange der Recurrens gesund ist, nur das feine Reagens
der Singprüfung zeigt, dass ein T h e i 1 des Muskels, welcher
nicht vom Recurrens innervirt ist, gelähmt ist.
Herr A v e 11 i s - Frankfurt a. M.: Heber eine Art tra-
chealer Haemoptoe.
Analyse eines Falles, wo die von anderer Seite für eine
Lungenblutung gehaltene reichliche und oft wiederholte Ilaemo-
ptoo aus Tracheavaricen herrührte.
Herr Dreyfuss - Strassburg: Heber Mumps der Sub-
maxillaris und Sublingualis und seine Beziehungen zum
Larynxoedem.
Es handelte sich um beträchtliches Oedem des ganzen Larynx
bei obiger Erkrankung, die durch nachträgliche Orchitis kom-
plizirt war. Auch beim Mumps der Parotis ist Larynxoedem
nicht selten.
Herr Auerbach -Baden-Baden: Steinbildung in der
Submaxillaris mit Larynxaffektion.
Es wird das schöne Präparat, das durch Operation gewonnen
wurde, demonstrirt. Die Larynxaffektion bestand in Oedem und
„Prolaps des Sinus Morgagni“, der von anderer Seite für einen
bösartigen Tumor gehalten wurde.
Herr W i 1 d - Freiburg: Ein neuer bronchoskopischer
Fremdkörperfall.
Es handelte sich um ein aspirirtes Gebiss, das bei der
Tracheoskopie nicht gesehen werden konnte, dagegen leistete die
Bronchoskopie hier einen glänzenden Dienst, da sie ge¬
stattete, den Fremdkörper im linken Hauptbronchus zu finden
und dessen Entfernung auf bronchoskopisehem Wege zu er¬
möglichen.
Herr Killian- Freiburg demonstrirte:
1. Eine verstellbare Glasscheibe, die den Laryngologen vor
dem Anhusten der Patienten schützt.
2. Lehrmittel: Unterrichtsmodelle, nach Hopmann’s Me¬
thode angefertigt und bemalt, ferner ein neues Phantom für
laryngoskopiselie Hebungen und eines für die Erlernung der
Bronchoskopie.
3. Eine neue Zange für die bronclioskopische Verwendung,
um Bohnen und ähnliche Fremdkörper zu eutfernen.
4 . Zahlreiche Abbildungen über die topographischen Bezieh¬
ungen zwischen Stirnhöhlen und Stimlappen, die mit Bezug auf
einen glücklich operirten Fall von rechtsseitigem Stirnlappen-
abscess nach chronischer Stlrnhö(»leneiterung in vorzüglicher
Schönheit und Klarheit angefertigt, wurden.
Herr Hagenau -Mannheim: Zur Frage der diabetischen
Erkrankung der oberen Luftwege.
Vortragender konnte, durch genaue Studien engere und
häufige Beziehungen des Diabetes zu obigen Erkrankungen nicht
finden.
Discussion: Herr Eulen stein: Eine speciflsche diabe¬
tische Pharyngitis gibt es nicht, auch keine diabetische Furunku-
losls laryngis. Der Diabetes ist nicht als aetiologiscb anzusehen,
nur bietet der Diabetiker einen günstigen Nährboden für eine In¬
fektion.
Herr K r e b s: Diabetiker haben viel subjektive Hals¬
beschwerden.
Herr Dreyfuss - Strassburg i. E.: Zur Behandlung der
Ozaena mit Fhenolnm natrosulforicinicum.
Die Anwendung desselben in Form von Auspinselungen hat
dem Vortragenden glänzende Resultate bezüglich des Foetors
ergeben.
Discussion: Herr Robinson: Vielleicht waren die so
günstigen Fälle Formen von „Ozaena periodica“.
Herr Dreyfuss bestreitet diese Einwendung.
Herr Blumenfeld -Wiesbaden: Heber Urticaria der
oberen Luftwege.
»Sehr seltener Fall von Urticaria der Haut, wo das Exanthem
auch in Pharynx und Larynx beobachtet wurde.
Ilerrr Robinson -Baden-Baden: Moderne Inhalations-
theraphie.
Die Einrichtungen des neu erbauten Inhalatoriums in Baden-
Baden werden geschildert, die Zerstäubung mit den verschiedenen
Apparaten, die Lignosulfitinhalation und der Zerstäubungsraum
nach Wasmuth. Er bespricht dann die Anwendungsformen
und ihre Indicationen bei den einzelnen Krankheiten. Die Reiz¬
losigkeit der Inhalation gegenüber der Lokalbehandlung wird be¬
tont. Bei den Leiden der Bronchien kommen vorzüglich die In-
halationsräume nach W asmut h in Anwendung. Bronchitiden
mit foelidem Sekret werden mit Lignosulfit behandelt. Bei
Tuberkulose bewirkt Lignosulfit nur eine subjective Besserung.
Herr Schwendt -Basel: Demonstration von Instru¬
menten zur langsamen Dilatation von intubationstraumati¬
schen Strikturen des Larynx und der Trachea.
Es handelt sieh um eine Dilatation „von unten“, mit der
Schwendt bei einem sehr schwierigen Falle einen schönen
Erfolg errungen hot.
Gesellschaft der Charitö-Aerzte in Berlin.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 20. Juni 1901.
Herr Menzer zeigt Präparate von Kanlnchenendoc&rditis.
Dieselbe wurde erzeugt durch intravenöse Einspritzung von
Streptococcen aus menschlicher septischer Eudocarditis. Da diese
Streptococcen die gleichen Eigenschaften haben, wie die bei
akutem Gelenkrheumatismus und bei Angina gezüchteten, so
kommt den beiden letztgenannten eine Sonderstellung nicht zu.
Discussion: Herr Mayer betont die Eigenart der von
ihm bei Angina gezüchteten Streptococcen.
Herr Greeff stellt ein 12jähriges Mädchen mit einer
hysterischen Gesichtsfeldeinschränkung vor. Die eoncentrische
Einschränkung hei mangelndem Augenspiegelbefund hat die Eigen¬
schaft, in wechselnder Entfernung gleiehgross zu bleiben. Der
Vortragende bezeichnet sie daher als röhrenförmige Eln-
s c li r äi n k u n g.
Herr Trautmann: Die Mittelohrentzündung.
Die Häufigkeit der Erkrankung hat ihre Ursache in der
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2. Juli 1901. MUENCHENER MEDlCINISClIE WOCHENSCHRIFT. 1113
doppelten Eingangsöffnung, dem äusseren Gehörgang und der
Tuba Eustachi.
Die Schutzvorrichtungen sind nicht immer im Stande, die
Schädlichkeiten abzuhalten, z. B. die Zugluft oder ein kaltes Bad
bei erhitztem Körper.
Das Cylinderepithel der Tube, welches nach dem
Nasenrachenraum flimmert, kann bei fast allen akuten und
chronischen Infektionskrankheiten geschädigt werden.
Die Konstitution spielt eine wichtige Rolle, besonders bei Kin¬
dern, ferner das falsche Schnauben der Nase, falsch angewandte
N asei idouchen.
Für den Verlauf ist wichtig die Virulenz der Mikro¬
organismen. Es fanden sich bei 76 Empyemen 43 mal
Streptococcen, 20mal Pneumococccn, 20mal Staphylococcen, 3mal
Tuberkelbacillen als Erreger.
Vortragender unterscheidet die trockene F orm, welche
durch häutigere Recidive zur Schwerhörigkeit führen kann, und
die Formen mit Exsudatbildung. Von den letzteren Zuständen
wird die serös-schleimige Form bei Kindern öfters übersehen;
die fibrinöse Form zuweilen bei Morbus Brightii und Endocur-
ditis ulcerosa beobachtet. Bei der eiterigen Entzündung des
Mittelohrs sind die. Erscheinungen heftiger.
Vortragender bespricht die Behandlung der Eiterung mit
trockener Tamponade und die Vorsichtsmaassregeln bei der Para-
eentese. Schliesst sich die Perforationsöffnung nicht, so hat man
unter anderem zu denken an Caries der Gehörknöchel¬
chen, welche eine Entfernung derselben mit geeigneten Instru¬
menten erfordert. Zum Schlüsse wird die Aufmeisaelung des
Warzenfortsatzes an einer Serie von Wachsmodellen gezeigt.
Herr Stenger; Die Thrombose des Sinus sigmoideus und
der Vena ju^ularis.
Der Vortragende hat eine Anzahl Schläfenbeine untersucht,
um die Lage des Bulbus der Jugularvene zur Wand der Pauken¬
höhle festzustellen. Die Ausbildung des Bulbus und die Lagerung
des Sinus zu demselben war eine wechselnde; in einzelnen Fällen,
bei denen der sehr stark entwickelte Bulbus die untere Wand
der Paukenhöhle bildete, musste die Gefahr einer septischen In¬
fektion desselben von der Paukenhöhle aus besonders gross sein.
Vortragender betont, dass in denjenigen Fällen, wo die Zeichen
einer Sinustluomhose bestehen und, wo der Sinus bei der Incision
frei gefunden wird, zunächst der Versuch gemacht werden muss,
den Bulbus jugularis freizulegen, da alsdann hier der Thrombus
seinen Sitz haben kann.
K. Brandenburg - Berlin.
Medicinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Officlelles Protokoll.)
Sitzung vom 14. Mai 1901.
Vorsitzender: Herr Curschmann.
Schriftführer: Herr Braun.
Herr Marchand demonstrirt eine Anzahl Organe eines
Gichtkranken.
Herr Bachheim demonstrirt:
1. Die Michail s’sche Maske zum Sauerstoff-Inhalations-
apparat.
Der Sauerstoff wird in grossen Stahlcylindern geliefert —
Inhalt 500 oder 1000 Liter; Preis 5—10 M. Von diesen
Cylindern führt ein Schlauch zu grossen 15—20 Liter fassenden
Gummiballons und von hier aus zur Maske. Die früher ver¬
wandten kleineren Ballons endigten in einem mit einer Olive
versehenen Endstück, durch welches der Sauerstoff iu un-
kontrolirbarer Weise mit atmosphärischer Luft gemischt iu
Mund oder Nase eingepresst wurde. In der neuen Ivon-
struktionBanordnung wurden diese Uebelstii mle beseitigt, in¬
dem bei der M i c li a 1 i s’schen Maske ein automatisch wirkendes
Ventil allein die Sauerstoffzufuhr versorgt, ein anderes die Ab¬
fuhr der CO,-haltlgen Ausathniungsluft. Ausserdem regulirt ein
liesonderer Hahn die Zufuhr atmosphärischer Luft.
Der Apparat kam hauptsächlich bei einer Reihe von Asthma¬
tikern zur Anwendung. Im Ganzen wurden etwa 21 000 Liter
Sauerstoff verbraucht. Die Hoffnung, bei diesen Kranken Jodkali,
Ktrammonium, Morphium und andere Hellfnktoren gänzlich ent¬
behren zu können, hat sich nicht in allen Fällen erfüllt. Nur bei
leichteren Anfällen kommt der Sauerstoffeinatlimung eine pro¬
phylaktische Wirkung zu; bei schwereren — falls sie zeitig genug
angewandt wird — sind nur hin und wieder eine Verringerung der
Dauer und Stärke derselben beobachtet worden.
Ferner wurden die bereits von anderer Seite gemachten Er¬
fahrungen bestätigt, dass der Sauerstoff in allen Fällen von be¬
sonderem Werthe ist, wo Cyanose besteht (Emphysem, Vit. cord.).
Bei anderen Krankheiten wurde der Apparat nur in vereinzelten
Fällen verwendet, so dass darüber ein abschliessendes Urtlieil nicht
abgegeben werden kann.
Zum Schlüsse sei erwähnt, dass zur Zeit der grösste thera¬
peutische Werth der Sauerstoffeinathmungeu bei Kohlenoxyd- und
Leuchtgasvergiftungen ist.
2. Einen Apparat zur Ausführung der Erschütterungs¬
massage des Trommelfells bei chronischen Ohrenkranken.
Nach einer Veröffentlichung von Breitung (D. Midielnalztg.
No. 2, 1808) verfertigen Reiniger, Gelibert & Schall einen
Apparat, durch welchen eine elektromotorisch betriebene Luft¬
pumpe kurzdauernde — vibrirende — Lufterschütterungen im
äusseren Geliörgange erzeugt.
Dasselbe Princip hat der Mechaniker B u c h h e i m übertragen
auf den seit Jahren von ihm fabrizirten Coneussor und zwar iu
dem Handstücke seines Stoss- und Vibrationsapparates. Der Cou-
cussor kann bekanntlieh in gleicher Weise durch Fuss- und elektro¬
motorischen Betrieb in Thätigkeit gesetzt werden; I)r. Noebel
hat — zum Selbstgebrauch für Kranke — auch den Handbetrieb
und die Anwendung der gewöhnlichen Nähmaschine als Kraftquelle
für dasselbe Princip beschrieben.
Der Apparat wird angewandt bei sklerotischen Processen des
Trommelfells, bei emlotischen Geräuschen, Schwerhörigkeit etc.
Dem Vortragenden fehlen Specialkenntuisse auf diesem Gebiete,
er hat aber iu einzelnen Fällen von dem ihm zur Verfügung
stehenden Apparat Anwendung gemacht und zwar mit gutem
Erfolg hei Schwerhörigkeit und Ohrensausen.
5. Einen Apparat zur Vibrationsmassage des Kopfe3.
Derselbe ist gleichfalls mit dem Coneussor zu verwenden als
ein besonderes Ansatzstück des Stoss- und Vibrationsappiirnt.ro des¬
selben. Er besteht aus 2 zangenartigen, federnden Stalilstreifeu
von ungefähr 20 cm Länge, welche den ganzen Kopf umfassen
und vor Allem die Ivopfscliwarte mit ihrem Bestand an Muskeln
und Nerven in mehr weniger starke Schwingungen versetzen.
Der Apparat wurde sehr oft ynit gutem Erfolge bei einer
Reihe von Kranken mit Kopfschmerzen angewandt, welche theils
auf rein neuralgischer, theils auf sogen, rheumatischer Basis ent¬
standen.
Herr Hirsch spricht über den heutigen Stand der Lehre
vom Fettherz. (Der Vortrag wird in dieser Wochenschrift ab¬
gedruckt.)
Aerztlicher Verein München.
(Ofüciclles Protokoll»)
Sitzung v o in 17. April 1901.
Herr Stern: TJeber Injektionsknren bei Syphilis. (Der
Vortrag wird an anderer Stelle dieser Nummer veröffentlicht.)
Discussion: Herr Ko pp: Zu den eben gehörten Aus¬
führungen gestatte ich mir nur wenige Bemerkungen. Ich bin, wie
Ster n, ein überzeugter Anhänger der Injektionsbehandlung bei
Syphilis, ohne dass ich darum die Vorzüge der alten Frlctions-
methode unterschätzen wollte. Als einen Irrthum muss ich es
aber bezeichnen, wenn Herr Stern behauptet, die Injektionskur
sei in München wenig eingeführt. Wir haben, seit ich die Poli¬
klinik am Reisingerianum leite, das ist seit mehr als 15 Jahren,
ganz altgesehen von der Privatpraxis, gewiss mehr als 45 000 In¬
jektionen gemacht, und verfügen somit wohl über eine ausreichende
Erfahrung. Und damit komme ich gleich auf eineu zweiten Punkt,
in welchem ich Herrn Stern widersprechen muss. Seit sehr
vielen Jahren benützen wir nahezu ausschliesslich Hydrarg. suli-
cyl. in Paraffin, liqu. als Emulsiou und sind mit dieser Medieation
(1:10) andauernd sehr zufrieden. Die kurative Wirkung ist sehr
befriedigend, unangenehme Nebenwirkungen sehen wir fast gar
nicht. Der Vortheil der Bequemlichkeit für die Patienten, dass
dieselben nur alle 8 Tage einmal zu erscheinen brauchen, während
die Sublimatinjektionen tägliches Erscheinen der Patienten beim
Arzte, oder doch mindestens ein sehr häufiges Kommen nöthig
machen, erscheint mir so wichtig, dass ich auf diesen Vorzug nur
dann verzichten möchte, wenn die Methode besondere Nachtheile
auf weisen würde. Die üble Wirkung auf die Mundschleimhaut,
Gingivitis und Stomatitis sind allen Quecksilberbehandlungs-
methoden gemeinsam, und sind vor Allem abhängig von der vor¬
herigen Beschaffenheit der Zähne und des Zahnfleisches, und von
der richtigen Behandlung der Mundschleimhaut während der Kur.
Sie kommt ebenso und unter gleichen Verhältnissen auch bei der
Sublimatinjektionskur vor. Es ist eine allgemeine und längst be¬
kannte Sache, dass auch die Sublimatinjektionen in ihren ver¬
schiedenen ModllicatIonen vortreffliche Resultate geben können.
Ich bestreite das darum auch in keiner Welse, sondern mache, unter
bestimmten Verhältnissen, wenn es mir z. B. um eine recht rasche
Wirkung zu tliun ist, von derselben Methode Gebrauch. Gleich¬
wohl ist man nach meiner Erfahrung keineswegs berechtigt, mit
solcher Präcision, wie dies von Seite des Herrn Stern geschehen
ist, sich dahin auszuspreehen,, dass die Sublimatinjektionen allen
anderen und speziell den Hydr. salieyl.-Injektiouen überlegen sein
sollen. Einen Nachtheil hat unsere Methode, das muss zuge¬
geben werden, durch das als Vehikel gewählte Paraffin. Sticht
mau zufällig einmal unglücklicher Weise iu eine Vene, so kann
mau eine Paraffin-Venenembolie erleben. Das ist unangenehm
genug uud auch mir einmal, wenn auch mit durchaus günstigem
Ausgang, begegnet. Diese Gefahr lässt sieh aber mit
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1114
MUENCHKNER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27.
Sicherheit vermeiden, wenn man nach Einstich der
Nadel und vor Entleerung der Spritze die Nadel kontrollrt. Steht
die Spitze der Nadel in einer Vene, so wird sich aus dem iiusseren
Ende der Hohlnadel sofort etwas dunkles Blut entleeren, und es
ist dann unbedingt nöthig. eine zweite Einstichstelle zu wählen.
Derartige Unglileksfälle sind also, an sich selten, durch ent¬
sprechende Vorsicht vermeidbar. Weil dem so ist, kann ich auch
nicht zugeben, dass Herr Stern zu seinem etwas absprechenden
Urtheil Uber die Hydr. salicyl.-Injektionen berechtigt ist, und Ich
kann mich seiner Meinung, dass die Sublimatinjektionen die in
erste Linie zu stellende Methode sei, nicht anschliessen. Ich bin
vielmehr der Ueberzeugung, dass man mit verschiedenen Methoden,
die richtige Anwendung vorausgesetzt, das gleiche Ziel erreichen
kann, dass die curative Wirkung des Hydr. salicyl. in keiner Weise
hinter den Sublimat Injektionen zurücksteht, und dass die Wahl
der Methode vielfach abliüngen wird von theoretischen Erwäg¬
ungen, vielfach aber auch Sache der Liebhaberei sein dürfte.
Herr B a r 1 o w hat im Ambulatorium für Haut- und Ge¬
schlechtskrankheiten des medlcinisch - klinischen Instituts zu
München in den Jahren 1893—1900 an sicheren Luesfüllen 1008
Männer und 378 Weiber, sohin lin Ganzen 1440 Patienten, be¬
handelt.
Von diesen 1440 Kranken erhielten 089 Männer und 170 Weiber
8213 Injektionen unlöslicher Quecksilhersnlze und zwar kamen
in Anwendung Hg. tbymol.-acet. und Hg. salicyl.
Was beobachtete schädliche Wirkungen, hervorgerufen durch
die Einspritzungen anlangt, so ist in nachfolgender Zusammen¬
stellung die Frage der Stomatitis ausser Acht gelassen worden
und zwar desswegon. weil Stoinatitiden nur in sehr seltenen Füllen
beobachtet wurden und sich dann zumeist ln minimalen Grenzen
hielten. Dr. B a r 1 o w glaubt, dass das seltene Auftreten von
Mundentzündungen darauf zurückzuführen ist, dass jeder Patient
eine genaue, gedruckte Vorschrift über die notliwendige Mund¬
pflege eingehändigt erhält, in welcher Vorschrift auf die Gefahren
der Unterlassung einer rationellen Hygiene des Mundes eindring¬
lichst hingewiesen wird.
Lungenembolien wurden niemals gesehen.
Bezüglich unangenehmer Nebenwirkungen der Injektionen
gaben die Patienten öfters Beschwerden, wie allgemeine Mattig¬
keit, Schmerzen, Gefühl von Temperatursteigerung — letzteres
insbesondere nach den ersten Injektionen — Gefühl von Schwere
in den Extremitäten u. s. w. an. Diese stets in kürzester Zeit
vorübergehenden Beschwerden sind in der folgenden Zusammen¬
stellung unter der Rubrik „anatomisch nicht nachweisbare Stör¬
ungen“ angeführt. Des Weiteren wurde eine Anzahl Infiltrate,
grössere und kleinere, gesehen, welche in wenigen Fällen zur
Erweichung und Abscedirung, im Uebrigen aber zur Rückbildung
kamen. Es sei besonders darauf aufmerksam gemacht, dass die
sehr genau geführten Krankengeschichten auf die oben genannten
Punkte speciell Rücksicht nehmen.
Aus Zweckmässigkeitsgründen ist die die Männer betreffende
Statistik getrennt von der Statistik über die weiblichen Luesfälle
aufgestellt worden.
Von den 1068 Männern wurden behandelt:
Mit Injektionen unlöslicher Salze allein .... 513 = 48,00 Proc.
Mit Einreibungen allein. 184 — 17,22 „
Mit Einreibungen und Injektionen unlöslicher
Salze. 176 16,47 „
Mit verschiedenen anderweitigen Methoden . . 195 18,28 „
Verabreicht wurden im Ganzen 089 Männern 7051 Injektionen,
darunter 2700 ü 0,1 Hg. salicyl. oder Ilg. thymol.-acet. und 4351
il 0,05 des betreffenden Salzes.
Hg. thymol.-acet.-Injektionen kamen ln An¬
wendung nur in den ersten Jahren und zwar an Zahl im Ganzen
1107. Hiebei kam es:
Zu anatomisch nicht nachweisbaren Störungen 15 mal ~ 1,35 Proc
Infiltraten.25 „ = 2,26 „
Abscesseu.4 „ — 0,34 „
berechnet auf die Gesammtzahl der Hg. thymol.-q.cet.-Einspritz-
uIlgen bei Männern.
Einmal passlrte es, dass ein Patient unmittelbar nach einer
Injektion einen Ohnmachtsanfall erlitt. Derselbe war vorüber¬
gehender Natur und es ist durchaus nicht gesagt, dass der Vor¬
gang der Injektion selbst die Ursache des Vorfalles war. Der
Patient ist übrigens noch viele Jahre weiterhin wegen einer häufig
recidlvirendcn Syphilis behandelt worden.
Hg. salicyl.-Injektionen wurden Im Ganzen 5914
gemacht. Es traten ein:
Anatomisch nicht nachweisbare Störungen . . 2Gmal — 0,43 Proc.
Infiltrate.10 „ — 0,16 „
Abscesse . 0 „ — 0,00 „
berechnet auf die Gesammtzahl der Hg. salicyl.-Einspritzungen
bei Männern.
Einmal ist bei einem Patienten, welcher dem Alkohol- und
Nikotinmissbrauch sehr stark ergeben war, nach einer Injektion
eine in wenigen Tagen vorübergehende Parese einer Unterextre¬
mität beobachtet worden.
Weiber wurden 378 einer Therapie wegen Syphilis unterzogen.
Von diesen wurden behandelt:
Mit Injektionen unlöslicher Salze allein .... 137 = 36,24 Proc.
Mit Einreibungen allein.93 — 24,6J „
Mit Einreibungen und Injektionen unlöslicher
Salze.39 10,31 „
Mit verschiedenen anderweitigen Methoden . . 109 = 28,23 „
Insgesammt verabreicht wurden 176 Weibern 1162 Einspritz¬
ungen, darunter 456 Injektionen zu 0,1 und 706 zu 0,05 des Salzes.
Hg. thymol.-acet.-Injektionen erfolgten 297.
Es kamen vor:
Anatomisch nicht nachweisbare Störungen . . 4 mal -- 1,31 Proc.
Infiltrate .14 „ = 4,7 „
Abscesse . 5 „ -- 1,68 „
berechnet auf die Gesammtzahl der Hg. thymol.-acet.-Injektionen
bei Weibern.
Hg. salicyl.-Injektionen wurden verabreicht im
Ganzen 865. Es traten auf:
Ana oiuiscli nicht nachweisbare Störungen . . 9 mal -■= 1,04 Proc.
Infiltrate.16 „ — 1,84 „
Abscesse. 5 „ — «1,57 „
berechnet auf die Gesammtzahl der Hg. salicyl.-Injektlonen bei
Frauen.
Auf Gmnd der mitgetheilten Erfahrungen darf wohl die An¬
sicht ausgesprochen werden, dass wesentliche Gefahren und häufige
schädliche Nebenwirkungen bei Anwendung der beiden oben ge¬
nannten unlöslichen Quecksilbersalze nicht zu befürchten sind.
Das Hg. salicyl. hat sich dem Hg. thymol.-acet. wesentlich über¬
legen gezeigt, soweit die Ausschaltung schädlicher Nebenwirkungen
in Betracht kam. besonders bei der Therapie der weiblichen Lues.
Injektionen ä 0,05 des Salzes sind im Ganzen und Grossen den
Patienten angenehmer als Injektionen il 0,1.
Herr Jooss: Ich möchte einen Fall von Lungenembolie ln
Folge Injektion von Hydrarg. salicyl. erwähnen, der mir selbst
passirt ist. Eine Stunde ungefähr nach der Injektion kam der
betr. Patient wieder zu mir mit schwerer Dyspnoe und mit Rassel¬
geräuschen und leichter Dämpfung im linken Unterlappen. Nach¬
dem er ca. 2 Stunden bei mir gelegen war, erholte er sich wieder
und nach 2—3 Tagen waren auch alle objectiven Symptome ge¬
schwunden.
Ich führe nun diese Lungenembolie uicht auf das Hydrarg.
salicyl., sondern auf das Suspensionsvehikel Paraffinum liquidum
zurück und habe es seitdem nicht mehr gewagt, Paraffin zu iu-
jiclren. Statt dessen nahm ich zur Suspension des Hydr. salie.
wässerige Sublimatlösung (1:1000) und Gummi arabicum. Doch
hatte dieses letztere die Eigenschaft, mit dem Hydr. sallc. sich zu
Klümpchen zusammenzuballen, die mir immer die Kanüle der
Pravazspritze verstopften. Desshalb ersetzte leb das Gummi
arabicum durch Glycerin und habe seitdem nie mehr den geringsten
Missstand bemerkt. Lungenembolie kam nicht mehr vor. Dess-
gleiehen blieb jegliche Iufiltrations- oder gar Abscessbildung in
den Glutaeeu aus und die Schmerzhaftigkeit der Injektion scheint
mir ebenfalls eine noch geringere zu sein als mit Paraftinum liqui¬
dum. Ich möchte daher diese Komposition empfehlen.
(Rp.: Hydrarg. salicyl. 5,0; Glyceriul g. s. ad suspensionem;
Solut. aquis. Subllmati '/<*, ad 50,0. >/ s —1 Pravaz’sche Spritze
alle 5—10 Tage.)
Herr Stern: Herrn Prof. Ivopp muss ich entgegnen, dass
meine einleitende Bemerkung bezüglich der seltenen Anwendung
der Injektlonskureu hier ln München sich ausschliesslich auf die
allgemein praktischen Aerzte bezog, also keineswegs auf die
SpeclaJürzte, Krankenhäuser und Polikliniken. Herr Prof. K o p p
wie Herr B a r 1 o w führen zwar die Grösse ihres Materials und
die momentan dabei erzielten Erfolge mit den Injektionen von
salicylsaureni Quecksilber an, äusseru sich aber keineswegs über
die späteren Resultate uud eventuell aufgetretenen Recidlve.
’ Schliesslich erlebten beide Herren ebenso wie Herr Jooss Em¬
bolien, wenn auch nur Je einmal, aber immerhin kann mau dieser
Gefahr, die in der Praxis recht fatal ist, entgehen, w’enn man
dem unschuldigeren, von mir erwähnten, Mittel den Vorzug gibt
und die unlöslichen Präparate, voran das salicylsaure Quecksilber,
nur iu Ausnahmsfällen auwendet.
Herr Generalstabsarzt z. D. Dr. v. Vogl: Ueber wissen-
schaftliche Hydrotherapie und „Wasserkuren“.
Wegen vorgerückter Zeit hält Herr v. Vogl nur den zweiten
Tlieil seines Vortrages, der sich mit dem Antheil des Laien an
der Hydrotherapie beschäftigt und eine Charakteristik der Priess-
nitz’schen uud Kneipp'scheu Wasserkur gibt. Der Vortrag, der
auch hervorragendes Interesse für weitere Kreise bietet, wurde
ausführlich in den Münch. Neueste Nadir. No. 189, 190 u. 192
uud in der Augsburger Abendzeitung No. 111 u. 112 veröffentlicht.
Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik
(Officlelles Protokoll.)
Sitzung vom 23. Mai 1901.
Herr F 1 a t a u: Heber einen conservativen Kaiserschnitt in
der Schwangerschaft aus seltener Indication; fundaler Quer¬
schnitt.
Frau Br., 40 Jährige verhelratliete Arbeiterin, wird von
Dr. W e 1 z e 1 in meine Klinik geschickt behufs Einleitung einer
künstlichen Frühgeburt, da die Schwangere den dringenden
Wunsch hat, ein lebendes Kind zu erhalten. Anamnestisch Ist zu
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2. Juli 1901.
MUENCIIENER MEDTCINISCITE WOCHENSCHRIFT.
1115
erwähnen, dass Frau Br. 4 mal entbunden worden ist, jedes Mal
vermittels Perforation des lebenden Kindes und Kranioklasie.
Trotz, dieser nothwendigen verkleinernden Operationen war die
Entwickelung der Kinder jedes Mal sehr schwierig. Als die Frau
sich mir vorstellte, war sie in der 30. Scliwangerschaftswoebe,
Kind ln II. Schädellage mit kräftigen Herztönen. Beckenmaasse
waren wie folgt: D. sp. 24 cm, D. er. 28, D. B. 18 cm; (’onjug. diago-
nalis ca. 9>/ 2 , stelle und hohe Symphyse, so dass ich die C. vera
auf höchstens 7 y a elnschätzeu musste. Das Sclieidengewölbe ist
durch narbige Verwachsungen verunstaltet, eine Portio fehlt voll¬
kommen, nach mühevollem Suchen findet sich ln den Narben-
maassen eine OefTnung für Sonde 4 (Schultze) durchgängig, aus
der sich offenbar Fruchtwasser entleerte. Auf Befragen gibt
Frau Br. an, dass sie diesen Abgang selbst schon bemerkt habe
und dass er erst in der letzten Nacht eingetreten sei. Keine
Wehe n.
Mein Gednnkengang war folgender: Würde man den offenbar
l>eginnenden Partus praematurus sich selbst überlassen, so wird
es l>el dem beständigen Wasserabfluss und der narbigen Striktur
der Fornlx der Portio eher zu einem Absterben des Kindes kom¬
men. als zu einer normalen Austreibung einer lebenden Frucht.
Foreirte Entbindungsversuohe durch Discission und Ineision der
Scheidennarben und der Cervix schienen mir für Mutter und Kind
auch nicht unbedenklich und in ihrem Resultat berechenbar. Das
sicherste Verfahren quoad Erhaltung eines lebenden Kindes konnte
nur im Kaiserschnitt bestehen, dessen Gefahren auch für die
Mutter mir vermeidbarer schienen, als unkontrolirbare Zerreiss-
ungen der unteren Geburtswege. Da die Mutter sofort einver¬
standen war. wurde alsbald an die Ausführung der Operation ge¬
gangen. Aethernarkose, leichte Beckenhocklagerung. Schnitt links
durch den Muse, rectus. circa handbreit über der Schoossfuge und
drei Finger breit über dem Nabel enigend. Vorwälzen des Uterus
und provisorischer Abschluss der Bauchhöhle vermittels einiger
Hakenzangen. Der fundaleQuerschnltt trifft die Plaeenta;
Ich vermied ihre Durchbohrung, sondern ging mit der Hand bis
an die Insertion der Elhilute, sprengte diese und extrahirte das
Kind ohne Schwierigkeiten. Blutung sehr mässig, sistirt voll¬
kommen nach Auslösung der Plaeenta und der Eihäute; in
der Schnittwunde kein spritzendes Gefiiss. Leichte Vemühung
des gut kontrnhirten, dickwandigen Uterus mit durchgreifenden
Cellnlnidzwim- und einigen sero-serösen Nähten. Nach Reposition
des Uterus VemHhung der Bauchdeeken.
Wie erwähnt, war der äussere Muttermund zu narbigen,
kleinen Oeffnungen umgewandelt: die Gefahr einer Retention
von Lochien veranlasste mich desswegen. in Steinschnittlage noch
eine stumpfe Dilatation bis zu 2 Fingerdicke vorzunehmen und
eine Jodoformgazedrain einzulegen.
Das Kind (Mädchen) kam apnoisch zur Welt und wurde nacli
ca. 10 Minuten langen Bemühungen seitens eines Assistenten
zum Schreien gebracht. Das Risiko, nach den Darlegungen von
Hahn nnd Glimmert diese Apnoe für eine physiologische
zu halten und sich selbst zu überlassen, wollte ich nicht auf mich
nehmen, wenn mir auch der Gedankengang beider Autoren
einleuchtet. Gewicht des Kindes 2880 g: Länge 47 cm.
Den von Fritsch angegebenen fundalen Querschnitt wählte
Ich. da ich seine Vorzüge anerkennen musste und an seine angei>-
lichen Nachthelle nicht glaulien konnte. Sauberkeit der Operation,
leichte Entwicklung des Kindes und der Eihäute, geringe Blutung
und bequeme Vernähbarkelt der Uteruswunde Hessen nichts zu
wünschen übrig. Eine gewisse Annemlsirung der Nahtstelle war
nicht zu leugnen, doch kann diese bei einer lege artis ausgeführten
Naht nicht bedenklich werden. Verlauf afebril, prima intentio.
(Autoreferat.)
Herr Riegel demonstrirt einen Patienten mit Akromegalie.
Der Patient, ein 24 jähriger Drechsler, zeigt seit etwa 5 Jahren
Krnnkheltserscheinungen. Es bestehen die bekannten Vergrös-
seningen fast des gesammten Knochensystems und der Weichtlieile
in sehr ausgesprochenem Mnassc, auch eine deutliche Struma ist
vorhanden. Dabei hat Patient, eine bedeutende Kyphose der Brust¬
wirbelsäule, die auch erst der Krankheit ihre Entstehung verdankt,
seine Zähne wurden locker und stehen weit auseinander. Uuter
Inständigen Kopfschmerzen hat das Sehvermögen mehr und mehr
gelitten. Rechts fast absolute Amaurose, links bei mässlger kon-
amtrischer Gesichtsfeldeinschränkung mit — 1,0 I) sph. S — */„.
Roth, gelb und weiss werden nicht erkannt. Ersteros wird für
braun, gelb für grün, weiss für hellgrün gehalten. Blau und grün
werden stets sicher l>ezeiehnet. Die Sehnervenpapillen sind beider¬
seits, besonders rechts, abgeblasst. Die Kopfschmerzen bestehen
hauptsächlich in einem beständigen Pulsircn ira Schädel, was dem
Patienten Nachts den Schlaf raubt. Puls 00. Dabei allgemeine
Müdigkeit. Obstipation. TIriniren normal. Harn etwas eiweiss¬
haltig, zuckerfrei. Patient ist seit 2 Jahren verheiratliet, hat zwei
Kinder erzeugt, von denen eines lebt und gesund ist. Seit einem
Vierteljahr is hier Kranke angeblich impotent.
Herr Hühl bespricht die diagnostischen Schwierigkeiten
eines von ihm beobachteten Falles von Appendicitis bei Gravidität
Im 5. Monat.
Herr Frankenburger berichtet ausführlich die Kran¬
kengeschichte eines Falles von traumatischer Wirbelerkrankung.
Ein 3G jähriger, vorher gesunder, zur Leistung schwerster
Arbeit fähiger Zlmmerpalier hatte nach einem Ruck an einem
schweren Sacke plötzlichen Schmerz in der 1. Seite verspürt.
Im Verlnufe einiger Tage wurde er allmählich arbeitsunfähig,
es stellten sich Druckempflndlichkelt des 0. Brustwirbels, Läh¬
mungserscheinungen und Atrophie am Oberschenkel, Sonsibilitüts-
störungen, enorme Steigerung der Patellarreflexe ein bei schwerer
Störung des Allgemeinbefindens, jedoch ohne Fieber. Blasenstör¬
ungen waren vorübergehend vorhanden. Auch ein Senkungsabsccss
trat nach Wochen auf. Nach Eröffnung des Abscesses trat ohne
weitere speeifische Therapie Rückgang der Erscheinungen und
auffallende Besserung ein. Der Verletzte kann zur Zeit wieder
ungestört gehen und leichte Arbeiten verrichten; es ltesteht noch
Druckempfindiichkeit d(*s 1). Brustwirbelfortsatzes, jedoch keine
Verbiegung der Wirltelsäule. Sonst sind nur noch leichte Störungen
der Sensibilität am Oberschenkel, sowie die Steigerung der Patel¬
larreflexe vorhanden. Das allgemeine Befinden ist ungestört, der
Vorletzte, welcher nach seinem Allgemeinbefinden vor 3 Monaten
dem Tode nahe schien, ist blühend und kräftig.
F. erörtert, der Reihe nach die differentialdiagnostiseh in Be¬
tracht kommenden Affektionen, Wirbelverletzung. Spondylitis trau¬
matica, Rückenmarksblutung, Blutung in die Häute. Es muss
wohl eine traumatische Wirbelerkrankung angenommen werden.
Die Annahme einer vorher bestandenen tuberkulösen Wirbclearics
glaubt F. nach der Anamnese und der auffallenden, ohne speei-
fische Therapie und ohne Gibbus erfolgten Besserung (fast Heilung)
ausschlicssen zu sollen.
Die Prognose dürfte allerdings noch immer nicht ganz
zweifelsfrei gestellt werden.
Sitzung vom 0. Juni 1001.
Herr Helbing II demonstrirt einen Fall von Pemphigus
des Rachens und der Nase.
Herr Bräutigam II demonstrirt ein 7 wöchentliches Mäd-
cheu mit vollkommener Ektopie der Harnblase.
Herr Fla tau erstattet einen ausführlichen kritischen
Bericht über den Gynäkologenkongress in Giessen.
Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Würzburg.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 13. Juni 1901.
1. Ilcrr Rostoski: Albumosurie und Peptonurie.
Die Ausscheidung des Bencc-Jonc s’schcn Eiweiss¬
körpers im ITam bei Fällen multipler Myelombildung im Kno¬
chenmark (hauptsächlich im Mark des Sternums und der Rippen)
muss man von der Albumosurie trennen. Mit den primären
Albumosen hat der Bencc-Jone s’sche Körper allerdings die
Löslichkeit seines Salpctersäureniedersclilages in der Hitze ge¬
meinsam. Vortragender möchte aber mit Magnus-Levy
die nahe Verwandtschaft des fraglichen Körpers mit dem koagu-
lablen Eiweiss betonen. Wie letzteres wird er schon durch kurzes
Verweilen unter Alkohol unlöslich gemacht. Ausserdem konnte
Vortragender zum ersten Male in seinem Fall beobachten, dass
ein bei 55—50 0 entstehender Niederschlag sich auch nicht spuren-
wei«e in der Hitze wieder löste. Auf das gegentheilige Verhalten
war aber bisher immer der nauptnachdruck gelegt worden. Gegen
seine specielle Einreihung als Heteroalbumoso, wie sie z. U.
Huppert vorgenommen hat, sprach ausserdem in dem Falle
des Vortragenden, dass der Körper, nachdem die im Alkohol-
niedersehlag befindlichen Salze dialysirt waren, nicht aus¬
fiel, also in reinem destillirtem Wasser löslich ist.
Die Ausscheidung des Bencc-Jone s’schen Ei Weisskörpers
geschieht stets in grossen Mengen, so dass sein Nachweis im
nativen Harn nie Schwierigkeiten bereitet.
Im Gegensatz dazu werden die echten Albumosen in so ge¬
lingen Mengen ausgeschieden, dass man sie in der Regel erst
(durch Phosphorwolf ram°äure, Ammonsulfat. Gerbsäure oder
Alkohol) aus dem ITam ausfiillen, wieder auflöseu und in der
nun konzentrirten und farblosen Lösung dureli die Biurotreaction
naehweisen muss. Die auf diese Weise gefundenen Albumosen
sind in der Regel Deutoroalbuinosen. Das Vorkommen von
echtem Pepton im Harn war bisher stets l>estritten worden.
Nach den auf Veranlassung des Vortragenden von Dr. T t o
Angestellten Versuchen findet sich jedoch auch echtes
Pepton im TTarn. Zum Nachweis desselben muss man
den Harn bei neutraler, saurer und alkalischer Reaction
mit. Ammonsulfat sättigen und in dem letzten Filtrat
eine Gerbsiiurefällung maehen. So fanden sieh unter 38 Fällen
(bei im Ganzen 150 Untersuchungen), bei denen Albumosurie
vermuthet werden konnte, 17 mal Albumosen und 8 mal neben
letzteren echtes Pepton. Ohne gleichzeitiges Vorhandensein
von Albumosen konnte Pepton nie konstatirt werden; ausserdem
fand es sieh stets in geringerer Menge als letztere.
Vortr. geht dann noeh auf die Bedeutung der Albumosurio
ein. Man hat dieselbe in Fällen konstatiren können, in denen
cs zur Einsehmelzung von pathologischem oder normalen Ge-
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1116
MUEN CHEN Eil MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
■webe kommt, hauptsächlich, wenn Leukocyten zerfallen (z. B.
bei eitriger Pleuritis, bei der krupösen Pneumonie), und betrach¬
tete desshalb die Albumosurie auch lediglich als einen Hinweis
auf diese Thatsache. Krehl, Matthes und deren Schüler
fanden Albumosurie dann als eine fast konstante Erscheinung
beim Fieber und andererseits gelang es ihnen, durch Injektion
von Albumosen der verschiedensten Herkunft Fieber zu erzeugen.
Sie halten es desshalb nicht für unwahrscheinlich, dass der
Symptomenkomplex des Fiebers seine Entstehung einer Ver¬
giftung mit den Produkten eines qualitativ veränderten Stoff¬
wechsels verdankt.
2. Herr Weygandt: Ermüdung und Erschöpfung.
Vortr. bespricht die geistige Ermüdung, während er körper¬
liche Arbeit nur so weit berücksichtigt, als sie auch auf die
psychische Leistung ermüdend wirkt. Eine Aehnliehkeit zwi¬
schen körperlicher und geistiger Ermüdung ist zuzugeben; doch
war es übertrieben, eine partielle Ermüdbarkeit auch auf psy¬
chischem Gebiet anzunehmen. Entgegen der V e r w o r n’schen
Unterscheidung zwischen Ermüdung und Erschöpfung nimmt
Vortr. hauptsächlich einen graduellen Unterschied an. Geistige
Arbeit wirkt in der Weise ermüdend, dass sie die Wahrnehmung
herabsetzt, das associative Denken und das Gedächtniss beein¬
trächtigt und auf psychomotorischem Gebiet eine Lähmung mit
einer kleinen Verminderung der Fehlrcactionen hervorbringt,
und körperliche Arbeit verschlechtert ebenfalls Wahrnehmung
und Gedächtniss, lockert den associativen Zusammenhang und be¬
wirkt eine psychomotorische Erregung mit Vermehrung der Fchl-
reactionen. Von den Faktoren der Erschöpfung wird dem Ex¬
periment zugänglich die chronische geistige Ueberanstrengung,
der Nahrungs- und der Schlafmangel. Nahrungsenthaltung
lockert das associative Denken, schwächt das Gedächtniss und
lähmt nie Psychomotilität unter Vermehrung der Fehlrcactionen,
während die Auffassung unbeeinflusst bleibt (bei 72 Stunden
Nahrungsenthaltung). Schlafmangel (durchwachte Nacht)
schwächt die Auffassung beträchtlich, lockert den associativen
Zusammenhang, verschlechtert das Gedächtniss und bringt eine
psychomotorische Erregung hervor. Die elcktive Wirkung der
verschiedenen Faktoren, die an die psychische Elektivwirkung
vieler Gifte erinnert, spricht für die Auffassung autointoxika-
torischer Vorgänge bei der Nahrungsenthaltung, Muskel¬
arbeit etc. Es ergeben sich Schlüsse für die Psychiatrie, Schul¬
hygiene, Psychohygiene und allgemeine Therapie. (Demon¬
stration von 20 Diagrammtafeln.)
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Soci6t€ de Chirurgie.
Sitzung vom 7. und 15. Mal 1901.
Die Anaesthesie durch die intralumbale Cocaininjektion.
N 6 1 a t o n hat dieselbe 150 mal angewandt und kommt zu
dem Ergebnisse, dass sie eine Methode von ungleicher Wirkung ist.
Für einfache Operationen ist sie von Vortheil, aber nicht fiir
schwierigere und länger dauernde. N. würde sie bei Laparotomien,
vaginalen Hysterektomien, Knieresektionen nicht anwenden;
sicher biete sie gewisse Vorzüge vor der Chloroformauaesthesie,
aber eben wegen der unsicheren, ungleichen Wirkung müsse man
sehr vorsichtig sein. Bei 8 Kranken, die nicht genügend auaestlie-
sirt waren, liess N. einige Tropfen Chloroform noch inhaliren und
zwar mit gutem Erfolg, cs könnte also die Vereinigung beider
Methoden nützlich sein.
Schwartz hat die „Rnehicocainisation“ an 49 Patienten
im Alter von 10—00 Jahren angew-andt und zwar für Operationen
an den Unterextremitäten und am Stamm. G mal war die An¬
aesthesie gleich Null, ln 2 weiteren Fällen nur halbseitig. Obw T ohl
sie im Allgemeinen gute Resultate ohne ernste oder anhaltende
Zufälle gibt, glaubt Schwartz doch, dass sie nicht verall¬
gemeinert werden könne und dass man unter gewissen Umständen
das vorhandene Bewusstsein des Kranken während der Operation
berücksichtigen muss.
Ri c a r d hat die Methode 50 mal angewandt, al>er wieder ver¬
lassen, da eine Reihe von Nebenerscheinungen, wie hartnäckige
Kopfschmerzen, Erbrechen, Blässe des Gesichts, Angstgefühl, wenn
auch nicht Verhängnis«voll, so doch recht unangenehm waren.
Itecl us erwähnt ausser den bekannten Nebenerscheinungen
noch Incontinenz des Sphinkters, welche er unter 89 Fällen 10 mal,
also relativ häufig beobachtet hat. Im Allgemeinen tritt nach
seinen Erfahrungen die Anaesthesie nach 2—3 Minuten, oft aber
auch erst nach 15—20 Minuten ein; die Grenzen der anaesthesirten
Gegend sind wechselnde von der Schamgegend bis zum Nabel,
gehen aber nie über letzteren hinaus. R e c 1 u s erwähnt nochmals
die 7 Todesfälle, welche er der Methode zuschreibt; trotz aller ge¬
machten Vorhalte glaubt er an deren Zukunft, vorausgesetzt, dass
sie verbessert werde.
B a z y erlebte in einem Fnlle von Rachlcocainisation Blasen- #
und Sphinkterenlälnuung; R o u 11 e r hat diese Injektionen 4 mal
gemacht, zwar die Anaesthesie erzielt, zugleich aber Erbrechen
und Kopfschmerzen; Guinard gelang es nicht, in einem Falle,
wo die Trepanation und Drainage des Rückeumarkskanales an¬
gezeigt erschien, die Anaesthesie mit Cocaininjektion zu erzielen.
M archant hingegen konnte mit dieser Methode ein grosses
Gebärmutterfibrom bei einer Patientin, wo Chloroform gefährlich
schien, unter völligem Erfolg entfernen.
Sitzung vom 22. und 29. M a 1 1901.
Lejars hat die Rachlcocainisation bei 33 Kranken
angewandt, bei einigen davon mit idealem Erfolge; völlige An¬
aesthesie und keine Nebenerscheinungen. Er glaubt jedoch nicht,
dass sie landläufig werden könne. Man muss mit den Schwierig¬
keiten rechnen, welche zmveilen die Punktion in Folge specieller
anatomischer Verhältnisse oder in Folge von Reflexbewegungen
bietet: ausserdem besteht eine Variabilität sowohl bezüglich des
Augenblickes, in welchem die Analgesie eintritt, wie auch bezüg¬
lich des Grades derselben. Trotzdem könnte eine Indieatlon für
diese CocaJninjektion bestehen bei Lungenkranken, bei Jenen,
xvelche die Chloroformnarkose scheuen, und in Fällen mangelnder
Assistenz.
P o i r i e r hat in 53 Fällen die Methode angewandt, ln 8 Proc.
Misserfolg gehabt (5 Fälle von Operationen an den weiblichen
Geschlechtsorganen); er zieht daher das Chloroform vor.
Chaput missglückte bei einem Patienten trotz 5 maliger
Versuche die Punktion, hat jedoch ausser den bereits mitgetheilten
4 weitere Fälle zu verzeichnen, wo die Anaesthesie eine voll¬
ständige war.
Legueu hat 150 Fälle mit der Rachlcocainisation behandelt,
nur 4 vollständige Misserfolge zu verzeichnen und in keinem Falle
während der Operation schwere Zufälle gehabt, nach derselben ln
etwa 20 Fällen Erbrechen, in einigen anderen Uiinretention, Müdig¬
keitsgefühl u. s. w. Die Methode ist jedenfalls nicht schlechter als
die anderen und scheint für die Operationen am unteren Theile
des Körpers indicirt. contraiudiclrt bei Laparotomien, bei Kindern
und nervösen Individuen.
Guinard hat zwar nur 8 mal die Methode angewandt, er¬
lebte aber nie Kopfschmerzen als Folgeerscheinung: er führt dies
auf seine Technik zurück, welche darin t>esteht, dass er zuerst
2 Pravazspritzen des Liquor cerebrospinalis ausfliessen lässt und
dann erst ebensoviel von der Cocainlösuug injicirt.
Tuff ier weist In präeiser, eingehender Form all’ die ver¬
schiedenen Einwände zurück, welche mau gegen die Rachicocaini-
sation erhoben hat, führt neuerdings die Wirkungen des Cocains
auf die verschiedenen Systeme und die Indieationen der Methode
an uud schliesst, dass dieselbe, in der Mitte zwischen lokaler
Cocalnanaestliesie und allgemeiner Narkose stehend, dauernde
Beachtung verdiene.
Aus den englischen medicinischen Gesellschaften.
Edinburgh Medico-Chirnrgical Society.
Sitzung vom 6. März 1901.
Myasthenia gravis.
Edwin Bramwell macht auf die Nothwendigkeit einer ge¬
nauen Kenntuiss dieser Krankheit aufmerksam. Sie wird oft
fälschlich als Hysterie diagnostizirt, ein oft verhängnisvoller Irr¬
thum, da die Myasthenie unerkannt in der Regel tüdtlich verläuft,
während sie durch passende Behandlung einem günstigen Aus¬
gang zugeführt w r erden kann. Folgender Fall kann als typisches
Beispiel dienen: Ein 23 jähriges Fräulein, Lehrerin, die sonst stets
gesund gewesen war, bemerkte 10 Wochen vor der Aufnahme
Schwierigkeit beim Sprechen, Kauen und Schlucken, und es war
eine Schwäche der Augenmuskeln, sowie am Hals und in den
Armen zu konstatiren. Morgens befand sich die Patientin am
wohlsten, die Symptome steigerten sich allmählich im Laufe des
Tages. Bei fortgesetzter Tliätigkelt trat neben lebhaftem Er¬
müdungsgefühl eine zeitweilige Parese der Muskeln ein. Dabei
waren die Muskeln nicht ntrophisch, die tiefen Reflexe konnten
prompt ausgelöst werden, Sphinkteren intakt, ebenso wie die spe-
ciellen Sinnesorgane. Als ungewöhnliche Momente sind bei diesem
Falle das Fehlen von jeglicher Schwäche in den Beinen und
von Ptosis zu erwähnen. Es handelt sich hierbei um einen eigen-
tliümlichen Zustand der Muskeln, zufolge dessen dieselben durch
aktive Bewegung schnell ermüden. Der anatomische Sitz der
Krankheit ist wahrscheinlich in den motorischen Nerven, nach
den klinischen Erscheinungen zu schliessen vermuthlich den
unteren, zu suchen. Von D e j e r i n e uud Thomas liegt ein
Obduktionsbericht vor, doch fohlt noch eine weitere Bestätigung
ihrer Befunde. Die Prognose ist stets sehr unsicher. Von
60 Fällen, die in der Literatur verzeichnet sind, endigten 23 tödt-
lich. Ein wichtiges diagnostisches Zeichen ist die schnelle Er¬
müdung der Muskeln auf Faradisiren. In therapeutischer Bezieh¬
ung sind neben Vermeidung von körperlicher und geistiger An¬
strengung eventuell Inhalationen von Sauerstoff bei bedrohlichen
Erscheinungen und Injektionen von Salzlösung zu versuchen.
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5. Juli lööi.
MÜEtfCItfcttEfc MEDIC1NISCI1E WOCtlEtf SCimtFT.
111 ?
lieber den Einfluss von Medicamenten auf die Leber
sprechen P a t o n und E a s o n. Von der Voraussetzung ausgehend,
dass die Umwandlung des überschüssigen Stickstoffs der Nahrung
zu Harnstoff hauptsächlich ln der Leber vor sich geht, versuchten
die Verf. aus der Menge des bei Darreichung gewisser Medicamente
im Urin ausgeschiedenen Harnstoffs Beweismaterial zu sammeln.
Frühere Beobachtungen hatten ihnen ergeben, dass das Diphtherie¬
toxin die Umwandlung von N zu verzögert und dass das
Verhältnis von Harnstoff im Urin zur Zelt des gesteigerten Leber¬
stoffwechsels während der Verdauung zunimmt. Es wurde nun
ein ca. 18 Kilo schwerer Jagdhund auf abgemessene Tagesrationen
gesetzt und nach Eintritt von Stickstoffgleichgewicht das be¬
treffende Medikament verabreicht. Daß vorläufige Ergebniss der
allerdings nicht sehr zahlreichen Versuche lautet: Sulphonal, Alko¬
hol und Leuchtgas besitzen einen ausgesprochenen Einfluss auf
den Umsatz von N zu Harnstoff, während Chinin ln kleinen Dosen
und Morphium in grossen Dosen wirkungslos blieben. Nach Ein¬
wirkung von Leuchtgas war der Procentsatz von Schwefeloxyd
gegenüber dem Gesammtscbwefelgehalt des Urins herabgesetzt,
analog der Verminderung der Harnstoffbildung, während Morphium
auch ln Bezug auf die Oxydation des Schwefels ohne Einfluss blieb.
Alkohol bewirkte eine Steigerung der Harnsäureausscheidung und
setzte den Procentsatz des als Harnstoff ausgeschiedeueu Stick¬
stoffs von 79,5 auf 73,Q herab.
Philipp!- Bad Salzschlirf.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztek&mmer für die Provinz Brandenburg; uncl den
Stadtkreis Berlin.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 15. Juni 1901.
(Schluss.)
Herr S. Davidsohn erstattet den Bericht und legt einen
Entwurf der Satzungen für die Uuterstützungskasse vor. Dieser
Entwurf wird berathen und mit einigen Modifikationen ange¬
nommen. Die angenommenen Satzungen lauten:
J.) Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den
Stadtkreis Berlin begründet eine Unterstützungskasse zu dem
Zwecke, Aerzte des Kammerbezirks und deren Hinterbliebene im
Falle der Bedürftigkeit zu unterstützen.
2) Den wahlberechtigten Aerzten des Kammerbezirks, welche
3 Jahre Beiträge gezahlt haben, sowie deren Hinterbliebenen
(Walsen bis zum vollendeten 18. Lebensjahre), welche Vermögen
oder anderweitige Einkünfte in ausreichendem Maasse nicht be¬
sitzen oder für ihren Unterhalt nicht oder nicht genügend sorgen
können, wird eine Unterstützung nach Maassgabe des an zustän¬
diger Stelle festgestellten Bedürfnisse« und der verfügbaren Mittel
gewährt. In Fällen, in denen die Bedingungen für Gewährung
einer Unterstützung nicht erfüllt sind, entscheidet das Kuratorium.
Ein gerichtlich geltend zu machender Anspruch auf Unter¬
stützung besteht nicht.
3) Bei dem Wegzuge aus dem Kammerbezirke kann die Unter¬
stützung nur gewährt werden, falls die Bedürftigkeit glaubwürdig
nachgewiesen wird.
4) Die Mittel werden beschafft:
a. Durch die von der Kammer Jährlich überwiesenen Beiträge.
b. Durch Schenkungen, Vermächtnisse und sonstige Zuwen¬
dungen.
Stiftungen, auch solche mit Sonderbestimmungen, insofern
sie dem Zwecke der Kasse nicht widersprechen, ebenso das Ver¬
mögen anderer ärztlicher Unterstützungskassen, wenn letztere das¬
selbe hierher überantworten, können nach Maassgabe der etwa
bestehenden besonderen Bestimmungen zusammen mit der Unter¬
stützungskasse der Aerztekammer verwaltet werden.
Soweit die Satzungen solcher Stiftungen und Kassen keine
abweichenden Bestimmungen enthalten, gelten für sie die Satz¬
ungen der Unterstützungskasse der Aerztekammer.
Aerzte und ärztliche Körperschaften, welche der Unter¬
stützungskasse eine Schenkung von mindestens 300 M. machen,
können in den Listen und Berichten (auch nach dem Tode) unter
der Bezeichnung „immerwährende Mitglieder“ geführt werden.
Die immerwährende Mitgliedschaft kann auch für einen verstor¬
benen Arzt durch die entsprechende Einzahlung erworben werden.
5) Einnahme- und Ausgabe-Etat
Die ordentlichen Einnahmen sind die von der Kammer Jährlich
überwiesenen Beträge.
Die ausserordentlichen Einnahmen setzen sich zusammen aus
Schenkungen und Stiftungen, aus den Zinsen derselben, ans der
Einnahme der für die Kasse verwalteten Stiftungen und Unter-
stützungskassen und den Einnahmen aus sonstigem Vermögen,
sowie aus den Ueberschüssen der ordentlichen Einnahmen der
Vorjahre.
Nur die Zinsen der ausserordentlichen Einnahmen dürfen zu¬
sammen mit den ordentlichen Einnahmen zu den laufenden Aus¬
gaben verwendet werden.
G Die ausserordentlichen Einnahmen sind regelmässig zu einem
Reservefonds anzusammeln. Der Stamm des Reservefonds kann
nur, wenn Ausnahmsverhältnisse eintreten und die zuständigen
Organe ausdrücklich solche als gegeben erklären, bis zum Höchst¬
betrage der letzten ordentlichen Jahreseinnahme zu Unterstützungs¬
zwecken verwendet werden.
Es sind aus den ordentlichen Jährlichen Einnahmen min¬
destens 20 Proc. zu dem anzusammelnden Reservefonds anzulegen.
Falls der Reservefonds die dreifache Höhe der ersten ordent¬
lichen Jahreseinnahme erreicht hat, wird aus den Ueberschüssen
ein eiserner Fonds gebildet. — Zu diesem sind auch die
Vermögensbestandtlieile der Stiftungen und hinzugetretener Unter-
stützuugskassen gehörig.
Wenn der Bestand des -eisernen Fonds ein geeigneter ist,
spätestens aber wenn er mindestens die zehnfache Höhe der ersten
ordentlichen Jahreseinnahme erreicht hat, soll ein versicherungs¬
technisches Gutachten eingeholt werden, ob und wann die Mittel
ausreichen zu einer allgemeinen Versicherung in Bezug auf die
Wittwen- und Waisen Versorgung und gegen Invalidität.
7) Die Verwaltung und Leitung steht unter Aufsicht der
Kammer und des Vorstandes derselben. Die Mitglieder der Ver¬
waltung haben dem Aerztekammervorstande auf Erfordern, sowie
Jährlich einen Bericht au die Kammer über Einnahmen und Aus¬
gaben sowie über den Kassenbestand zu erstatten und die Beschlüsse
der Kammer zu befolgen.
8) Die Verwaltung besteht:
a. Aus dem Kuratorium der Uuterstiitzungskas.se für die
Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin. Dieses setzt sich
zusammen aus 9 Mitgliedern, und zwar 4 aus Berlin, 2 Vertretern
der Berliner ärztlichen Uuterstützungskasse und der Willielm-
Augusta-Stiftung (im Falle des Beitritts derselben), und aus 3 der
Provinz (darunter 1 aus den Vororten), sowie aus 9 Stellvertretern
mit derselben örtlichen Vertretung. Zum Kuratorium müssen
mindestens 3 Mitglieder der Kammer gehören, darunter der Kassen¬
führer derselben. Den Vorsitz führt ein Mitglied der Kammer.
b. Aus drei Prüfungsausschüssen, Je einem für Berlin, für den
Regierungsbezirk Potsdam, für den Regierungsbezirk Frankfurt.
Jeder Prüfungsausschuss setzt sich zusammen aus mindestens
5 wahlberechtigten Aerzten des engeren Bezirkes. 5 Stellvertretern
und dom Regieruugs-Medlcinalrath. Jedem Prüfungsausschuss
muss mindestens ein Mitglied des Kuratoriums angehören. Den
Vorsitz im Prüfungsausschuss führt, ein Mitglied des Kuratoriums,
welches gleichzeitig Mitglied der Kammer ist. Im Uebrigen ver¬
theilen das Kuratorium wie jeder Prüfungsausschuss die Aemter
unter sich (2. Vorsitzender, Schriftführer, Kassenführer u. s. w.)
9) Sämmtliche für die Verwaltung nach Vorstehendem be-
zeichneten Personen, insoweit es im Vertrage mit den hinzutretenden
Kassen und Stiftungen nicht anders bestimmt ist, werden von der
Aerztekammer auf die Dauer der Wahlperiode gewählt.
10) Das Kuratorium übernimmt die Verwaltung der Unter¬
stützungskasse, der damit verbundenen Kassen und Stiftungen;
es trügt, die Verantwortlichkeit über die gesummten Einnahmen
und Ausgaben sowohl gegenüber der Kammer, wie auch gegen¬
über den Prüfungsausschüssen und hat darüber ordnungsmässig
Buch zu führen. Beschlüsse werden nach einfacher Mehrheit ge¬
fasst und sind nur giltlg, wenn mindestens 5 Mitglieder anwesend
sind. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des jeweiligen
Vorsitzenden. Bei Behinderung oder Austritt der Mitglieder sind
die Stellvertreter einzuberufen. Das Kuratorium hat ein Ein¬
spruchsrecht gegen die Beschlüsse der Prüfungsausschüsse, ins¬
besondere wenn es sich um die Berechtigung und die Höhe der
Unterstützungen handelt; dasselbe hat das Recht, im Allgemeinen
die Höchst- und Mindestsätze der zu vertheilenden Untcrstützungs-
summen jährlich festzusetzen. Bel Ueberschreituug solcher fest¬
gestellten Sätze im Einzelfalle muss die Genehmigung des Kura¬
toriums seitens des Prüfungsausschusses unter eingehender Be¬
gründung des Antrages vorher eingeholt werden.
11) Der Prüfungsausschuss hat den Verkehr mit den Hilfe¬
suchenden zu unterhalten, die Gesuche zu prüfen, Unterstützungen
zu gewähren, ungeeignete Gesuche abzulehnen und über Eingang
und Ausgang Rechnung zu legeu. Er hat über die Zahl der Ge¬
suche und der Unterstützten, über die Höhe der in jedem Eiuzel¬
falle gewährten Summen, Über die Familienverhältnisse, soweit
sie die Bedürftigkeit oder das Aufhören der Unterstützung be¬
gründen, Buch zu führen.
12) Der Prüfungsausschuss für Berlin muss vierteljährlich
und zwar vor Beginn des Vierteljahres zur Erledigung der Gesuche
einberufen werden, die Prüfungsausschüsse für die Provinz nach
Bedarf, aber mindestens 1 mal im Geschiifsjahre. Ueber die
Sitzung ist ein Protokoll zu führen und von den Anwesenden zu
unterschreiben. Nach der Feststellung des Bedarfs hat der Vor¬
sitzende jedes Prüfungsausschusses die zu vertlieileuden Summen
vom Kuratorium einzufordern. Für schleunig zu erledigende Fälle
hat jeder Prüfungsausschuss einen Baarbestand von 500 Mk. be¬
reit zu halten. In dringenden Fällen können die Gesuche durch
ein bei den Ausschussmitgliedern umlaufendes Schreiben erledigt
werden, doch ist dieses in der folgenden Sitzung zu bemerken.
Unterstützungen werden längstens auf 1 Jahr bewilligt. In
geeigneten Fällen ist den Gesuclistellcrn anheimzugelten, bei Fort¬
dauer der Bedürftigkeit von Neuem vorstellig zu werden.
Der Prüfungsausschuss fasst seine Beschlüsse nach einfacher
Mehrheit; zum gütigen Beschluss sind mindestens 3 Stimmen notli-
weiulig. Bel Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des je¬
weiligen Vorsitzenden. Bei der Behinderung oder beim Aus¬
scheiden der Mitglieder sind die Stellvertreter einzuberufen.
13) In Bezug auf die Vertretung nach aussen in allen Rechts¬
geschäften, in Bezug auf die Rechuungs- und Buchführung, auf
die Kassenrevlsiou sowie in Bezug auf die Rechnungslegung an
die Kammer, kommen die entsprechenden Bestimmungen der
Kassenordnung der Aerztekammer in Anwendung.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
ms
14) Sollte eine Thoilung der Aer/.tekammer eintreteu, so fl fassen
die Mittel aus den mitverwalteten Kassen und Stiftungen, sowie
die für besondere Gebietstheile bestimmten Geschenke unter Be¬
rücksichtigung der örtlichen Eintheilung au die entsprechende
neue Kammer. Die durch das Umlageverfahren sonst augesam-
melten Mittel und die Zinsen aus denselben werden im Verhält¬
nis« der von den einzelnen Bezirken aufgebrachten Kammerbei-
triige getheilt.
lö) Aenderungen dieser Satzungen können nur durch einen
Beschluss der Aerztekammer vorgenommen werden.
Die übrigen Gegenstände der Tagesordnung werden vertagt.
P. II.
Auswärtige Briefe.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Wien, 20. Juni 1901.
Das Wahlrecht der Aerztin. — Zur Reform des Kranken-
versicherungsgesetzes. — Die Forderungen der Aerzte Oester¬
reichs. — Aerzte als Geschworene. — Transplantationen von
Schleimhautstücken im Verdauungstrakte.
l)cr Vcrwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der
Baronin Dr. .Pos sann er entschieden, dass diese Aerztin und
mit ihr alle künftigen Aerztinnen sowohl das aktive als das
passive Wahlrecht in die Aerztekammer haben. Das Wahlrecht
in die Aerztekammer wurde der einzigen derzeit zur Praxis in
Wien berechtigten Dame seitens des Magistrats, der Statthalterei
und des Ministeriums des Innern bisher auf Grund des § 6 un¬
seres Kaminergesetzes verweigert, in welchem es heisst, dass vom
Wahlrechte und der Wählbarkeit ausgeschlossen seien: „Alle
Mitglieder, welche nach den bestehenden Gesetzen von der Aus¬
übung des aktiven und passiven Wahlrechtes in der Gemeinde
ausgeschlossen sind.“ Mit Recht machte ihr juristischer Ver¬
treter vor dem Verwaltungsgerichtshofe geltend, dass das Wahl¬
recht in der Aerztekammer nicht schlechthin vom Wahlrecht
in der Gemeinde abhängig gemacht werden dürfe; nur wer vom
Wahlrecht in der Gemeinde ausgeschlossen, nicht aber
vom Wahlrecht (ohne Verschulden) ausgenommen ist, be¬
sitze nicht das Wahlrecht in die Aerztekammer. Frau Gabriele
Dr. Baronin Possannersei von der Ausübung des Wahlrechtes
in der Gemeinde nicht ausgeschlossen, denn sie habe nichts an¬
gestellt; sie besitze nur als Frau das Wahlrecht nicht. Schliess¬
lich streifte der Sachanwalt auch die Frauenfrage und führte
aus, dass es einer Frau auch gestattet sein müsse, in den sie be¬
treffenden Angelegenheiten mitsprechen zu dürfen etc. etc.
Nun hat derselbe Verwaltungsgeriehtshof auf Grund
desselben Paragraphen unseres Kammergesetzes vor Jahres¬
frist mehr als 300 Aerzten Wiens das aktive und passive Wahl¬
recht in die Kammer entzogen mit der Begründung, dass
diese 300 Aerzte nicht das Wahlrecht in der Gemeinde besässen,
da sie Ausländer (Ungarn) seien. Für unseren Laienverstand
ist es einfach unerfindlich, warum die Gründe, welche heute für
die Zuerkennung des Wahlrechtes an die Aerztin geltend ge¬
macht und wie es scheint vom Verwaltungsgeriehtshof auch als
richtig anerkannt wurden, seinerzeit, als es sich um 300 ungarische
Aerzte handelte, die ebenfalls in Wien praxisberechtigt waren
resp. cs noch heute sind, als unstichhaltig angesehen wurden.
Wir erwarten eine offizielle Aufklärung dieser merkwürdigen
Interpretation einer Gesetzesstelle seitens unseres obersten Ge¬
richtshofes.
Die Präsidien der Aerztekammern von Wien, Niederöster¬
reich und Mähren haben gemeinsam und im Namen aller Kam¬
mern Oesterreichs den beiden Häusern des Reichsrathes (Ab¬
geordneten- und Herrenhaus) eine Petition und eine Denkschrift
über die Reform des Krankenversieherungsgcsetzes überreicht.
In der Petition werden die Forderungen der Aerzte
in folgender Weise präzisirt: Es soll die Zugehörigkeit zu einer
Krankenkasse von dem Einkommen des zu Versichernden ab¬
hängig gemacht werden. Die Versicherungs p f 1 i c h t soll nur
bis zu einem Einkommen von 2000 Kronen ausgedehnt, das Ver¬
sicherungs recht (der freiwillige Beitritt) soll gänzlich auf¬
gehoben oder ebenfalls nur bis zu einem Einkommen von 2000 K.
gestattet werden. Es soll im Gesetze ausdrüeklieh die Möglich¬
keit ausgesprochen werden, dass die „freie ärztliche Behandlung“
auch nach dem Systeme der freien Arztwahl stattfinden
kann; für Orte von mehr als 20 000 Einwohner soll diese Art des
ärztlichen Dienstes als Regel normirt werden. Es sollen in das
Gesetz oder in das Musterstatut Bestimmungen über die ent¬
sprechende Ilonorirung der kassenärztliehen Leistungen auf-
-genommen werden (eigener Tarif für Einzelleitungen resp. für
Pauschalbezahlugen eine nach der Kopfzahl der Versicherten
fixirte Jahrespausehaiquote). Einem Kassenarzte sollen nur
800—1000 Versicherte zur Behandlung im Erkrankungsfalle zu-
gewiesen werden können. Weitere Forderungen beziehen sich auf
die rechtliche Stellung der Kassenärzte bei den Kranken¬
kassen und betreffen die Anstellung derselben (rechtsgiltige Ver¬
träge), Instruktionen für den Dienst, Einsetzung eines Schieds¬
gerichtes aus beiden Theilen, Entlassung von Kassenärzten etc.
Bezüglich der Meisterkrankenkassen wird die Forderung wieder¬
holt, dass das betreffende Gesetz dahin abgeändert werde, dass
die Meisterkrankenkasseu verpflichtet sein sollen, ihren Mit¬
gliedern ein Krankengeld, nicht aber berechtigt sein sollen,
denselben ärztliche Behandlung zu gewähren. — Da unser Ab¬
geordnetenhaus sieh schon vertagt hat, wird diese Angelegenheit
— im günstigen Falle — erst im Herbste 1. J. zur Verhandlung
kommen.
In der Aerztekammer für Kärnten wurde jüngst ein Antrag
gestellt, dahin zu wirken, dass die Aerzte vom Geschwornendiensto
befreit, resp. dass dieselben aus den Geschwornenlisten völlig ge¬
strichen werden. Der Gerichtsarzt, kais. Rath Dr. R. v. J o s c h,
als Referent bestellt, führte aus, dass in Kärnten (wie auch
anderwärts) Aerzte nicht zu Geschwornen ausgelost würden. Auch
könne jeder Arzt, der eine Befreiung vom Geschwornendienst
anstrebe, dies im Wege des Bürgermeisteramtes erreichen, welches
ihn als unentbehrlich bezeichnen wird. Nachdem aber die Func¬
tion eines Geschwornen zu den Rechten eines Staatsbürgers ge¬
höre, erschiene es nicht zweckmässig, sieh desselben freiwillig zu
begeben. Diese Ausführungen wurden dankend zur Kenntniss
genommen.
In der letzten Sitzung unserer Gesellschaft der Aerzte demotv
strirte Doeent Dr. Emerich Ullmann mikroskopische Prä¬
parate über die Transplantation von verschiedenen Abschnitten
des Verdauungstraktes. An jungen Schweinen wurden diese Ver¬
suche wiederholt und in variirter Weise ausgeführt, so dass ein
Magenstück in den Dünn- oder Dickdarm, resp. ein Dünn- oder
Dickdarmstiiek in den Magen, Dünndarm in den Dickdarm und
umgekehrt Dickdarm in den Dünndarm eingepflanzt wurden.
Die transplantirten Stücke heilten in allen Fällen prompt ein.
Die in den Magen transplantirten Stücke schrumpften zumeist
sehr stark, bis auf ein Viertel der ursprünglichen Grösse ein, bei
Implantation von Dickdarm in den Magen entstanden stets Ge¬
schwüre. In einem ferneren Falle wurde ein handtellergrosses
Stück eines Hundemagens in den Magen eines Schweins ein¬
gepflanzt und das Thier nach 3 Monaten getödtet. Das Schwein
gedieh vortrefflich, das eingesetzte Hundemagenstüek war aber,
wie in allen Transplantationen in den Magen, sehr stark einge-
sehrumpft und in der Mitte des implantirten Stückes war ein
Geschwür. Bezüglich der Einheilung gestielter Darmstücke war
kein Unterschied zu bemerken. Da wo Magen in Dünndarm oder
Dünndarm in Magen transplantirt wurde, sind keine Geschwüre
entstanden und erfolgte die Einheilung prompt.
Auf die Anfrage v. Eiselsber g’s, ob es sich nach diesen
Experimenten empfehlen würde, in jenen für die Deckung der
Substanzverluste schwierigen Fällen von grossen chronischen
Geschwürsbildungen am Magen Darmabschnitte zu verwenden,
antwortet IIllma n n, dass man an Menschen eine Ueber-
pflanzung von Dünndarm auf Magen im gegebenen Falle jeden¬
falls versuchen könnte, während eine Ueberpflanzung von Dick-
darm in Magen zu widerrathen wäre. Zum Schlüsse wies Hof¬
rath Exnor, in dessen Institut diese Versuche ausgeführt wurden,
auf das physiologische Interesse derselben hin. Es scheint, dass
jede Schleimhaut für sich, jedes Stück derselben, sich gegen ganz
fremde Verdauungssäfte schützen könne.
Briefe aus Italien.
(Eigener Bericht.)
Der Tag war herrlich, ein wahrer Maientag, mit strahlend
blauem Himmel, mildem Lüftchen und spiegelglattem Meer. Die
Natur lockte hinaus aus der Stadt und ich sagte mir, dass es am
besten sei, den geplanten Ausflug nach Ischia sogleich auszu¬
führen. Nach einem ausgezeichneten Frühstück — man denke;
Wiener Küche und Pschorrbräubier 1 — war ich bereit, mit Wohl-
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2. Juli 1901.
MUENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1119
gefallen und Behagen alle Schönheiten und Freuden zu gemessen,
die mich, oder besser gesagt, die uns erwarteten. Beim Früh¬
stück im Restaurant Bavaria in der Gallerie war ich nämlich
neben einen Deutschen zu sitzen gekommen, und ein wenig dem
uns Italienern angeborenen Zug folgend, gleich mit Jedermann
anzuknüpfen, ein wenig, weil ich mir einem Deutschen gegen¬
über nur ungern die Gelegenheit entschlüpfen lasse, mich auch
ein bischen als Deutscher zu zeigen, hatte ich ihn in ein Ge¬
spräch verwickelt; wir hatten schliesslich unsere Karten aus¬
getauscht und der blonde Recke hatte sich als Kollege aus Pom¬
mern entpuppt. Wie ich selbst, wollte auch er sich nur kurze
Zeit in Neapel aufhalten, um Stadt und Umgegend zu besichtigen.
Hein Vorschlag, mit mir zusammen nach Ischia zu fahren, wurde
von dem pommer’schen Kollegen, der mehr Latein als Italienisch
verstand, mit Freude angenommen und eine halbe Stunde später
trug uns einer der schönen Dampfer der Firma Manzi aus dem
Hafen. Das Panorama Neapels breitete sich vor uns aus und ich
-ah mit Freude, mit welchem Entzücken mein Reisegefährte seine
Augen bald auf Neapel, bald auf dem Vesuv, dem Posilippo und
dem fernen Capri ruhen liess und von Zeit zu Zeit begeistert aus¬
rief: „Herrlich! Wunderschön 1“
Es ist mir nicht vergönnt, hier die Einzelheiten der Fahrt
näher zu beschreiben; ich möchte daher nur kurz auf die wunder¬
volle Lage der Insel Ischia hinweisen, die idyllischen Dörfer, die
sich in den Buchten zu verstecken scheinen, den Berg Epomeo,
ehemaligen Vulkan, der gigantisch die kleinen Orte überragt
und von dessen Gipfel man eine der herrlichsten Aussichten
vom Cap der Circe über den Golf vouGaeta und Neapel, über Capri,
di*- Höhen bei Sorrent bis zu den fernen schneebedeckten Gipfeln
der Abruzzen geniesst. An seinen Hängen, wie überhaupt über¬
all auf dieser gesegneten Insel gedeiht ein wahrer Göttertrank.
Wir fuhren am Ufer der Insel entlang, vorüber an dem ent¬
zückenden, natürlichen Hafen Ischia’s, in dem kleine Barken
und eine schmucke Yacht lagen und wir bewunderten beide still
alle die Herrlichkeiten, die an unseren Blicken vorüberzogen,
als mein Begleiter plötzlich ausrief: „Wirklich herrlich 1 Da
möchte ich länger bleiben 1" „Und warum nicht ?“ fragte ich,
erfreut über die Begeisterung des kühlen Nordländers. Meine
Frage blieb imbeantwortet, aber der zufällig auf getauchte Ge¬
danke wühlte weiter in meinem Kopfe und nach vielem Hin- und
Herüberlegen entwickelte sich daraus ein Plan, den ich hiermit
der Beurtheilung meiner deutschen Kollegen unterbreiten möchte.
Ich war immer der Ueberzeugung, dass Deutschland und
Italien zwei Länder, zwei Völker sind, die sich gegenseitig
wunderbar ergänzen: liier ist Leben, Erregbarkeit, beweglicher
Geist, dort Geduld, Ausdauer, kaltes Blut. Italien ist auch das
einzige Land, das dem Deutschen einen zusagenden, angenehmen
Aufenthalt bietet und wo er sich, trotz aller Verschiedenheit,
nicht fremd fühlt. Der Mensch vermag sich dem Banne der
geschichtlichen Traditionen nicht zu entziehen und seit den
Zeiten der alten Germanen zieht es den Deutschen unwider¬
stehlich über die Alpen. Die grössten der deutschen Künstler und
Dichter träumten von Italien; viele fanden da ihr zweites Vater¬
land oder danken ihrem Aufenthalt ihre besten Werke. Aber
nicht nur Künstler und Dichter, jeder deutsche Backfisch träumt
von dem „Land, wo die Citronen blühen“ und wohin er seine
Hochzeitsreise zu machen hofft. Italien seinerseits hat den
Deutschen viel zu danken, sie sind scharfe, aber gerechte Kritiker
und bringen daher Nutzen; deutsche Thatkraft hat der italie¬
nischen Industrie grossen Aufschwung gegeben und die lässigen
Italiener wurden durch das gute Beispiel deutscher Kaufleute
angespornt, so dass sie jetzt schon mit den Lehrern konkurriren
können. Auch im medicinischen Fach sind die wechselseitigen
Beziehungen ziemlich enge geworden; italienische Aerzte (ich
ksnn aus eigener Erfahrung sprechen und danke hier öffentlich
If rm Oeheiinrath Prof. Gerhardt und seinen Assistenten,
welche mich während meines Berliner Aufenthaltes mit Liebens¬
würdigkeit überhäuften) sind an deutschen Kliniken freund¬
schaftlich empfangen worden und deutschen Aerzten, wie z. B.
der K o c h’schen Malariaexpedition, wurde in Italien alles
N>>hige bereitwilligst zur Verfügung gestellt; die deutsche me-
■ii'-inische Presse ist bei uns hochgeschätzt und un-erc Literatur
nimmt nach und nach auch eine der ersten Stellen ein. Es ist
tU miturgemäss und für beide Nationen nützlich, dass sie Hand
in [[and gehen; aber dieses Bündniss sollte nicht nur am grünen
Ti‘ch geknüpft und eventuell wieder gelöst werden, nein, es
sollte eine dauernde Freundschaft von Haus zu Haus sein. Ich
möchte, dass ein Strom von deutschen und italienischen Aerzten
und ihren Familien sich jährlich über die Alpen ergiesst, dass
der deutsche Arzt und die Seinen bei dom italienischen Kollegen
und dieser bei dem deutschen ein gastliches Dach findet. Es
wäre wohl nicht sehr schwierig, ein deutsches und ein italienisches
Comite zu bilden, bei welchem sich jene Aerzte melden könnten,
die bereit wären, einen Kollegen und dessen Familie für einige
Zeit bei sich aufzunehmen, welcher im Austausch dann seinen
Wirth und dessen Familie im eigenen Heim bewirthen würde.
Wenn man die beiderseitigen Regierungen dann noch dazu
brächte, den Aerzten und deren Familien Fahrpreisermässigung
zu gewähren, so würde durch diesen wechselseitigen Besuch den
Aerzten nicht nur Gelegenheit zu verhältnissmässig billigen Er¬
holungsreisen, sondern auch zur Erweiterung des Gesichtskreises
geboten; die Aerzte und mit ihnen auch ihr Vaterland würden
gewiss mancherlei Nutzen von diesen Reisen haben und die
Freundschaft der beiden Nationen, dio so in dem Herzen der
Mitglieder eines gebildeten und doch auch einflussreichen
Standes wurzelte, würde fest und unlöslich werden. Italien,
„der Garten Europas“, sollte dann vor Allem der Garten Deutsch¬
lands werden; Italien birgt ja noch so viele ungehobene natür¬
liche Schätze, sein Reichthum an Mineral- und Thermalquellen,
sein Klima, seine herrlichen Gegenden machen es so recht ge¬
eignet zu einem Ort des behaglichen Gemessene nach der Arbeit.
Deutschland mag das Land des Schaffens, der Industrie sein,
und Italien soll der Garten werden, wo der müde Körper und
Geist sich erholen kann. Was werden meine deutschen Kollegen
zu diesem Zukunftstraum sagen? Ich wünsche und hoffe, dass
er sich erfüllen möge, und wenn meine Kollegen dann selbst an
einem schönen Maitage am Ufer Ischia’s entlang fahren, dann
werden sie es auch begreiflich finden, dass selbst ein Modiciner
Angesichts so vieler Schönheit in’s Träumen geräth und darüber
vergisst, über Quellen und Bäder etc. zu berichten. Also davon
das nächste Mal. Dr. Giov. G a 11 i.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Im württemberglschen Landtag hat die Cen¬
trumspartei folgenden Antrag eingebracht:
Die Regierung zu ersuchen, zur Ausführung der Gewerhe-
inspektiou eine für das ganze Land einheitliche, kollegiale Be¬
hörde zu errichten, bei welcher nel>en den Revlslonsbeaiuten, deren
Zahl zu vermehren wäre, auch Aerzte und Techniker und in
gleicher Zahl Arbeitgeber und Arbeiter, sowie Arbeiterluneu zu-
! gezogen werden sollen. Zur Begründung des Antrages führt der
Abgeordnete Rembold -Gmünd aus: Für nothwendig halte das
Centrum die Mitwirkung von Aerzten im Kollegium. Arzt und
Inspektor sollten zusammen die Inspektion vornehmen, da der Arzt
allein in den Fabriken, deren Betrieb er nicht kenne, nicht zu
Stande komme. Auf der anderen Seite könne auch der Inspektor
ohne den Arzt nicht zum Ziele kommen, da Ihm die gesundheitlichen
Schädigungen nicht ohne Weiteres bekannt seien. Es -werde sich
fragen, ob die Oberamtsärzte hiermit zu beauftragen seien. Jeden¬
falls sei es angezeigt, dem Kollegium selbst einen Arzt beizugeben.
Nothwendig wäre dann allerdings, dass dieser sich dann mit den
Oberamtsärzten in’s Benehmen setze, uni lokale Krankheits¬
erscheinungen kennen zu lernen. Ebenso uöthig sei dann die Zu¬
ziehung von Technikern, speciell von Chemikern. In der Be¬
sprechung des Centrumsantrages erklärt der Tübinger Professor
der Nationalökonomie, Dr. v. Schoenberg, der als Kanzler der
Universität Tübingen dem Landtage angehört, die Zuziehung von
Aerzten zur Gewerbeinspektion „für mindestens erwägungswerth“.
Namens der deutschen Partei erklärte der Abgeordnete H 1 b e r,
• dass seine politischen Freunde „die Zuziehung von Aerzten zur
Gewerbeinspektion unterstützen“ würden.
Verpflichtung der Krankenkasse, eine Brille zu gewähren.
Nach einer Notiz der Wochenschr. f. Therap. u. Ilygiene des
Auges (1901, No. 25) wurde vom kgl. sächs. Ministerium des Innern
ln einer Verwaltungsstreitsache zwischen einer Fabrikkranken¬
kasse und einem Mitgliede der letzteren in zweiter Instanz zu
Gunsten der Klägerin, der Fabrikkrankenkasse, entschieden, und
zwar wurde der Beklagte gemäss § 2 des Gesetzes vom 5. Jan. 1870
unter Abweisung seines Anspruches auf Gewährung einer Brille
zur Tragung der Kosten des Rechtsstreites verurtheilt. Das Mini¬
sterium führt ln seiner Begründung aus: „Es herrscht allseitiges
Einverständnls8 darüber, dass „Krankheit“ im Sinne des Kranketi-
verslcherungsgesetzes einen anormalen Zustand, d. h. einen solchen
Zustand voraussetzt, welcher nicht durch die natürliche Entwicke¬
lung des Menschen bedingt wird, sondern sich als eine Störung
In der normalen KörperbeschafTenhelt und deren naürlichem Ent¬
wickelungsgauge darstellt.“ „Obgleich nun dem Beklagten vom
Aj-zte bestätigt wird, dass er weitsichtig ist und zur Erhaltung
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1120
MUENOHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 27.
der Erwerbsfähigkeit eine Brille benöthlgt, und die Fabrikkranken¬
kasse laut § 4 Ihres Statuts den Arbeitern als Krankenunterstützung
u. a. auch Brillen gewährt, so fehlt es doch an jedem Nachweis
dafür, dass die Weitsichtigkeit des Beklagten, welche ihn angeblich
ln seiner Erwerbsthätigkeit beschränkt, auf einem anormalen Zu¬
stande ln dem oben festgestellten Sinne beruht.“ R.
Frequen* der deutschen medicinischen Facultäten.
Sommer-Semester 1901.')
Sommer 1900 1
Winter 1900/19011
Sommer 1901
In- 1 Au*- 2 )
länderl l&nder
8umma
In- 1 Aus- 1 )
linder'lltnder
Summa
In- Aus- 2 )
lllnderi Müder
Summa
Berlin 3 )
730
337
1067
859
453
1312
702
364
1066
Bonn
286
20
306
210
13
223
255
23
278
Breslau
243
6
249
211
6
217
244 j
15
259
Erlangen
130
135
265
126
123
249
125 ;
119
244
Freiburg
83
354
437
76
242
318
75 j
329
404
Giessen
65
84
149
69
83
152
64
88
152
Göttingen
168
45
213
145
48
193
144
45
189
Greifswald
248
27
275
201
23
224
208
30
238
Halle
169
46
215
154
49
203
lf.0
42
192
Heidelberg
75
226
301
80
159
239
78
215
293
Jena
56
108
164
52
94
146
47
111
158
Kiel
340
145
485
266
83
349
313
118
431
Königsberg
221
25
246
201
23
224
203
23
226
Leipzig
278
245
523
278
316
594
259
263
522
Marburg
192
47
239
172
45
217
171
45 !
216
München
425
759
1184
464
650
1114
420
692
1112
Rostock
55
69
124 .
51
74
125
50
77
127
Strassburg
162
153
315
154 ,
142
296
139
128
267
Tübingen
135
144
279
146
115
261
186
123
259
Würzburg
166
316
482
155 |
320
475
145
266
411
Zusammen 4229
l!
3291 |
7518
4070
3058
7131
3928
3116
7044
*) Nach amtlichen Verzeichnissen. Vergl d. W. 1900, No. 27-
2 ) Unter Ausländern sind hier Angehörige anderer deutscher
Bundesstaaten verstanden.
s ) Ohne die Studierenden des Kaiser-Wilhelm Instituts.
Anschliessend au die Statistik über die Sterblichkeit
und Lebensdauer der sächsischen Aerzte von
Gei ss ler (I^eipzig 1887) veröffentlicht Rade stock im Ivor-
respoudenzblatt der ärztlichen Vereine im Königreich Sachsen
No. 12 neuere Untersuchungen über das gleiche Thema für die Jahre
188(5—1900. Hienaeh starb im Durchschnitt auf die Jahre 1885
bis 1900 berechnet 1 Arzt auf 48,0 2,08 Prot*.). Im Ganzen
starben in jenem Zeitraum 40S sächsische Aerzte. von denen
245 — 52 Proc. das (»0., 150 — 32 Proc. das 70. Lebensjahr er¬
reichten. 82 Aerzte 17,5 Proc. starben vor dem 40. Lebens¬
jahr. Es besteht also wie vorher auch in diesem Zeitraum
eine Uebersterblichkeit der ganzen Aerzte und zwar etwa vom 30.
bis 40. Lebensjahr. Im Uebrigen ist die Sterblichkeit der Aerzte
im Vergleich mit der allgemeinen männlichen Bevölkerung nicht
ungünstig und hat sich sogar günstiger als in den Vorjahren ge¬
staltet.
Therapeutische Notixen.
Ueber die Anwendung der Lichtthernple in der
Chirurgie iiussert sich Dr. M i n I n • Petersburg folgender-
maassen: 1. Das Licht, ein blaues Gasglühlämpchen von 1(5 Kerzen |
Lichtstärke, übt eine zweifache Wirkung aus, eine schmerz- |
stillende und eine resorbirende. 2. Hinsichtlich der Intensität und
der Schnelligkeit der therapeutischen Wirkung hat das Licht unter
den übrigen gegenwärtig bekannten schmerzstillenden Mitteln
kein Analogon. Natürlich ist das blaue elektrische Licht ebenso
wie die anderen therapeutischen Faktoren richtig und in geeigneten
Fällen anzuweudeu, um Verwunderung und Dankbarkeit seitens
der Patienten zu erregen. (Die med. Woche 1901, No. 12—13.)
P. H.
Behandlung der Syphilis mit interner Queck-
silberdarroichung. Brocq empfiehlt neuerdings, wo, wie
er selbst zugibt, die subkutanen resp. intramuseulären Quecksilber-
Injektionen so viel Erfolge geben, trotzdem wieder die Verab¬
reichung des 11g per os und zwar in Form des Liquor van
S wie ten (Sublimat 1,0, Alkohol [90 proc.] 100,0, Aqu. 900,0),
obwohl derselbe zuweilen irritireude Wirkung auf den Magen-
darmkanal ausübt und der Geschmack ein sehr unangenehmer ist.
Am besten oder vielleicht allein nur eignet sich für diese Art
Therapie der Krankenhausaufenthalt. Man lässt die Lösung in
Milch nehmen, meist in kleinen (4—0 Tages-) Dosen vertheilt, so
dass die Menge des täglich elngefillirten Hg iy 2 —2 cg beträgt.
Br. fand, dass selbst schwere Formen von tertiärer Syphilis nur
selten dieser Behandlungsart widerstehen, wobei allerdings auch
gleichzeitig Jodkali gegeben wurde (!). Im Ganzen hat Br. ca.
2000 Kranke mit Erfolg durch diese interne Therapie behandelt
und von Syphilitikern, die ständig auf seiner Abtheilung liegen,
wäre es kaum bei dem zehnten Theile, also 6—8, nülhig gewesen,
zu Einreibungen oder intramuseulären Injektionen überzugehen
(also doch in manchen Fällen! Ref.). Wegen der Löslichkeit des
Mittels und der Darreichung in fraktionirton Dosen tritt B. so
warm für den Liquor van Sw loten ein, während er die Pillen-
behandiung völlig auszuschliessen scheint (Presse mödicale 1901,
No. 29). St
Die Behandlung der Tuberkulose mit TR sollte
nach Cal 11 au d- St. Germainmont (Mödedne moderne 1901,
No. 23) nicht der Vergessenheit anheimfallen, da sie besonders bei
Knochentuberkulose ein werthvolles Heilmittel sei. Von den 7
mit dem Nou-Tuberknlin behandelten Fällen gaben 3 ein vorzüg-
lichse Resultat: in 2 Fällen von veraltetem Tumor albus, wo der
einzige Ausweg nur mehr die Amputation schien, erfolgte völlige
Ausheilung, die bereits 2 resp. 3 Jahre auhiilt, in dem weiteren
Falle von Lungentuberkulose konnte der erzielte Erfolg nicht
weiter beobachtet werden, da die Kur wegen äusserer Gründe
unterbrochen wurde. C. riith jedesmal, bevor schwere Opera¬
tionen (Rcseetlonen, Amputationen) wegen Knochen-, Gelenks-
Tuberkulose vorgenommen werden, dieses Tuberkulin auzuwendeu,
welches nur selten Nebenerscheinungen (geringe lokale Schmer¬
zen, Temperaturerhöhung, leichte Albuminurie, Idiosynkrasie) ver¬
anlasse. St.
Zur Behandlung inoperabler Carcinome em¬
pfiehlt Ilörard in der Pariser Socißtö de thßrapeutique (Sitzung
vom 8. Mal 1901) die Osmiurasiiure. Man iujizirt 8—30 ccm
der F 1 e m in I n g’schen Lösung mitten in das kranke Gewebe und
legt auf die Geschwulst Kompressen, welche mit derselben Lösung
durchträukt sind. (Die F 1 e m m i u g'sclie, zur Fixirung von
Hiirlepräparaten dienende Lösung hat folgende Zusammensetzung:
2 proc. wässerige Osmiumsäurelösuug 4 Theile. 1 proc. wässerige
Chromsäurelösung 15 Theile und Eisessig 1 Theil.) Die offenbaren
Folgen der Behandlung mit Osmiumsäure sollen Verminderung
der Schmerzen, der Sekretion und des foetiden Geruches und die
Resultate noch besser sein wie mit der Anwendung von Methylen¬
blau (Bulletin mödical 1901, No. 37). St.
Die Verbindung der subkutanen Cocain-
Injektionen mit der Inhalation geringer Dosen
von Chloroform empfiehlt Demmler (Bulletin mödical
1901, No 43) als vorzügliches Narkotisiruugsinittel, lässt jedoch
der jetzt so viel diskutirteu intralumbalen Cocaininjektion in all’
den Fällen den Vorzug, wo das Chloroform wegen schlechten Zu¬
standes der Eliminationswege (Nieren und Leber) coutraindicirt
ist Die geringste, bei erst genannter Methode auzuwendende Menge
Cocains soll 5 cg sein, welche längs des Operat ionsweges zu iu-
jlzlrcn ist; man warte dann, bis die Cocainwirkung elugetreten
ist (5—10 Minuten) und lässt in diesem Augenblick 10—15 gtt.
Chloroform inhaliren. Ein besonderer Vortheil dieser Methode
scheint, dass die vollkommene Narkose sehr bald ohne Exeitation
eintritt; zur Unterhaltung der Narkose genüge es, in grösseren
Zwischenräumen einige Tropfen Chloroforms inhaliren zu lassen.
5 g desselben sollen meistens genügen (was auch oft ohne vorher¬
gehende Cocaininjektiou ausreichend ist, Ref.). Mit Inhalation
von einigen g Aetlier, welche der subkutanen Cocaininjektiou
folgte, bal>e übrigens Jaboulay eine ähnliche günstige All-
gemeinunrkose erzielt. St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 2. Juli 1901.
_ Die Erwartung, dass das vermehrte Interesse, das die
deutschen Aerzte in letzter Zeit ihren Standesangelegeulieiteii
J entgegonbraehten. auch auf dem Aerztetage zum Ausdruck
kommen werde, hat sich bestätigt. Schon der starke Besuch des
29.. soeben in Hildesheim abgelialtenen Aerztetages. der den aller
früheren übertraf (en. ISO Dolegirte waren anwesend), zeigte, dass
man der diesjährigen Tagung mit besonderem Interesse entgegen-
sali. Ihre Signatur erhielt dieselbe durch die Fragen des wirth-
sclmftUeheu Verbands und der Neuorganisation der Gesehäfts-
l'ührerstelle, nachdem Geh. R. W a 11 i c h s, der hochverdiente
bisherige Geschäftsführer, sein dorniges und wahrhaft undank¬
bares Amt, das er viele Jahre hindurch mit vollendetem Takt und
mit grösster Sachkenntniss und Hingabe ausfüllte, nun eudgiltig
nicderlegt. W n 11 I c h s bat den Dank, den ihm der Vorsitzende
i Löbker für seine Thätigkeit aussprach, reichlich verdient. Die
Verhandlungen über den letztgenannten Punkt, die Neuorgani¬
sation, verliefen sehr glatt. Nachdem man sich unter Ueberwln-
dung eines lebhaften Widerstandes daliin schlüssig gemacht hatte,
dass Berlin der Sitz der zu errichtenden Geschäftsstelle zu
sein habe, wurden die vereinigten Vorschläge des Gescliiiftsaus-
sehusses und der Berliner ärztlichen Standesvereine ohne weitere
Discussion angenommen. Auch die Frage des wirthseliaft-
liehen Verbandes wurde verhältliissinässig glatt erledigt.
Der Geschäftsaussehuss hatte folgenden Antrag gestellt: ,.Dor
Deutsche Aerztctag beauftragt den Gescbäftsausschuss. eines
seiner Mitglieder zu delegireu, au der Verwaltung der Unter¬
stützungskasse des wirtschaftlichen Verbandes tbcilzunehmen“.
Da dieser Antrag auch die Zustimmung der Vertreter des Ver¬
bandes fand und einen bequemen Weg zeigte, den Frieden zwischen
Verband und Geschäftsausschuss herzustellen, so fand er nahezu
einstimmige Annahme. Zu einer eingehenderen Würdigung der
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2. Juli 1901. MTTENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1121
vom Aerztliclicn Bezirksverein München gestellten Anträge fühlte
der durch die vorausgogangeneu langen Verhandlungen ermüdeten
Versammlung Zelt und Lust; auch mögen Viele vor der engeren
Verbindung zwischen Aerztevereinsbund und wirtschaftlichem
Verband, wie die Münchener Anträge sie anstreben, zurück¬
geschreckt sein. I>enu dass der obige, vom Aerztetag an¬
genommene Antrag des Geschäftsausschusses mehr lm Sinne einer
Duldung, als einer Förderung des Verbandes aufzufassen ist, geht
auch daraus hervor, dass ein Antrag, der Aerztevereinsbund möge
seinen Mitgliedern den Beitritt zum Verband empfehlen, abgeleluit
wurde. Das Ergebnis» der Verhandlungen ist also, dass der
Aerztetag zwar dem Verbände sehr reservirt gegenübersteht, dass
er ihm aller keine weiteren Schwierigkeiten bereitet, sondern ihm
freie Bahn lässt Der Verband wird nun zeigen müssen, was Cl¬
aus eigener Kraft zu leisten vermag. Wir wollen im liebrigen dem
in unserer nächsten Nummer erscheinenden ausführlicheren Be¬
richte iilier die Verhandlungen nicht vorgreifen und erwähnen nur
noch, dass der Aerztetag vom schönsten Weiter begünstigt war
und Dank der unvergleichlichen Schönheit dieser einzigartigen
Stadt und des liebenswürdigen Entgegenkommens der städtischen
Behörden und der Kollegen eine Fülle der angenehmsten Eindrücke
l»ei jedem Tlieiluehmer zurückgelassen hat.
— tLeiter die Stellung und die Beschäftigung
der Kreisassistenzärzte bestimmt der preuss. Minister
der Medicinalangelegenheiten in einem neuen Erlasse: „leb beab¬
sichtige, als Kreisassistenzärzte nur solche Aerzte zu bestellen,
welche nach ihrer Persönlichkeit, ihren Kenntnissen und Leist¬
ungen ein Gewähr dafür bieten, dereinst tüchtige Kreisärzte zu
werden. Bei den Vorschlägen zur Bestellung von Kreisassistenz*
ärzteu, aus welchen die künftigen Medieinalbeamten der Mehr¬
zahl nach hervorgehen werden, ist daher sorgfältig zu verfahren,
damit dieser so wichtigen Beamtenkategorie nur besonders ge¬
eignete Elemente zugeführt werden. Was die Beschäftigung der
Kreisassistenzärzte betrifft, so mussdiosolbe so eingerichtet werden,
dass sie die Kreisassistenzärzte in alle Zweige der kreisärztlichen
Thätigkeit einführt. Ich erwarte hiernach, (lass die Kreisärzte
die ihnen unterstellten Assistenzärzte mit der Organisation und
den Aufgaben der Medicinalverwaltung vertraut machen, in die
gesummte Geschäftsführung einfiihren, zur Besichtigung von Ge¬
werbebetrieben, Schulen, Krankenanstalten, Kirchhöfen, zur
Musterung von Apotheken, Prüfung der Lehrlinge, Besichtigung
von Drogenhandlungen etc., soweit dies nach den Verhältnissen
angängig und zweckdienlich erscheint, heranziehen und namentlich
auch bei der Ermittlung und Bekämpfung gemeingefährlicher und
sonst übertragbarer Krankheiten betheiligen Ich lege Werth da¬
rauf. (lass die Kreisassistenzärzte mit den Obliegenheiten als
zweite gerichtsärztliche Sachverständige in ihrem Kreise betraut
werden, möglichst einen Impfbezirk erhalten, in Hafenstädten zur
gesundheitspolizeilichen Aufsicht der Schiffe und zum Dienste als
Quarantänearzt hernngezogon und womöglich auch bei der Uebcr-
wnehung der Prostitution betheillgt werden.“
— Die Elivenräthe der beiden Leipziger Bezirksvereine sind
gegen die Streikbrecher, welche der Ortskrankenkasse in
ihrem Streite mit (leii Aerzten zu Hilfe gekommen sind, wegen
Verletzung der Standesehre und der Kollegialität auf Grund der
§§ 1 und 2 der Standesordnung vorgegangen. Der Ehrenratli dis
Bezirksvereins Leipzig-Stadt hat die Streikbrecher zu einer Eliren-
strafe. Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts zu allen
Vereinsämtern verurtlicilt; der Ehrenrath des Bezirksvereins
Leipzig-Land hat neben der Ehrenstrafe auch auf Geldstrafe er¬
kannt. Gegen diese Urthelle ergriffen die Betroffenen Berufung
mit dem Erfolge, dass sie in zweiter Instanz vom Ehrengerichts¬
hofe freigesprocheu wurden. Es ist das wegen der daraus
für künftige Fälle sich ergebenden Folgen ein sehr bedauerliches
Resultat, das aber nicht überraschen kann, nachdem die sächsische
Standesordnung bisher ln allen Fällen versagt hat, wo sie zur
Wahrung der Disciplin unter den Aerzten Kassen gegenüber an¬
gewendet werden sollte. Ein neuer Beweis dafür, dass im Kampfe
mit den Kassen die Aerzte sich ganz auf eigeue Kraft verlassen
müssen.
— Nachdem das Oberlandesgericht München kürzlich ein Ur-
thell des Landgerichts München I, wonach ein in Amerika gra-
duirter Zahnarzt wegen der Führung des Titels „Amerika-
n i s c he r Zahnarzt“ zwar angeklagt, aber freigesprocheu
wurde, aufgehoben, ergingen nunmehr fast gegen alle hiesigen
amerikanischen Zahrärzte und Drs. americ. wegen unbefugter
Titelführung Strafbefehle in (1er Höhe von 20—100 M. Hiergegen
halien alle Betroffenen Einspruch erhoben.
— Auf der Hauptversammlung des Vereins deutscher
Chemiker, welche vom 29. Mal bis 1. Juni in Breslau stntt-
faud, wurde folgende Resolution angenommen: „Der Verein deut¬
scher Chemiker erachtet die Abgabe vou ärztlichen
Gutachten zum Zwecke geschäftlicher Reklame direct an die
Industriellen, die Empfehlung neuer Mittel durch Aerzte ln der
Lnieupresse oder in Reklameilugschrifteu an die Laien, die Ver¬
öffentlichung von Gutachten an anderer Stelle als in Fachzeit¬
schriften, den Abdruck vou wissenschaftlichen Publikationen aus
Fachzeitschriften zum Zweck der Reklame in Laienkreisen, Be¬
nutzung oder Prüfung au Thleren nicht genügend vorgeprüft er
Arzneimittel als schädlich für die gedeihliche Entwickelung der
Industrie der chemisch-pharmazeutischen Heilmittel und geeignet,
dieselbe in der Meinung der Aerzte und des Publikums herabzu-
setzen. Der Verein deutscher Chemiker schliesst sich daher im
Grossen and Ganzen den auf der letzten Naturforseberversamm-
lung in Aachen gemachten Ausführungen der Herren Prof. II1 s,
! I.)r. Eichengrün und Prof. Dr. Kobert an, hält es aber im
j Interesse einer gedeihlichen weiteren Entwickelung der chemisch-
j pharmazeutischen Industrie für dringend geboten, dass die Ver-
! Sendung vou Separatabdrücken wissenschaftlicher Arbeiten an
I Aerzte und Beilage derselben zu Facbblätteru und die Houorirung
i von pharmakologischen, bacteriologischen und physiologischen Ar¬
beiten unbedingt gestattet wird. Was endlich die auf der 72. Natur¬
forscherversammlung zu Aachen beantragte Kommission anbetrifft,
welche vermut blich auf der 73. Versammlung zu Hamburg zur
j definitiven Wahl kommen wird, so ist der Verein der Ueberzeugung,
dass die Thätigkeit einer derartigen Kommission nur dann eine
allseitig befriedigende sein kann, wenn dieselbe eine rein referi-
rende ist, und wenn die Kommission selbst aus einer grösseren
Anzahl vou Mitgliedern besteht, welche zu gleichen Theilen aus
Medlclnern und Chemikern zusammengesetzt ist. An den Vor¬
stand der Naturforscherversammlung richtet dosshalb der Verein
deutscher Chemiker die Bitte, bei eventuellen Vorschlägen für die
Wahl einer derartigen Kommission darauf bedacht zu sein, bei
derselben neben Vertretern der wissenschaftlichen Chemie auch
solche der angewandten Chemie (pharmazeutisch-chemische Tech¬
niker) zu berücksichtigen. Bei der sich über die Annahme dieser
Resolution entspinnenden Debatte stellte Professor I)r. K u n z
K ra u s e - Dresden den Antrag, darauf hinzuwlrken, dass die zu
wählende Kommission auch Vertreter der praktischen Pharmacie,
als der legalen Vermittlerin zwischen Fabrikanten und Patienten,
wie auch zwischen Aerzten und Patienten gewählt würden, da auch
die pharmazeutisch-chemische Grossindustrie ihren natürlichen
Stützpunkt in erster Linie in der deutschen Apotheke suchen müsse.
D. Med.-Ztg.
— Für den XIV. internationalen medicinischen
C'ongress hnben jetzt die Vorbereitungen begonnen. Der Con-
gress findet vom 23—30. April 1903 in Madrid statt Präsident ist
Prof. Julian Calleja y Sanchcz, Generalsekretär Dr. Angel
Feruandez-Caro y N o u v 11 a s. Der Mitgliedsbeitrag ist 30 Pesetas.
10 Sektionen sind In Aussicht genommen.
— „Comitö zur Veranstaltung ärztlicher
Studienreisen ln Bade- und Kurorte“ Elftägige
ärztliche Studienreise In die deutschen Nordseebäder. Um den
Aerzten, Sanitätsoffizieren und Studirendeu der Mediciu Gelegen¬
heit zu gehen, mit Aufwendung geringer Mittel die Heilfaktoren
der deutschen Bade- und Kurorte aus eigener Anschauung kennen
zu lernen, hat sich aus den hervorragendsten inneren Klinikern
Deutschlands und Oesterreichs und aus den Medicinnlrefcrentcn
sämmtlicber deutschen Bundesregierungen und des österreichischen
Ministeriums ein ComltA gebildet, das Im Anschluss an die all¬
jährlich stattllndende Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte eine Reihe von Studienreisen |n die deutschen und die öster¬
reichischen Badeorte veranstalten wird. Die Pflichten des aus¬
führenden Comit.es haben Herr Geli.-Rath Prof. Dr. E. v. Leyden
und Herr Geli.-Rath Prof. I)r. Liebreich übernommen. Die
erste dieser ärztlichen Studienreisen wird von Hamburg aus, wo
der diesjährige Naturforsehercongross am 22. September Zu¬
sammentritt. unternommen. Für die auf UTage berechnete Studien¬
fahrt hat die Nordseelinie einen erstklassigen Saloudampfer zur
Verfügung gestellt. Die Fahrt geht nach Sylt, Wyk. Helgoland,
Wangerooge, Spiekeroog. Nonleney, Juist, Borkum uud Cuxhaven
und kostet, einschliesslich Wohnung uud Verpflegung nur BK) Mark.
Anmeldungen sind bis spätestens 20. August an die Schriftführer
der Com 11 Cs, Dr. W. H. G 11 b e r t - Baden-Baden und Dr.
P. M e 1 s s n e r- Berlin W., Kurfürstenstrasse 81, zu richten, von
denen auch jode gewünschte weitere Auskunft über Zweck und
Programm der Studienreisen bereitwilligst erthcilt wird.
— Das Sanatorium Wehrawald bei Todtmoos Im
badischen Schwarzwald, eine neue Heilanstalt für wohlhnlxnnlc
Lungenkranke — 800 m ü. M„ 100 Betten —, wird Mitte Juli er¬
öffnet werden. Die Anstalt ist nach Plänen von Turban ge¬
baut uud wird von Dr. F. L i p s , der mehrere Jahre am Turban-
scheu Sanatorium II. Arzt war, geleitet werden.
— Der Kreis der Herausgeber vou „L a n g e n b e c k’s Archiv“
hat eine Erweiterung erfahren, indem zu den Herren v. Berg-
m a u n, Gussenba u e r und Koert« auch die Vorstände der
chirurgischen Klinik der Charitö in Berlin und der II. chirurgischen
Klinik in Wien, König und v. Eiseisberg, hinzugetreten
sind.
— Die Frage: „Ist der einjährig-freiwillige Arzt Vorgesetzter
(Hier nicht?“ wurde vor Kurzem in einer Verhandlung vor dem
Reichsmllitärgerieht bejaht. Angeseliuldlgt war der Husar August
Th. vom pr. IIus.-Regt. Nr. 14, gegen den das Verfahren wegen
Achtungsverletzung, begangen an dem einjährig-freiwilligen Arzt
Dr. R., anfänglich auf Beschluss des Kriegsgerichtes der 22. Di¬
vision mit der Begründung eingestellt worden war. (lass ein ein¬
jährig-freiwilliger Arzt kein Vorgesetzter sei. Auf die Beschwerde
des Dr. R. erging der Bescheid, das Verfahren fortzusetzen und
die Anklage gegen Th. zu erheben. Dennoch sprach (las Kriegs
gericht der 22. Division den Angeklagten frei. In der Berufungs¬
instanz wurde dagegen dieses Urtheil aufgcliolien und der Husar
wegen Achtungsverletzung zu vier Wochen strengem Arrest wr-
urtlieilt. Hiergegen wurde von dem Angeklagten Revision bei dein
Reiohsuiilltürgerioht eingelegt Der Reielismilitäranwalt schloss
sich jedoch dem vorinstanzlichen Urtheil an, dass laut § 15 und ln
Abs. 2 der Verordnung für das Sanitätskorps der dienstthuonde
einjährig-freiwillige Arzt als Unterarzt zu betrachten und daher
zweifellos Vorgesetzter sei. Diese Bestimmung wurde dann noch
in der Verhandlung durch eine Reihe vou Entscheidungen und
Digitized by UjOOQie
1122 MÜENCHENfcR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. N 0 . 27.
Verfügungen des preussischen Generalauditoriats und des Kriegs^
mJuisterlums erhärtet. Die Revision wurde verworfen und die
Frage, ob der einjährig-freiwillige Arzt im dienstlichen Verhältnis
Vorgesetzter der Mannschaft sei, bejaht.
— Pest. Aegypten. Vom 2. bis einschL 6. Juni sind ln
Zagnzlg insgesammt 7 Pestfälle festgestellt, von denen 1 tödt-
lich verlaufen war und 6 am 7. Juni in Behandlung waren. Die
Gesainmtzahl der vom 27. April bis 12. Juni ln Aegypten beob¬
achteten PestfRlle (Pesttodesfälle) betrug: 4 (4) ln Alexandrien,
23 (7) in Zagazig, 2 (0) in Mlnieh, 1 (1) in Mansurah. In Alexan¬
drien wa» seit dem 18. Mai kein weiterer Pestfall vorgekommen.
— Britisch-Ostlndien. Zufolge einer Mittheilung vom 30. Mai nahm
in Karachi die Heftigkeit der Seuche stark ab, es kamen damals
nur noch 8 bis 12 Pestfälle an Jedem Tage zur Anzeige. — China.
Zufolge einer Mittheilung vom 13. Mai ist in Swatau und haupt¬
sächlich in einigen Dörfern der Umgegend von Swatau die Pest
wieder heftig aufgetreten. — Mauritius. Während der drei Wochen
vom 19. April bis 9. Mai wurden noch 3 Fülle von Pest, darunter
2 mit tüdtlicliem Ausgang, auf der Insel beobachtet — Queens¬
land. Nach dem amtlichen Wochenausweise sind in der Kolonie
während der am 4. Mai endenden Woche 2 neue Pestfälle und
zwar in Brisbane zur Anzeige gekommen. — West-Australien.
Während der beiden Wochen vom 27. April bis 11. Mai sind nach
amtlichen Ausweisen in der Kolonie 2 weitere Pestfälle vorge¬
kommen.
— In der 24. Jahreswoche, vom 9. bis 15. Juni 1901, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb-
(Hochschulnachrichten.)
Erlangen. Einem Wunsche des Kultusministeriums ent¬
sprechend hat die mediclnske Fakultät fär die Professur der Chir¬
urgie ausser Graser- Rostock nachträglich noch Klaussner-
München und R i e d 1 n g e r - Würzburg vorgeschlagen.
Freiburg. Hofrath Professor Dr. Kraske wurde zum
ausseretatsmässigen Mitglied des wissenschaftlichen Senates bei
der Kaiser Wilhelm-Akademie ernannt.
G i e 8 s e n. Herr Geheimrath Prof. Dr. Riegel wurde zum
Ehrenmitglied der American Gastro-Enterological Association er¬
nannt.
Jena. Für das kommende Semester wurde Hofrath Prof.
Dr. Stintzlng zum Prorector der Universität, Hofrath Prof.
Dr. Binswanger zum Dekan der medicinischen Fakultät ge¬
wählt.
Kiel. Die Frequenz der hiesigen Universität beträgt nach
der vorläufigen Feststellung 1071 Studirende. Darunter befinden
sich 431 Medieinstudirende.
Marburg. In der hiesigen medicinischen Fakultät hat sich
der erste Assistent am pathologisch-anatomischen Institut Dr. med.
Robert Borrmann habilftirt.
München. Die von der med. Fakultät für 1899/1900 und
für 1900/1901 wiederholt gestellte Preisaufgabe, sowie auch die
für 1900/1901 erstmals gestellte Preisaufgabe sind nicht bearbeitet
worden. Für das Jahr 1901/1902 wird die für das 1900/1901 ge¬
stellte Preisaufgabe: „Die physische Beschaffenheit der Bevölke¬
rung Bayerns nach den Ergebnissen des Musterungsgeschäftes
soll für einige Regierungsbezirke mit der Jeweilig vorwiegenden
Berufsthätigkeit der Bevölkerung, mit ihrer Wohlhabenheit, Er-
nährungs- und Lebensweise und anderen analogen Faktoren in
statistischen Zusammenhang gebracht werden“, wiederholt und
folgende neue dazu gestellt: „Experimentell-anatomische Untersuch¬
ungen über die Beziehungen der hinteren Rückenmarkswurzeln
zu den Spinalganglien“.
Rostock. Am 1. Juli d. J geht das hiesige städtische
Krankenhaus, dessen Krankenmaterial dem klinischen (medicini-
nischen und chirurgischen) Unterricht dient, in die Hände der
grossherzogl. Regierung über und erhält die Bezeichnung „Uni¬
versitätskrankenhaus“.
Tübingen. Dr. Albert Dietrich, Assistent am patho¬
logischen Institut, hat sich für pathologische Anatomie habilltirt.
Krakau. Der ausserordentliche Professor Dr. Karl K 1 e c k 1
wurde zum ordentlichen Professor der allgemeinen und experimen¬
tellen Pathologie an der Universität in Krakau ernannt.
Prag. Habilitirt: Dr. Heinrich Chalupecky für Oph¬
thalmologie an der czechischen Fakultät.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassungen: Dr. Ad. v. Hahn von Lübeck in Berg¬
zabern. Dr. Loder Ludwig von Frankfurt zu Ramborg. Dr.
Bauseweiu Otto von Würzburg zu Schopp. Dr. Beck Gustav
zu Kaiserslautern. Dr. Sänger zu Kirchheimbolanden.
Verzogen: Dr. Uhl Ad. von Blieskastel nach Bergzabern.
Dr. M a n z Rudolf von Ludwigshafen nach Hornegg.
Ernannt: Zum Vorstand des Operatiouskurses für Militärärzte
der Generaloberarzt Dr. Helferich, Regimentsarzt im 1. Iuf.-
Reg.; zum Reg.-Arzt im 2. Ulanen-Reg. der Stabsarzt Dr. Meier,
Bataillonsarzt im 12. Inf.-Reg. unter Beförderung zum Oberstabs¬
arzt; zum Bataillousarzt Im 15.Iuf.-Reg. der Oberarzt Dr. Liersch
des 6. Iuf.-Reg. unter Beförderung zum Stabsarzt.
Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Teuschnitz. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 8. Juli 1. Js. einzureichen.
In den dauernden Ruhestand versezt: Der Bezirksarzt
I. Klasse Dr. Hermann v. Pflttner In Münchberg auf Ansuchen
unter Anerkennung seiner langjährigen erspriesslichen Dienst¬
leistung.
Abschied bewilligt: Dem Assistenzarzt Karl Catoir der
Reserve (Hof); von der Landwehr 1. Aufgebots dem Oberstabs¬
ärzte 2. Klasse Dr. Otto B i 11 i n g e r (I. München) mit der Er-
laubniss zum Tragen der Uniform mit den für Verabschiedete
vorgeschriebenen Abzeichen; von der Landwehr 2. Aufgebots den
Stabsärzten Dr. Johann N o 11 e (Aschaffenburg) und Dr. Salli
Moses (Kaiserslautern); den Oberärzten Dr. Ferdinand Fuchs
und Dr. Leonhard Westerhoff (Aschaffenburg), Dr. Maxi¬
milian W e i n e r t (Bamberg) und Dr. Ludwig Fischer (I. Mün¬
chen).
Versetzt: Die Oberstabsärzte Dr. Zimmermann, Regi¬
mentsarzt im 1. Schweren Reiter-Iteg., zum Kriegsministerium,
Dr. Würdlnger, Regimentsarzt im 2. Ulanen-Reg., zum 1. Inf.-
Reg. und Dr. Patin vom Kriegsministerium als Regimentsarzt
zum 1. Schweren Reiter-Reg.; der Assistenzarzt Dr. Guthmanu
des 7. Inf.-Reg. zum 8. Feld-Art.-Reg.
Befördert: Zu Oberärzten in der Reserve die Assistenzärzte
Dr. Ernst Holper (Nürnberg), Friedrich Graf (Passau), Dr. Ale¬
xander Q u r i n (Augsburg), Dr. Waldemar Meyer (Hof), Dr. Maxi¬
milian Meyer (Aschaffeuburg), Dr. Georg H ö c h 11 (Dillingen),
Dr. Alois S a 1 d i 11 (Aschaffenburg), Dr. Karl H e t z e 1 (Er¬
langen), Dr. Friedrich Adolph (Aschaffenburg), Dr. Alois Pro¬
singer (Roseuheim), Dr. Emil Kleinschmidt, Dr. Otto
Ganz und Dr. Wilhelm Hoopmann (Aschaffenburg), Dr. Emil
Becker (Weiden), Dr. Georg Bräutigam (Nürnberg), Dr.
Felix W i e g a n d t (Bamberg), Dr. Franz Hahn (Augsburg), Dr.
Philipp K i s s i n g e r und Dr. Maximilian Escheubach (Hof),
Dr. Joseph Rupfle (Augsburg), Dr. Alfred Pabst (Hof), Dr.
Rudolf Belt Inger und Dr. Johann G lerer (Günzenhausen),
Dr. Ludwig Heller (Würzburg), Dr. Albert Marx (Nürnberg),
Dr. Heinrich Schwalb (Aschaffenburg), Dr. Heino Bollen-
h a g e u und Dr. Karl Mayr (Würzburg), Dr. Ernst Leon-
pacher (Rosenheim), Dr. Theodor Cohn (Kaiserslautern), Dr.
Alois Schlachter (Aschaffeuburg), Dr. Jakob Laub-
me 1 s t e r und Ernst M e i x n e r (Bamberg), Dr. Robert Neu-
d ö r f f e r (Hof), Dr. Wilhelm G 1 a u n e r (Günzenhausen), Dr.
Karl Leiser (Ludwigshafen), Dr. Julius T h a 1 e r und Maxi¬
milian Bäuriedl (I. München), Dr. Udo Cruse (Kissingeu»,
Dr. Ernst W u t h und Dr. Peter L i n d 1 (I. München), Dr. Fried¬
rich Lauk (Günzenhausen), Karl Braun (Augsburg), Dr. Alfred
Osthelder (Zweibrücken), Karl Langenmantel (l. Mün¬
chen), Dr. Wilhelm Ranninger (Nürnberg), Odomar Ger¬
stling (I. München), Dr. Florian Hahn (Nürnberg), Dr. Otto
Krduiann (Aschaffenburg), Dr. Heinrich Brauser (I. Mün¬
chen), Dr. Friedrich Müller (Hof), Dr. Eduard Schmitt (Lan¬
dau), Dr. Alois Lorenz (Aschaffeuburg), Dr. Viktor Vogel
(Günzenhausen), Dr. Gustav Deutsch (Hof), Dr. Maximilian
Britzelmny r (Rosenheim), Dr. Maximilian Kahn (Hof), Dr.
Wilhelm Miller (Augsburg), Dr. Michael Gernert (Nürnberg),
I>r. Friedrich Knevels (Bamberg), Dr. Paul Scholz (Ludwigs¬
hafen), Dr. Simon Guggenheimer (Gunzenhausen), Dr. Wil¬
helm Saling (Aschaffenburg), Dr. Adolf Braun (Würzburg),
I)r. Paul Spiegel (Augsburg), Dr. Maximilian Kessler
(Kitzingen), Dr. Christoph Müller (Kempten), Dr. Rudolph
Schild und Dr. Axel Krogh (Aschaffeuburg), Dr. Friedrich
Cuhorst (Ansbach; in der Landwehr 1. Aufgebots die Assistenz¬
ärzte Dr. Maximilian Blankenstein (Hof), Dr. Otto Schö¬
ner (I. München), Dr. Otto Müller (Regensburg), Dr. Alfons
Ott (Bamberg), Dr. Otto Reh (Kempten), Dr. Gustav Rüdinger
(Mlndelheim), Georg Häusler (Roseuheim), Dr. Friedrich Kel-
1 e r (Kempten), Dr. Heinrich Wallach (Hof), Dr. Robert B u -
k o w s k i (Würzburg), Dr. Berthold P e i 8 a c h (I. München), Otto
Vogelgsaug (Augsburg), Dr. Karl Königsbauer (I. Mün¬
chen), Dr. Karl Goy (Landau), Dr. Ernst Schmidtlein (Er¬
langen), Friedrich Gabler und Dr. Maximilian Wilhelm
(Augsburg), Dr. Maximilian Auer (Aschaffenburg), Dr. Paul
Grüneberg (Hof), Dr. Maximilian Holländer (Bamberg),
Dr. Emst F leischauer (Nürnberg), Dr. Otto Rautenberg
(Kaiserslautern), Dr. Karl Perrenou (Gunzenhausen), Wladis-
laus Z i e t a k (Kaiserslautern), Dr. Wilhelm F 1 o e r (Hof), Dr.
Norbert Theilheimer und Dr. Albert Feser (Augsburg),
Dr. Ferdinand Albert (Kitzingen) und Dr. Eduard Ender¬
lein (I. München); zu Assistenzärzten in der Reserve die Unter¬
ärzte Eugen Horeld (Nürnberg), Dr. Karl B ran dl, Wilhelm
Bode und Heinrich Sander (I. München), Gottfried Roth
(Bamberg), Dr. Friedrich Sen gl er (WUrzburg), Dr. Xaver
K o e 18 c h und Moriz Wolf rum (Erlangen), Hugo E g g e 1 und
Dr. Joseph O e s c h e y (I. München), Dr. Karl Krug (Würzburg),
Dr. Richard K r I e g e r (I. München), Joseph Werner (Erlangen),
Dr. Albert Arnold (I. München), Dr. Franz Rosenberger
(Wiirzburg), Dr. Alfred Lange (Aschaffeuburg), Dr. Otto Fel¬
le r e r (I. M ü n c h e n), Dr. Philipp Kuhn (Würzburg), Dr. Karl
Rausch (Zwelbriicken), Karl Rüdiger (Kaiserslautern) und
Dr. Moriz Heine mann (Wiirzburg); zu Oberstabsärzten
1. Klasse die Oberstabsärzte 2. Klasse der Reserve Dr. Rudolf
Emmerich und Dr. Maximilian Stumpf (I. München), Dr.
Heinrich Hei nie in (Nürnberg) und Dr. August Schreiber
(Augsburg).
Gestorben: Dr. Weismaun ln Kirchheimbolanden.
Verlag von J. F. Lehmann ln München. — Druck von K. Mühlthaler'a huch- und Kunatdruokerei A.G., München.
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EDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Cli. Blamier,
Frei bürg I. B.
Herausgegeben von
0. Bolllnger, H. Curschmann, C. Gerhardt, G. Merkel, J. i. Michel, H. i. Ranke, F. i, Wlockel,
München. Lclpziit Berlin Nfimhcrg Berlin München München
H. v. Ziemssen,
München.
No. 28. 9. Juli 1901.
Redaction: Dr. B. Spats, Ottos traaae 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heastrasee 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Ueber die septische Endocarditis.*'
Von Prof. H. L eil hart z,
Direetor des Eppendorfer Krankeidiauses in Hamburg,
luter septischer Endocarditis verstehe ich diejenige Form
der Klappenentzündung, die durch bestimmte pathogeneBaeterien
hervorgerufen ist. Ausser den gewöhnlichenEitercoccen, den Sta-
p li y 1 o - und Streptoc o c c c n kommt vorzugsweise noch
der Pueumococcus, weit seltener auch der üouococcus
in betracht. Für gewöhnlich wird diese Form der Endocarditis
als ulceröse oder maligne Endocarditis bezeichnet. Gegen beide
Benennungen ist mehrfach Widerspruch erhoben worden, da nicht
alle septischen Endocarditisfiille von uleerativen Vorgängen be¬
gleitet sind und sie nicht ausnahmslos maligne zu verlaufen
brauchen. Mir scheint, daher die Bezeichnung der septischen
Endocarditis, wie sie Litten fl] schon 1881 bevorzugt hat,
weitaus am zweckmäs&igsten.
Unsere Kenntniss über die septische llcizalappcnstöruiig
ist erst in den letzten 2 Jahrzehnten gewonnen. Obwohl Vir-
cho w [2] bereits 1856 die puerperale Endocarditis auf parasitäre
Vorgänge zurückführte, gelang die Bestätigung dieser Theorie
erst nach vielen Jahren. Ich kann hier nur iu uller Kürze den
Gang der Forschung berühren, da es heute meine Aufgabe sein
soll. Ihnen über eine grössere Reihe von eigenen Beobachtungen
und Untersuchungen zu berichten, die Ihr Interesse beanspruchen
dürften. Hier möchte ich nur erwähnen, dass dem Norweger
Heiberg [3] wohl das Verdienst zukommt (1869) als Erster
bei der ulcerösen Endocarditis in den Klappenvegetationen Bat¬
terien gefunden zu haben. Später folgten Klebs [4],
Köster [5] u. A. mit einschlägigen Befunden und es ist von
Interesse, dass diese Autoren sowohl bei der ulcerösen, als auch
bei der verrucösen Endocarditis Mikrobien gefunden halben,
während Orth [6] die Baeterien bei der verrucösen Form stets
vermisste.
Ein wesentlicher Fortschritt begann 1885, als Phili¬
pe w i c z [7] und Wyssokowitsc h f8], unabhängig von
einander, nicht nur die Reinzüchtung .der aus den Klappen¬
vegeta t-ionen gewonnenen Baeterien, sondern auch die Erzeugung
•ler septischen Endocarditis bei Kaninchen gelungen war. Von
jetzt an konnte an den ursächlichen Beziehungen zwischen der
Endocarditis und den Baeterien nicht mehr gezweifelt werden.
Wegen der fundamentalen Bedeutung, die besonders den Unter¬
suchungen von W y s s o k o w i t s e h zukommt, möchte ich hier
noch anfügen, dass es diesem Autor gelang, durch die Ein¬
spritzung von Strepto- und Staphylococcenkulturen in die Ohr¬
vene der Kaninchen regelmässig die septische Endocarditis zu
erzeugen, wenn kurz zuvor die Klappen oder das Endocard von
«ler Carotis her mit einer Sonde beschädigt waren. Während
gesunde Kaninchen die zehnfache Aufschwemmung der
Bacterienkulturen vertrugen, ohne zu erkranken, war die un¬
mittelbar nach der Klappenverletzung vorgenonunene Impfung
mit einer viel geringeren Menge stets von der tüdtlichen Endo-
csrditis gefolgt. Etwa zu gleicher Zeit hatte aber R i b b e r t [9]
schon festgestellt, dass auch ohne mechanische Verletzung
•) Nach einem Im Aerztl. Verein zu Hamburg am 14. Mal 1901
gehaltenen V ortrage.
No. 28.
der Klappen die septische Endocarditis erzeugt werden kann. Ihm
gelang bei der Einführung (von mindestens einer halben Pra-
v a z’sehen Spritze) einer Baeterien-Kartoffelemulsion die regel¬
mässige Erzeugung der septischen Endocarditis an den venösen
Klappen, während auffälliger Weise die arteriellen stets ver¬
schont blieben. An seinen Präparaten zeigte sich, dass eine Ent-
wickelung der Coccen auf den Klappen das Primäre ist. Die
Mikrobiell werden in das Endothel hineingepresst, wie es V i r -
chow schon vermuthet hatte, während die embolische Entstehung
(Köster) seltener ist.
Nachdem die experimentellen Untersuchungen das Ver-
stiindniss für die Entstehung der mykotischen Endocarditis
wesentlich gefördert hatten, wurden durch sorgfältige ana¬
tomische Untersuchungen der auf natürlichem Wege erkrankten
Herzklappen, wichtige tatsächliche Befunde sichergestellt. Vor
Allem sind diese Weichselbaum [10] und unserem Kollegen
E. Fraenkel[ll] zu danken. Ersterer fand bei 14 Fällen
von ulceröser Endocarditis 11 mal nur eine Bacterienart, wäh¬
rend in einem anderen Falle drei verschiedene Baeterien nach¬
weisbar waren. Letzterer traf bei seinen mit Saenger aus-
gefiihrteu Untersuchungen am häufigsten den Stapliylococcus
an und wies bereits auf die Bedeutung etwaiger Eiterungen für
die Entstehung der Endocarditis hin.
Wie die genannten Pathologen hatten auch die Vertreter
der Klinik Klarheit auf diesem Gebiete zu gewinnen versucht.
Schon 1881 hatte Litten [1] die akute Endocarditis als eine
der häufigsten Begleiterscheinungen des septischen Processes an¬
gesprochen, während Leube[12] Anfang der 90er Jahre die
maligne Endocarditis bereits als eine Form der kryptogenetischen
Septicopyaemie darstellt, bei der die Lokalisation des septischen
Giftes nur am Endocard stattgefuudcn halie und längere Zeit
auf das Herz beschränkt bleibe.
Auch auf dem vorjährigen Kongress für innere Medicin hat
sich Litten [13] von Neuem mit den verschiedenen Formen
der Endocarditis beschäftigt. Er hat dabei aber meiner Ansicht
nach neben vielem Richtigen eine Reihe von irrthümlichen An¬
schauungen vorgetragen, die nicht unwidersprochen bleiben
dürfen und nur dadurch verständlich sind, dass dieser Autor
nicht über systematische bacteriologische Untersuchungen seiner
Krankheitsfälle verfügt. Meiner Ueberzeugung nach wird man
aber nur dann im Stande sein, seine Beobachtungen richtig zu
deuten, wenn man an einer grösseren Reihe von Fällen dureli
exakte Untersuchungen des Blutes, bezüglich der Klappenvegeia-
tiouen in Ausstrich, Kultur und Schnitt sich über die mykotische
Natur der Krankheit Klarheit verschafft hat. Seit vielen Jahren
war ich bemüht, meine eigenen Fälle ’) nach dieser Richtung hin
sorgfältig zu erforschen; ich habe mich dabei der fortlaufenden,
verständnissvollen Unterstützung meiner Assistenten zu erfreuen
gehabt und habe insbesondere meinem langjährigen Assisten¬
ten, Herrn Dr. Schott müll er, zu danken.
Betreffs der Methode der Blutuntersuchung füge ich nur
kurz an, dass wir seit vielen Jahren das von Sittmann [14]
empfohlene Verfahren angewandt haben. Aus der Cubitalvene
werden nach gründlicher Reinigung und Desinfektion der Haut
20 ccm Blut mit einer Lue r’schen Glasspritze entnommen und
‘) In meiner demnächst erscheinenden Arbeit Uber die sep¬
tischen Erkrankungen ln Nothnagel’» Handbuch wird
ausführlich Uber unsere Untersuchungen berichtet werden.
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1124
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 23.
zur Kultur benutzt. Das Leichenblut wird so gewonnen, dass
inan nach vorherigem Abglühen der Herzwand eine Hohlnadel
in die Kammer einführt, die mit einem kleinen Glascylinder
(wie an der K o c h’schen Spritze) verbunden ist. Dann übt ein
Assistent, der das in situ befindliche Herz an der Basis umgriffen
und die Qefässe komprimirt hat, einen leichten Druck aus, der
das Aufsteigen dos Herzblutes in den oben mit einem Wattepropf
verschlossenen und sterilen Spritzencylinder rasch bewirkt.
Man kann die Fälle von septischer Endocarditis in 2 Gruppen
sondern. Die erste umfasst solche Fälle, bei denen die Klappen¬
entzündung als Theilerscheinung einer Sepsis auftritt, die im
Uebrigen mit vielfachen anderen Krankheitszeichen einhergehr.
Bei der zweiten Gruppe beherrscht die Endocarditis das Krank¬
heitsbild so vollständig, dass andere etwa vorhandene Herde völlig
verdeckt werden oder nur nebensächlich mit in die Erscheinung
treten.
Bei der ersten Gruppe kann man wiederum zwei Formen unter¬
scheiden, je nachdem die Erhebungen auf den Klappen nur als
zarte Auflagerungen oder als mächtige, umfangreiche Vege¬
tationen erscheinen. Erstere werden der klinischen Diagnose fast
stets entgehen, letztere in der Mehrzahl erkannt werden; sie
können aber selbst dann intra vitam verborgen bleiben, wenn sie
einen Umfang von Haselnussgrösse oder darüber erreicht haben.
Von der Dauer der Beobachtung und von der Sorgfalt, mit der
die regelmässige Auscultation des Herzens ad hoc vorgenommeu
ist, wird die Erkennung solcher Fälle aber wesentlich beeinflusst.
Bei meiner heutigen Betrachtung will ich solche Fälle, bei
denen es (z. B. im Verlauf von schwerem Puerperalfieber) zu
ganz frischer, zarter Endocarditis gekommen war, ausser Acht
lassen, wir haben 9 solcher Fälle mit dichten Streptococccn-
Einlagerungen in den Vegetationen genauer untersucht. Dagegen
möchte ich etwas eingehender über 38 Fälle berichten, von denen
die Mehrzahl (23) das klinische Bild der Endocarditis gezeigt hat,
während bei den übrigen 15 trotz mächtiger Vegetationen an
den Klappen die Herzerscheinungen entweder ganz zurücktraten
oder nur neben den übrigen septischen Erscheinungen eine un¬
wesentliche Rolle spielten. Bei 5 dieser Fülle habe ich den kli¬
nischen Verlauf selbst nicht genauer beobachtet, sie sind mir
von den Herren Kollegen J o 11 a s s e und W i e s i n g e r, einer
von dem verstorbenen Kollegen B ü 1 a u zur Verfügung gestellt.
Von den 38 Fällen sind 4 gebessert, bezüglich geheilt ab-
gegangen, 1 Fall steht noch in Behandlung. Von den 33 Ge¬
storbenen besitze ich genauere Aufzeichnungen über den Verlauf
und den anatomischen Befund und in der Mehrzahl auch über
die bacteriologische Untersuchung. Ehe ich auf diese genauer
eingehe, möchte ich bemerken, dass zu den 38 Fällen 18 Frauen
und 20 Männer gehören und dass
3 Fälle zw. 10 — 20. Lebensjahr,
12 „ „ 20.-30.
7 „ „ 30.—40.
standen.
Von den Klappen war
8 Fälle zw. 40.—50. Lebensjahr,
4 „ „ 50.-60.
4 .. „ 60.-80.
18 mal die Mitralis, I 2mal die Pulmonalis,
11 „ „ Aorta, 2 „ „ Aorta u. Mitralis,
4 „ „ Tricuspidalis, | 1 „ „ „ „ Tricuspidalis.
also bei 18 Proc. der Fälle das rechte Herz ergriffen.
Bei 22 Fällen handelte es sich um die akute, bei 16 um
die chronische Form. Bei der ersteren schwankte die Krank-
heitsdauor zwischen 4 Tagen bis 8 Wochen (bei 18 Fällen im
Durchschnitt 11 Tage); bei den chronischen zwischen 3 bis
7 Monaten. Gerade diese Fälle, m. H., verdienen
unsere grösste Beachtung. Es ist bisher viel zu
wenig bekannt, dass die echte septische Endocarditis einen solch’
verzögerten Verlauf nehmen kann. Wohl haben erfahrene Aerzte
ab und zu schon darauf hingewiesen, dass solche Fälle vorkämen,
aber selbst (). F r ü n t z e 1 [15] bezeichnet ihr Vorkommen als
sehr selten und erst vor Kurzem hat. gelegentlich der hundert¬
jährigen Jubiläumsfeier der Leipziger Klinik H e u b n e r [16]
aus seiner reichen Erfahrung die interessanten Krankengeschich¬
ten nur 4 solcher Fälle mittheilen können, bei denen die Krank¬
heitsdauer von 4—9 Monaten geschwankt hat.
Ehe ich auf diese praktisch überaus wichtigen Fälle näher
eingehe, möchte ich zunächst noch über die Entstehungs¬
ursache und die bacteriologische Untersuch¬
ung unserer Fälle berichten. An erster Stelle ist hervor¬
zuheben, dass bei 12 Kranken alte Herzklappen-
Störungen Vorlagen. Es ist schon wiederholt darauf hin¬
gewiesen, dass bei solchen Kranken die Entstehung einer sep¬
tischer Endocarditis begünstigt werde (man sprach gewöhnlich
von recurrirender Endocarditis) und die Versuche von Wysso-
k o w i t s c h und R i b b e r t haben für diese Erfahrungstat¬
sache die Erklärung erleichtert. Immerhin möchte ich hier be¬
tonen, dass bei zwei meiner Fälle die frische Endocarditis nicht
aii dem Sitz der vorhandenen alten Klappen¬
störung sich entwickelte, sondern das eine Mal an der Aorta,
das andere Mal an der Tricuspidalis mächtige Vege¬
tationen erzeugte, während in beiden Fällen das schwer ver¬
änderte und stark verengerte Mitralostium völlig verschont
blieb. Auch scheint mir die Thatsache erwähnenswerth, dass
sich in 3 anderen Fällen schwerster Sepsis, bei denen wir schon
im lebenden Blut zahlreiche Strept<»coccen und bei der Autopsie
massenhafte Metastasen fanden, trotz alter ausge¬
dehnter Endocarditis keine Spur von frischer Klappenerkrankung
erkennbar war. Wenn man daher auch mit Rücksicht auf die Zahl
der Fälle daran festhalten darf, dass mechanische Störungen
das Haften der im Blute kreisenden Bacterien an den Klappen
begünstigen, so muss man andererseits auch anerkennen, dass
das mechanische Moment nicht immer von ausschlaggebender
Bedeutung zu sein braucht.
Auffallend häufig, nämlich in 7 Fällen, sah ich die tödt-
liche Endocarditis nach Harnröhrenbeschädigung
eintreten. Hier war die Einführung von Kathetern, Bougies
u. a. vorauspegnngen. Ferner folgte die Endocarditis 5 mal
einem Puerperium, 4 mal frischer Gonorrhoe und 5 mal einer
croupösen Pneumonie. Endlich ist von Interesse, dass jo 2 mal
Angina und Cholecystitis mit Pylephlebitis den Anlass zur Endo¬
carditis dargeboten haben.
Aus der Reihe der hier angeführten Entstehungsursachen
verdienen die Fälle besondere Beachtung, bei denen die Klappen¬
erkrankung nach Beschädigung der Harnröhre (4 mal nach
Gonorrhoe, 7-mal nach mechanischen Eingriffen) und 5 mal nach
croupöser Pneumonie einsetzte. An der ursächlichen Beziehung
zwischen der Gonorrhoe nud Endocarditis ist nicht mehr zu
zweifeln, seitdem die Gonococcen aus den Klappen Vegetationen
nicht nur im Ausstrichpräparat und in der Kultur nachgewiesen,
sondern auch mit Erfolg übertragen worden sind. Gleichwohl
wird man kaum berechtigt sein, alle im Anschluss an Gonorrhoe
aufgetretenen Endocarditisfälle als gonorrhoische anzusprechen.
Streng genommen wird man diese Deutung sich nur erlauben
dürfen, wenn aus dem Blut oder aus den Klappen Vegetationen
der Gonococccnnaehweis einwandsfrei erbracht ist. Bei meinen 4
nach frischer Gonorrhoe entstandenen Fällen ist dieser Beweis nur
einmal geführt,bei den übrigenFällen konnte die bacteriologische
Untersuchung nicht vorgenommen werden; ich muss es daher
unentschieden lassen, ob es sich um echte gonorrhoische Endo¬
carditis oder eine andere septische Form gehandelt hat. Mit
Rücksicht auf meine eigenen Beobachtungen ist sehr wohl mit
dieser Möglichkeit zu rechnen. Wie ich schon erwähnte, sahen
wir die tödtliche ulceröse Endocarditis bei 7 Kranken, an denen
Erweiterungen der Harnröhre mit Bougies, und die Einführung
von Kathetern von anderer Seite vorgenommen war. In der Mehr¬
zahl dieser Fälle handelte es sich um eine Staphylococceninfek-
tion (s. später).
Unzweifelhaft mehren sich in neuerer Zeit die Be¬
obachtungen von Endocarditis nach Gonorrhoe. Loeb [17]
hat jüngst schon 62 Fälle aus der Literatur zusammengestellt,
darunter eine Reihe von
geheilten Fällen. Auch
ich möchte an der Mög¬
lichkeit einer Heilung
nicht zweifeln, nachdem
ich einen Fall beobachtet
habe, der mir wichtig ge¬
nug erscheint, um hier
kurz angeführt zu werden.
Es handelte sich uui
ein 16 jähriges Dienstmäd¬
chen L., das acht Wochen
vor der Aufnahme an hef¬
tiger akuter (»onorrhoe er¬
krankt war. Vier Tage vor der Aufnahme war sie plötzlich
mit schweren Allgemeinsterungen, Athemnoth und Beklemmungs-
Kurve 1.
Akute (geheilte) Endocarditis bei einer
Tripperkranken
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9. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1125
gefühl ln der Herzgegend erkrankt. Sie litt noch au starkem
Tripper mit zahlreichen Gonoeoccen und bot neben schweren
Allgemeinerscheinungen ein ungewöhnlich lautes, systo¬
lisches und diastolisches Geräusch an der Herz-
bas i b dar, das bis zum 10. Krankheitstage anhielt, um dann
völlig und dauernd zu verschwinden. Die Kranke hatte 2 mal
heftige Schüttelfröste, hohes, unregelmässig intermittirendes
Fieber, bot aber im Uebrigen keinerlei Zeichen von örtlicher Er¬
krankung (hierzu Kurve I) dar.
Der Fieberverlauf, die schweren Allgemeinerscheinungen,
«las intensive Herzgeräusch lassen bei dem vorhandenen Tripper
daher sehr wohl an die Möglichkeit einer specifischen Endocarditis
denken.
Der bacteriologisch und experimentell gesicherte Fall
von tödtlicher, gonorrhoischer Endocarditis ist schon vor Jahren
hier besprochen worden. Ich zeige Dinen nochmals die Kurve,
die ein fast achtwöchentliches hohes, intermittirendes Fieber
veranschaulicht mit vielfachen schweren Schüttelfrösten und
jähen Temperatursprüngen von 4—5° C. Es handelte sich um
eine ausgedehnte ulceröse Endocarditis der Pulmonalklappen,
wie Ihnen das Bild (Fig. 1) und das Präparat zeigen.
Fig. 1.
/v
K;
Gonorrhoische Endocarditis der Pulmonalklappen. (Dauer 8 Wochen.) _J
Das Auftreten der septischen Endocarditis
nach crouposer Pneumonie ist schon von verschie¬
denen Autoren beschrieben worden; meistens handelte es sich aber
nur um vereinzelte Beobachtungen. Wir sahen 5 mal diese Kom¬
plikation und 4 dieser Fälle waren dadurch für uns von be¬
sonderem Interesse, dass wir zuerst den ganzen Verlauf der crou-
pöeen Pneumonie und später das Einsetzen der Endocarditis be¬
obachten konnten. Als ein sehr lehrreiches Beispiel dieser Art
möchte ich nachfolgenden Fall kurz mit der Kurve vorführen.
Die 54 jährige Arbeiterin Anna 8. kommt am 10. Jan. zur
Aufnahme, nachdem sie Tags zuvor mit Schüttelfrost und Brust-
stechen plötzlich erkrankt war. Es besteht eine Pneumonie in einem
Theil des rechten Oberlappens und ein kleines Infiltrat im linken
Unterlappen, ln den nächsten Tagen breitete sich die Pneumonie
auf den ganzen Oberlappen aus; am 7. Krankheitstage wurden
Pneumococcen im Blut nachgewiesen. Bei gleichzeitiger j
Besserung des Allgemeinbefindens erfolgte aber allmählicher Ab- i
fall der Temperatur, so dass am 11. Krankheitstage an¬
nähernd die Norm erreicht war. Es folgen noch 5, i
faat fieberfreie Tage, dann beginnt nach 2 tägigen Prodromen ein 1
starker Prost, bei dem die Temperatur auf 40,6 steigt und es ist ,
von Jetzt an ein scharf schabendes Herz-
geränsch über dem Brustbein zu hören, das bis
xum Tode andauert (Kurve 2.) j
Die wiederholte Blutuntersuchung ergab von jetzt ab jedesmal
Pneumococcen in Reinkultur, die in den letzten Lebenstagen bis
zu 1000 und 2000 Kolonien in 1 ccm wuchsen.
Bei der Sektion fanden wir eine ulceröse Endo¬
carditis der Tricuspidalis mit mächtigen throm¬
botischen Auflagerungen, ausserdem eitrige Meningitis, die
1 Vz Tage vor dem Tode begonnen hatte.
In 3 anderen Fällen unserer Beobachtung begann die Endo¬
carditis ebenfalls nach 2—4—5 tägiger fieberfreier Pause. Alle
diese Kranken standen zwischen dem 48. bis 54. Lebensjahre.
3 mal handelte <>s sich um Männer, 2 mal um Frauen.
Dass mir 2 mal Gelegenheit geboten war, die akute septische
Endocarditis nach vorausgegangener Cholecystitis und Pylephle-
bitis zu beobachten, muss ich als einen besonderen Zufall be¬
zeichnen, da mir aus der Literatur nur ein derartiger Fall
(B o z z o 1 o [18]) bekannt geworden ist.
Ich komme nun zu unseren bacteriologischen
Befunden. Es sind im Ganzen nur 28 Fälle genauer bac¬
teriologisch untersucht worden und zwar 19 akute und 9 chro¬
nische Fälle. Hiervon wurden bei 16 Kranken schon im
Leben, bei 9 post mortem durch das Ausstrich¬
präparat und das Kultur verfahren und bei
3 Fällen in Klappen schnitten die Baeterien naohgewie-en. Stets
1 handelte es sich nur um eine Bacteriennrt.
Im Leben wurde 4mal der Staphylococeus pyogenes aureus.
1 mal der Staphylococeus pyogenes albus. 3 mal der Laneeolatus
und 8 mal Streptococcen fcstgcstelh. Von diesen gehörten 3 der
gewöhnlichen, 5 einer kleineren S reptoeoceenart an, die eine
besondere Besprechung später verdi ■ nt.
An der Leiche wurde hei 3 Fällen der Staphylococeus
pyog. aureus. 3 mal der LanceolatU'. 2 mal S*r:>ptococeen und
l mal der Gonocoeeus gefunden. Auch wurde bei allen Fällen,
lic im Leben einen positiven Befund erir-b-n hatten, der be¬
treffende Krankheitserreger auch in der Leiche wieder nach¬
gewiesen. (Ein Fall steht noch in Behandlung.)
Im Ganzen fanden wir also bei der bakteriologischen Unter¬
suchung unserer Fälle 8 m n 1 Staphylococcen, 6 m a 1
Pneumococcen, (bezw. 9 mal. wenn man den Befund in den
Klappenschnitten mit rechnet) , 10 in a 1 Streptococcen
und lmal den Gonococcus als Ursache der Endocarditis.
Es war nun für uns von besonderem Interesse, dass gerade in
den chronischen Fällen der Nachweis der Baeterien ziemlich
regelmässig geführt werden konnte, und dass wir in der Lage
waren, bei den alle 14 Tage oder 4 Wochen wieder¬
holten Blutuntersuchungen immer wieder
dieselben Coccen im Einzelfalle nachzu¬
weisen. Mehrmals konnten wir feststellen, dass im weiteren
Verlaufe der Krankheit eine stetige Zunahme der Keime im
lebenden Blute erfolgte, bei anderen hielt sich die Zahl während
längerer Zeit ziemlich auf gleicher Höhe. Es dürfte von Interesse
sein, aus unserer Beobachtungsreihe einige Fälle hier mitzu-
theilen. ~ T ’" T
Bei dem 23 jährigen Dienstmädchen Sophie S.. bei der die
Endocarditis nach einem Wochenbett einsetzte, wuchsen am
6 VI. 1898 aus 10 ccm Blut 68 S trep t ococce n - K ol 0 n i en .
22- „ „
„ 4 „
„ 198
99
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23. vm. „
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„ 120
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99
27. IX „
„ 8 „
„ 384
M
»•
2. Bel dem 22 jährigen Kaufmann K.. bei dem nach mecha¬
nischer Tripperbehandlung die Endocarditis auf dem Boden eines
alten Aortenfehlers sich entwickelt hatte, wuchsen am
PftT ti n Ti h is n 17 n 19 20 21 37 33 1* is 26 37 3» 29 so 31 *99 2 3 « s 6 7 s 9 to 11 12
m » r wzmz w rag iciEnEr : n '«-sr-ir
drinl -L’-i-L.—’ J'"-' 1 .'U■ L"_j.........: .._
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J-.it- . 1 ’ rrfcll t .—.ü Ir...i
Kurve 2. Pnenmococcen-Rndooardltis nach croupöeer Pneumonie.
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1126
No. 28.
MUENC1IENKR MKD1CINISCHK WOCHKNSOliRl KT.
27.
IX 1898
aus 1 ccm
lilut
98 Streptococcen Kolonien,
13.
X „
„ 1 „
*>
177
29.
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„ 1 „
”
225 „
15.
XI. „
„ 1 „
119 ' .,
19
,, „
»> I »»
M
286
3. Hoi dem 33jiihrlgen Kindermädchen Auguste T.. die wegen j
septischer Endoearditis unbekannten Ursprungs, vielleicht nach |
Angina, vom 0. November 1900 bis 13. Februar 1901 von uns be- |
handelt wurde, wuchsen am i
ü.
XI
1900
aus 1
ccm
75 Ko'o.öen «
s Streptoe. parvus, '
9.
.. 15
»*
381
„ „ >f
26.
„
n
„ 15
”
431
*» h »»
22.
XII.
15
867 „
♦» 1* f M
10.
I.
1901
„ 15
u
900
»J »»
8.
II.
„
„ 15
2000
* *> it
Sehr wahrscheinlich kommt dieser kleine Strepto- j
e o «• e u s, den wir ausser bei dem letztgenannten Falle noch 5 mal
bei unseren Endocarditisfiillen antrafen, als Erreger dieser j
Krankheit häufiger in Betracht, und es scheint mir, dass er auch
von anderen Autoren wohl schon gefunden worden ist. Er .
erscheint morphologisch in Form kleiner Diplococccen oder
längerer Ketten und ist in seinem Wachst hum dadurch von dem
gewöhnlichen Streptococcus unterschieden, dass er sehr viel träger
wächst und in der Regel erst nach 48 Stunden auf der Platte
in zarten Kolonien erscheint, die keinen Resorptionshof zeigen,
der bei dem gewöhnlichen Streptococcus in der Regel schon nach
12—15 ständigem Wachsthum sehr deutlich hervortritt. Wohl
aber zeigen die Kolonien vom 3. Tage an bei durchfallendem Lieht j
eine deutliche (iriinfürbung. Der (’oecus ist endlich durch sein • j
geringfügige Pathogenität für Thier«* ausgezeichnet.
Es ist möglich, dass auch Litten in den von ihm im vorigen I
Jahre kurz mitgetheilten 2 Fällen diesen Streptococcus gefunden 1
hat. Er spricht ihm jedoch die septische Qualität ab und ist ge- ^
neigt, ihn als Erreger der malignen rheumatischen !
E n d o c a r (1 i t i 8 anzuspr« eben. Diese versucht er scharf von \
«ler septischen Endoearditis nbzutrennen. „obwohl (nach Litten\s !
eigenen Wort«*n) die Aehnliehkeit zwischen landen eine immerhin j
sehr grosse ist und «'s überaus schwer sein kann, sieh zu orion- I
tiren, wenn man das Krankheitsbild auf der vollentwickelten \
Höbe der Symptome sieht, ohne genaue anamnestisehe Daten i
zu erfahren“. Zwei Symptome sin«! es, auf welche Litten j
entscheidenden Werth legt: die Beschaffenheit der Gelenkflüssig-
keit und des Pericards. Hier dürfen sieh bei der rheumatischen
Form keine Spuren von Eiter finden.
Nach meiner Erfahrung, die sieh nicht nur auf die sorg¬
fältige klinische Beobachtung, sondern auch auf die anatomische
Fntersuehung von 33 Fällen uud die positive bacteriologische
Erforschung in 28 Fällen stützt, kann ich der Litte u’sehen
Darst«*llung nicht, folgen. Litten legt zuviel darauf Gewicht,
ob Eitermetastasen entstehen oder a u s b 1 e i -
bcn. Meines Erachtens ist dieser Stamlpunkt nicht berechtigt,
um eine so wichtige Frage zu entscheiden. TTeberdies ergibt «lie ■
sorgfältige anatomische Untersuchung septischer Leiche», dass |
man in demselben Fall in dem einen Organ anaemisehe, in dem
anderen vereiterte Infarkte antreffen kann; selbst in dem¬
selben Organ können beidelnfarktarten neben \
einander auf treten. Dies trifft sowohl für die schlei¬
chend verlaufenden, wie für die akuten Fälle zu; immerhin ist 1
es bei h-tzteren die Ausnahme. Ich habe in den letzten Jahren j
Herrn Koll«*gcn S i m m o n d s wiederholt, gebeten, un*cre Be- ;
funde sorgfältig zu diktire»; er ist mit mir der Ueberzeugung,
«lass die bei septischer Endoearditis auftretenden Infarkte keines¬
wegs immer zu vereitern brauchen. Die Thatsache, ob es zu
Eiterungen gekommen ist oder nicht, darf also durchaus nicht
zur Unterscheidung der septischen und malignen rheumatischen
Klappenentzündung herangezogen werden. Wohl aber darf der j
baeteriologisehe Befund entscheiden. Finden wir im Blut j
oder in den Vegetationen di«* oben besp röche- |
neu Bactcrien, so ist damit der septische Oha- 1
rakter der Endoearditis bewiesen; fehlen die j
Mikrobien an diesen Stellen, gelingt auch ihr Nachweis nicht
b« i S«*riensehnitten, so ist damit «lie rheumatische Grundlage
der Störungen wahrscheinlich gemacht, deren Krankheitserreger
uns zur Zeit noch völlig unbekannt ist. Meines Er- ;
achtens wird man nicht daran zweifeln dürfen, dass der echte !
akute Gelenkrheumatismus durch eine, n b e - |
Milderen Keim hervorgerufen wir d, d e s s e n
Nachweis bisher durchaus nicht gelun gen ist.
An dieser Auffassung haben weder die Arbeiten Sing e Fs [ 19 ],
noch die Mittheilungen von Wassermann [20] u. A. etwas
ändern können. Handelte es sich bei dem akuten Gelenkrheu¬
matismus um einen Streptococcus, so würde uns mit den bisher
erprobten Methoden die Züchtung des Erregers schon längst ge¬
lungen sein. Das Gegentheil trifft zu. Bei dem echten
Rheumatismus lässt die Untersuchung des
Blutes und der Geleukfliissigkeit völlig im
Stich. Die von verschiedenen Beobachtern gelegentlich ge¬
fundenen Coccen weichen zu sehr von einander ab, um die Ucber-.
zeugung zu erwecken, dass man dem wirklichen Erreger auf der
Spur sei. Schon die eine Thatsache, dass der eine Autor einen
Staphylo«'<>ocus, der andere Streptococcen als ursächliche Er¬
reger des akuten G«*lenkrheumatismus angesprochen hat, be¬
leuchtet «len Irrweg. Der echte akute Gelenkrheumatismus ist
eine so wohlcharakterisirte Krankheit, dass wir durchaus einen
specifischen Erreger bei ilim voraussetzen dürfen. Der Pseudo-
rheumatismus kann durch verschiedenartige Keime hervorgerufen
werden; er tritt bei mancherlei Infektionskrankheiten (Scharlach,
Diphtherie, Ruhr, bei der Sepsis u. a.) auf und hat mit dem
echten Rheumatismus nichts zu thun.
Ihr Krankheitsverlauf, den die chronischen Fälle der sep-
t.isehen Endoearditis darbieten, ist meist ein recht gleichförmiger.
Die Krankheit- beginnt nur selten mit einem Schüttelfros*,
häufiger schleichend, indem die Kranken sich schlecht fühlen
und Reisseu und Mattigkeit, in den Gliwlern spüren. Bisweilen
treten auch schon im Anfang umschriebene Schmerzen auf, die
in der Nähe der Gelenke, an Aponeurosen und ähnlichen Stellen,
ihren Sitz haben. Oft fällt der Umgebung schon früh das
schlechte Aussehen der Kranken auf. Energische Naturen
kämpfen aber noch eine Zeit lang gegen die zunehmende Mattig¬
keit an und suchen nur dann das Bett auf, wenn stärkeres Frösteln
oder ein «lerbcrcr Schüttelfrost mit heftiger«»!» Fieber sie
dazu zwingt. Bekommt man sie jetzt zur Untersuchung, so findet
man in der Regel schlechtes Aussehen und Blässe. ferner das
Herzgeräusch und starke Milzschwellung. Sonstig«* objeetive
Zeichen können vollkommen fehlen, ausser den ziemlich häufigen
Rclinablutungen.
Von vielen Seiten wird auf die Frost erschein ungen grosser
Werth gelegt. Meine Kranken boten in dieser Beziehung ein sehr
wechselndes Bild.
Mehrere haben keinen einzigen Schüttelfrost gehabt ; andere
wurden fast alle Tage von einem solchen befallen, wieder andere
litten an den erratischen Frösten, d. h. an ganz unregel¬
mässig mit längeren Pausen wiederkehrenden Frösten, die be¬
sonders T raube und F raeiitzel als charakteristisch an¬
gesprochen halten [15]. (Schluss folgt.)
Aus dem hygienischen Institut zu Kiel.
Ueber die eiweisssparende Kraft des Alkohols.*)
Neue StoffWechselversuche am Menschen.
Von Dr. mod. ct phil. R. O. Neum a n n. I. Assistent am hvgien.
Institut in Kiel.
(Vorläufige Mittheilung.*)
Bei den vielen Kragen, die sich an die Bedeutung des Alkohols
in therapeutischer, physiologischer, toxiko¬
logischer und hygienischerBeziehung anschliessen,
bildet noch immer die Frage einen besonderen Streitpunkt, o b
dem Alkohol wirklich eine eiweisssparende
Kraft zukommt.
Trotz der grossen Reihe von Arbeiten, die darüber gemacht
sin«l, können nur einige wenige zur Entscheidung der Frage
herangezogen werden, da die übrigen den Anforderungen, di«*
an exakte Stotfwechselversuche zu stellen sind, nicht entsprechen.
Und diese wenigen stehen sieh in ihren Resultaten gerade direkt
gegenüber.
So wollen M i u r a, S ch m i d t. und Schöneseiffen aus
ihren Versuchen schliessen können, dass Alkohol nicht Eiweiss
spart; Offer, Bjerre und neuerdings R o s c n f e 1 «1 zeigen
andererseits, dass d e m A 1 k o li o 1 eine eiweiss-
*) Nach einem Im Physlolog. V«*rein zu Kiel am 10. VI. 1901
gehaltenen Vortrag. — Die ausführliche Arbeit wird im Archiv für
Hygiene erscheinen..
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MÜENCHENER MRDlClNISCHE WOCHENSCHRIFT.
112 ?
9. Juli löOl.
sparende Kraft zukommt. Auch habe i c h bereits Ohne mich dosshalb bisher mit Rosemann auf eine frucht-
vor 2 Jaliren durch einen 35 tägigen Stoffwcchselversuch geglaubt, lose Polemik einzulassen, habe ich geglaubt, der Sache am meisten
die Thatsache von der eiweisssparendon Kraft des zu nützen, wenn ich, bevor ich wieder das Wort nehme, erneute
Alkohols als richtig beweisen zu können. Versuche anstellen würde und führte daher wiederum ein Ex-
Nichtsdestoweniger wurden meine Schlüsse von Rose- periment von 36 Tagen an mir aus, dessen Anordnung
mann als nicht zutreffend bezeichnet und als Beweis für diese zwar eine etwas andere war wie das erste Mal, aber dessen Re-
Behauptung die beiden Arbeiten von Schmidt und Schöne- sultato mit meinen erstgewonnenen vollkommen übereiustimmen
seif feil gcgenübergestellt, die zwar einen vermehrten und unzweifelhaft dio Richtigkeit meiner früheren Befunde'
Zerfall des Eiweis9 bei Alkoholgaben zeigen sollen, meiner zeigen können.
Ansicht nach aber durch die kurze Dauer des Versuchs, durch Um dem Leser einen Vergleich mit diesem ersten V er-
die geringe Eignung der einen Versuchsperson und durch die such zu ermöglichen, sei derselbe an der Hand einer kleinen
keineswegs eindeutigen Resultate an Beweiskraft erheblich ein- TabelleundKurve mit einigen Worten kurz skizzirt. (Die
büssen. Zahlen sind Mittelwerthe aus den einzelnen Perioden.)
I. V e r b u o h.
E i n n
ahmen
A D
i s g a b
e n
Eiweiss
Fett
Kohle¬
hydrate
| Alkohol
N
Calorien
Koth-N
Harn-N j
Gesammt-
N
I
5 Tage
76,2
156
224
—
12,19
2681
1,81
10,09
11,93
-f 0,26
n
4 Tage
76,0
78,4
224
12,16
1959
1,65
12,14
13,79
— 1,63
HI
1—4 Tage
76,0
78,4
224
100
12,16
2677
1,80
13,41
15,21
- 3,05
III
5—10 Tage
76,0
CO
l-
224
• 100
12,16
2677
1,42
11,06
12,48
— 0,32
IV
6 Tage
76,2
156
224
100
12,19
3401
1,37
9,47
10,84
+ 1,35
V
4 Tage
76,0
78,4
224
—
12,16
1959
1,43
12,63
14,06
- 1,9
VI
6 Tage
76,2
156
224
—
12,19
2681
1,54
10,89
12,43
- 0,21
zog, so musste N-Verlust eintreten. Der Körper gelangte aber so¬
fort wieder in das N-Gleichgewicht, sobald genügend Nahrung
— gleich der 1. Periode — gegeben wurde (Periode 6).
In der Kritik glaubt nun Rosemann meine Resultate in¬
sofern anfechten zu können, als er behauptete, dio Verminderung
der Eiweissausfuhr in der zweiten Hälfte der 3. Periode würde
auch ohne Alkoholzugabe eingetreten sein; es sei also
dieser Ansatz nicht auf die Wirkung des Alkohols zu setzen.
Diese Auffassung ist aber sicher für diesen Fall nicht zu¬
treffend, da der Alkohol — wie auch Rosemann zugibt —
andere Stoffe spart; die 100 g Alkohol müssen also in irgend
einer Weise günstig verwerthet werden; und dies gibt sich hier
durch die Verminderung der Stickstoffausfuhr kund. Dasselbe
zeigt uns auch die 4. Periode, denn dort erfolgt
durch die Alkoholzugabe N-Ansatz. Nichtsdesto¬
weniger zweifelt Rosomann auch die Beweiskraft dieser
4. Periode an, indem er den vermehrten N-Ansatz nur auf eine
Zugabe von Fett bezieht, den Alkohol aber wiederum als irrele¬
vant ansieht.
Aber auch dies kann ich nicht zugeben. Mit der Fettzulagc
wurde die Nahrung der 4. Periode gleich der 1. Periode
gemacht, in welcher wir ja N-Gleichgewicht
eintreten sahen. Finden wir aber nun in der 4. Periode
nicht mehr N-Gleichgewicht, sondern N-Ansatz, dann musste der¬
selbe doch auf den Alkohol zurückzuführen sein, der der Nahrung
noch zugegeben war. Auf etwas anderes kann der N-Ansatz gar
nicht beruhen. Dass es auch „ohne Alkohol so gekommen wäre“,
wie Bosemann behauptet, ist eine unbewiesene Hypothese.
Die 5. Periode zeigt ja gerade, dass ohne Alkohol bei derselben
Nahrungszufuhr kein N-Ansatz eintritt.
Darüber, dass man die 4. Periode nur mit der direct vorher¬
gehenden vergleichen könne, wie Rosemann meint, bin ich
anderer Ansicht. Ich halte cs durchaus für berechtigt,
ja in diesem Falle sogar für nothwendig, die 4. Periode
mit der 1. zu vergleichen, besonders, da in beiden die
Nahrungseinfuhr ganz dieselbe war, bi9 auf dio 100 g Alkohol,
die eben einen Auschlag ergeben mussten.
Während nun Bosemanu seine Behauptungen nicht durch
experimentelle Beweise stützen kann, kann ich in dem folgenden
neuen Versuch zeigen, dass wirklich der Alkohol dio U r*
No. 28. 2
Digitized by VjOOQLC
Nach einer 70 tägigen Alkoholabstinenz stellte
ich mich mit einer einfachen Nahrung aus Brot, Käse, Schweine¬
fett und Cervelatwurst in’s Stickstoffgleichgewicht
(1. Periode). Alsdann Hess ich die Hälfte Fett aus der Nahrung
fort, wodurch eine Mehrausscheidung von Stick¬
stoff veranlasst wurde (2. Periode). Hatte nun der Alkohol
eiweisssparende Kraft, so musste in der 3. Periode, in welcher an
Stelle des fortgelassenen Fettes Alkohol gegeben wurde, wieder
Stickstoffgleichgewicht eintreten.
Dies war auch in der That — bis auf eine sehr ge¬
ringe Minusbilanz — in der zweiten Hälfte der
3. Periode der Fall. Die ersten 4 Tage der 10tägigen
Periode standen noch, ehe sich der Organismus an den Alkohol ge¬
wöhnt hatte, unter der protoplasmaschädigenden Wirkung des-
selben, wodurch die vermehrte N-Ausscheidung erklärt wird').
Gab ich nun in der 4. Periode zur genügenden Nah¬
rung noch Alkohol, so wirkte derselbe weiter als
Eiweisssparer; es erfolgte N-Ansatz. Wurde da¬
gegen in der 5. Periode die Nahrung dadurch ungenügend ge¬
macht, dass ich ihr den Alkohol und dio Hälfte des Fettes ent-
’) Hier muss erwähnt werden, dass die Alkoholperloden von
Minra, Schmidt und Schöneseiffen nur wenige
Tage dauerten. Die grossen Alkoholdosen wirkten bei den
genannten Autoren ln dieser Zeit genau so wie bei mir, nämlich die
N-Ausfuhrvergrössernd. Da sie aber dann Ihren Versuch abbrachen,
so kam natürlich die eiweisssparende Kraft des Alkohols nicht
mehr zur Geltung und Ihr Resultat lautete dann natürlich: der
Alkohol vermehrt den Blweisszerfall
No. 25.
1128
ÜÜENCttENER MEDlClNlSCßE WOCHENSCHRIFT.
sacliedesN-Ansatzes und somit der Eiweisssparcr
war und ist.
Nachdem ich mich wiederum 40 Tage des Alkohols voll¬
ständig enthalten hatte, setzte ich mich mit einer einfachen
Nahrung aus Schwarzbrot, condensirter Milch,
gehacktem Fleisch und Schweinefett in’s N-Gleich-
gewicht (1. Periode). Alsdann gab ich in einer 18 tägigen
2. Periode, zunächst um die Giftwirkung des Alko¬
hols auf den nicht an ihn gewöhnten Organis¬
mus auszuschliessen, bei sonst gleicher Nahrung wie in der
1. Periode, kleine Mengen von Alkohol, die ich allmählich bis
100 g steigerte 2 ). Es musste, falls der Alkohol in der That
eiweisssparende Kraft hat, nunmehr ein N -Ansatz er¬
folgen.
Um weiter zu entscheiden, ob der Alkohol genau dasselbe
leisten könne wie das Fett, wurde in einer 3. Periode eine 100 g
Alkohol isodyname Menge Fett aus der Nahrung weggelassen,
aber 100 g Alkohol weiter gereicht. Ersetzte nun der Alkohol als
Ei weisssparer das Fett vollkommen, so musste vollkommenes
N-Gleichgewicht wie in der 1. Periode eintreten. Endlich musste,
wenn das vorhin weggelassene Fett wieder gegeben und ausserdem
der Alkohol durch weiteres Fett ersetzt wurde, in der 4. Periode
ein N-Ansatz erfolgen, der gleich dem der 2. Periode, oder wenn
das Fett mehr leistete, noch etwas grösser war. #
Folgende Tabellen werden den Ueberblick erleichtern (die
Zahlen sind Mittelwerthe aus den einzelnen Perioden):
II. Versuch.
Perioden
Einnahmen
Eiweiss
Fett
Kohle¬
hydrate
Alkohol
Calorien
Ausgaben
Koth-N ! Harn-N | G<!8a “ mt
Bilanz
I
5 Tage
112,74
116,5
254,8
18,04
2590
2,83
15,15 17,98
+ 0,06
n
1-11 Tage
II
12-18 Tage
m
7 Tage
IV
6 Tage
112,74
116,5
274,8
20-100
18,04
2734-3310
112,74
116,5
254,8
100
18,04
3310
2,78
13,24
112,74
38,3
254,8
100
18,04
2583
2,76
15,49
112,74
193,3
254,8
18,04
3304
2,83
12,79
J ) Gesammt N-Ausfuhr von 18 bis 16 gr allmfthlig fallend.
- *)
16,02
18,25
15,62
+ 2,02
— 0,21
+ 2,42
Von wesentlicher Bedeutung ist bei diesem Versuch die
Thatsache, dass ich dio Giftwirkung des Alkohols
aus schaltete, indem ich in der 2. Periode mit
sehr kleinen Dosen begann.
Diese geringen Mengen schaden offenbar nichts, denn wir
sehen Quantitäten von 20—40 g noch keinen Einfluss auf die
»Stickstoffausfuhr ausüben; es findet weder Ansatz noch Abgabe
von Stickstoff statt. Bei ca. 50 g Alkohol tritt aber
bereits eine bemerkenswerthe Verminderung
des Eiweiss Umsatzes ein, die bis zu Gaben von
100 g sich steigert. Es werden bei diesen Gaben beinahe
2 g N angesetzt und da hier nichts Anderes zur
Nahrung hinzugegeben wurde als Alkohol, so
kann nur dieser den Ansatz bewirkt haben. Hier
kann man nun gewiss nicht sagen: „Es wäre auch ohne Alkohol so
gekommen“.
Diese Periode bestätigt also vollkommen das, was ich in
meinem ersten Versuch in der 3. und 4. Periode gefunden und
aus ihr geschlossen hatte.
Die 3. Periode im zweiten Versuch bildet einen weiteren Be¬
weis, dass Alkohol Eiweiss spart, da beim Weglassen einer aequi-
valenten Fettmenge das Stickstoffgleichgewicht fast erhalten
bleibt.
Sie ist aber gleichzeitig ein Fingerzeig, dass der Alkohol
als Eiweisssparer nicht genau das leisten
kann, was Fett leistet. Hätte Alkohol ganz denselben Werth,
dann hätte absolutes N-Gleiehgewicht eintreten müssen. Das
: ) Der Alkohol wurde ln beiden Versuchen ln 40 proc. Ver¬
dünnung schluckweise getrunken.
ist nicht der Fall. Es zeigt sieh eine Minusbilanz von 0,2 g N,
die zwar an sich nicht gross, aber umsomehr zu beachten ist, als
sie auch in dem ersten Versuch in der zweiten Ilälfto der
3. Periode zu beobachten war. Die Bestätigung des Gesagten er¬
gibt auch die 4. Periode. Hier erreicht der N-Ansatz dadurch,
dass der Alkohol durch Fett ersetzt war, eine noch etwas höhere
Zahl als in der 3. Periode. Das hätte nicht sein können, wenn
der Alkohol dem Fett an Eiweisssparvermögen absolut gleich-
kiiine.
Man könnte aber auch an die Möglichkeit denken, dass die
geringe Stickstoffmehrausfuhr darin ihren Grund hat, dass bei
der Verbrennung des Alkohols im Organismus 5—10 Proc. ver¬
loren gelien, die ihm dann nicht mehr zu Gute kommen können.
Nach dem Gesagten halte ich es für erwiesen, dass der
Alkohol in der That ein Ei weisssparer ist,
aber in dieser Eigenschaft dem F ett vielleicht
nicht absolut gleich kommt, und ich glaube nicht zu
weil zu gehen, wenn ich den gefundenen Resultaten insofern
eine grössere Bedeutung beilege, als sie gewonnen sind an einem
Organismus, den ich als normal und für Stoffwechsel versuche
geeignet ansehen muss und dessen Funktionen ich aus beinahe
300 »Stoffwechseltagcn genau kenne.
Die gefundene Thatsache von der eiweisssparenden Kraft des
Alkohols hat natürlich nur theoretisches Interesse, da der Alkohol
wegen seiner toxischen Eigenschaften als Nahrungs¬
stoff nicht empfohlen werden kann und von keinem Besonnenen
empfohlen werden wird.
Aber dio Thatsache besteht und da sie vorläufig an meiner
Person, wie ich glaube, einwandsfrei bewiesen ist, so darf man
hoffen, dass dieselbe auch von anderen Untersuchern bei ge¬
nügend langen Versuchs Perioden und ge¬
eigneten Versuchsindividuen gefunden und an¬
erkannt werden wird.
Nachschrift.
Zu meiner Genugthuung bekomme ich soeben bei Korrektur
dieser Zeilen, in dem neuesten Heft des Skandinavischen
Archivs für Physiologie, eine Arbeit von C 1 o p a 11
zu Gewicht, welcher an sicli einen ebenfalls 35 tägigen Versuch
mit einer 12 tägigen Alkoholperiode angewtellt hat und meine
Resultate vollständig bestätigt.
C1 o p a 11 setzte sich auch mit einer genügenden
Nahrung in der 1. Periode in’s annähernde Stick-
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9. Juli 1901.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1129
Stoffgleichgewicht (Bilanz '+ 0,94) und gab alsdann
in der 2. Periode, an Stelle von 70 g F o 11 eine isodyname
Menge Alkohol.
Falls der Alkohol ebenso wie das Fett als Eiweiss-
sparcr wirkte, musste das N-Gleichgewicht erhalten bleiben,
res'p. derselbe Ansatz erzielt werden, wie in der 1. Periode.
Dies war ganz ähnlich so, wie bei meinem
ersten Versuch, in der zweiten. Hälfte der
Alkoholperiode der Fall, nachdem zuvor auch eine Mehr-
ausScheidung von Stickstoff stattgefunden hatte. (Die ersten
6 Tage der 2. Periode Bilanz: —1,82, die letzten 6 Tage Bilanz:
-b 15.)
C 1 o p a 11 findet also ebenfalls, dass die eiweisssparende
Wirkung dos Alkohols erst nach längerer Verabreichung — also
nachdem sich der Organismus an denselben gewöhnt hat — zu
bemerken ist und sieht auch in der kurzen Dauer der Versuche
von M i u r a, Schmidt und Schöneseiffen den Grund,
we.-shalb diese. Autoren abweichende Resultate erhalten mussten.
Es ist nun sehr interessant, dass C 1 o p a 11 seine Ergebnisse
ausserdem noch stützen konnte durch einen 3 tägigen lte-
s pirat. ionsversuch in der T igerstedt-Sonde n’-
sohon Respirationskammer, den er selbst an sich ausführte und
auch hier zeiirte sich, dass der Alkohol ganz erhebliche Mengen
Eiweiss vor der Verbrennung schützen konnte und er bestätigt
dadurch auch die von B j e r r e bereits gefundenen Resultate.
E a d ii r f t e daher nach diesen einwandfreien
Versuchen nicht mehr zweifelhaft sein, dass
der Alkohol in der That ei weisssparend wirkt!
Literatur.
1. Miura: Zeitsohr. f. klln. Med. 1S02. Bd. 20, S. 137. —
2. Schmidt: Dissertation. Greifswald IKON. — 3. Schöne¬
seiffen: Dissertation. Greifswald 1809. — 4. II. O. N e u in a n n:
Aich. f. Hyg. 1809, Bd. 3i». S. 1. — 5. lt o s e in a n n: Areli. f. d. gos.
Pliys. 1899. Bd. 77. S. 405. — 6. O f f e r: Wiener klln. Wocliensebr.
1899. Bd. 12, S 1009. — 7. Bjerre: Skandlu. Areli. f. Phys. 185«),
Bd. 9. S 323. — 8. Rosenfeld: Ther. d. Gegenw., Febr. 1900.
— Clopatt: Skandin. Arch. f. Phys. 1901, Heft 5/G.
Ueber rheumatische Ex- und Enantheme.
Von Dr. mcd. M. Bohrend in Badenweiler.
H e br a [1], der sich um die Klassifizirung der Hautkrank¬
heiten im vergangenen Jahrhundert wohl die grössten Verdienste
erworben hat, ist auch der Erste, der das Erythema multi forme
als eine selbständige,klinisch von anderen Dermatosen leicht trenn¬
bare Krankheit beschreibt. Aber während die Diagnose des typi¬
schen Erythema exsudativum multiforme — und dies ist ledig¬
lich ein Verdienst der klassischen Beschreibung des Altmeisters
der Dermatologie — wohl kaum einem Arzte Schwierigkeiten
bereiten dürfte, so lange es in typischer Lokalisation und sym¬
metrischer Anordnung vorkommt, wird andererseits manches in
diese Gruppe gehörige Exanthem bei atypischer Looalisation
falsch gedeutet und verkannt, meist aus dem einfachen Grunde,
weil man mit dem Begriff des Erythema exsudativum multiforme
ein auf die Streckseiten der Extremitäten lokalisirtcs Exanthem
sich vorstellt. Das Erythema exsudativum multiforme gehört
ferner zu den Exanthemen, die sich nicht auf die äussere Haut
beschränken, sondern auch auf die Schleimhäute übergreifen und
dadurch zu Enanthemen werden. Ein mir kürzlich zur Beobach¬
tung gekommener Fall, der auch in anderer Beziehung Inter¬
essantes bietet, soll zunächst das Befallensoin der Schleimhäute
bei verhältnissmässig geringer Verbreituug auf der äusseren Haut
zeigen.
G. R.. 15 J., Schneiderlelirling von liier, kam am 30. III. wegen
starker Heiserkeit, die erst seit einigen Tagen bestehen soll, in
meine Behandlung. Der Vater des Patienten ist gesund. Die
Mutter des Patienten ist z. Zt. gesund, war ebenfalls vor kürzerer
Zelt wegen anaemlseh-neurastheuischor Beschwerden in meiner
Behandlung, lmt früher an einem rechtsseitigen Spitzenkatarrh
gelitten, der aber z. Zt. ausgeheilt ist, und au einer Kuiegeleuks-
entzündung. die zur Ankylosirung geführt hat. Eine Schwester
des Patienten hat vor einiger Zeit Gelenkrheumatismus gehabt.
Patient selbst war früher stets gesund. — Patient ist von gracilem
Körperbau, aber für sein Alter gut entwickelt. — An der Nacken-
lmargrenze befinden sieh in halbmondförmiger Anordnung eine
Anzahl linsen grosser, bläullch-rother, etwas über das Niveau der
übrigen HautoberflHche erhabener Flecke, deren Rüthe auf Druck
verschwindet. Am übrigen Körper kein Exanthem; keine Gelenk-,
keine Drüsenschwellung. Temperatur 37,3°. — Die Untersuchung
der Pulmones ergibt deutlichen Lungenschall an allen Stellen,
die Auskultation ergibt in den rechten oberen Partien vorn bis
zur II. Rippe, hinten in der Fossa supraspinata deutliche crcpl-
tirende Geräusche, an allen anderen Stellen aber weiches Vesicular-
atlnnen. — Bei der Inspektion des Herzens füllt eine starke Er¬
schütterung der Herzgegend üuf, die sieh von der linken Axillar¬
linie bis in’s Epignstrium hinein ausdehnt. Der I. Ton an der Spitze
ist etwas dumpf und neben dem I. Tone ist ein blasendes Geräusch
nachzuweisen, das nach der Basis zu etwas stärker wird. An den
anderen typischen Auskultatiousstelleu des Herzens ist aber uielits
Abnormes nachzuweisen, nur dass der II. Pulmonalton deutliche
Aceentuatlon zeigt. Itelntive Herzdämpfung geht links bis an die
vordere Axillarlinie, rechts bis an den rechten Sterualrand, nach
oben bis zuin unteren Rand der III Rippe. — An den Abdominal¬
organen nichts Abnormes nachzuweisen. — Die Raehenschleiuiliaut
ist im Bereich des Palatum molle In toto geröthet, die Tonsillen
geschwollen. Bei genauerer lnspektion bemerkt man auf beiden
Tonsillen und beiden Arcus palato-glossus eine Anzahl linsen-
grosser, rother, über das Niveau der übrigen Sclileimliautoberfliiehe
erhabener Flicke, an denen das Epithel im Ganzen nicht verändert
Ist. An der linken Tonsille müssen einige derartige Efflorescenzen
couflulrt sein, da man an derselben eine grössere derartige Efflores-
eenz findet. Das Epithel ist an dieser Stelle deutlich abgehoben,
der Rand erodlrt. Au der hinteren Racliemvnnd befinden sich zu
beiden Seiten der Mittellinie* ebenfalls eine Anzahl scharf um¬
schriebener, deutlich prominenter Flecke. Die laryngoskopisehe
Untersuchung ergibt: Diffuse Rötliung des Larynx. In der Regio
iuterarytaenoidea ebenfalls eine Anzahl derartiger Flecke, wie sie
oben für die Mundschleimhaut beschrieben sind. Epiglottis ge¬
röthet, sonst ohne Besonderheit. Stimmbänder scbliessen bei
Phonation prompt.
2. IV. An den Strecksoiten der Handgelenke sind ebenfalls
typische Erythemfleeke (Erythema papulatum) aufgetreten. —
In den vergangenen Tagen Temperatursteigerung bis 37,5
4, IV. Die Flecke au der Nackenhaargrenze sind Im Ver¬
blassen. An den Efflorescenzen der Schleimhäute ist insofern eine
Veränderung zu konstatiren, als das Epithel über denselben ab¬
gehoben erscheint. Beide Tonsillen machen heute einen etwas
zerklüfteten Eindruck.
7. IV. Die Efflorescenzen an der Nackenhaargrenze fast voll¬
ständig verblasst, die an den Handgelenken ebenfalls stark im
Verblassen. Gaumen-, Rachen- und Kehlkopfsehlelmliaut fast
ganz zur Norm zuriiekgekehrt. — Status cordis derselbe wie bei
der ersten Untersuchung.
Die Diagnose, dass es sich um ein Erythema exsudativum
multiforme, das auch auf die Schleimhäute des Kehlkopfs,
Rachens und Gaumens übergegriffen hat, war mir schon, als ich
den Patienten zum erstenmal sah, sehr wahrscheinlich; sie kann
aber, nachdem auch die Extremitäten von Efflorescenzen befallen
waren, kaum einem Zweifel unterliegen. Wenn ich Veranlassung
genommen habe, diesen Fall zu veröffentlichen, so geschah es zu¬
nächst, weil es verhältnissmässig selten ist, dass die Schleimhäute
in grösserer Ausdehnung befallen sind, während die äussere Haut
nur in geringem Maasso am Krankheitsproces.se betheiligt ist.
Für eine Anzahl anderer Hauterkrankungen ist ebenfalls
die Verbreitung der Exantheme auf dein »Schleimhäuten in der
Literatur beschrieben worden. Vom Herpes labialis und genitalis
dürfte es allgemein bekannt sein, dass er nicht immer an der
Schleimhautgrenze Halt macht. Für das Ekzem sind von Moritz
»Schmidt [2] in seinem bekannten Lehrbuch eine Anzahl Fälle
beschrieben worden, bei denen sich Ekzemknötchen auf der
Gaumenschleimhaut vorfanden. Nach der Schilderung, die dieser
Autor von seinen Beobachtungen liefert, ist man wohl zu der
Annahme berechtigt, dass es sich in seinen vier Fällen um ein
akute« Ekzem der Gaumenschleimhäute gehandelt hat, das aber
die äussere Haut vollständig verschont hat. Für den Lichen
ruber planus hat Marx [3] aus der Ilerxheimer’sohen Klinik
eine Anzahl Fälle beschrieben, bei denen sieh auf den Schleim¬
häuten der oberen Luftwege eine Anzahl typischer Licheneffloros-
cenzen theils primär, theils sekundär vorfanden. Bekannter ist
das Ucbergreifen des Pemphigus, des akuten wie des chronischen,
auf die Rachen- und Kehlkopf Schleimhaut. Erst kürzlich hat
wieder Mertens in der Münch, med. Wochenschr. [4] einen
derartigen Fall veröffentlicht und darauf aufmerksam gemacht,
welch’ schwere Allgemeinst örungen ein derartiger Larynx-
pemphigus im Gefolge haben könnte. — Wir wissen ferner, dass
eine Anzahl Menschen eine Idiosynkrasie g«*gen gewisse Nah¬
rungsmittel und Medikamente haben. Die Urticaria ex ingestis
befällt öfter die »Schleimhäute. Zu den Medikamenten, von denen
wir wissen, dass sie hei manchen Individuen Exantheme hervor-
rufen. gehört das Antipyrin. Schult zen [5] hat aus der
Gerhard t'sehen Klinik einen Fall von Antipyrinexanthein
im Halse beschrieben. Vom Erythema exsudativum multiforme
lesen wir in fast allen Lehrbüchern der Dermatologie, dass es
an der Haut-Sehleimhautgrenze nicht Halt macht. Jedoch ge¬
hört das Befallensein der Schleimhäute keineswegs zu den hsiu-
2 *
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1130
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 23.
figen Erscheinungen. Vor kürzerer Zeit hat v. D ü r i n g [6]
im Archiv für Dermatologie eine grössere Arbeit über diese Haut¬
erkrankung veröffentlicht und dabei auch die Veränderungen der
Schleimhäute, die von ihm beobachtet sind, eingehend erörtert.
Was zunächst das zeitliche Auftreten der Sclileimhautverändc-
rungen betrifFt, so bestehen nach seiner Beobachtung diese meist
gleichzeitig mit denen auf der äusseren Haut. Nur in einigen
Fällen war die Sehleimhautaffektion der Hautaffektion voraus¬
gegangen. Dem klinischen Aussehen nach unterscheidet er:
1. reine Hyperaemien, 2. papulöse Infiltrate, 3. Blasenbildungen,
4. Ulcerationen. Eigentliche Uleerationen sind nach diesem Autor
äusserst selten. Unser Fall gehörte der Gruppe des Erythema
papulatum an: die Efflorescenzen erodirten später. Von einer
Ulceration kann auch in unserem Fall nicht die Rede sein.
Die Erscheinungen am Herzen, Verbreiterung der Ilerz-
dämpfung, systolisclies Geräusch an der Spitze und II. accen-
tuirter Pulmonalton, die wohl ohne Weiteres als eine typische
Mitralinsufficienz gedeutet werden können, bedürfen einer Be¬
sprechung. Von Lewin [7], dem ersten Autor, der das in
der Literatur vorliegende und von ihm selbst beobachtete Material
kritisch gesichtet hat,-sind ebenfalls blasende Geräusche an der
Herzspitze beschrieben worden. In seinen Fällen, in denen er
diese akustischen Erscheinungen beobachtete, und die er, wie
weiter unten noch näher auseinandergesetzt werden soll, mit dys-
menorrhoischen Beschwerden in Zusammenhang brachte, handelte
es sich wohl lediglich um accidentelle Geräusche, wie sie bei
anaemischen und chlorotischen Individuen öfters beobachtet
werden. Nach Kaposi [8] ist das Vorkommen von Endo-
carditis beim Erythema exsudativum multiforme nicht ausge¬
schlossen : von v. Düring sind aber Endo-, Pericarditis, sowie
Klappenfehler im Verlaufe der Krankheit nie beobachtet worden.
In unserem Falle ist es zweifelhaft, ob der Klappenfehler schon
vor der Entstehung des Erythema exsudativum multiforme be¬
standen hat oder während der Krankheit entstanden ist. Aber
dennoch möchte ich auf die Kombination von Mitralinsufficienz
und Erythema multiforme Gewicht legen.
Ein erheblicher Prozentsatz der Klappenfehler, und ganz be¬
sonders derer, die an der Valvula mitralis lokalisirt sind, sind,
wie v. Noorden [9] ausführt, auf eine rheumatische Endo-
carditis zurückzuführen: bei einer Anzahl von Patienten, die
an Polyarthritis rheumatica erkrankt sind, sehen wir die Mitral¬
insufficienz sieh während unserer Beobachtung entwickeln. Die
Veränderungen des Endocards, die im Verlaufe von verschiedenen
Infektionskrankheiten beobachtet sind, sind wohl meist, wie
L i 11 e n in seinem Referat auf dem XVIII. Kongress für innere
Medicin auseinandersetzte [10], durch Ansiedelung von Mikroben
bedingt. Von der akuten Endocarditis wissen wir, dass sie im
Verlaufe der verschiedensten Infektionskrankheiten auftreten
kann: Pneumonie, puerperale Sepsis, Pyaemie, Gonorrhoe. Ihr
maligner Charakter wird weniger durch die Veränderungen in
corde, sondern wesentlich durch die Schwere der Allgemeininfek¬
tion bedingt. Für die Polyarthritis rheumatica müssen wir wohl
ebenfalls einen infektiösen Ursprung annehmen [11]. Von
v. Leyden [12] sind streptococcenartige Bacterien, die aber mit
dem Streptococcus pyogenes nicht identisch sind, gefunden
worden: aber, ob diese Mikroben die einzigen Erreger des akuten
Gelenkrheumatismus sind, können wir zur Zeit nicht sagen. Es
wird wohl noch manches Jahr vergehen, ehe die bacteriologische
Forschung Klarheit in dieses hochwichtige Kapitel der Medicin
gebracht hat, und noch manche Hekatombe Kaninchen wird, um
die Worte eines Forschers zu citiren, der erst jüngst zu dieser
Frage veröffentlicht hat [12], wissenschaftlicher Arbeit zu diesem
Behufe geopfert werden müssen. Aber das eine wissen wir, dass
dieselben Mikroorganismen, die im Stande sind, eine Polyarthritis
hervorzurufen, oft gleichzeitig eine Endocarditis entstehen lassen,
deren chronischer Verlauf und benigner Charakter uns nur zu
bokannt ist. Viele Fälle von Muskelrheumatismus und Neur¬
algien beruhen, wie v. Leube[13] ausgeführt hat, ebenfalls
auf einer Infektion mit denselben Bacterien, die bei anderen In¬
dividuen eine Polyarthritis rheumatica hervorrufen können. Sie
können, wie er [13] und v. Noorden [9] ausführen, ebenfalls
Klappenfehler im Gefolge haben. Oft sind die rheumatischen
Beschwerden derartig gering, dass ihnen von Seiten der Patienten
weiter keine Beachtung geschenkt, wird.
Die Pathogenese des Erythema exsudativum ist keine ein¬
heitliche: sie ist zum Theil noch dunkel. Aus der Beobachtung,
dass eine Anzahl Nahrungsmittel und Medicamente gleichartige
Exantheme hervorrufen, hat eine Anzahl Autoren schliessen
wollen, dass es sich um einein der Haut abspielende Angioneurose
handele. L e w i n [7] hat dann beobachtet, dass bei Patientinnen
mit Urethritis gonorrhoica mit dem Recidiviren der Lokalerschei¬
nungen ein Erythema exsudativum entstand und beobachtete es
des Oeftoren bei Patientinnen mit dysmenorrhoisehen Beschwer¬
den. Sein Schüler Heller [14] beobachtete ebenfalls das Auf¬
treten von Erythema exsudativum multiforme nach chemischer
Reizung der Harnröhre. War nach Lewin’s Anschauung das
Erythem auf reflektorischem Wege entstanden, so führt Heller
es in seinem Falle auf in der Harnröhre gebildete Toxine zurück,
die das Serum chemotaktisch veränderten und die Hautverände¬
rungen durch Vermittlung des in der Medulla oblongata gelegenen
Vasomotorencentrums entstehen Hessen, das nach Lewin’s und
II e 11 e Fs Ansicht in eine Anzahl Theiloentren für die ver¬
schiedenen Bezirke der Haut zerfällt. Zur Stützung seiner An¬
schauungen führt er dio schon früher einmal von Gerhardt
im Verein für innere Medicin zu Berlin erwähnten Beobachtungen
Stil l’s [15] an, der bei 26 Kindern nach Applikation von
Seifenklystieren Exanthemschübe sah, und beruft sich auf eine
Anzahl Autoren, die ebenfalls im Anschluss an ein Trauma ein
Erythema exsudativum auftreten sahen. Wir selbst haben vor
einiger Zeit einen Fall gesehen, der diese Theorie unterstützen
könnte und den wir desswegen hier kurz anführen:
B. K., 36 J., Schreiner aus Karlsruhe, war am 6. XI. 00 wäh¬
rend seiner Beschäftigung bei einem hiesigen Neubau gestürzt
und hatte sich eine Distorsion des r. Handgelenks zugezogen.
Bald nach dem Unfall war er zu mir ln Behandlung gekommen.
7. XI. kam er mit einem Erythema exsudativum multiforme zu
mir, das an beiden Streckseiten der Handgelenke lokalisirt war
und sich innerhalb der nächsten Tage auch auf die Streckseiten
der Ober- und Unterschenkel ausbreitete. Am 18. XI. waren die
ergriffenen Hautpartien wieder vollkommen intakt, die Geleuk-
schwellung an der rechten Hand fast vollständig zurückgegangen.
Nachtragen möchte ich noch, dass, während Patient bei mir in
Behandlung war, kein Medikament genommen wurde und dass
der Patient seiner Angabe nach keine Idiosynkrasie gegen irgend
welche Nahrungsmittel hatte. Das Allgemeinbefinden war wäh¬
rend der ganzen Zeit ein vorzügliches, an inneren Organen war
absolut nichts Krankhaftes nachzuweiseu: die Schleimhäute des
Rachens und Kehlkopfs w r aren ohne Besonderheit. Anamnestisch
ist noch zu erwähnen, dass der Patient vor mehreren Jahren einen
schweren Gelenkrheumatismus durchgemacht hat.
Zweifellos ist in diesem Falle nicht jeder Zusammenhang
zwischen Trauma und Exanthem von der Hand zu weisen. Aber
selbst bei voller Anerkennung der L e w i n’schen und Helle r’-
schen Beobachtungen und Erwägungen wird man doch zugeben
müssen, dass mit ihren Theorien nicht alle Fälle von Erythema
exsudativum multiforme erklärt sind. Wir haben es zweifellos
in einer Anzahl von Fällen mit einer infektiösen Krankheit zu
thun und können wohl mit Kaposi [8] und v. Düring [6]
annehmen, dass neben Fällen, die als Angioneurosen aufzufassen
sind, ein erheblicher Procentsatz übrig bleibt, der contagiösen oder
vielleicht miasmatisch-contagiösen Ursprungs ist. Hat doch
Gail [16] in Bosnien ein epidomieartiges Auftreten des Ery¬
thema exsudativum multiforme beobachten können! Vor Allem
sprechen aber der fieberhafte Verlauf und die mehr minder
schweren Allgemeinstörungen, die des Oefteren beobachtet sind,
für die infektiöse Natur in manchen Fällen. Wenn wir auch in
unserem zuerst besprochenen Falle eine, wenn auch leichte In¬
fektionskrankheit annehmen möchten, so sei mir erlaubt zu re-
kapituliren, dass wir ebenfalls geringe Temperatursteigerung und
eine akute Bronchitis registriren konnten. Die Temperatursteigo-
rung wird sich im Wesentlichen stets nach der Ausbreitung des
Exanthems richten. „Es ist uns kein Fall vorgekommen, der bei
ausgebreitetem Exanthem niedere Temperaturen, kein Fall, der
bei mässigem Exanthem hohe Temperaturen gezeigt hätte“
(v. D ü r i n g).
Ueber dio Krankheitserreger dieses infektiösen Exanthems
sind wir uns natürlich noch vollkommen im Unklaren; dass ge¬
wisse Beziehungen zwischen akutem Gelenkrheumatismus und
unserem Exanthem bestehen, ist nicht zu leugnen. Man möge
sich nur die beiden Thatsachen vor Augen halten, dass bei der
Polyarthritis rheumatica bisweilen Exantheme gesehen werden,
die vollkommen dem Erythema exsudativum multiforme ent¬
sprechen, und dass andererseits in einer Anzahl fieberhaft ver¬
laufender Fälle von Erythema exsudativum multiforme des
Oefteren Gelenkschwellungen beobachtet worden sind! In dieser
Hinsicht dürfte auch unser zuerst besprochener Fall instruktiv
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9. Juli 1901.
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1181
sein: Der Patient stammt aus einer Familie, in der Gelenk¬
rheumatismus vorgekommen ist. Er selbst ist mit einer typischen
Mitralinsufficienz zu uns in Behandlung gekommen, und da wir
wissen, dass bei der Disposition zum Gelenk- und Muskelrheuma¬
tismus die Heredität eine grosse Rolle spielt, dass ein grosser
Theil der Mitralinsufficienzen durch rheumatische Infektion her¬
vorgerufen wird, so können wir wohl mit Fug und Recht an¬
nehmen, dass auch unser Patient auf rheumatische Infektionen
besonders leicht reagirt, und können sein Erythema exsudativum
in einen aetiologischon Zusammenhang mit seiner rheumatischen
Disposition bringen. Späteren bacteriologischen Forschungen
muss es überlassen bleiben, Klarheit in diese Beziehungen zu
bringen.
Eine Anzahl Autoren, besonders die Vertreter der deutschen
und französischen Schule, trennen das Erythema exsudativum
multiforme streng vom Erythema nodosum. Die englische Schule
dagegen, sowie Lewin, Auspitz und Kaposi bestreiten,
dass letzteres ein Prooees sui generis sei. Dass ein gewisser Zu¬
sammenhang zwischen Erythema nodosum und Polyarthritis
rheumatica besteht, wird von allen Autoren zugegeben. Wir selbst
haben einen Fall gesellen, der auch in dieser Beziehung instruk¬
tiv sein dürfte und den wir desslialb kurz hier wiedergoben:
S. S., 20 J., war mir am 27. II. h. a. zur Untersuchung zu¬
geschickt worden. Sie leidet seit einiger Zeit an Herzklopfen
und Brustbeklemmungen. Vor 2 Jahren hat sie mehrere Wochen
„Blutzersetzung“ gehabt und leidet seitdem öfters anGliederreissen.
Die Untersuchung ergibt an den Streckseiten beider Unter¬
schenkel eine grosse Anzahl linsen- bis pfenniggrosser, braun pig-
meutirter Flecke, die seit der oben erwähnten Krankheit bestehen
sollen. Beiderseitiges Knöcheloedem. Gesichtsfarbe leicht cya-
notisch. Schleimhäute blass. Percussion der Lungen ohne Be¬
sonderheit Auskultation der Lunge ergibt in den oberen Partien
der rechten Lunge einzelne crepitirende Geräusche, sonst aber wel¬
ches Vesiculärathmen. Herzspltzenstoss etwas verbreitert. Herz¬
dämpfung geht nach links fingerbreit über die Mainmillarlinic
hinaus, nach rechts bis zum rechten Sternalrand. Systolisches
Geräusch an der Herzspitze, das nach der Basis zu etwas lauter
wird. II. Pulmonalton etwas accentuirt. Puls G8, welch, etwas
dikrot Abdominalorgane ohne Besonderheit, Urin zeigt beim
Kochen leichte Trübung, die sich auf Salpetersäurezusatz nicht
ändert.
Die klinischen Erscheinungen, die die Patientin darbot,
lassen wohl keinen Zweifel daran, dass es sich auch in diesem
Falle um eine Mitralinsufficienz handelte. Die Patientin, die
wenige Wochen vorher, ehe sie zu mir kam, in einer hiesigen
Pension Stellung gefunden hatte und bis dahin ein verhältniss-
mässig ruhiges Leben bei ihren Eltern zu Hause geführt hatte,
war mir zur Begutachtung der Frage zugeschickt worden, ob sie
den Anstrengungen der Saisonthätigkeit gewachsen sei. Man
kann wohl auch hier annehmen, dass der Klappenfehler schon seit
längerer Zeit bestanden hat, dass die Patientin sich bis kurz vor
ihrer Untersuchung ini Stadium der Kompensation befunden hat
und dass sie erst dann Beschwerden fühlte, als sie gezwungen war,
stärkere körperliche Arbeit zu leisten. Man geht wohl ferner
nicht fehl, wenn man annimmt, dass die Patientin verschiedenen
rheumatischen Infektionen ausgesetzt war, und die Entstehung
des Klappenfehlers auf die erste und schwerste derselben, auf die
Erkrankung zurückführt, die Patientin vor ca. 2 Jahren durch-
gemacht hat. Dass diese damals ein Erythema nodosum war, ist
wohl das natürlichste anzunehmon: dafür -sprechen die Lokali¬
sation der von jener Krankheit zur Zeit noch vorhandenen
Flecko und die Grösse dieser Pigmentirungen. Die Purpura
rheumatica, ein dem Erythema nodosum sehr nahe verwandter
Krankhei tsproeess, der, wie der Name besagt, aetiologisch mit dem
Rheumatismus acutus in Zusammenhang gebracht wird, und der
differentialdiagnostisch bei der Erklärung der Pigmentirungen
wohl am ersten noch in Betracht käme, befällt mit Vorliebe In¬
dividuen männlichen Geschlechts und ist im Allgemeinen durch
kleinero Efflorescenzen, wie das Erythema nodosum, charakteri-
sirt. Im Uebrigen sei hier kurz erwähnt, dass nach Kaposi
von A. Schwarz [17] 2 Fälle von Aorteninsufficienz be¬
schrieben worden sind, die sich im Verlauf einer fieberlosen Pur¬
pura rheumatica ganz allmählich entwickelt hatten.
I>io Aetiologie des Erythema nodosum ist ebenfalls keine
einheitliche. G. B ehrend [18] erwähnt, dass er bei einem
11 jährigen, an Pyaemie verstorbenen Knaben neben zahlreichen
Petechien an den Oberschenkeln haselnussgrosse, circumscripte
Rlutergüse an beiden Oberschenkeln gesehen habe. Neuerdings
hat dann Busehke [19] 3 Fälle von Gonorrhoe veröffentlicht,
bei denen neben Gelenkschwellungen ein typisches Erythema
Ko. *8.
nodosum bestand, dessen Entstehung er auf Toxinwirkung zu¬
rückführt. Aber trotzdessen bleiben gerade beim Erythema
nodosum eine grosse Anzahl Fälle übrig, die man im Hinblick auf
die Aetiologie wohl am besten als rheumatische Exantheme be¬
zeichnen kann. Auch die zuletzt beschriebene Krankheit gehört
meines Erachtens nach dem, was wir der Anamnese entnehmen
können, in diese Rubrik.
Erwägt man aber, dass die anatomischen Veränderungen
beim Erythema exsudativum multiforme und beim Erythema
nodosum gleichartiger, nämlich entzündlicher Natur sind, und
dass die Verschiedenheiten sich nur als graduelle Unterschiede
darstellen, so wird man bei der Gleichartigkeit der aetiologischen
Verhältnisse das Erythema nodosum nicht mehr streng von dem
auf rheumatischer Basis entstandenen Erythema exsudativum
trennen. Man wird beide am besten als symptomatische Exan¬
theme bei akuten Infektionskrankheiten [20] auffassen. Die
Verschiedenheit der Exantheme, der mehr weniger schwere Ver¬
lauf, die Komplikationen, das Alles hängt naturgemäss von der
Schwere der AUgemeininfektion ab.
Für die Beurtheilung der Prognose und für die einzuleitende
Therapie sind aber die aetiologischen Beziehungen nicht gleich-
giltig. Für die Prognose müssen wir vor Allem den Allgemein¬
zustand unserer Patienten berücksichtigen, dann aber müssen wir
uns immer die Thatsache vor Augen halten, dass die rheuma¬
tischen Erkrankungen dio Neigung zum Recidiviren im hohen
Grade besitzen. Therapeutisch werden in allen ernsteren Erkran¬
kungen die Salieylpräparato nicht zu umgehen sein, von denen
wir wissen, dass sie rheumatische Erkrankungen günstig be¬
einflussen.
Literatur.
1. Vlrchow: Handbuch der speciellen Pathol. u. Therap.,
III. Bd.: Akute Exantheme und Hautkrankheiten. S. 198. Erl.
1860. — 2. Schmidt: Die Krankheiten der oberen Luftwege.
S. 531. Berlin 1897. -3. ct n. Schmidt 1. c. S. 537. — 4. Münch,
med. Wochenschr. 1901, No. 4. — 5. Charitöannalen XX. S. 228.
— 6. Arcb. f. Dermat u. Syphilis, Bd. 35. — 7. Berl. klin. Wochen¬
schrift 1876, No. 23. Charit6annalen, 3. Jahrg. S. 623. — 8. Pathol.
u. Therap. d. Hautkrankh. 1893. S. 307. — 9. Realencyklopädle
d. ges. Hellk., X, 1896, p. 410. — 10. Vereinsheilage d. Deutsch,
med. Wochenschr. 1900. S. 104. — 11. Michaelis: Discusslon
über Gelenkrheumatismus. Verhandl. d. XV. Kongr. f. inn. Med.
1897, p. 159. Singer: Ebeudas., p. 116. Sahli: Deutsch. Arcli.
f. klin.*Med. 1893, Bd. 51, p. 451. — 12. Menzer: Deutsch, med.
Wochenschr. 1901, No. 7, p. 97. — 13. v. Leube: Deutsch, med.
Wochenschr. 1894, No. 1. — 14. Deutsch, med. Wochenschr. 1901,
No. 11, p. 165. — 15. cf. Vereinsbeilage d. Deutsch, med. Wocheu¬
schrif t 1900. S. 23 — 16. G. Behrend: Realencyklopädle der
ges. Hellk., p. 357. Bd. VII. 1895. — 17. Kaposi: 1. c. p. 313.
18. L c. p. 359. — 19. Arch. f. Dermatol, u. Syphilis. Bd. 48. —
20. cf. v. Düring: L c.
Ist „Sana“ ein tuberkelbacillenfreier, wirklich geeigneter
Ersatz für Butter?
Von Dr. A. Moeller in Belzig.
Vor einem Jahr ungefähr wurde mir Sana wiederholt offerirt
von Berliner Vertretern der S a n a - Gesellschaft. Sana wird
unter der Bezeichnung „milchfreier Butterersatz“ in den Handel
gebracht. Sana besteht aus einer Mischung von Rinderfett mit
Mandelmilch. In den Sanaprospekten wird besonders hervorge¬
hoben, dass eine Infektion durch Tuberkelbacillen, wie sic beim
Genuss von Naturbutter auf Grund mehrfacher Untersuchungen
möglich sei, bei Sana ausgeschlossen sei, weil statt der thierischen
Milch Mandelmilch zugesetzt werde. Es wurden mir grössere
Versuchsquanten zur Verfügung gestellt. Ich habe gern Ver¬
suche damit gemacht, weil mich auch die wirthschaf t -
liche Seite dieses Butterersatzos interessirte.
Ich liess also in der Küche die Sana in verschiedener Weise,
zum Rohessen auf Brod, zum Braten, zum Fetten der Gemüse etc.
anwenden. Es wurden mir keine günstigen Resultate gemeldet.
Die Patienten beklagten sich, die Butter, die sie sich auf’s Brod
strichen, schmecke ihnen gar nicht mehr. Zum Braten erklärte
mir die Wirthschaftssch wester, könne sie die Sana nicht ver¬
wenden, weil sie absolut nicht bräune. Ausserdem bekamen die
Saucen einen eigenthümlichen Beigeschmack, ebenso wie auch
das Gemüse, das mit Sana gefettet wurde. Hierzu war auch eine
ungleich grössere Quantität Sana nöthig, als gute Natur-
butter, um das Gemüse fett genug herzustellen, wie es für
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1132
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28.
Lungenkranke erforderlich ist; so dass auch schliesslich die Preis¬
differenz keine allzu grosse blieb.
Nach diesen Resultaten sah ich davon ab, die Sana zum all¬
gemeinen Verbrauch in hiesiger Anstalt einzuführen.
Ich verkannte jedoch keineswegs den grossen Vortheil, den
ein vom gesundheitlichen Standpunkt völlig einwands¬
freier Butterersatz bietet, und dass eventuelle wirtschaft¬
liche Nachtheile dadurch aufgehoben werden könnten. Um
mich nun selbst zu überzeugen, ob Sana wirklich frei von Tu¬
berkelbacillen sei, stellte ich nachstehende Versuche an mit zwei
mir innerhalb von ca. 14 Tagen zugesandten Sanaproben.
I. Sana-Probe.
Sana flüssig gemacht im Wasserbade von 40° und so zur In¬
jektion verwendet.
Meerschweinchen No. 1. 510 g schwer. 3 ccm intra¬
peritoneal injizirt. Am 2. Tage todt. 480 g. Pathologisch-
anatomischer Befund: Peritonitis flbrinosa acuta. Reste der
Sana den Därmen in Klümpchenform aufliegend. Mikro-
skopisch-bacter lologischer Befund: Coccen und
Stäbchen.
Meerschweinchen No. 2. 340 g schwer. 3 ccm intra¬
peritoneal injizirt. Am 5. Tage todt. 330 g. Pathologisch¬
anatomischer Befund: Grosser Bauchdecken-Abscess. Ml-
kroskopisch-bacteriologischer Befund: Im Eiter
haufenförmige Coccen und Stäbchen; im Blute, dem Cor ent¬
nommen: Coccen.
Meerschweinchen No. 3. 380 g schwer. 3 ccm intra¬
peritoneal injizirt. Nach 8 Wochen getödtet. 390 g. Anato¬
mischer Befund: normal.
II. S a n a - P r o b e.
a) Sana flüssig gemacht wie oben und injizirt.
Meerschweinchen No. 4. 310 g schwer. 2 ccm intra-
peritoneal injizirt Nach 7 Tagen todt 300 g. Pathologisch¬
anatomischer Befund: Peritonitis serofibrinosa. Kleine
Klümpchen der Sana auf den Därmen. Mikroskopisch -
bacteriologlscher Befund: Zahlreiche Stäbchen.
Meerschweinchen No. 5. 380 g schwer. 2 ccm intra-
peritoneal injizirt. Nach 8 Wochen getödtet 420 g. Ana¬
tomischer Befund: normal.
Meerschweinchen No. 0. 415 g schwer. 2 ccm iutra-
pc-ritoneal injizirt Nach 13 Tagen todt 400 g. Pathologisch-
anatomischer Befund: Peritonitis. Mikroskopisch-
bacterlologlscher Befund: Zahlreiche Coccen und Stäbchen.
Meerschweinchen No. 7. 400 g schwer. 2 ccm intra¬
peritoneal injizirt Nach 8 Wochen getödtet 395 g. Ana¬
tomischer Befund: normal. .
b) Sana nach der von Obermüller (Hyglen. Rundschau 1899)
angegebenen Methode behandelt und intraperitoneal injizirt.
Meerschweinchen No. 8. 350 g schwer.* 1 y 3 ccm lntra-
peritoneal Injizirt. Nach 5 Wochen todt. 285 g. Pathologisch¬
anatomischer Befund: Netz zusammengerollt, mit zahlreichen
Knötchen besetzt. Auf dem Peritoneum zahlreiche graugelbe
Knötchen, theilweise verkäst. In den zwischen Objectträgeru
verriebenen Knötchen lassen sich zahlreiche Tuberkel-
bacillen erkeunen. Milz und Leber sind vergrössert, mit zahl¬
reichen Knötchen durchsetzt Histologischer Befund: Die
Knötchen von bindegewebiger Struktur mit theilweise verkästen
Partien und zahlreichen Tuberkelbacillen, vereinzelte
Langhan s’sche Riesenzellen.
Meerschweinchen No. 9. 325 g schwer. 1 y 2 ccm intra-
peritoneal Injizirt. Nach 8 Wochen getödtet. 340 g schwer. Ana¬
tomischer Befund: normal.
Meerschw eine heu No. 10. 400 g schwer. 1 ccm intra¬
peritoneal injizirt. Nach 8 Wochen getödtet. 390 g. Patho¬
logisch-anatomischer Befund: An der Injektionsstelle
ein graues Knötchen. Im Netz mehrere Knötchen, auf der
Schnittfläche mit verkästen Herden. Milz vergrössert, mit spär¬
lichen Knötchen durchsetzt. Mesenteriale und intraperitoneale
Drüsen stark vergrössert. Die Knötchen zeigen im Ausstrich-
Präparat Tuberkelbacillen. Im Schnittpräparat
sind die Knötchen bindegewebig konstruirt mit verkästen Partien;
an der Peripherie Leukocytenhaufen mit theilweise zerfallenen
Kernen. Tuberkelbacillen sind in diesen Schnitten zu
differenziren.
Meerschweinchen No. 11. 375 g schwer. 1 ccm intra¬
peritoneal injicirt. Nach 8 Wochen getödtet. 390 g. Ana¬
tomischer Befund: normal.
Meerschweinchen No. 12. 325 g schwer. 1 ccm Intra¬
peritonal injizirt. Nach 8 Wochen getödtet. 320 g. Patho¬
logisch-anatomischer Befund: Mesenteriale und retro-
peritoneale Drüsen vergrössert. Säurefeste Bacterien nicht nach¬
weisbar.
Zu gleicher Zeit stellte ich mit der in unserer Anstalt aus¬
schliesslich zum Gebrauch kommenden, von einer der grössten
Berliner Handlungen bezogenen Naturbutter gleiche Ver¬
suche an mit vollkommen negativem Resultate; sämmtliche
Thiere boten, als sie nach 6—8 Wochen getödtet wurden, einen
normalen Befund.
Die positiven Resultate, zu denen ich bei Sana ge¬
langte, habe ich s. Z. nicht mitgetheilt, weil inzwischen eine
Arbeit von Lydia Rabinowitsch 1 ) aus dem Koc h’schen
Institut publicirt wurde über dasselbe Thema mit gleichem
Resultate. Ich hielt es durch diese Veröffentlichung aus
dem Koc h’schen Institute als für genügend erwiesen, dass
Sana nicht als ein völlig tuberkelbacillenfreies Produkt zu er¬
achten sei.
Nachdem nun aber durch die Entgegnungen von Görges 1 )
und Michaelis und Gottstein*) die Behauptungen von
Rabinowitsch beanstandet worden sind — die positiven
Resultate von Rabinowitsch werden auf einen „nicht kon-
trolirbaren Zufall“ zurückgeführt —, kann ich nicht umhin,
meine Erfahrungen und Resultate über Sana mitzutheilen. Wir
haben also damit zu rechnen, dass die Sana nicht tuberkelbacillen¬
frei ist.
Ob die Tuberkelbacillen durch Erhitzung auf 87 0 in dem
Fett abgetödtet werden, wie Michaelis und Gottstein
behaupten, Rabinowitsch aber bezweifelt, kann ich aus
eigener Erfahrung nicht sagen; ich bin übrigens dabei, es auszu-
probiren *).
Vereinfachung und Verbilligung des aseptischen
Apparates und seine Gestaltung an kleineren Kranken¬
häusern.
Von A. Hammesfahr in Bonn.
Ich weiss aus meinem Verkehr mit den praktischen Aerzten,
dass mancher Arzt, dem ein kleines oder mittelgrosses Kranken¬
haus zur Verfügung stellt, nur desslialb seine operative Thätig-
keit einschränkt, weil ihm der aseptische Apparat zu komplizirt
und zu kostspielig erscheint. Als ich vor nunmehr 8 Monaten
durch die so uneigennützige auf mein Fortkommen bedachte Für¬
sorge meines damaligen Chefs selbständig wurde, wurde mir ein
nach unseren heutigen Begriffen kleines Krankenhaus, das
Marcusstift in Godesberg, für mein verhältnissmässig grosses
operatives Material zur Verfügung gestellt. Ein durch 4 grosse
Fenster gut erhellter, mit Terrazzofussbodcn ausgestattetor und
— soweit das bisher nöthig war —recht gut gepflegter Operations-
saal war vorhanden; mehr als einen Raum konnte ich vorläufig
nicht für meine operative Thätigkeit beanspruchen, da die übrigen
Räume mit unseren Patienten mehr als reichlich belegt waren.
Ich fand eine von der harten Schule der Asepsis noch nicht mit¬
genommene, aber willige und intelligente Schwester und die
freundliche Assistenz zweier sehr tüchtiger Praktiker. Ich
suchte nun den für kleine und grosse, septische und aseptische
Operationen nöthigen Apparat so einfach und so billig wie mög¬
lich zu gestalten und suchte ferner durch bestimmte Vorschriften
für das Verhalten septischem Material gegenüber die absolute
') Deutsch, med. Wochenschr. No. 26, 1900.
2 ) Therapeutische Monatsh., Dezember 1900.
3 ) Deutsch, med. Wochenschr. No. 30, 1900 u. No. 11, 1901.
*) Anmerkung bei der Korrektur. Meine dies¬
bezüglichen Versuche sind inzwischen zum Abschluss gekommen
und ergaben nachstehende Resultate:
Ich verfuhr in folgender Weise: In ca. 20 ccm ausgelassenem
reinen Rinderfett, bei 40 0 C. flüssig gemacht, verrieb ich mehrere
Oesen einer Tuberkelbacillen-Kultur. Ein Quantum dieser Mischung
erhitzte ich auf 95° C. und Hess sofort abkühlen; ein zweites hielt
ich auf dem Wasserbade 5 Minuten lang bei 87° C.; ein drittes
hielt ich 30 Minuten laug bei 87° C. Nach schneller Abkühlung
injizirte ich von diesen 3 Mischungen je 2 Meerschweinchen Intra¬
peritoneal je 1 ccm; im Ganzen wurden also 6 Thiere geimpft
Um mich von der Virulenz der Kultur überzeugen zu künueu,
injizirte Ich 2 Meerschweinchen je 1 ccm von der bei 40° flüssig
gemachten Mischung; beide Thiere gingen nach 3 Wochen au
Miliartuberkulose ein.
Die mit Quantum I (auf 95° C. erhitzt und sofort abgekühlt)
injizirten Thiere starben nach 4 resp. 4y 2 Wochen. Pathologisch-
anatomischer Befund: Bei beiden Tuberkulose der Bauchorgane.
Von den mit Quantum II geimpften Thieren starb eins nach
4y 2 Wochen au allgemeiner Tuberkulose, das andere, beträchtlich
abgemagerte Thier, wurde nach 9 Wochen getödtet; pathol.-auar.
Befund: Tuberkulose der Baucborgane. Die mit Quantum III in-
fizirten Thiere wurden nach 9 Wochen getödtet; pathol.-nnatom.
Befund bei dem einen: Tuberkulose der Bauchorgane, das andere
war frei von Tuberkulose.
Das Ergcbniss ist also folgendes: Selbst eine Temperatur
von 95 0 C. reicht nicht aus, um im Fett enthaltene Tuberkelbacillea
abzutödten. Eine sichere Abtödtung der Tuberkelbacillen wird
auch nicht durch ein 80 Minuten langes Einwirken von 87 0 erzielt.
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9. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1133
Desinfektionsmöglichkeit unserer Hände zu sichern. Wie der
Operationssaal heute, nach seiner Umgestaltung, aussieht, ist
schnell beschrieben. Ein grosser büffetähnlicher Schrank ent¬
hält in seinem oberen Theil auf Glasplatten die nöthigsten, aber
für alle chirurgischen und gynäkologischen Operationen aus¬
reichenden Instrumente, in seinem unteren Theil die Narkotica
nnd die Verbandsachen, die nicht sterilisirt zu werden brauchen,
resp. nicht sterilisirt werden können: als Holzschienen, Pflaßter,
Guttapercha, Byrolin, Gipsbinden, Tricotschlauch u. s. w. Ein
zweiter, langgestreckter, anrichtenähnlicher Schrank ist oben mit
Weissblech überzogen und trägt darauf einen grossen Lauten¬
schläger für die Sterilisation der Instrumente und einen drei¬
flammigen Gasherd mit 3 verschieden grossen Emailletöpfen.
In der einen Hälfte des Schrankes befindet sich die Wäsche, in
der anderen die sterilisirbaren und sterilisirton Verbandstoffe.
Der Operationstisch, ein grosser aber wenig Raum beanspruchen¬
der Dampfsterilisator, eine unter den Fenstern angebrachte Eisen¬
platte für-die aus dem Sterilisator kommenden Verbandstoff- und
Wäschekörbchen, einfache Tischchen aus Eisen: eines für die
bei der Narkose nöthigen Sachen, eines für die zur mechanischen
Desinfektion des Operationsgebietes nöthigen Utensilien, 2 für
die aus dem Lautenschläger kommenden InStrumentenschalcn,
2 mit der Rückplatte in die Wand eingelassene, glatte, mittel-
grosse Waschbecken, Ringe mit Porzellanschalen für Alkohol und
Sublimat, ein Ausgussbecken, ein Korb für die gebrauchte
Wäsche, ein emaillirtes grosses Becken für die verbrauchten Ver¬
bandsachen: das ist das übrige Inventar unseres ganz in Weiss
gespachtelten und ölgeetrichenen, schmucken Operationssaales.
Selbstredend wird mit dem Operationssaal auch das ganze weiss-
laekirte Inventar täglich abgeseift, reep. gescheuert und
geputzt. Die Asepsis bei den Operationen selbst habe ich
mit der Befolgung der Forderung: Alles, was in die
Wunden gebracht wird, muss kurz vor der Operation ausgekocht
sein, durchgeführt. Schwämme und Catgut sind desshalb ganz
zu verwerfen; an Stelle der Schwämme nehme ich mit Gaze-
bäuschchen gefüllte, zugebundene Gazobeutelchen verschiedener
Grösse; sie werden am Abend vor der Operation eine Stunde lang
ausgekocht und erst kurz vor der Operation aus dem Emaille¬
topf herausgenommen und in eine der ebenfalls ausgekochten
Kühlschalen des Lautenschlägerapparates gebracht. Mit 5—10
Beutelchen kommt man auch bei grossen und blutreichen Ope¬
rationen aus, da sie immer wieder ausgedrückt und im gekochten
Wasser ausgewaschen werden können. Das theuere, nie sicher zu
sterilisirende und den aseptischen Apparat arg komplizirende Cat¬
gut ist ganz und gar zu verbannen! Der Brau n’sche, nicht
irabibitionsfähige, ausserordentlich haltbare und lächerlich billige
Ceüoidinzwim in seinen beiden feinsten Nummern ist ein ganz
vorzügliches Ersatzmittel für Catgut und nicht minder für die
theuere und so zerreissliche Seide! Er kann unzählige Male aus¬
gekocht werden und verliert seine vorzüglichen Eigenschaften
nicht. Die feinste Nummer dieses Zwirnes ist ein ausgezeich¬
netes Material für Darmnähte, sie und die nächste Nummer
ebenso ausgezeichnet für alle Unter- und Abbindungen. Dazu
möchte ich einschalten, dass ich so wenig wie möglich unter¬
binde — bei den Bauchdeckenwunden nie! —; das ist leicht
du rehzuführen, wenn man nicht die lose fassenden sogenannten
Schieber, sondern die das Gefäse fest zuklemmenden P 6 a n’schen
Klemmen benutzt und diese längere Zeit liegen lässt. Ich habe
bei den 30 Laparotomien, die ich in den letzten 6 Monaten machte,
nicht einen einzigen Bauchdeckenabsoess gesehen. Dadurch also,
dass wir für Schwämme, Catgut und Seide einen ausserordentlieh
viel billigeren Ersatz nahmen, haben wir die Kosten für die
Operationsmaterialien ganz bedeutend verringert, die Vorberei¬
tungen für die Operation sehr vereinfacht und die Sicherheit
der Asepsis wesentlich erhöht. Wie viel einfacher ist es, die
Gazebeutelchen herzustellen als die kostbaren Schwämme zu dos-
infiziren! Und erst die Catgutsterilisation! Bei aller Sorgfalt
in der Zubereitung des Catguts doch nie das Gefühl der Sicher¬
heit, das der Gebrauch des sicher sterilisirten Zwirns verleiht!
Zn den Hautnähten und meist auch zu den zu versenkenden
Banehdeckennähten nehme ich den jetzt wohl allgemein einge¬
führten Aluminiumbronzedraht. Ich glaube übrigens, dass für
die bei Laparotomien und Hernienoperatiorcn in letzter Zeit be¬
sonders bevorzugten versenkten Draht nähte ein vorzüglicher
Ersatz in der stärksten Nummer des Celloidinzwims gefunden
ist nnd — wie mir scheint — auch gefunden werden musste.
denn es mehren sich doch die Fälle, in denen die sich gegen
die Haut anstemmenden Enden der versenkten Drahtnähte den
Patienten erhebliche Beschwerden machen. Ich werde darüber
gelegentlich später berichten. Was wir an todtem Material in
die Wunden bringen, ist also sicher sterilisirt, und nur von
unseren Händen könnte ihnen eine Infektionsgefahr drohen.
Diese Gefahr ist aber auf ein Minimum zu reduciren, wenn mit
aller Strenge die Forderung erfüllt wird, dass die Hände des
Chirurgen und seiner ganzen ärztlichen und schwesterlichen
Assistenz niemals mit septischem Material in direkte Berührung
gebracht werden dürfen. Wie das durchzuführen ist, habe ich
in einem kleinen Aufsatz der No. 47 des Centralbl. f. Chir. vom
Jahre 1900 dargelegt.
Der ausgiebige Gebrauch der Verbandscheere, Pinzetten,
Fingerlinge und Gummihandschuhe kann uns sicher vor jeder
derartigen Berührung schützen. Die so geschützte Hand ist vor
aseptischen Operationen so zu sterilisiren, dass sie den Wunden
nicht gefährlich werden kann; meiner Ueberzeugung nach sind
alle Discussionen der letzten Zeit über die Händedesinfek¬
tion überflüssig: wir können unsere Hände genügend des-
i n f i z i r e n , wenn wir nur vorher eine Infizirung der¬
selben vermieden haben. Auf unserem Operationssaal erscheint ee
Jedem ganz selbstverständlich, dass eiterige Verbandstoffe nur
mit Pinzetten angefasst, die touchirenden Finger mit Gummi¬
fingerlingen geschützt, bei septischen Operationen stets Hand¬
schuhe getragen werden. Ich kann nach meinen Erfahrungen
sagen, dass die strenge Befolgung dieses Grundsatzes die Resul¬
tate geradezu glänzend macht.
Ich muss in demselben Raume Phlegmonen und Empyeme
operiren, Gallenblasenexstirpationen und Trepanationen machen
und habe doch bei den 126 grösseren aseptischen Opera¬
tionen der letzten 6 Monate nicht eine einzige Eiterung gesehen.
Wir sch recken unsere Patienten auch nicht durch allerhand
Masken und Vermummungen, aber wir pflegen Kopf und Hände,
und unsere Resultate stehen denen der mit allem Komfort der
Asepsis ausgestatteten Kliniken sicher nicht nach *).
Zur Technik der Entfernung von Fischgräten aus
dem Halse.
Von Prof. Dr. Max Breitung in Coburg.
In rocht vielen Fällen, in welchen Patienten den Arzt auf¬
suchen, um sich eine im Hals stecken gebliebene Fischgräte ent¬
fernen zu lassen, ergeben sich für den Nachweis derselben erheb¬
liche Schwierigkeiten. Die Inspektion lässt, wenn längere Zeit
seit dem Unfall vergangen ist, fast immer in Stich, man sieht
im Isthmus oder Kehlkopf eigentlich nur ausnahmsweise das
Corpus delicti, die Angaben des Kranken sind meist nur insoweit
von Werth, als sie sich mit Sicherheit auf die Seite beziehen,
auf welcher der eingedrungene Fremdkörper sitzen soll.
Eine genauere Lokalisirung ist trügerisch; fast immer wird
der Sitz viel tiefer angenommen, als er wirklich ist, z. B. wird
für Gräten in den Mandeln fast regelmässig vom Patienten mit
dem Finger die Gegend dicht unterhalb des Kehlkopfes bezeichnet.
Eine unlängst von mir ausgeführte Extraktion einer Fisch¬
gräte au9 der rechten Mandel gibt mir Veranlassung zu dieser
für die Praxis vielleicht nicht unwillkommenen Mittheilung, denn
Fischgräten werden überall verschluckt, ihre Entfernung gehört
zur Domäne jede9 Praktikers.
Es handelte sich um einen Hotelier, welcher vor etwa 3 Tagen
beim Abendessen plötzlich einen stechenden Schmerz verspürte und
sofort das Verschlucken einer grossen Gräte vermuthete, ohne in¬
dessen sicher zu sein.
Es stellten sich Schluckbeschwerden ein. am zweiten Tage
allgemeines Krankheitsgefühl. Als der Patient am dritten Tage
mich aufsuchte, fand ich den Hals ziemlich stark geschwollen
und eine nicht sehr erfreulich berührende submentale Infiltration.
Der Herr gab die rechte Seite mit grosser Sicherheit an und be-
zeichnete als Schmerzpunkt eine Stelle dicht unter dem rechten
Schildknorpel.
Die Untersuchung nach Kl rate in sowohl als mit dem
Spiegel ergab keine Spur eines Fremdkörpers. Auf Grund
früherer Erfahrung ging ich nun mit dem Finger ein. den Isthmus,
das Cavum, den Kehldeckel, Zungenwurzel u. s. w. sorgfältig ab-
*) Bezugsquellen für: 1. auskochbare, sehr haltbare Hand¬
bürsten: Feld mann Sc Jansen in Bonn; 2. Celloidinzwim
Braun: Alexander Schaedel, Leipzig; 3. Gummifingerlinge:
Evens Sc Pister, Cassel; 4. Auskochbare Gummihandschuhe:
Zieger Sc Wiegand, Lelpzlg-Plagwitz.
3*
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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
1184
tastend. Mit Sicherheit ergab sich nichts, indess schien ln der Sub¬
stanz der rechten Gaumenmandel etwas zu sitzen.
Nach wiederholter Ausübung eines glelchmtlsslg streichenden
Druckes über die Oberfläche der Tonsille glitt die Fingerkuppe
über eine scharfe Spitze. Nunmehr konnte bei guter Beleuchtung
eine etwa 1 mm über die Oberfläche hervorragende weisse, mit
Schleim zu verwechselnde, Stelle gesehen werden, welche als Thell
des Fremdkörpers angesprochen wurde.
Der weisse Punkt wurde mit einer flachbranchigen Pincette
gefasst und ohne Weiteres folgte eine sehr derbe nadelartige Gräte
von etwa 2 cm Länge, welche sich ganz in die Substanz der Mandel
eingestochen hatte.
In diesem Falle war es also die Fingeruntersuchung wieder
einmal gewesen, welche zur richtigen Diagnose und Encheirese
geführt hatte.
Es erschien daher nützlich, da auf diese Untersuchung in
den Lehrbüchern nicht immer mit der wünschenswerthen Schärfe
hingewiesen wird, an dieser Stelle der Palpation aus¬
drücklich die Empfehlung angedeihen zu
lassen, welche sie für eine schnelle Entfer¬
nung von spitzen Fremdkörpern unbedingt
verdient.
Maximalthermometer fUr die Sterilisation von Verband¬
stoffen.
Von Dr. Conrad Stich in Leipzig.
Bei der Sterilisation dicht gepackter Verbandstoffe will man
gern überzeugt sein, dass im Innern des Materials die beabsich¬
tigte Sterilisationstemperatur erreicht wurde. Für solche Prüf¬
ungen eignen sich die bekannten Legirungen von Wismuth, Blei
und Zinn, die man nach verlangtem Schmelzpunkt herstellt. Der
Legirung gibt man Stäbchenform. Die Stäbchen, in Korkunter¬
lagen eingedrückt, werden im Verbandmaterial untergebracht.
Bei Erreichung der Sterilisationstemperatur schmilzt das Stäb¬
chen zusammen. Auch kann das Legirungsstäbchen in einem mit
Wasser gefüllten Glasröhrchen unterge¬
bracht werden.
Einen kleinen Apparat dazu, wie er
hier abgebildet ist, konstruirte ich mit zwei
verbundenen Glaskugeln, durch die ein
Platindraht gelegt wurde. Der Apparat ist
bis zum 1. Drittel der 2. Kugel mit Wasser
gefüllt, um das Ankleben der Legirung zu
vermeiden, und diese liegt vor Benutzung
des Apparates in der oberen Kugel. Ist
der Schmelzpunkt der Legirung erreicht,
so fliesst sie durch die Verjüngung nach
der unteren Kugel. Zu berücksichtigen
ist, dass bei der vorhandenen langsamen
W - Leitung die Aussentemperatur weit
höher als die Temperatur bei Eintritt des
Schmelzpunktes im Innern der Kugel
steht.
Diese Differenz muss natürlich vorerst im Wasser- bezw.
Oelbade festgestellt werden.
Aus der chirurgischen Klinik der Universität Freiburg.
Eine neue Spritze zur Schleich’schen Anaesthesie.
Von Stabsarzt Dr. Hammer, bisher kommandirt zur chirurg.
Klinik zu Freiburg.
Von einer guten Infiltrationsspritze verlangt man, dass sie
solid sei und auch bei höchstem Druck absolut dicht halte, dass
sie leicht zu reinigen und aseptisch zu halten sei, und endlich
ist es für den praktischen Arzt erwünscht, dass sie nicht allzu
ängstlicher Wartung und Pflege bedürfe, sondern auch nach
längerem Nichtgebrauch zuverlässig funktionire.
Die Schwierigkeiten der Konstruktion liegen 1. in der Ver¬
bindung der Kanüle mit der Spritze, 2. in der vorderen Dichtung
des Spritzencylinders und 3. im Kolben. Sie sind grösser als
es von vornherein den Anschein hat. Mehrere Modelle sind schon
angegeben worden, die in mancher Hinsicht Vorzügliches leisten,
ohne doch allen Ansprüchen zu genügen.
In jüngster Zeit ist sogar vorgeschlagen worden, die Spritze
ganz entbehrlich zu machen').
Meine Konstruktion weicht in mehreren Punkten von den
bisher gebräuchlichen ab. Da sie sich bereits zwei Jahre lang
in der Freiburger Klinik bewährt hat, glaube ich berechtigt zu
sein, sie nunmehr auch weiteren Kreisen bekannt zu geben.
Da bisher alle Spritzen nach Abnahme der Kanüle durch Auf¬
saugen der Flüssigkeit gefüllt wurden, so mussten die Kanülen
leicht abnehmbar sein. Um so schwieriger war es, eine solide und
auch bei hohem Druck sichere Verbindung derselben mit der Spritze
zu erzielen. Ich bin djiher auf den Gedanken gekommen, der Ka¬
nüle eine festere Vereinigung mit dem Spritzencylinder zu geben,
und die Füllung der Spritze auf andere Weise zu bewerkstelligen,
und zwar durch ein am hinteren Ende des Cylinders angebrachtes
Fenster, hinter welches der Kolben zurückgezogen werden kann.
Das Eingiessen der Flüssigkeit geschieht mittels einer Flasche
mit eingeschliffener Ausgussvorrichtung. Dieses Fläschchen
dient zugleich zur Aufbewahrung der Lösung und ist darauf ein¬
gerichtet, mit dem Inhalt zusammen gekocht zu werden. Ein
Ausfüllen der Flüssigkeit in ein besonderes weithalsiges Gefäss
findet mithin nicht statt. Die Füllung der Spritze erfolgt mit etwas
gesenkter Kanüle, wie die Abbildung zeigt, bei der allerdings das
Fenster zur besseren Veranschaulichung unnatürlich weit nach
vorn gedreht ist Sobald die Flüssigkeit bis zur Höhe des Fensters
gestiegen ist, wird bei immer noch gesenkter Spitze
der vorher zurückgezogene Kolben an dem Fenster vorbeigeschoben
und dadurch der Abschluss bewirkt Dieser Modus hat gleichzeitig
den Vortheil, das Auftreten der so lästigen Luftblasen, deren
Entfernung oft noch besondere Bemühungen erforderte, mit ab¬
soluter Sicherheit zu verhüten.
Der Spritzencylinder fasst 10 ccm und ist ganz aus MetalL
Dadurch wird eine sehr zuverlässige und einfache vordere Dichtung
ermöglicht Sie besteht ln einem gut eingeschliffenen Metallconus.
Anfangs Hess ich die Kanüle mit diesem Conus aus einem Stück
arbeiten, da es aber doeh nothwendig ist die Nadeln beliebig
oft wechseln zu können, so habe ich auf die Kanülen von Fritz
Freienstein zurückgegriffen und verwende mit seiner Ge¬
nehmigung diese in einen kleinen Conus aus weichem Metall ein¬
gelassenen Kanülen. Ein solider Bajonettverschluss presst sie auf
den eingeschliffenen Conus fest auf, gleichzeitig diesen befestigend.
Sie können jedoch jederzeit auch bei gefüllter Spritze leicht ge¬
wechselt werden, ohne dass der Conus oder der Bajonettverschluss
ganz abgenommen werden muss.
Bel dem Kolben glaubte ich auf eine Lederdichtung nicht ver¬
zichten zu sollen, weil dieses Material an Geschmeidigkeit und
Elasticität bisher von keinem anderen erreicht wird. Das zu dieser
Spritze verwendete Leder ist jedoch durch ein besonderes Ver¬
fahren (dessen Bekanntgabe ich mir noch Vorbehalte) so präparirt,
dass es Auskochen verträgt, ohne zu schrumpfen oder brüchig zu
werden, während gewöhnliches Leder beim Kochen auf die Hälfte
seines Volums sich zusammenzieht und dann zu einer knochen¬
harten, spröden Masse eintrocknet. Ein derartiger Kolben Ist In
der Freiburger Klinik viele Monate in Gebrauch gewesen und oft
mit der ganzen Spritze ausgekocht worden (bisweilen mehrmals
täglich) und wieder wochenlang ganz ausgetrocknet, ohne seine
absolute Schlussfähigkeit zu verlieren. Ich empfehle jedoch Jetzt,
für gewöhnlich nur die Spritze auszukochen und den Kolben, wenn
es für nöthlg gehalten wird, mit Karbol zu desinfleiren. Bel
häufigem Auskochen wird sonst das I^eder zu einer Art Quellung
gebracht, wodurch der Gang der Spritze erschwert wird. Ein
Nachtheil von diesem letzteren Modus ist in der Klinik nie be¬
merkt worden.
Die Querstangen, mit Hilfe deren die Spritze gehandhabt wird,
sind etwas weiter nach der Spitze zu angebracht wie gewöhnlich.
Dadurch wird ein kraftvolles Ausspritzen bis zum letzten Tropfen
ermöglicht. Geliefert wird die Spritze von Herrn Instrumenten¬
macher Fischer, Freiburg.
*) Moszkowicz: Ein Apparat für Schleieh’sche In-
flltratlonsanaesthesie. Centralbl. f. Chirurgie 1901, No. 19.
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MÜEttCTIEftER MEDlCItttSCIIE WOCHENSCHRIFT.
9. Juli 1901.
1135
Aus dem Augustahospital zu Berlin (chirurgische Abtheilung).
27 intrakranielle Trigeminusresektionen (darunter
25 typische Exstirpationen des Ganglion Gasseri)
und ihre Ergebnisse.
VonFedorKrause, a. o. Professor an der Universität Berlin.
(Schluss.)
Im Folgenden gebe ich die Krankengeschichten aller
27 Fälle, aber nur dann ausführlich, wenn sie besondere Wichtig¬
keit in der einen oder anderen Hinsicht darbieten. Vielfach sind
im Texte bereits Einzelheiten vorweggenommen, zuweilen auch
ganze Krankengeschichten; es genügt dann für diese Zusammen¬
stellung der Kürze wegen der Hinweis auf das oben Ausgeführte.
Was die Vorgeschichte der älteren Fälle betrifft, so verweise ich,
um nicht zu lang zu werden, öfters auf meine Monographie").
Die Altersangabe bezieht sich stets auf den Tag der Gang¬
lionexstirpation.
Ende März oder Anfang April 1901 habe ich von der Mehr¬
zahl der Operirten schriftliche Berichte erhalten, viele auch noch
im August und September 1900 selbst untersucht. Diese Be¬
funde sind überall beigefügt.
Falll. 47 jährige Frau. Rechter Iufraorbltalls von Vo 1 le¬
rn an n (1880), zweiter Ast am Forameu rotumlum von mir (1800)
resecirt. 23. und 28. Februar 1802 intrakranielle Re¬
sektion des 2. A s t e 8 in zwei Zelten. Reckliv nach 8 Monaten.
Siehe Fall IV.
Fall II. 02jähriger Mann, litt seit 13 Jahren an Neuralgie
des 2. Astes links, wurde 1884 von A g n e w in Philadelphia mit
vorübergehendem, ein Jahr später in Washington noch einmal
ohne Erfolg operirt. 3. und 8. Dezember 1802 intra¬
kranielle Resektion des 2. Astes in zwei Zeiten. Ne¬
krose der Knochenplatte (s. Im Text), die am 18. Dez. entfernt wird;
völlig gehellt entlassen am 17. Jan. 1803. Ein Jahr nach der
Operation hat der Kranke, wie er schrieb, ein leichtes ltecidiv
im Gebiete des 2. Astes, das ein Jahr später noch erträglich ge¬
nannt wird. Weitere Nachrichten des in Amerika lebenden Kranken
fehlen.
In diesen beiden ersten Fällen wurde nur die intrakranielle
Resektion des 2. Astes vorgenommen, eine Operation, die völlig
unabhängig von mir und etwa zur selben Zeit von Frank Hartlcy
in Xew-York ausgeführt worden ist. Sic stellte nichts weiter
dar als eine periphere Trigeminusresektion innerhalb der Schädel¬
höhle, da das Ganglion Gasseri nicht berührt wurde. Wegen
ihrer Unzuverlässigkeit habe ich sie vollkommen aufgegeben und
in den folgenden 25 Fällen stets die typische Exstirpation jenes
Ganglion und des Trigeminusstamms ausgeführt.
Fall III. 08jährige Frau. Vergl. Monographie S. 47, Be¬
obachtung 3.
1880 N. alveolaris Inferior mit fast 1 Jahr andauerndem Er¬
folge, 1883 der 3. Ast an der Schädelbasis ohne jeden Erfolg re¬
secirt. Unsagbar heftige Schmerzen in der ganzen linken Ge¬
sichts- und Kopfhälfte. Die Kranke ist fast dauernd schlaflos,
kann vor Schmerzen nicht essen und in Folge der Erschöpfung
Tage und Wochen lang das Bett nicht verlassen. Selbstmord¬
gedanken.
Linkes Ganglion 31. Jan. 1803 exstirpirt, über¬
haupt erste typische Ganglionexstirpation. Pa¬
tientin am 10. Febr. geheilt entlassen. Am 19. April 1895 wurde
sie auf dem Chirurgeucougress zu Berliu vorgestellt.
12. Juni 1900 von mir untersucht; Die 75 jährige Frau ist
weit über ihr hohes Alter blühend und gesund; sie ist im Staude,
Spaziergänge von Blankenese bis Hamburg, d. b. 10 Kilometer
weit, zu unternehmen und ohne alle Beschwerden ihren» grossen
Haushalt vorzustehen. Alle paar Wochen hat sie das Gefühl, als
ob ein Thier auf der linken Stirnhälfte von der Haargrenze bis zum
Scheitel laufe; das Gefühl ist nicht schmerzhaft und dauert nur
einige Augenblicke. Zuweilen, nicht einmal jede Woche, macht
sich eine ganz kurze Empfindung wie elu unbedeutender Nadel¬
stich in der linken Stirnhälfte bemerkbar. Sonst nicht die ge¬
ringsten Störungen. Das alte künstliche Gebiss passt jetzt noch.
Hornhaut uud Bindehaut vollkommen anaesthetiscli. Kleiner
Hornhautfieck auf der liuken Hornhaut von einer früheren Ent¬
zündung (1895); seitdem niemals mehr Augeueutzündung, hat kein
Schutzglas getragen. Das Auge der nicht operirten Seite ist
Morgens zugeklebt, das der operirten Seite nicht.
Am 27. März 1901 briefliche Nachricht des Sohnes der 70 jähr.
Frau: „Meine Mutter befindet sich fortdauernd wohl. In der
linken Gesichtshälfte stellt sich zeitweilig ein leicht brennendes
Gefühl ein, das sich von der Schläfe bis zur Wange verbreitet
Diese Empfindung tritt gewöhnlich auf, wenn meine Mutter an¬
dauernd gestrickt hat. Nach längerem und lautem Sprechen hat
sie ein taubes Gefühl um den Mund, das jedoch nach einigen
•) F. Krause: Die Neuralgie des Trigeminus nebst der
Anatomie und Physiologie des Nerven. Leipzig, F. C. W. Vogel
1890.
No. 28
Augenblicken der Ruhe wieder verschwindet. Alle diese kleinen
Mängel sind im Vergleich zu den früheren furchtbaren Schmerzen
kaum erwähnenswerth und leicht zu ertragen. Das liuke Auge,
dessen Sehkraft vorzüglich ist, wird durch das obere Augenlid,
das keine rechte Spannkraft zu haben scheint, etwas verkleinert.
Das rechte Auge (nicht operlrte Seite) ist an Sehkraft schwächer
als das liuke und zeigt Absonderung von Materie.“
Fall IV. 48jährige Frau (dieselbe wie Fall I). Exstir¬
pation des rechten Ganglion am 29. April 1893.
Geheilt entlassen am 22. Mai. Sie starb in ihrer Heimath an
Blinddarmentzündung am 29. Sept. 1894, bis dahin war sie frei von
Neuralgie.
Fall V. 55jähriger Mann. Vergl. Monographie S. 50, Be¬
obachtung 4.
Es handelte sich um einen der am meisten entkräfteten
Kranken, die ich operirt habe; der Mann litt au linksseitiger Tri¬
geminusneuralgie seit 1871. Anfangs von geringer Heftigkeit
wurden die Schmerzen bald stärker, die Anfälle kehrten häufiger
wieder. Zwei periphere Nervenoperntionen (1884 N. lnfraorbitalis,
1880 N.supraorbitalis) hatten nicht einmal vorübergehenden Erfolg,
uud da der arme Kranke jede Hoffnung auf Heilung aufgegeben
hatte, trug er sieh mit Selbstmordgedanken und musste von seiner
Familie dauernd bewacht werden. Er konnte seinem Geschäft
nicht mehr vorstehen und war geuöthigt, es zu verkaufen. Schliess¬
lich war er nicht mehr im Staude, zu kauen, er vermochte nur
eben mit einem Theelüffel etwas Flüssigkeit zu sich zu nehmen,
weil jedes weitere Oeffnen des Mundes die fürchterlichsten
Schmerzanfälle hervorrief. Vor Schwäche konnte er nicht mehr
allein gehen, sondern musste von zwei Leuten geführt werden.
Auf der Eisenbahnfahrt nach Altona äusserteu die Mitreisenden
ihre Entrüstung zu dem Begleiter, einen so schwer Kranken über¬
haupt zu transportireu. In völlig entkräftetem Zustande kam er
zur O p e r a t i o n, die am 30. Mail 893 links ausgeführt wurde.
Am 8. Juli reiste er geheilt in seine Heimath zurück. Er ist seitdem
ganz gesund geblieben, wieder arbeitsfähig geworden uud hat
20 Pfd. au Körpergewicht zugonommeu. Am 19. April 1895 wurde er
auf dem Chirurgenkongress iu Berliu vorgestellt. Am 1. April 1901
schreibt der jetzt 03 jährige Manu: „Ich fühle mich jetzt munter
und wohl, Schmerzen im Gesicht habe ich noch nicht wieder ge¬
spürt, nur zuweilen Kribbeln, auch Zucken oder Ziehen, wodurch
ich mich aber nicht belästigt fühle. Geruch und Geschmack habe
ich nicht. Mein Auge ist auch so weit gut, nur die Sehkraft ist
nicht so, wie mit dem anderen Auge.“ (Kr hatte bei bestehender
Thriinensackeiterung während der Wundheilung eine schwere
Hypopyonkeratitis durchgemacht, die mit kleinem Hornhautfieck
ausgeheilt ist, siehe oben im Text.) „Auch das Kribbeln
empfinde ich iu dem betreffenden Auge, was mich aber weiter nicht
belästigt.“
Fall VI. 72 jähriger Mann.
1883 und 1889 periphere Resektion des 2. und 3. Astes mit
vorübergehendem Erfolg. Exstirpation des rechten
Ganglionam3. Nov. 1893. Nach doppelter Unterbindung und
Durehtrennuug der A. meningea media glitt die periphere Ligatur
ab; das periphere Eude blutete so stark, dass es umstochen werden
musste. Schwerer Chloroformzufall, Athmungsstillstand, Puls
sehr schlecht. y 2 Stunde künstliche Atlimung, hierauf athraet der
Kranke wieder; die weitere Operation verlief ungestört. Glatter
Wundverlauf, am 0. Tage Tod an Herzfehler, (Genaueres siehe
oben im Text.)
Fall VII. 70jährige Frau. Vergl. Monographie S. 45, Be¬
obachtung 2.
1882 Supraorbitnlis und lnfraorbitalis links peripher resezirt,
1892 von mir 1. und 2. Ast bis zur Schädelbasis entfernt; wiederum
schweres ltecidiv. 16. September 1894 Exstirpation
des linken Ganglion, am 9. Oktober geheilt entlassen.
19. Juni 1900 von mir zuletzt untersucht: Trotz der Entfernung
des Knochens Narbe wenig sichtbar, Grube nicht sehr tief; Be¬
deckung hart, als ob sich eine diinne Knochenschicht neu ge¬
bildet hätte. Hornhaut und Bindehaut links anaesthetiscli; beider¬
seits Conjunctivitis uud Blepharitis, trotzdem Ist die linke Horn¬
haut durchaus normul geblieben. Die Frau hat seit der
Operation niemals mehr Schmerzen im Gesicht gehabt.
Nach Aufregungen lind bei anstrengenden häuslichen Arbeiten
macht sich zuweilen eine leichte Empfindung im linken Nasenflügel
bemerkbar, als ob es sticht oder brennt; dies dauert einige Minuten
und gellt dann vorüber. Die Frau Hilft ihre Enkel mit ihrer Hände
Arbeit ernähren und ist desshalb, wie sie sagt, überglücklich.
29. März 1901 briefliche Nachricht der Tochter: „Meine
77 jährige Mutter verrichtet noch alle häuslichen Arbeiten, kocht,
wäscht, näht und strickt. Das rechte Auge ist fast immer ent¬
zündet, das linke (operlrte Seite) weniger, ist auch an Sehkraft
viel besser.“ (Beiderseits chronische Blepharoconjunctivltls.)
„Wenn Zugluft an das linke Auge kommt, fangen die Nase und
die linkeKopfSeite an, leicht zu schmerzen; der Schmerz ist kaum
der Erwähnung werth, wie meine Mutter sagt, und schwindet
nach einigen Minuten.“
Fall VIII. 47jährige Frau. Vergl. Monographie S. 45, Be¬
obachtung 1 und S. 130.
1S87 2. Ast rechtsseitig reseclrt; 9 Monate schmerzfrei. Hef¬
tiges Rocidiv, Schlaflosigkeit; Essen, auch Sprechen unmöglich.
Die Kranke verlor 50 Pfuml an Körpergewicht. Selbstmord¬
gedanken. 29. N o v. 1894 rechtes Ganglion exstirpirt;
19. Dez. reiste die Kranke geheilt in ihre Heimath.
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j 136 MÜENCITEtfER MEDlCIttlSClIE WOCTtENSCimiFT. tto. 25.
Die A. meningea media war doppelt vorhanden, auch 2 Fora-
mina spinosa; beide Arterien wegen ihrer relativen Kleinheit ein¬
fach durchrissen, Kompression stillt die geringe Blutung.
Januar 180."» starker neuralgischer Anfall auf der nicht-
oporlrtcn Seite, mehrmalige Wiederholung im Laufe der nächsten
4 Wochen. Dann trat Schmerzfreiheit hier ein, so dass die
Kranke sich ausserordentlich erholte und 30 Pfund an Gewicht
zunahm. Am 12. April 1S95 schrieb sie. es ginge ihr ausgezeichnet.
Indessen bildete sich auf der linken Seite eine typische Neuralgie
im 2. und 3. Ast aus, die allerdings lange Unterbrechungen zeigte,
aber doch zuweilen in heftigen Anfällen auftrat.
Am 25. III. 1901 — 6% Jahre nach der Operation — schrieb
die Kranke: „Die Schmerzen an der nicht operirten Seite treten,
wenn auch nicht in dem Maasse wie früher, doch von Zeit zu Zeit
in der Oberlippe, am Nasenbein und im Ohr auf, überschreiten
aber niemals die Mitte des Gesichtes. Die operirte rechte
Seite ist nach wie vor schmerzlos, aber ohne
Gefühl.“
Fall IX. 37jährige Frau. Yergl. Monographie S. 52, Be¬
obachtung 5.
Rechter N. infraorbitalls 1892 ohne den geringsten Erfolg re-
secirt. Am 10. März 1S94 wurde von mir der 2. Ast nach L (i c k e
an der Schädelbasis aufgesucht und nach Aufmeisseluug des
Canalis rotundus bis in diesen hinein entfernt. Schmerzfreiheit
bis Juli desselben Jahres. Furchtbare Schmerzanfälle in den
nächsten Monaten bis zu der am 23. Aug. 1895 ausgeführten
Exstirpation des rechten Ganglion. Von da trat
völlige Schmerzlosigkeit ein und ist von Bestand geblieben. Die
Operirte ist wieder lebensfroh, nimmt an Vergnügungen Theil,
tanzt sogar und besorgt ihren anstrengenden Haushalt.
Am 0. Juli 1900 schreibt sie: „Die alten, entsetzlichen
Schmerzen habe ich nicht wieder gehabt, doch hatte ich in den
letzten 2 Jahren ziemlich viel herumziehende Schmerzen im Kopf.
Grosse Sorge macht mir oft die gesunde, nichtoperirte Seite.“
21. März 1901 — 5 */ s Jahre nach der Operation —: „Mir geht
es gut; es zeigt sich mehr Gefühl auf der operirten Seite, die alten
Schmerzen sind aber nicht wiedergekommen. Im Januar hatte
ich an der gesunden Seite, an derselben Stelle wie früher rechts
unter dem Auge, wieder Schmerzen, so dass Ich ganz unglücklich
war, wenn ich mir ausmalte, es wird mit der Zeit ebenso schlimm
wie auf der andern Seite. Hoffentlich bleibt es noch lange so;
denn ich kann arbeiten und die auf der linken (nichtoperirten)
Seite herumziehenden Schmerzen lassen sich auslialten.“
Genaueres Uber die starke Blutung bei der Operation, deren
Dauer aus diesem Grunde 3 volle Stunden betrug, und über die
Nekrose des Knochenstiickes siehe im Text. Trotz des
von den früheren Operationen her bestehenden Lagoplithalmos
hat sich das Auge niemals entzündet, ohne dass Schutzmaassregeln
angewandt worden sind.
F all X. 07 jährige Frau.
Litt seit 1870 an aufallsweise auftretenden Schmerzen unter
dem rechten Auge, die zunächst erträglich waren. 1887 wurde
wegen starker Verschlimmerung in Breslau die Lücke-Braun-
sehe Operation ausgeführt, die nur 4 Wochen lang Schmerzfreiheit
herbei führte. Dann waren bis Mai 1895 die Schmerzen nicht allzu
schlimm, erreichten aber von da an eine unbeschreibliche Heftig¬
keit und zwar auch im Gebiete des 1. und 3. Astes. Die Kranke
war in Folge der qualvollen Leiden stark abgemagert.
8! Februar 1890 Exstirpation des rechten
Ganglion, die durch Zerrelssllclikeit der Dura mater unge¬
wöhnlich erschwert wurde (siehe im Text Genaueres). Die Schmer¬
zen waren nach der Operation verschwunden. Ueber den weiteren
Verlauf siehe oben im Text. *
Fall XI. 45 jährige Frau. Exstirpation des linken
Oaugllonam 2. Mai 1S9G. Vergl. Monographie S. 101—105 und
den kurzen Auszug oben im Text.
Fall XII. 46 jährige Frau wurde 1893 im Gebiet des 2. Astes,
später noch einmal ohne Erfolg operirt. 11. Juni 1890 E x -
s t i r p a 11 o n des rechten Ganglion. Bei dieser Krankeu
schien elnJahr nach dorOperatiou gemäss den brieflichen Berichten
ein Rückfall eingetreten zu sein. Sie liess sich in das Herzogliche
Krankenhaus zu Braunschweig auf nehmen; der Oberarzt der inedi-
cinisehon Abtheilung theilte mir gütigst mit, dass eine Trigeminus¬
neuralgie nicht vorhanden wäre, dass es sich vielmehr um aus¬
geprägte Erscheinungen von schwerer nysterie handelte. Weitere
Nachrichten ein Jahr später haben denselben Befund ergeben.
Fall XIII. 52jährig. Beamter. Im Feldzüge 1870 Neuralgie
in der rechten Gesichtshälfte, dann 14 Jahre schmerzfrei. Seit
1884 Neuralgie im Iuframaxillaris und Infraorbitalls. Die 1888
ausgeführte periphere Resektion dieser Aeste nützte nur 7 Monate.
4. S e p t e m b e r 1890 rechtsseitige G augliouexstir-
1 » a t i o n. Seitdem völlig schmerzfrei. Der Manu starb am
K». August 1899 an den Folgen einer im vorhergehenden Jahre
eilittenen Apoplexia cerebri sinistra tllemiplegia de.vtra). Ausser¬
dem bestand ausgebreitete Arteriosklerose.
Die Neuralgie ist bis zum Tode, also fast 3 Jahre, nicht
wiedergekehrt. *
Fall XIV. 71 jährige Frau. Periphere Resektionen des 1. und
2. Astes 1895 mit kurzem Erfolge. Exstirpation des
rechten Ganglion am 6. Oktober 1897. Siehe Kranken¬
geschichte im Text.
Fall XV. 54 jähriger Mann, litt seit acht Jahren an rechts¬
seitiger Neuralgie im 3. Ast, der 1S94 mit Kieferdurchsiiguug bis
zur Schädelbasis resecirt wurde. Nach 9 Monaten äusserst hef¬
tiges Recidiv. 18. Mal 1S98 rechtes Ganglion exstlr-
pirt. Während der ersten 3 Tage klagte der Kranke über krib-
belnde Empfindungen, in den Beinen. Nach der Operation bestand
eine Lähmung des M. levator palpebrae superiorls und M. rectus
internus, eine Schwäche des Sphinctcr pupillae (Oculomotorlus-
pareso durch Druck des Hirnspatels). Trochlearis und Al>-
ducens waren intakt. Nach 9 Tagen konnte das Oberlid etwas
gehoben werden, auch der Rectus internus funktionlrte ein wenig.
Nach 17 Tagen war die Lähmung noch weiter zurückgegangen,
nach 24 Tagen fast gänzlich verschwunden; nach 2 Monaten alle
Augenbewegungen normal.
Zehn Wochen nach der Operation kam der Kranke, der als
Besitzer einer Dampfmühle den ganzen Tag im Mehlstaube ar¬
beitete, mit einem erbsengrossen Epitheldefekt auf der Hornhaut,
leichter Trübung ihrer Substanz und Röthung der Coujunctiva.
Unter Atropin und Borverband heilte diese Erkrankung Innerhalb
0 Tagen fast vollständig; die Hornhaut wurde klar, I’at. konnte die
Uhr erkennen. Trotz dringenden Abrathens reiste der Kranke
wieder nach Hause und arbeitete in der Mühle.
Vier Wochen später kam er mit einem % der Vorderkammer
füllenden llypopyon und grossem Hornhautgeschwür wieder.
Starke Röthung und Eiterabsonderung der Bindehaut. Quere
Spaltung der auacsthetischen Hornhaut, Beplnselung mit 1 proe.
Argentum nitricum, Atropinisirung und Borverband brachten den
schweren destructiven Proccss zum Stillstand. Heilung mit Leu-
koma adliaerens: dieser Zustand wurde bei der Untersuchung
am 0. Juli 1900 wieder festgestellt. Auge völlig anaesthetiseh,
die Coujunctiva röthete sich nach Berührung mit Papierstückchen.
Die völlige Gefühllosigkeit auf der rechten Seite der Mundschleim¬
haut und Zunge störte beim Kauen (die anderen Operirten bis auf
eine klagten nicht darüber).
Ohne Veranlassung empfand der Kranke von Zeit zu Zelt
(„alle paar Wochen“) einmal einen „Zuck“ lin rechten Oberkiefer,
der nur einen Augenblick dauerte und nicht schmerzhaft war,
aber nichts von den alten Schmerzen.
Auf der linken nicht operirten Seite empfand der Kranke
beim Kauen zuweilen unerhebliche brennende Schmerzen im Unter¬
kiefer, die nach dem Oberkiefer zu ausstrahlten. Dasselbe hatte
er bereits vor der Operation bemerkt.
Am 26. März 1901 briefliche Nachricht: „Mein jetziges
Befinden ist zu meiner vollen Zufriedenheit. Ich kann jetzt gut
essen und kauen und befinde mich ganz wohl.“
Fall XVI. 30jähriger Arbeiter. Von Kindheit an Incon-
tinenz der Blase; seit dem 11. Jahre gelegentlich Anfälle von
Bewusstlosigkeit, die mit Krampf der linken Kau- und Wangen¬
muskeln verbunde n waren. Diese Anfälle bestanden in abnehmen¬
der Heftigkeit bis vor wenigen Jahren. In letzter Zeit kam es
dabei nicht mehr zu Bewusstlosigkeit, sondern es trat nur Schwin¬
del und Kältegefühl ein. Seit dem 17. Lebensjahre Neuralgie
im linken Trigeminusgebiet, zunächst im zweiten, später auch
im 1. und 3. Ast. Gleichzeitig mit der Neuralgie trat eine Abnor¬
mität in der Ooordination der unteren Extremitäten auf, die sich
in breitspurigem, etwas schwankendem Gange äusserte und beim
Treppensteigen ein Gefühl der Unsicherheit erzeugte.
1S94 Resektion des 2. Astes nach Lücke ohne jeden Erfolg,
1890 Resektion des 3. Astes mit mehrere W r ochen anhaltendem
Erfolg. Dann Rückfall mit zunehmender Heftigkeit der Schmerzen.
Schliesslich wurden Kopf- und Augenbewegungen wegen der
furchtbaren Anfälle ängstlich gemieden, der Kranke ging mit vor¬
sichtigen kleinen Schritten. Er konnte nur mit Mühe Flüssig¬
keiten geniessen und war vollständig arbeitsunfähig. Die Anfälle
waren Nachts besonders heftig. In Folge der L ü c k e’sehen
Operation war der Facialis im oberen Gebiet und namentlich das
linke untere Augenlid gelähmt, daher der vollständige Lidschluss
unmöglich. Offenbar durch die chronische Reizung hatte sich
ein Bindehaut-katarrh entwickelt.
Am 27. Sept. 1898 sollte das linke Ganglion exstirpirt werden.
Der Knoehenlappen wurde von einem I) o y e u'schen Fraiseloeh
aus mit der I> a li 1 g r e e n’sclien Knochenzange herausgeschnitten
und heruntergebrochen. Auch die Ablösung der Dura in der
mittleren Schädelgrube gestaltete sich sehr einfach. Eben war
ich bis zur A. meningea media vorgedrungen, als der durch sein
langes Leiden arg mitgenommene Kranke collabirte und stark
cyanotisch wurde; der Puls war kaum zu fühlen, die Athmung
ganz oberflächlich. Da alle Mittel den schweren Collaps nicht zu
beseitigen vermochten, wurde die A. meningea media noch rasch
durchrissen und der centrale Stumpf mit dem Knochenhaken in das
Foramen spinosum gepresst. Dann wurde die Operation abge¬
brochen, die Wundhöhle mit sterilisirter Jodoformgaze lose aus¬
gestopft, und der Weichtheilknoclienlappen mittels dreier Nähte
an seiner normalen Stelle angeheftet. Abends hatte sich der
Kranke aus dem Collaps erholt. Während der nächsten Tage er¬
hielt er täglich 150,0 steriles Olivenöl subkutan iujicirt. Die neur¬
algischen Schmerzen bestanden in ziemlich gleicher Weise fort,
waren eher etwas geringer.
Am 1. Oktober wurde die Exstirpation des
Ganglion vorgenommen, was in typischer Welse inner¬
halb eines Zeitraumes von 20 Minuten sich ermöglichen
liess. Beim Herausdrehen des Ganglion und des in ganzer
Länge herauskommomlen Trigemlnusstammes riss der Sinus caver¬
nosus ein, die profuse Blutung wurde durch Compresslon mit
Stieltupfer gestillt. Der Wundverlauf war ohne jede Störung, die
Schmerzen waren verschwunden und sind es bis heute geblieben.
Besonderer Erwähnung bedarf das Auge. Als der bei der
ersten Operation angelegte Verband am 1. Okt. abgenommen
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9. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
1137
wurde, zeigte sich die ganze Hornhaut etwas getrübt, das Epithel
war in der Mitte entsprechend der offenen Lidspalte verloren ge¬
gangen. Die Conjuuetiva zeigte müssige Iiöthung und leichte
eiterige Sekretion. Da der Trigeminus bei der ersten Operation
noch vollständig unberührt geblieben war, konnte diese Hornhaut¬
affektion nur durch die Austrocknung bei offener Lidspalte und
durch den alten Bindehautkatarrh hervorgerufen sein. Sorgfältige
Behandlung führte bis zum 5. Oktober eine wesentliche Besserung
herbei. Die Hornhaut hatte sich aufgehellt, nur in der Mitte fand
sich noch ein 2—3 mm langer, horizontaler, trüber Streifen mit
Epithel Verlust; die eiterige Absonderung der Conjuuetiva war fast
ganz verschwunden. Bis zum 12. Okt., an welchem Tage die
Operationswuude verheilt war, blieb der Zustand des Auges der
gleich gute. Von da an vergrösserte sich der Horuliautdefekt trotz
aller angewandten Mittel; am 10. bildete sich ein llypopyon, das
durch Incision entleert wurde. Nach geringer Besserung nahm
die Trübung der Hornhaut im oberen Abschnitte zu. allmählich
entwickelte sich ein Irisprolaps, Erweichung und Phtliisls des
Bulbus; daher am 15. Nov. Enucleatio bulbi. Ara 11. Dez. wurde
der Kranke mit künstlichem Auge entlassen.
Die Anwendung dps Schutzglases für das Auge, wie
sie im Text abgebildet ist, hätte die Hornhaut wohl
l>esser vor Austrocknung bewahrt als der Verband. Aber
bei dem schweren Collaps und der Sorge, diesen zu beheben,
ein Ereigniss, das unsere gespannteste Aufmerksamkeit ln An¬
spruch nahm, war jene Schutzmaassregel leider unterlassen
worden. Die einmal eingeleitete oberflächliche Austrocknung der
Hornhaut führte bei dem gleichzeitig bestehenden chronischen
Katarrh und bei dem Fehlen des Trlgemlnuseiuflusses zu dem
fortschreitenden destructiven Process.
Ain 6. April 1901 (also 2>/ 2 Jahre nach der Exstirpation des
(Janglion) erhielt ich von dem Arzt des Operirton folgenden Be¬
richt: „Seit der Operation hat der Manu keine Schmerzen mehr
gehabt. Die gewöhnlichen Ausfallserscheinungen sind vorhanden;
die Conjunctiva des enucleirten Auges secerulrt stark. Die Co-
ordinatlonsstörung, die sich seiner Zeit zugleich mit der Neuralgie
entwickelt hat, besteht nach wie vor. Der Operlrte ist in seiner
Weise ein fleissiger Arlxdter, freut sich seines Lebens und ist
„kerngesund“, wie er selbst sagt. Nachdem ich sein unbeschreib¬
liches Elend 5 Jahre hindurch mit angesehen habe, darf ich Ihnen
zu dem grossen Erfolge meinen aufrichtigsten Glückwunsch aus¬
sprechen“.
Fall XVII. 55 jähriges Fräulein, Schwester eines
Arztes, stammt aus einer gichtisch stark belasteten Familie; so
hat der Neffe bereits als Stud. mcd. schwere Gichtanfälle durch-
gemacht. 1S93 erkrankte die Dame an heftiger Neuralgie im
zweiten Ast des rechten Trigeminus; 1 Jahr später wurde die
Resektion nach Lücke mit rasch vorübergehendem Erfolg aus¬
geführt.
12. November 1898 Exstirpation des rechten
Ganglion. Danach partielle Oculomotoriuslähmung, die
10 Wochen nach der Operation vollständig beseitigt ist (ausführlich
oben Im Text bei den Augenmuskellähmungen mitgetheih).
Glatter Wundverlauf. Das rechte Unterlid konnte ln Folge
der bück e’schen Operation nicht ganz geschlossen werden. Am
17. Nov. conjuuctivale Reizung, am 18. kleiner Epithelverlust auf
der Hornhaut. Atropin, nasser Verband und Borwasserumschläge.
22. Nov. Sekretion fast beseitigt. Conjunctiva kaum noch ge-
röthet. 23. Nov. Verlust des Hornhautepithels völlig ersetzt.
25. Nov. Wieder flacher, muldenförmiger Defekt inmitten der
Hornhaut, offenbar durch Druck des oberen Lidrandes bedingt;
er ist geradezu als Decubitus zu bezeichnen, da der nasse schwere
Verband, wenn auch noch so lose angelegt, den Lidrand gegen
die Hornhaut drückt. Daher 20. Nov. während der Nacht und
während des grössten Thelles des Tages Uhrglas mittels Heft¬
pflaster voris Auge geklebt; rasche Besserung. 29. Nov. Conjunc¬
tiva bulbi ganz weiss.
2. Dez. reiste die Dame in ihre Helmath. Ueber eine nach Ent¬
fernung der künstlichen Zähne rasch hellende Llppenulceratiou
siehe im Text oben.
Brieflicher Bericht vom 26. März 1901: „Ich habe bis jetzt nie
wieder Schmerzen gehabt nach der Operation, weder rechts- noch
linksseitig. Ich spüre allerdings manchmal ein Unbehagen an der
rechten Gesichtshälfte, aber ich kann das wirklich nicht schmerz¬
haft nennen. Ich fühle auch noch oft dies Aufzucken, was mir
früher so unheimliche Schmerzen bereitete, jetzt aber voll¬
ständig schmerzlos (lm Briefe dick unterstrichen) vor sich
geht, ein Beweis dafür, dass der Feind seine Macht verloren hat.
Am unangenehmsten benimmt sich mein Auge, weil es noch Immer
emplindlicli Ist und sich leicht entzündet; ich kann aber ganz
gut damit sehen. Das Auge gibt keine Thrünen her. Ich hoffe,
dass mein Bericht verständlich geworden ist. Unaufgefordert
würde Ich aber niemals über die kleinen Unbequemlichkeiten
klagen, die sieh als Folgeerscheinung der Operation bemerklich
machen. Ich bin stets von Dank erfüllt u. s. w„ dass es mir so
ausgezeichnet geht. Die Hauptsache ist und bleibt für mich, dass
die entsetzlichen Schmerzen verschwunden sind.“
Fall XVIII. 41 jähriges Fräulein.
Im Alter von 29 Jahren traten ln Folge von Ueberanstrenguug
ziemlich plötzlich rechtsseitige Gesichtsschmerzen auf, die nach
2 Jahren sehr heftig wurden. Im Jahre 1898 Resektion des 1. und
2. Trigeminusastes rechts; die Schmerzen, blieben 4 Monate fort,
um daun mit grosser Heftigkeit wieder aufzutreteu.
Exstirpation des rechten Ganglion am
24. März 1899. Glatte Heilung; die Kranke reiste am 13. April
ln ihre Helmath. Am 10. Mal 1890 schrieb sie, dass sie Schmerzen
in der linken Seite verspüre, genau so wie früher auf der operlrten,
nur nicht so heftig.
Brief vom 25. März 1901: „Die Schmerzanfälle treten nur auf
der linken Seite auf, ln Schläfe, Stirn und Auge, sie sind qualvoll
stechend, ähnlich so wie früher auf der rechten Seite. Dauer 15
bis 20 Minuten und 2 bis 3 Stunden Pause. Durch meine sehr
diäte Lebensweise habe ich erreicht, dass die Zwischenpausen in
letzter Zeit einen Monat betrugen. Auf der rechten (operirton)
Seite sind keine Schmerzen wieder aufgetreteu.“
Fall XIX. 63 jähriger Arzt, 2 mal vorher am 2. Ast operirt.
Exstirpation des linken Ganglion am 26. Aug. 1S>9.
Krankengeschichte im Text oben.
Fall XX. 59 jährige Frau. 2. und 3. Ast 1896 resecirt.
Exstirpation des rechten Ganglion am 2. Nov. 1899.
Krankengeschichte im Text oben.
F all XXI. 44 jährige Frau. Im 5. Monat der 4. Schwanger¬
schaft stellten sich im Frühjahr 1892 neuralgische Schmerzen im
rechten Oberkiefer ein, die nach der Entbindung verschwanden.
Der Anfall wiederholte sich im 4. Monate der 5. Schwangerschaft.
(März 1896): diesmal aber blieb die Neuralgie auch nach der Ent¬
bindung bestehen. April 1898 wurde rechts die Lücke-Braun'selie
Operation in Hamburg ausgeführt und bewirkte für mehrere
Monate Sclimerzfreiheit; indessen bildete sich eine so starke Kiefer-
klein me aus, dass der Muud gar nicht geöffnet werden konnte und
die Ernährung nur durch die Zahnlücken möglich war. Am 8. Fe.br.
1899 traten die Schmerzen in alter Weise wieder auf und wurden
bald ausserordentlich qualvoll.
23. Januar 1900 Exstirpation des rechten
Ganglion. Während bis zur Unterbindung der Meningoa
media die venöse Blutung gering war, wurde sie daun ungewöhn¬
lich stark, namentlich bei der Freilegung des 2. Astes. Trotzdem
war die vollkommene Exstirpation des Ganglion und des Trige-
minusstammes möglich, nahm aber wegen der störenden Blutung
2 >/ 2 Stunden in Anspruch. Ueber die Augcnmuskellähmung siehe
im Text oben.
Am 14. Febr. war die Wunde völlig geheilt. Am 19. wurde
der oberste Abschnitt des rechten Unterkiefers summt beiden Pro¬
cessus von einem queren Schnitt aus resecirt, um die Kiefer¬
bewegung wieder zu ermöglichen; am 23. war auch diese Wunde
geheilt. Es wurden passive Bewegungen vorgenommen, und am
4. März konnte die Kranke den Mund über Mittelweite aktiv
öffnen. Sie wurde entlassen, alle Schmerzen waren beseitigt.
Am 10. April stellte sich die Frau völlig schmerzfrei in
blühendem Wohlbefinden vor, sie hatte 11 Pfund zugenommen.
Der Mund konnte bis zu fast normaler Weite aktiv geöffnet
werden. Ueber die bald darauf eintretende Ilornhauterkrankuug
siehe im Text oben.
Am 10. Juli 1900 habe leb die Frau zum letzten Mal in aus¬
gezeichnetem Ernährungszustände gesehen, sie war völlig schmerz¬
frei und konnte den Mund weit öffnen.
Fall XXII. 58jährige Frau, am 2. und 3. Ast mehrmals
operirt; Uusserst entkräftet in Folge der jahrelangen furchtbaren
Schmerzen, macht den Eindruck einer Siebzigerin.
23. Februar 1900 linkes Ganglion exstirpirt.
Dauer der Operation 55 Minuten, Chloroformverbrauch 20 ccm.
Dura Uusserst dünn, reisst mehrmals entzwei (siehe Genaueres im
Text oben). Die Exstirpation des Ganglion lässt sich trotzdem in
typischer Weise vollenden. Der Tod erfolgte 6 Stunden danach
im Collaps. Sektionsbefund (Proseetor Dr. Hüter): Aeusserst
abgemagerte Leiche. Dura abnorm dünn, namentlich an der
Schädelbasis; am Gehirn oberflächliche Sugillatlonen au der
Trepanntlonsstcllc. Massiges Atherom an den nerzklappen und in
der Aorta; Foramen ovale nicht geschlossen. Induratio pigmentosa
in beiden Lungenspitzen. Nephritis interstitinlis chronica.
Fall XXIII. 30 jährige Frau, litt seit 4 Jahren an zuckenden
Schmerzen im linken Oberkiefer. Wegen heftiger Verschlimme¬
rung wurden am 6. Juli 1899 der linke N. orbitalis und lnfraorbitaüs
von mir resecirt. In den nächsten 5 Tagen hatte die Kranke noch
mehrmals Anfälle ln alter Weise, aber in abnehmender Stärke,
vom 12. Juli an keine Schmerzen mehr. Am 20. Juli reiste die
Frau geheilt in ihre Heimath. Gleich danach fühlte sie sich
schwanger, am 22. März 1900 gebar sie ihr 4. Kind. 14 Tage vor¬
her traten die Schmerzen in alter Weise im linken Oberkiefer
wieder auf und verschlimmerten sich bald so sehr, dass sie um eine
neue Operation dringend bat. Daher 7. M n i 1900 Exstir¬
pation des linken Ganglion. Unmittelbar danach waren
— im Gegensatz zur früheren peripheren Resektion — die neur¬
algischen Schmerzen völlig verschwunden. Am 30. Mai reiste die
Frau geheilt in ihre Heimath ab. Ein Jnlir später, am 18. Mai 19ol,
theilte sie mir brieflich mit. dass es ihr, trotzdem sie im 7. Monat
schwanger sei, ausgezeichnet ergehe.
Fall XXIV. 46 Jähriger Mann, litt seit 1883 (damals
29 Jahre alt) an Neuralgie des 2. Trigeminusastes rechts.
1888 wurde in Dresden der lnfraorbitaüs mit 9 Monate lang
anhaltendem Erfolg, 1892 der 3. Ast ohne Nutzen resecirt. Der
behandelnde Arzt hielt die Gauglionexstirpation für durchaus
erforderlich, da „die unerträgliche Neuralgie Unterkiefer-, Ober¬
kiefer- und Stirn - Schläfengegend betreffe, den Kranken völlig
arbeitsunfähig mache und in einen Zustand chronischer Manie*
und Inauition versetze“. Die Anfälle gehörten zu den luftigsten,
die ich gesehen. Das Gesicht wurde krampfhaft nach der kranken
Seite gezerrt, es trat allgemeines Angstgefühl, dann profuser
Sehwciss ein; zuweilen wurden in Folge klonischer Krämpfe der
Kaumuskeln die Zahnreihen aufeinander geschlagen, andere Male
durch tonische Spannung des Maseters mit grösster Heftigkeit
an einander gepresst. Die Anfälle kamen Schlag auf Schlag,
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1138
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
dauerten 1—3 Minuten, dazwischen Pausen von nur wenigen
Sekunden. Tag und Nacht waren in letzter Zeit ohne Unterschied,
der Kranke konnte nicht eine Minute schlafen; er war entschlossen,
seiuem Leben ein Ende zu machen und hoffte, an der Operation
zu Grunde zu gehen. Der grosse Manu wog nur 110 Pfund.
13. Juni 1900 Exstirpation des rechten Ganglion.
Die Dura mater zeigte sich mit dem 3. und 2. Ast ganz fest ver¬
wachsen, so dass sie nur schwer abgelöst werden konnte und am
3. Ast weithin einriss; diese Thatsache Ist für die Entstehung der
Neuralgie vielleicht von Wichtigkeit. Beendigung der Operation
trotz dieser Verzögerung nach 02 Minuten. Obgleich das grosse
Loch In der Dura vorhanden war, wurde der Verband niemals wie
sonst mit Liquor cerebrospinalis durchtränkt. Gegen den Riss
war ein kleiner Streifen Jodoformgaze gelegt worden; vielleicht
hatte er rasche Verklebung zwischen Dura und Pia herbeigeführt
und dadurch den Ausfluss von Liquor verhindert. Auch bei der
Herausnahme des Drains am 0. Tage entleerte sich kein Liquor.
Am 0. Juli wurde der Mann geheilt entlassen. Das Körper¬
gewicht betrug 128 Pfund, die Zunahme also, trotz Operation, in
23 Tagen 18 Pfund.
lieber die geringe Trochlearislähmung vergl. im Text ol>en.
Am 2. April 1901 schrieb der Operirte: ..Mir fehlt nichts, ich
fühle mich gesund. Schmerzhafte Empfindungen habe Ich gar
nicht, auch kann ich meinen Mund normal uufthun. Jetzt habe
ich wieder Lust zum Leben.“
Fall XXV. f>0jährige Frau, litt seit 7 Jahren an Neuralgie
im Gebiete des 2. und 3. Trlgemiuusastes linkerseits; im letzten
Jahre starke Verschlimmerung. Daher wurden am 11. Mal 1900
der Infraorbitalis und Orbitalis, ferner der Auriculo-temporalis und
Alveolnris inferior von mir in einer Sitzung resecirt. Am 24. Mai
wurde die Kranke geheilt entlassen, war aber nur wenige Wochen
schmerzfrei. Schon Ende Juni traten die alten Anfälle wieder auf,
iibertrafen an Heftigkeit bald die früheren Schmerzen und brachten
die Kranke zur Verzweiflung. Daher 27. August 1900 Exstir¬
pation des linken Ganglion. Vom Abend des 30. August
an machten sich leichte aphasische Störungen bemerkbar (siehe im
Texte oben), die jedoch am 3. September bereits verschwunden
waren. In der Nacht, vom 12./13. September trat unter heftigen
Leibschmerzen eine starke Menstrualblutung ein, also am 17. Tage
nach der Operation. Ebenso hatte am 17. Tage nach der peripheren
Nervenresektion sich die Menstruation einmal eingestellt, damals
ohne Schmerzen, während sie seit August 1899 vollkommen auf¬
gehört hatte und auch keine Beschwerden an ihrer Stelle zur Er¬
scheinung gekommen waren. Die Kranke wurde am 22. Septem¬
ber 1900 geheilt In ihre lleimath entlassen.
Am 5. November 1900 schrieb die Tochter der Operirten: „Die
Mutter hat sich ganz besonders erholt, ist auch wieder vergnügt
und hat nur den Wunsch,, dass es so bleiben möge. Die Nerven¬
schmerzen sind vollkommen verschwunden; nur schwillt die ope-
rirte Seite zuweilen etwas an. Eine eigenthilmliche Empfindung,
richtig zu beschreiben ist sie nicht, ein Ziehen und IvrUmmeu ist
mitunter In der Seite. Die Wunde ist so gut vernarbt, dass mau
fast nichts mehr davon sieht.“
Am 2G. März 1901; „Mutter ist jetzt so glücklich, ihr ist so gut
zu Muthe. In der operirten Seite fühlt sie mitunter ein Kriechen,
ein Klemmen, bald warm, bald kalt; alle 14 Tage ungefähr tritt
mal ein Zuck in der unteren Gesichtshälfte auf, es ist aber kein
Schmerz und gleich wieder fort. Das Gesicht ist gar nicht ent¬
stellt. wer es nicht weiss, findet nichts daran. Die Sehkraft des
Auges ist gut, Mutter benutzt noch keine Brille. Muttors Be¬
finden ist ein sehr gutes, sie fühlt sich ganz kräftig; ich erinnere
mich nicht, dass Mutter jemals so vergnügt gewesen ist, wie jetzt.“
Fall XXVI. Bei der 05 jährigen Frau fingen die Schmerzen
vor 15 Jahren während einer Wochenbetterkrankung zuerst an uud
zwar in der rechten Stirnhälfte. Nach einem halben Jahre ver¬
breiteten sie sich auf die Wange, auf Ober- und Unterlippe, nahmen
an Heftigkeit zu und traten häufiger auf. Seit 10 Jahren empfand
die Kranke fast beständig heftige uud in ganz kurzen Zwischen¬
räumen sich oinstelleude Schmerzen, sodass auch der Schlaf er¬
heblich gestört wurde. 1899 periphere Resektion des 1. und
2. Astes in ihrer Heimath, fast ohne Erfolg; bereits bei der Ent¬
lassung setzten die Schmerzen in alter Heftigkeit wieder ein. Die
Kranke kam in sehr elendem Zustande zur Aufnahme, sie bat
flehentlich um baldige Operation. Es bestand starke Arterio¬
sklerose und eine sehr erhebliche Kyphoskoliose der Brust- und
Lendenwirbelsäule.
29. August 1900 Exstirpation des rechten
Ganglion Gasser 1. Gleich nach der Operation waren die
neuralgischen Schmerzen verschwunden: die Kranke fühlte sich
kräftig. Der weitere Verlauf ist im Text genau mitgetheilt.
Fall XXVII. Die 00 Jährige Frau litt seit 8 Jahren an Neur¬
algie auf der rechten Kopfseite im Unterkiefer, bald auch Im
Oberkiefer. Im September 1898 wurde der 2. Ast in Berlin re¬
secirt. danach hörten die Schmerzen mehrere Monate auf. Bald
aber kehrten sie zurück und wurden so arg, dass die Kranke sich
häufig auf dem Boden herumwälzte. In letzter Zeit traten die An¬
fälle Tag und Nacht ein; die Frau war nach Aussage des Mannes
zuletzt nicht mehr bei Sinnen, wenn die Schmerzen kamen.
8. März 1901 Exstirpation des rechten Gan¬
glion. Die Operation verlief ohne jede Störung, das Befinden
danach war ausgezeichnet Ueber den weiteren Verlauf siehe oben
lm Text.
Nach dem obigen Vortrago habe ich 2 weitere Male das
Ganglion Gasseri exstirpirt, so dass sich die Zahl der Operationen
auf 29 beläuft. Beide Male wurde dos linke Ganglion bei
Männern von 63 und 64 Jahren entfernt; der Vollständigkeit
wegen, gebe ich kurz die Krankengeschichten.
Fall XXVIII. G4 jähriger Mann.
Das Leiden begann vor 7 Jahren im linken N. infraorbitalis.
1894 wurde dieser in Wien resecirt, damals trat eine „kleine Ruhe“
während eines halben Jahres ein. Der Rückfall, der dann er¬
folgte, übertraf an Heftigkeit «las ursprüngliche Leiden, zumal
bald der ganze dritte Ast in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die
mangelhafte Ernährung ausschliesslich durch Flüssigkeiten führte
zu äusserster Abmagerung.
0. Juni 1901 Exstirpation dos linken Ganglion.
Die stark sklerotische Meningen modla riss beim vorsichtigen Ab¬
lösen der Dura ein, wurde aber sofort ganz durchrissen und die
Blutung mit dem Knochenhaken gestillt. Der übrige Operations¬
verlauf war ohne Störung, ebenso die Wundheilung. Am 28. VI.
wurde der Mann schmerzfrei in seine Heimath entlassen.
Fall XXIX. 03jähriger Mann.
Seit 25 Jahren bestanden in Folge sehr starker Erkältung
neuralgische Schmerzen im 1. und 3. Ast links. 1893 wurde der
2. Ast in Berlin resecirt, bald darauf stellten sich Schmerzen im
dritten Ast ein. 1895 wurde der Inframaxillaris exstirpirt: hierauf
Schmerzlosigkeit bis 1898. Dann erfolgte ein Rückfall, der alle
drei Aeste betraf; die Schmerzen steigerten sich nach starker see¬
lischer Erregung im Februar 1901 zu äusserster Heftigkeit und
bestanden weiterhin fast ununterbrochen.
17. Juni 1901 Exstirpation des linken Ganglion.
Der sklerotirte Knochen war über 1 cm dick und dabei sehr
schwer zu durchtrennen; dieser Umstand verzögerte die Operation
wesentlich. Die Bildung des Weichtheilknochenlappens nahm gut
•Ti Stunden in Anspruch, allerdings gestaltete sich die Blutung,
da die Diploe kaum angedeutet war, äusserst gering. Beim Iso¬
liren des 2. Astes, das wegen fester Verwachsung mit der Dura
sich nicht stumpf ausführen liess. sondern mit der Scheere vor¬
genommen werden musste, erfolgte eine starke venöse Blutung.
Diese wurde mit einem kleinen Stieltupfer beherrscht, so dass die
Exstirpation des Ganglion und des Trigeminusstammes sich trotz¬
dem in 25 Minuten ausführen Hess. Gegen die blutende Stelle
wurde dann etwas Bindengaze gedrückt und mit dem Drain aus
der Wunde herausgeleitet Glatter Verlauf; Drain und Gaze am
4. Tage entfernt, Wunde am 28. Juni vollkommen geheilt. Der
völlig schmerzfreie Mann steht auf.
Zum siebzigsten Geburtstag von Wilhelm His.
Von \V. Spalteholz.
Am 9. Juli dieses Jahres vollendet Wilhelm II is sein
siebenzigstes Lebensjahr, und seine Freunde, Kollegen und
Schüler rüsten sich, seinen Geburtstag in würdiger Weise zu be¬
gehen. Bei der grossen Bedeutung, welche seine Arbeiten auf
verschiedenen Gebieten der morphologischen Wissenschaften
nicht allein für die engeren Fachgenossen, sondern theilweise
auch für den weiten Kreis der praktisch thätigen Medicincr ge¬
wonnen haben, und bei der grossen Ausbreitung und Fruchtbar¬
keit seiner über vierzigjährigen Lehrthätigkeit, erscheint ein Ein¬
gehen auf sein Leben und Lebenswerk auch an dieser Stelle be¬
rechtigt. Ich bin dcsshalb gern einer Aufforderung der Re¬
daktion nachgekommen und will im Folgenden versuchen, das
Wesentlichste hierüber zusammenzufassen.
Wilhelm II is wurde am 9. Juli 1831 zu Basel geboren.
Er besuchte die Schulen seiner Vaterstadt und widmete sich dann
von Ostern 1849 bis Michaelis 1854 dem Studium der Medicin,
schon hierbei den theoretischen Fächern entschieden den Vorzug
gehend. Nachdem er das erste Sommerscmester in Basel ver¬
bracht. ging er für 2 Semester nach Bern und hörte dort be¬
sonders die Vorlesungen von T h e i 1 e und V a 1 e n t i n, sowie
diejenigen des Geologen S t u d e r. Dann siedelte er für 3 Se¬
mester (von Michaelis 1850 bis Ostern 1852) nach Berlin über
und war hier Schüler von Johannes Müller und von Rob.
R e in a k. Bei Letzterem hatte er das Glück, eine Vorlesung
über Entwicklungsgeschichte zu hören, in welcher R. die Er¬
gebnisse seiner eben im Erscheinen begriffenen „Untersuchungen
über die Entwicklung der Wirlwltliiere“ mittheilte.
Besonders der Nachweis R.’s, dass die echten Drüsen ge¬
mischten Ursprungs sind, dass ihr Gcfässantheil aus dem mitt¬
leren Keimblatt, ihr epithelialer aus einem der beiden Grenz-
bliitter stammt, scheint einen nachhaltigen Eindruck auf Wil¬
helm II i s gemacht zu haben; er ist später wiederholt auf ihn
zurüokgekommen, namentlich auch in seiner Eierstocksarbeit
(1865). Diese Vorlesung liess ihn auch, wie er später selbst ge-
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9. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
1139
legentlich ausführt, eine grosse persönliche Hochschätzung für
seinen Lehrer gewinnen, hat ihn aber doch nicht, wie man viel¬
leicht denken könnte, unmittelbar auf sein späteres Hauptfach
hingeführt; auf dieses ist er erst durch einen längeren Umweg
gekommen. Von Berlin wandte er sich für 3 Semester nach
Würzburg, um hier besonders im Laboratorium von V i r c h o w
zu arbeiten. Dann besuchte er im Wintersemester 1853/54,
namentlich im Interesse seiner Ausbildung in den praktischen
Fächern, die Universitäten von Prag und Wien, kehrte Ostern
1854 wieder nach Basel zurück und absolvirte dort im gleichen
Jahre seine medicinischen Examina. Darauf widmete er sich
ganz den theoretischen Fächern, Verliese seine Vaterstadt im
Wintersemester 1855/56 auf 4 Monate zu einer Studienreise nach
Paris und habilitirte sich 1856 in Basel als Privatdocent unter
Meissner, um 1857, im Alter von 26 Jahren, dessen Nach¬
folger als ordentlicher Professor der Anatomie und Physiologie
zu werden. Tn dieser Stellung verblieb er bis 1872, wo er, nament¬
lich auf Betreiben von C. Ludwig, nach dem Rücktritte von
E. H. Weber nach Leipzig als ordentlicher Professor der
Anatomie und Direktor der anatomischen Anstalt berufen wurde.
Hier wirkte er Anfangs noch in dem alten, später (von 1875 an)
in dem neuen, nach seinen Angaben erbauten Institute, dessen
Grundriss und Einrichtungen allseitig als mustergiltig an¬
erkannt wurden und bei vielen Neubauten als Vorbild gedient
haben. Gleichzeitig mit seiner Ernennung erfolgte auch die von
Wilhelm Braune zum ordentlichen Professor der topo¬
graphischen Anatomie, für welche eine besondere Abtheilung des
Institutes geschaffen wurde. Wilhelm His und W. Braune,
im Alter nur wenige Tage auseinander, zwei in wissenschaftlicher
Ausbildung und Neigung grundverschiedene Männer, lernten,
durch ihre Stellungen auf ein Zusammenwirken angewiesen, sehr
bald sich gegenseitig hochschätzen und arbeiteten sich so in¬
einander ein, dass der Tod Braune’s im April 1892 den Ueber-
lebenden schwer traf und eine schmerzliche Lücke in seinen
engeren Freundeskreis riss.
Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen von Wil¬
helm His bewegen sich durchaus auf dem Boden der Histo¬
logie und gehen bis auf seine Studienzeit in Würzburg zurück,
wo er 1852 unter V i r c h o w über den normalen und patho¬
logischen Bau der Hornhaut zu arbeiten begann, Arbeiten, die
ihn noch bis in seine Baseler Zeit hinein beschäftigten. Er
konnte dabei eine Reihe neuer Thatsachen über die damals nur
«ehr unvollkommen bekannten Hornhautzellen und über die Be¬
ziehung zur Intercellularsubstanz feststellen. Dann wandte er
sieh mehr dem Studium der zum Lymphsystem gehörigen Organe
zu und untersuchte, theilweise in Gemeinschaft mit seinem
Freunde B i 11 r o t h. Bau und Funktion der Lymphdrüsen, der
P e y e rischen Haufen und der Darmschleimhaut, sowie die
Lymphgefässwurzeln und Lymphgefäsee der Häute und der ner¬
vösen Central organe.
Im Jahre 1864 gab er gemeinsam mit L. Rütimeyer sein
grosses Werk: „Crania helvetica' heraus.
Das Jahr 1865 ist besonders bedeutungsvoll für die ganze
zukünftige Arbeitsrichtung von Wilhelm His gewesen. In
diesem Jahre veröffentlichte er eine Arbeit über den Bau
des Säugethiereierstocks und fand dabei Ver¬
anlassung. auch frühere und früheste Stufen dieses Organes bei
Embryonen in den Kreis seiner Betrachtungen zu ziehen und eine
Ableitung der einzelnen Bestandtheile von den Keimblättern
zu versuchen. Wohl hierdurch angeregt, unternahm er es dann,
in dem akademischen Programm: „D ieHäuteundHöhlen
des Körpers“ ganz allgemein die Beziehungen zwischen der
Entwicklung der einzelnen Organe und Organsystemo und ihrem
anatomischen Verhalten zusammenzufassen; er stellte sich dabei
durchweg auf den Boden der R e m a k’schen Keimblattlehre und
erörterte, in wie weit sich damals die einzelnen Organe und
Organbestandtheile von den einzelnen Keimblättern ableiten
Hessen. Im Allgemeinen gelang diese Ableitung auch zur Zu¬
friedenheit ; nur die Angaben R e m a Vs über die verschieden¬
artige Entstehung des centralen und peripheren Nervensystems
— erstere sollten aus dem obersten Keimblatt, letztere wenigstens
♦heilweise aus dem mittleren Keimblatte entstehen — enthielten
Widersprüche und standen einer einheitlichen Auffassung auch
dieser Systeme hindernd im Wege. Hier konnten nur neue ent-
wickclnngsgesehichtliche Untersuchungen Licht bringen, und
No. 28.
diese begann Wilhelm His sofort, um schliesslich dem neu
errungenen und schnell liebgewordenen Arbeitsgebiet für die
Hauptzeit seines Lebens treu zu bleiben und in ihm seine be¬
deutungsvollsten Entdeckungen zu machen. Er begann seine
Arbeiten am Hühnchen und suchte zunächst dioTechnik zur Her¬
stellung feiner Schnitte zu vervollkommnen, da er Anfangs in
deren Mangelhaftigkeit das Hinderniss für entscheidende Be¬
obachtungen suchte. So gelangte er im Jahre 1866 zur Kon¬
struktion eines eigenartigen Mikrotoms, das zwar nicht das erste
derartige Instrument war, das er aber doch zum ersten Male in
ausgedehnterem Maasse benutzte, und dessen Bedeutung er so¬
fort in ihrem vollen Umfange erkannte; es gab ihm die Möglich¬
keit. lückenlose Reihen gleich dicker Schnitte herzustellen und
so die unerlässliche Vorbedingung für plastische Rekonstruk¬
tionen zu erfüllen. Dabei sah er sich genöthigt, auf immer
frühere Entwickelungsstufen zurückzugehen und mit seinen
Untersuchungen beim unbebrüteten Ei einzusetzen. Diese Ar¬
beiten führten ihn sehr bald dazu, die Remak’sche Lehre von
der Entstehung des mittleren Keimblattes fallen zu lassen und
eine neue Lehre aufzustellen, nach welcher im Vogelei vom An¬
beginn an 2 ihrem Wesen und ihrer Lage nach getrennte Keim¬
anlagen vorhanden sind. Die eine, der Arehiblast, besteht
aus dem Haupttheil der Keimschcibe und liefert das Oentral-
nervensystem, die peripheren Nerven, die Oberhautgebilde, die
Drüsen, sowie die quergestreiften und glatten Muskelfasern. Die
andere Anlage, der Parablast, entspricht einem Theil des
sog. weissen Dotters und liefert das Blut und die Gewebe der
Bindesubstanz; sie legt sich Anfang in der Peripherie der Keim¬
scheibe an und wächst erst sekunder in sie hinein. Diese sog.
Parablastlehre ist in der Folge sehr scharf angefeindet
und umstritten worden. So einfach sie das gestellte Problem zu
lösen schien, so wenig stimmten doch später bekannt werdende
Thatsachen mit ihr überein; sie wurde allmählich unhaltbar. Tin
Jahre 1881 sah sich Wilhelm His veranlasst, zunächst die
Ableitung der genannten Gewebe von den weissen Dotterkugeln
aufzugeben, da deren Zellennatur unhaltbar geworden war, hielt
aber vorläufig noch die Gefässe und Bindesubstanzen für zu¬
sammengehörige Anlagen. Doch auch diesen Theil seiner Lehre
musste er schliesslich selbst fallen lassen, als er die Frage von
Neuem wieder an eigenen Präparaten prüfte. Und so nimmt er
in seiner jüngsten Arbeit über diesen Gegenstand: Lecitho-
blast und Angioblast der Wirbelt liiere (1900) in
Uebereinstimmung mit anderen Forschem einen getrennten Ur¬
sprung der Bindesubstanz und Gefässanlagen an. Erstere leitet
er jetzt vom embryonalen Mesoblast ab; letztere entstammen dem
in der Peripherie gelegenen ausserembryonalen Mesoderm und
wachsen von dort aus erst später in den Embryo hinein.
Schon in seinen ersten Arbeiten über das Hühnchen wurde
Wilhelm His durch das Causalitätsbedürfniss auf eine
mechanistische Betrachtungsweise für die Erklärung entwiekc-
lungsgeschichtlichcr Vorgänge hingeleitet. Er fand sehr bald,
dass gewisse Formveränderungen der Embryoanlage während der
Entwicklung auffallende Aehnlichkeiten besitzen mit denjenigen
Umbildungen, welche biegsame Platten und Röhren durch
Horizontalschub erleiden, und sah die Ursache dieser wirkenden
Kräfte im ungleichen Wachsthum der verschiedenen Abschnitte
und Schichten der Anlage. Diese Auffassung, welche im Anfang
ausserordentlich heftig bekämpft, ja mit Spott und Hohn über¬
schüttet wurde, hat in ihren Grundziigen allmählich immer mehr
und mehr Anhänger gewonnen und ist jetzt wohl vom grössten
Theil der Fachgenossen angenommen.
Sie hat Wilhelm His unzweifelhaft zu einem der be¬
deutendsten Vertreter derjenigen Richtung in der Entwickelungs¬
geschichte gemacht, für welche später die Bezeichnung „Ent¬
wickelungsmechanik“ geschaffen worden ist. Auch weiterhin ist
er auf diese Theorie, welche sich wie ein rother Faden durch
seine sämmtlichen Schriften entwickelungsgeschichtlichen In¬
haltes hindurchzieht, wiederholt ausführlich zurückgekommen.
Tn der 1874 erschienenen Schrift: ..Unsere Körperform und da«
physiologische Problem ihrer Entstehung“, erörterte er sie auch
für ein breiteres Publikum und behandelte dabei ausser diesen
Fragen noch die Theorien der Zeugung, Vererbung und Ab¬
stammung.
Auch ein zweiter, besonders charakteristischer Zug tritt uns
schon in den frühesten Arbeiten entgegen, das Bestreben, sich
Goögle
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1140 MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28.
möglichst klare räumliche Vorstellungen von den behandelten
Objekten zu verschaffen. Dies führte ihn sehr bald dazu, als
Erster plastische Rekonstruktionen ganzer Keimseheiben und
Embryonen oder einzelner Theilo derselben im vergrösserten
Maassstabe, zu versuchen. War er auch Anfangs nur auf die
freie Modellirung angewiesen, deren Genauigkeit von fortwähren¬
den kontrolirenden Messungen des Objektes und seiner Durch¬
schnitte unter dem Mikroskop abhing, und war somit diese Me¬
thode noch sehr mühsam und von dein manuellen Geschick und
der Zuverlässigkeit des Forschers abhängig, so ergab sie doch
sofort über raschende Aufschlüsse und ist für die Folge von weit-
tragender Bedeutung geworden. Bis die Methode schliesslich vor¬
wiegend durch Born als „Plattenmodellirmethode“ in eine ein¬
fachere und sicherere Form gebracht worden ist, hat Wilhelm
II is unablässig mit an ihrer Vervollkommnung gearbeitet; er
liess für genaue zeichnerische Wiedergabe der Schnitte nach
seinen Angaben den Embryograph konstruiren, wandte als einer
der Ersten die Photographie in ausgedehntem Maasse für seine
Zwecke an und war auch hier mit Erfolg bestrebt, die Methodik
zu verbessern.
Vom Jahre 1866 an bis zur jüngsten Zeit hat Wilhelm
11 i s auf dem Gebiete der thierischen Entwickelungsgesehichte
eine grosse. Anzahl von Untersuchungen ausgeführt und hat
ausser dem Hühnchen namentlich Knochenfische und Haifische
herangezogen, um besonders die Verhältnisse der unbebrüteten
Keime und die Vorgänge während der frühesten Entwickelungs-
slufen klarzulegen. Mehren; Arbeiten histogenetisehen Inhaltes
haben sich diesen angeschlossen.
Auf Grund eines reichhaltigen und sorgfältig gesichteten
Materiales, welches er allmählich gesammelt hatte, begann W i 1 -
h e 1 m II i s im Jahre 1880 die Herausgabe seiner „A n a t o m i e
menschlicher E m b r y o n e n“, deren 2. und 3. Lieferung
1882 und 1885 folgten. Mit diesem gross angelegten Werk, in
welchem zum ersten Male die embryonale Entwickelung der
Körporformen und der Organe des Menschen in zusammen¬
hängender Weise an der Hand vorzüglicher Abbildungen und
Modelle dargestellt wurden, schuf er eigentlich erst die mensch¬
liche Entwickelungsgesehichte, von der bis dahin nur einzelne
Kapitel in wenig ausführlicher Form bearbeitet waren. Er hat
diesem Buch später keine Fortsetzung mehr gegeben, sondern
nur einige Organe in Aufsätzen und Monographien behandelt,
und er versuchte in allen diesen Arbeiten unter anderem auch
die postembryonalen Formen auf die embryonalen zurückzu¬
führen uiul das Verständnis-* jener dadurch zu fördern. Als die
wichtigsten sind unter diesen Veröffentlichungen wohl diejenigen
über die Entwickelung des Gehirns und Nervensystems zu be¬
zeichnen, führten sie ihn doch im Jahre 1886 dazu, seine schon
früher mehrfach geäusserte Ansicht über die Entstehung der
Rückenmarkswurzeln ausführlich zu begründen; an der Hand
seiner Präparate legte er dar, dass ganz allgemein die Nerven¬
fasern Ausläufer der Nervenzellen sind und von ihnen aus-
waehsen, sowie, dass die vorderen motorischen Rüekenmarks-
wurzelfasern von innerhalb dos Marks gelegenen Zellen aus nach
der Peripherie Vordringen, während die hinteren sensiblen Fasern
ausserhalb dos Markes in den Zellen der Spinalganglien ihren
Ursprung nehmen und von diesen aus erst sekundär in das
Rückenmark hineinwachsen. Diese Lehre, welche Wilhelm
II i s noch in mehreren späteren Arbeiten weiter ausführte, hat
für die Folge noch weitere Bedeutung dadurch erlangt, dass si<*
die durch Golgi, Rainony Cajal u. A. auf Grund ander-
seitiger Untersuchungen am Nervensystem über die Verknüpfung
der einzelnen Nervenolemento gewonnenen Anschauungen wesent¬
lich stützte und so die Umwälzung unserer Vorstellungen über
das Nervensystem mit herheiführen half.
Diese letzten Arbeiten führten ihn dazu, sich später in
mehreren Aufsätzen und Reden auch mit der Morphologie des
gesaimnten Nervensystems zu beschäftigen und für die Einthei-
lung des Gehirns neue Gesichtspunkte aufzustellen, welche vor¬
nehmlich der vergleichenden Ent wickelungsgoschiehte entnommen
sind.
Kommen wir nun zu seinen Untersuchungen makroskopi¬
schen Inhaltes, so ist vor Allem noch zweier aus der Leipziger
Zeit zu gedenken. In der zweiten Hälfte der 70 er Jahre be¬
gann er, Anfangs namentlich im Interesse de* Unterrichtes, Situs-
präi-nrato in neuer eigenartiger und einwandfreier Form her¬
zustellen. Durch Injektion mit Chromsäurelösung und nachträg¬
liche Behandlung mit Alkohol wurden die Körper und einzelnen
Organe so gut gehärtet, dass es möglich war, schichtenweise die
einzelnen Bestandtheile zur Darstellung zu bringen, ohne dass
sich ihre gegenseitigen Lagebeziehungen im Geringsten dadurch
veränderten. Abgipsen der so erhaltenen verschiedenen Präparate
desselben Körpers, sowie der einzelnen Organe, hielt dann die
gewonnenen Formen fest und ermöglichte es auch schliesslich,
zusammensetzbare Modelle zu schaffen. Er hatte dabei das
Glück, in Herrn Gipsmodelleur Franz Steger einen ausser¬
ordentlich geschickten und für den Gegenstand begeisterten
Mitarbeiter zu finden, der alle Schwierigkeiten der Objekte
spielend überwand. Im Jahre 1878 berichtete er zum ersten
Male über diese Modelle und über ihre Einzelheiten und wie-*
daliei auch auf eine ganze Reihe von neuen Anschauungen hin,
welche wir auf Grund derselben von der Form der Eingeweide
gewinnen. Ein zweiter Aufsatz aus dem Jahre 1881 beschäftigte
sich dann mit der Lage der Eierstöcke auf Grund derartiger Prä¬
parate; er konnte dabei im Wesentlichen die von den Gynäko¬
logen für den lebenden Körper gemachten Angaben auch für die
Leiche an einwandfreiem Material bestätigen und schaffte somit
endlich den langen Streit über diesen Punkt aus der Welt.
So hat Wilhelm His mit dieser Methodik auch ein
neues werthvolles Hilfsmittel für wissenschaftliche Untersuch¬
ungen geschaffen, von dem wir noch viele Aufklärung erwarten
dürfen. Seit jener Zeit sind noch eine grosse Anzahl solcher
und ähnlicher Gipsabgüsse und Modelle entstanden, besonders
auch seitdem im Fonnalin ein noch brauchbareres Härtungs¬
mittel gefunden worden ist; die Leipziger anatomische Anstalt
birgt eine reiche Sammlung derselben. Die meisten von ihnen
sind auch in zahlreichen Wiederholungen angefertigt worden
und finden sich in den verschiedensten in- und ausländischen
Instituten; die ganze jüngere Generation von Medicinem hat
sich an ihnen leichter klare Vorstellungen von der Form und
von dem komplizirten räumlichen Ineinandergreifen der Organe
verschaffen können, als es vordem der Fall war. Wir können uns
heute keinen guten Unterricht ohne diese H i s - S t e ge Eschen
Modelle denken.
Am Ende des Jahres 1894 trat eine, ungewöhnliche Aufgabe
an ihn heran, die ihn sofort in hohem Grade fesselte, und deren
Lösung er in durchaus neuer und eigenartiger Weise versuchte.
Anlässlich des Neubaues der Leipziger Johanniskirche tauchte
der lebhafte Wunsch auf, die Grabstätte von Johann Se¬
bastian Bach wenn irgend möglich zu bestimmen, um die
Gebeine an einen würdigen Aufbewahrungsort zu überführen.
Die sehr unsichere Ueberlieferung bezeichnete nun zwar eine be¬
stimmte Stelle, doch Hessen sich keinerlei dokumentarische Unter¬
lagen dafür beibringen; es war nur bekannt, dass er in einem
eichenen Sarg in einem sogen, flachen Grabe beerdigt worden sei.
Nachgrabungen in der Umgebung der muthmaasslichen Stelle
förderten nun auch einen solchen Sarg mit den Resten eines
älteren Mannes (Bach starb im Alter von 65 Jahren) zu Tage,
die darauf zu untersuchen waren, ob sie wohl die Gebeine Bach’s
sein könnten. Dafür musste natürlich vorwiegend der Schädel
herangezogen werden, dessen. charakteristische Form nicht zu
einem Dutzendkopfe passte und zur weiteren Verfolgung der
Aufgabe ermuthigte. Eine Vergleichung desselben mit den be¬
kannten B a e.h - Bildnissen ergab zunächst die. Möglichkeit der
Identität, jedoch nicht mehr. Da griff Wilhelm His zu
einem anderen Mittel. Von dem Gedanken ausgehend, dass die
Möglichkeit der Echtheit ip eine Wahrscheinlichkeit, umgewan¬
delt würde, wenn es gelingen sollte, über den Schädel eine ähn¬
liche Porträtbüste von B a c h zu formen, bat. er Herrn Bild¬
hauer Prof. O. Seffner. einen hervorragenden Meister auf
dem Gebiete der Porträtkunst, einen derartigen Versuch zu
wagen. Zur Unterstützung desselben maass er bei 37 Leichen
von Erwachsenen die. Dicke der Weichtheile an einer grossen
Anzahl von Punkten des Gesichtes. Er stellte dabei fest, dass*
für jede Stelle des Gesichtes eine gewisse Normaldicke, der
Weichtheile angenommen werden kann, welche bei gesunden und
wohlgenährten Menschen innerhalb verhältnissmässig enger
Grenzen schwankt und etwas nach Alter und Geschlecht wechselt..
Nach den bei acht älteren Männern von mittlerer bis guter Er¬
nährung gewonnenen Mittelzahlen wurden nun auf den Gips¬
abguss des Schädels an den entsprechenden Stellen Punkte a;i-
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9. -Juli 1901.
MUENCIIENEK MEDICINISCHE WOCHEN SClliCl IT.
114t
gelegt, auf Ci rund deren der Künstler die Büste zu entwerfen
hatte, und bei der die gefundenen Minium und Maxima als
Spielraum bezeichnet wurden, innerhalb dessen er bei Ausführung
seiner Arbeit variireu durfte. Mit diesen Beschränkungen und
unter Berücksichtigung der vorhandenen Bildnisse schuf nun
C. S c f f n e r einen ausserordentlich gelungenen Kopf, welcher,
wie sich Wilhelm II i s ausdrückt, „die wesentlichen Eigen¬
schaften der uns zu Gebote stehenden Bilder von J. S. Bach
in sich vereinigt, und der an Leben, sowie an charaktervollem
Ausdruck jedes einzelne dieser Bilder übertrifft“, und die zur
Prüfung der Angelegenheit niedergesetzte Kommission konnte
„mit gutem Gewissen ihr Urtheil dahin äbgeben, dass die auf¬
gefundenen Gebeine höchstwahrscheinlich die von J o h a u u
Sebastian Bach seien“.
Bchliesslieh müssen wir noch der Arbeiten gedenken, welche
Wilhelm II i s auf in- und ausländischen Kongressen, deren
er eine grosse Anzahl besuchte, geleistet hat. Vor Allem ist er
auch unter den Gründern der Anatomischen Gesellschaft zu
nennen, und ist auf deren Wirksamkeit namentlich dadurch von
grossem Einfluss gewesen, dass er die erste Anregung zu einer
einheitlichen Gestaltung der anatomischen Nomenclatur gab. Er
hat sich dann an der Berathung der 1889 für diesen Zweck ein¬
gesetzten Kommission eifrig betheiligt und nach Vollendung des
Werkes auch im Jahre 1895 die Herausgabe desselben besorgt.
Haften dieser Nomenclatur auch an einigen Stellen noch kleinere
Mängel an, so hat sie sich doch sehr schnell im Inlande An¬
erkennung zu verschaffen gewusst, und auch das Ausland gibt
mehr und mehr seine Bedenken gegen Einzelheiten des Ganzen
wegen auf; sie ist ein grosser Schritt vorwärts zu dem von Wil¬
helm H i s angestrebten Ziele.
Neben dieser ausserordentlichen reichen wissenschaftlichen
und literarischen Thätigkeit — das Verzeichniss der Veröffent¬
lichungen von Wilhelm H i s umfasst weit mehr als 100
Nummern — ging stets noch eine rege Lehrthätigkeit einher.
Neben der Zahl der speziellen engeren Schüler ist die Menge
derjenigen besonders gross, die seinen Vorlesungen gefolgt sind,
seinen klaren, streng objektiven Worten gelauscht und seine
schönen, mit grosser Kunstfertigkeit vor ihren Augen ent¬
worfenen Zeichnungen zu kopiren versucht haben, oder welche
auf dem Präparirsaal seinen strengen Anforderungen an Gründ¬
lichkeit und Sauberkeit gerecht zu werden sich bemühten. Sie
Alle verdanken ihm einen guten Theil ihrer wissenschaftlichen
Ausbildung und vereinigen sich mit seinen engeren und weiteren
Fachgenossen und Freunden in dem Wunsche, dass es ihm noch
lange vergönnt sein möge, seiner Familie und seiner wissenschaft¬
lichen und lehrenden Thätigkeit in gleicher Frische, wie bisher,
zu leben.
Referate und Bücheranzeigen.
Dr. H. S. Frenkel - Heiden (Schweiz): Die Behandlung
der tabiachen Ataxie mit Hilfe der Uebung. Kompensatorische
Uebungstherapie, ihre Grundlagen und Technik. Mit 132 Ab¬
bildungen im Text. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel.
Preis 10 Mark.
Vor 12 Jahren hat Fr o n k e 1 die ersten günstigen Resultate,
welche von ihm hinsichtlich der Verwandlung uncoordinirter Be¬
wegungen in coordinirte mit Hilfe der Uebung erzielt worden
waren, mitgetheilt, aber man darf wohl behaupten, dass die Kennt¬
nis und allgemeinere Anwendung der von ihm geschaffenen
Methoden noch nicht sehr weit über den Kreis seiner neuro¬
logischen Fachgenosseu hinaus gedrungen ist und dass besonders
da« Gros der praktischen Aerzte von den für die Behandlung
Tabisdier so wichtigen Mittheilungen noch nicht hinreichend
Notiz genommen hat. Es war daher die ursprüngliche Absicht
des Verfassers, in diesem vorliegenden Werke eine zusammen¬
fassende Darstellung der von ihm für die Behandlung der Ataxie
erprobten Uebungen zu geben. Diesem der Einführung der
l’ebuugstherapie in der Praxis dienenden Zwecke ist auch der
grössere Theil des Buche« gewidmet, welcher eine sehr eingehende
Beschreibung aller Uebungen enthält, wie sie Fr. mit ausser¬
ordentlichem Scharfsinn und einer ungewöhnlichen Beobach¬
tungsgabe für die systematische Behandlung der Ataxie aus-
gearbeitet hat; dieser specielle Theil gibt ferner auch genaue An¬
weisungen über die zu den Uebungen nöthigen Hilfsmittel, über
die Aufsicht bei den zu übenden Patienten, über die Einrichtung
der Lokalitäten, kurz über Alles lür den Praktiker Wissen wer tho.
Her vorzuheben aus diesem Theile des Werkes ist insbesondere
auch das Kapitel über die Mechanik der Körperbewegungen, das
wegen seiner grundlegenden Bedeutung mit grösserer Ausführ¬
lichkeit behandelt ist, ferner aber auch die scharfe Verurtheilung,
welche die Appnratotherapie der tabischen Ataxie von Seite
anderer Autoren, insbesondere J a c o b und G o 1 d s e li e i d e r,
durch den Verfasser erfährt. So detaillirt die Anleitung zu den
Uebungen vom Verfasser gegeben ist, so ist doch für die zweck¬
mässige therapeutische Verwendung derselben ein tieferes Ein¬
dringen in das Princip der F r e n k e l’schen Methode unerläss¬
lich und es würde sich unzweifelhaft schwer rächen, oluie ein¬
gehende Kenntniss der physiologischen Grundlagen der Methode,
dieselbe in der Praxis zu verwenden. Daher hat Verfasser einen
ausführlichen theoretischen Theil der Darstellung der Technik
vorausgescliickt. Dieser bespricht die verschiedenen Formen der
Ataxie, den Begriff der Coordination und jenen der Z weck massig -
keit in den Bewegungen des Körpers, das Wesen und die Ur¬
sachen der tabischen Ataxie. Um für die verschiedenen Unter¬
sucher eine Gleichartigkeit der angewandten Untersuchungs-
methode zu schaffen, hat Fr. auch die von ihm geübte Unter¬
suchung der Sensibilität in seinem Werke eingehend geschildert,
sowie die Prüfung auf Ataxie, wie er sie auszuführvn pflegt,
genau angegeben. Das von Fr. 1896 zuerst beschriebene, und
nach den weiteren Untersuchungen bei der Tabes regelmässig vor¬
kommende Symptom der Hypotonie der Muskeln, die in einer
Herabsetzung des normalen Muskeltonus besteht, ist durch sehr
charakteristische Abbildungen in dem Fr.’schen Werke illustrirt,
wie überhaupt die zahlreich dem Texte beigefügten Reproduk¬
tionen von Photographien als sehr instruktiv und technisch ge¬
lungen bezeichnet werden müssen.
Dass die Frenke l’sche Methode der Ataxiebehandlung
durchaus nicht als ein Ausbau oder eine Systematisirung
L e y d e n’seher Ideen angesehen werden kann, wird von
ihrem Schöpfer in der historischen Einleitung des Werkes
nachgewiesen, der einen inneren Zusammenhang des Prin-
cips seiner Behandlungsmethode mit den von v. Leyden
früher ausgesprochenen therapeutischen Ideen der Ataxiebohand-
lung um so bestimmter ablehnt, als er in letzteren, nämlich in der
Kompensirung der Ataxie durch Muskelarbeit, ein Princip er¬
blicken muss, das direct Gefahren in sich sehliesst.
Das vorliegende bedeutungsvolle Werk sei dem Interesse der
ärztlichen Kreise warm empfohlen.
Grass mann- München.
1. K r o g i u s - Helsingfors : Ueber die vom Processus
vermiformis ausgehende diffuse eitrige Peritonitis und ihre
chirurgische Behandlung. Jena, Fischer, 1901. 6 M.
2. Sonnenburg: Pathologie und Therapie der Peri¬
typhlitis. Ein Lehrbuch für Aerzte und Studirende. 4. Auflage,
Leipzig, V o g e 1, 1900. 12 M.
Zur Perityphlitisfrage liegt, uns heute neben der in 4. Auf¬
lage erschienenen und zu einem „Jahrbuch“ von 408 Seiten heran¬
gewachsenen S o ii ii e n b u r g’sehen Monographie diq K r o -
g i u s’sche Abhandlung vor. K. bespricht nur die diffuse, vom
Wurmfortsatz ausgehende Peritonitis, geht natürlich dabei aueli
auf sehr viele, die umschriebene Appendieitis betreffende Fragen
eingehend ein. Zu Grunde gelegt sind der Arbeit 50 vom' Ver¬
fasser beobachtete Fälle von allgemeiner Wunufortsatzperitonitis.
In dem ersten geschichtlichen Abschnitt gibt Verfasser einen
sehr genauen Ueberbliek über die Entwicklung der Lehre von
der Perityphlitis im Allgemeinen von «ler Mitte, des 18. Jahr¬
hunderts ab.
Was die eigenen Beobachtungen des Verfassers anbetrifft,
so ist zunächst das Resultat seiner bacteriologisehen Unter¬
suchungen sehr bemerkenswerth. Von den aeroben Bactericn
hat er am häufigsten das Baoterium coli commune und ver¬
schiedene Arten von Diplococcen angetroffen. Gelegt ntlieh fand« n
sich auch Bacillus pyocyaneus, Proteus vulgaris. Streptococcus
pyogenes, niemals die pyogenen Staphyloooetren. In der Regel
lag eine Infektion mit verschiedenen Bactericn vor. Völlig un
studirt sind bisher noch die anaeroben Bactericn. deren Bedeutung
für die Krankheit vielleicht ebenso gross ist.
Der Zustand des Wurmfortsatzes ist. 1x4 46 der 50 Fälle be¬
kannt: 27 mal Perforation, 13 mal Gangraen, 6 mal einfache ent¬
zündliche Veränderungen.
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1142 / MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ No. 28.
Die sehr wechselnden pathologischen Befunde am Peritoneum
lassen sich am natürlichsten in 3 Gruppen bringen: 1. Bauchfell¬
entzündungen ohne nennenswerthe Adhaesionen und ohne grössere
Mengen flüssigen Exsudates (diffuse septische Peritonitis),
2. reichlich serös-eiteriges bis rein eiteriges, meistens jauchiges
Exsudat, ohne erhebliche Adhaesionen zwischen den Därmen,
3. grössere oder kleinere abgekapselte Eiteransammlungeu
zwischen den Därmen, mit fibrinös-eitrigen Adhaesionen.
Bezüglich der klinischen Erscheinungen hat Verfasser be¬
sonders den Anfangssymptomen seine Aufmerksamkeit zuge¬
wendet und gibt werthvolle Winke, wie man schon in dem ersten
Beginn der Erkrankung, die allein für den chirurgischen Eingriff
günstige Aussichten bietet, eine bestimmte Diagnose stellen
kann. Er erörtert genauer die Bedeutung der Schmerzen, der
Druckempfindlichkeit, der straffen Spannung der Bauchmuskeln,
des Erbrechens, des Aufstossens, des Siugultus, des Meteorismu^,
des Fehlens der Peristaltik, des Gesichtsausdruckes, des schweren
Krankheitsgefühls, der ikterisehen Färbung, der erschwerten
Athmung, der gestörten Herzthätigkeit, der Temperatur. Die
Differenz zwischen Achselhöhlen- und Aftertemperatur beträgt
manchmal bis zu 3 0 C.
Ohne chirurgische Behandlung ist die Prognose der diffusen
Wurmfortsatzperitonitis eine durchaus ungünstige. Die Resultate
der operativen Behandlung sind von K. in sehr werthvoller Weise
zusammengestellt. Durch Zusammenzählen aller bekannt gewor¬
denen Fälle, die die gesammelten Erfahrungen einzelner Chi¬
rurgen betreffen, ergeben sich 680 Operationen mit 194 (28,5 Proc.)
Heilungen. Beim Zusammenzählei i aller in der Literatur nieder¬
gelegten Fälle ergeben sich 294 Heilungen. Diese Zahlen muntern
entschieden zur immer besseren Ausbildung der chirurgischen
Behandlung auf.
2. Wenn eine specielle Monographie, wie die Sonnen-
burg’sche, nach 6 Jahren schon in 4. Auflage erscheinen kann,
so ist das ein einzig dastehender Erfolg, der ein Zeichen ist so¬
wohl von der Wichtigkeit, die unter den Aerzten der Frage der
Perityphlitis beigemessen wird, wie von der Vortrefflichkeit des
S.’schen Werkes. Auch die Sonnenburg’sche Arbeit gründet
sich im Wesentlichen auf eigene Erfahrungen, denen nunmehr
nicht weniger als 600 Operationen zu Grunde liegen.
In dem ersten allgemeinen Theil werden einige allgemeine
Fragen (Terminologie, Typhlitis stercoralis) abgehandelt, und
dann ein kurzer Ueberblick über das ganze Gebiet der Peri¬
typhlitis gegeben. Es finden sich da zum Theil Auszüge aus den
späteren Ausführungen, so dass mehrfach Wiederholungen zu
Stande kommen, Seite 94 und 95 finden sich fast wortgetreu
auf Seite 339 und 340 wieder.
Sonnenburg ist trotz aller Einwände auch in Bezug auf
die Symptomatologie bei seiner Eintheilung in die Appendicilis
simplex, perforativa und gangraenosa geblieben und führt diese
Eintheilung mit grossem Geschick durch, indem er sogar für
das freie Intervall Anhaltspunkte gibt, die einzelnen Formen
auseinander zu halten.
Der Frage der Spontanheilungen steht S. andauernd sehr
skeptisch gegenüber. Die Thatsache, dass Spontanheilungen bei
der P. perforativa Vorkommen, erkennt er an, er räth aber auch
bei diesen Fällen, der Natur mit dem Messer in der Hand bei¬
zustehen.
Der bedeutungsvollste Abschnitt ist derjenige über die patho¬
logische Anatomie. Hier haben uns die S.’schen operativen Er¬
fahrungen mit vielen völlig neuen Thatsachen bekannt gemacht,
und in gewandter Darstellung läset S. die verschiedenen Krank¬
heitsformen und Komplikationen an uns vorüberziehen und er¬
läutert dieselben durch Einstreuung von charakteristischen
Krankengeschichten und lehrreichen Abbildungen.
Bezüglich der allgemeinen Peritonitis unterscheidet auch S.
die peritoneale Sepsis, besser die peritoneale Toxinaemie genannt,
die jauchig-eiterige und die progrediente, fibrinös-eiterige Peri¬
tonitis.
Bezüglich der Therapie glaubt S. zu einer Verständigung
nur auf Grund einer genauen anatomischen Diagnose gelangen
zu können.
Nachdem er im klinischen Theil die Symptomatologie sehr
eingehend erörtert hat, stellt er folgende Grundsätze auf: Die
Operation im freien Intervall ist der im Anfall vorzuziohen. Bei
der Appendicitis simplex ist im Anfall eine Indication zum Ope-
riren selten vorhanden. Bei der Appendicitis perforativa muss
im Anfall mit strenger Auswahl der Fälle operirt werden. Bei
der Appendicitis gangraenosa soll im Anfall stets und früh ope¬
rirt werden. Bei der Appendicitis perforativa und gangraenosa
mit Komplikationen muss operirt werden.
Im Allgemeinen hat S. seine Iudieationen bei der Appeu-
dicitisperforation mit umschriebenem Abscess (der eigentlichen
Perityphlitis) gegen früher eingeschränkt. Maassgebend für das
operative Einschreiten sind das Verhalten des Allgemeinbefindens,
des Fiebers, des Pulses und der örtlichen Symptome. Gleicht
sich der Anfall nach 4—5 Tagen nicht aus, so soll man operireu.
Der Wurmfortsatz soll immer mit entfernt werden, weil nur so
alle Abscesse in der Umgebung des Fortsatzes erreicht werden
können, und weil nur so eine Sicherheit für eine völlige Aus¬
heilung der Krankheit geschaffen wird. In ganz genauer Weise
werden die entsprechenden Oj>erationsvorschriften gegeben.
Auf ihre Einzelheiten, deren Kenntniss für jeden Chirurgen
unerlässlich ist, kann leider hier nicht eingegangen werden.
K r e c k e.
H. de Rothschild: Bibliographia lactaria. Biblio¬
graphie generale des travaux parus sur le lait et sur l’allaite-
ment jusqu’en 1899. Paris, Octave D o i n , 1901. 584 Seiten.
Die Literatur über Milch- und Säuglingsernährung ist im
Laufe der Zeiten dermaassen angewachsen, dass sie auch der auf
diesem Gebiete Bewandertste nicht mehr vollkommen zu über¬
blicken vermag.
R. hat sich nun der Mühe unterzogen, alle einschlägigen
Arbeiten aus den letzten 4 Jahrhunderten in übersichtlicher Form
und chronologischer Reihenfolge zusammeuzustellen.
Im ersten Kapitel findet sich die gesammte Literatur aller
Nationen über die Milch: Frauen- und Kuhmilch; Milch ver¬
schiedener Thierarten; Physiologie; Pathologie; Analyse der
Milch; Bucteriologie; Hygiene und Gesetzgebung; Milch¬
fälschung; Diätetik und Therapie; Kumys und Kefir; Molken;
sterilisirte und pusteurisirte Milch; kondensirte und konservirte
Milch; Uebertragung von Krankheiten durch die Milch; Milch¬
industrie.
Das zweite Kapitel bietet eine Uebersicht über die Literatur
der Säuglingsernährung: Allgemeines über die Ernährung im
frühen Kindesalter; natürliche und künstliche Ernährung; Milch-
präparate und Ersatzmittel der Milch; Ammen; Uebertragung
von Krankheiten beim Stillen; Saugflaschen.
Das dritte Kapitel enthält eine Aufstellung der Erfindungen
auf dem Gebiete der Säuglingsernährung: Erfindungen franzö¬
sischer, deutscher, englischer und amerikanischer Autoren.
Ein alphabetisches Autorenregister vervollständigt das reich¬
haltige Werk, in dem nicht weniger als 8375 Arbeiten aufge¬
führt sind.
Den Nutzen eines Buches wie des vorliegenden wird Jeder
zu schätzen wissen, der einmal auf solch’ riesigem Gebiete ge¬
arbeitet und erfahren hat, wie viel kostbare Zeit sonst allein
schon durch das Aufsuchen und die Zusammenstellung der
nöthigen Literatur verloren geht. T r u m p p - München.
M. Claude und Balthazard: La Cryoskopie des
urines. Bailliere et Fils. 1901. Paris.
Die Verfasser suchen in einem kurz gefassten Lehrbuche
die Gesetze der Kryoskopie nach ihrem Erfinder R a o u 11. zu¬
sammenzufassen, die sich im Wesentlichen darauf stützen, dass
in Wasser gelöste Körper den Gefrierpunkt der betreffenden
Flüssigkeit erniedrigen und zwar nach dem Grade der Konzen¬
tration. Nach einer Beschreibung des von Raoult zu diesem
Zwecke angegebenen Apparates gehen sie auf die bisherige spär¬
liche praktische Anwendung bei Herz- und Nierenkrankheiten
in der Untersuchung des Urins über und thun, indem sie die neue
Methode mit den bisherigen in Untersuchung der Funktions¬
tüchtigkeit der Nieren vergleichen, die praktische Ueberlegenheit
der neuen Methode dar. Dr. Ziegler -München.
Neueste Journalliteratur.
1901.
43. Bd. Heft
Zeitschrift für klinische Medicin.
1 und 2.
1) E. v. L e y d e n: Zur Aetiologie des Carcinoma.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Thatsachen, welche
zu (Junsten der parasitären Theorie des Carcinoms in’s Gewicht
fallen, bespricht der Verfasser eigentümliche mikroskopische Be¬
funde, die er an Präparaten von Krebssaft und carclnomatösen
Exsudaten erheben konnte. In einer grossen Reihe von Ascites¬
fällen mit zellrelchem Exsudat wurden Zellen mit amoeboider
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9. Juli 1901. MIJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1143
Bewegung gefunden, analog der 1897 publlcirten Leydenia Schau-
dlnn. Wahrscheinlich gehören diese Zellen mit starken langen
Ausläufern und schirmartigeu Ausbreitungen dem carcinomatöseu
Ascites in charakteristischer Weise an und Verfasser hat. einige
Male diesen Befund mit Erfolg diagnostisch verwerthet.
ln anderen Fällen gelang es, im Carcinomsaft eigentümliche
Zolleinschlüsse zu finden. Sie stellten sieh als bläschenartige Bil¬
dungen dar, im Protoplasma epithelartiger Zellen eingebettet, die
Im Centrum einen sich lebhaft rotli färbenden Punkt enthielten.
Sie erinnern an den Erreger der Kohlhernie genannten Pflanzeu-
kiankheit (Plasmodiaphora Brassicae, Woronin).
v. L. glaubt nicht, dass der Erreger des Carcinoms unter deu
Hefepilzen zu suchen sei, sondern vermutet ihn in einem Proto¬
zoon.
2) Friedmann - Berlin: Experimentelle Studien über
die Erblichkeit der Tuberkulose. Die nachweislich mit dem Samen
direct und ohne Vermittelung der Mutter auf die Frucht über¬
tragene tuberkulöse Infektion. Erste Mittheilung. (Aus dem
hygienischen und anatomisch-biologischen Institut zu Berlin.)
Zur Klärung der Frage, wie die conceptlonelle Uebertragung
der Tuberkulose eines erkrankten Vaters auf die gesunde Mutter zu
Stande komme, experimentlrte Verfasser in folgender Weise. Er
lnjieirte gesunden Kaninchenweibchen direct nach der Begattung
1—2 Tröpfchen einer Tuberkelbacillenemulsion in die Scheide.
Nach 6—8 Tagen tödtete er sie und untersuchte die Embryonen
in lückenlosen Serienschnitten. Ausnahmslos konnte er in diesen
Tuberkelbacillen nachweisen, während die Organe des Mutter*
thleres gesund waren. Hiemit ist der Beweis geliefert, dass Tu¬
berkelbacillen, die mit dem Sperma in die Vagina gelangen, ohne
jede Vermittelung der Mutter in die Embryonen übergehen.
3) Dorendorf - Berlin: Benzinvergiftung als gewerbliche
Erkrankung. (Aus der II. medic. Klinik; Geh.-Itath Gerhardt.)
Zwei Arbeiter aus einer Kautschukfabrik zeigten neben allerlei
nervösen Störungen, die ungefähr dem Bilde einer Hysterie ent¬
sprachen, einen eigenthümliclieu Blutbefund, nämlich Vorhanden¬
sein von ockerfarbenen, auch schwarzen Pigmentkörnchen im
Plasma, in den rothen Blutkörperchen und vereinzelten Leuko-
eyten. Nachforschungen ergaben, dass das in der Fabrik zum
Vnlkanlslren verwendete Chlor-Schwefel-Benzingemisch Ursache
der vorliegenden, durch Inhalation entstandenen Vergiftung war,
und zwar musste man nach dem Resultate von Thierversucheu
annehmen, dass das Benzin der giftige Bestandteil des Gemisches
ist. Chronische Benzinvergiftung ist wahrscheinlich häufiger als
iuan annimmt. Verfasser gelang es, noch zwei weitere Fälle in
der Poliklinik zu Gesicht zu bekommen, ebenfalls Gummiarbeiter.
4) v. Czyhlarz und Marburg- Wien: Beitrag zur Histo¬
logie und Pathogenese der amyotrophischen Lateralsklerose.
(Aus der I. nied. Klinik, Hofrath Nothnagel und dem neuro¬
logischen Institut, Prof. Obersteiner.)
Histologische Analyse eines Falles, der in Folge intercurrenter
Krankheit in einem verhältnlssmässig frühen Stadium zur Sektion
kam. Die Einzelheiten müssen im Original uaehgeleseu werden.
5) Albu-Berlin: Der Stoffwechsel bei vegetarischer Kost.
(Aus dem physiologischen Institut Berlin.)
Mltthellung einer Versuchsreihe an einer Vegetarierin sinnig¬
ster Observanz, die seit 6 Jahren nur von Grahambrod, Obst und
Nüssen lebte. Die Stickstoffzufuhr betrug nur 5.4(1 g pro die
(34.13 g Elwelss). Die Person war allerdings sehr klein uud
schwächlich, so dass pro Kilo 0,9 g Eiweiss trafen. Es ist dies ein
Beispiel eines normalen EiweissstofTweehsels im minimalsten Um¬
fang. wie es bisher noch nicht bekannt war. Interessant ist, dass
die geringe Eiweissmenge durchaus nicht durch eine erhöhte Kohle-
bydratzufuhr compensirt wurde, dagegen war die Fettzufuhr eine
nnverliältnissmässlg hohe.
Auch die strenge vegetarische Lebensweise entspricht den An¬
forderungen der Stoffwechselgesetze noch so weit, dass Leiten und
Gesundheit dauernd erhalten werden können. Es lmt jedoch
dieses Problem nur ein wissenschaftliches, kein praktisches Inter¬
esse. Die vegetarische Kost kann jederzeit durch eine bessere
ersetzt werden und vom mediciniscben Standpunkte aus bestellt
kein Grund, ihr als Ernährung für den gesunden Menschen den
Vorzug zu gelten.
6) Svenson - Kiew: Stoffwechsel versuche an Reconvales-
centen. (Aus der medicinIschen Klinik zu Basel.)
l'm die Art und Weise zu bestimmen, nach welcher sieb der
Kegenerationsprocess während der Reconvalescenz nach akuten
Krankheiten vollzieht, wurden eine Reihe von Stoffwechsel ver¬
suchen ausgeführt. Es wurde der N-Stoffwechsel und auch der
Gaswechsel durch Respirationsversuche bestimmt.
Beim Abdominaltyphus trat nach der Entfieberung eine Herab¬
setzung der Oxydationsprocesse von wechselnder Stärke ein. Der
Kespirationsquotient war niedrig. Nach 10—14 Tagen kam eine
allmähliche Steigerung des Gaswechsels mit hohem Respiratlous-
quotienten. die nach Ablauf der Reconvalescenz allmählich wieder
zu den Normalwerthen herabsank. Bei Reconvalescenteu von
croupüser Pneumonie waren die Verhältnisse ähnlich, aber quanti¬
tativ nicht so ausgesprochen. Die bedeutende Zunahme des Körper¬
gewichtes in der Reconvalescenz erfolgt also nicht in Folge spar¬
samer Wlrthschaft des Organismus, sondern trotz erhöhter Ver-
brennungsprocesse, well die Nahrungsaufnahme auf’s Doppelte und
mehr gesteigert Ist. Der Gesunde würde bei gleicher Nahrungs¬
aufnahme noch mehr zunehmen, als der Reconvulescent. Der
grössere Sauerstoffverbrauch macht sieb nicht bloss im nüchternen
Zustand, sondern auch nach der Nahrungsaufnahme und bei
Muskelarbeit geltend.
Die kurzdauernde Herabsetzung der Oxydationsvorgänge un¬
mittelbar nach der Entfieberung darf nicht als Bestreben, öko¬
nomisch zu wirthschafteu, aufgefasst werden, sondern ist eine
SchwUcheersclieinung.
In der ersten Zeit der Reconvalescenz kann der N-Ansatz durch
vermehrte N-Ausscheidung in Folge von Resorption von Oedemen
oder entzündlichen Exsudaten verdeckt werden. Diese postkritische
negative N-Bilanz ist besonders bei Pneumoniereconvalescenteu
deutlich.
7) T o b i e s e n - Kopenhagen: Ueber den diagnostischen
Werth der W i d a l’schen Serumreaction bei Febris typhoidea.
Die vom Verfasser an 350 Typhuskraukeu gemachten Er¬
fahrungen decken sich mit deu von vielen anderen Autoren ge¬
machten Beobachtungen.
8) II. v. S c h r ö 1 1 e r - Wien: TJeber eine seltene Ursache
einseitiger Recurrenslähmung, zugleich ein Beitrag zur Sym¬
ptomatologie und Diagnose des Offenen Ductus Botalli.
Bei einem angeborenen Herzfehler mit linksseitiger Recur-
renslähmung ergab die Sektion ausser einer Mitral-, Tricuspidal-
uud Pulmonalendocarditis einen offenen Ductus Botalli. Der linke
Recurrens war zwischen diesem und der Aorta eiugezwüugt uud
atrophirt. _
9) A. Kayserling: Die Medicin Alcmaeons von Kroton
(um 520 n. Chr.)
Zusammenstellung alles dessen, was uns von und über Alc-
maeon bekannt ist. Die Bedeutung dieses Arztes der vorhippo-
kratischen Zeit beruht darin, dass er als Erster das Prineip
wissenschaftlicher Forschung auf stellte und Schlüsse nur aus der
unmittelbaren Beobachtung der Natur, nicht auf dem Wege philo¬
sophischer Speculatlon zog. Mit Hilfe anatomischer Unter¬
suchungen entdeckte er deu Zusammenhang zwischen Gehirn uud
Sinnesorganen. Er erklärte deu Ausfall von Sinnesfunktioneu
durch Unterbrechung der Leitung zwischen Gehirn und Eudorgau.
Er stellte Thierexperimente au, um zu sehen, ob die Ansicht seiner
Zeitgenossen richtig sei, dass der Samen aus dem Rückenmark
stamme. Er eonstatirte endlich als Erster das Vorhandensein
zweier verschiedener Arten von Blutgefässen im menschlichen
Körper. Kerscheust einer.
Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 25.
Al. Jarotzny: Zur Methodik der klinischen Blutdruck¬
messung. (Aus dem Peter Paul-Hospitale zu St. Petersburg.!
Verfasser betont die Wichtigkeit der Blutdruckmessungen und
bespricht die verschiedenen klinischen Methoden. Er empfiehlt
deu von Hill uud Harnard konstruiiteil Apparat, welcher sich
durch seine einfache Einrichtung uuszeiclmet uud mit welchem
zu luauipuliren sehr bequem ist. Der Apparat besteht aus einem
ledernen Armband, welches an deu Oberarm ungelegt wird, au
dessen Innenseite ein langes Gummikissen befestigt ist. Wenn
das Armband angelegt ist, so umgibt das Kissen fast rings herum
den Oberarm. Dieses Kissen kommunizirt mit einer Luftpumpe
und mit. eiuem ziemlich grossen Metalimauometer. Nachdem der
Apparat au den Oberarm angelegt Ist, beginnt man mittels der
Pumpe Luft in deu Apparat einzupumpen. In eiuem gewissen
Momente fängt der Zeiger des Manometers an, puisatorisebe Be¬
wegungen auszufüliren. In dem Augenblicke, wo die Pulsationen
des Zeigers ihr Maximum erreichen, entspricht der am Manometer
ubzulesende Druck dem mittleren Arteriendrucke. Erhöhen wir
deu Druck im Armbnude noch mehr, so sehen wir, wie die Ex¬
kursionen des Zeigers sich zu vermindern beginnen und schliess¬
lich ganz verschwinden. Wenn wir jetzt das Ventil öffnen und die
Luft allmählich herauszulassen beginnen, so sehen wir, wie mit
der Abnahme des Druckes wieder Pulsationen erscheinen und
wieder ihr Maximum erreichen. In diesem Momente kauu die
vorher erhaltene Zahl kontrolirt werden. Der Versuch muss schnell
vor sich gehen, wobei der Druck nicht mehr als 1—2 Minuten aus-
geübt werden soll. Die Bestimmung ist ebenso einfach und rascher
wie eine Temperaturmessung ausführbar.
Der Durchschnittswert des Blutdruckes beim Sitzen beträgt
in der Arteria bracbialis ca. 110—130 mm. Bei Nephritiden fanden
sieb die höchsten Zahlen: 160 mm, bei Bielkolik 136 mm, bei Sclnver-
krauken (Pneumonie, Phthise, Peritonitis) 72—94 mm, bei kompen-
sirten Herzkranken 91—102 mm, bei Arteriosklerose 120 mm.
W. Zinn- Berlin.
Archiv für klinische Chirurgie. 64. Bd., 1. Heft. Berlin,
Hirschwald, 1901.
1) S c h J e r n 1 n g - Berlin: Die Schussverletzungen durch
die modernen Feuerwaffen.
Vortrag auf dem 30. Chirurgenkongress. Referat s. p. (591
dieser Wochenschrift.
2) K u k u 1 a: Die Blasennaht beim hohen Steinschnitte auf
Grund bacteriologischer Untersuchungen des Harnes. (Böhmische
chirurgische Klinik Prag.)
Bel weiterer Verfolgung früherer Untersuchungen konnte K.
bestimmte Indicationen für die Naht oder die Drainage der Blase
auf Grund der bacterlologischen Harnuntersuchung aufstellen.
Bei vollkommen sterilem Harn ist die komplete Blasonuaht in
2 Etagen das beste Verfahren; bei Kindern ist die vollständig'*
Hautnabt empfehlenswerte bei Erwachsenen, namentlich fetten
Individuen, die Einführung eines Dochtes auf die Blasonuaht
(wegen der schlechteren Sterllisirbarkeit der Haut). Dauerkatheter
sind womöglich zu vermelden. Bei mit Cystitis komplizirteu Füllen
hängt das Verfahren von dem bacterlologischen Harnbefund ab.
Bei Harninfektionen durch wenig virulente Pilze (die Virulenz ist
durch Thierversuche festzustellen) Ist die komplete Blasennaht zu
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1144 «MUFNCHENF.R MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28.
versuchen; bei Harninfektion durch stark virulente Mikroben ist
die zweizeitige Methode des hohen Blasenschnittes mit Oystopoxis
das sicherste Verfahren. Bei schweren durch Mischinfektion be¬
dingten Cystitiden ist. die zweizeitige Methode nach Vidai de
Cassis, kombinirt mit Cystopexis nach Hasumowski. allein
berechtigt.
Bel allen schweren diphtlieritischen und exfoliativeu Cysti¬
tiden konnten Mischinfektionen naehgewiesen werden.
Seit Befolgung dieser Grundsätze ist die Mortalität der Ope¬
ration von 30 Proe. auf 8 Proe. herabgegangen.
3) Sprengel- Braunschweig: Zur Frühoperation bei akuter
Appendicitis.
Vortrag auf dem 30. Chirurgenkongress. Heferat s. p. 7<i7 dieser
Wochenschrift.
4) T i 1 m a n n - Greifswald: Zur Frage des Hirndrucks.
Vortrag auf dem 30. Chlrurgeukougress. Referat s. p. 734 dieser
Wochenschrift.
5) K rö n 1 e 1 n - Zürich: Beiträge zur operativen Hirn¬
chirurgie.
Vortrag auf dem 30. Chirurgenkongress. Referat s. p. 001 dieser
Wochenschrift.
0) E k eh o r n-Sundsvall (Schweden): Die Brüche des Meckel-
Bchen Divertikels.
Mittheilung eines Falles von Einklemmung eines Divertikels
In einer Schenkelhernie (durch Operation geheilt) und ‘Zusammen¬
stellung von 22 Füllen aus der Literatur. Stürmische Erschei¬
nungen fehlen bei der Einklemmung des Divertikels, ebenso die
Zeichen der Darmocelusion. Die lokalen Entziindungserschei
nuugen treten später und weniger heftig auf als bei Einklemmung
einer Darmschlinge.
7) O e 1 s u e r: Anatomische Untersuchungen über dieLymph-
wege der Brust mit Bezug auf die Ausbreitung des Mamma-
carcinoms. (Anatomische Anstalt Breslau.I
Durch Injektionsversuche l>ei Neugeborenen mittels der
Gerota’schen Methode konnte O. konstant 2 Abzugswege der
Lymphe aus der Brustdrüse nacliweisen: Erstens sendet die Milch¬
drüse mehrere starke Lymphgefiisse zu der Gruppe der Glandulae
lymph. ant., die am lateralen Pectoralisraud gelegen ist. und dann
weiter durch die Gl. subpectorules und subelaviae zum Truncus
si'belavius, der in den Angulus venosns einmündet; zweitens be¬
gleiten ebenfalls normale, aber viel schwächere L.vniphstriing-
diejenigen Blutgefässe, welche die Interkostalmuskeln hart am
Sternum im 1. und 4. Interkostalraum durchbohren, ln's Thorax¬
innere und erreichen die Glandulae sternales; sie entsprechen «len
von Hcidenhain und Kotter beschriebenen und mit Car-
einomzellen embolisirt gefundenen Lymphgefiissen der Brust-
musculatur. Im Peetoralis luajor wurzelude Lymphgefiisse konn¬
ten nicht nachgewiesen werden.
8t B i 1 f i n g e r: Zur Frage von der Entstehung der trau¬
matischen Hernien. (Hospital z. iii. Geist in Sehwäb.-Gmüud.i
Ein 18 jähriger Mann wurde vom Home eines Ochsen in die
Fnterbauchgegend getroffen. Sofort nach der Verletzung fand sich
dicht über «lern Llg. Poup. in der Mitte zwischen Symphyse und
Spina a. s. ein für 3 Finger dureltgängiger Riss in der Baucli-
niusculatur bei unversehrter Haut, durch den sieh beim Husten
eine günseeigrosse Hernie vordrängte. Bei der Operation zeigte
sieh Musculatur, äussere und innere Fasele eingerissen, das Peri¬
toneum intakt; der Bruchsack konnte durch Zug leicht auf das Dop¬
pelte vergrössert werden.
int Anschluss an die Zusammenstellung einiger ähnlicher Fälle
aus der Literatur folgert B„ dass echte traumatische Hernien nicht
so ganz selten seien und dass sie auch an den natürlichen Bruch¬
wegen bisweilen vorkämen, obgleich das letztere nicht sicher er¬
wiesen esi. Die traumatischen Hernien entstehen nur durch dl recte
schwere Gewaltein Wirkungen an der Stelle, wo die Gewalt «'in¬
gewirkt hat.
0) v. Bruns und II o n s e 11 - Tübingen: Ueber die Anwen¬
dung reiner Karbolsäure bei septischen Wunden und Eiterungs¬
processen.
Vortrüge auf dem 30. Chlrnrgenkongress. Referate s. p. 08.4
u. 090 dieser Wochenschrift.
10) Braun- Leipzig: Ueber Mischnarkosen und deren ratio¬
nelle Verwendung.
Vortrag auf dem 30.Chimrgenkongress. Referat s. p. 724 dieser
Wochenschrift.
11) B 1 e r - Greifswald: Weitere Mitthellungen über Rücken-
marksanaesthesie.
Vortrag auf dem 30.Chirurgenkongress. Referat s. p. 724 dieser
Wochenschrift.
.12) Kleinere Mittheilungen.
Tschudy - Zürich: Ueber Behandlung akuter Tracheal¬
stenose durch Trachealintubation.
Bei «1er Operation einer riesigen Struma wurde beim Heraus¬
wälzen des Tumors plötzlich die Trachea verlegt; bei der Unmög-
keit, zur Tracheotomie an die Luftröhre heranzukommen, wurde
per os eine weiche Magensonde in «li«* Trachea eingeführt, mit
gutem Erfolge. H e i u e k e - Leipzig.
Centralblatt für Chirurgie. No. 25.
No. 25. B a 1 a c e s c u - Bukarest: Sofortige Cystorrhaphie
nach der Sectio alta (suprapubica).
B empfiehlt aus Th. Jonneseo’s Klinik eine Methode, die
er Cystorrhaphie par Imbrieation nennt, und die nach entspre¬
chender 8-—6 tägiger Vorbereitungskur (Snlol oder Urotropin inner¬
lich und Binsenspülungen mit 1:2000 Kali liypermang.-, glelcb-
zeitig mit 1:5000 Argentum nitrie.-Lüsung, Bad. Entleerung des
Rectums. Abrasiren und lokale Desinfektion) wie folgt ausgeführt
wird: Es wird zunächst die Blase nochmals mit Bor oder Arg.
nitr. 1 prom. während des Narkotisirens ausgespült und ganz ent¬
leert. sodann 6—10 cm lang an «1er Symphyse durch Haut und die
Linea alba ineidirt, wonach man unter Auselnaiulerziehen der
Muse, reeti und Durchtrennung der dünnen Fascia tranv. in den prü-
veslcalen Raum gelangt, das lockere Fettgewebe mit 3 Fingern in
der Richtung des oberen Wundwink«*ls abhebt und die Umschlags-
falte «les Bauchfells ln den oberen Wundwinkel zieht. Hierauf
löst man das Peritoneum von dem Vertex und ein wenig von der
hinteren Wand der Blase ab. so dass die Blase mit 2 Catgut-
scltllngeu oder Häkchen mit grosser Leichtigkeit zwischen
die Hautwundränder in die Höhe gezogen werden kann
(eine Ablösung der Blase von der hinteren Wand der Sym¬
physe \vir»i nicht vorgenommen). Unter Besehiitzung der Bauch-
wunde «lurcli kleine steril«» Kompressen wird nun 2. die Blas«*
durch «*in«> 4 cm lang«* Incision «ier Vertex schichtweise ge¬
öffnet. die Blasenwunde möglichst hoch gelullten und mit dem
r. Zeigefinger nbgetastet. je nach Bedürniss zur Entfernung eines
Steines etc. mit der Seheere erweitert; 3. wird der der linken Seite
des Operlrten entsprechende Wumlrand der Blase mit Daumen
und Zeigefinger erfasst und so nach uuss«*u umgeschlagen, dass
er zu einem mit der Mucosa nach aussen schemlen Lappen wird,
von dem nun durch 1— ly, cm vom Lnppenrand geführte Incision
die Mucosa abgetragen wird. Hierauf wird zunächst die Mucosa
vom unteren RInsenwundwinkel mit Cat gut No.O oder 00 fortlaufend
vernäht, dann die Naht des Muskellappens ebenfalls von unten
an mit Catgut No. 0 und gerader Nadel in der Welse ausg«*fiihrt.
dass man letztere in die Muskellappenbasis von nussen einsticht,
durch die Basisdicke weiter führt und in «1er Basis wieder aus-
stieht. auf der anderen Seite in 3—4 mm Entfernung vom Wuml-
rnnd von innen in die Muscularis wie«l«*r einsticht, die Nadel eben¬
falls durch die Muscularisdieke welterfülirt und aussticht und nun
die Na«l«*l in einen« Nebenabstande von 5 mm von Neuem in die
Miiskellnppcubasis ein-, durch die Basisilioke weiter und dann auch
liier ausstiebt (worauf die Schlinge angezogen und auf der Aussen-
seit«» «les Muskellappens geknotet wird) und so wird mit dem ab-
gesohnittenen Faden weiter eine fortlaufende Naht angelegt, die
den Museulariswuudraud der einen Seite an der angefrisebteu Basis
des Muxkellapi>ens der anderen Seite bis zum oberen Winkel be¬
festigt, wobei hauptsächlich die beiden Blasen wund Winkel genau
sebliessen müssen, zu welchem Zweck »lie erste Schlinge dieser
Naht zunächst die etwas unterhalb des untereu WnmlWinkels ge¬
legene Muscularispartie erfasst und dort geknotet werden muss,
damit «l(»r Wundwinkel unter «lein Musk«*llapp«*n zu liegen kommt,
während beim oberen Wundwinkel die etwas oberhalb desselben
gelegt no Muscularispartie gefasst und hierauf geknotet wird.
Schliesslich wird der Muskellappen wie eine Art Deckel über dies«*
Nnlitreihe gelegt und an der Blasenwandpartie, auf welcher der¬
selbe ruht, fixirt. wobei man ebenfalls am unteren Winkel beginnt,
di * Nadel nach Art einer Le mlier l’schen Naht, in die Blasen-
wandmnseularis ein- und aussticht und so fortlaufend vernäht,
so «lass die blutende Fläche des Muskellappens mit der Blasenwand
in innigste Berührung kommt und die letzte Naht reihe vor Allem
die Mundwinkel vollständig ls*tl«»ckt. Di«* Bauch wunde wird mit
der .1 o n n e s e «»'sehen Naht geschlossen. Verband angelegt und
gl(*ich darauf die Blase mit Bor 4 proe. oder Arg. nitr. 1 prom. aus-
gespiilt und «lie nächste Woche entweder 3 mal täglich mit Nelaton
katheterisirt oder Verweilkatheter 1 «»lassen oder am häufigsten
lässt B. die Patienten von Anfang an «lie Blase spontan entleeren.
Bel normalem Verlauf wird «1er erste Verband erst nach S Tagen
g«*w«'chselt. B. erzielt«* mit dieser Methode 11 rasche Heilungen
und vindicirt ihr (gegenüber der Etagennnhti die meiste Sicherheit,
da der ParallelIsmus zwischen den einzelnen ang.-nähten Schichten
der Blasenwundränder dabei zum Verschwinden kommt und einer
eventuellen Urininfiltration viel grüxs«*rer Widerstaml entgegen¬
gesetzt wird, auch den Patienten von Anfang selbständiges Urluiren
gestattet werden kann. B. sieht durch die b«*tr«»flf**nde Methode
den Wunsch naclr einer idealen Sectio alta erfüllt.
No. 2G. F. C o 11 e y - Insterburg: Ein Versuch, die Behand¬
lung der Fseudarthrose zu vereinfachen.
<\ empfiehlt Im Hinblick auf einen Fall von Vordenirmpseinl-
arthrose, in dem die wegen Verdachts maligner Neubildung vor-
genointuene Probeincision einen schweren Anfall von Delirium
tremens zur Folge hatte und C. sich desshalb zu einer eingreifenden
Operation nicht entschlossen konnte, die Injektion eines aus¬
gekochten, dünnflüssigen Breies von pulverlsirter, im Glühtopf
frischgebrannter Knochenasche mit Gummi arabicum und destil-
lirtem Wasser, von welcher Masse C. in dem betreffenden Fall
von 4 zu 4 Wochen je 10 ccm injiclrte, so dass nach der fi. Iujee-
tion feste Consolidntion erzielt war. C. verweist auf spätere, nach
Abschluss dev betreffenden Thierversuche zu erstattende nähere
Publlcation.
H. S c h 1 o f f e r - Prag: Zur Technik der Phimosenoperation.
Da die gewöhnliche CIrcumcisionsmethode den Nachtheil einer
gewissen Verstümmelung, die Dorsalineision (Roser) einen cos-
metIschen Nachtheil (Hcrabhängen der Vorhautlappen) hat, sucht«*
Sch. diese Nachtheile durch eine In der letzten Zelt öfters aus-
gefiihrte Operationsmethodo zu umgehen, indem er die Incision
durch das äussere Blatt unter Spannung der Penishaut gegen die
Wurzel hin schräg ausführte und dann die Durehtrennung des
inneren Blattes nach der anderen Seite ebenfalls schräg ausführte
oder nachdem er zuerst den Phimosenring einige Millimeter weit
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9. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
1145
sagittal eingekerbt, dann erst die SchrUgschnitte ausführt; der
sehnige Wuurispalt legt sich daun hinter den Sulcus coron. quer
ln Gestalt eines verzogenen Rhombus und wird (nach Spaltung
etwa sieh anspannender Gewebsstrange) vernäht. Nach der Naht
ist das l'raeputium an der Vorderseite der Glaus etwas verkürzt,
genügt aber zur Bedeckung. Die Erweiterung ist eine vollkom¬
mene, d. li. die Phimose beseitigt. S e h r.
Archiv für Kinderheilkunde. 31. Bd., 5. u. 0. Heft.
K. O p p e n h e i m e r - München: Ueber Säuglingsemährung
durch unverdünnte Milch.
Verfasser schildert seine guten Resultate, die er durch Er¬
nährung mit Vollmilch hei !>1 Säuglingen erhielt; davon war der
grösste Theil länger als 4 Woehen unter Beobachtung, darunter
gesunde, mageu-darm kranke mul atrophische Kinder. Gereicht
wurde die Vollmilch manchmal schon von der 3. und 4. Leliens-
wi.che an. O. gibt an. die Zunahme der mit Vollmilch genährten
Kinder sei. grösser als die von O iimorer-Bledert für künst¬
lich genährte Kinder überhaupt berechnete; dabei wurde ein sehr
guter Allgemeinhabitus. namentlich starke Musculatur. erzielt.
Obstipation vermieden. Wichtig ist. (lass mau nur allmählich zur
Vollmilch übergeht, und die Zahl der Mahlzeiten wie auch das
Tagesquantuin nicht zu gross sei. Verfasser fordert zu weiterer
Nachprüfung der Ernährung mit Vollmilch, als sehr einfach zu
I «reitender Nahrung, auf; zahlreiche Tabellen und Kurven illu-
striren seine Ergebnisse.
A. Baginsky: Ueber die Indicationen und Contraindi-
cationen des Aderlasses bei Kindern. (Referat, gehalten in der
Sektion für Therapie auf dem XIII. Internat, medie. Congress in
Paris.)
B. kann zur Zeit nur 2 strikte, vitale Indicationen für den
Aderlass aufstellen: I.ebeusbedrollende Zustände, die den Blut¬
kreislauf hindern, besonders durch Ueberfiillung des rechten
Herzens; ferner Ueberladung des Blutes mit chemischen Zerfalls¬
produkten, die als Giftstoffe wirken und so namentlich (las Ontral-
nervensystem schädigen können. Dies sind die Folgen einerseits
von Pneumonien, eapillüron Bronchitiden, Herzfehlern, anderer¬
seits von Gehirnhyperaemieu. Nephritis mit üraemie. Contraindi-
cation für den Aderlass gelten chronisch-hydraemische Zustände
fiel Tuberkulose und Lues, schwere Digestionsstörungen und akute
Infektionskrankheiten. Die Technik des Aderlasses weicht von
der bei Erwachsenen nicht ab.
Giovanni Berti- Bologna: Die Theorie von Haushalter
und Thiry über die Blutknötchen der Herzklappen Neu¬
geborener.
Controverse Uber die Anatomie der in Frage stehenden Blut-
knüteben, welche nach Verfasser echte Gefässektasieu und Blut¬
cysten sind, während sie nach der Theorie von H. und Th. erst
durch die systolischen Stösse des Ventrikels zu Stande kämen.
R. F i s c h 1 - Prag: Neueres zur Pathogenese der Rachitis.
Umfassende, Interessante Abhandlung, welche ein übersichtliches
Bild über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Rachitis
albt und ihre ganze Pathogenese kritisch beleuchtet. Viele der ge¬
läufigen Angaben über die englische Krankheit werden dabei als
unrichtig erwiesen und die Pnzuläuglichkeit der verschiedenen,
auch neuesten Hypothesen über das Zustandekommen der Rachitis
dargethan; es ist daraus zu folgern, dass eine befriedigende Er¬
klärung über die Natur dieses Leidens (1er Zukunft Vorbehalten
bleibt. Lichtenstein - München,
i?
_, Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 29. Bd.,
2. Heft. 1901.
8» J. v. K (> s s a: Ueber die im Organismus künstlich erzeug¬
baren Verkalkungen. (Aus dem pliarmakolog. Institut der Ofen-
IVster k. ungarischen thierürztl. Hochsehule.)
Der nach dauernder Unterbindung des Nierenhllus (Gefässe
und Ureter) Im Rindengebiet der Niere auftretende Kalk stammt
nach K. aus dem (Jewebssaft der die Niere umgebenden Gewebe
und dringt durch die permeabel gewordene Nierenkapsel hindurch
in die Nierenrinde ein. Die gleiche Caleinifikation kann man auch
experimentell durch gewisse chemische Einwirkungen erzielen;
*o nicht nur (wie man früher allein annahm) bei Vergiftung
mit Sublimat, sondern auch bei Einverleibung von A 1 o 1 n ,
B i b m u t h. subiiitricum. P b. a c e t i c u m und. wie Verf.
nachweist, bei subkutaner Applikation von Cupr. sulfu r., sowie
•Tod. Bei Jodoform fand K. eine ausgedehnte Verfettung
und Verkalkung ln der Leber (!). während die Nieren frei waren.
Die hochgradige Empfindlichkeit der Kaninchen bei diesen
Versuchen beruht nach K. einerseits auf einer grösseren Empfind¬
lichkeit der Harnkanälchenepithelieu und andererseits auf dem
grösseren Kalkgehalt des Kaninchenblutes.
F. Wechsberg: Beitrag zur Lehre von der primären
Einwirkung des Tuberkelbacillus. (Aus dem S e u c k e n b e r g -
sehen Institut zu Frankfurt a. M.)
Nach kritischer Sichtung der einschlägigen Literatur berichtet
W. über seine an Kaninchen unternommenen Experimente (intra¬
venöse Injektionen hochvirulenter Reinkulturen-Einulsionen). Aus
den mikroskopischen Befunden entnimmt W.. dass die spezifische
Wirkung der Tuberkelbaeillen zu einer primären Sc h ii d i •
gang der umgebenden Zellgebilde wie der Zwlschensubstnnzen
führt (nach Ba u rn garten ist das erste Moment der formative
Reiz anf die fixen Gewebszellen), die erst sekundär durch Fort¬
fall der Widerstünde (Weigert) eine Wucherung der vorhan¬
denen fixen Elemente auslöst. Dass dieses neu gebildete Gewebe
weder Gefässe führt noch zum fertigen Bindegewebe wird, son¬
dern zumeist der Verkäsung anheimfällt, darin Ist ebenfalls die
spezifische Wirkung der Tuberkelbaeillen zu erblicken. — Auf¬
fallend ist bei den vorliegenden Untersuchungen die frühzeitige Be¬
einträchtigung der elastischen Fasern der Gefässwandungen am Ort
der Bacillenablagerung (schon 0 Stunden nach der Injektion).
10) S. S a 11 y k o w: Beitrag zur Histologie der Entzündung
der serösen Häute. (Aus dem patholog. Institut zu Marburg.)
Die vorliegende Arbeit bringt in dieser schon viel bearbeiteten
Frage nichts wesentlich Neues; auch S. bestätigt, dass das Fibrin
an der Oberfläche der serösen Häute das Produkt einer Exsudation
ist und nicht durch fibrinoide Degeneration des Bindegewebes der
Serosa entstellt.
11) E. V. Knape: Ueber die Veränderungen im Rücken¬
mark nach Resektion einiger spinaler Nerven der vorderen
Extremität mit besonderer Rücksicht auf die Lokalisation
der motorischen Kerne dieser Nerven. (Aus (lein pntlmlog. In¬
stitut der Universität zu Helsingfors.)
K. resecirte an ganz jungen Hunden möglichst grosse Stücke
der betr. Nerven (TJlnaris. Medianus. Radialis); die anatomische
Untersuchung, die theils bald (20 Tage) theils spät (4(4 Jahre) nach
der Operation vorgenominen wurde, ergab im Rückenmark eine
durch Atrophie bedingte Verminderung der grauen Substanz und
zwar am ausgesprochensten im Gebiet des Hinterhornes. dann im
Zwischentheil und am wenigsten im Vorderhorn. N1 e sah K.
degeneratlve Prozesse im Rückenmark, wie sie von anderen
Autoren beobachtet wurden: dieselben treten nach K.'x Experi¬
menten hauptsächlich dann ein. wenn die betr. Nerven nicht re-
seclrt, sondern ausgerissen werden, und sind demnach wohl durch
mechanische Insulte bedingt, besonders wenn in der Nähe des
Rückenmarks operirt wurde.
Bezüglich der Schlüsse des Verf. auf die Lage der motorischen
Kerne der betr. Nerven muss auf das Original verwiesen werden.
12) R. Heinz: Ueber Blutdegeneration ufad Regeneration.
(Aus dem pharmakolog. Institut der Universität. Erlangen.)
Die vorliegende umfangreiche Arbeit sohliosst sich an frühere
Untersuchungen des Verf. (Virch. Arch. Bd. 122» an: sie erstreckt
sich auf die Vertreter der I» Wirbelthierklassen (Kaninchen. Huhn.
Eidechse, Frosch, Karpfen) und beschäftigt sicli im I. Theil mit
den morphologischen Veränderungen der rothen Blut¬
körperchen. wie sie durch Injektion der verschiedenen Blntgifle
bewirkt werden. Der II. Theil enthält die Schicksale der
durch die Blutgifte veränderten rothen Blutkörperchen: dieselben
verschwinden nämlich nach einer bestimmten Zeit völlig aus dem
Kreislauf und ihre Derivate finden sich beim Kaninchen. Huhn.
Frosch und Eidechse in der Leber, Milz und Im Knochenmark ab¬
gelagert vor. beim Karpfen, wo der Prozess der Ablagerung sehr
langsam vor sich geht, fast nur in der Milz. Zugleich mit dem
Untergang findet eine mehr oder weniger rege Neubildung
von rothen Blutkörperchen statt, mit der sich der III. Theil der
vorliegenden Arbeit beschäftigt. Die Stätte der Neubildung ist
bei dem Kaninchen. Hulin. Frosch und Eidechse das Knochenmark
und zwar das sogen. Erythroblastengewebe desselben, beim Karpfen
findet die Regeneration derselben in der Kopfniere statt. Der Er¬
satz ist am raschesten heim Hulin beendet, sehr langsam vollzieht
er sich beim Frosch und Fisch. — Bezüglich der Einzelheiten muss
bei der umfassenden Arbeit auf das Original verwiesen werden.
Hermann Merkel- Erlangen.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 26.
1) O. Moeli: Ueber die Familienpflege Geisteskranker.
Die unter psychiatrischer Aufsicht, gedachte Familienpflege
bietet für gewisse Kategorien von Geisteskranken Vorzüge vor der
Anstaltsbehandlung in der vermehrten Anregung und der Er¬
haltung von für die Persönlichkeit wichtigen psychischen Vor¬
gängen. unter genügendem Schutz vor Schädlichkeiten. Sie kann
an die Anstaltsbohnndlung sich anscliliessen oder von den An¬
stalten aus geleitet werden. Die Familienpflege kann zur Be¬
seitigung unrichtiger Vorstellungen über Geisteskrankheiten bei¬
tragen und beim Unterricht in der Psychiatrie hernngezogen
werden. Für die umfangreichere Entwicklung einer von den An¬
stalten ganz losgelösten Familienpflege fehlen noch ganz wichtige
Bedingungen, vor Allem eine behördliche Aufsicht durch fach¬
männisch gebildete Aerzte. Die Familienpflege ist besonders in
Schottland schon in grösserem Maasstnbe durchgeführt, aber auch
in kleinerem Umfange schon in anderen Ländern, auch ln Deutsch¬
land in Anwendung gezogen.
2) B a o 1 z - Tokio: Ueber vegetarische Massenernährung und
über das Leistungsgleichgewicht.
Ofr. Referat über die Sitzung der Herl. med. Goselisch, am
20. März 15)01 in No. 13 der Müneli. med. Woehenschr. 1001.
3» H. S a 1 o m o nsohn- Berlin: Ueber einseitige Innervation
des Stirnmuskels bei doppelseitiger totaler Oculomotorius¬
lähmung. Eine neue Ptosisbrille.
Ofr. Referat pag. 1040 der Münch, med. Woclienschr. 1001.
Der Artikel bringt auch eine Abbildung der beschriebenen Brille.
■1) B. Le wy-Berlin: Rhinologische Mittheilungen. (Mit
Demonstratiou.)
L. demonstrlrte Schnitte einer hypertrophischen Schleimhaut
der rechten unteren Muschel einer Patientin, welche an einer von
der Nasenschleimhaut aus ausgelösten Reflexneurose gelitten hatte.
Die Erscheinungen verschwanden nach Beseitigung der polypösen
Wucherung des Naseninnem. Das betreffende Schleimhautstiiek
zeigte einen ungewöhnlich grossen Reicht hum an Nerven. 2. Prä-
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1146
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
parat: Nasenpolypen mit Charcot-Leyde n’ sehen Kristallen,
welche Verfasser auch zu färben vermocht hatte. 3. Präparat:
hyaline Ablagerungen in der Nasenschlei mkaut, L. verwirft die
Meinung, dass es sich hier um Parasiten handeln könne.
5) A. N o 1 d a - Montreux: Zur Tannoformbehandlung der
Nachtschweisse der Phthisiker.
Bei 12 Kranken hat Verfasser den von Strasburger ge¬
machten Vörschlag, die Nachtschweisse mit Tannoforra zu be¬
handeln. mit recht gutem Erfolge nacligeprtlft. Bei 8 leichteren
Fällen verschwand der Schweins nach einigen Einreibungen gänz¬
lich mit Ausnahme eines einzigen. Bei den 4 übrigen schwereren
Fällen erfolgte bei einem nur eine Besserung, bei 3 aber ein Ver¬
schwinden der Schweissbildung; besonders zu bemerken aber ist.
dass bei diesen Letzteren mit dem Verschwinden des Schweisses
auch das Fieber aufhörte. Den Einreibungen mit dem Tannoform-
Talkpulver geht zweckmässig eine Waschung mit Franzbrannt¬
wein voraus. Grass mann - M buchen.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 2t». 1) G. Riehl- Leipzig: TJeber den Einfluss der Be¬
handlung syphiliskranker Mütter auf das Schicksal des Foetus.
Verfasser gibt zunächst statistische Zusammenstellungen
aus den Erfahrungen verschiedener Autoren, aus denen hervorgeht,
dass die Kinder syphiliskrnnker Mütter in einem sehr hohen Grade
durch die Erkrankung der Mutter gefährdet sind und dass auch
eine Allgemeinbehandlung an diesem Verhiilniss nicht sehr viel zu
ändern pflegt. Da der Tod oder die Erkrankung der Frucht häufig
von der syphilitischen Erkrankung des Uterusinnem abhängt, be¬
sonders der Decidua oder Placenta, versuchte Verfasser durch eine
lokale Behandlung des Uterus einen Einfluss auf den Verlauf zu
gewinnen. Er ging in der Weise vor. dass er Vaginalkugeln
mit 1 g Quecksilbersalbe in die Vagina und vor den äusseren
Muttermund brachte und diese Behandlung möglichst während der
ganzen Zeit der Schwangerschaft fortsetzte, daneben aber auch
noch eine Allgemeinbehandlung durchführte. Der Erfolg war ein
unerhofft günstiger, indem bol 33 Fällen sich eine Mortalität von
nur 12 Proc., eine Morbidität von nur 21 Proc. ergab, also weit
bessere Resultate, als sie bisher sich erzielen Hessen. Den gün¬
stigen Erfolg glaubt Verfasser auf Rechnung speciell der lokalen
Behandlung setzen zu dürfen. Verfasser fordert zu Nachversuchen
in der eingeschlagenen Richtung auf.
2) C. H o e d 1 m o s e r - Wien: TJeber eine eigentümlich
lok&lisirte Arthropathie bei einem an Syringomyelie und gleich¬
zeitiger Hypoplasie des Genitalapparates leidenden Individuum.
Bei dem 59 jährigen Patienten, bei dem die Diagnose der
Syringomyelie auf Grund der vorhandenen Atrophien und Sensl-
bilitätsstörungeu einem Zweifel nicht unterliegen konnte, ent¬
wickelte sich eine Luxation des acromialen Eudes der linken
(’lavicula, sowie eine Perforation des Acromio-Claviculargelenkes
dieser Seite, was H. auf ein primäres Ergriffensein des Band¬
apparates durch troplioneu rot lache Einflüsse zurückführt. In
diesem Falle war die Atrophie des Bandapparates von vollständige]'
Loslösung der Clavicula vom Acromlou gefolgt. Die hypoplastische
Beschaffenheit der Genitalien des Patienten darf wohl ln entwick¬
lungsgeschichtlichen Zusammenhang mit der Gllose des Rücken¬
marks gebracht werden.
3) K. S t e r n b e r g - Wien: Kasuistische Mittheilungen.
Die erste derselben betrifft eine 60 jährige Frau, bei welcher
ein maligner Nebennierentumor in die Nierenvene eingedrungen
war. in dieser und durch die unten» Hohlvene fortwuchs und so
bis ln den n*chten Vorhof gelangte. Klinisch traten hauptsäch¬
lich Ascites und Ikterus hervor. Im 2. Fall war bei einer 70 jiihr.
Pfründneriu ein Careinom des linken Leberlappens durch die Leber-
veue und untere Hohlvene bis in das rechte Herz gewachsen. Die
Geschwülste endigten in beiden Fällen im rechten Vorhof. in Form
einer der Venenmündung frei aufsitzenden Geschwulst. Besonders
der 2. Fall stellt eine grosse Seltenheit dar. Verfasser referlrt
noch über ähnliche in der Literatur beschriebene Fälle.
Grassmann - München.
Italienische Literatur.
Feruccio Schupfer: TJeber Myoklonien.
Eine erschöpfende, durch vielfache Beobachtungen illustrirte
und eine Menge neuer Anschauungen bietende Febersicht ver¬
öffentlicht in der März- und April-Nummer des Polielinico 1901
der römische Autor über das obige noch der Klarstellung bedürftige
Krankheitsgebiet. Wir wollen im Folgenden die wichtigsten
Punkte der Arbeit andeuten:
Die Myoklonie. welche nicht als abgegrenzte Krankheits-
form sui generis zu definiren ist, darf nur als ein Krankheits¬
symptom angesprochen werden, welches bei den verschiedensten
Krankheiten auftreten kann, sowohl als Kontraktion einzelner
Muskeln als ganzer Muskelgruppen, wie auch als Kontraktion
einzelner Muskelfibrillen und Muskelbündel.
Auch die Myok.vmle, welche manche Autoren scharf von
der Myoklonie trennen wollen, ist als eine besondere Form der
Myoklonie aufzufnssen.
Eine eigenthümliche Form von Myoklonie bietet die Fhorea
Dubini. Als wichtige Unterscheidungsmerkmale werden angesehen
folgende:
Sie ist nicht familiär, aber endemisch. Sie befällt vorzugs¬
weise Individuen vom 7. bis 20. Jahre, verschont aber auch solche
vorgeschritteneren Alters nicht. Sie zeigt die Prodrome einer In¬
fektionskrankheit, darauf Fieber, Milztumor, Albuminurie u. s. w.;
sie nimmt einen akuten fast immer letalen Verlauf, und. wenn
Heilung erfolgt, so ist diese eine vollständige. Die elektrischen
Stösse ergreifen für gewöhnlich nur die eine Körperhftlfte und die
epileptlformen Konvulsionen begleiten die Muskelvibrationen,
gehen ihnen aber nicht vorher wie bei den Myoklonien.
Die Chorea Dubini und die Myoklonia TJnverricht scheinen
nicht identisch, vielleicht ist die eine die akute, die andere die
chronische Form des gleichen Krankheitszustandes.
Die familiäre epileptische Myoklonie ist. wenn auch in den
Symptomen ähnlich, doch nicht identisch mit der Dübln l’schen
Chorea: beide können sich ln endemischer Weise präsentiren und
beide sind wahrscheinlich toxischer oder infektiöser Natur: bei
beiden sind dieselben Partien des Nervensystems ergriffen.
Im Febrigen gehören von den Fällen, welche von verschie¬
denen Autoren unter dem Namen Paramyoklonus multiplex ver¬
öffentlicht sind, einige zur Chorea, andere zu den Formen von
Tic convulsiv, andere zur Hysterie, andere zu den rhythmischen
Spasmen, welche vielleicht auch hysterischer Natur sind, andere
zur Neurasthenie, andere zu verschiedenen Krankheiten, welche
Laesionen der Cerebrospinalachse betreffen, wie Laeslonen der
Roland’scheu Zone, die spinale Muskelatrophie, die chronische
Poliomyelitis, die Syringomyelie. Noch andere gehören endlich
zu den verschiedenen Psychosen.
Nur wenige Fälle gibt es, welche man nicht In schon bekannte
Krankheitsformen unterbringen kann; al>er. da es sich bei diesen
nicht um eine vollkommene Uniformität dev Symptome. Ursachen
etc. handelt, so darf bezweifelt werden, ob sie als besondere Krank¬
heitsform unter dem Titel essentieller Paramyoklonus aufzufassen
sind. Einige dieser Fälle präsentiren sich in Folge von Infektions¬
krankheiten: Malaria. Diphtherie, Typhus und sind wahrscheinlich
toxischer Natur wie die bei Uraemle. Blei- und QueeksUberintoxi-
kntion beobachteten Myoklonien.
F o r n a c a: Chorea nach Erysipel.
Die Wichtigkeit der pyogenen Mikroorganismen für die Ent¬
stellung der Chorea ist vielseitig anerkannt. Erst nach Einführung
der Lumbalpunktion ist es möglich, diesen Zusammenhang sicher-
znstellen. So konnten in zwei Fällen in der medicinischen Klinik
zu Turin Staph.vlococcen im Liquor cerebrospinal, nachgewiesen
werden. In einem dritten Falle von Erysipel, wo Chorea hinzutrat
und unter heftigen Erscheinungen einsetzte, hatte die Lumbal¬
punktion nicht nur einen günstigen therapeutischen Effekt auf
die unruhigen Bewegungen und die Schlaflosigkeit, sondern sie
ergab auch in der ausgezogenen Flüssigkeit die Anwesenheit von
Streptococcen, allerdings von geringer Virulenz, welche aber als
für die Chorea aetiologisch angesehen werden mussten. Bereits
vorher waren Streptococcen im Blute wie im Urin nachgewiesen
worden.
F. führt die Statistik von T r i b o u 1 e t an. welcher feststellte,
dnss in einem Drittel aller Fälle von Choren eine fieberhafte Krank¬
heit vorhorgegnngen sei und zwar habe es sich in erster Linie
um Scharlach, in zweiter um Masern, in dritter um Erysipel ge¬
handelt. Vielleicht, sind bei allen drei Infektionskrankheiten pyo¬
gene Pilz«> die aetiologi8chen Agentien der Chorea,
Zum Beweise dieser Behauptung ist allerdings noch eine
längere Reihe von Lumbalpunktionen erforderlich. (Rif. med. 1901.
No. 74.)
Pellegrlnl: TJeber die Wirkung des Nitroglycerins bei
Epilepsie.
Dieselbe soll nach den Versuchen des Verfassers In einem
grossen Provlnzial-Epileptikerhause derjenigen des Broms vorzu¬
ziehen sein, mindestens aber mit ihr konkurriren können und zu
einer altemlrenden Behandlung mit der Bromtherapie auffordern.
Tnconvenienzen will P. bei der Behandlung (die Dosis betrug 2 bis
10 Tropfen einer alkoholischen 1 proc. Lösung pro die und in
Wasser gegeben oder auch subkutan) im Gegensatz zu anderen
Autoren nie gesehen haben.
Die kurze Abhandlung P.’s stellt ausserdem die Literatur über
die Wirkung des Nitroglycerin kurz zusammen, aus der hervor¬
geht. dass angioneurotische und anglospastlsehe Zustände, ferner
Gefässerkrankung wie Arteriosklerose, auch Depressionszuständo
der Herzthätigkeit zur Wirkungssphäre des Mittels gehören.
F i e 1 d war der Erste, welcher Nitroglycerin nicht ohne Er¬
folg bei epileptischen Zuständen verwandte. (Rif. medlca 1901.
No. 82.)
M o r t i und P 1 a n c h e r: TJeber experimentelle H&emo-
globinurle nach Harnstoffinjektion. (11 Morgagni. April 1901.)
Die Autoren erzielten durch subkutane, besser noch durch
intravenöse Injektion von Urea Haemoglobinurie mit nachheriger
mehr weniger lange dauernder Albuminurie bei Kaninchen. Tn
den Nieren kam es zu Blutungen in die Glomerall wie in die Tubuli:
trotzdem blieb die Harnstoffausscheidung eine reichliche und dem¬
entsprechend auch die Wasserausscheidung. Eine diuretlsehe Wir¬
kung der Urea scheint aus diesen Experimenten hervorzugehen:
auch noch längere Zelt nach einer Injektion bleibt die Wasser¬
ausscheidung durch die Nieren vermehrt. Bel den Thieren erwies
sich 7 g als eine sicher tödtllche Gabe.
G a h b i und N a d a 1 Ä: TJeber die haemolytische Eigen¬
schaft des Blutserums von Ankylostomakranken. "
Die Autoren fanden bei ihren Blutuntersuohungen an Ankylo¬
stomakranken. dass 8 ccm des Serums genügen, um bei Kaninchen
eine schwere Haematurio zu bewirken. Von 6 Kranken zeigten
5 dieses Phänomen; hei einem, welcher noch im Anfang der Krank-
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MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
9. Juli 1901.
beit starnl, waren 11 ccm not h wendig. Das Llclit hat keinerlei
Einfluss auf diese Eigenschaft des Serums; sie erhält sich mehrere
Tage und ist nur in vitro nachweisbar.
Schon früher hat ein Italiener, L u s s a n o , auf diese haemo-
lytiselie Eigenschaft des Blutes bei Ankylostomiasis hingewiesen,
löozzetta degli osped. etc. 1001, No. 48.)
Guizettl: Ueber die Biologie des Typhusbacillus im
menschlichen Körper.
Aus dein pathologisch-anatomischen Institut von Parma ver¬
öffentlicht der Autor eine lange lteilie von Untersuchungsresultaten
über das Vorkommen der Typhusbacillen beim Menschen unter
Hcrilekxichtlgung der gesammten deutschen, französischen und
italienischen Literatur über dieses Thema.
Dass die Untersuchungsergebnisse nur Leichen entstammen,
ist kaum geeignet, ihren Werth zu beeinträchtigen; die Leichen
wurden möglichst früh oliducirt und in Kälte kouservirt.
Der Ebert h'selie Bacillus, so restimirt G., tritt in weitaus
«len meisten Fällen durch den Verdauungskanal in den Körper ein.
Durch die Mesenterialdrüsen gelaugt er in den Ductus thoracicus
und in den Kreislauf und somit in alle Organe und Gewebe. Aber
man hat zu unterscheiden zwischen Durchgangsorganen, Elektiv-
orgauen uud Ausscheiduugsorganen. Zu den Durehgangsorganen
gehören die Mesenterialdrüsen, zu den Elektionsorganen nur die
Milz und «las rothe Mark der Knochen. In der Milz wie iin rothon
Knochenmark setzt der Bacillus sich fest und vermehrt sich. Da¬
gegen wird er von der Leber ausgeschieden durch die Galle und
wie in der Lelwr, wird ln allen anderen Organen mit Einschluss
des Blutes der Pilz für gewöhnlich zerstört uud von den Nieren
zugleich zerstört und ausgeschieden.
Bisweilen aber bleibt in einem dieser für gewöhnlich refrak¬
tären Organe der Pilz unzerstört und vermehrt sich. Erfolgt dies
nur in einem Organe, weil die Resistenz desselben vermindert
ist. so hat mau eine Typhuskomplikntiou. Erfolgt es in vielen
Organen und Geweben, weil die allgemeine Resistenz der gesanuu-
t«*n Organe und Gewebe herabgesetzt ist. oder weil es sich um
eine abnorm hohe Virulenz d«*s Infektionsträgers handelt, so hat
mau eine typhöse Septikaemie.
Von den Veräntlerungen au den Peye r'sehen Plaques ist
mit Sicherheit auzuuehmen, dass sie entstehen durch den Ueber-
gang «1er Typhusbacillen aus dem Darm in die Lymplibahnen uud
dass sie nicht sekundärer Natur sind.
In Fällen von Recidlveu erschien es besonders bemerkens¬
wert h, dass «las Mark der langen Knochen in seiner ganzen Länge
roth war und «lass der Typhusbaeillus in der ganzen Ausdehnung
desselben angetroffen wurde.
Ueber Fälle von Typhus ohne Darmbefund, ferner über die
Befun«le tx'i Perforationsptudtonitis und iilier Untersuchungen
lieireffend die angebliche Versehle«lenheit der Arten des Typlius-
hacillns ln dem gleichen Falle.und von Fall zu Fall will der Autor
binnen Kurzem in einer anderen Arbeit berichten, (il polielinico
sezione medka, fase. 4 ti. 5, 1001.)
8 11 v es tri: Zur trypsinerzeugenden Funktion der Milz,
(rif. ined. 1901, No. 72 u. 73.)
Ist die Milz als eine Drüse zu betrachten, deren inneres
Seeretionsprodukt eine Rolle spielt? Rührt vielleicht ein Theil des
im Bauchspeichel als Ferment enthaltenen Trypsins ans der Milz
als Bildungsstätte her?
Beide Fragen beantwortet 8. auf Grund seiner ira patho¬
logischen Institut zu Modena angestellteu Experimentalversuche
mit „Nein".
Nur durch ihre mechanischen Beziehungen zum kleinen ab¬
dominalen Kreislauf, indem sie grössere oder geringere Mengen
Blutes zu den Gefilssen des Pankreas und Darmes gelangen lässt,
kann die Milz einen Einfluss auf die grössere oder geringere Ab¬
sonderung des Bauch Speichels und des in Ihm Avirksameu Prlu-
eips ausüben.
’ 0 r t o 1 a n 1: Heber die D u r a n t e’schen Jodinjektionen
\ b«i tuberkulösen Drüsentumoren.
l>le allgemein bei Drüsentuberkulose als wirksam anerkannten
Jodinjektionen erfreuen sicli in Italien durch die Autorität
Dnrante’s einer besonderen methodischen Anwendung. Man
injizirt nach D iirante, in die Drüsensubstanz oder auch an
anderen Körperstellen 1—2 g einer Lösung von Glycerin, purissim.
•fi. Gnajakol 2, .Tod. pur. 0.2. Jodkali 0.4; allmählich steigt man,
indem man die Lösung verstärkt und zwar bis Jod. pur. 1.0 und
Jodkali 2,0, während der Glycerin- uud Guajakolgelialt der gleiche
bleibt.
Auf dem letzten ItaJkmisehen Chirargenkongrosse betonlo
Dorante, dass das Jod das einzige Mittel sei, welches durch
seine Wirkung auf den Stoffwechsel die Vitalität der Gewebe gegen
den Tubcrkelbaelilu? erhöht und sie in Stan«l setzt, siegreich «len
Eindringling zu überwinden. So sähe man DrUsentumonui der
Heilung zngeführt werden, welche kein chirurgischer Eingriff zu
fiberwinden Im Stande sei.
Nur Eines Ist bei dieser Kur vor allen Dingen nöthlg: das ist Be¬
harrlichkeit In der Anwendung. O. führt eine Reihe von Fällen an,
in welchen über 100 Injektionen nöthlg waren und ein Unkundiger
leicht an dem Erfolge hätte verzweifeln können. (11 Morgagni
1801, April.) Hager- Magdeburg-N.
1147
Laryngo-Rhinologie.
1) B o 11 o r m u n d - Dresden: Welche physiologische Be¬
deutung hat das Zäpfchen für die SingstimmeP (Arch. f. Laryngo-
logie u. Rliinologie IUI. 12, Heft 1.)
Einer hysterischen Sängerin war auf deren Wunsch die Uvula
— wegen angeblich durch sie hervorgerufener Beschwerden —
durch einen Arzt resceirt worden. Nach einiger Zeit verklagt«*
Patientin den betreffenden Arzt, da sie dureli die Operation eine
Schädigung ihrer Singstlnune erlitten habe. Autor, der s. Zt. als
Zeuge und Sachverständiger vor Gericht geladen war, verbreitet
sieh — anschliessend an diesen Fall — über Indieation und Contra-
indieation dieser Operation von pathologischen und physiologischen
Gesichtspunkten aus, b<*züglieh deren auf das Original verwiesen
werden muss.
2) Benno L e w y - Berlin: TJeber einen auffälligen Befund
an den Nerven der Nasenschleimhaut bei nasaler Reflexneurose.
(Ibkl.) (Mit 2 chromolithographischen Tafeln.)
Bei 2 Fäll«*n von ausgesprochen nasaler Reflexneurose in Folge
von Sehweilungszustjimlen der unteren Muscheln fanden sicli In
den „abgetragenen Sclileimhnutstik-kclien ganz ausserordentlich
zahlreiche und ziemlich «licke Nervenästclien ganz dicht unterhalb
der freien Oberfläche verlaufend.“ Autor glaubt ln dem den nor¬
malen Verhältnissen nicht entspnvhenilen Befund eine Erklärung
für diese Rellexneurosen zu fliulen, da „ein solcher, von einer nur
etwa 0,3 mm «licken Schicht bed«*ckter. aus der doch nicht uner¬
heblichen Zahl von 4—10 Fasern bestehender sensibler Nervonnst
ganz ausserordentlich leicht allerlei Reizungen ausgesetzt sei und
«Imlurch zu recht erheblichen Reflexen Anlass geben könne, auch
ohne «lass pathologische Veränderungen ln den Fasern selbst be¬
stehen.“ Unter Hinweis auf diesen bis jetzt no«“h nirgends in der
einschlägigen Literatur verzeichneten Befund fordert Autor zu wei¬
teren diesb«»züglichen Untersuchungen auf.
3) J u r a s z - Heidelberg: Zur Frage nach der Wirkung der
Musculi thyreo-cricoidei. (Ibid.)
Auf Grund anatomischer und physiologischer Erwägungen
kommt J u r a s z zu dem Schluss, dass „die Thyreo-cricoidei, deren
Ursprung zweifellos am Schildknorpel und der Ansatz am lting-
knorpel zu suchen ist, keinen anderen Zweck haben können, als
den Ileif des Ringknorpels an den unteren Rand des Seliihlknorpels
anzunähern", dass also «1er Schildknorpel bei der Phonation als
Punctum flxtim und der Ringknorpel als Punctum mobile zu be¬
trachten seien. Details müssen im Original eiugesehen werden.
4) Gustav S p i e s s - Frankfurt a. AI.: Ein neuer Gesichts¬
punkt in der Behandlung des frischen Schnupfens. (Ibid.)
Die Thatsache, dass «lie starke Sekretion beim frischen
Schnupfen des Nachts, im Scldafe, sistirt, erklärt Verfasser dureli
die ln Folge des Schlafes eintretende Herabsetzung der Vaso-
motoren-Reflexerregbarkeit Dtose verminderte Reflexerregbarkeit
müssen wir auch bei Tage — künstlich — zu erzeugen versuchen,
um eine Verminderung des Sehwellungszustamles und damit der
Sekretion liervorzurufeu. Als geeignetstes Mittel hat sich dem Ver¬
fasser «bis Orthoform — das nach Spiess auch durch die un¬
versehrte Schleimhaut des Halses und der Nase wirkt
eventuell in gleichen Tlicilen in Verbindung mit Natr. sozojodol.
2:10 bewährt. Da sich die katarrhalische Infektion meist im
Nasenrachenraum zuerst lokalisirt uud von da aus in die Nase
fortschreitet, andererseits in Folge der Schwellungszustände der
Nase das Pulver in die tieferen Theilc des Cavums von vorne aus
nicht hineingelangen kann, so empfiehlt Spiess die Einblasungen
obigen Pulvers, die mehrmals täglich vorzunehmen sind, von der
Mundhöhle aus in den Nasenrachenraum und von hinten her in
das Cavura nasi.
5) G 1 a t z e 1 - Berlin: Zur Differentialdiagnose des Primär¬
affektes auf der Mundschleimhaut. (Mit 1 Abbildung.) (Ibid.)
Unter Mittheilung eines Falles von Initialsklerose auf «lerMund¬
schleimhaut erwähnt Autor die differentialdiagnostisch In Betracht
kommenden Erkrankungen dieser Region: ,.l. llerp«*s buccalis,
2. tuberkulöse Geschwüre, 3. sekundäre und tertiäre Lm'sformen,
4. Znhngeschwüre und 5. die Mundseuche“ und bespricht deren
Unterscheidungsmerkmale.
0) Licht witz - Bordeaux: Die Heissluftbehandlung einiger
Nasenaffektionen. (Mit 1 Abbildung.) (Annales des nmladles de
l’oreille etc. 1901, No. 4.)
L i e h t w 11 z berichtet gleichfalls über die therapeutische
Verwerthung der Heissluftbehandlung bei einigen Sehleimhaut¬
affektionen der Nase (cf. diese Wochensehr. 1900. No. 43. S. 150.8,
Referat No. 5). Der von ihm zur Erzeugung der heissen Luft kon-
struirte Apparat ist in der Arbeit abgebihlet. Die Resultate der
Behandlung waren recht befriedigende.
7) Paul VI oll et: Die Behandlung der chronischen, diffus
hypertrophischen Rhinitis mit submucösen Injektionen von
Chlorzink. (Archives internationales «le laryngologie etc. 1901,
No. 2.)
Die von Hamm angegebene Methode besteht darin, dass in
die mit 20proc. Cocain annesthesirten linieren Muscheln ein oder,
wenn nötliig, mehrere Male ein halbes bis einige (Vntigramm
einer 10 pro«*. Chlorzinklösung submuoüs lnjielrt werden. Vlollet
prüfte diese Methode bei einer Reihe von auf vasomotorischer
Basis beruhender Muschelhypertrophien nach und erzielte bei der
Mehrzahl recht gute Erfolge. Er empfiehlt diese konservative
Methode vor etwaiger Anwendung der Kaustik oder der partiellen
Resektion, umsomehr, als die Reaktion auf die Injektionen meist
eine geringe sei und bisweilen elue einzige Injektion zur Heilung
genüge.
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MUENCHENER MED1CINISCIIE WOCHENSCIIRIFT.
No. 28.
1148
8) Champeaux: lieber den adenoiden Habitus. Der
adenoide Habitus ist kein sicheres Zeichen für das Vorhanden¬
sein einer hypertrophischen Rachenmandel. (Ibid.)
Unter dem Ausdruck „adenoider Habitus“ versteht man Jenen
bekannten Symptomenkomplex, der sich meist bei Kindern zeigt und
in variablen Formen folgendes Bild bietet: Blasses, hohlwangiges,
annemisches Kind, schmale Nase (leptoprosop), behinderte Nasen-
athmung, Muudathmung, Lippen breit und wulstig, schlechte Zahn¬
stellung, Thorax abgeflacht, bisweilen Skoliose, Halsdrüsenschwel-
lungeu, Enuresis nocturna, Aprosexie etc. Dieser Ausdruck ist
falsch, da einerseits bei Anwesenheit einer grossen Itachenmandel
siimiutliche Erscheinungen fehlen können — in diesem Falle ist
die Nasenathmung relativ frei, da die adenoiden Vegetationen mehr
nach der hinteren Rachenwand zu sitzen und die Choauen frei
lassen —, andererseits auch der ganze Symptoraeukomplex ohne
eine hypertrophische Rachenmandel bestehen kann, umsomehr, als
eine grosse Reihe dieser Symptome als Folge einer behinderten
Nasenathmung sich zeigen können, deren Ursache in anderen
Störungen (doppelseitige, hypertrophische Rhinitis, Nasenscheide¬
wandverbiegungen oder breite Leistenbildungen des Septums) zu
suchen sind. Autor schlägt daher als Ersatz für „fades odönoidien“
den Terminus „facies d'obstruction nasale“ oder kürzer „facies
nasal“ vor.
9) M o u r e - Bordeaux: Behandlung der Nasenscheidewand-
Deviationen. (Mit 12 Abbildungen im Text.) (Revue hebdomadaire
de laryngologie etc. 1901, No. 13.)
Bel Verbiegungen der Nasenscheidewand mit Kristn- oder
Spinnbildung, oder bei gleichzeitig bestehender Luxation des vor¬
deren Septuratheiles operirt Autor zweizeitig. Zunächst beseitigt
er mit einem in der Arbeit abgebildeten Osteotome die Kristu,
bezw. resecirt vorher den luxirten Septumsknorpel. Erst nach
vollständiger Abheilung dieser operativen Eingriffe, also ungefähr
nach 1 Monat, schreitet M o u r e zur Geraderichtung der ver¬
bogenen Nasenscheidewand: Mittels zweier einen spitzen Winkel
miteinander bildenden Schnitte_! — durch Einführung je einer
Branche der von M o u r e angegebenen gebogenen Sclieere in jedes
Nasenloch — wird der vordere Theil des Septums in horizontaler
und vertikaler Richtung durchschnitten und damit vollständig mo-
bilisirt. Eine ln das Nasenloch der deviirten Seite eingeführte,
eigens konstrairte Metalltube dient dann zur Geraderichtung und
Fixirung des Septums und verbleibt 8 Tage in der Nase. Das
Resultat ist ein gutes, die Operation selbst besitzt im Vergleich
zu der Methode von Asch mehrere Vorzüge. Bezüglich Details
und Technik muss auf das Originnl verwiesen werden.
10) Jacques und M i c li e 1 - Nancy: Die Thyreotomie bei
gutartigen Tumoren des Kindesalters. (Ibid. No. 17.)
Statt der änsserst schwierigen und oft unmöglichen intra-
laryngealen Behandlung bei gutartigen Neubildungen im kindlichen
Kehlkopfe (Papillomen etc.) empfehlen Autoren eine ausgedehntere
extralaryngeale Therapie, in Form der Thyreotomie, die ein be¬
deutend besseres Resultat sowohl in operativer, wie in funktioneller
Hinsieht gebe, als es nach den bisherigen Anschauungen der Fall
zu sein scheine. 2 kasuistische Fälle zur Illustration.
Hecht- München.
Vereins- und Congressberichte.
29. Deutscher Aerztetag
in II i 1 d c s h e i m, am 28. und 29. Juni 1901.
(Eigener Bericht)
Dein Deutschen Aerztevereinsbund gehören gegenwärtig
302 Vereine mit. 18 337 Mitgliedern an; vertreten sind auf dem
Aerztetage 193 Vereine durch 175 Delegirte mit 16 473 Stimmen.
Der Aerztevereinsbund hat demnach seit dem vorigen Jahre sich
um 9 Vereine und 1751 Mitglieder vermehrt; auch die Betheili¬
gung am Aerztetage ist in diesem Jahre eine bessere, indem ein
Mehr von 10 Vereinen und 1743 Mitgliedern vertreten und die
Zahl der anwesenden Dclegirten um 57 gestiegen ist.
I. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Löbker, begrüsst die
zum ersten Male erschienenen Delegirten als Mitarbeiter und ge¬
denkt der seit dem letzten Aerztetage verstorbenen DDr. Kri¬
steller- Berlin, Asc h - Breslau, Wagner- Königshütte,
R ö der- Würzburg, Mack- Braunschweig; einen besonders
wannen NaclLruf widmet er den DDr. B r a u s e r - Regensburg
und Ileusinger - Marburg. Die Versammlung ehrt das An¬
denken der Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen. Sodann
erwähnt der Vorsitzende die für den ärztlichen Stand wichtigsten
Ereignisse des vergangenen Jahres, die Reorganisation des
höheren Schulwesens, die Berechtigung zum medicinischen Stu¬
dium und die neue Prüfungsordnung, sowie die Streitigkeiten
zwischen Aerzten und Krankenkassen; die Verwaltungsbehörden
haben bei denselben keine einwandsfreie Stellung eingenommen,
die Aerzte haben mit weiser Mässigung, standeswürdig und mit
ehrlichen Mitteln gekämpft. Einstweilen sind die Aerzte noch
auf Selbsthilfe angewiesen; die Errichtung eines Syndikats ent¬
spricht dem Bedürfnisse nach einem weiteren Ausbau der Organi¬
sation des Aerztcvereinsbundes; an dem Bestände des letzteren
selbst und an der Einigkeit der Aerzte soll jedoch nicht gerüttelt
werden, so begrüssenswerthe Vorschläge auch die neueren Bestre¬
bungen bringen.
Der Regierungspräsident, Herr v. Philippsborn, sowie
der Oberbürgermeister der Stadt Hildesheim, Herr Struck¬
mann, begrüssen den Aerztetag auf’s Freundlichste und heben
die Bedeutung der ärztlichen Standesorganisution für die staat¬
liche und eommunale Verwaltung hervor.
II. Den Geschäftsbericht erstattet Herr Wall ich s; er
begründet die verspätete Aufstellung der Tagesordnung und
theilt mit, dass er dio Geschäftsführung niederlegen werde.
IIT. Bezüglich des Vereinsblattes spricht der bisherige Re¬
dakteur, Herr W a 11 i ch s, über die künftige Ausgestaltung des
Vereinsblattes, das in der letzten Zeit häufiger erscheinen musste;
die Verhandlungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen.
Herr N e u b e r g e r - Nürnberg regt häufigeres Erscheinen
des Vereinsblattes, womöglich alle 8 Tage. Deckung der Mehr¬
kosten durch Inserate und die Gründung einer Unterstützungs- uud
Waisenkasse nach Art des IInmburger Centralanzeigers an.
Herr Heulus - Berlin spricht unter Beifall der Versamm¬
lung das Bedauern über das Ausscheiden des Immer thiltigen und
verdienstvollen Redakteurs und Geschäftsführers Herrn Wnllichs
aus und hofft, dass er auch ferner noch ‘lange an den Verhand¬
lungen Theil nehmen könne.
IV. Den Kassenbericht erstattete Herr II e i n z e. Im Jahre
1900 betrugen die Einnahmen 72 851.84 M., dio Ausgaben
49 738.91 M. Der derzeitige Vermögensbestand beträgt circa
75 000 M. Der Voranschlag für 1901 sieht neben höheren Ein¬
nahmen auch grössere Ausgaben vor.
Herr Meissner- Berlin findet im Voranschläge die Aus¬
gaben für das Voreinsblatt zu hoch und die Einnahmen aus dem¬
selben zu niedrig vorgesehen; ein Blatt mit 18 000 Abonnenten
müsse durch Annoncen mehr Einnahmen erzielen, so dass nicht
bloss die Kosten gedockt, sondern auch UelKjrsehilsse erzielt wer¬
den; der Kassenbericht möge künftig kaufmännisch erstellt werden.
Herr Wal lieh s erwartet für 1901 noch keine Aeudorung
im finanziellen Resultate, da das neu zu organlsirende Syndikat
erst in einem späten Jnhresabsehnitte in’s Leben tritt.
Herr Löbker erklärt die Frage noch nicht für spruchreif
und sieht den HolTnungen des Herrn Meissner skeptisch gegen¬
über. da die geldbringendeu Anuoucen grosscutlieils abgewieseu
werden müssen.
V. Kommissionsberichte.
a) Lebensversicherung; Da eine Sitzung der dies¬
bezüglichen Kommission nicht stattfand, ist zu diesem Punkte
nichts zu berichten.
b) Unfallversicherung. Der Referent, Herr Löb¬
ker, berichtet über dio Thätigkeit der Kommission. Hiernach
haben sich die Verhältnisse zwischen Aerzten und Unfallver-
siehorungsgcsellschaften friedlich gestaltet. Dio von beiden
Seiten vorgebrachton Beschwerden waren gering an Zahl, un-
orheblieh und konnte ihnen daher leicht abgcholfcn werden. Nur
die Kölnische Unfallversicherungs-Aktiengesellschaft hält sich
nicht an dio getroffenen Vereinbarungen und verwendet unzu¬
lässige Attostformulare.
Herr B o n g a r t z - Karlsruhe beschwert sich darüber, dass
die Vertrauensärzte nicht immer den behandelnden Aerzten zur
Ivenntnlss gebracht werdeu.
Herr Löbker ersucht bei Beschwerden um Mittheilung an
den Vorstand des Geschäftsausschusses oder der betreffenden Kom¬
mission.
c) Kurpfuscherei. Hiezu liegt dem Aerztetage ein
von Herrn Weinberg- Stuttgart verfasster Bericht vor, wel¬
cher die Erhebungen des deutschen Aerztctagos über die Schäden
der Kurpfuscherei gesichtet und statistisch verwerthet hat. Be¬
dauerlich ist, dass dio Aerzte sich viel zu wenig an diesen Er¬
hebungen betheiligten, auf 6313 Anfragen liefen nur 903 positive
Auskünfte ein; gleichwohl sind dio ermittelten Zahlen der Kur¬
pfuscher wesentlich höher als bei der Erhebung des Kaiserlichen
Gesundheitsamtes; ferner ist festgestellt, dass dio Kurpfuscherei
überall im Zunohnien begriffen ist. lieber die persönlichen Ver¬
hältnisse der Kurpfuscher, dio zahlreichen nachgewiesenen
Schädigungen an Leben und Gesundheit enthält der Bericht ge¬
naue Angaben; bemerkenswerth ist die starke Betheilig-ung der
bayerischen Bader bei der Pfuscherei. Der Bericht kommt zu den
Schlussfolgerungen, dass seitens der Behörden bis jetzt äusserst
wenig gegen die Schäden der Kurpfuscherei geschehen ist, die be¬
stehende Gesetzgebung keine genügende Handhabe bietet und es
in erster Linie im Interesse des Publikums und der Behörden
liegt, der Kurpfuscherei wirksam entgegenzutreten.
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Herr Llnilmann-Mannheim als Referent glaubt, dass eine
Aenderuug der gegenwärtigen Gesetzgebung noch lange auf sieh
warten lasse und empfiehlt. Innerhalb der Vereine den Kampf gegen
die Kurpfuscher durch Bildung von Kommissionen und Anzeige an
die Behörden aufzunebmen.
Herr Becher- Berlin weist auf das erfolgreiche Vorgehen
der Berliner Aerztekammer hin bezüglich der Titelführung der
Kurpfuscher und deren prahlerischen Ankündigungen; durch Mit¬
theilung seitens der Staatsanwaltschaft über Anklagen gegen Kur¬
pfuscher sind die Vertreter der Aerztekammer in der Lage, den
Gerichtsverhandlungen beizuwohnen. B. empfiehlt auch, die Ver¬
sammlungen und Vorträge der Kurpfuscher zu besuchen und stellt
einen Antrag, wonach den ärztlichen Standesvertretungen wieder¬
holt die Bildung von Kommissionen zur Bekämpfung der Kur¬
pfuscherei anempfohlen wird.
Herr K o r m a n n - Leipzig meint, der Besuch der Versamm¬
lungen, in denen Kurpfuscher Reden halten, werde nicht viel
nützen, man habe meist nicht den Eindruck, als ob dieselben unter¬
legen seien. In Leipzig wurde bezüglich des Oxydonor Victory
ein günstiges Urthell erzielt, im Kuhne-Process dagegen ein Miss¬
erfolg.
Herr H ü f 1 e r - Chemnitz berichtet, dass dorten in Folge der
Beziehungen der Aerzte zu den Zeitungen die wüsten Angriffe
gegen die Aerzte eingeschränkt wurden; bei den Behörden war
wenig Entgegenkommen zu finden; ein Bezirksrath rletli, die Kur¬
pfuscherei todt zu schweigen.
Herr Franz- Selileiz fordert auf, den Kampf an allen Ecken
und Enden aufzunehmen, dabei aber sich nach den lokalen Ver¬
hältnissen zu richten; vor Allem müsste man das Material sam¬
meln und Jedem einzelnen Kurpfuscher nachgehen; dabei stosse
man auf die grössten Schwindler und finde, dass eine einfache
Angina als Diphtherie behandelt wird, sogar die Frau eines Arztes
Kurpfuscherei treibt u. s. w. Wer Kurpfuscher In öffentlichen Ver¬
sammlungen angreifen wolle, müsse zuvor deren Schriften gelesen
haben.
Herr P i z a - Hamburg hat über mangelndes Entgegenkommen
der dortigen Behörden nicht zu klagen; die ersten Versuche, in
öffentlichen Versammlungen aufzutreten, sind noch nicht sehr
rühmenswerth, man muss sich auf diese Kampfesweise erst ein-
iiben. Mit Energie muss man aber auch den Aerzten entgegen¬
treten. die zwar nicht Kurpfuscher zu nennen sind, die aber Kur¬
pfuscherei treiben und diese unterstützen.
Herr Weckerling -Friedberg verweist auf die demnächst
erscheinende Schrift von Ilermine Ludwig in Bunzlau: „Wie
ltehandelt man seinen Arzt?“ Das Vorgehen der Aerzte wird im
Publikum falsch aufgefasst, als ob Alles pro domo geschehe.
Der Antrag B ec he Fs wird bei der Abstimmung ange¬
nommen.
d) Krankenversicherung. Herr Landsberge r-
Posen als Referent verweist auf die in Aussicht stehende Kran¬
kenversicherungsnovelle, die verschiedene Lücken ausfüllen soll;
die Aerzte müssen ihrer längst feststehenden Meinung Geltung
verschaffen, denn eine wirklich dauernde Abhilfe kann nur auf
gesetzlichem Wege erreicht werden. Im Württemberger Land¬
tage war die Stellungnahme zur freien Arztwahl eine günstige.
Auch hiezu liegt ein gedruckter Bericht vor: „Die Stellung
der Aerzte bei den Krankenkassen. Thatsachenmaterial, zu-
sauimengestellt im Aufträge des Geschäftsausschusses des
Deutschen Aerztevereinsbundes.“
Herr M u g d a n - Berlin bemängelt eine Reihe von Unrichtig¬
keiten in dieser Arbeit, die desshalb eher Schaden als Nutzen bringe
und desshalb besser ungedruckt geblieben wäre.
Herr Landsberger - Posen: Der Bericht enthält das im
ärztlichen Vereinsblatte niedergelegtc Material, von einem jungen
Medlciner zusammengestellt; ein Beitrag zur Krankenkassenfrage
ist er nicht
Herr P f al z - Düsseldorf: Es ist zu wünschen, dass die Be¬
ziehungen der Kommission des Geschäftsausschusses zur Centrale
für freie Arztwahl engere werden.
Herr A 1 e x a n d e r - Berlin: Wenn die Kommission auch
diesen Bericht abschüttelt, ist von ihrer Thätigkeit nicht viel übrig
geblieben. Bei den Erhebungen aus Anlass der Novelle hätte sie
in eine Besprechung vom ärztlichen Standpnukto aus eintreteu
müssen: eine Centrale soll die Sache wirksam in die Hand nehmen.
Herr L i n d m a n n - Mannheim: Die Mitarbeit der Aerzte bei
solchen Erhebungen ist eine zu ungenügende, auch in grösseren
Städten; wer arbeiten will, wird oft von seinen Kollegen im Stiebe
gelassen.
Herr D e a h n a - Stuttgart stellt Namens des Stuttgarter Be¬
zirksvereins den Antrag:
..Der Deutsche Aerztevereinsbund wolle Schritte thun, dass
bei Kassenpatienten das Ausstellen von mehr als einem Kranken¬
schein bei einem und demselben lionorirt werde und dass die
Kosten von der betreffenden Kasse getragen werden“,
und begründete ihn. Die Krankenkassenmitglieder haben häufig
wegen ihrer Zugehörigkeit zu sog. Zuschusskassen (eingeschriebene
Hilfskassen, private Vereinigungen etc.) ein zweites Zeuguiss vor¬
zulegen, in welchem nicht nur Krankheit und Erwerbsunfähigkeit
einzutragen ist, sondern eine förmliche Kontrole des Kranken ver¬
langt wird. Von dem Letzteren ist die Bezahlung nicht zu er¬
langen, auch die Kasse verweigert dies, well die Mühe des Arztes
zu geringfügig sei. Eine einheitliche Regelung auf dem vorge¬
schlagenen Wege ist daher nothvvendig.
Herr Pfalz- Düsseldorf Ist zwar auch für die Honorirung
im einheitlichen Sinne, jedoch nicht seitens der Krankenkassen;
die lokalen Vereiue sollen das Weitere regeln.
Bei der Abstimmung wird der Stuttgarter Antrag abgolehnt.
e) Kommission für Niederlassung von Aerz¬
ten im Ausland. Der vorjährige Aorztetag hatte den Ge-
schäftsausschuss beauftragt, die Einrichtung und Leitung einer
Auskunftsstelle für Niederlassung deutscher Aerzte im Auslande
in die Hand zu nehmen, und sich zugleich dahin ausgesprochen,
dass mit dieser die Vermittlung der Schiffsarztstellen für
deutsche Rhedereien verbunden werden möge. Namens des Ge-
echäftsaussehusses berichtet Herr S e n d 1 e r - Magdeburg, dass
bezüglich der Platzfrago Berlin und Hamburg konkurriren; für
erstcres werde angeführt, dass im Auslande wenig Vakanzen ein-
treten und ein besonderer Apparat nicht nothwendig sei; wenn
jedoch dio Vermittlung von Schiffsarztstellen auch zur Thätig¬
keit dieser Centrale gehören solle, müsse man den Sitz in eine
Seestadt verlegen. Hamburg erscheine durch seine ausgedehnten
kaufmännischen Verbindungen der geeignetste Ort; Kenntniss
von den Vakanzen im Auslande werde erhalten durch die aus¬
ländischen Filialen der grossen Geschäftshäuser oder die Consuln,
weleho vom Reichskanzler zur Auskunftsertheilung angewiesen
werden. Referent stellt den Antrag, den Sitz der Auskunftsstelle
nach Hamburg zu verlegen; dieselbe soll unter der Oberaufsicht
des Geschäftsausschusses stehen und eine regelmässige Verbin¬
dung mit demselben unterhalten, jedoch im Uebrigen eine selb¬
ständige Thätigkeit entfalten.
In der Diseussion sprechen sich die Herren Alexander
und Becher für Berlin, T h o s t und P i z a für Hamburg aus,
dessen Aerztekammer bereit sei, die Leitung zu übernehmen.
Herr Alexander wünscht Vertagung der Beschlussfassung
bis zur Besprechung des Syndikats, mit dem eine Stellenvermitt¬
lung im Inlande verbunden sein soll.
Der Antrag des Geschäftsausschusses wird mit überwiegen¬
der Mehrheit angenommen.
f) Organisationskommission. Tm Vorjahre war
der Geschäftsausschuss beauftragt worden, eine 5gliedrigc Kom¬
mission zu ernennen, welche die Frage der Errichtung eines Syn¬
dikates vorzubereiten hat. Die Berichterstattung übernimmt der
Vorsitzende, Herr Löbker. Er schlägt vor, einen beamteten
Generalsekretär mit einem Gehalte bis zu 8000 M. anzustellen;
er hat seinen Sitz in Berlin zu nehmen und auf Privatpraxis zu
verzichten; ihm liegt ob, die ärztlichen Stundesinteressen, dio
ethischen sowohl als dio wirtschaftlichen, dauernd und energisch
auch in der Oeffentlichkeit zu vertreten und gegen etwaige An¬
griffe zu verteidigen, die Geschäfte zu führen, das Vereinsblatt
zu redigiren. Die Vorschläge der Berliner ärztlichen Standes¬
vereine, welche als Sitz der Geschäftsstelle Berlin und eingehen¬
dere Bestimmungen über deren Thätigkeit vorsehen, enthalten
keine Widersprüche mit denen des Geschäftsauschusses, sic
stellen eine Ergänzung derselben dar.
Die Diseussion, bei der die angeregte en bloc-Annnhme
der Vorschläge auf Widerspruch stösst, wird eine unerwartet lange
und führt schliesslich zu einer unerquicklichen Gesehäftsordnungs-
debatte. An der Debatte betheiligen sich die Herren W entscher-
Thoru, Kormann - Leipzig, Alexander - Berlin, Dross-
b a c h - Laufen, Müller- Zittau, Sondier- Magdeburg, P 1 z a -
Hamburg, P f a 1 z - Düsseldorf, B e c h e r-Berlin, Franz-
Schleiz, Streffer - Leipzig und der Referent. Ueber die Not¬
wendigkeit der Errichtung eines Generalsekretariates bestand
nicht die geringste Differenz, wohl aber über dessen Sitz und da¬
rüber, ob die definitive Entscheidung über den Sitz vom Geschäfts-
ausseliusse oder vom Aerztetage selbst getroffen werden soll. Das
letztere entsprach dem Wunsche des Geschäftsausschusses und er¬
schien behufs rascher Durchführung der neuen Organisation noth¬
wendig; auch darüber war kein Zweifel, dass das Bureau nicht
viel wandern soll und möglichst stabil gemacht werden muss. Hlu-
sichtlieh des Sitzes sprach zu Gunsten von Berlin, dass dorten der
Reichstag, der Bundesrath und der preussisehe Landtag tageu,
viele höhere Behörden und Versicherungsgesellschaften ihren Sitz
haben, die Mitglieder des Gesehüftsausseliusses ohnedies oft zu
sonstigen Gelegenheiten (Aerzteknunuem, Reiehsgesundkeitsamt
etc.) nach Berlin kommen und ein sonstiger Sitz die Verwaltung
erschwert und vertlieuert und den persönlichen Verkehr mit den
in Betracht kommenden Behörden, Abgeordneten und sonstigen
einflussreichen Persönlichkeiten nicht' zur Entwicklung kommen
lässt. Gegen Berlin wurde eingeweudet, dass bei der Zwietracht
der Berliner ärztlichen Vereine der Generalsekretär keinen festen
Rückhalt gewinnen könne und leicht von der einen oder anderen
Partei in’s Schlepptau genommen werde; auch müsse mnn sich zu¬
vor über die Persönlichkeit des Geschäftsführers im Klaren seiu
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1150
MÜENC&ENEft MEDICtNISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28 .
uml mit ihm unterhandeln, da ein hiezu geeigneter Mann vielleicht
gar nicht nach Berlin Ubersiedoln wolle.
Bei der Abstimmung wird der Antrag Franz, die Wald
des Ortes dem Geschiiftsauschusse zu überlassen, mit 85 gingen
72 Stimmen der anwesenden Delegirten und bei der Abstimmung
mittels Stimmzetteln mit 9404 gegen 5877 Stimmon der ver¬
tretenen Mitglieder abgelehnt, der Antrag Kormann, dem
Generalsekretär eine auskömmliche Pension zuzusichern, mit
Majorität und der Antrag des Geselliiftsausschusses, den Silz
nach Berlin zu verlegen, mit überwiegender Mehrheit ange¬
nommen. Bei der Schlussabstimmung finden die vorgelegten
Organisationsvorscldiigo nicht dem Wortlaute, aber dem Sinne
nach'eine einstimmige Annahme, die für die weitere, dem Ge-
selniftsaussehus.se übertragene Behandlung nur von Vortheil
sein kann.
VI. Stellung des Aerztevereinsbundes zum Leipziger
wirtschaftlichen Verbände.
Hiezu liegen vor:
1. Der Antrag des Geschäftsausschusses: „Der
deutsche Aerztetag beauftragt den Geschäftsausschuss, eines
seiner Mitglieder zu delegiren, an der Verwaltung der Unter¬
stützungskasse des wirtschaftlichen Verbandes theilzunehmcn u .
2. Die Anträge des Bezirksvereines M ü nche n, welche eine
organische Verbindung zwischen dem Gesehüftsausschusse und
dem Leipziger Verbände und Festlegung wichtiger statutarischer
Bestimmungen erstreben.
3. Der Antrag des Bezirksvereins Südfranken, welcher
nicht nur eine Unterstützungskasse gegen die aus dem Krankcn-
kassengesetz kommenden Schäden, sondern eine allgemeine grosse
Unterstützungskasse (Wittwen- und Waisenkasse, Invaliditäts-
Versicherung) zu errichten anstrebt.
Der Referent, Herr W 1 n d e 1 s - Berlin, begründet die an¬
fänglich scharfe Stellungnahme des Geschüftsaussehusses, d e
sieh nicht gegen den Zweck einer Unterstützung von Aerzten,
die in Wahrung der Staudesinteressen gegenülwr Kranken¬
kassen materielle Verluste erlitten haben, richtete, sondern
gegen die Art und Weise des Auftretens und das Leit¬
motiv der Streikidee. Einen Streik vom Zaune zu brechen,
sei nicht vereinbar mit der Standeswürde; wenn es sich aber um
Verthekllgungszwecke handle, wenn den Aerzten Unwürdiges zu-
genuithet werde, da sei es nicht nur Recht, sondern auch Pflicht,
sich mit dein Streik zur Wehr zu setzeu. Boi der gegenwärtigen
Sachlage habe der Leipziger Verband zwar die grossen Steine des
Anstosses, aber nicht «olle beseitigt; zu beanstanden seien noch die
Punkte b—f des Leipziger Statutenentwurfs, welche sieh mit dem
Stellennachweise, der Krankenkassenstatistik, der wirtschaftlichen
Korrespondenz, der Warnung vor dem medleiulschon Studium und
der Bekämpfung des Kurpfuschertums befassen; zu diesen
Zwecken könne der Gesehäftsaussehuss keinen Delegirten ent¬
senden und sieh für immer binden; dies« Ziele gehörten von jeher
zur Thiitigkeit des GcschUftsausscbusses, der Aerztovereinsbund
müsse die oberste Instanz bleiben, hier dürfe keine Bresche gelegt
worden, der Leipziger Verband solle sieh dem AerzteVereinsbund
nnsehliessen, nicht umgekehrt. Die Entsendung eines Delegirten
des Gosohiiftsausschusses zur Theilnnhme au der Verwaltung der
Unterstützungskasse bitte er zu genehmigen, einmal des Friedens
und der Einmütigkeit willen, dann wegen der Nützlichkeit und
Notbwemligkelt einer organischen Verbindung und weil der Ver¬
band eine neue, fruchttragende Idee in die Wege geleitet habe.
Weiterhin begrünst der Redner die Münchener Anträge und polo-
misirt in scharfer Weise gegen den offenen Brief des Herrn
Pfeiffer sen.-Weimar.
Herr Krcckc - München vertritt die Anträge des dortigen
ärztlichen Bezirksvereines, welche dem Autmge des Geschü fts¬
aussehusses grundsätzlich nicht widersprechen, vielmehr die Be¬
ziehungen zwischen Aerztovereinsbund und Leipziger Verband im
Einzelnen regeln und ein möglichst enges Verhältnis* lierstellen
wollen: Der Verband soll selbständig sein, aber unter Anlehnung
an die Stnndesvereine und an den Aerztovereinsbund; er soll keinen
Gegensatz zu letzterem, sondern eine Abtheilung desselben bilden;
die Statuten und jede spätere Aonderung derselben bedürfen
daher der Genehmigung des Aerztevereinsbundes; die Gründung
einer Unterstützungskasse soll nicht den alleinigen, sondern den
Hauptzweck bilden; die Unterstützungsfrage ist genauer zu regeln,
ebenso die Beziehung des Verbandes zu den lokaleu Standesver¬
einen; ein Aufsiohtsrath ist zu bilden: im Falle der Auflösung
soll das vorhandene Vermögen zu ärztlichen Wohlfahrtszwecken
Verwendung finden.
Herr D ö r f 1 e r - Weissenbnrg betont vor Allem die Notli-
wendigkeit der Einmüthigkeit und Geschlossenheit; der Aerztetag
müsse desshalb auch die wirthschaftlichcn Interessen der Aerzte
kräftig vertreten; wenn der Leipziger Verband seine Ziele begrenze,
solle man Ihn unterstützen, unter Umständen durch Einführung
des Zwangsbeitrittes; die ethische Bedeutung der Unterstützung*-
kasse s«i zunächst wichtiger nls die materielle; ausserdem aber
solle der Aerztetag die Unterstützung der Wittwen und Waisen
und die Invalidenversicherung in sein Programm einbeziehen, was
Beniner in längerer Ausführung begründet.
Auch sein Naehrodnor Herr B e n s o h - Berlin schweift vom
eigentlichen Thema ab; ganz mit Kocht geisselt er die Gedanken¬
losigkeit und Indolenz der einzelnen Aerzte und Vereine, regt eine
stärkere Betheiligung au der Versieherungskas.se für die Aerzte
Deutschlands an und stellt «len Antrag, der Aerztetag wolle nochmals
den Beitritt angelegentlichst empfehlen, reizt aber durch seine
weiten Aushölungen die Ungeduld der Zuhörer und provoclrt mehr¬
fache Schlussrufe.
Herr Alexander - Berlin stellt den Antrag vor dem letzten
Worte des Geschäftsausschussantrages die Worte einzuschalten:
„nach den Anweisungen des Geschü ftsaussehusses“ und begründet
denselben damit, dass der Delegirte des Geschäftsausschusses be¬
stimmte Direetiven, ein imperatives Mandat haben müsse.
Herr Hartmann- Leipzig erklärt, dass ihn nie und nimmer
die Absicht geleitet lialie, eine Desorganisation des Acrztevereius-
bundes herbeizuführen oder gegen letzteren eine feindliche Stel¬
lung eiuzunehmen, sondern dass er dem Bunde die fehlende Er¬
gänzung gehen wollte, nachdem die Stammorganisationen sich
zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Aerzte nicht
nls ausreichend erwiesen haben; iu Leipzig habe die Standesord-
uung gegen die Streikbrecher versagt, der Ehrengerichtshof habe
sie in II. Instanz von Schuld und Sühne freigesprochen. Der Auf¬
ruf <les Leipziger Verbandes habe den Geschäftsausschuss auf-
gerüttelt und dein Aerztetag eine stärkere Betheiligung verschafft;
der Delegirte möge sich au allen Arbeiten der Kasse, nicht bloss
a:i der Verwaltung der Unterstützungskasse lietheiligen.
Herr II ä u e 1 - Dresden sucht die Entscheidung des Elireu-
gerlchtshofes in Sachen der Leipziger Streikbrecher zu recht¬
fertigen; soweit er sich dabei auf die Gewerbeordnung bezieht,
bleibt er unverständlich, da die Frage nicht vom gewerberecht-
liclien Standpunkte aus, sondern naeli der Staudesordnung zu be-
urtlieilen ist. Im Uebrigen Ist er der Meinung des Geschäftsaus-
schusses; ein obligatorischer Beitritt zum Leipziger Verbände ist
den sächsischen Vereinen unmöglich.
Herr S c h e r e r- Ludwigshafen verbreitet sieh über die Ziele
des Verbandes und will demselben auch den Stellennachweis und
die Knssenstatistik als Aufgabe zuweisen.
Herr Landsberger spricht für den Antrag des Geschäfts-
ausschusses mul für Ablehnung aller weiteren Anträge; der Aerzte¬
tag könne sieh auf letztere nicht .einlassen.
Herr 1H p p e - Leipzig ist gleichfalls für den Antrag des
Goschaftsausschusses, will Jedoch die wirtschaftliche Korre¬
spondenz dem Verbände erhalten wissen. Die Münchener Anträge
findet er für sehr gut. jedoch nur in losem Zusammenhänge mit
dem Anträge des Geschäftsausschusses: für deu Fall der Aunahme
der Münchener Anträge schlägt er vor, die Forderung, dass die
Satzungen des Verbandes und jede spätere Aenderung der Geneh¬
migung des Aerztevereinsbundes bedürfen, fallen zu lassen und
dafür deu Passus einzusetzen, dass die Aenderungen der Satzungen
nach Anhörung des Aerztetages getroffen werden.
Herr G ö t z - Leipzig beantragt, der Aerztetag wolle den Bei¬
tritt zum Leipziger Verbände unter der Voraussetzung empfehlen,
dass letzterer sieh auf die Unterst ützungskasse als Hauptzweck
beschränkt und seine weitere Thätigkeit im Einvernehmen mit
dem Geschäftsausschuss entfaltet.
Herr N ä h e r - München hält es für nothwendig, dass der
Aerzteverelnsbuud sich mit den Statuten des Leipziger Verbandes
eingehender beschäftige, und vertritt nochmals die Münchener
Anträge.
Herr Wentscher -Thorn hält es auch für besser, dass der
Aerzteverelnsbuud die Sache in die Hand nehme, denn es handelt
sicli nicht um Beilegung eines Konfliktes, sondern um die Lösung
eines Problemes; Zwangslieitritt hält er nicht für gut; mau soll«
sich nicht auf die platonische Liebeserklärung des Geschäftsaus¬
schusses verlassen, soudern die Münchener Anträge annehmen
und die Bestrebungen des Leipziger Verbandes unterstützen.
Herr Landsberger - Posen ist nicht dafür, dem Verbände
Bestimmungen zu machen, nachdem derselbe eine thntsäcliliche
Existenz gefunden habe, man solle keine der beiden Seiten hiudeu;
man lasse den Verband erst tbätig sein und warte seiue weitere
Ausgestaltung ab.
Herr Dörfler- Welssenburg zieht den Antrag des Rezirks-
vereins Südfranken für dieses Jahr zurück und will ihn später
wieder einbringen.
Nach dem Schlussworte des Referenten, Herrn. W indels.
wird der Antrag des Gosohäftsaussehusses mit allen gegen
3 Stimmen angenommen. Der Antrag Gütz auf Empfehlung
des Beitritts zum Leipziger Verbände wird abgclehnt, dagegen der
Antrag B e n s c li auf Empfehlung der Contralhilfskasso an¬
genommen. Ueber die Münchener Anträge wird nicht nbge-
stimmt, da die Mehrheit der Versammlung eine weitere Specifi-
c.irung nicht beliebt.
VIT. Wahl des Geschäftsausschusses. Die Wahl wird
mittels Stimmzetteln vorgenommen, wobei zunächst 12 Mitglieder
gewählt werden; dabei erhalten L ö b k e r 14 665 Stimmen, Leut
13 273, Wallichs 12 207, Windeis 11929, Pi za 10 908,
Landsberger 10 771, Krabler 10 586, II e i n z e 10 163,
S e n d 1 c r 8349, Lindmann 8120, Näher 7220, P a r t s c h
7123. Als 1. Vorsitzenden wählen diese 12 Mitglieder Herrn
T> ö b k e r, als dessen Stellvertreter Herrn L e n t; cooptirt werden
in den Gesehäftsaussehuss statutengemäss 9 weitere Herren,
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9. Juli 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1151
nämlich Becher, Deahna, Mayer - Fürth, Flor-
schütz, Tiederaann, Rupp, Fritsch i, Hartman n -
Hanau und D i p p e. Die Wahl des neueu Generalsekretärs wird
in der nächsten Sitzung des Geschäftsausschusses vorgenommen.
VIII. Die Genesungshäuser im Deutschen Reich. Dev
Referent, Herr May er-Fürth, verbreitet sich unter Zugrund¬
legung statistischer Tabellen in sachlicher und zugleich inter¬
essanter Weise über dieses noch wenig bearbeitete Thema, über
die Zweckmässigkeit und Leistungen der Genesungshäuser.
Er nahm, um nur Einzelnes seiner Ausführungen herauszu¬
greifen, gegen die T kP ln ^--fUYn“r la ' >h “ Stellung
ein; nuch wenn bei düP g^göUVV5ffrg~1tbltcfien kurzen Behandlung?-
düuer wirkliche Heilungen in denselben noch nicht erzielt werden,
so komme ihnen doch eine grosse humane und wogen der Erhal¬
tung der Arbeltsfähigk ett~7fue^i~*w iVDis'<Träftllche’ Bedeutung zu.
Den Volksheilstätten macnenaRT TTenesu u gsh ä ü se r keine Kon¬
kurrenz, wenn auch beide ge gen die Tuberkulose ankämpfeu, die
eine therapeutisch durch Behandlung Her "Krankheit in ihren An¬
fangsstadien, die andere prophylaktisch durch Kräftigung des
Körpers und Stärkung der Widerstandsfähigkeit. In der Recon-
valeecentenpflege stehe Deutschland hinter England zurück; bei
uns müssen die meisten Kranken bis zur Herstellung der Arbeits¬
fähigkeit im Spltale bleiben. Es soll vor der Wiederaufnahme der
Arbeit eine Zwischenstufe geschaffen werden, die den Genesenden
reine Luft und gute Nahrung bietet; denn sie vertheuern durch
ihr längeres Verbleiben die Krankenhauskosten, stören die Haus¬
ordnung und sind der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt, ausser¬
halb des Spitales aber Anden sie nicht, was sie brauchen. Der
Wohlhabende kann zwar ln die Bäder gehen, der Arbeiter hat an
der Krankenkasse und an der Versicherungsanstalt einen Rückhalt,
aber dem Mittelstände fehlen die nöthlgen Mittel. Mit wenig
Kosten den Besuch von Genesungshäusern zu ermöglichen, ist
daher ein dringendes Bedtirfniss. Auch die Wöchnerinnenheime
und die Kinderheilstätten reihen sich hier an. Im ganzen Deutschen
Reiche bestehen bis jetzt 102 Genesungshäuser; davon 8 ausschliess¬
lich für Krankenschwestern und Diakonissinnen, 4 für Militärs:
in Sachsen haben sich besonders die Krankenkassen um die Sache
angenommen, anderswo sind es die Vereine, die Versicherungs¬
gesellschaften treten langsam heran, Fabriketablissements besitzen
eigene Genesungshäuser. In Brückenau wird nächstens der Grund¬
stein zu einem Genesungsheim für Elsenbahnangehörige gelegt;
es verlautet, dass in Bayern auch eine militärische Anstalt er¬
richtet werden soll.
Dem Bedürfnisse der Spitalsentlastung ist noch zu wenig
Rechnung getragen, viele Anstalten, auch Harlaching, gehen, was
die Einrichtung und Kosten anlangt, weit über den Rahmen eines
Genesungshauses hinaus. Auch grössere Städte brauchen keine
grossen Genesungshäuser, diese können um so kleiner sein, je mehr
sie den eigentlichen Reconvalescenten dienen. Die Baukosten
brauchen gar nicht hoch zu sein, da ein bestehendes Gebäude leicht
adaptirt werden kann; jede Opulenz soll vermieden werden; die
Mittel reichen dann weiter und der Gegensatz zum Privatleben
tritt nicht so grell hervor; gegenwärtig macht sich oben bei den
Versicherungsanstalten ein UeberAuss, unten bei den Kranken¬
kassen eine, namentlich für die Aerzte, drückende Sparsamkeit
geltend; zur Ausgleichung dieses Gegensatzes sollte unsere deutsche
Gesetzgebung rascher Vorgehen.
Bei der Aufnahme in die Genesungshäuser ist Hauptbeding¬
ung. dass keine besondere ärztliche Behandlung und keine be¬
sondere PAege nothwendig ist; das Hauptkontingent stellen die
Bleichsüchtigen, die Blutarmen und die Nervösen. Erstaunlich ge¬
ring ist die Zahl der Erholungsbedürftigen nach Operationen.
Chronisch Magenkranke haben schlechte Erfolge, well die beson¬
dere Ernährungsform nicht gut durchführbar ist; ausgeschlossen
von der Aufnahme sollen sein Tuberkulöse, mit ansteckenden
Krankheiten Behaftete und Alkoholisteu.
Am Schlüsse seiner Ausführungen stellt der Referent folgende
Thesen auf. die nach der Dlscussion einstimmige Annahme Anden:
„Die Reconvale8centenpAege speciell durch Errichtung von
Genesungshäusern hat im Deutschen Reich nicht den Aufschwung
genommen, den sie beanspruchen kann.
Häuser für erholungsbedürftige oder besserungsfähige chro¬
nisch Kranke, sowie für Genesende werden in grossen Städten
und Indu8trlecentren mehr und mehr Bedürfniss.
Krankenkassen und Versicherungsanstalten werden sich der
Gründung nicht entziehen können.
Genesungshäuser, die hauptsächlich der Spitalentlastung
dienen sollen, sind von den Gemeinden in ihrem eigenen Interesse
zn errichten. Auch der Staat wird sich betheiligen müssen und
können.
Stiftungen und wohlthätigen Vereinen ist auf diesem Gebiete
besondere Gelegenheit gegeben, dem „Mittelstand“ Erholung und
Heilung in Anstalten zu ermöglichen.
Genesungshüuser können im Allgemeinen klein Bein. Sie
können von mittleren Städten und kleinen Bezirken mit geringen
Mitteln geschaffen werden, während die Lungenheilanstalten
grosse Anstalten für umfangreichere Bezirke sein sollen.
Das Volk — Arbeiter und Mittelstand — muss zur Benützung
der Genesungshäuser erzogen werden.
Die Fürsorge für die Familien der aufgenommenen Unbemit¬
telten muss intensiver geschehen als seither.
Die Aerzte sind in erster Linie berufen, die Kranken erziehen
zu helfen. Oft haben sie aber auch in Ihren Gemeinden EinAuss
genug, um nach den aufgeführten Gesichtspunkten erfolgreich
mitzuwirken an der wichtigen social-hygienischen Arbeit, den
Kranken einer dauernden Genesung zuzuführen und ihn so vor
neuer Erkrankung zu schützen.“
In der Dlscussion berichtet zunächst Herr W. Becher-
Berlin über die vom Rothen Kreuz eingerichteten Erholungsstätten
in der Jungferulieide für Männer und in Pankow für Mädchen
und Frauen. Die Arbeiter werden auf Antrag des Kassenarztes
der Erholungsstätte überwiesen, erhalten auf der Stadt- und Ring¬
bahn Arbeiterfahrkarten, verbleiben den Tag über im Freien, er¬
halten auf Kosten der Kasse Milch und Mittagessen und kehren
Abends in die Stadt zurück. In Folge der einfachen Einrichtung
der Erholungsstätten, der Lieferung der Baracken durch das Rothe
Kreuz und des Entgegenkommens des PostAskus, der das Gebäude
in Pankow unentgeltlich zur Verfügung stellt, sind die Kosten
ausserordentlich geringe; die ganze Anlage für 150 Kranke lässt
sich ungefähr für 3000 M. herrichten.
Herr D i p p e - Leipzig hält die Fürsorge für die zurtick¬
bleibende Familie für sehr wichtig, damit die Kranken leichter
und früher die Anstalten aufsucheu.
Herr Lennhoff - Berlin weist darauf hin, dass die Berliner
Erholungsstätten den kranken Arbeiter seiner Familie nicht ent¬
fremden, indem derselbe Abends nach Hause zurückkehrt und
häuüg von seiner Familie draussen besucht wird und indem die
Frauen oft ihre Säuglinge und Kinder den ganzen Tag bei sich
behalten.
Herr Bongartz - Karlsruhe berichtet über die Erfolge des
von der Grossherzogin von Baden begründeten Genesungsheimes
für rachitische und in der Entwicklung zurückgebliebene Kinder:
Im Anschluss an ein Krankenhaus werden 12 Kinder den Sommer
über ln einer besonderen Baracke auf genommen und verpüegt,
ein anderer Tliell der Kinder verbleibt nur den Tag über dort und
erhält Bäder, Massagen etc. sowie Verköstigung. Bis jetzt sind
die Erfahrungen günstige.
IX. Der Arzt als Gutachter. Der Referent, Herr Thiem-
Cottbus, hat zwar nur die Stellung des Arztes als Gutachter
im Invaliden- und Unfallversicherungsgesetze in seinen Vortrag
einbezogen, hat aber dieses Thema in einer vorzüglichen Weise
bearbeitet und alle den ärztlichen Stand berührende Fragen ein¬
gehend besprochen; das Nachlesen des Referates im Wortlaute
ist daher angelegentlichst zu empfehlen.
T h i e m erwähnt zunächst die gesetzlichen Bestimmungen,
welche die sachverständige Thätigkelt des Arztes berühren, und
führt aus, dass die vorgesehene Mitwirkung der Aerztedem Umfange
ihrer Thätigkelt nicht entspricht Zunächst wendet er sich gegen
die Handhabung des § 69 des Unfallversicherungsgesetzes, wonach
„der behandelnde Arzt zu hören“ ist; der Sinn dieser Vorschrift ist
nicht der, dass es dem Arzt bloss anheimgestellt ist. sich zu äussern,
sondern er soll um sein Gutachten angegangen und dafürbezahlt wer¬
den. DieNothwendigkeit eines praktischen Unterrichtes derStudiren-
den in der socialen Medicin wird eingehend dargelegt; bei Auswahl
der Gutachter soll den Vorschlägen der Standes Vertretungen mehr
EinAuss gewährt werden und es soll nicht ein Monopol der Amts¬
ärzte geschaffen werden; geeignete Sachverständige in Unfnllsachen
können sie nur sein, wenn sie zugleich tüchtige praktische Aerzte
sind. Mit dem Worte „Obergutachten“ wird viel Missbrauch ge¬
trieben, da ein als solches bezeichnetes oft nur ein 2. oder 3. Gut¬
achten ist. Sehr treffend sind die Rügen der ärztlichen Gutachten
nach Form, Inhalt und Geist; hier müssen die Aerzte vor der
eigenen Thüre kehren und die Fehler Einzelner auf decken und
abstellen. Die Zeugnisse sind sorgfältig, klar und vollständig ab¬
zufassen; Gefälligkeitszeugnisse zu verpönen; der Arzt soll
nicht falsche Humanität auf Kosten der Versicherungsanstalten
treiben, nur Wahrheit und Gerechtigkeit sollen die Richtschnur
seines Gutachtens bilden. Andererseits hat sich der Arzt vor
übertriebener Slmulantenrlecherel zu hüten, meist handelt es sich
nur um Uebertrelbungen. Die Nachuntersuchungen der Rentner
im Umherziehen, die sog. „Reutenrazzias“ sind nicht nach dem
Geschmack des Referenten. Ferner ist jede abfällige und wegen
mangelnder Kenntniss der Anamnese ungerechte Kritik der voraus¬
gegangenen Behandlung oder der früheren Gutachten zu ver¬
meiden. Die mit grossem Beifall aufgenommenen Ausführungen
des Referenten gipfeln in folgenden Thesen:
„1. Die In § 69 des Gewerbe-Unfall-Verslcherungsgesctzes vom
30. Juni 1900 enthaltene Bestimmung, gemäss welcher „der behan¬
delnde Arzt“ bei Ablehnung der Entschädigung oder Gewährung
einer Theilrente „zu hören ist“, kann nur so aufzufassen sein, dass
die betreffende Berufsgenossenschaft Ihn zur gutachtlichen Aeus-
serung zu ersuchen hat.
2. So lange nicht allen Aerzten auf der Hochschule und im
praktischen Jahre die genügende Ausbildung ln der Begutachtung
und Behandlung Unfallverletzter und Invalider zu Theil wird,
sind die Sachverständigen bei den Schiedsgerichten der Arbeiter¬
versicherung nicht mit Rücksicht auf amtliche Stellung, sondern
lediglich mit Rücksicht auf genügend wissenschaftliche Kennt¬
nisse und praktische Erfahrungen auf diesem Gebiete zu wählen.
3. Als „Obergutachten“ sind nur solche Gutachten zu be¬
zeichnen, die zur Schlichtung von wesentlichen Meinungsver¬
schiedenheiten der Vorgutachter nothwendig werden.
4. Den Aerzten wird vom Deutschen Aerztetage dringend an’s
Herz gelegt, durch sorgfältige Ausstellung ihrer Gutachten ln
einer nach Form, Inhalt und Beweisführung für Rentcnzahler und
Richter verständlichen Weise ihrerseits jeder Veranlassung zur
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MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
1152
Klage and zur Missachtung Ihrer Zeugnisse den Boden zu ent¬
ziehen.
5. Die abfällige Beurthellung, welche die ärztlichen Gutachten
bisweilen in Invalldensachen durch Laiengutachter (untere Ver¬
waltungsbehörde) erfahren. Ist verletzend für die Aerzte und er¬
schwert deren Mitwirkung bei der Begutachtung Invalider.
Es ist Pflicht der Versicherungsanstalten und Aufsichts¬
behörden, die Laiengutachter auf diese Ungehörigkelt hiuzu-
weisen.“
In der Discussion bespricht zunächst Herr Pfalz-Düsseldorf
die Art und Welse, wie die ärztlichen Sachverständigen in dem
Elberfelder Militärbefreiungsprocesse l>ehnndelt wurden und bringt,
nach ihm auch Herr P r ö b s 11 n g - Köln, eine Reihe von Einzel¬
heiten vor, die die lebhafteste Entrüstung der Versammlung er¬
regen (vergl. die betreffenden Ausführungen von Pfalz in No.450
des Aerztl. Verelusblattes). Er stellt desshalb den Antrag:
„Der 29. Deutsche Aerztetag spricht sein tiefstes Bedauern
aus über die Art und Weise, wie den begutachtenden Aerzton
im Elberfelder Militärbefreiungsproeess entgegen getreten
wurde, und beauftragt den Geschäftsausschuss, den zuständige»
Behörden von diesem Beschluss Kenntniss zu geben."
Herr M u g d a n - Berliu begründet folgende von Herrn Leon-
hoff eingebraehten Anträge:
„Da die socialen Gesetze von jedem Arzt eine Gutachter-
thiitigkeit verlangen. Ist es nöthlg, dass
1. die Studlrenden Unterricht in allen Theilen der socialen
Gesetzgebung (Kranken-, Unfall-, Alters- und Invaliditäts-
Versicherung) erhalten;
2. zu diesem Zweck an den Universitäten Beobachtungsab¬
teilungen — chirurgische und intern-neurologische — für
zu begutachtende Renteusucher errichtet werden;
3. für die praktischen Aerzte entsprechende Fortbildungs¬
kurse eingerichtet werden.“
Herr M unter- Berlin wendet sich gegen einzelne Ausführ¬
ungen des Referenten. Herr M a r c u s e - Berliu beantragt, den
ersten Satz der 2. These zu streichen. Herr Landsberger-
Posen Ist mit den Ausführungen des Referenten einverstanden,
jedoch nicht mit These 2 und 4-; den Antrag Leunhoff wünscht
er wegen seiner Bedeutung später als eigenen Berathungsgegen-
staud zu behandeln; er ist auch gegen den Antrag Pfalz, da der
Deutsche Aerztetag nicht das Forum sei, über deutsche Richter
zu Gericht zu sitzen und da solche Beschwerden an den Reichstag
oder Landtag zu adressiren sind.
Herr Löbker bemerkt, dass der Antrag Pfalz sich nur
gegen die Behandlung der Aerzte als Gutachter richte, nicht
gegen die persönliche Behandlung der Einzelnen, und dass er dess-
wegen die Resolution zugelassen habe.
Herr Pfalz erklärt noch, dass er die Nebenumstände nur
erwähnt habe, um die geschädigten Aerzte zu rehabilitiren.
Nach dem Schlussworte des Referenten zieht Herr Lcnn-
h o f f seinen Antrag zurück, der Antrag M a r c u s c wird ab¬
gelehnt, die Thesen des Referenten werden mit allen gegen
5 Stimmen angenommen. Der Antrag Pfalz wird angenommen.
X. Antrag des Bezirksvereins Stuttgart I:
„Es möge der Deutsche Aerztevereinsbund bei der Reichs¬
regierung dahin vorstellig worden, dass die für Honorirung
ärztlicher Gutachten für die Militärbehörden erforderlichen
Geldmittel in den Etat eingestellt werden“.
Herr Deahna - Stuttgart führt zur Begründung des An¬
trages an, dass von den Aerzton häufig Zeugnisse über den Ge¬
sundheitszustand und frühere Erkrankungen von Militärpersonon
verlangt, aber nicht bezahlt werden, angeblich wegen Mangels der
Gehlmittel. Herr F ritschi - Freiburg unterstützt den Antrag,
welcher einstimmig angenommen wird.
XI. Antrag Becher- Berlin:
„Der Aerztetag besehliesst, an die Reichsregierung das
Ersuchen zu richten, dass Personen mit dem schweizerischen
Maturitätszeugniss auch nicht ausnahmsweise zum Studium
der Medicin zugelassen werden; ebensowenig dürfen nicht¬
immatrikulationsfähige Personen zum Besuche der Kliniken
zugelassen werden, indem dadurch der Kurpfuscherei Vor¬
schub geleistet wird“.
Begründet wird der Antrag damit, dass das schweizerische
Maturitätsexamen gegenüber unserem Gymnasialexamen minder-
werthig sei und etwa unserem Einjiihrig-Freiwilligen-Examen
entspreche; wenn aber die Frauen, um die es sich hier meist han¬
delt, zum Medioinstudium zugelassen werden, müsse man von
ihnen auch die gleiche Vorbildung verlangen wie von den
Männern; wenn der Staat die Frauen zulassen will, soll er auch
die richtigen Bildungsstätten schaffen.
Der Antrag wird ohne Discussion mit allen gegen 3 Stimm'n
angenommen.
Ausserhalb der Tagesordnung warnt Herr P f a 1 z - Düssel¬
dorf vor dem Abonnentenfang der Zeitschrift „Unfallversiche¬
rungspraxis“.
Damit ist die reichhaltige und interessante Tagesordnung
abgeschlossen. Der Vorsitzende, Herr Löbker, schliesst die
Verhandlungen des Aerztetages mit einem kurzen Rückblick.
Einmüthig sei in den Debatten und Beschlüssen auch des dies¬
maligen Aerztetages zum Ausdruck gekommen, dass derselbe zwar
mit allen Kräften das materielle Wohl der ärztlichen Standes¬
genossen und wenn möglich noch besser als in der Vergangenheit
fördern wolle, dass er aber dabei die Grenzen, welche durch die
Ethik des ärztlichen Berufes gezogen sind, nicht überschreiten
wolle und werde. Unzweideutig habe der Aerztetag auch durch die
That gezeigt, dass die deutschen Aerzte sich in ihren Standesver¬
tretungen nicht in egoistischer Weise lediglich um ihre eigenen
Interessen kümmern, sondern dass sie trotz aller Schäden, die
ihnen aus der unglückseligen Lage und Handhabung der Gesetz¬
gebung erwachsen, bereit sind, unverdrossen auch an der Förde¬
rung des Staats- und des Volkswohles mitzuarbeiten. Ferner sei
von dem diesmaligen Aerztetag in imposanter Kundgebung aus¬
gesprochen worden, dass die deutschen Aerzte nach wie vor in
dem Aerztevereinsbunde die beste Organisation zur gemein¬
samen Vertheidigung ihrer Interessen erblicken, dass sie jeden
Kollegen oder jede Vereinigung von Kollegen im Bunde oder
mit diesem als Mitkämpfer herzlich willkommen heissen, dass
aber ein Erfolg nur dann erwartet werden kann, wenn keine
Mittel zur Anwendung kommen, welche die Einigkeit der Aerzte
im Bunde gefährden könnten. So sei denn seine Hoffnung, dass
trotz der bestehenden Meinungsverschiedenheiten durch die Ver¬
handlungen des Aerztetages die Einigkeit der deutschen Aerzte
und der Bestand des Aerztevereinsbundes von Neuem gestärkt
werde, nicht zu Schanden geworden. Er danke Allen, welche
sieh um diesen gedeihlichen Abschluss des Aerztetages besonders
verdient gemacht haben.
Kurz zu gedenken ist noch des nichtofficiellen Theiles des
Aerztetages. Am ersten Tage vereinigten sich nach Schluss der
Ritzung die Theilnehmer zu einem gemeinschaftlichen Essen,
am zweiten Tage bot die Stadt Hildesheim ihren Gästen ein
Frühstück im Rathskcller. Alle Anerkennung verdienen das Ent¬
gegenkommen der Stadtverwaltung und die Liebenswürdigkeit
des Oberbürgermeisters. Herrn Struckmann. Der Höhe¬
punkt der Feststimmung ward erreicht, als am ersten Abend auf
dem alt ehrwürdigen Marktplatze die fröhlichen Zecher sich zu
löblichem Thun versammelten. Es wurde mancher launige Toast
gewechselt und der alten Häuser Hildesheims und der alten
Häuser im Aerztevereinsbunde gedacht, aber jung klangen Allen
aus der Kehle, die Studentenlieder: „Gaudeamus igitur“, „O alte
Burschenherrliehkeit, wohin bist du entschwunden“. Die Er¬
innerungen an die eigenartigen Schönheiten Hildesheims und
der animirende Verkehr mit den Kollegen wird allen Theil-
nehmern des 29. Deutschen Aerztetages in angenehmer Erinne¬
rung bleiben. Dr. Carl Becker.
X Versammlung der Deutschen Otolog. Gesellschaft
in Breslau am 24. und 25. Mai 1901').
Die Versammlung, welche im Stadthause stattfand, wurde
durch den Vorsitzenden Prof. Habermann - Graz eröffnet Die
Herren Oberbürgermeister Bender, Stadtrath Steuer und Prof.
Kümmel begrüssen die Versammlung. Die Gesellschaft hat eine
Mitgliederzahl von 209 erreicht. Das Vermögen beträgt 3342 M.,
dem Fond für das in Würzburg zu errichtende v. Tröltsch-
Denkmal wurden 1000 M. überwiesen, so dass derselbe 5176 M. be¬
trägt.
Der Vorsitzende gedenkt des verstorbenen Prof. K u h n -
Strassburg und erwähnt die erste Gründung eines Ordinariats für
Ohrenheilkunde an einer deutschen Universität (Rostock). Es wird
beschlossen, dem Herzog Johann Albrecht vou
Mecklenburg eine Dankadresse zu überreichen.
In der Sitzung am 24. Mai, Vormittags, wurden Referate er¬
stattet über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der otogenen
Pyaemie von den Herren Jansen- Berlin und Brieger-
Breslau.
Die Schlusssätze J a n s e n’s sind folgende:
I. eine metasta'.Jsche Pyaemie durch sog. Ostoophlebitis oder
iudireeter Resorption vom Knochen aus ist nicht sicher erwiesen.
II. Bei der (nietastatischen) Pyaemie sind der Sinus und der
Bulbus der Jugularis, eventuell der letztere nach Ausschluss des
Sinus, als Ausgangspunkt der Infektion zu betrachten und aufzu¬
decken.
III. Wenn bei Fieber die Indication zur Eröffnung des Warzen¬
fortsatzes vorliegt, so legen wir den Sinus frei.
‘) Die Verhandlungen erscheinen bei Gustav Fischer, Jena.
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9. Juli 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1153
Specielle Indientlou zur Operation an den Blutgefässen:
Die Unterbindung der Jugularis wird I. als erster Akt der
Operation ausgeführt 1. bei zweifelloser Jugularisphlebltis, 2. bei
schwerer Sepsis; II. nach der Freilegung des Sinus 1. wenn der¬
selbe gesund erscheint, keine perisinuösen Affektionen bestehen
und die Pyaemie mit starken Temperaturschwankungen und
Schüttelfrost verläuft, 2. bei Perityphlitis oder wandständiger
Thrombose unter denselben Bedingungen.
Der Sinus wird eröffnet:
a) bei dem Nachweise von septisch zerfallenem Thrombus bei
negativem Puuktionsbefunde,
b) im Falle von Gangraen der Sinuswand,
e) bei wiederholten Schüttelfrösten, starken Schwankungen,
schlechtem Allgemeinbefinden,
d) bei Neuritis optica.
III. wird die Jugularis unterbunden nach der Eröffnung des
Sinus a) wenn der septische Thrombus in unmittelbarer Nähe des
Bulbus liegt oder gelegen hat, b) wenn nach Eröffnung des Sinus
die Schüttelfröste nicht sistlren, die Temperatur keinerlei Abnahme
zeigt.
Der Nachweis einer Affektion der Sinuswand oder eines soliden
Thrombus bedingt also nicht ohneWelteres eine Operation am Sinus
oder der Jugularis, denn diese Affektionen kommen sehr häufig
zur spontanen Ausheilung.
Maassgebend ist der Charakter der Allgemeininfektion. Der
sichere Nachweis einer diffusen eitrigen Meningitis ist zur Zeit eine
Contraindication zur Operation. Der Nachweis von Eiter oder
Coccen bei der Lumbalpunktion allein darf von der Operation nicht
abhalten.
Herr B r 1 e g e r: Die otogene Pyaemie hat keine einheit¬
liche Genese. Sie ist zwar in der grossen Mehrzahl der Fälle
durch thrombophlebltische Processe tHlmblutleiter, Bulbus Jugu¬
laris) bedingt, daneben wird aber auch bei ausgesprochenem Bild
der Pyaemie gelegentlich normales Verhalten ln allen Venen¬
bezirken gefunden. Der Vortragende berichtet über Sektions¬
befunde bei Pyaemie ohne Sinusthrombose. Die Allgemeininfektion
kann durch rein bacterielle Embolien zu Stande kommen. Die
Osteophlebitlspyaemie, von den Venen des Warzenfortsatzes aus¬
gehend, ist nicht bewiesen. In vielen Fällen von Pyaemie besteht
wandständige Thrombose. Die obturirende Thrombose entsteht
aus der wandständigen oder aus der Fortsetzung einer Thrombose
von in den Sinus einmündenden Venen.
Die Diagnose der otogenen Pyaemie kann nicht durch be¬
stimmte Temperaturen gestellt werden. Auch bei unkomplizlrten
Eiterungen finden sich höhere Fieberbewegungen auf Tage hinaus.
Fieber kann bei Sinusthrombose vollständig fehlen.
Auch bei ausgesprochener Meningitis, beim Vorhandensein
metastatischerLungenabscesse, bei Fällen mit schwerem, toxischem
Verlauf ist operative Heilung erzielt Worden. Als Endziel der
operativen Behandlung ist der Abschluss des Sinus in beiden Rich¬
tungen anzustreben. Die Ausräumung solider Thrombusmassen
an den Enden des Thrombus ist zu widerrathen.
Die Eröffnung des nicht vollständig verstopften Sinus ist mit
der Gefahr der Luftaspiration verbunden. Die Kompression oder
Unterbindung der Jugularis schützt vor dieser Gefahr. Die Unter¬
bindung der Jugularis gibt einen absolut sicheren Schutz gegen
die Ausbreitung der Phlebitis in der Kontinuität der Vene. Die
Gefahren der Ligatur vermindern sich, wenn der Unterbindung
die Spaltung oder Excision des ligirten Abschnittes folgen kann.
Discusslon: Herr Körner- Rostock stimmt mit den Re¬
ferenten überein, dass das von ihm aufgestellte Krankheitsbild
meistens auf einer früher bei den Sektionen übersehenen wand¬
ständigen Thrombose beruhe. Das Auftreten pyaemlschen Fiebers
und von Metastasen, wenn nur der Knochen mit seinen Gefässen
krank ist, bedarf wohl weiterer Beobachtung und Klärung.
Nach L e u t e r t - Königsberg soll nicht mehr otitische
Pyaemie, sondern Sinusthrombose diagnostlcirt und dement¬
sprechend operativ vorgegangen werden. L. hält es für unwahr¬
scheinlich, dass die Thrombose des Bulbus der Vena Jugularis
durch ein Uebergreifen der Entzündung der Paukenhöhle durch
den Boden derselben auf den Bulbus verursacht wird. L. unter¬
bindet stets die Jugularis vor der Eröffnung des Sinus oberhalb der
Vena faciei communis. Die Probepunktion wird verworfen.
Herr Panse- Dresden hebt hervor, dass bei der Sektion die
Thrombose übersehen werden kann. P. hat in einem Falle den
8inns auf geschnitten, einen Tampon eingeschoben, ohne dass es
ru Thrombose kam. In einem anderen Falle wurde die Sinuswand
gesund befunden, dieselbe erkrankte nud trat tödtliche Pyaemie ein.
Herr Leutert: Unkompllzlrte Warzenfortsatzempyeme,
Subduralabscesse und Hirnabscesse machen kein hohes Fieber;
Temperaturen über 39 0 müssen auf Sinusthrombose oder Meningitis
bezogen werden.
Nach der Erfahrung von Scheibe- München sind es meist
Fälle von Influenza, welche zur Bulbusthrombose führen.
Herr v. Wild- Frankfurt warnt davor, Pyaemie und Sinus¬
thrombose für denselben Begriff zu erklären. Allgemeininfektion,
sogar wahre Pyaemie kann'ohne primären Eiterherd und ohne
Thrombose entstehen (Anginen). Durch den Nachweis eines
Thrombus ist keineswegs bewiesen, dass dieser der Ausgangspunkt
der Allgemeininfektion war. Bei frühzeitig zur Operation kom¬
menden Allgemein!nfectionen soll man sich begnügen, den primären
Herd auazurftumen.
Von den Herren Schwabach, Ehrenfried, Alt,
.Walldsett wird über einschlägige Krankheitsfälle berichtet
Herr Jansen (Schlusswort) stimmt damit überein, dass die
Fälle mit hohem kontinulrlichen Fieber die gefährlichsten sind
und rasches Eingreifen erfordern. Bel solider Thrombose ohne All¬
gemeininfektion braucht nicht eingegriffen zu werden. In allen
Fällen von Pyaemie konnte J. Slnuserkraukuugen feststelleu. Die
Eröffnung des noch durchgängigen Sinus zu diagnostischeu und
therapeutischen Zwecken wird von J. verworfen. J. gibt sodann
eine statistische Uebersicht über seine Operationsfälle.
Herr Brieger (Schlusswort): Sowohl experimentelle Unter¬
suchungen als die Beobachtungen an Kranken beweisen das Vor¬
kommen von Pyaemie ohne Thrombose. Vor Schematisiren muss
gewarnt werden. Durch Unterbindung der Jugularis kann die
Ausbreitung der Thrombose begünstigt werden. Einführung von
Tampons in den Sinus bei der von Leutert empfohlenen Probe-
incision muss zur Thrombose führen.
2. Sitzung. 24. Mai, Nachmittags.
3. Sitzung. 25. Mai.
Herr P a n s e - Dresden berichtet filier das Endresultat von
Coramis8lonberathungen über die Hörprüfung. Es soll mit
Flüsterstimme (Residualluft, Zahlen) geprüft und die Luft- und
Knochenleitung durch Stimmgabeln festgestellt werden. Die con-
tlnulrliche Tonreihe ist nur für bestimmte Fälle nothwendig.
Herr Alfred D e n k e r - Hagen: Das Monotremenohr in
phylogenetischer Beziehung.
D. demonstrirt Corrosionspräparate nach Semper-Riehm
und Knochenpräparate des Gehörorganes von Echidna, Ornitho-
rynchus und Varanus und wendet sich bei seinen Ausführungen zu¬
nächst gegen die Behauptung des Prof. Sixta, dass den Mono-
tremen ein Os quadratum zukoinme. In Übereinstimmung mit
dem niederländischen Zoologen von Bern m eien ist 1). der An¬
sicht, dass die von Sixta bei den Monotremen als Os quadratum
^gesprochenen Knochenpartien bei Echidna einen Theil des
Krankenvorstellungen und Demonstrationen.
Herr Deutschländer - Breslau stellt einen Kranken
vor, bei welchem die folgenden Komplikationen von Mittelohr¬
eiterung auf operativem Wege beseitigt waren: Parotisabscess.
extraduraler Abscess am Sinus transversus und Vena Jugularis,
Senkungsabscess in das Atlanto-occipitalgelenk.
Derselbe stellt 4 Kranke mit Bhinosklerom vor. Dieselben
stammen alle aus Oberschlesien.
Herr Alt-Wien liefert einen Beitrag zu den musikalischen
Hörstörungen durch Mittheiiung eines Falles von completer Tou-
taubheit, bedingt durch beiderseitige Labyrintherkrankung nach
Influenza. Dem Patienten erschien, während er eine Oper anhörte,
die Musik plötzlich als unangenehmes Geräusch. Später hörte er
die Musik überhaupt nicht mehr, kann nur den Rhythmus derselben
unterscheiden. Einzelne auf dem Klavier angeschlagene Töne
wurden gehört, Akkorde nicht, Stimmgabeln wurden links um
y 2 Ton, rechts um 2 Töne höher gehört als normal. — Im Anschluss
an diese Fälle berichtet A11 über eine Reihe von Versuchen mit
Stimmgabeln bei Belastung des Trommelfells.
Discussion: Herr B e r t h o 1 d - Königsberg beobachtete
einen Fall, bei welchem nach Perforation des Trommelfells Doppel¬
töne, Diplacusis mouauralis. Innerhalb der Octaven c 1 bis c * auf¬
traten.
Herr William Stern- Breslau demonstrirt eine continuir-
liche Flaschentonreihe — Tonvariator. Der Ton wird erzeugt
durch Anblasen von Flaschen, die Tonveränderungen entstehen
dadurch, dass während des Anblasen ln den Flaschen von unten
her Wasser nach einer bestimmten Gesetzmässigkeit zum Steigen
oder Fallen gebracht wird. Der Tonvariator umfasst mit vier
Flaschen das Tongebiet von 100 bis 1000 Schwingungen.
Herr Berthold - Königsberg spricht über intranasale Va¬
porisation und demonstrirt die zu diesem Zwecke an dem Atmo-
kauter von P i n c u s angebrachten Veränderungen, um denselben
sowohl für die Nase als für die Kieferhöhle geeignet zu machen.
Herren Peter und Hinsberg - Breslau demonstriren
Bor n’sche Plattenmodelle zur Entwicklung der Nasenhöhle bei
Säugern, Reptilien, Fischen und Amphibien.
Herr Scheibe- München demonstrirt ein Messer zur Ab¬
tragung der Lateralstränge im Rachen.
Herr K a y s e r - Breslau entfernte bei einem 12 jährigen
Knaben einen Mandelstein von ungewöhnlicher Grösse (35 mm
lang, 28 mm breit, 16 mm dick).
Derselbe: Krankenvorstellung: Tuberkulöses Haut-
Geschwür im äusseren Gehörgange.
Herr B r i e g e r - Breslau: Demonstration eines Falles von
primärer Schläfenbein tuberkulöse. Heilung nach Operation des
Warzenfortsatzes.
Derselbe demonstrirt ein Präparat eines Falles von , ,
Labyrinthentzündung. Plötzliche Ertaubung nach Infiuenzaotitis.
Tod später an tuberkulöser Meningitis. Die mikroskopische Unter¬
suchung efgTbf' tutulcr Verödung des Labyrinths durch Ivuochen-
und Bindgewebsneubildung.
Herr G o e r k e - Breslau: Demonstration mikroskopischer
Präparate mit dem Skioptikon.
1. Acusticustumoren. 2 Fälle von Flbrosarkom des Acustlcus,
in dem einen Falle mit totaler Atrophie der Nervenfasern und der
Ganglienzellen im Labyrinth, sowie Schwund des Corti’scheu
Organs.
2. Ohrpolypen. Histologische Details sind Im Arch. f. Ohren-
heilk., Bd. 52, veröffentlicht.
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1154 MTTENCHENER MEEICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28.
Mastoids uud bei Ornlthorhynchus einen Theil des Squamosum dar-
Btellen.
Auch für die Behauptung S i x t a’s, dass die Fenestra vestibuli
der Monotremen in der Naht der verbundenen Knochen Otosphenold
und Pleurooccipitale liege, konnte D. an seinen silmmtlichen Prä-
paraten keine Anhaltspunkte finden; er ist überzeugt, dass das
Vorhofsfenster der Kloakenthiere ausschliesslich vom Petrosum
umgrenzt wird. Ferner vermag D. auf Grund seiner Untersuch¬
ungen der Ansicht S i x t a’s, dass die Monotremen fast dasselbe
knöcherne Gehörlabyrinth wie die Saurier besitzen, nicht beizu-
stiramen. Die Wandungen der Labyrinthkapsel setzen sich nicht
wie bei den Sauriern zusammen aus dem Otosplieuoid, Occipitale
superius und Opistholicum, sondern das Labyrinth wird aus¬
schliesslich von dem Petrosum umschlossen.
Auf Grund seiner eingehenden Untersuchungen kommt D. am
Schlüsse seiner Ausführungen zu der Ansicht, dass das Monotremen-
ohr eine Uebergangsform zwischem dem Gehörorgane der Mam¬
malier und Saurier darstellt, dass dasselbe jedoch, soweit es sich
durch makroskopische Untersuchung feststellen lässt, dem Säuge¬
thierohre näher steht als dem Ileptilienohre.
(Die Arbeit wird ausführlich veröffentlicht in „S e m o n , Zoo¬
logische Forschungsreisen in Australien und dem Malayischen
Archipel. Gustav Fischer, Jena.“)
Herr B ö n n i n g h a u s - Breslau: Beiträge zur Anatomie
des Walohres.
Herr C. Biehl-Wien: Der Verlauf des Vorhof nerven im
Hirnstamme.
Dem Schnecken- und Vorhofaste des Nervus acusticus s. oc-
tavus (Ewald) kommen vollkommen verschiedene physiologische
Funktionen zu. Ebenso sind auch die anatomischen Wege sowohl
in der Peripherie als Im Ccntrnlorgaue getrennt. Die von B. an
Pferden und Schafen angestellten Versuche beweisen, 1. dass es
möglich ist, beim Schafe den Vorhofast des Nerv, oetavus intra¬
kraniell und i8olirt zu durchtrennen, 2. dass die als mediale Bahn
benannten Fasern des Nerv, oetavus im Hirnstamme dessen vesti¬
bulären Antheil darstellen.
Herr D e n n e r t - Berlin: Akustische Untersuchungen über
Mittönen und die Helmholt z’sche Lehre von den Tonempfin¬
dungen.
Dennert hat akustische Untersuchungen gemacht, um den
Werth der H e 1 m h o 11 z’schen Hypothese über das Hören, die
Resonanztheorie auf ihren grösseren oder geringeren Werth an
Wahrscheinlichkeit zu prüfen. Zu diesem Zweck präcisirt er deu
Unterschied zwischen Mittheilung des Schalls im engeren Sinn,
dem Mittönen, wenn zwei Körper gleicher Abstimmung oder glei¬
cher speelfischer Erregbarkeit sind, und der Mittlieilung des Schalls
im weiteren Sinne, wenn eine solche Beziehung nicht besteht.
Körper gleicher Abstimmung bedürfen viel geringerer Schallkräfte
zu ihrer Erregung und übertragen auch leichter, intensiver und in
demselben Sinne Ihre Erregung auf einen anderen, mit dem sie
ein Ganzes bilden. Dieser Unterschied wird auch an
experimentellen Versuchen erläutert. Diese strenge Unter¬
scheidung sei nothwendig, weil die H e 1 m h o 11 z’sche Theorie
auf der Mittheilung des Schalls im engeren Sinne beruht. Unter¬
suchungen über Mittheilung des Schalls überhaupt wie solche im
engeren Sinne, wenn beide Körper sich in der Luft befinden,
seien von verschiedenen Autoren mitgetheilt worden. D. hat dann
auch die Mittheilung des Schalls im engeren Sinne experimentell
nachweiseu können, wenn beide Körper sich in einer Flüssigkeit
befinden, auch wenn der eine Körper, analog wie beim Hören, sich
in der Flüssigkeit befindet, und zwar in fester und in Luftleitung.
Am schwierigsten sei die Erregung von Resonatoren in Flüssig¬
keiten durch Körper in der Luft, leichter noch ist feste Leitung.
Für letzteren Zweck, analog der Knochenleitung, sei ein äusserer
llllfsapparat nicht erforderlich. Die Erregung von Körpern in
Flüssigkeiten, analog dem Hören oder der Hörprüfung in Luft¬
leitung, sei aber sehr schwierig, weil Schallwellen der Luft schwer
auf Flüssigkeiten übergehen. Mit Hilfe von drei physikalischen
Thatsacben, die sich aus seinen Versuchen ergaben, sei es ihm
gelungen, dieses zu erreichen. Er konnte eine Versuchsanordnung
hersteilen, die im Prinzip und in der äusseren Anordnung eine
merkwürdige Uebereinstimmung mit dem Paukenhöhlenmechanis¬
mus zeigt. In dem Umstande, dass die akustischen Untersuch¬
ungen Im Prinzip zu einer dem Paukenhöhlenmechanismus sehr
ähnlichen Versuchsanordnung geführt haben, während Helm-
h o 11 z umgekehrt aus dem anatomischen Verhalten des Pauken¬
höhlenmechanismus seine prinzipielle physiologische Bedeutung
ableitet, sieht er eine weitere Stütze für die H e 1 m h o 11 z’sche
Theorie, wie auch In dem Umstande, dass Resonatoren durch re¬
lativ geringere Schallkräfte zu erregen seien und leichter, inten¬
siver und in demselben Sinne auch die Erregung auf andere Körper
übertragen, welche die gleiche speclfische Erregbarkeit besitzen,
was von Wichtigkeit für die Frage der qualitativen Schallüber¬
tragung auf die Endausbreituug des Hörnerven ist. In dem Pauken-
höhleumechaui8mus sehe er einen sehr zweckmässigen äusseren
Hilfsapparat für eine bessere Uebertragung der Schallbewegungen
der Luft auf die Labyrlnthtlüssigkeit und die darin befindlichen Re¬
sonatoren. Für die Uebertragung in fester Leitung, analog der
Knochenleitung, sei ein äusserer Hilfsapparat nicht erforderlich.
Herr P a n s e - Dresden: Wo entsteht der SchwindelP
P. erörtert die drei verschiedenen Sinnesbahnen, durch welche
der Mensch Uber sein Verhältnis zum Raume unterrichtet wird
und auf welche Weise Täuschungen dieser Kenntnis — Schwindel
— entsteht.
Herr Berthold - Königsberg: Ueber entotische Töne.
Der Vortr. hört in seinem linken Ohre den Ton c * seit Jahren
bei jeder Bewegung beim Gehen, bei Kopfbewegungen, bei Druck
auf’s Trommelfell. B. glaubt, dass es sich um Lockerung der Ge¬
lenkverbindungen zwischen den Gehörknöchelchen handelt
Herr Habermann - Graz: Zur Entstehung der Taub¬
stummheit
In einem Falle war die Taubheit hauptsächlich durch Ver¬
wachsung des runden Fensters und Fixation des Steigbügels be¬
dingt Im zweiten Falle bestand Verschluss des runden Fensters
durch Hyperostose des Knochens, ovales Fenster frei. Im letz¬
teren Falle waren noch Hörreste vorhanden.
Herr Scheibe- München: Zur Ostitis der LabyrinthkapseL
Bei der Ostitis der Labyrinthkapsel, welche nach den neueren
Untersuchungen die anatomische Grundlage der sog. Mittelohr¬
sklerose ist, lässt sich ausser Verdickung des Periosts, welche auf
die Stelle der Knochenerkrankung beschränkt ist, keine wesent¬
liche Veränderung der Mittelolirschleimhaut nachwelsen. Sch.
demonstrirt Präparate, welche in ihrem anatomischen Bau die
gleiche Beschaffenheit zeigen wie bei Sklerose, bei welchen aber
noch andere wesentliche entzündliche Veränderungen vorhanden
sind. *
Herr H a b e r m a n n - Graz: Ueber chronische Ostitis im
Schläfenbein.
H. berichtet über einen verhältnissmässig frischen Fall. Es
fand sich r. ein Erkrankungsherd im Knochen am runden Fenster,
1. am ovalen Fenster, ausserdem war die Paukenhöhlenschleimhaut
verdickt (Spindelzellen, Biudegewebsueubllduug). Bis jetzt wurden
von dem Vortragenden 13 ähnliche Schläfenbeine untersucht.
Herr Hinsberg - Breslau: Ueber den Infektionsmecha¬
nismus bei Meningitis nach Stirnhöhleneiterung.
In dem Fall des Vortragenden wurde eine allgemeine Menin¬
gitis durch die Eröffnung der Stirnhöhle ausgelöst, ohne dass bei
der Operation ein Kunstfehler begangen wurde. Der Tod trat
30 Stunden nach der Operation alu. Bel der Sektion fand sich
kolossale Menge flüssigen Eiters Im Subduralraum. Das knöcherne
Stirnhöhlendach, sowie die Dura über demselben war sehr hyper¬
aemisch, von feinen Gefässen durchsetzt, sonst intakt. Bei der
mikroskopischen Untersuchung fanden sich einzelne Gefässe des
Knochens thrombosirh Es ist anzunehmen, dass durch die
lvnocheugefässe, welche von der Mucosa zur Dura führen, die
Infektion stattgefunden hat.
Herr Görke- Breslau: Ueber C&ries der Gehörknöchelchen.
Bisher ist die Pathologie der Gehörknöchelchen fast aus¬
schliesslich an operativ gewonnenem Material studirt worden.
Doch Ist zur Aufklärung und Beantwortung verschiedener Fragen
pathologisch-anatomische Untersuchung von Sektionsobjekten er¬
forderlich. Die Ohren von 800 Fällen, die im Laufe der letzten
Jahre im Allerheiligen-Hospital zur Sektion kamen, wurden unter-
sucht und dabei Befunde erhoben, die nur zum Theil mit den¬
jenigen an operativ gewonnenen Objekten Uberelnstimmen. Die
Gehörknöchelchen wurden zunächst mit dem stereoskopischen
Mikroskop untersucht und dann in Serienschnitte zerlegt. Vor¬
tragender gibt dann eine eingehende Schilderung der histologischen
Befunde und erörtert dann an der Hand der Sektionsergebnisse
die Diagnose der „Gehörknöchelchencaries“ aus dem otoekoplschen
Bilde. Demonstration von entsprechenden Lupenpräparaten,
mikroskopischen Schnitten und stereoskopischen Mikrophoto¬
grammen.
Herr M a n n - Dresden: Mucocele des rechten Siebbeine.
Ein 39 Jahre alter Schlosser, der in der Jugend ein Kopf¬
trauma erlitten und vor ca. 20 Jahren Lues acqulrirt hat, bemerkte
vor ca. 2 Jahren ein Heraustreten des rechten Auges und Ver¬
schlechterung des Sehvermögens. Die Beschwerden waren wech¬
selnd. Der Augenarzt constatirte Anfangs normalen Augenhinter¬
grund, allmählich aber stellte sich Stauungspapille ein und ein
Herabsinken der Sehschärfe auf S = */ M .
Mann fand am 6. April d. J.: rechter Bulbus stark nach
aussen und vorn getrieben, im inneren Augenwinkel ein kirsch-
grosser, grobelasti8cher Tumor. In der Nase, nach Abhebeu der
mittleren Muschel mittels K i 11 i a n’schem Speculum: Siebbein¬
boden stark nach unten und medialwärts erweitert, Schleimhaut
blass.
Der Knochen wird erst mit der Sonde durchstossen, dann mitder
Hartman n’schen Zange gefenstert. Der Inhalt ist chokoladen-
farbig, syrupsdick, enthält keine Bacterien, aber so viel Chole-
8teariu, dass seine Reindarstellung leicht gelingt. Die Cyste son¬
dert weiterhin kein Sekret ab. Bei der Operation sinkt der Bulbus
tief in die Orbita zurück, schnappt aber in den nächsten Tagen
beim Schnauben in die alte Lage zurück. Das Sehvermögen bessert
sich rasch zur normalen Sehschärfe. Die Stauungspapille ver¬
schwindet, aber Neuritis bleibt noch zurück.
Trotz der Anamnese scheint es sich um eine angeborene Anlage
der Cyste zu handeln. In der Literatur sind nur 8 derartige Fälle
vorhanden. Vor kurzer Zeit veröffentlichte Avellis einen im Archiv
für Laryugologie. Er allein gibt einen rhinoskopischen Befund.
Derselbe ähnelt dem vorliegenden. Der Fall beweist wie noth-
weudig bei Tumoren der Orbita eine specialistlsche Untersuchung
der Nase ist.
Herr W e r t h e i m - Breslau: Vorstellung eines Patienten,
bei welchem wegen doppelseitiger Stirnhöhleneiterung nach mehr¬
fachen operativen Eingriffen die Stirnhöhlen bis auf’s Ostium ver¬
ödet wurden.
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9. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
115o
Herr E h r e n £ r i e d - Berlin: Heber conservative und
operative Behandlung der Mittelohreiterungen.
Der Vortragende spricht sich in seinem Vortrage für die con-
servntlve Behandlung der Mittelohreiterungen aus.
Der Vorsitzende schllesst die Versammlung mit einem
Pauk an die Stadt und das Lokalcomitß. Die nächste Versamm¬
lung wird Pflngsten 1902 in Trier stattfinden.
Arthur Hartmann.
Berliner medicinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 25. Juni 1901.
Demonstrationen:
Herr Flonski: Zwei Kinder mit geueralisirter Vaccine,
einer gerade .letzt diagnostisch wichtigen Affektion, da eine Ver¬
wechslung mit echten Pocken, die z. Zt. hier Vorkommen, leicht
möglich wäre. Das eine Kind hatte ekzematöse Stellen, welche
vou den eigenen Impfpusteln aus iniizirt wurden; das andere hat
sich anscheinend an seinem geimpften Geschwisterchen infizirt.
Herr Gluck: Fülle von operativ geheilter tuberkulöser Peri¬
tonitis. welche er nach seiner Methode mit offener Wundbehandlung
zur Heilung brachte.
Tagesordnung:
Herr Martin Hahn- München (a. G.): Heber einige Be¬
obachtungen während der diesjährigen Pestepidemie in
Bombay.
Vortragender will nichts absolut Neues bringen, sondern
nur über Beobachtungen berichten, die er bei einem 2Vs monat¬
lichen Aufenthalte in Bombay und anderen Theilen Indiens an¬
gestellt hat.
Die nächste Frage, die sich dem Arzte aufdrängt, ist, ob
die gegenwärtige Art der Pestbekämpfung die richtige sei. Die
grosse Ausbreitung, welche die Pest in Indien genommen hat,
muss zu der Vermuthung führen, dass man von Anfang au nicht
energisch genug vorgegangen sei. Dieser Gedanke wurde selbst
von englischer Seite ausgesprochen und namentlich, mit dem
Hinweise auf Aegypten begründet, wo die Abwehr der Pest in
gleicher Weise gelang, wie etwa 1892 die der Cholera in Deutsch¬
land.
Der fremde Arzt hat in den Pestspitälern ohne Weiteres
Zutritt; man ist dort nicht so ängstlieh und kennt nicht die
Bacillenfurcht, die bei uns so schöne Blüthen getrieben hat.
Die Spitäler sind aber zum grössten Theil höchst mangel¬
haft; es fehlt besonders an Wäsche. Die Sauberkeit lässt darum
viel zu wünschen übrig und dies, sowie der Umstand, dass die
Angehörigen an den Betten die Pflege oft selbst vornehmen, auch
für ihre kranken Verwandten zuweilen kochen, öffnet natürlich
der Verbreitung der Krankheit Thür und Thor.
Die Behandlung führt ein Hinduarzt, der von den kranken
Eingeborenen bevorzugt wird.
Die Transportmittel und die Ermittelung von Krankheits¬
fällen sind genügend gilt geregelt; letztere kann jedoch der Wahr¬
heit nur annähernd nahekommen, da doch noch manche Fälle
verheimlicht werden.
Die Isolation der Kranken kann nicht durchgeführt
werden, dessgleichen nicht die Evacuation infizirter Wohn¬
ungen. da die dadurch entstehenden Unruhen nach Ansicht der
Engländer eine grössere Gefahr für die Verschleppung bedeuten
würden.
Dass trotz aller Desinfektionsmaassnahmen die Pest auch
in diesem Jahre zugenommen hat, rühre daher, dass in einem
Reiche wie Indien mit seinen eigenthümlichen Sitten und Ge¬
bräuchen und Einrichtungen, europäische Desinfektionsmittel
unzulänglich sind. Das ging noch in Aegypten, wo in den
Hafenstädten europäische Anschauungen schon mehr unter die
Bevölkerung gedrungen sind. In Europa würden die jetzt in
Indien getroffenen Maassnahmen ohne Zweifel zur Hintanhaltung
der Pest genügen, da es sich hier um assanirto Städte und eine
hygienisch vorgebildete Bevölkerung handelt; aber damit ist
nicht gesagt, dass man auch in Indien damit auskommt.
reberhaupt ist mit der Kenntniss des Erregers für die Be¬
kämpfung einer Seuche wenig gewonnen, wie die Erfahrung
hei der Malaria und Syphilis zeigt. Erster« wurde trotz be¬
kannten Erregers nicht unterdrückt und erst die neueren Forsch¬
ungen über den Uebertragungsmodus eröffnen einen hoffnungs¬
vollen Ausblick; umgekehrt ist bei der Syphilis der Erreger un¬
bekannt, aber der Uebertraguugsweg so gut bekannt, dass eine
Bekämpfung dieser Seuche sehr wohl möglich wäre, wenn sich
nicht sociale und ähnliche Schwierigkeiten in den Weg stellten.
Der Uebertragungsmodus der Pest ist aber noch nicht ge¬
nügend bekannt. Die angeschuldigten Ratten spielen zwar viel¬
leicht im Anfang eine Rolle; später aber nicht mehr; da sind
kleine Verletzungen der Haut beim Barfussgehon auf den Fuss-
böden und durch infizirteGegenstände (Kinder erkranken häufiger
am Munde und den oberen Extremitäten) die Ursache. Vortr.
konnte auch nie eine todte, Pestbacillen enthaltende Ratte finden.
Eine gewisse Herabminderuug der Erkrankungsziffer liesse sich
vielleicht erzielen, wenn die Hindus Schuhe trügen.
Die Schutzimpfung (Haffki n’s) wird in verhält-
nissmässig grossem Maassstabe vorgenommen, das Resultat ist
aber noch unsicher. Ein gewisser Schutz ist aber nicht von der
Hand zu weisen.
Man wendet jetzt das Pestheilserum zur Erlangung einer
brauchbaren Statistik so an, dass man ohne Unterschied, jeden
ins Spital eintretenden 2. Patienten damit behandelt ; dabei will
man eine Ilerabminderung der sonst über 90 Proc. betragenden
Sterblichkeit um (nicht auf) 12 Proc. erreicht haben.
Eine allgemeinere Verwendung dieses Serums ist aber noch
nicht möglich, da viel zu grosso Dosen nüthig (100 ccm Einzel¬
dosis, bis 1500 in der Gesammtdosis) und solche Mengen nicht
herstellbar sind. /
Die Aussichten auf ein wirksames Serum sind aber vorläufig
gering, da es bis jetzt nur bacterieidcs Serum gibt und kein anti¬
toxisches. Die Post ist aber nach seinen Untersuchungen nur
kurz vor dem Tode eine Sepsis, sonst eine T o x a e m i e.
So muss eine Besserung der Zustände zunächst von einer
Besserung der hygienischen Verhältnisse erwartet werden. Diese
dürften aber nicht so schnell zu erreichen sein, da hiezu eine
bessere Erziehung und Schulbildung des ganzen Volkes nüthig ist.
Hans K o h n.
Verein für innere Medicin in Berlin.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 24. Juni 1901.
Fortsetzung und Schluss der Discussion zu den Vor¬
trägen der Herren J. Meyer, Stadelmann und Kaminer.
Herr Fr. M e y e r: Seine und Michaelis’ Blutbefunde
im Blute von an florider Phthise Erkrankten, seien trotz der
Einwände und der negativen Befunde der Herren Stadelmann
und Burchardt aufrecht zu erhalten. Die Differenzen erklärten
sich aus dem verschiedenen Zeitpuukt der Blutuntersuchung, be¬
zogen auf den Exitus, und aus der verschiedenen Blutmonge. Es
können auch bei einem und demselben Kranken bald positive, bald
negative Befunde constatirt werden. Herr Lasker, der
S tad el m an n’s Fälle publicirte. sei in der Bcurtheilung der
Fälle zu rigoros gewesen. Er hält daran fest, dass das hektische
Fieber nicht bloss eine Toxaemie, sondern auch eine Scptikaemie
sein könne.
Herr S. Cohn: Die von Teichmüller behauptete Be¬
deutung der eosinophilen Zellen konnte er a u dem i lptiTiftt-rtw 1 '
Tuberkulose-rollklhnk n f c Ti f bestätigen.
' Herr Salomo n: Die Ausführungen des Herrn J. Meyer
hätten keinen neuen Gedanken gebracht, mit Ausnahme des Vor¬
schlags der Aufstellung b e s ojuLar er Tuberkulose-
ärzte.’ Dies sei aber ein durchaus zu verwerfender Gedanke.
Herr M. Michaelis hält gegen die Herren Stadel mann und
Burchardt die prognostische Bedeutung der 1>T ü .z o i» c« e --
t ion aufrecht und ist noch immer der Meinung, dass Phthisiker,
welche die Diazoreaction geben, ungeeignet zur Aufnahme in eine
Heimstätte seien.
Herr A. Fracnkel: Er halte den Streit um das Vorkommen
\-fm_Biikterien im Pinte von Ph thisikern für einen Streit um des
Kaisers Bart. Es sei sicher, dass sie Vorkommen können, clxmso
wie bei anderen Krankheiten; solche vereinzelte, abgesclnvüehte
Baeterien hätten aber gar keine Bedeutung. Was die Misehinfek-
tion anlange, so sei deren Vorkommen ausser Frage: er mache aber
entschieden dagegen Front, dass man diese Mischinfektiou zur
Erklärung aller möglichen Erscheinungen und auch des Miss¬
erfolges einer nntituberkulösen Behandlung und zur Erklärung des
hektischen Fiebers heranziehen wolle. Er verstehe nicht, wie Je¬
mand dem Tuberkelbacillus die Fähigkeit, Fieber zu erzeugen, ub-
sprechcn und doch zugleich glauben könne, dass das Tuberkulin
eine fieberhafte Reaction liervorrufo.
Herr v. Leyden: Seine früheren Ansichten über den Ein¬
fluss der Schwangerschaft auf das Befinden her/leidender Frauen
halte er aufrecht Zur Frage der Schwangerschaftsunterbrechung
hei phtliisisclieu Frauen bemerke er, dass auf alle F alle d o r
Arzt zur TT u t e r b r e c h u n g d e r S c li w a n g e r s e h a f t
berechtigt sei, dass jedoch viel auf die Stimmung der Pa¬
tientin ankomme, indem eine über die Schwangerschaft erfreute
x- Al
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1156
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
Frau weniger Gefahr laufe, eine Verschlimmerung der Tuberkulose
zu erleben, als Im umgekehrten Falle eine bekümmerte.
Herr A. Fraenkel: Die Frage der Schwangerschaftsunter¬
brechung sei nur von Fall zu Fall zu entscheiden, wobei es freilich
dann für den Arzt recht schwer sein könne, wofür er sich ent¬
scheiden solle. Die plötzliche Verschlimmerung der Phthisen
nach der Entbindung halte er für eine Folge der Aspiration von
tuberkulösem Material aus kleineren Herden bezw. Favoriten unter
den Anstrengungen und der forelrten Athmung beim Geburtsakt.
Herr J. Meyer (Schlusswort): Die Ansichten Salomon's über
die Aufstellung specieller Tuberkuloseärzte seien durch die Ein¬
richtung einer Universitätspoliklinik für Tuberkulöse in Berlin und
ähnliche Institute in anderen Städten und die Mittheilung
R u m p f’s. dass ihm aus Süd westdeut sehland drei Viertel un¬
geeignete Tuberkulöse zugeschickt werden, widerlegt. Trotzdem
sei er nicht der Meinung, dass die praktischen Aerzto unfähig zur
Stellung der Indication seien.
Herr Stadelmann (Schlusswort): Dass die Herren M e y e r
und Michaelis durch die in seinem Vortrage und der Discussion
gebrachten Betlenken bekehrt würden, habe er nicht erwartet. Die
Zukunft würde ergelien, wer Recht habe. Die Dlaxoreactlon
sei für das Laboratorium eine interessante Reaetion, sie in die
Öffentlichkeit hinauszutragen, sei verfrüht Die Schlüsse von
Michaelis seien viel zu weitgehende.
Vor der Anwendung des Pyranddons bei Tuberkulösen in den
grossen Dosen, wie P. Jako b sie empfohlen, warne er wegen der
grossen Gefahr des Collapses. Er weise nochmals auf die Salze
des Pyrnmidons hin, die auch liesser seien, als dieses selbst.
Herr Kam in er (Schlusswort): Bei den Tuberkulösen,
welche von der Universitätspoliklinik für Tuberkulöse zur Auf¬
nahme in eine Heimstätte vorgcschlagcn wurden, fand sich niemals
die Diazoreaction, umgekehrt war sie bei den Abgelehnten viel¬
fach vorhanden. Er glaubt, dass Iuitialphthisiker sie nicht zeigen.
Hans lv o h u.
Sitzung vom 1. J u 1 i 1901.
Demonstrationen:
Herr Litten: Präparat von voluminöser Embolie der
Lungenarterie, ausgehend von Kugelthroniben im rechten Herzen.
Vortragender erinnert bei dieser Gelegenheit an einen von ihm,
als Assistenten F re rieh 8’ beobachteten und publieirten Fall von
Verstopfung der Lungonarterle durch E c hino-
e o c e u s 1» 1 n s e n. Ausser diesen fanden sich in jenem höchst
merkwürdigen Falle nur verkalkte Eehiuoeoeeen in der Ilerzwand,
so dass also die Herkunft der Embolie damals nicht ganz sicher
gestellt werden konnte. Dass in diesem Falle das Blut, welches
sich durch die dichtgedrängten Echinococcusblasen hindurch
zwängen musste, nicht geronnen war. hatte L. zu der Annahme
veranlasst, dass lebende Echinoeocousl»lasen in gleicher Weise ge-
rinnungshemmend auf das Blut wirken, wie die lebende Gefiiss-
intima.
Tagesordnung:
Herr Litten: Heber den Zusammenhang zwischen All*
gemeinerkrankungen und solchen des Angenhintergrnndes.
Litten hat als Erster im Jahre 1876 auf die bei septischen
Prozessen vorkommenden Veränderungen im Augenhintergrund
hingewiesen; worunter nicht die auch schon damals bekannten
metastatischen Pnnophthalmien zu verstehen sind, sondern jene
weissen punkt- und streifenförmigen Iferdchen in der Nähe der
Pap. nerv. opt. und dio abwechselnd mit diesen vorkommenden
Blutungen.
Vortr. hatte in seiner damaligen Publikation angegeben,
dass er sie in 80 Proo. der Fälle (von 35) beobachtet habe; dnss
alle Fälle mit. positivem Augenl>efund tödtlieh verlaufen seien,
dass alle Fälle einen rapiden Verlauf genommen haben und dass
endlich dio Augenveränderungen erst kurz vor dem Tode aufge¬
treten seien.
Seine damaligen Mittheilungen seien im (1 rossen und Ganzen
vielseitig bestätigt worden, nur mit der Moilifizirung, dass diese
Veränderungen nicht so häufig auftreten, wie Litten ange¬
nommen, sondern nur in ca. 30—40 Proe.; dass nicht alle Fälle
tödtlieli verlaufen, sondern ein Theil trotz «1er Augenerschei-
nungon zur Heilung kommt, wobei auch die Veränderungen in
der Netzhaut wieder verschwinden, und endlich, dass solche Netz-
hautveränderungen auch bei protrahirten Fällen zur Beobachtung
gelangen.
Auf Grund einer reichen Beobachtung in den letzten Jahr¬
zehnten kommt. Vortr. zu «lern Resultat«-, «lass jene von anderer
Beite gebrachten Einschränkungen in der That berechtigt seien.
Wenn die prognostische Bedeutung der erwähnten Augcn-
lx-funde demnach auch eiuzuschränken sei, so halte er doch fest
an «ler schon zuerst geäusserton Ansicht über ihre diagnostische
Bedeutung, wobei man allerdings einige Versuche anzuwenden
habe, um di«-se hei septischen Prozessen, B r i g h t’seher Krank¬
heit, pernieiöser Anaemie, Leukacmie, Diubctcs und Skorbut vor¬
kommenden Veränderungen richtig zu verwerthen und sie auch
nicht mit Chorioidealtuherkeln zu verwechseln. Vortr. führt
dies im Einzelnen aus und bespricht die histologischen Verände¬
rungen, welche er noch neuerdings wieder einer eingehenden
Prüfung unterzog, ohne jedoch über die Natur der in Frage
stehenden weissen Fk-eke ein sicheres Urtheil zu bekommen. Es
scheint, dass es sieh um ein schnell gerinnendes Exsudat in die
Nervenfascrsehieht hamh-lt. Warum diese Exsudation immer in
«ler gleichen Schicht und in der Nähe der Papille stattfindet,
bleibt, dabei unentschieden.
1 lerr H. Strauss: Zur Funktionsprüfung der Leber.
Die bisherigen Bestrebungen, einen Maassstab für die
Funktionstüchtigkeit der Leber zu finden, waren
erfolglos. Vortr. zog die entgiftende Wirkung der Leber
und ihren Einfluss auf E i w e i s s e und Kohlehydrate
in den Bereich seiner Untersuchungen, und zwar sollte die Wir¬
kung im Urin nachgewiesen werden.
Zur Prüfung der entgiftenden Wirkung wurde auf
Grund einerseits der Beobachtung, dass die Fettsäuren im
Urin bei Loborkrankheiten erhöht sind und andererseits des Ex¬
perimenten, dass eine Seifenlösung, in die Pfortader injizirt,
viel weniger giftig wirkt, als nach Injektion in eine Körperarterie,
von Str. eine Probemahlzeit gegeben, welche an dem einen Tag
20 g huttersaures Natron enthielt, an dem anderen aber ohne
diesen Zusatz verabfolgt wurde. Es zeigte sich, dass in 6 vou
8 Fällen mit huttersaurem Natron in der Mahlzeit bei Leber¬
kranken eine erhöhte Ausscheidung von Fettsäuren im Urin statt¬
fand. T)oeh will Vortr. hierauf nicht, viel Gewicht legen, da er
auch hei anderen Erkrankungen eine Steigerung gesehen.
Bezüglich d«-s Ei wei sscs sollte die von K o 1 i s c h vor¬
geschlagene Prüfung der Ammoniakausscheidung im
Urin als Maassstal) dienen, doch Hess Vortr. diese ausser Betracht,
da die von lv. vorgesehlngene Methode unsicher und nach seiner
Meinung die Ammoniakauaschcidung nur im Verhältniss zur
Säureausscheidung erfolgt.
Die Kohlehydratprüf u n g, welche er im Verein mit
Sachs vornahin, hatte ergeben, «lass leberkranke Menschen und
«■ntl«-l)erte Frösche nach Einnahme grösserer Mengen von La«:vu-
lose «Hose im Urin ausschieden.
Bei Darreichung von 100 g Laevulose auf nüchternen Magen
schieden von 29 leberkranken Menschen 26 Laevuloso aus,
während von 58 nicht L-berkranken nur 6 dies thaten. Daraufhin
halte er si«-h für berechtigt, zur Behauptung, dass für den Ver¬
brauch der Laevuloso die Ix-her eine bestimmende Rolle spielt
und dnss die Laevuloso wohl geeignet sei zur
Funktionsprüfung der Leber.
Vortr. l>«-sprieht dann kritisch dio oben erwähnten Aus¬
nahmen von der Regel, für deren Giltigkeit er noch weiterhin
das Beispiel von 2 Diabetikern anführt. Während Diabetiker
ihnen zugeführte Laevuloso sonst als Dextrose ausscliciden, haben
diese beiden leberkranken Diabetiker die zugeführto Laevulose
ganz bezw. zu % als Laevuloso ausgeschieden.
Von französischen Autoren war vielfach dio alimentäre
Gl.vkosurio als Zeichen der Leberinsufficionz angeführt worden.
Dies s«-i nicht zuzugeben. Die Differenz komme daher, dass die
französischen Autoren zu ihren Versuchen Saccharose ver¬
wandten, welche im Darm in Dextrose und Laevuloso zerfällt.
Vortr. geht dann auf den neuenlings betonten Alkohol-
diabetes ein (G 1 e n a r d , Strümpell u. A.) und kommt
zu «lern Schlüsse, dass weder der Schnaps, wie er früher schon
ausgefiihrt, noch das Bier, wie er sieh durch Versuche an Bier¬
brauern überzeugte, im Stande ist, eine alimentäre Glykosurie
hervorzu rufen.
Der auffallende Unterschied in dem Verhalten der Dextrose
und Laevuloso. erklärt sieh vielleicht dadurch, dass für die Dex¬
trose lx-i Erkrankung der Leber andere Organe vieariirend ein-
treton können und cs wurden auch solche vicariirende Stellen
von S a eh s für die Dextrose bei Fröschen gefunden, nicht aber
für die Laevuloso. Hans Kohn.
Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin.
(Eigener Bericht)
S i t z u n^g vom 27. Juni 1901.
Herr B. Fraenkel: Vorstellung zweier Kranker mit fast
vollständigem Glottis Verschluss ln Folge von Perichondritis cri-
coidea, so dass eine Dauerkanüle getragen werden muss. Das
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MtTENCHEttER MEDIOIÜttSCIlE WOCHENSCHRIFT.
1157
ö. Juli 1ÖÖ1.
laryngoskoplselie Bild ln beiden Füllen das gleiche: Fehlen der
respiratorischen Glottiserweiterung, Juxtaposition der Stimm¬
lippen und Kreuzung des Arykuorpel. Die Ursache der Peri-
ehondritis in dem einen Fall Decubitalgeschwiir nach Typhus, ln
dem zweiten Lues congenita. Demonstration pathologisch-ana¬
tomischer Präparate von Fällen mit der gleichen Erkrankung.
Herr Meyer: Demonstration 1. einer Kranken mit melanoti-
schem Sarkom der Pars oralis pharyngis, 2. zweier Männer, bei
denen ein Carcinoma laryngis intralaryugeal in mehreren Sitz-
angeu entfernt worden war, und von denen das eine 2 Jahre, das
andere 2 Monate lang recidivfrei geblieben war.
Herr Glatzel: Demonstration: 1. eines Spiegels für den
Athembeschlag, 2. von Zeichnungen und Photographien zur Schil¬
derung der Form der äusseren Nase bei gesunden und krank¬
haften Zuständen.
Herr Alexander:!. Vorstellung eines Kranken mit tumor¬
artiger, aufblasbarer Erweiterung der Appendix eines Mor-
gagni’schen Ventrikels, 2. Demonstration von Präparaten
von Nasenrachentumoren.
Herr Finder: Demonstration pathologisch-anatomischer
Präparate zur Histologie der Condylomata lata tonsillarum.
K. Brandenburg - Berlin.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 11. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Lenhartz.
(Schluss.)
II. Discussion über den Vortrag des Herrn Lenhartz:
Heber die septische und maligne rheumatische Endokarditis.
(Der Vortrag ist an anderer Stelle d. No. abgedruckt.)
Discussion: Herr Fraenkel bespricht die Aetiologie
der Endokarditis. Wir kennen eine nicht bacterlelle E., bei welcher
ein endarteriitischer Process auf das Klappengewebe übergreift,
hier zu Einschmelzungsvorgängen, Verwachsung der Klappeusegel,
eventuell zu Durchbruch führt Bei der Mehrzahl dieser meist
jugendliche Individuen betreffenden Affektion ist Syphilis in der
Anamnese; doch unterscheiden sich diese Formen nicht von den
gewöhnlichen unter dem Endothel sich abspieleuden sklerotischen
Processen. Demonstration von Präparaten. — Die maligne rheu¬
matische Endokarditis L i 11 e n's kann Fr. nicht anerkennen.
El»enso wie die ulceröse ist auch die verrueüse E. durch patho¬
gene Mikroorganismen bedingt Man unterscheide eine mykotische
beuigne Form von einer mykotischen malignen. Zu betoueu ist,
dass nicht jede bei einem Tripperkranken auftreteude E. durch
Gonococcen bedingt zu sein braucht.
In klinischer Beziehung kommen als aetiologisehe Momente
in Betracht: ln erster Linie rheumatische Erkrankungen, docli
lange nicht so häufig wie meist angenommen wird. Doch bleibt
der Rheumatismus das wesentlichste disponirende Element für
die Lokalisirung von Mikroorganismen an den Herzklappen. Ferner
bilden Eingriffe an der Urethra, Anginen (auch längst abgelaufenet,
Pneumonie, langdauerude Eiterungsproeesse, z. B. Funiuculose,
und gar nicht so selten Phthise bemerkeuswerthe aetiologisehe
Punkte. Auf ein klinisches Symptom weist Fr. zum Schluss hin:
die Hautblutungen, ln einer Anzahl daraufhin gerichteter Unter¬
suchungen gelang ihm 2 mal der Nachweis eines thrombosirten
Gefässes. Das erklärt auch die Beobachtung, dass diese petechialen
Blutungen sich nach 24 Stunden gelegentlich in stecknadelkopf¬
grosse Eiterungen umwandeln.
Herr Bertelsmann bespricht die nach Bougirung, Kathe-
terismus, Strikturenbehnndlmig auftretenden Endokarditiden.
Mehrere Fälle von „Katheteriieber* hat er bacteriologisch unter¬
sucht. Einmal fanden sich Streptococcen Im Blut, die am nächsten
Tage verschwunden waren. In einem anderen Falle ergab die bac-
teriologische Untersuchung Proteus in Reinkultur. Vorherige Des¬
infektion der Harnwege ist demgemäss zu empfehlen. Der I'eber-
tritt von Bacterien ln’s Blut bei Manipulation am Urogenitaltractus
ist erklärlich, da bei Dilatationen etc. leicht Verletzungen der Cor¬
pora cavernosa oder periurethraler Venen erfolgen können.
Herr Franke, Deutscbmann, Salomon besprechen
die metastatische Ophthalmie und die Roth'sche Retinitis septica.
Herr Jessen. Herr Lenhartz: Schlusswort.
Medicinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offlciellcs Protokoll.)
Sitzung vom 4. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Curschmann.
Schriftführer: Herr Braun.
Herr W i 1 tu s demonstrlrt einen Patienten, der nach einer
Btichverletzung der Vena raesenterica superior durch Laparotomie
geheilt worden ist. Er spricht ferner über Entfernung von Fremd¬
körpern des Oesophagus vom Magen aus und über Leberruptur und
demonstrlrt geheilte Patienten.
Herr Flade spricht über Anwendung der Magensonde bei
Ulcus ventriculi. (Der Vortrag wird ln dieser Wochenschrift ab-
gedrnckt.) Discussion s. nächste Sitzung.
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in
München.
Sitzung vom 18. Dezember 1900.
nerr M. Crem er: Heber den Begriff des Kernleiters
nnd der physiologischen Polarisation.
Vortragender hat früher — 2. Mai 1899, Sitzungsber. der
Gesellseh. 1899, Heft 1 — eine Theorie der Nervenleitung skizzirt,
die sich von den von anderen Seiten aufgestellten Kernleiter¬
theorien durch die Verwendung des Begriffes der physiologischen
Polarisation unterscheidet. Definitionen wurden damals nicht
gegeben. Mit Rücksicht auf eine kürzlich erschienene Arbeit
von W. M. Strong — A pliysikal theory of nerve; Journal of
Physiol. Vol. XXV, pag. 427 — erscheint cs zweckmässig, die3
nachzuholen. Kernleiter im bisher gebräuchlichen Sinne ist jede
Kombination zweier Leiter der Elektricität, die in einer
„p o 1 a r i s i r baren“ Grenzfläche zusammenstossen. Einfachstes
Beispiel ist der Matteucc i’sehe Kernleiter, ein Platindraht
mit feuchter Hülle. Bei der mathematischen Behandlung der
hierbei sich ergebenden Probleme wird dabei die Polarisation
als ein Potentialsprung an jener Grenzfläche resp. an einer dort
gelegenen unendlich dünnen Grenzschicht aufgefasst, wobei man
die normal vorhandene Potentialdifferenz zwischen Metall und
Elektrolyt nicht weiter zu berücksichtigen braucht.
Diese Annahme ist aber nur eine mathematische Fiktion,
die zur Erleichterung der Behandlung der Probleme eingeführt
wird. Die eigentliche polarisatorische Veränderung betrifft
jedenfalls ein Grenz Schicht von messbarer Dicke, ja
sie betrifft in aller Strenge sogar den ganzen Kernleiter (selbst
das Metall — Elektronentheorie! — nicht ausgenommen). Nur
bleibt die Hauptveränderung auf eine sehr dünne Schicht be-
schränkt. Immerhin aber dürfte es richtiger sein, von einer
polarisirbaren Grenzschicht zu sprechen. Demnach können wir
definiren: Ein einfacher (nicht vielschichtiger) Kernleiter ist eine
Combination zweier Leiter der Elektricität, die in einer polarisir¬
baren Grenzfläche oder Grenzschicht zusammenstossen. Hierbei
ist es nicht nothwendig, vorauszusetzen, dass diese Grenzschicht
im gewöhnlichen Sinne leitet. Indem wir dann auch Nichtleiter
zulassen, erscheint das Kabel nur als ein specieller Fall des Kern¬
leiters, wenn wir auch den Begriff der Polarisation entsprechend
allgemeiner fassen. Diese besteht ja in nichts anderem als in
einer Aendcrung einer Potentialdifferenz zu beiden Seiten unserer
Grenzschicht durch Ströme senkrecht zu dieser. In der Regel
denkt man hierbei an Leitungs- resp. bei Elektrolyten an Ionen¬
ströme, die die Grenzschicht durchsetzen, aber nichts hindert, in
erweitertem Sinne auch Verschiebungsströme als polarisirende
Ströme zuzulassen. Verbindet man nämlich eine Batterie mit
den beiden Belegungen einer F r a n k 1 i n’schcn Tafel, so hat
man sich früher vorgestcllt, dass der positive Strom an der einen
Belegung beginnt, durch die Batterie zur andern fliesst und dort
endet. Man hat die Ströme als „offen e“ betrachtet. Nach
Maxwell gibt es aber nur „geschlossene“ Ströme und
der Leitungsstrom im Draht wird durch einen Vorgang im Di-
elektricum ergänzt eben durch den Verschiebungsstrom in den¬
selben, so dass also bei der Ladung der Tafel der „wahr e“ Strom
stets geschlossen ist. Dieser und damit also auch der Verschie¬
bungsstrom in der nicht leitenden Zwischenschicht der Tafel kann
daher sehr wohl im eben erörterten erweiterten Sinne als polari-
sirender Strom aufgefasst werden. Wie man also den Kernleiter
als Kabel mit polarisatorischer Ladung betrachten kann, so kann
man umgekehrt das Kabel als Kernleiter mit polarisirendem
Verschiebungsstrom auffassen. Man könnte daher die Frage zu¬
nächst völlig offen lassen, ob die polarisirenden Ströme im Nerven,
die von sämmtlichen Kemleiterthcorien benöthigt werden, inner¬
halb der Grenzschicht durchaus Leitungs- resp. Ionenströme oder
nicht zum grössten Theil Versehiebungsströme sind. Ganz kann
man der letzteren auch beim gewöhnlichen Kernleiter nicht ent-
rathen, so wenig sich Induktionswirkungen in aller Strenge aus-
schliessen lassen.
Auch B o r u 11 a uV) semipermeable Membran leitet je. nach
den Eigenschaften, die man ihr beilegt, unter Umständen nur
durch Versehiebungsstrom. Ich selbst neige allerdings zur An¬
sicht, dass es sich beim Nerven im Wesentlichen nur uni lonen-
strömo handelt, denen gegenüber die Versehiebungsströme in
‘) Pflüger’s Archiv Bd. 77, S. G2G.
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1158 MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28.
jedem Momente vernachlässigt werden können, obwolil sie nicht j
in aller Strenge Null sind. In dieser Richtung vermag ich da¬
her in den S t r o n gschen Ausführungen keinen besonderen
Fortschritt gegenüber dem bisherigen zu erkennen. Einen Punkt
aber muss ich ganz besonders hervorheben. Die elektrischen Er¬
scheinungen, die mit der sogen. Errcgungsleitung im Nerven
verknüpft sind, lassen sich nach meiner Ueberzeugung nicht be¬
friedigend erklären, wenn man im Uebrigen nur physikalische
resp. physikalisch-chemische Polarisation in bisher bekannter
Weise zulasst 2 ). Man muss nothwendig irgend ein physiologisches
X, speeifiseho Zellthütigkeit etc. dazu nehmen. Hermann')
lässt im Nerven physiologische Ströme nach Art der Induktions¬
ströme entstehen, während er die Polarisation nach demselben
— angenäherten! — Grundgesetz, wie die physikalische vor sich
gehen lässt. Boruttau deutet eine besondere physiologische
Beweglichkeit der Ionen an und erzielt so ebenfalls physiologische
Ströme nach Art der Induktion. Ich habe gegen beide Ansichten,
soweit sie etwa mehr sein sollten als blosse Bilder, schwere Be¬
denken. Ich nehme im Gegensätze zu diesen Autoren an, dass
in jedem Momente die bisher bekannten elektromotorischen
Kräfte, wie sie durch Verschiedenheit in Konzentration und Be¬
schaffenheit der Ionen und damit zusammenhängende Ladungen
bedingt werden, vollkommen ausreichen, um die Erscheinungen
am Nerven principiell zu erklären. Ich brauche keine neuen
elektromotorischen Kräfte. Ich nehme lediglich an, dass
durch dio Ströme die chemische Zusammensetzung in bisher
nicht aufzuklärender Weise geändert wird. Die Schwierigkeit,
die bleibt, ist nach meiner Kernleitertheorie kaum grösser wie
anderweitig in der Physiologie. Können wir doch nirgends den
chemischen Vorgang bei der Zellthätigkeit völlig befriedigend
aufklären.
In diesem Sinne habe ich von der physiologischen Polari¬
sation gesprochen als einer solchen, die ihr eigenes Gesetz befolgt,
d. h. es lässt sich der Vorgang nicht „ohneRest“ auf bekannte
Lehrsätze der Physik resp. der physikalischen Chemie zurück¬
führen. Dass dabei Ladungsvorgänge, Konzentrationsverände¬
rungen etc., dio physikalisch durchsichtig sind, irgendwie mit-
wirken, schliesse ich natürlich keineswegs aus*). Ich betrachte es
aber andererseits geradezu als eine Aufgabe derNervenphysiologie,
das Gesetz der physiologischen Polarisation festzustellen. Wären
die Vorgänge so einfach wellenartig, wie man es gewöhnlich dar¬
gestellt findet, so wäre jenes Grundgesetz für diese Fälle wenig¬
stens schon gefunden. Es würde lauten
ä c = c J >
Aber so einfach verhält sich die Sache anscheinend nicht. Man
muss ja auch vor allen Dingen daran festhalten, dass alle Ver¬
suche, das Protoplasma gewissermaassen in die Zwangsjacke ein¬
facher mathematischer Formeln zu zwängen, nur mit grösster
Vorsicht aufzunehmen sind. Solche Formeln können immer nur
den Werth ziemlich roher Annäherungen haben bei dem heutigen
Stande unserer Kenntnisse wenigstens.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztekammer für die Provinz Brandenburg nnd den
Stadtkreis Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. Juni 1901.
Boi der Berlin-Brandenburger Aerztekammer hatte sich das
Verfahren eingebürgert, in jeder einzelnen Sitzung die wichtigsten
Gegenstände der Tagesordnung vorweg zu erörtern und die Be-
rathung der anderen Punkte zu vertagen. Auf diese Weise geschah
es, dass die vertagten Sachen seit Jahr und Tag auf der Tages¬
ordnung wiederkehrten. Um nun endlich einmal Tabula rasa zu
machen, war am Tage der letzten Sitzung, am 15. Juni, eine Abend¬
sitzung in Aussicht genommen. Als der Vorsitzende diesen Plan
zu verwirklichen im Begriffe war, wurde die Beschlussfähigkeit
der Kammer in Zweifel gezogen und die Abeudsitzung vereitelt.
Der lebhafte Wunsch, die so oft vertagten Sachen zu erledigen,
bestimmte den Vorstand, trotz der Kosten von mindestens 1000 M.,
welche eine jede Sitzung beansprucht, eine solche alsbald anzube¬
raumen. Den Verhandlungen wohnt in Vertretung des verhin¬
derten Oberpräsidenten Regierungsrath v. Schumann bei.
1. Geschäftliches. Der Vorsitzende, Geheimrath Becher,
macht nähere Mittheilungeu Uber die Beschlussunfähigkeit in der
*) Vgl. n. a. Biedermann: Elektrophyslol. S. 057, 713 u. f.
*) Pflüger’s Archiv Bd. 75, S. 574.
4 ) Vergl. W. Nernst: Gött Nachr. 1899, S. 104.
vorigen Sitzung und über den inzwischen erfolgten Eintritt der
Rechtskraft einiger Urtheile des Ehrengerichts. Dann schreitet die
Kammer zur Wahl eines Vorstandsmitgliedes. In einem Schreiben
an den Vorstand der Kammer hat uiimlich Herr Schaeffer
mitgetheilt, dass er sich, da die Kammer den Abschluss oder die
Verlängerung von Verträgen von Aerzten mit Krankenkassen, ln
deren Statuten bestimmt ist, dass auch nicht approbirte Personen
zur Behandlung erkrankter Knssenmitglieder zugelassen werden,
für standesuuwürdig erklärt lmt, genöthigt sehe, sein Amt als
Schriftführer niederzulegen. Die Wahl fällt auf Herrn Koss-
ir. n n n (in Stichwahl mit Herrn Schaeffer).
2. Ueber die ärztlichen Gutachten zur Aufnahme in dieV/
Lungenheilstätten. r\
Der Referent, Herr Braehmer, Vertrauensarzt der preussi-
sclien Staatselsenbahnen, legt dar, wie durch das Zusammenwirken
von Versicherungsanstalten und Krankenkassen das den ersteren
gesetzlich zustehende Recht, das vorlnmgende Heilverfahren zu
übernehmen, praktisch Verwertliung finde, und zwar vorwiegend
bei den Lungenkranken. Die Krankenkassen der preussischeu
Stnatsbahnen gewähren für Kuren in den Lungenheilstätten das
Krankengeld ungekürzt. Ueber den Werth solcher Kuren lässt sich
ein abschliessendes Urtlieil noch nicht abgeben; immerhin sei schon
viel erreicht, wenn die Kranken für einige Jahre erwerbsfähig
würden. Bel den preussischen Stnatsbahnen stellen sich die Er¬
folge so. dass von den einem Heilverfahren unterworfenen Lungen¬
kranken des Jahres 1898 bei Beginn des Jahres 1899 85 Proc.
relativ geheilt und erwerbsfähig waren, im folgenden Jahre 73 Proc.
und bei Beginn des Jahres 1901 noch 55 Proc. Dieser Erfolg hat
der Stantsbahnverwaltung zum Bau von zwei Lungenheilstätten
Veranlassung gegeben. Der Erfolg der Behandlung hängt zum
grossen Theile von der Auswahl der Kranken ab. Für die richtige
Auswahl ist in erster Linie maassgebend die Frage nach der Wahr¬
scheinlichkeit der Heilung mindestens bis zur Erwerbsfähigkeit.
Die Beurthellung dieser Frage ist nicht leicht, zumal die ein¬
schlägigen Punkte noch nicht geklärt sind. Bis eine Klärung ein¬
getreten Ist, können die Versicherungsanstalten sich nicht mit einer
kurzen ärztlichen Bescheinigung über die Nothwendigkeit einer
Kur in den Lungenheilstätten begnügen; vielmehr stellen sie eine
Reihe von Fragen, deren fachmännische Beantwortung Ihnen ein
eigenes Urtlieil ermöglicht Herr Braehmer legt das von der
Brandenburger Versicherungsanstalt ausgearbeitete Formular vor
und geht die einzelnen Fragen durch, deren Beantwortung das
ärztliche Gutachten darstellt. Die Bemühungen des Arztes müssen
natürlich entsprechend honorirt werden. Die preussische Staats¬
bahnverwaltung zahlt 5 M. für das Attest Referent unterbreitet
der Kammer folgende Anträge:
1. Die richtige Auswahl der den Lungenheilstätten zu über¬
weisenden Kranken hängt in erster Linie von der Brauchbar¬
keit der ärztlichen Aufnahmeatteste ab.
2. Es ist daher Pflicht der Aerzte, diese Atteste nach genauer
Untersuchung gründlich und gewissenhaft auszustellen. Das
von der Landes Versicherungsanstalt Brandenburg entworfene
Formular erleichtert diese Ausstellung, indem es auf die zur
Beurtheilung erforderlichen Punkte hinweist. Da brauchbare
Aufnahmeatteste nächst dem Interesse der Kranken ln erster
Linie dem Interesse der Versicherungsanstalt dienen, erklärt
die Kammer es für eine Pflicht der Versicherungsanstalten, die
Atteste angemessen zu honoriren und ermächtigt ihren Vor¬
stand, ein dahin gehendes Gesuch an die Versicherungsanstalt
Berlin-Brandenburg zu richten.
Herr II e n i u s bittet den Vorstand, darauf zu halten, dass
die Atteste innerhalb des Kammerbezirkes nicht niedriger honorirt
würden, als in anderen Kammerbezlrken; die Aerzte der Rhein-
previnz erhielten für die sogen. „Lungenbogen“ 10 M.
Herr Marcuse antwortet, der Vorstand werde ln dieser Be¬
ziehung thuu, was in seinen Kräften stehe. Die Anträge des Herrn
Braehmer werden angenommen.
3. Die Beitragspflicht der Aerztekammer zu den Kosten des
Aerztekammer-Ausschusses.
Der Referent, Herr Joachim, knüpft an ein Schreiben an,
in welchem der Vorsitzende des Aerztekammerausschusses den
Vorstand der Aerztekammer auffordert, zu den Kosten des Ehren¬
gerichthofes 5 M. pro Kammermitglied zu überweisen. Dieses
Vorgehen gibt dem Referenten zur Erörterung folgender Fragen
Veranlassung: 1. Hat der Aerztekammeraussehuss das Recht und
die Pflicht, die Kosten für den Ehrengerichtshof zu bestreiten?
2. Hat der Aerztekammeraussehuss die Berechtigung, die Art und
Höhe des Beitrags jeder einzelnen Kammer zu den Kosten des
Kammerausschusses festzusetzen V Die Erörterung dieser Fragen
führt den Referenten zu folgenden Anträgen:
1. Die Aerztekammer wolle beschlossen: Nach den bestehen¬
den gesetzlichen Bestimmungen fehlt dem Aerztekammeraus-
scliuss die Zuständigkeit, die Kosten des Ehrengerichtshofes
als Kosten des Aerztekammerausschusses auszuschreiben.
2. Die Aerztekammer wolle beschlossen, den Vorstand zu be¬
auftragen, bei dem Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts¬
und Mediciualangelegenhelten Schritte zu thun, um eine Aende-
rung der Kgl. Verordnung vom 6. Januar 1896 dahin zu erzielen,
dass in Anbetracht der grossen Anzahl der Berlin-Brandeu-
burgischen Aerztekammermitglieder und der dadurch hohen
Beitragsleistung zu den Kosten des Aerztekammerausschusses
die Abstimmungen im Aerztekammeraussehuss nach der Kopf¬
zahl der Mitglieder der einzelnen Kammern erfolgen.
DO Anträge werden ohne Erörterung einstimmig ange¬
nommen.
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9. Juli 1901.
1159
MUENCHENEE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
4. Die Eingabe des Vereinsbundes Deutscher Zahnärzte, be¬
treffend die Hilfeleistung der praktischen Aerzte bei Opera¬
tionen, welche von Zahntechnikern in Narkose ausgeführt
werden.
Der Referent. Herr Sch ne ff er, bemerkt, die Zahnärzte
wünschten, «lass die Kammer ein Verbot aufstelle, im Gewerbe
von Zahntechnikern behufs Vornahme von Operatiouen im Munde
Narkosen auszufiihren. Der Gegenstand ist schon im Vorstand der
Aorztekammer berat hon worden, und dieser hat seine Meinung da¬
hin ausgesprochen, dass im Allgemeinen praktische Aerzte die
D'itung von Narkosen bei Zahnextmctionen, welche von Zahn-
te«-hnlkem gemacht werden, nicht übernehmen dürfen, dass aber
••ir.zelue Fälle, namentlich auf dem Lande und in den kleinen
Städten, ln welchen Zahnärzte nicht wohnen, Vorkommen können,
in denen die UelH*rnnhme der Narkose zulässig ist. Der Referent
erhebt gegen dies«* Meinungsäusserung zwei Einwämle: 1. sind
«iie Ausnnhmefülle. in denen selbst bei strengster Wahrung ärzt¬
licher Standeswiir<le die dem Zahntechniker gewährte Assistenz
durchaus zulässig ist. in dem obigen Beschluss auch nicht an¬
nähernd erschöpft: in Verfolg einer Reihe von Atisnnlimefiillen
gelangt man zu dem S«‘liluss. «lass die-Fassung des Vorstands-
Ix'sehlusses. wie überhaupt jede allgemt'ine Fassung, sich verbietet,
weil es unter «len Zahntechnikern v<*rschlodene Qualitäten gibt.
Kr gibt eine ganze Reihe von Zahntechnikern, welche eine gute
Ausbildung, z B. im Ausland«* Examen gemacht un<l <lie Appro-
Imrion erhalten halten, mul di«* auch in moralischer Beziehung ein¬
wandsfrei sind. Mit diesen sin«l nicht zu vergleichen ungenügend
rotgebildete und unanständiger Reklame huldigende Zahntech¬
niker. Der 2. Einwand des Referenten ri«*htet sich gegen die et¬
waige Absicht des Vorstandes, die Aerztekammer zu einem gleich
o«ler ähnlich lautenden Votum zu veranlassen. Die Aerztekammer
sei gar nicht Itefugt. solche generelle Verbot«* zu erlassen. di«*se
Befugnlss stehe lediglich dem Ehrengerichte zu: und dann seien
solche allgenteine Bos«*hlüsse gefährlich, deren Tragweite sei gar
nicht zu übersehen. Es komme allein mul ausschliesslich auf
«len einzelnen Fall an. Je nachdem «1er Fall beschaffen ist. kann
«Iie dem Zahntechniker von Seiten «les Arztes gewährte Hilfe¬
leistung ein (lirectes Gebot «1er Menschlichkeit, eine völlig erlaubte
Handlung oder ein strafwürdiges Verg«*hen sein. Referent be¬
antragt zu besehllessen:
Die Berlin-Brandenburger Aerztekammer lehnt es ab. auf
«las Gesuch der zahnärztlichen Vereinigung, betreffend das
Verbot, Zahntechnikern zu asslstiren. einzugehen, da nicht die
Aerztekammer. sondern das Ehrengericht das allein zuständige
Forum für die Bcurtheilung derartiger Fragen ist
Herr J a r i s 1 o w a k I tritt für das gewünschte Verbot ein.
Herr Klnmanu empfiehlt, «len Beschluss der ostpreussischen
Kammer anzunehmen, die sieh dahin ausgesprochen hat. «lass bei
der geringen Anzahl von approbirten Zahnärzten im Kammer¬
bezirke eine ganz erhebliche Benachtbeiliguug des zahnleidenden
Publikums eintreten würde, falls das Verbot, die Zahntechniker
durch Narkotisiren u. dergl. zu unterstützen, strikt durchgeführt
wer<k*n sollte, und die zu dem B«*schlusse gekommen ist: Bei einem
Zahntechniker geschäfts- hezw. gewoliuheitsmässig die Ansführung
von Narkosen zu übernehmen, ist nicht standesgemäss. Es muss
dem Takte des einzelnen Arztes überlassen bleiben, ob er Im Ein¬
zelfalle bei den Zahntechnikern die Narkose leiten will.
Herr Wiesenthal II beantragt, zu besehllessen:
Die Aerztekammer erklärt «li«* Uebernahrae von Narkosen
durch Aerzte bei Zahntechnikern für statthaft: 1. wenn die
Zuziehung eines Zahnarztes nicht oder nur schwer zu ermög¬
lichen ist. 2. wenn gegen die berufliche oder moralische Quali¬
fikation d«*s Zahntechnikers begründete Einwendungen nicht
erhoben werden können.
Herr S.Marcuse bittet, den (imReferat des Herrn Schaef fer
genannten) Beschluss des Kammervorstandes zum Beschluss zu
erheben.
Herr S. Alexander betont, dass bei Krankenkassen, z. B.
denen mit freier Arztwahl. Zahntechniker zugelasseu sind und
das« durch ein Verbot, wie es von den Zahnärzten gewünscht wird,
die Kassenärzte ln eine eigentümliche Lage kämen. Redner em¬
pfiehlt. den Beschluss der schlesischen Kammer anzunehmen:
Bei aller Sympathie für die Entwickelung und die Bestre¬
bungen d«-s zahnärztlichen Standes ist die Aerztekammer bei
dem heutigen Stande der zahnärztlichen Verhältnisse nicht
in der Lage, ein Verbot zu erlassen, wie es die zahnärztliche
Vereinigung wünscht.
Herr Munter beantragt Uebergang zur Tagesordnung.
Der Antrag wird abgelebnt.
Zur Annahme gelangt der Beschluss der schlesischen Kammer
mit dem Zusatz:*
Dementsprechend stimmt die Kammer auch dem Antrag
Schaef fer in seinem erst«*n Thelle zu: Dl«* Aerztekammer
lehnt es ab etc. wie oben.
Der Sclilusstheil (die Begründung) des Antrags S «• h a e f f «* r
wird abgelebnt. «lessgleichen der Antrag \V i <* s e n t li a 1 II.
5. Bericht der Kommision zur Prüfung der Verträge mit
Privatvereinigxmgen.
Der Referent. Herr Mugdan, betont zunächst, dass geg«*n
«las Verfahren der Bildung von Genossenschaften behufs Sicherung
ärztlichen Beistandes Einwendungen nicht zu erheben seien. Da¬
gegen sei die Art und Weise der Beschaffung ärztlicher Hilf«* durch
*»lebe Vereinigungen zu bekämpfen. Die Ilonorirung durch ein
Pauschquantum darf nicht mehr geduldet werden: auf diese Weise
geschehe es, dass die Honorlrung der Einzelleitung au die Mindest¬
sätze der Gebührenordnung lange nicht heranreicht, ein Unfug in
Anbetracht der Thatsache, dass Mitglieder solcher Verbände ein
Einkommen von 10 000 M. und darüber Jährlich haben. Die Hono-
rirung durch eine Pauschalsumme ist nun mit dem System der
flxirten Knssenarztstellen verbunden, so dass nur einige wenige
Aerzte für den Verein thütig sind. Demgemäss komme man zu
der Forderung, dass die einzelne Arbeitsleistung mindestens zu den
Minimalsätzen der Gebührenordnung zu honorlren sei und dass
alle Aerzte, die sieh dazu bereit erklären, zur Behandlung «*rkmnkter
Verfinsmitglieder zugelasseu werden müssen. Nach «len Erfah-
rurgen, die bei den Krankenkassen gemacht sind, sei es aber un-
zweckmässlg. dass die Verbände «len Mitgliedern die Gesammt-
mindesttnxe. «1. h. die volle Summe, welche «liese an den Arzt, zu
zahlen haben, zurückerstatten. Das Kassenmitglied nimmt den
Arzt viel häufiger in Anspruch, als es nötbig wäre, weil es nichts
zu bezahlen hat; es bedenkt nicht, dass, was es verlangt. Geld
kostet. Würde «las Kassenmitglied auch nur einen Tlieil der ent¬
stehenden Kosten zu erstatten haben, dann würde es nicht so oft
Arzt und Apotheke in Anspruch nehmen, daun würde die Polyprag¬
masie der Aerzte einerseits, die entstehenden Kosten für Arzt und
Apotheke andererseits herabgemindert werden. Dieses Verfahren
verbietet sich bei den Krankenkassen, weil es dem Grundgedanken
il«*s Krankenkassengesetzes widerspricht. Bei den privaten Ver¬
einigungen dagegen stehe seiner Anwendung nichts im Wege: die Mit¬
glieder sollten etwa ein Viertel des ärztlichen Honorars aus der
eigenen Tasche bezahlen, so dass der Verband ihnen etwa drei
Viertel zurückzuerstatten hätte. Referent beantragt:
Die Aerztekammer wolle besehlless«*n:
1. zu erklären, dass Verträge zwischen Aerztea und privaten
Vereinigungen zur Beschaffung ärztlicher Hilfe (Snnitäts-. Ge¬
sundheit*-. Kranken-, Pflegevereinen) die Honorlrung der Einzel¬
leistung. und zwar niemals unter den Mindestsätzen der preus-
sischen G«*bührenordnung. versehen müssen.
2. Die Aerzte des Kammerbezirkes, welche solche Verträge
abgeschlossen haben, aufzufordern, dieselben mit dem frühesten
Termin, spätestens aber bis 1. Juli 1002 aufzulösen.
Herr Kn eh ler beantragt, zu heschliesseu. die Thätigkeit
der Vertrngskommission sei auf sümmtlicke Krankenkassen aus-
zudohnen und durch Vermittlung des Aerztekammer-Ausschusses
sei ein gleiches Vorgehen in allen anderen Kammerbezirken zu
«*rstr<*ben.
Herr Henlus, auf dessen Anregung M u g d n n seinem An¬
trag die Worte: „privaten Vereinigungen zur Beschaffung ärztlicher
Hilfe“ hinzufügt, betont, wie die Verbände das ärztliche Honorar
entrichten, ob mit oder ohne Inanspruchnahme der erkrankten
Mitglieder, das sei eine Sache, die sie unter sich ahzumacheu
hätten. Die Hauptsache sei. dass die Mindestsätze der Gebühren¬
ordnung gezahlt würden.
Herr Munter macht als Mitglied der Vertragskommissiou
ergänzende B«*merkungen zu «len Ausführungen des Referenten.
Es sei zu begrüssen, dass wirtschaftlich schwache Personen sl«*li
vereinigen, um iu Krankheitsfällen ärztliche Hilfe und Arzuei zu
haben. Aber gegen die übertriebene Preisdrückerei müsse ener¬
gisch Front gemacht werden. Erstaunt sei er gewesen, zu selten,
wie etwa nicht nur wirtschaftlich schlecht gestellte Kollegen,
sondern auch gut situirte Aerzte an Verbänden tätig sind, die er¬
bärmliche Honorarsätze vergüten. Diese Herren sollte man von
Ehrenämtern ln Vereinen ausschliessen.
Die Anträge Mugdan und Kaehler werden angenommen.
6. Ueber die Zulassung von Personen mit ausländischen
Reifezeignissen zu den xnedicinischen Studien und Prüfungen.
Der Referent. Herr K o s s in a n n . gebt von «ler Thatsache
aus. dass zwei weibliche Personen, die eine bei der Prüfungs¬
kommission iu Freiburg, die andere bei der Kommission ln Halle,
das medicinlsche Staatsexamen gemacht und die Approbation als
Arzt erlangt haben. Beide hatten nur die schweizerische Fremden¬
maturität. die nicht einmal an die Reifeprüfung eines Realgym¬
nasiums h«-rnnreiche. so dass die Anforderungen selbst der neuen
Prüfungsordnung nicht erfüllt worden wären. Die Zulassung der
beiden Personen zur ärztlichen Prüfung widerspnx-he den gesetz¬
lichen Prüfungsvorschriften. Nach diesen Vorschriften ist der
Meldung zur Prüfung der Nachweis beizufügen, „dass der Kandidat
bei einer Universität des Deutschen Reichs die ärztliche Vorprüfung
voliständigbestanden und demnächst noch mindestens vier Halbjahre
dem metlicinischen Universitätsstudium gewidmet hat“. Die beiden
weiblichen Kandidaten haben dies«* Verpflichtung. w«*Iobe keine
Ausnahme zulässt, gar nicht erfüllen können. Ist ihnen trotzdem
die Approbation ertboiit worden, so ist sie ohne Beachtung der ge¬
setzlichen Vorschriften, also gegen das Gesetz erthellt worden.
Referent, beantragt, an den Reichstag eine Petition zu
richten, dahingehend, f e s t z u s t e 11 e n . ob nicht die Er-
t h e i 1 u n g der Approbation an di«* b e i «1 «* n w eih-
liehen Kandidaten ungesetzlich ist und oh nicht
die Approbationen zurückzu nehmen sei«* n. Ferner
beantragt Referent, die Kammer möge bes«*hliesscn, den Minister
zu ersuchen, zu veranlassen, dass Personen mit «ler
schweizerischen Maturität auch nicht aus¬
nahmsweise zum Studium d «* r M e «1 i «• i n a n «I <* ät¬
schen Universitäten zugelasseu werden und
dass n i c ht -1 m m a t r i k u 1 a t j o n s f ii h i k e Personen
vom Besuche der Kliniken a u s z tt s «• h 1 i e s s e n
sind.
In der Discussion wird gegenüber der Aufrollung der Frauen¬
frage betont, es bandle sich um die Wahrung des Rechts, um das
Prinzip der Gesetzlichkeit und der Gleichberechtigung der Ge-
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1160
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 28.
schlechter vor dem Gesetz. Diesen Standpunkt vertritt auch der
Referent im Schlusswort.
Herr Kossmann stellt folgende Anträge:
Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den
Stadtkreis Berlin ersucht die übrigen preussischen Aerztc-
kammern. mit ihr gemeinsam dem Herrn Kultusminister ihre
Ansicht auszuspreclien, dass die Anerkennung eines in der
Schweiz erworbenen Maturitätszeugnisses behufs Zulassung
zu den modieinlschen Prüfungen auch nicht ausnahmsweise
zulässig ist. solange dasselbe nicht hinsichtlich der bei der
Prüfung gestellten Anforderungen mit dem eines deutschen
humanistischen Gymnasiums oder Realgymnasiums gleich¬
wertig ist und die Schweiz die Maturitätszeugnisse deutscher
Gymnasien als gleichwertig mit den ihrigen nicht anerkennt:
ferner dass die Zulassung nicht immatrikulirter bezw. nicht
immatilkulationsfähiger Personen zu den raedicinischen Stu¬
dien den Unterricht stört und das Kurpfuscherwesen fördert.
Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den
Stadtkreis Berlin richtet an den hohen Reichstag die Bitte,
festzustelh n. ob in einer Anzahl von Fällen die ärztliche Appro¬
bation seitens deutscher Regierungen im Widerspruch mit der
reelitsgiltigen Prüfungsordnung, insbesondere unter Nicht¬
beachtung der Bestimmungen des § 4, alinea 1, Ziffer 1 und 8
der Verordnung vom 2. Juni 1883 erfolgt ist. eventuell zu ver¬
anlassen. dass die betreffenden Approbationen auf Grund des
§ 53, alinea 2 der Reichsgewerbeordnung zurückgenommen
werden.
Die Anträge werden gegen 8 von 9 Stimmen angenommen.
7. Antrag des Herrn Privatdocenten Dr. Wcyl, betreffend
die Feuerbestattung von Pest- und Choleraleichen.
Wird vertagt. P. H.
Nachtrag zum Bericht über die Sitzung vom 1». Juni: § G der
Satzungen der Unterstützungskassen hat folgenden Zusatz erhalten:
Bis zur Ausführung dieses Planes können den zu unserem
Kammerbezirk gehörenden Aerzten, welche sich bei einer Ver¬
sicherungskasse versichern, Prämien theilweise oder ganz
gewährt werden.
Aerztlicher Bezirksverein Nürnberg.
In der Sitzung vom 21. Juni führte an Stelle des erkrankten
Herrn Ilofrath Beckh Herr Ilofratli Emmerieh deu Vorsitz.
Mit grosser Freude wurde die Mittheilung des Vorsitzenden nuf-
gcnommen, dass das Befinden des Herrn Hofruth Beckh durchaus
zufriedenstellend sei und zu keinerlei Besorgnis« Anlass geben
könne.
Durch Erheben ehrte der Verein das Andenken an deu ver¬
storbenen Kollegen Herrn P ä e li t n e r sen.
Den Hauptpunkt der Tagesordnung bildeten die Vorlagen zum
Hildesheimer Aerztetage. Bezüglich des Leipziger Verbandes gab
Herr Frankenburger ein eingehendes Referat und beantragte,
dass die Delegirten des Nürnberger ärztlichen Bezirksvereins im
Sinne von „Hauptzweck“ statt „alleiniger Zweck“ eintreten sollen.
Herr Neuberger unterstützte diesen Antrag und bat um
einstimmige Annahme. Der Antrag Frankenbur g.e r wurde
einstimmig angenommen.
Als Ersatzmann für Herrn Medicinalrath Merkel zum
Aerztetage wird Herr Oberarzt Schuh aufgestellt.
Sehr lebhafte Discussion veranlasst** das Kapitel: „Kranken¬
kassen“. Das Ansuchen der Ortskrankenkasse der polygraphischen
Gewerbe und der Fabrikkrankenkasse der Elektrieitiitsgesellschaft
vormals Schlickert & Co. auch bei ihren Kassen, wie bei der
Geir.etndekrankcukasse. eine einjährige Carenzzeit für neu sich
niederlassende Kollegen einzuführen, wurde mit grosser Majorität
abgelehnt, ferner wurde die Vorstandschaft ersucht, der Gemeind«*-
krankenknsse mitzutheilen. dass auch noch unter die Carenzzeit
fallende Kollegen andere anstandslos zu vertreten berechtigt sind.
N.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
Der Streit zwischen Apothekern and Krankenkassen and
sein Einfluss auf die Aerzte. — Pockenfälle in Berlin. — Stel¬
lung des Docentenvereins zum ärztlichen Fortbildungswesen.
— Institut für russische Consultationen.
Bei dem noch immer fortbostehonden leidigen Streit
zwischen Apotheketibesitzern und Krankenkassen zeigt es sich
nunmehr, dass durch ihn di«* Aerzte mehr, als es irgend Jemand
ursprünglich annalun, in Mitleidenschaft gezogen werden; für die
Fehler, welche hüben und drüben gemacht worden sind, haben
wir schliesslich die Kosten zu tragen. Nachdem die Kranken¬
kassen den Bezug der dem freien Verkehr überlassenen Mittel
aus Drogucngesehiiften beschlossen hatten, wurde den Aerzten
ein Verzeichnis« dieser Mittel nebst einer Anweisung zu spar¬
samer Arzneiverordnung zugestellt. Die Form, in welcher die
Anweisungen gegeben werden, sowie auch der sonstige Inhalt des
Heftchens, welches nicht nur wegen der Farbe sei nee Deckels all¬
gemein als „das schwarze Buch“ bezeichnet wird, haben zu
mancherlei Ausstellungen berechtigten Anlass gegeben, auch ist
das Verzeichniss der freigegebenen Mittel nicht fehlerfrei; zur
Beseitigung der vorhandenen Fehler ist denn auch sehr bald ein
Nachtrag erschienen. Erwächst nun schon den Aerzten die recht
lästige Aufgabe, bei ihren Verordnungen jedesmal erst nacli-
zu°ehen, ob das betreffende Mittel vom Droguisten oder vorn
Apotheker bezogen werden soll, und danach das passende Recept-
formular auszusuchen, wobei Irrthümer unvenneidlich sind, so
hat ein Eingreifen des Polizeipräsidenten in diesen Punkt des
Streites vollends verstimmt. In einer an den Vorstand des
„Vereins der froigewählten Kassenärzte“ gerichteten Mittheilung
weist der Polizeipräsident darauf hin, dass es vorgekommen sei,
dass auf den für die Droguengeschäfte bestimmten Formularen
Verordnungen verschrieben worden seien, welche nur in Apo-
theken abgegeben werden dürfen. Es würde ein-* Bestrafung der
Zuwiderhandelnden Personen erfolgen, und die Kassenärzte soll¬
ten es vermeiden, dass die Droguisten durch derartige Verord¬
nungen zu Ucbertretungen der gesetzlichen Vorschriften gerade¬
zu hernusgefordert werden, „umsomehr, als auchim Ver¬
schreiben derartiger Recepte unter Umstän¬
den eine strafrechtlich verfolgbare Anstif¬
tung zu derartigen Ucbertretungen erblickt
w e r d e n k n n n“. Also zu all’ den Scherereien, die uns der
Streit schon gebracht hat, soll jetzt noch die freundliche Aussicht
auf eine strafrechtliche Verfolgung winken. Es wird zwar für
mehr als zweifelhaft gehalten, ob die juristische Auffassung des
Polizeipräsidenten in dem letzten Theil seiner Ausführungen
die richtige ist. Aber schon die blosse Möglichkeit oder die blosse
Androhung eines Konfliktes mit dem Strafgesetz, auch wenn er
noch so geringfügiger Natur ist, hat nichts Verlockendes, und
darum wäre auch aus diesem Grunde eine Beendigung des
Streites schon dringend zu wünschen. Tn dankenswerthor Weise
bat der Vorstand des „Vereins zur Einführung freier Arztwahl“
seine Vermittlung nngeboten. die auch von beiden Parteien an¬
genommen wurde. Aber der während der Einigungsverhand¬
lungen gebotene Waffenstillstand wurde* von den Apothekern
nicht respektirt. und das von ihnen schon vorher angekündigte
Kampfmittel der Creditentziehung für kassenärztliche Recepte
angewandt; dieser sehr unzeitige Schachzug wurde von den
Krankenkassen mit dem Abbru<’h der Verhandlungen beant¬
wortet. Der Vorstand des Vereins zur Einführung freier Arzt¬
wahl. dessen uneigennütziges Bestreben von beiden Parteien
dankbar anerkannt wird, hat sieh bereit erklärt, trotz alledem
in seinen Bemühungen, eine Einigung herbeizuführen, nicht
nachzulassen.
Schliesslich ist auch die lokale Fachpresse, welche die Stan-
dcsangelegenheiten vertritt, von dem Streit ein wenig infizirt
worden, ln jeder Nummer sind Aufsätze: aus mehr oder weniger
berufener Feder zu finden, welche das Recht der einen oder
anderen Partei zu erweisen sich bemühen. Da die Discussion
sich um ein Thema dreht, das dem rein ärztlichen Interesse ver-
hältnissmässig fern liegt, so konnte es nicht ausbleiben, dass in
den Erörterungen mitunter die nöthige Sachkenntniss und die
nöthige Objektivität vermisst wird; die Auslassungen der ein¬
zelnen Verfasser, welche in den Streit cinzugreifen für nöthig
gefunden hatten, haben Erwiderungen und diese wiederum Ent¬
gegnungen hervorgerufen, und die ganze* kleine Pressfehde hat
dadurch einen etwas unerquicklichen Beigeschmack erhalten.
Und schliesslich muss man sich fragen: Cui bono? Was gellt
<*s uns im Grunde an, ob den Krankenkassen von den Apothekern
ein Recepturrabatt gewährt wird oder nicht? Bei dem ganzen
Streit, der ja früher oder später docli einmal zum Austrag
kommen muss, sind die Droguisten der tertim gaudens und die
Aerzte der tertius patiens.
Tn den letzten Wochen sind in Berlin eine kleine Anzahl
echter Pocken zur Beobachtung gekommen, und ein Fall, der
ein noch nicht geimpfte« Kind von 6 Monaten betraf, ist letal
geendet. Es sind selbstverständlich alle Vorsichtsmaassregeln
gegen eine Verbreitung der Krankheit getroffen, dazu gehört
auch eine dringliche Bekanntmachung des Polizeipräsidenten,
nach welcher vorläufig die Anzeigepflicht der zur Meldung an¬
steckender Krankheiten verpflichteten Personen auch auf die
Windpocken ausgedehnt wird, weil diese zur Zeit den Verdacht
der echten Pocken erwecken können. Gleichzeitig wird auf den
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9. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1161
von Jahr zu Jahr abnehmenden Schutz der durch eine erfolg¬
reiche Impfung erworbenen Immunität hingewiesen und den in
verseuchten Häusern oder in deren Nachbarschaft wohnenden
Personen der dringende Rath gegeben, einem von Seiten der dazu
beauftragten Kreisärzte an sie herantretenden Ersuchen, sieh
von Neuem impfen zu lassen, Folge zu geben. Obwohl die kleine
Epidemie noch nicht ganz erloschen ist, vielmehr in den letzten
Tagen zwei neue Fälle bekannt geworden sind, ist von irgend
welcher Beunruhigung der Bevölkerung nichts zu merken; dazu
sind die Pocken für die jetzige Generation ein zu unbekannter
(.iast, und dazu ist auch das Vertrauen auf die Wirkung der
prophylaktischen Maassregeln ein zu grosses.
Nachdem nunmehr das ärztliche Fortbildungswesen eine ein¬
heitliche Organisation erfahren hat, welche auf allen Seiten den
wärmsten Sympathien begegnet, hat auch der hiesige Docenten-
verein für Ferienkurse seinen ursprünglichen Widerstand gegen
die neue Einrichtung formell aufgegeben. Wie noch erinnerlich
sein wird, hatte, als die ersten Fortbildungskurse angekündigt
wurden, der Doeentenverein seine Mitglieder auf einen Para¬
graphen der Statuten ganz besonders aufmerksam gemacht, nach
welchem ihnen die korporative Betheiligung an der Abhaltung
anderweitiger Kurse untersagt wird. In einer ausserordentlichen
Generalversammlung wurde nun beschlossen, diesen Paragraphen
uufzuheben und damit hat auch der Doeentenverein die Berech¬
tigung seiner Mitglieder, sich dem neu orgauisirten Centrnl-
Comite für das ärztliche Fortbildungswesen anzuschliessen, an¬
erkannt.
Die medicinischen Einrichtungen Berlins sind um eine neue
bereichert worden, welche den Namen „Institut für russische
Konsultationen“ führt. Diese etwas eigenthümliche Neu-
gründung, welche unter Leitung eines Arztes steht, hat den
Zweck, den zahlreichen Russen, welche alljährlich nach Berlin
kommen, um die hiesigen Aerzte zu konsultiren und vielfach
der deutschen Sprache nicht mächtig sind, als Führer
zu dienen. Dass die Deutschland besuchenden Russen
sich nicht in deutscher oder mindestens in fran¬
zösischer Sprache verständigen könnten, wäre eine bisher
völlig unbekannte und sehr auffallende Thatsache. Den
Namen der berühmten deutschen Aerzte erfahren sie sehr gut
von ihren Hausärzten in der Heimath und den Weg zu ihnen in
Berlin zeigt ihnen mit unfehlbarer Sicherheit der Hotelportier
und der Droschkenkutscher. Das bei jeder Neugründung be¬
kanntlich stets vorhandene dringende Bedürfnis, das weder auf
Seiten der konsultirten Aerzte noch auf Seiten der konsultirendeu
Russen liegt, scheint somit vorzugsweise von dem Begründer em¬
pfunden zu sein.
Berlin, den 27. Juni 1901. K-
Verschiedenes.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 114. Blatt der Galerie bei: Wil¬
helm H i s. Zn seinem 70. Geburtstage. Text siehe S. 1138.
Therapeutische Notizen.
Ueber die Tinctura Ferrl Athenstaedt (Ferr. oxyd.
•«arvharat. solub. verum) bringt Kraus ln No. 16, 1901 der Allg.
Wien. med. Ztg. einen kurzen Artikel, dem wir entnehmen, dass ln
diesem Präparat das Elsen als alkalifreles Eisenoxyd-Saccharat,
also in leicht verdaulicher, organisch-indifferenter, wasserlöslicher
Bindung enthalten Ist Der Eisengehalt beträgt 0,2 Proc. metalli¬
sches Elsen oder ca. 0,4 Proc. Eisenhydroxyd. Die Ueberlegen-
helt der Tlnct ferr. Athenstaedt vor ähnlichen Präparaten liegt in
ihrer Alkalifreiheit Das Präparat wird gerne genommen und gut
vertragen, wirkt sicher und Ist frei von üblen Nebenwirkungen.
S.
Ueber die Beeinflussung der blutbildenden
Funktion des Knochenmarks durch therapeu-
tUcheMaassnabmen sprach auf dem jüngsten Balneologen-
Kongress Dr. Franz Müller- Berlin. Auf Grund seiner Unter¬
suchungen bestätigt er, dass das anorganische Eisen auf die Blut-
blldung thatsäehlich einen günstigen Einfluss ausübt. Auch der
Aderlass Ist ein prompt wirkendes Mittel, um die blutbildende
Funktion des Markes anzuregen; wenn er in der Therapie eine
gesteigerte Verwendung nicht finden konnte, so ist zu erwägen,
dass er zuerst stets einen Verlust an den ohnedies oft schon spär¬
lich vorhandenen rothen Blutkörperchen setzt, somit in dem be¬
treffenden Falle die Frage offen bleibt, ob sein formativer Reiz
den Verlust ln der That Uberkompensirt. Dagegen scheint es
zweckmässig zu sein, durch Erzeugung vorübergehenden Sauer¬
stoffmangels in passender Dosirung ohne Blutentziehung die blut¬
bildende Thätlgkeit des Markes zu wecken. Es käme da In Be¬
tracht: die Einathmung von stlekstoffreieheu Gasgemischen und
der Aufenthalt im Gebirge oder im pneumatischen Kabinet bei
Luftverdünnung. (Deutsch. Med.-Ztg. 1901, No. 30.) P. H.
Alkoholumschläge hat Dr. B u r w i n k e 1 - Bad Nau¬
heim in zwei Fällen von rechtsseitigem Pleuraexsudat, In 5 Fällen
von subakutem und chronischem Gelenkrheumatismus, sowie in
2 Fällen von Podagra mit vorzüglichem Resultat angewandt. Aller¬
dings wurden gleichzeitig Bäder, Diät und andere Heilfaktoren
in Anwendung gezogen. Immerhin dürfte ein guter Tlieil des
schnellen Erfolgs mit Sicherheit auf die Alkoholumschläge gesetzt
werden. Wenig Nutzen brachten die Alkoholumschläge in einem
Falle von Kreuzschmerzen bei einem Tabiker, ferner in einem
Falle von Lähmung des rechten Armes nach einer Ilirnembolie
und in einem Falle von veralteter Mastdarmfistel. (Allgem. med.
Central-Ztg. 1901, No. 44.) P. H.
Tagesgeschichtliche Notizen.
Miinclieu, 9. Juli 1901.
— Die E h r e u g e r 1 c h t s b e s t i m in u n g e u für die
Sanitätsoffiziere, wie sie vor Kurzem für die preussische
Armee und die ihr ungegliederten deutschen Kontingente ge¬
nehmigt wurden, sollen, der Allg. Ztg. zu Folge, in Bälde auch im
bayerischen Heere zur Einführung gelangen.
— Das k. Württemberg. Ministerium des Innern hat unterm
21. Mal 1. J. eiilö" Verfügung über die W o h n u ngsa u f sicht
erlassen (Württ. Korr.-Bl. No. 25). Hiernach wird eine ortäpolb-
zeiliche Wohnungsaufsicht in den Städten und sonstigen Gemeinden
von über 3000 Einwohnern eingeführt. Kleineren Gemeinden bleibt
die Einführung durch ortspolizeiliche Vorschrift überlassen. Zu
beaufsichtigen sind alle aus 3 oder weniger Wohnräumeu be¬
stehenden Wohnungen, alle Wohnungen, iu welche Schlaf¬
gänger gegen Entgelt aufgenommeu werden, alle zur ge¬
werbsmässigen Beherbergung von Fremden bestimmten Räume
und alle Schlafgelasse der Im Hause des Arbeitgebers oder
der Dienstherrschaft wohnenden Arbeiter, Lehrlinge und Dienst¬
boten. Die der Aufsicht unterliegenden Wohnungen sind
mindestens alle 2 Jahre zu besichtigen, doch kann davon
auf unbestimmte Zeit Abstand genommen werden, wenn die
Polizei die Ueberzetiguug von dem fortdauernden ordnungs¬
gemässen Zustand und der ordnungsgemässen Benutzung der Woh¬
nungen gewonnen hat. Die Bestellung der mit der Vornahme der
Wohnungsbesichtigungen zu beauftragenden Personen ist Sache
der Gemeindeverwaltung; zu diesem Amte können auch Bedien¬
stete, welche einer technischen Ausbildung entbehren, wie Schutz¬
leute und Polizeidiener, verwendet werden. Die Verfügung stellt
sodann gewisse Anforderungen fest, denen die Wohnungen ge¬
nügen „sollen" — der häutige Gebrauch dieses Zeitworts lässt
darauf schliessen, dass die strikte Durchführung dieser Vorschriften
nicht beabsichtigt wird — z. B. sollen iu Schlafgelassen auf jeden
Erwachsenen mindestens 10 cbm, auf jedes Kind unter 14 Jahren
mindestens 5 cbm Raum entfallen; jeder Wohn- oder Schlafrauin.
jeder Abort und in der Regel auch jede Küche soll mindestens ein
iu's Freie führendes Fenster haben etc. Die ärztliche Mitwirkung
wird bei der Wohnungsaufsicht iu Württemberg nur iu sehr be¬
scheidenem Maasse in Anspruch genommen. Soll z. B. auf Grund
einer von technisch nicht vorgebildeteu Bediensteten erhobenen
Beanstandung eine polizeiliche Auflage von einschneidender Wir¬
kung erlassen werden, so „empfiehlt“ es sich, zuvor das Gutachten
eines zum Staatsdienst befähigten Arztes einzuholen. Im Ucbrigeii
werden die Oberamtsphysikate angewiesen, auf die Handhabung
der Wohnungsaufsicht in den Gemeinden, insbesondere bei Vor¬
nahme von Visitationen, ihr besonderes Augenmerk zu richten.
— Die sck jiinrztli chen .XJnte^ytTchungen der Dresdener
Elementarschüler haKeiTefgeben, dass die Hälfte der Kinder anormal
ist. Die ausgefüllten Fragebogen haben ein geradezu erschrecken¬
des Krankheilsbild ergeben. Dieser sehr ungünstige Gesundheils¬
zustand der Schüler hat die Dresdener Lehrerschaft veranlasst.
Folgendes beim Magistrat zu beantragen: 1. Die schulärztlichen
Untersuchungen des körperlichen Zustandes sollen allgemein, all¬
jährlich und nach völlig einheitlichen Gesichtspunkten vor¬
genommen werden, damit eine zuverlässige Statistik zum Besten
der Schulgesundheitspflege aufgestellt werden kann. 2. Die mit
chronischen Krankheiten behafteten Kinder sind während des
Sommers so lange als nöthlg zum Gebrauche einer Kur zu be¬
urlauben. 3. Zur Ergänzung der dadurch bedingten Versäumnisse
sind in allen grösseren Sehulgruppeu Nachhilfeklassen ein¬
zurichten. 4. Einrichtung von Schulbädern. (Voss. Ztg.)
— Der ln Kol n zwischen der Mehrzahl der Krankenkassen
und dem Apothekerverein seit rund 15 Monaten währende Rabatt¬
krieg ist nunmehr beendet. Er hat zu einem Siege der im Kranken¬
kassen verbände vereinigten Krankenkassen geführt. Die Kranken¬
kassen erhalten 15 Proc. Rabatt; die Handverkaufsartikel können
von den Mitgliedern der Kasse nach Belieben aus den Apotheken
oder aus Droguerien bezogen werden. Alljährlich wird die Hand¬
verkaufsliste einer Revision unterzogen unter Betheiligung von je
3 Vertretern der Apotheker und der Krankenkassen. Der Vertrag,
den jede einzelne Kasse für sich mit dem Apothekervereiu abzu-
scbliessen hat, läuft bis Ende 1903 und dauert, sofern er nicht ge¬
kündet wird, ein Jahr weiter. Die hier aufgeführten Vortheile
kommen auch den nicht am Streike bethelligt gewesenen Kranken¬
kassen zu Gute.
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1102 MUENCTIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28.
— In dem Frocess des Dr. A 1 e x a n d e r - Berlin und der
brandenburgJsch-berlinischen Aerzteknunner gegen die beiden Vor¬
sitzenden des deutschen Bundes der Vereine für naturgennisse
Lebens- und Heilweise It. Gerling und G. Wagner weg. n
Beleidigung, begangen durch die Herausgabe einer gegen die
A 1 e x n n d e r’sche Schrift „Wahre und falsche Heilkunde“ ge¬
richteten Broschüre, wurden die Beklagten zu 50 M. Geldstrafe ver-
urtheilt und auf Publikation des Urtheils in zwei Zeitungen, sowie
auf Vernichtung der Broschüren erkannt. Das Urtlieil erkannte
den beleidigenden Inhalt der Broschüre an, billigte den Angeklagten
jedoch zu, dass sie in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt
hätten. Benierkenswerth ist folgender Passus im Plaidoyer des
Staatsanwalts Reiche: Die Schrift des Dr. A 1 e x a n d e r habe
die Angeklagten unleugbar beleidigt. Den Angeklagten stehe nach
der GeAverbeordnung das Recht zu, die Naturheilmethodo zu be¬
treiben, und Dr. Alexander habe daher über das Ziel hinaus¬
geschossen, als er die Angeklagten desswegen angrlff. Die Au¬
geklagten hätten daher auch das Recht gehabt, sich zu wehren,
und in dieser Abwehr stehe ihnen in jeder Beziehung der Schutz
des § 193 zur Seite.
— In Dresden hat sich ein Verein für Aerzte-
kurse gebildet, dem folgende Herren angehören: Dr. Hermanu
Becker, Geh. Med.-Rath Dr. Buschbeck, Hofrath Dr.
Cred6, Dr. Galewsky, Hofrath Dr. Ganser, Geh. Rath
Präsident Dr. Günther, Professor Dr. His, Geh. Med.-Ratli
Prof. Dr. Leopold, Med.-Ratli Dr. Lindner, Dr. M a n u,
Hofrath Dr. Osterloh, Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Renk, Dr.
Fritz Schanz, Privatdocent Dr. Schlossmann, Med.-Ratli
Dr. Sch mal tz, Med.-Ratli Dr. Sehmorl, Hofrath Dr. Un¬
ruh, Geh. Med.-Itath Dr. W eher, Dr. Werther, Dr. W i e b o,
PriA'atdocent Dr. Wolf. — Der Verein hat sich die Aufgabe ge¬
stellt, in öffentlichen und privaten Krankenanstalten und anderen
wissenschaftlichen Instituten Dresdens 2 mal imJabrc Fortbildungs¬
kurse für praktische Aerzte abzuhaiteu, und zwar wird der erste
Curaus, wie aus einer entsprechenden Ankündigung im Anzeigetlieil
dieses Blattes ersichtlich ist, in der Zeit vom 7. bis 2ti. Oktober 1901
statt finden.
— Feber die im Laufe des Sommers beabsichtigten „Biider-
Studieureisen" wird uns des Weiteren geschrieben: Aerztliche
Biider-Studienreisen werden seit einigen Jahren unter der Leitung
der Herren Prof. Dr. Landouzy und Dr. Carron de la Carrier»*
in Frankreich mit ausgezeichnetem Erfolge gemacht. Es ist von
zwei Seiten gleichzeitig der Gedanke angeregt worden, ähnliche
Studienreisen auch iu Deutschland einzuführen. Der eine Plan
geht aus von Herrn Professor Dr. A. B a g i n s k y. welcher die
Firma Carl Stangen’s Reisebureau mit der geschäftlichen Aus¬
führung einer solchen Reise betraut hat. während er selbst die
wissenschaftliche Führung übernehmen wollte, der andere Plan,
von einem unter der Führung der Herren Geheimriithe Professor
Dr v. Leyden und Professor Dr. Liebreich stehenden
wissenschaftlichen Coniitö. welches eine Vereinbarung mit der
Dampfergesellsehaft der Nordseelinie getroffen hat. Die von
Herrn Professor Dr. A. B a g 1 n s k y und Carl Stange u's Itels.*-
bureau veranstaltete Reise soll sich auf die in Mitteldeutschland
befindlichen Soolbiider und Soolbad-Kinderheilanstalten erstrecken,
während die von dem Comitfi in Aussicht genommene Reise im
Anschluss an die Naturforscherversammlung die Nordseebäder zum
Ziele hat. Die Reise nach den Soolbädern soll Anfang August,
diejenige nach den Nordseebädern Ende September stattfinden.
Die beiden Reisen werden daher ergänzend wirken und den deut¬
schen Aerzteu reichlich Gelegenheit bieten, diejenige Tour auszu
wählen, welche dem Einzelnen besonders geeignet erscheint, seine
Erfahrungen und Kenntnisse zu bereichern. Finden so in diesem
Jahre zwei von einander völlig unabhängige Reisen statt, so ist
nach den schon jetzt eiugeleiteten Vorbereitungen die Aussicht
vorhanden, dass für die Folge eine Vereinbarung getroffen Averdeu
wird, derartige Bäder-Studienreisen unter einheitlicher wissen¬
schaftlicher Leitung als eine dauernde Einrichtung zur Fortbildung
der ärztlichen Kreise Deutschlands weiterzuführen. Ein Ziel,
welches sicherlich in den betheiligten Kreisen auf's Wärmste
herbeigewünscht werden dürfte.
—- Am 27. v. Mts. fand die feierliche Eröffnung des Sana¬
toriums Luitpoldheim bei Lohr i. Spessart statt, einer
Heilstätte für unbemittelte Lungenkranke, die von einem unter
Vorsitz des Herrn Geheimrath v. Leube stehenden Verein ge¬
gründet wurde. Schon vor 7 Jahren, als es in Deutschland erst
2 ganz kleine derartige Anstalten gab, war der Verein in's Leben
getreten; doch hat es wegen ungünstiger äusserer Verhältnisse so
lange gedauert, bis die heute stellende Musteranstalt ihrem Zweck
übergeben werden konnte.
- Pest Aegypten. In Zagazig sind vom 6. bis 13. Juni
21 Erkrankungen und 11 Todesfälle an der Pest vorgekommen,
dai unter 5 Erkrankungen und f> Todesfälle am 13. Juni. Am
23. Juni wurde auch in Port Said ein Pestfall festgestellt; derselbe
war aus Zagazig eingeschleppt. — Britisch-Ostindien. Provinz
Burma. Im Hafen von Rangun war an Bord eines am 20. Mai von
Kalkutta angekommeneu Dampfers ein Pestfall vorgekommen:
ein anderer fieberkranker Passagier desselben Schiffes war kurz
nach seiner Ueberführung in die zur Beobachtung verdächtiger
Kranker hergerichtete Station gestorben. — Hongkong. Während
der drei Wochen vom 27. April bis 18. Mai sind iu der Kolonie
nacheinander 93—128—122 neue Erkrankungen an der Pest amt¬
lich bekannt geAvorden und 92—117—113 Pesttodesfälle beobachtet,
es kamen also auf 343 gemeldete Krankheitsfälle 322 Todesfälle
an der Pest. Auf die Stadt Viktoria entfielen von den 343 Erkran¬
kungen 270; von Europäern sollen bis zum 23. Mai 9 erkr ank t, und
4 der Seuche erlegen sein, — Paraguay. Zu Folge einer Mitthei¬
lung vom 23. Juni war in Asuncion ein Fall von Pest festgestellt.
— West-Australien. Während der am 18. Mai abgelaufenen Woche
ist in der Kolonie noch 1 Pestfall vorgekommen, so dass am
18. Mai, da kein Pestkranker starb oder als geheilt in Abgang kam,
noch <5 Pestkranke in Behandlung waren, je 1 in Freemantle und
Claremont, 4 in Perth. — Kapland. In der am 29. Juni endendeu
Woche sind 14 Neuerkrankungen und 13 Todesfälle vorgekommen.
Die Gesammtzahl seit Beginn der Epidemie beträgt 749 Erkran¬
kungen und 307 Todesfälle.
— In der 25. Jahreswoche, vom 10.—22. Juni 1901, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Hagen mit 38,2, die geringste Bamberg mit 6,2 Todesfällen
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬
storbenen starb an Masern in Hagen, Kassel, Metz; an Diphtherie
und Croup in Borbeck. . \
(Hochschulnach r ichten.)
Breslau. Dem 2. Assistenzarzt an der hiesigen Universi¬
täts-Frauenklinik und -Poliklinik, Dr. med. Roland S t i c h e r, ist
die Venia legendi für Gynäkologie und Geburtshilfe ertheilt
worden.
Erlangen. Durch eine Zuschrift des Dekans der med.
Fakultät Erlangen, Prof. Fleischer, wird uns die in No. 27
gebrachte Nachricht, betreffend die Vorschläge für die Chirurg.
Professur ln Erlangen, als nicht zutreffend bezeichnet. (Die Nach¬
richt war uns von zwei verschiedenen Seiten gleichlautend zu¬
gegangen.)
Heidelberg. Der Professor der Ohrenheilkunde Dr. Passow
erhielt, vom Grossherzog von Baden den Orden vom Zähringer
Löwen I. Kl. mit Eichenlaub.
Jena. In der medicinischen Fakultät der hiesigen Uni¬
versität hat sich Dr Jul. A. Grober aus Bremen, Assistenzarzt
an der medicinischen Klinik, habilitirt.
München, ln der medicinischen Fakultät habilitirte sich
der Assistent am pharmakologischen Institut Dr. med. Albert
Jodlbauer mit einer Probevorlesung über den gegenwärtigen
Stand der Eisenfrage.
Rostock. Die Gesammtfrequenz an der hiesigen Univer¬
sität beträgt in diesem Semester 565. Darunter sind 127 Mediclner.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse iu MUnchberg. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorscliriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung. K. d. I.. bis zum 18. Juli
1. Js. einzureichen.
Befördert: Zum Assistenzarzt der Unterarzt Franz B ö c k
im 4. Inf.-Reg.
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt I. KI.
Dr. Wilhelm Weiler in Kellielm, seiner Bitte entsprechend, wegeu
nachgewiesener physischer Gebrechlichkeit unter Anerkennung
seiner langjährigen, treuen und eifrigen Dienstleistung.
Morbiditätsstatistik d. InfectionskrankheitenfUr München
in der 24 Jahreswoche vom 9. bis 15. Juni 1901.
Betheiligte Aerzte 185. — Brechdurchfall 25, Diphtherie, Croup
15, Erysipelas 8, Intermittens, Neuralgia interm. —, Kindbettfieber
—, Meningitis cerebrospin. —, Morbilli 64, Ophthalmo-Blennorhoea
neonat. 5, Parolitis epidem 1, Pneumonia crouposa 11, Pyaemie,
Septikaemie —, Rheumatismus art. ac. 21, Ruhr (dysenteria) —,
Scarlatina 20, Tussis convulsiva 9, Typhus abdominalis 2, Varicellen
13, Variola, Variolois —, Summa 193.
in der 26. Jahreswoche vom. 16. bis 22. Juni 1901.
Betheiligte Aerzte 195. — Brechdurchfall 18, Diphtherie,
Croup 8, Erysipelas 8, Intermittens, Neuralgia interm. 3. Kindbett¬
fieber -, Meningitis cerebrospin. 2, Morbilli 50, Ophthalmo-
Blennorrhoea neonat. 6, Parotitis epidem. 2, Pneumonia crouposa 4,
Pyaemie, Septikaemie —, Rheumatismus art. ac. 19, Ruhr
uiysenteria) —, Scarlatina 18, Tussis convulsiva 20, Typhus
abdominalis 2, Varicellen 11, Variola, Variolois —, Influenza —.
Summa 171. Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 26. Jahreswoche vom 23. bis 29. Juni 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 4 (4*), Scharlach 1 (1), Diphtherie
und Croup — (—), Rothlauf — (1), Kindbettfieber 1 (—), Blut¬
vergiftung Pyaemie — ,—X Brechdurahfall 3 (7), Unterleibtyphus
1 (1), Keuchhusten 2 '2 1 , Cronpöse Lungenentzündung 1 (3),
Tuberkulose a) der Lungen 30 >45\ bi der übrigen Organe 13 (9),
Akuter Gelenkrheumatismus 1 il), andere übertragbare Krank¬
heiten 4 3\ Unglücksfälle 5 (—\ Selbstmord 1 (1), Tod durch
fremde Hand — i l).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 208 >,226), Verhältnisszahl anf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 21,6 (23,6), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,7 (14,9).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. L| e h m ann In MtiirttD - Duck von H. k'übltbaler't Buch- und Kunatdruckerei A.G., München.
-oogle
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Öle ilünrh. Mc4. Wochenschr. erscheint wAchcntl.
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen,
'•--eis ln Dentschl. n Oest.-Uncara vierteljlhrl. « JC,
ins Ausland 7.60 M.. Einzelne No. 80 4 .
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu ndressiren: Pur die Itcdactlon
Ottostrasse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Ileustrasse 20. — Für Inserate nnd Beilagen
an Rudolf Mosse, Promcua-leplulz 16.
MED ICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Cb. Blonler,
Freiburg 1. B.
Herausgegeben von
0. Bolilnger, H. Curschnann, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, H. v. Ranke, F. v. Wlnckel, H. v. Zlemssen,
München. Leipzig. Berlin. Nürnberg Berlin. München. München. München.
No. 29. 16. Juli 1901.
Redaction: Dr. B. Spats, Ottostraue 1.
Verlag: J. P. Lehmann. Henatmsse 20.
48. Jahrgang.
Origin alien.
Aus dem hygienischen Institut der Universität München.
Ueber ein krystailinisches Immunisirungsproduct.
I. Mittheilnng.
Von H. Büchner und L. Geret.
Durch Bordet wurde zuerst die Aufmerksamkeit auf
itnmunisirende Vorbehandlungen mit gelösten Eiweisssub-
stanzen gelenkt, bei denen das Blutserum des vorbehandelten
Thieres die specifische Befähigung erlangt, mit dem gleichen ge¬
lösten Eiweissstoff, der zur Vorbehandlung gedient hatte, ein
Präeipitat zu liefern. Der leider bald nachher verstorbene
Myers hatte in Fortsetzung dieser Forschungen unter anderen
Ei weissstoffen auch das Pepton zu solchen Vorlielmndlungen ge¬
eignet befunden und u. a. angegeben, dass das Präeipitat in
diesem Falle die Biuretreaktion nicht mehr gebe ‘). Hiedurch
angeregt, wollte der Eine von uns (G.) den Versuch von Myers
wiederholen und naehprüfen, wobei jedocli — anstatt des von
Letzterem verwendeten unreinen käuflichen Witt e’sehen Pep¬
tons — ein nach Kühno’s Vorschrift in unserem Laboratorium
hergestelltes reinstes Pepton zur Anwendung kam. Die
Vorbehandlung von Kaninchen gelang nach einigen durch die
Giftigkeit des Präparates fehlgeschlagenen Versuchen, und das
erzielte Immunserum gab in der herkömmlichen Weise ein Prä¬
eipitat mit dem angewendeten Pepton, das jedoch unerwarteter
Weise aus krystallinischen Gebilden, aus Globuliten
bestehend sicli erwies. Die mehrfache Wiederholung dieses Ver¬
suchs ergab immer das gleiche Resultat; die Art der Gewinnung
der Globuliten ist, nach den unten folgenden Angaben, eine ein¬
fache und sichere, und sollen daher die Eigenschaften dieses
krystallinischen Immunisirungsproduetes, soweit uns dieselben
vorläufig bekannt sind, in dieser Mitthoilung kurz beschrieben
werden.
Bezüglich der Giftigkeit unseres reinen Peptons sei bemerkt,
dass intraperitoneale Injektion von 0,5 g des Präparats in lOproc.
Lösung bei einem Kaninchen von 2500 g (= 0,2 Prom. des
Körpergewichts) binnen 12 Stunden den Tod unter Krämpfen
und mit starken Kontrakturen der Extremitäten herbeiführte.
Ein zweites Thier wurde bei langsamer Injektion von 0,9 g Pept.
puriss. in Einzeldosen im Verlauf von 6 Tagen sehr krank, die
hinteren Extremitäten waren in starker Beugestellung voll¬
kommen steif. Am 8. Tag entzogenes Blut ergab ein grünlich
gefärbtes Serum, das bei vorsichtigem Ueberschichten mit reiner
Peptonlösung einen schwachen Globulitenniederschlag und zwar
— wie dies immer der Fall ist — als 2—5 mm breiten, ring¬
förmigen Absatz an der Innenwand des Röhrchens, an der Be¬
rührungsstelle der beiden Flüssigkeiten lieferte. Das Thier lebte
noch 20 Tage nach Beginn der Vorbehandlung, mit Kontrakturen,
»ehr abgemagert. Sein Serum gab jetzt bei Mischung mit 2 proc.
Peptonlösung (gelöst in physiologischer Na Cl-Lösung) eine
staubige Trübung, welche nach 12 Stunden an der Glaswand
als Globulitenniederschlag anhaftete. Bei Ueberschichten mit
Peptonlösung binnen 12 Stunden Bildung des Globulitenringes.
Hinzugefügt sei zur Kontrole, dass normales Kaninchenserum
*) CentralbL f. Bacteriologie. Bd. 28. 1900.
Wo. 29.
bei Ueberschichten mit der gleichen Peptonlösung binnen 8 Tagen
klar, unverändert und frei von Globuliten bleibt.
Zwei weitere Kaninchen erhielten in 16 Einzelinjektionen
durch 4 Wochen je 1,9 g Pept. puriss., das sie gut vertrugen.
Die Sera der Thiere waren nicht grünlich, sondern normal ge¬
färbt, gaben aber mit Pepton nur schwache Globulitenbildung.
Gleichfalls schwache Reaktion gab das Serum eines weiteren
Thieres, welches bei Gesammt injektion von 1,5 g Pept. puriss.
in 12 Einzeldosen innerhalb 3 Wochen an Krämpfen erkrankt
war.
Soweit waren die Ermittelungen gediehen, als sich eine
neue Thatsaeho herausstellte, die unseres Erachtens besonders
Interesse verdient. Es zeigte sich, dass nicht nur das Serum von
Thieren, die mit Pepton (aus Rinderfibrin gewonnen) vor¬
behandelt waren, das Globulitenpräcipitat mit Peptonlösung
liefert, sondern auch Serum von Kaninchen, die
mit Rinderblut vorbehandelt sind. Und zwar ge¬
nügen schon ganz kleine Mengen Rinderblut zu dieser Vorbehand¬
lung, und der Zeitraum braucht nicht länger zu sein als 24 Stun¬
den. Ein paar Versuche mögen dies illustriren:
Ein Kaninchen von ca. 2000 g erhält 5 ccm Rinderblut
+ 5 ccm physiologische Na Cl-Lösung subkutan. Nach 24 Stun¬
den Blut entzogen. Das Serum zeigt bei Uebcrschichtung mit
Rinderfibrinpeptonlüsung deutlich einen scharf abgegrenzton
Globulitenring an der Glaswand, während das gleiche Serum bei
Ueberschichten mit Itinderserum noch keine Spur von Reaktion
gibt. Letztere Reaktion, die man bisher allein kannte, tritt also
beim vorbehandelten Thier erst später in die Erscheinung, und
zwar beträchtlich später. Nach Ermittelungen von Dr. M. Wilde
in unserem Institut gab das Serum eines Kaninchens noch keine
Reaktion auf Rinderserum nach subkutaner Injektion von 15 ccm
Rinderblut, zeigte erst schwache Füllungswirkunjf, als nochmals
25 ccm Rinderblut injicirt waren. Aber auch jetzt bcsass daJ»
Serum noch keine speeifisch-haemolytische Wirkung für Rinder¬
blut, die erst nach Injektion von weiteren 25 ccm Blut, zugleich
mit einer deutlich fällenden Reaktion auf Rinderserum her¬
vortrat.
Dem gegenüber genügen, um ein für Globulitenbildung mit
Peptonlösung geeignetes Serum zu erhalten, die geringsten
Mengen von injicirtem Rinderblut. Das Serum eines Kaninchens,
dem 3 ccm Rinderblut subkutan injicirt wurden, gab schon nach
24 Stunden sehr starke Globulitenbildung. sofort beim Ueber¬
schichten mit Peptonlösung. Schon nach 2 Minuten be¬
gann die Präcipitatbildung. Das Serum des gleichen Thieres,
vor der Rinderblutinjcktion entzogen, zeigte keine Reaktion
mit Pepton. Am meisten überraschte uns. dass sogar das Serum
eines Kaninchens, dem nur ein mit Rinderserum (1 Theil auf
4 Theilo phys. Na Cl-Lösung) impriignirtcr Wattebausch steril in
die Bauchhöhle eingesehoben war, nach 24 Stunden mit Pepton¬
lösung die Globulitenreaktion aufwies.
Zur weiteren Kontrole sei erwähnt, dass normales Rinder¬
serum, mit Rinderfibrinpeptonlösung überschichtet. 3 Tage völlig
klar blieb. Am 4. Tag kam an der Berührungsstelle eine iiusserst
feine Trübung, die aber nach 8 Tagen fast wieder verschwunden
war. Kein Wandbelag, keine Globuliten. Ebenso ferner ergab
das. Serum eines mit 5 ccm Mcersehweinchcnblut (4- 5 ccm phys.
Na Cl-Lösung) injicirten Kaninchens keine Reaktion mit Rinder¬
fibrinpeptonlösung.
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1164
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aus letzterer Thatsache ergibt sich die Specifität der Re¬
aktion, d. h. die Begrenzung innerhalb der stofflichen Produkte
der gleichen Thierspecies; umgekehrt müssten demnach die Pep¬
tone aus verschiedenem Ausgangsmaterial wohl als speeifiseh
verschieden in ihrem Bau erachtet, werden.
Einige Eigenschaften der Globuliten.
Man gewinnt die Globuliten am einfachsten und sichersten
dadurch, dass man Serum eines Kaninchens, dem 24 Stunden .
vor der Blutentziehung etwa 5 ccm Rinderblut (+ 5 ccm ph.vs. ;
Na Cl-Lösung) subkutan injicirt wurden, mit einer 2 proc.
Rinderfibrinpeptonlösung vorsichtig iiberschichtct. Bei ruhigem
Stehen bildet sich nach kurzer Zeit, sicher binnen 12 Stunden,
ein festhaftender Ringbelag an der Berührungsstelle. Man giesst
Serum und Peptonlösung ab, spült das Röhrchen mit Aq. dest.
wiederholt und kann nun mit einer Platinöse die Globuliten von
der Glaswand abschaben und mikroskopisch untersuchen.
Oder man kann die Globuliten direkt unter dein Mikroskop
entstehen lassen. Auf ein Deckglas werden mit Platinöse 2 kleine
Tröpfchen von specifisehom Serum und Peptonlösung neben¬
einander gesetzt und durch Flüssigkeitsbrücke mit einander ver¬
bunden. Das Deckglas kommt, umgekehrt auf einen Hohlschliff.
Die Globulitenbildung erfolgt an der Berührungsstelle beider
Tropfen in wenigen Minuten und zwar ungemein reich¬
lich. Hatte man das Deckglas vorher in der Mitte mit einem
Glasstab durch starkes Anreiben desselben rauh gemacht, so
bilden sich an der rauhen Stelle ganz besonders rasch und viel
Globuliten; aber je schneller die. Bildung, um so kleiner und un¬
vollständiger sind die Formen. Bei langsamer Bildung umge¬
kehrt kommt, es zu grossen, 20—30 p im Durchmesser halten¬
den, sehr deutlich eoneentriseh geschichteten, meist kugeligen
oder ovoiden Globuliten. Die Bedingungen dieser langsamen
Bildung grösserer Globuliten sollen in einer zweiten Mittheilung
näher erörtert werden.
Die gewöhnlichen kleinen Globuliten, wie sie bei Ueber-
schichtung als Wandbelag auf treten, haben unregelmässig rund¬
liche, oft bohnen- oder nierenförmige Gestalt (indem zwei Indi¬
viduen mit einander verwachsen sind) und zeigen starken Licht¬
glanz. Ihr optisches Verhalten bei Untersuchung in wässrigem
Medium entspricht demjenigen von Oeltropfcn, d. h. sie zeigen
starke Lichtbrechung und erscheinen bei hoher Einstellung hell,
bei tiefer dagegen dunkel. Die Grösse schwankt zwischen 2 bis
4 ^ ; bei langsamer Bildung kommen im IJeberschichtungs-
röhrchen aber auch grössere, anscheinend oft halbkugelige, häufig
deutlich eoneentriseh geschichtete Formen vor, bis zu 10 f* im
Durchmesser und mehr. Umgekehrt finden sich bei raschester
Bildung der Globuliten, direkt unter dem Mikroskop, dieselben
nur in Form feiner, glänzender Körner von etwa 1 h Durch¬
messer, oder, beim Anwachsen dann in ganz verschiedenen aben¬
teuerlichen kleineren und grösseren Formen, bei denen sich aber
häufig ein Zusammengcsetztscin aus mehreren rundlichen Globu¬
liten noch erkennen lässt.
Gegen chemische Rcagontien zeigen die
Globuliten eine ganz ausserordentliche, ge¬
radezu verblüffende Widerstandsfähigkeit.
Sie sind unlöslich und unveränderlich in coneentrirter heisser
Salpeter- und Salzsäure und kalter coneentrirter Schwefelsäure,
in coneentrirter Essigsäure, in Alkohol, in wirksamer Pepsin-
Salzsäure bei 37" innerhalb 16 Stunden, werden nur von heisser
coneentrirter Schwefelsäure angegriffen und allmählich gelöst,
zeigen ferner eine ganz geringe Quellung in Aetzammoniak,
eine etwas stärkere in Kalilauge, ohne sich jedoch in letzterer zu
lösen. Sie geben weder die M i 11 o n’sehe, noch die Biuret-
reaktion, selbst nicht nach Kochen mit Kalilauge. Sie färben
sich weder mit Fuchsin, noch mit Eosin oder Sudan III, wohl
aber schwach mit Pikrinsäure, intensiv gelb mit Jod (Jodtinktur), j
Beim trockenen Erhitzen der wiederholt gewaschenen Globu- i
liten zeigt sieh Geruch nach verbranntem Horn, die Substanz
bräunt sich vorübergehend und es hinterbleibt ein Aschenskelet,
welches die Form der Globuliten unverändert wiedergibt, nur den
Lichtglanz vermissen lässt.. Dieses Aschenskelet ist unlöslich in
coneentrirter Salzsäure. Trotzdem muss angenommen werden,
dass das Aschenskelet wesentlich aus Kalksalzen besteht, da bei
Behandeln der Globuliten mit heisser coneentrirter Schwefelsäure
und nachherigem Zusatz von Wasser sich Krystalle von Calcium¬
sulfat ausscheiden.
No. 20.
Nach dem ganzen Verhalten könnte man fast zweifeln, oh
die Globuliten überhaupt aus organischer, und nicht vielmehr
lediglich aus anorganischer Substanz bestehen. Allein, abgesehen
von den Erscheinungen beim trocknen Erhitzen, spricht doch die
Färbbarkeit mit Jod Wogegen, und dann vor Allem die Ent¬
stehungsweise, da unsere 2 proc. Lösung von reinem Pepton nur
geringe Mengen von Mineralsalzen enthält.
ln einer demnächstigen weiteren Mittheilung soll gezeigt
werden, wie die Auffindung des geschilderten krystallinischeu
Immunisirungsproduktes geeignet ist, ein neues Licht auf den
bisher so dunklen Vorgang der Immunkörpcrbildung im Organis¬
mus zu werfen.
Aus Dr. S i e g e r t’s Ambulatorium für kranke Kinder in
Strassburg.
Erfahrungen mit der nach v. Düngern gelabten
Vollmilch bei der Ernährung des gesunden und kranken
Säuglings.*)
Von Dr. F. Siegert.
Jeder Schritt vorwärts auf dem so mühevollen Weg der
künstlichen Ernährung gesunder und kranker Säuglinge, wie der
Heilung der Verdauungsstörungen des ersten Lebensjahres, dart
allgemeiner Beachtung der Aerzte gewiss sein.
Je grösser deren eigene Erfahrung, um so klarer das Bewusst¬
sein, dass allgemein bei den Verdauungsstörungen der Säuglinge,
ganz besonders aber in den heissen Sommermonaten, alle ärzt¬
lichen Bemühungen nur zu oft erfolglos bleiben, trotz der Unter¬
stützung durch intelligente Priege.
So lange es allerdings an Deutschlands Universitäten nur
ausnahmsweise dem Arzt während seiner Ausbildung möglich ist.
gesunde oder auch nur kranke Säuglinge an der Brust, ja selbst
nur "bei künstlicher Ernährung klinisch beobachten zu können,
so lange er an vielen Universitäten nicht einmal Vorlesungen
über die Krankheiten des ersten Letansjahres hören kann, so lange
braucht und darf er sich keinen Vorwurf darüber machen, da-s
er unvorbereitet auf eine seiner häufigsten Angaben, die ratio¬
nelle Behandlung kranker Säuglinge, zur Ausübung seines Be¬
rufs übergehen muss. Durch die Verhältnisse gezwungen, muss
er lehren, was zu lernen nicht in seiner Macht lag, angesichts
einer Gruppe von Krankheiten, welche alljährlich '/„—'/, aller
Neugeborenen im ersten Lebensjahr verschwinden lässt. Doch,
wenn nicht Alles täuscht, wird der Beginn des neuen Jahr¬
hunderts darin eine gründliche Besserung bringen, weil Aerzte
und Laien anfangen, eine solche zu fordern.
Gestatten Sie mir, nach dieser wohl zeitgemässen Einleitung
kurz zu berichten über eine Art. „Humanisirung“ der Kuhmilch,
wie man die Labung derselben und das mechanische Beseitigen
der groben Käsegerinnsel durch Versehiitteln vor der Verab¬
reichung an das Kind nennen könnte. Durch diese Behandlung
wird die Kuhmilch in einem wesentlichen Punkt der Frauenmilch
ähnlich.
Seit Jahren glaubte man die Haupt unterschiede der Leist¬
ungen der Frauenmilch und Kuhmilch durch ihre verschiedene
chemische und physikalische Beschaffenheit erklären zu müssen,
in der neueren Zeit, noch durch die Veränderung der Eiweiss¬
körper der Kuhmilch bei der wegen des hohen Bacteriengchaltes
nöthigen intensiven Sterilisation. Der Caseification bei der Lab¬
gerinnung wurde dagegen geringe Bedeutung zugeschrieben.
Dass aber grobe Käsegerinnsel den gesunden und noch viel mehr
den erkrankten Säuglingsmagen mechanisch reizen und der Ver¬
dauung den grössten Widerstand entgegen setzen, wird von Nie¬
mand bestritten. Den Umstand ferner, dass die Kuhmilch sofort
im Säuglingsmagen in dicken Klumpen gerinnt, während ganz
allmählich die Frauenmilch die zur Gerinnung nothwendige neu¬
trale resp. saure Reaktion erreicht, und auch dann nur feinflockig
gerinnt, findet man als störendes Element für das normale che¬
mische und mechanische Funktioniren des Magens kaum irgendwo
betont, während gerade die geringe anatomische und funktionelle
Entwicklung des Säuglingsmagens ihn auch gegen leichtere
Störungen empfindlich macht.
So war es ein glücklicher Gedanke von Dünger n’s *), die
alte von Biedert 5 ) 1869 angeschnittene, aber wieder auf-
*) Vortrag, gehalten lm unterelsässischen Aerztevereln zu
Strassburg am 14. VI. 1901.
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16. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
llüö
jagebone Frage der Bedeutung der Labgcriunung für die Ver¬
dauung der Kuhmilch nochmals aufzunehmen und das Resultat
viner Untersuchungen scheint sich mir beim gesunden wie
kranken Säugling zu bestätigen.
v. Düngern und sein Mitarbeiter Proescher sahen
im Gegensatz zu Biedert, sowie zu Esche rieh und
v. Walter*) eine ebenso rasche Verdauung der nach Labung
und gründlicher Versehüttelung der Verdauungssalzsäure aus-
gesetzten Kuhmilch, wie der Frauenmilch. Auch einige Versuche
mit gesunden Neugeborenen (V o e m c 1) und kranken Säuglingen
(S t a 1 e w s k i) gaben günstige Resultate.
So schien mir eine eingehende Prüfung der Angaben
v. Dünger n’s besonders angesichts der abweichenden An¬
sichten Bieder t’s und E s c h e r i e h’s und v. W a 1 t e r’s noth-
wendig.
Auf Grund eigener sechs monatlicher Ver¬
suche bezeichne ich die durch v. Düngern vor-
geschlagene Labung der Kuhmilch vor der
Aufnahme als ein werthvolles Verfahren zur
Ernährung gesunder wie kranker Säuglinge.
Dasselbe verdient eine ganz allgemeine Kenntniss.
Nur wenige Beobachtungen aus der praktischen Erfahrung:
1. Frühgeburt im 1). Monat von weniger als 30t>o g An¬
fangsgewicht. nimmt bei unzureichender Mutterbrust in 5 Wo¬
chen ab bis zu 2050 g. Beikost von täglich ‘5 mal: gelabte Voll-
inileh 90 g. Wasser 15 g. Nach 0 Tagen - 2010 g. Brust versagt
gänzlich. Nun 6 mal täglich 120 g geiahte Vollmilch, 15 g Wasser.
Vuderuin Zunahme von 580 g in G Tagen. Dauernde blühende
Entwickelung.
2. Gesunder Neugeborener erhält neben ganz unzu¬
reichender Brust vom 3. Lebeustag an: 0 mal 45 g gelabte Voll¬
milch. 15 g Wasser. Zunahme bis zum 8. Lebeustag -f llo g.
Biust und gelabte Milch bis zum 30. Tag, Zunahme 710 g. Dann
15: ust allein. In der 11. Lebenswoche nur 4- 50 g, in der 12. Woche
-- 0. Desshalb als Beikost: 4 mal täglich: 00 g gelabte Vollmilch.
Zunahme ln 3 Tagen: 200 g. in 0 Tagen: 370 g in 10 Tagen: 500 g.
Wiegt mit 4 Monaten 6900 g.
Glänzender sind die Erfolge bei kranken Säuglingen.
3. 3 monatliches Kind mit Pseudo-Pylorusstenose.
Gewicht 4750 g. Unstillbares Erbrechen bei Kuhmilch seit der
< iehnrt. Geiahte, a u f g e s c li ii 11 e 1 t e Kuhmilch so¬
fort vertragen! Verdauung tadellos. Zunahme ln 22 Tagen
- 625 g. in weitereu 4 Monaten Gewichtsverdoppelung.
4. Congenitale Hypertrophie der drei Ton¬
sillen und unstillbares Erbrechen auch der Frauen¬
milch. Daneben gelabte Milch. Gewicht mit 11 Wochen: 5050 g.
An.nie versagt. Jetzt 6 mal täglich: 120 g gelabte Vollmilch, 30 g
Wasser. Zunahme ln 4 Wochen: 905 g. ln weiteren 4 Wochen:
OSO g. Dann ungelabte Kuhmilch gut vertragen.
5. Atrophie wegen verkehrter Ernährung nach längerer
Dyspepsie. Gewicht mit 2 y 2 Monaten: 3400 g. Jetzt 0 mal pro die:
gelabte Vollmilch 100 g. Wasser 20 g. Zunahme in 0 Wochen:
1540 g. Kräftiges Kind.
6. Atrophie. Pertussis seit der 7. Lebenswoche.' Ge¬
wicht mit 2 Monaten:, 32S0 g. Behandlung wie bei 5., ausserdem
Kucliinin 0,15, 3 mal täglich. Zunahme in 4 Wochen 570 g. dann
l**i (5 mal pro die Milch 120 g, Wasser 30 g in 5 Wochen 4 - 1910 g.
Tertussis verläuft günstig.
7. Hochgradigste Rachitis schon mit 2 Monaten.
A t r 0 p I e. D I f f u 8 e Bronchopneumonie. Gewicht mit
2 Monaten: 2800 g, bei der Geburt ca. 3500 g. Seit 0 —8 Tagen
fetzige, grüne, stinkende Stühle. Erbrechen. Moribund. Prognose
infaust. Als letzter Versuch gelabte Vollmilch 75 g. Wasser 15 g.
Das Brechen sofort beseitigt. Stühle werden langsam besser. Zu¬
nahme in der ersten Woche -f- 30 g, in der 2. Woche 4 - 120 g, in
der 3. Woche 4- 200 g. Pneumonie geheilt, gute Entwickelung.
8. S k 1 e r e m. Atrophie. Gewicht mit 3 Monaten 2850 g.
Verminung: 5 mal pro die 120 g gelabte Vollmilch. Zunahme in
8 Tagen: 350 g. in weiteren II Tagen 500 g. Nneli l’hlmosen-
operation im Spital Abnahme um 100 g in 7 Tagen. Wieder gelabte
Vollmilch. Zunahme in 14 Tagen 4 - 520 g.
Mein Assistent, Dr. Langstein, wird über eine Reihe
unserer Versuche, die sich bereits auf ca. 50 belaufen, im Jahr¬
buch für Kindcrheikunde eingehend berichten. Auf
Grund derselben empfehle, ich Ihnen, meine Herren, die nach
v. Düngern gelabte Kuhmilch zur Verwendung sowohl als
• inzige Nahrung wie beim allaitement mixte des gesunden, wie
kranken Säuglings; ferner bei älteren Kindern und Erwachsenen,
wo Kuhmilch wegeft „Druck im Magen“ oder Erbrechen zurück¬
gewiesen wird. Auch bei katarrhalischen Zuständen und bei
Ulcus vcntriculi ist sie anzuwenden. Nur muss heim Säugling
") In dieser Wocheusehr. 1900, No. 48.
: t Biedert: Inaug.-Dissert. Giessen 1809.
*1 E s e h e r i c h mul v. W a 1 1 h c r: Jalirb. f. Kindcrhcilk.
ISÜI. Bd. 32.
die unverdünnte Milch in entsprechend kleiner Menge verwendet
werden, die beim schwer oder chronisch magendarmkranken
Säugling bis auf 50, selbst 30 g herunter zu gehen hat.
Zur Labung empfiehlt sich folgendes, etwas modificirtes
Verfahren.
Die nach Förster krankheitskeimfrei gemachte oder die
stcrilisirtc Vollmilch — bei sehr bedenklichen Fällen
vorübergeh <; n d aber ungekochte, f r i s c h g e m o 1 -
kene Milch — wird bei Körpertemperatur in der Trink¬
flasche gelabt durch Zusatz einer Messerspitze von dem nach
v. D u n g e r n in den Höchster Farbwerken hergestellten
„P e g 1 : i 11 “, dem an Milchzucker gebundenen sterilen Lab¬
ferment. Eine Messerspitze genügt für 200 g Milch. Nach ein¬
maligem Umschütteln wird die Flasche in warmes Wasser von
40 0 C. zurückgestellt bis zur Gerinnung in etwa 5—10 Minuten.
Alsdann wird, wo dies nötliig erscheint, Wasser, Ralnn, Schleim,
Eigelb etc. zugesetzt und das Gerinnsel durch kräftiges Schütteln
derart beseitigt, dass Flocken makroskopisch kaum noch sichtbar
sind, dann die Milch bei Körpertemperatur verabfolgt.
Pausen von 3—3 Vs Stunden zwischen den Mahlzeiten sind
bei dieser Ernährung, wie überhaupt bei jeder im ersten Lebens¬
jahr dringend zu empfehlen, ein Liter pro die soll vor dem
8. Monat nicht gegeben und im ersten Lebensjahr nicht über¬
schritten werden. Schon nach etwa 4 Wochen dauernder Ver¬
wendung der gelabten Vollmilch pflegt diese auch uugelabt gut
vertragen zu werden.
Erwähnen möchte ich noch, dass in den ersten Lebensmonaten
öfter Neigung zur Obstipation bei Ernährung mit unverdünnter
Kuhmilch eintritt. Zusatz von Rahm oder Milchzuckerlösung
bringt oft Abhilfe, sicherer aber die viel zu wenig gewürdigte,
von Heu b 11 er wieder empfohlene Massage. Ihn anderes Ver¬
fahren, Vollmilch bei Brechdurchfall oder akuter Gastritis, bei
ITyporaesthesie der Magenschleimhaut und anderen Verdauungs¬
störungen Säuglingen beizubringen, liegt bisher nicht vor.
Die alte Vorschrift.: „Milch weg“ beim akuten Brechdurch¬
fall haben wir im Ambulatorium oft mit bestem Erfolg durch
Verordnung von unverdünnter Kuhmilch in’s Gegentheil ver¬
kehrt. In vielen Fällen aber erweist es sieh allerdings als nötliig,
zunächst auf diätetischem und medieamentüsem Wege vorzugehen,
dann aber kann unvermittelt unverdünnte Milch mit glänzendem
Erfolg verabreicht werden ’). Misserfolge kommen vor, aber sehr
selten, und auf Grund der bisherigen Erfahrung empfehle ich das
v.Dunger n’sclie Verfahren allen Aerzten auf’s Eindringlichste.
Zu wünschen bleibt nur. dass ein tadelloses Präparat zur
Labung, wie es in Höchst, jetzt dargestellt, wird, zu viel billigerem
Preise hergestellt und auch dem ärmsten Haushalt zugänglich ge¬
macht wird.
Aus der mcdicinisehcn Klinik in Jena (Prof. Dr. Stintzing.)
Zur Kenntniss der Tenacität des Scharlachgiftes.
Von Dr. Felix Lümmel, I. Assistenten der Klinik.
Eine eigenartige und praktisch bedeutungsvolle Eigenschaft
des noch unbekannten Seharlachorregers ist seine ausserordent¬
liche Tenacität. die ihn im Gegensatz zu den Erregern der
Masern und der meisten anderen Infektionskrankheiten befähigt,
trotz anscheinend ungünstigen Verhältnissen ansteekungsfähig
zu bleiben.
Uebe.r die Lebensdauer, genauer gesagt über die Dauer der
Infektiosität des Seharlaehcontagiuins liegt eine ziemlich reiche
Kasuistik vor. deren Beweismittel aber häufig einer strengeren
Kritik nicht Stand halten, da es meistens nicht, gelingt, unbe¬
kannte Infektionsgelegenheiten mit einiger Sicherheit auszu-
sehliessen. So erscheint z. B. W. Boeek’s 1 ) Mittheilung, dass
eine abgeschnittene Haarlocke eines an Sehurlaeh gestorbenen
Kindes nach 20 Jahren ihre Infektiosität auf’s Unheil vollste er¬
wies, keineswegs zwingend beweiskräftig, da eine anderweitige
Infektion der befallenen Kinder nicht mit einiger Sicherheit aus¬
geschlossen werden kann. Vogl 2 ) berichtet in seinen Mitthci-
lungen über die Münchener Kaseruepidemien, dass die Türken-
kasemc in zwei durch ein Jahrzehnt getrennten Sehurlachepidc-
/
‘) Die maximale Zunahme in 7 Tagen betrug bei derartigem
Vorgehen 740 g.
’) eil. nach J ürgensou. Nothnagel’« spee. Path. u. Ther..
IV. Bd.. III. Theil, II. Abth.
: ) V o g 1: Münch, ined. Wocheusehr. 1895, S. 949.
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G’oogl
11»H3
MUENCTIENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
mien tai Weitem die grösste "Morbidität aufwies, und zieht daraas
den Schluss, dass „lokale Verhältnisse dein Auftreten des Schar¬
lach förderliche Bedingungen zu setzen vermögen“. Da aber eine
neue Einschleppung von Scharlach stattgefunden hatte, so konnte
nicht angenommen werden, dass etwa dio Keime der ersten Epi¬
demie persistirt hätten. Dagegen Ist in einigen von Murchi-
son*) mitgetheilten Fällen ein langdauerndes Haften virulenten
Scharlachgiftes in einwandfreier Weise nachgewiesen. In einem
Falle wurde nach Verlauf von 4 Monaten ein Kind sofort von
Scharlach befallen, als es aus dem isolirenden Landaufenthalt in
die gründlich gereinigte Wohnung zurückkehrte, in der vor dieser
Zeit eine Scharlacherkrankung vorgefallen war. Hagenbach-
B u r c k h a r d t *) theilt mit, dass im Baseler Kinderhospital in
einem Zimmer während lVs Jahren 9 Scharlachfälle, immer von
Neuem, auftraten, während im übrigen Hause nur 4 Ansteck¬
ungen erfolgten.
Beinahe den Werth eines physiologischen Experiments hat
die Entwicklung eines Scharlachfalles, der im Folgenden kurz
mitgethcilt werden soll.
In einem kleinen, von anderen (lebäuden etwas abliegenden
Er/.iebungslnstitut für schwerhörige und ertaubte Kinder erkrankte
am 10. X. 1000 ein Knabe au Scharlach und wurde an demselben
Tag in unsere Klinik verbracht, kehrte daun am 17. XI. 1000 ge¬
heilt in das Institut zurück. 21 Tage später erkrankte sein Zimmer-
genösse Willy an Scharlach, wurde in das Isolirzimmer verbracht
und von hier am nächsten Tage in die Klinik verlegt. Am 10. I. 1001
geheilt entlassen kehrt Willy ln das Institut, zurück und verkehrt
mit den übrigen Insassen desselben, ohne dass eine neue Ansteck¬
ung eintrat. Das Isolirzimmer wurde wenige Tage nach Willy'«
Aufenthalt mit Formalin ln freilich nicht einwandfreier Weise
desinfizlrt, dann wurde es während des ganzen Winters von einem
10 jährigen Mädchen bewohnt, das sich dauernd unter den übrigen
Hausgenossen bewegt»*. Nach gründlicher erneuter Reinigung
vor Ostern wird am 9. IV. der 9 jährige Sohn des Directors. Karl,
in «ins Zimmer gelegt und verbringt hier die Nächte bis zum
15. IV. 1001, um dann wieder in das vorher bewohnte Zimmer
zurüekzukehren. Am 20. IV. 1901, also am 12. Tage nach Beziehung
des ehemaligen Isolirzimiuers und am 133. Tage, also mehr als
4 Monat»*, nach Willys Aufenthalt in diesem Zimmer erkrankt
Karl an Scharlach.
Wenn man tauchtet, dass die Zöglinge der Institute in
diesem selbst ihren Seliulunt»*rrieht genossen und durch ihr («<*-
hörb-.iden mehr noch wie durch Hausordnung und lokale Ver¬
hältnisse vom Verkehr mit anderen Menschen abgeschlossen
waren, und ferner bedenkt, dass we»l»*r kurz vor, noch nach Karl’s
Erkrankung Seharlaelifälle weder in »l«»r Anstalt noch auch sonst
in J»*na und Eingehung verkamen, so ist eine andere Infektions¬
quelle als das Isolirzimmer wohl völlig ausgeschlossen. Die Person
des Selmrlaehrokonval«*se»-ntenWilly kann nicht »ler Ansteckungs-
lu*r»l gewesen s«*in; in di«*sem Fall»* hätte die Scharlaeherkrankung
früher eingesetzt und sieh wohl auf mehrere d»*r (nur zum kleinen
Theil schon scharlaehkrank gewesenen) Kinder erstreckt.
Es ergibt sich somit die Thatsaehe, «lass das Scharlach-
eontagium in «lein Zimmer 133 Tage lang ansteckungsfähig go-
hliehen ist.
Von Interesse ist dabei ausserdem, dass in unserem Fall
»•henso wie in dem «»tan erwähnten von II ag «> n h a ch-B u r ck-
lin rd t in einem Hause ein mit Scharlach infizirtes, täglich von
sehnrlacliimmunen Hausgenossen benütztes Zimmer sich befinden
konnte, ohne »lass ausserhalb dieses Raumes ein»* Ansteckung
auch stark empfänglicher Individuen vorkam.
Es liegt darin ein neuer Beweis, wie selten »lie Ansteckung
durch dritte gesunde Pers»in*n <><l*>r durch infizirte Oehrauehs-
gegenstiinde vorkommt. Dem, «ler hei Betrachtung des Infektions¬
herganges „quantitativ denkt“ 5 ), d. h. die Menge des aufgenom-
meiien Infektionsstoffes in Rechnung zu zi»*h»*n geneigt ist, muss
»*s ohne Weiteres einl»*ueht»*n, dass die flüchtige Berührung mit
einer gefunden Vermittdungsperson oder einem Gebrauchsgegen-
stand nicht annähernd dieselbe Infektionsmögliehkeit bietet, als
«‘in stundenlanger Aufenthalt, in einem infizirten Raum. Wie
wenig begründet daher die weitverbreitete Furcht vor Scharlnch-
iitartrngung durch die Acrzte ist, führt auch dieser Fall wieder
vor Augen.
*) Mnrchlson: The Lnneet 1304. II. Vol.
*) Jahrbuch f. Klnderheilk. Neue Folge. Bd. XXIV.
s ) K. v. V 1 e r o r d t, cit. nach J ürgensen.
Ueber combinirtes Empyem der Gesichtshöhlen.*)
Von Privatdocent Dr. P. Braunachweig.
Die Erkrankung der Nebenhöhlen der Orbita beansprucht
ein hohes augenärztliches Interesse, ein höheres, darf man viel¬
leicht hinzufügen, als ihnen im Allgemeinen zu Theil wurde.
Diese Höhlen Italien weder eine besondere Tkätigkeit zu ver¬
richten, noch lx*herbcrg»*n sic* wesentliche Organe, vielmehr dienen
sic lediglich als pneumatische Räume und bezeugen schon durch
ihren einfachen Aufbau — eiu Schleimhautpolster einfacher Art
auf knöcherner Unterlage — eine gewisse funktionelle Bedeu-
tungslosigkeit, daher wird ein grosser Theil der von ihnen
ausgehenden Krankheitsproccssc erst dann Gegenstand der Auf¬
merksamkeit, wenn solche entweder mit besonderer Heftigkeit
cinsotzcn un«l Störungen dos Allgemeinbefindens hervorrufen, «xler
wenn sie durch Uebergreifen auf Nachbarorgane von höherer
Bedeutung diese in Mitleidenschaft ziehen. Bis dahin ist dio
Diagnose einer Erkrankung wegen der verstärkten Lage der
Höhlen, wogen «1er Unmöglichkeit einer directen Untersuchung
und in Folge des häufigen Fehlens charakteristischer Symptome
meistens eine recht schwierige, oft nicht möglich. Erst wenn
die Augenhöhle, eventuell die Nase in den Bereich des Leidens
gczog»*n ist, gelingt es gewöhnlich unschwer, den verborgenen
primären Krankheitsherd und den Ort seiner Entstehung zu ent¬
decken. Zwar könnte auch gelegentlich eine primäre Erkrankung
der Orbita eine Nctanhühle ergreifen, doch ist das ein bisher noch
nicht sicher gestelltes Vorkommnis« gegenüber dem so häufig
beglaubigten umgekehrten Verhalten: primäre Erkrankung der
Nebenhöhle, sekundäre »ler Augenhöhle. Dass die Erkrankungen
der Stirnhöhle in erster Linie die Orbita mittatheiligen, ist aus
mechanischen und anatomischen Gründen leicht verständlich;
weit seltener ist die Higlunorshöhle und «las Siebtainlabyrinth,
und sehr selten die Keiltainhühle d»*r Ausgangspunkt des Orbital-
leidens. Dagegen beobachtet man, dass bisweilen gleichzeitig
oder nacheinander mehrere Höhlen erkranken, z. B. Stirn- und
Siebtainhöhle. eh»* die Orbita ergriffen wird. Es wir»l eine solche
Kombination abhängig sein davon, dass das 2 Höhlen trennende
Gewebe, insbesondere der Knochen, möglichst dünn ist, ferner
von der unmittelbar«»!! Verbindung durch Blutgefässe, vou der
für die Woit»*rverbreitung günstigsten Lago der zuerst oder am
meisten erkrankten Stelle und von anderen, durchaus nicht immer
mit Sicherheit festzustellenden Umständen. Schon mit Rücksicht
auf die Aetiologi»; und den Krankheitsverlauf wird man das
oft nicht genau ergründen können. Was letzteren anbelangt, so
dürfen wir für die häufigste Form, die chronisch-entzündliche
Erkrankung <l»*r Stirnhöhle, eine, meistens sehr lange Dauer an¬
nehmen, die sieh über Jahr«*, selbst über Jahrzehnte erstrecken
kann; innerhalb di»*ser Zeit treten einzelne, durch Nachschübe
der Entzündung lnxlingte Attaken auf, jedoch weder in allen
Fällen, noch regelmässig. Dabei kann das Leiden das ganze
Leben hindurch auf die Stirnhöhle beschränkt bleiben. Erkrankt
der Sinus im Anschluss an akute Prooosse in akuter Form, was
seltener geschieht, so stellen sich gewöhnlich Schmerzen. Ein¬
genommenheit des Kopfes, Fieber, Druckschmerz und Aehn-
lictas ein, um mit dem Nachlassen der Entzündungserschoinung<-n
meist wieder zu verschwinden, ohne dass das Leiden desshalb
zur H««ilung kommt. Die klinische Unterscheidung beider
Formen lässt sieh nicht durchführen, ist auch insofern von ge¬
ringerer Bedeutung, als beide ohne nachweislichen Unterschied
der Frequenz die Orbita befallen oder verschonen.
Die Art und W»*ise, wie dio Erkrankung der Stirnhöhle auf
die Orbita übergeht, ist verseilie»l»*n. Eine Periostitis der Stirn¬
höhlenwand kann durch Woiterwandern das Periost der Orbita
erreichen, oder eine durch primäre Schleimhauterkrankung «los
Sinus erweichte Knochenpartie, wird eingeschmolzen und so eine
directo Verbindung beider Höhlen hergestellt, durch welche
Sekrete und Entzündungsprodukte in die Orbita gelangen; auch
kann auf dem W«‘ge der Metastase durch Blut- und Lympli-
gefnssc ein eitriger Process verschleppt werden. Indessen handelt
es sich nicht immer um entzündliche Vorgänge, vielmehr winl
schon die einfache Ausdehnung einer Stirnhöhle, durch sich ver¬
mehrendes, nicht entzündliches Sekret, wenn der ausführende
Gang, der Ductus naso-frontalis unwegsam geworden ist, eine
*) Nach einem im Verein der Acrzte zu Halle a. S. g»*haltenen
Vortrage.
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16. Juli 1901.
MUENCHENER MEDTCTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
1167
Beengung und Funktionsstörung der Gebilde der Orbita zur Folge
haben. Auch für die Unterscheidung zwischen dem sog. Hydrops
der Stirnhöhle und deren Anfüllung durch Eiter fehlen uns bis
jetzt die genauen klinischen Merkmale.
Eine sekundäre Entzündung der Orbita tritt auch nach
Durchbruch eines Hydrops auf. scheint also nicht an das Vor¬
handensein einer primären eitrigen Entzündung des Sinus ge¬
bunden. Indessen lässt sich bei dem unmittelbaren Zusammen¬
hang von Nase und Stirnhöhle und dem wohl stets vorhandenen
Reichthum der ersteren an Entzündungserregern annehmen,
dass selbst der anscheinend reinste Hydrops immer noch infektiös
und kaum jemals keimfrei ist
Tn dem so überaus häufigen Nasenkatarrh haben wir
die reichste Quelle für Entzündungen der Nebenhöhlen, vor Allem
des Stimsinus zu erblicken. Das schliesst selbstredend nicht aus,
dass der Sinus erkrankt, die Nase gesund befunden wird; die
Nasenschleimhaut, die sich krankhafter Produkte jederzeit mit
Leichtigkeit entledigen kann, kehrt viel rascher zur Norm zurück,
die bei Weitem ungünstiger ausgestattete Stirnhöhle — in Bezug
auf die so oft vorkommenden Recessus, die räumlichen Verhält¬
nisse und die leicht zu versperrenden Abflusswego — dagegen
bedarf einer längeren Zeit, um zu gesunden, und wenn die Ent¬
artung der Schleimhaut weit vorgeschritten ist, wenn dauernder
Kontakt mit Eiter immer von Neuem entzündlichen Reiz aus-
nbt. dann wird schliesslich die um das vielfache verdickte, ihres
Schleimhautcharakters völlig verlustig gegangene Membran nie¬
mals wieder normal werden können.
Die Vermittelung durch einen Nasenkatarrh wird auch für
die Fälle in Anspruch zu nehmen sein, in welchen eine Sinus¬
erkrankung im Anschluss an eine Infektionskrankheit sich ent¬
wickelt. Auch für die Verletzungen, die in der Aetiologie nur
eine untergeordnete Rolle spielen, ist meines Erachtens der Um¬
stand nicht gebührend berücksichtigt., dass zwar die zahlreichen
Traumen der vorderen Wand der Stirnhöhle durch stumpfe Ge¬
walt später nicht mehr nachweisbar sind, dass ein Knochenbruch
oder eine Fissur für sich allein selten eine Entzündung des
Nachbargewebes hervorruft, dass aber in der Stirnhöhle durch
die Verbindung mit der Nase mehr als an anderen Körper-
steilen die Komplikation einer Knochenverletzung durch das
Hinzutreten einer Entzündung begünstigt wird.
Auch in dem hier mitzutheilenden Krankenbericht wird ein
Sturz auf die Nase besonders erwähnt; lässt sich auch Genaueres
über dessen Bedeutung nicht sagen, so besteht doch kein Grund,
einen Zusammenhang mit dem Empyem rundweg in Abrede zu
stellen; ihn zu erweisen dürfte allerdings, wie hier, so in den
seltensten Fällen gelingen.
Dass nicht nur der eitrige Katarrh, sondern auch andere
mit eitriger Absonderung einhergehende Erkrankungen der
Nasenschleimhaut zur Sinuserkrankung führen, lehrt eine Mit¬
teilung Kuhn t’s. wonach syphilitische Exuleerationen der
Muscheln und des Septums eine eitrige Sinuserkrankung nach
sich zogen, sowie die von K u h n t citirte Beobachtung De-
m a r q u a y’s, wo nach Entfernung von Nasenpolypen Erysipel
auftrat, sämmtliche Geeichtshöhlen erkrankten und nach dem an
eitriger Meningitis erfolgten Tode mit Eiter gefüllt gefunden
wurden.
Dass die eitrige Sinuserkrankung in einer beträchtlichen
Anzahl von Fällen, entweder direct oder auf dem Umweg einer
Orbitalcellulitis das Cavum cranii erreicht, und unter dem Bilde
der eitrigen Meningitis oder eines Hirnabseesses
zum Tode führt, ist bekannt; indessen sollen uns hier lediglich
die orbitalen und ocularen Symptome beschäftigen. Dabei glaube
ich mich bezüglich der sog. funktionellen Störungen mit deren
blosser Erwähnung begnügen zu dürfen, da die Entstehung und
das Wesen der hierunter verstandenen Gesichtsfeldeinschrän¬
kungen, befundloser Amblyopien und asthenopischer Erschei¬
nuntren keineswegs geklärt ist.
Nach Ziem beruhen solche Störungen auf Stauungsvor¬
gängen in den die Orbita im grössten Theile ihres Umfanges um¬
gebenden Nebenhöhlen und einer consecutiven Hyperaemie des
Opticus, der Chorioidea und der Ciliarfortsätze. Sowohl im Opti¬
cus als auch in der Retina könnten dann Hemmungen des Blut¬
umlaufs, und damit erschwerte Funktion nicht ausbleiben. Dem¬
gegenüber verweist Kuh nt auf das häufige Fehlen derartiger
Komplikationen gerade da, wo man sie in Folge besonders hoch¬
gradiger Stauung sicher erwarten müsste. Er leugnet die Bedeu¬
tung der Stauung nicht, sieht aber „den Hauptfaktor für die
Hervorbringung aller funktionellen Störungen in der Resorption
von eitrigen oder foetiden Massen aus den erkrankten Höhlen
und in einer dadurch erzeugten Art von Intoxikation“. Die
früher zur Erklärung dieser dunklen Vorgänge allgemein in An¬
spruch genommene Reflextheorie, wonach es von den Endausbrei¬
tungen des in der kranken Schleimhaut gereizten Trigeminus
zu einer Uebertragung der Reize auf den Sehnerven käme, ist als
unzulänglich auf gegeben.
Verhält-nissmässig harmlos und für das Sehorgan am wenig¬
sten gefährlich ist die Betheiligung des Oberlides, wenn ein Sinus¬
empyem nach aussen durchbricht, was gewöhnlich in der Nähe der
Mittellinie und etwa im Bereich des Ansatzes des oberen Lides
geschieht. Die Sinusfistel führt allmählich zu einer Anhef¬
tung und Verlagerung des Lides derart, dass dessen
inneres Ende nach oben gezogen und ektropionirt wird; dadurch
leidet zu gleicher Zeit der Lidschluss, die nicht mehr hinreichend
geschützte Hornhaut wird gefährdet, es bilden sich Geschwüre
u. dergl. Zur Lösung des an die knöchernen Ränder der Fistel
fest angewaehsenen Lides genügt, deren Ausschabung oder Aus¬
kratzung nicht, auch das Ausschneiden der erkrankten Partie
und die periostale Abhebelung gibt keinen dauernden Erfolg,
wenigstens nur so lange, bis es zu erneutem Durchbruch des Eiters
und damit wieder zur Fixirung des Lides kommt; doch sollte
das letztere Verfahren immer dann angewendet werden, wenn
die Radikaloperation des Empyems nicht beabsichtigt ist, ver¬
schoben werden soll oder vom Patienten verweigert wird.
Liegt die Perforationsstelle am Boden des Sinus, so gelangen,
wenn es sieh um ein Empyem handelt, eiterige Massen unter
und hinter das Oberlid; dieses schwillt, an, und zwar, je nach
der Menge und Virulenz der eingedrungenen Massen, in allen
Abstufungen vom leichten Oedem bis zu mächtigem Umfang
und brettharter Konsistenz, so dass es bis über das Unterlid hinab¬
reicht.
Während die Lidschwellung sich ohne erhebliche Beflrängung
des Augapfels frei entwickeln kann, leidet, dieser, wenn das
Orbitnlgewehe entzündlich anschwillt, sehr leicht und sehr rasch,
nur selten beschränkt sich eine solche Entzündung auf das Lid,
meistens bewirkt der aus dem Sinus herahfliessende, in den hin¬
teren Orbitalraum sieh ergiesse.nde Eiter eine bisweilen rapide
ansteierende Anschwellung der Gewebe. Dadurch leidet die Be¬
weglichkeit. indem erstens die Muskeln grössere Massen zu be¬
wältigen haben, als sie es vermöeren. zweitens aber ihre Scheiden
und ihre Substanz selbst infiltrirt und so bewegungsunfähig
werden. In Folge dessen sieht man auf der Höhe eines solchen
Proeesses den gesammten Orhitalinhalt in eine starre unbeweg¬
liche Masse verwandelt, in deren Mitte der Augapfel fest einge¬
keilt steht.
Ob sich ein Exophthalmus entwickelt oder nicht, wird
von dem Sitz und der Ausbreitung der Schwellung abhängen; er
bleibt niemals aus. wenn der hintere Abschnitt der Orbita, die
jenseits des Bulbusäouators gelegenen Theile sieh ausdehnen;
seine Höhe wechselt, sie. ist meistens nicht so bedeutend, dass der
Augapfel von den Lidern nicht mehr bedeckt werden kann, er¬
reicht aber zuweilen enorme, Grade.
Eine V erschiebung des Augapfels beobachtet man nur
in den Anfangsstadien einer Orbitalentzündung, wenn also nur
ein umschriebener Bezirk geschwellt ist, und den Augapfel ab¬
drängt. Diese Dislokation findet, entsprechend dem gewöhnlichen
Beginn der Schwellung im oberen inneren Winkel der Orbita,
nach der entgegengesetzten Richtung, d. h. nach unten und aussen
stnlt. Ebenso wird sie durch eine. Verdickung der Knochenwand,
z. B. hei circumseripter Periostitis oder durch die Vorwölbung
einer '■ktntischen Nehonhöhlenwand hervorgerufen. Tn allen
diesen Fällen wird durch die mechanische Behinderung, mitunter
auch durch gelegentliche directe Affektion eines Muskels die Be¬
weglichkeit nach der betreffenden Seite beeinträchtigt.
Von ungleich grösserer Wichtigkeit für das Sehorgan sind
diejenigen Veränderungen, die am Sehnerven und in der Netz¬
haut auft roten. Schon eine kurzdauernde Kompression des Nerven
in seinem orbitalen Verlaufe genügt, um ihn schwer zu schädigen
oder, was öfter geschieht, ihn gänzlich zu zerstören. Das Re¬
sultat ist dann Sehnervenatrophie mit meist vollständiger Er¬
blindung. Mit Rücksicht auf solche Fälle, in denen eine nicht
No. 29.
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1168
MUENCIIENER MEDICINTSCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
sehr bedeutende Quetschung des Nerven gleichfalls in Atrophie
ausging, bin ich geneigt, daneben auch eine toxische Erkrankung
durch putride Stoffe anzunehmen. Wenigstens dürfte dio An¬
wesenheit solcher auf die Entstehung der Y eränderungen
des Augenhintergrundes von wesentlichstem Einfluss
sein, vorausgesetzt, dass diese nicht durch Druck von Seiten der
Umgebung erzeugt werden, also mechanischen Ursprungs sind.
Alle Uebergänge von geringer Trübung der Papillengrenzen und
leichter Ausdehnung der Gefässe bis zur typischen Stauungs¬
papille lassen sich verfolgen. Ein Freibleiben des ocularen Seh¬
ne rvenepdes gehört zu den Seltenheiten.
Der Umstand, dass der vordere Theil des Auges, und am
meisten die am stärksten exponirto. Cornea unter der Einwirkung
des die Ernährung hemmenden Drucks, durch die Last der fest
.an sie gepressten Lider und durch den Kontakt mit Eiter bis¬
weilen Nekrosen und Ulcerationen erfährt, leitet eine weitere
Reihe von Störungen ein, als deren gefürchtetes Endglied die
eiterige Einschmelzung der Cornea und die deletäre Panophthal-
mitis erscheint, falls dieser zu ihrer Entwickelung genügend Zeit
verbleibt. Die directe Verbindung mit dem Schädelraum gestattet
den einmal in die Orbita gelangten Eitererregern das Weiter-
wandem auf das Gehirn und seine Häute so bequem, dass der
Kranke oft vorher an eiteriger Meningitis oder Himabscess zu
Grunde geht.
Der hier gegebene kurze Ueberblick über die Betheiligung
der Orbita an entzündlichen Erkrankungen der Nebenhöhlen be¬
ansprucht nicht erschöpfend zu sein, er mag aber hinreichen,
um die Wichtigkeit dieser Affektionen, vorzüglich die des Stirn¬
sinus für die Entstehung von Augenleiden zu beleuchten. Von
der Diagnose soll nicht ausführlicher die Rede sein; die haupt¬
sächlich in Betracht kommenden Punkte ergeben sich aus der
folgenden, in mehrfacher Hinsicht, wie es mir scheint, bemorkens-
werthen Krankengeschichte.
W., stud. phii., 22 Jahre alt, hat ausser einer Mandelcliph-
therle Im Alter von 5 Jahren Erkrankungen nicht durchgemaoht.
Etwa im gleichen Alter erlitt er durch Sturz auf die Nase eine Ver¬
letzung der Nasenwurzel, doch konnte nicht festgestellt werden,
ob eine Verletzung des Knochens damit verbunden war. Neujahr
1889 trat eine Anschwellung im oberen inneren Winkel des rechten
Auges auf, es bildete sich eine Geschwulst, die von einem Arzte
mittels einfachen Schnitts entleert wurde. Ende 1891 erschien
ganz plötzlich an derselben Stelle eine neue Anschwellung, die von
dem als Consillarius hinzugezogenen Professor Pagenstecher-
Wiesbaden als Hydrops der rechten Stirnhöhle erklärt wurde, wie
Ich seiner freundlichen brieflichen Mittheilung entnehme. Der
behandelnde Arzt entleerte den Inhalt durch Punktion, und es
blieb Alles ruhig bis zum August 1900. Nach einer heftigen Er¬
kältung schwoll der innere obere Winkel rechts plötzlich unter
lebhaften Schmerzen stark an. bei Dmck auf den geschwollenen
Bezirk ergoss sich eine klebrige Flüssigkeit in die Nase, oder sie
floss aheh durch die Nase ab. Während in der nächsten Zeit die
Schmerzen, die in der Augenhöhle besonders quälend waren, unter
Umschlägen verschwanden, wurde die Schwellung bald geringer,
bald stärker; auf Druck kamen eitrige Massen in den Hals, auch
gelegentlich durch die Nase, gleichzeitig stellten sich dumpfe
Schmerzen in der rechten Stirnhälfte ein; Fieber aber und sonstige
Störungen des Allgemeinbefindens traten ebenso wenig wie
früher auf.
Status praes.: Patient ist ein sonst durchaus gesunder,
gut entwickelter Mann mit ausgesprochenem BreltschädeL Die
ganze rechte Gesichtshälfte erscheint etwas voluminöser. Dreier-
1 e i Veränderungen fallen sofort in's Auge: 1. Die rechte Stirn¬
seite tritt mehr hervor, hauptsächlich im medialen Theil, min¬
destens um etwa 1 cm. Die höchste Partie, ziemlich rund, mehrere
Centimeter im Durchmesser, ist etwas dunkler roth gefärbt, schon
bei geringem Flngerclruck recht empfindlich, die Haut selbst etwas
geschwollen. 2. Das rechte Auge steht tiefer und etwas nach
aussen; es gelingt leicht, Doppelbilder hervorzurufen, besonders
beim Blick nach links und oben. Das Verhalten der Bilder lässt
auf ein mechanisches Hinderniss im oberen inneren Winkel der
Orbita schliessen. Ein geringer Exophthalmus schien vorhanden
zu sein, konnte aber nicht genauer bestimmt werden. 3. Das obere
Augenlid ist geschwollen, die Lidspalte dadurch verschmälert, am
meisten in der nasalen Hälfte. Die genauere Untersuchung ergibt,
dass einmal die Lidhaut selbst verdickt ist, ohne entzündet zu sein,
dass sie ferner durch dahinter liegende umfangreiche Massen
weiter vorgeschoben ist. Diese gehören zum Theil dem knöchernen
Orbitalrande an, der ungefähr von der Insertion des Ligamentum
nmthi intemum an aufgetrieben und wulstig gerundet ist. Nir¬
gends lässt sich der normale scharfe Itand durchfühlen, erst nach
aussen von der Mitte geht die wulstige Begrenzung rasch in die
kantig zugeschärfte Uber.
Etwas nach aussen von der Incisura nervi supraorbitalis und
nach hinten von dieser ist der Knochen leicht höckrig und verdickt;
cs entspricht diese Stelle ungefähr dem Eintritt einer elastischen,
gutabgrenzbaren Geschwulst, die am oberen inneren Endedes Daches
sich in die Orbita hineinschiebt, sie ist rundlich, mehr als bleistift¬
stark und erstreckt sich nach aussen hinten; anf Druck verkleinert
sie sich etwas. Die Thränenleitung ist nicht gestört, doch be¬
richtet Pat., dass bei Druck auf die Geschwulst sich oft Flüssig¬
keit in die Nase ergossen hat, die früher schleimig, in den letzten
Monaten gelblich-eitrig gewesen. Die elektrische Durchleuchtung
ergibt abgeschwächten Reflex der rechten Stirnseite, während ein
Helligkeitsunterschied der Kieferhöhlen nicht besteht. Die Nase
Ist normal.
Operation am 23. No v. Die rechte Augenbraue wird
rasirt, Narkose. Am inneren Ende des Augenbrauenbodens wird
mit spitzem Messer direct auf den Orbitalrand vorgegangen und
auf diesem nach der Schläfe zu ein Schnitt von ca. 4 cm Liinge
angelegt; die ziemlich reichliche Blutung wird theils durch Ab¬
drehen der spritzenden Gefässe, theils durch Compression bald
gestillt. Dann wird das Perlost auf dem Orbitalrand durchtrennt
und nach der Augenhöhle und nach der Stirn zu mit dem Raspa-
torium leicht abgehebelt. Der ganze Knochenrand ist hier aüf-
getrieben, abgerundet, nirgends scharfkantig. Ein zweiter auf den
ersten fast senkrechter Schnitt von etwa gleicher Länge wird vom
selbigen Ausgangspunkt nach oben und zwar so geführt dass er
medial von der auf getriebenen Partie der Stirnhöhle verläuft Der
dadurch gebildete winklige Stirnhautlappen wird eiüsdhliefesüeh
des Periost abpräparirt, in die Höhe geschlagen und so mit
scharfem Haken festgehalten. Die Prominenz tritt jetzt als fast
kreisrunde, etwa zweimarkstückgrosse Erhöhung deutlich hervor;
in ihrer Mitte schimmert eine dunkle Masse durch den Knochen
hindurch. Dort wird mit rundem MelsSel ein 1 cm Durchmesser
haltendes Loch ausgeschlagen. Die knöcherne Lamelle ist ausser¬
ordentlich dünn, kaum kartenblattstark und gibt beim Aufsetzen
des Meisseis mit leicht knitterndem Geräusch nach. An dem mit
der Pincette entfernten Knochenblättchen haftet du’nkelblaurotne
verdickte Schleimhaut; ln die Oeffnung stellt sich sofort gelber,
fadenziehender, vollständig homogener, dickfliessender Elter. • Da
die Sondenuntersuchung eine weite Ausdehnung des eröffneten
Sinus nach allen Seiten hin erkennen lässt, der völlig vom Eiter
erfüllt ist, wird die Abtragung der vorderen Wand sofort ln An¬
griff genommen, mit geradem Meissei die vordere Lamelle des
Stirnbeines in der Ausdehnung von ca. 3X3 cm fortgeschlagrpn,
der Eiter herausgespült, die sulzige Schleimhaut mit scharfem
Löffel, Pincette und Wattetupferh fortgenominen oder weg¬
gewischt; sie haftete an keiner Stelle fest am Knochen, Hess sich
vielmehr überall mit der grössten Leichtigkeit entfernen. Die
Mnasse der so freigelegten Stirnhöhle — die Hinterwnnd ist. ge¬
sund. nirgends perforirt, von leicht welliger Oberfläche — sind
folgende: Diaineter frontnlis 40 mm. sagittalls 15—20 mm, verti-
calis 35 mm.
Nun wird mit biegsamer Sonde eine sorgfältige Abtastung
samnitlieher Wände vorgenommen, dabei macht sich eine weitere
Hinwegnahme des Knochens nach der Mittellinie zu nothwendig,
weil die Sonde hier so tief elndfang, dass zu befürchten war, es
wäre die linke Stirnhöhle mit ergriffen. Indessen ergab sich, dass
eine Communleation nicht bestand, sondern lediglich eine starke
Verschiebung des beide Höhlen trennenden Septums nach links
und zwar um wenigstens 1 y 2 cm. Nach dem unteren inneren
Theile, der Gegend des Ausführungsganges des Ductus naso-frou-
talis Hess sich die Sonde mehr , als 7 cm .ohne Widerstand vor¬
schieben. Die vereiterten Siebl>einzellen werden in weitem Um¬
fange ausgeräumt, soweit sich überhaupt Eiter zeigt. Es gelingt
sodann — Patient ist inzwischen soweit erwacht, um herab¬
laufende Flüssigkeit auswerfen zu können — den Ausführungsgaog
selbst aufzufinden. Sodann wird der Orbitalthell des Empyems
ausgeräumt. Unter dem Periost, etwas nach innen von der Mitte
des Augenhöhlendaches, von diesem — von vorn nach hinten ge¬
rechnet — etwa 1 cm weit entfernt, stösst der Finger auf eine
starke knöcherne Rauhigkeit, die wallartig eine bleistiftdicke
Perforation umgibt. Der ganze Knochenrand mit Einschluss dieser
Stelle wird mit Lue rischer Knochenzange abgebrochen, so dass
mindestens 1 y t cm vom vorderen Krtnde des Orbitaldaches in
Wegfall kommt. Auch nach der Gegend des Thränenbeins hin
wird enibiöHster Knochen fortgenommen, säimntliclie Ränder so¬
dann sorgfältig geglättet. Da eine Leiste, welche die freigelegte
Stirnhöhle temporal absclillesst, nöch verdächtig erscheint, wird
sic vorsichtig f ortgeschlagen und dadurch ein weiterer eitergefüllter
flacher Recessus von der Gestalt eines gleichseitigen Dreiecks,, mit
etwa 1 >/ 2 cm Seitenlänge freigelegt. Damit wächst der frontale
Durchmesser der Stirnhöhle auf über 5 cm. Durch den Ductus
na 80 -frontalis wird ein ziemlich’ starkes Drainrohr ln die Nase ge¬
leitet und, nachdem der Hautlappen zurückgeklappt und genäht
ist, in der Ecke der Wunde befestigt. Verband. Dauer der Opera¬
tion 1 % Stunden. Kura darauf erbricht Pat. blutig gefärbte
Massen. Dann ungestörtes Wohlbefinden. Abends 37.1° Tem¬
peratur. Die Nachbehandlung beschränkte sich auf täglich- eirr-
maiigeu Verbandwechsel, währenddessen durch den Draiu mit
dünner Subllmntlösung gespült wurde. Da nach 3 Tagen durch
Hals resp. Nase nichts mehr abfloss, so wurde der Drain rasch
gekürzt und. nachdem inzwischen die Nähte entfernt waren und
W. nach 12 Tagen nach Hause entlassen war, fortgelassen. In
etwa 3 Wochen war auch die Drainstelle verheilt.
Nach 4 Monaten zeigte sich die rechte Stlmhälfte. einschliess¬
lich des Orbitalrandes, lin Profil deutlich, aber weder auffallend,
noch weniger entstellend, etwas eingesunken. En face war ein
Unterschied gegen links überliaupt nicht wahrzunetamen, mit der
einzigen Ausnahme, dass die Augenbraue nur sehr langsam uach-
wuchs. wenn sie auch genügend dicht war, um den horizontalen
Schnitt zu verdecken.
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36. .Tuli 1901.
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSOSRIET.
1169
Die Behandlung der Gesichtshöhlenerkrankungen fällt
je nach der vorwiegenden. Betheiligung der einzelnen Bezirke
dem Chirurgen, dem Rhinologen oder dem Augenarzt zu, viel¬
leicht trägt der hieraus mit Nothwondigkeit sich ergebende
Mangel an Einheitlichkeit der Beurtheilung die Schuld daran,
dass auch bezüglich der Therapie die Meinungen und Vorschläge
weit auseinander gehen. Für die Augenheilkunde hat Kuhnt*)
in seiner ausgezeichneten Monographie an der Hand eines grossen
Krankenmaterials unter eingehender kritischer Würdigung der
einschlägigen Gesichtspunkte diese Einheitlichkeit geschaffen,
die klinische Wichtigkeit nachdrücklich hervorgehoben und eiu
neues radikales Operationsverfahren mitgetheilt. Das Wesent¬
liche des Verfahrens besteht in der principiellen Wegnahme der
ganzen vorderen Sinuswaud und der gesammten
kranken Schleimhaut, beziehentlich in der gleichzeitigen
Abtragung auch der unteren Wand.
Den Hauptvortheil der Methode erblicke ich darin, dass der
Krankheitsherd in seiner ganzen Ausdehnung zur Ausräumung
kommt, dass unter steter Kontrole des Auges operirt wird bei
bester Uebersichtlichkeit des Terrains, dass sie trotz des gefor¬
derten Eindringens in alle erkrankten Winkel, Buchten und
Nachbarhöhlen einfach und schonend ist, dass sie den heute gü¬
tigen chirurgischen Forderungen entspricht und endlich hervor¬
ragend gute kosmetische Resultate liefert. Die früher allgemein
geübte Ausschabung der Höhle durch die Fistelöffnung ist ein
Nothbehelf, der zwar zur theihveisen Entleerung des Eiters aus-'"
reicht, der aber auch seine grossen Gefahren birgt, wenn z. B.
an der hinteren Wand des Sinus eine Perforation direct in den
Subduralraum führt, was man niemals vorher wissen kann.
Ebenso unvollkommen und gefährlich ist die Benutzung des
Ductus naso - frontalis zur Einführung von Löffelsonde, Troikart
u. ähnl. schon deeshalb, weil die Erreichung des Sinus auf diesem
Wege durchaus nicht immer gelingt, die Lamina cribrosa,
Thränenbein und Siebbeinzelleu eher getroffen werden können,
als der in Lage und Proportionen so ungemein variable Stirn¬
ainus.
Der Einwand, dass man dabei ganz im Dunklen arbeitet und
nur auf das so leicht täuschende Gefühl angewiesen ist, lässt sich
theilweiae auch gegen J a n s e n’s scheinbar sclionendere Methodo
erheben: er eröffnet die Stirnhöhle durch Fortnahme der unteren,
orbitalen Wand, und lässt die vordere stehen, so dass der
Sinus zwar ausgeräumt, aber in seiner Form erhalten bleibt.
So gute Resultate in kosmetischer Hinsicht dem
Verfahren nachgerühmt werden, so kann e» die nothwendig zu
verlangende totale Befreiung des Sinus von allem Krankhaften
doch nicht gewährleisten.
Dadurch, dass man nach Kuhnt auch die Ränder des Sinus
abträgt, vermeidet man die Entstehung von tief eingezogenen
Dellen in der Stirn, um so eher und um so leichter, je flacher
die Höhle ist; auf die Ausdehnung in frontaler Richtung kommt
es fast gar nicht an. So erklärt es sich, dass gerade nach der
Abtragung von sehr grossen Höhlen die Entstellung auffallend
gering ist, wenn man eine leichte Abflachung der Stirn über¬
haupt so bezeichnen darf, die übrigens so unbedeutend sein kann,
dass sie nur in der Seitenansicht zu bemerken ist, aber selbst in
ihren höheren Graden nie den abscheulichen Anblick gewährt,
wie das bekannte, tief trichterförmige Loch in der Stirn. Die
von Grüne rt zur Vermeidung desselben vorgeschlagene Aus¬
füllung der Höhle mit Haut scheint mir sehr beachtenswerth,
doch müsste m. E. der ganze Raum vorher radikal entleert
werden; leider schrumpfen derartig untergeheilte Hautstücke
gewöhnlich ziemlich stark.
So wenig ich geneigt wäre, für alle Sinuserkrankungen das
Kuhnt’sche Verfahren in Vorschlag zu bringen, so kann ich
für die Empyeme, insbesondere die mit Orbitalleiden komplizirten,
dasselbe als überaus zufriedenstellend wärmstens empfehlen.
*) lieber die entzündlichen Erkrankungen der Stirnhöhlen
and Ihre Folgecustände. Wiesbaden 1896.
Aus der Klinik des Herrn Hofrath Prof. Dr. Schinzinger
zu Freiburg i. B.
Oie Narkose des Herrn Dr. Schneiderlin.
Von Dr. med. B. Korff in Freiburg i. B.
Vor einem Jahre erschien in den „Aerztlichen Mittheilungen
aus und für Baden“ eine Arbeit des Horm Dr. S ch n e i d e r 1 i u,
derzeit Hilfsarzt an der Heilanstalt Enunendingon, betitelt: Eine
neue Narkose. In dieser Arbeit schrieb Dr. Schneiderlin,
dass ihn die Unannehmlichkeiten und die Gefahren bei den bis¬
herigen Lachgas-, Aether- und Chloroformnarkosen, sowie die
Schwierigkeit der Anwendung der auch nicht für alle Fälle an¬
wendbaren Sc h 1 e i c h’schen Infiltrationsanaesthesie veranlasst
hätten, nach einem neuen Narkoticum zu suchen und zwar unter
Zugrundelegung folgender Forderungen:
1. Das Narkoticum als solches darf nicht lebensgefähr¬
lich sein.
2. Es darf der Kranke nicht durch allerlei Manipulationen
bei der Narkose gequält werden.
3. Muss die Narkose eine kontinuirliehe sein; Brechen,
Husten etc- seien auszuschliessen.
4. Die Folgezustände dürfen nicht unangenehme oder gar
gefährliche sein.
Dr. Schneiderlin fügt dann, bescheiden genug, hinzu,
dass der Zufall ihn in seiner psychiatrischen Thätigkeit eine
neue Methode der Narkose finden liess. Er beobachtete, wie
schon Andere vor ihm, dass durch Scopolaminum hydrobromicum
(Merck) und Morphin, zusammen injizirt, aufgeregte Kranke
beruhigt wurden und er beschloss, die bei dieser Medikation er¬
zielte Narkose bei chirurgischen Fällen in Anwendung zu ziehen.
Es gelang ihm in verschiedenen Fällen: Entfernung von
Lymphoma colli, Adenoma mammae, chron. Abscess der Mamma,
Pes varus (Resoctio tali), Amputatio cruris, Atherom von Wall¬
nussgrösse, Amputatio femoris, Extractio dentis, Nasenpolypen
ohne weiteres Narkoticum durch Injektionen von wechselnden
Dosen von Scopolamin und Morphin die nothwendigen opera¬
tiven Eingriffe schmerzlos zu vollziehen.
Schneiderlin empfiehlt bei der Anwendung der Soopo-
lnmin-Morphinnarkosc folgende Punkte zu beachten.
1. Vorsichtiges Ausprobircn der Dosis, er fängt mit 3 dmg
Scopolamin hydrobromicum (M e r c k) und 1 cg Morphin an,
wiederholt nach 1—2 Stunden die Dosis oder gibt probeweise am
Abend vor der Operation diese und am nächsten Tage eine höhere
Dosis. Er schreibt dann, so kann man nach 2—4 maligem Aus-
probiren die für die Operation nüthige Narkose zu Stande
bringen. Dabei soll sich die Gesammtdosis nach der voraussicht¬
lichen Dauer der Operation richten. Ich will hier gleich be¬
merken, dass diese Art des Verfahrens mir der schwache Punkt
zu sein scheint.
Dieses Ausprobircn am jeweiligen Falle steht nicht im Ein¬
klang mit der oben angeführten No. 2 der Forderungen Dr.
Schneiderli n’s.
Auf Ausprobircn der richtigen Dosirung lassen sich ängst¬
liche Naturen nicht ein. Auch gibt diese Art der Darstellung
den Kollegen Bedenken, bei dem immerhin in seinen Wirkungen
wenig gekannten Medikamente die Methode nachzuprüfen. Ich
halte es daher für besser, bestimmten' uniforme Regeln für die
Verordnung zu gehen und zunächst einmal eine mittlere gleiche
Dosis Soopolamin-Morphin zu geben und in Fällen, in denen
diese Menge zur Erzielung der vollständigen Narkose oder Un¬
empfindlichkeit nicht genügt, das Defizit durch Chloroform zu
decken.
2. Injektion der Lösungen an verschiedenen Stellen.
3. Warte man nach der Injektion VA —2 Stunden.
4. Verwendung frischer Lösungen.
In dringenden Fällen räth Schneid erlin, gleich höhere
Dosen von 5—8—10 dmg Sc. und 2—3 cg Morphin zu verwenden.
Sehneiderlin beruft sich bei der Ausführung über die
Ungefährlichkeit seiner Methode darauf, dass Morphin und Sco¬
polamin in gewissem Sinne Antagonisten (Morphin verlangsamt
Respiration, Scopolamin beschleunigt sie; Morphin verlangsamt
Herzthiitigkeit, Scopolamin Ix-schleunigt sic; Morphin lähmt die
sensiblen, Scopolamin die motorischen Nerven), sich in ihrer nar-
kotisirenden Wirkung zu unterstützen scheinen, und entnimmt
2 *
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1170 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29.
aus der Weite der Pupillen die überwiegende Wirkung des einen
oder des anderen Mittels auf das betreffende Individuum.
Während und nach der Narkose sollen unangenehme Reiz¬
erscheinungen, Brechen, Kopfschmerzen etc. nicht verkommen,
ebensowenig gefährliche Herz- und Nierenerkrankungen.
Zur Vorsicht will ich hier gleich hinzufügen, dass es in
jedem Falle gerathen ist, auf Aussetzung der Athmung durch
Herabsinken des Zungengrundes zu achten und dass eventuell
sofort die Athmung zu unterstützen ist, auch für längere Zeit
nach der Operation bis der Patient wieder völlig klar bei Bewusst¬
sein ist. Bei uns war allerdings bei 80 Fällen ein Eingreifen
in dieser Richtung nicht nöthig.
Soweit Dr. Schnoiderlin. Nach Lesen seines Artikels
hörte ich von Herrn Dr. Stroomann in Freiburg, dass auch
er bei einzelnen kleinen Operationen die Methode in geringer
Dosirung in Anwendung gezogen und meistens zufrieden gewesen
sei, doch habe die von ihm angewandte Dosis von 0,0003 Sc.
+ 0,01 M. nicht immer genügt. In anderen Fällen sollen bei
Anwendungen von anderer Seite Misserfolge vorgekommeh sein,
meistens wohl weil der Patient für sich höhere Dosen als die
angewandten erforderte und man nicht lange genug die schein¬
bar hohen Dosen des noch wenig bekannten Mittels anwenden
wollte. Die Empfänglichkeit des einzelnen Individuums für
Sc. -f- M.-Wirkung spielt dabei jedenfalls eine grosse Rolle.
Zunächst suchte ich in der Literatur nach weiteren Be¬
merkungen über die Natur und die Wirkung des Scopolamins.
Ich fand die wesentlichen in den Berichten von E. M e r c
Jahrgang 1893, 94 und 95. Scopolamin ist darnach ein nach
E. M e r c k's Berichten 1894, laut den Untersuchungen von
Schmidt (Arch. d. Pharmak. 1894, pag. 409) und von Merck,
mit dem seit längeren Jahren aus dem Hyoscyamus dargestellten
Iiyoscin identisches Alkaloid. Es wird nach dem Vorgang von
A. Schmidt in Marburg aus der Wurzel von Scopolia atro-
poides hergestellt. Nach Angabe von Prof. K o b e r t hat das¬
selbe der Atropinwirkung entgegengesetzte Eigenschaften, wirkt
auf die Gehirnrinde nicht wie Atropin reizend, sondern lähmend,
und entgegen dem Atropin pulsverlangsamend.
Von Raehlmann ist das Scopolamin als ausgezeichnetes
Mydriaticum und Antiphlogisticum bei kranken Augen em¬
pfohlen worden, dem Atropin mindestens gleichwerthig. Nach
ihm soll es in übermaximalen Dosen Trockenheit im Halse er¬
zeugen. Nervöse Unruhe mit Röthung des Gesichtes und fre¬
quentem Pulse wie bei der Atropinanwendung hat R. nicht be¬
obachtet. Es wirkt 5 mal stärker als Atropin auf die Augen¬
museula tur. Die Dauer der Wirkung ist die gleiche. Diese
Wirkungen wurden von Bell jarmin off, Kostislaw,
A. Peters, v. Krüdener, Illig und Anderen bestätigt.
Nach Ernst ist das Scopolamin als brauchbares Be¬
ruhigungsmittel in Dosen von 0,25—1,0 mg subcutan bei den mit
Aufregungszuständen verbundenen Psychosen empfohlen. Bei
längerem Gebrauch soll nach ihm Gewöhnung eintreten. Von
Beier Szalay ist das Sc. in der Ofcu-Pcster Landesirren¬
anstalt angewandt und als Hypnoticum imbrauchbar, als Seda¬
tivum dagegen in jedem Falle bewährt gefunden. Dosis 1,0 bis
2,0 mg. Schädliche Nebenwirkungen konnten nach ihm nicht
beobachtet werden.
Dr. K r a p o 11 - Bonn äussert sich in brieflicher Mittheilung
an E. M e r c k, dass „selbst bei den unruhigsten Kranken die Be¬
ruhigung innerhalb 10—15 Minuten eintrat und wenn das Mittel
Abends beigebraeht wurde, meist für die ganze Nacht anhielt.
Bei einigen Kranken stellte sich starkes Durstgefühl ein. Der
Puls war bei allen Kranken etwas beschleunigt, die Pupillen am
folgenden Morgen erweitert. Collapserscheinungen habe ich nicht
beobachtet, doch ist l>ei älteren Leuten Vorsicht geboten.“ Dosis
'/,—2 mg pro dosi. Da das Scopolamin von allen Schleimhäuten
ungemein schnell resorbirt wird, kann es auch per anum ge¬
geben werden.
Wir sehen, dass die verschiedenen Angaben mehrere Wider¬
sprüche enthalten, alle aber sind einig über die beruhigende Wir¬
kung und die Imgefiihrliohkeit des Mittels. Und beide« soll
nach Dr. Schneid erlin durch den entsprechenden Zusatz
von Morphin noch erhöht werden. Er rechnet auf 0,0003—4
Scopolamin 0,01 Morphin.
Tch beschloss dann nach Besprechung mit meinem verehrten
Chef, Herrn llofrath Prof. Dr. Schinzinger, die
Dr. Schneidorli n’sche Methode iu einer allerdings etwas
modifizirten Weise in Anwendung zu bringen. Wir gingen zu¬
nächst, wie schon oben angeführt, von dem Grundsätze aus, die
Methode möglichst einfach und uniform zu gestalten. Wir be¬
gannen in der ersten Zeit mit 3 dmg Sc. + 1 cg M. 2 mal in
2 stündigen Pausen gegeben, später erhöhten wir diese Dosis
auf 4 dmg Sc. -f- leg M. 2 mal. Während nun aber S chnei¬
de r 1 i u die Dosis soweit steigern wollte, dass Sc. + M. allein
genügen, gaben wir, vorläufig, Va —1 Stunde nach der zweiten In¬
jektion, falls noch keine genügende Anaestheeie vorhanden, soviel
Chloroform auf Tropfmaske, als genügte zur Narkose. Man
könnte nun einwenden, dass dieses ja fast die alte Morphin-
Chloroformnarkose sei, nur komplizirter, aber das ist nicht der
Fall. Der Patient braucht, wie wir uns in einer grossen Anzahl
von grösseren Operationen überzeugt haben, vielleicht nur ein
paar Tropfen Chloroform, höchstens jedenfalls ein Drittel der
Menge, die man ohuo Sc. + M. in ähnlichen Fällen brauchte.
Man kann die Menge Chloroform ,die im einzelnen Falle noch
erforderlich ist, nur abschützen, aber wir haben die sichere Ueber-
zeugung gewonnen, dass man mit einer minimalen Menge Chloro¬
form auskommt, und damit ist doch schon ein Bedeutendes ge¬
wonnen.
Sollte es sich, wie an anderer Stelle behauptet und be¬
schrieben werden wird, heraussteilen, dass man Sc. -f- M'. ruhig
in höheren Dosen, als Dr. Schneiderlin als höchste Dosis
(0,001) annahm, geben kann, so werden wir auch darin weiter
. gehen, nur wollten wir uns nicht von vornherein zu sehr auf das
Feld des experimentellen Versuches begeben und vor Allem dem
Grundsätze konservativer Chirurgie: Nil nocere, treu bleiben.
Unbefangen behaupten wir, dass in den Fällen, in denen
Chloroform zugesetzt wurde, die Chloroformmenge eine sehr ge¬
ringe war, schätzungsweise l / 10 -—'/, der Menge, die ohne Sc. + M.
erforderlich gewesen wäre. Ein grosser Vortheil ist es, dass der
Patient von der qualvollen Empfindung, die sonst gewöhnlich zu
Beginn der Betäubung eintritt, nichts zu bemerken scheint. Bei
langsamer Auwendung schläft er, wenn Chloroform angewandt
wird, ruhig weiter. Erbrechen während der Narkose kam nie vor.
Die Operationen verliefen äusserst ruhig und ungestört. Ruft
man die Patienten während der Operation oder nachher laut an,
so wachen sie meistens auf, reagiren, um gleich wieder weiter zu
schlafen. Eine Hauptannehmlichkeit kommt aber nach der
Operation: Zu Bett gebracht, schläft der Patient stundenlang
bis zu 12 Stunden nach der Operation, hat keine postoperativen
Schmerzen und wirft sich nicht umher. Das ist für die Ver¬
klebung und Heilung der Wunde, sowie für die Abwehr einer
Nachblutung ein sehr wichtiger Punkt.
Fast alle Patienten wachen auf mit der Frage, wann sie
nun operirt würden.
Beim Erwachen oder doch bald nachher waren alle im Stande
trotz der massigen Menge Chloroform etwas Vichywasser, dann
Suppe oder Kaffee etc. zu nehmen. Die folgende Nacht ist zwar
ohne festen Schlaf, aber nicht unruhig und nach einem Tage ist
alles wie zuvor. Appetit und Verdauung normal. Herzthätigkeit
und Athmung ungestört. Nierenreizungen nicht beobachtet. Folge¬
erscheinungen mit 1 Ausnahme nie vorgekommen. Da trat für
24 Stunden ein Puls von 46 auf. Pupillen reagiren nach 10 bis
24 Stunden wieder normal.
Wir haben auf diese Weise 80 Fälle behandelt.
Lymphoma colli 5 Fälle. Peritonlt. perforatlv. Appendicitis
5 Fälle. Vulnus antibrach, dextr. Entfernung von GlasstUck. Naht.
Haeinorrlioldeu. Tuberculos. reg. symphys. sacrolllac. mit Sen-
kuugsabscess in der Lumbalgegend. Amput. crurls wegenGangraen.
Luxat tibiae compllcat resect. tibiae. Phlegmone fern. sin. 5 Fälle.
Osteoinyclit. ehron. tubercuL phalang. prim. Tubercul. testieul.
sin. et funlcul. spermat eastratio. Gonitis tuberculosa. Arthrek-
tomie. Hydrocele mltExclslo. Carcin. cut reg. crur. von Handgrösse.
Carcin. uas. Sarcom. maminae 2 Fälle. Carcinotn. luaimn. mit
Axillarlsnusrüumung 5 Fälle. Fibroadenom maminae 2 Fälle.
Mastitis sin. Pauaritium 4Fälle. Pirogof f’sOperation 4Fälle. Ent¬
fernung von Schrotkörnem aus Grundphalanx digit indic. dextr.
Cholecystitis purulenta calculosa 3 Fälle. Sectio alta. Entfernung
von 9 Blasensteineu bei 77 jähr. Manne. Phimosis 2 Fälle. Bur¬
sitis praepatell. 3 Fälle. Carcinom. lyniphoglandulae tuberculos.
coli. Ostitis calcanei. Resectio calcls. Amputat. cruris. Fractur.
complicat. femoris resect. tib. et flbul. Periostitis maxill. Infer.
2 Fälle. Carcinom. recti. Exstirpatio recti, colostomia lliac. sin.
Carcin. labil infer. 2 Fälle, 82 und 69 Jahre alt Carcin. oesophag.
Gastrostomla nach W itzel. Sarcom. reg. supra- et infraclavlcul.
Rcposit. fract. condyL lnt hum. mit Luxat capit radll. Carles
caput liuineri. Resectio nach Laagenbeck. Carles tars. et
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1171
16. Juli 1901.
metatars. ped sin., alt 8 J. Psoltis, alt 7 J. Vuln. art. genu sin.
septic. amput. femorls. Hallux valgus mit eiteriger Bursitis. Luxat.
subcoracold. humeri mit Fract tub. major, 70 J. Sarcom. parotidis.
Periostitis oss. ilei. Carles oss. metatars quart.
ln allen Fällen waren wir mit der Wirkung zufrieden. Tu
7 Fällen haben wir unter Scopolamin- und Morphinwirkung
allein operirt, einige Male mit oberflächlicher Zuhilfenahme des
Aetliersprays. Einrichtung einer Schulterluxation, Abnahme von
Fingern, grosses Lippencarcinoin mit Plastik. Herausnahme
eines Lipoma mal. reg. dext., sowie eines Haemangioma sub oculo
dextr. von Grösse einer Nuss.
Die Methode ist ja noch nicht nach aller Richtung durch-
probirt, sie befindet sich erst im Anfangsstadium, es werden an
anderer Stelle, wie ich höre, weit höhere Dosen mit sehr gutem
Erfolge angewandt, dann meist olme Chloroform. Wir konnten
uns vorderhand nicht dazu verstehen. Doch werden wir jetzt
noch unseren Erfahrungen ohne Bedenken auf 0,0004 als erste,
0.0004 als zweite und eventuell 0,0004 als dritte Dosis mit je 0,01
Morphin und IVa—2 ständigen Pausen übergehen. Die Dosis
Morphin haben wir vorderhand als 0,01 festgehalten, doch könnte
man auch darin ja weitergehen.
Zweck dieser Zeilen ist wesentlich, auf die wenig beachtete
Methode des Herrn Dr. Schneid erlin hinzuweisen. Sei es
nun, dass dieselbe nach einer oder der anderen Seite mo^ifizirt
wird, ein sehr guter Kern scheint in ihr zu stecken. Ziel fernerer
Beobachtungen muss es sein, die Methode weiter zu entwickeln,
unparteiisch zu prüfen und einen möglichst einfachen für alle
Fälle passenden Modus der Anwendung zu finden.
Bei Kindern von 7—10 Jahren haben wir verschiedentlich
0,0001—2 Sc. und Va— '/* cg M. angewandt mit bestem Resultat.
Aeltere Leute zeigten sich ebenso empfänglich und zeigten
keine störenden Begleit- oder Nacherscheinungen, nur bei einem
älteren Mann (82 Jahre) traten für 24 Stunden nach der Ope¬
ration Unruhe, Verwirrtheit auf, die am nächsten Tage von
selbst verschwand.
Bei einem anderen älteren Manne, bei dem der betr. Kollege
Schwierigkeiten gehabt hatte, da er denselben wegen Arterio¬
sklerose und Potatorium nicht ehloroformiren wollte und bei dem
die Repositio einer Lux. humeri nicht gelang, gelang es bei An¬
wendung von Sc. und M. sehr leicht ohne Weiteres nach Mothe-
Rust. ohne Chloroform. Pat. befand sich nach dem Eingriff
ausgezeichnet.
Die Art der Ausführung gestaltet sich in der Klinik des
Herrn Hofrath Schinzinger bei Erwachsenen und nicht
dringlichen Fällen folgendermaassen:
Nach Vorbereitung des Pat. wird Morgens 7 Uhr ein flüssiges
Frühstück (Milch, Kaffee oder Thee) gegeben. Um V 2 9 Uhr
erste Dosis 0,0004 Sc. und 0,01 M. Um V» 11 Uhr zweite In¬
jektion an anderer Stelle von gleicher Dosis. Bei Patienten, die
nach ihrer Individualität geeignet scheinen und noch Schmerz¬
gefühl äussern, dritte Dosis um 12 Uhr. Eine Stunde nach
zweiter resp. dritter Injektion Operation, eventuell mit Zuhilfe¬
nahme von einer kleinen Dosis Chloroform, guttatim auf ge¬
wöhnlicher Flanellmaske. Bei der von nun an anzuwendenden-
grösseren Seopolaminmenge, Steigerung der Gesammtdosis bis
0,0012 wird das Chloroform wohl noch seltener und in noch ge¬
ringeren Mengen anzuwenden sein. Ob man besser und bequemer
gleich von Anfang eine kleine, nach 2 Stunden eine Dosis von
0,0000—8 anwenden kann, das wird die Erfahrung lehren.
Die Scopolamin-Morphin-Narkose des Dr. Schneid erlin
ist jedenfalls einer unbefangenen Beurtheilung würdig und nach
den bisherigen Erfahrungen, die wir und Andere gemacht haben,
zur Nachprüfung als ungefährlich zu empfehlen.
Ein Fall von Luxatioclaviculae sternalis duplex congenita.
Von Prof. F. Klaussner in München.
K r ö n 1 e i n citirt (Die Lehre von den Luxationen.
Deutsche Chirurgie, Lief. 26, 1882) nur drei Autoren, die Mit-
theilungcn über angeborene Luxationen im Stemoclavicular-
g(lenke geben: Chaussier, Vernouil und Heusinger.
Die Berichte der ersten Beiden (V ernouil: Gaz. des Iiop.
68 u. 70, 18t 6 und Verneuil: Discours aux eleves sages-femmes,
Paris 1812) waren mir leider nicht zugänglich. Heusingor
fVircli. Arch. Bd. 39, IL lieft, S. 341) erzählt von einem
15 Jahre alten Schreiber, bei dem eine Luxation beider Claviculae
No. 29.
am stemalen Ende vorhanden war, welcher Zustand jedoch weder
ihm noch seiner Mutter aufgefallen war. Eine Belästigung hatte
er hierdurch nicht, konnte im Gegenthcil seine Arme sehr gut
gebrauchen und „war stark wie einer“. Patient, an Diabetes und
Pleuritis leidend, verstarb. Die Autopsie ergab hinsichtlich der
Luxation, „da-s alle Faserbänder, besonders dieVerstärkungsfasern
der Kapsel, aber auch des Lig. interclav., costoclav. und rhomboid.
(abnorm lang) ungewöhnlich staik entwickelt waren. Der Synovial¬
sack w T ar weit, Zwischenknorpel ungewöhnlich dick, fester wie ge¬
wöhnlich mit dem Schlüsselbein verbunden. Die Synovialkapsel
zwischen Schlüsselbein und Brustbein ungewöhnlich weit und
schlaff“.
Der von mir beobachtete Fall ist folgender:
Anna S., 9 Jahre alt, ist das einzige Kind gesunder Eltern.
Das normal, aber graeil gebaute Mädchen weist eine abnorme La¬
gerung und Beweglichkeit des sterualen Theiles beider Claviculae
auf, die nach Angabe der Eltern seit Geburt bemerkt wurde, in
letzter Zeit Jedoch erst bemerkbarer hervortrat.
Bei ruhigem Stehen des Kindes und gerader Hnltung springt
das sternale Ende des Schlüsselbeins beiderseits, besonders bei leichter
Abduetiousstellung der Arme, deutlich hervor, recliterseits derart,
dass die Clavicula ungefähr der Hälfte ihrer Länge entsprechend
lu ihren Konturen direct unter der Haut prägnant vortritt und
die ganze sternale Gelenkfiüclie sich deutlich emporhebt (totale
Luxation), linkerseits so, dass nur ungefähr die Hälfte der letzteren
sich vonvölbt (Subluxation). In dieser ungezwungenen Stellung
beträgt der Abstand der beiden Gelenkflächen von einander 3,5 cm;
bei starker Adduction der Oberarme verringert sich derselbe auf
1,5 cm; bei äusserster Abduction vergrüssert er sich auf 0,0 cm.
Die Länge der beiden Schlüsselbeine ist gleich (10,5 cm), ihre Form
normal.
Die bei der gegenseitigen Annäherung der Arme auftretende
Luxationsforin entspricht zunächst der der Luxatlo suprastemalis,
um bei extremster Adduction und gleichzeitigen Rotationsbeweg¬
ungen in die der Luxatlo prästerualls überzugehen; dies gilt nament¬
lich für die rechte Clavicula, deren Gelenkkapsel beträchtlich er¬
weitert ist.
Diese letztgenannte Luxatlousart kann sehr leicht durch dl-
recten Zug von hinten nach vorne mittels an der Clavicula ein¬
gehakten Fingers erreicht werden.
Die Fibrocartilago interarticularis ist weder in Ruhestellung
des Gelenkes noch bei Ausführung von Bewegungen abzutasten.
Trotz der Schlaffheit beider Stemoclavleulargelenke sind die
Arme in keiner Weise in ihrer Funktion gestört.
Das acromiale Ende des Schlüsselbeines ist mit der Scapula
in normaler Weise verbunden; eine Lockerung der Haftbänder be¬
steht hier nicht.
Eine nach 5 Jahren wieder vorgenommene Untersuchung ergab,
dem Wachsthum des Kindes entsprechend, den gleichen Befund,
wie oben beschrieben.
Patientin verrichtet jegliche häusliche Arbeit ohne Beschwerde.
Nachdem eine Funktionsstörung in keiner Weise besteht, liegt
ein dringlicher Grund zu einem operativen Eingriffe nicht vor; doch
wäre voraussichtlich durch Anlegung von Silberdrahtuiibten eine
gute Fixation der luxirten Claviculae zu erreichen.
Chirurgische Mittheilungen.
Von Dr. A. Iloepfl, Knappschafts-Oberarzt in Hausham.
I. Solitärer Lebern bscess — Heilung durch
Operation.
Solitäre Lebernbscesse sind in unserer Zone eine solche Selten¬
heit, dass, wie Albert sagt, viele der erfahrensten Kliniker nie
einen gesehen haben, desshalb dürfte die ausführlichere Mittheilung
des folgenden Falles von Interesse sein.
Die Bauersfrau M. L., 3(> Jahre alt, liess mich am 18. April
1899 rufen, nachdem sie schon ungefähr G Wochen hindurch an
Appetitlosigkeit, grosser Mattigkeit und Neigung zu Schweisseu
und während der letzten 5 Tage, seit welcher Zeit sie bettlägerig
war, auch an heftigem Fieber und starken Schmerzen im Unter¬
leib. besonders der rechten Bauchgegeud gelitten hatte. Sie war
3
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1172
MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. No. 29.
Mutter von sechs gesunden Kindern und selbst früher stets ge¬
sund und kräftig gewesen.
Bel meinem ersten Besuch war der Status:
Sehr abgemagerte, schlecht aussehende Frau. Temperatur 38 8,
Puls 1(.'0. Herz und Lungen ohne Befund. Das Abdomen dem
gesunkenen Ernährungszustand entsprechend eingefallen. Die
Leber erweist sich durch Palpation und Percussion besonders ln
Ihrem rechten Lappen sehr vergrössert. Obere Grenze desselben
5. Kippe. Der untere Rand reicht in der Mummlllarlinie ca. 2 Finger¬
breiten unter die Nabelhöhe herab, verläuft von da horizontal bis
fast zur Medianlinie, um hier ziemlich senkrecht nach oben um¬
zubiegen und oberhalb des Nabels in den schief ansteigenden des
linken Leberlappens überzugehen. Auffallend ist die starke An¬
näherung des rechten Leberluppens an die Bauchdecken, besonders
in der Mammillarlinie und etwas ausserhalb derselben, wodurch
das rechte Hypochondrlum etwas vorgewölbt erscheint. Die Pal¬
pation der Leber verursacht keine Schmerzen, Ikterus besteht
nicht.
Bei meinem zweiten Besuche am 20. IV. war der Befund
der gleiche. In der rechten Mammillarlinie in Nabelhöhe erschien
die Leber unmittelbar hinter der Bauchdecken fühlbar, von etwas
gewölbter Oberfläche, prall elastisch, nicht fluktulrend. Ein länger
dauernder Fingerdruck, nuf diese Gegend ausgeübt, hiuterlioss
eine leichte Vertiefung in der Haut, welche ich auf collaterales
Oedem der Bauchdecken zurückführte.
Unter solchen Umständen erschien mir die schon beim ersten
Besuche gefasste Vermuthung eines hier ln der Tiefe befindlichen
Leberabscesses so begründet, dass ich mit Einwilligung der I’at.
sofort eine Probepunktion mittels einer langen Explorationsnadel
vornahm. In der Tlint wurde in der Tiefe von etwa 7 cm ein kaum
fliesseuder, dicker, grauweisser Eiter aspirirt, der sich mikro¬
skopisch als aus Eiterkörperchen. Detritus und zahlreichen Mikro-
coeceu bestehend erwies. Lel>erzellen waren darin nicht vor¬
handen.
Am nächsten Tage nahm Ich unter der freundlichen Assistenz
von Herrn OlxTstabsarzt Dr. F r u t h, der, zufällig in der Gegend
anwesend, gerne bereit war, mich zu der Patientin zu begleiten,
die Laparotomie vor. Vorher machten wir nochmals eine Prolx*-
punktlon. Ein Punktlousst ich, etwas neben dem ersten geführt,
traf keinen Eiter, während ein zweiter, genau ln der Richtung wie
am vorigen Tage ausgeführt, wieder solchen zum Vorschein
brachte.
Es wurden nunmehr die Bauchdecken über der Leber, der
Abscessstelle entsprechend, durchtrennt. Nach Eröffnung dos Peri¬
toneums erscheint die bläulich ausseheude Leberoborfliiche und
erweist sich als mit dem Peritoneum nicht verwachsen, der ein¬
geführte Finger fühlt mehrere Centimeter nach abwärts den Loher¬
rand. Zum Zweck der Erzielung von Verwachsungen werden
zwischen Leber und Parletalperitoneum an den Rändern der In-
cisionswunde Jodoformgazestreifen eingelegt; die Wunde wird
durch einen zwischen dieselben gelegten Jodoformgazetampon offen
erhalten.
In den nächsten 6 Tagen unverändertes Befinden. Temp. 38,8
bis 35),0. P. 100.
Am 27. IV. Entfernung der Jodoformgnze, wonach die Leber¬
oberflüche lm Grund der Wunde sichtbar wird. Der untersuchende
Finger lässt allenthalben das Bestehen von Verwachsung zwischen
Leberolierfläche und Bauchwand erkennen. Eine durch den frei¬
liegenden Thell der Leberoberflüche senkrecht eingefülirte Punk¬
tionsnadel trifft 3»/„ cm hinter derselben auf Eiter, welcher sofort
durch einen dicken Troicnrt entleert wird. Der Eiter ist gramveiss,
ganz dick und zähe, so dass er kaum heranstiiosst. im Ganzen
entleeren sich ly. bis 2 Esslöffel voll. Durch den Troleart wird ein
elastischer Katheter eingeführt, welcher nach Entfernung des
ersteren als Drain liegen bleibt.
Der weitere Verlauf war keineswegs ein ganz glatter.
In den ersten Tagen nach der Eröffnung des Abscesses be¬
standen noch Abendtemperntureu von 39, bei geringer Besserung
des Appetites und subjektivem Wohlbefinden. In den nächsten
Wochen bei täglichem Verbandwechsel und mässiger Eiternbsonde-
ruug Abendtemperaturen von 37,5 bis 38,5 mit Morgenremissionen
bis 36,5 in axilla.
Das Lebervolumen verkleinerte sich rasch, am 4. Mai über¬
ragte der rechte Leberlappen die Fistelöffnung nach unten noch
um ly, cm und reichte nach links nur mehr bis zu einem Abstand
vom Nabel von 2 cm, lag jedoch in der rechten Mammillarlinie
dou Bauchdeeken noch sehr nahe an. Konsistenz weich.
Am 21. Mai wurde die Patientin In das mir unterstellte Knapp-
schaftskrankenhaus verbracht, da ihr Ernährungszustand sich
nicht lieben wollte, was Ich zum Theil ungünstigen äusseren Ver¬
hältnissen zuselirieb, und ich auch wegen Schwierigkeiten beim
Einführen der Drainröhre und den abendlichen Temperntursteigo-
rungen, die ungenügenden Eiterabfluss befürchten Hessen, au Er¬
weiterung des Fistelganges mittels Thermokauter dachte.
Hier besserte sich trotz noch mehrere Wochen lang fort¬
bestehender Temperaturerhöhungen das Allgemeinbefinden ziem¬
lich rasch, der Appetit vermehrte sich. Es war so recht augen¬
scheinlich, wie günstige Wohnung»-. Pflege- und Ernährung»-
Verhältnisse im Stande waren, das chirurgische Wirken zu unter¬
stützen.
Trotz wiederholter Schwierigkeiten bol dom Einführen der
Drainage, die weiterhin durch Jodoformgazestreifen ersetzt wurde,
wurde eine Erweiterung des Fistelganges nicht mehr nöthig.
Nach weiteren 4 Wochen war die Patientin endlich gänzlich
fieberfrei und konnte etwas aufstehen. Die Elterabsonderung war
gering, der Eiter wurde mehr schleimig.
Am 27. Juli verlies» Patientin das Krankenhaus mit einer noch
bestellenden Fistel, aber normal grosser lieber.
In den Darmpartieu unterhalb des kranken Leberthelles waren
zu dieser Zeit wiederholt verstärkte peristaltische Bewegungen
durch die Bauchdecken sichtbar, die jedenfalls Folge einer Ad¬
häsion mit der unteren Leberoberfläche waren, Störungen in den
Darmfunktionen wurden jedoch dadurch nicht verursacht.
Eine spärlich Eiter entleerende Fistel blieb noch % Jahre laug
bestehen.
Als Abschluss der Krankheitsgeschichte führe Ich den Status
vom 1. Oktober 1900 an, welehen ich bol einer Vorstellung der Frau
in meiner Sprechstunde konstatirte:
Aussehen blühend, reichliches Fettpolster, Nabelumfang 89 cm.
Umfang der Oberschenkel 00 cm! Unterleib von normaler Form
und Konsistenz. In rechter Mammillarlinie, Nabelhöhe, eine hori¬
zontal verlaufende Narbe, ca. 0 cm lang, ln der Mitte eingezogen,
lieberdämpfung normal, unterer Rand dem Ripjieubogeu ent¬
sprechend, 2 Q-uerfinger oberhalb der Narbe. Vom vorderen Rand
des Rippenbogens, welcher ca. 0 cm von der Medianlinie entfernt
ist, zieht der untere Leberrand in normaler Weise schief nach
links aufwärts. In der Medianlinie Ist der untere Leberrami etwas
oberhalb der Mitte zwischen Processus xiphoideus und Nabel.
Es erübrigt noch einige Worte über die vermuthliclie Ursache
des Processes anzufilgen. Wie schon erwähnt, war Patientin
früher, ihrer Angabe nach, stets gesund gewesen. Insbesondere
hatte keinerlei Leiden des Dnrmtniktus, weder Gallensteine, noch
Dysenterie, noch sonst ein eitriger Dannprozess bestanden.
Im Januar des Jahres war in der Familie ein Junger Dienst-
! bete an Osteomyelitis der Tibia erkrankt: derselbe war längere
Zeit, nachdem schon eine Jauche secernirende Knochenfistel ent¬
standen war. von der Patientin verbunden worden. Vielleicht ist
cs möglich, dass hierbei der lnfektionsstuff. der sich weiterhin in
der Leber abhigertc. in den Kreislauf gelangt ist. ohne an seiner
Eingangspforte erheblichere Erscheinungen zu veranlassen.
II. Blasen scheidenfistel Operation — Unter¬
stützung d er Heil u n g d*u rch B a uclilag e.
M. B., 33 jährige Bergmannsfrau von Miesbach, hatte seit
einer vor 5 Jahren durchgomaehten schweren, durch Zangennppli-
kntion beendeten Geburt mit nachfolgender schwerer Beckenzell-
gewebsentziiudung eine Blasenscheidenfistel, wegen tvelcher sie
sieh im Jahre 1S9K in das Knappschaftskrankenhaus aufnehmen
Hess.
Damaliger Status: Blass aussehende, kräftige Person. Scheide
in ihrem oberen Theil narbig verengt, Scheidengewölbe nicht mehr
vorhanden. Poitio klein, nach oben und links verzogen, kaum fühl¬
bar. Am Uebergayg der vorderen Lippe in die Scheide eine
erbsongrosse, in Narbengewebe eingebettete Fistel.
Nach mehrtägiger Jodoformgaze-Glycerintamponade gelingt es.
die Portio und den oberen Seheident heil genügend herabzuziehen,
um die Fistel nach F r i t s c h’aclier Methode mittels Lappentrans-
pluutation zu nähen.
Der sofortige Erfolg war ein ganz guter, jedoch zeigte sieh
nach Entfernung der Fäden am 7. Tage einer derselben mit Harn-
krystallen inkrustirt und blieb nach seiner Entfernung eine steck-
uadelkopfgrosse Fistel zurück.
Die Fistel wurde wiederholt mit Lapis geätzt, ohne Erfolg.
Im Jahre 185)9 entschloss sich Patientin zur Wiederholung der
Operation. Im Juli und September wurde die schwer sichtbare
Fistel seitlich augefrischt und genäht, jedesmal ohne Erfolg, woran
sowohl die Unzugänglichkeit ihrer Lage, als die narbige Umgebuug
Schuld trug.
Am 29. Oktober wurde (lesslialb unter Zuziehung von Herrn
Dr. Ashton ln München nach abermaliger vorheriger Jodoforin-
gaze-Glycerintamponade eine sehr gründliche Operation: Aus¬
schneidung des die Fistel umgebenden Narbengewebes, Abpräpari-
rung (1er Blasen- von der Scheideuschleimhaut, Zurückschieben
der ersteren und exakte Naht der Wuudränder der Scheiden¬
schleimhaut vorgenommen.
Nach Beendigung der Operation schien es uns vorübergehend,
als ob noch etwas Flüssigkeit durch den untersten Wnmlwinkel
durchsickcre. doch kam bei weiterer Beobachtung keine solche
mehr zum Vorschein und glaubten wir desshalh uns getäuscht zu
haben, umsomehr als die Nähte anscheinend sehr genau schlossen.
Es wurde ein Jocloforingazetampon eingelegt und Patientin ange¬
wiesen, stündlich zu uriuiren.
30. X. Urinmenge normal. Der Jodoformgazetampon wird
gewechselt, der entfernte Ist feucht durchtränkt, von etwas uri-
nöseni Gerüche. Es wird ein Nelatonkatheter in die Binse ein¬
gelegt, der aber wegen starken Reizes nach einer Stunde wieder
entfernt werden muss.
1. XI. Bei Erneuerung des Tampons zeigt sich der entfernte
wieder urinös durchtränkt. Die Wunde ist anscheinend gut ge¬
schlossen.
Angesichts dieses neuerdings drohenden Misserfolges mit dem
Falle sehr liesehäftigt, kam ich auf den Gedanken, zum Zwecke der
Ausschaltung des auf die Wumle drückenden Urlnes die Patientin
konsequente Bauchlage einnehmen zu.lassen. Diese wurde streng
durchgeführt und Patientin angewiesen, so häufig wie möglich
den Urin zu entleeren.
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1173
16. Juli 1901.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Der Erfolg war vorzüglich. Am nächsten Tage war der Tam¬
pon trocken und blieb es auch weiterhin. Am 7. Tage wurden die
Nähte entfernt. Hiehel zeigte sich, dass ein kleiner Theil der
Wunde an Ihrem unteren Ende nicht per primain geheilt war; son¬
dern gvauulirte. Die Bauchlage wurde desshalb noch einig«»
Wochen fortgesetzt. Die granulirende Stelle verkleinerte sich all¬
mählich. jedoch war noch am 1. April 11)00, an welchem Tage
Patientin aus dem Krankenhause entlassen wurde, eine steckuadel-
kopfgrosse bei Berührung blutende, granulirende Stelle sichtbar;
erst am 17. April war diese ganz geheilt.
Nach diesem Verlauf ist wohl sicher anzunehmen, dass der
Erfolg der Operation im vorliegenden Falle durch die Durchführung
konsequenter Bauchlage sehr wesentlich unterstützt, wenn nicht
überhaupt durch sie entschieden wurde.
Bei Durchsuchung der Literatur fand ich. dass diese so nahe--
liegende Idee keineswegs neu, sondern schon von E 1 s ii s s e r zur
Heilung einer Blasenscheidentistel angewendet worden ist, der
eine Kranke 9 Wochen lang bei miisslger Diät auf «lern Bauche
liegen Hess und sie in 12 Wochen heilte (VViuckel: Krankheiten
der weiblichen Harnröhre und Blase). Sie scheint aber keim*
weiter*» Anwendung gefunden zu haben, wenigstens ist die Methode
in den gebräuchlichsten Lehrbüchern nicht erwähnt.
III. Netzcyste eines dreijährigen Kindes —
Heilung durch Laparotomie.
Ein 3 jähriges Bergmannskind, J. M., aus tuberkulös l>e- j
lasteter Familie. litt bei gutem Allgemeinbefinden und Fieberlosig-
keit an seit 1 Jahr bestehendem, allmählich zunehmendem Ascites, j
Im Januar 1900 vergrösserte sich derselbe dermaassen, «lass
Nahrungsaufnahme und Athmung dadurch in hohem (Inule be¬
einträchtigt wurden und die Eltern sich zur Operation entschlossen.
Status: Miissige Abmagerung und Blässe. Lungen ohne Be¬
fund. Abdomen im Liegen abgeplattet, sein* vergnüssert, ergibt
Fluktuationsgefühl und mit der Lage sieli verändernde, einem
freien Ergüsse entsprechende Dämpfung. Fieber besteht nicht.
Diagnose: Tuberkulöser Ascites.
Operation am 15. Februar 1900. 4 cm langt» Incision oberhalb
des Nabels. Nach Eröffnung des Abdomens drängt sich sofort eine
dünnwandige, blau schwärzliche, mannskopf grosse Cyste heraus.
Dieselbe ist mit einer schleimigen, dunkelbraunen, fast, schwärz¬
lichen Flüssigkeit gefüllt, welche entleert wird. Es zeigt sich hei
Verfolgung Ihres Ursprunges, dass sie dem eystiseh entarteten
Netz entspricht, von welchem sich au ihrem oberen Ende noch vom
Dickdanu abgehende Beste finden.
Nach partienweiser Ligatur der letzteren wird die Wandung
der entleerten Geschwulst entfernt und das nunmehr ganz zu¬
sammengefallene Abdomen geschlossen.
Heilung per priruam. Die Erholung erfolgte merkwürdig
rasch und das Kind Ist seitdem ganz gesund und frisch.
Die Wandung der Cyste envies sich bei der mikroskopischen
Untersuchung als nur aus Bindegewebe und Fett bestehend, der
Struktur des Netzes entsprechend.
IV. InipermeableOesophagusstriktur — Heilung
durch Gastrostomie und S o u «1 i r u u g ohne E n d e.
Das 4 Jahre alte Bergmannskind J. S. von Miesbach hatte
sich vor 2 Jahren durch Schlucken einer Lauge eine Verätzung
der Speiseröhre mit daran anschliessender Striktur zugezogen. Es
konnte seitdem nur Flüssigkeiten und auch diese nur langsam
schlucken. Nach dem Trinken kam es häufig zum Erbrechen von
Kesten. Es war vor einem Jahr schon zu mir gebracht worden,
ohne dass mir die Einführung einer Sonde gelang. Die Gastro¬
stomie war damals nbgelehnt worden.
Am 20. Mai 1900 wurde der Knabe zum Zwecke nochmaliger
Sondirung und eventueller Operation in das Knappschnftskrnnkeu-
haus aufgenommen. Da der Ernährungszustand noch ein ziem¬
lich günstiger und‘die Aufnahme von Flüssigkeit fortgesetzt mög¬
lich war, wurde mehrere Wochen lang mit Sonden. Kathetern.
Wnchsbougies und Darmsaiten die Bougirung versucht, ohne zu
gelingen. Bei Bougirungsversuchen wurde Jedesmal Milch und
Schleim regurgitirt. Auch die dünnsten Darmsaiten, einzeln aus
einem bis zur Striktur eingeführten Bohre vorgeschoben, drangen
nicht durch die verengte, 15 cm von der Zahnreihe entfernte, in
Bifurkationshöhe befindliche Stelle. Desshalb am 28. Juni Gastro¬
stomie.
Chloroformäthernarkose. G cm langer Hautschnitt im linken
Eplgasfrium parallel dem Rippenbogen, Durchtrennung von Muse,
rectus, Fase, transvera, Peritoneum. Ein Zipfel der Mngenwaud
wird vorgezogeu, mit dem Peritoneum eireulür vernäht, nach
6 Tagen eröffnet.
Die weitere Ernährung erfolgt auschliesslich durch die Magen¬
fistel.
Nach Verlauf von 8 Wochen gelingt es, nachdem vorher ver¬
geblich versucht worden war, eine Sonde von der Knrdin aus durch
die Striktur zu schieben, ohne Schwierigkeit, von oben eine Darm¬
saite durch dieselbe in den Mögen zu bringen. Dies«? wird von der
Magenflstel aus mittels einer gebogenen Sonde hervorgeholt, an
ihr unteres Ende ein Seidenfaden geknüpft und mittels Zurück¬
ziehens der Darmsaite zum Munde herausgeführt. Sein oberes
und unteres Ende wird aussen zusammengeknüpft.
Die Erweiterung durch Sondirung ohne Ende gelang zwar
langsam, aber mit geringen Schwierigkeiten.
Erst wurden dickere Fäden und Fadenbündel mittels des eiu-
gelegten Fadens durch die Speiseröhre gezogen und zur Erweite¬
rung liegen gelassen. Später wurden mittels des Ltütuugsfadons
allmählich immer dickere Drainröhren eingeführt, die jedesmal
2 Stunden liegen blieben. Die Ernährung fand seit September
wieder auf natürlichem Wege statt. Zur Zeit ist der Faden noch
lielassen. um von Zeit zu Zeit daran ein jetzt leicht gleitendes.
14 nun dickes Drain durch die Striktur uachziehen zu können. Der
kleine Patient kann gegenwärtig wieder Alles schlucken. Di«*
Magenfistel hat sich bis auf eine enge, durch den Faden offen er¬
haltene Stelle geschlossen, es ist. kein Zweifel, dass sie nach tlessiui
Entfernung sich gänzlich stdiliessen wird.
Welchem Umstände ist es wohl zu danken, dass die Dannsaite,
welche vorher nicht durchzubringen war. 8 Wochen nach der Op«»ra-
tion mit Leichtigkeit durchgebracht werden konnte? Bekanntlich
tritt diese günstige Erscheinung nach Gastmstomie häufig ein.
Ich habe mir di«»se Frage in folgender Weise beantwortet:
Die Striktur war jedenfalls auch vor der Operation genügend
weit, dass eine Darmsaite hätte durchgeführt werden können,
sonst hätte das Kind auch keine Milch mehr schlucken können.—
Durch die anstaueuden lngesta war jedoch die Speiseröhre ober¬
halb der Striktur nusgebuchtet, worauf auch das nach dem Trinken
folgende Erbrechen, sowie das Regurgitiren der Flüssigkeiten bei
den Sondirungsversuchen zurückzuführen war. Die Sonden und
Darmsaiten fingen sich in der so entstandenen Ausbuchtung,
vielleicht wurde bei leerer Speiseröhre der Eingang der Stenose
durch die Falten der gedehnten Schleimhaut vollständig verlegt.
Durch eingeführte Flüssigkeiten wurden die Wandungen dieser
Ektasie gedehnt und der Eingang in die Striktur frei. Durch
die 8 wöchentliche Ausschaltung «ier Speiseröhre schrumpfte die
Ektasie mit ihren Schleimhautfalten und wurde der Eingang der
Stenose für die Saite passirbar.
Ich erlaube mir noch einen kleinen Kunstgriff beizufügeu,
mittels dessen es mir nach schon eingetretener bedeutender Ver¬
engung der Fistel mit gross«*r Leichtigkeit gelang, den durch ein
Versehen ohne Nachfülming eines zweiten lierausgeglitteneu Faden
durch einen neuen zu ersetzen.
Es wurde eine in der Mitte nhgohogene Dannsaite mit «Ier
Ahhiegungsstelle voraus durch die Fistel in den Magen eingeführt
und durch Nachs<-hiel>en jeder der beiden parallel liegenden Hälften
aus ihrem vorderen Theile im Magen eine Schlinge gebildet. Die
zweite von oben herabgeführte Saite, mittels welcher der neue
Faden durchgeführt werden sollte, fing sich in dieser Schlinge
und wurde mit ihr durch die Fistel hervorgezogen.
Aus der orthopädischen Heilanstalt des Dr. mc*d. A. Schanz
in Dresden.
Das Redressement schwerer habitueller Kyphosen.
Von I)r. A. Scha n z.
Habituelle Kyphosen erreichen, so häufig dieselben sin«l, im
jugendlichen Alter selten hohe Grade. Die gebräuchliche Therapie
ditsir Deformitäten ist desshalb auch nur auf die leichteren Fälle
zugeschnitten; sie. besteht in «1er Anwendung von Massage und
Gymnastik, von mlressiremlen Manipulationen und von porta¬
tiven Apparaten. Mit di«*sor Therapi«» erreicht man in «len
weitaus meisten Fällen volle Resultate, wenn die unbedingt er¬
forderliche Ausdauer in der Behandlung vorhanden ist. Aber
es gibt «loch auch Fälle, die ein«*r solchen Behandlung wider¬
stehen ;es sind di«»s die schweren fixirten habituellen Kyphosen.
Wenn diese Fälle auch selten sind, so sind sie doch von grosser
praktischer Wichtigkeit, weil sie ausserordentlich verunstaltend
wirken.
Diese Fälle sind ebenso, wie in vielen anderen Beziehungen,
so auch bezüglich der Therapie, in eine Parallele zu stellen mit
den schweren habituellen Skoliosen. Auch bei den schweren
Skoliosen erreichen wir mit der Anwendung von Massage und
Gymnastik, mit dem Gebrauch portativer Apparate und rcdres-
sirender Manipulationen keine Resultate, die uns befriedigen
können. Erst das Redressement gibt uns, wenn dasselbe anwend¬
bar ist, auch bei schwersten Skoliosen gute Resultate. Bei der
nahen Verwandtschaft von habitueller Skoliose und habitueller
Kyphose ist zu erwarten, dass durch Anpassung des Skolioscn-
redreseements an die habituelle Kyphose in schweren Fällen
dieser Deformität ebenso gute Resultate erreicht werden können,
wie bei schweren Skoliosen.
So stellt sich «lie Frage: lassen sich die Prinzipien des Sko¬
liosenredressements auf die bezeichneten Fälle von habituell«!-
Kyphose übertragen, und wie werden diese Prinzipien dabei
modifizirt?
Bei «1er Behandlung schwerer Skoliosen haben wir zwei In¬
dikationen zu erfüllen: erstens haben wir den die Deformität
erzeugenden Prozess auszutilgen und zweitens haben wir die von
3*
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1174 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29.
diesem Prozess geschaffene Deformität zu korrigiren. Diese
selben Indikationen haben wir bei der Behandlung schwerer
Kyphosen. Auch hier haben wir die Austilgung eines defor-
mirenden Prozesses und die Korrektion einer vorhandenen De¬
formität zur Aufgabe.
Bei der Skoliose hat sich als zweckmässig erwiesen,diese beiden
Aufgaben in der Reihenfolge anzugreifen, dass zuerst die Korrek¬
tion der Deformität erfolgt und dass nach dieser die Austilgung des
skoliosirenden Prozesses in AngrifF genommen und damit zugleich
dem nach Redression drohenden Recidiv entgegengearbeitet wird.
Dieselben Gründe, welche bei der Skoliose diese Reihenfolge be¬
dingen, sind für die Kyphose gegeben. Auch hier sind die Maass¬
nahmen, welche für die Vorbeugung des Recidivs zweck¬
entsprechend sind, vielfach dieselben, wie die, welche uns zur
Austilgung des deformirenden Prozesses gute Dienste leisten.
Es ist darum auch hier zweckmässig, diese beiden Aufgaben
zeitlich vereint in AngrifF zu nehmen. Das geschieht, wenn
wir zuerst die Korrektion der Deformität ausführen und dann
die Maassnahmen treffen, welche gegen den deformirenden Pro¬
zess und das Recidiv gerichtet sind.
Die Korrektion der skoliotisehen Deformität erfolgt bei An¬
wendung des Redressements derart, dass zuerst die Wirbelsäule
mobilisirt wird, dann korrigiren wir die Verbiegung durch for-
cirte Extension, gegebenen Falles unter Anwendung von seit¬
lichen Zügen. Die so hergestellte Korrektionshaltung fixiren
wir endlieh durch einen Gipsverband, welcher von den Trochan-
teren bis auf den Hals reicht.
Bis hierher werden wir genau ebenso verfahren, wenn wir
uns die Korrektion einer schweren Kyphose zur Aufgabe gestellt
haben. Auch in diesem Falle müssen wir zuerst die kontrakte
Wirbelsäule beweglich machen; auch hier werden wir am ein¬
fachsten die forcirte Extension zur Herstellung der Korrektions¬
haltung verwenden. Durch einen auf den Scheitel der Krüm¬
mung geübten lordosirenden Druck werden wir die Korrektion
erhöhen. Der Gipsverband wird ebenso wie bei der Skoliose, von
den Trochanteren bis auf den Hals reichen; denn nur so können
wir die Wirbelsäule in ihrer ganzen Ausdehnung unter unsere
Gewalt zwingen. Das Gips k o r s e t leistet nicht Genügendes,
weil es den oberen Theil der Wirbelsäule freilässt.
Die Erfahrung, dass man bei Skoliosen 3—4 Tage nach
Anlegung des Gipsverbandes durch Wiederholung des Redresse¬
ments eine weitere Besserung des Korrektionsresultates erzielt
und dass eine zweite Wiederholung in derselben Zeit noch eine
weitere Besserung gibt, wird man sich bei der Kyphoseredression
zu Nutze machen können und entsprechend verfahren.
Wenn bis hierher der Weg für die Behandlung der Kyphose
ganz parallel lief dem für die Behandlung der Skoliose, so
kommen wir jetzt an einen Punkt, wo eine Divergenz eintritt.
erfreulicher Weise stellen sich die Verhältnisse bei der Kyphose
günstiger. Es handelt sich um die Länge der Zeit, welche der
Gipsverband liegen bleiben muss. Bei der Skoliose wie bei der
Kyphose müssen wir den Verband liegen lassen, bis das Re¬
dressionsresultat durch einen portativen Apparat festgehalten
werden kann.
Für den portativen Apparat liegen die Verhältnisse aber
bei der Kyphose wesentlich günstiger als bei der Skoliose.
Während wir nicht, im Stande sind, einen direkten Druck von
der Seite her auf die Wirbelsäule auszuüben, können wir einen
solchen von rückwärts her wirken lassen. Während wir bei der
Skoliose in Folge der anatomischen Verhältnisse nicht im Stande
sind, durch portative Apparate einen korrigirenden Druck auF
die Höhe der Krümmung zu geben, sind wir bei der Kyphose
in viel günstigerer Lage, weil ein vom portativen Apparat ge¬
leisteter Druck auf die gewünschte Stelle übertragen werden
kann. Wird durch diesen Umstand das Gebiet des portativen
Apparates überhaupt ein viel grösseres als bei der Skoliose, wird
vor Allem dadurch das Gebiet, welches dem Redressement zu¬
fällt, hier enger als dort, so fällt besonders dieser Umstand in
die Waage, wenn wir die Zeit bestimmen sollen, wie lange beim
Redressement der Gipsverband liegen bleiben soll. Diese Zeit
wird wesentlich geringer sein können als bei der Skoliose, da
wir dem der Kyphose gegenüber wirksameren portativen Apparat
eine grössere Aufgabe zutheilen können als bei der Skoliose.
Wir können uns mit einer wesentlich kürzeren Zeit für den
Verband begnügen. Brauchen wir bei der Skoliose im Allge¬
meinen 12 Wochen, so werden bei der Kyphose 4—8, im Durch¬
schnitt 6 Wochen genug sein. Wir können also unseren Patienten
eine Anzahl Wochen ersparen, welche dieselben niemals zu den
schönsten ihres Lebens zählen.
Der portative Apparat, den wir nach Abnahme des Ver¬
bandes anlegen, muss den Zweck verfolgen, erstens entlastend
für die Wirbelsäule zu wirken und zweitens eine korrigirende
Wirkung im Sinne der Korrektion der Deformität zu entfalten.
Diese Absicht erreichen wir — das sei zuerst festgestellt —
nicht mit den bekannten hosenträgerartigen Geradehaltern, die
so viel für die Behandlung von habituellen Kyphosen empfohlen
werden. Diese Geradehalter üben einen Zug von den Schultern
nach abwärts und erhöhen dadurch die Belastung der Wirbel¬
säule, welche durch den Apparat herabgesetzt werden soll. Sie
wirken also unseren Absichten direkt entgegen. Der Normal¬
apparat für die fraglichen Fälle wird ein Stützkorset, sein,
welches in besonders schweren Fällen für die erste Zeit mit einer
Kopfstütze zu armiren ist. Als Redressionsvorrichtung bringt
man an dem Korset einen Gummizug an, welcher voh den Arm-
stiitzen über die Höhe der Rückenkrümmung läuft. Natürlicli
darf das Korset, wenn dieser Zug etwas wirken soll, kein starres
sein.
Dieselben Absichten wie bei der Skoliose werden wir bei
der Kyphose mit dem Gipsbett verfolgen. Wir halten in dem¬
selben den Patienten während der Nacht in Korrektionsstellung.
Die. weiter zu treffenden Maassnalunen. welche die Vor¬
beugung des Recidivs und die Austilgung des deformirend' /i
Prozesses erstreben, sind wieder durchaus parallel mit. den im
entsprechenden Stadium bei der Skoliose zu treffenden. Ihr
Ziel ist hier wie dort die Herstellung einer normalen Trag¬
fähigkeit der Wirbelsäule. Diese Maassnahmeiii aufzuzählen
ist unuöthig, es sind dieselben, welche uns bei der Behandlung
leichterer Fälle gute Dienste leisten. Ihre konsequente Amven-
dung ist nicht nur im Stande, dem Recidiv vorzubeugen und den
primären deformirenden Prozess auszutilgen, sie ermöglicht auch
gegebenen Falles das durch das Redressement erreichte Resultat
auszubauen.
Dass man auf dem hier gezeichneten Weg in der That *u
Resultaten gelangen kann, die auf anderen Wegen nicht zu er¬
reichen sind, will ich durch Anführung eines besonders mar¬
kanten Falles belegen.
Fräulein S. S., 18 J., aus D. kam ln meine Behandlung am
15. Oktober 1898, nachdem schon 3 jüngere Geschwister von mir
an Skoliose 2 Grades behandelt worden waren und wurden. Die
Patientin war seit 4 Jahren in mehreren hellgymnastischeu An¬
stalten behandelt worden. Trotzdem hatte die Deformität nicht
ab-, sondern zugenommen. Den Befund bei Beginn meiuer Be¬
handlung zeigt Fig. 1. Die Wirbelsäule war so fest flxlrt, dass
weder aktiv noch passiv eine auch nur annähernd normale Hal¬
tung erzeugt werden konnte. Die Mobilisation machte grosse
Schwierigkeiten; erst Mitte Februar 1899 waren wir so weit, dass
die Anlegung des Gipsverbandes erfolgen konnte. Derselbe wurde
2 mal nach je 4 Tagen gewechselt. Das Redressionsresultat fand
seinen Ausdruck ln einer Längenzunahme des Körpers von 4 y a cm.
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16. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1176
Der Verband wurde nach 5>/ 2 Wochen abgeuomnien. Dann erhielt
Patientin ein Ililftbtigelkorset mit redressirendem Gummizug. Eine
Kopfstütze wurde nicht nöthig. Dazu wurde noch ein redres-
sirendes Gipsbett gegeben.
Die weitere Behandlung bestand in Gymnastik, Massage und
redressirenden Manipulationen. Auf diese Weise gelang es nicht
nur, das Resultat der Redression festzuhaltcn, sondern auch noch
eine weitere annehmbare Besserung zu erzielen. Dass das Re¬
sultat als gut und auch als Dauerresultat bezeichnet werden kann,
zeigt Fig. 2. eine Photographie, die 2 Jahre nach dem Redressement
aufgenommen ist.
Oie Beleuchtungsanlagen in den Erziehungs- und
Unterrichtsanstalten.
Das k. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und
Schulangelegenheiten hat sieh veranlasst gesehen, eine sachver¬
ständige Prüfung jener Gesichtspunkte herbeizuführen, welche
für die öffentlichen und privaten Erziehungs- und Unterrichts-
anstalten bei der Wahl zwischen Gasglühlicht und elektrischem
Licht nach dem dermaligen Stande der Beleuchtungstechnik in
Betracht zu kommen haben.
Zu diesem Behufe wurde zunächst der k. Generalarzt z. D.
Dr. K. S eggel in München um Erstattung eines Referates an¬
gegangen, welchem Ersuchen derselbe in bereitwilligster Weise
entsprach. Das von ihm abgegebene Gutachten wurde dann der
medicinischen Fakultät der k. Universität München zugeleitet,
die sich demselben in besonderer gutachtlicher Ausführung (Ver¬
fasser: k. Universitätsprofessor Dr. O. Evcrsbusch) anschloss.
Lediglich bei einem Punkte der dem Dr. Segge l’schen Gut¬
achten am Ende beigefügten Schlussfolgerungen ergab sich hie¬
bei eine Abweichung. Eine weitere Erörterung führte aber auch
hier zu einer Uebereinstimmung beider Referenten, die auch die
endgiltige Redigirung der schon erwähnten Schlussfolgerungen
zusammen Vornahmen.
Nachstehend folgt der Wortlaut der vorliegenden Gutachten
und Aeusserungen:
I. Gutachten des k. Generalarztes Dr. Seggel über die
Beleuchtungsanlagen in den Erziehungs- und Unterrichts¬
anstalten vom 22. Juni 1900.
Von der künstlichen Beleuchtung muss vom Standpunkt der
Hygiene nach Erlsmann 1 ) verlangt werden,
1. dass das Licht reichlich und gut vertheilt sei,
2. dass Temperatur und Zusammensetzung der Luft nicht
wesentlich altcrirt werden,
3. dass die Wärmestrahlung der Lichtquellen eine möglichst
geringe sei,
4. dass das künstliche Licht im Auge keine Reizzustände und
keine Ermüdungserscheinungen hervorrufe, ferner sollen
5. mit der Beleuchtung keine' Gefahren für Leben und Ge¬
sundheit im Allgemeinen verbunden sein, und endlich ist cs vom
rein praktischne Standpunkt noch nothwendig,
6. dass das künstliche Licht, bei möglichst grossen Vorzügen
in hygienischer Beziehung, möglichst billig zu stehen komme.
Von diesem Standpunkte aus sollen nun die verschiedenen
Lichtquellen betrachtet werden.
Ausgeschlossen werden von vornherein als den wichtigsten
obigen hygienischen Forderungen nicht genügend: Petroleum;
Leuchtgas: Schnitt- und Argandbrenner und kommen bei dem
jetzigen Stand der Beleuchtungstechnik für öffentliche Erziehungs¬
und Unterrlchtsanstalteu nur das Aue r’sehe Gasglühlicht und das
elektrische Licht in Frage.
Von den beiden Arten des elektrischen Lichtes ist das Glüh-
licht nur als d 1 r e c t e s, das Bogenlicht nur als lndlrectes
verwendbar, während das Aue r’sclie Gasglühlicht sich in beiden
Arten verwenden lässt.
Die Beleuebtungsfrage spitzt Blcli daher dahin zu: Welche
Art von Beleuchtung Ist vorzuziehen:
1. die directe oder die indlrecte,
2. durch A u e r’sches Gasglühlicht oder eine der beiden elek¬
trischen Lichter?
Alg directe Lichtquellen kommen elektrisches Glüh- und
Aue risches Gasglühlicht, als Indlrecte elektrisches Bogen- und
Auerisches Gasglühlicht zum Vergleich.
Als directe Lichtquelle hat das Aue rische Gasglühlicht vor
dem elektrischen Glühllcht folgende Vorzüge: es vertheilt das Licht
gleichmässlger und beleuchtet die mehr seitlich vou ihm gelegenen
’) Die hygienische Beurtheilung der verschiedenen Arten künst¬
licher Beleuchtung, mit besonderer Berückslchtgung der Llclit-
vertheilung. Referat ln der XXLV. Versammlung des D. Vereins
für öffentliche Gesundheitspflege, mltgetheilt ln der deutschen
Vierteljahrsschrift dieses Vereines, XXXII. Bd., 1. Heft.
No. 29
Plätze bessert, es hat überhaupt grössere Helligkeit — nämlich
5G Meterkerzeu gegen IG event. 32 Meterkerzen des elektrischen
Lichtes — bei geringerer Wärmestrahlung: 1,37 Caiorien gegen
2.53 des elektrischen Lichtes (Forderung 1 uud 3). Dagegen hat
das Gasglühlicht den Nachthell, dass bei ihm grössere Wärme¬
abgabe durch heisse Gase uud Wasserdampf an die Zitnmerlufl
stattfindet als bei dem elektrischen Licht. Wärmeabgabe ist im
Gegeusatz zu Wärmestrahlung, welche hauptsächlich durch di«*
dunkeln Strahlen des Lichtes b«*dingt wird, als Wärmotransport
aufzufassen.
Da nun aber bei dem Gasglühlicht die unvollkommenen Ver¬
brenn ungsprodukte. welche sonst ln mit Gas beleuchteten Räumen
den üblen Geruch der Luft und deren gesundheitsschädliche Wir¬
kungen bedingen, ganz oder wenigstens zum grössten Theil in
Wegfall kommen und die Temperaturerhöhung der Zimmerluft
gegenüber dem elektrischen Licht keine erhebliche ist. die Tem¬
peraturerhöhung, sowie die ebenfalls geringe Luftverderbuiss
durch .Sauerstoffentzug und Kohlensilurebildung überdies durch
rationelle Lüftung der Räume beseitigt werden kann, so fällt dieser
Nachtbeil gegenüber den Vortheilen nicht in das Gewicht.
Auch glaube Ich nochmals darauf liinwelsen zu müssen, dass
beim Gasglühlicht trotz grösserer Wärmeabgabe an die Zimmer¬
luft die Wärmestrahlung eine geringere ist als heim elektrischen
Licht.
Ein wesentlicher Nachtheil des Gasgliihlichtes Ist allerdings
die etwas umständlichere Bedienung (Anzüudeu. Reinigung der
C.vlinder etc.), dagegen sprechen wieder sehr zu Gunsten des Gas-
glühlichtos die geringeren Kosten, worauf ich noch später zu
sprechen kommen werde.
Ich wende mich nun zur Frage: Ist für grössere Arbeits¬
räume, Schulzimmer, Hör- und Arbeitssäle die iudireot«* oder
directe Beleuchtung vorzuziehen?
Das directe Lieht, hat den einzigen Vortheil, dass es bei ge¬
nügender Anzahl Flammen eine bessere Platzbeleuchtung, d. 1.
grössere Helligkeit für die Arbeitsfläche gibt. Dagegen macht
sieh bei ihm die Wärmestrahlung und die Blendung in störender
Welse geltend. Die Wärmestrahlung, welche hauptsächlich durch
die dunkeln Strahlen des Lichtes bedingt wird, verursacht
Trockenheit im Auge, Empfindung einer unangenehmen Spannung
an der Stirn, Hitze im Kopf, sich steigernd zu Kopfschmerz. Die
Blendung, welche einerseits durch den Glanz’) der Flamme,
andererseits durch die chemischen — kurzwelligen, violetten und
ultravioletten — Strahlen bedingt wird, schadet nicht nur durch
Blutüberfüllung der Binde- und Netzhaut, soudern erfordert auch
in Folge der Uebermüdung der Netzhaut immer grössere Helligkeit.
Wärmestrahlung uud Blendung können durch geringere Höhe
der Flamme und konische, wenig Licht durchlassende Schirme
vermie«len werden. Hiebei macht sich jedoch der Umstand störend,
dass, da alles Licht durch die Schirme auf die Arbeitsfläche ge¬
worfen wird, der übrige Raum relativ dunkel, und Je heller jene
beleuchtet Ist, um so grösser der Kontrast zwischen Platz- uud
Raumbeleuchtung wird. Dieser Kontrast wirkt aber, da viele
Schüler die Gewohnheit haben, beim Nachdenken oder wenn sie
zerstreut arheiteu, den Blick in den dunkeln Raum zu richten,
sicher reizend auf die Netzhaut. In Hörsälen und beim Anschau¬
ungsunterricht ist diese Art von directer Beleuchtung, bei welcher
eine Lampe für höchstens 2 Schüler ausreicht, überhaupt nicht
angängig, ebenso nicht, wenn die Schüler theils sitzend, theils
am Stehpult arbeiten.
Wählt man statt undurchsichtiger Schirme Lampenglocken
von Milch- oder Ueberfangglas und bringt die Lampen höher an.
so ist der Raum wohl gut beleuchtet uud es genügt auch für
3—4 Schüler eine Lampe, es werden aber, wenn eine grössere Zahl
vou Lampen vorhanden Ist, die hinten Sitzenden, insbesondere aber
die Beaufsichtigenden und Lehrer dadurch geblendet. Auch geht
dabei viel Licht für die Platzbeleuclitung, d. i. die indlcirte Hellig¬
keit durch die auf den Arbeitsplatz fallende Lichtmenge und zwar
bis zu GO Proc. verloren. Bel Verwendung von Augenschtltzern
— Kugeln, konusartige Schirme, mit der weiten Oeffnung nach
oben — geht besonders Helligkeit für die seitlichen Plätze ver-
■) Prüfungen mit dem neuen C o b irischen Liehtprüfer für Ar¬
beitsplätze haben ergeben, dass bei dem im k. Erzieliungsiustitutc
für Studirende eiugeftihrten elektrischen Glühlichte von IG Kerzen-
Stärke an der hellbeleuchtetsten Pultstelle zunächst der Lampe
zwar eine Helligkeit vorhanden ist, welche sieh massiger Tages¬
beleuchtung nähert, dagegen GO cm von der Lampe entfernt, also
ln einer Entfernung, wo z. B. die abgewendete Seite des Lexikons
bei einem links sitzenden sich präparirenden Schüler sich be¬
findet — je 2 Zöglinge benützen ein von einer Lampe erhelltes
124—144 cm breites Pult —, die Beleuchtung keine ausreichende
mehr ist. Bei Gasglühlicht ist dagegen die Beleuchtung in der
genannten Entfernung noch genügend, es können mit dem
C o h irischen Lichtprüfer noch 20 vierstellige Zahlen in y s Minute
gelesen werden.
*) Unter Glanz versteht mau die von der Flächeneinheit (qmm)
ausgehende Lichtmenge. DerGlanzdesclektrischcuGlülilichtcs ist da¬
her grösser als der des Gasglühlichtes und beträgt «las Siebenfache
eines gleich hellen Argandbrenners. Dagegen ist <li«* Blendling
durch die kurzweiligen Strahlen beim elektrischen Glühlicht, «la
cs sehr arm an solchen Strahlen ist, wenig«*r zu fiir«*l»b*n. Sehr
schädlich würde aber in dieser Richtung das «1cm Si»nn«*nli«*ht
sich am meisten nähernde elektrische üogenlicht bei «lirecter An¬
wendung sein.
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1176
MUEN CHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
loren und betrügt der Verlust, selbst bei den zweekmässigstcn
Augenschützern, denen aus mattirtein (Hase, 30 Proc.
Bei der indirecten Beleuchtung werden nun Blendung und
Wärmestrahlung der Lichtquellen nicht mehr empfunden und
zeichnet sich dieselbe vor der directen noch durch folgende Vor¬
züge aus:
1. Ist die Beleuchtung eine viel gleichmässigere und ist ins¬
besondere eine richtige Vertheilung dos Lichtes ohne störende
Schattenbildung und den hievon abhängigen relativen Lichtmangel
möglich. Bei direeter Beleuchtung gewähren nämlich, wenn nicht
jeder Schüler seine eigene Lampe hat, die Schatten von Kopf,
Händen oder (Jerüthen einem beträchtlichen Tlieil der Schüler
weniger Licht als die photometrische Messung im leeren Schul¬
zimmer ergibt. Der Verlust an Licht beträgt nach Pelzer
10—HO Proc. und mehr, und zwar sind die Schatten um so stärker,
je heller die directe Beleuchtung ist. Beispielsweise wurde nach
I»r. Boubnoff) eine Platzhelligkeit von S.2 Meterkerzen durch
den vom Kopf des schreibenden Schülers auf das Heft geworfenen
Schatten auf 4.0 Meterkerzen reducirt und im Halbschatten der
schreibenden Hand ist die Beleuchtung des Heftes nur mehr gleich
2.0 Kerzen und im vollen Schatten der schreibenden Hand sank sie
sogar auf Li» Kerzen.
Durch die ausgedehnten Versuche Erisma n n's, dargestellt
in Diagrammen, ergibt sich ferner, dass bei direeter Beleuchtung
von der Platzhelligkeit beinahe zwei Drittel verloren gehen, so¬
bald sich die Schüler hinsetzen und Schreibstellung einnehmen.
Directe Beleuchtung ist im Schulzimmer also nur passend bei
Aufstellung kleiner Einzellampen mit ausschliesslich linksseitigem
Licht und schützendem Schirm, es wäre dies aber wegen der Luft¬
verschlechterung nur mit elektrischem Licht durchführbar und
dazu die theuerste Beleuchtungsart. Der starke Kontrast zwischen
Dunkelheit des Baumes und der hellen Flächenbeleuchtung, wenn
überdies noch ein helles weisses Papier reüektlrt, würde, wie schon
erwähnt, diese Beleuchtungsart au und für sich nicht empfehleus-
werth machen.
Für kleinere Privatinstitute und in kleineren Studirzimmeru
kann jedoch directe Beleuchtung durch Gasglühlicht dann in An¬
wendung gezogen werden, wenn ein jedesmaliges Umstellen der
Tische bezw. Pulte nicht zu grosse Umstände macht. Werden
diese nämlich, wie ich es in einem hiesigen Privatinstitute gesehen
habe, nach den 4 in rechten Winkeln zu einander stehenden Iiich-
'□
tungen um die in massiger
Höhe angebra: hte Flamm ‘ ge¬
stellt, so erhalten sämmtliche
Schüler das Licht von links
und entstehen kaum störend“
Schatten, ja es reicht sogar
eine Flamme für 8 Schüler
! n
aus.
G
□ □
Die Vertheilung der Sitze
um die Lampe ergibt neben¬
stehende Zeichnung A. Für
die Tagesbeleuchtung ist na¬
türlich wieder ein Umstellen
der Tische bezw. Pulte erfor¬
derlich.
' Es lässt sich nun aller¬
dings nicht verkennen, dass
bei der indirecten Beleuch¬
tung, woIkü das von den Wänden und der Decke reflek-
tlrte Licht wirkt, ein nicht unbeträchtlicher Theil des diffusen
Lichtes durch Absorption im Raum verloren geht. Dieser Verlust
wird zwischen 20 und 40 Proc. berechnet, in Wirklichkeit ist er
Jedoch nicht sehr erheblich, wie sich aus folgender Zusammen¬
stellung Kris m a n n's '-) ergibt. Dieselbe ist für gleiche Licht¬
quellen, nämlich 0 Gasglühlampcu in einem Schulzimmer von
00 qm Fläche l«‘rechnet.
Es betrug nämlich die durchschnittliche Platzbeleuchtung
in Meterkerzen
a'' b c)
die beste die geringste die durchsclinittl.
Bei direkter Beleuchtung: 25,3 9,7 17,:»
„ indirekter 19,1 13,3 10,2
Allerdings sind demnach die günstigsten Plätze bei direeter
Beleuchtung nicht unerheblich besser beleuchtet und hat. auch die
durchschnittliche Beleuchtung noch einen etwas höheren Kerzen¬
werth, dafür sind aber die ungünstigsten, von der Flamme ent¬
fernteren Plätze bei direeter Beleuchtung schlechter lreleuchtet
als itei indirecter und haben nicht einmal das von der Hygiene ge¬
forderte Mindestmnass von 10 Meterkerzen. Bei der indirecten Be¬
leuchtung tritt dagegen an einzelnen Plätzen, und zwar gerade
für die ungünstig gelegenen, eine kleine, aber nicht unwesentliche
Steigerung der Helligkeit ein. es findet überhaupt, wie Eingangs
hervorgehoben, eine gleichmässigere Vertheilung des Lichtes statt
und ist überdies die bei direeter Beleuchtung die Platzhelllgkeit
beeinträchtigende Schattenbildung nicht mehr störend.
Der subjektive Eindruck ist bei der indirecten Beleuchtung
ungemein wohlthuend. da man nicht durch den Glanz greller Licht¬
quellen geblendet wird. Die über den ganzen Raum gicichmässig
verbreitete Helligkeit mag allerdings auf den ersten Augenblick
als ungenügend erscheinen, sie erweist sich aber bei der Lese- und
9 Nach Erismann 1. c.
l ) E rismann 1. c.
Schreibprobe als vollkommen ausreichend und wird nach kurzer
Angewöhnung als das Auge schonend und in der Folge nicht er¬
müdend empfunden.
Die indlrecte Beleuchtung wurde zunächst dadurch hergestellt,
dass durch unter den Lampen angebrachte undurchsichtige Re¬
flektoren siimmtliches Licht an die Decke und den oberen Theil
der Wände geworfen wird und von dort reflektirt den Raum be¬
leuchtet. Dieser Art von Herstellung Indirecter Beleuchtung wird
besonders von Prof. Renk") vorgeworfen, dass hiebei die Arbeit*-
siiie in eine obere sehr hell beleuchtete und eine untere dunkle Zone
— beide scharf von einander getrennt — gethellt werden. Renk
stand nämlich bei seinen im Auditorium des hygienischen In¬
stituts in Halle mit Metallreflektoren gemachten Versuchen noch
kein Gasgliililicht, sondern nur 4 Regenerativbreuner zu Gebote
und erhielt er hiebei zwar alle sonstigen Vorzüge der indirecten
Beleuchtung, aber die Helligkeit auf den Tischen, welche bei di¬
reeter Beleuchtung — im unl>esetzten Auditorium ohne Seliatteu
— 20 Meterkerzeu betragen hatte, wurde um fast % vermindert
und somit ungenügend. Renk wählte daher statt der undurchsich¬
tigen Metallreflektoren anfänglich solche von Milchglas, in der
Form der gewöhnlichen Augenschützer, welche auch Licht direct
durchtreten lassen, und später aus äusseren Gründen Lampen¬
glocken aus Ueberfangglas.
Auch Prausnitz 1 ) empfiehlt als Reflektoren Schinne aus
Milchglas, auf einer Messingplatte ruhend, mit unterer Oeffnuug
von <» cm, oberer von 25 cm und mit Seitenhöhe von 14,5 cm.
P r n u s n i t z rechnet ein Gasglühlicht auf 12 qm bei 3.03 in
Höhe und gibt an, dass die Entfernung der Lampen von der Wand
etwa die Hälfte der Entfernung der Lampen von einander be¬
tragen und in 4—3 m hohen Räumen die Lampen etwas tiefer ge¬
hängt werden sollen, wobei man dasselbe Resultat in Bezug auf
Platzhelligkeit erhalte. Er hält diese Beleuchtungsart für die ge-
eignetste zur Erhellung von Auditorien und Schulzlmmern. sowie
von Arbeitsräumen, in welchen der einzelne Arbeiter keiue sehr
feine Arbeit auszuführen hat und eine gleichmiissige Lichtmenge
ohne Schattenbildung vorhanden sein soll, doch erhielt Praus¬
nitz geringere Platzhelligkeiten, als man sie sonst zu fonlern ge¬
wohnt ist. und lH‘gniigt sich mit einer Helligkeit von 7—8 Kerzen
als einer guten, Ja er erklärt sogar eine von 10 Meterkerzeu für
eine sehr gute. Allenfallsigen Einwänden begegnet er unter an¬
deren Gründen auch damit, dass mit Erfüllung höherer Anfor¬
derungen an Licht durch mehr Flammen auch die schädlichen
Nebenwirkungen der künstlichen Beleuchtung (s .weit es sich nicht
um elektrisches Licht handelt) entsprechend vermehrt werden.
Eris m a n n verlangt dagegen eine Flüchenlielligkeit von
20 Meterkerzen für feine, von 12—15 für gröbere Arbeiten, als Mi¬
nimum 10 Meterkerzen und begründet diese seine Auschnuung, wie
es scheint mit Recht, durch die Versuche U h t h o f f’s ’). welche
ergeben, dass bei Helligkeit von '/„ Meterkerze Sehschärfe bei
Helligkeit von l Meterkerze Sehschärfe allerdings schon y 2 . daun
aber nur langsam steigend, bei Helligkeit von 10 Meterkerzeu
Sehschärfe erst -li. und normale Sehschärfe erst bei 100 Meter¬
kerzen erreicht wird.
E rlsman n hält überdies eine Kombination des indirecten
Lichtes mit dem directen, wie sie ja bei Anwendung durch¬
scheinender Milchglasreflektoren gegel»en ist, da. wo Schatteu-
hildung störend wirkt, also da wo geschrieben, gezeichnet wird
I u. «lergl., nicht riithlich und zieht undurchsichtige Metallscliirine
als Reflektoren den Milchglasschirmen vor. Die obere Fläche der¬
selben sei weiss emaillirt oder binnk polirt.
Im hiesigen k. Erziehungsiustitute für Studirende wurde nun
, auf meinen Antrag, da die 1887 vor Erfindung des Aue r’sehen
Gasglühlichtes eingeführte directe Beleuchtung mit elektrischem
, Glühlicht zeitweise nicht funktiouirte, im Jahre 1897 neben dieser
I die gemischte Beleuchtung nach Renk eingeführt. Unter Be-
' uützuug der aus früherer Zeit vorhandenen Gasleitung wurden
I in jedem Museumssaale 20 Auer-Gnsglühllchter mit Iaimpen-
I kugeln aus Ueberfangglas in solcher Höhe ange¬
bracht, dass der obere Cylinderrand (»0 cm von
der Decke entfernt war. Die Decken wurden
mit mattweisser Farbe angestrichen, die Wände erhielten
eine grüne, allerdings nicht genügend helle Bemalung, die grossen
Fenster werden durch welsse Vorhänge als gute Reflektoren be¬
deckt. Betritt man einen derart beleuchteten Saal, so empfindet
man. wie für die indirecte Beleuchtung schon hervorgehobeu, einen
I ungewöhnlich wohlthuenden Eindruck, namentlich empfindet man
I es angenehm, dass auch die an den Wänden hängenden Karten
hell beleuchtet sind — das Gleiche würde auch bei einer Wandtafel
der Fall sein —, der Beaufsichtigende kann die Zöglinge tiber-
j blicken, Niemand wird durch den Glanz der im Raum vorhandenen
relativ vielen Flammen geblendet und alle anwesenden Personen.
I auch die am Stehpult arbeitenden, sind vor der Einwirkung der
j strahlenden Wärme wegen der grossen Entfernung der Flammen
! geschützt.
Aber trotzdem dass die Beleuchtung in Anbetracht von
20 Flammen für 40 Zöglinge bezw. Plätze bei einer Bodenfläche
von 113 qm und einer Höhe von 3,85—3,70 m eine aussergewöhnlich
i •) Renk: Die neue Beleuchtung der Universitätsauditorien
! in Halle a. S. Berlin 1894. A. Hirschwald,
i ') Kermauner und Prausnitz: Untersuchungen über
■ indirecte (diffuse) Beleuchtung von Schulzimmern. Hörsälen und
Werkstätten mit A u e r’schein Gasglühlicht Archiv f. Hygiene.
XXIX. Bd.. S. 107 u. f.
i ') Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, Bd. XXXII.
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16. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1177
reichlich bemessene Ist, Ist die Platzbeleuchtung doch nur eine
gerade genügende.
Eh lässt sich nicht verkennen, »hiss durch die die Lichtquelle
ganz umso liliessenden Laiupenkugeln zu viel Licht verloren geht.
Die Prüfung mit dem C o li n’schen Lichtprüfer ergab nämlich,
dass zwar auf allen Plätzen 20—24 vierstellige Zahlen in Vs Minute
gelesen werden können, doch vermögen dies nur Zöglinge mit sehr
guten Sehschärfen und nach Verschiebung auch nur e i u e s Hauch¬
glases sind auch diese es nicht mehr iin Stande. Gegenüber der
directen Beleuchtung mit dem elektrischen Glühlichte, dessen
Vorzüge und Nachtheile ich Eingangs erwähnt habe, macht sich
aber in sehr angenehmer Weise der Umstand geltend, dass wie der
ganze Raum, so auch die Arbeitsfläche ganz glelchmässig, insbeson¬
dere die Itandtheile der breiten Doppelpulte ebenso hell beleuchtet
sind, als deren Mitte.
I>a bei solchen Lampenkugeln ebenso wie bei Mllchglas-
schirmen netten indireetem Lichte auch directen Licht zur Wirkung
kommt, so treten die Schatten mehr hervor nls bei rein indirecter
Beleuchtung mittels undurchsichtiger Reflektoren, es ist jedoch
der auf weissem Papier erzeugte Schatten der schreibenden Hand j
verschwommen und daher nicht so störend als bei directcr Be¬
leuchtung.
Stelle ich nun zwischen den Mittheilungen von Renk und
P r a u s n i t z einerseits und denen von Eris m a u n und von
Baurath Buscheck 0 ) in Wien andererseits gemachten einen
Vergleich, so scheint mir die indireete Beleuchtung mittels un¬
durchsichtiger Metallreflektoren doch den Vorzug zu verdienen,
um so mehr als auch meine eigenen Beobachtungen im Erziehungs-
Institut nicht ohne Weiteres zu Gunsten der gemischten Beleuch¬
tungsart sprechen.
Es haben nämlich sowohl E r i s m n n n als B u s c li e c k mit
einer geringeren Zahl von Lampen bessere Platzbeleuchtung er¬
hallen als Renk, Prausnitz und ich. Die Ergebnisse von
Erisuiaun habe Ich schon beispielsweise mitgetheilt. Buscheck
erhielt bei 0 Auerlampen mit Metallreflektoren in einem Schnl-
zimiuer mit 54 qm Fläche und 40—50 Schülern fast genau wie
K r i s m a n n 19.00 Meterkerzen auf dem günstigsten und 15,3 Meter¬
kerzen auf dem ungünstigsten Platze nls Flächenbeleuchtung und
keiner von beiden erwähnt den von Renk gerügten, übrigens
nicht bei Versuchen mit Auer-Gasglühllcht gefundenen Kontrast
zwischen der Beleuchtung im oberen Raume des Zimmers gegen
deu unteren.
I>r. Burgerstein stellt diesen Kontrast als auffällig auf
mein Befragen auch entschieden in Abrede.
Halte ich dagegen, dass ich bei 20 Lampen auf 40 Zöglinge
und 113 qm Fläche, also bei einer Lampe auf 5.0 qm, eine gerade
genügende Beleuchtung erhalten habe, so spricht auch noch die
Kosteuerspamiss für die Metallreflektoren.
Voraussetzung für die rein Indireete Beleuchtung ist nun:
ilellblelben der Decke und des oberen Drittels der Wände durch
uiattwelssen Anstrich, der je nach Heizmethode und Fussboden-
•pialitüt (Russ und Staub) alle 2 oder 3 Jahre erneuert werden
muss und sehr helle Bemalung des übrigen Theiles der
Wände. Auch die Thüren- und Fensterrahmen uiiisscu weiss be¬
malt und die Fenster selbst, da bei Nacht dunkel, durch weisse -
Vorhänge liedeckt werden. Ferner müssen die Schirme an Ihrer
eiteren Fläche Immer blank gehalten bezw. entsprechend oft nb-
gewiseht und geputzt werden. Es entsteht dadurch etwas mehr
Arbeit, nuch muss erwähnt werden, dass das Anzünden der Lampen
mit Metallreflektoren etwas umständlicher ist. als «lerer mit Milcli-
glasschirmen oder Glaskugeln, da man die zurileksehlagende
Flamme nicht sieht.
Die Nebenkosten sind überhaupt bei indirecter und gemischter
Beleuchtung etwas höher als bei direeter, dafür sind aber, wenig¬
stens l)ol rein indirecter Beleuchtung, weniger Flammen bei
gleich guter Platzbeleuchtuug erforderlich.
ln einem Zimmer z. B., welches bei 9 m Länge und 0 m Breite
51 qm Fläche hat und worin 40—50 Schüler an Subsellien oder
20 an grösseren Pulten sitzen, würden für indireete Beleuchtung
0 (Jasglühlichter (1:9 qm) mit Metallreflektoren ausreichen, wäh¬
rend «llrecte Beleuchtung sowohl bei Subsellienanoninuug für
5o Schüler als für 20 an Pulten sitzende Schüler, wenigstens
lo Lampen erfordern würde. Bei gemischter Beleuchtung mittels
du rehreheinender Schirme würden allerdings ebenfalls 10 Laiup.ui
erfonlerlicb, diese aber der directen Beleuchtung weit vorzuziehen
rein.
Es wäre noch anzufügen, «lass sich das Glühlicht schon an
und für sich durch seine Kegelform, mittels deren es den grössten
Tlieil des von ihm ausgehemien Lichtes nach oben ausstrahlt, für
imllreete Beleuchtung eignet.
Oh rein indireete oder gemischte Beleuchtung vorzuziehen
sei, hängt ausser von den Kosten auch von der Bestimmung des zu
erleuchtenden Raumes ab. In llörsiilen, ferner da wo Anschau¬
ungsunterricht ertheilt und an die Tafel geschrieben wird, kann
der gemischten Beleuchtung der Vorzug gegeben werden, während
sieh für Räume, in welchen geschrieben und gezeleimet wird, die
rein indireete Beleuchtung besser eignet. Diese letztere Art von
°) Mitgetheilt in der Österreich. Monatsschrift für Gesundheits¬
pflege. XV. Bd„ Heft 5, worauf ich durch das freundliche Ent¬
gegenkommen des Hygieneschriftstellers Herrn Dr. Leo Burger¬
stein aufmerksam gemacht wurde.
indirecter Beleuchtung mittels Casglilhlicht wird nuch von dem
französischen Arzt Dr. Dargelos sehr gerühmt. 10 )
Störend für lmlirecte Beleuchtung überhaupt sind eiserne
Träger an der Decke, da sie Schatten werfen und nun die refl«*k-
tlrende Wirkung der Zimmerdecke nicht so voll wirken kann, wie
das hei einer ebenen Decke der Fall ist. Ebenso beeinträchtigen
Stützsäulen, Pfeiler und Mauerbogen, wie z. B. in einem Saale des
S t e 1 1 e n’schen Institutes in Augsburg, die volle Wirkung der
indirecten Beleuchtung. Auch ist zu bemerken, dass sich die In¬
direete Beleuchtung für Zeichnen nach Gipsmodellen nicht eignet.
«1a mau hier bestimmte reine Schatten haben muss. Ferner ist
indireete Beleuchtung nicht auzuratlien, wenn ein relativ grosser
Raum wegen ungenügender Tagesbeieuchtung eines Theiles «les-
selbeu nur zum Tlieil mit Bänken besetzt ist, wie z. B. in einem
Sehulsaal im Nymphouburger Mädcheninstitut. Hier ist cntwi'dir
dlreeteBeleuchtung durch Gasgliihlh-ht am Platze oder die indirec e
müsste durch elekrisches Bogenlicht bewirkt werden.
Diese Art hulirecter Beleuchtung verdient wohl auch den Vor¬
zug vor der mittels des A u e r’schen Gasglühliehtes in sehr Imhon
Räumen von 5 und mehr Meter Hülm. Andernfalls wäre hier die
gemischte Beleuchtung der rein indirecten vorzuziehen, da wir
durch I'rausnltz wissen, dass bei s«*iner Beleuelituugsart die
Höhe des Saales auf die Platzhelligkeit nicht von Einfluss ist.
Nachdem nun die Frage, ob dlreete oder indireete Beleuch¬
tung vorzuziehen sei, im Allgemeinen zu Gunsten d«»r letzteren
entschieden sein dürfte, ist noch die weitere Frage zu beantworten:
Ist «las Gasgliihliclit oder «las elektrische Bogenlieht mehr ge¬
eignet?
Das Bogenlieht hat. vor dem Gasglühllcht den Vortheil d<*>
elektrischen Lichtes ülierhaupt voraus, indem es k«*im> Luftv«*r-
schlechterung durch Sauerstoff verbrauch und Kohlensäureent-
wkklung bewirkt und geringere Bedienung erfordert, dazu noch
den besonderen Vortheil hat, «hiss es sich bei grösst«*r Lichtstärke
in seiner Zusammensetzung «lein Tageslicht am meisten uälmrt,
und zwar iu noch höherem Grade als das Gasglühlicht.
Dieses zeichnet sich bei rechtzeitiger Erneuerung «les Strumpfes
durch Stetigkeit des Brennens gegenüber dem elektrischen Bogen-
licht aus. Gelingt cs der Technik, die Schwankungen beim Bogen-
liclit noch vollständig zu beseitigen, so vereinigt dieses all«* Vor¬
züge einer künstlichen Beleuchtung für Arbeitsräume, natürlich
in Indirecter Verwendung, in sieh. Es ist. «lies um so mehr zu hoffen,
als jetzt schon hei Anschluss an eine kräftige Centrale mit Wechsel¬
strom Schwankungen nicht mehr bestehen oder «loch nur minimal«*
sind. Hiefiir kann die Beleuchtung in den llörsiilen der hiesigen
technischen Hochschule, im v. S t e 11 e n’schen Institute in Augs¬
burg und in ver8«*lded«*nen hiesigen Fabrik- und Vergnügungs-
«tablissements dienen, so insbesondere in einem Saale d:*s 1. Stockes
in der Angustinerwirtlisehaft. Die Beleuchtung dieses letzteren
muss geradezu als eine ideale, dein Tageslicht auss:*ror«l«*ntlicb
nahe kommende bezeichnet werden, da si«*, trotzdem sie der Be¬
stimmung «les Lokales gemäss eiue «llrecte ist, nicht blendend
wirkt.
In dcrDiscusslon über das Eingangs angeführte Thema iiu-sert
sich Stadthaurath Emil M a y e r - Stuttgart dahin:
..Nach ausgedehnten Versuchen mit den verschiedenen Arten
der künstlichen Beleuchtung halte man mit den elektrischen Bogen¬
lampen die beste Erfahrung gemacht, positive Kohle oben, mit
grossen, weiss omailllrten Blechschirmen von 50—70 cm Durch¬
messer. Bel Versuchen mit verschiedenen Lampen habe sich «li«:
K «"> r t i n g - M a 11 li i e s s e n - Lampe als die geeignetst«* er¬
wiesen. Nachdem diese Lampe ln der gewerblichen und obliga¬
torischen Fortbildungsschule zu Stuttgart, in welch’ letzterer
nicht nur Zeichnen-, sondern auch anderer Unterricht gegeben
werde, eiugeführt ist. sei man damit ausserordentlich zu¬
frieden. In einem Zimmer mit <»0_S0 qm Grund¬
fläche seien 2 solche Lampen mit <5 Ainpt'restävke. in kleineren
Zimmern je eine Bogenlanmpe mit 8—10 Ampf>r<>. Bei Zimmern
mit nur 1 Lampe hänge diese ln der Mitte: bei 2 Lampen sei di«*
Länge der Decke in vier Theile getheilt und am 1. und 3. Theil-
puukt eine Lampe aufgehängt. Zwei Bogenlamptm von 0 Amper«*
entsprechen dem Kostenaequivalent, von 12 Glühlampen, während
erstere eine bedeutend intensivere Helle ergeben.“
Auch im hygienischen Ilürsaalc der Universität Freiburg, wel¬
cher bei 87.30 qm Fläche uud 4.9 m Höhe durch 2 Bogenlampen
von 10 Ampere (S c li u c k e r t’sches Modell für Schulen mit unten
angebrachten, Iu vielseitigen Pyramiden ungeordneten Refl«*ktoren)
beleuchtet wird, wird die äusserst ghdehiuässige Beleuchtung als
von wohlthiitigster Wirkung auf die Augen rühmend liervor-
gchobou.
Die Wagschale scheint sich demnach zu Gunsten der in-
diveeten Beleuchtung mittels des elektrischen Bogenlichtes zu
neigen. Es sind jedoch noch die Kosten dieser Beleuchtungsart.
der Erwägung zu unterziehen, uud zwar ist diese Frag«* ein«* der
wichtigsten. Denn wie P rausuitz sehr richtig bemerkt, ist der
Werth einer hygienischen Einrichtung, welche für weitere Kreise
bestimmt ist. vor Allem davon abhängig, ob die Kosten derselben
eine allgemeine Einführung gestatten.
Die Kosten für das elektrische Bogenlieht stellen sich nun
allerdings höher als für das Gasglühlicht, doch nicht so erheblich,
als man im Allgemeinen anzunehmen gewohnt ist. Bei den Kosten
muss man untors«*h«*iden zwischen Kosten für Einrichtung im-l.
Lampen und Schirme, Reinigung bezw. Instandhaltung und für
Eelairage nrtificicl «les sallcs dV'ttid«* A Fahle de la lumh'ri*
diffuse. Aimalcs d’liygiene publique, T. XXXVI, p. U»5.
4*
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1178
MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
die Beleuchtung selbst. Hiezu kommen noch die Kosten für all-
jährliehc Zimmorreinigung bezw. häutigere Erneuerung des
Zimmernnstriches; diese sind jedoch für beide Beleuchtungsarten
die gleichen und können daher ausser Berechnung bleiben.
Baurath Buse heck“) stellt — umgerechnet in Mark —
folgenden Kostenanschlag auf:
Flächen-
mum in
Metern:
Beleuctatungsart:
Zahl der
Lampen:
* 04 Gasglühlicht G
56 Elektr. Bogen- 2
licht
Geldbetrag
für
100 Brcnn-
s t unden:
12,87
34,25
Einrichtungs- Jäbrl. Kosten
kosten für der Bedienung
ein Lehr- und Instand-
limmer: haltung:
2H4.71 4G,50
313,74 39,10
Dieser Berechnung zu Folge würde das elektrische Bogen¬
licht beträchtlich höher zu stehen kommen als das Gasgliihlieht.
es dürften jedoch, da diese Berechnung noch aus dem Jahre 1897
stammt, in welchem in Wien noch keine Centrale bestand, die
Kosten für das elektrische Bogenlicht sich inzwischen beträcht¬
lich herabgemindert haben.
Einer anderen Berechnung vom gleichen Jahre zu Folge (citirt
in der Deutsch. Vierteljahressclir. für öffentl. Gcsundheitspfl.
XXXII. Bd., Heft 1, S. 3G) wurden von Wedding für Berlin
folgende Kosten für die Brennstunde bei einer Helligkeit von
100 Kerzen angegeben:
Elektrisches Bogenlicht. 2.G Pfennig,
Gasgliihlieht. 5,5 „
Petroleumglühlicht. 5,0 „
Elektrisches Glühlicht.20,7 „
Leuchtgas-Argandbrenner.23,8 „
Nach dieser Zusammenstellung wäre das elektrische Bogen¬
licht sogar billiger als das Gasgliihlieht. Mit Sicherheit aber lässt
sich daraus entnehmen, dass die beiden Lichtquellen, welche in-
directe Beleuchtung ermöglichen, zugleich die billigsten sind, dass
das elektrische Gltihlicht viel tlieuerer ist und die auch vom hygie¬
nischen Standpunkt aus zu verwerfenden Lichtquellen, nämlich die
offene Gasflamme und der Argnndbrenner, wenn sie genügende
Beleuchtung geben sollen, zugleich die theuersten sind.
Bei Acetylenbeleuchtung ist noch nicht jede Gefahr aus¬
geschlossen. Es wurde daher von dieser Beleuchtungsart ganz
abgesehen. Sein Preis wird zwischen 13.5 und 5.3 Pfennige für die
Brennstunde bei 100 Normalkerzen Helligkeit angegeben.
Bei der Entscheidung der Frage, ob Gasglühlicht oder elek¬
trisches Bogenlicht, scheinen mir daher zunächst folgende Um¬
stände In’s Gewicht zu fallen:
1. Welche Beleuchtungsquelle bereits installirt ist. Ist also
Gasleitung schon vorhanden, wird man sich wohl für das Gasglüh¬
licht entscheiden.
2. Ortsüblicher Preis des elektrischen Stromes und des Gases.
3. Anschluss an eine kräftige Centrale mit Wechselstrom.
Ausserdem kommt noch zu berücksichtigen, ob die Bedienung
besondere Kosten verursacht, ln einem Institute oder Pensionate,
z. B. in welchem eine solche vorhanden ist, würde dieser Umstand
zu Gunsten des Gasglüldichtes sprechen, da die Bogenlampen sach¬
verständige Behandlung erfordern. (Schluss folgt.»
Ueber die septische Endocarditis.
Von Prof. H. Lcnhartz,
Director des Eppendorfer Krankenhauses in Hamburg.
(Schluss.)
Einige Beispiele aus meiner Beobachtungsreihe mögen diese
Verhältnisse beleuchten.
Staphylorooeen Kiulocardills der
i’iilmonalkliifipen (Piiuor i Mon.)
1‘rotilnimi lii der Vegetationen.
u ) 1. C.
1. Ein junger Student T.
wurde einige Wochen, nachdem er
sieh die Harnröhre gequetscht
hatte, von einem heftigen Schüttel¬
frost befallen, der sieh Im Laufe
von G Wochen etwa 7 mal wieder¬
holte. Er musste sieh ilesshalb,
ganz gegen seine frühere Gewohn¬
heit schonen, konnte die Kneipe
nicht mehr besuchen und kehrte
Weihnachten 1899 nach Hause
zurück. Seinen Angehörigen und
Bekannten fiel das veränderte
schlechte Aussehen des jungen,
früher sehr frischen und flotten
jungen Mannes sofort auf. Er
war aber nicht dazu zu bringen,
sieh andauernd in’s Bett zu legen,
obwohl mehrere unregelmässige
Schüttelfröste eintraten. Erst als
diese täglich folgten und 1 oder
2 mal Ansteigen der Temperatur
um 3—5° herbei führten, blieb er
im Bett. Ich sah den Kranken mit
Herrn Kollegen St.; es konnte kein
Zweifel obwalten, dass es sich um
eine septische Endocarditis
an der I* u 1 in o n a 11 s handelte.
Der sehr blasse Kranke bot ein in¬
tensives Geräusch an deren Auscultationsstelle dar, ferer einen
grossen, 3 Finger breit den Rippenrand überragenden M 11z-
tumo r. Die am Tage nach dem ersten Consilium ausgeführte
bacteriologisehe Untersuchung des Blutes ergab reichlich Sta¬
phylo c o e c e n. Die Krankheit zog sich über 3 y g Monate hin:
in den letzten Wochen hörte das hohe intermittirende Fieber ganz
auf, und es trat eine schwere Nephritis mit allgemeinen
Hydrops hinzu.
Bel der Autopsie fanden wir eine mächtige thrombotische
Wucherung au der zerstörten Pulmonalklappe (s. Flg. 2). Im Blut
und Thrombus Staphylococcen. Schwere parenchymatöse Nephritis,
mehrere blande Infarkte in der Milz, ein kleiner vereiter¬
ter Infarkt in der Lunge.
2. Die 31 jährige Frau St. erkrankte am 29. Dezember 189(5,
4 Tage nach der letzten normalen Entbindung mit Schüttelfrost
und Fieber, das sich in den nächsten Wochen alle 2—3 Tage wieder¬
holte. Nach 14 Tagen stand sie auf und musste nuu ab und zu
wieder das Bett hüten. Erst von Anfang Februar war sie dauernd
bettlägerig. Sie blieb bol uns vom 9. Februar bU zu Ihre ui
am 2(3. Juni 189(5 erfolgten Tode uud hatte in dieser Zeit
22 schwere Schüttelfröste und 17 kürzere Frostanfälle. Sie bot
andauerndes, bisweilen nur schwaches Fieber dar, hatte ab und zu
Schmerzen in den Gliedern, flüchtige Exantheme und ln den letzten
D/ a Wochen schwere Nephritis und Neigung zu Blutungen.
Im lebenden Blut wurden (gewöhnliche) Strepto¬
coccen nachgewiesen. Die Autopsie ergab schwere uleeröse
und verrueöse Endocarditis an der Mitralis (s. Fig. 3). Die zum
Tlioil bohnengrossen graugelbeu, morschen Vegetationen setzten
sieh auf die Vorhofsfläche bis zur Einmündung der Pulmonalvenen
fort, während sie In den Ventrikel bis zu den Papillarmuskeln
reichten.
Fig-
Streptococcen-Kiuloe.inliiis der Mitralis. (Krankl»cltsilaiicr 5 Monate )
1
Ausser einem kleinerb sengrossen Abscess in
der Wand des linken Ventrikels fanden sieh nur zahlreiche
b 1 a u d e Infarkte in der MHz uud schwere Nephritis hnemor-
rhagien.
3. Bei dem vorher schon flüchtig berührten Falle Sophie S.
begann die Krankheit eltenfails (10 Tage) nach einer normalen Ent¬
bindung mit einem Schüttelfrost. Das Mädchen kam 4y s Wochen
später (am 5. Juni 1898) zu uns und blieb die folgenden
4% Monate bis zum Tode ln unserer Behandlung. Die Kranke
sah blass aus. hatte aber wochenlang nur wenig unter dem un¬
regelmässigen Fieber zu leiden, Insbesondere blieben In
den ersten 13 Wochen unserer Beobachtung die
Fröste gauz aus. Diese steUten sieh erst in den letzten
3y 2 Wochen in heftigster Weise ein. Die Diagnose der septischen
Endocarditis an der Mitralis war gesichert durch das von Anfang
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IG. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1179
au vorhandene systolische Spitzengeräusch. die Blässe,
Schwäche, den fühlbaren grossen Milztu mor und den
während der ganzen Beobachtungszeit geführten Nachweis von
(gewöhnlichen) Streptococcen Im Blut.
Die Autopsie ergab ausgedehnte Endocarditis au der Mitralis
mit zahlreichen mächtigen polypösen Erhebungen, die dichte
Streptoeoecenrasen enthielten: sonst war ausser blanden In¬
farkten in der Milz (und Itetlnablutungen) nichts Besonderes zu
linden.
4. Das ebenfalls oben schon erwähnte 33 jähr. Kindermädchen
Auguste T. stand vom 6. November 1900 b i s 13. Februar
1901 in unserer Behandlung. Sie war mehrere Wochen vor der
Aufnahme mit allgemeinen Beschwerden und Ziehen in den
Gliedern erkrankt und zunächst von dem behandelnden Arzte als
Hysterien angesehen. Bei der Aufnahme erschien sie blass
und matt und zeigte ein lautes systolisches Spitzengeräusch. Die
sofort vorgenomniene Blutkultur Hess nach 2 Tagen deutliche
Kolonien des kleinen Streptococcus wachsen. Ueber die weiteren
Rlntuntereuchungen ist oben schon berichtet.
Während der etwa 14 Wochen langen Beobachtung im
Krankenhaust» bot die Kranke ein sehr mildes Fieber dar, mit
Rectumteinperaturen von 38—39 oder 37—38. Sie war meist ganz
heiter und ohne Beschwerden, hatte nie Fröste, ab und zu Ziehen
in den Gliedern, an 3 Tagen flüchtige Schwellung in beiden
Knieen, etliche Tage Erscheinungen von Aphasie und rechtsseitige
Krämpfe, in der letzten Woche schwere Nephritis und dauernd
starken Milztumor.
Die Autopsie ergab ausser der ulcerösen Endo¬
carditis an der Mitralis vielfach blande oder haemor-
rhagisehe, nirgends vereiterte Infarkte ln Milz und Nieren,
schwere haemorrliagische Nephritis, vielfach Blutungen in anderen
Organen und umschriebene Encephalitis.
5. Die 43 jährige Fr. E. kam am 10. April 1900 zu uns und
starb am 13. April Früh. Sie war auf dem Transport in’s Kranken¬
haus von linksseitiger Lähmung betroffen, snli verfallen aus und
war völlig bewusstlos. Man erfuhr, dass sie am 20. Januar plötz¬
lich mit Schüttelfrost und Schmerzen im Leib erkrankt und 14 Tage
später von einem frühreifen Kinde entbunden war. Es hatten sich
mehrfach Schüttelfröste wieder eingestellt, bei denen die Tempera¬
tur selten höher als bis 39 stieg; meistens schwankten die Tempera¬
turen zwischen 37 und 38,5.
Da die Kranke ein lautes systolisches Spitzen-
geräusch und grossen fühlbaren Milz tu mor dnr-
!>ot. wurde sofort die Blutkultur angelegt. Es wuchsen
aus 20 ccm etwa 2000 Keime. Bel der Autopsie fand man
Embolie der Art. foss. Sylvii d. mit Erweichung des rechten
Schläfen- und Scheitellappens. Klare Flüssigkeit im Iler/.beutel.
Heber bohnengrosse, morsche, thrombotische
Auflagerungen an Mitralsegeln und Vorhofs¬
wand. grosser Milztumor mit haemorrhaglschen und nnaemisclien
Infarkten. Zahlreiche gleichartige in den Nieren. Auf allen
Schnitten durch die Embolie in Nieren, Milz und Hirn d lebt e
Massen zarter Streptococcen.
6. Der 47 jährige F. L. erkrankte nach einer Nachtfahrt von
Berlin nach Hamburg im März 1900 mit Hals- und Glieder¬
schmerzen. Er blieb 2 Tage zu Hause und machte dann, um die
milden Knochen etwas gelenkiger zu machen, 2 mal eine grössere
Radeltour von 30—50 km. Er erhofte sich aber nicht und fiel in
den nächsten Wochen seinen zahlreichen Freunden durch sein
schlechtes Aussehen derartig auf. dass sie ihm den Hausarzt zu-
ffihrten. Dieser fand bei der ersten Untersuchung am 29. März
ein diastolisches Geräusch am Brustbein und schlechteres Aus¬
sehen des vorher sehr urwüchsigen Kranken. Er empfahl grössere
Schonung. Im April hatte der Kranke einige Tage Schmerzen Im
linken Unterschenkel und in der Gegend des linken Schulterblattes,
auch schwitzte er häufiger des Nachts. Vom 2. bis
5. Juni war er zur Erholung in Helgoland, fühlte sich aber recht
elend und wurde von Woche zu Woche kraftloser. Er batte bis
dahin nie Fröste, wohl aber ganz vereinzelte Temperatur¬
erhöhungen bis 39 gehabt
Vom 20. Junibiszudemam 16. Augusterfolgten
Tode habe ich den Kranken häufiger mit dem Hausarzt gesehen:
er bot dauernd ein lautes diastolisches Aortenge¬
räusch und mächtigen Milztumor dar. Er klagte
ab lind zu über stärkere Beengung und zunehmende Kraftlosigkeit.
Die Temperaturen erreichten ln der ganzen Be¬
obacht ungs zeit nur 11 mal die Höbe von 39—39.5;
sie schwankten in der Regel zwischen 37,5—38.6. Niemals traten
Fröste ein und nur an einigen Tagen wurde über lebhafte, um¬
schriebene Schmerzen an der Tibia und am Aeromion geklagt,
zweimal traten kleine Embolien an Fingern und Zellen auf.
Leider durfte ich erst unmittelbar nach dom Tode Blut eut-
ru-hmen: es wuchsen kleine Streptococcen der oben be-
schrielienen Art. Die Autopsie ergab starke Zerstörungen der
hinteren Aortenklappe und mächtige, bröckelige, gelbe Auflage¬
rungen auf den übrigen, besonders der rechten Klappe. Die Auf¬
lagerungen setzen sich auf das Endocard des linken Ventrikels und
auf die Ventrikel fläche des Aortensegels der Mitralis fort. D i c
Milz mä chtig gross mit einem haemorrhaglschen
nnd einem vereiterten klelnwallnussgrosseu
Infarkt.
M. H.! Die angeführten Beispiele dürften genügen, um den
Beweis dafür zu erbringen, dass es eine chronisch v e r -
No. 29.
laufende septische Endocarditis gibt, die
nichts mit einem malignen Rheumatismus zu
thun hat, sondern durch die bekannten sep¬
tischen Krankheitserreger hervorgerufen
w i r d. Durch die Blutuntersuchung gelingt es, schon
im Leben diese Diagnose zu sichern. Das ist ein wesentlicher
Fortschritt gegen früher. Wir haben liei den chronischen Fällen
meist nur die Staphylo- und Streptococcen, 1 mal aber auch den
Pneunioeoceus gefunden, und der von uns genauer untersucht •.
durch Gonococcen erzeugte Fall dauerte ebenfalls bis zu
8V 2 Wochen.
Wir haben oben schon hervorgehoben, dass in manchen
Fällen, selbst bei mächtiger Entwicklung der Vegetationen das
Geräusch völlig fehlen kann.
Ich selbst habe dies bisher nur bei mehreren akuten Fällen
erlebt, bei denen uns erst die Autopsie die Gegenwart zum The.il
mächtiger thrombotischer Massen auf den zerstörten Klappen
vorführte.
Dass aber auch bei chronischem Verlauf das
H e r z g e r ä u s e h f e li 1 e n kann, hat mich die Mittheilung
eines Falles gelehrt, di»; ieli unserem verstorbenen Kollegen
l)r. B ii 1 a u verdanke.
Es handelte sieh um eine 30 jährige Apothekersfrau, die seit
einigen Monaten, bevor Dr. B. sie (am 19. Febr. 1894) sah, an
schwachem, remittlrendeiu Fieber und kurzem Husten ge¬
litten hatte. Sie sah blass aus. objectiv war ausser massigem,
feinem Katarrh RHU nichts nachweisbar. Die Kranke wurde
nach Montreux geschickt, blieb dort 8 Wochen und kehrte In viel
schlechterem Zustande zurück und klagte über Schmerzen im
ltüekon und ln den Beinen. Auf der Rückreise hatte sie Prof.
1 m m e r m a n n konsultirt, der eine dissemiuirte Tuberkulose dia-
gnostieirte. Am 9. Juli fand Dr. B. das Ilerz verbreitert, die
T ö n e schwach, aber rein. Ueber den Lungen nichts Abnormes.
Milz stark v e r g r ö s s e r t, den Ripjienbogen über 4 Finger¬
breite überragend. — Unter zunehmender Schwäche ging die
Kranke am 10. August zu Grunde.
Die Autopsie ergab an den A o r t a klappen des schlaffen und
erweiterten Herzens grosse Auflagerungen. Die hinter«* ist voll¬
ständig zerstört, durch warzige Massen ersetzt. Die linke und
rechte mit gelblichen Throinbusmassen bedeckt. In der Milz
mehrere kleine frischt*, in der r. Niere ältere Infarkte.
Ebenso wenig wie Dr. B ülau möchte ich daran zweifeln,
dass es sich hier um eine chronische septische Endocarditis ge¬
handelt hat. Monatelang fortbest eilende.« unregelmässiges Fieber,
Schmerzen in den Beinen, zunehmende Schwäche und grosser
Milztumor hatten ohne alle Erseheinung«*n von Seiten des Her¬
zens das Krankheitsbild beherrscht und die Autopsie ergab aus¬
schliesslich eine Kudocarditis ulcerösen Charakters.
Von klinischer Bedeutung ist, dass das Herzgeräuseh hier
während des monatelangen Verlaufs gefehlt hat, obwohl die
Autopsie beträchtliche Zerstörungen an den Klappen kennen
lehrte. Ganz ähnliche Verhältnisse hat üeubner beschrieben.
Tn seinem 2. Fall, der sieh Jahre hinzog. war erst sub finem
ein deutliches systolisches Geräusch an der Herzspitze zu hören,
obwohl die Autopsie uleeröse Endocarditis ergab. Allerdings
waren in diesem Falle nur unbeträchtliche Auflagerungen vor¬
handen.
M. IT.! Wenn meine bisherige Darstellung und die Deutung
unserer Fälle richtig ist, so wird man nothwendiger Weise vor die
Frage gestellt, ob es überhaupt eine maligne rheumatische Endo¬
carditis gibt. Ich möchte diese Frage bejahen, da wir in
2 Fällen, die einen ziemlich gleichartigen Verlauf wie die oben
I beschriebenen zeigten, weder aus dem lebenden und dem Leichen-
! blut, noch aus den Auflagerungen einen Coeeus im Ausstrich naeh-
! weisen oder züchten konnten, und weil die sorgfältigste IJnter-
j «Hebung der veränderten Klappen an zahlreichen Schnitten nicht
| die Spur von Ructcrieu ergeben hat. Aber zwei Fälle bedeuten
j nicht viel und können es m. E. noch nicht rechtfertigen, dass
; man mit Sicherheit eine maligne rheumatische Form der
j Endocarditis aufstellt.
Es erübrigt noch, auf einige Fragen kurz einzugehen.
| die sieh auf den Fieberverlauf bei den verschiedenen Mykosen
| und die Diagnose und Prognose der septischen Endocarditis he-
i ziehen. Bekanntlich hat man vielfach die Neigung gehabt, eine
I Strepto- und Staphylococcenkurve aufzustellen. Für nicht we-
J nige Fälle trifft es wohl zu, dass bei der Strcptocoeeen-Endo-
i enrditis der intennittirende. hei der Staphylomykose der mehr
kontinuirlichc Fiebertypus vorherrscht. Die Ausnahmen sind
al>er so zahlreich, dass man jener Lehre doch keine vollgiltige
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29.
Berechtigung zuspreehcn kann. Bei der oben erwähnten Staphylo*
eoccen-Endooarditis des Studenten beobachteten wir monatelang
das schönste intermittirende Fieber und bei mancher akuten
Streptocooeensep.-is eine echte Continua. Bei unseren Pneuino-
coecen- und Gonocoeeenfällen endlich herrschte der unregel¬
mässige, hoch intermittirende und remittirende Fiebertypus vor.
Die Diagnose der septischen Endoearditis ist mit einiger
Sicherheit nur dann zu stellen, wenn man ein deutliches
Herzgeräusch hört. Ist dies vorhanden, so wird man bei gleich¬
zeitigen Fieber- und sonstigen Allgemeinerscheinungen um so
mehr an die septische Klapi>cnerkrankung denken müssen, wenn
ein deutlich fühlbarer Milztumor besteht. In den akuten Fällen*
sind oft noch andere septische Krankheitsherde nachweisbar:
Panophthalmie, Gelenk- und Muskeleiterungen, Haut- und Netz¬
hautblutungen u. s. f. Bei den chronischen Fällen kommt ausser
dem Herzgeräuseh vor Allem die Blässe, Kraftlosigkeit, Reissen
und der fast stets vorhandene Milztumor in Betracht. F ii r d i e
Deutung beider Formen ist aber die bacterio-
logische Blutuntersuchung mit aiu wichtig¬
sten. Ihr Werth ist oben einwandfrei erwiesen.
Wenn von 38 Fällen nur 4 mit dem Leben davonkommen,
so ergibt sich von selbst, wie ernst die Proguo ae zu stellen
ist. Immerhin lehrt die Thatsache, dass ich ausser dem oben er¬
wähnten Falle von gonorrhoischer Endoearditis 3 andere Kranke
gesunden sah, dass man die Hoffnung nicht verlieren darf. Der
eine dieser Kranken wurde in 10 wöchentlicher Krankheit von
6—7, der andere von 35 Schüttelfrösten in der gleichen Zeit be¬
fallen, der dritte hatte 65 Schüttelfröste in 5 Monate langer
Krankheit überstanden und fast tägliche Temperaturanstn*ge bis
40 und 40,5® C.
Recht deprimirend wirkt die Beobachtung jener Fälle, aus
deren Reihe oben einige Beispiele mitgotheilt. worden sind. Wenn
man einen Kranken nach dem andern zu Grunde gehen sieht,
obwohl die Temperaturen wochenlang nur milde auftreten und
die Kranken selbst nur wenig leiden, so wird einem die Ohnmacht
der ärztlichen Kunst solchen Fällen gegenüber hart zu Gemüthe
geführt. Und cs ist besonders zu betonen, dass die Kranken fast
durchweg verloren sind, obwohl wir mit ihren verderblichen
Krankhcit-kcimcn (dem Streptococcus parvus oder gracilis)
Mäuse und Kaninchen kaum vernichten können. Hoffen wir,
dass wir auch hier dem schönen Ziele unseres Berufes näher
kommen, zu helfen und zu heilen.
Bis jetzt ivt es wie gesagt mit der Therapie sehr übel
bestellt. Ein specifisches Mittel steht uns gegen die verschiedenen
Coccen noch nicht zur Verfügung. Insbesondere muss ich be¬
tonen, dass uns das M a r m o r e k’sche Serum in allen Fällen,
wo es sich um Infektionen durch den gewöhnlichen Streptococcus
handelte, nicht nur völlig im Stich gelassen, sondern nur eine
Verschlechterung der Kranken herbeigeführt hat. Gleichwohl
wird es unsere Aufgabe sein, ein wirksames Heilserum zu er¬
forschen. So lange uns dies noch nicht geboten werden kann,
sind wir darauf angewiesen, rein symptomatisch zu verfahren
und vor Allem bestrebt zu sein, das Herz und die Gesammt-
konstitution möglichst bei Kräften zu erhalten. Von inneren
Mitteln, wio Phenacetin, Salicyl, Antipyrin und Chinin sahen
wir keinen Erfolg.
Literatur.
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(.'es. Abhandlungen. — 3. Helberg: Virch. Arch. 1869. 56. Bd. —
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und 29. Vcrhamll. d. Kongr. f. Inn. Med. 1900. - 14. Slttmann:
Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1894. 53. Bd. -- 15. O. Fraentzel:
Vorlesungen über d. Krankheiten d. Herzens. 1889. -- 16. llcub-
ner: Deutsch. Arch. f. klin. Med. 181*9. Bd. 64. -- 17. Loeb:
Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1900. Bd. 65. —. 18. Bozzolo: Rl-
fonn. medical. 1889. — 19. Singer: Berl. klin. Wochensehr. 1899.
No. 33. — 20. Wassermann: Eilend». No. 29.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Privatkrankenanstalten.
Von Dr. jur. Biberfeld in Hamburg.
Unter einer Privatkrankenanstalt versteht man eine Einrich¬
tung. welche zum Zweck hat. Kranken neben der ärztlichen Be¬
handlung zugleich auch die erforderliche Verpflegung und Beher¬
bergung zu gewähren 01> die Art, ln welcher der Kranke Obdach
und Beköstigung empfängt, von bestimmten medlelidsehen Ge¬
sichtspunkten aus geregelt Ist, so dass auch sie das Heilverfahren
fördern soll, oder ob derartige Rücksichten nicht obwalten, ist un¬
erheblich, dagegen wird das Schwergewicht gerade darauf gelegt,
dass der Kranke ln der Anstalt zugleich ein Unterkommen linde,
mithin vor allen Dingen dort des Nachts schlafe. So lange gerade
dieses Moment nicht gegcl>en ist, kann auch von einer Privat¬
krankenanstalt im Sinne des Gesetzes nicht die Rede sein. An¬
dererseits wird das Vorhandensein einer solchen dadurch nicht auf¬
gehoben, dass Wohnung und Verpflegung von einer anderen Person
alH dem l>ehandelnden Arzte gereicht wird, wofern nur zwischen
Beiden eine Uebereinstlmnnmg besteht, wonach die Patienten des
Arztes bei jenem Dritten Aufnahme linden. Die Sache ist daun
so anzusehen, wie wenn Beide, der Arzt und der Dritte, gemein¬
schaftlich die Privatkraukeuaustalt betreilieu würden. Auf eine
Stufe mit. den Privatkrankenanstalten finden wir in § 30 der
Gew.-O. die Privat-Entbindungs- und die Privat-lrrenanstalteu
gestellt. Der Unterschied zwischen dies«*» drei Unternehmen
liegt klar zu Tage: Die Privatkrankenanstalt bezweckt die Besei¬
tigung körperlicher Leiden oder, wo eine solche nicht möglich ist,
doch thunlicbst die Milderung dersell>en. Bel der Entbindungs¬
anstalt dagegen kommt es lediglich darauf au, einer Frauens¬
person diejenige ärztliche Behandlung und zugleich auch Ver¬
pflegung augedeihen zu lassen, welche durch ihre Niederkunft
und die Folgen derselben geboten erscheinen. Bei eiuer Privatlrren-
nnstalt endlich gehört die Verfolgung von Heilzwecken nicht zum
Wesen der Sache, es ist vielmehr sehr wohl denkbar, dass das Be¬
streben hierbei lediglich darauf gerichtet wird, den Kranken für
die Allgemeinheit unschädlich zu machen oder doeli die Wartung
und Verpflegung desselben Angesichts der dntnit verbundenen
Schwierigkeiten und sonstigen Unzuträglichkelten den Angehörigen
abzunehmen.
Gemeinschaftlich aber ist allen drei Arten von Unterneh¬
mungen zunächst, dass sie concessionsp flieh tig sind.
Grundsätzlich besteht ein Anspruch für den Unternehmer darauf,
«lass ihm diese behördliche Genehmigung, die von der höheren
Verwaltungsbehörde ausgehen muss, ertheilt werde, wofern nicht
besondere Umstände vorliegen, welche die Verweigerung als ge¬
rechtfertigt erscheinen lassen. Diese Versagungsgründe sind im
Gesetze selbst erschöpfend normirt. Nicht erforderlich ist. dass
der Unternehmer eine approbirte Medieinalpersou. also ein Arzt,
sei, wie denn ja auch äusserst zahlreiche derartige Anstalten von
Laien, oft auch ohne Zuziehung eines Arztes, geleitet werden.
Dagegen verlangt das Gesetz, dass der Unternehmer In Beziehung
auf die Leitung oder Verwaltung der Austalt zuverlässig
sei. indess ist das Vorhandensein dieser Eigenschaft zu seinen
Gunsten so lange anzuuehraen, als nicht „Thatsachen“ vorliegen,
welche seine Unzuverlässigkeit darthun. Die maassgebende Praxis
hat nun diesen Begriff der Unzuverlässigkeit ausserordentlich weit
ausgedehnt und sie erblickt wohl auch mit vollem Rechte Anhalts¬
punkte für das Fehlen dieser Voraussetzung In Beziehungen, die
mit dem Heilverfahren nicht das Mindeste zu thun haben. So
z. B. wurde ein Antrag abschlägig lieschieden. weil der Coneessions-
sucher, ein Kurpfuscher, mehrfach unter der Anschuldigung der
Kuppelei gestanden hatte und nur aus formalen Gründen frei¬
gesprochen worden war. Nicht minder auch Ist als hinlänglicher
Ablebnungsgrund angesehen worden, dass ein Unternehmer wegen
Abtreibung der Leibesfrucht vorbestraft war, und wiederum in
einem anderen Falle, weil er in gröblicher Weise alR Kurpfuscher
durch die Anpreisung seiner Heilmittel und die falsche Vorspiege¬
lung von angeblich überraschenden Heilerfolgen sieh des Betruges
schuldig gemacht hatte. Dass der Inhalier einer Heilanstalt diese
sell)8t leite, wird nicht verlangt, es genügt wenn er das Heilver¬
fahren in kundige Hände legt, und endlich reicht es auch sogar
aus, wenn er zu diesem Zwecke sich eines Kurpfuschers bedient.
Nur wo es sich um eine Privatentbindungsanstalt bandelt, verlangt
das Gesetz, dass die zur Leitung berufene Hebamme im Besitze
„eines Prtifungszeugnlsses der nach den Landesgesetzen zustän¬
digen Behörde“ sei. Eine Hebamme also, die dies Zeuguiss nicht
erworben hat oder die es nachträglich wegen ihrer Unzuverlässig¬
keit u. dergl. wieder verloren hat, erscheint gesetzlich von vorn¬
herein als ungeeignet zur Erlangung der Coucession. Die Ableh¬
nung darf al>er niemals gestützt werden auf eine blosse „Besorg-
niss“, sondern es müssen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des
Gesetzes „Thatsachen“ vorliegen. Ganz allgemein äussert sich in
dieser Beziehung ein Urtheil des preussiseheu Oberverwaltungs-
geriehts vom 12. Mai 188U, woselbst es heisst: „Kann dem Antrag¬
steller nachgewiesen werden, dass er bei anderen Gelegenheiten
dem Gesetze ungehorsam gewesen und die zum Schutze der öffent¬
lichen Interessen von den Behörden getroff« uen Anordnungen
ausser Acht gelassen hat, so fehlt eine genügende Gewähr dafür,
dass er sich nicht aucli bei dem beabsichtigten Gewerbebetriebe
eines ähnlichen, das öffentliche Wohl gefährdenden Verhaltens
schuldig machen werde". Natürlich Ist nicht nflthlg, dass dleseThat-
sache, welche auf die Annahme der Unzuverlässigkeit gestützt
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16. Juli 1901.
MURNCHENFR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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wird, den Charakter einer strafbaren Handlung besitze, es wurde
demnach ln Baden zutreffend ein abweisender Bescheid auf ein
Conce8sionsge8nch desshalb als gerechtfertigt erachtet, weil der
Antragsteller kurz vorher seines Postens als Assistent eines Kli¬
nikers wegen gröblicher Nachlässigkeit enthoben worden war,
nicht minder auch hat das k. sächsische Ministerium des Innern
durch Erlass vom 22. Januar 1889 aus der Art der Krankenunter¬
suchung und des Heilverfahrens, wie sie hinsichtlich eines Unter¬
nehmers festgestellt worden war, auf den völligen Mangel ärztlicher
Fachbildung und Zuverlässigkeit geschlossen.
Hie Voraussetzung der sittlichen und Intellektuellen Zuver¬
lässigkeit des Unternehmers ist aber das einzige persönliche
Moment. An dieses reiht unser Gesetzestext (§ 30 der Gew.-O.)
weitere Erfordernisse, die im allgemeinen Interesse aufgestellt
sind, um dadurch die Gewähr zu schaffen, dass die Kranken in
geeigneten Räumen untergebracht werden und dass durch den Be¬
trieb der Anstalt keine Gefahr für das gemeine Wohl entstehe.
Auf diese Erwägung ist es zurückzuführen, wenn das (Jesetz an¬
ordnet. dass die Concession zu versagen sei,
„wenn nach den von dem Unternehmer einzureichenden Be-
sclireibungen und Plänen die baulichen uud sonstigen tech¬
nischen Einrichtungen der Anstalt den gesundheitspolizeilichi n
Anforderungen nicht entsprechen“.
Es ergibt sich aus der Fassung des Wortlautes demnach die Mög-
keit, dass eine Concession auf den Betrieb einer Krankenanstalt
schon erthellt werden kann, bevor die entsprechenden Baulichkeiten
selbst aufgeführt sind; die Entscheidung erfolgt alsdann lediglich
auf Grund der vorgelegten Zeichnungen, selbstverständlich aber
unter der Voraussetzung, dass die Räumlichkeiten selbst in keiner
Beziehung von diesen Plänen und Beschreibungen nbweieben.
In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Verfahren zur Erthellnng
einer Concession für solche Anstalten erheblich zum Vortheil des
Antragstellers von demjenigen Verfahren, in welchem die Geneh¬
migung zum Wirthschaftsbetrleb erstrebt wird. Wenn das (Jesetz
von baulichen und technischen Einrichtungen spricht, so ist dieser
Ausdruck nach der übereinstimmenden Auffassung der Recht¬
sprechung als zu eng gefasst anzusehen, uud desshalb hat die Be
hörde auch die örtliche Lage der Anstalt zu prüfen und sie versagt
die Genehmigung danu z. B., wenn der Grund uud Boden, auf
welchem das Anstaltsgebäude errichtet werden soll bezw. sich
schon befindet, von sanitärem Standpunkte aus zu Bedenken Anlass
bietet. Ebenso bildet es einen Versagungsgrund, wenn In der Nach¬
barschaft sich gewerbliche Anlagen lieflnden, welche nachtbeilig
auf die hygienische Beschaffenheit der Anstalt und anf sonst
maassgel>ende Momente elnznwirken vermögen, wie etwa ein
grosses Hammerwerk oder eine chemische Fabrik.
Soll die Anstalt nicht in einem eigens diesem Zweck dienenden
(lebäode untergebracht werden, sondern in einem Mietlishause, in
welchem auch andere Personen wohnen, die zu der Anstalt selbst
in keinerlei Beziehung stehen, so muss die Gewähr dafür vor-
hai'den sein, dass dnreh den Betrieb der Anstalt für die Mit¬
bewohner dieses Hauses keine erhebliche Nachthelle oder Gefahren
liervorgenifen werden können. Man beachte hier aber wohl, dass
«las (Jesetz nur „erhebliche Nachtheile oder Gefahren“ berück¬
sichtigt wissen will, Unbequemlichkeiten irgend welcher sonstiger
Art. oder auch nur geringe Gefahren und Nachtheile können
demnach den Ansschlag nicht geben. Wenn also z. B. eine Schank-
eoneesskH» desshalb unter Umständen nicht erthellt wird, weil das
für de;* Betrieb in Aussicht genommene Gebände in unmittelbarer
Nähe vor öffentlichen Anstalten sich befindet, für die eine solche
Nachbarschaft nicht angemessen erscheint, wie etwa die Nähe von
«Jerlelitegebänden, von Kirchen n. dergl., so kann von einem solchen
Versagungsgründe in Ansehung der hier in Rede stellenden Unter¬
nehme:! nicht die Rede sein. Es kommen auch hier wenigstens
nicht in Betracht die Interessen der in den angrenzenden oder
gegenüber hegenden Häusern wohnenden Personen, sondern ledig¬
lich die Mitbewohner des Gebäudes selbst.
Auf weitere Kreise wird nur danu Rücksicht genommen,
„wenn die Anstalt zur Aufnahme von Personen mit an¬
steckenden Krankheiten oder von Geisteskranken bestimmt ist
nnd durch ihn* örtliche Lage für die Besitzer oder Bewohner
der liennebbnrtea Grundstücke erhebliche Nachtheile oder Ge¬
fahren hervorrufen kann".
Solchen Besorgnissen kann begegnet werden durch den Nach¬
weis. dass die erforderlichen Vorkehrungen getroffen worden
seien, um schädliche Einwirkungen oder gar Gefahren von Erb¬
lichkeit anszuschllessen. Auch hier bleiben unerhebliche Nach-
theHe nnd Gefahren, vor allen Dingen aber blosse Unannehmlich¬
keiten ohne Einfluss auf die Entscheidung.
Ob nach der einen oder anderen Beziehung ein hinlänglicher
Ablehnung*grund gegeben sei, entscheidet die Behörde nach
freiem Ermessen; sie ist aber angewiesen, so weit es sich um
Punkte handelt, die das Interesse der In demselben Hause oder in
der Nachbarschaft wohnenden Personen wahrnehmen sollen, vor
der Entscheidnng die Orts-Polizei- und Gemeindebehörde zu hören.
Gebunden ist die zuständige Stelle an die Auslassung dieser Organe
nicht, einer Erklärung derselben kommt daher lediglich der Werth
eines Gutachtens zu.
Schliesslich sei noch in diesem Zusammenhänge hervorgehoben,
«lass dte Bedflrfnissfrage nicht zu erörtern ist, die behördliche Ge¬
nehmigung darf also nicht desshalb versagt werden, weil bereits
eine ausreichend grosse Anzahl von Anstalten ähnlicher Art vor¬
handen sei. während, wie man welss, dies Moment gerade für die
Ertheitang von Wirthschaftsconcessionen häufig ausschlaggebend
ist. Endlich erwähnt das Gesetz auch nicht, dass der Unternehmer
den Besitz ausreichender Mittel uachweisen müsse, wie dies ge¬
fordert wird, wenn einem Concessi« usgesuche zur Errichtung einer
Bühne u. dergl. entsprochen werden soll. Dass al>er zerrüttete
VermögensYerhältnisse oder notorisch völlige Mittellosigkeit unter
Umständen auch als Thatsache gelten kann, aus welcher die Un¬
zuverlässigkeit des Unternehmers in Bezug auf die Leitung der
Ai.stnlt gefolgert zu werden vermag, darf als selbstverständlich
angesehen werden.
II.
Von einem völlig verschiedenen Standpunkte aus sind Privatanstal¬
ten der hier in Frage kommenden Art zu betrachten auf Grund des
neuen Handelsgesetzbuches. Der Inhaber einer solchen Anstalt
kann nämlich unter gewissen Voraussetzungen seit dem Inkraft¬
treten des neuen Handelsgesetzbuches die Eigenschaft als Kauf¬
mann erlangen und demgemäss verpflichtet sein, als Kaufmann
seine Firma eintragen zu lassen. Es heisst nämlich In § 2 a. a. ().:
„Ein gewerbliches Unternehmen, das nach Art und Umfang
einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb
erfordert, gilt . . . als Handelsgewerbe im Sinne dieses Ge¬
setzbuches, sofern die Firma des Unternehmers in das Handels¬
register eingetragen worden ist. Der Unternehmer ist ver¬
pflichtet, die Eintragung nacli den für die Eintragung kauf¬
männischer Finnen geltenden Vorschriften herbeiznführen.“
Der Sinn dieser Gesettfesstelle ist demnach folgender: So bald
eine Privatkraukeuanstalt u. dergl. nach Art uud Umfang wie ein
kaufmännischer Betrieb eingerichtet ist, muss der Inhaber dieses
sein Unternehmen in das Firmenregister eintragen lassen, und
durch diesen Akt der Eintragung erwirbt er die Eigenschaft als
VoUkaufmann. Wann aber sind die Voraussetzungen für die Ein¬
tragungspflicht selbst gegeben? Das Gesetz stellt hier zwei Er¬
fordernisse auf. an deren Vorhandensein es seine Anwendbarkeit
knüpft: Der Betrieb der Anstalt muss einmal nach seiner A r t.
sodann aber nach seinem Umfange nach denselben Gesichts¬
punkten geregelt sein, wie ein kaufmännisches Unternehmen. Was
zunächst den Umfang anlangt, so ist hierüber sehr wenig zu sagen:
Eine ganz kleine Anstalt, die von Haus aus nur darauf berechnet
ist, eine sehr beschränkte Anzahl von Personen, vielleicht nur zwei
oder drei Patienten, gleichzeitig anzunehnien, scheidet eben wegen
ihres geringen Umfanges von vornherein aus dem Kreise der
eintragspflichtigen Unternehmen aus, wenn sie auch seihst ln den
bescheidensten Dimensionen concessionsbedürftig bleibt. ganz
ebenso, wie ein ln so beschränkten Grenzen geführter kauf¬
männischer Betrieb nicht unter die Norm des Handelsgesetzbuches
fällt Aber auch die Art des Betriebes muss die kaufmännische
Signatur tragen. Wesentlich für jedes kaufmännische Unter
nehmen ist die Entfaltung eines Creditsystems, d. h. die Hinzu¬
ziehung und Nutzbarmachung fremder Mittel zur Fortführung des
Unternehmens. Natürlich ist hierbei nicht daran zu denken, dass
Kaufmann nur derjenige Inhaber einer Krankenanstalt sei, der die
Mittel für seine Unternehmungen sich ganz oder zum Theil ander¬
weitig verschafft hat, sondern das. was das Gesetz meint, gehl
dahin, dass zur Veranschaulichung bezw. zur Flxirung der Ver¬
bindlichkeiten und Ansprüche, die sich aus dem Geschäftsbetriebe
ergeben, also um das Debet lind Credit in Ordnung zu halten, eine
regelmässige und systematische Buchführung gehandhabt werde.
Es gehören hierher alle diejenigen Einrichtungen, welche das Kauf¬
mannsgewerbe herausgebildet hat zur Erzielung von Ordnung und
Ueherslclit, um alle bei dem Betriebe beteiligten Personen, die
Hilfskräfte und den Unternehmer selbst und damit auch seine
Gläubiger vor denjenigen Nachtheilen zu schützen, welche die
mangelnde Ordnung und Uebersichtllchkelt in Gefolge haben kann.
Zu diesen Einrichtungen gehört nicht nur die bereits erwähnte
Führung von Büchern, sondern auch die Aufbewahrung der ein¬
gehenden, die Coplrung der ausgehenden Briefe, die Sonderung der
einzelnen Betriebszweige u. dergl. Wesentlich wird demnach z. B.
u. a. das Vorhandensein eines grösseren Wartepersonals sein, sowie
die Entfaltung einer gewissen acquisitntorlschen Thiltigkeit zur
Heranziehung neuer Patienten, als etwa im Wege öffentlicher
Anzeigeu u. s. w. Entscheidend ist auch das Prineip der Arbeits¬
teilung: So lange der Unternehmer in seiner Person den kauf¬
männischen und zugleich den ärztlichen Leiter darstellt, so lange
er in beiden Beziehungen keinerlei Hilfskräfte bedarf zur Be¬
wältigung der ihm gestellten Aufgabe, auch mit einem ganz gering¬
fügigen Wartepersonal anskonnnt, wofür vielleicht lediglich die
in seinem Familienkreise vorhandenen Arbeitskräfte ihm genügen,
so lange ist selbstverständlich von einem kaufmännischen Betriebe
nicht die Rede. Die nöhe des Gewinns wiederum kann den Aus¬
schlag nicht geben, es ist denkbar, dass Jemand nur sein- wenige
Patienten anf nimmt, von denen oder für die er aber, sei es wegen
ihres hohen Standes oder sonst aus einem Grunde ausserordentlich
grosse Honorare bezieht, während der Betrieb selbst sich ausser¬
ordentlich einfach abwickelt. Unerlässlich endlich aber ist die
Absicht auf die Erzielung von Gewinn; wenn Jemand eine Privat¬
krankenanstalt begründet, nur in der Absicht, um sich Material
für seine wissenschaftlichen Forschungen zu beschaffen, so kann
dies niemals als ein Unternehmen angesehen werden, das nach den
Regeln eines kaufmännischen Betriebes zu beurtliellen wäre.
Treffen aber die hier angeführten Voraussetzungen zu, so entsteht
für den Unternehmer die Verpflichtung, die Anstalt in das Firmen¬
register eintragen zu lassen, uud das (Jericht hat die Macht, ihn
durch Ordnungsstrafen zur Erfüllung dieser Pflicht an/.ulialten.
Besitzt das Unternehmen nun zwar die Eigenschaft eines kauf¬
männischen Betriebes, Ist aber die Eintragung unterbllelwn. so
ist der Inhaber auch noch nicht Kaufmann geworden. Der Akt
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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 20.
de? Eintragung selbst begründet für ihn erat diese Eigenschaft
mit allen ihren rechtlichen Consequeuzen. Zu diesen gehört vor
allen ] »lugen die Pflicht der geordneten B u c h f ii h r -
u n g. Mag sich dieselbe auch schon vorher als ein thatsiichliches
Bedürfnis» erwiesen halten, so zwingt das tJesetz jetzt den l'nter-
,’hiuer, diesem Bedürfnisse in ausreichender und gehöriger Weise
zu entsprechen. Der Inhaber einer in das Firmenregister ein¬
getragenen Anstalt hat demnach nicht nur über Soll und Haben in
einer Welse Buch zu führen, die einen Ueberblick Uber seine je¬
weilige Vermögenslage gestattet, sondern er muss auch jedes Jahr
eine Bilanz ziehen, er muss die eingehenden Briefe aufbewahren,
• Ile abgehenden kopiren und er unterliegt, wenn er dies unterlässt,
im Falle eines Zusammenbruches seines Vermögens den in der
CoLcursorduung hierfür angedrohten Strafen. Es ergeben sieh
aber aus der Kaufmannsqualität noch weitere und wichtige liechl.s-
wirkungen. Die Sonderstellung eines Kaufmanns im Rechte führt
es mit sich, dass Willenserklärungen, die dieser abgibt, ihre ver¬
bindliche Kraft erlangen, auch ohne dass die sonst für Rechts¬
geschäfte derselben Art bestehenden Form Vorschriften erfüllt
worden wären. Dies gilt namentlich für die Leistung von Bürg¬
schaften, für die Abgabe eines Sclmldanerkenntnisses und eines
Schuldversprechens, wobei natürlich immer vorausgesetzt werden
muss, dass derartige Verbindlichkeiten eingegangen worden sind
im Zusammenhänge mit dein Geschäftsbetriebe. Da aber stellt das
Handelsgesetzbuch eine allgemeine Vermuthimg dahin auf, «lass im
Zweifel jedes Rechtsgeschäft, das ein Kaufmann eingeht, anzu¬
sehen ist als im Betrieb eines Gewerbes erfolgt. Die Consequenz,
die hieraus sich ergibt, veranschaulicht sich an Rügendem Beispiel:
Nehmen wir an, der praktische Arzt A. besitze eine Privatkranken-
anstalt, und es sei dies Unternehmen in das Firmenregister ein¬
getragen worden. Er leiste nun für einen Dritten Bürgschaft und
erkläre die Ucbernahme derselben lediglich mündlich, während im
allgemeinen bürgerlichen Verkehr die Bürgschaftsleistung gütiger
Weise schriftlich erfolgen muss. Wird er nun hieraus in Anspruch
genommen, so muss er gegen sich die Vermuthung gelten lassen,
dass er in seiner Eigenschaft als Kaufmann gebürgt hübe, so dass
also dieser Akt, trotz des Mangels au Schriftlichkeit, ihn zur
Zahlung verpflichtet, und es ist seine Aufgabe, im Processe den
Richter davon zu überzeugen, dass jene Bürgschaftsleistung von
Ihm ohne Zusammenhang mit seinem Geschäftsbetriebe erfolgt sei,
etwa lediglich aus Gefälligkeit gegen einen nahen Verwandten,
einen Studienfreund u. dergl. Abschlüsse ferner, die unter «len ge¬
gebenen Voraussetzungen der Inhaber einer Anstalt mit sciuen
Lieferanten macht, stellen sieh rechtlich als zweiseitiges
Handelsgeschäft dar. Es ergibt sich daraus zunächst, «lass
aus solchen Geschäften der Anstaltsunternehmer, wenn er mit der
Erfüllung seiner Verbindlichkeiten in Verzug geräth, Verzugszinsen
nach dem handelsrechtlichen Satze, also in Höhe von 5 Proc., und
nicht nach dem allgemeinen bürgerlichen, der nur 4 Proc. beträgt,
zu zahlen hat. Weit wichtiger und häutiger aber wird Folgendes
dabei praktisch: Wenn Jemand im bürgerlichen Verkehr etwas
kauft, so bleibt ihm eine Frist von t> Monaten, um innerhalb der¬
selben mit Erfolg die mangelhafte Beschaffenheit des ihm vom Ver¬
käufer gelieferten Gegenstandes zu rügen und hierauf die vom Ge¬
setz ihm eingeräumten Ansprüche zu gründen. Wenn jedoch ein
zweiseitiges Handelsgeschäft vorliegt so muss «ler Käufer zur Er¬
haltung dieser Ansprüche den Kaufgegenstand sofort nach Em¬
pfang desselben prüfen und ebenso unverzüglich dem Verkäufer
Anzeige von etwa vorhandenen Mängeln machen, sonst gilt die
Waare, mag sie auch völlig unbrauchbar sein, «hmnocli als ge¬
nehmigt. Mau denke sieb den Fall, dass der Inhaber einer Kranken¬
anstalt für die Zwecke derselben ein grösseres Quantum Wein
gekauft hat. Sobald die betreffenden Fässer «Hier Flaschen bei
ihm eingelien, hat er sie unverzüglich auf ilire ordnungsmässige
Beschaffenheit hin zu untersuchen und wenn sieh Fehler in dieser
Hinsicht heraussteilen, so muss «*r «li«*s ohne jede Säumnis» zur
Kenntnis» des Verkäufers bringen. Würde er hierbei auch nur um
einen Tag in Verzug geratben, so würde die Waare als von ihm
genehmigt gelten, und wenn sie noch so ininderwerthig wäre, so
müsste er dennoch den vollen vereinbarten Preis dafür bezahlen.
Wäre aber die Bestellung erfolgt für seinen Privatbedarf, hätte er
als«» den Wein gi'kauft, um ihn in seinem Hausstande zu ver¬
wenden, so würde er in dieser Beziehung nach den Regi'lii des
Bürgerlichen Gesetzbuches zu beurtheilen s«ün; er könnte also
innerhalb von 0 Monaten nach Empfang des Weines denselben zur
Verfügung des Verkäufers stellen oder mit Rücksicht auf die
mimlerwerthige Beschaffenheit des Weines eine angtnncsscnc
Herabsetzung «les Kaufpreises erwirken, oder endlich unter Rück¬
gabe der mangelhaften Waare die Nachlieferung einer ein wands¬
freien verlangen. Auch hier greift jene gesetzliche Vermuthung
Platz, und es wird demnach Im Zweifel angenommen, dass Be¬
stellungen, die «ler mit Kaufmauusqunlität ausgestattete Inhaber
einer Krankenanstalt macht, im Zusammenhang mit diesem seinem
Geschäftsbetriebe geschehen seien. Will also, um das eben ge¬
wählte Beispiel anzuknüpfen. der Käufer deu Wein wegen mangel¬
hafter Beschaffenheit desselben zur Verfügung des Verkäufers
stellen, obwohl er die Untersuchung und Mangelanzeige nicht so¬
fort nach Empfang der Waare vorgenommen hat. so kann er «lies
nur dauu erreichen, wenn er nachweist, dass der Wein nicht in der
Anstalt verwendet werden sollte, sondern für die private Haus¬
haltung bestimmt war.
III.
Endlich ist noch eine dritte Frage hier zu erörtern, nämlich
die Haftung des Inhabers einer Anstalt für
Schäden, die seine Angestellten einem Patienten
«Hier sonst einer dritten Person zugefügt haben. Was
diesen Punkt anlangt, so bleibt es hierin.»! völlig unerheblich, ob die
Anstalt in «las Firmenregister eingetragen worden ist, «»der nicht,
ja, es bleibt auch ohne Einfluss auf die rechtliche Beurtheiluug.
ob der Unternehmer im Besitze der behördlichen Genehmigung is:
oder ob er derselben entbehrt. Maassgebend ist die Bestimmung
des § 831 B.G.B., wo ungeordnet wird:
„Wer einen Anderen zu einer Leistung bestellt, ist zum Er¬
sätze des Schadens verpflichtet, den der Andere in Ausführung
der Verrichtung einem Anderen widerrechtlich zufügt. l»i«-
Ersatzpflicht tritt nicht ein. wenn der Geschäftsherr bei der
Auswahl der bestellten Personen und, s«>fern er Vorrichtungen
oder Geräthsehafteu zu besehaffen oder die Ausführung der Ver¬
richtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder Leitung die
im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der
Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein
würde."
Die in dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze gelangen im
Wesentlichen auch zur Anwendung, wenn es sieh um die strafrecht¬
liche Verantwortlichkeit «les Leiters einer Austalt für eine Körper¬
verletzung handelt, die ein Patient durch das Verhalten eines An-
staltsheamten erlitten hat. Gleichviel also, ob in Frage kommt ein
Anspruch auf Ersatz für eine Vermogensbeschädigung, die aut
ein Versehen eines Angestellten zurückzuführen ist, oder ob der
Staat strufgeriehtlich dieserhalb eiusehreiteu will, immer wird der
Leiter der Anstalt grundsätzlich zur Verantwortung herangezogen.
Zu seiner Verthekiiguug jedoch gestattet ihm das Gesetz den Nach¬
weis, dass er bei der Auswahl seines Hilfspersonals mit der erfor¬
derlichen Sorgfalt zu Werke gegangen sei. Der Gegner braucht
als«» nicht «larzutliun, dass «len von ihm in Anspruch Genommenen
«ler Vorwurf einer sogenannten culpa in eligendo treffe, sondern
«Ile Beweislast ruht hier auf dem Beklagten, der seinerseits deu
Richter davon zu überzeugen haben wird, dass hinsichtlich seiner
Fähigkeiten sowohl wie seiner Zuverlässigkeit das Personal be¬
rechtigten Anforderungen genüge bezw. dass er ohne eigenes Ver¬
schulden einen Mangel in dieser Hinsicht nicht zu erkennen ver¬
mocht habe. Ob im gegebenen Falle dieser Nachweis als erbracht
anzusebeu sei, ist natürlich Thalfrage, d. h. die Entscheidung hie¬
rüber hängt stets von den konkreten Umständen ab. Handelte es
sieli beispielsweise um das Versehen eines Assistenten, so wird
der mit der Klage angegriffene Anstaltsleiter mit Erfolg sieh
darauf berufen können, «lass jener eine approbirte Medicinalperson
sei, schon längere Zeit als Assistent seinen Beruf ausübe und si«-li
bisher stets als zuverlässig erwiesen habe. Würde sein Gehilfe
«lie wissenschaftliche Vorbildung nicht abgeschlossen haben oder
noch nicht über eine hinreichende Erfahrung verfügen und wäre
ihm dennoch in einem schwierigen Falle die selbständige Behand¬
lung des Kranken anvertraut worden, so könnte sieh den hieraus
entstehenden Folgen der Leiter der Anstalt natürlich nicht ent¬
ziehen, denn is wäre alsdann seine Sache gewesen, jede einzelne
Handlung und Muassnulime seines Untergebenen zu überwachen
und die Ausführung von seiner vorher einzuholenden Genehmigung
abhängig zu machen. Analoge Gesichtspunkte sind festzuhalten
in Bezug auf das Wärterpersonal. Hat ein Angestellter dieser
Kategorie z. B. ein Versehen begangen im Zustande der Trunken¬
heit, so muss der Leiter der Anstalt, um der Klage mit Erfolg zu
begegnen, nach weisen, dass er Veranlassung hatte, den betreffenden
Beamten als einen nüchternen Mann anzusehen, und dass er strenge.
Vorschriften erlassen habe, durch deren Befolgung solche Vor¬
kommnisse ausgeschlossen werden sollten, und endlich auch, dass
es an der uöthigen Kontrole über die Wärter auch in dieser Hin¬
sicht nicht gefehlt habe. Das Gesetz macht aber die an der Spitze
einer solchen Anstalt stehende Fersou nicht nur verantwortlich
für das Verhalten der Angestellten, sondern sie muss auch auf-
konuueu für solche Schäden, die zurückzuführen sind auf ein«»
mangelhafte Beschaffenheit der Vorrichtungen und Geräthsehaften,
die dem Betriebe dienen. Der verantwortliche Leiter einer An
stalt hat demnach dafür Sorge zu tragen, dass auch in dieser Be¬
ziehung den berechtigten Anforderungen Genüge geschehe. Würden
z. B. bei einer Operation Instrumente verwendet werden, die nach
dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft als veraltet au-
zusehen sind oder die in Folge allzu langen Gebrauchs nicht mehr
gehörig funktioniren, so Hessen sieh hieraus Schadenersatzan¬
sprüche des Verletzten allerdings begründen, während wiederum
etwa für ein zufällig« 1 * Versagen irgend eines Apparates, der sonst
vollkommen in Ordnung war. niemand aufzukommen haben wird.
Maassgebend bleibt immer, wie das Gesetz es zum Ausdruck
bringt, „dass die lm Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet"
worden sei. Es wird im Streitfall demnach die Aufgabe des Rich¬
ters sein, durch Anhörung von Sachverständigen festzustelleu.
ob der fragliche Vorgang diese verkehrsübliche Diligenz vermissen
lässt oder nicht. Der Sprachgebrauch des Gesetzes unterscheidet
mehrfach sehr genau zwischen der „erforderlichen“ und der „im
Verkehr erforderlichen“ Sorgfalt. Wo von den ersten die Rede
ist. da genügt es nicht, wenn der Verpflichtete sich darauf beruft,
dass Andere, die als hinlänglich pflichtgetreu gelten, auch kein
grösseres Maass von Sorgfalt aufwenden, sondern es wird von ihm
verlangt, dass er alles «las, was nach Lage der Sache überhaupt
möglich war, getlinn habe. So grosse Auforderungen stellt in
unserem Falle das Gesetz nicht, es begnügt sich mit dem Aufgebote
der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, mag auch darüber
hinaus ein grösseres Maass von Vorsicht objectlv möglich sein.
Die praktischen Folgen die sich hieraus ergeben, liegen klar zu
Tage: Es gibt mancherlei Vorkehrungen, von denen mau in der
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16. Juli 1901. MUENCHENER MEDlCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1183
Kegel Abstand nimmt, weil sie nur ganz ausnahmsweise sich als
erforderlich erweisen, die daher unterlassen zu haben nicht un¬
bedingt als Vorwurf augerechnet werden kann. Nicht das Menschen-
mögliche, sondern das allgemein Uebliehe ist zu leisten.
Eutscheidend ist also, was nach den in deu betheiligteu Ver¬
kehrskreisen, also bei erfahrenen Aerzton. als erforderlich und
zugleich ausreichend gilt und was als unzureichendes Maass von
Soigfalt aufgefasst wird.
Referate und Bücheranzeigen.
H. S a r f e r t: Die operative Behandlung der Lungen¬
schwindsucht. Leipzig 1901, J. A. Barth. 68, VIII Seiten.
•> Tafeln.
Die interessante Arbeit dürfte schon vor längerer Zeit ab-
geschlossen sein; denn die neueste Literatur (etwa seit 1895) ist
nicht mehr verworthet. Das macht sich vielfach bemerkbar; be-
'••nders ungern vermisst man dio Besprechung der wichtigem
neuen A rbeiten von Quincke, T u f f i c r, Terric r u. A.
Verf. geht von dem Bestreben aus, einigen Lungenkranken
mit Cavemeu ihre Lebensdauer wenigstens erträglich zu ver¬
längern. Gerade die Cavernen sind ja die Sammelplätze der
zahlreichsten und verschiedensten Keime; von hier aus entsteht
••ft Fieber, auch durch Aspiration neue Infektion.
Verf. hat den Caverneninhalt von Leichen (21) weissen
Mäusen intraperitoneal eingespritzt; Exitus nach höchstens
3’> Stunden; bei 18 Thiercn im Blut Bacterien, meist Pnoumo-
•tccus Fraenkel. Weiterhin suchte er durch Injektion von
Tuberkelbacillen und später von Eitererregern Cavernen zu er¬
zeugen, war aber nicht so glücklich, wie P r u d d e n. Die auf
eine septische Phthise hinweisenden Blutbefunde (Verfassers Be¬
funde an Leichen sind, wie er selbst sagt, nicht l>eweisend), die
Frage der Heredität, der Infektion etc. wird gestreift. — Nun
präzisirt Verf. die Grenze seiner chirurgischen Behandlung der
(ausschliesslich) tuberkulösen Cavernen. Die Operation ist ge¬
rechtfertigt, wenn die Caverne nur theilwoise und ohne Erleich¬
terung für den Kranken sich entleeren kann, wenn dabei fort¬
schreitender Zerfall des Lungengewebes mit Fieber statthat und
Patient immer mehr herunter kommt (anderseits wird gerathen,
womöglich in fieberfreier Zeit zu operiren). Das übrige Lunge u-
cottvbe darf „nicht zu hochgradig erkrankt“ sein, dio übrigen
Organe „nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen sein“. — Es
fdgen sehr sorgfältige Angaben über frühere experimentelle und
therapeutische Versuche der Lungenchirurgie, besonders über die
Ojierationsfälle von Sonnenburg (deren Nachbehandlung
dem Verfasser grösstentheils oblag). Verf. gibt zu, da^s die bis¬
herigem fs. o.) Erfolge wenig ermuthigend sind. Doch sind hie-
für zum Theile die antiseptischen Ausspülungen, die. ungenügende
Auswahl der Fälle, die ungenaue Lagebestimmung der Cavernen
verantwortlich zu machen.
Verf. hat nun durch Versuche an Leichen eine Operation* •
iru-thode ausgearbeitet: Zuerst Freilegung und Abtragung der
zweiten Rippe vom Stemalansatz bis in die Axilla; dann wird
die Lunge bis zur Spitze (unter Umständen auch nach abwärts
bis zur dritten Rippe) mit der flachen Hand „mit ziemlicher Ge¬
waltanwendung“, extrapleural vom Brustkorb losgeschält (bei den
in Betracht kommenden Fällen sind stets solide pleuritische Ver¬
wachsungen vorhanden; Ohlorzinkpasto bringt solche übrigens
nicht sicher hervor); nunmehr wird durch Palpation die Lage
und Grösse der Hauptcavemen bestimmt (Probepunktion ist über¬
flüssig bezw. unsicher) und hierauf die Caverne mit Messer oder
Paquelin breit eröffnet (geringe Blutung). „Pleurofissur“. Ob in
der Caverne verlaufende Blutgefässe unterbunden werden sollen,
wird unentschieden gelassen. Weiterhin wird (ohne antiseptische
Ausspülung) fest und ausgiebig tamponirt, wobei die Expekto¬
ration nicht behindert wird. Schliesslich folgt die Gesohichto
eines in dieser Weise (zweizeitig) operirten Falles. Die Operation
verlief typisch; der weitere Verlauf war günstig; die Cavernen-
wände bedeckten sich mit Granulationen und verengten sich zu
einem engen Kanal; Entfieberung, Besserung des Allgemein¬
befindens. Weitere Angaben, speziell über den physikalischen
Befund, fehlen. — Die Tafeln sind wenig deutlich, die Druck¬
fehler ziemlich zahlreich (auch unter den Autorennamen Litt-
mnun statt Sittmann). Pischinger.
Menge: Die Therapie der chronischen Endometritis in
der allgemeinen Praxis. Mit 4 Abbild. Berlin 1901, II i rsch-
w a 1 d. S.-A. Arch. f. Gynäk. Bd. 33, lieft 1 u. 2.
Wie aus dem Titel ersichtlich, ist die Arbeit des bekannten
Autors an den praktischen Arzt gerichtet, in dessen Domaine
seiner Ansicht nach dio Behandlung der chronischen Endo¬
metritis wegen ihrer grossen Verbreitung und ihrer socialen Be¬
deutung gehört.
Zunächst erörtert M. die Frage: Wann soll überhaupt eine
Endometritis behandelt werden? Ist zur Beseitigung der Be¬
schwerden immer eine lokale Behandlung erforderlich?
Nur die E. ehron. soll behandelt werden, die wirklich Be¬
schwerden macht und den Organismus direct oder indirect
schädigt.
Die auf constitutioneller Basis beruhende E. erfordert zu¬
nächst lediglich eine rein causale Behandlung, während die
lokale als unterstützendes Moment eventuell herangezogen wer¬
den kann.
Bei neuropathisch veranlagten Frauen kann eine belanglose
E. die Rollo eines psychischen Traumas spielen.
Gelegentlich ist es schwierig zu entscheiden, oh die E. Folge
oder Ursache der körperlichen Unterbilanz ist.
Die gonorrh. E. bedarf stets und möglichst frühzeitig der
lokalen Behandlung, auch aus socialen Gründen; sie tritt auf als
E. ehr. gonorrh. (infektiös) und postgonorrh. (nicht infektiös).
Die allgemein beliebte Auskratzung des Uterus — die M.
überhaupt eingeschränkt wissen will — bei ehron. E. empfiehlt
sich aus vielfachen Gründen nicht für die allgemeine Praxis, die
Sondenuntersuchung unterbleibt besser, und auch deu
Schultz o’schen Probetampon hält AL für entbehrlich.
Kombinirte Untersuchung, Speculumbetraehtung und ge¬
naue Anamnese sichern in den meisten Fällen die Diagnose; un¬
klare Fälle sollen therapeutisch möglichst. unl>erührt dem Special¬
arzt überwiesen werden. Für den Praktiker ist die Trennung in
E. cervic. und corp. überflüssig, stets soll das ganze Endometrium
angegriffen werden.
M. theilt die ehron. E. der Hauptsache nach in eine haemor-
rhagisehe und in eine hypersokretorische Form ein, die beide in
verschiedene Unterabtheilungen zerfallen, die zum Theil durch
die Aetiologie, zum Theil durch die Symptome bedingt sind:
E. ehron. post partum, post abortuni, bei Chlorose, E. sen. etc.
Die E. tubercul. und exfol. bleibt wegen ihrer Seltenheit un¬
berücksichtigt. Nicht erwähnt sind die Fälle oft. schwerer
haemorrhflgischer K. die nach perversem geschlechtlichen Verkehr
gelegentlich eintritt und leicht sogar zur Diagnose „Carcinom“
Veranlassung gibt; hier besteht die Therapie lediglich in der Auf¬
klärung der erkrankten Frau. (Rcf.)
Im zweiten Theil der Arbeit wird vom Standpunkt des prak¬
tischen Arztes aus der ganze umfangreiche therapeutische Appa¬
rat, der bei der Behandlung der ehron. E. in Frage kommt, einer
kritischen Betrachtung unterworfen. M. gelangt zu dem Urtheil,
dass nur die Anwendung stärkerer Caustica raschen und guten
Erfolg verspricht. Auf Grund jahrelanger Erfahrungen empfiehlt
er als bestes Mittel die intrauterine Anwendung von 25, 30 und
50 proc. Lösungen des officinellen Formalins in Wasser; hiernach
erlebt man weder Blutungen, noch Koliken, noch Stenosen oder
Ohliterationcn. Die Aetzschorfe stossen sich leicht ab und neigen
wenig zur baeteriellen Zersetzung, im Gegensatz zu den Chlor¬
zinkschorfen. Als bestes Mittel, den Arzneistoff zu appliziren,
bezeichnet M. die von ihm angegebenen, mit Watte umwickelt«*.!»,
sondenförmigen Stäbchen; diese werden aus einer Hartgummi-
seheibe in bestimmter Krümmung geschnitten, ihre Oberfläche
ist völlig glatt vierkantig und verjüngt sich nach der abgerunde¬
ten Spitzo zu. Die Sonden sind sehr elastisch, leicht, dünn,
sterilisirbar und werden durch das Aetzmittel nicht angegriffen.
Ihr billiger Preis gestattet dem praktischen Arzt die Anschaffung
in grösserer Zahl (hoi Schädel in Leipzig zu beziehen). Mehr,
als bisher üblich, betont M., dass die zur Verwendung kommend«*
Sonde plus Watte keimfrei sein muss. Er erreicht dias in höchst
einfacher Weise, indem er die vollständig armirten Sonden in
einen luftdicht abschliessharen Glascylinder stellt, der bis zur
Flöhe von 7 cm mit 30—50 proc. Formalinlösung gefüllt ist; der
aus der Flüssigkeit herausragendo Sondctistiel wird durch die
F'ornmlindämpfe ebenfalls in kurzer Zeit keimfrei gemacht. Zur
intrauterinen Actzung, die mit allen Cautelen (Einstellung der
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11Ö4
MtlENCHENEfc MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 2ö.
Portio,am besten iiuTrelatspcculum oder dem von Neugobauer,
Auswischen des äusseren Muttermundes etc.) ausgeführt werden
muss, sind 2—3 Sonden nüthig. Zum Scliluss wird vor den
äusseren Muttermund noch ein kleiner Jodoformgazestreifen ge¬
legt.. Führt 1—2 malige Aetzung nicht zum Ziel, st» liegen Kom¬
plikationen vor, die spceialistische Weiterbehandlung nothwemlig
machen.
Nicht indieirt ist die intrauterine Formalinätzung bei intra-
oder extrauteriner Gravidität, akuter und subakuter Uterus¬
schleimhautgonorrhoe, akut und chronisch entzündlichen Ver¬
änderungen der Utcrusmusculatur, der Adnexe und des Peri¬
metriums, submueüs entwickelten Myomen, Placentar- und
Uterussehleimhautpolypen, malignen und tuberkulösen Verände¬
rungen der Uterusmucosa.
Den Schluss der anregend geschriebenen Arbeit bilden einige
Pemorkungen gegen Sänger und betreffen die meines Er¬
achtens von M. mit Recht hervorgehobene Unterscheidung
zwischen Caustieis mit gutem und mit mangelhaftem l)es-
infektionsvermögen, sowie die Frage nach der Durchführung der
strengen Asepsis in der Sprechstundengynäkologio, für die M.
warm ein tritt.
Die Jx'ktüre der Menge’schen Arbeit ist jedem Gynäko¬
logen, nicht nur dem allgemeinen Praktiker, an den sic in erster
Linie gerichtet ist, zu empfehlen. Max II c n k e 1 - Berlin.
Prof. C. Schlösser - München: Die für die Praxis beste
Art der Oesichtsfelduntersuchung, ihre hauptsächlichsten
Resultate und Aufgaben. Sammlung zwangloser Abhandlungen
aus dem Gebiete der Augenheilkunde, herausgegeben von Vos-
s i U s. Halle a. S. 1901, Carl M a r h o 1 d.
Heft 8 des III. Randes dieser die allgemein ärztlichen Inter¬
essen Itesonders berücksichtigenden, in zwanglosen Ilcften er¬
scheinenden Zeitschrift bringt eine Abhandlung von Professor
('. Schlösser in München: „Die für die Praxis beste Art der
Gesicht-sfelduntersuchung, ihre hauptsächlichsten Resultate und
Aufgaben.“
Von der gewiss richtigen Ansicht ausgehend, dass die Unter¬
suchung dt« Gesichtsfeldes der Augen die feinste Nervenunter-
suchung am Lebenden bildet und für den Augenarzt eines der
wichtigsten diagnostischen Hilfsmittel ist, gibt Verf. eine Be¬
schreibung der hiebei einzuschlagendeu Methode und empfiehlt
als vorteilhafter das binoculäre Perimetriren, d. h. zuerst biu-
ocular mit blauer und rotlier Marke zu perimetriren und erst im
Bedarfsfälle die Untersuchung mit Weiss und den anderen
Farben noch anzuschHessen. Das Verfahren bei der binoeularen
Untersuchung besteht darin, dass das nicht untersuchte Auge
durch Vorsotzen eines in der Komplomentärfarbo gewählten
Glases (für blaue Marke gelb, für rothe grün und umgekehrt)
ausgeechaltet wird. Der Ansicht des Verfassers, dass diese Me¬
thode besonders zum Nachweis eines centralen Skotoms und zur
genaueren Differenzirung des Gesichtsfeldes eines Auges im ge¬
meinschaftlichen Gesichtsfeld beider Augon zweckmässig sei und
überhaupt die Untersuchung des Gesichtsfeldes erleichtere, kann
nur beigC8timmt werden, doch ist die bisherige im Allgemeinen
genauere Untersuehungsart nicht unnöthig gemacht.
Im Anschluss an die Schilderung der verschiedenen anderen
Methoden der Gesichtsfelduntersuchung gibt Verf. noch eine
Beschreibung des normalen Gesichtsfeldes und schildert die ver¬
schiedenen Modalitäten des pathologischen bei Veränderungen
der percoptibeln Fläche, bei Veränderungen in der Leitung und
im Centruin, von denen die wichtigsten ausführlicher dargestellt
und anatomisch begründet werden. — Wie überhaupt die Einzel¬
darstellungen der Eingangs angeführten Sammlung, zeiclinet sich
auch die Schlösse Fache Arbeit durch klare zusammen fassende
Darstellung aus und kommt einem praktischen Bedürfnisse in
erwünschtester Weise entgegen. Seggel.
Ha ab: Atlas der äusseren Erkrankungen des Auges.
München 1901, J. F. Lehman n. 2. Auflage. Mit 80 farbigen
Abbildungen. Preis 10 Mark.
Derselbe bildet den XVIII. Band der rühmlichst bekannten
Lehman nVhen Handatlanten und ist von einer kurzen präg¬
nanten Darstellung der Pathologie und Therapie der äusseren
Erkrankungen des Auges mit besonderer Berücksichtigung der
diagnostischen Merkmale begleitet. Dieser Grundriss ist ganz
vortrefflich geeignet, den Studirenden und Aerzten, welche sich
hier Rath erholen wollen, das richtige Erkennen dieser Er¬
krankungen zu erleichtern, da die von Künstlerhand hergesteilten
und mittels Chromolithographie vervielfältigten, au der Hand des
erläuternden Textes leicht erkennbaren Abbildungen charakte¬
ristische Darstellungen geben.
Die 2. Auflage erfuhr durch 6 Tafeln mit 8 farbigen Ab¬
bildungen, welche die früheren zum Theil noch übertreffen, und
eine Figur im Texte eine Vermehrung und hat dadurch noch er¬
höhten Werth gewonnen. Seggel.
G u d e r’s gerichtliche Medicin für Mediciner und Juristen. ,
II. Auflage. Unter Berücksichtigung des Bürgerlichen Gesetzy^\
buehos, des Unfall-Versicherungs- und des Alters- und Invali¬
ditätsversicherungsgesetzes bearbeitet von Dr. P. Stolper in
Breslau. Leipzig, J. A. Barth, 1900. Preis M. 6.75.
Das (Jude r’sche Werk, dessen Inhalt sich auf die einzelnen
Gebiete der gerichtlichen Medicin, ausserdem auch auf die staat¬
liche Unfall- und Invaliditätsvcrsicherung erstreckt, ist in seiner
ganzen Art bearbeitet wie die (Jompendien der übrigen medi-
cinisehen Disciplincn; es hat hiedurch gewisse Vortheile, aber
auch seine vielen grossen Nachtheile. Aerzte, die im Drange der
Praxis zum Studium eines grösseren Werkes über gerichtliche
Medicin keine Zeit finden, aber noch vor den Vorbereitungs¬
kursen zum Physikatsexamen sich einigermaassen über Umfang
und Inhalt der gerichtlichen Medicin orientiren wollen, mögen
sieh das (Jude r’sche Werk anschaffen; erlernen werden sie ge¬
richtliche Medicin durchaus nicht, noch viel weniger kann es
der praktische Gcrichtsarzt als zuverlässigen Rathgeber ver¬
wenden. Erläuternde Abbildungen, sowie Literaturangaben zur
Orientirung in schwierigen Fällen fehlen vollständig, die Ab¬
fassung ist zu kurz, zu summarisch und daher geeignet, irre zu
führen, viele technische Ausdrücke sind ohne weitere Erläuterung
oder vor dem Studium eines grösseren Werkes unverständlich,
wie denn überhaupt Excerpte in der Regel mehr für den Ver¬
fasser als für Andere von Werth sind.
Im Einzelnen seien noch folgende Punkte erwähnt: Auf
S. 10 findet sich der Passus: In der gerichtlichen Hauptverhand¬
lung sollten nicht die schönen Worte eines Plaidoyers, nur That-
sachen sollten das IJrtheil eines Sachverständigen beeinflussen.
Wie bekannt findet das Plaidoyer doch immer erst nach Schluss
der Beweisaufnahme, also nach der Vernehmung der Sacli-
verständigen statt und es gehört zu den grössten Seltenheiten,
wenn nach «lern Plaidoyer die Sachverständigen noch einmal ge¬
hört werden.
Gegen die Begutachtung der Vornahme einer Exhumirung
sollte man sich nicht so ablehnend verhalten, wie dies Verfasser
auf S. 51 thut; man kann doch niemals die Ergebnisslosigkeir
einer Exhuination mit nachfolgender Sektion Voraussagen. Beim /
Kapitel der Fruchtabtreibungen kann Referent der Auffassung
nicht recht geben, dass ein einmaliges vorsichtiges Sondiren nicht
im Stande sei, den Abort herbeizuführen (S. 83); auch der Ver¬
fasser muss wohl gleicher Meinung sein, da er die Anwendung der
Uterussonde zwecks Untersuchung bei Verdacht auf Schwanger¬
schaft als einen Kunstfehler bezeichnet (S. 73).
Dass ärztliche Atteste in Unfallversicherungssachen nur
nach Kenntnissnuhme der Akten und nur ausnahmsweise auf
Ersuchen des Renten Bewerbers ausgestellt werden sollen, darin
ist dem Autor gewiss beizupflichten, aber nicht darin, «lass dies
ein Arzt keinesfalls gegen Bezahlung thun dürfe, wie wiederholt
und in Sperrdruck ausgeführt wird. Die Annahme einer Be¬
zahlung für eine ärztliche Mühewaltung lässt doch nicht auf Be¬
fangenheit oder Mangel an Gewissenhaftigkeit schlieesen. Bei
dem Abschnitte der Unfallgesetzgebung ist die im vorigen Jahre
erfolgte gesetzliche Neuregelung noch nicht berücksichtigt. Das
Invalidenversicherungsgesetz ist gar zu kurz skizzirt. In der
Auffassung, dass das Gesetz den Versicherungsanstalten die
säinmtlichen Kosten für die ärztlichen Atteste auferlegt, muss
sieh der Verfasser durch die jüngst ergangene Entscheidung des
Reiehsversieherungsnmtes berichtigen lassen.
Dr. Carl Becker.
Neueste Journalliteratur.
Ceutralblatt für innere Medicin. 1901. No. 27.
O. Freund: Zur Methodik des Peptonnaehweises im Harn
und tn Faeces. (Aus der k. k. Krankenanstalt Rudolf Stiftung ln
Wien.)
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16. Juli 1901.
MUENCHRNER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 11,*5
Bei dem Nachweis des Pepton (richtiger der Albumosen) kann
durch den Urobilingehalt des Harns eine Biuretreaktion vorgo-
täuscht werden. Es handelt sich desshall» darum, eine Methode
zu finden, welche das Urobilin vollständig entfernt, ohne zugleich
einen Verlust an Pepton zu bedingen. Die Methode besteht darin,
den mit Essigsäure angesäuerten Urin mit Bleiacetat auszufällen,
aufzukochen und warm zu flltriren und in dem Filtrate durch Zu¬
satz von Lauge einen Niederschlag von Bleioxydliydnit zu er¬
zeugen: das Filtrat des letzten Niederschlages ist vollkommen
urobilinfrei. Der Verlust an Albumosen ist hierbei ein sehr ge¬
ringer (6 Proc.), wie der Verfasser durch Kontroluntersuchuugen
feststellte. IUe Probe wird am besten in folgender Weise aus-
gefflhrt: Man nimmt 10 ccm Harn, säuert mit 2—3 Tropfen 20 proc.
Kssigsäure an, ftlgt 5 ccm 20 proc. Bleizucker- oder Bleiessiglösung
zu. kocht ordentlich auf und flltrirt Dem Filtrate wird, so lange
ein Niederschlag entsteht, Kalilauge zugegeben, dann einmal auf¬
gekocht und illtrirt. Mit dem alkalisch reagirenden Filtrate wird
durch Zusalz verdünnter Kupfersulfatlösung die Biuretrenktion
augestellt. In den Faeces wird die Reaktion in entsprechender
Weise vorgeuommen. W. Zinn- Berlin.
Centralblatt fbr Gynäkologie. 1901. No. 26.
L. S i e b o u r g - Barmen: Beitrag zur Behandlung des
Pruritus vulvae.
S. lässt seine Prurituskranken Morgens und Abends mit Seife
und kaltem WnRser die befallenen Partien circa 5 Minuten lang
waschen. Bei verletzter Schleimhaut verordnet er folgende Salbe:
Rp. Cocain 2.0, Orthoform 1.5, Menthol 0,5. Add. carbol. 1.0 ad
20.0 Vaselin. — Bel chronischem Pruritus und Intakter naut wird
folgende Mischung nufgetragen: Rp. Spirit. Ruscl 50.0, Add.
sallcyl. 0.5, Resordn 1,0. — Bel renitenten Fällen empfiehlt S. sub¬
kutane Injektionen von Cocain und Karbol, resp. ln letzter Zeit
Hautinfnsionen von physiologischer Kochsalzlösung ln Mengen
bis zu V, Liter. S.’s Erfahningen sind noch nicht gross, seine Er¬
folge aber „so schön“, dass er seine Methode weiter empfehlen
möchte.
No. 27.
1) H. Fuchs-Kiel: Bemerkungen zur Zestokausis.
Die Zestokausis ist. von Plncu* als mildere Anwendungs-
form der Thermokausls für äussere Anwendung an der Portio,
sowie für Intraeervicale und intrauterine Aetzung empfohlen
worden. F. hat das Verfahren probeweise bei Erosionen auge¬
wendet. wobei 3 mal auch der Cervlcalkatarrh mit behandelt wurde.
Rin günstiger Einfluss auf die Vaglnalisirung war nicht zu ver¬
kennen. dagegen entstand ln .einem der genannten 3 Fälle eine
■■oncentrische Stenoslrung des Halskanals, ln einem anderen Falle
profuse Eitersekretion mit akut entzündlicher AfTektlon beider
Adnexe. F. hält daher die Zestokausis für ein leicht zu ent¬
behrendes. unsicheres und nicht immer unbedenkliches Verfahren,
das im Degensntz zur Atmokausis nicht zu empfehlen sei.
2) A. Mackenrodt - Berlin: Die Radikal Operation des
Gebärmutter-Scheidenkrebses mit Ausräumung des Beckens.
M. berichtet über die verschiedenen Operatlonsverfahren.
die er für die Totalexstirpation erprobt hat Es sind 4 ..Etappen“,
in denen sieh sein Verfahren seit Januar 1899 entwickelt hat. Nach
der 1. Methode wurde einmal unter 4 Fällen die Vene verletzt, wo-
ranf der Tod an Luftembolie nach 2 Stunden eintrat. Nach der
1. Methode ergab sich unter 5 Fällen die unnöthige Gefährdung
«•Ines Ureters. Nach der 3. Methode wurden 5 Fälle operirt. 1 ge¬
nas. 4 starben an Sepsis. Die 4. Methode hat sieh bisher in
ß Fällen als lebensslchcr erwiesen. Die letztgenannte ist eine recht
komplizlrte abdominale Operation, deren Einzelheiten Im Original
nacheelesen werden müssen. Ob sie wirklich, wie M. meint, allein
berufen ist. ..die abdominale Carclnomoperntion ans dem gefähr¬
lichen Wirrsal der Technik auf eine gesicherte Bahn zu bringen“,
müssen erst weitere Erfahrungen lehren. J a f f £ - Hamburg.
CentraTbtatt für Baoteriolncie. Paraxitenlmpde und In¬
fektionskrankheiten. 1901. Bd. 19. No. 22.
1) C. Rijkm&nn -Utrecht: Heber Enzyme bei Bacterien
and Schimmelpilzen.
Verfasster untersuchte eine Reihe von Raeterien auf Ihre
raseinspaltende, haemolytlsche. amylolytische
oder diastattsche und fettspaltende Eigenschaft und
machte dabei die Beobachtung, dass die Fähigkeit. Gelatine
Mi verflüssigen. Hand ln Hand geht mit der Fähigkeit,
faseln *n lösen. Um beides gleichzeitig beobachten zu können.
cmnflehR er M 11 c h a g a r. Der um die Kolonien entstehende
helle Hof verräth alsdann, dass der betreffende Organismus auch
Gelatine verflüssigen kann.
Die haemolytlsche Wirkung Ist jedoch nicht immer
hei d e n Bacterien vorhanden, welche Gelatine verflüssigen. Das¬
selbe gilt auch von den dlastatlsehen Enzymen und den
I.ipasen. Hier sind es neben den Bacterien auch die Schimmel¬
pilze. welche A m y 1 n m und Fette nmwandeln können.
2) N. Solowjew: Das Balantidium coli als Erreger chro¬
nischer Durchfälle.
Nach den Beobachtungen von Solowjew muss die allge¬
meine Annahme, dass Balantidlnm coli nur auf der Ober¬
fläche der Schleimhaut angetroffen wird, als Irrig angesehen
werden. Der Parasit durchdringt vielmehr alle Schichten der
Darmwand und bringt ganz charakteristische Ve linden:nren dort
hervor. Damit erklärt sich auch die Hartnäckigkeit des Leidens.
3) P. Th. Müller-Graz: Ueber die Antihaemolysine nor¬
maler Sera.
Die Resultate lassen sich folgendennaasseu zusanunenfassen:
Eine Reihe von normalen Seren vermag Kaninchenblui
vor der haemolytischen Einwirkung des Entcnseruiim zu schützen.
Diese antlhaemolytlsclien Fähigkeiten treten vielfach erst nach
Inaktiviruug der gedachten Sera zu Tage. Es enthalten allerdings
aueii die aktiven Sera die betreffenden Antihaemolysine. sie
werden jedoch durch die gleichzeitige Anwesenheit von knniuchcii-
blutlösenden Substanzen verdeckt.
Die autihaemoly tischt’ Kraft beruht darauf,
K o in p 1 e m ent zu binden.
4) B. Bann er manu - Bombay: Some aspects of plague
inoculation.
No. 23.
1) A. E d i u g t o n - Kapstadt: Battenpest.
Bei einer Krankheit, die in Kapstadt unter den Ratten aus¬
gebrochen war, wurden Organismen gefunden, welch«* ein ziem¬
lich polymorphes W achstlium (kurze Stäbchen) z«*igtmi
und nur für Meerschweinchen und Tauben pathogen waren.
Kaninchen erkrankten nach den Injektion nicht
und die Einspritzungen solcher Kulturen verlieh ihnen auch keinen
Schutz gegen eine nachträgliche Infektion mit Bultonenpest.
Es ist diese Krankheit nach «1er Ansicht des Verfassers keim*
Pest gewesen und «*s wird empfohlen, als Thlere zum Experiment
filr Pest nicht nur Meerschweinchen, sondern auch Kaninchen zu
benützen.
2) M. R ra u n - Königsberg: Zur Revision der Trematoden
der Vögel. II. (Schluss folgt.)
3» B. G a 11 i - V a 1 e r i o und P. Narbel: Etudes relatives
& la malaria. Lea larves d’Anopheles et de Culex en hiver.
Die Beolmchtungeu der Verfasser ergaben, dass die Larven
von O u 1 «* x und Anopheles in gefrorenen Tümpeln über¬
wintern können.
4) R a n s «»in «* und A. F o u I e r t. o n: Ueber den Einfluss des
Ozons auf die Lebenskraft einiger pathogener und anderer Bac¬
terien.
Das trockene Ozon, wie «*s in der Natur vorkommt, ist ni«-ht
im Stunde, eine schädliche Wirkung auf «lie Bacterien uusiib«*n zu
können. R. O. Neuinunn - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 27.
1) U. It o s e - Strassburg i. E.: Ueber paroxysmale Tachy¬
kardie. (Schluss folgt.)
2) II. G u 11 ni a n n - Berlin: Bericht über die in der Poli¬
klinik während der Zeit vom 18. Dezember 1809 bis 10. April
1901 mit intravenöser Injektion von Hetol (Länderer) be¬
handelten Lungen- und Larynxtuberkulosen.
Verf. gibt zunächst cln«*n kurzen U«*lH*rblick üln*r die iia«*li
Ilctolinjektioncn g«*wonnem*u Befunde lx*tr«‘ffs vorül»ergehen«h*r
Vermehrung d«*r weissen Blutkörperchen und «1«*r nach vorschi«*-
«l«*iien Autoren an Riesenzellen und TulH*rkeln vor sich gehenden
Veränderungen, welche auf eine Uimvaliung. Abkapselung und
spätere Vernarbung des Tuberkels hinauslaufen. Die Zusammen¬
stellung d«*r von nnderen Seiten gemachten Beobachtung«*!! lässt
erkennen, dass diellotolinjektionen im Allgemeinen einen günstigen
Einfluss bei nicht zu weit vorgeschrittener Tuberkulös«* ausüben
können, ohne erhebliche schädliche Nebenwirkungen zu äussern.
Genau nach den Vorschriften Landerefs wurden an d«*r
K l* a u 8 e’schen Klinik seit längerer Zeit an 33 Patienten Injek-
tionen vorgenommen. Die bei Kehlkopf tuberkulöse zu erzielenden
Veränderungen wurden an durch Curettement gewonnenen Stück¬
chen histologisch untersucht (Cordes). 1 Fall wurde geheilt,
10 Fälle wurden gebessert. Im Allgemeinen konnte das Befinden
der Phthisiker längere Zeit günstig beeinflusst werden, auch wenn
schliesslich kein guter Ausgang eintrat. Die Dosirung des Hetols,
«las ein werthvolles Mittel in der B«*handlung der Tuberkulös«*
darstellt, muss eine vorsichtige sein: eine giftige Wirkung kam
nicht zur Beobachtung. Verf. empfiehlt, die Hetolbehandlung ln
allen Fällen beginnender TulK*rkulose zu versuchen.
3) G ra l»o wer-Berlin: Die Förderung der Medicin durch
die Laryngologie.
Der Artikel eignet sich nicht zu kurzem Auszug.
4) Landgraf: Bemerkungen zu einem Pall von Aorten¬
aneurysma.
Bel der Beurthetlnng therapeutischer Erfolge gegenüber
Aortennnaeurysmen spielt die Besserung von Stiimnbandlähn«-
nngen eine grosse Rolle. Die auf Drucklähmung beruhenden
StlmmhRRdläbmungen können znrückgehen. Uebrigens unt«*rilegon
die Dmckerschelnungen oft Schwankungen. Verf. lieschreibt eln«*u
an einem 43 jähr. Offizier beobachteten Fall. In welchem «*r «lie
Diagnose auf Aneurysma der Brustaorta mit Druck auf «li<*
Trachea und den linken R«*currens. sowie auf Be«*inträchtigung
der Circulation in der linken Carotis und Subclavia gost«*llt. halt«*.
Bel diesem Kranken bildete si«*li die Recurrcnslähmung ln eitle
PostiensUihmung um. die Stimme wurde wieder völlig klar, «11«*
Athmungs- und Herzl>eseh werden versehwamlen. D«*r Tumor ist
aber noch in der Brust des Kranken nachweisbar.
Grassmann - München.
Devtsehe medieinisebe Wochenschrift. 1901. No. 26.
1) Waldeyer: Topographie des Gehirns.
Nach einem Vorträge in der anatomischen Sektion des
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1J.8G
*Xin: Internationalen modieinischen Congresses in Paris. Fort¬
setzung folgt.
2 ) Ernst Z i o m k e - Berlin: Zur Unterscheidung von Men¬
schen- und Thierblut mit Hilfe eines speciflschen Serums.
Die an der Unterrichtsanstalt fiir Staatsarznei künde der Uni¬
versität Berlin angestellten Versuche ergaben nach allen Rich¬
tungen eine Bestätigung des praktischen Wertlios und der Vor¬
lässigkeit der gleichzeitig von Uhlenhuth und Wasser¬
mann-Schütze entdeckten Serumreaktion.
3) E. S t a d e 1 in a n n - Berlin: Klinische und therapeutische
Untersuchungen bei Phthisis pulmonum. (Schluss aus No. 25.)
III. lieber eosinophile Zellen im Sputum. IV. Guacamphol
gegen die Schweisse der Phthisiker. V. Pyramidon und seine Salze
gegen die Temperatursteigerungen bei Phthisikern.
4) Robert B e h l a - Luckau: Ueber „Cancer ä deux“ und In¬
fektion des Krebses.
Ueberslchtliches Referat über den heutigen Stand der Wlssen-
Hehaft liezüglich der Ansteckungsfähigkeit des Krebses mit einer
Zahl von 10 Fällen des „Cancer ü deux -1 . davon 14 eigener Be¬
obachtung. Nach Ansicht des Referenten ist das Dogma von der
Nlehteontagiosität des Krebses nicht länger aufrecht zu erhalten.
f»> Oscar Ad ler-Prag: Biologische Untersuchungen von
natürlichem Eisenwasser.
In dieser vorläufigen Mittheilung gibt A. an. dass es ihm ge¬
lungen sei, in einer Art spirillenförmiger Mikroorganismen die
Ursache der raschen Zersetzung von Kisenwässern. auf welche
B i n z in No. 14 der Deutsch, med. Wochensehr, aufmerksam ge¬
macht hat. zu finden.
<*) L. S e e 11 g m a n n - Hamburg: Trauma und Extrauterin¬
gravidität.
Unter Hinweis auf 4 binnen kurzer Zeit bei ihm zur Behand¬
lung gekommene Fälle betont S. die aetiologischc Bedeutung
des Traumas fiir das Entstehen der Extrauterinschwangerschaft.
In jedem dieser Fälle war ein heftiger Sturz auf das Gesäss die
di recte Veranlassung.
7) Sociale Medicin und Statistik:
Arthur Ru pp In: Hat der Vater oder die Mutter auf die
Vitalität des Kindes den grösseren Einfluss P
Aufschluss über diese Frage gibt die Statistik der zwischen
Christen und Juden geschlossenen Mischehen und der in ihnen
vorgokommonen Geburten, bezw. Todgeburten. R. beantwortet
<1 io Frage dabin. dass dem Manne der ausschlaggebende Einfluss
auf die Vitalität des Kindes zuzuschreiben ist.
No. 27.
U B e 11 m a u n - Heidelberg: „Chlorakne“, eine besondere
Form von professioneller Hauterkrankung.
B. beschreibt eine Form der Chlorakno. welche er bei einer
grösseren Zahl von Arbeitern einer chemischen Fabrik beobachtet
bat. Die Betreffenden waren bei der Reinigung und Ladung der
sogen. Säurethürine, welche zur Herstellung der Salzsäure dienen,
beschäftigt und bestand das Charakteristische der Erkrankung
in einer fast über den ganzen Körper, auch den behaarten Titel 1
desselben, verbreiteten Comedonenbildung, einer sclumitzlggrauen
Pigmentirung des Gesichts und trockener rauher Haut. Die Ur¬
sache der Chlorakno wird in der Beimischung gechlorter Theer-
derivnte zu den Salzsätiredämpfen vermnthet. Da jedoch die
Aetiologie noch keineswegs klar und weder die Therapie, noch
die Prophylaxe befriedigende Resultate nufwelst, sind weitere
Beobachtungen ntttlilg.
2) A. C i p o 1 11 n a - Genua: Ueber den E<nfluss einiger Sub¬
stanzen auf die T r o m m e r’sche Probe.
Tn dem chemischen Laboratorium des pathologischen Instituts
der Universität Berlin angestellte Untersuchungen ergaben, dass
nicht nur das Kreatinin als die Ursache der ..gelben“ T r o in m o r-
sclien Probe (Niederschlag von Kupferoxyduihydrat) anzusprcchen
ist. wie N e u m a y e r zuerst gefunden bat, sondern d:\ss ausser
anderen, allerdings nur in concentrirtor Form wirkenden Stoffen,
auch dom Guanidinkarbonat, dom Glykooynmln und Glyko-
cyamtdin in 1—2 prom. Lösung diese Eigenschaft zukommt.
31 Alb. Kowarskl - Berlin: Ueber den Nachweis von
pflanzlichem Eiweiss auf biologischem "Wege.
Die im Institut für modlcinisclie Diagnostik in Berlin nn-
eestellten interessanten Versuche. welche analog dein von
Wassermann. U h 1 e n h u t h n. A. beschriebenen Verfahren
mit pflanzlichen Eiweisskörpern arbeiteten, ergaben, dass auch
diese eine Bildung von Antikörpern hervomifen können, dass die
selben jedoch unter sich nicht so verschiedenartig zu sein scheinen,
wie die animalischen.
41 S c h n e 11 e - Berlin: Ein Fall von Sepsis mit Otitis und
Sinusthrombose, beginnend mit den Erscheinungen des Gelenk¬
rheumatismus.
Kasuistische Mittheilung.
51 Waldeyer: Topographie des Gehirns. (Fortsetzung
aus No. 2fi.)
Gl S. M u n t e r - Berlin: System und therapeutische Ver-
werthung der Wärmezufuhr und Wärmestauung. (Schluss folgt.1
Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin zu Berlin.
Referat siehe diese Wochenschrift No. 1. pne. 4L
F. Lacher- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg. No. 13.
Rud. Burckhardt: Zum 70. Geburtstage von Wilhelm
H i s. Literarisches und Biographisches.
No. 29.
R. S t i e r 1 i n- Winterthur: Ueber Darmocclusion. Kasuisti¬
sches und Kritisches. (Schluss folgt.1
Johannes S e i t z - Zürich: Zum Chloraethyltod.
Vertheidignug dieser Diagnose (cf. Referat in der Münch, med.
Woehenschr. No. !). p. 3541. PI sch in ge r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 27. li It. Schmidt - Wien: Ueber diaphoretisches Heil¬
verfahren bei Osteomalacie.
Nach einem kurzen Ueberblick über die bei dieser Erkrankung
gebräuchlichen therapeutischen Methoden theilt Verf. 2 Fälle mit.
beide typische puerperale Osteomalacie betreffend, von denen
der eine sich in einem weit vorgeschrittenen Stadium befand
und auch Beckenveränderungen aufwies. Es kamen Heissluft¬
bäder mittels des Apparates PliGnix il l’air ehaud zur Anwendung.
Nach 9 Heissluftbädern konnte ln dem ersten Falle schon eine
Besserung des Ganges mit Sicherheit konstatirt werden: nach
ungefähr 1 Monat war die Patientin, welche vorher nur einige
Schritte im Krankenzimmer hatte machen können, soweit her-
gestellt, dass sie ohne Unterstützung über die Stiege gehen konnte.
Audi in dem schweren zweiten Fall war der Erfolg ein derart
guter, dass die Kranke ihre häuslichen Geschäfte alle wieder ver¬
richten konnte. Die Art der Wirkung scheint dem Verf. darin zu
liegen, dass durch Erzeugung einer intensiven diffusen Haut-
hypernomic eine Entlastung ln den hyperaemisch gestauten Gefäss-
bezfrken des Periost- und Knochenmarkes herbeigeführt wird.
Möglicher Weise handelt es sich auch um Ausscheidung organ'schey
Säuren im Sehweiss. Trotzdem die Pathogenese der Osteomalacie
noch nicht aufgeklärt ist, kann also doch mit Erfolg die Behand¬
lung in Angriff genommen werden.
2) G. Alexander- Wien: Zur Aetiologie der Tubenmittel-
ohrerkrankungen (2 Fälle funktioneller Störung der Tube nach
Oberkiefer resektion).
Bei der ersten Patientin erschienen 4 Wochen nach der wegen
Oberkiefercnrcinom ausgeführten Resektion Gehörstörungen mit
den objektiven Erscheinungen dos TnbenverschUißsos, gegenüber
welchen ein Dauererfolg der Behandlung nicht erreicht werden
konnte: bei der zweiten Kranken traten entsprechende Erschei¬
nungen schon nach 2 Wochen ein. Es handelte sich in beiden
Fällen um einen sekretorischen Katarrh der Tube, dessen Ent
stehung nach Anschauung des Verf. so zu denken ist. dass di*
Ventilation der Tube durch den Tensor voll pnlntini nicht me'.r
richtig zu fnnktloniren vermag, sobald durch die Oberkiofcrresek-
tion der Ansatzpunkt dos Muskels -am hinteren Rande des harten
Gaumens lädirt worden ist. Es empfiehlt sich daher, bei diesen
Operationen womöglich eine schmale Knochen span ge am hinteren
Oborkioferrnnd zu erhalten, um der für die Lüftung der Tub •
not li wendigen Aponenrosis palatinn nicht ihren Stützpunkt zi
nehmen.
3) K. S te r n her g - Wien: Kasuistische Mittheilungen.
Verfasser beschreibt einen bei der Sektion eines 70 jährigen
Mannes erhobenen Befund, betreffend ein verkalktes Haematom
in der Milz, das wie ein Tumor dem Organ eingelagert war. sowi •
die histologischen Einzelheiten an der Milz, welche beginnend-
anivlolde Degeneration zeigte. Wahrscheinlich stellte das Milz
nmylnld ln diesem Falle nur den Beginn einer allgemeinen Ämy
loidose dar. Verf. glaubt aus seinem Befunde nnohwolsen /.n
können, dass vereinzelt auch die Zellen der Milzpulpa der amv
loiden Degeneration nnhoimfnllen können.
Grass mann - München.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 23—25. J. Englisch- Wien:. Ueber die plastische Ver
härtung der Schwellkörper des Gliedes.
Febers ich t über 105 Fälle aus der Literatur mit verschiedene.*
aetiologischen Momenten. woruntorOicht und Blennorrhoe an erste-
Stolle stehen und 3 eigene Fälle mit ausführlicher Kranken¬
geschichte. ■ )
No. 2(1. M. B e n e d 1 k t - Wien: Zur Tuberkulosefrage.
Anlässlich des britischen Tiiberkuloseoongressos richtet I*.
einen offenen Brief an Professor C 1 i f f o r d A 1 h n 11. Er läs«t
es sich nicht nehmen, dass mit jeder Anhäufung von Tuberkulösen,
sei es in Kurorten, sei es in grossen Sanatorien, beträchtliche Ge
fahren für die Weiterverbreitung verbunden sind. Man solle
keine grossen opulenten Paläste für die Kranken errichten, son¬
dern an geeigneten Orion kleine Kolonien, deren Auflassung oder
Zerstörung ohne grossen Verlust erfolgen könne. Ferner sollen
die gesammelten Summen nicht nur für die Errichtung der An
stalten. sondern auch für deren Betrieb berechnet sein und tlieil
weise dazu Verwendung finden, um den Kranken durch Unter
Stützung der Familien Ersatz für die verlorene Krwerbsfühlgkeit
zu bieten und mittellosen Kranken freie Aufnahme gewähren z* !
können.
No. 27. W. La t z k o - Wien: Beitrag zur Therapie ver¬
schleppter Querlagen.
L.’s Vorfahren beruht auf dem Principe der Simpso n’sehon
Spondylotomio. es bestellt in transversaler Durchselmeidung des
mit Haken flxirten kindlichen Rumpfes nach vorheriger Eröffnung
des Tboraxrnumes und Entfernung der Bnistorgnne unter
..kletterndem“ Nach greifen mit Zangen. Die Indieation geben jene
Fälle, welche bol drohender Uterusruptur und tiefstehender
Schulter den Hals zur Decapltatlon unzugänglich machen.
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16. Juli 1901. MUENCIIKNKR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1187
J. A n t a 1 - Ofen-Pest: Beiträge zur Behandlung der Zahn¬
karies.
Die bekannte Thatsaehe, dass bei der bisherigen Behandlung
gar nicht selten nach Füllung eines cnriösen Zahnes erneuter
Schmerz und Entzündung sich einstellt, welche die Erhaltung des
Zahnes gefährdet, erklärt Verfasser damit, dass vor der Füllung
die tiefliegenden Entzündungsprocesse in den Dentinkanälchen
nicht genügend bekämpft, die tieferen Schichten der Zahnsuhstanz
nicht sterilisirt werden. Die Aetzmittel sind hierfür ungeeignet,
dagegen entspricht dem Zwecke sehr gut eine 1 proc. Lösung von
Thymol in Ol. amygdal. dnlc., 24 Stunden mit Tampon ln die vor¬
bereitete Zahnhöhle eingebracht.
Wiener klinische Rundschau.
No. 20—24. A. M u r r 1 - Bologna: Ueber Broncedlabetes.
Eine 59 jährige Frau aus den dürftigsten Verhältnissen ge¬
langte mit den Zeichen des Diabetes mellitus und ausgeprägter
Broncefärbung dev Haut und Mundschleimhaut zur Beobachtung.
Volle Wiederherstellung mit Rückbildung der Pigmentanomalie.
Bei den bisher als Broncedlabetes veröffentlichten Fällen war stets
auch eine interstitielle Hepatitis vorhanden, die bei dieser Kranken
fehlte. Es würde also, wenn auf vorliegenden Fall auch die Dia¬
gnose Broncedlabetes zutrifft, folgen, dass die Hepatitis nicht notli-
wendig zum Symptomenkomplex derselben gehört und auch aetio-
logisch nicht das ausschlaggebende Moment ist. Als solches ist
M. geneigt, eine allgemeine Dystrophie der Zellelemente anzu¬
nehmen. Der Prognose scheint erst die Hepatitis die bisher regel¬
mässig beobachtete schlechte Wendung zu geben.
No. 24—20. E. Stransky- Wien: Ueber eonjugirte Em¬
pfindungen.
Es muss hier genügen, anzuführen, dass St. an sich und
anderen Personen konstatirt hat, wie ein bestimmter Juckreiz,
an einer bestimmten nautstelle applicirt, zu gleicher Zeit auch an
einer sich gleichbleibenden entfernten Stelle — vorzugsweise der¬
selben Körperhälfte — als gleicher Reiz mitempfunden werden
kann. Eine Reihe von Beispielen solcher Conjugatiou, welche
theils übereinstimmende Befunde an verschiedenen Personen, theüs
grosse individuelle Abweichungen erkennen lassen, sind tabel¬
larisch aufgeführt. Eine gewisse Analogie mit den Beziehungen
zwischen Nase und Genitalien, wie sie F1 i e s s und Schiff
fanden, liegt nahe. Aehnliche Untersuchungen hat bezüglich der
Schmerzempfindung vor Jahren schon Kowalowsky gemacht,
deren Resultate nicht in allen Punkten mit denen St.’s überein¬
stimmen.
No. 25. G. II o 1 z k n e ch t und R. Kienböck: Zur Tech¬
nik der Röntgenaufnahmen.
Die Verfasser betonen zunächst die Fortschritte der Technik
durch Einführung der „regenerirbaren Röhren“ und die Erfahrung,
dass eine gewisse, nicht zu grosse Penetrationskraft der Strahlen,
für die Erzielung guter Aufnahmen vorausgesetzt werden muss.
Für gute Resultate wichtig und zu wenig beobachtet ist mög¬
lichste Ruhe des Objektes, welche durch bequeme Lagerung,
event. Narkose, kurze Expositionsdauer erreicht wird. Um die
vielfach sehr störenden Athmungsbewegungen auszuschalten, ist
es oft von grossem Vortheil, zur Aufnahme einen Zustand künst¬
licher Apnoe zu benutzen, der eintritt, wenn man einige Zeit ge¬
häufte tiefe und rasche Inspirationen machen lässt und der mehr
als 1 Minute nnhnlteu kann („respiratorische Stillstandsaufnahme“).
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 25. E c k s t e I n - Teplitz: Ueber die Anwendung der
Kopfzange bei Steisslagen.
Die lege artis angelegte Kopfzange hat E. ln 3 Fällen gute
Dienste gethan. Die Zange soll nicht die Extraktion des Steissos
liesorgen. sondern denselben nur zugänglicher für die manuelle Ex¬
traktion machen. Die indieirenden Momente liegen In langer Ge¬
burtsdauer ( 30 -—100 Stunden), Missverhältnis des Kindes zum
mütterlichen Becken. Rigidität der mütterlichen Weichtheile. Bei
abgestorbener Frucht dürfte durch das Verfahren eine Infektion
eher vermieden werden, als durch die Erweiterung der Anulöffnuug
mit der S i e b o 1 d’schen Scheere und Extraktion mit dem Kranio-
k lasten.
No. 2G. H. H a m m e r - Brünn: Alkohol und Tuberkulose.
Die Sektionsbefunde von narbig ausgeheilter Lungentuber¬
kulose bei chronischen Alkoholisten geben dem Verfasser Anlass,
zu erörtern, ob nicht bei Tuberkulose der Alkohol, unter dessen
Einwirkung es in verschiedenen Organen zur Bindegewebsbildung
kommt, auf die Ausheilung gerade durch diese Bindegewebsbildung
fördernd ein wirkt Inwieweit dem Alkoholmissbrauch als solchem
gegenüber anderen socialen Schäden ein besonderer Einfluss auf
die Ausbreitung der Tuberkulose zugeschrieben werden muss,
dürfte schwer zu entscheiden sein.
M. B o n <11 - Iglau: Die klinischen und anatomischen Augen-
hintergrnnderkrankungen eines Falles von Leukaemla lienalis.
Nach anfänglich normalem Befund des Augenhintergrundes
entwickelte sich bei dem 34 jährigen Kranken allmählich zu¬
nehmend eine schliesslich enorme Ausdehnung der Venen, die
sich deutlich schlängelten. Abgesehen von einigen kleinen weiss¬
gelben Mecken und einer Blutung wies die Farbe des Augenhintev-
grundes keine Aenderung auf. Die früher als charakteristisch an¬
gegebene hellgelbe Verfärbung des ganzen Fundus fehlte, wie das
von neueren Untersuchem häufiger festgestellt worden ist. Aus
«lern mikroskopischen Befund verdient hervorgehoben zu werden
die Erweiterung der perivasculären Lympliräume, Pigmentwuehe-
ruug und Thrombose der Retinalvenen. B e r g e a t - München.
Englische Literatur.
Malcolm Morris: Das Ekzem in seiner Beziehung zum
Alter. (Lancet, 4. Mai 1901.)
Verfasser beginnt seine Arbeit mit dem Ausspruch, dass von
allen Hautkrankheiten das Ekzem die am meisten studirte tunl
am wenigsten erkannte sei. Er gibt dann eine Uelierslcht über die
verschiedenen Formen der Krankheit und ihre Behandlung beim
Säugling, jungen Kinde, im Pubertätsalter, beim Erwachsenen,
bei der Frau in den klimakterischen Jahren und im Greisenalter.
Beim Säugling entsteht ein nusgebreitetes Ekzem des Kopfes oft
durch Vernachlässigung eines kleinen seborrhoischen Ausschlages,
der bald nach der Geburt nuftritt. Diese Seborrhoe entsteht
häufig durch zu energisches Waschen mit reizenden Seifen: man
benutze desshalb nur literfettete Seifen und vermeid.* jed? Reibung,
dasselbe gilt, wenn schon ein seborrhoischer Ausschlag vorhanden
ist. Ferner vermeide man das Tragen von Kappen und anderen
Kopfbedeckungen, ganz besonders im Hnuse. Zur Beseitigung des
seborrhoischen Ausschlages dient eine schwache Sehwefelsalhe.
Derartige Kinder dürfen nicht geimpft werden, da aus dem
trockenen seborrhoischen Fleck oft sofort nach der Impfung ein
akutes Ekzem entsteht, das über deu ganzen Körper fortschreitet.
In anderen Fällen sind es die Masern oder die Anwesenheit von
Eingeweidewürmern, die zu dieser akuten Verschlimmerung An¬
lass geben. In allen diesen Fällen gebe man innerlich kleine Dosen
von Kalomel. Lokal behandelt man das akute Stadium zuerst mit
Bor- und Zinkstreupulvern, die ln Mullsäckchen applizlrt werden
(dadurch wird die Krustenbildung eingeschränkt), dann mit ..Zink-
crOme“, einer Mischung von Zink. Lanolin. Olivenöl und Kalk-
wasser; diesem Crfäno, der dem Liniment, calc. ähnlich
ist. kann mit Vortheil Ichthyol zugefügt werden. Der CrOme wird
auf dünne Leinwandstreifen gestrichen und die ganz? ekzematöse
Fläche damit bedeckt und leicht lmndaglrt; diese Streifen müssen
häufig erneuert worden und wirken stark austrocknend. Sobald
das schuppende Stadium erreicht ist. wird statt des Crfmes weisse
Praecipitntsalhe verwendet. Diese Ekzeme der Säuglinge haben
grosse Neigung zum Recidiviren und es ist sehr wichtig, eine völlige
Heilung herbeizuführen, da sonst das Ekzem leicht chronisch wird,
und für das ganze Leben bestehen kann. Auch die Ekzeme etwas
älterer Kinder beginnen meist mit einem seborrhoischen Ausschlag
des Kopfes oder Gesichtes, der ebenso zu behandeln Ist. wie der
der Säuglinge. Keinesfalls dürfen solche Kinder die Schule be¬
suchen, Ist das Ekzem ziemlich akut, so bleiben die Kinder am
besten zu Hause, bei mehr chronischen, rocidivirendon Fällen mit
DrüsenschWellungen (Skrophulose) tlint ein Aufenthalt an der
See gute Dienste. Das Zahnen der Kinder hat nach Verfassers
Meinung keinen Einfluss auf den Verlauf der Ekzeme.
Das Ekzem in der Pubertät tritt meist als Xeroderma auf und
befällt die Ellenbogen und Kniebeugen. Die Behandlung besteht
ln prolongirteu Bädern und nachträglicher Applikation von Wasser
und Glycerin 5 zu 1. Auch Zinkcreme mit Zusatz antiseptiseher
Mittel thut gute Dienste. Eine andere Form des Ekzems tritt
in diesem Lebensalter alternirend mit asthmatischen Anfällen und
Attaken von Arthritis rheumnt. auf. Man behandelt es innerlich
mit Zinc. valer. und Chinin.
Die akuten, nässenden Ekzeme der Erwachsenen erfordern,
wenn sie allgemein sind. Bettruhe und leichte Diät ohne Alkohol.
Theo und Kaffee. Den Stuhl regelt man mit Kalomel. Innerlich
gehe man kleine Dosen von Stibium tartar., die man zuerst häutig
wiederholt. Diese üusserst akut auftretenden universellen Ekzeme
müssen als „nervo storms“ als Neurosen aufgefasst werden.
Aeusserllch pudert man die ganze befallene Haut dick mit Zink¬
oxyd und Bor ein. Häufig heilt das Ekzem unter der Antimon-
behnndlung in wenig Tagen ab, es bleibt jedoch ein sehr quälendes
•Tucken übrig, gegen das die üblichen Mittel machtlos sind. Manch¬
mal hilft eine Badekur, z. B. in Schinzrmch: bei dem akuten und
subakuten Stadium ist die Behandlung mit Mineralbädern zu unter¬
lassen. Gewobnheitsmässiger Alkoholgenuss ist eine häufige Ur¬
sache rooidivlrender Ekzeme und sollte man stets den Alkohol ver¬
bieten. Intertrigo im akuten Stadium erfordert Bettruhe und
schwache nntiseptische Umschläge, später verwendet man
schwache Schwefelsalben. Die im Gefolge von Varicen auftroten-
den Ekzeme werden am besten mit Zinkleim behandelt: gegen die
chronischen Plaques, die man so oft an den Unterschenkeln findet,
versuche man Salicyl und Resorcin. versagen diese Mittel, so gehe
man zu Pyrogallus und Cbrysarobin (liier.
Unter den Ekzemformen, die um die Zeit der Menopause auf
treten, ist das akute Ekzem des Kopfes und Gesichtes woilnus am
häufigsten (75 Proc. aller Fälle). Dieses Ekzem, sowie die Kon¬
gestionen, die es so oft begleiten, werden am besten bekämpft durch
den innerlichen Gebrauch des Ichthyols. Lokal behandelt man mit
stärkeren Schwefel- und Resorcinsalben. Sehr gefährlich ist «las
Ekzem der Greis«*, das den Schlaf hindert, den Appetit raubt und
durch das quälende Jucken die Kranken nicht selten zum Selbst -
mord treibt. Das einzige Mittel, das in diesen Fällen von Nutzen
ist, scheint Opium zu sein und man kann alten Leuten getrost
Opium geben, selbst wenn sie sich an das Mittel gewöhnen, ist «lies
dem quälenden Juckreiz mit allen seinen üblen Folgen vnrzuzielion.
Sir. T. Lander Brun ton: Die Wirkung des Arsenik
während der kürzlich beobachteten Epidemie von Arsenikver-
giftung. (Ibid.)
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1188
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 29.
B r u n t o n, der als einer der Mitglieder der von der Regierung
nach Manchester gesandten Kommission die Epidemie von Poly¬
neuritis genau studiren konnte, hält es für unzweifelhaft erwiesen,
dass allein das im Bier l>etindliche Arsenik die Ursache der Er¬
krankungen war. Die Symptome, die auf Arseuikvergiftung zu-
rttckzuführen sind, werden in dieser Arbeit genau geschildert, sie
werden in digestive, kutane und nervöse eingetliellt. Neben Haut¬
pigment irungen und Keratosis waren Schmerzen und LiiInnungen
die Ilanptsymptome, diese Symptome stimmen völlig mit denen
überein, die bei der Massenvergiftung in Hyfcres (Wein) beobachtet
wurden.
F. J. Poynton und Alexander Paine: Weitere Unter¬
suchungen über akuten Rheumatismus, (lbld.)
Im Anschluss an frühere Untersuchungen (Lancet, 22. und
29. Sept. 1900) ist es den Verfassern gelungen, aus rheumatischen
„nodules“ bei 2 Fällen rheumatischen Fiebers einen Diplococcus
in Reinkultur zu züchten. Impfung dieser Reinkultur auf ein
Kaninchen erzeugte bei diesem Pcricarditis, Entzündung der Herz¬
klappen und Polyarthritis; ferner gelang es. aus dem Gelenk -
exsudat des kranken Kaninchens denselben Diplococcus wieder
rein zu züchten. Sie halten diesen Diplococcus für den Erreger dos
akuten Gelenkrheumatismus. Bei einem der geimpften Kaninchen
gelang es. einen Symptomenkomplex zu erzeugen, den die Verfasser
für Choren nnsehen. Das Thier war äiusserst ..nervös“ und hatte
leichte Zuckungen der Extremitäten und des Gesichtes. Im Ge¬
hirne dieses Kaninchens fand man dieselben Diplococcen in der
Pia rnater und in dem Endothel der Rindencapillaren. Ferner ge¬
lang es den Verfassern nachzuweisen, dass sowohl l>eim Menschen
(Perieardialerguss). wie auch bei den Versuehsthiereu, die Diplo¬
coccen häufig in den polymorplionucleiiren Leukoeyten liegen, und
sie halten desslialb die beim Rheumatismus vorhandene Lenko-
oytose für ein Schutzmittel des Organismus. Auf Grund klinischer
Erfahrungen und nach Thierexperimenten halteu die Verfasser es
für unwahrscheinlich, dass der akute Gelenkrheumatismus eine be¬
stimmte Incuhationsperiode hat, meist tritt die Krankheit 2 bis
3 Tage nach der Ansteckung auf; sehr häutig scheinen die Tonsillen
als Eingangspforte für die Krankheitserreger zu dienen. Das
Fieber, das die Krankheit begleitet, scheint schon vor dem Auf¬
treten «1er lokalen Erscheinungen vorhanden zu sein. Schliesslich
geben die Verfasser noch ihre Beobachtungen über die Erzeugung
von Erkrankungen des Herzens durch den besagten Diplococcus; sie
konnten häutig ausser Gelenkorgüssen Entzündungen und Vege¬
tationen auf den Klappen, sowie Erweiterungen und Verfettungen
des Muskels erzeugen. Die Arbeit ist durch einige Abbildungen
illustrirt.
Anthony A. Bowlby und J. F. S t e e d m a u: Ein Fall von
perforirtem Ulcus ventriculi mit Schüttelfrösten. (Ilüd.)
Der Fall bietet so viel des Interessanten, dass er auch an
dieser Stelle referirt zu werden verdient. Das 27 jülirige Mädchen
erkrankte ganz plötzlich am 13. November mit heftigen Leih¬
seh merzen uud Erbrechen. Am folgenden Tage schieu sie recht
wohl, aber am 15. batte sie bald nach einander mehrere sehr heftige
Schüttelfröste und eine Temperatur von IOC. 0 F. Zugleich wurde
der Bauch aufgetriebeu und empfindlich. Die bald darauf unter¬
nommene Operation zeigte ein perforirtes Magengeschwür an der
vorderen Wand in der Nähe der Kardla. Dasselbe wurde ge¬
schlossen und der Bauch durch trockenes Tupfen von Verunreini¬
gungen (geronnene Milch und Flüssigkeit) befreit. Der Bauch
wurde 3 Tage lang drninlrt. I)le Recouvalescenz war gut. bis
plötzlich am 4. Dezember wieder heftige Leihschmerzen und Uebel-
keit auftraten. Dabei waren namentlich die unteren Partien des
Bauches stark aufgetrieben. Eine Laparotomie unterhalb des
Nabels ergab reichlichen blutig gefärbten Erguss in der Bauch¬
höhle. Fast der ganze Dünndarm war in der Tiefe des Douglas
adhaorent und von links nach rechts ,,en masse“ gedreht, so dass
ein grosser Volvnlus bestand. Es gelang, die Adhäsionen zu
trennen und den Volvnlus nufzudrehen: die Därme wurden dann
noch von 2 Divisionen aus entleert und die Bauchhöhle gauz ge¬
schlossen. Es erfolgte vollkommene Heilung.
A. E. W rlglit: Ueber die Resultate der Schutzimpfungen
gegen Typhus, welche im Jahre 1901 in Cypem und Aegypten
vorgenommen wurden. (Ilüd.)
Von 20*19 ungelmpften Soldaten erkrankten (iS und starb, n 10
an Abdominaltypbus (2.5 resp. 0,4 Proc.), von 720 geimpften er¬
krankte 1 und starb 1 (0,14 resp. 0.11 Proc.); zum genaueren Ver¬
ständnis» dieser Zahlen ist noch hiuzuzufügen. dass unter den als
ungeimpft bezeichueten 2009 Mann sich eine ganze Anzahl be¬
fanden. die im Jalire 1899 geimpft worden waren: da keiner von
diesen an Typhus erkrankte, so geben die von diesem Gesichts¬
punkte aus lietnichti'ten Zahlen ein noch günstigeres Bild für den
Nutzen der Impfung.
Charles A. Bailance: Die operative Behandlung der im
Gehirn gelegenen Abscesse. (Lancet. 25. Mal 1901.)
Di«* Arbeit des auf dem Gebiete der Hirnchirurgie bekannten
Verfassers würde bedeutend angenehmer zu lesen sein, wenn sie
nicht mit poetischen Citaten gespickt wäre. Von Lucretius bis
Chaucer. Shakespeare, Milton und Goethe hat Verfasser gesucht,
um durch mehr weniger passende Verse diese wissenschaftliche
Arbeit zu würzen. Als Anaestheticum wird Chloroform empfohlen.
Morphium und das in England sonst so viel empfohlene Strychnin
sollen vor Eröffnung der Dura nicht gegeben werden. Die Narkos >
muss mit ilusserster Vorsicht geleitet werden, da nicht selten ganz
unvermuthet Stillstand «1er Athmung auftritt. Zur Eröffnung des
Knochens benutzt Verfasser nur den Trepan, die so gewouuoue
Oeffnung wird durch Säge oder Kuocbenzange erweitert: stels
sollte die Oeffnung so gross sein, dass auch der tiefste Punkt des
Abscesses durch sie draluirt werden kanu. Die Dura rnater wird
am besten durch einen Lappenschnitt eröffnet; den Abscess sucht
resp. eröffnet man durch Einstecheu eines spitzen Bistouris. Die
enthärte Abseesshöhle kann man mit schwachen, autiseptischen
Lösungen auswasclien. doch müssen zuvor 2 Draluröhreu einge¬
führt werden, um «len völligen Rückfluss des Antiseptieuins zu ge¬
währleisten. Ist die Abseesshöhle gross, so empfiehlt es sich oft,
ein Stück der Hirnrinde zu entfernen, um eine bessere Drainage
zu ermöglichen. Die einmal gut eiugefülirten Drains lasse man
Tage lang unberührt liegen und kürze sie nur ganz allmählich.
Bei sehr tief liegenden Abscessen der Kleinhirns muss man zn-
w«*ilen einen Probetroicar benutzen, stets lasse man dann die
Kanüle sofort liegen, da es oft unmöglich ist, nach Entfernung
derselben ein Drain einzuführeu. Während der Nachbehandlung
achte man besonders auf «len Stuhl uud sorge durch Quecksilber
oder Kolo«juinten mit Hyoscyamus für reichliche Entleerung.
Hernia oerebrl ist stels eine Folge von Sepsis uud wird am best« n
durch einen sterilen Druckverbaml laüiandelt, direkt auf das G.-
Jiirn legt man Proteetiv oder GoldschlUgerhäutchen. Recidive
durch Wlcderanfüllung des Abscesses oder durch Bildung eines
neuen sind häulig, namentlich im Kleinhirn, oft wird durch die¬
selben eine Meningitis vorgetäuscht und die beste Zilt für eine
Operntioil versäumt.
Mayo Robson: Die chirurgische Behandlung des Magen¬
geschwürs. (lbid.)
Obwohl dem Chirurgen vorwiegend die schwersten Fälle von
Magengeschwür zur Behandlung überwiesen werden, so weist doch
<li«* chirurgische Behandlung nur ein«* Sterblichkeit von 5 Proc. auf.
während 25 Proc. der intern behandelten Fälle sterben. Man soll
desslialb den Chirurgen häutiger zu Käthe ziehen, namentlich daun,
wenn unter innerlicher Behandlung die Besserung nur langsam fort-
sch reitet oder wenn buhl Recidive auf treten; als ultimum refuglum
s«>llte «lie chirurgische Behandlung nicht dienen, da die kacliek
tischen, halbverhungerten Kranken natürlich grosse Operationen
schlecht vertragen. Es ist ganz unnöthig. vor der Operation länge
Zeit Magenspülungen vorzunehmen, die wenig helfen und den
Kranken nur schwächen. Isst der Kranke nur sterilisirte Nahrung
und hält er den Mund und die Zähne rein, so wird der Magen¬
inhalt bei der Operation aseptisch gefunden. 12 Stunden vor der
Operation gibt man die letzte Mahlzeit, 2 Stunden vorher wäscht
man den Magen aus und 1 Stunde vorher verabreicht man ein
Nährklysma. Kurz vor der Operation gibt man dem Kranken
10 Tropfen Litiuor Stryelmiae subkutan, während der Operation
wird er in Watte gewickelt. Verf. beschreibt dann die verschie¬
denen in Frage kommenden Operationen und erläutert sie durch
zahlreiche Krankengeschichten. Das Magengeschwür zu entferne»,
isl meist überflüssig, zuweilen jedoch wird es uöthig. besonders
dann, wenn sich die Blutung nicht stillen lässt o«ler wenn entzünd¬
liche Infiltrationen um das Geschwür (Pylorus) eine maligne Neu¬
bildung vortiinsclit. Meist ist die Gastro-Enterostomie angezeigt,
sie stellt, durch Drainage den Magen ruhig und erlaubt dem <;«*-
schwül* «lie Heilung. Er lievorzugt die hintere Operation und näht
häufig iil«or einem dccalcinirten Knochenring. Die hintere Ope¬
ration schützt am sichersten vor dem ..Circulus vitiosus". Von
40 so operlrten Kranken verlor er nur 2. Pylorophistik darf nur
selten angewandt worden, niemals bei noch bestehender Ulcera-
tion. da sonst rasch ein Recldlv auftritt, Fälle von spasmodlseher
St« nose oder geringer annulärer Stenose werden zuweilen (lau¬
ernd g«*bessert. Verf. operirte 24mnl auf diese Weise mit 2 Todes¬
fällen unter den ersten 12 Operationen. Gnstrolysis oder die IJis-
ung von Verwachsungen hat Verf. 50 mal ohne Todesfall unter¬
nommen. Die Dehnung «les Pylorus nach Hahn oder Loreta
hat Verf. mehrmals ausgeführt, doch traten meist nach kurzer
Zeit Recidive auf. 13 mal operirte Verf. wegen Snnduhrtnngens
und heilte 12 Kranke. In 0 Fällen operirte er zur Stillung der
Magenblutung, 5 Heilungen. Im Ganzen hat Verf. 177 Operationen
am Magen nusgefiihrt wegen nicht bösartiger Erkrankungen des¬
selben und 105 Kranke gehellt (93.2 Proc.). Zum Schlüsse empfiehlt
Verf. wariu sein Knochen,.bobbin“, über dem er näht. Es hat sich
ln dieser grossen Anzahl von Magen-, sowie ln sehr zahlreichen
Darmoperationen auf das Beste bewährt.
W. J. S in y 1 y: Das untere Uterinsegment und der Contrac-
tionsring. (Brit. Med. Journ.. 18. Mai 1901.)
Verf. führt in «len anatomischen und physiologischen Bemerk¬
ungen, die dem eigentlichen praktischen Tbeil der Arbeit voraus¬
gehen, aus, dass es noch immer unmöglich ist. eine bestimmte De¬
finition des unteren Uterinsegmentes zu geben, des Theiles der
Gebärmutter, „der vor der Geburt dem Corpus und nach ihr dom
Cervix gleicht“. Im dritten Stadium der Gehurt muss man das
untere Uterinsegment genau beobachten, sobald die Plnceuta den
oberen Tbeil des Uterus verlassen hat und in das untere Segmeut
eingetreten ist, wird dasselbe nusgedehut und kann leicht oberhalb
der Pubes gefühlt werden, cs gleicht dann der ausgedehnten
Blase. Der Fundus steigt zur selben Zeit über den Nabel empor
und die Nabelschnur tritt vor die Vagina. Dies Ist die richtige
Zeit, um die Plnceuta zu entfernen; meist y 3 Stunde nach der Ge¬
burt des Kindes. Erfüllt das untere Uterinsegment seine Arbeit
gar nicht oder nur unvollkommen, so treten allerlei unangenehme
Zufälle < in. wie zu frühes Sprengen der Blase und ungenügende
Erweiterung «les Os. Umschliesst das untere Segment den vor¬
liegenden Tlieil fest, so verhindert es sowohl das Ausfliessen des
Fruchtwassers wie auch den Vorfall «1er Nabelschnur. Bei Pla-
eenta praevia, die ja auch im unteren Segment ihren Sitz bat.
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16. Juli 1903.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1189
empfiehlt Verf. das Sprengen der Eihäute und H«»nmt erziehen
eines Kusses, sobald dies möglich ist. Die Operation soll in der
sonst ln England nicht üblichen Rückenlage vorgenommeu werden,
da die Seitenlnge den Lufteintritt in die Venen begünstigt. Unter
Umstünden muss das Kind zuerst gewendet werden und geschieht
dies am besten durch die äussere oder die bipolare Wendung nach
Hraxton 11 l c k s. Die Vagina ist vorher nach Kräften zu rei¬
nigen. doch sind alle giftigen Antiseptica zu vermeiden. Die Ge¬
burt des Kindes wird der Natur überlassen. Hat der Kopf schon
den Muttermund passlrt, so lege inan die Zange an, lässt das Os
noch nicht zwei Finger durch, so lege mau einen Kolpeurynter
ein, beide Fälle scheinen Uusserst selten vorzukommen. Bei der
Ituptur des Uterus ist das untere Segment der am häutigsten be¬
theiligte Tlieil und häutig ist es die zur Wendung eingeführto
Hand oder die Zange des Geburtshelfers, die die Ruptur herbei¬
führt. Steht also der Kontraktionsring in der Höhe des Nabels
oder noch höher, ist der darülierllegende Abschnitt der Gebär¬
mutter hart und sind Kindestheile In ihm kaum zu fühlen, während
der untere Abschnitt sehr gut die Tlieile durchfühlen lässt, so Ist
die < Jefahr der Ruptur sehr gross. Zuweilen ist der Kontrakt ions¬
ring auch die Ursache der Dystokie und es ist nöthig. ihn durch
Einführung der Finger resp. der ganzen Hand zu erweitern.
Herbert R. Spencer: Die Gefahren und die Diagnose dar
Beckenendlage und ihre Behandlung durch äussere Wendung
am Ende der Schwangerschaft, (lbid.)
Die Gefahren der Beckenendlage für das Kind sind ausser¬
ordentlich gross, viele Kinder sterben durch Kompression der Nabel¬
schnur (die so nahe am vorliegenden Tlieil ansetzt), durch Zer¬
quetschungen der Bauch- und Brustorgaue, andere werden schwer
geschädigt durch Blutungen ln die Hoden und ln die Muskeln der
Beine; nie sollte der „Prager Handgriff“ angewendet werden, der
für viele Blutungen in den lvopfuicker verantwortlich zu machen
ist; dann entstehen häufig Lähmungen im Gebiete des Plexus
hrachialis. Kuoehenbrttche, Bünderzerreissungen; Beckenbrüche
kommen durch die „barbarische“ Anlegung der Zange am Steiss
vor. Sehr häufig brechen die Schlüsselbeine, wenn die Finger über
«lie Schultern greifen, um den Kopf zu extrahiren. Die Diagnose
der Beckenlage sollte wenn möglich stets durch äussere Unter¬
suchung allein gestellt werden. Fühlt oder sieht man deutliches
Stosseu im oberen Bauchabschnitt, so liegt wohl immer der Kopf
vor. Auskultirt man, so hört man die kindlichen Herztöne bei
Beckenlage meist über einem Punkte, der oberhalb der Mitte einer
vom Fundus zu den Pubes gezogenen Linie liegt. Die Seite, auf
der man am besten hört, entspricht meist dem Kücken des Kindes.
Die Palpation hat zuerst festzustellen, ob die Längsachse des Uterus
der Lüngsaelise des mütterlichen Körpers entspricht, ob also das
Kind überhaupt mit einem Pol vorliegt. Verf. gibt dann genaue Vor¬
schriften, wie mau den harten, ballotirenden Kopf von dem weiche¬
ren Steiss unterscheiden kann. Die Behandlung hat womöglich in
frühzeitiger äusserer Wendung auf den Kopf zu bestehen. Verf.
selbst hat häufig zwischen 7 1 /, und S‘/ 2 Monaten gewendet und von
<i Fällen der Privatpraxis kein Kind und keine Mutter verloren.
Nachher müssen die Schwangeren Binde tragen, auch muss von
Zeit zu Zeit nachgesehen werden, ob das Kind noch iu Kopflage
liegt. Die beste Zeit für die Operation ist iu der Mitte des 8. Monats.
Bei Zwülingsschwangersehaft, plattem Becken, todtem Kinde, Pla-
ceuta praevia und Missbildungen des Uterus ist die Wendung nicht
statthaft. Um diese frühzeitige Wendung zu ermöglichen, müssten
Schwangere natürlich iu den letzten Monaten der Schwangerschaft,
häufiger untersucht werden, was aus vielen Gründen der Pro¬
phylaxe zu empfehlen wäre.
A. Marmaduke S hei Id: Ueber Cysten der Brustdrüse.
(Ihid.)
Iin Anschluss an einige gut beobachtete Fälle setzt Verf. die
grossen Schwierigkeiten der Differentialdiagnose zwischen tlef-
litgcnden Cysten und Carcinomen der Mamma auseinander. Er
empfiehlt warm die Probepunktion; handelt es sieh um eine Cyste
mit klarem Inhalt, so kann mau versuchen, dieselbe durch In¬
jektion von Karbolsäure zur Heilung zu bringen, stet* schneide mm
auf den venmitbeten Tumor ein und entferne nicht gleich die ganze
Brust.
E. N. N a s o n : Bemerkungen zur Analyse von 5000 Krebs¬
todesfällen. (Ibld.)
Bei dem grossen Interesse, das auch in Deutschland augen¬
blicklich «1er Krebsstatistik eutgegengebrneht wird, sei auch an
dieser Stelle auf diese Ariieit hingewiesen. Die 5000 Fälle betrafen
1837 Männer und 3018 Frauen (in 145 Fällen fehlte Angabe des
Geschlechtes). Bei der Frau werden meist Krebse des Uterus «Hier
der Brust beobachtet, beim Manne solche des Verdnuungstmetus.
I)k* Zunahme des Krebses unter Männern scheint viel grösser zu
seiu als unter Frauen und liegt dies vielleicht daran, dass die
Idagnose der Eikrankungen des Verdauungskanales eine verhält-
nissuiässig neuere Errungenschaft ist. das« ferner von Jahr zu
Jahr mehr Sektionen und Operationen vorgenonimen werden; alles
dies erklärt die häufigere Erkennung des Carcinoms bei Männern
ln der heutigen Zeit; dann sind die Resultate der Operationen au
»len weiblichen Geschlechtsorganen weit besser geworden und viele
krebskranke Frauen werden gehellt, so dass die Krebssterblichkeit
unter den Frauen nicht so bedeutend zugeuommen hat wie unter
den Männern.
Crnwford Reu ton: Die chirurgische Behandlung der
Appendidtis. (Brlt. Med. Journ., 25. Mai.)
Bei der katarrhalischen Form der Appendlcitis empfiehlt Verf.
anfänglich konservativ vorzugehen; heisse Umschläge, Mastdarm-
eingicssungen, bei heftigen Schmerzen Morphium subkutan besei-
seitigen meist rasch die Symptome. Nach dem zweiten Anfall em¬
pfehle mau eine Operation, warte aller womöglich ab. bis alle ent¬
zündlichen Erscheinungen zurückgegangen sind. Verf. empfiehlt den
Einschnitt durch deu äusseren Rand des ltectus zu macheu; 1m»-
steheu sehr schwer zu trennende Adhäsionen, so erzwinge man
nicht die Entfernung des Wurmfortsatzes, da die Laparotomie
allein oft. Heilung bringt. (Diese Ansicht dürfte wohl bei zahl¬
reichen Chirurgen auf Widerstand stossen. lief.) In vielen Fällen
tritt aber schon heim ersten Anfall die zweite Form der App.-ndi-
dtis auf, hei der es zur Bildung eines Exsudates kommt, stets unter¬
suche man vom Rectum aus, da Eiteransaiumluugen häufig sich in
das Rectum vorwölben und durch dasselbe entleert werden müssen.
In jedem Falle muss der Erguss eröffnet werden, sowie Fieber meh¬
rere Tage lang fortbesteht; die Appendix wird in diesen Fällen
nur entfernt, wenn dies leicht möglich ist. Die Probepunkt Ion
der Schwellung verwirft Verf. als unsicher und gefährlich. Fälle
von gnngraonöser Appendlcitis müssen sofort operlrt werden, die
infizirte Bauchhöhle wird gründlich ausgewaschen und von meh¬
reren Stellen aus drainirt.
W. F. Adams: 206 Operationen wegen Steines. (Ihid.)
Verfasser hat ln 2 Jahren 4 Monaten, die er in Indien ver¬
brachte, Gelegenheit gehabt, 200 mal wegen Steines zu operiren.
Die Operation der Wahl ist für ihn die Litholapaxie, nur bei
schweren Veränderungen der Blase und Nieren, bei impermeablen
Strikturen und Del zu bedeutender Grösse oder Härte des Steines
greift er zum Messer und zwar macht er daun die perineale Opera¬
tion. Die suprapuhisehe Operation scheint ihm zu gefährlich, da
man in Indien nur schwer aseptisch operiren kann. Von 353 Litho¬
trypsien 1m* i männlichen Personen, deren Alter zwischen 1 y, und
81 schwankte, starheu nur 3, von 30 perinealen Lithotomien (Alter
zwischen 2 und 75) starben ebenfalls 3. Auch hei den kleinsten
Knaben gelang es stets, ein Lithotr.vpter 0—8 zu passiren, zum
Auswaschen benutzte Verfasser Kanüle 7. Bei Knaben über
14 Jahren konnte mau stets grosse Instrumente wie hei Er¬
wachsenen gebrauchen. Vor der Einführung spritze man die
Urethra voll Oel und schmiere alle Unebenheiten des Instrument, s
mit Seife aus.
Herbert T. Herrin g: Eine Methode zur Sterilisirung von
weichen Kathetern. (Ihid.)
Genaue Beschreibung und Abbildung eines sehr einfachen,
kleinen Apparates, mit dessen Hilfe es gelingt, 12 weiche Katheter
in 20 Minuten zu sterilisiren und zugleich mit sterilem Paraffin
eiuzufetten und so getrennt atifzulnnvahren. Der Apparat ist be¬
sonders für deu Gebrauch von Kranken lM*stiinmt. die auf die Be¬
nutzung von Kathetern angewiesen sind und die sich leicht 12 Ka¬
theter sterilisiren können, elue Anzahl, die für 24 Stunden aus-
reichen dürfte.
Robert Win. MacKenna: Die bösartige Degeneration der
Chorionzotten, Syncyticma malignum. (Edinburgh Medical Journ.,
Mai 1001.)
Sehr sorgfältige Studie über diese Krankheit, gute Zusammen¬
stellung der einschlägigen Literatur. Verfasser hält die Krankheit
für eine maligne Entartung der Zellen, welche die Chorionzotten
auskleiden, die Decidua serotina wird erst nachträglich ergriffen.
Die Retention von Plaeentarresten oder von Theilen einer Trauben¬
mol»» liedeutet eine ernste Gefahr für die Frau, da sich häufig aus
Urnen ein Syncytiom entwickelt. Der Uterus ist desslmlb stets
auszukratzen und das Ausgekratzte genau zu untersuchen, wenn
nach Schwangerschaft, Abort oder Molenbildung Blutungen auf-
treten. Findet man Spuren der Krankheit, so sind der Uterus
und «lie Adnexe so bald wie möglich zu entfernen. Als Ursache
der Zelldegeneratlon sieht Verf. ein lrritatives, bisher allerdings
unbekanntes Toxin an, das im Blute kreist.
Cecil H. Leaf: Eine neue Behandlung inoperabler Mamma-
carcinome. (Ihid.)
Besteht ein inoperabler Sclrrhus oder das Kecidi* eltes solchen,
so will Verf. versuchen, den Krebszellen und dem Krebssafte «len
Weg durch die Lvmphhahneu abzuschneiden und hofft er, auf diese
Weise die Kranke vor Metastasen in inneren Organen zu bewahren
und das Leben zu verlängern. Er benutzt dazu ein Instrument,
das ähnlich g«»forntt ist wie die Maske eines .Tunke r’schen Chloro-
formirungsappnmtes. Dies Instrument wird nach einem Abdruck
der Brust gemacht und cs ist wichtig, dass ein möglichst grosser
Ring von gesundem Gewebe um das Careinom herum mit unter
das Instrument kommt. Nun wird durch eine Luftpumpe die Luft
ausgesogen und dadurch sollen die Lymphgönge abgesperrt werden.
Das Instrument, «las alle halbe Stunden wieder ausg«*pumpt werden
muss, soll Tag und Nacht getragen werden, doch gibt Verf. zu.
dass <li«?s unmöglich ist, immerhin hat er eine Kranke dazu ge¬
bracht, es 15 von den 24 Stunden zu tragen. Weder die Kranken¬
geschichten von 3 im Londoner Krebshospitale auf diese Weise
behandelten Frauen noch die beigefügten Illustrationen haben den
ltefer. für die Methode erwärmen können.
G. A. Gibsou: Der Kremasterreflex und Ichias. (Ihid.)
Sowohl bei schweren auf einer Neuritis beruhenden Fällen
von Ischias als auch bei leichten sogen. Neuralgien dieser Gegend
fand Verf. den Krcmasterreflex der befalhmen Seite erheblich ver¬
stärkt. Am besten ruft man den Reflex hervor, indem man auf
den unteren, inneren Theil des Scarpa'scheu Dreiecks einen
Druck ausübt. Da der Nervus isckhulicus timjor und der Nervus
genito-crurnlis keine Anustomosc bilden, so nimmt Verf. an. da^s
die Segmente des Rückenmarkes oberhalb des luiiilm-siiciiil n
' Markes bei der Ischias iu einem Zustande ungewöhnlicher Reizbar*
I kelt sich befinden.
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1190 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29.
Free man: Entfernung der unteren Extremität und eines
Tbeiles des Beckens wegen eines periostalen Sarkomes des
Femur. (Annalcs of Surgery, März 1901.)
Bol der Seltenheit mit der diese Operationen nusgeführt
werden, sei es mir erlaubt, hier kurz auf diesen Fall liinzuweisen.
Ks handelte sich um ein ganz enorm grosses, sehr rasch wachsendes
Sarkom, die Operation (die der K o c h e r'sehen Methode nachge¬
bildet ist) gelang und es erfolgte Heilung, die über IG Monate kon-
statirt wurde. (Befer, hat vor einigen Jahren mit bestem Erfolg *
wogen sehr ausgedehnter Tuberkulose bei einem .">4 Jahr. Manne
die linke Beckenhillfte snmuit unterer Extremität entfernt.)
Edwin Bram well: Ueber Myasthenia gravis. (Scottish
Modle, and Surgic. Jouru., Mai 1901.)
Viele Fälle dieser Erkrankung sind unter dem Namen
asthenische Bulbarparalyse beschrieben worden, doch ist. dieser
Name zu verwerfen, da die Symptome durchaus nicht auf die
Bulbärmuskeln beschränkt sind, sondern sogar Fälle Vorkommen,
in denen die Extremitäten allein ergriffen sind. Die Prognose der
Krankheit ist im Allgemeinen schlecht, da etwaigen Besserungen
meist bald Verschlechterungen folgen. Die Behandlung muss im
Fernhalten Jeder körperlichen und geistigen Erregung bestehen.
Die Nahrung muss sehr sorgfältig zerkleinert werden, da grössere
Bissen leicht im Halse stecken bleiben und Erstickung herbei¬
führen. Schwacher galvanischer Strom scheint nützlich zu sein,
der faradische verschlechtert die Myasthenie sofort. Massage nutzt
nichts, ebenso keines der bekannten Nervina oder Tonica. Bei
schweren dyspnoischen Anfällen muss man künstliche Athmung
einleiten, sie und Sa uerstoffeinat Innungen, sowie Kochsalz-
infusionon wirken oft lebensrettend.
Anuandale und Bruce: Ein Fall von Lam'.nsktomie
wegen Lähmung durch Druck auf die Nervenwurzeln. (Ibid.)
Ein 28 jähriger Mann fiel die Treppe hinunter und zog sich
eine Lähmung der linken unteren Extremität zu, ausserdem be¬
stand Anaesthesie im Gebiete des 12. Thorneicus, der 3 Lumbal-
und des 1 Sacralnerven. Später kam noch Lähmung des rechten
Unterschenkels und Fusses hinzu mit Hyperaesthi sie der ge¬
lähmten Muskeln. Da nur der Bogen des 12. Dorsalwlrb.ds mög¬
licher Weise auf alle diese Nerven drücken konnte, so schritt man
17 Monate nach dem Unfall zur Operation und fand nach Ent¬
fernung von 3 Wirbelbögen und Dornfortsätzeu, dass wirklich das
Rückenmark durch den Bogen des 12. Dorsalwirbels deutlich ein¬
gedrückt und verschmälert war. Der Kranke Überstand die Ope¬
ration gut und nach und nach stellte sich die Funktion der ge¬
lähmten Theile völlig wieder her. Ob es sich um eine Fraktur
des Wirbelbogens oder nur um clironisch-periostitische Verdickung
gehandelt hatte, Hess sich am Präparate nieht. mehr feststellen.
D’Arcy P o w e r: Ueber dringende Abdominalfälle, die
während der letzten 6 Monate zur Beobachtung kamen. (Medic.
C'hronlcle, Mai 1901.)
Unter anderem linden sich in der recht Interessanten Arbeit
3 Fälle von perforiroudem Magengeschwür, von denen 2 geheilt
wurden und der dritte, weil schon moribund, nicht mehr operirt
wurde; ferner zwei Fälle von Zerreissung der Milz, von denen
der eine durch die Operation geheilt wurde; es gelang, den Riss
iu der Milz zu tamponiren, als nach 3 Tagen der Tampon entfernt
wurde, stand die Blutung und die Bauchwunde wurde völlig ge¬
schlossen. Im zweiten Falle wurde ebenfalls tamponirt, diesmal
jedoch ohne Erfolg, da die Milz sehr zerfetzt war. Auch in einem
Falle von Zerreissung der Leber gelang es, durch Tamponade des
Leberrisses die Blutung zu stillen und die Kranke zu heilen.
E. F. Trevel y a n: Ueber Heilung der Meningitis cerebro¬
spinalis. (Ibid.)
Verf. hat zwei Fälle von Heilung dieser meist als unheilbar
angesehenen Krankheit beobachtet. Bei ehiem 15 jährigen Knaben
handelte es sich um einen sporadischen Fall, das IG jährige eben¬
falls geheilte Mädchen gehörte zu einer Epidemie von 13 Fällen,
von denen 12 starben.
James Kcrr: Ueber 50 Fälle von Tabakamblyopie, die im
Jahre 1900 zur Beobachtung kamen. (Quarterly Medical Journ.,
Mai 1901.)
Meist handelte es sich um Leute, die die in England übliche
kurze Pfeife rauchten und etwa 3 Unzen schweren Tabaks per
Woche gebrauchten; meist trat bald Heilung durch Aufgeben des
Rauchens auf.
George Lorimer: Gicht in Beziehung zu Plumbismus.
(Ibid.)
Von 69G typischen Gichtfällen, die Verfasser im Devonsliire
ITospital sah, zeigten 80 (11 Proc.) Symptome der Bleivergiftung.
Während desselben Zeit raumes wurden 772 Personen aufgeuommen.
deren Beruf sie der Bleivergiftung aussetzte und die au Gelenks-
verüudcrungen. aber nicht an Symptomen der Bleivergiftung litten.
Es scheint, als wenn durch den Plumbismus der Ausbruch der
Gicht beschleunigt werde; oft erkranken schon recht Junge Leute
unter diesen Umständen an typischer Gicht. Der Einfluss der
Erblichkeit macht sich bei der Gicht der Bleivergifteten sehr wenig
geltend, verlaufen die beiden Krankheiten zusammen, so fehlt fast
nie eine beträchtliche Verminderung der rotlien Blutkörperchen.
Die Gichtanfälle unter diesen Umständen sind meist nicht sehr
akuter Nahrung, sondern verlaufen meist asthenisch und führen
bald zu chronischen Gelenk Veränderungen. Hautveränderungen
Hilden sich bei der Gicht der Bleivergifteten nur sehr selten, ebenso
wenig Veränderungen an den Augen. Sehr häufig sind dagegen
Veränderungen der Gefässwäude „arterio-cnpillary fibrosis“
und Atherom und wohl dadurch bedingt chronisch-interstitielle
Nephritis. Auf Grund dieser Unterschiede kann man nach Ver¬
fassers Ansicht wohl zwischen erworbener Bleigicht und ange¬
borener gewöhnlicher Gicht unterscheiden.
J. I\ z u m Busch- London.
Holländische Literatur.
Prof. W. Koster: Beitrag zur Kenntniss der Ophthalmo-
malacie. (Weekblud van hot Ncederlandsch Tydselirift voor
Genooskunde, No. 17.)
In dem vorliegenden Falle, in welchem alle Symptome der
zuerst von Graefe beschriebenen sehr seltenen Erkrankung,
auch essentielle P b t h i s i s b u 1 b 1 genannt, vorhanden
waren, wurde schliesslich als Ursache eine feine Bulbusfistel ge¬
funden.
W. J. Vetter, klin. Assistent am „Binnen-Gasthuis“, Amster¬
dam: Ein Fall von Situs in versus viscerum mit Komplikationen.
(Ibidem. No. 19.)
52 jähriger Mann mit der klinischen Diagnose: Aorteninsuf-
flclenz, Dilatation, Mitrnlinsuflieienz, chronische Nephritis nud
Arteriosklerose zeigte ausserdem obengenannte Abnormität.
Prof. J. Veit-Leyden: Der Kaiserschnitt aus relativer In-
dication. (Ibidem No. 20.)
Während für die absolute Iudicatlon des Kaiserschnittes
unter den Gynäkologen vollständige U ebereinst im mung herrscht,
ist dies, so notlnvendig es wäre, für die relative Indieation
noch bei Weitem nicht der Fall.
Der Kaiserschnitt aus relativer Indieation
darf überhaupt keine Mortalität geben! Diesen
Satz will Veit zu beweisen versuchen. Die Sicherheit unserer
Autiseptik und die Verbesserung der Technik haben diese Ver¬
änderung in unserer Auffassung über den Kaiserschnitt be¬
wirkt. Je besser also die statistischen Resultate, desto aus¬
gedehnter die Indieation für die Operation. Verfasser hat
darum auch, als er zum dritten Male mit Olshausen die
Herausgabe des S c h r ö d e r’sehen Lehrbuches leitete, in Ueber-
einstlmmung mit Diesem iu genanntem Werke die Definition dev
Indieation etwas geändert. Der Satz, der früher lautete: „Wenn
das Kind lebt und die Entbindung auf natürlichem Wege ohne
Opferung des kindlichen Lebens nicht möglich ist, u u d w e n n
die Mutter die Operation wünsch t“. Ist jetzt ver¬
ändert in: „wenn das Kind lebt und wenn die Geburt nicht mög¬
lich ist ohne Operationen, welche die Frucht verkleinern und
tödteu. Die Indieation wird hauptsächlich durch
den Arzt gestellt.“ Der Geburtshelfer hat also iu erster
Linie zu bestimmen, was geschehen soll, selbstverständlich immer
mit Einwilligung der Mutter, — er hat dann aber auch die volle
Verantwortung zu tragen. Er muss daher in einem bestimmten
Falle sicher sein, dass die Prognose für Sectio caesarea günstig ist
und muss beurtheilen können, wovon dieselbe abhängt. Bevor
dies näher ausgeführt wird, bespricht V. einige Punkte der von ihm
geübten Technik. Er zieht die Schleie h’sche Lokalanaesthesie
der Chloroformnarkose vor und hat diese bereits 4 mal angewandt.
Gründe: Der nachtheilige Einfluss des Chloroforms auf die Uterus¬
kontraktionen wird ausgeschlossen, die Vorbereitungen zur Ope¬
ration werden abgekürzt und man braucht weniger Assistenz.
Kr sieht ferner ab von einer Eventratiou des Uterus und glaubt
dadurch die Autiseptik sicherer zu gestalten. Entgegen dem Vor¬
schläge von Fritsch, die vordere llteruswand o.uer eiuzu-
schneiden, gibt er dem medianen Längsschnitte den Vorzug.
Die Gefahren des Kaiserschnittes bestehen in der drohenden
Blutung und der Infektion. Erstere war iu seinen ope-
rirten Fällen niemals bedenklich, immerhin soll man mit der Ope¬
ration warten, bis Wehen vorhanden sind. Die drohende Gefahr
der Infektion zwingt uns vor Allem, Kaiserschnitte, wenn irgend
möglich, nur ln den Kliniken nuszuführen und solche in
Privatwohnungen möglichst zu vermeiden. Obwohl die Frage
der Autoinfektion noch nicht gelöst ist, hält Verf. doch eine Vagina,
die nicht entzündet ist und während der letzten 3 Wochen vor der
Operation nicht von fremden Händen berührt wurde, für ungefähr¬
lich. Er nimmt daher die Schwangeren schon 3 Wochen vor der
Niederkunft in die Klinik auf und enthält sich während dieser
ganzen Zeit jeder vaginalen Untersuchung. Von den lm Ganzen 13
von ihm aus relativer Indieation ausgeführten Kaiserschnitten
wurden 11 auf diese Weise ohne Todesfall zu gutem Ende gebracht.
Verf. schliesst seine Ausführungen, die sich auch auf die Bespre¬
chung der künstlichen Frühgeburt, die Symphysiotomie und Per¬
foration erstrecken, mit dem Satze: Der Rath zur Sectio
caesarea mit relativer Indieation muss schon
während der Schwangerschaft gegeben werden.
Dr. G. van Wayenburg und Dr. MacGillavry :
Hirntumor, Operation, Heilung. (Ibidem. No. 23.)
35 jährige Virgo, seit einem Jahre leidend an Kopfschmerzen,
Brechen, Bewegungsstörungen in Annen und Beinen. Vergesslich¬
keit, wechselnder Stimmung, zuweilen Schwindel, zeigt bei Auf¬
nahme folgende Symptome: Bewegungsstörungen im rechten Arm
und Bein, Pharynxanacsthesie, erhöhtePatellarreflexe, aufgehobene
Plantar- und Bauchreflexe. Nach Hg-Kur leichte Besserung, die
aber nicht anhielt. Später traten auf: Angstanfälle. Selbstanklagen
etc., Stauungspapille. Muskelsinnstörung» n. Die Diagnose lautete
auf: Tumor cerebri der linken motorischen Rlndenregiou, medial
begrenzt durch den Sulcus longitudinalis, nach hinten durch den
Gyrus postcentralis, nach unten durch das unterste Viertel des
Sulcus Rolaudl, nach vorn übergreifend zum Vorderhirn. Ope¬
ration durch Dr. MacGillavry nach vorhergegangener Tri-
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16. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1191
iiujrulatlon nach der Methode von Winkler. Der rothe. welche
Tmnor (Saikom) liest zwischen Dura und der durchwes intakten
Pia in dem durch die erste und zweite Frontnlwinduns und den
Gyrus praecentralis geformten Winkel. Er wird mit dem Finger
stumpf abpräparirt und entfernt. Schon eine Stunde uaoh der
Operation tritt eine vollständige Restitutio ad integrum ein.
G. W. J. lVestermann: Mittheilung über einen Fall von
Invagination des Processus vermiformis. (Ibidem. No. 24.)
Es handelte sich um ein 0 jähriges Mädchen mit recidivirender
Intussuseeption. Durch Operation wird der grösste Theil des
Kolon ascendens. das Coecum und ein Stück des Ileum entfernt,
bas Präparat besteht aus 20 cm Dünndarm und 15 cm Dickdurin.
Die geschwollene und blnurothe Schleimhaut des Dickdarmes zum
Theil von der Unterlage losgelöst. Submueosa und Museulnris
o*dematös. erstere mit Pseudomembranen bedeckt. Die Valvula
Katiliini stellt offen und ragt trichterförmig ln das Cot eum hinein.
Der Processus vermiformis ist umgestülpt und ragt ebenfalls in
das Coecum hinein. Er ist G cm lang und von der Dicke eines
Zeigeli ugers.
Ein Fall von Invagination des Processus vermiformis ist wohl
bis jetzt noch nicht in der Literatur vermeldet.
Prof. W. Koster: Ein Fall von Conjunctivitis patriflcans.
(Ibidem, No. 22.)
Der erste Fall in der Holländischen Literatur von dieser von
Leher beschriebenen seltenen Augenaffektion.
L. M. Metz und Dr. II. J. Lyckla m a a N y e li o 11:
lieber die sogenannte Gasphlegmone. (Mittheilung aus dem
Krankenhaus am Coolsingel. Rotterdam.) (Ibidem. No. 23.»
Die Kasuistik dieser seltenen Komplikation wird liier um
weif* re G Fälle vermehrt.
I>r. dir. Fohmers: Parametritis aktinomvcotlca. (Aus
der gytiiiknlog. Klinik zu Leyden.) (Ibidem, No. 2(5.)
Nachdem vor IS Jahren Zeman n den einzigen bisher be¬
kannten Fall von Parametritis aktinomycotiea veröffentlicht Int
iMedizinische Jahrbücher 1SS3). werden hier 2 weitere mitgetlieilt.
der eine von 1S97. der andere von P.HH. Der ersten* endigte nach
langer l>auer letal, im zweiten ist zwar seit der Operation der
Turner verschwunden, doch besteht z. Z. noch zuweilen Fieber
und scheint die Erkrankung noch nicht behoben zu sein.
^ 1 Dr. Scliloth - Bad Brückenau.
Inaugural-Dissertationen.
10 .
11.
12 .
13.
14.
15.
17.
18.
19.
20 .
Universi tät Berlin. Ende März bis Juni 1901.
S e li u 1 z c Ilans: l'eber moral insanity.
Wunsch Max: Multiple congenitale Kontrakturen.
F 1 e m ni in g Otto: Haemorrhagische Apoplexie.
J o s 1 p o w 1 c 1 Simon: Die Grenzen der normalen Körper¬
temperatur des Menschen nach oben und unten.
Lipliawsky Semjon: Neuroinyosltis et ataxia alkoholica.
nirsch Max: Ueber den Transport von ansteckenden
Kranken in Berlin.
Borcbert Friedrich: Beiträge zur Lungenchirurgie.
Appel Johannes: Die Ergebnisse der baeteriologischcn
Untersuchung pleuritischer Exsudate und deren diagnostisch«
und therapeutische Bedeutung.
M e n d e 1 8 o n Alfred: Ueber vaginale Exstirpation bei Tubar-
gravidltiit.
Franke Ernst: Behandlung und Ausgänge von 44 Depres-
sionsfrakturen am Schädel aus der chirurgischen Universitäts¬
klinik zu Berlin.
Jab lotse hkoff Georg: Statistische Beiträge zur Aetiologlj
des Diabetes mellitus und iusipidus.
Löwen sohn Meische-Wolff: Der Kumys und seine An¬
wendung liei der Lungentuberkulose.
L1 b 1 n Wladimir: Die Facialisliihmung bei Neugeborenen.
Universität Bonn. Juni 1901.
19. Trautmann Heinr.: Myom und Schwangerschaft.
Universität Erlangen. Mai und Juni 1901.
11. Herbst Julius: Zur Kasuistik der Defekte in der Ventrikel
Scheidewand des Herzens.
12. Uohland Karl: Ueber den Nachweis von Blut (Blutfarb¬
stoff) in Sekreten und Exlcreten des menschlichen Körpers, so¬
wie in forensischen Fällen mit Hilfe der Alm 6n- Schön -
b e i n’schen Reaktion.
13. Rank Bodo: Ueber einen Fall von geheilter Ilydro-Pyo-
uephrose.
Universität Freiburg i. B. Juni 1901.
16. Abraham Karl: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des
Wellensittichs (Molopsittacus undulatus).
17. Luxenhofer Jos.: Seltenere Komplikationen bei Masern.
Universität Giessen. Juni 1901.
24. Löh rer Hermann: Ueber Verletzungen der Lider und
Thnineuorgane, mit besonderer Berücksichtigung der Thrilnen-
sackverletznngen.
25. Lommel Fritz: Ueber angeborene Irisanomalien (Reste der
Pupillarmembran. Villositates congeultae strati retinalis).
26. Sweet J. Edwin: Die Mischgeschwülste am unteren Ende
des Urogenitalapparates der Kinder.
27. Hohn Joseph: Beitrag zur Exstirpation des Ganglion Gasseri.
28. Sch link Nicolnus: Ein Beitrag zur Kasuistik der Augen-
erkrankuDgen bei Diabetes mellitus.
Universität Greifswald. Juni 1901.
24. Brodbeek Carl: Ueber Fettembolie.
Universität Halle. Juli 1901.
24. D6r6koff Nicolaus: Ein Beitrag zur Keuutuiss der circum-
scripten M uskeigmnmatu.
25. Fr lt sehe Ernst: lieber Sanduhrmagen.
2(5. Kachlet* Martin: lieber Fremdkörper In den Luftwegen.
27. Martin Ernst August: Zur Pathologie der Placenta.
28. W111 e Georg: Ein Fall von Chyluserguss in Brust- und
Bauchhöhle.
Universität Heidelberg. Mai 1901: Nichts erschienen.
Juni 1901.
9. Hof fner Carl: Schwangerschaft «Veränderungen ausserhalb
der Genitalsphäre.
Universität Jena. Juni 1901.
12. Bode Alfred: Beitrag zur Lehre vom Hydroceplialus internus. v
13. Werner Carl: Zur Aetiologie der Spitzentnberkulose. -—\-
14. ,T aehne Arthur: l'eber diabetische und senile Gangrncti.
insbesondere über den Ausgang der Amputationen nach der¬
selben.
15. Nitzsche Ernst: Beiträge zur Kenntniss der Augen¬
erkrankungen bei Diabetes mellitus.
Universität München. Juni 1901.
53. Kuschel Richard: l’eber Resultate bei Nervennähten.
54. Jeggle Caspar Max: Ueber die Wirkung des Chelidotiium
majus hei Carcinom.
55. Ra mis Ibrahim Ali Bey: Zur Kenntnis« der akuten geilten
Leiteratrophie, insbesondere der dabei beobachteten Regenera¬
tion «Vorgänge.
50. II a n s Adolf: Zur Kasuistik der Skrotalgangraen im Anschluss
an Urethritis.
57. B o d e n s t e i n e r Friedrich: Beitrag zur Kenntniss d-s
Morbus Basedowii.
58. Grnshc y Rudolf: Ueber Verbrennungen.
59. Wies Hans: Prognose der Hasensehartenoperationen (Bei¬
trag zur Statistik der Hasensehartenoperationen der chirur¬
gischen Klinik München).
(k*. Bock F.: Die kroupöse Pneumonie auf der 1. med. Klinik
und Abtheilung des Herrn Gelieimraths v. Ziemssen in den
Jahren 1892— 05 inel.
61. Wiedemann Albert: Typhus abdominalis auf der I. m?di-
cinisclieu Klinik und Abtheilung des Herrn Geheimraths
v. Ziemssen in den Jahren 1895 mit 1899.
02. Maier Max: Ueber Darmblutung bei Abdominaltyphus.
Eine Statistik der in den Jahren 1880—9G auf der I. med. Klinik
beobachteten Fälle.
63. Fischer Carl: Ein Fall von Kugelthrombus.
04. B o 11 y Joseph: Ueber einen Fall von Wirbelfraktur mit sekun¬
därer Rückeiimarkslaesion.
05. Noll Ludwig: Zur Differentialdiagnostik traumatischer Ver¬
letzungen des Conus medullaris und der Cauda equina.
00. Oberreit Fritz: Ein Fall von Horncysten nach miliar¬
papulösem Syphilid.
07. Peltz Kurt: Die Krankheiten der Leiter und der Gallenwege
auf der I. med. Klinik und Abtheilung des Herrn Gehelmrath
v. Ziemssen in den Jahren 1890—95. lncl.
08. Laufen b e r g Jakob: Ueber eine Dermoidcyste am Sternum.
09. Kost Paul: Ein kryptogener Fall von idiopathischer Hcrz-
liypertrophie.
70. Weinberg Rudolf: Ueber primäre Sarkome des Magens.
71. Scliloed er Karl: lieber freie Gelenkkörper.
Universität Bostock. Mai—.Juni 1901.
9. Bernsdorf Alfred: Die Schwankungen des Grund Wassers
und der Grundwassertemperaturen während der Zelt vom
Sept. 1899 bis Dez. 1900 nach den Beobachtungen im hygie¬
nischen Institut zu Rostock.
10. Beulshausen Friedrich: Zur Kenntniss der Ursache des
Klebrig werden« von Brot.
11. Hübner J.: Zur Pharmakologie des Kobalts mit besonderer
Berücksichtigung seiner Verwendung als Gegengift hei Blau¬
säurevergiftung.
12. Simonis Adolf: Statistische Untersuchungen über die Di¬
phtheriebewegung in Rostock von 1884 bis 1895.
13. Vietinghoff-Scheel. Eduard Frhr. v.: Ein Beitrag
zur experimentellen Erforschung der Wirkung und des physio¬
logisch-chemischen Verhaltens der Oxalsäure und ihres neu¬
tralen Natriumsnlzes.
14. Keil Albert: Ueber die sogenannte „Körnige Entartung“ der
rotlien Blutkörperchen bei Vergiftung mit Blei, Thallium,
Kupfer. Kobalt. Arsen und Kohlenoxyd.
15. Lau Carl: Ueber vegetabilische Blutngglutlnine.
10. Pro sch Gustav: Beiträge zur Kasuistik und zur Lehre der
ektopischen Schwangerschaft.
Universität Strassburg. Juul 1901: Nichts erschienen.
Universität Tübingen. Juni 1901.
14. Arnos Julius: Ueber vaginale Ovariotomie.
15. Haarland Max: lieber Bindehauttransplantation. _v
1(5. Gross Paul: Ueber stricturirende Darmtuberkulose. —-
17. Hartmann Adolf: Ein Fall von tuberkulöser Darmstenuse. — -
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1192
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
18. Hayil Heinrich: Ein Full von chronischer halbseitiger Bulbäv-
parnlyse.
11). Henk e Otto: Ein Beitrag zur Kasuistik der sympathischen
Ophthalmie.
20. M u nd t Richard: Ueber Careinoinentwiekelung in Fihro-
myoinen des l’terus.
21. Sigel Julius: Bemerkungen zu den blindenstatistischen Ar¬
beiten aus der Ttiblnger Kliuik.
22. Sigwa rt Walter: lieber die Einwirkung der proteolytischen
Fermente Pepsin und Trypsin auf Mllzbrandbacilleu.
23. Wulff Alfred: lieber die Iteductionsfühigkcit der Bacterien
einschliesslich der Aunerobien.
Vereins- und Congressberichte.
Berliner medicinische Gesellschaft
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 10. Juli 1901.
Herr William Levy demonstrirt einen neuen transportablen
Fusshalter.
Herr Alexander stellt einen Manu vor, bei dem eine
starke Verwölbung des linken falschen Stimmbandes zu scheu
ist. welche durch exspirntorisehen Lnftelntritt in den Sinus
Morgagni zu Stande kommt, dessen Appendix in Folge einer alten
hietischen Narbe sackförmig erweitert ist. Itechts dieselbe Ab¬
normität in sehr geringem Maassc.
Tagesordnung:
Besprechung einer internen Vereinsangelegenheit.
Dr. S e e k 1 m a n n.
Verein für innere Medicin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 8. J u 1 i 1901.
Herren Michaelis und Jacob zeigen die Präparate eines
Falles von Endocarditis ulcerosa gonorrhoica aortica, der schon
während des Indiens als solcher dingnosticirt war, und in dem auch
die Züchtung der Gouococcen aus den Auflagerungen der Herz¬
klappen gelang. Die Diagnose gründet sich auf die besondere
Form und häufig intracelluläre Lagerung der Coccen, die Eutfärb-
barkeit nach Gram und die Kulturfähigkeit nur auf bestimmten
Nährböden. Der Fall verlief in kaum 2 Monaten nach dem iu-
fizlrendeu Coitus letal. Seit dem ersten derartigen Fall, den
v. L eyde n 1893 vorstellte, sind etwa 5!) Fälle bekannt gewordeu.
Herr A 1 b u stellt einen Fall von Carcinoma ventriculi vor.
Die vierjährige Dauer der Beschwerden Hess au eine gutartige Ge¬
schwulst denken, die Operation durch Lcxer ergab aber ein
faustgrosses Adenocnrcinom. Gegenüber vielfach noch vor¬
handenen Anschauungen betont A1 b u, dass Sarelne im All¬
gemeinen nur bei gutartigen Stenosen im Mageninhalt zu finden ist.
S t r a u s s bestreitet dicB.
Herr Gerhardt zeigt ein von Ta 11 qu ist in Kuno-
1» e r g's Klinik eingeführtes Verfahren, den Haemoglobingehalt
des Blutes zu bestimmen. Ein Blutstropfen wird auf ein Filtrir-
papier bestimmter Art gebracht und seine Farbe mit der einer bei¬
gegebenen, sorgfältig hergestellten Farbeuskala verglichen. Die
Methode soll für die Sprechstunde durchaus genügen, ist aber nur
bei Tageslicht brauchbar.
Herr Alfred Rothschild: Beitrag zur Kenntniss ge¬
rinnselartiger Gebilde im Urin.
Ein 59 jähriger Mann schied mehrmals nach voraufgegangener
Haematuric gerinnselnrtige Gebilde mit dem Urin aus. Die Ge¬
rinnsel hatten die Länge eines kleinen Fingers, entsprachen in der
Dicke etwa dem Ureter, waren glasig durchscheinend und sehr
elastisch. Erst spät konnte ein Niereutumor gefühlt werden. Die
Operation ergab ein Kleseuzellensarkom am oberen Pol der Niere,
in die Geschwulst waren gerinnselartige Gebilde? eingelagert. eben¬
so in den sehr erweiterten oberen Theil des Ureters. Die chemische
Natur der Gebilde konnte nicht sicher festgestellt werden, aus
Fibrin bestanden sie nicht.
Herr Lippmann: Ueber einen Fall von traumatischem
Scharlach.
Ein klüftiger Knabe erhielt bei einer Schlägerei einen heftigen
Schlag auf die* linke Wange. Darauf Kopfschmerzen, am nächsten
Tage hohes Fieber, schliesslich follikuläre Angina, typisches Scliar-
lachexnntlietn, das auf der linken Seite begann. Abheilung unter
starker Schuppung. Eine Ansteekuugsgelegeuhelt war nicht eruir-
bar, mul Verfasser nimmt an, dass dieser Scharlach ausgegangen
ist von einem latenten Herde in der linken Tonsille, den der Knabe
von einem früher sicher Uberstandenen Scharlach zurückbehalten
batte. Das Trauma hatte die Mobilisirung des Herdes veranlasst.
J a p h a - Berlin.
No. 29.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 6. März 1901.
Vorsitzender: Herr C. Fraenkel.
Herr Braunschweig: Ueber kombinirtes Empyem
der Gesichtshchlen, mit Krankcnvorstollimg. (Der Vortrag er¬
scheint an anderer Stelle dieser Nummer.)
B e s p r e r h u n g: Herr Leser fragt an. oh der Vortragend;*
sein Verfahren für alle Empyeme der Stirnhöhle oder nur für
solche empfohlen wissen wolle, die in die Augenhöhlen vorbrechen,
und betont, dass sich auch ihm sehr sorgfältiges Vorgehen und
breite Eröffnung jedes Itecessus, die zuweilen mehrfach vorhanden,
unbedingt nütliig zum endgiltigeu Ausheilen dieser Processe ge¬
zeigt halte.
Herr B r a u n s e h w e i g beantwortet die Finge des Vor¬
redners dahin, dass er sein Verfahren vorzüglich für korubinirte
Empyeme empfehle.
Herr R a m m s t e d t glaubt, dass man im Allgemeinen mit
der einfacheren Art der Operation nuskommen könne, nämlich mit
Aufmeisselung der unteren Stirnhöhlen wund; wenigstens sprächen
dafür die Erfahrungen der chirurgischen Klinik.
Herr Frese: 2 Fälle von Lepra, mit Krankenvorstellung.
Vortragender gibt einen kurzen historischen Ueberblick über
das Auftreten der Lepra und bespricht dann ihre verschiedenen
Erscheinungsformen, ihre pathologische Anatomie und Aetiologie.
Tm Anschluss daran erfolgt die Vorstellung der beiden an Lepra
leidenden Kranken. Es handelt sich um eine 37 jährige Frau uml
ihren 13 jährigen Sohn. Dieselben sind aus Surabaya auf Java
gebürtig: ersten* entstammt einer Miseblingsfamilie. Der Vater
des Knaben ist Deutscher und ebenso wie ein älterer Bruder des
Patienten gesund. Die Familie ist vor 5 Jahren von Java nach
Merseburg (Prov. Sachsen) iiliergesiedelt, wo die Erkrankung der
Frau, die bereits in Java begonnen hatte, erhebliche Fortschritte
gemacht hat. Zur Zeit bietet Patientin vorwiegend das Bild einer
Lepra tuberosa dar, doch finden sich auch ausgedehnte Seusibili-
tätsstöruugen au Beinen und Annen. Temperatur- und Schmerz¬
sinn sind dabei stärker geschädigt als die Tastempfindung. Der
Knabe ist wahrscheinlich erst in Deutschland von seiner Mutter
iutizirt worden. Er leidet an der maculo-anaesthetischen Fonn der
Lepra. Seit 2 Jahren haben sich allmählich Muskelatrophieu uml
Sensibiiitätsstörungen au den Hiimlen ausgebildet. Seit % Jahren
bestellt ein maculüses Exanthem, das am stärksten im Gesicht aus¬
geprägt ist. Die Feststellung der Natur der Erkrankung erfolgte
Anfang dieses Jahres und führte zur Ueberweisung der beiden
Patienten an die medicinische Klinik zu Halle. Bel der Frau
fandeu sich zahlreiche Leprabacillen in den theilweise zerfallenen
Gesichtsknoten, ausserdem waren sie im Blute nachweisbar; hier
lagern sie stets zu Häufchen zusammengeballt und waren regel¬
mässig grossen e 1 n kernigen Zellen au- resp. eingelagert. Das
Protoplasma der letzteren enthielt keine Granulationen und batte
sehr undeutliche Ivontouren. Bel dem Knaben waren lepröse Ge¬
schwürssekrete nicht vorhanden. Weder in 2 excidlrten Haut-
stückchen, noch im Inhalt künstlich erzeugter Hautblasen noch
endlich im Exantlicmblut konnten leprabacillen nachgewiesen
werden. Erwühnenswerth ist bei beiden Kranken dasBesteben einer
erheblichen polyuueleören neutrophilen Leukocytose. Bel dem
Knaben fandeu sicli 14 500. bei der Frau sogar 32 800 Leukocyten
im Kubikmillimeter (bei Letzterer betrug Hb nach Fleischt
— 40 Proc.. N = 2 930 000). Bei der Frau bestand eine leichte
chronische Nephritis. Im spärlichen Urinsediment waren niemals
Leprabacillen nachweisbar. Fieber war bei beiden Kranken nicht
vorhanden.
Auf ministerielle Verfügung hin erfolgt in den nächsten Tagen
die Uelierführung der beiden Patienten in das Lepraheim bei
Memel.
Bes p rech u n g: Herr C. Fraenke 1: An der Kontagiosl-
tät der Krankheit könne man nach manchen in der Literatur
niedergelegten Beobachtungen, die geradezu den Charakter eines
Experimentes tragen, nicht mehr zweifeln; auch die Einschleppung
der Lepra in unserer Zeit nach den Sandwichinseln und dem Ivap-
lande durch eingewanderte Chinesen und Indier spräche ganz in
dem gleichen Sinne. Immerhin sei die Ansteckungsgefahr aber
doch eine relativ recht geringe, und es bedürfe jedenfalls einer
hochgradigen Empfänglichkeit, um die Lepra zu ncquirlren.
Was die Frage der Verbreitung der Leprabacillen im Gewebe
angehe, so sei die von den hervorragendsten Sachverständigen
längere Zeit bestrittene Ansicht von Unna, dass die Bacterien
nicht In den Zellen, sondern in erweiterten Lymphgefässen ihren
Sitz hätten, nach neueren Untersuchungen für manche Fälle doch
wohl zutreffend. Es finden sich eben beide Möglichkeiten ver¬
wirklicht.
Herr Seeligmüller hat in dem Vortrage des Herrn F r e s e
die Erwähnung der M orva n'sehen Krankheit vermisst, welche
in Küstenländern, z. B. in der Normandie, keineswegs selten be¬
obachtet wird und wohl mit der Lepra identisch ist. obwohl die
Differentialdiagnose von Syringomyelie, wenigstens in den Au-
fangsstadlen der Krankheit, einige Schwierigkeiten hervorrufen
kann.
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16. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1193
Herr v. Mering wirft die Frage auf, ob man nach dem
neuen Reichsseuchengesetz eine Verbringung der Kranken in das
Lepraheini bei Memel auch gegen ihren Willen erzwingen könne.
Herr R 1 s e 1 führt aus der Literatur noch einige besonders
beweisende Fälle auf für die Uebertragbarkeit der Lepra und be¬
richtet ferner über die Scliicksnle der im Mittelalter in Halle be¬
findlichen Leproserie. deren Reste als Gebäude bis zum Jahre 1S."»0
bestanden. ' •
Herr Fraenkel ist der Meinung, dass die von Herrn
v. Mering gestellte Frage ohne Zweifel bejaht werden müsse.
Das Reichsseuchengesetz gebe uns die Möglichkeit, gerade Lepra¬
kranke dem Hospitnlzwange zu unterwerfen, und daraus leite sich
mit logischer Konsequenz die weitere Folgerung ab, dass das be¬
treffende Hospital auch die nötldge Gewähr gegen eine weitere
Verschleppung der Affektion biete. Das treffe aber in diesem Falle
nur für Memel zu und danach müsse in diesem Sinne auch in der
Praxis verfahren werden.
Die Syringomyelie und ebenso auch die M o r v a n’sche
Krankheit haben nach dem Ergebniss der neueren einschlägigen
Forschungen mit Lepra nichts zu thun.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 25. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Lenhartz.
I. Demonstrationen:
1. Herr Wiesinger spricht unter Demonstration von
2 Patienten ül>er die Dauerresultate nach totaler Dannausschal¬
tung. Bei beiden Patienten liegt die Operation etwa 0 Jahre zu¬
rück. Beim 1. Fall — 17 jähriges Mädchen, tuberkulöser Tumor
coeci mit Stercoralflstel — war die Resektion wegeu Verwachsung
der Dannselilingeu unmöglich und wurde daher die totale Aus¬
schaltung so ausgeführt, dass das Ucum in der Nähe des Coecum
durchschnitten, der distale Theil verschlossen, der proximale
axial in das ebenfalls durchschnittene Colon trnnsversum, und zwar
in dessen distalen Theil eiugenäht wurde. Die Kothlistel, durch
welche die ausgeschaltene Schlinge mit der Aussenwelt eommuni-
cirte, entleerte bald nur etwas glasigen Schleim und besteht noch
Jetzt, ohne die Trägerin zu geniren. Der Coecaltumor Ist fast ganz
verschwunden. Patientin ist dauernd wohl und hat sich inzwischen
verheirathet.
Fall 2. 31jährige Frau. Ausschaltung des Colon trausversum
et descendens und eines Theils der Flexuru sigmoiden wegen chro¬
nisch-entzündlicher Zustände dieser Darmtlieile. Totale Occlusion
1 y 2 Monate nach der Ausschaltung, nachdem inzwischen die Se¬
kretion durch Spülungen minimal geworden ist. Verbindung des
Colon ascendens mit der Flexura sigmoiden. Seitdem völliges
Wohlbefinden. Gewichtszunahme, Arbeitsfähigkeit. Der Fall ist
um so bemerkenswerther, als er der einzige in der Literatur vor¬
handene ist, bol welchem so lange (<> Jahre!) totale Occlusion be¬
steht. Die 3 anderen bekannten Fälle mit primärer Occlusion
sind aus verschiedenen Gründen aus dieser Kategorie wieder aus-
gesthieden.
2. Herr Franke bespricht und demonstrirt au 2 Männern
die Westphal-I* ilt z'schen Pupillenphänomene, die in einer
Verengerung der Pupille bei Orblcularlsschluss und
Orbicularisspannüng bestehen und die man am besten
bei träge reagirenden, weiten oder mittelweiten Pupillen beobachtet.
Bei Gesunden ist die Erscheinung selten. Bei Kranken ist die para¬
doxe lteaction ganz häufig zu bemerken. West p li a 1 und Piltz
haben Anfang 18!)!) fast gleichzeitig auf dieses Symptom hin-
gewiesen und statistische Belege darüber gegeben.
II. Vortrag des Herrn Sinell: Geistig zurückgebliebene
Kinder und ihre Behandlung.
Vortragender gibt einleitend eine Reihe von Definitionen
fiir Idiotie und Jmbecillität, wie sic von alten und modernen
Psychiatern aufgestellt sind. Idiotie ist von geistiger Schwäche
zu trennen. In der ersten Gruppe findet man idiotisch-blöd-
sinnige und idiotisch-bildungsfähige Individuen. In Bezug auf
Prognose (quond sociale Stellung) und Therapie verhalten sich
beide llnuptgTupiK-n fast gleich, ebenso ist das somatische
Moment nicht in differentiell-diagnostischer Weise zu verwerthen.
I nter Idiotie ist eine angeborene oder in früher Jugend er¬
worbene chronische Gehimerkrankung zu verstehen, die wohl die
Erwerbung von Sinneseindrücken, nicht aber die selbständige
Bildung von AllgemeinbegrifTcn gestattet. Die daraus resultircn-
den Störungen betreffen das motorische, sensorielle und intellce-
tuello Gebiet. Nur die Prüfung des Intelleets gibt differentiell-
diaimostisehe Anhaltspunkte zwischen Idiotie und geistiger
Schwäche, zwischen welchen, wie Vortragender hervorhebt, selbst¬
redend fliessende ITebergänge Vorkommen. Das sieht man vor
Allem in den sog. Hilfsschulen für geistig zurückgebliebene
Kinder. Sehr wichtig ist die frühzeitige Erkennung dieser Zu¬
stände, da eine frühe Erziehung naturgemäss sehr wichtig ist.
AI« Frühsymptome erwähnt Vortragender, dass solche Kinder
schlecht saugen, viel schreien, grosse Unruhe oder eine auffallende
Indolenz zeigen, bisweilen blind und taub sind, bisweilen auch nur
so scheinen. Unter Imbeeillität ist nicht ein geringer Grad von
Idiotie zu verstehen. Unter den Imbecillen findet man häufig
moralisch Defekte, antisoeiale Elemente. Wichtig ist für die
Prüfung eines geistig zurückgebliebenen Individuums der vor¬
handene Grad der Aufmerksamkeit, ob sie spontan oder an-
erzogen; ferner der Farbensinn, die Hörfähigkeit, die oft nur
scheinbar schlecht ist, weil die Aufmerksamkeit fehlt, weiter der
Tast- und Geruchsinn. Das mangelhafte Muskclgefühl ist die
Ursache für die motorische Schwäche, die Ungeschicklichkeit
mancher Idioten. In somatischer Beziehung ist endlich auf (las
Vorhandensein von adenoiden Vegetationen zu achten. Ob deren
Entfernung — die nie von dem die Erziehung übernehmenden
Arzte zu geschehen hat — in therapeutischer Beziehung Resultate
aufzuweisen hat, will Vortragender dahingestellt sein lassen.
Möglichst frühzeitig ist mit der systematischen Erziehung
zu beginnen. Dieselbe soll möglichst im Hause, in der Familie
statt finden, da durch den Verkehr mit der Aussenwelt das Lernen
erleichtert wird. Dazu gehört natürlich eine grosso Geduld und
aufmerksamste Ueberwachung. Eino Anstaltsbehandlung ist
immer nur Nothbehelf: die Anstalt soll eigentlich nur als Asyl
für völlig verblödete Idioten in ihr Recht treten. Die Erziehung
besteht im Wecken der Aufmerksamkeit, in systematischem
Sprachunterricht, in Ausbildung des motorischen Apparates. Zu
beachten sind ferner: Ruhe, Fernhalten alles Störenden, gutes
Vorbild, Vermeidung von körperlichen Strafen. Bezüglich des
Erreichbaren muss man sieh vergegenwärtigen, dass die Idiotie
als solche unheilbar ist. Man kann aber aus Idioten durch Er¬
ziehung Menschen machen, die mit einer gewissen Selbständigkeit
zu leben verstehen und sogar einige Handfertigkeiten erlernen.
Der Imbccille ist, da ihm nio zu trauen ist-, ständig zu über¬
wachen, wenn er auch weit mehr durch Erziehung zu leisten
vermag als der Idiot.
Diseu8sion: Herr M a r r bespricht die Ei uHclitupgeii.d'.' r
..Hilfsschulen“ für die Sehwaelibefühigten, von denen in Hamburg
zur Zotf rr ’bostPtlüTl, die dell - Volksschulen ungegliedert sind.
Kinder, die in der untersten Klasse der Normalschule in 2 Jahren
nicht das Jahrespensum erlernt haben, werden der Hilfsschule
überwiesen. Hier wird zunächst durch eine Aufnahmeprüfung
die Sprache, der Farben-, Formen- und Zahlensinn festgestelll.
Auf den Gang eines solchen Examens geht Vortragender ausführ¬
lich eiu. Etwa y s Proe. der Volkssehulkinder erweist sich schwach-
befähigt und findet daher in der Hilfsschule Aufnahme. Diese
— in Hamburg on. JiOO Kinder — zeigen häutig Missbildungen.
Schädeldeformitäten, Lähmungen, fehlerhafte Zahnhildung.
NasonrachenvegetatIonen. Sprachstörung (etwa 80 Proe.). Der
Erfolg der Hilfsschulen ist ein ganz eminenter: 72 Proe. der aus
ihnen liervorgegangeneu Schiller werden vollständig. 1!) Proe.
theilweise erwerbsfähig. Der Rest erweist sich als nicht bildungs¬
fähig. Die Lehrer haben Sprachkurse dureligeniaeht, uni auf diese
Störungen besonders erziehlich wirken zu können. M. erwähnt
dann, dass der Besuch der Hilfsschule die Einstellung iu’s Militär
aussehliesst, ausserdem auch uoeh gewissen Schutz vor dem Straf¬
gesetz nach sieli zieht.
Herr Buehholtz luncht darauf aufmerksam, dass es zwi¬
schen moralisch Schwachen (inoral insanityi und Imbcoilleu keinen
Untorseiiied gehe. Die Entfernung der Minderbegabten ans den
Schulen ist nicht nur für diese seihst ein Gewinn, da ihre Er¬
ziehung individueller nugepackt werden kann, sondern vor Allem
auch für die gesunden Kinder, deren weitere Förderung ohne Rück¬
sicht auf die geistig zurückgebliebenen geschehen kann.
Herr E m hden ermahnt, sieh in Fällen von Idiotie an Myx-
oedenia infantile und an Ileredosyphilis zu erinnern, da man in
diesen beiden Kategorien glänzende therapeutische Erfolge erzielen
kann. Kr macht ferner auf die Kinder mit Pseudoschwachsinn
aufmerksam, hei denen eine Vernachlässigung unter elenden
häuslichen Verhältnissen und mangelhafte Erziehung Schwach¬
sinn vortiiusohon. Eine gross«* Zahl der in den Hilfssehulen ge
besserten Fälle gehört in diese Kategori«*. Der Werth dieser
Schulen ist ein ungeheurer, auch vom Publikum anerkannt. Die
Fürsorge des Staates für Idioten ist «*in immer noch nicht überall
erfülltes Desiderat.
Herr Sa enger erwähnt u. a. als in prophylaktischer Hin¬
sicht wichtige Momente die Ehen zwischen Blutsverwandten mul
die Zeugung im Rausch.
Herr Engel mann hält eH für üuss(*rst wichtig, dass der
Sprachunterricht, der geistig zurückgehli«»benon Kinder unter ärzt¬
licher Uobenvnehung stattfände. Die Entfernung der adenoid n
Vegetationen ist nur angezeigt, wenn sie Atlmrang und Hörfähig¬
keit behindern.
Herr S i n e 11: Schlusswort. W e r n e r.
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Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Ofticielles Protokoll.)
Sitzung vom z 1 . Mai 1 90 1 .
Vorsitzender: Herr Edlefson. Schriftführer: Herr .Just.
Herr Delbanco zeigt den Ixodes ricinus, den gemeinen
Holzbock. Derselbe belsst sieh nm Menschen mit Vorliebe am
Skrotum, wie auch in diesem Falle, fest. Der betr. Herr hatte
sich während einer Radtour in einem Gehölz niedergelegt. Die zu
einer Blase von der Grösse einer grauen Bohne angeschwollene
Zecke hatte nach Angube des Pat. schon über drei Wochen am
Skrotum gesessen. Für die Therapie kommt einzig in Betracht,
dass das Thier betäubt werden muss, um es zum Loslassen zu be¬
wegen. Delbanco verbreitet sich noch kurz über die einzelnen
für die menschliche Pathologie in Betracht kommenden Zecken¬
arten.
Discussion: Herr Deutschmann sah die gleiche
Zecke einmal am Augenlide und musste das Thier mit Chloroform
tödteu, um es leicht extraldren zu können.
Herr S i m m o n d s: Ueber Spätstörungen nach Tracheo¬
tomie.
Von Störungen nach vollständiger Verheilung der Tracheo-
tomiewunde kommen in Betracht: 1. Seitliche Einengungen,
2. (iranulationsgeschwülste, 3. Narbenstrikturcn. Da Traeheo-
tomiewunden nie mit. Wiederherstellung des Knorpels heilen,
bleibt eine geringere Resistenz des Knorpelringes an seinem vor¬
deren Bogen. Der Knorpel knickt hier ein, wenn seitlich ein
Druck cimvirkt, also besonders bei Strumenbildung. An Gips-
ausgüssen kann man das gut nachweisen, und speciell an dem
einen vorgelogten Luftröhrenausguss von einem Manne, der
mehrere Jahre zuvor tracheotomirt war, später öfter an Stridor,
chronischem Bronchialkatarrh und Emphysem litt, ist die eircum-
seripte Einengung der Trachea am Orte der Operation sehr auf¬
fällig, während die Schilddrüse nur massig vergrößert ist. Da~s
diese Einengungen gelegentlich zu ernsten Störungen Anlass
geben, geht, aus Mittheilungen von Ranke, Schulz u. A.
hervor. Stenosirende Granulationspolypen halte ich im Gegen¬
satz zu den Angaben vieler Chirurgen und Laryngologen für
etwas sehr Seltenes. Unter vielen hundert Tracheotomien, die
ich selbst behandelt oder mit beobachtet habe, unter vielen hun¬
dert Sektionen tracheotomirter Individuen habe ich jetzt zum
ersten Male eine Trachealstenose durch Granulationsbildung ge¬
sehen. Ich kann daher die Anschauung, dass Granulations¬
polypen eine häutige Ursache erschwerten Deeanulements sein
soll, nicht theilen. Der Fall, über welchen ich berichte, betraf
ein 4 jähriges Kind, welches im Januar wegen Diphtherie
traeheolomirt und bald geheilt entlassen wurde. 2 Monate später
bekam es Varicellen, einen starken Bronchialkntarrh und Athem-
beschwerden; bevor Hilfe kam, erstickte das Kind. Bei der
Autopsie fand ich am unteren Rande der linearen Narbe einen
erbsengrossen Granulationstumor, der eine starke Stenose hervor¬
gerufen hatte. Schwellung der Schleimhaut und Sekret-
anhiiufung hatten dann die Erstickung veranlasst. Narbcn-
strikturon nach Tracheotomien sind selten, da die Patienten mit
ausgedehnter Nekrose der Knorpel und der Schleimhaut meist
Schluckpneumonien erliegen.
Discussion: Herr F r ii n k e 1 lmt nur einmal eiuen Gra¬
nulationspolypen nach Tracheotomie gesehen als zufälligen Leich *ii-
befund. Etwas grösser sei die Zahl (1er narbigen Strictureu, di«;
im Bereiche des unteren Kanülenendes durch Knorpeluekrose ent¬
stehen.
Herr W I e 8 1 n g e r glaubt, dass die Granulatiouspolypen
häufiger seien, aber als Erscheinung am Lebenden nicht auf dem
Leiehentiscb, wenn diese Polypen auch nicht die häufigste Ur¬
sache erschwerten Deeanulements seien, sondern hierbei narbige
Strieturen und Knorpelerweieliungen oft die Schuld tragen.
Herr Lauenstein glaubt, dass die seit einigen Jahren
eingeführte Verkürzung der Kanüle um 1—l>/ 2 ein sehr segens¬
reich wirke.
Herr Fränkel betont, dass seine Erfahrungen auch am
Lebenden gemacht sind.
Herr S 1 m in o n d s: Meine Erfahrungen über das Vorkommen
von Granulationspolypen stammen nicht allein vom Sektionstisch
her. Ich habe etwa HM) mal diphtheriekranke Kinder traeheo-
ton'irt; dort wo das Decanulement sich verzögerte, waren nicht
die Granulationen, sondern, wie lnrvngoskopiseh sieh feststellen
Hess. Störungen in der Thiitigkeit der Kehlkopfmuskeln daran
Schuld. Ebenso war auch bei der Autopsie mehrerer Kinder, bei
welchen die Kanüle nicht zu entfernen war und welche uach
längerer Zeit an anderen Krankheiten starben, nichts von Granu¬
lat ionspolypen zu finden.
Herr Sonheim: Ueber die Entwicklung der elastischen
Fasern in der foetalen Lunge.
No. 29.
Vortragender hat 24 Föten untersucht von 4 cm Länge bis
in dio letzten Stadien der Foetalzeit und einige Kinder im ersten
Lebensmonat.
Auf Grund der histologischen Untersuchung gelangt Vor¬
tragender zu folgenden Resultaten:
1. Die Entwicklung des elastischen Gewebes in der foetalen
Lunge beginnt im 3. Monat und ist beendet mit der Geburt.
2. Das elastische Gewebe tritt in der foetalen Lunge in fol¬
gender Reihenfolge auf:
Gcfässe, grosse Bronchien und Knorpel, mittelgrosse Bron¬
chien, Pleura, kleine Bronehien und Alveolen.
3. Als Vorstufen des elastischen Gewebes sind scharf kon-
tourirte, stark lichtbrcehende, nach Weigert nicht tinctions-
fähigo Bindcgewebsfibrillen aufzufasson.
4. Man kann aus der Anordnung der elastischen Fasern in
der Lunge, aus ihrer Stärke und Tinctionsfähigkeit bestimmte
Rückschlüsse auf das Alter des betreffenden Foetus machen. Da
dio elastischen Fasern noch in faulen Früchten gut darstellbar
sind, kann diese Methode für gerichtsärztliche Praxis von Werth
sein.
(Der Vortrag erscheint in extenso in den Mittheilungen
aus den Hamburger Staatskrankenhäusern.)
Discussion: Herr Unna fragt, ob bei den Untersuch¬
ungen sich ein Schluss auf die Art der Entstehung des elastischen
Gewebes ergeben habe, die bei der Haut umstritten sei (amorph als
Tröpfchen, Kugeln oder als feinste Fädchen) Ferner wünscht
U. zu wissen, ob sich Unterschiede in den erlangten Resultaten
bei Anwendung der W e i g e r t’sehen und der l T u n a - T ä n z e r -
sehen Methode ergeben haben.
An Vnrhen hat U n nn bewiesen, dass elastisches Gewebe nur
entsteht, wo es sieh nicht um permanenten Druck, sondern um
Druckschwankungen handelt — also in der Umgebung von Ue-
fässen —, und fragt, ob Gleiches iu der Lunge der Fall sei.
Herr Simmonds erwidert Herrn Unna, dass Unter¬
schiede ln Bezug auf die erlangten Resultate bei Anwen¬
dung der W e i g e r t'sehen und der Unna-Tänze r’scheu
Methode nicht erkennbar sind. Er weist ferner auf die grosse Re¬
sistenz des elastischen Gewebes gegen Fäulniss hin; noch nach
lnehrwöehontlichem Faulen lassen sich diese Fasern durch Fär¬
bungen gut darstellen und daher sei iu der Tliat die Feststellung
des Alters eines Foetus aus Theilen einer faulen Lunge möglich
und gelegentlich vielleicht auch praktisch sei.
Herr Edlefsen: Zur Aetiologie der Rachitis. (Wird
an anderer Stelle veröffentlicht.)
Medicinisch-naturwissenschaftl. Gesellschaft zu Jena.
(Section für Heilkunde.)
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o in 3. Juni 1901.
Herr Wagenmann besprach 3 in der Augenklinik zu Jena
beobachtete Fälle unter Demonstration der entsprechenden Prä¬
parate und im ersten Fall auch mit Kranken Vorstellung.
1. Exophthalmus pulsans des rechten Auges mit Erblindung
des Auges längere Zeit nach Unterbindung der Carotis com¬
munis.
Das enucleirte Auge konnte pathologisch-anatomisch unter¬
sucht werden. Der Patient war bereits in einem früheren Stadium
der Erkrankung der medicinischou Gesellschaft vorgestellt.
(Sitzung vom 11. I. 1000.)
Der pulsiivndc Exophthalmus war kurze Zeit nach eluem
Revolverschuss in die rechte Schläfe aufgetreten. Ausserdem be¬
stand Lähmung des Abducens und des Oculomotorius. Auch das
linke Auge zeigte einen beginnenden Exophthalmus pulsans.
Visus r. S = */».», 1- S = 7t.- Die Kugel konnte durch Röntgen-
Strahlen nachgewiesen werden. Sie sass noch im Bereich der Or¬
bita. wahrscheinlich im Keilbeintiügel oder auf der Grenze des
Keilbeins und Jochbeins; sie batte offenbar den Schädelraum nicht
eröffnet.
Da Digitalcompression nur vorübergehend Besserung brachte,
wurde am 17. Januar 100 O in der chirurgischen Klinik die rechte
Carotis communis unterbunden. Die Heilung verlief glatt. Das
Kraukheitsbild wurde durch die Unterbindung wesentlich ge¬
bessert. Der Exophthalmus der rechten Seite nahm etwas ab, die
spontanen Pulsationen hörten auf, nur beim Eindrücken des Bulbus
fühlte man noch Pulsationen. Links verschwand der Exophthal¬
mus pulsans vollkommen und ist seither nicht wiedergekehrt; auch
beim Eindrücken des Bulbus in die Orbita sind Pulsationen nicht
zu fühlen. Das starke Sausen im Kopf hörte auf. später machte
sieh nur ein leichtes Blasen wieder bemerkbar. Die Oculomotorius¬
lähmung ging zurück. Die Abduccnslühmuug blieb bestehen.
In der allerletzten Zeit bemerkte Patient deutliehe Pulsationen,
wenn erden Nasenrücken mit zwei Fingern fasst und leicht drückt.
Nach der Unterbindung der Carotis communis trat in Folge von
ungenügendem Lidsolduss, der besonders durch einen starken che*
motisclien Wulst der Conjmietiva btilbi veranlasst war. leichter«*
Trübung der Cornea auf. das Sehvermögen sank auf ®/ ri . I)ess-
halb wurde Anfang Februar 1000 der Coujunctivalwulst exeidin.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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16. Juli’ 1901.
MUENCHENER MFDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
und die Lidspalte verengert und die Operation nach einiger Zeit
wiederholt, da Inzwischen der Exophthalmus wieder etwas zu¬
genommen hatte. Damals war der ophthalmoskopische Befund
bis auf Ausdehnung der Venen normal.
Im Laufe der nächsten Monate nahm die Prominenz des
rechten Auges langsam wieder zu, ohne dass aber Pulsationen
sichtbar wurden. In Folge von Insufficienz des Lidschlusses trat
ein Haches Ulcus corneae auf, das aber bei Behandlung mit
Sublimat und feuchtem Verband heilte. Das Sehvermögen sank
auf Fingerzählen in 2 m Entfernung. Die untere Homhauthälftc
wurde leukomatüs und xerotisch, das Epithel verdickt und verhornt,
zudem wurde die Comea-Skleralgrenze leicht ektatisch.
Im November lüOO hatte die Xerosis der Cornea und Con-
junctiva nach unten zugenommen, der Exophthalmus war stärker,
die Lidspalte schloss nur knapp, die Pupille war mittelweit, oval,
reactionslos. Man erhielt kein rothes Licht mehr mit dem Augen¬
spiegel aus dem Augeninnern. Totale Amaurose war eingetreten.
Auch weiterhin nahm der Exophthalmus stetig zu, die Prominenz
betrug, vom Orbitalrand aus gemessen, 3 cm, eine Schutzbrille
konnte nicht mehr getragen werden, das Auge störte den Patienten
so, .dass er auf die Entfernung des Auges bestand. Die Enucleation
wurde am 20. Januar 1901 ausgeführt.
Die anatomische Untersuchung des Auges ergab flache Netz¬
hautabhebung am hinteren Pol des Auges mit Kesten von Blu¬
tungen hinter der abgelösten Membran, Glaskörperabhebung, Glas-
kürperschrumpfung und Neubildung von Gefässen in dem ver¬
dichteten Glaskörpergewebe, sowie Keste von Blutungen. Ausser¬
dem fanden sich Zeichen von beginnendem Glaukom, vor Allem ein
ringförmiges Intercalarstaphylom mit Durchtrenuung der inneren
Scleralschichten und Ablösung der Descemc t’schen Membran.
An der Hornhaut fanden sich narbige Veränderung der Oberfläche
und ausgedehnte Epithelveränderungen (Verdickung, Verhornung).
Die genauere Beschreibung des Befundes wird demnächst in
einer Dissertation veröffentlicht.
2. Noma am Auge (symmetrische Gaugraen der Lider und
der Thränensackgegend).
Am 21. Mai 1000 wurde ein 6 Wochen altes Kind in die Augeu-
klinik zu Jena gebracht, weil sich seit 14 Tagen ein rasch zu¬
nehmendes Geschwür am rechten Auge gebildet hatte und das
linke Auge ebenfalls zu erkranken anling. Das Kind war sonst
gesund, wohlgenährt und kräftig. In der rechten Thränensack¬
gegend fand sich ein fast 2 cm tiefes Geschwür mit steil abfallen¬
dem Rand von ca. 2 cm Durchmesser, innen auf den Nasenrücken
und oben nach der Augenbrauengegend zu sich erstreckend und
aussen auf beide Lider übergreifend. Die Reaktion aiii Gpschwürs-
rand auffallend gering. Der Geschwürsrand erschien; inissfaTben,
graugelb und schwärzlich verfärbt. Der Bulbüs war nahezu in¬
takt die Sklera in grosser Ausdehnung freigelegt und oberflächlich
ulcerirt.
Am linken Auge fand sich der Beginn des Prozesses in Ge¬
stalt eines von der Thränensackgegend aus in die untere und obere
Lidfurche sich erstreckenden oberflächlichen Hautgeschwürs mit
graugelber Membran bedeckt
Die Ulceration ging Anfangs trotz energischer desinflzlrender
Lokalbehandlung und Allgemeinbehandlung weiter, kam aber dann
anscheinend zum Stillstand und flng an sich zu reinigen, besonders
rechts.
Dabei traten aber rechts vielfach Blutungen auf. Durch zu¬
nehmende Entkräftung, Anaemie und zuletzt auf tretende Broncho¬
pneumonie erfolgte der Exitus letalis nach ca. 14 Tagen.
Der Prozess muss als eine von der äusseren Haut ausgehende
ektogene Infektion aufgefasst werden. Bel wiederholter bacterio-
logischer Untersuchung waren Diphtheriebacillen nicht nachweis¬
bar, ebenso konnte Milzbrand und Rotz ausgeschlossen werden.
Fiir Lues fand sich ebenfalls kein sicherer Anhaltspunkt. Bei
der bacteriologischen Untersuchung Hessen sich im Deckglas¬
trockenpräparat nur Coccen nachweisen. Bei Züchtung wuchsen
einige Kolonien Stäbchen, die aber sicher keine Diphtheriebacillen
waren.
Die histologische Untersuchung des Auges und des Geschwüres
ergab eine flache Ulceration der Sklera, weit in die Orbita reichende
Ulcerationen mit geringer eiteriger Infiltration und mässlger Fibrin
ansscheldung in der Umgebung, dagegen mit starker Neubildung
jungen Bindegewebes, und mit spärlichem Detritus und Resten
von Haemorrhagien auf dem Geschwürsgrund. Die Reaktion des
Nachbargewebes gering. In den Schnitten Hessen sich stellen¬
weise zahlreiche Coccen auffinden.
Auch dieser Fall wird ln einer Dissertation ausführlicher mit-
gethellt
3. Doppelte Perforation des Auges durch Schussverletzungen.
Der Vortragende besprach die zweimalige Perforation des
Auges durch grosse und kleine Projektile und demonstrirte zuerst
ein Präparat von Lochschuss des Auges durch eine Revolverkugel.
Die bei einem Selbstmordversuch von vom herabgefeuerte Kugel
war innen unten am Llmbus eingetreten, die Cornea parallel zum
Cornealrand in grösserer Ausdehnung einreissend und war nach
Durchsetzung und Zertrümmerung des Bulbusinhalts dicht neben
dem Optlcns ausgetreten und durch die Orbita ln das Gehirn weiter
gegangen. Die Sklera war glatt durchschlagen. Das Präparat
war gewonnen, well zum Freilegen des Schusskanals die Orbita
exenterirt werden musste.
Sodann wurde ein Fall von doppelter Perforation des Auges
durch ein kleineres Projektil mitgetbellt Die Diagnose der zwei¬
maligen Perforation konnte sofort gestellt werden, well an dem
verletzten Auge deutlicher Exophthalmus, sowie totale Bxternus-
1195
lähmung bestand und weil cerebrale Symptome, mehrmaliges Er¬
brechen und Kopfschmerz, Vorlagen.
Die Schrotkugel war durch das linke obere Lid 4 mm ober¬
halb des Limbus in den Bulbus eingetreten und hatte Haemopli-
thalmus veranlasst. Die Bulbuswunde wurde gereinigt, die Con-
junctiva darübergeuiibt. Es bestand sofort vollständige Amaurose.
Die Röntgeuuutersuchung ergab, dass das Projektil in der
Tiefe der Orbita steckte, wahrscheinlich ln der Orbitalwand selbst.
Wegen heftiger Schmerzen und cyklitischer Reizung musste das
Auge nach ca. 2 Wochen enucleirt werden. Dabei zeigte sich der
Externus mit dem hintereu Skleralabschnitt lnnigst verwachsen.
Unter dieser Verwachsung lag die hintere Perforation in der Sklera
nach unten aussen vom Opticus.
Der Bulbus wurde schräg aufgeschnitten, so dass der Schnitt
durch Ein- und Ausschussöffnüug fiel. Auf dem Durchschnitt
sieht man in fast allen Theilen des Bulbus Reste von Blutungen,
die vordere Perforationsstelle klafft y a , die hintere 1 mm, beide
sind in Vernarbung begriffen. Am Einschuss findet sich ein
Kolobom der Iris und des Ciliarkörpers und geringe Linsenver¬
schiebung. Die Netzhaut ist total trichterförmig abgehoben. Den
Glaskörper durchziehen haemorrhagische Stränge.
Die nähere Beschreibung des Präparates erfolgt In einer
Dissertation.
Herr Grober: Tetanus chronicus. (Demonstration.)
Ein 12 jähr. Junge machte im September 1000 einen typischen
traumatischen Tetanus durch. An eine nach dem akuten Stadium
einsetzende Pause in den Muskelkontraktionen mit fast völligem
Schwinden der anderen Symptome schliesst sich das Jetzige Krank¬
heitsbild, das seit November 1900 ungefähr das gleiche geblieben
ist. Straffe Muskelkontrakturen am ganzen Körper, Opisthotonus,
nur Kopf, Hände und Füsse sehr wenig beweglich. Ausge¬
sprochener Trismus, Risus Sardonicus. Sensibilität und Reflexe
normal; die elektrische Erregbarkeit für beide Ströme ln Muskel
und Nerv herabgesetzt
Bei sehr erschwerter Pflege (Nahrungsaufnahme mittels
Schlauch) Therapie völlig ohne Erfolg, wahrscheinlich Binde-
gewebswuclieruDg.
Gleiche B'ülle sind nur von de Brun aus Beyrut bekauut
gegeben; eine ausführliche Veröffentlichung wird demnächst er¬
folgen.
Medicinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offizielles ProtokoU.)
Sitzung vom 18. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Curschmanu.
Schriftführer: Herr Braun.
Discussion über den Vortrag des Herrn F1 a d e (siehe
vorige Sitzung): Anwendung der Magensonde bei Ulcus ven-
triculi.
Herr v. Criegcrn: M. H.! Zu den Ansichten, die uns Herr
Kollege F1 a d e in der vorigen Sitzung über die Anwendung der
Magensonde bei Ulcus ventriculi vorgeführt hat, möchte Ich kurz
ln Folgendem meinen eigenen, thellwelse abweichenden Stand¬
punkt kennzeichnen. Bel der Bewerthung der Gefährlichkeit des
Verfahrens hat uns Herr Fl ade aus der Literatur Fälle von
gelegentlich sogar tödtlicher Blutung mitgetheilt Ich hätte gern-
gesehen, dass daraus die nöthige Consequenz schärfer gezogen
worden wäre. Diese lautet: das Verfahren ist contralndicirt, wenn
nicht Alles für eine eventuell nöthig werdende Laparotomie vor-,
bereitet ist, da es keine andere sichere Möglichkeit gibt, eine
Magenblutuug zu stillen. Also scheidet das Verfahren aus dem
diagnostischen Apparat der allgemeinen Praxis aus und bleibt der
chirurgischen Klinik Vorbehalten, und die Fälle sind so auszu¬
wählen, dass dieser Eingriff gerechtfertigt Ist. Vielleicht wird
dann Mancher überhaupt eine Probelaparotomie vorziehen. Meiner
Ansicht nach wird auch die diagnostische Bedeutung der Magen-
saftuntersuebung bei Ulcus veutricull weit überschätzt. Zu¬
nächst die des procentualen Salzsäuregehaltes. Ich hatte einen
Patienten mit Ulcusbeschwerden; sein Magensaft war wechselnd,
bald anacid, bald hyperacld. Ich nahm eine strenge Ulcuskur- vor,
die bei dem äusserst herabgekommenen Manne nur mit Hilfe
künstlicher Ernährung — Nährklystiere . und subkutane Oel-
infusionen — möglich war. Es trat voller Erfolg ein. Ein Jahr
später hatte der Patient wieder die gleichen Beschwerden; bei der
Aufblähung zeigte sich ein Sanduhrmagen. Herr Kollege Göpel
entfernte die harte, derbe Narbe und wieder trat voller Erfolg ein.
Jetzt kommt der Unglücksmensch nach Jahresfrist wieder mit
den gleichen Beschwerden. Nun sagen Sie mir einmal nach dem
Befunde des Magensaftes; hat der Mann ein Ulcus, eine Narbe,
oder hat er nur hysterische Beschwerden? Wenn überhaupt, lässt
sich das doch nur durch die fortlaufende Beobachtung entscheiden:
Der Mann Ist anaemisch, hat desswegen herabgesetzten Salzsäure¬
gehalt; dabei hat er eine Magenneurose (Schmerzen, Hyperacidität)
— ob die anatomischen Veränderungen, Ulcus und Narbe, Folge
oder Ursache der Neurose sind, ist nach unseren heutigen Kennt¬
nissen unsicher — jedenfalls entspricht der Siiuregrad des Magen¬
saftes nur dem Boden, auf dem sich das Ulcus entwickelt, nie aber
der anatomischen Veränderung als solcher. Dann die Bedeutung
gelegentlicher Blutbeimengungen. Alte Leute mit solchen sind des
Carclnoras dringend verdächtig. Ich bekam einst eine alte Frau
mit der Diagnose: Magenkrebs. Der Palpationsbefund war un-
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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRITT.
No. 29.
lide
sicher. Sie brach trotz regelmässiger Spülungen und Diät hüuüg,
und kam ganz gehörig herunter. Ich fand gelegentlich kleine,
sicher nicht arteflcielle Blutungen und setzte die SpUIungstherapie
voll lleberzeugung fort. Aber schliesslich ergab die auch hier
wieder souveräne fortlaufende Beobachtung Verlaufseigenthüm-
lichkeiten, die nicht zum Carcinom stimmen wollten. Wegen
gleichzeitig bestehender Leberschwellung begann Ich nun die Be¬
handlung ihres Alteremphysems; und richtig, jetzt heilte die Frau,
nahm an Gewicht zu —bei alten Leuten bekanntlich ein seltenes
Glück — und Ist nun seit 2 Jahren geheilt. Ich hatte also einen
Stanungskatarrh für ein Carcinom gehalten, und alle Mageusaft-
nntersuehuugen der Welt waren nicht im Stande gewesen, diesen
doch recht bedeutungsvollen lrrthum aufzuklären! Dann die
Differentlaldiagnose zwischen Carcinom und Ulcus bei jungen
Leuten. Haben Sie bei Jemanden Ende der zwanziger oder An¬
fang der dreissiger Jahre Verdacht, dass ein Ulcus kein gewöhn¬
liches U. peptleum sei, sondern carcinomatöser, oder neuerdings
(Petruschky) auch tuberkulöser Natur, so halten Sie sich
doch nicht mit zweifelhaften Methoden auf, während deren An¬
wendung die schönste Zeit vergeht, sondern Sie schicken den
Mann zum Chirurgen wegen einer Probelaparotomie. Wann soll
man diesen Verdncht haben? Wieder nicht auf Irgend einen
Mageii8aftbefuud hin, sondern aufmerksam gemacht durch den
abweichenden Verlauf. Das kann ja mitunter lange dauern, aber
man kann eben ausser in den typischen Schulfällen die Dlaguost?
innerer Krankheiten nicht forciren, sondern die Beobachtung wird
immer der Lehrmeister des Internisten bleiben. Hier hilft recht
oft da8 Auftreten von Knöcheloedemen, meist vom Kranken ganz
unbemerkt, zuerst am Abend der Arbeitstage, wo man ihn selten
zu Gesicht bekommt; bei Ausschluss anderer Ursachen kann das¬
selbe recht gut für latentes Carcinom verwendet werden. Endlich
glaube ich, dass man auch die therapeutischen Leistungen der
Magensonden überschätzt. Dilatationen, Carcinome u. dergl., also
die alten Indicationen Kussmau l’s, sind ihr Anwendungsgebiet.
Bei Ulcus habe ich keinen Nutzen von ihr gesehen, nur von Ulcus-
kur oder von der Operation. Hier Ist es vielleicht auch am Platze,
gegen ihre fortgesetzte Anwendung beim chronischen Magen¬
katarrh zu sprechen. In der Minderzahl der Fälle, in der man
wirklich einen chronischen Katarrh erkennen kann — und da gibt
es wohl nur einen beweisenden Befund: den von reichlichem
dünnen Schleim im nüchternen Magen, bei Abwesenheit von Rho¬
dankali — hat man stets eine greifbare Ursache des Katarrhs vor
sich: Intoxication (besonders Alkohol), Stauungen, endlich Kache¬
xien aller Art (Der idiopathische chronische Magenkatarrh scheint
nach den Beobachtungen unseres poliklinischen Materials eine
grosse Seltenheit zu sein.) Hier heisst es: Cessante causa cessat
effectus. Einen Arteriosklerotiker mit Stauuagskatarrh kann man
Jahre lang mit Spülungen behandeln, ohne den allergeringsten
Nutzen; und leider geschieht es trotzdem noch oft genug. In der
grossen Mehrzahl der Fälle handelt es sich wohl nicht um Katarrh,
d. h. eine anatomische Veränderung, sondern um funktionelle
Störungen. Auch diese haben recht oft ihre bestimmte Ursache,
Infektionen (Phthisis incipiens!) und Intoxicationen. Von letzteren
ein interessantes Beispiel: Eine Familie schlief eng gedrängt in
einem kleinen Schlafzimmer; im Winter trat bei mehreren Mit¬
gliedern morgendliches Erbrechen und Dyspepsie auf. Die Wahl
des grösseren bisherigen Wohnzimmers zum zweiten Schlafzimmer
änderte das Bild mit einem Schlage. Man kann hier recht wohl
eine Kohlensäure Vergiftung als Ursache der Funktionsstörung an¬
nehmen. Was hätten hier regelmässige Magenspülungen — die
übrigens schon vorgenommen worden waren — für Zweck gehabt!
Anders bei der grossen Menge der Funktionsstörungen auf rein
nervöser Basis: hier sind die Spülungen wohl berechtigt, nur sei
man sich bewusst, keine örtliche Magenbehandlung, sondern eine
Suggestionstherapie auszuüben.
Herr F 1 a d e: Wenn Herr v. Criegern dem Vortragenden
entgegnet, dass er aus den von ihm geschilderten, durch die Son-
dirung gesetzten Gefahren nicht die richtige Konsequenz gezogen
habe, die doch in dem Verwerfen der Sonde bei Ulcus bestehen
müsse, dass er vielmehr der Sonde einen zu weiten Spielraum bei
Diagnose und Therapie des peptischen Ulcus zugestehe, so kann
daR nur auf einem weitgehenden Mlssverständniss beruhen. Viel¬
mehr glaubt Vortragender in deutlicher Weise seinen Standpunkt
dahin präcisirt zu haben, dass bei Ulcus die Sonde nicht in An¬
wendung zu ziehen sei. Die diagnostischen Vortheile sind — ab¬
gesehen von der Differenz!mng gegen Carcinom und Phthisis
mucosae — sehr illusorisch. Zur Therapie braucht man die Sonde
bei unkompllzirtem Ulcus überhaupt nicht. Die Gefahren bei ihrer
Anwendung sind durchaus nicht gering zu achten. Und wie ln
gelegentlicher Bemerkung der Vortragende in seinen Ausführungen
gegen die kritiklose Anwendung des Schlauches bei nahezu allen
Magenerkrankungen polemislrt hat, so hat er sich bezüglich der
chronischen Gastritis ausdrücklich dahin ausgesprochen, dass hier
zu Spüluugen wegen der meist normalen Motilität, abgesehen viel¬
leicht von der Gastritis raucipara, ein Grund überhaupt nicht vor¬
liege.
Herr Curschmann demonstrirt einen Phthisiker, bei dem
sich nach einem Hustenanfall ein ausgedehntes Hautemphysem
an Kopf, Hals und Brust eingestellt hat und bespricht die Aetio-
logie und die nach seinen Erfahrungen stets günstige Prognose
dieses Zufalls.
Herr Riehl demonstrirt:
1. Einen Infanteriesoldaten aus dem Lazareth des Herrn
Stabsarztes Dr. Fischer. Der Kranke zeigt in grosser Aus¬
breitung am Stamm und thellweise an den Extremitäten Lichen
EcrophuloBorum in typischer Form. Drüsenschwellungen und
irgendwelche Anzeichen von Tuberkulose innerer Organe fehlen.
2. Einen Fall von universellem Pemphigus chronicus mit in¬
tensiver Pigmentirung und ausgebreiteter Papillombildung an alleu
Kontaktstellen der Haut, am Halse, Nackeu, Achselhöhle, Geni¬
tale, Kniekehle etc.
R. t>espricht die Diagnose des Falles, der als Pemphigus pru
riginosus lnigonneu, später durch massenhaftes Auftreten
schlapper, bis kirschgrosser Blasen zum Bilde des Pemphigus
foliaceus geführt hat und unter Arsenwirkung zur Ueberhäutung
gelaugt ist, welche nun au vielen Stellen ähnliches Aussehen bietet,
wie ausgebreitete Akantliosis nigricans. (Der Fall wird später
ausführlich beschrieben werden.)
3. Einen 48 jährigen Mann, bei welchem seit September 1900
Geschwülste und Geschwüre in grosser Zahl am Genitale, den Ober¬
schenkeln und der Bauchhaut entstanden sind. Der Process be¬
ginnt mit Knotenbildung im Subkutangewebe und der Pars reti¬
cularis cutis: die circa erbsengrossen, rasch wachsenden Knoten
sind von unveränderter Haut bedeckt, verschieblich und mässlg
derb; haselnussgrosse Knoten zeigen bereits bräunliche oder livkle
Verfärbung der sie bedeckenden Haut, ragen deutlich über das
Niveau und zeigen im Centrum Fluktuation. Es erfolgt rasch
Durchbruch, es entsteht ein Geschwür mit unregelmässiger, nekro¬
tisch belegter Basis, scharfem, braunrötlillchem, etwas derbem
Rande von beinahe kreisförmiger Gestalt, welcher bis in die Sub¬
cutis reicht. Die Ulcera wachsen durch Fortschreiten des In-
tiltratsaumes und folgenden Zerfall bis auf 5—7 cm Durchmesser.
Die Drüsen in inguine sind geschwilrig zerfallen; der scharf-
begrenzte Defekt nimmt beiderseits die ganze Leistenbeuge ela
und reicht 5—7 cm in die Tiefe. Am oedematösen Genitale mehrere
ähnliche Geschwülste und Ulceratiouen. Beide unteren Extremi¬
täten sind hochgradig oedematös. Pnt. kachektlsch. Innere Or¬
gane nicht nachweisbar verändert.
R. bespricht die Differentialdiagnose und berichtet, dass er
Sarkomatosis oder Mykosis fungoides vermuthet hat.
Die histologische Untersuchung ergab als Diagnose Epi-
thelialcarcinom. (Der Fall wird ausführlich beschrieben werden.)
Herr R i e c k e demonstrirt Präparate von Vlacin und be¬
richtet über die weiteren damit gewonnenen Erfahrungen und Re¬
sultate.
Herr V ö r n e r bespricht die bisher bekannt gewordenen Cul-
tur- und Impfexperimeute mit den pathogenen Schimmelpilzen
der Haut, demonstrirt Kulturen auf verschiedenen Nährböden dek
Pilzes der Pityriasis versicolor, des Mikrosporon furfur. Ferner
demonstrirt Herr Vörner Reinkulturen des Mikrosporon mlnu-
tissimura, des Er**gers des Erythrasma Bärensprun g’a be¬
schreibt die Bedingungen, unter welchen der Pilz auf verschiedene!!
Nährböden wächst. Ausführliche Mittheilung erfolgt später.
Herr R i e c k e demonstrirt einen Apparat zur SteriliBirung
lokal anaesthesirender Flüssigkeiten. (Der Apparat wird aus¬
führlich beschrieben werden.)
Herr Riehl hält den angekündigten Vortrag: Heber Ver¬
erbung der Syphilis und Therapie. (Erscheint an anderer Stelle
ausführlich.)
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitzung vom 7. März 1901.
Vorsitzwider: Herr Carl Koch.
1. Herr Stich demonstrirt das Sektionspräparat eines ver¬
kalkten Leberechinococcus.
2. Herr C n o p f sen. beobachtete bei einer sonst gesunden
38 jährigen Dame ein Erythema exsudat., das unter heftigem
Brennen am rechten Oberann begann, sich nach 24 Stunden auf
den Vorderarm ausdehute. dann auf den linken Oberarm über¬
sprang und nach 24 Stunden auch den linken Vorderarm ergriff.
Begleitet wurde diese Hauterkrankung unter kurzdauernden sub-
febrilen Erscheinungen von Erythem des Mundes, grosser Hin¬
fälligkeit und Schwäche und vorübergehenden Schüttelfrösten.
Nach einer 24 stündlgen Pause verlief der gleiche Process ln gleich
typischer Weise auch auf beiden Uuterextremitäten. Der Vor¬
tragende sucht die Ursache der auffälligen Erkrankung in dem
Genuss eines überreifen Käses, den Patientin einige Tage vorher
in kleinen Portionen zu sich genommen hatte.
3. Herr Raab: Heber das runde Magengeschwür.
Sitzung vom 21. März 1901.
Vorsitzender: Herr Carl Koch.
1. Herr Herbst demonstrirt äswei durch Operation gehellte
Fälle von tuberkulöser Peritonitis.
2. Herr Fraenkel berichtet über 2 Fälle von subkutaner
Leberzerreissung, bei denen er im letzten Jahre bald nach der
Verletzung die Laparotomie vorgenommen hat. Vor Mittheilung
der Krankengeschichten geht Vortragender ausführlich auf das
Krankheitsbild und den Verlauf der subkutanen Leberrupturen
ein. Ebenso wie dies in den letzten Jahren von Terrier und
Anoray, Schiatter etc. hervorgehoben wurde, glaubt auch
Vortragender, dnss die Prognose der Leberzerrelssungen nur durch
ein frühzeitiges Operlren ln Zukunft gebessert werden
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16. Juli 1901.
MTTENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1197
Wune. Ein grosser Theil der Verletzten gehe an der primären
Blutung zu Grunde; ln dieser Hinsicht könne, wenigstens in einem
Theil der Fälle, durch ein aktives Vorgehen Hilfe gebracht werden.
Die intraperitoneale Blutung bringe, ausser der Gefahr der Ver¬
blutung, auch noch die der Infektion; denn es handle sich um
Pfortaderblut, das nach Langenbeck, König etc. als ein
mehr oder minder infektiöses Material anzusehen sei. Auch auf
die, durch einen event Galleerguss erwachsenden Gefahren wird
hingewiesen. Dies Allee dränge darauf hin, Blut und Galle mög¬
lichst bald aus der Bauchhöhle zu entfernen, sowie ein weiteres
Ergiessen derselben in den Peritonealraum womöglich durch ent¬
sprechende Versorgung der Leberwunde zu verhindern. Zur Ver¬
sorgung der Leberwunde wird bei glattrandigen Rissen die Naht,
bei gequetschten Rissen und Zertrümmerungsstellen die Tampo¬
nade empfohlen; zumeist wird eine Kombination beider Methoden
Dothwendig sein; auch nach der Lebernaht -soll überdies die ge¬
nähte Stelle mit einem nach aussen zu leitenden Tampon bedeckt
werden. Als Symptome, welche eine Frühdiagnose besonders för¬
dern. erörtert Vortragender die Kontraktur der Bauch¬
decken, den lokalen Druckschmerz, die paroxysmlsch auftreten¬
den Schmerzen im Abdomen überhaupt, das allmähliche Flaclier-
werden des Pulses; event den Schulterschmerz, leichtes Ansteigen
der Rectaltemperatur etc. In zweifelhaften Fällen ist. wenn ein
ernster Verdacht auf subkutane Leberruptur bezw. lntraabdomi-
nelle Organzerreissung überhaupt besteht, die Probelaparo¬
tomie geboten.
F a 11 1. 31 jähriger Dienstknecht, am 2. V. 1900 durch Huf¬
schlag gegen den r. Rippenbogen verletzt, 7>/ 2 Stunden später in’s
Krankenhaus eingeliefert worden. Pat. stark collablrt; Zeichen
innerer Blutung; Bauchmusculatur kontrahirt, Abdomen sehr
druckempfindlich; in den abhängigen Partien Dämpfung, die sich
auf Lagewechsel aufhellt; I/ebergegend bei Palpation besonders
empfindlich. Nachdem alsbald die Diagnose auf Leberruptur ge¬
stellt worden war, wird sofort die Laparotomie vorgenommen:
Längsschnitt ln der Linea alba mit Beifügung eines Querschnittes
nach rechts hin. Im Abdomen eine grosse Menge flüssigen Blutes,
das ln Strömen hervorstössfc, sowie Coagula. Im unteren Tlieile
des r. Leberlappens ein ca. 8 cm langer, die ganze Parenchymdicke
durchsetzender Riss, der noch blutet; daneben einige oberfläch¬
liche Risse. Naht der Risse mit stumpfen Nadeln. Reinigung der
Bauchhöhle. Naht ül>er Tampon. — Kochsalzinfusionen.
20 Stunden nach der Operation Exitus. Bei der Sektion
zeigten sich die Ränder der genähten Risse gut aneinander liegend,
eine Nachblutung hatte nicht stattgefunden, keine Zeichen von
Peritonitis. Pat war offenbar in Folge der primären enormen
Blutung zu Grunde gegangen; vielleicht wäre Pat., wenn er früher
in ärztliche Behandlung bezw. zur Operation gekommen wäre, vor
dein Verblutungstode zu bewahren gewesen.
Fall 2. 24jähriger Tiefbauarbeiter, am 22. XI. 1900 circa
1 m tief hinabgestürzt mit der r. Brustseite gegen eine Elsen¬
schwelle aufgefallen. Bald darauf in’s städt. Krankenhaus einge¬
liefert. Bei der Aufnahme besteht deutliche Kontraktur der
Bauchmusculatur; Schmerzen in der Lebergegend, die zur rechten
8chulter ausstrahlen; kein besonderer Collnps, keine Zeichen
innerer Blutung. Puls relativ gut. Im Verlaufe der nächsten
Standen Zunahme der Schmerzen, die auch anfallsweise im ganzen
Abdomen auf treten; allmähliches Schlechterwerden des Pulses,
Ansteigen der Rectaltemperatur bis 38,3. Desshalb 11 Stundeu
nach der Verletzung Probelaparotomie: Iin Abdomen eine sehr
grosse Menge dunklen, flüssigen Blutes und Coagula. Zur Frei¬
legung der Leber wird auf den Medianschnitt ein grosser Quer¬
schnitt nach rechts hin aufgesetzt. Der rechte Leberiappen ist fast In
2 Theile zerrissen durch eine grosse Ruptur, welche den Lappen iu
seiner ganzen Dicke und fast ganzen Höhe durchtrennt; ausser¬
dem mehrere kleinere Querrisse und Zerquetschungsstellen. Naht
de* Längsrisses mit stumpfen Nadeln und dickem Catgut, Tampo¬
nade der übrigen Verletzungsstellen. Reinigung der Bauchhöhle
mit Kompressen; Naht der Bauchwunde bis auf die Tamponstelle.
Patient erholte sich nach der Operation; ca. 2 Wochen nach
derselben trat leichter Ikterus auf, der nach iy 2 bis 2 Wochen ver¬
schwand und anf eine traumatische Hepatitis zurückzuführeu sein
dürfte. Ca. ly a Tage nach der Operation trat ausserdem eine
schwere PneumoDle auf, deren Verlauf ein sehr verzögerter war,
da Patient an Lungentuberkulose leidet. In Folge des starken
Horten» ist es znr Bildung eines Baucbbruches in der Operations- (
narbe gekommen, der durch eine Bandage gut zurückgehalten
wird. Am 13. III. Ist Patient aus dem Krankenhause entlassen
worden.
Vortragender hat bisher 22 Fälle iu der Literatur ver¬
öffentlicht gefunden, bei denen wegen subkutaner Leberzerreis-
ming die primäre Laparotomie vorgenommen wurde. Hiervon
sind 13 Fälle geheilt worden. Unter den letzteren flmlen sich ver¬
schiedene Patienten, welche mit allergrösster Wahrscheinlichkeit
ohne Operation der primären Blutung erlegen wären; auch der
oben geschilderte Fall 2 Ist In dieser Welse zu beurtlielleu.
(Die Arbeit wird demnächst in extenso ln den Beitr. z. klln.
Chlr. veröffentlicht werden.)
3. Herr Heuberger demonstrirt 2 Präparate wegen Gonor¬
rhoe exstlrpirter pimirethraler Gänge.
4. Herr Kiefer bespricht den Stammbaum eines hereditär
mit Tuberkulose und Alkoholismus weitgehend belasteten
Patienten.
5. Herr Karl Koch demonstrirt';
a) Das Präparat eines Lymphangioms cysticum colli con-
genitum, von einem 4 Wochen alten Kinde stammend.
b) Das Präparat eines Lymphangioma praeput. bei einem
1 Jahr alten Kinde.
Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offlcielles Protokoll.)
vSitzung vom 20. Juni 1901.
Herr F 1 a t a u demonstrirt mikro- und makroskopische Prä¬
parate: 1. einen Uterus von einer 48 Jährigen I. Para mit einem
kaum 2 Pfennigstück grossen Adenocarcinom der Corpusschleim-
haut; 2. einen durch multiple Interstitielle submucöse Myomknoten
mächtig vergrösserten Uterus von einer 20jährigen 0 Para, dessen
vaginale Exstirpation, trotz Morcellements wegen einseitig-unsym¬
metrischer Entwickelung sehr erschwert war; sie gelang erst, als
in Erinnerung an den jüngsten Vorschlag D ö d e r 1 e 1 n’s die
Ilemtsektion der hinteren Uteruswand vorgenommen wurde.
Herr Flatau referirt ferner über das Buch Max Schüller’s:
Die Parasiten im Krebs und Sarkom des Menschen. Wenn auch
der Referent den W’unsch S c h ü 11 e r’s billigt, dass inan die Kritik
erst dann einsetzen lassen solle, wenn man auf den angegebenen
Wegen Nachuntersuchungen angestellt habe, so kann er doch
einen gewissen Skeptlcismus nicht unterdrücken.
Herr Helbing II behandelt in ausführlichem Vortrage
Aetiologie, Pathologie, Anatomie, Diagnose, Prognose und Therapie
der akuten und chronischen Kieferhöhlenentzündungen.
Unterelsässischer Aerzteverein.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 14. Juni 1901.
Vorsitzender: v. Recklinghausen.
Herr Siegert hält einen Vortrag Uber die Erfahrungen
mit naoh v. Dan gern ham&nisirter Kuhmilch bei der Er¬
nährung gesnnder nnd kranker Säuglinge.
(Erscheint in extenso an anderer Stelle dieser Nummer.)
Herr Adrian demonstrirt das Skelet eines 3 >/ 2 Monate
alten Mädchens mit angeborenem Defekt einer Oberschenkel-
diaphyse. Ein Längsschnitt dieses Knocheus zeigt zwei Knochen-
kerne, von denen der eine der Diaphyse, dey audere der untereu
Epiphyse anzugehören sclieint Beide Knochenkerne waren auf
Grund des Radiogramms nicht vermutliet worden.
Sodann stellte er 2 momentan auf der M a d e 1 u n g’schen
Kliuik anwesende Fälle von Defekten der Oberschenkel vor. Der
erste betrifft den von Weinreich in seiner Dissertation (Strass-
burg 1897) beschriebenen Fall. Das nunmehr 7 jährige blühende
Mädchen zeigt ausser dem hochgradigen Defekt noch angelioreiie
Luxatlou des Hüftgelenks derselben Seite. Bei dem zweiten Fall,
einem 13 jährigen, intelligenten, kräftigen Jungen, Ist die Miss¬
bildung mit einem Strahldefekt derselben Extremität — Fibula.
V. Metacarpnlkuoehen, V. Zehe — und Enddefekten sämmtlicher
Extremitäten combinlrt.
Die Fälle werden nebst 43 weiteren aus der Literatur dem¬
nächst in den Brun s’schen Beiträgen ausführliche Bearbeitung
finden. ...
Herr Ehret demonstrirt am Präparat ein hochsitzendes
Oesophaguscarcinom. Das fläeheuhafte Geschwür nimmt die vor¬
dere Wand des Oesophagus in (1er Höhe des Larynx und des oberen
Thells der Trachea ein. Zwischen dem Gesebwürsgrund nnd der
Trachea feine Perforationsöffnungen. Erhebliche Geschwulst¬
massen fehlen. Keine Verengerung des Oesophagus ln Folge des
earcinomatösen Geschwürs. Dersellie war sogar an der erkrankten
Stelle erweitert. Das Carcinom verlief bei Fehlen der üblichen
Erscheinungen des stenoeirenden Oesophaguscarclnomes unter dem
Bild einer linksseitigen Stiminbnndlühmung. Vorübergehend be¬
stand auch eine Parese des rechten Stimmbandes. Der 72JRhr.
Pdtient ging schliesslich an doppelseitiger Pneumonie zu Grunde.
2. Ein Fall von geheilter Lebercirrhose wird ausführlich
in dieser Wochenschrift erscheinen.
Discusslon: Herr v. Recklinghausen kann diese
Beobachtung nicht als beweisend anerkennen. Herr Ehret will
mit „Heilung“ nur das Schwinden aller klinischen Symptome be¬
zeichnen.
Phy8ikali8cti-medicini8che Gesellschaft zu WDrzüurg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 27. Juni 1901.
1. Herr Seifert demonstrirt einen 52 jährigen Manu mit
Naevus molluscifonnis. Die Nase und besonders die Oberlippe
sind ausserordentlich vergrössert, letztere hängt über die Unterlippe
und das Kinn herunter, so dass mau vom Mund zunächst gar niehts
sieht. Wange, Stirn und Augenlider sind mit vielfachen Mollusc.
flbr. von verschiedener Grösse besetzt. Auch das Zahnfleisch des
Oberkiefers und der harte Gaumeu nehmen an den Veränderungen
Theil.
2. Herr Römer: Der gegenwärtige Stand der Immunität»- '- v -
forschnng. '
Der Vortrag ist zu einem kurzen Referat nicht geeignet
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1198
MTTENOHENER ‘MEPTCTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Sociätä mädicale des höpitanx.
Sitzung vom 2. und 17. Mal 1901.
Wi d a 1 wandte statt der Intralumbalen die von Slcard
empfohlene (siehe diese Wochenschrift No. 23 d. J., S. 953) epi¬
durale Cocaininjektion an und hatte damit ln einigen Fällen (von
Ischias, Interkostalneuralgie und heftigen Magenschmerzen in Folge
von Magengeschwür) vollen Erfolg; der epidurale Raum sei durch
das leicht unter der Haut zu fühlende Kreuzsteissbeingelenk ohne
Schwierigkeit für die Injektion zugänglich.
-Fa 1 sans berichtet über einen vollständigen Misserfolg dev
lumbalen Punktion und dann der Injektion von i/ 2 . später 1 cg
Cocain ln einem Fall von tabetischen Magenkrisen, bei welchen
vorher schon alle anderen Mittel vergebens versucht worden waren.
Chantemesse theilt eine umfassende Statistik bezüglich
der Behandlung mit Diphtherieheilserum mit. welche beweist,
dass die Injektionen möglichst frühzeitig gemacht werden sollen,
d. h. schon bei blossem Piphtherieverdaeht und nicht erst, wenn
die klinische oder gar bacteriologische Diagnose feststeht. Nach
den zahlreichen Erfahrungen der letzten Jahre kann man sagen,
dass die Seruminjektionen gefahrlos sind. Schliesslich geht die
persönliche Erfahrung C’h.’s dahin, dass das Heilserum, welches
schon lange in den Flaschen steht und kleine Flocken Fibrins ent¬
hält, völlig wirksam ist und seltener Erytheme hervorruft als das
frische Serum.
Sitzung vom 24. Mai 1901.
Pierre Marie bespricht die Wirkung der Lumbalpunktion
hei der Draemie und erklärt nach seinen Erfahrungen, dass die¬
selbe gegen einige nervöse Symptome der Uraemie, besonders
gegen die Kopfschmerzen, gute Dienste thun kann, aber nur unter
der Bedingung, dass die uraeraische Intoxlcation nicht zu alt oder
zu tiefgehend sei.. Die mit Convulsionen verbundene Uraemie
scheine jedenfalls für die Lumbalpunktion nicht zugänglich.
C o m b y und Oadaud lenken auf Grund dreier beobach¬
teter Fälle die Aufmerksamkeit auf die gonorrhoische Peritonitis
der kleinen Mädchen, welche ziemlich häufig sei. aber in Vergessen¬
heit zu gerathen drohe; man sei zu sehr von der Appendicitls ein¬
genommen. Wenn ein mit Vulvovaginitis behaftetes Kind eine
akute Peritonitis hat« so müsse man an die Beziehungen der beiden
Krankheiten denken. Die Weiterverbreitung der gonorrhoischen
Infektion von Vulva und Vagina aus auf das Bauchfell vollzieht
sich sehr leicht durch den Uterus und die Trompen.
B a b i n s k i und Nageotte besprechen die Cytodiagnose
des Liquor cerebrospinalis, welchen sie bei 120 Individuen unter¬
sucht haben. Bei denjenigen, die kein objektives Zeichen einer
organischen Nervenerkrankung darboten, war das Resultat stets
ein negatives. Im Gegentheil war es regelmässig positiv ln den
zahlreichen untersuchten Fällen von Tabes und allgemeiner Para¬
lyse; B. und N. halten daher den Nachweis von Zellelementen im
Liquor cerebrosp. für ein sehr wichtiges Mittel zur Erkenntnis« der
Tabes oder progressiven Paralyse ln Fällen, wo die Diagnose noch
sehr ungewiss ist
Sociätä de Pädiatrie.
Sitzung vom 14. Mai 1901.
Die Thyreoidbehandlung im Kindesalter und speciell bei zurück¬
gebliebenen Kindern (Infantilismus).
Guinon glaubt, dass die mangelhafte Entwicklung (infan¬
til istnus) nicht nur auf Störungen in der Sehilddrüsensekretionund
chronischen Infektionen XTuberkulose. Malaria) und Intoxicatlonen
beruht, sondern dass es noch "eineTtMtie anderer Ursachen, welche
in Veränderungen des haematopoetischen Systems beruhen, gibt.
Welches jedoch auch die Ursachen seien, so sei in allen Fällen
von Wachsthums- und Entwicklungshemmung, also wenn auch
keine Veränderung der Schilddrüse direct nachzuweisen sei, die
Thyreoidbehandlung angezeigt.
V a r 1 o t rühmt den Erfolg der Schilddrüsenpräparate bei
Kryptorchismus: beim klassischen Myxoedem ebenso wie bei Adi¬
positas leisteten dieselben oft Wunder und stehe deren Indicatlon
unerschütterlich fest (Anführung behandelter Fälle).
Apart erklärt, dass die Schilddrüsenbehandlung auf den
gesammten Stoffwechsel und auf die Hoden speciell einwirke. Er
führt, den Fall eines Kindes mit Kryptorchismus an. welches 11
Monate mit Schilddrüse behandelt worden ist und bei welchem
man in der Tiefe des Leistenringes ein Testikel fühlt, welches man
vorher nicht bemerken konnte.
(Die weitere Discussion des Themas wird auf die nächsten
Sitzungen verschoben.)
Netter bringt eine sehr ausführliche Arbeit über die pro¬
phylaktische Einimpfung von Heilserum bei Diphtherieepidemien,
worin er den hohen Werth dieser Impfung, deren Anwendungs¬
weise und Vortheile vor der Isolirung beleuchtet und den Vortlieil
hervorbebt, welchen die Verallgemeinerung dieser Praxis hätte:
er betrachtet sie als ein heroisches Mittel, die Weiterverbreitung
der Diphtherie zu verhüten. (Discussion vertagt.)
Prosper Merklen und L e s n e besprechen die Methylen¬
blau-Probe bei den Säuglingen, die zwar in diesem Alter schwie¬
riger zu handhaben wie bei Erwachsenen, aber doch werthvolle
No. 29.
Aufschlüsse über die Permeabilität der Nieren und die Funktion
der Leber geben kann. ,
Mauclaire behandelte einen Fall von Hodentuberkulose V
bei einem Erwachsenen mit Ligatur des Samenstranges, es trat ^
vollständige, seit 1 Jahr nun anhaltende. Heilung ein; der andere
Hoden scheint eine Art kompensatorische Hypertrophie erfahren
zu haben.
Sociätä de Thärapeutique.
Sitzung vom 22. Mai 1901.
L e r e d d e spricht über die Lichttherapie des Lupus; die \J
Methode von Finsen bedeute einen grossen Fortschritt in der
Lupusbehandlung, aber der Apparat Finse n’s ist zu kostspielig'
und erfordert sehr ausgedehnte Sitzungen. Der von L o r t e t kon-
struirte Apparat ist einfacher, der Kranke befindet sich ganz nahe
der Lichtquelle, und man erhält damit die charakterischen Re¬
aktionen, welche das F i n s e n’sche Dispositiv erst nach 1 Stunde
erzeugt, schon nach 10 Minuten. L. hat in einem Falle mit diesem
Apparate von Lortet völlige Heilung erzielt.
Auch Baudouin hat denselben mit Erfolg im Spitale
St. Louis verwendet. Weniger günstig wie beim Lupus vulgaris
waren die Erfolge beim Lupus erythematosus und noch weniger
bei der Alopecle und beim Epitheliom. B. glaubt in Summa, dass
die wenig ausgedehnten, frischeren und noch nicht behandelten,
Fälle von Lupus sich besonders zur Behandlung nach Finsen
eignen; es gelingt, sie in 3—4 Sitzungen günstig zu beeinflussen.
D e s n o s erzielte bei der Dysurie in Folge von Prostata¬
hypertrophie gute Resultate mit der galvanokaustischen Behand¬
lung nach B o 111 n i und den Verbesserungen von Freuden-
b e r g: reservirt dieselbe aber nur für die Fälle geringen oder
mittleren Grades von Dysurie und bei jüngeren Individuen, wo
die Kontraktilität der Blase noch erhalten ist, also nicht für die
hochgradigen Fälle und die Altershypertrophie der Prostata.
Stern.
XXI. Oberrheinischer Aerztetag
zu Freibnrg i. B. nm 25. Juli 1901.
Tagesordnung:
VormittagsBesuehderUniversitätsklinikon.
7—8 Uhr: Augenklinik — Herr Geh. Rath M a n z. 8—9 Uhr:
Gynäkologische Klinik — Hetr Geh. Rath H e g a r. 9—10 Uhr:
Medicinische Klinik — Herr Geh. Rath B ä u m 1 e r. 10—11 v, Uhr:
Chirurgische Klinik — Herr Hofratli Kraske. Von 11V, bis
12V, Uhr: Besuch des durch einen Neubau für Infektionskrank¬
heiten erweiterten nilda-KlnderhospItnls (Albertstrasse 21). wo¬
selbst Herr Hofrath Thomas den seinem Vortrag über „Anaemla
nseudoleucaemlca infantum“ zu Grunde liegenden Fall demon-
striren wird. Auch die Herren Prof. Kill in n (Laryngoloeiseho
Klinik und Poliklinik. Albertstrasse 9). Prof. Bloch (Otlatrische
Klinik. Albertstrasse 7). Prof. Jakobi (Dermatologische Klinik.
Albertstrasse 4) und Prof. Ritschl (Orthopädisches Institut.
Albertstrasse 4) werden tim diese Zeit Demonstrationen halten.
Von 12%—12% Uhr: Gelegenheit zu gemeinschaftlichem Frühstück
in der Restauration ..Zum Franzlsknner“. Friedrichstrasse 3.
Präcis 1 Uhr Sitzung im Hörsaal der Ana¬
tomie. Vorträge: 1. Herr Med.-Rath F ritschl: Referat über
den diesjährigen deutschen Aerztetag in Hildesheim. 2. Herr
Geh. Hofrath Ziegler: Ueber die Verbreituncswelse der Malaria.
3. Herr Hofrath Thomas: Ueber Anaemla pseudoleucaemlca
infantum. 4. Herr Dr. W. S a c h s - Mülhausen i. E.: a) Ueber
Darmnusschaltung: b) Demonstration eiims Blasenphantoms.
Um 3 Uhr gemeinschaftliches Festessen im
H ö t e 1 „Victoria“ (Eisenbahnstrasse).
Zu zahlreicher Theilnnhme an dem XXI. Oberrheinischen
Aerztetag werden hiermit alle im Oberrheingebiet wohnenden
Herren Kollegen freundlichst eingeladen. Eine persönliche
Einladung findet nicht mehr statt.
Freiburg i. B.. den 6. Juli 1901.
Der Verein Freiburger Aerzte:
Prof. Dr. P. Kraske, Vorsitz. Prof. Dr. Treupel, Schriftf.
Auswärtige Briefe.
Römische Briefe.
(Eigener Bericht.)
Die „Societä Lancisiana“ in Rom. — Tumor des Stirn¬
lappens. — Weitere Folgen der Sutura cordis. — Hyster¬
ektomie. — Intubatio laringea.
Per Wunsch, die Thätigkcit der medicinischen Gesellschaften
"Roms au« eigener Anschauung kennen zu lernen, führte mich im
verflossenen April eines Abends in das "Krankenhaus San. Giacomo,
wo sich in einem grossen Saale die Mitglieder der „Societä Lan¬
cisiana degli ospedali di Roma“ (Lancisi’s Gesellschaft der
römischen Krankenhäuser) alle 14 Tage zu versammeln pflegen,
j Der Saal war gut besucht; am Präsidententisch sass Prof. Mar-
chiafava, der junge und hervorragende Lehrer der patho-
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16. Juli 1901.
MUENCHENEIi MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1199
logischen Anatomie, von dessen hochinteressanten Vorlesungen
ich schon mehrfach in früheren Korrespondenzen berichtete und
dessen Gelehrsamkeit nur von seiner ausserordentlichen Liebens¬
würdigkeit übertroffen wird, und Dr. Garofalo, der Sekretär
der Gesellschaft, welcher nicht nur als Arzt, sondern auch als
Schriftsteller in ärztlichen Kreisen geschützt ist und der, unter
dem Pseudonym: Dr. C a y u s — leider nur zu selten — die
zahlreichen Leser der römischen medicinischen Zeitschrift „II
Policlinico“ mit seinen trefflichen, tiefsinnigen Abhandlungen
erfreut. — Die Vorträge des betr. Abends waren zum Theil hoch¬
interessant und ich will dosshalb hier den verehrten deutschen
Kollegen die verschiedenen Redner vorstellen und in Kürze über
ihre Referate berichten.
Der erste Redner war Prof. Sciaraanna, der, ehemals
Professor der Neurologie, jetzt den Lehrstuhl für Psychiatrie
an der römischen Universität innc hat. Unermüdlicher Forscher,
hat er sich durch seine Arbeiten und Entflockungen auch ausser¬
halb Italiens einen guten Ruf geschaffen. Er berichtete über
einen Fall von Tumor des Stirn lappe ns.
Im Oktober 1900 suchte der Patient zum ersten Male Ililfe
in dir psychiatrischen Poliklinik. Der Kranke, der nie syphi¬
litisch war, klagte über heftigen Kopfschmerz, Krämpfe, Ohn-
machtsanfälle und Erbrechen. Dio Krämpfe stellten sich täg¬
lich 3—4 mal ein, der auf die Stirngegend lokalisirte Kopf¬
schmerz war wahnsinnig, unerträglich und machte sich als
dumpfes Druckgefühl bemerkbar. Der Kranke zeigte bei der
Untersuchung rechts Hypokinesis der oberen Extremität, des Ge¬
sichts und der Zunge, eine leichte Dysarthrie beim Aussprechen
langer und schwerer Worte, keine Spur von Worttaubheit oder
cortieale sensorische Aphasie, aber ziemlich bedeutende Störungen
beim Schreiben, besonders, wenn er spontan oder nach Diktat
schrieb. Seinen Namen vermochte er ziemlich gut zu schreiben,
aber bei anderen Worten machte er erst, verschiedene Versuche
und schrieb schliesslich das betreffende Wort unvollständig und
unleserlich. Beim Schreiben nach Diktat war die Schrift etwas
geläufiger, aber ungleichmäßig, gross und undeutlich. Beim
Abschroiben zeigten sich dieselben Störungen, wenn auch in ge¬
ringerem Maasse. E xner und Oha rcot haben, obwohl D e j o-
ri ne und Andere dem widersprachen, ein motorisches, graphi¬
sches ('ontrum angenommen; auch Redner stimmte dieser An¬
nahme bei und stellte die Diagnose, dass in unserem Fall eine
Laosion unterhalb der Hirnrinde die Leitungsbahnen, welche die
verschiedenen Gohirncentron mit dem motorischen, graphischen
Centruin verbinden, unterbrochen hatte. In dem in Rede stelieiw.
den Fall war keine Seelenblindheit vorhanden, so dass man an¬
nehmen musste, das Sprachopticuscentrum sei unzerstört. Der
Schriftstörungen, der Hypokinesie und der leichten Dysarthrie
wegen glaubte der Vortragende eine umschriebene Laesion an¬
nehmen zu müssen, welche in dem linken Stimlappen, oder ge¬
nauer ausgedrückt, in der subcorticale.n Substanz in der Nähe
der zweiten Stirnwindung, mit. Alteration oder Kompression der
Centrifugal-Bahnen, die von der zweiten Stirnwindung oder viel¬
leicht auch vom Fuss der dritten Stirnwindung abgehen, ihren
Sitz habe.
Bei der Autopsie fand man einen Tuberkelknoten, dessen
Lage in der weissen Substanz, etwa 1—2 mm von der Hirnrinde
entfernt, thatsäclilich der Diagnostik entsprach. Die Grösse
des Tuberkclknotens betrug 4 cm in der Länge, 3 cm in der Breite
nnd 3 cm in der Höhe. Die Wichtigkeit dieses Falles besteht
darin, dass durch ihn zum ersten Male nekroskopisch demonstrirt
wird, was Cha rcot nur theoretisch annahm; nämlich, dass
in der zweiten Stirnwindung ein motorisches, graphisches Cen¬
trum existirt.
Der zweite Referent war der junge, sympathische Professor
Parlavecchio, der als gewandter Redner über die weiteren
Folgen der Sutura cordis sprach. Er stellte einen Mann vor,
den er 2 Jahre 9 Monate früher wegen einer Stichwunde am
Herzen operirt hatte. Der Verletzte war während der Nacht in’s
Krankenhaus gebracht worden und da die Wunde nicht sehr
heftig blutete, dachte man Anfangs an keine Verletzung des
Herzens und der Patient wurde daher erst acht Stunden, nach¬
dem er den Stich erhalten hatte, operirt. Die Stichwunde be¬
fand sich im linken Ventrikel und war 3Vz cm lang. Die Wunde
zeigte diese Form V wie ein V und der R«dn«r glaubte diese
eigenartige Form nicht einer Drehbewegung des Messers, sondern i
der Ilerzkontraktion während das Messer in der Wunde stak, zu-
schreibcn zu müssen. Mit anderen Worten, während das Messer
fest in der Hand des Angreifers und im Herzmuskel lag, eine
Stichwunde im Fleisch des Herzens verursachend, kontrahirte
das Herz sieh sogleich nach dom Stich, dadurch schnitt sich das
Fleisch auf der Schneide des festliegenden Messers und durch
diese Kontraktion des Herzens erhielt die Wunde die beschrie¬
bene Form.
Als der Chirurg das Herz durch Resektion der fünften Rippe
und Vergrösserung der Pericardiumswunde blosslegte, sprang das
Blut in grosser Menge aus der Herzhöhle, d. h. dem linken Ven¬
trikel und Redner verglich die Art, wio das Blut aus der Wunde
strömte, mit jener, wie das Wasser dem engen Hals einer umge¬
stürzten Flasche entströmt; d. h. in rhythmischen Bewegungen
und grosser Menge. Dio Naht bestand aus vier Punkten des
Herzmuskels und die Heilung vollzog sich per primam.
Seitdem ging der Mann wie früher seinem Beruf nach, er
vermied auch schwere Arbeiten nicht und ist trotzdem völlig
gesund geblieben. Das Ilcrz behält seine richtige Lage, die
Grösse ist normal, die Töne sind rein, rhythmisch, ohne Geräusch
irgend welcher Art oder Synechieerseheinungcn. Auch während
der schwersten Arbeiten hatte der Patient nie Beschwerden, nie
Brustbeklemmungen, nie Schmerzen am Herz verspürt; auch
war der Puls immer regelmässig und normal. Man kann also
behaupten, dass die Ilerznaht im Verlaufe von ca. drei Jahren
keinerlei schlimme Folgen gezeigt hat.
Der Vortragende knüpfte noch einige* wichtige Bemerkungen
an diesen Fall und wies besonders darauf hin, dass die Physio-
Pathologio des Herzens noch sehr lückenhaft sei. Warum kann
z. B. ein einfacher Nadelstich in’s Herz den plötzlichen Tod her-
boiführen, während eine gewaltige Schnittwunde in dem
einen Ventrikel, die sogar die Klappe und das Septum spaltet,
dem Verwundeten erlaubt, seinen Angreifer noch zu verfolgen
und dann ohne naehtheiligo Folgen verheilt? Warum verursacht
ein Stich, der ausser der Wand des Ventrikels auch das Septum
durchbohrt, nicht, dass sich das Blut der beiden Ventrikel durch
diese Wunde vermischt?
Der dritte Redner des Abends war Dr. LaTorrc, ausser¬
ordentlicher Professor der Gynäkologie an der hiesigen Univer¬
sität. Fr sprach über eine sehr wichtige Frage, nämlich über
die Hysterektomie bei Woehonbettficber. Er behandelte das Ar¬
gument mit besonderer Gewandtheit und das Interesse der Zu¬
berer war um so reger, als auch verschiedene Herren an der Dis-
eussion tlieilnahmen. Ich will mich hier darauf beschränken,
kurz über das zu berichten, was der Redner mit zahlreichen aetio-
logischen, baeteriologisehen, anatomisch-pathologischen und kli¬
nischen Beweisen demonstrirte.
Das Kindbettfieber wird nicht durch einen, sondern durch
verschiedene Krankheitskeime verursacht; die Krankheit ent¬
steht in der Scheide oder in der Gebärmutter, auf welche Organe
sie in den verschiedenen Fällen kürzere oder längere Zeit, be¬
schränkt bleibt und von wo aus sie sieh erst späterhin auf die
anderen Organe verbreitet. Redner ist gegen die Hysterektomie,
bei welcher die Todesfälle 42 Proc. betragen; er beschränkt sich
auf eine lokale Desinfektion und erzielt mit derselben 90 Proc.
Heilungen. Die Desinfektion der Geschlechtsorgane führt der
Vortragende in der Weise aus, dass er die Schleimhaut der Gebär¬
mutter mit einem von ihm erfundenen Löffel abkratzt. Der
Handgriff dieses Löffels ist hohl und bildet eine Art Röhre, durch
welche während der Operation eine antiseptische Lösung auf dio
abgekratzten Partien fällt und dieselben soghji^h reinigt-. Manch¬
mal sinkt das Fieber sogleich nach dieser Operation, selten sind
2—3 Abkratzungen nötliig. Der Redner stellte zwei Frauen vor,
die von ihm vier- bezw. fünfmal auf diese Weise operirt worden
waren. Er betont besonders, dass dio Reinigung der inneren
Fläche der Gebärmutter eine vollständige sein muss, denn so
lange sich noch gereizte Stellen an derselben befinden, sinkt das
Fieber nicht. Wo diese Methode nicht, helfe, werde aueh die
Hysterektomie nicht helfen. Prof. LaTorrc bringt ausserdem
die Eisblase auf den Unterleib zur Anwendung und sucht die
Kräfte der Kranken durch Ohinapränarato und alkoholische Ge¬
tränke zu heben und erzielt auf die Weise, wie gesagt, 90 Proc.
Heilungen.
Zuletzt sprach Dr. Egi d i . Spezialarzt für Kehlkopfkrank-
heiten, über Tntubatio laryngca. Er entwarf zuerst in Kurzem die
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCIIENSC1IK1FT.
No. 29.
Geschichte dieser Operation, die iin Jahre 1857 von Bouohut
oing«fithrt wurde. Aber ihre eigentliche Verwendung beginnt
erst mit O’Dw.vcr im Jahre 1884, als die erste Heilung erzielt
wurde, ln Italien wurde die* Intubation zum ersten Male im
Jahre 1889 vom Vortragenden angewandt. Die Meinungen
schwankten zwischen dieser Operation und der Tracheotomie,
aber die Entdeckung des Beb ri n g’sehen Serums war ein gün¬
stiges Moment für die Intubation und Redner sagt, der Luft-
röhronsehnitl. sei nur noch in besonderen Fällen anzuwenden.
Sogar lx'i Säuglingen verwandte Egidi die Intubation und
nährte während dieser Zeit das Kind mit Gelatine, welche gerne
genommen wurde und keine Störungen verursachte. Er konnte
auf diese Weise die Kanüle in einem Fall elf Tage lang im Kehl¬
kopf lassen. Der Redner zeigte auch eine einfache, nach seinen
Angaben angefertigte Zange, durch welche die Intubation eine der
einfachsten und gefahrlosesten Operationen geworden ist und
von jedem Arzt ausgeführt werden kann, wenn kein Spezialist
zur Iland und die Noth gross ist; so z. B. ausser bei Diphtheritis
der Luftröhre, bei Oedema glottidis.
In einem späteren Brief werde ich nochmals auf die Thätig-
keit, die Zahl und Stärke der nuxliciniselien Gesellschaften Roms
zurückkommen und auch über die römische medieinische Presse
belichten. Doch jetzt ist das Studienjahr zu Ende und die
Ferien halten begonnen; mögen sie allen Kollegen die nöthige
Ruhe und Erholung bringen, damit sie alle mit frischen Kräften
das neue Arbeitsjahr beginnen können, und dann auf fröh¬
liches Wiedersehen im nächsten Jahre, meine lieben deutschen
Kollegen! Dr. Giov. G a 11 i.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
Während jetzt der Markt mit neuen Arzneimitteln über¬
schwemmt. wird, die ja gewiss t heil weise grosses Interesse h*an-
spruehen. möchte ich in Folgendem zuuiiehst ein Medieanient be¬
sprechen. welches zwar im Allgemeinen zu den alten gerechnet
wird, aber im Vergleich zu seinen gleichnamigen Vorgängern doch
eine Verbesserung in Wirkung und Anwendung zu sein scheint.
Das Ergotin hat ja vor dem Pulvis secalis eornuti den Vorzug,
dass es das ganze Jahr hindurch seine Wirksamkeit hehiiit,
während das letztere nur frisch, d. li. in den Herbstmonaten, mit
Erfolg zu gebrauchen ist. Nun glitt cs eine grosse Anzahl ver¬
schiedener Fluidextraete des Ergotins und jeder Frauenarzt hat
ein Präparat, welchem er den Vorzug vor andern glitt. Am
häufigsten wird wohl das E.vtr. fluid. Secalis eornuti des Arznei¬
buches verordnet, aber ich halte die Erfahrung gemacht, dass ge¬
rade dieses nicht selten mit seiner Wirkung im Stiche lässt. Da¬
durch veranlasst, hatte ich ein neues Präparat, Krgot in
Fromme in vielen Fällen versucht, und bin mit demselben so
zufrieden gewesen, dass ich kein anderes mehr verwende. Zu¬
weilen wirkt dasselbe auch da, wo andere Ergotinpräparate ohne
Erfolg gegeben worden waren, wenn icli natürlich auch nicht be¬
haupten kann und will, dass es in jedem Fall seine Schuldigkeit
gethan hätte. Die Wirkung des Ergotin hängt ja eiten, was die
Blutstillung aus dem Uterus betrifft, von so viel verschiedenen
Faktoren ab. dass es durchaus nicht Wunder nimmt, wenn das eine
«Hier andere Mal das Mittel versagt.
Am besten bewährt es sich hei Blutungen post abortum und
partuiu, bei denen die Muskolcontractionen des Uterus rasch und
sicher herboigefiihrt wurden und zwar kam ich meist mit. der
inneren Darreichung aus. Dann hatte ich gute Erfolge bei klimak¬
terischen Blutungen, einige Male in Fällen, die mit Ilydrastis und
Ktyptiein vergeblich behandelt worden waren. Grundsätzlich und
mit der gewünschten Wirkung verabreiche ich das Mittel nach
Ausschabungen der Gebärmutter wegen der verschiedensten Ur¬
sachen während der ersten 3 Tage nach dem Eingriff.
Bei Myomen des Uterus es zu erproben, fehlte mir leider die
<felegeuheit. weil Myomkranke in die Krankenhäuser ja immer
zur Operation geschickt werden, die inonatelange Anwendung des
Ergotins in diesen Fällen demnach nicht angängig ist.
Ein Theil Ergotin Fromme entspricht genau 5 Theilen Secale
eornutum; die Maximaleinzeldosis beträgt 0,4, die Maximaltnges-
dosis 1.5. Zu Injektionen werden 0,1—0,4 unverdünnt oder ver¬
dünnt mit abgekochtem Wasser in die Spritze gezogen. Ich gal»
innerlich gewöhnlich 2—3 mal täglich 7 Tropfen in Wasser.
Ein Ergotinprä parat soll folgenden Anforderungen genügen:
1. Den vollen Gehalt der Droguo an dem wirksamen Alcaloid
d'ornutin) enthalten und dadurch eine absolut genaue Dosirung
ci möglichen,
2. alle giftig wirkenden Bestandtlieile des Mutterkorns nicht
mehr enthalten.
3. lange Zeit haltbar sein.
Diesen Fordeningen soll das Ergotin Fromme nach Angabe
des Erfinders genügen. Aus demselben sind Farbstoffe und
sonstige Extractivstoffe, die in anderen Mutterkornpräparaten oft
in ziemlich grosser Menge vorhanden sind und dann allerhand
Nebenwirkungen hervorrufen, nach Möglichkeit entfernt. „Durch
seine stets glcichmüxsigc Stärke dürfte dasselbe vor der Roh-
drogue, die in ihrem Gehalt an wirksamem Alkaloid nicht stets
berchtigten Anforderungen genügt, den Vorzug verdienen."
Meine Beobachtungen entsprechen dem Gesagten. Das
Ergotin F r o m m e wirkt g 1 e i c h m ä s s i g g u t, i e li
h a 1» e nie s c h ä <11 i c h e N e 1) e n w i r k u n g e n b emcrkl
und es ist länger haltbar, als die meist e n ä li n -
lieh e li Prä p a r a t e.
Dass cs ziemlich rein Ist und unwillkommene Nebenwirkungen
nicht zeigt, geht auch aus der Thatsache hervor, dass bei ein r
starken Blutung nach Ausräumung eines Aborts im 3. Monat ver¬
sehentlich (nach Analogie mit dem gewöhnlichen Extr. Secali<
fluid um) 2 ganze Spritzen Ergotin Fromme subkutan verabreicht
wurden, ohne dass die geringste schädliche Folge eingetreten wäre.
Hervorlieben möchte ich auch noch, dass nie an der In-
j e k t i o n s st o 11 c unangenehme R e i z e r s ch e i u u u g e n
li crvorgeriifen w urdon, was im < Jegcusatz zu anderen
Präparaten bemerkenswert h erscheint.
Das Mittel wird in Halle hei C a e s a r & Loretz hergestellt,
ist zwar ziemlich theuer, braucht ja aber auch in entsprechend
geringeren Mengen verordnet zu werden.
Dr. W111 h a u e r • Halle a. S.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 16. Juli 1901.
— Zum Zweck der Sammlung von Beiträgen für die Rudolf
V i r e h o w - S t i f t u n g, die, wie schon gemeldet, zur Feier von
Virehow's SO. Geburtstag auf die Summe von 200 000 Mü l;
gebracht werden soll, hat sich in München ein (’omitc g-bild. i.
Die Sammlung haben eröffnet die Münchener anthropologische
Gesellschaft mit 100 M., Prof. .loh. Ranke mit 50 M. und das
Herausgeber-Collegium der Miincli. med. Woehensehr, mit 30t> M.
Weitere Beiträgt* wollen baldigst an Dr. Beruh. Spatz. Otto-
Strasse 1. gerichtet werden.
— in Halle a. S. haben vor Kurzem zwei Damen. Fräulein
Irma Klausner und Fräulein Else v.d. Leyden aus Berlin,
die Beide das Reifezeugnis» eines reiehsdeutsohen Realgymnasiums
erworben haben und ordmmgsiiiiissig zehn Halbjahre an reichs-
deutschen Universitäten die Heilkunde studirt haben, nach be¬
standener ärztlicher Staatsprüfung die „Approbation als Arzt"
erhalten. Sie sind die ersten legitimen weiblichen
Aerzte in Deutschland. Es versteht sich wohl von selbst, dass
sie von ihren männlichen Kollegen als gleichberechtigt zu behau
dein sind und dass diese Gleichberechtigung auch in der Zulassung
zu den ärztlichen Vereinen ihren Ausdruck linden muss.
— Die Entscheidung des prenss. Kultusministers, wonach zur
B (* s t e u e r u n g d u r e h d i e A e r z t e k a m in e r n auch Per¬
sonen heranzuziehen sind, die zwar die Approbation als Arzt he
sitzen, den ärztlichen Beruf aber nicht mehr nusüben (s. unter
„Amtliches"), wird in der Fachpresse sehr abfällig besprochen.
Auch wir halten die Entscheidung auf die Dauer nicht für durch¬
führbar. Da wir aber unsere Aufgabe nicht darin erbliekeu, die
Interessen Derjenigen zu wahren, die* dem ärztlichen Stande ent¬
sagt Italien — di«* von der Entscheidung B«*tro(Teiien (zu «lenen u. A.
auch der frühere Landwirthschaftsminster Dr. v. L u eins ge
hört) werden «lies seihst zu tlnin wissen — so li«*gt für uns keit:
Grund vor. uns für die Aufhebung der Entscheidung, «lie ja für
die von den A<*rztekammern zu begründenden Wohlfahrtscin-
riehtungen äuserst günstig ist. zu ereifern.
— Im Grossherzogtlium Hessen wird die Einführung der
L «* i t* li «* n s e li a u «1 u r e li a p p r o b i r t e A e r z t e lieah-
sichtlgt.
— Auf dem 16.Balueologcucmigress wurde beschlossen, dem am
22. Dezember 1880 verstorbenen Dr. Rrohmer ein Denkmal zu
setzen. Ein aus dem Vorstand d«*r halneol«>gischen Gesellschaft
und iles Tuborkulost*c«)iigr<*ss«*s bt*st«*h<*n<h*s, durch zahlreich«*
ander«* Notabilitäten erweitertes Count«'* fordert alle M«*nsch«*ii-
fr«*und«*. insbesondere die Kolh*g«*n des Wrstorbenon und Alle,
welch«* ihm zu Dank verpflichtet sind. auf. dieses Unternehmen
durch Boiträg«.* freundllchst unterstützen zu wollen. DU*Si*ll>«*n
nimmt Herr Baiupiier Eugen Landau in Berlin. Wilhtdm-
strasse 71. entgegen.
— Das Preisgericht der Deutschen Gesell¬
schaft für Volks li ii der hat d«*u besten für d«*n öffentlichen
Vortrag geeigneten Abhandlungen über Volksbätler zwei erste
Preise zuerkannt, und zwar «lcu Herren Dr. E. Bäum er. Arzt
für Hautkrankheiten in Berlin, und Dr. Gustav Poelchan.
praktischer Arzt in (.Tiarlottenburg. Einige weitere Arbeiten
wimlen augekauft. Unter Verwerthung dos durch die Prtdsbewer-
bung gewonmuien Vortragsmaterials beabsichtigt «lie Deutsche
Gesellschaft für Volksbäder vom nächsten Herbst au eine R«»ih<*
von Wanderv«irträg«*n im ganzen Deutschen Reiche zu veranstalten.
Eine Haupt Versammlung «l«*r I>«*utschen Ges«*llschaft für Volks
liiider findet im Oktober «ls. Js. in Berlin statt. Amneltlungen zu
Vorträgen mul zur MitglU'dsehaft (von 3 M. pro Jahr an) werden
an die Geschäftsstelle, Berlin NW., Karlstrasse 19. erbeten.
— Als ein Opf«*r seiner Wissenschaft kann der kürzlich in
Bt*rlin verstorb«*iu* Physik«*r Clausen bezeichnet werden, «lev
durch seine in «ler Urania veranstalteten vorzüglichen Röntgcn-
Vorfiihrungen in weiteren Kreisen bekannt geworden ist. In Folge
dieser seiner Tliiitigkeit entwickelte sich nämlich eine chronische
Verbrennung der Haut der einen Hand, deren Folgen schliesslich
die Amputation der ganzen oberen Extremität nothwendig machte.
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16. Juli 1901. MUENCHENKK MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET. 1901
beider erfolgte im Anschluss an den zunächst gut überstamleneii
Eingriff wenige Tage später der tödtliclie Ausgang. Der traurige
Fall lehrt, dass der Experimentator heim Arbeiten mit Köulgcii-
stnihleu die peinlichste Sorgfalt heohaehten muss, um sich vor
Laesiouen der Hautdecke zu schützen. Allg. med. Centr.-Ztg.
-- Au anderer Stelle dieser Nummer veröffentlichen wir das
Programm des XXI. Oberrheinischen Aerztetags in
Fiviluirg i. 15. am 25. ds. Mts. Es wird dazu bemerkt, dass das
Programm zugleich als Einladung für alle im Oherrheingebict
widmenden Aerzte gilt und besondere persönliche Einladungen von
jetzt ab nicht mehr ergehen.
— Pest. Türkei. Am 22. Juli ist in Stambul ein Pestfall
iVstgestellt worden. Ferner wurden unter dem 5. Juli 2 weitere
Fälle in dem Stadttheil Kaszimpascha und dem italienischen
Hospital gemeldet. — Aegypten. Vom 14. bis 21. Juni sind in
Zagazig 18 neue Erkrankungen und 6 Todesfälle au der Pest fest-
gostellt, in Minieh 2 Erkrankungen und in Mansurah ein alsbald
tödtlich verlaufener Krankheitsfall, ferner in Alexandrien am
18. Juni ein neuer Fall, nachdem daselbst vom 7. April bis 17. Juni
4 Personen an der Test erkrankt und gestorben waren. Vom
21. bis 28. Juni wurden in Zagazig 10 neue Erkrankungen (und
4 Todesfälle) augezeigt, in Miuieh 1 (1;, in Alexandrien 2 (1), in
Port Said 1 (1). — Britisch Ostindien. In der Präsidentschaft
Bombay wurden vom 18. bis 24. Mai 8'J8 Neuerkrankuugeu und
700 Todesfälle, während der folgenden, am 31. Mai abgelaufenen
Woche 8(51 Neuerkrankungeu und 717 Todesfälle au der Pest fest¬
gestellt. Im laiufe des Monats Mai hat also von Woche zu Woche
sowohl die Zahl der neu gemeldeten Erkrankungen (1371)—1150
—81)8—8(51), wie auch die Zahl der Pesttodesfälle (1004—Oll)—700
—717> erheblich abgeuommeu. — Kupland. Die Epidemie geht
immer mehr zurück; nur wenige Fälle werden wöchentlich noch
gemeldet.
— In der 2(5. Jahreswoehe, vom 23. bis 29. Juni 1001, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Stettin mit 38,0, die geringste Remscheid mit (5,1 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Masern in Essen, Fürth, Kassel, Mül-
lmiiu a. Rh., an Luterleibstyphus in Pforzheim.
(Hochschulnachrichten.)
Frei bürg i. B. Die medicinlsche Fakultät der hiesigen
Universität hat den Khan Balladur N. II. Choksy, Uospital-
director in Bombay, zum Ehrendoctor ernannt.
Jena. Der Geheime Med.-Ruth Prof. Pr. Seidel, der über
Pharmakologie an unserer Universität las, wird mit dem Winter¬
semester seine Lehrthätigkeit elnstelleu. Prof. Dr. S t i n t z i u g,
Direktor der medicinischen Klinik, wird über Pharmakologie lesen.
Rostock. Prof. G r a s e r wird dem Ruf an die Universität
Erlangen als Nachfolger v. II e i n e k e’s Folge leisten. Gelegent¬
lich der Uebernaluue des hiesigen Stadtkrankenhauses von der
Grossherzogi. Regierung wurden die bisherigen I. Assistenten der
medicinischen und chirurgischen Klinik, Privatdocent Dr. Kühn
und Privatdocent I)r. E h r i c li, Sekundärärzte der genannten
Kliniken.
Strassburg. In der med. Fakultät habilitirte sich mit
einer Antrittsvorlesung über das Thema: „Die uekrobio-
tischen Metamorphosen der E p i d e r m i s z e 1 1 e“.
Herr Dr. F. W ei den reich für Anatomie, Embryologie und
vergleichende Anatomie.
Wien. Als Privatdocent an der Universität habilitivt:
Dr. Rudolph Kraus für allgemeine und experimentelle Patho¬
logie au der medicinischen Fakultät.
(Berichtigung.) Das Referat über meinen in der
7. Sitzung des 30. Congresses der Deutschen Gesellschaft für Chi¬
rurgie ln Berlin gehaltenen Vortrag (Münch, med. Wochenschr.
No. IS vom 30. April), das ln die meisten medicinischen Zeit¬
schriften Ubergegangen ist, möchte ich folgendermaasseu richtig
stellen: Ich habe über die operative Behandlung
der p e r i o e s o p h a g e a I e u und mediastiu alci
Phlegmone gesprochen und dabei unter anderen eines
Falles Erwähnung gethan, in dem es mir gelang, den
mediastinalen Abscess, der in der Thorax-
höhle bis zur 5. linken Rippe nach abwärts
reichte, durch die Eröffnung vom Halse her
•co Ha re Mediastinotomie) zur Ausheilung zu bringen.
I**r Abscess war entstanden durch eine Perforation des Oeso¬
phagus, 3 cm unter dem Jugulum. Die Erscheinungen waren
unmittelbar nach einer 3 Tage vorher In der Heiniath der Patientin
wegen einer Laugenstrictur vorgenommenen Sondirung des Oeso-
phagua auf getreten.
Innsbruck, lü. Juli 1901. Prof. v. Hacker.
In No. 2(5, S. 1071 (M a n g o 1 d t, Projektion von Röntgen
bildern) ist In Sp. 2, Z. 1(5 u. 17 v. o. zu lesen: „des Kopfes aus
der Pfanne, statt „und der Pfanne“; ebenda Z. 29 v. o.: „Erweite¬
rung“ statt „Erkrankung“; ebenda S. 1072, Sp. 1, Z. 1 v. o. „Ad¬
duktion“ statt „Abduktion“.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Landsheck Albert, nppr. 189.8. zu Ur-
springen, B.-A. Marktheldenfeld. Mayer Michael, appr. 1894, zu
Kiiiipar, B.-A. Wlirzburg.
Verzogen: Dr. Julius Blumenthal von Wiirzburg nach
München. Dr. Karl Pinko von Würzburg nach Kirtorf in Ober-
liessrn. Dr. Franz Schierel li von Kimpur nach Mannheim.
Ernannt: Zum I. Assistenzarzt und Oberarzt der Kreisirreu-
austalt Gabersee wurde der II. Assistenzarzt der Heil- und Ptiege-
anstalten bei Kaufbeureu, Oberarzt Dr. Hans Köhler, ernannt.
Erledigt: Die Bezirksur/.(stelle I. Klasse in Kelheim. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorsehriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 25. Juli 1. Js. cinzurelchen.
Briefkasten.
Herr Dr. W. in W. Sie beschweren sieli mit Recht über die
Zudringlichkeit, mit welcher ein Wörishofener Verlag den Aerzten
eine Kneipp-Broschüre unter Beifügung einer Liquidation von
1 M. zusendet, dabei „auf die Bequemlichkeit vieler Aerzte spe-
kulireiid, die lieber zahlen, als die Broschüre zurüeksehieken“.
Man braucht aber, wie Sie selbst richtig bemerken, die Broschüre
weder zu bezahlen, noch sich mit der Zurücksendung derselben
zu bemühen. Man lässt sie einfach bei sieli liegen, bei der Ab¬
sender sie uhholen lässt.
Amtliches.
tP r e u s 8 e n.)
Die bisher strittige Frage, ob und wieweit nicht prakti-
eirende Aerzte zu den Umlagen der Aerztekanunern heran-
gczogen werden können, ist jetzt durch folgenden Erlass des
Ministers Studl. den der Vorsitzende des Hessen-Nnssauisehen
Kammer zur Kenntnis» der übrigen Aerztekammern bringt, ent¬
schieden worden:
Der Minister der geistlichen, Unterrichts¬
und Mediclnal-Angelegenheiten.
M. No. 1737. Berlin, 13. Juni 1901.
Auf den Bericht vom 8. M ä r z 1901. — No. 1745. —
Die Frage, ob die, eine ärztliche Thätigkeit nicht ausübenden
approbirten Aerzte gleichwohl verpflichtet, sind, zu den von den
Aerztekammern ausgeschriebenen Umlagen beizutriigen, ist zu be¬
jahen. Nach § 49, Absatz 1 des Gesetzes vom 25. November 1899.
betr. die ärztlichen Ehrengerichte u. s. w. (G.-S. S. 5(55). ist jede
Aorztekammer befugt, von den wahlberechtigten Aerzten des
Kaniuierbezirks einen von ihr festzusetzenden jährlichen Beitrag
zur Deckung des Kostenbedarfs zu erheben. Wahlberechtigt sind
nach § 4 der Verordnung, betr. die Einrichtung einer ärztlichen
Stnudesvertretung vom 25. Mai 1887 (G.-S. S. 109) in der Fassung
der Verordnung vom 23. Januar 1S99 (G.-S. S. 17) alle im Bezirk«*
der Aerztekammer wohnhaften approbirt«*n Aerzte, welche An¬
gehörige des Deutschen Reiches sind, und sieli im Besitze der
bürgerlichen Ehrenrechte befinden, mit alleiniger Ausnahme «ler
Militär- und Marineärzte und der Militär- und Marine¬
ärzte des Beurlaubtenstandes für «li«* Dauer ihrer Ein¬
ziehung zur Dienstleistung. Die Wählbarkeit und damit
zusammenhängend die Beitragspflicht ist hiernach unabhängig von
«lein Umstande, ob der zur Aerztekammer ««‘hörige approbirtc Arzt
seine ä rat liehe Kunst thatsächiicli ausübt oder nicht 10s ist ferner
in dem G«*setze vom 25. November 1.899 keine Bestimmung ent¬
halten, nach welcher etwa die Beitragsptiicht auf das aus der Aus¬
übung der ärztlichen Kunst entspringende Einkommen beschrankt
wäre.
Ebenso wenig sind endlieh die aus den BiMfrägen zu be¬
streitenden Ausgaben auf solche beschränkt, welche ausschliesslich
den prakticirenden Aerzten zu Gute kommen; es sollen im Gegen-
theil die Einnahmen der Kasse nach § 50, No. 4 «l«*s erwähnten Ge¬
setzes zur Bestreitung der von der A(‘ratekamliier lmschlossenen
Aufwendungen für Angelegenheiten des ärztlichen Standes
dienen, und zwar, wie die Motive ergehen, inbsesondere zur Er¬
richtung von Unterstützungs- und Pensionskassen für Aerzte und
ihre Hinterbliebenen.
Eine Verzichtleistling auf die ärztliche Approbation, mit der
Wirkung der Befreiung von der Umlagepfiieht. halte ich in Ueher-
einstinimung mit Euerer Excellenz für recht lieh unzulässig.
Euere Excellenz ersuche ich ergebenst, hiernach auf di«* zu
rück folgend«* Beschwerde des Dr. R. zu W. Entscheidung zu
treffen.
gez. S t u d t.
An den Herrn Ober-Präsidenten zu Cassel.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München
in der 27. Jahreswoche vom 30. Juni bis 5. Juli 1901.
Betheiligte Aerzte 197. — Brechdurchfall 27 (14*), Diphtherie,
Croup 12 (11), Erysipelas 12 (12), Intermittens, Neuralgia interm.
— (1), Kindbettüeber - (2), Meningitis cerebrospin. — t—\
Morbilli 41 (56), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 2 3\ Parotitis
epidem. — (3), Pneumonia crouposa 7 i,8\ Pyacmie, Septikaemic
— (—) ( Rheumatismus art. ac. 23 (18), Ruhr (dysenteria) — (—\
Scarlatina 21 (15), Tussis convulsiva 20 :2l\ Typhus abdominalis
6 (2), Varicellen 7 (18), Variola, Variolois Influenza — (U,
Summa 178 (184\ Kgl. Bezirksarzt Dr Müller
*) Die elngeklnimnerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
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1202
MtmttCÜEtffift MEDIcmiSCltE WOCHENSCimrFT. No. 20.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat Mai 1901.
Iststärke des Heeres:
68 667 Mann, — Invaliden, 207 Kadetten, 145 Unteroff.-Vorschüler.
1. Bestand waren am
30. April 1901:
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Unter-
Offlzler-
vor-
schüler
2263
—
2
5
2. Zugang:
im Lazareth:
im Revier:
1 in Summa:
1320
3688
5008
—
4
8
12
7
7
Im Ganzen sind behandelt:
°/oo der Iststärke:
7271
105,9
_
14
67,6
12
82,7
3. Abgang:
dienstfähig:
°/oo der Erkrankten:
gestorben:
°/oo der Erkrankten:
invalide:
dienstunbrauchbar:
anderweitig:
in Summa:
4945
680,1
18
2,5
40
38
306
5347
—
9
642,9
9
7
583,3
2
9
4. Bestand
bleiben am •
31. Mai 1901:
[ in Summa:
1 °/oo der Iststärke:
1 davon im Lazareth: 1
l davon im Revier: |
1924
28,0
1334
590
—
1 5
24,1
3
1 2
3
20,7
3
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten
an: Blutvergiftung (Pyaemie) 3, Unterleibstyphus 6, Lungentuber¬
kulose 1, Gelenkrheumatismus (kompli/.irt mit Entzündung des Herz¬
beutels und der Herzinnenhaut) 1, Hirnhautentzündung 2 (davon
1 im Anschluss an Mittelohreiterung), Gehirnerweichung nach Ge-
fässverstopfung in Folge von geschwüriger Entzündung der Herz¬
innenhaut 1, croupöser Lungenentzündung 3, Abscessbildung in
der linken Lendengegend 1.
Ausserdem ist noch 1 Mann ertrunken (Unglücksfall — wahr¬
scheinlich Herzlähmung — beim Baden), 2 Mann endeten durch
Selbstmord (durch Erhängen).
Der Gesammtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im
Monat Mai 21 Mann.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 27. Jahreswoche vom 30. Juni bis 6. Juli 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 3 (4*), Scharlach — (1), Diphtherie
und Croup — (—), Rothlauf — (—), Kindbettfieber 1 (1), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 2 (—). Brechdurahfall 2 (3), Unterleibtyphus
1 (1), Keuchhusten 1 (2':, Crouprtse Lungenentzündung 2 (1),
Tuberkulose a) der Lungen 26 (30', b) der übrigen Organe 8 (13),
Akuter Gelenkrheumatismus — (1), andere übertragbare Krank¬
heiten 1 (4), Unglücksfälle 6 (5,, Selbstmord^ (1), Tod durch
fremde Hand 1 (—).
Die Ge8ammtzahl der Sterbefälle 203 (208j, Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 21,1 (21,6), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 13,6 (12,7).
•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Morbiditätsstatistik der Infectionskrankheiten in Bayern: April 1 ) und Mai 1901.
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3
8
2
34
60
1
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17
21
2
9
11
23
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Bamberg
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22
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12
6
13
29
3
6
1
—
—
—
—
—
—
18
39
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—
6
7
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—
2
10
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—
—
—
1
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1
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10
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23
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11
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11
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KaUerslant.
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21
4
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12
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39
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—
16
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2
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4
_
_
27
24
München»)
43! 63'
51
47
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3
1
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2
6
200
234
14
13
4
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07
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3
1
102
112
1
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02
88
06
70
4
1
64
71
—
_
672
245
Nürnberg
36
80
48
67
40
35;
181
—
2
2
3
3
—
—
217
210
7
G
16
20
77
105
—
2
62
79
—
1
91
98
36
33
fl
_
37
28
_
_
148
137
Pirmasens
2
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S
22
1
3
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—
—
—
—
—
—
_
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—
_
1
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2
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11
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—
—
_
2
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—
11
7
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16
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—
1
—
—
3
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1
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1
20
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—
2
17
5
—
—
2
6
1
—
—
4
1
_
_
43
42
Würzburg
5
12
4
2
1
6|
-
—
1
—
—
2
-
4
1
4
-
30
37
7
1
-
—
—
—
4
2
6
2
5
—
-
20
Be völkerungsziffern*): Oberbayern 1'323,447, Niederbayern 678,684, |
Pfalz 831,583, Oberpfalz 563,867, Oberfranken 607,903, Mittelfranken 816,656, Unter-
franken 660,758, Schwaben 713,616. — Augsburg 89,109, Bamberg 41,820, Hof 32,782,
Kaiserslautern 48,306, Ludwig.shafeu 61,905, München 499,969, Nürnberg 261,022,
i*irmasens 30,194, Regensburg 45,426, Würzhnrg 76,497.
Einsendungen fehlen aus der 8tadt Hof und den Aemtern Bergzabern, Hof,
Stadtstelnaeh, Wunsledel, Neustadt a./A , Ebern, Hofhelm, Königshofen, Würz¬
burg und Oberdorf.
Höhere Eckrankungszahlen (auaser von obigen Städten) werden gemeldet
aus folgenden Aemtern bezw. Orten:
Diphtherie, Croup: Epidemie ln Oberlelterbach (Staffelstein), 12 beh.
Fälle; ferner ln Michelbach (Alzenau), gutartig, 22 beh. Fälle; Stadt- und Land¬
bezirke Bayreuth 19, Kulmbach 14 beh. Fälle.
Influenza: Abnahme der Epidemie In den Aemtern Pirmasens (im A.-G.
Dahn) und Donauwörth. Stadt- und Land bezirke Paasau 29, Forcbheim 34, Aemter
Altötting 36, Vllsblburg 21. Sehwelnfurt 32 beh. Fälle
Intermlttens: 1 Fall, aus der römischen Campagna eingescbleppt, im
ärztl. Bezirke Kolbermoor (Aibling).
Meningitis cerebrospinalis: 2 Fälle (1 tödtlicb) am gleichen Tage,
ohne nachweisbaren Zusammenhang, in Iggelheim (Ludwigshafen); Stadt- und
Landbezlrk Forchbeira 3 beh. Fälle
Morbilli: Fortsetzung der Epidemien ln den Bezirken Pfaffenhofen (Im
A-O. Geisenfeid, 142 beb. Fälle, vielfach mit Tussis compllclrt; Traunstein (Im
A -G Trostberg, Schulschluss ln Truchtlaching, 69 beh. Fälle ; Ludwigshafen (im
nördlichen Theile der Stadt, 209 beh. Fälle, nur 15 über 6 Jahie alte Kranke);
Kusel (in Welchweiler. Horschbach und Oberalben), Landau 1 d Pf. (In der Stadt
I-andau), Memmingen lin Stadt und Land 60 beh. Fälle); Kempten (lm Land¬
bezirke In Franenzdl und Muthmannshofen; 42 beh. Fälle). Epidemisches Auf¬
treten ferner in den Aemtern München I (im ärztl. Bezirke Ismaning 68 beh.
Fälle), Passau (in Passau und Umgebung), Viechtach (neuerdings Im Bezirke, in
Kollnburg), Neumarkt (lm ärztl. Bezirke Sulzbürg), Oberuburg (ln Klingenberg,
Köjlfeld und Erlenbach). Stadt- und Landbezirk Lindau 46, Bez -Amt Regens-
bu rg 85 beb. Fälle.
Parotitis epidemica: Neuerdings epidemisches Auftreten ln den
Aemtern Alzenau (In Schimborn) und Donauwörth, (in Harburg neben Tussis,
leicht); Epidemie ferner In Treidelheim (Neuburg a/D.) und in der Stadt Nörd-
lingen (unter 1 bis 10jährigen Kindern).
Pneumonia crouposa: Stadt- lind Landbezirk 8chwabach 47, Aemter
Zweibrücken 51, Hcrsbruck 74 beh. Fälle.
Ruhr, dysenteria: Aerztl. Bezirk Neuötting -Altötting) 8, Bez.-Amt
Zweibrücken 4 beh. Fälle.
Tnssls convulsiva: Fortsetzung der Epidemien ln den Aemtern Freising,
Pfaffenhofen (Im ärztl. Bezirk Gelsenfeld neben Masern), Vilshofen (ln Aidenbach,
61 beh. Fälle); Epidemie im Amte Viechtach im Erlöschen. Epidemisches Auf¬
treten ferner ln den Aemtern Altötting (ln den ärztl. Bezirken Neuötting und
Tiissllng, 48 beh. Fälle), Landsberg (in Dlessen und Set. Georgen) von München
eingeschleppt, Wegscbeid eingeschleppt aus dem Bezirke Passau, zunehmende
Verbreitung), Pirmasens (In allen Ortschaften des A.-G. Dahn), StalTelstcin (in
Uetztng), Eichstätt (in Böhmfeld, Hitzhofen und Llppertshofen), Herabruck Im
ärztl. Bezirk Lanf, 27 beh. Fälle), Scheinfeld (über den ganzen Amtsbezirk ver¬
breitet, gutartig), Donauwörth (in Harburg, neben Parotitis). Bez.-Amt Zwei¬
brücken 48 beh. Fälle.
Typhus abdominalis: Fortsetzung der Epidemie in Waldmünchen,
(4 beh. Fälle ln Waldmünchen, t auswärts); Aemter Landau 1/Pf. 4 (davon 3 ln
einer Familie in Landau), Neuburg a/D. 6 (davon 4 in Karlshuld), Zweibrücken
und Kempten je 4 beh. Fälle.
Varicellen: Häufige Erkrankungen im 8tadt- und Landbezirke Kaisers¬
lautern, ferner im A.-G. Lauingen (Dillingen), keine ärztliche Hilfe begehrt.
Variola, Varlolois: 1 Fall ln Kornau (Sonthofen). Vom Vormonate
nachzutragen 12 Fälle im Amte Gunzenbausen, die Mitglieder einer wandernden
8cbirmmacherfamilie betreffend.
Milzbrand: 1 Fall ln Schneppenbach (Alzenau), bei Section einer milz¬
brandkranken Kuh acquirlrt.
lm Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender 8tatiatlk wird um
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20 des auf den Berichts¬
monat folgenden Monat«) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehlanzeigen
ersucht, wobei anmerkungswelse Mitthellungen über Epidemien erwünscht sind.
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswerth, dass Fälle
aus der sog. Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Grenz¬
amtes oder dem K. Statistischen Burean unter Ausscheidung nach Aemtern an¬
gezeigt werden.
Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen tu portofreier Einsen
dang an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Bezirksärzte
zu erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. Sammelkarten als za
Elnzelneinsendungen der Amts- und praktischen Acrzte, welche ln letz¬
terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle znsammengesteUt aal
je 1 Karte pro Monat nebst altenfallslgen Bemerkungen über Epidemien etc. zu:
Auzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht von Einsendung sog. Zähl
blättchen oder Sammelbogen absusehen. Allenfalls in Händen befind¬
liche »ng. Postkarten wollen aufgebranoht, jedoch durch Angabe der Zahl
der behandelten Influenzafälle ergänzt and unter Umschlag elngesandt werden.
•) Nach dem vorläufigen Ergebnisse der Volkszlhlung vom 1. Dezember t9öö. — ‘) Einschliesslich einiger seit der lauten Veröffentlichung (No. 21, 1901)
eingelaufener Nachträge. — *) lm Monat April 1901 einschliesslich der Nachträge 1405 — *) 14. mit 17. bezw. 18. mit 22. Jahreswoche.
Verlag von J. F. La hmann in München. — Druck von K.
Mflhlthaler'a Bncb- und Kunatdrackeret A.O., Manchen.
Digitized by VjLH
>8
Wo Münch. Med. Woehenschr. erscheint wöchentl.
ln Nummern von durchschnittlich 6-6 Bogen.
Preis ln Deutsch), u Oest.-Ungarn vlerteljflhrl. 6 JL,
Ins Ausland 7.60 JL Einzelne No. 80 -4.
MÜNCHENER
Zusendungen sind zu adrcsslren: Für dlo Iicdactioa
Ottostrasse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
EDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Cfe. Baumler, 0. Bollinger, H. Curschmann,
Freiburg I. B. München. Leipzig
No. 30. 23. Juli 1901.
Herausgegeben von
C. Gerhardt, 6. Merkel, J. i. Michel,
Berlin. Nürnberg Berlin.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasae 1.
Verlag: J. F. Lehmann. Heastraase 20.
H. i. Ranke,
München.
F. v. Winckel, H. v. Ziemssen,
München. München.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der II. medicinischen Universitätsklinik in Berlin. Director:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gerhardt.
Chinasäure und Gicht.
Von Dr. de la Camp, Assistent der Klinik.
J. Weiss theilte vor 2 Jahren Versuche mit Chinasäure
mit, deren Ergebniss eine Verminderung der liarnsäureaussehei-
dung beim Mensehen nach Darreichung dieser, selbst in grossen
Mengen von 20—30 g gut vertragenen Säure und eine gleichzeitige
Vermehrung der normaliter nur in geringer Menge ausge-
sebiedenen Hippursäure besagte. Demgemäss prüfte und empfahl
er als therapeutisches und prophylaktisches Mittel für die harn¬
saure Diatliese, insbesondere die Gicht, eine Verbindung derselben
mit einem bisher als „Giehtmittel“ empfohlenen Salz, dem Lithion
citrieum, unter dem Namen Urosin. Die von ihm gefundene Er¬
scheinung der verminderten Harnsäureausseheidung nach Ein¬
führung von Chinasäure erklärte er durch die Annahme einer ver¬
minderten Ilarnsäurebildung im Körper und gedachte durch die
Kombination der Chinasäure mit einem diuretisch wirkenden
Mittel einen doppelt günstigen therapeutischen Erfolg zu erzielen.
In ähnlicher Absicht wurde eine weitere Chinasäureverbindung,
Chinasäure und Piperazin, Sidonal genannt, hergestellt und von
Blumen thal und Lewin in seinen Stoffwcchseläusserungen
untersucht, und endlich ein Präparat, das Chinasäure und Uro¬
tropin enthielt, das Chinotropin, das von Nicolai er geprüft
wurde.
Wenn nun auch trotz mannigfacher, auf eingehenden Unter¬
suchungen sich aufbauender Theorien und vieler als richtig an¬
erkannter Thatsaehen eine exakte Erklärung des Wesens und der
Aetiologie der Gicht keineswegs besteht, so musste doch ein
Mittel, das ein Symptom der Gicht, pathologische Harnsäure¬
ablagerungen, in irgend einer Weise beeinflussen konnte, zu kli¬
nischen und zu Stoffwechselversuchen auffordern. Allerdings
musste man sich der Inkonstanz der Harnsäurevermehrung oder
-Verminderung im Urin vor, während und nach dem Gichtanfall
bewusst bleiben, musste zweitens die Harnsäurebiklung aus reich¬
lich Harnsäure bildender, nucleinreicher Nahrung und aus den
aus dem Körpergewebe sich bildenden Purinkörpern unterscheiden
und drittens neben der erwarteten Harnsäureverminderung im
Urin anderweitige Stoffwechseländerungen, also speciell die
Hippursäureausscheidung beachten. Vornehmlich die Unter¬
suchungen von H i 8, der den Verbleib von saurem hamaaurem
Natron, das er in Gelenk und Bauchhöhle einspritzte, und die
Reaction des Körpers auf diese Injektionen, die sich in einer Ent¬
zündung und einer Aeusserung der Harnsäure als Gewebsgift be¬
kundeten, untersuchte, Ressen auf eine Rolle der Harnsäure bei
der Entstehung der akuten menschlichen Gicht schliessen, wenn
auch Thierkörperexperimente nur vorsichtige Rückschlüsse auf
menschliche pathologische Verhältnisse gestatten. So zeigte
Richter, dass bei Vögeln experimentell durch chromsaures Kali
hervorgerufene Hamsäureablagerungen auf Herzbeutel, Leber,
Plcora, dem Darmüberzug nicht entstanden bei gleichzeitigen
Gaben von Sidonal oder auch Chinasäure allein. Nach Weiss
Hieilten, wie schon oben erwähnt, im vorigen Jahre Blumen-
tha 1 und Levin Stoffwechaelversuche beim Menschen mit
30
Chinasäure mit. Von 4 Versuchen konnten 2 als deutlich positiv
hinsichtlich der erwähnten Wirkung der Chinasäure bezeichnet
werden, allerdings nur, wenn gleichzeitig die Harnsäureausschei¬
dung durch hamsäurebiklende Nahrung (Thymus) vermehrt und
dann durch Chinasäure beeinflusst wurde. Der 3. Versuch fiel
völlig negativ trotz Thymusdarreichung aus und der 4. Versuch
nach der Ansicht Blumenthal’s desshalb negativ, weil bei
der auf reine vegetabilische Nahrung gesetzten Patientin (Arthri¬
tis urica) die geringe Harnsäureausseheidung wegen der ver¬
minderten Harnsäurebiklung nicht hatte beeinflusst werden
können, während sie bei Darreichung von Thymus allerdings
Differenzen gezeigt habe (einer der beiden positiven Versuche).
Bezüglich der Erklärung der Chinasäureeinwirkung drückt sich
B. sehr vorsichtig aus: gegen eine vermehrte Lösung der Harn¬
säure, die Richter annehme, scheine zu sprechen, dass China¬
säure im Reagensglaso nicht Harnsäure löse; gegen eine ver¬
minderte Bildung aber die Inkonstanz der Versuche. B. experi-
mentirte mit Sidonal, Urosin und Chinotropin. Ueber die ver¬
mehrte llippursäureausscheidung, die W o i s s ja an Stelle der
verminderten Harnsäureausseheidung gesetzt haben wollte, fehlen
speciollere Angaben. Dagegen geht aus den Versuchen weiterhin
hervor, dass Gaben von Benzoesäure, wie auch schon \V T e i s s und
Lewandowski gezeigt hatten, die Ilarnsäureausfuhr nicht
verminderten.
Diesen zum Theil positiven Resultaten stehen andere gegen¬
über. Weintraud hatte inkonstante Resultate, Lewan¬
dowski völlig negative. Schlayer theilte 2 Fälle mit, in
denen er nach Gaben von 4 g Sidonal eine erhebliche Abnahme
der Harnsäureausseheidung sah; allerdings wurde nur je eine
Harnsäurebestiinmung vor und nach dem Sidonalgebrauch ge¬
macht, und dazwischen lag eine längere Zeit. Im Juli vor. Jahres
veröffentlichte Nicolaier seine experimentellen Erfahrungen
über Chinasäure und Benzoesäure. N. kam auf Grund von 3 an
Gesunden angestellten Versuchsreihen zu dem Resultat, dass die
Chinasäure die Harnsäureausseheidung nicht vermindere, im
Gegentheil sogar (in 2 Fällen) vermehre. Neben Chinotropin
wandte er Sidonal an. „Bei unseren Versuchspersonen“, sagt er
zusammenfassend, „hatten demnaeh alle hippursäurebildenden
Verbindungen (Chinotropin, Sidonal, Chinasäure, benzoesaures
und zimmtsaures Natron), die wir betreffs ihres Einflusses auf die
Harnsäureausseheidung untersuchten, keine Verminderung der¬
selben zur Folge, es bestand also bei ihnen jedenfalls nicht, wie
angenommen wird die Wechselwirkung zwischen Hippursäure und
Harnsäure derart, dass eine Vermehrung der Hippursäure im
Harn, wie sie nach Darreichung dieser Verbindungen statthat,
eine Herabsetzung der Harnsäureausseheidung bewirkt.“ N. ver¬
zichtete auf die Bestimmung der Hippursäure, da es ihm nur auf
die Harnsäureausseheidung ankam. Die Werthe der Harasäure-
ausseheidung, die er bei seinen Versuchen fand, waren häufig
an verschiedenen Tagen recht differente. Aus 2 Zahlen 0,4148
und 0,5971 das Mittel 0,5059 und aus 4 Zahlen 1,2150, 0,8030,
0,6308 und 0,4631, von denen die erstere beinahe das 3 fache der
letzteren beträgt, das Mittel 0,7779 als Verhiiltnisszahl in Be¬
rechnung zu ziehen, ist natürlich immer misslich. Auf Grund
der mitgetheilten günstigen klinischen Berichte und seiner Er¬
fahrungen über die harnsäurelösenden Eigenschaften des Uro¬
tropins empfiehlt N. jedoch speciell das Chinotropin zur weiteren
Prüfung.
1
Digitized by
Google
J204 MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30.
Neben diesen keineswegs übereinstimmenden Mittbeilungen
über die Wirkuntren der Chinasäure im menschlichen Organismus
auf Grund von Stoffweehseluntersueliungen sind nun von einer
grössereren Reihe Autoren durchaus günstige klinische Ergeb¬
nisse veröffentlicht (v. L e y d e n, E w a 1 d, R. Fraenk e 1,
Goldscheider, J. Mayer, Sternfeld, S a 1 f e 1 d,
Mylius u. A.) und zwar handelt es sich um verschiedene Ver¬
bindungen der Chinasäure, meist V ros in und Sidonal.
Nach allem Gesagten erschien es angebracht, weitere Unter¬
suchungen über Chinasäure anzustcllen. Zu meinen Stoffweehsel-
versuehen verwandte ich das von der chemischen Fabrik auf
Aktien (vorm. E. Schering) bergest dito Chinasäure-Präparat
Chinotropin, das in mehrfacher Beziehung aus weiter unten an¬
geführten Gründen bevorzugt zu werden verdiente.
Die Fabrik stellte uns 2 Präparate zur Verfügung, ein
Chinotropin II, das 2 Molecüle Chinasäure und 1 Molecül Uro¬
tropin und ein Chinotropin III, das 4 Molecüle Chinasäure und
1 Molecül Urotropin enthielt.
Das Präparat wurde stets ohne jede unangenehmen Nebeur
Wirkungen genommen; als oberste Grenze wurden 7,5 Chino¬
tropin II (entsprechend 1,5 g Urotropin) gewühlt, im Uebrigen
zwischen 5 und 6 g (dem Sidonal entsprechend) gegeben. — Die
Harnsäure wurde nach der Ludwig-Salkowsk i’schen Me¬
thode bestimmt, die Hippursäure nach der von Blumcuthnl
angegebnen Methode im Versuch 1, 3 und 5, nach der Bunge-
S e h m i e d e b e r g’sohen Methode im Versuch 2. Zur Bestim¬
mung der Harnsäure wurden stets Doppeluntersuchungen ausge¬
führt.
V e r s uch I Chlorosis levis.
- — —-—
■— — - -
- - — —
— - —
Tag Medikation
rriimicngr
Spec.
Gewicht
X
1 larnsäure
Phosphor*) !
Stuhl
Diät
Trockenkolli 116 g
Täglich:
|
5,6724 X
V l-i 1 Milch
1 0
2500
1017
19,32
0,924
4,65
6,2524 Phosphor
18,368 Fette
200 g Brod
2 0
20 0
1017
16,184
o,777
3,78
im Mittel pro Tag:
200 g Fleisch
2,8362 N
3,1262 Phosphor
120 g Schrippen
9,184 Fette
100 g Reis
Trockenkoth 160 g
80 g Eier
3 ,6g Chinotropin II
2500
ioi <;
18,41
0,9995
4,30
8,32 X
40 g Caeao
4
2500
1017
17,5
0,8892
4,25
8,144 Phosphor
27,312 Fette
20 g Zucker
5 1 „
2220
1018
10,56
0,6976
3,74
im Mittel pro Tag:
2,03 X
1 Fl. Selters.
6
2500
1018
18,9
0,8295
4,2.5
2,036 Phosphor
6,823 Fette
Trockenkoth 110 g
|
5,61 N
7 | 0
2800
1017
17,87
. (',8643
4,7u4 |
6,5175 Phosphor
8 | 0
2500
1018
18,76
0,8925
4,7 !
25,575 Fette
im Mittel pro Tag:
9 0
2G01
1017
17,9816
0,7644
4,472 j
1,87 N
2,1725 Phosphor
.
8,525 Fette
*) Nach Neumann In Periode I Harnsäure durchschnittlich pro Tag: 0,8 05
„ „ U „ „ „ „ 0,8539
„ „ UI „ „ „ „ 0,8104
Am 2. Tag Hippursäure unter 0,3
„ 5. „ „ über 2,0
p n 9
ff * * V >t K
(Versuch II u. III siehe nächste Seite (
Im Versuch 1 handelte cs sich um ein wegen leichter Chlo¬
rose in Behandlung befindliches Mädchen, das während des Kran¬
kenhausaufenthaltes ständig zutiahm und geheilt entlassen wurde.
Es erhielt eine reichliche gemischte Nahrung, wie aus der bei¬
gegebenen Diät ersichtlich ist und befand sich bis auf einen Tag
(Tag 5) im Stickstoffglcichgewicht. Wahrscheinlich ist an diesem
Tage, an dem alle 3 Faktoren: Stickstoff. Harnsäure und Phos¬
phor geringer waren, ein geringer Tlieil des Harns verloren ge¬
gangen. Im Versuch 2 und 3 handelte cs sich um zwei akute
Gichlfülle, welche jedoch nicht, wie in dem negativen Versuch 4
von Blumenthal, vegetabilische, sondern gemischte Diät
erhielten. Die Temperaturen, die in den Tabellen enthalten sind,
gehen einen Begriff von dem Abklingen des akuten Gichtanfalls.
Der Kranke des Versuchs 2 war ein 44 jähriger Arbeiter, der
seit 13 Jahren an Gicht litt. Am 3. Tage des erneuten, die Fuss-
gelenke, rechte Schulter und das linke Handgelenk betreffenden
Anfalls wurde mit dem Stoffwechselversuch begonnen. Der
Kranke des 3. Versuchs war ein 46 jähriger Handelsmann, der
gleichfalls seit langen Jahren an Gicht laborirte und oft das
Krankenhaus nufsuehen musste.
Bei dem ersten Kranken fand sich niemals Eiweiss im Urin,
bei dem zweiten nur vorübergehend während der akuten Anfälle.
Hieran anschliessend möchte ich noch eine weitere Bestim¬
mung der Harnsäure bei einem dritten akuten Gichtiker
(56 jnhr. Silberarbeiter) mittheilen, dessen ITarn-äureverhHltnisse
allerdings in den betreffenden Perioden nur au je 1 Tage geprüft
wurden.
T a 1) e 11 e 4
1 |
X Harnstoff |
i
Phos¬
phor
Harn¬
säure
Vor der 1. Chinolropinperiode
11,7
28,0
i Harnstoff N :
13,16
!
' [
0.59
Während der 1. ('hinoiropin-
periode .5 Tage lang je 8,0 g
Chinotropin 1P.
15,1
28,8
2,.i5
1,04
Zwischenperiode von 5 Tagen
j
—
1 ~
1
Während der 2. Chinotropin-
Periode (3 Tage lang je 8,0 g j
Chinotropin 11 >.
14,014
1
»
i
0,1701
Xnchperiode.
14,414 —
. —
j <»,492
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23. Juli 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1205
■Versüc h II Arthritis urica.
Tag
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rrinmenge
Spoc |
Gewicht
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X
Harnsäure |
Phosphor
Stuhl
Temperaturen
Morgens it.Ahils.
i
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C
ü ~
1
, o
1600 1
1016
9,128
i 0,6132
1,66
37,0' 38,9
048,11
•)
1 0
2300
1008
3,2936
0,777
2,624 1
Trockenkoth 437 g
37,6 37,0 '
1139
3
0.
3000
1009
16,212
0,78
0,75
13.11 X ,
37.2 38,0
1873
4
0
2000
1011
12,806
0,6552
1,02
57,2907 Phosphor
37,4 37,8
2070
:t
(1
2100
1009
11,701
, 0,4506
0,88
52,003 Fette
37,2 37,2 :
1 2286
6
0
2500
1010
16,0
0,7875
2,0 i
im Mittel pro Tag: !
36,8 37,2
2677
7
o
20C0
1011
13.44
i 0,462
0,76
1,311 N
36,8 37,0
2286
8
0
| 3600
1009
14,968
0,6577
1,604 1
5,729 Phosphor
36,8 37,5
2418
9
! 0
j 2000
1010
10,69
i 0,419
0 9 1
5,20 Fette
36,8 37,5
2492
10
. 0
1 3300
1009
14,506
0,783
0,99
36,7 37,6
2485
11
2,5 g
3600
1008
12,146
5.5367
1,26
36,8 37,0
2304
12
t’hinotropin 11
, 4100
1008
15,498
| 0,5854
1,845
Trockenkoth 218 g ,
36,4 37,4
2441
13
3400
1010
13,804
o,i; 06
1,598
10,6 X
2419
14
t ”
| 2400
1007
16,19
i 0,2822
1,162
'2,7042 Phosphor
2660
15
5 g
2800
10t >8
15,96
1 0,5115
1,456
42,51 Fette
2341
1«
! 2800
1009
15,052
I 0,488
1,736 !
im Mittel pro Tag: ,
v.646
17
2600
1010
12,084
1 0,4477
2,21 ;
1,06 X
2629
IS
0,5 g
3600
1009
15,4224
! 0.5518
2,196 {
3,270 Phosphor
o
20h5
Kl
3200
1010
16,0384
0,6384
2,08
4,251 Fette
r
2975
10
1,5g
i 3000
1010
12,18
, 0,4725
2,13
z •
2911
I
|
1
, 1
Trockenkoth 122 g
5,67 X
|
21
0
3000
1009
9,912
, 0,4221
1,35
16,165 Phosphor
2920
22
0
3000
1008
10,416
0.4152
1,29 !
20,044 Fette
2901
13
0
3000
1010
14,448
t 0,4851
2,10 j
im Mittel pro Tag:
2870
24 '
0
1 34U0
1011
19,6612
0,6426
3,196 |
1,42 N
2783
i
i
i
i i
4,041 Phosphor
1
i
5,011 Fette
In Periode I Harnsäure durchschnittlich pro Tay: 0,6385
„ „ II ,, „ „ „ 0,5120 ' Hippiirsäuro 0.
„ „ IU „ „ ,, 0,4912
\ ? e r s u c h III Arthritis urica.
Tag
•
Medikation
Urin-
Spec.
(Je-
X
Harn¬
säure
.
Phos¬
phor
Stuhl
Temperat-Jr
Diät:
Täglich:
wicht
Gesummt
Im Mittel
1
0
2200
1013
,
11,7656
0,3234
1,738
1,98
(Trockenk. 101 g
) 4,141 N
pro Tag
2,071
4,232
20,149
nur 37°
100 g Brod
80 g Butter
130 g Schrippen
<>
U
2200
1013
12,628
0,5821
| 8,4638 Ph.
(40,2990 F.
l>
»»
i
80 g Rindlleiso
3
6g Chinotropin III
2400
1015
13,306
0,5141
1,752
(Trockenk 185 g
1,66
3,919
21,009
80 g Käse
4
2600
1013*
14,9968
0,5317
0,5885
1,404
6,66 N
2 1 Milch
5
2200
1016
17,0*32
2,464
15,678 l*h.
1 1 Kaffee
- 80 g
6
II
2200
1016
17,1248
0,5515
2,772
184,036 F.
unter 37 ü
1 fl. Selters
Rindfleisch
7
0
2000
1015
16,24
0,514
2,18
(Trockenk. 116 g
4,524 N
111,194 Ph.
(44,573 F.
1,508
1 - 70 g Brod
8
0
2000
1014
16,294
0,5434
2,03
3,731
9
0
2200
1014
17,2612
0,6208
2,156
14,858
10
7,5g Chinotropin 11
2500
1013
17,64
0,6425
2,325
(Trockenk. 172 g
6,192 N
118,429 Ph.
(61,232 F.
2,064
M
-f- 7>o 1 Cognac
— 30 g Brod
, — 45 g „
11
2600
1012
14,9968
0,6027
1,976
6,143
20,411
4 - Vio l „
12
II
2200
1013
16,016
0,5405
1,672
1»
+ Vto 1 „
13
0
2500
1013
16,87
0,6930
2,0
(Trockenk. 112 g
4,256 X
11,312 Ph.
(38,36 Fette
1,418
3,771
4 - 7io l „
1 - : 0 g „
14
0
24t 0
1013
15.2768
0,5140
2,084
4- 7>« i „
1 - W g „
15
O
2600
1013
17,0352
0,4849
1,95
12,79
1»
+ 2 > i „
- 20 g „
• Eibrochen 1 Itn Erbrochenen: 1.S69& N.
Durchschnittliche Harnsänremengo Periode I: 0,4517
V: 0,5639
II: 0,5485
III: 0,5594
IV: 0,5952
Hippursäure: Am 2.Tag: ca. 0,2 g
>, 5- ,, „ ‘*-',0 g
„ 12. „ „ 3,2 g
„ 15. „ /.wischen 0,;> u. 0,7 g.
Im Versuch 2 erhielt ich nacli der Bungo-Schmie d e -
bergVchen Methode nur geringe Spuren von llippursiiure, die
quantitativ nicht Is-stiinuibar waren, im Versuch 1, 3 und 5 nach
der Bl u me n t h a 1 - S a 1 k o w s k i’sclien Methode die ange¬
gebenen. Es ist der negative Ausfall wohl auf die Mängel der
erst ereil Methode zu beziehen, wie in jüngster Zeit auch von
Le w i n und vorher von W c i n t r a ud betont wird, dass höchst
selten im Aetherriiekstand Ilippursiiurekrvstalle austielen. —
Die ganzen Resultate der 3, resp. 4 Versuchsreihen lassen sich
nun in wenigen Worten zusanmienfassen: Es fand niemals durch
1 *
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1206
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
die in grösseren oder kleineren Mengen eingeführte Chinasäure
eine nachweisbare Beeinflussung der Harnsäureausscheidung
statt, während die Hippursäureausscheidung in den Chinasäure¬
perioden erheblich vermehrt war. .Es konnte also jedenfalls nicht
eine Wirkung der Chinasäure, in dem Sinne konstatirt werden,
dass die Harnsäureausscheidung vermindert und dafür nun die
Hippursäure verröehrt im Harn erscheine. L e w i n setzt sich in
seiner neuen Arbeit über den Iiippursäurestoffwechsel des Men¬
schen mit den mitgetheilten bisherigen diesbezüglichen Resul¬
taten auseinander und meint, eine Ansicht, wie sie Lewan-
d o w s k y vertritt, dass mangelnde Harnsäureverminderung nach
Benzoesäuregenuss gegen den Einfluss der Chinasäure auf die
Harnsäurebildung spreche, brauche keineswegs richtig zu sein,
selbst dann nicht, wenn alle eingeführte Benzoesäure als Hippur¬
säure ausgeschieden würde. Bereits Bunge habe diesbezüglich
bemerkt, dass es nicht in unserer Macht liege, die Benzoesäure
zur bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort gelangen zu lassen,
wo sie das Glykocoll vor seiner Vereinigung mit der Cyansäuro
zur Harnsäuresynthese abfangen könne. Ausserdem sei es wohl
denkbar, dass die erst aus Spaltung und Oxydation komplizirterer
Verbindungen entstandene Benzoesäure von den Zellen, in denen
das Glykocoll entsteht, leicht zur Bildung von Hippursäure ver¬
wendet werden, die fertig eingeführte dagegen zurückgewiesen
werden könne.
Der Ansicht W e i n t r a u d’s, dass beim Abbau der Nucleine
Hippursäure- und Harnsäurebildung verschiedene Processe seien,
stimmt L. zu, nicht aber der, dass ein solcher Zusammenhang
auch nach Sidonal nicht vorhanden sei, wenigstens nicht in dem
Maasse, wie ihn Weiss nach Chinasäure annehine. L. meint,
vielmehr, Chinasäure verhalte sich vielleicht anders als andere
aromatische Körper, die nach der Fäulniss von Eiweissstoffen
entstehen. Die betreffenden Schlusssätze der L.’schen Arbeit
lauten: „Nach dem Genuss von Chinasäure ist. die Hippursäure¬
ausscheidung vermehrt, zu gleicher Zeit in vielen Fällen die
Harnsäure vermindert. Es ist desshalb anzunehmen, dass die
Möglichkeit eines Parallelismus in der Ausscheidung beider, wie
Weiss annimmt, vorhanden ist. Bei Gicht und Diabetes ist
die Hippursäureausscheidung an sich nicht von der Norm ab¬
weichend, dagegen bei Perityphlitis stark vermehrt.“
Aus den verschiedenen Resultaten der verschiedenen Autoren
und auch aus der verschiedenen Deutung, die die Resultate er¬
fahren haben, geht zunächst hervor, dass die Verhältnisse im
menschlichen Körper sich keineswegs erkennbar gestalten. So
lange die Synthese, der gesammte Abbau und Umbau der Harn¬
säure in allen seinen Phasen und Möglichkeiten, die örtlichen
und zeitlichen Entstehungsweisen, ferner die alleinige oder haupt¬
sächliche Rolle der Nieren bei der Hippursäurebildung nicht fest¬
steht, kann das gegenseitige Verhältniss, sowie die Beeinflussung
der beiden Endprodukte durch künstlich hervorgerufene Um¬
stände (Darreichung von Medikamenten etc.) nur in ihrem End¬
stadium, d. h. wie sich beide im Harn verhalten, und zweitens
nur in jedem Einzclfalle besonders beobachtet werden. Darum ist
es auch wohl vornehmlich nicht möglich, ein Mittel einer speziellen
Einwirkung auf die Harnsäure halber u. 8. w. durchgängig anzu¬
empfehlen. Und vollends unhaltbar dürfte eine Empfehlung eines
„spezifischen Gichtmittels“ sein. Ist es einstweilen nicht mög¬
lich, die Verhältnisse im normal funktionirenden menschlichen
Organismus zu übersehen, so ist es doppelt unmöglich,
die Harnsäure im gichtisch erkrankten Körper, sei es in
ihrer Bildung, sei es in ihrer Löslichkeit oder ver¬
mehrten Ausscheidung beeinflussen zu wollen, da uns die
Rolle der Harnsäure bei der menschlichen Gicht einstweilen
schleierhaft ist, und auch irgendwie verwerthbare Differenzver¬
hältnisse beim Verlassen des Körpers im Urin kaum vorliegen.
Daher das Missverhältniss zwischen der Zahl theoretischer Er¬
klärungen und empfohlener Gichtmittel einerseits und der Zahl
der Erfolge andererseits. Erinnert sei an dieser Stelle noch an
zwei Mittel, deren erstes, das Chinin, die Harnsäureausscheidung
in erheblicher Weise vermindert, aber keineswegs als Gichtmittel
sich einführen konnte, während das andere, das salicylsaure
Natron resp. die Salicylsäure, die Harnsäureausscheidung im
Gegentheil vermehrt und trotzdem manchmal bei Gicht guten
Einfluss haben soll. Immerhin ist aber eins festzuhalten: bei
der Gicht hat die Harnsäure wohl einigen aetiologischen oder
symptomatischen Werth, in der Chinasäure besitzen wir ein
Mittel, das unter Umständen, nämlich vor Allem dann, wenn
gleichzeitig eine im Uebermaass zu Harnsäurebildung veran¬
lassende Nahrung gegeben wird (Thymus) oder wenn der Körper
dauernd abnorme Mengen Harnsäure ausscheidet, wie beispiels¬
weise bei der Leukaemie, die Harnsäureausscheidung vermindern
kann unter gleichzeitiger, stets nachweisbarer Vermehrung der
Hippursäureausscheidung.
An dieser Stelle sei über einen Fall von schwerer myelogener
Leukaemie (17 jähriger Kaufmann) berichtet, an dem zunächst
die enorme Harnsäure- und Hippursäureausscheidung ohne Me¬
dikation und zum zweiten die Verminderung der ersteren und die
weitere Steigerung der letzteren durch Gaben von Chinasäure be-
merkenswerth sind.
Tabelle 5 Leukämie.
Tag
Medikation
!
i
i l'rinmenge
8pcc.
Gewicht
N
Harnsäure
| Ilippursäure
1
Alloxurbasen*
1
n
1
1000
1017
|
9,464
0,819
2
0
2000
1013
12,048
1,034
—
—
3
G g (’hinotropin II
—
l i
Verlust
4
2000
1016
14,56
0,7056
—
—
5
2000
1013
10,628
0,7224
—
—
6
„
2000 l
1017
13,16
1,2222
5,9696
0,0113
7
»
2200
1016
15,030 j
1,1088
—
8
0
2000
1014
15,92
1,260
_
_
9
0
2000
1015
15,176
1,5162 :
—
—
10
0
2000 j
1017
14,728 |
1,3524 j
3 783
—
A r
ihang:
11
0
! 1600
1012
_
! _
0,1842
_
12
0
' 1400
1014
—
_
0,6012
_
13
0
1600
1015
—
—
; 0,1043
_
14
0
12C0
1016
—
0,52 27
_
15
0
1400
1017
—
0,5381
_
iß
0
1800
1017
—
0,3544
_
17
0
1600
1020
—
—
| 0,3699
* n. Salkowski.
Es war zur Zeit des Versuches geringes remittirendes Fieber
zwischen 36,8 und 37,8 vorhanden.
In Betracht zu ziehen wären auch noch die Fieberverhältnisse
an sich, wie sie ja beim akuten Gichtanfalle sich bieten. Eine
an sich durch das Fieber veranlasste vermehrte Harnsäureaus¬
scheidung würde eine weitere Komplikation bieten '). In Fieber¬
zuständen wäre die Chinasäurewirkung demnach noch speziell zu
beachten.
3 ) Daher ist im Versuch II auch wohl die Harnsäureausscliel-
dung in der Periode I um ein Geringes grösser, als in Periode 11
und III.
Digitized by kjOOQie
23. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHEN SCHRIFT. 1207
Bei der erwiesenen Unschädlichkeit der Chinasäure selbst
in grossen Mengen ist somit wohl die klinische Prüfung des
Mittels einstweilen empfehlenswert!) und allein maassgebend.
Zahlreiche günstig lautende Urtheile liegen vor. Auch auf
der 11. medieinischcn Klinik wurden verschiedene Gichtkranke
mit Chinasäure behandelt. Die drei Kranken, deren Stoffwechsel¬
versuche oben mitgetheilt wurden, erklärten eine Linderung ihrer
Beschwerden nach der Darreichung von Chinotropin und auch
»•ine Abkürzung ihrer Anfälle (4 resp. 6 und 7 Tage) zu bemerken.
Sic waren hei früheren Anfällen bereits mit einer anderen Reihe
..< licht mittel 4 * behandelt (Lysidin, Piperazin, Lithion etc.) uml
waren wohl im Stande ein vergleichendes Urtheil abzugeben. Eine
licsoiidere Modifikation der Schwellung, des Fiebers u. s. w. war
nicht zu konrtatiren. In einem weiteren hartnäckigen Gicht fall
ihat bei einem erneuten Anfall Urosin gute Dienste, während cs
allerdings in einem anderen Falle trotz dreiwöchentlicher Dar¬
reichung völlig versagte. -— Nicht nur zwischen chronischer und
akuter Gicht ist wohl zu unterscheiden, sondern auch die ein¬
zelnen Fälle, reagiren scheinbar auf das Mittel verschieden.
Jedenfalls hat es einstweilen noch nicht den Anschein, als
ob die Chinasäure, wie Anfangs behauptet wurde, ein „typisches
Mittel gegen Gicht sei, wie «las Natron salieylie. gegen den Ge¬
lenkrheumatismus und das Chinin gegen die Malaria“.
Eine weitere Frage ist nun die Art der Darreichung und die
Dodrung der Chinasäure. Da seihst 20—30 g ohne jede Unan¬
nehmlichkeit und üble Folgen genommen werden können, so wird
man kaum eine obere Grenze festzusetzen brauchen, immerhin
nach den bisherigen Erfahrungen mit 5—6 g nuskommen. — Da
die Chinasäure nun lediglich wegen ihrer unter gewissen Um-
fänden beobachteten Einwirkung auf die Harusäiureaussehei-
dung. die durch eine Verminderung der Harnsäurehildung be¬
dingt sein soll, gegeben wird, so erschien es zweckmässig, sie mit
'ii'om Präparat zu kombinirrn, das harnsiiurelösendo Eigen¬
schaften uiul zwar nicht im Thierkörper oder im Reagensglase,
sondern im menschlichen Organismus zeigte. — Zwei experi¬
mentell«« ^Arbeiten über „Giehtmittel“ liegen aus der neueren
Zeit vor von Ortowski und Richter. Ersterer prüfte
Frotropin, Lysidin, Piperazin, Natr. bicnrbonic. und Uricedin
!*<-i der harnsauren Diathese und betont mit Recht den Unter-
.-«•lii«'d, den man zwischen Ilarnsiiurekonkrementcn in den Harn-
w. gen und den in irgend einem anderen Körpertheilc (z. B. Ge¬
lenk) lokalisirten Ablagerungen zu machen habe. Zunächst cx-
pomnentirte O. mit wilden Tauben, bei denen durch Chroinsäure-
injektionen JfamsHureablagerungcn erzeugt waren, und zeigte,
dass allein das Piperazin, entsprechend den früheren Versuchen
von Bios ent hal und M e i s e 1 s die Ilarnsäureablagerungen
beeinflusste. ..Freilich können die negativen* Ergebnisse“, so fährt
«■r fort, „welche ich mit Urotropin und Urioedin erhalten habe,
keine entscheidende Bedeutung haben, da sio vielleicht darauf
beruhen, «lass diese beiden Mittel im vergifteten Taubenkörper
ihre gewöhnlichen Umwandlungen, kraft welcher sie eine ham-
üiurelösende Eigenschaft erhalten, nicht durchmaehcn können.“
Wie früher N i c o 1 a i e r, konnte nun auch O. zeigen, dass Uro-
fropin nach seinem Pnssiron durch den menschlichen Körper
d'in Harne grosse hamsäurelösende Eigenschaft mittheile,
während Lysidin, Piperazin, Uricedin, Natr. bic. von keinem
Einfluss auf die harnsäurelösende Eigenschaft waren. Diese
Eigenschaft des Urotropins beruhe auf seiner Zersetzung im Or¬
ganismus und Abspaltung des Formaldchy«ls, der mit der Ilnrn-
•■.Mire juisseror«lonflieh leicht lösliche Verbindungen, die leicht
'■ 'i verschiedenen Manipulationen sich zersetzen, bilde. Rieh-
t «• r. «1er in seinem Aufsatz nichts von dieser Wirkung des Uro-
’ri'i'ins erwähnt, hat. das Ridonal hei C’hromtaubcn geprüft und
‘«•breibt vor Allem der Chinasäure den positiven Effekt zu (Ver¬
hinderung der Ablagerungen bei gleichzeitigen Gaben von
Chromsäure und Sidonal, sowie Chinasäure allein). Bezüglich
fler in den Nieren abgelagerten Urate fand er, dass auf diese
Sidonal so gut wie gar nicht auflösend wirkte; im Gogentheil,
mich wo makroskopisch sonst nicht die geringsten Uratablnge-
ruiigen bei Sidonalthieren gefunden wurden, strotzten die
Nieren von Harnsäure, genau so, wie die der unbehandelten
Oiromthiere. R. sehliesst im Hinblick auf die gleichen Er¬
fahrungen Ortowski’s, dass im Sidonal das Piperazin die
harnsäurelösende Wirksamkeit innerhalb der Harnwege beein¬
trächtige, während nach seinen Versuchen Chinasäure allein die
No 30.
harnsauren Ablagerungen in den Nieren unverkennbar beein¬
flusse.
Hieraus ergeben sich bei aller Reserve der Anwendung von
Thierversuchen auf die Verhältnisse im menschlichen Organis¬
mus neue Schwierigkeiten. Immerhin scheint das chinasaure
Urotropin Vortheile zu haben.
Da das Urotropin schon im Organismus zersetzt wird und
Formaldehyd bildet und daher leichtlösliche Harnsäureformalin-
verbinduugen ermöglicht, wird es nicht nur bei llarnsäurekou-
kremeiiten in «len Harnwegen, wo es allein Vortheil bietet, ver¬
wendbar, sondern auch bei sonstigen Ilarnsäureablagerungen
weiterhin vornehmlich zu prüfen sein. Eine Dosis von 7 Vs g
des von Sehering hergestellten Chinotropins II, das 1 Vs g
Urotropin und 6 g Chinasäure enthält, ist die anzurathende.
st«*ts gut vertragene Dosis. Jedesmal, wenn ich darauf unter¬
suchte, konnte ich im frisehgelassenen Harn der mit Chinotropin
Behandelten Formalin nachweisen. Der Urin, der vorher oft
hochgradiges Hamsäuresedimcnt enthielt, wurde meist schon
am 2. Tage klar gelassen.
Chinasäure, resp. Chinotropin, können als bisher bert-
begründete Giehtmittel nach allem Gesagten zu weiteren kli¬
nischen Versuchen empfohlen werden. Daneben wird inan aber
von einer diätetischen Behandlung und ferner einer Behandlung
mit kohlensauren Wässern, in der Weise, wie sie jüngst wieder
von Iv 1 e in p e r e r begründet und empfohlen ist, nicht absehen
wollen und können. Grösser scheinen noch die Chancen für das
Chinotropin für die harnsauren Konkremente zu sein.
Die einschlägige Literatur musste desshalb so eingehend
besprochen und theilweise wörtlich citirt werden, weil über di«?
bisher vorhandenen Resultate und deren Deutung sonst kaum
eine Uebersicht zu erlangen ist-
Die Schlusssätze meiner Ausführung würden folgender-
mnassen lauten:
1. Die Chinasäure beeinflusst keineswegs regelmässig in er¬
kennbarer Weise die Ilarnsüureahseheidung von Gesunden und
Giehtikera bei gemischter Nahrung.
2. Eine erhebliche Hippursäurevennehrung ist stets nach¬
weisbar.
3. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint verminderte
Harnsäureabseheidung im Harn durch Chinasäure viel mehr in
den Fällen veranlasst zu werden, bei denen gleichzeitig eine be¬
deutende Menge harnsäurebildendc Nahrung (Thymus) eiugcführt
wird, oder der Organismus ständig grosso Harnsiiuremcngen
ausscheidet (Leukacinie).
4. Die an und für sich schon unklaren Verhältnisse von Harn¬
säure- und Ilippursäurebildung, -Umbildung u. s. \v\, sowohl
örtlicher wie reciproker Art, werden völlig unübersichtlich bei
der menschlichen Gicht, weil hier die Rolle der Harnsäure un¬
bekannt ist, und zweitens Thier und Reagcnsglasversuehe nicht
ohne Weiteres auf den menschlichen Organismus übertragen
werden können.
5. Trotzdem scheinen die einstweilen allein maassgehen¬
den klinischen Erfahrungen für die Chinasäure bei der Gicht¬
therapie zu sprechen.
6. Chinasäure ist seihst in hohen Dosen unschädlich. Ein
empfchlonswerthcs Präparat ist das ehinasaurc Urotropin, Chino¬
tropin genannt, weil das Urotropin sieh im menschlichen Orga¬
nismus zersetzt und Formaldehyd bildet. Mit letzterem soll «li<?
Harnsäure leicht lösliche Verbindungen eingchen.
7. lnsb(»sondcro Ikm llarnkonkreinenten wäre «las Clinmlr<»pin
klinisch weiter zu prüfen.
Litcratu r:
v. Leyden: Emährungstlierapie. — II i s: Das Verhalten
der Harnsäure und Ihrer Salze. 18. Congress für innere Mcdiciu
11*00. — Freud welle r: Experimentelle Untersuchung über di«*
Entstehung «ler Gichtknoten. Deutsch. Arch. t. klin. Med. No. Gl*.
1. u. 2. Heft. — Stekel: Zur Pathologie der Gicht. Wien. med.
Woehensehr. 1001. 8. — Wiener: Ueber synthetische Harnsäure¬
bildung im Thielkörper. Congress für innere Medioin 1001. --
Klein pe rer: Beitrag zur Erklärung harnsaurer Niederschlag.*
, im Urin. Aus dem ehern. Laborat. des Instituts für mcdic. Dia¬
gnostik. Zeitschr. f. diät. u. pliysikal. Therapie B«l. V. 1, Uhu.
Berlin. — Nicolai er: Experimentell«*s und Klinisches über
Urotropin. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 38, 1809. — Nicolai e r und
Ilagenberg: Deher Chinotropin. Oentralbl. f. ShiffWechsel- u.
Verdauungskrankh. ItMXl, No. G. — Weiss: Ein«* neue Mcihode
der Behandlung der harnsauren Diathese. B«*rl. klin. Woi'h'-nsehr.
No. 14. Die Chinasäure als Antiarthritlcum. Verlmudi. «i«*r
2
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MUENCHENFR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
1208
Gcsellsch. deutsch. Naturforscher u. Aerzte, München 1899. II, 1,
2. Hälfte. S. 54. lloppe-Seyler's Zeitschr. f. physiol. Chemie
Hd. XXV, IS!>8, Bd. XX VII, 1899. Die Erfolge der Urosinbehand-
lung bei harnsaurer Diathese. Verliandl. des 18. Cougress f. innere
Med. 1900. — B 1 u tu e li t h a 1: Fel>er Sidonai, ein neues Gicht-
mittel. Medio. Woche 19110. 12. III. — Blum e n t h a 1 n. L e w i n:
I'cbcr Sidonai. Therapie der Gegenwart 1900, No. 4. — Schlayer:
Erfahrungen über Sidonai bei Gicht. Therapie der Gegenwart 1900,
Xo. 5. — Sch m i ed e n: Tlierapie der Gegenwart N. 0. — B 1 u -
inenthal: Feber die Ausscheidung der Harnsäure nach Har¬
ri ichung von Chinasäure. Chariten analen XXV. — Richter:
Feber die experimentelle Prüfung sogen. Gichtmittel u. s. w.
Chnriteannnlen XXV. Feber experimentell erzeugte Harnsäure-
ablagerungen und ihre Verhinderung. Verhandl. des Vereins für
innere Med. in Berlin. XX, S. 125. — Lewandowsky: Versuche
über den Einfluss der Benzoesäuren auf die Ilarnsiiurebllduug.
Zeitschr f. klin. Mcdlcin, Bd. 40. 3 u. 4, 1900. — Ortowski: Ver¬
gleichende Fntersuchuugen über Urotropin, Piperazin, Lysidin. ;
Fricodin und Natr. bicarb. bei der lianisauren Diathese. Zeitsehr.
t'. klin. Med. Bd. 40, 11KH». — Bin inenthal: Zur Methode der
llippursiiurebestimmung. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 40. — Le¬
win: Beiträge zum llippursäurestoffWechsel des Menschen. Zeit¬
schr. f. klin. Med. Bd. 42. 1901. — M U 11 e r-Erlangen: Centralbl. j
f. Physiologie No. 25. — Mylius: Thorap. Monatsh. 1900, No. 12.
— Adler: Deutsch, med. Wochen sehr. 1901, 0. — Sternfeld:
Die Chinasäure, ein neues Heilmittel gegen Gicht. Münch, med.
Wochenschr. 1901, 7. — Salfcld: Zur Behandlung der Gicht mit
Chinasäure. Münch, med. Wochenschr., April 1901.
Während der Drucklegung dieses Aufsatzes erschien iu No. 20
dieser Wochenschr. eine weitere kurze Mittheilung von Weis»,
laut der nach Gaben von 880 g Aepfel mit Schalen an e I n e m Tage
verminderte llanisäureausscheidung statt hatte; 3 weitere Versuche
ä 4 Tage, in denen einmal 500 ccm Cognac, zweitens 8 Citronen
und das dritte Mal 800 g geschälte Aepfel gegeben wurden, zeigten
keine bezügliche Abweichung.
Aus dem Laboratorium der niedicinisclien Klinik von Geh. Rath
Prof, Dr. v. Lcube in Würzburg.
Ueber die Speicheiverdauung der Kohlehydrate im
Magen.
Von Dr. llcnsay, Arzt in Mainz.
Welchen Antheil an der Verdauung der Kohlehydrate der
Speichel nimmt, und welchen er dem Pankreassnfte überlässt,
darüber gehen zur Zeit noch immer die Anschauungen der
Autoren auseinander. Und auch bei denen, die diesen Antheil
für bedeutend halten, finden sieh doch nirgends genaue Angaben
darüber, wie viel von den Kohlehydraten, die in einer Weise ge¬
nommen werden, welche unserer gewöhnlichen Nahrungsaufnahme
entspricht, verarbeitet sind, wenn sic den Magen verlassen, d. h.
in den Wirkungsbereich des Pankreas treten.
Dieser Frage näher zu treten, war der Zweck nachfolgender
Versuche, zu denen mir Herr Privatdoccnt I)r. Johannes Müller
die Anregung gab, wofür ich ihm ebenso sehr zu Dank verpflichtet
bin, wie für die mir in allen Phasen der Arbeit in liebens¬
würdigster Weise gewährten Rathschläge.
Die heute herrschende Ansicht über die genannte Frage wird
am besten eharakterisirt durch die Worte Neumeister’s
(Lehrbuch der physiolog. Chemie, 2. Aufl. 1897, png. 287): „Der
Mundspcichel könnte wohl in Folge seines Ptyalingehaltes die
Stärke und das Glykogen*verändern, aber die Zeit seiner Ein¬
wirkung während des Kauens ist viel zu kurz für eine in Betracht
kommende Zuekerbildung. Denn so bald die stärkehaltigen
Speisen in den Magen befördert sind, hört die Einwirkung des
Ptyalins schnell auf, weil sie durch den sauren Magensaft sistirt
wird.daher erklärt es sieh, dass selbst nach reichlichem
Genuss von Stärkekleister nur Spuren von Zucker vorhanden
sind. I) i o c hämische Funktion des Speichels
ist also bei m M e n s e h e n g a u z u u w e seil 1.1 i c li.“
Brücke (Sitzungsber. d. Wiener Akad., Bd. 65 III, pag. 145,
1872) fand bei seinen Untersuchungen an Hunden, selbst nach
reichlicher Stärkefütterung, stets nur Spuren von Zucker im
Magen. Boas und Ewald (Yirehow’s Archiv, Bd. 102 u. 104)
benutzten bei ihren ausgedehnten Versuchen eine 1 proc. Stärke¬
abkochung, von der sie 500—lüOO ccm zu trinken gaben. Sic;
fanden dabei etwa 0,5 Proc. Zucker nach */, Stunden als Höchst¬
wert!!. Traubenzucker wurde nur in Spuren, dessen Vorstufen
jedoch, Achroodextrin und Maltose, reichlicher gefunden. Die
Frage, ob von diesen Vorstufen des Traubenzuckers etwas resor-
birt sei, lassen sie offen unter Anerkennung der Wichtigkeit, ihrer
Beantwortung. H. Straus* (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 29.
1876) untersuchte den Inhalt des Magens bei Menschen auf rechts¬
drehende Substanzen und fand iu Fällen von geringer Säure¬
sekretion beträchtliche Werthe (bis über 20 Proc. Rechtsdrehung
als Dextrose ausgedrückt). Auf die absolute Grösse der Kohle¬
hydratverdauung lassen die. Versuche aber keinen Schluss zu, da
ja der Mageninhalt in unkontrolirbarer Weise dureh Verdünnung
(Magensekretion) oder Resorption verändert werden kann.
W e i n s t e i n\s Versuche (Experimentelle Untersuchungen über
die Bedeutung des Mundspeichels, Inaug.-Diseert., Würzburg
1899), die für eine sehr ausgiebige und dabei sehr rasche Wirkung
des Muiidsjieichols sprechen, und Lehman n's Versuche
(Sitzungsberichte der Physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg
1900, S. 40), welche W o i n s t e i n’s Versuche bestätigen, machen
es wahrscheinlich, dass die Am.vlolysc im Magen nicht so un¬
bedeutend ist, als es allgemein noch angenommen wird.
Diese hier angeführten Arbeiten erschöpfen durchaus nicht
die ganze einschlägige Literatur. Sie. stellen vielmehr Repräsen¬
tanten der wichtigsten hierüber laut gewordenen Meinungen dar.
Um mir ein Urtheil über die im Mund und Magen des
Menschen stattfindende Ainyloi.vse zu verschaffen, folgte ich einem
Vorschläge von Johannes Müller und bestimmte eine gewisse
Zeit nach einer kohlohyd rat reichen Mahlzeit im Mageninhalt
das Verhältnis» der gelösten zu den ungelösten
Kohlehydraten.
Dieses Verhältniss kann durch genossene Flüssigkeit oder
Magensaftsekretion nicht verändert werden, und da auch die
Resorptionsfähigkeit des Magens für Zucker und Dextrin nach
den vorliegenden Versuchen (v. Morin p) keine liedeutende zu
sein scheint, so gestattet es einen ziemlich guten Einblick in die
erfolgte Am.vlolysc.
Unsere Versuche wurden in der Weise angestellt, «lass die
Versuchspersonen, durchweg Mädchen im Alter von 18 bis 21
Jahren, welche sieli einer vollständig regelmässigen, ungestörten
Verdauung erfreuten, und deren Salzsäuresekretion sieh bei Ver¬
abreichung eines Probefrühstücks als normal hatte eruiren lassen,
dos Morgens nüchtern eine bestimmte Menge Mehl- bezw. Reis¬
brei erhielten. Dabei wurde grosser Werth gelegt auf den Wohl¬
geschmack des Breies und dieser daher mit Fleischextrakt,
Fleischbrühe und Butter zubereitet. Denn nach unserer An¬
schauung kann unsere Frage ebensowenig durch Benutzung eines
einfachen, ungewürzten Stärkekleisters, der schnell und mit
Widerwillen hinuntergewürgt wird, geprüft werden, wie dureh
einen Reagensglasversueh. Gerade der Wohlgeschmack der Speis :
liefert uns diejenige Menge eles Speichels, elio den natürlichen
Verhältnissen entspricht, und um diese*, nicht um künstlich ge¬
schaffene, war es uns zu thun.
Der Mageninhalt wurde nach einer bestimmten Zeit so voll¬
ständig als möglich txprimirt unel der Rest durch Auswaschen
zu Tage gefördert. Mit Ausnahme von wenigen Kubikcentimetern
eles Exprimirten, die zur Säurebestinunung benutzt wurden, wurde
alle wieeier erhaltene' Magenflüssigkeit sofort dureh Zusatz von
HCl ad 2 Proc. angesäuert, um ein Weitergehen des Verzucke-
| rungsproeesses zu vermeiden. Dasselbe geschah auch mit der
kleinen zurückge*lialteilen Probe sofort nach eler Aciditätsbestiru-
mung.
Die gesammte Menge wunle filtrirt und Filtrat, sowie Filter-
rückstand, welch’ letzterer mehrfach ausgewaschen wurde, unter
Zusatz von I1C1 ad 10 Proc. 5 Stunden lang auf dem Wasserbad**
gekocht.
Der Zucker wurde bei allen Versuchen nach der von L e h -
m u n n angegebenen jodomotrischen Weise bestimmt.
Selbstverständlich wurde der zu den Versuchen verwandte
Brei jedesmal auf seinen Gehalt an gelösten und ungelösten
Kohlehydraten in der nämlichen Weise geprüft. Die von vorno¬
herein darin befindlichen, dureh das Kochen während der Be¬
reitung gelösten Kohlehydrate wurden stets durch Auswaschen
und Abfiltriren einer bestimmten Menge mit. nachfolgender voll¬
ständiger Verzuckerung des Filtrates bestimmt.
Tabelle I sieh« nächste Seit'.*.!
A us T n h t* 1 1 e T ergibt sieh, dass i n d e n
darin enthalten e n V e r s u e h e n durchweg s e h v
grosse Mengen und jeden falls grössere Mengen
von Stärk e als z u e r \v a r t e n stand, durch
1 Speie h dwi rkung g e 1 ö st gefunden w urdo n.
Wenn wir mit unserer Methode auch nur das Verhältniss
! der gelösten zu den ungelösten Kohlehydraten in einem gewissen
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•Ä -lull 1001.
MTTENCTTENFR MF.DTCTNTSCIIE WOCHENSCHRIFT.
120 !)
Tabelle I.
Der eingeführte Brei
i Der ausgeheberte Brei
Qeaanunt-
menge
Menge der
gesammten Kohle¬
hydrat«
Menge der gelösten
Kohlehydrate
(Amidulin)
Dauer des
Versuchs
Aclditlt
Menge der
gesammten
Kohle¬
hydrate
= % der
ein-
geführten
J Menge der
gelösten
Kohle¬
hydrate
= % d cr
gesammt
aus¬
geheberten
Kohlebydr.
Menge der
ungelösten
Kohle¬
hydrate
= 7„ der
gesammt
aus-
geheberten
Kohlehydr.
1.
350
30,62 = 8,748 °/o
3,0716 = 0,932 °/o
*/a Stunde
Keine freie HCl
0,0133 % Ge-
sammt Aeid
(Lakmus)
17,295
56,48
10,284
59,4
| 7,0114
40,6
0
350
»1
% Stunde
0,04 °/o freie HCl
0,1368 Gesammt
Acidit. (Lakmus;
15,292
49,9
12,136 ;
1
79,6
3,056
20,4
3. 1
328
o'
iO
II
v—*
£
5,4 = 1,65 °/o
‘/a Stunde
Keine freie HCl
0,0584 °/o Ge¬
summt Aeid
(Lakmus)
11,0619
54,8
7,86
71,1
3,2
28,9
4.
550
25,685== 4,67 °/o
8,9 = l,G2°/o
'/a Stunde
Keine freie HCl
0,044 °/o Ge¬
sammt Aeid.
(Lakmus)
18,239
71,25
11,85
61,8
6,43
35,2
5.
430
26,01 = 6,05 °/o
4,85 = 1,13 °/o
'/a Stunde
Keine freie IIC1
Ges. Arid.
0,055 °/ # Lakmus
0,077 % Phenol¬
phthalein
4,185
1G,08
2,815
67,3
1,37
32,7
6.
40)
23,9« = 5,95 °/„
2,279 = 0,53 o/o
'/2 Stunde
0,13 % freie HCl
(Günzburg)
Ges Aeid.
0,219 % Lakmus
0,249 % Phenol¬
phthalein
6,06
25,2
4.44
73,2
1,62
26,8
Momente der Magenverdauung feststellen können, so ist es doch
erlaubt, aus den so gewonnenen Zahlen auf die Verdauung der
ganzen eingeführten Stärkemenge zu schliessen. Denn wir
wissen, dass der Speichel sehr schnell wirkt (W c i n s t e i n und
Lehmann), darum werden wir kurz nach dem Essen des
Breies die grösste Menge amylolytischer Produkte erwarten
dürfen; in den späteren Zeiten kann das Verhältnis» durch Re¬
sorption von Zucker schon zu Ungunsten des Antheils gelöster
Produkte verschoben sein. Die. Acidität des ausgeheberten Breies
ist in den meisten Versuchen eine sehr niedrige. Wir schieben
das auf den Fettgehalt des Breies, da Fett nach den Versuchen
von Ewald und Boas (1. c.) die HCl-Sekretion verlangsamt.
Man könnte sagen, wegen der niedrigen Acidität ist die Amylo¬
lyse so gut von Statten gegangen; dagegen spricht aber, dass
auch im Versuche 6 mit 0,13 Proc. freiej HOI und 0,25 Proc.
Besammt-Acidität (als HCH ausgedrückt) eine starke Amylolyse
■dattgefundon hat.
Um festzustellen, an welchem Punkte der Verzuckerung
innerhalb der Dextrinreihe die gelösten Kohlehydrate angelangt
-eien, wurde in einigen Versuchen eine bestimmte Menge des
Filtrates auf 80 Proc. Alkoholkonzentration gebracht und der
dabei entstandene Dextrinniederschlag abfiltrirt. Der Alkohol
des Filtrates wurde vorsichtig verdampft und der Rückstand in
der oben beschriebenen Weise verzuckert und bestimmt. Dabei
ergab sich, dass von den gelösten Kohlehydraten über die
Hälfte, ja bis zu zwei Drittel aus Maltose und der Maltose sehr
nahestehenden, durch 80 proc. Alkohol nicht mehr fällbaren Dex¬
trinen (Isomaltose, Maltodextrin etc.) und der Rest, aus dem
Amylum näher verwandten Dextrinen bestand. In Versuch 5
kamen auf 1,93 Dextrine erster 0,885 solche der zweiten Art;
in Versuch 6 auf 2,256 erster 2,184 der zweiten Art. In diesen
beiden Versuchen wurde verhältnissmässig wenig von den ein¬
geführten Kohlehydraten wieder zu Tage gefördert, 16,08 Proc.
und 25,20 Proc., während sich das Verhältnis» der gelösten zu
den ungelösten Kohlehydraten durchaus im Rahmen der übrigen
Versuche hält. Ich glaube jedoch nicht, dass etwas im Wege
steht, diese Maltosezahlen auch auf die übrigen Versuche anzu¬
wenden.
Mehrfach untersuchten wir auch auf Dextrose, indem wir
das Filtrat mit salzsaurem Phenylhydrazin und Natr. aeetic. er¬
hitzten. Wir konnten nie das Ausfallen von Glukosazonkrystnllen
vor dem Erkalten bemerken und finden uns hierin in Ucber-
ein.Stimmung mit allen früheren Untersuchern, die hierauf ihr
Augenmerk gerichtet haben.
Noch ein weiterer Punkt erübrigt, der zur Klar.-tellung der
Versuchsreihe zu erörtern wäre, nämlich, wie die in dem ver¬
abreichten Brei schon enthaltenen, gelösten Kohlehydrate in
Rechnung zu setzen wären. Und da möchte ich doch hervor¬
heben, dass diese stets nur als Amidulin nachgewiesen werden
konnten. Es mussten also auch sie fast noch den ganzen Weg
der Dextrinisirung zurücklegen und dürfen sie darum nicht ein¬
fach als schon metamorphosirt abgezogen werden. Allerdings
hat dies mit einem ganz kleinen B nicht heil zu geschehen, der ja
für die erste Etappe nicht der Ililfe des Speichels bedurfte.
Jedenfalls zeigen die Versuche zur Evidenz,
dass die wichtigste Aufgabe des Speichels
nicht auf physikalischem Gebiete liegt, und
dass seine cliemisc h e Funkt i o n n i e h t n u r
nicht unwes e n 1.1 i e h , s o n d itii g a n z h e r v o r -
ragend wichtig ist.
Da unserer Arbeit die Absicht zu Grunde laj?, den Umfang
der Amylolyse möglichst genau festzustellen, so musste unser Be¬
streben auch darauf gerichtet sein, naehzuforsehen, ob und wie¬
viel der gelösten Kohlehydrate von der Magemvaud resorbiri
würden. Und um so näher liegend war das Bestreben, al*
v. Mering uns in seiner durch ihre Einfachheit so gei-t •
reichen Methode endlich ein Mittel an die Hand gegeben batte,
absolute Resorptionswerthe für den Magen fest zulegen, v. M.
vereinigte, nachdem feststand, das* Fett vom Magen nicht rc-
sorbirt wird, die Zuokerlösung, deren Ke-orpt ion-werhältni'* im
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1210
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
Magen er studiren wollte, mit Eigelb zu einer Emulsion genau
bestimmter Zusammensetzung. Diese führte er in den Magen
ein und bestimmte an einer nach einer gewissen Zeit ausge¬
heberten beliebigen Menge auf’s Neue die Zusammensetzung.
Hatte sich nun das Verhältniss von Zucker zu Fett zu Gunsten
des letzteren verschoben, so konnte man daraus einen Schluss
auf die Grösse der Zuckerresorption machen.
Auf diesem Wege suchten auch wir unserem Ziele näher
zu kommen. Leider haben, wie die folgenden Zahlen zeigen,
die diesbezüglichen Versuche kein befriedigendes Resultat er¬
geben, was durch die V o 1 h a r d’sehe Arbeit seine Erklärung
findet. Da, wie Johannes Müller nachgewiesen hat, das Ei¬
gelb ein diastatisches Ferment besitzt, das gar nicht unbedeutende
Mengen von Stärke zu verzuckern im Stande ist, so verbot es sich
für uns, wie v.Meringes mit seiner Zuckerlösung thun konnte,
damit zu arbeiten. Die innigste und auch verhältnissmüssig kon¬
stanteste Mischung von Stärke und Fett erhielten wir durch Zu¬
satz von Butter zu dem Brei.
Tabelle II enthält die Fettzahlen für die Versuche 3 und 4
der Tabelle I, in denen ebenso wie in den übrigen dem Brei
Butter zugesetzt war.
Tabelle II.
Der eingefiihrte Brei
Der ausgeheberte Brei
P a>
5 ee
P c
<£ S>
S 2:
5 |
■ Fettgehalt
Menge der
Kohle¬
hydrate
I m 3 a
« N IO
ISS.C
Dauer des
\ ersuchs
Fettgehalt
(3 P
«2
£5
•C£
Menge der
Kohle- j
li yd rate
% der ein¬
geführten
£5-5
Söj?
.fi JS
t- c o
® öS
lila
328
5,2881
= 1,61 °/o
20,172
=6,15 o/o
1
3,82
*/2 Stunde
2,586
49
i
11,0619
■>4,8
1
4,27
IVa
550
i
13.915
=2,53 o/o
25.685
=4,67 o/o
1
l'84
*/2 Stunde
8,463
60,9
18,279
71,1
1
2,23
Wenn die unumgänglichen Fehlerquellen sich dabei in er¬
laubten Grenzen gehalten hätten, so hätte das Verhältniss von
Fett zu Kohlehydrat sich nicht in der Weise verschieben dürfen,
wie es thatsächlicli der Fall war. Dank der Unresorbirbarkeit des
Fettes von Seiten des Magens hätte bei dem ausgeheberten Brei
— falls kein Zucker hier resorbirt wurde — sich dasselbe Ver¬
hältniss finden müssen, wie bei dem eingeführten. Oder aber,
es wurde Zucker resorbirt, dann musste sich das Verhältniss zu
Gunsten des Fettes verschieben. Aber keines von beiden trat
ein. Vielmehr fand sich schliesslich weniger Fett im Verhältniss
zu Kohlehydraten als vorher. Beifügen möchte ich hier, dass
die angegebenen Werthe für Fett (Bestimmung im Soxhlet-
schen Aetherextraktionsapparat) und für Zucker auf Grund von je
zwei Parallelvcrsuchen gefunden wurden, deren Ergebnisse sich
vollständig innerhalb der erlaubten Unterschiedsgrenzen hielten.
(Versuch 3: der eingeführte Brei enthielt: Fett I. 1,61 Proe.,
II. 1,61 Proc. Ges. Kohlehydrate I. 6,18 Proc., II. 6,12 Proc.
Die ausgeheberte Magenflüssigkeit enthielt: Fett I. 1,189 Proc.,
II. 1,199 Proc. Gelöste Kohlehydrate I. 3,44 Proc., II. 3,44 Proc.
Ges. Kohlehydrate I. 4,865 Proc., IT. 4,84 Proc. — Versuch 4:
der eingeführte Brei enthielt: Fett I. 2,51 Proc., II. 2,53 Proc.
Ges. Kohlehydrate I. 4,67 Proc., II. 4,67 Proc. Die ausgeheberte
Magenflüssigkeit enthielt: Fett I. 1,77 Proc., II. 1,83 Proc.
Gelöste Kohlehydrate I. 2,59 Proc., II. 2,63 Proc. Ges. Kohle¬
hydrate I. 3,84 Proc., II. 4,20 Proc.)
Als meine Arbeit an diesem Punkt angelangt war, erschien
in der Münch, mcd. Wochensehr. 1900, No. 5 u. 6, ein Aufsatz
von Vo 1 h a r d, der v. M e r i n g’s Versuche an einer grösseren
Zahl Gesunder und Kranker nachgeprüft hatte. Auch V o 1 -
hard konstatirte in vielen Fällen eine Verschiebung des Ver¬
hältnisses von Fett zu Zucker im umgekehrten Sinne als er¬
wartet wurde und konnte feststellen, dass die von v. Me ring
vorgeschlagene Zucker-Eigelbemulsion im Magen ihren Emul¬
sionscharakter verlor, sich schichtete, und dass diese Schichtung
durch eine recht beträchtliche Fettspaltung hervorgerufen war.
Natürlich verliert die v. M e r i n g’sche Methode der Resorptions¬
prüfung ihren Werth, falls sich die V o 1 h a r d’schen Angaben
bestätigen sollten. Namentlich mit Rücksicht auf die Vol-
h a r d’schen Angaben muss ich desshalb auch die Möglichkeit
zugeben, dass in meinen Fettversuchen eine Störung der Emul¬
sion eingetreten ist und dass hierbei Fettspaltung eine Rolle
spielte. Auch kommt wahrscheinlich die stärkere Adhaerenz des
Fettes an den Wänden des Magens und der Sonde in Betracht,
denn bei unseren Versuchen fiel uns oft auf, dass die den Fett¬
brei enthaltenden Gefässe sich mit einer deutlichen Fettschicht
bedeckten. Ein weiteres Verfolgen der Frage der Resorption
der Kohlehydrate war mir aus äusseren Gründen nicht möglich.
Zum Schlüsse erlaube ich mir, Herrn Geheimrath Prof. Dr.
v. I.eube, der mir in liebenswürdigster Weise das Versuchs¬
material zur Verfügung stellte und die Arbeiten mit grossem
Interesse verfolgte, meinen verbindlichsten Dank hierfür aus-
tfuspreehen.
Aus dev kgl. chirurgischen Klinik zu München.
Ueber Bauchoperationen ohne Narkose.*)
Von Privntdoc. Dr. Adolf Schmitt, I. Assistent der Klinik.
Die Anwendung der lokalen Anaesthesie hat einen Umfang
angenommen, den noch vor wenigen Jahren wohl kaum Jemand
erwartet haben mag. Wir können jetzt sagen, dass eine Reihe
von Operationen mit gutem Erfolg noch ausführbar geworden ist,
die man früher aus Furcht vor den Gefahren der allgemeinen
Narkoso ablehnen zu müssen glaubte, oder an die man nur mit
geringen Hoffnungen auf Erfolg herantrat. Gerade bei gewissen
Bauehoperationen scheint mir das zuzutreffen, bei Operationen
an Patienten, die durch Erkrankungen des Magens oder Darmes
in ihrer Ernährung stark gelitten haben, in ihrem allgemeinen
Kräftezustand bis auf ein Minimum von Widerstandskraft re-
ducirt sind, oder solchen, die durch hohes Alter, Erkrankungen
der Lungen, des Gefässsystems u. s. w. bei Anwendung der all¬
gemeinen Narkose in Verbindung mit grösseren operativen Ein¬
griffen besonders am Bauch im höchsten Maasse gefährdet er¬
scheinen.
Solche von vornherein schon ungünstig gelagerte Fälle sind
es denn auch hauptsächlich, bei denen wir von der Allgemein¬
narkose, wenn irgend möglich, absehen und von der lokalen An¬
aesthesin Gebrauch machen. Bei der weit überwiegenden Anzahl
der Fälle von Bauchoperationen leiten wir aber noch die All¬
gemeinnarkose ein; doch glaube ich, besonders nach den Er¬
fahrungen der letzten Zeit, dass die lokale Anaesthesie bei Bauch¬
operationen nicht mehr wie bisher bloss auf die schlechtesten, un¬
günstigsten Fälle beschränkt werden wird, auf die elendesten
Kranken, denen man eine Allgemeinnarkose überhaupt nicht melir
zumuthen darf, sondern dass sie in Zukunft auch in manchen
Fällen Anwendung finden wird, welche nach ihrem ganzen Zu¬
stande recht gut noch narkotisirt werden könnten. Freilich
glaube ich nicht, dass wir es dahin bringen werden, wie
Schleich hoffte, bei Bauchoperationen die allgemeine Narkose
vollständig auszuschalten. F ür manche Menschen ist es eben doch
ein recht wenig angenehmer Gedanke, sich wachen Sinnes in den
Bauchcingeweiden herummanipuliren zu lassen. Das aber möchte
ich auch nicht behaupten, dass die Ausführung einer lang-
dauernden Bauchoperation nicht auch an die Energie und den
guten Willen des Kranken gewisse Ansprüche stellte; bis jetzt
wenigstens sehe ich jnir die Kranken doch noch recht genau an,
denen ich die Ausführung der Laparotomie ohne Narkose vor¬
schlage, wenn ich unter Berücksichtigung ihres Gesammt-
zustandes die Wahl zu haben glaube zwischen Narkose und
lokaler Anaesthesie. Ich halte mich auch nicht für berechtigt,
den Kranken eine absolute Schmerzlosigkeit bei
lokaler Anaesthesie in Aussicht zu stellen, wenn ich ihnen auch
sagen darf, dass die Schmerzen und Beschwerden während der
Operation ohne Narkose gering sind im Verhältniss zu den Ge¬
fahren der Allgemeinnarkose und zu deren Folgen, die ja
gerade bei Buuchoperationen oft recht stark und für den Kranken
keineswegs ungefährlich sind. Ich erinnere nur an das, die Kran¬
ken nach Laparotomien doch oft enorm belästigende und schmerz¬
hafte Erbrechen, die gerade hier oft gegebenen Schwierigkeiten
der Expectoration und die mit beiden verbundene Gefahr der
Bronchitis und Pneumonie. Einigermaassen vernünftige und
ruhigem Zuspruch zugängliche Kranke entschlicssen sich, so viel
ich beobachten konnte, leicht, sich ohne Narkose operiren zu
lassen, insbesondere Frauen und solche Kranke, die schon früher
einmal die Misslichkeiten der Narkose aus irgend einem Grunde,
*) Nach einem Vortrage im ärztlichen Verein zu München.
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23. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICTNI8CHE WOCHENSCHRIFT.
1211
1 B. Untersuchung in Narkose vor der eigentlichen Operation,
an sich gekostet haben.
Als Anaesthesiningsmittel benütze ich bei den Bauchopera¬
tionen fast ausschliesslich Cocain in 1 proc. Lösung. Nur wenige
Fälle sind mit Schleich’scher Infiltration oder Nirvanin operirt
worden. Ich habe niemals üble Nach- oder Nebenwirkungen von
der Anwendung des Cocains gesehen, auch nicht bei den vielen
anderen, zum Theil grossen und langdauemden Operationen; wir
haben z. B. Amputationen von Extremitäten, aasgedehntere Ge¬
schwulst- und Lupusexstirpationen und insbesondere fast alle
Kropfoperationen unter Cocainanaesthesie gemacht. Die Menge
des verbrauchten Cocains ist eine verhältnissmässig geringe; die
Uaximaldosis (0,06) wird nur sehr selten erreicht; meist kommen
wir mit der Hälfte oder wenig mehr auch bei Eröffnung des Ab¬
domens aus. Die Art der Anwendung ist ungemein einfach: Es
wird mittels Pravaz’scher Spritze zunächst nur in die Haut
und das Unterhautzellgewebe eingespritzt. Dabei wird so selten
wie möglich eingestochen und die einmal eingestochene Kanüle
m ihrer ganzen Länge ausgenützt. Für die Injektionen in der
Ausdehnung des geplanten Hautschnittes werden gewöhnlich
3 Pravaz’sche Spritzen 1 proc. Cocainlösung verbraucht; zu¬
weilen noch eine weitere Spritze zur Infiltration der Musculatur
bezw. Fascie. Ich mache gewöhnlich die ganze Infiltration vor
dem ersten Hautschnitt fertig und war nur in wenigen Fällen
genöthigt, auch nach dem Hautschnitt nochmals einzuspritzen;
auf das Bauchfell selbst und die Eingeweide wird kein Cocain
gebracht. Die Einfachheit der Anwendung, die Schnelligkeit in
der Ausführung der Injektion und die rasche Herabsetzung der
Schmerzhaftigkeit, das Fehlen der starken, die Orientirung doch
manchmal recht erschwerenden Gewebsinfiltration lassen uns
gegenüber dem S ch 1 e i c h’schen Verfahren der Cocain¬
anaesthesie den Vorzug geben. Dabei aber muss das Verdienst
S c h 1 e_i c h’s, uns die Möglichkeit auch so grosser Operationen
unter lokaler Anaesthesie überhaupt gezeigt zu haben, rückhalt¬
los anerkannt werden.
Die Zahl meiner unter lokaler Anaesthesie ausgeführten
Bauchoperationen ist ja im Verhältniss zu den Zahlen anderer
Chirurgen nicht sehr gross, eben weil wir bei der weit überwiegen¬
den Zahl der Fälle narkotisiren, sie erlaubt aber doch vielleicht,
die Berechtigung, die Bauchhöhle ohne Allgemeinnarkose zu
eröffnen, darzulegen und einige Schlüsse bezüglich der Empfind¬
lichkeit der verschiedenen Bauchorgane und bezüglich etwaiger
störender Ereignisse bei der Anwendung der lokalen Anaesthesie
zu ziehen.
Unter Fortlassung der kleineren Operationen (kleinere Ge¬
schwülste der Bauchdecken, Hydrocelenoperationen u. s. w.)
möchte ich folgende Bauchoperationen anführen: 10 Gastro¬
enterostomien (meist wegen carcinomatöser Pylorus¬
stenose), 1 Gastroplastik (gutartige Verengerung des
Pylorus), 3 Gastrostomien (Carcinom des Oesophagus),
5 Anus praeternaturalis (Ileus, Darmversohluss),
4Probelaparotomien (wegen Verletzungen), 5 incar-
cerirte Hernien, 1 incarcerirte Nabelhernic
(mit Darmreeektion), 2 perityphlitische Abscesse,
31Iarnblasensteine.
Zu diesen Operationen ist kurz Folgendes zu bemerken: Die
Gastroenterostomien und die Gastrostomien betrafen ausnahms¬
los, ebenso wie die wegen Darmverschluss mittels des Anus
praeternaturalis operirten Fälle, auf’s Aeusserste herab-
gekommene Kranke. Ein Patient mit Gastrostomie (nach
W i t z e 1) wegen Carcinom der Speiseröhre, das auf den Pharynx
hinübergegriffen hatte, starb am Tage der Operation an Ent¬
kräftung, obwohl die Operation nur 15 Minuten gedauert hatte
und ganz schmerzlos, ohne jeden Blutverlust verlaufen war, trotz
Kampher- und Kochsalzinfusion. Die Probelaparotomien wurden
bei Kranken mit Verletzung des Unterleibes, bei denen eine
sichere Diagnose bezüglich der Verletzung innerer Organe nicht
gestellt werden konnte, gemacht. Die Nabelhernie war schon
7 Tage eingeklemmt; 40 cm Darm, total gangraenös, mussten
bei der sehr schwachen und an Fettherz leidenden Kranken re-
»cirt werden. Die Operation dauerte in Folge der enormen Ver¬
wachsungen des Nabelbruches (Recidiv nach Operation vor
2 Jahren) fast 2Va Stpnden; die Patientin ging 3 Tage nach der
Operation an Herzschwäche zu Grunde. Auch die Operationen
der incarcerirten Hernien, der Blasensteine und perityphlitischen
Na 30
Abscesse betrafen entweder alte Leute, mit Atherom der Arterien
u. s. w., oder Patienten, die durch die Krankheit selbst in hohem
Grade geschwächt waren.
Berücksichtige ich wesentlich die eigentlichen Laparo¬
tomien, so ergibt sich bezüglich der Ausführbarkeit der Opera¬
tionen und der Schmerzhaftigkeit der einzelnen Organe kurz
Folgendes: Es kommt vor, dass die Bauchmuskeln nicht
zum Erschlaffen gebracht werden können, vor Allem, wenn sie
durch das Auseinanderziehen mit Haken u. s. w. gereizt werden.
Ich glaube, dass der dabei gleichzeitig am Bauchfell stattfindende
Zug eine wesentliche Rolle spielt. Das starke Pressen der Patien¬
ten ist für den Fortgang der Operation natürlich in hohem
Grade störend und vermehrt auch die Schmerzen für den Kranken
so, dass wohl manchmal (in meinen Fällen bis jetzt allerdings
nur einmal) noch während der Operation die Einleitung der
Narkose erforderlich werden kann. Nach meinen bisherigen
Erfahrungen ist nicht festzustellen, dass durch Injektion von
Cocainlösung in die Bauchmuskeln selbst, dieses Pressen sich
wesentlich beeinflussen lässt.
Das Bauchfell (Peritoneum parietale), das ich niemals
bis jetzt durch Injektion zu anaesthesiren versucht habe, ist für
das Schneiden mit Messer und Scheere, sowie für das Fassen
mit Klemmen offenbar nur wenig empfindlich; dagegen tritt so¬
fort und zwar anscheinend recht intensiver Schmerz auf, sobald *
das Peritoneum gedehnt oder gezerrt wird. Man kaun
grosse Strecken der Bauchhöhle mit der Hand abtasten, ohne
nennenswerthe Schmerzen zu erregen, dagegen ist der Z u g an
den zur Fixation des Peritoneums angelegten Klemmen und ins¬
besondere das Einstopfen und Herausziehen von Kompressen
aus der Bauchhöhle, offenbar wegen der damit verbundenen Zer¬
rung schmerzhaft. Geht man sehr vorsichtig zu Werke, so lassen
sich gewöhnlich die Schmerzen auf ein Minimum reduciren.
V erwachsungen des Bauchfelles mit den Eingeweiden,
Strangbildungen u. s. w., stören wegen der mit ihrer Lösung ver¬
bundenen Schmerzen meistens sehr; doch habe ich wiederholt auch
ausgedehntere Verlöthungen und Stränge gelöst, ohne besondere
Schmerzen zu erzeugen, vorausgesetzt, dass ich stärkere Zerrung
und Dehnung vermeiden konnte. Im Allgemeinen glaube ich. ist
anzurathen, lieber zu narkotisiren, wenn man axisgedehntere Ver¬
wachsungen mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit vor der
Operation annehmen muss.
Wie sich die Operationen bei entzündetem Bauchfell
gestalten, darüber vermag ich ein sicheres Urtheil nicht abzu¬
geben, da ich nur 2 perityphlitische Abscesse, die intraperitoneal
lagen, ohne Narkose eröffnet habe.
Auch hier, glaube ich, wird in der Mehrzahl der Fälle die
Narkose nicht zu umgehen sein, da sich die Art und Axisdehnung
der vorzunehmenden Operationen nur selten mit einiger Wahr¬
scheinlichkeit voraussehen lassen und das entzündete Peritoneum
gegen stärkere Berührungsreize sehr empfindlich sein dürfte.
Der Magen und der Darm sind für Schneiden, Stechen
und Nähen, für das Fassen der Gefässe mit Klemmen u. s. w.
ganz unempfindlich. Die bei Gastroenterostomie z. B. nothwendi-
gen Schnitte in Magen und Darm, das Anlegen von 3 Reihen von
Nähten rufen nicht den geringsten Schmerz hervor. Dagegen ist
z. B. bei der Gastroenterostomia retrocolica das Aufklappen des
Magens, Dickdarmes und Netzes und das bei stärkerer Aus¬
dehnung des Magens zuweilen erschwerte Aufsuchen der Durch¬
trittsstelle des Duodenums manchmal schmerzhaft, offenbar wegen
der Zerrung am Bauchfell und Mesenterium.
Auch das Abbinden des Mesenteriums bei Darmresektion
scheint schmerzhaft zu sein, während das Netz offenbar nur sehr
wenig empfindlich ist. Es kann, wenn nur starke Zerrungen an
ihm vermieden werden, leicht auch in grossen Mengen nach viel¬
fachen Unterbindungen abgetragen werden (bei Hernien z. B.)
ohne dass Schmerzen entstehen.
Das Einschneiden der Harnblase ist offenbar so gut wie
schmerzlos, nur das Abstreifen des Peritoneums von der vorderen
Blasenwand, das Auseinanderziehen der Wundränder der Blase
und eine erschwerte Extraktion des Blasensteines können, wenn
auch offenbar nicht sehr bedeutende, Schmerzen verursachen.
Es ergibt sich demnach, wie ich schon angedeutet habe, dass
eine absolute Schmerzlosigkeit in der Art, wie sie bei der all¬
gemeinen Narkose eintritt, bei der Anwendung der lokalen An¬
aesthesie sich durchaas nicht in allen Fällen erreichen lässt;
doch sind in der Mehrzahl der Fälle die Beschwerden verhältniss-
8
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1212
No. 30.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
massig so gering, dass man sie den Kranken, ohne diesdben über
Gebühr und zwecklos zu quälen, ganz gut zumuthen darf im
Hinblick auf den grossen Vortheil, welchen die Vermeidung der
allgemeinen Narkose für den schwachen Kranken mit sich bringt.
Denn dass bei derartigen Kranken die Narkose als solche
eine Schädigung für das Herz und durch das Erbrechen, den
Husten etc. eine erhebliche und oft schädliche Belästigung be¬
deutet, leuchtet ohne Weiteres ein.
Der Wunsch, die besonders durch die Aetliernarkose bei
Laparotomien doch recht häufig auftretenden Komplikationen
von Seiten der Athmungsorgane, Bronchitis, Pneumonie zu ver¬
meiden, ist einer der Hauptgründe für die Anwendung der lokalen
Anaesthesie bei Laparotomien. Nun mag es vielleicht über¬
raschen, dass dieser Wunsch auch bei lokaler Anaesthesie nur
unvollkommen sich erfüllen lässt. Von den 10 ohne Narkose aus¬
geführten Gastroenterostomien haben 2 Patienten schwere
Lungenorkrankungen nach der Operation aequirirt. Einer der¬
selben, ein 56 jähriger Mann mit grossem Magencareinom und
totaler Pylorusstenose, bei dem gleichzeitig Atherom der Arterien
mässigen Grades bestand, bekam am 4. Tage nach der völlig glatt,
ohne jeden Schmerz und ohne Erregung für den Kranken ver¬
laufenen Gastroenterostomie eine schwere doppelseitige Längen-
•entzündung, an der er 9 Tage nach der Operation starb. Der
Kranke hat nach der Operation nicht mehr erbrochen, die
Magendünndarmfistcl funktionirte in dieser Zeit tadellos. Der
zweite Kranke war ein 27 jähriger Phthisiker mit wahrscheinlich
carcinomatöser, vielleicht auch narbiger, auf dem Boden eines
Ulcus entstandener hochgradiger Stenose des Pylorus — eine
sichere Diagnose war hier, wie in manchen Fällen von Pylorus¬
stenose, auch nach Vorziehen des kleinapfelgros9en Tumors nicht
möglich; die zahlreichen derb infiltrirton, harten Drüsen, welche
eine Exstirpation des Tumors nicht räthlich erscheinen Hessen,
sprachen ja entschieden für Carcinom, können aber auch wohl
nach Ulcus verkommen **). Dieser Patient erkrankte, 8 Tage post
operationem, nach welcher er nur einmal geringe Mengen etwas
blutig gefärbten Mageninhalts erbrochen hatte, an einer Pleuro¬
pneumonie mit ausgedehntem serösen Exsudat. Ich weis» nicht,
ob man diesen Fall der Operation als solcher zur Last legen
darf, da es sich um einen an Lungentuberkulose leidenden Kran¬
ken handelte, glaube aber, dass man wohl von einer ungünstigen
Beeinflussung durch die Operation sprechen darf. Wäre der
Kranke narkotisirt worden, würden wir wohl zweifellos einen
grossen Theil der Schuld der Chloroform- oder gar der Aether-
narkose zuschieben.
Bei den übrigen Bauchoperationen sind Erscheinungen von
Seiten der Lungen in irgend welch’ nennenswerthem Grade nicht
aufgetreten. Der Procentsatz von 2 Pneumonien in Bezug auf
die Gesammtzahl der Laparotomien wie ganz besonders in Bezug
auf zehn Gastroenterostomien erscheint jedoch als recht hoch
und könnte den Hauptvortheil, den wir von der Vermeidung der
Narkose durch Anwendung der lokalen Anaesthesie erwarten,
leicht als illusorisch erscheinen lassen. Man könnte sogar —
und das ist in der That schon geschehen — die Frage aufwerfen,
ob nicht am Ende durch die Injektion von Cocain oder irgend
einer anderen anaesthesirenden Lösung Pneumonien hervorge¬
rufen werden könnten; denn auch andere Chirurgen haben nach
Bauchoperationen unter lokaler Anaesthesie Pneumonien auf-
treten sehen und Gottstein (Chirurgen-Kongress 1898) be¬
rechnet die in der M i k u 1 i cz’schen Klinik beobachteten Lungen¬
erkrankungen nach lokaler Anaesthesie auf 13 Proc., die nach
Chloroformnarkose aufgetretenen Lungenerecheinungen
aber im Jahre 1895/96 auf 5,8 Proc. und in den Jahren 1896/98
gar nur auf 1,8 Proc. Es wäre aber falsch, aus diesen Procent¬
sätzen einen Schluss in dem eben erwähnten Sinne zu ziehen.
Dafür fehlt trotz der ungemein ausgedehnten Anwendung der
subkutanen Injektionen von Cocain, Schleich’scher Lösung
u. s. w. doch jede Analogie und wir müssen uns wundern, warum
z. B. bei den vielen grossen Kropfoperationen ohne Narkose nicht
auch Pneumonien auf treten, wo doch die Menge des injicirten
Mittels mindestens ebenso gross ist. wie bei den Bauchoperationcn.
Ich glatibe.dass dioUrsaehen.die ich vorhin schon angeführt habe,
liier in Betracht kommen, insliesondere der Umstand, dass es eben
die allerelendesten, schwächlichsten Kranken sind, bei welchen
*■*) Das gegenwärtige gute Allgemeinbefinden spricht vielleicht
eher für die Annahme einer narbigen Stenose. (Amu.bci der CoiTect.j
wir bis jetzt die lokale Anaesthesie bei Laparotomien vorwiegend
benutzt haben, also meistens ältere Leute, die entweder schon
eine Störung von Seiten der Bronchien, der Lungen oder des
Gefässsystenis haben und die zu solchen Erkrankungen natur-
gemäss leichter geneigt sind, umsomehr als sie durch die meist
maligne Erkrankung im Abdomen in ihrem ganzen Kräftezustand
erheblich rcducirt sind; sie haben nun überdies Wunden in der
Bauchwand, wodurch jeder Hustcnstoss schmerzhaft wird, sie
unterdrücken den Husten, husten nicht aus, müssen ständig auf
dom Rücken zu liegen und so kommt es leicht zu hypostatischen
und unter den gegebenen Bedingungen wohl auch zu infektiösen
Pneumonien, die sich, wie die Dinge nun einmal liegen, wohl
niemals ganz werden vermeiden lassen, ob man nun in Narkose
oder mit lokaler Anaesthesie operirt.
Um Dehnungen und Zerrungen des Bauchfells und damit
Schmerzen nach Möglichkeit zu vermeiden, wird man bei localer
Anaesthesie im Allgemeinen etwas langsamer operiren müssen
als bei allgemeiner Narkose; ob die hiedurch bedingte etwas länger
dauernde Abkühlung der Baucheingeweide (es handelt sich aller*
dings nur um eine relativ kurze Zeitdifferenz) ungünstig bezüg¬
lich der Entstehung von Lungenerkrankungen bei Laparotomien
ohne Narkose einwirkt, vermag ich nicht zu entscheiden; jeden¬
falls suchen wir unsere Kranken durch Einhüllen in warme
Tücher, gewärmten Operationstisch, Bedecken der Eingeweide
mit warmen feuchten Kompressen nach Möglichkeit vor Abküh-
lufig zu schützen.
Zweifellos haften dem Verfahren, Bauehoperationen ohne
Narkose auszuführen, noch viele Mängel an und es lassen sich
auch bei aller Vorsicht weder alle Beschwerden für den Kranken
während der Operation, noch alle nachtheiligen, sonst wesentlich
der Narkose zur Last gelegten Folgezustände bis jetzt vermeiden;
allein das scheint mir, wie ich schon erwähnte, festzustehen, dass
man eine Reihe von operativen Eingriffen an den Bauehorganen
bei Anwendung der lokalen Anaesthesie noch ausführen kann
und darf, die sonst zum Naehtheile der Kranken aus Furcht vor
der allgemeinen Narkose hätten unterbleiben müssen.
Beitrag zur palliativen Behandlung inoperablen Gebär¬
mutterkrebses.
Von Professor Dr. Fr. Torggler in Klagenfurt.
Wenn ich auch noch immer bei Behandlung inoperabler
Utcruscarcinome Anhänger der 1883 von S a e n g e r (Jodoform¬
pulver) eingeführten und besonders von Fritsch (Bortannin)
warm empfohlenen Troekenbehandlung, speciell der Anwendung
des von mir seinerzeit angerathenen Kohlenjodoformpulvers ge¬
blieben bin, so zwang uns die grosse Zahl derartig trauriger Fälle,
weitere Mittel zu versuchen, um die nauptbeschwerden: Blutung,
Ausfluss, Schmerzen zu beseitigen, wenigstens erträglicher zu
machen.
Und wahrlich gross ist die Zahl unserer inoperablen Uterus-
carcinome, denn — sehen wir von Mackenrodt, der die
höchste Operabilitätszahl (92,9 Proc.) verzeichnet, ab — während
Doederlein und Olshausen nur 50,1 resp. 54 Proc. in¬
operabler Fälle Unterkommen, steigt dieser Procentsatz bei Win¬
ter auf 57, bei Kaltenbach auf 60, im Maria-Theresien-
spital Wien auf 63, bei Pfannenstiel auf 64,6, bei Thorn
auf 65, bei Pernice auf 74,5, bei Kezmaraky
auf 78, bei Fehling auf 75—80, bei Fritsch (Bres¬
lauer-Zeit) auf 80,5, bei Akontz auf 86,6, bei Baecker
auf 90, bei Lapschin auf 90,3, bei uns auf 92!
Nur Gusserow und Groom überholten diese Ziffer, da
Eraterer (nach Krukenberg) nur 5 Proc., Letzterer
6 Proc. der zugegangenen Uteruscarcinome operirte. Ob diese
grosse Verschiedenheit der Operabilitätsziffer blos von der Nei¬
gung des Operateurs die Indicat ionsgrenzen enger oder weiter zu
ziehen abhängt, wie Doederlein annimmt, ist hier nicht zu
erörtern. Ich glaube aber, persönlich nicht besonders rigoros zu
sein; allerdings fordere ich, um einen Fall' als operabel zu be¬
zeichnen, dass die in Narkose vorgenommene Untersuchung per
vaginam et per rectum eine gewisse Beweglichkeit dee Uterus,
sowie das Fehlen carcinomatöser Infiltration der Parametrien
und der l.ignmenta cardinalia ergibt, glaube jedoch weiter, dass
auch die Art des zugehenden Materials bezüglich der
Opera! i<mszi Ihr sehr ausschlaggebend ist, je nachdem, ob
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23. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1213
cs aus einer grösseren Stadt oder, wie bei uns, haupt¬
sächlich vom Lande stammt. Auf diesen Umstand weist
Winter hin, und führt z. B. an, dass in Berlin
die Operabilität sich von 19 auf 63 Proc. gehoben hat. In meiner
allg. Krankenhausanstalt (und darauf ist auch Gewicht zu legen,
weil sicher in Privatheilanstalten eine viel grössere Zahl Opera¬
tionsfähiger aufgenommen wird) gelangten in den letzten 5 Jahren
(1896—1900) unter 2097 gynäkologischen Kranken 274 Gebär¬
mutterkrebse zur Behandlung (228 in der Abtheilung und 46 im
Ambulatorium). Diese Frequenz (über 13 Proc.!) ist sehr gross,
A k o n t z weist z. B. 5,7, v.Erlach-v. Woerz3,3 und D o e -
d e r 1 e i n 2,7 Proc. aus. Geeignet zu einer Radicaloperation
waren von unseren Fällen nur 22, aber bloss 14 Hessen eine
solche zu. Es mussten mithin 260 einer palliativen und sympto¬
matischen Therapie unterzogen werden. Diese Behandlung um¬
fasst das objektive Symptom des Ausflusses, sei es Blutung, sei es
Fluor, und das subjektive des Schmerzes. Blutung sowohl als
Ausfluss kommen in ziemlich gleicher Frequenz vor; ob aber
Blutung vorerst und dann Fluor, der durch Menge, Schärfe oder
Geruch die Kranke quält, sich zeigt, das hängt hauptsächlich vom
Sitze der Erkrankung ab, Carcinoma colli blutet im Allgemeinen
«stärker und früher, als Corpuskrebs. In unseren meist vernach¬
lässigten Fällen handelt es sich nahezu immer um die Klage über
„Fluss“, wohl meist um Carcinomjauche in engerem Sinne. Dess-
halb lag uns vor Allem daran, diesen Scheidenausfluss zu ver¬
mindern und dessen oft entsetzlichen Geruch zu bekämpfen. Sind
wir uns auch klar, durch Ausschabung und Verschorfung der
Carcinommassen am schnellsten der Jauchung Herr zu werden,
so erfordern doch Umstände verschiedener Art, die Patientin vor
der palliativen Operation vom Ausflusse zu befreien oder minde¬
stens eine ausgiebige Verminderung desselben zu erstreben.
Am besten dafür erwies sich mir im Laufe der Jahre das
Wasserstoffhyperoxyd (Hydrogcnium per-
oxydatum = H, O,). Dieses Mittel, bereits 1818 von The-
n a r d entdeckt und von S t o e h r (1867) einem sehr genauen
Studium unterzogen, wonach Blut- und Eiterkörperchen eine
Schrumpfung und selbst eine Zerstörung erfahren, eiternde Bu¬
bonen äusserst rasch heilen sollten, fand trotzdem keinen rechten
Eingang in die Therapie, wohl wegen dessen leichter Zersetzlich¬
keit und hohen Preises. Mich veranlasst« eine aus der Klinik
Billroth hervorgegangene Arbeit des damaligen Operations¬
zöglings v. Dittel, die 11,0,-Lösung bei inoperablen Carcinomen
zu versuchen, weil dort angegeben war, dass H, 0,-Lösungen
Tumorengewebe härter zu machen, zur Schrumpfung zu bringen
scheine, ausserdem besitze dieses Mittel eine antiseptische Wirk¬
samkeit und vermindere eitrige Sekretion. Freilich glaubt
Dittel sich auf Grund einiger Thierversuche eher für als gegen
die Giftigkeit der H, 0,-Lösung aussprechen zu sollen. Nachdem
wir in unserer gynäkologischen Abtheilung seit 1895 dos Hydro¬
gen ium superoxydat. und zwar nicht wie D i 11 e 1 in 2 proc., son¬
dern in 12 proc. (Gewichtsprocente) Lösung in vielen Fällen ver¬
sucht hatten, erbat ich mir Ende 1896 im „Vereine der Aerzte
Kärntens“ aus, einen Bericht über die gemachten Erfahrungen
erstatten zu können, verbunden mit dem Ersuchen, es möchten
Kollegen in ihren Specialfächern ebenfalls diesbezügliche Ver¬
suche anstellen und darüber berichten. Erst im Mai 1897 geschah
diese Berichterstattung, in welcher Meusburger darauf hin¬
wies, dass H, O, das Wachsthum kräftiger Staphylococcenrein-
kultur verhindere, dass es Oosporenkulturen vernichte. Mit gutem
Erfolg gebrauchte Schludermann H, O, bei Mittelohr¬
katarrhen und bei Stomatitis mercurial.; Brugger bei Alveo-
larblennorrhoe; Herbst bei Fussgeschwüren; Purtscher
bei Thränen sacklei den. hingegen mit geringerem Erfolge bei Con¬
junctivitis, höchstens bei den Formen von Conjunctivitis wie sie
nach Pulververletzung Vorkommen und bei stark belegten Ilorn-
liautg*-schwüren. Da ich persönlich verhindert war,berichtete mein
damaliger Assistent Schnii d ausführlich über die ausgedehnte*
Verwendung von H, O, in der Gynäkologie und kam zum Re¬
sultate, dass wir bei Kolpitis gonorrhoic. und bei Metrorrhagien
fast gar keinen Erfolg, massigen bei Kolpitis simpl. und bei den
verschiedenen Endometritiden, aber vorzüglichen bei putriden
Carcinomen fanden und zwar hauptsächlich wegen seiner des-
odorisirenden Wirkung und wegen der Fähigkeit, schmerzlos ulce-
rirende Wunden zu reinigen.
Diese guten Erfahrungen haben sich uns in den letzten
Jahren *) immer wieder gezeigt und finden wir dieselben bestätigt
durch A. Martin, der Spülungen mit blose 3 proc. Wasserstoff¬
superoxyd als besonders gut desodorisirend empfiehlt..
Für weitere Anwendung von H, O, kann ich mich auf Grund
der oben angeführten Erfahrungen nicht mehr entschliessen,
trotzdem in den allerletzten Jahren über Verwendung und Werth
dieses Mittels mehr veröffentlicht worden ist, hauptsächlich in
ausländischer, wenig in deutscher Literatur. Dafür ist allerdings
die letzte deutsche Publikation von H o n s e 11 (1900) aus der
Tübinger chirurgischen Klinik, dessen Vorstand v. Bruns kurz
vorher warm für H, O, eingetreten ist, äusserst werthvoll, weil
experimentell und klinisch die Verwendbarkeit eingehend und
streng wissenschaftlich in wunderbarer Weise bearbeitet wird.
Ziehe ich aus dieser und anderen Arbeiten nur die Verwendung
von H 2 0, in der Gynäkologie hervor, so wird neuerlich — früher
schon von Noble und E m m e t u. A. — auf Grund der L u c a s-
Championnier e’schen Mittheilungen dieses Mittel als Anti-
septicum und Desinfektionsmittel der Vagina, des Uterus und des
Operationsfeldes empfohlen von Thiriar und von Tissot.
Letzterer weist auch auf die haemostatische Wirkung hin; ihm
ist diesbezüglich bereits Petit vorausgegangen, Platon und
Sztampke folgen nach. Zu Spülungen gegen gynäkologische
Affektionen im Allgemeinen wandte H,0, Bonnet 1895 an.
Dezanneau, der H,0, zu Verbänden bei gynäkologischen
Operationen gerne verwendet, will bei intrauteriner An¬
wendung Auslösung von Uteruskontraktionen beobachtet haben
und befürwortet desshalb dessen Gebrauch bei Atonia
uteri! Aber, wie erwähnt, trotz dieser vielfachen An¬
empfehlungen, welche alle die ungiftige, antiseptisehe,
haemostatische oder desodorisirende Eigenschaft hervorhebcu,
blieb ich beim alleinigen Gebrauch des HO, behufs
rascher Reinigung jauchiger oder gangraenescirender Gebär¬
mutterkrebse stehen. Nach guter Einstellung der carcinomatösen
Stelle in einem beliebigen Speculum wird dieselbe soweit als mög¬
lich mittels Tupfer gereinigt, hierauf die Wunden mit von 12 ge-
wiehtsprocentiger (= 39,9 voluniprocentiger) H,0,-Lösung trie¬
fender Jodoformgaze tamponirt und belegt, ln dem Augenblicke,
in welchem das Wasserstoffhyperoxyd mit der wunden Fläche in
Berührung kommt, entsteht eine sehr reichliche, grossblasige
Schaumbildung durch Sauerstoffentwicklung. Um diese Katalyse
möglichst zu erhalten, lege ich immer noch einen grossen trocke¬
nen Jodoformgazestreifen darauf in die Vagina und lasse diese
Tampons 2, 3 bis 4 Tage liegen. Jedesmal nach dem ersten Tam¬
ponwechsel ist ein noch so penetranter Geruch geschwunden,
copiöse Sekretion lässt nach und bald sehen wir granulireude
Stellen statt des jauchigen, putriden Gewebszerfalls; bei jeder
neuen Applikation von 11,0, ist die Schaumentwicklung geringer
und gibt uns dadurch gewissermaassen einen Fingerzeig, wie sich
das Geschwür reinigt. So starke Lösungen, nämlich 12 proc.,
während sonst meist 1—3 proc. verwendet werden, da Honsell
das 3 proc. Wasserstoffsuperoxyd bezüglich seiner baetericideu
Kraft dem 1 prom. Sublimat als gleicliwerthig an die Seite stellt,
gebrauchen wir, weil die Ungiftigkeit des 11,0, von den neueren
Autoren nachgewiesen wurde. Wenn v. Dittel und vor ihm
Neudoerfer Vergiftungserscheinungen beobachteten, so
liegt die Ursache wohl im Umstande, dass damals H,0, nicht ab¬
solut säurefrei, nicht chemisch rein, wie das jetzige war oder dass,
wie Honsell annimmt, eine Gasembolie die Todesursache bil¬
dete. Gerade* die durch Blut, Eiter und Sekret herbeigeführte
hochgradige Zersetzung des H,0, in Sauerstoff und Wasser macht
selbst konzentrirten Lösungen unmöglich, Reizungs- oder Läh¬
mungserscheinungen hervorzurufen, der Sauerstoff verliert mit
der Bildung der Gasblasen rasch seine spezifischen Eigenschaften,
die energische Katalyse bietet einen gewissen Schutz gegen seine
Einwirkung (A. Schmidt).
Die antiseptisehe Kraft spielt bei der palliativen Behandlung
inoperabler Carcinomc kaum eine Rolle und gehe ich desshalb
auf selbe nicht näher ein, wohl al>er müssen wir die von allen
Autoren erwähnte Eigenschaft als Desodorans betrachten. Nach
Bruns handelt es sich dabei nicht um die antibacteriellc Wir¬
kung auf die Eiterbacterien, sondern eher um eine spezifische
Wirkung auf die Anaeroben, namentlich gegen die Fäulniss-
produkte. Dazu ergaben die experimentellen Versuche Honsel l's.
*) Siehe meine Mittheilungen aus den Abthellungen f. Geburts¬
hilfe u. Gyuilkologie.
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1214 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30.
dass bei energischer Sauerstoffabspaltung die desodorierende
Wirkung des H,0, stärker als bei träger Zersetzung ist. Trotz¬
dem aber dürfte die mechanische Einwirkung ausschlaggebender
sein, als die chemische, weil der sich explosionsartig bildende
Schaum das keimhaltige Sekret, die Blutgerinnsel, kleine Gewebs-
partikelchen u. s. w. mit sich fortreisst, die Wunde dadurch rei¬
nigt, eine Stauung der Carcinomjauche verhindert, wodurch eine
weitere Zersetzung der flüssigen Absonderung vermindert wird.
Nicht bestätigen unsere Erfahrungen eine grössere haemostatische
Wirkung. Wenn diese Eigenschaft schon seit längerer Zeit —
Pflüger z.B. wies 1875 nach, dass das Blut zersetzend auf
HjO, einwirke und desshalb dasselbe gerinne — bekannt ist, so
fehlte bisher eine einwandfreie Erklärung der Blutgerinnung.
H o n s e 11 führt die momentane Fibringerinnung auf rein physi¬
kalische Momente zurück, nämlich auf eine „Quirlung“ des Blutes
durch die rasch entstehenden Gasblasen. In unseren Fällen von
Uteruscarcinom sowohl, als bei Metrorrhagien, bedingt durch
Endometritis hypertrophicans, post abortum u. s. w. war die blut¬
stillende Einwirkung dieses Mittels eine so geringe, dass wir
später darauf kein Gewicht mehr legten. Falls wirklich die Quir¬
lung des Blutes das einzige veranlassende Moment der Blutstil¬
lung ist, so begreifen wir leicht, warum bei ulcerirten Portio-
carcinomen H,0, kein gutes Haemostaticum bildet, nicht aber,
warum diese Eigenschaft bei intrauterinen Blutungen fehlt. Im
ereteren Falle ist selbst die stärkste Quirlung zu gering, um auf
die ausgebreiteten, grossen und oft tiefgreifenden blutenden
Wunden gerinnend einzuwirken. Freilich nach Seydeler’s
Versuchen, der vergleichende Untersuchungen mit Liquor ferri
sesquichlor. anstellte und fand, dass beide Mittel gleich schnell,
gleich sicher, aber 11,0, reinlicher wirke, müssten wir auch da
eine prompte Blutstillung erwarten.
Wenn nun die carcinomatösen, ulcerirten Partien in so über¬
raschender Weise gereinigt, das nekrotische Gewebe zerstört
worden sind, ja das H,0, auf das Gewebe als Excitans im guten
Sinne eingewirkt hat, so schliessen wir beinahe immer — ausser
es waren eine Vesico- oder Rectovaginalfistel bezw. ein Durch¬
bruch in den Douglas zu befürchten — eine Palliativ-Operation
an. Dieselbe besteht gewöhnlich in möglichster Ausschabung der
carcinomatösen Maassen, Abtragung frei beweglicher Fetzen mit
Scheere, Stillung der Blutung durch Glüheisen oder Paquelin,
seltener durch Atmokauter, Ausstopfung des so geschaffenen
Wundtrichters mittels Fächertampon von Jodoformgaze (50proc.),
die 4—6 Tage liegen bleibt. Die Nachbehandlung — das Wich¬
tigste! — bestand meist im „trockenen Verfahren“ und zwar in
Anwendung von Jodoformkohlenpulver.
Seit 4 Jahren aber erwies sich mir als sehr gut um die
Wundhöhle trocken zu erhalten, selbe der Verkleinerung und einer
Vernarbung zuzuführen, das F ormalin (Formaldehydum so-
lutum = HC HO). Mit Ausnahme über Verwendung zu Des-
infektionszwecken liegen bezüglich klinischer Verwendung wenig
Berichte über dieses Mittel vor. In die Gynäkologie dürfte
v. Winckel (1894) es eingeführt haben, da er eine lOproc. Lösung
des circa 40proc. Sehering’s Formaldehyd zu Intrauterin-
Behandlung verwendete. Seit beiläufig derselben Zeit gebraucht
es Menge und zwar ausschliesslich zur Behandlung chronischer
Endometritis in etwas stärkerer Konzentration (30—50 Theile
Formaldehyd : 70 rosp. 50 Theile Wasser). Seine erste Empfehlung
dieses Mittels geschah in der Gesellschaft für Geburtshilfe zu
Leipzig (18. April 1898) und findet jetzt noch weitere Besprechung
im Archiv für Gynäkologie (1901). Auch G r a e f e und die
S a e n g e Fache Klinik (F ü t h) wenden es gegen dasselbe Leiden
an; im Jahre vorher berichten Stouffs, Jacobs und
van Hassel über Formalingebrauch zur Irrigation eiternder
Höhlen, besonders der Uterushöhle, und finden, dass es sehr gut
desodorisirt. Fell gebraucht es intravaginal gegen puerperale
Septikaemie und Gerstenberg ist wohl der Erste, der das
im verdünnte Formalin intrauterin gegen Endometritis verwendet.
Erst in allemeuester Zeit finde ich erwähnt, dass mit diesem
Causticum inoperable maligne Tumoren verätzt werden: M a c
F e e 1 y ein Larynxepitheliom mittels Injektionen, R a n al¬
le 11 i einen exulcerirten Uterustumor und v. H e r f f inoperable
Carcinome durch Abtupfung. Wie vorhin gesagt, gebrauchen
wir seit 4 Jahren nach palliativen Carcinomoperationen beinahe
ausschliesslich dieses Medicament.
Nach Entfernung des Fächertampon wird der Wundtrichter
gut in ein Speculum (meist NeugebaueFs) eingestellt, mittels
trockener Tupfer gereinigt und dann in den Krater durch einige
Zeit (5—10 Minuten) ein in Formalin getauchter Wattetara pon
eingelegt. Die ersten Male gebrauchen wir 4proc. (d. h. 10 g
der 40proc. Originallösung zu 90 g Aqu. dest»), dann lOproc.
(25 g der Originallösung : 75 g Wasser) oder meist 40proc. i. e.
reines Schering’sches Formaldehyd. Dabei ist genau zu achten,
dass nichts von der ätzenden Flüssigkeit in die Vagina abläuft,
was am besten verhindert wird durch Auf trocknen mit Watte¬
bauschen und durch vorsichtiges Abspülen. Gesunde Scheiden¬
schleimhaut, besonders am Introitus, verträgt die geringste Spur
selbst des verdünnten Formalin schlecht, da dasselbe ätzt und
stark brennt. Damit auch die nachher stattfindende Absonderung
kein Brennen bereiten kann, legen wir vor der Wundhöhle in die
Vagina eine lockere Jodoformgaze. Der sich bildende Schorf ist
so stark als bei Anwendung von 60proc. Chlorzink. In 6, 8 bis
10 Tagen stösst sich der Formalinschorf ab, die Wunde erscheint
trocken; nach der zweiten, sicher nach der dritten Applikation
ist schon eine Mumifikation des Gewebes eingetreten, die Wund¬
höhle verkleinert, das Sekret im Verschwinden. Blutungen nach
Abstossung oder schonender Entfernung des Aetzschorfes sahen
wir selten, eher konnten wir beobachten, dass das Formalin eine
nicht geringe haemostatische Wirkung, wie wohl jedes kräftige
Aetzmittel, ausübt. Ausser dass Formol als caustisches Medi¬
cament in diesen Fällen ausgezeichnet wirkt, kommt noch dessen
Eigenschaft als Desinfektionsmittel in Betracht, denn jetzt haben
wir es mit einer durch Abschabung herbeigeführten frischen
Wunde zu thun.
Die antibacterielle Eigenschaft ist eine sehr starke, dadurch
wird sicher das Wundsekret vollkommen desinfizirt, jede resorp-
tive Giftwirkung fehlt aber, mindestens in unserer Anwendungs¬
weise. Innerlich genommen können starke Dosen, wie die Fälle
von K1 ü b e r (nach welchem ein Schluck) und von Zorn (bei
dem 30 ccm getrunken wurden) zeigen, Vergiftungserscheinungen
herbeiführen. Dass nach Entfernung der carcinomatösen Massen
und Verätzung des Wundkrater der penetrante Geruch aufhört,
schiebe ich mehr der Verminderung und Desinfizirung des Se¬
kretes zu, als dass ich dem Formol eine spezifisch desodorisirende
Wirkung zuschreibe, wie dem Wasserstoffsuperoxyd.
In mehr als 150 Fällen haben wir dieses Aetzmittel mit sehr
zufriedenstellendem Erfolge angewandt: Jauchung und Blutung
hören auf; das Gewebe mumifizirt; die Sekretion vermindert sich,
der üble Geruch schwindet. Nur konnten wir in einigen Fällen
nach Aetzung mit unverdünntem Formaldehyd leichte Schmer¬
zen, aber nie peritonitische Reizerscheinungen beobachten.
Weil wir Anstaltsärzte nur selten in der Lage sind, den
traurigen End verlauf dieser unrettbaren Fälle selbst mitzubeob¬
achten, ist auch mir nicht möglich, über die Dauererfolge dieser
Behandlungsmethode zu berichten, aber trotzdem glaube ich auf
Grund der mehrjährigen Erfahrung sowohl die Anwendung des
Hydrogenium peroxydatum als des Formaldehydum solutum em¬
pfehlen zu dürfen, insbesondere in der Absicht, auf dass in
anderen Anstalten weitere Versuche angestellt werden.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1215
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der geb.-gyn. Klinik zu Innsbruck. Prag 1898. p. 238. — Der¬
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1894. p. 009. — Wi nter: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gyn. 1900, Bd. G3,
p. 509. — Zorn: Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 40.
Zur Entstehung und Behandlung der Phlegmonen im
Rachen.
Von Dr. L. Grünwald in München.
M. II.! Wor von uns erinnert sich nicht noch aas seiner
Anfängerzeit der peinlichen Spannung, in welche ihn, viel mehr
noch als seine Patienten, die Erwartung des Momentes versetzte,
in dem ein „Peritonsillarabscess“ reif, d. h. die Eiteransammlung
unter der Oberfläche deutlich wurde! Ist es doch immer ein un¬
behagliches Gefühl, vor jenem Moment innerhalb des nur centi-
meterweit geöffneten Mundes mit spitzem Messer, in einer Gegend
nicht weit der grossen Halsgefässe und verhältnissmässig hilflos
bei etwaigem Eintritt stärkerer Blutung zu arbeiten.
Um so freudiger wird wohl Mancher seiner Zeit die Ver¬
öffentlichung K i 11 i a n’s *) begrüsst haben, in welcher die leichte
Erreichbarkeit der Abscesse von der Fossa supratonsillaris aus
mittels der Sonde geschildert wurde. Ich habe damals auf Grund
gleicher Erfahrungen und gleichen Vorgehens das Verfahren
noch empfehlen zu sollen geglaubt 3 ) und hinzugefügt, dass ein
peritonsillärer Abscess, dessen Aufsuchung vori der Fossa supra-
tonsillaris aus nicht gelingt, überhaupt gar nicht von der Mandel
ausgegangen sei. Heute möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf
dio Verschiedenheit der Formen richten, in welchen Rachen-
abseesse je nach ihrem Ursprünge sowohl anatomisch als klinisch
sich darstellen und vor Allem eine Umgestaltung der Benennung
in richtiger orientirendem Sinne anstreben.
Was man gemeiniglich Peritonsillarabscess, ja sogar Mandel-
abscess nennt, ist ja gar keiner. Folgt man (wie damals vorge¬
schlagen) dem Wege des Eiters von seinem Ursprung, so findet
sich, dass die gewöhnliche „Angina phlegmonosa“ nichts anderes
ist als eine supratonsilläre Phlegmone.
Die Entzündung verläuft im Winkel zwischen den beiden
oberen Enden der Gaumenarkaden, bei grösserer Ausdehnung
zwischen den beiden Mucoeaplatten des Gaumensegels; die In¬
fektion erfolgt in dem Recessus (s. Fossa) supratonsillaris, dessen
tiefe Bucht den Eutzündungserregern als Schlupfwinkel dient,
von dem aus sie, besonders aus stagnirenden Sekretresten u. dgl.,
leicht in das überaus lockere supratonsilläre Bindegewebe ein-
dringen können. Wird der Abscess an seiner oberen Durchbruch¬
stelle, dem Locus necessitatis gespalten, so besteht dio Gefahr
neuer Entzündung nach wie vor. Recidive der „Rachenphleg¬
mone“ sind ja nichts Seltenes. Die Eröffnung vom Infektionsort
aus dagegen gewährt ausser ungefährlicher und leichter Zu-
gängigmachung noch den Vortheil, durch Spaltung des Recessus
die Möglichkeit neuer Erkrankung wesentlich zu verringern.
Zur Unterscheidung von den nachher zu erörternden anderen,
allerdings selteneren Formen möchte ich noch hervorheben, dass
dieser, gewöhnlichste, Supratonsillarabscess folgende
Kennzeichen bietet: Kieferklemme als Zeichen des Ueberganges
der Entzündung auf die dem supratonsillären Gewebe benach¬
barten Muse, pterygoidei, Schwellung und Röthung der einen
Seite des weichen Gaumens, häufig mit Oedem der oberen Hälfte
der Gaumenbögen, besonders des vorderen, sowie der Uvula, g e -
•) Nach einem Vortrage in der Münchener laryngo-otolog.
Gesellschaft.
') Münch, med. Wocheuschr. 1896. 30.
*) Ebenda No. 38.
No. 30.
ringe oder gar keine Schwellung der Mandel,
welche sogar oft hinter dem entzündeten Arcus palatoglossus ganz
verborgen ist.
Etwas ganz anderes ist der wirkliche
Peritonsillarabscess,
in der That eine Rarität gegenüber jener alltäglichen Phleg¬
mone. Dieser spielt in dem die Mandeln von aussen und
vorne umgebenden Bindegewebe, kennzeichnet sich durch
Schwellung, eventuell Oedem, besonders des vorderen Gaumen¬
bogens und hat verschiedene Ursachen, meist wohl Fremdkörper¬
infektion oder Zahnerkrankungen. Eine der leichteren, nicht
zu Abscedirung führenden Entzündungen dieser Stelle ist das
Oedem durch Dentition des Weisbeitszahnee, welches in einem
»Strange vom letzten unteren Alveolus zum Arcus palatoglossus
führt.
Als instruktives Beispiel der sehr seltenen peritonsil¬
lären Phlegmone dagegen möge folgender Fall dienen:
Ein 20 Jähriges Mädchen hat seit 2 Tagen linksseitige Hals¬
schmerzen. Die Oeffnung des Mundes zur Besichtigung
ist zwar etwas schmerzhaft, gelingt aber nahezu zur
normalen Welte. Der linke vordere Gaumenbogen Ist stark
geröthet und geschwollen, ebenso die linke untere Gaumensegel¬
partie, Uvula frei, ein leicht oedematöser Strang ^ieht gegeu
den Alveolus des linken unteren 2. Mahlzahnes hin. Dieser letz¬
tere ist plombirt und mitunter schmerzhaft, der 1. Molaris zeigt
Kronendefekt. Die Extraktion beider fördert keinen Eiter, nur
furchtbaren Foetor. Dagegen dringt die Sonde nach geringem
Druck durch die Hinterwand des letzten Alveolus ln eine tiefe
Höhle im Bindegewebe des vorderen Gaumenbogens und desVelum.
worauf eine Incision quer durch den oedematösen Strang viel
foetiden Eiter entleert.
Hier sehen wir als besonders charakteristisch: den Wog des
Eiters vom infizirenden Zahn aus zum Gaumen durch den oede¬
matösen Strang markirt, weiter: die Mandel nicht geschwollen,
die Kieferklemme wenig entwickelt.
Ein anderes Beispiel peritonsillärer Entzündung, aber mit
Ausgang von oben, nämlich vom Nasenboden in’s Velum hinein,
auf erysipelatöser Grundlage, habe ich bereits ausführlich
a. a. O.*) beschrieben. Auf die Quelle der Entzündung wies hiebei
die von Anfang bestehende gleichseitige Nasenverstopfung hin.
Tn beiden Fällen aber wurde damals noch die Aufmerksamkeit
auf anderen als gewöhnlichen Ursprung der „Rachenphlegmone“
erst durch das Misslingen des Eiternachweisos im Velum gelenkt,
Nach unseren heutigen Kenntnissen müsste schon das Abweichen
der Symptome und erst im Nothfalle die Nichterreichbarkeit
von Eiter durch die Fossa supratonsillaris, zur Differential¬
diagnose anregen.
Hier möchte ich nur beiläufig auf jene Fälle, welche trotz
typischen Infiltrates über der Mandel und auch am Velum keine
Eiteraüffindung ermöglichen, hinweisen, auf die erysipela-
töse Rachenentzündung. Ich habe zweimal, als mit
der Sonde kein Eiter zu erreichen war, diese Diagnose gestellt
und sie durch weiteren Verlauf bestätigt gefunden. Es war viel¬
leicht kein Zufall, dass beide Male keine Kieferklemme bestand,
entsprechend dem bekanntlich mehr oberflächlichen Verlauf des
Erysipelinfiltrates.
Eine andere, ebenfalls sehr seltene Form des Absceeses in
der Tonsillargegend ist der eigentliche
Mandelabscess.
Dieser spielt sich in der Substanz der Mandel ab und charak-
terisirt sich dementsprechend durch starke Schwellung
dereinen Mandel und Fehlen stärkerer Kiefer-
klemme. Letzteres Symptom ist wohl das auffälligste für
den kundigen Beobachter. Während sehr heftiger einseitiger
Schmerz, Unmöglichkeit, auch nur Flüssiges zu schlucken und
eine bis zu 39,5 steigende Continua mit starkem Kräfteverfall
genau das Bild der supratonsillären Eiterung erwarten lassen,
ist man erstaunt, den Patienten den Mund weit aufreissen und
im Rachen zwar dio eine Mandel stark „hypertrophisch“, aber
nur minimale Schwellung und Röthung ihrer Umgebung zu
sehen. Dagegen ist ihre Oberfläche mitunter zerklüftet und
im Anfänge der Affektion wohl auch auf den Lacunen eitrig
resp. fibrinös belegt, als Zeichen, dass die vorliegende Affektion
sich einer vielleicht schwereren laeunärcn Angina angeschlossen,
vielleicht einer ganz gewöhnlichen Form derselben, nur durch
anatomisch günstige Verhältnisse den Ucbergang auf das Binde-
3 ) Lehre von den Naseueiterungeu. 1896, S. 184.
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1216
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
gewebe ermöglicht hat. Das hohe Fieber im Einklang mit den
einseitigen Beschwerden lässt uns nun doch an Eiter den¬
ken ; wir greifen zur Sonde — aber nicht zu einer mit aufwärts
gebogenem Ende, sondern zu einer entgegengesetzt gekrümmten
— und sehen unserem Eindringen von der Fossa supra-
tonsillaris aus nach unten, also in das Mandelgewebe
hinein sofort Blut und Eiter nachfolgen und zwar mitunter
rahmigen grauen Eiter, sobald ihm nämlich nekro¬
tische Theilchen des Mandelparenchyms beige¬
mengt sind. Die subjektive Erleichterung erfolgt sofort, wie der
Eröffnung des gewöhnlichen Supratonsillarabsceeses, auch hier,
aber — sie hält nicht immer an, denn der Abscess ist nicht un
seinem tiefsten Punkte, im Gegentheil, er ist von oben eröffnet
worden und so bleibt uns denn, wenn das Fieber wi oderauf treten,
wenn die Eiterung nicht sofort sistiren sollte, noch eine Aufgabe:
die Spaltung der Vorderwand des Abscesses bis zu seinem Grunde.
Die, sehr begreifliche, Unkenntniss dieser Verhältnisse und Ver¬
nachlässigung letzteren Vorgehens hat mir Gelegenheit zur Be¬
obachtung eines
chronischen Mandelabscesses,
einer ausserordentlichen Rarität in unseren bisherigen Beobach¬
tungen verschafft.
Ein ca. 30 jähriger, sonst sehr gesunder Herr (Militär) hatte
ein halbes Jahr zuvor eine akut einsetzende heftige Halsentzündung
duichgemacht, welche mit einem plötzlichen Eiterauswurf endete.
Seitdem aber entleerte er, besonders des Morgens und wenn er
hinter dem linken Kieferwinkel einen Druck austibte, beträchtliche
Eitermengen. In der That sah man auch, besonders beim Würgen
und bei Druck auf jene Stelle, über dev linken Mandel Eiter ab-
fliessen, ebenso wenn man eine Sonde am unteren Ende der Fossa
supratonsillaris nach aussen führte. Das Ende derselben gelangte
in eine Lacune des oberen Pols der Mandel, ausserdem aber in einen
tiefen Recessus zwischen den oberen Enden der Gaumenbögen. In
mehreren Sitzungen (Pat. war von auswärts und konnte sich nur
ln längeren Zwischenräumen vorstellen) wurden diese Hohlräume
theils mit Scheere und Messer, theils galvanokaustisch in flache,
offene Mulden verwandelt. Trotzdem haben in den durch Narben-
retractlon sich bildenden kleinen Hohlräumen noch wiederholte
Eiterretentiouen stattgefunden.
Beiläufig nur möchte ich erwähnen, dass dieser Fall nichts
mit den gewöhnlichen Ansammlungen von Eiter und Eiterpro¬
dukten (Konkrementen) in den Mandellacunen zu thun hat.
Diese finden in den präformirten, sehr viel kleineren Hohlräumen
statt, machen allerdings auch genug Beschwerden, besonders
durch üblen Geruch und kleine Blutungen, sowie Paraesthesien.
Zu der durch sie ebenso, jedoch viel häufiger, wie durch die
Mandelabscesse, veranlassten Mandelschlitzung habe ich mit
gutem Erfolge von dem beifolgend abgebildeten Messerchen Ge¬
brauch gemacht.
Ein dem der gewöhnlichen Phlegmone täuschend ähnliches
Bild bietet die, auch nicht gerade häufige
akute Retronasalphlegmone,
deren Bild ebenfalls a. a. O.'), S. 183, geschildert, hier nur kurz
gestreift werden möge. Dabei kann der Rachen, soweit direkt
sichtbar, ganz frei sein, obgleich neben heftigem Fieber und
grosser Prostration starke Schlingbeschwerden bestehen. Diese
mögen wohl oft schon Ursache zur Diagnose einer „rheu¬
matischen“ Halsentzündung gewesen sein. Auch kann Betheili¬
gung des Velum am Oedem und Infiltrat über den wahren Sitz
der Entzündung hinwegblicken lassen.
Wenn nicht früher schon, so wird zum Schluss die dann
durch die Nase stattfindende Eiterentleorung
über den wahren Herd orientiren, nachdem schon die Gering¬
fügigkeit der Rachensymptome im Einklänge mit der immer be¬
stehenden starken und gewöhnlich einseitigen Nasenverstopfung
im Stande waren, die Aufmerksamkeit nach oben zu lenken.
Gelegentlich verschwinden bei diesen so verborgen lokali-
sirten Phlegmonen alle Lokalsymptome gegenüber dem schweren
typhösen Allgemeinzustand: Benommenheit, starke Prostration,
sogar Meteorismus und Zungenzittem neben hoher Continua.
Abgesehen von Verwechselung mit Abdominaltyphus etc. sind
es, beim deutlicheren Vorhandensein von Rachensymptomen,
solche Fälle, die dann in den Bereich von Senator’»')
*) Berl. klin. Wocbensclir. 1885.
infektiöser akuter Phlegmone
gezogen werden. Allen Fällen, welchen unter diesem Schlagwort
beschrieben, resp. später dahingerechnet worden sind, ist ja neben
einem verhältnissmässig geringen Befund an den Halsorganen
der schwere Allgemeinzustand mit häufig plötzlich erfolgendem
tödtlichen Ausgang gemeinsam, so dass Senator und bereit¬
willige Nachfolger ohne Weiteres ein neues und einheitliches
Krankheitsbild sehen zu sollen glaubten. Ich habe mich mit
dieser Annahme nie befreunden können. Abgesehen von septi¬
schen Phlegmonen der Extremitäten, bei denen die Vergiftung
des Organismus noch vor der richtigen Entwickelung der lokalen
Entzündung tödtlich wirkt, ist Erstickungstod bei an sich noch
nicht genügend verschlossenen Luftwegen uns doch von der sep¬
tischen Diphtherie her schon ganz genügend bekannt. Auch bei
ihr hat man gelegentlich Tracheotomien gemacht, um nachher
den Kehlkopf noch relativ frei und keinen Nachlass der Suffo-
cationserscheinungen (Cyanose, angestrengtes und röchelndes
Athmen, minimaler Puls) zu sehen und Niemanden ist es noch
eingefallen, diese Erscheinungen anders als durch Herzschwäche
in Folge der Schwere der Vergiftung zu erklären. Es ist kein
bischen anders mit den als S e n a t o r’sche Phlegmone bezeich-
neten Fällen. Mitten im Verlaufe der nicht so arg bedrohlich
erscheinenden Rachen- und Kehlkopfsymptome tritt Dyspnoe und
Herzschwäche, oft ganz plötzlich der Tod ein, jedenfalls aber
sind auch bei gutem Ausgang alle Anstrengungen nothwendig,
um dem Organismus über die imminente Gefahr hinwegzu¬
helfen. So und so oft lässt sich nun nachweisen, dass die be¬
treffenden Patienten schon von vornherein unzureichende Herz¬
kräfte zur Ueberwindung der Infektion besessen, so in 2 Fällen
Senators, in dem S c h ä f f e r’s (das Herz war nochmal so
gross als normal; die Herzmusculatur sehr verdünnt, verfettet),
bei Cruveilhier, Dübler, Virchow (Potatorium resp.
chronisches Lungenleiden) oder dass sie dem rekonvalescenten
Herzen zuviel zumutheten (Tod während des Rauchens einer
Pfeife in der Rekonvalescenz, B a r u c h). Der letztere Todesfall
erinnert frappant an die Beobachtungen postdiphtherischer
V aguslähmung.
Das Auffälligste ist den Beobachtern wohl immer der Kon¬
trast der leichten Stenosenerscheinungen am Kehlkopf mit der
unverhältnissmässig grossen, ja zum Tode führenden Dyspnoe
gewesen.
Dass das Herz auch bei geringerer Stenose schon mehr in
Angriff genommen wird, als gewöhnlich, ist aber sicher und ein
schon vorher krankes oder durch die Schwere der Infektion be¬
reits mitgenommenes Herz wird schon durch diese ver¬
mehrte Inanspruchnahme zum Streik veran¬
lasst werden können. So sehen wir Erstickung, durch
Herzinsufficienz, schon in einem Stadium der Stenose auftreten,
das lango noch nicht zur mechanischen Erstickung zugereicht
hätte.
Ich will Ihnen in Kurzem eine sehr instruktive Beobachtung
vorführen, bei der augenscheinlich der Herztod eingetreten wäre,
wenn nicht das, nicht sehr hochgradige, Athmungshindemiss be¬
seitigt worden wäre.
Ein 31 jähriger, recht kräftiger Mann (Gastwlrth) war vor
4 Tagen mit Schwellung lm Rachen und gleichzeitig aussen am
Halse erkrankt, welch’ letztere zuerst unter dem Kehlkopfe sass,
dann beiderseits aufstieg. Schluck- und leichte Athembeschwerden.
Kräfte noch ziemlich erhalten, bei auffällig bleichem Aussehen.
Kiefersperre; Schwellung am Gaumensegel und der linken
Mandelgegend. Eine enorme brettharte Schwellung zog sich wie eine
Ripsencravate vom linken Ohr über den Hals bis zum Sternum,
dann zum rechten Kieferwinkel. Mehrere, thellwelse präparirende
Ineislouen durch das enorm starre Infiltrat waren erfolglos, bis
endlich unter der Fasele vor dem Schildknorpel ein Esslöffel stark
foetiden Eiters gefunden wurde. Das war um 7 Uhr Abends.
Patient war nach dem Eingriff ganz wohl. Um 11 Uhr Nachts
wieder geholt, fand ich Ihn bewusstlos, bleich, cyauotisch, mit
kaltem Schweiss bedeckt, röchelndes stenotisches In- u. Exspiriren,
Puls beschleunigt. Kampher und Hochlagerung der Beine brachten
das Bewusstsein wieder, so dass ich laryngoskoplren konnte: Epi¬
glottis frei, doch starke Schwellung der aryepiglottischen Falten.
Starkes Vorziehen des Unterkiefers Hess die
Athmung frei werden, doch kehrte beim Nachlassen die
Stenose sofort wieder, so dass ich bei neuerdings schwindendem
Bewusstsein rasch den ersten Schnitt durch einen Lappenschnitt
nach rechts erweiterte, das Lig. conicum durchschnitt und eine
Kanüle einführte. Die Athmung wurde dann ruhig, doch blieb der
Puls am folgenden Tage noch sehr klein und frequent. Obgleich
ein Theil der Abscesswand gangraenüs wurde, erholte sich aber
der Puls unter kräftiger Alkoholzufuhr bis zum übernächsten Tage
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23. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1217
zur Frequenz von 60—70 und am 0. Tage konnte auch die Kanüle
entfernt werden.
Wir sehen hier deutlich, wie das Herz eines Potator strenuus,
durch die akute Infektion weiter geschwächt, dem Insult der
verhältnissmässig leichten Stenose nicht mehr Stand zu halten
vermag, wir.sehen die Herzschwäche noch nach dem freien Ab¬
fluss des Eiters und Aufhören der Stenose anhalten, so dass die
Remission des Pulses erst am übernächsten Tage eintritt, sehen
dann die bedrohliche Cyanose nicht durch Kehlkopfstenose,
sondern durch die in halber Bewusstlosigkeit erfolgende Aspira¬
tion des Zungengrundes im Verein mit der Herzschwäche be¬
dingt.
Ist nun diese Schwere der Infektion mit der consecutiven
Herzschwäche etwas so besonderes, dass wir ein Recht hätten,
mit besonderer Betonung von acuter infektiöser Phleg¬
mone zu sprechen? Abgesehen davon, dass es wohl überhaupt
keine anderen als infektiöse Phlegmonen gibt, so ist die Schwere
der Infektion schon immer bei der gewöhnlichen supratonsillären
Phlegmone auffällig. Man weiss, wie kräftige Leute dabei nach
wenigen Tagen schwankende Kinder werden. Und es ist das er¬
klärlich, wenn man denkt, wie der Eiter hier eingepresst in
starres Gewebe, nahe den Hauptgefäss- und Nervenstämmen des
IIalse6, besondere des N. vagus, ununterbrochen zur Resorption
von Toxinen führt.
Auch ist es nicht gerade die Leichtigkeit des Lokalbefundes
gegenüber der Allgemeininfektion, welche eben nur diese Gruppe
von Entzündungen von anderen unterscheidet; sehen wir doch
auch bei der Diphtherie Herztod eintreten, obgleich die locale
Entzündung noch nicht zu schweren Erscheinungen ge¬
führt hat.
Was sollen un9, wird wohl mancher von Ihnen fragen, diese
theoretischen Betrachtungen: ob infektiöse Phlegmone oder ein
anderer Name, das ist wohl ein Streit um Kaisers Bart. Und
doch nicht ganz. Denn nehmen wir diesem Krankheitsbilde durch
Analyse seiner Bedingungen das mystisch Unheimliche, so kommen
wir zu dem praktisch sehr wichtigen Ergebnisse: bei jeder Ent¬
zündung an und im Halse, welche Eiterbildung vermuthen lässt,
möglichst frühzeitig und intensiv nach dem Eiterherd zu suchen.
Die Auffindung desselben wird um so leichter gelingen, wenn
man nach systematischer Erwägung der Einzelsymptome, deren
Bewerthung vorstehende Erörterung zu erleichtern hofft, mög¬
lichst dem Wege der Entstehung des Eitere folgt.
Eine Pflasterbinde für kleinere Wundverbände, als
Ersatz für Mull- und Cambricbinden.*)
Von Dr. Karl Gerson in Berlin.
Oft muss man Verbände machen in einer Ausdehnung, die
in gar keinem Verhältniss steht zur Kleinheit der Wunde. So
z. B. an Bauch, Brust, Genick und Oberschenkel, sowie an den
Gelenken. Handelt es sich um eine schon geheilte Wunde, deren
dünner, frischer Epithelüberzug nur noch kurze Zeit einer
schützenden Decke bedarf, so genügt zur Befestigung des auf¬
gelegten Schutzstoffes (Mullstoff oder Watte) ein einfacher Heft¬
pflasterstreifen. Ist aber eine Wunde zu verbinden, deren Hei¬
lung Wochen und fast täglichen Verbandwechsel erfordert, so
wird ein zur Fixirung des Verbandstoffes benutzter Heftpflaster¬
streifen viel von seiner Klebkraft schon beim ersten Verband¬
wechsel verlieren und beim zweiten durch einen neuen Streifen
ersetzt werden müssen. Dies rührt daher, weil die beiden Enden
des Heftpflasteretreifens beim Verbandwechsel durch öftere Be¬
rührung mit den Fingern viel von ihrer Klebkraft verlieren. Da¬
zu kommt noch, dass das die Wunde dockende Verbandmaterial,
besonders Watte, in feinen Theilen die Pflastermasse auch peri-
pherwürts bedeckt und deren Klebkraft aufhebt. Andererseits
ist auch durch Reibung der Kleidungsstücke ein solcher Heft¬
pflasterverband gefährdet. Um nun einen Heftpflasteretreifeu
wochenlang zum Wund verbände brauchbar zu erhalten, habe ich
denselben an einem zugespitzten Ende mit 2 Bändern —
elastischen oder unelastischen — versehen lassen. Eine solche
Pflasterbinde legt man nun folgendermaassen an: Man zieht zu¬
nächst die Schutzgaze von der Pflasterbinde ab und klebt dann,
ca. 10 cm vor der Wunde beginnend, auf die mit Aether entfettete
•) Demonstration ln der Berliner medic. Gesellschaft vom
12. Juni 1901. Zugleich als „Berichtigung“ des Referates in dieser
Wochenschr. No. 25, 8. 1033.
Haut das eine Ende der Pflasterbinde. Letztere wird nun über
die vorher mit Verbandstoff regelrecht bedeckte Wunde weitor-
geführt und möglichst so, dass der Rest den Anfang der Binde
wieder bedeckt. Ist die Binde dazu zu kurz, so klebt man den
Rest direkt auf die normale Haut; in beiden Fällen bindet man
die Bänder, das eine nach rechts, das andere nach links um das
verletzte Glied schlingend, in einer Schleife zusammen. Stärkeres
Anspannen der Binde ist bei ihrem Anlegen zu vermeiden. Zum
Verbandwechsel resp. Freilegung der Wunde löst man die Schleife
und nur das mit den Bändern versehene Ende der Binde,
während das breite Endo bis zur Heilung der Wunde haften
bleibt; nach Versorgung der Wunde legt man die Binde wieder
an. Bei grösseren Wundflächen benutzt man 2 Binden, die mit
schmalem Saume einander decken. Indem das breite Endo der
Binde bei jedem Verbandwechsel bis zur definitiven Heilung der
Wunde haften bleibt, wird die Klebkraft dieses Theiles der Binde
wochenlang erhalten und ganz ausgenutzt. Aber auch das mit
den Bändern versehene Bindenonde verliert wenig von seiner
Klebkraft, weil dasselbe, ohne mit den Fingern in Berührung
zu kommen, durch Züg an den Bändpm gelöst wird. Sollte
dennoch nach mehrwöchigem Gebrauche die Klebkraft des Bin¬
denendes nachlassen, so wischt man die etwa auf der Pflaster-
mosse klebenden Wattefasern mit Aether sanft ab und ebenso
die Haut. Durch dieses Abwischen mit Aether entfernt man
nur die oberste Schicht der Pflnstermasse, die nun, nach schnellem
Verdunsten des Aethera an der Luft, ihre alte Klebkraft wieder¬
erlangt hat. Die Bänder geben der Binde noch einen besonderen
Halt, indem sie dieselbe fest auf das Verbandmaterial gedrückt
halten und ihre Reibung an den Kleidern verhindern. Feuchte
Umschläge können gleichfalls mit der Pflasterbinde fixirt werden.
Hauptbedingung ist freilich für die Brauchbarkeit der Binde,
dass die mit der Pflastermasse unmittelbar in Berührung kom¬
mende Haut nicht entzündet oder sonstwie.verändert ist. Daher
ist bei Unterschenkelgeschwüren auf varicöser Grundlage die
Pflasterbinde unbrauchbar, weil hier meist die ganze Haut des
Unterschenkels durch den Druck der strotzenden Venen ver¬
dünnt und chronisch entzündet ist. Im Uebrigen aber haben
Vs Jahr lang fortgesetzte Versuche die Vorzüge der Pflasterbinde
hinlänglich dargethan, die auch von Herrn Karewski - Berlin
bestätigt wurden. Diese Vorzüge vor den üblichen Mull- und
Cambricbinden sind hauptsächlich: Grosso Zeitersparnis« beim
Anlegen des Verbandes und Verbandwechsel, Bequemlichkeit für
Arzt und Patienten, Unmöglichkeit des Verrutschens und lange
Brauchbarkeit der Binde. Die Pflasterbinde wird unter dem
Namen „S i m p 1 e x b i n d e“ von der chemischen Fabrik
P. Beiersdorf & Co. in Hamburg hergestellt. Bei Gelenk¬
verbänden ist behufs Erhaltung freier Beweglichkeit der Gelenke
die elastische Pflasterbinde (conf. K. Gerson: Elastische
Pflasterbinden; Therapie der Gegenwart, Februar 1901) der Sim¬
plexbinde vorzuziehen, dessgleichen bei Asthmatikern, die eines
Brustverbandes bedürfen. Wer dio beängstigende Athemnoth der
Asthma- und Emphysematiker einmal beobachtet hat, die ihnen
ein starrer Bindenpanzer aus Mull oder Cambricbinden oft ver¬
ursacht, der wird den einfachen elastischen Bindenverband zu
würdigen wissen, der jeder Ausdehnung des Thorax nacligibt
und seiner Athmung freien Spielraum lässt.
Die Beleuchtungsanlagen in den Erziehungs- und
Unterrichtsanstalten.
(Schluss.)
II. Gutachtliche Aeusserung der medicinischen Fakultät
München (Verfasser: k. TIniversitätsprofessor Dr. Evers-
husch) vom 28. November 1900.
Den ln dem Gutachten des k. Generalarztes Dr. S e g g e 1 vom
22. Juni 1900 ausgeführten Darlegungen können wir auf Grund
reiflicher Erwägung aller In Betracht kommenden Umstünde Im
Allgemeinen nur beistimmen, so dass wir es unterlassen dürfen,
bereits Gesagtes nochmals zu wiederholen.
Auch die an die sorgfältige Begründung angefügten Schluss¬
folgerungen decken sich der Hauptsache nach mit den Anschau¬
ungen. die wir uns über die vorwürflge Frage gebildet haben.
Wir dürfen dabei wohl auch darauf hinweisen, dass diese
nicht allein auf theoretischer Grundlage beruhen, sondern auch auf
praktischer Erfahrung, wie sie u. A. auch einem von uns
(Eversbusch) aus seinem früheren Wirkungskreis zu Gebote
steht.
So wurde Im Jahre 1S98 die künstliche Beleuchtung des Hür-
sanles der Erlanger Universitätsklinik für Augeu-
4*
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1218
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30.
kranke erstmalig mit Auerllcht durchgeführt in der von Pro¬
fessor Dr. Prausnltz - Graz 1J ) angegebenen Art: „möglichst
hoch aufgehangene Beleuchtungskörper mit kegelförmigen Licht¬
schirmen, die mit der weiten Oeffnung nach oben angebracht das
ausgestrahlte Licht zum grösseren Theil nach oben werfen, zum
kleineren Theil direct nach unten durchlassen.“
Da sich die Beleuchtung auf das vortrefflichste bewährte,
wurden in der gleichen Welse ln Erlangen in demselben und in
dem darauffolgenden Jahre der Hörsaal des hygleniscli-
bacterlologischen Institutes, derjenige im phar¬
makologisch-poliklinischen Institute und sechs
Hörsäle, darunter die grossen Auditorien 1 und
9 des Universitäts -Kollegiengebäudes beleuchtet.
Ueber den der maligen Zustand der neuen Einrichtungen
liegen uns folgende Berichte vor:
Der Direktor des erstgenannten Institutes, Prof. Dr. II e i m,
schreibt am 14. Nov. d. Ja.: „Mit der Hörsaalbeleuchtung bin ich
recht zufrieden. Die Plätze haben genügende Helligkeit und
werden nicht durch merkliche Schatten beim Schreiben etc. beein¬
trächtigt.“
Professor Dr. Penzoldt tlieilt am 12. Nov. 1. Js. mit. dass
die Beleuchtung des Hörsaales lm pharmakologisch-poliklinischen
Institute auch jetzt noch, d. h. über Jahresfrist, unverändert gut
funktionirt, „was wohl daher kommt, dass die Glühstrümpfe ruhig
stehen und wenig abgenutzt werden. Klagen über Reizung der
Augen und Ermüdungserscheinungen sind mir nicht zu Ohren
gekommen.“
Der Verwaltungsausschussreferent für das Beleuchtungs¬
wesen der Universität Erlangen, Professor Dr. K o 1 d e, stellte
Anfangs dieses Monats „noch einmal, soweit es ihm möglich war,
Umfrage bei Kollegen und Studenten an. Sie sprachen sich über
die neue Beleuchtung in den oben erwähnten Hörsälen des Uni¬
versitäts-Kollegiengebäudes sehr günstig aus. Sie haben ferner¬
hin keinerlei unangenehme Erscheinungen, Reizzustiinde u. s. w.,
beobachtet. Dnsselbe muss ich bestätigen. Ich lese jetzt den
zweiten Winter in einem so beleuchteten Raum.“ Bemerkt sei
hiezu, dass alle bisher aufgeführteu Hörsiile eine lichte Höhe von
4,35 bis 5,0 m besitzen.
Ferner wurde 1897/98 diese Beleuchtungart in allen Vor¬
trags- und Zeichensälen, sowie in dem Kunst¬
stickereisaal der k. k. Staatsgewerbeschule zu
Graz eingerichtet, also in Lehrriiumen, in denen Architektur¬
zeichnen, kunstgewerbliche Arbeiten der ver¬
schiedensten und denkbar feinsten Art ausgeführt
werden. Laut XXIII. Jahresbericht dieser Anstalt (vergl. S. 9 und
10 für das Schuljahr 1898/99) „hat sich die Installation des Auer-
sehen Gasglühlichtes vortrefflich bewährt und entspricht die
jetzige künstliche Beleuchtung dieser Lokalitäten allen Anforde¬
rungen, welche vom Standpunkt der Hygiene an eine solche ge¬
stellt werden müssen.“
Auch ln einer Zuschrift vom 15. Nov. d. Js. hebt der Direktor
dieser Staatsgewerbeschule, Professor L a n z 11, hervor, dass sich
die Beleuchtung ausserordentlich bewährt hat, und bei dem Ge¬
brauche sich keinerlei Missstände ergeben haben. „In den Zelcheu-
sälen wirkt diese Beleuchtung so vorzüglich, dass sie geradezu der
Tagesbeleucbtung überlegen erscheint.“
Alle diese Berichte erscheinen uns insofern belangreich, als
sie geeignet sind, die sogen, gemischte Beleuchtung als
vollkommen brauchbar für die verschiedenen Arten des
Unterrichtes (Anschauungs-, Schreib- und Zeichen¬
unterricht) zu kennzeichnen; wenn auch zuzugeben ist, dass die
rein indirecte Beleuchtung mittels Metallreflek-,
t o r e n, soweit es sich lediglich um den Beleuchtungs¬
effekt handelt, bei vergleichsweiser Installirung an den von
uns erwähnten Stellen durch ihre Gleichmässigkeit die gemischte
zweifellos noch übertroffen hätte.
Jedoch ist nicht ausser Acht zu lassen, dass bei der Verwen¬
dung von Metallrellektoreu ganz erheblich mehr Licht ge¬
braucht wird, als bei der von Milchglasschirmen. Es sind also,
wenn elektrisches Bogenlicht nicht ln Betracht kommt — was
jedenfalls Metallschirme erfordert — die Kosten erheblich höher.
Auch ist keinesfalls zu unterschätzen, dass bei dem Gebrauch von
Metallreflektoren die Verunreinigung der Luft und die Steigerung
der Temperatur in dem betreffenden Raume dem Mehrverbrauch
von Auerllcht entsprechend bedeutender sein werden.
Ein weiterer Uebelstand der Metallschirme ist, dass ihre
Innenfläche von unten nicht sichtbar ist. Die mehr oder minder
starke Absetzung von Staub auf derselben entzieht sich also der
directen Beurthellung, und dürfte sich somit dem Beaufsichtigungs¬
personal die Nothwendigkeit einer Reinigung der zudem schlecht
zugänglichen Metallschirme zumeist erst dann gebieterisch auf¬
drängen, wenn sich als Folge der Staub- etc. Ansammlung eine
erheblichere Einschränkung des Lichteffektes
herausstellte.
Wir müssen daher bei Verwendung von Auerllcht
die gemischte Beleuchtung der rein indirecten
als praktisch ebenbürtig erachten, da sie mit ge¬
ringeren U n te rh al t s k o s te n verknüpft und frei
Ist von den eveut. durch grösseren Gaskonsum
,r ) Archiv für Hygiene, Bd. 28, und Journal für Gasbeleuchtung
1897, S. 577.
bedingten Nebenwirkungen, sowie gemäss den bis¬
herigen Erfahrungen allen Anforderungen genügt, wenn
andere einmal die Lampen in genügender Zahl angebracht
bezw. auch gut vertheilt sind, und andererseits der Anstrich
der Decken und der oberen Theile der Wände In der im vorliegenden
Gutachten des Generalarztes Dr. S e g g e 1 (vergl. S.—) angegebenen
Weise — nach den Erfahrungen in Erlangen wjire ein An¬
strich mit Magnesia alba besonders vortheilhaft — bethätigt
wurde.
Es empfiehlt sich dabei die Anbringung von sogeuannteu
Permanentbrennern, die zu Beginn der betref¬
fenden Sch ul periode äuge zündet und erst nach
Beendigung derselben wieder ausgelöscht wer-
d e li. Der damit verknüpfte minimale Mehrverbrauch an Gas —
nur für die Unterrichtsstunden ist das die volle
Flamme gewährende Ventil geöffnet — wird mehr
denn reichlich aufgewogen durch die bei jedesmaliger Anzündung
der Auerlampe stattflndeude Erschütterung des Lichtstrumpfes
und die daraus resultirende Abbröckelung der Imprägnirungsmasse,
die dementsprechend einer früheren Abnützung des Lichtstrumpfes
mit der damit verbundenen Verminderung des Beleuchtungs¬
effektes Vorschub leisten.
Handelt es sich um Lehrräume, in denen auf einer
feststehenden Wandtafel Demonstrations¬
zeichnungen oder grössere Zahlenreihen, so-
w i e Schreibproben den Schülern vorgeführt zu werden
pflegen, möchte sich ausserdem zur Verstärkung der Helligkeit
die Anbringung eines aus Blech gefertigten, an der gegen die
Hörer zu gerichteten Aussenfliiclie mit schwarzem Lack, an den
gegen die Tafel zu sehenden Innenflächen mit weisser Lackfarbe
gestrichenen und mit weissem Lack Überzug versehenen Reflektors
empfehlen, der mit mehreren Auerlampen versehen ist (vergl. Ab¬
bildung B, (.5, D).
Abbildung B. Abbildung C.
Abbildung' D.
n Wand-Tafel-Reflektor, Ansicht von vorn,
<’ ,, ,, senkrechter Durcl schnitt,
D ,, „ Ansicht von oben.
Diese Einrichtung erwies sich in dem Höreaal der Erlanger
Universitätsaugenklinik bei mehrjährigem Gebrauch als äusserst
zweckmäsig. Ebenso funktionirt die seit Kurzem in dem Hörsaal
der hiesigen Uuiversitätsaugenklinik angebrachte gleiche Einrich¬
tung auf das Beste.
Schliesslich erklären wir ausdrücklich unsere Zustimmung zu
den im Gutachten des k. Generalarztes Dr. Seggel aufgestellten
Grundsätzen mit Ausnahme der No. 1, welche nach unserer Auf¬
fassung folgendermaassen zu lauten hätte:
(Folgt eine Formulirung der Ziffer 1 der den Dr. Seggel-
sehen Schlussfolgerungen am Ende beigefügten Reihenfolge.)
Als Nachtrag bringen wir noch einige Grundrisse von Hör-
sälen Erlanger Institute In Vorlage, die darthun, in welcher Weise
die als Beispiele angeführten Beleuchtungselnrlchtungen des Ge¬
naueren zur Verwirklichung gebracht wurden (s. die Grundriss¬
zeichnungen E».
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MUENCHENER MEDICINISC1IE WOCHENSCHRIFT.
121 !)
23. Juli 1901.
Skizzen über die Hörsäle in der kgl. Universität Erlangen, in welchen gemischt indirecte Beleuchtung
angebracht ist.
1. Hör*aal in der kgl. Augenklinik. (Nordlage.)
Decke mit Zinkwelu, Wände von Decke aus anf eine Höhe von 2,86 m mit
weissein Emaillack und die übrige Höhe von 1,66 m als Sockel in brauner Oel¬
farbe gestrichen.
Grundriss. Schnitt.
2. Höraaal im pbarmakologiacben Institut. (Nord-Ost-Lage.)
Decke mit Zlukweiss, Wände von Decke aus 8,20 m hoch mit weissem Emaillack,
die übrige Höhe von 1,36 m als 8ockel ln brauner Oelfarbe gestrichen.
Grundriss. Schnitt.
m. Gemeinsame Aeuuenwg der beiden Referenten
Dr. Segge 1 und Dr. Eversbusch vom 1. Mai 1901
mit den Dr. S e ggel’schen Schlussfolgerungen in ihrer end-
giltigen Redigimng.
Nachdem zwischen den beiden vorliegenden Gutachten nur
bezüglich des Vorzuges der gemischt lndirecten Beleuchtung mittels
A u e r’schen Glühlichtes gegenüber der rein indirecten eine diver-
girvnde Ansicht besteht, so haben wir uns gegenseitig benommen,
uiu weun möglich zu einem völlig gleichen Ausspruch in den
Schlussfolgerungen zu gelangen.
Wir sind zu diesem Zweck Uberelngekommen, die strittige
Frage durch einen hygienischen Fachmann experimentell prüfen
ru lassen, da wir beide eigene Erfahrungen nur über die gemischt
Indirecte Beleuchtung und zwar mit reichlich bemessener Anzahl
von Auerlampen (Verhältniss etwa 1:6 qm Bodenfliiche) gemacht
hatten und wir uns hinsichtlich der rein indirecten Beleuchtung
Mangels eigener Erfahrung auf die Mitthellungen Anderer ge¬
stützt haben. Zudem hatte Professor Eversbusch über die
mi'iseht indirecte Beleuchtung — wie anzunehmen, in Folge
besserer Gaseinrichtung — sehr günstige, Generalarzt S e g g e 1
weniger günstige Beobachtungen gemacht Für letzteren waren
ferner zwei Gründe bestimmend, sich mehr zu Gunsten der rein
indirecten Beleuchtung auszusprechen, nämlich
1. Professor Prausnitz, der Verfechter der gemischt In¬
direkten Beleuchtung, stellt ln seiner im Segge l’schcu Gutachten
angeführten ersten Abhandlung, entsprechend seinen damaligen
H'lligkeitsprüfungen, sehr geringe Anforderungen an die Platz-
Iielliekeit nämlich nur eine solche von 7—8 Meterkerzen, während
*"‘*t allgemein 10 Meterkerzen als Minimum gefordert werden.
• >l>erdies genügt selbst diese Helligkeit nicht zum einwonds-
fre+en Lesen von Karten und alten Wörterbüchern etc.
2. Berichteten sowohl der als Autorität ln Beleuchtungs¬
frage geltende Hygieniker Professor E r 1 s m a n n wie die im
Gutachten angeführten Wiener Beobachter Buscheck und
Burgerstein über grössere Helligkeit der Plätze bei rein
lodirecter Beleuchtung und lassen ihren Mittbeilungen überdies
entnehmen, dass bei der rein Indirecten Beleuchtung weniger
Auerlampen nothwendig sind.
Professor der Hygiene Prausnitz In Graz hat sich nun
auf unser Ersuchen in dankenswertester Weise der grossen Mühe
unterzogen, beide Beleuchtungsarten experimentell zu prüfen und
zwar führte er dies
1. in vergleichender Welse in dem früheren Versuchszimmer
dos alten hygienischen Institutes ln Graz, nun aber unter
höherem Gasdruck, der bei Auerlampen von grossem Ein¬
fluss auf die Helligkeit ist, und
2. durch Kontrolversuche in den Wiener Normalschulzimmern,
Aber deren Beleuchtung Bascheck und Burgersteln
•o Günstiges berichtet hatten, aus.
3. Hörsaal III im Collegienbaas. (Nordlage.)
Decke mit Zinkweis, Wände von Decke aus aut 3,3t m Höhe abwärts mit Zinlc-
weiss, Sockel 1,70 m hoch mit hellbrauner Leimfarbe gestrichen.
Grundriss. Schnitt.
4. Höraal im hygienisch-bakteriologischen Institut. (Nordlage.)
Decke mit gewöhnlicher Kalkweiss, Wände von Decke abwärts auf 2,66 m Höhe
in heller Tou-Lelmfarbe mit Fries und Linien. Sockel 1,70 m hoch mit hellbrauner
Oelfarbe gestrichen.
Grundriss. Schnitt.
P r a u s n 11 z's ganz objektiv gemachte und berichtete Ver¬
suche lassen nun entnehmen,
ad 1. dass bei höherem Gasdruck die Helligkeits¬
messungen für die gemischt indirecte Beleuchtung bessere Resul¬
tate ergaben, nämlich statt 8,9 Meterkerzen im Jahre 1897 nuu
13,8 Meterkerzen im Mittel und bessere als bei rein indirecter Be¬
leuchtung mit Bleckschirmen, ferner
ad 2. dass die Mittlieilungen der obengenannten Wiener Be¬
obachter über die Helligkeit der Arbeitsplätze bei rein indirecter
Beleuchtung nicht richtig sind, indem zwar die Helligkeit der
Plätze sich ein wenig Uber das Mittel der zuerst von Pr. beob¬
achteten (8,9 Meterkerzen) erhebt, wenn die Blechschirme neu und
glänzend sind, aber weit unter dasselbe sinkt, wenn die Schirme
nach längerem Gebrauch durch den unvermeidlich abgesetzten
Staub matt geworden sind. Die Beleuchtung sei dann eine völlig
ungenügende.
Nach unserer Beider endgiltigen und nunmehr vollständig
übereinstimmenden Anschauung gelangten wir dann zu nach¬
stehenden gemeinsamen
Schlussfolgerungen.
Die hygienischen Anforderungen an eine künstliche Beleuch¬
tung sind:
1. Die Luftverderbnlss durch Sauerstoffentzug und durch Pro¬
dukte der vollkommenen und unvollkommenen Verbrennung der
Leuchtstoffe soll möglichst gering sein.
2. Durch die künstliche Beleuchtung darf keine wesentliche
Temperatursteigerung durch die heissen Verbrennungsgase und
W'asserdämpfe im beleuchteten Kaum verursacht werden.
3. Die Wärmestrahlung der Lichtquellen (dunkle Strahlen) muss
eine möglichst geringe sein, auch müssen Lichtquellen, die einen
grossen Glanz besitzen oder durch Vorherrschen der kurzwelligen
(chemischen) Strahlen Blendung verursachen, dem Auge entrückt
sein.
4. Ein Zucken der Lichtquellen — abwechselnde Zu- und Ab¬
nahme der Lichtintensität — darf nicht stattflnden, die Lichtquelle
muss überhaupt von konstanter Intensität sein.
5. Neben genügender Flächenbelllgkelt der Arbeitsplätze —
10 Meterkerzen für gewöhnliche, 15—25 Meterkerzen für feinere
Arbeiten — soll auch eine gute nicht kontrastirende Raumbeleuch¬
tung bestehen und soll überhaupt eine glelchmässlge Verthellung
des Lichtes ohne störende Schattenhlldung vorhanden sein.
Hiezu tritt noch die weitere Forderung, dass die Kosten der
Einrichtung und des Betriebes keine zu hohen seien, die Beleuch¬
tung möglichst billig sei.
Nach diesen Grundsätzen ist von künstlicher Beleuchtung
mittels Petroleum u ) und Leuchtgas ln Form von offenen (Schmetter-
“) In Anstalten, ln welchen Gas und elektrischer Strom nicht
erhalten werden kann, müsste allerdings auf das Petroleum zu-
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1220 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30.
lings-) Flammen und Argandbrennern überhaupt abzusehen und
erhält die indirecte Beleuchtung vor der dlrecten den Vorzug.
_ Die indirecte Beleuchtung, welche- darin beruht, dass das den
Beleuchtungskörpern entströmende Licht nicht direct zu den ein¬
zelnen Flätzen gelangt, sondern durch Reflektoren entweder ganz
oder nur theilwelse nach der Decke und nach den Wänden ge¬
worfen und von dort aus nach allen Richtungen vertheilt wird,
erfordert etwas grössere Einrichtungs- und Nebenkosten. Letztere
sind dadurch gegeben, dass bei indirecter Beleuchtung, um das
Licht besser reflektlren zu können, die Decke und die oberen zwei
Drittel der Wände, ebenso ThUren und Fensterrahmen einen An¬
strich mit welssem Emaillack oder dem billigeren Zinkweiss, der
Sockel der Wände (unterstes Drittel) einen braunen bezw. hell¬
braunen Anstrich mit Oel- oder Leimfarbe erhalten '*) und dieser
Anstrich je nach Heizmethode und BodenbeschafTenheit (Rauch
und Staub) alle 2—3 Jahn? erneuert werden muss, auch müssen
die bei Nacht dunklen Fenster dichtgewirkte, weisse Vorhänge er¬
halten. Dazu treten dann noch die etwas höheren Kosten für Rei¬
nigung und Instandhaltung der Schirme da wo Arbeitspersonal hie-
für nicht schon zur Verfügung steht.
Die direete Beleuchtungsform erfordert dagegen grösseren
Gas- und Stromverbrauch wegen der erforderlichen grösseren Zahl
von Lampen, da höher hängende ungeschützte Lampen, bei wel¬
cher Anordnung die Zahl nicht grösser zu sein brauchte, als bei
Indirecter Beleuchtung, einerseits durch Blendung, andererseits
durch die Schattenbildung störend wirken.
Die Reihenfolge, In welcher künstliche Beleuchtung
sich bei dem jetzigen Staude der Beleuchtungsfrage empfiehlt, ist
demnach folgende:
1. Auer’sches Glühlicht als indirecte Beleuch¬
tung ,s ) und zwar in erster Linie
a) als gemischt indirecte mittels kegelförmiger Milch¬
glasschirme, unter der Flamme angebracht und mit der weiten
Öeffnung nach oben gerichtet (oberer Durchmesser 25, unterer 0,
Höhe 12,5 cm) in Räumen, die mindestens 3 m Höhe haben;
in zweiter Linie
b) als rein indirecte mittels Metallreflektoreu mit oben
blauk glänzender (polirter) oder weiss emaillirter Fläche (obere
Öeffnung von 00 cm und Neigung von 22° ln Räumen, die nicht
höher sind als 4 m.
Die unter a und b angeführte Art der Beleuchtung ist die
billigste, da die etwas grösseren Einrichtungskosteu durch den
geringeren Gasconsum ersetzt werden, und empfiehlt sich besondere
da, wo schon Gasbeleuchtung besteht. Bei beiden Arten von Re¬
flektoren ist Auerlicht auf ü—12 qm Bodenfläche, je nach Verwen¬
dung des Raumes für feinere oder gröbere Arbeiten, für Zeichensäle
oder Auditorien zu rechnen. Ausserdem ist die Zahl der Lampen
noch abhängig vom vorhandenen Gasdruck. Der Beleuchtungs¬
körper soll Ira Mittel 3 m (zwischen 2,5 und 3,5 m, je nach Höhe
des Raumes) Uber dem Fussboden angebracht sein. Von Wichtig¬
keit ist ferner die richtige Vertheilung der Lampen.
2. Elektrisches Bogenlicht 1 *) als indirecte Be¬
leuchtung mittels grosser Metallreflektoren oder der neuen
Sch ucker t’schen Bogenlichtlaternen. Diese Beleuchtungsart
gibt das intensivste, dem Tageslicht am meisten gleichkommende
Licht und tritt an erste Stelle, wenn bei Anschluss au eine kräftige
Centrale mit Wechselstrom gleichmässlges Brennen sicher ge¬
stellt ist. Die Kosten der Einrichtung sind nicht höher als bei
der erstangeführten Beleuchtungsart und auch der Geldbetrag für
den Gesammtkonsum kein erheblich höherer, bei billigem elek¬
trischem Strom unter Umstünden sogar geringer. In sehr hohen
Räumen — von 5 m und mehr Höhe ist das elektrische Bogenlicht
dem Aue r’sclien Glühlicht vorzuziehen. Erforderlich ist eine
Lampe von 10 Ampöre auf 43 qm Fläche, 2 Lampen von 6 Ampöre
auf 50—G0 qm Fläche. Das Bogenlicht erfordert sehr aufmerk¬
same Bedienung.
3. Aue r’sches Glühlicht ln Form der dlrecten Beleuch¬
tung mit Augen8Cliützern oder Schirmen, empfiehlt sich in Räumen,
welche nur zum Tlieil benützt werden oder bei einer kleineren
Anzahl von Schülern, ferner da, wo nach Gipsmodellen gezeichnet
wird.
4. Das elektrische Glühlicht in Form der dlrecten
Beleuchtung, kann Anwendung finden unter gleichen Verhältnissen
wie das A u e r'sche Glühlicht sub 3, steht hinter demselben aber
zurück, da es sich dem Tageslicht weniger nähert als dieses und
etwas mehr Wärmestrahlung hat, namentlich aber, well es ganz
rückgegriffen werden und wäre hier das nicht theuere Petroleum-
gliihiicht in Betracht zu ziehen.
“) InZimmern, welche sehrhellesTageslichthaben(SUdlage etc.)
und ln denen das glänzende Weiss der Decke und Wände an sonnigen
Tagen Blendung verursachen würde, empfiehlt sich inattweisser
Anstrich der Decke und des oberen Drittels der Wände und sehr
hellgrüner des übrigen Thelles der Wände. Entsprechend der
geringeren Reflexwirkung ist die Zahl der Lichtquellen dann etwas
zu erhöhen.
“) In Hörsälen mit feststehenden Wandtafeln, Insbesondere in
solchen, in denen die Wandtafel zur Aufnahme von Zeichnungen,
Zahlenreihen und Schriftmustem dient, empfiehlt sich eine be¬
sondere Beleuchtung der Wandtafel mittels einer mit Auerlicht
beleuchteten Reflektoreinrichtung, die vor den oberen Theilen der
Wandtafel angebracht wird.
,e ) Elektrische Bogenlampen müssen, auch wenn sie zu in-
diiveter Beleuchtung dienen, eine schützende Hülle haben. Am
zwcckmässigsten sind die sogen. Holophanglocken.
erheblich tlieurer ist als das Auerlicht (das elektrische Glülilicät
ist auch theurer als das elektrische Bogenlicht). Dagegen empfiehlt
sich das elektrische Glühlicht gegenüber dem Aue rischen da¬
durch, dass es die Temperatur des Raumes nicht erhöht, die Luft
nicht verschlechtert und am leichtesten zu bedienen ist.
Die ereteren beiden Vorzüge hat auch das elektrische Bogen¬
licht vor dem Auerlicht in indirecter Anwendung. Letzteres er¬
fordert daher gegenüber dem elektrischen Lichte häufigere Lüf¬
tung der Räume.
Referate und Bücheranzeigen.
A. v. Strümpell: Ueber den medicinisch-kliniflchen
Unterricht. Sondernbdruck aus der Festschrift der Universität
Erlangen zur Feier des 80. Geburtstages des Prinzregenten Luit¬
pold von Bayern 1901.
Für den vielfach ungenügenden Ausfall der ärztlichen Appro¬
bationsprüfung findet Verfasser den Grund zum Theil darin,
dass das eigentliche Studium unter dem „Studententhum“ oft
schwer leidet, und dass sich dem akademischen Studium manche
junge Leute zuwenden, die für diesen schwierigen Beruf über¬
haupt nicht geeignet sind. Andererseits ist aber auch die jetzige
Organisation des medicinischen Unterrichts nach mancher Rich¬
tung unzureichend. So treten die Studirenden in die medi-
cinische Vorprüfung (Tentamen physicum) und daher auch in das
klinische Studium mit ungenügenden Kenntnissen ein, nament¬
lich in Bezug auf die Chemie, aber auch mit mangelhafter Vor¬
bildung in der Anatomie und Physiologie. Es muss daher die
Studienzeit vor dem Eintritt in die Kliniken um ein Semester ver¬
längert und möglichst vollkommen und methodisch ausgenützt
werden. Um dies zu erreichen, soll nach St.’s Ansicht die Vor¬
prüfung getheilt, und zwar am Ende des 3. Semesters eine natur¬
wissenschaftliche Prüfung (in Physik, Chemie, Botanik, Zoologie)
am Ende des 5. eine solche über Anatomie und Physiologie ab¬
gehalten werden, an die sich eine praktisch-chemische Prüfung
anschliesscn könnte. Durch entsprechende Steigerung der An¬
forderung in dem 2. Theile der Vorprüfung würde die nochmalige
Prüfung in Anatomie und Physiologie im Rahmen des Appro¬
bationsexamens entbehrlich werden. Durch eine weise Ver¬
theilung des Lehrstoffes könnte eine Ueberbürdung vermieden
werden. Verfasser stellt einen genauen Studienplan für die
ersten 5 Semester auf, nach welchem auf die Woche nur 20 bis
24 Stunden Vorlesungen und Kurse kommen. Bei dieser Ein-
theilung würde den Studirenden noch Zeit bleiben, allgemeinere
Interessen, wie geschichtliche, literarhistorische, kunstgeschicht¬
liche etc. Studien, zu pflegen und sich insbesondere mit Geschichte
der Philosophie, Psychologie, Sozialwissenschaft, technischen
Wissenschaften zu beschäftigen und im Zeichnen auszubilden.
Im Anschluss hieran macht der Verf. beherzigenswertho Vor¬
schläge für die Handhabung der praktischen Kurse in der Ppysik,
Chemie, Physiologie und Anatomie.
Nach bestandener Vorprüfung soll der Studirende nicht als¬
bald Kliniken besuchen, vielmehr soll das sechste Semester durch
Vorlesungen über allgemeine Pathologie und klinische Propae-
deutik (allgemeine klinische Symptomatologie undüntersuchungs-
melhoden), sowie durch einen praktischen Kurs der letzteren, ev.
auch durch eine Vorlesung über allgemeine Chirurgie ausgefüllt
sein. Im 7. Semester hat sodann der Besuch der Kliniken zu be¬
ginnen, wobei die medicinische Klinik den Grundstock der gc-
sammten ärztlichen Ausbildung bilden muss. Verf. führt des
Weiteren aus, wie der klinische Unterricht nach seiner Ansicht
gehandhabt werden soll; er hält die Zahl von drei Semestern für
die medicinische wie für die chirurgische Klinik bei der Fülle des
zu bewältigenden Stoffes für unumgänglich nothwendig. Zur Er¬
gänzung des Unterrichtes in der Klinik, deren Schwerpunkt Str.,
wie er eingehend begründet, in der wissenschaftlichen und nicht
in der praktischen Unterweisung erblickt, müssen praktische
„Kurse“ und der poliklinische Unterricht dienen. Der letztere
ist nur für die älteren Semester bestimmt, die bereits die klini¬
schen Semester hinter sich haben; zwei poliklinische Semester
sollen obligatorisch sein. Bei guter Einrichtung und ausreichen¬
der Benützung des poliklinischen Unterrichts, der in das 10. und
11. Semester fallen würde, wäre nach des Verfassers Ansicht die
Einführung eines „praktischen Jahres“ nicht nothwendig.
Nach einigen Bemerkungen über den Unterricht in der chi¬
rurgischen, gynäkologischen, ophthalmiatrischen Klinik und den
verschiedenen Specialfächera ko mm t. Verf. zu der Forderung
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23. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1221
eines 12 semesterigen Gesammtstudiums (unter Vermeidung des
praktischen Jahres) und stellt einen Lehrplan für die 7 klinischen
Semester auf.
Schliesslich fasst Str. seine Verbesserungsvorschläge in
folgenden Sätzen zusammen:
1. Einführung eines systematisch geordneten
Studienplans für den gesammten medicinischen Unter¬
richt und Sorge für eine genügende Einhaltung desselben.
2. Gründlichere Vorbildung der Studirenden für den
klinischen Unterricht durch Verlängerung der Studienzeit bis
zur ärztlichen Vorprüfung auf 5 Semester. Einführung von
praktischen Kursen in allen vorbereitenden Hauptfächern, vor
Allem in der Chemie.
3. Zweitheilung der ärztlichen Vorprüfung. Der
erste Theil (Physik, Chemie, Botanik, Zoologie) wird an’s Ende
des dritten Semesters gelegt, der zweite Theil an’s Ende des
fünften Semesters.
4. Einführung eines klinisch-propaedeutischen
Semesters und bessere Organisation des klinisch-propaedeu¬
tischen Unterrichts.
5. Ausdehnung des klinischen Unterrichts auf
6 Semester, unter welcher Bedingung allein die Einfügung der
Specialkliniken in den allgemeinen Studienplan möglich ist.
Ergänzung der mehr wissenschaftlich-theoretischen Ausbildung
in den Kliniken durch gut organisirte praktische Kurse
und durch ausgiebige Verwerthung des poliklinischen
F nterrichts.
Mag man auch in einzelnen Punkten, z. B. in der Zwei¬
teilung der ärztlichen Vorprüfung, anderer Meinung sein wie
der Verf., so wird man doch den meisten seiner wohldurchdachten
Ausführungen unbedingt zustimmeu. Wie den Referenten, so
wird es manchen akademischen Lehrer und praktischen Arzt
interessiren, die in ansprechender Darstellung niedergelegten An¬
schauungen des Erlanger Klinikers kennen zu lernen.
S t i n t z i n g.
M. Hofmeier: Handbuch der Frauenkrankheiten.
Zugleich als 13. Auflage des Handbuches der Krankheiten
der weiblichen Geschlechtsorgane von Karl Schroeder.
Leipzig, F. C. W. Vogel, 1901.
Das Schroede rische Lehrbuch erscheint in dem vor¬
liegenden Bande in 13. Auflage. II o f m e i e r, welcher nun
zum 5. Male die Herausgabe dieses bewährten Lehrbuches be¬
sorgt hat, hat es mit Recht nicht mehr für angängig gefunden,
das Werk unter Schroede ris Namen herauszugeben, da in
den 14 Jahren seit Schroederis Tode die Gynäkologie wohl
in allen ihren Theilen derartige Wandlungen durchgemacht hat,
dass es unumgänglich nothwendig ist, dass der Herausgeber, den
veränderten Verhältnissen entsprechend, persönlich zu den ein¬
zelnen Fragen Stellung nimmt. Dabei sei aber sofort besonders
hervorgehoben, dass es Hofmeier in trefflicher Weise ge¬
lungen ist, die der Neuzeit entsprechenden Aenderungen in pietät¬
voller Weise durchzuführen, wie es bei den wissenschaftlichen
und persönlichen Beziehungen des Herausgebers zu dem ursprüng¬
lichen Verfasser des Werkes nicht anders zu erwarten war. So
ist von dem ursprünglichen S c h r o e d e rischen Werke nicht
nur das Gerüste, sondern auch ein grosser Theil des Textes
stehen geblieben, wobei durch zahlreiche Aenderungen und Zu-
thaten in den einzelnen Kapiteln das Lehrbuch eine durchaus
moderne Form gewonnen hat.
Ebenso ist besonders anzuerkennen, dass es trotz der gründ¬
lichen Umarbeitungen dem Herausgeber gelungen ist, den Um¬
fang des Lehrbuches nicht wesentlich zu vermehren, so dass einer
der Hauptvorzüge des Schroede rischen Buches, die Prägnanz
und Klarheit des Ausdrucks mit kompendiösem Umfang des
Buches, trefflich gewahrt bleibt.
Dass das Lehrbuch, nachdem es aus dem Rahmen deä
v - Z i e m 8 s e n’schen Handbuches herausgenommen ist, nun¬
mehr unter dem Titel eines Lehrbuches der Frauenkrankheiten
erscheint, ist sachlich durchaus gerechtfertigt. Für die Um¬
arbeitung selbst bezw. für die entsprechende Ausstattung des
Buches bürgt der Name des Herausgebers und Verlegers. Wir
zweifeln nicht, dass es dem Herausgeber gelungen ist, das alt¬
bewährte Schroede rische Werk in seiner neuen Form der
deutschen Literatur auf lange Jahre zu erhalten.
F r o m in e 1.
V. Oven, Oberstleutnant und Chef des Generalstabes des
VIII. Armeekorps: Taktische Ausbildung der Sanitätsoffiziere.
Mit Skizzen im Text, 1 farbigen Signaturtafel und 2 Karten.
Zweite verbesserte Auflage. Berlin 1901, Verlag von R. Eisen¬
schmidt, Verlagsbuchhandlung für Militärwissenschaft im
Armee- und Marine-Hause.
Bis vor Kurzem war die Ausbildung der Militärärzte eine
rein fachwissenschaftliche, seit einigen Jahren jedoch findet der
Gedanke praktische Anwendung, den Militärärzten in eigens zu
diesem Zwecke angeeetzten Versammlungen, sei es in Gestalt von
Kriegsspielen oder Uebungsrittcn Gelegenheit zu geben, den
Rahmen näher kennen zu lernen, in dem sie im Kriege ihres
Amtes zu walten haben.
v. Oven hat im Jahre 1898 einen Ausbildungscursus mit
Sanitätsoffizieren des Gardecorps, welcher im Winter mit Kriegs¬
spiel begann und im Frühjahr mit einem 3 tägigen Uebungsritt
endete, geleitet. Dieser Kurs gab O. seinerzeit die Anregung
zur Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit. Gegenwärtig liegt
bereits die zweite Auflage vor uns.
In eigenen Kapiteln sind behandelt: der schriftliche Ver¬
kehr, das Kartenlesen und Krokiren, die Kriogsgliederung und
Truppeneintheilung, Bagagen, Munitionskolonnen und Train,
Marschtiefen und Aufraarschzeiton, Befehlsertheilung.
Anschliessend an diese Kapitel finden wir Anhaltspunkte
zu einem dreitägigen Kriegsspiel und einem dreitägigen Uebungs-
ritt. 2 Karten im Maassstabe von 1:200 000 des Terrains der
Hebungen sind dem Werkchen beigegeben.
So sehen wir in Ovon’s „Taktischer Ausbildung“ in ge¬
drängter Kürze die Hauptlehren der Truppenführung niederge¬
legt und erscheint dieses Buch als Grundlage für Vorträge an
Militärärzte über Taktik ganz besonders geeignet.
S e y d e 1.
Magnus: Augenärztliche Untemchtstafeln. Für den
akademischen und Selbstunterricht. Breslau 1900, J. M. Kern
(Max Müller).
Heft XXI. Baas: Anatomie der Hornhautentzündung und
des Hornhautgeschwürs. Preis 8 M.
Mittels 20 Abbildungen mikroskopisch-anatomischer Präpa¬
rate auf 12 Tafeln gibt Verf. eine treffende Darstellung dieser
für die Praxis wichtigsten Homliauterkrankungen. Die Ab¬
bildungen sind gut wiedergegeben, wenn sie auch theilweise etwas
schematisch gehalten und nicht ganz genau dem mikroskopischen
Präparate entsprechend die Details geben. Jedenfalls erfüllen sie
durch ihre beträchtliche Vergrösserung den vom Herausgeber in
das Auge gefassten Zweck, zur Demonstration für ein grösseres
Auditorium zu dienen.
Heft XXn. Pichler: Der Faserverlauf im menschlichen
Chiasma. Mit 12 Tafeln. Preis 7 M.
Verf., dem wir schon eine sehr werthvolle Mittheilung über
die Untersuchung des menschlichen Chiasma nach der Marchi-
methode verdanken, gibt zunächst eine überaus klare Darstellung
der verschiedenen Methoden, den Faserverlauf im Nervensystem
überhaupt und im Sehnerven insbesondere nachzuweisen, dann
schildert er in ebenso kurz zutreffender Weise die anatomische
Lage des Chiasma und den Verlauf der Sehnervenfasem in dem¬
selben, welcher neben Schlingenbildung im Allgemeinen das Bild
des Strohmattengeflechtes zeigt, auf Grund seiner in horizontalen
und D i m m e ris in Frontalschnitten gefertigten nach M a r c h i
behandelten Präparate. Auch die Commissursysteme G ud d en’s.
Meynort's und F orel’s finden Berücksichtigung.
Eine kurze Beschreibung der sehr sorgfältig ausgeführten
Tafeln, von denen 1—10 nach den Horizontalschnitten Pich-
1 e ris No. 12 nach den Frontalschnittcn Dimmeris gezeichnet
sind und Tafel 11 den Faserverlauf im Chiasma schematisch, den
Frontalschnitten der Tafel 12 correspondirend, darstellt, erläutert
das Verständniss der an und für sich etwas komplizirten Verhält¬
nisse in sehr erwünschter Wbisc. Die Anschauung von der nur
tlieilweisen Kreuzung der Sehnenfasern im Chiasma findet durch
die Arbeit Pichle ris eine weitere unanfechtbare Begründung.
S eggel.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 28.
W. v. M o r a c z c w s k 1 - Karlsbad: Indikanurie, Oxalurie
und Diabetes.
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1222
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1
No. 30.
Verfasser stellt Betrachtungen an über das gleichzeitige Vor¬
kommen von Indikanurie, Oxalurie und Diabetes und setzt die Be¬
ziehungen dieser drei pathologischen Zustände auseinander. Eine
Analogie zwischen mangelhafter Oxalsäureverbrenming und
mangelhafter Zuckerverbrennung scheint durch die in beiden
Fällen auftretende Indikansteigerung angedeutet zu sein. Den
theoretischen Erwägungen beabsichtigt der Verfasser die experi¬
mentelle Prüfung durch Untersuchung von Diabetikerblut nach-
folgen zu lassen. W. Zinn- Berlin.
Centralblatt für Chirurgie. No. 27 u. 28.
No. 27. P. Müller-Dresden: Zur Topographie des Pro¬
cessus vermiformis.
Bei dem event nöthigeu Suchen nach dem Wurmfortsatz lassen
die gewöhnlichen topographischen Angaben im Stich. Bei einer
durch Adhaesionen etc. sehr erschwerten Appendicitis operativa
wurde Rupprecht auf die Lagebeziehung der Abgangsstelle des
Wurmfortsatzes zu den Taenien des Coecums aufmerksam; der
Proc. vermiformis entspringt dort aus dem Coeeum, wo die 3 vom
Kolon herabstelgeuden Taenien sich am Coeeum treffen (ohne dass
die Lage des Taenienschulttpunktes eine ganz konstante wäre),
ln praxi empfiehlt es sich event., der nach vorne gelegenen Taenia
Uberu zu folgen, d. h. wenn nach Eröffnung der Bauchhöhle der
Processus in Adhaesionen etc. steckt, sucht man diese Taenia auf
und arbeitet sich, ihr als Richtschnur folgend, durch Adhaesionen,
Exsudate nach der Appendix durch. M. konnte auch In allen
schwieligen Verwachsungen stets die Taenia libera deutlich sicht¬
bar herauspräparlren und als Wegweiser benutzen.
Bergma nn - Sulzbach (Saar): Darmblutung nach Expo¬
sition incarcerirter Hernien.
Mittheilung eines betr. Falles vom sogen. Schnitzle Fachen
Typus, d. h. grosse, rel. kurz incarcerirt gewesene Hernie, nach
deren Reposition (Herniotomie) bald (nach 4 Stunden) starke Darm¬
blutung nuftrat. Betr. Erklärung dieses Symptomes möchte sich
B. der N 1 c a i s e’schen Ansicht anschliessen, dass die zuerst ln der
Schleimhaut des incareerirten Darmes sich geltend machenden
Ernährungsstörungen die Arterienwandungen so schädigen, dass
diese für den neu andrängenden arteriellen Blutstrora passirbar
werden und so eine arterielle Darmblutung entsteht.
No. 28. Sprengel- Braunschweig: Zur Methodik der
Appendicitisoperation.
Sp. hat das früher vielfach bei dieser Operation empfundene
Gefühl der Unsicherheit (besonders wenn man im Anfall operirt
und sieh nicht darauf beschränkt, den Eiterherd zu entleeren, son¬
dern den Processus selbst entfernen will) rasch verloren, seit er
bei dieser Operation principiell die Methode der stellen Becken¬
hochlagerung anwendet Er führt den Schnitt au der Aussenseite
des Rectus (womöglich mit Spannung der Epigastrica) und erzielt
dabei freieste Ueberslcht. Die Umgebung wird durch Tampons
geschützt. Der Eiter wird, wenn in kleiner Quantität vorhanden,
ausgetupft; bei grösserer Menge läuft er über die Tampons ab, die
danach ganz oder theilwelse nusgewechselt werden. Ist deut¬
licher Abscess vorhanden, so dringt der untere Theil des Bauch¬
schnittes in den Abscess ein, der letztere wird entleert und sorg¬
fältig tamponirt, worauf die Operation mit Eröffnung der ge¬
sunden Bauchhöhle, Tamponade derselben, Freilegung und Ent¬
fernung des Processus von oben her in typischer Weise fortgesetzt
wird; schliesslich werden die Tampons entfernt, die Bauchdecken
in 3 Schichten mit Seidennähten vereinigt. Auch bei der Operation
im Anfall verwendet Sp. ausnahmslos Gummihandschuhe.
W. S a c h s - Mühlhausen: Eine seltene Indication zur sa-
cralen Exstirpation der Gebärmutter.
Mittheilung eines Falles, in dem Ankylose beider Hüftgelenke
in Adduktion und Flexionsstellung im Gefolge von Arthritis de-
formans den vaginalen Weg und die sehr tiefe Fixation des Uterus
die Exstirpation vom abdominalen Weg aus unthunllch erscheinen
liessen und desshalb die sncrale Exstirpation vorgenommen wurde,
deren Heilung durch einen im Gefolge der langen Seltenlagerung
aufgetretenen liandtellergrosseu Carbunkel der Trochantergegend
verzögert wurde. Sehr.
Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 28.
1) Ferd. K 1 e i n e r t z - Stuttgart: Ein Fall von abnorm
langer Retention des gegen Ende der Schwangerschaft abge¬
storbenen Foetus.
Es handelte sich um eine 3S jährige Frau, die G mal geboreu
und 1 mal abortirt hatte. (Jegen Ende der 7. Schwangerschaft
traten uraemische Symptome mit hochgradiger Albuminurie auf.
Der Foetus starb hierauf ab, der Eiweissgehalt ging zurück, aber
die Geburt trat im erwarteten Zeitpunkt nicht ein. 3 Monate
später und 5 Monate nach dem Absterben der Frucht stellte sich
blutiger Ausfluss ein, worauf K. die künstliche Entbindung zuerst
von der Vagina und, als dies misslang, durch Sectio caesarea
vornahm. K. fand eine nekrotische Placenta und einen macerlrten
Foetus von ca. 8 Monaten. Heilung.
2) A. R i e c k - Altona: Bemerkungen zu dem Aufsatze von
Dr. Hermann Pape: „Ein Fall von Sectio caesarea nach
Vaginaefixation“.
Nur die hohe Vaginiflxur kann nach R. so gefährlich werden,
dass eine Sectio caesarea in Frage kommen könnte. Seit 1807 wird
aber, die hohe Vaginiflxur kaum mehr gemacht. R. verweist auf
S 9 in* im Erscheinen begriffene Arbeit über diesen Gegenstand,
die sieh auf das Material der A. Marti n'sehen Klinik stützt,
und citlrt 3 Fälle, die denen P a p e's i^nilog waren, aber ohne
Kaiserschnitt beendet wurden. Die Kinder gingen dabei allerdings
zu Grunde. Statt des Kaiserschnitts kommt neuerdings übrigens
der von Riihl empfohlene vordere Sclielden-Uterusschnitt mehr
in Frage, der ein schonenderes und ungefährlicheres Verfahren bei
hohen Vaginiflxuren mit extremster Geburtsstöruug abgibt
J a f f 6 - Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 28.
1) G. Fraenkel und G. S o b e r n h e i m - Halle a. S.: Zur
Frage der Zomotherapie.
Unter letzterer wird das von französischen Autoren an¬
gegebene Verfahren verstanden, Tuberkulose mit sehr reichlichen
Mengen rohen Fleisches zu behnndeln, womit angeblich sehr gute
Erfolge zu erzielen waren. Die Verf. haben nun die Tliierexperi-
mente nachgeprüft, welche Jenem Verfahren zu Grunde gelegt
worden sind, kamen aber zu ganz entgegengesetzten Resultaten,
wie die französischen Autoren. Sie machten Kontrolversuche au
Hunden und Ratten und zwar mit genau abgemessenen Mengen
des zur Anwendung gelangenden Infektionsstoffes. Es zeigte sich,
dass von einer Ueberlegenheit der Fleischfütterung vor gemischter
Kost für die tuberkulös gemachten Thlere gar keine Rede sein
kann. Eine experimentelle Basis für obiges Verfahren fehlt also.
2) H. K o e p p e - Giessen: Zur Kryoskopie des Harnes.
Aus den Resultaten der mitgetheilten Untersuchungen ist be¬
sonders Folgendes hervorzuheben: Bei der Gefrierpunktsbestim-
muug des Harnes ist zu berücksichtigen, dass sowohl die Harne
beider Nieren verschieden sein können, als auch zwischen Harneu
von zeitlich verschiedener Sekretion bedeutende Unterschiede be¬
stehen; der aus der Blase entleerte Harn stellt also ein Gemisch
von verschiedenen Harnen dar, was eben für die Beurthelluug
der Reaktion und der molecularen Concentration berücksichtigt
werden muss. Ganz wesentlich bei den Gefrierpunktsbestimmungeu
ist es dnher, den Harn der beiden Nieren getrennt aufzufangen.
Bemerkenswert!! ist vor Allem auch die Angabe des Verf., dass
die Reaktion des menschlichen Harnes am Morgen in der Regel
sauer ist, am Vormittag in eine alkalische umschlägt, daun vor
dem Mittagessen wieder sauer wird, um Abends und Nachts wieder
sauer zu sein, nachdem auf das Mittagessen alkalische Reaktion
vorhanden gewesen war.
3) H. Gutzmann - Berlin: Ueber Behandlung der Aphasie.
G. weist in seinem Vorträge darauf hin, dass bei den Sprach
Übungen Aphatischer von den Elementen der Sprache ausgegangen
werden muss und die einzelnen Laute systematisch geübt worden
müssen. Ferner ist wichtig. Schreibübungen mit der linken Hand
vernehmen zu lassen, um das rechte Gehirn für die Spraehlaut-
bewegungen vorzubereiten. Auch die tactilen und optischen Em¬
pfindungen müssen für die Erlernung der Sprache herangezogen
werden. Die auch bei langem Bestände der Aphasie noch zu er¬
zielenden Resultate sind sehr ermutliigend.
4) Sturmann: Doppelbildung der unteren Nasenmuschel.
Mittheilung eines Falles, bei welchem auf der linken Seite
3 Muscheln zu sehen waren/ Es ist wahrscheinlich, dass eine
Hemmungsbildung vorliegt, indem im Embryonalleben eine Bil¬
dung des Muschelbeines nachweisbar ist, welche den vorhandenen
Befund zu erklären geeignet ist.
5) U. Ro 8 e - Strnssburg: lieber paroxysmale Tachykardie.
Verf. theilt einen typischen Fall paroxysmaler Tachykardie
mit, dessen klinische Einzelheiten eingehend besprochen werden.
Mit Rücksicht auf die über die Affektion aufgestellten Theorien
ist es besonders von Interesse, dass im vorliegenden Falle eine
Dilatation des Herzens während des Anfalles nicht beobachtet
werden konnte; gleichwohl aber wurden Erscheinungen von Herz¬
schwäche während des Anfalles festgestellt. Der mitgetheilte Fall
ist im Ganzen sehr geeignet, die Auffassung des paroxysmalen
Herzjngens als einer centralen Neurose zu stützen. Die angewandte
Therapie hatte auch in diesem Falle keinen ersichtlichen Erfolg
auf die Dauer und das Eintreten der Anfälle.
Grassmann - München.
Deutsche medieinisehe Wochenschrift 1901. No. 28.
1) Max W o 1 f f - Berlin : Demonstration von Präparaten
tuberkulöser Thiere nach Hetol- (Zimmtsäure-) und Igasol-
behandlung.
Nach einem Vortrage, gehalten im Verein für innere Medicin
zu Berlin am 17, Juni 15)01. Referat, siehe diese Wochenschrift
No. 2G, pag. 1075.
2) Hermann v. 8 c li rö 11 e r - Wien: Zur Aetiologie und
Therapie tiefsitzender Stenosen der Luftröhre.
Die fiir den Chirurgenkongress in Berlin bestimmt gewesene
Mittkeilung gibt unter Beschreibung eines Falles einen Beitrag zur
Kenntniss der Lokalisation und des Verlaufes der Tuberkulose
der Luftröhre, sowie einen Beweis für operatives Vorgehen mittels
der direkten Bronchoskopie und einer unter Anwendung dieser
Methode exakt auszufübrenden Dilatation au umschriebener Stelle
des untersten Trachealabschuittes.
3) M. S a n d e r - Frankfurt a. M.: Heber transitorische
Geistesstörungen auf hysterischer Basis.
Mittheilung von vier charakteristischen Fällen. Im Schluss¬
wort wird darauf hingewiesen, dass durch rechtzeitige Erkenuuug
dieser Zustände als pathologisch mancher Selbstmord verhütet
werden kann.
4) W a 1 d e y e r: Topographie des Gehirns. (Schluss aus
No. 27.)
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MUENOHENEK MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1223
23. Juli 1901.
5) S. M u n t e r- Berlin: System und therapeutische Ver-
werthung der Wärmezufuhr und Wärmestauung. (Schluss aus
No. 27.)
6) Aus der ärztlichen Praxis:
a) Alexander Simon - Wiesbaden: Zur Behandlung des Heu¬
asthmas.
Beschreibung eines Falles von Heufieber, in welchem das
Atropin als souveränes Mittel erprobt wurde.
b) Htihnerfauth jun. - Eisenach : Ueber Vergiftungs¬
erscheinungen in Folge innerlichen Gebrauches von parfiimirtem
Glycerin.
Interessante Beobachtung an der eigenen Person. Die In¬
toxikation entstand durch den Gebrauch (Rectaleiusprltzung) von
Glycerin, welches vom Droguisten mit Maiglöckchenextrakt par-
füuiirt w’orden war. (0,2 Proc. Extract. Convailaria rnajal.)
F. Lacher- München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 28. 1) S. J e 111 n e k - Wien: Blitzschlag und elektrische
Hochspannung. (Schluss folgt)
2) M. I n f e 1 d - Wien: Zur Kenntniss der bleibenden Folgen
des Migräneanfalles.
In dem von dem Verf. beschriebenen Falle litt die 29 jährige,
im Uebrigen gesunde Patientin seit ihrem 12. Lebensjahre an
Migräneanfällen; während eines solchen trat plötzlich eine Läh¬
mung der rechten Körperhälfte auf und zwar ohne dass die Kranke
das Bewusstsein verloren hätte. Die Erscheinungen dieser Läh¬
mung bildeten sich fast vollständig zurück, allein nach 1 Monat
traten Krämpfe in der rechten oberen Extremität auf, in ihrem
Charakter in der Mitte zwischen Athetose und Chorea stehend.
Verf. nimmt einen Herd im linken Sehhügel an und verwendet zur
weiteren Erklärung des Falles die in Jüngster Zeit von Spitzer
über die Genese der Migräne aufgestellte sogen, mechanische
Theorie. Letztere supponirt eine relative oder absolute Stenose
des Foraruen Monroi als Grundlage der Auslösung der Migräne¬
anfälle. Auf ihre Einzelheiten kann hier nicht eingegangeu
werden.
3) K. Stich- Leipzig: Therapeutische Nachrichten.
Verf. berichtet zunächst über die an der Leipziger chirur¬
gischen Klinik angewendeten Werthbestimmungen des chirur¬
gischen Nühmaterials. Es wird dort die Zugfestigkeit und Knoteu-
festigkeit des Materials besonders mit Rücksicht darauf unter¬
sucht, ob diese Eigenschaften durch die Sterilisation wesentlich
beeinflusst werden. Ferner beschreibt er Büchsen für die Couser-
vlrung und Aufbewahrung des Heftpflasters; endlich Maximal-
thermometer für die Kontrole der Sterilisation. Letztere hat der¬
selbe ln No. 28 d. W. bereits beschrieben.
Grassmann - München. ■
Französische Literattu.
L. R 6 m y - Liege: Beitrag zum Studium des Typhus und
seine« Bacillus. (Annales de l’Institut Pasteur, März 1901.)
In diesem Thelle seiner Untersuchungen kommt R 6 m y zu
einem neuen Verfahren, den Typhusbacillus aus dem W'asser zu
Isoliren, was er ln praktischer Hinsicht für ausserordentlich wich¬
tig hält. Der Bacillus coli scheint Ihm Insofern ein wichtiges
Reaktionsmittel zu sein, als dessen Anwesenheit ln den zur
Nahrung dienenden Wässern jene des Typhusbacillus mit Wahr¬
scheinlichkeit annehmen Hesse. Der Nachweis dies letzteren muss
sich also vor Allem auf ein Isollrungsverfahren von anderen
8aprophyten, besonders dem Bacter. coU gründen und ist bei
diesen Experimenten wiederholt daran zu erinnern, dass die im
Wasser vorkommenden Typhusbacillen an andere Lebensbeding-
nngen gewöhnt, wie die in den Laboratorien gezüchteten, dass
sie an eine wenig hohe Temperatur gewöhnt sind, ja eine solche
von 37* für sie schon verderbUch sein kann. Von den beiden
IsolirungBmethoden, der direkten und der indirekten (nach mehr¬
fachen Uebertragungen auf geeignete Nährböden) hält R. die
eretere für praktischer, besonders wenn die Organismen schon ab¬
geschwächt sind. Nach den Untersuchungen, welche R. sowohl an
Fluss- wie an Gebrauchswasser angesteUt hat, kommt er nun
auch zu dem endglltigen Resultate, dass der Bac. coli und der
Typhusbacillus neben einander Vorkommen und zwar häufig In
den Gewässern, von welchen Typhuserkrankungen ausgegangeu
sind, dass also beide Bacterlenarten keine Laboratoriumsprodukte
sind. Das beste Mittel, die Natur eines Keimes, welcher die
morphologischen und kulturellen Eigenschaften des E b e r t h'scheu
Bacillus besitzt, als Typbuserregers zu beweisen, ist ferner die
Ueberimpfung auf Meerschweinchen; dieselbe Ist unnöthig, weun
diesem Keime gegenüber das experimentelle Autltypbusserum eine
hohe Agglutinationskraft besitzt.
C a 1 m e 11 e und G u 6 r 1 n - Lille: Untersuchungen über die
experimentelle Vaccine. (Ibid.)
Die Ueberimpfung von Lymphe auf das Kaninchen ist immer
von einer confluirenden Eruption kleiner, an Lymphe sehr reicher
Pusteln gefolgt, weun man Acht hat, die Vaccine nur einfach über
die frisch rasirte Haut auszubreiten und nicht ln die Scariflcatiouen
direkt einzuspritzen. Das Kaninchen ist ein vortreffliches Kontrol-
thler, welches ermöglicht, die Virulenz der von Kälbern oder
Kindern entnommenen Vaccine ebenso wie die von alter, kouser-
virter Glycerinlymphe festzustellen. Die Vermehrung der viru¬
lenten Elemente der Vaccine scheint sich beim Kaninchen in
keinem anderen Organe wie in der Haut zu bewerkstelligen. Das
sind die hauptsächlichen, für die Praxis wichtigen Ergebnisse der
beiden bekannten Forscher.
Octave G e n g o u - Lüttich: Ueber den Ursprung der Alexine
aus dem normalen 8erum. (Ibid., April 1901.)
G. hat wiederum eine Reihe von Experimenten ausgeführt,
welche, der Theorie von Metschnikoff entsprechend und ent¬
gegen der Anschauung B u c h n e Fs, zu dem Schlüsse führen, dass
die Leukocyten nicht nur die Alexine des normalen Serums er¬
zeugen, sondern dieselben auch so lange enthalten, als Ihre nor¬
malen Lebensbedingungen ln der Blutflüssigkeit nicht verändert
werden. Bei der Ratte, deren Blutserum eine so ausgesprochen
bactericide Wirkung gegenüber dem Milzbrandbacillus besitzt, Ist
dieses Alexin analoger Welse Im circuUrenden Plasma nicht ent¬
halten. Es scheint also G. wiederum bewiesen, dass der Kampf
gegen die Bacterien im lebenden Organismus vollständig den
welssen Blutkörperchen zukommt.
Sacquepee: Veränderlichkeit der Agglutinirbarkeit des
Typhusbacillus. (Ibid.)
Man kann im Wasser oder bei Typhuskranken selbst BacUlen
finden, welche vollständig all’ die bekannten Charaktere des
Typhusbacillus tragen, aber die Agglutinirbarkeit gar nicht oder
nur in geringem Massse oder auch ln erhöhtem Grade besitzen.
Letzteres kommt nur in mässlgem Grade und vorübergehend vor
und Ist von wenig Bedeutung. Eretere Bacterien werden von S.
eberthlfonne genannt, sie bilden sich im Reagensglas spontan ln
authentische, leicht agglutinirbare Typhusbacillen um. Anderer¬
seits lässt siel) der typische E b e r t h’sche Bacillus, lange Zelt
ln Berührung mit einem lmmunisirten Organismus gehalten, all¬
mählich immer weniger vom Serum agglutiniren und verhält sich
schliesslich wie die sogen, eberthiformen. Dieses doppelte, gegen¬
teilige Experiment lässt schllessen, dass letztere eine Form des
Typhusbaelllus repräsentiren, welcher durch langen Aufenthalt in
einem infleirten oder lmmunisirten Organismus verändert, also
nur eine Angewöhnungserecheinung Ist
Pierre Marie: Ueber Substanzverluste durch Zersetzung
im Gehirn und andere höhlenartige Zustände in demselben.
(Revue de mödecine, April 1901.)
M., seit mehreren Jahren Chef einer grossen Abtheilung alter
Leute, wo Hemiplegie ein häufiges Ereigniss Ist, batte die Er¬
fahrung gemacht, dass dieselbe meistenteils nicht durch eine
Gehirnblutung oder -Erweichung, sondern durch die sog. Lücken¬
bildung im Gehirn zu Stande kommt. Dieselbe zeigt sich in Form
kleiner Höhlen mit mehr oder weniger unregelmässigen Kontouren,
das Gehirngewebe scheint in diesem Umfang zerrissen und zer¬
stört. Es können eine oder auch mehrere, 8—10 und mehr solcher
Defekte ln beiden Himhälften Vorkommen. Daneben sind meist
die Ventrikel erweitert,, besteht Atrophie der grauen Kerne. Bel
der Entstehung dieser Substanzverluste spielt nicht nur das Alter,
sondern gleichzeitige Arteriosklerose eine grosse, wenn nicht die
wichtigste Rolle. Unter 50 Fällen ferner, wo diese Defekte lm
Gehirne nachgewiesen werden konnten, waren zudem 23 mal noch
Blutungen oder Erweichung vorhanden. Das klinische Bild dieses
Zustandes ist das der unvollständigen Hemiplegie (beiderseitig):
keine Hemianaesthesie, keine Hemianopsie, keine völlige Aphasie,
aber eine Art Dysarthrie und Dysphagie, die Psyche etwas, aber
nicht sehr stark alterlrt Im Allgemeinen handelt es sich hier um
das erste Stadium der pseudobulbären Paralyse. Das mittlere Alter
der Betroffenen war 61 Jahre. Mehrere Scbiaganfälle mit
wechselnden Intervallen sind das Charakteristische dieses patho¬
logischen Zustandes, Im Durchschnitt trat der Tod 4 Jahre nach
dem ersten Anfall ein; In 7 Fällen jedoch erst nach 10—34 Jahren.
Differentialdiagnostisch kommen für M. besonders ln Betracht die
sog. siebartige Beschaffenheit des Gehirns (siehe Abbildungen) und
der schwammartige Zustand desselben, welch’ letzterer zweifel¬
los nur Leichenerecheinung (Porose cerebrale) sei.
Nlclot und Marotte: Die Angina und Stomatitis mit
den fuaiformen Bacillen. (Vincent) (Ibid.)
Vincent war der Erste, welcher (1896) in einer Studie über
Hospitalbrand erklärte, dass er dieselben pathogenen Mikroorganis¬
men: flintenähnliche Spirillen und Bacterien bei gewissen Arten von
Angina mit ulcerösem Typus gefunden habe. In vorliegender
Arbeit, welche sämmtliche (60) über diese Affektion. erschienenen
Publikationen ln Betracht zieht bringen die Verfasser auch auf
Grund ihrer eigenen 16 Fälle eine genaue, mit reichen bacterio-
logischen Untersuchungen gestützte Beschreibung dieses Hals-
leldens. Das Praedllectlonsalter für dasselbe scheint die Jugend
zu sein, besondere das männliche Geschlecht prädlsponirend wir¬
ken Tabaksgenuss, die Entwicklung des Weisheitszahnes, schlechte
Zähne, Syphilis, merkurielle Stomatitis. Was die Angina be¬
trifft, so entwickelt sie sich unter geringem Fieber (höchstens 39 •),
die funktionellen Störungen sind gering, weder Schmerz, noch wirk-
Uche Dysphagie, höchstens Schluckbeschwerden sind vorhanden.
Bei der Inspektion sieht die Affektion einem Schankergeschwür
ähnlich, an einer oder beiden Mandeln oder auch tiefer sitzend.
Der Speichelfluss ist meist vermehrt, die Drüsen geschwollen,
schmerzhaft. Bei der Stomatitis ist ebenfalls erhöhter
Speichelfluss vorhanden, Gefühl von Brennen im Munde und die
Kauthätigkeit ist erschwert. Greift man nicht zur rechten Zeit
ein, so werden die Zähne locker und die Ulceration geht von den
Lippen auf die Wangen Uber, wo sie lange Zelt bestehen bleibt
Recidive des Leidens sind häufig, der erste Ausbruch dauert 8—10.
die späteren 14 Tage bis 3 Wochen. Die Prognose ist lm All¬
gemeinen eine gute, die Behandlung besteht in Gurgelung mit Bor¬
oder Saueretoffwasser, 2 mal tägUche Bepinselung mit Jodtinktur,
auch innerlich KaL chloricum. Die Affektion hat oft so frappante
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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHEIET.
No. 30.
Aehnllchkeit mit Syphilis und Diphtherie, dass nur die bacterio-
logische Untersuchung alle Zweifel heben kann. Der Bacillus
fusiformis ist ein im Centrum verdickter, an seinen Enden ver¬
dünnter Mikroorganismus von 10—12 p Lilnge, nach allen Metho¬
den, besonders aber mit Gentianaviolett, Fuchsin und Thlonin filrb-
bar. Zu den Impf versuchen eignen sich Kaninchen und Meer¬
schweinchen; dieselben, deren Resultate, sowie die 10 von N. und
M. beobachteten Fälle sind genau beschrieben (tabellarische Zu¬
sammenstellungen). Epidemiologisch ist noch wichtig zu kou-
stntiren, dass die Affektion hauptsächlich in der Armee und im
Kindesalter vorkommt
Vaney - Lyon: Malaria und Moskitos. (Ibid.)
Zusammenfassung der Forschungsergebnisse der letzten Jahr.»,
genane Beschreibung der für die Malariaübertragung wichtigsten
Moskitoart, des Anopheles (claviger); Bemerkungen über die, aller¬
dings nur relative Immunität der Neger gegenüber der Malaria
und über die Art der Chininwirkung.
B u 8 q u e t: Intermittirende nervöse Störungen in Folge von
Malaria. (Ibid., Mai 1901.)
Dieselben, einen 28jährigeu Soldaten betreffend, sind be¬
sonders motorischer (Krämpfe, epileptische und Zitterbewegungen)
Natur, späterhin auch Lähmungserscheinungen (Harn- und Stuhl¬
abgang unfreiwillig). B. glaubt, dass der Malariaparasit durch
seine Anwesenheit in den kleinen Gefässeu von Gehirn und Rücken¬
mark, diese abnormen Störungen des Nervensystems hervorgerufen
habe — im Blute des Patienten waren zahlreiche Plasmodien
während der Anfälle gefunden worden.
Dopt er: Eine Herpes zoster-Epidemie. (Ibid.)
Die 3 Fälle, welche kurz hintereinander 3 im gleichen Zimmer
lnstallirte Soldaten betraf, sind für D. die Bestätigung früherer
Publikationen, wonach es sich beim Herpes zoster um eine reine
Infektionskrankheit epidemisch kontagiöser Natur zuweilen han¬
deln kann.
Sabourln: Vergleichende Studien über die Menschen-
und Schweineleber. (Ibid.)
S. hofft mit dieser vergleichend-anatomischen Arbeit, deren
Einzelheiten nur vermittels der beigegebenen 34 Zeichnungen ver¬
ständlich sind, die Kenntnlss der intrahepatischen Circulation, über
welche wir bis jetzt nur sehr mangelhaft unterrichtet seien, be¬
reichert zu haben.
Marfan: Die chronische Nephritis im Kindesalter, An¬
wendung der Cryoskopie zu ihrem Studium. (Presse mßdicale
1901, No. 34.)
In den meisten Fällen von chronischer Nephritis im Kindes-
nlter ist nach M. keine erkennbare Ursache vorhanden und dieselbe
selten die Folge einer akuten Entzündung des Organs, hat viel¬
mehr meist von Beginn an den schleichend-chronischen Charakter.
Gewöhnlich besteht reichlich Albuminurie, massige Polyurie, aus¬
gesprochene Blässe der Haut und mehr oder weniger ausge¬
sprochenes Anasarka. Definitive Heilung ist selten, der Verlauf
ein sehr langwieriger, oft 10, 15, ja 24 Jahre sich hinausziehend.
Die ausgeprägten Erscheinungen der Nephritis treten anfallsweise
auf, bis in einem solchen Anfall der Tod sich einstellt, was aber
selten schon in der Kindheit der Fall ist. Von den neueren
Methoden nun, welche die Diagnose der Nephritis erleichtern
können: Bestimmung der Ilarntoxicltät, die Methylenblauprobe und
die Gefrierpunktsbestimmung ist nach M.’s Ansicht die letzte die
für den praktischen Arzt geeignetste. 3 Serien von Experimenten,
welche von B e r n a r d au den Kranken M a r f a n’s mit der
Kryoskople ausgeführt wurden, sind näher beschrieben; die Resul-
filtration, gefolgt von der Bildung Übrinösen Exsudats, Jene der
Sehnenknoten nur diffuse Infiltration des Bindegewebes. Da«
Myocard ist hochgradig entzündet und Sitz einer sehr inteusiven,
diffusen Infiltration. Dieser histologische Befund zeigt eine be-
merkenswerthe Uebereinstiinmung der Knötchen mit den Ver¬
änderungen am Herzen. Verfasser kommen daher zu dem prak¬
tisch wichtigen Schlüsse, dass man bei Kindern, welche im Ver¬
laufe eines Rheumatismus subkutane Kuotenbildungen zeigen,
immer mit der Möglichkeit der Myocarditis und deren schlimmen
Folgen rechnen muss. Was nun diese specielle Form des Rheuma¬
tismus betrifft, so scheint, dass sie die eigentlichen serösen Häute
(Gelenke oder Pericard) nicht angreift, sondern sich auf Kosten
des Bindegewebes (interstitielles des Myocards. der gestreiften
Muskeln, perltendinöses Gewebe, Periost) lokalisirt; diese binde¬
gewebig-interstitielle wäre also der eigentlich serösen Form des
Rheumatismus gegenüberzustelleu. Wegen der gleichzeitig vor¬
handenen Chorea wurden Gehirn- und Rückenmarkscentreu
mikroskopisch untersucht nach Nlssl, aber im Gegensatz zu
anderen Autoren (Dana, B a 1 z e r) gar nichts Abnormes ge¬
funden.
It e y - Aachen: Pathogenese des Pavor nocturaus im Kindes¬
alter. (Ibid., Mai 1901.)
Auf eine grosse Reihe von Erfahrungen gestützt, kommt Ver¬
fasser zu folgenden Schlüssen: 1. Das nächtliche Erschrecken
und Angstgefühl entwickelt sich und wird immer verursacht durch
Beilinderung der Athmung und des Blutkreislaufes, welche ent¬
weder direkten oder reflektorischen Ursprungs (adenoide Vegeta¬
tionen. einfache Rhinitis, andererseits Verdauungsstörungen) ist
Bejde Arten sind nur die Folge einer langsamen und prolongirten
Kohlensäurevergiftuug, wodurch auch all' die Begleitsymptome er¬
klärt sind. Eine Trennung von idiopathischem und sympto¬
matischen Pavor noctumus ist daher nach lt. nicht mehr angängig.
H. Vegas und Dan. C ran w e 11 - Buenos Ayres: Die
Hydatidencysten und Ihre Behandlung in Argentinien. (Revue
de Chirurgie, April 1901.)
In den städtischen Krankenhäusern von Buenos-Ayres war
eine auffallende Zunahme der Fälle von Hydatidencyste zu kon-
statiren: von 23 im Jahre 1890 auf 173 im Jahre 1898; diese Krank¬
heit ist jetzt besonders häufig in Argentinien und Uruguay,
während sie in Mexico, Centralamerika, Brasilien und Chile un¬
bekannt oder sehr selten ist. Die ausgedehnten Viehwirthschaften
(über 8 Millionen Hornvieh und 52 Millionen Schafe)
und die beträchtliche Zahl von Hunden (zur Wache) sind an
ersterem Zustande schuld, da nach veterinärärztlichem Be¬
richte 40 Proc. des Hornviehs, G0 Proc. der Schweine mit Echino-
coccen behaftet sind. Die Mortalität, welche durch diese Cysten
beim Menschen verursacht wird, beträgt 11 Proc.. beinahe alle
Organe können davon ergriffen werden; die höchste Mortalität ent¬
spricht den multiplen Bauch- und Gehirncysten. Die beste Be¬
handlungsmethode ist die sog. Taschenbildung (Marsupialisation)
mit Entleerung des Inhaltes und Drainage, die Heilung erfolgt
damit langsamer, aber sicherer. Die Extraktion der Mutter¬
membran mit Naht und ohne Drainhge sei nur ein Ausnahme¬
verfahren bei Gehirn- und äusseren, stark adliaerenten Cysten.
Lecöne: Ein neuer Fall von primärer Tuberkulose derv^
Parotis. (Ibid.) j\
Den 8 in der Literatur bekannten Fällen fügt L. einen weiteren v
hinzu, welcher einen 29 jährigen Commis betraf; die Diagnose war
nur durch die mikroskopische Untersuchung der exstirpirten Ge¬
schwulst möglich. Es erfolgte übrigens glatte Heilung.
täte stimmen mit den durch die anderen Methoden gewonnenen
überein. Was die Therapie des Leidens betrifft, so ist die Milch¬
diät auf längere Zeit nur selten, durcliznführen und können in
mässigen Mengen Eier, frisches Fleisch, Geflügel, grünes Gemüse
zugefügt werden, vorausgesetzt, dass die häufig wiederholte Urin-
.Untersuchung keine Vermehrung des Eiweissgelialtes zeigt. Nimmt
die Diurese ab, so kann man die Diuretica: Laktose und Theo¬
bromin anwenden. Digitalis soll für den Fall reservirt bleiben, dass
ausgeprägte Herzschwäche eintritt; bei uraemisclien Erscheinungen
ist Aderlass das beste Mittel.
Dom. Sau ton: Ist die Lepra ansteckendP (Presse mödicale
1901, No. 48.)
Diese Frage wird vom Verfasser zwar in positivem Sinne be¬
antwortet, r.ber er kommt auf Grund seiner Nachforschungen doch
zu dem Resu.inte, dass diese ansteckende Wirkung nur selten wirk¬
lich 8tattflndel und hygienische Maassnahmen, vor Allem Reinlich¬
keit, dieselbe völlig aufheben können. Unter den zahllosen Fällen
von Lepra, welche S. durchstudirte, fand er nur 70 Beobachtungen
wirklicher, direkter Uebertraguug.
E. Weill und Galavardin - Lyon: Rheumatische
Knotenbildungen an Periost und Sehnen mit histologischer
Untersuchung; plötzlicher Tod durch akute interstitielle Myo¬
carditis. (Revue mensuellc des maladies de l’enfauce, April 1901.)
Bei Kindern kommt es ziemlich häufig vor, dass die typische
Lokalisation des Rheumatismus an den Gelenken fehlt und durch
Aequivalente ersetzt ist, zu welchen besonders die Endocarditis,
der Muskelrheumatismus, die subkutane Knotenbildung gehört.
Der vorliegende Fall war ein derartiger: bei dem 7 jährigen Mäd¬
chen waren nebeneinander folgende Erscheinungen, ohne dass je¬
mals eine Gelenkaffektion bestanden hätte, aufgetreten: Muskel-
rlieun atismus, eine Chorea mittlerer Schwere, Knotenbildungen
aii den Sehnen der Extensoren und Flexoren der Hand, der Finger,
am Periost der Malleolen und schliesslich eine Interstitielle Myo¬
carditis, die nach ca. V/, Monaten den Tod herbeiführte. Die histo¬
logische Untersuchung der Knoten am Periost zeigte leichte In¬
Le Fort-Lille: Experimenteller Beitrag zur Fraktur des
Oberkiefers. (Revue de Chirurgie, Februar, März und April 1901.)
Eine sorgfältige, mit zahlreichen Leichenversucheu gestützte
Arbeit, welche den Beweis erbringt, dass die schweren Brüche der
Gesichtsknochen ziemlich einfachen Gesetzen In ihrer Form unter¬
liegen, gemeinsame Ohnmktere nufweisen und auf eine kleine An¬
zahl wohl bestimmter Typen zurückgeführt werden können. Die
Kenutniss der möglicher Welse vorkommenden Veränderungen
wird in hohem Grade die genaue Diagnose der Frakturen erleich¬
tern, welche nach 1 e Fort nur zu oft unerkannt bleiben zum
Schaden der Patienten und zuweilen des Chirurgen.
Maurice Boureau: Beobachtungen über 1200 Chloroform¬
narkosen. (Revue de Chirurgie, Mai 1901.)
B. ist, wie jetzt wohl alle Narkotiseure. Anhänger der Tropfen-
n ethode. Er benützt niemals eine Maske, sondern ein zusammen-
gelegtes Tuch (oder Kompresse), welches Anfangs einige Oentlmeter
vom Gesicht entfernt gehalten und immer näher demselben ge¬
bracht wird; es werden immer nur 4—5 Tropfen aufgeträufelt.
Im Allgemeinen tritt nach 8—10 Minuten mit 8—10 ccm die
Anaesthesie ein, durchschnittlich sind 35—40 ccm für die erste
und 25—30 oem für die zweite Stunde nöthig; besonders wenig
Chloroform brauchen die mit Gehirntumoren oder anderen Gehim-
erk rank ungen Behafteten, bei welchen eine Kranlotomie nöthig
ist. B. glaubt, dass es für die Chloroformnarkose keine Kontra
Indikation gibt: er habe sie bei Kindern im Alter von 3 Monaten,
bei alten Leuten von 85 Jahren und bei äusserst Kachektischen
angewandt, selbst die Schwangerschaft bildet keine Ausnahme,
ebenso wenig wie Emphysem, Nieren- und selbst Herzkrankheiten,
hoi welch’ letzteren das Chloroform besser ertragen werde als die
Aer/.te im Allgemeinen glauben; es genüge, in solchen Fällen nur
recht langsam und vorsichtig zu narkotisiren.
Vincent-Lyon: Dauererfolge der Tarsoplasie mit dem
Osteoclast bei hochgradigem Klumpfuss. (Ibid.)
V. hat 204 Fälle mit dem von Robln-Moilift re erfun¬
denen und von Ihm selbst verbesserten Osteoclast behandelt un d
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23. Juli 1901.
MTTENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1225
lrt mit den theilweise 8, 10 und 12 Jahre zurückdatirten Erfolgen
sehr zufrieden: niemals folgte auf den Eingriff Knochen- oder
(Jelcnksentzündung am Fusse; Funktion wie Form desselben ge¬
stalteten sich höchst vortheilhaft Wichtig ist, die Kinder nicht
vor ly,—2 Jahren zu operlren, sie dann lange zu masslren und
gut gearbeitete Stützapparate noch Jahre hindurch tragen zu
lassen. Stern- München.
Vereins- und Congressberichte.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offlcielle8 Protokoll.)
Sitzung vom 23. Februar 1901.
Tagesordnung:
Herr v. Mangoldt: Projektion von Röntgenbildern mit
besonderer Berücksichtigung der Erkrankungen der Hüfte.
(Schluss aus vor. Sitzung; s. No. 26.)
Discusslon: Herr Hübner bespricht einen Fall begin¬
nender Synovialtuberkulose, der ihm von Herrn v. Mangoldt
zugewiesen wurde und der unter Anwendung von Jodoformein¬
spritzungen innerhalb eines halben Jahres völlig ausheilte. Im
Anschluss daran wird die Methode und Prognose der konservativen
Behandlung ausführlich erörtert. So soll die Jodoformglycerin¬
emulsion en masse und unter starkem Druck ausgeführt werden,
dabei soll die Stauungsbyperaemle in Anwendung gezogen werden.
Durch einige Zahlen aus der Breslauer chirurgischen Klinik wird
das illustrirt, die die sehr günstigen Erfolge der konservativen Be¬
handlung ergeben.
Herr A. 8 c h a n z: Bel allen unschätzbaren Vortheilen, die uns
die Röntgenphotographie für die Diagnose gibt, gibt sie uns auch
zwei grosse Gefahren. Die erste ist die Versuchung, Zufälligkeiten
in der Photographie, die bei den grossen Platten nie fehlen, als
Zeichen pathologischer Veränderungen anzusprechen. Die zweite
Gefahr ist die Falschdeutung auf der Photographie sichtbarer Ver¬
änderungen. Eine solche Falschdeutung scheint durch Herrn
v. Mangoldt die auf manchen Photographien zu sehende Ver¬
kürzung und Verdickung des Schenkelhalses bei Coxitlkern er¬
fahren zu haben. Dieser Verkürzung und Verdickung liegt nicht
eine ebensolche anatomische Veränderung zu Grunde; sie ist viel¬
mehr die Aendernng des Projektionsbildes, welche durch Aussen-
rotatlon der Hüfte erzeugt wird. Auf den Photographien konnte
das auch aus der Differenz des Schattens des kleinen Trochanter
auf gesunder und kranker Seite erkannt werden.
Herr v. Mangoldt: Herrn Hübner gestatte Ich mir zu
erwidern, dass gerade darin der wesentliche Fortschritt besteht,
daRS wir durch die Röntgenphotographie ln die Lage gesetzt sind,
den Sitz der tuberkulösen Herde Im Knochen bestimmen zu können.
Bei der Gelenktuberkulose sind aber die Kuochenherde die
Hauptsache; gelingt es, diese zu entfernen, oder unschädlich
zu machen, so hellt der Welchthellfungus, wovon ich mich oft
genug überzeugt habe, im Laufe der Zeit von allein aus. Es er¬
scheint mir also logisch und konsequent, von dieser Erkenntniss
ans geleitet nach dem Röntgenbild die einzelnen Knochenherdc
zu bestimmen und sie durch Anbohrung mittels Bohrers für die
Kanülenspitze und die Injektion von Jodoformglycerin zugängig
zu machen. Ein zu starker Druck Ist bei der Injektion zu ver¬
melden wegen der Gefahr der Verschleppung des tuberkulösen
Virus ln die Nachbarschaft und des eventuellen späteren Aus¬
bruches von Miliartuberkulose.
Auf die Einwendungen von Herrn Schanz möchte Ich ent¬
gegnen, dass es bet einem Projektionsvortrag mit gegen 100 Bildern
bei Darstellung der dlfflcilen, ausserordentlich schwierigen Ver¬
hältnisse von der Hüfte ganz natürlich ist, dass bei der Pro¬
jektion der Bilder, namentlich für den Fernersitzenden die feinen
Details nicht so scharf zu Tage treten, wie auf der Orlglnalplatte
ond den Abzügen derselben und dass man sich allerdings da in
der Deutung der Anfangscoxitls leicht Irren kann, zumal wenn
man, wie der Vortragende, bei der Demonstration seitlich von
dem Bilde steht.
Dass ein Schenkelhals mehr verdickt und verkürzt erscheint,
wenn das Bein bei der Photographie verdreht war, und
der Schenkelhals nicht mehr ln der Frontalebene stand, ist un¬
zweifelhaft Ich habe aber darauf hingewiesen, dass zur Fest¬
stellung der Diagnose einer Anfangscoxitls mehrere Symptome
Zusammenkommen müssen, um diese zu sichern, und möchte hier
noch einmal betonen, dass auch leb diese Diagnose nur dann für
einwandsfrei halte, wenn sich neben der Verdickung und Ver¬
kürzung des Schenkelhalses gleichzeitig eine grössere Durchlässig¬
keit des Kopfes für die Röntgenstrahien, eine Verbreiterung der
Msrkhöhle und eine Verdünnung der Cortiealis im Scbenkelschaft
findet. Wo solche Verhältnisse nebeneinander bestehen, kann es
keinem Zweifel unterliegen, dass ein Krankheitsproeess vorliest,
•Ir r eben den Träger an dem normalen Gebraucli und der normahm
Belastung des betreffenden Beines behinderte, und dass diese Er¬
krankung die Ursache zu diesen Knochenverüuderungen abge¬
sehen bat
Hinsichtlich des zweiten Punktes, dass gutsitzende Gell
•pparate bei der Behandlung der Ooxltis von Vornherein in An¬
wendung gezogen, die Kinder vor dem Bettalechthum schützen und
dass die Kinder dnriü auch besser ausheilen, muss leb erklären.-
dass ich darin Herrn Schanz nicht beistimmen kann, insofern
eben gerade l>ei zu früh angewandten Gehapparaten der Zustand
der Coxitls sich häufig verschlechtert und wir aus diesem Grund-
wiederholt bei Kindern, denen wir gleich vom Anfang an die
Gehapparate gegeben hatten, gezwungen waren, wieder auf die
grössere Ruhigstellung des Gelenkes Im Gipsverband oder iin Lage-
rungsapparat zurückzukommen.
Der Ihnen von mir vorgeführte Lagerungsapparat soll Ja ge¬
rade das Bettslechtlium vermeiden, indem er einen bequemen
Transport der Kinder ln der frischen Luft, das Hineinsetzen im
federnden gut gepolsterten Wagen, Bäder gestattet unter Beibe¬
haltung des Prinzips der grösstmögliehsten Uuhigstellung des Ge¬
lenkes bis zum Ablauf der akuten Erscheinungen, wie ich dies in
meinem Vortrag besprochen habe. Diese Sicherheit gewähren aber
selbst die bestsitzenden Gehapparate nicht, indem die Ruhigstelluug
des Gelenkes Immerhin nur eine ungenügende Ist
Herr v. Mangoldt berichtet
a) über zwei von ihm ln letzter Zelt ausgeführte ausgedehnte
Magenresektionen wegen Carcinom. lind demonstiirt die zuge¬
hörenden Präparate.
In dem ersten Fall handelte es sich um einen JO jährigen
Arbeiter, der seit einem Jahre Magenbesch werden hatte und im
Zustand höchster Entkräftung wegen eines ausgedehnten Carcinom
dos PylortiB mit hochgradiger Stenose desselben Im November v. Js.
mittels Resektion der Geschwulst und Exstirpation der Zu-
gehörenden bereits inflzirten Lymphdrüseu im grossen und kleinen
Netz und ln der Winkelknickung des Duodenums behandelt
wurde. Der Kranke, der bei seiner Aufnahme IM Pfand wog.
nahm ln der ersten Zeit nach der Operation noch um 10 Pfund ab,
erholte sich dann rasch und wiegt heute, y 4 Jahr nach der Ope¬
ration, 133 Pfund, hat also 49 Pfund an Körpergewicht zugo-
nommen. (Vorstellung des Kranken.)
In dem zweiten Falle handelte es sich um eine 54 jährige Frau
mit ausgedehntestem Carcinom der vorderen und hinteren Magen¬
wand ohne Pylorusstenose und ohne anscheinende Drüseninfektion.
Bel dieser Kranken wurde Anfang Januar d. Js. der Magen zu
circa % entfernt Auch diese Frau genas. Ihr Körpergewicht
betrug vor der Operation 93,5 Pfund, sank dann auf 87 Pfund und
beträgt zur Zeit 98 Pfund.
Beide Fälle legen uns von Neuem die Frage vor, ob wir
selbst in so vorgeschrittenen Fällen nicht besser thäten, die Magen-
resektion zu machen au Stelle der in solchen Fällen zumeist ge¬
übten Gastroenterostomie.
b) Vortragender demonstrirt sodann seinen neuen Lagerungs¬
apparat für RückgTatsverkrümmungen, der auf dem Prinzip be¬
ruht der langsamen Redie^sion der verkrümmten Wirbelsäule durch
Extension des Körpers auf einer vorstellbaren schiefen Ebene in
Verbindung mit einer Druckkraft von unten gegen die Wirbel¬
säulenverkrümmung. Zu letzterem • Behufe werdeu unter das
Lagerungskissen des Körpers auch Rollen oder Holzstücke in
Form von verschieden hohen und breiten Cylindersegmenten unter¬
geschoben. Um einen guten Erfolg zu erzielen, ist vorsichtige
Dosirung der angewandten Kräfte, sorgfältigste Hautpflege, um
Druckstellen zu vermeiden. Voraussetzung.
Dieser Lagerungsapparat hat sich ihm bewährt bei rachiti¬
schen Verkrümmungen der Wirbelsäule kleiner Kinder, bei frischer
Spondylitis, sowie als Lagerungsstütto für Skoliotlsche während
der Nacht. Im letzten Falle muss durch Unterschieben von koni¬
schen Stützen unter das Lagerungskissen diesem die entgegenge¬
setzte Fliichenkrtimmung der vorhandenen Skoliose gegeben
werden.
Discusslon: Herr A. Schanz: Dem Lagerungsapparat des
Herrn v. Mangoldt gdfcenüber bietet das korrigirende Gipsbett
wesentliche Vorthelle, besonders ist. der Patient im Gipsbett viel
sicherer zu flxiren, die erstrebten Druck Wirkungen treffen stets den
gewollten Punkt. Bel Möglichkeit von Bewegungen im Apparat
kommt die Gefahr der Druckwirkung auf falsche Orte. Das Gips¬
bett Ist billig herznstellen, der Patient leicht darin zu transportiren.
Herr v. Mangoldt: Auch in diesem Punkt bedauero
ich. Herrn Schanz nicht beistimmen zu können. Es
ist zwar richtig, dass GIpsl>etten genau nach der Körperform ge¬
arbeitet, dem Körper genauer anllogen werden, als dies mein
Lagerungsapparat thut. Aber. m. H.. Gipsbetten sind nur in den
Kliniken zu machen, ihre Herstellung erfordert ausserordentliche
Hebung, .ihre Haltbarkeit ist begrenzt, ihr Gewicht ist schwer.
Ihre redresslrende Kraft nicht zu vergleichen mit der zu doslrenden
redresslrenden lebenden Kraft meines Lagerungsapparates. Ge¬
rade dieser Lagerungsapparat ist i»estimmt zum Gebrauch für den
praktischen Arzt, da die betreffenden Kinder bei Ihrem chronischen
Leiden nicht immer ln Kliniken verpflegt und behandelt werden
können. Die Kinder liegen nach meiner Erfahrung gern auf diesem
Apparate, und die Eltern haben mir wiederholt versichert, dass
sie nach dieser Lagerstätte zurückverlangten, wenn sie daraus ge-,
nommen wurden.
Der Einwand, dass sich die Kinder auf dem Lagerungsapparat
nach Belieben herumdrehen können. Ist hinfällig, dem; dann werden
sie durch den Befestigungsgurt über Brust. Becken, Beine ge¬
hindert, auch könnte man nöthigen Falles die Kinder wie beim
Gipsbett mittels Binden auf dem Lagerungsapparat flxiren. Ich
h^be dies aber bisher nie erlebt und nicht nöthig gehabt. I»le
redressirende Kraft des Apparates ist sehr beaciitenswerth. sie
hat nach 8—4 wöchentlicher Anwendung bereits ln einigen Fällen-
eine wesentliche Körperverlängerung durch Abflachung dee Buckels
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1226 MUENCJHENER MEDIOINI8CHE WOOHENSCHRIFT. No.
und Streckung der Wirbelsäule zur Folge gehabt Ich glaube, dass
der Ihnen vorgefübrte Lagerungsapparat das leistet was man von
Ihm erwarten kann, das heisst bei frischer Spondylitis: Verhütung
eines erheblichen Buckels, bei bereits bestehendem, noch nicht zu
festem Buckel: langsame Besserung desselben, bei rachitischen
Curvaturen der Wirbelsäule kleiner Kinder: Aüsheilung, wenn
gleichzeitig eine zweckmässige antirachitische Behandlung einge¬
leitet wird, bei frischen Skoliosen Besserung, wenn er neben der
übrigen Behandlung gegen Skoliose des Nachts als Lagerungs¬
apparat angewandt wird.
Herr Paul Seifert: lieber nervöse Unfallerkrankungen,
deren Symptomatologie, Untersuchung und Beurtheilung (mit
Krankenvorstellung).
Vortragender entwirft zunächst eine allgemeine Skizze des
Krankheitsbildes bei Unfallneurosen und bespricht dann in aus¬
führlicher Weise mit Zugrundelegung eigener Beobachtungen
die einzelnen Krankheitssymptome, die psychischen Anomalien,
die Schwindel- und Krampfzustände, die verschiedenen mo¬
torischen Reizzustände, die Störungen der Sensibilität und
Sinnesfunktionen, die krankhaften Erscheinungen von Seiten
des Herzens und der Gefässe, insbesondere bei Arterio¬
sklerose. — Darauf geht er auf die Untersuchungsmethoden
und gutachtlichen Beurtheilungen derartiger Unfallkranker
näher ein mit besonderer Berücksichtigung der Simulations¬
frage, der sogenannten „Begehrungsvorstellungen“, des Abschätz¬
ungsverfahrens der Arbeitsfähigkeit etc.
Er bespricht ferner die Prophylaxe der Unfallneurosen
durch geeignete psychische Behandlung, den besonders wichtigen
Einfluss der Arbeit und die Nothwendigkeit einzurichtender
A rbei temach weise.
Im Anschluss berichtet Vortragender über einen bemerkens-
werthen Fall von schwerer Unfallhysterie.
Ein 28 jähriger Markthelfer, hereditär nicht belastet, auch
nicht luetisch oder Alkoholist, erlitt am 5. Dezember 1892 dadurch
einen Unfall, dass er auf abschüssiger Strasse zum Fallen kam
und ein mittelschwerer Handwagen über ihn wegfuhr. Patient
war kurze Zelt bewusstlos und weiss vom Unfall nur soviel, dass
er auf den Hinterkopf und die linke Schulter gefallen sei. Der
Verletzte war wochenlang bettlägerig, klagte hauptsächlich über
Schmerzen im Hinterkopf und der ganzen linken Körperseite,
zeigt melancholisch-hypochondrische Verstimmung und allgemeine
Körperschwäche.
4 Monate nach dem Unfall tritt plötzlich ein hysterischer
Dämmerzustand ein; Patient ist dabei stundenlang bewusstlos,
vollständig reactlonslos, did Augen sind starr, ohne Reflex,
geschlossen. Von Zeit zu Zeit werden die Augenlider
erhoben, er erkennt die Umgebung und vorgehaltene Gegen¬
stände; aber nur mit dem rechten Auge. Die Haut am
ganzen Körper, ausser am Kopf, Ist völlig anaesthetisch
und analgetisch. Dieser Zustand dauert 2 Tage an. Der Kranke
erholt sich im Allgemeinen wieder, aber es war dazugetreten:
1. Eitle vollständige hysterische Amaurose des linken
Auges. Hell und dunkel, vorgehaltene Finger sind nicht zu unter¬
scheiden, Pupillenreaktion auf Licht normal, Augenhintergrund
normal (Augenarzt Dr. G. Becker).
2. Eine scharf abgegrenzte linksseitige Hemianaesthesie und
Analgesie der Haut und Schleimhäute.
3. Eine sensorielle Hemlanaesthesle - des Gehörs, Geschmacks
und Geruchs linkerseits.
4. Eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung auf dem
rechten Auge.
Dieser Symptomenkomplex ist bis heute,
also 8 Jahre, dauernd bestehen geblieben.
2 Jahre nach dem Unfall erfolgte im Anschluss an eine leichte
Mandelentzündung wiederum ein schwerer hysteroepileptischer An¬
fall mit nachfolgendem hysterischen Mutismus. Völlige Sprach¬
losigkeit bei voller geistiger Klarheit. Nach 2 Tagen plötz¬
liche Wiederkehr der ganz normalen Sprache.
4 Jahre nach dem Unfall: Erneuter, einige Stunden dauernder
Anfall mit nachfolgender totaler beiderseitiger Taubheit
und Stummheit Die Taubheit dauert 19 Tage, die Stummheit
73 Tage.
Kurze Zeit darauf nach einem Anfall plötzliche heftige
Schmerzen in der Magengegend und Erbrechen von 2 Esslöffel
dunkelrothen Blutes (hysterisches Blutbrechen).
6 Jahre nach dem Unfall: Hysterische Lähmung des linken
Armes. Allmähliche Besserung derselben.
Dieser Fall beweist, welch’ schweres hysterisches Krankheits¬
bild sich manchmal nach einem verhältnissmässig geringen Un¬
fall und zwar erst nach Monaten entwickeln kann und wie hart¬
näckig und jeder Behandlung unzugänglich die einzelnen hyste¬
rischen Symptome sein können.
Ausserdem demonstrirt Vortragender einen Kranken mit
hysterischer Monoplegie des linken Arms nach Unfall.
In diesem Falle handelt es sich um einen bisher gesunden,
85 jährigen Kranken, welcher am 4. Februar 1899 dadurch einen
Unfall erlitt dass er sich durch Fall auf einer Treppe eine Kon¬
tusion der linken Schulter und des Kopfes zuzog Keine Bewusst¬
losigkeit, keine äussere Verletzung. Darauf mässige Schwellung
des linken Schultergelenks und längere Zeit Schmerzen bei jeder
Armbewegung. Nach Ablauf dieser Entzündungserscheinungen
tritt allmählich eine motorische Lähmung des ganzen linken Arms
ein. Dass es sich dabei um eine hysterische Monoplegie handelt,
beweist deutlich der sdit einem Jahre unverändert bestehende Be¬
fund, welchen Vortragender demonstrirt:
Der linke Arm hängt wie ein lebloser Körper schlaff herab,
ohne jede Muskelspannung. Passive Bewegungen sind ln allen
Gelenken gut ausführbar. Von aktiven Bewegungen Sind zur Zeit
nur möglich: ein geringes Beugen im Ellbogengelenk, ein Beugen
der Hand Im Handgelenk um 90° und Strecken derselben, ein
Beugen der Finger bis zur geballten Faust; ein Spreizen und
Schliessen der Finger. Händedruck links bedeutend abgeechwächt
(30° Dynamometer).
Im Uebrlgen vollständige Unfähigkeit, den Arm zu heben und
zu bewegen.
Berührungen der Haut des linken Arms mit dem Finger,
kalten Gegenständen, der Nadel werden durchgehende als abge¬
stumpft, gegen rechts, empfunden, deutlicher ausgeprägt ist die
Gefühlsstörung im Bereich der Hand und des Unterarms bis 10 cm
oberhalb des Handgelenkes; wo sie manschettenförmig abzu¬
grenzen ist Der Nervenplexus am Hals und die Nerveu am linken
Arm sind auf Druck nicht empfindlich oder entzündlich verändert,
ebenso wenig die Musculatur des Arms. Keine Spur von Muskel¬
schwund am ganzen Arm nachweisbar. Umfang in verschiedenen
Höhen des Ober- und Unterarms beiderseits gleich. Die elektrische
Prüfung ergibt faradlsch und galvanisch keinerlei Abweichungen
der Erregbarkeit der Nerven und Muskeln des linken Arms von
der Norm. Keine Spur von Entartungsreaktion.
Discusslon: Herr Putzer: Gestatten Sie mir nur
als praktischem Arzt, dem Herrn Vortragenden meinen Dank und
meine volle Uebereinstimmung mit seinen so -wichtigen und inter¬
essanten Ausführungen zum Ausdruck bringen zu dürfen. Auch
mich bat die Erfahrung gelehrt, dass es bei der heute wohl all¬
gemein gütigen Auffassung der traumatischen Neurose als einer
funktionellen Störung, welche durch einen physischen und psychi¬
schen Schock hervorgerufen wird und das Centralorgan unseres
Nervensystems direct oder indirect trifft, oft nicht und nur um
funktionelle Zustände als solche, sondern um moleculare und
feinste Veränderungen Im Centralnervensystem dabei handeln
dürfte. Dafür sprechen u. A. die von dem Herrn Vortragenden be¬
sprochenen. objectiven Krankheitserscheinungen, denen Ich noch
aus eigener Erfahrung folgende hinzufügen möchte und zwar:
1. die Pupillendifferenz, 2. eine Verbreiterung der Vena centralis
Retinae, Ja selbst Netzhautblutungen (Retinitis haemorrhaglca),
3. transitorischen Diabetes u. a. objective Erscheinungen mehr.
Ich möchte mir daher gestatten, stets daran zu erinnern, auch bei
anscheinend negativem Befund, Jedoch bei Anwesenheit der meist
immer konstatirten intensiven Kopfschmerzen, Schwindel, Flim¬
mern vor den Augen und Congestlvsymptomen den Augenhinter¬
grund mit Hilfe des Augenspiegels zu untersuchen. Ich glaube
dem Herrn Vortragenden auch darin beistimmen zu müssen, dass
gerade die angeborene oder erworbene Individuelle Prädisposition
durch Alkohol, Atheromatose, Lues u. a. Schädlichkeiten dazu bei¬
tragen kann, selbst die feinsten Veränderungen der Gefässe und
Nerven herbeizuführen. Schmaus hat experimentell bereits
beobachtet, dass Erschütterungen des Rückenmarks, ohne gröbere
anatomische Laesion des Organs, ein Absterben der Nervenfasern
mit Quellung und Degeneration des 'Achsencylindere herbeiführen
kann. Auch an einigen Beobachtungen fehlt es nicht, welche be¬
wiesen, dass eine Erkrankung und Veränderung der feinsten Hini-
gefässe, besondere bei gleichzeitigem Alkohclismus oder Athero¬
matose bei der traumatischen Neurose Vorkommen kann. Ich
möchte daher den Umstand, dass vielleicht unsere heutigen Hilfs¬
mittel der Untersuchung noch nicht ausreichen, auch dem betr.
beschädigten Kranken beitreten und behaupten, dass die Sorgen
um die künftige Existenz, die langwierige Unsicherheit bezüglich
der Höhe der Entschädigung u. a. m. ungemein ungünstig auf den
Gemtith8zustand des Betreffenden wirken und selbst eine ent¬
sprechende Entschädigung durch die höchste Rente noch kein
genügendes Aequlvalent für den Verlust des täglichen Verdienstes
sein dürfte. Betreffs der Therapie möchte ich nur betonen, dass
ich bedaure, wenig oder nichts darüber gehört zu haben und dass
es mir wichtig genug gerade der sogenannten Naturheilraethode
gegenüber erscheint, dass wir praktischen Aerzte uns der An¬
wendung der Hydrotherapie bei traumatischer Neurose mit beson¬
derem Erfolge bedienen und dass diese ebenso wie die aktive und
passive Gymnastik, neben den Nägel l’schen mechanischen Hand¬
griffen, wesentlich zur Heilung der genannten Erkrankung bei¬
trügt!
Herr F. Schanz möchte die Angaben des Vorredners nicht
unwidersprochen lassen, dass er bei traumatischer Hysterie Er¬
weiterung der Netzhautvenen und Blutungen ln der Netzhaut ge¬
funden habe, das Auge sei später erblindet. Derartige Befunde
würden direct gegen traumatische Hysterie sprechen, bei der sich
keine Veränderungen im Augenhintergrund finden.
Herr Ganser weist darauf hin, dass die Simulation von trau¬
matischer Neurose nichts Häufiges sei; man muss den subjectivea
Beschwerden der Kranken besondere Aufmerksamkeit schenken,
besondere bei den Klagen über Kopfschmerzen. Bezüglich des
Zeitpunktes, wann soll der Erkrankte die oder wenigstens eine
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1227
23. Juli 1901.
leichte Arbeit wieder aufnehmen, soll man sehr wohl erwägen,
dass oft gut ernährte und scheinbar leicht erkrankte Patienten
trotzdem eben wegen ihres gesunkenen Willens zur Arbeit patho¬
logischer Weise keinen Antrieb hal>eu. Für solche Kranke ist
eine Anstaltsbehandlung besonderer Art nothweudlg.
Herr Paul Seifert betont, dass für die theilweise Arbeits¬
fähigen zweifellos die allmähliche Gewöhnung an die Arbeit der
wichtigste Ueilfaktor sei und dass es die hauptsächlichste Auf¬
gabe des Arztes sei, durch Aufbietuug seines ganzen psychischen
Einflusses den Kranken zur Wiederaufnahme der Arbeit zu be¬
wegen. Durch ruhiges Zureden, durch Stärkung des Selbstver¬
trauens. durch ernste Ermahnung Hesse sich oft viel erreichen.
Andererseits müsse aber auch, womöglich durch Gesetz, für
geeignete Arbeitsgelegenheit gesorgt werden.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 4. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr C. Lauenstein.
Schriftführer: Herr H a f f n e r.
I. Demonstrationen :
1. Herr C. Lauenstein: 36jähr. Manu mit Lymphpenis.
Der Herr hatte 1887 Gonorrhoe, 1892 wurde ihm im Kölner Bürger¬
spital, nachdem Anfangs von anderer Seite eine bestehende Leisten¬
drüsenschwellung als auf Syphilis beruhend angenommen war,
beiderseits eine Operation in der Leiste gemacht, von der tiefe
Narben zurückgeblieben sind. Die Schwellung des Penis begann
unmittelbar nach der Operation und hat kontinuirlich zugenommen.
Sie betrifft die Schafthaut und das Praeputium; an der r. Seite ist
sie geringer wie an der 1. Seite und in Folge dessen siebt der Penis
so aus, als ob er schraubenzieherartig von links nach rechts ge¬
wunden wäre. Ein intermittirender Abfluss von Lymphe besteht
nicht, aber es bestehen an der 1. Seite des Penisschaftes zahlreiche
warzenartige, höckerige Protuberanzen, die wohl als Hypoplasie
de-* Cutispapillen In Folge von Lymphstauung aufzufasseu sind.
Die Glans ist nicht geschwollen. L. hält in diesem Fall die Affek¬
tion für ursächlich bedingt durch die Unterbrechung des Lymph-
abflusses nach der Leiste hin und will ganz in der gleichen Weise,
wie er dies früher In einem Falle von Lymphskrotum und Lymph¬
penis mit ermunterndem Erfolge gethan hat, die geschwollenen
Partien durch neu gebildete feine Kanäle mit dem Lympligefäss-
geblete der Bauchhant in Verbindung setzen.
Herr H a f f n e r zeigt Präparate von einem 45 jähr. wegen
Totalquerläsion des Bückenmarks nach Fraktur im 12. Brust¬
wirbel (Paraplegia inferior, Incontinentia alvi et urinae) im Hafen¬
krankenhaus behandelten und dortselbst nach 1 jährigem Kranken¬
lager verstorbenen Schauermann: a) Blase, Ureteren,
Nieren, deren Schleimhaut sich im Zustande diphtberitiseber
Entzündung befindet. In dom erweiterten Nierenbecken liegen,
von stinkendem Elter umspült, zahlreiche bis erbsengrosse Trippel-
Phosphat-Concremente, die auch in vivo nach >/» jähriger Dauer
des Krankenlagers radiographisch nachgewiesen waren. Diese
Fülle von Bückenmarksverletzung mit Betentio, später Inconti¬
nentia urinae, böten, wenn die Patienten wie im vorliegenden Falle
lange genug lebten, die günstigste Gelegenheit, die Entwicklung der
aufsteigenden Pyelitis mit Concremcntbildung au der Hand der
Urinuntersuchung, der Kurve und Böntgenphotographie zu ver¬
folgen. b) Die Arterien der unteren Extremität, die
in starre Böhren verwandelt sind, während das ganze übrige
Arteriensystem vollkommen frei ist. Die Grenze befindet sich an
beiden Femoralarterien ziemlich in gleicher Höhe, einige Centi-
meter unterhalb des Abganges der Profunda. Da die Aufhebung
der Sensibilität ihre Grenze ungefähr in der gleichen Höhe hat,
glaubt der Vortr. ln Analogie mit anderen trophischen Störungen
auch für die Gefiisserkrankung, die er als Arteriosklerose an-
spricht, einen directen ursächlichen Zusammenhang mit der Rücken¬
marksverletzung annehmen zu dürfen.
Discussion: Herr Simmouds: Das Vorkommen von
Nierensteinen bei Individuen, welche eine Wirbelsäulenfraktur
lange überleben, ist ein recht häufiges und ich habe die Concre-
mente bei den Sektionen regelmässig angetroffen, wenn mehrere
Monate oder längere Zelt verflossen waren. In manchen Fällen
traf Ich mächtige, verzweigte Phosphatsteine, die das ganze Nieren¬
becken ausfüllten und in alle Kelche Fortsätze ausschickten.
Herr E. Fränkel hält nach Besichtigung der Präparate
die Gefässerkrankung an den unteren Extremitäten für eine mit
KnJknblagerung einhergehende Erkrankung der Media, die mit
Atheromatose nichts zu thun habe. Die Intima sei vollständig
glatt. Er habe derartige Fälle, wo mit Vorliebe die Feinoral-
arterien befallen waren, mehrfach gesehen. Von der Kücken¬
marksverletzung sei die Gefässerkrankung unabhängig.
Ferner betheiligen sich au der Discussion, die sich im Weiteren
um die Frage nach dem Zusammenbang von Kückeumarksver-
letzung, Cystitis und Pyelitis dreht, die Herren Lauenstein,
K d 1 e f 8 e n und Wiesinger.
3. Herr E. Fränkel zeigt im Anschluss an die Demon¬
stration des Herrn Simmouds ln der vorigen Sitzung 4 Prä¬
parate von Stenose nach Tracheotomie. Nur iu einem einzigen
Falle hat er eine Granulationsgeschwulst als Ursache geseheu.
4. Herr S c h 1 e 1 p berichtet über eiuen Fall von Melaena
neonatorum.
Ein 7 l /z Monate alter Foetus musste wegen Asphyxie rasch
nach der durch Wendung erfolgten Geburt abgenabelt werden.
24 Stunden darauf trat Blutung aus dem Munde auf, die nach
8 Stunden zum Exitus führte. Sektionsbefuud: Abuorm weites
Offenbleiben des Ductus Botaili, Atclectase beider Lungen mit
Ausnahme der vorderen Lungenränder, Blutausammlung im Magen
und Darm. Auf der Magenschleimhaut ca. 40 kleinste Erosionen,
von denen 2 stecknadelkopfgross waren und tiefer gingen. Nabel¬
vene frei von Throniben.
Discussion: Herr Slmmonds: Die Melaena neona¬
torum — in diese Gruppe gehört der vorgestellte Fall — ist ein
Symptomenkomplex, der sehr verschiedenen Ursachen seinen Ur¬
sprung verdanken kann. Am häufigsten zwar handelt es sich, wie
in dem vorgestellten Fall, um Erosionen der Mageuduodenal-
Schleimhaut, es kommen aber auch andere Ursachen vor. In
einem derartigen Falle traf ich eine angeborene Atresie
des Duodenum au der Papille mit enormer Ektasie von Duo¬
denum und Magen; da mag das Erbrechen die Blutung unterhalten
haben, ln einem zweiten Falle fand ich eiuen schweren Herz¬
fehler eiuen vollständigen Defekt des Septum; dort lagen
also schwere Circulationsstörungeu vor. Kurzum die Aetiologie
der Melaena ist keine einheitliche.
Herr K a w k a berichtet über einen von ihm beobachteten Fall
von Melaena neonatorum.
II. Discussion zu dem Vortrag des Herrn Edlef-
sen: Zur Aetiologie der Rachitis.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 28. J a n u a r 1901.
Vorsitzender: Herr Bardenheuer.
Schriftführer: Herr F. C a h e n.
Herr D r e y e r stellt einen Patienten mit welchen Schankern
der Harnröhre vor.
Vor etwa 3 Jahren hat Herr Kollege Max Müller hier die
Präparate Ducrey’scher Bacillen gezeigt die er aus Urethral¬
sekret gewonneu hatte. Ich bin heute iu der gleichen Lage und
zeige Ihnen gleichzeitig die Uretbralschauker, die so nahe am
Oriflcium extemum uretlirae sitzen, dass man beim Auseinander¬
ziehen der Lippen desselben einen Theil der Schanker sehen kann.
4 Tage nach einem Beischlaf begann bei diesem Patienten sich
Ausfluss aus der Harnröhre mit Schmerzen beim Uriulreu ein-
zustellen, so dass Patient der vor einigen Jahren einmal an einer
Gonorrhoe gelitten hat, glaubte, wieder eine solche erworben zu
haben. Ich fand indess In dem serösen Sekret keine Gonococcen.
Beim Versuch der Uretliroskopie fiel ich, so zu sagen, auf ein Ge¬
schwür, das einige Millimeter vom Oriflcium entfernt an der linken
Urethralwand sass. Dasselbe hatte Bohnengrösse und zeigte, nach¬
dem man den Eiter entfernt hatte, feine, frischrothe Granulationen,
einen etwas gef ranzten, leicht überstellenden Rand und hatte also
das typische Aussehen eines Ulcus molle. Iu beideu Leisten waren
liaselmissgrosse, leicht druckempfindliche Drüsen vorhanden. Seit
vorgestern hat sich nunmehr auch auf der rechten Urethralwand
ein gleiches Ulcus, eiu Abklatsch des ersten, entwickelt, und die
Drüsen in der rechten Leiste sind beträchtlicher geschwollen und
stärker druckempfindlich. Für die Differentialdiagnose kommen
hauptsächlich der Mangel an Gonococcen, fernerhin die vom Pat.
genau lokalisirte Schmerzhaftigkeit während des Urinirens, die
schon Anfangs bei noch geringer Sekretion vorhandene leicht oede-
matöse Beschaffenheit der Urethrallippen ohne jede Schwellung der
Glans, die gegenüber dem Verhalten bei Gonorrhoe ausgeprägtere
Schmerzhaftigkeit der Lymphdrtiseu, die wässerig-seröse Be¬
schaffenheit des Sekretes und mikroskopisch auch der nicht sehr
reichliche Eiterzellengelialt in Betracht. Die schonende Anwen¬
dung des Urethroskops ist unbedenklich und nicht zu unterlassen.
Den Ducrey’schen morphologisch ähnliche Bacillen kommen
zweifellos in der Harnröhre auch sonst vor. Ihr Aufflnden ist
desshalb ohne Kultur, die neuerdings Bezangon, Griffou
und Le Sourd auf Gelatine und Kaninchenblut-
serum wieder gelungen ist. nicht ausschlaggebend für die Dia¬
gnose. Zur Heilung dienen Jodoformstäbchen.
Herr Keller: Neuere pathologisch-anatomische Unter¬
suchungen bei der sogen. Mittelohrsklerose.
Bei einer grösseren Zahl von Fällen sogen, chronischen
trockenen Mittelohrkatarrhs findet sich als einziger makroskopi¬
scher Befund eine knöcherne Ankylose zwischen Stapes und
ovalem Fenster. Bisher glaubte man, einen chronischen periosti-
tischen Process als Ursache jener Veränderung annehmen zu
müssen, neuere Untersuchungen von Politzer, Bezold,
besonders aber von Sieben in ann - Basel haben dagegen dar-
gethan, dass es sich hierbei um völlig andere Vorgänge handelt,
deren Wesen in der Umwandlung der kompakten knöchernen
Labyrinthknpsel in spongiösen Knochen besteht, wobei das Periost
selbst nicht betheiligt ist. Dieser Process ist nicht auf den
Rahmen dos ovalen Fensters beschränkt, wenngleich dies dir
Priidilcctionsstelle ist, findet sich vielmehr häufig in kleineren
cireumscripten Herden über die ganze Labyrinthkapsel vertheil:..
Derselbe nimmt seinen Ausgangspunkt von den H a v o r s’seh* n
Kanülen, welche sich labyrinthwärts erweitern und ausser mit,
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1228
MTTENOlIENKR MEDTOTNTSOIIE WOCHENSCHRIFT.
No. ;'.o.
Rhit- und Lymphgefässen mit Zollen erfüllt.sind, welche einer¬
seits als Osteoklasten die Resorption des Knochens unter dem
Bilde der II o vv s li i p’sehen Laeunen bewerkstelligen, anderer¬
seits als Osteoblasten neuen, spongiösen Knochen auf bauen, Vor¬
gänge, welche mit den normalen Knoehemvachsthuinsverhiilt-
nissen in Vergleich zu stellen sind. Der Verlauf ist durchaus
chronisch, oft das ganze lieben bis zum hohen Alter hindurch ver¬
laufend, während dessen neben völlig ungebildetem fertigen
Knochen sieh immer noch llerdo junger osteoider Knochenneu¬
bildung nachweisen lassen. Vortragender weist bezüglich der
Natur der eigeuthümlichen Affektion auf die Vermuthung
Siehenman n’s hin, dass es sich vielleicht um die nachträg¬
liche Entwicklung von Knorpelresten in der knorplig priifonnir-
ten Labyrinthkapsel handle, sowie auf die geringen Aussichten
für ein erfolgreiches therapeutisches Einschreiten. Auch die
innere Darreichung des Phosphors, welcher von Sieben-
m a n n mit Rücksicht auf die Eigenschaft desselben, die Bildung
der Spongiosa beim wachsenden Röhrenknochen hintanzuhalten
und statt dessen Corticalis zu bilden, empfohlen worden ist, hat
bisher keine günstigen Resultate aufzuweisen.
Herr Huismans:
1. lieber Morbus Addisonii. (Ist in No. 16 dieser Wochen¬
schrift abgedruckt.)
2. Ein Beitrag zur Kasuistik der mediastinalen Erkrank¬
ungen.
3. Ueber Wege und Arten der Infektion.
(2 und 3 werden anderweitig veröffentlicht.)
Herr Auerbach: Ueber Pleuritis pulsans.
Bei einem 40 jährigen Manne zeigte die linke, um 5 cm
gegen die rechte erweiterte Thoraxhälfte vom 2. Intereostalraum
bis zum Rippenbogen rhythmische, mit dem Herzschlag synchrone
starke Pulsationeu bei einem bis zur 3. l£ipi>o reichenden ab¬
geschlossenen pleuritischen Exsudat und stark nach rechts ver¬
schobenem Herzen. Nach Entleerung von 3 Liter einer hell-
serösen zellarmen Flüssigkeit verschwand die Pulsation.
Während das Phänomen der Pulsation bei Empyemen häufiger be¬
obachtet wird (Fuchs konnte bis 1897 52 Fälle aus der Litera¬
tur sammeln) ist es bei serösem Exsudat im Ganzen bisher nur
in 3 Fällen erwähnt (Fräntzel und Ziehmann: Path. u.
Thor. Bd. IV, 2; Keppler: Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1887.
Bd. X, L. 1 und L e p i n e, ref. im Centralbl. f. klin. Mod. 1897,
29). Die Bedingungen, unter denen die Thoraxpulsation zu Stand*;
kommt, sind: Noch kräftiger Herzstoss, hohe Exsudatspannung,
die einerseits das Herz ad maximuni verdrängt, andererseits eine
Erschlaffung resp. Lähmung der Intcrcostalmuskeln hervorge¬
rufen hat. Die zuweilen beobachtete Zerstörung der Costalpleura
bei eiterigem Exsudat würde die Dehnbarkeit der Intereostal¬
muskeln noch begünstigen. Eine Reihe von Umständen,
die die Spannung des Exsudats zu steigern geeignet sind,
oder die der Verschiebung des Herzens nach rechts entgegen¬
arbeiten, wirken auf das Zustandekommen der Pulsation be¬
günstigend. Sie sind aber nicht Conditio sine qua non, wie die
einzelnen Autoren annehmen (begleitendes pericardiales Ex¬
sudat: Traube; Anwesenheit von Gas: Fereol; Verwachsung
des Pericards mit Herz und Brustwand und Zwerchfell: Broad-
bont; Verwachsung der comprimirten Lunge mit Herzbeutel:
Comby). In unserem Fall stand das nach oben abgeschlossene
Exsudat dadurch unter hohem Druck. Im Allgemeinen dürfte
Boclere Recht haben, der die physikalischen Bedingungen
für die Uebertragung der Herzpulsation auf die Thoraxwand
durch einen linken Pleuraerguss darin sieht, dass der Widerstand
der rechten Mediastinalwand (rechte Wand des Pericards) die
Resistenz eines mehr weniger grossen Theils der linken Inter-
costalräumo übertrifft. Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung
eine Beobachtung B c cl e r e’s bei einem Manne, der bei kleinem
linksseitigen Pleuraexsudat ohne jede Verschiebung des Herzens
starke Pulsation der unteren 2 Drittel de» linken Thorax sah.
Aber der Kranke hatto eine hochgradige Trichterbrust und das
Herz lag nach vorno und rechts fest eingezwängt in einer
knöchernen und knorpeligen Zelle. Mit Ausnahme eines Falles
von Geigel und des von Keppler betrafen alle Fälle von
Pleuritis pulsans die linke Thoraxhälfte. Es dürfte dies wohl
durch die Lage des Herzens resp. die Richtung der Herzachse be¬
dingt sein, indem von der Herzspitze aus die Pulsation durch das
Exsudat fi.rtgeleitct wird. Bei rechtsseitigem Exsudat wird die
Spitze immer weiter nach links geschoben. Bei linksseitigem
findet, nach Eich borst die llcrzverschiebung derart statt,
dass das Herz in toto nach rechts hinübergedrängt, wird, während
eine Drehung um die Längsachse und Verschiebung der Herz¬
spitze in den rechten Thorax nur ausnahmsweise vorkomnu.
Nach Untersuchungen von Cardi aber (ref. im Centralbl. f.
klin. Mod. 1899, 25) verlagert sich das Herz nach rechts in seiner
Totalität im ersten Stadium, dann al>er bildet die Ven. cava iuf.
einen Widerstand gegen die weitere Rechtsbewegung und zugleich
einen Stützpunkt, um den eine Drehung stattfindet, so dass die
Lage des Herzens umgedreht wird und von links oben nach rechts
unten geht. Bestätigen sich diese Versuche durch die Radio¬
skopie, so wäre zu erwarten, dass bei linksseitiger Pleuritis pul¬
sans diese Umdrehung durch irgend welche Umstände, z. B. durch
intra- oder extracardiale Verwachsungen gehindert würde.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 4. April 1901.
Vorsitzender: Herr Carl Koch.
1. Herr Krakenberger: Ein Fall von geheilter Bauch¬
felltuberkulose.
Derselbe berichtet über die Krankengeschichte eines
40 jährigen Eisenbahnoberexpeditors. Beide Eltern au Lungen¬
schwindsucht gestorben. Patient war als Kind klein und schwäch¬
lich, vom 15. Jahre au bessere Entwicklung. 3 Jahre beim Militär.
Am 4. November 1900 plötzliche Erkrankung an heftigen Leib-
schmerzen. Pleuritis exsudativa dextra. Punktion. Am 8. De¬
zember gebessert aus dem Krankenhaus entlassen. Am 12. De¬
zember neuerliche Erkrankung unter den gleichen Erscheinungen
wie zuerst. Heftigste Leibschmerzen. Kontinuirllches Fieber.
Abdomen aufgetrieben, äusserst druckempfindlich. Am 15. De¬
zember Abgang eines haselmissgrossen Gallensteins. Fieber bleibt.
Am 24. Dezember Ascites nachweisbar. Starke Anschwellung der
Milz. 20. Dezember: Pleuritis exsudativa sinistra. Aspirin,
Priessnitz. Allmähliches Verschwinden aller Symptome. Ent¬
lassung als geheilt am 15. März, Patient nimmt seinen Dienst
wieder auf.
Besprechung der Symptomatologie der Peritonitis tubereulosa,
Diagnose, Prognose, Therapie. Vortragender kommt zu dem
Schlüsse, dass man erst dann operiren solle, wenn die subjektiven
Beschwerden (Spannungsgefühl, erschwerte Athmung etc.) zu der
Operation drängen.
In der Dlscussion bemerkt Herr Friedr. Merkel: Die 2 Fälle
von Bauchfelltuberkulose, über welche von ihm in der Zeitsehr.
f. Gelnirtsh. u. Gyn. Bd. 39 berichtet wurde, leben beide und sind
vollständig gesund. Der erste, operirt 4. IX. 1895; der zweite,
operirt 3. IV. 1890, also 5 und (5 Jahre lang beobachtet. Der 3. Fall
betraf ein 19 jähriges Mädchen, welches neben der abgesackten
Bauchfelltuberkulose noch ausgedehnte Zerstörungen auf der
Lunge hatte. Die Operation brachte wesentliche Bessrung; ein
halbes Jahr später Exitus letalis an der Tub. pulm. Im 4. Fall
handelte es sieh um einen Ascites tub. von 12 Liter bei einem
43 jährigen Mann mit Spitzendämpfuug links. Laparotomie; so¬
fortige Besserung, nach 5 Tagen rapider Verfall mit hohem Fieber.
Exitus nach 8 Tagen. Sektion ergab akute Miliartuberkulose der
Lungen; Peritonealtuberkulose ln Rückbildung.
Neuerdings kam ein Fall ln Behandlung, der in mehrfacher
Hinsicht Interesse bietet: 23 jährige I. Para; Entbindung vor einem
halben Jahre ohne Kunsthilfe; hereditär schwer belastet. Bald
nach der Entbindung begann die Frau zu kränkeln, allgemeine
Altmagerung. Bauchumfaug zunehmend. 32 Wochen nach der
Entbindung zugezogen, konstatirte er ein linksseitiges pleu-
ritlselies Exsudat, fast bis zur Lungenspitze reichend. Leib 93 cm
Nabelumfang. Die linke Uuterbauchgegeud ausfüllend, oberhalb
der Symphyse, sich etwas nach rechts erstreckend, ein abgesacktes
Exsudat. Operativer Eingriff abgelebnt. Schmierseif enbehaud-
lung abwechselnd mit Jodtinktur; innerlich Fe und Ol. jec. as.
Nach 6 Wochen Pleuraexsudat nur noch handbreit hoch; Leib-
umfnng nur 79 cm Nabelumfang. Links noch etwas Resistenz
aber allmählich sich aufhellender tympanitischer Percussionston.
Also Spontanheilung bezw. mindestens Besserung!
Hinsichtlich Spontanheilung bietet ein Fall noch Interesse, bei
dem es sich um vollständige Rückbildung von Sarkommetastasen
handelte. 42 jährige Frau, NulUpara, seit einem Vierteljahr rasche
Zunahme des Leibes von 83 cm auf 90 cm. Doppelseitige Ovarial¬
tumoren; bei der Laparotomie, 27. XL 1900, Entfernung der beiden
Ovarialcystosarkome von Mannskopf- und Fnustgrösse. Meta¬
stasen vom Netz mitentfernt; weitere Knoten Im Mesenterium und
Douglas bis Eigrösse zurückgelassen. Nach einem halben Jahre
blühendes Aussehen der Frau (27. III. 1901), bimanuell nichts
Krankhaftes mehr zu fühlen.
2. Herr Friedrich Merkel l>erichtet, veranlasst durch die
in den Monat sh. f. Geburtsh. u. Gyn. Bd. XIII, 3 veröffentlichte
Arbeit von Späth, über seine mit Antipyrinsalol gemachten Er¬
fahrungen, angewandt zu intrauterinen Aetzungen. Auf Grund
von 20 hicniit behandelten Fällen wird bestätigt, dass es in einer
Reihe von einfachen Blutungen ln Folge Ersohlnffungsznständen
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23. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1229
der Uterusmusculatur gute Dienste geleistet habe. Er glaubt Je¬
doch. dass genule wie seinerzeit das Ferripyriu aueli jetzt das
Autipyrinsnlol sich keine grosse Verbreitung erobern dürfte, da
durch iiitere und starke Aetzniittel, Jodtinktur, Chlorziuk elc..
gleiche Erfolge erzielt werden können.
3. Herr Friedrich Merkel demonstrirt folgende Präparate
und gibt die hiezu gehörigen Krankengeschichten:
a» Frau M., 55 Jahre alt, steril, Menopause seit 5 Jahren, in
den letzten Jahren abgemagert l*ei stets wachsendem Leib: dieser
in der linken Seite, besonders olierhalb des Nabels, stark hervor¬
gewölbt. Husches Wachstliuni: Nabelumfang 89 cm, nach
14 Tagen 91 cm. Hechts von Leber bis handbreit oberhalb des
Lig. Poupnrt. tympanitischer Ton: links seitlich grosswellige Flue-
uiatiou. Hechts fühlen sich die Tumoren hart knollig an. Tumor
bis unter den Hippenbogen reichend. Portio in Kreuzbein-
aushöhlung klein, hart. Der vordere Beckenraum ausgefüllt
durch festgeklemmte harte, knollige Tumoren. Die am 27. UI. 19i»i
ausgeführte Laparotomie ergab: Geringer Ascites; linksseitiges
I’olycystouia ovaril inel. Flüssigkeit 4300 g Gewicht. Nach dessen
Abtragung Mobilisirung des myomatöseu Uterus durch Abschnilrcn
der Ligamente: Spalten und Abschieben des Peritoneums im vesien
uterinen Kaum und Douglas; Abklemmen und Unterbinden der
lteidcn Uterinae; Abtragen des myomatöseu Uterus. 1300 g. Rotro-
Iteritoneale Stiel Versorgung; fortlaufende Naht des Peritoneums.
Schluss der Hauchwunde. Ganz glatter, afebriler Verlauf.
b) Frau I\., 43 Jahre alt, III. Para, letzte vor 13 Jahren.
Perl«nie früher regeliuiissig stark; in den letzten 3 Monaten fast
nie aussetzende Blutungen. Kreuzschnterzen; hartnäckige Obsti¬
pation. Senkung der vorderen Vaginalwand. Portio bis zum In¬
troitus vagluae reichend. Uterus besteht aus einem vielknollig<*n.
fil*»r kimlskopf grossen Tumor, schwer beweglich; Lig. rot. zu tasten;
allgemeine Atmende. Elend, Puls 100—120; Kopfschmerzen; Urin
ohne Klweiss und ohne Zucker. Am 29. III. 1901 Operation. Um-
schneiden der Portio; Abbinden der beiden Uterinae; Eröffnen des
Peritoneums vorn und hinten; Ilerabdrüngen des Tumors durch
die hintere Oeffuung. Morcellement, bis der Uterus in toto sich
herabzleheu lässt: Abklemmen der Ligamente mit Klammern,
rechtes Ovarium mitentfernt. Glatter Verlauf.
c) Fr. G., 22 jährige II. Para, seit % Jahren Zunahme des
Leil>es. Menses regelmässig. Bauchumfang 103 cm; linksseitiger
Ovnrientumor bis unter den Hippenbogen reichend. 4. IV. 1901:
Ovariotonde, Cyste entfernt, 14 Liter Inhalt, Verwachsungen mit
der Lel>or. Hechtes Ovarium, klein cystisch entartet, mitentfernt.
4. Herr Friedrich Merkel demonstrirt die Röntgeu-
aufnahme des Acardius acephalus, der vor 4 Wochen vorgezeigt
wurde. Aus derselben geht hervor, dass oberhalb des 1. Lenden-
wirl>els eine Abschnürung stattgefunden hat; vom letzten Brust-
wirlH*l ist nur ein kleiner Knochenkem zu erkennen. Becken,
Oberschenkel- und Unterschenkelkuochen in ziemlich normaler
Kernlage: an beiden Füssen nur einzelne Knoeheukerne sichtbar.
5. Herr £ h r m a n n berichtet über einen Fall von Gallen-
steiniieus.
Gallensteinileus ist eine relativ seltene Erkrankung, weil die
meisten Gallensteine zu klein sind, um einen Darm Verschluss
herbei führen zu können. Ein Stein von solcher Grösse, dass da¬
durch eine Obliteration des Darmes herbeigefülirt werden kann,
kommt natürlich meistens nicht durch die Gallengänge und
Ductus elioledochus in den Darm, sondern nach Bildung einer
Gallenblasendarmfistel, was auch bei dem von ihn» beobachteten
Falle vorlag.
Es handelt sich um eine 53 jährige Castwirthsfruu, welche in
der Jugend Typhus hatte, später an ltetrofiexio Uteri litt. Vor
2 Jahren traten zum ersten Mal Gallensteinkolikeu auf, die sich
3 mal innerhalb eines Jahres wiederholten. Im September vorigen
Jahres fiel>erhafte Erkrankung mit Anschwellung und Druck-
empfindlichkelt ln der Leber und Gallenblase. Datier des Fiebers
und der Schmerzen mit Unterbrechungen ca. (» Wochen. Ver¬
schwinden des Tumors in «lei* Gallenblusengegend, d. li. Perforation
eines Steines von der Gallenblase in den Darm. Neuerlich«» Er¬
krankung an Gallensteiukolik nach ülterreichlicher Mahlzeit von
1 Monat. Das Erbrechen wurde allmählich faeeulent. «*s gehen
keine Flatus und Faeces mehr ab; dabei nur geringe Druck-
empfindlichkeit älter dem Nabel, fast völliges Fehlen des Meteoris-
inns. wie dies für Galleustelnlleus charakteristisch. Dagegen
sehr schlechter Puls, subnormale Temperatur, Kräfteverfall. Trotz
Magenspülung und hohen Darmelugiessungen kein Nachlass des
faeeuleuten Erbrechens, keine Flatus, kein Stuhl.
Operation erst am 5. Tage nach Beginn des Erbrechens ge¬
stattet.
Entfernung eines 28.2 g schweren Gallensteiues aus dem
Ilcuin. ea. 1 m unterhalb des Pylonis. Danach vollständige Heilung.
Der Fall Ist bemerkenswerth: 1. durch die richtige Dlngnoscn-
stellung vor der Operation. 2. durch die Grösse des Steines (0 : 3 cm»,
3. durch den Erfolg trotz später Operation.
In der D i s e »i s s 1 o n spricht Herr Ottmar Müll e r, der
«li<» Operalion ausgeführt hat. kurz über dieselbe: Wegen der
schlechten Verfassung, in «1er Pat. sieh befand, wurde von einer
Allgeineinnnrkose abgesehen und die S c li 1 e I e h’sche Anaesthesic
gewählt. Dieselbe musste allerdings dem Chloroform während
der kurzen Dauer des Intraperitonealen Eingriffs weichen. Das
IIliHleriiiss wurde sehr rasch gefunden und durch Im-isioii des
wtnig alterlrteii Darmes entfernt. Dnnnunht in 3 Etagen. S«»hluss
<I**r Bauchhöhle. in der eine grossere Meng«» Kochsalzlösung zniäiek- |
gelassen war. Die verhältuissmässig rasche Erholung führt 1
Redner auf tägliche Magenspülung — es bestand noel» mehrere
Tage hindurch völlige Dnrmlühmung — und subkutane Koehsulz-
infusion zurück. Entlassung der vollkommen bescliwt*rdefr«»l«*n
Pat. nach 3 Wochen.
Rostocker Aerzteverein.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung v o in 11. M a i 1901.
Herr A x e n f e 1 d nimmt das Wort zu folgender Demon¬
stration:
Echinococcus orbitae, o p c r i r t m i t de r K r o e ii 1«»i n -
s c 1»«» n t e in )> o r ä r e n H e s e c 11«» n d e r ii u s s «» r e n O r -
bitulwand. Bei einem 3 jährigen, von Herrn Dr. Fahrlelus-
Gievesmiililen «ler Klinik zugewiesenen Knaben hatte sich iiuu»r-
hall» von 3 Monaten ohne alle Schnn»rz«»n ein liochgnuligcr Ex¬
ophthalmus d«»s n»<‘ht( > n Auges entwickelt, «ler w«»g«»n s«»ln«*r Rich¬
tung und «ler ho«’hgradig«»u S«»hst«önmg auf eine Geschwulst im
Musk«*ltlichter zu beziehen war und in erster Linie eines „Sch¬
nei veutumors“ venlächtig orscliieu. Die Operation nach K roen-
1 «* i n ergab alH»r einen tauiH»neigrosscn Ecl»iu«x»oc«-us, «h*r d«»n
Sehnerv«»n zwar von aussen her umlagerte, aber nicht mit Ihm
zusainmenhing. Nach Eröffnung der ziemlich «l«»rbcn hiude-
gewebigen Kaps«»l Hess sieh der uuiloeuhm» Parasit, in dessen
Innern llakenkräuze nicht gefunden wurden, leicht herauszielu»n.
Von einer Totalex stinkt Gun «ler ganzen bin«lt»gewi»hlg«»n Kapsel
wurde Abstand genommen, weil der Rectus externns und d«»r Iteet.
superior ganz in dersellieu aufgegangen waren; es wurde nur eiu
Siiiek resecirt, «Ile Höhle ausgekratzt und dann der Knoeheiikeil
reponiit; nur an» unteren Wumlende wurde ein Tampon eingelegt,
um eine etwaig«», von «ler Kapsel und der ausg«»tr«»t<»nen Eeliino-
(*<'ec<»iitlüssigk«»it befürchtete entzündliche Sekretion zu l»es«»itig«»n.
I )«;«»li wiinle Vortrngemler in Zukunft ruhig p«*r prlinain die ganze
Wutnle schliessen, da k«»ii»erlel entzündliche Erscheinungen ein¬
traten.
Der Exophthalmus ist geschwunden, «las Sehveninügen wi«»«I«»r
auf Fiugerzählen In 3 n» gestiegen, die aus «i«»r Zeit des Kxopli-
thalmus stammenden Miiskeilälimungeu sind in <l«*r Hiickbildnng
b« griffen.
D«»r Fall ist der 2. in dem echino«-occ«‘ni , eicln*n Me«»kl«»nbnrg
und zeigt damit die Selt«*nln»it der Lokalisation in der Orbita (der
erste wurde vor ca. 30 Jahren von Zehend er lM*obavlit<*t». Die
gesummte Kasuistik der letzten 100 Jahre beläuft sieb auf etwa
70 Fälle.
Es zeigt sich von Neuem, wie unsicher die Diagnose „S«»h-
n«»rventumor“ ist, «lesshalb ist nur eine Opernti«*nsmetl»ode \vh» die
K r o e u 1 e 1 n’sclie, die hier zun» ersten Mal bei «»inen» Echino¬
coccus ang«»waimt wurde, für die tiefen Oi»bitalpro«»esse am Platz,
weil dies«»lbe vor der elgentlicb«*n Exstirpation einen sicliereu
IVlierblick gewährt. Das alte Verfahren, zunächst von innen her
den Sehnerven am Foramen optiouni zu durchtrennen, dann «len
Tumor unt«*r Drehung <h»s Bulbus zu entwickeln, zu exstlrpiren
und «las Auge zu reponiren, ist ganz allgemein zu v«»rwerf«»n, weil
«Ile Diagnose des ..S«‘l»n«»rv«»ntuniors** nie ganz sleln»r ist.
Um bei der K r o e nie! n'sel»«»n Operation das sich immer
winler vorlegen«!«» F«»ttgew«»lH» zurückzulmltcn. hat V«*rtrag«»n«l»»r
besondere ..O r b 11 a I p 1 a 11«» n“ von H. W 1 n «11 e r - Berlin
anfertigen lass«*»», welehe «len Ueb«»rblick w<»s«»iitH«»h erl«»icl»t«*rn
mul ihm auch bei 2 anderen Fällen gute Dienste l«»istcten.
Die genauere Beschreibung dieses Falles wird ii» «ler Disser¬
tation von Herrn Stephan geschehen.
In «ler sich nnscl»liesscn«l«»n Discussion tritt Herr
Graser clx-nfalls für die K r «n» n 1«»1 n'sche Operation ein.
w«»il iH<»s<»Nm» ohne gross«» Schwierigkeiten auszuführt‘n sei mul
«»inen genauen TVberbliek über «las Operationsf«»lil g«»statte. Was
«li«» Zurücklassung «ler Kapsel «les E«»l»ii»oeo«»eus betreffe, so für«*hte
«*»•. «lass es zur Bildung el»»«»s Ilaeinatoms be/.w. «»hier Cyste
kommen könne, was nach längerer Z«*it vielleicht den Erfolg der
Operation in Frag«» st«»lle. Je<l«»ufalls plaidire er für Drainag«»
und empfehle für «H.'soIIh» Glasdrains. w«*lel»«» w«»g«»u der gi'öss«»» - «»»»
Reinlichkeit und der g«»ringeren R*»izlmrk«»it si«-h sehr bi»wälirt«*n.
II«»rr Stock (Assist«»nt an der Universitätsaugeuklinik), be-
ri«»htet über einen Fall von Fseudotuberkulose der Iris b«»l einem
13jähr. Mäd«»lien. h«»r\«»»•gerufen durch ein«» Anzahl kleiner Holz-
splitt«»r. Das Kind war mit «»hier Weide in sein linkes Auge g«>-
st«.clien word«»u. Na«-l»dem der Bulbus 14 Tage lieinalit» reizlos
g«»wcs«»n war. entwickelten sieb nach dieser Zeit Knötchen auf der
Iris, die klinisch für Tul»«»rkcl gclmltcn wunlcn. B«*i «ler patlio-
logiseli-anatoiuischcu Untersuchung fand sich in jinlein «ler Knöt-
«•hen ein aus Pfianzenzellcn lK»steln*n«lt»r Fivnnlkörper. Um «lies«»»»
Köriier war eine stark«» kleinzellige Infiltration und «»pitheloide.
zum Tlieil Hies«»nz«»IU»n. zu sehen. Glaskörper. Retina und
Cl»orioi«l« , a beinah«» frei von Entziin(lmigs«>rscl»ci»ning«»n. dagegen
besteht starke Neuritis optica mit V«>rw«ülbuug «ler Pupllh». Vor¬
tragender bringt dies«» Neuritis als Feriiwlrkuug «l«*s Eiitzünduugs-
pi»)««sses im v«u , d«»ren BullMisabselinitt mit diesem in Zusuiiinn'ii-
hang. Ob Toxine, die von Baet«»rieu «»rz«»ugt werden (In den Prä-
paiaten «liesos Falles k«tnuteu keine Bact«»ri«‘li nacligewiesen
werdeni, <>«!«• r reiz«»n«l«» Substanz«*!», die aus «len Fr«‘uidk<"»rpcni
seihst stamnii'i». «li«» N«»uritis h«»rvorhring<»u. «h»i , ill»«»r soll der Tlii«*»*-
vci'sin-l» Anskmift geben. -- Uob«*r das Resultat dieser I‘»»t«•»•-
sin innig« l» wild später iiorii lilcl w«»r«len.
Daran s« iiiie-si si« l» «»ine Denionsti-aiion «1«»r hioi/.n geliöriy«»u
mikroskopischen l’riiparatc an.
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1230 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30.
Sitzung vom 8. Juni 1901. |
Nach der Eröffnung der Sitzung nimmt zuerst Herr Körner
das Wort zur Demonstration einiger Rhinolithen und bespricht
die Entstehung derselben. Wahrscheinlich handelt es sich stets
um inknistirte Fremdkörper. In zwei Füllen war der Fremd¬
körper ohne Weiteres zu erkennen, da ihn die Kalkkruste erst in
dünner Lage überzogen hatte; es war das eine Mal ein Schuhknopf,
dicht besetzt mit mohn- bis hlrsekorugrossen Kalkklüinpcbeu, das
andere Mal ein Leinwandstreifen, der durch die Inkrustation steif
geworden war und sich wie Glaspapier anfühlte.
Sodann folgt Herr Graser mit dem von ihm angekündig
ten Vortrag über Darmdivertikel. Unter Vorlage zahlreicher
Abbildungen, Photogramine und mikroskopischer Präparate he- ■
richtet G. über seine ausgedehnten Untersuchungen in Betreff der
falschen Divertikel in der F 1 e x u r a s i g m o i d e a.
Während man früher diese Divertikel für seltene Vorkommnisse
hielt, ist cs dem Vortragenden gelungen, in kurzer Zeit eine ganze
Reihe von Anfangsstadien dieser Störung aufzufinden und einige !
Aufschlüsse über die Entstehung derselben zu geben. Die Divcr- j
tikel sind Ausstülpungen der Darmschleimhaut I
durch die Museulatur; die Schleimhaut folgt dabei den |
Durchtrittsstellen der Blutgefässe; die Wege für den Durchtritt I
werden in solchen Fällen besonders gut vorgebahnt sein, i n ;
denen die Lücken für den Durchtritt der Ge- ;
fasse besonders weit sind, also bei lange dauermh r i
Stauung in den Venen, welche mit einer dauernden Erweite- 1
r u n g, aber wechselnden Füllung dieser Gefässo verbunden ist. i
Nachdem die hemienähnlichc Vorstülpung der Schleimhaut bis |
in die Subserosa vorgedrungen, tritt in dieser leicht eine kolbigo
Erweiterung durch stagnircuden Koth ein; in diesen Erweite¬
rungen erfährt dann die Schleimhaut leicht eine starke Schädi¬
gung durch Druck und Infektion, die zur Verschwärung und zum
Durchbruch führen kann, ähnlich wie bei der Epityphlitis. Aber
auch wenn der Durchbruch nicht durch die Serosa hindurch er¬
folgt, kann durch die Anwesenheit des Kothcs im subserösen
Gewebe eine intensive Entzündung mit Bildung von Adhäsionen
und narbigen Verziehungen entstehen. Auch für diese Folge¬
zustände besitzt G. bereits eine grössere Anzahl beweisender Be¬
funde. (Näheres siehe Münch, med. Wochensehr. 1899, No. 22.)
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Acad6mie de mädecine.
Sitzung vom 28. M a 1 1901.
Huchard bespricht den Zusammenhang von Neuralgien
und latenten Aneurysmen der Aorta. Die letzteren, an der
Aorta descendens und abdominalis gelegen, würden oft nicht er¬
kannt, weil sie sich Monate und Jahre lang durch Schmerzen
kundgeben, die man häufig einfachen Neuralgien, einem Rheu¬
matismus, Lumbago, Neurasthenie, ja einer Angina pectoris
u. a. m. zuschreibt. Die Art des Schmerzes, der genau lokalisirt
Averden sollte, habe übrigens etwas ganz Charakteristisches bei
Aneurysmen. Auch die liöntgenogrnphie kann von grossem Yor-
thell sein; eine frühzeitige Diagnose ermöglicht eine Behandlung,
die sehr oft zur Heilung führt: Ruhelage, Milch- und vegetarische
Diät, .Todmedication. II. führt als Beweis die Rüntgenbilder eines
frühzeitig erkannten und so behandelten Falles vor.
Fournlcr ist der gleichen Ansicht wie II. und bringt eben¬
falls einen sehr früh erkannten und durch die spocilisehe Behand¬
lung geheilten Fall von Aortenaneurysma.
Sitzung vom 11. J u n 1 1901.
Budin bespricht auf Grund einer statistischen Zusammen¬
stellung von G 11 e 11 a und Balestre die Kindersterblichkeit
in Frankreich. Diese Arbeit zeigt, dass dieselbe bei Kindern
unter 1 Jahr eine ganz erschreckende ist; in Paris betrügt sie 145
auf 1000 Sterhefälle, ln Rouen 251, ln Lille 291, in Dünkirchen 342,
im Mittel in den Städten Frankreichs 1(57. Die Diarrhoe (Cholera
infantum) ist die Hauptursache dieser Mortalitiit.und zwar vor
Allem in den heissen Monaten. Diese Kinderdiarrhoe könnte völlig
verschwinden, wie die Erfolge an den SüuglingsstatIonen von
Variot, de Rothschild, Dubrisay lehren. Nach der Diarrhoe ver¬
ursacht die Lungenentzündung die grösste Sterblichkeit und zwar
besonders in den Wintermonaten. Es geht weiter aus der an¬
geführten Arbeit hervor, dass diese hohe Mortalität durch geeignete
Mnassmihmen bedeutend reducirt Averden kann; das beweist die
grosse Verschiedenheit der Kindersterblichkeit in den A'ersehie-
denen Departements, sie wechselt von der einfachen bis zur mein*
als doppelten Zahl. Addirt man die Todesfälle kleiner Kinder in
ganz Frankreich, so kommt man zur enormen Ziffer von 3 'mhki.
was 20 Jahre später 15 WO Soldaten weniger gälte.
Nach Fonrnier spielt die Syphilis eine grosse Rolle bei
der Kindersterblichkeit, in syphilitischen Familien sterben circa
50 Proc. der Kinder im ersten Lebensjahr. Viele Todesfälle von
Kinderatrophie sind auf Syphilis zurückzuführen und wären zu
vermeiden, wenn die Mutter sich Avührend der Schwangerschaft
gehörig behandeln Hesse.
Budin Ist derselben Ansicht, alter man muss nicht nur die
Mutter während der Schwangerschaft, sondern auch das Kind
nach der Gehurt autisyphilitlsch behandeln. B. könnte völlig
kräftige Kinder zeigen, welche im Zustand vorgeschrittener syphi¬
litischer Kachexie zu ihm gebracht Avorden sind.
Bel der Entvölkerung Frankreichs und der Wichtigkeit dieser
Frage hält Laveran die Mittheilung B u d 1 n’s für sehr be-
nchtenswertli und dem Minister des Innern sei darüber Bericht zu
gelten, was einstimmig beschlossen Avurde.
Riehe berichtet über die Arsenikvergiftungen, welche zu
Manchester d urrii Bi e r hervorgerufeu worden seien. Die Zahl
der Vergiftungen betrug 4182 mit 300 Todesfällen. Zur Fabrikation
des betreffenden Bieres wurden weder Hopfen noch Malz, son¬
dern G ly kose verwandt, Avelelie mit einer unreinen, arsenikhaltigen
SchAvofelsäure dargesteilt worden Avar. Der Bericht bringt weitere
Interessante Einzelheiten über die zahlreichen, in England ge¬
bräuchlichen Bierfälschungen. In Liverpool existirt eine Fabrik
künstlichen Hopfens, von Moussirpulvern u. s. av.; man hat in
manchen Bieren bis 4 mg Arsenik pro Liter gefunden.
Soci6t6 de Pädiatrie.
Sitzung vom 11. Juni 1901.
Zur Präventivbehandlung mit Diphtherieheilserum.
Ausset erklärt, die gute Wirkung der prophylaktischen
Impfung mit Heilserum könne nicht mehr bezweifelt werden. Seine
Erfahrung ist auf mehr als 500 Impfungen gegründet und er zögert
nun nicht mehr, dieselben In der Privatpraxis unzuAveudeu. Es ist
niemals zu spät zum Handeln, gewisse Formen von sehr toxischer
Diphtherie sind, auch wenn am ersten Tage gespritzt wird, noch
immer sehr gefährlicher Natur, die prophylaktische Impfung Avird
den Ausbruch solcher - Fälle hindern.
Barbier glaubt nicht, dass dieselbe so sehr Avirksam sei;
vielmehr kämen auch hei Schutzimpfung viele Diphtheriefülle vor.
Netter gibt zu, dass die Schutzimpfung keine absolute Im¬
munität erzeuge, sie beschränke aber in hohem Maasse die Mög¬
lichkeit der Ansteckung. Er glaubt nicht zu übertreiben, wenn er
sagt, dass ein Kind, in Berührung mit einem Diphtheriekraukeii.
Avenigstens 10 Proc. Wahrscheinlichkeit habe, die Diphtherie za
aeqiiiriren. Nach N.’s Statistik haben unter 32 484 Kindern, die
prophylaktisch geimpft Avurdcn, mitten in einem Diphtherieherd
nur 192 die Krankheit aequirirt, das sind 0 auf 1000. Die Schutz¬
impfung soll sicherlich nicht die anderen Maassregeln verhindern,
aber sie vermindert durch die geringere Zahl der Inlielrten deren
Schwierigkeiten sowohl bezüglich der Isolirung als der Des¬
infektion.
Comby hält die Schutzimpfung für absolut unschädlich und
sehr Avirksam, und wendet sie stets auch in der Prhratprnxis an.
ohne die bacteriologische Untersuchung ahzuAvarten.
Sevestre hält zwar ebenfalls die Prüveutivimpfungon für
gefahrlos, aber immerhin können geAvisse Nebenerscheinungen da¬
mit verbunden sein, wie Hautausschläge u. s. a\\ Wenn es daher
möglich ist, die gesunden Kinder neben den kranken 2 mal hu
Tage (Morgens und Abends) zu sehen, so vermeidet S. die Schutz¬
impfung, andernfalls, und Avenn der geringste Zweifel besteht, be¬
eilt er sich, dieselbe zu machen.
Im Anschlüsse an" diese Discusslon Avird folgende Resolution
gefasst: „Die Gesellschaft der Kinderärzte ist der Ueberzeugung.
dass die Präventivimpfungen mit Diphtherieheilserum keine ernste
Gefahr bieten, und dass sie mehrere Wochen hindurch Immunität
ln der grössten Mehrzahl der Fälle bieten; sie empfiehlt daher deren
Amvendung dann. Avenn ein Diphtheriefall unter mehreren Kindern
ausgebrochen oder Avenn eine genügende, strenge Ueberwachung
nicht möglich ist".
SocietS medicale des hopitaux.
Sitzung vom 7. und 21. J u n i 1901.
Zur Cytodlagnose der Geisteskrankheiten.
S e g 1 a s und N a g e o 11 e halten hei einer Anzahl Geistes¬
kranker den Liquor cerebrospiualis untersucht uud weder bei vor¬
zeitiger Demenz, noch hei chronischem Alkoholismus, noch bei
einer opileptiformen Attaque Lymphocytose gefunden, hei 5 Kran¬
ken jedoch, wo schon vor der Punktion die allgemeine Paralyse
gewiss oder Avahrscheinlich Avar, bestand in ausgeprägter Weise
die Lymphocytose.
Joffroy hebt als wichtigsten Punkt dieser ganzen Frage
jenen hervor, oh es die Lymphocytose ermöglicht, vorzeitig die Dia¬
gnose der allgemeinen Paralyse zu stellen; in der That glaubte J..
dass dies in einem Falle gelang, avo noch keine Augen- und keine
Sprachstörung vorhanden Avar.
I» u p r 6 und Dfivaux fanden ebenfalls nur hei Paralytikern
eine Lymphocytose — in 2 solchen Fällen war grosser Zellreich¬
thum im Liquor cerebrospinalis vorhanden, während bei (j anderen
Kranken (senile Demenz, delirirendo Melancholie u. s. av.) die Oyto-
diagnose stets negativ Avar. Der hohe Worth derselben zur Unter-
I Scheidung der Gehirukrankheiteii, avo die Meningen betheiligt sind.
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23. Juli 1901.
MT7ENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1231
wie der progressiven Paralyse, von jenen, wo dies nicht der Fall
ist, ist also ein zweifelloser.
Widal empfiehlt, im Allgemeinen nicht mehr als 3, 4, höch¬
stens 6 ccm des Liquor cerebrospin. zu entnehmen. Um die mög¬
lichen. unangenehmen Zufälle, wie Kopfschmerz, Schwindelgefühl.
Erbrechen zu vermelden, muss mau den Kranken empfehlen, nach
der Punktion mit niedrig gehaltenem Kopf einen Tag ruhig liegen
zu bleiben. Auch ist es wichtig, ganz feine Nadeln zu gebrauchen,
damit nicht eine zu grosse Oeffnung ln der Dura mater entsteht
und der Liquor cerebrospinalis nach Aussen fllesst. W. glaubt,
dass die geringste chronische Erkrankung der Hirnhäute sich
durch Lymphocytose manifestlrt. Man beobachtet zwar manchmal
meningitische Erscheinungen (Meningismus nach Duprf), wie
z. B. beim Typhus, aber das negative Resultat der Cytodlagnose
zeigt in solchen Fällen, dass es sich nur um funktionelle Störungen
handelt, ohne dass die serösen Hirnhäute ergriffeu sind.
Laignel-Lavastine berichtet über die Zählung der
Lymphzellen, welche er an dem Liquor cerebrosp. von 40 Kranken
vorgenommen hat. In 21 Füllen von allgemeiner Paralyse hat er
gefunden, dass die Gesammtmenge der Leukocyten pro ebmg
ungefähr 5 beträgt, aber oft auf 23 und 30 am Anfang oder Ende
der Krankheit steigen kann. In 4 anderen Fällen von allgemeiner
Paralyse fand er nur 0,5 Leukocyten auf 1 ebmg. Bei anderen
Affektionen, wie tuberkulöser Meningitis, Tabes, Alkoholintoxl-
eation war ebenfalls Lymphocytose vorhanden. IJebrigens hatte
L. konstatirt, dass in Folge einer ersten, normalen Liquor cerebro¬
spinalis ergebenden Punktion sich eine geringe Leukoeytose ent¬
wickelt hat, und frägt sich, ob die Oytoreaktion nicht eine so sen¬
sible ist, dass ein einfacher aseptischer Einstich genügt, um sie
hervorzurufen.
E t i e n n e - Nancy bespricht den allgemeinen Typus der
Staphylococcen-Septikaeinie. Dieselbe kann von einer Angina
aus, einem Furunkel, einem Abscess, einem osteomyelitischen Herd,
einem Mammaabscess aus entstehen. Man kann eine perakute,
eine akute und eine prolongirte Form dieser Septikaemie unter¬
scheiden. Hohes Fieber profuse Schwelsse, hochgradige Ab-
geschlagenheit sind die Hauptsymptome dieser Infektion. Bei der
Autopsie findet man nichts wie die gewöhnlichen Veränderungen
der intensiven Infektionen, aber das Blut, kurz nach dem Tode
aus dem Herzen entnommen, wimmelt von Stapliylococcen. Auch
zu Lebzeiten gestattet nur die Blutuntersuchung, die Diagnose zu
stellen, während kein klinisches Zeichen die Stapliylococcen- von
der Streptococcenlufektlon unterscheidet.
L a u n o i 8 und Camus theilen 3 Fälle von gutartiger
Meningitis mit cyklischem Verlaufe mit Die Krankheit trat
bei Jungen I,euten ohne Vorläuferstadium auf. Die Defervescenz
stellte sich stets am 9. Tage ein, vorübergehend waren die Sebueu-
reflexe verschwunden. Lähmung der Blase vorhanden; die Heilung
trat ohne weitere Folgen ein. Der ganze Verlauf des Leidens
sprach für eine Pneumocoeceninfektion.
T r i b o u 1 e t erlebte einen ähnlichen, mit Heilung endenden
Fall, wo Jedoch 8 Tage lang Koma bestanden hatte.
Sociitt de Th6rapeutique.
Sitzung vom 12. und 26. Juni 1901.
Das Diuretin und Agurin.
Das Theobromin wurde durch die Verbindung mit Natr. sall-
cyl.-Diuretln ersetzt, weil es, sonst vorzüglich als diuretisches
Mittel wirkend (direkt auf die Nieren), als einzigen Fehler seine
schwere Resorbirbarkelt hat. Das Diuretin nun reizt die Ver¬
dauungswege, während die doppeltessigs. Nat r.-Verblndung
des Theobroinins, das Agurin, diesen Uebelstand nach d’Eströe -
Brüssel nicht hat. Dasselbe ist sehr leicht löslich, 4 mal weniger
kanstlscb als das Diuretin, bildet eine krystnllinisehe, hygro¬
skopische Substanz, enthält mehr Theobromin als das letztere und
zersetzt sich leicht im Organismus. In der Dosis von 0,25 bis 1 g
pro Tag verabreicht, hat es, ohne den Magendarmkanal zu reizen,
eine sehr ausgesprochene diuretische Wirkung, welche mehrere
Tage anbält und sich nicht nur durch Vermehrung des Urins, son¬
dern auch des Harnstoffs und der Harnsalze dokumentlrt Wie alle
anderen Medikamente, welche die Diurese durch direkte Wirkung
auf die Niere anregen, ist das Agurin ohne Einfluss bei Nephritis,
wo das Epithellum ergriffen ist, aber es vermehrt in diesen Fällen
nicht die Albuminurie, wird also auch von der kranken Niere gut
vertragen.
Mathien hat an 6 Patienten mit 13 ergriffenen Gelenken
völligen Erfolg mit der galvanischen Behandlung der Arthritis
blennorrhagica gehabt. Meist in 3—4 Tagen, d. h. in 2—0 Sitzungen
von >4 ständiger Dauer, in einem Falle jedoch erst in 14 Sitzungen,
trat die Heilung des sonst so hartnäckigen Leidens ein. Die Stärke
des 8tromes schwankte von 20—50 MA, je nach dem Fall.
Pep in und Lebourcq empfehlen als neues Jodeiweiss-
präparat das Jodogenol = Jodnlbuininpeptonat; es hat in allen
Fällen, wo die Jodmedicntion lndicirt war, vollen Erfolg gegeben,
und zwar auch dann, wenn die metallischen Jodverbindungen ohne
Wirkung waren. Stern.
Aus den englischen medicinischen Gesellschaften.
' Chelsea Clinioal Society.
Sitzung vom 12. März 1901.
Ueber die Beziehungen des akuten infektiösen Bheumatismus
zu den chronisch rheumatischen und rheumatoiden Affektionen
vom klinischen und pathologischen Standpunkte aus.
A. E. Garrod: Diese Frage ist noch weit entfernt vou
einer bestimmten Beantwortung, und die Entscheidung zwischen
den widerstreitenden Meinungen ist um so schwieliger, als meist
nur klinische Beobachtungen zur Begründung vorliegeu. G. unter¬
scheidet 4 verschiedene Formen der chronischen rheumatoiden
Arthritis:
1. Die fusiforme, mit spindelförmiger Verdickung der Ge¬
lenke, namentlich der proximalen interphalangealen Fingergelenke
und des Handgelenkes. Hiebei sind die Knochen nicht verdickt,
die Auftreibung beruht nur auf Anschwellung der Weielitheile
und Flüssigkeitsansammlung in den Schleimbeuteln. Diese Form
befällt gewöhnlich Junge I/eule im Alter von 30 Jahren oder
weniger, ist oft mit Anaemie verbunden, zuweilen mit Fieber ein¬
hergehend; ergreift verschiedene Gelenke oft in schneller Reihen¬
folge. bewirkt Muskelatrophie, keine Osteophyten.
2. Die k n o t e n b i 1 d e n d e Arthritis, meist bei älteren
Frauen, betrifft die terminalen Interphalaugealgelenke, vorzugs¬
weise aber auch das Carpo-metacarpalgelenk des Daumens und
führt zu einer ausgesprochenen Verdickung des Knochens an den
Gelenkenden. Diese Schwellungen sind nicht spindelförmig, son¬
dern knollig und ziemlich scharf abgesetzt. Das Allgemeinbefinden
leidet nicht. Manchmal sind auch die Kniee betheiligt, und man
fühlt bei Bewegungen deutliches Knacken.
Als 3. Form findet sich namentlich bei jugendlichen Indi¬
viduen die verkrüppelnde Arthritis mit geringer Ver¬
dickung der Gelenke, aber hochgradiger und barocker Verbiegung
derselben. Mau findet dabei Osteophyten unter der Haut als
kleine, scharfe Vorsprünge. Die Prognose ist schlecht.
4. ist zu unterscheiden die monartikuläre Form
mit Ergriffensein von nur einzelnen Gelenken, namentlich den«
Knie, bei älteren Leuten. Ob diese chronischen Arthropathien mit
dem akuten Gelenkrheumatismus aetiologlsch Zusammenhängen,
erscheint mehr als zweifelhaft. Vorläufig ist die Entscheidung der
Frage noch durch einen Mangel an anatomischen Untersuchungen
erschwert. Obductionsbefunde, welche G. zu Gebote standen,
zeigten verschiedentliehe Abweichungen vou dem als das klassische
Bild beschriebenen Befund mit faserigem und abgeschliffenem
Knorpel, osteophytischen Wucherungen. Eburnisation der Knochen¬
enden u. s. w. Bemerkenswert!! ist noch die Aehuliehkeit der
knotenförmigen Arthritis der alten Leute mit den trophlselien
Gelenkaffektionen bei Tabes und Syringomyelie, sowie anderer¬
seits auch bei Gicht (H e b e r d e u'sche Knoten).
Poynton und Paine haben bei 14 Fällen von akutem
Gelenkrheumatismus einen Diplococcus gewonnen, der auf flüssigen
Medien kettenförmig und auf festen Nährböden in Staphylococcen-
nmssen auswächst. Sie halten es ftir wahrscheinlich, dass die von
anderen Forschern beschriebenen Mikroorganismen mit den ihrigen
Identisch sind, und dass die bestehenden Unterschiede durch Ver¬
wendung anderer Nährmittel bedingt Beien. An Kaninchen er¬
zeugten sie damit ganz analoge Veränderungen wie bei mensch¬
lichem Gelenkrheumatismus. Sie haben diesen Diplococcus bei
Patienten auch im Urin nachgewiesen, und bei tödtlichen Fällen
wurden häufig Veränderungen im Parenchym der Nieren, nament¬
lich an den Tubulis contortls angetroffen.
Macnamara vertheidigt die Ansicht eines toxischen Ur¬
sprungs der rheumatoiden Arthritis. Septische Infektion vom
Uterus her könne zu Gelenkentzündungen führen, ebenso wie
Gonorrhoe und Lepra. Bei einer 25 Jährigen Frau hat er eine von
den eiterhaltigen Zahnalveolen ausgehende septische Infektion
zu Deformirung und Fixation verschiedener Gelenke führen
sehen.
Banantyue weist auf die Fälle von Rheumarthritis acutn
hin, die der Behandlung trotzen und nachher den Typus der rheu¬
matoiden Arthritis annehmen. Er erklärt sie als eine Doppel¬
erkrankung. Er hat auch einen Mikroorganismus nachgewiesen,
der aber nach Beschaffenheit und Lebensgang von dem Poyn-
t o n’schen sich unterscheidet.
Ebenso hat Hewlett einen anderen Infektionskeim, einen
Bacillus gefunden.
W. A. L a n e glaubt, dass viele Fälle als rheumatisch be¬
zeichnet werden, die in Wirklichkeit nur auf Traumen beruhen.
Duck worth weist darauf hin, dass manche wirklich gich¬
tische Gelenkaffektioneu ohne Weiteres gar nicht von denen der
rheumatoiden Arthritis zu unterscheiden sind. Exostosen und
Ankylosen finden sich aber bei ersteren Leiden, nicht dagegen bei
letzteren. In manchen Fällen kann man die Erscheinungen kaum
anders als durch die Annahme einer Vermischung von wirklicher
infektiöser Rheumarthritis mit echter Gicht erklären. Ein wirk¬
licher Zusammenhang zwischen ersterer Affektion und rheuma¬
toider Arthritis ist bisher nicht erwiesen worden. In vielen Fällen
sind die Erscheinungen und der Verlauf nur durch den vielfach
bekämpften Begriff Diathese zu erklären. Philipp!.
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1232
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 30. •
XVII! Hauptversammlung des Preussischen Medicinal-
beamten-Vereins
zu Berlin am 13. und 14. September 1901.
Tagesordnung:
Donnerstag, den 12. September, 8 Uhr Abends: Gesellige
Vereinigung zur Begrtissuug bei Sedlmayr (Friedrichstr. 172).
Freitag, den 13. September, 9 Uhr Vormittags: Erste
Sitzung im Festsaal des Savoy-HOtels. 1. Eröffnung der Ver¬
sammlung. 2. Geschäfts- und Kassenbericht: Wahl der Kassen-
revisoren. 3. Die Dienstobliegenheiten des Kreisarztes nach der
neuen Dienstanweisung. Referent: Herr Med.-Rath und Kreis¬
arzt Dr. F i e 111 z ln Halle a. S. 4. Experimentelle mikroskopische
Studien zur Lehre vom Erhiinguugstode. Referent: Herr Dr.
P 1 a c z e c k . Nervenarzt in Berlin. 5. Aus dem hygienischen
Institut zu Hamburg (Direktor: Frof. Dr. Dunbar): Theorie und
Praxis der Grundwasserenteisenung mit Demonstrationen. Refe¬
rent: Herr Dr. Wol f f. prakt. Arzt in Harburg a. Elbe; pro phy-
sicatu approbirt. — 3 Uhr Nachmittags: Festessen im Savoy-
HOtel. — 9 Uhr Abends: Gesellige Vereinigung bei Sedlmayr
(Friedlichst r. 172).
Sonnabend, den 14. September, 9 Uhr Vormittags: Zweite
Sitzung Im Festsaale des Savoy-HOtels. 1. Heber die Schut'/.-
bezw. Desinfektionsmaassregeln wiihrend des Bestehens einer ge-
meiugefiilirlichen Krankheit. Referent: Herr Med.-Ratli Prof. Dr.
W er n ick e, • Direktor des hygienischen Instituts in Posen.
2. Die aus der Unfallversicherungs-Gesetzgebung erwachsenden
besonderen Pflichten des ärztlichen Sachverständigen. Referent:
Herr Dr. Paul Stolper ln Breslau, pro physicatu approbirt.
3. Vorstandswahl und Bericht der Kassenrevisoren. 4. Zur Be¬
kämpfung der Tuberkulose. Referent: Herr Kreisarzt Dr. Krause
in Sousburg. — Nach Schluss der Sitzung: Gemeinschaftliches
Mittagessen im „Franziskaner“. Betreffs der nachfolgenden Be¬
sichtigung bleibt nähere Bestimmung Vorbehalten. — 9 Uhr Abends:
Gesellige Vereinigung.
Uebcrsicht II
Untersuchungsgegenstände
(Proben)
Zahl
Bezeichnung
1574;
430
3140
Ü70!
161lj
1689;
4200
II8gI
2798;
557
812
105:6
95
112
936
'1430'
15G4|
2751'
584
4096
32
A. Nalirungs- und
Genussmittol und
Gebrauchsgcgcn-
stä n de.
Bier.
Branntwein und Likör
Brod.
Cacao, Chocolade . .
Coneerven ....
Essig.
Fabrikate aus Mehl
und Zucker . . .
Farben.
Pette (Bott., Schmalz etc.«
Fruchtsäfte u. Limon.
Gebnmchsgegenstände
Gewürze.
Hefe.
Honig.
Käse.
Kaffee, Kaffeeanrrogale .
Kochgeschirre . . .
Mehl.
Metallgerflthe . . .
Milch und Rahm . .
Mineralwasser . . .
Hl
2 S 2
U n te r s nc 1 1 ungsgegen St ä n d e
(Proben)
v * a
■«sS
Zahl
Bezeichnung
2
Obstwein.
51
Petroleum ....
1
162
Speiseöl . ; . . .
3
235
Thee.
12
271
43
412
11
142
547
776
48
258
120
1662
Wasser.
589
791
6650
Wein, Most ....
Wurst- und Fleisch-
waaren.
125
728
797
Zucker und Symp
41
1816
Sonstige Gegenstände
301
55085
Summa A
B. Technische
Analysen.
140
51
Laktodensimeter . .
1
279
Leuchtgas ....
—
12
2571 Sonstige Gegenstände
44
4
85
386
30.t
Summa B
4J
321
95
Zusammenstellung
'
180
55985
Summa A
6392
510
308
„ B
49
2
56293
Gesammtsumme
6411
Verschiedenes.
Die Geschäfte der öffentlichen Untersuchungs-Ansta 1 teil
für Nahrungs- und Genuss mittel für das Jahr 1900.
Uebersicht I.
Untersuchung«-
Bezeichnung der Auf¬
traggeber
a
V O
§ bc
■fl 29g
62 ,
V. ®
(Proben)
Zahl der
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2
3
5
r.
7
8
9
10
I. Königliche Untersuchungsanstalten:
a) Erlangen.
18007 | 1372612379 = 13,2°/o'; 65 | 17678 | 264 1128 | — | 12 | 708
b) München.
18579 | 31392 |2081‘)= 11,2% 47 | 18336 ( 196 | 180 | 2 | 29 | 563
c) Würz bürg.
14ö29 | 13730 11311 = 9,3% | 25 ] 13732 | 272 | 25 | — | 19 | 415
II. Gemeindliche Untersuchungsanstalten:
d) Nürnberg.
2910 | 2350 ,394 = 13,5% | 10 | 2771 | 129 |14l | —| 2 7 I —
e) Fürth.
1075 | 1012 | 42 = 4,0% | 2» | 1028 | 27 | 1 |—| 7 | —
III. Kreis-Untersuchungsanstalt:
f) Speyer.
1693 ' 1362 J 234 = 13,8% | 33
1311 |
349| 21
1 — 1 16
| 245
56293 , 63572 j 6411=11,4%% 200 ;
Im Vorjahre (18,7%) 621)
54856 |
1237 496 !
|(438)
j 2 j 110
|(109).
1931
(1979)
*) Dazu kommen noch 14 38 Fälle von Verfehlungen gegen ober- und orts-
polizeilicho Vorschriften und 3G5 Fälle von Verfehlungen in Bezug auf Arzneien
und Gifte.
*) Werden die auf 1662 Wasseruntersuchungen treffenden 689 Beanstandungen
aiisgescliieden — weil es sich hier nicht um Verfehlungen gegen das Nahrungs¬
mittelgesetz oder damit in Zusammenhang stehende Gesetze handelt —, so
reducirt sich der Proccntsatz der Beanstandungen auf 10,7%.
Frequenz der Schweizer medicluischen Fakul¬
täten im Sommersemester 3901:
Aus dem Aue andern
Kanton Knntonen Ausländer Summa Total
M. W. M W. M. W. M. W
Basel. 53 1 69 3 12 — 134 4 138
Bern. 65 2 70 4 39 184 174 190 364
Genf. 32 1 55 1 96 166 183 168 351
Lausanne... 39 — 30 — 37 64 106 64 170
Zürich. 55 3 122 6 43 76 220 85 305
Total für das Sommersemester 1901 an allen schweizerischen
Universitäten 1328 (817 511), worunter 611 (590-f-21) Schweizer.
(Sommer 1900: 1201 (798 + 403), darunter 617 (597 -f 20) Schweizer:
Winter 1900/1901: 1375 (836 -f 539), worunter 637 (516 -f 21 >
Schweizer.)
Basel mit 13, Bern mit 13 (11 2». Genf mit 2, Lausanu*-
mit 6 (1 -)- 5) und Zürich mit 16 )14 -f- 2) Auditoren. Ausserdem
(ienf mit 31 Schülern und 2 (1 -}-1) Auditoren der zahuürztliehcu
Schule. (Corr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte.»
Therapeutische Nottaen.
D j a m b o e. Die Firma Caesar & Loretz in Halle
verarbeitet eine Drogue, welche viel zu wenig bekannt
ist und die eine gerechte Benchtung verdient, nämlich die
Djamboeblätter. Versuche damit wurden im Jahre 1894
von Hügel in der Würzburger Poliklinik angestellt und in
der Münchener medie. Wochenschrift No. 29 veröffentlicht. Ich
entnehme seinem Bericht Folgendes: Die Djamboeblätter werden
von den Eingeborenen Java’s als Hausmittel gegen die Durchfälle
der Cholera asiatica angewendet: S o 1 e r e d e r - München hat
sie als Blätter von Psydium Guajava Raddi bestimmt. Ber¬
the r a u d (1888) fand darin 12 Proc. Tannin, 30 Proe. Calcium¬
oxalat und 2 Proc. eines eigentümlichen Harzes, welchem eine
Wirkung gegen Wecliselfleber zukommen soll.
Die neueste Analyse ergab für 100 g Djamboeblätter:
Tannin 8,3 g,
Harz 10,1 g,
CalciumoxaJat 2,75 g.
100 g Blätter auf 1000 g Tlnctura vinosa (1:10) verarbeitet,
also mit Wein einfach ausgezogen, ergaben 7,6 g Tannin, kein
Harz (weil dieses vom Wein nicht gelüst wird), während 100 g
Extractum fluidum (1 :1), ein durch Percolation mit 70 Proc. Spi¬
ritus im Verhältnis« 1:1 gewonnenes Extrakt nur 5,38 g Tannin,
dagegen 0,61 g Harr, enthält.
Hügel hebt dann hervor, dass, nachdem die vollständige
Ungiftigkeit des Mittels erwiesen war, es bei mehreren hundert
Fällen von akuter Gastroenteritis der Kinder angewandt wurde
mit dem Erfolg, dass die stärksten Diarrhöen und anhaltendes Er¬
brechen sich auffallend raseli besserten. Auch schwere akute
Gastroenteritis der Erwachsenen wurde (erst 0,3 Kalouiel, dann
Djamboe) günstig beeinflusst, ebenso erwies es sich als promptes
Stonmebicum bei Dyspepsien. Beim chronischen Mngendnmi-
katarrh war die Wirkung keine so rasche, aber nach einiger Zeit
doch eine günstige. Nicht minder besserten sich auffallend rasch
Diarrhöen bei Phthisikern, auch wenn Opium und andere Ad-
stringentien wirkungslos waren. Anwendung iui Infus und als
Fluidextrakt.
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23. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1233
Robert hatte mit <ler weinigen Tinktur bei tuberkulösen
Diarrhöen keinen Erfolg, während auch ihn die Anwendung des
Fluidextraktes sehr befriedigt hatte.
Diese Verschiedenheit der Wirkung ist möglicher Weise aut'
die Verschiedenheit des Gelialtes an Tannin und Harz bol beiden
Präparaten zurttckzuführen.
Seitdem habe ich keine Veröffentlichung über Djamboe finden
können und ich möchte desslialb das Präparat durch diese Zeilen
der unverdienten Vergessenheit entreisseu.
Hervorzuheben ist in erster Linie seine völlige Ungiftigkeit.
Durch ein Versehen eines Gehilfen wurden auf 2 mir verabreichten
Flaschen die Etiketten verwechselt, so dass ich meinem eigenen
an Darmkatarrh erkrankten, damals 1 >/ s Jahre alten Knaben
statt des beabsichtigten Djamboeweins einige Tlieelöffel des (10 mal,
stärkeren) Fluidextraktes verabreichte, ohne dass die geringste
nachtheilige Wirkung beobachtet werden konnte. Nur der Ge¬
schmack war ein recht schlechter, während der Wein von «lern
Kleinen ebenso wie von allen anderen kleinen und grossen Pa¬
tienten gern genommen wurde.
Ich will als Beispiel nur ganz kurz 3 Krankengeschichten von
1—2 jährigen Kindern nnfiihren, die sämmtlicli die gleiche Be¬
obachtung zeigen.
G. W., 1 i/ 2 Jahre alt, erkrankte ohne Erbrechen an akutem
Magendarrakatarrh und erhielt zunächst 5 Pulver Knlorael 0,015
innerhalb 11/ 2 Tagen. Die Milch wurde weggelassen und zunächst
nur Kufeckemehl und Eiweisswasser verabreicht. Dann bekam
der Kleine 4 mal täglich 0,4 Tannalbin mit dem Erfolg, dass die
Zahl der Stuhlgänge auf 5 am Tag zurüekging, doch blieb derselbe
noch ganz dünn und enthielt viel Schleim. Da dieser Zustand noch
3 Tage anhielt, wurde nun Djamboewein gegeben und dieser be¬
wirkte in kurzer Zeit breiigen Stuhlgang, Milch wurde wieder
vertragen und der Appetit war bald wieder völlig normal.
Kind H., 1 Jahr alt, erkrankte an Brechdurchfall, welcher
schon 3 Tage bestand, ehe ich um Rath gefragt wurde. Die Be¬
handlung war die gleiche, wie oben, es trat aber nur vorüber¬
gehend Besserung ein, bald waren die Stühle wieder zahlreich und
wässerig und das Kind wurde hinfällig und schwach. Auch dieses
Kind erhielt aus Versehen den Extract statt des Weins und war
nach 2 Tagen seinen Darmkatarrh los und hatte blühenden Appetit.
Kind II., 1 Vs Jahre alt, leidet schon seit 5 Tagen an Brech¬
durchfall und Ist kolossal zusammengeklappt. Das Brechen ver¬
schwindet nach Ivalomel, die Stühle bleiben aber sowohl nach
Tannalbin, als auch nach Ratanliia mit Opium zahlreich (12 iu
24 Stunden) und enthalten reichlich Schleim und Blut. Das Kind
verfällt zusehends. Die Eltern sind iu grösster Sorge. Nach Ein¬
gehen von Djamboewein verringern sich die Stühle am nächsten
Tag auf 4, um übernächsten auf 2. werden breiig, das Kind be¬
kommt wieder Appetit und ist nach 3 Tagen wohlauf.
Recht bemerkenswert!» ist die Krankengeschichte eines Kol¬
legenkindes, G. K., 1 y 2 Jahre alt, welches schon seit längerer Zelt
an Diarrhöen gelitten hatte, ohne dass das Allgemeinbefinden er¬
heblich gestört gewesen wäre. Es waren schon die verschiedensten
Mittel eiugegebeu worden, ohne einen Dauererfolg zu erzielen. In
der Abwesenheit des Vaters erkrankte das Kind nun ernstlich,
erbrach alle Nahrung, hatte fast stündlich einen wässerigen, reis¬
wasserähnlichen Stuhlgang und hohe Temperaturen, schlief nicht,
schrie fortwährend, sah zum Erbarmen blass und verfallen aus.
Tannalbin, Wismuth hatten schon früher versagt und halfen auch
jetzt nichts; das Kind wurde so schwach, dass der Vater aus Tyrol
herbeitelegraphirt werden musste, weil ein zugezogener Kollege
und ich den Zustand für recht ernst erklärten. Jetzt begann ich
mit Djamboewein und gab stündlich bis 2 stündlich einen Klnder-
lö.ffel; die kleine Kranke nahm ihn gern und erbrach nichts mehr;
nach 2 Tagen waren die Stuhlgänge seltener, Nahrung wurde ge¬
nommen und behalten und als der Vater ankam, war die Patientin
auf den» Wege der Besserung und wurde unter Beibehaltung des
Medleament8 noch während 8 Tagen gesund und erholte sich
langsam.
Ich habe daun noch einige Male bei akuten Darmkatarrhen
der Kinder den Djamboewein ohne vorherige Darreichung von
Kainniel versucht, war aber nicht befriedigt davon und gab auch
Erwachsenen immer erst 0.3 Ivalomel.
Besonders gut wirkt der Djamboewein bei chronischen
Darmkatarrhen; schon nach wenigen Tagen hörten die
Duichfülle auf und ein appetiterregender Einfluss
war nicht zu verkennen.
Der letztere ist l-ühmend hervorzuheben und man kann un¬
bedenklich die Djamboeblätter als Stomacliic um
an sehen, denn ich habe wiederholt das Mittel bei Kindern mit
dem besten Erfolg in diesem Sinn gegeben, ohne dass sie an Darm¬
katarrh, wohl aber an Magenstörungen litten.
Die wirksame Substanz der Drogue ist zweifellos das Tannin;
inwieweit die Harze eine Rolle spielen und ob noch andere Stoffe
ln Betracht kommen, entzieht sich meiner Beurtheilung.
Die Djamboe kommen in folgenden Formen in Gebrauch:
1. Folia Djamboe subt. pulv. 1—2 stündl. für Kinder 0,5, für
Erwachsene 1,0 (es gibt aucl» Tabletten zu % g).
2. Inf. Djamboe (5: 80 mit 20 Syrup) 1—2 stündl. für Kinder
1 Tlieelöffel, für Erwachsene 1 Esslöffel.
3. Tet. Djamboe vinos. (1:10) 1—2 stündlich für Kinder 1 Thee-
kinderlöffel. für Erwachsene 1 Esslöffel.
4. Extr. Djamboe fluid (1:1) 1—2 stündl. für Kinder 20 Tropfen,
für Erwachsene 30 Tropfen bis 1 Theelöffel (für Erwachsene am
besten in Cofpuic, für Kinder in Wein).
Ich selbst habe gewöhnlich die Tct Djamboe vlnosa gegeben;
da diese aber ziemlich theuer ist, empfiehlt es sich eventuell, das
Fluidextrakt oder Iufus zu verordnen.
Jedenfalls möchte ich ratheu, mit deu Djamboepräparaten
einen Versuch zu machen; ich bin überzeugt, dass das Mittel siel»
viele Freunde erwei-ben und viel Nutzen schaffen wird.
Dr. Witthauer - Halle a S.
Bezüglich der Ivlimato- und Balneotherapie der
Herzkrankheiten ist I)r. M. Bohrend- Badeuweiler der
Meinung, dass ein klimatisch bevorzugter und geschützt gelegener
Mittelgebii-gskurort iu Folge seiner natürlichen Terraineigen¬
schaften sich bei den einfacheren Degenerationen des Myocards,
dem Mastfettherz und den compeusirten Klappenfehlern äusserst
günstig bewähren würde und sich ganz besonders gut z»r Nach¬
kuren nach einer Xnulielmer, Ivissinger oder Marienbader Kur
eignet. In Folge seiner sehr gescliützen Lage, die dabei hoch genug
ist, um Kreislauf, Athmung und Stoffwechsel anregend beein¬
flussen zu können, seiner natürlichen Ausstattung mit einer in¬
differenten Therme und mit einer grossen Anzahl theils ebener,
theils allmählich ansteigender, gut gepflegter Wege dürfte sich der
Inmitten der herrlichsten Waldungen gelegene Schwarzwaldkurort
ganz besonders für diese Zwecke eignen. Dank dem liberalen
Entgegenkommen der grossherzoglichen Regierung ist seit dem
vorigen Jahre die Einrichtung getroffen, dass neben Kefir und
Molken eine Auzuhl Brunnen in ihrer natürlichen Wärme hier
zum Ausschank gelangen, so dass in den Fällen, in denen eine
Indien tion vorliegt, eine Karlsbader, Kissinger oder Emser
Brunnenkur gleichzeitig gebraucht werden kann. Dement¬
sprechend wird auch seitens der Hotels und grösseren Pensionen
dafür Sorge getragen, dass, was Comfort und Verpflegung dieser
Kranken betrifft, die weitgehendsten Ansprüche erfüllt werden
können. (Allg. Med. Central-Ztg. 1901, No. 44.) P. H.
Pulvorinhalatlon. Schenk- Köln a. Rh. empfiehlt
für die akuten und chronischen Affektionen der Luftwege und der
Lunge»» als Neuestes seine seit längerer Zeit geübte und erprobte
Inhalation von Medicainenten In fester Form, in Slauhform und
behauptet, dass sich mit derselben wesentlich bessere Resultate
erzielen lassen, als mit den anderen Methoden. Die Medieameute.
welche zur Inhalation verwendet werden, sind Je nach der Indi-
cation verschieden. Vorzugsweise kommen zur Anwendung:
Natrium bicarbonicuui, Alumen ustum, Aeid. boricum, Tiuct.
Myrrliae. Acid. tannlcum, Jodoform. Ol. nientli. plp., Ol. cinnan»
etc.: als Constituens dient Saccharum album oder Amylum trit.
Die Application erfolgt mittels eines von E. II o f I u s - Duis¬
burg a. Ith. hergestellten Pulverinlialationsapparates und rechnet
Sei», je 1 g Pulver auf 100 AtliemzUge. Als Beispiele der Medi-
cation seien folgende Vorschriften citirt:
Itp.: Acid. tunnic. 1,0
Jodoform 0,5
Sacch. alb. a I 20,0
mf. pulv. subtiliss.
S. 2—3 mal täglich 10—30 AtliemzUge.
oder
Rp.: Nat*\ bicarb.
Tinct. Myrrliae ää 2,5
Sacch. alb. ad 20,0
oder
Rp.; Ol. menth pip. gtts. III
Ol. cinnatn. gtts. II
Sacch. alb. ad 20,0
mf. pulv. subtiliss.
S. 2—3 mal täglich 20—50 Atliemzüge.
(Deutsch, med. Wochenscbr. Thernp. Beilage.) F. L.
Tagesgeschichtliche Notizen,
München, 23. Juli 1901.
— Man schreibt uns aus Berlin: Auf dem Tnberkulose-
congress, der In diesen Tagen — vom 22.—2(5. Juli — in London
tagt, wird dem Vernehmen nach Geheimrntli Prof. Roh. Iv o c h
Mittheilungeu machen über neue Versuche, die er in der tier¬
ärztlichen Hochschule dahier gemeinsam mit Prof. Schütz an¬
gestellt hat. Aus den Ergebnissen dieser Versuche soll hervor¬
gehen, dass die menschliche Tuberkulose von der
Perlsucht der Rinder verschieden ist und dass Rinder für
das Gift der menschlichen Tuberkulose nicht empfänglich sind. Die
ebenso wichtige als schwierige Frage, wie es mit der Empfäng¬
lichkeit des Menschen für das Virus der Rindertuberkulose steht,
soll durch grössere Versuchsreihen Ihrer Lösung näher gebracht
werden.
— Die Harben-Medallle, die vom Royal Institute of
Public Health in London für dieses Jahr an Prof. Robert Koch
ln Berlin verliehen worden Ist, wird dem deutschen Gelehrten in
London in öffentlicher Sitzung am 24. Juli überreicht.
— Die deutsche Heilstätte ln Davos wird li»i
November d. J. eröffnet werden und minderbemittelten deutschen
Lungenkranken, d. h. solchen, welche nicht ln der Lage sind, die
Kosten einer mehl-monatlichen Kur ln einer der Anstalten für
Wohlhabende zu bestreiten, und für welche andererseits ln den
Volksheilstätten nicht der Platz ist, Aufnahme gewähren. Das
Wohlthätigkeitsunternehmen, für welches viele hervorragende
Kliniker und Aerzte elngetreteu sind, steht unter dem Ehrenvorsitz
des deutschen Gesandten in Bern, Dr. A. v. B ü 1 o w Exc. und
des Bayerischen Ministerresidenten ln Bern, Graf Ed. Mont-
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1234
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30.
gelas, Vorsitzender ist der deutsche Vizekonsul in Davos.
Burehard. Als Chefarzt ist Stabsarzt a. D. Dr. B recke be¬
rufen, welcher mehrere Jahre die Heilstätte Grabowsee geleitet
hat. — Die Anstalt liegt am Nordende des Davoser Thals bei der
Bahnstation Wolfgang, nach N., O. und W. durch Berge und
Fichtenwald geschützt, nach Süden offen, mit freiem Ausblick auf
den See und den Kurort, ist nach den Plänen des deutschen
Ingenieurs Wetzel in Davos erbaut und wird zunächst für
SO Kranke eingerichtet.
— Einer Mittheilung der Augsb. Abeudztg. zu Folge hat sich
der Kaiser vom Justizmiuister eingehenden Bericht über den Ver¬
lauf und das Ergebniss des letzten M i 11 1 ä r b e f r e 1 u u g s -
1 » rocciisps in E 1 b e r f e 1 d erstatten lassen. Auch an hoher
Stelle habe die auch auf dem Deutschen Aerztetag gerügte Be¬
handlung der angeschuldigten Aerzte, speclell des 7 Wochen lang
in Untersuchungshaft befindlichen Dr. S c li u 11 z o - Köln, gegen
den dann später das Verfahren eingestellt wurde, sehr verstimmt.
Der Minister des Innern habe alsbald ilie strengste Untersuchung
angeordnet und einen höheren Medleinalbeamteu nach Köln ent¬
sandt. um über die eingebrnehten Beschwerden Recherchen anzu¬
strengen. Heute stelle bereits fest, dass in der kommenden Reichs¬
tagssession der Minister über diese Vorgänge von Rednern zweier
Fraktionen werde interpellirt werden.
— Zu dem Beschlüsse des Deutschen Aerztetags. au die Reichs¬
regierung das Ersuchen zu richten. ..dass Personen mit dem
schweizerischen Maturitätszeugniss auch nicht ausnahmsweise zum
Studium der Medicin zugelasseu werden“, bemerkt das Kor¬
respondenzbin tt für Schweizer Aerzte: „Nicht nur Jeder schweize¬
rische Akademiker, sondern jeder gebildete Angehörige unseres
Landes überhaupt, muss Uber diese schimpfliche Behandlungsweise
empört sein. Wir hoffen und glauben, dass das gleiche Gefühl auch
die zahlreichen Lehrer deutscher Abkunft, welche an unseren
schweizerischen Lehranstalten wirken, beherrsche und sie zu einem
Protest gegen dieses unwürdige Vorgehen des Deutschen Aerzte-
tages veranlasse; den meisten derselben wird es auch bekannt sein,
dass die .Anforderungen der schweizerischen Maturitätsprüfung
denjenigen der deutschen mindestens gleichwerthig sind.“ — Schon
der Titel, den das Korr.-Bl. seiner Notiz gibt: „Boykott der schwei¬
zerischen Medielnstudirenden durch den Deutschen Aerztetag“.
deutet auf ein Missverständnis hin. Es handelt sich keineswegs
um eine gegen schweizerische Medicinstudireiule gerichtete Maass-
nahrne, sondern es soll offenbar nur verhütet werden, dass Damen
auf Grund eines schweizerischen Maturitätszeugnisses sich in
grösserer Zahl zum Studium der Medicin au deutschen Uni¬
versitäten drängen. Man kann gewiss über die Zweckmässigkeit
des Hildesheimer Beschlusses sehr verschiedener Meinung sein,
er gibt jedoch keinen begründeten Anlass zu der Entrüstung, die
sich im Korr.-Bl. ausspricht.
— Die Frequenzziffern der schweizerischen medleinischen
Fakultäten, die wir an anderer Stelle dieser Nummer abdruckeu,
ergeben die interessante Tlmtsache, dass an der Universität Bern
die weiblichen Mediciner mit PJO gegen 174 männliche
die Mehrheit haben; in Genf studiren UW Frauen neben
183 Männern; an den anderen schweizerischen Universitäten ist
die Zahl der Medicinerinnen geringer, aber immer noch recht
erheblich; nur Basel weist sehr wenige <4; Medicinerinnen auf.
Von den 511 im Ganzen in der Schweiz studirenden Frauen sind
nur 21 Schweizerinnen. Auch im Deutschen Reich ist die Zahl
der weiblichen Medielnstudirenden im laufenden Semester recht
beträchtlich: Im Ganzen (nach einer Statistik der Deutsch, med.
Wochenschr.) 95, worunter 39 Reichsdeutsche, 50 Ausländerinnen;
die höchsten ZifFem haben Berlin (25), Leipzig (24), Freiburg i. B.
(IS) und Halle (32).
— Das Reichsversicherungsamt hat an die Vorstände der Iu-
validenverslcheruugsanstalten und der auf Grund des Invalhlen-
versieherungsgesetzos bestehenden besonderen Kassenelurich-
tungen ein Rundschreiben gerichtet, das die Ausdehnung
der II eilbehandlungs bestreb ungen auf Ge¬
schlechtskrankheiten von Versicherten betrifft. Das
Reiehsversiclierungsamt erklärt es darin für erwünscht, dass die
Versicherungsträger, soweit dies noch nicht geschieht, in gleicher
Weise wie auf sonstige Leiden ihr Augenmerk in Zukunft auch auf
die sachgeinässe Heilbehandlung von Geschlechtskrankheiten, und
zwar thuuliehst in Verbindung mit den Organen der Kranken¬
versicherung, lenken. Die Behandlung solle wegen der An¬
steckungsgefahr und wegen der auch im Interesse der Versiche¬
rungsanstalten liegenden baldigen und sicheren Heilung der Kran¬
ken regelmässig in geeigneten Krankenhäusern stattümlen.
— Der Verband der Aerzte Deutschlands zur
Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen
gibt bekannt, dass nach § 7 der Satzungen für das Geschäftsjahr
1901/1902 der Vorstand aus folgenden Herren besteht: Dr. Hart¬
mann- Leipzig-Connewitz, Vorsitzender: Dr. G ö t z - Leipzig-
Plagwitz, stellvertr. Vorsitzender; Dr. Hirschfeld - Leipzig-
Neust., Eisenbahnstr. 31, Kassierer; Dr. G ö h 1 e r - Leipzig, Zeitzer-
strasse 49, Schriftführer; Dr. Bach, Dr. D i p p e, Dr. D o u a 1 i e s,
Dr. M e j e r, Professor Dr. Schwarz. Dr. Walther. Der
Aufsichtsrath besteht aus den Herren: Dr. B i e r m e r - Magde¬
burg, Dr. L e w y - Berlin. I)r. Ponndorf - Weimar.
— Die Berliner medicinische Gesellschaft hat den Bau eines
Virchow- Hauses als dauernde Erinnerung an den hel-vor¬
stehenden 80. Geburtstag ihres Ehrenpräsidenten beschlossen.
Der Bauplatz wird auf Antrag der Stadtverordnetenversammlung
von der Stadt Berlin hergegeben werden. Als Baukapital stehen
Jetzt schon etwa 150 000 Mark zur Verfügung.
— Die Pariser anthropologische Gesellschaft beschloss auf
W a 1 d e y e r's Einladung, an «1er Feier von Virclio w's
achzigstpui Geburtstag durch eine Abordnung theii-
zunehmen und dem Jubilar eine grosse goldene Ehreumüuze zu
überreichen.
— Zum dirigirenden Arzt der Lungen Heilanstalt
des Niederrheinischen Verbandes für Duisburg, Essen, Ruhrort
und Mülheim wurde der bisherige 1. Assistenzarzt der medi-
ciuischen Klinik zu Jena, Herr Dr. Fritz Köhler aus Elberfeld,
gewühlt.
— Pest. Türkei. In Stambul ist seit dem 2. Juli ein weiterer
Pestfall festgestellt worden. — Aegypten. Vom 28. Juni bis zum
5. Juli sind in Zagazlg 10 neue Erkrankungen (und 5 Todesfälle)
zur amtlichen Kenutniss gekommen, in Minieli 0 (0), in Alexandren
1 (0). Iusgesammt sind in Aegypten vom 7. April bis 5. Juli 81 Er¬
krankungen mit 35 Todesfällen an der Pest zu verzeichnen ge¬
wesen. — Britisch - Ostindien. In der Präsidentschaft Bombay
wurden vom 1. bis 7. Juni 749 Erkrankungen und 575 Todes¬
fälle, während der folgenden, am 14. Juni abgelaufenen Woche
081 Erkrankungen und 521 Todesfälle au der Pest festgestellt. In
der Stadt Bombay wurden in den beiden Wochen vom 2. bis
15. Juni 118 bezw. 77 Neuerkrankuugcn und 107 bezw. 09 Pest-
todosfülle gemeldet; ausserdem wurden 274 bezw. 205 SterbefUllc
als pestverdächtig bezeichnet. Die Gesummtzahlen der Gestorbenen
betrugen 914 und 721. — Brasilien. In Rio de Janeiro sind am
5. Juli 3 Pestfiille amtlich festgestellt worden. — Queensland. Nach
den amtlichen Ausweisen sind in den 3 Wochen vom 5. bis
25. Mai 5 Erkrankungen (kein Todesfall), 2 (1), 1 (1) festgestellt
worden. In der am 31. Mai abgelaufeneu Woche sollen 3 Neu-
erkraukuugen mit 2 Todesfällen beobachtet worden sein.
— In der 27. Jahreswoche, vom 30. Juni bis 0. Juli 1901.
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Stettin mit 38,7, die geringste Sehüueberg mit 9.9
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern in Essen, Fürth, Karlsruhe,
Kassel, Posen.
— Ein neues Organ für physiologische Chemie wird von Prof.
Franz Hofmeister in Strassburg 1 «‘gründet. Es erscheint im
Verlag von Fr. V i e w e g & Sohn in Braunschwelg unter dem
Titel: B e i t r ii ge zur c li eiuischen Physlologl e und
Pathologie. Zeitschrift für die gesummte Biochemie. I)h*
neue Zeitschrift soll der zunehmenden B«Ml«*utung. welche die
Chemie für Physiologie und Pathologie, wie für die Klinik und die
Bacteriologle in den letzten Jahren g«‘Wonneu hat gerecht werden.
Sie wird in zwanglosen Heften erscheinen, von denen 12 einen
Band bilden. Preis pro Band 15 M; jährlich 2 Bände.
— Im Verlage von Ulrico Ilocpli in Mailand erscheint unter
dein Titel „Manna li Ilocpli“ eine Sammlung medicinischer
Oompendien kleinsten Formates, aber in guter Ausstattung und
reich illustrirt. Bisher sind erschienen: C o u 11 i a u x, lgiene della
bocca e dei «lenti; IMzzini. Microbiologia, perchö e eonie dobbiamo
difendesei dai microbi; M a j n o n 1, Massagio; Stecchi e Gar-
di ui, Chirurgia operatoria und Calliano, Soccorsi d’urgenza.
(Hochschulnachrichten.)
Heidelberg. Es habilitiren sich Dr. Julius He gen er
für Ohrenheilkunde mit einer Probevorlesung: „Ueber die Ent¬
wicklung der chirurgischen Behandlungsmethoden der Ohrerkran-
kuugen“, und Dr. Martin Jacoby für Pharmakologie ujit einer
Probevorlesung: „Ueber die erworbene Immunität als toxiko¬
logisches Problem“.
(Todesfall.) In Bremen starb der Direktor des bacterlo-
logischen Staatslaboratoriums, Dr. Heinrich Kurth. 41 Jahre alt.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Karl D ö p k e, appr. 1893, zu Bamberg.
Dr. Alexander L e s s o r, appr. 3897, in Nürnberg.
Abschied bewilligt: Den Oberärzten der Reserve Dr. Alois
Lorenz (AschafTenburg) wurde behufs Uebertritts in die Kaiser¬
liche Marine und Dr. Rudolf E x n e r (Hof) behufs Uebertritts
in die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika das erbetene
Ausscheiden aus dem Heere bewilligt.
Gestorben: Dr. Ludwig Elsen berge r, 40 Jahre alt, ln
München. Dr. Friedrich W e g s t e i n, 31 Jahre alt, prakt. Arzt
in Würzburg.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während de.- 28 Jahreswoche vom 7. bis 13. Juli 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 2 (3*), Scharlach — (— \ Diphtherie
und Croup 2 (—), Rothlauf — ( —), Kindbettfieber 2 (1), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) — (2). Brechdurahfall 5 (2), Unterleibtyphus
1 (1), Keuchhusten 1 (l), Croupöse Lungenentzündung 1 (2),
Tuberkulose a) der Lungen 35 (26), b) der übrigen Organe 7 (*),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 2 (1), Unglücksfälle 5 (6), Selbstmord — (2), Tod durch
fremde Hand — (l).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 195 (203), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,3 (21,1), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 13,3 (13,6).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
YtrUff ron J. F. Le hm tun in Knochen. — Druck von X. XtlhUheler'a Buch- und Kunaldrockerel A.O., München.
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MCINISCHE WOCHENSCHRIFT
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ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Ch. Bimlir, 0. Bolliigar, H. CursckniBii,
Freibur* 1. B. München. Leipzig
Heraasgegeben von
C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel,
Berlin. Nürnberg. Berlin.
H. v. Ranke, F. i. Wlackel,
München. München.
H. t. Zleassee,
München.
No. 31. 30. Juli 1901.
Redmction: Dr. B. Spate. Ottostraace 1.
Verlag: J. F. Lehmann. Heustrasse 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der psychiatrischen Klinik zu Strassburg.
lieber Schlängelung und Erweiterung der Retinal-
gefässe.*)
Von C. Fürstner.
Vor fast 20 Jaliren habe ich eine eigentümliche Veränderung
des Augenhintergrundes beschrieben '), die immerhin zu den sel¬
teneren gehören dürfte, da sie mir selbst trotz recht zahlreicher
ophthalmoskopischer Untersuchungen erst jetzt wieder begegnet
ist, da auch von anderen Beobachtern, speziell Augenärzten, nur
ganz vereinzelte Belege dafür beigebracht worden sind, die über¬
dies nach mehrfacher Richtung hin von meinem Befunde dif-
feriren.
In meinem ersten Fall, der eine 37 jährige Frau betraf, war
bei völlig klaren Medien beiderseits vom Augenhintergrund ein
scharfes Bild zu gewinnen, die Papille erwies sich durchaus normal,
namentlich war keinerlei Niveaudifferenz zwischen Opticus und
Retina zu erkennen, siimmtliche Gefässe hoben sich auffallend
plastisch ab, sie schienen
nach vorn, nacli dem Glas¬
körper zu mehr als gewöhn¬
lich hervorzutreten. Arterien
und Venen waren von der
Papille an beträchtlich er¬
weitert und ungemein ge¬
schlängelt bis fast an die
Peripherie, die Farbe der
Arterien namentlich war
dunkler als gewöhnlich,
Pulsation nicht erkennbar,
die Gefässwandungen er¬
schienen ungewöhnlich breit.
Pas Bild der Papille er¬
innerte au ein von dunklen
i/ocken uuigebenesGorgoueu-
baupt. Von anderweitigen
Symptomen, welche die
Krauke bot, seien hervor¬
gehoben mehrfache Blut¬
ungen aus der Nase, aus¬
gedehnte Varicen an beiden Beinen, Vergrösserung des Herzens nach
rechts und links, systolisches Geräusch an der Aorta, zweiter
Ton verstärkt, von fast metallischem Klange, ausserdem sprechen
Erscheinungen für das Bestehen von zwei Hirnherden. Der Augeu-
splegelbefond blieb während der Krankheitsdauer der gleiche, es
entwickelten sich weder Schwellungen an der Papille, noch traten
Blutungen auf.
Unsere Annahme, dass ln diesem Falle eine aus¬
gedehnte Erkrankung des Gefässsystems vorliege, wurde
durch die Obduktion und später durch die mikroskopische
Untersuchung durchaus bestätigt; die Gefässe der Hiru-
basis, der Rinde, des Auges, die Femorales, die Renales, die Mes-
araica superior, alle wiesen bald cireumskripte, bald diffuse Ver¬
änderungen auf bei sehr verschiedener Intensität; das Lumen
der Mesaraica superior z. B. war bis auf einen schmalen Schlitz
verengt. Die Prüfung der histologischen Details ergab keine völlige
Identität mit den von H e u b n e r beschriebenen Veränderungen
der Endarteriitis luetica, es war auch anamnestisch Lues nicht
mit Sicherheit nachweisbar, ebenso wenig entsprachen die Befunde
der Arteriitis obliterans Friedlände Fs. Der Hauptsitz der
Proliferation, die zum grösseren Theil aus Spindel-, zum kleineren
Tbeil aus Rundzellen bestand, war zwischen Fenestrata und Media;
im Uebrigen war aber die Betheiligung der drei Häute eine ganz
•) Nach einem auf der Versammlung südwestdeutscher Neuro¬
logen und Irrenärzte zu Baden-Baden 11)01 gehaltenen Vortrage.
») Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 30.
No, 31.
verschiedene, bald war ausschliesslich die Retina betheiligt, in der
MuBcularis und Adventitia lagen nur vereinzelte Rundzellen, an
anderen Schnitten war die Betheiligung der Muscularls weitaus am
stärksten, in einer dritten Serie erschien die Adventitia als Prä-
dilectlonsstelle. Was speciell die Gefässe des Auges anging, so
wies die Arteria ophthalmlea eine erhebliche Einlagerung zwischen
Fenestrata und Media auf, an den Ciliar- und Retinalgefässen war
die Endarteriitis unbedeutend, die beiden anderen Häute erwiesen
sieh aber stark l>etheiligt. Die Capillaren der Hirnrinde waren
zum Theil verstopft, zum Theil waren die Wandungen mit
Rundzeilen inflltrirt, ebenso waren die Gefässe an der Basis in
ihrem Lumen partiell verengt. Die beiden Hirnherde waren em-
bolischen Ursprungs. Ich erklärte mir das Augenspiegolbild ein¬
mal mit den Veränderungen an der Ophthalmlea, an den kleineren
Gefässen des Auges und endlich durch die veränderten Druck-
und Elastizitätsverhältnisse in den Gefässwandungen und im Ge¬
hirn. Die dunkle Färbung dachte ich mir bedingt durch Capillaren,
welche die Proliferation durchzogen.
Der Fall lehrte, dass auch bei Fehlen von Lues eine diffuse
Arteriitis mit Betheiligung der Augengefässe vorkommt, an der
die drei Häute in ganz verschiedenem Grade participiren. Die
Frage, ob der eigenthümliche Augenspiegelbefund für die Dia¬
gnose verwerthet werden könne, musste zunächst unbeantwortet
bleiben.
So sehr ich nun in der Folgezeit auf analoge Bilder fahndete,
konnte ich doch erst vor einigen Monaten den gleichen Befund
erheben; Erweiterungen mässigen Grades, die ausschliesslich die
Venen betrafen, Hessen sich häufiger konstatiren.
Am 13. II. 1901 wurde ein 5G jähriger Mann vollkommen be¬
wusstlos ln die Klinik gebracht. Eine Bisswunde an der unteren
Flüche der Zunge machte es in hohem Grade wahrscheinlich, dass
ein Anfall stattgefunden hatte. Puls regelmässig, 85 Schläge.
Pupillen gleich, reagirend.Patellarreflexe lebhaft,rechts etwas mehr
gesteigert. Am Augenhintergrund fiel mir sofort die ungemein
starke Schlängelung und korkzieherförmige Erweiterung der Ar¬
terien und Venen auf und zwar gleichmässig an beiden Augen;
diesellre erstreckte sich von der Papille, die vollkommen normal
war, bis fast an die Peripherie; auch- hier erschienen die Gefässe,
insbesondere die Arterien, auffallend dunkel. Pulsation war nicht
erkennbar, an der Retina im Uebrigen keinerlei Anomalie, nament¬
lich keine Strichelung, keine Blutungen, die auch im weiteren
Verlaufe ebenso ausgeblieben sind wie Veränderungen an der
Papille.
Das Sensorium klärte sich allmählich auf. Der Kranke konnte
das Voraufgehen eines Anfalls bestätigen, eine leichte rechts¬
seitige Parese, Steigerung des Patellarreflexes auf derselben Seite,
rechtsseitige Hemiopie, Anarthrie und ein leichter Grad von moto¬
rischer Aphasie sprachen dafür, dass in der linken Hemisphäre
ein Herd gesetzt worden war. Diese Symptome bildeten sich all¬
mählich weiter zurück, es ist jetzt uocii die Hemiopie, Tremor in der
rechten Hand und intellektuelle Schwäche uachweisbar. Von
Störungen Im Gefässsystem ist nur liervorzuhebeu, dass der Puls
links beträchtlich schwächer erscheint als rechts.
Ueher Störungen beim Sehen will Patient nicht zu klagen
haben.
Unter Berücksichtigung des früher beobachteten Falles,
namentlich auch der beide Male bestehenden cerebralen Herd¬
affektion, glaube ich auch in dem zweiten Falle eine Gefäss-
erkrankung diagnosticiren zu dürfen.
Auch hier wird sich aber die Frage ergeben, ist der Augen¬
spiegelbefund durch die Gefässerkrankung bedingt? und weiter:
wie ist letztere histologisch und aetiologisch aufzufassen ?
Dass es sich hei der vorliegenden Veränderung nicht, um
arteriosklerotische Vorgänge handelt, erscheint mir zweifellos.
Spricht doch schon die Seltenheit des Augenbefundos gegenüber
der grossen Frequenz auch schwerer arteriosklerotischer Ver¬
änderungen gegen diese Auffassung und nicht minder die Er-
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Google
1236
MUENCHENER MEDICINISCHE-WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
fdhrung? dass bei hochgradiger Arteriosklerose der Augenbefund
ein anderer zu sein pflegt, es waren in meinem ersten Falle aber
auch die anatomischen Veränderungen an den Gefässen des Auges
den arteriosklerotischen nicht gleichzustellen. Was sodann die
syphilitische Erkrankung der Augengefässe angeht, so liegt be¬
züglich derselben bisher nur sparsames Material vor; Bach hat
die Meinung vertreten, dass an den grossen Gefässen mehr eine
Betheiligung der Adventitia und Intima, bei den kleineren mehr
der Intima allein zu konstatiren sei, dagegen war in meinem
ersten Falle die Lokalisation insofern eine andere, als auch an
den kleinen Gefässen Mesarteriitis und Periarteriitis erkennbar
war. Uhthoff bezeichnet diese Veränderungen als immer¬
hin seltene; beiden Autoren ist aber vor Allem trotz der bestehen¬
den Gefässveränderungen nicht ein ophthalmoskopisches Bild
begegnet, das dem von mir beobachteten analog wäre, und
Rumpf bezeichnet sogar sehr enge Arterien als charakteristisch
für Lues. Dass in meinen beiden Fällen Syphilis auch
anamnestisch nicht nachzuweisen war, sei nochmals hervorge¬
hoben. Für eine Endarteriitis chronica diffusa, welche in den
Augen lokalisirt ist, stellt Markow folgende Befunde als cha¬
rakteristisch auf: periodische Funktionsstörungen, Verengerung
der Arterien, Erweiterung der Venen, keine Stränge längs der
Gefässe, keine Haemorrhagien, niemals ein Uebergang in athero-
matöse Veränderungen. Dass die anderweitig bemerkbaren
Störungen im Circulationsapparat allein nicht genügend sind,
um den Augenbefund zu erklären, leuchtet ein.
Nun ist in den letzten Jahren mehrfach die Ansicht ver¬
treten worden, dass die Schlängelung und Verbreiterung der
Arterien und Venen oder, was weitaus häufiger, der Venen allein,
auf congenitale Störungen zurückzuführen sei. In dem pracht¬
vollen Atlas von Oe 11 er findet sich zunächst eine Tafel E,
Tab. VI, deren Darstellung, soweit die Gefässe in Betracht
kommen, meine Befunde ziemlich übereinstimmend wiedergibt
(Oeller spricht von einer Tortuositas vasorum), nur war in
meinen Fällen die Betheiligung der Arterien weitaus beträcht¬
licher, und ausserdem konnte Oeller einen den Sehnerven um¬
gebenden schmalen grauen Hof und von ihm nach der Peripherie
zu ausstrahlende hellgelbe und graue Radien konstatiren, die bei
meinen Bildern fehlten. Arterien und Venen verändert stellt
ferner Frost dar. Auf einer anderen Abbildung O e 11 e Fs
(C, Tab. VII) sind lediglich die Venen erweitert und geschlängelt.
Ferner hat L e w i n ’) jüngst einen Fall publicirt, der, einseitig,
nur an dem linken Auge Erweiterung und Schlängelung der
Arterien und Venen bot, während das rechte Auge normal war.
L e w i n vergleicht das Augenspiegelbild, ebenso wie ich in
meinem ersten Falle, mit einem Medusenhaupte, ohne übrigens,
ebenso wie seine Fachgenossen, meiner Publication Erwähnung
zu thun. Erheblich häufiger sind die Fälle, wo lediglich die
Venen erweitert und geschlängelt sind und zwar ist die Verände¬
rung bald eine diffuse gleichmässige oder es liegt mehr circum-
scripte Knäuelbildung vor. Hierher gehören die Fälle von
Magnus, Jacobi, Mackenzie, namentlich von Gloor 1 ); in dem
von Letzterem beschriebenen Falle waren an beiden Augen die
Netzhautvenen verbreitert und geschlängelt und zwar besonders
in den peripheren Abschnitten, die Arterien dagegen waren
dünn, es bildeten sich Blutungen, gleichzeitig handelte es sich
um eine Lungenaffektion, die auch in anderen analogen Fällen
bestand und mit mehr oder weniger erheblichen Circulations-
störungen einherging. Die Meinung, dass diese Gefässverände¬
rungen congenitaler Natur seien, stützte sich vor Allem auf die ,
Beobachtung, dass sie sich gern bei Hypermetropen zeigten,
L a n d o 11 sprach die Meinung aus, dass die Retinalgefässe sich
in einer präexistirenden Falte entwickelten, dass bei Hyper-
metropie der Bulbus kleiner sei und dass aus diesem Grunde
die Gefässe sich nicht in voller Länge entwickeln könnten, dass
es desshalb zu Schlängelungen käme. Einer derartigen dirocten
Abhängigkeit der Schlängelung von der Hvpermetropie wider¬
spricht aber die Thatsache, dass die Gefüssveriinderung auch an
einem Auge beobachtet wurde (L e w i n), dass Gloor die Erwei¬
terung der Venen auch bei Myopie konstatirte. Damit würde
die Möglichkeit, dass die Gefässveränderungen trotzdem congeni¬
taler Natur seien, noch nicht ausgeschlossen werden.
*) Arch. f. Augenbeilk., Bd. 38.
') Arch. f. Augenbeilk., Bd. 85.
In dieselbe Kategorie würden dann auch wohl die Verände¬
rungen gehören, die Nottbeck als Scheinneuroretinitis be¬
zeichnet hat.
Nach den vorstehenden Erörterungen würden sich ergeben
Fälle, wo doppelseitig Arterien und Venen erweitert und ge¬
schlängelt erscheinen. Das längere Fortbestehen dieser Verände¬
rung, ohne dass sich weitere Anomalien hinzugesellen, würde
für den congenitalen Ursprung sprechen können. Mein erster
Fall würde aber den sicheren Nachweis erbracht haben,
dass mit einer solchen constanten Verbreiterung und Schlänge¬
lung trotzdem Hand in Hand gehen können Veränderungen der
Gefässwände; in meinem zweiten Falle würden gleichfalls für
diese Kombination zahlreiche Momente sprechen. An zweiter Stelle
würden Fälle in Betracht kommen, wo nur einseitig die Ge-
-fiissveränderungen vorliegen. Darüber nun, ob die Erweiterung
und Schlängelung der Arterien und Venen congenitalen Ur¬
sprungs sind, ob die Erkrankung der Gefässwände lediglich eine
Komplikation darstellt und andererseits über die Frage: werden
durch die Erkrankung der Wände die Elastizitätsverhältnisse so¬
weit geändert, dass Schlängelung und Erweiterung reeultirt,
werden erneute anatomische Untersuchungen Aufschluss geben
müssen, für welche vielleicht den Neurologen und Irrenärzten sich
eher geeignetes Material ergeben dürfte als den Ophthalmologen.
Ebenso w'ird die Frage zu prüfen sein, auf welches Agens ist die
Gefässerkrankung zurückzuführen. Auf die Möglichkeit einer
primären Erkrankung der Netzhautgefässe hat schon Elschnig
hingewiesen.
Wesentlich umfangreicher ist die Gruppe von Fällen, wo
ausschliesslich die Venen verändert sind, wo circumscripte
Knäuelbildungen oder diffuse Erweiterungen und Schlängelungen
bestehen. Der Einfluss von anderweitigen Störungen im Kreis¬
lauf, z. B. Lungenerkrankungen, wird hierbei oft genug erkenn¬
bar sein; die Deutung dieser Gruppe wird überhaupt auf viel
geringere Schwierigkeiten stossen, als die der ersten, weitaus
weniger frequenten.
Aus der kgl. Universitäts-Frauenklinik in Halle a. S.
Ueber vaginale Punktion und Incioion.*)
Von Privatdoccnt Dr. K. Franz, I. A^ifctelf&rzt.
Es ist nicht in allen Fällen gynäkologischer 'Erkrankungen
möglich, durch die Anwendung der üblichen UntSrsuchungs- *
methoden, insbesondere durch die bimanuelle Untersuchung, zu
einer sicheren Diagnose zu gelangen. Für diese Fälle wäre es
erwünscht, ein diagnostisches Hilfsmittel zu besitzen, das ein¬
fach und ungefährlich in seiner Anwendung und sicher in seiner .'
Wirkung die üblichen Methoden der Untersuchung ergänzen i
könnte. So ein Mittel ist die Punktion. Von dem interneu
Medieiner und dem Chirurgen vielfach in Anwendung gezogen,
stellt sie bei einer Reihe von Gynäkologen nicht besonders in
Geltung.
Veit 1 ) warnt vor der Probepunktion von der Scheide aus. Er
hält diese Untersuchungsmethode für gefährlich. Es sei schwierig,
den Genitalkanal vollständig aseptisch zu machen oder dauernd
aseptisch zu halten. Desswegen seien Infektionen möglich. Zu¬
dem könnten naheliegende Därme verletzt werden. Man gewinne
mit der Punktion nichts für die Diagnose und nichts für die
Therapie. Denn es sei nicht werthvoll, zu wissen, ob ein Tuben¬
tumor Schleim oder Eiter enthalte. Sei es hei der Palpation
zweifelhaft, ob ein Beckentumor ovariell oder tubar sei, so könne
man durch die Punktion auch keine Entscheidung treffen.
Martin’) meint, dass, abgesehen von den nicht vermeidbaren
Neben Verletzungen, bei der Probepunktion das Ausfliessen oder
Nichtausfliessen von irgend welcher Flüssigkeit aus dem Trokar
noch keinen Anhaltspunkt über den Inhalt des punktirten Ge¬
bildes gibt. Flüssige Massen entleeren sich nicht durch den
Probetrokar, die einzelnen Kammern desselben Gebildes enthalten
verschiedenen Inhalt, die ausfliessenden Flüssigkeiten sind so
zweideutig, dass die Exactheit der Diagnose dadurch nicht ge¬
fördert wird.
*) Nach einem Vortrag, gehalten im Verein (1er Aerzte zu
Halle a. S. am 19. Juni 1901.
') Gynäkologische Diagnostik, 1899.
’) Die Krankheiten der Eileiter, 1895.
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80. Juli 190L
MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1237
Nach Winter*) ist die Probepunktioü ein diagnostisches
Hilfsmittel, welches durch eine genaue Palpation ersetzt werden
kann und soll. Die Probepunktion ist trotz antiseptischer Yor-
sichtsmaassregeln nicht ungefährlich, da aseptische Tumoren,
Hydrosalpinx und Blutgeschwülste durch dieselbe inficirt werden
und vereitern können oder Pyosalpiiixe einen Theil ihres Inhalts
in die Bauchhöhle entleeren können. Da ausserdem weder durch
Ablassen von Blut noch von Eiter mit Bestimmtheit ausgesagt
werden kann, ob dieselben innerhalb der Tube oder neben ihr
gesessen haben, so sind die Resultate der Probepunktion für eine
genaue Diagnose unbrauchbar. Man thut am besten für die Er¬
kennung von Tubentumoren auf dies Hilfsmittel zu verzichten.
Bei der Differentialdiagnose zwischen eitrigem und serösem
pelveoperitonitischen Exsudat mit Haematocele ist die Probe¬
punktion, bei der es sich in diesen Fällen nur um eine Durch¬
stechung des hinteren Scheidengewölbes handelt, aseptisch aus¬
geführt, ohne Nachthoil und sie hilft am sichersten zur Diagnose.
Doch soll sie auch in diesen Fällen ein Nothbehelf der Diagnose
sein.
Winternitz*) widerräth bei der Difforentialdiagnose
der Haematocele die Punktion.
F ritsch*) räumt der Punktion bei der Differentialdiagnose
zwischen Ovarialtumoren und allen Tumoren des Douglas-
schen Raumes, wie Haematocelen, Exsudaten, Para-, Perimetritis
u. s. w., eine berechtigte Stelle ein, wenn alle anderen dia¬
gnostischen Mittel erschöpft sind. Er räth, zur Punktion eine
Pravaz’sche Spritze zu nehmen. Die Natur der aspirirten
Flüssigkeit ist für die Diagnose verwendbar.
F ehling*) möchte für die schwierigen Differential¬
diagnosen zwischen Tubenerkrankungen und Tubarabort mit
Haematocele die diagnostische Punktion nicht entbehren. In
ähnlicher Weise spricht sich Küstner*) aus.
Ein ganz besonderer Freund der vaginalen Punktion ist
Landau*). Er hält die Punktion für ein ganz vorzügliches
Hilfsmittel in der Diagnostik, besonders der Tubensäcke. Er
wendet die Probepunktion methodisch an, um zu erkennen, ob
der vorliegende Tumor solid oder cystisch ist, ebenso da, wo die
Art der vorliegenden Cyste nicht klar ist. Er hat niemals auch
nur den geringsten Nachtheil von der Punktion beobachtet.
M. H.! Diese kurze, durchaus nicht erschöpfende Anführung
der Anschauungen, die über den diagnostischen Werth der
Punktion bestehen, mag genügen, Ihnen zu zeigen, dass ihr Werth
nicht allgemein anerkannt ist, dass die Einen sic für nutzlos
und gefährlich halten, Andere wiederum sie als willkommenes
diagnostisches Hilfsmittel schätzen. Bei dieser Gegensätzlichkeit
der Meinungen mag es desshalb berechtigt erscheinen, einmal an
einem grösseren Material zu untersuchen, was eigentlich die
diagnostische Punktion zu leisten im Stande ist und was für
Mängel ihr gerechter Weise nachzusagen sind.
Ich habe zu dem Zwecke die Krankengeschichten derjenigen
Fälle, bei denen in den letzten 7 Jaliren (solange die Klinik unter
F e h 1 i n g’s Leitung stand, vom 1. April 1894 bis 31. März 1901)
zu diagnostischen Zwecken punktirt wurde, durchgesehen und
möchte mir nun erlauben. Ihnen die Resultate dieser Zusammen¬
stellung vorzutragen *). Ich habe im Ganzen über 81 Fälle zu
berichten. In der grössten Mehrzahl der Fälle handelte es sich
um Tumoren, die entweder vollständig oder doch zum grössten
Theil im D o u g 1 a s’schen Raume lagen, direct über dem
hinteren Scheidengewölbe, dies mehr oder weniger vorbuchtend.
Nur bei 13 Fällen sassen die Tumoren mehr seitlich vom Uterus
und erstreckten sich nur mit einem geringen Theil ihrer Masse
hinter den Uterus in den D o u g 1 a s’schen Raum. Aus diesen
Thatsachen geht schon hervor, bei welchen Fällen die dia¬
gnostische Punktion anzuwenden ist, nämlich bei Fällen, wo mit
Leichtigkeit gerade vom hinteren Scheidengewölbe punktirt
werden kann. Die sich daraus ergebende Einschränkung ihrer
Anwendung wird noch klarer werden, wenn wir die Fälle nach der
Diagnose ordnen, die vor der Punktion gestellt wurde.
•) Lehrbuch der gynäkologischen Diagnostik. 189(5.
*) V e 1 fs Handbuch der Gynäkologie, III, 2. 3899.
1 ) Die Krankheiten der Frauen. 1900.
•) Lehrbuch der Frauenkrankheiten, 1900.
9 Deutsch, med. Wochenschr. 1894, 51.
*) Archiv f. Gynäkologie, Bd. 40.
*) 8. a. Paul Scheibe: Beitrag zur diagnostischen vagin.
Punktion in der Gynäkologie. Inaug.-Dlss., Halle 1901.
Es handelte sich um Haematocele retrouterina in Folge von
unterbrochenen Tubargraviditäten 20 mal, um tuboovarielle Tu¬
moren 16 mal, Pelveoperi ton itis exsudativa 16 mal, um Abscesse
im Douglas nach Operationen oder auf der wahrscheinlichen
Grundlage einer Appendicitis 10 mal, um Pyosalpinx 5 mal, um
rotrouterine Tumoren ohne sichere Diagnose 4 mal, um Para-
metritis 3 mal, um Haematom des Lig. lat. 2 mal, um Parovarial-
tuinoren 2 mal, um Ovarialtumoren 2 mal und um einen intra¬
ligamentären, diagnostisch ganz unsicheren Tumor lmal.
Was hat nun in diesen Fällen die diagnostische Punktion ge¬
leistet, wie oft hat sie die ursprüngliche Diagnose bestätigt, wie
oft sie verbessert und wie oft hat sie als diagnostisches Hilfs¬
mittel im Stich gelassen?
Die Diagnose wurde durch die Punktion 56 mal bestätigt,
darunter 13 mal bei Tubargravidität mit Haematocele und 15 mal
bei eitrigen Adnextumoren bezw. pelveopcritonitischen Exsudaten.
5 mal wurde eine zweifelhafte Diagnose gesichert und genau
festgestollt. 10 mal musste die ursprüngliche Diagnose geändert
werden und zwar 6 mal die Diagnose Tubargravidität mit
Haematocele in Pelveoperitonitis exsudativa, 1 mal die Diagnose
Pelveoperitonitis exsud. in Haematocele, 1 mal Pelveoperitonitis
exsud. in Ovarialkystom, 1 mal tuboovarieller Tumor in Haemato¬
cele und 1 mal tuboovarieller Tumor in Pelveoperitonitis exsud.
Demnach leistet also die diagnostische Punktion besonders bei
der Differentialdiagnose zwischen Tubargravidität mit Haemato¬
cele und entzündlichen tuboovariellen Tumoren oder pelveoperi-
tonitischen Exsudaten besonders gute Dienste. Und hier ist sie
um so werthvoller, als gerade diese Differentialdiagnose besonders
schwierig ist; denn diese Erkrankungen der Tuben und Eier¬
stöcke bezw. des Beckenperitoneums und der Haematocele ver¬
laufen klinisch gar oft in ganz gleicher Weise und bieten gar
oft denselben Palpationsbefund.
In 6 Fällen war das Ergebniss der Punktion zweifelhaft und
sogar irreführend, insofern als 4 mal trotz des späteren Nach¬
weises von Eiter nur seröse Flüssigkeit punktirt wurde.
In 4 Fällen war die Punktion vollständig ergebnisslos.
Es fragt sich nun, warum in diesen Fällen die Punktion im
Stiche gelassen hat. Die Ursachen können ungeeignete Fälle,
ungenügende Technik und ungenügendes Instrumentarium ge¬
wesen sein. Bei 2 Fällen, bei denen die Punktion kein Resultat
gab, handelte es sich einmal um ein altes Exsudat und einmal um
einen knolligen Tumor im Douglas. Das waren also ungeeignete
Fälle. Denn bei soliden Tumoren muss natürlich die Punktion,
die doch Flüssigkeit nachweisen soll, fehlschlagen. Nebenbei be¬
merkt ist bei soliden Tumoren die Probepunktion wegen der
grösseren Infektionsgefahr gefährlicher als bei cystischen und
überflüssig, da man zwischen soliden und cystischen Tumoren
besser durch die Palpation entscheidet.
Bei 2 weiteren Fällen, die später sicher das Vorhandensein
von Eiter ergaben, verlief die Punktion ebenfalls resultatlos.
Hier muss es sich also um einen Fehler in der Technik gehandelt
haben oder um ungoeignete Instrumente. Entweder ist man mit
der Nadel nicht tief genug eingegangen oder die Nadel hat die
Flüssigkeit nicht durchfliessen lassen. Es empfiehlt sich dees-
lialb, zur Punktion nicht zu enge und möglichst lange Hohlnadeln
zu gebrauchen, die mit der äusseren Hand bequem geführt werden
können. Die Nadel soll 15—20 cm lang sein, so lang, dass ihre
äussere Oeffnung ausserhalb des Scheideneinganges liegt, auch
wenn die Nadel tief in den Tumor ein gestochen wird. Das
scheint mir für den Erfolg der Punktion sehr wichtig zu sein.
Die ,von Landau angegebene Punktionsnadel entspricht allen
diesen Anforderungen. Zur Punktion geht man mit 2 Fingern
einer Hand in’s hintere Scheidengewölbe, sucht sich die weichste
und tiefste Stelle des Tumors auf und sticht nach oben in den
Tumor gegen den Beckeneingang zu. Steht die Flüssigkeit im
Tumor unter einem bestimmten Druck, so wird die Flüssigkeit
von selbst auslaufen. In manchen Fällen mag auch ein gut funk-
tionirender Snugapparat (Dieulafoy z. B.) an die Nadel angosetzt
werden, mit dem man aspirirt. Doch glaube ich nicht, dass ein
solcher Apparat dringend nothwendig und sehr nützlich ist. Im
seitlichen Scheidengewölbe zu punktiren, soll man vermeiden, da
man seitlich sehr leicht die A. uterina anstechen kann. Dass
natürlich die ganze Punktion unter der strengsten Asepsis und
Antisepsis nach Desinfektion der Scheide mit ausgekochten In¬
strumenten und desinficirtcr Hand ausgeführt werden muss, be-
1 *
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1238
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
darf keiner weiteren Auseinandersetzung. Beobachtet man alle
diese Vorschriften, so werden Misserfolge selten sein. Dass sie
Vorkommen, beweisen 4 Fälle von uns. Hier würde nur seröse
Flüssigkeit punktirt, obwohl später die Anwesenheit von Eiter
sicher nachgewiesen wurde. In einem Falle hatte man statt des
Pyosalpinx ein cystisch degenerirtes Ovarium punktirt. Bei den
anderen Fällen scheint man eben nicht zu den Eiterstellen ge¬
kommen zu sein. Vor solchen Missgeschicken kann man sich
kaum schützen. Man kennt sie aber und weiss, dass man sich
nicht immer auf die Punktion verlassen kann. Dass einmal eine
Untersuchungsmethode im Stiche lässt, ist nicht ernst zu nehmen,
denn dieser Mangel haftet allen Methoden an. Bedeutungsvoller
wäre, wenn das richtig wäre, was manche Gegner der Probe¬
punktion sagen, dass sie gefährlich sei.
Unter unseren 81 Punktionen haben wir 5 Fälle, bei denen
sich nach der Punktion leichte Fiebersteigerungen (1 mal mit
Schüttelfrost) für einen oder 2 Tage einstellten, die jedoch ohne
jeden Nachtheil für die Patientin verliefen (diese Fälle betreffen
3 mal eitrige Adnextumoren, 1 mal PaTametr. purul. und 1 mal
Haematocele retrouterina).
Nur in einem Falle scheint die Punktion von Naohtheil ge¬
wesen zu sein. Es handelte sich um einen cystischen, anscheinend
intraligamentären Tumor rechts und hinter dem Uterus, ihm
dicht anliegend. Die Probepunktion ergab 500 ccm Blutwasser.
Am nächsten Tage Abends Temperatur von 40,0; das Fieber
dauert an und der nach der Punktion verschwundene Tumor
erscheint allmählich wieder; zugleich entwickelt sich ein pelveo-
peritonitisches Exsudat. 8 Tage nach der Punktion wird vom
hinteren Scheidengewölbe incidirt und reichlich stinkender Eiter
entleert Nach 20 Tagen wird Patientin geheilt entlassen mit
einem nussgrossen harten Rest des ehemaligen Tumors. Hier j
scheint also wirklich die Punktion die Ursache einer Infektion
gewesen zu sein.
In einem zweiten Falle bleibt es zweifelhaft, ob die Punktion
an dem üblen Ausgange der Erkrankung schuld gewesen ist.
Es handelte sich um einen Fall von doppelseitigem Adnex¬
tumor. Die Frau kam fiebernd in die Klinik. Nach 2 Tagen wird
von der Scheide punktirt und 1 oem seröse Flüssigkeit gewonnen.
Das Fieber besteht unvermindert fort. Am 16. Tag nach der
Punktion stellen sich peritonitische Symptome ein, zwei
Tage später Exitus an diffuser Peritonitis. Es ist kaum wahr¬
scheinlich, dass hier die Punktion zur Entstehung der Peritonitis
Veranlassung gregeben hat, doch ihr jeden Einfluss mit aller Be¬
stimmtheit abzusprechen, ist auch nicht angängig. Es wäre ja
immerhin denkbar, dass durch die Punktionsöffnung in den Eiter¬
tuben etwas infektiöses Material in die Bauchhöhle gekommen
und die Infektion bedingrt hätte.
Jedenfalls zeigen die 5 ersten und diese beiden zuletzt er¬
wähnten Fälle, dass die Punktion mit grosser Vorsicht ange¬
wendet werden muss und dass es nicht berechtigrt ist, sie für
durchaus gefahrlos zu halten.
Wir können also nach dem Gesagten den diagnostischen
Werth der Punktion in Kurzem so zusammenfassen. Die vaginale
Punktion ist ein willkommenes Hilfsmittel in der Diagnose von
Geschwülsten, die vornehmlich im D o u g 1 a s’schen Raum liegen
und vom hinteren Scheidengewölbe für die Punktionsnadcl
leicht zugänglich sind. Sie leistet besonders gute Dienste bei
der Diagnose tubarer Geschwülste, seien sie entzündlicher Natur
oder durch Störungen tubarer Graviditäten bedingt, und der
Pelveoperitonitis exsudativa. Die Punktion ist mit allen Kautelen
der Asepsis und Antisepsis auszuführen.
An die Punktion wurde von den 81 Fällen 35mal die Incision
vom hinteren Scheidengewölbe aus angeschlossen.
Gestatten Sie mir, m. H., dass ich Ihnen einige Worte über
diesen therapeutischen Eingriff sage.
Es handelte sich in diesen Fällen ausschliesslich um Tu¬
moren, die vollständig oder zum grössten Theil in der hinteren
Douglastasche sassen, direkt über dem hinteren Scheidengewölbe
und so von hier aus leicht zugänglich waren. Die Fälle betreffen
retrouterino Haematocelen im Anschluss an Tubargraviditäten
8 mal, pelveoperitonitische Exsudate 16 mal, davon 7 nach opera¬
tiven Eingriffen, pelveoperitonitische Exsudate mit tuboovariellen
Tumoren 2 mal, Douglasabscesse (wahrscheinlich von Appen-
dicitis herrührend) 4 mal, Pyosalpinx mit Parametritis 1 mal,
Parumetritis 1 mal, tuboovarielle Tumoren 3 mal.
Von diesen Fällen wurden durch die Incision 20 vollständig
geheilt, 11 wurden gebessert, 2 blieben ungeheilt und 2 starben.
Auf die einzelnen Fälle vertheilen sich die Heilungen, Besse¬
rungen und Todesfälle folgendermaassen: • Fiebernde Haemato¬
celen 4, geheilt 1, gebessert 2, ungeheilt 1 (später noch Ent¬
fernung der schwangeren Tube durch Laparotomie nöthig); fieber¬
freie Haematocelen 4, geheilt 1, gebessert 2, gestorben an Ver¬
blutung 1. Pelveoperitonitische Exsudate 16, geheilt 12 (davon
7 pelvcoper. Exsud. nach Operationen alle geheilt), gebessert 3,
gestorben 1 an Pyaemie. Pelveoperitonitische Exsudate mit tubo¬
ovariellen Tumoren 2, gebessert 1, ungeheilt 1. Douglasabscesse
(wahrscheinlich von Appendicitis herrührend) 4, sämmtliche ge¬
heilt. Pyosalpinx mit Parametritis 1, geheilt, Parametritis 1, ge¬
bessert. Tuboovarielle Tumoren 3, geheilt 1, gebessert 2.
Man sieht also, dass weitaus die besten Resultate die un-
komplizirten Absccsse im Douglas geben, seien sie pelveoperitoni¬
tische Exsudate in Folge von Infektion bei Operationen oder
auf der Basis einer Blinddarmentzündung entstanden. Diese
Fälle wurden alle geheilt. Die Ursache dieser guten Erfolge ist
ohne Weiteres klar. Sobald der Eiter abgelassen ist, heilt die
Höhle, sofern man nur für den dauernden nachträglichen Eiter¬
abfluss Sorge trägt, aus, weil keine Quelle erneuter Infektion
da ist. Anders liegen die Verhältnisse, wenn bei tuboovariellen
Tumoren incidirt wird. Hier tritt eine definitive Heilung nach
der vaginalen Incision seltener ein. Hier bleiben natürlich die
entzündlich veränderten Tuben oder Ovarien zurück und können
immer wieder den Anlass zu erneuter Infektion geben. So musste
in einem Falle, wo die Incision nur eine Besserung erzielt hatte,
nachträglich noch die vaginale Radikaloperation vorgenommen
werden, weil Schmerzen und Eiterung wieder in alter Stärke
auftraton.
Noch ungünstiger als bei tuboovariellen Tumoren ist der
Erfolg der Incision bei Haematocele retrouterina in Folge
extrauteriner Gravidität.
Bei Haematocelen gewinnt man mit der Incision kaum etwas.
Man schafft nur Gelegenheit zu Infektion der Bluthöhle, die
nachher auch ohne Infektion nicht rascher ausheilt als wenn man
gar nichts gemacht hätte. Dabei ist sie sehr gefährlich, wie
ein Fall beweist, dor an Verblutung nach der Incision ge¬
storben ist.
Die Incision bei Haematocele ist nur in den Fällen berech¬
tigt, wo es sich um verjauchte oder septisch infizirte Blutergüsse
handelt, die durch Laparotomie zu operiren man sich wegen der
möglichen Infektion des Peritoneums scheut.
Ich habe versucht, die Dauerresultate der vaginalen Incision
festzustellen und die operirten Frauen schriftlich gebeten, sich
mir vorzustellen oder mir einen beigefügten Fragebogen zu be¬
antworten. Von 6 habe ich schriftlichen Bescheid erhalten und
7 haben sich mir vorgeetellt. Von diesen 13 klagt nur eine über
Schmerzen, bei der wegen Pyosalpinx und Parametritis incidirt
wurde. Alle Anderen sind vollständig gesund.
Bei den 7 Fällen, die ich untersucht habe, fanden sich 4 mal
keine Reste der alten Erkrankung, zweimal zeigte sich eine
stärkere Verdickung der Douglasfalten. Dies waren alles Fälle
unkomplizirter Abseesse im Douglas. Bei einem Falle, der
wegen retrouteriner Haematocele operirt wurde, fanden sich
beiderseits Fixationen um Tuben und Ovarien, doch keine sub¬
jektiven Beschwerden.
Auch hier zeigen sich wieder die besten Resultate bei den
unkomplizirten Abscessen im Douglas. Wir werden demnach
gerade in diesen Fällen die vaginale Incision als einen erfolg¬
reichen therapeutischen Eingriff vornehmen können. Da er sehr
einfach ist und, wie Sie gesehen haben, in ausgewählten Fällen
absolut sicher, so mag er dem praktischen Arzte besonders em¬
pfohlen werden.
Noch ein kurzes Wort über die Technik der vaginalen In¬
cision.
Man punktirt zunächst unter Leitung des Fingers vom hin¬
teren Scheidengewölbe aus an der Stelle, die am deutlichsten
fluktuirt und am tiefsten nach abwärts steht. Läuft der Tumor¬
inhalt durch die Nadel ab, dann legt man das hintere Scheiden¬
gewölbe frei, fasst die Portio mit einer Kugelzange und zieht sie
nach vorn und oben. Dadurch wird die Scheidenschleimhaut um
die stecken gebliebene Punktionsnadel gut gespannt. Nun kann
! man neben der Punktionsnadel mit dem Messer die Scheideu-
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MUENCUENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1239
30. Juli 1901.
Schleimhaut seicht einschneiden. Man kommt dann leichter mit
einer spitzen Komzange durch die Scheiden wand in den Sack.
Zu diesem Eingriff ist das von Landau angegebene Instrument
sehr geeignet. W T ird nun die Kornzauge gespreizt und das Bohr¬
loch erweitert, fliesst gewöhnlich im Strom der Tumorinhalt ab.
Ist es nothwendig, die so entstandene OefFnung noch mehr zu er¬
weitern, so kann das leicht mit Seheere oder Messer geschehen.
Ist der Tumorinhalt abgelaufen, dann wird in den leeren
Sack ein Balkendrain aus Gummi röhren eingelegt und neben
diesem Drain die Höhle mit Jodoformgaze, wenigstens für den
ersten Tag, ausgestopft. Bei der Nachbehandlung ist darauf zu
achten, dass der Drain gut durchgängig bleibt. Zu dem Zwecke
kann vom 3. oder 4. Tag an durch den Drain die Höhle mit
leichten Antisepticis ausgespült werden. Ist der Drain verstopft,
so muss er herausgenommen und neu eingelegt werden. Am
Ende- der ersten Woche kann dann ein dünnerer Drain an Stelle
des ersten treten. Wann der Drain ganz weggelassen werden
soll, lässt sich nicht auf den Tag angeben. Man lässt ihn dann
weg, wenn die Höhle klein genug geworden ist, dass keine Re¬
tention iIrres Inhalts mehr zu fürchten ist. Die Heilungsdauer
nach solchen vaginalen Incisionen beträgt 2—3 Wochen.
Ich glaube, dass der praktische Arzt, der ja im Allgemeinen
keine grosse Hebung in vaginalen Operationen haben kann, mit
dieser Methode auch ohne geübte Assistenz sehr gut zurecht-
konur.t und erfreuliche Resultate erzielt.
Aus dem hygienischen Institute der Universität Wien.
Ueber specifische Blutveränderungen nach Harn-
injectionen.
Kurze Mitthoilung von Dr. A. Schattenfroh, Assistent am
Institute.
Untersuchungen, ob durch Injektionen von Harn
einer fremden Thierspecies specifische Veränderungen im Blute
der vorbehandelten Thiere hervorgerufen werden, haben zu einem
positiven Resultate geführt. Ich theile in Kürze dieselben
mit und berühre hiebei in keiner Weise theoretische Gesichts¬
punkte, die wohl zweckmässig erst nach Erweiterung der Unter¬
suchungen aufgestellt werden können.
Einer grösseren Anzahl von Kaninchen wurde theils Men¬
schenharn, thcils Ziegen- und Pferdeharn in
grösseren Mengen subkutan injicirt; die Thiere erhielten in 2 bis
3 tägigen Intervallen im Ganzen 120—150 ccm Harn einverleibt.
Zur Kontrole wurde gleichzeitig einigen Kaninchen aktives
bezw. inaktives Ziege nscrum in annähernd derselben
Menge und bei Beobachtung derselben Versuehsbcdingungo.n
subkutan eingespritzt.
Es hat sich nun herausgestellt, dass das Serum von
mit Menschon- und Ziegenharn behandelten Thieren
starke lösende, bezw. agglutinirende Eigenschaf teil
gegenül>er den rothen Blutkörperchen der betreffenden
Thierspecies gewann. Insbesondere war dies für das Serum aus
Menschenharn der Fall, indem hier die Unterschiede gegen¬
über dem Verhalten normalen Kaninchenserums, bezw. Serums
von mir mit anderen Harnen behandelten Kaninchen, die so gut
wie keine globuliciden Eigenschaften auf Menschen blutkörperchen
blassen, besondere prägnant hervortraten. Das Blutserum eines
mit Pferdeharn vorbehandelten Thieres hatte keine deutlich
erkennbaren haemolytischen oder agglutinirenden Eigenschaften
erworben ’).
Praecipitine und „A ntikomplemente“ fehlten
im Serum der mit Ziegenharn injizirten Thiere, indem bei Ver¬
setzen der Sera mit normalem Ziegenserum keine spocifischen
Fällungen gesehen wurden, und auch die starke globulioide Wir¬
kung normalen Ziegenserums auf Meereehweinchenblutkörper-
ehen durch Zusatz von Ziegenharnserum in keiner Weise be¬
hindert wurde. Dcssgloichen fehlten im Menschenharnserum
Praecipitine.
Ganz andere war die Beschaffenheit des Serums der mit
aktivem be.zw. inaktivem Ziegenserum behandelten Kaninchen.
Hier waren grosse Mengen von „Antikomplcmcnton“
(wieder hinsichtlich der Wirkung des Ziegenserums auf Moer-
-ehweiuehenerythr»wyteil) und P r ä e i p i t i n e n gebildet,
'• Erhitzen des Injizirten Mensehonhams auf 100° C. durch
5 Minuten verhinderte das Entstellen der speeitlschen Hneino-
Iysine.
No. 13.
während Hacraolysine völlig fehlten, und auch
Agglutinine kaum entstanden sein dürften.
Es besteht demnach ein interessanter Gegensatz zwischen der
Wirkung des Harns und des Serums, der vielleicht zu Auf¬
klärungen über das Wesen der verschiedenen specifisch auslösen¬
den Substanzen der Körperflüssigkeiten führt.
Vielleicht lassen sieh auch noch in anderer Hinsicht Kon¬
sequenzen aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen ziehen.
Zu denken wäre jetzt schon daran, zur Gewinnung der specifischen
Sera für die forensische Blutdiagnose (Deutsch) Mon-
schenharn statt Menschenblut zu verwenden, dessen
Beschaffung doch gewiss geringeren Schwierigkeiten begegnet.
Ich hoffe, bald über Fortschritte berichten zu können.
Aus dem Institute für spez. Pathologie der Universität Pavia
(Direktor: Prof. L. Devot o).
Isoagglutinine und Isolysine menschlicher Blutsera.’")
Von Dr. M. Ascoli, Assistent am Institute.
Nach der Entdeckung von B e 1 f a n t i und C a r b o n e ,
dass «las Blutserum von Thieren, die mit Blut einer anderen
Species behandelt worden sind, eine hohe Toxicität für letztere
erlangt, haben die klassischen und grundlegenden Untersuchungen
von Bordet, Ehrlich und Morgenrot h über Haemo-
lysine, die schönen Arbeiten von Metsclinikoff, v. Dün¬
gern, Lnndsteiner, Moxtor und verschiedener anderer
Forscher das Studium eines neuen und ausgedehnten Gebietes
der biologischen Wissenschaften eröffnet: das Studium der speci-
fischtn Zellgifte.
Diese neue Richtung hat in kurzer Zeit eine vielseitige Ent¬
wickelung erhalten, hat neues Licht auf alte Fragen geworfen,
neue Fragen aufgerollt und stellt zur Zeit eines der interessan¬
testen und meist versprechenden Kapitel der Pathologie und
Physiologie dar.
Ehrlich und Morgenroth 1 ) erforschten weiter auf
experimentellem Wege wie sieh der thierische Organismus gegen¬
über der Einführung von Gewebselementen, die derselben Thier¬
art entstammen, verhält und erbrachten den Beweis, dass im
Blutserum von Ziegen, die mit Ziegenblut behandelt worden sind,
Isolysine auf treten, d. h. Substanzen, welche die rothen Blut¬
körperchen anderer Ziegen aufzulösen im Stande sind.
Was die isolytischon und isoagglutinirenden Eigenschaften
des menschlichen Blutserums nnhelangt, so beobachtete M a r a -
gliano schon im Jahre 1892'), dass in verschiedenen Krank¬
heitszuständen das Blutserum die Erythrocyten anderer Indi¬
viduen verändern und zerstören kann.
Lnndstpiner 1 ) wies auf die Agglutinationsfähigkeit
de; sel!>en nicht nur thierischen, sondern auch menschlichen rothen
Blutkörperchen gegenüber hin und fand diasc Eigenschaft im
Blutserum Schwerkranker besondere ausgeprägt.
Donat h‘) fand die Agglutinationsfähigkeit des Blutserums
in verschiedenen Fällen von Chlorose erhöht.
II a 1 b a n c ) verglich die isoagglutinirenden Eigenschaften des
foetalen und mütterlichen Serums und kommt zum Schlüsse,
dass das Agglutinationsvermögen das kindlichen Blutserums nicht
abhängig zu sein scheint von dem des mütterlichen.
L o Monaco 1 und P a n i c h i 6 ) fanden, dass das Blut¬
serum Malnriakranker ausgesprochene isoagglutinirende Wirkung
besitzt.
Ich fasse im Folgenden kurz meine Untersuchungen über
die isoagglutinirenden und isolytischen Eigenschaften mensch¬
licher Blutsera zusammen, die ich an 17 gesunden Individuen
und 97 kranken unserer Klinik angestellt habe.
Zur Gewinnung des Serums wurde das Blut aus einer Arm¬
vene in eine sterile Spritze aufgesaugt, darauf in Eprouvetten
gerinnen lassen; die Blutkörperehenaufsehwemmungen wurden
mittels dicker, durch Nadelstich dem Ohrläppchen entnommener
Blutstropfen hergestellt; diese wurden in 0,85 Proc. NaOl-Lüsung
aufgefatigen, defibrinirt, ceiitrifugirt, nochmals mit Koehsalz-
*) Nach zwei, am 5. Januar und am 5. Juli 1901, In der inedic.
Gesellschaft zu Pavia gehaltenen Vorträgen.
*) Uerl. kliu. Woeliensehr. 1900. No. 21.
5 ) Sitzungsber. d. X. Kongr. f. hm. Medie. Leipzig 1*92.
3 ) < Vntralbl. f. Racteriol. 1000, 1hl. IX. No. 10.
*) Wiener klin. Wochenselir. 11MM*. No. 22.
Wien. kliu. Woeliensehr. 1900, No. 24.
') Sitzungsber. d. Accad. d. Lineei — 10. Dez. li>00 — Uoiu.
Digitized by
2
Google
1240
XITF.XCTIEXF.il MF/DTCTXTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
lösung gewaschen und darnach in derselben im Verhältniss von
1 Bodensatz : 40 NaCl-Lösung zu den haemolytischen und in
doppelter Verdünnung zu den Agglutinationsversuchen sus-
pendirt.
Je eine Oese des Serums als solchen und des im Verhältnis3
von 1:5, 10 etc. verdünnten, wurde zu je einer Oese der Blut¬
körperchenaufschwemmung .auf Deckgläschen hinzugesetzt; die
Beobachtung geschah im hängenden Tropfen sofort und nach
verschiedenen Zeiträumen; am folgenden Morgen, nach circa
18 Stunden wurde protokollirt, ob Agglutination stattgefunden
hatte oder nicht.
In den Kontroltropfen mit der einfachen Aufschwemmung
rother Blutkörperchen in Kochsalzlösung bleibt die Agglutination
natürlich regelmässig aus; gewöhnlich senken sich die vollständig
freien rothen Blutkörperchen nach einer gewissen Zeit auf den
Boden des Tropfens; es genügt dann, den Objektträger ein paar
Mal zu schütteln, um die Blutkörperchen wieder frei in der
Flüssigkeit suspendirt zu sehen.
Bei Zusatz verschiedener Sera kann man hingegen eine ganze
Reihe von Agglutinationsstadicn beobachten; die rothen Blut¬
körperchen sind mehr oder weniger geschädigt und verändert, bil¬
den Häufchen von verschiedener Grösse, kleben mehr oder weniger
fest aneinander, es wechselt die Anzahl der freien Blutkörperchen,
manchmal erscheint die Agglutination unter dem Bilde der be¬
kannten Rollenbildung.
Zu den haemolytischen Versuchen wurden gewöhnlich
Serum und Blutkürperehenaufsehweminung in Probierröhrchen
zu gleichen Theilen gemischt; die Röhrchen kamen auf circa
2 Stunden in den Brutschrank bei 37 °, wurden währenddem 3 bis
4 mal durchgeschüttelt und daraufhin bis zum folgenden Morgen
in den Eisschrank gestellt.
Aus den Versuchen mit den Blutsera der 17 untersuchten
gesunden Individuen geht nun hervor, dass dasselbe im Stande
sein kann, die eigenen rothen Blutkörperchen, sowie diejenigen
anderer gesunder Individuen zu agglutiniren.
Die Agglutinationsfähigkeit normaler Sera variirt bei den
verschiedenen Individuen, ist aber gewöhnlich schwach aus¬
geprägt, so dass sie in den im Verhältniss von 1:20 verdünnten
Sera kaum je noch hervortritt.
Was die Isolysine anbelangt, so war bei den 17 normalen
Sera, die ich auf das Blut verschiedener gesunder Individuen
wirken liess, indem ich Blutkörperchensuspension und Serum
zu gleichen Theilen mischte, die Lösung in den meisten Fällen
gleich Null; in einer geringen Anzahl habe ich eine Spur von
Lösung beobachtet; und in sehr spärlichen Fällen endlich war
leichte Lösung (Rosa-Färbung der Flüssigkeit nach Senkung der
Blutkörperchen) vorhanden.
Die rothen Blutkörperchen verschiedener Individuen sind
— wie übrigens schon II a 1 b a n hervorgehoben hat — gegen¬
über der isoagglutinirenden und isolytischen Wirkung der Sera
verschieden empfindlich; es gibt rothe Blutkörperchen, die durch¬
schnittlich (natürlich aber nicht gegenüber allen anderen Sera)
leicht agglutinirbar und löslich sind, andere weniger. Besonders
leicht agglutinirbar und löslich habe ich die rothen Blut¬
körperchen oft bei mehreren primären und sekundären Anaemien
gefunden.
In Bezug auf die pathologischen Fälle, bei denen ich das
Blutserum in dieser Richtung untersucht habe, erzielte ich,
was die Anwesenheit von Isolysinen und die Zunahme der Iso-
agglutinine anbelangt, negatives Resultat bei 5 Chlorosen, 2 Fällen
von Anchylostomn duodenale, 1 Loberabscess (mit ausgesprochenem
Ikterus), 3 akuten Gelenkrheumatismen, 3 Fällen von exsudativer
Pleuritis, mehreren Bronehialkatarrhen, verschiedenen akuten
und chronischen Magenkatarrhen, 2 Bleivergiftungen, 1 akuten
und 2 chronischen Nephritiden.
Dagegen habe ich stark agglutinirende und auch isolytische
Sera in 2 Fällen von Magenearcinom, einer wahrscheinlichen
A d d i s o n’schen Krankheit, einer Pneumococceninfektion mit
multiplen. Lokalisationen (siehe Pneumonie) beobachtet; ich
gehe nicht näher auf diese Fälle ein, weil es sich um Krank¬
heiten handelt, die ich nur in geringer Anzahl zu beobachten Ge¬
legenheit hatte. Etwas länger werde ich mich bei 3 Infektions¬
krankheiten aufhalten, von denen mir ein grösseres Beobach¬
tungsmaterial zur Verfügung stand; ich meine die Pneumonie,
den Abdominaltyphus und die Tuberkulose. Bei der letzteren
habe ich oft, auch in Anfangsstadien, das Blutserum befähigt
gefunden, die rothen Blutkörperchen anderer Individuen zu
lösen und intensiver und in stärkerer Verdünnung als die nor¬
malen Sera zu agglutiniren.
Auch bei Pneumonikern, oft in Fällen, in denen Urobilin
im Harne nachgewiesen werden konnte, habe ich isolytische
Eigenschaften im Blutserum vorgefundeu; in einem Falle war
Isolysin im Serum nach der Krisis vorhanden, während es in
der fieberhaften Periode nicht nachgewiesen werden konnte, trotz¬
dem ich das Serum auf das Blut derselben Individuen wie nach¬
her wirken liess. In einem anderen Falle konnte ich in ver¬
schiedenen, von Woche zu Woche entnommenen Blutproben
eine graduelle Abnahme des Isolysins feststellen, bis es
nach 5 bis 6 Wochen vollständig verschwunden war. Auch
das Blutserum Typhuskranker besitzt oft starke isoaggluti-
nirende, sowie isolytische Eigenschaften. Bei einigen dieser
Sera ist es mir nun gelungen, nachzuweisen, dass das unter¬
suchte Isolysin, analog den Isolysinen, die man auf experimen¬
tellem Wege bei Versuchstieren hervorbringen kann, aus zwei
Componeuten bestand, von denen die eine, thermostabile Com-
ponente (E h r 1 i c h’s Zwischenkörper, B o r d e t’s substance
sensibilisante) der Erhitzung auf 56 0 während 20 Minuten wider¬
stand, während die andere, thermolabile, durch Erhitzen auf 56"
verschwand und auch in nicht isolytischen Sera anwesend war;
es war mir nämlich gelungen, durch Zusatz von frischem, mensch¬
lichem, an und für sich nicht isolytischem Serum, ein isolytisches,
durch Erhitzen auf 56° inaktivirtes Serum zu reaktiviren. — In
anderen Fällen ist mir die Reaktivirung, trotzdem ich auch frische
Blutsera verschiedener Individuen hinzufügte, vollständig miss¬
lungen. Was die Beziehungen zwischen den Isoagglutininen und
den den Typhusbacillus agglutinirenden Substanzen anbelangt, so
findet man oft Sera, die im Stande sind den Typhusbacillus noch
in hohen Verdünnungen zu agglutiniren, während die isoaggluti-
nirende Wirkung nur schwach ausgeprägt ist und umgekehrt;
ich habe in dieser Richtung noch folgenden Versuch wiederholt
ausgeführt: Impfung eines Röhrchens, welches steriles, inakti¬
virtes menschliches Typhusscrum enthielt, mit Typhusbacillen;
nachdem sich die Kultur entwickelt hatte, verglich ich die iso-
agglutinirende Fähigkeit derselben mit derjenigen desselben, aber
nicht geimpften Serums: Ein Unterschied in der Agglutinations¬
fähigkeit war nicht vorhanden. Denselben Versuch und mit dem
gleichen Resultate habe ich mit dem Serum eines Pneumonikers,
das ich mit Pneumococeen geimpft hatte, angestellt.
Auch in einigen Malariafällen, in Bestätigung der Befunde
von Lo Monaco und Panielii, habe ich das Blut ausgesprochen
isoagglutinirend und isolytisch gefunden. Ich will hier besonders
hervorheben, dass Isoagglutinine und Isolysine nicht constant in
den erwähnten Krankheitszuständen aufzufinden sind und dass
es rathsam ist, das Serum auf Blutkürperehensuspensionen ver¬
schiedener Individuen wirken zu lassen, da, wie ich früher be¬
merkte, dasselbe Isolysin nicht den Erythrocyten eines jeden
Individuums gegenüber wirksam ist. Die isoagglutinirende Wir¬
kung ist natürlich von Fall zu Fall verschieden; sie kann noch
in den im Verhältnis« von 1:100 und stärker verdünnten Sera
hervortreten; in Bezug auf die Isolysine kann bei Mischung- von
Serum und Blutkörperchenaufschwemmung zu gleichen Theilen,
nach Senkung der Erythrocyten, die Flüssigkeit duukelroth ge¬
färbt sein.
Weiterhin war es angezeigt, die isoagglutinirenden und iso-
lytischen Eigenschaften von Ex- resp. Transsudaten und Blut¬
serum, die von denselben Individuen stammten, vergleichend zu
prüfen. Aus meinen Untersuchungen geht hervor, dass die ag¬
glutinirende Wirkung metapneumonischer, tuberkulöser, pleu-
ritischer Exsudate, sowie peritonealer Exsudate tuberkulöser,
neoplastischer Natur und die von Blascnpflasterexsudaten un¬
gefähr gleich ist der agglutinirenden Wirkung des Blutserums
des Individuums, von welchem das Exsudat stammt; und wenn
das Blutserum auch isolytische Eigenschaften besitzt, so können
diese manchmal, aber nicht constant, auch im Exsudate nach¬
gewiesen werden. Was die Transsudate anlangt, so habe ich nur
zwei zur Verfügung gehabt; ihre isoagglutinirende Wirkung
wich kaum von derjenigen des Blutserums ab; aber ihre geringe
Anzahl verbietet mir jede Verallgemeinerung.
Es fragt sich nun, ob die ausgesprochenen isoagglutinirenden
und isolytischen Eigenschaften der Blutsera von Individuen, die
von verschiedenen Krankheiten befallen sind, mit den eventuellen
in’s Blutserum gelangten Produkten der jeweiligen Krankheits¬
erreger im Zusammenhänge stehen. . Die oben erwähnte That-
sache, dass man in gewissen Fällen nachweisen kann, dass die
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30. Juli 1901.
MUENCITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1241
Isolysine aus zwei Componenten bestehen, und dass sie nach
Inaktivirung durch Zusatz von frischem normalem Serum reakti-
virt werden können, schliesst es — wenigstens für diese Fälle
— aus, dass es sich um von den jeweiligen Krankheitserregern
producirte Substanzen handle. Uic isoagglutinirenden und iso¬
lytischen Eigenschaften des Blutserums lassen vielmehr in diesen
Fällen a priori folgende zwei Deutungen zu: entweder stellen sie
eine direkte, durch die Anwesenheit von verschiedenen Krank¬
heitserregern hervorgerufene Reaktion des Organismus dar oder
eine indirekte in Folge der von der Krankheit bedingten Zer¬
störung und folgenden Resorption von Blut oder anderen Ge-
websel einen teil. Ich habe nun versucht, einen Beitrag zur
Klärung dieser Frage auf experimentellem Wege zu bringen.
Ehrlich und Morgen rot h, die in ihrer grundlegenden
Arbeit über Isolysine dieses Feld der Forschung eröffnet, haben
das Auftreten von Isolynen und Isoagglutininen im Blutserum
nach Injektion von Blut, das von Individuen derselben Thier-
speeies, nicht vom Individuum selbst stammte, nachgewiesen;
experimentelle Bedingungen, die in der menschlichen Pathologie
kaum ein Analogon finden dürften. Ausserdem durch den schon
erwähnten Umstand, dass manchmal Isolysine im Serum von
Kranken auftraten, deren Ham Urobilin enthielt, veranlasst,
spritzte ich Kaninchen wiederholt ihr eigenes, durch Aderlass
gewonnenes, defibrinirtes und mit dem gleichen Volumen destil-
lirten Wasser versetztes Blut intraperitoneal ein; ich führte durch
wiederholte Einspritzungen bis 150 ccm und mehr der Flüssig¬
keit ein.
Das Blutserum von normalen, frischen Kaninchen ist nicht
im Stande, die rothen Blutkörperchen anderer Kaninchen zu
lösen, noch in höheren Verdünnungen als von 1:20 zu aggluti-
niren. Bei einigen der behandelten Kaninchen hatte nun das
Blutserum die Fähigkeit erlangt, die rothen Blutkörperchen
anderer Kaninchen zu lösen und auch im Verhältnis von 1: 50,
1:100 und mehr verdünnt, zu agglutiuiren. Bei Mischung von
Serum und Blutkörperchenaufschwemmung hatte die Flüssigkeit
nach Senkung der Blutkörperchen eine deutlich rothe Farbe;
rothe Blutkörperchen noch anderer Kaninchen hingegen waren
dem Isolysin gegenüber unempfindlich. — Ich will hier aus¬
drücklich hervorheben, dass dieser Versuch bei Weitem nicht
in allen Fällen positiv ausfällt: An verschiedenen Kaninchen ist
die wiederholte und reichliche Einspritzung des eigenen Blutes
spurlos vorübergegangen. Dies entspricht auch den für die
menschliche Pathologie beobachteten Verhältnissen, wo auch in
Krankheitszuständen, in denen sicherlich Ilaematolyse statt¬
gefunden hat, nicht constant Isolysine im Serum auftreten.
Es geht jedenfalls daraus hervor, dass die Injektion und Re¬
sorption des eigenen Blutes im Serum der so behandelten Thiere
das Auftreten von deutlichen Isolysinon und Isoagglutininen be¬
dingen kann, wobei natürlich nicht im geringsten ausgeschlossen
ist, dass möglicher Weise auch andere Faktoren oder die Ein¬
führung anderer Gewebselemente des eigenen Organismus zu
demselben Resultate führen können: Ich erinnere diesbezüglich,
dass v. Düngern 7 ) durch Behandlung von Kaninchen mit
Trachealepithel von Rindern, sowie mit Kuhmilch von diesen ein
Serum erhielt, das auch haemolytisehe Eigenschaften gegenüber
Rinderblut besass und dass Moxter dasselbe Resultat mittels
Injektion von Stierspennatozoen erzielte.
In Folge der iso- und autoagglutinirenden Eigenschaften des
menschlichen Blutserums bietet sich nun die Frage, ob nicht
auch die Rollenbildung, welche nach Austritt des Blutes aus
den Blutgefässen stattfindet, mit jener Fähigkeit im Zusammen¬
hang steht: Wenn nämlich die Rollenbildung nur von der Form
biconcaver Scheiben der Erythrocyten abhinge, so müsste sie auch
in anderen Flüssigkeiten, welche die Form der rothen Blut¬
körperchen nicht verändern, z. B. in der physiologischen Koch¬
salzlösung stattfinden: nun beobachtet man keine Rollenbildung
bei rothen Blutkörperchen, die mit 0,85 proc. Kochsalzlösung ge¬
waschen und in derselben aufgeschwemmt sind, trotzdem ihre
Form hier nicht verändert ist. Aus diesem Grunde bin ich der
Meinung, dass zwei Faktoren bei der Rollenbildung mitwirken:
einerseits die agglutinirende Wirkung des Serums, welche die
Annäherung und Zusammenklebung der Blutkörperchen bewirkt,
andererseits die besondere Form biconcaver Scheiben der rothen
Blutkörperchen, in Folge welcher die einander genäherten Blut-
*) Münch, med. Wochensehr. No. 38, 1899.
körperehen die besondere Anordnung in Rollen annehmen.
S h a 11 o ck, citirt von M y e r s "), scheint einer ähnlichen Deu¬
tung zuzuneigen; ich bin aber nicht im Stande, mir darüber ein
klares Urtheil zu bilden, da mir das Original nicht zugänglich war.
Ich hebe endlich gerne hervor, dass zwei hervorragende fran¬
zösische Beobachter, Camus und P a g n i e z’), unabhängig von
mir, in einer, kurze Zeit nach meiner ersten Mittheilung der
Societe de Biologie vorgelegten Arbeit zu den meinigen ähn¬
lichen Resultaten gelangt sind, und halte es für zweckmässig, für
ähnliche Untersuchungen die von mir angewandte, übrigens gar
nicht neue Technik derjenigen von Lo Monaco und Pa n i c h i,
die einfach 2 Blutstropfen verschiedener Individuen nachein¬
ander auf einen Objektträger fallen lassen und diesen sofort mit
dem Deekgliischcn bedecken, und derjenigen von Camus und
Pagniez, die das Agglutinationsphänomen in Uhrgläsern
studiren, vorzuziehen. Denn es kommt bei diesen Untersuchungen
einerseits darauf an, sich nur des Serums zu bedienen, um die
Anwesenheit von Erythrocyten des Individuums, welches das zu
prüfende Serum liefert, zu vermeiden; und andererseits kann
man durch die mikroskopische Beobachtung im hängenden
Tropfen genauer geringere Grade von Agglutination feststellen,
die der Betrachtung in Uhrgläsern entgehen können. Zur grösse¬
ren Genauigkeit ist es endlich nützlich, wie es Camus und
Pagniez üben, die rothen Blutkörperchen mit der Kochsalz¬
lösung zu waschen, bevor man sie in derselben aufschwemmt, um
sie von ihrem eigenen Blutserum zu befreien.
Aus Dr. C o h n h e i m’s Poliklinik für Magen- und Dnrm-
krankheiten in Berlin.
Weitere Mittheilungen über Pankreon.
Von Dr. Locb, ehemaligem Assistenten der Poliklinik,
Spezialarzt in Wiesbaden.
Die therapeutischen Bestrebungen bei der medikamentösen
Behandlung derjenigen Magenkrankheiten, welche sich objektiv
in einer Herabsetzung oder Aufhebung der absondemden Funk¬
tion dieses Organs äussern, bewegen sich naturgemäss in der
Richtung, durch eingeführte Mittel die geschwächte Funktion
zu unterstützen bezw. die verloren gegangene zu ersetzen.
NormalerWeise läuft der physiologische Vorgang der Magen¬
verdauung so ab, dass die Ingesta durch die verflüssigende und
lösende Einwirkung des sauren Magensekretes, ohne besondere
Einwirkung auf ihre chemische Konstitution, in breiig-flüssiger
Form den Magen verlassen, um nun im Darme in alkalischer
Reaktion sofort vom Pankreassekret wirksam in Angriff ge¬
nommen zu werden.
ln allen Fällen, wo die Abseheidung dos sauren Magensaftes
mit seiner lösenden verflüssigenden Eigenschaft vermindert oder
aufgehoben, muss die Nahrung, nachdem sie den Pylorus passirt,
in ganz oder fast unveränderter Konsistenz mit der zarten Darm¬
sehleimhaut in Berührung kommen, um hier erst dem Ver-
flüssigungs- und Verdauungsprozess gleichzeitig unterworfen zu
werden.
Dass dieser nicht physiologisch ablaufende Vorgang, bei
dem die Schleimhaut fortwährend einem anormalen Reiz durch
grobe Speisepartikel ausgesetzt ist, je nach Empfindlichkeit und
Konstitution de« betreffenden Individuums über kurz oder lang
zu subjektiven und objektiven Störungen führen kann, ist wohl
einleuchtend.
In der That sehen wir derartige Fälle, bei welchen
die Klagen der Patienten in Druck, Völlegefühl, unange¬
nehmen Sensationen im Epigastrium kürzere oder längere Zeit
nach der Mahlzeit ohne direkte Schmerzen, bestehen, und wo
die objektive Magenuntersuchung ein völliges Aufgehobensein
oder starke Verminderung der salzsauren Magenabscheidung
nachweist.
Warum diese Zustände von sogen. Apepsie oder Achylie
(Einhorn) manchmal von hartnäckiger Verstopfung, manch¬
mal von Diarrhöen begleitet sind, ist wohl schwer zu erklären,
bemerken will ich jedoch, dass wir in der Poliklinik den Ein¬
druck gewonnen, dass die Grundursache, die zum Versiegen der
salzsnuren Sekretion geführt, dabei von sehr erheblicher Be¬
deutung ist. Die durch toxische Ursachen, Alko-
•) Centralbl. f. Bacterlol. Bd. 28, 1900, No. 8/9.
*) Comptea rendua de la Soc. de Blol. 1901, No. 9. 8. März.
2 *
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
hol und Tabak, bedingten Störungen gehen ge¬
wöhnlich mit Diarrhöen, die aus anderen Ur¬
sachen entstandenen häufig mit Obstipation
einher, wenn auch daneben Fälle ohne jede wesentliche
Störung der Entleerung in Erscheinung treten.
Bei diesen hier geschilderten Verhältnissen lag der Gedanke
nahe, dem geschwächten bezw. funktionsuntüchtigen Magen so
zu Hilfe zu kommen, dass er einen den Darm nicht reizenden
Chyinus präpari rte.
Da wir durch Salzsäuregaben, mit oder ohne Pepsin, thera¬
peutisch in diesem Sinne nicht genügend wirksam Vorgehen
können, weil wir auf dem Wege der Arzneigabe nicht solche
Mengen Säure einführen können, wie zur Verflüssigung der
Nahrung nötliig, und wie dem normalen Magensaft entspricht,
so drängte sich der Gedanke auf, dass es eine grosse Unter¬
stützung für den angestrebten Zweck sein müsse, wenn es ge¬
länge, das mächtig wirksame Pankreassekret resp. seine Enzyme
therapeutisch so verwerthen zu können, dass sie bereits im Magen
ihre Wirkung beginnen könnten, um sich dann iin Darme zu
voller Wirkung zu entfalten.
Versuche, die in dieser Richtung schon vor einer Reihe von
Jahren mit einem von der Chrm. Fabrik „Ithenania“ in Aachen
dargestellten ..Pancreatin“ unternommen worden, fielen nicht zur
vollen Zufriedenheit aus, weil das Präparat schon in schwach-
saurer Lösung sich unbeständig erwies, und die Wirksamkeit
seiner Enzyme dabei fast sofort zerstört wurde.
In neuester Zeit hat nun diese Fabrik ein „Pankreon“ ge¬
nanntes Präparat dargestellt, das sich bei der eingehenden Prü¬
fung bis zu 5 Stunden gegen den sauren Magensaft widerstands¬
fähig erhielt und dessen Anwendung daher bei stark herabgesetz¬
ter und aufgehobener Salzsäuresekretion des Magens wohl erfolg¬
reich erscheinen konnte.
Ueber das Mittel selbst, das von Gockel- Aachen, zu Folge
einer Veröffentlichung im Centralbl. f. Stoffwechsel- u. Ver-
dauungskrankh., 1. Jahrg., No. 11, bereits in 34 Fällen mit übei-
wiegend günstigem Erfolge bei geeignet erscheinenden Störungen
angewendet worden und worüber auch W e g e 1 e - Königsborn
in No. 14 derselben Zeitschrift sieh günstig geäussert, fasse ich
mich kurz.
Pankreon ist ein grauröthliches feines Pulver von etwas
eigenthiimlich nussartigem, nicht unangenehmem Geschmack,
das im Wasser und verdünnten Säuren unlöslich, schon bei leicht
alkalischer Reaktion sich löst. Die Dosis beträgt für Erwachsene
3 mal täglich 0,5 in Pulver oder Tabletten, kurz vor der Mahlzeit
oder während derselben genommen, für Kinder 0,1—0,15 am
besten aus praktischen Gründen in Pulverform verrührt.
Wir haben nun dieses Pankreon, das nach seinen Eigen¬
schaften einestheils bei nicht vorhandener HCl-Sekretion in dein
durch den Speichel schwach alkalisirtcn Mageninhalt direkt
wirksam sein kann, anderntheils bei geringer Säuroproduktion
resp. bei der Acidität der eingeführten Nahrung unverändert in
den Darm übergeführt wird und dort die Darm Verdauung der
mangelhaft gelösten Ingcsta wirksam zu unterstützen geeignet
ist, ausschliesslich bei einem Symptomenkomplex angewandt, wo
diese Vorbedingungen am reinstem gegeben waren.
Ich meine bei der „Achylia gastrica“, jenem Zustande, wo
neben der erloschenen HCl-Sekretion auch eine entsprechende
Ilerabininderung oder vollkommene Aufhebung des Pepsinogens
und des Labzymogens sich nachweison lässt, wobei ich unberück¬
sichtigt liess, ob die Achylia durch anatomische Veränderung
der Magenschleimhaut, d. h. durch Gastritis atrophicans, durch
toxische, oder nervöse Einflüsse hervorgerufen worden.
Ich habe nun in der Dr. Cohn hei m’schen Poliklinik für
Magen- und Darmleidende in Berlin 13 Falle mit Pankreon be¬
handelt, den grössten Theil derselben mehrere Wochen hindurch
gepau beobachtet und bis zu 100—125 Pulvern theilweise ver¬
abreicht.
Von diesen 13 Fällen von Achylia gastrica waren
4 mit Diarrhöen vergesellschaftet, davon betrafen 3 zugestandene
Alkoholiker, bei zweien bestand theils keine oder nur unwesent¬
liche Störung der Stuhlentleerung, in den übrigen 7 Fällen Ver¬
stopfung bis zu den höchsten Graden, wo überhaupt seit Jahren
nur noch durch Einläufe und Purgantien Stuhlgang erzielt
worden.
Der Aotiologie nach liess sich die Achylia in 4 Fällen auf
die toxische Alkoholeinwirkung zurückführen, in einem Falle auf
No. 31.
organische Veränderung der Magenschleimhaut, wahrscheinlich
beginnendes Carcinom, in 3 Fällen auf den maasslosen Gebrauch
von Purgantien, in einem Falle auf den Jahre lang bestehenden
absoluten Zahnmangel, in den übrigen 4 Füllen auf Störungen
im nervösen Apparate des Magens bei auch sonst stark neuro-
pathisohen Personen.
Dus Resultat der Behandlung war bei 9 Fällen ein gutes, bei
2 Fällen war eine Besserung zu konstatiren, 2 Fälle zeigten
keinen Erfolg.
Um meine Beobachtungen über die Einwirkung des Pankreon
bei der mit Diarrhöen verbundenen Achylia gastr. zuerst zu be¬
richten, so waren von den 4 derartigen Fällen 2 von einem vollen
Behandlungserfolge gekrönt, und zwar gerade die Fälle von
schwerer langdauernder Diarrhoe bei Alkoholikern, wo die Unter¬
suchung der Faeces unverdaute Speisebröckel und Sehnenfetzen
ergaben.
Der dritte, nicht durch Pankreon gebesserte Fall betraf eine
Frau von (JO Jahren, die bei absolutem Zahnmangel seit
10 Jahren, seit etwa 6 Jahren an profusen Diarrhöen litt, deren
starker, mikroskopisch nachgewiesener charakteristischer Schleim
gehnlt für eine Enteritis chronica sprach.
Wenn auch hier durch Pankreongaben anfänglich subjektiv
ein Nachlassen der schmerzhaften Sensationen im Epigastrium
zu verzeichnen war, so wurde doch erst durch längere Zeit fort¬
gesetzten Tauocollgcbrauch, verbunden mit entsprechenden diä¬
tetischen Maassnahmen, eine sehr wesentliche Besserung bis auf
2 breiig-weiche Entleerungen täglich bei guter Gewichtszunahme
erzielt.
Der 4. Fall betraf einen Alkoholiker, der nach anfänglich
i angegebenem wesentlichen Besserbefinden nach 14 tägiger Be¬
handlung sich der weiteren Beobachtung entzog und den ich als
gebessert ansehe.
Von den erfolgreich behandelten 2 Fällen möge hier eine
Krankengeschichte in kurzem Auszüge Platz finden:
3!) jähriger Pferdebalinscliaffner, seit 1 Jahr 4 mal täglich
Durchfall, Früh immer 2 mal hintereinander, ganz dünn, häutig
sofort nach der Mahlzeit, unverdaute Brockel enthaltend, Kollern
und Gurren im Leibe, fortwährend schmerzhafte Sensationen im
Eplgastricum, Wehgefühl ln der Bauchgegeud, wenig Aufstosseu,
kein Erbrechen.
5. II. 1901. Gut genährter Mann ohne Jeden Palpationsbefund.
P.-F. schlecht chyinlflc. Congo. G.-A. = 6. Labzym. und Peslnog.
fehlen gänzlich.
Therapie: Breidiät, Pankreon.
11. II. Pat gebessert, Drücken vor dem Magen verschwunden.
Appetit gut, 2 mal täglich Stuhlgang, noch dünn, früh hinter¬
einander.
23. II. Besserung aller subjectiven Symptome. Stuhl 2 mal
täglich, sehr wenig, ohne Fetzen und Brockel.
21. III. Auf Anfrage berichtet Patient, dass es ihm voll¬
kommen gut gehe.
In weiteren 7 Fällen war ein guter Erfolg von Pankreon-
gebrnueh zu verzeichnen und zwar 4 mal bei Fällen, die mit
starker bis hochgradigster Obstipation verbunden waren, bei
denen in 3 Fällen die Achylia auf dem maasslosen Gebrauch von
Purgantien, in einem auf neuropathischer Basis beruhte, bei einer
mit allgemeiner Enteroptose behafteten Frau.
Ferner waren 3 mal Störungen der Entleerung nicht, vor¬
handen, und die Aehylie beruhte je einmal auf nervöser Basis,
auf organischer Magensehleimhautorkrankung (beginnendes Car¬
cinom ?) nnd auf toxischer Basis, Alkohol- und Tnbakmissbraueh
(Kauen) verbunden mit schlechtem Gebiss.
Ehe ich diese 7 Fälle einer kritischen Betrachtung unter¬
ziehe, erwähne ich noch die angegebenen 2 Fälle, wo eine ein¬
wandsfreie Pankreomvirkung sich nicht feststellen liess.
Einer betrifft, eine. Hysterien mit neurotisch-gastrischen Be¬
schwerden und Achylia auf nervöser Basis, der andere eine sehr
geschwächte anaemisehe Frau mit mangelhaftem Gebiss, die seit
10 Jahren ihre Obstipation mit Abführmitteln bekämpfte.
Im ersten Falle wurde nach Pankreongebrauch von der übri¬
gens in gutem Ernährungszustände befindlichen Frau eine Besse¬
rung angegeben, in letzterem trat anfänglich auch Besserung ein,
der schlechte Appetit hob sich etwas, dann aber entzog sich die
Frau weiterer Beobachtung und eine spätere Nachfrage ergab,
dass ihre alten Beschwerden noch vorhanden.
Teh betrachte dcsshalb den ersten Fall als gebessert, den
zweiten als ohne Erfolg behandelt.
Die noch zu erörternden 7 erfolgreich mit Pankreon be¬
handelten Fälle, die ihrer Actiologie nach bereits betrachtet sind,
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boten das Gemeinsame, dass sich schon nach verhältnissmässig
kurzem Gebrauch des Mittels das subjektive Befinden der Patien¬
ten in wesentlicher Weise besserte.
Fast durchgehends wurde ein Aufhören der unangenehmen
Sensationen angegeben und dafür ein Gefühl der Leichtigkeit
iu der Magengegend empfunden, womit in den Fällen der Stuhl¬
verhaltung bald eine Besserung der Entleerung einherging. In
2 Fällen, von denen einer mit besonders schlechter Geschmacks¬
empfindung verbunden war, der andere mit Paraestheaien der
Lippen, der Zunge und des Oesophagus, Gefühl von Dicksein,
Pelzigsein, Empfindung für die herabgleitenden lngesta, ohne
dass sonst eine Nervenerkrankung nachweisbar war, ver¬
schwanden diese Symptome sehr bald.
Objektiv konnte allerdings nur 2 mal unter längerem Pan-
kreongebrauch eine Veränderung des Mageninhaltes nach P.-F.
festgestellt werden, indem der bis dahin immer achylische In¬
halt wieder freie Säure zeigte, ob allerdings post hoc ergo propter
hoc, wage ich nicht zu entscheiden.
Zwei kurze Berichte mögen liier ihren Platz finden, ein Fall,
wo bei guter subjektiver Besserung objektiv keine Einwirkung
sich nachweisen liess, ein anderer, wo abgesehen von günstigster
Beeinflussung des Allgemeinbefindens und der Obstipation wieder
freie HCl erschien.
1. Frau M., 45 Jahre. Achylia gastrlca. Enteroptose. Pat. aus
neuropathischer. hereditÄr belasteter Familie, selbst »europatbiscli.
Nieren beiderseits palpabel, Angstgefühl und Druck nach dem
Essen, Stuhlverstopfung. G.-A. des P.-F. ^ 0.
Nach anfänglich erfolgloser Thex-apie mit H. CI. und Klssinger
Itakoczy Pankreon, davon etwa 100 Pulver. Stuhlgang we¬
sentlich gebessert, ebenso Angstgefühl und Zittern. Auf Druck-
gefühl des Magens bisher wenig Einwirkung.
Objective Mageninhaltsuntersuchung lässt keine Wirkung er¬
kennen.
3. III. P.-F. Congo—. Tropäolin—. G.-A. = 10. Labzyin. '/ 4u -f
Kuchengerinnung, l / ua -f- Flockengerinnung. Pepsinverdauuugs-
probe 25 Proc.
Rückstand (nach Mathieu-Reymond von Cohnlicim
inodificirt) 282 cbcni.
4. III. P.-F. mit 0,5 Pankreon, total achylisch. Cougo —.
Trop.—. G.-A. = 8. Labzym. '/«+ K.-G., '/«+ F.-G. Pepslu-
verdauung 28 Proc.
Rückstand 310 ccm (bei 400 ccm Wasser und 1 Welssbrod).
15. IV. Unter weiterem Pankreougebrauch Befinden erheb¬
lich gebessert, snbjective Beschwerden fast verschwunden.
2. Frau P., 48 Jahre. Achylia e purgantibus, Obstipatio
chronica.
Seit 10 Jahren Missbrauch von Klystleren, 1—2 Liter täglich
Abführmittel.
Jetzt Flatulenz, Kollern im Leibe, Schleimabgaug, Drücken,
Vollsein lm Magen, Aufstossen, kein Erbrechen, Durstgefübl,
schlechter Geschmack, Aufgetriebensein des Leibes, 14 Pfund ab-
grnommen. Gewicht 104 Pfund. Keine Palpationsergebnisse.
Laparotomienarbe von Ovarialoperatlon rechts. Obere Gebiss¬
platte.
12.11. P.-F. schlecht chyiniflo. G.-A.:ö. Labzym. '/« + K.-G..
7»-f F.-G. Pepsinverdauung 20 Proc.
Therapie: Pillen, von Extr. nue. vomic. u. Extr. Bellodon.
Gastrltla-Obstlp.-Diät. Darmelektrlsatlon. Nach kurzer Besserung
der subjektiven Beschwerden schon nach 8 Tagen wieder der alte
Znstand. Daher am
24. II. Pankreon.
28. II. Appetitregung, Besserfühlen, Aufstossen und Hoch-
kt-mmen von Speisen noch vorhanden. Keine Schmerzen mehr.
Stuhlgang Ist spontan eingetreten.
4. III. Wohlbefinden, guter Appetit, Aufstossen hat bedeutend
nachgelassen, kein Erbrechen, spontaner Stuhlgang bis 3 mal täg¬
lich, ohne Diarrhoe, ohne Jegliche Beschwerden. Pat. glaubt von
Pankreontherapie diese gute Wirkung zu haben. Flatus gehen
leicht ab, subjectlv grosse Euphorie.
6. III. P.-F. mässig chymiflc. G.-A. = 16. Dimethylamldoazob.
schwach positiv. Pepsin 60 Proc.
7. III. P.-F. mit 0,5 Pankreon leidlich gut chymiflc. G.-A.:
20. I,abz. */•+ K.-G. Pepsin 70 Proc.
11. III. Stuhl regelmässig. Appetit gut, keinerlei Beschwerden.
18. III. Andauerndes Wohlbefinden, erhebliche Gewichts¬
zunahme, Euphoria summa.
Bei den übrigen 5 Fällen handelte es sich einmal um einen
amerikanischen Kollegen, der seit 10 Jahren mit Obstipation be¬
haftet, alle möglichen Purgantien gebrauchte, der bei wesentlicher
Besserung aller Beschwerden innerhalb 4 Wochen durch Sana¬
toriumbehandlung und 125 Pankreonpulver um 12 Pfd. zunahm,
dessen Stuhlgang spontan regelmässig wurde und wo wieder eine
Spar freie HCl zu konstatiren war.
Der nächste Fall betrifft eine 50 jährige Dame, die unter
i'aukreongebraueh Beschwerden und Obstipation verlor, der dritte
31
ciuen Mann in den 50 er Jahren, bei dem Verdacht auf Neopl.
malign. besteht, wo sich Appetit und Beschwerden besserten uud
eine Gewichtszunahme festzustellen war.
Im 4. Falle hatten wir es mit einer auf nervöser Basis be¬
stehenden Achylia zu thun, wo bei dem etwa 40 jährigen Manne
die abnormen Sensationen auf Lippen, Zunge und Oesophagus
sehr bald verschwanden und bei gutem Appetit und Verdauung
innerhalb 4 Wochen die Sensationen von Druck und Völle im
Epigastriuin sich verloren hatten.
Den letzten auf alkoholischer Basis, ohne Diarrhoe, entstan¬
denen Fall theile ich auszugsweise mit, da er anfänglich auch
mit HCl uud Itakoczy Ixehandelt, später Pankreon bekam.
7. I. 59 jähriger Arbeiter. Abus. spirit. et tabne. (Kauen) zu¬
gegeben.
Seit 1 Jahr Magenbeschwerden, Druck nach dem Essen, Ge¬
fühl von Unbehagen, wenig Aufstossen, kein Erbrecheu, wenig
Stuhlgang täglich, keine Verstopfung oder Diarrhoe, Appetit
schlecht, abnorm schlechter Geschmack, Gebiss defekt.
P.-F. total achylisch. G.-A. = 5. Behandelt mit HCl und
Itakoszy bis 23.1. Appetit etwas gebessert, Druck wenig ge¬
ringer geworden.
Am 23.1. Pankreon.
29.1. fühlt sich „sehr schön“, hat Appetit, Gefühl der Er¬
leichterung in der Mngeugegend (bisher 15 Pulv.), schmerzhafte
Sensatiouen sind vollkommen verschwunden.
Stuhlgang regelmässig 2 mal täglich, breiig weich.
4. II. Fühlt sich fortgesetzt wohl, gar keine Beschwerden
mehr.
5. II. P.-F 1 . gut verflüssigt, ohne Säure. Cougo—. Labz.—.
Pepsin —.
11. II. Ständig guten Appetit und Stuhlgang. Vollkommen
beschwerdefrei.
Ziehe ich das Facit »aus diesen 13 von mir beobachteten
Fällen, so war in 9 Fällen ein unzweifelhafter Erfolg des an¬
gewandten Mittels feststellen, uud zwar sowohl in Bezug auf
die subjektiven Beschwerden, als auch objektiv auf die Störungen
der Stuhlentleerung, mögen sie nun in Diarrhöen oder Obsti¬
pation sich geäussert haben.
Objektiv auf die Veränderung des Chymus eine Einwirkung
festgestellt zu haben, wage ich nicht zu behaupten, wenn auch in
2 Fällen eine Wiederkehr der HCl-Produktion sich zeigte; viel¬
leicht aber sind die subjektiv guten Erfolge doch auf eine durch
das Mittel hervorgerufene moleculäre Veränderung des Chymus
zurückzuführen, deren Nachweis nur den uns heute zu Gebote
stehenden Prüfuugsmethoden nicht zugänglich.
Ich glaube iu dem Pankreon eine Bereicherung unseres
Arzneischatzes erblicken zu dürfen und das Mittel bei der
„Achylia gastrica“, dein von mir zur Untersuchung speciell heran¬
gezogenen Symptomenkomplexe einer Beobachtung und Nach¬
prüfung empfehlen zu können.
Herrn Kollegen Dr, C o h n h e i m für die freundliche Ueber-
lassung des Materials und seine Unterstützung bei der klinischen
Beobachtung meinen verbindlichsten Dank an dieser Stelle aus¬
zusprechen, ist mir eine angenehme Pflicht.
Urininfiltration in der Geburtshilfe.*)
Von Dr. F. Horn, Frauenarzt in Köln a. Rh.
M. H.! Folgender Fall, dessen Vorgeschichte ich der Liebens¬
würdigkeit eines Kollegen verdanke, dürfte als einzig in der
Literatur dastehender einiges Interesse bieten.
Frau S. aus Köln, 31 jährige IV. Para. Seit dem 16. Jahre
regelmässig, 4 wöcheutlicb, 5—6 Tage menstrulrt, stets gesund,
nur als Kind litt sie an englischer Krankheit. 1. Geburt: Zange,
2. normal, 3. Frühgeburt. Letzte Menstruation Anfangs Februar.
Wehenanfang 7. XI. Vorm. 8 Uhr; erste Untersuchung Nachm.
3 y» Uhr: Blase erhalten, Muttermund dreimarkstückgross, Kopf
beweglich Uber dem Beckeneingang, I. Scbädellage; Conj.
diagou. 11. Blasensprung 11 Uhr Abends.
8. XI. Vorm. 5 Uhr Verlangsamung der kindlichen Herztöne
bis 102. Dabei war trotz mässig starker Wehen der Muttermund
erst handudlergross. Kopf fest im Beckeneingang. Starke Kopf¬
geschwulst; grosse Fontanelle rechts vorn. Bel der Untersuchung
ging durch Kindspech verfärbtes Fruchtwasser ab. y 2 6 Ubr
Vorm. Anlegen der Zange und Extraction in Vorderhaupts¬
lage, die ungefähr y g Stunde gedauert haben soll, aber absichtlich
ohne grössere Gewaltanwendung durchgeführt wurde. Erfolg¬
reiche Wiederbelebungsversuche bei dem schwer asphyktisclien
Kinde. Nach y 2 Stunde Entfernung der Placenta nach Credö;
2 Spritzen Ergotin. Sick. Temperatur vor der Geburt 37,2°, nach
•) Vortrag, gehalten In der Nlederrheinlsch-westphälischeu
Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie. Sitzung vom
28. April 1901 zu Düsseldorf.
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No. 31.
1244 MUENOHENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
derselben 36,7° (ln der Achsel). Das Kind starb am 9. XI. Vorm.
6 Uhr an den Folgen der Asphyxie; seine KopfumfUnge: hört/..
37 cm, occlp.-menL 39; subocclp.-front. 36 cm. Am Abend des
8. XI. musste die Patientin katheterislrt werden, da sie kein Wasser
machen konnte. Auffallend war dem Kollegen die geringe Menge
des so gewonnenen Urins und die Blutbeimischung. Sehr wenig
Wochenfluss. 1,0 Sulfonal; 0,05 Oplumsuppositorium. Temp. 37,3“,
Puls 90.
9. XI. Morgens 37,5°, Puls 88. Abends 37.7°, Puls 82. Uterus
1 Finger unterhalb des Nabels. 3,0 Pulv. secal. cornut P r 1 e s s -
u i t /'scher Umschlag auf den Leib. 2 mal katheterlsirt. Der
Morgenurin sah nicht mehr so blutig aus, so dass schon eine Besse¬
rung der „B 1 a s e n q u e t s c h u n g“ angenommen wurde. Sub¬
jektives Wohlbefinden. .
10. XI. Morgens 36.9* Puls ruhig; Abends 37,0 °. Puls ruhig.
Patientin hatte Stuhl und entleerte dabei angeblich Urin, so dass
nicht katheterlsirt wurde. Das Uriniren soll auch desswegen
schwer kontrolirbar gewesen sein, weil die Frau — eine kleine,
«licke Person — erklärte, den Urin der bestehenden Schmerzhaftig¬
keit wegen unter sich gehen lassen zu wollen. Die Unterlagen
rochen stark nach Urin.
11. XI. Morgens 36,8°, Mittags 37,5, Puls 160; Abends 38,0“.
Puls 164. Uterus 1 Finger unterhalb des Nabels. Mittags zeigte die
Wöchnerin im Vergleich zum 2. Tage eine auffallende Veränderung,
die vor Allem den bisher ruhigen, kräftigen Puls betraf; auch war di;?
Athmung etwas beschleunigt, das Gesicht etwas gerötliet. Da die
Frau kurz vorher aufgestauden war, um ausserhalb des Bettes
Stuhl zu machen, so wurde die Veränderung hauptsächlich darauf
zurückgeführt (Embolie?). Auf die Aufforderung hin, Urin zu
entleeren, lless sie spontan eine kleine Menge hellblutig gefärbten
Wassers. Daraufhin untersuchte ich mit dem Kollegen die l’a- i
tienlin gemeinschaftlich. Wir fanden Abends y 2 8 Uhr, dass der I
Gesichtsausdruck der Wöchnerin etwas benommen war, doch gab ;
sie noch klare, vernünftige Antworten. Es fällt auf, dass sie sich
öfters au den Kopf fasst. Bel Druck auf den Unterleib klagt sie
über Schmerzen an der vorderen Uterus,wand, an der Abgangsstellc
der beiden Llgg. lat. und besonders in der Blasengegend. Uterus-
fundus knapp 2 Finger unter dem Nabel, gut contrahlrt Keine
Verletzung an Cervix oder Vagina. Pupillen mittelweit, reagireu
prompt Temperatur 38,0°; Puls 164. Der Katheter entleert al¬
kalisch riechenden, dunkel grünlich-rothen Urin, mit Schleim¬
fetzen durchsetzt; denselben Urin fand man in den Vorlagen.
Urin war locbialsekretdurchtränkt, die Lochien rochen iiriuös.
Diagnose: Blasengebärmutterflstel, septische Urlninflltra-
tion des paraveslcalen Gewebes post partum.
Prognosis: pessima.
An einen Eingriff war nicht mehr zu denken, auch jede interne
Therapie musste versagen.
13. XI. Morgens 8 Uhr lag die Patientin in völlig benommenem
Zustande ruhig da. Gesichtsausdruck und -Farbe unverändert.
Athmung etwas beschleunigt, Puls Uber 100, leicht unterdrückbar.
Schmerzempflndung Kusserst sich nur bei starkem Druck auf die
linke Seite des Unterleibes. In diesem komatösen Zustande starb
Patientin gegen 3 Uhr.
Urinbefund: stark alkalisch; es setzt sich im Spitzgins
reichliches, fadenziehendes, schleimiges Sediment ab, ln dem sich
mikroskopisch grosse Mengen rother Blutkörp«?rchen, vereinzelte
Leukocyten, ziemlich reichliche Detritusmassen finden und Blasen-
epithelien, an einzelnen Stellen gruppenweise zusammenliegend,
vereinzelte Sargdeckelkrystalle.
Sektionsbefund (leider wurde eine allgemeine Sektion
nicht gestattet): Bei Durchtrennung der Bauchmuskeln fällt die
leicht grünliche Verfärbung auf. Bei Lichtauffall sieht man auf
der Schnittfläche einen geringen Flüssigkeitsstrom herunterfliessen,
der deutlich Uringeruch hatte. Das Cavum Ketzii graugrünlich
gefärbt, nach Urin riechend. Starke Urindurchtränkung und Ge-
websaufquelluug vom paraveslcalen Bindegewebe aus nach oben
zu den Bauchdecken ziehend. Nach Herausnahme der Geschlechts-
thcile wird der Uterus, um das Präparat zu schonen, durch den
Fundalsclinitt eröffnet. Im Uteruscavum geringe Placentar- und
Eihautreste, sonst gute, frische Thromben. Keine Peritonitis.
Auf «1er hinteren unteren Blasenwand liegen dicke, fetzige Mem¬
branen; die Blasenschleimhaut zeigt in der Umgebung mehrfache
blutige Sugillationen. Ungefähr 3 cm oberhalb und etwas seitlich
von der Einmündungsstelle des rechten Ureter befindet sich eine
etwa sondenknopfgrosse nekrotische Stelle, die sich trichterförmig
In die Tiefe erstreckt. Mit der Sonde gelangt man bequem ln der
Richtung nach rechts hinten unten und seitlich ln die Cervix.
Die Eiumündungsstelle ln die Cervix liegt gut 2 cm oberhalb des
Orifieium ext. uteri und hat hier die Grösse einer Erbse, ebenfalls
von nekrotischem Gewebe umgeben. Das Periost des rechten
horizontalen Schambeinastes war an der hinteren Seite in Mark-
stückgrösse abgehoben, so dass der Knochen frei lag. Keine Rauhig¬
keiten oder Exostosen am Knochen des Schambeines.
Was nun die Diagnose dieses Falles anbetrifft, so verliefen
die ersten 3 Wochenbettstage ohne nennenswerthe Erscheinungen
unter dem Bilde einer „Blasenquetschung“ in Folge des andauern¬
den Druckes des Kopfes (resp. der Zangenlöffel). Am 4. Tage
sehen wir eine Schwerkranke hoffnungslos (ich sehe Pat. zum
ersten Male). Der Kontrast zwischen dem kleinen Puls (160!)
und der massigen Temperatursteigerung, der Anblick der
Kranken, das Fassen an den Kopf, die leichte Benommenheit.
Druckern pfindliehkeit dee Uterus und seiner Umgebung wiesen i
auf schwere akute Sepsis. Der unwillkürliche Abgang des Urins
aus der Scheide (neben dem in Folge Sphinkter¬
lähmung unwillkürlich auf normalem Wege ablaufenden
Urin), andererseits di«.* Lochialdurchtränkung des Kathete rharn-s
lassen als Ursache dieser Sepsis acutissima eine Verletzung der
unteren Harnwege erkennen, von der aus — vennuthlich erst am
4. Tage, frühestens Ende des 3. — das angrenzende Bindegewebs-
lnger mit Urin (vom Lochialsekret zersetzt) durch tränkt wurde.
Die vollkommene Vermengung von Urin und Lochialsekret in
Scheide sowohl wie in Blase gab als Sitz der Verletzung Blas«-
und Uterus (d. h. Cervix) an in Form einer unvollkommenen
oder gestörten Kommunikation, zwischen beiden Organen.
An eine Therapie war, als ich die Pat. zu Gesicht bekam,
nicht mehr zu denken. Wäre die Allgemeininfektion nicht eine
so schwere gewesen, so hätte man «len gangraenöseu Process viel¬
leicht noch einhaltcn können durch möglichst frühzeitige (1) und
möglichst tiefe und multiple Einschnitte in dio infiltrirten Ge-
webe von der Vagina und besonders vom Bauche her, ausgiebige
Drainage, prolongirte antiseptische Irrigationen, Vollbäder etc.
Die denkbar ergiebigste Abflussmöglichkeit und Drainage würde
durch die Totalexstirpation gegeben sein, wobei allerdings die
Gefahr der Infektion des eröffneten Peritoneums eine nicht ver-
nu’idbare gewesen wäre. Ausserdem kämen intern hohe Ohinii:-
dosen, Alkoholica in Betracht und Mittel, um die Alkalescen/.
des Urins möglichst zu hindern.
Die Aetiologie imseres Falles fällt mit der Aetiologie der
Blasencervixfisteln zusammen, auf die ich hier nicht weiter ein¬
zugehen braucha Es fragt sich: Ist die Verletzung spontan,
d. h. durch den lang dauernden Druck des eingekeilten Schädels,
oder durch Trauma, durch die Zange, entstanden. Abge¬
sehen davon, «lass die Zangenextraktion von geschickter Hand
und nicht forcirt ausgeführt wurde, gilt es als feststehend, dass
«ler Procentsatz der Fisteln, die aktiv, direct, durch Trauma,
violent entstehen, viel geringer ist als der, welcher spontan
entsteht, bezw. auf Nichtsthun oder auf Fahrlässigkeit zurück¬
geführt werden muss (F r i t s c h).
Wir nehmen also an, dass das langdauernde Verharren des
Schädels im Beekenoingang. derart, dass die vordere Cervical-
wnnd und die entsprechende Stelle der Blasenwand nebst ihrem
Zwischengewebe bis zur Ischaemie und Nekrose gepresst wurden,
zur Fistelbildung nach Ablauf der üblichen 3 Tage führte.
Warum ist nun der Verlauf unserer puerperalen Blasencervix¬
fistel entgegen der bisherigen Anschauung mit Urininfiltration
komplizirt gewesen ( Man könnte auf den Gedanken kommen,
dass dasselbe Trauma verschieden auf die verschieden starken
Gewebe gewirkt habe, «lass es also das muskelreichere Cervix-
gewebe nicht so stark habe schädigen können wie das zartere,
muskelsehwächere Blasengewebe. Doch wäre es dann nicht wun¬
derbar, dass wir bei Blaseneervixfisteln nicht häufiger Urininfil-
trntiop fänden, da ja die Vorbcxlingungen dazu stets erfüllt
wären! Und eine ungleiche Einwirkung dt*s Trauma auf Blase
und Cervix anzunehmen, dazu berechtigt nichts. Kuochenrauhig-
keiten an dem Schambein fanden sich bei der Sektion nicht.
Es bleibt also, meines Erachtens, nur noch die Annahme übrig,
dass der zur Ausbildung gekommene Fistelkanal einen mehr oder
weniger dauernden Verschluss erlitten hat; so dass der Anfangs
ungehinderte Abfluss des Urins durch die Fistel in die Cervix
unterbrochen wurde, der Urin staut sich vor dieser Verschluss-
steile und durchträukt natürlicher Weise das umliegende nach¬
giebige Bindegewebe.
Dieser Verschluss de* Kanales wird zum Theil zu erklären
sein durch Kontraktionen des in Rückbildung begriffenen Uterus
in puerperio. Doch einerseits wissen wir aus der Physiologie der
Geburt, dass die Cervixmusculatur sich sehr passiv verhält und
kaum aktiv in Betracht kommt, andererseits müssten etwaige
stärkere Kontraktionen doch häufiger bei Blasenuterusfisteln zum
Verschluss und zur Urininfiltration führen, was ein Blick in die
Literatur widerlegt. Es folgt, dass die Uteruskontraktionen nur
unterstützend für den Verschluss gewirkt haben können.
Eine direkte Verstopfung des Kanals durch ein vom Uterus aus
ein geschwemmtes Placentarrestchen oder durch kleine Blutcoagula
fand sich nicht. Und als Hauptursache lässt sich, meiner An¬
sicht nach, nur die Richtung der Fistel ansehen, die sich nach
der Seite hin erstreckte, so dass eventuellen Uteruskontraktioneu
eine grössere Angriffsfläche des schräg in die Cervix einmiinden-
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MUENCHENER MEDICINTSCIIE WOCHENSCHRIFT.
1245
30. Juli 1901.
den Kanales Kegeben wurde, als wäre der Verlauf der Fistel in
gerader Richtung von vorne nach hinten gewesen. Dass also
dieser ziemlich lange, schräg verlaufende
Fistolk anal durch Rlickbildungsprocesse des
Ftfrus verzerrt, abgeknickt oder verschlossen wurde, und
•lass der hierdurch sich anstauende Urin das lockere Nachbar¬
gewebe durchtränkte, glaube ich für wahrscheinlich halten zu
müssen. Durch die Wechselwirkung der Zersetzung von Lochial-
sokret und Urin, die ja beide — allerdings in verschiedener Rich¬
tung — die Fistel passirten, kommt es nun zu dieser akutesten
Sepsis, die in IVa Tagen zum Tode führt, bevor an den Bauch¬
decken oberhalb der Symphyse sich der im Cavum Retzii an-
sammelnde Urin äusserlich als Geschwulst geltend machen
konnte.
Therapeutisch können wir leider wenig aas dem Falle lernen,
weil, sobald die Diagnose klar ist, wohl fast immer dann schon
durch die äusserst gefährliche Vermischung von LochiaLsekret.
und Urin im vorletzten Zellgewebe unaufhaltbare gangraenösc
Sepsis besteht, die joden Eingriff zwecklos macht. Wenn aber
gegebenen Falles die Sepsis noch nicht allgemeiner Natur ge¬
worden ist, und die lokale Störung noch das Bild beherrscht, dann
dürfen wir uns natürlich nicht an die therapeutischen Vorschrif¬
ten bei puerperalen Urinfisteln halten, die die Fistel als „noli
me tangere“ ansehen lassen wollen. Nur energisches chirur¬
gisches Eingreifen, wie gesagt, hat jetzt Zweck; nicht mit inneren
Mittelchen oder antiseptischen Spülungen ist etwas zu hoffen.
Ein Analogon zu diesem Falle fand ich in der ganzen Litera¬
tur, soweit sie mir zur Verfügung stand, nicht, (auch nicht in der
Geschichte der Symphyseotomie, wo es vielleicht am ehesten zu
erwarten gewesen wäre). Vermuthlich sind analoge Fälle unter
der Diagnose „Sepsis“ gegangen, ohne dass die Aetiologie ge¬
nügen«! erkannt und berücksichtigt ist.
Ueber einen Fall von Chromsäure-Vergiftung.
Von Dr. Han9 v. Baeyer.
Am Vormittag des 24. I. 1900, 8>/ 2 Uhr. brachte der Ausgeher
Franz Grimm Mineralwnsserllnschen in eine Apotheke zu Mün¬
chen und legte dieselben seinem Aufträge gemäss selbst in den
Keller. Nachdem der Provisor die Anzahl der Flaschen festgestellt
und sich entfernt hatte, bot die Magd Anna Trinkerl, welche die
Lagerung der Flaschen zu überwachen hatte, dem Grimm einen
Schnaps an. Der letztere wusste zwar, dass der Apothekenbesitzer
Dr. H. die Verabreichung von Schnaps bei einer derartigen Ge¬
legenheit verboten hatte und es war ihm sogar kurz vorher von dem
Lehrling ein solcher verweigert worden, indessen konnte er dem
Anerbieten der Magd nicht widerstehen und Hess sicli von derselben
<ü»e grosse, breite und schwere Flasche reichen, welche nach
'hrer Meinung Schnaps enthielt. Zum Unglück des Grimm war
aber in Folge des Verbotes seitens des Dr. II. die Schnapsflasche
«mfernt und an ihre Stelle eine ähnliche Flasche mit Induktions-
flussigkelt *) gestellt worden. Nachdem Grimm 2 mal je einen
kräftigen Schluck getrunken hatte, ging er über «lie Kellerstiege
hinauf. Trinkerl hörte Ihn auf der Stiege ausspucken und
<1a sie dachte, der Schnaps könne nicht so schlecht sein, dass man
ihn nosspucken müsste, versuchte sie mit der Zunge den Inhalt
«ler Flasche und bemerkte sofort, dass in der Flasche kein Schnaps
sei. sondern eine scharf brennende FliisigkeR. Grimm kam
indessen mit einem weiteren Korb Flaschen herunter und frag,
was sie ihm gegeben hätte, denn er hielte es nicht mehr aus vor
Sehmerzen; sie theilte ihm mit, dass sie sich soeben überzeugt
hätte, dass sie sich getäuscht habe. Grimm begab sich dann in
die Apotheke, um Hilfe zu suchen. Es wurde dem Griinm sofort
Kalkwasser. Milch und Eier gegeben, was zum Erbrechen führte.
Nachdem Grimm noch eine Stunde ln der Apotheke geblieben war,
fühlte er sich besser und fuhr um 9% Uhr nach Hause.
Der behandelnde Arzt, Herr I)r. H e 1 g 1, gab in seinem Gut¬
achten Folgendes an:
Am 24. I. 1901 Mittags wurde Ich zu Franz Grimm, Ausgeher,
Z'-rufen. Die Anamnese hatte ergeben, dass Grimm, der Früh noch
gesund gewesen sein soll, ln einer Apotheke durch unglückliche Ver¬
wechslung Gift getrunken hat und von Jenem Augenblick an heftig-
brennende Schmerzen vom Schlunde bis zur Magengrube und fort¬
währendes Erbrechen bekam.
Stat praes.: Die Lippen des Grimm waren welss, die Schleim¬
haut der Mundhöhle zeigte weisseu Belag, das Gesicht war blass
und eingefallen, die Augen liegen tief in den Höhlen, die Pupillen |
waren etwas erweitert. Die Haut war kühl, der Puls klein, frequent '
und etwas unregelmässig. Dabei war Grimm sehr unruhig und
hatte heftige Krämpfe an den Beinen, die sich namentlich am
Tage sehr steigerten. Grimm hatte dabei ein fast konstantes
Erbrechen, d. b. ln ganz kurzen Zwischenräumen. Die erbrochene
HQssigkelt hatte einen starken, etwas fauligen Geruch. Am 2. Tag
M Dtp unsren. ..Tndnktionsflüssigkelt“ dient zur Füllung von
• b ktiiscln-n Induktionsapparaten.
untersuchte ich den Urin, der sehr viel Eiweiss enthielt. Es sei be¬
merkt, dass später gar kein Urin entleert wurde und eine hart¬
näckige Obstipation bis zum 30. I. vorhanden war. Grimm hatte
bis zum Tode ein unstillbares Erbrechen, die erbrochene Flüssig¬
keit war bräunlich gefärbt und mit Epithelial- und später Schleim¬
hautfetzen gemengt. Da selbst die geringste aufgenommene Flüs¬
sigkeit wieder erbrochen wurde, wendete ich ernährende Klystiere
an, aber trotzdem tmt der Tod am 30. I. 1900 durch Herzlähmung
ein, nach meiner Ueherzeugung in Folge Jener am 24. I. Vormittags
getrunkenen Induktionsflüssigkeit, welche oben genannte Sym¬
ptome hervorbrachte.
Sektion am 31. I. 1900.
Protokoll, gezeichnet von Prof. Dr. Moritz H o f m a n n.
1. Der männliche Leichnam ist 170 cm lang und gehört einem
gut genährten, etwa 26 Jahre alten Mann an. 2. Todteustarre ist
in den oberen Gliedmassen zum grössten Theil gelöst, in den un¬
teren noch vorhanden. Am Rücken der Leiche und an den hin
tereu Seiten der unteren GUcdmaassen finden sich zusammen¬
hängende graublaue Todtenfleckeu. Die vorderen Hauchdecken
sind in der Leistengegend schmutzig graugrün verfärbt. 3. Die
Augen sind in den Augenhöhlen weit zurückgesunken, die Horn¬
häute schwach getrübt, die Pupillen auf beiden Seiten gleich und
massig erweitert. 4. Der Mund steht offen, die Zunge liegt hinter
den Zahnreihen. Die Schleimhaut der Lippen ist graublau, an der
inneren Seite braungelb und eingetrocknet. Die Schleimhaut des
Zahnfleisches zeigt blassgrüue Farbe.
Bauchhöhle. 5. Das Unterhautfettgewebe ist graugelb,
die Musculatur braunroth und sehr trocken. 6. Beim Durch¬
schneiden der Bauchdecken ist ein speclfiscber Geruch nicht wahr-
zuuehmen. 7. Das Netz bedeckt die DUundarmschlingen. Der
Dünndarm Ist durch Luft ziemlich stark ausgedehnt, äusserlich
blassgrauroth und glänzend. 8. Der höchste Stand des Zwerchfells
entspricht rechts dem 4. und links dem 5. Rippenzwisehenraum.
9. Die Milz ist 10>/ 2 cm lang, 7 cm breit und l'/ 2 cm dick, die
Kapsel schwach gerunzelt, das Gewebe grauroth und stark er¬
weicht. 10. Der Bauchfellüberzug der Leber ist glänzend, das Ge¬
webe der Leber brüchig, aus den durchschnittenen Blutgefässen
der Leber entleert sich sehr viel dunkles flüssiges Blut. 11. Nach¬
dem der Magen über der Mündung und der absteigende Theil d'-s
Zwölffingerdarmes doppelt unterbunden war, wurden die Därme und
die Speiseröhre zwischen den Unterbinduugsstelleu durchschnitten
und der Magen uneröffuet aus der Leiche herausgenommen. 12. Per
Magen ist mässig ausgedehnt, die Wände graugelb, die an d r
kleinen Krümmung verlaufenden Blutgefässe sind sehr stark ge¬
füllt und treten als starke Wülste hervor. 13. Der Magen enthält
ungefähr 100 g einer schwarzbraunen dünnen Flüssigkeit. Blaues
Lackmuspapier wird von dem Mageninhalte rotli gefärbt. Die
Schleimhaut des Magens zeigt gelbe Farbe, an der Mündung und
der kleinen Krümmung sind die Blutgefässe der Magenschleim¬
haut bis in ihre kleinsten Verzweigungen angefüllt. An einigen
Stellen von der Grösse eines silbernen 20 Pfg.-Stüekes ist an der
Mageumiindung die Schleimhaut mit grauweissen. abziehbaren
Häutchen bedeckt. Die Schleimhaut des Magens ist geschwellt
und getrübt. 14. Der obere Theil des Zwölffingerdarmes enthält
schwarzbraunen Schleim. Die Blutgefässe des Zwölffingerdarmes
sind erheblich gefüllt, «lie quer verlaufenden Falten treten als
stark hervorragende Wülste hervor. Dicht unter dem Pförtner
finden sich in der Schleimhaut des Zwölffingerdarmes etwa
thalergrosse, schwarzbraune, sich derb anfühlende Stellen. Die
Seit leimhaut ist theil weise abgestossen, der Bauchfellüberzug des
Zwölflingerdarmes ist an der betreffenden Stelle «lunkelschwarz-
brnunroth gefärbt. 15. Die Schleimhaut des Dünndarms ist enorm
geschwollen und verdickt; der obere Theil des Dünndarms mit
hellgraugelbem Schleim, der untere mit ziemlich viel dünner grau¬
gelber Flüssigkeit gefüllt Die Schleimhaut dos Darmes z«ügt au
einzelnen Stellen rothe Stellen, die von Gefässinjoktion horrühren;
die einzeln stehenden Drüsen in der Nähe der Klappe sind sehr
stark geschwellt und mit einem schmalen rothen Saum umgeben.
16. Der Dickdarm enthält ziemlich viel hellgelben breiigen Koth.
Im unteren Theil des Dickdarmes zeigen die Kotliballen gramveisse
Farbe. Im Blinddarm und aufsteigenden Tlieile des Dickdarnics
ist die Schleimhaut theilweise intensiv gerötliet und geschwellt.
17. Die linke Niere ist 14 cm lang, 7 cm breit und 3 cm «lick. Die
Kapsel der Niere löst sich leicht ab; die äussere Seite der Rinden-
substanz blassgrauroth, die Rindensubstanz bis zu l>/ 2 cm breit,
quillt über die Schnittfläche hervor und fühlt sich sehr weich an.
18. Die rechte Niere Ist von dersell>en Beschaffenheit wie die linke.
19. Die Harnblase enthält einige Tropfen grauweissen Schleims.
Die Schleimhaut der Harnblase blassgrauroth.
Brusthöhle. 20. Die beiden Lungen sind mit der Brust¬
wand verwachsen, die linke mehr als die rechte. Die Brustfell¬
säcke sind leer. 21. Der Herzbeutel enthält einige Tropfen einer
blassgelben, durchsichtigen Flüssigkeit. 22. Das Herz ist mässig
verbreitert und fühlt sich sehr weich an. An der Iliuterseite der
Herzkammern bemerkt mau eine grössere Anzahl von punktför¬
migen Blutaustritten. 23. Die rechten Herzhöhlen enthalten sehr
viel schaumiges Blut und ein grosses Speckhautgerinnsel. Di.
linken Herzhöhlen enthalten dunkles flüssiges und geronnenes Bin .
24. Die halbmondförmigen Klappen sind schlussfähig. Die .Mus¬
culatur des Herzens ist grauroth und sehr mürbe. Die innere Aus¬
kleidung des Herzens ist etwas verwachsen. 25. Die linke Lunge
fühlt sich durchaus welch an und knistert bol Betastung. Auf der
Schnittfläche ist das Lungengewebe lm oberen Lappen hellroth.
im unteren dunkolbrauuroth. Auf die Schnittfläche durch die oIhmvii
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1246 MTJENCHENER MEDICIN 18 CHE WOCHENSCHRIFT. No. 31.
und unteren Lappen der beiden Lungen ergiesst sich ziemlich
dunkelrotlies, schmieriges Blut und etwas schaumige Flüssigkeit.
20. Die Luftröhrenüste der Lungen enthalten schmieriges ziilies
Blut, die Schleimhaut der Luftröhre ist dunkelblauroth verwaschen.
27. Von der Lunge und von dem Herzen werden Stücke in das
Gefäss No. 3 gelegt. 28. Die Schleimhaut der Zunge ist mit einem
dicken gerunzelten Belage bedeckt. Dieselbe fühlt sich hart und
derb an und ist verdickt. 29. Die Schleimhaut des Hachens ist mit
zähem Schleim bedeckt, die Schleimhaut geschwellt und geröthet.
30. ln der Speiseröhre findet sich etwas graugelber zäher Schleim,
ln der Mitte löst sich die Schleimhaut der Speiseröhre in zusammen¬
hängenden Fetzen ab, die darunter liegenden Blutgefässe sind sela-
stark gefüllt. 31. Der Kehlkopf und der obere Theil der Luftröhre
enthalten etwas blutiggefärbten Schleim, die Schleimhaut der Luft¬
röhre ist blassroth.
K o p f h ö h 1 e. 32. Die innere Seite der weichen Schüdeldecken
ist blassroth. Die äussere Seite des Schädeldaches graugelb. XI. Die
äussere Seite der harten Hirnhaut ist mit sehr viel zerfliesseudcn
Blutpunkten besetzt. 34. Der obere Liingsblutleiter enthält ziemlich
viel dunkles flüssiges Blut 35. Die weiche Hirnhaut ist erheblich
getrübt, die Blutgefässe derselben stark gefüllt. 30. Die seitlichen
Gehirnkammem sind leer. Die Adergeflechte dunkelblauroth.
Auf die Schnittfläche der Marksubstanz des Gehirns treten sehr
viele zerfllessende Blutpunkte hervor. 37. Die Blutleiter an der
Schädelbasis enthalten ziemlich viel dunkles flüssiges Blut. Das
Gehirn fühlt sich derb an.
Anatomische Diagnose.
Acute toxische Stomato-Pharyngitls, des¬
quamative nekrotisirende Oesophagitis. toxi¬
sche Gastroenteritis mit haemorrhagi sehen
Erosionen des Zwölffingerdarms und Blut¬
erguss ln den Magen und oberen Dünndarm.
Akute parenchymatöse Nephritis; subepiear-
diale Ecchymosen des Herzens.
Vorläufiges Gutachten.
Der Tod des Obducirten kann durch Vergiftung mit
Schwefelsäure herbeigeführt worden sein.
Chemische Untersuchung der Leichentheile.
16. Februar 1900.
Da im Anfang der Untersuchung die Vergiftung irr-
thümlicher Weise als durch H, S0 4 hervorgerufen betrachtet
wurde, suchte Herr Prof. II i 1 g e r nur nach freier II, SO,. Er
schreibt:
In Anbetracht des Umstandes, dass dem Vergifteten Neutrali¬
sationsmittel gereicht worden waren, und dass er noch eine Zeit
lang nach der Vergiftung weiterlebte, bot die chemische Unter¬
suchung von vornherein so gut wie keine Aussicht auf Erfolg.
Beim Besichtigen der Organe mit der Lupe waren auf¬
fallende Fremdkörper u. 8. w. nicht zu bemerken. Der Inhalt der
Gefässe 2 (Dünndarm nebst Inhalt). 3 (Theile von Leber, Milz,
Nieren, Herz und Lunge) und 4 (Theile von Gehirn und Ober-
8chenkelmusculatur) besass neutrale, der von Gefäss 1 (Magen
nebst Inhalt, Zwölffingerdarm nebst Inhalt, Speiseröhre und
Zunge) schwach saure Reaction; Methylviolett wurde von keiner
der Flüssigkeiten entfärbt, ebensowenig war mit Baryumchlorid
eine Schwefelsäurereaktion zu erhalten.
Zur Untersuchung auf H, S0 4 , die etwa durch den Weingeist,
mit dem die Organe übergossen waren, esterlflcirt hätte sein
können, wurden die Flüssigkeiten aus jedem der 4 Gefässe für sich
abgegossen, im Vakuum bei niederer Temperatur eingeengt und die
Rückstände mit Wasser behandelt. Die Filtrate gaben nach An¬
säuerung mit HNO, mit Baryumchlorid keine Reaktion. Die
Rückstände wurden dann mit Kalilauge längere Zeit im Wasserbad
erwärmt, worauf die mit HNO, übersättigten Filtrate ebenfalls
mit Baryumchlorid keine Reaktion gaben. Die Organe wurden
dann weiter noch direct mit Wasser ausgezogen, wobei die Filtrate
gleichfalls keine Reaktion auf freie Schwefelsäure gaben.
Die chemische Untersuchung der vorliegenden Leichentheile
des Grimm hat somit keine Anhaltspunkte für das Vorhanden sein
freier ILSO* darin ergeben. Dieser negative Befund schliesst in¬
dessen nicht aus, dass trotzdem freie H,S0 4 ursprünglich vorhanden
gewesen sein kann, da Neutralisationsmittel in Anwendung kamen
und der Tod erst einige Zeit nach stattgehabter Vergiftung eintrat.
Der Nachweis gebundener H,SO« kann nicht als Beweis für das
Vorhandensein freier H, S0 4 angesehen werden, da Sulfate nor¬
male Bestandtheile des Organismus sind.
Erst am 2. April wurde von Herrn Bezirksarzt Dr. Müller
darauf hingewiesen, dass die Induktionsflüssigkeit ausser H, SO,
noch andere Bestandtheile enthält.
Am 12. April wies Herr Apotheker Dr. v. Pieverling
nach, dass fragliche Flüssigkeit hergestellt war aus:
30 Theile Kaliumbichromat,
4 Theile Quecksilbersulfat,
40 Theile Schwefelsäure,
400 Theile Wasser.
Kaliumbichromat und Schwefelsäure zersetzen sich nach
folgender Gleichung:
KaCniCb -f- 2 Hi SO i = 2 KHSO* -f 2 CrOs -|- HO
296 2 X 98 2 X 136 2 X >01
Daraus folgt, dass 30 g Dichromat 20 g Schwefelsäure ge¬
brauchen; da nun 40 g Schwefelsäure in der Lösung enthalten
waren, so ergibt sieh, dass letztere 20 g freie Schwefelsäure, ge¬
löst in 400 g Wasser enthalten hat.
Da nun Grimm zwei kräftige Seldueke zu sich genommen
hat (ein Schluck — 35 ccm gerechnet.), so entspricht dies 70 ccm
Induetionsflüssigkoit. In 70 ccm Flüssigkeit sind annähernd
enthalten:
3,5 g Chromsäure,
3,5 g Schwefelsäure in 5 proe. Lösung,
0,7 g Quecksilbersulfat.
Aus dieser Berechnung der Zusammensetzung der Induc-
tionsfliisigkeit ersehen wir, dass in toxikologischer Hinsicht vor
Allem das sehr giflige Chrom in Betracht kommt. Aber auch
dem Quecksilber darf in vorliegendem Falle eine schädliche Wir¬
kung nicht ganz abgesprochen werden. Die freie Schwefelsäure
ist auch nicht, zu vernachlässigen, da die letale Dosis auf 4—5 g
(Kobort 1 ) geschätzt wird, und Grimm etwa 3.5 g zu sich
genommen hat.
Toxikologie der Chromsäure und ihrer Salze.
Die. ('Ihre m säure unterscheidet sich von den Mineral¬
säuren dadurch, «lass die Chromate ähnlich giftig wirken, wie dir*
Säure selbst (J aksch 1 ) und dasselbe Krankheitsbild liefern.
Das chromsaure Blei wirkt etwas langsamer, weil es schwer lös¬
lich ist. Chromsaures Eisenoxyd (Sideringelb) ist wogen seiner
Unlöslichkeit ganz ungiftig. Nach Böcourt und Cheva¬
lier*) soll das neutrale chromsaure Kali weit weniger giftig
sein und nicht ätzen wie das saure Salz und die Säure selbst.
Das Chrom in seiner 6 werthigen Form ist äusserst giftig;
so kommt es nach Eingabe von 0,03 g Kaliumbichromat schon in
den ersteu Tagen zu Beängstigung, Sehmerz in der Herzgrube,
Trockenheit im Munde und Erbrechen, nach 0,05—0,1 g in kurzer
Zeit heim Menschen zu Brechreiz, Erbrechen, Kolikschmerzen
und Abführen, hierauf Mattigkeit, Rospirationsbeschwerden und
Pulsverlangsamung.
Nach höheren Gaben: Zunge und Rachen schwellen an.
können gell) oder graugrün (Reduktion der Chromsäure) gefärbt
sein. Gelbes, blaugraues oder grünes Erbrechen, später blutig,
tlieilweise mit Fasern der Magenschleimhaut gemischt. KopiÖM*
Durchfälle (Choleraform). Angst., grosse Schwäche, Durst.
Schmerzen iin Leib, besonders im Anfang in der Herzgrube,
später in der Nierengegend. Krämpfe der Unterextremitäten.
Ikterus, Cyanose, Dyspnoe, Collaps. Puls ist klein, fadenförmig
aussollend. Haut kühl oder heiss. Es wurden auch Temperatur¬
erhöhungen beobachtet, der Harn ist spärlich, enthält Eiweiss
und auch Blut. Bei chronischem Verlauf meist Anurie in Folge
von Nioreninsufficienz, durch akute Nephritis hervorgerufen.
Anatomisch fand man Schwellung und gelbe, grau¬
grüne oder grüne Verfärbung der Mundschleimhaut. Oesophago?
Schleimhaut im unteren Theil braunroth injicirt. Magenschleim¬
haut hyperaemiseh, mit Ecchymosen besetzt, besonders im Kar-
dinlahsehnitt, stellenweise abgelöst und geschwürig zerfressen.
In Dünn- und Dickdarm Ilyperaemie und Ecchymosen. Leber
und Hcrzmusculatur fettig degenerirt, Endocarditis, Cystitis.
Das Blut, ist oft bräunlich (Methaemoglobinspectrum) und flüssig.
Bronchien können entzündet sein. Fast immer parenchymatös*
Nephritis (Chromniere von Kabierske 4 ). Von Interesse
ist, dass auch die 100 mal weniger giftigen Chromoxydabkönnn-
linge dasselbe Bild in den Nieren hervorrufen (Pandrr ').
Später gesellt sich auch eine interstitielle Nephritis hinzu. 1"
seltenen Füllen war das Resultat bei der Sektion negativ.
Die chronische Vergiftung ist charakterLirt
durch: Ekzematöse Ausschläge der Haut, tiefgreifende Ge¬
schwüre an Haut und Schleimhaut, Perforation der Nasensehei de -
wand, Kachexie, Dyspepsie, Gastroenteritis (oft ähnlich der
Dysenterie), chronische Nierennffektionen (Entzündung, Atro¬
phie), Bronchitis.
’) Intoxicationen 1893.
*) Die Vergiftungen: Nothnagel’s Handbuch.
*) Annales d’hygiene publ., t. 20, 1863.
4 ) Inaug.-Diss. Breslau. 1880.
6 ) Arbeiten des pharmakologischen Instituts in Dorpat. 188S.
II, pag. 33.
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50. Juli 19Ö1.
MtTEttCHEttER MEDlCtNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
i247
Was die Toxikologie des Quecksilbersulfates betrifft, so sind
mir nähere Beschreibungen von Vergiftungen mit Quecksilber¬
sulfat nicht zugänglich gewesen, doch dürften die Symptome
durch dieses Quecksilbersalz hervorgerufen, sich nicht unter¬
scheiden von den Erscheinungen einer Sublimatvergiftung
(Kobcrt 1 ), Lewin 7 ): Puls klein, unregelmässig, frequenter.
Erschwerung der Atlimung. In einem am achten Tage tödt-
lich verlaufenden Falle (Scheidenausspülungen mit 2 Liter V^proc.
Lösung) war das Lungengewebe ziemlich blutreich, in beiden
Unterlappen schlaff, roth pneumonisch hepatisirt; die Mittel¬
lappen und die unteren Theile rechts in lobulären Herden ver¬
dichtet. In den verdichteten Partien zeigten sich vielfach punkt¬
förmige, gelbliche, citerähnliche Stellen. Die Mundschleimhaut
schwillt au, das Zahnfleisch röthet sich, wird schmerzhaft und
blutet leicht. Ein schmierig graugrüner Belag findet sich auf
demselben und den anderen Mundgebilden. Geschwüre, Foetor
ex ore, Lockerwerden der Zähne und Ausfallen. Zunge wird dick,
auch borkig, empfindlich, schmerzhaft, an der Uuterfläche und
den Seiten grauweisse Flecke, später Geschwüre; ebenso die
Tonsillen.
Druck auf das Epigastrium schmerzhaft. Durchfälle. Kolik¬
artige Schmerzen. Tenesmus. Darmblutungen. Es erkranken
mit Vorliebe die unteren Darmabschnitte, Kolon und Dünn¬
därme. In einem Fall fand sich vom Ileum an eine schwer
diphthcritisch - haemorrhagische Affektion. In einem anderen
Falle zeigten sich nur im Ileum eino gewisse Zahl stark ge¬
schwollener Stellen. Herdenweise auftretende bis tlmlergrosso
graugelb gefärbte Verschorfungen, die selbst perforiren.
Nach anfänglicher Polyurie folgt Verminderung des Harns
und Anurie, die 3—4 Tage bis zum Tode nnhält. Harn ist sehr
oft ciwoisshultig. Die Nieren gross, schlaff, bleich, Oorticalis ge¬
schwollen, stellenweise beinahe weiss, undurchsichtig verkalkt.
Vergleichen wir nun die Symptome unseres Falles mit den
Erscheinungen, die durch Chromsäure oder Quecksilbersulfat¬
vergiftungen hervorgerufen werden, so können wir keine scharfe
Grenze ziehen, was jenem oder diesem Gifte zuzuschreiben ist.
da beide Gifte sich in ihren Wirkungen sehr ähnlich sind.
Vielleicht, dass die Befunde an der Lunge und dem unteren
Theil des Dickdarms ihre Ursache in der Quecksilbervergiftung
finden. Auch in den Nieren wird das Quecksilber eine gewisse
Rolle gespielt haben, wenn wir einer Betrachtung von L e w i n )
folgen:
„Eine entzündete oder blutige Schleimhaut begünstigt die
Resorption. Eine krankhaft veränderte. Niere wird durch hinoin-
gelangtes Quecksilber schneller funktionsunfähig als eine gesunde.
Anaeinisehe Zustände, Herzverfettung, Herzschwäche und grosse
Blutverluste schaffen eine verminderte Widerstandsfähigkeit der¬
selben und desswegen ein Ucberhnndnchmcn der Quecksilber¬
nebenwirkung.“
In seinem Verlauf und seinen Symptomen stimmt unser Fall
mit Ausnahme der anhaltenden Verstopfung vollkommen mit
früher beschriebenen Chromsäurevergiftungen überein. Ver¬
stopfungen bei Chromsäurevorgiftungen fanden wir in der Litera¬
tur nur 2 mal.
In einem von Groth‘) beschriebenen Falle trat die Ob¬
stipation erst nach einiger Zeit auf und zwar nachdem reichlicher
Durchfall vorangegangen war. In einem Falle von Leopold')
ist das Blei mit Sicherheit als Ursache dieser abnormen Er¬
scheinungen aufzufassen. Auch in unserem Falle ist sicher an-
zunehinen, dass die Stuhlverhaltung nicht durch Chrom bedingt
war, ebenfalls nicht durch Quecksilber, da auch dieses, wie wir
gesehen haben, Durchfall erzeugt, sondern allein Folge der
Schwefelsäurevergiftung war. Diese Wirkung der »Schwefelsäure
kommt bei Vergiftung mit derselben in der Regel zur Beobach¬
tung (Boehm").
Was die Therapie anbelangt, die in dem Eingangs er¬
wähnten Falle unmittelbar nach der Vergiftung angewe.ndet
wurde, so dürfte sie nicht ganz zweckentsprechend gewesen sein,
*) 1. c.
Nebenwirkungen .der Arzneimittel, 3899.
•) ref. in Schmidts Jahrbuch 1880, Bd. 185.
•> Vierteljahressehr. f. ger. Med. Bd. 27, 1.
’*) Handbuch der Intoxicatione», Ziemssen’s Handbuch.
"> Contribution i\ l’Gtude, phys. et toxicol. de quelques pre-
parntlous chromßes. Paris 188ß.
No. 3L
obwohl sie in den meisten Lehrbüchern empfohlen ist. Neutrali¬
sationsmittel, Eier, Milch etc. können bei Chromsäurevergif¬
tungen keine wesentliche Gegenwirkung hervorrufen, da sie nicht
wie die Chromsäure schnell in’s Gewebe eindringen können.
Ich möchte hier auf eine Angabe von V i ron ”) hinweisen,
der als Gegenmittel das wenig giftige Natrium¬
sulfit empfiehlt. Diese Substanz bildet in Gegenwart von
Säure (Magensäure) sofort schweflige Säure, die, wie die Chrom¬
säure, sehr schnell das Gewebe durchsetzt, und letztere zu dem
300 mal (Pan der 12 ) weniger giftigen schwefelsauren Chrom
redueirt.
Für die freundliche Ucberlassung des Falles und namentlich
auch des Aktcnmaterials gestatte ich mir Herrn Dr. Moritz II o f -
mann, k. Universitätsprofessor und Landgerichtsarzt dahier,
besten Dank abzustatten.
Anmerkung: Bel der gerichtlichen Verhandlung des
Falles vor dem Landgericht München I wurden der Apotheker und
sein Provisor von der Anklage wegen fahrlässiger Tödtung frei-
gesprochen; die Magd erhielt 14 Tage Gefänguiss.
Wattepinsel als Ersatz für die gewöhnlichen Augen¬
pinsel.
Von Dr. O. Neustättcr, Augenarzt in München.
Wenn man die gewöhnlichen Haarpinsel zur Augcnbehundlung
ln einer der Asepsis oder nur der Reinlichkeit entsprechenden
Welse verwenden will, muss man, wie dies von Hirschberg
gefordert wird, für jeden Kranken, eventuell sogar für jedes •
Auge (»Inen eigenen Pinsel haben. Diese Maassnalime ist weder
billig, noch handlich. Will man Ordnung halten, so muss jeder
Patient seinen Pinsel fortnehmen und wieder mitbringen. Ausser¬
dem muss jeder Pinsel nach dem Gebrauch desinlizlrt werden.
Da man dieselben nicht kochen kann, müssen hiezu Sublimat- eto.-
Jiüsungen verwendet und in diesen die Pinsel einige Zeit belassen
werden, nachdem man sie vorher ausgewaschen; diese geben mit
den angewandten Mitteln Niederschläge, auch wenn der Pinsel
trocken geworden. Desslialb muss nach der Desinfektion noch
mit sterilem Wasser ausgewaschen werden; was die Procedur noch¬
mal verlängert; dann erst kann man den Pinsel mit fortgeben.
Es ist klar, dass nur unter Aufwand von unverhnltuissmüssig
viel Zeit, Mühe und Aufmerksamkeit diese allein saubere Methode
du rehgeführt werden kann, dass sie aber eben wegen dieser grossen
Ansprüche niemals allgemein durchgeführt werden wird. Wollte
man bei Kassenpatienten die Methode durchführen, so würden
buhl Reklamationen wegen der Ausgaben für Pinsel erfolgen.
Ihn den Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu geheu, haben
viele Aorzte die Pinsel ganz abgesclmfft und tropfen
die Augenwasser ein. Die Einpinselung scheint mir aber
doch eine Anwenduugsform zu sein, die man nicht ganz b e i
Seite setzen kann noch soll. Bietet sie doch die Möglichkeit
schärferer Lokallsining der Auftragung, ferner einer leielit
schwächer oder aber auch bedeutend stärker zu gestaltenden Do-
sirimg und schliesslich einer gleichzeitig nuszuführenden Massage
«ler Bindehaut.
Der Ersatz nun. auf den ich hier hinweisen und zu dessen
allgemeinem Gebrauch leli auffordern möchte, ist ein sehr ein¬
facher. Wahrscheinlich sind schon andere Kollegen auch auf
diesen Ersatz gekommen; ich kann mich allerdings nicht entsinnen,
ihn Irgendwo gesehen oder von ihm gelesen zu haben, was dafür
spricht, dass er keinesfalls in grösserer Verbreitung angewandt
wird. Dieser Ersatz ist der „Wattcplnsel“.
Ein solcher Wattcplnsel ist jeden Augenblick leicht herzu¬
stellen und nichts anderes als ein kleinster gestielter Wattetupfer.
Im Nothfall nimmt man ein schwedisches Streichholz oder sonst
einen kleinen Holzspahn, hölzerne Zahnstocher etc. und wickelt
um deren Enden ein klein wenig Watte, die man vorher schon
In kleine Stückchen geschnitten hat. Namentlich bei infektiösen
Katarrhen empfiehlt sieh diese Art, weil man den ganzen Pinsel
nach der Benützung verbrennen kann. Für gewöhnlich benütze
ich sonst Glasstäbchen mit, aber auch ohne Knöpfehen am Ende,
um das man nach leichter Befeuchtung durch Eintauchen in
Wasser die Watte gut wickeln und flxiren kann.
Mau kann die Form eines wirklichen Pinsels hersteilen; dies
empfiehlt sieh, wenn mau viel Flüssigkeit aufsaugen und lu's Auge
bringen will; für diesen Zweck wird man die Wntte auch locker
wickeln, ebenso wenn mau nur zart über die Conjunctivn streichen
will. Festeres Andrehen empfiehlt sich, wenn ein rauheres Auf¬
trägen, eine Massage mit dem Einstreichen verknüpft werden soll.
Diese Wattepinsel haben einen Vortheil, der den biegsamen
Pinseln aus Haaren abgeht: dass mau nämlich leicht mit Ihnen
ln die obere Ueber gangsfalte und in die E cken d e r
L idco m in i s s u r gelangen kann. Namentlich für die Massage
bei Trachom ist dies von Vortheil. Gerade In den Ecken gelingt
es meist sehr schwer, die Trachomkörner wegzumnssiren, weil der
mit den Fingern gehaltene Wattebausch zu dick Ist oder man
I keinen genügenden Druck nusiiben kaun, wenn man Um zuspitzi.
Diese Erfahrung werden alle, die sich mit Trachomln-handlung
>=) Arbeiten des pharmakologischen Instituts zu Dorpat, 1S.S*,
II, pag. 33.
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1248 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 51.
länger abgeben mussten, bestätigen können. Gerade hier erweist
sich ein dünner hart gedrehter Wattepinsel als sehr brauchbar.
Mit diesen sterilen Wattepiusein kann man auch direkt in die
Fläschchen eintauclien, braucht nicht für jeden Fall neue Flüssig¬
keit in ein Schälchen herauszugiesseu.
Ich glaube, die Vortheile des Wattepinsels, namentlich, was
Reinlichkeit anlangt, sind so einleuchtend, die einfache 11er-
steilungsweise, die Ivostenlosigkeit, die gute, wie gezeigt ausge¬
dehntere Verwendbarkeit gegenüber dem Haarpinsel so für ihn
einnehmend, dass diese Anregung genügen wird, um ilnu allge¬
meiner zur Einführung zu verhelfen. Hat man doch auch bei
Kehlkopf und Nasenbeliandlung den Pinsel grossentheils durch
Watte ersetzt, obwohl hier der Pinsel gewisse Vorzüge besitzt,
was beim Augenpinsel nicht der Fall ist.
Erwähnen möchte ich noch, dass ein solcher Wattepinsel in
sehr vielen Fällen von Fremdkörpern auf der Hornhaut
genügt, um dieselben zu entfernen. Nadel oder Meissei benütze
man nur für Fälle, wo der Fremdkörper festsitzt und durch
Abwischen mittels des Wattepinsels sich eben nicht entfernen
lässt 1 ). Es wird rathsam sein, für diese Fälle (len Wattepinsel
vorher ln Sublimat 1:3000 zu tauchen oder ihn zu kochen, um
sicher aseptisch vorzugehen.
2 ) Ein entsprechendes Verfahren empfiehlt auch Praun, wie
ich nachträglich in seiner Monographie über die Verletzungen des
Auges sehe.
Ueber ein subjectives Symptom bei Pericarditis
exsudativa.
.Von Dr. med. und phil. Peter Pregowski in Heidelberg.
Vor ca. 2 Jahren habe ich, wie auch ein cousultirter Professor
festgestellt hatte, eine Pericarditis mit Exsudatbildung (lurch-
gemacht; die Temperatur war niemals grösser als 37,2 ’.
Doch schon einige Zeit vorher, ohne den Charakter und die
Form meiner Krankheit zu kenuen, empfand ich ein eigen tliüm-
liehes Gefühl in der Herzgegend, dem ich Anfangs wenig Beach¬
tung, später aber, nachdem die Diagnose auf ein „Exsudat“ fest¬
gestellt war, viel mehr Aufmerksamkeit und Wertli geschenkt
linbe.
Das Gefühl war etwa folgendes: So oft ich in Bettlage auf
die rechte Seite mich legen wollte, hatte ich die Empfindung, als
ob eine Last auf das Mediastinum, nach dem Corpus Storni zu.
sicli hiuiiberliige und nach unten, d. h. nach der rechten Seite,
dränge,
Dieses Symptom versuchte ich damit zu erklären, dass die
Flüssigkeit vermöge ihrer Schwere beim Uebergange auf die rechte
Seite einen Druck ausüben müsse.
Mit dem Verschwinden des Exsudats verschwand auch dieses
Gefühl. Hinzufügen möchte ich noch, dass mich dieses Phänomen
meistens dann gestört hatte, wenn ich am meisten des Schlafes
bedurft hatte, wo meine Gedanken entfernter denn je davon waren,
um an Krankheit des Herzens zu denken, was also den Einfluss
einer Autosuggestion ausscliliessen dürfte.
Indem ich die Herren Kollegen auf dieses Symptom liinweise,
bitte ich sie zugleich, selbst nachzuforschen, ob dasselbe coustant
ist, und die näheren Umstände festzustellen, unter denen jene Sen¬
sation auf tritt und zwar in erster Linie den Eiutiuss des Cha¬
rakters und der Menge des Exsudats.
Oleum cinereum gegen Syphilis.
Von Dr. Maul in Rosenheim.
In No. 27, 1901, der Münch, med. Wochensclir. warnt Herr
Dr. S t e r n - München in seinem Vortrag: „Ueber Injek¬
tionskuren bei Syphilis“ vor der Anwendung des ü 1.
cinereum auf Grund eigener schlimmer Erfahrungen.
Um die Misskreditlruug eines der am sichersten und ange¬
nehmsten wirkenden Mittel gegen Syphilis zu verhindern, fühle
ich mich veranlasst, meine Erfahrungen mit intraglutaealen
Injektionen von ü J. einer, denen des Herrn Kollegen Stern
eutgegenzustellen. Es handelt sich hier nicht um die Beweis¬
führung für die gute Wirkung dieser Injektionen, sondern um die
Feststellung, duss sich die von Herrn Stern beobachteten Uebel-
stäude sein- wohl vollkommen vermeiden lassen.
Ich nehme Bezug auf 2 Fälle, deren Behandlung ln die jüngste
Zeit fällt und die ich den beiden von Herrn Stern ungerührten
gegenüberstelle.
Von der Erwärmung der Emulsion habe ich bei allen Ein¬
spritzungen abgesehen, ohne durch irgend eine Störung auf die
NotliWendigkeit derselben aufmerksam gemacht worden zu sein;
das Präparat hatte Zimmerwürme.
Da mir noch recht gut die schrecklichen Klagen der Patien¬
ten nach K a 1 o m e 1 Injektionen in Erinnerung sind, war ich an¬
genehm überrascht, als mir nach Einspritzung von Ol. einer,
der Kranke versicherte, nach dem Nadelstich, der mit der scharfen
Kanüle keinen nennenswertheu Schmerz verursacht hatte, nichts
weiter mehr zu verspüren. Auch im weiteren Verlauf stellten sielt
keinerlei Beschwerden ein. So wenig war lokale Reaktion auf¬
getreten, dass ich nach 4 Tagen — in diesem Intervall wurden die
Injektionen durchschnittlich wiederholt — fast nie mehr genau
feststellen konnte, wo die vorausgegaugene Einspritzung gemacht
worden war. Dabei betone ich ausdrücklich, dass ich 14 Injek¬
tionen ln einem Bereich von höchstens 4 qcm gemacht habe, ohne
dass der Patient.Beschwerden beim Gehen, Liegen oder Sitzen
verspürt hätte.
Zweimal jedoch traten heftige Beschwerden auf, bestehend
lu Schmerzen, Rüthung und Infiltration; zur Eiterung kam es nicht.
Da ich bei der ersten dieser beiden, durch üble Folgen ausge¬
zeichneten Injektionen, bei der ich eine ganz frisch bereitete Emul¬
sion zum ersten Male verwendet hatte, eine neue Kanüle benützt
hatte, dachte ich an eine Infektion durch diese und sterilisirte
dieselbe. Nach der nächsten Einspritzung dieselben Klagen.
Nun erinnerte ich mich daran, dass ich die letzterwähnte
Emulsion nicht, wie dies bei der früheren geschehen war, sterili-
sirt hatte. Sofort nahm Ich die Sterilisirung der Emulsion vor.
und hatte die Genugthuuug, schon die nächste und ebenso alle
folgenden Injektionen wieder vollkommen reaktionslos verlaufen
zu sehen. Diese günstigen Verhältnisse beobachte ich auch bei
dem Falle, den ich gegenwärtig noch in Behandlung habe.
Entgegen der Warnung des Herrn Kollegen Stern möchte
ich vielmehr als Präparat für die Anwendung des Quecksilbers
mittels Injektion das Ol. einer, in erster Linie empfehlen, voraus¬
gesetzt sachgeinässo Asepsis und Verwendung der richtigen und
sterilisirten Komposition, wie sie Neisser angibt als Oleum
cinereum benzoatuni.
Ich lege die Misserfolge des Herrn Kollegen Stern vor
Allem der unzwoekmüssigen Komposition des Ol. einer, zur Last:
oh die Emulsion vor dem Gebrauche sterilisirt worden ist, gibt Herr
Stern nicht an.
Ich ratho dringend jedem Kollegen, der Versuche mit 01.
eine r. machen will, genau nach Neisse r’s Vorschrift das Prä¬
parat herstellcn zu lassen und dasselbe selbst noch zu sterilisiren;
nur dann werden unangenehme Zufälle sicher vermieden werden.
Werden nur Mengen von 10, höchstens 15 g verordnet, so ge¬
nügt nach meinen Erfahrungen eine einmalige, vor der ersten In¬
jektion vorgenommene Sterilisation vollkommen.
Bemerkungen zu „Zur Behandlung der Unterschenkel¬
geschwüre“ von Dr. Wal bäum.
Von Dr. O. Schulze in Cottbus.
Zu meiner grossen Freude habe ich aus W a 1 b a u m’s Be¬
richt gesehen, dass auch anderwärts mit der Kompberbehandlung
der Untersclienkelgeschwüre gute Erfolge erzielt werden. Nur
möchte ich, um Irrthiimer zu vermeiden, erklären, warum ich
nicht, wie Walbau m, den Kampherwein vornehmlich empfahl.
Gleich im Anfang meines Aufsatzes in No. 12 erklärte Ich.
dass ich hauptsächlich solche Fälle im Auge habe, die mau
ambulant behandeln muss. Selbstverständlich halte auch ich Bett¬
ruhe für das Beste. Leider kann mau diese sehr häutig nicht
durchsetzen, am ehesten noch bei Kasseukranken, fast nie bei
Landleuten und Mitgliedern der Armenkasse, wenigstens bei den
hiesigen Verhältnissen. Diese I^eute bringt man auch nicht dazu,
dass sie jeden 2. Tag zum Arzt gehen, sie kommen dann gar nicht.
Ich konnte darum den Kampherwein meist nicht auwendeu.
Selbst aber kann man den Patienten, wie W a 1 b a u tu schreibt,
die Anlegung des Verbandes nicht überlassen. Ich musste dies
aber meist, daher wohl die Klagen über Schmerzhaftigkeit des
Kampferweins.
In solchen Fällen, wie ich sie im Auge hatte, ist dann natür¬
lich diese Behandlung ungeeignet. Bei Bettruhe und der Möglich¬
keit, dass der Arzt selbst den Verband anlegt, halte auch ich den
Kampherw'ein für besser, besonders auch sauberer.
Meine von W a I b a u in abweichenden Ansichten erkläreu
sich also aus der verschiedenen Art unseres Krankenmaterials,
in der Sache selbst, denke ich, stimmen wir überein. Mich sollte
es freuen, wenn auch Andere diese Behandlung versuchten, die
eine oder andere, je nach Lage des Falles.
Die Hygiene im antiken, päpstlichen und modernen
Rom.
(Offener Brief an Herrn Geh. Med.-Rath Dr. Oscar Schwartz
in Köln.)
Sehr verehrter, hochgeschätzter Herr Geheimrath!
Mit grossem Interesse las ich Ihren Artikel in No. 25 dieser
Woeheuschr. über „Die gesundheitlichen Zustände
der europäischen Grossstädte in alter und
neuester Zeit“ und da Sie mir die Ehre erweisen, sich dabei
hauptsächlich mit meinem in No. 8 d. Wochenschr. erschienenen
römischen Brief, bezw. meinen daselbst geäusserten Ansichten ssu
beschäftigen, halte ich es für meine Pflicht, Ihnen hier möglichst
umgehend zu antworten. Allerdings muss ich mir das Recht Vor¬
behalten, event. später nochmals auf diese Frage zurückzukommen,
da ich erst nach meiner Rückkehr nach Italien Gelegenheit haben
werde, meine Behauptungen ziffernmässig zu erhärten. Also:
Audiatur et altera pars!
Die drei Hauptpunkte meines Briefes waren folgende: Im
antiken Rom herrschte das Princip: Salus popull supreina
lex esto, im päpstlichen Rom setzte man dagegen den Wahl¬
spruch: Alles für den Himmel, während man im modernen
Rom sich wieder zur alt-römischen Anschauung bekennt. Die
Wahrheit dieser drei Sätze muss sich Jedem aufdrängen, der
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30. Juli 1901.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1249
längere Zelt ln Rom lebt und die drei grossen Geschichtsabseimitto
der ewigen Stadt vom hygienischen Standpunkt aus betrachtet.
Mir schienen sie wenigstens, als Ich meinen Brief schrieb, so klar
und ln die Augen springend, dass Ich nur ganz kurze, oberfläch¬
liche Belege dafür angab.
So erwähnte Ich als Beweis dafür, dass Im alten Rom die
Hygiene sehr hoch stand, nur die Aqua marcla. d. h. die schöne
noch heute existirende, altrömische Wasserleitung und die gross¬
artigen Thermen, deren Ruinen noch jetzt den imposantesten Ein¬
druck machen.
Für die Vernachlässigung der Hygiene im päpstlichen Rom
schien mir am besten die allgemein und durch den Engel auf dem
Mauseoleum Hadrians und die zahlreichen Votivkirchen zum Aus¬
druck gebrachte Anschauung zu sprechen, dass Krankheiten und
Epidemien nicht als Folge menschlicher Nachlässigkeit und Igno¬
ranz zu betrachten seien, sondern als Strafe des Himmels, dass man
sich also dagegen in keiner Weise auflehnen dürfe, sondern nur
durch Gebet und Busse die erzürnte Gottheit versöhnen könne.
Als Beweis dafür, dass man im modernen Rom. natürlich
soweit als es die veränderten socialen Zustände erlauben, wieder
dem alten Princip: Salus populi suprema lex zu folgen sucht, ver¬
wies Ich auf die neuen, breiten Strassen. Plätze. Gärten etc. und
auf die Sterblichkeitsstatistik, die im Jahre 1872 41.8 Todesfälle,
im Jahre 1899 aber nur mehr 15.1 pro Tausend aufwies.
Ich glaube, dass dies Alles meine Behauptungen zur Genüge
l>egründe. aber nun ersehe ich aus Ihrem Aufsatz, dass Sie, sehr
geehrter Herr Kollege, anderer Meinung sind. Ich will also das
Versäumte uachholen und Ihnen und jenen Herren Kollegen, die
gleich Ihnen denken, bessere Beweise zu bringen suchen.
Willireud Ihres Aufenthaltes in Rom sind Sie gewiss durch die
Ruinen des Palatin und des Forum ronmnum und der Thermen
gewandert und diese Ruinen haben sicher auch zu Ihnen so deut¬
lich gesprochen, dass Sie Im Geiste die wunderbaren Hängegärten,
die gros8artigen Basiliken uud gewaltigen Thermen neuerstanden
vor sich sahen. Sie werden daun wohl auch in die Cloaca mnssima
hinabgestiegen sein und dort den Geist der alten Römer bewundert
halten, die ein Werk schufen, das noch heute als Wunder der
hygienischen Baukunst gilt. Beim Anblick der heutigen Oam-
pagnn romana haben Sie vielleicht auch mit Wehmuth der herr¬
lichen Villen und Gärten gedacht, welche dieselbe ehemals
schmückten. Um sich endlich eine genaue Vorstellung eines römi¬
schen Hauses zu verschaffen, sind Sie wahrscheinlich auch nach
Pompeji gefahren, wo die Asche des Vesuvs die Häuser der Alten
so gut für uns bewahrt hat. Ich will hier nur absclireiben. was ich
zufällig vor etlichen Tagen in einer deutschen Zeitschrift las: „Die
..weitaus grösste Wichtigkeit besitzt Pompeji, weil es uns die ge-
..naueste Kenntniss des römischen Privathauscs vermittelt. Das
..römische Haus war ein Iunenbau. Eine behagliche Wohnung
„hatte Jenseits der Eingangspforte ein rechtwinkelig gestaltetes
„sogen. Atrium, eine Art Hof mit einem nach innen geneigten, auf
„Balken oder Säulen ruhenden Dach, von dem das Regenwasser in
„ein ln der Mitte des Bodens angebrachtes Bassin herabflel. Zur
„Rechten und Unken des Atriums lagen Schlafzimmer und Wirtli-
„schaftsräume. Dem Eingang gegenüber erblickte man das
„Tablinum. ein gegen das Atrium ganz geöffneter viereckiger
„Raum. Durch denselben konnte man auf den zweiten Hof, das
„sogen. Peristyl sehen, von dem das Tablinum nur durch eine
„niedere Brüstung getrennt war. Dasselbe bildete die eigentliche
..Privatwohnung der Familie und bestand meist aus einem kleinen
„Garten oder einem von Blumenbeeten umrahmten Wasserbecken,
„das von einem Säulengang umschlossen war.“
Also in jedem Haus gab es Garten. Springbrunnen und Bad.
ganz abgesehen von den schon so oft erwähnten öffentlichen
Bädern. Dass es an Wasser nicht fehlte, beweisen wohl die zahl¬
reichen Leitungen, die ausser den noch heute ln Betrieb befind¬
lichen bestanden. Die Strassen waren gerade und im Verhältnis«
zu den niedrigen Häusern sehr breit, wie man am Forum und in
Pompeji sieht; auch der heutige Gorso, ehemals via lata stammt
Ja noch aus der Roma antica. Wenn man endlich noch bedenkt,
dass die leglslazlone romana so viele sanitäre Restimmungen auf¬
weist, dass sie zusammen genommen eine Art von Sanitätsgesetz
bilden, so kann man gewiss nicht behaupten, dass die Hygiene den
Alten unbekannt war oder erst während der letzten Jahrzehnte
entstanden ist. Es ist doch auch allgemein bekannt, dass
die Alten die Göttin Hygieia (und daher der Name Hygiene) auch
in zahlreichen Tempeln verehrten.
Kommen wir nun zum päpstlichen Rom. Die Geschichte lehrt
uns Immer wieder, dass ein neues politisches System nie auf dom
alten weiterbaut, sondern dass es verachtet, und zerstört, was die
Vorgänger geschaffen haben, oder deren Einrichtungen in sich
selbst zerfallen lässt. Im ausgedehntesten Maasse geschah dies
auch, als das Christenthum an Stelle des Heidenthums an die
Herrschaft kam. Es war natürlich, dass die Christen Alles ver¬
achten mussten, was von den Heiden kam; die Tempel Hess man,
wenn sie nicht, wie z. B. das Panteon. direkt ln christliche Kirchen
verwandelt -wurden, zerfallen und nahm das kostbare Material
dann zum Bau für Kirchen und Pnliiste: aus den Thermen wurden
die kunstvollen Wannen. Stühle u. dergl. genommen, um als Tauf¬
becken, als Schmuck der Kirchen uud der Paläste geistlicher
Würdenträger zu dienen, das Colosseum wurde Jahrhunderte lang
als Steingrube angesehen und lieferte das Material zur Faqade
der Peterskirche und zahlreichen anderen kirchlichen, wie welt¬
lichen Bauten, kurz — quod non fecerunt Barbari, Bar-
barin 1 (und andere Päpste!) fecerunt.
Das gleiche Schicksal hatten auch die hygienischen Ein¬
richtungen der Alten; als die Wasserleitungen, welche die Bäder
speisten, von den Feinden zerstört waren, dachte kein Papst
daran, sie wieder herzustellen, sondern man bemühte sich, wie ge¬
sagt, nach Kräften, die Bäder zu plündern und zu zerstören, das
Baden selbst war verpönt und es entstanden Mönchsorden, deren
Regeln nur e i n m a 1 pro Jahr ausnahmsweise ein Bad gestatteten,
aber beileibe nicht bei nacktem Körper! Und wer hat nicht von
jenem Heiligen gehört, der hauptsächlich desshalb in den Ruf
der Heiligkeit kam, weil er alle möglichen Schmarotzer mit grösster
Geduld auf seiner Ilaut ertrug, ohne sie zu verjagen? Gewiss eine
Art christlicher Selbstverleugnung, aber dieselbe konnte natürlich
nicht so weit, getrieben werden, dass ganz Rom ohne Wasser blieb
und desshalb mussten die Päpste, „der Noth gehorchend, nicht dem
eigenen Trieb“, die öfter zerstörten altrömischen Wasserleitungen
wenigstens theilwoise wieder herzustellen, wobei sie dann die alt»;
Acqua Traiana, Vergine etc. Jeweils nach sich selbst benannten,
doch ist meines Wissens die Acqua marcla immer Acqua rnarcia
geblieben.
Dass diese Herstellungen übrigens nothdiirftig und schlecht
genug ausgeführt wurden ist ebenfalls in Gregorovlus’ Ge¬
schichte der Stadt Rom im Mittelalter zu lesen.
Verdursten konnte man eben auch die Römer des Mittelalters nicht
lassen, denn wenn es sich um Lebensbedürfnisse handelte, konnten
sie bekanntlich selbst den Päpsten recht ungemüthlich werden. Die
Kanalisation aber Hess man gänzlich verfallen; Niemand dachte
daran, sie wieder herzustellen. Noch vor 30 Jahren war in Rom
die Strasse der Ort für Alles und dem Rogen blieb es überlassen,
den Unrath in den Fluss zu schwemmen. Noch heutzutage kann
man in dou Vierteln, die ich als „mustergiltig“ für das päpstliche
Rom genannt halte, TTeberreste dieser alten Unsitte antreffen.
Es gehl aber meines Erachtens nicht an. Rom mit anderen
Städten des Mittelalters zu vergleichen; jene entstanden Im Geiste
der Zeit und konnten nur diesem gerecht werden, aber in Rom
waren nicht nur die grossnrtigsten Vorbilder für hygienische Ein¬
richtungen vorhanden, sondern sie hätten auch sämnitliche (wie
die Wasserleitungen! mit etwas gutem Willen und geringen
Opfern weiter nutzbar gemacht werden können. Es war auch
nicht nüthig, mit Rücksicht auf die Befestigungsiuauorn die Häuser
aufeinander zu schachteln, denn innerhalb der alten Mauern war
leerer Raum genug; es war nicht nüthig. das berüchtigte Ghetto,
in dem die zahlreichen Juden kaum zu athmen vermochten, bis in
die neueste Zeit bestehen und der italienischen Regierung die Be¬
seitigung dieses Seuchenherdes zu überlassen, von dem Gregorovlus
in seinen „römischen Figuren“ ein sehr anschauliches, aber nicht
angenehmes Bild entwirft.
Was endlich meine Bemerkung über die römische Campagnu
betrifft, so weisen Sie. verehrter Herr Geheimrath, dieselbe zurück,
indem Sie drei Päpste nennen, die etwas für die Nutzbarmachung
derselben thaten. Aber scheint es Ihnen nicht auch, als ob unter
den etlichen hunderten von Päpsten diese drei eigentlich nichts
sind, als die Ausnahmen, welche die Regel bestätigen? Und selbst
diese drei, mit welchen Mitteln und mit welcher Ausdauer ver¬
folgten sie ihr Ziel?
Gewiss verlange ich nicht, dass die Päpste die Geldsummen,
die von aller Welt nach Rom kamen „f iir Chinin u n d Mos¬
kitonetze“ ausgeben sollten, wenigstens nicht bevor diese
beiden Mittel existlrten, aber da diese „für Kirchen und
Missionen gespendeten Gelder“ doch so oft und oft
ganz anderen Zwecken dienten, hätte man meines Erachtens ebenso
gut. etwas davon zur Nutzbarmachung der Campagna verwenden
können. Aber ich las. wie gesagt, in einem historischen Werke - -
und noch heute findet mau im Volk diese Meinung verbreitet —.
dass die Päpste die Campagna absichtlich unkultivirt Hessen, damit
die Pilger, nachdem sie erst das unwirthllche T-and durchzogen
hatten, die inmitten desselben Hegende herrliche Stadt umso mehr
bewunderten.
Sie meinen nun, durch meine Behauptung, dass die Päpste
Alles thaten. um die Stadt zu schmücken, widerspräche ich selbst
meiner Schilderung von den luft- und lichtlosen Strassen etc.
Mit niehten. Man wahrte einfach den Schein. Auch dieses Princip
ist den Römern in Fleisch und Blut übergegangen und ich muss
oft genug Leute, echte Römer, untersuchen, die mit Gold und
Geschmeide behängt sind und dabei am Körper vor Schmutz
starren. Dasselbe war beim päpstlichen Rom der Fall. Ich habe
bis jetzt keine Stadt gesehen, die so zahlreiche und grossartige
Mouumentalbrunuen, Denkmäler und prächtige Kirchen besitzt,
wie Rom, aber dieser Schmuck hat doch nichts mit Hygiene zu
schaffen!
In Bezug auf die Schulen vermag Ich momentan nicht mit
Zahlen zu dienen: ich will gern die von Ihnen angegebenen Ziffern
anerkennen, aber Sie werden auch zugeben müssen, dass solch«*
Einrichtungen sich nur nach ihren Erfolgen beurtheilen lassen
und in dieser Beziehung Hegen die Dinge sehr ungünstig, wenn
man bedenkt, dass 1870 meines Wissens noch mehr als die Hälfte
der römischen Bevölkerung Analphabeten waren.
Heber meine statistischen Angaben bezüglich der Mortalität
in Rom sagen Sie „dazu gehören m ehrcre Jahre hin¬
durch wiederholte TIntersuchunge n“. Gewiss. H«*rr
Geheimrath, „einzelne Jahrgänge können hier nicht
maassgebend sein“, aber eine durch 28 Jahre fortgesetzte
Statistik erlaubt uns doch wohl, einen Schluss zu ziehen. Die
Tabellen des „Bolletino demografico" weisen im Jahre 1872 ein«-*
Sterblichkeit von 41.S Brom, auf und diese Ziffer sank im Laufe
4 *
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1250
MUKNCIIENF.lt ME DIC IN ISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31
dieser 28 Jahre a 11 in 5i h 1 i e h auf 1.1,1 Prom.. obwohl gleichzeitig
die Bevölkcrungsznlil von 277 0.82 (1872) auf .112 423 (1899) stieg.
Es sind also nicht ..einzelne Jahrgänge“. die loh lieniusgivifo,
sondern eine dauernde, r e g e 1 m ä s s i g e Verminde¬
rn n er der Mortalität während 28 Jahren. Die Epidemiologie leint
uns aber, dass solche Thatsachen nicht dem Zufall zu danken sind,
sondern dem Willen und den Leistungen des Menschen.
Sie weisen auch auf die häufigen Kriege und deren Folgen
als erste Ursache der schlechten hygienischen Zustände im Mittel-
alter hin und gewiss war Rom. wie überhaupt Italien, wie kein
anderes Land bis in die jüngste Zeit von diesen Plagen helm-
gesucht. Aber abgesehen davon, dass die Schönheit, des Landes
alle Völker anlockte. so dass die Dichter darüber klagten, dass
Hallen so von der Natur bevorzugt sei (Italia. Italia! o tu oui
fco la sorte — Dono infeliee di bellezza —singt Fi 11 c a i a). war
es doch eben wieder in erster Linie das Papstthum und seine
Folgen, welches die meisten dieser Kriege hervorrief, so dass cs.
selbst Ihrer Meinung nach, auch Indirekter Weise die Ursache der
schlechten Zustände war.
Und desshalb drängte sieh mir beim Lesen Ihres Artikels der
Gedanke auf. dass Sie im Grunde dieselbe Meinung vertreten, wie
Ich. und dass wir schliesslich alle Hehle, obwohl verschiedenen
Wegen folgend, zu demselben Ziel und Schluss gelangen.
lieber den dritten Tunkt meines Briefes, das moderne Rom.
will ich heute nicht mehr sprechen, denn ich habe die Geduld d *r
geschätzten Leser und den Raum der Zeitung schon über Gebühr
in Anspruch genommen: gestatten Sie nur noch eine Bemerkung
und eine Einladung. Meine Ansicht ist. dass keine andere Sbidt.
die sich modernisiren will, solch gewaltige Schwierigkeiten zu üb um¬
winden hat. als Rom. denn nicht nur di«* Archäologen aber Länder,
sondern auch eine Anzahl anderer Leute kiimnfen gegen jede Ver¬
änderung in Rom. So sagte mir z. B. kürzlich eine Engländerin
(und ich sah sie genau daraufhin an. oh sie nicht etwa scherze!),
dass Rom eine alte Stadt bleiben sollte, summ* dem Schmutz, den
engen Strassen, den Analphabeten etc., sonst habe es keinen It-dz
mehr. Auch die Klerikalen, die zahlreich im Gemeinderath ver¬
treten sind, bekämpfen aus leicht erklärlichen Gründen alles Neu«',
das entstellen soll oder entstehen könnte.
Alier wenn Sie. sehr verehrter Herr G«>lioiinrath. meiner herz¬
lichen Einladung Folge leisten und mich nächsten Winter in Rom
aufsuchen wollen, dann will Ich mich bemühen. Ihnen zu zeigen,
dass in den 30 Jahren des neuen Regiments die ewige Stadt trotz
Allem und Allem in hygienischer Beziehung riesige Fortschritte
gemacht hat. Dr. Giov. G a 11 i.
Referate und Bücheranzeigen.
Max Schüller: Die Parasiten im Krebs und Sarkom des
Menschen. Mit 3 Tafeln und 64 Abbildungen im Text. Jena,
Verlag von Gust. Fischer, 1901.
Fast alle bisher über die parasitäre Theorie des Krebses bezw.
des Sarkoms Angestellten Forschungen beschränkten sich auf den
mikroskopischen Nachweis vermeintlicher Parasiten im Ge¬
schwulst gewebe. Nur in relativ wenigen Arbeiten, wie z. B. in
denen von Nils Sj übring und Leopold ist auch die Redo
von einer Züchtung der fraglichen Krebserreger und einer experi¬
mentellen Ucbertragung der betreffenden Kulturen auf Thicre.
Keine dieser experimentellen Untersuchungen hatte jedoch bis
jetzt zu einem sicheren positiven Resultat geführt, indem ent¬
weder die dabei erzielten Resultate vou anderer Seite keine Be¬
stätigung finden konnten, oder aber, wie bei den Versuchen Leo -
p o 1 d’s, überhaupt gar keine richtigen Gewächse, sondern nur
entzündliche Granulationsgeschwülste erzeugt worden waren.
Schüller will nun durch ein besonderes Kulturverfällen
die wirklichen Erreger des Krebses und des Sarkoms gefunden
haben. Das höchst einfache Verfahren besteht darin, dass lebend-
warm und aseptisch entnommene GeschwuLststückchen in ein
wohlverschlossenes Reagensglas verbracht und dann iu den
Thermostaten gestellt werden. Nach einiger Zeit beobachtete
Schüller dann die Entwicklung eigentümlicher Mikro¬
organismen von gelblicher Färbung und ausgesprochener Kapscl-
bildung. Die gleichen Gebilde sah Verfasser auch in Schnitten
von vom Menschen stammenden Carcinomen und Sarkomen. In-
jizirte er die ,.Kulturen“ Kaninchen, so entwickelten sich nach
seiner Angabe bei den Versuchstieren typische krebsige Wuche¬
rungen in epithelialen Organen, wie z. B. in den Nieren, krebsige
Infiltration von Lymphdrüsen u. s. w., in manchen Fällen unter
gleichzeitiger Entwicklung von Sarkomgewebe.
Liest man die Beschreibungen Schüller’s von den ex¬
perimentell erzeugten Geschwülsten, so stimmen manche derselben
so genau mit dem histologischen Verhalten eines wirklichen
Krebses überein, dass unbedingt der Glaube erweckt werden kann,
S c h ü 11 e r sei es tatsächlich gelungen, durch seine „Parasiten“
Krebs experimentell zu erzeugen, und man wird in diesem
Glauben noch bestärkt, wenn man namentlich die Figuren 44,
45 und 54 seiner Arbeit betrachtet.
Ich bat daher Herrn Prof. Schüller, mir seine Original-
Präparate, welche seinem Werke zu Grunde gelegt sind, zur Be¬
sichtigung zu überlassen, damit ich mich durch eigene Anschau¬
ung von den geschilderten Befunden überzeugen könnte. Herr
Prof. Schüller hat meiner Bitte sofort in liebenswürdigster
und dankenswertester Weise entsprochen.
Zu meinem Bedauern muss ich aber hier mittheilen, dass in
den S c h ü 11 e loschen Präparaten n i c li t s, g u r n i c h t s c n t-
halten ist, was auch nur entfernt an ein Carci-
n o in oder Sarkom erinnerte; nichts als entzündliche
Neubildung, kleinzellige Infiltration mit Plasmazellen u. s. w.
Die von Schüller abgebildeteu lloruporleu vermocht© ich
nicht zu entdecken, ebensowenig irgend Jemand, dem ich die
Präparate vorlegte. Die vermeintlichen Parasiten
waren stets auf die Präparate aufgestreut,
niemals im Gewebe und erweckten sofort den Verdacht
auf Verunreinigungen, bestehend aus pflanzlichen Zellen. Pro¬
fessor Soleroder erklärte die radiär gestreiften Kapseln für
sog. Steinzellen, welche vollkommen die gleiche Struktur und
die gleichen Polarisationserscheinungen der Kapselmembran oi-
kennen lassen. Bei weiteren Untersuchungen fand ich, dass die
radiär gestreiften Schüller’schenParasitcnkapselu
von mit sog. T ü p f e 1 k n n ä 1 o n verseil e u cn Stein-
zellen, wie sie aus den dunkel gefärbten
Lücken eines jeden Flaschenkorkes leicht
herauszuschaben sind, sieh durch absolut
nichts unterscheiden, so dass cs gar keinem
Zweifel unterliegen kann, dass es sieh ledig¬
lich um s o 1 c h o h a n d e 11. Au c h die übrigen von
Schüller beschriebenen Parasiten formen sind
grössten thoils mit Korkzellen identisch.
Interessant ist cs, «lass mein Assistent Dr. F ii r n r o h r in
einem mikroskopischen Präparat, welches vor einigen Wochen aus
dem llarnscdiment eines Blascnkrebskranken nugefertigt worden
war, nachträglich ebenfalls die S c h ü 11 c Fachen „Parasiton-
kapseln“ fand: Das Sediment war in einem mit Kork ver¬
schlossenen Glas dem pathologischen Institut zugeschickt
worden. —
Schüller seihst hat übrigens auf die grosse Aehnlichkeit
der von ihm für Parasiten gehaltenen Gebilde mit Korkzellcn
hingewiesen. Wenn er sie gleichwohl für wirkliche Parasiten
hielt, so begründet er diese Auffassung unter Anderem damit,
dass er keine Cellulosereaktion an den Gebilden beobachten
konnte und dieselben „den ersten zoologischen und botanischen
Autoritäten“ der Berliner Universität unbekannt gewesen sein
sollen. Was das Fehlen der Cellulosercaktion betrifft, so ist aber
zu bemerken, dass ausgebildete Stein- und Korkzellen überhaupt
nicht die Cellulosercaktion geben. Das Fehlen dieser Reaktion
schliesst daher in keiner Weise aus, dass die S c h ü 11 e Fsehen
vermeintlichen Parasiten thatsächlieh Korkzellen sind, von wel¬
chen sie mikroskopisch absolut nicht untcrsehie«len werden
können. Hauser.
N. Melnikow-Baswedenkow, Privatdocent der
Universität Moskau: Studien über den Echinococcus alveolaris
sive multilocularis. Histologische Untersuchungen. Mit 6 Tafeln
und 94 Fig. Jena, Fischer, 1901. 295 pp., gr. 8° (14 M.).
Diese als 4. Suppl.-Heft der Z i e g 1 e r’sehen Beiträge er¬
schienene Arbeit verdient neben den wichtigen Schriften
H. Vierordt’s (1886) und A. P o s s e 1 t’s (1900) alle Be¬
achtung. Der Autor hat eine grosse. Anzahl von Präparaten mit
grösster Sorgfalt histologisch durchforscht und bietet uns hier die
in mancher Hinsicht überraschenden Resultate.
Nachdem die Kasuistik (p. 10—160) abgehandelt ist, wobei
die feinsten mikroskopischen Einzelheiten berücksichtigt werden,
folgt die Parasitologie des Alveolarechinococcus beim Menschen
(p. 161—181), die allgem. Pathologie (p. 182—196), die spec.
pathol. Anatomie (p. 197—216), Statistik und Geographie (p. 217
bis 230). Zu deu 215 Fällen, welche Pos seit, angeführt hat,
bringt unser Autor noch 20, so dass zur Zeit die Summe 235
beträgt, wovon gegen 25 Proc. aus Russland. Eine kritische Uebcr-
sicht über die Literatur (p. 231—239), die Semiotik, Aetiologie
und Therapie (p. 240—257), das Vorkommen bei Thieren (p. 258
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30. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISC1IE WOCHENSCHRIFT.
1251
bis 273), ein Schema der anatomischen und experimentellen Unter¬
suchung, ein Literaturverzeiehniss schliesscn das Werk.
Die Hauptergebnisse gipfeln darin, dass der aus dem Darm
in die Leber gelangte Embryo sich zu einem vielkammerigen
( Iiilinknäiiel entwickelt, der einer reifen Proglottis entspricht.
Der A1 veolarechinocoecus pruducirt ovoide Embryonen und Seo-
lices (besser Scolcees), während die Hydatidenblase des einkamme-
rigeu E. nur Scoleees bringt. Den Ausdruck „Embryonen“ wird
man beanstanden, da es sich bei dem E. alveolaris doch nur um
ungeschlechtliche Fortpflanzung handelt.
Verfasser vergleicht die Vermehrung seines Echinococcus mit
derjenigen der Trematoden, bei denen sich allerdings in den
Miracidien junge Thiere erzeugen. Immerhin wird es auch hier
heissen: Omne simile claudicat.
Zur Erklärung der reizenden und nekrotisirenden Wirkung
(centrale Uleeration) wird ein Toxin angerufen, was sein Ana¬
logon in den reizenden Stoffen anderer Helminthen findet. Auch
die Geschwulstbildung bei dem Alveoliir-E. lässt sich mit der
kürzlich von Aakanazy- Königsberg bei Distoma felineum in
der Leber gefundenen Neoplasie vergleichen.
Von grossem Interesse ist die leider nur kurze Erwähnung
(p. 220) eines primären Alveolar-Echinococcus der Milz bei einer
Kranken des Obuchow'sehcn Spitales zu Petersburg.
Reziiglich des Zwischenwirthes spricht sich Verf. nicht be¬
stimmt aus. Die Verschiedenheit von Taenia Echinococcus von
Siebold wird scharf betont. Einstweilen werden wir aber an
der Möglichkeit fcsthalten, dass vielleicht die beiden Eehinococcu->
formen Varietäten einer Art sind. Wollen wir aber zwei ver¬
schiedene Speeies vermuthen, so müssten wir uns erinnern, dass
bei E. alveolaris nicht gerade in Canis familiaris die zugehörige
Taenie zu suchen wäre. Bekanntlich sind aber die bisherigen
Fütterungen mit E. alveolaris nur am Ilund gemacht worden.
Pebrigens fällt cs auf, dass ausgezeichnete Forscher, wie
(1. Hauser (Primärer Echinococcus der Pleura und der Lunge
mit Entwicklung multipler Metastasen, namentlich im Gehirn.
Erlangen und Leipzig 1901) und A. Possei t. (in Zeitschrift für
Heilkunde, XXI, 1901) die Embryonen unseres Autors nicht ge¬
funden haben. Hoffen wir auf baldige Bestätigung seiner höchst
inteiessanten Angaben. J. Ch. Huber- Memmingen.
Schmidt-Rimpler : Augenheilkunde und Oph¬
thalmoskopie. Leipzig 1901, S. Hirzel.
Dieses nunmehr schon in 7. Auflage erschienene sehr be¬
liebte Handbuch hat wieder eine Verbesserung und Mehrung er¬
fahren und zwar besonders dadurch, dass die Verletzungen des
Augapfels und eine sehr praktische Anleitung zur Beurtheilung
der Herabsetzung der Erwerbsfähigkeit bei Betriebsunfällen in
einem Schlusskapitel angefügt wurden.
Wenn auch Verf., ausgehend von der in den Vordergrund
gestellten Augenspiegeluntersuchung eine von anderen Lehr¬
büchern etwas abweichend«) Eintheilung getroffen hat, und da¬
durch manches Zusammengehörige', wie z. B. Chorioiditis ex¬
sudativa und eiterige Chorioiditis, getrennt behandelt wurde, so
macht doch die klart* übersichtliche Darstellung des erfahrenen
l>*hrers und Arztes das Werk ebenso für Studirende als prak¬
tische Aerzte zum Nnchsehlagen und zur Selbstbelehrung sehr
geeignet. Es möge in dieser Hinsicht das zusammenfassende
Kapitel über die Actiologie und Behandlung der Amblyopien und
Amaurose, sowie die Abhandlung über die Erkrankungen der
Augenmuskeln hervorgehoben werden. Mustergiltig ist über¬
haupt die Besprechung der Behandlung der Augenkrankheiten,
welche neben werthvoller Anleitung zum entschiedenen thera¬
peutischen und operativen Eingreifen doch auch eine weise Be¬
schränkung anempfiehlt, wobei insbesondere auf die Operationen
an der Iris hingewiesen werden soll.
Die Anleitung zur Augenspiegeluntersuchung ermöglicht cs,
die I'ebung mit dem Ophthalmoskope zu vervollkommnen und
find die beigegebenen zwei Farbendrucktafeln mit Bildern des
normalen Augenhintergrundes und der wichtigsten pathologischen
^ eränderungen desselben wenigstens zur allgemeinen Orientirung
ganz geeignet.
Speziellen Werth hat das Lehrbuch für Militärärzte, da bei
den in Betracht kommenden Anomalien stets die einschlägigen
Bestimmungen der Heerordnung über die Diensttaugliclikeit in
Fugsnoten angeführt sind. S o g g e 1.
Xo 31.
E1 s c h n i g: Stereoskopisch-photographischer Atlas der
pathologischen Anatomie des Anges. Wien und Leipzig 1901,
Wilhelm B r a u m ii 11 e r. 1. Lieferung. Preis 4 M.
Auf 16 Tafeln finden sieh 19 Bulbi, theils in ihrer äusseren
Form — deren je 3 neben einander zum Vergleiche eines emme-
tropisehen und hochgradig myopischen Auges — theils auf
Durchschnitten so vorzüglich dargestellt, dass dadurch die Be¬
trachtung der Präparate seihst fast völlig ersetzt ist und eignen
sieh somit die Abbildungen, welche mit jedem Stereoskope zur
plastischen Anschauung gebracht werden können, sowohl zum
Enterrieht als zur Seihstbelehruug.
Der Atlas soll in 4 Lieferungen ä 16 Tafeln erscheinen
und bietet die reiche Priiparntensammlung der I. Wiener Augen¬
klinik von Prof. Schnabel die Gewähr, dass die folgenden
Lieferungen gleich hohes Interesse bieten werden.
S e g g c 1.
Prof. M. Kaposi: Atlas der Hautkrankheiten. 376 Chromo-
tafeln. Wien und Leipzig. Willi. Braumüller. Preis broch.
68 M.
In keinem andern Zweig der Medicin sind bildliche, und
zwar farbige, Darstellungen für das Studium so unentbehrlich, wie
in der Dermatologie, weil für die Anschaulielunaehung der feinen
Unterschiede, auf die es hier oft ankommt, das geschriebene
Wort nicht ausreicht. Daher gibt es auch auf keinem Gebiete
so zahlreiche Bilderwerke, von den plastischen Nachbildungen,
Moulagen etc. ganz abgesehen. Der jetzt fertig vorliegende Atlas
des Wiener Dermatologen kann den Anspruch erheben, mindestens
das umfassendste Werk seiner Art zu sein. Es kann sieh zwar,
was die künstlerische Vollendung der Tafeln betrifft, mit
manchem anderen älterer und neuerer Zeit, vor Allem mit.
II e b r a’s berühmten Werk und mit dem kleineren Atlas von
Mraeek nicht messen, es übertrifft al>er durch die grosso Zahl
seiner Tafeln alle weit an Vollständigkeit. Das reiche Material
der Jv a p o s Eschen Klinik, bezw. ihrer noch von Hebra an¬
gelegten reichen Lehrmittelsammlung, «las die Vorlagen für den
Atlas lieferte, hat es ermöglicht, nicht nur alle Krankheiten,
auch die sei teilen, darzustellen, sondern auch die verschiedenen
Modifikationen, in denen einzelne Affektionen nach Lokalisation,
Ausbreitung, Entwicklung«- und Küekbildungsphascn sieh zeigen
können, in verschiedenen, oft zahlreichen Bildern zur Anschau¬
ung zu bringen. So finden sieh z. B. von Akne 16, von Ekzem 13,
von Erythem 13, von Herpes zoster 11, von Liehen ruber 14,
von Lupus vulgaris 13, von Lupus erythematosus 10, von Lupus
der Schleimhaut 14 Tafeln. Da die Tafeln überdies, wenn auch,
wie erwähnt, ihre künstlerische Ausführung zu wünschen übrig
lässt, das Charakteristische jedes einzelnen Falles prägnant her¬
vorheben und dem Beschauer sofort ein richtiges Bild der dar¬
gestellten Affektion gehen, so kann der Atlas als eine sehr werth¬
volle Bereicherung der dermatologischen Unterrichtsmittel be¬
zeichnet werden.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1901. 70. Bd.
3. u. 4. Heft.
11) P. F. Sch w e n n - Kiel: Ein Beitrag zur Pathogenese
der Pnralysis agitans. (Alis dem stiWlt. Kmnkenhause zu Kiel.)
Trotz dos typischen Krnnkheitsbihles ist die anatomische
Grundlage der Paralysis agitans noch recht wenig bekannt. Scli.
berichtet über einen Fall, den er r» .1 all re beobachten konnte, wobei
sieli weder im Gehirn noch Rückenmark irgend welche patho¬
logische Veränderungen fanden. Dagegen fanden sich in
y 4 Stunde post mortem ausgeschnittenen Muskelstückehen ..die
länglichen Bindegewebskerne in den lnterstitien der einzelnen
Muskelfasern deutlich vermehrt, während die Muskelfasern selbst
unverändert waren“. Auf Grund dieses Befundes, der übrigens
auch von anderer Seite wiederholt erhoben wurde, glaubt Verfasser
an eine imiseulüro Pathogenese der Pnralysis ngit., ganz besonders
führt er die zunehmende Rigidität der Museulntur, sowie die Pro¬
pulsion un,d Repulsion darauf zurück.
12) K. Hirsch: Vergleichende Blutdruckmessungen mit
dem Sphygmomanometer von Basch und dem Tonometer von
Gärtner. (Ans der medlcinlschen Klinik des Herrn Gehehnrnth
v. Z 1 e m s s e n in München.)
Dem für den täglichen Gebrauch am Krankenbett an erster
Stelle stehenden Basch’sclien Blutdruekmesser wurde vorüber¬
gehend dieser Platz strittig gemacht durch den G.'sehen Tono¬
meter, dessen Hauptvorzug darin bestehen sollte, dass zur Beur-
theiluug der Höhe dos Blutdrucks bei demselben der feinste
menschliche Sinn, der Gesichtssinn, thätig sein müsse, bei dem
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1252
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
B.’scben Instrument aber (1er grobe, individuell sehr verschiedene
Tastsinn. Zur Entscheidung dieser Frage stellte Iv. vergleichende
Untersuchungen an, die durchaus zu Gunsten des B.'sehen Instru¬
mentes ausfielen. Die Messungen mit Basch wurden in der be¬
kannten Welse an der Art. temp., dicht oberhalb des Jochbogens
an der Linea sendclrcularls gemacht, die gefundenen Werthe nur
zu Vergleichen an derselben Person benützt; die Messung erfolgte
stets an der gleichen Stelle. Die gefundenen Werthe sind natür¬
lich höher, als der Wirklichkeit entspricht — Blutdruck -f- die durch
Haut. Weichthelle und Gefiisswand bedingten Widerstände.
Mit dem G.'sehen Tonometer wird der Blutdruck an der Art.
digitalis gemessen; der Finger wird durch einen pneumatischen
Bing bis zur Anacmie comprimirt. dann lässt man mit dem Druck
nach, bis sich die Fingerbeere plötzlich wieder rät hot. und der in
diesem Augenblicke vorhandene Druck wird abgelesen. Ab¬
gesehen von der verschiedenen Dicke der Finger verschiedener
Individuen, die natürlich bei gleich weit e in p u e u m a -
tischen Ring verschiedene Resultate ergeben müssen, wechselt
das Ergehn iss schon nicht unerheblich, je nachdem man ver¬
schiedene Finger der gleichen Person wählt, ob rechte oder linke
llaud, insbesondere treten solche lokale Blutdruckschwankungen
auf in Folge lokaler Reize, z. lt. wenn man die Hände in kaltes
oder warmes Wasser hält. Von den gefundenen Werthen sind
ebenso wie bei Basch die Weichtheilwiderstiinde abzuziehen.
Um mit dem Tonometer brauchbare Werthe zu erhalten,
müssen alle diese Kautelen berücksichtigt werden. Dadurch wird
er für den täglichen Gebrauch zu umständlich und zeitraubend,
so dass gerade hiefiir Basch unbedingt den Verzug verdient.
13) M. Burckhardt - Davos-Dorf: Untersuchungen über
Blutdruck und Puls bei Tuberkulösen in Davos. (Mit 20 Kurven.)
Der Blutdruck wurde mit dem G.'sehen Tonometer bestimmt,
wobei stets die Mittelwerthe von 4—G Ablesungen notirt wurden,
und zwar unter verschiedenen äusseren Bedingungen (Ruhe, Arbeit,
nach den Mahlzeiten, verschiedenen Tageszeiten), die Kranken
selbst nach dem T u rban’schen Beispiele in 3 Gruppen eingetheilt.
die Pulszahl wurde stets während der Liegekur bestimmt. Es
ergab sich mit dem Fortschreiten der Lungenphthise ein Sinken
des Blutdruckes und ein Steigen der Pulsfrequenz in Folge allge¬
meiner Entkräftung, besonders im III. Stadium, wohl weniger in
Folge einer Vagnsstörung. als vielmehr durch nervöse Störung
toxischen Ursprungs, bedingt durch das tuberkulöse Virus.
14) F. F r a n k e - Braunschweig: Ueber ein typisches In¬
fluenzasymptom, die Influenzaangina und über die Influenza¬
zunge und Influenzamilz. (Mit 2 Abbildungen im Text und
Tafel IX.)
Nach F. ist die Influenzaangina ein typisches, ziemlich regel¬
mässig auftretendes und daher diagnostisch wichtiges Zeichen.
Er versteht darunter eine eigenthümliche, streifenförmige Rötliung
nur des vorderen Gaumeubogens mit oft schweren subjektiven
Erscheinungen, die in vielen Fällen wochen- und monatelang nach
dein Ueberstehen der Influenza erhalten bleibt, und bei jedem
neuen Anfalle fast ohne Ausnahme wieder deutlich wird, ein
Locus minimae resistentiae. Der Streifen soll zwischen 1—7 mm
breit sein; nach dem Zäpfchen zu. das von der Röthe stets ver¬
schont bleibt, ist er etwas breiter, die Rötliung selbst Ist meist
sehr lebhaft, manchmal ganz auffällig dunkelblaurotli. Der an¬
grenzende Zungentlieil. der äussere Gaumentheil bleiben frei, meist
auch die Mandeln. Subjektive Symptome können fehlen, sind in
anderen Fällen sehr heftig, besonders ein „Sehnürgefilhl“, das
selbst zu Angstzustiinden führt. Fast ebenso häufig ist die Schwel¬
lung der vorderen Zungenpapillen = Influenzazunge, die meist nicht
in den ersten Tagen auftritt und dosshalb häufig übersehen wird.
Nicht selten, besonders in chronischen Fällen, findet sich ein Milz¬
tumor (Influenzamilz), was prognostisch wichtig ist, da in solchen
Fällen Recidive häufig und die Genesung eine langsame ist.
Neben der Behandlung mit Antinervinis und tonisirenden Mitteln
Ist die Vermeidung von Abkühlung am wichtigsten, selbst Um¬
betten und Waschen soll Anfälle unter Umständen horvorrufen.
Verfasser ist geneigt, bei verschiedenen Krankheitsbildern, bei
denen man Mangels einer Aetiologie an Lues oder Tuberkulose
denkt, eher einen Zusammenhang mit Influenza anzunehmen,
ausserdem auch bei manchen Neurasthenikern, chronischen Darm¬
katarrhen. chronischem Rheumatismus. Den eingestreuten
Krankengeschichten kann überzeugende Beweiskraft nicht zu¬
gesprochen werden. Die Pseudoappendicltis nervosa, die Pseudo¬
peritonitis, deren Abhängigkeit von Influenza hauptsächlich auf
Grund der Angina und Zungenpapillen F. annahiu, sind kaum all¬
gemein anerkannte Krankheitsbilder. Auch die Annahme, dass es
sich ln vielen Fällen von Heilung der Arteriosklerose durch Jod-
knlium um eine Pseudoarteriosklerose auf Iuflueuzagrundlage
handelt, wird weuig Anklang finden.
15) Z n n d y: Beiträge zur Lehre von der Lipaemie und vom
Coma diabeticum nebst Angabe einer einfachen Methode zur
Feststellung abnorm hohen Fettgehaltes im Blut. (Aus der
kgl. medic. Universitätsklinik zu Göttingen.) (Mit 1 Abbildung
auf Tafel IX.)
Unter den Stoffwechselanomalien hat die Lipaemie (Fettblut)
noch wenig Beachtung gefunden, so (lass zur Zeit eine zahlen-
mässige Grenze, bei der der physiologische Fettgehalt des Blutes
zur Lipaemie wird, nicht angegeben werden kann. Desshalb nimmt
Z. Lipaemie nur dann an. „wenn das Blut gewisse, mit dem Auge
wahrnehmbare Veränderungen zeigt, die nur auf Fett zu beziehen
sind“. Sie kann entstehen durch andauernde Steigerung der Fett¬
zufuhr. durch Nichtverbrennung des in normaler Menge ein¬
genommenen Fettes, z. B. in Folge Herabsetzung des Stoffwechsels
nach Intoxicationen, durch gesteigerten Zerfall von Körperfett,
durch abnorme fettige Degeneration von Körperzellen. Diese
4 Möglichkeiten kommen für den Diabetes in Betracht, sie wirken
wahrscheinlich zur Erzeugung der Lipaemie zusammen, ln
2 schweren Fällen von Diabetes sah Z. bei Entuahme einer Blut¬
probe aus dem Finger einzelne punktförmige, weisse Stellen, be¬
sonders schön bei der Untersuchung im hängenden Tropfen, wo
sich zwischen Deckglas und Blut die Fettschicht angesammelt
hatte. Die mikroskopische Untersuchung ist, um Täuschungen
zu entgehen, nöthig; wenn es sich um Fett handelt, sieht mau stets
eine staubige Beschaffenheit des Blutwassors ln Folge
der minimalen, massenhaften, diffus verthellteu, eigenthümlich
glänzenden Fettpartikelchen. Die eingehende chemische Unter¬
suchung des einen Diabetikers, der im Koma starb, hatte
P. Fraenkel von der gleichen Klinik ausgeführt; das Blut des¬
selben enthielt G.43 Proc. Fett.
IG) W. Lange: Ueber eine eigenthümliche Erkrankung
der kleinen Bronchien und Bronchiolen (Bronchitis et Bronchio¬
litis obliterans). (Aus dem pathologischen Institut des Stadt-
krankenhauses Dresden-Friedrichsstadt.)
Im Anschluss an Pneumonie kann sich, wenn eine Resolution
des fibrösen Exsudates ausbleibt, eine mehr oder weniger voll¬
ständige Obliteration der Alveolen ausbilden in Folge Organisation
des Fibrins. Als Mutterboden des organisirenden Bindegewebes
betrachten die Einen die Alveolarwand, Andere glauben an eine
vorwiegende Betheiligung der Bronchiolen, von denen aus das
Bindegewebe in die Alveolen einwächst. L. bespricht nun aus¬
führlich den anatomischen Befund von 2 Fällen, in denen klinische
Beobachtung und makroskopische Betrachtung einer akuten Miliar¬
tuberkulose entsprachen, während die mikroskopische Unter¬
suchung eine chronische Entzündung der Endausbreitung fast des
ganzen Bronchialbaumes ergab, ohne dass sich weder klinisch, noch
anatomisch eine Pneumonie nacliweisen liess. Durch Organisation
des zeilig-fibrinösen Exsudates von der epithelentblüssten Bron¬
chialwand aus war eine Verengerung bezw. ein völliger Verschluss
der Lumina entstanden, so dass bei der ausgebreiteten Erkrankung
durch Behinderung der Respiration (1er Tod eintrat.
17) E. Deetz: Ueber Darmgries. (Aus dem pathologischen
Institut dos Stadtkrankenhauses Dresden-Friedriclisstadt.)
I). bereichert die sehr spärliche Kasuistik über die Bildung
von sandartigen Konkrementen im Darm um einen neuen Fall.
Es handelte sich um einen 50 jährigen Manu von gesunder, kräf¬
tiger Konstitution, der unter den Erscheinungen von Nierenkolik
erkrankte, ohne dass sich ein diesbezüglicher Befund ergab. Da¬
gegen wurden zur Zeit der Anfälle mit dem Stuhle saudartige
Massen entleert, deren anorganischer Rückstand aus phosphor¬
saurem und oxnlsaurem Kalk bestand. Die Aetiologie ist noch
völlig dunkel; Im vorliegenden Falle ist der Kranke nach einer
Karlsbader Kur und strenger Diätregelung anfallsfrei geblieben.
18) A. Petzold: Die Behandlung der croupösen Pneu¬
monien nach den vom 1. April 1897 bis 30. September 1900
beobachteten Fällen. (Aus der inneren Abtheilung des altstädter
Krankenhauses zu Magdeburg.) (Mit 1 Kurve.)
Die von Aufrecht inaugurirte Behandlung der Pneumonie
mit subkutanen Chinininjektionen hat sich bewährt. Wenn auch
der anatomische Process in der Lunge selbst durch Chinin nicht
beeinflusst wird, so war es doch in allen kompliclrten Fällen von
so unverkennbar günstigem Einfluss auf das Allgemeinbefinden,
dass es Verfasser geradezu als eine Art Antitoxin gegen das Diplo-
coccengift betrachtet. Allerdings werden dadurch die durch die
Pneumonie selbst bedingten Komplikationen nicht verhütet, ins¬
besondere ist es ohne Einfluss auf Ikterus und Nephritis; von der
symptomatischen Behandlung ist ausserdem noch entsprechender
Gebrauch zu machen (gegen Seitenstechen Morphium, bei Delirium
tremens Chloralhydrat, bei Aliorten intrauterine Spülungen, bei
Schwüchez istünden Excitautien etc.) Indicirt Ist die Behandlung
mit Chinin bei allen Pneumonien, die Personen über 15 Jahre be¬
treffen, wenn darunter, nur in sehr komplizirten Fällen. So lange
Gefahr besteht, soll täglich eine Injektion gemacht werden, wozu
man bei Erwachsenen 0.5 g Chinin hydrochlor. gebraucht, bei Per¬
sonen zwischen dem 10.—15. Lebensjahre 0.25 g. Wegen der re¬
lativ grossen Menge der Injektionsflüssigkeit — das Chinin hydro¬
chlor. löst sich im Verliültniss 1:34 Aq. dest., so dass 17 g Flüssig¬
keit für eine Injektion uötliig sind — empfiehlt es sich, als Injek¬
tionsstelle die Seitentlieile des Abdomens zu wählen, wo das Zell¬
gewebe ganz besonders locker ist und die Flüssigkeit leicht auf¬
nehmen kann. Neben peinlicher Sauberkeit ist darauf Gewicht zu
legen, dass sich die Nadel wirklich im subkutanen Gewebe befindet,
weil sonst leicht Absccsse entstehen.
19) Besprechungen. B a m li e r g e r - Kronach.
Centralblatt für innere Medicin. 19Ö1. No. 29.
Siegfried Rosenberg: Ueber die Beziehungen zwischen
Galle und Hippursäurebildung im thierischen Organismus. (Aus
dem tliierpbysiologiseheu Institut der kgl. landwirthscbaftlichen
Hochschule zu Berlin.)
Zimmer mann hatte kürzlich (diese Woclienschr. No. 26)
angegeben, dass ein Individuum, in dessen Darm keine Galle ge¬
lange, nicht mehr im Stande sei, eingegebeue Benzoesäure in
Hippursiiure umzusetzen. Z. schloss daraus, dass die Galle, uud
zwar speciell deren Glykocholsäure, die einzige Quelle des zur
Hippursäuresynthese nöthigen Glykokolls biide; vollkommene
Acliolle eines Organismus mache diesen unfähig, aus Benzoesäure
Hippursäure zu bilden, wie umgekehrt Hippursäurebildung eiu
Beweis dafür sei, dass Galle in den Darm gelange. Verfasser
prüfte die Untersuchungen Zimmcrmann’s nach an einer
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30. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1263
kleinen Hündin, welcher vor einigen Monaten nach partieller Re¬
sektion des Ductus choledochus eine Gallenblasenfistel angelegt
war. Das Thier erhielt in zwei Versuchen Benzoesäure in der
Nahrung. Beide Male wurde im Urin neben Benzoesäure eine
nicht unbeträchtliche Menge Hippursäure gefunden. Verfasser
hält demnach diu Ansicht Zimmermann’s für unrichtig. Auch
der absolut galleufreie Organismus ist nach Rosen borg im
Staude, aus Benzoesäure Hippursäure zu bilden. Und daraus
muss dann wieder weiter gefolgert werden, dass nicht die Galle
allein die Quelle für das zur Hippursäuresynthese nüthige Glyko-
koll sein kann, sondern dass für dasselbe noch eine andere Quelle
im Organismus vorhanden sein muss. Zinn- Berlin.
Archiv für klinische Chirurgie. 64. Bd., 2. Heft. Berlin,
Hirschwald, 1901.
13) Kröülein: Totale Oberkieferresektion und Inhalations-
narkose.
14) J o rd a u - Heidelberg: Die operative Behandlung der
U teruscarcinome.
15) Schuchardt - Stettin: lieber die paravaginale Methode
der Exstirpatio uteri und ihre Enderfolge beim Uteruskrebs.
10) Dührssen - Berlin: Die vaginale Koeliotomie als Kon¬
kurrenzoperation der ventralen Koeliotomie auf Grund von
875 Fällen.
20) H e n 1 e-Breslau: Ueber Pneumonie und Laparotomie.
21) Haegier- Basel: Ueber Ligatureiterungen.
22) Franke- Braunscbweig: Ueber die Exstirpation der
krebsigen Bauchspeicheldrüse.
23) K e 11 i n g - Dresden: Ueber den Mechanismus der akuten
Magendilatation.
24) B o r c h a r d t - Posen: Zur Frage der Gastrostomie.
25) Ahrens - Bonn: Ueber einen Fall von foetaler Inclusion
im Mesokolon ascendens.
27) Kröülein: Gepaarte Projektile.
28) K o c li e r: Bericht über ein zweites Tausend Kropf-
excisionen.
29) C a s p e r - Berlin: Fortschritte der Nierenchirurgie (nach
gemeinschaftlichen Untersuchungen mit P. F. Richter).
Die Referate über vorstehende Arbeiten finden sieb in dem
Bericht über den 30. Chirurgenkongress, No. 16—19 dieser Wochen¬
schrift.
IT) Lotbeissen: Zur Technik der Nerven- und Sehnen¬
naht. (Chirurgische Klinik Innsbruck.)
L. empfiehlt zum Schutze der Nahtstellen an Sehnen und
Nerven Röhrchen aus Gelatine, die in 2 proc. Formalinlösung ge¬
härtet sind. Die Röhrchen, die durch trockene Hitze sterilisirbar
sind, heilen bei aseptischem Verlaufe reaktionslos ein; durch die
Dauer der Einwirkung des Formalius kann die Zelt ihrer Resorp¬
tion beliebig gewählt werden und zwar erfolgt bei einer Härtung
von 24 Stunden die Auflösung nach 4 Wochen, bei Härtung von
3 v 24 Stunden nach 2 Monaten u. s. w.
18) Ehrhardt: Ueber Gallenresorption und Giftigkeit der
Galle im Peritoneum. (Chirurgische Klinik Königsberg.)
Bei Kaizen und Hunden wurde der Choledochus oder Hepa-
ticusäste durchschnitten und die Galle nach Versorgung des peri¬
pheren Endes in’s Peritoneum geleitet; die Tliiere gingen nach 2
bis 6 Tagen unter Ikterus, Krämpfen, Hautblutungeu zu Grunde;
die Sektion zeigte wenig gallige Flüssigkeit im Bauchraum, den
Ductus thoracieus mit galligem Inhalt gefüllt, das Peritoneum
reizlos.
E. folgert daraus, dass es eine specifische Gallenperitonitis
nicht gibt und dass der Tod durch Vergiftung des Organismus
durch die resorbirten Gallenbestandtboüe bedingt ist. Bei gleich¬
zeitiger Infektion des Bauchfells kann die Cholnemie ausbleibeu,
da die Resorption in Folge der Entzündung des Peritoneyras ver¬
zögert ist. Bei Verletzungen der Gallenwege beim Menschen Ist
die Aufsuchung und Naht der Verletzung oder wenigstens die
Ableitung der Galle mittels Drainage augezeigt.
19) S t e m p e 1 - Breslau: Ueber die Gefahren der Gas¬
heizungsanlagen. — Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der
Haemogloblnurie.
SL berichtet über seine eigene Krankengeschichte: es handelte
sich um 2 heftige Attaquen von Haemogloblnurie, die akut unter
Schüttelfrost elnsetzten und jedesmal auftraten nach länger dauern¬
den Operationen in einem kleinen aseptischen Operationsraum.
Die Erkrankung war verursacht durch Eiuathmuug der Ver¬
brennungsprodukte eines Gasofens, der der Warmwasserbereitung
diente; die Gasflammen brannten bei mangelhaftem Luftzutritt
und entwickelten vorwiegend Acetylen.
26) Franke- Braunschweig: Zur Aetiologie und Therapie
des angeborenen Plattfusses.
Bei einem mit Pes equinovarus der anderen Seite kombinirten
■lugeborencu Plattfusse legte F. die Sehne des Tibinl. post, zum
Zwecke der Verkürzung frei, fand sie iudess fest mit ihrer Scheide
verwachsen. Die dann ungeschlossene Freilegung der Sehne des
Tib. ant. förderte einen abnormen Ansatz auf dem Rücken des
1. Keill>eins und des 1. Metatarsus zu Tage. Auf Grund dieses
nicht anders als durch eine primäre Entwicklungsstörung zu deu¬
tenden Befundes venmithet F., dass Entwicklungsstörungen der
Mnsculatur und wohl auch <les Knochengerüstes in der Aetiologie
des kongenitalen Plattfusses — wahrscheinlich auch der übrigen
Fussdeformitäten — eine bedeutende Rolle spielen, im Gegensätze
*u der „Drucktheorie“. Die Verwachsung der Sehne des Tibial.
post, deutet F. als die Folge einer durch Druck beim Gehen ent¬
standenen Sehnenscheidenentzündung: er räth desshalb zur Vor¬
sicht bei Anwendung von Schienen und Plattfusselnlagen beim
kindlichen und namentlich beim angeborenen Plattfuss und em¬
pfiehlt dringend die Verkürzung der Sehne des Tib. post., die auch
dann angezeigt ist, wenn eine falsche Insertion der Tib. ant.-Sebne
vermutliet werden kann.
30) v. H a c k e r : Zur operativen Behandlung der peri-
oesophagealen und mediastinalen Phlegmone nebst Bemerk¬
ungen zur Technik der collaren und dorsalen Mediastinotomie.
(Auszugsweise vorgetragen auf dem 30. Chirurgenkongress.)
v. H. ist es gelungen, eine perioesopbageale und mediastinale
Phlegmone nach Sondenperforation iin Brusttheil des Oesophagus
durch Ineision und Drainage des Mediastinums vom Halse aus zur
Heilung zu bringen; die Behandlung wurde Anfangs In Becken¬
hochlagerung durchgeführt, der Eiter mittels Heberdialnage abge¬
leitet; die Anlegung einer Magenfistel war vorausgesehiekt worden.
Die Ausdehnung der Eiterliöhle im Mediastinum konnte durch
endoskopische Untersuchung, sowie durch die Röntgenaufnahme
festgestellt werden, letzteres nach Einführung eines dicken Drain-
rohrs oder Füllung der Höhle mit Jodoforinglycerin.
Die Perforation des Oesophagus konnte durch die „Commuui-
eationsprobo“ nachgewieseu werden, nämlich durch Einführung
eines mit 2 proc. Lösung von Ferroeyanknlium getränkten Tam¬
pons in die Wundhöhle und Trinken einer Lösung von Ferr. citr.,
wobei sich Berliner Blau au der Perforatiousstelle bildete.
v. H. hält In derartigen Fällen die Eröffnung des Mediastinums
vom Halse aus zunächst für angezeigt und will eine Gegenöffnung
am Rücken nur dann anlegen, wenn kein deutlicher Rückgang der
Erscheinungen eintritt.
Bezüglich der Technik der collaren Mediastinotomie empfiehlt
v. H. den Schnitt am Iunenrande des Sternocleidomast. und Vor¬
dringen zwischen Schilddrüse und grossen Gefässen. Bei Abseess-
eröffunngen vom Rücken aus erhält man durch Resektion vou etwa
4—0 cm langen Stücken von 3—4 Rippen und zwar von der Ge¬
lenkverbindung zwischen Rippe und Querfortsatz nach auswärts,
genügend freien Zugang; heim Zurückschiehen der Pleura bis an
die Vorderfläche der Wirbelsäule ist eine Pleuraverletzung nicht
immer zu vermeiden. H e i n e k e - Leipzig.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 59. Bd., 5. u. 6. Heft.
Leipzig, Vogel, 19ül.
18) S t i e d a: Zur Geschichte der circularen Pylorektomie.
(Chirurg. Klinik Königsberg.)
Im Anschluss an die von R y d i g 1 e r geltend gemachten
Prioritätsansprüche hat St. die einschlägige Literatur genau ge¬
prüft und kommt zu dem Schluss, dass kein Grund vorliegt, den
Namen B i 11 r o t h vou der circulären Pylorusresektion zu trennen,
hei aller Anerkennung von R y d 1 g i e r*s Verdiensten.
19) Rostoschny: Zur Kasuistik der Darmausschal¬
tungen. (I. Chirurg. Klinik Wien.)
34 Fälle, 18 theilweise, 16 völlige Ausschaltungen. Die häu¬
figste zur Operation zwingende Erkrankung war eine solche des
Coecuihs, lui Ganzen 24. Die völlige Ausschaltung soll im All¬
gemeinen gemacht werden: bei nicht zu ausgedehnter Erkrankung,
wenn dieselbe entzündlicher Natur ist, und das Befinden des
Kranken eine längere Operation zulüsst; hei malignen Neu¬
bildungen soll im Allgemeinen die theilweise Ausschaltung ge¬
macht werden. Näheres über die sehr bemerkeuswerthen Einzel¬
heiten kann leider nicht angegeben werden. Die Erfolge waren im
Allgemeinen befriedigende, zum Theil ausgezeichnete.
20) II ü h s c li e r - Basel: Weitere Mittheilungen über die
Perimetrie der Gelenke.
Verfasser hat die schon vor einigen Jahren begonnenen Unter¬
suchungen über die Perimetrie der Gelenke weiter fortgesetzt Der
von ihm angegebene Apparat ist ähnlich wie das Perimeter der
Augenärzte konstruirt, die erhaltenen Bewegungsfelder werden auf
die Gesichtsfeldschemata aufgezeichnet. Die Untersuchungen be¬
trafen das Handgelenk, Ellenbogengelenk (Beugung und Supi¬
nation), Schultergelenk (Hebung, Rotation), Fussgelenk (Beugung,
Supination». Es ist kein Zweifel, dass derartige Untersuchungen
für eine Reihe von Kranken von hoher Wichtigkeit sind. Ins¬
besondere werden sie sich hei der Untersuchung Unfallverletzter,
zur Beurtheilung der Fortschritte in der Behandlung nützlich er¬
weisen. Bei Lähmungen kann man durch Aufnahme des fara-
dischcn Erregungsfeldes genau die Betheiligung der einzelnen
Muskeln erkennen; besonders wichtig ist das hei Untersuchung der
paralytischen Fussdeformitäten. Auch hei der Beurtheilung des
Plattfusses muss der Perimetrie eine Bedeutung zuerkannt werden.
Dus Perimeter ist bei K n ö h e 1 & Laubschner iu Bas-4
zu haben und kostet 100 M.
21) P r e u s s - Berlin: Chirurgisches in Bibel und Talmud.
Verfasser hat mit grossem Fleiss unter sorgfältigem Quellen¬
studium eine Reihe von sehr interessanten chirurgischen That-
sachen aus Bibel und Talmud zusammengestellt. Er bhrichtet uns
über einige Instrumente, nennt die damals bekannten Erkran¬
kungen und Verletzungen, analysirt u. a. den „Stieli in die Seite
Jesu", beschreibt einige bekannte künstliche Glieder und zählt
eine Reihe von Pilastern und sonstigen Mitteln zur Wundbehand¬
lung auf. In dieser lückenlosen Zusammenstellung ist wohl zum
ersten Male eine Uebersieht über die Chirurgie des jüdischen Alter¬
thums gegeben worden.
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1254
MUENCUENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 31.
22) Möllers: Ueber die Bedeutung von Morel-La¬
va 116 e's D6collement traumatique ln der Friedens- und
Kriegschirurgie.
In gewandter Darstellung gibt Verfasser eine gute Schilderung
der genannten, seiner Ansieht nach noch lange nicht genug ge¬
würdigten Verletzung. Auch weist er auf die kriegschirurgische
Bedeutung der Erkrankung hin.
23) Harris und H e r z o g - Chicago: Ueber Splenektomie
bei Splenomegalie primitive (Anaemia splenica).
Als charakteristische Symptome der Anaemia splenica be¬
zeichnet Verfasser die progressive Auaemie. die Volumszunahme
der Milz, das Fehlen einer echten leukaemiselien Blutbeschaffen-
heit bei einer Verminderung des Haemoglobingehaltes. Die Ver¬
fasser haben 2 derartige Fülle mit Milzexstirpation behandelt und
erhebliche Besserung erzielt. Die histologische Untersuchung der
Milz ergab, dass es sich Im Wesentlichen um eine Hyperplasie der
Endothelien handelte. Von diesen vermehrten Endothelion kann
man annehmen. dass sie Zerstörer der rothen Blutkörperchen sind.
Im Zusammenhang damit Hesse sich dann auch die günstige Wir¬
kung der Milzexstirpation erklären.
Im Ganzen sind bisher 11) Splenektomien bei primärer Spleno¬
megalie ausgeführt. 14 derselben sind geheilt, 4 gestorben, in
einem Falle ist das Resultat ungewiss.
24) Ohl: Kasuistischer Beitrag zur Hydrocelenoperation
nach Winkelmann. (Krankenhaus Braunschweig.)
Verfasser empfiehlt wärmsten» die genannte Operation (Um-
krempelung der Tuniea vaginalis propria um den vorgezogenen
IIo<len) auf Grund von 11) günstig verlaufenen Fällen.
25) G e I p k e: Kasuistische Mittheilungen aus dem Kanton¬
spital Baselland.
1. Tetanus traumaticus. schwerer Fall, geheilt nach intra-
cranieller und intravenöser Seruniinjektiou. im Ganzen 140 g.
2. Temporäre Oberkiofem-scktion nach W e 1* e r wegen eines
retromaxillaren Tumors.
3. Ilirnabscess Im Bereich der linken (Vntralwindung. Läh¬
mung des rechten Armes und Epilepsie. Trepanation, Heilung.
4. Schädelbruch.
5. Nierenexstirjmtion wegen Tuberkulose.
(5. Magenresektion.
2<i) I’ayr: Ein gut funktionirender Verschlussapparat für
den sacralen After nach Resectio rectL (Chirurg. Klinik Graz.)
Ein Ledergurt, durch Hosenträger gehalten, umgibt die Taille.
Von der Vorderseite dieses Gurtes zur Ilinterseite geht ein Kaut-
schuckschlauch, auf dem an entsprechender Stelle die genau aus-
modellirte Lederpellotte mit Gummiüberztig befestigt ist.
Krecke.
Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 20.
1) A. Dührssen - Berlin: Ueber eine einfache und sichere
Prolapsoperation.
Es handelt sich um die bereits 1898 von D. empfohlene Vagini-
fixatlou, die nach D.’s Ansicht nicht genügend beachtet worden isi.
Die von anderer Seite, speeiell von Gebhardt, gegen die Opera¬
tion erhobenen Einwände und Bedenken weist I). zurück. Die
Technik ist dieselbe, welche in seinem gynäkologischen Vade-
mecum, 7. Auflage, beschrieben ist.
2) Alfred Goenner- Basel: Experimentelle Untersuch¬
ungen über die Giftigkeit des Urins.
G.’s Versuche haben bisher zu keinem abschliessenden Resul¬
tat geführt, so dass wir auf ein eingehendes Referat verzichten.
Seine Versuche machte er an Kaninchen und Mäusen mit dem Urin
normaler Schwangerer und Wöchnerinnen, sowie von Eklamp-
tisclien. Letzterer zeigte auffallend geringe Giftigkeit, im Gegen¬
satz zu Schuhmacher, welcher denselben enorm giftig fand.
G. erklärt dies aus der verschiedenen Art der Berechnung, vor
Allein dadurch, dass S. nicht den „urotoxischen Coeticienten" be¬
rechnet hat, so dass die beiden Versuchsreihen sicli ohne Weiteres
nicht vergleichen lassen. J a f f 6 - Hamburg.
Archiv für Hygiene. 40. Bd. 3 Heft. 1 90 1 .
1) A. Celli-Rom: Die Malariaepidemiologie nach den
neuesten biologischen Forschungen.
In Italien sind die schweren Tertianafor m e n die
verbreitetsten. Leichtere Tertianaformen kommen
mehr in nördlichen Distrikten vor. Quarta na findet sich nur
spärlich. Ausserdem sind doppelte Malariainfektionen ziem¬
lich häufig, selbst dreifache nicht allzu selten.
Es stellt fest, dass dort, wo M a 1 a r i a vorkommt, auch
Anopheles anzutreffen. Wo letztere sich findet, braucht nicht
nothwendlg Malaria zu sein. Die (’ ulexarten sollen, wie
Celli behauptet, nicht an der Mnlariaverbreitung Autheil haben.
l’eberall wo stagnirende Gewässer und Sumpf Vegetationen
sich linden, kann Anopheles Vorkommen, mit Ausnahme von salz-
und schwefelhaltigen Wässern. Ein Lieblingsaufenthalt für die
Stechmückenlarven sind die Reisfelder, während gewöhn¬
liche Bewässerungsanlagen den anliegenden Orten nicht gefährlich
werden können. Der vielgepriesene E ukal y p t u s und die
Pinien sind im Sommer ausgezeichnete Aufenthalte für Ano¬
pheles.
Die jährlichen Malariaepidemien sind wechselnden perio¬
dischen Gesetzen in den einzelnen Zonen unterworfen, die aber in
jeder Zone konstant sind. Man kann den Typus Nordeuropas.
Oberitaliens, Roms und der südlichen Provinzen unterscheiden.
Wo die leichte Malaria vorherrscht, speeiell die leichte oder
Frühllngstertiana. fängt die Epidemie früher au, und umgekehrt.
Die Lebensgewohnheiten der Stechmücken stehen im Zu¬
sammenhang mit der Mahulaepidemie.
Die Infektion der Anopheles durch Saugen an kranken Men¬
schen dauert während der ganzen Epidemieperiode. Die Verhält¬
nisse, welche sich im Winter bei den Anopheles abspielen, sind
noch nicht ganz genau bekannt.
2) A. Celli: Die neue Malariaprophylaxis.
Cell i, der von der Ansicht ausging, dass eine einseitige
Maassnahme gegen die so lange bekannte Malaria nicht zum Ziele
führen würde, hat im Lauf der Zeit eine Reihe von prophylak¬
tischen Mitteln empfohlen, von denen als recht brauchbar an¬
erkannt werden konnten: das C hin! n und der p e r sö n 1 i c he
Schutz gegen den Stich durch Netz«*. Alle übrigen
eliemischen Mittel, wie Räucherungen. Anstriche mit desinfiziivn-
den Lösungen, Besprengung mit. Terpentin, Petroleum, Säuren
u. s. w. führten nicht zu dem gewünschten Ziele.
Celli schreibt «lein Chinin eine bedeutsame Wirkung zu. will
ab»*r die Dosen viel höher gogelien wissen, wie K o e h es empfiehlt,
weil seiner Meinung nach der S«'hutz nach so geringen Dosen au« h
zu gering sei. Des Verfassers neueste prophylak¬
tische Maassnahme beruht aber auf dem Schutze der P «* r-
soiip n und «1er H ä u s e r vor den Belästigungen der Stechmücken
durch Netze. Er hat in grossem Maassstabe Versuche äugest eilt
aut «len berüchtigten Eisenbahnlinien Pervara und Ponte¬
gal er a. weiter in Latium, in der Provinz Salerno uml
F o g g i a. welche alle zu grosser Zufriedenheit ausgefallen sind.
Wenn daneben noch für die Desinfektion des Blutes uml
p a s s e li d e A s s a n i r n n g s u m p f 1 g e r G e g e n «1 e n ge¬
sorgt wird, so kann eine allgemeine Volksprophylnxe errei«d)t
w«*r«l«*n und «'s ist daun möglich, «lie Malaria von solchen Orten
gänzlich auszurotteu.
3) E. Martini: Die Süsswasserbrunnen der Helgoländer
Düne.
Es gibt auf der kleinen Snnddline von Helgoland 3 Brunnen,
der Brunnen von B r e d a u auf der Nordhälfte, der Gemeinde-
h r uüiip n und der T h a t e n’sche Brunnen auf der Südhälft«»,
welche Süss w asser enthalten. Es ist dies um so auffallender,
als die Düne ja nur aus Saud besteht und von Meerwasser allseitig
umspült wird. Es muss daher nng«*nommeu werden, dass das Süss-
wasser zum allergrössten Theil N i e d e rschlags w asser ist.
welches auf einer u n d u r c h 1 ii s s i g e n T h o n s c h i c h t stellt
und dass diese Thonschieht muldenartig zu behlen Seiten sich er¬
hebt, denn sonst würde von der Seite Seewasser in die Brunnen
hineinsickern können.
Der G e in e i n <1 e b r u n n e n enthält kein gerade günstiges
Trink wasser: Spuren von Ammoniak und Salpetersäure und
reichliche Mengen Kochsalz. Dagegen liefert der Thaten'sehe
Brunnen, ein a b e s s i n i s c h e r. für die Helgoländer Verhält¬
nisse ein ganz vorzügliches Wasser. Der Kochsalzgehalt
betrügt nur «l«*n 100. Theil des Seewassers, auch ist es frei von
Ammoniak und Salpetersäure.
Da dies Wasser das beste auf ganz Helgoland ist, so ist man
auch der Frage über eine event. Wasserversorgung von diesem
Brunnen aus näher getreten. Es dürfte aber, seihst wenn ge¬
nügend Wasser vorhanden sein sollte und durch mehrere Brunnen
geholten werden könnte, die ltedeutende Anlage auf der kleinen
unsicheren Sandinsel sich nicht realislren lassen.
R. O. N e u m a n n - Klei.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 2'J. PJOl. No. 24 u. 25.
No. 24. 1) M. F u n k - Brüssel: Der Vaccine- und Variola-
erregei?
Nach den Mittheilungen des Verfassers scheint es in der That
gelungen zu sein, den Erreger der Vaccine und Variola zu
ermitteln. Es ist ein Parasit, der den Protozoen zuzurechuou ist
und als S p o r i d i u m v a c c i n u 1 e bezeichnet wird. Dieser Or¬
ganismus findet sich in dem Saft der Variola in 2 Hauptformen:
Einmal als Cysten, dann aber auch als freie Spore n.
Die Untersuchung wird am besten ausgeführt im hängenden
Bouilkmtropfen, dem % Lymphe «Hier Variolapustelsaft zugesetzt
ist. Die Organismen sammeln sich alsdann ain Boden des Tröpf¬
chens.
Da eine Reinkultur wie bei «len Bakterien nicht möglich er¬
scheint, so werden die Err«»ger mittels eln«*s besonderen Verfahrens
angereiehert und zur Infektion b«»nutzt. Es gelang heim Kall) «li' 1
charakteristisch«»!! Pusteln und an«»h Immunität zu er¬
zeugen.
Wrfasser hält V a r I o 1 a und V a e c i n e für identische Affek-
t Ionen.
2) M. Braun: Zur Revision der Trematoden der Vögel II.
Arbeit rein systematischen Inhalts.
No. 25. 1) W. Rull m nnn - Münch«*n: Ueber einen in Erde
und Fehlboden vorkommenden sporenbildenden Bacillus.
Der l)«'schrlcl«ene Organismus ähnelt dem Typhus in man-
«•her morphologischen und biologischen Eigenschaft, ist aber grund¬
verschieden «lurch die sehr realst e n t e n 8 p o r e n. Er winl
mit «lern Namen Bacillus terrestris sporigenes be¬
nannt.
2) L o m m e 1 - Giessen: Eine aus Darminhalt gezüchtete
Hefeart.
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30. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
3) Ar. Cache-Warschau: De la culture du bacille de diph-
th^rie croissant en Als ramiflfis.
Verfasser beobachtete ausserordentlich lange Fadenb 11-
(1 u n g mit echter V e r z weis: u n g.
4t A. K ra u sz- Ofen-Pest: Ueber eine bisher nicht bs-
schriebene Hühnerepizootie.
In einem Hühnerhofe brach eine eigcnthümliche Hülmerkrank-
heit aus. die durch iinportirte italienische Hühner eingeschleppt
worden war.
Die Hühner wurden plötzlich soumolent. blieben auf einem
Flatz stehen ohne sich zu bewegen. Dann bildete sicli unter den
Augen ein Oedem, die Augen secernirten eine eitrig-gelbe Flüssig¬
keit. alsdnun bekamen die Hühner Krampfanfälle, das Gefieder
wurde aufgobraust und in 10—15 Minuten verstürben sie.
Der pathologische Befund ist nicht besonders hervortretend;
übei-all. besonders im Gehirn, starke Hyjieraeniie.
Aus dem Blut und in den Kulturen konnten nur w e 18 s e
Staphylococceu gesehen und gezüchtet werden.
Die Impfung mit diesen Organismen bei gesunden Hühnern
war aber erfolglos. Auch durch Verfütterung gelang die Infektion
nicht.
Die Bekämpfung der Seuche wurde durch Desinfektion der
Ställe und Käfige leicht und bald erreicht.
5) v. Din stow: Taenia asiatica, eine neue Taenie des
Menschen.
Die Taenia stammt aus Ascliabad im asiatischen Russ¬
land (Nordgrenze von Persien) und hat nur in einem Exemplar
dem Verf. zur Verfügung gestanden. Sie ist 29.8 cm lang. Mit
den bis jetzt bekannten acht verschiedenen Taenien, die beim
Menschen Vorkommen, ist sie nicht identisch.
Co Ferrui und Cano Brusco: Versuche zur Malaria¬
prophylaxis.
Es wurden Kopfbedeckungen aus Leder angefertigt, an denen
vor dein Gestellt und hinter dem Nacken Drahtgitter mit. feinen
Maschen befestigt waren. I
Zum Versuch verwandten die Verfasser 10 Leute, von denen j
8 mit Kapuzen geschützt wurden, 8 dagegen ungeschützt blieben, j
Der Versuch wurde ln einer gefürchteten Malariagegend, in Le 1
C a nnet e ausgeführt, wobei die Leute 8 Tage lang Nachts dort
zubringen mussten.
Von den Geschützten wurde Niemand krank, während von
deu nicht Geschützten 5 vom Wechsellieber befallen wurden.
7) T. Oshida: Eine neue Methode zur Einimpfung de3
Hundswuthgiftes und zum Herausnehmen des Rückenmarks.
Bisher musste das Kaninchen, um mit Wuthgift inücirt zu
werden, trepanirt werden, andererseits musste man. um das
Rückenmark zu erhalten, den ganzen Wirbelkanal aufmeisseln.
Oshida verbesserte diese Methoden insofern, als er das
Wuthgift durch das Fora m o u o p t i e u m mittels F r a v a z’-
sclier Spritze injizirte und das Rückenmark ln der Weise heraus
Itekam. dass er das Rückgrat vom Hals Dis zur Lendeugegend
durchtrennte und das Rückenmark mittels eines Stabes heraus■
presste.
Er empfiehlt seine Methoden, weil sie sichtliche Vortheile
bieten. ,
8) E. Iv 1 e i n - London: Zur Kenntniss und Differentialdia¬
gnose einiger Anaerobien.
Verfasser bespricht die differentlaldiagnostlschen Merkmale
vou Bacillus b u t y r i c u s, Bacillus e u t c r i t i d i s
s I» o r o g e n e s. Bacillus c a d n v c r i s s p o r o g e n e s und
einem vierten Organismus, den er Bacillus m u e o s u s nennt.
Letzterer Name ist aber bereits vergeben für einen von Z 1 m -
nn-rmanu aus schleimigem Wasser isolirten Bacillus. Klein
isi also genöthigt, seinen Organismus umzutaufen! lief.
th P ra u n - Luxemburg: Einfacher Apparat zur Entnahme
von Wasserproben aus grösseren Tiefen.
R. O. Neu in ann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 29.
1) W. N a g e 1 - Berlin: Zur Entwicklung und Perforation
des nachfolgenden Kopfes.
Bei einer 32 jährigen I. Para fand Verfasser eine Verengerung
im geraden Durchmesser des Beckeneingangs, das Kind in erster
Schädel In ge mit nach links abgewichenem Kopf. Das Kind war
M Beginn der Operation bereits abgestorben. N. wendete auf «ID*
Küsse, der Kopf trat aber gar nicht, in's Becken ein, so dass die
Perforation des Kopfes äusserst schwierig schien. Nun liess N.
das Kind an den beiden Füssen und mit nach vom gerichtetem
Bauch stark nach vorn gegen den Bauch der Mutter heben, worauf
es ohne zu grosse Schwierigkeit gelang, die Perforation des Kopfes
am Hinterhaupt zu machen und die Extraktion zu bewerkstelligen.
Das lieben des kindlichen Rumpfes gegen den Bauch der Mutter
hat sich also in diesem Falle sehr gut bewährt, so dass der Hand¬
griff fiir ähnliche Lagen Empfehlung verdient Verf. geht noch
auf die Geschichte dieses und ähnlicher Handgriffe ein.
2i P. Kehre- Berlin: Beitrag zur Lehre über die Tabes bei
den Weibern. (Schluss folgt.)
3) M. H n li n - München: Ueber einige Beobachtungen bei der
diesjährigen Pestepidemie in Bombay.
f'fr. Referat png. 1155 der Müncli. med. Wochenschr. 1901.
4» H. Hirschfeld - Berlin : Ueber Veränderungen der
multinucleären Leukocyten bei einigen Infektionskrankheiten.
Dieselben bestehen nach Verf. darin, dass die neutrophilen
Granulationen bei einigen Infektionskrankheiten eine Aeuderung
1255
der Färbbarkeit ln der Richtung erleiden, dass sie sich lm Gegen¬
satz zu dem hei Gesunden vorhandenen Verhältnlss mit Methylen¬
blau deutlich blau färben. Verf. fand dieses Verhalten fast kon¬
stant bei Pneumonien, Masern mit Bronchitis, bei Scarlatina, bei
hoch fiebernden Phthisen. Die Veränderungen beginnen meist auf
der Höhe des Fiebers. Ferner fand Autor bei Methylenblau- und
Methylenblnu-Kosiufärbuug im Protoplasma der neutrophilen
Leukocyten meist am Rand der Zelle, aber auch In der Mitte der¬
selben ein oder mehrere kugelrunde bis länglich-elliptische Körper¬
chen, deren Natur vorläufig noch nicht aufgeklärt ist.
G r n s s m a n n - München.
Deutsche medieinische Wochenschrift. 1901. No. 29.
1» E. v. L e y d e n - Berlin: Ein gehellter Fall von Tetanus.
Demonstration, gehalten in der Sitzung des Vereins für innere
Medicin In Berlin am 17. Juni 1901. Referat siehe diese Wochen¬
schrift No. 20, pag. 1075.
2» Her hold: Vier Fälle von Tetanus.
Krankengeschichte von 4 im Feldlazaretli IV in China be¬
obachteten Fällen, HÜiumtlich mit letalem Ausgang.
3) Klein e-Berlin: Ueber die Berliner Pockenerkrankungen.
Aus dem Verlauf der im Mai-Juni dieses Jahres in Berlin be- •
obaehteten kleinen Poekenepldemie ergibt sich, dass blosse Iso-
liruug der Krankt n und eine Vaccination der tingeimpften Personen
der nächsten Umgehung nicht genügt. Nur durch die Impfung
bezw. Revacclnation sämmtlicher Personen der betroffenen Häuser,
sowie aller mit dem Kranken in Berührung gekommenen, ohne
Ausnahme, ist die Garantie einer völligen Beseitigung der Infek¬
tionsgefahr gegeben.
4) A. II I p p i u s - Moskau: Ein Apparat zum Pasteurisiren
der Milch im Hause.
5) W a l rl e y e r: Topographie des Gehirns.
Schluss des Artikels aus No. 20, 27 und 28. Siehe das Referat
über den internationalen metliclnisclien Kongress in Paris Im
Jahre 1900.
Oi Justin d e L i 11 e und Ix>u!s J u 11 i e n: Ein neuer Syphilis¬
bacillus.
In der Aendende de MMeeine ln Paris berichteten die Autoren
im 2. Juli 1901 über die Entdeckung eines neuen Syphilisbacillus.
Derselbe ist. polymorph, bald kurz, bald fadenförmig, mit abge¬
rundeten Extremitäten, ohne kolblge Anschwellung und besitzt
Eigenbewegung. Er entfärbt sieh nicht liei Anwendung der
Gram’sehen Methode und lässt sich am besten mit Osmhuusäure
tixiron.
Folgende Schlussfolgerungen werden aufgestellt:
1. Der Bacillus ist nachweisbar bei allen Syphilitikern im flo-
riden Stadium.
2. Die Agglutinationsreaktion fällt beim Kranken stets positiv,
beim Nichtluetiker negativ aus.
3. Die am Thiere nach der Einimpfung beobachteten Sym¬
ptome sind den beim Menschen konstatirten vergleichbar.
4. Den Bacillus fixirt das Alcxin der mit syphilitischen Pro¬
dukten gehupften Thiere.
5. Seine Einimpfung bleibt bei bereits luetisch intizirten In¬
dividuen erfolglos.
0». Beim Menschen wie beim Thiere verschwindet der Bacillus
mit dem Tode. F. Lacher- München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 29. 1) A. S t r u be 11: Ueber den Einfluss der Nahrung
auf den zeitlichen Verlauf der experimentellen Uraemie nebst
einigen Bemerkungen über die Ernährungstherapie beim
Menschen.
Verf. hat Kaninchen die Nieren exstlrplrt und konnte vor
Allem im Gegensatz zu anderen Autoren feststellon. dass die
Uraemie am Tldere nicht unter dem Bilde einer Narkose verläuft,
sondern sehr oft von heftigen Krämpfen begleitet ist. Die Ver¬
suche an 18 Hunden ergaben das Resultat, dass die Nahrung einen
Einfluss auf den zeitlichen Verlauf der Uraemie heim Hunde in
dem Sinne ausübt, dass reichlieh mit Kohlehydraten gefütterte
Thiere länger leben als solche, die mit Ehvelss oder Fett oder un¬
genügend oiler gar nicht genährt wurden. Die Uraemie des Hundes
scheint in ihrem Wesen von der des Menschen nicht verschieden
zu sein, so dass sich für die Therapie der Rath ergibt, bei drohender
Uraemie. aber auch sonst bei akuter oder chronischer Nephritis
eine reine Kohlehydrat- oder wenigstens vegetabilische Kost von
Zeit zu Zeit, etwa ein- bis zweimal im Jahre durchzuführen. Die
Kost hätte also einer umgekehrten Diabeteskost zu entsprechen.
2) R. Kraus-Wien: Ueber diagnostische Verwerthbarkeit
der specifischen Niederschläge.
Letztere haben nach den Ausführungen des Verf. die nämlich >
diagnostische Bedeutung wie die Agglutination seihst. Das homo¬
loge ngghitinircmle Koiiserum gibt mit Filtraten des zugehörigen
Kolistammes speeifische Niederschläge. Das agglutinirendc Cholera-
scrum, welches typische Niederschläge in Choleratiltraten zu er¬
zeugen vermag, gibt mit Filtraten von Vibrionen, die von Cholera-
seruni nicht agglminirt werden, keine Niederschläge. Die weiteren
Elnzolnheiten müssen im Original elngeselien werden.
3» 8. .T e 11 i n e k - Wien: Blitzschlag und elektrische Hoch¬
spannung.
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1256
MUEN CHEN ER MEDICIN1SCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
Verf. berichtet eingehend Uber die an 10 Menschen und
2 Thieren, welche vom Blitz getroffen worden waren, gemachten
Beobachtungen. Die mltgetheilten Befunde sind begleitet von
Skizzen der Hautveriinderungen, welche au den Blitzgetroffenen
zur Erscheinung gelangen. Die Brandwunden der Haut, hervor¬
gerufen durch Blitzschlag, sowie hochgespannte technische Elek¬
trizität, werden nach den Darlegungen des Verf. nicht allein durch
Flammenwirkung erzeugt, sondern auch, und manchmal sogar
allein, durch elektrische Durchleitung des Gewebes bei grossem
inneren Widerstande. Bei den Kaninchen, welche J. mit Hilfe
starker Ströme unter Beobachtung eigener Kautclen tödtete, fanden
sich, wie auch schon K r a 11 e r angab, hauptsächlich nur die
Zeichen des Erstickungstodes. Die sogen. Blitztigureu an der Haut
stellen nach J. theils ein Erythem, theils eine Extravasation in die
Haut dar. Für die Wirkung der elektrischen Ströme ist nicht die
Spannung allein, sondern besonders die Stromstärke ausschlag¬
gebend, vor Allem eben die Art und Weise, wie dem Strom Zu¬
tritt zum Körper verschafft wird, was sich ja schon eklatant bei
den missglückten Hinrichtungsversuchen in Amerika erwiesen hat.
Grassmann - München.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 27 u. 28. J. C s 6 r 1 - Ofen-Pest: Der gegenwärtige Stand
der Enteroptosefrage.
Nach einer kurzen Uebersicht bestätigt C. seinerseits die
Häufigkeit des Stille r'sehen Costalzeichens und betont, dass
nach seiner Beobachtung bei Enteroptose die Lenden Wirbelsäule
zumeist eine auffallende lordotische Krümmung aufweist. Da¬
durch wird die Körperhaltung nach vorne übergebeugt, die Schwer¬
linie vor die Hiiftachse projielrt, das intraabdominale Druckgleich¬
gewicht gestört. Mit Rücksicht ferner auf das graeile Skelett, den
langen Thorax solcher Individuen kommt C. zu dem Schluss,
„dass die enteroptotische Neurasthenie sich vorzugsweise in einer
eigenthiimlicheu pathologischen Anlage des Knocheusystems
manifest! rt“,
No. 27 u. 28. E. Mandl-Wien: Ein Fall von Gangraen
der beiden unteren Extremitäten im Wochenbett-
Einschlägige Fälle sind noch sehr wenige beschrieben und
finden in den Lehrbüchern kaum Erwähnung. Verfasser berichtet
über einen solchen, wo eine 23 jühr. kräftige Frau bei der spontan
verlaufenen ersten Geburt einen eompleten Dammriss erlitt und
sich ein kleines puerperales Geschwür zeigte. Am 7. Tage er¬
krankte sie an linksseitiger, am 11. an rechtsseitiger Thrombo¬
phlebitis. Vom 13. an zeigten sich beiderseits an den Beinen
Zeichen von Gangraen, welche sich links auf einige oberflächliche
Stellen beschränkte, rechts dagegen nach 2 y 2 Monaten die Ampu¬
tation über dem Knie erforderlich machte. Alle Venen und
Arterien erwiesen sich auf der Wundfläche völlig verstopft. Die
Aetiologie ist durchaus nicht aufgeklärt. Möglicher Weise liegen
in solchen Fällen öfters die ersten Anfänge und Ursachen in der
Zeit der Gravidität, wie es bisweilen auch schon während der¬
selben zu Gangraen gekommen ist. Kurz sei noch erwähnt, dass
derartige unglückselige Vorkommnisse wiederholt den Arzt unver¬
dienter Weise vor Gericht gebracht haben.
No. 27 u. 28. A. S c h e n k - Wien-Kolberg: Die Therapie der
Lungentuberkulose mittels Stauungshyperaemie.
Verfassers Verfahren besteht zunächst in der auch von
Anderen geübten Schräglagerung des Patienten mit Tiefstellung
des Kopfes und Rumpfes und Elevation der Beine. Ausserdem
wird um den Thorax eine Art Jacke angelegt, die aus Gummi¬
schläuchen zusammengesetzt ist (nach Art der L e i t e r’sclien
Röhren), durch die mau warmes Wasser von 45° C. und mehr
strömen lässt, während der übrige Körper unter ganz leichter Be¬
deckung und durch öftere Abwaschungen kühl erhalten wird. Be¬
sonders gerühmt wird das grosse subjektive Wohlbefinden und die
lebhafte Steigerung der Expectoratiou bei dieser Procedur. Event,
werden noch weitere mehr oder weniger energische hydrothera¬
peutische Maassnahmen eingeschaltet. Daneben lässt man den
Patienten die übrigen bewährten Heilfaktoreu. ausgiebige Er¬
nährung, Freiluftlage, aber nur bei trockenem Wetter etc. zu Theil
werden.
Wiener medicinische Presse.
No. 24—26. R. P o 1 a c c o - Mailand: Diagnostische und
therapeutische Versuche über den Abdominaltyphus.
• Durch die hohe Sterblichkeit (etwa 22 Proc., darunter fast die
Hälfte Personen unter 20 Jahren), welche er in früheren Epidemien
bei symptomatischer und Chiuinbehandlung erleid hat, wurde P,
veranlasst, sich einer veränderten Behandluugsweise zuzuwenden.
Nach einigen anfänglichen Kalomeldosen wird regelmässig Ichtlr*-
form, bis zu 3 g täglich bei Kindern, 5—6 g bei Erwachsenen dar¬
gereicht, die Gaben werden erst mehrere Tage nach der Ent¬
fieberung langsam vermindert. Bei den schweren Fällen bei
längerem Fortbestand hoher Temperaturen und Betheiligung der
Lunge treten Ichthyolbäder hinzu: 00 g Ammon, sulfoichthyol. pro
Bad. Abkühlung auf 24“ R„ 10—15 Minuten Dauer, im Ganzen
2—0 Bäder mit 1 bis 2 tägigen Pausen. P. ist mit den Erfolgen
sehr zufrieden, er berechnet für 37 Fälle eine Mortalität von
5.4 Proc. In dem lelithoform sieht er das wirksamste Darmanti-
septicum. seine Anwendung reduzirt den Meteorismus, verhindert
das Auftreten von Delirien und Sopor. Die Bäder setzen die Tem¬
peratur energisch, bis zu 2", herab, vermindern Pulsfrequenz und
Blutdruck, ebenso die Athemfrequenz, zeigen beruhigende schlaf¬
bringende Wirkung. Alles in Allem gibt P. dieser Behandlungs¬
weise entschieden den Vorzug vor der „veralteten“ sym¬
ptomatischen Therapie.
No 20. L. Kleinwächter: Einige Worte über eine sehr
selten zu beobachtende krankhafte Komplikation der Gravidität.
lieber das Entstehen einer Para- und Perimetritis während
einer Gravidität und dem Einfluss derselben auf den Ablauf der
Schwangerschaft scheinen noch gar keine Beobachtungen vorzu¬
liegen. K. kam in die Lage, neben einer Gravidität des 3. bis
4. Monats eine ziemlich ausgedehnte Parametritis und Perimetritis
zu diagnosticiren, die von heftigen Metrorrhagien und wehen¬
artigen Schmerzen und geringen Teinperatursteigerungen begleitet
war. Unter rein symptomatischer Behandlung, wobei Viburu.
prunifolluu) zur Beseitigung der vorzeitigen Welienthätigkeit
günstig wirkte, schwanden die Beschwerden und die objektiven
Erscheinungen. Geburt und Puerperium verliefen später in jeder
Hinsicht normal. Die Aetiologie des Falles blieb unklar.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 27—29. /-R. Hammerschlag - Schlan: Ueber die
Therapie der Lymphadenitis tuberculosa.
H. berichtet über die günstigen Erfahrungen, die er bei nicht
vereiterten tuberkulösen Lymphomen der Halsregion mit Jodo-
formglycerinlnjoktionen in die Rlndenscldclit der Drüse gemacht
hat, und gibt für die Ausführung derselben in’s Einzelne gehende
Vorschriften. Mit durchschnittlich 6, in längeren Zwischenräumen
vorgenommoueu Injektionen hat er oftmals selbst beträchtliche
Schwellungen zum Schwinden gebracht. Das ungefährliche Ver¬
fahren kommt vor Allem da in Betracht, wo eine Operation nicht
zugegeben wird, hat aber auch eine Berechtigung darin, dass die
blutige Exstirpation doch nicht ohne Gefahren ist. unschöne Nar-
beu zurücklässt und in der Erwägung, dass bei Erkrankung der
Cervicaldrüsen fast durchgeheiuls auch die Bronchial- oder Mesen¬
terialdrüsen afflzirt sind, welche sich doch einer radikalen Thera¬
pie entziehen. Bergeat - München.
Englische Literatur.
Thomas D. Sa v 111: Akroparaesthesie, Erythromelalgie,
Sklerodaktylie und andere angioneurotische Störungen. (Lancet,
1. Juni.)
Im Anschluss an eine Reihe interessanter Krankengeschichten
sucht Verfasser eine Art von Klassifizirung für die verschiedenen,
in der Ueberschriflt genannten Störungen aufzustellen und ihre Be¬
ziehungen zur R a y n a u d'schen Krankheit nachzuweisen. Er
theflt die vasomotorischen Störungen ein in: 1. vasodilatatorische.
a) Frühstadium (verläuft chronisch), Anfälle von Röthung mit
brennenden und zuckenden Paraestheslen, kongestive Akropar¬
aesthesie. b) Spätstadium (verläuft ebenfalls chronisch), es ge¬
sellt sich eine nach und nach dauernd werdende Schwellung hinzu,
Erythromelalgie. Wird der Process akut, so tritt gewöhnlich
feuchte Gangraen ein, eongestive Form der Itaynau d'schen
Krankheit. 2. Vasoconstrictorisclie Formen, al Frühstadium (vou
chronischem Verlauf). Anfälle vou Blässe und Blutleere der
Hände, verbunden mit Ameisenkriechen, Frickeln, Gefühl vou Ab-
gestorbeusein; ischaeinisehe Akroparaesthesie. b) Spütstadium
ebenfalls chronisch), manchmal gesellt sich Verdickung der Haut
und des Unterhautzollgewebes hinzu (Sklerodaktylie). Werden
diese Formen akut, so gehen sie in die synkopische Form der
lt a y n a u d'schen Krankheit über. Alle diese Formen kommen
in etwa 90 Proc. der Fälle bei Frauen vor und zwar meist im
Pubertütsalter und dann im Klimakterium, sie sind häufig mit
Migräne und anderen vasomotorischen Störungen vergesellschaftet.
Namentlich die vasodilatatorischen Formen sind der Behandlung
mit Brompräparaten sehr zugänglich, auch der konstante Strom
bringt, wenn er lange Zeit hindurch angewendet wird, oft Nutzen.
William Hunter und A. W. Nuttall: Die Bacteriologie
der sporadischen Cerebrospinalmeningitis, (lbid.)
Die Verfasser haben 10 Fälle bacteriologisch untersucht und
zwar wurde bei 9 Fällen noch während des Lebens die durch Lum¬
balpunktion gewonnene Flüssigkeit untersucht, ln allen lü Fällen
fand sich ein Diplococcus, der morphologisch und biologisch durch¬
aus dem Weichsel bau m’sclien Diplococcus intracellularis
menlngitidis glich; zuweilen fand sich der Diplococcus in Rein¬
kultur vor, während er in anderen Fällen mit Influenza oder
Tuberkelbacillen vergesellschaftet war. Klinisch und pathologisch
bietet die sporadische Cerebrospinalmeningitis durchaus das Bild
der sog. „hinteren Basilarmeningitis“, und cs scheint ziemlich fest
zu stehen, dass beide Krankheiten als eine einzige aufzufassen siud
und dass sie durch den Diplococcus Weichselbaum bedingt
werden.
A. B reue r: Die operative Behandlung des Comealastigma-
tismus. (Ibid.)
Verfasser empfiehlt zur Behandlung namentlich des liyper-
metropischen Astigmatismus warm punktförmige Galvanokaustik
der Cornea. Die erzielten, durch Zeichnungen illustrirten Resul¬
tate müssen im Originale nachgelesen werden.
E. Klein: Ueber die agglutinirende Wirkung des Pest¬
blutes. (Ibid.)
Verf. fand, dass frische Gelatinekulturen des Pestbacillus eine
gute Salzemulsion geben, an welcher mit Leichtigkeit ein Agglu-
tiniren mit dem Blute von früher pestkranken Ratten uachgewiesen
werden kann. Ferner stellte er bei Meerschweinen folgenden Zu-
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30. Juli 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1257
stand her: Zuerst lnjlzirte er den Thleren bei 70° C. 10 Minuten
laug sterilisirte Agnrkulturen des Pestbacillus; spilter injl/.irte er
lebende Pestkulturen, die bei den Thleren Krankheit und Bubonen
hervorriefen, sie aller nicht tödteten. Das Blut der so vorberei¬
teten Thlere zeigte nach 14 Tagen agglutiniremle Wirkung auf
Pestbacillen der verschiedensten Herkunft. Mit keinem anderen
Blute und mit keinen anderen Bacterien konnte Agglutination her-
vorgorufen werden, so dass Klein das Verfahren zu diagnostischen
Zwecken empfiehlt.
D. Louis Claims: Die agglutinirende Eigenschaft des
Blutserums bei Pest. (Ibid., 22. Juni 1001.)
Die Reaktion ist von grosser Wichtigkeit, da es im Beginn
der Krankheit oder bei milden Füllen oft sehr schwer ist, Pest¬
bacillen durch Punktion eines vielleicht tief liegenden, kleinen
Bubos zu gewinnen: ebenso sind die Bacillen schwer zu erhalten,
sobald der Bubo einschmilzt. Die agglutinirende Wirkung dos
Blutes jedoch nimmt mit dem weiteren Verlaufe der Krankheit
rapid zu und gibt positive Resultate, auch daun noch, wenn Ab-
inipfunsreu aus den Bubonen steril bleiben. Den Höhepunkt er¬
reicht die Agglutinationsfilhigkeit etwa in der 0.—7. Woche, doch
erhält sie sich in allmählich vermindertem Maassc bis in (len
f». Monat. Die genau beschriebenen Beobachtungen und TTnter-
»uchuugsmethodeu des Verfassers studirte er während der jüngsten
Epidemie ln Glasgow.
Robert H utchlnson: Zuckerfreie Milch als Nahrung für
Diabetiker. (Ibid.)
Die vom Verf. angegebene Milch kann in steriler Form von
Clay. Paget & Co., 23 Ebury Street. London SW. bezogen werden
und wird vom Verf. sowohl in der Spital- wie in der Privatpraxis
sehr viel und mit grossem Nutzen angewendet. Die Milch schmeckt
fast wie fette, normale Milch und kann rein oder mit Mineral¬
wasser getrunken werden; natürlich kann und soll sie auch zum
Kaffee. Theo. Kakao und zum Bereiten von Puddingen verwendet
werden. Bei einem Konsum von etwa 2 Litern werden 990 Calorlen
gebildet. Verfassers Speisezettel bei strenger Diät ist folgender:
Zum Frühstück Speck, Rührei mit viel Butter. Fisch und Butter¬
sauce oder kaltes Fleisch, geröstetes Protenbrot, Milchkaffee. Zum
Mittag dünne Suppe, fetter Fisch mit Butter. Fleisch und Gemüse
mit Buttersauce, Cröme aus Eiern und zuckerfreier Milch, Käse
mit Protenbrot und Wasserkresse. Als Getränk Whisky und
Wasser oder ein „trockener“ Wein. Zum Abend Bouillon. Eier
(am (testen als Omelette mit viel Butter). Fisch, kaltes Fleisch,
Protenbrot, Käse und Salat, der mit viel Oel angemacht ist. Als
Getränk zuckerfreie Milch, die auch zwischen den Mahlzeiten ge¬
trunken wird, bis 2 Liter am Tage verbraucht sind.
A. E. Porter: Der Werth der Antitoxinbehandlung in der
Prophylaxe der Diphtherie. (Ibid.)
Der Gesundheitsrath von Chelmsford und Maldon hat seit
einiger Zeit l>eschlossen. den Aerzten des Distriktes eine Gratifi-
cation zu zahlen für jeden Fall von Schutzimpfung gegen Diph¬
therie, den sie im Hause einer von Diphtherie befallenen Person
an der Umgebung derselben vornehmen, nur muss der Gesundheits-
iK-amfe vorher davon benachrichtigt werden. Seit dieser Bekannt¬
machung wurden die praeventiven Impfungen an 130 Personen
in 24 Familien vorgenommen und es folgte in keinem Falle eine
weitere Infektion. Von 24 Familien mit einer ungefähr gleich
grossen Zahl von Mitgliedern erkrankten vor der Einführung der
Schutzimpfung '/* der Mitglieder, wie Verf. durch übersichtliche
Tabellen nachweist. Verf. verwendet zur Schutzimpfung 500 Ein¬
heiten eines hochkonzentrirten Serums (1 ccm) und hat keinerlei
üble Nebenwirkungen erlebt.
David N e w m a u und Henry Rutherfurd: Zwei Palle
von Luxation der Patella nach oben resp. unten. (Ibid., 22. Juni
1901.)
Diese Formen der Luxation scheinen überaus selten zu sein
und werden sie in deu Lehrbüchern nicht beschrieben sein. Sie
können wahrscheinlich nur entstellen, wenn die Kniescheibe von
einem heftigen Schlage in vertikaler Richtung entweder aufwärts
oder abwärts getroffen wird. In beiden Fällen betraf die Ver¬
letzung Junge Männer. Bei der Luxation nach oben gelang es
leicht, die Patella in Narkose zu reponiren. Im zweiten Falle ge¬
lang die genaue Diagnose uur mit Hilfe der Skiagraphie und die
Reduktion nur auf blutigem Wege nach Eröffnung des Gelenkes.
Es konnte dabei festgestellt werden, dass die Quadricepssehue, ob¬
wohl stark ekehymosirt, doch unzerrissen war. Dies macht den
Fall zu einem sehr seltenen, da in den Lehrbüchern die Luxationen
nach oben und unten gar nicht erwähnt oder ausgeschlossen wer¬
den. da sie nur sekundär in Folge der Zerreissung des Sehnen-
apparates zu Stande kommen. Dies ist aber, wie Verfassers Fall
selgt. durchaus nicht nöthlg. Beide Fälle wurden mit gut beweg¬
lichem Knie entlassen.
G. M e r v e i 11 e u x: TJeber die Anwendung des Yersin’-
•eben Pestsernms in Bäunion. (Brlt. Med. Journ., 22. Juni 1901.)
Ende November 1900 brach unter den Ratten ln Rßuuion eine
grosse Sterblichkeit aus, am 1. Dezember erkrankte der erste
Mensch an sicher festgestellter Pest. Am 13. Februar wurde der
letzte Pest fall gemeldet, am 20. Februar starb der letzte. Im
Ganzen erkrankten G7 Personen, davon 53 im Hafen. Von diesen
53 Formen zeigten 35 die bubonische Form, G die pneumonische
Form und bei 4 traten Bubonen und Lungenerscheinuugen zu¬
sammen auf. Die Gesammtsterblichkeit betrug 71,69 Proc. 15 der
53 Fälle wurden mit Ye r s 1 n’schem Serum behandelt (subkutan
nnd intravenös), 9 genasen, 6 starben; die Sterblichkeit der spe-
zlflich Behandelten betrug 40 Proc. gegenüber 84,21 Proc. der nicht
Behandelten, dabei ist noch zu bemerken, dass eine Anzahl von
Fällen zu spät der spezifischem Behandlung unterworfen wurden.
Merveilleux hält die günstige Wirkung der Serumbehandlung
für sicher erwiesen.
David Drummond: Ein Fall von prolongirtem Stupor
oder von Katalepsie. (Nortliumberl. and Durham Med. Journ.,
Januar 1901.)
Ein 20 Jähriger Kaufmann wurde mit folgender Anamnese in
das Hospital aufgenommen; Schon während der vergangenen zwei
Jahre war der Kranke allmählich immer reservirter und schweig¬
samer geworden, vor 7 Wochen hatte er plötzlich sein** Beschäf¬
tigung aufgcgelten und sich nur noch mit Bibellesen beschäftig»,
bald darauf verweigerte er die Nahrung und verliess das Bett
nicht mehr. Ende März 1900 verfiel er lu den jetzt bestehenden
stilporösen Zustand. Der Grossvater starb im Irrenhaus, ein
Bruder durch Selbstmord. Der sehr abgemagerte, nnnemische
Kranke lag mit offenen, gleichsam in die Ferne blickenden Augen
da und nahm keinerlei Notiz von der Umgebung. Die Glieder
waren kalt uml schlaff und boten Beweguiigsversuchen keluerlel
Widerstand dar. Olierflilchliche und tiefe Reflexe waren kaum
wahrnehmbar; cs bestand Inkontinenz der Blase und des Darmes
und grosse Neigung zur Bildung von Dekubitalgesehwüreii. Der
Puls betrug 100, die Temperatur war normal; selbst der stärkste
faradische Strom der im Krankenhause vorhandenen Batterien er¬
regte keine Zuckung beim Patienten, der monatelang völlig tliuil-
nalimslos dalag. Es gelang, Nahrung in den Mund zu bringen,
die reflektorisch geschluckt wurde. Nach 7 Monat** dauerndem
Kranksein begannen sich die ersten Zeichen von Besserung be¬
merkbar zu machen und jetzt ist er auf bestem Wege, gesund zu
werdeu.
Geo. H. S a v a g e: Der Gebrauch und der Missbrauch des
Belsens bei der Behandlung Geisteskranker. (Journal of Mental
Science, April 15)01.)
Verfasser spricht zuerst davon, dass viele Geisteskranke auf
Reisen geschickt werden, damit der Arzt oder die Umgebung des
Kranken ein Zeit lang Ruhe hat, ferner wird viel gesündigt
ln dem Bestreben, deu Kranken womöglich vor dem Irrenhaust*
zu bewahren und gnnz besonders vor den legalen Umstündlieh-
keitou, die in England mit der Ueberführuug in eine Austalt oder
seihst in ärztliche Privatpflege verbuuden sind. Vielfach werden
Seereisen für Depressionszustände verordnet, doch eigueu sicli die¬
selben nur für die allerlelchtesten Formen, wie sie durch Liebes¬
kummer, Nichtbestelien einer Prüfung u. a. m. hervorgerufen
werden. Schwer Melancholische werden auf der See nicht besser,
die Neigung, Selbstmord zu begehen, wird sogar meist stärker,
da das Wasser stets zum Hineinspringen reizt. Noch viel un¬
günstiger wirken Laudreisen und der Aufenthalt in fremden
Städten, wo sich die Kranken „zerstreuen“ sollen. Zuweilen wirken
Reisen gut in der Reconvalescenz von Geisteskrankheiten, doch
droht auch dann noch stets das Gespenst des Suicidlums. Kranke,
die an Erregungszuständen leiden, selbst Hysterische, sollen auf
keinen Fall auf Reisen geschickt werdeu, ebenso wenig, wie
Kranke mit Grössenwahn. Ganz besonders schädlich wirken
Reisen auf die an Demeutia paralytica leidenden Kranken. Nur
bei leichten Formen von Monomanien, wie sie gelegentlich nach
akuten Infektionskrankheiten Zurückbleiben, thun Seereisen manch¬
mal gute Dienste.
H. Lewis Jones: Der Nutzen allgemeiner Elektriflkation
in der Behandlung gewisser Formen von Geisteskrankheiten.
(Ibid.)
Nachdem Verfasser sich davon überzeugt hatte, dass die Be¬
handlung im elektrischen Bade, z. B. bei Rachitischen, vorzüg¬
liche Erfolge aufzuweisen hat. versuchte er sie auch bei Geistes¬
krankheiten und zwar besonders bei Depressionszustilnden. Er
benutzte den sinusoiilalen Strom eines Wechselstromdynamos und
badete meist täglich. Sowohl er selbst, wie zwei ihm befreundete
Leiter von Irrenhäusern, Dr. R. J o n e 8 und Dr. G o o d a 11, hatten
namentlich mit Fällen von Melancholia attonita überraschend gute
Erfolge.
Joseph Shaw Bolton: TJeber krankhafte Veränderungen
bei Dementia. (Ibid.)
Auf Grund vieljähriger Studien, über die Näheres im Original
nachzuleseti ist, kommt Verfasser zu dem Schlüsse, dass die Dicke
der Schicht der Pyramidenzelleu mit dem Grade der vorhandenen
Amentia oder Dementia bei einem Kranken wechselt. Die mikro¬
skopischen Gehirnveründerungen, die bei Geisteskranken nachzu¬
weisen sind, richten sich ganz allein nach dem Grade der vor¬
handenen Demenz und sind völlig unabhängig von der Zeit, durch
welche der Irrsinn bestanden hat.
George A. R o r i e: Irrsinn nach Influenza. (Ibid.)
Auf Gruud von 08 Fällen, die Verfnsser im Westmoreland
Asylum beobachten konnte, stellte er fest, dass die Geisteskrank¬
heit sowohl sehr bald, wie auch erst nach längerer Zeit der Iu-
fluenza folgen kann, und dass namentlich Leute ergriffen werden,
die durch Vererbung oder durch Excesse iu baccho et venere prä-
disponlrt sind. Kein Lebensalter scheint besondere dlspouirt zu
sein; meist handelt es sich um melancholische Zustände mit stark
ausgesprochenen Selbstmordgedanken; mnniakalische Zustände un 1
Dementia paralytica kommen seltener vor; allen Störungen gemein¬
sam ist die grosse geistige Verwirrung und Stupidität, was auf
eine Autolntoxication durch Iufluenzatoxlne schliesscu lässt. Di«*
Fülle von Melancholie und akuter Manie bieten eine gute Proguus**.
Befällt die Influenza schon vorher geisteskranke Pcrsoucn, so
führt dies gewöhnlich nicht zu einer Verschlimmerung «los Irrsinns.
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1258
MUENCHENER MEDICINISCHE W O CHEN SCHRIFT.
No. 31.
David F örrier uud AUlren T «me r: Experimentelle Ver¬
letzungen der Corpora quadrigemina bei jungen Affen. (Bram.
Spring 1901, Bd. 43.)
Die Schlussfolgerungen, die die Verfasser aus ihren Versuchen
ziehen, sind rein negativer Art. Betraf die Verletzung wirklich
nur die Ganglien der ('oi*i>ora quadrigemina, so traten keinerlei
bleibende Störungen auf. selbst wenn die <ianglien völlig entfernt
wurden. Tremor, Ataxie, Gesichtsstörungen etc., die manchmal be¬
merkt wurden, sind lediglich auf zufällige Verletzungen des in der
Nähe liegenden Kleinhirns und anderer Hirutheile zu beziehen. B.dm
Menschen uud beim Affen haben die Vierhiigel nur eine sehr ge¬
ringe funktionelle Bedeutung, während sie hei Fischen, Fröschen
und Vögeln sehr wichtig uud desslialb auch stärker entwickelt
sind.
Morton P r i n e e: Ueber Durchschneidung der hinteren
Spinalwurzeln zur Beseitigung des Schmerzes bei einem Falle
von Neuritis des Plexus brachialis; Aufhören des Schmerzes in
der befallenen Gegend; spätere Entwicklung einer Brown-
S 6 q u a r d’schen L ähm ung in Folge der Laminektomie; un¬
gewöhnliche Vertheilung der Wurzelanaesthesie; späteres theil-
weises Zurückkehren der Sensibilität. (Brain.. Bd. 43, S. IHi.i
Dem langen Titel ist nur hinzuzufiigen, dass es sich um einen
Mann handelte, der in Folge eines Fnfalls den linken Radius brach
und sich eine Lähmung des ganzen Armes zuzog. Fs bestanden
enorme Schmerzen im Daumen und Zeigetinger, für welche 3 mal
Operationen am ltadinlis und an Aesten des Plexus brachialis
vorgenommen wurden (wahrscheinlich Nervendehnungen, die aber
ganz erfolglos bliebeni. Als er in Verfassers Behandlung kam.
waren die Schmerzen so unerträglich, dass Verfasser die hintere
Wurzelresektion des (». und 7. (’erviealnerven anrieth, die von
M uii ro vorgenommen wurde. Die Schmerzen hörten sofort nach
der Operation auf, doch trat eine leichte B r o w n - S 6 q u a r d'sehe
Lähmung auf. Näheres über diesen sehr interessanten Fall muss
im Originale nachgelesen werden, wo zahlreiche Abbildungen das
Verständnis» der eigenartigen Störungen der Sensibilität erleich¬
tern.
Dunean G r e e n 1 e e s und Carrlugton P urvi s: Ueber
Friedreich’sche Lähmung. (Ibid.)
Genaue Beschreibung zweier Fälle bei Geschwistern mit
gründlicher mikroskopischer Untersuchung des Centralnerven¬
systems.
J. Edward Squire: Die frühe Erkennung der Lungen¬
tuberkulose. (Medical Magazine, Juni 1901.)
Zu den ersten Symptomen, die den Arzt zur Untersuchung der
Lungen zwingen sollten, gehört Anaemic. Störungen des Appetits,
ferner Hypertrophie der Tonsillen und Rachenmandel, Abmage
rung, leichte Temperatursteigerungen. Die Anwendung des Tu¬
berkulins zu diagnostischen Zwecken hält Verfasser für unerlaubt,
da es die Lungenherde „erweicht“. Die Skingrapliie in den Händen
eines geschickten Untersuchers gibt oft guten Aufschluss Uber
kleine Herde in der Lunge; die Hauptsache aber ist und bleibt eine
häutige sozusagen prophylaktische Untersuchung der Lungen aller
irgendwie schwächlichen oder kränklich aussehenden Personen,
die wegen allerlei Beschwerden zum Arzt kommen.
John Lindsny Steven: Tägliches cerebrales Erbrechen von
6monatlicher Dauer, bedingt durch ein Adenom des Kleinhirns,
das auf den 4. Ventrikel übergegriffen hatte. (Glasgow Medical
Journal. Juni 1901.)
Der Uebersehrift ist nur noch hinzuzufügen, dass es sich um
einen 0 jährigen Knaben handelte, dessen Hauptleiden das fort¬
gesetzte Erbrechen war. das schliesslich zum Tode führt«*.
H. Olipliaut Nicholson: Eklampsie und die Schilddrüse.
(Scottish Medical and Surgical Journal. Juni 1001.)
Ohne auf theoretische und hypothetische Speculationen dos
Verfassers näher eingelien zu wollen, sei hier nur erwähnt, dass
er die Eklampsie auf einen Ausfall oder eine Verminderung der
HclillddrUsenfuliktlon bezieht uud demgemäss anrätli. sowohl im
prüeklnmptischen Zustande, als auch im Anfall Schilddrüsensaft
zu verabreichen, im erstereu Falle genügt es, 0,3 2—3 mal täglich
zu geben, im Anfalle jedoch injicirt man stündlich 10 Tropfen
des frischen oder lö des ofticinellen Saftes der Schilddrüse sub¬
kutan. In zwei Fällen, in denen er die Behandlung mit Professor
Ballantyne versuchte, hatte er guten Erfolg.
Fr. Parkes Weber: Fettsucht, Uebergewicht und Lebens¬
versicherungen. (Medical Magazine, Juni 1901.)
Verfasser, der Versicherungsarzt für eine grosse Gesell¬
schaft ist. hält dafür, dass fette Personen meist nicht zur Ver¬
sicherung oder wenigstens nicht ohne Erhöhung der Prämie, ge¬
eignet sind. Was das Verhältnis des Gewichts zur Grösse an-
langt. so glaubt er, dass sehr grosse und fette Leute eine schlech¬
tere Prognose bieten, als mittelgrosse fette Personen. Von grosser
Wichtigkeit ist in jedem Falle eine längere Beobachtungsdauer,
da Zunahme des Gewichtes auf alle Fälle die Versicherung uus-
schliessen sollte. Als Durchschnittsgrösse nimmt W eher mit
Greene 5 Fuss 8 Zoll an, ein solcher Mann soll zwischen 1Ö0
und 102 Pfund wiegen (je nach dem Lebensalter), für jeden Zoll
darüber oder darunter addire oder subtrahire man 5 Pfund. Han¬
delt es sich um kräftig gebaute Leute mit guter persönlicher oder
Familiengeschichte uud mit regelmässigen Lebensgewohnheiten,
so darf das Durchschnittsgewicht um 2Ö bis 30 Proc. überschritten
werden. Melden sich fette Leute, die über 00 Jahre alt sind, so
sind sie ohne Weiteres auszuschllessen. Bei Frauen scheint Fett¬
sein eher vertragen zu werden, als bei Männern, auch unterziehen
sie sich leichter diätetischen Kuren. Sehr wichtig ist in jedem
Falle die Familiengeschichte, stammt der Fette aus einer fetten,
aber trotzdem langlebigen Familie, so ist die Prognose besser, als
wenn in der Familie Fülle von Tod durch Diabetes, Herzmuskeler¬
krankungen und Lungenerkrankungen in frühem Alter vorkamen.
Deutet die Familiengeschichte auf Tuberkulose, so Ist ein massig« s
Urberge wicht eher von guter Vorb«*d«*utuug. Zuweilen ist die
Fettsucht nur als eine vorübergehend«* Störung anzuseln*«, so in
«l**ii Füllen, in denen sie sich nach sehw«*ren Krankheiten (Typhus)
od«*r auch nach schweren Entbehrungen (wie nach der Belagerung
von Paris) eiustellte. Besteht gleichzeitig Emphysem, Asthma od«*r
Erkrankungen des Kreislaufapparates, so ist die Versicherung ab-
zulidinen. Besonders ist auf Diabetes zu achten und eveiit. eine
Probe vorzuuelimen, ob un«l wann eine alimentäre Glykosurie ein-
tritt, 30—40 Proc. aller hereditärfetten Personen und lö Proc. der
an erworbener Fettsucht leidenden zeigen früher oder später Dia¬
betes. Schliesslich kann man auch fette IVrsonen veranlassen,
sich vor der dettnitiven Entschließung «ler Wrsicherung einer Kur
zu unterziehen und man kann je nach dem Ausfall derselben seine
Entscheidung treffen.
Chahner.s Watsou: Die Pathogenese der Tabes und ver¬
wandter Erkrankungen des Rückenmarkes. (Brit. Med. Jour»..
1. Juni 1901.)
Verfass«*!* glaubt auf Grund seiner Untersuchungen annehmen
zu müssen, «lass «’s si« h hei «ler Tabes nicht um primäre I>«*gencia-
tioii. «les Nervensystem«*« handelt, sondern um Veränderungen in
und um die Gefüsswiinde; die Verümlerungen im Neuron sind dann
b«*<l!ngt durch lokale Störungen der Blutzufuhr. Das Ganze ist be¬
dingt durch eine chronische Autoiutoxi«*ation und die Gefüssver-
üuderungeii siud allgemeiner Natur, nur vielleicht im Rückenmark
<*twas mehr vorgeschritten. Näheres über die pathologisch-histo¬
logischen Untersuchungen, die Verfasser am Rückenmark eines au
Tabes verstorbenen Pferdes, sowie von Früh- und Spätfällen v«m
menschlicher Tabes vorgonommeu hat, müssen im Originale naeh-
gclcscu werden.
Farquhar Blizzard: Sektionsbefund von einem Falle von
hypertrophischer, pulmonaler Osteoarthropathie. (Ibid.)
Verfasser, «ler Arzt an dem bekannten Ilospital f«»r the l’ara-
lysed and Epileptic ist, hat einen typischen Fall dieser Krank¬
heit seeirt uud das Nervensystem nach «len neuesten und voll¬
kommensten Methoden durchuntersucht, doch war der Befund ein
völlig negativer.
II. W. Syers: An welchem Punkte hört man am besten
das durch Insufficienz der Aortenklappen bedingte Geräusch?
(Ihid.)
Während in «len meisten Lehrbüchern angegeben wird, dass
man das in Frage stehende Geräusch am bestell uml lautesten
im 2. Intercostalraum rechts neben dem Sternum hört, sucht Ver¬
fasser nnchzuweiscn, dass es hier nur in etwa 5 Proc. der Fäll«*
am besten gehört wird, am lautesten hört man es gewölinlieli in der
Milte des Brustbeins, dicht über dem Schwertfortsatz und dann
über dem 2. Intercostalraum links vom Sternum. Häutig genug
sind diese Geräusche sehr weich und schlürfend und werden über¬
sehen, weil man im 2. Intercostalraum rechts nach ihnen horcht.
Lewis C. Bruce: Klinische und experimentelle Unter¬
suchungen über Dementia paralytica. (Brit. Med. Journ.,
29. Juni 1901.)
Auf Grund zahlreicher, im Original nachzulesender Unter¬
suchungen kommt Wrfnsser zu «lern Schlüsse, «lass di«? Dementia
paralytica durch Toxine hervorgerufen wird, welche vom Mageu-
Darmknnal aus wirken. Wahrs«*heiiilich handelt es sieh um eine
Mischinfektion mit verschiedenen Bneterien. doch scheint den Coli-
bacillen eine sehr wichtige Rolle ziizukommen. Verfasser hat dann
Versuche anstellt mit einem Serum, das er aus dem Blute eines
im Stadium der Remission befindlichen Paralytikers gewonnen
hatte und er glaubt, durch subkutane Injektion dieses Serums bei
Fällen von progressiver Paralyse gute Erfolge erzielt zu habe».
Wie Verfasser glaubt, beruht die günstige Wirkung des Serums
darauf, dass es die Colibaolllen ngglutinirt und er stellt dessliaih
augenblicklich Versuche mit Serum an. das von einem gegen Coli-
bacillen iuimunisirten Pferde stammt.
Ford Robertson: Beobachtungen über die Pathogenese
der Dementia paralytica. (ibid.)
Auch Robertson ist auf Grund vieler Beobachtungen zu
dem Schlüsse gekommen, dass die Dementia paralytica auf eine
Aut«>intoxl«*ation vom Magou-Darmkanal zurückzuführen ist. Es
handelt sich um die Bildung vermehrter Bacterientoxine durch den
Wegfall «lor die übermässige Entwicklung der Darmbaeterieu hem¬
menden Faktoren; die Toxine erzeugen proliferative und degeueia-
tive Störungen in den Gefässen des Ceutralnervensystemes und
zwar werden zuerst die am besten mit Blut versorgten Hirutheile
ergriffen, weil die Wände ihrer Gefässe am meisten mit «len To¬
xinen in Berührung kommen. Auch die Tabes dorsnlis ist auf
eine ähnliche Autointoxication zurttckzufUhren; die Syphilis ist
zum Zustandekommen beider Krankheiten in der Weise behilf¬
lich, «lass sie die natürliche Immunität verändert und zwar wahr¬
scheinlich durch Zerstören der leukoblastisehen Funktion des
Knochenmarkes. Die Behandlung der Tabes und der Paralyse muss
sich auf das Auffinden geeigneter Antitoxine werfen und zwar hält
Verfasser dies für aussichtsvoll, da wahrscheinlich nur wenige
Bactcrienfonnen bei der Bildung der Toxine betheiligt sind.
Halliburton uud McKendrick: Eine Untersuchung
über die Pathologie der gastrischen Tetanie. (Ibid.)
Die Verfasser hatten Gelegenheit, einen der seltenen Fälle zu
untersuchen, in denen ein schwerer tetanischer Zustand im An-
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30. Juli 1901.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1259
Schluss an eine Mngenerwelterung nuftrat. Der Kranke wurde
gastroentcrostomlrt und gehellt; aus dom Magensaft konnten die
Verfasser eine toxische Substanz gewinnen, die bei Thicron ein
erhebliches Fallen des Blutdrucks und eine Verlangsamung der
Ilcrzthiitigkeit hervorrief: der Arbeit ist eine ausführliche Lltora-
ttiriilier8icht über die ln Frage stellende Krankheit beigefügt.
Langdon Brown: Haematurie in Folge von Urotropin¬
gebrauch. (Brlt. Med. .Tourn.. 15. Juni 1901.) •
A. Griffith. W. A. Mllllgan und T. L. Forbes:
Haematurie nach Urotropin gebrauch. (Brlt. Med. Journ., 29. Juul
1901.)
Bs handelt sich ln diesen kasuistischen Mitthol laugen um
Fülle, von Haematurie. die 4 mal 1 Woche nach Beginn der Be¬
handlung. 1 mal nach .3 Tagen nuftrat und stets mit Brennen in der
Hl:Iso und dem Gefühl von Unbehagen eingeleitet wurde. Nach
Aussetzen des Mittels hörte die Blutung sofort auf. im 1. Falle
kehrte sie wieder, als der Kranke noch einmal Urotropin einnahm.
Ks handelte sich 3 mal um Tvphusreconvalescenten, bei denen das
Mittel zur Steriiisirung des Urins gegeben wurde. 1 mal um eine
leichte Gystitis. 1 mal wird keine Krankheit angegeben. Das Blut
«<•11 aus der Blase gekommen sein; die Dose war eine mittlere und
wurde das Mittel stets mit ziemlich viel Wasser genommen;
T.angdon Brown hält übrigens die Haematurie für du seltenes
Kreignlss. da er l*ei 15 Fällen sie 3 mal beobachtete. (Allzu selten
würde Referent das nicht neunen.)
James S t e w a r t: Bericht über 620 Fälle von Abdominal¬
typhus. (Brit. Med. Journ.. 15. Juni 1901.)
Vom 1. Januar 1894 bis 31. Dezember 1900 wurden im Royal
Victoria Hospital zu Montreal 020 Fälle von Abdominaltyphus be¬
handelt: es starben von diesen 34 oder 5.4 Proc.. die Sterblichkeit
in den einzelnen Jahren schwankte zwischen 0 (1890 mit 72 Fällen)
und 9.3 Proc. (1897 mit 75 Fällen). Aus der sehr Interessanten
Analyse der Fülle kann hier nur Weniges hervorgehoben werden.
Perforation, Blutung und Intoxication waren für die meisten
Todesfälle verantwortlich: die beiden erstoren verursachten zu¬
sammen 58.8 Proc. aller Todesfälle. Bel 11 Fällen von Perforation
wurde in 8 Fällen eine Operation versucht, jedoch jedes Mal ohne
Krfolg. seit Abschluss der Arbeit wurde jedoch ein weiterer Fall
lanarofomirt. und zwar mit glücklichem Ausgang. DU» Operation
sollte womöglich innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Per¬
foration unternommen werden, leider aller ist die Frühdiagnose
••ft schwierig, ja unmöglich. Zuweilen täuscht eine einfache (nicht
iHTforative) Peritonitis die Perforation vor und führt, zur Opera¬
tion: dies passirte dem Verfasser einmal, obwohl keine Perforation
gefunden wurde», kam der Kranke durch. Treten im Verlauf des
Typhus Schmerzen und Dmekeinpfindlichkeit im Bauche auf und
Is-sleht eine deutliche Leukoeytose (alles dies heim Fehlen anderer
Komplikationen), so soll man eine Probelaparotomie vornehmen.
Hei Darmblutungen ordnet Verfasser die grösste Ruin» an, ferner
erhöht er das Fassende des Bettes und wendet mit Leite rischon
Röhren Kälte auf den Bauch an. Die Nahrungsaufnahme per os
wird womöglich gänzlich aufgehoben; als Medleament wird nur
Opium verordnet. Unter den (>20 Fällen wurde 7 mal Gholecystitls
• 1.12 Proc.) beobachtet. 1 Fall starb und zwar kurz nach einer
Lipanitomie. Iw»! welcher man die Gallenblase voll Steine und
Fiter gefunden hatte. Von den übrigen 0 Fällen genasen 2 mit
und 4 ohne Operation, bei beiden Operlrten wurden zahlreiche
Steine in der Gallenblase gefunden. Wahrscheinlich war die Zahl
der Gholecystitisfälie ln Wirklichkeit eine grössere, da noch bei
einer ganzen Anzahl von Fällen Ikterus, allerdings ohne weitere
8vmptome auftrat. Reeidive traten bei 9 Proc. der Fälle auf. ihre
Dauer betrog zwischen 7 nnd 42 Tagen, in 7 Fällen wnr das Rcol-
div schwerer als der primäre Typhus. Ein Patient erkrankte
•» Monate nach überstnndenem Typhus wiederum an Typhus, nach¬
dem er in der Zwischenzeit eine Scarlatina durehgemaeht hatte.
Seit 1897 wurde die Widal’sohe Reaktion in jedem Falle ver¬
sucht und ob gelang auch ln 370 Fällen 302 mal ein positives Re¬
sultat zu erzielen. In 2 Fällen gab die Reaktion schon am 3. Tage
rin positives Resultat. In einem bacteriologiscli slcbergestellten
Falle, der in der 2. Krnnkheitswoohe an Sepsis starb, fanden sich
Mne Geschwüre iin Darm. Die Behandlung bestand In sorg¬
fältigem Baden sobald die Temperatur 102.4 0 F. überschritt, etwa
*3 Proc. aller Fälle wurden während der ganzen Dnuer der Krank¬
heit gebadet.
T. J. Maclngan: Die chirurgische Behandlung des Typhus
abdominalis. (Ibid.)
Die Berechtigung, wegen eines perforirten Ulcus typhosus eine
Prolielaparotnmle vorzunehmen, dürfte heute nicht mehr bezweifelt
Genien, nachdem eine Reihe von sonst sicher verlorenen Fällen
auf diese Weise geheilt worden sind. Verfasser will aber noch
rine andere Klasse von Fällen In das Bereich dos chirurgischen
Könnens ziehen, nämlich die Fälle, ln denen meist am Ende der
3. Woche eine Darmlähmung auftrltt und sich Im Coecum und Kolon
rine grosse Menge jauchigen Stuhles und ausgestossenar Fetzen
•insammelr. Diese Kranken gehen durch Vergiftung zu Grunde
uni will Verfasser durch Anlegung eines Cocenlaftcrs ei neu Vcr-
'urii zu ihrer Rettung machen; praktisch erprobt hat er seinen
Vorschlag noch nicht.
R. T. Hewlett und H. Montague Murray: Eine gewöhn¬
liche Quelle diphtheritischer Ansteckung und ein Mittel zur
Verhütung. (Ibid.)
Von 385 Kindern, die wegen äusserer oder innerer Leiden (aber
ohne Verdacht auf Diphtherie oder Halskrankheiten) In das Vio-
'oria-Kinderhospital in London aufgenommen wurden, zeigten 58
(15 I’roo.) den K I e b s - L ö f f 1 e rischen Bacillus. 92 (24 Proc.) den
Pseudodiphtheriebacillus. Bei jedem Kinde wurde hei der Auf¬
nahme eine bncteriologische Untersuchung des Rachenschleimcs
vorgenonunen. Meist handelte es sich um Kinder unter 2 Jahren.
Die Verfasser empfehlen auch hei kleinen Kindern eine sorgfältige
Mundpflege mit dcsinficireuden Wässern. J. P. zum Busch.
Vereins- und Congressberichte.
Berliner medicinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 22. Juli 1901.
Demonstrationen:
Herr Theodor Mayer: Fall von tuberösem Pemphigoid
nach Jodgebrauch. (Jod ln den Pemphigusblason nadigewiesen.)
Herr Ewald: Präparat von kirschgrossem Tuberkel im
Pons, Intra vitnm diagnostlzlrt.
Herr Stein: Frau, deren frühere Sattelnase korrigirt ist
durch eine subkutane Parafflnprothese nach Gersuny. Vor
Anwendung am Menschen hat St. das Vorfahren an zahleichen
Thicron nusprobirt; er glaubt auf Grund seiner Versuche an-
uehiueti zu können, dass das Pamftln. dessen Schmelzpunkt am
besten zwischen 40 und 50 Grad liegt, mit der Zeit resorlürt wird,
aber bis dahin so von Bindegewebe durchwachsen ist. dass die
ursprüngliche Form bleibt.
D i 8 o u s s 1 o n: Herr Eckstein. Herr Stein.
Herr Jacobson: Mädchen mit Emoyem der Highmors¬
höhle; durch Arrosion des Knochens Vorwölbung der Mundhölilou-
und Nasonbodenschloiniliaut.
Tm Anschluss an eine Zeitungsnotiz über den Vortrag
TCocb’s auf dein Tuberkulosokomrress in London bestätigt Herr
V i r c b o w die von Koch aufeestellte These, dass sich die
Menschen tuberkulöse von der Thiertuborkulose. speeiell der
Rindertuberkulose, unterscheidet und dass sie auf Rinder nicht
übertragen worden kann; V i r e b o w bemerkt noch, dass er den
ersten Satz dieser These schon vor vielen Jahren aufgestellt, halte.
Was die Frage anbelange, oh Thiertuborkulose auf Menschen
übertragen werden könne, so könne man zwar durch direkte Ex¬
perimente darüber keine Klarheit schaffen, indoss sei er mit
Koch der Meinung, dass man in der Furcht vor Ansteckung
durch Milch. Kiiso und Fleisch tuberkulöser Rinder in den
letzten Jahren viel zu weit gegangen sei. Doch halte er auf
Grund seiner Präparate die 'Behauptung Kocli’s fiir über¬
trieben, dass eine Hebertragung der Rindertuberkulose auf den
Menschen nicht in Frage komme.
Tagesordnung:
Herr Ol eck zeigt ein Präparat, von teratoider Misch¬
geschwulst, entfernt, durch Laparotomie; Heilung nach 10 Taget».
Vorstellung mehrerer Kinder, die er vor 5 resp. 4 Jahren an
schweren tuberkulösen und eiterigen Peritoni¬
tiden operirt und mittels seiner Methode der offenen Nach¬
behandlung der Bauchhöhle geheilt habe. Letztere Methode sei
heute Gemeingut der Chirurgen geworden.
D 1 s e u s s I o n: Herr Israel erklärt, dass die übliche Me¬
thode der Behandlung von Peritonitiden mit der Methode des
Herrn Gl eck, die er für überflüssig hält, nichts gemein hals*.
Herr Gleck: Herr Israel habe Ihn missverstanden.
Max S e c k 1 m a n n.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 1. Mai 1901.
Vorsitzender: Herr C. F r a e n k e 1.
3. Herr Harnack; Ueber einen besonders bemerkens-
werthen Fall von Brechweinsteinvergiftung.
Vortragender berichtet zunächst über den Thatliestand, der
seiner Mittheilnng zu Grunde liegt. Ein dem Trunk ergebener
Laboratoriumsdiener stellt in Gefahr, desshalb seine Stelle zu ver¬
lieren und seine Frau begibt sich aus diesem Grunde zu einem
Drogenhändler, um hier ein Mittel gegen Trunksucht zu erhalten.
Es wird ihr ein gewöhnliches Fläschchen, in dom sich angeblich
1 g B r e e h w e i u s t e 1 n in 15 g Wasser gelöst befinden
sollte, mit der Vorschrift verabfolgt, dem Manne 3 mal täglich
15—25 Tropfen ohne den Bodensatz in Bier zu verabreichen.
In Folge dessen nimmt der Ehemann nun an den 3Tagen Nach¬
mittags je 25 Tropfen. Schon nach dem ersten Male fühlte er sich
unwolil, klagte über Erbrechen. Leibschmerz. Durchfall. Appetit¬
losigkeit. Schwindel u. s. f.: nach der zweiten Benutzung der Mo-
dicht fällt er durch seine gelbe Gesichtsfarbe und das angegriffene
Aussehen auf. Nach dem dritten Male endlich bekommt er im
Laboratorium einen plötzlichen Anfall, wirft sich zu Boden, ruft:
„Adieu, adieu“, streckt sich lang aus und stirbt.
D e r h i n z u g e r u f e n e Arzt stellt ohne w eitere
Untersuchung (!) die Diagnose auf Selbstmord
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1260
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
durch Cyankallumverglftnng (!), und die Beerdigung
wurde daraufhin gestattet
In Folge einer Darlegung des ganzen Sachverhalts durch die
Frau des Verunglückten vor dem Blreetor desjenigen Laborato¬
riums. in dem derselbe beschiiftigt gewesen war, schöpfte dieser
aber Verdacht: er brachte die Sache zur Anzeige bei der Staats¬
anwaltschaft. und etwa 4 Wochen nach dem Tode wurde die Leiche
wieder exhumlrt.
Doch Hessen sich weder Cyankalium noch Antimon noch son¬
stige derartige Gifte bei der chemischen Analyse nachweiseu, da¬
gegen konnte man des benutzten Fläschchens mit dem nicht ver¬
brauchten Rest der Lösung noch habhaft werden und wenigstens
auf diesem Wege einige Klarheit gewinnen.
Der Drogist wurde wogen fahrlässiger Tödtung
und wegen Uobortretung der gewerblichen Vorschriften ange¬
klagt. und Vortragender zum Oborgutachter ernannt.
Die Fragen, um die es sich handelte, waren die folgenden:
1. War der Beschuldigte zur Verabreichung des Weinsteins
In-irehtigt? Antwort: In keinem Falle, da Brechweinstein selbst
in der Apotheke ohne ärztliche Verordnung nicht verabfolgt
werden darf.
2. War die Form, in der das Mittel ausgehändigt wurde,
eine besonders unzweckmässige und gefährliche? Ohne Zweifel,
da es sich uni eine übersättigte, einen überschüssigen Bodensatz
liefernde Lösung handelte, und so eine genaue Dosirung an sich
schon unmöglich wurde. Auch war nicht einmal ein Tropffläsch¬
chen, sondern eine gewöhnliche Medicinflasche benutzt worden.
Aber auch bei der Abwägung der Substanz muss ein grobes Ver¬
sehen vorgekommen sein, da sich 1 g Brechweinstein in 15 g
Wasser ohne jede Schwierigkeit löst. Ausserdem fanden sich
in dein Fläschchen, aus dem bereits 9 g Flüssigkeit entnommen
waren, thoils gelöst theils als Bodensatz noch mehr als 1 g des
Giftes: es müssen also ursprünglich über lVs g vorhanden ge¬
wesen sein.
3. Welche Mengen giftiger Substanz sind thatsächlich zur
Anwendung gelangt? Hier kommt Vortragender auf den eigent¬
lichen Kern seiner Ausführungen, auf die Frage der Tropfen¬
gewichte. Mit. vollem Recht erklärt er, dass selbst die Aerzto
von den wirklichen Tropfengewichteu vielfach keine richtige
Vorstellung haben. Das Tropfengewicht hängt, abgesehen von
mannigfachen zufälligen Verschiedenheiten, vor Allem von der
Tropf fläche ab: es ist grösser, wenn die Flüssigkeit vom
Rande eines gewöhnlichen Fläschchens, als wenn sie aus einem
Tropfschnabel tropft.
Der Gericht.sarzt im vorliegenden Falle, nahm an, dass auf
1 g der von dem Drogisten verabfolgten Brechweinsteinlösung
ca. 15—20 Tropfen kämen. Das erwies sich bei einer nachträg¬
lich von II. angestcllten Prüfung als ganz irrig. Auf 1 g kamen
von einer aus gewöhnlichen Fläschchen getropften Lösung von
Tartarus st.ibiatus im Verhältnis» von 1:15 durchschnittlich
nicht viel mehr als 7 Tropfen. Der Verstorbene hat also etwa
3 mal 0.2 g genommen.
4. Haben diese Giftmengen im vorliegenden Falle die Ge¬
sundheit geschädigt?
Hierüber ist zu sagen, dass die von den Angehörigen her¬
rührende Krankheitsschilderung genau einer typischen Brech-
weinstein-(d. h. Antimon)Vergiftung und auch der Höhe der Gift¬
gabe entspricht.
5. Waren diese Giftmengen eventuell tödtlich? Hätte dies
ein ärztlicher Sachverständiger voraussehen können oder müssen?
Die besonders in England und Frankreich gemachten Er¬
fahrungen beweisen, dass 0,6 g Brechweinstein, in 2 Portionen
ä 3 dg genommen, einen Erwachsenen tödten können, auch
wenn sie, was im vorliegenden Falle gar nicht auszuschliessen
ist nicht mit Arsen verunreinigt sind. Natürlich muss diese
Wirkung nicht eintreten. Man hat Fälle erlebt, wo 6 und
selbst 15 g überlebt worden sind.
Unsere Aerzte werden freilich ohne besondere Vorstudien ge¬
neigt. sein, die Frage 5 zu verneinen. Denn im Arzneibuch
für das Deutsche Reich steht als Maximaldosis 0,2 bezw. 0,5 ver¬
zeichnet. Vortr. ist im Ganzen kein Freund der Maximaldosen-
tnhello, er meint, dass sie leicht dazu verleitet, iibergrosso Gaben
zu verordnen, weil im Gedächtniss die Maximaldosis mit dem
Namen des zugehörigen Mittels eng verbunden haften bleibt.
Mindestens ist eine gründliche Revision der Maximaldosen ge¬
boten.
6. —8. Ist der Tod thatsächlich durch das von dem Ange¬
schuldigten verabfolgte Mittel verursacht worden und hätte dann
das Gift unbedingt in der Leiche gefunden werden müssen? Ist
der Tod durch besondere körperliche Zustände begünstigt ge¬
wesen, sind Anhaltspunkte für eine andere Todesursache, speziell
Vergiftung mit Oyankalium, vorhanden?
Die letzte Frage zuerst betrachtend, spricht Vortr. nur seine
lebhafteste Verwunderung darüber aus, wie bei dem Fehlen aller
charakteristischen Merkmale ein Arzt die Diagnose, Cyankalium¬
vergiftung, Selbstmord, ausspreclien konnte. Mit Sicherheit ist
die Todesursache überhaupt nicht ermittelt.
Seltsam ist das Fehlen von Antimon, das doch sicher im
Körper gewesen ist, und unzerstörbar ist, in den untersuchte
Leichentheilen. Man hätte eventuell auch die Knochen und
etwa vorhandenen Ham untersuchen müssen. Fehlte das Anti¬
mon wirklich, so kann cs nur durch die der Fäulniss entsprechen¬
den Flüssigkeitsbewegungen herausgekommen 9ein.
Recht wahrscheinlich hat förderlich auf den Tod das Fett¬
herz des Verstorbenen gewirkt.
Das Gericht kam bezüglich der fahrlässigen Tödtung zu
einem, wie nicht anders zu erwarten war, freisprechenden ür-
theil.
Bemerkt sei indess, dass ein ärztliches Arbitrium und Super-
arbitrium, letzteres .sogar mit Sicherheit, Tod durch Antiraou-
vergiftung angenommen hatten.
4. Herr C. Fraenkel: lieber den biologischen Nach¬
weis des Arsens.
Vorfüln-ung und Beschreibung des zuerst von dem italieni¬
schen Forscher G o s i o 1891 empfohlenen, neuerdings von ver¬
schiedenen Seiten naehgeprüften und mit Erfolg angewandten
Verfahrens zum Nachweis kleinster Arsenmengen mit Hilfe des
Penieillium brevieaule. Dieser Schimmelpilz hat die Fähigkeit,
aus Nährböden der verschiedensten Art, so namentlich Brotbrei,
die Arsen enthalten, dieses zu zersetzen, und stark nach Knob¬
lauch riechende, vielleicht in die Reihe der sogen. Arsine, d. h.
organischer Arsen Verbindungen gehörige, flüchtige Verbindungen,
zu erzeugen. Dabei tritt diese Reaktion nur ein, wenn eben
Arsen, aber nicht wenn z. B. Antimon, Wismuth und andere
ähnliche Substanzen vorhanden sind und besitzt daher eine spe¬
zifische Bedeutung. Der Nachweis erfolgt durch den Geruch,
und bei den grossen Schwankungen, denen das Riechvermögcn
der einzelnen Menschen unterliegt, liegt hierin eine gewiss
Schwäche des Verfahrens. Indessen hat sich die Methode in
der Praxis doch schon mehrfach auf das beste bewährt.
Besprechung: Herr H a r n a c k hebt hervor, dass für
eigentlich forensische Zwecke, bei denen es hauptsächlich auf
quantitave Bestimmungen ankomme, das Verfahren doch
immer nur als ein Hilfsmittel zur raschen Orlentlrung werde
dienen können. Auch sei mit der Gefahr zu rechnen, dass die
ausserordentlich empfindliche Methode schon Arsenmengen werde
nachweisen können, wo von einer absichtlichen oder zufälligen
Einführung der letzteren bei Lebzelten gar nicht die Rede sei.
diese vielmehr anderen Ursprungs seien.
Herr Fraenkel erwidert, dass das Arsen nach unseren bis¬
herigen Kenntnissen doch ln der Natur keineswegs so verbreitet
sei, wie z. B. etwa das Kupfer und also die von Herrn H. eben
hervorgehobene Gefahr eines Irrthums ln dieser Richtung aus¬
geschlossen erscheine. Der Mangel quantitativer Resultate sei ohne
Weiteres auzuerkennen. Diesem Nachthell ständen aber sehr
grosse Vorzüge gegenüber: Jede Vorbereitung der betreffenden
Substanzen für die Untersuchung werde entbehrlich, alle Arsen¬
verbindungen würden ln gleicher Welse zersetzt und namentlich
eine so rasche Scheidung arsenhaltiger und arsenfreier Proben
möglich, wie auf keinem anderen Wege.
Herr Genzmer macht auf eine Mittheilung aufmerksam,
die jüngst durch die Zeitungen gegangen sei und nach der man
in allen Organen und Geweben des menschlichen Körpers, beson¬
ders der Schilddrüse, nicht unerhebliche Quantitäten von Arsen
gefunden habe.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Edlefsen. Schriftführer: Herr Just.
Herr Jochmann berichtet: 1. Ueber einen Fall von echter
Osteomalacie, der im Eppendorfer Krankenhaus zur Beobachtung
kam. Es handelte sich um eine 37 Jähr. Gastwirthsfrau, die wegen
Schmerzen in den Hüften und im Kreuz In’s Krankenhaus kam.
Während einer y 2 jährigen Beobachtungszelt sank bei der Frau
das Sternum ein, die Frau wurde kleiner, es bildete sich eine
Kyphose aus. Ferner trat eine doppelseitige Spontanfraktur des
Femurhalses auf. Ausserdem entwickelte sich linkerseits ein
haemorrhagisclies Glaukom. Die Beckenverhältnisse blieben nor-
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$0. Juli 19Ö1. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1261
mal, da die Frau frühzeitig bettlägerig geworden war. Es be¬
stand ferner eine Nephritis mittleren Gnides. Der Fall ist von
Interesse aus verschiedenen Gründen. Einmal gehört Osteomalacie
in Hamburg zu den grössten Seltenheiten. Ferner steht dieser Fall
ausser jedem Zusammenhänge mit Schwangerschaft oder Puer-
periimi. Die Frau hat 2 Kinder gehabt, das jüngste vor 11 Jahren.
Interessant ist ausserdem, dass hier die klinische Diagnose be¬
stätigt und gestützt wurde durch das Rüntgenbild, auf welchem
man deutlich die papierdünue Substantia com pacta der Ober¬
schenkelknochen, sowie die Knochenerweichung am Becken er¬
kennen konnte.
Ob ein Zusammenhang besteht zwischen dem in diesem Falle
zur Entwicklung gekommenen Glaukom und der Osteomalacie,
vielleicht bedingt durch die gleichen vasomotorischen Störungen
Lässt der Vortragende dahingestellt.
Sehr wichtig ist in diesem Falle das Vorhandensein von ganz
auffallend grossen Mengen von Albumosen im Harn. Der Urin
cuthielt ausserdem 2 Prom. Albuinen. Albumosurie ist ver¬
schiedentlich bei Osteomalacie beobachtet; meist aber war dieselbe
bedingt durch multiple Myelome. In diesem Falle gelang es auch
luit Sicherheit die Albumosen im Blut nachzuweisen.
Die Frau ging zu Grunde an einer rechtsseitigen Oberlappen¬
pneumonie. Der Sektionsbefund bestätigte die Diagnose: echte
Osteomalacie..
Herr Jochmann demonstrirt 2. ein primäres Leber-
carcinom, das bei einer 45 jährigen Frau zur Entwicklung gelangt
war und klinisch keine weiteren Symptome als eine geringe Ver-
grüsserung der Leber und geringen Ikterus verursacht hatte. Die
Frau starb an einer frischen Endocarditis. Pathologisch-ana¬
tomisch gehörte der Krebs zu der massiven Form des primären
Lebercarcinoms und ging, soweit das zu erkennen war, von den
1/cberzellen aus.
Discus8ion: Herr Deutschmann: Es gibt bis Jetzt
keine Augenbefunde bei Osteomalacie in der Literatur, gegen den
Zusammenhang der Augenveränderung mit der Nephritis spreche
das von D. beobachtete Fehlen der weissen Plaques und das links¬
seitige haemorrhagiscbe Glaukom. Wenn es gelingen sollte, die
Osteomalacie als Infektionskrankheit nachzuweisen, so sei dev
Befund der Osteomalacie zuzurechnen.
Herr Simmonds berichtet über die Untersuchungen des
italienischen Forschers Morpurgo, der bei Ratten eine der
Osteomalacie ähnliche, durch Mikroben verursachte Erkrankung
beobachtete. Aus der menschlichen Pathologie sind ähnliche Be¬
funde nicht bekannt.
Herr Jochmann: Die bacteriologische Untersuchung des
Blutes fiel negativ aus.
Herr Reuter demonstrirt eine grössere Anzahl von Malaria-
präparaten der Tertiana- und Tropicaform mit sehr schöner Chro¬
nistin färb ung. Es ist ihm nach einer grossen Anzahl von Ver¬
suchen gelungen, den bei der Romanowsk y’schen Färbung
wirksamen Farbstoff zu Isoliren, chemisch rein darzustellen und
mit Hilfe eines sehr einfachen und absolut sicheren Färbever¬
fahrens praktisch verwendbar zu machen. Redner hat den von
Rosin eingeschlagenen Weg der Reindarstellung der Methyleu-
blau-EosinVerbindungen weiter verfolgt und auch auf die Um¬
setzungsprodukte des Methylenblaus ausgedehnt, welche bei Ein¬
wirkung von Alkalien aus letzterem entstehen. Wenn man
wässerige Lösungen des reinen Methylenblau med. pur. Höchst
mit kohlensuuren Salzen etc. schwach alkalisch macht und einige
Zeit lang bei erhöhter Temperatur, 50 0 C., stehen lässt, so werden
sie leicht rotbstichig und geben beim Ausschütteln mit Chloroform
die von Kocht beschriebene Rothreaktiou. Das Methylenblau
erleidet also unter Einwirkung schwacher Alkalien bei erhöhter
Temperatur eine langsame Umsetzung, deren Endprodukt das im
Handel erhältliche, von Unna eingeführte polychrome Methylen¬
blau darstellt.
Letzteres ist nur unter Zusatz von Säuren mit Eosin ausfäll¬
bar uud seine EoslnVerbindung, in Alkohol und Wasser löslich,
nicht zur Chromatinfärbung verwendbar. Das polychrome Me¬
thylenblau geht beim Ausschütteln mit rother Farbe in Chloroform
über und färbt sich dann lsollrt unter Einwirkung der Luft blau.
Jedenfalls zeigt seine Gegenwart an, dass die Reifung der Me-
tbylenblaulösuug bis zur Bildung des Endproduktes fortgeschritten
ist Auf die Zwischenglieder kommt es nun an. Der Vortragende
unterscheidet davon zwei. Der eine dieser beiden Körper ist im
Wasser so gut wie unlöslich und scheidet sich bei der Reifung
in Form feiner Krystallnadeln aus, welche eine tief schwarzblaue
Farbe besitzen. Durch Abfiltriren kann man dies nicht näher
untersuchte, nur ln geringen Mengen gebildete Produkt leicht von
dem zweiten, für die weitere Bearbeitung allein ln Frage kommen¬
den Farbstoff trennen. Letzterer ist im Wasser leicht löslich,
unterscheidet sich vom gewöhnlichen Methylenblau in Bezug auf
»eine Farbe gar nicht. Erst wenn mau ihn mit einer wässerigen
Eosinlösung ausfällt, bekommt man einen amorphen, sehr feinen
Niederschlag (ohne vorherigen Säurezusatz resp. Neutralisation),
welcher Im Wasser vollkommen unlöslich, ln feuchtem Zustande
auf dem Filter gesammelt, eine dunkelrothe Farbe besitzt
Wenn man das ln Frage kommende Produkt des Methylen¬
blaus als ein A-(lkali)Metbylenblau lm Gegensatz zum P-(oly-
chrouien)Methylenblnn bezeichnet so handelt es sich also bei der
Chromat!nfBrbung der Malariaplasmodien um elneA-Methylenblau-
Kostnverblnduug, welche den allein wirksamen Farbstoff darstellt.
Das polychrome Methylenblau-Eoein geht natürlich bei dieser Dar¬
stellungsmethode mit durcli’s Filter, da es nur ln saurer Lösung
ausfällt
Man kann das A-Methylenblau-Eosin mit Wasser auf dem
Filter bequem reinigen, es unterscheidet sich vom gewöhnlichen
Methyleublau-Eosln durch seine rothe Färbt* in feuchtem und durch
eilten ausserordentlich lebhaften grünen Metallglanz in trockenem
Zustande. Der Vortragende gibt zum Vergleich verschiedene
Proben der nach seiner Methode hergestellten Farbstoffe in Sub¬
stanz herum.
Das A-Mcthylenblau-Eosln ist in absolutem Alkohol im Ver-
hältniss 1:500 mit dunkel geutiunablauer Farbe löslich, die Lösung
ist dauernd und unveränderlich haltbar. Zum Färbei) mischt man
20—30 Tropfen der alkoholischen Lösung mit 20 ccm Wasser und
übergiesst damit die in den Farbschälchen liegenden Präparate.
Färbedauer — 12 Stunden. Störende Niederschläge werden dureli
kurzes Ausschwenken der Präparate in absolutem Alkohol voll¬
kommen entfernt, ohne dass die Färbung selbst darunter zu leiden
braucht. Die Präparate färben sich erst im Augenblick der
Fällung uud Niederschläge. sind daher prinzipiell nicht zu ver¬
meiden.
Der Vortragende weist zum Schluss noch einmal auf die Ein¬
fachheit uud Sicherheit des ganzen Verfahrens hin, welches vor¬
aussichtlich die bisherigen Malariafärbemethoden völlig verdrängen
wird, falls mau den Farbstoff erst im Handel wird bekommen
können.
Die letzthin im Centralblatt f. Bacteriologie uud Parasiteu-
kunde von L. Michaelis veröffentlichten Untersuchungen über
„Das Methylenblau und seine Zersetzungsprodukte“ stimmen in
manchen Punkten mit den Erfahrungen des Vortragenden überein.
Ob aber der von Michaelis als Azurblau bezeichnete Farb¬
stoff derselbe ist, dessen Eosinverbindung vom Vortragenden
dargestellt uud verwandt wurde, erscheint zweifelhaft, zumal
Michaelis das Azurblau als wesentlichen Bestandteil des
polychromen Methylenblaus (Unna) bezeichnet. Weitere Unter¬
suchungen müssen in diesem Punkte Klarheit schaffen.
Discussion: Herr Unna fragt den Vortragenden, ob nach
seiner Meinung die rothe Färbung au den Gebrauch des Eosins
gebunden sei. ln diesem Falle wäre das Eosiu nicht durch andere
saure Farben ersetzbar, wohl aber falls die rothe Färbung nur von
einem Derivat des Methylenblaus herrühre.
Herr N o c h t betont den grossen Fortschritt, den R. mit
seiner Methode erreicht habe.
Herr Reuter hat orange- und andere saure Farbstoffe zur
Erzielung des Niederschlages im polychromen Methylenblau ver¬
sucht. Es gibt eiuen Niederschlag, der jedoch für die Färbung
nicht wirksam ist. It. betont, dass der Farbstoff nur im Moment
des Ausfallens färbt, wie dies Unna auch schon für andere Anlliu-
farbstoffe bewiesen habe. Nach seiner Meinung sei es die Eosiu-
Methylenblaulösuug, welche das Chromatiu färbt
Herr N o c h t hat öfter Junge Parasiten mit gewonunchem
Methylenblau sich färben selten, doch sei dies nur Zufall.
Herr Pappenheim betont, dass möglicher Weise Unter¬
schiede zwischen eosinsaurem Methylenblau und oruugesuurew
Methylenblau bestehen. Eosin ist als Carbonsäure ein sehr echter
uud intensiv färbender Körper. Er wird duher dem Methylenblau
nur in geringen Quantitäten zugesetzt, d. h. der sich bildeude neu¬
trale Farbkörper ist in einem Ueberschuss der basischen Kompo¬
nenten gelöst. Orange dagegen ist als helle Disuifosäure stark
diffundirend und unecht; in solchem Fall pflegt mau den neutralen
Farbstoff in einem Ueberschuss des sauren gelöst zu halten. Es
dürfte sich daher in letzterem Falle um eine triaclde Verbindung
des Methylenblau handeln, bei der 3 N-Atome der Farbbase au
je ein Oraugemolecül gebunden sind.
Der Neutralkörper vermehrt sieh dann in dem neutrophilen
Substrat mittels der freien ?V?phophoren Sulfogruppen. Es handelt
Sich also eigentlich um Bindung eines Farbstoffs von besonders
grossem Molecül, wie denn ja neutrophile Granulationen bei
mancher Metbylenbiau-Eosiufürbuug sieb singulär mit dem sauren
Farbstoff allein färben lassen; ja, stärker erhitzt, nehmen sie
aus dem Triacid auch nur die im Ueberschuss vorhandenen sauren
Komponenten auf, ebenso wie schwächer erhitzte eosinophile Gra¬
nula bei Triacidfärbuug sieh mit fuehsiusulfosaurem Methylgrüu
violett färben.
Dagegen findet die neutrale Farbsalzbildung im anderen Falle
wahrsebeiulieh so statt, dass 1 mal Eosin mittels freier Hydroxyl-
bezw. Carboxylgruppen 2 mal Methylenblau au den lmidogruppeu
derselben bindet.
Dieser neutrale Farbkörper fuugirt als schwach basisches,
hochcomplexes, schwerlösllches Farbsalz, welches sich mit dem
Substrat mittels seiner noch disponiblen 4 Amidogruppen vermehrt.
Dieser Farbkörper könne daher mit dem oraugesaureu Methylen¬
blau nicht ln Parallele gebracht werden. Herr R. müsse, um die
Nothweudigkeit des Eosin zu erweisen, Versuche, etwa mit Fluo-
rescelu oder Corullin austeilen.
Hinsichtlich der Bedeutung der rothen C'hromatiufürbuug sei
diese verschieden von der des Schleims uud der Mastzellenköruer.
Letztere färbten sich ja schon im polychromem Methylenblau bezw.
dessen rother Komponente ohne Zusatz von Eosiu. P. fragt, wie
sieh die Malariaparasiten einem Toluidiublau-Eosingcmisch gegen¬
über verhalten.
Zur Erklärung der Schleim- uud Mastzellemnetaehromasie
gegenüber polychromem Methylenblau müsse mau berücksichtigen,
dass hierbei eine rothe Komponente aufgenommen wird, welche in
Methylenblau entstanden ist, wenn dieses mit Alkalien behandelt
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126Ö MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 31.
war. Welcher Natur diese rothe Komponente sei, sei schwer zu In dieser ganzen schwierigen Frage steht für Unna bisher nur
entscheiden. Zur Erklärung müsse man aber jedenfalls das ana- soviel mit Sicherheit fest, dass das M astzelle nroth und
löge Verhalten mit anderen metachromatischen Farbstoffen mit das Malariarot h zwei verschiedene Körper sind. Hierin ist
heranziehen. I?ei Färbung mit Toluidinblau werden die y-Granula U n n a durch die neue Färbung von Ke u t e r und die Nuance der
und der Schleim ohne Weiteres roth, d. h. ohne dass das Toluidm- damit erzielten Kothfärbung noch bestärkt worden, er neigt sich
blau vorher alkalisch gemacht worden wäre. Kothfärbung ent- auch der Erklärung von Iteuter zu, dass ln dem Malaria¬
steht aller, wenn mau im Keagensglas der Toluldiublautösuug roth eine Kombination von Eosin mit einem Me-
Alkali zusetzt. Die basophilen (sauren) y-Granula haben also den thylenblauderivat vorliegt
basischen Farbstoff wie ein alkalischer Körper beeinflusst. Herr Keuter bestätigt die morphologischen Beobachtungen
Dieselbe Beeinflussung zeigen siimmtliche violetten basischen des Herrn P. Uber Nucleoide und Blutplättchen. Bel Anfertigung
Farbkörper, so Methylviolett (Kosanilin), Thionin (Thinzin), Kresyl- der Präparate halte man sich vor Allem vor der Einwirkung des
violett tOxazin), N'eutralviolett (Eurhodiu), Amethyst (i'henaziu). Wassers zu hüten, und daher die Präparate im Exslccator aufzu-
iin Gegensatz dazu entsteht bei vielen rotheu basischen Färb- bewahren. Ein Gemisch von Toluidinblau und Eosiu färbt das
stoffen eine gelbe Metachromasie der y -Granula und des Schleims, Chromutiu der Malariaparasiten nicht.
so bei Neutralroth, chemischreinem Safraniu, bei Pyronln uud Herr Noeht betont nochmals, dass die Granula der Masi-
Anidiuroth. Sie fehlt bei Fuchsin, welches die Mastzelleuköruer zellen und das Cliromatin der Plasmodien auch seiner Meluuug
in rolher Nuance aufnehmen. nach sicher vou 2 verschiedenen Farbstoffen gefärbt werden. Nach
Es könnte sein, dass die gelbe Metachromasie der rothen einigen Monaten haben selbst im Exslccator aufbewuhrte l'rä-
Farbbasen darauf beruht, dass ihre freie Carbinolbase als solche parate keine Färbung mehr gegeben.
aufgenommen, d. h. ohne chemische Salzbildung physikalisch ver- nerr fraenkei: ueoer tertiäre Dünndarmsyphilis.
ändert wird. Behandelt man nämlich das basische Farbsalz Neu- ju. H.i Das Präparat, ilas ich innen vorlege, bcuint eine
iralroth mit Alkali, so wird es gespalten, indem sich Alkali mit der Erkrankung, be/.üglicn deren unsere ivenutnisse, namentlich ai
Salzsäure des Farbsalzes verbindet und die gelbe Carbinolbase in klinischer Hinsicht, noch recht luokenhait siuu. Es einsiumnu
Freiheit gesetzt wird. Dasselbe geschieht, wenn die „alkalisch einem 06 Jahre aiten Herrn, bei welchem sich lnnerliaiu der letzicu
reagirenden“ Schleimsubstanzeu mit den rotheu Farbsalzeu be- Monate seines Hebens ziemlich akute Erscheinungen einer Be¬
handelt werden. Die Färbung der Mastzelleukörner ist säureecht, hiuderung der Darmpassage eingestellt hatten, die schliesslicu eiueu
d. h. wird durch nachträgliche Einwirkung von Essigsäure sowohl operativen Eingnit erioruerlieu macnteu. Bei der Eaparotoune
wie anorganischen Säuren, nicht zerstört. Glycerin zerstört die ergaben sicn uurch sehr teste Verwachsungen des entraukteu
Mastzellenfärbung völlig; Alkoholbehaudlung hebt bloss die Meta- jiuuuuarmabschinites mit der Umgebung ausserorüeuuiclie
chromasie auf, die Färbung bleibt. Die Carbinolbase des Fuchsin {Schwierigkeiten, welche nur durch Kesekuou eines verhältniss-
ist völlig farblos. Aelinlicn löst sich Kresofuchsiu in Wasser mit massig grossen Darmstückes überwunden werden konnten,
rotlier harbe, in Alkohol mit blauer. Nur in alkoholischer Lösung j_*as rrupurat gelangte mit der Diagnose „stenosiremies Düuu-
aber färbt es Elastica und zwar blau, iu wässeriger dagegeu darnicarciuom" zur Untersuchung. Au dem aufgescüuittenen Dann,
Schleim roth. der schou bei der Operation au einer biene eiugerissen war, be¬
ides Verhalten ist ein ähnliches, wie das der polygenetischen uierkie man 1. entsprechend dem eben erwähnten, 20 cm uuicr-
Beizenfarbeu, deren Nuance je nach der Natur des Beizmittels halb des zu führenden Schenkels gelegenem ltiss die Darmwuud
wechselt. Dies erklärt sich nach Witt iu ähnlicher Weise, wie circular iu einer Breite vou ö cm nekrotisch, missfarben schwavz-
das Aufscliiitteln eines Körpers (Jod) aus wässriger Lösung, etwa lieh, gegen die Umgebung nirgends demarkirt, in uas Lumen wan-
durcli Chloroform, wobei ja ebenfalls ein Farbwechsel eiutrllt. arug hiueiurageud. Der nekrotische Process setzt eich auf den
orcein ist ein saurer ivörper uud zwar ist das sogen, neutrale uuuiittelbar angrenzenden Theil des Mesenteriums fort, welches
Orceiu elue freie violette Farbsäure. ln diesem tärbt sich das Col- seinerseits in etwa haudtellergrosser Ausdehnung gesellwulsturtig
lagen, ferner die Endkolbeu des Strahlenpilzes roth, den Farbstoff luhitrirt erscheint, wahrend der zu dem mltexstirpirteu, gesuudeu
wie eine Säure beeinflussend, die normalen Pilzrasen iudess blau, Theil des Darms gehörige Mesenterlalabscünltt normale Verüuii-
Jhu wie ein Alkali beeinflussend, d. h. nur hier ist Salzbilduug ein- nisse aufweisL \ cm unterhalb des nekrotischen Daruiwand
getreten. Versetzt man das Orceiu mit Alkali uud tärbt daun mit nhschniits bettndet sieb
ueiu blauen Farbsalz, so nimmt das oxyphile (basische) Collagen 2. eine beetartige, 1 cm breite, quer zur Längsachse des
deu Farbstoff nach wie vor iu rüthlicher Nuance auf, d. h. es ist Darms gestellte Erhabenheit von gleicher Farbe wie die umgebende
chemische Spaltung des Farbsalzes elngetreleu, aber nicht che- Schleimhaut, ö cm vou dem obenerwähnten Herd zeigt
mische Bindung der iu Freiheit gesetzten freien Farbsäure seitens 3 . nie Schleimhaut ein rauhes, durch grauweisse Stippeheu
des Substrates. bedingtes Aussehen, beinahe zu völligem Verstricheusem der
Das Keratin dagegen, das bei Behandlung mit neutralem oder K e r k r 1 n g’sclieu Falten. 35 cm weiter abwärts endlich betindet
angesäuerten Orcein ungesäuert bleibt, nimmt orcelnsaures Alkaii
als solches in blauer Nuance auf. 4 . ein eirculär verlaufendes, 1 y 3 cm breites Geschwür mit
Die gelbe Eupittousüure ist ebenfalls eine freie zweibasische speckigem Grunde und diesen nur wenig überragenden, leicht wail-
Farb8üure, die blaue Salze uud Lacke bildet. Trotzdem färbt sic artigen Kändern.
iu saurem Bade sowohl Seide, wie die viel schwächer saure (mehr jjie histologische Untersuchung ergab entsprechend der bcet-
oxyphile) Wolle gelb. Es tritt also keine chemische Salzbilduug artigen Erhabenheit die Anwesenheit eines grauulatiousartigen, die
ein. Ziuugebeizte Faser färbt sie dagegeu unter chemischer gesummte Mucosa und Subinucosu durchsetzenden, sich ohne
Luckbildung blau; dessgleicheu färbt sie die Wolle uud Seide im scharfe Grenze in die normale Umgebung erstreckenden Gewebes,
amiuouiakaiischen Bado blau, d. h. es wird das eupittousaure «Jas (jj e norinaleu Gewebsbestaudthelle der Darmwuud hier voll-
Alkali als solches nufgenommen. ständig substitulrt hatte. Irgend welche die Diagnose eines Our
Alle die erwähnten Punkte zeigen, vou wie mannigfaltigen ciuoms berechtigende Belunue fehlten. Ganz besonders iustruk-
Faktoren ein Färbungsvorgang abhängen kann, wie schwierig tive Bilder lieferten die auf die Darstellung des elastischen Uo-
daher die Deutung ist, die vou l>ull zu Full getroffen werden muss, wehes der Darmwand gerichteteu Färbungsnietboden,
du mau keineswegs den Färbeprocess nach einer einzigen Formel ich möchte hierbei ganz besonders eine Modittcatiou der
erklären kann. Man muss ausser der Gbromatopbiiie des Bub- U u n a - T ä n z e Fschen Orceinmethode empfehlen, deren ich midi
Btrates und der Natur des Farbstoffes berücksichtigen die* jetzt seit 3 Jahren bediene, und welche in einer G e g e u f ä r b u ng
chemische Keaktion des Substrates, ob mit Farbsalz oder freiem m j t Litblon-Carmlu uud Pikrinsäure besteht; dabei
Princip, iu wässriger oder alkoholischer Losung, in alkalischer oder wird die ürceinf ärbung zwischen die Vorfärbung
ungesäuerter Farbtiotte gefärbt wird, uud mau muss die Oxy- mit Lithiou-Carmiu und die Nachbehandlung
dations- uud Zersetzuugsprodukte, die Carbinole und melirsäurigen der mit Orcein tiuglrten Schnitte mit Pikriii-
Salze genau kennen, um jeden Farbwechsel auf seine Natur hin säure-Alkoliol eingeseboben. (Zu absolutem Alkohol werden
genauer deuteu zu können. einige Tropfen kouzeutrirter wässeriger Pikrinsäure zugesetzt)
Schliesslich macht P. darauf aufmerksam, dass ferner auch Hie elastischen Elemente erscheinen au so hergestellten Präparate»
noch die Blutplättelien roth gefärbt sind, sowie jeue als Kernreste nahezu schwarz, und heben sieb auch in noch so zellreichem Ue-
oder Nucleido zu bezeichnenden Biuueukörper iu den Dellen der wehe gegenüber deu auf gelbem Grunde roth gefärbten Zellkerne»
rothen Blutscheibeu, die bei der gleichen Färbung auch schou auf’s schärfste ab.
Maurer gesehen hat und die iu deu aufgestellten Präparaten Bel Anwendung dieser Methode gelang vor Allem der Nacli-
ausserordentiieh häutig uud deutlich zu seheu sind. Auf deu gene- weis sehr hochgradiger, sowohl Arterien als Veneu betreffender
tischen Connex zwischen diesen Nucleoiden und deu Blutplättchen Gefässveränderungou. Dieselben charakterlslrteu sich an den
hatte P. bereits am 23. III. In der Biolog. Sektion des ärzti. Vereins letzteren entweder als obllterirende, das Lumen auf’s Aeusserste
Hamburg biugewiesen (s. Münch, med. Wochensehr. 1001, No. 24). beengende prolil’erireude Endopblebitis oder es bandelte sieb um
Herr Unna hat ebenso wie Vortragender gefunden, dass die eine Durchwachsung der gesammteu Veneuwaud mit den gleichen
polychrome Methylenblaulösuug nur sehr wenig alkalisch sei. grauulatiousartigen Massen, welche, wie bereits erwähnt, die
Sie werde ja auch nur mit kohlensau rem* Alkali gemacht und zöge Darminnenwand im Bereich der beetartigeu Erhabenheit durch-
au der Luft GO, an. Ihre Alkalescenz entspräche daher nur der- setzt hatten. Vielfach war die Veneuwaud bis auf einzelne clr-
jenigen einer entsprechenden Lösung vou koblensaurem Natrou. culiir verlaufende Lagen elastischer Fasern zerstört und nur durch
Dies sei nicht unrichtig, da neuerdings von Michaelis die das Erhaltensein dieser als frühere Vene kenntlich geblieben.
Gegenwart von Methyleuroth iu der polychromen Lösung wegen Die geschilderten Veränderungen betrafen nun nicht die ge-
deren Alkalescenz als unmöglich hiugestellt sei. Seine eigene Er- sainmteu zu deu erkrankten Darmschuitteu gehörenden Vene»
klärung des ltoths als eines Roth aus Methylenazur und Arterien, sondern immer uur einzelne Aeste und diese nicht an
habe aber ebenfalls Bedenken, da die bisher allein als roth be- allen Stellen ihres Verlaufs.
kauute Azurbase in dem säurefesten und gegen Alkali sehr em- Genau den gleichen Verhältnissen begegnete man bei Unter-
ptindlicheii Mastzelleurotli nicht vorhanden sein könne. Buchung von Stücken, die dem nekrotischen( sub 1 beschrielmuen)
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30. Juli 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1263
AbBcbnitt des Dünndarms entsprachen und von Theileu, welche
dem (sub 4 erwähnten) Ulcus entnommen waren. Hier wur es nur
zu einem Zerfall der innersten, gegen das Darmlumen gerichteten
Schichten des lnflltrirenden, granulationsartigen Gewebes ge¬
kommen.
Auch in dem tumorähnlichen Theil des Mesenteriums erwies
sich die geschwul8tnrtlge Beschaffenheit bedingt durch eine Durch¬
setzung des Mesenteriums mit einem Gewebe von dem gleichen
Typus wie das in den erkrankten Darmtheilen vorhandene, ln
klassischer Weise traten auch hier die in den kranken Darm-
abschnitten beobachteten Gefässveriinderungen zu Tage.
Die letzteren fanden sich endlich auch in einer mituntersuch¬
ten mesenterialen I^j-mphdriise, welche ausserdem eine enorme
Ektasie des marginalen wie retrofolllkulären Lymplislnus aufwies.
Auf Grund der mitgetheilten Thatsachen und zwar 1. der
Lokalisation der beschriebenen D a r m Verände¬
rungen ln den obersten Abschnitten des Jeju¬
num und 2. der durch das Mikroskop festgestellten Befunde,
welche sich auf den Nachweis eines verschiedene
Stellen des Jejunum sowohl als des zugehörigen
Mesenteriums drehsetzenden, zum Theil ge-
sehwürig zerfallenen granulationsartigen (Je¬
web e s und auf die Konstatirung schwerer, sowohl Ar¬
terien als besonders Venen betreffender, oben
genauer charakterislrten Gefäss Veränderungen beziehen,
stehe ich nicht an, die Diagnose hier auf eine gummös-ulceröse
Erkrankung des Dünndarms zu stellen und damit einen weiteren
Beitrag zu dem so interessanten Kapitel der erworbenen Darm¬
sepsis zu liefern.
Die anatomischen und histologischen Befunde an dein vor¬
liegenden Präparat decken sich namentlich nach der histologischen
Seite so vollständig mit denen eines anderen Falles von acquirirter
Magendannsyphilis, über denen ich Ihnen vor 3 Jahren einmal ein¬
gehend berichtet habe (cfr. Sitzungsber. d. biolog. Abtli., Jahrg.
1898, p. 136 und Vircliow’s Archiv CIA', p. 507), dass ich bezüglich
aller weiteren Details darauf verweisen kann.
Nach der klinischen Seite unterscheidet sich der heut**
erörterte Fall sehr wesentlich von jenem eben ungezogenen,
insofern er uns mit einer neuen Gefahr der Syphi¬
lis für (len Darm vertraut gemacht und uns darüber belehrt
hat. dass es untordem Einfluss der Lues zu Kanali-
s a t i o n s s t ö r n n g e n im Darm kommen kann, welche für
deu betreffenden Patienten verhiinguis&voll werden können. Die
richtige Beurlheilung dieser Zustände und ihre differential-
diagnostische Unterscheidung von bösartigen, zur Stricturbildung
im Darme führenden Neubildungen ist, wenn überhaupt möglich,
sicher nicht leicht. Man wird Jedenfalls gut thun, auch bei älteren,
erst recht aber bei jüngeren Patienten mit Erscheinungen, welche
auf eine Ina Verlauf des Dünndarms bestehende Stenose hlnweisen.
besonders dann, wenn der Verdacht auf Tuberkulose auszu-
sehlies8en ist. auf lates in der Anamnese zu fahnden und einen
entsprechenden therapeutischen Versuch zu machen.
Herr Stamm: Heber Spasmus nutans bei Kindern.
St. verfügt über 8 eigene Beobachtungen, 5 der Kinder hatten
das erste Lebensjahr eben vollendet, 2 standen noch im ersten,
und 1 bot die Erscheinungen erst mit 2% Jahren. Unter Spasinus
nutans wird ein die ersten Lebensjahre befallendes, häufig mit
Schiefhaltung des Kopfes verbundenes krampfartiges Nicken,
Drehen oder Wiegen des Kopfes verstanden. Die Rumpf- und
Extremitätenmusculatur ist stets unbetheiligt, dagegen ist nahe¬
zu regelmässig beim Spasmus nutans die Augenmusculatur be¬
fallen. Nystagmus, in St.’s Fällen nur horizontaler Art, war
in einem Falle einseitig, in einem Falle, bei dem die Nick¬
bewegungen erst 14 Tage bestanden, gar nicht vorhanden. Pu¬
pillenreaktion und Augenhintergrund stets normal. Tn einem
Falle wurde Tbränen der Augen beobachtet. Keine auf ein cen¬
trales Leiden hinweisende Symptome.
Der Nystagmus nahm an Intensität zu, wenn inan die Kinder
fixiren lies« oder die Kopfbewegungen hemmte. Zeitweise fiel
ein eigentümlich starrer, leerer Blick auf, wie er hei Leuten
zu sehen ist, die „mit offenen Augen träumen“, d. h. nicht fixiren.
Die Augen sind dabei nach einer Seite hin eingestellt und die
Kopfbewegungen pflegen dann am stärksten zu sein. Bewusst¬
seinsverlust ist nicht vorhanden. In allen Fällen wurde ange¬
geben, dass die Kopfbewegungen zeitlich zuerst aufgetreten und
dass dann auch das Augenzittern bemerkt wurde. Allen Fällen
gemeinsam war ferner das Bestehen augenfälliger Rachitis.
Sämmtliche Kinder bis auf eines, welches sich der Behandlung
entzog, sind in kurzer Zeit geheilt und haben sich normal ent¬
wickelt.
Streng zu unterscheiden von diesem, absolut gutartig ver¬
laufenden Spasmus nutans sind die Fälle, welche als Salaam-
krämpfe, Epilepsia oder Eklampsia nutans zu bezeichnen sind,
und die stets einhergehen mit cerebralen Störungen, mit Kräm¬
pfen der Rumpf- und Extremitätenmusculatur, Bewusstlosigkeit,
und die häufig Lähmungen, Epilepsie und Idiotie hinterlassen.
| Zu Verwechslungen kann ferner der in der Jugend erworbene
I oder congenitale Nystagmus führen, der bisweilen auch combinirt
I ist mit Schiefhaltung und Bewegungen des Kopfes, ln solchen
i Fällen ist der Nachweis einer inneren oder äusseren Augen¬
störung und der Verlauf der Erkrankung von differentialdia-
gnostischer Wichtigkeit, Leute mit congenitalem oder juvenilem
Nystagmus haben mit seltener Ausnahme zcitlebends daran zu
leiden, Kinder mit Spasmus nutans werden bei geeigneten Maass¬
nahmen schnell geheilt. St. theilt einen Fall von juvenilem Ny¬
stagmus rotatorius mit, der einen 7 jährigen intelligenten Knaben
betraf, welcher in der ersten Jugend eine centrale Macula corneae
acquirirt hatte und dauernd den Kopf nach einer Seite hin ge¬
neigt hält.
Bei der Besprechung der verschiedenen, in der Literatur ver-
zeichneten aetiologischen Momente, wie Dentition, Wurmreiz,
dyspeptische Störungen und Traumen widerlegt St. die Theorie
R a u d n i t z’s, welcher den Spasmus nutans analogisirt mit dem
Nieden’schen Nystagmus der Bergleute und ihn abhängig
macht von dem Blickrichten. Wie der Bergmann im dunklen
Raume zu fixiren gezwungen ist, so soll auch der im düsteren
Zimmer liegende Säugling so andauernd das etwa einfallende
Licht fixiren, dass er nystagmisch wird.
Das einzige, in allen Fällen vorhandene und sicher nachweis¬
bare aetiologische Moment ist die Rachitis. Mit der Schädel¬
rachitis verknüpfte fluxionäre Störungen an den Gehirn¬
häuten etc. müssen, wenn auch bisher eine Lokalisationsmöglich¬
keit fehlt, für das Entstehen des Spasmus nutans verantwortlich
gemacht werden. Die fast specifisch wirkende Phosphortherapie
unterstützt diese Annahme auf’s kräftigste.
Herr Simmonds: Heber die sog. foetale Rachitis.
In der letzten Discussion sprach ich die Ansicht aus, dass
in der Aetiologie der Rachitis neben hygienischen Missständen die
| hereditären Verhältnisse die allerwiehtigste Rolle spielten, dass
j bei hereditär belasteten Individuen unter den günstigsten socialen
Bedingungen, bei einwandfreier Ernährung diese Krankheit gar
I nicht selten zur Beobachtung kommt, wenn die Eltern an Rachitis
! gelitten hatten, dass umgekehrt in raehitisfreien Familien trotz
j Ungunst äusserer Verhältnisse wesentlich seltener das Leiden her-
! vor!ritt. Ich betonte aber, dass ich dube nur eine ererbte
• Disposition zu dieser Erkrankung im Auge hätte, keines-
[ falls aber das Bestehen einer eongenitalen Rachitis dabei voraus-
j setzte. Trotz regelmässig fortgesetzter anatomischer, zum Theil
1 auch histologischer Untersuchungen meines reichen Sekt.ions-
! materials habe ich noch keinen Fall gesehen, wo ich mit Sieher-
j heit Rachitis beim Neugeborenen angetroffen hätte und ich
schliesse mich der Ansicht derjenigen an, welche eine con¬
genitale Rachitis für etwas extrem Seltenes
halten.
Was in früheren Zeiten für foetale Rachitis gehalten wurde,
ist längst als eine eigenartige Entwicklungsstörung des Skelets
i erkannt, worden, die man, je nachdem die mangelhafte Knochen-
bildung einer unvollkommenen periostalen oder e n chon¬
dralen Osteogenese beruht, als Osteogenesis imper¬
fecta oder als Chondrody strophi e bezeichnet. In beiden
j Fällen bleibt die Längenentwicklung der Extremitäten hinter der
I Norm zurück, im ersten Falle sind die Knochen weich und
brüchig, im zweiten besitzen sie normale Konsistenz. K auf-
mann unterscheidet nun 3 Gruppen der Chondrodystrophia
foetalis: 1. die C h. hypoplastica, bei welcher die Epiphyse
klein bleibt, 2. die C h. malaeiea, die sich durch Erweichung
j des Knorpels auszeichnet. 3. die C h. hypertroph ica, die
j sieh durch starke Verdickung der Epiphyse kennzeichnet, und
äusserst selten ist. Die nunmehr folgenden Projektionsbilder
zeigen Ihnen je einen Fall von Ch. hypoplastica und C h.
hypertroph ica. An den Röntgenbilderu und den Abbil¬
dungen der einzelnen Knochen erkennen Sie in beiden Fällen die
starke Verkürzung der Knochen, daneben im zweiten Falle die
Auftreibung der Epiphysen, die besonders an den unteren Ex¬
tremitäten stark hervortritt, die abnorme Gestaltung des stark
verengten Beckens und die Einknickung von Femur und Tibia.
An den Mikrophotographien sehen Sie, dass das Wesentliche des
Proeesses in einer abnormen enchondralen Knoohenbildung be¬
steht, dass die Knorpelzellsäulenhildung an der Epiphysengrenze
völlig fehlt, dass Knorpel und Knochen unvermittelt an einander
i grenzen, dass im ersten Falle sich bisweilen periostale Biude-
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1264
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
gewebsstreifen zwischen beiden einschieben, dass im zweiten Falle
an manchen Orten reichlich Bildung von Höhlen mit einem
myxomähnlichen Inhalt anzutreffen ist. die Uebergänge zu der
malaeischen Form darstellen. In das Gebiet des foetalen Cretinis-
lnus gehören die Fälle nicht. Der Gesichtsausdruck ist nicht
eretinhaft, das Nasenbein ist nicht eingezogen, die Synchondrosis
sphenooccipitalis ist nicht verknöchert, die Schilddrüse ist makro¬
skopisch wie mikroskopisch normal, die bald nach der Geburt ver¬
storbenen Kinder stammen aus gesunden Familien, die Haut Ut
nicht abnorm fettreich, die Zunge nicht, vergrössert — kurzum,
nichts spricht für Cretinismus. Auf Grund dieser und
fremder Erfahrungen halte ich es nicht für
berechtigt, die sog. foetale Rachitis mit- foe-
t a 1 e rn Cretinismus oder „foetalcm Myxoede m“
zu ident ificiren. (Die beiden Fälle werden mit Abbil¬
dungen publicirt in den Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstrahlen,
Bd. IV, Heft 5.)
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Soci6t6 de Biologie.
Sitzung vom 25. Mal und 1. Juni 1901.
Ueber die subarachnoidale und epidurale Rachicocainisation.
La borde studirte den Mechanismus der analgesiremlen
Wirkung des Cocains und konnte sich durch Versuche überzeugen,
dass dasselbe nicht direkt auf die Nervenelemente oder -Stränge
eiuwirkt. Wenn man eine Cocaininjektiou in den Muskel macht, er¬
hält man eine viel vollständigere Anaesthesie des Gliedes, als wenn
mau das Cocain unter die Haut injicirt; auch ist die Anaesthesie auf
ersterem Wege eine viel ausgeprägtere. Wenn man andererseits
die Wirkung des Cocains auf die Ohren eines Kaninchens studirt,
welchem der Sympathicus der einen Seite entfernt worden ist. so
lKX>bachtet man, dass das Cocain eine energische gefüsszusammen-
ziehende Wirkung hat und seine schmerzstillende Einwirkung der
letzteren parallel ist.
H a 11 i o n glaubt nicht au diese Art der Cocainwirkung, son¬
dern das Cocain beeinflusse direkt alle lebenden Elemente, es
reizt sie in schwacher und lähmt sie in starker Dosis. Aber ein
uhd dieselbe Dosis, welche für das eine Organ stark wirkt, ist für
ein anderes nur schwach; auf diese Weise ist es zu erklären, dass
die gleiche Dosis gleichzeitig Lähmung des sensitiven Nerven¬
apparates und Erregung der Gefüssvasokonstriktoren hervorruft,
die Anaemie der betreffenden Gegend tritt also neben der Analgesie
auf, aber beherrscht sie nicht.
B r o c a r d hat die Methode der epiduralen Injektionen (nach
Sieard) anatomisch, physiologisch und klinisch untersucht und
1<> Fälle von verschiedenen neuralgischen Schmerzen an den
Unterextremitüten behandelt, ohne jemals einen unangenehmen
Zufall erlebt zu haben. Der Schmerz hört oft sehr rasch auf und
die Analgesie kann mehrere Stunden bis 3 Tage anhalteu. Die
Punktion muss etwas über einer Linie, welche die beiden unteren
Tuberkel des Canalis sacralis verbindet, gemacht werden; die
Nadel wird 1—2 cm tief eingestossen und ca. 4 ccm einer >/ 2 proc.
Cocainlösung werden injicirt. Die Wirkung dieser Art Injektionen
scheint auf reflektorische Gefässeinflüsse, welche den epiduralen
Veuenplexus betreffen, zurückzuführen zu sein.
T u f f I e r und M i 1 i a n halten die Lumbalpunktion
für ein gutes diagnostisches Mittel in zweifelhaften
Fällen von Schädelfraktur — die Flüssigkeit ist röth-
lich, fleischfarben, mikroskopisch als ltlut erkennbar; bei unbe¬
deutender Haemorrhagie kann jedoch dieses Symptom fehlen.
Cbipault wandte sowohl die subarachnoidale wie die epi¬
durale Rachicocainisation an; bei ersterer mit der sacrolumbalen,
nicht der lumbalen Art der Injektion, wodurch die Flüssigkeit
in sicherer Weise in den unteren Subarachnoidalramn gelangt, ohne
die Gefahr, Nervenelemente zu verletzen. Nach seiner Erfahrung
ist diese Art derCocainanaesthesie contraindicirt bei allen Eingriffen
der Nerveuchimrgie (Immobil isations verband. Nervendehnung)
wegen der Misserfolge und der Zufälle, welche das Cocain auf die
kranken Nervencentren bewirken kann. Der epiduralen Methode
haften diese Nachtheile nicht an und Ch. rüth auf Grund seiner
anatomischen Untersuchungen, die Injektionen so zu machen, dass
der Patient den Kopf nach abwärts (Trendelenb u r g'sche
Position oder Suspension) hält und die Nadel nicht 1, sondern
5 cm tief in den Canalis sacralis eingestochen wird. Auf diese
Weise konnte Ch. nicht nur eine Hüftgelenksresektion, sondern
zahlreiche andere chirurgische Operationen an Perineum, Rectum
und den Unterextremitüten vornehmen. Nachdem übrigens beim
Hunde die Methode eine ausgedehnte Analgesie gegeben hatte,
glaubt Ch., dass sie auch beim Menschen unter technischen, je
nach den anatomischen Bedingungen vorgenommenen Modi¬
fikationen in ausgedehntestem Maasse Anwendung finden wird.
S t e r n.
Aus den englischen medicinischen Gesellschaften.
Harveian Society of London.
Sitzung vom 7. März 1901.
Iritis gonorrhoica.
J. G r i f f i t h erklärt die Gonorrhoe für eine ganz gewöhn¬
liche Ursache der Iritis; sie übertreffe als aetiologlsches Moment
die Syphilis ganz entschieden, trotzdem letztere im Allgemeinen
als der häufigste konstitutionelle Faktor angesehen wird. Es
handele sich dabei nicht um eine zufällige Komplikation, sondern
um einen thatsächlichen Folgezustand, ebenso wie die gonor¬
rhoischen Gelenkaffektiouen. Viele Fälle werden ihrem ursäch¬
lichen Zusammenhang nach nicht erkannt, weil sie oft erst sehr
spät nach der Primäraffektion hervortreten; dieselben werden dann
wegen ihrer Neigung zum Recidiviren als rheumatisch diagnosti-
cirt. Unter anderen kasuistischen Mittheilungen erwähnt G. eines
Patienten, bei dem nach gonorrhoischer Panophthalmie der einen
Seite Iritis gonorrhoica am anderen Auge auf trat, ohne dass Pat.
jemals an Urethritis gelitten hatte.
S. S t e p li e n s o n weist darauf hin. dass die Iritis resp.
Cyklitis manchmal Jahre lang nach der syphilitischen Infektion
Auftreten kann. Er selbst hat eine Zwischenzeit von 19 Jahren
beobachtet. Ebenso tritt Iritis manchmal sehr spät als Folge¬
krankheit nacli Malaria hervor.
Demnach erscheinen die G.'sehen Ausführungen vom theore¬
tischen Standpunkte aus ganz plausibel.
Auswärtige Briefe.
Briefe aus Ostasien.
Von Oberarzt Dr. Mayer.
IV. (Vergl. d. W. Nr. 22.)
Peking, 25. Mai 1901.
Peking liegt 30 km vom Gebirge entfernt noch in der grossen
Lössebene, welche sich vom Golfe von Tschili bis hart an den
Rand des Grenzgebirges gegen die Mandschurei hinzieht. Die ge¬
waltige Grundfläche, welche von Mauern umschlossen wird, zer¬
fällt in die zwei bekannten Theile der Mandschu- und Chinesen¬
stadt. Diese unterscheiden sich schon äusserlich, wie ein Blick
von den Mauern zeigt, dadurch, dass das Viereck der Mandschu-
stadt fast vollständig mit Häusern bebaut ist; das ist entschieden
der ältere Theil. Die Chinesenstadt ist nur in dem zwischen der
Chunchimün- und der Hadamänstrasse gelegenen Bezirk voll¬
ständig bebaut. Südlich der Walderseestrasse liegen nur im west¬
lichen Theile zusammenhängende Häuserviertel. Die Nordwest-
und Nordostocko, und der ganze Süden, letzterer abgesehen von
den 2 Tempeln des Himmels und des 1. Ackerbauers, sind offenes
Land, auf welchem sich eine geringe, ackerbautreibende Bevölke¬
rung befindet. Westlich des Tempels des 1. Ackerbauers er¬
strecken sieh bis an die Mauern die Gräberfelder der ärmeren
Klassen, unregelmässig über die ganze Landfläche vertheilt.
Ein weiterer Unterschied zwischen derMandschustadt und dem
bebauten Theil der Chinesenstadt ist der, dass in ersterer fast
jedes Haus in seinen Höfen entweder einzelne Bäume oder einen
Garten einsehliesst. so dass die Mandsehustadt vom Kohlenhügel
aus einem grossen Garten gleicht. Die Strasscnanlage, soweit von
einer solchen gesprochen werden kann, ferner die Bauart der ein¬
zelnen Hauser ist ebenfalls in der Mandsehustadt bedeutend
l>osser. Die kleinen, niedrigen Häuser, die engen, schmutzigen
liefe und namentlich die Lehmhütten findet man viel weniger.
Als besonderer Stadttheil in der Mandsehustadt ist bekanntlich
die Kaiserstadt vorhanden. Die eigentlichen Palastgebäude der¬
selben machen jedoeh nur die Hälfte des von der rothen Mauer
umzogenen Gebietes aus. Es sind das die Vorhöfe vor der ver¬
botenen Stadt, diese selbst, mit dem hinter ihr liegenden Kohlen¬
hügel, und ein langes, schmales, wieder von Mauern umgebenes
Viereck, welches die Lotosteiehe umschliesst, an denen die kaiser¬
lichen Paläste und Tempel gelegen waren. Die übrige Kaiserstadt
ist von Quartieren eingenommen, welche, bis dicht an die Palast-
mauern reichend, an schlechter Bauart und Unsauberkeit dem ge¬
ringsten Viertel in der Chinesenstadt nichts nachgeben.
Peking liegt an keinem grösseren Flusse. Es ist merk¬
würdiger Weise gerade zwischen die 2 wasserreichen Läufe dos
Shaho und Ilun-ho hineingebaut, ohne auch nur von einem
Nebenfluss beider berührt zu werden. Der einzige, zur trockenen
Jahreszeit vorhandene Wasserlauf, welcher in die Stadt hinein¬
führt. ist ein von dem See von Wan-shou-shan hergeleiteter
Kanal, denn der auf den Karten eingezeichnete Flusslauf, der von
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30. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1265
Sze-wang-fu her die Stadt erreichen soll, ist trocken. Auch diu
auf deu Kurten zu hndeudeu Kanüle, Seen und JJiicku in der
Stadt und längs ihrer Mauern sind nur theilweise vorhanden.
L)er Kanal von Whan-ahou-shan gelangt vor dem Nordwest¬
thor der Mandschustadt in den Mauergraben. Sein Wasser läuft
dann längs der Nordmauer, gibt kurz vor dem westlichen Nord¬
thor einen Theil ab durch einen durch die Nordmauer gehenden
Kanal, erweitert sieh unterhalb der Brücken der beiden Nord-
thore zu kleinen Weihern, läuft dann um die Nordosteeke dev
Mandschustadt weiter längs der Ostmauer und geht in dem öst¬
lichen Winkel zwischen Mandscliu- und Chinesenstadtmauer in i
den Tung-tshou-Kanal über. An der Nordostecke der Mauer der
Chinescustadt hat dieser einen Ueborfall, dessen Ueberwasser in
dem Graben zunächst der Ost- und dann der Südseite der
( hinesenstadtmauer weiter läuft, um daim etwas oberhalb der
Südwestecke der genannten Mauer zu versickern. Nahe dieser
Ecke liegt ein kleiner, sumpfiger Weiher, von dem ein kurzer Ab¬
lauf in der gleichen Gegend des Stadtgrabens verschwindet. Der
oben erwähnte, durch die Nordmauer gehende Kanal, an dessen
Abgangsatelle der Stadtgraben durch ein Steinwehr zu einem
kleinen See gestaut ist, speist innerhalb der Mandschustadt zu¬
nächst einen grossen Sumpfweiher. Dieser hat seinen Abfluss
in einem Kanal, der 2 kleinere Sumpfweiher mit Wasser versorgt;
von ihnen geht durch ein dicht bewohntes Viertel ein weiterer
Kanal zu 2 hart nahe der Nordwestoeke der Kaiserstadt ge¬
legenen Teichen, deren südlichem der die Kaiserstadtmauer
durchbrechende Kanal zu den Lotosteichen entstammt. Naive
der Südostecke der Mauer des Winterpalastes befindet sich au dem
südlichsten Lotosteich ein Wehr, aus welchem überströmendes
Wasser in einen Graben gelangt, der in den grossen Graben vor
dem zweiten Südthor der Kaiserstadt mündet. Aus diesem kann
das Wasser durch einen unter der Kaiserstrasse führenden Kanal
in den Graben gelangen, welcher sich längs der Tatarenmauer
hinzieht. Hierdurch ist dieser Graben von Chien-män an in öst¬
licher Richtung feucht. Er mündet in den Tung-tshou-Kanal
östlich des Thores an der Nordostecke der Chinesenstadt.
Im Süden der Chinesenstadt findet man auf den Karten
wiederum mehrere seenartige Gebilde eingezeichnet. Zur
trockenen J ahreszeit trifft man, vom südlichen Westthore kom¬
mend, einen Sumpfweiher links, und 3 Sumpfweiher rechts
der Strasse; in gleicher Weise, vom südlichen Ostthore kom¬
mend, je einen schmalen Sumpfweiher zu beiden Seiten des
Weges. Alle übrigen Wasserbecken sind entweder ausgetrocknet
oder enthalten an ihren tiefsten Stellen eine höchst übelriechende
Lacke.
Es geht von Peking die Sage, dass es ein vorzügliches Kanal¬
system gehabt habe, welches leider durch ein Erdbeben zerstört
worden sei. Reste einer ehemaligen ausgedehnten Kanalisirung
findet man allerdings in der ganzen Stadt. Beginnt man an der
Abgangsstelle des Lotosseekanales, so findet man längs der ganzen
Nordmauer keine Ausmündung eines weiteren Kanales. Längs
der Ostmauer münden, jeweils 100 m südlich, an beiden Thoren
gemauerte Kanäle in den Stadtgraben, welche beim Durchbruch
durch die Mauer durch ein doppeltes Fallgatter geschlossen sind.
In der Ostecke zwischen Mandschu- und Chinesenstadt konnte
das Wasser des Tung-tshou-Kanales durch ein Mauerthor in den
Graben am Tartarenwall geleitet werden. Die Stelle ist jetzt
durch ein Steinwehr geschlossen. Längs der Ostmauer der
Chinesenstadt münden 3 gemauerte Kanäle oberhalb, und 2 unter¬
halb des Ostthores in den Graben; ein weiterer an der Südmauer,
dicht am südöstlichen Thore; 2 zwischen letzterem und dem
Mittelthor; 3 zwischen dem südwestlichen Thore und der Süd¬
westecke der Mauer; an der Weetmauer der Chinesenstadt einer
dicht am Thore. In der Westecke zwischen Mandschu- und Chi¬
nesenstadt befindet sich, wiederum in der Verlängerung des
Stadtgrabens der Mandschustadt, ein grosses, durch Fallgatter
geschlossenes Wasserthor. Längs der Westmauer der Mandschu¬
stadt mündet kein Kanal. Durch die Tatarenmauer treten
4 Kanäle durch Mauerthore in den Graben. Die sämmtlichen ge¬
nannten Kanalmündungen sind zur Zeit trocken. Verfolgt man
nun die Kanäle auf der inneren Seite der eben bezeichneten
Stellen, so verlaufen sie, in der Mauerung meist gut erhalten,
einige Meter senkrecht nach einwärts von der Mauer, um sich
dann zu theilen. Die Mauerung besteht aus Backstein und ent¬
spricht der üblichen chinesischen Bauart: eine solide Wand innen
und aussen und dazwischen Kleinschlag; gedeckt sind sie mit
grossen Strinplatti n . Auf dem Boden liegt wenig Sand. Die
Mauerung des Bodens ist grösstem he ils verschwunden. Auch die
grossen Theilkaniile 1 asseu sich noch an der Ostmauer der
Mandschustadt und an der Tatarenmauer ein Stück weiter ver¬
folgen. Die Strassonkanäle würden, da der Fuss der Mauer über¬
all tiefer lugt als das Niveau der betreffenden Strasse, mit einem
Knick in die genannten Endkanäle münden. Diese Stelle ist
überall, wo sieh die Kanäle so weit verfolgen liessen, eingestürzt
und verschüttet.
Die sämmtlichen Strassen von Peking sind mit Kanälen ver¬
sehen gewesen. Die Hauptstrasseil hatten deren 2, und zwar zu
beiden Seiten «lieht an der Häuserreihe. Mau sieht diese Kan.il*-
noch vielfach in mehr oder minder gut erhaltenen Resten, durch
die Veränderungen, welche die Hauptstrassen im Laufe der Zeit
erfahren haben müssen; ein grosser Theil der letzteren besteht
nämlich in einem hohen Strassendamm in der Mitte, zu dessen
beiden Seiten sich tiefe Mulden befinden; am Rande der Mulden,
zum Theil hoch über dem Niveau des Strassenkörpers sieht mau
nun die zerfallenen Kanalroste; die Häuser liegen gewöhnlich
noch höher. Es scheint demnach, als ob der schlecht gebaute
Strassenkörper durch Einwirkung sowohl des Regens, wie des
! Verkehrs immer mehr verbraucht wurde, und so die Anfangs
I in seiner Tiefe gelegenen Kanäle zu Tage treten lässt.
In den Nebenstrassen existirte nur ein Kanal; derselbe
hatte an verschiedenen Stellen aufgemauerte Oeffnungen, durch
welche die Haus- und Regenäbwüsser hineingelangten, llaus-
anschlüsse scheinen auch im Kaiserpalast nicht existirt zu haben.
Die kleinen Kanäle liegen nun umgekehrt wie die grossen, zum
Theil sehr tief unter dem jetzigen Niveau der Strassen. Um zu
ihren Decksteinen zu gelangen, muss oft 4—5 m Boden ausge¬
hoben werden: In den kleinen Gassen wurde eben auf den Schutt
des einen Hauses immer wieder ein anderes aufgebaut und da¬
durch erhöhte sich das Erdreich. Die Höhe der grossen Mauer-
Kanäle beträgt zwischen 1,70 und 1,80 m; die der Kanäle in deu
Hauptstrassen 1,30—1,50 in, in den Nebenstrassen ungefähr
1,00 m. Hat man eine genügende Menge von Kanälen in einem
Stadtviertel aufgedeckt, wie es im deutschen Theil der Chinesen-
stadt, im nördlichen Theil des amerikanischen Viertels, sowie
im Pe-tang durch die Franzosen geschah, so macht man die Ent¬
deckung, dass in der Kanalanlage von einem System keine Rede
gewesen sein kann. Es verlaufen nämlich die Kanäle z. B. in
der Walderseestrasse, Lazarethstrasse, Königsberger- und Prä¬
fekturstrasse parallel nebeneinander, ohne dass ein Verbindungs-
kanal zwischen ihnen zu finden war. Die Kanäle der Seiten¬
strassen mündeten zwar in die oben bezeichneten Strassen. Je¬
doch geht von der Königsbergerstrasse kein Ablauf zu dem Graben
am Tatarenwall, was doch das Nächstliegende wäre. Vielmehr
soll die ganze Chinesenstadt ihre Abwässer nach Süden entleeren,
wie der chinesische Kanalverständige versicherte. Es wurden
jedoch von den Amerikanern zu einem von ihnen südlich der
Walderseest.ru sse aufgedeckten grossen Kanal ebenso wenig Ver¬
bindungen gefunden. Bei einer Besprechung der Mandarine,
welche früher mit der Kanalreinigung beauftragt waren und die
auf der Präfektur zusammengerufen wurden, um in den deutschen
Vierteln die Kanäle benutzbar zu machen, stellte sich Folgendes
heraus: Die Kanäle wurden in den kleineren Strassen alljährlich
im April aufgedeekt und ausgeräumt, und zwar in der Weise,
Hass die Arbeiter im Akkord arbeiteten, indem sie für die jeweils
10 chinesische Fuss lange Strecke bezahlt wurden. Es wurden
an einer beliebigen Stolle eines Kanals zwei 10 Fuss von einander
entfernte Löcher von der Strasse heruntergegraben und von
diesen sollte die Reinigung nach beiden Seiten fortgesetzt werden.
Bei dem nach diesem System probeweise bei einigen Kanälen
im April dieses Jahres vorgenommenen Reinigungsversuch stellte
sich heraus, dass dieselben zur Hälfte mit Unrath gefüllt, dann
aber bald mit festem Erdreich derartig ausgestopft waren, dass
eine durchgehende Reinigung seit langer Zeit nicht mehr stat.'
gefunden haben konnte. Die Mandarine gaben dann auch mit
verständnisvollem Schmunzeln zu, dass zu einer vollständigen
Reinigung der Kanäle nicht genügend Geld vorhanden g«-we.»cii
sei. Die grösseren Kanäle seien überhaupt fast alle eingotiirzi.
Die Kanäle sind eben gegenwärtig nur noch eine Reihe von
Versitzgruben; da ihnen zur trockenen Jalireszeit das nöthige
Wasser zur Spülung fehlte, ihre Mauerung von jeher undicht.
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1266
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
ihr System planlos war, konnten sie höchstens zur Regenzeit eine
einigennaussen zweckmässige Wirkung entfalten.
Schon oben ist erwähnt, dass nur in einem Theile der west¬
lichen Mandsehustadt, einem Theile der Kaiserstadt, sowie dem
Süden der Chinesenstadt offene Wasserflächen gegenwärtig exi-
stiren. Zur Deckung des Wasserbedarfs ist die ganze übrige
Stadt auf Grundwasser angewiesen. Jedoch auch die den ge¬
nannten Wasserflächen anliegenden Bezirke entnehmen ihr Trink¬
wasser au« Brunnen. Jede grössere Wohnungsanlage hat auf
ihrem eigenen Grundstück ein oder mehrere Brunnen. Die
weniger Bemittelten könnten ihr Nutzwasser aus den in fast
allen kleineren und in sämmtlichen grösseren Strassen reichlich
vorhandenen Brunnen entnehmen. Man findet jedoch, dass die
meisten dieser Brunnen nicht oder nur wenig im Gebrauch sind,
dass vielmehr in allen Stadttheilen einige Brunnen sich einer
besonderen Abnahme erfreuen. Die Zufuhr des Wassers in die
Häuser hat eine förmliche Erwerbsklasse herausgebildet. Man
trifft in allen Strassen die einrüderigen Karren der Wasser¬
fahrer, welche ihr Wasser ausrufen, und bei denen jeder einiger-
maassen Begüterte um einige Kesclx seinen Hausbedarf deckt.
Die reichsten Chinesen lassen ihren gesummten Bedarf aus den
Brunnen in der Südwest- und Südostecke der Chinesenstadt
fahren. Dieses Wasser gilt hier als das beste und wird tlieuerer
bezahlt als das andere.
Pumpbrunnen kennen die Chinesen nicht. Es existiren aus¬
schliesslich Schachtbrunnen; dieselben, ringförmig gebaut, haben
eine Weite von VA —3 in. Sie werden in der Weise angelegt,
dass ein rundes Loch in die Erde gegraben wird, bis zur ersten
wasserführenden Schicht. Diese wird VA —2 m tief noch aus¬
gehoben, hierauf der Boden geebnet und nun ohne Weiteres der
Schacht mit Ziegelsteinen aufgemauert. Die Abdeckung nach
oben geschieht durch eine oder mehrere grosse Steinplatten, in
denen sich je nach der Weite des Brunnens ein oder mehrere
Löcher befinden. Auf diese Löcher wird noch ein 20—30 cm
hoher Steinring, gewöhnlich aus einem Marmorstück, aufgesetzt.
Während aus weniger benutzten Brunnen das Wasser in gefloch¬
tenen Eimern an Stricken emporgeholt wird, haben vielbenutzte
Brunnen entweder ein Gestell mit Rolle, über die zwei Eimer
auf und nieder gleiten oder eine Winde, mit der ein ständiger
Arbeiter das Wasser in Eimern heraufholt und in bereitstehende
Steintröge giesst, aus denen einerseits die Reit-, Zug- und Trag-
thiero ihren Durst stillen, andererseits die Waseerfuhrwerke ihren
Bedarf decken.
Die Entfernung der menschlichen, thierischen und wirt¬
schaftlichen Abfälle aus den Häusern erfolgt in verschiedener
Weise. Zunächst befinden sich auf den meisten Höfen der
kleineren Wohnhausanlagen, sowie auf den Wirthschaftshöfen
der grösseren, gemauerte Versitzgruben, in welche ein Theil
der Abfälle geschüttet wird, darunter speciell die menschlichen
Ausscheidungen, welche aus den Aborten dorthin geschafft
werden. Der chinesische Abort ist sehr einfach gebaut. Er wird
in eine enge Hofenge verlegt. Der Boden ist mit Ziegelsteinen
gedeckt; an der zur Anlage bestimmten Stelle befinden sich
mehrere Rinnen nebeneinander, zwei Ziegelsteine tief, einen
breit und drei bis vier lang. Ist die Rinne gefüllt, so wird der
Inhalt ausgeschaufelt und in die Versitzgruben gebracht. Der
Harn versickert in den Boden der Aborte. Im Winterpalast, der
verbotenen Stadt und im Sommerpalast war in den für die kaiser¬
liche Familie bestimmten Aborten vor der Rinne theilweise noch
ein Querbrett angebracht. Ausser diesen in den Häusern
befindlichen gibt es in allen Stadtvierteln noch öffent¬
liche Aborte. Sowohl die Exkremente der letzteren,
wie die Massen in den Versitzgruben werden von besonderen
Unternehmern gesammelt und in Holzkübeln abgefahren. Das
Wasch- und Spülwasser wird in grösseren Häusern theilweise in
Thontöpfe gegossen, aus denen es wiederum abgefahren wird.
Kleinere Haushaltungen giessen es einfach auf die Strasse. —
Auch der Stallmist wird aus den Häusern entfernt. Man be¬
gegnet allerorts Kulis, welche ihn in offenen geflochtenen Doppel¬
körben auf Tragstangen fortschaffen. Anderseits entledigt man
sich überflüssiger Mengen wiederum dadurch, dass man sie auf
die Strasse wirft. Dass gelegentlich der Chinese seine Bedürf¬
nisse auf der Strasse erledigt, ist bekannt. Ein Ritt innerhalb
oder ausserhalb an der Stadtmauer lässt allenthalben Personen
in der charakteristischen Stellung sehen. Namentlich ausserhalb
No. 31.
der Stadtthore, wo die verschiedenen Kameel- und Wagentrans-
porto u. s. w. halten, haben sich längs der Strassen ganze
Berge von Unrath gesammelt. Durch die oben genannten Ab-
fuhrunternehmer wird der Unrath theilweise direkt an die feld-
und gartenbautreibende Bevölkerung in und ausser der Stadt
gebracht; theilweise erst nach einer Vorbehandlung, welche mau
namentlich längs der Aussenseite der Ost- und Nordmauer der
Mandschuhstadt, beobachten kann. Der Unrath wird hier ausge¬
breitet und an der Sonne getrocknet und erst dann weiter ver¬
kauft. Es entwickelt sich natürlich in dieser Gegend ein ganz
entsetzlicher Geruch. Dass die Abfälle ausserdem auch noch
in die Reste der Kanäle geschüttelt werden, soweit dieselben noch
Oeffmingen besitzen und der flüssige Theil im Boden versickert,
ist schon oben erwähnt. — Für die Vorstädte Pekings und die
den Thoren nahegelegenen Stadtheile ist die grosse Sammelstelle
für Unrath der Stadtgraben, ganz gleich, ob er trocken oder
feucht ist. Er verbreitet daher einen pestilenzialischen Geruch.
Dabei wird aus ihm da« Wasser zum Berieseln der Felder und
Gärten genommen, indem längs des Graben seichte Schächte
angelegt sind, aus denen das Sammelwasser hochgezogen wird.
Die Gemüse werden im Kanal gereinigt, bevor sie zum Markte
kommen. Nahe den Brücken sieht man allenthalben eifrig die
Wäscherinnen von Kleidungsstücken beschäftigt.
Es wurde schon erwähnt, dass sich im Südwesten der
Chinesenstadt die Gräberfelder der ärmeren Bevölkerung be¬
finden. Jede einigermaaksen bemittelte Familie hat dagegen ihre
eigene Begräbnissstätte, die entweder auf dem Besitzthum liegt,
oder es haben sich merhrere verwandte Familien zusammengethan
und einen Begräbnissplatz ausserhalb der Stadt gekauft. Der¬
selbe wird mit Bäumen bepflanzt und mit einer Mauer umzogen.
Vor ihm ein Thor aus Holz oder aus Stein errichtet und eine
Gedenksäule, bestehend aus einer Schildkröte, die einen hohen,
viereckigen Stein trägt, das Ganze von einer Kuppel überdacht.
Die Reichen Pekings, namentlich die Angehörigen des Hofes,
haben ihre Gräber meist weit ab in engen Gebirgsschluchten
und versehen mit oft prächtigen Tempeln und Parkanlagen. Eine
der grossartigsten ist der Bi-jun-see, der bekannte Marmor¬
tempel bei Sze-wang-fu. Nach dem Reichthum des Todten
richtet sich Sarg und Grabhügel. Auf den Gräberfeldern in der
(- hi 1 Kronstadt sind die Särge aus ganz dünnem, schlechtem Holz
lose zusamengenagelt, und nur so weit in der Erde versenkt, dass
sie eben wieder mit Erde bedeckt werden können. Je begüterter
der Verstorbene, aus desto mächtigerem und feinerem Holz ist
der Sarg und desto grösser der Grabhügel, welcher ihn deckt.
Bei Angehörigen des Hofes ist der Hügel gewöhnlich vollständig
übermauert.
Skizze der Wasserläufe und Kanäle in Peking.
durchbrüche.
1. Cunchi-Män.
2. Ohien-Män.
3. Hada-Män.
4. Präfekturstrasse.
5. Commandanturstrasse.
6. Hadamftnstr&sse
7. Kaiserstrasse.
8. Chunchimänstrasse.
9. Walderseeetrasse.
10. Tempel des 1. Ackerbauers.
11. Tempel des Himmels.
12 Verbotene Stadt.
13. Berg der Hauptstadt (Kohlenhügel).
14. Winterpalast.
16. Peh-tang.
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SO. Juli 1901.
Verschiedenes.
Therapeutische Notizen.
I>ns Ergebnis« Huer einjährigen Anwendung des Menthol-
Jodols bol Erkrankungen der Nase, des Kuchens und des Kehl¬
kopfes formulirt I>r. J o r i s - Korredo folgondermaassen: 1. Das
Menthol-Jodol riecht sehr angenehm, da der Jodgeruch durch den
des Methols vollkommen verdrängt ist. 2. Das Menthol-Jodol be¬
sitzt antiseptische Eigenschaften in demselben oder vielleicht in
»wh höherem Grade als Jodol. 3. Das Menthol-Jodol zeichnet sich
durch eine eigentümlich erfrischende und schmerzstillende Wir-
kung aus. 4. Ferner Ist das Mittel wegen seiner fein krystailisirten
Form ein ideales Mittel zu Einblasungen. f>. Das Menthol-Jodol
ruft keine Störungen in der Verdauung hervor. (Ivlinisch-therap.
Wochensehr. 1901, No. 15.) p. H.
Zur Behandlung des Wangenkrebses empfiehlt
Dr. Kichavd Schweizer-Moskau eine Methode, die ziemlich
günstige Resultate ergehen soll. Sie besteht darin, dass man nach
Entfernung des Gangraonöseu die ganze nomatöse Oberfläche mit
dem scharfen Löffel ausschaht, mit Borsäure oder Kalium per-
ntanganicum durchspült, die Wunde mit Jodoform einreibt und
schliesslich einen trockenen Verband applicirt. Gelingt es nicht,
beim ersten Maie alles Gangraeuöse zu entfernen, so wird die
Wunde nach Einreibung mit Jodoform mit Wattebäuschclien, die
nur 0.1 Kalium poruinnganicum-Lösuug getränkt sind, bedeckt
und am nächsten Tage die Ausschabung wiederholt. Das letztere
muss in denjenigen Fällen, In denen die Gangruen weiter schreitet,
mehrmals wiederholt werden. In die Wunde wird täglich 1—2 mal
Jodoform geriehen und sorgfältig öfters mit einer Lösung von
Kalium pcrmunguuicum durchspült, bis sie sich mit gesunden
Granulationen bedeckt. Gleichzeitig wird man besondere Auf¬
merksamkeit der Ernährung der Kranken und der Desinfektion
der Luft schenken. Mau muss die Kinder mit allen möglichen
Mitteln zun» Essen veranlassen. (Allg. medlc. Central-Ztg. 1901,
No. 45—40.) P. H.
v Beim Hus ten der PJt.th i-e-lk e r und beim Keuch-
-\ husten hat sfcTT L Ur tTf^Paris mit gutem Erfolge einer Kom¬
bination von Heroin mit Brnmoforin bedient. Phthisikern
gibt er von einem Syrup, der auf den Theelöffel 0,005 g Her. hydro-
«•hior. und 0.15 g Brompform enthält, täglich 4—G Theelöffel; der
Husten lässt wesentlich nach, Erbrechen und Schlaflosigkeit
schwinden. Auch bei Asthma wie bei Angina und Laryngitis
leistete der Syrup. event. ln Milch genommen, gute Dieuste.
Keuchhustenkranke Kinder bekommen während 24 Stunden
Im Alter von 2—4 Jahren einen Theelöffel des Syrups auf 5 Thee¬
löffel Syr. balsaxn. tolut., Im Alter von 9—10 Jahren 2 Theelöffel
auf 3 Theelöffel Syr. balsam. tolut. und im Alter von 1—2 Jahren
V, Theelöffel auf einen Kaffeelöffel. (L’Ind6peudance m6dieale,
No. 48, 1900.) P. H.
Bei Gelegenheit der Influenza -Epidemie, die im No¬
vember und Dezember 1899 in New-York wüthete. machte Di*.
Richy ausgiebigen Gebrauch von Salophen. Die Epidemie
zeichnete sich durch den rheumatischen Charakter der Erkrank¬
ungen aus. die zwar keine Gefahren für das Leben dnrboten. je¬
doch mit äusserst heftigen Erscheinungen einhergingen. Der An¬
fall setzte gewöhnlich mit Schüttelfrost, darauffolgendem Fieber,
Schmerzen in» Kreuz, Kongestion in Rachen und Lungen ein und
machte den Eindruck einer schweren infektiösen Erkrankung.
Verf. schickte die Kranken sofort in’s Bett und gab ihnen zu¬
gleich 1,0 Salophen. In kurzer Zelt folgte gewöhnlich eine profuse
Scliweisssekretion. die durch Verabreichung von wannen Ge¬
tränken unterhalten wurde. Wenige Dosen von Salophen ge¬
nügten fast stets, um die schweren Kraukheitsersclieinungen zu
beseitigen.
Ausserdem verwendete Verf. das Salophen hei Kopfschmerzen
anf rheumatischer Diathese, hei durch Anhäufung von Harn be¬
dingten Neuralgien gleichfalls mit Erfolg. Ferner erzielte er
mittels einiger Salophendosen Linderung der Schmerzen in einem
Kalle von schwerer hartnäckiger Ischias. Geradezu als Specilicum
dürfte nach Verf. das Snlophen bei Tonsillitis betrachtet werden,
besonders der der kleinen Kinder. Letzteren verordnet man das
Salophen am besten mit etwas Zucker. Auch bei Scharlach hut
'las Salophen ln der Kegel gute Resultate ergeben. (Buffalo Medlcul
Journal, 1901, Vol. 40, No. 7.) P. H.
m In verschiedenen Fällen von Lungenerkrankung, da
runter auch in mehreren Fällen bereits vorgeschrittener
Tuberkulose, hat Dr. G o 1 d m a u n - Wien mit dem „K opp-
schenGua] a k o ik a lksyru p“ recht schätzenswerthe thera-
pciT H s a b« Kpfoflfg~PfzieIt Das mlueFwird am vorthellhaftesten ln
der Weise verordnet, dass man es täglich, je nach der Intensität der
Erkrankung, mit einem Kaffeelöffel voll angefangen, der Indi¬
vidualität des Patienten angemessen, allmählich steigernd bis
3—5 Kaffeelöffel voll täglich, in einem kleinen Glas Zuckerwasser
vermischt, beliebig vor oder nach dem Essen nehmen lässt. Ein
besonderer Vorzug des Präparats ist der, dass es von jedem ein¬
zelnen Kranken, auch von verwöhnten Kindern, willig und gern
genommen wird, mit seinem angenehmen Geschmack weder Ekel
1267
noch Widerwillen verursacht, auch lange Zeit hindurch sehr gut
und ohne irgend welche schädliche Nebenwirkung zu verursachen,
vertragen wird, so dass man es unbeschadet die längste Zelt fori-
gehrauchen kann, was hei der Behandlung der langwierigen
Tuberkulose von grosser Wichtigkeit ist. Die Kranken bekamen
bedeutend gebesserte und regere Esslust, bei gut fuuktionirender
Verdauung, einen ruhigeren und ungestörten Schlaf; es besserte
sich ihr Allgemeinbefinden und ihr Aussehen in sehr befriedigender
Weise. (Deutsch. Mediciual-Ztg. 1901, No. 42.) I». H.
Zur Behandlung der Syphilis mit c a c o d .Vi¬
sa u rem Ilg. Brocq hat nach einen» Bericht in der fran¬
zösischen Gesellschaft für Dermatologie und Syphiligiaphle
(Sitzung von» 4. Juli ds. Js.) seit einem Jahr dies Mittel in zahl¬
reichen Fällen angewandt. Das reine Produkt, welches sauer, aber
sehr giftig und schmerzhaft ist. wurde bald verlassen und dafür
von F r a i s s e ein neutrales, mit etwas Natrium und Jodnatrluni
vermischtes Präparat hergestellt. Dasselbe ist sehr dauerhaft, bei
120 u sterilisirbar und enthält pro Cuhikcentimeter 4.7 mg Queck-
silberbljodnt und 4 eg Na caeodyl; die Lösung ist wässerig, voll¬
kommen klar. Sie wurde zur Injektion in der Dosis von 1—2 ccm
angewandt. Der Sei»mene Ist. gleich Null oder gering und im All¬
gemeinen entstehen nur Knoten, wenn die Injektion zu oberflächlich
iu die Haut gemacht wird. Als Nebenerscheinung traten einmal
Pigmentirung. einige Male Stomatitis und Diarrhoe auf. Im All¬
gemeinen schien Hg-J-Gacodylat sein* wirksam gegen alle syphi¬
litischen Erscheinungen, ebensowohl des Sekundär- wie des Tertiär¬
stadiums, besonders aber bei allen Syphilitikern mit gleichzeitigen
Schwächezuständen und Neurasthenie. Die Verbindung der Arseu-
mit der Quecksilberdarreichung gibt in manchen Fällen bessere
Resultate als die einfache Ilg-Beliaudluug. wesshalb auf die Vor-
theile dieses neuen Mittels aufmerksam gemacht werde. (Bulletin
mödicale 1901, No. 53.) St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 30. Juli 1901.
— Dem soeben erschienenen Rechenschaftsbericht
über die Verwaltung des Pensionsvereins für
Witt w c n und Waisen bayerischer A e r z t e pro
1900 entnehmen wir folgende Daten: Die Zahl der Mitglieder be¬
trug 429 ordentliche (darunter doppelt versicherte G) und 14 Ehren¬
mitglieder; die Zahl der Pensionäre betrug am Jahresschlüsse:
273 Wittwen, 77 Walsen und 21 Doppelwaisen, in Summa 371. —
An Pensionen wurden ausbezahlt 57 043 M., mit Hinzurechnung
der Dividende (10 I’roc.) = G2 730 M. — Ausser den Staatszu¬
schüssen Im Betrage von 8430 M. flössen dem Verein an Schen¬
kungen und Ix*gnten zu = 7430 M. Das Vereinsvermögeu hat sich
um 11195 M. erhöht und betrug am Schlüsse des Jahres 1235377 M.
Die durch die Geueralversarnmlung im Jahre 1900 beschlossenen
Reformen (Erhöhung der Jahrespenslou auf 300 M., Aufhebung
der Eintrittskapitalien, Ermöglichung einer Nachversicherung)
haben sich im laufenden Vereinsjahre bereits dahin geiiussert, dass
72 Mitglieder eine Nachversicherung allgeschlossen haben und dass
die Zahl der neu eingetreteuen Mitglieder sich gegen die Vor¬
jahre erfreulich gesteigert hat. In Bezug auf die Bedin-
gungendes Eintritts verweisen wir auf No. 13, 1901, dieser
Wochenschrift (S. 505) und bemerken, dass der Beitritt in den
ersten 3 Jahren nach der Verlieirathung ohne Weiteres erfolgen
kann und dass nach Ablauf dieser Frist ein amtliches ärztliches
Zeugniss über körperliche Gesundheit beizubringen ist. An¬
meldungen sind zu richten an die Kreisausschüsse oder au den
Geschäftsführer des Vereins, Herrn Hofrath Dr. M a r t i u s,
Soflenstrasse 5c iu München.
— Hochherziges Legat. Die vor Kurzem dahier ver¬
storbene Oberstabsarztenswittwe Katharina Deppisch hat mit
ihrem vor einigen Jahren verlebten Ehegatten, Dr. Otto Dep-
•plsch, den Pensionsverein für Wittwen und
Waisen bayerischer Aerzte zum Universalerben ihrer
Hinterlassenschaft, eingesetzt. An Legaten hat der genannte
Verein den Betrag von 10000 M. an den Verein zur Unter¬
st ützuug invalider hilfsbedürftiger Aerzte in
Bayern in Nürnberg, sowie den Betrag von 2000 M. an das
städtische Waisenhaus in München hinauszube-
zalilen. Nach Abrechnung dieser Vermächtnisse verbleibt dem
Pensionsverein für Wittwen und Walsen bayerischer Aerzte der
ansehnliche Betrag von ca. 38 000 M. Ehre dem Andenken des
edlen Ehepaars!
— Bezüglich der Führung der mit akademischen
Graden verbundenen Titel bestimmt eine königliche
Allerhöchste Verordnung vom 12 d. M., was folgt: „§ 1. Bayer.
Staatsangehörige, die ausserhalb des Deutschen Reiches einen aka¬
demischen Grad erwerben oder erworben haben, bedürfen zur
Führung des damit verbundenen Titels die Genehmigung des
Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegon-
heiteu. Das Gleiche gilt für Nichtbayern, die in Bayern ihren
Wohnsitz Italien oder in Bayern zu Erwerbszwecken sieh auf-
halten. § 2. Gegenwärtige Verordnung tritt mit dem Tage Ihrer
Verkündigung int Gesetz- und Verordnungsblatt in Kraft. Per¬
sonen, die vor diesem Zeitpunkt einen akademischen Grad aussor-
MUENCIIENER MEDIOINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
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1268 Beilage zur Münchener medicinisehen Wochenschrift. No. 31.
halb des Deutschen Reiches erworben haben, haben die erforder¬
liche Genehmigung binnen 3 Monaten einzuholen.“
— Zu der in No. 1, 1900 d. W. veröffentlichten „Belehr u n g
ii b er di e 1’ e s t“ wird durch KegieTungsentschlU*HHung vom
12. v. Mts. nachgetragen, dass als chemische Desinfektionsmittel
an Stelle der In jener Belehrung bezeiclmeten Lösungen von Subli¬
mat (1 Protn.), Karlwdwasser (3 Proc.) Kresolseifenlösting zu treten
haben: „verdünnte Karbolsilurelösung (3 Proc.) auf die Hälfte
verdünnt es Iv resol wa sser".
— Die H u f e 1 a n d i s e h e Gesellschaft hatte für «las
Jahr 1901 zwei Preisaufgaben ausgeschrieben: 1. Einfluss des Salz¬
gehaltes der Trinkquellen nuf die Blutbeschaffenheit. 2. Beein¬
flussung des Gefüsstonus und der Blutstromgeschwindigkeit durch
thermische und mechanische Reize. Bezüglich der ersten Auf¬
gabe wurde einer experimentell-wissenschaftlichen Arbeit des
Herrn Dr. H. Dünsch m a n u in Wiesbaden der volle Alvarenga-
preis von 800 M. zuerkanut. Leber das zweite Thema hatte Herr
Privatdocent Dr. Priedel Pick in Prag eine Arbeit eingereicht,
welche aber aus Zeitmangel nicht zu Ende geführt war. Aus
diesem Grunde konnte ihm der sonst wohlverdiente Preis nicht zu¬
gebilligt werden. Er wurde jedoch durch eine besondere Anerken¬
nung und eine Ehrengabe von 500 M. ausgezeichnet.
— Am 2. und 3. August findet in der Aula des pädagogischen
Universitäts-Seminars in Jena die III. Versammlung des
A 11 g e m e 1 n e n deutsch e n Vereins f ii r Ivin d e r -
forsch ung statt. Das Programm enthält u. a. Vorträge von:
Prof. Dr. H o f f a - Würzburg: Die mcdicinisch-pädagogische Be¬
handlung gelähmter Kinder; Erziehungsinspektor Pi per-Dall¬
dorf: Ueber psychopathische Kinder: a) mit moralischen Defekten,
beruhend auf Schwachsinn; b) mit einseitiger Begabung, beruhend
auf Erblichkeit; Hofrath Prof. Dr. B i n s w a n g e r - Jena: lieber
Hysterie im Kindesalter; Regierungs- und Medicinalrath Prof. Dr.
L e ubus c her- Meiningen: Ueber die Schularztfrage. Prak¬
tische Ergebnisse der schulärztlichen Thätigkeit.
— Pest. Frankreich. Auf dem von Ostaslen in Marseille
oingetroffenen Dampfer „Laos“ von der Compagnie des Messageries
Maritimes sind bis zum 11. Juli 14 arabische Heizer au der Pesi
erkrankt und davon 4 gestorben. Von diesem Dampfer war be¬
reits ln Suez ein arabischer Heizer, dessen Erkrankung sich als
Pest herausgestellt hat, dem Kninkenhause übergeben worden. —
Türkei. Bezüglich der beiden Pestfälle in dem Stadttheil Kas-
zimpasclm uud dem italienischen Hospital ist festgestellt, dass
dieselben auf das Stadtviertel Topliane zurückzuführen sind. Es
wird vermuthet, dass die Krankheit durch ägyptische Schiffe ein¬
geschleppt worden ist, welche dort in grosser Zahl zu ankern
pflegten. In Stambul wurde am 10. Juli Im Stadttheil Galata
ein neuer Pestfall festgestellt, im Stadttheil Balat wurden Tags
darauf 2 derartige Erkrankungen gemeldet Einer Mittheilung
vom 10. Juli zu Folge sind auf Chios mehrere pestverdächtige
Fälle, darunter 1 Todesfall, beobachtet. — Aegypten. Vom 5. bis
12. Juli sind in Zagnzig 3 neue Erkrankungen (und 2 Todesfälle),
in Alexandrien 2 (1), in l'ort Said 2 (0) augezeigt worden. —
Britisch-Ostindien. In der Präsidentschaft Bombay wurden in der
Woche vom 15. bis 21. Juni 042 Erkrankungen und 492 Todes¬
fälle an der Pest gemeldet. In der Stadt Bombay zählte man
vom 10. bis 22. Juni 01 Pesterkraukungen und 49 Todesfälle;
ausserdem wurden 107 Sterbefälle als pestverdächtig bezeichnet;
die Gesamnuzahl der Gestorbenen bezifferte sich auf 043. —
Hongkong. In der Kolonie sind in den drei Wochen vom 18. Mai
bis 8. Juni 200—215—101 neue Pesterkraukungen und 187—207—155
Pesttodesfälle amtlich bekannt geworden. Vom 1. Jan. bis 12. Juni
wurden Im Ganzen 1170 Erkrankungen (darunter 18 bei Europäern)
mit 1111 Todesfällen angezeigt. — Mauritius. In der Zeit vom
10. Mal bis 0. Juni wurden uuf der Insel 2 Erkrankungen und
1 Todesfall an der Pest festgestellt. — Kaplaud. Während der
am 15. (bezw. am 22.) Juni endenden Woche waren dem Pest
hospital In Kapstadt 7 (4) Kranke, darunter 3 (0) Europäer, über¬
geben worden. Am 15. (22.) Juni befanden sich 79 (09) Kranke
im Hospital, darunter 7 (2) Eingeborene; als pest verdächtig
standen au diesem Tage 13 (10) unter Beobachtung, nachdem bei
2 (0) derselben im Laufe der Woche Pest festgestellt war. Am
22. Juni befanden sich in den contact camps noch 522 Personen
unter Beobachtung. Die Zahl der bis zum 22. Juni festgestellten
Pesterkraukungen wird nuf 735, diejenige der Pesttodesfälle auf
354 angegeben. In l’ort Elizabeth wurde In der Zelt vom 10. bis
22. Juni 1 Pestkranker dem Hospital zugeführt; die Zahl der
Pesttodesfälle betrug 3. — Queensland. In der am 8. Juni ab¬
gelaufenen Woche sollen 3 Pesterkrankungen und 2 Pesttodes-
fülle vorgekommen sein. Es wird befürchtet, dass die Seuche
sich in Brisbane einnistet.
— In der 28. Jahreswoche, vom 7.—13. Juli 1901, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Frankfurt a. O. mit 45,4, die geringste Bamberg mit 7.4
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern in Borbeck, Metz.
(Hochschulnachrichten.)
Erlangen. Der ordentliche Professor an der Universität
Rostock Dr. Ernst Graser wurde zum ordentlichen Professor
der Chirurgie und Direktor der chirurgischen Klinik In der meili-
cinischen Fakultät der k. Universität Erlangen ernannt. Dr. phil.
et raed. Otto A i c h e 1 hat sich für Geburtshilfe und Gynäkologie
habilitirt.
Gott in gen. Der Oberarzt der psychiatrischen Klinik
Dr. W. Weber, hat sich mit einer Prol>evorlesung „über die Be¬
ziehungen der geistigen Störungen zu sonstigen körperlichen Er¬
krankungen“ für das Fach der Psychiatrie habilitirt.
Jena. An der hiesigen Universität hat sich Dr. Haus
Berger in der medicinisehen Fakultät habilitirt.
Rostock. Der Ordinarius für Augenheilkunde au der
hiesigen Hochschule, Prof. Dr. Axenfeld, der auch die oph¬
tha! mologische Universitätsklinik leitet, hat einen Ruf nach Frei-
bürg i. B. als Nachfolger des Ilofraths Prof. Dr. M a n z erhaltet).
Es ist indes» noch zweifelhaft, ob Prof. Axenfeld diesem Rufe
folgen wird.
Würz bürg. Habilitationen. Am 20. Juli habilitirte sieh
Dr. Jacob Ried Inger für Chirurgie, am 23. Juli Dr. Wilhelm
Seitz für Physik und am 2(5. Juli Dr. Paul Römer für Augen¬
heilkunde.
Florenz. Habilitirt: Dr. G. Daddi für Neurologie, l)r.
C o m b a für Paediatrie, Dr. C. Biondi für gerichtliche Medioin.
Paris. Der Professor an der medio. Fakultät zu Lille.
Dr. d (* I. apersonne, wurde zum Professor der ophthahno-
logisclien Klinik ernannt.
Lyon. Dr. Weill wurde zum Professor der Kinderklinik
ernannt.
Sydney. Nach der Deutsch, med. Wochensehr. Ist der
Lehrstuhl für pathologische Anatomie an der Universität
in Sydney vakant und soll neue I»(‘setzt werden. Das jährliche
Gehalt In «trägt 18 (MH>; nach 20 jähriger Dienstzeit erhält der Be¬
treffende 8000 M. jährlich. Als Reisekosten (von Amerika oder
Europa) werden 2000 M. bewilligt. Die Bewerl»er dürfen nicht
älter als 40 Jahre sein. Zeugnisse etc. sind bis zum 14. September
an den Generalagenten für Neu-Südwales, London SW, Victorla-
strect 9, eiuzusendeu.
(Berichtigung.) Boi der Statistik der Medicinstudiren
dou auf S. 1120 in No. 27 dieser Wochenschrift hat sich hinsichtlich
der Strassburger medicinisehen Fakultät ein Irrthum eiuge-
schlichen: in den beiden letzten Reihen darf es nicht heissen 128
und 2(57, sondern 144 und 283.
Personalnachrichten.
(B a y e r n.)
Niederlassung: Dr. Otto Pi sc hing er, approb. 1890, als
dirigirender Arzt der Lungenheilstätte Luitpoldhehn bei Lohr.
Kommandirt: Der Oberarzt. Dr. Rossnitz des k. 8. Fehl-
Erledigt: Die Bezirksarztsstelle I. Klasse in Mainburg ist
zu besetzen. Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsuiässig
belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, Kammer
des Innern, bis zum 10. August 1. J. elnzureiehen.
Art.-Reg. vom 1. August ds. Jrs. ab auf die Dauer eines Jahres
zum physikalisch - therapeutischen Institut des städt. Kranken¬
hauses München 1. d. I.
Ordensverleihungen: Das Ritterkreuz 1. Klasse des Militiir-
verdienstordens dem Generalarzt Dr. Z o 1111 s e h, Corpsarzt des
III. Anm*eeorps; dem Oberarzt Dr. Bürger, Regimentsarzt im
17. luf.-Reg.; das Ritterkreuz 2. Klasse dem Stabsarzt Dr. Kai¬
ser, Bataillonsarzt im 3. Iuf.-Iteg.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München
in der 29. Jahreswoche vom 14. bis 20. Juli 1901.
Betheiligte Aerzte 191. — Brechdurchfall 20 (22*), Diphtherie,
Croup 10 (14;, Ervsipelas 11 (20), Intermittens, Neuralgia interm.
1 (1), Kindbettfiebor 1 (3), Meningitis cerebrospin. — (D,
Morbilli 31 .(374, Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 4 (ü), Parotitis
epidom. — (3), Pneumonia crouposa 6 (7), Pyaemie, Septikaemie
— (—), Rheumatismus art. ac. 13 (9), Ruhr (dysenteria) — (— \
Scarlatina 9 (13), Tussis convulsiva 18 (23), Typhus abdominalis
— (5), Varicelien 12 (13), Variola, Variolois 1 Influenza —(U,
Summa 137 (177). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 29 Jahreswoche vom 14. bis 20. Juli 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 1 (2*), Scharlach — (—), Diphtherie
und Croup 3 (2), Rothlanf 2 (—), Kindbettfieber — (2), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) — (—). Brechdurchfall 7 (5), Unterleibtyphus
2 (1), Keuchhusten — (l), Croupöse Lungenentzündung — (l),
Tuberkulose a) der Lungen 28 (3 >), b) der übrigen Organe 12 (7),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 5 (2), Unglücksfälle 1 (5), Selbstmord 1 (—), Tod durch
fremde Hand — (—).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 200 (195), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,8 (20,3), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,3 (13,3).
•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
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Beilage zu No. 31 der Münchener medicinischen Wochenschrift.
73. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg
vom 22. bis 28. September 1901.
Allgemeine Tagesordnung.
Sonntag, den 22. September.
Morgens 10 Uhr: Sitzung des Vorstandes der Gesellsehn ft 'Im
Concertlinus Hamburg. (Speisesaal.)
Morgens 11 Uhr: Sitzung des wissenschaftlichen Ausschusses im
Concerthaus Hamburg. (Speisesaal.)
Morgens 12 Uhr: Gemeinsame Sitzungen:
a) des Vorstandes der naturwissenschaftlichen Ilnuptgrupp.?
und der Einführenden und Schriftführer der naturwissenschaft¬
lichen Abtheilungen (Speisesaal);
b) des Vorstandes der medicinischen Hauptgruppe uud der
Einführenden und Schriftführer der medicinischen Abthei¬
lungen (Hochzeltssaal).
Nachmittags 3 Uhr: Gemeinsames Mittagessen der Mitglieder des
Vorstandes und des wissenschaftlichen Ausschusses der Gesell¬
schaft. der Vorstände der beiden Hauptgruppen und aller Ab¬
theilungen, sowie der Mitglieder aller Ausschüsse im Uhlen-
horster Fährhaus.
Nachmittags 3 Uhr: Blumenkorso des Allgemeinen Alster-Klubs auf
der Aussenalster zu Ehren der Versammlung; Abfahrt von
der Alsterlust; freier Zutritt daselbst gegen Vorzeigung
der Theilnehmerkarte; auf vorherige Meldung werden Plätze re-
servirt.
Abends 8>/ 2 Uhr: Begrüssung der Gäste im Concerthaus Hamburg.
Montag, den 23. September.
NIorgens 10 Uhr: Erste Allgemeine Versammlung im grossen Saal**
des Concerthauses Hamburg.
1. Begrüssungsanspracbeu.
2. Vorträge der Herren Lecher- Prag. Hofmeister-
Strassburg und Boverl -Würzburg.
Nachmittags: Abthellungssitzungen.
Abends 7 Uhr: Zwanglose Zusammenkunft im zoologischen Garten.
(Concert von 6 Uhr ab; festliche Beleuchtung des Gartens.»
NB. Der Besuch des zoologischen Gartens ist den Theil-
nehmern gegen Vorzeigung ihrer Festkarte während der Woche
vom 22. bis 28. September stets unentgeltlich gestattet.
Von Deutschlands Grossloge II des Guttempierordens sind die
Theilnehmer auf Montag, Abends 7 Uhr, zu einem Herbstfeste
mit Ball im Sagebierseben Etablissement, Drehbahn 15/23, ein¬
geladen worden. (Karten in der Haupt-Geschäftsstelle zu 1 M.)
Dienstag, den 24. September.
Morgens: Abthellungssitzungen.
Nachmittags: Abthellungssitzungen.
Aliends 7>/ 2 Uhr: Empfang durch K. H. Senat ln den Festsälen des
Rathbauses; an diesem Empfange werden jedoch mir so viele
Mitglieder der Versammlung theilnchmen können, als der Baum
gestattet
Die Direktion der Hamburg-Amerika-Linie ladet ebenso ein*?
grössere Zahl von Tlieilnehmem an Bord einiger ihrer grossen
Dampfer ein; Abfahrt 5 Uhr von den St. Paull-Landuugs-
briieken.
Wer der letzteren Einladung folgt, knnn an dem Empfange im
Bnthhaus nicht thellnehmen.
Mittwoch, den 25. September.
Morgens 8 y 2 Uhr: Geschäftssitzung der Gesellschaftsmitgüeder im
Theatersaal des Concerthauses Hamburg.
Morgens 10 Uhr: Gesammtsltzung beider Hauptgruppen, im grossen
Saale des Concerthauses Hamburg. Verhandlungstliema: Die
neuere Entwicklung der Atomistik (Ionen, Gas-Ionen und Elek¬
tronen).
Referenten: K a u f m a n n - Göttingen. G e i t e 1 - Woifen-
bfittel, Paul- Tübingen, H i s jun. - Leipzig.
Nachmittags: Abtheilungssitzungen.
Aliends 6‘/ 2 Uhr: Festessen im zoologlsclien Garten.
IH*r „Verein abstinenter Aerzte des deutschen Sprachgebiet es’*
hält seine Jahresversammlung im Anschluss an die Versamm¬
lung deutscher Naturforscher und Aerzte ab und hat dieselbe
auf Mittwoch den 25. September, Morgens 8 Uhr, in der Turn¬
halle der Volksschule Seilerstrasse 41/43 angesetzt.
Donnerstag, den 26. September.
Morgens 9 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der medicinischen
IJaiiptgruppe im grossen Saale des Concerthauses Hamburg.
Verhandlungsthema: Die Schutzstoffe des Blutes.
Referenten: Ehrlich- Frankfurt a. M., Gruber- Wieu.
Morgens 10 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der naturwissenschaft¬
lichen Hauptgruppe in Horuhardt’s Coneertsaal, gegenüber dem
Concerthaus Hamburg. Verhnndlungsthemnta:
Morgens 10 Uhr: Ost wald - Leipzig: Katalysatoren.
Morgens 11 Uhr: Der gegenwärtige Stand der Deseendenz-
lelire.
Referenten: Hugo de V r 1 e s - Amsterdam, Koken-
Tübingen, Ziegler- Jena.
Nachmittags: Abtheilungssitzungen.
Abends 7*/ 3 Uhr: Concert und Ball Im Sngebierscheu Etablisse¬
ment, Drehbahu 23.
Freitag, den 27. September.
Morgens 10 Uhr: Zweite Allgemeine Versammlung im grossen Saale
dos Concerthauses Hamburg.
1. Vorträge des Herrn Cursclimann - Leipzig, Nernst-
Güttlngen, Rolnke- Kiel.
2. Sehlussansprachon.
Nachmittags: Erforderlichen Falls noch Abtheilungssitzungen.
Hafenrundfahrt, Elbfalirt nach Blankenese, Abfahrt 2 Uhr von
den St. Panli-Landungsbrückeu. (Festliche Beleuchtung der
Elbufer bei der Rückkehr.)
Abends 9 Uhr: Abschiedsfeier im Concerthaus Hamburg.
Sonnabend, den 28. September.
Fahrt nach Helgoland; Abfahrt 8 Uhr Morgens von (len St. Pauli-
Landungsbrücken. Sonstige Ausflüge, Besichtigungen u. dergl.
werden erst im Tageblatt augezeigt werden.
Erläuterungen und Mittheilungen.
Die Jahresversammlungen Deutscher Natur-
f o r s c li e r u ii *1 A ** r z t *? werden von der „G csellschaft
Deutscher Naturforscher und Aerzte“ einberufen; jedoch ist die
Thellnnhmc daran von der Mitgliedschaft der Gesellschaft unab¬
hängig.
Die Erledigung aller geschäftlichen Angelegenheiten der
Versammlung in Hamburg erfolgt ausschliesslich in der Haupt-
Geschäftsstelle, vom 15. Juli ab bis Freitag den 20. September
Neueburg 6, II. Stock, von Sonnabend den 21. September an in
der Vorhalle von Homhardt’s Concertgarten, gegenüber dem
Concerthaus Hamburg, St. Pauli.
Mitglieder der Gesellschaft können alle Diejenigen werden,
welche sich wissenschaftlich mit Naturforschung uud Mcdicin be¬
schäftigen.
Anmeldungen zur Mitgliedschaft haben schrift¬
lich beim Schatzmeister der Gesellschaft, Dr. Karl Lampc-
V 1 s c h e r in Leipzig (an der Bürgerschule 2), zu erfolgen. J e -
d o e h w erden vo m 15. Juli ab a nch ln der Haupt-
Geschäftsstelle in Hamburg Anmeldungen vor-
gemerkt.
Die Mitglieder haben, soweit sie an der Versammlung
thellnehmen, einen V ersa in ml ungs beitrag von M. 15 zu
zahlen.
Durch die Zahlung dieses Versammlungslioitrags erwerben die
Mitglieder zugleich das Recht auf unentgeltliche Zusendung der
„Verhandlungen" der Hamburger Versammlung. Für diejenigen
Mitglieder, welche das Entgelt für den Bezug der Verhandlungen
bereit» an den Schatzmeister der Gesellschaft liezaldt. haben, er-
nnissigt sich der Versammlungslieitrag auf M. 9.
Die Mitgliedskarte und eventuell «lie Quittung des Schatz¬
meisters über den bereits gezahlten Betrag für die Verhandlungen
ist mitzubringen.
Wer auf der Versammlung als Mitglied beitritt, hat ausser¬
dem noch den Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr mit M. 5,
somit im Ganzen M. 20 zu bezahlen.
Theilnehmer an der Versammlung kann, auch ohne Mitglied
der Gesellschaft zu sein. Jeder werden, der sich für Naturwissen¬
schaften und Mcdicin intcrossirt.
Dies«? Theilnehmer an der Versammlung haben einen V er¬
sa in m lungsbeitrag von M. 20 zu entrichten. Gegen eine
weitere Zahlung von M. 0 erhalten dieselben ebenfalls «li«* ..Ver¬
handlungen“ zugosondot, wenn sie sieh in ein«* in der Haupt-Ge¬
schäftsstelle aufliegende Liste einzeichnen. Die Verhandlungen
werden den dazu Berechtigten einige Zeit nach «ler Versammlung
von «ler Gesellschaft zugestellt. D«*r allgemeine T li «* i 1 der
Verhandlungen («lie Reden und Vorträge der bohlen allgemeinen
Sitzungen enthaltend) wir«l allen Th«*iln«*linu*rn unentgelt¬
lich zugcsamlt.
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1270 Beilage zur Münchener medicinischen Woohenschrift. No. 31.
Zur Legitimation während der Versammlung dient für alle
Mitglieder und sonstigen Theilnehmer die Thellnebmer-
karte. Diese berechtigt zum Bezug des Festabzeichens, des in
5 Nummern erscheinenden Tageblattes, der Festgaben und son¬
stigen Drucksachen, sowie zur Theilnahme an den Festlichkeiten
und wissenschaftlichen Sitzungen (nicht zugleich auch an der Ge¬
schäftssitzung.der Gesellschaft, für welche die Mitgliedskarte als
Legitimation dient), und ferner zur Entnahme von Damen-
karten zum Preise von je M. 6.
Interims-Theilnehmerkarten, welche auf der Versammlung in
der Haupt-Geschäftsstelle gegen endgiltige umgetauscht werden
müssen, sind vom 15. Juli ab gegen Einsendung von
M. 15.— für Mitglieder, resp.
M. ü.— für Mitglieder, welche den Beitrag für die Verhandlungen
schon bezahlt hal>en,
M. 20.— für Theilnehmer, welche keine Mitglieder sind, resp.
M. 20.— falls diese auch die Verhandlungen zu beziehen wünschen,
M. 6.— für Damen
von der Hauptgeschäftsstelle zu erhalten.
Zur Vermittelung von Wohnungen ist ein Ausschuss ln
Thütigkeit getreten, der vom 15. Juli ab Anmeldungen entgegeu-
nimmt. Man Wolle sich zu diesem Zwecke der beigefügten Post¬
karte bedienen. Die Adresse ist ausschliesslich: Wohnungs¬
ausschuss der 73. Versammlung Deutscher Na¬
turforscher und A e r z t e, Hauptgeschäftsstelle
Hamburg, Neueburg 0.
Es wird bemerkt, dass eine grössere Zahl von Gasthofzimmern
zu Preisen von M. 2.50 bis M. 7 pro Nacht und Bett einschl. Früh¬
stück angeboten sind, ludess ist dies bei dem starken sonstigen
Fremdenverkehr Hamburgs bei Weitem nicht ausreichend. Der
Ausschuss empfiehlt daher sehr, I’rivatwohnungeu zu nehmen,
die in guter Beschaffenheit und bequemer Lage zum Preise
von M. 2.50 bis M. 5 einschliesslich Frühstück zur Ver¬
fügung stellen. — Wünsche, betreffend die Lage der
Wohnung in der Nähe der Sitzungslokale, wird der Aus¬
schuss soweit wie möglich berücksichtigen; es wird jedoch darauf
hingewiesen, dass die Verkehrsmittel der Stadt sehr entwickelt und
billig sind, so dass auch eine etwas entferntere Lage der Wohnung
keine besonderen Schwierigkeiten mit sich bringt.
ln den Dienst der die Versammlung besuchenden Dame u
wird sich ein aus Damen und Herren bestehender Ausschuss
stellen, dessen besondere Aufgabe es sein wird, den Theilnehme-
rinnen während der fachwissenschaftllchen Sitzungen eine an¬
regende Unterhaltung zu bieten.
Die Damen erhalten ihr Festabzeichen und können an allen
programmmässigen Festlichkeiten, an den allgemeinen Sitzungen.
Besichtigungen und Ausflügen gegen Vorzeigung ihrer Dainenkarte
bezw. der auf Grund derselben vorher auszugebenden Specialkarten
tlieilnelimeu.
Die allgemeinen Versammlungen, sowie die Gesammtsitzung
beider Hauptgruppen am Mittwoch finden im grossen Saale
des Concerthauses Hamburg, St. Pauli, Seiler¬
strasse 1, statt. Von den gemeinschaftlichen Hauptgruppen-
sitzuugen am Donnerstag findet die ruedicinische ebenfalls in
diesem Saale, die naturwissenschaftliche in dem gegenüber¬
liegenden Saale von Hornhardfs Concertgarten
statt.
Die Abthellungssitzungon werden theils ebenfalls im Con-
certhaus Hamburg, theils in den Hörsillen der
wissenschaftlichen Anstalten und den Kranken-
li ;i usern, theils in der dem Concerthause nahe liegenden
St. Pauli-Realschule, S e i 1 e r s t r a s s e 42, und der ge-
genü berge legeuen Volksschule, Seilerstrasse 41/43,
sowie ln der ebenfalls benachbarten O b er-Realschul e
vor dem Holstenthore, endlich im Realgymnasium
in der Altmanustrasse abgehalten.
Die Ausgabe aller Drucksachen, Karten, Festgaben u. dergl.
erfolgt in der Hauptgeschäftsstelle.
Im Concerthaus Hamburg wird von Morgens bis Abends ein
Postamt zur Annahme und Ausgabe von gewöhnlichen und ein¬
geschriebenen Briefschaften, sowie zur Annahme von Telegrammen
und zum Verkauf von Postwerthzeichen geöffnet sein; postlagernde
Sendungen sind dahin unter dem Vermerk „Postamt Con¬
certhaus Hanibur g" zu richten. Auch Telephone werden
zur Verfügung stehen. Neben einem allgemeinen Schreibzimmer
wird ferner ein besonderes für die Vertreter der Presse im Con¬
certhaus Hamburg reservirt.
Alle näheren Angaben, sowie alle weiteren Hinweise, die für
die Versammlungsbesucher von praktischer Wichtigkeit sind,
werden im Tageblatt veröffentlicht, das täglich Morgens von
S l'hr ab in der Hauptgeschäftsstelle zur Ausgabe gelangen wird.
Dasselbe wird ausserdem in seiner ersten Nummer die Satzungen
und die Geschäftsordnung der Gesellschaft und weiterhin täglich
das Programm des betr. Tages, eine Aufzählung der am vorher¬
gehenden Tage gehaltenen Vorträge unter Nennung des Vor¬
tragenden und des Gegenstandes seines Vortrages, sowie ein
möglichst vollständiges Verzeichnis» de r
T h e i I n e h m er und ihrer Wohnungen enthalt e n.
Zur Er m ö g 1 i c h u n g dieser u n b e d ingt notli-
wendigen Vollständigkeit ergeht an alle
T h e I I n e h m e r d i e d ring e n d e B i 11 e, bei L ö s u n g
der Thellneh merkarte, bezw. Umtausch der
Interimskarte Namen, Wohnort und hiesige
Wohnung, sowie später etwa eintretende Ver¬
änderungen der letzteren in die in der Haupt¬
geschäftsstelle aufliegendeu Präsenzlisten
mit deutlicher Schrift einzutragen.
Mit der Versammlung sind mehrere Ausstellungen
verbunden, nämlich solche für Itöntgenapparate aller
A rt, für chirurgische und verwandte Einrich¬
tungen und Apparate und für Erzeugnisse Ham¬
burg i s c h e r optischer und feinmechanischer
Werkstätten. Die Röntgennusstellung wird Im Physi¬
kalischen Staatslaboratorlum an der Jungiusstrasse, die chirur¬
gische in der Turnhalle der Realschule in der Seilerstrasse 42 und
die Hnmburgische Ausstellung auf der Galerie des Lichthofes der
Oberrealsehule vor dem Holstenthor stattfinden. Der Besuch
dieser Ausstellungen Ist unentgeltlich.
Die Anmeldungen für das Festmahl (Mittwoch ß >/ 2 Uhr,
Preis M. G ohne Wein) werden bis spätestens Dienstag Nach¬
mittag erbeten.
Diejenigen Herren Vorstands- und Ausschussmitglieder, sowie
Einführende und Schriftführer der Abtheilungeu, die sich an dem
am Sonntag, den 22. September stattftndendeu gemein¬
samen Mittagessen zu bet heiligen gedenken, wollen dies
bis spätestens Sonnabend, den 21. September, durch Post¬
karte an die Hauptgeschäftsstelle melden.
Eine grössere Zahl von Ausflügen und Besichtigungen Ham-
burgischer und Altonaer Museen, Krankenhäuser, wissenschaft¬
licher und hygienischer Institute, sonstiger öffentlicher Gebäude,
industrieller Anlagen u. dergl. unter sachkundiger Führung sin-l
in Aussicht genommen. Näheres hierüber wird in der ersten
Nummer des Tageblattes mitgetheilt werden.
Elienso werden im ersten Tageblatt Zeit und Ort derjenigen
gemeinsamen Mittagessen oder sonstigen Zusammenkünfte au¬
gezeigt werden, welche von einzelnen Abtheilungeu veranstaltet
werden.
E. Ii. Senat und die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt
Hamburg haben die Mittel bereit gestellt, um allen Theilnehmem
an der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aer/.to
eine bleibende Erinnerung in Form einer Festschrift: „Hamburg
in naturwissenschaftlicher und medicinischer Beziehung" über¬
reichen zu können. Die Geschäftsführung hofft, dass der Inhalt
dieser Schrift unsere Gäste überzeugen wird, dass der gewaltigen
Entwickelung unserer Stadt in Handel und Gewerbe, Schifffahrt
und Industrie auch in wissenschaftlicher Hinsicht wie ln den
Fragen der Gesundheitspflege eine ebenbürtige Entwickelung zur
Seite geht.
Ausserdem wird den ärztlichen Theilnehmern abseiten des
Krankenhauskollegiunis ein neuer Band der Jahrbücher der llam-
burgischeu Krankenanstalten und abseiten des Medicinalkollegiums
eine Schrift über di*- Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im
U>. Jahrhundert gewidmet werden.
Programm der wissenschaftlichen Verhandlungen.
I. Allgemeine Versammlungen.
im grossen Saale des Concerthauses Hamburg.
Montag, den 23. September, Morgens 10 Uhr.
E. Lee her-Prag: Ueber die Hertz'sehe Entdeckung elek¬
trischer Wellen und deren weitere Ausgestaltung. — F. Iloi -
me i s t e r- Strassburg: Der chemische Hausrath der Zelle. —
Th. Bo v e r i - A\ iirzburg: Das Problem der Befruchtung.
Freitag, den 27. September, Morgens 10 Uhr.
H. C u r s c li m a n n - Leipzig: Mediciu und Setwerkehr. —
W. N e r n s t - Göttingen: Ueber die Bedeutung elektrischer Me¬
thoden und Theorien für die Chemie. — J. Keinke-Kiel: Ueber
die in den Organismen wirksamen Naturkräfte.
II. Gesammt-Sitzung beider Hanptgruppen.
im grossen Saale des Concerthauses Hamburg.
Mittwoch, den 25. September, Morgens 10 Uhr.
V e r h a n d 1 u n g s t h e m a : 1 )ie neuere Entwickelung der
Atomistik (Ionen, Gas-Ionen und Elektronen).
‘Referenten: W. K u u f m a n n - Göttingen: Die Entwickelung
des Elektronenbegriffs. — II. G e i t e I - Wolfenbüttel: Ueber die
Anwendung der Lehre von den Gas-Ionen auf die Erscheinungen
der atmosphärischen Elektrizität. — Th. P a u 1 - Tübingen: Die
Bedeutung der louentheorie für die physiologische Chemie. —
W. II i s jun.-Leipzig: Die Bedeutung der louentheorie in der
klinischen Mediciu.
III. Sitzungen der Hauptgruppen und der Abtheilungen.
(Bildung und Eröffnung der Abtheilungen, Montag, den 23. Sep¬
tember, Nachmittags 3 Uhr.)
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30. Juli 1901.
Medldnische Hauptgruppe.
I. Gemeinschaftliche Sitzung der medicinischen Hauptgruppe
unter Vorsitz des Herrn Geh.-Rath Prof. Dr. N a u n y n - Strassburg.
Sonnentag, den 26. September, Morgens 9 Uhr,
grosser Saal des Concerthauses Hamburg.
Ehrlich- Frankfurt und Gruber- Wien: Die Schutzstoffe
des Blutes.
II. Gemeinschaftliche Sitzungen einzelner Abtheilungen.
Auf Aufforderung der Gesellschaft für Kinderheilkunde:
y. B o k a y - Ofen-Pest und S i e g e r t - Strassburg: Intubation und
Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode.
Einladende Abtheilung No. 17. Eingeladene Abtheilungen
No. 14, 15, 20. Sitzungslokal: Volksschule, Sellerstr. 41/43, Turn
halle. Sitzungszeit: Dienstag, 24. September, Morgens K>/ 2 Uhr.
B. Auf Aufforderung der deutschen pathologischen Gesell¬
schaft: v. Baumgarten-TUblngen: Die pathologisch-histologische
Wirkung und Wirks amke it XuberkelbacllTua —-Orth-Göt¬
tingen: Welche morjjnölbglschen Veränderungen können durch
\Tuberkelbacillen erzeugt werden? ----
Einladende Abtheilung No. 13. Eingeladene Abtheilung No. 14.
Sitzungslokal: Volksschule, Sellerstr. 41/43. Sitzungszeit: Dienstag,
24. September, Morgens 11 Uhr.
C. Von der Geschäftsführung vorbereitet: 1. Quincke-
' Kiel und Garrö - Königsberg: Chirurgische Behandlung der
"A Lungenkrankheiten.
Einladende Abtheilung No. 14. Eingeladene Abtheilungen
No. 13, 15, 17. Sitzungslokal: grosser Saal des Concerthauses
Hamburg. Sitzungszeit: Dienstag. 24. September, Morgens 8'/ 2 Uhr.
2. Jordan- Heidelberg: Ueber die Entstehung von Tumoren,
Tuberkulose und anderen Organerkrankungen nach Einwirkung
stumpfer Gewalt unter Ausschluss von Frakturen, Luxa-*
tlonen, Hernien und traumatischen Neurosen.
Einladende Abtheilung No. 15. Eingeladene Abtheilungen
No. 13, 14, 23, 24. Sitzungslokal: grosser Saal des Concerthauses
Hamburg. Sitzungszeit: Dienstag, 24. September, Vormittags.
3. K ro neck er- Bern: Innervation des Säugethierherzens.
Elinladende Abtheiluug No. 14. Etngeladeue Abteilungen
No. 12, 13. Sitzungslokal: grosser Saal des Concerthauses Ham¬
burg. Sitzungszeit: Mittwoch, 25. September, Nachmittags 2 Uhr.
4. Licht- und Röntgen-Therapie. Klenboeek R-Wien:
Therapeutische Technik. — G ro u v e n - Bonn: Lupus vulgaris
und Skrophuloderma. — Sjögren T.-Stockholm: Lupus erythe¬
matodes, Ulcus rodens, Cancrold. — Schiff- Wien: Haarerkrank¬
ungen. — Hahn R.-Hamburg: Ekzem, Psoriasis, Akne, Prurigo. —
Schürmayer - Hannover: Die Schädigungen durch Röntgen¬
strahlen und die Bedeutung unserer Schutzvorrichtungen. — Der¬
selbe: Die forensische Bedeutung der Röntgenverbrennungen. —
Bang S.-Kopenhagen: Lichttherapie. — Strebei - München: Die
Brauchbarkeit des Induktionsfunkenlichtes in der Therapie. —
Müller G. J.-Berlin: Weitere Erfahrungen über Aktinotherapie.
Einladende Abtheilung No. 21. Elngeladene Abthellungen
No. 14. 15, 24. Sitzungslokal: Logenhaus, Welckerstrnsse. Sitzungs¬
zelt: Donnerstag, 26. September, Nachmittags 2 Uhr.
I). Sitzung der T u b exk ulose - Kommission unter
Vorsitz von Herrn Professor Hüö'p'p'e-Prag. Brun stlow O.-
Rostock: Ein Fall von Kniegelenkstuberkulose und seine Behand-
• lung mit Koeh’schem Tuberkulin neuer Art (T. K.). — Friede-
berg-Wiesbaden: Moderne Forderungen der Familienfürsorge.—
G eb h a rd - Lübeck: Ausdehnung der Iuvaliditätsfürsorge auf
Frauen und Kinder. — L 1 e b e - Braunfels: Beschäftigung der
Kranken in den Heilstätten. — M a rt i u s - Rostock: Ueber die
/ \ Konstitution bei Tuberkulose. — N ä g e 1 s b a c h - Schöneberg:
Ruhe nnd Bewegung in de r Ph thlseotheraple. — Petruschky-
y Danzig: Ggf Tf u gw i w a rt ige BtH nd der diagnostischen und thera-
peutischeu Tnberkulinbehnndlung. — Sprengel - Brnunschwelg:
Welche Fälle von sogen, chirurgischer Tuberkulose eignen sich
für die Behandlung in den Heilstätten? — W e i c k e r - Görbers-
/■ dort: Die bisherigen Dauererfolge der Hellstättenl>ehandlung.
Eingeladene Abtheilungeu No. 14, 25. Sitzungslokal: Volks¬
schule, 8eilerstr. 41/43, Turnhalle. Sitzungszeit: Donnerstag. 26. Sep¬
tember. Nachmittags 2 Uhr, event auch Freitag, 27. September.
Nachmittags 2 Uhr.
E. Sonstige gemeinschaftliche Sitzungen: 1. S p i e s s - Frank¬
furt a. M.: Asthma, Heufleber und verwandte Zustände.
Einladende Abtheilung No. 20. Eingeladene Abtheilungen
Xo. 14. 15, 18. Sitzungslokal: Realschule, Sellerstr. 42. Aula.
Sitzüngszeit: Donnerstag, 26. September, Nachmittags 2 Uhr.
2. P a n s e - Dresden: Ueber Schwindel.
Einladende Abtheilung No. 20. Eingeladene Abthellungen
X'o. 14. 15. 18, 19. Sitzungslokal: grosser Saal des Concerthauses
Hamburg. Sitzungszelt: Dienstag. 24. September, Vormittags.
3. K e 11 i n g - Dresden: Besichtigung der Speiseröhre und des
Magens mit biegsamen Instrumenten. — Horowltz- Düsseldorf:
Ein neues Gastroskop.
Einladende Abtheilung No. 14. Eingeladene Abtheilung No. 15.
Sitzungslokal: Eppendorfer Krankenhaus. Sitzungszeit: Montag,
23. September, 4 Uhr Nachmittags.
Es behalten sich vor Einladungen ergehen zu lassen:
Abtbeilnng 14 zu: H i s • Leipzig und P a u 1 - Tübingen: Die
harnsauren Ablagerungen des Körpers und die Mittel zu Ihrer
Lösung. — Ke issig-Hamburg: Umfang und Bedeutung der
populären medicinischen Literatur.
1271
Abtheilung 16 zu: St ratz C. H.-IIaag: Einige neue Gesichts¬
punkte über den Einfluss der Rassen auf Körperform und Kleidung
der Frau (mit Lichtbildern). — S e 11 h e i m H.-Frelburg I. B.: Ent-
wickelungsstöniugen. — Schatz Fr.-Rostock: Thema aus dem
Gebiet der Anthropologie Vorbehalten.
Abtheilung 17 zu: It 111 e r - Berlin: a) Die Behandlung
schwächlicher Kinder. b) Die Behandlung rachitischer Ver¬
krümmungen (mit Demonstration).
Abtheiluug 18 zu: Säen ge r A.-lIamburg: Neurologische Er¬
fahrungen auf dem Gebiete der Rückenmarks- und lliruchinirgie.
Abtheilung 19 zu: F e 11 e h e u f e 1 d - Lübeck: Welche Rolle
spielt bei der Grössenschätzung die Form des Gesichtsfeldes?
Abtheilungen 20 und 22 zu: Wlnckler- Bremen: Fälle von
nasalen Nebenhöhlenerkrankungen. (Demonstration und Kranken-
vorstellung.) — Pflüger- Hamburg: Demonstration von Röntgen*
bildern bei Kieferhöhieuempyem. — P a r t s c h - Breslau: Der den¬
tale Ursprung des Empyems der Kieferhöhle. — Hachse- Leipzig:
Ueber DifTerentialdiagnose und operative Behandlung des Antrum-
Empyems.
m. Sitzungen der einzelnen Abtheilungen.
12. Abtheilung: Anatomie, Histologie, Embryologie und Physio¬
logie.
1. Bum-Wien: Weitere Beiträge zur Muskelmechanik. —
2. C a m e re r-Stuttgart: Ammotiiakausseheidung im Urin. --
3. G a u 1 e - Zürich: Neues von den trophisehen Kräften des Orga¬
nismus (mit Demonstrationen). — 4. G r i e s 1) a c h - Mühlhausen-
Basel: a) Ein neues Nervenfär1>emlttel. b) Ueber Blutgerinnung,
e) Slnnessebärfe bei Blinden. — 5. v. Koelllker - Würzburg: De.
inoiistration von Präparaten Uber die Medulla oblongatn von
Omithorliynchen und Echidna. —-6. S 11 e d a - Königsberg: Talg¬
drüsen. — 7. W a 1 d e y e r - Berlin: Thema Vorbehalten.
8. W e 1 s s - Königsberg: Die Synergie von Accoimnodation, Po
plllenreaction und Convergenz.
Die Abtheiluug ist elngelnden: Von Abtheilung 9 (Botanik) der
naturwissenschaftlichen Hauptgruppe zu: J o s t - Strnssburg:
Uel>er die Heizporeeption in der Pflanze (Referat). — Neraf e-
Prag: Die Beziehungen zwischen den statischen Organen und dem
reizleitenden Fibrillensystem bei den Pflanzen. — Zacharias-
Hamburg: Ueber Kinoplasma. Von Abtheiluug 10 (Zoologie) der
naturwissenschaftlichen Ilauptgruppe zu: Ahlhorn- Hamburg:
Ueber die gegenwärtige Lage des biologischen Unterrichts au den
höheren Schulen. Von Abtheiluug 14 zu: K r o u e c k e r - Bern:
Die Innervation des Säugethierherzens.
13. Abtheilung: Allgemeine Pathologie und pathologische
Anattnriie.
(Zugleich Sitzung der Deutschen pathologischen Gesellschaft.)
1. A s e h o f f - Göttingen: a) Pseudotuherkulo.se heim Neu¬
geborenen und ihr Erreger, b) Ueber die Missbildung der Zunge
bei der Agnatliie. — 2. u. 3. v. Baumgarten - Tübingen. Orth-
Göttlngen: Histologische Wirkungen des Tuberkelbaelllus. —
4. v. B a u m g a r t e n - Tübingen: a) Mikroskopische Untersuch¬
ungen über Ilaemolyse. b) Ueber experimentelle Lungouphthise.
— 5. B e n e k e - Braunschwelg: Ueber die Adenoflbrome der
Mamma. — (5. C h i a r 1 - Prag: Ueber gliomatöse Entartung des
Trnetus und Bulbus olfaetorius bei Glioma cerebri. — 7. Borst-
Wiirzburg: a) Zur Kasuistik der Teratome, b) Wachsthum und
Verbreitungswelse autonomer Tumoren. — 8. E r n s t - Zürich:
Kleinere Mittheilungen. — 9. v. H a u se m a n n - Berlin: Zur
Pathologie des Pankreas. — 10. II ö 1 s o h e r - Tübingen: Ueber die
DliTerenz der, histologischen Wirkung echter und säurefester
IWuiioMiberkelhactllPTi. — 17. Israel- Berlin: Beiträge zur Eut-
zündtmgsiehro." — 12. Kraus- Graz: Organverfcttung. —
13. Kretz- Wien: Mitteilungen Uber Baeteriaemle. — 14. Nau-
w e r c k - Chemnitz: Zur Entstehung der Dermoide des Eierstocks.
—15. Pappenhelm - Hamburg: Demonstration mikroskopischer
Präparate. — 16. P o n f 1 c k - Breslau: a) Sclerosis cerebri.
1» Lymplmngitis der Leber. — 17. R e d d i n g i u s - Groningen:
Ueber die phagocvtären Erscheinungen bei der Entzündung des
Kaninehennetzes. — 18. S a 11 y k o w - Groningen: Ueber Muskel¬
eiterungen. — 19. Schmidt- Strassburg: Die Herkunft der Psam¬
mome und Sarkome der Dura mater. — 20. Sternberg - Wien:
Die durch pathogene Blastomyeeten im Thierkörper hervor¬
gerufenen Veränderungen. — 21. Wolchselbaum - Wien (im
Aufträge der deutschen patholog. Gesellschaft): Was ist als Dys¬
enterie zu bezeichnen? — 22. W i n k 1 e r - Breslau: Placentar-
lnfarkte. — 23. Z i e g 1 e r - Freiburg I. Br.: Thema Vorbehalten.
Die Abtheiiung ladet ein: die Abtheilung 14 zu: v. Baum-
gar t e n - Tübingen. O rt h - Güttingen: Morphologische 'Wir¬
kungen der Tuberkelbnoillcn. Die Abtheilung ist eingeladen: von
Abtheilung 15 zu: .Tor da »^He idelber g: Die Entstehung von Tu¬
moren. Tuberkulose umränderen OrganefTvTfthkungen nach Ein¬
wirkung stumpfer Gewalt unter Ausschluss von Frakturen. Luxa¬
tionen, nernien und traumatischen Neurosen.
14. Abtheilung: Innere Medicin, Pharmakologie, Balneologie und
Hydrotherapie, Geschichte der Medicin.
1. B ä u m 1 e r - Freiburg: Thema Vorbehalten. — 2. B i n 1 -
Klssingen: Versuche zum Mechanismus der antiseptlschon Wir¬
kung. — 3. B o n n e - Flott heck: Suggestionsl>eh»iidlung in der
täglichen Praxis, besonders bei Alkohollsten. — 4. B r i e g e r- Ber-
Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift.
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Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift.
No. 31.
lln: Die hydrotherapeutische Behandlung ln der Privatpraxis des
Arztes. — 5. Burwinkel - Nauheim: Zur therapeutischen Ver¬
wendung des Aderlasses. — 6. Curscbmnnn - Leipzig: Die Be¬
handlung grösserer Herzbeutelergüsse. — 7. Edel- Würzburg:
Neue Gesichtspunkte für die Bekämpfung von Albuminurien. —
8. Eulenburg - Berlin: Gehirnerkrnnkungen nach elektrischem
Trauma. — 9. F 1 e 1 n e r - Heidelberg: Indikationen und Kontra¬
indikationen für die Wisnuitlibehandlung des Magengeschwürs. —
10. Franke- München: Algeoskopie. — 11. Gerhardt- Berlin:
Thema Vorbehalten. — 12. H 1 s - Leipzig und P a u 1 - Tübingen:
Die liaru8auren Ablagerungen des Körpers und die Mittel zu ihrer
Lösung. — 13. H o r o w 11 z - Düsseldorf: Ein neues Gastroskop.
— 14. Jolles-Wien: Nene chemische Methoden der klinischen
Blutuntersuchung (mit Demonstrationen). — 15. Katz und
Winkler- Wien: Ueher die Beziehungen zwischen Pankreas und
Milz. — 16. K e 11 i n g - Dresden: Besichtigung der Speiseröhre und
des Magens mit biegsamen Instrumenten (mit Demonstrationen).
— 17. Kok- Borkum: Die Ursachen der vielen Misserfolge, welche
sich jährlich in den Kuren an der Ostsee zeigen. — 18. Krehl-
Grelfswald: Thema Vorbehalten. — 19. K r o n e <• k e r - Bern:
Innervation des Säugethierherzens. — 20. L a q u e r - Wiesbaden:
Arsenwirkung. — 21. M e n d e 1 s o h n - Berlin: Der Tiefstand des
Herzens. — 22. O e s t re 1 c h - Berlin: Die Wirkung des Opiums
auf den Darm. — 23. P i o r k o w s k 1 - Berlin: Typhusdiagnose
aus Faeces (mit Demonstrationen). — 24. v. P o e li 1 - St. Peters¬
burg: Die Nervenüberreizung als Ursache von Autointoxikationen.
— 25. P o 1 1 a t 8 c h e k - Karlsbad: Zur Palpation der Bauchorgane.
— 20. Reissig- Hamburg: Umfang und Bedeutung der populör-
medicinlschen Literatur. — 27. R o s e n f e 1 d - Breslau: Thema
Vorbehalten. — 28. S c b e 1 e n z - Wehlheiden-Kassel: Thema Vor¬
behalten. — 29. S c h 1111 n g - Leipzig: Die Verdaulichkeit der
Speisen nach mikroskopischen Untersuchungen der Faeces. —
30. Schütze-Bad Ivösen: Fundamentalsätze der Hydrotherapie.
— 31. S t i n t z 1 n g - Jena: Ueber Neuritis. — 32. Umber- Berlin:
Das Verlniltniss von Zucker- und Stickstoffausscheidung beim Ei-
welsszerfall lm Diabetes.
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/
Die Abtheilung ladet ein: die Abtheilung 12 zu: Kronecker-
Bem: Innervation des Säugethierherzens. Die Abtheilung 15 zu:
K e 11 i n g - Dresden: Besichtigung der Speiseröhre und des Magens
mit biegsamen Instrumenten. — II o r o w i t z - Düsseldorf: Ein
neues Gastroskop. Die Abtheilung ist eingeladen: von Abthei¬
lung 13 zu: v. Baumgarten -Tübingen und Orth-Göttingen:
Morphologische Wirkungen der Tuberkelbacillen. Von Abtliei-
lnng 15, bu: J o r d a n - Heidelberg: Ueber die Entstehung von Tu¬
moren. Tuberkulose und anderen Organerkrankungen nach Ein¬
wirkung stumpfer Gewalt unter Ausschluss von Frakturen, Luxa¬
tionen. Hernien und traumatischen Neurosen. Von Abtheilung 17
zu: v. B o k a y - Ofen-Pest und S l e g e r t - Strassburg: Intubation
und Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode. — Von
Abtheilung 20 zu: Spiess - Frankfurt n. M.: Asthma. — Panse-
Dresden: Ueber Schwindel. Von Abtheilung 21 zu den Vorträgen
über Licht- und Röntgentherapie. Zu der Sitzung der Tuberkulose¬
kommission. Die Abtheilung, behält sich vor, einzuladen zu den
Vorträgen von: Hls und Pani (No. 12) und Reissig (No. 26).
Dlejenicen Herren, welche Vortrüge ans der Geschichte der Medi-
cin zu halten wünschen, werden gebeten, sich an Herrn Direktor
D e n e k e zu wenden.
15. Abtheilung: Chirurgie.
1. A Ibers-Schönberg-Hamburg: Die Anwendung des
elektrolytischen Unterbrechers im Röntgenarmaraentarium (mit
Demonstrationen). — 2. v. Brainann - Halle: Thema Vorbehalten.
— 3. C a s p e r - Berlin: Beitrag zur Diagnostik in der Nieren¬
chirurgie. — 4. Helferlch- Kiel: Bemerkungen über' plastisch.*
Chirurgie. — 5. H o f f a - Würzburg: Experimentelle Begründung
der Sehnenplastik. — 6. .7 o r d a n - Heidelberg: Die Entstehung
von Tumoren, Tuberkulose und anderen Organerkrnnknngen nach
Einwirkung stumpfer ‘Gewalt unter Ausschluss von Frakturen.
Hernien, traumatischen Neurosen. — 7. K ö 111 k e r - Leipzig:
Aetlier-Chloroformnarkose. — 8. K o 11 m a n n - Leipzig: a) De¬
monstration urologiseher Instrumente. 1)) Complementäre Intra-
urethrotomie. — 9. Kuhn-Cassel: Zur Transplantation. —
10. L e x e r - Berlin: Zur Operation des Ganglion Gasseri. —
11. L o e w e n h a r d t - Breslau: Funktionelle Nierendiagnostik. —
12. Lorenz-Wien: Ueber die unblutige Behandlung des ange¬
borenen Schiefhalses. — 13. M a r w e d e 1 - Heidelberg: Wander¬
niere und Gallensteine. — 14. v. M 1 k u 1 i c z - Breslau: Chirur¬
gische Erfahrungen über das Magencarcinom. — 15. Miiller-
Aaclien: Zur chirurgischen Behandlung der Venenthrombosen. —
16. R 1 e d 1 n g e r - Würzburg: Ueber willkürliche Verrenkung des
Oberarms. — 17. S a r f e r t - Berlin: Die Eröffnung von Lungen¬
höhlen. — 18. S c h a e f e r - Breslau: Ueber Binsenoperationen
ohne Narkose und Anaestheticn. — 19. S c h e d e -Bonn: Rücken¬
markstumoren und ihre chirurgische Behandlung. — 20. S c h 1 a g -
1 n t w e 11 - München—Bad Brückenau: Kritik der B o 11 i n i’schen
Operation an 150 Experimenten und 82 Präparaten von Prostata¬
hypertrophie aus der Sammlung G u y o n des Hospitals Noeker in
Paris. — 21. S c h irc h ar d t - Stettin: Thema Vorbehalten. —
22. S t r a u s - Frankfut a. M.: Zur funktionellen Nierendiagnostik.
— 23. V u 1 p i u s - Heidelberg: Ueber die Behandlung von Kon¬
trakturen und Ankylosen des Kniegelenks. — 24. Zucker¬
kand 1 • Wien: Ueber Blasensteinoperationen.
Projektionsapparate, Epidiaskop und Mikroskope stehen zur
Verfügung. Für die Benutzung des Projektionsapparates wird die
vorherige Angabe der Plattengrösse erbeten.
Die Abtheilung ladet ein: die Abtheilungen 13,14, 23 und 24 zu:
Jordan- Heidelberg: Entstehung von Tuberkulose, Tumoren und
anderen Organerkrankungen nach Einwirkung stumpfer Gewali
unter Ausschluss von Frakturen, Hernien, traumatischen Neurosen.
Die Abtheilung ist eingeladen: von Abtheilung 14 zu: Quincke —
Kiel und G a r r ö - Königsberg: Chirurgische Behandlung der
Lungenkrankheiten. Von Abtheilung 17 zu: v. Bokay-Of<:i-
Pcst uud Siegert - Strassburg: Tracheotomie und Intulmtiou iei
Diphtherie seit der Seruraperiode. Von Abtheilung 21 zu: Vor¬
trägt* über Licht- und Röntgentherapie.
16. Abtheiluug: Geburtshilfe und Gynäkologie.
1. E v e r k e - Bochum: a) Meine Erfahrungen ü» er Kaiser¬
schnitt. b) Demonstrationen. — 2. F a 1 k - Hamburg: Thema Vor¬
behalten. — 3. F re u n d - Berlin: Thema Vorbehalten. —
4. v. GuCrard und Schulze-Vellinghausen -Düssel¬
dorf: a) Demonstrationen, b) Traubenmolenbildung bei extrauto
rinor Schwangerschaft. — 5. H e 1 n r i c li - Bremerhaven: Opera¬
tionen grosser Bauchbrüche. — 6. Hoehne-Kiel: Demonstra¬
tionen. — 7. Kantarowicz -Hannover: Die Alkoholtherapic
der puerperalen Sepsis. — 8. Knorr- Berlin: Tumoren der weib¬
lichen Blase und deren endovesicnle Entfernung (mit scioptischen
Demonstrationen). — 9. K r o e n I g - Leipzig: Zur Therapie der
Extrauteringravidität. — 10. L o m e r - Hamburg: Zur Therapie
wiederholter Aborte und der Frühgeburt todter Kinder. -
11. M a 11 li a e 1 - Hamburg: Demonstrationen. — 12. Ri eck-
Altona: Demonstrationen. — 13. Schaeffer - Heidelberg: n> In-
dividualisirende Gesichtspunkte bei der Behandlung der Fehlgebur¬
ten. b) Nicht drainirendes Nahtmaterial. — 14. Schatz- Rostock:
n) Die Hinterscheitelbeinlagen, b) Thema aus dem Gebiet der
Anthropologie Vorbehalten. — 15. S e 11 h e 1 m Freiburg 1. B.:
Entwicklungsstörungen. — 16. S e m o n - Danzig: a) Geburtsbe¬
hinderung durch Ovarialtumor. Ovariotomia abdominalis Intra
partum, b) Demonstration. Erkrankung der Plaeeuta. und Hem-
mungsblldung des Foetus. — 17. St ratz-Haag: Einige neue Gog^j
sichtspunkte über den Einfluss der Rassen auf Körperform
Kleidung der Frau (mit Lichtbildern). — 18. Thorn - Magdeburg:
Die praktische Bedeutung der Laktationsatrrphle. — 19. Werth-
Kiel: a) Die Erhaltung der Ovarien bei Myomotomle, vaginaler
Utcrusexstirpation und Adnexoperationen, b) Demonstrationen. —
20. W i n t e r n i t z - Tübingen: a) Das Bad als Infektionsquelle,
b) Demonstrationen.
Die Abtheilung behält sich vor, einzuladen zu den Vorträgen
von: Schatz (No. 14), S e 11 h e 1 m (No. 15), S t r a t z (No. 17).
17. Abtheilung: Kinderheilkunde.
(Zugleich Sitzung der Gesellschaft für Kinderheilkunde.)
1. und 2. v. B o k a y - Ofen-Pest S I e g e r t - Strassburg: In¬
tubation und Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode.
— 3. B a g i n s k y - Berlin: Scharlachnierenentzündung. —
4. Camerer- Stuttgart: Die chemische Zusammensetzung des
kindlichen Körpers. — 5. Flachs- Dresden: Praktische Gesichts¬
punkte zur Säuglingsernährung. — 6. Ganghofner - Prag: Zur
Diagnose der Tetanie lm ersten Kindesalter. — 7. Gutzmann-
Berlin: Die diätetische Behandlung nervöser Sprachstörung im
Kindesalter. — 8. H e u b n e r - Berlin: a) Chorea, b) Kurze Be¬
merkung über die Kuhmilchfaeces des Säuglings. — 9. Hoch¬
singer-Wien: Das sogenannte Drüsenfieber. — 10. Länge-
Leipzig: Thema Vorbehalten. — 11. Müller- Berlin: Beitrag zur
Statistik der Dlphtherlemortalität in Deutschland. — 12 . Pfaund¬
ler - Graz: Thema Vorbehalten. — 13. v. Ranke- München: Zur
Behandlung des narbigen Kehlkopfverschlusses nach Intubation
und sekundärer Tracheotomie. — 14. R i 11 e r - Berlin: a) Die Be¬
handlung schwächlicher Kinder, b) Die Behandlung rachitischer
Verkrümmungen (mit Demonstrationen). — 15. Schlossmann-
Dresden: Der Phosphorstoff Wechsel des Säuglings. —
16. v. Starck-Kiel: a) Infantiler Skorbut, b) Das Vorkommen
aceidenteller Ilerzgeräusche in den ersten Lebensjahren. —
17. T r u m p p - München: a) Versuche zu der Verbesserung der
Intubationstechnik, b) Das fernere Schicksal des überlebenden
tracheotomirten und lntubirteu Kindes.
Die Abtheilung ladet ein: die Abthellungen 14, 15 und 20 zu:
v. B o k a y - Ofen-Pest S i e g e r t - Strassburg: Intubation und
Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode. Die Ah-
theilung ist eingeladen: von Abtheilung 14 zu: Q u 1 n c k e - Kiel.
G a r r (• - Königsberg: Chirurgische Behandlung der Lungenkrank^
hoiton. Die Abtheilung behält sich vor, einzuladen zu: Ritter
(No. 14 b).
<
18. Abtheilung: Neurologie und Psychiatrie.
1. Aschaffe n b urg - Halle a. S.: Berufsgeheimuiss (§ 30'
Slr.-G.-B.) und Psychiatrie. — 2. B e c k e r - Baden-Baden: Eine
neue elektive Achsencylinderfärbung. — 3. Binswanger -Jena:
Zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Tabo-Paralyse- —
4. B o e 11 i g e r - Hamburg: Die Maladie dos tics Impulsifs. —
5. Bonhöfer - Breslau: Zur prognostischen Bedeutung der sogen,
katatonischen Symptome. — 0. B r u n s - Hannover: Chorea elec¬
trica. — 7. Buch holz - Hamburg: Geistesstörungen bei Arterio¬
sklerose. — 8. D i n k 1 e r - Aachen: Ein Fall von Schädeltrauma
mit nachfolgender Verblödung. — 9. Embdeu - Hamburg: Zur
Digitized by AjOOQle
30. JuE 1901.
Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift.
1273
Kenntnis» der Aleiall Vergiftungen. — lü. Friedläuder- Frank¬
furt a. M.: Aphasie und Demenz. — 11. H 11 z 1 g - Halle a. S.: Hirn-
phj Biologisches. — 12. H o f f m a n n - Düsseldorf: Epilepsie und
Mjoklonie. — 13. J o 11 y - Berlin: Die Indikationen des künstlichen
Abortus bei der Behandlung von Neurosen und Psychosen. —
14. Leppmann - Berlin: Die Kriminalität der Unfallverletzten. —
15. Lilienstein - Bad Nauheim: Demonstration eines Apparates
zur physikalischen Diagnostik innerer Organe. — 16. M u s k e n s -
Haag (Holland): Untersuchungen über segmentaleGefiihlsstörungeu
an Tabetikern und Epileptikern (Demonstration mit Projektions¬
laterne). — 17. Nonne- Hamburg: Klinische und anatomische
Beiträge zur diffusen Carcinoinatose der Pia des Ceutraluerveu-
aystems. — 18. P u t z e r - Bad Königsbrunu (bei Köuigsteiu):
Diätetisch - physikalische Behandlung der Magen - Darmatonie. —
19. Ra ec k e - Tübingen: Zur Lehre von der Hypochondrie. ---
20. Säen ge r-Hamburg: Neurologische Erfahrungen auf dem
Gebiete der Rückenmarks- und Hiruchirurgie. — 21. Schuster-
Aachen: Behandlung allgemeiner Kinderkonvulsiouen.
Die Abtheilung ist eingeladen von Abtheilung 20 zu: Panse-
Dresden: Ueber Schwindel. — S p i e s s - Frankfurt a. M.: Asthma.
Die Abtheilung behält sich vor einzuladen zu: Saenger (No. 18).
Während der Kougresswoche werden im Eppendorfer Kranken-
hause auf der Abtheilung von Dr. Nonne eine grössere Reihe
ausgewählter Fälle von Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten den
Thellnehmern der Abtheilung zur Untersuchung zur Verfügung
steben.
19. Abtheilung: Augenheilkunde.
1. Cohn- Breslau: Ueber Schielen. — 2. Feilchenfeld-
Lübeck: Welche Rolle spielt bei der Grösseuschätzung die Form
des Gesichtsfeldes? — 3. Goldzieher - Ol'en-Pest: Therapie des
Trachoms. — 4. Hummelsheim -Bonn: Zur Untersuchung des
Llchtsinns. — 5. Ij I e b r e c h t - Hamburg: Arteriosklerose und Seh¬
nen-. — 6. Seydel-Schleswig: Das Seheulernen Blindgeborener,
mit Erfolg Operirter.
Die Abtheilung ist eingeladen von Abtheilung 20 zu: Pause-
Drvsden: Ueber Schwindel. Die Abtheilung behält sich vor einzu¬
laden zn: Feilchenfeld (No. 2).
20. Abtheilung: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten.
1. A v e 111 s - Frankfurt a. M.: Gibt die vergleichende Physio¬
logie eine Antwort auf die Frage nach dem proportionalen Vermilt-
nlss zwischen der Gesangleistung und dem Bau des Singorgancs?—
2. Brügelm a nn-Berlin: Aetiologie und Symptomatologie des
Asthma — 3. Coen-Wien: Die Behandlung der Sprachstörungen
beim Wolfsrachen. — 4. G o r d e s - Berlin: Die Behandlung chro¬
nischer Mittelohr-Katarrhe (Sklerosen) mit Luftverdünnuug. —
5. Dem me-Berlin: Gefässanomalien in der Pharynxgegend. —
6. Fink- Hamburg: a) Demonstration eiues Instrumentes zur
aseptischen Tamponade der Nase, b) Eine neue Methode zur Be¬
handlung des Heuflebers und verwandter Affektionen. — 7. F 1 a -
tau-Berlin: Das habituelle Tremollren. Beobachtung über die
Erscheinungen und die Behandlung dieser Stimmstörung. —
8. Franke-Hamburg: Die Betheiligung der Augen bei der Er¬
krankung an Heufieber. — 9. Friedrich - Kiel: a) Nystagmus
bei Ohrenkrankheiten, b) Weitere Beobachtungen über den dia¬
gnostischen Werth der elektrischen Akustlcus - Reaktion. —
10. Gleis s-Hamburg: Die Zwerchfellathmung beim Singen und
Sprechen. — 11. Gutzmann - Berlin: Der Zusammenhang von
Sprachstörungen mit Fehlern und Krankheiten der oberen Luft¬
wege — 12. H a r t m a n n - Berlin: Die Schwerhörigkeit in der
Schole. — 13. H o f f in au u - Dresden: a) Fall von primärer
Tuberkulose des Schläfenbeins, b) Fall von Septicaemie nach
Ohreneiterung. — 14. Jansen- Berlin: Operative Eingriffe am
Ohr und Schwindel. — 15. K i 11 i a n - Freiburg i. Br.: Thema Vor¬
behalten. — 16. Klemperer und S e h e i e r- Berlin: Ueber
Hhlnosklerom und Ozaenabacillen. — 17. Körner- Rostock: Das
primäre Carcinom im Schläfenbeine. — 18. Kümmel-Breslau:
Operative Behandlung und Komplikationen beim Stimhöhlon-
empyem. — 19. M ey e r-Hamburg: Demonstrationen und Vor¬
stellung von Kranken. — 20. M ö 11 e r - Hamburg: Chronischer
Sehleimhautpemphlgus der oberen Luftwege. — 21. Ostmann-
Marburg: a) Art und Verlauf der Hörstörung bei der akuten per-
foratlven Mittelohrentzündung. b) Die äusserlich sichtbareu
Zeichen der Entzündung des Mittelohres und des Warzeufortsatzes.
c) Die Betheiligung des Nervus facialis beim Lauschen (Demon¬
stration am Skioptikon). — 22. Pan s e- Dresden: Schwindel. —
23. Pflüger - Hamburg: Demonstration von Röntgenblldem bei
Kieferhöhlenempyem. — 24. Reinhard - Cöln: Ein Fall von
chronischer Mittelohrentzündung, komplizirt durch Schädelfraktur,
gehellt — 26. Robinson -Baden-Baden: Inhalations- und Pneu-
nutotherapie bei chronischen Erkrankungen der Trachea und der
Bronchien. — 26. R o s e n b e r g - Berlin: Zur Behandlung der
Ooryia vasomotoria. — 27. v. S c h rö 11e r- Wien: a) Seltener
Fall von Aktinomyko8e im Bereiche des Halses, b) Elgenthüm-
lieber 8ondirungsbefund der Nase. — 28. S c h w a r t z e - Halle:
Thema Vorbehalten. — 29. S p 1 e s s - Frankfurt a. M.: Asthma,
Heufleber und verwandte ZnstÄnde. — 30. Weil- Hamburg: Der
“ikroskopisebe und bakteriologische Befund im Nasenschleim der
H*ofleberpatlenten. — 31. W1 nc k 1 e r-Bremen: a) Modiücatiou
oer Radikaloperation der Mittelobreiterung, b) Fälle von nasalen
Nebenhöhlenerkrankungen. Demonstration und Krankenvorstel-
•oug. 82. Wolf f-Metz: Aetiologie und Therapie der Ohr-
fcrtlnache.
Die Abtheilung ladet ein die Abtheilungen 14, 15 und 18 zu:
S p 1 e 8 s - Frankfurt a. M.: Asthma, Heufleber und verwandte
Zustände. Die Abtheilungen 14, 15. 18 und 19 zu: Panse-
Dresden: Schwindel. Die Abtheiluug ist eingeladen von Abthei¬
lung 17 zu: v. B o k a y - Ofen-Pest und S i e g e r t - Strassburg:
Intubation und Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode.
Die Abtheilung behält sich vor eiuzuladen zu: Pflüger (No. 23)
und WInckler (No. 31).
21. Abtheilung: Dermatologie und Syphilidologie.
1. Bang- Kopenhagen: Lichttherapie. — 2. Bender - Wies¬
baden: Die Aetiologie des Ekzems. — 3. B 1 a s c h k o - Berlin:
a) Thrombophlebitis nodularis syphilitica; b) Die Abortivbehand¬
lung der Gonorrhoe. — 4. Bockhart - Wiesbaden: a) Die Aetio¬
logie des Ekzems, b) Die Behandlung der Sklerodermie. —
5. B o n n e - Kleiu-Flottbeck: Die klinische Bedeutung des Ekzema
seborrhoicum Unna. — 6. C h o t z e n - Breslau: Injektionsbehand¬
lung der Syphilis. — 7. Freund-Wien: Dermatomyasis. —
8. G a 1 e w s k y - Dresden: a) Operative Behandlung der Plaques
indurCos (Penisknochen). b) Beitrüge zur Therapie der Sklero¬
dermie. c) Therapeutische Mittheilungen über die Verwendung der
Silbersalze in der Dermatologie. — 9. Grouven - Bonn: Röntgen
bei Lupus vulgaris und Skrophuloderma. — 10. Hahn- Hamburg:
Röntgen bei Ekzem, Psoriasis, Akne, Prurigo. — 11. H e u s s -
Zürich: Ein neues Antiekzematosum. — 12. Hochsing e r - Wien:
Hereditäre Frühsyphilis ohne Ekzem. — 13. Jakobsohn - Ber¬
lin: Die Verwendbarkeit der Tricoplaste. — 14. Kienboeck-
Wieu: Therapeutische Röntgentechnik. — 15. Kollmann-
Leipzig: a) Klappen, Taschen und Stränge der männlichen Harn¬
röhre. b) Demonstration urologischer Instrumente, c) Intra-
urethrotomie bei weiten Strlkturen. — 16. Kulisch- Halle a. S.:
Thema Vorbehalten. — 17. L a s s a r - Berlin: Zur Therapie des
Caucroids. — 18. M r a c e k - Wien: Syphilitische Mutter und ihr
Kind. — 19. M U 11 e r - Wiesbaden: Syphilis gummosa der Nase.
— 20. M U 11 e r - Berlin: Weitere Erfahrungen über Aktino-
therapie. — 21. N e u b e rg e r-Nürnberg: Mittheilungen zur
Gonorrhoetherapie. — 22. Notthaft - München: Die Verwendung
höherer Temperaturen bei der Gonorrhoebehandlung (mit Demon¬
strationen). — 23. Richter - Berlin: Der innerliche Gebrauch von
Jodtinktur an Stelle von Jo<lkalI. — 24. Rille- Innsbruck: Thema
Vorbehalten. — 25. Schi ff-Wien: Röntgen bei Haarerkran¬
kungen. — 26. S c h u s t e r - Aachen: Zur Klärung des Rheuma¬
tismus gonorrhoicus. — 27. Schürmayer - Hannover: a) Die
Schädigungen durch Röntgeustralileu und die Bedeutung unserer
Schutzvorrichtungen, b) Die forensische Bedeutung der Röntgeu-
verbrennungen. — 28. S j ü g r e n - Stockholm: Röntgen bei Lupus
erythematodes. Ulcus rodens, Cancroid. — 29. Strebei - München:
Die Brauchbarkeit dos Induktionsfuukenlichtes in der Therapie.
— 30. W i n k 1 e r - Wien: Die Behandlung von Hautkrankheiten
mittels statischer Elektricitüt.
Die Abtheilung ladet ein die. Abtheilungen 14 und 15 zu den
Vorträgen über Licht- und Röntgentherapie. Referenten: 1. Bang-
Kopenhagen: Lichtherapie. — 2. Grouven-Bonn: Lupus vul- ,V
garis und Skrophuloderma. — 3. Hahn- Hamburg: Ekzem, Psoria- A.
sis, Akne, Prurigo. — 4. K i e n b o e c k - Wien: Therapeutische
Technik. — 5. Schiff- Wien: Haarerkrankungen. — 6. Schür-
m a y e r - Hannover: a) Die Schädigungen durch Röutgeustrahlen
und die Bedeutung unserer Schutzvorrichtungen, b) Die forensische
Bedeutung der Uöntgenverbreunungen. — 7. S j ö g r e u - Stock¬
holm: Lupus erythematodes, Ulcus rodens,'Caucroid. — 8. Stre¬
bei-München: Die Brauchbarkeit des Induktionsfunkeiilichtes
in der Therapie. — M ü 11 e r - Berlin: Weitere Erfahrungen über
Aktinotheraple.
22. Abtheilung: Zahnheilkunde.
1. Apffelstaedt - Münster i. W.: a) Brückeusystein eigener
Erfindung (Kastensystem), b) Ober- und Unterkieferresektioneu
(Prothesen). — 2. Bauchwitz - Stettin: Sensitives Dentin und
seine Behandlung mit Kohlensäure (mit Demonstrat) — 3. F roh-
rn a n n - Berlin: Neuere Beitrüge zur Infiltrationsanaesthesle bei
Zahuextraktionen. — 4. Gerhold - Wien: Demonstration neuer
Instrumente. — 5. Greve - Magdeburg: Alveolarpyorrhoe. —
6. Hahn- Breslau: Die Zahnfleischtistel und ihre Behandlung. —
7. II e r b s t-Bremen: u) Fortschritte in Kronen- und Brücken¬
arbeiten. b) H e r b s t’sche Goldfüllungsmethoden. c) Demonstra¬
tion meiner in Paris ausgestellt gewesenen Präparate_8. Jessen-
Strassburg i. E.: Die Bedeutung der Zahnpflege für da» Volks¬
wohl. — 9. K e r s t i n g-Aachen: Abnutzung der Zähne. —
10. Llppold Jun. - Rostock i. M.: Kurze Mittheünngen Uber
meine Thätlgkeit als Zahnarzt beim ostaaiatischen Expeditions¬
corps. — 11. M a m 1 o k - Berlin: Die Anwendung von J e n k 1 n’s
Porzellanemaille ln einigen besonderen Fällen. — 12. Morgen¬
stern - Strassburg i. E.: Projektionsvortrag über einige strittige
Fragen aus der Histologie und Entwicklungsgeschichte der Zähne.
— 13. P a rt s c h - Breslau: Der dentale Ursprung des Empyems
der Kieferhöhle. — 14. R o e m e r - Strassburg L E.: Ueber Pulpa¬
polypen mit mikroskopischen Demonstrationen. — 15. Sachse-
Leipzig: a) Demonstration des Dr. Braon e’schen Narkosen¬
apparates für Mischnarkosen. b) Wurzelspitzenresektion und Be¬
handlung chronischer Alveolarabscesse. c) Differentialdiagnose
und operative Behandlung der Antrumempyems. — 16. W i t z e 1 -
Jena: Thema Vorbehalten. — 17. W 11 z e 1 - Dortmund: a) Klefer¬
brüche und deren Behandlung, mit Demonstration von Apparaten,
b) Angeborene und erworbene Gaumendefekte, c) Demonstration
von Pneumatikobturatoren (eigene Konstruktion) nach operativen
Eingriffen.
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*
1274
Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift. •
Die Abtheilung behält sich vor einznladen zu: Partsch
(No. 13), Sachse (No. 15).
23. Abtheilung: Militär-Sanitätswesen.
1. D ü in 8 - Leipzig: Epileptische Dämmerzustände in der
Armee. — 2. Fischer- Berlin: Die Behandlung der Bauchschuss-
wunden im Felde. — 3. Helfe rieh - Kiel: Das Verhalten der
Knochen bei Streifschüssen aus modernen Kriegswnffen. —
4. H e r h o 1 d - Paotingfu: Thema, betreffend die auf dem Kriegs¬
schauplatz in China gemachten Erfahrungen, Vorbehalten. —
5. V a rg e s-Dresden: Truppenernüliruug im Kriege.
Die Abtheilung ist eingeladen von Abtheiluug 15zu: Jordan-
Heidelberg: lieber die Entstehung von Tumoren, Tuberkulose und
anderen Organerkrankungeu nach Einwirkung stumpfer Gewalt
unter Ausschluss von Frakturen, Luxationen, Hernien und trauma¬
tischen Neurosen.
24. Abtheilung: Gerichtliche Medicin.
1. H a be r d a - Wien: a) Die Form der Schädelverletzungen
an Neugeborenen, b) Kleinere Mittheilungen. — 2. Placzek-
BerlinW.: Herz Verletzung und Haematoperikard.—3. Schäffer-
Bingen: Thema Vorbehalten. — 4. S a e n g e r - Hamburg: Con-
träre Sexualempflnduug. — 5. Stubenrath - Wiirzburg: Ver¬
gangenheit und Zukunft der gerichtlichen Medicin in Deutschland.
— 6. S t u m p f - Würzburg: Der pathologische Rausch in straf¬
rechtlicher Hinsicht
Die Abtheilung ist eingeladen von Abtheilung 15 zu: Jordan-
Heidelberg: Ueber die Entstehung von Tumoren, Tuberkulose
und anderen Organerkrankungen nach Einwirkung stumpfer Ge¬
walt unter Ausschluss von Frakturen, Hernien und traumatischen
Neurosen. Von Abtheilung 21 zu: den Vorträgen über
die Licht- und Röntgentherapie.
25. Abtheilung: Hygiene, einschliesslich Bacteriologie und
Tropenhygiene. (
1. B a g i n s k y - Berlin: Isollrhospitäler und Mischinfektionen.
— 2. B r i e g e r - Berlin: Ueber die wirksamen Bestaudtheile der
deutsch-ostafrikanischen Pfeilgifte. — 3. C o h n - Breslau: Der
Zeitungsdruck vom augenärztlichen Standpunkte betrachtet. —
4. E r 1 8 m a n n - Zürich: a) Die Zusammensetzung und der Nähr¬
werth der Hungerbrode in Russlaud (mit Demonstrationen), b) Der
Nährwerth der Schülersuppen in Zürich. — 5. E r n s t - Zürich:
Bacterienstrukturen. — 0. F i s c h e r - Kiel: Zur Aetiologie der
sogen. Fleischvergiftungen. — 7. F ü r s t - Berlin: Zur Prophylaxis
•les Nikotinismus und Koffeinismus. — 8. Grassberger - Wien:
Ueber die Buttersäurebacillen. — 9. G r i e s b a c h - Miihlhausen-
Basel: Die Aufgaben der Schulhygiene. — 10. Kruse - Bonn: Der
jetzige Stand der Dysenteriefrage. — 11. Lode- Innsbruck: Die
Absterbebedingungen einiger Schimmelpilzsporenarten. —12. Moro-
Graz: Biologische Beziehungen zwischen Milch und Serum. —
13. N e 1 s b e r - Frankfurt a. M.: Staphylomykosen. — 14. N 1 e d e r-
Stadt- Hamburg: Die Milch, insbesondere sogen. Kindermilch. —
15. PI eh n-Davos i. d. Sch.: Einige neue Probleme der Malaria¬
forschung. -- 10. Ru ge-Kiel: Irrthiimer in der Malariadiagnose
und ihre Vermeidung. — S ft r k ft n y - Craiova-Itumänien: Die
Antherozoiden der Variola. — 18. S c h e u b e - Greiz: Die vene¬
rischen Krankheiten in den warmen Ländern. — 19. Scheurlen-
Stuttgart: a) Der Stand der Abwasserreinigungsfrage auf Grund
praktischer Versuche in Württemberg, b) Beobachtungen und
Untersuchungen über die pathologische Anatomie und Bacterio¬
logie der epidemischen Schweisskrankheiten. — 20. S c hot¬
te 1 i u s - Freiburg i. Br.: Versuche über sterile Ernährung von
Hühnchen und ilbei die Bedeutung der Darmbacterien. —-
21. Schürmayer - Hannover: Der Keimgehalt der Nährpräpa¬
rate und dessen hygienische und klinische Bedeutung (mit De¬
monstration von Kulturen und Photogrammen). — 22. Weig-
mann-Kiel: Die Anwendung und die Art der Durchführung der
Pa8teurisirung im Molkereigewerbe. — 23. W e y 1 - Charlottenburg:
Anwendung des Ozons in der Hygiene.
Die Abtheilung ist eingeladen zu der Sitzung der Tuberkulose¬
kommission.
20. Abtheilung: Thierheilkunde.
1. D i e c k e r h o f f - Berlin: Die intravenöse Injektion von
Arzneipräparaten bei den Hausthieren. — 2. E b e r 1 e i n - Berlin:
Ueber die chronische, deformirende Entzündung der Zehengelenke
des Pferdes (mit Demonstration). — 3. G 1 a g e - Hamburg: Die Be¬
deutung der flüchtigen Schwefelverbindungen der Muskulatur für
die Fleischhygiene. — 4. Hoffmann - Stuttgart: Deutsche
Pferdezucht — 5. Jess- Charlottenburg: Mitthellungen über Im¬
mun islrungsversuche. — 6. Immiger-München: Thema Vorbe¬
halten. — 7. Kaiser- Hannover: Thema Vorbehalten. —
8. L ü p k e-Stuttgart: Die neue Geflügelseuche. — 9. Lydtin-
Baden-Baden: Thema Vorbehalten. — 10. M a y r - München: Vieh-
gewährschaf t nach dem B. G.-B. — 11. Peter- Angermünde: Die
Tuba Eustachiana des Pferdes im normalen und pathologischen
Zustande. — 12. R a e b i g e r - Halle: Der ansteckende Scheiden-
uud Gebärmutterkatarrh der Rinder. — 13. Sussdorf-Stuttgart:
Thema Vorbehalten.
27. Abtheilung: Pharmacie und Pharmakognosie.
1. Beruegau - Hannover: Mittheilungen über eine Reise
nach Westafrika. — 2. Dieterich - Helfenberg (bei Dresden):
Die Werthbestimmuug der Canthariden nach dem Deutschen
Arzneibuch IV. — 3. Niederstadt - Hamburg: a) Kardamomen
aus den deutschen Kolonien, b) Thema Vorbehalten. — 4. P a r t •
heil- Bonn: a) Borsäure und eine neue gerichtsanalytische Be¬
stimmung derselben. b) Zur Kenntniss des Butterfettes. —
5. S c h ä r - Strassburg i. E.: a) Saponinhaltige Fischfangpflanzen.
b) Beobachtungen Uber aktlvirende Einwirkungen von reduzirenden
I Substanzen, sowie von colloidalen Metallen auf gewisse Oxy¬
dationsmittel. — 0. T h o m s - Berlin: Arbeiten aus dem pharm.-
eliem. Institut der Universität Berlin. — 7. T s c h i r c h - Bern:
Thema Vorbehalten. — 8. Z e 11 n e r - Hannover: Ueber moderne
Nährmittel.
Nachtrag.
Während des Druckes angemeldete Vorträge:
Für Abtheilung 14: A 1 e x a n d e r - K a t z - Hamburg: Der
gegenwärtige Stand der Krebsfrage.
Für Abtheilung 14; Unterabtheilung: Geschichte der Medicin:
1. B 1 o c li - Berlin: Bemerkungen über die medicinische Schrift-
stellerei des Alterthums. — 2. E p h r a i m - Berlin: a) die Ge¬
schichte der Salpeterindustrie, b) Die Bedeutung der Geschichte
für die Technik. — 3. F u c h s - Klotzsche (bei Dresden): Was
bietet der Anonymus Parisinus Neues. — 4. G e r s t e r - Braunfels
(bei Wetzlar): Die Rolle der Hysterie im Hexen wesen. — 5. Györy-
Üfen-I’est: Der Morbus huugaricus, — 6. Jackschath - Pollno'v
Un Pommern): Thema Vorbehalten. — 7. Kahlbaum - Basel: Die
Entdeckung des Kollodiums. — 8. Kossman n-Berlin: Kritisches
zur Bestimmung des Zeitalters, in welchem einige medicinische
Autoren griechischer Sprache (Aetius. Moschion, Kleopatm
lebten. — 9. Neuburger-Wien : Thema vorbelialten. —
10. P a g e 1 - Berlin: a) Die Analogie der Gedanken in der medi-
cinischen Geschichte, b) Galen als Medicolilstorlker. — 11. Rüge-
Kiel: Sanitäre und hygienische Zustände auf Seeschiffen im 17.
und 18. Jahrhundert. — 12. S c h ä f e r - Remscheid: Die Stellung
des Dichters Jung-Stilliug in der Augenheilkunde seiner Zeit. —
13. S t i e d a - Königsberg: Ueber Intibulatiou bei Griechen uu»l
Römern. — 14. S u d h o f f - Hochdahl: a) Hohenheim’s chirurgische
Schriften, b) Zur Geschichte der Lehre von den kritischen Tagen.
c) Ueber eine neue Organisation der deutschen Historiker der
Medicin und Naturwissenschaften. — 15. We g s ch e i d e r-Berliu:
Ueber Aetius Buch XVI. — 16. Kotelmann - Hamburg: Luther
und Leo X. als Brillenträger. — 17. Schimmelbusch - Hoch¬
dahl: Der Grundirrthum in v. Krafft-Ebing’s P s y ch o p a t h ia
s e x u a 1 i s historisch und philologisch betrachtet.
Für Abtheilung 15: B a d e - Hannover: Das modellirende Re¬
dressement schwerer Skoliosen. Für Abtheilung 16: Koss¬
man n - Berlin: a) Ueber die Grenze zwischen Mutter und Kind
in der Placenta. b) Ueber Ovario-Carcinom. Für Abtheilung 21:
1. B e c k - Ofen-Pest: Tinktorielle Injektion der interepithelialen
und Bindegewebslymphräume der Haut und der Cornea. —
2. B e r g - Frankfurt a. M.: Seltene Komplikationen eines Kar¬
bunkels. — 3. M ü 11 e r- Wiesbaden: Moderne Jodtherapie bei
Lues. — Freund- Wien: Verschiedene Strahlungen als thera¬
peutische Faktoren. — 5. Euler gen. Rolle-Wien: Röntgen¬
therapie. Thema Vorbehalten. Für Abtheilung 25: Gärtner-
Jena: Ein neues Haemoglobinometer. Für Abtheilung 27: Ga¬
da m e r - Marburg: Die Alkaloide der Corydalis cava.
Verlag von J. F Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler'a Buch- und Kunatdruckerel A.G., München.
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Dlo Manch. Med. Wochcuschr. cncholut wüHicntl. Tl ,|"1 T"\T/ - STTT7I'\TT7IT} 7n*end'ineen sind tu adreiafran: Fflr dloRodacüoa
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen. V'l I I |\^ I . I - 1 H. 1^ H. r\ Ottoitrasso 1. — Für Abonnement an J. F. Leh-
Prois ln Deatschl. u. Oeat.-Ungarn viertelj&brl. 6 JC, XtJ. V_/-*"*--*—*s -A-A-a-U mann, Hetistrasse 20. — Für Inserate nnd Beilagen
Ins Ausland 7.60 M~ Elntelne No. 80 -4. an Rudolf Mosse, Promcnadcplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
Cli. BiiRler, 0. Bollliger, H. Curschmann, C. 6erhirdt, 6. Merkel, J. i. Michel, H. v. Baake,
Freiburg I. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München.
No. 32. 6. August 1901.
Redaction: Dr. B. Spats, Ottostraaae 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustraase 20.
F. i. Winckel, H. i. Zlenssen,
München. München.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem hygieuischen Institut der Universität München.
Ueber ein krystallinisches Immunisirungsproduct.
Von H. Büchner und L. G e r o t.
n, Mittheilung.*)
Seit unserer ersten Mittheilung waren wir bestrebt, dio
nähere Natur der dort beschriebenen Globuliten zu ermitteln, was
auch gelang. Das Resultat ist etwas unerwartet, dürfte aber des
Interesse*» nicht ganz entbehren. In Anbetracht der ausserordent¬
lichen Widerstandsfähigkeit der Globuliten gegen chemische Re-
agentien war in der I. Mittheilung bereits die Möglichkeit an¬
gedeutet, dass es sich um rein anorganische Bildungen handeln
könnte. Diese Möglichkeit halten wir jetzt für zutreffend und
nehmen an, dass die organischen Stoffe in den ausgewaschenen
Globuliten, deren Vorhandensein sich beim Erhitzen auf dem
Platinblech kundgibt, lediglich aus Einlagerungen bestehen. Die
Globuliten selbst dagegen bestehen im Wesentlichen aus Baryurn-
sulfat.
Der Baryt stammt, wie sicli geigte, aus dem nach Kühn c’s
Vorschrift horgostellten Pepton, bei dem ein geringer Bnryt-
gohalt auch einem sorgfältigen Beobachter leicht entgehen kann.
Prüft man nämlich eine konzentrirtc, schwach barythaltige Pep-
t'adösung vorsehriftsmässig durch Zusatz von ganz wenig
Schwefelsäure auf Anwesenheit eines Bestes von Baryumsalz,
so entsteht zunächst kein Niederschlag; wartet
inan jedoch 12—24 Stunden, so bildet sich in derselben Lösung
nachträglich ein schwacher weisslicher Bodensatz, der aus
Globuliten von Baryumsulfat besteht’) Aller¬
dings haben diese Globuliten ein etwas anderes Aussehen, als die
bis dahin von uns beobachteten, sie sind vorwiegend oval und von
ziemlich gleichmässiger Grösse, nicht kugelig und nicht deutlich
konzentrisch geschichtet. Gleichwohl muss auf Grund des noch
i! i t zu t hoi lenden angenommen werden, dass es sieh in beiden
Fällen um wesentlich gleichartige Bildungen handelt, die nur
durch die verschiedene Entstehungsweise, verschiedenartige Ein¬
lagerungen u. s. w. gewisse Modifikationen auf weisen. Uebrigens
war cs für uns ganz neu, dass Baryumsulfat überhaupt in Form
von Globuliten zu krystallisiren vermag.
Obwohl somit unsere Globuliten aus Baryumsulfat bestehen,
sind sie dennoch in gewissem Sinne als „Immunisirungsprodukt“
zu bezeichnen. Sie entstehen nämlich vorwiegend, wie in der
I. Mittheilung bereits dargelegt wurde, bei Ucberschichten von
Sem in eines vorbehandelten Thieres mit (barythaltiger)
Peptonlösung, selten aber, und dann stets in viel geringerem
Mansse, bei Uelwrsohiehtou von normalem Serum mit der
gleichen Lösung. Der Grund wird unten angegeben werden.
Um diesen Punkt nochmals zu prüfen, wurde eine Anzahl
von Kaninchen vorbehandclt mit kleinen Mengen Blutes von
Schwein, Pferd, Ziege, Hammel, Rind, Meerschweinchen.
Sämmtliehe Sera gaben bei Ucberschichten mit einer 2proe.
L'^ung von barythalt.igem Pepton sofort Trübung au der
Beiührungsschichte und schon nach 4 Stunden den, in der I. Mit-
‘t Vergleiche diese Woehenschr. 1001, No. 20.
0 Unser IVpton enthielt 4,0 Proc. der Trockensubstanz an
BaO.
No. 32.
theilung beschriebenen, charakteristischen Ring von Globuliten
an der Wandung der Röhrchen. Von 11 Kontrolversuchen da¬
gegen, theils mit normalem Serum verschiedener Kaninchen,
theils mit normalem Rinderserum, ergaben 8 ein völlig negatives
Resultat, d. h. überhaupt weder Trübung noch Globuliten. Nur
bei 3 Kaninchen zeigte das normale Serum beim Ucberschichten
mit barythaitigor Peptonlösung zwar auch*keine sofortige Trü¬
bung, wohl aber nach längerer Zeit die Bildung eines
schwachen Globulitonringcs. Vesshall) diese Thier«* sieh
abweichend von den anderen verhielten, vermögen wir vorläufig
nicht anzugeben. Immerhin bleibt ein prinzipieller Unterschied
zwischen vorbehundeltem und nicht vorbehandeltem Serum be¬
stehen.
Aus dem soeben Mitgetheilten geht nun allerdings hervor,
dass die Globulitenbildung nicht, wie wir Anfangs dachten, als
eine speei fische Reaktion aufgefasst werden dürfe. Wir
waren zu dieser Ansicht seiner Zeit durch einen Versuch der
Vorbehandlung mit Meorsehwcinchenblut veranlasst worden, hei
dem das Serum, ganz entgegen der jetzt festgestellten Regel,
die Globulitenbildung verweigerte. Die Globulitenbildung ist
vielmehr nur eine Keaotion darauf, ob «las Serum von einem,
mit Injektion von Pepton oder Blut verschriener Thiersorten
v o r h e h a n d e 1 t e n Thierc eiitslammt. Wahrscheinlich werden
die verschiedenartigsten, zur Vorbehandlung ünzuwendcmlcn Ki-
weisssubstanzen in dieser Beziehung «las gleiche. Resultat ergehen.
Denn offenbar handelt cs sieh um eine ganz generelle Eig«*nsohaft
der Sera vorbehandelter Thiere, und diese kann nach Maassgabe
der lieschriebcnon Reaktion wohl nur in einem Mehrgehalt.
solchen Serums an Schwefelsäure resp. Sulfat
liegen 1 ).
Zur näheren Begründung seien folgende Thatsachen ang«;-
fühvt:
1. Normal«“» Rinderserum, dem je Volum versehhslen
abgestufter Lösungen von Natrium sulfat zugeset/.t
wurden, gibt heim Uel>«*rschiehten mit barythaltiger Pepton-
lösung den liekannten Globuliteuring; und Ztvar ist. dies der
Fall beim Gehalt an Natriumsulfat von 1:500, 1:5000, 1:50 000
und 1:100 000 (hei letzteren beiden nur spurenweise und später
auftreteml). Normales Kinderserum ohne Zusatz von Natrium¬
sulfat gibt mit der gleichen barythnltigon Peptonlösung keinen
Globuliteuring.
Hieraus dürfte hervorgehen, «lass normales Serum in der
Regel entweder gar keine oder nicht genug Schwefelsäure
resp. Sulfat enthält, um mit barythaltigern Pepton die Globuliten
zu liefern. Das Serum eines mit Blut vorbohamlelten Thier s
dagegen e n t h ii 1 t die <*rforderliehe Sulfatmenge (s. <>.).
Zur Anstellung dieser empfindlichen «lifferenlial-<liagii<rti-
sehen Reaktion zwischen normalem und vorlx-handeltem Serum
ist. aber die Anwesenheit von Pepton — ausser den»
Baryt — durchaus erforderlich. Blosse wässerige Barytlösung
genügt, nicht. wi«> folgender Wrsucli lehrt:
2. Eösmigen von Barvumneetat und Baryumehlorid in phys.
Na(’l-I.öisuiig, und zwar entsprechend «lein Gehalt einer lOpro-.
') I>le obige Annahme ist zunächst die wahrscheinlichste. Im
al»er auch ander«* Möglichkeiten d«*nkhar sind, so stehen wir in:
ItegrilT. «lie Schwel'elsäure direkt zu bestiinmcn. und werdcu
darüber später .Mittheilung inaclmn.
I
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1276
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Peptonlösung (mit 4,6 Proc. Barytgehalt der Trockensubstanz)
an Baryum, geben bei Uebersdüchtung
a) auf vorbeli andcltos Kaninchenserum (durch In¬
jektion fremden Blutes) sofort starke Trübung an der Be¬
rührungsschichte, später Globuliten-Ring und -Bodensatz;
b) auf normales Rinderserum ebenfalls sofort Trübung,
später Globulitenring und Bodensatz.
Eine einfache wässerige Lösung von Baryumsalz ist also
differential-diagnostisch unbrauchbar; es muss die eigentüm¬
liche Niederschlag verhindernde Wirkung des Pep¬
tons hinzukommen, um den Unterschied zwischen normalem und
vorbehandeltem Serum erkennen zu lassen, jene bis dahin un¬
bekannte Wirkung, die überhaupt daran Schuld war, dass der
Gehalt an Baryum in unserem Peptonpräparat übersehen
worden war.
Wenn nun aber zu schliessen ist, dass im Serum vorbehan¬
delter Thiere ein Plus an Sulfat zugegen sei, so entsteht natür¬
lich die weitere Frage nach der Ursprungsstätte dieses Sulfats.
Unsere Ansicht geht dahin, dass es sich hiebei um eine be¬
stimmte Lebensäusseruug der Leukocyten
handelt, wobei Schwefelsäure zur Bildung
und Ausscheidung gelangt. Dieser Schluss scheint
uns gerechtfertigt durch folgende weitere Versuchsresultate:
3. Man bedarf nämlich gar nicht des Blutes oder Serum
eines Thieres, es genügt die blosse Anhäufung von Leuko¬
cyten an einer Körperstelle, um bei Anwesenheit von baryt-
lmltiger Peptonlösung massenhafte und sehr charakteristische
Globuliten zur Entstehung gelangen zu lassen. Zu diesem Behuf
werden gläserne Spindelröhrchen, wie man sie zu chemotaktischen
Versuchen seit lange benützt hat, etwa 5 cm lang und 5 mm
an der weitesten Stelle im Durchmesser haltend, mit steriler
10—20 proc. Lösung von barythaltigem Pepton gefüllt, bakterien-
frei unter die Haut von Kaninchen eingeschoben; dann wird
etwas entfernt von der Einschubstelle die eine Spitze des Röhr¬
chens subkutan abgebrochen. Nach 2—4 mal 24 Stunden findet
sich an der freien Mündung des abgebrochenen Endes der
Spindelröhre der bekannte, 2—4 mm lange weissgelbliche, ziem¬
lich derb konsistente Leukoeytenpfropf, der aber bei mikroskopi¬
scher Untersuchung diesmal — im Gegensatz zu anderen be¬
kannten Fällen — den überraschenden Befund zahlloser,
zwisch e n d e n L e u k o c y teil eingebetteter,
meist sehr gross entwickelter, konzentrisch
geschichteter Globuliten ergibt.
Wir haben bisher etwa 10 Spindolröhrohon eingeführt,
immer mit gleichem Erfolg, vorausgesetzt, dass die Peptonlösung
konzentrirt genug war — 2 proc. Lösung ist hier ungenügend —
und dass die Röhrchen lange genug unter der Haut verweilt
hatten. 48 Stunden sind für Bildung grösserer Globuliten das
Minimum. Nach 36—40 Stunden findet man nur kleinere For¬
men und nach 18—24 Stunden nur Leukocyten und keine
Globuliten.
Barytfreies Pepton ergab zwar Ansammlungen von
Leukocyten in den Spindelröhrchcn, aber keine Globuliten.
Zweifellos handelt es sich also um die gleichen Globuliten aus
Baiyumsulfat, wie wir sie bisher beim Ucbe.rschieilten von baryt-
haltiger Peptonlösung auf vorbehandeltes Serum entstehen sahen.
Dass dieselben hier in den Spindelröhren meist besonders schön
und gross entwickelt und deutlich geschichtet sind, erklärt sich
aus der wesentlich langsameren und allmählicheren Bildung.
Nach 24 Stunden können schon ganz erhebliche Leukocyten-
pfröpfe in den Röhrchen da sein; zu dieser Zeit aber haben wir
noch keine Globuliten in denselben auffinden können. Es scheint,
dass die Leukocyten erst längere Zeit an Ort und Stelle ver¬
weilt und ihre chemische Thätigkeit ausgeübt haben müssen,
bevor nennenswerthe und zur Bildung von Globuliten hinläng¬
liche Mengen von Sulfat durch sie zur Ausscheidung gelangen.
Zur richtigen Beurtheilung dieser Verhältnisse sei hervor¬
gehoben, dass die Spindelröhrchen, da nur das eine Ende ab¬
gebrochen wird, vollständig von der Pcptonlösung erfüllt bleiben;
von letzterer Lösung kann nur eine ganz kleine Menge, welche
in der abgebrochenen Spitze enthalten war, mit dem Gewebe in
direkten Kontakt kommen. Die übrige, im Röhrchen restirende
Lösung wird dagegen schnell genug durch den sich bildenden
derben Leukoeytenpfropf vom Kontakt mit der Gewebsflüssigkeit
abgesi>errt.
Der Gedanke, es könnte durch allmähliche Resorption von
Peptonlösung aus dem Spindelröhrchen eine Vorbehandlung des
Thieres, wie bei Injektionen von Pepton (s. I. Mittheilung) zu
Stande kommen, ist somit auszuschliessen. Vielmehr sind offen¬
bar die Leukocyten selbst, bei ihrem Kontakt mit barythaltigeni
Pepton, für die Bildung der Globuliten verantwortlich zu machen.
Durch folgende weitere Versuchsanordnung wird die näm¬
liche Thatsache bewiesen:
4. Ein Kaninchen erhält 2 ccm sterile Aleuronat-
emulsion in die Pleurahöhle. Das sich bildende lcukocytenreiche
24 ständige Exsudat ergab, nach Verdünnen mit gleichviel phys.
NaCl-Lösung und Abcentrifugiren der Zellen, bei Ueberschich-
tung mit barythaltiger Peptonlösung sofort Trübung an
der Grenzschichte und alsbald Bildung eines Globu¬
liten r i n g e s , mindestens so stark, ja stärker sogar als das
Serum eines mit Pepton oder Blut vorbehandelten Thieres.
Von welcher Art ist nun diese Lebensthätigkeit der Leuko¬
cyten? Nach unserer Anschauung dürfte es sich dabei um Auf¬
nahme und intracelluläre Verdauung von Eiweiss- und eiweiss-
artigen Stoffen handeln. Durch Metschnikoff wurde
zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass in den Leukocyten
der Warmblüter der, phylogenetisch uralte, intracelluläre Er-
nährungs- und Verdauungsmodus noch heuto sich festgehalton
findet. Andererseits hatte der Eine von uns seiner Zeit, nach¬
dem er die Chemotaxis der Leukocyten durch Bacterienprotcine
aus getödteten und extrahirten Baeterienzcllen zuerst nachge¬
wiesen — bis dahin kannte man eigentlich nur Anlockung durch
lebende Bacterien — gleichzeitig auf die chemotaktische Lock¬
wirkung von Pflnnzencoseinen, sowie aller künstlich modifizirten
und denaturirten Eiweissstoffo aus thierischen Geweben (z. B.
Alkalialbuminat aus Leber, Muskel u. s. w.), übrigens auch von
reinstem Knochenleim, Hemialbumoso etc. aufmerksam gemacht.
Eine solche Erscheinung lässt sich kaum anders deuten,
als dass der Leukocyt auch im Stande sei, von jenen Substanzen
gewisse Anthoile in sein Inneres aufzunchmen. Eine blosse An¬
lockung lebender Zellen, ohne dass Nahrungsreize oder der Zweck
einer Resorption behufs Beseitigung der fremden Substanz dabei
in Betracht kommen, erscheint bei der allgemeinen Zweckmässig¬
keit der Organisation kaum annehmbar. Man darf dabei nicht
vergessen, dass N-freie Substanzen, wie z. B. Stärke, nicht
chemotaktisch auf Leukocyten wirken. Wenn aber etwas von
den anlockenden Substanzen vom Leukocyten aufgenommen wird
—ähnlich wie Bacterien und leblose Körnchen verschiedenster
Art vom Leukocyten thatsächlich und sichtbar aufgenommon
werden — dann muss bei dem energischen Chemismus der Louko-
eyten, der sich in der Bildung von Alexinen einerseits, von
faserstoffartiger Substanz andererseits äussert, eine, wenigstens
theilweiso Zersetzung di»*ser auf genommenen Stoff«* stattfinden,
wobei cs nicht auffallend sein kann, einen Thcil des Schwefel-
gehalts der zersetzten Eiweissstoffe in Form von Schwefelsäure
auftreten zu sehen.
Wenn also in den vorhergehenden Versuchen bei Einführung
von Pepton oder Blut oder Pflanzencasein eine Vermehrung der
Sulfate in den Siiften des Körpers sieh geltend machte, so dürfte
dies auf Aufnahme der genannten Substanzen durch Leukocyten
und thcil weise Zersetzung derselben mit Abspaltung des Schwefels
in Form von Schwefelsäure zu beziehen sein.
Der Nachdruck scheint uns hiebei weniger auf der Abspal¬
tung der Schwefel sä u re zu liegen, als vielmehr auf dem Nach-
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G. August 1901.
MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
1277
weis der Aufnahme der genannten Eiweiss- und eiweissartigen
Substanzen durch die Leukocyten und zwar desshalb, weil dieser
Vorgang mit dem Immunitätsproblem Zusammenhänge Ein¬
führung der verschiedensten Ei weisskörper in den Organismus
wird von letzterem mit Bildung spocitischer Immunkörper be-
antwortet. Aber Niemand weiss: wo, in welchen Zellenarten
diese Immunkörper zur Bildung gelangen? Jetzt wissen wir,
dass Leukocyten nicht nur durch die verschiedensten Eiweiss¬
körper chemotaktisch angelockt werden, sondern auch Antheile
davon in ihr Inneres aufnehmen, da sonst dio Schwefelsäurc-
abspaltung nicht zu begreifen wäre. Demnach ist es am wahr¬
scheinlichsten, die Leukocyten auch als die Er¬
zeuger der Immunkörper zu betrachte n.
Diese Betrachtung erlaubt übrigens noch eine Erweiterung.
Es war nämlich nicht genügend, wenn seiner Zeit der Eine von
uns als chemotaktisch anlockend auf Leukocyten, ausser den
Bacterienproteinen, auch die Pflanzencaseine und modifizirte
thierisehe Eiweisskörper bezeichnete. Gegenwärtig, auf Grund
unserer heutigen Erfahrungen müssen wir sagen, dass ganz
allgemein allo aus einem artfremden Orga¬
nismus herstammenden Eiweis s- und eiwoiss-
artigen Stoffe als Lockreiz auf die Louko-
cyten einer bestimmten S p c c i e s wirken. Bei¬
spielsweise wirkt normales Rinderscrum im Körper des Kanin¬
chens kräftig positiv chemotaktisch auf dessen Leukocyten.
Dürfen wir nun nach Obigem annehmen, dass von solchem
Kinderserum Antheile durch die Leukocyten aufgenommen
werden, und ifi Analogie ebenso bei anderen artfremden Eiweiss¬
körpern, dann entsteht Zusammenhang in unseren Kenntnissen,
da wir andererseits nach bisherigen Erfahrungen sohliessen
dürfen, «lass •auch alle artfremden Eiweiss- und eiweissartigen
Stoffe zu spezifischen Vorbehamllungcu und Immunkörper¬
bildung sich geeignet erweisen.
Aus der Leipziger chirurgischen Klinik (Geheimrath Prof.
Dr. T r e n d o 1 e n b u r g).
Zur Frage der Gefässverletzungen der Radix
mesenterii.
Von Privatdocent Dr. W i 1 jn s.
Verletzungen an der Wurzel des Mesenteriums, die den Chi¬
rurgen zwingen, einen oder mehrere der in der Mesenterialwurzel
verlaufenden grösseren arteriellen oder venösen
Gofiissstiimme zu unterbimk*n, sind, nach den enorm spiir-
li<-hen Mittheilungen der Literatur zu sohliessen, äusserst selten.
Bei der Bedeutung jedoch, welche diese Gefüssstiinimo für die
Ernährung des Darmes und damit für das Leben des
Verletzten haben, ist im gegebenen Falle einer derartigen Ver¬
letzung die genaue Kenntniss des Gefässverlaufes dieser Stelle
unbedingtes Erfordemiss.
Stich- oder Schuss Verletzungen werden diejenigen
Formen der Läsionen sein, bei denen für einen operativen Ein¬
griff günstigere Chancen vorlicgen. Verursachen breite Kon-
tu>ionon des Bauches, bei Ueberfahrenwerden, beim Hinein-
gerathen zwischen 2 Puffer, bei Stoss, Hufschlag etc., Zer-
reissungen am Mesenterialansatz, so sind nach unseren Er¬
fahrungen in der Regel schwerere Rupturen der grossen par¬
enchymatösen Organe oder Darmläsionen als komplizirende, oft
tödtliehe Verletzungen neben der Mesenterialverlotzung vor¬
handen und beherrschen das Bild.
Bei dem Falle, welcher die Veranlassung zu den nachfolgen¬
den Studien über Mesenterialläsionen gab, handelt es sich um eine
Stichverletzung der Mesenterialwurzel mit einem breiten Meissei.
Ein 18 jähriger Schlosser hatte in der Absicht, einen 2 cm
breiten scharfen Meissei auf einen Stiel aufzudrücken,
den Meissei so gegen den Bauch gestemmt, dass der Stiel gegen
den Thürpfosten angedrückt wurde, während die Schneide gegeu
ihu gerichtet war. Um sich nicht mit der Schneide zu verletzen,
hatte er sie auf einen Knopf seines Anzuges aufgestützt.
In dem Moment, wo Patient sich nun mit dem ganzen Körper¬
gewicht gegen die Meisseischneide stemmte, rutschte die
Schneide von «lern Knopf ab und fuhr ihm in den Leib.
Er zog sich den Melssel sofort selbst wieder heraus und
glaubt, dass der Melssel etwa in einer Länge von 10—12 cm
Im Leibe gesteckt habe.
Patient, der sofort heftige Leibschmerzen empfand, wurde
ohne Verzug in die Klinik gebracht. % Stunden nach der Ver¬
letzung lag er schon auf dem Operationstisch.
Status: Patient sieht blass anaomisch aus, er windet sich un¬
ruhig hin und her vor Schmerzen im Leib. Das Gesicht ist ängst¬
lich gespannt. Das Abdomen ist etwas eingezogeu, die B a u c li -
«lecken bretthart gespannt. Druck auf «leu Leib ist überall
schmerzhaft. Der C’remaster ist beiderseits kontrahirt. Der Puls
100, weicher als normal, aber noch ziemlich voll.
Percutoriscli ist festzustellen, dass in beiden abhängigen Par¬
tien des Abdomens eine deutliche, massig ausgedehnte D ä m -
p f u n g vorhanden ist, die bei Lagewechsel sich langsam ändert.
Die Leberdümpfung ist vorhanden. Patient hat weder Aufstosseii
noch Erbrechen gehabt. Die Temperatur ist normal.
In der Mitte zwischen Nabel und Proc. x i p li o i d e s
findet sich 2 ein nach links von der Linea alba eine horizontal ge¬
stellte scharfe SohnittölTnuug, deren Ränder glatt sind. Aus der
Tiefe blutet es wenig.
Da auf Grund genannter Symptome an einer inneren Ver¬
letzung. Blutung, eventuell Magen- oder D a r m Ver¬
letzung nicht zu zweifeln war, wurde sofort lnparotomirt.
Nach Umschneidung der Hautwunde wurde in der Linea alba
eine 10 cm lange lncision gemacht.
Zunächst fand sich im linken Leber lappen 2 cm vom
Rande entfernt ein etwas zackiger. 2 '/, cm langer Einstich.
Die Blutung aus diesem Stich wurde durch eine Seideunaht ge¬
stillt. Auf der Rückseite der Leber zeigte sich ein gleich¬
artiger Ausstich, der ebenfalls geuiiht wurde. Magen und
Kolon transversum waren intakt.
Schon während der kurzen Versorgung (1er Leberwunden
quoll reich lieh dunkles Blut unterhalb des Netzes
zwischen den Diiundariusclilingen hervor. Die Ineision wurde
nach unten verlängert, das Netz mit dem Querkolon nach oben
geschlagen. Es zeigt sicli darauf, dass das Blut aus der
Gegend des Mesenterialansatzes hervorkam. Trotz¬
dem die Dünndarnischlingen jetzt auseinandergezogen und das
Mesenterium so weit als möglich zugänglich gemacht wurde, ge¬
lang es zunächst nicht, über den Ursprung der Blutung sich
genauer zu orientiren, «la immer ein See von Blut auf
der verletzten Stelle stand, der von unten wie von
einer Quelle gespeist wurde. Kaum war die Ilaupt-
blutmenge wieder entfernt, so füllte sich der Trichter sofort wieder
von unten.
Erst als mit dem Finger die Gegend, aus der die Blutmenge
kam, gegen die Unterlage angepresst wurde, kam die Hauptblutung
etwas zum Stehen: zog man nun stärker am Mesenterium, so lioss
sich die blutende Stelle besser übersehen.
Wenn nach Zug am Darm das Mesenterium angespannt war,
so war der im Mesenterium dicht bei der Radix vor der Para
borizontalis inferior des Duodenum gelegene horizontale Schnitt
in ein rundliches Loch ausgezogen, in das man zwei Fingerkuppen
bequem hineinlegen konnte. Die die Blutung beherrschenden
Finger fühlten direkt die Pulsation der Aorta, welche gleich unter
dem Schnitt des Mesenteriums verlief.
Entfernte man den komprimlrendeu Finger für kurze Zeit,
so sah man, dass im Wundrand des Mesenterialschnittes mehrere
grössere Gefiisse bluteten. Die Blutung schien meist venös zu
sein, «loch war eine genaue Orieutirung natürlich nicht möglich.
Ich überlegte zunächst, ob ieh durch Umstechung ver¬
suchen sollte, die Blutung zu stillen oder die blutenden Gefiisse
einzeln zu fassen. Da es wegen der unmittelbaren Nähe der
Aorta sowie wegen der Tiefe, in der man hätte umstechen müssen,
schwierig war, eine Naht anzulegen, fasste Ich die G e f ii s s e
mit Schiebern.
Auch die Möglichkeit, dass bei einer Umstechung durch die
Nähte noch intakte Mesenterlalgefiisse mitgefasst und verschlossen
und die Gefahr der Darmgangraen damit vermehrt würde, verau-
lasste mich, keine Umstechung zu versuchen.
Es mussten an dem Wundrand insgesammt 13 Schieber an¬
gelegt werden, bevor die Blutung stand. Nachdem der Schieber¬
haufen in der Bauchwunde drinsteckte, füllte er so den Trichter
aus, dass eine nachträgliche Unterbindung nur äusserst schwierig
gewesen wäre.
Die 13 Schieber wurden desshalb in Gazebinden eingeschlagen
und blieben, trotzdem sie mit ihrer Spitze direkt der Aorta
aufsnssen und bei jeder Pulsation in die Höhe gehoben wurden,
liegen. Die Bauchwunde wurde soweit wie möglich darauf ver¬
einigt.
Die ganze Operation hatte von Beginn der Narkose bis Schluss
der Bauchnaht % Stunden gedauert.
Patient war sehr anaemisch, Puls klein: 130. Sofortige Koeh-
salzinfusion von 1 Liter. Der Puls erholt sich danach.
Mit Rücksicht auf die Grösse der Gefässe, die fast an dev
Radia mesenterii unterbunden waren, hatte ich mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit eine Darmgangraen erwartet und zugleich
gefürchtet, dass die 13 auf der Aorta pulsirenden Schiolier, die
zusammen über 600 g wogen, eventuell eine Usur der Aorten-
wand bedingen könnten.
Glücklicher Weise waren beide Befürchtungen nicht zu¬
treffend.
I*
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1278
MUENCHENEß MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
Der Patient klagte relativ wenig über die Belästigung und
den Druck durch die Schieber. In den ersten Tagen sickerte
noch etwas Blut neben den Schiebern heraus. Am zweiten Tage
gingen die ersten Blähungen ab. Der Puls war noch 132, leicht
noch zu unterdrücken. Temp. 37,8. Am dritten Tag wurden die
Schieber möglichst schonend in kurzer Narkose entfernt. Die
Blutung stand.
In den ersten Tagen war die Sekretion noch sehr reichlich,
sie Hess dann aber schnell nach. Der grosse Trichter, in dem
die Schieber gesteckt hatten, verkleinerte sich dadurch, dass der
Magen und Kolon nach unten, die gut verklebten Darinschlingen
sich nach oben schoben.
Eine kleine Verhaltung störte auf 2 Tage den sonst fieber-
losen Verlauf.
Nach 6 Wochen war die Höhle geschlossen, nach ü Wochen
wurde Patient mit einer Bauchbinde, um Hemienbildung zu ver¬
hüten, geheilt entlassen.
Von Seiten des Darms hat sich nie eine Störung gezeigt.
Das Interessante, des Falles liegt in Folgendem: Es hat sich
unzweifelhaft um eine Verletzung der grösseren V enen-
s t ii m m e der Vena mesontcriea superior in der Höhe der P a r s
horizontalis duodeni inferior gehandelt. Die ar¬
terielle Blutung war gering, sicherlich ist der Stamm der Art.
niesenteriea superior intakt geblieben, dagegen liegt es nahes eine
Verletzung des Stammes der Vena inesenteriea superior anzu¬
nehmen, die angeblich Kobs o n ') schon einmal ohne üble Folgen
für den Darm unterbunden hat.
Es wirft sich damit von selbst die Frage auf, kann der Stamm
der V c n a mesenterica superior ohne Gefahr für den Darm beim
Menschen unterbunden werden?
Fassend auf dem von Robson operirten Fall stellt, wie
es scheint, die Thatsache fest., dass beim Menschen eine Unter¬
bindung olincGangr a e n des Darmes möglich ist. Kxpcri-
m e n t e 11 ist die Frage, ob die Ve n a ohne Gefahr unterbunden
worden kann, nicht geprüft.
Es finden sich in der Literatur nur Studien und Beiträge
über Unterbindung der Art. mesenterica superior, deren Resul¬
tate ich kurz vorausschicken werde.
Die Studien, welche von Litten, Madelung, R.v-
dygior, Tantini, Zesas, Orccehi a und Chiarella,
Becker 1 ) an Hunden und Kaninchen über Laesionen und
Unterbindung der Mesenterialgefässe angestellt, ergaben, abge¬
sehen von einigen für den Chirurgen praktisch unbedeutenden
Differenzen, Folgendes: Unterbindung des Stammes
der Art. mesenterica superior hatte ohne Aus¬
nahme Gangraen des Darmes vom Duodenum bis
Kolon transversmn zur Folge. Dieser Befund wird uns ver¬
ständlich, wenn wir die Versorgung des Darmes rekapituliren.
Das ganze Darmrohr wird mit Ausnahme der ersten Hälfte des
Duodenum und unteren Rectalpartie durch die Art. mos. sup.
und inf. versorgt. Die Art. mosent. inferior versorgt
mit ihren Aesten 1. der A. coli ca sin ist ra das Kolon des-
cendens, 2. den Art. sigmoideae das Kolon sigmoideum
und 3. der Art. haomorrhoidalis superior den
grössten Thoil des Rectum. Aus der Art. mesent. superior
entspringen 1. Art., pankreatico-duodenalis inf.
für die untere Hälfte des Duodenum, 2. Art. iloo-
eoliea für das Ende dis lleum, das Co ec um und den An¬
fang des Kolon aseendens, 3. Art. colica d extra für
Kolon ascendons, 4. Art. colica m e d i a für Kolo n
transversnm, endlich entstehen von der linken Seite der
Arterie 10—18 Art. intestinales für Jejunum und
lleum.
Da die Anastomosenbildung dieser Arterien untereinander,
besonders im Gebiet der Art. intestinales, eine ziemlich aus¬
gedehnte ist. so sind Verletzungen einzelner der genannten
Arterienäste für die Ernährung des Darmes nicht gefährlich und
haben in der Regel, da durch die Anastomosen der Darm versorgt
wird, keine Gangraen des zugehörigen Darmstücks zur Folge.
Auch die Experimente genannter Autoren bestätigen am Thiere
diese für den Menschen bekannte Thatsache.
’) Robson: Brtt. med. Journ. 1.897. 10. Juli.
Literatur siehe bei Wolf f: Inaug.-Diss. Leipzig 1891.
Ein Fall von schwerer Mesenterialverletzung.
No. 32.
Während also Verletzungen kleiniy arterieller Gefässstämme
im Mesenterium für den Darm irrelevant sind, ist die Ver¬
letzung des Mesenterium am D a r m a n s a t z von
grosser Bedeutung für die Darmernährung, und zwar geht der
Dann, wie uns sowohl dio Thierexperimente, als auch die Studien
menschlicher Verletzungen lehren, gewöhnlich in der ganzen
Ausdehnung, in der er vom Mesenterium losgelöst wird, zu
Grunde.
DioKcnntniss dieser ThatSachen verpflichtet den Chirurgen, bei
A b r e issung <1 e s Mos e n t. e r i u m s vom Darm da s
ganze i s o 1 i r t e Darm stück zu reseciren, während bei
Laesionen des Mesenterium weiter vom Darm ent¬
fernt. meist unbekümmert um das Schicksal dis Darms, dev
Chirurg einfach den Riss oder Schnitt im Mesenterium nähen
und sehliessen kann. Eine Unterbindung dis Stammes der
Art. mesent. sup. hat immer ausgedehnte Darmgangraen
und Tod zur Folge. Bei Operationen am Mesenterialansatz mus<
also die Arterie unbedingt geschont werden. Ob man event. bei
| Verletzungen mit der Gefiissnalit Erfolge erreichen wird, darüber
I liegen noch keine Erfahrungen vor.
Unterbindung der Art. mesenterica inf. hatte beim Hunde
nach den Experimenten von Orecehia und Chiarella keine
<langmen des zugehörigen Diekdarms zur Folge.
Der angeführten Thatsache, dass Verschluss dis Stammes
der Art. inesen teriea superior eine Gangraen des Darmes in
grosser Ausdehnung bedingt, scheinen einzelne Beobach¬
tungen am Menschen zu widersprechen. Deckart ") hat 11*00
6 Fälle von Thrombose oder Embolie der Arteria mesenterica
superior zusammengestellt, die nicht tödtlieh verliefen. Bei den
3 ersten Fällen ist cs unsicher, ob der ganze Stamm verstopft
war, bei den 3 anderen, Karelier, V i r c h o w, C h i e n e, fand
sieb allerdings später die Art. mos. sup. in einen Strang ver¬
wandelt. jedoch lagen hier abnorme Verhältnisse vor. Sicher
ist cs in keinem Fall bestimmt, dass der Stamm der Art. mos. sup.
plötzlich durch einen Embolus in diesen Fällen obturirt worden
ist. Viel wahrscheinlicher ist es, dass bei diesen Fällen der Ver¬
schluss entweder allmählich oder durch fortschreitende Thrombo-
sirung oder dadurch, dass mehrere kleine Nachschübe von Em¬
bolien auf traten, eingetreten ist. Treten schubweise Verschlüsse
einzelner Aeste der Mesenterialgefässe auf, so haben die Col-
lateralbahnen Zeit, sich zu entwickeln, um die zur Dannernährung
nöthige Blutmenge zu liefern. Bei plötzlichem, totalem Ver¬
schluss reichen die Anastomosen, welche dio Art, mesent. sup.
durch die Pancreatioo-duodenalis inferior mit der Coeliaca, und
durch dieColica media mit der Mesenterica inferior hat, nicht aus,
um das grosse Darmgebiet zu versorgen. Der Darm wird nekro¬
tisch. Die genannten Fälle können also diese Thatsache nicht
umstossen.
Für die Unterbindung der grossen Venen-
s t ii m m e, die uns hier im Zusammenhang mit unserem Fall
in erster Linie interessirt, gilt im Allgemeinen dasselbe wie für
den Verschluss der Arterien, jedoch scheinen! bezüglich der
Unterbindung der Vena mesenterica superior
die Verhältnisse anders zu liegen, als bei der Arterie, denn auf
Grund eines Falles von Robson, der angeblich den Stamm
der Vena mesenterica superior ohne Schaden für den Darm unter¬
band, wird in der Literatur diese Angabe als beweisend in der
Frage angesehen. So z. B. schreibt Deckart S. 547: Nach
einfacher Unterbindung grösserer Vencnstämmo erfolgt jeden¬
falls keine Darmgangraen, wie ein Fall von Robson beweist.
Recapituliren wir kurz dio für die vorliegende Frage wich¬
tigen anatomischen Daten: Die Vena mesenterica superior
entspricht in ihrer Theilung und Anastomosirung der gleich¬
namigen Arterie; nur statt der Art, pancreatica duodenalis geht
als oorrc-spondirendes Gefäss die Vena gastroepiploica dextra in
die Vena mesenterica hinein, welche durch ihre Anastomosirung
am Magen mit der Vena gastroepiploica sinistra eine Conununi-
cation mit der Vena lienalis und dadurch mit der Pfortader ver¬
schaffen kann. Die Vena mesenterica superior ent¬
steht aus den Venae intestinales, Vena colica media, Vena colica
dextra, Vena ileoeolica und gastroepiploica sinistra. Die Vena
mesenterica superior bildet hinter dem Pankreas, mit dein sie
sich mit der Vena lienalis vereinigt, die Pfortader, wie auf der
Skizze ersielitlich-
J ) D o c k n r t: Ucker Thrombose und Embolie «Irr Mesenterinl-
gefiisse. Grenzgebiet f. Clilr. u. inn. Modle. 1900, i$. 511.
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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1279
6. August’ 1901.
Die Vena mesenterica inf. entspricht völlig der gleichnamigen
Arterie, sie mündet in die Vena lienalis oder in den Winkel, in
dem Superior und Lienalis «ich treffen und die I’fortader bilden.
Beiliegendes Bild zeigt die
Entwicklung des ganzen Pfort¬
aderstammes, deren genaues
Studium zur Beurtheilung der
Bedeutung der Unterbindung
der Vena mesenterica superior
nothwendig ist.
Erörtern wir an der Hand
der Abbildung die Art und
Stelle an der in dem Fall von
R o b s o n und in unserem
die grossen venösen Gcfiiss-
stärmne unterbunden worden sind, so ergibt sich Folgende«:
Der Patient, welchen Robson operirte, hatte sich das
scharfe Ende einer Feile in den Leib gostossen. Das Instrument
war etwas oberhalb des Nabels und fast in der Mittellinie ein¬
gedrungen. Welchen Weg die Feile genommen hat, ist aus dem
Operationsbefund nicht genau zu ersehen. Dass sie angeblich
den Magen mitgetroffen, ohne ihn zu perforiren, würde dafür
sprechen, dass die Feile durch das Mesokolon zwischen Magen
und Kolon durchgegangen und dort das Mesenterium getroffen
hatte, also etwa wie in unserem Fall, nur war bei meinem Pa¬
tienten der Einstich in die Bauehdeckep weit höher, etwa in der
Mitte zwischen Schwertfortsatz und Nabel, bei Robson etwas
über dem Nabel, ln unserem Fall hat «1er Meissei das Mesen¬
terium etwa in der Höhe des unteren Duodenalsehenkels getroffen.
Wie auf dem Bild ersichtlich, priisentirt sich dort die obere
Mesenterial veno schon als ein kräftiges (Jofäss, das etwa in der
Höhe des unteren Duodenalsehenkels die Vena colica dextra auf¬
nimmt. Ich nehme, also nach Lage der Sache an, dass in unserem
Falle in der (»egend, wo die Vena colica dextra in die ni<*senterioa
superior eintritt, das Mescnt«»rium verletzt war und dort die Ge-
füase mit den Schiebern gefasst worden sind. Ob die Vena colica
dextra mit durchtrennt war oder nicht, ist nicht mit Sicherheit
zu sagen. Kann nun, und das ist der springende Punkt unser«»r
Erörterung, an genannter Stelle von dem eigentlichen Stam in e
«ler Vena mesenterica superior g«‘sprochen werden.
Oberhalb der in unserem Falle verletzten Stelle münden in die
Vena mesenterica superior von rechts die Vena pancreatiea duo-
denalis, die Vena gastroepiploica uml von links, wie auch auf dem
Bilde ersichtlich, noch kleine V e n a e intestinales von den
olieren Dünndarmsehlingen. Diese letzteren kleinen Venen
münden zum Theil erst hinter dem Pankreas in die obere Mesen¬
terialvene. Es ergibt sieh daraus, dass eine Unterbiinlung der
Vena mesenterica superior unterhalb der unteren Pankreaagrenze
oder etwa in der Höhe des Eintritts der Vena colica dextra
stricte genommen keine Unterbindung des Stammes d««r Vena
mesenterica ist. Den eigentlichen Stamm kann man nur hinter
oder unterhalb des Pankreas unterbinden.
Schon aus dieser einfachen Betrachtung folgt, da*« Rob¬
son, da er mit Rücksicht auf die tiefe Lage des Einstiches in
seinem Fall wahrscheinlich noch tiefer die Vene unterbunden
hat als ich, gar nicht, den eigentlichen Stamm der Vene, ver¬
schlossen hat. Die auf den Fall Robson sich aufbauende
Schlussfolgerung, dass man den Stamm der V e n a in e s e u -
terica superior ohne Gefahr für den Darm unter¬
binden könne, hat daher den Boden verloren. Die Behauptung
bedarf neuer Beweist».
In der Literatur habt» ich keine Experimente über dieses
Thema gefunden, die. vorliegenden Studien Vx'fassen sieh immer
nur mit der Arterienunterbindung.
Die Unterbindung des Stammes der Vena mesenterica
superior ist beim Kaninchen nach meinen Untersuchungen sehr
leicht auszuführen. Gleich nach der Unterbindung sieht man an
den Därmen schon eine bläuliche Verfärbung. Das Kaninchen
»tirht nach wenigen Stunden. Es findet sieh dann eine haemor-
rhagische Infareirung fast des ganzen Dünndarms, beginnend
am Jejunum, 15 cm vom Duodenum entfernt bis fast an das
Coecum.
Am Hund, wo man am besten oberhalb des Pankreas. v«»n
der Pfortader anfangend, den Stamm der Vene uufsueht. ist
die Unterbindung etwas schwierig. Während beim Kaninchen
die Gefässvertheilung etwa der des Menschen entspricht, mündet
No. 3?.
beim Hund die Vena mesenterica inf. ziemlich tief in die Vena
mes<*nterica superior. Man muss also von der Pfortader an dem
Stamm der Superior noch bis unter die Eintrittsstelle der In¬
ferior gehen und unterbinden. Die Vena findet man am besten,
wenn man das frei bewegliche Duodenum nach links herüberlegt;
dann sieht man den Stamm sofort.
Ein Hund in der Weise operirt, starb nach 10 Stunden, ein
anderer nach 8 Stunden. Es fand sich eine ausgedehnte haemor-
rhagisehe Infareirung von der Mitte dos Duodenums bis über das
Coecum hinaus. Die Vena war ebenso wie beim Kaninchen
strotzend gefüllt mit Blut.
Unterbindung des eigentlichen Stammes
der Vena mesenterica superior ist also für
den Darm beim Thierc und wohl auch beim
Menschen nicht g 1 e i e h g i 11 i g. Man darf dess-
halb den Stamm hinter und oberhalb des Pan¬
kreas, wo er mit Vena mesent. inf. und lienalis die Pfort¬
ader bildet, nicht unterbinden, auch bei Operation
am P a n k r e a s k o p f hat man also darauf Rücksicht zu
n e h men.
Der Fall Robson und der hier mitge t heilte be¬
weisen nur, dass eine Unter bi ndungder Vena mesen¬
terica superior in der Höhe des unteren Duo¬
denalschenkels, also nach abwärts vom Pan¬
kreas, keine Darmgangraen zur Folge hat, was
ich übrigens an Hunden experimentell bestätigen konnte.
Aus dem pathologischen Institute in Zürich
(Direktor: Prof. Dr. Paul Ernst.)
Zur Duplicität maligner protopathischer Tumoren.
Von Dr. Richard Leo Grünfeld, gew. Volontärassistenten
de9 Instituts.
Die umfangreiche Literatur «ler letzten Dezennien in der
Krebsfrage und -Statistik enthält vereinzelte Anguben über Fälle
von multip«-ln primären Careinomen; zuerst wurden siimmtliehe
Fälle, bei welchen sieh neben einem primären Krebs auch eine
schwer zu deutende Metastase fand, hiehergezählt, dergleichen
«lie Impfeareinonie durch Uebertragung von Geschwulstpartikel¬
ehen auf einen der Krebsentwieklung günstigen Boden, ferner
Reeidive, die Jahre lang nach operativer Ihnlung des ersten
Tumors in homologen oder heterologen Organen auf traten. Die
meisten Fälle b«»trnfen mehrfache Haut- und Lippenkrebse, Därm¬
en rcinome,Rus»-.Th(er- und Paraffinkrebse, ferner solche, die auf
d«»ni BoJen eines Xeroderma pigmentosum Kaposi entstanden
waren, endlich eine kleine Anzahl von zwei gleichzeitig beob¬
achteten hi st« »genetisch verschiedenen Cnreinomcn in zwei vor-
sehiod<‘iien Organen, welche erfahrungsgemäss zu protopathischer
Krebsentwieklung g« , neigt sind (Haut. Darm, Mamma, Ovarien).
Die älteren Angaben der Autoren (v. Winiwarter, K a u f -
in a n n etc.) sind in den ausführlichen Publikationen Schi in -
m e 1 h u s c h’s und Buch e r’s genau angeführt, zusammen g«.*-
stellt und kritisch beleuchtet, so dass ich hier füglich auf «litss-
beiden letztgenannten Forscher verweisen kann. Di«» ersten syste¬
matischen Postuhite für die Rntsehoidung, oh in einem Fall«»
«*in multipler Primärkrebs bei einem Individuum vorli«»ge oder
nicht, stammen von B i 11 ro t. h aus dem Jahre 1889. Zur Si«‘h«r-
stcllung der Diagnose for«l«*rt er, dass
1. beide Careinome eine verschiedene anatomische Struktur
haben;
2. jc*d«»s d«»r Careinome histogenetisoh vom Epithel des
Mutterbodens ahzuleiten sei;
3. j«*«l<»s seine eigenen Metastasen mach«».
Gleichzeitig, und offenbar unabhängig von B i 11 r o t h.
unterscheid«‘t Kicks «lie Multiplicitiit <lt*r Careinome von «ler
Metastasenbihlung, welch’ letztere Art bei seh«»inbnr fehlendem
primären Krebs leicht ein«» genuin«» Multiplicitiit Vortäuschen kann,
indem auch er d«n v«»r<‘inz« , lten Beobachtung«*!! <li<*ser <lopp«‘ltcii
primären N«‘oplasnien skeptisch g<»genül>«‘rsteht, im Banne der
V i r c h o «'schon Lohn», «lass nur ein Tumor als primärer, «lie
anderen als Metastasen aufzufass«m seien.
Die kleine Zahl der Dublikation«»n eiuseh]ägig«»r lh-ohaeh-
tuiigen lässt *‘s begreifen, «lass B i 1 1 r o t h’s Forderungen durch
fast ein Jahrzehnt als maassgelxuid aufgefasst wimleu. l>is
Bücher mit der Ansicht hervortrat, «las; di - Erfüllung s’imm»-
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1280 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 32.
licher Postulate B i 11 r o t li’s die Duplicität primärer Carci-
nome wohl sicherstelle, hingegen aber auch, wenn Punkt 1 und 3
fehle, gleichwohl jedes der Carcinome autochthon sein könne. Er
fasst daher zwei Carcinome bei einem Individuum als primär auf,
obgleich die beiden (lokalisirt im Kolon deseendens und Magen)
qualitativ von einander nicht verschieden sind (eylinderzelligc
Schleimkrebse). Ebenso spricht er ein Carcinom der rechten
Mamma, das sich 6 Jahre nach der Exstirpation eines links¬
seitigen Brustdrüsenkrebses vorfand, als primäre Neubildung im
homologen Organ an. Diese Anschauung scheint sich allerdings
nicht Bahn gebrochen zu haben, denn alle späteren Autoren, die
sieh mit dieser Frage beschäftigten, theilen den Standpunkt
B i 11 r o t h’s, so dass man die erwähnten Bedingungen als Grund¬
lage bei der Beurtheilung der in Rede stehenden Frage auf-
fassen kann. So beschreibt Cordes ein destruirendes Adenom
des Magens heben einem Pflasterzellenkrebs am Fusso, II a n se¬
in ann ein Adenocarcinom des Magens gleichzeitig mit einem
Cancroid der Portio vaginalis Uteri, Lannois und Cour-
mont einen Duodenal- und Oesophaguskrebs, O. Israel ein
Cylinderzellencarcinom der Gallenblase neben einem Cancroid
des Pankreaskopfes. Auch Lubarsch kommt in seinem
Sammelreferate „Hyperplasie und Geschwülste“ auf dieses Thema
zu sprechen, welches dann sein Schüler W alter in einer aus¬
führlichen Darstellung, auf die ich noch zurückkommen will,
erschöpfend behandelt. Ausserdem finden sich neuerdings An¬
gaben über ein solides Adenocarcinom des Fundus Uteri neben
einem malignen cystisehen Adenom der Cervix (E c k a r d t.), ein
Plattenepitheleareinom der Cervix bei Carcinoma villosum
eylindroepitheliale beider Tuben (H o f b a u e r), bilaterales
Mammacarcinom (Albert) und symmetrisches atypisches „Epi¬
theliom“ beider Nebennieren (Carriere und Dolearde).
Gehört nun schon der multiple primäre Krebs im Verhält¬
nisse zu der grossen Verbreitung dieser Neubildung zu den
grössten Seltenheiten ‘), wie es auch allseits, speciell von K1 e b s
und Hansemann zugegeben wird, so ist der Befund von zwei
malignen Tumoren, die nicht derselben Art angehören, ein noch
vereinzelterer. In der mir zugänglichen Literatur fand ich da¬
rüber nur sehr wenige Angaben. Walter tlieilt die multipeln
bösartigen Neoplasmen ein in Fälle
1. von multipeln, durch Krebszellenimplantation entstan¬
denen Carcinomen;
2. von doppelseitigen Carcinomen in gleichartigen Organen
(symmetrische Carcinome — Systemerkrankung);
3. von multipeln primären Carcinomen, a) in denselben, b) in
verschiedenen Organen;
4. von multipeln primären Sarkomen verschiedener Organe;
B. von Kombination verschiedenartiger Neubildungen, a) in
demselben, b) in verschiedenen Organen.
Soweit es sich um die Kombination verschiedenartiger Neu¬
bildungen handelt, konnte er 6 Fälle berücksichtigen, die im
Folgenden aufgezählt werden mögen:
1. Fall Becker: Ulcus rodens des linken Nasenflügels;
nach Exstirpation desselben traten ungefähr gleichzeitig auf ein
Melanosarkom der Wange und ein Cancroid an Auge und Ohr.
2. Fall N iebergall: Carcinoma epitheliale papillare und
Fibrosarkoma reticulo-eellulare i>olyposum in ein und demselben
Uterus. Gleichzeitig fand sich in diesem Organe noch ein Myom
und einige Schleimpolypen.
3. Eigene Beobachtung: Spindelzellensarkom des Magens
mit Carcinom der Speiseröhre.
4. Pankreascarcinom und multiple primäre Leberangio-
sarkome.
5. Fall Kretz: Endotheliom der Dura mater und Carcinom
des Oesophagus.
6. Lipomyosarkom beider Nieren, Psammom (vielleicht
Psammomsarkom) des Gehirns und Cylinderepithelkrebs des
Magens.
Ein Pendant zu dem Falle Niebergall fand ich bei
Emanuel (Rundzellensarkom im Uteruskörper und diffuse,
ndenocarcinomatösc Wucherung in der Uterusmueosa) und
*) Es sei hier z. B. nur erwähnt, dass Belliger in einem
Zeitraum von 10 Jahren in dem Materiale einer Station — dem
Züricher pathologischen Institute — 325 Carcinome fand, was, wie
sich aus den Protokollen ergibt, auf 4325 Leichen — 8 Proc. dar-
stellt, darunter keinen Fall von doppeltem Primärkrehs.
stimme ich Walter bei, indem ich für diesen Fall, wie er für
den Fall Niebergall mit ihm eine besondere neoplastische
Disposition des Uterus annehme. Ferner beschreibt Hause¬
rn a n n : ) ein Carcinoma ventrieuli bei einem an Glioma eerebri
verstorbenen Individuum, sowie ein ulcerirtes Myxom des Magen-;
neben einem zellreieJien Sarkom der Leber, von deren Zusammen¬
hang er sich nicht sicher überzeugen konnte. Weitere ein¬
schlägige Beobachtungen konnte ich nicht eruiren. Es erschien
daher angezeigt, den im Nachstehenden beschriebenen Fall einer
eingehenderen Untersuchung zu würdigen:
Die Krankengeschichten, für deren Ueberlassung ich den
Herren Professoren Eich hörst und Wyder an dieser Stelle
bestens danke, ergeben in gedrängtem Auszuge Folgendes:
Frau L. B. von A., 30 jährige Hausfrau. Gesunde Familie,
Pat. gesund bis Frühjahr 1900. Im Mai Darmkolik, Schmerzen
im Unterleib, Kreuz und Oberschenkeln, später tägliche, oft mehr¬
malige Anfälle krampfartiger Schmerzen in der seitlichen Unter¬
bauchgegend. Im Oktober Untersuchung durch einen Arzt. Dieser
dachte an Tubarubort und empfahl ihr, sich in die Frauenklinik
aufnehmen zu lassen. Dort fand man keine Anzeichen für Abort,
hingegen palpirte man eine brettharte, den Douglas ausfülleude
Resistenz hinter dem Uterus, die sich nach links hin erstreckte.
Häutig Brechreiz, mitunter Erbrechen. Ende Oktober traten
kleinere und grössere Sugillationen an verseiliedeneu Hautstellen
auf. vereinzelt auch Nasenbluten, so dass man die Pat mit der
Diagnose Morbus maculosus Werlhofii auf die medicinische Klinik
trausferirte. Hier wurde folgender Befund notirt:
Pat. gross, kräftig. Haut blass. Ueber dem Kreuzbein, der
rechten Darmbeinschaufel und in der rechten Kniekehle blaugriin
verfärbte Sugillationen. Ueber dem Sternum rotlie und braune
Pünktchen, die aussehen, wie durch Blutung entstanden, unter dem
Fingerdrucke nicht erblassend. (.’entruni au manchen Flecken
welss. Keine Oedeine. Sensorium frei, Kopf frei beweglich, Zunge
kaum belegt, Rachen frei, im Augenhlntergrund beiderseits keine
Blutungen. Flache Struma, Cervicaldrüsen links etwas singe-
schwollen. Thorax gut gewölbt, symmetrisch, gleich lauter
Lungenschall vorne, vesicul. Inspir., unbestimmtes Exspir., keine
Rasselgeräusche. Rechts Dämpfung in der Regio iufrascapularis.
dortselbst Athmungsgeräusch und Stiminfremitus abgescliwiioht.
Puls leidlich gefülit, etwas beschleunigt massig gespannt. 84 in
der Minute, Respiration ruhig, vorwiegend eostal, 24—28. Tem¬
peratur 37,0. manchmal Steigerungen bis höchstens 38.6. Pupillen
eng. Oonjunetiven blass, an den sichtbaren Schleimhäuten keine
Blutungen. Rechter Ventrikel dilatirt. links von der Tricuspidalis
ein lautes, fauchendes, systolisches Geräusch. Ueber dem Bulbus
ein fortgeleiteter systolischer Ton. Leber scliliesst mit dem Rippen¬
bogen ab, Milz nicht vergrössert Nieren leicht druckempfindlich.
Untere Bauchgegeud leicht tympanitlsch, bei tiefem Druck in der
Blasengegend etwas Empfindlichkeit, sonst nicht schmerzhaft
Uterus nach vorne und links seitlicli verdrängt, hinter demselben
ist der botigla s’sche Raum durch eine pralle, nicht sehr schmerz
hafte Masse ausgefüllt. Oberschenkel bei Bewegung schmerzliaf*
Patellarrellox nicht auszulösen, kein Fussklonus, Plantarreflex
normal. Keine Paraestliesieu. Tast-, Ort-, Temperatur-, Sehmerz-
und Muskelsinn, wie Blasen- und Mastdarmfunktionen intakt. Die
Kraft, in beiden Beinen Vermindert, links mehr als rechts.
Blutbefund: Blut wässerig serös, rotlie Blutkörperchen
gleich gross, gut geformt, mit gutem Gelbton, stehen weit aus¬
einander, wenig Fibrin, wenig Blutplättchen, vereinzelte kern¬
haltige rothe.
Zahl der rothen Blutkörperchen 3 592 000, der weissen 12 100.
Spoeif. Gewicht 1043, Haemoglobin 70 Proc.
Ilanimonge normal, spec. Gewicht 1010, Harn gelb, trüb,
sauer, kein Ei welss, kein Zucker. Indicau nicht vermehrt, Eisen-
clilorid- und Diazoreaktion negativ. Im Sediment grosse, gelbe
rosettenförmige Krystallp.
Am 21. November ziemlich starkes Nasenbluten, Pat. schluckt
viel Blut, erbricht dann bis 500 ccm hell rothen Blutes. Puls wird
beschleunigt und klein, Verdacht auf Mugenblutung, Ergotin, Eis,
Gelatine. Im Stuhl kein Blut (Telcliman n). Blutbefund: Rotlie
1 508 000, welsse 8200, Haemoglobin 21 Proc.
Am 24 November Blutungen in der Nähe der Mundwinkel.
Haemoglobin 25 Proc.
I. Dezember: In der letzten Zeit Blut im Urin nachweisbar,
in der Retina rechts ausser- und oberhalb der Papille eine kleine
stichförmige Blutung.
II. Dezember: Kräfteverfall, Benommenheit.
12. Dezember: Exitus letalis.
Die. am Todestage von Prof. Dr. E r n s t vorgenommene
Sektion ergab im Auszuge Folgendes:
Auffallend blasse, anaemisehe Leiche. Stattliches Fettpolster.
Blasse, mürbe Musculatur. Ueber dem rechten Trochanter eine
handtellergrosse, liaemorrhagische, bläuliche Hautstelle. Im Fett¬
gewebe über dem Herzen einige abgeblasste, fleckige Blutungen.
Im linken Pleuraraum etwas Erguss, wenig getrübt, rechts etwas
mehr, hier mit Fibrinflocken gemengt. Herzblut dünn, blass, wässe¬
rig, von geringer Färbekraft. Herzspitze wird nur vom linken
Ventrikel gebildet, trotzdem ist der rechte Ventrikel etwas er¬
weitert. Papillannuskol blass, gelblich, Kommen ovale offen. In
*) 1. c.
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1281
MUFNCI1ENEU AIEDK’lNLSGllE WOCHENSCHRIFT,
G. August 1001.
I»»»i«1cii Vorhüfon blasst: Gerinnsel. I’apillurmuskcl und Trabokol
zeigen sehr ausgesprochen«: Gitterzeiclinuug. Klappen zart, unter¬
halb des Klnppeuringes der Aorta noch einige punktförmige
llaeiuorrliagien. Die Drüsen des Lungenhilus sehr gross, über dem
Bronchus ein ptiaumengrosses Paket. diesell)en sind aussen
lmeinorrhagisch marmorirt. während die Schnittfläche schieferig
ist. Linke Lunge pigmentaria, blass, nur an der Spitze etwas
Anthrakose. Hronchialscldeiinlmut sehr blass, starkes Oodem,
etwas grösser«» Derblieit. Im Unterlappen eine relativ blutreiche,
dichtere, nicht ganz luftleere Stelle, darüber trübe, matte Pleura, j
Hechts spricht sich diese Pleuritis stärker aus durch Fibrinleisten I
auf den Kirsten der Lappen. Grosse Anaemie und Pigment«rinutli. |
Starkes Oedein. Untcrlappon «lerber, nirgends luftleer oder in- j
tiltrirt. Auch hier grosse Ililusdriisen. Milz 10 , (P/ a , 4. Leichter
Stich in’s bräunliche, deutliche M a 1 p i g h i'sche Körperchen.
Pulpa nicht überquellend. An den oberen Dannpartien deutllclie
Zimmtfärbe, in querverlaufenden Streifen ungeordnet Im Ver¬
laufe »1er lhiuchaorta da uml dort harte, geschwellte Drüsen.
Nebennieren gross, mit deutlicher Pigmentschicht. Nieren hart,
blass, keine streitige Färbung der Markkeg»»!. Auf der Schleim¬
haut »l«»s recht»»u Nierenbeckens Koste punktförmiger Blutungen.
Gallenblase enthält sehr viele kleine Steinchen, blass. hellg»»lb,
facettirt. Keine Uleera, keine Decubitusstellen. Leber gross,
hart, Schnittfläche bräunlich, acinöse Zeichnung verwaschen.
Durch den Darm schimmert schwärzlich grüne Färb»» (gallig),
keine Zeichen einer Darmblutung. Im kleinen Hecken überall,
namentlich nach links, eine harte Resistenz. Rechts lässt sich i
Blase un»l Uterus umgreifen, links liegt das Rectum vor. infiltrirt j
uml in eine starre Röhre umgewandelt. An »lein aufgeachnittenen !
Rectum fällt vor Allem eine sehr stark v«»rdickto Muscularls auf, !
nach olien Immer dicker werdend (4 -7 nun), weiss, diffus intiltrirt.
Zwar ist kein eigentlicher Tumor vorhnmlcn, der sich abgrenzen
licss«». alter «lit» Schleimhaut wölbt sich h»öck»»rig und wulstig in
Längsfalten vor. Das Lumen ist verengt, die Iuliitnition hat eine
Ausdehnung von circa 10 cm in die Länge. Die Museulatur sieht I
aus wie Fisch fleisch und zeigt an mehreren St«»llen schleimige Be-
s«-liaff<»nlieit. Ovarien gross, in beiden «»inzeine linsengross.: Cysten. |
Blas»» und Uterus ohne Veränderungen, Douglas nach re«»lits ver¬
löt het durch solide Verwachsungen. Der linke Psoas ist von
mehrereu Knoten durchsetzt. Im Magen Flüssigkeit, es iind«*t
si»»h ein»* Reihe oberflächlicher, linsen- bis erbsongmsser Ge-
si hwiire, w»»lchen allemal eine stärker infiltrirte 1‘artie entspricht.
Fines derselben hat sogar einen wallartigen Rami. In hehlen mitt-
ler»»n S<»häd«*lgrulicn fast symmetrisch. extradnral,- auf der Dura-
ansseiifliiche sitz«»nd, polsterfönnige Neubildungen von markigem
Charakter und haemorrhagisch«»r Beschaffenheit. Sie gralien sich
in die Klipp»* der mittleren Schädelgruiie ein. s»> dass sie eine
il<‘iitli(’l) walirnehiuhare Lo«*keruug d»*s Knochens bewirken. Sohr
gr««ss»» Hypopliysis, deutlich «»ine vordere markige, bräunlich ge¬
fleckte Partie. Die hintere Satt»»ll«»line wackelig. Feste Adliaercnz
»h»r Dura au »ler Schädelinnenfläehe. Schädel tief, doliclioceplml,
mit ti»»f«»n G«»fässfun»hen. Gehirn sehr blass, in der weissen Sub¬
stanz sporatlisch kleine haeinorrhagische PUnktehen, weniger in
der grauen Substanz, Kleinhirn, Pons und Modullu. Tliyreohlea
»leutlieh vergrössert, Colloidstnima.
Anatomische Diagnose: Carcinoma rccti (diffus infiltriromfc*
Form), Ucbergaiig auf Peritoneum, Verlöthung des Douglas und
Metastasen im Magen. Ext rad uralt» Tumoren in den vorderen
Partien «ler mittleren Sehädelgrube mit lacunärer Erosion d«»s
Knochens. Paehymeningitis hac*morrliagica interna. Spärlich
•lisseminirto Blutungen in Gross- und Kleinhirn, wie in der Haut..
Starke Anaemie, fettige Gitterzeiehnung und Blitzfiguren in der
Wandung des ganzen linken Ventrikels. Auffallende Pigmcnt-
armuth der Lungen. Beginnen» 1«; Pneumonie in beiden Unter¬
lappen. Zahlreiche facettirto Cholestearinsteine in der Gallen¬
blase.
Was mm zunächst die mikroskopische Bestätigung der
makroskopischen Diagnosen anlangt, so g«»lang es, im Herzmuskel
»He fettige Degeneration in Form der bekannten Schihlerhaus-
rimiren mit Hilfe von Osmium auf’s Schönste nachzuweisen. In
d«n Lungen fand sich Lcuk«>»»yteninfiltration in beiden Unter-
lappt*n, links mehr ausgesprochen als rechts. T)ie Leber zeigt
Hacitiosidcrosis (Reaktion mit Ferroeyankali-Salzsäure).
Die Paehymeningitis hacinorrhagica ist wohl als Thcilcr.-ehci-
mmg »ler allg<»iiieiiic*n haem«>rrhagis<»hcn Diathcse in Folg«: der
Anaemie aufzufassen. Etwas s»»hwicrig(»r sind die Blutungen
in der Haut, an Pericard und Nierenbecken, wie im Gehirn /.u
deuten. Klinisch wurde in Berücksichtigung «ler Ilautblutungen,
des Blutbefundes, sowie d«*r Hcsistcnz im I) o u g 1 a s’sehen
Raum, di«* man als Ilaematocele retrouterinu ansprach, Morbus
maeulosus Werlhofii angeuomiuon. Andererseits ist es ja be¬
kannt, dass Blutungen bei Carcinom nicht zu den Seltenheiten
gehören und auch «lie zuletzt aufgetretene stichförmige retinale
Blutung dürfte wohl in diesem Sinne aufzufassen sein. Die '
Anaemie erscheint durch die Krebskachexie genügend erklärt.
Der Tumor des Mastdarms wurde in Eormnlin und nachher
in Alkohol gehärtet, mehrere Stücke von verschiedenen Stellen
in (Vlloidin »»ingebettet und nach verschiedenen Methoden ge¬
färbt. Selbstverständlich wurden sowohl Längs- als Quer- uu»l
Tangentialschnitte untersucht.
Im mikroskopischen Bilde fällt vor Allem die intakte
Schleimhaut auf. Die Gcschwulstmasse dringt zwar bis an die
Musculnris mucosae vor, respektirt aber Epithel und Tunica
propria vollkommen, während sie sich in den submucösen, den
Schleimhaut falten entsprechenden Ausbuchtungen ausbreit»»t.
Auch di»» Funktion der Darmschleimhaut in der Aus»lehnung des
Tumors ist nicht gestört, denn nirgends fehlen die Bocherzellen
und der von ihnen produeirto, durch Thionin leicht nachweisbare
Schleim. Die übrigen Schichten der Darmwand präsentiren sicii
durchsetzt von einer Tumormass»*, welche einen deutlich alveo-
lärcn Bau zeigt uiul zunächst durch die wesentliche Differenz
des Zelleharakters an verschiedenen Stellen imponirt. Man findet
einerseits dicht gedrängt stehende, kleine, rundliche Zellen mit
grossen Kernen, theilweisc mit vermehrtem Chromatingehalt,
oft ohne scharfe Contouren, andererseits grössere Zellen mit
hellem Protoplasma und wandständigen, platten Kernen; durch
ihr Verhalten gegen Haematoxylin oder Thionin verrathen diese
letzteren Zellen deutlich ihren Schleimcharakter. Es scheint, als
ob »lie kleinen, dichten Kerne die jugendlichen Formen der Ge-
sehwulstolemeiite darstellten, welche wohl durch Schloimbildung
in die Si»»g«»lringform übergehen. Diese Siegelringzellen liegen
reihenweise ungeordnet, so dass man auf »len verschiedenen
Schnitten lange Züge solcher Gebilde nachweisen kann. Be-
somkrs charakteristisch ist das Verhalten der Tumorzellen zu
«ler Musculatur, am deutlichsten dureli die van Gioson’sehe
Färbung nachweisbar. Anfänglich sieht man noch eine Flan-
kiruiig der Gesehwulstzellen durch langgestreckte Spindelkerne,
späterhin eine Ausbreitung nach allen Richtungen ohne Um¬
säumung, so «lass die Muskelschichte keilförmig auscinamlorge-
drangt wird. Auch hier findet man die kleinen, runden Zellen
gleichsam als Pioniere der Sehleinizellen. Fettgewebe, Ncrveu-
seh»»i»l«»n und Seros« erscheinen mehr oder weniger von der Go-
sehwulstmass«: durchwachsen, ebenso wie die Gcfässseheiden
nicht verschont bleiben, indem sich auch hier die Zellen einzeln
vorzuschieben scheinen. An einigen Stellen hat das Sohloim-
geweln: Kalk aufgenommen, wie man durch deutliche Uebergangs-
bilder in einer Geschwulstalveole ersehen kann, doch fand sieh
diese Imprägnation nur spärlich. Kerutheilungsfiguren konnte
ich nur sehr vereinzelt finden.
Von den Metastasen dieses Tumors untersuchte • ich einig»?
Lung«»nhilusdrüsen, solche von der Bifureation der Trachea und
eine aus dem Museulus psoas, ln allen diesen Metastasen fand
sieh eine vollständige Ueberoinstimmung des histologischen Cha¬
rakters. Das Gewebe erscheint hier mehr oder minder substituirt
durch eine Geschwulstmasse, deren Elemente völlige Analogie
zeigen mit denen des Roetaltumors. Die klarsten Bilder liefert
die Doppelfärbung mit Haematoxylin und Eosin. Die lichtblau
gefärbten Siegelringzellen, liier etwas dichter angeordnet als im
Primärtumor, aber auch weiter ausgebreitet, heben sieh von dein
Bindegewebe und den zahlreichen, meist dünnwandigen Gefässen
ab, in deren Lumen man die Kerne der jugendlichen Zeitformen,
hart beieinanderstehend, leicht kenntlich durch die dunklen? Blau¬
färbung, nachweisen kann. Auch hier nur sehr spärlich«? Mitosen.
Der Schleinicharaktcr dieser Tumoren, der übrigens schon makro¬
skopisch in’s Auge fiel, sowie die vollständige Analogie der Ele¬
mente mit denen der Mastdanng«»schwulst lässt diese G«jschwülstc
wohl zweifellos als Metastasen des Tumors im Rectum auffassen.
Einen sehr beinerkenswertheu Befund ergab «lie Untersuchung
der bes<»hri«»bonenMageng»'bilde, die makroskopisch als Geschwüre
imponirten, jedoch durch ihren wallartigen Rand und die derbe
Infiltration schon hei der .Sektion den Verdacht erweckten, dass
hier Metastasen des primären Mastdarmtuinors vorlägen. In
«l»:r That konslatirt man nu«*h hier Geschwulstalvoolen von »lern
nämlichen Bau wie in der Rectalwand, allerdings nicht so diffus
nusgebreitet, sondern spärlicher disscininirt, während das nor¬
male Zwisehengewebc praevalirt. In «len Alveolen erg»:ben sich
auch hi«;r die Uebergangskilder von der grosskemigen Zelle in die
Siegelringform, in einzelnen sind direkt verschiedene Stadien
dieser Umwandlung wahrnehmbar. Die Mueosa erscheint au«»h
hier frei, die Serosa hingegen wohl auch ergriffen, doch z»»igt
sich weilor makro- noch mikroskopisch irgend welches Einwnch-eu
2 »‘
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1282
No. 32.
MUF.NCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
eines eventuellen retrobust rischen Tumors von den metustatiseh
ergriffenen Drüsen aus.
Nach der vorstehenden Schilderung steht es wohl ausser
Zweifel, dass wir es mit einem Carcinoma reeti mit Gallertbildung
zu thun haben, jener alltäglichen Neubildung, die man fast als
Paradigma gewisser Darmkrebse ansehen kann. Der Charakter
als (iallertcarcinom ist gerade in dieser Lokulisation nicht auf¬
fallend, da sich nach der Statistik Klei n’s über 992 Carcinom-
fälle unter 78 Rectalearcinomen 10 Gallertkrebs«.*, d. h. 12,8 Proc.
ergaben. Dass die Umgestaltung in die Gallertform sowohl an
den primären, wie sekundären Careinomen vorkommt, in der
Regel abhängig von der Schleimbildung der wuchernden Kpi-
thelien, ist nach unseren Bildern, an «lenen man die Umwand¬
lungsformen der gewucherten Drüsenepithelien an Primärtumor
und Metastasen sehr gut verfolgen kann, nur zu bestätigen. Die
Auffassung, «lass die Zellen mit hyperchromatischen Kernen als
Vorstadien der Schleimbildung anzusehen seien, liegt allerdings
nahe genug. Von hohem kasuistischen Interesse ist dagegen der
seltene Befund der Magentumoren, die man direkt als Metastasen
ansprechen muss. Ein sekundärer Tumor der Urngthung, der
durch die Semsa in die Magenwand hätte einwachsen können,
war makroskopisch an keiner, den Infiltraten entsprechenden
Stelle oder der Umgebung nachw«*isbar und auch mikroskopisch
zeigt sich an der Serosa keine Stelle, die auf eine solche Ent¬
stehung der Tumoren schliessen li«*sse. Vielmehr spricht die- Iso-
lirung der Geschwulstalveolen, die Anordnung des Tumorgewebes
in denselben Schichten wie im Primärtumor, sowie der Befund
von Krebszellen in den Gefiissen wohl unbedingt fiir einen Trans¬
port der Geschwulstclemente auf dem Wege der Blut- oder
L.vmphbahn. I)i«*se Ausnahme bestätigt- durch ihre Seltenheit
die altbewährte V ireh o w'sehe Regel, «lass fast alle diejenigen
Organe, welche eine grosse Neigung zu protopathischer Ge-
sebwulstbildung zeigen, eine sehr geringe Nc'igung zu metasta¬
tischer b<>sitzen und umgekehrt. Dies beweist auch die ein¬
schlägige Literatur. Weigert, G rawi t. z und Z a h n, welche
sich anlässlich ähnlicher Befunde mit diesem Thema beschäf¬
tigten un«l je eine kleine Statistik aufstellten, sowie insbesondere
de Castro, welcher 25 Fälle, darunter 3 eigene und die von
Török und Wittelsliöfer zusammenstellte, erklären ein¬
stimmig die grosse Seltenheit dieser deuteropathischen Gc-
sehwulstbildung. Uebrigens fand de Castro in 56 Proc. der
Fälle von sekundärem Magenkrebs *las primäre Careinom im
Oesophagus und C ordes fand sogar in dem Eingangs erwähnten
Falle Magenmetastasen eines destruirenden Magenadenoms. Diese
kleine Zahl allein genügt schon, um sekundäre Magencarciuome
zu seltenen Vorkommnissen zu stempeln und an <k.*r Virehow-
schen Regel festzuhalten. Andererseits ist, wie ich glaube, der
Befund der Magenmetastasen in unserem Falle vollständig ein¬
wandsfrei, da er sämmtlichen Postulaten der Autoren, nämlich «ler
scharf circumscripten Abgrenzung der Knoten, der Multiplicitiit
derselben und endlich d*r Ausschliessung einer eingewucherten
Lymplulrüsenges«-hwulst, nachkommt.
Bei der Obduktion fanden sich ferner, wie erwähnt, Tumoren
in der mittleren Schädelgrube, und es lag nahe, dieselben eben¬
falls als Metastasen des Mastdarmkrebses anzusprechen. Allein
schon eine flüchtige Untersuchung derselben mit Hilfe des Ge-
friermikrotoms ergab ein gänzlich differentes Bild, was, um dies
gleich vorwegzunehmen, eigentlich den Anstoss zu einem ein¬
gehenden Stmlium dt« Falles gab.
Die Schädelbasis wur«le herausgemcissclt, in Salpetersäure
und Formel entkalkt, einzelne, später anzuführende Partien in
Alkohol gehärtet und in Celloidin eingebettet. An dem gehär¬
teten Präparate wurde dann zunächst ein Medianschnitt angelegt,
ferner Frontal- und Sagittalsehnitte durch beide Hälften und
hiebei folgende Ausdehnung de« Tumors not-irt:
Der Tumor hat hauptsächlich die mittlere Schä«lelgrube er¬
griffen, in der vorderen zeigen sich nur die letzten Ausläufer vor
dem Lirnbus sphenoidalis liegend, die hintere Grube ist voll¬
ständig fr«*i von Tumoren. In d«*r mittleren Schädelgrubc sind
wieder vorwiegend die neben der Sellu tureica befindlichen Ge¬
bilde, sowie die Gegend des Processus elinoidei posteriores be¬
fallen. Die Optici und Carotiden bleiben von den Tumoren ver¬
schont. Nach unten setzen sich die Geschwülste in die Keilbein¬
höhle fort, ohne jedoch die Wandung der die Höhle begrenzenden
Knochen zu zerstören, die Tumormasse windet sich vielmehr
gleichsam durch die Spalten und Lücken durch, hie und da eine
ganz oberflächli«*he Usur der von ihr passirten Knochen be¬
wirkend. Der Knochen ist dort durchsetzt von feinen, kleinen
Löchern, die ihm das Aussehen des angenagten verleihen. Da¬
bei ist der Zusammenhang der Tumormassen mit dem Knochen
jetloch kein so fester wie mit der Dura mater. Das Siebbeiu ist
völlig frei. Nach vorne timlen sich die Tumoren entlang der
Crista orbitalis, zunächst links eine ovale, lVs m lange, 1 cm
breite und 4 mm hohe Anhäufung, die am gehärteten Präparate
höckerige Beschaffenheit angenommen hat. Rechts findet sich
ein ähnlicher, aber kleinerer Tumor etwas weiter entfernt von
d«*r Mitt«‘llinie. Verfolgt man die Crista weiter gegen die Peri¬
pherie des Sclnülels, so stösst man rechts wie links auf mehrere
kleinere Plaques bis zu Haselnussgrösse, überall von analoger
Beschaffenheit wie die eben beschriebenen, aber nirgends in kon-
tinuirlieher Anordnung, sondern stets getrennt durch normale
Dura. Auch hier zeigt sich die Arrosion d«?s Knochens, wenn
auch nicht so ausgesprochen wie in den grösseren Tumoren. Die
haomorrhagisehe Beschaffenheit, die bei der Sektion konstatirt
wurde, ist an dem gehärteten Präparate nicht mehr wahrzu¬
nehmen. Die Hypophysis ist in ihrem vorderen Abschnitte leicht
entfernbar, «ler hintere Theil erscheint in die Geschwulst mit in¬
begriffen, der Stiel der Hypophyse ist nicht zu konstatiren.
Mikroskopisch wurde zunächst die theilweise mit dein Ge¬
hirn entfernte vordere Hypophyse* untersucht. Es fand sich hier
ein der Norm entsprechendes Bild, die drüsigen Elemente viel¬
leicht etwas hyp<*rplastisch, ferner eine scharfe Abgrenzung «les
Organs durch Bindegewebszüge. Nur in einem einzigen Gefässe
liegen mehrere Zellen, die den sofort zu beschreibenden Ge-
schwulstelementen völlig analog sind. Die hintere Hypophyse,
das heilst «iie Stelle, wo sich dieselbe befinden sollte, erscheint
substituirt durch Tumormassen, die nur eine s«-hmale Brücke
als Verbindung mit dem vorderen Antheil der Hypophyse frei-
lassen. Die Umgebung dieser Partie ist vollständig in Ge¬
schwulstgewebe umgewand«*lt. Der am meisten hervortretemle
Zug desselben-ist der Zellivichthum und zwar setzt sich das G«-
wcIk* aus kleinen Zellen zusammen, die ungefähr die Grösse der
w« issen BlutküriMTchen erreichen, meist mit grossem, granulirtcin
Protoplasmaantheil und sehr dichter Anonlnung. Dieselben
liegen meist in Nestern zu 10—30 beisammen, welche wieder
«lurch ein Zwischengewebe von fibrillärer Struktur von einander
getrennt sind. Dieses Gerüst bestellt hauptsächlich• aus anasto-
mosirenden, dünnwandigen Gefässen, die deutliche Wucherung
d«*s Endothels aufweisen. Die Endothelwucherung tritt gegen -
über d«*r Bindegewebsvermehrung entsehieden in «le:i Vorder¬
grund, so dass si«*h eine alveoläre Anonlnung der gewucherten
Endothelien ergibt, gleichsam als Hülle für die Zellnester. Auch
die verschrienen Phasen der Umwandlung der platten Endothel¬
zellen in die cubisehe Form sind an manchen Stellen «leutlich
nachzuweisen, während es erst speeifiseher Färbungsmethoden,
namentlich der van G i e s o n’schen und der Rosi n’schen Modi¬
fikation der E h r 1 i c h\sch<*n Färbung bedarf, um die Ver-
zw«‘igung feinster Fas<*rn zwischen den einzelnen Tumorzellen
erkennen zu lassen. Aber auch mit diesen Methoden ist cs nicht
gelungen, allerorten die feinfibrilläre Substanz nachzuweisen, da
manchmal die Zellen direkt anoinanderstossen. Ueberall aber
konstatirt. man die enge Beziehung der Geschwulstclemente zu
d«*n Gefässen. Der umgebende Knochen erscheint von dem
Tumor in Form der laeuniiren Erosion alterirt und fast auf
jedem Schnitte kann man in den H o w s h i p’schen Lacunen
Uicscnzellen (Osteoklasten) neben den vordringenden Tumorzellen
nnchweisen. An einzelnen Stellen ist die Erosion schon so weit
vorgcschritten, dass nur mehr eine «lünne Knochenlamelle die
Kontinuität aufrecht erhält, an anderen sieht man ein abge¬
sprengtes Knochenstückchen, rings umgeben von Geschwulst-
z«*llen. Ganz analoge histologische B«*schaffenheit boten die
übrigen Knoten, deren ich 3 untersuchte. Auch war nirgends
ein Stadium vorhanden, welches man als Metamorphose des
Tumorgewebes bezeichnen könnte, speeiell gelang es mir nicht,
irgendwo sternförmig verästelte Zellen oder gar eine schleimige
Grundsnbstanz nachzuweisen.
Di«-se Bilder nicht fertigen wohl die Diagnose Endo¬
thel i o m. Berücksichtigt man den Bau des Tumors, die Zu¬
sammensetzung aus Zellen, Gefäs.-en und feinfaseriger Zwischen¬
substanz um die Zellen, welche ja nach allgemeinen Anschauungen
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6. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1283
als specifisch für die sarkomatösen Tumoren gilt, ferner den engen
Zusammenhang zwischen Zellen und Gefässen, sowie die völlige
Ueberein8timmung der Bilder mit den diesbezügl. Beschreibungen
von R i b b e r t und Ziegler, so erscheint diese Bezeichnung
für den Charakter dieser Tumoren vollständig am Platze. Ob
der Tumor seinen Ausgangspunkt in der Dura mater oder in
dem hinteren Antheil der Glandula pituitaria genommen, kann
ich nicht entscheiden. Die Geschwulstbildung ist in dem grössten
Tumor links längs der Crista sphenoidalis ebenso weit vorge¬
schritten wie in der Hypophysengegend, und das Fehlen jeglicher
sekundären Veränderung, aus deren Grad man Provenienz und
Altersdifferenz aufklären könnte, erschwert diese Differential¬
diagnose gewiss erheblich. In der Literatur finden sich nach der
neuen Statistik K ö h 1 e Fs über 37 Fälle von Hypophysen¬
tumoren 8 Sarkome dieses Organs, darunter jedoch kein einziger
von dem Charakter des Endothelioms oder der ihm verwandten
Geschwülste. Meist sind dieselben überdies von dem vorderen
drüsigen Antheil des Hirnanhaugs ausgegangen, wie auch nach
Weichselbaum die vordere Hypophysis bei den Neubild¬
ungen dieses Organs prävalirt. Ein sekundärer Tumor der
Glandula pituitaria wird nur einmal erwähnt und zwar von
B o y c e und B e a d 1 e s *), welche 3000 Hypophysen unter¬
suchten und hiebei 10 mal Neubildungen in dem Organe fanden,
zumeist Adenome und Cysten. Im Uebrigen sind die Tumoren
der Hypophysis in der Literatur durch eine Reihe kasuistischer,
systematischer und statistischer Arbeiten registrirt, von denen
ich hier nur die Publikationen von Weigert, Weichsel¬
baum, Breitner, Heusser 4 ), v. Hippel, Schöne¬
mann, Ingerman n*, Lev y, Gutsche und Gut an¬
führen will. Auch wird dem Himanhang und seinen Tumoren
mehr Bedeutung beigelegt, seitdem man die Entstehung der
Akromegalie in einen ursächlichen Zusammenhang mit Erkrank¬
ungen dieses Organs gebracht hat, wie dies speeiell seitens fran¬
zösischer Autoren in dem letzten Dezennium geschieht. Auch
die Frage, ob eine Beziehung zwischen Hypophysis und Thy¬
reoidea, d. h. eine gegenseitige Stellvertretung oder altruistische
Beziehungen bestehen, ist geeignet, diesem von der Pathologie
durch lange Zeit etwas stiefmütterlich behandelten Organe mehr
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die hintere Hypophyse, haupt¬
sächlich aus Gefässelementen zusammengesetzt, könnte wohl ganz
gut den Mutterboden für unsere Geschwulst abgegeben haben,
allein die Entscheidung wird auch dadurch erschwert, dass Endo-
theliome der Dura mater, eines Gewebes, das ja schon „in der
Norm die enge Beziehung von Gefässwand und Endothelien auf-
weist*), zu den häufigsten Geschwülsten gehören und ebenfalls
leicht genetisch mit den Elementen des Mutterbodens Zusammen¬
hängen können. Auch die klinische Beobachtung kann uns keine
Auskunft geben über den Ausgangspunkt des Tumors, da alle
Symptome, welche von den verschiedenen Autoren, insbesondere
von Heusser und Gutsche, für die Hypophysentumoren
angegeben worden sind, so auch die Sehstörungen in Folge Kom¬
pression der Optici, in unserem Falle fehlten. Allerdings ver¬
laufen wieder andererseits viele Hypophysentumoren im Leben
symptomlos, wie z. B. Ribbert ein wallnussgrosses Adenom
als zufälligen Leichenbefund beschreibt. Dessgleichen sind die
Endotheliome der harten Hirnhaut selten von dem Umfange,
dass sie klinisch zur Diagnose führende Symptome verursachen,
so dass wir von klinischer Seite keine Anhaltspunkte erhalten.
Jedenfalls ist es mir gelungen, Gesehwulstelemente in einem Ge-
fässe der vorderen Hypophyse, die von den Tumormassen leicht
isolirbar war, nachzuweisen. Ist diese Zollanhäufung in einem
Gefässe auch nicht als Metastase anzusprechen, so kann man sie
wenigstens als Anlauf zur Metastasenbildung in diesem, sonst
nicht zu deuteropathischer Geschwulstbildung disponirten Organe
auffassen, während die kleineren Geschwulstplatten an der Dura
bereits als metastatischo Tumoren aufzufassen sind.
Im Uebrigen ist die Frage, ob Dura, ob Hypophysis den Aus¬
gangspunkt der Neubildung an der Schädelbasis darstellen, von
*) Es handelte sich um eine Metastase eines Brustdrüsenkrebses
iu der Bella turcicn, die auch die Glandula pituitaria ergriffen hatte.
In dem Falle Heusser war übrigens die Patientin wegen
Carcinoma recti operirt worden und am selben Tage im Collaps
gestorben. Auch hier fand sich ein nichtdiagnosticirter Hypo-
physistumor (Lymphosarkom), doch liegt leider keine Beschreibung
des Mnstdarmtumors vor.
») K 1 b b e r t: 1. e. S. 132.
No. 32.
sekundärem Interesse. Es ist vielmehr zu entscheiden, ob hier
zwei genuine Primärtumoren vorliegen oder nicht. Die Literatur
hat bisher nur Postülate für doppeltes Primärcarcinom auf¬
gestellt und zwar in Form der Eingangs erwähnten Billroth-
schen Punkte. Wenn wir also die erste und die dritte dieser
Forderungen auch auf unsere Frage, d. h. die Duplicität ver¬
schiedener bösartiger, protopathischer Neoplasmen über¬
tragen und statt der Ableitung vom Epithel des Mutterbodens
eine genetische Beziehung jedes Tumors zu seinem Mutterboden
überhaupt verlangen, sowie überdies für jeden der Tumoren einen
anderen Charakter der autonomen Neubildung, so dürfte die Ent¬
scheidung in den meisten Fällen keine Schwierigkeiten bereiten.
Auf unseren Fall angewendet, liegt die verschiedene ana¬
tomische Struktur eines Gallertcarcinoms und eines Angio-Endo-
thelioms auf der Hand, zumal sich in sümmtlichen untersuchten
Metastasen des einen Tumors Schleimgewebe fand, von welchem
in keinem duralen Tumor auch nur eine Spur nachzuweisen war;
ferners begründet durch die völlige Verschiedenheit der Zellen
und ihres Verhaltens zum Zwischengewebe. Auch den anderen
Anforderungen entspricht der Fall, wie ich glaube bewiesen zu
haben, nach jeder Richtung. Das Vorhandensein metastatischer
Tumoren im Magen verleibt ilun übrigens erhöhtes kasuistisches
Interesse, dessgleichen die Aelmlichkeit mit dem von Kretz
beschriebenen, oben erwähnten Falle.
Die Frage nach der Ursache der Coexistenz zweier maligner
Neubildungen bei einem Individuum muss man wohl so lange
vertagen, bis in die dunkle Aetiologio der Sarkome und Carcinome
überhaupt etwas Licht gebracht worden ist. Ob nun das gleich¬
zeitige Auftreten mehrfacher verschiedener Tumoren ein rein
zufälliges ist, wie Ziegler annimmt, oder im Sinne Coliii-
heim’s mehrfache embryonal präformirte Herde supponirt
werden sollen, oder endlich nach K 1 e b s eine allgemeine Dis¬
position. welche unter dem Einflüsse äusserer Ursachen an
mehreren Stellen zur pathologischen Gewebsentwicklung führt,
ist aus der kleinen Zahl der bisherigen einschlägigen Beobach¬
tungen noch nicht zu entscheiden. Jedenfalls wird es angezeigt
sein, alle hierhergehörigen Fälle einer genauen Untersuchung
zu unterwerfen und der Zweck dieses bescheidenen Beitrages ist
erreicht, wenn diese Zeilen zu weiteren Nachforschungen in der
angegebenen Richtung auffordern.
Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem
hochverehrten Lehrer und Chef, Herrn Prof. Dr. P. Ernst in
Zürich, für dio gütige Ueberlassung des Falles und die wirk¬
same Förderung bei der Bearbeitung desselben meinen wärmsten
Dank auch an dieser Stelle auszusprechen.
W i e n, im März 1901.
Literatur:
v. Wlniwarter: Beiträge zur Statistik der Careiuome.
Stuttgart 1878. — O. Kaufmann: TJeber Multiplieitüt des pri¬
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busch: Ueber multiples Auftreten primärer Carcinome. Langen-
beck’s Arch. Bd. 39, H. 4, S. 8G0. — Bücher: Zur Kasuistik
und Beurtheilung der multiplen Carcinome. Ziegler's Beiträge.
Bd. 14, S. 71. — Billroth: Allgem. Chirurg. Pathologie und
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Jena 1889. — Cordes: Ein kasuistischer Beitrag zur Multiplicitiit
der primären Carcinome. Virch. Arch. Bd. 145, S. 422. — Hanse¬
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Berlin 1897. S. 87. — L a n n o i s und Courmont: Note sur la
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1898. — Hof bauer: Ueber primäres Tubeucarciuom. Arch. f. Gyn.
LV, 1898. — Ed. Albert: Ueber bilaterales Mammacarcinoni. Wien,
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rßnales. Arch. de M6d. experim. 1900. — B e 11 i g e r: Ueber die
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1897. — Niebergall: Sarkom, Carcinorn, Myom und Schleim¬
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S. 129. — Kretz: Zwei maligne Neubildungen iu einem Indi¬
viduum etc. Wiener klin. Wochenschr. 1893, No. 11. — E m a n u e 1:
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Uteruskürper. Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäk. XXXIV. 18!**;.
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3
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1284
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Ribbqrt: Lehrbuch der pathologischen Histologie. Bonn 1896.
S. 126 ff. — Z i e g 1 e r: Spezielle Pathologie. Jena 1898. S. 383 ff. —
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— Weichselbaum: Zu den Neubildungen der Hypophysis.
Virch. Arch. Bd. 75, S. 444. — Boyce und Beadles: Citirt
nach Köhler. — Weigert: Zur Lehre von den Tumoren der
Hirnanhänge. Virch. Arch. Bd. 65, S. 219. — Breitner: Zur
Kasuistik der Hypophysentumoren. Virch. Arch. Bd. 93, S. 367. —
Hcusser: Ein Beitrag zur Kasuistik der Ilypophysistumoren.
Virch. Arch. Bd. 110, S. 9. — v. Hippel: Beitrag zur Kasuistik
der Hypophysistuinoren. Virch. Arch. Bd. 126, S. 124. — Schöne¬
in an n: Hypophysis und Thyreoidea. Virch. Arch. Bd. 129, S. 310.
— Ingermann: Zur Kasuistik der Hypophysistumoren. Inaug.-
Diss. Bern 1889. — Levy: Ein Beitrag zur Kasuistik der Hypo-
physistymoren. Inaug.-Diss. Heidelberg 1890. — Gut: Ein Bei¬
trag zur Kasuistik der Hypophysistumoren. Inaug.-Diss. Zürich
1899. — Gutschc: Zur Pathogenese der Hypophysistumoren etc.
Inaug.-Diss. Erlangen 189-1. — Bibbert: Ein Tumor der Hypo¬
physis. Virch. Arch. Bd. 90. S. 539. — Ziegler: Allgemeine
Pathologie. Jena 1898. S. 379.
Ueber Sarkombehandlung mittels der Röntgen¬
strahlen.*)
Vorläufige Mittheilung von Dr. Carl Heck, Professor der
Chirurgie in New-York.
Pat., ein 30 Jähriger, kräftiger Küfer, will schon seit etwa
15 Jahren einen schwarzen Fleck (vielleicht ein Muttermal) an
seinem linken äusseren Knöchel bemerkt haben, welcher sich vor
einem Jahr zu einer Warze verbildete. Dieselbe wuchs und wurde
gegen Ende November vorigen Jahres empfindlich. Die Oberfläche
fing an wund zu werden uud so verorduete sich Put. KarlwlMder.
Erst um die Weihnachtszeit, als die anfängliche Wiirze die Grösse
eines Apfels erreicht hatte, konsultirte Pat. einen Kollegen, welcher
die Güte hatte, ihn an meine Abtheiiuug im St Mark’s-IIospital zu
verweisen.
Der Status praesens am 24 Dezember war folgender: Kräftiger,
wohlgebauter Mann von gesundem Aussehen. (Pat. ist Potator, Fa¬
miliengeschichte gut, Lues au8zuschllessen.) Ueber dem iiussereu
linken Knöchel befindet sich einapfelgrosser Tumor von mässigharter
Konsistenz, dessen Oberfläche ein rauchgraues Kolorit zeigt und
der aus der Konfluenz einer Anzahl kleiner Warzen hervorgegangon
zu sein schien. Die Geschwulst lässt sich von ihrer Basis nicht
verschieben. In der Inguinalgegend lässt sich eine taubeneigrosse
Drüse nachweisen.
Die Diagnose lautete zunächst auf Lymphangiosarkom. Die
Amputation war sofort in Erwägung gezogen worden; da dieselbe
jedoch von dem Patienten sowohl als seiuen Angehörigen rundweg
nbgelehnt wurde, so begnügte ich mich mit einer bis auf das
Periost reichenden Exstirpation der Geschwulst und der Entfer¬
nung der Leistendrüse. Die Heilung war in wenigen Tagen vol¬
lendet und Patient verliess das Hospital.
Die mikroskopische Untersuchung der exstirpirten Geschwulst,
ergab das Vorhandensein von Pigment und so wurde es klar, dass
es sich um eine der bösartigsten Formen des Sarkoms, nämlich
um ein Melanosarkom, handelte.
Nach 6 Wochen kehrte Pat. zurück. Es zeigte sich nun am
äusseren Knöchel dieselbe Geschwulst wieder, mit dem Unterschied,
dass sie breiter und flacher erschien und dass sich an ihrem Rande
einige erbsengrosse, blauschwarze Knollen befanden, welche man
mit Haemorrhoidalknoten vergleichen konnte. In der Inguinal¬
gegend hatte sich ein Drüseukonvolut von der Grösse eines Gänse-
eies entwickelt. Es wurde abermals exstirpirt. Patient entzog siel»
nach 2 Wochen wiederum der Behandlung und zeigte sich nach
Verfluss von weiteren 4 Wochen mit einem Recidiv, welches mit
etwa 30 mehr oder minder grossen, traubenfönnigen. tiefblau-
schwarzen Knollen besetzt war, von denen die grösseren bei leiser
Berührung leicht bluteten. In der Leiste hatte sich eine Geschwulst
von Gänseeigrösse gebildet. Auf der Innenfläche des Beins, nament¬
lich entlang der inneren Wadengrenzeu, waren einige Dutzend
Krollen entstanden, welche denen der Geschwulst völlig glichen
und in ihrem Grössenverhältniss zwischen einer Kirsche und einem
Stecknndelkopf rangirteu. Bei der nochmals wiederholten Exstir-
pntion zeigte sich folgender mikroskopischer Befund: Alveolärer
Charakter und Pigmenteiulagerung sowohl in den grossen Zell¬
nestern als in den kleinen Zellen des StUtzgewebes. Färbung eines
Präparates mit Haematoxyiin mul Eosin und eines zweiten mit
van Giesou.
Eine Amputation wäre nun eher durchzusetzen gewesen, aber
in Rücksicht auf die. Metastase in der Inguinalgegend konnte
man sich jetzt von derselben auch nicht mehr viel ver¬
sprechen.
Es wurde nunmehr die Serumbehandlung in Erwägung ge¬
zogen, welche, trotzdem sie sich in meinen Händen bei relativ
häufiger Anwendung nie bewährt hatte, in einem so verzweifelten
*) Vortrag mit Kraukcndemonstration in der Deutschen Medi-
cinischcn Gesellschaft der Stadt New-York am 6. Mai 1901.
No. 32.
Fall doch wohl immer wieder verdient, versucht zu werden. Da
kam mir gleichzeitig der Gedanke, einen Versuch mit den
Röntgenstrahlen zu machen.
Die ausgezeichneten Resultate, wie sie bei der Behandlung
von Lupus und anderen Hautaffektionen von Albers-Schön¬
berg und II o h n in dieser Woehenschrift, von Schiff und
Freund, Zionissen, Kümmell, Mühsam. Hol¬
land, Schenkel, J u t a s s y und Noisscr anderweitig
berichtet wurden, waren auch von mir bestätigt worden (siehe
Nachtrag zu meinem Lehrbuch „Fractures with an nppendix on
the practical use of the Röntgen rnys“, Saunders & Co., London
und Philadelphia und „Irrthümor der Röntgenographie“, Deutsch.
Med.-Ztg. 1900, No. öl). Audi habe ich mich von der Heilung
eines Epithelialkrebses durch Rontgenstrahleu völlig überzeugt.
Ohne nun irgend welche kühne Hoffnungen zu hegen, be¬
gann ich den nach der dritten Exstirpation gebliebenen Defekt
zu bestrahlen, zuerst 10, dann 20. dann 30 und zuletzt 45 Minuten
lang. Patient verspürte nach 45 Minuten lang dauernden Sitz¬
ungen ein längeres Kriebeln im ganzen Unterschenkel. Bis heute
wurde die Bestrahlung sieben Mal in 2—3 tägigen Intervallen
ausgeführt. Nachdem s<»ohs Wochen vergangen sind, hat sieh
nicht bloss keine Spur eines Reeidivs an der Knöchelstelle sehen
lassen, sondern, mirabile dictu, eine Anzahl der mclanotiseheu
Knollen der Wade, namentlich die, welche der Bestrahlung am
nächsten lagen, sind the.ils völlig vernarbt-, theils geschrumpft.
Die Leistendriisengesehwulst wuchs während dieser Behand¬
lung weiter und ist es meine Absicht, dieselbe morgen abermals
zu exstirpiren und dann ebenfalls baldigster intensiver Bestrah¬
lung auszusetzen. Wie ich schon andeutete, hin ich weit entfernt,
kühne Erwartungen an meinen Versuch zu knüpfen. Sie werden
denselben jedoch in einem so verzweifelten Falle, seihst wenn
er völlig resultatlos gehlieben wäre, gerecht fertigt, finden, denn
im schlimmsten Lalle wäre meine Mühe einfach umsonst ge¬
wesen. Nun ist aber die Thatsaehe nicht wegzuleugnen, dass
im Gegensatz zu dein früheren Verlauf nach vorhergehenden
Exstirpationen nicht nur kein Recidiv eintrat, sondern ausge¬
prägtes Sarkomgewebe, ohne jeden Eingriff chirurgischer Natur
v eruarb t. e. Der Einfluss der Strahlen ist. also klar bewiesen.
In wie weit er freilich in toto reicht, ist dadurch nicht demon-
strirt und werden weitere Versuche darüber Klarheit schaffen
müssen.
Ich wage nur noch darauf hinzuwoisen, dass, seitdem
Ilcidenhain beim Maminacareinom das Vorhandensein von
Krebszellen unterhalb der Faseie nachgewiesen hat. wirChirurgen
daraus die praktische Nothwendigkeit. gezogen haben, den M. pec-
toralis mnjor oder doch mindestens seine oberste Schicht zu ent¬
fernen, da wir von der Entfernung der makroskopisch sichtbaren
Kvebspartien allein keine Heilung erwarten.
Sind die Krebszellen so weit vorgedrungen, dass sie dem
Messer nicht mehr zugänglich sind, so haben wir ein baldiges
Recidiv zu fürchten. Wenn wir nun ein Mittel besässen, welches
nach ausgedehnter Exstirpation die tiefen Gewcbsschichten durch¬
dringend noch diese ausserhalb des Messers ansässigen Krebs¬
zellen erreicht und womöglich zerstört oder ihr Wachsthum
hindert, dann würden wir der Tndicntio morbi absolut ent¬
sprechen.
Und wenn der parasitäre Charakter des Carcinoms sich be¬
weisen lässt, so wäre die Wirkung eines derartig antiparasitärcu
Mediums, wie es die Röntgenstrnhleu bis zu einem gewissen
Grade sind, sehr verständlich. Dieselbe Perspektive lässt sich
wohl auch beim Sarkom vertreten.
Dio therapeutische Wirkung der Röntgenstrahlen ist uns
noch ein Buch mit sieben Siegeln. So viel aber lässt sich wohl
sicher behaupten, dass sie sui generis ist und sich keineswegs mit
der kauterisirenden Eigenschaft des P n q u c 1 i n’schen Appa¬
rates oder gar dem obligaten Senfpflaster vergleichen lässt.
Die Verbrennungsfrago scheint mir hei einem malignen Fall
von untergeordneter B(*deutung zu sein. Die mangelhaften
therapeutischen Resultat«?, welche von manchen Forschern be¬
richtet wurden, dürften sich wohl auf die Angst vor zu grosser
Intensität der Strahlen zurückführen lassen. Will man eine
starke Wirkung erreichen, so muss man schon einen starken
Strom riskiren; der Patient soll aber von diesem Risiko von
vornherein unterrichtet. werden.
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6. August 2901.
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1285
(Uri der Revision dieser Arbeit, drei Wochen nach der De¬
monstration, ist der Defekt am Knöchel gänzlich geheilt, also
nach neun Wochen kein Recidiv. Die Inguinalgeschwulst wurde,
wie oben in Aussicht genommen, Tags nach der Vorstellung ex-
stirpirt und wird nunmehr das Wundterrain ebenfalls mit
Röntgenst.rnhlen behandelt. Den Bericht über das weitere
Schicksal des Patienten behalte ich mir vor.)
Aus dem Elisabethkrankenhaus in Cassel.
Beitrag zur Ausräumung der Gallenwege nach Rose
Von Dr. Krug, Assistent der Klinik.
In der „Deutschen Zeitschrift für Chirurgie 1898“ publicirte
Kose in einer Abhandlung über die „Ausräumung der Gallen¬
blase an Stelle der Exstirpation der Gallenblase und der Chole-
doehotomie“ zwei ebenso interessante wie werthvolle Fälle von
Ausräumung de« Choledochus per cholecystotomiam, ein Ver¬
fahren, das jedenfalls geeignet erscheint, gelegentlich die Chole-
dochotomio — nach Kohr die schwierigste Operation, die je
am Menschen ausgeführt worden ist — einzuschränken, und in
manchen Fällen überflüssig erscheinen zu lassen.
Im ersten Falle handelte es sich lim eine 31 jährige Frau, die
schon seit 7 Jahren an Magen krumpfen mit Gelbsucht in den
letzten Jahren — war natürlich die nicht dingnosticirte Chole-
lithiasis — litt.
Operation am 1. November 1897. Nach Entfernung von
21 Steinen wird der grösste, im Aufangstheil des Choledochus
sitzende Stein mit einem feinen, löffelartigen Instrument ent¬
wickelt. worauf sofort als eine angenehme Quittung ein Strom
Galle aus der Gallenblase schiesst.
Der zweite Fall betrifft eine 53 Jährige Frau, die schon seit
Jahren au Gallensteinen litt. Auch liier timlet sich bei der Opera¬
tion an derselben Stelle wie im vorigen Fall ein grosser Chole¬
dochusstein. Auch dieser wird durch den Gallenblasensteinschnilt
herarsgeliolt, nachdem 72, bis 13 mm grosse Steine schon extrahirt
sind.
In der Literatur scheint ein weiterer Fall bis jetzt noch nicht
publieirt zu sein, wie ein Studium von Kehr’s „Die chirurgische
Behandlung der Gallensteinkrankheit“, des „X. Jahresberichts
der Kehr-Khode n’schen Klinik“ und Iv e h r’s „Anleitung
zur Erlernung der Diagnostik der einzelnen Formen der Gallen-
steinkrankheit“ ergibt.
Nur ein Fall von Kehr — „Die chirurgische Behandlung
der Gallensteinkrankheit“ 1899, p. 207 — könnte entfernt ein
Analogon darstellen, vorausgesetzt, dass der Stein wirklich im
Choledochus sich befand, eine Frage, die Kehr selbst offen lässt,
indem er sagt: „Wo der Stein gesessen hat, ist nicht mit Be¬
stimmtheit zu sagen; es ist möglich, dass er im Choledochus sass
und durch den erweiterten C-ystikus sich in die Gallenblase
diiieken liess.“
Dagegen ist vor einiger Zeit am Elisabeth-Krankenhaus —
dirig. Arzt Herr Dr. Kuhn — ein Fall zur Operation gekommen,
der im Sinne R o s e’s typisch ist und einen kleinen Beitrag zu
dem oben erwähnten operativen Modus proccdendi liefern könnte.
Der Fall ist. kurz folgender:
Frau G„ t»7 Jahre, aus Kassel, nufgenommen im Mai 1900.
Anamnese: Vater starb an Lungenentzündung. Mutter an
Schlaganfall. 2 Schwestern und 1 Bruder starben an unbekannten
Krankheiten. 2 Geschwister leben und sind gesund.
Pat. will früher an Blattern, Kinderkrankheiten und Magen¬
geschwür gelitten haben. (Dieses Magengeschwür war jedenfalls
schon die nicht diagnostlcirte Cholelithiasis). Menses regelmässig,
ohne Beschwerden verlaufen, zum letzten Mal mit 42 Jahren.
Seit einer Iteihe von Jahren leidet Pat. an Schmerzen im
Rücken und in der rechten Abdominalseite. Kurz vor Weihnachten
1899 bekam Pat. zum ersten Mal Erbrechen, Frieren und heftige
Schmerzaufälle. Diese Anfälle wiederholten sich täglich, bis Ende
Mai 1900, wo ein ungefähr 12 Stunden dauernder intensiver Anfall
in Erscheinung trat, worauf Pat. in die proponirto Operation ein¬
willigte.
Status: Gradier Körperbau, geringes Fettpolster. Pat. kommt
ndt intensivem Ikterus zur Aufnahme. Hautjucken. Lunge und
Herz ohne bemerkenswerthe Befunde.
Alidomen: Leber gross, Rand deutlieh fühlbar, ziemlich hart,
stumpf, glatt. In der Gegend der Gallenblase deutliche rundliche
Resistenz von glatter Oberfläche, die Stelle auf Druck sehr empfind¬
lich. Die übrigen Partien des Ahdomei s sind hell, welch, ohne be¬
sondere Empfindlichkeit.
Stühle ganz weiss; Urin: starke Gallenfurbstoffrenktion.
Diagnose: Chronischer Choledocliusversobluss.
Operation: Schnitt im rechten Rectus. Gallenblase hühnerei-
gross, in Adhaeslonen eingebettet. Die letzteren werden gelöst.
Punktion der Gallenblase. Etwa 30 ccm serös-eitriges Fluidum
werden entleert. Die Palpation ergibt zunächst einige Steine in
der Gallenblase, dann rosenkranzförmig angeordnet einige in der
Tiefe im Cysticus und Choledochus. Incision der Gallenblase nach
Schutz der Umgebung. Es werden 10 erbsengrosse Steine aus der
Gallenblase entleert, dann unter kombinirter Abtastung des Cysti¬
cus, wobei ein Finger auf der Aussenseite des Cysticus ln der
Bauchhöhle sich befindet, 3 Steine der Reihe nach aus dem Cysticus
nach vorsichtiger Lockerung in die Gallenblase geschoben und von
da heransgeholt. Um die Verhältnisse nun näher zu klären,
namentlich den Choledochus dem Auge zugänglich zu machen,
wird der Querschnitt durch den Rectus ausgeführt In dem jetzt
sehr gut zugänglichen Choledochus werden 2 weitere erbsengrosse
Steine entdeckt, die ebenfalls gelockert, durch komblnirte Hand¬
griffe durch den Cysticus gebracht und von der Gallenblase aus
entfernt werden können. Jetzt durfte man die Wege frei glauben,
aber eine nun vorgenommene Sondirung zeigte, (lass eine solche
Annahme ein sehr verhängnissvoller Irrthum gewesen wäre. Die
Sonde gelangt in den Choledochus, stösst aber dann auf ein Hinder¬
niss, das zur genauen Abtastung des Ganges bis zu seiner Mün¬
dung in den Darm herausfordert. Die Palpation eruirt dann i u
der Wand des Duodenums, also sichtlich direkt
vor der Papille ln der Ampulle, einen erbsen¬
grossen, rundlichen Stein, der sehr schwer auffindbar
und noch schwerer erreichbar Ist. Auch dieser letzte Stein wird
gelockert; durch komblnirte Handgriffe gelingt es, ihn zurückzu-
schiebeu und nach vieler Mühe von der Gallenblase aus zu ex-
trahiren. Jetzt sind die Wege frei. Einnähen der Gallenblase,
Drainage mittels eines dicken Rohres.
Die folgenden Tage läuft viel Galle. Wundverlauf glatt.
Nach 20 Tagen wird der Drain entfernt. Die Fistel bleibt noch
einige Wochen offen, dann schllesst sie sich spontan.
Ein solcher Fall dernonstrirt so rocht deutlich, welchem inte-
grirenden Faktor hei Gallensteinlaparotomien die penibelst«
Palpation, verbunden mit genauester Son¬
dirung darstellt.
Wäre man in dem oben beschriebenen Fall nicht in der pein¬
lichsten Weise vorgegangen und hätte man nicht mit der Sonde
auch die schworst zugänglichen Stellen explorirt, so wäre der
letzte und wichtigste Stein nicht seiner Verborgenheit entrückt
worden. Das letzte Resultat wäre eine vollständige Zwecklosig¬
keit der Operation gewesen, die Gallenfistel hätte sich natürlich
nie geschlossen und der chronische Ch'oledochusverschluss hätte
nach wie vor der Patientin die intensivsten Kolikanfälle verur¬
sacht.
Daraus ergibt sich zur Evidenz die Nothwendigkeit ein¬
gehendster Sondirung.
Diese Frage hat mein hochverehrter Chef, Herr Dr. Kuh n,
bereits erschöpfend in einer ausführlichen Arbeit — conf. Münch,
med. Woehenschr. 1901, No. 3 — erörtert. Es ist dort schon be¬
merkt, dass cs sich jeder Operateur zur Regel machen soll, die
einzelnen Gänge, wenn äusserst möglich, zu sondiren. Der Opera¬
teur darf sich nicht damit begnügen, eine imponirendo Menge
Steine aus der Gallenblase zu extrahiren, sondern es ist seine vor¬
nehmste Pflicht, allseitig freie Gänge zu schaffen.
Die Sondirung kann, ausser mit den gewöhnlichen Sonden,
auch mit den Kuh n’schen Spiralsonden versucht werden. Diese
letzteren Sonden haben nämlich den Vorzug, leicht und ohne be¬
sonderes Maltraitement der Gallenwege in die Tiefe zu gleiten
und jeder Krümmung und Knickung des Ganges sich rasch und
sicher zu accommodiren.
Ein derartiger Modus procedendi wird bald die sogen. Reci-
dive aus der Welt schaffen und auch Diejenigen eines besseren
belehren, die an der Wahrheit der Worte L e i c h t e n s t e r n’s
noch zweifeln, der da sagt: „Manche scheinen anzunehmen, dass
ein Individuum, welches Gallensteine besitzt, daher auch fort¬
während in Gefahr schwebe, neue Gallensteine zu erzeugen;
Andere halten auch an dem Satze fest, dass vorhandene Gallen¬
steine an sich die Bildung neuer begünstigen. Und doch ist
Beides nicht wahrscheinlich. In der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle ist die Bildung von Gallensteinen ein einmaliger Vorgang,
der sich das ganze übrige Leben nicht mehr wiederholt. Dies
lehrt am besten die Beschaffenheit der Gallensteine, welche in
der Mehrzahl der Fälle bei demselben Individuum sämmtlich von
annähernd gleicher Grösse, gleicher physikalisch-chemischer Be¬
schaffenheit, somit, wie diese Kennzeichen lehren, höchst wahr¬
scheinlich gleichzeitig entstanden, gleichalterig sind. Ent¬
schieden seltener trifft man bei einem und demselben Individuum
2 oder mehrere Sorten von Gallensteinen und in diesen Fällen
dürfte der Schluss erlaubt sein, dass sich zu verschiedenen Zeiten
Gallensteine gebildet haben, wovon die gleiche Sorte der gleichen
Bildungszeit angehört.“
Das sog. Recidiv ist demnach weder ein Analogon zu dem
recionären, noch zu dem kontinuirlichen Recidiv ei ms malignen
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1286 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 32.
Neoplasmas, sondern basirt auf Konkrementen, die auf dem
Status quo ante operationem verbleiben und natürlich auch dann
noch, wenn der grösste Theil der Steine per cystotomiam ent¬
fernt ist, denselben Symptomkomplex hervorrufen, wie er vor
der Operation bestanden hat. Derartige Phänomene sind nichts
Anderes, als der Ausdruck einer mangelhaft durchgeführten
operativen Behandlung.
Uebrigens ist die Möglichkeit eines wirklichen Recidivs nicht
ganz von der Hand zu weisen. Aber jedenfalls sind solche Fälle
Raritäten ') ersten Ranges und die Thatsache, dass die kolik¬
artigen Schmerzen nach manchen Operationen keinen Nachlass
zeigen, ist das beste Kriterium dafür, dass weder ein neuer Pro-
cess sich entwickelt, noch ein alter eine Exacerbation erfahren
hat, sondern der mangelhafte Erfolg lediglich dem Modus pro-
eedendi zur Last zu legen ist.
Das Sondiren mag manchmal auf unüberwindliche
Schwierigkeiten stossen. Behauptet doch selbst Kehr, dass
auch der Chirurg, dessen Tastsinn auf das Feinste ausgebildet
ist, niemals im Stande sei zu sagen, ob alle Steine entfernt sind
oder nicht. Aber meistens wird eine Exploration mit der Sonde
möglich sein, jedenfalls in einer grösseren Zahl von Fällen, als
man bisher angenommen hat. Die Mäande r’schen Schlänge¬
lungen des Cysticus braucht man nicht zu fürchten, denn sie
fehlen, wie Rose sagt, oft ganz. Und dann hat Courvoisier
statistisch schon lange bewiesen,'dass selbst die Choledochussteine
in der Gallenblase entstehen. Mithin sind dann sowohl Cysticus
wie Choledochus oft soweit dilatirt, dass sie eine Sondirung ge¬
radezu provociren.
Die Thatsache, dass man selbst Konkremente, die sich tief im
Choledochus etablirt haben, per cystotomiam extrahiren kann, ist
natürlich cum grano salis und mit einer gewissen Restriction
hinzunehmen. Doch dürfte Kehr zu weit gehen, wenn er be¬
hauptet, dass es sehr selten gelinge, Steine aus dem Choledochus
durch dem Cysticus in die Gallenblase zurückzudrücken.
Die Conditio sine qua non für die Ausräumung der Gallen¬
wege durch die Cystotomie ist, dass die Steine eine gewisse Grösse
nicht überschreiten.
Die Choledochotomie ist nicht zu pmgehen bei enorm grossen
und bei fest abgekapselten Steinen, wie schon Rose bemerkt.
Der im ersten Fall von Rose in Betracht kommende Stein
war ein ungefähr 12 mm Polyeder, der Stein dos zweiten Falles
hatte einen Umfang von 5 cm, eine schon imponirende Grösse.
Das Konkrement unseres Falles war gut erbsengross.
Die Steine R o s e’s sind demnach weit grösser als der des
oben beschriebenen Falles, doch sassen sie beide im Anfangstheil
des Choledochus, während unser Konkrement direkt hinter der
Papille den Choledochus obturirte. Dieses Momeut verleiht
unserem Fall etwas Besonderes und macht ihn der Publikation
noch mehr werth.
Zum Schlüsse sei es mir eine angenehme Pflicht, meinem
hochverehrten Chef für die gütige Ueberlassung de« Materials
meinen ergebensten Dank auszusprechen.
Ueber Wundbehandlung. )
Von Dr. Friedrich Haenel in Dresden.
Obwohl die Grundsätze der aseptischen Wundbehandlung
schon vor 2Vz Jahrtausenden bekannt waren und obwohl sie im
Kampfe mit der gerade auf diesem Gebiet üppig wuchernden
Vielgeschäftigkeit sich im Lauf der Zeiten immer wieder von
Neuem Geltung zu verschaffen wussten, haben wir doch erst in
unserem Zeitalter Dank den modernen Hilfsmitteln, Mikroskop
und Bacterienkultur, angefangen, eine wissenschaftliche Basis
für unsere Wundbehandlung zu schaffen. Aber auch wir sind
zunächst empirisch verfahren; erst nachdem wir, klinischen Er¬
fahrungen folgend uns durch die Polypharmacie der Antiseptik
zu der Aseptik durchgerungen hatten, hat die fortschreitende Er-
kenntniss von den histologischen Vorgängen bei der Wundheilung,
von den bactericiden Eigenschaften der Gewebe, von den Ein¬
flüssen der Antisoptica auf die Gewebe u. s. w. den Weg, den wir
tastend im Dunkeln zurückgelegt hatten, nachträglich und theil-
weise noch recht nothdürftig erhellt.
') Vergl. Hahn: Wie verhält es sich mit den Recidiven bei
unseren Gallensteinoperationen. Archiv f. klln. Med. Bd. Gl.
*) Aus einem Vortrag, gehalten in der Gesellschaft fllr Natur-
nnd Heilkunde am 9. Februar 1901.
Nachdem ich bereits vor zehn Jahren über die damals ver-
hältnissmässig junge Aseptik an derselben Stelle gesprochen
habe (vergl. Jahresbericht der Gesellschaft für Natur- und Heil¬
kunde in Dresden 1891/92) war ich bemüht diese Methode weiter
auszubilden und habe im Ganzen bei über 8000 Operationen und
bei zahlreichen accidentellen Wunden, insgesammt bei ungefähr
12 000 Patienten konsequent das aseptische Verfahren ange¬
wendet, d. h. das Verfahren, welches die Unversehrtheit der Ge¬
webe möglichst wahrt, die Anwendung chemischer Mittel daher
auf das äusserste Maass beschränkt und die physikalischen Fak¬
toren in den Vordergrund stellt.
Mit unseren sogen, aseptischen Maassnahmen richten wir
uns in erster Linie gegen die Kontaktinfektion.
Gegenüber der Bedeutung dieser Infektionsquelle kommt die
Luftinfektion, auch wenn ihr in jüngster Zeit von einigen Seiten
wieder grössere Wichtigkeit zugesprochen worden ist, nicht in
Betracht, wenigstens so lange nicht, als wir unsere Wunden in
sauberen, staubfreien, insbesondere vor Staubaufwirbelung ge¬
schützten Räumen anlegen und verbinden. Die Keime, die etwa
aus der Luft auf die Wunde herabfallen, werden ohne chemische
Beihilfe von den Zellen und Säften des Körpers eliminirt. Das
können wir um so mehr annehmen, als dabei ein für das Zustande¬
kommen der Infektion nicht unwichtiges Moment fehlt, nämlich
der Druck, der bei der Kontaktinfektion sicher eine grosse Rolle
spielt und ferner als es sich bei den Luftkeimen nur um isolirte,
weniger entwickelungsfähige Keime handelt (Friedrich, Langen-
beck’s Archiv, Bd. 59). Es bedarf also zur Unschädlichmachung
der Luftkeime nicht der von manchen Seiten wenigstens als ein¬
malige Schutzmaassregel angewendeten antiseptischen Irrigation,
auch nicht der Irrigation mit physiologischer Kochsalzlösung.
Ich habe seit 13 Jahren die Wundausspülung vollkommen unter¬
lassen.
Die Vermeidung der Kontaktinfektion ist, soweit es sich
um die mit der Wunde in direkte und indirekte Berührung kom¬
menden leblosen Gegenstände handelt, durch Anwendung hoher
Temperaturen ohne Weiteres erreichbar. (Auskochen der Instru¬
mente, die während der Operation trocken liegen bleiben —
Dampfsterilisation von Verbandstoffen, Wäsche, Bürsten u. s. w.).
Nicht die gleiche Sicherheit ist zu erzielen bei den mit der Wunde
in innigste Berührung kommenden und andererseits septische
Stoffe am leichtesten aufnehmenden Händen des Arztes, sowie
der Haut des Operationsfeldes.
Darüber, dass keine Desinfektionsmethode eine Keimfreiheit
der Hand gewährleistet, dass aber eine für die praktischen
Zwecke genügende Keimarmuth der Hand durch gründliche
methodische Desinfektion zu erreichen ist, besteht heute kaum
mehr ein Zweifel.
Auch meine und meiner Assistenten Untersuchungen be¬
stätigen diese Ansicht. Diese Erkenntniss, dass die Hand mit
Sicherheit nicht keimfrei zu machen ist, hat uns aber nicht dazu
geführt, einen sterilisirbaren Ueberzug für die Hand zu suchen,
sondern dazu, mit vermehrtem Aufwand an Sorgfalt und Zeit,
an die Händedesinfektion zu gehen und auch die Prophylaxe
der Hände in höherem Grade als früher uns angelegen sein zu
lassen. Was die letztere anlangt, so ist sie in doppelter Be¬
ziehung wichtig, in mechanischer und bacterieller Hinsicht.
Die alte Erfahrung, dass eine wohlgepflegte, glatte Hand sich
leichter reinigen und desinficiren lässt, als eine rissige, rauhe
Hand, ist durch bacteriologische Untersuchungen vielfach be¬
stätigt (Hägler u. A.), ferner der Nachweis, dass die kleinen
Unebenheiten der Haut, Risse, Schrunden, Falten u. s. w., die
hauptsächlichsten Schlupfwinkel der Bacterien sind, führt die
Wichtigkeit der Handpflege, speciell des Glättens der Haut
durch Einfettung u. s. w. und durch die jüngst von Hägler
empfohlenen, auch von mir schon lange benützten Bimastein-
reibungen, vor Augen.
Die Prophylaxe in bacterieller Beziehung erfordert Ver¬
meidung von Berührung septischer Stoffe sowohl im Operations¬
und Verbandszimmer als auch im täglichen Leben ausserhalb
der Berufsarbeit, Schutz der Hände durch undurchlässige Gummi¬
handschuhe bei Operationen in inficirten Geweben, bei Unter¬
suchungen im Rectum u. s. w., strenge Desinfektion unmittelbar
nach etwa doch erfolgter Infektion.
Dass die auch gründlichste mechanische Reinigung der
Hände allein nicht genügt zur Entfernung der Keime an der
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6. August 1901. ' MUENCHENER MEDICINISCHE "WOCHENSCHRIFT. 1287
Hand, ist u. a. aus dem Hagle r’sehen Russ- oder Tuscheversuch
sehr anschaulich zu erkennen. Bei den in den verschiedensten
Modifieationen angestellten Versuchen ist uns weder mit Seife
und Bürste, noch mit Seifenspiritus, noch mit Schleie h’scher
Marmorseife, noch auf irgend eine andere Weise eine genügende
Reinigung in einer für die Praxis verwendbaren Zeit gelungen.
Das Tragen von sterilisirten Zwirnhandsehuhen gewährleistet
nur so lange Keimfreiheit, als die Hand troeken bleibt, eignet
sieh desshalb nicht für den Operateur und die bei der Wunde
betheiligten Assistenten. Dagegen sind die Handschuhe für die
bei der Operation nur indirekt beschäftigten Hände, die nicht
mit Wundflüssigkeit, Lösungen u. s. w. in Berührung kommen,
am Platz. Viel grösseren Schutz geben natürlich undurchlässige
Handschuhe. Dieselben bei infektiösen Wunden, Untersuchungen
des Darmes etc., als Schutz gegen die Infektion der Hand zu
verwenden ist im Sinne der Prophylaxis, wie schon gesagt, em-
pfehlenswerth. Sie sind sehr leicht zu reinigen, brauchen, wie
auch meine Versuche bestätigen, nach Berührung septischen
Materials nicht ausgekocht, sondern nur abgespült und ab-
gewaschen zu werden, um wieder eine keimfreie Oberfläche zu
haben. Dass aber auch diese Handschuhe eine strenge, unermüd-
liehe, methodische Durchführung der Händedesinfektion nicht
entbehrlich macht, ergibt sich schon aus der Zereissbarkeit und
Empfindlichkeit der Handschuhe gegen Verletzungen mit Haken,
Nadeln, Pincetten u. s. w.
Dass wir ferner durch Einschränkung der Zahl der helfenden
Hände die Fehlerquellen verringern, dass wir alles Hineingreifen
in die Wunde vermeiden sollen, vielmehr uns der Haken und
Pincetten und bei stumpfem Präpariren der Tupfer bedienen, ist
eine aus der Erkenntniss der Händegefahr sich von selbst er¬
gebende Forderung.
Wir haben, nachdem wir früher die verlängerte Für¬
bringe r’sche Methode der Häudedesinfektion benützten, uns
in letzter Zeit der Scifenspiritusdesinfektion allerdings unter
Beibehaltung der vorhergehenden energischen Behandlung mit
Heisswasser, Seife und Bürste zugewandt und zwar in erster
Linie desshalb, weil diese Methode die Hände weniger anzu¬
greifen scheint und damit prophylaktisch besonders werthvoll ist.
Unsere auf 75 Fälle gestützten Untersuchungen ergaben in
58 Proc. der Fälle Keimfreiheit.
In dem Bestreben, alle die beim Operateur liegenden Infek¬
tionsquellen zu verschliessen, ist man nicht bei den Händen
stehen geblieben, sondern hat vermittels aseptischer Gesichts¬
und Kopfmasken, Bartbinden u. dergl. die in der Exspirations¬
luft und beim Sprechen aus der Mundhöhle mitgeschleppten
Keime, sowie die an herabfallenden Haaren und Schuppen
haftenden Keime auszuschalten gesucht. Wir halten bei sonst
genügender Pflege von Bart- und Haupthaar, Mundhöhle u. 8. w.
und bei äusserster Beschränkung des Sprechens während der
Operation alle diese die Tcelinik nur erschwerenden Dinge für
entbehrlich. Bei den alten Indern galt die Vorschrift für die
Aerzte, Haare und Nägel kurz zu tragen und seinen Körper rein
zu halten.
Als Unterbindungs- und Nahtmaterial verwende ich, nachdem
ich früher Oatgut gebraucht hatte, seit 6 Jahren ausschliesslich
Seide. Bei grösserer Festigkeit und Haltbarkeit der Ligaturen
und Nähte ist die Seide völlig keimfrei zu machen. Sie muss
aber vor nachträglicher Infektion durch die Hände des Opera¬
teurs geschützt werden. Auf der glatten Oberfläche des Catguts
oder des Drahtes haften Keime allerdings weniger leicht als auf
der rauhen Oberfläche des Seidenfadens, der sich mit Keimen
vollsaugen kann. Das kommt erst recht i« Betracht, weil die
Fäden, ehe sie geknotet in die Tiefe der Wunde versenkt werden,
in innigste Berührung mit den Händen, dem unzuverlässigsten
Faktor in unserem aseptischen System gebracht werden. Faden-
eiterungen sind fast immer Folge ungenügender Händedesinfek- ,
tion. Die Seidenligaturen sind, wie auch von andereren Seiten
hervorgehoben ist, ein Prüfstein für die Aseptik der Hände. Bei
grösseren Operationen soll der Anlegung der Ligaturen und der
Naht eine nochmalige Desinfektion der Hände vorangehen.
Was die Frago der Drainirung aseptischer Wunden betrifft,
so sehliesso ich die Wunden völlig durch die Naht, wenn die Blu¬
tung völlig gestillt ist und die Operation nicht zu lange gedauert
hat. Sind jedoch die Wundverhältnisse in irgend einer Hinsicht
komplizirt, so wird, und zwar gewöhnlich durch einen Gaze-
No. 32.
streifen, drainirt, event. theilweise tamponirt. Die früher öfters
geübte Sekundärnaht habe ich, als den Ansprüchen der Aseptik
nicht genügend, wieder aufgegeben.
Beim Verband, für den Mull das geeignetste Material ist,
kommt ausser der Kompression und Fixation vor allen Dingen
das Princip der Aufsaugung und Austrocknung in Betracht, das
erßtere da, wo Sekretion zu erwarten ist, namentlich bei drainirten
Wunden, das letztere bei völligem Nahtverschluss.
Die Austrocknung gibt die beste Bürgschaft für Asepsis.
Es ist experimentell erwiesen (P r e o b a j e n s k i), dass Ver¬
bände, die eine pulverförmige Substanz enthalten, schneller aus¬
trocknen als andere in Folge der Vergrösserung der Verdunstungs-
fläclie.
Es handelt sich daher bei Anwendung antiseptischer Pulver
in erster Linio um physikalische Vorgänge. Ich benütze zur Zeit
Airol, früher Wismuth, habe vor Jahren Versuche mit pulveri-
sirtem Kaffee, neuerdings mit sterilisirtem Streusand angestellt,
die denselben Erfolg ergaben, wie pulverförmige Antiseptica.
Was die Behandlung der infizirten Wunden anlangt, so ver¬
neine ich die Frage, ob mit antiseptischen Mitteln eine Des¬
infektion der Wunde erreicht werden kann. Meine auf der
Wiener Naturforscherversammlung mitgetheilten Ergebnisse von
Thierversuchen sind jüngst von v. Eicken (Beiträge zur klin.
Cliir., Bd. 24) im Wesentlichen bestätigt worden. Durch der¬
artige Thierversuche allein lässt sich die Frage jedoch nicht ent¬
scheiden, auch nicht durch die bisher vorliegenden bacteriologi-
schen Untersuchungen des Sekretes während aseptischer Behand¬
lung einerseits und antiseptisoher Behandlung andererseits.
Durch grosse Reihen von Erfahrungen am Krankenbett und am
Operationstisch ist die Frage eher zu beantworten.
Unserer Uebcrzeugung nach kommt es in erster Linie auf
physikalische Bedingungen an, auf freien Abfluss der Sektrete, da¬
mit Entlastung der Gewebe vom Druck, Richtung des osmotischen
Stromes aus der Wunde in den Verband; demnach sind breites
Offenhalten der infizirten und infektionsverdächtigen Wunden,
Eröffnen aller Nischen und Taschen, Verhütung jeder Sekret-
retention, Vermeidung jeder mechanischen Laesion des infizirten
Gewebes, Anlegung eines .gut saugenden Verbandes, rechtzeitige
Erneuerung desselben die treffenden Maassnahmen.
Nach diesen Principien bin ich bei fast 8500 infizirteu
Wunden verfahren und habe sie möglichst von Antisepticis frei
gehalten, sie jedenfalls niemals ausgespült.
In Fällen, wo ein längeres Liogenbleiben der Tampons oder
wenigstens seiner untersten Schichten wünschenswerth oder wo
eine Desodorirung angezcigt ist, wird Jodoformgaze Verwendet.
Dabei ist die Idee maassgebend, dass das Jodoform der Zersetzung
des in die Gaze aufgenommenen Sekretes entgegentritt. Auf die
Eitercoecen der Wunde hat das Jodoform jedenfalls keinen Ein¬
fluss. Aus ähnlichem Grund wird bei feuchten Verbänden, die
bei manchen eiternden Wunden, bei Entzündung der Wundränder
wegen ihrer schmerzlindernden Wirkung und wegen der grösseren
Aufsaugefähigkeit nicht zu umgehen sind, die essigsaure Thon¬
erde in 1 proc. Lösung bevorzugt. Die antiseptische Wirkung
erstreckt sich dabei nur auf den in den Verband aufgesogenen
Eiter. Bei mehreren Serien von Versuchen mit physiologischer
Kochsalzlösung oder mit Tavel’scher Lösung zeigte sich, dass
hinsichtlich Grnnulationsbildung, Sekretion, Vernarbung der
essigsauren Thonerde kein Vorzug zukam, dass aber die Haut
weniger durch dieselbe macerirt wurde.
Bei der grossen Verschiedenheit, der in Behandlung kom¬
menden Wunden hinsichtlich Art und Ausdehnung der bereits
bestehenden Infektion muss ein zusammenfassendes Urtheil über
den Einfluss einer Behandlungsmethode auf den Heilungsverlauf
inficirter Wunden vielen Einwürfen begegnen. Zu einer ein-
wandsfreien Statistik gehören sehr grosse Zahlenreihen, genaue
Feststellung der individuellen Verschiedenheiten der einzelnen
Fälle, bacteriologische und histologische Untersuchungen und
Kontroluntersuchungen in jedem einzelnen Fall. Kurz, es muss
ein Apparat in Bewegung gesetzt worden, der mir nicht immer
zur Verfügung stand.
Dio relative Häufigkeit aber einer Wundkrankheit, des
während der Behandlung auftretenden Erysipels kann einen ge¬
wissen Maassstab für die Würdigung der Behandlungsmethoden
geben. Während ich in dem genannten Zeitraum 34 Fälle von
Erysipel in Behandlung zu nehmen hatte, ist diese Wundkompli-
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1288
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
kation nur in 9 Fällen während meiner Behandlung und zwar
nur einmal im direkten Anschluss an eine Operation (Fistel¬
spaltung), in den anderen Fällen während der Nachbehandlung
hinzugetreten (1 mal nach Fistelspaltung in der Leistengegend,
1 mal nach Verbandwechsel bei Mastitis ausserhalb der Anstalt.
2 mal nach Verbandwechsel bei granulirender Kopfwunde, lmal
bei einem exulcerirten inoperablen Mammacarcinom, letztere
3 Fälle poliklinisch behandelt und von Schweetemhänden ver¬
bunden, ferner 4 mal im Kinderhospital, osteomyelitische Fistel,
Halsdrüsenabscess, granulirende Wunde am Arm und Achsel¬
höhle). In allen Fällen von Erysipel trat Genesung ein.
Es kam also in 0,11 bezw. 0,075 Proc. der von mir behandelten
Fälle während der Behandlung zur Entwickelung eines Erysipels.
Ueber die Anwendung der Magensonde bei Ulcus
ventriculi.*)
Von Dr. W. Flade, Spezialarzt für Magen- und Darm¬
krankheiten in Leipzig.
M. H.! In einer im Jahre 1883 im Deutsch. Arch. f. klin.
Med. veröffentlichten Arbeit spricht Leube sich sehr präzis
über den diagnostischen Werth der Magensondirung au9; es heisst
dort wörtlich: Was den letzteren Punkt betrifft (nämlich die
Anwendung der Sonde zu diagnostischen Zwecken), so habe icb
schon vor 11 Jahren zuerst auf die grosse Bedeutung der Magen¬
sondirung in diagnostischer Beziehung im Gegensatz zu der bis
dahin einzig üblichen therapeutischen Verwendung der Magen¬
sonde aufmerksam gemacht. Damals auf ein kleines Gebiet be¬
grenzt, hat sich das Feld der zu genanntem Zwecke benützten
Sondirung immer mehr erweitert, so stehe ich nicht an zu er¬
klären, dass ich bei fast allen Magenkranken — Ulcuskranke aus¬
genommen — seit Jahren ohne Sondirung überhaupt keine Dia¬
gnose mehr mache und dass ich es für unmöglich halte, ohne
dieses Manöver nähere Einsicht in das Verhalten des kranken
Magens im einzelnen Falle zu gewannen.
Seine volle Bedeutung hat der citirte Ausspruch Leube's
wohl erst in der Folge erhalten, als namentlich Ende der 80 er
Jahre eine fast übergrosse Anzahl von Arbeiten erschien, die
mit manchem vagen Begriffe aufräumte und für die neueren
Anschauungen auf dem Gebiete der Magen - Darmpathologie
grundlegend geworden sind. Man studirte eingehend den Pro-
cess der chemischen Verarbeitung zugeführter Nahrung, sowie
den Ablauf ihrer Weiterbewegung nach dem Darme unter nor¬
malen Verhältnissen und gewann dadurch eine gesicherte Grund¬
lage für die Beurtheilung pathologischer Verhältnisse. Man
ging dem Begriffe des Magenkatarrhs scharf zu Leibe und engte
ihn auf den ihm zukommenden verhältnissmässig beschränkten
Raum ein, lernte Atonie und Ektasie scharf unterscheiden, ent¬
deckte das Kvankheitsbild der Gastrosuccorrhoe, ganz abgesehen
von der Klärung der Anschauungen, die in dieser Epoche über
die Sekretionsvcrhültnisse bei Care, ventriculi in seinen verschie¬
denen Formen, über Bedeutung der Milchsäure für die Pylorus¬
stenose und noch so manche andere Frage erreicht wurde. Die
fast unausbleibliche Folge des Aufschwungs, den die Kenntniss
der Magenchemie unter physiologischen und pathologischen Ver¬
hältnissen in Folge dieser Arbeiten nahm, war die, dass sich eine
etwas einseitige Werthschätzung des rein chemischen Resultates
einer diagnostischen Mageninhaltsprüfung breit machte; nament¬
lich aber führte die Leichtigkeit, mit der sich unser heutiger
weicher Gummischlauch bei einigem guten Willen bei den meisten
Patienten einführen lässt, in therapeutischer Beziehung zu einer
Polypragmasie, die ich als genügend begründet nicht ansehen
kann.
Es kann nun in dem Folgenden nicht meine Aufgabe sein,
mich über Nothwendigkeit und Zweckmässigkeit der Anwendung
der Magensonde bei den Magen-Darmerkrankungen im Allge¬
meinen zu verbreiten; ich muss mich auf ein abgegrenztes Ge¬
biet beschränken und will versuchen, Ihnen auf Grund der
Literatur, namentlich der letzten 20 Jahre, ein Bild der Wechsel¬
beziehungen zwischen Magensonde und Ulcus ventriculi zu geben.
In den gebräuchlichsten Lehrbüchern über Magenkrankheiten
ist mit mehr oder weniger Bestimmtheit fast durchweg der Stand¬
punkt vertreten, dass bei Ulcua die Magensonde, von einzelnen
*) Vortrag, gehalten am 4. Juni 1901 ln der Medicinischen
Gesellschaft zu Leipzig.
Ausnahmen abgesehen, nicht in Anwendung zu ziehen sei. Dem¬
gegenüber steht eine grosse Anzahl von Arbeiten sehr beachtens-
werther Autoren, bis in die letzte Zeit, die sich mit dem Ablauf
der motorischen und namentlich chemischen Funktionen des mit
Ulcus behafteten Magens beschäftigen — die sich selbstverständ¬
lich nur mit der Magensonde studiren lassen — und die ihre
Resultate durchaus nicht nur für wissenschaftlich interessant,
sondern auch für diagnostisch und therapeutisch bedeutsam an¬
gesehen wissen wollen. Bei diesem sich in der reichhaltigen
Ulcusliteratur überall aufdrängenden Widerspruche schien es mir
wünschenswerth, folgende Fragen näher zu beleuchten und, wenn
möglich, zu bestimmter Stellungnahme zu denselben zu gelangen:
1. Was ist zur Sicherung der Diagnose auf Ulcus ventriculi
pepticum von der Anwendung der Magensonde zu erwarten?
2. Ist die Anwendung der Sonde bei Verdacht auf Ulcus
überhaupt erlaubt, bezüglich werden die dabei eventuell in Frage
kommenden Gefahren aufgewogen durch die zu erwartende Siche¬
rung der Diagnose?
3. Brauchen wir die Magensonde bei Ulcus ventriculi zu
therapeutischen Zwecken, und wie steht es hier bezüglich mög¬
licher Gefahren?
1. Was ist zur Sicherung der Diagnose auf Ulcus ventriculi
pepticuni von der Anwendung der Magensonde zu erwarten?
Die Art meiner Fragestellung sagt Ihnen schon, dass es sich
bei meinen Betrachtungen nicht um die Fälle handeln kann, in
denen bestehende typische Erscheinungen Zweifel an der Dia¬
gnose nicht aufkommen lassen; es kommen im Gegentheil nur
die häufigen Fälle in Frage, die neben Ulcus noch manche andere
Diagnose zulassen. Solche Patienten klagen über Druck,
Schmerzen, Magenkrämpfe, bald bestimmt lokalisirt, bald aus-
strahlend; die Empfindungen stehen oft in keinem oder nur
sehr lockerem Zusammenhänge zur Nahrungsaufnahme. Bei nüch¬
ternem Magen besteht entweder derselbe Drude, oder wenigstens
unbehagliches Gefühl; die Appetenz schwankt vom Normalen
bis zur Anorexie; gelegentlich wird über Kopfdrude und andere
nervöse Symptome geklagt, über Aufstossen, mangelhafte Stuhl¬
verhältnisse etc. Erbrechen fehlt entweder ganz oder tritt regel¬
los in die Erscheinung. Bei derartigen Krankheitsbildem ist
unter Umständen die Differentialdiagnose gegen Erkrankungen
des Gallentraktus, gegen nervöse Gastralgien, gegen die mit
Alteration des Sekretionsapparates einhergehenden nervösen
Magenstörungen, gegen Carcinora, gelegentlich sogar gegen
Gastroptose und die sogen. Gastritis atrophicans ausserordentlich
schwer. Da hier die gewissenhafteste äussere Untersuchung im
Stiche lassen kann, schlug man andere Wege ein, zu deren Ver-
ständniss einige kurze Bemerkungen über die Aetiologie des
Ulcus pept. unerlässlich sind.
Die ältere Anschauung, dass das Ulcus pepticum das Produkt
der Wechselwirkung zwischen saurem Magensaft und vermin¬
derter Alkalinität des Blutes sei, eine Ansicht, die noch 1889
durch v. Sohlern in einer Arbeit vertreten wird, ist heute fast
allgemein verlassen. Der Nachweis von Riegel, dass auch
in der Tiefe der normalen Magenschleimhaut saure Reaktion
besteht, die Existenz von Geschwüren in tieferen Darmpartien,
vielfache Blutuntersuchungen, die Feststellung, dass normale
Magenschleimhaut ganz eminente Säuregrade vertragen kann
und viele andere Momente sprechen dagegen. Germain S 6 e
erklärt nach den Berichten der Pariser Akademie 1893 diese
Theorie für abgethan; die neueste Literatur erwähnt sie nur aus¬
nahmsweise. Indessen knüpft auch die Theorie, die heute die
allgemein anerkannte ist, an die verdauende Thätigkeit des saun®
Magensaftes an, nur sucht sie das begünstigende Moment nicht
in veränderten Alkalinitätsverhältnissen, sondern in gewissen
Alterationen der Ernährung der Magenschleimhaut in Folge Ver¬
legung oder Erkrankung der zugehörigen Gefässe. Bereits vor
50 Jahren haben Virchow und Rokitansky es aus¬
gesprochen, dass ein Ulcu9 erst dort entstehen könne, wo der
verdauenden Wirkung des Magensaftes dadurch Thür und Thor
geöffnet sei, dass durch irgend welche krankhafte Prooesse des
Gefässsystems die Lebensfähigkeit des betreffenden Schleimhaut¬
distriktes heruntergesetzt oder ganz verloren gegangen sei. Eine
grosse Anzahl anderer Forscher hat diese Ansicht bestätigt und
zum Theil sehr detaillirte Beweise geliefert. So veröffentlichte
zuerst Merkel 1866—69 drei genau durchforschte Fälle, in
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6. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1289
denen er einmal Embolie der kleinsten Magenarterien, dann
Atheromatose, Aneurysmenbildung und Amyloidentartung als
Basis der Geschwürsbildung nachwies. Die späteren grund¬
legenden Arbeiten C o h n h e i m’s sind bekannt. Zwei inter¬
essante Arbeiten von W illneben und Decker aus den
Jahren 1886 und 1887 haben mit Glück das aetiologische Moment
für das traumatische und das sogen. Köchimienulcus in derselben
Richtung gesucht, d. h. in einer primären Alteration der Er-
nährungsverhällnisse des betreffenden Bezirkes. Auch die Hypo¬
these T a 1 m a’s, dass die zur Entstehung des Ulcus nöthigo
Störung herbeigeführt werde durch reflektorische Krämpfe und
dadurch veranlasst« arterielle Anaemie, betritt schliesslich ähn¬
liche Bahnen. Vor allen Dingen wird aber durch die von
V irchow und seinen Gesinnungsgenossen verfochtene Theorie
klar, warum gerade das weibliche Element besonders häufig au
Ulcus leidet und wieso Anaemie und Chlorose die Disposition
erhöhen. Weiter auf diese Verhältnisse einzugehen, ist mir hier
nicht möglich.
Damit nun die eben kurz berührten Emährungshemmungcn
nicht bloss zu einem allmählichen Absterben kleiner Schleimhaut¬
distrikte, zu anatomischen Substanzverlusten führen, deren Aus¬
heilung von den Rändern her leicht möglich wäre, sondern zu
einem wirklichen Ulcus pepticum im klinischen Sinne, können
wir bei unserer Erklärung der Mitwirkung des aktiven Magen¬
saftes nicht entrnthen. Es tritt hier also ein zweites Moment
hinzu, das sich mit dem Magenschlauche genauer studiren lässt
und uns jetzt etwas eingehender beschäftigen soll.
Es kann darüber kein Zweifel herrschen, dass in der Schleim¬
haut eines Magens, dessen feinere Arterien durch Verlegung oder
Erkrankung stellenweise die Ernährung der zugehörigen Partien
stören, oder völlig aufheben, ein Ulcus im anatomischen Sinne,
d. h. ein Substanzverlust, ohne Mitwirkung anderer Momente
entstehen kann. Im Gegentheil darf man wohl mit Recht an¬
nehmen, dass derartige Ulcera gar nicht selten sind, dass sie aber
ohne wesentliche Beschwerden oder unter unklaren Symptomen
verlaufen, wahrscheinlich schnell, eventuell ohne wesentliche
Narbenbildung heilen, je nachdem die supponirte Ernährungs¬
störung sich auf einen kleinen Bezirk lokaliairt, und die um¬
gebende, leicht sich regenerirende Epithelschicht intakt geblieben
ist. Unter dem Ulcus ventriculi im klinischen Sinne wird aber
nicht bloss ein Substanzverlust an sich verstanden, sondern ein
Defekt, der die ausgesprochene Tendenz zum Vorwärtsschreiteu
hat, zum Vordringen in die Tiefe mit seinen möglichen schweren
Folgeerscheinungen, und der, ganz abgesehen von allen sub¬
jektiven Erscheinungen, der endgiltigen Heilung starken Wider¬
stand entgegensetzt. Zur Erklärung dieser klinischen Erschei¬
nungen ziehen wir, wie erwähnt, die Mitwirkung des Magensaftes
heran, und zwar begnügen sich die meisten Forscher nicht mit
dem Magensekret an sich, sondern verlangen einen besonders
sauren und aktiven Magensaft. Sie stützen sich dabei auf eine
grosse Anzahl von Arbeiten, die sich mit den Abweichungen
der Sekretion bei entstehendem oder bestehendem Ulcus be¬
schäftigen. Wir können heute die einschlägigen Verhältnisse
trotz mannigfacher Verschiedenheiten in den Ansichten Ein¬
zelner für im Wesentlichen geklärt ansehen.
Fast sämmtliche namhafteren Forscher, die sich in den
letzten 20 Jahren mit der Krankheit der Digestionsorgane be¬
schäftigt haben, haben eigene Beiträge zu der vorliegenden Frage
geliefert, oder in kürzeren gelegentlichen Bemerkungen ihre
Stellung dazu präcisirt. Ich will nur die hauptsächlichsten aus
der ersten Kategorie anführen: zu ihnen gehören v. d. V e 1 d e n,
Riegel, Ewald, Krokiewicz, Korzynski, Ja-
worski, Schneider neben einer ganzen Anzahl von Autoren
von Dissertationen, von denen ich nur Schaumlöffel,
Vogel, Rotschild, Grüne nennen will. Dass die be¬
treffenden Autoren nur Fälle zu ihren Untersuchungen heran¬
gezogen haben, in denen in der Diagnose ein Zweifel nicht auf-
kommen konnte, ist selbstverständlich. — v. d. Velden unter¬
suchte bei 3 Patienten bereits 8, bezüglich 10 Tage nach einer
Blutung. Riegel läset zumeist längere Zeit vergehen, ehe er
eine Sondirung wagt; in der neueren Arbeit von Schneider
vom Jahre 1897 sind auch ausgesprochen chronische Fälle mit
verwerthet. Was die gefundenen Werthe betrifft, so schwanken
die Aciditätszahlen, wie das nicht anders zu erwarten, ziemlich
beträchtlich. Je nach der Anordnung des Versuches, der Art der
angewendeten Probemahlzeit, dem Ernährungszustände und der
gewohnten Lebens- und Ernährungsweise des Patienten mussten
die Werthe verschieden ausfallen, ganz abgesehen davon, dass
einzelne Autoren durch Bestimmung der Gesammtacidität ihre
Aufgabe für gelöst erachten, andere detaillirt die einzelnen Fak¬
toren bestimmen, während wieder andere sich mit Ausdrücken
wie „subacid“, „hyperacid“ etc. begnügen.
Bei den 3 oben bereits erwähnten Patienten mit floridem
blutendem Ulcus fand v. d. Velden Säurewerthe, die die nor¬
male Grenze beträchtlich überschreiten. Einer bereits 1885 ver¬
öffentlichten Arbeit lässt Riegel 1886 die Resultate von
,272 Einzeluntersuchungen bei 31 Ulcusfällen folgen und stellt
dabei fest, dass „durchweg in allen Fällen ein abnorm hoher,
meistens zwischen 0,3 und 0,4 schwankender, nicht selten noch
höherer Procentsatz an Säure vorhanden war“. Krokiewicz
hält es für allgemein bekannt, dass beim runden Magengeschwür
der „saure Katarrh ein ständiges Symptom ist“. Korczynski
und Jaworski veröffentlichten 1886 und 1891 ihre Resultate, die
auf der Untersuchung von 27 Ulcuskranken basirten. Sie fanden
„in hohem Grade hypersekrete Magen mit einer von HCl her¬
rührenden kontinuirlichen Hypersekretion“, doch muss dabei in
Betracht gezogen werden, dass bei 13 ihrer Patienten wirkliche
Ektasie bestand, so dass diese Verhältnisse sich nicht ohne
Weiteres auf das unkomplizirte Ulcus übertragen lassen.
Vogel hat 39 sichere Ulcusfälle untersucht, um stets Hyper¬
acidität zu finden; dasselbe Resultat veröffentlicht Grüne in
seiner 1889/90 erschienenen Dissertation von 29 Patienten. Zu
ähnlichen Schlüssen gelangen Rotschild, Schaumlöffel
und viele andere Autoren.
Wenn gegenüber solchen Zahlen die Kasuistik auch eine An¬
zahl von sicher bewiesenen Ulcusfällen anzuführen vermag, in
denen keine HCl-Sekretion bestand, oder in denen sie während
des chronischen Verlaufs allmählich versiegte, wie in dem Falle
von Krokiewicz und anderen von Ewald, Klemperer
und Boas, wie weiterhin in Fällen E d i n g e r’s, in denen
Amyloidentartung die Basis für das Ulcus abgab, so will das nicht
allzuviel sagen. Die in dieser Hinsicht auffallendsten Zahlen
finden sich bei S c h n e i d e r. Er fand unter 38 von Ulcus heim¬
gesuchten Patienten nur in 18—19 Proc. der Fälle Hyperacidität
und sogar in nahezu 37 Proc. seiner Fälle Anacidität. Trotzdem
pflichtet er ausdrücklich der Ansicht bei, dass das Ulcus mit
starker oder vermehrter Salzsäuresekretion einhergehe und er¬
klärt seine auffallenden Resultate damit, dass in einem bedeuten¬
den Theile seiner Fälle komplizirende Verhältnisse, wie Ektasie,
chronische Peritonitis, Anaemie etc. das Verschwinden der
Drüsenfunktion bedingten.
Dass abgesehen von der durch Circulationsstauung ermög¬
lichten Selbst Verdauung für einzelne Ulcera auch andere Ent¬
stehungsmöglichkeiten in Frage kommen — man hat auch hier
von bacteriellen Einflüssen gesprochen — ist wahrscheinlich, wie
ja auch das syphilitische und tuberkulöse Magenulcus eine Son¬
derstellung einnimmt; indessen kann ich hier auf diese Speziali¬
täten nicht eingehen.
Nach alledem können wir heute als erwiesen ansehen, dass
bei der grossen Mehrzahl der Ulcusf älle gesteigerte Aciditätsgrade
nachweisbar sind.
Woher diese Erscheinung kommt, ist hier nicht der Ort
detaillirt zu besprechen. Ich glaube weder an eine primäre Hyper-
acidität oder Hypersekretion, wenigstens für die Mehrzahl der
Fälle nicht, noch an den primären sauren Katarrh, von dem
Krokiewicz spricht. Es scheint mir viel wahrscheinlicher,
die veränderten Säure- und Sekretionsverhältnisse als sekundär
auf dem Wege nervöser Beeinflussung durch das bereits etablirto
Ulcus, zu erklären. Doch wie man sich auch zu der Frage der
causalen und zeitlichen Aufeinanderfolge von Ulcus und Hyper-
neidität stellen mag, uns interessirt hier vor Allem die Thatsache,
dass in einer grossen Zahl der Fälle hyperacide Werthe that-
sächlich bestehen und durch die Sonde nachweisbar sind.
Neben dieser Hyperacidität und den durch dieselbe bedingten
Verhältnissen bezüglich der Verarbeitung von Stärke- und Ei¬
weissnahrung im Magen, vermag die Sonde gelegentlich auch
dos Bestehen einer Blutung aufzudecken, deren Nachweis auf
andere Weise unmöglich war. Wie viele Geschwüre mit Blu¬
tungen einhergehen, die sich weder per os dokumentiren, noch
auch durch genaueste Untersuchungen der Faccc3 sich erweisen
4 *
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MUENCIIENER ME DICIN TSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
lassen, entzieht sich natürlich einer genaueren Feststellung, doch
machen mannigfache Erfahrungen des Pathologen und Klinikers
es sehr wahrscheinlich, dass derartige Fälle ziemlich häufig sind.
Wenn in den Arbeiten Riege Fs, Fl ei ne Fs und vieler
anderer Autoren von der Aufdeckung kleiner Blutungen vielfach
die Rede ist, so rongiren diese Fälle hier insofern aus. als bei
ihren Patienten die Uleusdiagnosc stets bereits vorher feststand.
Von solchen Fällen, wo ein Befund von Blut aus dem herauf¬
geholten Mageninhalte ohne vorher gesicherte Diagnose erhoben
wurde, liegen mir nur 2 Fälle von E i n li o r n vor. Der Haupt¬
grund für diese verschwindend kleine Zahl ist wohl darin zu
suchen, dass Sondirungen mit der Absicht und Voraussetzung,
eine so geringe Blutung, dass sie sich anderweit gar nicht doku-
montirte, nachzuweisen, überhaupt nicht ausgeführt worden sind,
und dass andererseits dort, wo man zunächst an einen Blutbefund
gar nicht dachte, die angewandte Technik für den Nachweis
kleiner Blutungen in vieler Beziehung ungünstig war. Es ist
nach meiner Auffassung wohl auch nicht ohne Bedeutung, dass
die beiden citirten Fälle gerade von Einhorn veröffentlicht
worden sind, der bekanntlich mit dem von ihm angegebnen
Mageneimerchen arbeitet. Ich halte es für wahrscheinlich, das*
das Eimerchcn, am Boden des Magens hinschleifend, eher ge¬
eignet ist, Blutreste mit an’s Tageslicht zu fördern, als die Sonde.,
die man bei dem Verdachte auf Ulcus unwillkürlich nie weiter
einführen wird, als unbedingt nöthig, und die man vorsichtig
sofort entfernt, sobald man nur einige Kubikcentimeter Inhalt
erhalten hat.
Legen wir uns nun die Frage vor, inwieweit der Befund von
Blut im Mageninhalt und der Nachweis erhöhter Säurewerthe,
bezüglich kontinuirlicher Magensaftsekretion, für die Diagnose
auf Ulcus poptieuin von Wichtigkeit ist, so wird der Werth des
Blutbefundes ohne Weiteres einleuchten. Wenn wir absehen von
gewissen Raritäten, wie es Blutergüsse in Folge von Varicen des
Magens, solche im Gefolge hochgradiger Stauungen im Portal¬
gebiete, sog. vicariirende Blutungen oder hysterische Blutungen
doch immerhin sind, so beweist der Befund von Blut im Magen
— arteficielle Blutungen müssen natürlich stets ausgeschaltet
werden können — das Vorhandensein eines ulcerativen Processes
im Magen. Es fällt also die Nothwendigkeit der Differentialdia¬
gnose gegen alle oben angeführten Erkrankungsformen weg, mit
Ausnahme der gegen Carcinom. Gelegentliches Parallellaufen
dieser Krankheiten mit Ulcus muss dabei selbstverständlich stets
im Auge behalten werden. Was die Differenzirung gegen Carci¬
nom betrifft, so muss zunächst betont werden, das3 wir aus Form
und Aussehen des etwa gewonnenen Blutes irgendwelchen Schluss
an sich nicht ziehen können. Das bekannte „kaffeesatzartigo
Aussehen“ dieser Blütreste beweist durchaus nichts für Carcinom;
es ist vielmehr nur ein Zeichen dafür, dass das Blut durch längere
Zeit den Wirkungen der Verdauungsvorgänge im Magen aus¬
gesetzt war, und zwar während einer Zeitdauer, die wir zumeist
nur bei einer wirklichen Ektasie im klinischen Sinne finden. Ob
diese Ektasie einen gutartigen oder bösartigen Proc.ss zur Grund¬
lage hat, darüber kann uns der Blutbefund an sich absolut nicht
aufklären; hierzu brauchen wir nothwendig eine genaue Unter¬
suchung der Sekretionsverhält nisso der Magenschleimhaut, von
deren diagnostischer Verwendbarkeit für unser vorliegendes
Thema im Folgenden die Rede sein soll.
Wir haben oben die Behauptung als erwiesen hingestellt,
dass in der Mehrzahl der Fälle von Magengeschwür gesteigerte
Aciditätsgrade nachweisbar sind. Es wird sich nun darum han¬
deln. ob und inwieweit diese Thatsache bei der Diagnose in
zweifelhaften Fällen verwerthet werden kann, bezw. ob bei den
Erkrankungen, die gelegentlich zur Verwechslung mit Ulcus
führen können, bezüglich der .Sekretion ähnliche oder wesentlich
verschiedene Verhältnisse vorliegen.
Wenn wir mit .Taworski und Korczynski annehmen
wollen, dass bei Ulcus nicht nur gesteigerte Säuregrade während
des Verdauungsaktes vorhanden sind, sondern auch eine kon-
tinuirliehe Sekretion sauren Magensaftes zumeist stattfindet, so
wird vermittels der Sonde eine exakte Differentialdiagnosc gegen
Gnstrosuceorrhoe nicht zu stellen sein. Fis ist sehr wohl denkbar,
dass ein Ulcus derart reizbaren Zustand verursacht, dass dauernde
Sekretion sauren Magensaftes bestellt; andererseits gibt es
zweifellos eine reine Gastrosuccorrhoe ohne causalen Zusammen¬
hang mit Ulcus, wenn rir» auch nicht häufig ist. Beide Krdnk-
heitsformen würden ein so ähnliches, bezw. sich deckendes Son-
dirungsresultat ergeben, dass wir am besten thun, auf dasselbe
kein grösseres Gewicht zu legen.
In gleicher Weise wird es unmöglich sein, auf das Resultat
einer Aciditätsbestimmung und der dazu gehörigen Beobach¬
tungen eine Differentialdiagnosc dort aufzuhauen, wo* die Be¬
schwerden an die der Gastroptose erinnern. Derartige F'älle sind
gar nicht so selten. Druck, saures Aufstossen, Schmerzen, stark
saures Erbrechen mit sofortiger Flrleiehterung, wechselnde Appe-
titvorhältnisse machen in atypischen Fällen die Diagnose
schwierig genug, und dabei muss immer im Auge behalten werden,
dass neben einer Magensenkung Ulcus bestehen kann. Wo man,
namentlich bei heruntergekommenen Individuen, durch künst¬
liche Aufblähung des Magens die Kontouren genügend zu Gesicht
bekommt, oder pereutorisch bestimmen kann, wird sieh meist ge¬
nügender Anhalt über die Verhältnisse gewinnen lassen. Wo
aber etwaige Verwachsungen die Entfaltung des Magens hin¬
dern, wo aus anderen Gründen, und namentlich eben Wegen Uleu-t-
verdnelit, die Aufblähung kontraindicirt ist, oder wo in F’olge
von Inkontinenz des P.vlorus es zu einer Aufblähung gar nicht
kommt, kann die Ditferentialdiagnose unmöglich worden. Wenn
Leube anräth, in zweifelhaften Ulcusfällen die Diagnose von
dem günstigen oder ungünstigen Ausgange einer exakten Ulcus-
kur abhängig zu machen, so muss zugogel>en werden, dass uns
leider oft ein anderer Weg nicht offen steht; aber gerade für
unsere Fälle bleibt dieser Weg ein gewagt«« Experiment, da die
mit einer L e u b «-'sehen Kur nothwendig verbundene Unter¬
ernährung eine etwa bestehende Ptose nur im ungünstigen Sinne
becinilussen wird. Fis wäre sehr werthvoll, wenn uns das Resultat
einer Mageninhaltsprüfung hier genügenden Anhalt gäbe; aber
diese Hoffnung ist illusorisch, denn sei es, dass in gewissen Fällen
die Thätigkeit der Magendrüsen hei dem ohnehin zumeist
schwächlichen Individuum von vornherein alterirt war, oder dass
die Drüsen durch das Alter des Processes ihre Arbeitsfähigkeit
nach und nach eingebiisst haben, so wird man doch in der Mehr¬
zahl der Fälle von Ptose über die Norm steigende Drüsenthätig-
keit finden, wie die meist gleichzeitig bestehende Atonie erklär¬
lich macht; wir werden gelegentlich sogar auf eine kontinuirliche
Magensaftsekretion stossen, auf die ja Jaworski so grossen
Werth für die Uleusdiagnosc legt. Wir finden also auch hier aus
dem Mageninhalte nichts heraus, was mit einiger Sicherheit
zwischen Ulcus und Ptose unterscheiden liesse.
Wie schwer es ferner sein kann, sog. nervöse Gastralgien
von Ulcus zu trennen, ist hinlänglich bekannt. Mir selbst wird
ein Fall im Gedächtniss bleiben, den ich gelegentlich der Ver¬
tretung meines Chefs unter die Hand bekam. Fis handelte sich
um eine seit wenigen Jahren verheirathete, in guten Verhält¬
nissen befindliche jüngere Dame, die über Magenschmerzen
klagte. Dieselben gingen stets von einem bestimmten Punkte
aus, wurden als „brennend“ bezeichnet und schienen nicht ganz
unabhängig von der Nahrungsaufnahme zu sein. In der Nacht
wurde der Schlaf durch Schmerzattaquen unterbrochen. Appetit
war nicht alterirt, Flrbreehen bestand nicht. Patientin war gracil
gebaut, ziemlich anaemisch, bot aber sonst nichts von Bedeutung,
ausser einem in der Mittellinie lokalisirten, eng umgrenzten
Druckpunkt, der bei ganz geringer Impression zu lauten Schmerz-
äussenmgen und dem bekannten Verzerren des Gesichtes Anlass
gab. Die Ulcusdiagnose schien mir so berechtigt, dass ich Patien¬
tin sofort zu einer typischen Kur veranlasste. Später erfuhr ich,
dass Ewald kurz vorher bei der Patientin dieselbe Diagnose
gestellt hatte. .Ungeachtet dieser Rückenstärkung musste ich sie
doch nach 3 Wochen als falsch zurückziehen. ; Die durchaus exakt
durehgeführte Ulcuskur misslang vollkommen; ich kam, was
anamnestisch nicht zu eruiren gewesen war, immer mehr dahinter,
dass die Schmerzanfälle sich nur dann nach der Nahrungsauf¬
nahme richteten, wenn gleichzeitige psychische Erregungen
irgend welcher Art eintraten. Obwohl objektiv Lago und Em¬
pfindlichkeit dos Selunerzpunktes die gleiche blieben, musste ich
meine Diagnose doch fallen lassen, nachdem ich, zweimal wegen
besonders schwerer Schmerzen telephonisch gerufen, die Schmer¬
zen nach kurzem Zuspruch oder gleidhgiltiger Unterhaltung
schwinden sah. Schliesslich wurde es typisch, dass die Schmer¬
zen in Gegenwart des Arztes schwanden und die Diagnose der
nervösen Gastralgic drängte sich von selber auf. Ein daraufhin
völlig verändertes Fknähiungsregime und Bndenufrnthalt an der
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6. August 1901.
MIT EN ClIEN ER MEDICINLSCHE WOCHENSCHRIFT.
1291
Ostsee waren von ausgezeichnetem Erfolge. Trotz dieser sehr
lehrreichen Erfahrung, wird mir heute gelegentlich die Differen-
tialdiagnose prima vista nieht leichter; und ein Abwarten, wie
sich die Dinge weiterhin gestalten werden, befriedigt den Wunsch
nach möglichster Exaktheit wenig, ist in vielen Fällen aus äusse¬
ren Gründen nicht durchführbar und wird schliesslich, ähnlich
wie bei der l’tose, den Gesammtorganismus eher schädigen als
ihm nützen. Wer nun die Resultate verfolgt, die sich bei der¬
artigen nervösen Gastralgien aus der Ausheberung des Magen¬
inhaltes ergeben, wird sehen, dass da von irgend welchem Typus,
der eine exakte Scheidung gegen die Sekretionsverhältnisse bei
I leus pepticum zuliesse, nichts zu finden ist. In vielen Fällen
stützen wir die Diagnose der nervösen Gastralgie gerade auf das
Fehlen jeder für uns nachweisbaren Abweichung in der sekre¬
torischen und motorischen Leistungsfähigkeit des Magens. In
anderen ist namentlich der Ablauf der Drüsenfunktion stark
alterirt. Wenn man beobachtet., wie häufig namentlich bei
anaemischen und nervös reizbaren Individuen auf der Höhe der
Verdauungsarbeit erhöhte. Säurewerthe gefunden werden, so wird
man sich durch diesen Befund an sich nicht zur Diagnose des
Ficus drängen lassen. Die Arbeiten von Maurer, Grüne,
Ri tter und Hirsch, Lenhartz und Anderen auf diesem
Gebiete sind sehr lehrreich. Eine neuere Arbeit EI s n e r's
ans dem B o a s’schen Laboratorium weist auf die Schwankungen
hin. die die Drüsenthätigkeit bei menstruirenden Frauen erleidet
und zwingt zu grosser Vorsicht bei Verwerthung dt» Sondirungs-
resultatcs. 'Aus dem ein- oder mehrfachen Befunde erhöhter
Säurewerthe in solchen fraglichen Fällen die Diagnose zu Gun¬
sten von Ulcus stellen zu wollen, ist jedenfalls unzulässig; es
würde solchem Befunde höchstens bei wochen- und monatelanger
Beobachtung ein gewisses Gewicht zuzuschreiben sein, da ja be¬
kanntlich es oft genug vorkommt, dass bei nervösen Affektionen
der durch Tage hindurch erhobene Befund hoher Säurezahleu
gefolgt ist von einem gelegentlich recht schnellen Abfall dieser
Werthe bis zur Anacidität. Für die tägliche Praxis möchte ich
nach alledem folgende Stellung vertreten: Hyperacide Werthe
werden nicht gegen Neurose sprechen; subacide oder normale
Werthe werden, mit höchster Vorsicht verwerthet, höchstens in
solchen Fällen die Ulcusdiagnose miwahrscheinlich machen, wo
die Krankheitserscheinungen jüngeren Datums sind.
Eine ähnlich geringe Rolle spielt die Sonde dort, wo es gilt,
Ulcus pepticum und Cholelithiasis zu differenziren. In einer in
Virehow’s Archiv von Leva veröffentlichten Arbeit über das
Verhalten der Magenfunktionen bei verschiedenen Leberkrank¬
heiten ist der Standpunkt vertreten, dass bei Cholelithiasis der
Gehalt des Mageninhaltes an HCl entweder normal oder etwas
vermindert sei. Das letztere wird namentlich dort der Fall
sein, wo in Blut und Gewebe übergetretene Galle die Thätigkeit
der Drüsen hemmt, wie die Analogie des Magenbefundes bei
Ikterus catarrhalis beweist. Indessen kommt gerade in diesen
Fällen eine Differentialdiagnose ernstlich nicht in Frage. Bei
Patienten, die eine merkliche Gallenstauung nicht bieten, wird
die Drüsenthätigkeit der Magenschleimhaut nur dort vermindert
sein, wo parallele Processe innerhalb der Drüsonschicht oder in
der Gesammtkonstitution des Körpers liegende Gründe das be¬
dingen. In dem Handbuch der Leberkrankheiten von Quincke
und lloppe-Seylor von 1899 ist bei Besprechung der Diffe¬
rentialdiagnose zwischen Ulcus und Cholelithiasis der Magen¬
inhalt überhaupt nicht erwälmt; er bietet eben keine irgendwie
typischeren Verhältnisse. Der Befund von Galle im Magen ist
bekanntlich auch nicht ausschlaggebend für Gallenleiden, da er
l>ei Ulcus mit schwerer Brechneigung gar nicht selten erhoben
werden kann. Andererseits kommt es nach dem, was ich gesehen
habe, recht häufig vor, dass das frisch Erbrochene von Patienten,
die an Cholelithiasis leiden, exorbitant hohe Säuregrade aufweist.
Gerade durch das quälende Würgen sind solche hohe Aciditäts¬
zahlen unschwer zu erklären, wenn man nicht nebenbei annehmen
will, dass auf nervösem Wege die Arbeit der Magendrüsen an¬
gespornt wird, oder dass zeitweilige motorische Störungen ihr zu
Grunde liegen, in ähnlicher Weise, wie ich mir die vermehrten
Säurewerthe bei Ulcus erkläre. Hält man daran fest, dass gerade
die Fälle die Differentialdiagnose besonders nothwendig machen,
in denen die Beschwerden nicht die Form typischer Anfälle
haben, in denen dauernd Schmerz, Druck, Erbrechen etc. bestellt,
m wird man zugeben müssen, dass der auf die Magenschleimhaut
wirkende Reiz, der zu erhöhter Arbeit führt, bei solchen Fällen
verkappter Cholelithiasis ebenso besteht, wie bei Ulcus, voraus¬
gesetzt, dass man sieh nicht der Ansicht anschliesst, nach der die
bei Ulcus häufig nachweisbare Hyperacidität das Produkt eines
primären oder sekundären Katarrhs ist. Es wird also mindestens
gewagt bleiben, die Diagnose Cholelithiasis oder Ulcus, wo sic
durch andere Mittel nicht sicher zu stellen ist, etwa durch
Eruirung des Mageninhaltes entscheiden zu wollen.
Eine bei Weitem wichtigere Rolle als bei den bisher be¬
sprochenen Erkrankungen spielt der Säurebefund dort, wo wir
vor die NothWendigkeit gestellt sind, Ulcus gegen Carcinom ab-
zugrenzen. Seit der ersten Publikation v. d. Veldon’s vom
Jahre 1879 hat die Frage, nach der Drüsenthätigkeit bei Carcinom
des Magens die Forscher sehr intensiv beschäftigt. Und wenn
auch die Hoffnung, in der Anacidität de» Mageninhalts, bezüglich
in dem Fehlen freier Salzsäure ein untrügliches Zeichen für den
malignen Process gefunden zu haben, bald aufgegeben werden
musste, so wissen wir heute doch, dass nicht weniger als 80 bis
90 Proe. der Careinomfälle in einem Stadium, wo sie ärztliche
Hilfe nachsuchen, an starkem Säuredefizit leiden. In der dritten
Auflage seines Handbuches vom Jahre 1896 sagt Boas: „Leider
ist dasFehlen freier Salzsäure, wie die zunehmenden Erfahrung. 1 !!
der letzten Jahre gezeigt haben, ein ebenso wenig für Krebs des
Magens charakteristisches Zeichen, als es etwa umgekehrt die
Superacidität für Ulcus ist“. Dieser Satz ist im Sinne der
Krebsdiagnose unanfechtbar, da es eben noch andereErkrankungs-
fonnen genug gibt, wo durch lokale oder allgemeine Ursachen
die Drüsenfunktion beinträchtigt ist. Wo es sich aber nicht allein
um die Frage handelt, ob Krebs oder kein Krebs, sondern wo die
Frage präzis lautet: Krebs oder Ulcus? dort bleibt der Säure¬
befund ausserordentlich wichtig. Die Einschränkung für diese
Behauptung liegt einmal darin, dass, wie oben bereits erwähnt,
ganz vereinzelte Ulcora sieh bei subaeidein Mageninhalte ent¬
wickeln. und dass sieh eine nicht unbeträchtliche Zahl von Fällen
findet, wo das längere Bestehen von Ulcus je nach seiner Lokali¬
sation, oder gewisse Folgeerseheinungen des Ulcus allgemeiner
Natur, ein Ilerahsinken der Aciditätszahlen verursachen; sie
liegt weiterhin in der Thatsache, dass einzelne Carcinome bis zu
letzt freie Salzsäure, die Ulcuscarcinome häufig sogar im Ueber-
sc.huss aufweisen. Ich will Sie nicht mit den neueren ausführ¬
lichen Arbeiten, unter denen liier besonders die von Rosen heim
und Schneider zu verwerthen sind, und mit dem überreich¬
lichen Zahlenmaterial ermüden, aber der Satz, dass die eben er¬
wähnten Einschränkungen nicht allzuschwer in’s Gewicht fallen,
lässt sich wohl mit gutem Rechte vertheidigen. Einzelne Fälle
werden eben nach wie vor jedem Versuche einer prompten
Differcnzirung spotten und sich höchstens bei längerer Beob¬
achtung entscheiden lassen. Derjenigen Fälle, bei denen anfäng¬
lich für malign gehaltene Tumoren sich unter ausschlaggebender
Beobachtung des Sondirungsresultates als mehr oder weniger
harmlose Schwielen, die ihr Bestehen einem alten Ulcus ver¬
dankten, entpuppten, und der sich darauf aufbauenden schönen
Operationsresultate werden sich namentlich die Herren Chirurgen
erinnern. Streng genommen gehören diese Fälle indessen nieht
in diese Besprechung. Um nicht weitschweifig zu werden, möchte
ich mich mit diesen skizzenhaften Sätzen über die Differential-
diagnose zwischen Ulcus und Carcinom begnügen und hoffe, dass
ich in dem hier in Frage kommenden Zusammenhänge trotzdem
nicht missverstanden werde.
Ich fasse das bisher Gesagte in folgenden Sätzen zusammen:
Bei der Mehrzahl der Fälle von Ulcus pepticum sind ge¬
steigerte Aciditäts-Grade nachweisbar. Diese Thatsache spielt
eine ausschlaggebende Rolle bei Abgrenzung gegen Phthisis
mucosae und ist weiterhin von grosser Bedeutung bei Differen-
zirung gegen Carcinom. Wo es sich etwa um Atonie, Gastro-
ptose, Cholelithiasis handeln könnte, ist aus dem Befunde er¬
höhter Acidität irgend welcher bündige Schluss nicht zu ziehen.
Bei Abgrenzung gegen Neurose kommt diesem Befunde höchstens
bei längerer Beobachtungszeit eine geringe Bedeutung zu. Der
an sieh sehr interessante Befund verstärkter Drüsenthätigkeit
hei Ulcus bringt, uns also nur dort, wesentliche differential-
diagnostische Vortheilo, wo die Krankheitsorseheiinnigen evenf.
auch die Diagnose Carcinom oder Gastritis atrophicans zulassen
würden. Gelegentlicher Blutbefund sichert die Diagnose eines
ulecrativen Processes, der an sieh ebenso gut. durch Carcinom,
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
wie durch Ulcus verursacht sein kann. Unter gleichzeitiger Be¬
achtung der Sekretionsverhältnisse wird er zu einem ausschlag¬
gebenden Merkmale werden können, wenn man mit Sicherheit
eine arteficielle Blutung ausschalten kann.
(Schluss folgt)
Beiträge zur Behandlung der motorischen Aphasie
nach cerebralen Störungen.
Von Dr. V i d a 1, Specialarzt für Sprachstörungen in München.
Während die aphasischen Störungen in diagnostischer und
symptomatologisclier Beziehung eines der bestbearbeiteten Gebiete
der medicinischen Wissenschaft darstellen, hat die Therapie dieser
Störungen auffälliger Weise bisher nur sehr wenig Beachtung
gefunden. Es besteht noch vielfach in ärztlichen Kreisen die
Ansicht, dass diese Zustände unheilbar seien, wenn sie sich unter
der üblichen Allgemeinbehandlung nicht bessern. In dem all¬
gemein verbreiteten Lehrbuche von Strümpell ist neben der
Anwendung von Bädern, Elektricität etc. die direkte Inangriff¬
nahme der Aphasie gar nicht erwähnt. Und auch in dem um¬
fangreicheren Handbuche von Penzoldt-Stintzing finden
sich nur kurze Angaben. Der Einzige, welcher sich in neuerer
Zeit mit dieser Frage eingehend beschäftigt hat, ist H. Gutz-
m a n n (Arch. f. Psychiatrie 1896) und auch er verfügt nur über
eine geringe Anzahl von Fällen. Obwohl nun seine Resultate
sehr ermuthigend zu weiteren Versuchen waren, so scheinen sie
doch nur wenig Beachtung gefunden zu haben, zum Theil wohl,
weil sie erschienen sind in einer Zeitschrift, welche nur von einem
kleinen Kreise von Specialisten gelesen zu werden pflegt *). In
wie hohem Maasse aber Gutzmann von dem Resultate seiner
Bemühungen befriedigt war, geht hervor aus der Schlussbetrach¬
tung in seinem Werke: „Vorlesungen über die Störungen der
Spracho“. Es heisst dort, er habe durch den Erfolg ausserordent¬
lich ermuthigt, nur bedauert, nicht öfter in die Lage gekommen
zu sein, die Uebungen bei solchen Kranken anzuwenden.
Thatsächlich gibt es auch weinige Gebiete, welche dem
direkten Eingreifen des Arztes oft ein so lohnendes Feld eröffnen,
wie die motorische Aphasie. Und die Dankbarkeit des Patienten,
der von einem sprachlosen, dem Verkehre entzogenen Menschen
zu einem sprechenden umgewandelt wird, ist eine grosse.
Ich muss hier nun gleich auf einen Einwand edngehen,
welcher sicher von vielen Seiten gemacht werden wird, dass
nämlich die Aphasie, wo sie geheilt wurde, sich auch ohne Be¬
handlung von selbst gebessert hätte. Allein schon Gutzmann
hat an einer Reihe von Fällen die Unrichtigkeit dieser Annahme
bewiesen. Obwohl bei 5 seiner Patienten die Aphasie seit
3 Monaten bis 10 Jahren unverändert bestand, so besserte sich
dieselbe doch mehr oder weniger rasch unter seiner Behandlung.
Meine Fälle bestanden zwar nicht so lange Zeit. Aber es liess
sich leicht beobachten, dass die Besserung der Patienten in Bezug
auf ihr Sprachvcrmögen gleichen Schritt hielt mit der Behand¬
lung, und dasß sie immer nur diejenigen Laute und Lautver¬
bindungen zu sprechen vermochten, welche geübt waren, andere
dagegen nicht. Es beweist dieses doch zum Mindesten, dass sich
die Sprachstörung ohne direkte Behandlung, wenn überhaupt, so
doch sicher wesentlich langsamer gehoben hätte.
Nach allem Gesagten dürfte es wohl genügend gerechtfertigt
erscheinen, wenn ich das Resultat einer Reihe von Beobachtungen
über die Behandlung Aphasischer mittheile und zum Schlüsse
auf einen besonders interessanten Fall etwas näher eingehe.
Schon oft haben einige Aerzte versucht, aphasische Pa¬
tienten einzelne Laute und Worte nachzusprechen und auf diese
Weise erlernen zu lassen. Der mangelhafte Erfolg dieser Be¬
mühungen war aber die "Ursache dafür, dass sie bald von weiteren
Versuchen absahen. Thatsächlich habe ich mich auch davon
überzeugt, dass man ohne ein systematisches Vorgehen nichts
erreicht. Die Hauptsache ist, dass man herausfindet, wo eigent¬
lich der Fehler zu suchen ist. Wir haben z. B. einen Kranken
vor uns, der einige Worte zu sprechen vermag, andere wieder
nicht, der z. ß. die Zahlen 16 und 17 herausbringt, die scheinbar
•) Anmerkung bei der Korrektur: „Inzwischen Ist noch
ein Aufsatz von Gutzmann über denselben Gegenstand er¬
schienen (ßerl. klln. Wochenschr. 1901, No. 28, S. 739), In welchem
er zu ähnlichen Resultaten kommt wie Ich. Nur empfiehlt er
noch als Vorübung eine Art Gymnastik der Sprachwerkzeuge.
welche mir auch als recht praktisch erscheint."
viel leichteren 11 und 18 dagegen nicht. Wir bemühen uns
lange vergeblich um eine Erklärung für dieses auffällige Ver¬
halten. Endlich bemerken wir, dass dem Betreffenden särnmt-
liche Vokale und zwar nur im Anlaute fehlen, dass er ebenso
wenig die Worte Ente, Engel, Anton zu sprechen vermag. Damit
ist aber auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Behandlung
gegeben. Man übt jetzt die fehlenden Laute und Lautreihen
nach den Gesetzen der Sprachphysiologie ein. Häufiger noch als
die Vokale fehlen die Konsonanten des zweiten und dritten Arti-
culationssystemes ganz oder theilweise. Das „ch“ und „k“ z. B.
sind nur höchst selten vorhanden. Andererseits ist mir auch ein
Fall vorgekommen, wo nur die scheinbar sehr leichten Lippen¬
laute „p, b, f, w“ fehlten.
Sehr wichtig für einen guten und schnellen Erfolg ist es,
dass man den Patienten von vomeherein daran gewöhnt, genau
auf den Mund des Vorsprechenden zu achten. Damit er aber
auch an sich selbst die Bewegungen kontroliren kann, ist der
Gebrauch des Spiegels unerlässlich.
Ueber Schreibübungen mit der linken Hand, welche Gutz¬
mann warm empfiehlt zur Unterstützung bei der Ausbildung
eines neuen, rechtsseitigen Sprachcentrums, fehlen mir Erfahr¬
ungen, da ich der Ansicht war, dass das Erlernen des Schreibens
mit der linken Hand für die meisten Aphasischen, die doch
gebrechlich oder in höherem Alter zu sein pflegen, eine zu grosse
Anstrengung bedeute.
Das Wesentlichste für die Prognose ist die Art der Sprach¬
störung. Die besten Aussichten bieten die rein motorischen
Aphasien, während die anamnestischen wegen der damit ver¬
bundenen Gedächtnissschwäche naturgemäss den Bemühungen
des Arztes grösseren Widerstand entgegensetzen. Rein sen¬
sorische Aphasie kommt selten zur Beobachtung. Ich muss hier
auf Grund meiner Erfahrungen den Ansichten von K u s 8 m a u 1
entgegentreten, welcher den einfachen Erinnerungsaphasien eine
bessere Prognose gibt, als den ataktischen. Nach meinen Be¬
obachtungen ist gerade die Störung des Gedächtnisses ein sehr
erschwerender Umstand. Es sind mir wiederholt Patienten zu
Gesicht gekommen, welche keine motorische, sondern eine reiu
amnestische Aphasie besassen, welchen aber etwas beizubringen
aus demselben Grunde sehr schwer fiel. Sie sprachen zwar das
Wort Stuhl, wenn man es ihnen vorsprach, richtig nach, ver¬
standen auch genau die Bedeutung des Wortes; wies man aber
nach einer Stunde auf den Stuhl und fragte sie nach der Be¬
nennung, so hatten sie das Wort wieder vergessen; und selbst die
ausdauerndsten Bemühungen hatten keine erheblichen Resultate.
Ein Kranker dieser Art konnte zwar, wenn man auf einen Pan¬
toffel wies, für diesen die Bezeichnung „Schlappschuh“ sagen,
zeigte man ihm dann einen einfachen Lederschuh, so konnte er
sich für diesen der einfacheren Bezeichnung „Schuh“ nicht ent¬
sinnen. Ein anderer Kranker dagegen, welcher fast kein Wort
zu sprechen vermochte, wegen motorischer Störung, erlangte in
wenigen Wochen fast die ganze Sprache wieder, weil ihn das
Gcdächtniss nicht im Stiche liess, und er, was er gelernt hatte,
nicht leicht wieder vergass.
Ein weiterer Punkt, der öfter Schwierigkeiten bereitet, ist
der, dass die Patienten stärkere geistige Anspannung in Folge
der vorangegangenen Apoplexie nicht vertragen. Einen Fall
meiner Behandlung mit rein motorischer Aphasie, der Anfangs
sehr günstige Fortschritte machte, musste ich entlassen, weil
jedesmal, selbst nach kurzdauernden Uebungen, starke Kopf-
selimerzen auftraten.
Zinn Schlüsse möchte ich einen recht interessanten Fall noch
etwas näher besprechen:
Herr F., 62 Jahre alt, erlitt Anfang April 1901 eine Embolie des
Gehirns. Nach Rückkehr des Bewusstseins zeigte sich, dass nur
eine leichte Verlangsamung des Denkens und eine erhebliche
Sprachstörung geblieben waren. 8 Tage später sah Ich den Patien¬
ten und konstatlrte folgenden Befund: In der Unterhaltung ver¬
mag er nur wenige Worte vollständig messend zu sprechen, manche
nur unter vielfachem Anstossen und andere überhaupt nicht. Er
Ist daher gezwungen, ständig Bleistift und Papier bei der Hand
zu haben, um sich zu verständigen. Die Schriftsprache Ist ebenso
wie das Verständniss für das Gesprochene und das Gedächtnis»
fast gar nicht gestört. Besonders auffällig Ist folgende Erschei¬
nung: Lasse Ich den Patienten die Zahl 18 sprechen, so vermag
er es nicht. Es geht aber sofort, wenn er die Zahlenreihe hersagt,
auch gibt er an, dass die Zahl auf 17 folge, vor 19 komme und auf
französisch dlx-huit heisse. Trotzdem vermag er die einzelne Zahl
18, auch wenn man sie Ihm wiederholt vorsagt, nicht nachzu-
gpreeben. Ueberhaupt zeigt sich die Aphasie weniger in der frau-
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6. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1293
söslscben als ln der deutschen Sprache, und oft vermag er den
französischen Ansdruck anzugeben, wo Ihm der deutsche fehlt.
Am auffälligsten Ist es, dass Ihm manche Worte im Zusammen¬
hänge gar keine Schwierigkeiten bereiten, die er einzeln nicht
einmal nachzusprechen vermag.
Die weitere Untersuchung ergibt ein Fehlen einzelner Vokale
(e, I) und der meisten Explosiv- und Reibelaute des zweiten und
dritten Articulationssystemes. An der ersten Artlculatlonsstelle
fehlen nur die Reibelaute. Solche Worte, ln denen die genannten
Laute nicht Vorkommen, bildet er ganz normal.
Bel der Behandlung begann Ich damit, dem Kranken zunächst
die Elemente der Lautbildung beizubringen, Indem Ich ihn die
beim Sprechen In Betracht kommenden Lippen-, Kiefer-, Zungen-
und Kehlkopfbewegungen an mir und an sich selbst studlren lless.
Dann ging Ich zu den Vokalstellungen und den Lippenlauten Uber,
welche alle noch gut sichtbar sind. Weiter beobachtete ich kein
ganz systematisches Vorgehen, sondern hielt es für besser, die
Laute einzuüben, wie sie sich zufällig ergaben. Fand sich bei der
Uebnng des Explosivlautes „A“, dass statt desselben das „sch“
gebildet wurde, so habe Ich dieses zunächst festgehalten, bis Ich
wieder auf das „A“ zurückkam.
Nach Einübung der einzelnen Laute ergab sich eine weitere
Schwierigkeit bei der Verbindung derselben zu Silben, und nament¬
lich mehrsilbige Wörter mit Konsonantenanhäufungen erforderten
eine grosse Geduld. Besonders hinderlich war der Umstand, dass
der etwas sonderbare alte Herr sich nicht dazu verstehen wollte,
die Worte Anfangs langsam zu sprechen, sondern Immer gleich
zu der schnellen messenden Rede überzugehen strebte, wobei er
natürlich leichter anstiess.
Der Erfolg der Behandlung zeigte sich darin, dass er sich
schon nach 2 Wochen leidlich ln der Unterhaltung auszudrücken
vermochte und nur noch bei schweren Worten anstiess. Nach
5 Wochen erkannte man das Uberstandene Leiden fast nur noch
an einer etwas zögernden Sprache, wie sie sich vielfach bei Apo¬
plektikern findet und an geringen Schwierigkeiten bei den aller-
konipllzirtesten Worten.
Zwei Fälle von Karbolgangraen.
Von Knappschaftsarzt Dr. Fischer in Castrop.
Wenn ich durch die Veröffentlichung zweier Fälle von
Karbolgangraen die Kasuistik derselben hiermit bereichere, so
geschieht dies hauptsächlich wegen der familiären Beziehungen,
die zwischen den beiden davon betroffenen Patienten bestehen.
Es handelt sich um ein Brüderpaar, das wegen geringfügiger
Fingerverletzung ein und dieselbe im Handverkauf .aus der Apo¬
theke käuflich erworbene Karbollösung ohne ärztliche Verordnung
sich applizirte.
1. August M., 24 Jahre, Bergmann, zog sich am 20. II. 01
durch Ritzen an einem spitzen Eisen am rechten V. Finger eine
kleine Wunde zu, die er mit einem dünnen, ln Karbolwasser ge¬
tunkten leinenen Lappen lose verband.
Bel der 1. Konsultation am 22. II. 01, Abends, folgender
Befund: Die beiden Endglieder des Fingers mumlflzirt; Demar¬
kationslinie ln der Höhe des I. Interphalangealgelenkes; an Volar¬
seite ca. 8 cm lange oberflächliche Wunde. Sonst gesund und
niemals krank gewesen.
2. Gustav M., 25 Jahre, Bergmann, quetschte sich am 7. II. 01
den linken II. Finger zwischen Förderkorb und Thorklinke, achtete
die hierbei erlittene unwesentliche Wunde und Lockerung des
Fingernagels in den ersten Tagen nach der Verletzung nicht, um
erst am 20. II. mit derselben Karbollösung durch zweimalige An¬
wendung ln derselben Welse wie oben eine „raschere Heilung“
zu erzielen.
Befund am 28. II., Morgens, bei der 1. Konsultation: Die beiden
Endglieder vertrocknet, brandig; Demarkationslinie ln Höhe des
I. Interphalangealgelenkes; Nagel thellwelse losgelöst, unschein¬
bare Wunde an Dorsalseite.
Sonst gesund und nie krank gewesen.
In beiden Fällen, die zeitlich so rasch einander folgten, wurde
trotz der nur geringfügigen Welchtheilverletzuug und trotz der
nur kurze Zelt währenden Applikation des Karbolwassers schliess¬
lich die Exartikulation der verletzten Finger erforderlich, die beide
Brüder zu Unfalllnvaliden machte. Der Anfangs meinerseits ge¬
hegte Verdacht auf eine vom Apotheker zu stark abgegebene
Karbollösung konnte zerstreut werden durch eine genaue Titration
der gebrauchten Lösung, die eine Konzentratlou von 1,7 Proc.
ergab.
Zieht man in Betracht, dass beide Brüder sonstiger körper¬
licher Mängel entbehrten, dann liegt, so scherzhaft es auch klingen
mag, der Gedanke an eine „familiäre Idiosynkrasie gegen Karbol¬
säure“ sehr nahe.
Für ärztliche Kreise ist die üble Begleiterscheinung der Kar¬
bolumschläge wohl eine allbekannte Thatsache, ein überwundener
Standpunkt, und es werden durch die vielen bisher veröffent¬
lichten Fälle von Karbolgangraen die Herren Kollegen und
früheren Anhänger der Karbolumschläge wohl vor deren An¬
wendung genügend gewarnt sein; aber leider ist in Laienkreisen
immer noch der Glaube an die unfehlbar wirkende Heilkraft
dieses fast in jeder Familie zu findenden Allheilmittels zu tief
und festgewurzelt, und wird auch wohl nicht eher zerstört werden,
bis endlich das Verbot der Abgabe auch des offic. 3 proc. Karbol¬
wassers im Handverkauf von maassgebender Stelle eingeführt
werden wird. Dass dieser Forderung bisher noch so wenig Gehör
geschenkt wurde, ist allerdings sehr bedauerlich und kaum zu
verstehen.
Referate und Bücheranzeigen.
Jahrbuch der praktischen Medicin. Kritischer Jahres¬
bericht für die Fortbildung der praktischen Aerzte. Heraus¬
gegeben von Dr. J. Schwalbe in Berlin. Jahrgang 1901.
Stuttgart, Verlag von E. Enke, 1901. Preis 10 M.
Das bekannte Werk, das hiemit in seinem 23. Jahrgange
erscheint, prnsentirt sich innerlich und üusserlich in wesentlich
veränderter Gestalt. Nicht nur, dass e6 in e i n e m geschlossenen
Bande von 560 Seiten, nicht mehr in einzelnen Heften vorliegt
und der Preis eine wesentliche Reduktion erfahren hat, was für
seine Verbreitung in den Kreisen der praktischen Aerzte auch
ein Moment von einiger Bedeutung werden dürfte, ist in die Zahl
seiner Mitarbeiter eine Anzahl neuer hervorragender Autoren
eingetreten, welche im Verein mit den früheren die vollste Garan¬
tie bieten, dass der Herausgeber die von ihm angestrebten Ver¬
änderungen im Inhalte seines so verdienstvollen Ueberaichts-
werkes auch in bester Weise wird durchführen können. Die ein¬
zelnen Aufsätze sind nicht mehr wie früher in loser Form ein¬
fach referirt, sondern jeder Abschnitt ist von seinem Bearbeiter
zu einem in sich abgerundeten und zu einem zusammenhängen¬
den Ganzen verschmolzenen Sammelreferat gestaltet, die Re-
ferirung weniger wichtiger Arbeiten ist unterlassen, so dass dem
Leser dieser unnütze Ballast zu lesen erspart bleibt, auch alle rein
theoretischen Arbeiten sind ausgeschieden worden, so dass in
knappster Form dem nachschlagenden Arzte ein Bild des im
Laufe des Jahres geschehenen Fortschrittes entgegentritt. Die
Eintheilung des gesammten Stoffes ist umgestaltet. In der jetzt
geschaffenen Form ist das S c h w a 1 b e’sche Jahrbuch ein ganz
ausgezeichnetes Fortbildungsmittel für jeden Arzt, der sich über
den Weitergang seiner Wissenschaft unterrichten will. Es ver¬
dient die vom Herausgeber erhoffte weitere Verbreitung im her¬
vorragenden Maasse. Grassmann - München.
Ad. Schmidt und J. Strasburger: Die Faeces des
Menschen im normalen und krankhaften Zustande mit be¬
sonderer Berücksichtigung der klinischen Untersuchungs¬
methoden. Berlin 1901, Verlag von August Hirschwald.
1. und 2. Abschnitt: Die makroskopische und mikroskopische
Untersuchung der Faeces, von Prof. Ad. Schmidt.
Nach einigen Bemerkungen über die allgemeine Zusammen¬
setzung der Faeces und Methodik der Untersuchung, aus der
die von beiden Autoren angegebene „P r o b e d i ä t“ hervorzu¬
heben ist, bespricht Schmidt ausführlich die makro¬
skopische, darauf die mikroskopische Unter¬
suchung der Faeces. Er verfolgt dabei die Absicht,
einmal das gesammte auf diesem Gebiete zur Zeit existirende
wissenschaftliche Material als Unterlage für die weitere
Forschung zusammenzustellen, zugleich aber eine den Be¬
dürfnissen des Praktikers entsprechende Dia¬
gnostik zu schaffen, soweit dies heute möglich ist. Diesem
doppelten Zwecke kommt die sehr übersichtliche Anordnung des
Stoffs zu Gute, indem bei jedem Punkt schlieeslich die diagnosti¬
schen Gesichtspunkte im Zusammenhang abgehandelt werden.
Und gerade in dem bisher von keiner anderen Seite in
solchem Maasse durchgeführten Versuch einer diagnostischen
Vorwerthung der gemachten Befunde ist wohl die hauptsäch¬
lichste Bedeutung der S c h m i d t’schen Monographie zu er¬
blicken. Die der Diagnostik gewidmeten Abhandlungen zeigen
zwar von Neuem, wie lückenhaft unser Wissen auch heute noch
ist, sie lassen aber doch die nicht unwesentlichen Fortschritte
erkennen, die gerade die letzten Jahre und nicht zum Wenigsten
die Arbeiten S c h m i d t’s selbst und seiner Schüler gebracht
haben.
Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht möglich, es ge¬
nüge hervorzuheben die Bedeutung der Ausscheidung von
Muskel - und Bindegewebsresten, der verschiedenen
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1294 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 32.
Formen der Fettausscheidung, die Kritik der ein¬
zelnen Arten des Schleims, die manche ältere An¬
gaben beseitigen dürfte.
Welche Fülle von Material in dem 1. Hefte der Schmidt-
StrasburgerVehcn Koprologie enthalten ist, zeigt, schon ein
flüchtiger Vergleich mit dem Kapitel „Faeces“ unserer Lehr¬
bücher.
So dürfen wir den folgenden Heften mit Interesse entgegen¬
sehen. Schütz- Wiesbaden.
Dr. med. Johann K a 1 a b i n - Moskau: Beiträge zur Frage
über die Behandlung der entzündlichen Erkrankungen der Ge¬
bärmutteradnexe mit dem galvanischen und dem faradischen
Strome. Jena 1901. Verlag von Gustav Fischer.
Der Verfasser schreibt über die Verwendung der Elektriei-
tiit bei der Behandlung der verschiedenen Entzündungsformen
der Gebärmutter und deren Adnexe, deren erste Fälle von den
amerikanischen Aerzten M u n d e, Martin u. A. veröffentlicht
wurden.
Der wohlthätige Einfluss des galvanischen Stromes sei durch
dessen chemische Wirkung zu erklären.
Munde wendet Elektricität seit 1875 an und behandelt alle
Fälle von Entzündung der Gebärmutter und Adnexe galvanisch,
ehe er zur Laparotomie schreitet. Bei Eierstockentzündungen
heilen äussere, abloukcnde Mittel nach Mund e’s Beobachtungen
niemals, während die elektrische Behandlung vortreffliche Wir¬
kung erzielt.
An der Hand eines überraschend reich zusammenge.-ieilten
Auszuges der einschlägigen Literatur, mit besonderer Berück¬
sichtigung von A p o s t o 1 i's Beobachtungen, weist der Verfasser
an 410 Fällen, welche fast- das gesummte Gebiet der weiblichen
Genitalerkrankungen umfassen, die im Grossen und Ganzen
vorzüglicho Wirkung der elektrischen Behandlung nach. Nur bei
Pyosalpinx räth er von derselben entschieden ab. Hier sind in
24 Fällen 5 Verschlimmerungen und 1 Todesfall eingetreten,
wesshalb hier unbedingt operirt werden müsse. Der Autor kommt
dann ausführlich zu den Resultaten der von ihm angewandten
Elektrotherapie, mit welcher er sich seit 1886 beschäftigt. Die
von ihm angeführten Fälle sind seiner Privatpraxis von 1886 bis
1898 entnommen.
Salpingitis und Salpingo-Oophoritis behandelte er mit dem
konstanten Strom nach Apostoli, wobei er der vagino-abdomi-
nalen Galvanisation (30 MA) den Vorzug gab. Diese Verwendung
stärkerer Ströme, sowie die intrauterine Galvanisation ver¬
anlasst« oft Zunahme von Schmerzen, wesshalb er diese» Ver¬
fahren ganz aufgegeben hat. Als vaginale Sondenelektrode be¬
nutzt er die modiflzirte Sondenelektrode Apostoli’s, deren
Modell im Jahr«' 1886 nach seinen Angaben von der Firma
R a »umow & Schiller in Moskau angefertigt wurde. Die
Sonde wird vor der Anwendung mit hygroskopischer Watte um¬
wickelt und mit dcstillirtem Wasser befeuchtet. Man führt diese
Elektrode in das der kranken Tube entsprechende Gewölbe ein.
Sind beide Tuben angegriffen, so wird die Sonde in der einen
Sitzung in das rechte, in der folgenden, in das linke Gewölbe ge¬
setzt. Die Sitzungsdauer schwankt zwischen 7 und 15 Minuten.
Als Bauehelektrodo benutzte er Apostoli’s Lehmelektrode.
Die Sitzungen wurden einen Tag um den anderen vorgenommen
uiid die Zahl derselben beträgt 15—30, doch wurde vollständiges
Schwinden der Geschwulst, nach diesen Sitzungen nicht be¬
obachtet.
Zur Galvanisation l>enutzt Verfasser die portative Batterie
von S p a m e r und den Galvanometer von G a i f f e.
Der wnhlthiitigo Einfluss dos konstanten Stromes beruht
nach Verfasser auf 1. der Kontraktion der Tubenwände sowie
Effusion ihres Inhaltes in das (’avum Uteri und die Vagina,
2. auf elektrolytischer und 3. auf bactericider Wirkung.
Die chronischen Entzündungen behandelt Verfasser mit dem
faradischen Strom (portativer Apparat von Taube).
Eine genaue Analyse der einzelnen Fälle würde zu weit
führen, dieselben sind in den Seiten 178 bis 215 enthalten.
Aus den Fällen, welche der Verfasser selbst behandelte,
kommt es zu folgenden Schlüssen.
1. Die Behandlung von Salpingitis und Salpingo-Oophoritis
mit «lern konstanten Strome führt zur völligen oder fast völligen
Heilung.
2. Pyosalpinx erfordert einen chirurgischen Eingriff.
3. Die Blutungen bei Salpingo-Oophoritis hören bei der vagi¬
nalen Galvanisation (Stromstärke 39 MA) auf. Aufhören der
Blutung hängt von der Kauterisirung der inneren Oberfläche
dev Gebärmutter nicht ab.
4. Salpingitis und Salpingo-Oophoritis von Fibromyoraen
der Gebärmutter oder des breiten Bandes begleitet, sollten
besser der elektrischen Behandlung nicht unterworfen werden.
5. In vielen Fällen von Oophoritis (mehr als dio Hälfte der
zusammengestellten) kann die Anwendung des galvanischen oder
des faradischen Stromes zur völligen Heilung führen.
6. Die Anwendung des konstanten Stromes zur Heilung von
Salpingitis et. Salpingo-Oophoritis blennorrhoiea führt in vielen
Fällen zu einem Erfolge (11 von 42 in den Tabellen zusammen-
gestellten Fällen). l)r. Gustav W i e n e r - München.
Neueste Journalliteratur.
Archiv für klinische Chirurgie. C3. Bd., 4. Heft. Berlin,
!1 irsuh wald, 1901.
29) Kukula: Untersuchungen über Autointoxicationen bei
Darmocclusionen. «Böhmische chirurgische Klinik Prag.)
J)ie Experimente Iv.'s dienten zur Klärung der Frage, oh die
bei Ileus zu beobachtenden Allgcmeiiierscheinungeu, das sogeu.
Finkleinnnmgst.vphoid. durch Autoiutoxicatloii hervorgerufen
seien. Der theils vou Menschen mit Ileus, thells von Tlilercn mit
künstlich erzeugtem Dannversohhiss gewonnene Darmluhnlt
wurde keimfrei gemacht und verschiedenen Thiercn subkutan,
iutravnsculiir oder intraperitoneal ein verleibt. Dadurch konnten
constant Vergiftungssyinptome hervorgerufen werden, die den
l>ei Menschen mit Ileus auftretenden IntoxJcationserscheinungen
glichen. K. entscheidet demnach die Anfangs gestellte Frage in
bejahendem Sinne.
Als der beste Weg zur Gewinnung der toxischen Substanz* n
erwies sieh die Alkoholextraction, doch war eine genauere Prä-
cisirung derselben unmöglich; K. ist geneigt, den Darmgaseu.
dem Schwefelwasserstoff und Methylineivaptan eine bedeutende
Bolle zuzuschreiben.
301 H. I. orenz; Unsere Erfolge bei der Badikalbehand-
lung bösartiger Mastdarmgeschwülste. <1. chirurgische l'ui-
versitütsklinik Wien.)
Ausführlicher Bericht über 1ÖX seit ISST operirte Fälle. L.
berechnet lt> Proc. Dnuerhoilungeii. Genaueres muss im Original
nachgesehen, werdi n.
31) B e e 1 y - Berlin: Zur Stumpfbildung bei Amputationen
und Exarticulationen der oberen Extremitäten.
Beschreibung eines Falles von intrauteriner Kxartlculation
der Hand. Der Arm des jetzt 17 jährig« n Mannes endigte in
einen rüsselförudgeu Weichtheilfortsatz. der nach allen Seiten b-
weglieh war und sich durch seine hervorragende Gebrauchsfähig¬
keit auszeichnete. Die Sehnen der sehr gut entwickelten Vorder
arnnniiskeln setzten sicli ln der Haut des Biissels au und ermög¬
lichten so dessen gute Beweglichkeit.
32» Bork: Beitrag zur Kenntniss der Nierenkapsel¬
geschwülste. (Gynäkol. Abtliellung des Krankenhauses der
Elisa bet hinerinnen in Breslau.»
Beschreibung von 2 eigenen, glücklich op.-rirten Fällen und
Zusammenstellung der Literatur. B. fasst seine Ausführungen
folgendennnsKcn zusammen: Die Nicrenknpselgeschwdlste sind
entweder Idpomo bezw. Flbrollponn* «xl«*r Myxtdipome. seltener
Sarkome. Die Lipome sind gutartig»*, die Sarkome selbstreden»!
bösartige Neubildungen, die Myxolipoine stehen auf der Grenz«*.
Die Niere ist. in allen Fällen von Nicreukapselgeschwillston als
gesund befunden worden. Die Exstirpation der Geschwulst lässt
sich meistens mit Erhaltung des harnhildenden Organs bewerk¬
stelligen.
34) Arthur E. Barker- London: Zur Frage der Patellarnaht.
B. näht prinelpiell alle frischen Fülle in »len ersten Stunden
nach der Verletzung. Durch Einstich in der Mitte des Ligani.
patellae wird zuerst der Bluterguss entleert, «hum mittels einer
besonderen Nadel ein Mctnlldraht. um die Enden beider Bruch¬
stücke liermngeführt und geknotet, so dass die Bruchstücke in
einer Drnhtschllnge ruhen. Möglichst bald wird mit Bewegungen
begonnen. Der Draht soll nach 3 - 4 Monaten entfernt werden.
B. hat bisher 21 Fälle mit sehr gutem Uesultat operirt.
35» M. S o h m 1 d t - Cuxhaven: Ueber Hyperemesis lacten-
tium, ihr Verhältniss zur „congenitalen hypertrophischen
Pylorusstenose“ bezw. zum Pylorospasmus und ihre chirurgische
Heilbarkeit durch Ueberdehnung des Pylorus.
Ein Fall von ..unstillbarem Biiiiglingsei-brechen** konnte durch
Dehnung des Pylorus vom Magen aus zur Heilung gebracht
werden. Soli, sicht «larin »len Bew»*is. dass die von Pfaundler
vertreten«* Ansicht richtig ist. «lass nämlich eine eongenital«*
Pylorusliypertrophie nicht exist irt. somh-rn in den publieirten
Füllen nur vorg«*tüuscht wurde durcli einen Spasmus der Bing
inuscuhitur dos Pylorus. die d«*n In-kannten Kraiupfziistünden der
Kurdin, «les Afters u. s. w. analog ist. Gegen interne Behand¬
lung renitent«* Fälle von Hypemm»sis laetentium. die chirurgische
Intervention erfordern, sind (wenigstens zunächst) mit l>lH*r-
«lehuuitg d«*s Pylorus. nicht mit Gastroenterostomie zu behandeln.
Die Dehnung darf nicht unbegrenzt übertrieben wenlen und hat
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6. August 1901. MTJEN CHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1293
<lie normalen Pylorusdurchmesse rgrössen für die verschiedenen
Silugllngsalterestufen zu berücksichtigen.
33) Payr: Weitere Mittheilungen über die blutige Re¬
position veralteter Hüftgelenksverrenkungen bei Erwachsenen.
(Chirurgische Klinik Graz.)
30) Derselbe: Ueber conservative Operationen am Hoden
und Hebenhoden. (Sectionsschnitt des Hodens bei akuter
Orchitis).
37) v. B r u n s - Tübingen: Ueber die Endresultate der Castra¬
tion bei Hodentuberkulose.
38) Baumgarten -Tübingen: Ueber experimentelle Uro¬
genitaltuberkulose.
Die Referate über vorstehende Arbeiten finden sich in dem
Bericht über den 30. Chirurgencongress No. 16—19 dieser Wochen¬
schrift. ^--- H e i n e k e - Leipzig.
Centralblatt für Chirurgie. No. 29 u. 30.
No. 29. C. Hofmann: Die Beleuchtung und Besichtigung
der Speiseröhre mittels Oesophagoskops von der Kardia aus,
retrograde Oesophagoskopie.
Mittheilung eines Falles von ira Anschluss an einen ver¬
schluckten Nagel aufgetretener Striktur, wegen der behufs retro¬
grader Erweiterung eine Magenflstel in der Direction auf die
Kardia zu angebracht worden war. Mit dem Oesophagoskop liess
sich von oben aus der Rand einer narbig granulireuden Stelle
sehen und führte H. desshalb das Oesophagoskop von der Magen¬
flstel durch die Kardia in den Oesophagus. Bei dem gleichzeitigen
Vorschieben einer Sonde vom Munde aus konnte diese als eint
oberhalb der narbigen Stelle eine divertikelartige Ausstülpung vor¬
wölbend und in ihr stecken bleibend leicht festgestellt werden
und erscheint solch’ comblnirte Untersuchung geeignet, in der¬
artigen zweifelhaften Fällen Aufschluss zu geben. Diese retrograde
Oesophagoskopie lässt sich in all’ den Fällen ausführen, in denen
eine Castrostomose so wie so gemacht werden muss, vor Allem
auch dann, wenn letztere als Voroperation vorausgeschickt wird
(W 11 z e 1, H e 1 f e r i c h).
No. 30. B. G o 1 d b e r g - Wildlingen: Cystoskopische Er¬
fahrungen.
G. thellt kurz seine Erfahrungen mit dem Cystoskop mit. Bei
keinem seiner 21 FäUe von Blasengeschwülsten war die Cysto-
skopie unmöglich, manche Blasengeschwülste sind nur cysto-
skopisch diagnosticirbar, bei den meisten hiedurch Ausbreitung.
Form etc., kurz das Detail zu erkennen, das ohne Cystoskop ver¬
schleiert bliebe; fast stets wird die cystoskopische Untersuchung
Vorbedingung operativen Eingreifens darstellen. Bei Blaseu-
steinen ist nur in ca. der Hälfte der Fälle die Cystoskople erforder¬
lich; mit den tastenden und greifenden Instrumenten sind die
Blasensteine fast stets zu erkennen, zur Vermeidung von Miss¬
griffen bei Steinen in Geschwulstblasen und bei inkrustirten Ge¬
schwülsten (Fälle, die 10 Proc. des von G. beobachteten Materials
ausmachen) Ist die Cystoskople geboten. Bei Tuberkulose ist die
grosse Gefahr event Infektion durch das Cystoskop zu berück¬
sichtigen. Von 55 Fällen von Tuberkulose bedurften nur 7 der
Cystoskople. G. empfiehlt, in Blasen, die schon bei geringer Ein¬
spritzung sich contrahiren, vor der Einführung des Cystoskops
50 ccm einer 5 proc. Antipyrinlösung zu bringen und 10—20 Min.
zu belassen, da man weder durch Cocain, noch durch Allgemein¬
narkose eine solche Unempfindlichkeit der Blase für Ausdehnung
herbeiführen kann. Vor Anzünden des Lichtes soll man sich durch
entsprechende schonende Schiebungen und Drehungen über die
longitudinalen, transversalen und sagittalen Durchmesser orien-
tiren. Bel zur Infektion disponlrenden Zuständen (akuten Reten¬
tionen, Haematurien, Tumoren, Tuberkulosen) soll man eine In¬
jektion von i/j—1:1000 Lapislösung nachfolgen lassen. Sehr.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 54. Bd. Heft 1.
1) Ernst Schiff: Heuere Beiträge zur Haematologie der
Heugeborenen. (Aus der geburtshilfl. Klinik in Grosswardeiu.)
Untersuchungen über das speciflsche Gewicht des Blutes der
Neugeborenen, die zu dem Schluss führen, dass dasselbe im Laufe
der ersten 10 Lebenstage gleichmässig lm Ganzen um 0,010 ab¬
nimmt. Diese Abnahme hängt mit der durch die Vorgänge bei der
Geburt hervorgerufenen abnormen Steigerung des specifischen
Blutgewichtes am ersten Lebenstag zusammen. (Schluss folgt
hn 2. Heft)
2) v. E h 11 n g e r: Zur Kasuistik der Haemophilie im
8äuglingsalter.
Ein Fall von tödtlicher Blutung aus dem rechten Conjunctival-
sack bei einem dreiwöchentlichen Kinde.
Im Anschluss an die Wiedergabe seiner Beobachtung erörtert
Verfasser noch 68 Fälle aus der russischen Literatur.
3) Kllmmer: Genügt unsere Milchkontrole und wie ist
dieselbe durchzuführen, um den nothwendigsten Ansprüchen
der Hygiene Rechnung zu tragen f
Wiederholung dessen, was mit Recht als Ideal immer wieder
gefordert wird, um zu einer gesunden, möglichst tadellosen Kuh¬
milch zu gelangen. Theorie und Praxis werden allerdings auf
diesem so viel erörterten Gebiete nie ganz übereinstimmen.
(K o c h’s aufsehenerregende Mittheilung auf dem Londoner Tu-
berknlosecongress wird die Producenten von Säuglings- etc. Milch
nicht gerade für die Forderungen K 11 m m e Fs einnehmen.)
4) Jan Raczynski: Ueber Tuberkulose bei Kindern.
Häufigkeit und Verbreitung der Tuberkulose bei Kindern. Be¬
merkungen über ihre Diagnose.
Angaben Uber die Häufigkeit der Tuberkulose bei den in der
Krakauer Universitäts-Kinderklinik behandelten Kindern, gefolgt
von der Erörterung der diagnostischen Schwierigkeiten. Ver¬
wendung von künstlichem Serum statt des Tuberkulins (H u t i n e 1
und S i r o t) ist ganz unzuverlässig zu diagnostischen Zwecken,
ebenso die Untersuchung des Blutes auf Bacillen.
Literaturbericht. Bepsrechungen.
S 1 e g e r t - Strassburg.
Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. Bd. II,
Heft 3.
Freudenthal - New-York: Ueber einige neuere Bestre¬
bungen in der Phthisiotherapie.
Es ist nicht richtig. Lungenkranke nur oder vorwiegend mit
Liegekur zu behandeln. In den Liegehallen, wo die Kranken dicht,
gedrängt zusammenliegen, entsteht schlechte Luft. Aber auch
abgesehen davon empfiehlt sich allzulange Liegekur nicht, da die
dadurch erzeugte „Inaktivitilt“ der Kranken diesen uicht dienlich
ist. „Wir dürfen nicht vergessen, dass durch rationelle Arbeit
in guter gesunder Luft, wovon ich späterhin sprechen werde, der
Appetit sieh wesentlich vermehrt und dadurch ein tonisirender
Effekt erzielt wird, der allen Funktionen des menschlichen Körpers
zu Gute kommt. Wir verlieren Eiweiss durch die Arbeit, aber
wir gewinnen mehr durch die vermehrte Nahrungsaufnahme des
Patienten.“ Mancher Kranke wird durch zu langes Liegen geradezu
geschädigt. Dies gilt für reiche Leute, die nicht wissen, was
Arbeit und Hunger ist, aber auch für Anne, Stubenhocker, Bureau¬
schreiber u. dergl. Besonders aber ist zu beachten, dass die Tuber¬
kulose eine tropho-neurotlsche Erkrankung ist, und „ein tropho-
neurotischer Patient muss nicht nur wohl genährt werden, sondern
er will auch beschäftigt sein“.
F. verbreitet sich dann über diese ebenso wichtige, wie schwie¬
rige Frage, bei deren Behandlung wir von der neueren Nerven-
therapie (G r o h m a n n) sehr viel lernen können. Dass die
Kranken gegen Lohn arbeiten sollen, dass sie zur finanziellen
Unterhaltung des Sanatoriums beitragen sollen, sind Punkte, denen
die Heilstättenärzte nicht zustimmen, sicher dagegen dem Wunsche
F.’s, dass der Berufswechsel einmal aus der Sphäre der Phraseo¬
logie in die der Thatsachen umgesetzt wird, damit nicht bei Hun¬
derten durch Rückkehr in die schlechten Berufs- oder häuslichen
Verhältnisse der Erfolg wieder eingerissen wird. Glückliches
Amerika, in dem es, wie F. sagt, möglich zu sein scheint, eine
Freiluft-Kolonie Lungenkranker zu gründen. Auf amerikanische
Verhältnisse bezieht sich auch der Rest des Aufsatzes.
(Ich möchte dagegen protestiren, dass F. ohne Einschränkung
von einer „forcirten Ruhekur“ spricht, „wie sie heutzutage üblich
ist“; da ich selbst in meiner Heilanstalt ebenso wie eine Reihe
anderer Heilstättenärzte die Liegekur keineswegs forcire, sondern
im Gegentheil auf angepasste nach dem Ende zu aUmählich sich
steigernde Beschäftigung der Kranken den grössten Werth lege.
Ich darf schon jetzt auf mein zur Hamburger Versammlung der
Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte zu gebendes Re¬
ferat über diese Frage hinweisen.)
In derselben Nummer wird Uber den Aufsatz von Larseu
referirt: Bemerkninger om behandlingen af lunge-
tuberculose. (Norsk Magazin for Laegevideuskaben. 1900.
No. 12.) Es heisst da: „Die beste Atheragymnastik sei geregelter
Gang ln frischer Luft und es sei zu wünschen, dass neben dem
„Ruhebett“ auch die „dicksohligen Stiefel“ wieder In ihre Rechte
eingesetzt würden.“
Duhourcau - Cauterets: A. propos de la zomotherapie.
In diesem kurzen Diseurs empfiehlt Verfasser die An¬
wendung rohen Fleischsaftes.
Ad. C z e r n y - Breslau: Ein Vorschlag zur Abgrenzung des
Begriffes „Skrophulose“. I
„Ich halte es weder für nothwendig noch für ein leichtes
Unternehmen, den alten Ausdruck Skrophulose aus der klinischen
Nomenklatur zu entfernen, halte es aber für dringend erforderlich,
dass wir uns darüber einigen, was wir unter diesem Ausdrucke
zusammenfassen. Ich schlage desshalb vor. alle pathologischen
Zustände, welche entweder durch bacteriologische oder histologische
Untersuchungen als tuberkulöse erkannt sind, Tuberkulose und
nicht mehr Skrophulose zu nennen.“ „Ich bezeichne als Skrophu¬
lose eine Konstitutionsanomalie, welche sich aus einer Reihe be¬
stimmter Krankheitssymptome an Kindern vorläufig nur klinisch
— nicht pathologisch-anatomisch — diagnostiziren lässt, und welche
darum besondere Bedeutung beansprucht, weil solche Individuen
sehr leicht tuberkulösen Infektionen anheim fallen.“ Wirkliche
Skrophulose wird nach dieser Scheidung meist bei Säuglingen be¬
obachtet. Sie tritt auf als Milchschorf, meist bei fetten Kindern,
als Prurigo, beide oft von sekundären Kratzinfektionen begleitet;
ferner als starke Behaarung zwischen den Schulterblättern, an
den Ellenbogen und an den Oberschenkeln, sowie als abnorm
lange ClUen, sodann als Phlyktaenen und als Landkartenzunge,
als circuläre Carles der Zähne, als Hyperplasie der lymphoiden
Gewebe, als wiederholte Erkrankungen der Luftwege, endlich als
allgemeine Blässe der Hautdecken. Natürlich kommen diese For¬
men nicht alle gleichzeitig vor. Bemerkenswerth ist deiL gegen
Coxnet gerichtete Schluss, dass nach dem gegenwärtigen Staude
der Forschungen auf dem Gebiete der Immunität und Disposition
wir in der Lage sind, auch die Disposition für Skrophulose in einer
Alteration der chemischen Zusammensetzung des kindlichen Orga¬
nismus zu suchen. „Von chemischen Untersuchungen sind die
nächsten Fortschritte in der Erkenntniss des Wesens der Skrophu¬
lose zu erwarten, und nicht die histologische und pathologisch-
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MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
nuntoiuis«-lic, sondern die chemische rntersuchung ist «Irr Wc;.
auf welchem wir Vordringen müssen, um der Lösung der schwie¬
rigen Frage von der Disposition näher zu kommen.”
Alfred v. Sokolowski - Warschau : Statistisches, be¬
treffend gewisse Momente, welche zur Lungentuberkulose ver¬
anlagen (Vererbung, Brustfellentzündung, Missbrauch von
Alkoholgetränken, Syphilis).
Die Vererbung, die zur Grundlage eine Keilie von verschieden¬
artigen organischen Fehlern hat. die von Alters her von vielen
Autoren für solche Krankheltsfaktoren angesehen werden, die die
Entstehung der Lungentuberkulose und ganz besonders ihre here¬
ditäre Form bewirken, kommt in rund 25 Proe. der Fälle vor
und bewirkt dann einen schleunigen und schweren Verlauf der
lv rankheit.
Brustfellentzündung ist nicht immer tuberkulöser Herkunft, 1
ist aber, ln 3 Proc. der Fälle vorkoinmend, als mit zur Tuberkulose
dlsponirend zu betrachten. Ebenso erhöht Alkoholmissbrauch di»*
Disposition. Er wird bei armen (Hospital-)Kranken bei 30 Proe.,
bei reichen Leuten bei 0.84 Proc. beobachtet (V lief.). Ebenso dls-
pouirt Syphilis zur Tuberkulose.
A. N a u in a n n - Bad Reinerz: Beitrag zu Lungenblutungen.
Nach Ausschaltung aller mit Klappenfehlern, Ilaemophilie und
Arteriosklerose behafteten Kranken konnte N. die Beobachtung
W o 1 f f’s und W e i c k e r's nicht bestätigen, dass vornehmlich
grosse Patienten von Blutungen befallen würden.
Julian M a rc u 8 e - Mannheim: Die Entwicklung der Lehre
von der Lungenschwindsucht vom Alterthum bis zur Neuzeit.
Ausführlicher historischer Artikel.
E 1 k a n - Blankenfelde (bei Berlin): Was ist rationeller für
die Schwindsuchtsbekämpfung, Anstaltspflege oder offener
Kurort P
Eine Frage, die wohl längst zu Gunsten der Heilanstalten be¬
antwortet ist.
A. Haentjeus, Direktor der Heilstätte Putten in Holland:
Die Bewegung für geschlossene Heilstätten für Tuberkulose
in Holland.
M. W a s se rm a n n - Meran: Der Kampf gegen die Tuber¬
kulose in Oesterreich.
Markl-Wien: Statistischer Bericht über die Sammel¬
forschung, betreffend die Erkrankungen an Tuberkulose im
Mftnnschaftsatande des k. und k. Heeres in den Jahren 1895,
1808 und 1897.
A. Hartmann - Basel : Ueber Körpergewichts Verände¬
rungen erholungsbedürftiger Kinder in der Baseler Kinder-
'heilstätte Langenbruck.
Liebe- Waldhof Elgershausen.
Archiv für Hygiene. 40. Bd. 4 Heft. 1 DO 1.
1) A. Strose her-Leipzig: Konservirung und Keimzahlen
des Hackfleisches.
Verf. hat verschiedene im Handel befindliche Konservesalzt*,
in denen Borsäure, schwefelige Säure und Chlor-
uatrium enthalten ist, in ihrer Wirkung auf gehaektes
Fleisch unterzogen, den Bacteriengehalt bestimmt und anderer¬
seits auch eigene Versuche mit schwefligsaurem Salz und Hack¬
fleisch augestellt.
Es lässt sich sagen, dass die Konservesalze wohl zu¬
nächst günstig wirken auf die Farbe des Fleisches, viel¬
leicht auch, wie cs von anderer Seite ebenfalls bereits konstatirl
wurde, im Anfang eine sehr geringe bacterieuhemmonde Kraft
äussern, dass sie aber die Entwickelung und Ver¬
mehrung der im Fleische vorhandenen Keime
nicht vollständig hindern können.
Der ungeheure Keimgehalt des Fleisches, der sieh im Mittel
ln einem Gramm auf 18 559 000 Keime beläuft, kann durch
saubere Manipulation auf weniger als 1000 000 herabgedrückt
werden.
Da hierauf die Konservesalze keinen Einfluss haben und die
Schwefligsäure enthaltenden Salze ausserdem noch
schädlich wirken, so sollten sie verboten werden.
2) W. B roh nie:. Ueber die Widerstandsfähigkeit der
Choleravibrionen und Typhusbacillen gegen niedere Tempera¬
turen.
Die zu untersuchenden Kulturen wurden als Bouillon-
kulturen in einer Mischung von Eis und Schnee ge¬
halten. Es zeigte sich, dass die Cholera nach 57 Tagen
bei —16 0 noch lebend nachgewieseu wurde. Trotz 40 maligem
Gefrieren und Wiederaufthauen waren doch einzelne Exemplare
noch am Leben. Die Typhusbacterieu verhielten sich aller
noch resistenter. Sie lebten noch nach einem fortdauernden Froste
von 140 Tagen. Nach 40 maligem Aufthnuen und wieder Zuge¬
frieren Hessen sie sieh ebenfalls noch weiter züchten.
3) Büchner, Fuchs und M e g e 1 e - München: Wir¬
kungen von Methyl-, Aethyl- und Propylalkohol auf den
arteriellen Blutstrom bei äusserer Anwendung.
Die sehr interessanten Untersuchungen, die. um eine ganze
Reihe Fragen zu beantworten, in mannigfacher Weise angestellt
wurden, ergaben, dass die Alkohole, besonders die höheren
Alkohole bei Applikation auf die Haut als Reizmittel
wirken, aber nicht die Haut durchdringen. Dieser Reiz erklärt
sieh durch die wasserentzieh ende Kraft und die Ge¬
rinn u n g s w irkuug des Alkohols.
Der Effekt der Reizung besteht in einer lokalen Erweiterung
der Blutgefässe, besonders der arteriellen und ist abhängig
von der Konzentration des Alkohols.
In dieser cheiniseh-physiknlischeu Wirkung weicht der Alkoli.il
ganz erhelilieh ab von der innerlichen Wirkung. Die Gift¬
wirkung des A 1 k o li o 1 m o 1 e k ii 1 s bleibt bei der
ilnsserllchen Anwendung ganz ausser Betracht.
Bringt man beim Menschen am Unterarm einen Alkoholver¬
band an, so beobachtet mau eine Drucksteigerung in der
ltadialis, die beim gewöhnlichen feuchtwarmen Verband aus¬
bleibt.
Mit der Drucksteigerung steigt die zugeführte Blutmenge und
damit wird eine erhöhte Zufuhr von bacter leiden Ale¬
xinen herbeigeführt, welche auf die tiefer liegenden Iufektions-
processe einwirken können.
-1) A. H e g e 1 e r - München: Einfluss der chemischen Es-
action auf die bactericide Serumwirkung.
Aktives Knniuchensenun wird ln seiner bactericide»
Leistungsfälligkeit gegenüber Typhusbacterieu sowohl durch kleine
Dosen Alkali wie Säur e nicht nachweisbar verändert. Wenn
jedoch die saure Reaktion deutlich sichtbar wird, so geht
die bactericide Wirkung des Serums vollständig verloren.
Inaktives Serum verhält sich insofern anders, als bc-
j reit« kleinste Zusätze von Natriumkarbonat genügen, um
eine direkt hemmende Wirkung auf die Vermehrung von Typhr.s-
baeterien auszuüben.
5) lt. Trommsdorff - München: Können von lebenden
Leukocyten Alezine secernirt werden?
Verf. prüfte die von Laschtschouko gemachten Beob¬
achtungen, dass man mit einem fremdartigen Serum im Staude
sei, aus den Kauiuelienleukoeyteu Alexine auszuschetdeu, nach, um
alsdann noch den einen fraglichen Punkt, oli solche extrahirfc
j Leukocyten noch am Leben seien, festzustelleu.
Er bediente sieh des Hunde-, Pferde-, Kinder-
j serums. Im Wesentlichen vermochte er die Versuche Lasch¬
te c h e u k o’s zu bestätigen und konnte auch nachweisen, dass
thatsächlich die Leukocyten noch am Leben waren.
Daraus seiiliesst Verf., dass die lebenden Leukocyten die bae-
tericiden Substanzen abgeben und mit grösster Wahrscheinlichkeit
als die Produzeute n d e r A lexine bezeichnet werden
können. R. O. Neumann - Kiel.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. Heft 1. 1901.
1) K. Jassnlger - Ofen-Pest: Der Pneumococcus Fried¬
länder als Erreger der eitrigen Meningitis cerebrospinalis.
Der F r i e d 1 ä n d e r’s e he Organismus wurde in typi¬
scher Weise sowohl aus dem Eiter im Ausstrichpriiparat als auch
durch die Kultur bei diesem Fall von CerebrospinnUneniugitis
nachgewieseu. Für Mäuse waren die Reinkulturen pathogen.
Verfasser nimmt an. dass der Ausgangspunkt für die Menin¬
gitis eine Infektion der Keilbeluhöhle gewesen sei.
Der Name Pneumococcus sollte für den Fraenkel’
sehen Streptococcus lanceolatus reservirt bleiben,
nicht aber auch für das typische Stilbche u, deu Fried-
1 ii n d e r'schen Organismus benutzt werden. Ref.
2) G. Joch mann: Zur Aetiologie des Keuchhustens. Er¬
widerung auf die von Dr. Karl Spengler in No. 18 dieser
Zeitschrift publizirten Bemerkungen.
3) J. de Haan und G. G r i j n s - Woltevrcden: Eine neue
endoparasitäre Acaride.
Im Gegensatz zu der Annahme, dass Acariden nicht als
Endoparasiten Vorkommen, konnten die Verfasser bei der Sektion
eines Affen (Cyuoeepbalus) zeigen, dass ln dessen Lungen der¬
artige Milben nebst ihren Larven aufzufinden waren.
Es waren Thierehen von 0,7 bis 0.8 nun Länge, die in einer
Höhle, welche mit einer Kapsel aus fibrillärem und elastischem
Bindegewebe bestand, eingebettet waren.
In Folge ihrer Lebensweise sind einzelne Organe verkümmert.
Bei der Bestimmung wurde diese Milbe als eine verwandte
Art der Thlere erkannt, welche in den Luftwegen der Seehunde
leben. Sie lieisst Pueumonyssus »lmicola.
4) Marx: Zu der Mittheilung „Ueber Sporenfärbung“ von
Alex. Klein.
Marx erkennt das Prioritätsrecht Klei n’s in dieser
Frage au. R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. i90i. No HO
1) F. M a r 11 u s - Rostock: Das Vererbungsproblem in der
Pathologie. (Schluss folgt.)
2) E. Mendel: Zur Lehre von der Schwefelkohlenstoff¬
vergiftung.
('fr. Referat png. 866 der Münch, med. Worhensehv. 1901.
3) F. M e y e r - Berlin: Ueber chronische Pentosurie.
Bezüglich derselben ergaben die bisherigen Beobachtungen.
dass sie vom Diabetes mellitus vollständig zu trennen ist. aber
selbständig neben (lein letzteren verkommen kann. Es sind bisher
nur 4 Fälle von reiner Pentosurie veröffentlicht, welchen Verf.
einen 5. anfiigeu kann. Der Kranke, den die Mittheilung des
Verf. betrifft, war ein 39 jähriger, neurastheniseber, stark ftbge-
magerter Kaufmann, bei dem übrigens eine grosse* Toleranz für
Kohlehydrate bestand, indem die Pentosurie durch reichliche Zu¬
fuhr von Kohlehydraten sich nicht steigern Hess. Der Nachweis
erfolgte durch die sogen. Orcinprolie. Ihre Vornahme ist h»
Original näher angeführt.
4) E. H o e n n i e k e - Sonnenstelu i. S.: Die Häufigkeit des
Herpes zoster.
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6. Au gus t 1901._ MtTENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1297
Au der M. Joseph'schen Poliklinik in Berlin wurden während
, RH Zostererkrankunpen beobachtet. Durch den Ver¬
gleich mit anderen Zusammenstellungen kommt Verf. zu folgenden
uesultnten; Die Häufigkeit der Zostererkrankung entspricht un¬
gefähr 1 Proc. der Hautkrankheiten; am meisten kommt Zoster
vor zwischen 15—30. Jahre, im Alter ist Zoster eine Seltenheit.
An neu einzelnen Körperregiouen ist die Zostereruption um so
häufiger, je mehr Nervenstiimme die Region hat; eine Ausnahme
macht das Trigemiuusgebiet durch auffiUlig starke Betheiligung.
da eben dieser Nerveubezirk besonders vielen Schädlichkeiten aus-
gesetzt ist. Die beiden Körperliälften werden ziemlich gleich-
iniissig oft befallen; Zoster bilateralis ist selten. Als Berufskrank¬
heit erscheint der Herpes zoster bei Aerztcn und Pflegepersonal,
.me l’radisposition anderer Berufe ist bisher nicht zu eruireu. Der
sporadische Zoster ist über das ganze Jahr ziemlich gleichmässig
vertheilt; die Zeit der Zosterepidemien fällt auf Frühjahr und
Herbst.
5) P. Fe h re - Berlin: Beitrag zur Lehre über die Tabes
bei den Weibern.
Verfasser bringt eine eingehende Besprechung von 47 Fällen
von Tabes bei Weibern und analvsirt hauptsächlich die actio-
logischen Verhältnisse an denselben. Er kommt im Wesentlichen
zu folgenden Schlussfolgerungen. Im Allgemeinen sind für die
Tabes bei Frauen die nämlichen aetiologischen Momente und zwar
in annähernd demselben Umfange geltend, wie bei den Männern
I uter allen Umständen spielt die Syphilis in der Aetiologle der
Tabes bei den Weibern eine eminente Rolle, sei es als unmittel¬
bare Ursache, sei es als depotenzirendes Moment. Puerperale
Zustände bei den tabischen Frauen scheinen den Zustand ver¬
schlimmern zu können. Mit der Zunahme der Svphilis und der
wirthscliaftlichen Betätigung der Frau scheint sie jetzt häufiger
1abisch zu erkranken. G r a s s m a u n - München.
Deutsche medieiuische Wochenschrift. 1901. No. 30.
1) Wilhelm Ebstein - Güttingen: Die Untersuchung des
Mastdarms von aussen und deren therapeutische Verwendung.
E. weist darauf hin, dass das Rectum, wenn es durch Kotli-
massen einigermaasseu stark ausgedehnt ist, sehr leicht durch die
bedeckenden Weiehtlieile von aussen palpirt werden kann. Man
fühlt dasselbe in der Huken Seite der Gesiissspalte als einen reich
lieh daumendicken Wulst, welcher, lateralwärts von der Steiss-
lsdnspitze beginnend, sich bis zum Anus erstreckt. Therapeutisch
lässt sich diese Beobachtung in zweierlei Weise verwenden. Ein¬
mal zur mechanischen Entleerung des im Rectum stagnirenden
Da i n. Inhaltes mittels Streichen und Drücken von oben nach uuteu,
eine Manipulation, die ebenso einfach und sauber, als reizlos
ist. von den Patienten selbst mit Leichtigkeit ausgeführt und in
hartnäckigen Fällen eventuell durch ein vorausgehendes Oel-
klysma unterstützt weren kann, ln zweiter Linie kann aber auch
durch systematische Massage dieses unteren Rectumabsehnittos
eine Kräftigung der Darmmusculatur erzielt werden.
2) Friedrich Vö 1 ck e r-Heldelberg: Das Wesen der Schüller-
schen Krebsparasiten.
In dieser ans der Czern y’sohen Klinik stammenden Arbeit
wird in höchst prosaischer Weise der Nimbus des S c li U 11 e r’schen
Krebsparasiten zerstört, indem V. die von Schüller be¬
schriebenen Kapselformen als einfache Korkzellen erklärt, welche
aus dem zur Herstellung des Präparates verwendeten und durch
den Pfropfen verunreinigten Oele stammen.
3) Sigmund Pförringer - Breslau: Bimsteinalkoholseife in
fester Form als Desinflciens für Haut und Hände.
Diese Bimsteinalkoholseife ist entstanden durch eine Com-
hination des einerseits dem V o 11 b r e c h t’sclien Seifenspiritus in
fester Form und der Schleie h’sclieu Marmorstaubseife, bezw.
der S iinge r’schen Sandseife andererseits zu Grunde liegenden
Princips und scheint nach den vorliegenden lmcteriologischen
Prüfungsresultaten ihrem Zweck vollauf zu entsprechen, Indem
sie namentlich für den Land- und Feldarzt ein gutes und ver¬
lässiges Desinflciens, bequem ln Anwendung und Transport, bildet.
4i ü Illen hu tli- Greifswald: Weitere Mittheilungen über
die praktische Anwendung meiner forensischen Methode zum
Nachweis von Menschen- und Thierblut.
Nachprüfungen forensischer Fälle, welche den praktischen
Werth der Methode vollauf bestätigen, nebst, einigen Mittheilungen
über die Gewinnung hochwertiger Sera und die speoilisehe Wir¬
kung derselben. Zum Schlüsse erwähnt U. noch, dass das Serum
»4nes Menschenblutkaninchens auch im menschlichen Sperma und
in citerhaltigem Sputum (von Tuberkulösen) Trübung hervorruft,
so dass die Reaktion für menschliches Elweiss spocifisch ist.
5) K u rth - Bremen: Ueber typhusähnliche, durch einen
bisher nicht beschriebenen Bacillus (Bacillus bremensis febris
gastricae) bedingte Erkrankungen. (Schluss folgt.)
<i) A. Hlppi us-Moskau: Ein Apparat zum Pasteurisiren
der Milch im Hause. (Schluss aus No. 29.)
Der von II. construirte Apparat, auf dessen Beschreibung hier
nicht näher eingegangen werden kann, ist eine Modifikation des
Soxhletappamtes und liefert durch eine zweistündliche Pasteuri-
sirung (60—70° C.V mit nachfolgender fractionirter Pasteurislrun"-
liei Therinophortemperatur (50—60° U.) eine Milch, welche
weder im Geschmack, noch im Nährworth und in der Verdau
lichkeit ln irgend einer Weise geschädigt ist.
7» Hoppe-Köln: Ueber multiple Gesichts- und Binde-
bautblutungen.
Während die wenigen, bisher in der Literatur beschriebene»
Fälle von multipler Gesichts- und Bimlehnulhlutung die Folge¬
erscheinung schwerer Traumen waren, bildete In dem von H. be¬
obachteten Falle forcirtes Erbrechen (aus Furcht vor Pilzvergif¬
tung) die Ursache der Haemorrhagie. Unter Umständen könnte
also dieser Zustand auch vorsätzlich erzeugt werden und ist dem
nach der Nachweis eines stattgehabten Traumas (im Sinuc des
Unfallgesetzes) durch das Vorhandensein dieser subkutanen Bltil-
austritte nicht ohne Weiteres gegeben.
S) M. B ö h m - Friedrichroda: Mittheilungen über eine fami¬
liäre Kupfervergiftung.
Interessante Mittheilung aus der ärztlichen Praxis. Eine
Grünspauvergiftmig und zwar nicht in Folge von zersetzten
Nahrungsmitteln, sondern direkte Metallvergiftung mit Kumu¬
lativ Wirkung bei einer Familie von 4 Personen.
F. L a c li c r - München.
Correspondenzblatt flir Schweizer Aerzte. 3l.Jahrg. No. 14.
R. S 11 e r 11 n - Winterthur: Ueber Darmocclusion. Kasusti¬
sches und Kritisches. (Schluss.)
An der Hand von 14 lehrreichen Krankengeschichten zeigt
Verf.. dass die schlechten statistischen Erfolge bei Darmocclusion
bedingt sind vor Allem durch perakute Fälle, durch maligne Tu¬
moren mit mehrfacher Stenoseubildung, durch Darmlähmuug.
durch komplizirte Verwachsungen (Ileus postoperativus; hier kann
manchmal Enteroanastomose retten), besonders oft aber durch zu
späte chirurgische Behaudlung, die tlieilweise aus ungenügender
Diagnose der Art der Occlusion folgt, endlich durch die Gefahren
der Narkose, welche durch Schleie li'sehe Anaesthesie zu er¬
setzen Ist.
1. Gallensteinileus; in einem Fall umfasste ein Strang einen
Thell der Oberfläche des Kolon von hinten her, wodurch wiederholt
bei Dannstöningen (Blähuug) eine Verengerung, schliesslich in
akutem Verlauf ein völliger Verschluss eiutrat; in einem anderen
Falle konnte eine fast nichts mehr entleerende Colostomieflstel
nicht geschlossen gehalten werden, da sofort (durch Bin hungern
die Darmpassage unterbrochen wurde.
H il b e r 11 n - Zürich: Ueber den Dammschutz.
„Mit der linken Hand halte Ich während der Wehe den Kopf
zurück und dehne in der Wehenpause die vorderen Weiehtlieile
und schiebe sie nach hinten. Mit der rechten Hand verhindere ich
die übermässige Ausdehnung des Dammes, indem ich zangenförmig
die hintere Hälfte der Vulva umgreife, dehne den Saum in der
Wehenpause durch Zurückziehen über den Kopf, halte während
der Wehe den Kopf zurück und dränge Ihn ln der Wehenpause
nach vorne durch Einwirkung des Druckes hinter dem grössten
Schädelumfang.“
11 ü r 11 m a n n - Unteraegerl: Beitrag zur Therapie des
Keuchhustens.
Verf. tritt für hygienische Behandlung (reichliche Ernährung,
viel Schlaf, Reinlichkeit, freie Luft) und vorsichtige Wickelbehaud-
lung ein. Verschleppung der Krankheit durch Dritte ist nicht so
selten.
A. Schoenemann - Bern: Entprechen die jetzt gebräuch¬
lichen Aethermasken den Grundprincipien der Hygiene P
Verf. wendet sich gegen die gebräuchlichen Aethermasken,
welche einen Gasaustausch mit der äusseren Luft, kaum zulassen,
und empfiehlt seine schon 1893 beschriebene Aetherperspirations-
maske aus Glas, mit Respirationslöchern und einem mit Gaze zu
überziehenden Einsatz von Drahtgeflecht. P i s c li i u g e r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 30. 1) J. Donat h und K. Landsteluer- Wien:
Ueber antilytische Sera.
Die Verfasser untersuchten die Beziehungen zwischen den
wirksamen bacteriolytischen uud haemolytischen Stoffen des Blutes
und den Zellen desselben Thferes, indem sie durch Injektion ver¬
schiedener Zellarten Sera erzeugten, die ebenso wirkten wie auti
lytische Sera. So entstand durch Injektion von gewaschenen
Hundeblutkörporehen bei Kaninchen ein Serum, welches die bac-
tericide und haemolytischo Wirkung von normalem Ilundeserum
in hohem Grade beeinträchtigte; Serum von Menschenmilch bei
Kaninchen erzeugte ein Serum, welches lu intensiver Weise die
Lösung von Bacterien und Blutkörperchen durch Menschenserum
hemmte. Achnliclies gelang durch Injektion von Lymphdriisen-
brei. Durch die augewemlete Art der Untersuchung konnten ver¬
wandte Stoflfanordmingen ln den Zellen einerseits, in dem Serum
andererseits aufgefunden werden, die für die betreffende Thier-
speeies bis zu einem gewissen Grade specifisch sind.
2) E. R. v. Karajan- Wien: Drei Beiträge zur Pathologie
des Ductus omphalomesentericus und des Meckel’schen Diver¬
tikels.
Bol dom ersten der mitgethciltcn Fälle, einen 20 jährigen
Studenten betreffend, wurde eine Wurnifortsatzaffektion und all¬
gemeine Peritonitis angenommen; es fand sich aber ein persistenter
Ductus o.-m.. der am Nabelende obliterirt war und sich entzündet
hatte; ferner bestand eine Koinpressionsstenose »les Dickdarms
durch einen Strang. Es erfolgte Heilung. Im zweiten Falle fand
sich bei der Operation des 38 jährigen Patienten ein Mee köl¬
sches Divertikel, das atn IMekdarmgekröse angewachsen war und
innere Ineareerafinn verursacht hatte. Die Situation ist. ohne die
dem Original lieigegebcm* Zeichnung schwer verständlich. liier
erfolgte tödtlielii r Ars gang, im dritten Falle fand sich h<‘i der
Kndiknicpcrntinn einer rechtsseitigen Leistenhernie ein im Brrn-Ii
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1298
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sack festgewachsenes Dlvertic. Meckel. Letzteres wurde abge¬
tragen und es trat Heilung ein.
3) O. C li 1 a r 1 - Wien: Die Krankheit des k. und k. Hof-
schauspielers Fritz Krastel.
Die Mittheilung der Krankengeschichte ergibt, dass eine
typische croupöse Pneumonie des rechten Uuterlappens zunächst
vorlag, die Lösung sich verzögerte und immer wieder neue Ent¬
zündungsherde auftraten: später wurden Influenzabacilleu Im
Sputum gefünden. Die Pneumonie ging schliesslich in die Bil¬
dung kleiner Abscesse mit Induration in der Umgebung aus.
Fatient wurde geheilt. Grassmann - München.
Belgische Literatur.
van Cauipenhout und Dryepondt - Brüssel: Ueber
Haemoglobinurie. (Journal medical de Bruxelles, 29. Juni 1901.)
Die Verff. haben mehrere Jahre im Cougo-Freistaat gewohnt
und haben viele Fülle von Fieber mit Haemoglobinurie beobachtet.
Sehr genau geben sie die klinischen Wahrnehmungen wieder,
und untersuchen ganz besonders die Frage, ob die Haemoglobinurie
mit der Malaria in Zusammenhang stehe, oder ob sie wirklich, wie
K o c h selbst geglaubt hat, von einer Chininvergiftung t>ei einem
Malariakranken verursacht sei. Die Verf. haben beobachtet, dass eine
Abkühlung der Luft, wie das in gewissen Gegenden häutig vor-
kornrat, nicht selten dem Anfall von Blutharn vorangeht. In
mehreren Fällen wären Plasmodien im Blute vorhanden, in anderen
Fällen jedoch nicht Chinin ist nicht die Ursache des Anfalls,
wenn es in miissigen Gaben verabreicht worden ist. Während des
Anfalls, bei Kranken mit Plasmodien, war der Gebrauch dieses
Mittels gewöhnlich nützlich. Wenn man sich aber erinnert, auf welch’
unsinnige Weise Chinin von den Europäern gewöhnlich gebraucht
wird, muss man doch zugeben, dass diese Substanz öfters eine
Art chronischer Vergiftung erzeugt. Dass bei solchen Individuen
ein Anfall von Haemoglobinurie leicht elntritt, wird Niemand
leugnen.
Die Verfasser ziehen aus ihren Beobachtungen folgende
Schlüsse: Wenn das Blut des Kranken keine Plasmodien enthält,
darf während des Anfalls von Blutharn kein Cliiuiu verabreicht
werden. Die Haemoglobinurie ist keine selbständige Krankheit,
sie ist nur ein S.vmptomenkomplex, der durch mehrere Ursachen
bedingt^ werden kann, z. B. eine abnorm grosse Chiniugabe bei
einem geschwächten oder besonders empfindlichen Patienten, eine
Abkühlung, Syphilis u. s. w.
M. C. Schuyten: Ueber die Veränderungen der Muskel¬
kraft bei Kindern während der Schuljahre. (Paedologisch Jaar-
boek, Antwerpen, de Nederlandsche boekhandel, 1901.)
Verfasser hat genaue und zahlreiche dynamometrische Prü¬
fungen an Kindern der Stadtschulen unternommen. Die Kinder
hatten Alle genau dasselbe Alter, die Messungen (4845) wurden
unter genau vergleichbaren Umständen unternommen. Es stellte
sich heraus, dass die mittlere Arbeitskraft bei allen Kindern
regelmässig sinkt in den Monaten Januar, Februar, März, steigt
im April, Mal, Juni, stark sinkt Im Juli, August, September (die
Experimente sind in der Ferienzeit spärlich) und steigt im Ok¬
tober. November, Dezember. Die psychische Kraft folgt denselben
Regeln nicht.
D a n d o i s - Löwen: Spätere und langdauernde Beschwerden
nach Cocainisation der Medulla. (Journal de Chirurgie, 1901,
No. 4.)
Bei einem kachektischen Kranken wurde eine Cocalnein-
spritzung nach Bier vorgenommen. Die Operation (eine Urethro-
tomie) gelang vollständig; der Kranke hatte keine besonderen
Symptome bis am 9. Tage: da entstand eine vollständige Paraplegie
der beiden unteren Extremitäten, zu gleicher Zeit mit einem
starken Erregungszustand, Delirium und maniakalischen Erschei¬
nungen. Es bestand kein Fieber. Allmählich besserte sieh der
Zustand, und nach einem Monat war Alles wieder normal. Verf.
glaubt, dass die Cocaineinspritzung als die alleinige Ursache dieses
Anfalles anzusehen sei.
Lauwers - Kortryk: Die Gefahren von Morphiumeinspritz¬
ungen nach der Chloroformnarkose. (Journal de Chirurgie, März-
April 1901.)
L. hatte einen Kranken unter Chloroformnarkose operirt; die
Carotis externa rechts war gebunden, und ein Polyp aus dem
Pharynx entfernt worden. Nach der Operation war der Kranke
sehr unruhig und es wurde ihm 1 cg Morphium eingespritzt.
Eine halbe Stunde später Koma. Athemstillstand. L. machte in
der Eile eine Tracheotomie und es gelang Ihm, durch lokale
Beizung der Trachenlschleimliaut, die Athembewegungen wieder
zu erwecken.
L. F o q u e t: Ist Alkohol ein BlutgiftP (Journal medical de
Bruxelles.)
Allgemein ist die Ansicht verbreitet, Alkohol sei ein Blutgift.
Sie beruht auf einigen groben Wahrnehmungen, welche nicht ent¬
fernt den physiologischen Bedingungen entsprechen. Im Organis¬
mus nämlich dringt das Gift langsam durch den Dann ein; es
wird allmählich verbrannt, und grosse Mengen sind im Blute nie¬
mals vorhanden; ein Excess au Alkohol übt beim Thier eine
schädigende Wirkung aus. Diese Verhältnisse werden beim
Menschen niemals verwirklicht Verfasser hat das Blut mehrerer
Kranken aus der psychiatrischen Klinik untersucht, bei welchen
Alkoholmissbrauch die aetiologisohe Ursache der Geisteskrankheit
war. In keinem dieser Fälle, selbst kurz nach der Aufnahme,
konnte ein abnormer Zustand des Blutes nachgewiesen werden.
L. D e k e y s e r: Ein besonderer Fall von Syringomyelie,
wahrscheinlich syphilitischen Ursprungs. (Journal medical
de Bruxelles, 1901, No. 13.)
No. 32.
Der Kranke hatte die zwei ersten Perioden der Lues vor
3 Jahren durchgemacht. Nach dieser Zelt fühlte er starke bren¬
nende Schmerzen an der grossen Zehe des rechten Fusses; die
Zehe entzündete sich und bildete rund um ihre Wurzel eine eiterige
ringförmige Wunde. Am ganzen Fuss bestand Oedem, und es
öffneten sich mehrere Fisteln. Eine chirurgische Behandlung (der
Schnitt war ganz schmerzfrei) brachte nach verhältnlssmässlg
kurzer Zeit Heilung. Bald darnach entwickelte sich derselbe Zu¬
stand am anderen Fuss. Die Sensibilität ist vollständig auf¬
gehoben auf der unteren Seite der Zehen beiderseits; es besteht
auch eine weniger ausgedehnte Analgesie. Beide Füsse sind iu
allen ihren Theilen für Wärme vollständig unempfindlich. Die
Röntgenbilder zeigen Veränderungen, welche bloss mit Miss¬
bildungen verglichen werden dürfen, wie sie in Fällen von Lepra
und Syringomyelie (Maladie de Morvan der Franzosen) Vorkommen.
Lepra ist nusgeschlossen. Der Verf., welcher sehr eingehend die
Literatur bespricht, glaubt, dass er mit einem Fall von Syringo¬
myelie zu thun gehabt habe. Die Höhlenbildung in der Medulln
soll hier von einem syphilitischen Process bedingt worden sein.
Die Syringomyelie ist also weniger eine besondere Krankheit, als
ein von verschiedenen Ursachen bedingter Symptomenkomplex.
V. Scheuer und R. Wybauw: Spa; passä, präsent,
avenir. (Brüssel 1901.)
In diesem Buch, dessen II. Theil im Journal mödical de
Bruxelles, 4. April erschien, legt Dr. Scheuer in Form
eines offenen Briefes an seinen Freund und Nachfolger seine An¬
schauungsweise über die Anwendung der Elsenwässer nieder.
Seine langjährige Praxis in diesem Badeorte hat ihn überzeugt,
dass die Bleichsucht nicht bloss unter den gewöhnlichen klassischen
Zügen besteht, sondern auch ln weniger ausgesprochener Form
(Fonnes frustes) auftritt. Viele Neuralgien, viele sogen, rheuma¬
tische Schmerzen weichen nach einer ernst durchgemachten Elsen¬
kur. Die Anaemie hat sehr oft als erste Folge eine allgemeine
Erschlaffung der glatten und gestreiften Muskelfasern, daher die so
häufigen Dilatationen am Magen, am Blinddarm, am Herzen u. s. w.
Diese Erscheinungen bat Verf. bei einem Fall von akuter Chlorose
(nach einem Schrecken) so schnell eintreten sehen, dass er sie mehr
vom Nervensystem, als von einer primären Ernährungsstörung aus¬
gehend ansieht.
W. schlhjsst sich der Ansicht von v. Noorden an: Die
Bleichsucht sei bedingt durch eine Unfähigkeit der blutbildenden
Organe, ihre Funktion auszuüben. Die ganze Elsentherapie hat
also keinen anderen Zweck, als einen genügenden Reiz auf die
blutbildenden Zellen wirken zu lassen. Andere Faktoren wirken
im selben Sinne: die Hydrotherapie (Douchen) und die Stahlbäder.
Verf. erklärt die Wirkung dieser verschiedenen Proceduren auf
Blut und Nervensystem für identisch, bloss verschieden in dem
ersten Eindruck, den sie auf den Patienten ausüben. Dieses be¬
weist er auf Grund seiner Beobachtungen und Sphygmogramme.
E. I m p e n s : Lösliche Verbindungen des Theobromin.
(Arch. intern, de pharmacodynamie, 1901.)
Die Untersuchungen des Verfassers haben folgende Resultate
ergeben: Das Theobromin hat unter allen xanthischen Substanzen
den grössten Werth als Diureticum; die Verbindung von salicyl-
saurera oder benzoesaurem Natron hat keinen nützlichen Effekt.
Natrontheobromin wirkt caustlsch. Diese Wirkung wird beseitigt,
indem man Theobromin mit essigsaurem Natron verbindet (Agurin).
Diese Substanz hat gar keine Nebenwirkung auf Herz, Gefässe
und Nervensystem, sie wirkt schwach diuretisch. Der diuretlsche
Effekt dieser Verbindung wurde durch klinische Untersuchungeu
ln Brüssel bestätigt. In Oblaten oder in Tabletten wird die Sub¬
stanz ohne Beschwerden leicht vertragen.
R. Wybauw- Bad Spa.
Vereins- und Congressberichte.
Der Tuberkulose-Congress in London.
Von Dr. J. Meyer, Vol.-Arzt der II. med. Universitätsklinik
in Berlin.
(Eigener Bericht.)
I)or „British Congress on Tuberculosis for the prevention
of Consumption“, welcher vom 22.—26. Juli in London tagte,
hat in Folge der von Robert Koch aufge6tellten Behauptungen,
betreffend die Nichtidentität des menschlichen Tuberkelbacillus
n.it demjenigen des Rindes, eine ungewöhnliche Bedeutung er¬
langt. Es soll desshalb zuerst in diesem Referat ein Auszug des
K o c h’schen Vort rages und daran anschliessend der beiden
anderen öffentlichen Vorträge (Brouardel, McFadyean)
gegeben werden, in einem zweiten Artikel folgen die besonders
interessanten Discussionen, welche in den einzelnen Sektionen
des Congresses über grössere Themata (Klima, Sanatorien,
Tuberkulin) abgehalten worden sind.
I. Robert Koch: Die Bekämpfung der Tuberkulose imv/
Lichte der Erfahrung, welche bei der Bekämpfung anderer
Infektionskrankheiten gemacht worden ist.
Erst seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus kann mau sich
von der Natur der Tuberkulose eine klare Vorstellung machen
und versuchen, in erfolgreicher Weise gegen diese Volksseuchc
vorzugehen. Dabei darf man allerdings nicht iu den Fehler ver-
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6. August 3901.
1290
MUENCHEXER MEDIZINISCHE WOCH EX Seil RI FT.
fallen, zu glauben, duss alle Seuchen gewissermaassen nach
einem Schema zu bekämpfen sind, die neueste Zeit hat gelehrt,
dass man gegt n jede Seuche individuell Vorgehen muss, und zwar
sind die M nassreg«: ln abhängig von der Aetiologie der betreffen¬
den Krankheit. Als Beispiele für diesen Satz führt Koch die
Maas«regeln an, welche zur Zeit gegen Beulenpest, Cholera, Toll-
wuth und Lepta ergriffen werden. Kr macht besonders darauf
aufmerksam, dass auf (»rund eine.*» neuem (iesetzes in Norwegen
nur die schwersten Fälle von Ix*pra isolirt werden.
. Will man ul.-o erfolgreich gegen die Tuberkulose als Volks*
krankheit Vorgehen, so muss man sich vor Allem klar werden, auf
welchem Wege der Mensch sieh mit Tuberkulös«* infizirt.
Die Infektion betrifft in der grössten Zahl der Fälle die
Lungen und geschieht auf dem Wege der Einathmung. Schwind¬
süchtige werfen einen ait Tuberkelbacillcn sehr reichen Auswurl
nus. dieser wird entweder unmittelbar, in feinste Tröpfchen ver¬
theilt, von anderen Menschen eingeathmet oder mischt sich dem
Staube bei, trocknet ein und gelangt so staubförmig in di»'
Lungen.
Die Erblichkeit spielt in der Aetiologie der Tuberkulös«* nur
eine ganz geringe Rollo und, obwohl der thatsiiehlicho Beweis
geliefert ist, «lass eine Lebertragbarkeit. de» Keimes von den
Elt« ru auf das Kind möglich ist, so ist dieser Fall doch ausser¬
ordentlich st lten und kann bezüglich der Ergreifung praktischer
Maassregeln völlig ausser Acht gelassen werden.
Als dritte Möglichkeit dt»r Infektion mit Tuberkelbaeillen
hat man bisher die Uebertragung der Rintlertuberkulose auf den
Menschen angesehen. Koch glaubt durch seine zusammen mit
Schütz- Berlin unternommenen Thierversuclie nachgewiesen
zu haben, dass eine Identität des Tubcrkelbacillu» dos Menschen
mit demjenigen des Rindviehes nicht besteht. Koch hat eine
Reihe von Versuchen gemacht, welche zeigen, dass der Tuberkel-
ba**illus d»*s Menschen nicht auf Rindvieh und Schweine über¬
tragbar ist.
Neunzehn Stück junges Rindvieh, bei welchen durch vor¬
herige Tuberkulininjektion die völlige Gesundheit nnchgewu-scn
word» n war, wurden mit menschlichen Tuberkelbacillcn infizirt,
welche theils aus Reinkulturen stammten, theils im Auswurf von
Schwindsüchtigen suspendirt waren. Die Infektion geschah ent¬
weder in <1 «t Weise, dass man den Thieren Sputum zu fressen
gab oder dass man theils subkutan, theils intraperitoneal, theils
in «lie Jugularvene Bacillenmaterial einspritzte. Keines di«*s«*r
Thier«* erkrankte, und lK*i der nach 6—8 Monaten gemacht«*»
Sektion zeigte es sieh, dass die Thicre keine Spur von tuberku¬
löser Veränderung innerer Organe hatten, nur an den Einstich-
steilen fanden sieh einige, kleine, Tuberkelbacillcn enthaltende
Eiterherde, wie man dies aueh beobachtet, wenn man abgvtü»ltet<*
Kulturen injizirt. Machte man «len Kontrolversuch, indem mau
dem Rindvieh Bacillen der Rindertuberkulos«; injieirte o«l«*r das-
selbe auf irgend einem aml«*rcn Wege mit Rindertuberkulos«* in¬
fizirt«*, so erkrankten die Thiere bald unter hohem Fieber, mager¬
ten stark ab und starben zum Theil. Bei «Um IJeberlcbemlen
wur«le nach 3 Monaten die Sektion vorgenommen, welche starke
tuberkulöse Veränderungen d«*r inneren Organe ergab; speciell
zeigte es sieh, «lass, wenn* man Bacillen der Rindertuberkulose
in «lie Bauchhöhle injicirt hatte, die für Rindertuberkulose so
charakteristischen Veränderungen an Bauchfell und Netz «um¬
standen waren.
K och fütterte 6 Schweine mit Auswurf von schwindsüchti¬
gen Menschen, bei 6 anderen Schweinen mischte er dem Futt»*r
Bacillen der Rindertuberkulos«' bei. Die ersten 6 Schweine
blieben gesun«l, bei ihrer Sektion fanden sieh keine tuberkuhösen
Veränderungen, ausgenommen „hier und da einige kleine Knoten
in «len Nackenlymphdrüscn und in einem Fall einige Knoten in
den Lungen“.
Die mit Rindertuberkulose gefütterten Thiere zeigten
sämmtlieh schwere tuberkulös«* Veränderungen an ihren Lungen.
Aehnliehe Versuche wurden mit gleichem Erfolge an Eseln,
(iä nsen und Schafen vorgenommen.
Aus den Ergebnissen dieser Versuche scheint hervorzugehen,
dass die menschliche Tuberkulose nicht auf das Rind etc. über¬
tragbar ist.
Wie verhält cs sich nun mit der Uebertragbarkeit der Rinder-
tubtrkulose auf den Menschen? Hier lassen sich naturgemäs» !
keine Experimente in vivo machen, man muss daher versuchen.
der Lösung «liescr Frage mittelbar näher zu kommen. Die in
Gmssstädten getmssene Milch um! Butter enthält, wie jetzt fc.-.t-
steht, grösst* Mengen von Tuberkelbacillcn, es müssen daher nach
Aufnahme dieser Nährmittel «*in grosser Theil «ler Mens«*hen an
primärer Darmtuberkulose erkrank»n. Diese Krankheit ist aber,
wie eine grosse Zahl von Statistiken b »weist, ausserordentlich
selten, und man kann sich sehr leicht vorstellen, dass die ab und
zu auftretend«»!! Fälle von Darmtuberkulose durch »len mensch¬
lichen Tubcrkelhncillus hervorgerufen wer»len, welcher auf irg»*n»l
eine Weise in «len Mund und von dort mit dem Speichel ver¬
mischt in «l«»n Darm gelangt ist.
..I e h m ö c li t t* d a h e r »1 i e. B «* «1 e u t u n g <1 «* r In¬
fektion mit Milch, Butter und F 1 «* i s c h tuber¬
kulösen Viehes nicht für priissor prncliten, als
d i e j e n i g e <1 e r Vererbung «1 «• r Kr a n k h eit, u n »1
i e h halt e «* s «1 a h e r n i <* h t f ii r r ii t h 1 i e h. g e g e n d i «*
Rindertuberkulose irgend welche Mauas r e g «* 1 n
zu ergreifen (I tho.reforc «lo not «1 e e m a «1 v i s a b 1 «•
t o t a k o an y m «• asurcs a g a i n s t i t).“
.I)cr einzige wesentliche Infektionsweg bleibt daher die In¬
halation d«*s Auswurfes von Schwindsüchtigen in die Lungen
Wenn es an und für sich einfach erscheint, sieh gegen die Ver-
streuung d»*s Auswurf es in der Weis»* zu schützen, «lass »lie
Sehwimlsüchtigcn ungehalten werden, ihren Auswurf in ge¬
eigneter Weise unschädlich zu machen, v > ist die Durchführung
dieser Aufgabe genuin in den niederen Klnssmi, welche von «ler
Schwindsucht ganz besonders ergriffen sind, besonders in Folg«*
der mangelhaften hygi«*nischen Wohnungsverlniltiiisse. in Folge
des dichten Zusammenl«*bens der P»*rs«men eine ausserord«*ntlioh
schwierig«*. Eine wesentliche Manssreg« 1 im Kampfe gegen die
Tuberkulose als Volkskrankheit ist daher die* Besserung «ler
\Volinuiigsv»*rhiiltnisse, «lie Einführung wohiiungshygii*iiis«*h»'r
Muassregeln.
Weiterhin sollte man für «lie an vorgerückter Schwindsucht
leidend«»!! Patienten, welche für ilm* Mitim*useh<*n in Folg«* Au»-
streuciis ihres Auswurfes eine grosse (Jefahr bieten, hcsomlere
Hospitäler bauen, und so lange «lies ni«*ht angängig ist, besonder«*
Abtheilungen in den schon bestehenden Krankenhäusern für die¬
selben abzweigi»!!.
Anzeigepflicht ist für diejenigen Fälle von Lung«*n«chwiiHl-
sueht, welche in Folge ihrer socialen Lage «lie nothweiidig(*n Vor-
siehtsmaassregeln nicht ausführen können, «“iH'iifalls erfonlerlieh.
Aueh soll, wenn ein Sehwindsüehtig«».r g«*storhen ist. die Des¬
infektion tles von ihm bewohnte» Raum«»» vorg«*nommeii wenlen.
ln «ler Ausführung all«»r <li«»ser Maassreg<*ln hat die St mit N«*w-
York unter «l«»r Leitung von B i g g s ein g«»rad«*zu mustergiltiges
Beispiel gegelien.
Was die Lling«*nh«*ilstätten betrifft, so stellt sieh Koch
dieser Bewegung keineswegs entgegen, warnt aber vor Leber-
sehätzung ihrer Bedeutuiig, da immerhin nur ein g«*ring«*r Brueli-
thcil von Tuberkulösen in Heilstätten bchnn«l«*lt werdt»n kann.
Koch ist «ler Ucbcrzcugung, «lass bei Durchführung aller
obengenannten prophylaktischen Maassrcgeln uml bei Aus¬
nutzung «ler auf anderen Gebieten gewonnenen Erfahrung ein
zielbewusster Kampf gegen die Tuberkulose zum Siege führ«*u
muss.
(Fortsetzung folgt.)
Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin.
(Blgener Bericht.)
Sitzung vom 18. Juli 1901.
Herr M o s s e: Vorstellung «»Ines Fall«»s vonPharynxcarcinom,
ausgehend vou «l«*r recht«»» Mandel, und eines Falles von multipler
Cystenbildung hu Kehlkopf.
Herr Keller: Demonstration eines «lmvh Laparotomie ent-
fernten Uterus myomatosas mit Cervixearclnom und l’yosalpinx.
Herr Martens: Demonstration des Sputums eines Fall«*»
von Lungenaktinomykose.
Herr StrausB: Klinische Demonstration zur trauma¬
tischen Tabes.
Bei einem Arbeiter 2 Jahre nach <l«»m Sturz in ein«* Grube mit
dem linken Bein Auftreten von Ataxie und Alunag«*rung. vor¬
wiegend am linken Bein. retiektoris«*lie I’upill«*nstarre und I*Yhl«»n
«ler Patellarreflexe. Sofort nach «lern Fnfall war von dem Arzt«*
ausser PupillemUtTerenz nichts Krankhaftes gefuuil«*» worden.
Inft'ktiou und Erkältung nbgcleugnet.
Dlscussion: Herr Bernhardt h:*ht die Sehwi«*rigk«*i»
hervor. <1«»ii tahis«*h«*n Pro«*«*ss aus einem Trauma zu erklären. Er
hält für wahrscheinlich, dass eine sehlumm«*n;d«* Tah«*s durch einen
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MUKNU1II-:NEU MKDK'I NIKUllK WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
Unfall augefa«*ht werde. In diesem Fall«* s«*i ausserdem auch 1 h* 1
der Frau des Kranken Fehlen der Schneiirellexo festgestellt.
Herr O p p e n h e i m steht der Diagnose traumatischer Tabes
skeptiseli geg<*niib«*r.
Herr H o in a k glaubt nicht, dass ein gesunder Mensch durch
Trauma Tabes bekommt, aber wohl, dass eine bestehende Com-
pensation der tahisehen Erscheinungen durch einen Unfall auf¬
gehoben werden könne.
Herr Senator nimmt an. dass bei dem Bestehen einer Dis¬
position zu Tabes durch ein Trauma die Tabes hervorgerufen
worden könne.
Herr Krummacher: lieber Placenta praevia.
Vortragender weist auf die Gefährlichkeit der Wendung bei
IMaeenta praevia hin, da hierbei leicht Cervixrisse in dem
morschen unteren Uterinsegment entstehen. Die Wendung hat
mit besonderer Vorsicht, zu geschehen, zur Vorbereitung empfiehlt
sieit das Einlegen eines Kolpeiiryntcr. Die Extraction darf nicht
umuittclhar angeschlossen werden.
K. 1» r a u d e nburg- Berlin.
Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen.
(Bericht des Vereins.)
Sitz u n g v o in 24. J u n i 1901.
Herr v. Kryger berichtet über konservatives Operations¬
verfahren bei myelogenen Knochengeschwülsten.
Bei einem Mann«* wurde ein kI«*infuustgross«*s Sarkom im
unteren Ende des Humerus in der Weise entfernt, dass das untere
Drittel des Humerus bis auf eine dünne äussere Spange, die den
äusseren Kondylns trägt, resecirt wurde. Heilung mit etwas be¬
weglichem (Jelenk.
Bei einem jungen Mädchen wurde das untere Drittel des
Femur (10 ein) wegen eines myelogenen Sarkoms im Kondylus
internus abgetragen. Der Stumpf des Femur wurde in eine ent¬
sprechend gross ausgomeisselte Höhle der Tibia eingelassen. Die
Heilung ist noch nicht ganz abgeschlossen. Die Kranke geht in
einem Uipsverband umher.
Das Verfahren hat den Nachtheil, dass die Sorg«* wegen des
Reeidivs weit grösser als hei der Amputation, andererseits hat
man «len grossen Vortheil, dass «lie Krank«*n sich früher ent-
scliliessen. ein«*n Eingriff vornehmen zu lassen, und ihnen die,
wenn auch in veränderter Form erhaltenen Gliedmassen mehr
nützen als die schönsten Apparate.
Derselbe bespricht ferner einige Dunkle, die in der operativen
Behandlung der Magenleiden von Wichtigkeit sind. Wiederholte
Beobachtungen haben gezeigt, welchen Erfolg selbst hoi grossen,
weithin verwachsem ‘11 Magencareinomen noch die Gastroentero¬
stomie hat. Krank«* mit d«*n schwersten Kclcutionserscheinungcn.
auf «las A'Missersto heruntergekommen, erholen sich ungemein
rns«-h nach «lein Eingriff, nehmen Dis zu 25 Pfund an Gewicht zu
und. was «lie Hauptsache ist, erfreuen sieh noch 1—1</ 3 Jahr«* wirk-
li« heil Wohlseins, obwohl die Geschwulst sich langsam weiter ent¬
wickelt. Glänzend sind die Dauererfolge bei narbigen Pylorus¬
stenosen. Da zuweilen grosse Mag«*ng«*sehwillst«* bei Eröffnung
«lc.s Leibes in überraschender Weise noch beweglich und ohne viel
Metastasen gefunden werden, nachdem die klinische Untersuchung
eher das Gegen!heil auuehmen lioss, rechtfertigt sieh auch in
solch«*!! Fällen die Probeineision. Die St«>rbliehkeit ist um Vieles
geringer geworden, zumal naelid«*m das früher so oft aufgetretene
rtegurgitireu und gallige Erbrechen nahezu ganz geschwunden ist.
Es fällt diese günstige Wendung zusammen mit der Aemlerung des
Operationsverfahrens. Es wird jetzt an «1er Erlanger Klinik aus¬
schliesslich die Gastroenterostomie nach v. Hacker (Ketroeoli« -a)
gemacht, statt der Antee«dica mu-h W ö 1 f 1 <> r.
Eine für den Arzt wie für den Kranken wesentliche Ver«*in-
faehung hat die Nachbehandlung erfuhren. Ausspülungen nach
«ler Operation sind die grössten Ausnahmen, während sie früher
r«*g«*lmüssig zur Anwendung kamen. Ein«* Qual für alle Tlieilc.
Während sonst 10- 14 Tage «lie strengste Diät nach «ler Operation
b«*oba«-lit.et wurde, wird nun möglichst bald wirklich Nährendes
zugeführt. Vom zweiten Tage an Milch und Eier, nach 7 Tagen
meist schon Fleisch. Dabei ist nie im Geringsten Nachtlieillges
b«*«»baeht<*t wonlen. Die Kranken sind weit früher über d«»n b<>-
«I roh liehen Hnngcrzustand lilnw<*gg<*k«»inm<*n als sonst. Mancher
hat »la<lur«*h «lie zur T'eherwindung der Operationsfolgen uoth
w«*ndige Wi«l«*rs1andskraft erhalt«*n.
Herr L. R. Müller: lieber die Innervation der Blase,
des Mastdarms und des männlichen Geschlechtsapparates.
Auf Grund von klinischen Beobachtungen ist M. zur Uobcr-
/«•ugung gekommen, «lass «lie nervösen Deut reu, in den«*n «lie
Urin- und «lie. Stuhlentlccrung und «lie Erektion ausgelöst werden,
nicht, wie. bisher allgemein angenommen wurde, im untersten
Theil d«*s Rückenmarks gelegen, sondern im s y m p a t h i s c h e n
XYrvengeflecht des Beckens zu suchen sind. Dur«*h eine Reihe*
von Thierversuchen konnte diese Vermuthung bestätigt werden.
Bei Hunden. den«*n «l«*r unterste Th«*il des Rückenmarks «lurch
Operation entf«mit ist. kommt es zu ganz regelmässiger, aller-
«liiigs vom Willen unaMiiingiger Urin- um! Stuhl«*iitl«*crung; h *i
! solchen Thicrcn konnte auch wiederholt Erektion beobachtet
I werden, nur die Ejaculation «les in den hinteren Theil der Harn¬
röhre ergossenen Samens ist in Folge «ler Lähmung der quer¬
gestreiften und vom untersten Theil des Rückenmarks inner-
! virten Musculatur des Ischio- und Bulbocavernosus behindert.
Der Same träufelt langsam aus der Harnröhre ab.
Herr Aichel:
n) Demonstration eines neuen elektrischen Thermokauters.
In <I«*r Behandlung «les inoperablen (’areiuoms des Uterus
, konnte bisher die alte Behandlungsart der Verschorfung durch
[ das Glii hei sen von keiner anderen Methode verdrängt \verd«*n.
i «la nur durch sie «lie Blutungen auf längere Zeit zum Stillstand
gebracht werden können.
| Dies«* Methode führt«* sich aber in der Praxis nicht ein. da
sii* zu umständlich Ist, sic kann fast nur in Kliniken zur Au
I Wendung gelangen.
A i <• li e 1 hat daher «lurch die Firma It einiger. G e I« -
i hört & Schall. Erlangen, einen «•lektrischcn Thermokauter h«*r-
: stellen lassen, an dein eine Eis«»nhülse. «lie vorn G nun. seitlich
I 3 mm stark ist. zur Weissglut erhitzt wird,
i Da der Thermokauter dauernd «lurch «len Strom In Weissglut
I erhalten wird, ist «lie Tiefenwirkung eine sehr starke.
Bei einmaliger Einführung d«*s Instrumentes erreicht inan di«*-
^ seihe Tiefenwirkung wie bei der sonst nothweudigen Benutzung
i einer Heilte von Glüheisen.
Die Vortheile des Instrumentes sind folgende:
1. Kürze «ler Operation. 2. Vermeidung von Ncb«*nv«*rbreim-
ungen. da nur «lie Kuppe. nicht «ler Hals, glüht. 3. die Anwendung
j von Eisspiilimgen kommt in W«*gfall. 4. der Operateur braucht
' keine Assistenz. 5. nach «ler Operation Sehmerzfreiheit, G. nahezu
völliges Fehlen von Ausfluss nach «ler Operation.
bi Parametritis und Ischuria paradoxa.
A i e li «* 1 beruhtet über eine Frau von 45 Jahren, «lie er zum
erst«*!! Mal im Januar 19 <m> b«*lmn<b*lt«*.
Die Frau klagt«* über heftig«* Schmerzen im Leib, fort währen
■ «len Harndrang, tropfenweise abtliessemlen Urin.
Di«* Blas«* stand mit ihrem’ Grunde 3 Finger über dem Nabel.
| Das Einführen ein«*s Katheters gelang schwer unter Ausführung
j einer Spirahlrchung.
Di«* Gebärmutter war durch derbe parametrane Sträng«-
hart an der rechten Beckenwand befestigt.
Nach 14 tägiger Massage waren di«* Stränge hddlicli weich,
«lie Gebärmutter lag nahezu in der Mittellinie, die Kranke war
beseliwerdet'r«*i. Urinentleerung erf«dgt«* spontan.
(> Woelien später kam Pat. wied«»r mit «len glei«*l»«*n H**-
sehwerd«*n. Der Befund war derselbe wie vor G Wochen, di-*
para)!n*tran«*n Stränge liatteu sieh wleiler zusammen gezogen.
Abermalig«* energisch«; Behandlung mit Massage. Die Kraul;«*
] konnte nach 4 Wochen heseh\v«*r«l«*fr«*i entlassen werden, «ler
Uterus lag in d«*r Mittellinie, die Sträng«* im rechten Parametrium
waren weich und nachgiebig. Spontane Urinentleerung.
Die Kranke hat sich nunmehr nach 15 Monaten wieder vor-
g«*sl«*lit. ist. gesund. Die Gebärmutter liegt in «ler Mittellinie.
Aichel ist es nicht b«*kannt, «lass in Folge pars tuet rauer
Exsudate mit Gi'härmutterverhigerung eine Ahknickung «ler Harn¬
röhre he«»baeld«*t worden wäre, die das Bild «ler Ischuria paradox.*»
v«*ranlasst. Dass ll«*ilung allein durch Massage erfolgt wäre, war
nicht erwart«*t worden.
Verein Freiburger Aerzte.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 24. Mai 1901.
1 Icrr v. Kahlden: Demonstration pathologisch-ana¬
tomischer Präparate.
M. II.! I. Ich lege Ihnen hier zunächst eine miinnskopf-
grosse G<*s«*hwulst vor. w«*lche re«*hts von dem nur wenig
v«?rgrössert«*n Ut«*nis liegt, sich aber von diesem üb«*rall
gut abgivnzen lässt. Ovarlum und Tube, sowie das Mes-
ovarium sind ebenfalls frei, es handelt sich um einen
«ler in neuerer Z**it häutiger ls*schri«*bem*n Tumoren des
Ligamentum lat um, und zwar um ein F i b r o ni y o in.
Die Geschwulst. Iiat sich, wie Sie sehen, bei der 42 Jahre alten
Frau im unteren Theile «l«*s Ligaments entwickelt; mikroskopisch
handelt «*s sich um ein Fibromyoin mit zahlreichen, ausgedehnten
Lymphgofässen.
II. P r i m ii r «* r B r o n c h i a 1 k r e b s, «ler sich ln Form eines
gleichmässigen Inliltrat«*s in der ganzen Peripherie des rechten
llauptbrouchus entwi«*k«*lt hat. Si«> sehen hier zahlreiche Meta¬
stasen in beitlen Nier«*n, in beiden Nebennieren und In der Leber.
14 Tag«* vor dem 'l’ode d«*s Krank«*n waren im rechten Schulter-
gelenk ziemlich h«*ftige S«-hm«*rzen aufgetreten. Als Ursache der¬
selben erkeiin<*ii Sie eine flache Metastase in der Gelenkkapsel, von
der ich Ihnen auch mikroskopische Präparate ausgestellt habe. Ks
handelt sich um ein typisches CarClnom mit Nestern von vor¬
wiegend eubischeiii Epithel.
III. M a n n sf a ii s t g r os ser, primärer Krebs de r
B a u c hspelcheldrüse bei einem 50 Jahre alten Manne.
IV. Di«* pilzförmige G«*schwillst, welche Sie hier auf dein
mittleivu Theil«* «les Brustbeins sehen und welche einen Durch-
lm-sM r veil 8 7 cm hat, war bei einem GS Jahre alten Manne
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6. August 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1301
gunfc langsam gewachsen. Sie war Anfangs von beweglicher llaut
Ulterzogen, während diese jetzt auf der Höhe der (Jesehwulst zu
(1 runde gegangen ist. Der Träger der Geschwulst war einige Zeit
vor seinem Tode von einer Spontanfraktur des rechten Ober¬
schenkels befallen worden, als deren Ursache Sie eine Metastase
der Geschwulst in das Knochenmark des Femur erkennen. Die
mikroskopischen Präparate, welche ich von der Primärges -hwulst
und von der Knochenmetastase aufgestellt halte, zeigen, dass die
Geschwulst ein Endotheliom ist. welches aus regelmässigen
Nestern und Strängen von rundlichen Zellen mit hellem Proto¬
plasma zusammengesetzt ist. Zwischen den Nestern befindet sich
ein ganz zartes Stroma. Ausser der Metastase im rechten Ober¬
schenkel sehen Sie die Leiter uoeh vollständig durchsetzt von
sekundären Knötchen und ein fast faustgrosser Tumor liegt im
Periost der linken G. Rippe, nur locker mit dieser verbunden.
V. Rundliches, scharf abgogrenztes Sarkom mit grau-
rotlier Schnittfläche in der linken Hemisphäre einer
GS Jahre alten Frau. Der Tumor durchsetzt die ganze Mark-
siibstanz und hat das Dach des Seitenveutrikels etwas nach unten
und links verschoben. Mikroskopisch erkennen Sie an dem aus¬
gestellten Präparat ein gegen das Hirngewebe ausserordentlich
scharf abgegrenztes Rundzelleusarkom mit sehr zahlreichen, zart-
wandigen Gefässen.
VI. Der Riiekenmarkstuinor stammt von einer
:H» Jahre alten Frau. Er nimmt, wie Sie sehen, das ganze llals-
niark ein, erst im unteren Abschnitt desselben werden Theile der
Vorderhörner sichtbar. Sie überzeugen sieh ferner auch durch
Vergleich mit den ausgestellten mikroskopischen Präparaten, dass
die Geschwulst nirgends eine Verbindung mit den RUckenmarks-
lniuten hat. Es handelt sich vielmehr um einen rein intramedul¬
lären Tumor und zwar uin ein zellreiches Fibrom.
VII. In dieser Lunge eines 3'/ 2 Jahre alten Kindes sehen Sie
in der Arterla p u 1 m o n a 11 s, dicht unter ihrem Anfaugstheil,
2 stark erbsengrosse Aneurysmen. Ihre Wand ist verdickt,
nach der Seite grenzen sie unmittelbar an einen in Zerfall und
Ilöhlenblldung begriffenen Käseherd. Derartige Aneurysmeu in
rtilierkulösen Lungen sind hei Erwachsenen keine Seltenheit,
während im frühen Kindesalter bis jetzt nur wenige beschrieben
worden sind. In einer Reihe von Fällen kommen sie multipel vor,
einmal sind 32 rosenkrnnzfürmig aneinaudergereihte gezählt
worden.
VIII. Ferner lege ich Ihnen das Herz eines 4t! Jahre alten
Mannes vor. Dasselbe zeigt genau im Bereich des Septum
nicmbranaceum ein etwa wnllnussgrosses Aneurysma,
welches hauptsächlich gegen den rechten Vorhof hin sich vor¬
wölbt. Spureu von früherer Endoearditis sind nicht vorhanden,
die Anamnese weist auch auf keine sonstige Infektionskrankheit
bin, welche das Herz hätte in Mitleidenschaft ziehen können.
I»a auch Sklerose der Kranzarterien fehlt, so ist mit Rücksicht auf
die Lagebeziehung zu dem Septum membranaceum wohl am wahr¬
scheinlichsten, dass es sich um eine angeborene Veränderung
liuudelt.
IX. Rechtsseitige Herzhypertrophie, daneben auch
linksseitige starke Hypertrophie, verbunden mit hochgradiger
Stenose und frischer Endoearditis der Mitralklappe.
X. Vena spermatica einer Frau in mittleren Jahren.
Im Anschluss an eine Laparotomie ist daJ* Gefüss in seiner ganzen
J Jingo throinbosirt und zu stark Daumendicke ausgedehnt.
XI. Diese Niere einer G8 Jahre alten Frau hat im Anschluss
an eine alte Fyelouephritis unbekannter Aetiologle schwere Ver¬
änderungen erfahren. Das Organ ist hochgradig verkleinert, es
hat eine Länge von 5 cm, eine Höhe von 2'/ 2 cm und eine Dicke von
2 >/i cm. Zum grössten Theil wird sein Durchschnitt eingenommen
von einer mit eingedicktem Eiter gefüllten Höhle. Nach dem
otieren Pol zu Ist noch etwas festes Gewebe vorhanden, welches
von kleineren alten, eingedickten Eiterherden durchsetzt ist. Von
Nierengewebe ist keine Spur mehr zu erkennen.
XII. Auch diese Niere eines Gl Jahre alten Mannes ist in
Folge einer Pyelonephritis calculosa hochgradig geschrumpft.
Die Rinde ist von einer Reihe eingedickter Abscesse durchsetzt, von
Nierengewebe ist in der Rinde nichts mehr zu erkennen, auch die
Mnrksubstanz ist fast vollständig zu Grunde gegangen und durch
«•ine Fettwucherung vom Nierenbecken her substituirt. Die Niere
«ler anderen Seite ist kompensatorisch vergrössert und zeigt in
2 Kelchen des Nierenbeckens noch bohnengrosse Konkremente.
XIII. Dieser Dlckdarm stammt von einem G7 Jährigen Manne.
Namentlich in den unteren Partien sehen Sie alte, gVreiuigle dys¬
enterische Geschwüre. In den oberen Partien kombiuirt
«Ich mit der Geschwürsbilduug eine sehr ausgesprochene Ente
r i 11 b membranncen. Die Psemlomembraneu sln«l in fester
Verbindung mit der Schleimhaut und ragen in einer Länge von
2 5 cm in das Darmlumen herein. Aus den aufgestellten mikro¬
skopischen Präparaten überzeugen Sie sich, dass in der Membrau-
hihluug nicht nur das Epithel der Schleimhaut, sondern an vielen
Stellen «Ile ganze nekrotische Schleimhaut und die gauze Sub-
nnioosa aufgegangen sind.
XIV. III r n a b 3 c e s s nach Otitis media.
XV. Dieses Blasend! vertikel von aussergewöhnlicher
Grösse bildet einen Zufälligkeitsbefuud aus der Leiche eines
2G Jahre alten Mannes. Sie sehen, dass das Divertikel hinter der
Blase gelegen Ist, dass «*s mit dieser durch eine kaum bleifeder-
dicke, runde Oeffnung kommunlzirt, dass es ferner am gehärteten
Präparat mehr wie die doppelte Grösse der Blase besitzt, denn es
hat einen Querdurchinesser von 9 und einen Liingendurchmesser
von 14 cm.
XVI. Schliesslich möchte ich Ihre Aufmerksamkeit mich für
diese sehr ausgesprochene Gastritis phlegmonosa erbitten.
Dieselbe hat sich im Anschluss an eint’arcinom der grossen f'urvatur
entwickelt, fast Im Bereich des ganzen Magens ist die Wand auf
das 3—4 fache «l«*r Norm verdickt und hauptsächlich im Bereich der
Subnuicosa von einem sulzig-eit«*rigon Infiltrate eingenommen.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 15. Mai 1901.
Vorsitzender: Herr C. F r a e n k e 1.
Vor der Tagesordnung:
3. Herr Oraefe legt ein mannskopfgrosses Ovarialkystom
vor, dessen Stiel 2 mal tortpiirt war. Es stammte von <*iner Pa¬
tientin, welche vor 23 Jahren von anderer Seite bereits einmal
ovariolomirt worden war. Nach 2 Geburten hatte sieh in der Baueli-
narbe und neben derselben in einem Sticbkaual -- es war. wie da¬
mals üblich, mit Silbordrnht durc hgreifend genäht worden — eine
Hernie gebildet, welche im Laufe der Jahre die Grösse eines Apfels
erreicht hatte. Ab und zu waren an derselben Beschwerden auf
getreten, welche aber stets spontan oder nach leichtem Massiren
durch die Patientin selbst verschwunden waren. Letztere er¬
krankte, nachdem sie Tags zuvor noch cin«*n weiten Spaziergang
gemacht, plötzlich an Uebelkeit. und Schmerzen in der Bruehgegend
und Stuhlverhaltung. Abführmittel wurden auf eigene lland.
aber erfolglos genommen. Nach 24 Stunden fand Vortragender
das Abdomen stark meteoristisch aul'gctrieben, den Bruch em¬
pfindlich, in demselben neben Netzknollen eine Darmsclilluge, die
reponirt wurde. Danach vorübergehende Besserung. Am folgen¬
den Tage öfters Erbrechen, kein Stuhl, keine Blähungen. Patientin
verlegte die Schmerzen jetzt in die Gegend unterhalb und seitlich
des Bruches, wo auch — eine genaue Palpation war bei der Druck¬
empfindlichkeit des Abdomen und dem Metoorismus unmöglich —
eine undeutliche Resistenz zu fühlen war. Der vaginale Unter¬
suchungsbefund lieL gänzlich negativ aus. Combinirt konnte aus
den angegebenen Gründen nicht untersucht werden.
Da nach weiteren 24 Stunden das Allgemeinbefinden sieh ver¬
schlechtert hatte und noch keine Flatus ubgegangeu waren, sollte
Patientin in das Diakonissenhaus übergeführt werden. Kurz
zuvor hatte sie, wie schon mehrmals, im Laufe der letzten Tage,
wieder einen hohen Einlauf genommen. Als sie aufstand, um sich
anzuklelden, gingen plötzlich reichliche Blähungen ab, ebenso nach
der Ueberführung. Trotzdem verschlechterte sich «1er Zustand,
so dass die Kranke nun seihst auf die Operation drang. Ehe die¬
selbe ausgeführt wurde, stieg die Temperatur auf 39“, Puls 140.
Die Annahme, dass die Krankheitserscheiuimgen von der Ilernic
ausgingen, war fallen gelassen, dagegen eine Dannknickung durch
Verwachsung mit dem alten Stiel vermuthet.
Bei der Coellotomie fand sich nun nach Abbindung einiger
Netzadhaesionen iin kleinen Becken und Beiseitedrängung der
Därme ein blauschwarzer Tumor, das torquirte Kystom. Nach
seiner Entfernung wurden noch die beiden Bruchsäcke excidirt.
nach Lösung und theilweiser Resektion der mit ihnen verwachsenen
Netzknollen. Dreifache Etagennaht, Fasele mit Silkworm. Schon
am nächsten Tag fiel die Temperatur auf 38.3 Vom 3. Tag an
fieberloser Verlauf.
Graefe weist darauf hin, wie häufig Stieltorsion ovarieller Tu¬
moren zu Fehldiagnosen, besonders auf Perityphlitis und Peritonitis
Veranlassung gibt. Der vorliegende Fall wurde nicht richtig ge¬
deutet, da eine genaue, besonders kombinirte Untersuchung wegen
des Meteorismus und der Druckemplindliehkeit nicht möglich war.
und die Bauchhernie anfänglich der Ausgangspunkt der Be¬
schwerden zu sein schien.
Bei dem zweiten Präparat handelte es sich um einen tu baren
Fruchtsack etwa der 8. Woche. Die Put. seihst hatte geglaubt,
sie habe abortirt. Ein schnell bis auf Gänseeigrüsse wachsender
Adnextumor sprach für Extrauterinschwangerschaft. Bei der
('oeiiotomic ergab sich ein auffallender Befund: eine Geschwulst,
welche im ersten Augenblick ganz als Darin- bezw. Mesenterial
tumor impouirte, hoch oben au die Linea innoniinata reichend.
Der Douglas völlig frei von Verwachsungen und Blut. Sehliess
lieh fand sich an der Basis der Geschwulst eine bläulich:-, eyslisehe
Vorwölbung, hei deren Lösung der Finger in einen Ilaeinaioeeleu
sack fiel, «len eine winkelig abgeknickte und mit den Schenkeln
verwachsene Darmschliugc seliaalenfönnig überdachte. Aus
räunumg der Blutgerinnsel. Abtragung des tu baren Fnn-hlsarkes.
Genesung.
Graefe hat einen derartigen seitlich Indien Sitz einer llae
matocele bisher nie gesehen. Für gewöhnlich sind dieselben
wenigstens zum Theil retrolltcrin.
Tagesordnung:
4. Herr Prof. Leser: Erfahrungen über Behandlung und
Prognose bösartiger Geschwülste. (Der Vortrag erscheint unter
den Originalien dieser Wochcnsehr.)
Besprechung. Herr Geh. Rath Weber bemerkt, dass
«•Ine Laparotomie zu diagnostischen Zwecken an sieh gewiss ein
pfehlenswerth erscheine, da es vor allen Dingen darauf ankoinine.
beim Bestehen eines Krebses frühzeitig die Diagnose zu stellen
mul damit einen erfolgreichen operativen Eingriff zu «*rniögliehen.
Oft wird eben gar zu leicht der Krebs zu späi erkannt, oder mit
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MÜENCHENF/R MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 32.
1302
gekehrt ein andersartiger Tumor als Krebs unbesprochen. Ahe/
mau muss trotz alledem die Frage auf werfen, ob denn eine solche
Laparotomie in der Tliat so ungefährlich sei. wie Vortragender dies
behauptet.
Herr F ries will zu der Empfehlung des Vortragenden, bei
Zungenkrebs die ganze Zunge zu entfernen, erwähnen, dass dieser
Eingriff, über dessen Xothwendigkeit in allen Fällen er sich un¬
geachtet einiger Zweifel kein Unheil erlauben will, keineswegs
eine so erhebliche Verstümmelung und allgemeine Schädigung
bedeute, wie man dies zunächst wohl vermutlien könne. Er be¬
schreibt einen von Flügge (Arcli. f. Psychiatrie u. Xervenkrankh.
Rd. XI) aus der (Jöttiuger Irrenanstalt veröffentlichten und später
von ihm selbst beobachteten Fall, in dem eine Geisteskranke sich
(ohne Instrument) in nicht ganz aufgeklärter Weise (Fingernägel.
Zähne. Torsion?) die Zunge an der Wurzel abgerissen hat und
doch schon nach verhältnissmässig kurzer Zeit, indem der in zwei
Wülsten sich erhebende Roden der Mundhöhle einen Theil der
Zungenfunktion ül>ernahm. die Möglichkeit wieder gewann, zu
sprechen und sich dabei — auch Fremden gegenülter — durchaus
verständlich zu machen. Das Anfangs erschwert gewesene
Schlucken geschah später mühelos.
Herr Fränkel hebt hervor, dass ln Amerika die sogen.
C o 1 e y'sche Flüssigkeit, d. h. auf dem Wege der Filtration sterili-
slrte Ivulturtlüssigkeit des Bacillus prodigiosus. allein oder im
Verein mit einer solchen des Streptococcus pyogenes liel Behand¬
lung inoperabler Krebse nicht selten mit angeblich gutem Erfolge
benutzt wird. E m m e r i c li’s Krebssemm lialx* auf diese Be¬
zeichnung nur insofern Anspruch machen können, als es aus dem
Serum von Thieren (Schafen) bestanden hätte, die mit virulenten
Streptococcen inficirt worden seien. Dagegen hätte es sich nicht
etwa, wie man vielleicht vermutlien könnte, um das Serum von
immuuisirten Thieren und die Wirkung irgend welcher Autistotfe
gehandelt. In Wahrheit habe also die Verwendung des Krebs¬
serums eine andere Art. der Einimpfung lebender Streptococcen
dargestellt. Bei der letzteren muss aber ln der Tliat mit der grossen
Gefährlichkeit eines solchen Eingriffes gerechnet werden, da Viru¬
lenz der Krankheitserreger und Empfänglichkeit des mensch¬
lichen Körpers anssorordontliehen Schwankungen unterliegen.
Herr Lese r erwähnt noch, dass die Zunahme der Krebsfälle,
die ln den letzten Jahren festgestellt, sicherlich nicht nur eine
absolute, sondern auch eine relative und procentisclie sei. Man
erblickte im Krebse daher vielfach eine eigentliche Kultur¬
krankheit. Auch geographisch verhalte sich die
Krebskrankheit, worauf Czerny 1909 hingewiesen habe, ver¬
schieden und nehme z. R. nach dem Süden hin ab; schon im Süden
Italiens und in Sicllien sei Krebs sehr selten und im Xordeti
Afrikas kämen Krebserkrankungen nur l>ei Eingewanderton vor.
Herr Holländer bestätigt dies nach seinen Erfahrungen
In Südafrika, wo der Krebs bei der laudsässigen Bevölkerung ver¬
hältnissmässig sehr selten sei. Das gelte z. B. auch für den Lippen¬
krebs. obwohl die Buren l>ekauntlieh eifrige Itaucher sind und die
Pfeife während des ganzen Tages kaum jemals aus dem Munde
lassen.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 25. Februar 1901.
Vorsitzender: Herr Bardcnhoue r.
Schriftführer: Herr F. Ca hon.
Herr Dreesmann tlieilt zunächst 2 Fälle von Darm-
invagination mit. die durch operative Behandlung gehellt wurden.
Der erste Fall betraf ein Kind von 8 y» Monaten, welches am
27. XII. 1000 Abends in das St. Vlncenz-Krankeuhaus aufgenommen
wurde. Nachdem an diesem Tage Morgens zunächst noch nor¬
maler Stuhlgang erfolgt war. ging bald darauf blutiger Schleim
ab. und es erfolgte dann im Laufe des Tages nach Jeder Nahrungs¬
aufnahme blas Kind erhielt ,die Brust) Erbrechen. Wiederholte
Einläufe brachten keine Besserung und es wird desslialb am Abend
zur Laparotomie geschritten. Vor der Operation konnte der Sitz
der Imagination, da weder Auftreibung noch Dmckempfindlich-
keit. noch eine Resistenz naehzuwelsen war. nicht, mit Sicherheit
bestimmt werden. Es fand sieb etwa 10 cm Ilemn in's Kolon
aseendens Invnginirt. Die P<*slnvnglnatIon gelang ziemlich leicht.
Das lleum oberhalb der Imagination war auf eine längere Strecke
hin zu einen dünnen Strang eontrahlrt. Da das Kind stark colln-
birt war, erhielt es in der folgenden Nacht stündlich 0.5 Ol. catuph.
injicirt. Am anderen Morgen erfolgte normaler Stuhl, und verlief
dann die Heilung ungestört.
Der 2. Fall, dem 1. analog, betraf einen Knaben von
4 «4 Jahren. Derselbe hatte am 20. X. 1801 zuerst einmal Leib-
schmerzen geklagt, fühlte sieh aber weiterhin gesund. Am 23. I.
trat unter Schmerzen Abführen ein. am 24. I. Abgang von Blut
und Schleim. Die Operation der Imagination, die vom Rectum
aus eben noch palpabel war. fand nach vergeblicher interner Be¬
handlung am 25. 1. statt, 15 cm Kol. transvers. waren in das Kol.
«leseend. invaginirt. Die D«*slnvagination war etwas schwieriger.
•*s entstanden hierbei 3 Risse in «ler Seros», die genäht wurden.
Auch hier war der Dann oberhalb «l«*r Imagination krampfhaft
eontrahlrt. Der Verlauf war etwas gestört durch hin und wieder
auftretende Darmstörungen. Die Heilung erfolgte auch hier per
primam.
Aus diesen beiden Fällen geht hervor, dass man bei der ln-
vagiuatlon nicht lange zögern soll mit der Laparotomie. Sobald
Innerhalb der ersten 12 Stunden die gewöhnlichen Mittel nichts ge¬
fruchtet haben, ist ein längeres Abwarten nicht gerechtfertigt. Die
Gefahr der Operation, rechtzeitig ausgeführt, ist auch bei kleinen
Kiudern offenbar keine bedeutende.
Auffallend war ln beiden Fällen die starke C-ontraetion des
Darmabsehnittes oberhalb der Invagination. wodurch auch das
Fehlen des Meteorismus erklärt wird. Dies Fehlen des Meteoris¬
mus kann, wenn der Abgang von Schleim und Blut nicht beobacht -t
wird, leicht zu falscher Diagnose Veranlassung geben.
2. zeigt Herr Dreesmann das Präparat eines gangrae-
nösen Wurmfortsatzes. Derselbe stammt von einer 20jährigeu
Patientin, welche am 3. Tage der Erkrankung lediglich mit Rück¬
sicht auf die Verschlechterung des Pulses (140 pro Min.) operirt
wurde. Der Wurmfortsatz lag in der freien Bauchhöhle etwas
unterhalb des Nabels. Massige Mengen trübseröser Flüssigkeit
wurden gleichzeitig aus der Bauchhöhle entleert. Die Wunde
wurde tnmponirt und Patientin genas. Das Präparat beweist, dass
ln einzelnen Fällen die Operation sehr früh elnsetzen muss, wenn
«las Leiten der Patientin gerettet werden soll.
Redner bespricht dann noch kurz die Indlcation zur Opera¬
tion b«>i der Perityphlitis. Die Indlcation ist nicht schwierig und
kann auch kaum Meinungsversehledenlieiteu hervorrufen, wenn
ilieselbe auf den pathologisch-anatomischen Befund baslrt Ist.
Sobald Elter da Ist, mag derselbe im Wurmfortsatz o«ler ln dessen
Umgebung sich befinden, muss operirt werden, weil uns eiten kein
Mittel zu Gebote stellt, um den ohne Operation möglichen günstigen
Ausgang mit Sicherheit herbelzuführen. Ob Eiter allerdings da
Ist. Ist im einzelnen Falle nicht immer leicht zu entscheiden. Es
ist das Sache der Erfahrung un«l der genauen Beobachtung vor
Allem des Pulses. Ist am 5. Tage bei rationeller Therapie (Eis.
Ruhe, event. Opium) noch Fieber vorhanden, wird vor Allem eine
Verschlechterung des Pulses bemerkt, so Ist ein Eiterherd als
sicher auzunclimen.
3. «lemonstrirt Redner das durch Darmresektion gewonnen-
Präparat einer K iclit e r'sehen Darmwandhernie. Die betr.
Patientin. 08 Jahre alt, wurde am 4. XL 1900 in's Krankenhaus
aufgenommen, «la in den letzten Tagen ohne besondere Besch win¬
den eine Anschwellung ln «ler rechten Lelsteng«>gen«l nufgetreten
war. Bei der Aufnahme fand sich ein hühnereigrosser Abseess
über den) Llgam. I’ouparti; das Allgemeinbefinden war ungestört,
kein Erbrechen, kein Fleb«*r, keine Tympanle; Stuhlgang war noch
am Tag«' vorher erfolgt. Bel der Incisiou am folgenden Tage
enth*«'rte sich fäkal ri«H-hender Eiter: Im Grunde der Abseesshölile.
unterhalb «les Lig. Poup. war gangraenöse Dannwand zu erkennen.
Mit Rücksicht auf das gute Allgemeinbefinden wurde von weiteren
Eingriffen vorläufig Abstaml genommen und die Wunde tnmponirt.
In der Absicht, einige Tage später die Dnriuresektion auszufüliren.
Da aber am folgenden Tag«* Erbrachen nuftrat und «He Puls-
fra«iu«*nz sich auf 140 steigerte, wurde die Bauchhöhle durch einen
Querschnitt oberhalb der Lig. Poup. enöflfnet. Hierbei konnte deut-
licli eonstntirt w«*r«len, dass nur ein Theil der Darmwaudung sich
in «len Schenktdkanal «ünstiilpte. Nach Spaltung des Lig. Poup.
konnte «He den etwa drei markst tick grossen Dannwandbruel» <*ut-
baltynde Dnrmsclilinge gelöst und in Ausd«*hnuug von 8 em reseelrt
werden, wobei an «l«»r Sehnürfuralie ein Einriss erfolgt«'. Direct«*
Vereinigung der I lärmenden mit Murphy knöpf. Theil weise Xalit
und Tamponade «ler Wunde. Weiterhin guter Verlauf. Der
Murphyknopf wurde nach 14 Tagen entleert. Der Darmwandbruch
nahm etwa % «ler Clrcumf«*ranz «les Darmroliras «*ln, war in ganzer
Ausdehnung gnngraeiuös und der Perforation nahe: mit der Um¬
gebung war er leicht v«*rkl«*bt.
Redner erwähnt noch «•Inen analogen Fall, den «*r vor
5 Jahren bei einer jüngeren Patientin beobachtet hat; hier konnte
nach Eröffnung <l«*s Bruchsack«*s «lic Darmwundhernie, die di«>-
selbe Gross«* wie im vorigen Falle hatte, repouirt werdeu. Audi
hier ungestörte Heilung.
Im Anschluss an «lies«* beiden Fälle bespricht Redner die Aetio-
logie di«*ser II1 e li t e r’schen Darm wandbrüche unter besonderer
B«*zugnahme auf «lii* Arbeiten von II o s e r, K ö u i g. Kor h e r.
Riedel. Föderl u. A. Der Auffassung von Föderl glaubt
Redner sieb ganz auschliess«*n zu können. Zum Schlüsse wird
noch lies«»uders die Forderung It i «* «1 e l's lx*tont, dass bei Ver¬
dacht. auf Danmvandbruch. d. h. wenn lx*i einem vorhandenen
Bruch «li«* Kothpassage nicht ganz aufgehoben ist, kein«* unblutige
Reposition versucht wenlen «liirfe. sondern stets wegen der Gefahr
der Perforation «l«*r Darmwandheruie Herniotomie mit nach-
folgemler R<*positiou r«*sp. Rem*ktion gemacht werden müsse.
Herr Andr. Stiel gibt einen Ucberblick über den gegen¬
wärtigen Stand «1er Fragt* lx*tr. die anatomischen nnd klinischen
Zeichen der Stirnhöhleneiterung, erläutert, an der Hand
mehrerer Fälle die Schwierigkeit der Diagnose der sog. latenten
Sinuseiterungen zumal der durch andere Nebenhöhleneiterungn
eoinplieirten und bespricht die Therapie einschliesslich der ver¬
schieden en Operationsverfahren.
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0. August 1001.
MUENCIIEN ER MEDIO I NI SCIIE WOClt EN SOII RI FT.
100 .)
Medicinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offlclellea Protokoll.)
Sitzung vom 2. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr Curschmann.
Schriftführer: Herr Braun.
Herr Marchand berichtet über einen vor Kurzem im
pathologischen Institut zu Leipzig seeirten Fall von malignem
Chorion-Epitheliom. Leider fehlte in der Anamnese jeder Hin¬
weis auf einen kürzlich vorausgegangeueu Abort oder eine Geburt,
doch war der anatomische Befund so charakteristisch, dass ein
Zweifel an der Diagnose ausgeschlossen ist.
Nach freundlicher Mittheilung des Herrn l)r. M e i s e n b u r g,
Assistenten an der Klinik des Herrn Goli.-U. Curschmann,
war die Verstorbene (Fr. K., 43 Jahre alt) früher gesund und
hatte 9 gesunde Kinder geboren. Seit \\ Jahr bestand Husten,
seit 8 Wochen mit blutigem Auswurf. Seit einiger Zeit trat zu¬
nehmende Schwäche im rechten Arm auf, am 18. Mai hei
einem Spaziergang plötzlich Schwäche im rechten Bein, am 11). früh
war der rechte Arm und das rechte Bein vollständig gelähmt, die
Sprache und das Gesicht frei. Kopfschmerzen traten nur zuletzt
zuweilen auf, häutig auch Uebelkeit.
Die angeblich stets regelmässigen Menses kamen zuletzt vor
14 Tagen. 8 Tage zu früh, und etwas heftiger als gewöhnlich.
Bei der Aufnahme im Krankenhaus (5. VI.) war die rechte
Seite schlaff gelähmt, die Reflexe gesteigert, Fussklonus. Der
Facialis war vollkommen frei, die Pupillen gleich weit, prompt
reagireud: die Sensibilität für feine Berührung in der ganzen
r«*chte» Körperhälfte etwas abgeschwächt.
An der linken Seite des Abdomen fanden sich zwei kleine
Tumoren, über dem «‘inen war diellaut livid verfärbt (Entstehungs-
zoit unbekannt).
Seit dein 11. VI. wurde zunehmende Benommenheit konstatirt:
wiinlerholtes Erbrechen. Pupillenreaktion besonders rechts sehr
träge. Enorme Reflexsteigerung rechts; Stauungspapille. Am
14. VI. vollständige Benommenheit, Stiche in die linke Seite rufen
schwache. Stiche in die rechte Seite gar keine Bewegungen hervor.
Reflexe auf links stark gesteigert. Tod am 14. VI. Abends.
Diagnose: Wahrscheinlich mctastatischer Hirntumor.
Die Sektion (15. VI.) ergab zunächst das Vorhandensein
von zwei etwa kirschgrossen Knoten ln und unter dem Unterhaut-
gewebe des Abdomen an der linken Seite, die auf dem Durchschnitt
bräunlichroth, anscheinend grüsstentheils aus coagulirtem, ver¬
färbtem Blut bestanden.
Die Innenfläche des Schädeldaches war etwas rauh; die Dura
mater beiderseits stark gespannt, die Windungen der Gross-
liirnhemisphilre beiderseits stark abgeplattet, am stärksten
im Bereiche des mittleren Theiles der linken Hemisphäre, welcher
gleichzeitig weich, fast schwappend und gelblich verfärbt war.
Auf einem Horizontalschnitt zeigte sich die ganze linke Hemi¬
sphäre sehr stark verbreitert (7.5 cm zu 5,5 rechts), ihre Substanz
stark gequollen. Auf einen Frontalschuitt in der Gegend der
< cntralwindungen kam ein schwach abgegrenzter dunkelbraun-
rotlier Knoten von 1,8 cm Durchmesser zum Vorschein, der die
Oberfläche an einer kleinen Stelle erreichte; die Gehirnsubstanz
iu der Umgebung gequollen, gallertig welch, oedematüs und Intensiv
gelblich.
Auf anderen Durchschnitten fanden sich noch mehrere ähn¬
liche kleinere Knoten von genau derselben Beschaffenheit in beiden
Hemisphären des Gehirns. Beide Lungen waren an der Ober¬
fläche mit stark hervorragenden, aber mit glatter Pleura bedeckten
Knoten besetzt, die ebenso auf den Durchschnitten in grosser
Anzahl zum Vorschein kommen; die meisten scharf begrenzt, über
die Schnittfläche prominirend, meist von bräunlichrother Farbe,
mit helleren Stellen ln der Mitte. Die Grösse der Knoten wechselte
zwischen der einer Erbse und einer Kirsche; einige waren umfang¬
reicher. Am hinteren Umfange des Herzens fanden sich einige
kleine grnurötliliehe Einlagerungen ln der Wand des linken Ven¬
trikels, dessen Höhle eine grnurötliliehe, thrombusartige, konische
Masse enthielt, die vom unteren Tlieil des Septums ausging, und
an der Basis mit einer weichen, blassgrauen Einlagerung in der
Museulatur zusammenhing. Die Leber war mit sehr zahlreichen
Knoten von sehr verschiedenem Umfang durchsetzt, die zum
Tlieil an der Oberfläche, besonders am hinteren Theil des rechten
Lappens, sich vorwölbten, und auf dem Durchschnitt dasselbe
hrüunliclirothe, in der Mitte mehr graugolblich-flccklge Aussehen
zeigten, wie die grösseren Luugenknoten. Einige kleinere
Knoten fanden sich ln der linken Niere, eine grössere
Zahl auch in der Darmwand, und zwar sowohl Im
Dünn- als im Dickdarm, wo sie die Schleimhaut nach innen vor¬
wölbten. Die grössten dieser Knoten, etwa vom Umfang eines
Zehnpfennigstückes, waren an der Oberfläche schmutzig verfärbt,
ulcerirt. Der Uterus war stark vergrössert durch einen seinen
Fundus einnehmenden Geschwustknoten, der an dem rechten Um¬
fang sich nach hinten vorwölbte und gleichzeitig mit mehreren
rundlichen Vorsprüngen in das rechte Ligamentum latum hinein¬
ragte. Daran schlossen sich stark erweiterte varleöse Venen. Im
linken övarium fand sich ein kleines, aber noch deutlich gelb¬
lich gefärbtes Corpus luteum. Die Innenfläche der nach links ver¬
schollenen Uterushöhle war mit ziemlich glatter, aufgelockerter
Schleimhaut ausgekleidet, nur in der Nähe des linken Tubenwinkels
fand sich eine weiche, dunkelrothe Hervorragung. Der durch die
Hauptgeschwulst bedingte Vorsprung war an der Oberfläche nicht
ulcerirt; die bräunlichrothe, tlirombusähulicbe Masse des Tumors
reichte bis nahe an die Oberfläche. Im unteren Tlieil der Vagina,
unweit oberhalb des Orilicium, fand sich ein stark hervorragender
Knoten von der Grösse einer kleinen Kirsche, der an seinem
unteren Umfang tief ulcerirt war, ein zweiter kleinerer Knoten,
mit glatter Schleimhaut bekleidet, sass weiter oberhalb etwa in
der Mitte.
Die mit Hilfe des Herrn l)r. Ui sei. Assistenten am Institut,
vorgenommene mikroskopische Untersuchung ergab
im Ganzen sehr Übereinstimmende Befunde an allen betheiligtcn
Organen. Uebernll bestand die Hauptmasse der Gescbwuist-
knoten aus tliroiubusartigen Gcriuuuugsproduktcn, Fibrin mit
rothen Blutkörperchen, während vorwiegend in den peripherischen
Theileu die noch gut erhaltenen, sehr charakteristischen Go-
schwulstmassen zum Vorschein kamen. Einige der kleineren
Knoten, besonders in den Nieren, bestanden noch aus reiner Ge-
schwulstiuasse. Diese Hess ln allen Organen mit grosser Deutlich¬
keit — schon bei frischer Untersuchung, sowie an den gefärbten
Schnitten — die bekannten, sehr unregelmässig gestalteten, viel-
kernigen Syncytiuminassen und die dazwischen gelagerten, dicht¬
gedrängten, hellereu, isolirteu Zellen erkennen, die vom Vor¬
tragenden und von Anderen vielfach beschrieben worden sind,
und die vollkommenste Uebcreinstiimnung mit den beiden
Schichten des Chorionepithels in früheren Entwicklungsstudicii
darbieten. Nur in den Luugenknoten war die Anordnung der Gc-
scliwulstmassen etwas weniger deutlich, grüsstentheils in Folge
degenerativer Veränderungen. Die Auskleidung des Uterus zeigte
unregelmässig gewucherte, ziemlich spärliche DrüseuseliHincho in
einem zellenreichen Schieimhautgewebe, welches sielt durch diese
Beschaffenheit deutlich als in Regeneration befindlich erwies --- ein
Befund, der im Zusammenhang mit dem Vorhandensein eines
älteren Corpus luteum zweifellos auf einen vor einiger Zeit statl-
gehahteti puerperalen Zustand hindeutete.
Der Vortragende legte ausserdem noch einen Tlieil einer Gross-
hirnhemisphäre und einer Niere mit Geschwulstknoten von der¬
selben Beschaffenheit wie im vorigen Falle vor, die von einem noch
in Marburg seeirten Falle stammten. Auch hier war nach den Er¬
scheinungen während des Lebens ein Gehirntumor angenommen
worden. Die Sektion ergab ausser einem solchen (im hinteren
Theil der rechten Grosshirnhemisphäre) zahlreiche Lungenknoten
und Knoten iu der linken Niere, die durch Ihre Beschaffenheit
sofort die Annahme veraulassten, dass es sich nur um Ciiorioii-
Epitlieliom handeln könne. Der etwas vergrösserte Uterus ent¬
hielt jedoch keine Spur einer Geschwulst, wohl aber liess er deut¬
liche Zeichen einer noch bestehenden decidualen Umwandlung er¬
kennen. Weitere Nachforschungen ergaben, dass bei der Ver¬
storbenen einige Monate vorher eine Blasenmole ausgeräumt
worden war. Derartige Fälle von zahlreichen Metastasen ohne
eigentlichen Primärtumor erklären sich leicht, wenn man berück¬
sichtigt, dass die Geschwulstbildung durch Eindringen von Chorion¬
zottenresten mit wuchernden Epithelzellen in die Venen zu Stande
kommt, die überall hin verschleppt werden können, ohne dass sie
sich im Uterus selbst festzusetzen und weiter zu entwickeln
brauchen. Derartige Fälle sind von Schmorl beobachtet worden.
Discussion; Herr Zweifel weist darauf hin, dass vor
11 Jahren in der geburtshilflichen Gesellschaft zu Leipzig zum
erstenmal von Sänger ein Fall dieser jetzt als Carcinoma syn-
cytiale erkannten Neubildung veröffentlicht worden sei. Um die
Kranken durch Operation retten zu können, sei eine möglichst früh¬
zeitige Diagnose des Leidens nötliig. In jedem Fall von Abortus
mit Nachblutung sind daher wiederholte diagnostische Uterus-
ausschalmngou angezeigt. In einem von Herrn Z. beobachteten
Fall ergab die erste Ausschabung und mikroskopische Unter¬
suchung ein negatives Resultat. Bald darauf erfolgte eine Lungen¬
blutung und die Kranke starb an ihren Metastasen.
Herr Krönig: Es muss das Bestreben des Klinikers sein,
bei diesen so ausserordentlich malignen Geschwülsten die Diagnose
möglichst frühzeitig zu stellen. Es ist dies dadurch zu erreichen,
dass wir hei Blutungen, welche nach einer Blasenmole Auftreten,
eine Probenuschahnng des Uterus vornehmen. Leider ist trotzdem
bisher in fast allen Fällen die operative Entfernung des ergriffenen
Uterus zu spät ausgeführt worden; die Frauen sind sehr bald nach
der Operation an Metastasen iu den verschiedenen Organen zu
Grunde gegangen.
Es erschien aus Untersuchungen in der Schaut a’sehen
Klinik anfänglich eine Besserung in Bezug auf frühzeitige Dia¬
gnose einzutreten, insofern N e u m a n n daselbst die Behauptung
aufstellte, man könne aus dem histologischen Verhalten der Binsen¬
mole allein schon zwischen gutartigen und malignen Blasen¬
molen, welche zu einem Chorioepitlielioma führen würden, unter¬
scheiden; speeiell hielt er einen retrograden Transport syneytinler
Massen in das Stützgewebe der Zotten als charakteristisch für eine
maligne Blusenmole. Er glaubte, dass man unter gewissen Ver¬
hältnissen berechtigt sei, aus dem mikroskopischen Befund der
Blasenmole die Indikation zur sofortigen Entfernung des puer¬
peralen Uterus ableiten zu dürfen.
Ich möchte mich selbst diesen Befunden gegenüber skeptisch
verhalten und möchte Marchand fragen, welchen Standpunkt
er in dieser Frage vertritt.
Herr Marchand glaubt nicht, dass cs möglich sei. histo¬
logisch frühzeitig eine maligne Blasenmole von einer gutartigen
zu unterscheiden.
Herr Trendelenburg fülirte einen Gjährigen Knaben
vor, bei dem er eine angeborene vollständige Blasen-Harnröhreu-
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Google
1304 MUENCIIENER M EDI CT N1S CTIE WOCHENSCHRIFT. No. 32.
spalte mit Ektopie der Blase durch sein Verfahren der Synchon-
drosentrennung und direkten Vereinigung der Spalträuder zum
Verschluss brachte. Die letzten Fisteln sind geheilt, der Knabe ist
im Stande, den Urin auch im Stehen und Umhergehen 1—1 >/ 2 Stun¬
den zurückzuhalten und dann willkürlich in kräftigem Strahl zu
entleeren. Die Menge des zurückgehaltenen Urins beträgt 4b bis i
70 ccm. Ein so vollständiges Resultat, wie in diesem Falle, wurde j
bisher nicht erzielt. Im Anschluss deinoustrirte T. photographische
Abbildungen von anderen geheilten Fällen, bei denen vollständige I
Uontinenz aber nicht erreicht worden ist und desslialb ein Com-
pressorium getragen werden muss.
Herr Marchand legte ferner den Uterus einer an
Eklampsie verstorbenen 18 jährigen 1‘uerpera vor, der sich durch
eine mangelhaft abgelöste, ungewöhnlich wulstige Verdickung
der Decidua auszeichnete. Das Hauptinteresse besitzt der Uterus ;
aber dadurch, dass nur das rechte Ovariuin vorhanden ist. während j
das linke mit Einschluss des Lig. latum und des grössten Theils ,
der Tube fehlt. Von dieser ist nur ein kurzer, 3cm langer Stumpf I
vorhanden, welcher kaum frei hervorragt und an seinem Ende i
in ein feines Fädehen ausläuft. Es entsteht hier die Frage, ob es |
sich um einen congenitalen oder um einen erworbenen Defekt ;
handelt. Das Vorhandensein eines kurzen Tubenrestes spricht I
an sich bereits für den letzteren. Bei genauer Besichtigung fand !
sich denn auch in der Tiefe des Douglas’sclien Raumes zwischen |
Bindegewel sadhaesioneu theilweise verborgen, ein harter länglicher !
Körper von etwa 1,5 cm Länge, der grüsstentheils verkalkt war, j
und jedenfalls das in früherer Zeit abgeschnürte, nekrotisirte und ;
am Peritoneum ilxirte Ovariuin darstellte.
Zur Erläuterung des Vorganges der Abschnürung legt Vor¬
tragender die Abbildung eines früher von ihm in Marburg be¬
obachteten ähnlichen Falles von einem an Diphtherie verstorbenen
.Mädchen von wenigen Jahren vor. Auch hier fand sich an Stelle
der linken Tube ein kurzer Stumpf, der in seiner Form ganz dein
hier vorliegenden entsprach. Vom grossen Netz ging ein an
seinen Enden fadenförmig gedrehter feiner Strang aus. an dem
das stark vergrösserte, in einen dunkelbräunliehen. etwas ge¬
falteten, eystisohen Körper umgewandelte Ovariuin hing. Augen¬
scheinlich hatte hier eine Abschnürung durch den feinen Nutz¬
st rang, blutige Infiltration und vollständige Abtrennung statt¬
gefunden. Nach Durchrelssung des Stranges und Fixirung des
Ovariuin am Peritoneum würde ein dem vorliegenden ganz ähn¬
licher Zustand sich ausgebildet haben. Vortragender verweist auf
die analoge Dislocation. Abschnürung und Fixirung der Milz
i Wanderinilz) au einer entfernten Stelle der Peritonealhöhle, z. I».
in der Regio ileocoecalis, von der er ebenfalls ein Beispiel be¬
obachtete. (Beschrieben in der Dissertation von Chr. Schütte,
Marburg 1895.)
Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offlcielle8 Protokoll.)
Sitzung vom 9. Mai 1901.
Vorsitzender: Herr S e n d 1 e r.
Herr Enke demonstrirt:
1. Einen Fall von typischem Mikrocephalus bei einem
50 jährigen Manne. Es wird die pathologische Anatomie kurz be¬
sprochen. Der Kranke hat ausserdem verkümmerte Gesehleehts-
thelle von der (»rosse derer von Neugeborenen. Penis ist 2'/ 2 cm
lang, federkieldick; entsprechend klein das Skrotum; in demselben
die Hoden als erbsengrosse harte Gebilde zu fühlen. Urinlasseu
normal; niemals ErectJoneu oder Samenabfluss. Patient ist da¬
bei mittelgross, körperlich wohlgebildet, geistig etwas schwach.
2. Einen 20 jährigen Menschen von infantilem Körperbau,
Waisenkind. Im 12. Jahre erkrankt mit Oedemen an den Beinen,
bald darauf wurde der Leib dick. Er hatte nie Schmerzen, keinen
Ikterus, Schlaf und Appetit immer gut. 1898 Aufnahme in die
städtische Armenanstalt. Befund: Schwächlicher Körper, Haut
weiss, Schleimhäute blass-bläulich. Zunge feucht, Lungen gesund,
Sehnenreflexe vorhanden, weinerliche Stimmung, kein Fieber.
Halsvenen erweitert und pulsirend, Hautvenen am ganzen Thorax
bis fast zum Nabel stark erweitert und geschlängelt einige davon
p u 1 s i r e n d. auch auf dem Kücken derartige Ektasien. Herz
vergrüssert, oben Dämpfung unter der 3. Rippe, seitlich bis zum
rechten Stemalrand. Starkes systolisches Geräusch an der Spitze,
verstärkter 2. Pulmonalton, manchmal (nicht beständig) systo¬
lisches Blasen an der Tricuspidalis, über der Basis des Herzens
sieht man einen Stoss, der Systole etwas voraufgehend. Puls 88,
regelmässig. Leib stark aufgetrieben, Nabel vorgewölbt, Leber
sehr gross, bis handbreit unter dem Rippenbogen fühlbar, Milz
stark vergrüssert, reicht fast bis zur Mittellinie. In der späteren
Zelt allmähliche Besserung, jetzt Leber und Milz bedeutend kleiner,
die Herzgeräusche variiren, manchmal hört man gar keine Ge¬
räusche, sondern normale Töne. Die übrigen objektiven Sym¬
ptome sind heute noch dieselben. Diagnose: Wahrscheinlich im
12. Lebensjahre Endocarditis. welche besonders die Mitralis und
die Tricuspidalis betraf, wegen letzterer Affektion das seltene
Phänomen des Veuenpulses.
3. Einen Gallenstein von Hühnereigrösse und -Form. 35 g
schwer, per anuni entleert von einer 52 jährigen Frau. 4 Wochen
vorher perityplilitische Erscheinungen, früher litt sie an „Magen¬
drücken“ ohne Ikterus. Der sehr grosse Stein kann natürlich nur
durch Druckgangraen direkt in den Darm gelangt sein.
4. Einige Nierensteine (zufälliger Sektionsbefund) von 39 g
Schwere. Dieselben sehen aus wie Korallenbäumchen und haben
Kelche und Becken glatt ausgefüllt, deren getreuen Abguss sie
wiedergeben.
Herr Joh. Lange demonstrirt:
1. Einen Bruchsack der Linea alba. Vor einigen Jahren hatte
die Patientin wegen multipler interstitieller Myome eine supra-
vaginale Uterusamputatiou überstanden mit nachfolgender Baueli-
deekeneitemng. Soweit L. in Erfahrung bringen könnt«*, waren
die Bauchdecken nur durch entspannende Seidennähte und Catgut-
Hautnaht vereinigt worden. Sehr bald hatte sich im unteren
Drittel der Narbe ein Bruch gebildet, der mit der Zeit die Dimen¬
sionen eines Kinderkopfes angenommen hatte. Die Bruchpforte
konnte L. bequem mit geballter Faust passiren. Dass ein der¬
artiger Bruch erhebliche Beschwerden verursacht, ist leicht ver¬
ständlich. Da Patientin sich vorerst zur Operation nicht eut-
schliessen konnte, wurde versuchsweise eine Bandage mit Pelotten
angefertigt und angelegt. Wie zu erwarten, wurde selbige nicht
vertragen und so wurde der Bruchsack entfernt. Glatte Heiluug
per primam.
L. hat in den letzten Jahren bei über 50 Laparotomien keine
Stichkanaleiterungen gesehen. Gegen früher hat er in der Vor¬
bereitung der Bauchdecken eine A«*nderung insofern eintreteti
lassen, als er unmittelbar vor der Operation, nachdem Bad. Rn-
siren, Sublimatpriessnitz schon am Tage vorher besorgt war. den
Leib mit Aether abreibt, dann mit Sublimat 1:2000 bürstet und
hierauf 5 Minuten lang mit S c li 1 e i c li'scher Marmorseife und
messendem sterilem Wasser bearbeitet. Die Hände werden ebenso
<*rst in stehendem Wasser mit Schleichseife, dann Sublimat und
dann in messendem Wasser mit der Seife gereinigt. Die Erfolge
dieser Art Reinigung lassen nichts zu wünschen übrig.
2. Uterus myomatosus, Stieltorsion eines subseröseu Myoms:
Cystoma ovarii. Abdominelle Totalexstirpation. Heilung. Patientin.
47 Jahre, unverheimthet, bemerkte vor einigen Jahren Knollen int
Leib, welche in letzter Zeit erheblich an Grösse Zunahmen, ohne
jedoch irgend welche nennenswerthen Beschwerden zu verursachen.
Wegen sich steigernder Schmerzen in der linken Seite wird L. am
1. Mal konsultirt. Er konnte neben einer gedämpften festen Ge¬
schwulst, die links 17, rechts 12 cm über die Symphyse hinauf¬
reicht und mit «lern Uterus verwachsen ist. eine apfelsiuengrosse
Geschwulst nach weisen. Dieselbe ist ln geringem Grade unter
lebhaften Schmerzen beweglich. Adnexe konnten nicht deutlich
gefühlt werden. Der Douglas ist von einer Geschwulst völlig aus¬
gefüllt. Da die Schmerzen sich trotz Bettruhe etc. steigerten, so
schritt man zur abdominellen T«>talexstirpation, die nur insofern
eine Besonderheit bot, als L.-das Peritoneum über dem im Douglas
gelagerten Myom spalten musste, tim den Tumor aus dem kleinen
Becken entwickeln zu können. Das Myom hatte sich genau an
Stelle der hinteren Uteruswand entwickelt, an welcher das Peri¬
toneum diese verlässt und auf den Beckenboden sich umschlägt.
Auf diese Welse war das Peritoneum vom Beckenboden abgelöst.
Die Heilung verlief bis jetzt ungestört. Das Präparat zeigt deut¬
lich die Schntirfurehe des nach vorn gedrehten gestielten, sub¬
serösen Myoms. Bel dieser Drehung hat es von oben her auch
die Tube abgekuickt. Tube und Myom zeigen erhebliche Stauungs¬
erscheinungen. Das Ovarium der anderen Seite ist zu einem
Cystom entartet.
Herr Lohsse demonstrirt das Präparat der rechten Niere
und der Harnblase eines Mannes, bei dem die linke Niere und der
linke Ureter vollkommen fehlten.
Die rechte Niere ist bedeutend vergrüssert, übrigens ohne
pathologische Veränderungen. ln der Blase fehlt links die
Ureterenmilndung und der llreterenwulst.
Herr S e n d 1 e r : Mitteilungen zur Chirurgie der
Gallenwege.
Vortragender bespricht an der Hand von 8 in den letzten
Wochen ausgeführten Gallensteinoperationen die Indikation (1er
einzelnen Eingriffe, speciell der Cholecystektomie und Chole-
eystostomie. Die meist sehr eingreifenden, sämmtlich an Frauen
vollzogenen Operationen, welche sich auf 3 Cholecystektomien,
3 Cholecystostomien, 1 Choledochotomie und 1 Laparotomie zur
Lösung peritonealer Strangbildungen vertheilen, sind sämmtlich
ohne Zwischenfall in Genesung ausgegangen. Im Anschluss an
die Mittheilungen werden die betreffenden Präparate demonstrirt.
An der Discussion betheiligen sich die Herren
T sehmarke und B 1 e n c k e mit einigen Bemerkungen über
das Photograplilren der Gallensteine mittels Röntgenstrahlen.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
' (Officlelles Protokoll.)
Sitzung vom 18. April 1901.
Vorsitzender: Herr Goldschmidt.
1. Herr Neuberger stellt einen Fall vor von Lichen
ruber planus mit Komplikation von Lichen chron. liypertropbic.
bei einem jungen Mann, ferner einen Fnll von Sarkomatoäis am
Oberarm.
2. Herr Marx demonstrirt das durch Obduktion gewonnene
Präparat einer Invaginatio ileocolica und referirt die zugehörige
Krankengeschichte.
Am 8. IV. 01, Morgens, 1. Konsultation, wobei durch die Unter¬
suchung dos 5 monatlichen, männlichen Brustkindes nichts Ab¬
normes nachgewiesen werden konnte. Anamnestisch war nur ein-
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1305
6. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
n nliges Erbrechen während der Nacht angegeben worden. —
Abends 2. Konsultation, da das Kind wiederholt erbrochen habe,
auch sei der Stuhl mit Blut und Schleim untermischt. Unter¬
suchung ergibt weder Schmerzhaftigkeit uocli Auftreibung des
IamIh's; kein Fieber. Untersuchung per rectum ergebnisslos. --
Am Morgens, wird berichtet, dass das Kind noch zweimal er-
broclieu habe, auch sei jetzt reines Blut mit wenig Schleim ver¬
mischt abgegangen. Schlaf gut. — Abdomeu auch heute nicht
empfindlich, nicht aufgetrieben. Temperatur 38.3. Sonst nihil.
I>nrniIrrigation mit 1 Liter öproc. essigsaurer Thonerdelösung,
wobei der Darmschlauch widerstandslos ca. 25 cm weit eingeführt
wird. — Bis Abends noch zweimal Erbrechen gallig gefärbter
Massen. Im Stuhl wenig Blut, mehr Schleim. Puls leidlich.
Temp. 38,5. Abdomen nicht schmerzhaft, nicht aufgetrieben.
Links vom Nabel ein wallnussgrosser, rundlicher Tumor von
massig fester Konsistenz.
Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Invaginatlo, wesshalb die Eltern
von der Kotliwendlgkeit einer Operation bei der geringsten weiteren
Verschlimmerung unterrichtet werden. Nachts 3 Uhr zu dem
Kinde gerufen findet lief, das Kind bereits todt vor. Die Unter¬
suchung des Abdomens post mortem ergibt an Stelle der am Abend
zuvor vorhanden gewesenen rundlichen wallnussgrossen Geschwulst
einen grösseren, bügclförmig gestalteten, um den Nabel herum
gelegenen, massig harten Tumor.
Die Sektion bestätigte die Diagnose.
3. Herr Port jun. berichtet über die Operation einer Kiemen-
gangüstel und einer Kiemenfistel.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, G. August 1901.
— Iu der Dienstanweisung für die Kreisärzte slud Ver¬
sammlungen der Kreisärzte und K r e i s a s s i s t e n z-
ä r z t e der einzelnen Regierungsbezirke unter dem Vorsitze des
Uegieruugsmedicinalrathes vorgesehen, ln diesen Versammlungen
soll über gesundheitlich wichtige Fragen berathen werden. Der
Minister der Medicinalangelegenheiten bestimmt in einem Erlasse
an die Regierungspräsidenten, dass die erste dieser Versammlungen
tliunlichst bald stattflndet. Besprochen werden sollen die neuesten
grösseren Medicinalgesetze und Verordnungen, das Kreisarztgesetz,
«las Reichsseuchengesetz und die Dienstanweisung für die Kreis¬
ärzte. Für jeden dieser Gegenstände soll ein Berichterstatter und
ein Mitberichterstatter bestellt werden. Empfohlen wird, dass der
Regierungspräsident den Verhandlungen beiwohne. Dem Ermessen
des Regierungspräsidenten ist es anheim gegeben, ausser den
Medici na lbeam ten, nämlich den Mitgliedern des Medieinalkollegi-
ums, den Kreisärzten, den Geriehtsürzteu. den mit der Walir-
licbiming der kreisärztlichen Obliegenheiten beauftragten Stndt-
ürzteu und den Kreisassistenzärzten, Verwaltungsbeamte, llui-
««•rsität sichrer, angesehene Civil- und Militärärzte zu den Ver¬
sa mmluiigen einzuladen. Dagegen wird Werth darauf gelegt, dass
von denjenigen Aerzten des Bezirkes, welche die kreisärztliche
Prüfung bestunden haben, möglichst viele an der Versammlung
thcilnehtuen. Die Versammlung braucht nicht am Kegierungs-
hauptort abgehalten zu werden; es kann dafür auch ein anderer
Ort des Bezirkes, wenn er bequemer erreichbar ist, gewählt werden.
Die Versammlung soll nicht mehr als einen Tag dauern. Den
ausserhalb des Versammlungsortes wohnenden Medicinalbeamteu.
«lie an der Versammlung theilnehmen, werden Reisegelder und
Tagegelder aus den Personalbedürfnissfonds der Regierung gezahlt.
— Ueber «las Verfahren 1) e 1 der Entlassung ge¬
fährlicher Geisteskranker aus den ö f f e n t. -
1 i c li «*n Irrenanstalt «• u bestimmen «ler preuss. Mlnlst«*r
der M»*«licinnlangel«*g(*nheiten und der Minister des Innern in
ciiicin Erlass an die Oberpriisideuten: „Das Verfahren bei der
Entlassung gefährlicher Geisteskranker aus den öffentlichen Irren¬
anstalten genügt, wie die Erfahrung gezeigt lmt, den Interessen
«ler öffentlichen Sicherheit nicht. Es ist vielmehr erforderlich,
«lass die P«ilizeili<*hörd«*u vor «ler beabsichtigten Entlassung einer
nach ihrem Vorleben als gefährlich zu erachtenden Person gehört
w«*r«len und ihnen Gelegenheit gegeben wird, etwaige Bedenken
znm Ausdrwk zu bringen, welche aus dem Vorteilen und «l«*u
ganzen wlrtlisehnffliehen und Familienverhältnissen, namentlich
au«1i aus denjenigen, in welche «ler zu Entlassende demnächst
• introten wird, g« gen die Entlassung sprechen. Eine solche
Aetiss«*rung kann für die Anstaltshltuiig. «ler «lies«» Verhältnisse
oft unbekannt s«1n werden, sowohl im Allgctmlneu wie mit Rück¬
sicht auf § S32 BGB. nur erwünscht sein. Ferner ist «*s «»rfonler-
li«1i. «lass von der Entlassung ein«*s Kranken, l>ei dem un«1i s«1nem
Vorhin*« ein«» Gefährdung der üffcntlklien Sielierlieit in Frage
kommt, der Polizeibohönle sofort Naehrielit gegeben wird, damit
sä* im Stande ist, die erforderlichen Maussregein zu treffen. Die
oiierprä«identen werden ersucht,, zu veranlassen, dass g«*istcs
kranke auf Gnmd <l«*s § 51 StGB, frelgesprochene oder auf Grund
di-s § 2**3 StPO, ausser Verfolgung g«*s«*tzte Personen und geistes¬
kranke Verbrecher, IkI «lenen der Strafvollzung ausg«*setzt ist.
sofern dicaen Personen ein Verbrechen oder ein nicht ganz gering¬
fügiges Vergehen zur Last gelegt ist — diejenigen auf Veran¬
lassung der Polizeibehörde aufgenomineuen Geisteskranken, bei
«lenen die Polizeibehörde ausdrücklich das Ersuchen um Mlt-
tiieilung von der beabsichtigten Entlassung gestellt hat — sonstige
nach Ansicht des Anstaltshlters gefährliche Geisteskranke aus
•len öffentlichen Irrenanstalten nicht entlassen werden, bevor «lein
Laudrath, in Stadtkreisen der Ortspolizeibehörde des künftigen
Aufenthaltsortes und, wenn dieser ausserhalb Preusseus liegt,
der gleichen für den Ort der Anstalt zuständigen Behörde — Ge¬
legenheit zur Aeusserung gegeben ist. Die Leiter der Anstalten
werden den genannten Behörden unter Mittheilung «l«‘s Materials
zur Beurtheilung des Kranken, lnsbesondt're eines eingehenden
ärztlichen Gutachtens, «lie beahsichtigte Entlassung mitzutlicilcn
haben un«l werden über sie erst na«*h Eingang der Aeusserung
der Behörden oder nach einer Frist von drei Wochen seit deren
Benachrichtigung Entscheidung treffeu dürfen. Auch werden sie
diese Behörden von der Entlassung sofort zu benachrichtig« 1 !!
haben. Einer Aenderung des Reglements der öffentlichen Irren¬
anstalten bedarf es zu diesem Zwecke nicht, es genügt vielmehr,
wenn die erforderlichen Anordnungen im Verwaltungswege ge¬
troffen werden.“
— Das k. Stnatsminlsterlum des Innern warnt in einer an
die k. Regierungen, Kammern des Innern, gerichteten Ent
Schliessung vor «lern Ankauf und Gebrauch des Haarfärbe¬
mittels „Teiuture Afrieaine“, welches Paraplienylendiamiu ent¬
hält und von stark giftiger Wirkung ist. In letzter Zeit sind
wiederholt Erkrankimgsfälle mit Vergiftuiigserscheinuiigen in
Folg«» Benützung dieses Mittels vorgekommen. Die Benennung
des Haarfärbemittels wechselt sehr und ist «lesslialb grösste Vor¬
sicht beim Bezug von Haarfärbemitteln allgezeigt.
— Die Abfahrt der Theilnehmer an der ersten ärzt¬
lichen Studienreise ln die Nordseebäder erfolgt
am 28. September Morgens 8 Uhr von Hamburg nach Helgoland
und zwar mit dem Salondampfer „Prinzessin Heinrich“ der Nord¬
seelinie. Am nächsten Tage Mittags 1 Uhr erfolgt die Abfahrt
nach Sylt via Hörnum, Ankunft in Westerland 5 Uhr. Der 30. Sep¬
tember wird auf Sylt verbracht. Am 1. Oktober Mittags 1 Uhr
Abfahrt nach Amrum via Hörnum. Ankunft daselbst 4 Uhr Nach¬
mittags. Am nächsten Morgen Früh 7 Uhr Abfahrt nach Wyk
auf Föhr, woselbst der Dampfer um 8 Ulir aulegt. Mittags 1 Uhr
«lesseiben Tages Welterfahrt nach Kuxhaveu, Ankunft daselbst
5 Uhr 30 Min. Am 4. Oktober wird von Norderney ein Ausflug
nach Juist unternommen. Am 5. Oktober verlässt der Dampfer
Norderney bereits um 5 Uhr 30 Min. Früh und langt um 10 Uhr
Vormittags vor Borkum an. Am G. Oktober erfolgt die Abfahrt
Früh 6 Uhr 30 Min. nach Wilhelmshaven. Hier benutzen die Theil-
liehmer einen Zug der Oldenburglschen Stnatsbahn, um nach Caro¬
linensiel zu gelangen und mittels Wattdampfer die Inseln
Wangeroog und Spikeroog zu besuchen. Am 7. Oktober treffen die
Theilnehmer Vormittags wieder ln Wilhelmshaven ein und gehen
an Bord der „Prinzessin Heinrich“, welche um 10 Uhr Vormittags
nach Helgoland abdampft. Ankunft daselbst um 1 Uhr. Am
8. Oktober, 11 Uhr Vormittags, erfolgt die Heimreise. Der Dampfer
trifft um 7 Ulir in Hamburg ein, so dass «len Theiinehmern die Be¬
nutzung des Südkurirzugcs ermöglicht ist. Alle Einzelheiten über
«lie während des Verweilen« in den Badeorten zu treffenden
Arrangements werden demnächst bekannt gegeben. Es sei noch
bemerkt, dass an der diesjährigen Studienreise Damen nicht theil-
uclimen können.
— Die Abtheiluug für freie Arztwahl des Aerztlicben Bezirks¬
vereines München hat am 1. Juli d. Js. mit der Betriebskninkeii-
kasse der Elektrizitütsgesellsohaft vormals Erwin Bubock, G. in.
b. II., in München einen Vertrag behufs Einführung «ler freien
Arztwahl abgeschlossen. Die Honorirung erfolgt nach den Mindest¬
sätzen der ärztlichen Gebührenordnung.
— Pest. Türkei. Am 23. Juli wurde ln Stambul 1 Pest¬
todesfall gemeldet. — Aegypten. Vom 12. bis 10. Juli wurden iu
Zagazig 2 Erkrankungen un«l 1 Todesfall festgestellt. — Britisch-
Ostiudien. In der Präsidentschaft Bombay wurden in «ler Woche
vom 22. bis 28. Juni 0GG Pest«»rkrankungen und G07 Pesttodesfälle
gemeldet. Für <li«> Stadt. Bombay belief sich iu der Zeit vom 23.
bis 20. Juni die Zahl der Pestfälle auf G0, diejenige der Pestto«l«*s-
fiille auf 04. ln Karachi ist die IVst zu Folge einer Mittheilung
vom 4. Juli nahezu erloschen. — Kaplaml. In der am 20. Juni
allgelaufenen Woche wurden ln der ganzen Kolonie 12 Pest-
erkrankungen gemtldet (darunter 4 in Port Elizabeth).
— ln der 20. Jalireswoclu». vom 14.—20. Juli 1001. hatten von
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit
Mülheim n. Rh. mit 57,0, die geringste Osnabrück mit 12,9 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Maseru iu Borbeck, Essen, Fürth, Karls¬
ruhe, Offeubach.
tH o c h s c li u 1 n a c li r i c li t e n.)
Heidelberg. Dr. Kotiert Gau pp habilltirte sieh am
1. August für Psychiatrie mit einer Probevorlesung über: „Di«*
Paraimiafrag«*.“ — Der Senat hat. auf ein«* Eingabe «ler hiesigen
Kliniker hin bestimmt, dass zum me«lieiiiis« heu Studium nur s«il«4u*
Ausländer zugelassen wer«!«*», «lie «In d«*m deutschen Abiturhuiten-
exiimen gleich zu achtendes Examen b«*stainlen haben. Ferner
soll ein Verzehlmiss derjenigen ausländischen M«*<li«1ner in den
Kliniken ausgehängt wenlen, welche berechtigt sind, zu prak-
tizircu.
Jena. Der Prtvat<loe«*nt Dr. H. Klonka ln Breslau hat
die an ihn ergang«»ne Berufung als nusserordentliclmr Professor
für Pharmakologie an die hiesige Universität nngtuuiinmcn. Damit
berichtigt, sich «He in N«i. 20, S. 1201 dieser Woeheiis«1irift ent¬
haltene Nachricht b«*tr. Prof. S t i n t z 1 n g.
Königsberg. Bei «ler hiesig«*!! Universität hat eine 1 »aim*.
Frl. Etliel Blume die Approbation uls Arzt envorlieu. Im v«*r-
li«issenen Semester waren 2 Damen an der mcdicinischen Fakultät
iuscribirt.
L «* 1 p z i g. An der hiesigen Dniv«*rsitäl hat. sieh «ler Assist<*M
uu der Uuiversitiitsfruuenklinik Dr. med. II. Fiith mit einer
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l^oß _ _ MÜENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. No. 32 .
Vorlesung über die Augenentzündung der Neugeborenen als Privat¬
dozent lmbilitirt.
M ii n c li e n. Per ordentlielie Professor an der k. Universität
und erster Konservator der anatomischen Anstalt des Staates. Ge¬
heimer Rath Pr. Karl Wilhelm Kitter v. K u p f f e r, wurde wegen
zurückgelegten 70. Lebensjahres auf Ansuchen in seiner Eigen¬
schaft als Professor von der Verpflichtung, Vorlesungen abzu¬
halten, entbunden, in seiner Eigenschaft als Konservator in den
dauernden Ruhestand versetzt und demselben bei diesem Anlässe
in Anerkennung seiner ausgezeichneten Leistungen im akademi¬
schen Lehramte, sowie auf dem Gebiete der Wissenschaft der Ver¬
dienstorden vom hl. Michael 2. Klasse verliehen.
(Todesfälle.)
Am 28. vor. Monats verschied in seiner Villa zu Ischl Im
70. Lebensjahre Prof. Pr. Herrn. Freiherr v. Widerhofer,
Vorstand der Universitäts-Kinderklinik in Wien. Pie Kunde von
diesem Todesfälle wird ln den weitesten Kreisen, auch ausserhalb
Oesterreichs, Trauer und Theilnahme hervorrufen; war doch
v. W iderhofer nicht allein ein hervorragender Meister seines
Faches, der durch seinen ärztlichen Scharfsinn und seine um¬
fassende Erfahrung die Kinderheilkunde nach vielfältiger Richtung
hin bereichert hat — er war auch eine wahrhaft edle und liebens-
wertlie Persönlichkeit, die auf Jeden, dem es vergönnt gewesen,
dem trefflichen Manne näher zu treten, ihren Zauber ausübte.
Was v. W iderhofer in langjähriger, praktischer und lehr¬
amtlicher Thätigkeit, was er auf literarischem Gebiete geleistet
hat, wird von berufenerer Seite eingehend gewürdigt werden.
Personalnachrichten.
(Baye r u.)
Verzogen: Pr. Karl Plstory von Arberg. Rez.-Amt Feuchf-
wangen. nach Daher in Preussen. Pr. Bernhard Frye von Fürth
naeh Nürnberg.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheiten für München
in der 30. Jahreswocho vom 21. bis 27. Juli 1901.
Betheiligte Aerzte 198. — Brechdurchfall ö5 (20*), Diphtherie,
Croup 17 (lu), Erysipelas 8 (11), Intermittens, Neuralgin intenu!
1 (1), Kindbettfieber — (1), Meningitis cerebrospin. 1 ,
Morbilli 28 (31), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 3 (4), Parotitis
epidein. 1 (—), Pneumonia crouposa (» (h), Pyaemie, Septikaemie
1 (—), Rheumatismus nrt. ac. 15 (13), Ruiir (dysenteria) — ,
Scarlatina 7 (9), Tussis convulsiva 18 (18), Typhus abdominalis
1 (—), Varicellen 10 (12), Variola, Variolois — (1), Influenza 1 (—,
Summa 152 (137). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 30. Jahreswoche vom 21. bis 27. Juli 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 1 (1*), Scharlach 1 (—), Diphtherie
und Croup 2 (3), Rothlauf — (2), Kindbettfieber 1 (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 1 (—). Brechdurchfall 8 (7), Unterleibtvphiis
— (2), Keuchhusten 4 (—), Croupöse Lungenentzündung 3 ■
Tuberkuloso a) der Lungen 23 (28), b) der übrigen Organe G (12,
Akuter Gelenkrheumatismus — ( —), andere übertragbare Krank¬
heiten 4 (ö), Unglücksfälle 4 (1), Selbstmord 2 (1), Tod durch
fremde Hand — ( —).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 189 (200), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 19,G (20,8), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,1 (11,3).
*) Pie eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Morbiditätsstatistik der infectionskrankheiten in Bayern: Mai 1 ) und Juni 1901.
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—
Sf. 2
Bevölkerungsziffern*): Oberbayern 1*32»,447, Niedcrlmvcra 678,584,
Pf alz 8.71,538, Oberpfalz 553,857, Oberfrimken 607,903, Mittelfrankcn 815,556, llnter-
franken 650,758, Schwaben 713,515. — Augsburg 89,109, IJnmbcrg 41,820, Hof 32,782,
Kaiserslautern 48,.106, Lud wigshafen 61,905, München 499,959, Nürnberg 261 022
Pirmasens 30,194, Regensburg 45,426, Würzburg 75,497.
Einsendungen fehlen aus den Aemtnrn Bogen, Kehnti, Ansbach, Feucht- I
"«Ingen, Neustadt a./A , Ilofheiin Königshofen, Würzburg, N’cuburg a./D. und
Oberdorf.
Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet I
au« folgenden Aemtern bezw. Orten:
Influenza: Stadt- und Lundbczirkc Erlangen 18, Forchhelm und Mem¬
mingen je 11, Aemtcr Altötting 37 (hievon 27 Im ärztl. Bezirk Neuötting', Vils- I
biburg 22, Naila 12, ärztl. Bezirk Lnulngen iDillingen) 14 bell. Fälle.
Morbilli: Fortsetzung der Epidemie in der Stadt Ludwigshofen (nun¬
mehr uber'die ganze Stadt und die Vororte Friesenheim und Mundcnhclm ver- '
breitet; 179 lieh. Fälle, davon 28 das 1., 116 das 2.-5, 15 das 6. Lebensjahr,
20 über 6 .fahre alte Kranke betr), ferner in tlen Aemtern München I (ärztl.
Bezirk(Ismaning), Pfaffenhofen (A G. Geisenfeid, bes. Gemeinde Hottenegg; 98 i
lieh. Fälle), Passim (ärztl. Bezirk Ttttling), Kusel (nunmehr in Kusel selbst),
1,’imluu i. i’f. (Stadt Laudnu, tiomcitiden Ilbesheim, Wollmesheim, (»rossfischlingeu), ,
Nemniirkl (ärztl Bezirk Sulzbiirg), Kempten (Höhe tu Altusried. Abnahme in 1
krauenzel) und Miithmaiinshofen), endlich im Stadt- u. Lundbezirke Memmingen
(98 lieh. Fälle). Epidemisches Auftreten ferner in den Aemtern Erding (in 3 Ge¬
meinden), Freising (in 5 Gemeindet)), Rosenheim (Gde Ha'fing), \ ilshofen (in
Aidenbach neben Tussis), Germer>heim (in Rheinzabern), Ludwigshnfen (in Mut¬
terstadt und Böhl), Neustadt a./H. «in Neustadt selbst), Alzenau (in Königshofen
n/K I, Miltenberg (Gde. Weilbach), Ochsenfuit (in Stadt Aul). M bell. Fälle), Iller -
tissen (in Vohringcn und 5 Gdn. des A.-G Babenhausen) und Sonthofen (iu 3 Ge¬
meind,»; 70 beh Falle). Epidemie in Gde. Erlach (Lohr) erloschen Stadt- u j
Landbezirk Lindau 42, Aemter Fraukcntbal 34, Zweibrüeken 20 beh. Fälle.
Parotitis epidemica: Fortsetzung der Epidemie in der Stadt Nord- ,
lingen; Epidemie in Harburg (Donauwörth) erloschen.
Ruhr, dysenteria: Aerztl. Bezirk Neuötting (Altötting) 9 beh. Fälle. ,
Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemie In den Aemtern Alt-
ötting (43 beh. Fälle), Freising (nunmehr in der Stadt selbst, 31 beh. Fälle), ;
I.andsberg (in 3 Gemeinden, 35 beb. Fälle), Vilsliofen (in Aidenbach neben Ma¬
sern, 37 heb Fälle), Staffelstein (In Stnffclslcin und 2 weiteren Gemeinden). Epi¬
demien ferner in den Aemtern Kbersberg (in Ebersberg und 3 weiteren Gemein¬
den), Ingolstadt (in Reieherlshofen, 32 beh Fälle), Mühldorf (in den ärztl. her
Kraiburg und Neumarkt, 28 beh. Fälle), Pfaffenhofen (in Pfaffenhofen, 18 heil
Fälle), Passau (im ärztl Bezirk Hutthunn, 43 beh. Fälle), Ludwigshafen (in Alt¬
rip und Oggersheim), l’egnilz (in Woggnst Schulschluss), Stadtsteinach (in Eppen¬
reuth und Rugendorf, beginnend in Marktlcugast), Lohr (Schulschluss in Parten
stein), Schweinflirt (in Heidenfeld), Wertiugen (in Heimcrtingen) und Zusina»-
hausen (ln 3 Gemeinden). Epidemie in Harburg (Donauwörth) erloschen. Aemter
Pfarrkirchen und Regen, A -G. Ilassfurt, je 20 beh. Fälle.
Typhu« abdominalis: Fortsetzung der Epidemie im Bezirke WaM-
münchen, 7 Erkrankungen. Aerztl. Bezirk Röthenbach (Hcisbruck) 3 beh. lalle
Varicellen: Epidemisches Auftreten In Germersheim.
Variola: 3 Fälle (genesen) in Neunburg v./W., 1 Full in Lauingen (1**1
lingen).
Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird tun
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Berichts¬
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehlanzeigen
ersucht, wobei anmerkungsweise Mittbeilungen über Epidemien erwünscht sind
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswertb, dass Fälle
aus der sog Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Grenz¬
amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern an
gezeigt werden.
Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen *u portofreier Einsen
düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Bezirksärzte
zu erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. Sammelkarten als zu
Einzelnelnsenduncen der Amts- und praktischen Aerzte, welcho in let* (
terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle znsammengestellt auf
je 1 Karte pro Monat nebst alieufallslgcn Bemerkungen iibor Epidemien etc. zm
Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht von Einsendung sog. Zähl
blättchen oder 8 a m m e 1 b o g e n abzusehen. Allenfalls ln Ilanden befind
liehe sog. Postkarten wollen aufgebraucht, jedoch durch Angabe der Zahl
der behandelten Influenzafälle ergänzt und unter Umschlag eingesnndt werden
•) Nach dem vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1900. — *) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 29, 1901
eingelaufener Nachträge. — *) Im Monat Mal 1901 einschliesslich der Nachträge 131t — *) 18 mit 22 bezw. 23. mit 26. Jahreswoche.
Verlug von i. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerci A.G., München.
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DIo Münch. Med. Wochen«chr. erscheint wAcheotl.
ln Nnmmern Ton durchschnittlich 6—6 Bogen.
Prols ln Deui'chl. u Oeet.-Dng&rd vlertelj&hrl. 6 Jl,
Ins Ausland 7.60 JL Einreine No. 80 -4.
MÜNCHENER
Zusendungen sind r,n adressiren: Tür die Bodactlon
Ottostrasse 1. — Für Abonnement an J. K. Leh¬
mann, Heustras'o 20. — Für Inserate nnd Beilagen
an Rudolf Mosse, Promcnadcplats IG.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FOR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
CI. Bftonler. 0. Bolllnger, H. Corscbmann, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, H.». Ranke, F. i. Wlnckel, H. t. Zierassen,
Freibarg I. B. München Leipzig Berlin. Nürnberg Berlin. München. München. München.
No. 38. 13. August 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasee 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse £0.
48. Jahrgang.
Originalien.
Erfahrungen über bösartige Geschwülste, insbesondere
Uber Carcinome.*)
Von Prof. Dr. E. Loser in Halle.
M. H. 1 Als die Aufforderung an mich herantrat, in unserem
Verein einen Vortrag zu halten, bin ich derselben um so lieber
gefolgt, als mich schon seit längerer Zeit eine Frage beschäftigte,
von der ich annehmeu kann, dass die Erörterung derselben auch
allgemeines Interesse bei Ihnen wachrufen werde; ich meine die
malignen Tumoren. Jedoch musste ich bald einsehen, dass es
nicht angängig ist, im Rahmen eines Vortrages von etwa 1 Stunde
alle malignen Geschwülste in die Besprechung zu ziehen und dess-
halb beschränke ich mich im Wesentlichen auf die carcino-
matösen Neubildungen.
Es ist für einen Chirurgen, der in der Praxis steht, von
grossem Werth, wenn er eiumal stille steht und zuriickbliekt auf
den Weg, den er gegangen ist, um sich zu fragen, was er erfahren
und gelernt und was er geleistet hat. Und welches Gebiet der
chirurgischen Thütigkeit könnte da mehr anziehen, als die bös¬
artigen Geschwülste? Wissen wir doch, dass dieselben eine sich
immer mehr ausbreitende Krankheit sind, dass z. Zt. etwa jähr¬
lich derselben 40 000 Menschen erliegen und müssen wir doch
immer und immer wieder uns sagen, dass wir über das eigent¬
liche Wesen dieser Erkrankungen noch sehr wenig wissen.
Mein Material ist nicht sehr gross und Sie werden da auch
nicht voraussetzen, besonders Neues von mir zu liörcn; immerhin
glaube ich einige Punkte erörtern zu können, welche auch allge¬
meines Interesse bei Ihnen beanspruchen dürfen. Ein Kranken¬
material, welches nicht, gerade über Tausende von Fällen ver¬
fügt, kann dennoch über Mancherlei Auskunft, geben, zumal,
wenn, wie bei dem ineinigen, dafür gesorgt ist, dass genaue
Krankengeschichten geführt werden, wenn möglich nicht nur
bis zum Tage der Entlassung der Patienten aus der Behandlung,
sondern auch noch weiterhin, eventuell bis zum Tode. — Schon
Billroth liat es ausgesprochen, dass es geradezu eine Redens¬
art ist, wenn inan davon spricht, man habe diese oder jene Ope¬
ration hunderte Mal gemacht. Ganz erstaunlich ist cs, wie die
Zahl der Fälle zusaminenschrumpft, wenn man einmal genau
revidirt.
Vom 1. Oktober 1890 bis dahin 1900 habe ich in tote 529
Kranke mit Geschwülsten untersucht bezw. behandelt. Hiervon
sind als Patienten mit bösartigen Geschwülsten 392 notirt
und zwar 206 Männer, 166 Frauen und 20 Kinder unter 10 Jahren;
es herrschen also hierbei die Männer gegenüber anderen Stati¬
stiken, in welchen meistens die Frauen prüvaliren, vor. Aber
dies ist auf’s Natürlicliste daraus zu erklären, dass ich Frauen
mit malignen Tumoren der Geschlechtsorgane, abgesehen von
der Brustdrüse, nicht behandelte und demnach diese grosso Zahl
Frauen abgeht. Nur kurz bemerke ich, dass sich diese 392 bös¬
artigen Tumoren folgendermaasson gruppiren: 15 Fälle von Chon¬
dromen, 37 Fälle von malignen Lymphomen bezw. Lympho¬
sarkomen, 78 Fälle «x'hter Sarkome, 12 Fälle von Adenomen,
33 Fälle voll Kystomen und 217 Fülle von Carciiionien.
•) Nach einem Vortrage, gehalten im Aerztllohen Verein zu
Halle am 14. V. 1901.
No. 88.
Wenn ich auch weiss, dass eine Statistik, um gut genannt
zu werden, eine ganze Reihe von Momenten genau anführen muss,
so muss ich doch im Wesentlichen darauf verzichten, um ihre
Zeit nicht allzusehr in Anspruch zu nehmen. Ich möchte nur
betonen, dass ich unter den Snrkoinfiillen 9 von solchen des
Magens und Darmes und 33 Fälle von Sarkomen an den Extremi¬
täten finde. Was die Carcinome angeht, so sind, abgesehen von
33 Gesichts-, namentlich Lippencarcinomen, von mir 92 solcher
an Hals-, Rücken- und Brustdrüse, 60 von Magen-Darm- bezw.
Mastdarmeareinom und endlich 14 Fälle von Carcinomen der
Harn- und Geschlechtsorgane oi>erirt.
Will man sich nun klar werden, was man eigentlich erreicht
hat. wie viele Patienten einen wirkliehen Vortheil von der Ope¬
ration gehabt haben, so muss man vor allem wissen, wie der be¬
treffende Chirurg Indikationen zur Operation stellt. Denn, m.
IT., keineswegs ist dieser Punkt gleichmässig, und es leuchtet
a priori ein, dass derjenige Arzt, welcher zum Grundsatz hat, alle
Fälle, die auch nur noch eine Spur von Hoffnung ergeben, dass
man durch Operation ihr J.A*ben erhalten, d. h. zu verlängern
vermag, zu operiren, scheinbar, aber auch nur scheinbar,
schlechtere Resultate quond mortem et valetudinem hat, als der
Arzt, der nur solche Fälle operativ angreift, welche ihm alle
Chancen zum Erfolg zu bieten scheinen.
letzteren Standpunkt nahm z. B. vor einigen Jahren noch
Olshausen ein, der auf dem 96er Phirurgenkongress den
resumirenden Satz aufstellte, nur dann ein Uterusearcinom zu
operiren, wenn durch die Untersuchung festgcstellt würde, dass
es noch nicht zu einer Infiltration der Parametrien (Hier der
Lymphdriisen gekommen ist. Habe ich auf dem letzten Kongress
richtig verstanden, so hat Olshausen diesen strengen Stand¬
punkt verlassen und stellt, jetzt die Indikation zur Operation
weiter.
Ich selbst operire jeden Fall, der auch nur ein«* minimale
Hoffnung zum Erfolg gibt. Und dabei leiten mich folgende
Gründe. Einmal ist. es selten möglich, ja in vielen Füllen un¬
möglich. absolut sicher fest zustellen, dass eine radikale Operation
nicht mehr angängig ist-. Dann aber rettet man Ihm solchem
Grundsatz, wie die Erfahrung lehrt. Manchen, der unoperirt
sicher verloren ist. Und endlich ist im Allgemeinen der Tod.
zumal wenn der Patient bald nach dem Eingriff stirbt, ein
weniger unangenehmer und jedenfalls ein schnellerer, als wenn
sieh der Kranke unoperirt noch monatelang quält.
Unter diesen Verhältnissen operire ich. Und nun habe ieli
zu erkunden versucht, wie denn meine Resultate sind, sowohl im
Allgemeinen, als auch hinsichtlich der Mortalität und liinsicht-
lich der Recidive. Ich habe desshalb brieflich von diesen 392
Kranken Auskunft erbeten und im Ganzen Antwort iit
305 Fallen theils von den Kranken, theils ihrer Umgebung er¬
holten. Aber die brieflichen Auskünfte, waren trotz genauer
Fragestellung so mangelhaft, dass ich dieselben nur insofern
als maassgebond benutzen kann, dass ich dadurch bestimmt, er¬
fahren habe, dass von den 305 Fällen jetzt noch 78 ohne jede
Beschwerde am Lclnm sind, also etwa 19 Proo., \*(»rausgesetzt,
man nimmt an, dass die 99 Patienten, welche, nicht antworteten,
gestorben sind. Leider war cs nicht möglich, genau festzustellen,
wie viele von diesen Operivten Recidive, Metastasen etc. haben.
Wenn man nun bodenkt. dass unter diesen Uehcrlebeiideu auch
solche sind, die bereits vor 11 Jahren opcrirl -dnd. so kann man
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1308
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
nicht leugnen, dass diese Resultate überraschend günstige sind.
Ich selbst war auf’s höchste erstaunt. Da es. aber unmöglich ist,
heute bei der beschränkten Zeit Alles, das bei dieser verhältniss-
mässig mangelhaften Statistik noch interessirt, noch zu betonen
und zu erörtern, so will ich nur auf einige Punkte eingehen.
Was zunächst die Art bezüglich den Sitz der Geschwulst
angeht, so befinden sich unter diesen dauernd Geheilten 9 Fälle
von Lippen- bezw. Wangencarcinom, 16 Fälle von Brustdrüsen -
carcinom, 29 Fälle von Magendarm- bezw. Mustdarmcarcinom,
3 Fälle von Hodencarcinom und 2 Fälle Nierencarcinom. Be¬
merkenswerth ist, dass sich unter den Lebenden kein Kranker
von Zungencarcinom und Oesophagusearcinom l>efindet. Die
übrigen Fälle erstrecken sich auf maligne Tumoren der Extremi¬
täten. Von diesen 78 Fällen lebten im
12. Jahr nach der Operation noch 2,
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Bevor ich zu erörtern suche, ob es möglich ist. Gründe zu
finden, welche diese günstigen Resultate zu erklären im Stande
sind, will ich zunächst Einiges zur Aetiologie der Krebse
bei tragen.
M. H.! Dass wir es beim Careinom, wenigstens bei
mehreren Gruppen von Carcinom, mit einer Infektions¬
krankheit zu tliun haben, dieser Ansicht schliesse ich
mich immer mehr an. Schon die sicheren Beobachtungen
von direkten Uebertragungen eines Carcinoms auf eine
Partie gegenüberliegenden Gewebes lässt ja wohl, kaum eine
andere Deutung zu. Ein Beispiel einer solchen Infektion
möchte ich kurz anführen. Ich operirte einen Kranken
mit Carcinom der linken Zungenhälfte. Der Mann blieb
4 Monate gesund. Er kam daun wieder mit einem ulcerirten
Rocidiv des Zungenstumpfes. Genau aber der Stelle dieses
ulcerirten Recidivs gegenüber hatte sich am weichen Gaumen
im linken Arcus palatoglossus ein Carcinom, also ein Impf-
carcinom, entwickelt. Der Fall ist von einem meiner Assistenten
genau beschrieben und wird in kurzer Zeit publicirt werden.
Derlei Fälle von Impfinfektion bei Carcinom hat wohl jeder be¬
schäftigte Chirurg beobachtet.
Aber es muss sich doch um eine Infektion besonderer Art
handeln, mag es sich nun um Coccidien, Blastomyceten oder
andere Organismen handeln. Ob die in der kürzlich publicirten
Arbeit von Schüller als Erreger der Krebs- und Sarkom¬
krankheit beschriebenen Organismen in der That diese sind,
bleibt weiteren Kontroluntersuchungen zur Entscheidung über¬
lassen. Denn es bleibt für unsere jetzige Auffassung von Infek¬
tion noch unerklärlich, dass bei der Metastasenbildung nicht
nur ganz fremdartige Zellen auftreten, sondern auch, dass diese
Zellen denselben Bau dort entwickeln, wie der primäre Krebs. Man
denke nur an die gar nicht seltenen Metastasen eines Mamma-
carcinoms im Knochen des Schenkelhalses, wo sich fast charakte¬
ristische Bilder der normalen Milchdrüse entwickeln. Das ist
doch etwas ganz anderes als die typischen mikroskopischen Bilder,
wie sie z. B. die Tuberkelinctastaseu liefern. Da sind doch nur
Zellen und Zellenbildungen, welche das mikroskopische Bild auf¬
bauen, die überall Vorkommen und Vorkommen können. Eine
Milchdrüse kann aber nicht im Knochen entstehen und sich auf¬
bauen, ohne dass ganz besondere Verhältnisse dabei eine Rolle
spielen.
Was nun die bekannten Betrachtungen über häufig
wiederkehrende Reize als prädisponirende Momente
zur Carcinornbildung angeht, so habe ich dafür auch mehrfache
Beispiele, ebenso wie solche von einem einmaligen starken
Trauma, prädisponirend zur Sarkombildung.
Ich möchte als ein Beispiel derartiger Carcinomentstehung
in Folge häufig wiederkehrenden Reizes folgenden Fall anführen.
Ein junger Mann kam zu mir wegen eines durch Reibung der
unbequemen Stiefelkappe erzeugten Ulcus. Tn kurzer Zeit
heilte dasselbe. Das erneute Tragen des unbequemen Stiefels
erzeugte wiederum ein Geschwür; und in der Weise ging es noch
3 mal fort, bis der Kranke über Schmerzen in der Leistengegend
klagte. Die Exstirpation der Schenkeldrüsen führte zur Diagnose
„Carcinom“, und musste die Ablatio cruris gemacht werden.
Aehnliche Reizbildungen kennen wir ja auch als Ursache der
Krebserkrankungen beim Schornsteinfeger- und Paraffinkrebs.
So leicht sich nun dieser Begriff des Reizes als ursächliches
Moment bei der Carcinomausbildung einstellt, so bleibt es doch
immerhin wieder wunderbar, dass nun nicht etwa die ganze ge¬
reizte und erkrankte Fläche carcinomatös wird, sondern dass die
Erkrankung nur an einer ganz bestimmten Stelle
circumscript beginnt und nicht im ganzen gereizten Gebiet
auf einmal. Es müssen doch wohl auch ganz bestimmte Verände¬
rungen im Gewebe sein, die dazu disponiren.
Auch die zweifellos feststehende, gar nicht so seltene Be¬
obachtung von Heredität maligner Tumoren macht die Er¬
klärung der Infektion schwer, denn in der Weise, wie etwa bei
der Tuberkulose, da man wohl annehmen kann, dass die tuber¬
kulösen Eltern die Kinder direkt inficiren, ist es beim Carcinom
wohl nicht.
Wenn es nun auch erklärlich ist, dass viele Forscher ihre
Aufgabe darin finden, den Erreger der Krebskrankheit kennen zu
lernen — bis jetzt sind alle Untersuchungen ergebnissloe gewesen,
auch die jungst auf dem Chirurgenkongress von dem Schweden
Nils Sjöbring publicirte scheint es zu sein — so meine ich,
dass dem klinischen Arzte diese Aufgabe wohl auch zufällt; für
ihn aber viel wichtiger scheint mir zu sein, zunächst dort thätig
zu sein, wo wir wenigstens einen Weg vor uns sehen, etwas weiter
zu kommen, d. i., die diagnostischen Hilfsmittel
zu vervollkommnen. Denn, m. H., mit der Diagnose des
Carcinoms sieht es nach meiner Ansicht noch grösstentheils recht
traurig aus. Schon ist in vielen Fällen da, wo wir die erkrankt«
Fläche sehen und beobachten können, die Diagnose Krebs nicht
leicht; ich erinnere an die Schwierigkeiten, den Moment fest¬
zustellen, da ein bis dahin gutartiges Ulcus cruris carcinomatös
entartet; selbst mikroskopisch ist es da zuweilen nicht durchaus
möglich; ich erinnere an das Lippen carcinom, das von Beginn
an unter ärztlicher Kontrole stand. Wiewohl meiner Ansicht
nach hier eine klinische Erscheinung uns in den meisten Fällen
den Weg zeigt, d. i. die dem malignen Tumor eigenthümlichc
Neigung, sich in der Umgebung zu verbreiten, in die umgebenden
Gewebe hineinzuwachsen und damit das Symptom der Infil¬
tration und alsbaldigen Fixation mit der Umgebung her¬
beizuführen; eine, gewisse Starrheit, Unbeweglichkeit dee sonst
normal beweglichen Organes macht den Fall des Carcinoms sehr
verdächtig. Wenn die Haut über einer Mammageschwulst nicht
mehr verschieblich, nicht mehr faltbar ist, denkt der Chirurg
sofort an malignen Tumor; dem Laryngologen ist die Beobach¬
tung, dass das bis dahin bewegliche Stimmband sich fixirt und
starr wird, ein wichtige« diagnostische« Hilfsmittel.
Ist also in solchen Fällen die Diagnose oft nicht leicht, so
scheint dieselbe mir sehr viel schwieriger, ja bisweilen unmöglich
da zu sein, wo wir das erkrankte Organ nicht unmittelbar sehen
und die Erkrankung beobachten können.
Hievon möchte ich heute nur zwei Gruppen von Carcinomen
innerer Organe herausgreifen, von denen die eine in den letzten
Jahren immer mehr in die Behandlung des Chirurgen übergeht,
die andere schon lange Zeit ausschliesslich chirurgisch behandelt
wird; aber beide, wie ich meine, noch lange nicht zahlreich und
früh genug chirurgische Hilfe in Anspruch nehmen, d. i. das
Carcinom des Magens und Dünndarms einerseits und
das Mastdarmcarcinom andererseits, also häufige Car-
cinome; ich sehe ganz von den malignen Tumoren der anderen
inneren Organe, Niere, Gallenblase, Pankreas und Harnblase ab.
Meiner Ansicht nach liegt die Diagnose des Magen-
und Diinndarmcarcinoms noch recht im Argen; dass
man es freilich erkennt, wenn ein Tumor deutlich palpirbar ist,
wenn sich Erscheinungen der Unwegsamkeit im. Lumen dieser
Organe einstellen und wenn die Ernährung schon so leidet, dass
man fast von Cachexie sprechen muss, mm, m. H., das erscheint
wohl selbstverständlich, obwohl auch dann noch keineswegs dia¬
gnostische Irrthümer ausgeschlossen sind. Aber, wenn in diesem
Stadium der Erkrankung ein Patient dem Chirurgen überwiesen
wird, dann ist es meistens zu spät. Die mesenterialen Lymph-
drüsen sind bereits weithin inficirt, die Verwachsungen mit der
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1309
13. August 1901.
Umgebung durch peritoneale Adhaesionen so fest und so flächen¬
haft, dass man nur selten an eine radikale Exstirpation denken
kann.
Wir müssten lernen, das Carcinom im Magen und Dünndarm
zu dingnosticiren, bevor es solche Fortschritte gemacht hat. So
weit ich dies zu berurtheilen vermag — ich bin gern bereit, von
den zahlreich anwesenden Vertretern der inneren Medicin zu
lernen —, scheint dies bisher fast unmöglich. Ich wüsste
wenigstens sonst keine Erklärung für die Thatsache zu
finden, dass dem Chirurgen meistens diese Patienten
erst in diesem späten Stadium überwiesen werden; bin
ich doch weit • entfernt davon, anzunehmen, dass die
inneren Mediciner . noch heute auf dem Standpunkte
stehen, einen an malignem Tumor erkrankten Menschen
erst dann dem Chirurgen zuzuschicken, wenn alle anderen Mittel
vergeblich waren, gleichsam als ultima ratio; obwohl ich ge¬
stehen muss, dass mich hin und wieder diese Furcht beschleicht.
Nun, m. II., Denjenigen, die so denken, brauche ich nur vor¬
zuhalten, »lass von Patienten, die in diesem hohen Krankheits¬
stadium zu mir zur Operation gekommen sind — 18 im Ganzen —-
noch 6 leben, darunter 2 Kranke, an denen bereits vor 6 und
5 Jahren der Eingriff — Exstirpation des erkrankten Magen-
abschnittes — gemacht wurde; Fälle, da schon mesenteriale
Lymphdrüsen erkrankt waren und mitentfernt werden mussten
«»der da schon ausgedehnte Verwachsungen bestanden. Ich meine,
«lass diese Zahlen für sich sprechen. Um wie viel Ix'sser wären
nun die Resultate, wenn wir die Kranken früher zur Unter¬
suchung und Operation erhielten!
Welche Symptome berechtigen aber zur
Diagnose Magenkrebs? Zuweilen hilft hier die
Aetiologie, indem erfahxungsgemäss sich oft in den Rändern
«■ines früheren vernarbten Ulcus ventriculi Carcinom ausbildet.
Rasche Abmagerung, Belegtheit der Zunge, gestörte Ver¬
dauung, Gefühl von Fülle und Drude in der Magen¬
gegend nach der Mahlzeit, Aufstossen, Alles dies sind Er¬
scheinungen, die ja bei Magen ca rci nom Vorkommen können,
aber weil sic auch bei anderen Magenerkrankungen sich ein¬
stellen, nicht als charakteristisch anzusprecheu sind. Wichtiger
ist schon das häufige Erbrechen kaffeesatzähnlicher und choco-
ladenfarbiger Massen, aber auch dieses Symptom kommt zuweilen
bei Ulcus ventriculi simplex vor. Ferner kommt in Betracht der
mikroskopische Nachweis von Blutgehalt im Erbrochenen und die
chemische Haeminprobe. Aber auch diese Bestimmungen können
keinen Anspruch auf pathognomonische Bedeutung, ebensowenig
wie der Nachweis dee Fehlens der freien Salpetersäure und An¬
wesenheit von Milchsäure machen, da letztere auch keineswegs
konstant ist. Die in den letzten Tagen von Boas publizirte
Meth«>de des mikroskopischen Nachweises von Blut im Er¬
brochenen und in den Faeces ist jedenfalls als Fortschritt zu be-
grüssen, da sie uns in den Stand setzt, relativ frühzeitig auf
einen ulcerirenden, d. h. Blutung hervorrufenden Process zu
fahnden. Und selbst die Palpation eine« Tumors ist nicht immer
konstant, ich erinnere an die allerdings nicht sehr häufige in-
filtrirende Form des Magenkrebses; und was endlich die Erweite¬
rung des Magens angeht, so kommt dieselbe durchaus nicht selten
bei einer Reihe gutartiger Proeesse vor.
Ganz ähnlich, fast noch unsicherer, steht es mit der Er¬
kennung eines Dünndarmkrebses.
Im Beginne kann also, meiner Ansicht nach, die Diagnose auf
Magen- und Dünndarmcareinom nur eine Wahrs«*heinlichkeit,s-
diagnose sein; wird aber in dieser Zeit nicht operativ einge¬
schritten, so vergeht die beste, die günstigste Zeit unbenützt.
Diese Gründe sind es, m. H., welche mich veranlassen, hier
auszusprechen, dass es einerseits Pflicht der Aerzte ist, viel früher,
als bisher geschehen, und viel häufiger bei schweren Magen- und
Darmerkrankungen den Chirurgen zuzuzieheu und andererseits
Pflicht des Chirurgen ist, in jedem nur zweifelhaften Falle eine
diagnostische Laparotomie vorzuschlageu. Dieser
Eingriff erlaubt uns, nicht nur mit eigenen Augen das erkrankte
Organ zu sehen, sondern es auch zu palpiren und damit in fast
absolut sicherer Weise die Diagnose zu stellen: es ist ein maligner
Tumor da oder er ist nicht da. Mehr Worte bedarf es wohl nicht,
den Werth dieses Eingriffes darzustellen. Was nun aber die
Frage nach der Gefahr angeht, die eine solche diagnostische
Laparotomie mit sieh bringt, so kann ich versichern auf Grund
meiner eigenen Erfahrungen, dass eine solche bei Asepsis eine be¬
sondere Gefahr nicht involvirt. Im letzten halben Jahre habe
ich in meiner Klinik 33 Laparotomien gemacht, ohne dass auch
nur in einem Falle dem Patienten aus der Laparotomie Gefahr
erwachsen wäre.
Ergibt die Eröffnung der Bauchhöhle, dass kein Tumor da
ist, so schliesst man mittels 3 facher Naht die Wunde und nach
8—10 Tagen ist letztere verheilt; stellt sich heraus, dass ein
Tumor vorhanden und operabel ist, so exstirpirt man ihn; ergibt
sich jedoch, dass es schon zu spät ist, dass von einer radikalen
Operation nicht mehr die Rede sein kann, nun dann erlöst man
den Kranken durch die sofort anzuschliessende Gastroentero¬
stomie von seinen Qualen und verlängert ihm oft, jedenfalls aber
erleichtert man ihm den Rest des Lebens. Wenn wir bedenken,
dass ein Drittel aller Carcinome auf den Magen kommen, so ver¬
stehen wir schon allein hieraus, dass der Werth eines solchen
Vorgehens auf der Hand liegt. —
Nicht viel besser, m. H., scheint es mit der Diagnose
Mastdarmcarcinom zu sein; denn wie sollte man sich
anders erklären können, dass so viele dieser unglückseligen Men¬
schen so spät zur Operation kommen! Unter den mancherlei Sym¬
ptomen, die bei einem an Mastdarmkrebs Leidenden Vorkommen,
möchte ich dreierlei als besonders diagnostisch verwerthbar her¬
vorheben : einmal den WechselzwischenVerstopfung
und diarrhoischem Stuhl. Bei derartigen Klagen,
namentlich bei einem Lebensalter zwischen 35—50 Jahren muss
man sehr vorsichtig werden; jedenfalls den Stuhl, der zuweilen
gar nicht kothhaltig ist, wiederholt mikroskopisch und makro¬
skopisch untersuchen. Ferner ist wichtig der Nachweis von Blut
im Stuhl; nicht als wenn dasselbe sich sogleich makroskopisch
bemerkbar machte, nein, man muss mikroskopisch und nament¬
lich jetzt nach der neuen von Boas angegebenen Methode darauf
untersuchen. Aber auch wenn das Blut sich aus haemorrhoidalcr
Erkrankung ohne Weiteres erklären liesse, rathe ich drittens,
keinesfalls die Digitaluntersuchung zu unterlassen; denn nur sie
sichert uns vor diagnostischen Fehlem und wie oft begleitet ein
Carcinom eine haemorrhoidale Erkrankung. Die Digitalunter¬
suchung muss jedoch — und dies scheint mir betonenswerth —
in jedem Falle, da man nicht sofort zu einer zweifellosen Diagnose
kommt, in Narkose gemacht werden; nur dann findet man die
hochsitzenden Tumoren, nur dann kann man auch alsbald sich
über Operationsfähigkeit und Wahl der Operationsmethode ent¬
scheiden. Und wie bei Magencarcinom, ebenso ist bei Mastdarm¬
carcinom nur eine frühzeitige Diagnose von lehensrettender Be¬
deutung. Ich habe 42 Mastdarmcarcinom« 1 operirt, darunter zum
Theil solche, die bereits anderwärts 1, 2, ja 3 mal wegen Recidiv
operirt waren und von diesen 42 Operirten leben jetzt noch 14,
davon einige bereits 7, ja 8 Jahre nach dem Eingriff.
M. H.! Es würde mir zur Genugthuung gereichen, wenn
Sie aus dem Besprochenen die Ueberzeugung mit nähmen, dass das
Bestreben des Arztes und Klinikers, will er mehr als bis jetzt dieser
furchtbaren Krankheit entgegenwirken, dahin gehen muss, die
Diagnose des Carcinoms nach der Richtung zu vervoll¬
kommnen, dass diese unseligen Patienten früher dem operirenden
Arzte übergeben werden, damit Letzterer mit freieren, nicht so
gebundenen Händen an seine Arbeit gehen kann. Sie dürfen ver¬
sichert sein, die besseren Resultate werden ni«iht ausbleiben.
Und diese Ueberlegung führt mich noch zu ein paar Worten
über die Behandlung der Carcinome. Zweierlei ist. es, das
mir bei den Operationen der Chirurgen an Carcinomkranken auf¬
gefallen ist, einmal, dass man, meiner Ansicht nach, viel zu wenig
gesucht hat, aus der Erfahrung, der Heidenhain zuerst be¬
gründende Worte lieh, dass nämlich die häufigen Recidivo bei
Mammacarcinom daher kommen, dass in der Fascie, unterhalb
derselben und in den Brustmuskeln mikroskopische Herde liegen,
die selbst bei radikaler Amputatio mammae Zurückbleiben. Nutzen
für die an anderen Körperstellen und Organen loknlisirten (’arci-
noiue zu ziehen; und zweitens, dass man bei einzelnen Carcinom-
«»perationen viel zu viel mit scharfen Instrumenten arbeitet.
Wie beim Mammacarcinom, so ist auch bei anderweitigen
Careinomen diese Aussaat mikroskopischer Herde als thatsiichlieh
unzunehmon; man muss daher z. B. beim Lippenkrebs nicht nur
das si<-ht.bar Erkrankte entfernen, sondern auch die Umgebung
und Unterlage weithin mit fortnehnn'n. man muss nicht nur die
kranken Lymplalrüsen, sondern auch die Verbindungsbahnen, das
1 *
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1310 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33
verbindende Gewebe mit exstirpiren. Allerdings wird dadurch der
Eingriff schwieriger, eingreifender und auch die nachfolgende
Plastik vielleicht weniger schön; aber die Heilerfolge sind auch
zweifellos besser. Seitdem grundsätzlich in meiner Klinik hei
Lippeneareinom die ganze Lippe entfernt wird, wozu man sieh
um so leichter entschliefst, als die Langen b ec k’sehe Plastik
in kosmetischer und funktioneller Beziehung nichts zu wünschen
übrig lässt, sind örtliche Reeidivo nicht mehr vorgekommen; es
handelt sich bis jetzt um 9 Fälle. Aehnlichos gilt von den anderen
('arcinomen, namentlich vom / u n g e n e arci n o in; bei diesem
prognostisch so verderblichen Ix'hlen werden wir meines Er¬
achtens nur dann Erfolge haben, wenn wir von partiellen Exstir¬
pationen ganz absehen, und nach sichergestcllter Diagno-c
sofort die ganze Zunge, exsti rpiren. Gerad«*
In i diesem beweglichen und fast ununterbrochen bewegten
Organe ist das Versprengtsein von mikroskopischen Herden
sehr natürlich. Und was das spätere funktionelle Resultat
angeht, so ist dasselbe immer besser, als man anzunehmen
geneigt ist; denn hier zeigt sich die grossartige, plastische
Kunst, der Natur, welche durch Herüberziehen von (ieweben
aus «lein Mundboden und der Schleimhaut der Wangen
nach Exstirpation der Zunge fast eine, neue bildet. Unwillkür¬
lich oder unabsichtlich vielleicht folgen wir obiger Forderung
bei der Operation der Magen- und Darmkrebse; denn hier nimmt
man immer weit im Gesunden weg und auch bei der Entfernung
der Lymphdriisen bleibt man weit entfernt vom Kranken. Nicht
zum Kleinsten dürften sieh hieraus die günstigen Erfolge dieser
Eingriffe selbst, bei im Allgemeinen fortgeschrittener Erkran¬
kung erklären.
Was das stumpfe Vorgehen angeht, so ist dasselbe ja zum
Theil im Besitz der Chirurgen; so z. B. macht man allgemein
wohl die Exstirpation des Mastdarmearcinoms, nachdem man die
eröffnenden 1 lautschnitte angelegt, stumpf, indem man mit
den Fingern, unterstützt durch die geschlossene Oooper’sehe
Scheero sich weit entfernt vom Erkrankten allmählich hoch
arbeitet und damit den Tumor von seiner Umgebung löst. So
weit als angängig, ist dieses Verfahren auch bei der Exstirpation
anderen Orts gelagerter Oareinome nachzuahmen. Bei der Ex¬
stirpation careinoinatiüser Lymphdriisen am Halse oder in der
Leistenbeuge gehe ich, und mit mir wohl die meisten Chirurgen,
ähnlich vor. Nachdem der Ilautsehnitt die Grenze der Erkran¬
kung kennen gelehrt hat, lege ich das Messer fort und suche,
stumpf die careiuomat«Ösen Lymphdrüscu, am besten in toto zu
isoliren und zu entfernen; nicht nur ist. die Blutung eine zweifel¬
los geringer« 1 , auch die Exstirpation ist meist eine vollkommenere,
da der immer anwesende Finger st«'ts <lie Grenze des Kranken,
des infiltrirt. harten Gewebes fühlt und dadurch lehrt, in respekt¬
voller Entfernung davon zu bleiben. Wenn auch das Careinom
regellos in die Umgebung wächst, so gr<‘ift es ohne Frage leichter
dahin über, wo es «len geringeren Widerstand findet; es verbreitet
sich also in einem von Faseien begrenzten Raume, wie es am Halse
der Fall ist, leichter und früher nach oben und unten, als cs die
Faseie durchwachst.
Mögen nun zum Theil sich aus diesem Vorgehen die verhält-
nissmässig guten Resultate ergeben, zum Theil sind sie ganz ge¬
wiss mitveranlasst durch, die systematische N a c h b e h a n «1 -
1 u n g, welcher ich die von mir operirten Krebskranken unter¬
ziehe. Jeder derartigo Kranke ist verpflichtet, sich in regel¬
mässigen Zwischenräumen, die sieh mit der Länge der Zeit ver¬
größern. Anfangs aber 8—10 Wochen nicht übersteigen, bei mir
wieder vorzustellen, mag er sich auch noch so gesund fühlen.
Nur dann, wenn man so vorgeht, ist man auch im Stande, einen
Patienten vor Recidiven zu schützen. Denn nur der Arzt ist im
Statute, frühzeitig ein Recidiv, mag es sich als minimale Ver¬
härtung in der Narbe oder in ihrer Umgebung, mag es sich durch
die Infiltration oder Fixation bis dahin freier Gewebe anzeigen,
zu erkennen und dann auch sofort dagegen oinzuschrciten. Demi
nach meiner Erfahrung bietet eine Operation wegen Recidiv nur
«lann Aussicht auf Erfolg, wenn sie sehr bald nach den ersten
Anzeichen desselben gemacht wird. Dazu kommt man aber nur,
w«*nn man selbst regelmässig revisoriseh untersucht.; auf solche
Weis«* habe ich mehrere Damen definitiv gerettet, von «knien
eine 3, ja eine sogar 5 Recidivoperationen durchgemacht, hatte,
bis sie dauernd gesund wurden. Auf die Beobachtung von Seiten
des Operirten allein sollte mau sich unter keinen Umständen
verlassen.
Zum Schlüsse füge ich noch einige Worte über meine Stel¬
lung hinsichtlich d«*r Behandlung von nicht mehr radi-
k a 1 o peri rbar e n Krebskranken an. Ich bin ganz derselben
Meinung, der Ozcr n y auf dem vorjährigen Kongress Worte lieh,
dass es nicht nur eine gewiss«* Grausamkeit involvirt, sondern
auch ein sehr grosser Fehler ist, wenn wir Arzte den nicht mehr
operablen Kranken dieaes andeut«*n und sie sich selbst, überlassen.
M. II.! D«*r Kranke benrtheilt im seltensten Falle seine Lage
richtig — selbst der erkrankte Arzt ist oft dazu nicht im Stande
— und er sucht Hilfe und Rettung da. wo er sie zu finden glaubt.
Desshalb gehen sie zu den sog. Naturheilkundigen. zu
Pfus«*hern etc.; fast in jedem Menschen steckt im Inneren Nei¬
gung zum Wunderglauben und warum sollte' sieh «ler Kranke
scheuen, zum Pfuscher, zu diesem Wundermann zu gehen, wenn
ihn sinn Arzt, aufgegeben hat? Ich halte es für mindestens eben¬
so schwer, wenn nicht schwieriger, einen inoi>crablen Krebs¬
kranken zu behandeln, als grosse Radikalopcrationen vorzu¬
nehmen.
Nun steht uns eine Anzahl Hilfsmittel, ganz abgesehen von
den möglichst bis zu allerletzt aufzuhebemlen Narkotieis. zu Ge¬
bote, die zum Theil operativer Natur, zum Theil Arzneimittel
sind. Wie segensreich beim inoperablen Magencarcinom die
Gastroenterostomie, beim Dünndannearcinom die Entero-Entero-
stomie und beim inoperablen Mastdarmcarcinom die Kolo-
stomie wirkt, das weiss wohl nur Der ganz zu beurtheilen,
der viele solcher Patienten behandelt hat.. Aber auch die kräfte¬
erlahmenden und lästigen jauchigen Absonderungen können wir
oft durch energische Kauterisathmim nach Ausschabungen be¬
seitigen oder doch mildem, mögen wir nun dem Ferrum eandens
(P a q u e 1 i n) oder der Chlorzinkpaste den Vorzug geben. Selbst
die Impfung mit Streptococcen behufs Erzeugung eines Erysipels
oder die Injektion von Streptococeensterilisaten nach Cole.v
können wir als Hilfsmittel bei der Bekämpfung dieser todbringen¬
den Erkrankung ansehen. Auch Jodpinselungen — energisch und
häufig wiederholt — sind im Stande bei flächenhaften Metastasen,
z. B. den Ilautseirrhen nach Mammacarcinom und «len Cancer
en euirasse Stillstand, ja Rückgang zu bringen.
Wenn wir bedenken, dass ohne Frage die Krebskrankheit
in europäischen Ländern in Zunahme begriffen ist — nach dem
Süden nimmt sie rapide ah, und in Algier erkranken nur Euro-
pä<*r an Krebs —, dass die Sterblichkeit an derselben wächst —
in Preussen vergrössert sie sich nach genauer Statistik jährlich
um 0,17 auf 1000 Einwohner — so verstehen wir, dass wir Aerzte
suchen, unsere Waffen, so wenig wirksam sie im Allgemeinen
auch sind, dieser verheeremlen Krankheit gegenüber zu schärfen
un«l zu vermehren.
Das Vioform, ein neues Jodoformersatzpräparat.
Von Dr. Krecke in München.
Es gehört heutzutage ein gewisser Muth dazu, ein neues
Jo«loformersatzpräparat zu empfehlen. 20 Jahre behauptet jetzt
das Jodoform seine herrschende Stellung unter den Mitteln zur
Wundbehandlung, und noch keines der zahlreichen empfohlenen
Ersatzpräparate hat ihm seinen Rang streitig zu machen ver¬
mocht. Das Jodol, das Aristol, das Airol, das Nosophen, das
Lorctin und wie sie sonst alle heissen, haben es wohl zu vorüber-
geheiiden Empfehlungen in der Literatur gebracht, eine weit¬
gehende praktische Bedeutung hat jedoch keines dieser Mittel
zu erlangen vermocht, und wenn man gelegentlich in den grossen
chirurgischen Krankenanstalten persönlich sich Umschaut, v«
fimlet man überall «las Jodoform als das zuverlässigste Mittel
fasi ausschliesslich angewendet.
Auch der Schreiber dieser Zeilen hat wiederholt die neu
empfohlenen Präparate *.«uf ihre Vorzüge gegenüber «lern Jodo¬
form geprüft, er hat aber Ihm allen alsbald die weiteren Versuch.*
auf gegeben und ist reumütliig immer wieder zum Jodoform
zurüekgekehrt. Di«* grossen Vorzüge des Jodofi.r m s.
«1 i e v ö 11 i tr e T r «» e k e n li a 11 u n g der Wunde, die F ern*
1, a 1 t u n g einer I li f e k t i <» u und die günstige Beein¬
flussung der tuberkulösen Processe, sind eben von
keinem amleren Präparate au«*h nur annähernd erreicht, worden-
Es konnte t o nicht ausbleiben. «lass j«*«h* Empfehlung ««ihm neuen
Ersatzmittels auf vielen Seiten starken Aeusserungen des
Zweifels begegnete und dass die Neigung zur Prüfung eines
neuen Präparates »*>!-** immer geringere wurde.
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13. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1311
Und doch ist de; Wunsch, über ein Ersatzmittel des
Jodoforms zu verfügen immer bestehen geblieben. Wenn
ja auch die giftigen Wirkungen des Jodoforms durch vorsichti¬
gere Dos innig desselben, besonders durch ausschliessliche Ver¬
wendung desselben in Form von Gaze, sich mit einer an Sicher¬
heit grenzenden Wahrscheinlichkeit vermeiden lassen, so ist C3
doch immer wieder der imangenehme Geruch des Mittels, der
stets von Neuem das Verlangen nach einem Stellvertreter rege
macht. Es soll ja allerdings Leute geben, die den Geruch des
Jodoforms über Alles schätzen und dasselbe sogar als Schnupf¬
pulver verwenden, das ist sicherlich aber nur eine ganz kleine
Minderheit, der grossen Mehrzahl der Aerzte sowohl wie der Laien¬
welt ist der Jodoformgeruch etwas sehr Unsympathisches, wenn
nicht Widerliches. Wie oft bekommt man von den Kranken
zu hören: „Ach bitte, Herr Doktor, nur kein Jodoform, ich kann
mich sonst nirgends sehen lassen“; und Jeder, der das zweifel¬
hafte Vergnügen gehabt hat, im Theater oder Concert neben
einem nach Jodoform duftenden Jüngling zu sitzen, weiss die
Berechtigung dieser Forderung zu würdigen.
Im Sommer vorigen Jahres erschien nun die Veröffent¬
lichung von T a v e 1 - Bern: Bacteriologisches und
Klinisches über Vioform (Deutsch. Zeitschr. f. Chir.,
55. Bd., 5. u. 6; Heft). Dieselbe berichtete in so objektiver und
doch zugleich vertrauenerweckender Weise über ein neues pulver-
förmiges Antisepticum, dass ich alsbald einen Versuch damit zu
machen beschloss.
Seit Juli 1900, also seit ungefähr 11 Monaten, habe ich das
Präparat bei den verschiedenartigsten chirurgischen Affek¬
tionen verwendet. Während ich im Anfang noch hin und wieder
bei besonders wichtigen Fällen zum Jodoform griff, habe ich seit
nunmehr 6 Monaten überhaupt kein Jodoform mehr bei dev
Wundbehandlung benützt. Um es gleich vorweg zu sagen, das
Vioform ist ein Mittel, das durchaus berufen
erscheint, das Jodoform in jeder Weise zu er¬
setzen.
Das Vioform ist seiner chemischen Konstitution nach als
Jodchloroxychinolin zu bezeichnen und wird von der
Baseler chemischen Fabrik dargestellt. Es ist von ganz neutralem
Charakter, da die saure Natur der Hydroxylgruppe durch die
basische des Chinolins sozusagen aufgehoben wird. Es ist von
gelblicher Farbe und vollkommen geruchlos.
Die bactcriologische Prüfung wurde von Tavel
im Verein mit Tormarkin nach bestimmten Gesichtspunkten
vorgenommen, und betraf im Wesentlichen die entwicklungs¬
hemmende und die bacterientödtende Wirkung. Gleichzeitig mit
dem Vioform wurden Kontrolversuche mit Jodoform und Loretin
ausgeführt. Die die bacterientödtende Wirkung behandelnden
Versuche ergaben keine gut brauchbaren Resultate. In Bezug
auf die Entwicklungshemmung erwies sich das Vioform bei der
direkten Wirkung dem Jodoform und Loretin weit überlegen; in
Bezug auf regionäre Wirkung zeigte sich als bestes das Loretin,
und in Bezug auf Femwirkung erwiesen sich Jodoform und Vio¬
form gleich gut, während das Loretin überhaupt keine Fern¬
wirkung erkennen liess. Da für die antiseptischon Pulver die
direkte entwicklunghemmende Eigenschaft die Hauptsache ist,
so muss nach Tavel unter den 3 angegebenen Pulvern dem
Vioform der Vorrang gegeben werden.
Toxikologische Untersuchungen wurden an
Thieren in der Weise angestellt, dass denselben Vioform sub¬
kutan injizirt wurde, unter ständigen Kontrolversuehen mit Jodo¬
form und Loretin. Die Versuche lehrten, dass das Vioform in
sehr grosser Dosis subkutan vertragen wird, so dass es dem Jodo¬
form und Loretin entschieden überlegen ist. Bei intraperi¬
tonealer Injektion ist seine tödtlicho Dosis der des Jodoforms
etwa gleich. Bei subkutaner Injektion entstanden bei Dosen von
0,5 g an Geschwülste mit steril-eitrigem Inhalt (chemotaktische
Wirkung).
Die klinische Verwendung des Vioforms geschah
in der Weise, dass das Pulver einmal als Schutzmittel bei ge¬
schlossenen, meist drainirten Wunden angewendet wurde, dann
in Form von Gaze oder Brei in Wunden und zumal bei tuber¬
kulösen Wunden. Die Ergebnisse der Vioformbchandlung waren
ganz ausgezeichnete, und zumal bei den tuborkulöscn Affektionen'
waren dieselben besonders gute. T. fasst sein Urtheil dahin zu¬
sammen, dass er da9 Vioform für das beste Ersatzmittel des Jodo-
No. 33.
forms hält Bei nicht tuberkulösen Wunden wirkt
es noch besser wie das Jodoform und bei tuber¬
kulösen ist es demselben zweifellos eben¬
bürtig.
Bei meinen eigenen Versuchen mit der Vioformbchandlung
bin ich insofern etwas anders vorgegangen wie Tavel, als ich
bei den vollkommen durch die Naht geschlossenen Wunden das
Vioform nicht angewendet habe. Bei solchen Wunden habe ich
schon seit langer Zeit jede Bestreuung mit einem Antisepticum
grundsätzlich vermieden. Die Resultate sind auch ohne eino
solche Bestreuung (lurchaus günstige und würden meiner An¬
sicht nach durch ein neues Mittel nicht verbessert werden. Nur
bei solchen Wunden, bei denen die Gefahr einer Verunreinigung
durch Körpersekrete gegeben ist, scheint eine Vioformbehandlung
angezeigt. Darauf werde ich noch später zurückkommen.
Zum Beweise für die Entbehrlichkeit eines antiseptischen
Pulvere bei vollkommen geschlossenen Wunden möchte Ich nur
hervorheben, dass von 19 aseptischen Laparotomien keine einzige
auch nur die geringste Störung des Wund Verlaufes aufzuweisen
hatte, dass bei 29 grösseren und kleineren Geschwulstexstir¬
pationen, bei denen die Wunde vollkommen durch die Naht ge¬
schlossen wurde, vollkommen primäre Heilung eintrat, dass ebenso
4 Osteotomien und Knochen nähte durchaus reaktionslos verliefen
und dass nur bei 14 Herniotomien zweimal eine leichte Eiterung
der Operationswunde eintrat. Die beiden Fälle von Störung des
Wundverlaufes erklären sich dadurch, das» in dem einen Falle
der kleine Patient mit seiner nicht desiuficirten Hand während
der Operation in die Wunde hineingriff und dass in dem anderen
Falle es sich um die Exclsion einer grossen Bauchwandhernie mit
starker Diastase der ltecti bei ilnor sehr fettreichen Dame handelte.
Ausgezeichnete Dienste hat mir aber das Vioform geleistet
bei allen den Wunden, bei denen eine Tamponade zweck¬
mässig erschien, besonders auch bei tuberkulösen Wunden. Die
Anwendung des Vioform geschah fast ausschliesslich in
Form der Vioformgaze. Die Gaze wurde in meiner Anstalt
in der Weise hergcstellt, dass 50 g Vioform mit 200 g Glycerin,
200 g sterilisirtem Wasser und 100 g Alkohol zu einer Emulsion
verrührt wurden, und dass mit dieser die vorher stcrilisirton
Gazebinden imprägnirt wurden.
Der Prüfstein für ein jedes neue Mittel sind die Opera¬
tionen in der N ähe des Afters. Bekanntlich ist durch
die Jodoformtamponade die Operation des Rcctumcarci-
n o m s zu einer weit ungefährlicheren gemacht worden, da die
Jodoformgazo eino Infektion der W T unde mit fast absoluter
Sicherheit vermeidet. In dieser Hinsicht hat sich nun bei 5 von
mir ausgeführten Rcetumexstirpationen die Vioformgaze durch¬
aus ebenbürtig erwiesen. Der Wundverlauf war in keiner Weise
ein anderer. Auch bei Anlegung eines Anus praeternatu¬
ralis und bei 5 Operationen von Haemorrhoiden- und
Maatdarm-V orfall hat sich das Vioform durchaus be¬
währt und die Wundheilung befördeit. Recht günstig war ferner
der Verlauf nach 5 Exstirpationen der Mastdarmfistol.
Es trat in allen Fällen rasch und schnell eine Reinigung
und Verkleinerung der oft sehr grossen Wunden ein, und die
völlige Vornarbung erfolgte in allen Fällen ohne Störung. Die
Vortheile, die wir dem Jodoform zuschreiben, sind ja bekannt¬
lich die, dass es die W T unde trocken legt und eine Infektion ver¬
hindert. Ganz dasselbe leistet das Vioform: Schon beim ersten
Verbandwechsel zeigte sich die Wunde von gutem Aussehen, mit
gar keinen oder nur ganz geringen Schorfen bedeckt. Eine In¬
fektion trat nie ein.
Auch bei Operationswunden, die der Gefahr einer Ver¬
unreinigung durch Urin ausgesetzt waren, hat sich das
Vioform als ein durchaus sicheres Mittel erwiesen.
4 Fälle von Phimosen Operationen und 4 ausge¬
dehnte Plastiken an den weiblichen Genital¬
organen verliefen durchaus glatt in kürzester Zeit. Hier war
die Nahtlinic einfach mit Vioform bestreut worden. Anfügen
möchte ich hier gleich, dass bei 6 Auskratzungen der
U terushöhle die Vioform-Gaze sich als ein durchaus zweck¬
mässiges Tamponademittel bewährt hat. Von den 6 Auskratz¬
ungen wurden 2 wegen chronischer Endometritis, 3 wegen Car¬
ei lfom und eine wegen Abortus vorgenommen. Bei einem Car-
cinom-Fall fiel es auf, dass der heftige jauchige Geruch, der vor
der Auskratzung bestand, bei Entfernung der Gazo vollkommen
verschwunden war, im Gegensatz zu dem widerlichen Geruch,
der einem so oft hei Herausnahme der Jodoformgaze entgegen¬
strömt.
2
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1312
MTJENOHENER MEDICINISCHE 'WOCHENSCHRIFT.
Nö. 33.
Vielleicht veranlassen diese Beobachtungen die Facli-Gynii-
kologen, auch ihrerseits dem Vioform eine grössere Aufmerksam¬
keit zu schenken. Nach einer vaginalen Uterus-Exstirpation hat
sich die Vioformgaze-Tamponade ebenfalls durchaus sicher er¬
wiesen.
Recht günstig gestaltete sich des weiteren die Verwendung
der Vioformgaze-Tamponade bei allen den Operationen, nach
welchen eine zeitweiligeTamponade oder ein längeres
Offenhalten der Wunde zweckmässig erschien: So vermochte
die Vioformgnze nach der Exstirpation eines Gehirntumors,
wo eine Tamponade nothwendig war, durchaus sicher die Infek¬
tion zu verhüten; ebenso nach einer Trepanation wegen
Meningea-Blutung.
Auch nach hohem Blasenschnitt bei einem sehr fett¬
reichen Mann mit primärer Blasenuaht sicherte die Vioform-
gaze eine durchaus glatte Heilung der Wunde, ebenso in 3 Fällen
von Urothrotomia externa. Hervorheben möchte ich
weiter, dass bei 4 grösseren Plastiken im Gesicht
die Vioformgaze sehr gute Dienste leistete, ebenso bei 9 Radikal -
Operationen des eingewachsenen N agels. Bei den letz¬
teren Fällen heilte die Wunde in der Regel unter einem Ver¬
bände in 8 Tagen.
Ganz ausgezeichnet wurden unter Vioformgaze-Tamponade
die Wundverhältnisse bei allen den Operationen, wo es sich uiu
die Incision kleinerer oder grösserer Eiter¬
herde handelte. 2G Panaritien heilten nach ausgiebiger
Incision anstandslos unter Vioformgaze-Tamponade und es war
auffallend, zu sehen, wie schnell eine Reinigung der eiterig be¬
legten Wundhöhle eintrat.
Ebenso günstig war der Verlauf bei 9 Phlegmonen
und 38 Fällen von Furunkel, kleineren und grösseren A b -
sc essen, vereiterten Atheromen u. ähnl.
5 Bubo-Exstirpationen verliefen unter Vioform-
gaze-Tamponade durchaus glatt und ebenso war bei 7 Fällen
von umschriebener und allgemeiner Peritonitis die Vioform¬
gaze-Tamponade der Jodoformgaze-Tamponade durchaus gleich-
werthig. Weiter stand das Vioform dem Jodoform in keiner
AVcise nach bei der Behandlung von eiterigen Knochen-
höhlen: 9 Sequestrotomien heilten durchaus glatt,
ebenso 2 Empyeme der Stirnhöhle, 2 der Kiefer-
h <" h 1 e , 2 der Pleurahöhle und 3 Kiefereiterungen
am Alveolarfortsatz. In einem Fall von Aufmeisselung des
W arzeufort. satzes, den Herr Kollege Scheibe in
meiner Anstalt operirte, war die Vioformgaze-Tamponade eben¬
falls von günstigem Einfluss auf den Wundverlauf.
Auch 5 Fälle von ausgedehnter eiteriger M a s t i t i s wurden
nach der Incision unter Vioformgaze in verhältnissmässig kurzer
Zeit geheilt.
Bei Ulcus molle hatte ich zweimal Gelegenheit, das Vio¬
form als Streupulver anzuwenden. Die Heilung der Ge¬
schwüre war eine ebenso prompte wie beim Jodoform; besonders
in dem einen Falle, in dem es sich um recht ausgedehnte Ge¬
schwüre und um eine schankrös gewordene Phimosen-Operations-
wunde handelte, war die Wirkung des Vioform eine recht auf¬
fällige. Beide Patienten waren sehr dankbar, dass ich ihnen
den unangenehmen Geruch des Jodoforms erspart hatte.
Als Streupulver wurde das Vioform auch bei 19 Fällen von
Ulcus cruris benützt. Die Wirkungen des Vioforms waren
hier zum Theil ganz wunderbare. Allerdings wurde es immer
in Verbindung mit Zinkleimverbänden angewendet, und es ist
zweifellos ein Theil der günstigen Wirkung auf den Zinkleim
zurückzuführen. Ganz sicher ist aber auch, dass in den ohne
Vioform behandelten Fällen der Erfolg ein weniger günstiger
war, und besonders muss hervorgehoben werden, dass das Vioform
nie die unangenehmen Ekzeme hervorruft, wie ich sie früher bei
Jodoformbehandlung der Unterschenkelgeschwüre gar nicht so
selten beobachtet habe. Bei der langen Zeit, die die Behandlung
eines grossen Untcrschcnkelgeschwüres beansprucht, kann es na¬
türlich nicht ausblciben, dass viele Patienten ungeduldig werden
und aus der Sprechstunde wegbleiben. Im Allgemeinen war ich
aber doch erstaunt, wie viele mit Ausdauor wiederkamen, und
wie bei den geduldigen Patienten alle Geschwüre, auch solche
von Zwei- und Dreimarkstückgrösse, schliesslich vollständig ge¬
heilt wurden.
Bei den tuberkulösen Erkrankungen vollends
war der Erfolg der Vioform-Behandlung ein entschieden sehr
auffälliger. Im Ganzen wurden 28 Fälle der verschiedensten
tuberkulösen Affektionen, besonders von Knochen- und Gelenk¬
tuberkulose mit Vioformgaze behandelt. Da es sich bei meinen
tuberkulösen Patienten vornehmlich um Kinder handelt, und
ich in der Behandlung derselben sehr konservativen Grundsätzen
huldige, so erklärt es sich, warum nur relativ wenig Fälle der
blutigen Therapie überwiesen wurden.
Den Eindruck habe ich aber sicher bekommen, dass die
Vioformgaze-Tamponade nach erfolgter Operation den Heilungs¬
verlauf ausserordentlich günstig beeinflusst. Ein sehr schwerer
Fall von Handgelenkresektion bei einem 56 jährigen Mann, bei
dem eigentlich die Amputation gemacht werden Bollte, wurde
unter Vioformgaze-Tamponade bis auf eine ganz unbedeutende,
kaum linsengrosso Fistel geheilt. Ebenso günstig verlief eine
schwere Coxitis bei einer 25 jährigen Frau, je ein Fall von
Ellbogengelenks- und Schädeltuberkulose bei 10 jährigen Kindern.
Sehr viel Fälle stehen noch in Behandlung, zumal solche
mit vielfachen Erkrankungen, und es liegt in der Natur der
Sache, dass auch zahlreiche ungünstige Fälle darunter sind;
aber ich muss nochmals wiederholen, dass im Allgemeinen die
Ergebnisse zum mindesten nicht schlechtere sind, wie bei der
J odoform-Behandlung.
Eine Injektion einer Vioform-Glycerin-
Emulsion in ein tuberkulöses Gelenk habe ich nur einmal
ausgeführt und leider dabei das Auftreten einer Eiterung erlebt.
Ich kannte damals die T avoPschen Versuche noch nicht genau
und musste mich nachher überzeugen, dass T a v e 1 schon auf
die starken chemotaktischen Wirkungen des Vioforms
bei subkutanen Injektionen hingewiesen hatte. Bei dem er¬
wähnten Falle, es handelte sich um eine Spina ventosa bed einer
25 jährigen Näherin, trat wohl völlige Heilung ein, ich habe
aber dann doch weiterhin von den Vioform-Injektionen Abstand
genommen. Ich sehe darin allerdings auch keinen Nachtheil,
um so weniger, als ich auch von den Jodoforminjektionen als
meiner Ansicht nach vollkommen entbehrlich und für die
Patienten höchst unangenehm, gänzlich zurückgekommen bin.
Im Ganzen sind bisher 195 Kranke von mir mit Vioform
behandelt worden, und ich kann im Allgemeinen nur die Ergeb¬
nisse Tavel’s bestätigen. Hervorheben möchte ich noch be¬
sonders, dass sowohl allgemeine als örtliche Nebenwirk¬
ungen niemals beobachtet wurden. Das Fehlen der
örtlichen Nebenerscheinungen machte sich besonders insofern
bemerkbar, als nie auch die leiseste Spur eines Ekzems, wie es
doch beim Jodoform so häufig ist, zur Entwickelung kam.
Fügen wir noch zu diesem Vortheil hinzu den der völligen
Geruchlosigkeit des Vioforms, so müssen wir sagen, dass es in
glücklicher Weise alle die Nachtheile vermeidet, die die Ver¬
wendung des Jodoforms zu einer oft so unangenehmen geetalteu.
Berücksichtigen wir weiterhin, dass das Vioform dem Jodo¬
form an Wirkung nicht nur nicht nachsteht, sondern es manchmal
noch übertrifft, so können wir hoffen, in ihm endlich den wahren
Jodoformersatz gefunden zu haben: Es sorgt für eine gute
Trockenlegung der Wunde, es verhindert die Infektion in
Fällen, wo nach Lage der Wunde eine solche leicht möglich
wäre, 'und wirkt entschieden heilungsbefördernd nach der Ope¬
ration der tuberkulösen Erkrankungen.
Aus dem hygienischen Institute der Universität Wien.
Zur Rauschbrandfrage.
Von A. Schattenfroh und R. Grassberger, Assistenten
am Institute.
In No. 50, 1900 und No. 2, 1901 dieser Wochenschrift haben
wir unter anderem über Untersuchungen betreffend die Aetiologie
des Rinderrauschbrandes berichtet. In letzterer Beziehung wurde
erwähnt, dass wir als ausschliesslichen Erreger des Rausch¬
brands ein in die Gruppe der „unbeweglichen“ Buttersäure-
bacillen gehöriges Clostridium mit all’ den für dieselben charakte¬
ristischen Eigenschaften ansehen.
Vor allem dieEigenthümlichkeiten einer grösseren Anzahl von
in den verschiedensten Laboratorien unter dem Namen „Rausch¬
brandbacillus“ fortgezüchteten Kulturen, die wir zu untersuchen
in der Lage waren, sowie der Umstand, dass die in der Literatur
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13. August 1901.
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1313
über die Aetiologie des Rauschbrands vorfindlichen Angaben und
Beschreibungen auf dieselben gut zu passen schienen, waren für
uns maassgebend, den Befunden der Literatur wenig Vertrauen
entgegenzubringen und dieselben durchgehende für irrthümlich,
beziehungsweise nicht einwandfrei zu erklären.
Besonders fiel für uns in’s Gewicht, dass seit Ehlers
(1884) Niemand von den Autoren über die charakteristischen
Formen der Rauschbranderreger (mit Granulöse beladene Stäb¬
chen uud Clostridien) berichtet hatte. Niemand die diesbezüglich
von diesem Forscher erhobenen Befunde — die gleichwohl be¬
sprochen wurden und in die Literatur übergingen — bestätigte,
oder aber denselben auf Grund von kritischen Untersuchungen
widersprach. Von ausschlaggebender Bedeutung aber war, dass,
während wir stets unbewegliche Bacterien als Rausch-
brandeareger züchteten, sämmtliche Autoren (ausgenommen
Ehlers) von der Beweglichkeit derselben sprechen.
Wir konnten nach all’ dem von vornherein nicht annehmen,
unsere Befunde mit jenen der Literatur, wenn auch nur mit
einigen derselben in Uebereinstimmung zu bringen und unter-
liessen desshalb eine genauere Nachprüfung der vorliegenden
Versuche.
Ausgedehntere Studien sowie private Mittheilungen be¬
lehrten uns nun, dass unter dem Forschungsmateriale zweifellos
eine Sichtung vorzunehmen ist, in dem Sinne, dass zwar die in
den meisten Instituten als Rauschbrandreinkulturen gezüchteten
Stämme zur Gruppe des „fäulnisserregenden“ Buttersäurebacillus
gehören und mit dem Rauschbrandprooesse nichts zu thun
haben 1 ), dass jedoch zweifellos einigen Autoren die echten
Rauschbranderreger — freilich ohne klare Erkenntniss ihrer
charakteristischen Eigentümlichkeiten — bekannt waren und
von denselben wohl auch in Reinkultur (wenigstens gelegentlich)
gezüchtet wurden.
So konnten wir die von Prof. Kitt uns in den letzten
Monaten freundlichst übersandten Photogramme zweifellos als
solche von Reinkulturen echter Rauschbrandbacillen erkennen,
und auch Kitasato und den französischen Forschern gegen¬
über möchten wir den Vorwurf, als ob dieselben niemals mit Rein¬
kulturen gearbeitet hätten, nicht länger mit Bestimmtheit auf¬
recht erhalten.
In letzterer Beziehung ist ein endgiltiges Urtheil überhaupt
nur schwer möglich, da die Beschreibungen der Literatur durch¬
wegs der biologisch-chemischen Seite entbehren, zudem eine
Reihe von Merkmalen mehreren Anaerobeu zukommen kann, und
überdies die Autoren nur in den seltensten Fällen sich der
Plattenkulturmethode bedienten.
Unter den von uns selbst erhobenen Befunden, deren Würdi¬
gung für uns hinsichtlich der geänderten Beurtheilung der
Literatur maassgel>end war, ist die Thatsache besonders horvor-
zuheben, dass der Erreger des Rauschbrandes
nicht, entsprechend unseren ersten Angaben,
unter allen Umständen unbeweglich, geisellos
ist, sondern unter bestimmten Verhältnissen deutliche, oft leb¬
hafte Eigenbewegung besitzt und Geiseln trägt.
Durch die besondere Art unserer Züchtung einerseits, sowie
die Kulturmethode der Autoren andererseits, erklären sich die
einander scheinbar widersprechenden Resultate.
Im Nachfolgenden berichten wir kurz über den jetzigen
Stand unserer Forschung, soweit es zur Aufklärung der Leser
nöthig erscheint.
1. Der Rauschbrandbacillus ist ein echter Buttersäure¬
bacillus; er vergährt Kohlehydrate unter Buttersäurebildung und
lagert zur Zeit seiner Versporung in der Leibessubstanz Granu¬
löse ab.
2. Dem Rauschbrandbacillus kommt ein
doppelter Formen-, gleichzeitig Entwick¬
lungskreis zu.
Während der eine in morphologischer Hinsicht durch das
Auftreten von Sporen, Bildung von Clostridien und Granulöse
gekennzeichnet ist, umfasst der zweite nur sporen- und
granulosefreie Stäbchen. Während die Individuen
der Sporengeneration geiseltragend und beweglich
sind, sind die Stäbchen der asporogonen Generation goisellos
und unbeweglich und gleichen völlig den „unbeweglichen“
’f Auch die von N e n c k I und Blenstock analyslrteu
„Kauschbrandkulturen“ gehören hierher.
Buttersäurebacillen. Zur Zeit unserer Publikationen konnten
wir in Reinkultur nur den sporenfreien Entwick¬
lungskreis studiren.
3. Auch in Bezug auf das Aussehen der Kulturen ist zwischen
Sporen- und asporogener Generation ein wesentlicher Unterschied
ausgesprochen, so insbesondere hinsichtlich des Aussehens
der Kolonien in Zuckeragar und Zuckergelatine. Während
die „Clostridienkolonien“ besondere Eigonthümlichkeiten auf¬
weisen, sind die Kolonien der sporenfreien Generation von jenen
des unbeweglichen Buttersäurebacillus nicht zu unterscheiden.
4. Auch hinsichtlich des Chemismus sind weitgehende Unter¬
schiede zwischen sporen tragender und sporenfreier Generation ge¬
geben. Vor Allem ist die Pathogenität der Clostridicnkulturen eine
viel ausgesprochenere und bei wiederholter Uebertragung derselben
länger anhaltende, als jene der Stäbchen. Auch das pathologische
Bild ist in beiden Fällen ein ganz verschiedenes.
Während die Clostridien haemorrhagisches Oedcm mit spär¬
licher bi9 reichlicher Gasansammlung hervorrufeu (Rausch-
brand), erzeugen die Stäbehen bei Meerschweinchen entweder
das typische Bild der Gasphlogmone 1 ) oder jenes des
malignen Oedems.
5. Sporengenerationen und asporogene Kulturen erzeugen in
Zuckerpeptonbouillon derselben Zusammensetzung und unter den
gleichen Bedingungen verschiedene Stoffwechsel- bezw.
Gährprodukte. Insbesondere soll hervorgehoben werden,
dass die charakteristischen Rausch brandtoxine*) nur
von den Clostridiongenerationen produzirt worden,
während die Stäbchen in viel geringerem Grade Gifte bil¬
den, die sich in ihrer Wirkung auf den Thierkörper anscheinend
auch in qualitativer Hinsicht unterscheiden.
Aus Dextrose bilden die Sporengenerationen ausser den Gasen
gelegentlich ausschliesslich Buttersäure, während die asporo-
genen Wuchsformen von letzterer Säure stets nur geringe Mengen,
doch grosse Mengen Milchsäure (Rechtsmilchsäure) entstehen
lassen. Dem entsprechend greifen die Stäbchen in der Kultur
dargebotene Milchsäure nicht an, während die Clostridien-
Generation unter bestimmten Bedingungen
Milchsäuro vergährt.
6. Stäbchen- und Clostridiengeneration sind durch bestimmte
Kulturverfallren in einander überzuführen; leichter gelingt dies
für letztere, während sporonfreie Generationen nur schwer wieder
die Fähigkeit der Sporenbildung erlangen.
Gelegentlich gehen beide Typen spontan in einander ül>or.
Ueber ein neues Immunisirungsverfahren bei Rindern wer¬
den wir erst später, nach Abschluss der Versuche, berichten.
Aus der Münchener chirurgischen Klinik (Prof. Dr. v. An ge rer).
Zur Atropinbehandlung des Ileus.
Von Dr. H. Geb eie.
In den verschiedenen Fachblättern und nicht am wenigsten
in der Münch, med. Wochenschr. wurde in letzter Zeit die An¬
wendung des Atropin bei Ileus lebhaft empfohlen. Die Mit¬
theilungen basiren jedoch meist nur auf der Beobachtung eines
oder zweier Fälle und sind nicht genau und ausführlich genug,
um einer eingehenden Kritik Stand zu halten. Die Mehrzahl der
Autoren faset nur den Sammelbegriff Heus in’s Auge, ohne die
einzelnen Krankheitsbilder, welche einen Ileus nusmachen, im
Besonderen zu berücksichtigen und ohne eine präcisere, wenn
auch nur wahrscheinliche Diagnose, auf Grund der Anamnese
und des objektiven Befundes zu stellen. Von der Diagnose muss
aber immer die Therapie abhängen, wenn nicht schwere Fehler
herbeigeführt werden sollen.
Wenigstens ist steta der dynamische von dem mechanischen
Ileus auseinander zu halten. Dies ist auch in der Mehrzahl der
Fälle möglich.
Beim paralytischen oder spastischen Ileus nun ist cs an¬
gezeigt, zu inneren Mitteln zu greifen. Am meisten angewandt
*) Die Verwandtschaft des Rauscbbrandbnclllus und der Bac¬
terien der Gasphlegmone, die ja gleichfalls BuUereüurebaoillcn
sind, tritt hierin besonders zu Tage; dieselbe üussert sich auch noch
ln anderer Hinsicht, indem manchen Stämmen von Gasphlcginone.
bacillen ein ähnlicher Dimorphismus zukommt wie den ituusch-
brnudbncillen.
*) Wir konnten durch ein bestimmtes Verfahren mit Sicherheit
Toxine gewinnen, von denen 0,01 g Kulturliltr.it Meerschweinchen
bei subkutaner Injektion in 24 Stunden tödtoten.
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No. 33.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
wird Opium, in neuerer Zeit kommt Atropin vielfach in Ge¬
brauch. Neben der Ruhigstellung des Darmes in Folge Lähmung
der Nervenendigungen der glatten Musculatur bedingt Atropin
eine gleichmässige Vertheilung des meteoristisehen Druckes und
wahrscheinlich auch eine Herabsetzung der Darmsekretion. Doch
verursacht Opium häufig schwere Magen-Darmverstimmungen
und wirkt dasselbe den nothwendigen Einläufen, eventuell auch
den milden Laxantien, welche zuweilen ganz zweckmässig sind,
direkt entgegen. Atropin hinwiederum führt leicht zu Intoxica-
tionen, namentlich bei 0,003—0,005 g pro dosi, wie meist em¬
pfohlen wird. So werden von vielen Autoren (Bo fing er,
II ä in i g, Höchtlen, Lüttgen, Ostermaier, Simon)
hochgradige Aufregungszustände, Delirien, llallucinationen, ab¬
wechselnd mit tiefer Bewusstlosigkeit, starkes Durstgefühl, Be¬
hinderung im Schlingvermögen, Sehstörungen, Schwindel nach
Applikation von Atropin angegeben. Der schwerste Vorwurf
erwächst aber beiden Mitteln dadurch, dass das Krankheitsbild
sehr oft auf .längere Zeit getrübt wird und eine richtige Be-
urtheilung des Falles von Tag zu Tag ausgeschlossen ist. Mor¬
phium, das ebenfalls den Darm prompt ruhig stellt, ohne in seiner
Wirkung so lange nachzuhalten wie Opium und Atropin, ist da
weitaus vorzuziehen.
Bewähren mag sich Atropin bei einfacher schwerer Copro-
stase, welche ileusähnlicho Symptome hervorrufen kann — um
eine solche dürfte es sich auch in vielen der mitgetheilten Fälle
gehandelt haben — und bei Affektionen, die unter dem Bilde
eines sekundären reflektorischen Enterospasmus verlaufen, also bei
Darmfunktionsstörungen im Anschluss an Gallenstein-, Nieren¬
steinkolik, an Cardialgio u. s. w. In diesen Fällen genügen auch
nach Ostermaier kleine Dosen des Mittels (Va mg Morgens
und Abends).
Für den mechanischen Ileus bedeutet Atropin noch weniger
einen Fortschritt wie für den dynamischen.
Atropin bei der speciellen Form des Strangulationsileus an¬
zuwenden, ist direkt ein Kunstfelder. Wie soll eine wirkliche
Abknickung oder Abschnürung, eine Einklemmung oder Achsen¬
drehung des Darmes durch Atropin beeinflusst werden? Dies
ist theoretisch unmöglich und praktisch in keiner Weise be¬
wiesen. Nur Gogentheiliges ist sicher bestätigt. Der von
Marcinowski mitgcthcilto Fall, in dem es sich um eine
rechtsseitig eingeklemmte Leistenhernie handelte, nach deren
Reposition Ileuserscheinungcn auftraten, ist nicht rocht klar
(Reposition en bloc?) und beweist nichts. Sehr bezeichnend ist
die Art, wie Prölss in seinem Fall aus allgemeinen Sym¬
ptomen, die bei jedem Ileus bestehen (frequenter Puls, Stuhl¬
vorhaltung, theilweise kothiges Erbrechen, Auftreibung und
diffuse Empfindlichkeit des Leibes) folgende Schlüsse zieht:
„Es ist für mich keine Frage, dass 1. ein Zustand von Darm-
abklemmung bestand, 2. dass Belladonna ihn beseitigte, 3. dass
die Laparotomie in ihren Anforderungen an die Kräfte der
Patienten leicht zu hoho Ansprüche gestellt hätte, weil die Lo¬
kalisation der Abklemraung unklar war.“ Dagegen berichtet
B o f i n g e r über eine Frau mit einer eingeklemmten Schenkel¬
hernie, die im Anschluss an die Atropinbehandlung ad exituin
kam. Die Hernie war von Anfang an diagnosticirt, aber nach
dem Befund nicht als Ursache des bestehenden Ileus angenom¬
men. Nachdem sich Atropin als nutzlos erwies, wurde die Hernie
doch operirt und es fand sich eine Incarceration mit Gangraen
der abgeschnürten Dünndarrcschlinge. Bofinger sagt wört¬
lich : „Ich habe mich bei einer sehr zweifelhaften Diagnose, durch
die über Atropinwirkung bei Ileus berichteten günstigen Er¬
fahrungen verleitet, bestimmen lassen, eine Operation hinaus¬
zuschieben, die 24 Stunden vorher vielleicht noch das Leben
hatte retten können. Von der unangenehmen Komplikation
nach der Operation (Aufregungszustiinde), die ich ebenfalls auf
Rechnung des Atropin setze, will ich dabei ganz absehen.“
Hoch t len gab einer Frau mit Ileus ebenfalls nutzlos Atropin.
Die Sektion ergab peritonitischc Verwachsungen des Colon trans-
versum (Flcxura clextra et sinistra). Bätsch, ein eifriger
Verfechter des Atropin bei Heus, erwähnt einen Fall, bei dem
die Patientin nach 7 Tagen erst zur Operation kam. Die Opera¬
tion ergab eine Einklemmung einer 30 cm langen Dünndarm-
sehlinge durch einen parametritischen Strang. Drei Atropin¬
injektionen von je 0,005 waren der Operation vorausgegangen
und hatte die Patientin nach jeder Einspritzung Erleichterung.
Bätsch sagt selbst: „Hier hat das Atropin nicht wirken
können und gewiss hätte in diesem Fall eher zur Laparotomie
geschritton werden müssen.“ Die Behandlung des Strangulations¬
ileus kann nur eine chirurgische sein und wird Atropin, welches
den ohnehin gelähmten Darm wenn möglich noch mehr lähmt,
nur den letalen Ausgang herbeiführen. Die von Bätsch an¬
lässlich des eben mitgetheilten Falles aufgestellto Behauptung,
dass Atropin die Gangracn dos eingeklemmten Darmes hinaus¬
schiebe, bedürfte des exakten Nachweises und rechtfertigt die
Anwendung des Mittels bei Strangulationen des Darmes jeden¬
falls nicht.
So bleibt nur noch die andere specielle Form de« mecha¬
nischen Ileus, der Obturationsileus, übrig. Kann nun auch die
Anwendung des Atropin beim stenosirenden Tumor keine an¬
haltende Besserung oder gar Heilung erzielen, so sollte dies bei
der lnvagination und Occlusion durch freie Körper (Koth-,
Gallensteine etc.) angenommen werden. Hier gilt jedoch noch
mehr, was schon beim dynamischen Ileus betont wurde. Mau
täuscht mit Atropin so und so oft über den Ernst der Lage
hinweg und versäumt die richtige Zeit zum operativen Eingriff
Das Krankheitsbild wird dadurch verdeckt, dass die subjektiven
und objektiven Beschwerden (wie Schmerzen, Erbrechen, Auf¬
treibung des Abdomens) zum Theil nachlassen, während die
Stuhlverhaltung u. a. mehr anhält; ganz plötzlich tritt das mehr
minder stürmische Bild von neuem auf und die Katastrophe
bricht gleich einem Blitzstrahl aus heiterem Himmel rapid
herein. Dies lehrt ein Fall, der am 8. VII. 1. Js. in Behand¬
lung der chirurgischen Klinik kam.
D. L., Rentiere, 72 Jahre alt.
Anamnese: Patientin gibt an, schon seit Jahren an Ob¬
stipation zu leiden. Früher soll sich auch einmal mehrere Tage
lang Erbrechen neben ütuhlverhaltung gezeigt haben. Am 30. VI.
1901 erkrankte Patientin, nachdem sie sich bereits 2 Tage voraus
unwohl gefühlt hatte, unter diffusen Schmerzen im Leib, voll¬
ständiger Has- und Stuhlverhaltung und Erbrechen galliger Massen.
Noch am Abend des gleichen Tages soll das Erbrechen kotblg ge¬
worden sein. Die stürmischen Erscheinungen hielten unter Zu¬
nahme der Auftreibung des Abdomens, der körperlichen
Schwäche etc. trotz Wickelungen. Einläufe u. 8. w. bis zum 4. VII.
an, so dass an einen operativen Eingriff gedacht wurde. Patientin
bekam nun vorher noch als ultimum refuglura 3 mal eine Injektion
von Atropin sulfur. (ä 0,001). Von 4. VII. an soll jetzt Besserung
olngetreteu sein. Patientin erbrach kaum mehr. Der Leib wurde
weicher und konnte sieh Patientin tagsüber sogar kurze Zeit ausser
Bett halten. Die Patientin galt als gerettet, Stuhl erfolgte aller¬
dings immer noch nicht. Am 7. VII. Morgens setzte das stürmische
Bild, das hei Beginn der Erkrankung bestand, wieder akut unter
ausserordentlich starkem Kothorbrecben ein. Bei dem von Stunde
zu Stunde schlechter werdenden Befinden der Patientin erfolgte
am 8. VII. die Einweisung derselben ln die Klinik.
Status: Ernährungszustand nicht reduzirt, Patientin colla-
birt. Temperatur 35,8. Puls 120, sehr klein. Athmung ober¬
flächlich, Sensorium frei. Fortwährender Singultus. Daneben be¬
steht „Ueberlaufen“ flüssig kothlger Massen.
Ilerz miissig verbreitert.
Lungen ohne besonderen Befund, nur untere Lungengrenzen
am oberen Rand der 4. Rippe und wenig verschieblich.
Abdomen glelchmässig aufgetriebeu. Nirgends Dämpfung
nachweisbar. Leberdämpfung 1 >/, Qucrtinger Uber dem Itippeu-
bogen in der Mammlllarliuie. Diffuse, mässige Druckempflndllch-
keit. welche nur in der Hegend des Nabels stärker ist. Bnich-
pforten frei. Von einer Darmperistaltik nichts zu sehen und zu
fühlen. Die Untersuchung des Rectums ergibt auch nichts Ab¬
normes.
Diagnose: Obturationsileus, wahrscheinlich Dickdarm¬
tumor. Die sofort vorgenommene Magennusspülung ergibt V/ 2 Liter
kotbige Flüssigkeit.
Da bei dem Zustand der Patientin an eine länger dauernde,
eingreifende Operation nicht zu denken ist, wird die Anlegung
einer Kothfistel ln’s Auge gefasst und um 4 y 3 Uhr nach Iujektiou
vou 0 ccm Ol. camphor. in leichter Aetheruarkose die Laparotomie
vorgenommeu.
Therapie: 15 cm langer Schrügschnitt in der Ileocoecnl-
region. Nach Durchtrennung der Bauchdecken (wobei kaum mehr
ein Tropfen Blut flicsst) stellt sieb in die Peritonealwunde livid
I verfärbter, stark geblähter Dünndarm ein. Dabei ist Abfluss einer
! geringen Menge trüben, kotliig riechenden Exsudats uud Austritt
j l'aeeulent riechender Hase zu konstatiren (Peritonitis). Coeeum.
j Colon ascendens erweisen sich leer und gehörig. Appendix frei.
Der 30 cm über der Ileocoecalklappe gelegene, oben erwähnte
| Lünndannnbselmitt ist ganz ohne Turgor, zundrig, so dass an die
Einnähung dieses Darmstückes bezw. Anlegung einer Kothfistel
nicht gedacht werden kann. Zudem zeigt sich bei Entwicklung des
geblähten Dünndarms, dass 25 cm oberhalb (vom unteren Ende
der gangmonösen Partie gerechnet) wieder gesunder Darm vor
liegt. Dosshalb wird der kranke Darm nach aussen gelagert. Bel
der Entwicklung des erkrankten Darms reisst dieser an einer Stell
ein und Koth entleert sich in grosser Meuge nach aussen. Der
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33. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
331 ."
Riss wird Ubernäht. Als Ursache der Gangraen flndet sich ein
wallnussgrosser Kothstein, welcher durch Einschnitt mit dem
Thermokauter entfernt wird. Diese DarmöfTnung bleibt erhalten.
Theiiweiser Verschluss der Wunde. Einpackung des kranken
Darm stücke« in warme Kochsalzkom pressen. Tueli verband.
1 I.iter subcutane Kochsalzinfuslon.
Patientin, die schon vor der Operation nahezu pulslos war,
ist trotz weiterer Kamplierinjektionen und Kochsalziul'usiou und
trotzdem der operative Eingriff nur 25 Minuten datierte, ganz er¬
schöpft. Abends 8y a Uhr Exitus letalis.
S e c t i o n: Pathologisch-anatomische Diagnose: Oeclusions-
ileiis durch Kothstein. Fibrinöse diffuse Peritonitis. Adipositas
cordis. Sklerose der (’oronargefiisse. Miissige Hypostase in beiden
Lungen.
Auf der rechten Abdominalsehe 15 cm lange Schnittwunde,
aus welcher ein eröffnetes Darmstück vorragt. Bei ErölTnung des
Abdomens entweicht unter starkem Druck stellendes (Jas. Das
gross« Netz ist hinaufgesehlngen. Viscerales Peritoneum geröthet,
leichter Fibrinbeschlag. Darmschlingen etwas untereinander ver¬
klebt. In der freien Bauchhöhle ausserdem eine geringe Menge
faeculent riechender Flüssigkeit. Die erwähnte vorgelagerte Darm¬
schlinge entspricht etwa einer Stelle 30 cm oberhalb der Klappe.
Im Magen etwas faeculent riechende, bräunliche Flüssigkeit.
Mucosa erweicht. In der Umgebung der bläulich durchscheinenden
Veuen deutliche Diffusion. Unteres Iieum in Ausdehnung von
25 cm schwärzlich verfärbt. Wandung sehr zerreisslich. Auf der
Höhe der nekrotischen Darmpartie liegt erwähnte Oeflfnung. Im
Mesenterium streifenförmige Blutuugen. Keine Substanzverluste
der Mucosa nachweisbar.
Dieser eine ungünstige Kall sagt mehr, als viel«; andere
günstige, nicht genau beobachtete und unkontrolirbaro Fälle.
Das Atropin hätte nach den zahlreichen rühmenden Berichten
bei dem nicht einmal grossen Stein wirken müssen. So ist durch
Atropin nur die ganze ernste Situation verschleiert worden und
die Frau 4 Tage später zur Operation gekommen, als projektirt
war. 4 Tage früher wäre, die Operation hei den glatten Verhält¬
nissen gelungen.
Ein derartiger Misserfolg gibt zu denken und empfiehlt
keineswegs das beim Ileus vielgepriesene Atropin.
Ist ein inneres Mittel beim Ileus, speoiell
beim paralytischen Ileus, an ge zeigt, so ist
Morphium dem Atropin vorzuziehen, andern¬
falls, d. i. heim eigentlichen anatomiscli-
mechanischen Ileus, kommt nur der chirur¬
gische Eingriff in Betracht. Daneben liei jeder
Form des Ileus sind Magenausspülungen und Einläufe von
mehreren Litern Oel (Ol. olivar., Ol. Ricini) pro dosi, nach Um¬
stünden auch 70—100 g Ol. olivar. innerlich, mehrmals täglich
gegeben, sehr zweckmässig.
Nun soll nicht verschwiegen werden, dass die Stellung einer
Wahrscheinlichkeitsdiagnose, noch mehr aber einer exakten Dia¬
gnose in manchen Fällen unmöglich ist. Dann ist aber die Probe¬
laparotomie doch sicherer und korrekter als die Applikation eines
Mittels, mit dem man den Ausgang nie voraussieht und nur Va
banque spielt. Solches gestatten höchstens Verhältnisse, die für
eine Operation absolut ungünstig und verzweifelt liegen.
Der Vorwurf der Internisten aber, dass die bisherigen
chirurgischen Resultate beim Ileus schlechte seien, ist nicht stich¬
haltig und nur darin begründet, dass die Patienten eben immer
schon meist zu spät in die Hände des Chirurgen kommen, ein
Fehler, der durch das Atropin sicher nicht behoben, sondern nur
verstärkt wird, besonders bei der vielfach kritiklosen Anwendung,
die das Mittel gefunden.
Zum Schlüsse sage ich meinem hochverehrten Chef, Herrn
Prof. Dr. v. An ge rer, herzlichen Dank für die Ueberlassung
des lehrreichen Falles.
Literatur.
Bätsch: Münch, med. Wocheusehr. 1900, No. 27. — Bo
flnger: Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 17. — Hämig:
Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 23. — Höcht len: Münch,
med. Wochenschr. 1901, No. 12. — LUttgen: Münch, med.
Wochenschr. 1900, No. 48. — Marcinowski: Münch, med.
Wochenschr. 1900, No. 43. — Ostermaier: Münch, med.
Wochenschr. 1900, No. 49. — Pro iss: Münch, med. Wochenschr.
1900, No. 35. — Simon: Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 12.
Ein Fall von Darmverschluss durch einen Gallenstein,
erfolgreich behandelt mit Atropin.
Von Dr. Frank H. Pritchard in Monrocville, Ohio, U.S.A.
Seit mehreren Monaten habe ich in diesem Blatte mit warn
sendem Interesse die Berichte über die Erfolge der Atropinbeliand-
iung bei Ileus gelesen. Die Resultate sind so ungemein günstig
gewesen, mit so wenigen Ausnahmen, dass man entweder dal tit¬
sch wärmen oder Verdacht schöpfen muss, dass nur die günstigen
Fälle berichtet werden.
Jedenfalls scheint es, als ob endlich ein Mittel in die iland
des Landarztes gegeben wäre, womit er diese schweren Fülle
aus ihrem fast hoffnungslosen Zustande retten könnte, ohne sie
den Gefahren eines operativen Eingriffes auszusetzen. Wer iiat
nicht solche Fälle gehabt, wo mit dem endlosen Klystiereu, heissen
Einschlägen und innerlichen Arzneimitteln endlich doch nicht.«,
erreicht wurde, und als schliesslich die Erlaubnis zu operlren er
theilt wurde, der Kranke für den Eingriff zu schwach war. Vor
kurzer Zeit batte ich Gelegenheit, diese Behaudlungsweise zu ver¬
suchen.
Patient, ein Bauer von 02 Jahren, ein starker Manu, doch
etwas heruntergekommen durch übermässiges Trinken von
Whiskey, ist seit Jahren zahnlos und genöthigt, seine Speisen
huihgekuut zu verschlingen. Er ist gesund gewesen bis vor
2 Jahren, wo er an einem starken Anfall von Gallensteinkolik er¬
krankte, mit ziemlicher Schwellung der Leber, die etliche Monate
dauerte, und von leichter Gelbsucht, Verdauungsstörungen, Ge¬
fühl von Schwere und Schmerzhaftigkeit auf Druck begleitet war.
Die Schmerzen wurden beseitigt durch eine Einspritzung von Mor¬
phin t'/ 4 Gram und kamen nicht wieder. Doch er hat von Anfang
des Frühjahrs bis ziemlich in den Sommer hinein gekräukeh.
Immer wieder klagte er Uber eine empündliche Stelle in der Gallen-
blnseugegcnd, was aber endlich verging. Seitdem ist er ziemlich
gesund gewesen. Er hat sieh seitdem im Essen und Trinken sein*
miissig gehalten. Er ist englischer Abstammung.
Am 5. Juni 1901 kam er zu mir in die Sprechstunde, wobei er
über Schmerzen im Unterleibe klagte, hauptsächlich im linken
Hypochondrium, die paroxystisch zu- und abnehmend waren. Er
hatte sicli ein paar Mal erbrechen müssen; das Erbrochene war
gallig. Er hatte Stuhl denselben Morgen gehabt, aber seit einer
Woche hat er bemerkt, dass der Stuhl nicht so frei und reichlich
wie früher war. Und auch schon länger bat er Schmerzen im
Unterleib gehabt, ich untersuchte ihn und fand weder Bruch noch
Geschwulst. Alle Inneren Orguue waren normal; lieber von nor¬
maler Grösse. Kein Fieber; Puls 80, gute Spannung, mit Gefühl
beginnender Arteriosklerose, ln der letzten Zeit batte er viel
trockenes Brod und gekochten Schinken gegessen. Ich gab ihm
t-lilorodyne, 10 Tropfen alle 2 Stunden, zur Linderuug der Schmer
zeu; rietli ihm, sieh mit Seifenwasser zu klystieren und heisse Um¬
schläge auf den Leib zu legen. Um 11 Uhr Vormittags des näch¬
sten Tages kam er zu mir in einem elenden Zustande: die Hände
waren kalt, (las Gesicht bleich, die Zunge braun und trocken. Er
berichtete, dass er mehrere Male grünliche Flüssigkeit erbrochen
hatte, die nicht nur übelriechend war, sondern ekelhaft schmeckte
wie Koth, und obgleich die Schmerzen geringer wären als den Tag
vorher, befand er sich viel schlechter und schwächer. Weder Stuhl
noch Winde gingen ab. Sein Leib war nicht besonders aufgebläht.
Kein Tumor zu fühlen. Nichts im Mastdarm fühlbar, obgleich er
merkwürdig ausgedehnt zu sein schien — „ballooned“, wie die
Engländer sagen. Puls 80, Temperatur normal. Ich schickte ihn
nach Hause mit der Mahnung, sich sofort zu legen, einen heissen
Umschlag auf den Unterleib zu legen und »icli wieder zu klystiereu.
Innerlich bekam er Strychnin ’/i» Uran und Hyoseiauiin-Dional-
tabletten, alle 2 Stunden. Es war kein Zweifel, dass eine Darm-
verschliessung vorlag. Ich nahm eine Darmobturation au, ver¬
ursacht durch Kothstauung wegen seines mangelhaften Gebisses.
Um 5 Uhr Nachmittags besuchte ich ihn wieder. Er hatte die
innerlichen Mittel zwar eingenommen, aber mit grösster Mühe bei
sich behalten, ln 5 Minuten nach meiner Ankunft erbrach er
wenigstens 2 Quart grün-gelblicher Flüssigkeit von einem ekel
haften Gerüche, woruaeh er sich besser befand. Indem ich eiusalt,
dass keine Rede davon seiu konnte, Arzneien einzunehmcu, üelen
mir die Berichte der glänzenden Wirkung von Atropin bei Darm¬
verschluss ein. Ich spritze ihm sofort '/ w Gran Atropinsulfat
unter die Haut ein, gab noch ein Klystier, mit der Anweisung,
dass er es so lange als möglich halten sollte. Ich kehrt«; um 8 Uhr
Abends zurück. Er war ruhiger, sein allgemeiner Zustand besser,
hatte nicht mehr erbrochen und hat das Klystier behalten. Bis
jetzt kein Stuhl noch Winde. Das entleerte Klystier zeigte keine
Spur von Koth. Er erhielt '/i*w Orati Atropin hypodermatisch, im
Ganzen '/ a Gran, in vier Stunden. Mich erinnernd an den Artikel
des Herrn Dr. Adam über die seböneii Erfolge von kombinirtem
Gebrauch des Olivenöl innerlich mit gleichzeitiger Einspritzung
des Atropin bei ähnlichen Zuständen, gab ich ihm 2 Unzen des
Gels ein. zur selbigen Zeit noch 3 Unzen dort lassend, mit der
Weisuug, es vor dem nächsten Morgen cinzunehmeu. Das Oel
erbrach er nicht.
Den folgenden Morgen, des vierten Tages, besuchte Ich «len
Kranken, sehr interessirt zu schell, wie diese Behandlungsweise
gewirkt halte. Ich war erfreut einen sehr dankbaren Patienten
zu Anden, denn er hatte gegen Morgen Andeutungen eines An¬
kommenden Stuhles gehabt. Zuerst kam ein harter, dann mehrere
dünnflüssige und stinkende Stühle, worunter viel Oel zu sehen
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No. 33.
1316
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
war, aber merkwürdiger Weise noch dazu ein grosser gelbbräun*
lieber Gallenstein, von der Grösse einer Wallnuss, mit einem
kleinen Höcker auf einer Seite. Er war eiförmig, ungefähr 1 Zull
lang, % Zoll breit und nicht ganz so dick. Beim Versuch, ihn
durchzusügen, brach er in mehrere Stücke, wobei ich ersah, dass
er sozusagen aus einer Schale mit einem dunkleren, schwärzlich¬
braunen Kern, wie eine Nuss in einer Schale, bestand.
Ich schreibe den Erfolg ganz dem Atropin und dem Olivenöl
zu, obgleich ich zur selben Zeit auch Hyoscyamiu augewendet
hatte, welches eine ähnlich wirkende Arznei ist. Klystiere in
diesem Zustande zu geben, hat scheinbar wenig Hoffnung auf
Wirkung. Die Atroplnbehandluug des Ileus scheint des Versuches
würdig, aber noch dazu möchte ich auch die Meinung des l)r.
Adams bestätigen über die Nützlichkeit der kombinlrten An¬
wendung des Oleum olivarum und Atropin.
Schon lauge vor der Veröffentlichung dieser interessanten
Fälle von Ileus und ähnlicher Zustände, wo Atropin gebraucht
worden ist, habe ich ein Gemisch von Atropin und Morphin als
eine örtliche Einspritzung in die Nähe des Leistenriuges bei ein¬
geklemmten Inguinal- und Skrotalbrüchen gebraucht, ln den
meisten Fällen nach halbstündigem Warten habe ich den Bruch
repouiren können.
Noch ein interessanter Punkt bleibt. Wie ist es, dass dieser
Gallenstein in den Darm gelangte ohne Schmerzen zu machen.
Nach Nothnagel musste er sich langsam seit dem Kolikanfall
von vor zwei Jahren von der Gallenblase hinein uleerirt haben.
Ich habe kein Delirium nach dem Atropin bemerkt; der Puls
hob sich auf 120 und der Hals wurde trocken.
Ileus und Atropin.
Von Dr. Aronheim in Gevelsberg i. W.
ln der Nacht vom 12. auf den 13. Juli wurde ich um 1 Uhr zu
dem Werkmeister W. 11. gerufen. Derselbe hatte Abends bei
bestem Wohlbefinden sein Abendbrot, bestehend aus Kaffee, Brat¬
kartoffeln und Fleisch, verzehrt, war um 10 Uhr zu Bett gegangen
und um Mitternacht aus tiefem Schlafe, klagend über heftigste
Schmerzen in der linken Itegio iliuca erwacht.
Der Kranke ist 51 Jahre alt, mittelgross, von gutem Er¬
nährungszustände, guter Musculatur und kräftigem Knochenbau.
Er hat vor Jahren eine schwere Verletzung des linken Auges erlitten
und ist auf diesem Auge blind; soust ist er niemals ernstlich krank
gewesen; Bruch und Bruchunlage besteht nicht. Er hat, so lange
er zurückdenkeu kann, jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen
genügende Entleerung, und ist auch am 12. Juli Stuhlgang Mor¬
gens in „gewohnter" Weise vorhanden gewesen. Der Kranke klagte
über unerträgliche Schmerzen links, eine Hand breit vom Nabel;
auf Druck vergrüsserteu sich die Schmerzen so sehr, dass ich von
einer eingehenderen Untersuchung Abstand nahm. Die übrigen
Stellen des Abdomen waren schmerzlos und Welch. Noch bevor
ich eine Morphiumeinspritzung machte, wurden die zu Abend ge¬
nossenen Speisen erbrochen. Die Morphiumeinspritzung brachte
keinerlei Linderung, so dass ich noch ein Pulver von 0,015 Mor¬
phium und kleine Eisstückchen nehmen liess. Auf den Leib ver-
ordnete ich heisse Salzwasserumschläge. Am nächsten Morgen
0 Uhr war der Zustand derselbe wie in der Nacht. Erbrechen war
nochmals in der Nacht und am Morgen früh um 0 Uhr eingetreten.
Die Schmerzen bestanden nur links vom Nabel, und fühlte man
hier eine handtiächengrosse, resistente Dämpfung darbietende
Stelle. Puls war voll, 72 Schläge in der Minute, Temperatur 37,5 C.
Stuhlgang war nicht erfolgt; Winde nicht abgegangen. Meteoris¬
mus bestand nicht. Statt der heissen Umschläge verordnete ich
einen Eisbeutel aufzulegen, der anscheinend besser vertragen
wurde.
Mittags: Status idem; hinzugekommen war aber ein den
Kranken sehr belästigender Singultus. Ein applizirtes Klystier
aus Wasser, Glycerin lief klar, ohne jede Beimischung wieder ab.
Abends waren die Schmerzen erträglicher geworden; ein
zweites Klystier hatte aber ebenfalls keinen Stuhl erzielt. Flatus
fehlten.
Am 3. Tage, Sonntag den 14. Juli, besuchte ich Patient uui
8 Uhr Vormittags; seine Familie gab an, dass die Nacht sehr un¬
ruhig gewesen sei; Schlaf sei wegen der Schmerzen gar nicht ein-
getreteu, stöhnend habe Patient sich stets hin und her geworfen.
Erbrechen sei in der Nacht nach jedem Schluck Wasser aufge¬
treten. Puls etwas beschleunigt., aber noch voll, Temperatur
37,8° C.
Während der Kranke auf Befragen den Tag vorher keinerlei
Darmbewegungen vorspürt hatte, gab er jetzt an, dass sich die¬
selben lebhaft eingestellt, er könne das „ltumoren“ deutlich hören.
Trotz wiederholter Klystiere: kein Stuhl, keine Flatus. Da
mir nun die Diagnose Ileus sicher zu sein schien, zog ich Herrn
Kollegen I) ö r k e n zu und machte in Uebereinstimmuug mit
diesem eine Injektion von 0,003 Atropin, sulfur. subkutan links
vom Nabel. Eine Stunde nach der Injektion: Abnahme der
Schmerzen in der linken Regio iliaca; Klagen über Trockenheit lin
Schlunde, Vergrösserung der rechten Pupille ad maximum. Offen¬
bar aber sujektives Besserbefluden.
Nachmittags 4 Uhr besuchte ich den Patienten wiederum; bei
meinem Eintritt in’s Krankenzimmer zeigte mir die Frau des
Patienten freudig einen fast bis zum Rande mit fest-weicliem
Kothe gefüllten Nachttopf und gab an. dass diese massige, ent¬
setzlich stinkende Entleerung, spontan 3 Uhr Nachmittags er¬
folgt sei.
No. 33.
Der Kranke befand sich sofort nach der Entleerung bedeutend
erleichtert. Am 17. Juli erfolgte wiederum mit Hilfe eines leichten
Abführmittels Entleerung und heute am lü. Juli befindet sich
Patient vollständig auf dem Wege der Besserung.
Also abermals ein Fall von paralytischem Ileus, verursacht
durch Kothansammlung und beseitigt durch eine Injektion von
0,003, der Tagesmaximaldosis von Atropluum sulfuricum.
Ein Fall von transitorischer Blei-Amaurose.
Von Dr. Friedrich P i n c u s , Augenarzt in Köln a. Rh.
M. H.! Seitdem Tauquerei des Planches in seinem
im Jahre 1839 erschienenen klassischen Werke über Bleivergift¬
ungen ') die bei diesen auftretenden Augenstöruugeu in sehr ein¬
gehender Weise behandelt hat, ist die Keuntniss dieser Affek¬
tionen durch kasuistische Mittheiluugen und zusammenfassende
Besprechungen in erheblicher Weise bereichert worden. Ich
nenne unter letzteren nur das Kapitel, welches Leber diesen
Erkrankungen im Haudbuehe von Graefe-Saemisch s ) ge¬
widmet hat, ferner die kurze, aber inhaltreiche Arbeit von
II i r s e h b e r g *), die Veröffentlichungen von Stood*) und
v. Schröder 1 ). Immerhin kommen derartige Augenstörungen
selten genug zur Beobachtung, um es schon desshalb berechtigt
erscheinen zu lassen, uueh jetzt noch die Kasuistik durch Mil¬
theilung einzelner Fälle zu erweitern, um so mehr jedoch, wenn
sie geeignet sind, zur Klärung derjenigen Fragen beizutragen,
welche auf diesem Gebiete noch umstritten sind und der Lösung
harren.
Vor kurzem Zeit hatte ich nun Gelegenheit, einen Fall von
transitorischer Amaurose in Folge Bleivergiftung zu beobachten,
der sehr bemerkenswerthe Züge darbot, und über den ich Iluien
daher heute berichten möchte.
Krankengeschichte: Arti 24. Dezember 1000 wurde icii
von einem Kollegeu ersucht, den 35 jährigen Franz v. F., Arbeiter
in einer Destillation, zu untersuchen, welcher, seit 8 Tagen wegeu
rnässig heftiger Leibschmerzen, völliger Stuhlverstopfung, Appetit¬
losigkeit, allgemeinem Uebelbefiuden und zeitweiligem Erbrechen
zu Huuse liegend, vor 3 Tagen plötzlich völlige Erblindung beider
Augen bemerkt hatte; erst diese hatte ihn veranlasst, ärztliche
Hilfe nachzusucheu. Derselbe Kollege hatte den Patienten im
August desselben Jahres gleichfalls wegeu hartnäckiger Stuhlver-
stopfuug mit massigen Leibschmerzen und Störung des Allgemein¬
befindens behandelt; nach Regelung des Stuhlganges durch die
üblichen Mittel (Kalomel, Klystiere etc.) hatte sich der Patient
schnell erholt; er soll jedoch nach seiner eigenen Angabe in der
Zeit 20 Pfund an Gewicht abgenommen haben. Soust soll er stets
gesund gewesen sein, aber immer blass ausgesehen haben
Ich fand einen anaemischeu hinfälligen Mann mit schmalem
Gesicht, sonst leidlichem Ernährungszustände. Psychisch war er
vollkommen klar, antwortete auf alle Fragen langsam, aber rich¬
tig, und zeigte sich über seine Umgebung, seine Krankheit etc.
völlig orientirt. Die Untersuchung der Augen ergab einen in jeder
Beziehung normalen objektiven Befund. Namentlich sei hervor¬
gehoben, dass die Pupillen von normaler Welte waren und prompt
auf Lichteiufall reagirten, und der Augenspiegel keinerlei Verände¬
rungen im Augenhintergrunde erkennen liess. Die Prüfung des
Sehvermögens ergab, dass dasselbe völlig erloschen war; bei wech¬
selndem Bedecken und Oeffneu der Augen wurden ganz unsichere
Augaben über Erkennen von Lichtschein gemacht, der Schein
einer Lampe wurde nicht wahrgenommen. Ueber die Art des
Eintritts der Erblindung gab Patient an, dass er vor 3 Tagen am
Vormittag, aus leichtem Schlummer erwacht, nichts mehr erkannte;
anfangs hat er dies für Schwäche gehalten und der Erscheinung
kein besonderes Gewicht beigelegt, bis ihn das Anhalten der Er¬
blindung doch aus seiner Gleichgiltigkeit und Sorglosigkeit auf¬
rüttelte. Ausser Kalomel hatte der Patient keinerlei Medikamente
etc. eingenommen; die Frage nach irgend welcher Beschäftigung
mit Giften (abgesehen von den zur Erklärung des Krankheitsbildes
ja nicht in Betracht kommenden Spirituosen) wurde verneint.
Mein Verdacht richtete sich zunächst hauptsächlich auf einen
uraemischen Zustand, wenn auch der Patient mit Ausnahme des
zeitweiligen Erbrechens keine sonstigen uraemischen Symptome
darbot; jedoch ergab die Urinuntersuchung völlig normalen
Befund.
Am nächsten Tage, dem 25. XII., war das Allgemeinbefinden
viel besser. Die Leibschmerzen hatten nachgelassen, das Er¬
brechen aufgehört, Stuhlgang war jedoch noch nicht erfolgt. Am
Abend hatte Patient zum ersten Male wieder den Lichtschein der
Lampe und der Kerzen am Weihnachtsbaum wahrgenommen. Die
Prüfung ergab eine schon recht weitgehende Wiederherstellung
*) Vortrag, gehalten im Allgemeinen ärztlichen Verein zu Kölu
am 22. April 1901.
') Tanquerel des Planches: Maladies de Plontb.
Paris 1839.
9 Graefe-Sae misch: Handbuch, Bd. V.
3 ) Berl. klln. Wochenschr. 1883, 8. 529.
4 ) Arch. f. Ophtlialm., Bd. XXX. 3.
j Arch. f. Ophtlialm.. Bd. XXXI, 1.
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MUENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1317
13. August 1901.
de» Soli vermögen»; Patient erkannte die Ulir und las kleinen
Druck. Das Gesichtsfeld war, soweit es sich in grober Weise
mit Haudbewegungen aufnehmen liess. normal, namentlich be¬
stand keine Hemianopsie. Merkwürdiger Weise konnte Patient
trotz seines ganz guten Sehvermögens die ihm vorgehaltenen
Finger nicht zählen: er behauptete, sie deutlich zu sehen, zählte
aber meist falsch; ebenso erging es bei der Aufforderung, die An¬
zahl einiger Ihm vorgezeigter Gegenstände nnzugeben. Weiterhin
ergab sich, dass er manche yelne Gegenstände in grosser Ent¬
fernung richtig erkannte, andere dagegen, auch wenn sie ihm dicht
vorgehalten wurden, falsch benannte (z. B. Glas als Stockgriff.
Salzfass als Uhr u. dergl.). Wurden ihm die Objekte in die Hand
gegeben, so berichtigte er seinen Irrthum sofort. Als ich ihn
fernerhin fragte, ob er seinen Rock sähe — derselbe hing am Fuss-
onde des Bettes über dem einen Bettpfosten —, bejahte er dies und
fügte hinzu, sein Kind habe denselben umgenommen: thatsächllch
stand letzteres an dem anderen Bettpfosten am Fassende. Es
fanden sich also ganz eigentümliche Associationsstörungen und
Illusionen, die an das bekannte Bild der Seelenblindheit erinnerten.
Dabei war Patient sonst vollkommen klar und zeigte, abgesehen
von seiner übrigens auch späterhin In gleicher Weise vorhandenen
Indolenz und geringen Intelligenz nicht die geringste Störung seines
psychischen Zustandes.
Da sich mir mittlerweile doch der Verdacht auf Bleivergiftung
aufgedrängt hatte, so befragte ich den Patienten nochmals genau
nach der Art seiner Beschäftigung, und es stellte sich nunmehr
heraus, dass seine Thätigkeit in der Destillation darin bestand,
die Fässer mit Bleiroth (Mennige) anzustreichen, und zwar that
er dies »eit etwa 6 Jahren. Er gab zu. sich seit 5 Jahren schwächer
zu fühlen und häufig Anfälle von krampfartigen Lelbschmerzen.
die jedoch meist nicht sehr heftig waren, gehabt zu haben: ferner
habe er im letzten Jahre einige Wochen lang an Schmerzen in
beiden Schultern gelitten, die von selbst vergingen. Ein Blick auf
das Zahnfleisch zeigte das Vorhandensein eines stark ausgebildeten
Bleisaumes: sonstige Symptome. Lähmungen. Anaesthesien waren
nicht nachzuweisen.
Am 26. XII. war das Allgemeinbefinden bedeutend besser,
nachdem auch am Tage vorher reichliche Stuhlentleerung erfolgt
war. Patient hat anscheinend normales Sehvermögen, erkennt
und benennt Alles richtig, hat aber in der Nacht Gesichtshalluci-
natlonen gehabt; er sah Gesichter. Thiere, die sich um ihn be¬
wegten. war sich aber darüber klar, dass dies Täuschungen wären.
Aehnliche Hallucinatlonen traten auch in der nächsten Nacht
auf. Am 27. XII. liest Patient kleinsten Druck, zählt die Finger
richtig, gibt aber an, dass dieselben sich manchmal plötzlich ver¬
zerrten und auf ihn zuzukommen schienen.
Am 29. XII. steht der Patient auf; er fühlt sich wieder völlig
wohl, hat auch nur noch einmal während kurzer Zeit Gesichls-
hallucinatlonen gehabt.
Erst am 6. I. 1901 stellte er sich mir in meiner Sprechstunde
vor. nachdem er am 31. XII. wieder zu arbeiten angefangen hatte:
er füllt jetzt Fässer ab und hat mit Bleifarben nichts mehr zu thun.
Es ist mir nun zum ersten Male möglich, eine genaue Funktions-
Prüfung vorzunehmen; dieselbe ergibt völlig normalen Befund.
S — 1, Gesichtsfeld für Weiss und Farben normal. Patient sieht
viel besser aus, fühlt sich vollkommen wohl und kräftig. Die an
diesem Tage wiederum wie auch vorher einige Male vorgeuommene
Untersuchung des Urins ergibt völliges Freisein von Eiweiss und
Formbestandtheilen.
Den gleichen Befund ergaben Nachuntersuchungen am
13. Januar und am 21. April.
M. H.! Fassen wir das Wesentliche an der in ihrem Ver¬
laufe soeben geschilderten Augenaffektion zusammen, so handelt
es sich um eine plötzlich aufgetretene, vier Tage anhaltende
völlige Erblindung beider Augen mit erhaltener Pupillenreaktion
und negativem Spiegelbefunde, welche sich unter Auftreten
eigenthümlicher Associationsstörungen, Illusionen und Halluci-
nationen auf dem Gebiete des Sehens in kurzer Zeit bis zur
Wiederherstellung der normalen Augenfunktionen zurückbildete.
Fragen wir, was dieser Amaurose, zu Grunde lag, so werden
wir die. Ursache, da die nächstliegende Annahme einer Uraemie
angesichts des normalen Harnbefundes auszuscliliessen ist, in der
bei dem Patienten sicher bestehenden chronischen Bleivergiftung
suchen müssen. Als zweifellose sonstige Symptome der letzteren
brauche ich aus dem Krankheitsbilde ja nur die Bleikoliken (als
solche ist natürlich auch die früher bei dem Patienten beobachtete
Erkrankung der Verdauungsorgane aufzufassen), den Bleisaum,
ferner die vorausgegangenen Arthralgien, sowie den leichten
Grad von Bleikachexie aufzuführen. Zum Zustandekommen
dieser chronischen Tntoxication bot die Beschäftigung des Pa¬
tienten reichliche Gelegenheit, zumal er eingestandenermaaseen
oft seine Mahlzeiten auf der Arbeitsstätte einnahm, ohne vorher
die Hände zu reinigen, was übrigens auch bei bester Absicht
wegen des festen Haftens der klebrigen Bleifarbe stets nur in
mangelhafter Weise möglich war. So hat er während mehrerer
Jahre seinem Organismus das Blei auf dem häufigsten Wege,
dem per os, zugeführt.
Die bei Bleivergiftung vorkommenden Augenstörungen hat
die neuere klinische Forschung unter Benutzung der ophthal¬
moskopischen Beobachtungen in mehrere Gruppen ganz ver¬
schiedenartiger Krankheitsbilder eingetheilt. Leber') unter¬
scheidet deren vier, und zwar:
1. Die plötzlich auftretenden Erblindungen mit oder ohne
Erhaltung von Lichtschein, mit meist erhaltener Pupillenreaktion
und negativem Spiegelbefunde, welche nach mehrtägigem Be¬
stehen schnell zur völligen oder fast völligen Heilung kommen;
ein Krankheitsbild, dessen Aehnlichkeit mit der uraemischcn
Amaurose ganz unverkennbar ist.
%. Die allmählich zunehmenden Amblyopien mit freiem oder
beschränktem Gesichtsfelde oder centralem Skotom, bei denen
man mit dem Augenspiegel das Bild der Ilyperaemie von Papille
und Netzhaut nachweisen kann; also jedenfalls retrobulbäre Ent-
zündungsproeesse im »Sehnerven.
3. Die ausgeprägten Neuritiden und Papillitiden mit meist
ungünstigem Ausgange, sehr häufig in völlige Erblindung.
4. Die bei Bleinephritis unter dem Bilde der Retinitis
albuminurica auftretenden Netzhautveränderungen.
Es ist klar, dass diese letzte Gruppe eigentlich kaum hieher
gehört, da es sich bei ihr um nichts anderes handelt, als die so
häufig bei Nephritis beobachtete, für diese charakteristische Nelz-
hautveränderung, nur dass hier die Erkrankung der Nieren zu¬
fällig auf einer Bleiintoxication beruht; es ist daher berechtigt,
dass man diese Gruppe bei der Betrachtung der Augenstörungen
durch Bleiintoxication nur flüchtig berührt, oder sie ganz aus¬
scheidet. Einem ähnlichen Schicksal schien die erste Gruppe
der nur sehr selten zur Beobachtung kommenden transitorischen
Amaurosen verfallen, in die zweifellos unser Fall einzureihen ist.
TJnd das kann nicht Wunder nehmen, wenn wir bei den meisten
genau beobachteten Fällen dieser Art. lesen, dass zur Zeit des An¬
falles Albuminurie bestand. Vermisst wurde dieselbe nur in den
Fällen von Haase'), Samelsohn*) und Lu brecht"),
die sich jedoch von den übrigen insofern unterscheiden, als bei
ihnen ophthalmoskopische Veränderungen nachweisbar und die
Pupillenreaction aufgehoben war, und die daher vielleicht, streng
genommen, nicht in diese Gruppe zu rechnen sind. In dem Falle
von Hirschler 10 ) -wurde der Urin nicht untersucht. Dagegen
bestand in den typischen Fällen von TI irschberg"), Schu¬
bert“) und Günsburg“) zweifellos Bleinephritis, so dass
man os recht wohl verständlich findet, wenn diese Autoren die
Amaurose 'als eine urnemische auffoseten. Und so lesen wir auch
bei Knies“) in seinem Lehrbuch: „Sogenannte Amblyopie und
Amaurosis saturnina, d. h. entsprechende Sehstörung ohne Be¬
fund, welche früher sehr häufig diagnosticirt wurde, dürfte gegen¬
wärtig kaum noch diagnosticirt werden. Entweder ist. ein ob¬
jektiver Befund erst nach einiger Zeit nachweisbar, z. B. die
Atrophie nach sogen, retrobulbärer Neuritis, oder die Sehstörung
ist derart, dass sie auch ohne sichtbaren Befund doch eine ganz
bestimmte Diagnose zulässt, wie eine nalbblindheit oder eine
uraemische Sehstörung. Die „vorübergehende“ Amaurosis
saturnina möchte wohl beinahe immer eine uraemische gewesen
sein.“ Dem gegenüber ist nun hervorzuheben, dass in unserem
Falle bei wiederholter Urinuntersuchung niemals auch nur eine
Spur Albumen gefunden worden ist, dass also hier die Nephritis
als Bindeglied fehlte. Allerdings könnte man mir einwenden,
dass es auch Nephritiden ohne Albuminurie gibt; aber ich sehe
nicht ein, wesshalb man lediglich der Theorie zu Liebe, dass diese
Amaurosen als uraemische aufzufassen seien, in einem Falle, in
dem niemals pathologische Bestandtheile, weder Eiweiss, noch
Formel einen te, im Urin gefunden wurden, annehmen soll, dass
es sich hier um eine Nephritis ohne Albuminurie gehandelt habe;
schliesslich ist nicht zu vergessen, dass die uraemische Amaurose
nach Ansicht der neueren Autoren doch mit. grösster Wahrschein¬
lichkeit auf die Giftwirkung irgend welcher zurückgehaltener
c ) Graefe-Sae misch: Handbuch, Bd. V.
T i Klin. Monatsbl. f. Augenhellk. 1807.
Klin. Monatsbl. f. Augenhellk. 1873.
’) Berl. klin. Woehenschr. 1884.
'*► Wien. med. Woehenschr. 1896.
") Berl. klin. Woehenschr. 1883.
’-) Aerztliehes Intelllgenzbl. 1880.
'■) Arch. f. Augenheiik., XX, 3.
H ) Beziehungen des Sehorgans und seiner Erkrankungen
u. s. w., S. 348. Wiesbaden 1893.
3*
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1318
St«*fTweelisclpro<lukto. zurüekgefiihrt werden muss, und dass es
recht, wohl verständlich ist, dass auch einmal das Blei an sich
die gleiche Giftwirkung entfalten mag. Und so werden wir
doch nicht umhin können, für Fälle diesen- Art den allerdings
unbestimmten Namen „Amaurosis satumina“ hci/.ubchalten.
Interessanter und schwieriger gestaltet sieh die Frage nach
dem Silz des die Erblindung verursachenden Krankheitsproecsses,
nach dem Orte, an dem das Gift, seinen Angriffspunkt gefunden
hat. Wir werden hier vor die gleichen, viel umstrittenen Fragen
gestellt, wie bei der ja ganz analogen uraemiseheu Amaurose.
Während liier die einen Autoren eine Affektion der Sehfelder
der Hirnrinde, in Folge speeifischer Gift Wirkung auf* die
Ganglienzellen oder in Folge voriiliergohenden Oeilems der Hirn¬
rinde vennuthen. neigen sich die anderen mehr der Annahme
einer oedematäsen Durchtränkung der Sehnerven, bezw. eines
ITydrops der Sehnervenscheideu zu. Zur Entscheidung dieser
Frage 15 ) wurde von Albreeht v. G raef e zuerst das Vorhanden¬
sein resp. Fehlen der Pupillenreaktion heran gezogen, indem er
den Satz aufstellte, «lass erhaltene Pupillenreaktion mit Sicher¬
heit auf die Hirnrinde als Sitz des pathologischen Processen hin¬
wiese, da nur dann der Pupillenroflexbogen, der seine, höchste
Stelle in den primären Opticusganglien erreiche, ungestört
bleiben könne, dass andererseits bei Beeinträchtigung dos Reflexes
der Sitz unterhalb der Optieusganglien zu suchen sei. Jedoch
wurde diese so einleuchtende Theorie in neuerer Zeit mannig¬
fach erschüttert, und zwar durch Mittheilungen über Fälle
von Erblindung ln*i Meningitis mit erhaltener Pupillenreaetion.
bei denen sieh trotzdem im weiteren Verlaufe atrophische Er¬
scheinungen an der Papille (‘instellten, namentlich aber durch
die Arbeiten von Heddaeus 1 "). welcher hierbei auf der "Be¬
obachtung von Fällen mit Erblindung eines Auges und er¬
haltenem Pupillenreflex fusste. die sich nun allerdings mit der
v. G r a o f eschen Ansicht schlechterdings nicht vereinen lassen.
Zur Erklärung dieser Erscheinungen wurde das Vorhandensein
besonderer Pupillarfasern im Sehnerven angenommen, die
resistenter als die eigentlichen Sehfasern sein sollten.
Ist auch diese Frage noch als eine offene zu betrachten, so
ist es doch unverkennbar, dass die Bedeutung dos’Pupillenreflcxes
für die Lokalisation der Erblindungen wesentlich vermindert
worden ist. Wir werden desshalh auch in unserem Falle nicht
allein auf Grund des Erhaltenbleibens des Reflexes die Diagnose
auf Rindenblindheit, mit. Sicherheit stellen können, sondern uns
fragen müssen, ob nicht, auch andere Symptome vorhanden waren,
die einen Schluss auf den Sitz der Affoktmu erlauben. Und in
diesem Sinne nmchte ich mit aller Entschiedenheit die eigen-
thürnlichen Assoeiationsstörungin, di« Illusionen und TTalluoi-
nationen verwerthon. welche während des Abklingens der Roh¬
störung in die Erscheinung traten. Ich schilderte, wie der Pa¬
tient bei gutem Sehvermögen nicht «1 ic Anzahl der ihm gezeigten
Finger oder anderer Objekte angeben konnte, wie er manche
ihm wohlbekannte Gegenstände durch den G(*siehtssinn allein
nicht richtig zu erkennen vor mochte, wie er sie falsch benannte
und seines Irrthums erst beim Betasten gewahr wurde, wie er
weit von einander entfernte Objekte dicht beieinander sah. kurz
«lie Erscheinungen, welche uns an «las bekannte Bild der Soolen-
blindheit erinnerten, und web-be sieh nur auf eine Störung der
Assoeiatiousverbindungen einzelner Theilo der Oeeipitalrinde
unter einander liezw. mit. anderen Thcilen des Rindengebietes
zurüekführen lassen. Teh erwähnte ferner die Gesiehtshalluei-
uationen, welche ebenso bestimmt auf Reizungsvorgänge in den
Ganglienzellen des Reheentrums bimveisen. Dabei möchte, ich
lM*s<uiders betonen, dass der Patient sonst keinerlei Symptome
psychischer Störung darbot. wie sie wohl bei Eneophalopathin
saturnina beobachtet werden, «lass si«*h vielmehr die Lähmungs-
uud Reizung^i-rseheinungen lediglich auf d«*n Gesichtssinn l><-
s«‘hränkten. Jedenfalls haben wir angesichts solcher Symptom«*
wold sicher «las Hecht, in unserem Falle eine Rindenblindheit
anzunehmen, was ich gerade gegenüber S t o o d") und
’ 5 ) Eine eingehende Behandlung «lieser Fragen findet sieh bei
Kolli mann: Feber die transitorische Erblindung bei t’raemi«*.
Herl. klin. Woehensehr. 1804. S. (iOI.
*■*> E. Heddaeus: Klinische Studien über die Beziehungen
zwischen rupillarreaktion uud Sehvermögen. Inaug.-Diss.. Halle
]SSn.
1. e.
No. 33.
v. Schröder 15 ) hervorheben möchte, welche von dem Hydrops
der Rehnervenseheiden als Ursache der transitorischen Blei-
amaurose wie. von «'twas Selbstverständlichem sprechen. Auch
für die l.«*hre. von «1cm Zustandekommen der analogen urae-
misehen Amaurosen ist ein solcher Fall, der bestimmte Anhalts¬
punkte für «lie Annahme einer Rindenblindhcit bietet, nicht ganz
ohne Bedeutung, wenn ich auch weit davon entfernt bin, aus
der einen Beobachtung so allgemeine Schlüsse zu ziehen, wie
es z. B. Ro t h in a n n ,0 ) in einer Besprechung «1er uraemischen
Amaurosen gethan hat, in der er auf Grund eines Falles, der
noch dazu ein von dem üblichen durchaus abweichendes Bild
bot. ganz allgemein den Satz aufstellt, die uraemischen Amau¬
rosen seien peripherer Natur, bedingt durch Oedem «1er Opticus-
scheitlen. Wahrscheinlich dürfte hier wie dort die Wahrheit in
der Mitte liegen, insofern als klinisch fast gleiche oder doch
verwandte Züge darbietende Krankheitsbildor auf verschieden¬
artige pathologische Vorgänge zurückzuführen sein könnten.
Wenigstens dürften aus dem Gebiete der transitorischen Bl«*i-
amauros(‘ii die schon oben erwähnten Fälle von Haas«*,
S a m e 1 s o h n, Lubrcch t, die wohl die Acuität des Auf¬
tretens und die gute Prognose mit den besprochenen Kranklmits-
bildern gemeinsam hatten, jedoch ophthalmoskopische Verände¬
rungen und Aufhebung der Pupillenreaktion aufwiesen und
z. Th. nicht, ganz folgenlos ausheilten, in das Gebiet der akut
verlaufenden retrobulbären Proeesse zu weisen seien, in das die
ersten beiden schon Stood eingeordnet hat.
M. H.! Zum Schlüsse noch einige Worte über die Prognose
uud Therapie der transitorischen Bleiamaurosen. Mag auch *Ii«*
Bedeutung des Erhaltenseins der Pupillenreaktion für die Dia¬
gnose des Sitzes der Affektion noch so sehr erschüttert sein, so Bi
«loch der Werth dieses Symptoms für die Stellung der Prognose
allgemein anerkannt. Auch in unserem Falle hat sieh die alte
Erfahrung bewahrheitet, dass die plötzlich auf tretenden Amau¬
rosen mit erhaltenem Pupillenreflex eine durchaus günstige
Prognose bieten.
Was die Therapie angeht, so brauche ich auf die Behandlung
der Bleivergiftung ja nicht einzugehen; bei so schweren Sym¬
ptomen. wie sie unser Patient darbot. dürfte die völlige Ent¬
fernung aus der gefährlichen Thätigkeit wohl unbedingt, ge¬
boten sein und auch nicht auf Widerstand von Seiten des Pa-
fienton stossen. Dem Erblindungsanfallo an sieh stehen wir
durchaus machtlos gegenüber, eine Thatsache, die Naunyn”) in
seiner Besprechung der Bleivergiftungen mit der Umschreibung
misdrückt: „Der überwiegende Erfolg des expectativen Ver¬
fahrens ist nicht zweifelhaft.“ Nun, man kann unserem Patienten,
der bei völliger Erblindung «lrei Tage wartete, bis er einen Arzt
zu Rathc zog. das Zeugnis* nicht versagen, dass er dieses expecta-
tive Verfahren in reichlichem Maasse angewandt, hat. Und auch
der überwiegende Erfolg blieb nicht aus, indem die Amaurose in
dem gewöhnlichen Zeiträume von 4 Tagen von selbst zur
Heilung kam.
Künstliches Gebiss im Oesophagus.
Von Dr. med. Bätsch in Gmssenhain.
Merkwürdiger Welse bekam ich einen Fall von Steckenbleiben
eines künstlichen Gebisses im Oesophagus in Behandlung, als ich
gerade eine diesbezügliche Abhandlung von Dr. Qu ad flieg
in No. 4 der Münch, med. Wochenschr. gelesen hatte. Es wurde
mir am 25. Januar früh aus dem Krankenhause telephonirt. dass
soeben ein Mann eingeliefert sei, der in der vergangenen Nacht
sein künstliches Gebiss verschluckt habe. Derselbe habe grosse
Schmerzen und fortwährendes Würgen, durch welch’ letzteres
blutig-gestreifter Schleim entfernt würde. Ich verordnete zunächst
telephonisch s / 2 stündlich einen Esslöffel Olivenöl einzunehmen In
der Absicht, die Wundschmorzen zu lindern und die Oosophagus-
Sclileimhaut durch starkes Einfetten für die bevorstehenden Mani¬
pulationen gleitend zu machen. Dann suchte ich auf meinem
Besuchsrundgange den Spezialarzt, für Zahn- und Mundkrank¬
heiten, Herrn Dr. v. G., auf, bei dem ich mich persönlich davon
überzeugte, dass Gebissplatten von vulkanlsirtem Kautschuk gar
nicht aufzulösen und sehr schwer zu zerbrechen sind. Es war
also fast gar keine Aussicht vorhanden, die Platte im Oesophagus
zu verkleinern, zumal da jeder feste Untergruud fehlte.
Nun untersuchte Herr Dr. A. auf meine Veranlassung den
Patienten mit seinem Röntgenapparat. Da aber Kaiitsehukplatten
keinen Schatten geben, so war nur die Möglichkeit vorhanden, die
1S > 1. c.
1. c.
“i v. Z i e m s s e u’s Handbuch, Bd. XV.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Digitized by FjOOQle
13. August 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1319
an die Platte angeklehten Zähne sichtbar zu machen. Das «dang
nicht. Ursache: Von vorn der Herzschatten, von hinten Wirbel-
säulenschatten, seitlich Rippenschatten. Was letzteren aubelangt,
so wäre es ein ganz besonders glücklicher Zufall gewesen, wenn
die wenigen und winzigen Zähne durch die Zwischenrippcnräuine
hätten sichtbar gemacht werden können. Desshalb ist. wie auch
Q u a d f 11 e g behauptet, der Nutzen des Itöntgenapparates bei
Fremdkörpern im Oesophagus gering, bei künstlichen Gebissen
aber mit Kautschukplatten gleich Null.
Um y 3 12 Uhr fand ich dann den Patienten im Krankenhause.
Das Einnehinen von Olivenöl hatte den Erfolg gehabt, dass die
Schmerzen nachgelassen hatten, und dass das Würgen weniger
geworden war. Die Anamnese ergab Folgendes: Fabrikarbeiter II.
hatte am 24. Januar einen vergnügten Abend verlebt und schlief
darauf sehr fest. In der Nacht, erwachte er plötzlich durch heftige
Schmerzen im ltachenraum und Athemnoth. ohne dass er aber
ganz zur Besinnung kam. Es folgte nun ein Würgen und Schlucken,
das längere Zeit andauerte und ihn schliesslich gänzlich munter
machte. Nun fühlte er ganz deutlich einen sehr heftigen Schmerz
ungefähr in der Mitte der Speiseröhre. Die Athemnoth war vorüber,
aber jegliches Hinuuterscliluckeu, auch von Wasser und Speichel,
war unmöglich. Patient wurde durch andauerndes sehr schmerz¬
haftes Wllrgeu gequält.
H. gab an. das Gebiss mit Kautschukplatte schon einige Jahre
zu tragen. Er hätte an der Platte ursprünglich 5 Zähne gehabt,
die drei seitlichen Zähne seien ihm aber abgefallen, so dass nur
die iH'iden vorderen geblieben wären. Ausserdem hätte die Platte
in der letzten Zeit sehr locker gesessen. Die Platte habe ZAvei
Kautscliukklammern. Irgend einen Itiss oder Defekt an der Platte
ha Im» er nicht bemerkt.
Die Inspektion ergab, dass an den Seitenwaudungen des
Rachens nicht unlu-deutende Schleimhautrisse vorhanden waren,
die auch theilweise die Uaclienmusculatur durchsetzten. Ich ging
zunächst mit der Olive ein und batte das Glück, in einer BJnt-
fernung von 3G cm von der Zalinreilie auf das Gebiss ganz sicher
und breit aufzustossen. Hieraus schloss ich. dass das Gebiss
in geradem VerhäJtnlss nach unten g(*gangen war, dass also die
Zähne nach oben standen. Nun führte ich einen Münzenfänger
zwischen Zähne und Oesophagus durch, was ganz leicht gelang,
wohl in Folge des Einfettens. Das Oel war übrigens das Einzige,
was hinunterfloss, während Speichel und Wasser wieder hernus-
gewürgt wurde, eine Erscheinung, die durch die mechanischen
Eigenschaften des Oels erklärlich ist. Es glückte mir ferner, mit
dem Münzenfänger den unteren - scharfen Rand des Gebisses fest¬
zunehmen. Nun schob ich oben das Fisehbein seitwärts und er¬
reichte. dass unten der Münzenfänger auch nach der entgegen¬
gesetzten Seite glitt. Ich hoffte, hierdurch das Gebiss auf die
schmale Seite zu drehen. Das gelang mir nicht. Auch der Ver¬
such mit der anderen Seite misslang. Im Gegeutlieil entstand
starkes Würgen und Entleerung von Blut. Ich drehte daher den
Münzenfänger um seine Achse und zog ihn vorsichtig wieder
heraus. Es war mir klar, dass sich die Kautschukklammern fest in
die Schleimhaut eingebaggert hatten, trotzdem ich durch den seit¬
lichen Zug dies vermelden wollte. Nachdem ich nun dem Pa¬
tienten einige Ruhe gelassen und ihm 2 Esslöffel Olivenöl ein¬
gegeben hatte, fragte ich ihn. ob er noch einmal einen Versuch dos
Hinunterstossens des Gebisses aushalten wolle oder ob ich gleich
di-* Gastrotomie und die Entfernung des Gebisses nneli Quad-
flieg, die ich ihm erklärte, vornehmen sollte. Patient erklärte
mir. noch einmal den Versuch des Hinunterstossens aushalten zu
wollen. Ich schob nun ein gut geöltes, starkes Bougie mit dem
dicken Ende (1 cm Durchmesser) ein, schob es seitwärts (wie
ober, bei dem Münzfänger) und machte in Intervallen stark
drückende Bewegungen. Nach etwa 10 Intervallen fühlte ich ein
Krepitiren und Ausweichen der Sonde. Nun schob ich das Bougie
in die Mitte, hob dasselbe ln die Höhe und kam beim Hinunter-
stossen glücklich auf die Zähne. Ich schob In Intervallen weiter,
und ein kurzer Widerstand und Schmerzensschrei des Patienten
gab mir die Gewissheit, dass das Gebiss durch die Kardla in den
Magen gelangt sei.
Sofort vorgenommene Versuche mit Wasserschlucken und der
dicksten Olive zeigten deutlich, dass nun der Oesophagus frei sei.
Meinem nunmehrigen Vorschläge, die Gastrotomie nusführen und
das Gebiss sofort direkt aus dem Magen entfernen zu lassen, ent¬
sprach der Patient nicht, sondern bat mich zu versuchen, das Ge¬
biss auf natürlichem Wege zu entfernen. Ich musste diesem
Wunsche nnchkommen.
Am ersten Tage Hess iöh dem Patienten, da er beim Schlucken
heftige Rachenschmerzen hatte, durch eine weiche Magensonde
literweise dicken Mehlbrei eingiessen. Am zweiten Tage vermochte
Patient schon nebenbei etwa 1 Liter Sauerkraut hinunter zu
schlucken. Am dritten Tag überwnnd er schon 2 Liter Wirsing¬
kraut neben dem Mehlbrei. Am vierten Tage konnte ich schon die
Magensonde weglasseu, da die Rachenmusculatur nun wieder ganz
gut funktionlrte. Patient stopfte nun in sich hinein abwechselnd
Sauerkraut. Wirsingkraut, Kohlrüben. Grütze, kurz was sich an
einhbllenden Gemüsen nur erdenkeu liess. Dabei fühlte er sich
sehr wohl, hatte kein Fiel>er und keine Schmerzen. Ich unter¬
suchte den Patienten, sowie dessen massige Entleerungen täglich.
Kollege A. war so freundlich, den Patienten Jeden 3. Tag zu durch¬
leuchten. ohne je die beiden Zähne zu entdecken. Endlich, am
9. Februar, bat mich Patient, ich möchte Ihn doch entlassen, da ei
sich soweit wohl fühle und für seine Familie etwas verdienen
wolle. Er versprach mir, meinen Verordnungen pünktlich nach-
zukommen und bei den geringsten Beschwerden zur Operation
nntreten zu wollen. Da ich Patienten als intelligent und gewissen-
No. 31.
haft kannte, entliess ich ihn am 9. Februar Nachmittag. Patient
verhielt sich auch, wie ich von seinem Fabrikdirektor hörte,
musterhaft. Er installirte einen Nachtstuhl in seiuer Woliuung
und einen in der Fabrik. Einen anderen Ort suchte er überhaupt
nicht auf.
Diese Gewissenhaftigkeit wurde denn auch am 15. Februar
mit Erfolg gekrönt.
Gegen y s 3 Uhr Nachmittags bekam Patient plötzlich heftigen
Stuhldrang und hatte dann «las Gefühl, als wenn ein riesiger
Ivothballen den After pnssirte. Es folgten ungeheure Massen von
Koth nach. Patient hatte sofort das Gefühl, dass in dem Kotli
das Gebiss abgegaugen sei. Unter Zulauf vieler Mitarbeiter wurde
nun der Koth unter der Wasserleitung untersucht und das Gebiss
mit Triumph «lein Koth entzogen. Pati«*nt ttlierbrachte mir das¬
selbe sof<*rt in die Sprechstunde, das Nähere erzählend. Die
Breite der Gaumenplatte betrug 4.(5. die Tiefe 2.2 cm. Die ein«*
Klammer fehlte. Ich verinuthe. «lass «liese bei dem Hiuuuter-
stoss«*n des Gebisses abgelm>ch«*n ist. da «lie Klammer sich viel¬
leicht zu f«*st in eine Schleimhaut falte eingelmggert hatte. Ob
die Klammer nun nachträglich abgegangen, ob sie vielleicht noch
in «1er Schleimhaut des Oesophagus steckt, «las entzieht sich jeder
Beobachtung. Jedenfalls wäre an letzteres bei etwa entsteheutlen
Beschwer«leu im Oesophagus zu denken und hiernach operativ
vorzugelieu. Augenblicklich lehnt Patient naturgemäss jedeu
Eingriff zur Beantwortung dieser Frage ab.
Es möge mir noch eine ganz kurze kritische Bemerkung ge¬
stattet sein. Ich muss gestehen, dass mir der Gedanke des Ent¬
fettens des Oesopiiagus und des seitlichen Ziehens resp. Stosseus
nicht erst in dem Moment d«?r Behandlung gekommen ist, son¬
dern schon bei Lesen der Arbeit von Quadflieg. Ob ich.
ohne die Arbeit gelesen zu haben, auf denselb«*n Gedanken ge¬
kommen wäre, weiss ich nicht. Vielleicht doch! Jedenfalls hat
mich seine Arbeit im richtigen Moment zum Nachdenken an¬
geregt, was ich ihm sehr danke. Ich bin überzeugt, das3 Quad¬
flieg bei seiner letzten Traktion unbewusst mit der Pinzette
seitlich abg«'glitten ist und das Gebiss seitlich gefasst hat. Denn
nur durch seitliches Stellen de« Gebisses ist dasselbe in den
engen Theilen des Verdauungskanals fortzubewegen. Davon
habe ich mich durch Besichtigung sehr vieler Gebisse bei Kollegen
v. G. überzeugt.
Dass es mir nicht gelingen konnte, das Gebiss auch sei t-
1 i c h in die Höhe zu ziehen, ergibt die Form desselben. Zu be¬
denken ist, dass ich keine Ahnung von der Gestalt des Gebisses
und dessen Klammern hatte. Der Versu«*h war aber erlaubt. Dass
bei seitlichen« Stossen die Klammer abbmch, war ein Glücks-
umstand, der die Sache beschleunigte. Ich bin aber überzeugt,
dass, auch ohne dieses Ab rechen, das Gehiss dureh Stoss von
oben, resp. durch Ziehen von unten nach Gastrotomie, wenn
es nur seitlich geschah, f«»lgeu musste.
Und ich würde auch heute wiod«*r zuerst versuchen,
das (Jebiss mit dem Münzenfänger seitlich nach oben zu richten
und es nach «>bon horauszuziehen. Denn es liegt, stets die Mög¬
lichkeit vor, dass die Klammern sieh nicht in eine Sehleimhaut¬
falte des 0««ophagu9 einhaken und sieh dort durch stärker«'*
Ziehen fest einbaggern. Ein vorsichtiger Versuch in dieser Rich¬
tung ist daher ganz sicher gerechtfertigt. Schliesslich bemerke
ich noch, dass ich die von Quadflieg vorgoschlagene Ope-
ration, den Oesophagus von hinten her durch Rippenresektion
zu eröffnen und Fremdkörper aus demselben zu entfernen, an
der Leiche versucht habe, und fand ich hierbei, dass diese Ope¬
ration für einen halbwegs geübten Chirurgen ganz leicht aus¬
führbar ist. Man darf nur die Rippenstü«*ke, welche man reseeirt,
nicht zu kurz bemessen, um nachher bequem nähen zu können.
Beitrag zur Ischias syphilitica und ihrer Behandlung.
Von Dr. A. N i e w e r th in Hildesheim.
In No. 27 vom 2. JuU 1901 der Münch. me«l. Woelienselir. ver¬
öffentlicht Dr. Mendel-Essen 3 Fülle von Ischias syphilitica,
ln denen er von einer energischen Injektionskur mit Hydr. snli-
cylic. prompten, schnellen und guten Erfolg sah. Lediglich um
seine Ausführungen zu bestätigen, gestatte ich mir kurz ül>er
einen gleichen Fall zu berichten, den ich kürzlich ln meiner Praxis
zu behandeln und zu heilen Gelegenheit hatte.
Der Kranke, jetzt 33 Jahre alt, hatte sich vor 9 Jahren luetisch
inflelrt, hatte nach seinen Angaben schon eine mehrmalige Iminc-
tions- und Injektionskur gebraucht, war ln Aach«*n gew«*scn und
glaubte sich von seiner Syphilis geheilt. Inzwischen hatte er g«>-
heirntliet; die aus der Ehe entsprossenen Kinder — der älteste
IviialK* ist bereits 5 Jahre alt — zeigen keine Anzeichen von
hereditärer Lues, auch hat niemals ein Abort stattgefunden. Ende
August vorigen Jahres wurde ieli Früh zu dem Kranken gerufen,
da er plötzlich Nachts sehr heftige Schmerzen im rechteu B«4u
bekommen hatte.
Digitized by
4
Google
1320 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33.
Ich fand den Patienten wimmernd im Bette liegend, jede Be¬
wegung des rechten Beines sorgfältig vermeidend, das Bein im
Kniegelenk schwach flektirt. Deutliche Druckpunkte Messen eine
heftige Ischias erkennen. Ich applicirte eine Morphiuminjektion,
vcrordnete feuchtwanne Umschläge und verschrieb, da mir die
Vorgeschichte bekannt war, eine Jodkalimixtur 20:100.
Der Erfolg dieser Behandlung war durchaus negativ; ich sah
mich die nächsten Tage genötliigt. Morgens früh und Abends spät
die Morphiuminjektionen zu wiederholen, um die Schmerzen
einigermaassen zu lindern. Eine Besserung war nicht erreicht.
Am 4. Tage entschloss sich der Patient auf mein Zureden, trotz
heftiger Schmerzen, ein Dampfbad zu nehmen; der Erfolg war
eine Exacerbation der an und für sich schon heftigen Schmerzen,
die mich veranlasste, zu einer anderen Behandlung überzugehen.
Ich hatte inzwischen am linken Bein des Patienten einen Sub-
stanzverlust der Haut entdeckt, der auf Befragen seit 14 Tagen
bestand, wenig belästigte, aber nicht zur Heilung kam. Ich hielt
auch hier die Syphilis für die Ursache und verordnete Emplastr.
Hydrarg. Dr. Boyersdorf!’.
Zugleich injicirte ich eine Pravazspritze der Ilydrarg. salieylic.-
Paraffinemulsion in die Glutaealmusculatur der rechten Seite. Ich
l>emerke dabei, dass ich zur Behandlung Syphilitischer stets obige
Emulsion verwende und mit dem Erfolge stets zufrieden war.
In diesem Falle nun war die Wirkung eine ebenso prompte,
wie in den von Mendel beschriebenen. Die Schmerzen Messen
im Laufe des Tages nach; die Nacht war ruhig und brachte den
längst ersehnten Schlaf. Die Schmerzen Messen in den nächsten
Tagen immer mehr nach, so dass der Kranke am 4. Tage nach der
Injektion fast schmerzfrei war und aufstand. Eine länger fort¬
gesetzte Injektionskur brachte denn auch völlige Heilung des
syphilitischen Ulcus am linken Oberschenkel, das sich unter dem
Gebrauch von Jodkali nicht bessern wollte.
Ich kann mich damit in allen Punkten den Ausführungen des
Herrn M e n d e 1 anschliessen und den Herren Kollegen rathen, ein¬
tretenden Falles zum Quecksilber zu greifen. Es ist auffallend,
wie schnell es seine Wirkung entfaltet. Das nächst liegende war
jedenfalls eine Jodkalimedikation, da meines Erachtens an tertiäre
Lues zu denken war. Dieses Mess aber völlig im Stich. Da das
verordnete Dampfbad eine überaus heftige Exacerbation der
Schmerzen veranlasste, glaube ich an einen akut entzündlichen
Process denken zu müssen und es bestand in dieser Beziehung
eine gewisse Analogie, meiner Erfahrung nach, zu manchen Fällen
von Ischias auf gichtischer Grundlage, in denen auch Dampfbäder
odev heisse Packungen schlecht vertragen wurden.
Prioritätsanspruch auf den ersten Nachweis von
Typhusbacillen im Gallenblaseninhalt und auf die
Erklärung der Ursache von den Typhusrecidiven.
Von Dr. Gustav Fii tterer in Chicago.
Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder die Bemerkung
gemacht, dass in Arbeiten, welche das Vorkommen von Typlms-
baclllen in der Gallenblase berühren, C h i a r i, dessen Arbeit 1804,
6 Jahre nach der meiuigen erschienen ist, als Derjenige angeführt
wird, welcher zuerst Typhusbacillen im Gallenblaseninhalt nach¬
gewiesen hat. C li i a r i’s Name und seine Llteraturangnben werden
immer wieder von Solchen wiederholt, die sich augenscheinlich die
Mühe sparen wollten, selbst die Literatur zu durchforschen. Wenn
wir in selbstloser Weist; arbeiten, um unser Seherfleiu zum Fort¬
schritte des allgemeinen Wissens beizutragen, so übernehmen wir
freiwillig allerlei Pflichten, aber auch gewisse Rechte. Es wird
zum Beispiel unser Recht und unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass
die Früchte unserer Arbeiten nicht unbekannt und unbenutzt liegen
bleiben, denn würden wir das nicht thun, dann wäre unser Streben
nutzlos gewesen, und wir selbst würden bald unbefriedigt aus der
Reihe Derer austreten, welche es als ihre hohe Pflicht betrachten,
wenigstens zu versuchen, unsere Kenntnisse zu erweitern.
Solche IÜberlegungen sind es. welche mich veranlassen, einen
Prioritätsanspruch zu veröffentlichen, der ja eigentlich nicht nöthig
sein sollte, der aber doch zur Nothwendigkeit geworden ist. Auch
der Vorsichtigste übersieht beim Durchgehen der Literatur leicht
Arbeiten, die er nur zu gerne gelesen hätte, aber nicht finden
können oder übersehen, und ich möchte fast sagen, systematische
Vernachlässigung sind doch zwei sehr verschiedene Dinge.
Mein Prioritätsanspruch bezieht sich auf Folgendes:
Im Jahre 1&S8 hal>e ich in Verbindung mit Herrn Dr. B. Anton
In No. 19 der „Münch, med. Wochenschr.“ eine kleine Arbeit ver¬
öffentlicht („Untersuchungen über Typhus abdominalis“) in welcher
drei Fälle von Typhus mitgetheilt und beschrieben wurden. Im
ersten oder klinischen Theile der Arbeit theilte Herr Dr. Anton
die Ergebnisse klinischer Beobachtung eines Typhusfalles und den
baeteriologischen Befund bei einer den Fall komplizirenden Paro¬
titis mit. Im zweiten, anatomisch-bacteiiologischen Theile, welcher
von mir allein bearbeitet wurde, wird dann Folgendes gemeldet:
Fall I. Befund von Typhusbacillen im Gehirn, der Milz,
Leber, in den Mesenterialdrüsen; Staphylococcus aureus in allen
diesen Organen, mit Ausnahme der Meseuterialdrüsen.
Es war dieses derselbe Fall, welcher im ersten Theile klinisch
beschrieben wurde und auch ich fand die Parotis von Stapliylo-
eocceu durchsetzt, welche besonders die Ausführungsgänge der
Drüse ausfüllteu, durch die sie zweifellos von der Mundhöhle
hereingedrungen waren, um dann von hier aus eine Allgemein¬
infektion, also eine Mlschinfektlon zu veranlassen.
Fall 2. Typhus. Nachweis von Typhusbacillen in der Dann¬
wand, in den Mesenterialdrüsen, der Leber, der Milz, Nieren,
Lungen und im Hamblaseulnhalt. „Mehrere Impfungen aus dem
Gallenblasenlihalt ergaben gleichfalls durch die weitere Unter¬
suchung, welche stets in derselben sorgfältigen Weise mit Gelatine¬
platten , Gelatinestichkulturen, Kartoffelkulturen und mikro¬
skopischer Untersuchung gefärbter Deckglaspräparate vorge¬
nommen wurde, das gleiche Resultat.“
Fall 3. Wiederum Nachweis von Typhusbacillen in Rein¬
kultur im Gallenblaseninhalt.
Das waren also 2 Fälle, ln denen zum ersten Male nach¬
gewiesen wurde,: Erstens, dass beim Typhus Typhusbacillen
in der Gallenblase Vorkommen; zweitens, dass die Galle sie
nicht tödtet, denn sie wurden ja gezüchtet.
Da die richtige Deutung neuer Befunde erst Eigenthumsrechte
verleiht, so sei es mir gestattet, hier wörtlich meine Deutung,
wie sie an Ort und Stelle gegeben wurde, anzuführen.
„Von den in der Galle nachgewiesenen Typhusbacillen nehme
ich an, dass sie die Leber passirt haben, durch diese ausgeschieden
worden sind und dass sie, mit der Galle in den Darm gelangt,
dort unter sonst günstigen Bedingungen, wobei natürlich auch an
inzwischen eingetretene Veränderungen, welche der Ansiedelung
hinderlich sind (Immunität) gedacht werden muss, wieder im
Stande gewesen waren, die ihnen zukommenden pathogenen Eigen¬
schaften zu äussern. Früher öfter wiederholte Ver¬
suche haben mir gezeigt, dass Mikroorganismen
v e r h ii 1 1 n i s s m ä s s i g leicht die Leber p a s s i r e n“ etc.
Ferner: „Die Galle scheint keine in Frage kommende anti¬
parasitäre Wirkung zu haben, und es ist eine Ausscheidung von
Mikroorganismen durch die Leber und mit der Galle sicher nicht als
eine wirkliche EUminirung aus dem Körper anzusehen“ etc.
Ich glaube, das ist Alles sehr deutlich gesagt. Im Laufe der
Jahre habe ich mir redlich Mühe gegeben, mich weiter von der
Richtigkeit des Angeführten zu überzeugen, und eigene Arbeiten
sowohl als diejenigen Anderer haben meine Beobachtungen und
Schlussfolgerungen bestätigt.
Ich beanspruche also Prioritätsrechte:
1. Für den ersten Nachweis, auch mittels Kulturverfahrens,
von Typhusbacillen im Gallenblaseninhalt von Leichen au Typhus
Verstorbener.
2. Für die Deutung dieser Befunde als Ausscheidungsprocess
vom Blutstrom durch die Leber.
3. Für die logische Schlussfolgerung, dass durch späteres
Hineingelangen von lebenden Typhusbacillen von der Gallenblase
in den Darm die Typhusrecidive erzeugt werden. Etwas Anderes
kann man doch wohl aus meinen oben angeführten Worten nicht
gut scliliessen. wo es heisst: „und dass sie (die Typhusbacillen),
mit der Galle ln den Darm gelangt, dort unter sonst günstigen
Bedingungen“ etc. „wieder im Stande gewesen wären, die ihnen
zukommenden pathogenen Eigenschaften zu äussern“.
Ich glaube, dass ich durch Obiges genügend festgestellt habe,
dass meine Prioritätsansprüche berechtigt sind.
Ueber die Anwendung der Magensonde bei Ulcus
ventriculi.
Von Dr. W. F 1 a d e, Spezialarzt für Magen- und Darm-
krankheiten in Leipzig.
(Schluss.)
2. Ist die Anwendung der Sonde bei Verdacht auf Ulcus über¬
haupt erlaubt, bezüglich werden die dabei eventuell in Frage
kommenden Gefahren aufgewogen durch die zu erwartende
Sicherung der Diagnose?
Bei den oft so schwer zu entziffernden pathologischen Vor¬
gängen innerhalb der Sphäre des Verdauungstraktus werden wir
jedes diagnostische Hilfsmittel begrüssen, selbst dann, wenn sein
Werth, wie in unserem Falle, ein nur relativer ist, doch muss
der selbst in wenig günstig liegenden Fällen zu erwartende Nutzen
stets die Gefahren überwiegen, die bei Anwendung dieses Hilfs¬
mittels möglicher Weise zu gewärtigen sind. Das führt uns zu
der oben von mir in folgender Weise formulirten zweiten Frage:
Ist die Anwendung der Sonde bei Verdacht
aufülcusüberhaupterlaubt, bezüglichwerde ii
die dabei eventuell in Frage kommenden Ge¬
fahren aufgewogen durch die zu erwartende
Sicherung der Diagnose?
Mit anderen Worten: welche Gefahren bietet die Anwendung
des Magenschlauches bei möglicher Weise vorhandenem Ulcus;
wie hoch sind diese Gefahren einzuschätzen; kann man sie igno-
riren, oder überwiegen sie den zu erwartenden Nutzen?
Dass wir bei Patienten, die an peptischem Ulcus leiden, mit
ganz bestimmten Gefahren zu rechnen haben, falls wir den Magen¬
schlauch einführen, leuchtet von vornherein ein. Nach C. G e r -
har dt tritt Verblutungstod in 3—5 Proc. und Tod durch Per¬
foration in nicht weniger als 13 Proc. der Fälle von Ulcus ein.
Digitized by LjOOQie
13. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
D e b o v e und R 6 m o n d geben die gleichen Zahlen an.
L. Müller fand bei 120 Ulcusfallen 35 mal Blutungen, darunter
14 mit tödtlichem Ausgange. Nach einer anderen Arbeit steigt
die Perforationszahl bis 18 Proc. Dass die Gefahr des Eintrittes
solch’ unglücklichen Ereignisses durch Einführung des Schlauches,
sei es in Folge der unausbleiblichen Erregung und Würgbeweg¬
ungen, sei es in Folge unmittelbarer Berührung mit der Magen-
waud, wachsen muss, wird unbefangener Weise Niemand leugnen
wollen. Dementsprechend perhorrescirt L e u b e nach wie vor
jede Anwendung des Schlauches bei Ulcus, wenn sie nicht durch
besondere Verhältnisse erzwungen wird. Riegel und seine
Schule sind weniger streng. Ewald und Gerhardt haben
Beide lange Zeit den Standpunkt L e u b e’s vertreten, um ihn
aber weiterhin mehr und mehr fallen zu lassen. Es ist dies¬
bezüglich eine Discussion zwischen den Autoren über einen von
Ewald gehaltenen Vortrag aus dem Jahre 1886 interessant,
in dem Beide ihre Ansicht dahin aussprechen, dass namentlich
bei älteren Geschwüren die Perforationsgefahr so gering sei,
dass man eine vorsichtige Anwendung des Schlauches wohl ris-
kiren könne.
Der Versuch einer exakten Statistik und kritischen Zu¬
sammenstellung der in der Literatur niedergelegten Fälle, bei
denen sich wegen bestehenden Ulcus in Folge Anwendung des
Magenschlauches eine gefahrbringende oder gar tödtliche Blutung
oder eine Perforation ereignet hat, ist mir nicht geglückt, da
die bezüglichen Angaben in den einschlägigen Arbeiten zumeist
für solchen Zweck zu unvollständig waren.
Die Durchsicht der Publikationen hat aber in mir die Ueber-
zeugung befestigt, dass die Gefahren der Schlaucheinführung bei
Ulcus beträchtliche sind, und dass es sehr am Platze ist, ein¬
dringlich vor ihr zu warnen. Diese Warnung steht in einem
gewissen Gegensätze zu der geringen Anzahl von Publikationen,
die in dem hier zu verlangenden Sinne exakt genug sind, um
beweiskräftig zu sein, und ich werde den Beweis für die Berech¬
tigung meines Satzes wesentlich indirekt zu führen haben. Dass
die Kasuistik so wenig umfangreich ist, liegt nach meinem Dafür¬
halten nicht daran, dass nicht mehr pasßirt wäre, oder wenigstens
nicht bedeutend mehr passiren würde, wenn man sich allgemeiner
der citirten Auffassung von Ewald und Gerhardt an-
schliesst; ich suche die Gründe vielmehr in Folgendem: Man
kann wohl mit Recht sagen, dass der Magenschlauch auch heute
noch ein Instrument ist, dessen Werth für die Diagnose in der
allgemeinen Praxis viel zu gering geachtet wird. In Folge dieser
weitgehenden Unterschätzung einerseits, der Vielseitigkeit seiner
Beschäftigung andererseits wendet der Praktiker den Schlauch
in demselben Maasse entschieden zu wenig an, als leider seine
Benützung von vielen Spezialisten auf unserem Gebiete zweifellos
übertrieben wird. Die Folgen solcher Uebertreibung von Seiten
Derjenigen, die sich spezieller mit den Verdauungskrankheiten
beschäftigen, werden aber dadurch wett gemacht, dass sie bei
Patienten, die den Verdacht auf Ulcus hervorrufen, heute noch
fast durchweg nach dem L o u b e’schen Rezepte handeln, nach
dem ein Ulcuskranker ein noli me tangere ist. Die Riege l’scho
Ansicht und die von Ewald und Gerhardt hat bis heute
in der Praxis noch nicht viele Anhänger. Dass somit die Zahl
besonders alarmirender Vorkommnisse nicht gerade reichlich ist,
kann zugegeben werden, doch ist zu berücksichtigen, dass so
mancher Fall aus naheliegenden Gründen der Veröffentlichung
entgeht. Nach meiner Meinung sind Schädigungen viel häufiger,
als offiziell bekannt wird. Es braucht sich ja durchaus nicht um
ünglücksfälle zu handeln, die den Tod mit grösserer oder ge¬
ringerer Sicherheit im unmittelbaren Gefolge haben. Wir wissen,
dass es langsam blutende Geschwüre genug gibt bei Individuen,
denen auch geringster erneuter Blutverlust zur unmittelbaren Ge¬
fahr werden kann. Es handelt sich hier entweder um Blutung
aus kleinen Gefässen oder mehr flächenhafte Blutungen oberfläch¬
licher Geschwürsbildungen, wie sie z. B. Dieulafoy für sehr
häufig und für das Vorstadium tiefgreifender Ulcerationen hält,
die sich selbst bei difficilster Stuhluntersuchung der direkten
Beobachtung nur zu häufig entziehen. Es ist sicher, dass bei
den schwer stillbaren Blutungen aus weitgreifenden Geschwürs¬
flächen die Anwendung der Sonde bedeutsamen Schaden anrichten
muss, wenn er uns auch nicht immer unmittelbar sichtbar vor
Augen tritt. Jedenfalls bleiben diese Fälle bei der statistisch fest¬
stehenden Häufigkeit der Ulcera, die nur geringe Symptome
setzen, und unter dem Bilde schwerer Anaemie verlaufen, sehr
1321
bedeutsam. Das Ereigniss einer Perforation, sofern es durch
Manipulationen hervorgerufen sein sollte, wird ja der Diagnose
nicht entgehen; dass aber Perforationen, die man erst nach
Stunden oder längerer Zeit zu sehen bekommt, namentlich dort,
wo es unmöglich ist, eine gute Anamnese zu erheben, oft genug
unter dem Namen der Peritonitis dunklen Ursprungs laufen, ist
bekannt. Die Fortschritte der Chirurgie ermöglichen uns immer
öfter die Ausgangspforte zu erkennen und führen uns dann ge¬
legentlich erschreckend deutlich die Gefahr vor Augen, der wir
glücklich entronuen sind, wenn wir die Einführung des Schlauches
wegen Verdachtes auf Ulcus unterlicssen.
Einige Zahlen aus der Literatur für die Häufigkeit spontaner
Verblutungen und für die Perforation habe ich bereits genannt.
Hier will ich noch die Zuhlen L e u b e’s anführen, die er ge¬
legentlich als Produkt älterer und neuerer Statistiken gibt: er
fand für Verblutungstod 3—5 Proc., für Perforation 6—7 Proc.
der Erkrankungsfälle; genau dieselben Resultate, wie sie unter
anderem auch Welch angibt. Nach Einigen steigt, wie be¬
reits erwähnt, die Zahl der Perforationen bis 13 Proc., ja bis
18 Proc. Fenwick gibt an, dass mindestens 40 Proc. der
Ulcera mit Blutungen einhergehen.
Der erste Fall direkter Schädigung durch Anwendung des
Magenschlauches bei Ulcus ist 1870 von W i e s n e r veröffent¬
licht. Obwohl die damals noch allgemein übliche Anwendung
der Pumpe etwas modifizirte Verhältnisse setzt, citire ich folgende
Stelle aus seiner Arbeit: „.auch kann ich nicht verhehlen,
dass in Tübingen bei einein Kranken mit Ulcus rotundum, bei
dem schon am Tage vorher ein kleiner nekrotischer Fetzen in
dem Ausgepumpten sich befand, und der sich gegen das aus¬
drückliche Verbot bei eintretenden Schmerzen selbst ausgepumpt
hatte, kurz nach der Operation eine bedeutende Magenblutung
eintrat. Ob dieselbe in der angegebenen Weise entstanden ist
— gemeint ist die Aspiration von Schleimhaut durch Anziehen
des Stempels — ist allerdings nicht zu konstatiren, doch scheint
Vorsicht durchaus geboten.“
Im Anschluss an Ausspülungen bei bestehendem Ulcus sind
bedeutende Bltutungen u. A. von Cornillon und von
Michaelis beobachtet worden. Ob der Erstere die Ursache
in der zu schnellen Entfaltung der Magenwände durch das ein¬
strömende Wasser oder in dem Kontakt der Sonde mit der
Magenwand findet, ist praktisch von geringer Bedeutung. Auch
in dem Falle Michaelis’ kann der erwähnten Entfaltung der
Magenwände ein gewisses Verschulden zugeschrieben werden und
zwar in Folge einer Kohlensäureaufblähung. Haemorrhagien
im Anschluss an Ausspülungen bei Ulcus erwähnt auch
Fl einer. Riegel äusserst sich über seine Erfahrungen
folgendermaassen: „Absichtlich habe ich nur bei etwas älteren
Fällen die Ausheberung vorgenommen; bei frischem Ulcus, zumal
wenn dasselbe an der Cardia seinen Sitz hat, halte ich die Aus¬
heberung für nicht ganz gefahrlos. Bei 2 Fällen von frischerem
Ulcus, die wir jüngst ausheberten, erfolgte unmittelbar nach der
Ausheberung eine wenn auch nur geringe Blutung. Selbstver¬
ständlich darf man hier nur die weichen elastischen Nelaton-
schen Sonden zur Ausheberung verwenden . . “ etc. Das9 es in
praxi sehr oft unmöglich ist, ein frisches Ulcus von einem älteren
zu unterscheiden, dass ferner die G e r h a r d t’scho Forderung,
mit der Diagnose Ulcus zugleich eine genaue Bestimmung des
Sitzes der Affektion zu verbinden, oft genug unerfüllt bleiben
muss, nimmt der Geltung der obigen Sätze Riegel’s für die
tägliche Praxis — und gerade auf sie sollten meine Ausführungen
zugeschnitten sein — ein gut Theil ihrer Bedeutung. Bei kli¬
nischen Beobachtungen können solche Unterscheidungen allen¬
falls gemacht werden, doch wird auch hier stets mit der Unsicher¬
heit zu rechnen sein, der wir nun einmal im Hinblick auf die
Bestimmung von Lage und Alter der Geschwürsbildung unter¬
liegen. Der citirte Fall Cornillon’s ist auch in einer Arbeit
von Germain S c e benutzt, der ihm einen ähnlichen Fall von
Duguot anreiht. Frei übertragen lautet, die fragliche Stelle
etwa folgendermaa.ssen: Ich habe seit langer Zeit eindringlich
gewarnt vor der Gefahr, einen Bluterguss hervorzurufen, oder
eino Perforation zu verursachen. Auch Leube hat ebenso wie
ich auf diese Gefahr und eine, solche Unvorsichtigkeit hin¬
gewiesen. Die, jüngere Schule hat diese Stellungnahme in s
Lächerliche gezogen und es waren Unglücks!alle, ja der lod
mehrerer Kranker nöthig, um diese Vermessenheit zu rächen.
4 *
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
1322
Seitdem, glaube ich, hat man auf solche brutale Manipulationen
verzichtet.“
Mein Beweisinatcrinl mag numerisch wenig bedeutsam sein,
immerhin scheint es mir schwerwiegend genug, um einen Be¬
griff von der stets drohenden Gefahr zu geben; denn es ist doch
zweifellos, dass auch diejenigen Fälle, in denen eintretende
Blutungen als „gering“ und „leicht stillbar“ bezeichnet, in der
Literatur nur als Nebensachen gestreift werden, bei an sich schon
anaemischen Individuen ihre grosse Bedeutung haben. Wir
wissen ferner nicht, in wie viel Fällen die Einführung des
Schlauches Haemorrhagien verursacht, die nicht elementar genug
sind, um sich äusserlich zu dokumentären, die aber durch immer¬
währende Nachschübe den Organismus auf’s Höchste gefährden,
ja den Tod herbeiführen können.
Das zweite in seinen Folgen bedeutend verhängnissvollere
Ereigniss, mit dessen Eintritt wir bei ulcerativen Processen des
Magens stets rechnen müssen, ist die Perforation. Auch hier ist
in der Literatur keine Arbeit auffindbar, die das Ereigniss einer
Perforation im unmittelbaren Anschluss an die Einführung des
Magenschlauches zum Gegenstand hätte. Die Gründe dafür
mögen dieselben sein, wie die, die beim Suchen nach durch die
Sonde verursachten Blutungen zu nur bescheidenen Resultaten
führten: Der und jener Fall wird nicht veröffentlicht sein und
im Allgemeinen nehmen Diejenigen, die mit der Magensonde viel
umzugehen gewohnt sind, heute noch den bekannten Standpunkt
Leub e’s ein. Die Ansicht von Ewald und namentlich von
Gerhardt, dass besonders bei älteren Geschwüren der Mageu¬
schlauch ein ungefährliches Instrument sei, hat sich offenbar
weitere Anerkennung bisher nicht errungen — und, wie ich
meine, sehr zum Glück der in Frage kommenden Patienten.
Zu dieser Stellungnahme vcranlasste mich die Durchsicht
der einschlägigen Arbeiten von chirurgischer Seite, namentlich
aus den letzten Jahren. Bei dieser Durchsicht habe ich mir
folgende Fragen gestellt: Welcher Art waren die unmittelbaren
Ursachen der Perforation? Handelte es sich um sogen, frische
Fälle, oder bestand das Ulcus durch lange Zeit hindurch? War
die Diagnose auf Ulcus vor der Katastrophe gestellt, war es ins¬
besondere vorher möglich, bestimmten Anhalt für die Lokalisation
des Gesehwürsproeesses zu gewinnen? Welchem Alter und Ge-
schleehte gehörten die Patienten an?
Die Frage nach der unmittelbaren Veranlassung des Durch¬
bruches sollte mir einen Anhalt dafür geben, ob der durch Ein¬
führung des Schlauches gesetzte Insult der fraglichen spontanen
Ursache etwa aequivalent zu erachten sei, wobei der persönlichen
Auffassung freilich ein grosser Spielraum gelassen ist. Der
Werth der Feststellung, ob chronisches oder akutes Ulcus, ist im
Hinblick auf die erwähnte Auffassung mancher Autoren, dass
man bei chronischem Ulcus ohne Gefahr soudiren könne, ohne
Weiteres ersichtlich; ferner musste die Feststellung vorheriger
präciser Diagnose bezüglich der Lokalisation schon desshalb
wichtig sein, weil nach allen Statistiken die Lokalisation an der
kleinen Curvatur und namentlich an der vorderen Wand besonders
zur Perforation prädisponirt. War schliesslich die Diagnose auf
Ulcus überhaupt nicht zu stellen gewesen, hatte es sich um
vage Beschwerden gehandelt, wie sie gelegentlich auch anderen
Magenerkrankungen zukommen können, so war das desswegen
von wesentlichem Interesse, weil dann oft genug die Einführung
des Schlauches ohne jedes Besinnen erfolgt, und weil gerade in
solchen Fällen die latent« Gefahr, mit der immer zu rechnen
ist, besonders in die Augen springt. Was die Geschlechter be¬
trifft, so ist das Ueberwicgen des weiblichen Geschlecht« in der
Ulcusstatistik feststehend. Es ist ferner seit Langem bekannt,
dass das Ulcus bei Frauen viel öfter perforirt als bei Männern.
Es wäre demnach vielleicht nicht unbedingt nöthig gewesen,
nochmals auf die Verhältnisse einzugehen, wenn mir nicht daran
läge, ausdrücklich festzustellen, dass das Einführen des Magen-
sehlnuches bei Frauen, die einen nicht unzweideutigen Sym-
ptoinenkomplex bieten, bei Weitem gefahrvoller ist als bei
Männern, ja dass man gut thut, bei Behandlung magenkranker
Frauen, wenn möglich, die Sonde ausser Spiel zu lassen, falls
nicht ein Ulcus mit gewisser Sicherheit ausgeschlossen werden
kann.
Die Angaben über den unmittelbaren Anlass zur Katastrophe
sind vielfach recht kurz. Wir finden Wendungen wie „plötz¬
lich“, ohne jede weitere Bemerkung; oder „ohne Ursache“, oder
„nach massigem Frühstück“, „nach einer Mahlzeit“, oder „bei
leerem Magen, 4 Stunden nach letzter Mahlzeit“; einmal ist
notirt: „plötzlich im Schlafe, 5 Stunden nach letzter Mahlzeit“.
Barling gibt in einer 1895 veröffentlichten Arbeit über 31
bis dahin operirte Fälle als häufigere Ursachen Bücken, Niesen
und Heben von Lasten an. In einem Falle trat bei einer Magd
die Perforation ein, während sie die Kuh melkte. „Mehrfache
starke Mahlzeiten“ sind in einer Arbeit von Barker, der
7 Perforationsfälle, sämmtlich bei jungen Dienstmädchen, publi-
cirt hat, als auslösende Ursachen beschuldigt. Andere Autoren
nennen Treppensteigen und sonstige brüske Bewegungen. Von
„grosser Anstrengung“ oder „Ausfüllung schwerer Arbeit“ ist nur
in wenigen Fällen die Rede. Man kann wohl sagen, dass in der
Mehrzahl der Fälle der für die Perforation erforderliche Anstoss
ein ganz geringgradiger ist. Selbst bei leerem Magen im Schlafe
ist Perforation beobachtet worden; es genügte also die durch die
Athmung verursachte Bewegung und Druckdifferenz, die spon¬
tanen Bewegungen innerhalb der Unterleibshöhle, vielleicht auch
ein im Schlafe vorgenommener Lagewechsel, um zur Katastrophe
zu führen. Auch für die sonst genannten Ursachen fällt der
Vergleich mit den Vorgängen, wie sie sich beim Einführen des
Magen Schlauches abspielen, meines Erachtens sehr zu Ungunsten
dieser Manipulation aus. Das krampfhafte Arbeiten der Bauch¬
decken summirt sich hier noch mit den Eigenkontraktionen
der Magenmusculatur, wie sic durch den sie berührenden Fremd¬
körper ausgelöst werden, ganz abgesehen von der Möglichkeit
direkter Berührung von Uleusfläche und Sondenspitze. Selbst
dort, wo ich den Rachen vor Anwendung des Schlauches anaesthe-
sire. bleibt dio durch die Einführung gesetzte mechanische
Irritation mindestens ebenso gross, wie sie für die zahlreichen
Fälle abgeschätzt werden kann, wo eine unvorhergesehene Be¬
wegung, Treppensteigen, Bücken des Körpers etc., als Ursache
in Betracht kommen, oder gar für die Fälle, wo wir den Durch¬
bruch in der Nacht bei leerem Magen in gewissem Sinne als
„spontan“ bezeichnen können. Und diese anscheinend geringen
Ursachen sind, wie wir oben sahen, bei Weitem die häufigsten.
Dass „besonders schwere Arbeit“, wie sie in einigen Fällen als
auslösendes Moment für Perforation angeführt ist, unmittelbarer
und gefährlicher wirken kann, als die Einführung des Schlauches,
mag ohne Weiteres zugegeben werden, ja selbst eine Ueberfüllung
des Magens mit Speisen kann durchaus schwerer in’s Gewicht
fallen.
Praktisch hat nun die Gefahr, die nach meiner Auffassung
bei Uleuspatienten durch Einführung des Instrumentes gesetzt
wird, dort keine Bedeutung, wo die Perforation aus heiterem
Himmel einlritt, oder wo die Symptome derart sporadisch und
geringgradig auf traten, dass ärztlicher Rath nicht eingeholt
wurde. Indessen wenn auch die zur Perforation führenden Fälle
vielfach sehr schnell und recht oft ohne Beschwerden verlaufen,
ist die Zahl der chronischen Fälle und derjenigen, die in Folge
schwerer Schmerzen und anderer Erscheinungen zu ärztlicher
Behandlung führen, doch noch gross genug. So sind 1896 von
W e i r und Foot 78 Perforationsfälle veröffentlicht, die alle
vorher Magenerscheinungen aufwiesen. Von den erwähnten
7 Patientinnen B a r k e r’s litten 6 an Ulcuserscheinungen. Eine
Zusammenstellung der Bemerkungen über die Magensymptomc
vor dem Durchbruch aus den neueren Arbeiten, die sich nament¬
lich in der englischen Literatur zahlreich finden, gibt das
bunteste Bild. Da heisst es: „vorher nicht magenkrank“, „ausser
Magenschmerzen nach dem Essen niemals irgend welche Zeichen
von Ulcus“, „litt seit ungefähr 3 Wochen an Magenerschein-
ungen“, oder „hatte alle Erscheinungen eines Magengeschwürs“,
„längere Zeit Erscheinungen eines Magenulcuß“, „hat
seit zwei Jahren Symptome eines Ulcus“, „seit Langem
Ulcuserscheinungen“, „ein Jahr wegen Ulcus in Behandlung“,
„nach jahrelangen Erscheinungen von Ulcus“, schliesslich ein
Fall, in dem die Symptome seit 30 Jahren bestanden.
Die recht häufige Wiederkehr der Angabe, dass seit langer
Zeit bestehende Ulcera zum Durchbruch gekommen sind, ist auf¬
fallend und widerspricht der Ansicht von Ewald und Ger¬
hardt. Die Bildung schützender Verwachsungen wird eben
nicht allein durch den chronischen Verlauf gewährleistet, son¬
dern ganz besonders kommt hier die Lage der Geschwürsbildung
in Frage. Etablirt sich das Geschwür an einer Stelle des Magens,
die durch eigene Beweglichkeit, oder durch die der Umgebung
es zu festeren Verwachsungen nicht kommen lässt, so muss auch
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13. August 1901.
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1323
bei chronischem Verlaufe des Leidens die Perforationsgefahr
sehr bedeutsam bleiben. Diese Stelle ist die vordere Magenwand,
bekanntlich die Prädilektionsstelle aller Perforationen, und an
dieser Stelle vermag noch so langes Bestehen von Ulcuserschei-
nungen den endlichen Ausgang in Perforation nicht einmal mit
Wahrscheinlichkeit hintanzuhalten. Der Satz von der
relativen Ungefährlichkeit der Schlauchein¬
führung bei chronischem Ulcus gilt für die
Ulcera der vorderen Magenwand und nächst-
dem für die der kleinen Curvatur in der Nähe
der Kardia entschieden nicht, er gilt vor allen
Dingen nicht, wenn es sich hier um Frauen
in jugendlichem Alter handelt, die auch nach
meinen Zusammenstellungen bezüglich der
Perforation da,s männliche Geschlecht durch¬
aus überwiegen. Am ruhigsten werden wir den Magen¬
schlauch- anwenden können, wenn ein chronisches Ulcus an der
hinteren Wand sitzt. Mit diesem Satze ist aber so lange nur
wenig geholfen, als die Bestrebungen, mit der Diagnose „Ulcus“
zugleich bestimmte Angaben über seine Lokalisation zu geben,
zu so wenig befriedigenden Resultaten geführt haben wie bisher.
Lage des Schmerzpunktes, der zeitliche Eintritt der Schmerz¬
attaquen, der Wechsel der Schmerzen bei verschiedener Lagerung
und Stellung des Körpers ermöglichen uns gelegentlich präcisere
Angaben, es gelingt namentlich dadurch Ulcera, die dem Pylorus-
theile angehören, von denen, die in der Nähe der Kardia liegen, zu
unterscheiden. Aber weiter lässt sich die Bestimmung der Lokali¬
sation nur ausnahmsweise führen. Wie oft gerade das Geschwür
der vorderen Magenwand völlig symptomlos verläuft, oder nur
sehr zweideutige Erscheinungen verursacht, ist bekannt. Auch
dor^ wo günstige Umstände es zulasson, diese letztere Lokalisation
festzustellen, bleibt man zumeist im Dunkel darüber, ob sich ein
Durchbruch vorbereite oder nicht. Leube erklärt in diesem
Zusammenhänge einmal eine vorgeschlagene prophylaktische
Operation für in der Regel nicht erlaubt, da die Diagnose auf
drohende Perforation nicht einmal mit Wahrscheinlichkeit ge¬
stellt werden könne. Wie oft hartnäckig bestehende unbestimmte,
oft freilich wenig hochgradige Magenerscheinungen nach erfolgter
Perforation sich als Erscheinungen eines Ulcus an der vorderen
Magenwand nachträglich ausweisen, bestätigt unter anderen
auch eine Arbeit von B a r 1 i n g, in der der Autor darauf hin¬
weist, dass die Symptome vielfach zu gering seien, um zur
Schonung aufzufordem. Dass der Wunsch, gerade in zweifel¬
haften Fällen durch Gewinnung des Mageninhaltes in der Dia¬
gnose weiterzukommen, für manchen Fall gerechtfertigt ist, gebe
ich trotz meiner Ausführungen im ersten Theile zu, doch halte
ich die Einführung des Sclilaucheä für zu gefahrvoll, um ihr
ausser bei seltenen Ausnahme!üllen, das Wort zu reden.
Ob ich hier übrigens den Schlauch einführe, um Mageninhalt
zu gewinnen, ob ich ihn, mit dem Glühliimpehen armirt, zur Be¬
leuchtung benutzen will, ob ich nach Applikation des Schlauches
dio sog. Sondenpalpation auszuführen gedenke, wird praktisch
unter dieselben Gesichtspunkte fallen. Auch die Aufblähung mit
Kohlensäure wird in unserem Falle geradeso zu beanstanden sein,
wie das Eiublasen von Luft mit Ililfe des Schlauches.
Als Resultat der vorstehenden Ausführungen möchte ich
folgende Sätze hinstellen: Die Einführung eines
Magenschlauches bei Bestehen eines Ulcus
ist durchaus keine harmlose Manipulation.
Wenn auch die Provocation abundanter Blu¬
tungen verhältnissmiissig selten stattfindet,
so sind doch die in der Zeiteinheit unbedeu¬
tenden, aber lange andauernden und schwächen¬
den Blutverluste, die namentlich bei grossen
Geschw iirsflächen durch die Sonde gesetzt
werden können, eine nicht gering zu achtende
Schädigung. Die Gefahr aber, eine Perfora¬
tion zu veranlassen, ist bei Geschwüren an der
vorderen M a g e n w a n d, die. wegen ihrer unbe¬
stimmten Symptome den Wunsch nach Unter¬
suchung des Mageninhaltes nahe legen
können, ausserordentlich gross. Wo also Ver¬
dacht auf Ulcus besteht, namentlich wo sein
etwaiger Sitz an der vorderen Wand in Frage
kommt und es sich um weibliche Patienten in
jüngeren Jahren handelt, ist für Denjenigen
die Einführung des Schlauches unstatthaft,
der sich den Ausführungen des ersten Theiles
anschliesst, denen zu Folge die diagnostische
Ausbeute aus der Untersuchung des Magen¬
inhaltes bei dem Verdachte auf einen G e -
schwürsprocess nur gering zu veranschlagen
ist. In gleicher Weise ist die künstliche Auf¬
blähung des Magens mit Luft oder Kohlen¬
säure zu verwerfen.
3. Brauchen wir die Magensonde bei Ulcus ventriculi zu thera¬
peutischen Zwecken, und wie steht es hier bezüglich möglicher
Gefahren ?
Wenn nun auch durch vorstehende Sätze meine Stellung¬
nahme zu der therapeutischen Anwendung des Magenschlauches
bei floridem Ulcus implicite bereits gekennzeichnet ist, so will
ich doch — schon der Vollständigkeit halber — noch kurz auf
dieselbe eingehen, so gering auch der Kreis Derjenigen sein mag,
die ihr das Wort reden.
Denkbar ist hier die Anwendung des Schlauches nach 2 Rich¬
tungen hin: einmal zur Entleerung des Magens von mehr oder
weniger stauendem und Schmerz auslösendem Speiseninhalte, be¬
züglich von den Produkten katarrhalischer Entzündung, deren
innerer Zusammenhang mit dein Bestehen eines Ulcus ja von ver¬
schiedenen Seiten betont wird, und zweitens behufs Applikation
von Medicamcnten.
Der Wunsch, die Entleerung des Magens so schnell wie mög¬
lich herbeizuführen, kommt jedem Arzte unwillkürlich, wenn er
zu schweren Gastralgien gerufen wird, die sich in der üblichen
Weise an eine copiöse oder unzweckmässige Mahlzeit ange¬
schlossen haben. Trotz der betleutenden Vortheile, dio hier die
Sonde zweifellos haben würde, wird sie zu diesem Zwecke wohl
kaum von irgend einem Autor, von gewissen extremen Fällen
abgesehen, ernstlich empfohlen, v. Zicmssen weist ausdrück¬
lich darauf hin, dass dort, wo besondere Erscheinungen beschleu¬
nigte Entleerung des Magens indiziren, uns andere Mittel zur
Verfügung stehen, die theilweise auch sonst zu dem bei Ulcus
ventriculi angewendeten Apparate gehören. Da schwere Schmerz¬
anfälle weniger von der direkten Reizung der ulcerirten Fläche,
als von reflektorischem krampfhaftem Verschlüsse der Magen-
ostien herrühren, so wird die Lösung dieser tetanischen Kontrak¬
tionen zunächst zu erstreben sein. Ein Versuch, durch die Auf¬
nahme warmen Wassers einen ausgiebigen Brechakt zu provo-
ziren, wird sich zumeist rechtfertigen lassen. Die hierdurch
gleichzeitig erreichte Verdünnung des sauren Mageninhaltes wird
in gleicher Weise durch die Anwendung von Carlsbader Brunnen
erreicht werden, der ja ausserdem seine direkte Wirkung auf be¬
schleunigte Entleerung geltend macht. Lokale Applikation von
Wärme wird weiterhin das Ihre thun, und schliesslich würde ich
in solchen Fällen der subkutanen Anwendung von Morphium schon
des«? wegen das Wort reden, weil sie gleichzeitig anerkannter
Maassen die etwa bestehende übermässige Drüsenthätigkeit herab¬
zustimmen vermag. Die Anwendung des Schlauches wird nach
meinem Dafürhalten höchstens für extreme Fälle berechtigt sein,
bei denen man mit der unmittelbaren Gefahr einer Perforation
glaubt rechnen zu müssen. Ich selbst habe Fälle dieser Art,
bisher zu beobachten nicht Gelegenheit gehabt.
Was ferner die Entleerung katarrhalischen Schleimes betrifft,
so kann ich eine Indikation dazu nicht anerkennen. Die Ansicht
von Jaworski und Anderen, dass der Katarrh eine häutige
Basis für die Entstehung von Geschwüren bilde, halte ich für un¬
richtig. Auch die Pathologen — ich weise hier namentlich auf
eine Veröffentlichung von Langerhnns hin — erklären den
Uebergang von katarrhalischen Erosionen in wirkliche Geschwürs¬
bildungen von der Art. eines peptischen Ulcus für ein Unieum.
Dass andererseits ein Geschwür mehr als geringe lokale katar¬
rhalische Erscheinungen in der zunächst umgebenden Schleim¬
haut verursachen sollte, gilt nur für vereinzelte Fälle. Ein
„Nebeneinander“ von Katarrh und Ulcus mag gelegentlich einmal
einen Kausalnexus vortäuschen; wessbalb aber in diesen seltenen
Fällen die Nothwendigkeit von Spülungen eintreten sollte, i>t
mir nicht recht klar. Ich halte dafür, dass bei chro¬
nischen Katarrhen in der bedeutenden Mehr¬
zahl der Fälle die Spülung schon d c s s h a 1 b
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1324
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
nicht am Platze ist, weil sich der Magen meist
rechtzeitig, oft sogar vorzeitig entleert. Nur
eine ganz exceptionello Schleimbildung, die
zu dauerndem U e b e 1 b e f i n d e n und unablässi¬
gem Heraufwürgen von Schleim führt, kann
mich zu Ausspülungen veranlassen. Einen der¬
artigen Katarrh in Verbindung mit Ulcus habe ich bisher noch
nicht gesehen.
Schliesslich die Einverleibung von Medikamenten! In einer
1896 erschienenen Arbeit von Reale über Ausspülung des
Magens mit Lapislösung ist der Gedanke angeschnitten, dass
diese Spülung auch bei Ulcus von Vortheil sein könne. Eigene
Versuche hat der Verfasser darüber nicht angestellt, es sind mir
auch Erfahrungen anderer Autoren in dieser Frage nicht be¬
kannt geworden. Derjenige der die Einführung eines Medika¬
mentes mit der Magensonde, und zwar des Wismuth, am meisten
verfochten hat, ist F1 e i n e r. Derselbe lässt Dosen von 10—20,0
Bismuthum subnitricum in warmem Wasser suspendirt in den
Magen einlaufen. Liegt kein Bedenken gegen den Verbleib des
Wassers im Magen vor, oder verträgt der Patient die Sonde
schlecht, so wird sie gleich nach der Prooedur zurückgezogen,
andernfalls bleibt der abgequetschte Schlauch 5—10 Minuten
liegen, und man lässt nach dieser Zeit das inzwischen klare Sus¬
pensionswasser wieder abflicssen. Bei frischen Geschwüren, oder
bald nach stattgehabten grösseren Blutungen wendet F 1 e i n e r
seine Eingiessungsmethode nicht an, wie er denn durchaus zur
Vorsicht räth. Er gibt in derselben Arbeit zu, dass ihm mehr¬
fach kleinere Hacmorrhagien vorgekommon sind; das Miss¬
geschick einer grösseren Blutung sei ihm bisher noch nicht be¬
gegnet. Der Vorzug der Aufnahme des Wismuth auf diesem
komplizirten Wege vor dem natürlichen kann doch wohl nur in
dem Gedanken begründet sein, dass sich das unter einem gewissen
Drucke eingegossene Medikament so gleichmiissiger vertheile,
die Geschwürsfläche sicherer treffe. Indessen hat Matthes 1804
in einer eingehenden experimentellen Arbeit nachgewiesen, dass
es gleichgiltig sei, wo sich das Pulver zunächst niederschlage,
da man es nach kurzer Zeit gleichmässig vertheilt überall an
der Magenoberfläche nachweisen könne. Es sei demnach auch
die Gepflogenheit F 1 e i n e Fs, den Patienten während der Ein-
giessung eine solche Stellung einnehmen zu lassen, dass die
Magengegend, in der der Sitz des Ulcus vermuthet wird, am
tiefsten zu liegen kommt, völlig unnöthig. Bestätigen sich diese
Angaben von Matthes, so wird der Schlauch hier völlig ent¬
behrlich, und es wird gleichgiltig sein, ob ich das Wismuth
in Suspension verabreiche. Man wird mit demselben Rechte
das Medikament trocken oder mit so geringer Quantität von
Wasser nehmen lassen können, dass eine wesentliche Belastung
des Magens nicht zu befürchten ist. Es ist zweifellos, dass das
in der Praxis viel angewendete Wismuth bei gewissen Reiz¬
zuständen des Magens beruhigend wirkt, wobei freilich die Wir¬
kung verschiedener Zusätze abzuziehen ist, die vielfach gleich¬
zeitig verordnet werden. Das Wismuth aber als Specificum
gegen Ulcus betrachten zu wollen, geht meiner Meinung nach
nicht an. Bei schweren Ulcuserscheinungen, die anderen, exakt
durchgeführten Kuren bisher getrotzt haben, habe ich endgiltige
Resultate von der reinen Wismuththerapie nie gesehen. Die
Sonde zu seiner Applikation zu verwenden, halte ich, ganz ab¬
gesehen von der Matthe s’schen Arbeit, aus denselben Gründen
für ungerechtfertigt, aus denen ich ihre Einführung zu dia¬
gnostischen Zwecken widerrathe.
Mit diesen wenigen Worten scheint, mir das Wesentliche
über die therapeutische Anwendung dt« Magenschlauches gesagt,
wenn ich auch hier, wie in meinen gesammten Ausführungen
mich auf das primäre, unkomplizirte Ulcus beschränke. Dass
für den Internisten der Magensehlauch bei der häutigsten Folge¬
erscheinung dos Ulcus, der Ektasie, das souveräne Hilfsmittel ist,
lx>darf heute, kaum der Erwähnung. Auch die Anwendung von
Eiswassorspülungen bei schweren Blutungen mit oder ohne Zu¬
satz von Medikamenten, wie sie Ewald vorgeschlagcn hat,
bleibt von meinen Ausführungen unberührt.
Ich nehme, wie die Herren sehen, gegen¬
über der Anwendung des Magen schlauch es
bei floridem peptischen Ulcus eine recht
negative Stellung ein. Ich glaube, denselben
zu therapeutischen Zwecken, abgesehen von
den erwähnten Blutungen, durchaus entbehren
zu können und halte andererseits seine dia¬
gnostischen Vortheile für zu gering, um ihm
gegenüber die Gefahren in Kauf zu nehmen,
die zweifellos recht beträchtliche sind. Der
Magenschlauch hat nach meiner Meinung über¬
haupt nicht in Anwendung zu kommen, wo der
Verdacht auf Ulcus ventriculi berechtigt er¬
scheint, ebensowenig wie bei mancher anderen
Magenerkrankung, bei der er heute noch viel¬
fach ohne genügende Indikation verwendet
wird.
Zur Trockenluftbehandlung bei chronischen Mittelohr¬
eiterungen.
Von Dr. med. Lautenschläger, Ohrenarzt in Charlotten¬
burg.
Bemerkung zu der Arbeit von Dr. med. Hecht ln No. 24 der
MUucli. med. Wochenschr.
ln der 24. Nummer dieser Wochenschrift vom 11. Juni 1901,
welche mir durch einen ungünstigen Zufall erst heute ln die
Hände kam, veröffentlicht Herr Dr. med. Hecht in München
Versuche, die er mit heisser Luft bei chronischen Mittelohreite¬
rungen angestellt hat. Seiner Arbeit schickt er die bis Jetzt über
diesen Gegenstand erschienenen Mittheilungen voraus, übersieht
jedoch dabei meinen bereits am 2. Juni 1900 beim Congress
Deutscher Ohrenärzte in Heidelberg gehaltenen und in den „Ver¬
handlungen der Deutschen otologischen Gesellschaft“ abge¬
druckten Vortrag über diesen Gegenstand.
Wie aus dem Vortrag ersichtlich ist, waren schon damals
meine Versuche weiter gediehen und meine Hilfsmittel voll¬
kommener, als die von Andrews und Hecht. Die seitdem
von mir gewonnenen weiteren Erfahrungen behalte Ich einer
späteren Veröffentlichung vor, heute möchte ich nur, mit dem
Hinweise auf meinen Vortrag. Einspruch dagegen erheben, dass
die Arbeit des Herrn Hecht vielleicht hier und dort als der Aus¬
druck des gegenwärtigen Standes der Trockeulufttheraple an¬
gesehen wird.
Geschichtliches zur Behandlung des Darmverschlusses
mit Belladonnapräparaten.
Von Hugo Schulz in Greifswald.
Die vielfachen Mittheilungen aus der ärztlichen Praxis, die
in neuester Zeit im Anschluss an die Veröffentlichung von Bätsch
über die Zweckmässigkeit der Anwendung von Belladonnapräpa¬
raten und des Atropins bei Fällen von Darmverschluss wechselnder
Ursache In der Literatur veröffentlicht wurden, legten den Ge¬
danken nahe, die geschichtliche Entwickelung dieser Therapie
etwas eingehender zu studiren. Die Ergebnisse dieser Studieu
möchte ich im Folgenden bringen. Ich muss aber gleich vou
vornelierein bekennen, dass es mir trotz allen Suchens in dem
literarischen Material unserer Universitätsbibliothek nicht ge¬
lungen ist, mit Sicherheit festzustellen, wer zuerst den Gedanken
in die Tbat umgesetzt hat, Belladonuapräparate bei Ileus oder ein¬
geklemmtem Bruch zu versuchen.
Der Zeit nach die ältesten, eingehenderen Angaben zu unserem
Thema fand ich bei Rademacher. Er beruft sich wie wir
gleich sehen werden, auf eine Mittheilung des Franzosen Du-
pouget. Ueber diesen habe ich leider nur wenig in Erfahrung
briugen können. Im „Magazin der ausländischen Literatur der
gesammten Heilkunde" vou G e r s o n uud J u 11 u 8 findet sich
im 3. Bande der neuen Folge vom Jahre 1832 die Angabe, dass
ein gewisser Fuzet-Du pouget in der „Revue mödicale",
November 1831 „Ueber die Anwendung des Extractum Beliadonnae
auf den Leisteuring um die Zurtickbringung des eingeklemmten
Bruches zu erleichtern“ mit gleichzeitiger Angabe von 4 Kranken¬
geschichten geschrieben habe. Die Originalarbeit steht mir nicht
zur Verfügung, woher Du pouget seine Wissenschaft hatte,
lässt sich also zunächst nicht weiter feststellen. Hören wir zu¬
nächst K a d uniache r. Er sagt im zweiten Bande seiner
„Erfnhrungslieillehre“ auf Seite 121 der dritten Ausgabe in einer
Anmerkung:
„I)le von der Revue mödicnle in eingeklemmten Brüchen
empfohlene und von Du pouget erprobte Belladonna hat mir
in 3 Fällen nicht bloss gute, sondern wirklich überraschende
Dienste geleistet: in allen 3 Fällen machte sie die Taxis unnöthig.
Einer dieser Fälle, der einen Jüngling betraf, war so ernsthaft,
dass der erfahrene Wundarzt, wegen der sehr schmerzhaften
Spannung des Bruches, die Taxis vorläufig nicht zu versuchen
wagte. Der zweite Fall betraf einen 70 jährigen Mann, dessen
grosser, alter, verwachsener Bruch eingeklemmt war, bei dem
der Wundarzt vergebens die Taxis versucht und mich desshalb
zu Käthe rief. Begreiflich konnte die Belladonna den verwach¬
senen Bruch nicht in die Bauchhöhle zurückbringen, aber sie hob
doch in kurzer Zeit die Einklemmung, denn da ich den Kranken
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13. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1325
drei Stunden nachher besuchte, fand ich ihn nicht bloss frei von
Schmerz und Erbrechen, sondern Ich sah Ihn im Bette sitzen und
ganz gemächlich eine Pfeife Tabak rauchen. Der dritte Fall be¬
traf auch einen 70 jährigen, ausserstädtisclien Mann mit einem
verwachsenen Bruche, an welchem noch kein Wundarzt die Taxis
versucht. Ich verschrieb gleich die Belladounasalbe, und wie ich
nach zwei Stunden ihn sah, waren schon die Zufälle der Ein¬
klemmung gehoben."
„Es mag drei oder vier Jahre sein, seit ich zuerst über diesen
Gegenstand etwas gelesen; mir, obgleich ich die Chirurgie nicht
übe, schien die Sache von grosser Wichtigkeit. Bis jetzt (im
September 1836) habe ich gelegentlich mit drei unterrichteten
Wundärzten und mit einem Medicochirurgo darüber gesprochen,
aber alle vier wussten davon nichts. Vor Kurzem las ich die
ausführliche Recension einer ausführlichen Abhandlung über die
Brüche, und auch in dieser war von der Belladonna nicht einmal
«lie Rede. — Mir scheint das Praktischnützliche unserer heutigen
Literatur sinkt, in der Springflutli des Unnützlichen gar leicht zu
Boden und entzieht sich den Blicken Derer, die desselben hoch-
bedürftig wären."
Rademacher, dessen Schlusssatz man heute getrost mit
unterschreiben kann, hat, wie aus seinen Worten hervorgellt, die
Belladonna in Salbeuform äusserlich angewandt. Bei einer anderen
Gelegenheit, wo er über den Gebrauch desselben Mittels bei
krampfhaftem Verschluss des Mastdarmes redet, äussert er sich
über die Zusammensetzung und Anwendung der Salbe:
„Ich lasse eine Salbe von zwei Drachmen Schmalz und einer
halben, auch wohl einer ganzen Drachme Belladounaextrakt fünf-
bis sechsmal tags äusserlich in die Mündung des Afters einreibeu.
Einspritzungen würden wohl noch besser sein, da aber das Mittel
zu den heftig wirkenden gehört und man nicht wissen kann, wie
lange es in dem Mastdarm verweilen wird, so lässt sich auch
die richtige Gabe nicht gut bestimmen, es könnte in manchen
Fällen mehr wirken, als einem gerade lieb sein möchte."
In Deutschland scheint, nach Rädern ach er’s Bericht, zu
Anfang des verflossenen Jahrhunderts der Gebrauch der Bella¬
donna bei DarmafTektlouen so bedenklicher Art, wie der oben er¬
wähnten, ganz unbekannt gewesen zu sein. Die doch für jene
Zeit in therapeutischer Hinsicht sicherlich noch maassgebenden
grösseren Werke aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts enr-
halten auch keine Angaben, die hier heranzuziehen wären. Dev
ausführliche Kommentar van Swieten's zu B o e r h a a v e’s
Aphorismen bringt über die Belladonnatherapie nichts, obwohl
er sich sonst eingehend mit der Behandlung des Ileus und ver¬
wandter Darmleiden beschäftigt. Dasselbe gilt von Friedrich
Hoffmann’s grosser „Medicina rationalis systematica“, und
ebenso wenig fand ich in dem, damals gleichfalls viel gelesenen
Werke, den „Opera medica" des Engländers Sydenham.
Aus dem dritten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts
habe ich, leider nur referirt, noch zwei Angaben gefunden. Die
erste betrifft eine Mittheilung aus Hufeland’s Journal vom
Jahre 1836, wonach ein gewisser Harrius Belladonnaklysmen
mit Erfolg bei Ileus angewandt hat. Es ist das zweifellos der¬
selbe Autor, von dem mit leichter Namensänderung A. F. Hecker
Im ersten Bande seiner „praktischen Arzneimittellehre“ sagt:
„H a n 1 u s empfiehlt Belladonnaklystiere besonders bei Ileus.
Sic stillten oft schnell das Erbrechen und bewirkten Oeffnuug.“
Dann enthält das „Southern medical and surgical Journal“
in der Novembernummer von 1837 noch eine, im 9. Bande von
F r I c k e und O p p e n h e i m’s „Zeitschrift für die gesammte
Medicin“ refertrte Mittheilung, nach der ein ungenannter Autor
Radix Belladonnae im Klysma gegen „Darmeinschnürungen“ an¬
gewandt hat.
Ob die Hahneman n’sche Schule damals schon der Bella¬
donna sich bei Darmverlagerungen bedenklicher Art bedient hat,
kann ich wegen Mangels an literarischem Material aus jener Zelt
nicht feststellen. Das im Jahre 1847 herausgekommene grosse
Sammelwerk von Trinke und N o a c k hat aber eine Stelle
Uber die Verwendung der Belladonna. Es heisst dort auf S. 244:
„Bei Brucheinklemmungen sind unbeschadet der enosmischen
Anwendung der Belladonna auch gleichzeitig Klystiere aus 1 bis
2 Tropfen der Tinktur auf 4 Unzen Wasser rathsam, welches
Verfahren Jedenfalls den Extraktelnreibungeu auf der Bruchstelle
vorzuziehen ist, well letztere, auch wenn das Extrakt, anstatt mit
Fett, mit Honig vermischt worden, die Stelle so klebrig machen,
dass die Taxis dadurch erschwert oder unmöglich gemacht wird."
Es erscheint passend, wenn ich an dieser Stelle der Vollständigkeit
wegen gleich die Anschauungen folgen lasse, die 20 Jahre später
J. Kafka in seiner „Homöopathischen Therapie“ Bd. 1, S. 662
über denselben Gegenstand niedergelegt hat. Es heisst dort:
„Wir wenden Belladonna bei äusseren Incarcerationen an,
wenn die eingeklemmte Stelle gegen die leiseste Berührung sehr
empfindlich ist und noch keine Zeichen des Motus peristalticus
inveraus vorhanden sind, wenn ein hoher Grad von Erethismus
nervosus vorwaltet, und wenn die Kranken theils in Folge der
8chmerzen, theils in Folge der Angst keinen Augenblick ruhig sich
verhalten. Tritt nach 5—6 Gaben, viertelstündlich verabreicht,
keine Besserung ein, so reichen wir Atropin, sulphuric. 2.-3.
(1—0,1 proc. Lösung) auf dieselbe bekannte Welse. Es versteht
sich von selbst, dass man die Taxis hierbei nicht vernachlässigen,
. aber auch nicht mit Gewaltanwendung vollbringen darf. Häufig
gelingt die Reposition schon nach wenigen Gaben von Belladonna
oder Atropin, während sie früher nicht zu Stande gebracht werden
konnte.“ — Auch bei krampfhafter Darmstrlctur ist, nach dem¬
selben Autor, in geeigneten Fällen Belladonna oder deren Alkaloid
mit Vortheil anzuwenden, wohingegen er bei inneren Einklern-
mungen, Achsendrehungen und Invagiuation von dieser medi-
cameutellen Behandlung ebenso wenig sicheren Erfolg sah, wie
von jeder anderen und als Ultimum refugium die Laparotomie
anrüth.
Aus dem Jahre 1841 besitzen wir eine Krankengeschichte,
mitgethetlt von Becker in Casper’s „Wochenschr. für die ge¬
sammte Heilkunde“ S. 94. Eine 48 Jahre alte Frau leidet au
Ileus inflnmmatorius. der, nach allen Regeln der Kunst l>ehandelt,
keine Neigung zur Besserung zeigt. Seit fünf Tagen kein Stuhl¬
gang, in den letzten Tagen ununterbrochenes Erbrechen kothartiger
Massen.
„Ich war eben im Begriff“, sagt Becker, „das laufende
Quecksilber als letztes Refugium, zu dem ich jedoch ohne beson¬
deres Vertrauen griff, anzuwenden, als ich mich der Behandlung
des Dr. Harrius über den Nutzen der Belladonnaklystiere im
Ileus erinnerte. Ich entschloss mich schnell zur Anwendung der-
sell>en, liess ein Klystier aus einer Drachme Rad. Belladonnae be¬
reiten und appliziren. Schmerz und Erbrechen Hessen schnell nach,
und nach einer halben Stunde erfolgte die erste Leibesöffnung,
welche stark mit Blut vermischt war.“ — Die Patientin genas
l>el weiterer Behandlung. Becker fügt übrigens noch besonders
hinzu, dass Zufälle von Narkose nach der Anwendung der Bella¬
donna gar nicht zur Beobachtung kamen.
In derselben Zeitschrift veröffentlichte im Jahre 1843
G. Schwabe seine Erfahrungen mit Belladonna. Er berichtet
über drei günstig verlaufene Fälle, bei denen gegen Ileus Bella¬
donnaklystiere, aus der Wurzel hergestellt, angewandt wurden.
In einem ausführlicher berichteten Fall kam es zu Intoxikations¬
erscheinungen, die indess ohne weiteren Nachtheil nach einigen
Stunden wieder verschwanden. In der oben erwähnten Zeitschrift
von F r i c k e und Oppenheim findet sich im 18. Bande vom
Jahre 1841 noch ein Aufsatz von A. Droste: „Passio iliaca und
Belladonna wider selbige“. Er enthält ausser einer längeren, mehr
theoretisch gehaltenen Besprechung noch die Beschreibung dreier
Fälle, einer von Ileus, zwei von eingeklemmter Hernie, die ein
Dr. Lamby beobachtet und Droste zur Verfügung gestellt
hatte. In allen 3 Fällen wirkten Belladonnaklystiere erfolgreich.
Ausserdem findet sich bei Droste auch der literarische Nach¬
weis günstiger Erfahrungen mit Belladonna von Wagner
..Hufeland’s Journal der praktischen Heilkunde“ 1836, dann von
Wotraber, ebenda 1837 und von N. Meyer aus der
„Preussisclien Vereinszeitung“ 1838, No. 10. Endlich liegen
aus dem vierten Decenuium noch zwei Angaben aus eng¬
lischen Lehrbüchern vor. Payne empfiehlt in seiner „Ma-
teria medica“ vom Jahre 1848 das Extractum Belladonnae ln
Salbenform bei eingeklemmten Brüchen. P e r e i r a sagt in seinem
von B u c h h e i m übersetzten „Handbuch der Heilmittellehre“
S. 315 des II. Bandes: „Bei eingeklemmten Brüchen hat man die
Belladonna angewendet, um eine Erschlaffung der Bauchmuskeln
hervorzubringen.“
Aus den fünfziger Jahren finden wir zunächst eine Bemerkung
zu unserem Thema bei Mitscherlich. In seinem „Lehrbuch
der Arzneimittellehre“ 1851, S. 405 heisst es: „Bel krampfhaft ein¬
geklemmten Brüchen wendet man Atropin und Belladonna sowohl
äusserlich als innerlich oft mit Erfolg an.“ Besonders zahlreich
sind aber aus demselben Jahrzehnt die Mittheilungen aus der
französischen Literatur. Leider muss ich dieselben nach Referaten
wiedergeben. Aber dieser, sonst nicht gerade angenehme Umstand
ist, wie sich bald zeigen wird, in diesem Falle von Nutzen, weil
er darthut, wovon unter Umständen die weitere Verbreitung einer
therapeutischen Methode oder aber auch, wie das bei der Bella¬
donnabehandlung der Fall gewesen ist, ihre gänzliche Vernach¬
lässigung abhängig werden kann. Wenn ich den folgenden Ab¬
schnitt nicht streng chronologisch behandele, so geschieht es,
um Wiederholungen zu vermelden.
Fonssagrives behandelte mehrere Fälle von Colica
nervosa schwerster Art erfolgreich mit Belladonna. Bestätigt
werden seine Angaben durch Beau Jean, Tersec, Congit
und L e b o n (Gazette hebdomadaire 1857, Bd. 4).
David empfiehlt Tinctura Belladonnae gegen Herala in-
carcerata (Gazette des höpitaux 1857. No. 20).
Lame bringt in der „Revue tliörapeutique du Midi“ 1855
4 Fälle eigener Beobachtung. Das Referat, wie auch die Recension
derselben entstammt der nämlichen Feder, die auch die eben
genannten Arbeiten zu behandeln hatte. Es findet sich auf S. 221
des 88. Bandes von Schmidt’s Jahrbüchern und lautet wie folgt:
„Werfen wir die Frage auf, ob die Chirurgie zur Zeit ein
Mittel besitzt, welches bei Brucheinklemmung die Einklemmung
zu heben im Stande ist, ohne die Beihilfe des Messers zu bedürfen,
so müssen wir mit Nein antworten. Ist die Taxis mehrfach er¬
folglos versucht worden, so rathen die Praktiker, namentlich wenn
die Einklemmungssymptome an Intensität zunehmen, zu operiren.
Verfasser (Lnrue ist gemeint), glücklicher wie seine Vorgänger,
glaubt die gefährliche Klippe, die Operation, umgehen zu können
und bringt vier Beispiele, in welchen die Herniotomle unvermeid¬
lich schien und doch durch methodischen inneren Gebrauch des
wässerigen Belladonnaextrakts vermieden wurde.“
„1. Eine 61 jährige, magere Frau, die seit 14 Jahren eine
rechtsseitige Schenkelhernie von mässiger Grösse, mit Darmuetz¬
inhalt, die sich leicht reponireu liess. besass, wurde den 17. Febr.
1852 nach einer heftigen Anstrengung von Leibsehmerzen befallen
und bemerkte, dass die Hernie unbeweglich sei und dass die
Schmerzen von derselben auszugehen schienen. Ruhe und Um¬
schläge milderten die Schmerzen nicht, nach 2 Tagen wurde Ver-
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1320 • MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33.
fnsser gerufen, der tlle Hernie massig gespannt aber hartnäckig
den Taxisversuchon widerstehend fand. Trotz dem energischen
(iebranche eingreifender Mittel (wahrscheinlich Bäder und Abführ¬
mittel» wurde der Zustand in den folgenden 5 Tagen immer be¬
denklicher. der Leib trieb sich auf, die (iosiehtszügo verfielen,
der Puls wurde fadenförmig. KothbnK-hen trat ein u. s. w. Ver¬
fasser schlug die ITemlotomic vor. die von der Patientin zurück¬
gewiesen wurde. Puter diesen Umständen verordnete Verfasser
eine Mixtur von 20 cg Extraetum Belladonnae aquosum, 00 g
Wasser mul 30 g Orangenblüthensyrup. von welcher er alle
10 Minuten einen Kaffeelöffel voll verabreichen Hess. Unter dem
Gebrauche dieser Mixtur, die im Verlauf des Tages genommen
wurde, milderten sich allmählich die Einklemmungssymptome, der
Athein wurde tief, das Brechen hörte auf, der Puls schlug voll,
und als gegen Abend Verfasser die Bntchgesehwillst betastete,
schlüpfte sie unter seinen Fingern in die Bauchhöhle. Nach einigen
Tagen war die Kranke völlig hergestellt und bediente sich nun¬
mehr zur Sicherung eiues Bruchbandes."
,.2. Eine 70 jährige Frau mit einer grossen rechtsseitigen
Xchenkelhomio. die oft schwer zurückging, seit 20 Jahren bestand,
allmählich sich vergrössert hatte, und zumeist Darm enthielt,
wurde im September 1852 von Kinklemmungssymptomen befallen,
die rasch an Heftigkeit Zunahmen. Verfasser fand die Patientin
nach 2 Tagen in einem kläglichen Zustande, die gespannte Bauch¬
geschwulst widerstand allen Taxisversuchen. Die angegebene
Mischung mit wässerigem Belladonnaextrakt bewirkte auch hier
innerhalb 0 Stunden, dass die Bauehgosehwulst sich wie von selbst
zurückzog. Die Kranke genas bald und legte ein Bruchband an.
Als sich im Jahre 1 855 die Einklemmung in Folge des mangelhaft
gewordenen Bruchbandes wiederholte, führte Belladonna wiederum
zum Ziel."
„Die Beobachtungen 3 und 4 sind ebenso kurz geschildert und
bedürfen keiner besonderen Erwähnung."
„Verfasser hält sich zu folgenden Schlüssen berechtigt: 1. Die
nach und nach verabreichte Quantität von 20 cg Extr. Beilad.
aquos. reicht stets hin. um den beabsichtigten Erfolg zu erzielen.
2. Nie tritt ein Zustaud von auffallender Narkose ein, der die
Wirkung vermindern könnte. 3. Das Brechen, Aufstossen und die
Schmerzen hören schon nach den ersten Löffeln auf, die Kranken
zu quälen. Wenn auch schon Andere, wie P a e i n i, M a g 1 i a r i,
D e b reyn e u. A. auf die günstige Wirkung der Atropa Bella¬
donna aufmerksam gemacht haben, so misst sich Verfasser das
Verdienst bei, dieses Mittel so formulirt und methodisch in An¬
wendung gebracht zu haben, dass es alle anderen Mittel weit
hinter sieh zurücklässt.“
„Sind die Beispiele des Verfassers, wie stark zu bezweifeln,
wirklich wahr, so ergeben sie nichts Anderes, als dass zuweilen
die Eiuklemmungssymptome durch Narkotlsirung zum Nachlass
gebracht werden, und dass dann die vorher vergeblich versuchte
Taxis geliugt. Wer sich des Chloroforms zur Erleichterung der
Taxis öfters bedient hat, wird auch Fälle aufzuwelsen haben, wo
In der Chloroformnarkose die Ueposition ziemlich leicht erzielt
wurde, allein in ebenso vielen, vielleicht in noch mehr Fällen hat
man Gelegenheit, sich zu überzeugen, dass auch das Chloroform
fehlschlägt. Au ein solch«** Fehlschlagen eines ähnlich durch
Narkotisirung wirkenden Mittels denkt aber Verfasser gar nicht;
Belladonna muss helfen, denn sie hat ja in 4 Fällen geholfen, und
merkwürdiger Weise, der Bruch hat sich unter Einwirkung der
Belladonna gewlssermaassen von selbst zurückgezogen. Wir aber
rathen einem jeden Arzte, ja nicht auf das spontane Zurlickziehen
eines eingeklemmten Bruches durch Belladonna zu warten, wo keine
Zeit zu verlieren ist, und halten uns auch überzeugt, dass Niemand
die dreisten Behauptungen des Verfassers für baare Münze
nehmen wird.“
Soweit das Bef erat und die Reeenslon. Ich bemerkte schon,
dass die oben erwähnten anderen französischen Autoren demselben
Kritiker in die Feder gerathen sind. Dasselbe Geschick hat
ferner noch A d e t de It o s e v i 11 e lietroiTen. der in der „Gazette
des liöpitaux“ 18(51 iil>er erfolgreiche Anwendung von Belladonna
bei eingeklemmter Hernie berichtete. Auch die vereinzelt da¬
stehende Meinungsäuserung des Deutschen J. Hoppe in der
„preussisclieu Vereinszeitung“ vom Jahre 1851), der die Möglichkeit
einer günstigen Beeinflussung von eingeklemmten Brüchen durch
Belladonna zugibt, ist von demselben ltecensenten abgeführt. Es
ist nicht meine Aufgabe, die Itecension der Laru e’schen Fälle
selbst noch zu rdeensiren, ich überlasse das gern Jedem, der sie
ohne Voreingenommenheit durchliest. Ich habe sie auch nur dess-
halb so ausführlich gebracht, weil sie lehrt, wie eine abfällige
Kritik in einem so viel gelesenen Blatte, wie es die Schmidt'sclien
Jahrbücher sind, auf weitere Kreise wirken kann. Der Doktrinaris¬
mus hat da einmal wieder einen Triumph gefeiert, dessen Folgen
die späteren Angaben Fleming’s in „Edinburgh med. Journ.“
Bd. 8 über die Brauchbarkeit der Belladonna und des Atropins
bei hartnäckiger Obstruction kaum abzuschwächen vermochten.
Ebenso geringen Erfolg hat der bekannte Wiener Pharmakologe
Schroff gehabt, der 1873 in seinem Lehrbuche der Pharmako¬
logie den Satz ausspricht: „Bei krampfhafter Einklemmung der
Gedärme, so namentlich bei Nabelbrüchen, bei Ileus, sah ich von
grösseren Gaben (Belladonna) die günstigste Wirkung.“ — Er em¬
pfiehlt weiterhin zum Inneren Gebrauche eine Tinktur aus einem
Theile der trockenen Wurzel der blühenden Pflanze zu 5 Theilen
Spiritus. Die Dosis ist 1—10 Tropfen.
Für die Anwendung der Belladonna spricht sich schliesslich
noch lt. Köhler im II. Bande seines „Handbuches der spoc.
Therapie“ 1868, 8. 210 aus. Es heisst da: „Bei der erregenden
Wirkung schon kleiner Gaben Atropin auf den Sympathicus be¬
greift man die bisweilen ausgezeichnete günstige Wirkung der vou
Bretonneau und nach ihm vou Trousseau dringend em¬
pfohlenen Belladonna oder des Atropins (Martin); theoretisch
passt sie bei der vorliegenden Form der Verstopfung (es ist von
hartnäckiger Obstructio alvi die ltede). empirische Regeln fehlen."
Die Benutzung von Belladonna bei Ileus erwähnt R. Köhler
weiterhin auch, aber nur mehr beiläufig.
Das Ende dieser geschichtlichen Notizen, die, wie wohl nicht
noch besonders zu bemerken, auf Vollständigkeit keinen Anspruch
erheben können, mögen noch zwei Urtheile bilden, die rein theo¬
retischen Erwägungen entstammen. H. Köhler bespricht die
Anwendung der Belladonna bei den in Frage stehenden Darui-
aSektionen in seinem „Handbuch der physiologischen Therapeutik"
187(5, 8. 1015 mit folgenden Worten:
„Endlich hat man auch Ileus und incarcerlrte Hernien, Dank
der Eingangs erwähnten Wirkung der Belladouua auf die iutra-
imisculäreu motorischen Nerven heilen zu können geglaubt.
Roll on de St. Foix (Bull, de Tlierap. X. 1836) und aus
neuester Zeit L a r u e (Gazette de liöpitaux 53. 55, 1872i und
G a 111 e i e r (Bull. gön. de Tlierap. LXXX. 13, 1873) haben in der
Thnt Fälle dieser Art beschrieben. Dass Ileus dadurch Irgendwie
alterirt wird, müssen wir bestreiten; bei eingeklemmten Hernien
wirkt die eingeriebene Belhulonnasallie in erster Linie lokal
annestheslrend, so dass die Taxis weniger Schmerzen macht, der
Kranke fügsamer wird und somit die Reimsitlon erleichtert wird:
die Erschlaffung spastisch kontrahirt gewesener Muskeln durch das
Mittel hat jedenfalls an den erlangten günstigen Erfolgen nur ge¬
ringen Antheil.“
Husemann endlich stellt ln seinem „Handbuch der ge¬
summten Heilmittellehre“ 1883, S. 1089 fest, dass „kaum ein¬
zusehen ist, wie Bellmlonuaklystiere oder gar die Einreibung von
Belladonnasalbe bei incareerlrten Hernien wirken soll.“
Für die Entwickeluugsgeschlclite «1er Pharmakotherapie ist ein
Objekt, wie das vorliegende, ebenso interessant, wie bedeutungs¬
voll. Ein Arzneimltel wird aus Irgend einer Indieatlon heraus für
eine bestimmte Krankheitsgruppe empfohlen und benutzt. Die
praktische Erfahrung bestätigt dessen Brauchbarkeit. Eine ge¬
wisse Zeit lang bleibt das Mittel in der Hand der Aerzte, es kommen
neben guten auch schleckte Resultate bei seinem Gebrauche heraus.
Das ist selbstverständlich: Wir haben keine Panaceeu und werden
sie nie besitzen. Ist das erkrankte Organ nicht fähig, in nutz¬
bringender Weise auf den Arzneireiz reagiren zu können, dann
versagt das Arzneimittel. Aber die ersten 40 Jahre des vorigen
Jahrhunderts haben doch das gelehrt, dass die Belladonna für be¬
stimmte Darnmffektiouen werthvoll sein kann. Jetzt setzt die
Theorie ein. Da das theoretische Wissen zur Zeit nicht ausreichte,
die praktisch bestätigte Wirksamkeit der Belladonna genügend zu
erklären, wurde der grosse Fehler gemacht,, von vornherein über¬
haupt die Möglichkeit abzustreiten, dass die Belladonna in der ge¬
wünschten Weise leistungsfähig sich erweisen könne. Die Theorie
hat ihre Grenzen, innerhalb deren sie sich nach Belielien bewegen
kann. Sobald sie diese überschreitet, leidet die Praxis. Anstatt
einfach einzugestehen: Unser Wissen langt zur Zeit noch nicht
aus, die Beobachtungen zu erklären, die bei Anwendung eines
Ar/neistoffes am Krankenbette gemacht werden, dekretirt die
Theorie von oben herunter: An den ganzen Beobachtungen ist
nichts daran, denn sie lassen sich nicht erklären. Man wird zu¬
geben. dass darift eine ganz besondere Art von Logik steckt. Es
ist die reine Dogmatik, die sich auf solcher Grundlage ent¬
wickelt. Sie bedeutet in der Medicin und ganz besonders auf dem
Gebiete der Pharmakotherapie einfach Stillstand und aus ihm
heraus Rückschritt. Den Schaden hat die Praxis und das auf sie
angewiesene Krankenmaterial. Und kommt dann nach geraumer
Zeit die Wahrheit doch wieder nach oben und bestätigt, wie Recht
damals die Praktiker hatten, als sie den von der Theorie ver-
Avorfenen Weg gingen, so ist doch eine schöne Zeit verloren, die
nicht wieder eingebracht werden kann. Grade bei solchen Fragen,
wie die ist, die uns hier beschäftigt, ist die Aufgabe der Theorie
ganz genau gegeben: Von der Erfahrung der Praxis ausgehend,
hat sie ihr ganzes Wissen und Können dahin zu concentrireu
herauszubekommen, wesshalb es möglich ist, dass sich eine Arznei-
Avirkung so gestaltet, wie die Praxis es lehrt. Ein solches Hand
in Hand gehen beider Arten wissenschaftlichen Arbeitens behütet
die Pharmakotherapie ebenso vor dem rohen und unwissenschaft¬
lichen Empirismus, wie vor der Gefahr, sich durch eine unge¬
nügend entwickelte Theorie eiues Materiales berauben zu lassen,
das in so manchem Falle, wie das tägliche Leben des Arztes ihn
mit sich bringt, seine Leistungsfähigkeit hätte erweisen können *>.
Referate und Bücheranzeigen.
Hugo Starck: Die Divertikel der Speiseröhre. Mit
2 Abbildungen im Text. Leipzig 1900. Verlag von F.C.W. Vogel.
206 Seiten.
Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, durch eine
Sammlung des gesammten klinischen und pathologisch-anatomi¬
schen Materials über die Oesophagusdivertikel von Neuem auf
*) Beim Lesen der Korrektur erhalte ich nocli einen Aufsatz
A'on O. v. Bolten stern, „Aerztllche Monntschrift“ 1901, No. 7.
über Atropinbehnndluug des Ileus, ln dem sich die Angabe findet,
dass 1788 der bekannte General-Chirurge T h e d e n sebou gegen
Ileus Belladonna nngeAvendet hat. DerVollständigkeit halber möge
diese Mittheilung hier noch Platz finden.
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13. August 1901. MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 1327
dies** wichtige uml interessante Krankheit näher einzugchen, das
Ncuorforschte zu dem Bekannten und Altbewährten zu tragen
und so unter Berücksichtigung und Abwägung alter und neuer
Ansichten eine zusammenhängende Darstellung über das ganze
die Oesophagusdivertikel berührende Gebiet zu geben. Durch die
eigene klinische Beobachtung mehrerer Fälle aus der medicini-
schen Klinik und durch das Studium pathologisch-anatomischer
Präparate aus dem pathologischen Institut in Heidelberg hatte
der Verfasser Gelegenheit, wichtige neue Beiträge zur Lehre von
den Divertikeln der SjM'iseröhre zu liefern.
Zunächst werden die T r a c t. i o n s d i v e r t i k e 1 be¬
sprochen. Die verhältnissmässig grosse Häufigkeit wird betont,
seitdem durch die grundlegende Arbeit von Zenker und
Ziems sen die Aufmerksamkeit hierauf gelenkt wurde. Die
Tnietionsdivertikel haben ihren Sitz ausschliesslich an der vor¬
deren oder seitlichen Oesophaguswand in der Höhe der Bifur-
cation oder direkt darunter, ein Verhalten, welches in dem Ur-
sprung «1er Divertikel von pathologisch veränderten bronchialen
und trachenlen Lymphdrüscn (Anthracose. (-halicose) aus seine
Erklärung findet.
95 Divertikel wurden bei männlichen, 69 bei weiblichen
Leichen gefunden. Die Diagnose ist bisher in keinem Falle
intra vitam gestellt worden. Vielleicht ist. hier von der Oeso-
phagoskopie Besseres zu erwarten. Der Verlauf ist meist sym¬
ptomlos, wie auch zwei eigene Fälle des Verfassers lehren. Die
(»«-fahr der Tractionsdivcrtikol liegt besonders in der Möglichkeit
einer Perforation (10 Pme.) des Divertikels und der Infektion
«ler Fmgi-bung d«*s Oesophagus mit Entzündungserregern aus
«ler Speiseröhre, ferner in «ler Möglichkeit der Entstehung von
Carcinom und in «l«*r Ausbildung von Tractions-Pulsionsdiver-
tikeln. Die Therapie wird si«h — für die Zukunft die Diagnose
vorausgesetzt — in Anbetracht, der Lago un«l <]«>r Natur «ler
Tractionsdivertikel auf die Hygiene der S|>eiscaufnähme he-
M’hranken müssen.
Den grössten Theil «l«*r Monographie nehmen die weit wich
tiger«*u P u 1 s i o ii s «1 i v e r t i k e. I (Zenker), phnryngo-oesn-
phageale Pulsions«livertikel, ein. Puter Z e n k er’sehen Pulsions¬
divertikeln verst«>ht Stare, k sackförmig«“ Ausstiilpungi-n
«ler hinteren oder seitlichen Schlundwand an der Grenze
von Schlund und Speiscnölm*, welche durch einen kon-
tinuirliehen Tnneiulrnck entstanden oder weiter ausgebildet
worden sind (pharyngo-oesophagi'ale Pulsionsdivertikel). Der
Verfasser verfügt über 7 eigen«* Fälle. (Die selten verkom¬
menden pharyngealen Pulsionsdivertikel werden kürzer be-
spr*H-ln'ii. genauer am Schluss «lie «» e s o p h a g e a 1 o n Pulsions-
«livertikel.) Die erste Ursache «Fr Z e n k e r’sehen Pulsions-
divertik«*l kann in «lein koutinuirliehen Andrängen «ler Speisen
«»der in einem akuten Trauma (ohne grösseren Schleimhautdcfckt)
liegen. Das Divertikel ln« teilt. in seinen ersten Anfängen in ein<>r
mir lei«*hten Ausstülpung der Wand, später in einem saek-
fönnigen Anhang.
Das umstrittene Kapitel der Aetiologie «ler Zenker-
M-hen Pulsionsdivertikel winl eingehend erörtert. Verfasser lehnt
«lie Theorien «ler «•ongenitalen Entstehung ab und begründet aus¬
führlich die Richtigkeit «l«»r mechanischen Theorie eines er¬
worbenen Leidens. Die Pulsi«»nsdivcrtikel sind ein seltenes Vor¬
kommnis. Die Tabelle iilx*r sämmtliehe btvehriehene Pulsions¬
divertikel (Zenker) umfasst 93 Fälle, die Tabelle der pharyn¬
gealen Divertikel 6 Fälle. Die Z c n k e r’sehen Pulsionsdivertikel
kommen bei Männern weit häufiger vor als Inn Frauen.
Na«-h der „Anatomie“ folgt Symptomatologie
ui:«l Diagnose. Ein vollständiges Krankheitsbild wird zu¬
nächst. in sehr anschaulich«?!* Weise entworfen, wie es einem
•sliweren Falle mit Ausgang in Hungertod entspricht. Die Sym¬
ptom«* werden eingetheilt- 1. in Prodromalerseheinung«'n und
2. Symptome «les Divert ikclsaekes fa) direkte* Symptome:
Suin»sen«TScheinung«*n, Art des Essens, Regurgitation. Hals-
g«-*eh willst, Halsg«*räusche, S<*hmerzen, Foetor ex ore; b) indirekte
Symptom«*: Druck auf Umgebung, Sehhickbeseliword«*n, Re-
*l»irationsstörungen, Kopfcnngcstioncn, diffuser Brustschmerz].
Ks folgen: AUgemcinlxdindcn, Komplikationen. Für die Dia¬
gnose ganz besomlers wichtig ist die Anamnese (Beginn, Sic*
noscnerschci innigen,Wanderung dos Hindernisses, Regurgitation.
Essmethode). Der Untersuchungsbefund erstreckt sich auf «lie
Ifalsgeschwulst, die Resultate der Percussion, Oesophagoskupic,
Sondirnng, Röntgenphotographi«', Durchleuchtung mit Ein-
h o r n’sehor Lampe. Tu einem einigermnasson vorgeschrittenen
Fall ist heute die Diagnose intra vitam sicher zu stellen, währeml
früher «lie Bestätigung dersellxm durch die Sektion verlangt
wur«le.
D«*r folgende Abschnitt lautet: Prognose und Thera¬
pie. Die früher sehr schlechte Prognose ist unter d«*r chirur¬
gischen Behandlung bedeutend besser gewor«l«*n. Bis jetzt sind
13 Heilungen liekannt; all«* stammen aus den l«*tzt«*n 13 .lallreu.
D«*n Divertikelkranken ist unbedingt- «li«' Op«*rati«>n zu rat-hen.
deren Mortalität, allenlings noch etwa 20 Pme. beträgt.. Di"
symptomatische Behandlung verdient jc«loeh eingehende Berü«*k-
siehtiguug für die nielit wenigen Fälle, welche die Operation ver-
weigern. Die Hehandluug der Stenose mit d«*r Sonde ist zuerst
zu nennen; si«> bezweckt, die. Schwelle des Divertikels nach unten
zu drängen, «len Eingang in «len Oesophagus zu erweitern, und
zur Fütterung zu dienen. Die Anwendung der Sonde orfonlert
Vorsi«*ht un?l Ge'«*hi«*k. Bei der Indieatio morbi kommt fast, nur
die Operation in Betracht. Die vers«*hi«*dene.n Methrxlen: Gastro¬
stomie. Exstirpation und Gastrost«nni<‘, Resektion. Invaginatiou '
werden ausführlich hesproch«*n. Am häufigsten (15 mal mit
4 Tndoj»fäll«'iil wurde «lie R «• s <* k t i o n ausgeführt. (N i eh a u s,
Bergmann. Kocher u. A.). Unter 24 0|>erirten im Ganzen
sind 8 Todesfälle: in den letzten Jahren sind die Resultate weit
besser als fviih«*r. Tn den operativ geheilten Füllen ist. «ler Effekt
fiir «lie Kranken «-in ausg«*zei«*hneter.
Der letzte Ahs**hnitt. enthält. die Bespivchung «ler «» e s o p h a
goalen P u 1 s i <» n s<1 i v e r t i ke 1. die ihren Sitz im Verlauf
des Oesophagus zwischen <»lw*rom Faid«* und Kardia haben können.
Die oesophagealen Pnlsionsdiv«*rtikel sind bisher am wenigsten
beachtet \vor«len. Bish«*r sind 27 F'älle lx“kannt, denen St. noeli
« inen bisher nicht lx*sehri«*benen Fa 11 aus d<*m pathologischen
Institut zu Heidelberg hinzufügt. Die Aetiologie ist wahr¬
scheinlich nicht cinh«*itlich. Die Entstehung aus Tractmns-
divertikeln (Traetions-Pulsioimlivertikel) ist. für «lic Mehrzahl
«ler Fälle anzunehmen; «li«' Möglichkeit einer «•ongenital« , n An-
lag« 1 ist aber hier zuzug«*hen. Der Sitz ist. in der vorderen oder
seitlichen Wand. 14 F'älle sind klinisch lieoba eiltet. davon 4 durch
die. Sektion bestätigt. Das klinische Bild der Krankheit gleicht
demjenigen «1«*r Z e n k e r’sehen Divertikel. Di«’ Diagnose* ist
schwierig, sie wird g«‘stellt durch besondere Verfallr«*n «l**r
Sondpiiiinter.-indiung. Di«* Prognose ist kein«? günstige, woun-
gl«*ich Besserungen crrcieht werden. Die Flxstirpation «los Rn«*kes
käme au«*h hier in F’rag«*. Bei der bisher heohaehteten geringen
Zahl <l«*r Fälle harren n«x*h manche. F'rag«*n «ler Lösung.
Das T, i t «• l* aturverzoi c huiss umfasst, nach J ahr-
gängen übei*si«*htlieh geordnet, wohl alle Arbeiten über Divertikel
der Speiseröhre.
Das Studium des Buches zeigt dem Leser, dass der Verfasser
seine Aufgabe in vorzüglicher Weise gelöst hat. Wir halten ein"
Monographie vor uns. welche das gesammte Gebiet d«*r Divertikel
«ler Speiseröhre in ers<*hüpfon«ler Weise behandelt. Di«'ser Zw«*ig
«ler Pathologie hatte seit der Publikation von Zenker und
Ziem sse n keine eingehende Bearlxütung gefunden, obwohl
di»s«'s Gebiet ein grösseres Interesse verdient, als ihm vielfach
«•ntgogengebracht wird. Das Werk des Autors zeigt uns in an-
s«‘.haiili«*her Weise, «lass seitdem auch hier erfreuli«*he Fortschritte
genmehf wurden, an wel«*hcn «*r seihst Mitantheil hat. Wir h« -
griissen in dein Werke eine sehr fleissige Arlx*it. welcher in
unserer Literatur «lie verdiente Würdigung gebührt.
W. Z i n n • Berlin.
Prof. Dr. Hofmeister in Tübingen: Verbandtechnik.
Tübingen. La u pp’sehe Buchhandlung. 1901. Und:
P. H. van Eden, Direktor des Krankenhauses in T/eu-
warden: Verbandlehre. Mit einem Vorwort von Prof.
A. Naratli in Utrecht. Jena, Verlag von (Just. Fischer.
1901.
Diese beiden Bücher sind fast zu glei«*h«*r Z«*it ers«*hieii«‘ii.
Hof meiste Fs Verhandte«*hnik. ein handliches Büchlein v«m
106 Seiten und mit 107 Abbildungen, ist so recht für den Stu-
direuden und angehenden Arzt berechnet. Festerem bringt «*s.
„um ihn an ein exaktes Arbeiten zu gewöhnen“, «li«* S«*hulverl»iindc
mit peinlicher G«*nauigkeit, d«*m Arzte „das praktisch Frprobte
in knapper und doch gründlicher Form“. Van Eden’s Vcr-
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MTTENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
1328 '
lwmllchrc ist ein stattliches Ruch von 19;” Seiten mit. 225 Ab¬
bildungen, das, wie Verfasser wünscht, nicht bloss dem prak¬
tischen Arzte und Studirenden, sondern auch Krank<*npflegern
und -pfle^rerinnen als Rathffeber dienen soll.
Beide Bücher bieten neben den allgemein üblichen klassischen
Verbänden eine Reihe von verschiedenen technischen Maass-
nahmen, die sieh den Autoren im Laufe der Jahre, als besonders
geeignet erprobt haben. Hofmeister liess die Abbildungen
von einem Zeichner in lmlhschematisolier Weist* anfertigen; der
Verband wird hiemit der Art dargestcllt. wie er bei idealer Aus¬
führung sein soll. Ausserdem wurden — wie schon in älteren
Werken zu sehen — die Bindengänge mit Zahlen versehen, um
so das Anlegen des Verbandes zu erleichtern.
Van Eden’» Buch erfreut sieh in seinem Vaterlande
Holland jetzt, wie aus Karat h’s Vorrede zu entnehmen ist,
allgemeiner Verbreitung und verdankt diesen Erfolg „in erster
Linie seinen fast durchgehend» prachtvollen, instruktiven und
dabei naturwahren Abbildungen“. Sit* sind Reproduktionen
photographischer Aufnahmen von Verbänden, die van Eden
selbst angelegt hat und denen der Text „mehr oder weniger als
Erläuterung“ hinzugefügt ist. Auch Referent, der diese Art der
Reproduktion in seiner Verbandlehre zum ersten Male amvandte.
kann nicht umhin, die Vorzüglichkeit der grössten Anzahl der
Bilder lobend zu erwähnen. Klnussner.
Synoptische Tafeln zur Diagnostik der Herzklappenfehler,
nebst anatomisch-physiologischen Schematas des Circulations-
apparates für Aerzte und Studirende. Bearbeitet und ge¬
zeichnet. von Dr. L. Vorstädter. 5 Tafeln mit 27 kolorirten
Schematas, darunter ein transparentes und ein verschiebbares
zur automatischen Einstellung der Diagnosen. Berlin 1901. Ver¬
lag von A. H i r s c h w a 1 d.
Verfasser stellte sieh zur Aufgabe, sünnntliehe- Elementar¬
kenn tnis.-e. welche zur physikalischen Untersuchung des Herzens
unentbehrlich sind, darunter auch die dazu gehörigen anatomisch-
physiologischen Daten schematisch zur raschen Orientirung für
Aerzte und Studirende «larzustellen. Man muss diese Absicht
jederzeit bei der Bcurtheilung des Buches sich vor Augen halten,
um gegen dasselln* nicht ungerecht zu werden. Denn das „Sche¬
ma! Lehe“ tritt an demselben allerorten stark in den Vordergrund
und besonders lxim ersten Anblick der einem Ziehbilderbuch
iiusserlich verwandten Tafel, mittels welcher man im Nu die Aus-
eultationspliaenomene bei den verschiedenen Herzklappenfehlern
sieh einstellen kann, wird der Autor nicht sehr viele so ernst¬
hafte Leser seines Buches finden, «lass sie eines Lächelns sich ent¬
halten können. Für Anfänger halte ich derartige Dinge für aus-
gezcichneto Mittel, um sich des Denkens in gefährlichem Grade
zu entwöhnen; für R«*p«*.titionszweck«* kann man ja ein Auge zu-
<1 rücken. Sehr hübsch ist dagegen die schematische Darstellung
einer Herzevolution dem Autor gelungen: sie fördert direkt das
Verständnis.» des Vorganges. Auch die schematischen Tafeln
4 und 5 sind ganz instructiv ausgefallen. Hinsichtlich des natur-
gomäss knapp gehaltenen Textes möchte ich noch einige Einzel¬
heiten erwähnen: die vom Verf. vertretene Th«*orie über die Ent¬
stehung des Herzspitzenstosses entspricht den neuesten Anschau¬
ungen nicht, ebenso wenig bekennt sieh Verf. zu der jetzt wohl
am Besten begründeten Theorie von der Automatic des nerz-
musk«ls. sondern ist noch Vertreter der Herzganglientheorie.
D«*r Satz, dass reim* Hypertrophie des Herzens keine Vcrgrösse-
rung der Herzdiimpfung hervorrufen kann, darf auch als im
Widerspruch mit den Anschauungen sehr vieler Autoren be-
zciehnet werden. Der Anhang über «lie Sphvgmomanometrie und
der sehr dürftige Torso über die speeielle Pathologie der Herz¬
krankheiten am Schluss«* des Buche» ltcdürftcn einer Erweiterung
oder des M eg falle«. Auch harren viele Druckfehler des Stiftes.
Das Buch wird seine Liebhaber finden.
O r a s s m n n n - München.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 30.
A. 4 o I 1 «• s - Wien: Ersatz für die Kjeldalbestimmung im
Harn für klinische Zwecke.
Verfasser gibt durch eine volumetriseln* Sticksioft’bestiininung
einen Ersatz für «li«> etwas umständliche und zeitraubende Kjeldai-
melhode. Das Vorfahren des Verfassers beruht auf der Oxydation
«1«*» Prins mit Pormanganatiösung in schwach saurer Lösung iu
der Siedehitze bis zum Bestehenbioiben der Ilothfärbung. darauf
folgender Neutralisation und Entwicklung des Stickstoffs in einen«
Azotometer mit Schüttolgefäss. Zieht man die quantitativen Stick-
stoffverlüiltnisse im Harn in Erwägung, so findet man. dass diese
Substanzen, nämlich: Harnstoff, Harnsäure, Purinbasen, Ammo¬
niak. Hippursäure. Oxalursäure, Karbonsäure, Allantoin. mehr als
90 Pro«*., wahrscheinlich 95 Proe. des gesammten im Harn ent-
lialteneii Stickstoffs ausmaolien. Es bleibt also nur ein sehr kleiner
liest von Substanzen übrig, die dem Nachweise mit der Methode
des Verfassers entgehen. Er Hat eine Reihe von Bestimmungen
mit seinem Verfahren und nach Iv j e 1 d a 1 ansgeführt und In einer
Tabelle zusammengestellt. Man ersieht daraus, dass seine Methode
thnl sächlich annähernd richtige und für klinische Zwecke meist ge
niigeml genaue Wortlie ergibt. W. Zinn- Berlin.
Centralblatt für Gynäkologie. IDol. No. 30 u. 31.
No. 30. 1) Oscar P o 1 a n o - Greifswald: Eine neue Methode
der Behandlung chronischer Beckenexsudate.
Die Methode besteht in der Heissluftbehnndluug.
für die P. einen eigenen Apparat anfertigen liess. Die Methode
empfiehlt sieh vor Allem bol chronischen Beckenexsudaten: 1*.
verwendete sie ausserdem bei Infiltration der Bauchdeeken nach
Laparotomie, Oedem der Labien bei einer Gravida, Hysterie un«l
Aktinomykose. Neben der objektiven Besserung war vor Allem
das fast momentane Aufhören vorhandener Schmerzen auffällig.
P. lässt Anfangs 20 Minuten bei 120° schwitzen, steigt in den
nächsten Tagen und kann nach 8 Tagen selbst empfindliche Frauen
:: i Stunden lang 139—ISO” aussetzen. Die sohweisstreibende Wir¬
kung ist kolossal. Nach der Abtrocknung erhalten die Frauen
ein Handtuch mit Watte um den Leib und bleiben eine Stunde
lang im Bette.
2« Wilhelm L e u b e - Konstanz: Ueber Nabelschnurversor¬
gung der Neugeborenen.
L. empfiehlt folgendes Verfahren: Nach dem Bade wird die
Nabelschnur >/. cm vom Hautrande entfernt mit einem dicken
ratgutfaden (No. 91 unterbunden in der Art. dass nach Setzen
der 2 ersten Knoten mit dem Faden nochmals um die Nabelschnur
horumgeganeen wird und auf der entgegengesetzten Seite 2 weiten*
Knoten fest geschnürt werden. Darauf wird über der Ligatur
die Nabelschnur kurz nbgcschnittou. Der Stumpf wird mit
Diachylonpuder bestäubt und mit st«*riler Watte verbunden. Von
100 also behandelten Kindern ist nur ein einziges mit Fungus
umbilicalis entlassen worden: Nachblutungen kamen nie vor.
Das einzige Bedenken g«*gen die Methode ist das event. Uebcr-
selien einer Omphalocele congenita, worauf also stets geachtet
werden muss.
3) P. Mathes-Graz: Die Gefrierpunktserniedrigung des
mütterlichen und kindlichen Blutes.
Nach Volt’s Untersuchungen besteht eine vermehrte De¬
pression im kindlichen Blute, somit eine erhöhte molekulare Coa-
centration «lesseiben. Krön lg und Füth kamen zu abweichen¬
den Resultaten. M. wiederholte die Untersuchungen V e I t’s. fand
jedoch nur Differenzen von höchstens 0.03°: in einigen Fällen lag
sogar der Gefrierpunkt des kindlichen Blutes höher als der des
mütterlichen. M. kann sich daher den V e i fachen Schlussfolge¬
rungen ebenfalls nicht anschlicssen.
41 .7. A. A tu a n n - München: Bemerkungen zu Macken-
r o d t’s Aufsatz: „Die Radikaloperation des Gebärmutter¬
scheidenkrebses mit Ausräumung des Beckens“ in d. Bl. No. 27,
p. 789. (Rcf. in der Münch. m<*d. TVochonschr. No. 29. p. 1189.1
Richtigstellung einiger Angaben von Mackenrodt üb>*r
A.’s extraperitoneale, bezw. transperitoneale Methode der Ex¬
stirpation des oareinonmtösen Uterus.
No. 31. D .W. Z a » g e m e i » t er - Leipzig: Geber eine
seltene Art von Dammrissen (Vulvaporrhexis).
Z. beobachtete in 2 Fällen bei Primiparis kompllzlrte Damm
risse, die ihm geeignet erscheinen zur Erklärung für die Ent¬
stellung von centralen Dnmniruptur«*n. Es handelte sich jedesmal
um «*ine Abreissung d«*s Vulvarings. Damm und Labien, von dem
Vaginalrohr vor dem TTvmen einerseits und vom Analring anderer¬
seits. Die Brücke zwischen Damm- und Onerriss blieb stehen.
Die Entstehung denkt sieh Z. durch eine Abreissung der Scheid.’
von der Vulva, dadurch Verschiebung der Vulva nach vorn. oben.
Verlängerung des Dammes und Abreissung desselben vom Anal¬
ringe. Z. sehlägt vor. dies-* Rupturen als „Vulvaporrhexis“
zu bezeichnen.
21 P i o t r o w s k i - Krakau: Die Verwendung des Protar-
gols zur Verhütung der Augeneiterung Neugeborener.
P. hat schon früher das Protargol in 20 proe. Lösung gegen
Bleimorrhoea neonatorum empfohlen. Da Zweifel diese Lö¬
sung wi'geii der dadurch hervorgerufenen Reizerseheinungen ver¬
worfen hat. machte P. jetzt mit einer 10 proe. Lösung Versuche,
«lie sehr zufriedenstellend nusfielen. Unter 1030 Fällen sanken
die Reizerseheimmgen von 39 Proe. auf 10 Proe.. wobei «li*‘
Reaktion nie länger als 3 Tage währt«*. Sekundärkatarrhe be¬
obachtete P. nur in 1.2 Pme. der Fälle. Die Anwendung geschah
derartig, dass unmittelbar nach der Geburt nach vorheriger Reini¬
gung «b*r Augenlider mit 3 proe. Borlösung der Conjunetlvalsack
gründlich mit 10 proe. ProtnrgollOsung «lurchspült wurde. Nach
P. ist das Protargol in 10 proe. Lösung berufen, den Höllenstein
zu ersetzi-ll.
31 L a u b e n b u rg-Remscheid: Zur Behandlung der chro¬
nischen Metritiden.
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13. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1329
L. empfiehlt von Neuem die lokale Blutontzichuug als gutes
Mittel gegen chronische Metritis, wie sie von S p i e g e I b e r g.
Schröti e r, F r i t s e h u. A. stets geloht worden ist. Kr maelit
1»—(i tiefe, longitudinale Schnitte durch jede Muitermuudslippc.
lasst etwas nachhiuten und tamponirt dann mit .foiloformgaze.
Auch Ini allgemeinen flrculationsstörungen, Neuralgien und Dys¬
menorrhoe ist «Ile lokale Blutentziehung von Erfolg. Neue <le-
sichtspunkte bringt L.’s Arbeit übrigens nicht.
4» Mnrk G e r s c h u n - Kiew: 2 Fälle von Missbildung des
weiblichen Genitalsystems.
2 Fälle von angeborenem Defekte der inneren Genitalien;
im 1. Fall (22 jährigds Mädchen) bestund noch ein 4 cm langer
Blindsack als Vagina; im 2. Falle (2(1 jährige Arbeiterin» fand si.-!i
nur eine schlaffe Schleimhautfalte an Stelle des Introitus vagina«*.
Die Kectalnntersuclmug ergab in beiden Füllen Fohlen jeglicher
innerer Genitalien. Beidemal waren Molimina menstrualia od *r
irgend welche vicarlirende Blutungen nicht vorhanden.
J a f f C* - Hamburg.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1 9U l
Bd. 37. 3. Heft.
1) W. S 11 b e r s c h tu i d t - Zürich: Ueber Aktinomykose.
Auf Grund von Literaturstudien und S selbstbeobnclitePn
Fülle kommt Verfasser zu dem Schluss, «lass die bisherige An¬
nahme, die Aktinomykose sei eine specilische, «lutvh einen
einzigen Organismus hervorgerufene Krankheit, falsch sei,
irnlern eine Keihe verschiedener Erreger im Stunde seieu, das
typische Kraukheitsbild hervorzurufen.
Kein einziger von seinen isolirten Stämmen entspricht in
seinem morphologischen Verhalten dem von Bo ström bosrhrit*
lienen. Auch mit den von Israel uu«l Wolf beschriebenen
Stämmen ist nur eine gewisse Aehnllehkeit vorhanden. Silber-
Schmidt glaubt, schon jetzt 3 verschiedene Typen von einander
unterscheiden zu können. 1. Aerobe, mit dem Nährboden fest
verwachsen, Gelatine verflüssigend. 2. Aerobe, mit dem Nähr¬
boden nicht verwachsen, ohne Ausläufer, Gelatine nicht ver¬
flüssigend. 3. Anaerobe, Ausläufer in den Nährböden, kein Wacln-
tümu auf Gelatine. Nebenbei zeigen die Stämme aber auch noch
eine erhebliche Variabilität; so dass ihre Abgrenzung gegen
einander schwer wird.
Die A e t i o 1 o g i e ist immer noch dunkel. Mischt n t' c k -
t i o u e n scheinen bei der Krankheit keine wesentliche Bolle zu
spielen.
2> Aldo C a s t e 11 a u i - Florenz: U9ber das Verhältniss der
Agglutinine zu den Schutzkörpern.
Ueber die Frage, ob zwischen der Entwicklung des A g g 1 u -
tinations- und des 1 m m u u i s i r u u g s v e r m ö g e n s im
lebenden Körper ein gewisser Parallelismus, der von einig« 1 !!
Autoren angenommen wird, besteht, stellte Verfusser Versuche
an Kaninchen au, vermochte diese Annahme aber nicht zu be¬
stätigen. Wohl können Tliiere, die mit Kulturen eines Organismus
geimpft sind, in Ihrem Serum Agglutiuiue entwickeln, brauchen
jedoch keine Schutzkörper gleichzeitig zu bilden. Es geht auch,
falls Agglutlnatlous- und Schutz vermögen g 1 e 1 c h z e i t i g ge¬
bildet sind, ersteres früher verloren.
3> Symanskl - Königsberg: Einige Desinfektionsversuche
mit einem neuen Desinflciens „Lysoform“.
Lysoform, dessen genaue chemische Zusammensetzung
noch nicht bekannt g«!geben ist, scheint vor dem Lysol «len Vor-
tliell der Ungiftigkeit voraus zu haben, wenn auch seine Des-
iufektiouskraft die des Lysols nicht ganz erreicht. Die Versuche
zeigten, dass Milzbrandsporen in 3proc. Lösung in 8 Stun¬
tion abgetödtet wurden. Staphy lococcen Im Eiter starben
in 2 proc. Lösung in 5 Stunden. Intraperltoneule Einverleibung des
Lysoform in kleinen Mengen tödtete die sehr empüudlicheu M eer-
s c h w e i n c h e u. Mäuse blieben am lieben.
4) Markl-Wieu: Weitere Untersuchungen über die Pest-
toxine.
Die neuen Untersuchungen M a r k l’s stimmen mit seinen
früher gefundenen Resultaten überein und ergebeu im W«*sent-
liclien Folgendes: In Bouillonkulturen bilden sich unter aeroben
Verhältnissen aus frisch isolirten Pestbacterieu stets lösliche
Gifte. Es Ist möglich, durch vorsichtige Einführung steigender
Mengen Pestgift, Giftigkeit hei Thieren herbeizuführen. Zur Ge-
wiimung solclien autitoxischeu Serums empliehlt sich die 3. I»is
4. Woche nach der letzten Toxineiuspritzung.
Immunisirt man mit abgetödteten Bacterien und
Toxinen zugleich, so erreicht man ein antiinfektiöses
und auch antitoxisches Serum, ln den Pestflltraten scheinen
sich 2 verschiedene Pestgifte zu Anden, denn wenn das Filtrat auf
70* erwärmt wird, dann ist es nur noch giftig für Ratten, Ka¬
ninchen und Meerschweinchen, Mäuse dagegen bleiben am Leben.
Trotzdem sind sie miteinander verwandt. Audi mit solchen er¬
hitzten Filtraten lässt sich ein antitoxisches Serum gewinnen.
5) L. Kabino witsch - Berlin: Die Infektiosität der Milch
tuberkulöser Kühe, die Sicherstellung der bacteriologischen
Diagnose, sowie die praktische Bedeutung des Tuberkulins für
die Ausrottung der Bindertuberkulose.
Nach den bisher bekannten Beobachtungen und Experimenten
m«iss als feststehend angenommen werden, dass Tuberkelbacillcn
durch die Milch auch übertragen werden können von solclien
Kühen, bei «lenen es klinisch nicht möglich ist. Tuberkulose f«*st-
zustellen. Eine Feststellung der Krankheit in so früher Zeit ge
liugt aber durch «Ins T u b e r k u 1 i u, und daher ist es diesem
Mittel allein Vorbehalten, über eine evenl. Infektiösiiiit der
milchenden Kühe Aufschluss zu geben.
Wenn da Inn- die Tub«*rkulinimpfung überall eingefülirt wird,
und die darauf i-oagir«*ud<*n Mih-htliiere ausgesclialt«*t. werclen.
so kann auch eine Ausbreitung der Krankheit unter anderen
Tliieivn, z. Ii. den Seliweiiu-n, vorgehcugl w«‘rden.
bi Bongert-Berlin: Corynethrix pseudotuberculosis murium,
ein neuer pathogener Bacilxus für Mäuse. Beitrag zur Pseudo¬
tuberkulose der Nagethiere.
Bef einer Scudi«* geringelt Umfanges fand Verfasser bei der
Sektion der Mäuse in «len Organen knötelieiibiKleude l’roeesse vor,
aus denen er einen sieh nach Gram färbenden Organismus iso-
lirt«*, der sieh in sehr vielen Punkten mit «lern Pseudodipli-
t h e r i e b a «• t e r i u m «leckt. Kr ist ebenso leicht auf den ge¬
wöhnlichen Nährböden züchtbar, unterscheidet sich aln*r «lurdi
seine Patliogenität.
Wenn Verfasser auf Grund «ler gebildeten Verzweigungen
«len Organismus mit «lein Namen (’ o r y n «* t b r i x p s e u «i o
tubrmilosis murium bezeichnen möchte, so scheint «las
dem Referenten v«*rf«*hlt. da wir für diese Art Bact«*rien mit Ver¬
zweigungen bereits den Namen Cory liebui-tffiuiii be¬
sitzen.
7) W Ilde- .München: Ueber das Verhalten der bactericiden
Kraft des Kaninchenserums bei der Milzbandinfektion.
Diese Arbeit wendet sieh lniui>l such lieh gegen (’ouradi's
Auffassung, «ler im G«*geusatz zu Büchner und seinen Schülern
den Nachweis geführt zu buben glaubte, dass durch intravenöse
Injektion einer Aufschwemmung von Milzhmn<lbu<-iilcn die bac-
t«*ricide Kraft des Kaniiieheiisorums lür .Milzbraiidlmeilleii nieiil
aufgehoben w ird.
W i 1 «1 e führte nun den Nachweis an Kaninchen, dass dann,
wenn sich Milzhrumlhacilieu im Blut nach weisen lassen, die ba<-
terieide Kraft desselben entweder schon ganz vernichtet oder tloeli
in rapider Abnahme In griffen ist. Dies trifft in der Agonie zu.
in der das Blut mit Bacillen überschwemmt ist. Ferner zeigte er.
«lass im Blut eines Hundes sich „A n t i - K a n i u c h e u a 1 e-
x i n" bildet, nachdem längere Zeit aktives Kanim-henserum
injicirt wurde. Ein mit diesem Autlserum behandeltes Kaninchen
erlag der gleichzeitigen Infektion mit wenig Milzbramlbueilleu, die
für ein Koutroltliicr unseliädlieh war, woraus die Be«l«*utuug der
S«-hutzstotTe auch für die Miizhi-untlinfektiou der Kuuinclien klar
hervorgeht.
8) Th. M i r «> n «• s c u - Berlin: Ueber das Vorkommen von
tuberkelbacillenähnlichen Bacterien in menschlichen Faeces.
Der säurefeste Organismus wurde im Stuhl Typhuski-aiiker
gefunden und stimmt«* mit «l«*n schon bekannten völlig ilbei-ein.
Selm» Pathogenität war nur gering.
R. O. N e « in a n n - Kiel.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 29. No. 2(i. 1901.
Enthält «las Register zu No. 2i).
Bd. 30. 1901. Heft 2.
1) Arthur M e y e r - Marburg: Ueber die Verzweigung der
Bacterien.
Verf. geht von der Ansicht aus, dass die Bacterien im System
der Pflanzen ln die Nähe der A s c o m y c e t e u gestellt werden
müssen und in Folge dessen von Pilzen mit verzweigten Hyphen
absünnmen würden. Es wäre daher nicht unmöglich, dass «lic
Fähigkeit der Verzweigung bei einzelnen Arten erhalten g<-
blieben sei.
Die von mancher Seite gemachte Angabe, «lie Verzweigungen
seien nur Krankbeitserscheiuungon, sucht Meyer zu widerlegen
durch Beobachtungen an einem sporeutrageuden Bari)
lus —• Bacillus coliaerens Gottheil —, bei w«»loliein im
J ugendstaiiiu in Verzweigungen b«*obachtet wurden.
Der Versuch, durch iigeudw«*lclu* Modifikationen des Nähr¬
bodens diese Astbildung regelmässig zu erhalten, misslang, so
«lass angenommen werden muss, dass innere Gründe die Zweig-
blldung veranlassen. Vielleicht geschieht es durch irgend einen
äusseren Reiz gerade zu einer Zeit, in welcher bei den Vorfahren
«ler Bacterien die Bildung des verzweigt«*u Mycels statt fand.
Da also nach Meyer die Möglichkeit vorliegt, «lass dies bei
allen noch nicht als verzweigt bekannten Bacterien Vorkommen
kann, so müssten alle die n 1 c h t s p o r «* n t r a g «• n d c n v «• r -
zweigten Organismen, wie z. B. Diphtherie .amd_T«iw*rk4d«s<^'
einfach zu der Gattung Bacterin m zu 'j-«*chii«*n sein.
Aus praktischen Gründen scheint es aber vorläufig wohl
noch am Platze, die verzweigten Bacterien von «len gewöhnlichen
Stübeh<*n abzutrennen, da die Diagnose sicherlich dadurch er¬
leichtert wird. Siehe z. B. das Genus Aktinouiyccs: R n.
2) E. B e r t a r e 11 i und U. (' a l a m i <1 a - Turin: Ueber die
ätiologische Bedeutung der Blastomyceten in den Tonsillen.
Einige Autoren haben die Blastomyceten, die häufig
in den Tonsillen gefunden wurden, als Erreger der tonsilläreii
Hypertrophie angesproclien, im Gegensatz zu anderen, die nur in
«lein Vorhandensein einen zufälligen Befund erblickten. Verfasser
untersu«-hten f>0 Tonsillen, darunter 12 normale, die übrigen waren
hypertrophisch. Nur 4 mal gelang die Kultur, während in «len
Sclinitfpräpara teil immer blustnmycesni-tige Gebilde gc.-ehen
wurden. Da keiner der is«dirten Organismen besonders pathogen
war, um! dieselben auch in normalen Tonsilleu verkommen, s«>
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1330 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33.
kommen die Verfasser zu dem Schluss, dass man ihnen keine be¬
sondere aetiologische Bedeutung beimesseu darf.
o) 1*. Th. Müller- Graz: lieber Agglutination der Bacterien.
Polemik gegen L ö w und E m m e r i c h, welche behaupteten,
in alten Pyoeyaneuskulturen seien die aggiutinirendeu Substanzen
vorgebildel, sie brauchten also nicht erst im Thierkürper gebildet
zu werden.
Müller glaubt dagegen, dass die Bodensatzbildung in allen
Kulturen nichts mit echter Agglutination zu thun hat.
K. O. N e u m a n n - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. tUUl. No. 31.
1) E. M e y e r - Tübingen (Kiel): Zur Klinik der Puerperal¬
psychosen.
Referat cfr. pag. SOS der Müneli. med. Wochensehr. l'JOl.
2) M. T li i e m ich- Breslau: Ueber Enuresis im Kindesaiter.
Verl', verwirft die Anschauungen, welche die Enuresis als
aus einer Muskelschwäche stammend Itetracliteu, oder sie über¬
haupt als ein lokales Leiden auffassen. Nach seiner Ansicht ist
die Erkrankung durchaus als ein Symptom der Hysterie au-
zuseheu. l>ie meisten an Enuresis leidenden Kinder stammen von
neitrupathisehen Eltern ab, bei den Kindern selbst können nicht
selten andere hysterische Stigmata aufgefunden werden; ein
weiterer Beweis für die hysterische Natur ist das öfters zu be¬
obachtende Auftreten in Epidemien; auch die Erfolge der Therapie
sind am besten zu verstehen, wenn eine zugrundeliegende Hysterie
in Rechnung gesetzt wild. Am besten bewährt sieh therapeutisch
die Entfernung aus der gewohnten Eingebung, die lsoliruug der
erkrankten Kinder, namentlich die schmerzhafte Kanalisation.
Hie Erfolge anderweitiger Therapie sind fast stets mit Suggestion
zu erklären.
3) A. 1) ü h r s s e n - Berlin: Zur Priorität des vaginalen
Kaiserschnitts.
Aufreclithaltung der Priorität der genannten Operation geg< n-
iibor Ae eo n ei; zum Referate sieli nicht eignend.
4 ) K. M a r t i u s - Rostock: Das Vererbungsproblem in der
Pathologie.
Gegenüber den populären Vorstellungen über die Vererbung,
sowie den extremen Kordelungen der Rnssehygieniker, welche be-
liuls Verminderung weiterer Degeneration des menschlichen Ge¬
schlechtes bis zu dem Verlangen Notgedrungen sind, alle Degeiie-
i'irten der Nachkommenschaft halber zur Kastration zu verur-
theilen, erörtert M. unsere wirklichen Kenntnisse über die Vor¬
gänge und Gesetze der Vererbung, welche eben noch lange nicht so
weit gediehen sind, um derartige Korderungen als irgendwie be¬
rechtigt erscheinen zu lassen. Die jetzigen Kenntnisse zeigen,
dass Spermatozoon und Eizelle hinsichtlich der Vererbung gleich-
massig in Rechnung gezogen werden müssen. Verl, glaubt per¬
sönlich an die Möglichkeit einer allerdings äusserst langsam
wirkenden Artabwandlung durch Zuerwerb neuer günstiger oder
ungünstiger vererbbarer Eigenschaften. Kür die Frage der Ver¬
erbung ist vor Allem die Benutzung einer neuen Wissenschaft -
lieheu Statistik, besonders der wissenschaftlichen Genealogie,
uötliig, wie eine solche durch Lorenz jetzt in’s Lehen gerufen
worden ist. Bezüglich der interessanten Einzelheiten wird auf
das Original verwiesen.
5) R. V 1 r c h o w - Berlin: Ueber Menschen- und Binder-
tuberkulöse.
V. constatirt zunächst, dass die K o o h • S e h ii t z'sehen
Präparate durthun, dass Infektionsmassen, die mit grosser Vor¬
sicht aus menschlichen Schwindsuchlsprodukten gewonnen waren,
bei den Versuehsthieren keine mit Perlsuclit vergleichbaren Er¬
scheinungen hervorgerufen haben, ln den Behauptungen darüber,
wie selten Kindertuberkulose auf Menschen übertragen werde, ist
K o e h nach Verf. wohl zu weit gegangen. Dass Rinder- und
Menschentuberkuiose sieh von einander unterscheiden, hat V.
schon vor Jahren angegeben. Nach V’. soll nichts Tuberkulose
genannt werden, was nicht die pathologisch-anatomisch dilfereii-
zirteu Tuberkel darbietet. Das Vorhandensein der Tuberkel-
bacillen allein kann nach V. nicht als maassgebend bezeichnet
werden. Die Bacteriologeii vernachlässigen vor Allem auch den
l'instand, welche Quantität von Infektionsmaterial aufgeuommcii
werden muss, um zu einer Infektion zu führen.
Grassmanu- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg. No.l 5
Armin H u b e r - Zürich: Ueber Irrwege bei der Diagnose
der Perityphlitis. (Vortrag, gehalten in der Frühjalirsversamm
Ring l'.*ol der Gesellschaft der Aerzte des Kantons Zürich.) Schluss
folgt.
H. v. \V y ss -Zürich: Ein ärztliches Votum zum Gesetz¬
entwurf des schweizerischen Civilgesetzbuchs.
Zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
P i s e h i n g e r.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 31. 1) K. Bild Inger: Ueber die Ausscheidung des
Chloroforms aus den Bespirationsorganen.
Mittels eines einfachen Apparates, dessen Schema im Original
eingezeichnet ist, hat Verf. den Chloroformgehalt der Exspiratious-
luft bei Operirten untersucht, mit Hilfe der Isocyauphenylprobe.
Es zeigte sich, dass in der Regel die Exspirationsluft dur**li
24 Stunden und länger Chloroform enthält, ln einigen Fällen
konnte es mehrere Tage lang nachgewiesen werden. Das Sputum
scheint besonders geeignet, das Chloroform zurüekzuhalten. Auf
dies lauge Verweilen des Chloroforms, l>e sonders im Schleim, ist
auch wohl l'ebeisein und Erbrechen zurüekzuführen. Der Ein
athmting von Essig kann ein Nutzen nicht zugesprochen werden.
2) R. Krau s-Wien: Ueber das Vorkommen der Immun-
haemagglutinine lind Immunhaemolysine in der Milch.
Aus der Arbeit seien folgende Schlusssätze augeführt: Immun
hacniolysine küuneii iu der Milch der Immuntliiere, in deren
Serum Iinmuiiliaemolysin vorhanden ist, nicht nachgewiesen wei¬
den. Immunhaemagglutinine werden durch die Milchdrüse aus
geschieden; Immunhaemolysine werden durch die Milchdrüse uml
durch die Niere nicht ausgeschiedeii; dieselben können durch die
Muiter auf die Jungen übertragen werden; Immunhaemagglutinine
werden durch die Säugling nicht übertragen.
3) A. K r o k i e w i c z - Krakau: Beitrag zur Lehre vom
Aneurysma aortae.
Verfasser bespricht die Symptomatologie beim verschiedenen
Sitze des Aortenaneurysmas und berichtet daun über einen, eineu
•17 jährigen Mann betreffenden Fall, bei dein die Annahme, dass
ein Aneurysma des rechten Vorhofes vorliege, aus verschiedenen
Gründen nahelag. während die eingehende Analyse zeigte, dass
ein am Bulbus, knapp oberhalb der Kluppen sitzendes Aneurysma
der Aorta nse. vorliegen müsse, das sich im Herzbeutel und über
den rechten Vorhof ausgebreitet, haben musste. Die Sektion be¬
stätigte diese Annahme. Aetiologiseli kommt Lues in Betracht:
Gclatincinjcktiouon nützten iu dem mitgetheilten Falle nichts.
4) G. Kaiser: Vorläufige Mittheilung über einige kleinere
Neuerungen auf dem Gebiete der Photographie und Therapie
mit Böntgenstrahlen.
Verfasser berichtet kurz über Anwendung eines Bleitrichters
zum Konzentriren der Strahlen und die Benützung farbiger
Röhren, durch welche eine Keizerscheiuung der Haut vollkommen
vermieden werden soll. Grass in a ti n - München.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 30 u. 31. E Ii r m a n n - Wieu: Erfahrungen über die
therapeutische Wirkung der Elektricität und der X-Strahlen.
Das elektrolytische Verfahren, welches bei richtiger Anwen¬
dung nur auf die Papille und Haarscheiden beschränkt werden
kann und keine Narben lässt, ist bei der Behandlung kleiner Naevi
und umschriebener 11 ypertrichosis Immer noch das empfehlen*-
worthere Verfahren, bei grossen Naevis und ausgedehnter Hyper
trieliosis wird man die rascher wirkeude Röntgenbehandlung vor-
zieheu. Schmerzhaft ist die letztere nicht weniger als das elek¬
trische Verfahren, ausserdem ist die Möglichkeit torpider Ge¬
sell wil re wohl zu bedenken.
No. 30 u. 31. L. G 1 ü e k - Sarajevo: Ueber den. leprösen
Initialaffekt.
Für «lie Annahme H a n s e n s und M U n c li's, dass die Lepra,
wie die Syphilis, von einem Primäraffekt ihren Ausgang nimmt,
mehren sieh die beweisenden Beobachtungen.
So hat man eine Hebertragung der Lepra gelegentlich der
Vaeeiiuition gesehen, in Niederländisch Indien soll iu vielen Fällen
die erste Infektion an den Füssen gelegentlich kleiner Verletzungen
zur Entwicklung kommen. Der bei l^epra häutig verkommenden
NaseiHTkraiiktmg misst Verfasser nicht die weittragende, auch
aetiologische Bedeutung bei, wie Stick er, hat. aber gleich diesem
einen Fall beobachtet, wo mit aller Wahrscheinlichkeit wirklich
ein Primiiraffekt in der Nase bestand. Oft bilden einzelne rotlu*
Flecken der Haut, welche zu anacsthetisehen Plaques werden,
anseheinend die erste Lokalisation der Krankheit. Die Versuche,
durch operative Entfernung des Primäraffektes die Lepra zu
roupiren, waren bisher erfolglos, doch ist noch nicht feststehend,
dass eine Aligeuieininfektion jedesmal schon vorliegt, wenn der
Primäraffekt manifest wird.
No. 25- 31. A. L u r 1 a - Chicago: Die Bedeutung der Narkose
in der modernen Chirurgie.
Zu kurzem Referat uieht geeignet.
Wiener medicinische Fresse.
No. 30. M. B o n d 1 - Iglau: Ueber die Indikationen zur
Operation des Altersstaares.
Mit Bezug auf die Bedürfnisse der Praxis fasst B. seine An¬
sicht wie folgt zusammen: Eine im Anatomischen reife Cataracta
hat iu der Regel nicht als operationsreif zu gelteu, wenn das audere
Auge noch normale oder fast genaue Sehschärfe hat. Eine (’ata-
racta ist erst operationsreif, wenn am besseren Auge die Seh¬
schärfe weniger als Mi beträgt, es ist aber dann nicht uothwendig.
dass die Linse schon ganz undurchsichtig geworden ist (ana¬
tomische Reife).
No. 2« u. 30. H. Goldman: Die Behandlung der N
Lungentuberkulose mit Ammonium sulfoichthyolicum, combi- /
nirt mit Creosotum carbonicum.
Bei Darreichung von „Ichtliosot‘*pi!len (je 0,10 Ammon, sulfo-
ichth. und 0,4 Creosot.. carhon.), von 3 bis auf 12 Stück
pro Tag steigend, sah Goldman bei einer grösseren Zahl
von Kranken recht befriedigende Ergebnisse bezüglich Hebung
des Allgemeinbefindens, wie auch Rückgang der objektiven und
subjektiven Lungenerscheinungen.
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13. August 1901.
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1331
No. 31. Stuparich - Triest: Degeneratio cerea musculi
pectoralis majoris d ex tri traumatica.
Im Gegensatz zur Infektiösen Ist die traumatische Form der
Erkrankung viel seltener. Ein 47 jähriger, übermässig ange¬
strengter Arbeiter erkrankte unter lebhaften Schmerzen ln der
rechten Brustmuskulatur an einer ln der vorderen Grenze der
Achselhöhle sitzenden Geschwulst. Eine Probelnclslon führte zu
der Diagnose, welche auch mikroskopisch festgestellt wurde. Nach
einigen Wochen trat bedeutende Besserung ein.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 30 u. 31. L. S c h w a r z - Prag: Zur Behandlung des
Coma diabeticum.
Bel einem Kranken der Pribra m’schen Klinik gelangten
3 typische Komaanfälle zur Beobachtung, von denen 2 nach ziem¬
lich kurzer Dauer sich ausglichen, nach Verfassers Uoberzcugung
Dank der Therapie, welche in der Darreichung von 70 bezw. 50 g
neutrallslrter Gluconsäure (gluconsaureu Natrons) bestand.
Zwischen den Anfällen erhielt Patient reichliche Mengen Natr. bi-
carb., 20—30 g täglich. Dem dritten Anfälle, bei dem grosse Soda-
nrengen gegeben wurden, aber keine Gluconsäure, da der Vorrath
ausgegangen war, erlag der Kranke. An demselben war ferner
zu beobachten, dass während des Komas eine bedeutend (bis zum
Vierfachen) vermehrte Acetonausscheidung durch die Athmung
stattfand. Auf Zufuhr von Butter, Speck oder Kindsfett stellte
sich mit Regelmässigkeit eine ganz erheblich vermehrte Aceton¬
aasfuhr ein. Bergeat- München.
Oti&trie.
Franz Alexander: Anatomische Untersuchungen über
Geschwülste des äusseren Ohres. Mit 3 Abb. (Univ.-Ohrenkl.
Strassburg.) (Zeltsehr. f. Ohrenheilk., 38. Bd., 4. Heft.)
Genaue histologische Untersuchung von 3 Fibromen, 1 tuber¬
kulösen Granulationsgeschwulst, 1 Angiom, 3 Endothellomen,
5 Carclnomen und 1 Atherom. Die meisten Fälle sind auch kli¬
nisch beobachtet.
O. K ö rn e r-Rostock: Küstenklima und Hyperplasie der
Hachenmandel. (Ibid.)
Die neue Untersuchungsreihe bestätigt das Ergebniss der
früheren, dass adenoide Vegetationen am Meere beträchtlich
häufiger Vorkommen als im Binneulande. Die Kinder mit
adenoiden Vegetationen nahmen in dem Seehospitz weniger an
Gewicht zu als die anderen. Desshalb sollten sie vorher operirt
werden.
Ernst Barth- Brleg: Zur Kasuistik der Mastoidopera-
tionen bei konstitutionellen Krankheiten. (Ibid.)
I. Fall von Diabetes bietet nichts Besonderes. II. Fall von
Gicht. Einen Tag nach der Aufineisselung des Warzentlieils
bei akuter Mitteluhreiterung trat unter hohem Fieber ein Gicht¬
anfall im Gelenk der grossen Zehe und gleichzeitig Entzündung
der Umgebung der Wunde ein, welche überaus schmerzhaft war
und mit der Gelenkaffektion zurückging. Im Verlaufe der nächsten
Woche noch zwei Gichtar.fälle mit Infiltration der Umgebung der
Wunde. III. Ein neuer Fall von tuberkulöser Mittelohreiterung
mit Ausgang in Heilung. Verschluss der Trommelfellperforation.
Hörweite für Flüstersprnche 6 m.
Fr. B e z o 1 d - München: Ueber Fehlerquellen bei der Unter¬
suchung des Taubstummengehörs. Nachträge zum „Hörver¬
mögen der Taubstummen“. (Ibid.)
Die Hörprüfung g( hört zu den schwierigsten Aufgaben des
Ohrenarztes. Besonders schwierig gestaltet sie sich bei der Unter¬
suchung der Taubstummen. B e z o 1 d macht auf die Fehler¬
quellen aufmerksam, welche sich einschleichen können und bei
einigen Untersuchern thatsäclilich eingeschlichen haben, und
gibt Rathschläge zu ihrer Abhilfe.
Paul M a n a s s e: Zur pathologischen Anatomie des inneren
Ohres und des Hörner 7en. I. Mittheilung. (Univ.-Ohrenkl. Strass¬
burg.) (Ibid., 39. Bd., 1. Heft.)
Fall I. Ertaubung eines 43 jährigen Phthisikers. Multiple
graue Degenerationsberde im Nervus acusticus beiderseits bei in-
tactem Labyrinth und Mittelohr.
Fall II. 35 Jahre alter Luetiker. Seit Jahren beiderseits ner¬
vöse Schwerhörigkeit. Periostitis chronica des Labyrinthes und
Lymphome im Nervus acusticus beiderseits. Die Schwerhörigkeit
war mässig gewesen, so dass der Patient seine Funktion als
Militärbeamter bis zu seinem Tode hatte ausüben können.
Georg Kien: Ueber Retropharyngealabscesse nach eitriger
Mittelohrentzündung. (Aus derselben Klinik.) (Ibid.)
4 Fülle dieser seltenen Komplikation, 3 durch akute, 1 durch
chro : sehe Mittelohreiterung (Nekrose) hervorgerufen. In einem
Falle- bestand ausserdem noch eiu Senkungsabscess hinter dein
Muscul. stemocleldomast. Ein Fall war kompllzirt mit gangmcncs-
cirender Pneumonie. Es kann hohes Fieber bis 40 u bestehen,
bevor die Schwellung im Rachen zu sehen ist. Die Behandlung
bestand in Aufmrisseluug des Warzentlieils und Erweiterung der
Coinimmfcntion zwischen demselben und dem Retropharyngeal-
ahscoss, sowie in Eröffnung des letzteren vom Rachen aus. Alle
4 Frille sind geheilt.
Herinanu Preyslng: Neun Gehirnabscesse im Gefolge von
Ohr- und Naser.erkrankungen. (Univ.-Ohrenkl. Leipzig.) (Arch.
f. Ohrenheilk., 51. Bd., 4. Heft.)
Auf Grund von 8 otitiseben und 1 rhinitisclien Ilirnabscess
bestätigt Preyslng den K ö r n e r'sehen Satz, dass in der Regel
Veränderungen in der Dura über den Mittelohrrüumen vorhanden
Bind, und räth dementsprechend, bei Verdacht auf Ilirnabscess die
Dura genau abzusuchen und die Eröffnung von der Operations-
wuude aus vorzunehmen, wie dies bereits von verschiedenen Opera¬
teuren empfohlen ist.
B e z o 1 d: Weitere Bemerkungen über „die bei der akuten
eitrigen Mittelohrentzündung vorkommenden Trommelfell-
zapfen, deren Therapie und histopathologische Struktur“. (Ibid.)
Die mammaähnlichen ‘Wucherungen sind immer central per-
forirt. Sie bestehen aus Granulationsgewebe und sind zum Theil
mit Epidermis überzogen. Die Hauptmasse des Granulations¬
gewebes wird von der gewucherten Schleimhautschicht des
Trommelfells geliefert, doch betbeiligt sich an seiner Bildung wahr¬
scheinlich auch dessen Cntisschicht Die central perforirten
Wucherungen entstehen nur bei gesundem Organismus und zwar
meist bei spontanem Durchbruch im hinteren oberen Quadranten
des Trommelfells, wenn die Eiterung stark und anhaltend ist. Da
die Wucherung zwar an und für sich ein Heilungsvorgang ist.
aber im vorliegenden Falle den Ausfluss des Sekretes hindert, wird
sie mit der Schlinge abgetragen. Eventuell wird eine zweite Oeff-
nung im hinteren unteren Quadranten angelegt.
Victor Hammerschlag: Die rheumatischen Affektionen
des Gehörnervenapparates. (Ibid.. 52. Bd., 1. u. 2. Heft.)
12 Fälle aus der Literatur und 2 eigene, bei denen nach Er¬
kältung eine Affektion des Hörnervennpparates tlieils isolirt, tbeils
in Verbindung mit Facialis- und Trigeminuslähmung eintrat. Die
Affektiou kann zurilekgeben. Die anatomische Grundlage ist un¬
bekannt.
F. Grossmann: Ueber den Einfluss der Radikaloperation
auf das Hörvermögen. (Univ.-Ohrenkl. Berlin.) (Ibid.)
Von 212 Ohren hörten nach der Radikaloperation mit Extrak¬
tion der beiden grösseren Gehörknöchelchen 44 Proc. besser,
24 Proc. schlechter und 32 Proc. unverändert. Ist das Hörvermögen
vor der Operation sehr herabgesetzt, und sind Hindernisse für die
Schallleitung (Polypen u. s. w.) vorhanden, so ist eine Besserung
zu erwarten, ist das Gehör noch relativ gut und besteht kein
Hinderniss für die Schallleitung, so ist eine Verschlimmerung zu
befürchten.
Bei 4 Fällen mit Erhaltung der Köchelcheu war das Resultat
für das Gehör günstiger, ebenso bei denjenigen doppelseitigen
Fällen, bei welchen die nichtoperirte Seite durch konservative Be¬
handlung geheilt wurde, auf der nlchtoperirten Seite.
Max G o e r k e: Pathologisch-anatomische Untersuchungen
von Ohrpolypen. (Abth. f. Ohrenkranke u. s. w. im Allerheiligen-
Hospitale Breslau.) (Ibid.)
Auf Grund der genauen Untersuchung von ca. 200 Ohrpolypen
wird der Gegenstand erschöpfend behandelt. Zu kurzem Auszug
nicht geeignet. Zur Literatur sei bemerkt, dass auch der Referent
einige Fälle von Ohrpolypen mit Haaren beschrieben hat. ln
einem Falle G o c r k e's fanden sich als Uuieuin bei intaktem
Trommelfell Im Innern der entzündeten Mittelohrachleimhaut
Cholesteatomlamellen. Bezüglich der Genese dieses Falles sei
darauf aufmerksam gemacht, dass aus der B e z o 1 d’sehen Klinik
ein Fall von Cholesteatom des Mittelohres mitgetlieilt worden ist,
bei dem die Trommelfellperforation sich nachträglich ge¬
schlossen hat.
Hölscher: Kann die mögliche Insufficienz der gesunden
Vena jugularis interna eine Gegenindikation gegen die Unter¬
bindung der erkrankten bei otitischer Thrombose des Sinus
sigmoideus bilden? (Univ.-Ohrenkl. Tübingen.) (Ibid.)
L i n s e r hat auf Grund von 2 Todesfällen nach einseitiger
Unterbindung der Drosselvene bei Operationen am Halse betont,
dass die Jugularisunterbindung bei zu grosser Enge der anderen
Jugularis gefährlich ist und durch Hirnoedem zum Tode führen
kann. Unter 1022 von ihm untersuchten Schädeln bestand eine ab¬
solute Enge des Venenlochs — d. li. dasselbe war 3—4 mal enger
als das der anderen Seite — 29 mal.
Bei den Ohroperationen ist die Gefahr gering, weil der Hirn-
druck in Folge vorheriger Eröffnung des Schädels nicht so sehr
ansteigen kann. Bel tlirombosirtem Sinus ist ein Einfluss über¬
haupt nicht vorhanden.
Victor Ham merschlag: Zur Kenntniss des otitischen
Himabscesses. (Univ.-Ohrenkl. Wien.) (Monatsschr. f. Ohrenheilk.
1901, No. 1.)
H. hat die Statistik R ö p k e’s vom Jahre 1898 (142 Fälle) aus
der Literatur um 53 Fälle vermehrt und kann im Allgemeinen die
bisher bekannten Thatsachen in Bezug auf Alter, Geschlecht des
Patienten und Symptomatologie bestätigen. Betreffs der Aetiologie
stellt er fest, dass die Abscesse bei akuter Mittelohreiterung häuti¬
ger sind, als man früher nnnnlnn (25 Proc. aller Fälle), und dass
überraschender Weise die Prognose bei der akuten Eiterung
schlechter ist, als bei der chronischen. Die Prognose ist günstiger
bei der Eröffnung vom Warzenfortsatze als von der Schläfen¬
schuppe aus und am günstigsten hoi Eröffnung von beiden Stellen
aus, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Anzahl der nach
der letzteren Methode operirton Fälle (18» noch klein ist.
D. II e 1 m a n n - Warschau: Ueber die Bedeutung des Bacillus
pyocyaneus bei der Entstehung der „primären croupösen Ent¬
zündung“ des äusseren Gehörganges, zugleich ein Beitrag zur
Kenntniss der pathogenetischen Wirkung dieses Mikroorganis¬
mus. (Privatklinik des l)r. Guranowski.) ilbid. No. 3.»
In den 3 untersuchten Fällen fand sich der Bacillus pyo-
cyaiieus. II. nimmt au, dass dieser Bacillus die Ursache der Otitis
oxt. erouposa ist. Nach den Untersuchungen des Referenten aber,
welche dem Verfasser entgangen sind, kann diese Krankheit auch
durch andere Mikroorganismen hervorgenifen werden.
Albert Bing-Wien: Ueber Schallleitung und deren Be¬
ziehung zur Hörprüfung mit Uhr und Stimmgabel. (Ibid., No. 5.»
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1332 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33.
Biug sucht zu beweisen, dass die Knoclieuleitung nicht
crnniotymimnal, sondern molecular ohne Vermittlung des Sebull-
leitungwippurates stattiindet. Zur Erklärung des Webe r'scben
Versuches (Lateralisiruug vom Scheitel nach dem verschlossenen
Ohre) halt er nur die M a c h*8che Theorie vom behinderten Sehall-
abilusN für plausibel und bekämpft die B e /. o 1 d'sche von der
Fixirung des Sehallleitungsapparates. Gegen die letztere führt er
au, dass der Weber'aclie Versuch auch gelingt., wenn mau die
Muschel nur mit der llolilhand uinschlicsst, wobei es nicht zur
Spannung der Gehörkuöchelchenkette komme, Referent kann
diese Angabe nicht bestätigen uml findet im Gegentheil, dass der
Ton abgeschwä<‘ht wird, wenn man die Muschel z. B. mit einem
Trinkglas umschliesst.
Gegen die Z i m ui e r m a n n'sche Theorie, dass die Gehör¬
knöchelchen nicht zur Fortpflanzung des Schalles, sondern zur
Accomniodation dienen, spreche unter anderem die gros.su rtigc
Leistung des riionograplien.
A. .1 urasz- Heidelberg: Ein Schleimpolyp, ausgehend vom
rechten Tubawulst. (Ibid., No. <!.)
Diese Lokalisation ist bisher noch nicht beobachtet worden.
.1. II erzfei d- Berlin: Ein neuer Trepan zur Exci9ion eines
Trommelfellstücks (Myringektomie). (Ibid.)
Das Instrument ist bei W i n d 1 e r in Berlin zu beziehen. Die
Operation ist ohne Narkose kaum auszuführen.
S e li e i l» e - München.
Vereins- und Congressberichte.
Der Tuberkulose-Congress in London.
Von Dr. J. Meyer, Vol.-Arzt der II. med. Universitätsklinik
in Berlin.
(Eigener Bericht.)
II.
II. Brouardel: Die von den verschiedenen Mächten
ergriffenen Mittel zur Bekämpfung der Tuberkulose.
Es steht fest, dass die Tuberkulose vermeidbar und in den
Frühstadien heilbar ist. So überzeugt die Aerztewelt von dieser
Thatsache auch ist, kann die Allgemeinheit daraus nur Nutzen
ziehen, wenn diese Wahrheit Allgemeingut geworden. Die Ver¬
breitung dieser Keuntniss ist eine der Hauptaufgaben der Tuber¬
kulosebekämpfung. Die „National Association of Prevention of
Consumption etc.“ hat in England zu diesem Zwecke Flug¬
blätter in ungeheuerer Zahl vertheilt („Milch und Tuberkulose“,
„Frische Luft und Ventilation“ etc.); in Deutschland wer¬
den diese Bestrebungen besonders von Ilcilstättenvereinen ver¬
wirklicht; in Norwegen, Belgien und anderen Ländern hat man
denselben Weg betreten. In den Vorträgen, Broschüren etc. soll
aber nicht nur die von Schwindsüchtigen ausgehende Gefahr aus-
einnndergesetzt, es soll vielmehr gleich gezeigt werden,
dass unter Innehaltung gewisser Maassregeln der Umgang mit
einem Tuberkulösen gefahrlos ist. Man soll keine „Tuberculo-
phobie“ züchten.
L>ie Gefahr ist der Auswurf des Kranken, und alle Maass¬
regeln müssen in erster Linie darauf gerichtet sein, diese In¬
fektionsquelle zu eliminiren; in Amerika, in Sydney und an
anderen Orten ist man mit harten Gesetzen vorgegangen, in
Europa ist man weniger streng.
So unschädlich ein in einem zweckmässigen Spucknapfe auf-
gefnngener Auswurf, so gefährlich ist derselbe, wenn er, nuf die
Erde geworfen, eintrocknet und verstäubt; doppelt gefährlich,
wenn in den dunkeln, überfüllten Räumen der Armen das Sonnen¬
licht die Bacillen nicht vernichten kann. Darum helle, genügend
geräumige Wohnungen für die unteren Klassen! Hier muss die
scciale Gesetzgebung wie die private Unternehmung helfen. In
England sind in der That seit 1851 in diesem Sinne eine Reihe
von Gesetzen erlassen und durchgeführt worden, und ähnliche Be¬
strebungen machen sich in anderen Ländern geltend.
Die unhygienischen Verhältnisse der Wohnungen rufen nicht
nur durch Infektion Erkrankungen an Schwindsucht hervor, sie
leisten auch der Verbreitung der Krankheit dadurch Vorschub,
dass sie die in den dunkeln Räumen aufwachsenden Kinder zur
Tuberkulose prädisponiren:
„On n c na i t p a s t u b e r c u 1 e u x, m a i s t u ber¬
eu 1 i s a b 1 e!“
Die dürftige Wohnung verleidet dem Familienvater den Auf¬
enthalt in derselben während seiner freien Stunden, die schlechte
Wohnung ist der Agent der Kneipe, die Kneipe der Agent der
Schwindsucht!
Tn der Tliat beweisen die Statistiken aller Länder, dass die
Alkoholisten einen grossen Theil der Tuberkulösen ausmaeheu.
Der Kampf gegen den Alkoholismus, die Verbreitung der Kennt-
niss von der Gefahr des Alkohols ist eine wesentliche Waffe in
unserem Kampfe.
Aber die socialen Bedingungen verlangen, dass der Einzelne
nicht nur zu Hause, auch bei der Arbeit und beim Aufsuehen der¬
selben mit vielen Anderen, zum Theil Schwindsüchtigen zu-
summenkoinmt. Bisher sind noch Arbeitsräume, Schule, Kaserne,
Bureau, Wagen, Eisenbahn, Hotel ergiebige Infektionsgelegeu-
heiten.
„Diese Gefahr des gemeinsamen Lebens ist der Tribut,
welchen wir für die Fortschritte der Civilisation zahlen müssen.“
Dagegen wappnen kann man sich durch allgemeine Stärkung des
Körpers (Seehospitäler, Arbeitergärten).
Um den grossen, von Seiten der Milch und des Fleisches perl-
siiehtigen Rindviehes herrührenden Gefahren vorzubeugen, muss
durch gesetzliche Ueberwachung des Schlaehtgewerbes und des
Milchvertriebes das Volk beschützt werden, wie dies auch schon
zweckmässig in den verschiedensten Ländern durchgefiihrt wird.
Neben der Vorbeugung der Tuberkulose ist die Behandlung
derselben und die Frage ihrer Heilbarkeit von besonderer Be¬
deutung. Schon ITippokrates hat gesagt, in ihren frühen Stadien
ist die Schwindsucht heilbar, und es ist wichtig, dass die Aerzte-
schaft von der Wahrheit dieses Wortes durchdrungen werde.
Sodann müssen die Acrzte diese Ueberzcugung auch auf die von
ihnen behandelten Patienten übertragen. Den an beginnender
Lungentuberkulose leidenden Kranken soll das Wesen ihres
Leidens fürderhin nicht mehr verheimlicht, sie sollen vielmehr
darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei einer frühzeitigen
Behandlung ihrer Krankheit ihre Gesundheit völlig wiederher¬
gestellt würde.
Um nun die Frühdiagnose der Lungentuberkulose in der
grossen Masse des Volkes stellen zu können, ist eine Einrichtung
von besonderer Bedeutung. Es müssen in allen grossen Orten,
wie es zum Theil in Deutschland schon geschehen ist, Polikliniken
für Tuberkulöse errichtet worden, für deren Gründung und Be¬
trieb besondere Vereine und Philanthropen zu sorgen haben. Aehn-
lich wie in Deutschland ist in Lille durch Herrn Calmette
ein „Dispensaire antituberculcux Emile Roux“ errichtet worden.
Aehnliehe Bestrebungen machen sich in Paris und in anderen
Städten geltend.
Unter den in die Poliklinik kommenden Patienten müssen
diejenigen, welche für Iloilstättenbehandlung geeignet sind, aus-
gefucht und in Heilstätten gesandt werden. Brouardel schil¬
dert nun genau die in Deutschland durchgeführte Organisation
der Heilstättenbewegung und im Anschluss daran gibt er eine
Uebersicht über die in anderen Ländern bestehenden Heilstätten.
Zum Schlüsse weist er auf die Wichtigkeit der Maassregeln
in öffentlichen Anstalten und im Verkehrsleben hin (Anzeige-
pfiieht, Desinfektion).
G e r h ard t dankt dem Redner für seine Ausführungen über
die Ursachen und die Hllfsursaehen der Lungentuberkulose und
erklärt, dass Grossbritunnlen auf dem Gebiete der öffentlichen
Gesundheitspflege allen anderen Ländern voranscbreitet.
III. McFadyean: Tuberkelbacillen in der Kuhmilch V
als Infektionsquelle für die Tuberkulose des Menschen.
In dem ersten Theil seiner Ausführung tritt McE adyenn
den Behauptungen Koch’s entgegen.
Koch hat etwa Folgendes gesagt: Die bei Rindertuberkulose
gefundenen Bacillen sind virulenter für das Rindvieh als die
Tuberkelbacillen des Menschen. Die Differenz ist so ausge¬
sprochen, dass man sie differentialdiagnostisch zur Bestimmung
der Ai*t des Bacillus benutzen kann. Wenn die Bacillen der
Rindertuberkulose beim Menschen Tuberkulose erzeugen würden,
so müsste ein grosser Theil der Milch und Butter perlsüchtigen
Viehes geniessenden Menschen an primärer Darmtuberkulose er¬
kranken. Da letztere Krankheit jedoch äusserst selten ist, so
kann man in praxi von der Uebortragbarkoit der Rindertuberku¬
lose auf den Menschen Abstand nehmen, und Maassregeln zur
Eliminirüng dieser Infektionsquelle sind unnöthig.
Gegen diese Behauptungen erwidert McFadyean Fol¬
gendes :
Wahrscheinlich halten die Tuberkelbacillen des Menschen eine
geringere Virulenz als die des Rindes und werden daher letzteres
nicht leicht infiziren können. Nun ist aber der Tuberkelbacillus
des Rindviehs nicht nur für das Rind, sondern auch für eine
grosse Reihe anderer vierfüssiger Säugethiere (Pferd, Hund,
Schaf etc.) virulent, und da die Erfahrung lehrt, dass, wenn der
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13. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1333
Bacillus eines Thicres nicht nur für dieses Thier, sondern auch für
eine grosse Reihe anderer Thiere virulent ist, dass dann derselbe
auch bei Menschen die betreffende Krankheit hervorruft, so ist
es auch sehr wahrscheinlich, dass der Bacillus der Rindertuber¬
kulose auch bei Menschen krankheitserregend wirkt.
Sodann ist es absolut noch nicht sicher gestellt, dass der
Bacillus der Rindertuberkulose einen anderen Yiruleuzgrad be¬
sitzt, als derjenige der menschlichen: denn einmal ist es leieht
möglich, dass der Rinderbacillus beim Passiren des menschlichen
Körpers an Virulenz verliert und zweitens besteht schon zwischen
den Bacillen einer einzigen Art eine grosse Differenz in Bezug
auf ihre Virulenz.
Was nun die Frage der primären Darmtuberkulose betrifft,
so weicht die englische Statistik von der seitens Koch citirten
darin ab,, dass man solche Infektionen in etwa 29 Proc. der Fälle
gefunden hat.
Zweitens lässt sich sehr oft bei der latenten Entwicklung
und dem schleichenden Verlauf der Krankheit die primäre In¬
fektionsstelle nicht mehr feststellen, und drittens ist man all¬
gemein gewöhnt, alle Fälle der bei Kindern so häufigen Tabes
mesenterica auf den Genuss von bacillenhaltiger Milch
zurückzuführen.
Zusammenfassend äussert sich der Redner folgendermaassen:
„Die Grösse der Gefahr kann nicht dadurch festgestellt werden,
dass man etwa konstatirt, wie viel Menschen auf dem eben ge¬
nannten Wege jährlich infizirt werden, oder wie viel Procent der
Menschen, welche überhaupt an Tuberkulose erkranken, durch den
Genuss von Material perlsüchtigen Viehes erkrankt sind. Aber
gleichzeitig ist die Thatsache der grossen Gefahr des Genusses
solchen Materials über allen Zweifel erhaben, da gegenwärtig noch
Milch ein Vehikel ist, durch welches oft Tuberkelbacillen in den
menschlichen Körper eingeführt werden.“
Redner geht nun zu den Maassregeln über, welche zur Be¬
kämpfung dieser Gefahr geeignet erscheinen.
1. ist die Verbreitung der Kenntniss dieser Gefahr besonders
Unter dem ländlichen Volke besonders wichtig, wie dies schon die
Englische landwirtschaftliche Gesellschaft und die National
Association for the Prevention of Consumption besorgen.
2. ist die diagnostische Tuberkulinimpfung der Rinder von
hoher Bedeutung, obwohl es nicht verhehlt werden kann, dass die¬
selbe unter verschiedenen Bedingungen keine einwandfreien Re¬
sultate liefert. Periodische Untersuchung durch Inspektoren
würde zur Erkennung des erkrankten Viehes sehr viel beitragen.
Ausserdem wären von besonderer Bedeutung obligatorische An¬
zeigepflicht der an Eutertuberkulose erkrankten Milchkühe und
zugleich Bestrafung im Unterlassungsfälle; sodann das Verbot,
Milch von Kühen, welche an Eutertuberkulose oder an anderen
Zeichen von Tuberkulose leiden, zum Verkauf zuzulassen.
Die Inhalation von Tuberkelbacillen des Menschen ist sicher¬
lich die Hauptinfektionsquelle für den Menschen, aber gleich¬
zeitig können wir dem Milchmann nicht erlauben, uns Tuberkel¬
bacillen zu verkaufen, selbst wenn wir überzeugt sind, dass, wie
in Koch’s Versuchen, „wir nur hier und da einige kleine Knoten
in unseren Nackenlymphdrüsen und einige wenige Tuberkel in
unseren Lungen zu befürchten haben“.
I) 1 s c u s s 1 o n. In der Dlseusslon, an welcher sich die
Herren Earl Spencer, Browne, Nocard, Hamilton,
Itavenal, Crookghand, Woodliead betheiligten, wurde
ungefähr Folgendes festgestellt:
Trotz der hohen Bedeutung, welche Koch sich auf dem
Gebiete der Bacteriologie erworben hat, muss vorläufig seiner
Theorie, dass der Tuberkelbacillus des IUndes sich auf den
Menschen nicht übertragen lässt, auf Grund der bisherigen Ver¬
suche und Erfahrungen mit aller Energie widersprochen werden,
nud die bisher zur Vermeidung der Uebertragung der Kinder¬
tuberkulose auf den Menschen allerwürts getroffenen Maassregeln
müssen mit vollem Nachdruck und in ganzem Umfange aufrecht
erhalten werden.
/ Discussion über das Thema: „Der diagnostische und
\/ therapeutische Werth des Tuberkulins.“
A Heron: Die Benutzung des Tuberkulins in der Mediein ist
J V dadurch allgemein dlskreditirt worden, dass
1. das Tuberkulin in ungeeigneten Fällen angewendet worden
Ist, 2. zu hohe Dosen gegeben worden sind, 3. man nicht erst nach
Konstatlrung normaler Temperatur noch mindestens 24 Stunden
mit Ausführung der Einspritzung gewartet hat, 4. die Dosis bei
der Behandlung zu schnell gesteigert worden ist, 5. Aer/.te wie
Publikum grosses Misstrauen gegen die Behandlung gezeigt haben.
Nach seinen Erfahrungen ist das Tuberkulin ein vorzügliches
diagnostisches Hilfsmittel und hat sich bei einer grossen Zahl
vou Tuberkuloaefüllen und einigen Fällen von Lupus gut bewährt.
Koliert Koch: Kr hat in etwa 3000 Fällen zu diagnostischen
Zwecken die Tulierkulin-Injektion gemacht und in etwa 00 Proc.
der Fälle positiven Erfolg erzielt. Belm Menschen ist die Reaktion
sicherer als beim Thier. Er fügt Einiges über die Methode hinzu.
Koch behandelt, mit Tuberkulin nur in frühen, nicht kompli-
zirten und eine normale Temperatur zeigenden Fällen von Lungen¬
tuberkulose.
Bei dieser Auswahl der Fälle hat er stets Heilung beobachtet.
Er empfiehlt Wiederholung der Kur nach einigen Monaten. (Inter-
vnlläre Behandlung vou Pet rusch ky.)
Man fange mit kleinen Dosen an und steige langsam ln der
Dosiruug.
Nach Eintritt der Iteaktion warte man einige Tage vor der
Wiederholung der Einspritzung.
Douglas P o w c 11 macht darauf aufmerksam, dass die grösste
Zahl der Fälle Fieber böten und Im Koc h’sclieu Sinne „kompli-
zirte“ Fälle seien.
Osler erkennt zwar die Güte und Gefahrlosigkeit des Tuber¬
kulins zu diagnostischen Zwecken an, verwendet es zur Behand¬
lung jedoch nur in einer sehr limitirten Zahl vou Fällen.
B. Friinkel: Was die Behandlung betrifft, so hat er
in ausgesuchten Fällen Dauerheilung erzielt, es gehört dazu be¬
sonders Geduld und sehr vorsichtiges Steigern der Dosis. Dia¬
gnostisch gibt das Mittel günstige Kesultate. und seine An¬
wendung ist hei sehr frühen, sonst nicht zu diagnostizirenden
Fällen von besonderer Bedeutung, da gerade die Frühdiagnose
eine sehr schöne Bedingung des günstigen Erfolges der Behand¬
lung darstelle.
D e n y s - Louvaln hat Hunde mit Tuberkelbacillen infizirt
und dieselben nach der Injektion zum Thell mit Tuberkulin be¬
handelt. Während die nicht mit Tuberkulin behandelten Thiere
bald starben, wurde bei den anderen der Tod „verzögert**, und
man fand Bildung von Tuberkeln als „mauifestatlon de la r6-
sistauee de l’organisnie“.
Denlson - Denver (Verein. St.) berichtet über seine mit
Tuberkulin gemachten Erfahrungen.
W i 111 a m s - Brompton: Diagnostisch leistet das Koch¬
sehe Mittel Hervorragendes. Zur Behandlung ist es un¬
brauchbar und gefährlich. Frühfälle werden durch die übliche
Ileilstätr.enhehnndlung gehellt, ln schon etwas mehr vorgeschrit¬
tenen Fällen bringt das Tuberkulin die Menschen herunter, ruft
geradezu Cavemenbihlung hervor.
MacCall Anderson - Glasgow; Zur Diagnose — und bei
Behandlung chirurgischer Tuberkulose — eignet sich das Mittel.
Bei Inneren tuberkulösen Processen ruft es Verschlimmerung her¬
vor. die vielleicht auf noch unbekannte Ursachen zurilek-
zuf(Ihren Ist.
F r a n c e - Claybury: Bei 75 Irrsinnigen hat er den dia¬
gnostischen Werth des Tuberkulins untersucht. Die¬
jenigen. welche keine positive Tuberkulinreaktiou hatten, zeigten
auch klinisch und post mortem keine Zeichen von Tuberkulose,
. während bei den positiv reaglrendeu Kranken sichere Zeichen
von Tulierkulose zu finden waren. Hiermit ist der Be¬
weis des hohen Werthes des Tuberkulins za
diagnostischen Zwecken erbracht.
V i v a n t - Moute-Carlo und S q u i r e - London fragen, oh es
denn gleichgiltig sei, ob mau zu diagnostischen Zwecken ent¬
weder von menschlichen oder Rinderbaclllen gewonnenes Tuber¬
kulin benutze, da doch dieselben nicht identisch seien.
Möller- Belzig: Die Tuberkulininjektion ist in Heilstätten
zu diagnostischen Zwecken nöthig, wenn man sicher
sein will, nur Tuberkulöse in den Anstalteu zu haben und wenn
man frühe, unklare Fälle erkennen will. Therapeutisch
ist bei individueller Behandlung auch der Erfolg des Tuberkulins
günstig, von der Behandlung in Lungenheilstätten darf jedocii
nicht abgesehen werden.
Otis- Boston macht darauf aufmerksam, dass ein geringer
Procentsatz der Syphilitischen auf Tuberkulin reagirt.
Huggard- Davos hat schlechte Erfahrungen mit Tuber¬
kulin gemacht.
Museum. Eine grosse Zahl von Präparaten und Gegen¬
ständen, welche auf das Thema des Congresses Bezug haben,
sind unter Leitung und Dank den Bemühungen des Herrn
W. J o b s o n Home zu einem Museum vereinigt worden; ein
190 Seiten starker Katalog diente zur Führung. Als deutsche
Aussteller sind zu nennen: Das Keichsgesundheitsaint, das Reichs¬
versicherungsamt, das Heilstättencomite, das Koc h’sche Institut
und Herr Prof. B e n d a.
Resolutionen des Congresses:
Der Auswurf des Menschen ist der Hauptvcrhrcitcr der
Schwindsucht; es erscheint wichtig, die Unsitte des Au-spuckens
cinzusehränken (Spueknüpfe etc.). A n z e i g e p f 1 i c h t ist
empfehlenswerth. Die Errichtung von L ungenh eilst ätten
ist nothwendig. „Allo bisher gegen die Verbreitung
von Milch und Fleisch p e r 1 s ü e h t i g e n Viehes
gerichteten Manssregeln sind in vollem Um¬
fon ge aufrecht zu er halten; immerhin sind die
Koch’s eben Versuche nachzuprüfen.“ Die Er-
I richtung eines Internationalen Comites erscheint
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1334
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
wünschcnswerth. Die Beachtung und Bekämpfung der Neben-
ursnchen der Tuberkulose, wie Alkobolgonuss, ist dringend
nothwendig. Die Regierungen sollen wohlthätige Stiftungen,
1'bilant.ropen etc. darauf binweisen, sich der Bekämpfung der
Tuberkulose anzunebmen, insbesondere Specialpolikliniken zu er¬
richten. Auf dem nächsten Congress soll die Frage der indi¬
viduellen Disposition zur Tuberkulose in den
Vordergrund gestellt werden.
Altonaer Aerztlicher Verein.
(Officlelles Protokoll.)
Sitzung vom 22. Mai 1901.
Vorsitzender: Herr Wa 11 i c h s.
Schriftführer: Herr Henop.
1. Herr Grüneberg bespricht unter Demonstration eines
Patienten das Krankheitsbild der chronischen Darmerweiterung,
das er in Analogie setzt zu dem Bilde der MagenerWeiterung, so¬
wohl was die aetiologisehen Momente als auch was das Krank¬
heitsbild und die Therapie anbetrifft.
Der «jährige Knabe, der seit 3 Monaten sich im Altonaer
Kinderhospital aufhält, leidet seit seiner Geburt an Obstipation.
Niemals von selbst Stuhlgang. Vom 2. Lebensjahre ab Darm¬
blähungen, die durch ärztlicherseits verordnete Maassnahmen, wie
Klysmata, Einläufe immer wieder beseitigt werden konnten, seit
l‘/ 3 Jahreu dauernd nicht zu beseitigende Darmauftreibung.
Bauchumfang 93 cm — 53 cm normal — Hochstand des Zwerch¬
fells. Erhöhte Athmungsfrequenz. Die Koutouren des um circa
das Dreifache geblähten Dickdarmes deutlich sichtbar, ebenso peri¬
staltische Bewegungen. Percussion ergibt überall tympnuitischen
Darmschall, die Palpation zeigt nirgends eine Itesisteuz, nirgends
einen Tumor.
G. nimmt an, dass bei dem Fehlen anderer in Betracht kom¬
mender Momente, es sich hier um eine Erweiterung des Dick¬
darmes handle, die auf einer Atonie des Darmes beruhe, die
wiederum durch eine eventuell angeborene Stenose im unteren
Theil des Dickdarmes hervorgerufen werde. Das in den Mast¬
darm eingeführte Glasbougie stösst an seiner Spitze auf eine an¬
scheinend engere Stelle. Als begünstigende Momente zur Herbei¬
führung eines derartigen Zustandes glaubt G. auch die Schwäche
der Bauchmuskulatur nnsehen zu müssen, die bei dem Patienten
sehr ausgeprägt ist. Auf diese Momente wurde auch der thera¬
peutische Plan aufgebaut. Täglich hohe Einläufe, Bauchmassage
bei einliegendem Darmrohre, Massage und Faradisatlon der Bauch¬
decken, gymnastische Uebungen haben nicht nur den Appetit des
Patienten gehoben und die Kräfte gebessert, sondern haben auch
eine Abnahme des Leibesumfanges um 30 cm zu Wege gebracht,
so dass auf eine allmähliche Restitutio gehofft werden kann.
Discusslon: Herr König weist darauf hin, dass in
seltenen Fällen monströse Blindsäcke und Verdoppelungen
des Kolon Vorkommen, welche langsam wachsende Vergrösse-
rung des Leibesumfanges durch Kothstauung machen, deren Ent¬
leerung zeitweise Besserung gibt. Einen Fall sah er auf dem
Sectioustisch (von Cordua als Dissertation 1892 aus dem O r t h’-
schen Institut in Göttingen beschrieben). Eine neuere Arbeit von
G r o h 6 befindet sich in der Deutsch. Zeitsehr. f. Chir-, Bd. 57.
Die Annahme einer Striktur scheint ihm nicht einleuchtend,
da die Therapie die Entleerung grosser Kothmassen in dem
Grüneberg’schen Falle bewirkte. Dagegen ist die Atonie ein
wesentlicher Faktor, abnorme Länge des Mesenterium kann dazu¬
kommen. K. sah in der v. Bergman n’schen Klinik einen ähn¬
lichen Fall durch Entleerung grosser Kothmassen vorläufig zur
Heilung kommen. Ein anderer: 3 jähriger Knabe, mit kolossal
aufgetriebenem Leib und Ileuserscheinungen, wurde von v. Berg¬
mann operirt: Der Dickdarm, vor Allem die Flexur war kolossal
aufgebläht und hing weit in’s kleine Becken hinunter — da, wo
das lange Mesosigmoideum aufhörte, war eine förmliche Al»-
knlekung vorhanden. Der Patient überstand die Resektion dieser
Partie nicht, bei der Sektion wurde nichts als diese eigenartigen
Verhältnisse des Mesenteriums gefunden. (Rad ecke, Iuaug.-
Dlss., Berlin 1896.) Die von Grüneberg eingeleitete Behand¬
lung hält K. für richtig, nur wo sie versagt, könnte eventuell eine
seitliche Anastomose zwischen erweitertem und collabirtem Darm
(unterster Theil der Flexur) in Frage kommen.
Herr Grüneberg meint, dass zwar die von Herrn König
erwähnten angeborenen Missbildungen des Kolon nicht absolut
auszuschliesseu wären, jedoch würden derartige Abnormitäten ja
nur durch die Autopsie zu beweisen sein. G. ist nicht geneigt, im
vorliegenden Falle von vorneherein daran zu denken, sondern
näher läge nach den erwähnten Symptomen die oben gegebene Er¬
klärung des Krankheitsbildes, zumal, wie erwähnt, beim Eingehen
mit einem etwa 15 cm langen Glasbougie in den Mastdarm sich
eine engere Stelle bemerkbar mache, die dem Vordringen
Schwierigkeiten entgegenstelle. Diese Stenose könne bei Gelegen¬
heit vorübergehend ein absoluter Verschluss werden oder auch nur
härteren Kothmassen die Passage verlegen. Erst wenn dieselben
durch Wassereinläufe erweicht werden, ginge eine, wenn auch
unvollständige Entleerung vor sich. Derartige durch Jahre hin¬
durch immer wieder von Neuem eintretende Kothstauungen mit
Entwicklung von Gasen genügen nach Analogie der Magenerweite¬
rung seines Erachtens zur Erklärung des Krankheitsbildes.
Nachtrag. Eine gewisse Aehnllchkeit mit dem be¬
sprochenen scheint ein Fall von Lennander zu haben, über
den im Centralbl. f. Chir. 1901, No. 20, referirt worden ist. Es
handelte sich dort allerdings um eine angeborene Dilatation und
Hypertrophie der Flexura sigmoidea bei einem 4 jährigen Kinde,
ln diesem Fnlle wurde laparotoinirt und cs zeigte sich eine kolossal
ausgedehnte Flexur, die die grösste Aehnlichkeit mit einem Magen
hatte. Da keine sichtbare Ursache für diese Dilatation zu finde»
war, so wurde dieselbe als Innervatiousstörung aufgefasst und
durch elektrische Klysmata, die 3 Jahre lang fortgesetzt wurden,
allmählich vollkommen normale Verhältnisse herbeigeführt.
2. Herr H u e t e r: Ueber einen Fall von pialem Epidermoid
der Schädelbasis.
Der Fall betrifft einen 43 jährigen Mann, der in bewusstlosem
Zustande in das Krankenhaus eingeliefert wurde und nach einem
Aufenthalt ,von 7 Tagen daselbst verstarb. Anamnestisch nicht
das Geringste bekannt. Bald nach der Aufnahme traten mehrfach
allgemeine Krämpfe von ca. 10 Minuten Dauer und von epilepti-
formem Charakter auf, das Bewusstsein war dauernd erloschen.
Nach 2 Tagen Delirien, der Kranke redete viel sinnloses Zeug und
machte deu Eindruck eines Alkoholdeliranten. Nach einer Besse¬
rung von kurzer Dauer Tod.
Bei der Sektion fanden sich lobuläre Pneumonieherde in bei¬
den Unterlnppen, Fettnekrose des Pankreas und ein grosser Ge¬
hirntumor. Bei der Herausnahme des Gehirns zeigte sich an der
Basis in der linken mittleren Schädelgrube eine Geschwulst von
der Grösse eines mittelgrossen Apfels, die von dem Gehirn uud
seinen Häuten theil weise bedeckt war und ln den centralen Ab¬
schnitten frei der Schädelbasis auflag, ohne mit ihr verwachsen zu
sein. Der Tumor bestand aus eigentümlichen, trockenen, brücke-
ligen Massen, die sich sehr leicht von einander lösten. Sie be¬
stehen aus dünnen geschichteten Membranen und haben stellen¬
weise sehr schönen Perlmutterglnuz. Die frische mikroskopische
Untersuchung ergab feine, kernlose Plättchen uud zahllose Cholo-
stearinkrystalle. Am Gehirn befindet sich an der Basis links eine
tiefe Höhle, welche den hinteren Abschnitt des Stimlappens und
den vorderen des Schläfenlappens einnimmt, somit die S y 1 v’sche
Grube in der Mitte einscliliesst uud sich nach aussen bis zu den
lnselwindungen erstreckt, während sie nach Innen bis zum vor¬
deren Rand des Pons reicht. Die Reste der Geschwulst sind den
weichen Häuten aufgelagert uud stellenweise finden sich noch
tiefe Buchten der Gehirnoberfläche, die mit Tumor erfüllt sind.
In der Medianlinie und zwar an der Stelle, wo die Pia vom vor¬
deren Rand des Pons die Substant. perfornt. posterior überzieht,
fand sich eine Geschwulstperle fest mit der Pia verwachsen.
Schnitte von dieser Stelle ergaben eine mehrschichtige, wellig ver¬
laufende Lage von cubischem Epithel, die der Pia aufsitzt,
während sich auf der anderen Seite das verhornte Epithel an-
sclillesst. Im Bereich der noch nicht verhornten Epithelien fanden
sich sehr schöne Keratoliyalinkugeln. Letzterer Befund Hess die
Diagnose „Cholesteatom“ (piales Epidermoid nach Bostroem)
in exakter Weise stellen.
3. Herr König demonstrirt das Präparat eines hochsitzen¬
den Rectumcarcinoms. welches zu einer Blasendarmfistel geführt
und nur durch die Blaseuerscheinuugen sich bemerkbar gemacht
hatte. Bei dem bis daliiu gesuudeu 43 jährigen Offizier traten
Blasenbeschwerden mit Blutungen akut auf, mit Schüttelfrost,
nach 14 Tagen im Manöver wiederholt. Ausspülungen erzielten
Besserung. Aber 4 Wochen später Abgang von Flatus, endlich
von Ivoth durch die Harnröhre. Jetzt auch häufiger Stuhlgang.
Bei der Untersuchung konnte man nichts von einem Tumor fühlen,
welcher doch die grösste Wahrscheinlichkeit für sich hatte. Cysto-
skopie durch den kothig-blutigen Urin unmöglich.
Da die Umstände zu einer Operation drängten, wurde am
9. XI. 1900 vom Kreuzbein aus vorgegaugen, in der Hoffnung, hier
an die Erkrankung heranzukommen. Von hinten wurde die Blase
eröffnet, in ihrem obersten hinteren Theil eine harte Geschwulst
gefunden, fest verwachsen mit der höchsten Partie des Mastdarins,
alles zusammen fest im Becken eingekeilt. Au Entfernung
war nicht zu denken. Um etwas zu thun, was den in der Blase
stagnirendeu Ivoth wieder fortschaffen und der sonst sicher ein¬
tretenden Pyelonephritis Vorbeugen würde, wurde tief unten eine
arteficielle Anastomose zwischen Blase und Rectum beschlossen.
Ihrer Anlegung in der von Frank empfohlenen Weise mit dem
Knopf setzte die Dicke der Wand unüberwindliche Schwierig¬
keiten entgegen, sie wurde mit der Naht vollendet. — Das Car-
cinoni nahm seinen Fortgang. Nach ca. 2 Monaten nöthigte cs
zur Anlegung eines Anus praeternaturalis, der Tod erfolgte CTage
nach dieser II. Operation.
Bei der Sektion fand sich die Blase nur etwa wallnussgross,
ohne Eiterung; Ureter, Nierenbecken und Nieren ganz normal.
Aus der Blase führte 1. eine tiefgelegene Fistel ln den Mastdarm
oberhalb vom Anus, 2. eine ganz hochgelegene, von harter Car-
cinommasse umgebene, in den Darm am Uebergang vom Rectum
in die Flexur. Aus dieser führte ein tiefer carcinomatöser Trichter
in jene Fistel. (Adenocarcinom.) In der LebeT Metastase.
Bemerkenswerth sind: 1. die ersten Symptome, die nur auf
die Blase hinwiesen, 2. das Ausbleiben einer Infektion der
oberen Harnwege, das nur durch deu permanenten Abfluss des
kothhaltigen Harns und der Kotlibröckel erklärt wird; dafür hat
sich die Rectovesicalanastomose bewährt
Die beste Operation wäre von Anfang an ein hoher Anus
praeternaturalis gewesen, dessen Anlegung in der ersten Zeit Je¬
doch aus äusseren Gründen sich verbot.
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13. August 1901. MITENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1335
4. Herr H e n o p spricht über «len derzeitigen Stund der
Frage der Säuglingaernährung, im B<*s«mderen über die Naieli-
t helle anhaltender MilcliHterilisirung. und demonslilrt den
o P |* e n 1» e i in e r*sehen PasteurtslrungHiipparat. bei tiessen An-
wtndiiug er auch mit wenig verdünnter uuu-li dem 4. Monat
uiiverdiinntert Kuhmilch sehr gute Erfolge erzielt hat.
r». Herr Wichmann: Ueber Carcinom der weiblichen
Urethra.
Eine 4M jährige Frau kommt in die Poliklinik, weil im Laufe
einiger Monate In «1er Lei steil beug«* eine (»»»schwillst g«*wachs«*n
sei. Hleii-hzeitig sei starke Abmagerung autgetreten. Hie liiirte
des I>rüseiipackets und das thtdlweisc Verwacltsens«*in li«*ss an
(’atviunin. wahrsch«>inlh*h am <ienitalapparat. denkeu. An «l*»r
Portio fand sich eine etwas zweifelhaft Mtixsehenile Erosion. di<*
alwr lad anatomischer Untersuchung sich als nicht carcimunatös
herausstellte. Auffallend war das eig<*nthündicli zackige, starre,
wie mit Curunkeln besetzt«' Oritlclum exteruuin nrethra«*. Hei
der nigltaluntersucliung unterschied sl«*h die Hegend der Harn¬
röhre ungemein durch ihre Hilrte von der K«*sist«*nz «l«*s normalen
llamWihreuwulstcs. Es handelte sich also um «du primiires Harn-
nihrencandnoiu. •
Bei «ler Operation zeigte sich, dass das Carcinom etwa 1 cm
vor der Blase Halt gemacht hatte. Hier wurde «inere Amputation
«ler Urethra vorgenommen.
Die Anfangs l>est«diende Inkontinenz lH'Hs«*rt«» siel« später so¬
weit. dass 2öo—Mt Kt ccm in der Blase gelullten werden konnten.
Allgemeinla'tindeti war lad «ler Entlassung erltehlhdi g«d>essert.
Besonders möchte i«di hemerken. «lass die Patientin ausser über
..den Knoten“ in «ler Leisteubcug«» keinerlei Klagen vorge¬
bracht hat.
I > i s <• u s s l o n: Herr M. F r a u c k.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung v «» nt 11. M ii r z. 1901.
Vorsitz.cmlcr: Herr II oc h h a u s.
Schriftführer: Herr F. (’ahen.
Herr Minkowski demoustrirt:
1. «dnen Fall von Stenose der Aorta an der E nmündungs-
stelle des Ductus Botalli (Isthmus aortae p«*rsistersi.
Bei «l«*m 23 jälirigen Patienten, der wegen einer akuten Hron-
«ddtis iu's Hospital iiufgeiioiumcn war. füllt z.uiündist ein stark
sichtbares P u 1 s i reu der A r t e r i «• n a m Hals «• u n <1
«len oberen Extremitäten auf. «las im ersten AngenblVk«*
an eine Insufticienz «ler Aortenklappen erinnert. l>o«di zehdmei
sieh der Puls durch «du«* ungewöhnlich holt«* Spannung aus. Das
Spbyginogramin zeigt ein steiles Ansteigen, alter ein langsames
Abfallen «ler Pulskurv«* mit sehr ausgeprägten Elnsticitüts-whwau-
knngen. An «lern S]di.vgtnoiminom«'t«*r von lli vii-Hocd ergiitt
sich eine Steigerung «1 1 * s Blutdrucks in den Armnrlerien
auf mehr als 300 nun. Im (»egensatze dazu ist «l«*r Puls an
«ler Femoralis kaum und an «len Tiblnl«*s u n «1
I’ e r «» ii «* a e g a r n i c li t z u fühl «* n. so dass sich hier eint*
Bestimmung «les Blutdrucks mit d«*m K i v a - U «> c* e i's«*li**n Ap-
parat ülxwbaupt nicht ausfühi'eu lässt. Es lässt si«di ferner eine
sehr «leutlielie E r w eite r u n g «1 e r «• o 11 a t e r a 1 e n A r -
I e r I «■ ii li a li n e n nnchweisen. Namentlich fällt «ii«* ungewölm-
iicli«* Auflehnung der AA. transversa«* colli, der dorsales scapula«*
und «1er nmmmariae auf. die mau mit ihren .Vesten in allen Inter-
costHlriiinnen pulsiren sollen kann. Am Proc«.*ssus xyplioideus mul
zwischen «len Schulterblättern lassen sieli hleistiftdicke Arterien
verfolgen, über welchen an einzelnen Stell«*» deutliches Schwirre»
und blasende Geräusche wnhrznuelunen sind. Am Herzen ist
ein systolisches Her ii u s «• h lu'irbar, welches bei «>bi*r-
flä« , hli«dn*r Untersuchung fast den Eindruck «dnes diastolischen
macht, da es sich n i «• h t u n m i t t e 1 b a r a n «1 eu erst «* u
Ton a u sch li esst, sondern erst naeli einer kleinen Pause ein-
setzt. Dadun-li ist die M«"»glichkcit d«*r Verwechslung mit einer In-
suffleienz «ler Aortenklappen n«K*h näher gerückt. Indessen lässt
»•* sich constatiren. «lass das Geräusch mit dem verstärkten 2. Tone
ahwhiiesst. Dieses Geräusch ist auch im lnt«*rs«'nimlari'num nid»«*n
«ler \Virl»elsiiule sehr «leutlieh iiörbar. Der verstärkte und ver¬
breiterte Herzstoss überragt im 5. Intemistnlmnm etwas die
Mnmmiilarlinic. «Ile Herzdämpfung ist nur nach links etwas ver¬
breitert.
Die Diagnose der bis j«*tzt schon in «*a. 120 Sekt ionsfällen
na«-ligewiesen«*n. Jetlcxdi nur seiten Intra vitam erkannten Affektion
dürfte in diesem Falle dimdiaus sicher s«*in. Die Leistungsfähig¬
keit «Jos Patienten ist durch sein Leiden nicht h«*eiutrii«*ditigt. Doch
je» die Prognose iniinerhin mit Vorsicht zu stellen. Die durch¬
schnittliche I<ebens«latier «ler bisher beobachteten Fälle lieträgt zwar
M4 Jahre, «lie höchste sogar UP Jahn*. Es ist jedoch bem<*rk«*ns-
werth. dass in den meisten Fällen «ler tödtllclu* Ausgang im Alter
von 20—40. also In den Jahren «ler grössten Arbeitsleistung <*rfoigt
ist. Verhältnissmässig häutig (in 13 Fällen) war «lersellie «lurcli
Ruptur «b*r Aorta herbeigeführt. Auch Apoplexien sind wie«l«*r-
bolt beobnclitet. Die grössere Inanspnichnalime «ler ll«*rzkraft
hat auch ln diesem Falle bereits zu einer Hypertrophie des linken
Ventrikels geführt. Die Blutversorgung der unterhalb «ler Stenose
eehgeneu Tbeile scheint durch die Colinteralen in ausreichendem
Maasse statt zu finden. 1U«* Nier«*nfunkti«m ist intakt geblieben.
Der Urin ist normal').
2. Präparate von Myommetastasen in Lungen, Leber und
Muskeln.
Die Präparat«* stammen von einer 43 jährigen Frau, an w«*l«*lu*r
vor 2 Jahren eine Totalexstirpation «les Uterus wegen <*irn*s Filiro-
myoms ausgefillirt. war. Die Patientin klagte s« i it längerer Z<*it
üb«*r Schmcrz«*n im rt*« , ht«*n B«*in. woselbst im Vastus «*xt«*rnus
ein gäus«*eigross«*r Tumor gefühlt werden könnt«*. Später traten
Luig«*ners«*h«*lnung«*n hinzu. Dämpfungen. Hass«*lg(*räus«*he. Ex¬
pektoration eines hiieinorrhugischen Sputums. Es wurden Meta
stasen «Ungunstizirt. zunächst j«*«locli Zw«*if«»l an der Diagnose des
M>oms g«*h«*gf. Lokal war ein Ktnadiv nicht na«diwi*lsbar.
Di«* Sekti*m crgali in den Lungen und «1er Leber melm , i«* grau-
wcissc. d«*rb«>. scharfiims«*hri«>benc Knoten von Has«*lnuss- bis
Khduapfelgriisse. die. elsuiso wie «li«* <5«*s«diwulst in der Oher-
selicnkelmtisciilnttir. si«*li 1 mm der mikroskopischen Unt«*rsucliung
als re ine Lei«» m y o m «* «>rwl« S!*n. Sie lwstanden durchweg
aus spindelförmigen Z«*il«*u mit langem stäbcln*nfönnigen Kern,
«li«* in Bünd«*ln von vemdiUxhuier Dicke angc«»r«liu*t und nur wenig
von Bin<leg«*w«*be durchsetzt waren.
Es existirt in der Literatur nur «*in einziger sicherer Fall
dieser Art. «ler von O r t li untersucht und von K r i s «• h c in eln«*r
(Jöttingcr Diss«*rtation 18N2 hi*schrii»h«*n ist. Ausserdem nur nocli
ein zw<*if«*lhaft«*r Fall von K 1 e b s. Sonst sind glatte Muskeln in
luetastatisclicii Tumoren nur noch in «*in paar Fäll«*n von Myo-
sarkonu n gefunden. •
Die Beobachtung«*!! von solchen Metastasen gutartiger Tu¬
moren — «li«* wohl nur auf <*iin* \Viii*hi*rnng «l«*r v«*rsi-ld«‘pptcn
Goschwulstzell«*». ni«*lit ah«*r auf eine Metaplasie der Zellen «l«»r
iiiücirten Gewebe zurückg«*fülirt werden kann — sind nicht ohne
Bedeutung für «li«* ganze Lehn* von «l«*r Metastasonbildung. Scholl
I ('oli u heim sticht«* ähnliche Beobachtungen, wie sie bei Enclion-
«Iromen. Myxomen, Fibromen. («altertkröpfen gemacht waren, zu
(«linsten seiner Ansi«'lit zu v«*rwertlicii, dass «*s ni«*ht «lie Bc-
s«*lui ffenliolt der Geschwulst. sondern das Verhalten des übrig«*»
Organismus ist. welclie den gutartigen o«l«*r bösartigen Charakter
«'liier (Jeschwulst, bestimmt. In neuerer Zeit ltat b«*s«m<lers Lu¬
ll »i r s «• li dies«* (’ «> b n li «* i m’schc Tlicori«* ausz.ugcstalten g«*si*«'ht.
Audi er geht zunächst dnv«m aus. «lass im Prim-ip Jeiler patlm-
logischen Nculiildung «II«*Fähigkeit «ler Metastasirung zugeschrieben
| w«*r«l«*n muss, falls nur Elemente «lerselbon i’i «li«* Blut- o«l«*r
Lymphbahn gelangen. Im Allgeimdiien al»«*r genügt «li«* einfnclit*
Verachleppung «ler Zellen mich nicht zur M«*t»stus«>nhilduiig. Di«*
v«*rs«*hieppten Zellen w«*r«lcii zuniiciist aufg«*löst und rcsorbirl.
Bei «ler Auflösung «lieser Zellen w«*rd«*n aber Stoffe frei. weh-hi*
«Ii«* Widerstandsfähigkeit «l«*s Organismus licralizitsetzen vermögen.
Au«*h l»«*i «l«»n iMisartigen G«*s«*hwülsten führen zunächst nh-lit all«*
; v«*rs«*hl<*ppfen Zellen zur MiMastnseiihlldung. W«*il aber «lie bös¬
artigen Geschwülste in F«ilgi* ihr«*r bi*sonder«*ii Struktur immer
von N«*uem zur Verachleppung «ler Zellen Anlass gehen, so häufen
sich allmählich jene schädlichen Substanzen im Organismus imm«*r
mehr an. so dass cs schliesslich <lo«*h zu einer schrankenioscu
; Wuchening der verschh'ppten Zellen kommt. B«*i «len gutartig«*u
; Tumoren ist die Verschleppung vou Zellen sehr viel sclt»*»er. und
> daher kommt «*s hei ihueii nur ausnahmsweise zur Metastas«*»-
hihlung. So ist «leim zu guter Letzt zwar der allgemein«* Zustand
<l«*s Organismus für die M«*tastns«*ubildung eutscheid<‘lid. dies«*r
Zustand aber ist seinerseits wieder abhängig von «l«*r Natur «ler
primären Neubildung.
Diese Th«*orie bietet offcnliar gewiss«* Analogien mit den
I modernen L«*hr«*n von «1er Infektlou, Immunität und Prädis]M»sitiou.
I die man mit Hilfe von Hypothesen noch weiter durchführen
I könnte. Mail braucht«* dabei nhdit anzun«‘linu*u. «lass «li«* ({«•-
j schwülste s«*ll»st parasitären Ursprungs sind. Vielmehr steht der
i Annalime nichts im Weg«*, dass die Gesell wulstzelle» seihst di«*
Holle der Parasiten übernehmen, und «lass die Schutzkräfte des
Organismus diesen Zellen gcgenült«*r sich in ähnlicher W«*is«* b.*-
thätigeu könnten, wie g«*g«*niilM*r «h*n Bakterien l»«*i den Infektioiis.
krankheiteii.
3. Präparate von Metastasen in den supraclaviculsren
Lymphdrüsen bei einer primären Neubildung in der Prostata.
Der betreffen«!«* Patient, «*in HO jähriger Mann. l»«*i weh-liem
si«*h seit einigen Monaten Digestlonsstörungeii eing«*stellt liatteii.
«lie zu schwerer Kachexie führten, zeigte ls*i d«*r Aufnahme neb«*»
einem massigen Ascites, ein grosses Pin-ket harter und vcrgi-össo t «*r
Lyiii]»li«lrtlseii iilK*r «ler linken Clavikel. Die Uiiterauchung des
Mag«*iiinhalts ergab das Fehlen von Salzsäure, «las VorhaiiihMisciu
von Milchsäure und die Anwesenheit von zahlreichen Bact«*ri«*ii.
Es bestand ausserdem eine leichte Cystitis. DI«* Prostata erschien
massig vergrössert. aller in ihrer Configuratiou nicht v«*räinl«*rt.
Bei d«*r Sektion fand si«*h am Magen nur «*im* chrouis'4i *
Oastritis. Ausser ein«*iu Strange intiltrirt«*r r«*trop«*riton<*alcr
Drüsen, war von NVuhlldungou zunächst nichts weiter mu-li
\\«*isbar als «*inig«‘ orhscngnissc Kiiötch<*n auf «ler Harnblasen
Schleimhaut in der (legend «l«*s Trigonum. Dies«* Knöichen zeigt n
i unter «lern Mikroskop «*iii«*ii <'lgeiitiiümlicli<*n drüsigen Ban. «I«*r an
«las tubulöse OcwcIh* «*in«*r Ni«*n* «•rimn'rt. Als der Ausgangs¬
punkt der Neubildung muss die Prostata angeselien wenlt-n. da*
makroskopisch nur «las Bild einer einfn«*lu*n Hypertroplii«* «lar-
bietet. an mikrosk«»pisch«*n Präparaten ai»«*r eine deutlich«* car. i
') Nachtrag: Naeli Eingabe von o.l Mctliyleiil>laii war «l«*r
Iiaiu vou der 2.—90. Stunde blau gefärbt.
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1336
MIT KN CHEN KR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
noinntö.se Degeneration erkennen lässt. Es handelt sieh also um
ein primäres Adenocarcinom der Prostata.
Dass die von Virchow als charakteristisch filr Magen-
«nrciiiome hesehrleltenen Metastasen in «len linksseitigen supra
«•lavieulnreu Lymplidrüsen aneh hei amleren Ahdomimilgeschwül-
sten Vorkommen können, ist vor einiger Zelt in einer Pariser These
von T r o i s i e r eingehender erörtert worden.
Herr Hoppe: Der Lichtprüfer für Arbeitsplätze von
Cohn.
Vortragender betont die Bedeutung gut beleuchteter Arbeits¬
plätze als wesentliches Verhütungs- und Bekämpfungsmittel der
Kurzsichtigkeit, und erläutert die Handhabung des ,.Li«*hr-
priifors“, welcher ohne besondere Vorke-iuituisso auch dem Laien
gestattet, sieh schnell und leicht ein zutreffendes TTrtheil zu
bilden über die Yorworthbark«‘it eines Platzes als Arbeitsstätte.
In «1er Discussion Ixmierkt Herr Pröbsting, dass
(’» h n’s Miniinalforderuug einer Platzhelligkeit. von 10 Meterkerzen
viel zu gering sei. und Helligkeiten von 30 Meterkerzen technisch
unschwer ermöglicht werden könnten.
Herr Klein II demonstrirt das Verfahren von Win gen,
die Helligkeit der Arbeitsplätze eines Sehulzimmers vergleichend
da rzusteilen unter Benutzung lichtempfindlichen Papl«*rs.
Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg.
* (Offlclellee Protokoll.)
Sitzung vom 23. M a i 1901.
Vorsitzender: Herr Sondier.
Vor der Tagesordnung demonstrirt H«*it Koch einen Fall I
von Ankylose der Brust- und Lendenwirbelsäule, di«* wahrseholn-
lieh hervorgenifen ist durch einen chronisch deformireudeu nrtliri-
tischen Proeess.
Darauf zeigt Herr Sen dl er im Anschluss an seinen in der
v«»rig«*n Sitzung gehalt«*ncn Vortrag ein neues Präparat einer durch
die Cholecystektomie gewonnenen Gallenblase.
Sodann hält Herr Richter seinen angekündigten Vor- .
trag: Heber die Indikationen zum Trommelfelhchnitt.
Vortr. gibt zunächst, einen Feherblic.k über die historische
Km Wickelung des Trominelfcllschnittcs. S<*it ihrer ersten Aus- ,
führung. so legt er dar, habe die Operaiion stets an dem Mangel
scharfer Indikationen oder an dem Missverständnis* derselben
gekrankt und sei schliesslich bei immer seltener und zweifelhafter
werdenden Erfolgen völlig in Misskredit gcruthen. Es sei das
grosse Verdienst »S e h w a r t, z e’s gewesen, die Para «•eiltest: durch j
seine 1867 erschienene Arbeit ..Studien und Beobachtungen über j
die. künstliche Perforation des Trommelfelles“ der Vergessenheit
entrissen und ihre Indikationen auf «lern Boden pathologisch-
anatomischer Forschung von Neuem aufgehaut zu haben. Nach
Besprechung <l«*r einschlägigen Anatomie unterzieht der Vortr.
«lie Reihe der im Laufe «1er Z«.*it von den verschiedensten Autoren
aufgestellten Operationsanzeigeii einer Prüfung. Bis in die Mitte
des 19. Jahrhunderts sei die Pannmmese hauptsächlich zur Ver¬
besserung; des Gehörs uuternomiuen worden.
Die Verengerung «1er Tuba Kustnchii, sowie die Abnormi¬
täten dej* Trommelfelhnembran und ihrer Spannung können heu¬
tigen Tages nur in den seltensten Fällen als ausreichende Indi- j
kation angesehen werden.
Auch die Erfüllung der Pauke mit Exsudaten — akuten
wie chronischen — berechtigen nur dann zur Eröffnung, wenn
bei dem Allgemeinzustnnd des Körpers di«* spontane Resorption
unter schonen«leren Maassnalunen nicht zu erwarten sei. Dies
gelte auch für die akut «mtziindlmhen Proe«*sse und Exsudate
in der Paukenhöhle. Eine unabvveisliche Indikation bestehe nur >
bei Sekretverhaltung«-n in Fällen akuter und chronischer Eite¬
rung; hier erhalte d i«* Indikation vital«* Bedeutung. Von diesem i
Gesichtspunkte aus müsse man auch di«* sogen. Sehwartze’sche
Indikation betrachten, welche den Trommel fellschnitt. fordert
..als antiphlogistisches Mittel hei Mvringitis acuta, wo eine hoch¬
gradige Schwellung <l«*s dunkelblaurothen Trommelfell«**, am
stärksten im hinteren, olteren Quadrant«*n, besteht neben unerträg¬
lichen Schmerzen“. Nach Ansicht «les Vortr. sei «lies«* Affektiou
aufzufassen als eine selbständige Entzündung des Kuppelraumes
mit oder ohm* Betheiligung <!«■* eigentlichen Cavum tvmpani.
Fine rechtzeitige Entlastung dieses Raumes durch energischen
Schnitt der Membrana Haeeida s<*i dringend indizirt, um die aus
diesen Affektionen eiitstchcmlcn, wegen ihrer deletären Ausgänge
so beachtenswert hen ehronisehen Eiterungen mit Fistel am oberen
Pol des I rommelfolles zu verhüten. — (iogvnüber den ange¬
führten seien die sonst noch aufgcstclltcn Imlikatinnen (proba-
torisehe, vorbereitende u. a.) ohne Bedeutung.
An der Discussion betheiligt sieh Herr Kretsch
in a n n.
Aerztlicher Verein Nürnberg.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 2. M a i 1901.
Vorsitzender; Herr Carl Koch.
1. Herr Friedrich Merkel demonstrirt 2 Präparat»*, «liv
«Inreli Operation gewounen wurden:
hi Ovarialtumor, stammt von einer 21jährigen PrhuipHi;i:
Eiitbiiidmig \or itl Wochen, seitdem stete Zunahme des LpIIh*
bis zu !I7 ein: einfache Operation, langer Stiel, •% gedreht, glatter
Verlauf.
h) XJterusmyom, stammt von einer 47 jährigen I. Para. Ri¬
ndts im Jab'«* 18X7 wurde ein missgrosser Knoten an der linken
Fl«>ruskante naehgewieseii. In den letzten 2 Jahren zunehmend«*
B«*s« , bwerden, insbesondere ständig Leibsehmerzen und hart
liiiekig«* Obstipation. Leibumfang 97 y s cm, Tumor rechts bis
unter «len Ripppnhogen reichend; im vorderen Scheideugewölls*
ein faustgrosser Knollen zu fühlen. Laparo-Myotomie narii
Ol s hausen, glatter Verlauf.
2. Herr Carl Koch berichtet lib«*r einen von Ihm operirten
kolossalen eystlsehen Tumor der rechten Olierbauebgegend. welcher
zum Inhalt 9 Liter einer tlieerartigen Flüssigkeit hatte. Die Dia
gnos«* Hess sieh auch bei der Operation nicht ganz sicher stellen;
doch ist es das Wahrscheinlichste, dass es sich um elue haemor-
rhagische Pankreascyste handelte. Die Krankengeschichte ist
kurz folgende:
.Ockonom aus Neureuth. 50 Jahre alt. hat seit Januar
1901 im l T nterl«*ib zu klagen und zwar Uber Schmerzen und Stuhl
besehwerdeii. Einmal sollen in der letzten Zeit auch ileusartig«*
Erscheinungen dagewesen sein. Seit Ende Januar wurde auch
eine (««‘schwulst im Leibe in der r«*ehten Oberbauehgegend >**-
merkt. die sieh verhältnissmässig rasch vergrösserte. während der
Kranke immer mehr von Kräften kam.
Stat. praes. Magerer, auffallend bleicher Mann. Die sicht
baren Schleimhäute nahezu blutleer, insbesonder.» die Conjunctiveu
ganz blass. Die ganze rechte 01>erbauehgegend stark vorgewölbt
durch einen mächtigen Tumor, der sieh rechts nach der Lenden-
gegend zu fortsetzt und nach links bis zur Parasternallinie, wo >-r
an den Rippenbogen angrenzt, sieh erstn*ekt. Oben reicht er bi<
unter den Rippenbogen hinauf und nach abwärts nimmt er noch
die obere Hälfte der rechten Fnterbauchgcgend ein. Die Ober-
Hache «1er Geschwulst ist glatt und erscheint kugelig gewölbt:
nur ln der rechten Pnrasternallinie zieht eine seichte Furche ütor
sie senkrecht von oben nach unten. Die untere Begrenzung Ist
gleichfalls kugelig, nirgends ein scharf« r Rund. Feber der ganzen
<I«'s«*hwulst absolut gedämpfter Schall, der sich na«*h oben in die
Leberdiimpfung anscheinend fortsetzt. Di«* <*t>ere Dämpfung*
gr.*iize ist vorn am oberen Rand «1er 4. Rippe, hinten ani oben*»
Rand der 8. Rippe. Palpation ergibt pralle Elastieität; der unten*
Leberrand nicht durehzufüblen; bei der Athnmng verschiebt sich
«lie Geschwulst nicht.
Am 29. April Operation in (’hloroformnarkose. Längsschnitt
zunächst dem lateralen Rande «l«*s Muse. reet. auf der rechten
Seite. Bel der Eröffnung des Peritoneums stellt sieh sofort die 6 -
schwulst ln die Wunde ein. Es zeigt siel» al*er über Ihrer Ober-
fläche n«K*h ein ziemlich leicht verschieblich«« peritoneales Blatt,
durch welches hindurch querzieliende Blutgefässe zu sehen sind.
Spaltung dieses Blattes'durch einen ea. 10 cm langen Längsschnitt:
dadurch wird die etwas verdickt«* (’ystenwand freigelegt. Darauf
Vernähen der Schnittränder dieses so gespaltenen Perltonealblatte*
mit den Rändern der Schnittwunde des Peritoneum parietale durch
fortlaufende Nabt, so dass ein vollständiger Abschluss gegen <li*'
freie Bauchhöhle geschallen wird. Ein vorher noch gemachter
Versuch, die Geschwulst nach allen Selten nbzutasteu. misslingt..
da man nirgends über die Grenzen derselben ohne Erweiterung
«les angelegten Baueliselmittes hinausreleht»»» kann. Die Leber
kann weder gesehen no«*h gefühlt werden. Nach der Vernähuug
«les periton«*al«*n Feberzugs der Cyste mit dem Peritoneum parie¬
tale Punktion und Ausheberung einer nahezu schwarzen, tlieer-
artigen Flüssigkeit in der Menge von 9 Liter. Schon nachdem eine
geringe Menge Flüssigkeit entleert ist. bessert sieh die Athmuug.
«lie anfänglich sehr mühsam g«*w«*seu, und wird Immer freier, je
mehr Flüssigkeit uusfliesst. Nachdem ea. (5—7 Liter Flüssigk«*it
ausgeflosseii. wodurch der Fntcrleih kahnförmig einsinkt, wiril
«li«* Cystenwand ineidirt und der noch vorhandene Rest der Flüssig¬
keit. durch grosse Tupfer entfernt. Die in die Höhle eingeführt**
Hand kann nach oben weit unter «len Rippenbogen lilnaufgreifeti.
liiiit«*!) die Nr«*r«\ in d«*r Mitte «li«* Wirbelsäule und Aorta abtnsten.
Darnach wird mit dt*r Exstirpation der Cyste begonnen, dies ge¬
lingt mit «ler vorderen Wand zicmlh'h leicht; es werden nur wenige
Fnterbindungeii mötliig. Je m«*br mau aber nach hinten gelangt,
desto sch wer« *r lässt sich der Balg mehr liervorz^hen un«l desto
r« , i<*liliel»er wird auch die Blutung, so dass von einer vollständigen
Exstirpation, die auch hei «ler enormen Grösse der Geschwulst
eine allzu grosse Wundhöhle hinterlassen hätte, Abstand g«‘
nominell wird. Der hcrauspräparlrte Theil des Cystenbalges wird
abgetmg« n. «l«*r noch stehen gebliebene in die Hautwunde pIu-
gonälit. Drain. Tamponade. Der Kranke hat die Operation gut
überstanden.
Digitized by Vjoooie
13. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1337
Die mikroskopische Untersuchung der entleerten Flüssigkeit
ergab nur die Bestand«heile des Blutes, die des exstirpirten Cysten¬
balges, der an seiner inneren Fläche leicht granulirt erschien, im
Uebrigen aber glatt war, Hess nichts Charakteristisches erkennen,
insbesondere waren Epithellagen nicht wahrzunehmen.
Der bisherige Verlauf nach der Operation war im Ganzen ein i
guter.
3. Herr Landau berichtet über einen von L a n z be¬
schriebenen Fall von Fibroma molluscum und demonstrirt eine
Abbildung desselben.
4. Herr Neukirch referirt über einen Patienten mit einem I
grossen perltyphlltischen Abseess, i>ei dem auftretende Ileus- I
erschelnungeu erfolgreich mit Atropin bekämpft wurden.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Acad6mie des Sciences-
Sitzung vom 17. Juni 1001.
Anwendung der Bierhefe zum Studium des Grundwassers.
Miquel wendet seit l»/ 2 Jahren reine Bierhefe an. um zu
beweisen, dass der Erdboden keine reinigende Kraft auf das
Wasser hat; dieses Mittel kann auch gebraucht werden, um Com-
iuunikationen zwischen Oberflächen oder tiefer liegendem Wasser ,
mit Quellwasser u. s. w. festzustellen. Das betreffende Wasser
muss natürlich zuvor untersucht werden, ob es nicht schon den
Saccharomyces cerevlsiae enthält; die im 10—20 fachen Volumen
Wasser aufgelöste Hefe, wovon je nach Umständen 10, 20 und
mehr Kilo nöthlg sind, wird ln das Wasser geworfen und um sie
an Irgend einer beliebigen Stelle wiederzutiuden, das verdächtige
Wasser in Kolben, welche verzuckerte Bouillonpepton enthalten,
segelten. Nach 24—48 Stunden werden die Kolonien des Saccharo¬
myces cerevis. und auch sehr bald eine energische Alkoholfermen¬
tation sich entwickeln. M. fand, dass die liefe nicht merklich an
Lebensfähigkeit auch nach langen unterirdischen Wanderungen
einbüsst und dass man sie noch am Ende von über 1«M» km langen
Wasserläufen und nach einem Aufenthalt von mehr als 2 Monaten
entweder in diesen oder im Innern des Bodens wieder naehweisen
konnte.
Sitzung vom 24. Juni 1901.
Die lokale Anaesthesie mit den häufig unterbrochenen Strömen
in der Zahnheilkunde.
R e g u i e r und D i d s b u r y stellten mit den Strömen nach
«l'A rsouval. d. i. häuüg unterbrochenen Strömen von hoher In¬
tensität (100—150 MA) und mit speciellen Elektroden diesbezügliche
Versuche an und kamen zu folgenden Ergebnissen. Die Extraction
der Schneidezähne ist mit der Anwendung der Elektricität fast
immer eine schmerzlose, ebenso die der Eckzähne, bei deu Molaren
ist das Resultat ein wechselndes, die ersten Mabiziilmc sind meist
leicht zu anaesthesiren, die letzten weniger leicht; ebenso geben die
mit Periostitis behafteten Zähne wechselnde Resultate. Die Dauer
«ler Applikation des elektrischen Stromes beträgt 5 Minuten, die¬
selbe ruft keine unangenehme Nebenwirkung oder sekundäre Re¬
aktion hervor.
Ster n.
Verschiedenes.
Öcul a r l u m. Seit einiger Zt^t hat sich, wie wir einer
Mittheilung des Pressausschusses des ärztlichen Bezirksvereius
München entnehmen, in München wie auch in anderen deutschen
Städten ein Brilleugesohüft unter dem wohlklingenden Titel
„Oenlarium“ etnblirt, welches „kostenlose Augenuutersuchung
zwecks Verordnung passender Augengläser durch eigens an-
gestellte Augenärzte“ in Zeitungen und Plakaten anpreist. Nach¬
dem schon aus Mittheilungen der Schlesischen Aerztecorrespondenz
•►ekauut war, dass die reklamliaften Ankündigungen des „Ocu-
lariuin“ mit grosser Vorsicht aufzunehmen seien, so dass der Bres¬
lauer ärztliche Verein es mit der ärztlichen Ehre unvereinbar
erklärt hat, an diesem Institut thätig zu sein, hielt es auch der
ärztliche Bezirksverein München für angebracht, über die „eigens
Angestellten Augenärzte" Erhebungen zu pflegen. Diese ergaben,
dass die eigens augestellten Augenärzte repräsentirt sind durch
einen jüngeren Arzt, Namens Frankel, welcher augibt, seine
angenärztllche Ausbildung in Würzburg bei Herrn GeheimratU
Professor Michel erhalten zu haben. Auf eine Anfrage bei
diesem erfolgte die Antwort, dass er sich an einen Herrn dieses
Namens überhaupt nicht erinnere. Der betreffende Herr isi also
jedenfalls kein Augenarzt im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern
praktischer Arzt; wenn auch jeder prakt. Arzt gesetzlich das Recht
hat, Augenheilkunde zu treiben, so versteht man doch Im Publi¬
kum unter Augenarzt einen Specialisten, welcher nach Erlangung
seiner Approbation als Arzt doch längere Zeit hindurch an einer
Augenklinik als Assistent thätig wur und es gilt, unter den Aer/teu
mit Recht als unanständig und unzulässig, sich Specialist zu
uennen, ohne eine solche besondere Vorbildung. Wenn also das
..Oeularium“ von eigens ungestellten Augenärzten spricht, so
können wir darin nur eine Irreführung des Publikums erblicken.
Was übrigens die angeprieseneu dichroiuatIschen Augengläser des
Professors aus Persien betrifft, so dürfte Uber die Vorzüge der¬
selben unter Sachverständigen wohl nur eine Meinung bestehen
uod zwar die, dass sie dem Verkäufer nützlich sind. Das Ge-
wbäftsgebahren des Oculariums, sowie das Verhalten des Arztes,
der sich in den Dienst eines derartigen Unternehmens stellt, dürfte
damit genügend gekennzeichnet sein. Das letzter«* ist. ganz ab¬
gesehen davon, dass es Ansehen und Interessen des ärztlielieii
Standes verletzt, um so bedauerlichen, als es in unserer Zeit
zweifellos moralische Pflicht Jedes Arztes ist. dem unlauteren
Wettbewerb in jedem «leidet der Heilkunde entgegenzutret«*n.
Unanständig e r P r a x i s e r w e r h. Von kollegialer
Seite geilt uns das nachstehende, an bayerische Apotheker ge¬
richtete Circular eines Arztes zu. «las in «ler Timt verdient,
niedriger gehängt zu werden, wesslmlb wir es hier zum Abdruck
bringen.
München, Jägerstrasse 3 b. deu.
Geehrter Herr Apotheker!
Entschuldigen Sie, geehrtester Herr Apotheker, gütigst, wenn
ich — obwohl persönlich unbekannt — mich an Sie wende.
Suche einen einigermaassen einträglichen Arztposteu, wo¬
möglich mit Ilandapotlieke, und wäre für diesbezügliche Mit¬
theilung sehr dankbar; selbstredend würde ich mich coutractlich
verpflichten, bei allen Bestellungen nur Ihre Apotheke zu be¬
denken; ausserdem können Sie sich versichert halten, dass meine
Roeeptur nicht kärglich sein würde.
Bin 33 Jahre alt, katli.; la. amtliche Referenzen stehen mir
zur Verfügung.
Indem ich beiderseits ehrenwörtliclie Diskretion vorausseiz«\
zeichne ich in Erwartung baldmöglichster Mittheilung
Ergebenst
Dr. F. S e d 1 in a i r, Balinarzl.
Therapeutische Notizen.
A s p i r i n it n d Di o n in bei K i u d e r k r a n k li «* i t e n.
Da über die Wirkung dieser beiden Präparate bei Kimlern bisher
noch keine Beobachtungen vorliegen, sind die von U. Gott-
schalk in der Kindeipoliklinik von II. N e u m a n n - Berlin an
gestellten Versuche von Interesse.
Das Aspirin erwies sich hiebei in Dosen von \\—>/ 2 S bei
Kindern in deu ersten Lebensjahren als dem salicylsaureu Natron
mindestens gleichwertig. Das licobaehtote Material umfasst
3<» Kinder, davon 20 mit Influenza, die übrigen mit rheumatischen
Affekt innen und Uliorea. Nebenerscheinungen. Mageustörungen
u. s. w.. wurden nicht beobachtet. IM«* Maximaldosis betrügt bei
grösseren Kindern 2—3 g pro die. Die Anwendung in Tabletten
form empliehlt sich schon der Billigkeit wegen.
Was das Dion in betrifft, so fand «w liei 52 Perliissisfälien
Anwendung und erwies sich hier, wenn auch nicht als Speeiiieiim.
so doch als sehr werthvolles und unschädliches Xarkolieuni. «las
in seiner Wirkung zwischen Morphium und Codein stellt und eben¬
falls keine Nebenerscheinungen iui Gefolge hat. Die Anwemlnng
erfolgte in Dosen von >/ 2 mg bei einjährigen, 1 mg bei zweijährigen
und steigend bis zu 5 mg b«*i achtjährigen Kindern und zwar in
Form einer Lösung von 0,01—0,02—0.1 auf .loti.o dreistündlich ein
The«- bis Kinderlöffel voll. Sobald Schlafwirkung eiulritt, ist die
Dosis etwas herabzusetzen. (Therap. Beilage der Deutsch, med.
Woelionschr.) F. L.
Gegen Nachtschweis d - « !« ■ -B. h. t h 1 s i k e r haben \/
sich nach Mittheilung von N o 1 d a - Montreux-St. Moritz Ein-
roibungen von Tanuoform bewährt Das Tannoform-Streu- V
pttlver (1 Tannoform auf 2 Talcum venetum) wird einfach mit der
flachen Hand In die Haut (der Brust, in schweren Fällen der
Brust, des Nackens und des Rückens) eingerleben, die einge¬
riebenen Partien werden Morgens und Abends behufs Reinigung
der Ausführungsgüuge der Schweissdrüsen mit Franzbranntwein
abgerieben. R. S.
Zur Behandlung der Unterschenkelgeschwür«.*.
Schon seit über Jahresfrist habe ich die mir vorkommenden Fälle
von ITnterschenkelgeschwiircn mit Kamp her behandelt und
zwar in Form einer Salbe, deren Recept mir durch die Güte eines
älteren Apothekers übermittelt worden war. Ich verschrieb dar¬
nach:
Camplior. trit
0,3,
01. oliv.
2,0,
Liqu plumb. äset.
2,0,
Ungt. Hydrarg. praes alb.
3t>,0,
m. f. uugt. etc.
Ich wählte diese Salbenform, du es sich in meiner Praxis
lediglich um ambulante Fälle handelte, bei «lenen der Erwerbs¬
verhältnisse wegen eine Bettruhe nie, eine relative Schonung kaum
zu erzielen war. Waren doch von meinen 4 Patientinnen, die uii«*li
wegen des Ulcus eruris eonsultirten 3 Wäscherinnen resp. Plätte¬
rinnen, die nicht aussetzen durften, ohne für diese Zeit brodlos
zu sein. Die Geschwüre waren zum grossen Theil arg vernach¬
lässigt, oft von einem Längendurchmesser von 10—14 cm.
Der Erfolg war. trotz der geringen Schonung, ein recht guter,
nämlich völlige Heilung in einem Falle, in 3 anderen Heilung und
ITeberliäutung bis auf etwa zehnpfennigstückgrosse Stellen. Schon
nach 3 tägiger Behandlung begauneu gesunde Granulationen sich
zu bilden.
Ich lialt«* obiges Resultat für um s<> bemerk«;nsw«-rtlh*i\als ein»*
nach Auflegen der S:ilb«-iiläppeli«*ii.
Ich halte obiges Resultat um so henmrkeuswortlier. als eine
5. Patientin, die ich vor Keniituiss des Kamplierreeepls mit Liqu.
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1338 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33.
nlumin.m-ctic. uml I>«»rmntolpudenmg behandelte», nur ganz geringe
Besserung zeigte uml noch heute tingehellt i.st, nachdem sie sich
der so wenig erfolgreichen Behandlung entzogen hatte.
Dr. Bank- Arns wähle. Nm.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 13. August 1JWH.
— Das (' e n t r a 1 c o m i t e f ii r das H r z 11 i e h e F ort -
bi 1 d u u g s w e s e n ln I'reiis« e n veranstaltet, im Winter
1901/1902 eine Keilte von unentgeltlichen Fortbildungskursen und
Vorträgen für praktische Aerzte in Berlin. Fs werden 15» Kurse
aus allen (Jebieten der Medicln abgehalten, von denen j«*«ler
3—3 Monate «lauert. Die Vortragsreihe lmtrifft das <J«»bi«»t der
ärztlichen Kriegswissenschaft. Zur Theilnahine au «len Fort-
blhlungskursen und Vorträgen ist jeder in Berlin und Umgegend
praktleireinle Arzt gegen Lösung einer nicht übertragbaren Karte
berechtigt. Für «lieselbe wird eine Fiuschreibgebiihr von 3 M.
für jeden einzelnen Kurs und die vollständige Vortragsreihe — er¬
hallen. Die Kartell, welche als Legitimation dienen, sowie die
Verzeichnisse der Fortbildungskurse und Vorträge siud im Direc-
tionsburenu der Charit«'» zu erhalten. Schriftlichen Bestellungen
siud ein frankirtes Ctinvert mit der A«lress«> <l«»s Bestellers und
die Finsclirelbegebiihr für die gewünsclit«»n Karlen beizufügen
tili Briefmarken «nler «lurch Post an Weisung, nicht in Metallgehl
im Couvert.». Alle schriftlichen Bestellungen und etwaige Post¬
anweisungen sind zu s«»nden an: Herrn ltechnungsrath Trau«».
Kgl. Charitf». NW., l'nterhaumstrasse 7. Siimmtliclu für «las
Centralcomitß bestimmten Zuschriften, welche sieh nh»ht auf di«»
Bestellung von Karten otler Verzeh-hnlssen bi»zh»heii. sind zu
richt«»n an das Bureau des C«»iitrah»omit(*s z.H. «les Schriftführers
K. K u t u e r. W., Steglltzerstrass«» .71 (vom 1. Oktal »er an: W..
Flsslmlzstrasse 13).
---■ Auf «l«»r Naturforsch«»rvcrsammlung In Hamburg soll die
(1 r ii n «1 u u g ei n «* r D euts «• h «* n G «» s «• 11 s c li a ft f ii r
Orthopädie lierath«»n werden. Namens einer Anzahl hervor-
ragemh'r «leutsch«»r Orthopäden erlässt Dr. H «» e f t m a n-
Königsberg eine Einladung an alle diejenigen Kollegen, die sich
für diesen Zweig der Chirurgie interesslreii. sich zu einer «lles-
beziiglichen Bes|>rechung am Montag «len 33. September 1. .1. im
Fppendorfer Krankenhaus«», im Anschluss au «lie Naclnnittags-
sitzung, eluzurtmlcii. Ein Aufruf liegt «1cm Programm der Natur-
forscherversnuinilung bei.
— Der Grossherzog von Oldenburg hat den vom Landg«»ri«»h!
zu Lübeck am 30. Oktober v. .Is. w«*gen fahrlässiger Tödtuug zu
3 Jahren Gefängniss venirtliellten praktischen Arzt Dr. Busch
in S«»hwartau begnadigt. Dr. Busch hatte bekanntlich
einem an Breididuivhfall «»rkrankt«»n Kinde ein«- grössere Dosis
Opiumtinktur veror«lnot, weh»he nach dem Gutachten «l«»r Sach¬
verständigen «l«»n Tod d«»s Kindes zur Folg«» hatte.
— Der Geh. Sanitätsrath Dr. Fried rieh Körte in Berlin
feierte am 0. «ls. sein dt» jähriges Doctorjubiliium.
— Pest. Grossbritaiinien. Bei «len in Plymouth vom Dampfer
..Ormuz“ nbgcson«l«*rten beiden Krauki>n hat sich der Ver»la«-ht
auf I*est nach dem Krgebniss der ba«»teriologisclieii T'ntersu«»hurg
nicht bestätigt. — Britisch-Ostlndicn. In der Präsidentschaft Bom¬
bay wurden in der am 5. Juni endenden Woche 13i»l P«*st erkrank-
uugen uml 081 Pestto<lesfäIle gemeldet, ln «ler Stadt Bombay
zählte mau vom 30. Juni bis (5. Juli 84 Erkrankungen und 07 p.»st-
todesfiille. — Türkei. In K«>ustautiu«>pel sind in der Zeit vom
33. bis 34. Juli (5 weitere Pest fülle festgestcilt worden. — Aeg.vpt »n.
Vom 11». bis 30. Juli wurden in Zagazig 3 Pesterkrankung.»n
(1 Todesfall), in Alexandrien 4. in Port Said 1 fcstg«»st«»Ili. -
Philippinen. In Manila war die Pest zu F«dge einer Mittheilung
vom 13. Juni im Zunehnien begriffen. — Japan. Auf dem britis«»lu»n
Dampfer ..Empr«*ss of China”. w«»l«»her am 5». Juni v«»n Hongkong
ülH»r Shanghai in Nagasaki einlief, zeigten b<»i der Ankunft zwei
«•hinesis«»he Passagiere pestverdächtige Krank ticiisersehclmingcii.
l»i«* Kranken wurden gelandet und in das Hospital «ler Ouarjin-
tänestation g«»schafrt; einer von ihnen ist am 14. Juni nachge-
wies«»nermaass«»n an Pest gestorben. Von dem Dampfer war be-
reits in Shanghai ein Passagier gelandet, weh-her daselbst an Pest
verst«>rben ist. — Kaplaiul. In «ler am (!. Juli abgelaufelieu Woche
wurden in der ganzen Kolonie 8 Erkrankungen augezeigt: ge¬
storben sind 4 Kranke, einschliesslich 3 auf gefundener Leichen.
Es befanden sich am <5. Juli no«»h .75» (13) Kranke in Behandlung
und als post verdächtig unt«w Beobachtung 13 (01. nachdem bei
1 Pb Krank«»n im Laufe «ler Woche Pest festg«»stellt worden war.
«juccnsland. In «len beiden Wo«»hen vom 3.7. Mai bis 8. Juni
sind nach den amtiicht»n Ausweisen 3 Erkninkungeu (3 Todesfall«*).
1 ii) angezeigt worden. — Britiseh-OstindU»!». In Kalkutta «*r-
kraukteii 1.7 P«»rs«»nen an P«»sf und starln»!! 14.
— In der 30. .lalir«»swo«-he. vom 31.—37. Juli 1901, hatten von
deutsch«»!! Städten über 4<» ooo Eiuwoliner die grösst«» Sterbli«»hk«»it
Posen mit 45».7. die g«»ringste Solingen mit 5).1 Todesfällen pro
Jahr uml looo Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gt»storb«»nen
starb an Diphtherie und Croup in Kn ml »erg.
(Hochs eh u Inach richten.)
Berlin. Privat<lo«»«*nt Dr. med. Burg hart, Assistent «l«»r
II. med. Klinik, ist zum Oberarzt der inneren Abtheilung d«»s
städtisch«»!! Louisenhospitals in Dortmund berufen worden.
G i e s s e n. Habilitirt: Dr. F. Volliar «1. Assistent der m«»d.
Klinik für innere Medicln.
L i 11«». D»*r Professor «ler externeu Pathologie an «i«»r med.
Fakultät zu Lilh». Dr. Bau dry. wunle auf Ansuchen an Stell«.
«l«»s nach Paris berufenen Prof. Dr. de Ln personne zum
Professor der ophthalinoskopisclieu Klinik «»mannt.
St. Petersburg. Ilabilitirt: Dr. K. Peters für Pii«l
iatrie an d«»r niilitärmedicinischen Akademie.
P h i 1 ii d e 1 p h i a. I>r. »Fr. K. P a c k a r «1 wurde zmii Pro¬
fessor «ler OhivulieilkuiKle ernannt.
Prag. Der Prlvat«lo«»ent für Chimrgie an der <*zeehIschen
m«»«l. Fakultät Dr. O. Kukula wurde zum a. o. Pro/essor er¬
nannt.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Erledigt: Di«» Bezirksarztesstellen I. Klasse ln Kitzingeti uni
Tinunstein sind in Eri«‘«liguug gekommen. Bewerlier um «iie-
sellien haben Um» vorsehriftsmässig belegten Gesuelie 1 h» 1 «ler
ihnen Vorgesetzten kgl. Uegjerung, Kammer «l«»s lnn«»rn. l»is zum
38. August 1. Js. einzureichen.
In den Ruhestand versetzt: l>«»r Bezirksarzt I. Klsssc.
Dr. Joseph S <• li m i «1 t in Kitzingen. s«»iner Bittt» entsprecheml.
wegen imehgewies« ner Krankheit uml hiedureli btslingter Dienst« s-
unfählgkcit auf die Dauer eines Jaiires.
In den «lauernden Ruhestand versetzt: Der Btzirksur/t
I. Klasse. Medleiualrath Dr. Emil (Jessele in Traunstein, seiner
Bitte entspm-heiul. wegen ziirü«»kgelegten 70. I Lebensjahres. unter
Aiierk<»nmmg seiner langjälirigen ausgezeichneten Dienstleistung
Versetzt: Der Assist«»uzarzt Dr. Adolf F 1 e i s «* li m a n n «ler
Reserve (Ludwigsiia fein in «len Frietlensstand il«»s 33. (nf.-Reg.
Befördert: Zu Assistenzärzten «lie Unterärzte Wilhelm Brünn
im 13. Inf.-Ueg.. Dr. Otto Kot t im 8. Inf.-Keg.. Ludwig Köckl
im 31. Inf.-Keg.
Amtlicher Erlass.
(Bayern.)
Bekanntmachung,
Die Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst im Jahre 1902 betr.
K. Staatsministerium des Innern.
Nach Maassgab«» «l«»r §§ 1 u. 3 der Kgl. Allerhöchsten Ver¬
ordnung vom ii. Februar 187(5, «lie Prüfung für den ärztli«*ln»n
Staatsdienst lictreffend (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 301) wird
für «las Jahr 15103 eiue Prüfung für den ärztlichen Staat»ulieiixt
abireiiaiten w«»rden.
Die Gesuche um Zulassung zu «l«»rselb<»n sind unter Vorlage
«h»r Original«» <l«»s Approbationszeugnisses und d«»s Doctor-
diploms «ler niedi(‘Uiisclien Fakultät einer Universität «les dentwlien
Reiches bei Vermeidung des Ausschlusses voll der Prüfling
spätestens bis 30. September 1. Js. bei jener Krelsregieruirg.
Kammer «l«»s Innern, eiuzureichen, in deren B«»zirk der «lermallg»»
Widmsitz «l«»s Gestieltst «»Hers sich liefindet.
Im Gesuche Ist zugleich «lie Adresse für die seinorzeltige Zu¬
stellung des Zulassmigs<lekret<‘s g«»nau aiizugeben.
71 ii li c l! e n. «len 38. Juli 15)01.
Dr. Frhr. v. Feilitzsch.
Morbiditätsstatistik d. InfectionskrankheitenfUr München
in der 31 Jalircswoclus vom 23 Juli bis 3. August 1901.
Rethciligte Aerzte 187. — Brechdurchfall 30 (j 5*), Diphtherie,
Croup 4 (17), Erysipelas 6 (8), Intermittens, Nenralgia interm.
1 (|), Kindbettfieber - (—), Meningitis cerebrospln. — (1),
Morbilli 3o (28 , Ophlhalmo-Blennorrhoea neonat. — (3\ Parotitis
epidem 3 ^ 1), I'neiiiuonia cronpoRa 9 (■•), Pyaemio, Septikaenuie
— (1), Rlieumatismus art. ac. (1.7), Rulir (dysenteriu) — (->
Scarlatina 8 (7), Tussis convulsiva 12 (18), Typbus abdominalis
1 (1), Varicellen 12 (10), Variola, Variolois 1 (—), Influenza — (D,
Summa 123 (152). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in Manchen
während «lei 31. .Tahreswoclie vom 28. Juli bis 3. August 1901.
Bevölkerungszahl: 499 982.
Todesursachen: Masern 2 (1*), Scharlach — (t), Diphtherie
und Croup 1 (2), Rol.hlauf — ( —), Kindbettfieber — (1), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) - (I) Brechdurchfall 10(8), Unterleibtypbus
1 (--), Keuchhusten 2(4), Croupöse Lungenentzündung 1 «.3),
Tuberkulose a) der Lungen 23 (23), b) der übrigen Organe 2 (6),
Akuter Gelenkrheumatismus — andere übertragbare Krank¬
heiten 1 (4), Unglflcksfälle 8 (4), Selbstmord — (2), Tod durch
fremde Hand — (—).
Die Gcsammtzahl der Sterbefälle 181 (189), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen lö,8 (19,6), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,7 (11,1).
•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. K I.ehmaun ln München. — Druck von K. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerel A.G., München.
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Dio Mönch. Med. Wochenschr. erscheint wSchentl.
ln Mommera von durchrehnlttlU-h 6—6 Bogen.
Preis ln Deatxchl. u Ocet.-Üngern vlerteljihrl. 9 JL,
Ina Ansland 7.50 JL Einzelne No. 81 4-
MÜNCHENER
Znscndungen sind zn adresstren: Für dlo Bodactlon
Ottosirasae 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heastrasse 20. — Für Inserate nnd Beilagen
an Rudolf Mosse, Promcnadcplatx 16.
M ED ICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Heraasgegeben von
Cb. Blnnler, 0. Bolllnger, H. CurscbnaoR, C. ßerhirdt, 6. Merkel, J. y. Michel, H. y. Ranke, F. y. Wlackel, H. y. Zleassee,
Freibarg I. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. München.
No. 34. 20. August 1901.
Rednction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 10.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der Züricher chirurgischen Klinik.
Zwei Fälle von durch Naht geheilten Stichverletz¬
ungen des Zwerchfells. — Transdiaphragmatische
Leber- und Nierennaht.
Von Prof. Dr. Carl Schiatter, Secundararzt der Klinik.
In der Gesellschaft der Aerzte der Stadt Zürich habe ich
vor einigen Jahren einen Patienten mit einer Thoraxstichver¬
letzung vorgestellt, welchem aus der Pleurawunde heraus ein
faustgrosses Stück Netz prolabirte. Es gelang mir nach Er¬
weiterung der Thoraxwunde, das vorgefallene Netz durch die
Zwerchfellwunde hindurch in die Bauchhöhle zu reponiren und
die Zwerchfellwunde durch 6 Seidennähte zu schliessen.
Da ich mich bei der Publikation jenes Falles') mit den
Zwerchfellverletzungen eingehender beschäftigt habe, beschränke
ich mich heute nur darauf, dem spärlichen diesbezüglichen
kasuistischen Material zwei weitere Fälle anzureihen, von welchen
der eine wegen der schweren Komplikation mit Leber- und
Nierenstich ein ganz besonderes Interesse verdient.
Seit der Veröffentlichung meines Falles sind von Schmidt )
— als Fortsetzung der 1880 von Lacher zusammengestellten
Statistik von 36 Fällen — 53 weitere Stichverletzungen des
Zwerchfells aus der gesammten Literatur gesammelt worden.
Bei der Durchsicht seiner Tabellen fällt eine eigentümliche
ethnographische Verbreitung dieser Verletzungsart auf. Mit
wenigen Ausnahmen sind es italienische Chirurgen, welche über
derartige Verletzungen zu berichten wissen. Die unglückselige
italienische Volkssitte des Messerziebens im Streite lieferte den¬
selben das Material, und meine eigenen Beobachtungen habe ich
acch nur der hierzulande besonders starken Vertretung der
italienischen Arbeiterbevölkerung zuzuschreiben.
Die beiden Krankengeschichten lauten kurz gefasst fol-
gendermaassen:
I. Fall. F. E., 24 Jahre, Buchdrucker, Zürich, wurde am
Ostersonntag den 15. April 1900, Abends y s 12 Uhr beim Durch¬
schreiten der Ortschaft Adlikon von Italienern grundlos über¬
fallen, bekam zuerst einen heftigen Schlag auf den Kopf und gleich
nachher einen Stich ln die rechte Seite. Er sank sofort zu Boden,
wurde dann später von Bauern aufgehoben und ln ein Haus ge¬
tragen. Der herbeigerufene Arzt deslnflzirte die Wunde, legte
4 Seidennähte und einen Nothverband an und schickte den Patien¬
ten am nächsten Morgen y 2 ll Uhr ln das Kantonsspital Zürich.
Auf dem Transport soll Patient noch viel Blut aus der Wunde ver¬
loren haben. Eine Stunde nach der Verletzung trat einmaliges
Erbrechen ein.
Aufnahmestatus. Sehr anaemischer, gut gebauter
junger Manu; Lippen und Hautfarbe äusserst blass; Sen-
sorium frei; Puls klein, Frequenz 100; Respiration 50, ziemlich
ruhig. Die rechte Thomxseite bleibt bef der Athmung zurück.
Hinten rechts Dämpfung, welche bis zum 7. Brustwirbel reicht.
Herzbefund normal. Abdomen flach, etwas eingezogen, Baueh-
decken gespannt, besonders der rechte Rectus abdomlnis, keine
Druckempflndllchkeit, eine undeutliche Dämpfung auf der rechten
Abdominalsette.
') Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte 1895. No. 12.
S c h 1 a 11 e r: Zur chirurgischen Behandlung der Zwerch¬
fell rupturen.
*) Ucber die Verletzungen des Zwerchfells mit scharfen In¬
strumenten. Dias. Strassburg. 1898.
No. 34.
Lokalbefuud und Therapie. Nach der Entfernung
der draussen angelegten Nähte zeigt sich in der rechten mittleren
Axillnrllnle zwischen der 9. und 10. Rippe eine horizontal ver¬
laufende, 2,8 cm lange, etwa 12 mm weit klaffende Wunde mit
scharfen Rändern. Nach Desinfektion derselben und Auseiuander-
ziehen der Wundrilnder erkennt man die 9. Rippe mit der
Ihr angehörenden Art lntercostalls ebenfalls
scharf durchtrennt. Bel jedem Athemzuge pfeift Luft
durch die Wunde ein und aus. In der Wundumgebung befindet
sieh subkutanes Emphysem.
In Aetliernarkose wird die 9. Rippe in einer Ausdehnung von
ea. 10 cm reseeirt find in der Richtung des Hautschnittes die
Pleurawunde erweitert Der Lungenrand kommt nicht zu Gesicht,
da die rechte Lunge eingesunken Ist. Aus der Pleurahöhle ent¬
leert sieh fortwährend koagullrtes Blut. In dem der Thora x-
wunde entsprechenden Zwerchfe 11 abschn111
findet man ebenfalls e 1 n e 3 cm 1 a n'g e Stichwunde. Die¬
selbe wird bis auf ea. 8 cm erweitert. Aus derselben entleert sieh
von der Abdominalhöhle her reichlich Blut. Der durch die Zwerch¬
fellwunde eingeführte Finger findet am seitlichen Leberrand einen
stark blutenden, randständigen, ea. 2y 2 cm den
Leberrand einkerbenden Schnitt und nach unten
davon eine zweite, kleinere, etwa 6 mm breite, die Leber
nicht penetrlrende Wunde. Von diesen beiden Leberstich¬
wunden blutet die grössere, hintere sehr stark. Die Blutung
aus derselben wird vorläufig dadurch gestillt, dass der Leber¬
lappen nach oben vorn an den Rippenpfeiler angedrückt wird.
Nun erst zeigt sich ln der dahinter liegenden rechten Niere
ebenfalls eine Stich wunde. Mit I^eichtigkelt lässt sich
der Zeigefinger c a. 8 cm tief in dieselbe einführen. Die Blu¬
tung aus dieser Wunde Ist auffallend gering. In der freien Bauch¬
höhle zeigt sich besonders auf der rechten Seite viel flüssiges
und ca. 100 ccm koagullrtes Blut.
Mit kleinen Sublimattupfern werden die Leber- und Nieren¬
stichwunden deslnflzlrt. Die Nierenwunde wird durch
5 tief geführte Nierenparenchymnähte, die
grössere Leberstichwunde durch 4 Parenchym-
Kapselnähte, die kleinere durch eine Naht ge¬
schlossen. Daraufhin steht die Blutung vollständig.
Nachdem noch die Bnuchhöhle mit Stieltupfern von
dem ausgeflossenen Blute gereinigt worden, wird die
Zwerchfell wunde durch eine Reihe Seiden-
knöpf nähte geschlossen. Die Wunde der Pleura
costnlis wird ebenfalls durch Seidenknopfnähte vollständig ver¬
einigt und schliesslich die Hautwunde in ganzer Ausdehnung ver¬
näht, ohne dass ein Drain eingelegt wird.
Im Urin zeigte sich kein Blut, nur mikroskopisch lassen sich
einzelne Blutkörperchen nachwelsen.
23. April 1900. Patient hat nie irgend welche Symptome von
Selten des Abdomens, wie perltonltische Reizung, Erbrechen,
Meteorlsnms oder Dämpfung gezeigt. Ebenso hat sich die Pleura
ganz reaktionslos verhalten. Die Dyspnoe Ist von Stunde zu
Stunde zurückgegangen, die Athemfrequenz In wenigen Tagen auf
normale Höhe zurüekgesunken. Die Dämpfung besteht immer
noch bis zur mittleren Axillarlinie. Die höchste Temperatur
während dieser ersten Woche war 38,2 0 C. (am zweiten Abend
nach der Operation). Die Wunde ist per primam gehellt. Die
Huutnühte werden heute entfernt.
9. Mal 1900. Die Dämpfung ln den hinteren, unteren Par¬
tien hat abgenonimou. Patient steht heute zura ersteu Male auf,
fühlt sieh vollständig boschwerdefrei.
Am 1(5. Mai 19<»0 verlässt Patient das Spital als vollständig
geheilt.
Bel der Vorstellung des Patienten am klinischen Aerztetng der
Gesellschaft der Aerzte des Kantons Zürich am 2(5. Juni 1901 zeigt
sich der Patient ln vollkommen gesundem Zustande und berichtet,
er hätte seit dem Spltalaustritte l>ereits grosse Bergtouren ohne
die geringsten Beschwerden ausgeführt.
II. Fall. Der 17jährige Schreiner N. J. von Zürich be¬
gleitete den vorigen Patienten F. K. (I. Fall» und wollte demselben
bei dem Itnlienerüberfnll zu Hilfe eilen, als er ebenfalls von einem
gegen Ihn kommenden Italiener einen Stoss gegen den rechten
1
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1340
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Rippenpfeiler erhielt. Da er sah. dass er der Uebermacht der
Italiener unterliegen müsste, ergriff er die Flucht und bemerkte
hierbei, .dass er stark blutete und Äthemnoth bekam. In einer
Wlrthsehnft des midisten Dorfes konnte er Unterkunft bekommen.
Am folgenden Morgen wurde ein Arzt gerufen, welcher sofortige
Transferirung des Verletzten in’s Knntousspital jinordnete.
N. langte Morgens y 2 ll Uhr auf der chirurgischen Klinik
au. Bei der Ankunft des Patienten wnr der Nothverband stark
mit Blut durchtriiukt, Erbrechen war nicht eiugetreten, dagegen
lag noch starke Dyspnoe vor.
Aufnnhmcbetund. Der kräftig entwickelte junge
Mann zeigt eine blasse, leicht cyauotische Gesichtsfarbe, beschleu¬
nigte, oberflächliche Athmuug, Frequenz 50. Puls 88, regelmässig.
Seusorium frei. Die rechte Thoraxseite bleibt bei der Respiration
etwas zurück. Die Auskultation ergibt abgeschwächtes Athmen
über der rechten Lunge. Perkutorisch ist hinten rechts Däm¬
pfung zu konstatiren, welche bei leichter linker Seitenlage die
hintere rechte Axillarlinie nicht überschreitet. Kein Hustenreiz,
kein Auswurf. Patient klagt über Stechen in der Wuudgegend.
Keine Besonderheiten des Circulatiousapparates. Abdomen kaum
gewölbt, nirgends druckempfindlich, Seiteupartien nicht gedämpft,
keine Resistenzen. Urin klar.
Lokalbefund und Therapie. In der rechten Main-
millarlinle befindet sich im 7. Intercostalraum eine horizontal ver¬
laufende. 18 mm lauge, 5 mm weit klaffende, scharf geränderte
Wunde. Die Wundumgebung ist sugillirt, Hautemphysem ist
nicht nachweisbar.
Gründliche Desinfektion in Aetheruarkose. Es zeigt sich eine
Fortsetzung des Stichkanales zwischen der 7. und
8. R I p p e in die Pleurahöhle hinein. Die Wunde wird durch einen
11 cm langen, auf der 8. Rippe geführten Schnitt erweitert und die
8. Rippe in einer Ausdehnung von t> cm (4 cm Knochen, 2 cm Knor¬
pel) subperiostal reseeirt. Nach Erweiterung der Pleurawunde
ist iu dem vorliegenden Komplementärraum die Lunge nicht sicht¬
bar. Das steil aufsteigeude Zwerchfell liegt der Pleura
eostalis an und zeigt in Exsplrationsstelluug eine dem Stichkanal
entsprechende, ca. 3 cm lange, theils scharf gerän¬
derte, theils zerfetzte Schnittwunde. Die elnge-
fiihrte Sonde findet das Peritoneum nicht eröffnet, ln
der Zwerchfellwunde wird-ein auffallend stark blutendes Gefäss
sichtbar. Dasselbe kann gefasst und unterbunden werden. Die
Zwerchfellwunde wird durch 4 Seidenknopf-
nähte geschlossen. Nach Entfernung der Blutcougula aus
der Pleurahöhle wird ein Jodoformgazedrain in die Pleurahöhle
eingelegt und die übrige Pleura eostalis- und die Hautwunde durch
NÜlite bis auf die Drainstelle vereinigt. Cynnose und Dyspnoe
Maren etwas stärker als vor der Operation.
Krankengeschichte. 25. April 1900. Die Dyspnoe
hat sehr rasch nachgelassen. Am 2. und 3. Tage nach der Ope¬
ration sind leichte Temperatursteigerungeu, einmal bis 38,4° C.,
eingetreten. Der weitere Verlauf war afebril. Beim heutigen
Verbandwechsel zeigt sich die Wunde reaktionslos geschlossen.
Der eingelegte Gazestreifen und die Nähte werden entfernt.
13. Mai 1900. Die Drainstelle ist bis auf eine kleine Granu¬
lation geschlossen. Die Perkussions- und Auskultatlonsverhült-
uisse der Lungen sind beiderseits gleich, normal. Patient steht
heute zum ersten Male auf.
Am 19. Mai wird er geheilt und vollkommen beschwerdefrei
entlassen.
Beim Studium beider Krankengeschichten mag vielleicht die
Frage aufgeworfen werden, welche Symptome mich zur Frei¬
legung des Zwerchfells veranlasst hätten. Mit Sicherheit war ja
nur eine PleuraeröfFnung nachzuweisen und dem Operateur steht
gev’iss nicht das Recht zu, ohne Weiteres bei jeder Eröffnung
der Brusthöhle die Wunde zu erweitern, um über die Beschaffen¬
heit des Zwerchfells Aufschluss zu erhalten. Die Diagnose der
Zwerchfellverletzungen kann ja, falls dieselben dem Auge oder
dem tastenden Finger zugänglich sind, oder sogar vorgefallene
Eingeweide darauf hinweisen, eine äusserst klare und einfache
sein; in anderen Fällen ist sie eine ausserordentlich schwierige,
oft. ohne Erweiterung der äusseren Wunde geradezu unmögliche.
Symptome von Seiten der sich an die Verletzung anschliessenden
Zwcrchfellhernien, wie Erbrechen, percutorische und ausculta-
tcrische Phänomene sind ausnahmsweise auftretende Erschei¬
nungen. Eine vorliegende Dyspnoe kann verschieden gedeutet
werden. Fehlen dabei noch genauere anamnestischc Angaben
über die Länge des verletzenden Instrumentes und dio Richtung
des geführten Stosses, so bleibt der Chirurg in einer höchst
fatalen Lage. Er weiss, dass die Prognose der nicht operativ
behandelten Zwerchfellverletzungen eine äusserst traurige ist.
Unter den 33 Fällen, die Frey auffinden konnte, starben 2d,
meist an Incarcorntion der vorgefallenen Eingeweide; er be¬
rechnet die Mortalität auf 87,8 Proc. Von 43 operativ behandelten
Fällen der S e h m i d t’schen Statistik starben nur 6 = 12 Proc.,
und diese alle innerhalb weniger Stunden.
Diese Zahlen sind nicht zu missdeuten, sie weisen uns auf
den Werth einer möglichst raschen operativen Hilfe hin und
wohl auch auf die Pflicht, in suspecten Fällen — dem Vorschläge
P o 8 t e m p s k i’s folgend — mit dem gut desinficirten Finger
in die Wunde einzugehen und das Zwerchfell abzutasten, auch
wenn dazu eine Erweiterung der äusseren
Wunde nothwendig werden sollte.
In meinen beiden Fällen, ganz besonders beim ersten, lagen
einige Erscheinungen vor, welche eine Mitverletzung des Zwerch¬
fells verdächtig machten. Die äusseren Wunden hatten ihren
Sitz in den unteren Thoraxpartien, lagen also noch im Bereiche
der Zwerchfellwölbung, ferner war aus der durchschnittenen
Rippe zu schliessen, dass der Messerstoss sehr kräftig und dess-
halb wohl auch in die Tiefe geführt worden war. Bei beiden Ver¬
letzten war ein Bluterguss in die Pleurahöhle nachzuweisen,
welcher zwar auch einer verletzten Lunge entstammen konnte.
Die verdächtigsten Symptome aber waren im Falle I die starke
A n a e m i e, welche bei der beschränkten Dämpfungszone kaum
einer Lungenblutung zugeschrieben werden durfte, und das
Brechen.
Auf welche Weise in der Leber des Erstverletzten zwei Stich¬
wunden zu Stande kommen konnten bei nur einer Zwerchfell¬
und Nierenwunde, ist mir unklar geblieben. Die Lage der
Wunden lässt die Annahme einer Ein- und Ausstichöffnung
nicht zu. Die variirende Lage der Leber in den verschiedenen
Respirationsphasen muss wohl zur Erklärung herbeigezogen
werden. Der kräftig geführte Stich wird zuerst Leberrand und
Niere durchdrungen haben und beim Zurückziehen des Messers
kann die anders eingestellte Leber (vielleicht bei heftigem plötz¬
lichem Pressen) ihre zweite Laesion erlitten haben.
Auch bei diesem Anlasse haben wir uns von der bereits in
einer früheren Arbeit *) hervorgehobenen prompten blut¬
stillenden Wirkung der Lebernähte auf profuse
Lc-berblutungen überzeugen können. Seit der Publikation jener
5 Fälle von (in Bezug auf die Blutung) erfolgreich ausgeführter
Lebernaht hat sich uns diese Blutstillurigsmethode in weiteren
5 Fällen von Lcberverletzungen auf’s beste bewährt.
Im 2. Falle, wo der Stich nach Durchtrennung des Zwerch¬
fells gerade vor dem Peritoneum Halt machte, überraschte mich
die unvermuthet starke Blutung aus einem Zwcrchfellgefäss.
Den Zutritt zur Zwerchfellwunde verschaffte ich mir in
meinem früheren Falle durch blosse Erweiterung der Thorax¬
wunde, in den beiden letzten Fällen wurde die Resektion einer
Rippe nothwendig. Postcmpski und Rydygier em¬
pfehlen die Bildung von grossen, aus Wcichtheilen und Knochen
bestehenden, aufklappbaren Thoraxwandlappen. Ferra resi hat
diesen Weg eingeschlagcn, um bei einer, meinem ersten Falle
ähnlichen Verletzung die Leber durch die Zwerchfellwunde hin¬
durch nähen zu können. In zwei anderen Fällen hat er nach
dieser Voroperation dio transdiaphragmatische Milznaht aus¬
geführt, ebenso Impallomeni. Manara lind Amantc
nähten in der auf diese Weise freigelegten Pleurahöhle den vor¬
gefallenen verletzten Magen und das laedirte Kolon transversum.
Aus dem Allgemeinen Krankenhause zu Hamburg-Eppendorf.
(Abtheilung von Oberarzt Dr. Rumpel.)
Typische Albumosurie bei echter Osteomatacie.
Von Dr. Georg Jochmann und O. Schümm.
Eine ausgedehnte Literatur existirt über die sogen. Pep-
tonurie, d. h. über das Vorkommen ei weisshaltiger Körper im
Urin, welche nicht durch Hitze gerinnen und auch durch ihr
sonstiges Verhalten sich von den Albuminen unterscheiden.
Seitdem uns W. Kühne über die nächsten Spaltungs¬
produkte der Ei weisskörper unterrichtete und mit dem Namen
Pepton einen Eiweissabkömmling bezeichnete, der als das aller¬
letzte Produkt der Verdauung von Eiweissstoffeu aufzufassen ist,
erhob sich die Frage, ob das, was man bislang als Peptonurie
bezeichnet hatte, nun wirklich eine Ausscheidung von Peptonen
im Sinne Kühn e’s sei. Durch Untersuchungen von Stadel-
mann. Devot o, Senator u. A. wurde die ziemlich all¬
gemein anerkannte Thatsache festgestellt, dass eine echte Pep¬
tonurie so gut wie gar nicht vorkommt, dass vielmehr die bei der
sogen. Peptonurie ausgeschiedenen Einweissstoffe in der Mehr¬
zahl der Fälle als Vorstufen von Peptonen, als Propeptone oder
Albumosen aufzufassen sind. Man bezeichnete daher Alles, was
*) S c li 1 a 11 e r: Die Behandlung der traumatischen Leber-
Verletzung. Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. XV, Heft II.
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2Ö. August 19Ö1.
MÜEftCSEftEll MEDtClNISCHE WOCHENSCHRIFT
bisher unter dem Namen Peptonurie gegangen war, nunmehr
meist als Albumosurie.
Wir unterscheiden nach Kühne Heteroalbumose, Prot-
albumose und Deuteroalbumose, je nach dem Grade der Hydra¬
tation. Die ersten beiden bezeichnet man als primäre Albumosen,
die dritte als sekundäre. Eine vierte Albumose, die Dysalbumose,
ist coagulirte Heteroalbumose.
Bei den verschiedenartigsten Krankheiten sind Spuren von
Albumosen im Ham gefunden worden, bei Pneumonie, eitriger
Pleuritis, Meningitis cerebrospinalis, bei Osteomyelitis und vieleu
anderen Erkrankungen, immer aber nur vorübergehend und meist
in sehr geringer Menge.
Verfolgen wir die in der Literatur beschriebenen Fälle von
Albumosurie, so finden wir, dass man sich meist darauf be¬
schränkte, das Vorhandensein von Albumosen zu konstatiren,
ohne genauer zu untersuchen, zu welcher von den oben genannten
4 Gruppen der jeweils gefundene Eiweisskörper zu rechnen
sei und ohne den Versuch zu machen, ihn rein zur Darstellung
zu bringen.
Genauer differenzirt wurde die Art der gesehenen Albumose
in den Untersuchungen von Krchl und Mat.thes, welche
feststeilten, dass im Ham fiebernder Menschen sich fast immer
eine weit vorgeschrittene, zur Gruppe der Deuteroalbumose ge¬
hörige Albumose vorfindet. Ferner findet ein sorgfältiges Ein¬
gehen auf die Art der gefundenen Albumose in denjenigen
Publikationen statt, welche von dem sog. Bence-Jone s’schen
Körper handeln.
Dieser Bence-J one s’sche Körper ist eine der Hetero¬
albumose ähnliche, äusserst merkwürdige Substanz. Kommt die¬
selbe in grösserer Menge über Wochen und Monate hinaus kon¬
stant im Harne vor, so spricht man nach Huppert von
typischer Albumosurie.
Es existiren in der Literatur, soweit uns bekannt, bisher
7 Fälle, welche typische Albumosurie zeigten.
Der erste Fall stammt aus dem Jahre 1848 und ist von
H. Bence-Jones und Maclntyre beschrieben worden.
Der Kranke litt an den Erscheinungen der Erweichung der
Rippenknochen. Die Sektion bestätigte die Diagnose. Es han¬
delte sich um echte Osteomalacie der Rippen.
Erst im Jahre 1883 finden wir einen zweiten Fall beschrieben
und zwar von W. K ü h n e. Es handelte sich um einen 40 j ähr.
Mann, der von S t o k v i s beobachtet wurde. S t o k v i s schreibt
darüber an K ü h n e: Es ergibt sich wohl mit Bestimmtheit, dass
es sich hier um akute Osteomalacie der Rückenwirbel mit Kom¬
pression der Medulla spinalis handelte.
Der dritte Fall ist von Kahler und Huppert be¬
schrieben. Die Sektion ergab: multiple Myelome der Rippen
und Wirbelkörper.
Bei einem vierten Falle von R i b b i n k fanden sich nach
S t o k v i s und Zeehuisen im Periost, im Bindegewebe in
den Muskeln und an den serösen Häuten zahlreiche stecknadel-
kopf- bis faustgrosse Sarkome. Die Knochen enthielten als
Mark eine rothe gallertige Masse und waren ausserordentlich
brüchig.
Der fünfte, von M a 11 h e s beschriebene Fall verlief klinisch
ebenfalls unter dem Bilde der Osteomalacie. Es fanden sich bei
der Sektion myelogene multiple Chondrosarkome des Thorax¬
skeletes.
Während bei dem sechsten Fall, der von Byrom-Bram-
well und Noel Pa ton beschrieben wurde, ausser der Albu¬
minurie nichts Pathologisches sich fand, ergab die Sektion bei
dem siebenten Fall, den Ros in im Jahre 1897 beschrieb, das
Vorhandensein von myelogenen Rundzellensarkomen des Rumpf¬
skeletes.
Es bestand also in 6 Fällen von typischer Albumosurie
Knochenerweichung und zwar 4 mal bedingt durch multiple
Myelome. (Wir verstehen unter Myelomen multiple, vornehm¬
lich in den Knochen des Rumpfes und des Schädels auftretende
myelogene Sarkome.)
Bosin hatte desshalb, ebenso wie Ma 11he s und vor
ihnen Kahler, eine gewisse Berechtigung, anzunehmen, dass
die multiple myelogene Sarkomatose des Rumpfskelets mit der
massenhaften Auscheidung der Albumosen in Beziehung zu setzen
sei. Und es lag dio Schlussfolgerung nahe, bei den Fällen, in
welchen die Diagnose schwankt zwischen der durch multiple
Myelome bedingten Knochenerweichung und echter Osteomalacie,
1341
in dem Auftreten typischer Albumosurie ein differential-
diagnostisches Moment zu erblicken, welches die Annahme mul¬
tipler myelogener Sarkomatose des Thoraxskeletes rechtfertigt.
Diese Annahme war um so begründeter, als in vielen Fällen
von echter Osteomalacie die Albumose nicht gefunden wurde, ob¬
gleich von verschiedenen Untersuchern, so von v. Jaksch,
Senator u. A. sorgfältig daraufhin untersucht worden war.
Da von den 7 in der Literatur beschriebenen Fällen von
Albumosurie 4 durch die Sektion erwiesene Fälle multiple Mye¬
lome waren, so war man, um das Auftreten der typischen Albu¬
mosurie, der differentialdiagnostischen Bedeutung wegen, allein
für die multiple Sarkomatose des Rumpfskeletes zu reserviren,
zu der Auffassung gedrängt, auch die übrigen 3 Fälle von
typischer Albumosurie seien multiple Myelome gewesen.
Bei dem von Kühne beschriebenen Fall, der von S t o k v i s
mit Sicherheit als akute Osteomalacie hingestellt wurde, mangelte
leider ein Sektionsbefund, ebenso wie bei dem Fall von Noel
P a t o li, po dass man im Hinblick auf die Autopsicergebnisse der
übrigen Fälle von typischer Albumosurie leicht annehmen konnte,
auch hier seien multiple Myelome im Spiele gewesen, umsomehr,
als eine klinische Unterscheidung der durch Sarkome bedingten
Malacie der Knochen und der echten Osteomalacie meist grosse
Schwierigkeiten bereitet.
Der einzige Fall, dessen Sektionsbefund mit Sicherheit echto
Osteomalacie ergab, war der von Bence Jones. Derselbe
wurde von Kahler u. A. trotzdem per analogiam zu den mul¬
tiplen Myelomen gerechnet und zwar mit der Begründung, das3
er nicht genügend mikroskopisch untersucht worden sei.
Es finden sich noch 2 weitere Fälle von Osteomalacie in der
Literatur, bei welchen Albumosen im Harn konstatirt wurden,
ohne freilich genauer auf die chemische Natur derselben einzu-
gehen. In dem einen von Langendorff und Mommsen
im Jahre 1877 beschriebenen Fall war jedoch nach Rosin die
chemische Untersuchungsmethode nicht einwandsfrei und bei dem
anderen von Raschken 1894 publizirten Fall fehlte die histo¬
logische Untersuchung und Bestätigung der Diagnose.
Es galt demnach bis heute das Auftreten typischer Albu¬
mosurie als pathognomonisch für multiple Myelome.
Aus diesem Grunde dürfte es von Interesse sein, von einem
Fall von typischer Albumosurie zu berichten, der nach Va jähriger
klinischer Beobachtung im Hamburg-Eppendorfer Krankenhauso
zur Sektion kam und bei dem die klinische Diagnose echte Osteo¬
malacie durch die Autopsie und eine genaue mikroskopische
Untersuchung der erkrankten Knochen bestätigt wurde.
Der Fall soll ausführlicher, gleichzeitig mit den genaueren
pathologisch-anatomischen Daten und den Befunden der histo¬
logischen Untersuchung, sowie mit den eingehenderen chemischen
Belegen an anderer Stelle publizirt werden. Wir beschränken
uns desshalb auf das Wichtigste.
Es handelte sich um eine 37 jährige Gastwlrthsfrau, welche
hol Ihrer Aufnahme In’s -Krankenhaus Im November 1900 über
heftige Schmerzen In der Wirbelsäule klagte und nicht mehr im
Stande war zu gehen, da, wie sie angab, ihre Beine sie nicht mehr
tragen wollten. Es wurde damals ausser einer lebhaften Druck¬
empfindlichkeit der Lendenwirbel eine Nephritis konstatirt. Der
Urin war sauer und enthielt 0,2 Proc. Albumen (nach Esbach
bestimmt), einzelne granullrte Cylinder, wenig Epithelien, verein¬
zelte I.eukocyten, viel harnsaure Salze. 10 Tage nach ihrer Auf¬
nahme bildete sich am Brustbein eine Vorwölbung ln der Höhe der
II. bis IV. Rippe. In den nächsten Monaten prägte sich diese
Vorwölbung Immer mehr aus. Der Kopf sank immer mehr nach
vorn; die Frau wurde sichtlich kleiner. Nach y 2 jähriger Be¬
obachtung hatte sich das Bild enorm verändert. Es hatte sich
ausser den genannten Veränderungen eine Kyphose der Brust-
und Lendenwirbelsäule Entwickelt. Ferner war eine doppelseitige
Spontanfraktur des Femurhalses aufgetreten. Ausserdem hatte
sich auf dem linken Auge ein haeraorrhagisches Glaukom ent¬
wickelt und rechts fanden sich zahlreiche Netzhautblutungen. Die
Frau ging zu Grunde an einer Pneumonie des rechten Obcr-
lappens.
Die durch die klinische Beobachtung bedingte und durch das
Röntgenblld unterstützte Diagnose auf echte Osteomalacie wurde
durch die Autopsie bestätigt.
Hochgradige osteomalacische Veränderungen fanden si< h
namentlich an der Wirbelsäule, wo von den Wirbelkörperu fast
nichts übrig geblieben war, als eine himbeergölEenrtige pulpöso
Markmasse, die nach oben und unten von den gut erhaltenen
Zwischenwirbelscheiben und nach den Seiten von einem papier¬
dünnen Rest der grössteuthells entkalkten kompakten Substanz
begrenzt war. Ferner fand sich typische Knochenerweichung int
Sternum, In den leicht mit der Seheere sehneidbaren Rippen, sowie
in den Beckenknochen und den langen Röhrenknochen.
1 *
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MtJEttCäENEÜ MfeDtClttlSCttE WOCßEHSCÖRll??.
Ho. 34.
1342
1
Mikroskopisch fand sich in den am meisten veränderten
Knochentheilen. so in den Wirbelkörpern und den Beckenknochen
ein fast gänzlicher Schwund der Spongiosabälkchen. Dort, wo
solche noch vorhanden waren, sah man deutlich die „osteo-
malneisehen Silume“, Streifen entkalkten Knocheugewebes an den
Rändern der Knoelienbülkchen. Ferner sah man an der Grenz¬
zone von kalklosem gegen kalkhaltigen Knochen vielfach jene
körnig-krümmeligen Stellen, die als Reckll ngliausen'sche
Gitterfiguren beschrieben werden. Namentlich ln der Substantia
eorapaeta der langen Röhrenknochen sah man eine ungemein reich¬
liche Bildung von perforirenden Kanälen, ferner eine mächtige Er¬
weiterung der Knochenriiume. Das Knochenmark war ein äusserst
zellreiches, lymphoides Mark, ilas stark hyperaemlsch war und
vielfach Blutungen und Blutpigment enthält.
Ausserdem fand sich bei der Sektion eine rechtsseitige Ober¬
lappenpneumonie und eine Nephritis interstltialis et parenchyma-
tosa mit geringer Amyloidentartung.
Ein Zusammenhang mit Schwangerschaft und Wochenbett be¬
stand in diesem Falle nicht. Die Frau hatte 2 mal einen Partus
durchgemacht, das letzte Mal im Jahre 1880.
Wühreud der letzten Wochen ihres Lebens schied die Patien¬
tin einen Urin aus, dessen Verhalten von dem eines gewöhnlichen
Elwclssharnes wesentlich verschieden war. Wie die eingehende
Untersuchung ergab, enthielt derselbe beständig eine erhebliche
Menge eines eigentümlichen, der Gruppe der Albumosen zuzu-
zählenden Eiweisskörpers s ).
Der trübe sauere Harn lieferte nach dem Flltriren eine klare,
bräunlich-gelbe Flüssigkeit, welche annähernd 0,7 Proc. Eiweiss¬
stoffe enthielt. Der filtrirte Harn zeigte folgendes Verhalten:
1. Bei sehr allmählichem Erwärmen trübte er sich bei 53°.
Beim lnnelialten dieser Temperatur wurde die entstandene Trü¬
bung rasch stärker, so dass nach einigen Minuten die Flüssigkeit
ganz von Flocken durchsetzt war. Bei weiterem Erwärmen bis
auf 100° verschwand die Ausscheidung nicht merklich. Siedend
liltrlrt war die Flüssigkeit klar, trübte sich aber beim Abkühlen
erst milchig und schied allmählich einen starken Niederschlag
aus; je nachdem die Flüssigkeit während des Erkaltens geschüttelt
wurde oder nicht, war derselbe im ersteren Falle eigentümlich
faserig, im letzteren Falle mehr flockig. Wurde die Flüssigkeit
jetzt auf gekocht, so löste er sich; beim Abkühlen erschien er
wieder.
2. Beim Aufschichten des Harns auf Salpetersäure entstand
ein starker weisser Ring; beim Umschütteln blieb die Flüssigkeit
stark getrübt.
3. Zusatz von Essigsäure und Ferrocyankallumlösung erzeugte
einen starken Niederschlag, der beim Aufkochen nicht merklich
verschwand. Die heiss filtrirte Flüssigkeit trübte sich jedoch beim
Abkühlen stark, klärte sich beim Aufkochen und trübte sich wieder
beim Erkalten.
4. Bei Zusatz von Salpetersäure in der Kälte entstand ein
sehr starker weisser Niederschlag, der sich schnell rosa färbte.
5. Der aufgekochte Harn klärte sich bei sofortigem Zusatz
von y„ Volumen Salpetersäure nicht, sondern färbte sich nur
vorübergehend roth und wurde dann tief gelb. Die heiss filtrirte
Flüssigkeit war klar, trübte sich aber beim Abkühlen und schied
allmählich einen sehr starken Niederschlag aus, welcher sich beim
Erhitzen löste. Im Sieden war die Flüssigkeit vollständig klar,
beim Erkalten erschien der Niederschlag von Neuem.
6. Er gab die M i 11 o n’sche Reaktion.
7. Er gab die Bluretreaktion.
8. Mit dem gleichen Volumen gesättigter Kochsalzlösungen
versetzt, blieb er klar, nach darauffolgendem Zusatz von etwas
Essigsäure entstand sogleich ein starker Niederschlag, der beim
Aufkochen nicht merklich verschwand. Die heiss filtrirte klare
Flüssigkeit schied aber beim Abkühlen einen starken Niederschlag
aus, der sich beim Erhitzen löste. Im Sieden war die Flüssigkeit
klar, beim Erkalten erschien der Niederschlag von Neuem.
9. Durch Zusatz von Essigsäure in kleinster Menge bis zum
doppelten Volumen wurde er nicht getrübt. Belm Aufkochen
schied der mit etwas Essigsäure versetzte Harn einen starken
Niederschlag aus; das heisse Filtrat konnte sich beim Erkalteu
je nach dem Gehnlte an Essigsäure mehr oder weniger stark
trüben oder auch klar bleiben. Eingetretene Trübungen ver¬
schwanden leicht beim Erhitzen.
Belm Kochen mit alkalischer Bleilösung schwärzte er sich.
11. Durch Sättigen mit Ammoniumsulfat ln der Kälte Hessen
sich aus dem vorher mit wenig Essigsäure versetzten Harn die
Eiweisskörper vollständig aussalzen. In der ausgesalzenen Flüssig¬
keit Hess sich weder durch die Biuretprobe noch durch Tannin¬
lösung eine Spur von Albumose oder Pepton (Kühn e) naeh-
weisen. Die ausgesalzenen Eiweisskörper lösten sich zum grossen
Theile in Wasser auf. Die Lösung wurde zur Entfernung beige¬
mengten Albumins bei schwach saurer Reaktion aufgekocht und
filtrirt. Das Filtrat gab starke Biuretreaktion und die für Albu¬
mose typische Salpetersäurereaktion.
12. Der durch wiederholtes Erwärmen und Abfiltriren der
bei verschiedenen Temperaturen bis einschliesslich 100° entstan¬
denen Niederschläge von allem Gerinnbaren befreite Harn stellte
*) Ob der Urin der Kranken den betreffenden Körper schon
früher enthalten hat, lässt sich leider nicht feststellen. Nach¬
gewiesen haben wir die Anwesenheit des letzteren erst, als wir
nach Feststellung der Diagnose den Urin einer genauen Unter¬
suchung unterzogen.
eine bräunlich-gelbe, schwach sauer reagirende Flüssigkeit dar, in
der sich weder beim Aufkochen noch beim Erkalteu eine Trübune
bildete. Dass diese Flüssigkeit trotzdem noch eine beträchtliche
Menge albumoseartiger Substanz enthielt, beweist ihr nachstehend
beschriebenes Verhalten:
a) Durch Ferrocyankallumlösung allein wurde sie nicht ge¬
trübt, bei darauffolgendem Essigsäurezusatz entstand sogleich ein
starker Niederschlag, der sich beim Erhitzen leicht löste. Die
Flüssigkeit war beim Aufkochen klar, beim Erkalten erschien
der Niederschlag wieder.
b) Durch äusserst geringen wie auch durch stärkeren Essig-
säurezusatz entstand keine Trübung.
c) Sie gab starke Biuretreaktion. Da sie an sich bräunlich-
gelb war, entstand bei Zusatz von Natronlauge und Kupfersulfat¬
lösung eine brnunrothe Farbe.
d) Mit dem gleichen Volumen gesättigter Kochsalzlösung ge¬
mischt blieb sie klar; bei darauffolgendem Zusatz von Essig¬
säure entstand ein starker Niederschlag, der sich beim Aufkochei
löste und beim Erkalten wieder erschien.
e) 3 ccm der Flüssigkeit wurden tropfenweise mit iusgesammt
7 Tropfen Salpetersäure versetzt. Der erste und zweite Tropfen
erzeugten eine starke, beim Bewegen des Reagensglases sogleich
verschwindende Trübung. Beim Zusetzen der weiteren Tropfen
entstand eine starke bleibende Ausscheidung, die sich beim Er¬
hitzen löste. Im Siedep war die Flüssigkeit klar, es war keine
Spur abgeschiedener Eiweissflöckchen vorhanden. Beim Erkalten
entstand ein starker Niederschlag, der sich bei neuerlichem Auf¬
kochen löste und beim Erkalten wieder erschien.
f) Ein Thell derselben wurde möglichst genau ueutralislrt,
wobei die Reaktion schwach amphoter blieb. Die entstandene
geringe Trübung wurde abfiltrirt und das klare Filtrat bei ge¬
wöhnlicher Temperatur mit Steinsalz gesättigt. Dabei entstand
eine deutliche Ausscheidung, welche abfiltrirt und nach dem Aus¬
waschen mit gesättigter Kochsalzlösung in Wasser gelöst wurde.
Die durch Zusatz mehrerer Tropfen Salpetersäure zu dieser Lösung
bewirkte Ausscheidung löste sich beim Auf kochen und erschien
beim Erkalten wieder. Das Filtrat von der vorher durch Steinsalz
allein bewirkten Ausscheidung gab beim Erwärmen einen Nieder¬
schlag, der sich beim Aufkochen nicht löste. Die heiss filtrirte
klare Flüssigkeit trübt sich beim Erkalten nicht; auch nach Zu¬
satz von salzgesättigter Essigsäure blieb sie in der Kälte und
beim Kochen klar.
13. Zusatz des gleichen Volumens Alkohol erzeugte einen
starken flockigen Niederschlag. Im Filtrat entstand auf Zusatz
des mehrfachen Volumens Alkohol nochmals eine, allerdings viel
schwächere. Ausscheidung. Wurde die erste Alkoholfällung (nach
möglichstem Entfernen des Alkohols durch Filtration und Ab¬
pressen des Niederschlags mit Fliesspapier) mit Wasser ange¬
rieben und nach äusserst schwachem Ansäuern mit Essigsäure
aufgekocht, so löste Bich ein grosser Theil. Das heisse Filtrat
schied beim Erkalten einen starken grauweissen Niederschlag a,us.
Beim Vermischen der Flüssigkeit mit dem gleichen Volumen Alko¬
hol vermehrte sich der Niederschlag noch erheblich. Nach dem
Abfiltriren und Abpressen mit Fliesspapier löste sich derselbe beim
Anreiben mit Wasser in kurzer Zelt zum grossen Theile auf.
Das Filtrat war klar, schwach gelblich und gab folgende
Reaktionen:
a) Durch Ferrocyankallumlösung wurde es nicht getrübt, bei
Zusatz von Essigsäure zu dieser Flüssigkeit entstand sogleich ein
starker Niederschlag, der sich beim Aufkochen löste und beim
Erkalten wieder erschien.
b) Mit dem gleichen Volumen gesättigter Kochsalzlösung ver¬
setzt trübte es sich nicht, wohl aber bei nachfolgendem Zusatz
von Essigsäure; die entstandene Ausscheidung löste sich beim Auf¬
kochen der Flüssigkeit und erschien beim Erkalten wieder.
c) Durch sehr wenig Salpetersäure wurde es nur vorüber¬
gehend getrübt, Zusatz von mehr Salpetersäure erzeugte einen
bleibenden starken Niederschlag, der beim Aufkochen vollständig
verschwand, beim Erkalten wieder erschien, beim Aufkocheu
wieder verschwand und beim Erkalten von Neuem ausflel.
d) Mit konzentrlrter Natronlauge gemischt wurde es durch
Zusatz einiger Tropfen 1 proc. Kupfersulfatlösung intensiv roth-
violett gefärbt.
Da das beschriebene Verhalten des Urins die Anwesenheit
eines zur Gruppe der Albumosen gehörenden Eiweisskörpers er¬
geben hatte, versuchten wir aus einer grösseren Menge dee Urins
die Substanz möglichst rein darzustellen und zu identifiziren.
Zu dem Zweck wurden mehrere Liter des Urins mit etwa
gleichviel Alkohol gefällt, der Niederschlag höchst sorgfältig mit
Alkohol gewaschen, mit Fliesspapier abgepresst, mit kaltem
Wasser extrahirt und die Lösung aufgekocht und filtrirt, um sie
von belgemeugtem Albumin nach Möglichkeit zu befreien. Durch
Fällen des Filtrates mit gleichviel Alkohol, Auskochen des abfll-
trirten und abgepressten Niederschlags mit Wasser, und endlich
durch Dlalysiren dieser Lösung wurde die Substanz soweit ge¬
reinigt, dass sie nach dem Trocknen bei 110 0 2,73 Proc. Asche ent¬
hielt.
Die beim Auskochen erhaltene heiss filtrirte neutrale
Lösung trübt sich beim Erkalten zunächst milchig. All¬
mählich schieden sich Gerinnsel In der Form grosser Fasern und
Fetzen aus. Bein» Erwärmen klebten dieselben am Glase, lösten
sich aber allmählich auf, so dass die Flüssigkeit im 8ieden voll¬
ständig klar war. Beim Erkalten wurde sie milchig und es bll-
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20. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1343
deten sich dicke Gerinnsel. Durch mehrmaliges Flltriren der
kalten Flüssigkeit Hess sich eine nnr noch sehr schwach opales-
clrend getrübte Lösung herstellen, welche starke Albumosen-
reaktlon gab. Sie gab ferner die Biuretreaktion und die Reaktiou
von Adamklewica ln ausgeprägtem Maasse. Durch Dialyse ge¬
reinigt, enthielt die Substanz Schwefel, Eisen und Phosphor.
Histon konnten wir nicht nach weisen.
Bel der Verdünnung mit Pepsinsalzsilure lief eite sie eine klare,
Pepton (Kühne) enthaltende Lösung. Auch nach mehrtägiger
Digestion bei 40* blieb dieselbe klar; die Abscheidung einer
Gallerte, wie sie Matthes*) beobachtete, fand nicht statt. Viel¬
leicht ist diese Differenz gegenüber dem von Matthes beschrie¬
benen Eiweisskürper darauf zurückzuführen, dass uns für den
Verdauungsversueh leider nur noch eine geringe Menge Substanz
zur Verfügung stand.
Äussere Umstände machten es uns zu unserem Bedauern un¬
möglich. gleich nach erfolgter Feststellung der Albumosurie mit
dem Sammeln des Urins zu beginnen. Vom 13. Mal 1001 ab konnten
wir denselben sammeln und erhielten etwa 4 Liter. Leider starb
die Frau schon am 19. Mal 1901, Abends 7 Uhr. Am 20. Mai,
Mittags 1 Uhr, also 18 Stunden nach dem Tode, entnahmen wir
dem Herzen und den grossen Gefässen vorsichtig eine grössere
Portion Blut. Dasselbe (222 g) wurde sofort mit 230 g Wasser
verdünnt, mit Essigsäure schwach angesäuert und bei gewöhn¬
licher Temperatur mit soviel reinstem, pulverlslrtem, neutralem
Ainmonlumsulfat versetzt, dass nach vollständiger Sättigung noch
eine reichliche Menge ungelöst war. Am nächsten Morgen (21. Mai)
wurde die Flüssigkeit ültrirt, der Filterinhalt mit so viel abso¬
lutem Alkohol verrieben, dass das Gemisch zwei Liter betrug und
in verschlossener Flasche aufbew'ahrt. In dem Filtrat von der
ursprünglichen Ammoniumsulfatfällung liess sich nach geeigneter
Konzentration keine Spur Pepton (Kühne) nach weisen. Aus der
unter Alcohol nbsolutus 3 Wochen lang aufgehobenen Ammonium¬
sulfatlösung konnten wir eine weisse Substanz Isoliren *), welche
sich wie eine Deuteroalbumose verhielt. Sie löste sich leicht in
Wasser von gewöhnlicher Temperatur mit neutraler Reaktion und
wurde daraus durch das gleiche Volumen Alcohol absolutus schnee-
welss gefällt Die wässerige Lösung trübt sich beim Kochen und
beim Erkalten nicht.
Durch Essigsäure, ebenso durch Salpetersäure, wird sie nicht
getrübt.
Belm Erwärmen mit etwas Salpetersäure färbt sie sich gelb.
Durch Ferrocyankaliumlösung, ferner durch das gleiche Volumen
gesättigter Kochsalzlösung wird sie nicht getrübt. Wird die
wässerige Lösung mit dem gleichen Volumen gesättigter Koch¬
salzlösung und darauf mit etwas Essigsäure versetzt, so entsteht
foglelch ein starker, flockiger Niederschlag, welcher sich beim
Erhitzen löst; die lm Sieden klare Flüssigkeit scheidet beim Er¬
kalten den Niederschlag wieder aus, beim Erhitzen löst er sich
von Neuem u. s. w. — Die wässerige Lösung lässt sich bei ihrer
neutralen Reaktion durch Ammoniumsulfat bei gewöhnlicher Tem¬
peratur vollständig aussalzen. Sie gibt Intensive Biuretreaktion
(starke Rotliviolettfärbung). Durch ihr Verhalten gegen Ferro-
eyankalium einerseits, gegen Salpetersäure audererseits unter¬
scheidet sich die Substanz von dem Histon.
Die mltgethellten. Beobachtungen zwingen zu der Annahme,
dass die von uns in einem Falle von echter Osteomalacle aus dem
Urin Isolirte Substanz Identisch ist mit dem sogen. Bence-
Jones’schen Körper, wie Ihn nach Bence-Joues in erster
Linie Kühne eingehend beschrieben hat.
Die Substanz verhält sich wie eine Albumose. Ob sie iden¬
tisch ist mit der von Matthes beschriebenen und von Ihm
als Nucleoalbumose bezelchneten Substanz, konnten wir leider aus
Mangel an Material nicht feststelleu.
Ferner gelang es uns, bei unserem Falle von echter Osteo-
malacie auch lm Blute eine Substanz aufzuflnden, die nach ihrem
Verhalten als eine Albumose, und zwar als eine Deuteroalbumose,
zu bezeichnen ist Das Auftreten derselben im Blut konnte um
so weniger überraschen, als dasselbe theoretisch vorausgesetzt
werden musste, da Ja einerseits nach Neumeister Albumosen,
die auf irgend eine Welse in die Blutbahn gelangt sind, stets im
Harn zur Ausscheidung kommen und andererseits in diesem Falle
sich kein Anhalt bot zu der Annahme, dass Albumosen in den
Nieren oder ln den ableitenden Harnwegen hätten gebildet werden
können.
Nach all’ Diesem scheint uns dieser Fall einer gewissen Be¬
deutung nicht zu entbehren. Er beweist das Auftreten des
Benco-Jone s’schen Körpers, das Vorkommen typischer Albu¬
mosurie bei echter Osteomalacie.
Bei den 8 Fallen, den unserigen mit eingeschlossen, wo
typische Albumosurie in der Literatur beschrieben wurde, war
4 mal Knochenerweichung vorhanden, bedingt durch multiple
myelogene Sarkomatose, 3 mal wurde die klinisch angenommene
*) Verhandlungen des Kongresses für Innere Medlcln,
XIV. Kongress 1800, S. 47C.
*) Zur Isollrung dieser Substanz gelangten wir, indem wir
die von Matthes (Berl. klin. Wochenschr. XXXI. 1894. S.533)
befolgte Methode anwandten.
No. 34,
Malacie von späteren Beurtheilem per analogiam auf dieselbe
Ursache zurückgeführt, weil Autopsieergebnisse fehlten. Ein
Mal, nämlich in unserem Fall, ist der Beweis der echten Osteo¬
malacie durch die mikroskopische Untersuchung erbracht.
Wir haben damit festgestellt, dass die Albumosurie nicht
direkt in Beziehung zu setzen ist zu dem Auftreten multipler
Myelome» wie das Kahler und R o s i n gethan haben, sondern
dass dieselbe ebenso auch bei echter Osteomalacie auftreten kann.
Eine differentialdiagnostische Bedeutung für cfie Unterscheidung
der multiplen Sarkomatose des Rumpfskelets und der echten
Osteomalacie kommt demnach der typischen Albumosurie
nicht zu.
Wenn Rosin in seiner Arbeit die Frage aufwirft, ob etwa
die Albumosen in den Geschwulstmassen der Myelome selbst
gebildet werden, um dann durch den Harn ausgeschieden zu
werden, so sind wir der Ansicht, nachdem wir das Auf¬
treten typischer Albumosurie auch bei echter Osteomalacie kon-
statirten, dass nicht die Tumormassen der Myelome es sind,
welche das Erscheinen des Bence-J one s’schen Körpers be¬
dingen, sondern vielmehr, dass die beiden Krankheiten eigen-
thümlichen lebhaften Wucherungs- und Zerfallsvorgänge im
Knochenmark bei der Bildung der Albumosen eine Rolle spielen.
N achschrift. Nach Beendigung dieses Manuskripts kam
uns ein Referat *) zu Gesicht, welches einen von Rostoski in
der Physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Würzburg über
„Albumosurie und Peptonurie“ gehaltenen Vortrag betraf. In
diesem glaubt Rostoski die Ausscheidung des Bence-
Jone s’schen Eiweisskörpers im Harn bei Fällen multipler Mye¬
lombildung im Knochenmark von der Albumosurie trennen zu
müssen und spricht sich ferner gegen eine Identifizirung des
Bence-J one s’schen Körpers mit der Heteroalbumose aus.
Rostoski führt an, dass in seinem Falle „ein bei 55—56 0 ent¬
stehender Niederschlag sich auch nicht spurenweise in der Hitze
wieder löste“, während auf das gegentheilige Verhalten bisher
immer der Hauptnachdruck gelegt sei. In Anbetracht der Kürze
des Referats lässt sich nicht erkennen, ob die von Rostoski
beobachtete Substanz wirklich der Bence-Jone s’sche Körper
war, und wir sind desshalb nicht in der Lage, uns darüber ein
Urtheil erlauben zu dürfen, in unserem Falle jedoch löste
sich der beim Erwärmen des Harns auf 53—56 0 entstandene
Niederschlag nach dem Abfiltriren und Abpressen zum grossen
Theil schon in Wasser von gewöhnlicher Temperatur (die Lösung
gab die Albumosereaktionen). Beim Aufkochen mit Wasser löste
er sich sogar nahezu vollständig, bis auf eine minimale Opales-
cenz. Diese Lösung trübte sich beim Erkalten stark; durch Zu¬
satz einer genügenden Menge Salpetersäure zu der trüben Lösung
entstand ein starker Niederschlag, der sich beim Erhitzen löste,
beim Erkalten wiedererschien, beim Erhitzen wieder verschwand
und beim Erkalten von Neuem auftrat. Ebenso deutlich gab die
Lösung die übrigen Albumosereaktionen. Wir müssen also auf
Grund unserer Beobachtungen die früheren Angaben bestätigen,
wonach der Bence-Jones’sche Körper die Eigenschaft be¬
sitzt, nach seiner zwischen 50 und 60° erfolgten Ausschei¬
dung bei stärkerem Erhitzen der ihn enthaltenden Flüssigkeit
wieder in Lösung zu gehen.
Aus dem Institute für specielle Pathologie der Universität Pavia
(Direktor: Prof. L. D e v o t o).
Ueber die Bildungsstätte der Lysine.
Von Dr. M. As coli, Assistenten am Institute und A. Riva.
Die jüngst erschienene Mittheilung von Donath und
Landsteiner 1 ) über antilytische Sera veranlasst uns, kurz
über Untersuchungen, die wir in derselben Richtung und mit
ähnlicher Versuchsanordnung im Laufe dieses Jahres ausgeführt
haben und zum Theile noch fortsetzen, zu berichten. Die bisher
gewonnenen Resultate sind von unserem hochverehrten Chef,
Herrn Prof. D e v o t o, in seiner am 15. Juni gehaltenen Schluss¬
vorlesung 2 ) angeführt worden.
Bekanntlich hat Metschnikoff schon seit längerer Zeit
die.Theorie der leukocytiiren Abstammung der .Serumalexine auf-
*) Münch, metl. Wochenschr. 1901. Jahrgang 48. S. 111".
’) Wien. klin. Wochenschr., 25. Juli 1901.
’) Milano 1901.
2
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1344
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
gestellt und seine Schule hat mit vielem Scharfsinn, Eifer und
Ausdauer in einer Reihe von Arbeiten diese Ansicht verfochten;
verschiedene andere Forscher (Schattenfroh, Löwit,
Rail, Jakob u. A.) haben sich auf Grund eigener Versuche
derselben Anschauungsweise angesehlo9sen; Büchner aus¬
genommen sind die deutschen Schulen hingegen, jene R. Pfeif-
f e r’s an der Spitze, viel weniger geneigt, diese Auffassung zu
thcileu; Pfeiffer steht ihr noch immer, wie aus der neuesten,
aus seinem Laboratorium stammenden Arbeit von Rad-
ziewski*) hervorgeht, schroff gegenüber.
Bei unseren Versuchen sind wir nun von folgendem Ge¬
dankengange geleitet worden: Hundeserum übt bekanntlich eine
intensive haemolytischc Wirkung auf die rothen Blutkörperchen
des Kaninchens aus. Das Blutserum von frischen Kaninchen
besitzt einen schwachen Gehalt an diese Lösung verhindernden
Substanzen. Ist es nun, analog den schon von E h r 1 i c h, B o r -
<1 e t experimentell erzeugten Antilysinen, möglich, durch Be¬
handlung von Kaninchen mit Hundeblutserum den Gehalt ihres
Serums an Antilysinen beträchtlich zu erhöhen? Und wenn dies
der Fall ist, gelingt es weiter, dasselbe Resultat durch Injektion
von lTundeloukocyten zu erzielen?
Bei positivem Ausfälle der Versuche ist nun der Rückschluss
gestattet, dass dieselben haemolytischen Substanzen, welche die
Bildung der Antilysine im Blutserum der mit Hundeserum be¬
handelten Kaninehen horvorgerufen hatten, auch in den injizirteu
Leukoeyten vorhanden waren, und da wir beim Antreffen der¬
selben Substanz (in diesem Falle Lysin) in Zellen und Blutserum
wohl die zelligen Bestandtheile des Organismus als die Ursprungs-
statten der in den Säften vorhandenen ansehen müssen, so konn¬
ten wir dann annehmen, dass die Leukoeyten thatsächlich Ly&ine
enthalten; ob diese aus den lebenden Leukoeyten in das'Blut¬
serum als eine Sekretion übertreten, wie Buchnerea annimmt,
oder ob dieser Uebergang nach der Auffassung M e t s c h n i -
kof f’s erst nach ihrem Tode stattfindet, können diese Versuche
nicht entscheiden, ebensowenig wie sie nicht im Geringsten aus-
schliessen, dass auch andere Gewebselemente gleichfalls Lysine
enthalten können.
Die Leukoeyten wurden aus pleuritischen und peritonealen
Aleuronatexsudaten von Hunden gewonnen; die Exsudate wurden
zur Entfernung ihres flüssigen Antheiles centrifugirt, die Flüssig¬
keit abgegossen; der Bodensatz in 0,85proc. Kochsalzlösung auf¬
geschwemmt, und diese Operation wurde 3mal wiederholt; blu¬
tige Exsudate wurden nicht verwendet; mikroskopisch waren in
den Exsudaten vorwiegend polynucleäre Leukoeyten vorhanden.
Das Experiment bestätigte nun thatsäclilich unsere Voraus¬
setzungen, denn sowohl das Serum der mit Blutserum, als der
mit Leukoeyten behandelten Kaninchen besass eine beträchtlich
höhere antilytische Wirkung als das Serum normaler Kaninchen
gegenüber dem Hundeblutserum. Und das gleiche Resultat er¬
zielten wir auch durch die Injektion von Lymphdrüsenpresssaft
entbluteter Hunde. Wir lassen beispielsweise einige Versuchs¬
protokolle folgen. Was die Methodik betrifft, so wurden die Ver¬
suche nach den von Ehrlich für solche Untersuchungen an¬
gegebenen Vorschriften ausgeführt.
Tabelle I.
Kaninchen, Kopf roth (= K. K. r), 1580 g
4. IV. 15 ccm frisches Hundobiutsorura
intraperitoneal
25. IV. dessgleichen
3. V. Blutprobe; das Serum wird zu
folgenden Versuchen verwendet:
1 ccm öproc.Kanincbenblulkürpcrchen-
aufschwemmung (=Kblaufschw.)
0,3 ccm Blutserum (K. K. r.)
0,2 ccm fr. Hundeblutserum
Lösung = 0
Kaninchen, Bücken roth (= K. R. r.), 2080 g
4. IV. Id ccm Hunde - Leukocytenauf-
schwemmung (entspr. ca. 45 ccm
Exsudat) intraperitoneal
5. IV. 10 ccm dto. (entspr. 65 ccm Exs.)
intraperitoneal
15. IV. 4 ccm dto. (entspr. 25 ccm Exs.)
intraperitoneal
25. IV. 10 ccm dto. (entspr. 80 ccm Exs.)
intraperitoneal
3 V. Blutprobe; das Serum wird zu
folgenden Versuchen verwendet:
1 ccm 5 proc. Kblaufscbw.
-f- 0,5 ccm Blutserum (= K. R. r.)
-j- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
Lösung = Spur
Kaninchen, Brust roth (= K. B. r.), 1820 g
1. VI. HnndelymphdrflsenprösB8aft(ent-
spr. ca. 7 g Lympbdrflsen) sub¬
kutan
8. VI. dessgleichen
25 VI. dto. (entspr. ca. 10 g Lymphdr.)
subkutan
29. VI. dto. fentspr. ca. 9 g Lymphdr.)
subkutan
3. VII. Blutprobe; das Blutserum wird zu
folgenden Versuchen verwendet:
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
-f- 0 f 3 ccm Blutserum (= K- B. r.)
-j- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
Lösung = 0
c
IS
o
c
o
14
1 ccm 6 proc. Kblaufschw.
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
ö
Lösung = komplet
G
0>
Lösung = komplet
H
V
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
o
hl
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
o
hl
-f- 0,3 ccm normalesKaninchenHerura(=
a
4- 0,5 ccm (=± n. Kser.)
♦».
a
n. Kser.)
o
-j- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
o
-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
Lösung = komplet
w
Lösung = fast komplet
1 ccm 5 proc Kblaufschw.
-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
Lösung = komplet
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
-f- 0,3 ccm (= n. Kser.)
+ 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
Lösung = komplet
Derselben Versuchsanordnung haben sieh, wie schon erwähnt,
gleichzeitig mit uns Donath und Land st ein er bedient
und sind zu demselben Resultate gelangt; ähnliche Experimente
hat in derselben Richtung auch W assermann ausgeführt und
in einer kürzlich, als unsere Versuche in dieser Beziehung schon
abgeschlossen waren, erschienenen Arbeit (Zeitschr. f. Hygiene,
18. Juni 1901) veröffentlicht. Wassermann injizirte Meer¬
schweinchen Kaninchenleukoeyten und erhielt von ersteren ein
Serum, welches die lytische Wirkung des Kaninchenblutserums
auf Ziegenerythrocyten aufhob.
Da nun die Lysine, wie Bordet und Ehrlich es nachge¬
wiesen haben, aus 2 Substanzen, Zwischenkörper (substance sensi-
bilisatrice) und Komplement (alexine), bestehen, und die Injektion
von Blutserum einer Thierart in den Körper eines Individuums
einer anderen »Species das Auftreten von Antikörper im Blut¬
serum desselben hervorruft, welche gegen beide Komponenten der
Lysine wirksam sind, so ergibt sich die Frage, gegen welche der¬
selben die durch Injektion von Leukocytenaufschwemmungen und
von Lyinphdrüsenpresssaft produzirten Antilysine ihre Wirkung
entfalten; denn diese könnte ebensowohl auf der Anwesenheit im
a ) Zeitsclir. f. Hygiene u. Infektionskrankh; Bd. 37, Heft 1.
betreffenden Antiserum von Antizwischenkörper, als von Anti¬
komplement allein, respektive von beiden gleichzeitig beruhen.
W assermann gibt an, dass das von ihm in der angeführ¬
ten Weise erhaltene Serum ein antikomplementäres ist, weil das
Ziegenblutkörperehen nicht lösende Gemisch von Kaninchenblut¬
serum und inaktivirtem Blutserum entsprechend behandelter
Meerschweinchen durch Zusatz von Komplement reaktivirt wurde.
Donath und Landsteiner berichten, dass die Wirkung
ihres antilytischen Serums auf seinen Antikomplementgehalt zu¬
rückzuführen ist, olrne in ihrer vorläufigen Mittheilung auf die
Versuchsanordnung, welche sie zu diesem Schlüsse führte, näher
einzugehen.
Im Wasserman n’schen Versuche (a. a. O. S. 191) be¬
stand nun der Zusatz von Komplement, welcher die lytische Wir¬
kung der inaktiven Mischung wiederherstellte in Zusatz von
frischem Kaninchenserum; bei dieser Versuchsanordnung ist aber
nicht auszuscliliessen, dass der im Kaninchenserum gleichzeitig
vorhandene Zwischenkörper den Eintritt der Lysis hervorgerufen
habe, so dass der aus diesem an sich ganz exakten Versuch ge¬
zogene Schluss, dass sein in Rede stehendes Serum ein antikom-
plementäres ist, unserer Ansicht nach nicht ganz eindeutig ist
und zur Entscheidung der Frage, ob daß nach Leukoeyten inj ck-
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20. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1345
tionen bei Thieren gewonnene Serum ein antikomplementäres ist,
weitere Argumente wünschenswerth erscheinen.
Wir haben deäshalb versucht, unserer inaktiven Mischung
von Hündeblutserum und Blutserum von mit Ilundeleukocyten
Und Lymphdrüsenpresssaft behandelten Kaninchen ihre lytische
Eigenschaft auf Kaninchenblutkörperchen durch. Zusatz von
Zwischenkörper ohne Komplement, nämlich durch Zusatz von er¬
wärmtem Hundeblutserum wiederzugeben; gelang die Reakti-
virung, so bewies der Versuch, dass im geprüften Serum Anti-
komplement nicht vorhanden war; fiel er negativ aus, so war der
Thatsache, dass 4er Zusatz von Zwischenkörper allein die Lösung
nicht wieder hervorrief, zu entnehmen, dass Antikomplement im
Serum thatsächlich existirtc. Und wie aus den folgenden Ver-
suchsprotokollep hervorgeht, ist dies letztere auch der Fall.
Tabelle If.
(Dieselben Kaninchen und Abkürzungen, wie in Tabelle I.)
1 ccm & proc Kblaqfschw
I ccm 6 proc. Kblaufschw.
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
-4
- 0,3 ccm Blutserum (= K. K. r.)
4
1 ccm Blutserum (= K R. r.)
4
- 0,3 ccm Blutserum (= K. B. r.)
4
- 0,2 ccm Ir. Hündeblutserum
4
- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
4
- 0,2 ccm fr. Hundqblutserum
4
- 0,8 ccm inäktivirtes Hundebluteerum
-t
1 ccm inaktivirteB Hündeblutserum
4
1 ccm inoktivirtes Hundeblutserum
Lösung = 0
Lösung = 0
Lösung = 0
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
1 ccm 6 proc. Kblaufschw.
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
a
-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
c
4* 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
c
4- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
Lösung = komplet
Lösung = komplet
Lösung = komplet
£l
1 ccm 5 proc. Kblaufschw
U -
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
U •
1 ccm 5 proc. Kblaufschw.
c
-4- 0,3 ccm Blutserum (= K. K. r)
c
-f- 1 ccm Blutserum (= K. R. r)
a
-4- 0,3 ccm Blutserum (= K. B. r.)
14
-f- 0,2 Ccm fr. Hundeblutserum
14
4- 0,2 ccm fr. Hundeblutscrum
4 - 0,2 ccm fr. Hundeblutserum
LüÄung = 0
Lösung = 0
Lösnng = 0
Um weiter zu erforschen, ob das Serum der behandelten
Kaninchen ausser dem Antikomplemente auch Antizwischcn-
körper enthielt, haben wir ngch den von Müller 4 ) angegebenen
Methoden versucht, eine komplementreiche Flüssigkeit ohne
Zwischenkörper zu erhalten, um mit dieser festzustellen, ob nach
Zusatz von Komplement allein zu dem oben angegebenen Ge¬
mische Lösung eintritt, was auf Abwesenheit von Antizwischen-
körpem hindeuten würde, während beim Ausbleiben der Lösung
auf das Vorhandensein von Antizwischenkörper zu schliessen
wäre. Aber weder ist es uns gelungen bei Hunden durch wieder¬
holte intraperitoneale Aleuronat- oder Bouilloninjektionen den
Kpmplementgehalt ihres Serums deutlich zu erhöhen, wie übrigens
Müller selbst angibt, dass dies nicht konstant stattfindet, noch
hat uns die versuchte Trennung von Zwischenkörper und Kom¬
plement durch Bindung des ersteren an Erythrocyton in der
Kälte, wo die Lösung aüsbleibt, in diesem Falle zum Ziele
geführt.
Die Entscheidung dieser Frage, sowie die Mittheilung der
Resultate von Versuchen mit dem Blutserum von mit Presssaft
verschiedener Hundeorgane behandelter Kaninchen, die wir im
Gange haben, behalten wir uns für eine weitere Mittheilung vor.
Aus der inneren Abtheilung der Kahlenberg-Stiftung zu
Magdeburg.
Ein Fall von hochgradiger Rechtsverlagerung des
Fferzftrs ftt Folg« rechtsseitiger Lungenschrumpfung.
Von Dr. II. L o h s s e, Assistenzarzt.
Bisher sind nur wenige Fälle von erworbener Dextrokardic,
in denen also das ursprünglich an normaler Stelle gelegene
Herz durch pathologische Proceese im Thoraxraum nach rechts
verlagert worden war, beschrieben worden. In Folge dessen
herrscht bis auf den heutigen Tag darüber keine Uebereinstim-
mung unter den Autoren, wie man sich die Lage des Herzens
und seiner einzelnen Theile zum Thorax in diesen Fällen zu
denken habe, zumal da auch Sektionsbefunde in sehr geringer
Anzahl bekannt geworden sind.
Die spärliche Kasuistik und der Umstand, dass der vor¬
liegende Fall eine ganz enorme Verlagerung des Herzens vor¬
stellt, rechtfertigen seine Veröffentlichung.
Die wichtigste Frage, über die bisher eine Einigung unter
den Autoren noch nicht erzielt ist, dreht sich darum, ob sich
die Herzspitze bei der Verlagerung nach rechts wendet und nach
rechts von der Basis zu liegen kommt, oder ob die Spitze links
von der Basis liegen bleibt und somit das ganze Organ in toto
nach rechts verlagert wird.
Diese Frage zu klären ist unser Fall wohl geeignet, ins¬
besondere, wenn wir den von Garnier beschriebenen Sektions¬
befund von einem ganz ähnlichen Falle mit berücksichtigen.
Ria 28 Jahre alter Kaufmann leidet angeblich seit 7 Jahren
an einer chronischen Lungenaffektion. Fälle von Lungentuberku-
*) Centralbl. f. Bacterlologle 1001.
lose sind bei seinem Grossvater und einer Tante vorgekommen,
mit der er zusammen im elterlichen Hause gelebt hat.
Die Symptome seiner Krankheit bestanden in Husten, Aus¬
wurf und Mattigkeit. Ausserdem magerte Patient erheblich ab.
Eine Kur ln Reinerz besserte seine Beschwerden, beseitigte
sie aber nicht, so dass Patient Ende Oktober 1803 zu einer längeren
Kur nach Davos ging.
Von hier kehrte er Mai 1894 trotz mehrerer Influenznanfällc
und einer starken Blutung bedeutend gebessert zurück.
Die nächsten Jahre hindurch wechselte der Gesundheits¬
zustand. Patient hielt sich nacheinander in Hannover, London,
dann zur Kur in Hastings an der SUdküste Englands auf.
Schliesslich nahm er wieder eine Stellung in London an. Da
ihm der Aufenthalt aber gar nicht bekam, ging er nach Bucnos-
A.vres, von wo er Mitte 1900 sehr erschöpft und liebernd unch
Magdeburg zurückkehrte.
Pntient will nie Brustfellentzündung gehabt haben. Auch in
Davos ist ärztlicherseits eine solche nicht konstatlrt worden. Die
einzige Veränderung, die sein dortiger Arzt — Hofrath V o 11 a n d
i— feststellte, war, wie mir dieser brieflich mitthellte, eine tuber¬
kulöse Affektion des r. Unterlappens.
Derselbe Arzt hat damals auch eine Anomalie in der Lnge
des Herzens nicht uachweisen können. Die Pulsation des Herzens
auf der rechten Seite hat Pat. erst vor Kurzem selbst gemerkt.
Subjektive Beschwerden von Seite des Herzens und der Gefiisse
sind nicht dagewesen.
Nachtschweisse hat Pat. selten gehabt. Sie waren stets von
geringer Intensität.
Status praesens. Der Pat. ist von grosser, schlanker
Figur, wenig entwickelter Muskulatur; das Fettpolster ist fast
völlig geschwunden; die Haut ist gelblich-grau; im Gesicht etwas
dunkler und ausgesprochen kachektisch.
Die sichtbaren Schleimhäute sind auaemisch, blass. Die Tem-
peraturkurve zeigt geringe Schwankungen der Körperwärme um
38° herum.
Der Puls ist etwas beschleunigt, aber regelmässig und kräftig.
Die Pulswelle ist auf der rechten Seite etwas höher als auf
der linken.
Radialpuls rechts.
Rndinlpuls links.
Im Gesicht fällt das starke Ilervortreten der Backenknochen
im Gegensatz zu den eingefallenen Augenhöhlen und Wangen auf.
Die Schleimhaut des Larynx ist anaciulseh, aber sott' t ohne
pathologische Veränderungen.
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1346
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Die Zunge Ist rein.
Der Hals ist schlank und mager.
Der Thorax ist lang und sehr unsymmetrisch gebaut
Die linke Seite Ist ausserordentlich stark gewölbt die Inter-
costalräume sind deutlich sichtbar.
Im Gegensatz dazu Ist die rechte Thoraxhälfte stark einge¬
zogen, besonders in den unteren Partien. Die Fossa supraclavi-
cularls und Infraclavlcularls Ist hier sehr stark ausgeprägt Die
Intercostalräume sind deutlich verengt besonders ln den unteren
Abschnitten des Thorax.
Der Umfang der linken Thoraxseite beträgt 43, der der
rechten 38 cm.
Bel der Athmung bewegt sich die linke Seite ausgiebig, die
rechte schleppt deutlich nach. Die untere Partie der r. Thorax¬
hälfte Ist fast unbeweglich.
Die r. Schulter steht etwas tiefer als die linke; die Wirbel¬
säule ist lm Brusttheil schwach nach rechts umgebogen.
Rechts vom Sternum im IV. Intercostalraum fast in der vor¬
deren Axillarllnie sieht man Pulsationen; ebenso lm V. Intercostal-
rnum etwas rechts von der Parasternallinie.
Die mehr rechts gelegene ist 11 cm, die mehr links gelegene
2 cm vom r. Sternalrande entfernt.
Die Percussion ergibt links vorn sehr hellen und lauten, nicht
tyinpanitischen Schall, ebenso ln der Seitenwand.
Auch auf dem Sternum ln seiner ganzen Ausdehnung ist heller
und lauter Schall. Das gleiche ist der Fall rechts neben dem
Sternum und zwar lm Bereiche eines dem rechten Sternalrande
parallelen Streifens Nach unten zu wird dieser Streifen rechts
von der Herzdämpfung begrenzt. Seine Breite beträgt an der
IV. Rippe 4, an der VI. 2 cm.
Links Ist eine Dämpfung, speciell ln der Herzgegend, nicht
nachweisbar.
Auf der rechten Seite findet sich ln der Fossa supraclavlcu-
larls absolute Dämpfung, in der Fossa infraclavlcularls gedämpfte
Tympauie bis abwärts zur IV. Kippe.
Iller beginnt die absolute llerzdämpfung, die nach unten
ohne Grenze In die Leberdämpfuug übergeht (s. d. Zeichnung).
Die obere Grenze der Herzdämpfung verläuft so, dass sie
etwa in der vorderen Axillarllnie beginnend am unteren Rande
der IV. Rippe entlang läuft.
Ca. 4 cm vom rechten Sternalrande entfernt erreicht sie Ihr
Ende.
Die linke Grenze der llerzdämpfung verläuft Von diesem End¬
punkte seimig ab- und medlanwärts zur VI. Rippe. Ca. 2 cm
vom rechten Sternalrande entfernt erreicht sie ihr Ende.
Die rechte Grenze der Herzdämpfung geht ln eine die rechte
Seltenwand des Thorax einnehmende absolute Dämpfung Über.
Hinten links ist Überall sehr heller und lauter Schall. Die
untere Lungengrenze Ist an der XI. Rippe zu linden.
Rechts Ist der Schall ln der Fossa supraspinata und im rechten
Thell des Interscapularraumes tympanitisch.
Von der VI. Rippe ab Ist der Schall absolut gedämpft.
Die Auscultation ergibt an der ganzen linken Thoraxhälfte
sehr lautes, scharfes Vesiculärathmen. Rechts ln der Fossa supra-
elavlcularls verlängertes Exspirium mit wenig Rasselgeräuschen.
Dessgleichen ln der Fossa Infraclavlcularls ebenfalls ohne nenneus-
werthe Rasselgeräusche.
Hinten in der Fossa suprnsplnata verschärftes Exspirium
mit amphorischem Beiklang und spärlichen klingenden Rassel¬
geräuschen.
Im rechten Thell des Interscapularraumes verschärftes Ex¬
spirium ohne Rasseln.
Von der VI. Rippe ab ist kein Athmungsgeräusch mehr hör¬
bar, dessgleichen nicht in der rechten Seitenwand.
Der Stlmmfreinltus Ist im rechten The» des Interscapular-
munres bedeutend verstärkt, von der VI. Rippe ab aufgehoben.
Im ganzen Bereich der Herzdämpfung sind die Herztöne deut¬
lich und rein hörbar. Der I. Ton ist stärker accentuirt als der II.
Das Sputum ist schleimig-eiterig, geballt und reich an
Tuberkelbacillen.
Bel der Durchleuchtung des Thorax ist auf der 1. Seite des
Thorax kein Herzschatten nachweisbar. Die ganze rechte Seite
nimmt ein sehr dunkler Schatten ein, ln dem Details nicht zu
unterscheiden sind.
Nach dem soeben mitgetheilten Krankenbefund steht es
zunächst fest, dass der Patient an einer tuberkulösen Affektion
der Lunge leidet. Der Sitz dieser Veränderungen ist der rechte
Lungenflügel, der in seiner ganzen Ausdehnung ergriffen ist.
Uns interessirt hier besonders die pathologische Verände¬
rung, die in den unteren Partien der Lunge, also im rechten
Unterlappen besteht. Hier befindet sich der Krankhoitsprocess
im Ausgangsstadium. Die Lunge ist durch Entwicklung von
narbig indurirtera Bindegewebe geschrumpft.
Die Schrumpfung ist sehr charakteristisch entwickelt und
steht in engem Zusammenhang mit der Verlagerung des Herzens.
Ein wesentlicher Befund ist die nachweislich bestehende ad-
haesive Pleuritis, die sich regelmässig bei chronischer Lungen¬
schrumpfung findet und die wahrscheinlich auch bei der Ver¬
lagerung des Herzens und beim Zustandekommen der Verände¬
rungen am Thorax eine Rolle spielt.
Aus dem objectiven Befund: absolute, sehr resistente
Dämpfung r. h. unten und seitlich bei aufgehobenem Athem-
geräusch und Stimmfremitus geht das Vorhandensein pleu-
ritischer Schwarten hervor.
Sehr auffällig ist die rechts unten bestehende Einziehung
der Thoraxwand und die Verschmälerung der Intercostalräume
besonders im Vergleich zu der bedeutenden Wölbung der linken
Thoraxhälfte.
Ebenso deutlich ausgeprägt ist die Verziehung des Mediasti¬
nums nach der Seite der Schrumpfung, die auf dieselbe Art
und Weise zu Stande kommt, wie die Deformität der kranken
Thoraxhälfte.
Wir erkennen das Vorhandensein dieeer Veränderung an
der Verlagerung des Herzens und am Verhalten der linken ge¬
sunden Lunge.
Bei einseitiger diffuser Lungenschrumpfung befindet sich
die gesunde Lunge regelmässig im Zustande vicariirenden Em¬
physems. Dies trifft bei unserem Falle ganz besonders zu. Das
Emphysem ist hier so hochgradig, dass die linke Lunge weit
über den rechten Stornalrand hinüberragt.
Es soll nun noch kurz erörtert werden, durch welche Kräfte
die Verlagerung des Herzens und Mediastinums bewirkt wird.
Diese Kräfte sind:
1. Der Zug, der durch die narbig schrumpfende Lunge resp.
die Pleuraschwarten ausgeübt wird.
2. Der Druck der sich ausdehnenden gesunden Lunge, der
auf der einen Seite die stärkere Wölbung der betreffenden
Thoraxhälfte bewirkt, auf der anderen die Verlagerung des
Mediastinums mit bewerkstelligt.
Natürlich wird mit dem Mediastinum zugleich auch das
Herz verlagert, was in unserem Falle in ganz ungewöhnlich
hohem Maasse der Fall ist.
Der Befund gibt hierüber folgenden Aufschluss. Links
fehlen Herzdämpfung, Herztöne und Spitzenstose vollkommen.
Dessgleichen finden wir bei Durchleuchtung des Thorax links
keine Spur eines Ilerzschattens.
Dagegen sind auf der rechten Seite Herzdämpfung, Herz¬
töne, sowie vom Herzen herriihrende Pulsationen deutlich nach¬
weisbar.
Das Ergebnis« der Röntgenuntersuchung zwingt uns zu
dem Schluss, dass das Herz in der rechten Thoraxhälfte liegt.
Ueber den Grad der Verlagerung und der Lage der einzelnen
Theile des Organes gibt sie uns desswegen keinen Aufschluss,
weil sowohl das Herz, als auch die dasselbe umgebende ge¬
schrumpfte Lunge einen einzigen dunklen Schatten geben, in
dem Details nicht zu unterscheiden sind.
Wie wichtig indessen die Anwendung dieser Methode in
derartigen Fällen ist, zeigt eine von Gaillard gemachte Be¬
obachtung.
Bei einem Phthisiker, »er eine Pleuritis durchgemacht hatte,
fanden sich rechts vom Sternum im II. u. III. I.-R. Pulsationen.
Links fehlten alle Zeichen der Anwesenheit des Herzens. Die
linke Lunge war stark gebläht. Gaillard, der auf Grund dieser
Erscheinungen eine Rechtsverlagerung des Herzens annahm, wurde
durch die Durchleuchtung des Thorax dahin belehrt, dass das
Herz nicht verlagert, sondern nur von der stark emphysematosen
linken Lunge verdeckt war. Die starre Masse der lndurlrten
rechten Lunge hatte die Ilcrzpulsationen zur rechten Thoraxwand
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20. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCIIRIFT.
1347
geleitet, wo sie an der angegebenen Stelle sichtbar wurden, wie
es Gaillard ausdrücklich hervorhebt.
Wir müssen also auf andere Art und Weise zu einer
Vorstellung über die Orientirung des Herzens zu kommen ver¬
suchen.
In erster Linie ist es nun wichtig, festzustellen, ob wir im
vorliegenden Falle eine angeborene oder erworbene Dcxtrokardie
vor uns haben.
Es ist hier nicht schwer, darüber in’s Klare zu kommen.
Wir haben es zweifellos mit einer erworbenen Dextrokardie zu
thun. Der Patient ist während seines Davoser Aufenthaltes von
seinem dortigen Arzt, Hofrath Volland, oft und eingehend
untersucht worden, ohne dass, wie ich aus freundlichst er¬
statteten brieflichen Mittheilungen Vollend’» erfahren habe,
eine Anomalie in der Lage des Herzens konstatirt wurde. Das
Herz lag damals also an normaler Stelle.
Nun hat der Kranke in den 7 seitdem verflossenen Jahren
eine rechtsseitige Pleuritis und eine Schrumpfung des rechten
unteren Lungenlappens erworben. Ausser linksseitigen pleu-
ritischen Exsudaten, linksseitigem Pneumothorax und Mediasti-
naltumoren führt gerade die rechtsseitige adliaesive Pleuritis
reep. die damit verbundeno Lungenschrumpfung erfahrungs-
gemäsa häufig zur Rechtsverlagerung des Herzens. Damit ist der
Zusammenhang der pathologischen Processe ohne Weiteres klar.
Das ursprünglich an normaler Stelle befindliche Herz ist
durch den Zug der schrumpfenden rechten Lunge nach rechts
verlagert worden.
Gegenüber dieser Sachlage kommt eine Differentialdiagnose
gegen einen Situs viscerura inversus und eine angeborene isolirte
Dextrokardie gar nicht ernstlich in Frage.
Gegen den ersteren spricht schon das Vorhandensein der
Leber auf der rechten, der Milz auf der linken Seite.
Bei der zuletzt genannten, sehr seltenen Form der congeni¬
talen Dextrokardie liegt die Herzdämpfung rechts genau sym¬
metrisch zu der normalen auf der linken Seite.
In unserem Falle ist aber die Herzfigur der normalen an¬
nähernd congruent.
Es ist somit über allem Zweifel erhaben, dass wir es hier
mit einer erworbenen Dextrokardie zu thun haben.
Wie ist nun das Herz orientirt?
Schon aus dem objektiven Befund können wir gewisse
Schlüsse in dieser Hinsicht ziehen.
Zunächst bieten uns die auf der rechten Seite nachweis¬
baren Pulsationen einen Anhaltspunkt. Die eine liegt im
IV. Intercostalraum fast in der vorderen Axillarlinie, die zweite
iin V. Intercostalraum in der Parasternallinie. Beide sind 9 cm
von einander entfernt, was ungefähr der Länge des Herzdurch¬
messers, gemessen von der Basis bis zur Spitze, entspricht.
(Auch beim Vergleich dieser Distanz mit dem Durchmesser der
Faust des Patienten kommt man zu dem gleichen Ergebniss.)
Betrachtet man ferner die Form der Herzdämpfung, die der
normalen nahezu congruent, wenn auch grösser ist (also „ähn¬
lich“ im mathematischen Sinne), so kann man sich dem Ein¬
druck nicht entziehen, dass das Herz, ohne die Lage seiner ein¬
zelnen Theile wesentlich verändert zu haben, nach rechts herüber¬
gewandert ist und an der durch die Dämpfung und die Pulsation
bezeichneten Stelle der Brustwand anliegt. Zieht man überdies
in Betracht, dass die Herztöne an der mehr links gelegenen
Pulsation (im'V. Intercostalraum in der Parasternallinie) am
lautesten sind und dass hier der I. Ton den II. an Stärke über¬
trifft, so wird es höchst wahrscheinlich, dass die an diesem
Punkte wahrnehmbaren Pulsationen von der Spitze herrühren.
Zur Gewissheit wird diese Vermuthung, wenn wir uns den
Mechanismus der Verlagerung klar machen. Wie schon erwähnt
wird das Herz durch den Zug der schrumpfenden rechten und
den Druck der vicariirend emphysematosen linken Lunge nach
rechts dislocirt. Versucht man bei einem Kaninchen, wo die
Befestigung de« Herzens so locker ist, dass Dislocationen leicht
gelingen, das Herz nach rechts zu verlagern, so bleibt, wo auch
immer das Maximum der verlagernden Kraft einwirkt, die Spitze
stets mehr links als dio Basis. Acltere Autoren hatten an¬
genommen — und diese Annahme ist auch heutzutage noch
immer nicht völlig verlassen —, dass die Spitze sich nach rechts
drehe, wahrend die Basis an ihrer Stelle liegen bleibe. Die Spitze
sollte also der beweglichste Theil des Herzens sein. Das ist in¬
dessen nicht der Fall.
No. 34.
Wenn man an der Leiche den Herzbeutel eröffnet und das
Herz völlig freigelegt hat, dann 1 kann man allerdings die Spitze
beliebig nach rechts verlagern, auch ohne Dislocation der Basis.
Andors bei unverletztem Perikard, das das Herz enganliegend
umschliesst und damit den Effekt von aussen auf das Herz wir¬
kender Kräfte von der Befestigung des Herzbeutels abhängig
macht.
Die Befestigung des Perikards ist nun am stärksten an der
Herzspitze, wo es durch straffes, sehniges Bindegewebe an das
Centrum tendineum des Zwerchfells angeheftet ist.
Viel weniger stark ist die Fixirung an der Basis, dio nur
durch laxes, übrigens fetthaltiges Bindegewebe mit der Wirbel¬
säule verbunden wird (H y r 11).
Es ist hieraus nicht schwer abzuleiten und entspricht den
Ergebnissen der Versuche an der Leiche, dass bei einer Dis¬
lokation des Herzens nach rechts die Basis mehr verlagert werden
wird als die Spitze.
Es kommt so, da Basis und Spitze Theile eines gemeinsamen
Ganzen sind, zu einer Rotation der Basis um die Spitze, d. h.
während die Spitze nicht dislocirt wird tritt dio Basis mehr
nach rechts, das obere Ende der Horzachso tritt also tiefer und
der Winkel, den Herzachse und Horizontalebene mit einander
bilden, wird kleiner.
So gestaltet sich der Vorgang beim geringen Zug. Wird nun
dio verlagernde Kraft grösser, so kommt es zur Verlagerung des
ganzen Herzens in der eben geschilderten Orientirung.
Der Vorgang der Verlagerung setzt sich also aas 2 Bewe¬
gungen zusammen, dio wahrscheinlich zeitlich zum Theil zu¬
sammenfallen und nicht streng getrennt sind:
1. Rotation der beweglicheren Basis um die durch den Herz¬
beutel fixirte Spitze, damit Tiefertreten der Basis. Vermehrte
Neigung der Ilerznchse gegen die Horizontale.
2. Verschiebung des Herzens in toto nach rechts.
Man kann sich diese Vorgänge am Kaninchen und an der
menschlichen Leiche ohne Schwierigkeit klar machen. Die Be¬
stätigung der soeben gemachten Darlegung finden wir in einer
von B a r d im Jahre 1894 publicirten Arbeit, in der dieser Autor
aus klinischen Beobachtungen zu demselben Ergebniss kommt.
Ferner und namentlich aber in einem von G a r li i o r in Nancy
veröffentlichten Sektionsbefunde.
Der betr. Patient hatte Im Jahre 1870 eine rechtsseitige Pleu¬
ritis durcligemaeht und seitdem beständig an Husten und Aus¬
wurf gelitten.
Er kam wegen einer linksseitigen fibrinösen Pneumonie zur
Beobachtung. Aeusserllch war am Thorax nur eine wenig stärkere
Wölbung der linken Thoraxseite und ein gewisser Tiefstand der
rechten Schulter wahrnehmbar.
Eine Skoliose der Wirbelsäule felüte.
Auf der rechten Thornxseite weniger ausgiebige Athern-
bewegungen als auf der linken.
Die weitere Untersuchung ergab eine fibrinöse Pneumonie des
linken Dnterlappens, auf der rechten Seite unten alte pleuritlsche
Schwarten. Dazu l>estnnd Emphysem der liuken Lunge.
Auf der linken Seite fanden sich keine Zeichen für die An¬
wesenheit des Herzens. Iler/pulsatlonen waren nachweisbar im
Epigastrium und im V. Intercostalraum rechts circa eine Finger¬
breite nach links von der vorderen Axillarlinie.
Die Herztöne waren etwas nach innen von der Mammllla
am deutlichsten hörbar.
Es bestand also nach dem Ergebnis» der klinischen Unter¬
suchung eine Dextrokardie. Dabei war es zweifelhaft, ob der
Zustand nngcl>oren oder erworl»en war.
Der Kranke starb und nun wurde folgender Sektionsbefuud
festgestellt:
Die rechte Thoraxhälfte war von dem verlagerten nerzen
eingenommen, dessen Spitze nach links schaute und unter dem
unteren Ende des Sternum« lag. Der recht« Vorhof und der
Anfangstheil der Aorta lagen der Brustwand an und zwar au
der Stelle, die den ganz nach rechts gelogenen Pulsationen im
V. Intercostalraum entsprach.
Die Neigung der Ilerzachse gegen die Horizontulebene war
bedeutender als ln der Norm.
Der untere Theil der Luftröhre war nach rechts abgebogeii,
der rechte Bronchus enger als der linke.
Der Aortenbogen war stark abgehackt, seine Krümmung
weniger stark als sonst.
„Er hat sich gewissermaassen abgerollt. um der Bewegung
des Herzens nach rechts zu folgen, so dass er verlängert er¬
scheint.“
Die (absteigende) Bmstaorta verlief schräg von rechts oben
nach links unten, die linke Carotis und Subclavia schräg nach
links oben.
Die rechte Lunge war geschrumpft, die Pleura mit «licken
Schwarten belegt. Der linke Oberlappen war stark gebläht, der
linke Untorlappen pneumonisch inliltrirt.
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1348 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 31.
Der Thorax erschien nach Herausnahme seines Inhaltes un¬
symmetrisch, derart, dass die rechte Seite kleiner war als die
linke.
Geringe (iiusserlich nicht bemerkbare) Rechtsskoliose der
Wirbelsäule im Brusttheil.
Ilera nicht vergrössert, Länge und Breite je 11 cm.
Wir brauchen diesem Befunde, der den theoretischen Voraus¬
setzungen durchaus entspricht, wohl nichts weiter hinzuzufügen.
Es füllt uns nunmehr nicht schwer, die in unserem Falle ob¬
waltenden Verhältnisse in der Orientirung des Herzens zu be-
urthcilen.
Demnach werden wir die mehr nach links gelegene Pulsation
im rechten V. I.-R. als von der Spitze herriihrend ansprechen,
die mehr nach rechts gelegene im IV. I.-R. als von der Basis aus¬
gehend. Letztere ist also aus dem II. I.-R. in den IV. herab-
gerückt, die Neigung der Herzachse zur Horizontalebene also
stärker als in der Norm. Das Herz ist somit in toto ohne wesent¬
liche Aenderung in seiner Orientirung nach rechts hinüber¬
gelagert worden.
Zum Schluss noch ein Wort über die Folgen der Herz¬
verlagerung für die Circulation.
Wesentliche Störungen sind bisher nicht beobachtet.. Auch
in unserem Falle fehlen bis auf den Unterschied in der Höhe der
beiden Radialpulse Circulationsstörungen vollkommen.
Von ihrem Zustandekommen können wir uns nach dem Gar-
nier’schen Sektionsbefunde, der die erhebliche Zerrung, welche
die Aorta mit den abgehenden Arterien erfährt, deutlich illustrirt,
eine Vorstellung machen. Fernerhin ist diese Störung gering,
wenn man bedenkt, wie hochgradig die anatomischen Verände¬
rungen der Gefässo sind. Wir müssen wohl annehmen, dass bei
der langsamen Entstehung der Verlagerung eine langsame, ge¬
nügende Anpassung an die neuen Verhältnisse zu Stande
kommen kpnn.
Kompressionsthrombose der linken Vena anonyma
bei Perikarditis und über den Befund von einseitigem
Hydrothorax.
Von Dr. Peter v. Zezschwitz in München.
In einer Dissertationsarbeit erörtert Rehn 1 ) einen Fall von
Venenkompression durch retrosternale Struma, bei welchem nach
Aufbietung eines enormen Collateralkreislaufs der äusseren
Brust- und epigastrischen Venen unter geeigneter Therapie (Jod)
Rückbildung erfolgte. Thrombose des Gebietes der oberen Hohl¬
vene war nicht völlig auszuschlieseen. Aehnlich gelagert ist ein
Fall von W. Z a w a d z k i ’), wobei die besondere hypertrophirten
unteren, seitlichen Lappen der Struma auf die Venae anonymae
und subclaviae drückten. „Diese besessen ausgedehnte Throm¬
ben, besonders an der Stelle der Einmündung des Ductus thoraci-
eu«, wodurch eine bedeutende Stauung im Lymphgefässsystem
und consecutiv Entleerung von Chylus in die serösen Höhlen
herbeigeführt wurde.“ Es können, abgesehen von tiefer Kropf¬
entwicklung (Struma substernalis) und anderen im vorderen
oberen Mediastinalraum sich ausbreitenden Tumoren, Erkran¬
kung des hinter demselben befindlichen Aortenbogens und des
Herzbeutels, dessen Duplicatur nach Luschka in einer
schrägen, die Vena anonyma sin. kreuzenden Linie an dem vor¬
deren Umfang des Aortenbogens angeheftet ist, zu Verschluss der
Venen führen.
Raumverdrängung als solche spielt hierbei nicht die ent¬
scheidende Rolle. Einen Beleg dafür haben wir unten in einem
Beispiel von Aneurysma neben Perikarditis, wobei die obere Hohl¬
vene und linke Anonyma der Konvexität eines sehr bedeutenden
Sackes zu einem Band ausgezerrt folgt, trotz gleichzeitigen
Druckes von Seiten des begleitenden Perikardialexsudates
dennoch ihr Lumen freibehält. Ueberhaupt haben umfangreiche
Ergüsse der serösen Höhlen, insbesondere perikardiale, selbst
wenn sie durch schnelle« Ansteigen im Brustraum expansive Wir¬
kung entfalten — auch grössere Infiltrate, Lymphome u. dergL —,
nicht nothwendig Thrombose der eingeengten Venen zur Folge,
sondern es werden dieselben, soweit möglich, in der Richtung des
’) Rehn: Dissertation. Marburg 1875.
'■) W.Zawadzkl: Beitrag zur Pathologie der Entleerung von
Chylus in seröse Höhlen. Gazeta lekarska No. 0, 1891 (Vircho w-
Hirsch, 1891, II, S. 1204).
geringsten Widerstandes, nach der oberen Brustapertur vorge¬
schoben werden.
Ausschlaggebend ist bekanntlich das Verhalten der Gefäss-
waml und es wird hier von wesentlicher Bedeutung, 1. ob ein
entzündlicher Prozess vorhanden und welche Art desselben
die vorherrschende ist; 2. ob ein Grundleideu mit maligner
Proliferation vorliegt, welches die Gefäsewand zu durch¬
setzen im Stande ist*).
Von der Seltenheit der Thrombose in genanntem Gefäss-
gebieto macht man sich eine Vorstellung, wenn man aus der
jüngeren Literatur die Statistik Bargebuhr’s 4 ), sowie Rot-
m a n n’s') von Fällen von Verschluss des Ductus thoracicus in
Betracht zieht. Da die Ursache — wie meistens — in Thrombose
gelegen ist, welche dann von der V. anonyma in die Subclavia
sich erstreckt, handelt es sich vorwiegend um Fälle von Carci-
nomatose, Lyinphosarcom, und auch derer sind nur wenige publi-
zirt. Sehr selten und in der Literatur vereinzelt ist Kom¬
pressionsthrombose als Folgeerscheinung von perikardialem Ex¬
sudat, deren Entstehen unter der Vereinigung zweier Drucksäulen,
von Seiten eines perikardialen und pleuralen Ergusses, ersicht¬
lich wird.
Zunächst meine eigene Beobachtung:
Am 29. Juni 1900 hatte ich den 34 Jährigen Schuhmacher
L. P. an der äussersten Stadtgrenze zu besuchen und fand
den schwer Erkrankten im Bett aufgerlchtet sitzend, auf den
1. Arm gestützt ängstlichen Ausdrucks. Die Gesichtsfarbe bräun¬
lich mit oyanotisclier Tömmg, erinnernd au Rronoe; die Venen
au Schläfen, Stirne. Augen, Hals auffallend hervor tretend, ge¬
schlängelt: Jugulares ansehwelleud. Erweiterte Pupillen. Ortho¬
pnoe in kurz absetzenden Zügen. Puls 320, klein, gleiehmässig.
Thorax von kurzem, gedrungenen Bau, in den oberen Partien
die Haut venös verfärbt und auffallend turgescent, gespannt;
ebenso am 1. Arm. Der Schall ober- und unterhalb der
1. Clavlcula gedämpft; r. voller lauter Schall bis zur Lebergrenze.
L. beginnt absolute Dämpfung an der 3. Rippe und reicht vom
Sternum bis unterhalb der Axilla nach dem Rücken. R. v. überall
vesicuiärcs, scharfes Athmungsgeräusch. L. v. o. Rasselgeräusche,
besonders unterhalb Clavlcula, und nbgeschwächtes Athmen.
welches weiter unten nach der Axilla in bronchiales übergeht.
Hinten Schenkelton bis zur Mitte der Scapula; oberhalb derselben
gedämpft tympanitlsch mit abgeschwächtem Athmen, Rhonchl;
nach unten aufgehobenes Athmungsgeräusch; aufgehobener Pec-
toralfremitus. It. h. bis zur XI. Rippe lauter Percussionsschall.
Lungengrenze verschieblich, unten feuchtes Rasseln.
Herz. Vorne reicht die an der 3. Rippe 1. beginnende Zone
absoluter Dämpfung bis zum r. Sternalmnd und überschreitet
unten denselben nach rechts. Spitzenstoss nicht fühlbar. Herz¬
töne nirgends zu hören. Keine Reibegeräusche.
Leib etwas aufgetrieben. Leber um Handbreite den Rippen¬
bogen überragend. Geringes Oedem an beiden Füssen. Kein
Fieber.
Die Anamnese, nach und nach gewonnen, ergibt: Vor
17 Jahren H u f s c h 1 a g an die Herzgegend, vorübergehende Be¬
wusstlosigkeit, jedoch nur kurzes Krankenlager; seither stets
rüstig. Letztes Weihnachten ein von Athemnoth, Kopfschmerz
und starkem Stechen links in der Seite begleitetes. 3—4 Tage
währendes Fieber, welches der behandelnde Arzt für I nfluenza
erklärte. Ostern darauf leitet Husten und Athemnoth die seitdem
bestehende, von Zeiträumen der Besserung unterbrochene Erkran¬
kung ein. In dieser Zeit wurde in der Poliklinik Herzbeutel¬
entzündung constatlrt. Seit. 10 Tagen stärkere Athemnoth
und bläuliche Gesichtsfarbe, doch wird noch ambulant ärztlicher
Rath erholt, bis der Patient das Bett zu verlassen nicht mehr im
Stande ist.
Die bisherige diuretische Behandlung wird beibehalten, da
kein Harn vorhanden, ohne dass die Blase überfüllt war. Im
Uringefäss etwas Hamsäureniederechlag. Eine spätere Probe
zeigt negative Eiwelss- und Zuckerreaktion. — Die Annahme von
Perikarditis, nahegelegt durch das mit dem Puls contrastlrende
Verhalten der Herztöne, wird in den nächsten Tagen bestärkt durch
die Zunahme der Dämpfuugszone nach r. u., sowie durch die Ver¬
schiebung derselben nach r. bei Lagerung auf die r. Seite, was
nur unter starker Athemnoth gelingt. Dagegen ist im 2. Inter-
costalraum 1. vom Sternum auch bei starker Percussion eine
Dämpfung von nur Fingerbreite zu constntlreu.
7. VII. Verlauf völlig fieberfrei, durch diuretisclien Wein,
Morphium und Kampherinjektion bisher günstig beeinflusst Da
das Exsudat der 1. Pleura bisher noch gestiegen, wird am 9. VII.
2 Querfinger unterhalb Scapula % Liter stark getrübter,
gelblieh-röthlicher, in den oberen Schichten deutlich lu’s Grüne
fluorescirender Flüssigkeit aspirirt. Herztöne hierauf leise
hörbar.
*) Von Allgemein Wirkung (Kachexie) ist hier Abstand ge¬
nommen.
‘) Bar gebühr: Chylöse und chyliforrae Ergüsse in den
grossen serösen Höhlen. Deutsch. Arch. f. kllu. Med., Bd. LIV,
1895.
s ) Rot mann: Feber fetthaltige Ergüsse In den grossen
serösen Höhlen. Zeitschr. f. kliu. Med., Bd. XXXI, 1897.
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20. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1349
17. VII. Trotz bedeutender Erleichterung nur schwache
Diurese; Harn eiweisshaltig. Oedem der Beine mit vorangehendem
Auftreten von zahlreichen Petechien. Etwas Ascites. Die venöse
Stauung, welche In den oben bezeicbneten Partien unverändert
fortbestanden, beginnt auch am r. Arm. Haemorrhagische Sputa.
R. h. u. mässige Dämpfung, Rasselgeräusche.
19. VII. Abermalige Aspiration von etwa 1 Liter der gleichen
Flüssigkeit aus der 1. Pleurahöhle unter erheblicher subjektiver
Besserung. Pulsfrequenz stets erhöht, ca. 120, mit kleinen, ziem¬
lich gleichen Wellengipfeln, wird durch Digitalis wenig reduclrt.
Am 25. VII. wird einwärts der l.v. Axillarlinie Im V. Intercostal-
raum 1 y 4 Liter Flüssigkeit entleert; Beschaffenheit die gleiche,
nur bei Beginn etwas Blutzutritt Man fühlt mit dem Troikart
(P o t a i n - F r il n t z el) durch Anlegen der Spitze deutliche Herz-
palpitationen. Nach der Entleerung nur geringe subjektive Er¬
leichterung.
30. VII. Da bei den dürftigen Verhältnissen des Kranken
der Mangel an Pflege nach dem nun ausgedehnten Anasarka sich
immer mehr fühlbar macht, wird die Ueberführung in das
Krankenhaus ermöglicht
Mit der Wahl der Thoracocenteee an einer einwärts der vor¬
deren Axillarlinie befindlichen Stelle war es möglich, einen in
der Tiefe in das Bereich fallenden perikardialen Erguss zugleich
mit dem pleuralen abzulassen und es wäre damit der vitalen
Forderung entsprochen, d. i. in diesem Falle den hintangehaltenen
diastolischen Bewegungen des Herzens wieder Spielraum zu ver¬
schaffen. ln facto war es nicht so. Denn einmal blieb jeglicher
Effekt auf die Circulation aus. Sodann stimmte der Charakter
der Flüssigkeit mit der früher entzogenen völlig überein, in der
Farbe sowohl, als in der stark ausgesprochenen zelligen Trübung,
während Fluorescenz schon das 2. Punctat nicht mehr deutlich
zeigte. Die bei dem letzten anfänglich beobachtete Blutspur mag
von dem Stichkanal herrühren.
Sein eigenthümliches Gepräge erhielt der Fall durch die der
oberen Brustppertur entstammende, in Hals, Kopf und linken
Arm, theilweise in netzartiger Anordnung auslaufende Venen¬
ektasie, deren nächste Ursache erst in der Klinik festgestellt
wurde. Die Stauung wie9 offenkundig auf den oberen Media-
stinalraum hin, was anfänglich mich bestimmte, neben Peri¬
kardial- und Pleuraerguss fraglichen mediastinalen Tumor zu
notiren. Da die Perkussion nach oben und nach rechts unten
vom Sternum keine abundante Ansammlung von Flüssigkeit im
Herzbeutel vermuthen liess, andererseits aber der schnell sieh
ausdehnende, relativ viel bedeutendere Erguss der Pleurahöhle,
bei der Punktion nicht sanguinolent, sich als rein entzündlich
charakterisirte, so waren die Erscheinungen auf ein entzünd¬
liches Agens zurückzuführen.
Der lange Zeit zurückliegende Unfall konnte nur als vorauf¬
gegangene Gewebsschädigung in Betracht kommen, ward übri¬
gens erst durch spätere Nachforschung bekannt. Ich habe vor¬
nehmlich Tuberkulose in’s Auge gefasst, wofür natürlich nicht
der physikalische Befund am linken Oberlappen, welcher offenbar
Kompressiousatelektase, zu verwerthen war. (Die späteren hae-
morrhagischen Sputa bekundeten nur die sich mehrende Herz¬
schwäche durch Infarktbildung, speciell im rechten Unterlappen.)
Für Tuberkulose, deren Beziehung zu Perikarditis, besonders bei
chronischem Verlauf, mir nicht neu und von einem gleichzeitig
beobachteten Falle zweifellos tuberkulöser Herkunft vertraut
war, sprach das 3 Monate zuvor in der Poliklinik oonstatirte
Auftreten der Erkrankung, vielleicht das von Fieber und Seiten¬
stechen begleitete, noch frühere Einsetzen derselben [Influenza]'’).
Patient wurde in die Abtheilung des -Herrn Geheimrath
v. Ziemssen aufgenommen und ich verdanke dessen gütigem
Entgegenkommen den dortigen Befund, von dem nur das Haupt¬
sächliche hier folgt.
Kräftig gebauter Mann ln schwer afflcirtem Zustand. Cyanose
am Rumpf und an den Extremitäten, links etwas stärker. Hoch¬
gradig pralles Oedem an der linken Brusthälfte. L. Thoraxhälfte
enorm erweitert. Vorn 1. reicht die Dämpfung nach r. bis finger¬
breit über den r. Sternalrand und endigt oben in der Gegend des
r. ßtemoclavleulargelenks. H. nach der Achsel zu ganz entfernt
bronchial klingendes Athemgeräuscb. Auf der Höhe der Inspiration
zuweilen feines Knistern. Pectoralfremitus aufgehoben. Sputum
schleimig, stark haemorrhaglsch. Herzdümpfung lässt sich nach
keiner Seite hin bestimmen wegen der absoluten Dämpfung Uber
der L Lunge. Spltzenstoss Ist nicht zu fühlen. Die Herztöne
nicht hörbar. Puls enorm klein und weich, kaum fühlbar.
In der 1. Supraclaviculargnibe befühlt man eine sträng-
artige Verdickung, die sich entsprechend dem Verlauf der
V. Jugular. ext am Halse nach aufwärts verfolgen lässt Eine
weitere strangartige Verdickung, etwa dem Verlauf der
V. thy reoldea entsprechend, zu fühlen.
*) 8. o. Anamnese.
Im centrifugirten Sediment des Urins einzelne Niereu-
epithelien, Cyliuder, Leukocyteu.
Diagnose: Tumor mediastinalis (?). Pleuritis exsudativa sin.
Perikarditis (?). Thrombose der Ven. Jugul. ext., anonyma und
thyreoldea.
31. VII. Erbrechen von ca. 4 Liter dünnflüssiger, Kaffeesatz
enthaltender Flüssigkeit; sonst Befund unverändert
2. VIII. Exitus letalis. — Sektion Herr Prosector Dr. Dürck.
Sektionsbefuud'): Mittelgrosse männliche Leiche. Re-
ducirte Ernährung. Dunkel cyanotlsche Gesichts- und Halshaut.
Auch an Rumpf und oberen Extremitäten intensiv bläuliche zahl¬
reiche dunkle Flecken. Genitalien und Extremitäten sehr oede-
matü8. Fettpolster an Brust und Bauch nahezu geschwuuden.
Musculatur oedemntös. Aus der Bauchhöhle entleert sich leicht
getrübte, reichlich gelbe Flüssigkeit, ca. 2>/ a —3 Liter. Leber hand¬
breit vorliegend. Zwerchfell 1. 7. Rippe, r. V. lntercostalraum.
Sehr stark ausgedehnte Halsveueu. Beim Eluselineiden reich¬
lich dunkles, flüssiges Blut. Nach Wegnahme des Sternums Herz¬
beutel mehr als handbreit vorliegend. L. Pleurahöhle stark aus¬
gedehnt und gefüllt mit 5 Liter trüber, grauröthlicher
Flüssigkeit. L. Lunge platter Strang, gegen Wirbelsäule gepresst;
r. Luuge abwärts verwachsen; y 2 Liter Flüssigkeit. Herzbeutel
sehr stark ausgedehnt, ca. 400 ccm schwarzes, flüssiges Blut,
einige grosse, dunkle Fibrinflocken. An der Basis des Herzens
vlsc. und parietal, perikard. Blatt fest verbunden.
L. Lunge in platten Gewebsstrang zusammengezogen. Faltige
Pleura. Schlaff musk. Konsistenz, luftleer, zäh. Schnittfläche
dunkelbraunroth; Gefässstümpfe vorstehend, Bronchialstämme,
auch die grösseren komprimlrt. R. Lunge voluminöser. Pleura des
Unterlappens fibrös verdickt. Ober- und Mittellappen durch¬
feuchtet, komprimlrt. Unterlappen besser lufthaltig, weicher, an
Zwerchfellfläche und scharfem Rand dreieckige, dunkle, luftleere,
scharf umschriebene Herde mit glatter Schnittfläche. In Bronchien
blutig ting. Sekret.
Herz. Nach Entleerung der perikard. Höhle Herz selbst sehr
klein, an Basis mit schwärt. Perikard verlöthet, auch übriges
Perikard sehr verdickt und mit lamellösen, fibrinösen Auflage¬
rungen bedeckt R. Vent sehr klein, nahezu leer. Septum nach r.
hinübergedruckt. Endok. durchsichtig. Pulmonalkl. frei bewegt
Obere Hohlvene durchgängig. Abgangsstelle der Jugu¬
lar. sin. wandständ. graugeschichtet. Thrombus,
ebenso an Abgangsstelle .d. Thyroidea. Thyreoid. Inf. d.
frei durchgängig. L. ist V. juguL u. subcla v.') vollstän¬
dig thrombosirt. Oberhalb derselben setzt sich
der Thromb. in Jugul. int. fort. Thyreoid. i n f. d.
vollkommen thrombosirt. L. Vent sehr kleines Lumen
und eng. Papillarmuskeln sehr kurz und gedrungen. M u s k u 1.
ohne Veränderung. Endokard durchsichtig. L. Vorhof
weit; flüss. Blut. Herzohr nicht abnorm.
Magen stark ausgedehnt Mucosa schmutzig graubraun im-
bibirt. Ileum blutige Massen. Dickdann Faeces und Blut. Auf
der Höhe der Falten dunkel Injlcirte Plaques mit dunklem Blut
Imbibirt. Coecum- und Kolonschleimhaut kupferig diffus ge¬
schwellt mit schwarzen Blutaustritten durchsetzt.
Am Ende der Cava inf. vor der Theiluug ein grauroth ge¬
schieht. wandständ. Thrombus, der sich noch etwas 1. in Uinc.
commun. verfolgen lässt. Unter Lig. Poup. au Uiaca 2 klappen-
ständ. in's Lumen eiuragende Thromben, auch sonst in V. fern. d.
mehrfach in d. Nähe d. Klappen befind!. Thromben. L. ln Fein,
mehrfach das Lumen vollst. verengende Thromben.
Treber vergrössert. zäh, derb. Olierfl. glatt Schulttfl. leichte
Unebenh. Acini zieml. deutlich. Beiden Nieren Kapsel abziehbar.
Mark u. Rinde injieirt Glomeruli blutigrothe Punkte. Auf-
steigende Gefüsse u. Marksubst. purpurroth.
Anatom. Diagnose: Chron. fibröse Perikarditis u. theilw. Ob-
literatlon der Perlkanllalhühle. Akute haemorrhag. fibrinöse Peri¬
karditis. Kompressionsthrombose der Vena anonyma, jugular. int.
u. Thyreoid. inf. sin. Multiple mnrnnt. Thromben in Cav. inf.,
Iliac. u. den Femorales. Hochgradiger Ilydrotliorax links mit
vollst Kompressionsatelektase der ganzen 1. Lunge. Multiple
haemorrhag. Infarkte im r. Unterlappeu, Stauungsmilz, -Leber.
-Nieren. Stauuugskatarrh des Magens und Darms mit terminaler
Diapedcsisblutung. Hydrops ascites. Anasarka.
Mit dem Sektionsbefund sind drei wichtige Punkte gegeben,
deren Beziehung zu einander überraschende Consequenzen er¬
öffnen: 1. Kompression als Ursache für die vorhandene
Thrombose der Anonyma, 2. Hydrothorax an Stelle^du*
erwarteten Pleuritis, 3. ein kleines, intaktes Herz. War
einseitig links isolirter Hydrothorax — mit 5 Liter
links gegen Vs Liter rechts! — abhängig von der Kompression
durch den perikarditischen Erguss, so stand dem entgegen ein
intakter Herzmuskel, ein bei Annahme rein lokaler Stauung
widersprechender Faktor*). War Hydrothorax hingegen ab¬
hängig von der Thrombose als lokale Venen- und Lymphestauung,
so verlangte die bei dem massigen Umfange — 400 ccm — des
perikardialen Exsudates nicht erklärte Thrombose die Annahme
0 Die Ueberlassuug desselben verdanke ich der Güte des
Herrn Prosektors Dr. Dürck.
') Abgang8stello der Subclavia?
*) It o s e n b a c h, s. a. u.
3*
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1350
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
entzündlicher Entstehung der letzteren. Und das war nicht
der Fall.
Thatsächlich war, soweit die thrombosirte Strecke reichte,
die Venenwand durch alle Schichten von Entzündung frei und,
da der Thrombus nach Farbe und Schichtung, sowie nach der
weiten Verzweigung zu schliesscn, älteren Datums sein musste,
so handelte es sich um Stagnationsthrombose ,0 ) in Folge Kom¬
pression. Immerhin liegen in dichter Nähe des Vorhofs in Folge
der Grösse der Stromgesehwindigkeit und continüirlicher Druek-
schwankung die Verhältnisse innerhalb der Blutbahn nicht
günstig für Thrombosenbildung. Man begreift daher, wie ausser¬
ordentlich selten es dazu kommt. Auch zeigen die wenigen aus
der Literatur verfügbaren Parallelfälle "), dass neben Druck von
aussen und Verlegung de« Lumens sich desorganisirende 1= ) Ein¬
flüsse (Kachexie) auf das Verhalten des Blutes oder der Gefäss-
waml geltend machen. Dass bei Entzündung seröser Siieke noch
«•in besonderer Umstand in Betracht kommt., nämlich die. den¬
selben mit der Intima der Gefässe gemeinsam zukommenrle
Eigenschaft, mit Endothel bekleidet zu sein ia ), mag nebenher
nicht unerwähnt bk-iben, weil bei den GefiLssen ja sicherlich die
chemische Funktion mit dem Endothel verbunden ist, Gerinnung
zu behindern.
Es ist also bei der Scdtenheit tliesor Thrombose im All¬
gemeinen das Zusammenwirken verschiedener Faktoren im Auge
zu behalten; meiner Meinung nach genügt — ganz abgesehen von
dem anatomischen Nachweis — einfache Kompression, die Patho¬
genes«! vorliegenden Falles zu erklären, allerdings unter be-
somlerer Druckwirkung, welche von zwei Seiten statthatte. Doch
sei hier anschliessend ein von Herrn Proseetor Dr. Al brecht
froumlliehst mir zur Verfügung gestelltes Protokoll M ) eingefügt,
welches als Gegenstück zu meinem Fall gelten. kann, als ung«?-
wöhnlicher Befund im Uebrigcn für sich selbst spricht. Wir
können nur die für uns wichtigsten Bruchstücke gelxm.
Klüftig gebaute männliche Leiche in ziemlich gutem Er-
nährungszustaiule. Leichtes thileiu. Thorax gut gwölbt (28 cm
hoch). Abdomen geringe Menge Flüssigkeit. Zwerchfell 1. 7., r.
G. Rippe.
Herzbeutel liegt in einer Breite von 23. Höhe vou 21 cm vor.
Mit dem Sternum in dessen r. Hälfte in der Höhe der 2. u. 3. Rippe
eine bläuliclirotb verfärbte Partie im Herzbeutel lm Umfang eines
Fünfmarkstückes verwachsen. Bel Eröffnung des Herzbeutels
eutleeren sich 900 ccm einer dunkel chokoladefarbenen mit fibri¬
nösen Fäden untermengten, etwas trüben Flüssigkeit.
Lungen beiderseits ziemlich ausgedehnt verwachsen; in den
abhängigen Theilen thells freie, thclls im Bindegewebe gelegene
Flüssigkeit.
Die von unten her eröffnete Aorta erweitert mit unregelmässi¬
gen Verdickungen und Kalkeinlngcrungen. lm Anfangstheile der
Brustaorta, etwa 2 cm unterhalb des Arcus beginnend, eine fünf-
markstückgrosse Partie verdünnter, von atheromatösen Ge-
sclnvürchen durchsetzter Wand. Der Arcus erscheint ln seinem
Ende eben für «leu Daumen durchgängig und wie «lurch einen
Wall verengt Daran schllesst sich ein fast mannskopf-
grosser, prall gefüllter, an einztdnen Stellen derb resistenter,
aneurysmatiseber Sack, welcher mehrere mit flüssigem Blute reich¬
lich gemengte Cruor- und Speckgerinnsel enthält. Gegen die
Klappen zu verjüngt sich die Aorta, wieder mit wallartigera Rande
sich absetzend, zu einem 3% cm im Durchmesser haltenden Sacke,
in «lessen Grunde die leicht verdickten, vollkommen schlussfäliigcn
Aortenklappen liegeu.
Hera beide Vent verbreitert, Consistenz schlaff. Beide Blätter
des Perikards rothbraun und braungrau verfärbt und überlagert
von reichlichen, tlieils fester anhaftenden, fibrinösen Auflage¬
rungen. R. Vent. mehr als gänseeiweit. Musk. nur lm vordersten
Abschnitt«' verdünnt, sonst kräftig ausgebildet. R. Vorhof von fast
der Grösse einer Weiberfaust, Wand dünn, in der oberen Hälfte
sein Lumen «lurch «len aneurysmatischen Sack stark verengt; noch
mehr dasjenige der V. cav. sup., sowie der V. nnonyma, welche
beide auf eine grosse Strecke entlang der Kon¬
vexität «lesSnck es verlaufen. Im Anfangstheile der V. cav.
sup. zeigt dieselbe entsprechend der Oberfläche des Sackes
streifig verdickte und etwas getrübte Intima. Im
Uebrigcn sind die Venenwände ohne Besonder¬
heiten. L. Kammer von der Weite eines grossen Hühnereies,
Endokard durchsichtig. Mitralis für 2 Finger durchgängig, im
Aortenzipfel geringgradig verdickt, in der 1. Klappe derbe einge¬
lagerte Kalkplatte. Musk. des 1. Vent. stellenweise verdünnt, von
schlaffer Konsistenz. L. Vorhof nicht erweitert, Wand etwas ver-
10 ) S. a. v. Recklinghausen a. a. O.
") S. a. oben. Ferner Or raerod -M arge t: Transactlons of
the pathol. Society of London 1808, Vol. XIX, p. 199. — Martin:
Transactlons of the pathol. Society of London, Vol. XLII, p. 93.
11 ) Eisenschlitz: Wien. klin. Rundschau 1895, No. 50
u. 51 (Ein Fall von Thrombose der Anonyma bei Nephritis).
**) Rosenbach u. a. Aut.
14 ) Bisher noch nicht veröffentlicht.
dickt. Die Abgangsstellen der rechten Pulmonalvenen ziemlich
stark verengert, kaum für einen kleinim Finger durchgängig.
L. Lunge von welcher Konsistenz, in der Spitze indurirter
Herd, überall lufthaltig. R. Lunge von erhöhter Konsistenz, iw
der Spitze kirschgrosse Narbe; unter der -Oberfläche des Unter-
lappeus einige atelektat. Partien.
Es war also an einer kleinen Stelle Endophlebitis, aber nicht
Thrombose, an der Vene nachgewioscn worden, obgleich es sich
ura Pression eines so grossen Sackes, an welchem das Gefast
lange Zeit wie an einem Ballon aufgezogen war, handelte. An
beiden Venen, cava und anonyina, entfaltete sich der Druck in
schräger Richtung, von unten und hinten her, wie bei meinem
Patienten, nur dass bei diesem der atolektatischo Oberlappen
unter Mitwirkung der Perikarditis der sich ausdehnenden Pleura¬
höhle als Puffer dient«!. — Bei grösserem Perikardialerguss (von
700—900 ccm Inhalt an) wird oberhalb der grossen Gefässe im
ersten Intereostalraum ein wurstförmiger Fortsatz vorgestülpt,
wie wir aus den Leichen versuchen S c h a p o 8 c h n i k o f f s |; )
entnehmen; b«“i 400 e«*m — unser Fall — beginnen erst die Hohl-
riiume «les Herzens zusammengedrückt zu werden. Auch die
Verwachsung der Perikardinlblätter, die an der Basis des
Iterzens vorgefunden wurde, musste sich eh«*r als Behinderung
für eine Ausdehnung nach oben geltend machen. Nach Allem
war seitens der Perikarditis, welche, trotz Reerudeseirung dem
Patienten ambulante Bt'handlung gestattete, an Kompression der
V. anonyma wohl nicht zu denken.
Die Pathogenese würde sich nun ohne Umschweife glatt er-
ledigon lassen, wenn entsprechend der Krankengeschichte, welche
auf einen schnellen Umschlag der Situation hinweist, das
llinzutreten einer Pleuritis bestätigt, und nicht — des negativen
Befundes wegen an der Scrosu — auf Hydrothorax erkannt
worden wäre. So müssen wir uns mit diesem beschäftigen und,
weil der Sachverhalt ohne Weiteres nicht begreiflich wird, habe
ich zu zeigen, dass sekundäre, aus Pleuritis erwachsene Zustände
Hydrothorax vortäuschten.
Es entsteht tlic Frage, ob cs überhaupt linksseitig isolirten
Hydrothorax gibt. In der That würde es sich um ein bemerkens-
werthes Beispiel eines solchen handeln, da die linke Lunge nur
noch als plattgedrückter Strang neben der Wirbelsäule sich vor¬
gefunden, während das geringe rechtsseitige Transsudat (Vi Liter)
als von späterer Herkunft zum allerletzten Status gehörte.
Rosenbach, welcher früher 10 ) schon und neuerdings") dieser
Frage näher getreten ist, hat der bisherigen Anschauung, Pleura¬
exsudate seien stets doppelseitig, Einschränkung auferlegt. In
einer Reihe von Beobachtungen, ist von ihm einseitig lokalisirtcr
Hydrothorax festgestellt; nur war das immer die rechte")
Seite und beruhte stets auf Ileramuskelerkrankung. Der Zu¬
sammenhang ist folgender: Schlechte Ansaugung seitens des
Herzens (Dilatation des rechten Ventrikels) vermindert das Ab¬
strömen des Blutes aus der Vena cava. Die Circulationsstörung
trifft in erster Linie den Kreislauf der Leber. Findet mm Be¬
einträchtigung der Exspiration 10 ) — mangelnde vis a tergo —
statt, so wird schon durch den geringen Ausfall an positivem
Capillardruck in den Venenbezirken der Pleura Gelegenheit zu
Stauung und Transsudation gegeben.
Rosenbacli schreibt darüber: „Wenn durch die Herz¬
schwäche der. Venendruck in der Cava höher wird als sonst, so
wird mir oder zuerst in einem Gebiet, «lessen Vene «lie un¬
günstigsten Druck- resp. Einstrüimmgsverhültnisse ln die
Cava hat, der Abfluss gestört, sei es, «lass «lie Eimnüuduugsstelle,
wie das bei stärkerer Füllung der Vene leicht geschieht, etwas
verlagert «xlor weniger elastisch ist, sei es, dass die capillaren
Triebkräfte in dem betreffenden Quellgebiete aus irgend einem
Grunde schwächer sind. z. B. wegen beginnender Degeneration des
Pnienehyms. oder — für «lie Lunge — bei ungenügender Expiru-
(Ion. Dann wird das Venenblut in diesem Bezirke stagniren, wie
das Wasser eines Nebenflusses, der gut gefüllt, aber mit relativ
schwachem Gefälle bei der Mündung in «len besonders stark ge¬
füllten und reissenden, d. h. stark gespannten Hauptstrom
anlangt.“
15 ) Schaposchnlkoff: Zur Frage über Perikarditis. Mit¬
theil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1897, II. Bd., 2. Hrit,
S. 102 u. f.
,a ) Rosenbach: Eulenburg’s Realencykl. 1880 u. 1896,
Notlinagel’s spec. Path. u. Ther. 1894: „Erkrankungen des Brust¬
fells“.
1T ) Diese Wochenschrift 1901, No. 14.
ll! ) Prof. Rosenbach hatte die Güte, mir dies ausdrücklich
zu bestätigen.
’*) Z. B. ln Folge Behinderung der Zwerchfellexcursionen.
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20. August 1901.
MUENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1351
Die Verhältnisse, die wohl selten so liegen, sind also nur
der rechten Seite angepasst und für grössere Ansamm¬
lungen, wenigstens auf einen langen Zeitraum, berechnet. Der
linken Seite eigentümlich ist nach Rosenbach eine der Be¬
obachtung sich leicht entziehende Transsudation, welche von
der Dilatation des linken Ventrikels und Atelektase des linken
Unterlappcns herrührt, wesshalb davon hier keine Rede sein kann.
Noch ist einem Einwurf zu begegnen: das Perikardialexsudat
möge durch Absperrung (Kompression) der Pulmonalvenen
Hydrothorax der linken Seite verschuldet haben. Eine unmög¬
lich haltbare Annahme, da man zunächst nicht einsehen kann,
wesshalb dann die rechten Pulmonalvenen, deren Lagerung vor
der Wirbelsäule das Ausweichen in der Sagittalebene behindern
und sie hiedurch hydraulischem Druck innerhalb oder ausserhalb
des Herzbeutels mehr aussetzt als die seitliche Lage der linken,
frei geblieben wären. Weil ferner die Folge der Kompression,
Thrombose innerhalb der ganzen linken Lungenhälfte, unter
starken Haemorrhagien als tödtliche Komplikation unver¬
kennbar geblieben wäre. Ausserdem können Rückstauungen auf
dem Woge der Anastomosen, welche die Pulmonalvenen mit den
Pleuralvenen verbinden, durch die vielen Abflusswege nach der
Vena hemiazygos hin und die Lyraphbahnen hinreichend wieder
ausgeglichen werden. Schnelles Ansteigen des Niveaus, welches
wir als Bedingung für die Kompressionsthrombose der Vena
a n o n y m a forderten, wird auch so keinenfalls erklärt.
Die preeäre Seite des Falles — die Frage, wie man sich zu
der Thrombose der V. anonyma zu stellen habe — wird wesentlich
vereinfacht, wenn wir an der klinischen Diagnose Pleura¬
exsudat festhalten. Die von Anfang an konstatirte starke
T riibung der Flüssigkeit — auch an der Leiche wird der
2Vt Liter betragende Hydrops ascitee heller befunden, als der
doppelt so grosse Inhalt der 1. Pleura —, die bei der ersten Punk¬
tion beobachtete deutliche Fluorescenz, welche wir auf die
Anwesenheit mit Schleim verklebter Zellaggregate, auch ver¬
fetteter Zellen beziehen, sind an und für sich Beweis reichlich
zelliger, an Eiterbildung streifender Exsudation.
Für das TJebergreifen der Entzündung von dem Peri¬
kard ist von Bedeutung die Wahl der li n k e n Seite.
Nicht allein, dass bei Perikarditis im Einklang mit
der Lage und Aktion des Herzens die Entzündung der
linken Pleura überwiegend im Vergleich zu derjenigen
der rechten vorkommt, zeigt auch ohne Berechnung zu Peri¬
karditis linksseitige Pleuritis eine absolut höhere Ziffer als
rechtsseitige. Die Tragweite des mechanischen Momentes neben
der Zugänglichkeit der Lymphspalten erhellt ferner aus der That-
sache, dass umgekehrt sehr häufig Entzündung des Herzbeutels
von linksseitiger Pleuraerkrankung eingeleitet wird. Als Vor¬
läufer der Perikarditis nimmt Pleuritis nach Duchek") unter
allen aetiologischen Faktoren den ersten Platz ein.
So stehen nach meiner Meinung gesicherte Argumente zur
Verfügung, unsere klinische Beurtheilung des Falles zu unter¬
stützen. Es wird damit nicht berührt, dass unter Zunahme der
Herzschwäche und Desorganisirung") gleich der allgemeinen
Hydropsie ein Stauungstranssudat sich dem Pleuraexsudat bei-
gesellte, sowie dass die unter dem gleichen Einfluss sich aus¬
breitende Thrombose ihrerseits durch Stauung, eventuell Be¬
hinderung des Abfliessens von Chylus und Lymphe (Ductus
thoracicus **) zu der kolossalen Ansammlung von Flüssigkeit und
Fmgestaltung des anatomischen Befundes beigetragen hat.
Auffällig bei der wohl zweifellos erwiesenen Eindeutigkeit
des flüssigen Substrates muss, wenigstens für das unbewaffnete
Auge, das Fehlen von Auflagerungen und verdickten Stellen an
beiden Blättern der Pleura erscheinen und es bleibt damit ein un¬
gelöster Rest der uns obliegenden Aufgabe übrig, worüber nur
mikroskopische Untersuchung oeteris paribus ähnlicher Befunde
aufklären könnte.
Zum Schlüsse sei es gestattet einer klinisch bemerkens-
werthen Erscheinung, deren Beziehung zur Lage des Herzens
*9 Ducbek: Zur Aetlologle der Perikarditis. Wien. med.
Wochenschr. 1859, No. 15 u. 16.
*9 Vergl. die vielen marantischen Thrombosen.
**) Die Anastomosen der Chylusgefässe sind derart, dass, wenn
man trotz der logischen Bedenken den Hydrothorax im Wesent¬
lichen auf Verschluss des Ductus thoracicus zurückführen wollte,
nach Analogie solcher Fälle Ascites eine hervorragende Rolle
gespielt haben müsste.
No. 34.
innerhalb des Herzbeutels in unserem Falle ersichtlich ist, in
Kürze Erwähnung zu thun. Ich meine das Symptom, dass jedes¬
mal bei Verkleinerung des Pleurainhaltes unmittelbar nach
der Punktion die zuvor unhörbaren Herztöne deutlich vernehm¬
bar werden und dieselben mit Anwachsen der Pleuradämpfung
wieder verschwinden.
Zur Erläuterung der räumlichen Verhältnisse füge ich die
Abbildung**) eines Brustquerschnitts bei, welcher sich mit
unserem Befund an der Leiche fast genau deckt.
1. Oesophagus. 2. Aorta. 8. Vena eava Inf. 4. Hepar. 6. Cor.
Es ist bei derselben der Kontour der linken Pleura, welcher
den Herzbeutel umgrenzt, stärker markirt, um zu zeigen, wie
der Druck des ausgedehnten Pleurasacks die Flüssigkeit im Herz¬
beutel von links nach rechts abdrängt, während das Herz in der
Richtung nach vorn und hinten in dem mit Flüssigkeit gefüllten
Raum die Mitte einhält.
Das bezeichnete Symptom beweist, dass das Pleuraexsudat
dazu beigetragen hat, die Schallleitung der Herztöne nach der
Brustwand (Sternum) zu verhindern und die Dichte des Herz¬
beutelergusses an und für sich nicht allein die Ursache bildete.
(Bekanntlich braucht letztere nicht gross zu sein, um die Herz¬
töne nicht mehr wahrnehmen zu lassen.) Man sieht aus der Ab¬
bildung, wie insbesondere der vorgestossene vordere Pleurarand
als Druckpunkt sich geltend macht. Da die Herztöne sogleich
nach der Punktion vernehmlich werden, so kann man mit Recht
folgern, dass durch das Zurücktreten dieser Partie eine Aus¬
gleichung des Niveaus der Perikardialflüssigkeit nach links hin
stattfindet und dass ferner das Herz sich dem Sternum
nähert.
Nach den Versuchen SchaposchnikofPs**) kommt
das Herz, so lange der Zusammenhang mit dem Gefäsebogen
nicht durchschnitten ist, entgegen der speoifischen Schwere ober¬
halb der Flüssigkeit im Herzbeutel zu liegen, es pendelt nach
vorn. Auch in unserem Falle, wie das Auftreten jenes Symptoms
nach Ablassen des Pleuraexsudates zeigt, dürfte für die Lagerung
des Herzens die Tendenz, sich der vorderen Brustwand zu nähern,
angedeutet sein. Sicher liegt im Allgemeinen bei gleichzeitig
vorhandenem linksseitigen grossen Pleuraerguss das Herz in
dem mit Flüssigkeit gefüllten Perikardialsack nicht nach vorn,
wie auch sonst die Lehre, dass das Herz seiner Schwere gemäss
in der Perikardialflüssigkeit nach hinten sinke (Friedreich,
Riegel, Bauer), für viele Fälle imbestritten bleibt.
lieber eine Art trachealer Haemoptoe.*)
Von Dr. Georg Avellis in Frankfurt a.M.
Den Kaufmann B. kannte ich seit Jahren als gesunden Mann,
der den Radfahr- und Bergsport regelmässig und vernünftig be¬
treibt, seinen eigenen kleinen Garten selbst bearbeitet und be¬
pflanzt, nüchtern und solide lebt. Er ist verbelrathet, hat einen
gesunden Knaben und ist ausser einem „chronischen Magen¬
katarrh“, der freilich Jahre lang gedauert haben soll, nicht ernst¬
lich krank gewesen. Er ist jetzt 41 Jahre alt, gross, breitschultrig,
*) Nach Plrogoff: % natürlicher Grösse (Querschnitt an
der gefrorenen Leiche).
*9 8. o.
•) Vortrag, gehalten auf der VIII. Versammlung südd.
Laryngologen in Heidelberg.
4
e
1352 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 34.
von frischer Hautfarbe und besitzt guten Appetit. Sein Körper¬
gewicht hat ln den letzten Jahren langsam zugenommen. Vor
einigen Jahren behandelte Ich Ihn an nasopharyngitisclien Be¬
schwerden und zeitweiser Heiserkeit.
Jetzt klagt er über Bluthusten. Derselbe trat zum ersten
Mal nach einer grossen Radtour auf und dauert schon
sechs Wochen in der Art. dass er Morgens beim Aufwachen
mit leichtem schmerzlosen Hustenstoss einige dunkle, nicht mit
Schleim vermischte Blutklümpchen aushustet. Nach einigen
llustenstössen werden die blutigen Sputa liellroth. ohne Schaum,
und hören meist nacli 1—2 Stunden, manchmal früher, manchmal
später, auf. Nachts nie Husten, e b ensowenig am Tag e.
Nur zu der Zeit, als das Blut nusgeworfen wird, bestellt überhaupt
Hustenreiz. Sonst völliges Wohlbetinden. Die Untersuchung der
Brust ist in Jeder Hinsicht negativ. Sputum zunächst nicht vor¬
handen. Später wurde dasselbe von Geh. Medicinalrath Weigert
untersucht und frei von Tuberkelbacillen befunden.
Die Nase zeigt normale Beschaffenheit, keine Blutgefäss-
enveiterungen. auch keine Blutreste, dossgleichen der Nasen¬
rachenraum, der Pharynx und Hypopharynx, ebenso der Kehlkopf,
Zahnfleisch gesund, blutet nicht auf Reiben und Suckeln. Zungen
grund ohne Varicon. Nirgends Anzeichen eines Geschwüres oder
eines Fremdkörpers. Stimme rein, Schlucken frei.
Nach diesem ersten Befund war es also nicht möglich, den Ort
der Blutung festzustellen. Ich gab dem Patienten auf, sofort
zu mir zu kommen, sobald sich die ersten Blutspuren zeigten,
da nach seiner Erfahrung bis zum Beginue meiner Spreehtstunde
die Blutung stets aufhörte. Ich sah und untersuchte Herrn B. in
den nächsten Wochen etwa 20 mal mit allen Hilfsmitteln der rhlno-
logisehon Technik. Niemals fand ich Blut ln der Nase, dem
Rachen, dem Munde, nur einmal zwei feine Blutstreifen auf.der
Kelilkopfhlnterwnnd. Dieser Befund liess die doppelte Deutung
zu: der Ort der Blutung konnte unterhalb der Glottis zu suchen
sein und oberhall), denn diese Blutstreifen konnten auch von
horuntergeflossenem Blut herrühren.
Eines Morgens kam Herr B. wieder, nachdem sich 10 Tage
lang keinerlei Blutspuren gezeigt hatten und war ernstlich auf¬
geregt. Das nusgehustete Blut war reichlicher als sonst, liellroth.
zusammen vielleicht 1 y, Esslöffel. Ich suchte nochmals die oberen
Luftwege ab, ebenso wie die Lunge, und fand nichts. B. fürchtete
Jetzt ernstlich für seine Gesundheit und liess sich von mir nur
schlecht beruhigen. Er consultlrte darauf einen anderen Arzt,
der die Blutung für eine Lungenblutung erklärte. Er verordnete
folgendes Regime: Bettruhe. Eis. nicht mehr Radeln. Berg¬
steigen. nicht mehr im Garten arbeiten, wenig Treppensteigen,
viel Liegen und in einigen Wochen ausserhalb eine Kur für
Lungenkranke im Schwarzwald. Nun wusste Patient nicht mehr
aus noch ein. Tch hatte ihm. ln der TTeberzeugung. dass keine
Lungenkrankheit vorlag. Alles erlaubt, der zweite Arzt Alles ver¬
löten. Er wurde hypochondrisch: neurasthenisch war er schon
vorher, und bekam melancholische Verstimmung und Arbeits-
nnlust. Schliesslich kam er wieder zu mir und wollte ..lieber an
Schwindsticht sterben“, als auf alle Bewegung, seinen Garten
und Spazlrtouren verzichten. Die verminderte Bewegung hatte
Kopfdruck, Stuhlbeschwerden und. wie ich auf mein Befragen
erfuhr, auch Ha e morrholden zum Vorschein gebracht.
Patient erzählte mir bei dieser Gelegenheit, als ich über die
Entstehung der Haemorrhoiden mit ihm sprach, die Geschichte
seines früheren ..Magenleidens“. Es war vor. 14 Jahren auf der
Reise in einer kleinen Stadt, als er beim Koffernuspacken einem
plötzlichen Schmerz im rechten Hypoehondrium spürte. Zugleich
trat StulilVorhaltung ein. Der befragte Arzt verordnete Opium
und rieth ihm. nach Hause zu reisen. Tn Frankfurt ordinirte der
Arzt eine längere Kur mit Ricinus und noch stärkeren Abführ¬
mitteln. Dieses Abführen dauerte 14 Tage lang (!). Darnach
stellte sich ein hoher Grad von Darmträgheit ein. so dass Pntient
mehr als 10 Jahre lang an den stärksten Beschwerden der Stuhl
Verstopfung litt Sein Magen wurde ..verstimmt“. Kopfdruck
und andere nervöse Beschwerden stellten sich ein und Jed^r Tag
brachte ihn — oft stundenlang — ln eine Situation, wo er mit
künstlichen Mitteln fKlystieren. Turnen. Massage etc.l müh¬
selig harten Stuhlgang erzielte. Dabei kam es auch zu haemor-
rhoidalen Blutungen ’).
Diese Krankengeschichte verrieth aLo, dass eine lange
Stauung im Körper des Kranken bestand, die zu TTaemor-
rhoiden führte und deren Natur mit sich brachte, dass Pntient
täglich Jahre lang hindurch stark pressen musste.
Der Gedanke lag demnach nahe, in diesem Umstande die
Ursache für die Blutung aus den Luftwegen zu suchen. Die
theoretische Ueherlcgung in Verbindung mit der bisherigen
Krankenbeohachtung könnte zu folgender Annnahme führen:
Die chronische Obstipation bewirkt Stauung der Venen an
allen möglichen Gebieten, vor Allem auch in der Nase, dein
Pharynx, dem Zungengrund etc. Das starke Pressen könnte
aber an einem gewissen Orte eine Art Praed ilert inn = -
‘) Sein Bruder leidet seit seinem 21. Jahr ebenfalls an
Haemorrhoiden nnd ist deeswogen jetzt operirt worden. Es scheint
also familiäre Anlage vorhanden zu sein.
stelle für die Zerreissung von oberflächlichen erweiterteu
Venen verursachen.
Welches ist diese Stelle?
Wenn Jemand stark presst, so schliesst er nacli tiefer In¬
spiration falsche und wahre Stimmlippen fest aneinander und
erhöht darauf den allmählich ansteigenden intraabdominelleu
Druck, indem er unter anderem das Zwerchfell möglichst tief
stellt.
Ist die Phase, der Bauchpressung abgelaufen, so fahren die
Stimmlippen rasch auseinander, der feste Glottisschluss hört
plötzlich auf und die oingepresste Luft fliegt mit oft
lautem Geräusch aus der Luftröhre heraus. Die rasch
herausströmende Luft muss aus physikalischen Gründen
eine gewisse Ansaugung auf die nachgiebigen Theile der
sie umgebenden Wand ausüben.
Wo ist wohl diase Ansaugung am stärksten resp. wo müsste
ihre Wirkung am deutlichsten zum Ausdruck kommen? Der
Traehealbaum ist ein Kanalsystem, deasen Rauminhalt sich
durch die Theilung der Aeste vergrössert. Wenn
ein rasches Abströmen von Luft aus dem Gesammtrauin
stattfindet, so wird nach dem physikalischen Gesetz die Aus-
f 1 u s s g e s ch w i n d i g k e i t. an der Stelle am grössten
sein, wo der Kanal am engsten ist.
Am engsten ist der Traehealbaum an dem Kehlkopf ende,
also vor seiner Theilung, demnach wird dort die Ansaugung der
hernusstürzenden Luft eine besonders kräftige Wirkung auf die
Elemente der Schleimhaut ausiiben können, ähnlich der be¬
kannten Wirkung beim Inhalationsappnrat, wo der hervor-
stiirzendo Dampf eine Ansaugung auf das Steigrohr im Glas¬
schälchen ausiibt. Diese häufige, durch Jahre täglich öfters
wiederholte Wirkung könnte also leicht eine Erschlaffung
der durch die vorhergehende Pressung gestau¬
ten Venen wände herbeiführen und gelegentlich zu
einer Zerreissung derselben führen.
Diese theoretische Ueberlegung vernnlasste mich, bei (loni
Patienten nochmals sorgfältig die Venen der obersten Traelieal-
sehleimhaut zu lnsplclren, wobei leb nun. weil Ich Jetzt wusste,
was ich suchen wollte, an den oberen vorderen Zwlsehenrim:-
rüumen eine blanrothe. sammtartige Schleimhaut entdeckte, auf
der einzelne annähernd dem Ring parallellaufende, astartlg ver¬
zweigte, dunkelblaurotbe Adern zu sehen waren, ähnlich den
Venen an der typischen Stolle an der vorderen Nasenscbeldewand.
die Kiesselbach als die Praedilectionsstelle für Nasenbluten
entdeckt lmt. Immerhin bedeutete dieser Befund nicht viel, bis
zu dem Tage, als Pntient früh am Morgen gerade wiederum zur
Untersuchung vor mir sass und nachdem ich Nase und Rachen
nbgcsucht hatte, in meiner Gegenwart hustete und mir die
blutige Expectomtion zeigte. Ich griff sofort zum Kehlkopf¬
spiegel und konnte nun feststellen, dass die Blutung aus den
obersten, vorderen Rlngvenen der Luftröhre
stammte. Dort sass ein Tropfen Blut, der langsam nach unten
nbfloss und nach dem Husten sich erneuerte.
Die objektive Beobachtung hatte also erhärtet, dass die in
Frage stehende TInemoptoe eine tracheale Haemoptoe war.
Damit war die günstige Prognose schon gegeben. Zugleich
aber lag der Gedanke nahe, die „Praedilection »stelle
der trachealen Haemoptoe“ zu behandeln wie den
Locus Kiesselhachii am Septum nasi, niimlieh die erweiterten
Venen zu verätzen. Unter Coeainanaesthesie liess sieh der kleine
J'h’ngrifF leicht bewerkstelligen, indem eine an die Ronde ge¬
schmolzene Chromsiiureperle angedrüekt. wurde. Eine zeitweilige
Heilung ist dadurch erzielt worden, später kamen die Blutungen
wieder und zwar, wie Patient erzählt, regelmässig nach dem
Coitus! (?)
In der deutschen Literatur findet sich über dieses Kapitel
so gut. wie nichts. Moritz Schmidt schreibt: Er habe
dreimal Blutungen aus der Trachea gesehen, gibt aber keine
weitere Erläuterung zu diesem Ratze. Im Handbuch der Laryngo-
logie sind Tracheavaricen und ihre Folgen gar nicht er¬
wähnt. Nur, wie ich später fand, besitzt die italienische Litera¬
tur zwei Aufsätze, die dieses Kapitel besprechen: Mas sei be¬
schreibt. unter dem Titel: „Sul eronico catarro tracheale emor-
rngieo“ (18HS) siimmtlicho Anzeichen der Tracheablutungen, wie
ich sie zu skizziren versuchte. Er erklärt die Blutungen
aus einem haemorrhagisehen Luftröhrenkatarrh, obwohl seine
Krankengeschichte keine Symptome von Luftröhrenkatarrh er¬
gehen und seine Abbildungen der blutenden Tracheastellen genau
so aussehen wie die von mir beobachteten Tracheavaricen.
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MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. .[ r * ‘_1353
20. August 3901.
Ferner publizirte P i s e n t i in Perugia zwei Fälle von Blutungen
aus Tracheavaricen, die unter dem Titel: „Intoro a due casi
di catarro tracheale emorragico“ beschrieb. Bei seinen Fällen
suchte und fand er Varicen an den Beinen, Haemorrhoiden in
der Familie, Nasenbluten etc., er spricht geradezu von „una de-
bolezza eriditaria dei vasi venosi“, einer erblichen Schwäche
desVenensystems.
Von der erblichen Schwäche des Venensystems leitet er die
Erscheinung ab, dase bei gewissen Leuten auch aus den Tracheal-
venen Varicen und auch Blutungen aus denselben entstehen
können.
Wie weit in meinem Falle eine hereditäre Minderwerthigkeit
des Venensystems vorliegt, habe ich versäumt, zu erfragen, da
ich die italienischen Arbeiten erst jetzt, „auf der Suche nach
Literatur“, kennen lernte. Jedenfalls erklärt die sehr hartnäckige
Verstopfung in Verbindung mit Haemorrhoiden eine persönliche
Disposition zu Varicen, abgesehen von der erblichen Anlage.
Da ich keinerlei Zeichen von Tracheakatarrh fand, ebensowenig
die italieuischen Autoren (eine Traclieitis haemorrhagica sicca
[acuta und chronica] sicht ganz anders aus und ist auch stets
von Husten begleitet), so halte ich die Bezeichnung „haemor-
rhagischer Luftröhrenkatarrh“ für diese Art Fälle für weniger
zutreffend als „blutende Tracheavaricen“.
Endlich scheint mir (M a s 8 e i’s Abbildungen bestätigen
meine Annahme), dass als Prädilektionsstelle für die
blutenden Traclieavaricen die oberen vorderen
Zwischenringräume anzusehen seien und auch eine örtliche
11 o h a n d 1 u n g ders< Ilten Erfolg versprechen könne.
Erwiderung auf den Artikel des Herrn Dr. Maul:
„Oleum cinereum gegen Syphilis“
(ln No. 31, 1901, dieser Wochenschrift).
Von Dr. Stern in München.
In Erwiderung auf obengenannten Artikel (in No. 31 dieser
Wochenschrift) muss ich in erster Linie hervorheben, dass nicht ich
der Urheber der „unzweckmiissigen“ Zusammensetzung des Ol.
einer, bin, sondern dass Prof. Lang ln Wien und eine Reihe ganz
hervorragender Pariser Specialärzte, wie Julllen, Thibiörge,
Besnier — was auch ganz deutlich aus meiner Arbeit hervor¬
gebt — dieses Präparat in zahlreichen Füllen angewandt und, als
allen anderen löslichen und unlöslichen Quecksilberverbindungeu
vorzuziehen, warm empfohlen haben. Besonders aus den Dls-
cnsslonen in der Pariser dermatologischen Gesellschaft war in dev
That anzunehmen, dass dieses reine Oleum cinereum ein vorzüg¬
liches Mittel sei; um so erstaunter war ich, dass es die von mir
erwähnten grossen Uebelstände (Infiltrate und Abscesse) stets mit
sich brachte und fühlte Ich mich natürlich verpflichtet, in meinem
Berichte, der in erster Linie für die, allgemeine Praxis treibenden
Aerzte bestimmt war, auf diese unangenehmen Folgen hinzuweiseu.
Das von Herrn Dr. Maul angewandte Präparat Ist nun ein ganz
anderes, in völlig verschiedener Weise, wie das Ol. einer., her¬
gestelltes: Der Vortheil des Benzoequecksilbers soll nach Neu-
mann (in Drasche’s Bibliothek d. gesummten medic. Wissen¬
schaften, venerische u. Hautkrankh., S. 391) in der ausserordentlich
feinen Vertheilung der minimalen metallischen Bestandthelle
liegen, während beim L a n g’schen Präparate sich grosse Queck¬
sliberkügelchen mit der Lupe nachweisen lassen sollen. Neu-
mann hat aber trotzdem von diesen Injektionen Abstand ge¬
nommen. Herr Dr. Maul hätte daher ebensowohl noch eine Reihe
anderer Quecksilberverbindungen, die alle durchzuprobiren ich
bei Vorhandensein einiger durchaus nur zu empfehlender doch
nicht wagen wollte, als dem Ol. einer, überlegen anführen könneu
(vor Allem das von Neisser und seinen Schülern benützte
Hydrarg. sallcyl. und da» H. thymolico-aceticum). Ich werde
übrigens nicht verfehlen, baldigst das von Herrn Dr. Maul so
warm empfohlene OL einer, benzoat. anzuwenden und zwar genau
In der von ihm angegebenen Weise; wenn es sich wirklich als
solches Ideal für die subkutane Quecksilbereinverleibung erweisen
sollte, so würde ich darüber ausserordentlich erfreut sein und nicht
versäumen, über diese Resultate dereinst zu berichten.
Vergleichende Untersuchungen über die Leistung ver¬
schiedener Inhalationssysteme.
Von Alfred Wassmuth in Monsheim (Rheinhessen).
Unter vorstehender Ueberschrift ist in No. 26 der „Münch,
med. Wochenschr.“ vom 26. Juni 1901 eine längere Arbeit dos
Herrn Professor Dr. Rudolf Emmerich zum Abdruck gelangt,
welche mehr wie geeignet ist, ganz falsche Vorstellungen über
die Leistungsfähigkeit der bisher gebräuchlichen Inhalations¬
apparate hervorzurufen, insbesondere bei denjenigen Herren
Aerzten, welche nicht in der Lage sind, jene Leistungsfähigkeit
durch eigenen Augenschein an Ort und Stelle zu prüfen.
Es sei mir dosshalb gestattet, etwas näher auf die Ausführ¬
ungen des Herrn Professor Emmerich einzugehen und Di¬
verses richtig zu stellen.
Zunächst kann ich ganz allgemein behaupten, dass entgegen
der Annahme des Herrn Prof. Emmerich nicht Diejenigen
sich einer „groben Täuschung“ hingegeben haben, welche des
Glaubens waren, „die diehten, den luhalationsraum erfüllenden
Staubwolken beständen aus nassem, d. h. aus Flüssigkeitströpf¬
chen zusammengesetztem Nebel“, sondern dass Herr Prof. Em¬
merich mit seiner Entdeckung, dieser „Nebel“ werde durch
„massenhaft niederfallende Kochsalzkrystalle“ vorgotäuscht, in
einem merkwürdigen Irrthum befangen ist.
In meinen Inhalationsräumen kann sieh jeder Arzt und
auch jeder Laie, wenn er einen Blick durch das Mikroskop wirft,
vergewissern, dass die zerstäubten scheinbaren Sooletröpfchen
wirkliche Tröpfchen und keine Krystalle sind. Aus welchen
Gründen Herrn Prof. Emmerich das Missgeschik passirt ist,
hier etwas anderes zu sehen, wie Viele, Viele vor ihm, ist mir ein
Räthsel, dessen Lösung nur dann möglich erscheint, wenn man
annimmt, dass mein Apparat im Münchener Krankenhaus 1. d. I.
zur Zeit, als Herr Prof. Emmerich seine Untersuchungen vor¬
nahm, nicht vorschriftsmiissig bedient worden oder anderweitig
in seiner Funktion gestört gewesen ist. Zu dieser Annahme ver¬
leitet u. a. die Angabe des Herrn Prof. Emmerich:
„Führt man in einen Inhalationsraum pro Stunde 40 cbm
in obiger Weise bereiteter Pressluft von 15° C., so wird dieselbe
den in der Luft schwebenden Flüssigkeitströpfchen ca. (12,76X40)
Vs Liter Wasser entziehen. Wenn also in der Stunde nur V» Liter
Kochsalzlösung in diesem Raum zerstäubt wurde, so kann die
Luft (wie dies im C 1 aEschen, Reitz’sehen und Wassmuth-
sehen luhalationsraum auch der Fall ist) nur Kochsalzstaub, aber
keinen Flüssigkeitsnebel enthalten.“
Von einem halben Liter zerstäubter Soole pro Stunde
kann unter normalen Verhältnissen bei meinem Apparat gar keine
Rede sein. Wenn derselbe so arbeitet, wie er arbeiten soll, so
kommen 3—5 Liter Soole in Betracht, welche durch je einen
meiner Apparate stündlich als feinster „Flüssigkeitsstaub“ der
Luft im Inhalationsraum zugeführt werden.
Herr Prof. Emmerich führt für die Richtigkeit seiner
Entdeckung den Beweis an, dass kein „Nebel“ zu sehen und auf
zahlreichen, au verschiedenen Stellen exponirten Objektträgern
kein einziges Tröpfchen zu constatiren ist, wenn Wasser statt
Kochsalzlösung 14 Stunde lang in meinem luhalationsraum zer¬
stäubt wird. Diese Angabe ist mir ebenfalls räthselhaf11 In
meinem Inhalationsraum zu Münster am Stein habe ich kürzlich
Wasser aus der Trinkwasserleitung zerstäubt und war nach Ver¬
lauf einer viertel Stunde der „Nebel“ genau so wahrnehmbar,
wie bei Soolezerstäubung; gleicher Weise fanden sich auch auf
Objektträgern, an verschiedenen Stellen exponirt, zahlreiche
kleinste Tröpfchen vor. Mit dem Beweis des in München aus¬
gebliebenen „Nebels“ bei Zerstäubung von Süsswasser ist also
nichts anzufangen.
Sehen wir nun, wie es mit dem weiteren Beweis des Herrn
Prof. Emmerich bestellt ist. Der Herr Professor schreibt:
„Einen schlagenden Beweis dafür, dass im Wassmuth-
scheu Inhalationsraum die Luft nur Kochsalzstaub, aber keine
Tröpfchen enthält, gibt das Verhalten der relativen Feuchtigkeit.
Während dieselbe beim B u 11 i n g’schen Zerstäuber schon in
3—4 Minuten 100 Proc. erreicht hatte, so dass also die Luft sehr
rasch mit Wasserdampf gesättigt war, stieg dieselbe nach
V* ständiger Funktion des Wassmuth’schen Zerstäubers nur
von 74 auf 80 Proc. u. s. w.“
Darnach wird also bei Benutzung des B u 11 i n g’schen Ap¬
parates die Luft im Inhalationsraum bereits nach 3—4 Minuten
vollständig mit Feuchtigkeit gesättigt, was mir durchaus nicht
für die Güte dieses Apparates zu sprechen scheint. Denn erstens
würde nach Verlauf von bereits 3—4 Minuten die gesättigte Luft
eine Verkleinerung der nachschwebenden Tröpfchen nicht zu¬
lassen, und zweitens müssten die Inhalanten sich höchst un-
gemüthlieh fühlen, da ein Aufenthalt in einer bis zu 100 Proc.
mit Feuchtigkeit gesättigten Luft wegen der erschwerten Trans-
spiration zu den sogen. Unerträglichkeiten des Lebens gehört.
Tn meinem Inhain tioiwnunn würde ein Steigen bis zu 100 Pr.»-,
aus oben angeführten Gründen als ein grosser Nachtheil iinzti-
4 *
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
sehen sein und wird ein solches glücklicher Weise auch durch die
eigenartige Konstruktion meines Apparates vermieden. Immer
normale Funktion vorausgesetzt, aspirirt mein Apparat stünd¬
lich ca. 900 cbm Luft von draussen, lässt diese die beiden Wasser¬
kegel im Luftzuführungsrohr und im Apparat passiren und dann
mit den feinsten Tröpfchen gleichsam als kalten Wasserdampf in
den Inhalationsraum austreten. In demselben Verhältniss, in
welchem die Luft von draussen in den Inhalationsraum ein¬
strömt, zieht die verbrauchte, ausgeathmete Luft aus letzterem
durch Oeffnungen am Fussboden ab und ist es klar, dass der
Luft, welche solchergestalt den Inhalationsraum passirt, gar nicht
die Zeit gegeben ist, sich mit Wasserdampf vollständig zu sättigen.
Nach Angabe des Herrn Prof. Emmerich ist der Wass-
m u t h’sche Inhalationsraum in München 72 cbm gross und
kommt somit bei Zuführung von 900 cbm Aussenluft ein 12 Va-
maliger Luftwechsel pro Stunde in Betracht. Diese Anordnung,
welche Herrn Prof. Emmerich gänzlich entgangen zu sein
scheint, bürgt dafür, dass der Raum in vorzüglichster Weise
ventilirt wird und dass gleichzeitig den fortwährend zur Zer¬
stäubung gelangenden Tröpfchen die Möglichkeit gewährt bleibt,
Wasser in Gasform an die Luft abzugeben, ihr Volumen und Ge¬
wicht also zu verkleinern; um wie viel oder wie wenig, wird
lediglich durch den relativen Feuchtigkeitsgehalt der Aussenluft
bestimmt. Auf jeden Fall sprechen aber die thatsächlich in
Wassmu th’schen Inhalationsräumen bei normaler Funktion
des Zerstäubungsapparates vorhandenen Flüssigkeitströpfchen, so¬
wie das von Herrn Prof. Emmerich erwähnte Sättigungs¬
deficit dafür, dass die Tröpfchen ihr Wasser nicht vollständig in
Gasform an die Luft abgeben, dass also auch von n u r in der
Luft schwebenden Salzkrystallen keine Rede sein kann.
Würde Herrn Prof. Emmerich’s Behauptung zutreffen,
so müsste man nach Verlauf eines Vormittags, sagen wir nach
vierstündiger Zerstäubung, bei Anwesenheit eines Apparates, ca.
ein Pfund Salz auf dem Fussboden zusammenfegen können.
Dass ich nicht übertreibe, zeigt folgendes Rechenexempel. Jeder
meiner Apparate zerstäubt pro Stirn de, wie oben angegeben,
3—5 Liter Soole, durchschnittlich also 4 Liter. Jedes Liter
enthält 30 g Salz, 4 Liter also 120 g, was in 4 Stunden einer
Produktion von 480 g Salz entsprechen würde. In Reichenhall,
wo 12 Apparate von mir tagtäglich im Sommer arbeiten, müssten
sich somit jeden Mittag ca. llVa Pfund vorfinden, resp. so viel
weniger, als an Krjstallen während des Vormittags eingeathmet
worden ist. Von solchen Ansammlungen des Kochsalzes in meinen
Inhalationsräumen hat aber bisher kein Mensch etwas bemerkt,
und von den „feinen, scharfkantigen und spitzen Kochsalz-
krjstallen“, welche nach Herrn Prof. Emmerich „fort¬
während auf die Schleimhaut der Nase, des Rachens und des
Kehlkopfes niederhageln“, ebensowenig, was eine Erörterung der
„Möglichkeit einer Schädigung der Schleimhäute durch den Koch¬
salzstaub“, von welcher Herr Prof. Emmerich am Schlüsse
seiner Arbeit spricht, wohl kaum erforderlich erscheinen lässt,
ganz abgesehen davon, dass die Bekleidung der Schleimhaut
unserer Athmungswege — das Wimperepithel mit seiner Schleim¬
schicht — Verletzungen des Zellenleibes der Schleimhaut durch
solch’ feinste Krystalle schwerlich zulassen würde.
Noch einen Punkt möchte ich berühren:
Meiner unmaassgeblichen Meinung nach hätten die „ver¬
gleichenden Untersuchungen“ des Herrn Prof. Emmerich
unter möglichst gleichen Verhältnissen stattfinden müssen. Nach
den eigenen Angaben des Herrn Professors fasste aber der Raum,
in welchem der B u 11 i n g’sche Apparat aufgestellt war, 28 cbm,
der C 1 aPeche Raum 27 cbm, der Wassmuth’sche Raum da¬
gegen 72 cbm. Es musste also mein Apparat das mehr als
2 V 2 fache leisten, als die anderen. Sodann kommt es sehr darauf
an, ob die Untersuchungen mit den verschiedenen Zerstäubern
zu gleicher Zeit oder zu verschiedenen Zeiten bei verschiedenem
relativem Feuchtigkeitsgehalt der Aussenluft angestellt und an
welchen Plätzen die Objektträger zum Auffangen der Flüssig¬
keitströpfchen exponirt worden sind. Wie verschieden in der
Zahl die Tröpfchen, alias Kochsalzkrystalle, durch ganz natür¬
liche Ursachen — Luftbewegung im Inhalationsraum etc. —
fallen, geht aus der Tabelle des Herrn Prof. Emmerich her¬
vor. Im ClaPschen Inhalationsraum (27 cbm) fielen bei Reitz’-
soher Zerstäubung auf ein Quadrntcentimoter 1600 Krystalle,
im Wassmuthraum (72 cbm) dagegen bei der gleichen Zer - .]
stäubung 3000 Krystalle, in einem mehr als um das 2 Va fache
grösseren Raum also beinahe die doppelte Zahl Krystalle.
Sonderbar berührt auch das unter 3. erhaltene Resultat, dass
nämlich bei einem Fallen von
1600 Krystallen auf ein Quadratcentimeter.1,8 mg,
3000 Krystallen auf ein Quadratcentimeter dagegen nur 1,0 mg.
Kochsalz im Gefäss (f) gefunden worden sind. C 1 a r, welcher
mit nur 1000 Krystallen bei der Zählung paradirt, lässt sogar eine
Kochsalzmenge von 2,6 mg im Gefäss (f) zurück. Meine
300 Krystalle pro Quadratcentimeter, welche der Aufstellun g nach
zuletzt an die Reihe kamen, fanden möglicher Weise die nur
0,3 mm (!) weite Röhre (c) bereits ganz verstopft vor und die
Magenpumpe saugte vielleicht die Luft an irgend einer oder
mehreren der 14 Verbindungsstellen des Einathmungsapparates,
welche im Laufe des Experimentes undicht geworden waren.
Hiermit Hesse sich auch erklären, dass 31% Liter Luft
innerhalb 5 Minuten diese 0,3 mm weite Röhre (c) passiren
kennten. — Soweit ich übrigens über den menschlichen Kehl¬
kopf orientirt bin, stellt derselbe der Luft für ihren Durchtritt
einen ganz anderen Schlitz zur Verfügung, als er durch die
Capillare (c) gegeben ist.
Ich will es mir versagen, auf weitere Einzelheiten ein¬
zugehen, dagegen aber die Mittheilung machen, dass ein an¬
gesehenes hygienisches Institut auf meine Veranlassung mit
neuen Untersuchungen beschäftigt ist, welche die Richtigkeit
meiner Behauptung erweisen dürften, dass nämlich nicht Die¬
jenigen die „Getäuschten“ sind, welche bisher an den „Flüssig¬
keitsnebel“ geglaubt haben, sondern der Herr Professor, dessen
„Krystallnebel“ schwerlich sonstwo zur Beobachtung gelangen
wird.
Die gesundheitlichen Zustände der europäischen
Grossstädte in alter und neuester Zeit
(Vergl. No. 25 u. 31, 1901, dieser Wochenschrift.)
Schlussbemerkungen von Geh. Med.-Rath Dr. Oscar Schwartz
in Köln.
Herr Dr. Glov. G a 111 erklärt ln seinem in No. 31 an mich
gerichteten offenen Briefe, dass die drei Hauptpunkte seines be¬
treffenden römischen Briefes gewesen seien: Im antiken Rom
herrschte das Princip: Salus popull suprema lex esto, im päpst¬
lichen Rom habe man dagegen den Wahlspruch gesetzt: Alles für
den Himmel, während man im modernen Rom sich wieder zur alt-
röniischen Anschauung bekenne.
Meines Dafürhaltens steht nun die Salus popull als oberstes
Gesetz in keinem Widerspruch mit dem päpstlichen Wahlspruch:
Alles für den Himmel, da die Menschen auch nach dem katho¬
lischen Katechismus nur auf Erden sind, um in den Himmel
zu kommen, dies aber wieder nur möglich ist durch Befolgung der
göttlichen Gebote, welche die Liebe zum Nächsten, also auch die
Beförderung des Gemeinwohls, der Salus populi vorschreiben. Die
Päpste würden sich also als ehemalige Staatsregenten einer
grossen Pflichtwidrigkeit schuldig gemacht haben, wenn sie nichts
für die öffentliche Gesundheit, Beseitigung der Malaria, gutes
Trinkwasser, Krankenanstalten, Schulen u. s. w. gethan hätten.
Dass dieser von Dr. G a 111 den Päpsten gemachte Vorwurf abso¬
lut unbegründet ist, glaube ich durch anerkannte historische
Autoritäten und meine eigene Erfahrung nachgewiesen zu haben.
Schon Papst Hadrian (771—795) gründete auf den fieberfreien
Hügeln der Campagna Amsledlungen, die sog. Domus cultae, von
denen, wie von einem geschützten Centrum, die Arbeiter das um¬
liegende Land bebauen konnten. Dem Beispiele des Papstes
Hadrian folgten die späteren Päpste bis zum 14. Jahr¬
hundert, wo sie genöthigt waren, Ihren Sitz nach Avignon zu
verlegen, und dadurch die gegen die Malaria gerichteten
Gründungen, deren Ruinen sich noch jetzt in der Umgebung
Roms befinden, vernichtet wurden. Die von dem zuletzt die welt¬
liche Herrschaft führenden Papst Pius IX aus Afrika zum Kampfe
gegen die Malaria herbeigerufenen Trappisten sind bekanntlich
noch jetzt mit dieser schwierigsten hygienischen Aufgabe be¬
schäftigt. Nachträglich ist mir aber auch noch ein amtlicher Be¬
richt des Senatsmitgliedes Luigi Torelli vom 30. Juni 1SS2,
die Carta di Malaria dell’ Italia zugegangen, nach welchem diese
Seuche noch jetzt in 69 Provinzen des römischen Reichs von den
Niederungen des Po, den Pontinlschen Sümpfen, den Maremmeu
Toscanas bis nach Sicilien hinab in der Form der Malaria debole,
grave und gravissima herrscht und ln der Zeit von 1875—79 nicht
weniger wie 58 761 malariakranke Soldaten in die Hospitäler auf¬
genommen werden mussten. Ungezählt bleibt die Zahl der armen
Arbeiter, die unter den ungünstigsten Wohnungsverhältnissen und
ungenügender Ernährung an Malaria und auch an einer anderen
Seuche, der Pellagra, erkrankten. Die Ausführung des Gesetzes
betreffend Austrocknung der Sümpfe und Bonification der Lände¬
reien stösst auf die grössten Hindernisse wegen der Selbstsucht
und Habgier der Grundbesitzer, wodurch die Zahl der auswandem-
den Arbeiter der Gavona sich fortwährend steigert, 1886 nicht
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20. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT;
1355
weniger wie 67 832 Köpfe betrug. Dass die italienische Regierung
diese grossen sanitären Uebelstüude verschuldet, beziehent¬
lich die suprema lex der salus populi vernachlässigt habe,
möchte Ich nicht behaupten, weil ich es nicht be¬
weisen kann. Jedenfalls ist aber der regierende Papst
unschuldig. Der Vorwurf, welchen Dr. G a 111 dem päpst¬
lichen Rom macht. Alles, was das antike heidnische Rom ge¬
schaffen, verachtet und zerstört zu haben, widerspricht dem Zeug-
niss uubetheJligter Geschichtsschreiber. So erklärt der heidnische
Geschichtsschreiber Zoslmus (Histor 5, c. 38, 41, S. 301 u. 306),
dass er kein Beispiel von Zerstörung eines heidnischen Tempels
durch Christen anzuführeu wisse. Bekanntlich ist in Rom das
Chrlstenthum nicht als neues politisches System durch
Gewaltmittel, sondern durch das Martyrium von Millionen Be-
kennern, die für ihre Ueberzeugung und ihren Glauben freiwillig
in den Tod gingen, als neue Religion begründet worden.
Dass wir die Erhaltung der klassischen römischen und griechi¬
schen Literatur hauptsächlich den christlichen Klöstern ver¬
danken, wird auch Dr. Galli aus der Geschichte der wissen¬
schaftlichen Heilkunde erfahren haben.
Was die im Laufe von 28 Jahren allmählich von 41,8 auf 15.1
gesunkene Sterblichkeitsziffer der Stadt Rom betrifft, so kann ich
nur wiederholen, dass nach meiner langjährigen Erfahrung eine
vergleichende, den Anforderungen exakter Wissenschaft ge¬
nügende Sterblichkeitsstatistik der europäischen Grossstädte nur
auf Grundlage einer amtlichen, sachkundig ausgeflihrten Leichen¬
schau geliefert werden kann, nach gleich massigen Vorschriften
über Lebensalter und Todesursachen der Verstorbenen. Da die
Todesfälle der Kinder im ersten Lebensalter, der Fremden In
Kranken-, Entblndungs- und Findelanstalten die Sterblichkeits¬
ziffer wesentlich beeinflussen, müssen die Todesbescheinigungen
auch entsprechende Angaben Uber die Helmath der Verstorbenen,
die Ernährungsweise der Säuglinge durch Muttermilch oder künst¬
liche Nahrungsmittel enthalten. In den vom englischen Gesuud-
heitsbeamten John Sykes erhobenen, ln meiner letzten Ab¬
handlung (No. 25) mitgethellten Sterblichkeitsziffern der euro¬
päischen Länder hatte Norwegen die günstigste Ziffer von 16,
Italien die ungünstigste von 28,3 pro 1000. In Ländern, wo das
durch die Natur gebotene Selbststillen der Kinder durch die Mütter
noch als Regel gilt, oder die frische, ungekochte Thieriuiicli auch
für die arme Bevölkerung möglichst billig und l>eqnein beschafft
werden kann, wird sich auch die Kindersterblichkeit in miissigen
Schranken halten. Der von Dr. Galli in einem früheren Briefe
erwähnte, in Neapel Morgens und Abends stattündeude Auftrieb
\ on milchgebenden Ziegen in die Strassen, von welchen die Be¬
wohner der Grossstadt, die sich nicht selbst Milchthiere halten
können, in sorgfältig gereinigten Gefässen frische Ziegenmilch
gegen Baarzahlung zu kaufen Gelegenheit haben, kann aus hygie¬
nischen Gründen nur empfohlen werden. Die Verunreinigung der
Strassen durch Ziegen könnte durch entsprechend gewählte Stand¬
orte leicht vermieden und die Gemüseabfülle, durch welche die
Strassen verunreinigt werden, Hessen sich als Ziegenfutter ver-
werthen.
In meinem, gelegentlich der deutschen Naturforscherversamui-
lung zu Frankfurt a. M. 1896 In der hygienischen Sektion ge¬
haltenen Vorträge über die Vorzüge ungekochter Ziegenmilch als
Nahrungsmittel für Kinder, habe ich nachzuweisen mich bemüht,
dass die Thiermilch durch das allgemein übliche längere Kochen
(Sterilisiren) an Nahrhaftigkeit und Verdaulichkeit verliere, durch
die spätere Analyse von Baginsky, Sommerfeld, Sebe-
11 n, Zweifel und anderer Forscher ist nachgewiesen, dass die
Thiermilch schon durch einfaches Kochen, noch mehr durch an¬
haltendes Erhitzen auf den Siedepunkt erhebliche physikalische
und chemische Veränderungen erleide, die Eiweisskörper zum
Theil gerinnen, der organisch an dieselben gebundene Phosphor
sich abspalte, der Milchzucker sich zersetze und die Fette ihren
normalen Emulsionszustand verlieren, Geschmack und Farbe der
Milch sich verändern. Leider können Ziegen nur von Arbeiter¬
familien oder Anstalten gehalten werden, die über geeignete Stall¬
ungen, Gärten und zur Pflege der Ziegen bereitwillige Frauen
oder Dienstboten verfügen. Die Versorgung der heutigen Gress¬
städte mit vollwerthiger Thiermilch, als dem für Jung und Alt
wichtigsten Nahrungsmittel, stösst erfahningsgemäss auf grosse
Schwierigkeiten, gibt namentlich in ungünstigen Jahrgängen bei
ungeeigneter und ungenügender Fütterung zu den für die Guts¬
besitzer unangenehmsten Beschuldigungen und Bestrafungen An¬
lass, sowie auch künstliche Verfälschungen durch Zusatz von
Wasser und Entziehung des Fettgehaltes nicht selten Vorkommen.
Die aus entfernten Ziegenmolkereien ln Berlin bezogene frische
Ziegenmilch wurde nach den von mir eingezogenen Erkundigungen
mit 50 Pf. das Liter bezahlt, die Kuhmilch in hiesiger Stadt mit
20 Tf. pro Liter, Preise, die für kinderreiche Arbeiterfamilien zu
hoch sind.
Der herzlichen Einladung des Kollegen Galli, ihn Im näch¬
sten Winter In Rom aufzusuchen, würde ich gerne Folge leisten
und würde es mich dann sehr befriedigen, wenn er mir dort
Arbeiterwohnungen zeigen könnte, die nicht nach dem Muster des
von ihm so einladend beschriebenen Patrizierhauses in Pompeji,
sondern nach dem Muster des Hauses Nazareth mit Wohn- und
Schlafraum, Kochraum, Werkstätte, Garten und Stallung ver¬
sehen wären. Wenn Herr Dr. Galli mich hier mit seinem Be¬
suche beehren wollte, würde ich als Mitglied des hiesigen Bau-
vereln* für Arbeiterwohnungen gerne bereit sein, ihm eine grössere
Anzahl von zufriedenen Arbeiterfamilien bewohnter Häuser zu
a-lgen.
Referate und Bücheranzeigen.
J. A. Rosenberger: Heber chirurgische Eingriffe bei
Blinddarmentzündung, speziell über die Art und die Bedeu¬
tung des operativen Vorgehens während des Anfalls. Würz¬
burger Abhandlungen aus dem Gesammtgebieto der praktischen
Mcrliein, 1. Bd., 7. Heft, 1901.
Die Arbeit beginnt zunächst mit allgemeinen Bemerkungen
über die Operation in der anfallsfroien Zeit, die nach Thunlich-
keit von allen Chirurgen angestrebt wird. Häufig sind aber auch
zwingende Gründe vorhanden, während des Anfalls zu operiren,
beispielsweise bei einer Eiteransammlung; hier handelt es sich
nur um Behebung der momentanen Gefahr; dem Eiter ist Ab¬
fluss zu verschaffen. In solchem Falle sollte die Entfernung des
Wurmfortsatzes erst in zweiter Linie in Betracht kommen.
Entfernung des Wurmfortsatzes in der an¬
fallsfreien Zeit.
Für die Ausführung dieser Operation werden einige zweck¬
mässige Winke zur Auffindung des Proc. vermifonn. gegeben,,
sowie weitere Maussnahmen zur Technik und Nachbehandlung
dieses Eingriffes besprochen; eingehend wird auch der Bauch-
brüeho gedacht, die nach R. durch zweckmässige Bandagen am
besten zu vermeiden sind.
Operation während des Anfalls.
Dem Beispiele Anderer, bei Eiteransammlung im kleinen
Becken vom Damme aus zu eröffnen, will R. nicht Folge leisten;
er geht in Hinblick auf die Toleranz des Peritoneums in vielen
Fällen stets von der Bauchwand ein; er eröffnet das Peritoneum,
doch macht er die Incision nicht so breit, wie sie zur Entfernung
<3es Wurmfortsatzes nöthig ist; es wird dabei von der Erwägung
ausgegangen, den während des Anfalls gesetzten Entzündungs¬
produkten Abfluss zu verschaffen.
Dieser Eingriff ist ein ungefährlicher; bei grösseren Inci-
sionen muss doch in Betracht gezogen werden, dass mau den
Wurmfortsatz meistens nicht findet, wenn man nioht den ge¬
fährlichen Weg des Ilerumsuehens im infizirten und pathologisch
veränderten Gewebe gehen will; auch die Folgen von Koth-
fisteln u. a. möchte R. so vermeiden.
R. wurdo in den letzten 6 Jahren in 45 Fällen zwecks Ent¬
scheidung eines operativen Eingriffs zu Rath gezogen; 20mal
hat er operirt, 25 mal einen Eingriff abgelehnt; meist waren es
schwere Fälle. Von den 20 Operirten gingen 4 zu Grunde, die
Prognose war hier vorher absolut infaust. 16 sind geheilt; bei
9 hievon entleerte sieh nach der Incision, ausser einigen Tropfen
hellen, geruchlosen Serums bei einigen, keinerlei Sekret weiter;
bei zweien von diesen kam es hinterher zu spontan und bald
verheilenden Kothfisteln.
Die Zeit der Erkrankung schwankte von 2 Tagen bis zu
5 Monaten; 3 Patienten sind bis jetzt wieder erkrankt, von denen
einer starb, ein anderer, wiederholt operirt, noch an Fisteln
leidet.
Von den 13 gesund Gebliebenen sind 4 vor Jahresfrist., die
übrigen vor 1% bis zu 5 Jahren und 4 Monaten operirt.
Von den 25 Nichtoperirten ist es bis jetzt in keinem Falle
zur Entfernung des Wurmfortsatzes gekommen, obwohl bei
einigen hievon eine solche Operation angezeigt gewesen wäre.
Der Eingriff, wie er von R. geübt wird, besteht in einer
3—6 cm langen Incision mit nachfolgender Einlegung eines oder
zweier Drains; fehlen Tumor und Dämpfung, so wird der Schnitt
am MacBurney’schen Punkte, parallel dem Poupart’schen
Bande, sonst in der Mitte über dem event. Tumor, gemacht. Nach
Durchtrennung der oberflächlichsten Bauchwandschichten wird
stumpf bis zur Bauclihöhlo vorgedrungen, das Peritoneum event.
mit Hohlsonde o. a. geöffnet.
R. operirt auch, wo immer es nöthig ist, in der Privatpraxis,
auf dem Lande, oft unter schlechten äusseren Verhältnissen. Er
beschreibt die von ihm hiebei durchgeführte Anti- bezw. Asepsis.
(Diese ist einwandsfrei und nachahmensweri h. Ref.)
Der Zeitpunkt zuin Eingriffe muss dem Ermessen, des
Opcrireuden anheimgestellt werden; grosser Werth ist dabei auf
dio Beschaffenheit des Pulses und die jeweiligen Dann verbal 1 ' -
nisse zu legen (Durchgängigkeit).
Schlusssatz: „Der grosse Theil der an Perityphlitis erkrank¬
ten Patienten heilt auch noch ohne Operation und bleibt höchst
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1366
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
walirscheinlich auch von Recidiven verschont. Die operative Be¬
handlung bedeutet einen, vielfach lebensrettenden, Fortscliritt.
Die Incision in die Bauchhöhle, wie von R. zumeist geübt, ist
ein ungefährlicher, auch von weniger geübten Operateuren leicht
auszuführender, als prophylaktisch zu bezeichnender Eingriff,
dem grossen Einschnitt an Wirkung nicht nachstehend. In den
bekannten schlimmen Fällen mit allgemeiner Peritonitis, Sepsis,
oder sonstigem foudroyanten Verlauf ist die Prognose eine sehr
infauste.
R. hat sich vor Allem die Aufgabe gestellt und wie es
scheint auch glücklich durchgoführt, die Indikation zur Ope¬
ration der Appendicitis nur gegebenen Falles, mit saehgemässer
Einschränkung zu stellen. Dal>ei huldigt er bei den therapeu¬
tischen Maassnahmen dem alten Grundsätze: „Nihil nocere!“
Er will die Operation einfach, aber, wie seine Erfolge zeigen,
«loch auch wieder sicher gestaltet wissen.
Sehr gerne wird man sich mit R. einverstanden erklären,
wenn er sagt,, dass man auch ausserhalb eines Krankenhauses
oder einer Anstalt mit der nöthigen Technik und Assistenz eine
solche Operation sehr wohl durchführen kann; seine Erfolge be¬
weisen dies.
Der praktische, weniger geübte Arzt mag aus dieser Arbeit
manche nützliche Lohre ziehen, Indikationsstellung und Technik
findet er u. a. dort zur erspriessliohen Nachahmung. Es wird
«lesshalb schliesslich noch ganz l>esonders auf das Original ver¬
wiesen. (Lief.) K r o n a c h e r - München.
Adam Politzer, ord. öffentl. Professor in Wien: Lehr¬
buch der Ohrenheilkunde. Vierte, gänzlich umgearbeitete Auf¬
lage. Mit 346 Abb. Stuttgart, Ferd. Enke, 1901. Preis 17 M.
Mit grossem Geschick hat Politzer es verstanden, in der
neuen Auflage «len Fortschritten, welche die Ohrenheilkunde
in den letzten Jahren gemacht hat, gerecht zu werden. Nitdit
nur bei der Radikaloperation und bei den endokraniellen Kom¬
plikationen, sondern in jiidern Kapitel sind die wichtigsten Fort-
sohritte berücksichtigt worden, wobei der Verfasser immer seine
eigene Erfahrung mitsprechen lässt. Die neue Auflage ist in
der That gänzlich umgearbeitet und als Lehrbuch auf das Beste
zu empfehlen. Scheibe - München.
Bibliothek V. C 0 1 e r. Sammlung von Werken aus dem
Bereiche der medicinischen Wissenschaften, mit besonderer Be¬
rücksichtigung der militärmedklinischen Gebiete. Herausgegeb« n
von 0. Schjeming. m Verlag von A. Hirschwald.
Mit dem Erscheinen der Bibliothek v. Coler wurde dem
um diellebung dt«Militärsanitätswesens hochverdienten General¬
stabsarzt der preussischen Armee, Prof. Dr. v. Coler, anlässlich
seine« 70. Geburtstages seitens der Militärärzte, sowie der aus
ihren Reihen hervorgegangenen und mit ihnen in steter Be¬
rührung stehenden Universitätslehrer eine besondere Ehrung be¬
reitet. Von der Sammlung sind jetzt 6 Bände erschienen, weitere
werden in zwangloser Folge ausgegeben. Jeder Band, der ein¬
zeln käuflich ist, enthält die monographische Bearbeitung eines
bestimmten Themas aus dem Gesammtgebiet der Medicin, da¬
runter befinden sich auch Gegenstände, die keineswegs aus¬
schliessliches militärisches Interesse haben, sondern für jeden
praktischen Arzt und Hygieniker von hoher Wichtigkeit sind.
Band 1. P. K ü b 1 e r: Die Geschicht6 der Pocken und
der Impfung. Mit 12 Abbildungen im Text und einer Tafel.
8 Mark.
K ü b 1 e r gibt einen kurzen, aber doch erschöpfenden Ueber-
blick über die Verbreitung der Pocken und die Entwicklung des
Impfwesens. Nach einer Schilderung des Krankheitsbildes der
Pocken und der Forschungen über Ursprung und Alter derselben
wird in fesselnder Weise die Verbreitung der Pocken im Mittel-
alter, im Jahrhundert der Reformation, sowie im 17. und 18. Jahr¬
hundert geschildert. Bei der Besprechung der Impfung werden
auch dio verschiedenen Streitfragen auf diesem Gebiete in
ruhiger und sachlicher Weise erörtert. Im Schlusskapitel
„Tmpfung und Pocken in der neuesten Zeit“ gibt Verfasser eine
Uebersicht über den derzeitigen Stand der Frage, wobei beson¬
ders auch die Schilderung der neueren Forschungen über die
Natur des Poekcnkeimc's, sowie der Bestrebungen zur Verbesse¬
rung d«'r Lymphe von Interesse ist. Das durchweg interessante
Werk ist mit 12 Abbildungen und einer Tafel, die Häufigkeit der
Pockentodesfälle in den Staaten Europas während des Zeitraum«-.
1S93—1897, darstellend geschmückt.
Band II. E. v. Behring: Diphtherie (Begriffsbestim¬
mung, Zustandekommen, Erkennung und Verhütung.) Mit
2 Abbildungen im Text. 5 Mark.
Das vorliegende Buch ist als Fortsetzung der vor 8 Jahren
vom Verfasser publicirten Geschichte der Diphtherie anzusehen.
Im I. Kapitel erörtert v. Behring die Begriffsdefinitionen
von Diphtherie in verschiedenen Zeiten und von Seiten der ver-
schiedenen pathologischen Anatomen, bei denen immer noch ein,-
Sprachverwirrung über den Gebrauch der Bezeichnungen Diph¬
therie und Croup herrscht. Nachdem wir wissen, dass di.-
Breton n ea u’sche Diphtherie eine aetiologisch gut begründete
Krankheit ist, sollte man für die diphtherieähnlichen, aber niclii
durch die Klebs-Löffler’schen Bacillen erzeugten Krank¬
heitsformen die Bezeichnung „Diphtheroid“ wählen. Nur diese
Bretonneau - Löffle Fache Diphtherie wird, wie v. Beh¬
ring von neuem betont, durch das Diphtherieeerum beeinflusst.
Weiterhin bespricht Verfasser die Diphtherieaetiologie an Hand
der grundh^g«?ndeu Arbeit von Loeffler vom Jahre 1884.
welche ausführlich wiedergegeben ist und im Anschluss daran
die neueren Untersuchungen über das Diphtheriegift, seiiu-
Constitution, seine Wcrthbestimruung u. s. w. Im zweiten
Kapitel gibt Verfasser eine eingehende Kritik des Berichtes der
Breslauer Diphtherie-Untersuchungsstation von Neisser und
Hey mann (Klin. Jahrbuch 1899) und bespricht die Bezieh¬
ungen der bactcriologischen Diphtheriediagnose zu hygienischen
Maassnahmon, wie Wohnungsdesinfektion, Isolirung und Aii-
zeigopflicht. Sowohl den Centralstellen für bacteriologische Dia¬
gnose, wie diesen hygienisch-prophylaktischen Maassnahmen
misst Verfasser wenig praktischen Werth bei; er hält vielmehr
die konsequent durchgeführte antitoxintherapeutische Diph-
therieprophylaxis für sich allein schon ausreichend, um der
Seuche Horr zu werden.
Band III. B u 11 e r s a c k: Nichtarzneiliche Therapie
innerer Krankheiten. Skizzen für physiologisch denkend«-
Atirzte. Mit 8 Abbildungen im Text. 4 Mark.
„Die Therapie ist die subjektivste aller Künste.“ Diesen
Satz stellt Verfasser mit Recht an die Spitze seines Buches,
denn nirgends so wie beim Arzt ist die Person und die Leistung
auf’s engste verknüpft und erscheint andererseits das Material,
das sich d<un Arzte darbietet, als ein Individuum mit seinen be¬
sonderen Ansprüchen, Vorstellungen und Wünschen. Zum Ver-
ständniss dieser Individualität des Kranken und zu der darauf
gebauten Therapie bedarf es vor Allem aber gewisser physio¬
logischer Anschauungen, welche Verfasser zunächst bespricht.
Der thierischo Organismus ist nicht nur ein Nebeneinander von
anatomischen Systemen, sondern ein auf’s Feinste regulirter und
sich regulirender Reaktionsnpparat. Die verschiedenen inneren
und äusseren Reize, die die einzelnen Organe treffen, rufen Re¬
aktionen hervor und so ist auch der Patient, zu dem der Arzt
gerufen wird, nicht bloss ein Fall etwa von Lebercirrhose oder
Lungentuberkulose, sondern ein Gesammtorganismus und ab
solcher die Resultante aus den verschiedenen Einwirkungen aus
jüngster wie aus zurückliegender Zeit. Der Endzweck der Thera-
pio ist, die verschiedenen Organ- oder Gewebssäfte unter sich in’s
Gleichgewicht zu setzen und zwar können wir zur Herstellung
dieses Gleichgewicht«« entweder von aussen nach innen
(Pharmakologie, Hydrotherapie, Elektridtät, Lichttherapie u. a.)
oder von innen heraus (Beeinflussung der Psyche) zu wirken
suchen. Welche dieser Heilmethoden angewendet werden soll,
hängt von der Individualität des Kranken und noch mehr von
jener des Arztes ab. In kurzen Zügen bespricht Verfasser zu¬
nächst besonders eingehend die Psychotherapie, dann die thera¬
peutische Anwendung des Lichtes, des Wassere, die manuelle und
gymnastische Behandlung und endlich die Anwendung höheren
und moderen Luftdruckes, wobei immer wieder auf die physio¬
logischen Gesichtspunkte bei der praktischen Anwendung hiu-
gewiesen wird. Die Lektüre des originellen, äusaeret anziehend
geschriebenen Buches, das durch seine zahlreichen Citate von der
aussergewöhnlichen Belesenheit des Verfassers, namentlich auch
in der älteren medicinischen Literatur zeugt, bietet einen grossen
Genuss uml ist jedem „physiologisch denkenden“ Arzt dringend
zu empfehlen.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1357
20. August 1901.
Baiul IV. F. Trautmann: Leitfaden für Operationen
am Gehörorgan. Mit 27 Abbildungen im Text. 4 Mark.
In kurzen Zügen schildert Verfasser die Technik der Opera¬
tionen am Gehörorgan, sowie ulle dabei in Betracht kommenden
pathologischen Veränderungen. Zur näheren Erläuterung sind
überall kasuistische Mittheilungen eingeflochten; ausserdem er¬
leichtern zahlreiche instruktive Abbildungen das Studium des
Buches. t
Band V. H. F i s c h e r: Leitfaden der kriegschirurgischeji
Operationen. Mit 56 Abbildungen im Text. 4 Mark.
Das Buch stellt einen Instrukti<nisleitfadon für Kriegs-
eiiirurgen dar. Die («rundlag«» desselben bildet der Satz: Das
Schicksal des Verwundeten hängt von dem Arzte, ab, dom er zu¬
erst in die Hände fällt. Bei der Wundpflege im Felde muss jede
auf subjektivem Ermessen beruhende Willkür durch bindende
Instruktionen ausgeschlossen sein und die Aerzte im Frieden
schon auf einfache und gesicherte Methoden derselben so eingeübt
werden, dass sie in der unbeschreiblichen und erdrückenden Noth
«ler Verbandplätze, während der Schrecken der Schlacht ohne
Verzug und ohne Besinnen wissen, welche Ililfe und wie sie diese
in jedem einzelnen Falle zu leisten haben. Das Material hiezu
hat Verfasser übersichtlich zusammengetragen, wobei auch die
neuesten Erfahrungen de« kubanischen und südafrikanischen
Feldzuges verwerthet sind. Das durchwegs klar geschriebene
Buch enthält zahlreiche Abbildungen der Operationsmethoden.
Band VI. N. Z u n t z und Schumburg: Die Physio¬
logie des Marsohes. Mit Abbildungen, Kurven im Text und
einer Tafel. 8 Mark.
Das vorliegende Buch ist das Resultat vieljähriger mühe¬
voller Untersuchungen der Verfasser. Bei der Bedeutung des
Marsche» für das gesammte Kriegswesen sind alle Bestrebungen,
welche die Physiologie und die Hygiene des Marsches zu klären
und zu fördern suchen, von der grössten Wichtigkeit. Die Ver¬
fasser besprechen den Einfluss des Marsches auf einzelne Funk¬
tionen des Körpers (Puls, Herz und Leber, Blut, Athmung,
Körperwärme, Nerven und Muskeln, Harn), sowie» besonders ein¬
gehend den Einfluss des Marsches auf den Stoff- und Kraft-
wechsel. Ueberall begegnen wir einer Fülle von Thatsachen, die
ebenso für den Militärarzt und Physiologen wie für den Offizier
von der grössten Wichtigkeit sind.
Dieudonnc - Wiirzburg.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 45. Band,
3. Heft. Stuttgart, F. Enke. 11)01.
1) R. Schaeffer- Berlin: Heber einen Fall von Impf-
recidiv in der vorderen Bauchwand.
Der Fall betraf eine 52 Jährige Frau, der vor 4 Jahren doppel¬
seitige maligne Ovarialtumoren entfernt worden waren. 3 Jahre
später bemerkte Patientin zuerst einen kleinen Knoten in der
Bauchnarbe, der sich allmählich zu einer über fnustgrossen Ge¬
schwulst vergrössert hatte. Bel der Entfernung fand S. das Peri¬
toneum an allen Stellen spiegelnd, ohne jedwede Auflagerung.
Heilung ungestört. Die mikroskopische Untersuchung ergab
typisches Adenocarelnom, genau analog dem Befund«? au den
früher exstlrpirten Ovarialtumoren.
Sch. erklärt den Fall für ein echtes Impf rocidl v und
verwerthet denselben zur Bestätigung der vielfach angefochtenen
ljpbre solcher Recidive, die zuerst von Olshauseu und W i n -
t e r eingehend begründet worden ist. Nach eingehender Be¬
sprechung der gegenteiligen Ansichten betont Sch., dass spontane
metastatische Recidive in der vorderen Bauch wand nach Ovnrial-
careinom extrem selten sind und derartige Recidive daher be-
somlers geeignet erscheinen, als Stütze für die Impfbarkeit des
t'arcinoms zu dienen. In seinem Falle erblickt er die Beweiskraft
für diese Lehre in folgenden Punkten:
a) Ort des Recldlvs — Bauchdeckenrecidlv;
b> Uebereinstimmung des Baues der exstlrpirten Ovarien und
«l«*s Recldlvs;
c> Isolirthelt des Bauchdeckenrecidivs bei völliger Intaktheit
des Peritoneums;
d) das Herausholen der brüchigen. zerfall«*n«»u Kivbsmasseu
liei der ersten Operation erkläre «len Vorgang eln«»r Verimpfung
auf das Ungezwungendste.
2) Constnntin J. B u c u r a - Wien: Heber die plastische Ver¬
wendung des in die Scheide gestürzten Uteruskörpers bei Pro¬
lapsen.
Wert heim hat im Jnhre 1899 folgende Opera tionsmethode
ffir Prolaps angegeben: Nach Anfrischung der vorderen Vaginal-
uaml wird der Uteruskörper aus einem vorderen Coellotomle-
•chnitte umgestülpt und mit seiner Vorderfläche an die Wund¬
fläche angenäht. Den Schluss der Operation bildet eine Perlneo-
nnjesiv. Nach dieser Methode hat W. bis jetzt 16 Fälle operirt.
über deren Resultate B. berichtet Der subjektive Erfolg war ln
i allen Fällen befriedigend. Der Uterus war fest haftend geblieben,
die Vagina stets lang und eng, also völlig funktionsfähig. Ein
Recidlv war nur ln einem Falle cingetreten. Die Methode hat also
das geleistet, was man sich von Ihr versprochen. Sie sehliesst ein
Wiederauftreten der Cystocele völlig aus und elhnlnirt kein ein¬
ziges Genitalorgan. Die Menstruation bleibt bestehen, «Ile Vagina
funktionsfähig. Die einzige Bedingung ist Sterilität die eventuell
durch Tubenresektion künstlich erzeugt werden kann.
3) Felix Franke- Rraunsehwelg: Dilatirende Dauerdrai¬
nage des Uterus zur Behandlung der Endometritis und Dys¬
menorrhoe, inbesondere bei Stenose der Cervix.
Die Drainage des Uterus bei Stenose und Endometritis ist
schon vielfach empfohlen, aber bald wieder aufgeg«»ben worden.
Di«> Dilatation mit Jodoformgaze erwies sich als zu gefährlich,
Glas- und Guramiröhreu halten sich nicht Im Uterus. F. empfiehlt
nun ein V«*rfahren, «las in 2 Fällen gute Dienste leistete. Er er¬
weiterte die St«»nose durch eine grösser«* Zahl discldiremlev
Schnitte, führte dann ein über eine Sonde liingsgespnnntes Drain
rohr in den Uterus, wodurch Jene Schnitte unter «lauernder Dila
tatlon des (’erviealkanals zur Verheilung kamen, und liefestigt«*
das Rohr durch 2 Nähte an «lie Cervix. Zum Schluss leichte Tam¬
ponade der Scheide. In beiden Fällen war «ler Erfolg gut.
4) Catharine van Tusseu brock - Amsterdam: Fragmente
aus dem zweiten Stadium der menschlichen Placentation.
Eine entwicklungsgeschichtliche Studie, boslrt auf einem
Material von 7 Abortiveiern, die. meist in toto mit der R«*flexa aus-
gestossen. Iin Stadium sich befanden, wo Rcflexu und Vera n<s*li
nicht verklebt sind, ferner von einem exstlrpirten graviden Uterus
im 2. bis H. Monat und von 2 Durchschnitten durch den ganzen
Fracht sack bei 2 jungen Fällen von Tubargravldität. Wir müssen
uns an dl«*ser Stelle begnügen, einige besonders inhuvssant«» Er¬
gebnisse der fleisslgen Arbeit herauszuheben.
Die Umbildung der primitiven ln die dlseohle Placenta is«
ungefähr im Anfang d«»s 6 Monats vollendet. Die Ueflexn Ist
dann fast ganz verschwunden. Die Re«luktion der Zotten auf der
Seite der Reflexa Ist Folge d«»r Obliteration der Intervillösen Räume
zwischen Chorion und Reflexa. Die Cot.vledonen entstehen da¬
durch. dass die Oberfläche der Serotina der Expansion d«»r foe-
talen Placenta einen unglelehmässigen Widerstand leistet. Das
Verschwinden der L a n g h a n s'schen Zellschicht auf den Zotten
findet dadurch statt, dass diese Zellen sieh zwischen das Syn-
cytluin schieben. Die Zellschicht leistet also «len Dienst von Er-
gänzungsmaterial für das S.vncytium.
5) W. Beckmann-St. Petersburg: Einige klinische Be¬
obachtungen über Uteruscarcinom.
Die Bt»obachtuiigen B.’s. die er an einem Material von 226
Kranken anstellte. betreffen das Alter, die Zahl «ler Geburten, die
Dauer der Krankheit und den Eintritt des RecUlivs. Das Meist«*
ist bekannt. Aus dem letzten Abschnitt sei folgemles hervor¬
gehoben: Mehr als «lie Hälfte der Kranken war schon 3 Monate
nach der Radikaloperation wieder krank: 2 Jahre nach der Op«»ra-
tlon waren nur weniger als 10 Proc. noch gesund. Die palliativen
Operationen verwirft B. durchaus. Je weniger die Krebs¬
geschwulst berührt wird, desto b«*sser für die Kranken. Am
lx*sten helfen noch häutige Vaginalausspülungen mit Sublimat,
Kali hypermangan. oder Creolin.
6l Sticker- Breslau: Händesterilisation und Wochenbetts¬
morbidität.
St. versucht in dieser, auf einem grossen klinischen Material
basirenden Arbeit die Frage zu lösen, ob die Woelieubettinfektlon
nur von den Händen des Geburtshelfers oder auch von der
Kreissenden selbst aus zu Stande kommt? Er verwendete hier¬
zu 2400 Fälle der Breslauer Frauenklinik, von denen 1200 unter
Hände d e 8 1 u f e k 11 o n entbunden waren, 1200 dagegen unter
Hände Sterilisation, letzteres mittels der von Friedrich
empfohlenen sterilen Gummihandschuhe. Nach ausführlicher Be¬
schreibung der an der Breslauer Klinik üblichen Technik bringt
St. Paralieltabelleu der Vorhandschuh- und nandsehuhperlo<le.
Daraus ergab sich zunächst, dass eine nur geringe Verbesserung
der Morbidität durch völlige Ausschaltung der Hnudkeime erzielt
wurde, sowie dass trotz Ausschaltung der letzteren noch eine rela¬
tiv hohe Morbiditätsziffer zurückblieb. Die Handkeime des Ge¬
burtshelfers sind somit sicher nicht die einzigen Erreger der
Puerperalinfektion. Auch nach Einführung der Handschuhe wurde
noch 10,5—12,1 Proe. Wochenbettsniorbldität beobachtet, für die
eine Infektion von der Geburtswunde aus angenommen werden
musste. Die etwaigen Einwände gegen seine Schlussfolgerungen
widerlegt St durch die verschiedensten Tabellen, die er aus seinem
Material zusammenstellt. Er gelangt zu dem Resultat, dass die
Ursache des Puerperalfiebers sicher nicht bloss an den Hilndeu
des Geburtshelfers, sondern sogar in der weit überwiegenden
Mehrzahl der Fälle, wenigstens ln Breslau, an d«»r Kreissenden
selbst zu finden ist Zur Verhütung dess«‘ll>en sin«l also sowohl
die Mikroben an unseren Händen, als auch diej«*nig«*n an «ler
Kreissenden zu eliminlrcn. Das Princip «ler geburtshilflich«*»
Desinfektion hat daher aus einer Kombination von Iländeasepsis
«los Geburtshelfers und Genitalautisepsis der Kreissenden si«*li zu¬
sammenzusetzen. U«*brigens möchten wir jedem Arzt«* «las
Studium der sorgfältig gearbeiteten, lehmüchen Origlnalarbeit
empfehlen. J a f f $ - Hamburg.
Gentralblatt für Gynäkologie. I9ul. No. 32.
1) Ludwig P 1 n c u s: Der Quecksilberluftkolpeurynter. Kol-
peuryntermassage.
Der Quecksilberluftkolpeurynter wurde von P. für die von
Ihm empfohlene Belaatungslagerung angegeben und wird jetzt von
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1358
MIJENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
Neuem empfohlen. Er ermöglicht die graduelle Intravaginale Be-
uud Entlastung, sowie eine fast gefahrlose, ambulante Behand¬
lung chronischer Exsudate. Er eignet sich besonders für para-
metrltisclie und alle tief im Becken sitzende Exsudate von aus¬
gesprochen chronischer Beschaffenheit. Die Einzelheiten des
Apparates, der von llahn & Liichel in Danzig zum Preise von
M. 12.50 zu beziehen, mögen an der Zeichnung im Original nacli-
gesehen werden. Der Apparat eignet sich auch, wenn mit Luft
gefüllt, zur Massage, von P. als „Kolpeuryntermnssage“ be¬
zeichnet. Letztere findet Anwendung bei Itelzzustünden ln den
Boekenmuskeln, den Vorstufen des Vaginismus, den Folgen des
Präventivverkehrs, bei Erschlaffungszustiinden im Genital*
schlauch, bei chronischer Obstipation und zur Anregung und Ver¬
stärkung von Geburtswehen.
2) L. II u p p e r t - Bielitz: Behandlung des Vaginismus
mittels Xolpeurynters.
B. hat von der Kolpeurynterbeliandlung bei Vaginismus sehr
gute Resultate gesehen. Die Einführung gelang nach Coenini-
sirung des Introitus schmerzlos: nach 2—3 wöchentlicher Behand¬
lung konnte ein Speculum von 3 cm Durchmesser schmerzlos ein¬
geführt werden. In der Mehrzahl der Fälle trat kurz nach Be¬
endigung der Behandlung Conception ein. Auch bei gleichzeitigen
entzündlichen oder gonorrhoischen Erkrankungen l>ewührte sieh
der lvolpeurynter gut. J a f f 6 - Hamburg.
Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. Bd. 11.
HoFt 4.
Festnummer für den britischen Tuberkulosekongress. Mit
Bildern des Königs von England und der Hauptmitarbeiter des
Kongresses.
Hermann W e b e r - London: Methode und Individuum in
der Behandlung der Tuberkulose.
Der Verfasser weist nach, dass man auch die Luft, das Klima,
die Ruhe und Bewegung und vor Allem die psychische Beein¬
flussung Lungenkranker nicht schematisch anwenden darf, son¬
dern dem Individuum angepasst dosiren muss.
B. F r a e n k e 1 - Berlin: Asyle für Tuberkulöse.
ln dem zur Jahresversammlung des deutschen Centralcomitös
für Lungenheilstätten in Berlin gehaltenen Vorträge geht
F r a e n k e 1 von dem Grundsätze aus. dass die Absonderung der
Tuberkulösen „die oberste und wichtigste Bedingung Jeder Pro¬
phylaxe“ sei, Ja, dass sie das erfolgreichste Mittel sei, um die
Verbreitung dieser Krankheit zu verringern. Wird schon diese
Voraussetzung keinesfalls allseitige Zustimmung finden, so erst
recht nicht der praktisch gar nicht durchzuführende Gedanke,
schwerer erkrankte Tuberkulöse „für ihr ganzes Leben“ in diese
Asyle zu sperren. Zwei Gründe sollen den Kranken zu diesem
freiwilligen lebendigen Begräbniss veranlassen: die Furcht, seine
Familie anzustecken, und der wirtschaftliche Ruin der An¬
gehörigen. So sieht die Sache theoretisch aus. Praktisch besteht
weder bei dem Kranken, noch bei den ihn doch meist liebenden
Angehörigen so grosse Ansteckungsfurcht, und der wirtschaft¬
liche Ruin ist kaum grösser, wenn der Kranke noch daheim Ist,
als wenn eine Familie mit 5 Kindern bei „vollem Krankengelde“
(und mehr werden auch die Asyle nicht geben) nach Abzug der
Miethe mit M. 1.50 pro Woche auskommen soll. Die Kosten für
die Asyle, deren Errichtung sicher ohne Zwangsraaassregeln recht
empfehlenswerth ist, sollen Staat und Gemeinde tragen.
Rufenacht W a 11 e r s - London: Sanatorium Treatment of
Consumptives In Great Britain and Ireland.
Eine Uebcrsicht über den Stand der Heilstättenbewegung in
England. 24 Volksheilstiitten bestehen, w-eitere 9 sind geplant.
Für zahlende gibt es 35 Anstalten, 3 sind geplant. (Walters
spricht und schreibt deutsch. Trotzdem Ist der Artikel englisch
geschrieben. Während andere Völker sich Jetzt ihre Tuberku¬
losezeitschriften ln ihrer Sprache schaffen und gar nicht daran
denken, deutsche Aufsätze aufzunehmen, ist es der Deutschen
Zeit8clir. f. Tuberkulose Vorbehalten geblieben, ihren deutschen
Lesern ln Jeder Nummer englische und französische Artikel vor-
zusetzen. Die deutschen Aerzte sollten unbedingt gegen eine
derartige Ausländerei opponiren. Denn wenn auch Viele englisch
und französisch zu lesen verstehen, so werden dies doch wohl die
Wenigsten so fliessend thun, dass sie nicht viel mehr Zeit auf der¬
artige ausländische Artikel verwenden müssten. Es liegt gar kein
Grund vor, dass nur wir Deutschen uns fremdsprachliche Artikel
in unseren Fachzeitschriften gefallen lassen müssen. Ref.)
B a r a d a t- Cannes: Considärations sur la Tuberculose et
sur son traitement.
Ein Artikel, der die gewöhnlichen Maassnahmen gegen Tuber¬
kulose, die Sanatorienfrage, Hetol, Serumtherapie u. s. w. be¬
spricht, ohne besonders Neues zu bringen.
Agnes B1 u h m - Berlin: Geber den Einfluss der Luft¬
temperatur auf die Temperatur der Mundhöhle nebst Be¬
merkungen über das Messen im Munde.
Eine Untersuchung über Temperaturmessungen, deren Er-
gebniss in folgenden Sätzen niedergclegt ist: „Die Temperatur
der Mundhöhle ist abhängig von der Temperatur des umgebenden
Mediums, indem niedrige Temperaturen des letzteren ein Sinken
der Temperatur der ersteren bewirken. Die Grösse dieses Sinkens
ist weder proportional dem absoluten Stand der Ausseutemperatur,
noch der Differenz zwischen Zimmer- und Aussentemperatur;
immerhin hat eine geringe derartige Differenz ein geringeres Sin¬
ken der Mundhölilentemperatur zur Folge als eine hohe. Die
Beeinflussung der Mundhöhlentemperatur durch die Aussen¬
temperatur ist individuell verschieden. In der kalten Jahreszeit
Ist beim Messen Tuberkulöser Im Munde während der Liegekur
der Einfluss der Lufttemperatur In Rechnung zu ziehen und es
sind den erhaltenen Resultaten einige Zehntelgrade hinzu zu
zählen.“ (Dass wirklich Differenzen von 0,5® hierbei vorkouimeu.
scheint doch der Nachprüfung zu bedürfen. Uebrigeus bin ich bei
Jahrelangen zahlreichen Achselhöhlemessungen noch nie auf
Schwierigkeiten gestossen. Ref.)
D. K u t h y - Ofenpest: MacCormac.
Kuthy hat entdeckt und belegt durch zahlreiche Citate, dass
MacCormac und auch ein Dr. B u r g e s schon vor Brehmor
die hauptsächlichsten Principlen der Freiluftbehandlung Lungen¬
kranker aufgestellt haben. (Die Schriften von MacCormac
und B u r g e s finden sich übrigens schon erwähnt und verwendet
in Paul Nlcmcyer'g medicinischen Abhandlungen aus dem
Jahre 1872/73. Ausserdem hat auch Geheimrath Schuch ardt-
Gotlni in seinem Aufsatz: „Zur Geschichte der Anwendung des
Höhenklimas (Gebirgsklimas) behufs Heilung der Lungenschwind¬
sucht (Lungentuberkulose)“ (S.-A. a. d. Jahrbüch. d. kgl. Akad.
gemeinn. Wissensch. z. Erfurt, N. F., II. XXIV) ausführlich dar
gelegt, dass schon früher eine Reihe anderer Aerzte die Freiluft
behandlung gekannt und empfohlen haben, besonders Klinge
in St. Andreasberg (1700—1840), Hrockmann in Klausthal
aber auch Lenti n, Koch in Laichingen u. A., wie denn über¬
haupt diese Arbeit höchst interessant zu lesen ist. Das Verdienst
B r e 1» in e r’s wird dagegen immer bleiben, diesen vereinzelt da¬
stehenden Ansichten die heutige allgemeine Geltung verschafft zu
haben. Ref.)
Martin F 1 c k e r - Iieipzig: Ueber die Serumreaktion bei
Tuberkulose.
„Nach der von A r 1 o 1 u g und C o ur mont angegebenen
Methode der Serumreaktion bei Tuberkulose können vergleichbare
und eindeutige Resultate nicht erhalten werden, da u. a. die zu
ngglutinirende Kultur in verschiedenen Händen und schon in der
Hand eines und desselben Beobachters eine zu grosse Labilität
| besitzt. Von beträchtlichem Einfluss auf den Ausfall der Reaktion
| und das zeitliche Auftreten des Agglutinationsphänomens ist die
1 Zahl der zu agglutinirenden Tuberkelbacillen. Die Frage der
Brauchbarkeit einer Serumdiagnose bei Tuberkulose überhaupt ist
erst zu lösen, wenn grössere Versuchsreihen mit vergleichbarem
Material und einer in qualitativer und quantitativer Hinsicht
gleichmüssigen Testkultur der Beantwortung dienen.“
R o e p k e - Belzig: Die Anlage und Führung des Kranken¬
journals in der Heilstätte Belzig.
Mit vielen Worten und reichlichem Weihrauch für alle zur
Heilstätte Belzig in Beziehung stehende Aerzte wird das dort
übliche Untersuchungsformular sowie die Untersuchungsmethode
beschrieben.
S. A. K n o p f - New -York: Ein Aufruf zur Gründung einer
deutschen Lungenheilstätte für Gross-New-York, als Zweig der
New-Yorker und Brooklyner deutschen Hospitäler.
Ueberslchten über die Tuberkulosebewegung ln Russland
(F e 1 d t - St. Petersburg). In Dänemark (Saugmann - Vcjlel-
fjord), in Norwegen (Rambech, Böttcher), ln Italieu
(Meyer- Nervi).
Sehr ö d e r: Ueber neuere Medikamente und Nährmittel
bei der Behandlung der Tuberkulose.
Schmieden: Lungenheilstätte der Pensionskasse für die
Arbeiter der Preussisch-Hessischen Eisenbahngemeinschaft zu
Niederschreiberhau in Schlesien.
Freymuth: Lothringisches Sanatorium Alberschweiler.
Liebe- Waldhof Elgershausen.
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 34. Bd..
2. Heft. 1901.
H. Heilbronner - Halle: Ueber die transcorticale moto¬
rische Aphasie und die als „Amnesie“ bezeichnete Sprach¬
störung.
Die als transcorticale motorische Aphasie bezeichnete Sprach¬
störung Ist ausgezeichnet durch Verlust des Spontansprechens bei
erhaltener Fähigkeit, nnchzusprechen und erhaltenem Sprachver-
sländniss. In dem vom Verfasser beobachteten Falle war dieser
i Symptoraenkomplex durch eine grob organische Laeslon (rechts¬
seitige Hemiplegie) hervorgerufen. Doch sprechen die vorliegenden
Befunde dafür, dass die Störung ausserhalb sowohl des motori¬
schen wie des sensorischen Rindenspracheentrums gelegen Ist,
und sich durch eine Unterbrechung von Associationsbahnen er¬
klären lässt. Bezüglich der übrigen werthvollen Beiträge zu der
vielfach noch unklaren Lehre von der Aphasie und der bemerkens¬
wertheu Vorschläge zur Technik der Prüfung von Sprach¬
störungen muss auf die Origlnnlarbeit verwiesen werden.
K. Petrön-Lund: Ueber den Zusammenhang zwischen
anatomisch bedingter und funktioneller Gangstörung (besonders
in der Form von trepidanter Abasie) im Greisenalter. (Schluss.
Vergl. das Referat auf S. 116, No. 3 d. Wochenschr.)
Der Verfasser nimmt an, dass die von ihm beschriebene senile
Gehstörung im Gefolge von leichteren Bewegungsstörungen auf-
trltt, die organisch durch Arteriosklerose lm Gehirn, an den peri¬
pheren Nerven oder ln den Gefässen der unteren Extremitäten
bedingt sind. Daran schliesst sich erst die hysterische Vor¬
stellungskrankheit an, welche sich als eine Abasie von theils Inter-
mittirendem, theils trepldantem Charakter äussert
M. Sander- Frankfurt a. M.: Beiträge zur Aetiologie und
pathologischen Anatomie akuter Geistesstörungen. (Mit drei
Tafeln.)
In einigen Fällen von Delirium acutum konnte der Nachweis
einer Einwanderung von Mikroorganismen, vorzugsweise Stapbylo-
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20. Anmut 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1359
cortcen. auch Pneumococcen und Influenzabacillen, in’s Gehirn ge¬
bracht werden. Hauptsächlich liegt aber die Ursache der akuten
Geistesstörung in einer schweren toxischen Schädigung des
Gehirns, deren histologisches Bild bei tödtlich, ohne psychotische
Erscheinungen verlaufenen Infektionskrankheiten zwar auch ge¬
funden wurde, aber doch, besonders in Hinsicht auf die Zellen¬
erkrankung, weniger ausgeprägt war. Von diesen infektiösen
Formen des Delirium acutum unterscheitlet der Verfasser eine
andere Gruppe von Fällen, in denen eine Autolntoxicatiou
in Folge von Erschöpfung oder durch Funktionsstörungen drüsiger
Organe die Geistesstörung auslöst Das Auftreten choreatischer
Symptome bei diesen Erkrankungen wird auf Mitbetheiligung des
Kleinhirns zurück geführt.
R n e c k e - Tübingen: Die Gliaveränderungen im Kleinhirn
bei der progressiven Paralyse. (Mit einer Tafel.»
In 15 Fällen von progressiver Paralyse hat der Verfasser das
Kleinhirn nach Weigert’s Methode der Gliafürbung untersucht,
und gefunden, dass die Gliawucherung von der Peripherie her
nach innen fortschreitet. So wird von der herdweisen, die Um-
gelmng der Gefasst* lievorzugcndcn Erkrankung zuerst die Mole-
celarsehieht. l>esonders um tlie P u r k 1 n j e’sclien Zellen, befallen,
dann die Kümerschieht- und zuletzt am wenigsten das Marklager.
Eine Beziehung der Processi* im Kleinhirn zum Verhalten der
Kelinenreflexe liess sieh nicht, naehweisen. ebensowenig zu den
paralytischen Anfällen, deren. Zusammenhang mit Thalamus¬
herden wahrscheinlicher ist.
L. II a j ö s - Ofen-Pt*Kt: Ueber die feineren pathologischen
Veränderungen der Ammonshörner bei Epileptikern. (Mit zwei
Tafeln.'»
Mit Hilfe der X 1 s s Usehen Zellfärbung fand der Verfasser ln
4 Fällen von Epilepsie ausgesprochene Veränderungen der
Amiuonshömer. gekennzeichnet durch schon makroskopisch wahr¬
nehmbare sklerotische Atrophie mit* Hypergllomatose. Sklerose,
körnigen Zerfall und seröse Gedunsenheit der Ganglienzellen.
Fr sieht darin neben der reichen Gefüssneubildnng den Ausdruck
eines seht* langsamen cncoplnültischen Eutzünduugsvorgungcs.
M. Pro bst-Wien: I. Ueber arteriosklerotische Verände¬
rungen des Gehirns und deren Folgen. (Mit zwei Tafeln.»
IX» Ueber das Gehirn der Taubstummen.
III. Zur Kenntniss der disBeminirten Hirn-Kückenmarks¬
sklerose.
Kasuistische Mittheilungen mit eingehenden anatomischen Be¬
funden.
E. M e y e r - Tübingen: Zur Pathologie der Ganglienzelle,
unter besonderer Berücksichtigung der Psychosen. (Mit zwei
Tafeln.)
Der Verf. hat die Veränderungen an den Riesenpyramiden-
zeüen der Ceutralwindungen bei verschiedenen Psychosen be¬
schrieben. Das Ergebnis Ist, dass es für einzelne aetiologlsclio
Momente keine speclflscben Zellveränderuugen gibt, dnss auch im
Allgemeinen der Grad der Zellalterntlou nicht der Schwere der
psychischen Erkrankung entspricht. Das Gangllenzellenbild kann
nicht zu Irgend einer Deutung des betreffenden Falles verwerthet
werden und muss als das Produkt aus den der Zelle innewohnenden
Eigenschaften und den äusseren Krankheitsursachen betrachtet
werden.
M. Cohn- Knttowitz: Ueber Ponsblutungen. (Mit einer
Tafel.)
ln beiden hier mitgetlieilten Fällen fehlten dem klinischen
Bilde die sonst häufig beobachteten eplleptlformen Krämpfe,
(teidemale war nur die Hälfte des ventralen Brückentheils ln der
Pymiuidenbahn geschädigt und zwar im ersten Falle durch eine
Flachblutung. die zu gekreuzter Extremitäten- und Hypoglossus-
iähmung geführt hatte, im zweiten Falle durch multiple Capillar-
blutungen uel>en einem Erweichungsherd im vorderen Thetl der
inneren Kapsel.
O. Heubncr- Berlin: Ueber einen Fall multipler Bücken¬
marksgliome mit Hydrocephalus internus. (Mit 7 Zinkographien.)
Im Anschluss an ein schweres Trauma durch Fall entwickelte
sich bei einem 7 jährigen Mädchen unter häutig wieder kehrenden
tonischen Krämpfen der oberen Extremitäten allmählich eiu
Hydrocephalus internus und schlaffe Paraplegie der Beim*, zu¬
letzt auch Lähmung des rechten Arms. Die Autopsie ergab im
Rückenmark, besonders im Dorsnltheil, eine Reihe hintereinander
liegender miteinander nicht zusammenhängender Geseliwulsthenle
verschiedenen Alters (Gliome) und Sklerose der Hinterstränge
«Jliose». Der Verfasser hält die ausserdem gefundene Lepto-
meningitis mit Hydrocephalus internus für eiue Folgeerscheinung
der Geschwulstbildung im Rückenmark.
W. S e i f f e r - Berlin: Das spinale Sensibilitätsschema zur
Segmentdiagnose der Kückenmarkskrankheiten. (Mit 19 Zinko¬
graphien.)
Der Verfasser hat aus den Arbeiten von Kocher, Head
and Wlcbmann eine praktische Consequenz gezogen, indem er
versuchte, „ein geeignetes, vervielfältigtes Schema zu geben, in
welches die klinischen Sensibilitätsbefunde möglichst genau ein¬
getragen werden können und in dem die Grenzlinien der spinalen
Segmentgebiete, soweit irgend thunlich, angegeben sind“. Er hat
so dem Neurologen, dem Internen und dem Chirurgen ein brauch¬
bare» Hilfsmittel für die wissenschaftlich und in sehr vielen
praktischen Frauen sehr wichtige topische Diagnostik des Rücken¬
marks zum Handgebrauch am Krankenbett geboten. Die Schemata
«ind nicht überladen und ermöglichen durch die Wiedergabe einer
grösseren Zahl von annähernd festen Punkten der Körperober¬
fläche eine recht genaue Eiuzeiclinuug.
F. J o 11 y - Berlin: Kede zur Eröffnung der Jahres¬
versammlung des Vereins deutscher Irrenärzte und zur
Einweihung dee Hörsaals der neuen psychiatrischen und
Nervenklinik in der kgl. Charitö am 22. April 1901.
J a m l u - Erlaugen.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bti. 30. No. 3. 1901.
1) Iv. N a k a u i s h I - München: Ueber den Bau der Bac-
terien. (Fortsetzung folgt.)
2» M o r e n o - Madrid: Eine neue Art von Ascobacillus, ent¬
deckt im Wasser des Lozayakanals bei Madrid.
I>eu im Kanalwasser gefundenen Organismus nannte
M o reno Ascobacillus a q u a t i 11 s. Es ist. einer von den
verhältnissmässig selten verkommenden stark schleimblldenden
Bacterien, denen keine pathogenen Eigenschaften zuzukommen
scheinen. Nach M o v c n o's Beschreibung Ist er von ähnlichen,
bis Jetzt bekannten Organismen verschieden.
3) C. Ilarrison-Canada: The agglutinating sübstance.
Bd. 30, No. 4.
1) K. N n k n n i k li i - München: Ueber den Bau der Bac¬
terien. (Schluss folgt.»
2» Silbers c h m 1 d t - Zürich: Ueber den Befund von
spiessförmigen Bacillen (Bac. fusiforme Vincent) und von Spi¬
rillen in einem Oberschenkelabscess beim Menschen.
In dem Eiter einer nekrotischen Phlegmone des ganzen Ober¬
schenkels. der mit einer Lungenerkrankung des Patienten in Zu¬
sammenhang gebracht werden konnte, fanden steh die in der
Literatur schon mehrfach erwähnten spiessförmigen Bac¬
terien, die Vincent als Bac. fusiforme bezeichnete.
Daneben konnte noch eine Menge Spirillen, wie sie bei An¬
gin«* u oft zu finden sind, naehgewt«*sen werden.
Die weitere Fortzilcktung gelang nur ln einigen Generationen
in flüssigen Nährböden, am besten noch in 1 proe. Essigsäure¬
bouillon.
Beim Veilmpfen auf Tlilere konnte eine Putkog«*nität konsta-
tirt werden, Jedoch Steigerung der Virulenz war nicht naclizu-
weisen.
Es hat den Anschein, als ob diese Art Organismen nicht in
den Rahmen der unverzweigten Bacterien gehörten.
3) M. L ü li e - Königsberg: Zwei neue Distomen aus indischen
Anuren.
4» P. R o s a - Bologna: Beitrag zur Bereitung einiger kultu¬
reller bacteriologischer Nährböden.
Nach Besprechung der bis jetzt angewandten Nährböden bei
Züchtung der Gonorrhoe schlägt Rosa einen Nährboden
aus Fleisch von Kindern, die bei der Geburt gestorben
waren, vor. Es soll darauf das Waclistlium der Gonococcen er-
sprlessllcli sein. R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 32.
1) Grunow - Kiel: Ueber Anwendung subkutaner Gelatine¬
injektionen zur Blutstillung.
Bei den mitgethellten Versuchen wurden Injektionen von
2 g G«*lat.ine auf 100 phys. Kochsalzlösung verwendet und davon
meist 200 g täglich in die Haut dt*s Oberschenkels mittels Gebläse
Injicirt. Es werden die Erfolge bei 27 behandelten Fällen mit-
getbellt. Verf. räth, neben Gelatine auch die übrigen bekannten
Haomostatlca lu Anwendung zu ziehen, wie er auch in den be¬
handelten Fällen von Lungenblutungen, Darm- und Magen¬
blutungen, Nieren- und Blasenblutungen getliau liat. Die Erfolge
machten den Eindruck, dass «len Injektionen eiu gewisser günstiger
Einfluss zuzuschreiben ist. doch müssen die Injektionen längere
Zeit fortgesetzt werden. Fieber wurde als Nebenwirkung fust in
allen Fällen beobachtet, doch kamen ernstlichere Störungen durch
die Gelatineiujektionen nicht zur Beobachtung. Die Möglichkeit
eiuer günstigen Wirkung beruht ltekaimtlleh auf einer Steigerung
der Gerinnungsfähigkeit dt*s Blutes durch die Gelatine.
2) M. B e rn h ard t - Berlin: Notiz über Mitbewegungen
zwischen Lid- und Nasenmuskulatur.
Die Erscheinung, über welche Autor berichtet, besteht darin,
dass beim Blinzeln mit den Augen, beim leichtesten gewöhnlichen
Lidschluss synchron an beiden Nasenflügeln, seltener einseitig,
ln*i vielen, sonst ganz gesunden Menschen eine Mitbcweguug be¬
obachtet werden kann, welche sich als leichtes Heben der Nasen¬
flügel. auch als eine Erweiterung des Naseneingangs darstellt.
B. hat die Erscheinung bei ca. 15 Proc. der darauf untersuchten
Menschen gefunden. In Bezug auf die Erklärung ist Verf. der
Ansicht, dass es sich hiebei um praeformlrte anatomische Ver¬
hältnisse handelt, welche durch die speclelle Anordnung der
Muskeln in den einzelnen Fällen diese Mitbewegung ermöglichen.
3) P. Mendel- Berlin: Ueber Staroperationen bei Hoch-
betagten.
Während früher die Reclinatlon häufig bol alten Leuten als
normales Verfahren geübt wurde uud noch heute stellenweise em¬
pfohlen wird, betont M. nach den an der Hlrschberg'sehen
Klinik gemachten Erfahrungen, dnss auch bei Hochbetagten die
Extraktion als die zweckmässige Operationsweist* allein in Be¬
tracht zu kommen habe. Unter 1945 KcrusturnuszU'liimgen
waren die Krnnkeu ln 34 Fällen über SO Jahre alt. Nur in einem
einzigen Falle war der Verlauf nicht ganz regelrecht. In allen
übrigen waren die Erfolge auch hinsichtlich der Sehkraft ganz
befriedigend. Das hohe Alter an sich gibt also noch keine uu-
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33*30
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
günstige Prognose für eine Staroperation; doch ist für die Ope-
rirten die grösste Sorgfalt und unablilssige Ueberwaehung uöthig.
Bei grosser Unruhe der Kranken braucht man von einer Narkose
durchaus nicht in allen Füllen abzustehen. Die Erfolge waren
auch hinsichtlich ihrer Dauer durchaus günstige.
4) K. B o n h ö f f e r - Breslau: Zur Pathogenese des Delirium
tremens.
Cfr. Referat pag. 801) der Münch, nied. Wochenschr. 1901.
5) O. Maas: Ueber Veränderungen im Centralnerven¬
system nach Unterbindung der Schilddrüsengefässe.
Die mitgetheilten Befunde beziehen sich auf Experimente
an Hunden. Bei allen untersuchten Fällen fand sich Degeneration
der Markscheiden iin Rückenmark, im Gehirn degenerirte Fasern
im hinteren Liingsbündel, sowie auch bei längerer Dauer der Be¬
obachtung Degeneration in den Pyramiden aufwärts bis in die
Fentralwiuduugen. ' G r a s s m a n n - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 31 u. 32.
No. 31. 1) A. Praenkel. E. Stade mann, C. B e n d a:
Klinische und anatomische Beiträge zur Lehre von der Akro¬
megalie.
Vorträge, gehalten im Verein für innere Medlein zu Berlin
am 1. und 29. April 1901. Referat siehe diese Wochenschrift
No. 19. pag. 708. Fortsetzung folgt.
2) Th. Rumpf-Bonn: Ueber einige Störungen der Herz¬
funktion, welche nicht durch organische Erkrankungen be¬
dingt sind.
R. berichtet zunächst, über einen Interessanten Fall von
Wanderherz, welcher im Anschluss au eine forcirte Entfettungs¬
kur aufgetreten war und durch Wiederaufnahme der früheren
I.ebensweise im Verlauf einiger Jahre wieder mit sarnint den
Störungen, welche es im Gefolge hatte, verschwand. Weiterhin
bespricht. R. den Einfluss des Zwerchfellstandes und dessen Be¬
ziehung zu Gasanhäufungon im Magen- und Darmkanal, sowie
den Einfluss reflektorischer Reize und uuzweckmässiger Lebens¬
weise.
3) K u r t li - Bremen: Ueber typhusähnliche, durch einen
bisher nicht beschriebenen Bacillus (Bacillus bremensis febris
gastricae) bedingte Erkrankungen. (Schluss aus No. 30.)
In dieser letzten Arbeit des vor Kurzem in blühendem Alter
verstorbenen Direktors des bakteriologischen Instituts in Bremen
wird an der Ilaml von 5 ausgewählten, klinisch und bakterio¬
logisch eingehend beobachteten Fällen als Erreger der nach Ent¬
stehung und Verlauf typhusverdächtigen, gegen die W i d a l’sche
Probe jedoch sich negativ verhaltenden Erkrankungen eine neue
Bacillenform festgestellt, welche sich mikroskopisch wie kulturell
von dem Typhusbacillus und dem G ä r t u e r’sehen Bacillus enteri-
tidis trotz vieler Aehnlichkeiten deutlich differenziren lässt
4) Ernst U u g e r - Berlin: Beitrag zu den posttyphösen
Knocheneiterungen.
Kasuistische Mltthellung.
5) F. H e r r m a n n - Wiborg (Finnland): Sechsfache Fraktur
des rechten Unterschenkels, komplizirt mit Embolie der Pulmo¬
nalarterie.
Interessante Mittheilung aus der ärztlichen Praxis.
(i) Militärsanitätswesen:
M a 11 h a e i - Danzig: Ueber den Alkohol als Stärkungs¬
mittel.
Zusammenstellung der neuesten Erfahrungen auf diesem Ge¬
biete.
7) Epidemiologie:
Schwienin g-Berlin: Mittheilungen über die Verbreitung
von Volksseuchen.
Nach den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheits¬
amtes.
No. 32. 1) P. R o e m e r- Giessen: Der gegenwärtige Stand
der Immunitätsforschung. (Schluss folgt.)
2) Rudolf Rosemann - Greifswald: Ueber den Einfluss des
Alkohols auf die Harnsäureausscheidung.
Die bei einer an Alkohol nicht gewöhnten Person ange-
stellten Untersuchungen ergaben, dass der Alkohol die Harnsäure¬
ausscheidung nicht beeinflusst. Folgerungen dieses Befundes, der
nicht recht übereinstimmt mit der Rolle, welche die Erfahrung
dem Alkohol in der Aetiologie der Gicht zuertheilt, werden nicht
gezogen.
3) Richard M ii h s a m - Berlin: Zur Differentialdiagnose der
Appendicitis und des Typhus.
Interessante Krankengeschichte eines Falles, von typhösem
Geschwür des Coeeums, das sowohl der Entstehung wie dem
Untersuchungsbefund nach eine frische Appendicitis vortäuschte.
Durch die in Folge der falschen Diagnose unternommene Operation
wurde eine Perforation des Geschwürs vermieden und ging der
weitere Verlauf des Abdominaltyphus normal vor sich. Ausgang
ln Heilung.
4) A. Fraenkel. E. Stadel mann und C. Ben da:
Klinische und anatomische Beiträge zur Lehre von der Akro¬
megalie. (Fortsetzung aus No. 31, Schluss folgt.)
5) Stein hausen - Hannover: Ueber die Grenze der Er¬
hebungsfähigkeit des Armes in ihrer physiologischen und
klinischen Bedeutung.
Durch anatomische Studien und zahlreiche Beobachtungen
am Lebenden kommt St. zu einer von der bisherigen Lehre ver¬
schiedenen Erklärung des Mechanismus der Armhebung. Auf die
Details der Arbeit kann hier nicht näher eingegangen werden.
0) H. B e r t r a m - Meiningen: Zum Kapitel der forcirten
Taxis.
Mittheilung von 4 Instruktiven Fällen aus der ärztlichen
Praxis, in welchen durch forcirte Taxis der lncarcerirten Hernie
eine Reductio falsa erzeugt worden war. Durch rechtzeitige
Operation gelang es jedoch jeden der 4 Fälle zur Heilung zu
bringen.
7) E. Kirsch- Magdeburg: Ein einfaches verstellbares
Lagerungsbett gegen Skoliose.
Therapeutische Mittheilung, siehe Referat diese Wochen¬
schrift 1900, No. 49, pag. 1714.
8) P r ü m e r s - Posen: Die Pest in Alt-Damm 1709.
Feuilletonistischer Aufsatz.
9) S c h u 11 e s - Jena: Krampfadern und Beruf.
Einen interessanten Beleg zu den von Spencer in der
Deutsch, med. Wochenschr. 1901, pag. 155 gebrachten Aas
füllrungen geben die von dem Autor gelegentlich der Musterung
der Gestellungspflichtigen ahgestellten Untersuchungen, nach wei¬
chen von den vorwiegend stehend Beschäftigten 12.7 Proc. er¬
weiterte Venen und Krampfadern aufwiesen, während der Pro-
centsatz bei den Berufsarten, welche abwechselnd stehende und
gehende Beschäftigung erfordern, 4,8, bei den mehr Sitzenden 2,2
und den nur im Sitzen Beschäftigten 0 Proc. betrug. ■
F. Lacher - München. \j !
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 32. 1) W. Türk -Wien: Arterieller Coll&teralkreislanf
bei Verschluss der grossen Gefässe am Aortenbogen durch de-
formirende Aortitis.
Der mitgetheilte Fall ist ausgezeichnet sowohl durch die Aus¬
dehnung und Vollständigkeit der Gefässverschlüsse, als durch dh:
Verbreitung und das klinische Hervortreteu des Collateralkreis-
laufes. Bei dem 44 jährigen Kranken, einem Bäckergehilfeu, er¬
schienen die sämmtlichen Gefässe für die obere Körperhälfte, für
den Kopf, wie für die Extremitäten, fast oder thatsächlich ganz
pulslos, während Brust-Bauchnorta und die Femomlarterien ganz
kräftig pulsirten. Der ganze Stamm, namentlich auf der Rück¬
seite, war bedeckt von stark erweiterten, geschlängelten und
kräftig pulsirenden arteriellen Gefiissen, ln welchen das Blut von
der unteren Körperhälfte zur oberen strömte. Die Diagnose
lautete auf chronische Aortitis auf luetischer Basis mit Ver¬
legung der AbgaugS8tellen der Anonyma, sowie der linken Sub¬
clavia und Carotis, kleines sackförmiges Aneurysma am Aorten¬
bogen mit Compresslon des linken Recurrens. Der Kranke starb an
Perforation des Aneurysmas. Die Sektion bestätigte die Einzel¬
heiten obiger Diagnose.
2) v. Wagner - Wien: Gutachten der medicinischen Fakul¬
tät in Wien. Alcoholismus chronicus. Todtschlag, verübt an
der eigenen Frau. In der Haft Abstinenzdelirien. Ver-
urtheilung.
Zu weiterem Referate nicht geeignet
3) A. Halle- Leipzig: Ein Beitrag zur Kenntniss des Xero¬
derma pigmentosxun. (Fortsetzung folgt.)
Grassmann - München
Italienische Literatur.
Ueber Malaria, ein für italienische Verhältnisse immer wich¬
tiges Thema, handelt eine ganze Nummer von il policlinico Sezione
Medlca 1901, No. 37. Auser einem Prioritätsstreit zwischen
G r a s s i und Ros s. welchen wir absichtlich übergehen, finden
wir die im italienischen Parlament von Baccelll geltend ge¬
machten Gesichtspunkte ln Bezug auf die öffent¬
liche Prophylaxe gegen die Seuche. B. warnt vor
der allzugrosson Betonung der Bekämpfung zweier Faktoren der
Krankheit, 1. e. des an Malaria erkrankten Menschen und der Uu- |
schädlichmachung der die Malaria übertragenden Insekten. Nach j
wie vor bleibe die Melioration des Grund und Bodens die Haupt¬
sache, und namentlich kleinere Teiche, Lachen und Grüben in der j
Nähe menschlicher Ansiedelungen, welche leicht nuszufüllen
seien, müssten mehr wie bisher in prophylaktischer Beziehung
berücksichtigt werden. Eine Uebertmgung der Krankheit auch
ohne Hilfe der Insekten hält B. für möglich, z. B. eine solch« 1
durch Trinkwasser. Hier führt er die viel dlscutlrte Erkrankung
von Soldaten auf dem Schiffe Argo 1834 an. welche angeblich nur
durch schlechtes Trinkwasser erfolgt sein soll. (? Ref.) Auch für
die zahlreichen mit Malaria behafteten Individuen, welche sich
gegen Chinin refraktär erweisen, müsse gesorgt werden und sie
müssten für die Verbreitung der Keime unschädlich gemacht
werden.
Eine zweite von dem Marchiafav a’schen Institut ln Rom
uusgegangene Arbeit handelt über die Variationen der geformten
Elemente im Blut der Malariakranken.
Dieselben erweisen sich in den kleinen Gefiissen der Haut |
und ln den Venen abhängig nicht nur von dem Kaliber des Ge- !
fiisses und der Blutconcentratlon, sondern auch von den Cir-
culationsstörungen In den Inneren Organen, wie sie für schwere
Mnlarlaanfillle charakteristisch sind. Eine annähernde Schätzung
dos Effektes des Malariaanfalles auf die Zusammensetzung des
Blutes ist nur dann möglich, wenn das Fieber seit einigen Stunden
nufgehört hat und wenn die Resultate der Zählung In den Venen
und kleinen Gefiissen die gleichen sind.
Panlchl betont in einer Abhandlung über Dysarthrien und
Myasthenie, durch Malaria bedingt, dass es verschiedene bio¬
logische Bedingungen der Malariaparaalten und eine verschiedene
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i
20. August 1901.
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1361
Virulenz gibt. Anders sei es nicht zu verstehen, dass es niemals
bei den Frühlingsformen der Malaria pernlciöse Symptome gebe,
obwohl bei der Tertiana-Frühlingsform die Parasiten reichlicher
!m Blute vorhanden sein könnten, als bei den Sommer-Herbst-
formen. Diese letzteren perniciösen Formen könnten die
schwersten Symptome bieten, Ja selbst zum Tod führen, bei einer
ganz geringen Anzahl von Parasiten und unter progressiver Ab¬
nahme derselben.
Grixonl: Ueber ein besonderes Gerinnungsphänomen,
welches das Blut von Malariakranken bewirkt.
Eine für die Diagnose wie für die Prophylaxe gleich wichtige
Entdeckung will G. Im grossen MIlitHrhospltal zu Bologna gemacht
haben.
Wenn man zwei Tropfen Blut von zwei Malariakranken unter
einem Objektglas zusammenbringt, so bemerkt man binnen
kürzester Frist, schon nach 1 Minute, dass die rothcn Blut¬
körperchen sich nähern, zusammengrupplren und kleine Häufchen
bilden. Oft bewahren sie das normale Aussehen, oft verändern sie
sich, zergehen und lftssen das Haemoglobln austreten. Sie bilden
immer Häufchen von 5 bis zu 80 uud 100 Erythrocyteu von be-
merkenswerther Zähigkeit. Niemals bemerkt man ein rothes
Blutkörperchen allein, welches sich von diesen Klümpchen abseits
hält. Die Leukocyten betheiligen sich an dieser Klümpchen¬
bildung nie. Ferner wird die Säulen- und geldrollenfönnige An¬
ordnung der rothen Blutkörperchen, wie sie sich im normalen
Blute findet, niemals angetroffen.
Diese eigentümlich agglutinlrende Eigenschaft übt nun das
Blut eines Malarikers sowohl auf das Blut eines normalen
Menschen aus, als auch auf das eines an irgendwelcher Infektions¬
oder anderen Krankheit leidenden. So lange das Phänomen zu
constatlren ist. ist eine Malaria als nicht sicher geheilt, wenn auch
als latent zu betrachten. Das Chinin Ist Im Stande, sowohl In
vitreo, als auch In den malarlakrankeu Organismus eingeführt,
diese agglutinlrende Wirkung zu verhindern.
Bel keiner anderen Infektionskrankheit will G. eine ähnliche
Eigenschaft des Blutes gefunden haben, mit alleiniger Ausnahme
des Blutes von Typhuskranken, welches durchaus gleiche Wirkung
haben soll.
Das Phänomen soll bei schwacher Vergrösserung sehr leicht
uud schon binnen einer Minute wahrnehmbar sein, Ja sogar auch
makroskopisch am Bluttropfen binnen 10 Minuten. Lo Monaco
und P a n 1 c h 1 sind nach G.’s Angaben die Ersten, welche auf
dies Agglutinationsvermögen des Malarikerblutes aufmerksam ge¬
macht haben. (Gazzetta degli osped. 1901, No. 57.)
M u r r 1: Ueber Bronzediabetes.
M. schildert einen Fall von Bronzediabetes und kommt be¬
züglich dieser Krankheitsform zu folgenden Schlüssen (Riv. crit.
d. CI. med. 1901, 11 u. 12):
Diabetes und bronzeartige Hautverfärbung können gemein¬
sam Vorkommen, auch ohne Lebercirrhose. In diesen Fällen Ist
die Krankheit nicht der Ausdruck einer Hepatitis pigmentaria.
Das klinische Bild des Bronzediabetes hat zur Ursache eine
Hepatitis pigmentaria. Diese letztere führt zum Ascites, zur Gelb¬
sucht. zum MUztumor, zu anhaltenden Verdauungs- und Er¬
na hrungsstörungen und zum Tode; aber es gibt auch eine sehr
seltene Form von Bronzediabetes, bei welcher die Hepatitis fehlt
und bei welcher Heilung möglich Ist.
Die häufige Vereinigung der 3 Phänomene: Diabetes, Zer¬
setzung des Blutpigments und Lebercirrhose rührt nicht von einer
gemeinsamen Ursache her, aber alle 3 sind der Ausdruck einer
tiefen Stoffwechselstörung.
Die Hepatitis kann eine durch Alkohol bewirkte sein uud dies
Moment begründet die Seltenheit des Bronzediabetes beim weib¬
lichen Geschlecht: überhaupt kann häufig ein Symptom der Sym-
ptomentrias fehlen und so das Krankheitsbild ein unvollständiges
sein.
Sehr häufig finden sich, wie Anschütz konstatirte, ln
Fällen von Bronzediabetes Laeslonen des Pankreas, aber, da es
auch Fälle gibt ohne solche Laeslonen, ln welchen die Glykosurie
die gleiche Ist, so muss für solche eine allgemeinere Ursache der
Entstehung des Leidens festgehalten werden.
Wenn man dem Ursprung der 3 miteinander verknüpften,
die Krankheit konstituirenden Symptome nachforscht, so kommt
man rationeller Weise zur Hypothese einer allgemeinen Dystrophie
der zelligen Elemente des Körpers, bedingt durch die lange Ein¬
wirkung stoffwechselstörender Ursachen und sich äussernd durch
Abnahme gewisser Funktionen, namentlich also derjenigen, die
Kohlehydrate zu verbrennen, und ferner durch gewisse Eigen-
thümlichkeiten, namentlich der beiden, einerseits die färbenden
Elemente des Blutes anzuziehen und zu fixlren, andererseits eine
Vermehrung des Bindegewebes zu veranlassen, welche besonders
in der Leber die Form einer interstitiellen Entzündung annimmt.
Nach den letzteren Veränderungen in der Leber richtet sich
auch die Prognose der Krankheit: sie ist im Allgemeinen .schlecht,
und um so ungünstiger, Je weiter die Hepatitis fortgeschritten ist.
B e 111: Ueber einen schweren Fall von tuberkulöser Poly¬
serositis, durch Laparotomie geheilt. (Gazzetta degli osped. 1901,
No. 51.)
Mit Rocht betont der Autor die Möglichkeit bei der obigen
multiplen und meist auf Tuberkulose beruhenden Form der Ent¬
zündung seröser Häute durch Laparotomie die Prognose zu ver¬
bessern. Er sah- ln Folge derselben auch das Pleuraexsudat sich
schnell vermindern, die Ernährung sich bessern, das Körper¬
gewicht um 10 kg zunehmen und einstweilen vollständige Genesung
eintreten.
Catterina: Klinisch-anatomische Studien über ein peri¬
theliales Haemoangiosarkom des weichen Gaumens, (il poli-
clinico Sezioue cliirurglca, Mai T901.)
Das Cylindrom ist eine Geschwulstform, charakterisirt durch
endotheliale und peritheliale Zellproliferationen: man kann in ihm
fibröses, myxomaiöses Gewebe und hyaline Bildungen finden.
C. stellt anlässlich der Beschreibung seines typischen Falles dieser
Geschwulstform die gesammte Literatur der Medicin über dieselbe
zusammen. Hager- Magdeburg-N.
Inau^ural-Dissertationen.
Universität Bonn. Juli 1901.
20. Bonhoff Hermann Franz: Traunm in Beziehung zur Syringo-
myelitis.
21. Schultz August: Ein kasuistischer Beitrag zur Nitrobenzol¬
intoxikation.
22. No6 Waldemar: Ueber einen bemerkenswerthen Fall von
Geistesstörung.
23. Schaefer Hugo: Ueber Molluscum contagiosum und seine
Bedeutung für die Augenheilkunde.
Universität Breslau. Juni und Juli 1901.
13. Schneider Heinrich: Die normale Temperatur bei initialer
Lungentuberkulose in Ruhe und Bewegung.
14. Schikora Ernst: Zur Kenntniss der Gallenfarbstoffe in den
Faeces der Säuglinge.
15. Manteufel Kurt: Ein Beitrag zur Statistik der Penis-
carcinome.
IG. Bork Leo: Beitrag zur Kenntuiss der Nierenkapsel¬
geschwülste.
17. Oelsner Ludwig: Anatomische Untersuchungen der Lymph-
wege der Brust mit Bezug auf die Ausbreitung des Mamma¬
en rclnoms.
18. Clusius Alfred: Ein Beitrag zur Kasuistik der krypto¬
genetischen Septicopyaemie.
19. Sticher Roland: Händesterilisation und Wochenbettmorblll-
tät. Ein Beitrag zur Aetlologie der Puerperalinfoktion.
20. Lewin Salo: Ueber Nervennaht, Nervendehnung und Nerven¬
lösung peripherer Nerven.
21. Ilauffe Hans: Ein Beitrag zur Kenntniss der Leberkolik
durch Echinococcus hepatis.
22. Schöngarth Adolf: Ueber die Eröffnung der grossen
Körperhöhlen bei Rippentuinoren.
23. Krischke Georg: Ein Beitrag zur Lehre von den tödtlichen
Ausgängen bei Ohrerkrankungen.
24. Heyn Arthur: Ueber disseminirte Nephritis baclllaris Tuber¬
kulöser ohne Nierentuberkel.
25. Falk Hermann: Beitrag zum Studium des Dermographismus.
2G. Neustadt Georg: Ueber das Empyema Necessitatis der
Gallenblase.
Universität Freiburg. Juli 1901. '
18. Epstein Berthold: Zur Kasuistik der Stichverletzungen
des Unterleibes. Mit einigen Bemerkungen Über die operative
Behandlung der akuten diffusen Peritonitis.
19. Katsurada Fujiro: Zur Lehre von den sogen. Dermoidcysten
oder Embryomen des Eierstocks.
20. R e n s i n g Franz: Ueber Rachitis sera sive adultorum.
21. Bremer Josef: Zur osteoplastischen Behandlung vou De¬
fekten des einen Knochens am Vorderarm oder Unterschenkel
unter Hinzuziehung des betr. Nachbarknochens.
22. Lu ck liar dt Albert E.: Ueber Variabilität und Bedingungen
der Farb8toffbildung bei Spaltpilzen.
23. Blecbschmidt Eugen R.: Ueber einen Fall von Leber¬
cirrhose mit Milztumor in Jugendlichem Alter.
24. Baszynski Sally: Ueber die Fibrome der Bauchdecken.
25. A 111 an d Wilhelm: Zwei Fälle von Tumor praecornealis nach
Episkleritis.
Universität Glessen. Juli 1901.
29. Richter Karl: Ueber die operative Behandlung der Achsen¬
drehung des Dünndarms.
30. Mou malle Joseph: Zur Kasuistik der Sehnerven Ver¬
letzungen.
31. Bergen tlial Karl: Ueber Glykosurie und alimentäre Gly¬
kosurie bei Cholelitliiasis.
32. Levy Simon: Zur Behandlung Hornhautstaphyloms.
33. Dann e in n n u Adolf: Bau, Einrichtung uud Organisation
psychiatrischer Stadtasyle. Betrachtungen über eine zeit-
gemüsse Verbesserung der Fürsorge für Geistes- uud Nerven¬
kranke. (Habilitationsschrift.)
34. Zalewsky Hans: Die Gonitis chronica deformans dos
Tferdes. (Vet.-med. Dissert.)
Universität Halle. Juli 1901.
29. Dransfeld Emst: Ueber Verreukungsbrüche der Maileolea.
.30. Klausner Irma: Ein Beitrag zur Aetlologie der multiplen
Sklerose.
31. von der Leyen Else: Ueber Plasmazollen ln pathologisch
veränderten Geweben.
Universität Heidelberg. Juli 1001.
10. Alberti Adolf: Zur Kasuistik der sympathischen Ophthal¬
mitis.
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MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCTTENSCHRIFT.
No. 34.
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88. K1 e 1 n s c hm 1 d t Theodor:. Zur Kenntnlss der Medlnstinal-
tumoren.
89. Kunk Friedrich: Ein Fall von Verblutung, die für septische
Peritonitis gehalten wurde.
90. Schuelder-Slevers Richard (5.: Ein Beitrag zur Dia¬
gnostik der primären Tuberkulose des weiblichen Hurnsy Steins. Jv—
91. v. Baeyer Hans: Feber Chromsäurevergiftung. '
92. Müller Joseph: Feber congenitale Saeraltuinoren.
93. II o 1 z i n g e r Jakob: Feber ein Fibrom des Ductus liepatlcus.
94. Niemeyer Albert: Ein Fall von Lymphangioma cysticum
cougenitum colli.
95. Schmitt Haus: Zur Kasuistik der Pseudoleukaemie.
(Staphylococcensepsis mit Endokarditis und Uebergaug iu
Pseudoleukaemie nach recidivireudem Erysipelas faciei!)
96. Himmelreich Otto: Die durch Lues und Gonorrhoe her-
vorgerufenen Gelenkerkrankungen und ihre Differeutial-
diagnose.
97. Dinglreiter Josef: Ueber traumatische eitrige Meningitis.
Ein Fall von Spätinfektion. (Tod 5 Monate nach der Verletzung.)
98 Schnitze Kurt: Ein Beitrag zur Ilistogenese des Myo-
sarkoms.
99. B res sei Max: Feber plötzlichen Tod bei Pleuritis exsudativa
in Folge von Thrombose der Arteria pulmonalis.
160. Hoch er Wilhelm: Ein Beitrag zur Kasuistik der multiplen
Exostosen.
101. Z i in m e rin n n n Theodor: Feber zwei Fälle von krypto¬
gener Septicopyaemie.
102. Bratz Alfred: Ein Fall von retrobulbärem Sarkom der
Orbita.
103. HIngsamer Emeran: Eiuige seltenere Fälle von Herz¬
aneurysma.
104. Jacobson Richard: Feber die Wirkung fluorescireuder
Stoffe auf Flimmerepithel.
105. Stuben voll Fritz: Beiträge zur Kasuistik der Meningitis
cerebrospinalis.
100. Gazert Hans: Feber Tetanus.
107. Seegert Paul: Entstehung und Ausgang subphrenischer
Gasabscesse.
108. Falk Alfred: Feber den Nachweis von Arsen.
109. Key hl Emst: Ueber primäre Darm tuberkulöse.-
Universität Strassburg. Juli 1901.
20. Neuhäuser Hugo: Beitrüge zur Lehre vom Descensus der
Keimdrüsen. I. Theil: Die Beckendrehuug.
21. Kratzenstei n Siegmund: Febersicht der Theorien über
die Pathogenese der symphatlselien Entzündung."
22. Haenlsch Fedor: Fremdkörper iu der Stirn- und Oberkiefer¬
höhle.
. \ -
Universität Jena. Juli 1901.
Groeber J.: Die Resorptionskraft der Pleura.
H e y u-Cohn Paul: Experimentelle und mikroskopische
Studien über die Unterbindung der Uretereu.
Universität Kiel. Juni und Juli 1901.
D i n n e n d a h 1 August : Zur operativen Behandlung der
Coccygodynie.
Mock Johannes: Ueber einen Fall von ausgedehnter Gallen-
blasenzerstörung in Folge von Gallensteinen.
Fassbender August: Ein Fall von Kompressionsfraktur
des oberen Tibiaendes mit Subluxation der Tibia nach aussen.
K relpe Curt: Ein Fall von Heruia diaphragmatica congenita
dextra spuria.
West ermann August: Zur Kasuistik der Schussverletz¬
ungen des Schädels.
Kühle Heinrich: Zur Nachbehandlung der Staaroperationen.
5 p i e 1 m a n s Max: Ueber das Vorkommen von Muskelinter¬
position bei Frakturen und die in dem interpouirten Muskel¬
gewebe zu beobachtenden feineren Veränderungen.
Kleinertz Richard: Zwei primäre Krebse der Gallenwege.
II a rtma n n Otto: Feber einen Fall von Hydreuceplialocele
und Verwachsung derselben mit dem Amnion placentale.
Ra tlije Richard: Ein Fall schwerer septischer Infektion mit
folgender ausgedehnter Gangraen der Oberlippe und rechten
Gesichtshälfte. Melo- und Clieiloplastik.
Al brecht Heinrich: Ein Fall von Scharlach mit Interessan¬
ten Nebenbefunden.
Schwarze Paul: Ein Fall von multiplen Thrombosen bei
Typhus mit Erscheinungen der akuten Bulbürparalyse.
Auer Max: Feber bacilläre Pneumonie.
Stolze Ernst: Ein Fall von fast nusgetragener Tuben-
schwangerschaft nebst einem Beitrag zur Operationsstatistik
der vorgerückten Tubenschwnngerschaften.
Müller Fritz: Kasuistischer Beitrag zur Indikation und
Ausführung der Knochennaht bei Frakturen.
Bleck mann Felix: Feber primären Echinococcus der
Pleura.
Krause Johannes: Ein Fall von primärem Krebs des Duo¬
denum.
Eisen borg Hermann: Zur Kenntniss des kindlichen Dia¬
betes.
Universität Marburg. Juli 1901.
Bor r mann Rob.: Das Waclisthum und die Verbreitungs¬
wege des Magencarcinoms vom anatomischen und klinischen
Standpunkt. Habil.-Schrift.
Fett Karl: Feber Wiederholung von Eklampsie bei ein und
derselben Person ln verschiedenen Schwangerschaften.
Kaiser Felix: Zur Behandlung der Pleuritis exsudativa
serosa mit Snlicylsüure.
Kran e p u h 1 Theodor: Zur Unterbindung der Arteria carotis
communis.
Meyer Paul: Feber Ursachen, welche das Stllleu verbieten,
insl>esoudere das Stillen nach schweren Blutverlusten in der
Geburt.
Plan ge Virgil: Beitrag zur Frage der Typhusagglutinin¬
bildung.
Zaubitzer Hans: Studien über eine dem Strohinfus ent¬
nommene Aiuoebe.
Universität München. Juli 1901.
Brügge mann Robert: Ein Fall von Verblutung in Folge
Perforation einer Übersehenkelarterie in der Wandung eines
luterinuseulüren Abscesses.
Rosen bäum Joseph: Das Vorkommen von Erysipel in der
chirurgischen Klink und im chirurgischen Krankenhaus Mün¬
chen 1. I. während der Jahre 185)1—97.
Ewelt Wilhelm: Drei Fälle von Melanosarkom.
Minder lei n Friedrich: Beitrag zur Kasuistik der Oeso-
pliagusperforation.
Hund hausen Friedrich: Pankreasapoplexie und Fett-
ge websnekrose.
Ziegler Gustav Adolf: Feber den Verlauf der Nachgeburts¬
periode in 1000 Fällen nacheinander.
Bert bei Friedrich: Ein Fall von offenem Foramen ovale
mit Persistenz der Vena cardinalis sinlstra und anderen Ano¬
malien des Venensystems.
II ö v e r Otto: Ein seltener Fall von Magenkrebs mit sekundärer
Lungengangracn.
W a g n e r Joseph: Die Exstirpation eines Nebennierentumors,
der für einen Ovarialtumor gehalten wurde.
6 reim er Kaspar: OetTentliche Gesundheitspflege gegen zu¬
nehmende Morbidität, namentlich des Nervensystems.
P escatore Max: Feber Perforation des Oesophagus durch
verschluckte Fremdkörper.
Rudolph Julius: Feber einen Fall von Vergiftung durch
Einat Innen von Terpentinüldäinpfen.
II a rd e r Hermann: Feber einen seltenen Fall von Verätzung
des Oesophagus durch Laugenstein, komplizirt mit Aorten-
perforatlon.
Ba er mann Gustav: Feber ein Fibroinyom des rechten
Ligamentum rotunilum.
Keelig Haus: Feber zwei Fälle von tuberkulösem Pneumo¬
thorax.
Schocnfeld Ilugo: Klinische Erfahrungen mit dem neuen
Hypuoticum lledonal.
Vereins- und Congressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung v o m 5. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr C. Fraenkeh
1. Herr Nebelthau berichtet über einen Fall*) von Phos-
phorvergiftung im Anschluss an die Darreichung von Phos-
phorleberthran.
Es handelt sich um ein männliches Kind von 2 Jahren und
2 Wochen, welches sich in gutem Ernährungszustände befand,
aber mit Erscheinungen von Rachitis behaftet war. Dem Kinde
wurde Phosphorlebert hran 0,01:100.0. täglich 2 TheelöfFel voll ver¬
ordnet. Von diesem erhielt der Junge noch am selben Tage, am
21. Mal Abends, einen, an den beiden folgenden Tagen je 2 und
am 24. Mai Morgens einen Theelöffel. also 6 Theelöffcl ln 60 Stun¬
den vorschriftsmüsslg verabreicht. Bereits am 23. Mal Abends
bemerkte die Mutter Gelbfärbung der Haut am ganzen Körper des
Kindes. Daraufhin wurde ihr am 24. Mai auf Anfrage in der
chirurgischen Klinik geheissen, den Leberthran auszusetzeu. Die
Gelbfärbung bestand In den folgenden Tugen in gleicher Weise
fort, zugleich war der Urin stets „roth“. Erbrechen wurde nicht
beobachtet, dagegen zugleich mit dem Ikterus Durchfall ln massi¬
gem Grade. Am 3t). Mai. genau eine Woche nach Auftreten des
Ikterus, traten plötzlich schwere Erscheinungen auf. Schmerzen
im Leib, besonders rechts, starke Hitze, verminderte Urinsekretion
und Verstopfung; letztere schon 1—2 Tage früher. Das Kind
wurde jetzt, am 31. Mai. dein Elisabeth-Krankenhaus zugeführt
und von Horm Kollegen Aldclioff folgender Befund erhoben:
Sehr kräftiges, gut genährtes Kind, Haut des ganzen Körper 8 *
ebenso die der Conjunctiven und Skleren wie auch der Schleim¬
häute citronengelb gefärbt. Die Haut fühlt sich kühl.an; jede Be¬
rührung wird schmerzhaft empfunden. Durch die gelbe Färbung
der Wangen schimmert ein leichtes Roth durch.
Keine Exantheme und Oedeme.
Puls voll, ruhig, etwas unregelmässig, nicht beschleunigt.
Temperatur 30.1 in ano.
Athnmng leicht beschleunigt, etwas ächzend.
Das Gesicht schmerzhaft verzogen, die Augen etwas ein*
gefallen, Pupillen über mittelweit, reagfren nicht auf Lielitclnfall,
ebenso Corneareflexe erloschen.
*) Der Fall ist ausführlich von Herrn Dr. Johannes Franke
in seiner Dissertation, Halle 1901. mitgetheilt. -
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20. August 1901.
MUENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
13G3
Keine Deviation der Augenachsen.
Die Lippen blassgelblich. Mund halb geöffnet.
Thorax: Lungen und Herzbefund bietet nichts Bemerkens¬
wert hes.
Abdomen: In geringem Maasse gleichmiissig auf getrieben,
weich, druckempfindlich, keine Dämpfungszonen. Magen per¬
kutorisch nicht vergrössert, stark dagegen der linke Leberlappen.
Das Abdomen Ist druckempfindlicher als der übrige Körper, speciell
ist es die Lebergegend, so dass schon auf leise Berührung der¬
selben das Kind laut und geradezu geilend aurschrelt. Im An¬
schluss daran treten tetanische Streckkrämpfe auf: die Extremi¬
täten werden steif fortgestreckt, der Rücken opisthotonisch zurück-
gelKigen. Milz nicht palpabel, nicht vergrössert. Während das
Kind auf dem I'ntersuchungstisch liegt, lässt cs dunkelgefärbten,
ikterischeu Harn ln ziemlich reichlicher Menge.
Auf «rund dieses Krankheitsbildes und der Angabe von Selten
der Mutter, dass das Kind als Medicament Leberthran mit einem
Zusatz erhalten habe und seitdem krank geworden sei, wurde bei
Herrn Kollegen Aldehoff der Verdacht rege, dass eine Intoxi¬
kation vorliegen könnte und zwar eine Phosphorvergiftung. Dieser
Verdacht wurde zur Gewissheit durch Feststellung der Thatsache,
dass dem Kinde Fhosphorleberthran verordnet war. Herr Kollege
Aldehoff hatte die Güte, die Universitätspoliklinik von dem
Vorfall zu benachrichtigen. Der Assistent der Poliklinik fand Je¬
doch das Kind bei seinem Besuch bereits todt Das Kranklieits-
bild hatte sich bis zu dem um 4 Uhr erfolgten Tode nicht wesent¬
lich geändert. Eine Stunde vor dem Tode trat schwarzes Erbrechen
auf.
8 e c 11 o n: Gut genährte kindliche Leiche, Starre, Todten-
flecke.
Herz: Ziemlich gross, rechter Ventrikel schlaff, linker gespannt,
auf dem Perlcard vereinzelte Petechien, Musculatur auf Durch¬
schnitt graurotli, Eudocard und Intima der Aorta gelb imblbirt.
Klappen intakt.
Lungen: Bieten keine wesentlichen Abnormitäten.
Leber: Von annähernd normaler Grösse, zäher, fester Kon¬
sistenz, auf Durchschnitt Ikterisch, wenig blutreich; Schnittfläche
glatt, von gelblich-röthlicher Farbe, Peripherie der Acinl gerüthet,
Centrum mehr gelblich gefärbt
Gallenblase: Enthält wenig grünlich gefärbten Schleim,
Schleimhaut oedematös, geschwellt röther als normal, im Gallen¬
gang nichts Abnormes nachweisbar.
Milz: Nicht vergrössert
Magen: Von entsprechender Grösse, seröser Ueberzug und
Schleimhaut gelblich verfärbt Inhalt eine mässige Menge von
Schleim.
Darm. 1. Dünndarm: Im unteren Thell ist die Schleimhaut
geschwellt, Follikel und P a y e r’sche Plaques treten hervor. In¬
halt etwas gelbbraune Faeces und Schleim. Vor der Bau hi n*-
schen Klappe stärkere Schwellung und Röthung der Schleimhaut.
2. Dickdarm: Enthält braunrotlie, blutige, schleimige Massen,
der unterste Theil ist noch viel stärker mit blutig-schleimigen
Massen gefüllt Die Schleimhaut des Dickdarms ist geschwellt,
ebenso die dazu gehörigen Drüsen, Gefässc erweitert, massenhafte
capilläre Blutungen.
Niere: Ziemlich gross, Konsistenz vermehrt, Kapsel leicht ab¬
ziehbar. Rinde etwas verbreitert, Pyramiden duukelschwarzroth,
Bich sehr deutlich abgrenzend.
Als besonderes Ergebniss weiterer mikroskopischer Unter¬
suchung an gefärbten Schnitten dürfte horvorgehoben werden,
dass eine Wucherung der Zellen der interlobulären Gallengänge
stattgefunden hatte, ähnlich wie e6 Meder in seinem V. Falle
bei akuter gelber Leberatrophie feststellep konnte.
Der klinische Verlauf und die pathologischen Veränderungen
der Organe Hessen, zusammengenommen mit der Thatsache, dass
sich die Erkrankung des Kindes direkt an den Gebrauch von
Phosphor unschloss, die Diagnose einer akut verlaufenden Phos¬
phorvergiftung als gesichert erscheinen.
Die verorefnete Dose entsprach einer Menge, welche unzählige
Male schadlos verabreicht ist und verabreicht wird. Es drängte
sich nun selbstverständlich angesichts der von uns sicher nach¬
gewiesenen Vergiftung die Frage auf, ob in diesem Falle von
Seiten des Apothekers eine grössere Menge Phosphor verabreicht
war, als die Signatur angab. Die genaue Untersuchung des ver¬
abfolgten Phosphor-Leberthrans auf seinen Phosphorgohalt war
daher dringend geboten. Die mühsame Arbeit wurde von Herrn
Dr. Kugel nach Anweisung von Herrn Gcheimrath Vo 1 h a r <1
gütigst ausgeführt und zwar in etwas modifizirter Form nach
Scherer.
Zuerst wurde durch Vorversuche festgestellt, dass vorgelegte
Jod-Jodkaliumlösung und nachheriges Einleiten von Chlor die
Oxydation des überdestillirten Phosphors einfacher und ebenso
vollständig bewerkstelligt, wie die Silberlösung und Oxydation
mit Königswasser nach Scherer. Zweitens wurde durch Kontrol-
vereuche mit einer 0,01 proc. Phosphor-Lebertliran-Lösung fest-
gestellt, dass von dem in dem Leberthran enthaltenen Phosphor
uur nach dem beschriebenen Verfahren in das Destillat über¬
ging. Sodann wnrdc die Untersuchung von 60 ccm der Phosphor-
Leborthran-Lösung, welche dem Kinde verabreicht war, nach der¬
selben Methode vorgenommen. Es fanden sich von der zu er¬
wartenden Menge, welche 0,005 betrug, zwei Fünftel, 0,002 g als
freier Phosphor im Destillat wieder, ein Fünftel, 0,001 g als Oxyd
im Fett. Ein weiterer beträchtlicher Rest Phosphor musste also
in nähere Verbindung mit den Fetten des Lebcrthrans getreten
sein. Beim Versuch Hessen sich aus denselben noch 0,00033 g
Phosphor abspalten und gewinnen. Die Gesammtmenge des ge¬
fundenen Phosphors, 0,0034 g, blieb mithin um 0,0016 g hinter
der vorgeschriebenen Menge zurück, ein Manko, welches sich
wohl vorwiegend aus der Unvollkommenheit der analytischen
Methode erklären mag. Mit aller Bestimmtheit war, wie Herr
Gcheimrath V o 1 h a r d sich ausdrückt, somit nachgewiesen, dass
der verordnete Phusphor-Leberthran keinesfalls mehr als die vor-
gesehricbcne Menge Phosphor enthalten hat.
Aus der mitgetheilten Beobachtung geht also als bemerkens-
werthe Thatsache hervor, erstens, dass ein Kind, welchem Phos-
phor-Leberthran in der landläufigen Verordnung 0,01 :100 zwei¬
mal täglich 1 Theelötfel, ordnungsgemäss verabreicht war, an
einer akuten Phosphorvergiftung zu Grunde ging; zweitens, dass
sich im Leberthran eine beträchtlich geringere Menge wirksamen
Phosphors befindet, als die Verordnung angibt, dass also mit
anderen Worten in Wirklichkeit durch noch kleinere Mengen
Phosphor Vergiftungserscheinungen herbeigeführt wurden, als wie
auf Grund der gemachten Verordnung berechnet und vermuthet
wurde.
Letztere Thatsache dürfte besonders für die Beurtheilung
der fürPhosphor festgesetzten Maximaldose, welche pro Dosi 0,001,
pro die aber 0,003 beträgt, von grösster Bedeutung sein und zu
grosser Vorsicht bei der Verordnung des Phosphora mahnen.
Demgemäss dürfte auch hier hervorgehoben werden, dass
die Verordnung Phosphor 0,01 auf Leberthran 100 Morgens und
Abends 1 Thoelöffel für Kinder bis zum 8. Jahre im Vcrhältniss
zur bestehenden Maximaldosis in der That zu hoch gegriffen
erscheint. Es wüurde damit das Kind im Tage 1 mg Phosphor
erhalten, pro Dosi V* mg, welche Menge die Hälfte der für einen
Erwachsenen erlaubten Dosis repräsentirt.
Bei einem Kind von 2 Jahren dürfte doch höchstens der
5. bis 6. Theil von der Dosis, welche für einen Erwachsenen er¬
laubt ist, gegeben werden. Zur Zeit also höchstens ein bis zwei
Zehntel-Milligramm. Diese Dosis wird also beträchtlich durch
die für Phosphor übliche Verordnung überschritten. Wie wichtig
es ist, auf diesen Punkt hinzuweison, erhellt aus der Beobachtung
des von uns mitgetheilten Falles, in welchem 3 mg innerhalb
60 Stunden verabreicht, den Tod des Kindes herbeigeführt haben.
Wenn auf der einen Seite nun Kassowitz festgostellt hat,
dass 2 mg Phosphor pro dio bei Kindern über ein Jahr voll¬
kommen tolerirt werden, so hat er andererseits selbst darauf hin¬
gewiesen, dass V 2 mg Phosphor pro die für Kinder bis zu 8 Jahren
vollkommen ausreiche, um gute Erfolge zu erzielen. Ich sehe
mich veranlasst, im Anschluss an diesen Fall den Phosphor von
nun an in bedeutend geringerer Menge zu verabfolgen als bisher,
indem ich in Zukunft zunächst 0,001 Phosphor auf 100,0 Leber¬
thran zweimal täglich einen Thoelöffel verordnen werde, wie
auch von Grosse angegeben wird, und die Dosis nöthigonfalls
erst 8teigem werde, wenn ich mich davon überzeugt, dass keine
unliebsamen Nebenwirkungen auftreten.
Besprechung: Herr Pott kann sich der Ansicht des
Vortragenden, dass der* Phosphorleberthran bei der Behandlung
der Rachitis unentbehrlich sei, nicht anschliessen. Er hat ebenso
gute Erfolge mit dem einfachen diätetisch-hygienischen Verfahren,
guter Ernährung, Bädern, Aufenthalt der Kinder im Freien u. s. f.
erzielt.
Herr Nebelthau möchte den Phosphor doch nicht missen:
Er betrachtet ihn als ein ähnliches Reizmittel wie das Arsen, das
die Zellen zur Konsolidirung von KnocliengewelK» anrege.
Herr G e n z m e r betont zwar die Nothwendigkeit einer diä¬
tetisch-hygienischen Behandlung, hat al>er vom Phosphor elxMifalls
günstige Wirkungen gesehen, die er in der gleichen Weise wie Herr
Nebelthau erklären möchte.
2. Herr Nebelthau theilt im Anschluss an diese medi-
cinale Phosphorvergiftung noch folgende Beobachtungen mit,
welche er über die Wirkungen des Arsens an einem mit sog.
Mykosis fungoidea behafteten Patienten in der medieinischcn
Klinik zu Marburg machen konnte.
Die Krankheit hatte siel» im Verlaufe von 10 Monaten zu dem
ausgesprochenen Bilde der Mykosis fuugoides entwickelt. Es be-
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1364
MUENCHENER MEDICINTSCTIE WOCHENSCHRIFT.
No. 31.
standen zahlreiche Tumoren auf der Ilaut, dazwischen diffuse
Infiltrate, die an Ihrer Oberfläche rothbraun gefärbt waren.
Zur Beseitigung der Tumoren und Infiltrate wurde die An¬
wendung subkutaner Injektionen von Arsen beschlossen und zwar
kam eine 1 proc. Lösung von Natrium arsenlcosum nach den Vor¬
schriften von Ziemssea zur Verwendung. Die Anfangsdosis
betrug 0,25 ccm dieser Lösung. Es wurden im Ganzen innerhalb
12 Tagen 8 Injektionen gemacht und die Dosis bis zu 0,G ccm ge¬
steigert.
Unter dieser Behandlung schienen die bestehenden Drüsen¬
schwellungen sich nur etwas zu verkleinern; während die Knoten
ln der Haut der Brust, des Abdomens und beider Beine bedeutend
an Grösse abuahmen und sich schlaffer als früher anfühlten.
Die PIgmentirung der Haut nahm eine dunkelblau¬
violette Farbe an, während die nicht pigmentirten Hautstellen, so
besonders die Hände und Fusssohlen demgegenüber einen liusserst
blassen Farbenton zeigten. Patient klagte jetzt häufig über sehr
starke Kopfschmerzen.
An der Pulmonalis und an der Herzspitze war ein deutliches
systolisches Geräusch zu hören, und der erste Ton an der Herz¬
spitze war schwächer als der zweite. Gleichzeitig wurde während
der Arsenbehandlung vom 23. bis 29. XII. eine beträchtliche Aus¬
scheidung freier Harnsäure im Urin beobachtet und am 28. XII.
das Vorhandensein einer schweren Auaemie festgestellt. Während
am 3. XII. noch gute Blutverhältnisse konstatirt waren — die Zahl
der rothen Blutkörperchen betrug 4 800 000, der Haemoglobingehalt.
nach Gowers bestimmt, 95 Proc. —, wurden jetzt nur 970000
rothe Blutkörperchen und 10 400 welsse gezählt und ein Haemo¬
globingehalt von 20 Proc. festgestellt.
Diese Beobachtungen Hessen daran denken, dass In der That
die Arseninjektion zwar einen günstigen Einfluss auf die Tumoren
ausgeübt, aber gleichzeitig die BlutWschaffenheit ungünstig be¬
einflusst habe und die Ursache für die Ausscheidung der Harnsäure
gewesen sei.
Zunächst musste natürlich nun die Beseitigung des schweren
anaeniischen Zustandes versucht werden, was, wenn auch nur lang¬
sam und in geringem Grade, unter Eisenbehandlung etc. gelang.
Allerdings wurden nie so günstige Bedingungen für die Blut-
beselia(Tenholt wieder hergestellt, wie sie der Patient noch Anfang
Dezember dargeboten hatte.
Da nun bis zum 30. Januar unter Besserung der auaemischen
Erscheinungen sich wieder eine beträchtliche Zunahme der Knoten
und Schwellungen auf der Haut eingestellt hatte, besonders aber
auch die Schwellung der Tonsillen einen bedenklichen Grad an¬
genommen hatte, wurde beschlossen, wiederum mit subkutanen
Injektionen von Arsen das Wachsthum der Tumoren zu beein¬
flussen und dabei genau das Verhalten des Blutes und der Harn¬
säuren usscheidung zu beobachten.
Es wurden in der Zeit vom 31. Januar bis zum 0. Februar,
also in 7 Tagen, 6 Injektionen von Natrium arsenicosum gemacht
und zwar 3 mal 0,2, 1 mal 0,3 und 2 mal 0,4 ccm der 1 proc. Lösung
von Natrium arsenicosum.
Mit der Einleitung der Arsenkur trat wiederum ein beträcht¬
licher Schwund der Tumoren ein; gleichzeitig aber auch eine be¬
trächtliche Verschlimmerung des Blutbefundes, welcher den Zu¬
stand schwerer Auaemie mit Vermehrung der Lymphocyten auf¬
wies. Mit dem Schwund der Tumoren und der zunehmenden
Auaemie erreichte die Harnsäureausscheidung eine Höhe, wie sie
an den vorhergehenden Tagen nicht gesellen worden war. Die
Tagesmenge stieg von durchschnittlich 0,5 g auf 1,52 g.
Nach dem Aussetzen der Arseninjektion ging zunächst die
Harnsäureausscheidung zurück, während sich allerdings eine Ver¬
besserung des Blutbefundes nicht mehr einstellte, vielmehr eine
gleichmässige Verminderung der Blutkörperchen und des Haemo-
globlns bis zum Tode anhielt. Vor demselben trat noch einmal
eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung ein, die am Todestage
ihren Höhepunkt erreichte.
Im Anschluss an diese Beobachtung weist Vortragender
darauf hin, dass die Beeinflussung der Tumoren durch Arsen¬
injektionen bei Mykosis fungoides auch in diesem Falle, ähnlich
wie in dem Koebne Fachen, eine sehr bomerkenswerthe war
und desshalb aüch in Zukunft indicirt ist. Jedoch bedarf es da¬
bei einer sehr vorsichtigen Anwendung des Arsens.
Gleichzeitig muss dabei das Blut einer sehr sorgfältigen Be¬
obachtung unterzogen werden, damit nicht von dieser Seite her,
d. h. durch eine Arsen Vergiftung, wie sie bereits von Karewski
eingehend geschildert ist, neue Gefahren für das Leben des
Patienten geschaffen werden.
Es wird sich empfehlen , auch der Ausscheidung der Harn¬
säure in einem solchen Falle seine Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Eine Vermehrung derselben, auf die Vortragender durch den
reichlichen Ausfall grösserer Mengen freier Harnsäure aufmerk¬
sam wurde, dürfte unter Umständen als ein beachtenswerthcs
Warnungszeichen aufzufassen sein.
(Schluss folgt.)
Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr S e n d 1 e r.
Vor der Tagesordnung stellt Herr Blencke 3 Fälle von
kongenitalem Oberschenkeldefekt vor mit den dazu gehörigen
Röntgenaufnahmen. Es sind die 3 Arten der vorkommemlcu
Defekte vertreten: 1. hochgradige Atrophie und hochgradige Ver¬
kürzung des Femur mit geringen Veränderungen am centralen
Ende desselben auf der rechten Seite eines sonst wohlgebildeten
5 jährigen Mädchens. 2. Hochgradiger partieller Defekt beider
Femora — es ist vom Femur beiderseits nur ein kleines Rudiment
vorhanden — bei einem 9 jährigen, sonst wohlgebildeten Mädchen.
3. Vollständiger Defekt beider Femora bei einem 3 Monate alten
Mädchen, bei dem beiderseits nur Tibia, 3 Tarsalknochen, links 2,
rechts 1 Zehe vorhanden sind. (Die Fälle werden ausführlich be¬
schrieben werden ln der Zeitschr. f. orthopaed. Chir.)
Herr Thorn spricht 1. über die Therapie der Gesichts*
lagen. (Der Vortrag wird in extenso in der Münch, med. Wochen-
sclir. erscheinen.)
2. zur Prognose der ascendirenden Gonorrhoe.
Die rückläufige, gegen das Vieloperiren gerichtete Bewegung
in der Gynäkologie fange allgemach an, auch gegen die operative
Therapie der ascendirten Gonorrhoe anzukämpfen. TL liabe
schon vor vielen Jahren an dieser Stelle gegen die Uebertrei-
bungen der N o e g g e r a t loschen Lehren Front gemacht und
stets einer konservativen Behandlung der gonorrhoisch erkrankten
Adnexe gehuldigt. Eine kürzlich erschienene vortreffliche Arbeit
Krönig’s aus der Leipziger Klinik gebe ihm vollkommenen
Anlass, dies Thema neuerlich anzuschneiden, das eine ganz be¬
sondere Bedeutung für die Grossstädtc habe. Wenn nun auch
zu hoffen sei, dass man sich allgemein zu einer günstigeren Auf¬
fassung der Prognose der ascendirenden Gonorrhoe bekehren
und dass die Zahl der abdominalen und vaginalen Adnexexstir¬
pationen und „Beckenausräumungen“ immer mehr in Zukunft
eingeschränkt werde, so dürfo dabei nicht das Bestreben, die
Prophylaxe in einer dem Kulturstaat würdigeren Weise zu ge¬
stalten, erlahmen. Wie mangelhaft diese in Folge einer falschen
Prüderie der gesetzgebenden Organe sei, lasse sich z. B. besonders
bei unserer Schifferbevölkerung erkennen; aber auch gauz all¬
gemein habe die gonorrhoische Erkrankung in unserer Stadt nach
Th.’s Erfahrung nicht nur relativ, sondern absolut mit dem Wach¬
sen des Verkehrs zugenommen. Th. sehe relativ viel Frühstadien
der Gonorrhoe, deren Asccndiren durch geeignete Maassnahmen
in vielen Fällen verhindert werden könnte, wenn auch von der
Abortivbehandlung im Allgemeinen nicht viel zu halten sei. Das
Orificium internum bilde, wie für alle Mikroben, auch für den
Gonococcus die Grenze, die er nur unter gewissen Bedingungen
überschreite. Das Asccndiren erfolge im Besonderen zur Zeit
der Menses und im Frühwochenbett, nicht selten auch durch un¬
geeignete Enchcirosen, z. B. durch unvorsichtige Aetzungcn der
Cervicalmueosa und durch Sondiren und Curettiren. Der Sonden*
gebraueh ohne exacte Vorsichtsmaassregeln müsse überhaupt in
der Gynäkologie auf ein Minimum beschränkt werden, umsomehr,
als die Ausbildung der combinirten Untersuchung ihu immer
überflüssiger gemacht habe. Wenn irgend möglich stecke man
die Frischinficirte in’s Bett und gebe den Ehemann in Behand¬
lung; man müsse durchaus beiden Theilen die Consequenzen
einer Vernachlässigung der therapeutischen Vorschriften zu Ge-
müthe führen und dem Inficirenden seine Verantwortung klar
machen, um Exacerbationen resp. Reinfektionen nach Möglich¬
keit vorzubeugen. Habe der Gonoeoccus das Endometrium cor¬
poris Uteri erreicht; so sei auch jetzt noch eine Abheilung ohne
Invasion der Adnexe möglich; nur hüte man sich vor einer zu
frühen lokalen Therapie; nicht die gonorrhoische, sondern erst
die postgonorrhoische Endometritis gestatte im Allgemeinen eine
lokale Behandlung. Auch nach dem Vordringen des Gonococcus
in die Tuben und auf’s Perimetrium sei eine völlige Restitutio
mit Erhaltung der Concoptionsfähigkeit möglich, wie auch
K r ö n i g bestätige. Die frische Erkrankung der Adnexe täusche
den Unerfahrenen nicht selten; die scheinbare Grösse der Tuben¬
tumoren erwecke in ihm zu leicht den Eindruck der Irrepara-
bilität. Selbst bei anscheinend schwerer peritonitiseher Reizung
und starker Schwellung der Tuben sehe man bei absoluter Bett¬
ruhe und antiphlogistischer Behandlung ganz gewöhnlich ein
rasches Zurückgehen der bedrohlichen Erscheinungen. Ganz er¬
staunlich sei oft das rapide Abschwellcn der Tuben; dies komme
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1365
20. Aügust 1901.
daher, dass die gefühlten Tumoren nicht'sowohl stark durch
Flüssigkeit resp; Eiter gefüllte Tuben, als vielmehr peritubaro
Exsudationen, Serocelen und adhaerente Darmschlingen gewesen
seien. Die Invasion des Peritoneums durch den Qonococcus
bringe so gut wie nie Lebensgefahr, so bedrohlich auch die peri-
tonitischen Symptome sein möchten, und es sei dringend vor der
voreiligen Laparotomie zu warnen, wie man denn überhaupt
B u m m zustimmen müsse, dass die gonorrhoische Erkrankung
beim Weibe kaum jemals eine Gefährdung des Lebens bedinge.
Wenn auch durch Wertheim die Fähigkeit des Qonococcus,
in’s Myometrium vorzudringen, nachgewiesen sei, so müsse man
doch das Vorkommen einer rein gonorrhoischen Parametritis
anzweifeln; komme es zu einer parametritischen Exsudation, so
beruhe sie eher auf Mischinfektion. Naturgemäss heile nur ein
Theil der ascendirten Gonorrhoen mit völliger Restitutio ab, die
grosse Mehrzahl behalte Veränderungen der Tuben, des Peri¬
toneums, des Uterus, der Därme etc., aber bei vielen dieser
Kranken stelle sich im Laufe der Jahre bei geignetem Verhalten
eine relative Heilung ein, die vielfach die völlige Arbeitsfähig¬
keit wieder herstelle. Das bezeuge evident auch K r ö n i g’s der
arbeitenden Klasse angehöriges Material, das in 90 Proc. bei
exspectativer Behandlung innerhalb 5 Jahren die Arbeitsfähigkeit
ergab. Auch was die Sterilität betreffe, so stimmten Th.’s Er¬
fahrungen durchaus mit denen Bum m’s und K r ö n i g’s darin
überein, dass auch in diesem Punkte von manchen Autoren stark
übertrieben sei.
Alte und neue Erfahrungen Hessen also die Prognose der
ascendirenden Gonorrhoe in weit günstigerem Lichte erscheinen.
Sehe man dazu das Fiasko, das die operative Therapie gemacht
habe, so stehe zu hoffen, dass auch auf diesem Gebiete der ge¬
wissenhafte Arzt sich bald nicht mehr dem Vorwurf des Furor
operativus aussetzen werde. Die einseitige, wie auch die doppel¬
seitige Exstirpation der Adnexe habe 50 bis 60 Proc. Misserfolge
erzielt und die radicale Ausrottung der gesammten inneren Geni¬
talien möge zwar bessere Erfolge erreichen, sei aber nur unter
dringender Indication bei den dem Klimakterium nahe stehenden
Frauen zu billigen. Bei JugendHchen — und um diese handele
es sich in praxi in der Mehrzahl — seien die Consequenzen des
Ausfalls der Genitalfunktion zu bedeutend, als dass man sie dem
immerhin doch nicht sicheren Erfolg der „Beckenausräumung“
gegenüber ausser Acht setzen dürfe. Mehr als diese radicalen
verdienen conservirende Eingriffe Beachtung; es gelinge in vielen
schweren Fällen, bei denen die Radicaloperation indicirt er¬
scheine, durch EröfFnung und Drainage der peritubaren und
tubaren Eiterhöhlen etc. unter wesentHch geringerer Lebens¬
gefahr Heilung zu erzielen, wie Th. an einer beträchtlichen Reihe
von Fällen erfahren habe; es gehöre dazu allerdings mehr dia¬
gnostische und technische Schulung, als zum Laparotomiren.
An der Discusslon zur Prognose der ascendirenden
Gonorrhoe betheiligen sich die Herren Heinecke, Bren¬
necke, Bornstein und Blermer.
Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Wörzburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 18. Juli 1901.
1. Herr Wey gandt: Demonstration eines Falles von tief-
stehender Idiotie. (Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser
Wochenschrift.)
2. Herr Hof meier demonstrirt ein frisches Präparat von
Sarcoma deciduo-cellulare (Declduoma maiignum). Die Stellung
dieser Geschwülste, die nach der Schwangerschaft sich im Uterus
bilden, in der Onkologie ist noch unklar. Das Präparat wurde
durch Operation von einer Frau gewonnen, die einige Monate vor¬
her abortirt hatte. (Demonstration mikroskopischer Präparate.)
3. Herr Bostoski: Demonstration eines Falles von chro¬
nischer ankylosirender Entzündung der Hals- und oberen Brust¬
wirbelsäule. Der Fall soll ausführlicher in dieser Wochenschrift
mitgetheilt werden.
4. Herr Johannes Müller: Beobachtungen über reine
Abdominalathmung bei ankylosirender Wirbelgelenks-
entzündung.
Vortragender hat in einem Falle ankylosirender Wirbel¬
gelenksentzündung, der mit dem von Strümpell zuerst be¬
schriebenen Symptomenbilde vollkommen übereinstimmte, nähere
Untersuchungen über die Störung der Athemmechanik gemacht,
die durch den Fortschritt des Processes auf die Rippengelenke
zu Stande kommt. Bei diesem Zustand von Thoraxstarre sind
Yolumsänderungen des Brustkorbes durch Hebung und Senkung
der Rippen nieht möglich und die Athmung wird lediglich durch
die Thätigkeit von Zwerchfell und Bauchrauskulatur unterhalten.
Bei dem vom Vortragenden beobachteten Fall zeigte der Brust¬
korb nur an der unteren Apertur eine Erweiterungsfähigkeit
von höchstens 6,5 mm (gemessen am Umfang); die übrigen
Maasse schwankten selbst bei forcirter Athmung nur minimal.
Um so ausgiebiger war dio Abdominalathmung, so dass die Nabel¬
gegend bei tiefster Inspiration 45 mm vorgetrieben wurde. Bei
der Exspiration gab sich dio vermehrte Thätigkeit der Bauch¬
muskeln durch das Auftreten einer tiefen epigastrischen Furche
kund. Die Vitalkapazität betrug 2040 ccm, die Grösse eines ge¬
wöhnlichen Athemzuges im Liegen 370 ccm. Es kann also die
Abdominalathmung kompensatorisch beträchtliche Leistungen
vollbringen. Gleichwohl zeigte Patient schon bei massigen An¬
strengungen Dyspnoe, welche sich aber nicht durch Vermehrung,
sondern durch Vertiefung der Athemzüge offenbarte. Dio Zahl
derselben war übrigens auffallender Weise im Liegen regelmässig
grösser (22—24) als im Stehen (20—22 pro Minute). Der Puls
war dauernd beschleunigt (ea. 100) und nahm schon bei lang¬
samem Gehen bis zu 140 Schlägen zu. Vielleicht ist letztere
Thatsacho auf Reizung des Herzens durch die abnorm starken
Zwerchfellexcursionen zurückzuführen. Die bei diesen Kranken
typische Beugung des Rumpfes nach vorn ist jedenfalls zum
Theil abhängig von der starken Anspannung der Bauchmuskula-
tur, welche mit der vikariirenden Vergrösserung der Abdominal-
athmung verbunden ist.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Acadgmie de m6decine.
Sitzung vom 18. Juni 1901.
J a c q u e t und Portes berichten Uber die Urinunter¬
suchungen, welche sie bei der sog. Pelade (Haarausfall) ange¬
stellt haben und fassen sie dahin zusammen, dass meist Polyurie,
Hyperchlorurie, Hypophosphaturie uud -sulfaturie besteht. Die
ßlutuntersuchungen zeigten gleichzeitig verminderten NaCl-Gehalt
des Blutes; therapeutisch erwiesen sich von Vgrtheil bei dieser
Krankheit die NaCl-Injektionen. J. und P. glauben daher, dass
es sich bei der Pelade um die äusserliche Kundgebung einer tief¬
sitzenden Ernährungsstörung des Organismus, besonders einer ab¬
norm starken Ausscheidung von Chloriden handelt.
Lancereaux wandte das Lecithin zur Therapie des Dia¬
betes pancreaticus, ferner bei Kindern mit beträchtlicher Ab¬
magerung an und fand stets bedeutende Zunahme des Körper¬
gewichts wie Besserung des Allgemeinbefindens.
Vlaef f stellt eine Patientin mit Brustkrebs vor, bei welcher
durch die Injektion des Serums von Thieren, die mit Blasto-
myceten behandelt waren, Besserung erfolgte.
Sitzung vom 2. und 9. Juli 1901.
Die Behandlung mit den Cacodylpräparaten.
G a n t 1 e r hat das Anwendungsgebiet der Cacodylmedikatlon.
welches für ihn Anfangs nur die Tu berkulos e wa f, zugleich mit
anderen Aerzten (D anlos und 11 0 n a u l) OTnebllcli erweitert:
bei allen stark schwächenden Krankheiten, wie schwerer An-
aesthesie, Neurasthenie, Hautaffektionen Jeder Art, bei Skrophu-
lose, Syphilis u. s. w. soll sie wirksam sein. Die hypodermatische
Darreichung ist jener per os oder rectum, da sich hier das seht*
giftige Oxyd der Cacodylsäure bilden kann, bei Weitem vorzu¬
ziehen; eine Dosis bis zur Höhe von 0,5 g wird noch ohne irgend
welche Nebenerscheinungen leicht ertragen. G. berichtet über die
zahlreichen Beobachtungen von Tuberkulose iu allen Stadien, bei
manchen Patienten betrug die Gewichtszunahme 20 kg. Bei der
Tuberkulose empfiehlt G. 5 cg pro Tag während der ersten 8 Tage,
dann 8 Tage auszusetzen und wieder von Neuem zu beginnen und
so fort; gleichzeitig Jod- uud Bromkali in der Dosis von 50 cg,
und rätb zu einer phosphat- und eisenreichen Nahrung (Milch,
Eier, Cacno und rohes Fleisch). Auch bei den verschiedensten
Formen von Kachexie, Neurasthenie, Schwächezustilnden war der
rekonstruirende Effekt der Cacodylmedikatlon ein offenkundiger,
stets vorausgesetzt, dass die hypodermatische Injektlou gewählt
wurde. G. schliesst, dass die Cacodylsäure nicht auf eine be¬
stimmte Krankheit wirkt, sondern auf alle schwächenden Zu¬
stände; und zwar ist der Erfolg ein bemerkenswerther, ohne mit
Gefahren verknüpft zu sein. Die einzige Contraindikation bilden
Erkrankungen der Leber. Durch die Vermittlung der Schilddrüse
kommt die Wirkung der Cacodylsäure zu Stande, denn in diesem
Organ allein findet man normaler Weise Arsenik in ziemlicher
Menge, ist hier mit Jod verbunden und die gleichzeitige Dar¬
reichung von Jod unterstützt die CacodylWirkung.
Sitzung vom 10. J u 1 i 1901.
Zur Contaglosität der Alopecie (Pelade).
Hallopeau bespricht einerseits eine Epidemie von Haar¬
ausfall, welche iu Creusot von Dafontaine beobachtet wurde,
andererseits die neueren Untersuchungen von Jaequo t, welche
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13(56
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 34.
die Holle der Ernährung liervorhebeu und die Coutagiosität be¬
zweifeln. In Anbetracht zahlreicher Epidemien in Familien,
Schulen, Kasernen glaubt H., könne die Austeckungsfilhigkeit der
„Pelade" nicht geleugnet werden. Klinisch verhält sich diese
Affektion wie eine parasitäre Krankheit, sie verbreitet sich durch
lokale Proliferation oder sogen. Autoiuoculatlou. Der noch nicht
bekannte Infektionsträger verbreitet sich nun durch direkte Be¬
rührung; es werden daher (sic!) mit Unrecht diese Kranken aus
den Schulen, Burenux u. s. w. ausgeschlossen. Es ist nur nöthig,
dass sie stets in Behandlung sind und den Kopf bedeckt halten.
Fournier ist allenfalls der Ansicht, dass die strengen
Manssregeln gegen die Pelade eher schädlich wie nützlich sind.
Er vergleicht diese Krankheit mit der Lepra, welche sich bei
St. Louis niemals den Nachbarn der Leprösen initthcllt.
Im Anschluss an diese Discussion wird von der Akademie
eine Kommission zum Studium der Coutagiositiit der sogen. Pelade
ernannt.
Lancereaux stellt 2 Kranke mit Aneurysma des Aorten¬
bogens vor, welche durch Gelatineinjektionen bedeutend
gebessert wurden: die Höhle hat sich verkleinert, die Herzschläge
sind weniger intensiv geworden, das Allgemeinbetinden hat sich
verbessert. Es genügten im Allgemeinen 20 Injektionen, um diese
Besserung herbeizuführen. Nur die „spindelförmigen’* Aneurysmen
widerstünden dieser Behandlungsart.
Boustan - Cannes berichtet über eine Influenzaepidemie
ln Cannes, welche für Typ h u s gehalten worden war. In Wirk¬
lichkeit handelte es sich in den meisten Fällen um Influenza mit
vorwiegenden Darmerscheinungen. wenn man auch bei Einigen
abnorm verlaufendes typhoides Fieber auuehmcn konnte.
Stern.
26. Versammlung des Deutschen Vereins für öffent¬
liche Gesundheitspflege
zu .Rostock am 18., 10., 20. und 21. September 1901.
Tagesordnung.
Dienstag, den 17. September. 8 Uhr Abends: Gesellige Ver¬
einigung zur Begrüssuug im Hotel Fürst Blücher (Blticher-
strasse 23/24).
Mittwoch, den 18. Septemlier. 9 Uhr Vormittags: Erste
Sitzung im grossen Saale des Hötel Fürst Blücher. Tagesordnung:
Eröffnung der Versammlung. Recheuschaftsliericht und geschäft¬
liche Mittheilungen. I. Die örtlichen Gesundheitskommlssioueu
in ihrer Bedeutung für Staat und Gemeinde, sowie für die amt¬
liche Thiitigkeit Tier Mediciunlbenmten. Referenten: Regieruugs-
Uiul Geh. Mediciualratli Dr. lt a p m u u d - Minden, Privatdocent
Dr. Jastrow, Stadtrath (Charlottenburg-llerlin). II. Hygiene
der Molkereiprodukte. Referent: Geh. Mediciualratli Prof. Dr.
L ö f f 1 e r - Greifswald. •— <» Uhr Aliends: Festessen mit Damen
im grossen Saale des Hotel Fürst Blücher (Preis des Gedeckes
ohne Wein 4 M.).
Donnerstag, den 19. September. 9 Uhr Vormittags: Zweite
Sitzung im grossen Saale des Hötel Fürst Blücher. Tagesordnung:
III. Fortschritte auf dem Gebiete centraler Heizungs- und Lüf¬
tungsaulagen für Wohnhäuser und öffentliche Gebäude im letzten
Jahrzehnt. Referent: Landes-Mnseliineningeuieur A. Oslender-
Düsseldorf. IV. Die Bedeutung der hygienisch wichtigen Metalle
(Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel, Zinn und Zink) im Haushalt
und in den Nahrungsgewerbeu. Referent: Prof. Dr. K. B. Leh¬
ma n n - WUrzburg. — Mittagessen nach freier Wahl. — Von
3(4 Uhr Nachmittags Besichtigungen: 1. Städtische Wasser-, Gas-
und Elektrlcitütswerke, 2. neue Schulbauten, 3. Schlachthof,
4. Werft und Mahn & Ohlerich’s Brauerei, 5. Irrenanstalt Gelils-
hcim. (Näheres durch Specialprogramm.) — Abends 7 Uhr: Zwang¬
lose Zusammenkunft auf Mahn & Ohlerich's Keller.
Freitag, den 20. September. 9 Uhr Vonnittags: Dritte Sitzung
im grossen Saale des Hötel Fürst Blücher. Tagesordnung:
V. Strassenbefestigungsinaterialien und Ausführungsarteu. sowie
ihr Einfluss auf die Gesundheit. Referenten: Stadtbaurath
E. G e n z m e r - Halle a/S., Privatdocent Dr. Th. Weyl - Char-
lottenburg-Berlin. — Mittagessen nach freier Wahl. — 3 Uhr Nach¬
mittags: Fahrt nach Warnemünde auf Einladung der Stadt
Rostock. Besichtigung der Hafenbauten. Lust fahrt in See. —
8 Uhr Abends: Rückfahrt auf der Warnow bei Beleuchtung der
Ufer. (Näheres durch Specialprogramm.)
Samstag, den 21. September: Gemeinsamer Ausflug nach
Doberan und Ileiligendamm. (Näheres durch Specialprogramm.)
Das nusgegebene ausführliche Programm enthält die Leit¬
sätze der Referent ?n über die angeführten Themata.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
B o r 1 i n , den 6. August 1901.
Ungesetzliche Approbationen. — 60 jähriges Doctor-
jubiläum.
Nachdem an zwei deutschen Universitäten an zwei Damen,
welche ein schweizerisches und kein deutsches Maturitätszougniss
besassen, die Approbation ortheilt worden war, hatte sich bekannt¬
lich der deutsche Acrztetag und auch die Berlin-Brandenburger
Aorztekammer mit der Frage beschäftigt. Beide Körperschaften
hatten beschlossen, die Reichs- bezw. die Staatsregierung zu er¬
suchen, auszusprechen, dass die Anerkennung eines in der Schweix
erworbenen Maturitätszeugnisses behufs Zulassung zu den medi-
cinisehen Prüfungen unter den heutigen Verhältnissen auch nickt
ausnahmsweise zulässig ist. Die Aorztekammer war aber noch
weiter gegangen und hatte beschlossen, an den Reichstag die
Bitte zu richten, festzustellen, ob in den betreffenden Fällen die
Ertheilung der Approbation nicht im Widerspruch mit der be¬
stehenden Prüfungsordnung erfolgt ist, und eventuell zu ver¬
anlassen, dass die betreffenden Approbationen zurückgenommen
werden. Dieser Beschluss dürfte sich zwar auch in Aerztekreiseu
nicht allgemeiner Billigung erfreuen; bei den Vorkämpferinnen
der Frauenbewegung aber, welche ihn — ganz gegen die Inten¬
tionen der Aorztekammer — als einen gegen die Frauenbestreb-
ungen gerichteten Ilieb ansohen, hat er, wie nicht anders zu
erwarten war, das höchste Missfallen erregt und die Folge davon
war, dass sieh in der Tagespresse unter dem Schlagwort „Unge¬
setzliche Approbationen“ ein wahrer Rattenkönig von Press¬
streitigkeiten entwickelt hat, welche weder von Animosität immer
frei geblieben sind noch sich durch ein Uobermaass von Sach-
kenntniss auszeichneten. Vor Allem ist die Tendenz des Be¬
schlusses gänzlich verkannt worden; er hat mit der Frauenfrage
als solcher gar nichts zu thun. Ob, wie von Einigen behauptet,
von Anderen besrtritton wird, die schweizerische Maturität gegen¬
über der deutschen minderwertliig ist, kann dahingestellt bleiben.
Aber so lange das Abgangszeugniss eines deutschen Gymnasiums
oder Realgymnasiums nicht in der Schweiz zur Zulassung zu den
medicinischen Prüfungen als ausreichend anerkannt wird, sc
lunge müssen wir uns auch dagegen sträuben, dass das schwei¬
zerische Zeugniss dem deutschen gleichgestellt wird. In solchen
Dingen ist immer die Forderung der Reciprocität gestellt worden;
und es ist kein Grund vorhanden, zu Gunsten einiger Weniger
davon Abstand zu nehmen. Die gesetzliche Vertretung der
Aerztc kann cs auch nicht mit Stillschweigen übergehen, da-*
den weiblichen Medicinera Rechte eingoräumt werden, welche
für die männlichen nicht existiren. Selbst die eifrigsten FreunJe
der Frauenbewegung verlangen für die weiblichen Studirende:)
keine Vorrechte vor ihren männlichen Kollegen, in der richtigen
Erkenntniss, dass sie durch den Besitz solcher Vorrechte ihrer
Sache mehr schaden als nützen würden. Schon diese Erwägung
könnte genügen, um zu beweisen, dass der Beschluss der Aerzto-
kainmer sich nicht gegen die Frauenbestrebungen richtet. In
einem anderen Punkte aber ist er mit Recht angegriffen worden.
Das der Kammer erstattete Referat vertrat nämlich die Ansicht,
dass die Ertheilung der betreffenden Approbationen zu Unrecht
erfolgt und darum ungesetzlich sei. Das ist aber ein Irrthum,
denn es existirt ein Beschluss des Bundosraths, welcher den
Reichskanzler ermächtigt, reichsangehürigen weiblichen Per¬
sonen, die vor dem Sommersemester 1899 sich dem medicinischen
Studium an einer Universität ausserhalb des deutschen Reiches
gewidmet haben, behufs Zulassung zu den medicinischen Prüf¬
ungen die Vorlegung des Zeugnisses der Reife von einem hum«-
nistischen Gymnasium mit Rücksicht auf ein ausländisch»*
Reifezeugniss zu erlassen. Dieser Bundesrathsbeschluss war
der Aorztekammer und wohl auch dem Referenten nicht be¬
kannt; aber er besteht zu Recht. Und wenn wir die Ausnahme¬
bestimmungen als gegen die Interessen dos ärztlichen Standes
verstossend auch bedauern, ungesetzlich sind sic nicht. Auf
diesem Standpunkt steht auch, nachdem er von dem Bundosraths-
besehluss Kenntniss erhalten hat, der Vorstand der Aerzte-
katnmer. In der Voraussetzung, dass die Kenntniss dieses Be¬
schlusses auf die Entscheidung der Kammer erheblichen Ein¬
fluss ausgeiibt hätte, sah sich der Vorstand veranlasst, die Aus¬
führung des in der Sitzung vom 25. Juni gefassten Beschlüsse*
auszusetzen und das Thema in der nächsten Plenarsitzung noch¬
mals zu Berathung zu stellen. —
Am heutigen Tage feiert einer der ältesten und ange¬
sehensten Aerzte Berlins, der Geheime Sanitätsrath Dr. Friedrich
Körte, der Vater des bekannten Chirurgen, das seltene Fest
der 60 jährigen Doctorjubiläums. Körte, welcher trotz seiner
83 Jahre sich noeh der vollen geistigen und körperlichen Frische
erfreut, hatte an dem wissenschaftlichen und socialen ärztlichen
Leben stets lebhaften Antheil genommen. Er gehörte im Jahre
1844 mit zu den Begründern der „Gesellschaft für wissenschaft¬
liche Mediein“, welche später im Jahre 1860 mit dem von
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tettEttCÖEttliR MEDICllÄISCfiE WOCÖE^SCÖRIF^.
läff?
20. August 190].
A. v. Graefe begründeten „Verein Berliner Aerzte“ zu der
jetzigen „Medicinischen Gesellschaft“ verschmolz. Auch in dieser
stand Körte an leitender Stelle. An der Gestaltung und Ent¬
wicklung des ärztlichen Vereinslebens in Berlin, sowie auch der
staatlichen Organisation in den Aerztekammern war Körte
in hervorragendem Maasse betheiligt; in den ersten Jahren be¬
kleidete er die Stelle des Vorsitzenden der Berlin-Brandenburger
Aerztekammer. Es sei darum gestattet, dem greisen Jubilar auch
an dieser Stelle unsere wärmsten Glückwünsche entgegenzu¬
bringen. M. K.
New-Yorker Brief.
Zum St. Pauler Aerztecongress und nach Wunderland.
I.
Vom Hudson zum Mississippi.
„Wohlauf, die Luft geht frisch und rein!“
Was würde der ehrwürdige Vater llippokrates gesagt haben,
wenn er den eleganten Extrazug geschaut hätte, welcher seine
Epigonen von Hudsonbabel zum Aerztekongress in St. Paul ent¬
führte! Mit Allem, was modernes Raffinement bietet, wohl aus¬
gerüstet, flogen die mit der Creme der New-Yorker Aerzte-
gemeinde gefüllten Pullmann’schen „Palastwagen“ dem Norden zu.
Das elegante Milieu wäre eine sprechende Illustration zu dem
„Dat Galenus opes“ gewesen, hätten derselben nicht die in
lästigem Echo widerhallenden Klagen über die schlechten Zeiten
als modifizirendes Corrigens entgegen gestanden.
Es war schon spät am Abend, als wir New-Yorker Delegirten,
zum grössten Theil unterder Mentorschaft holdseliger Weiblichkeit,
den Hudson entlang nach unserer Staatshauptstadt Albany — der
ersten Station — gelangten. Feenhaft ergossen sich die Voll¬
mondstrahlen auf den breiten Strom, den amerikanischen Rhein,
welcher an Majestät sein deutsches Vorbild ebenso weit übertrifft
als er in der Romantik hinter ihm zurücksteht. In der Nacht
passiren wir Utica, Rom und Syraeus.
Wie schade, dass unser Schiller niemals Gelegenheit fand,
in diesem urklassischen Dunstkreis neue Inspirationen zu
schöpfen 1
Gegen Morgen erreichen wir die berühmte Bierstadt
Rochester, welche so durch und durch deutsch ist, dass an
manchem Schaufenster angeschrieben steht: „Hier wird englisch
gesprochen“. Deutsche Namen, wie Müller, Schulze, Wagner
und Schmidt prävaliren durchaus auf den Geschäftsschildern.
Der erste Morgenstrahl trifft uns in der Büffelstadt (Buffalo)
an den blauen Ufern des Eriesees. Die eben erst eröffnete pan¬
amerikanische Ausstellung veranlasst einen Theil unserer Gesell¬
schaft zu einem vorübergehenden Aufenthalt. Das Areal der
Ausstellung ist zwei ein halb Mal so gross als dasjenige der Welt¬
ausstellung in Chicago. Die Ausstellungsgebäude sind in moder-
nisirtem spanischen Renaissancestil gehalten und erinnern durch
ihre prächtigen Farbenmischungen an ein grosses Spektrum, so
dass man die Ausstellung nicht ganz mit Unrecht die Regen¬
bogenstadt taufte.
Die Nähe der Niagara-Fälle ermöglichte die Herstellung
einer Elektrizitätsquelle, welche unerreicht dasteht, denn sie ge¬
währt das unerhörte Schauspiel einer Konstellation von einer
halben Million elektrischer Lampen nebst einhundert Schein¬
werfern. Ausserdem ist noch genug Kraft für einen elektrischen
Thurm und einen ungeheuren Lichthof für elektrische Fontänen
übrig geblieben, deren Farbenspiel einzig zu nennen ist.
Der hygienische Theil der Ausstellung ist ganz besonders
sehenswerth und übertrifft die der Chicagoer Weltaussstellung, an
welcher sich, beiläufig erwähnt, auch viele bekannte deutsche
Instrumentenfirmen betheiligt hatten.
Das Entgegenkommen der West-Shore Eisenbahngesellschaft
ermöglichte einen sechsstündigen Aufenthalt am Niagara, so dass
wir eines der grössten Naturschauspiele der Welt wiederum be¬
wundern konnten. Es lohnt sich wirklich, nur um diese Fälle
anstaunen zu können, eine Ozeanreise zu unternehmen. Eine
Beschreibung sollte man gar nicht versuchen, denn weder die
Sprache noch der Pinsel sind im Stande, auch nur entfernt einen
Begriff von der unendlichen Grösse und der beispiellosen Schön¬
heit dieses Naturwunders wiederzugeben.
Wir amüsiren uns auf der kanadischen Seite der Fälle über
unsere englischen Nachbarn, deren puritanische Denkweise sie
doch nicht hindert, uns am heiligen Sonntag den unverschämten
Brückenzoll von 15 Cent pro Kopf (60 Pfg.) abzufordern, worüber
in allen möglichen europäischen und amerikanischen Idiomen
weidlich raisonnirt wurde.
Unser berühmter Landsmann Carl Schurz behauptete ein¬
mal, und nicht ganz mit Unrecht, dass eine der bekanntesten
deutschen Nationaleigenschaften die Lust zum Raisonniren wäre.
Hätte er an jenem Sonntagmorgen mit uns am Niagara gestanden,
so würde er entdeckt haben, dass auch andere Zungen in dieser
manchmal recht erfolgreichen Charaktereigenthümlichkeit ganz
Erkleckliches leisten, denn wir hörten unter anderem Flüche,
welche an den Kjöleu ebenso heimisch sind, als andere am
unteren Absatz des italienischeil Stiefels.
Am Nachmittag ertönte das Abfahrtssignal. Leider mussten
wir den Kollegen Marston, einen unserer meist versprechenden
jungen Orthopäden, im Hotel zurücklassen, da er in der Nacht
plötzlich erkrankt war. Es entwickelte sich, wie wir nachträg¬
lich erfuhren, eine schwere Pneumonie.
Durch lachende Fluren, herrlich grünende Wälder, an tief¬
blauen Seen und freundlichen Dörfern und Gehöften vorbei trug
uns das Dampfross nun weiter dem Norden zu.
Am Abend gelangten wir in das kanadische Städtchen
St. Thomas, wo unser Maitre de plaisir in einer eigenartig idylli¬
schen Anwandlung den Abendimbiss bestellt hatte. Unsere An¬
kunft bedeutete für das kleine Nest ein Ereigniss.
Die Sonntagsruhe in Kanada ist nämlich perfekt. Da der
Gerechte sich bekanntlich seines Viehs erbarmt und man in
Kanada sehr gerecht ist, so lässt sich im Dominium seiner briti¬
schen Majestät nur schwer am Sabbath ein Vehikel auf treiben.
Es gab zwar in diesem arkadischen Viertel eine veritable elek¬
trische Strassenbahn, aber auch diese war am Sonntag an die
Kette gelegt worden.
Einer so distinguirten Invasion konnten jedoch selbst die
braven Kanadier, von welchen wir mit Unrecht in der Schule
lernten, dass sie „Europas übertünchte Höflichkeit nicht kennten“,
nicht widerstehen. Der hohe Magistrat der guten Stadt des
heiligen Thomas hatte ein Einsehen und so vollzog sich dann
das unerhörte Schauspiel, dass die sämmtlichen Tramwagon der
Stadt — es waren 2 an der Zahl — mit ärztlichen Männlein
und Weiblein zum Platzen gepfropft an dem tonangebenden Hotel
der Stadt vorfuhren.
Dort hatte sich namentlich der weiblichen Insassen bereits
eine erhebliche Aufregung bemächtigt. Hinter einem Dutzend
langer, sauber gedeckter Tische standen ebenso viele weissgeklei¬
dete Jungfrauen in jenem lieblichen Alter, von welchem zu
schweigen eine des Berichterstatters angenehmster Pflichten ist.
Nur an das Kopfende einer einzigen Festtafel hatte sich eine
reizende blonde Kanadierin aufgestellt und im Nu, wer weiss
wie das geschah, war sie dicht umschwärmt. Natürlich waren
es die jüngeren Hagestolze, deren scharfer Instinkt ihnen sofort
die pikante Richtung gezeigt hatte.
Unsere Sektion war weniger glücklich. Der Noth gehorchend,
nicht dem eig’nen Trieb’, lancirten wir uns unter die Aegide
eines mittelalterlichen Mägdeleins, deren Formen einen Rubens
mit Nichten begeistert haben würden.
Ihren beinahe zahnlosen Mund — „nur eine morsche Säule
zeugt von vergang’ner Pracht“ — umspielte ein holdseliges
Lächeln, welches in grobem Gegensatz zu den sauer-süssen Phy¬
siognomien unserer Tischgenossen stand.
Während in wüstem Herumrennen eine kongestionirte teller¬
bewaffnete Hebe auf die andere platzte, dass es von zerbrochenem
Geschirr regnete, suchten wir uns bei Roastbeef und Spargeln,
deren spindeldürres Ansehen ein reizendes Pendant zu den For¬
men ihrer Spenderinnen bildeten, mit unserem Schicksal zu ver¬
söhnen.
Geistigen Zuspruch gab es in diesem Mässigkeitsdunstkreis
nicht, so dass Einige Ihre Rechnung mit ihrem ärgsten Feind, ge¬
nannt Aqua vulgaris, machen mussten, um damit ihren stein¬
harten Fisch und Aerger hinunterzuspülen.
Unsere Ceres bat übrigens in rührenden Worten um Ent¬
schuldigung für ihre Aufregung, da sie zum ersten Mal in einer
derartigen Gesellschaft servirte.
Am Tisch des blonden Titianköpfchen3 war es unterdessen
gar wunderlich zugegangen und es schien, als ob es seine
schwersten Batterien aufgefahren hätte. Schwer wurde die Tren-
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MUENCHENER MEDICINISCÖE WOCHENSCHRIFT.
No. 31
130$
nung empfunden und junge und alte Nichtsnutze überboten sich
in Kussbändchen.
Als wir zum Bahnhof zurüekkehrten, hatte die gesammte
Einwohnerschaft Spalier gebildet. Die jungen Burschen johlten
und rosige Mägdelein schwenkten die Taschentücher und er¬
rötbeten bis an die Fussspitzen. Honny soit qui mal y pense!
Golden senkte die Abendsonne ihren Abschiedsgruss auf
die üppigen Kornfelder, als wir uns den grossen Seen näherten,
welche eine natürliche Grenzlinie zwischen dem Kronland und
der grossen Republik ziehen.
Bei der Grenzstadt Windsor schiffte sich unser Zug auf
einem ungeheueren Fährboot ein, welches ihn zu dem gegenüber¬
liegenden Detroit bringen sollte. Es war das erste Mal, dass ich
ein derartiges Trajeet sah und konnte ich nicht genug staunen
über die Einfachheit und die Akkuratesse, mit welcher die Fergen
diesen kolossalen Speditionsmechanismus bemoisterten. Wir ver-
liessen unsere Coupes und berauschten uns auf dem Verdeck der
Fähre an dem feenhaften Anblick, welchen die Wasserfläche, be¬
gossen von dein Silber des Vollmonds und umrahmt von den
Tausenden der elektrischen Bogenlichter, wie sie die Stadt
Detroit ganz einzig aufzuweisen hat, gewährt.
Unter den Flügeln der Nacht durchquerten wir den Staat
Michigan. Die meisten unter uns ruhten bald selig in Morpheus
Armen. Die übliche Minorität liess im Rauchsalon noch einmal
die Ereignisse des Tages Revue passiren. Das Sujet war natür¬
lich St. Thomas mit den zwölf lieblichen Jungfrauen. Sauersüss
lächelnd ulkte ein Confrater den anderen an, nur ein junger
Duckmäuser sass in tiefes Schweigen versunken in der Ecke und
wischte sieh stillvergnügt seinen schneidigen Schnurrbart.
Die rosenfingerige Eos leuchtete zu unserer Einfahrt in die
grosse Stadt der Winde — Ihnen als Chicago bekannt — wo sich
uns einige der Koryphäen am Michigansee zugesellten.
Noch zwei weitere Stunden Fahrt durch den urdeutschen
Staat Wisconsin und die Bieressen Milwaukees grüssten freund¬
lich durch den dämmernden Morgen. Hier wurde unser Sehnen
nach einem soliden Speisewagen gestillt und ein vorzügliches
Frühstück entschädigte uns für die wenig congenialen Fleisch¬
töpfe Canadas. Die letzteren hatten mehreren unserer ver¬
wöhnten New-Yorker so schwer im Magen gelegen, dass um die
Mitternachtsstunde eine förmliche Hedschra entstand. In die
wenig sanftmüthigen Coramentare der nächtlichen Wanderer
mischte sich das verhaltene Kichern des resistenteren tertius
gaudens. Quod dii bene vertantl
Um die Mittagsstunde erreichten wir den Mississippi.
Seit der Kindheit fröhlichen Tagen, als ich die wundersamen
C o o p e Eschen Lederstrumpfgeschichten mit Heisshunger ver¬
schlang, war es ein Herzenswunsch gewesen, den Vater der
Ströme, diesen Brennpunkt indianischer Romantik, von Angesicht
zu bewundern. Fürwahr, er ist es werth, in den Mittelpunkt
poetischer Schilderungen gerückt zu werden! Seine ruhige
Majestät, seine blaue Fluth, seine geheimnissvollen Ufer ver¬
leihen diesem ungeheueren Strom, gegen welchen der alte Vater
Rhein wie ein Waisenknäblein erscheint, ein unaussprechliches
Gepräge und wird man von dem Gefühl andachtsvoller Bewunde¬
rung einfach überwältigt.
Interessant erscheinen die Mississippidampfer, deren ge¬
waltiges Schaufelrad am Ende des Fahrzeugs angebracht ist.
Hier, auf der Route zwischen St. Paul und St. Louis, fand der
geniale Humorist Mark Twain, als er in seiner Sturm- und
Diangperiode den Posten eines Mississippisteuermannes be¬
kleidete, die Anregung zu seinen reizenden Schnurrpfeifereien.
Von der Station La Crosse im ackerbauenden Staate Wis¬
consin spannt sich in ungeheuerem Bogen die berühmte Brücke
nach Minnesota hinüber. Der Brückenbau, ein Triumph der
Ingenieurkunst, war dadurch erleichtert, dass der Mississippi
der Bahngesellschaft die Gefälligkeit erwiesen hatte, sich hier
in drei durch kleine Inselgruppen separirte Arme zu theilen,
so dass der Bau in drei einzelnen Etappen durchgeführt werden
kennte.
In Le Crosse wurde uns von einem alten schnauzbärtigen
Bahnhofsbonzen ein Mittagsmahl verabreicht, dessen Vorzüglich¬
keit in umgekehrtem Verliältniss zu der eigenartigen Derbheit
seines Auftretens stand. Der Preis desselben war enorm niedrig,
und es hiess, dass dieser sonderbare Kauz seine specielle Hoch¬
achtung vor der medicinischen Fakultät auf diese merkwürdig
interessante Weise dokumentiren wollte.
Zu unserer nicht geringen Freude brachte uns hier Herr
Kollege Christiansen aus St. Paul den officiellen Willkomm
seiner Heimathstadt.
Nun ging es an den Ufern des Mississippi entlang, an
blühenden Städten und bewaldeten Bergen vorbei, nach Hastings,
wo unser getreuer Reisemarschall, der bekannte Gynäkologe
W i g g i n, noch einmal Revue passiren liess.
Wyeth, der Präsident der medicinischen Gesellschaft des
Staates New-York (Tags darauf zum Präsidenten der American
Medical Association erwählt) erliess nun eine seiner humordurch-
tränkten Mahnungen. (W y e t h ist Ihnen durch seine Me¬
thode der prophylaktischen Blutstillung bei der Amputation der
Hüfte rühmlich bekannt.) Auf ein ungeheueres Bierfass, nicht
ohne gewaltige Anstrengungen kletternd, welches eigens zu diesem
Zweck von einem Philanthropen dahin tranportirt zu sein schien,
gab er ein Resume unserer so überaus befriedigend verlaufenen
Reise und unserer mannigfachen Abenteuer. Das Leitmotiv
derselben war natürlich wieder die pikante Episode in dem
canadischen Temperenzwinkel.
Ich bin thatsächlich noch nie Zeuge einer so einmüthigen
Uebereinstiinmung von Aerzten unter einander gewesen, als es auf
dieser Wallfahrt der Fall war.
Unter mächtigen Hurrahs, an denen sich auch das sogen,
schwache Geschlecht enthusiastisch betheiligte — ein Salamander
konnte in Abwesenheit des nöthigen Stoffes nicht gerieben
werden — wurde Wyeth von seiner improvisirten Rostra
heruntergeholt. Eine Stunde später dampften wir seelenvergnügt
in die Bahnhofhalle von St. Paul ein.
Carl Beck- New-York.
Verschiedenes.
Ein neues Tonslllotom wird von der Fabrik chirur¬
gischer Instrumente Kühne, Sievers & Neumann in Külu-
Nippes unter dem Namen „schraubenloses Tonslllotom Simplex“
in den Handel gebracht. Wie aus dieser Bezeichnung schon hervor¬
geht, vermeldet das Instrument die Anwendung irgend welcher
Schraube, kann aber doch, in Folge seiner sehr sinnreichen Kon¬
struktion sehr leicht zerlegt und gereinigt und ebenso leicht wieder
zusammengesetzt werden. Die beigefügten Abbildungen lassen
den Bau des Instruments erkennen. Flg. 2 zeigt das Untertbell,
in dieses wird das Messer. Flg. 3. von oben hineingeschoben.
Beide Theile werden durch die Verschlussfeder, Fig. 4, zusammen-
gefügt, indem man den Stift der Feder in die Nute des Unter-
theiis einsetzt und die Feder von rechts nach links mit ihrem
Kopf einspringen lässt. Fig. 5 zeigt die Gabel und Flg. 1 das
gebrauchsfertige Instrument. Belm Auseinandernehmen liebt man
zuerst die Gabel vorue etwas und zieht sie zurück. Darauf wird
die Feder von links nach rechts ausgehoben und das Messer
aus dem Unterthell herausgezogen. Das Tonslllotom hat sich auch
im Gebrauch bewährt und dürfte einen Fortschritt gegenüber den
bisherigen Instrumenten darstelleu.
Unanständiger Praxiserwerb.
Die Genernldlrektlou der k. b. Staatselsenbahnen ersucht uns
unter Bezugnahme auf das ln voriger Nummer dieser Wochen¬
schrift veröffentlichte Circular des prakt. Arztes Dr. F. Seul-
m a i e r um Aufnahme der Mittheilung, dass derselbe seit dem
1. Juli 1. J. aus dem bahn- und kassenärztlichen Dienste ausge-
sebieden ist.
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20. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1369
Therapeutische Notizen.
Ueber das J o d i p 1 n (Merck) liegt eine Reihe weiterer Ver¬
öffentlichungen vor, welche zeigen, dass das Mittel in der That
weiterer Beachtung und Anwendung werth ist. G r o u v e n-Bonn
hat das Präparat ln der Bonner dermatologischen Klinik ange¬
wendet und zwar hauptsächlich im sogen. TertiUrstadlum der
SyphlliB, entweder mittels interner Darreichung von 3 mal täglich
1 Theelöffel des 10 proc. oder mittels subkutaner Einver¬
leibung des 25 proc. Jodiplns. Bevorzugt wurde die Injektions¬
therapie. Die Resultate waren im höchsten Grade zufrieden¬
stellend, nlemalB traten Erscheinungen von Jodismus oder sonstige
Uuzutriiglickkeiten ein, der therapeutische Erfolg entsprach voll¬
kommen dem einer energischen Jddkalibehandlung. (Areli. f. Der¬
matol u. Sypli. LVII. Bd., 1. u. 2. H.) — Versuche ln der Bins-
wange Fachen Klinik ln Jena zeigten ebenfalls, dass das Jodipin
den Vorzug vor allen anderen Jodmitteln verdient. Die subkutane
Anwendung erschien als die bequemste, sicherste, wirksamste und
den Patienten ln keiner Weise belästigende Form des Gebrauches.
Jodismus trat nicht oder nur ganz unbedeutend auf. Nach den
Erfahrungen B 1 n s w a n g e r’s wirkt das Jodipin günstig bei
allen tertiären gummösen Formen der Syphilis cerebrl und der
8yphili8epilep8le, soweit dieselbe auf gummösen Processen in den
Meningen oder der Gefässwand beruht. Bei Fällen postsyphiliti-
scber Erkrankungen, bei der Tabes und der progressiven Paralyse
vermag es langdauernde weitgehende Remissionen zu bewirken,
wenn die Fälle noch frisch sind und es sich um Mischformen des
diffusen degenerativen Hirnrindenprocesses mit gummösen Neu¬
bildungen handelt. Vielleicht kann auch in früheren Stadien der
Erzeugung des Syphilistoxins und damit dem weiteren Fort¬
schreiten der durch das Syphilisgift verursachten degenerativen
Erkrankung Einhalt gethan werden. Bei älteren Fällen von pro¬
gressiver Paralyse ist die Jodipinbehandlung wirkungslos.
fW anke: Erfahrungen Uber die Anwendung des Jodipins. Cor-
resp.-Bl. d. Allg. ürztl. Ver. von Thüringen, 1001, No. 6 u. 7.)
Meyer- Badenweller sah günstige Wirkung von der inneren Dar¬
reichung des Jodipins bei Struma (Deutsch. Aerzteztg. 1901, H. 14).
Baum- Halle resumirt in einem Bericht Uber die Anwendung und
therapeutischen Indlcationen des Jodipin (Therap. Monatssclir.
1901, Juni) dahin, dass das Jodipin überall da anzuwenden ist,
wo Jodkali am Platze ist, namentlich aber da, wo dieses schlecht
vertragen wird, wo es versagt oder wo Abwechslung ln der Be¬
handlung erwünscht ist. R. S.
10proc. Lysoform-Dermosapol bei Psoriasis
fviin d jjppu8. Rohden-Bad Lippspringe empfiehlt in No. 32
der Deutsch, me d. Wo chen sehr, auf das Angelegentlichste die t An¬
wendung det* Dermosapötpräparate (neutraler Leberthrause’ifen-
bnlsam bei Psoriasis, sowie tuberkulösen und skrophulöseu Haut-
affektionen. Insbesondere hat sich ihm das lOproc. Lysoform-Dermo-
sapok welches sich durch relative Reizlosigkeit und angenehme
Anwendungsweise etc. auszeichnet, bei einer Anzahl von hart¬
näckigen Psoriasis- und Lupusfällen sehr bewährt. Der Heilungs-
process schreitet hiebei vom Centrum nach der Peripherie fort, so
dass zuletzt nur noch ein wallartlger Rand bleibt, der bei fort¬
gesetzter lokaler und allgemeiner Inunctlon (täglich 2 mal ein
Theelöffel eine Minute lang auf Brust, Bauch und Rücken) ver¬
schwindet. F. L.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 20. August 1901.
— Die ärztlichen Bezirksvereine in Leipzig
haben wegen des einseitig das Interesse der Knsse wahrnehmeuden
Verhaltens der k. Kreishauptmannschaft beim Zustandekommen
und bei der Annahme des neuen Vertrages mit der Ortskranken¬
kasse eine Beschwerde an das Ministerium des Innern gerichtet.
Diese Beschwerde wurde von dem Ministerium des Innern mit der
Eröffnung abgewiesen, dass die Regierung keinen Anlass sehe, der
Krelsbanptmannschaft Oberaufsichtswegen entgegenzutreten. In
der Verfügung heisst es u. a., wenn auch die Bezirksvereine das
gesetzlich gewährleistete Recht hätten, die Interessen der Aerztc
thutkräftig wahrzunehmen, so sei es doch andererseits dringend zu
wünschen, dass dabei und zwar ebenso im allgemeinen, wie im
Interesse der Aerzte selbst, ein schroffes, der Nachgiebigkeit er¬
mangelndes Vorgehen möglichst vermieden werde. In dieser
Schlussbemerkung erblicken die ärztlichen Bezirksvereine einen
gegen sie gerichteten Vorwurf, gegen den der Bezirksvercln Leip¬
zig-Stadt in seiner letzten Versammlung in einer neuen Eingabe
an die Regierung zu protestireu beschlossen hat. Die Eingabe
lietont, dass die Bezirksvereine an dem Streit keine Schuld trügen,
dass aber dem Krankenversicherungsamte der Stadt Leipzig der
Vorwurf gemacht werden müsse, den Ausbruch des Konfliktes, auf
den es rechtzeitig aufmerksam gemacht worden sei und den es auf-
zuhalten in der Lage gewesen sei, seinerseits direkt verschuldet
zu haben. — Auch diese Eingabe wird auf das Ministerium schwer¬
lich grossen Eindruck machen. Die sächsischen Aerzte haben, wie
die Ereignisse der letzten Jahre immer wieder gezeigt haben, bei
ihren Bestrebungen zur Verbesserung ihrer Lage auf Unterstützung
seitens der Regierung nicht zu hoffen; die staatliche Organisation
erweist sich ihnen geradezu als Hemmschuh. Mehr als irgendwo
anders im Reich sind in Sachsen die Aerzte auf Selbsthilfe
angewiesen. Es ist kein Zufall, dass der wirtbschaftlicho Verband,
der In nichtstaatlicher Organisation die Aerzte zum wirthschaft-
lichen Kampfe zu einen sucht, gerade in Sachsen in’s Leben ge¬
treten ist.
— Pest. Aegypten. In der Zeit vom 26. Juli bis 2. August
wurden in Zagazig 2 Pesterkrankuugen (kein Todesfall), ln Ale¬
xandrien 0. in Port Said 2 festgestellt. — Britisch-Ostiudlen.
Während der am 12. Juli abgelaufenen Woche wurden in der
Präsidentschaft Bombay 1447 Pesterkrankuugen und 1105 Test-
todesfülle festgestellt. In der Stadt Bombay zählte man während
der am 13. Juli endenden Woche 78 Neuerkrankungen und 79
Todesfälle an der Pest, ausserdem wurden 166 Sterbefälle als
peetverdüchtig bezeichnet; gestorben sind insgesammt 692 Per¬
sonen. — Hongkong. Während der vier Wochen vom 8. Juni bis
6. Juli sind in der Kolonie 151—155—62—47 Erkrankungen und
151—152—61—46 Todesfälle an der Pest amtlich bekannt geworden.
Die starke Ausbreitung, welche die Pest in der Kolonie gefunden
hat, wird auf den Widerstand der chinesischen Bevölkerung gegen¬
über den Massnahmen der Regierung zurückgeführt. Die Chinesen
verabscheuen europäische Krankenbehandlung und wollen diePest-
leichen nur nach eigenen religiösen Bräuchen bestattet wissen;
mehr als 70 000 Chinesen sollen die Kolonie bereits verlassen
haben. — Kapland. In der am 13. Juli abgelaufeneu Woche
wurden in der ganzen Kolonie 8 Pesterkrankuugen angezeigt;
die Zahl der an Pest Gestorbenen, elnschl. der aufgefundenen
Leichen, betrug 3. — Brasilien. Von den 3 ln Rio de Janeiro am
5. Juli festgestellten Pesterkrankungen ist eine tödtlich ver¬
laufen. — Queensland. Am 28. Juni wurden wieder 2 Neuerkrank¬
ungen, darunter eine mit tödtlichem Ausgange, angezeigt. —
Britlsch-Ostindlen. In Kalkutta erkrankten und starben in der
Zeit vom 30. Juni bis 6. Juli 15 Personen an Pest.
— In der 31. Jahreswoche, vom 28. Juli bis 3. August 1901,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Beuthen mit 50,4, die geringste Koblenz mit 11,4
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern in Borbeck, Ludwigshafeu;
an Unterleibstyphus ln Freiburg.
(Hoch8chulnacli richten.)
Berlin. Prof. Dr. med. R. Renvers, Direktor des
Berliner städtischen Krankenhauses Moabit, der die Kaiserin
Friedrich behandelt hat, ist zum Geh. Mediciualrath ernannt
worden.
Heidelberg. Prof. Dr. Marwedel, Assistent an der
chirurgischen Klinik, wurde als Nachfolger von Prof. Dr. Müller
zum chirurgischen Oberarzt des Louisenhospitales zu Aachen er¬
wählt.
Rostock. Prof. Dr. Willi. Müller, Oberarzt der Chirurg.
Abtheilung des Louisenhospitals zu Aachen ist als Direktor der
chirurgischen Klinik und ordentlicher Professor der Chirurgie au
die Universität Rostock berufen und wird diesem Rufe Folge
leisten.
Bologna. Der ausserordentliche Professor der Materia
medica und Pharmakologie Dr. J. N o v i wurde zum ordentlicheu
Professor ernannt.
Löwen. Dem Professor van Gebuchten wurde der
belgische Fünfjahrespreis für medicinische Forschungen im Be¬
trage von 5000 Fr., und zwar für seine Untersuchungen über das
Gehirn und das Rückenmark verliehen.
Rennes. Dr. Laurent wurde zuin Professor der Phar-
macie, Dr. Lenormand zum Professor der medicinlschen
Schule ernannt.
Rouen. Dr. Bataille wurde zum Professor der Ana¬
tomie ernannt.
(Todesfälle.)
Der Privatdocent für Psychologie Dr. med. A. A. Tokarskl
in Moskau, 42 Jahre alt.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Gestorben: Dr. v. Wächter in Memmingen, 80 Jahre alt.
Amtlicher Erlass.
CB a y e r n.)
No. 10 849 b. München, den 27. Juli 1901.
K. Staatsministerinm des Innern.
Betreff:
Die Verhandlungen der Aerztekammern im Jahre 1900.
Auf die Verhandlungen der Aerztekammern Bayerns vom
29. Oktober 1900 ergeht nach Einvernahme des K. Obermedicinal-
ausschusses nachstehende Verbescheidung:
1. Sümmtliche Aerztekammem haben die Bitte gestellt, die
K. Staatsregierung möge ihren Einfluss geltend machen, dass beim
nächsten Zusammentritt der Kammer der Abgeordneten die baye¬
rische Aerzteordnung sobald als möglich zur Beratliung gestellt
werde.
Das K. Staatsministerium des Innern wird nicht ermangeln,
diesen Wunsch nach Thunliehkeit in Bedacht zu halten.
2. Sümmtliche Aerztekammem haben aus Anlass der König¬
lich Allerhöchsten Verordnung vom 17. Dezember 1899, den Voll¬
zug des Impfgesetzes betreffend, die Bitte gestellt, dass vor dem
Erlass ähnlicher für den Aerztestand wichtiger Bestimmungen
jedesmal die Aerztekammem oder der erweiterte Obermedicimil-
ausscliuss gutachtlich einvemonimen werden.
Dem seither schon festgebaltenen Grundsätze, hoi allen wich¬
tigeren Maassuahmen auf dem Gebiete der Sanität'Verwaltung
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1370
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
die ärztlichen Vertretungen vorher gutachtlich zu hören, wird auch
in Zukunft Rechnung getragen werden, insoweit nicht etwa be¬
sondere Dringlichkeit solches unthunlich erscheinen lassen sollte.
3. Dem von allen Aerztekammern mit Ausnahme der Kammer
der Oberpfalz und von Regensburg gestellten Anträge, dass alle
wichtigeren zu erlassenden Gesetze. Verordnungen, olrerpollzel-
liehen Vorschriften und Entsehliessungen auf ärztlichem Gebiete
Jedem Arzte durch unentgeltliche Zusendung eines Abdruckes zur
Ivenntniss gebracht werden, oder dass den Bezirksvereinen die er¬
forderliche Anzahl von Abdrucken zur Verfügung gestellt werde,
kann mit Rücksicht auf die Konsequenzen, welche sich anderen
Berufeständen gegenüber ergeben würden, eine Folge nicht ge¬
geben werden. Es wird Jedoch Vorsorge getroffen werden, dass
von bezüglichen Nummern des Gesetz- und Verordnungsblattes
des K. Staatsrainisteriums des Innern eine grössere Auflage er¬
stellt und verfügbar gehalten werde, so dass ohne besondere
Schwierigkeit und ohne grössere Auslage Abdrücke durch die Post
bezogen werden können.
4) Mit Ausnahme der Aerztekammer der Pfalz haben alle
Aerztekammern gebeten, es möchte die Bestimmung, dass der Be¬
zirksarzt den Annen seines Bezirkes ärztliche Hilfe unentgeltlich
zu leisten habe, aufgehoben und den Bezirksärzteu gestattet wer¬
den, für Armenbehandlung unter den gleichen Bedingungen wie
die praktischen Aerzte Bezahlung von der zuständigen Armen¬
pflege zu verlangen.
Eine analoge Bitte hat die Aerztekammer von Uuterfranken
und Aschaffenburg auch bezüglich der bezirksiirztlicheu Behand¬
lung erkrankter Gendarmen gestellt.
Diese Bitten wurden zur Keuntniss genommen und werden
weiter in Erwägung gezogen werden.
5. Mit Ausnahme der Aerztekammern von Oberbayern und
der Pfalz haben alle Aerztekammern eine Erleichterung bezüglich
der Erstattung von Jahresberichten durch die eine Staatsanstel¬
lung anstrebenden praktischen Aerzte in Anregung gebracht.
Es liegt im Interesse dieser Aerzte, den zuständigen K. Kreis¬
regierungen und Krei8medicinalausschtt8seu auch durch Einsen¬
dung von Jahresberichten und anderen wissenschaftlichen
Arbeiten Material für die alljährlich stattflndende Qualifikation
zu geben, da letztere bei Beurtheilung der Bewerber um Amts-
arztsstellen von grosser Bedeutung ist.
Mit Rücksicht hierauf kann auf die alljährliche Einsendung
solcher schriftlicher Arbeiten nicht verzichtet werden. Dieselben
bilden aber auch schätzbares Material für den alljährlich er¬
scheinenden Generalbericht Uber die Sanitätsverwaltung im König¬
reiche Bayern, welcher nunmehr als einer der ersten unter den
gleichartigen Berichten der deutschen Bundesstaaten erscheint
und auch in Zukunft möglichst frühzeitig erscheinen soll. Letzterer
Umstand verbietet die Hinausschiebung des Einlieferungstermins
für die erwähnten Arbeiten.
Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, dass grössere
wissenschaftliche Arbeiten mediciuischeu Inhalts in beiden Rich¬
tungen ebenso verwendbar sind, wie die schriftlichen Jahres¬
berichte; es werden daher solche Arbeiten sowie im Druck er¬
schienene Vorträge als den Jahresberichten gleichwertig erachtet
werden.
<5. Der von mehreren Aerztekammern gestellte Antrag, den
Beginn des Unterrichts an den beiden untersten Schulklassen für
die Wintermonate im ganzen Königreich auf 9 Uhr Vormittags
zu verlegen, und der von der Aerztekammer Oberbayerns gestellte
Antrag, das Schuljahr in den Volksschulen mit dem Sommer¬
semester beginnen zu lassen, wurden dem K. Staatsministerium
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten zur zuständigen
Würdigung übermittelt.
7. Die oberbayerische Aerztekammer hat das Ersuchen ge¬
stellt, die in den oberpolizeilichen Vorschriften vom 20. Novem¬
ber 1885 festgesetzten ärztlichen Leichenschaugebühren einer Re¬
vision unterziehen und den Zeitverhältnissen entsprechend er¬
höhen zu wollen.
Demgegenüber kommt jedoch in Betracht, dass sich ein all¬
gemeines Bedürfuis8 in dieser Richtung bis Jetzt nicht ergeben
hat, dass ferner lokale Unbilligkeiten durch besondere Ministerial-
entschliessung beseitigt werden können und thatsächlich beseitigt
werden, und dass einer allgemeinen Erhöhung der Leichenschau’
gebühren gewichtige Bedenken entgegenstehen.
8. Die oberbayerische Aerztekammer hat ferner das Ersuchen
gestellt, die Bestimmung, nach welcher die Leichenschauscheine
20 Jahre lang in der amtsärztlichen Registratur aufzubewahren
sind, dahin abzuändern, dass behufs Ermöglichung einer fort¬
laufenden künftigen Orts-Mortalitiitsstatistik statt der losen,
schwer zu handhabenden Leichenschausoheine. für deren Auf-
bewaliruug ein Zeitraum von 5 Jahren genügen dürfte, die Leichen¬
schauregister nach Revision durch die Amtsärzte für mindestens
50 Jahre der amtsärztlichen Registratur eiuverleibt werden sollen.
Diese Anregung ist zwar an sich beachteuswerth; derselben
steht jedoch die Rücksicht auf die Bestimmungen des Strafgesetz¬
buches ülH*r die Verjährung der Strafverfolgung entgegen.
9. Die Aerztekammer Niederlmyems hat neuerdings die Bitte
gestellt, den amtlichen Aerzten bei ihren auswärtigen Dienst-
geschiiften Diäten zu gewähren nach Analogie mit nnderen Be-
amtenkategorien.
Bei der bevorstehenden Revision der Allerhöchsten Verord¬
nung vom 20. I)ezeml>er 1875, die Vergütung fiir ärztliche Amts¬
geschäfte betreffend, wird diese Bitte der Würdigung unterstellt
werden.
10. Die Aerztekammer der Pfalz hat den Antrag gestellt, dahin
zu wirken, dass bei der Rerathung der Novelle zum Krankeu-
versicheruugsgesetz in das Gesetz die Bestimmung aufgenommen
No. 34.
werde, dass die Geschlechtskranken auf Kosten der Kranken¬
kassen im Krankenhause nicht nur den Arzt und die Medikamente,
sondern auch die Verpflegung vollständig frei haben sollen.
Die Aerztekammer von Mittelfranken hat ferner die Bitte ge¬
stellt, die Iv. Staatsregierung möge durch ihre Vertretung im
Buudesrathe so weit möglich dahin wirken, dass bei der Neu¬
ordnung der Krankenkassengesetze im nächsten Reichstag in den
vorberathenden Kommlssioussltzuugen auch die Stimme der
Aerzte gehört werde. Dessgleichen möge die K. Staatsregierung
ihre Vertretung im Bundesrath dahin instruiren. dass sie ihre
Stimme zu Gunsten der gesetzlichen Festlegung der freien Arzt¬
wahl In den Krankenkassen abgebe.
Diese Anregungen hüben ^zur vorläufigen Kenntnissnahme
gedient und werden im gegebenen Falle des Weiteren erwogen
werden.
Ein Exemplar der anruhenden 3 Abdrücke gegenwärtiger
Eutschliessung ist dem Vorsitzenden jeder Aerztekammer zur
Kenntnissnahme und geeigneten Verständigung der ärztlichen Be¬
zirksvereine zuzustelleu.
Dr. Prhr. v. FeilitzacL
Generalrapport Uber die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat Juni 1901.
Iststärke des Heeres:
64 084 Mann, — Invaliden, 206 Kadetten, 148 Unteroff.-Vorschdler.
Unter-
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Offizier-
vor-
«chüler
1. Bestand waren am
31. Mai 1901:
1924
—
5
3
im Lazareth:
1090
1
5
2. Zugang:
im Revier:
3036
14
—
in Summa:
4126
—
15
5
Im Ganzon
sind behandelt:
6050
—
20
8
°/oo der Iststärke:
94,4
—
97,1
54,0
dienstfähig:
4286
—
15
6
°/oo der Erkrankten:
708,4
—
750,0
750,0
gestorben:
8
—
—
—
3. Abgang:
°/oo der Erkrankten:
invalide:
1,3
40
_
—
dienstunbrauchbar:
21
—
—
1
anderweitig:
277
—
2
—
.
in Summa:
4632
—
17
7
4. Bestand
bloiben am
30. Juni 1901:
in Summa:
°/oo der Iststärke:
davon im Lazareth:
davon im Revier:
1418
22,1
1001
417
III!
3
14,6
3
1
6,7
1
Von den in Ziffer 8 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten
an; Blutvergiftung (Septikaemio) 1, Unterleibstyphus 1, Lungen¬
tuberkulose 1, Hirnhautentzündung 3, eiteriger Bauchfellentzündung
nach Blinddarmentzündung 1, chronischer Nierenentzündung 1.
Ausserdem starben noch 8 Mann durch Unglücksfall (2 er¬
tranken, 1 erlitt einen Schädelbruch mit Zertrümmerung des Ge¬
hirns).
Der GesammtVerlust der Armee durch Tod betrug demnach im
Monat Juni 11 Mann.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür Mönchen
in der 32. Jahreswoche vom 4. bis 10. August 1901.
Betheiligte Aerzte 189. — Brechdurchfall 25 (30*), Diphtherie»
Croup 10 (4), Erysipelas 12 (6), Intermittens, Neuralgia intern-
— (1), Kindbettfleber 1 (—), Meningitis cerebrospin. — (—),
Morbilli 27 (39), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 1 (—), Parotitis
epidem. 1 (8), Pneumonia crouposa 5 (9), Pyaemie, Septikaeinie
— (—), Rheumatismus art. ac. 12 (6), Ruhr (dysenteria) — (—)»
Scarlatina 4 (8), Tussis convulsiva J2 (12), Typhus abdominalis
4 (1), Varicellen 6 (12), Variola, Variolois — (1), Influenza — (—)»
Summa 120 (128). Kgl. Bezirksamt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle In München
während der 32. Jahreswoche vom 4. bis 10. August 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 2 (2*), Scharlach — (—), Diphtherie
und Croup 1 (1), ßothlauf — (—), Kindbettfleber — (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) — (—). Brechdurchfall 12 (10), Unterleibtyphus
1 (1), Keuchhusten 3 (2), Croupöse Lungenentzündung 1 (1).
Tuberkulose a) der Lungen 17 (23), b) der übrigen Organe 12 (2),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 1 (1), Unglücksfälle 3 (8), Selbstmord l (—)» Tod darch
fremde Hand — (—).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 201 (181), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,9 (18,8), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,2 (10,7).
•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F Lehmann ln München. — Druck von E. Mühlthaler'a Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
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P.C Mflacb. Ucd. Wochenschr. erscheint wJWiontl. HjrT* **) TXTr< I T l7l"\TTilT"> Ztwendungen sind in adrowlren: Für dlo EodacUon
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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
CI. Biialer, 0. Bollinger, H. Corscbnann,
Freibarg 1. B. München. Leipzig.
No. 85. 27. August 1901.
Heraasgegeben von
C. Gerhardt, 6. Merkel, J. t. Michel,
Berlin. Nürnberg. Berlin.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
H. i. Ranke,
München.
F. i. Wlnckel, H. i. Zlenssea,
M ünche n München.
48. Jahrgang.
Originalien.
Ueber die Aetiologie des Erysipels und sein Ver-
hältniss zu den pyogenen Infektionen.
Von Professor Dr. Jordan in Heidelberg.
Die Lehre von derSpecificität des Fehleisen’schen Erysipel¬
streptococcus, seiner Art Verschiedenheit von dem Rosenbach-
schen Streptococcus pyogenes wurzelte in den 80 er Jahren so
tief, dass man die bei Erysipel auftretenden Abscesse und pyaemi-
schen Komplikationen auf Mischiufektion mit dem Str. pyogenes
zurückführte. Das Ergebniss der Thierimpfung bildete das
differentielle Kriterium beider Coccen: trat am Kaninchenohr
Erysipel auf, so lag der F e h 1 e i s e n’sche, entwickelte sich Ei¬
terung, so lag der Rosenbach’sclie Kettencoccus vor.
Diese Annahme der Verschiedenheit beider Coccen eiwies
sich bald als eine irrthümliche. Die Untersuchungen HajekV),
Passet’s'), v. E i s c 1 s b e r g’s “), Doyen’s*), E. Fraen-
k e l’s*), W i d a l’s *) ergaben die völlige Uebereinstimmung beider
Coccen in morphologischer Hinsicht. Eiseisberg gelang es
ferner mit Reinkulturen des Str. pyogenes am Kaninchenohr
typisches, auch histologisch mit dem echten übereinstimmendes
Erysipel hervorzurufen und Doyen, E. Fraenkel, Meie-
rowitsch’) und W i d a 1 gelangten zu gleichen positiven Re¬
sultaten. Die beiden letztgenannten Forscher konnten umge¬
kehrt mit Erysipelstreptococoen Eiterung hervorrufen.
W i d a 1 kam auf Grund seiner Thierversuche zu der Ueber-
zeugung, dass die Differenz beider Mikroben nur in der verschie- J
denen Virulenz liege. Die Resultate der Thierversuche sprachen
somit ebenfalls für die Identität. Zum strikten Nachweis der '
letzteren konnte noch der Beweis der Uebereinstimmung beider 1
Coccen in ihrer pathogenen Wirkung beim Menschen gefordert
werden.
Die Frage, ob der Erysipelcoccus als solcher beim Menschen
auch Eiterung hervorrufen könne, wurde von II offa*), Eiseis¬
berg "), Simone 1 ®), Noorden “), W i d a 1 u ), B u m m “),
Petruschky“) in bejahendem Sinne beantwortet, da es ihnen
*) Hajek: Das Verhültnlss des Erysipels zur Phlegmone.
Wien. med. Presse 1886.
*) Passet: Ueber Mikroorganismen der eitrigen Zellgewebs¬
entzündung des Meeschen, Fortschritte der Medlcin 1885.
*) v. Eiseisberg: Nachweis von Eryslpelcoccen ln der
Luft Chirurg. Krankenzimmer. Areh. f. klin. Chirurg. Bd. 35.
*) Doyen: Rapports, qui unlsseut l’Grysipöle et la flövre
puerpörale. Paris 1888.
•) E. Fränkel: Zur Lehre von der Identität des Strept.
pyog. und erysipel. Centralbl. f. Bacteriol. Bd. 4.
*) W I d a 1: Etüde sur l’infection puerpörale, la phlegmatia
alba dolens et rSrysipfde. Paris 1889.
T > Meierowitsch: Zur Aetiologie des Erysipels. Central¬
blatt f. Bacteriol. Bd. 3.
*) Hoffa: Bacteriol. Mittheilungen aus der Chirurg. Klinik
Würzburg. Fortschritte der Medlcin 1886.
*) 1. c.
**) Simone: Centralbl. f. Chirurg. 1885.
") Noorden: Ueber das Vorkommen von Streptococcen im
Blut bei Erysipel. Münch, med. Wochensclir. 1887.
Widal: 1. c.
”) Bumm: Die puerperale Wundinfektion. Centralbl. f.
Bacteriol. Bd. 2 ,1887.
“) Petruschky: Untersuchungeu über Infekt, mit pyog.
Coccen. Zeltschr. f. Hygiene Bd. 18.
No. 3Ü.
gelang, aus den bei Erysipel auftretenden Abscessen Strepto¬
coccen rein zu züchten, die am Kaninchenohr typisches Erysipel
hervorriefen. Durch den von Pfuhl“) und Petruschky
erhobenen Befund von Streptococcen im kreisenden Blut wurde
ferner der Nachweis erbracht, dass auch die Allgemeininfektion
und die Metastasen durch den in die Blutbahn übertretenden
Erysipelcoccus bedingt werden.
Durch Impf versuche Petruschky’s und durch klinische
Beobachtungen ist sicher festgestellt, dass der aus Eiter gezüch¬
tete Str. pyogenes auch beim Menschen typisches Erysipel zu er¬
zeugen vermag. Zu therapeutischem Zweck nahm Petruschky“)
bei 2 Frauen, die an inoperablem Carcinomrecidiv der Mamma
litten, eine kutane Impfung mit Reinkulturen eines von eiteriger
Peritonitis (puerperalis) stammenden Streptococcen vor und er¬
zeugte typisches Erysipel, das in dem einen Fall einen schwereren,
in dem anderen einen leichteren Verlauf nahm, in beiden aber
zur Heilung gelangte. Durch diese positiven Impfversuche war
die Beweiskette bezüglich der Identität des Str. erysip. und pyo¬
genes geschlossen.
Eine fast einem Experiment gleichkommende klinische Be¬
obachtung wurde von S i p p e 1 IT ) 1898 mitgetheilt: Bei einer
I. Para, deren behandelnde Hebamme kurz vor der Geburt einen
Wundverband bei Erysipel gemacht hatte, stellte sich eine schwere
Puerperalinfektion mit linksseitiger Parametritis und Peritonitis
ein und es entwickelte sich unter hohem Fieber ein parametri-
tischer Abscess, der durch breite Incision oberhalb des Poupart-
schen Bandes entleert wurde. An der Incisionsöffnung trat zwei
Tage nach dem Eingriff ein Erysipel auf, das sich über den
Bauch, Rücken und die Oberschenkel ausbreitete. Der durch
die Hebamme übertragene Erysipelcoccus hatte also zunächst in
dem parametranen Bindegewebe zur Eiterung und dann, als ihm
die Möglichkeit gegeben war in die Lymphspalten der Cutis ein¬
zudringen, wieder zu Erysipel geführt. Sippel selbst führte
übrigens merkwürdiger Weise diese, die verschiedene Wirkungs¬
fähigkeit des Streptococcus auf’s schärfste illustrirende Beob¬
achtung gegen die Entscheidungsversuche Petruschky’s in’s
Feld, indem er geltend machte, dass es sich bei der eiterigen
Parametritis Petruschky’s um' Erysipelstreptococcen gehan¬
delt haben könne, die nicht selten die Träger der puerperalen In¬
fektion seien und dass desshalb die Erysipel erregende Wirkung
dieser Streptococcen nichts Auffälliges habe. Diese etwas so¬
phistische Auffassung beweist, wie tiefe Wurzeln die Specifitäts-
lehre geschlagen hatte und mit welcher Zähigkeit die Anhänger
derselben ihre Position vertheidigten.
Petruschky“) theilte 4 Beobachtungen mit, aus denen
hervorgeht, dass in direktem Anschluss an einen Streptococcen -
Eiterungsprocess echtes Erysipel sich entwickeln kann. Im ersten
seiner Fälle breitete sich ein Erysipel von der Incisionswundc
einer eiterigen Mastitis, im zweiten Fall von der spontan ent¬
standenen Perforationsöffnung eines Mammaabsceeses aus; im
Blut fanden sich Streptococcen. In einem dritten Falle handelte
es sich um ein von ulcerirten Varicen des Unterschenkels aus-
,a ) Pfuhl: Zeltschr. f. Hygiene Bd. 12.
ie ) Petruschky: Entseheidungsvorsuche zur Frage der
Speelfltät des Erysipolcoceus. Ebenda Bd. 23.
”) Sippel: Die Specifltüt des Eryslpelstreptococeus. Deutsch,
med. Woelieusobr. 1898.
”) Zeltschr. f. Hygiene Bd. 18.
1
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
1372
gehendes Erysipel des ganzen Beines mit multiplen Abscessen: im
kreisenden Blut, im Abscesseiter und in der erysipelatösen Haut
wurden Streptococcen nachgewiesen, die am Kaninchenohr Ery¬
sipel hervorriefen. Iin letzten Falle endlich ging das Erysipel
von einer Nekrose am Oberarm aus. In allen diesen Fällen
zeigten die Streptococcen des Erysipels den gleichen Virulenz¬
grad, wie die des Eiterherdes.
Lauz '“) beobachtete das Auftreten eines Erysipels im An¬
schluss an die Eröffnung eines durch Streptococcen verursachten
osteomyelitischen Entzündungsherdes des Femur und nahm an,
dass das Erysipel durch Infektion der Hautlymphspalten bei der
Incision entstanden sei. Einen weiteren Beweis für-die Identität
liefert die Beobachtung M e n 61 r i e r’s “): Ein Arzt, der ein
frisch operirtes Streptococcenempyem verband, kratzte sich beim
Verbandwechsel mit dem Fingernagel am äusseren Gehörgang
und erkrankte am Abend des nächsten Tages an Erysipel; die
bacteriologische Untersuchung des Empyemeiters ergab eine sehr
schwache Virulenz des Streptococcus.
Die frühere Annahme einer .gewissen Unfehlbarkeit der
Wirkung des Erysipelcoccus hat sich nicht bestätigt, es ergab
sich vielmehr, dass hinsichtlich seiner Wirksamkeit keinerlei
Konstanz besteht. Die beim Menschen zur Heilung von malignen
Tumoren mit Erysipelstreptoeoccen ausgeführten Impfungen
fielen öfter negativ als positiv aus, Petruschky”) hatte
mehrere Misserfolge aufzuweisen und konnte auch durch Steige¬
rung der Virulenz seiner von echtem Erysipel stammenden Rein¬
kulturen kein positives Resultat beim Menschen erzielen.
Koch und Petruschky“) stellten ferner fest, dass ver¬
schiedene Menschen sich bei Erysipelimpfungen demselben
Streptococcus gegenüber durchaus verschieden verhalten, eine
individuelle Verschiedenheit in der Widerstandsfähigkeit besteht.
So verliefen z. B. 5 Impfungen bei einem sarkomkranken
Manne ergebnislos, obwohl Petruschky die gleichen Rein¬
kulturen von Str. pyogenes, die, wie erwähnt, bei 2 Frauen
typisches Erysipel erzeugten, verwandte.
Angesichts des erdrückenden Beweismaterials konnte die
Specificität des Erysipelerregers nicht mehr aufrecht erhalten
werden und es wird in der That in allen modernen Lehr- und
Handbüchern anerkannt, dass das Erysipel durch den
gewöhnlichen Streptococcus pyogenes hervor¬
gerufen wird. Zum Zustandekommen der erysipelatösen
Hautentzündung ist in erster Linie ein bestimmter Virulenzgrad
der Streptococcen, eine Art „specifischer Virulenz“ erforderlich,
sodann müssen die Coccen Gelegenheit haben, in die Lymph¬
spalten der Cutis einzudringen.
Dieser zur Erysipelerzeugung nöthige Virulenzgrad der
Streptococcen lässt sich an Reinkulturen künstlich gewinnen.
W i d a 1 **) liess den aus Eiter gezüchteten Streptococcus durch
den Kaninchenkörper passiren vermittels intravenöser Injektion;
das Thier ging an Allgemeininfektion zu Grunde; die aus seinem
Herzblut kultivirten Streptococcen erzeugten nun am Kaninchen¬
ohr Erysipel.
In ähnlicher Weise gelang es Petruschky“) die Viru¬
lenz eines aus septischer Tuberkulose gezüchteten, für Kaninchen
zunächst völlig avirulenten Streptococcus durch wiederholte Thier-
passagen so zu steigern, dass er bei der Impfung geringer Mengen
am Kaninchenohr zunächst ein typisches Erysipel, nach weiteren
Passagen aber eine tödtliche Allgemeininfektion bewirkte.
Nachdem die Specificität des Erysipelcoccus widerlegt war,
suchte man für das Erysipel noch eine gewisse Art von Specificität
zu retten, indem man annahm, dass ausschliesslich der
Streptococcus pyogenes die Fähigkeit habe,
erysipelatöse Hautentzündung zu erzeugen.
Die neuesten Bearbeiter des Erysipels: L e n h a r t z”), N e i s s e r
”> L a n z: Erysipel im Anschluss an Osteoinyel. streptomyk.
femoris. Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte 1890.
-°) MGnetrier: Gazette hebdomadaire de Medicine et de
Chirurgie 1898.
21 ) 1. c. Zeitschr. f. Hygiene Bd. 23.
Koch u. Petruschky: Beobachtungen über Erysipel-
impfungen am Menschen. Zeitschr. f. Hygiene Bd. 23, 1890.
=*) 1. c.
u ) Petruschky: Krankheitserreger und Kmnkheitsbild.
Zeitschr. f. Hygiene Bd. 3(5, 1901.
**) Lenliartz: Erysipelas und Erysipeloid. Nothnagei's
spoe. rat hol. u. Therap. III. Bd., III. Th., 1899.
und Jadassohn“), Kleinm") vertreten den Standpunkt,
dass der Streptococous als alleiniger Erreger anzusehen sei und
Klemm bezeichnet das Erysipel direkt als Streptoraykose der
Haut, als Lymphangoitis capillaris streptomycotica. Da die
anderen, nicht specifischen pyogenen Infek¬
tionskrankheiten, wie die Osteomyelitis acuta, die
Pyaemie und Sepsis nicht durch einen bestimmten,
sondern durch die verschiedenartigsten pyo¬
genen Batterien verursacht werden, müssen
wir prüfen, ob das Erysipel in der That eine
solche Ausnahmestellung einnimmt.
Beim Erysipel handelt es sich um eine seröse Entzündung,
die keine dauernde Schädigung des befallenen Gewebes berbei-
führt. K l.e m m behauptet nun, dass die Streptococcen in erster
Linie die Erreger der serösen Entzündung seien, in dem be¬
fallenen Gewebe eine Reihe pathologischer Vorgänge erzeugen,
die im Wesentlichen in einer sehr bedeutenden Hyperaemie und
Transsudation bestehen. Spielt sich die Entzündung an der
Oberfläche der Gewebe ab, so kann sich das Transsudat vertheilen
und die erkrankten Gewebe werden in ihrer Ernährung nicht be¬
einträchtigt. So zeigt sich nach Klemm an allen serösen
Häuten und an der Synovialis der Gelenke die Streptomykose
in Form von seröser oder sero-fibrinöser Entzündung. Im Gegen¬
satz dazu steht die Wirkung der Staphylococcen, die den von
ihnen befallenen Boden unter starker Eiterung zerstören. Spielt
sich die Streptococcenentzündung in Geweben ab, die von festen
Faseienwändcn eingescheidct sind, wie z. B. im intramusculäreu
Bindegewebe oder in den Lymphdrüsen, so kommt cs in Folge des
steigenden Druckes des Transsudates, das nicht ausweichen kann,
zu nekrotischer Zerstörung grösserer oder kleinerer Gewebs-
abschnitte und zur Bildung einer dünnflüssigen eiterähnlichen
Jauche. Der Grund des differenten Verlaufes der Streptococcen -
infelction liegt nach Klemm in mechanischen Momenten des
infizirten Gewebes. Oberflächenerysipel und intramuskuläre
Phlegmone sind demnach absolut gleichartige und anatomisch
gleichwertige Processe. Die Staphylococcen schmelzen in der
Regel ganz unabhängig vom Gewebsdruck und den anatomischen
Spannungen den besiedelten Boden unter Bildung eines dicken
rahmigen Eiters ein, die Coccenwirkung ist demnach eine prin-
cipiell verschiedene.
Diese Anschauungen K1 e m m’s sind leicht zu widerlegen,
da sie im Widerspruch mit den thatsächlichen Verhältnissen
stehen. Die Behauptung, dass die Streptococcen keine
reine Eiterung hervorriefen, ist unrichtig: eine Reihe von Em¬
pyemen, eitrigen Arthritiden, von para- und perimetritischen
puerperalen Eiterungen, von osteomyelitischen Abscessen sind
durch Reinkulturen von Streptococcen bedingt, beim Erysipel
selbst werden nicht selten subkutane, durch den Krankheitserreger
selbst verursachte Eiterungen beobachtet; ein Theil der absce-
direnden Phlegmonen verdankt einer Streptococceninfektion die
Entstehung. In vielen Fällen ist es unmöglich, bei der Operation
aus der Beschaffenheit des Eiters auf die Natur der veranlassen¬
den Coccen zu schliessen. Auf der anderen Seite ist es sicher¬
gestellt, dass die Staphylococcen nicht nur eitrige, sondern auch
se röse und nekrotisirende Entzündungen veranlassen können. In
den serösen Pleuraexsudaten, in dem serösen Inhalt entzündeter
Gelenke, in dem Exsudat der Periostitis albuminosa, bei der
sklerosircnden Form der Osteomyelitis, bei nicht eitrigen Drüsen¬
entzündungen wurden Staphylococcen als alleinige Erreger nach¬
gewiesen ”).
In gleicher Weise, wie man das Erysipel als Streptomykose
erklärte, suchte man die akute Osteomyelitis auf alleinige Rech
nung der Staphylococcen zu setzen. Gegenüber meiner Defini¬
tion dass die akute Osteomyelitis eine Pyaemie der Ent¬
wicklungsperiode sei, durch die Einwirkung jedes pyogenen Mi¬
kroben entstehen könne und sich von den akuten Entzündungen
anderer Gewebe nur durch ihre Lokalisation unterscheide, machte
Curt M ülle r 30 ) geltend, dass die durch Streptococcen, Pneuino-
28 ) Nelsser und Jadassohn: Die Krankheiten der Han?.
Handbuch d. prakt. Med. von Ebstein und Schwalbe, III. Bd..
II. Theil, 1901.
2J ) Klemm: Ueber das Verhältnis« der Erysipels zu den
Streptomykosen. Mitthell, aus den Grenzgebieten d. Merl. u.
Chirurg. 1901, Bd. 8. 3. Heft.
=s ) siehe Jordnn: Die akute Osteomyelitis. Brun’6 Boitr.
zur klin. Chirurg. Bd. X, II. 3.
*) 1. c.
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27. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT,
1373
coccen, Typhusbacillen im Knochen hervorgerufenen Verände¬
rungen nicht mit den durch Staphylococcen erzeugten Processen
übereinstimmten, dass dieselben vielmehr in das Gebiet der Ostitis
lind Periostitis gehörten; Müller hielt die einheitliche Aetio¬
logie der akuten Osteomyelitis aufrecht. Ihm schloss sich neuer¬
dings Klemm* 1 ) an, der die Veränderungen am Knochen bei
der Streptococceninfektion für viel geringfügiger, als bei dev
Staphylomykose erklärte und die bei letzterer auftretende, fort¬
schreitende Markphlegmone vermisste. Wenn auch zugegeben
werden muss, dass die Streptococceninvasion häufiger zu corti-
calen Herden, zu Herden an den Epiphysen, zu Epiphysenlösung
und Gelenkergüssen führt, so muss auf der anderen Seite hervor¬
gehoben werden, dass dieser Unterschied in der Wirkungsweist!
beider Coccen kein durchgreifender ist. Lexer*) beschrieb
einen Fall von Streptococcenosteomyelitis des Darmbeins, bei dem
die Knochenaffektion vollständig dem Typus der Staphylomykose
entsprach und bei seinen Thierversuchen mit Streptococcen er¬
hielt Leier”) ein Präparat der Tibia, das keine Differenzen
gegenüber den Staphylococcenpräparaten aufwies. Es geht ferner
aus der Beobachtung II e r z o g’s **) hervor, dass auch die Sta¬
phylococcen sich ausschliesslich an den Epiphysen lokalisiren und
neben den Epiphysenherden Gelenkeiterungen hervorrufen
können.
Ein 17. Monate alter Knabe erkrankte im Anschluss an Schar¬
lach, Diphtherie und Pneumonie an einer Staphylomykose mit
osteomyelitischen Herden und Vereiterung des Schultergelenkes,
ausgehend von einer Epiphysenlösung des Humerus. Bei der Sek¬
tion fanden sich ausserdem Epiphysenlösung und Abscess au der
4. Rippe, sowie ein Eiterherd au der Epiphysenknorpelfuge des
unteren Femureudes. Die bacteriologlsche Untersuchung des
Eiters ergab eine Reinkultur von Staph. aureus.
Auch Leser hält eine scharfe Trennung der Staphylo-
cocoen- und Streptococcenform der Osteomyelitis nicht für durch¬
führbar und spricht sich dahin aus, dass alle diejenigen pyogenen
Mikroben, welche überhaupt metastatische Infektion hervorzu¬
rufen vermögen, auch am Knochensystem sich ansiedeln können
und herdförmige oder fortschreitende Eiterungen erzeugen
können.
Die Veränderungen, die die Staphylococcen im Knochen her-
vorrufen, sind sehr mannigfaltige: zwischen der diffusen Mark¬
eiterung einer Diaphyse mit Durchbruch durch die Epiphysen-
kuorpelfuge und Vereiterung der benachbarten Gelenke und ganz
circumscripten, oberflächlichen Herden an der Corticalis kommen
alle möglichen Uebergänge vor, es existirt kein Typus der Sta-
phylococcenerkrankung.
In ihrer Wirkung auf die Gewebe zeigen
also die Staphylococcen und Streptococcen,
wie wir nachgewiesen haben, keine principiellen
Unterschiede, beide können die verschiedenen
Grade der Entzündung hervorrufen, scharfe Gren¬
zen lassen sich nicht ziehen. Entgegen der Ansicht Klemm’«
ist speciell die Fähigkeit seröse Entzündung zu machen, kein
Privileg der Streptococcen. Unter diesen Umständen wäre es
befremdend, dass der Staphylococcus nicht auch befähigt sein
sollte, an der Haut fortschreitende seröse Entzündung, d. h. Ery¬
sipel zu verursachen. Wir kommen damit zu der Frage: Kann
Erysipel auch durch andere pyogene Mikroben,
insbesondere des St. aureus erzeugt werden?
Im Jahre 1891 beschrieb ich in meiner Arbeit über die Aetio-
logie des Erysipels *) zwei Fälle, bei denen der St. aureus als Er¬
reger festgestellt worden war.
Im ersten Fall handelte es sich um einen 11 jährigen Jungen,
der unter schworen fieberhaften Allgemeinerscheinungen an typi¬
schem Gcslchtserysipel erkrankte, das zu einer Phlegmone der
Stirngegend nnd des orbitalen Fettgewebes führte. Am 0. Krank-
heltstage wurde eine Osteomyelitis s. Periostitis der Fibula mit
Abscessbildung koustatlrt und im Niveau derselben entstand ein
typisches Hauterysipel, das sich über den Unterschenkel und den
•*) Gurt Müller: Ueber akute Osteomyelitis. Münch, med.
Wochenschr. 1898.
") Klemm: lieber Streptomykose der Knochen; Osteomyol.
streptomykot. Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge No. 70, 1899.
*0 Lex er: Die Aetiologie und Mikroorganismen der akuten
Osteomyel. Volkmann’s Sammlung klin. Vortr. No. 173, 1897.
") Lex er: Experimente Uber Osteomyelitis. Arch. f. klin.
Chirurg. Bd. 53. H. 2.
u ) Herzog und Kraut wig: Ueber Osteomyelitis lui
frühesten Kindesalter. Münch, med. Wochenschr. 1898.
“) Jordan: Die Aetiologie des Erysipels. Langenb. Arch.
f. klin. Chirurg. Bd. 42, 1891.
Fussrikkon ausbreitete. In der mittleren Stirugegend entstand
ein subkutaner Abscess in beiden Unterlappen, entwickelte sich
unter Fortbestehen des schweren fieberhaften Allgemeinzustandes
eine Pueuutouie. Die bacteriologlsche Untersuchung ergab eine
Reinkultur von Staph. aureus sowohl Im Eiter des Stirn- wie dos
Fihulanbscesses, ferner wurden aus dem kreisenden Blut und aus
dom mit der Punktioussprltze asplrirten Exsudat der Lunge
Staphylococcen iu Reinzucht gewonnen. Im Laufe von 14 Tagen
kam es zu einem Rückgang aller Entzündungserscheinnugen, das
(Jesiohtseryslpel war allgelaufen, aus dem eröffneten Stirnabscess
eiterte es noch stark. Von letzterem aus entwickelte sieh iu der
Rekonvalesconz plötzlich unter erneutem hohem Fieber ein typi¬
sches Gcslchtserysipel, das nach 4 tägiger Continua allmählich al>-
blasffte. An der unteren, nahe dem linken Unterkieferraude, also
weit entfernt von dein Eiterherd der Stirne gelegenen Randzoue
des Erysipels exeidlrte Ich unter streng aseptischen Kaut eleu eiu
kleines Hautstückehen, übertrug dasselbe ln ein Röhrchen mit
flüssiger Gelatine und liess letzteres — nach F e li 1 e 1 s e u's Vor¬
gang — 2 Stunden im Brutschrank verweilen: nach dieser Zeit
wurde eine Platte gegossen, die bei Zimmertemperatur aufbewahrt
wurde; es gingen in den folgenden Tagen eine Reihe von die
Gelatine verflüssigenden Kolonien auf, die uach Uelicrimpfung in
Strich- und Stichkulturcu auf Gelatine und Agar typische Rein¬
kulturen des Staph. aureus darstellten; der mikroskopische Befund
war dementsprechend.
Durch den Nachweis des St. aureus in sämmtliehen er¬
krankten Organen war die aetiologische Einheit der verschiedenen
gleichzeitig bestehenden Affektionen erkannt: es lag eine im An¬
schluss an Erysipel entstandene, durch den Erysipelerreger und
zwar den St. aureus selbst veranlasste Pyaemie vor. Der Fall
stellte eine das wechselseitige Verhältniss zwischen Erysipel und
Eiterung zum Ausdruck bringende Beobachtung an Menschen
dar, die einem Experiment gleichkam.
Eine an der Pflege des l’at. betheiligte Wärterin erkrankte
unter Schüttelfrost, Erbrechen, hohem Fieber an Gesichtsrose,
die nach ü Tagen zur Heilung kam. Die bacteriologlsche Unter¬
suchung des durch Einstich au der Randzone erhaltenen Serums
ergab eine Reinkultur von St. aureus.
Aus meinen beiden Beobachtungen zog ich den Schluss, dass
das Erysipel aetiologisch keine speciflsche Erkrankung sei, ausser
durch Streptococcen, den gewöhnlichen Erregern, auch durch
Staphylococcen erzeugt werden könne. Den damals noch zahl¬
reichen Anhängern der Spccificitätslehre war diese, aus meinen
Fällen sich ergebende Auffassung sehr unbequem. Meine Be¬
funde wurden in der Folge von Einzelnen ganz ignorirt, von
Anderen einfach registrirt, von Anderen M ) als nicht be¬
weiskräftig anerkannt, da die Methodik der bacterio-
logischen Untersuchung nicht ganz einwandsfrei gewesen sei.
Dieser letztere Vorwurf richtet sich speciell gegen meinen
zweiten Fall, bei welchem die Untersuchung nicht an einem
cxcidirten Hautstückchen, sondern nur an einem durch Ein¬
stich entleerten Semmtropfen vorgenommen wurde. Ich will zu¬
geben, dass bei dieser Untersuchungsmethode die Möglichkeit,
dass eine Misehinfektiou vorlag und ein gleichfalls etwa vor¬
handener Streptococcus durch den üppiger wachsenden Staphylo¬
coccus überwuchert war, nicht mit absoluter Sicherheit ausge¬
schlossen werden kann, dagegen muss ich mit aller Ent¬
schiedenheit daran festhalten, dass der Unter¬
suchungsmodus im ersten Fall ein einwands¬
freier gewesen ist und dass eine Mischinfektion nicht
in Frage kommen könnte.
Gegen die Beweiskraft meiner Beobachtung wird von Len-
h a r t z und Klemm ein weiteres Argument in’s Feld geführt,
nämlich das Ausbleiben der Bestätigung des Staphylococcen-
befundes durch andere Forscher. Lenhartz sagt, dass gegen¬
über der viel hundertfältigen gegentheiligen Erfahrung die beiden
vereinzelten Fälle nichts beweisen könnten und Klemm äussert
sich folgendermaassen: „Der Beobachtung J o r d a n’s, nach
welcher er als Erreger des Erysipels einmal Staphylococcen ge¬
funden hat, kann ich keinen grossen Werth beilegen, da dieser
ganz vereinzelt dastehende Fall zwangloser als Beobachtungs-
fehler gedeutet werden kann; bei der Häufigkeit des Erysipels
hätte obige Beobachtung sich unschwer auch von Anderen be¬
stätigt finden müssen.“
Die Annahme von Lenhartz und Klemm, dass meine
Beobachtung vereinzelt dastche, ist eine irrthümliche, wie aus
folgender Zusammenstellung hervorgeht. In meiner Erysipel-
arbeit habe ich ausdrücklich erwähnt, dass schon vor mir ein
Staphylococcenerysipel von Bonome und Bondin i-Uf-
freduzzi (1886) ,! ) beschrieben worden sei. Bei einem lödt-
r ) Lenhartz, Tot r u scli l;y: 1. <\
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1374
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
lieh endenden Erysipelas bullosum faciei wurde in den Blasen
der Haut und in deren Lymphspalten, sowie im Blut und den
inneren Organen der Staphylococcus aureus in Reinkultur nach¬
gewiesen und seine Natur durch Kulturen und Impfungen auf
Thiere sichergestellt. In einem anderen Fall von Erysipelas
phlegmonosum wurden überwiegend Staphylococcen (St. citreus)
und daneben nur wenige Streptococcen gefunden, welch’ letztere
in Kulturen nicht aufgingen.
Zur Zeit der Publikation dieser Fälle war man von der
Speeifität des Erysipelcoccus so fest überzeugt, dass man, nament¬
lich im Hinblick auf den Befund vereinzelter Streptococcen im
2. Fall, annahm, es habe sich um eine Sekuridärinfektion mit
Staphylococcen gehandelt und die Streptococcen seien in der
erysipelatösen Haut zu Grunde gegangen. Die Beobachtung der
italienischen Forscher fand daher in der Erysipelfrage keine
weitere Berücksichtigung.
Einen weiteren Fall von Staphylococcenerysipel theilte ich
in meiner Abhandlung über die akute Osteomyelitis (1893) mit:
Bei einem 9 jährigen Knaben, der an akuter Osteomyelitis
tibiae erkrankt war, wurde die Aufmeisseluug des Knochens und
die Excochlention des eitrig inflltrirten Markes ausgeführt: nach
dem Eingriff rascher Abfall des Fiebers und beginnende Rekon-
valescenz; nach 3 Wochen entwickelte sich ein neuer periostaler
Abscess unterhalb der zuerst erkrankten Partie unter schweren
septischen Allgemeinsymptomeu; nach der Iueision des Abscesses
entstand an der Incislonsöffnung (2 Tage post operat.) ein typisches
Erysipel, das nach unten bis zu den Zehen, nach oben bis zum
Oberscheukel sich ausbreitete und nach einer Woche abheilte.
Die bacteriologische Untersuchung des Abscesseiters, sowie der
afflzlrten Haut an der Randzone des Erysipels ergab eine Rein¬
kultur von Staph. aureus.
Da kein einziger Fall von Streptococoenerysipel in der Klinik
lag, und der Unterschenkel wochenlang unter antiseptischen Ver¬
bänden sich befand, war eine Mischinfektion mit Streptococcen
von vornherein unwahrscheinlich gewesen: Es handelte sich um
ein von innen heraus entstandenes Staphylococceneryspel.
Eine ganz ähnliche Beobachtung wurde von Felsen-
t h a 1 **) publizirt:
Bel einem 11 jährigen Knaben entwickelte sich nach der
Operation einer akuten Osteomyelitis des unteren Tibiadrittels von
der Incislonsöffnung aus unter hohem Fieber ein typisches Ery¬
sipel („flammende Rüthe, die Begrenzung unregelmässig, zackig,
einzelne Zungen mehr oder weniger weit in’s Gesunde vor¬
schiebend und hier scharf begrenzt aufhörend, starke Druck¬
schmerzhaftigkeit“). das sich bis zur Mitte des Fussrückens resp.-
dem Knie erstreckte. Die bacteriologische Untersuchung eines an
der Grenzzone des Erysipels herausgeschnittenen Hautstückchens
ergab eine Reinkultur von Staph. aureus. Der gleiche Coccus
wurde im kreisenden Blut und im eiterig inflltrirten Knochen¬
mark nachgewiesen. Mit den aus dem Hautstückchen
gewonnenen Kulturen wurde das Ohr eines
welssen Kaninchens geimpft: 35 Stunden später
zeigten sich die typischen Erscheinungen des
Erysipels, das nach 30 Stunden abgelaufen war.
Auf Grund dieser Thatsachen nahm Felsenthal mit
Recht an, dass der Erreger der akuten Osteomyelitis auch die
Ursache des Erysipels war, dass der Eiter nach der Incision in
die Lymphbahnen der Haut durch die Tamponade gleichsam
hineingepresst wurde. Den Einwand, dass der Streptococcus in
dem erysipelatösen Gewebe zu Grunde gegangen sein könnte
und es sich möglicher Weise um eine sekundäre Infektion mit
Staphylococcen gehandelt hätte, weist F. durch folgende Ueber-
legung zurück: An dem Tage, da zur bacteriologischen Unter¬
suchung das Hautstückchen entnommen wurde, hatte das Ery¬
sipel noch nicht sein Ende erreicht; es war am folgenden Tage
weiter gegangen. Wenn also der Streptococcus zu Grunde ge¬
gangen war und an seine Stelle der gelbe Traubencoccus trat, so
muss doch dieser die Fähigkeit besitzen, den Process, den der
Streptococcus ursprünglich erzeugte, weiter zu unterhalten und
ihn sogar zum Fortschreiten zu veranlassen. Und das wäre
doch nichts anderes, als dass der Staphylococcus erysipelatöse
Erkrankungen hervorzurufen vermag.
Obwohl diese Beobachtung von Staphylococcenerysipel
klinisch und bacteriologisch durchaus einwandsfrei ist, fand sie
in der Literatur keine Beachtung.
Zu Gunsten der Auffassung, dass die Erzeugung der ery¬
sipelatösen Entzündung nicht einzig und allein dem Strepto-
") Beitrag zur Aetiologie des Erysipels, 1880. (Ref. im Cen-
tralbl. f. Chirurg. 1887.)
") Felsenthal: Beiträge zur Aetiologie und Therapie des
EryBlpels. Arch. f. KInderheilk. Bd. 16.
coccus zukommt, sprechen eine Reihe von Thierversuchen, die
in neuerer Zeit angestellt wurden. Petruschky**) gelang
es, in Gemeinschaft mit Delius im Koc h’schen Institut mit
verschiedenen Stämmen des Bact. coli commune, namentlich
einiger aus menschlicher Cystitis stammenden, am Kaninchenohr
typisches Erysipel zu erzeugen; das Bact. coli ist dabei bis in
die äusserste Spitze des Ohres mikroskopisch bezw. kulturell nach¬
gewiesen worden. Auch Uhlenhuth") gelangte zu solchen
positiven Resultaten, konnte mit Reinkulturen von Bact. coli,
die aus dem jauchig-eiterigen Exsudat einer puerperalen Peri¬
metritis stammten, am Kaninchenohr typisches Erysipel (Fieber
bis 39,5) erzeugen; dieselbe Kultur führte nach intravenöser In¬
jektion zu eiteriger Osteomyelitis an der Stelle künstlich ge¬
schaffener subkutaner Frakturen.
Neufeld u ) machte Versuche mit dem Fränkel’schen
Pneumococcu8 und fand denselben in hohem Grade geeignet, am
Kaninchenohr Erysipel hervorzurufen. Aus dem Gewebssaft der
entzündeten Partien Hessen sich die Diplococeen in typischer
Lancettform gewinnen. Die Fähigkeit Erysipel zu machen,
kommt nach N e u f e 1 d den Pneumococcen sogar in weit
höherem Maasse zu, als den Streptococcen, bei welchen ein be¬
stimmter Virulenzgrad erforderlich ist. Schürmayer 42 ) be¬
obachtete bei einer mit Pneumococcen intrapleural infizirten
Maus das Auftreten eines spontanen histologisch dem mensch¬
lichen Erysipel gleichenden Exanthem und fand im Safte der
Fellstücke die Pneumococcen in Reinkultur.
Petruschky 4 *) gelang es endlich auch mit
einem Stamm von Staph. aureus am Kaninchen¬
ohr typisches Erysipel hervorzurufen. Bei der
bacteriologischen Untersuchung excidirter Hautstückchen von
menschlichem Erysipel fand Petruschky ferner neben den
Streptococcen sehr häufig Staphylococcen und kam auf Grund
dieser Befunde zu der Ansicht, dass in diesen Fällen vielleicht
die Mischinfektion von Strepto- und Staphylococcen obligatorisch
für die Erzeugung eines typischen Erysipels sein könnte. Da
im Thierversuch das Krankheitsbild des Ohrerysipels auch durch
andere Mikroorganismen erzeugt werden kann, ist nach Pe¬
truschky die Frage, ob der Streptococcus als der alleinige
Erreger des Erysipels zu betrachten sei, bis auf Weiteree als eine
offene zu betrachten.
Durch die positiven Impfergebn isse mit
Staphylococcen, wie sie Felsenthal und Petruschky
erhielten, gewinnen die mitgetheilten Beobach¬
tungen von Staphylococcenerysipeleine wesent¬
liche Stütze. Die Seltenheit des Vorkommens ist kein wissen¬
schaftliches Argument gegen das Vorkommen überhaupt. So ist
z. B. die Streptococcen-Osteomyelitis eine sehr seltene Affektion:
Im Jahre 1890 wurden die ersten Fälle von Lannelongue
beschrieben und jetzt umfasst die Kasuistik nach 11 Jahren kaum
mehr als 20 Fälle, ein im Vergleich zu den vielen Hunderten von
Staphylococcen-Osteomyelitiden, die schon beschrieben worden
sind, minimaler Procentsatz.
Da nachgewiesen ist, dass auch der Pncumococcus und das
Bact. coli commune am Kaninchenohr Erysipel bewirken können,
gewinnt der Rheine Psche 44 ), in der Literatur zumeist ignorirre
Befund von Typhusbacillen in der erysipelatösen Haut an Wahr¬
scheinlichkeit. Rhein er konstatirte bei 2 im Verlaufe eines
Typhus abdominalis aufgetretenen Gesichtserysipelen in der affi-
zirten Haut mikroskopisch zahlreiche Typhusbacillen neben ganz
vereinzelten Coccen, während in einem Kontrolpräparat von Ery¬
sipelas traumat. sich nur Kettencoccen fanden. Da eine bacterio¬
logische Untersuchung nicht stattgefunden hatte, wurde der Fall
als nicht beweiskräftig angesehen. Da wir aber jetzt wissen, dass
der Typhusbacillus auch pyogene Wirkung entfalten und das
ihm nahestehende Bact. coli bei Thieren Erysipel hervorrufen
kann, erscheint die R h e i n e r’sche Mittheilung in einem anderen
**) Petrusch k y: 1. c. Zeitschr. f. Hygiene Bd. 23 u. 36.
*°) Uhlenliuth: Beiträge zur Pathogenität des Bact. coli.
Zeitschr. f. Hygiene Bd. 20, 1897.
4 ‘) Neufeld: Ueher die Erzeugung vou Erysipel am
Knninchenohr durch Pneumococcen. Zeitschi - , f. Hygiene Bd. 36,
1. H„ 1901.
4I ) Scliürmaye r: Zur Aetiologie des Erysipels etc. Ceu-
trnlbl. f. Bacteriol. 1898.
“) 1. c. Bd. 30.
“) Riieiner: Beiträge zur pathol. Anatomie des Erysipels
etc. Virch. Arch. Bd. 100, 1884.
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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1375
27. August 1901.
Lichte und es muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass
die bei Typhus auftretenden Erysipele in manchen Fällen viel¬
leicht durch den Krankheitserreger selbst verursacht werden.
Aus den bisherigen Darlegungen ergeben sich folgende
Schlussfolgerungen:
1. Das Erysipel ist aetiologisch keine spe-
cifische Erkrankung.
2. Am Kaninchenohr kann typisches Ery¬
sipel nicht nur durch Streptococcen, sondern
auch durch Staphylococcen, Pneumococceu
und Bact. coli erzeugt werden.
3. Das menschliche Erysipel wird in der
Regel von Streptococcus pyogenes verursacht,
kann aber auch, wie einwandsfreie Beobach¬
tungen ergeben, durch Staphylococcus aureus
hervorgerufen werden.
4. Die Frag<\ ob auch die fakultativen Eiter¬
erreger, wie Pneumococcen, Bact. coli, Typhus¬
bacillen beim Menschen Erysipel machen
können, ist noch als eine offene zu bezeichnen!
Diese aetiologische Auffassung steht, wie
ich glaube, im vollen Einklang mit den klinischen
V erhältnissen. Da das Erysipel, zumal in der voranti¬
septischen Zeit, oft endemisch und epidemisch auftrat, und das
klinische Bild als ein sehr charakteristisches angesehen wurde,
war den Klinikern die Entdeckung Fehleisens und die An¬
nahme der Speeificitüt seines Coecus eine sehr sympathische.
Eine genaue Analyse der klinischen Erfahrungen ergibt indessen,
dass der Typus der Erkrankung durchaus kein
constanter ist, dass vielmehr eine Reihe von
Variationen vorkomm en. Zwischen den Fällen, die
unter stürmischen septischen Erscheinungen in wenigen Tagen
zum Exitus letalis führen und solchen, die ohne 'Störung des All¬
gemeinbefindens gleichsam ambulant verlaufen, werden alle mög¬
lichen Uebergönge beobachtet. Die sogen. Schulfälle
von Erysipel, bei denen unter Schüttelfrost, Erbrechen und
hohem Fieber die Hautröthe einsetzt, stellen nur eine
Form der erysipelatösen Erkrankung dar.
Falle, die Abweichungen von dem gewohnten Bilde darboten, hat
man unter den Begriff der Pseudoerysipelc oder phlegmonösen
Erysipele eingereiht. Wie schwierig indessen die Unterscheidung
in praxi sich gestaltet, geht aus den differentialdiagnostischen
Merkmalen hervor, die in den Lehrbüchern angegeben werden.
So halten z. B. Len hart z, Neisser, Strümpell das
Fieber für ein pathognomonisches Zeichen des echten Erysipels.
Lenhartz gibt indessen zu, dass die Erhöhung der Eigen¬
wärme gelegentlich gering und rasch vorübergehender Art sein
könne. Im Gegensatz dazu berichtet F r i c k h i n g e r u ), aus
der Münchener Klinik (Ziemssen), dass unter 504 von
1870 bis 1891 beobachteten Fällen von Erysipel 101 Fälle
= 20,04 Proc. ohne Temperaturerhöhung verlaufen sind, und
Roger gibt an, dass er bei 570 Erysipelen nur in 315 Fällen
Fieber constatirt habe. Leube") bestätigt aus eigener Er¬
fahrung, dass das Erysipel in seltenen Fällen fieberlos verläuft.
Ich selbst habe wiederholt typische Erysipele ohne Tempera tur-
steigerungen und ohne sonstige Allgemeinerscheinungen verlaufen
sehen. Dem Auftreten von Fieber kann dem¬
nach bezüglich der Unterscheidung des ech¬
ten vom falschen Erysipel keine ausschlag¬
gebende Bedeutung zuerkannt werden.
Ein weiteres differentialdiagnostischcs Kriterium bildete die
Beschaffenheit der Hautröthe. Charakteristisch für das echte
Erysipel ist eine lebhafte, scharf begrenzte Röthung, flache und
schmerzhafte Schwellung, deren Oberfläche gespannt und auf¬
fallend glänzend erscheint; endlich das Fort schreiten in die ge¬
sunde Umgebung mit fingerförmigen Fortsätzen oder kürzeren
und längeren Zacken. Passte der Einzelfall z. B. in Folge
Fehlens ausgesprochener Allgemeinerscheinungen nicht recht in
den Rahmen der typischen Erkrankung, so studirte man genauer
die Hautveränderungen und fand heraus, dass die Röthe dunkler,
die Schwellung intensiver, die Empfindlichkeit bei Druck ge¬
ringer sei, die Randzone in ihrer Contour nicht genau der Norm
“) Frlckhlnger: Ueber Erysipel und Eryslpelrecidive.
6. Band der Annalen der allg. städt. Krankenhäuser München 1894.
*•) Leube: Speclelle Diagnose der Inneren Krankheiten
II. Bd., 1898.
So. 35.
entspreche und dass der Fall daher zu den Pseudoerysipelen ge¬
höre. Auch dieses unterscheidende Merkmal ist indessen nicht
stichhaltig, da die lokalen Veränderungen je nach der Intensität
der Infektion kleinen Schwankungen unterliegen können.
Als letztes differentialdiagnostisches Zeichen wird von vielen
Autoren der bacteriologische Befund angesehen: Finden sich in
der erysipelatösen Haut Streptococcen, so liegt nach ihrer Mei¬
nung ein echtes, ergeben sich andere Bacterien, so so liegt ein
Pseudoerysipel vor. Da wir gesehen haben, dass auch Staphylo¬
coccen klinisch typisches, mit hohem Fieber einhergehendes
Erysipel hervorrufen können, dass ferner auch andere Mikroben
am Kanincheuohr Hautröthe verursachen, die sich in nichts von
dem typischen Erysipel unterscheidet, da endlich nicht in jedem
Fall eine bacteriologische Untersuchung durchführbar ist, so
sind auch die aetiologisehen Verhältnisse nicht zur Differential¬
diagnose zu verwerthen.
Die Unterscheidung von Erysipelen und
P s e ud o e r v sip e1e n ist bei de m jetzigen S t a n d
der Lehre meines Erachtens nicht mehr halt¬
bar, denn es kommen klinisch eine Reihe von Varietäten vor,
und aetiologisch besteht keine Differenz. Es handelt sich
bei den verschiedenen Formen vielmehr nur
um Intensitätsstufen derselben Erkrankung,
welche durch die wechselnde Virulenz der Coccen und die ver¬
schiedene Widerstandsfähigkeit der Gewebe bestimmt werden.
Unter den nicht specifischen chirurgischen Infektionskrank¬
heiten kommt dem Erysipel die früher ange¬
nommene Sonderstellung nicht zu, das Erysipel
zeigt vielmehr weitgehende Analogie mit der akuten Osteo¬
myelitis, wie folgende Gegenüberstellung illustrirt:
1. Die akute Osteomyelitis wird in der Mehrzahl der Fälle
durch Staphylococcen hervorgerufen, kann aber auch durch
Streptococcen, Pneumococcen und Typhusbacillen erzeugt werden.
Das Erysipel wird in der Regel durch Streptococcen ver¬
ursacht, kann aber auch durch Staphylococcen, vielleicht auch
durch andere pyogene Bacterien erzeugt werden.
2. Bei der akuten Osteomyelitis handelt es sich meist um
eitrige, manchmal aber auch um seröse oder liaemorrhagisch-
septische Entzündungen.
Beim Erysipel liegt eine seröse Entzündung vor, zu der aber
nicht selten Eiterung und selbst Gangraen hinzutritt.
3. Bei der Osteomyelitis werden alle Intensitätsstufen
zwischen der gleichsam chronischen Form und der rasch tödtlich
endenden septischen Form beobachtet.
Die gleiche Stufenleiter besteht beim Erysipel.
4. Die bei Osteomyelitis auftretende Pyaemie und Sepsis
sind durch den Krankheitserreger selbst verursacht.
Das gleiche gilt, wie wir gesehen haben, für das Erysipel.
5. Das Gebiet der sogen, akuten infektiösen Osteomyelitis
hat sich in den letzten 10 Jahren, wie ich an anderer Stelle aus¬
führte 47 )» auf Grund der Ergebnisse der aetiologischen Forsch¬
ung bedeutend erweitert. Während man früher mit dem Begriff
der Osteomyelitis eine typische, akut einsetzende, mit lokaler
Eiterung und schwerem, fieberhaftem Allgemeinzustand einher¬
gehende. mit Nekrose des befallenen Knochens abschliessende,
oft tödtlich verlaufende Erkrankung des jugendlichen Alters ver¬
band, wissen wir jetzt, dass dieser Symptomenkomplex nur eine
Form einer Gruppe von Erkrankungen darstellt, die die Aetiologie
gemeinsam haben, dem gleichen Agens, nämlich den pyogenen
Coccen, ihre Entstehung verdanken. Differenzen in der Virulenz
der Mikroben und Verschiedenheiten in der Resistenzfähigkeit
des befallenen Organismus bedingen eine Reihe von Varietäten
des klinischen Bildes. Unterschiede im zeitlichen Ablauf lassen
eine Eintheilung in Osteomyelitis acutissima, acuta, subacuta
und chronica zu; nach der Beschaffenheit des Krankheits-
produktes kann man exsudative und nicht exsudative Formen
unterscheiden.
Mit dem Nachweis, dass der Erysipelerreger kein specifischer
Mikrobe ist, ist auch beim Erysipel die Schranke gefallen, die die
schweren Fälle von den leichter verlaufenden, die atypischen von
den typischen trennte.
* T ) Jordan: Ueber atypische Formen der akuten Osteo¬
myelitis. Bruns' Beitrage zur klin. Chirurg. Bd. XV. II. 2.
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1376
No. 35.
MUENCHENER MEDICINISCUE WOCHENSCHRIFT.
Ueber maligne Geschwülste der Tonsillen. 11 )
Von Dr. v. H e i n 1 e t h in Bad Reichenhall.
M. H.! Wenn ich mir heute erlaube über maligne Tonsillen-
Qeschwülste vorzutragen, so beabsichtige ich nicht. Ihnen wesent¬
lich Neues über dies Thema zu berichten, sondern möchte nur
ein Gesammtbild des Themas Ihnen in Rückerinnerung bringen
und an Hand des von mir mit Erfolg operirten Falles ermuntern,
trotz der wenigen bis heute errungenen Dauererfolge von der
operativen Inangriffnahme derselben nicht abzustehen.
Zum Glück für die Menschheit sind die malignen Tumoren
der Tonsillen verhältnissmässig selten, selten in Relation der
vorkommenden Careinomfälle, seltener noch im Verhältnisse der
Krankheiten überhaupt. Dies fällt um so mehr auf, als gerade
die Tonsillen durch akut entzündliche und chronisch hyper¬
plastische Erkrankungen sich besonders auszeichnen.
Noch Anfangs des Jahrhunderts waren nur ganz vereinzelte
Fälle von Garcinomen der Tonsille, Sarkome dagegen gar nicht
bekannt. Erst seit der zweiten Hälfte des Säculums finden sich
in der Statistik mehrere Fälle.
G u r 1 t ? s Statistik von 1855/78 ergibt unter 11131 Fällen
von Carcinom 6 der Tonsille = 0,053 Proc. und unter 894 Sar¬
komen 3 der Tonsille = 0,33 Proc.
R a p o c verzeichnet (1880—86) unter 399 Carcinomen nur
1 Fall der Tonsille = 0,25 Proc. und unter 140 Sarkomen 3 Fälle
der Tonsille — 2,1 Proc.
Selbst den ersten Chirurgen jener Zeit, wie B i 11 r o t h,
Mikulicz u. A. war nur selten Gelegenheit geboten, maligne
Tonsillentumoren zu sehen resp. zu operiren. In neuerer Zeit
haben sich die Beobachtungen bedeutend gemehrt, so dass bis
heute 153 Fälle bekannt wurden, und zwar 92 Carcinoine und
61 Sarkome.
Carcinome
Sarkome
im weiteren .Sinne:
im weiteren Sinne:
Carcinom.
41
Sarkome.
14
Epitheliom .
30
Fibrosarkom.
1
Encephaloid.
10
S|iindelzellensarkom.
1
Scirrhus.
8
Rundzellensarkom.
12
Ohne nähere Bezeichnung
3
Lymphosarkom .
22
Alveolarsarkom.
3
Malignes Lvuiplmm.
7
Lymphangiom .
1
Summa
92
Summa
61
Betrachten wir zunächst das Schicksal der nicht radikal be¬
handelten oder nicht operablen Fälle, so finden wir einen sehr
raschen Verfall der Patienten, ein baldiges Ende derselben au
den Folgen der Geschwulst.
K r ö n 1 e i n beschreibt 30 Fälle inoperabler Carcinoine der
Tonsillen und deren nächster Umgebung. Bei diesen betrug die
Krankheit vom Zeitpunkte der ersten Beschwerden bis zum Tode
1—14 Monate und im Mittel 7 Monate. Honsel berichtet über
die an der Heidelberger Klinik beobachteten Fälle. Die Krank¬
heitsdauer für Carcinome war 6—14 Monate, für Sarkome 2 bis
12 Monate, die mittlere Krankheitsdauer berechnet sich auf 10
bezw. 7 Monate, während die durchschnittliche Lebensdauer für
diese Geschwülste im Allgemeinen 2 Jahre ist. Wir ersehen hieraus
nur zu deutlich, dass die malignen Neubildungen der Tonsille,
ähnlich denen des Hodens, sozusagen eine besondere Malignität
besitzen, ein rasches Wachsthum, leichtes Recidiviren und abge¬
sehen von den mechanischen Störungen in der Nähe des Re-
spirations- und Nutritionseinganges einen raschen Zerfall des
Körpers.
Die Möglichkeit der Heilung ist also einerseits durch die
Natur des Leidens erschwert, andererseits durch den Umstand,
dass die geringen ersten Beschwerden den Kranken oft spät zum
Arzte führen oder aus anderen Gründen die radikale Behandlung
spät, einsetzt.
„Wenn an der Tonsille ein Epitheliom zu wuchern beginnt“,
sagt C a s t e x, „so hat der Kranke keine oder doch nur wenige
Beschwerden, geht er zum Arzte, so behandelt ihn dieser, ohne
der Affektion genügende Aufmerksamkeit zu schenken, mit
Gurgelwasser oder Aetzmittel; manchmal gelingt es dadurch, Be¬
schwerden und Schmerzen zum Schwinden zu bringen und der
•) Vortrag, gehalten Im Aerztllclien Verein zu München am
22. Mal 1001.
Patient vergisst sein Leiden. Aber nach 4—5 Monaten ent¬
wickelt sich plötzlich am Kieferwinkel eine rasch wachsende
Drüsenschwellung und der Fall ist schwer oder gar nicht mehr
zu operiren, wenn der Chirurg um Hilfe augerufen wird.“ Die«
gilt auch heute noch für manche Fälle.
Bei dem raschen Verlaufe des Leidens, dem späten Auftreten
der ersten Beschwerden, ist es also von besonderem Werthe, die
! subjektiven und objektiven Erscheinungen sicher zu erkennen,
i um durch eine Frühdiagnose und rasch einsetzende operative Be-
j handlung noch gute Erfolge zu erzielen.
Die ersten Beschwerden sind in vielen Fällen auffallender
! Weise nicht rein locale, sondern dislocirte Schmerzen oder der
j Kranke fühlt sich durch einige Drüsen am Halse belästigt und
j wird erst später die Erkrankung im Halse bezw. Rachen gewahr.
In anderen Fällen allerdings verursacht die Geschwulst-
! bildung selbst die ersten Unbequemlichkeiten und führen diese
| durch die entstehenden Schluckbeschwerden den Kranken zura
I Arzte.
j Wir können also zwischen extra- und intrabuccalen Be-
! schwerden unterscheiden.
Den sich in vereinzelten Fällen einstellenden Kopfschmerzen
j ist. keine wesentliche Bedeutung beizulegen, dagegen sind die
; Ohrenschmerzen ein sehr häufiges Frühsymptom der Tonsillen-
erkrankung. Sie sind die Folge der lokalen Reizerscheinung
j durch die Geschwulstbildung, welche auf komplizirten Bahnen
| durch 4 sensible Reflexbögen von der Tonsille zum Ohr gelangen.
Auch ohne dass Schluckbeschwerden vorhanden sind, treten
: in einzelnen Fällen schon frühzeitig Athembeschwerden ein.
, Den häufigsten und gleichzeitig sichersten ersten Hinweis aber
auf das Besteheu eines krankhaften Zustandes der Tonsillen
bilden die sich aussen am Halse entwickelnden Drüsenschwel¬
lungen. Ich werde später nochmals auf diese zurückkommen,
| um erst die intrabuccalen Erscheinungen zu besprechen.
Sie lassen sich in rein sensitive und rein mechanische Be¬
schwerden unterscheiden. Erstere treten oft schon zu einer Zeit
! auf, da der Tumor oft noch sehr klein ist und können dabei aus*
j nalunsweise so heftig werden, dass jeder Bissen einen Schlund*
l krampt' auslöst (Fische r) oder dass nur mehr die Aufnahme
| flüssiger Nahrung ermöglicht ist (M i k u 1 i c z). Dabei fehlen
trotz dieser lokalen Reizerscheinung oft fortgeleitete Schmerzen
des Ohres und Hinterkopfes.
Zeigt der Tumor eine Volumenszunahme soweit, dass er in
die Fnuees hineinragt, dass er den Gaumenbogen nach vorne vor¬
wölbt und die Uvula zur Seite drängt, dann treten ausser den
sensiblen Beschwerden auch die Folgen mechanischer Behinde¬
rung besonders des Schluckaktes auf. Zu ihm gesellen sich dann
Störungen der Sprache und der Athmung.
Bei auftretenden Geschwüren werden die Kranken oftmals
durch Zerfallsprodukte und Sekrete belästigt, welche dann sogar
zu Appetitlosigkeit und Ernährungsstörungen führen. Funktions¬
störungen durch Versteifungen im Kiefergelenke sind sehr selten;
J sie entstehen durch flächenhaft sich ausbreitende, mehr in die
j Tiefe gehende Neubildungen.
Die Diagnose der malignen Tumoren, das sind die Carcinome
i und Sarkome im weiteren Sinne, baut sich auf 3 Hauptmomente
; auf. Das ist: 1. der lokale Befund, 2. das Vorhandensein
j metastatisch infiltrirter Lymphdiüsen der betreffenden Halsseite,
; 3. das einseitige Auftreten der Neubildung.
I An Geschwulstbildungen der Tonsillen lassen sich zweierlei
I Formen unterscheiden, mehr flächenhafte, geschwürige und solche
i mit prominentem Wachsthum.
Aus diagnostischen Gründen werde ich hier auch jene Er¬
krankungen erwähnen, welche in der Nachbarschaft der Tonsillen
auftreten und erst sekundär auf diese übergreifen.
Von den Geschwüren im Allgemeinen kommen vor parasitäre,
| bedingt durch Oidium albicans als Soor und durch Leptothrix
bucealis als Pharyngomykosis benigna, ferner tuberkulöse, sekun¬
där und tertiär luetische (von den primären sehe ich ab) und
| carcinomatose.
Die Geschwüre parasitären Ursprungs dürften bei ihrer Ober-
I fläehlichkeit und da sie entweder multipel oder in sehr grossen
| Flächen auftreten, sozusagen also nie isolirt die Tonsillen be¬
fallen, differentialdiaunostisch mit malignen Geschwülsten nicht
in Betracht kommen.
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MUENCHENEK MED1CINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1377
27. August 1901.
Schwieriger ist die Unterscheidung letzterer von tuber¬
kulösen Infektionsgeschwülsten, soweit es sich nicht um jene
Formen von larvirter Tuberkulose in Form von einfacher Hyper¬
plasie handelt.
„Klhnsch macht die Tuberkeleruption der Mandeln nur dann
deutliche Erscheinungen, wenn durch käsigen Zerfall Geschwüre
entstanden sind, welche die Oberfläche der Mandeln verändern.
Bei gelblichem Belage und geringer Ausdehnung lassen sie im
Grunde die bekannten feinen Knötchen erscheinen; selten sind
die Mandeln dabei stärker geröthet und durch wallartige Auf-
treibnng der Geschwürsränder vergrössert. Nur beim Lupus
treten die Veränderungen in Form von knotigen Verdickungen
mit dazwischen liegenden Geschwüren an den Mandeln auf.“
(Schee h.)
Die sekundärsyphilitischen Affektionen, welche
selten auf den Gaumenbögen und den Mandeln bemerkbar sind,
bilden oberflächliche, leicht blutende Stellen, breiten Condylomen
ähnlich; selbst wenn sie, wie nicht so selten, in grosser grau-
weisser Geschwürsform die seitliche Rachenwand bedecken, bieten
sie differentialdiagnostisch kaum Schwierigkeiten. Dagegen ist
dies der Fall bei tertiärsyphilitischen Efflorescenzen. Verwechs¬
lungen dieser Art mit malignen Geschwülsten werden vonCastex,
Poll and und Part sch berichtet. Hier wird ausser dem
typischen Lokalbefunde: der Eigenart des tertiärsyphilitischen
Produktes, dessen Indolenz, dem Mangel von Lymphdrüsen-
schwellungen, den scharf umschriebenen, wie mit Locheisen aus¬
geschlagenen oder den buchtigen, unterminirten Rändern, dem
speckigen Untergründe die Anamnese, die genaue Untersuchung
des Körpers auf weitere luetische Veränderungen und die
günstige Einwirkung specifischer Therapie die Diagnose sichern.
Nur darf letzteres, wie ich ausdrücklich betone, nicht zu
lange dauern und muss die Einwirkung eine unverkennbare, nicht
bloss scheinbare, temporäre sein, um die Zeit für die Entfernung
einer eventuellen malignen Bildung nicht zu versäumen.
Den luetischen Processen gegenüber zeichnet
sich das Carcinom in Geschwürsform durch seine
Härte, die wallartigen Ränder, den eigenartigen Geschwürsgrund
aus; ihm fehlt selten eine grosse Schmerzhaftigkeit, die reich¬
lichen Metastasen in den benachbarten Lymphdrüsen und deren
Härte, und die bald auftretenden Anzeichen der Kachexie. Auch
die Lokalisation der beiden Processe ist verschieden. Das Gumma
tritt mit Vorliebe in der Zunge, am harten und auch am weichen
Gaumen auf und schreitet von hier erst auf die Tonsillen über;
dagegen lokalisirt es sich sehr selten primär an den Tonsillen,
während Carcinome ausser in der Zunge ihren Lieblingssitz an
der seitlichen Rachenwand und hier besonders häufig an der
Tonsille haben.
Die häufigste der prominenten Geschwülste
der Tonsillen ist die chronisch-entzündliche
Hyperplasie. Sie bildet sich entweder idiopathisch, auf
dyskrasischer Basis oder auf dem Boden häufig recidivirender
meist belagfreier Anginen. Sie kommt hauptsächlich in der Zeit
der Entwicklungsjahre vor, bleibt an Grösse oft jahrelang gleich
und bildet sich erst mit Ablauf der Pubertätszeit zurück. Die
nach dieser Zeit hyperplasirenden Tonsillen schwinden meist mit
Beginn der 30 er Jahre. Die vergrösserte Tonsille ist blassrotli
bis gelblichroth, an Farbe oft heller als die sie umgebende
Schleimhaut. Die Oberfläche ist kryptenreich, ausgekerbt mit
dilatirten Lakunen; die Consistenz schwankt in den weitesten
Grenzen; Schmerzen fehlen, ausser zur Zeit neuer Infektionen.
Die Erkrankung ist fast stets doppelseitig, nur differirt meist
die Grösse beider Gebilde. Ausser chronischkatarrhalischen Ver¬
änderungen, z. B. Verdickung der Seitenstränge, zeigt sich die
Umgebung durch die Vergrösserung der Tonsille unbeeinflusst.
Gegenüber den malignen Tumoren kommen ferner diffe¬
rentialdiagnostisch in Betracht die eitrige und phleg¬
monöse Tonsillitis, das Gumma im ersten
Stadium und die Aktinomykosis. Der Ton-
sillarabscess hat wohl zu Irrthümern Anlass gegeben
(Cheever, M a c C o y, C r o 1 y); bei der heutigen Kenntniss
der Tonsillargesckwülste dürfte aber eine Verwechslung mit
malignen Tumoren kaum mehr wahrscheinlich sein gemäss der
charakteristischen Symptome der Kiefersperre, des akuten,
schmerzhaften Beginns und des nie fehlenden Fiebers.
Das Gumma im ersten Beginn wölbt die Tonsille
als kleinen, rundlichen Tumor mit entzündlich gerötheter
Schleimhaut vor. Es zerfällt jedoch bald und wird zum Ge¬
schwür.
Der Hauptsitz der Aktinomykosisentwick-
1 u n g sind wohl kariöse Zähne, Kieferfisteln, auch entzündliche
und ulceröse Processe des Pharynx; namentlich aber begünstigen
die Krypten der Tonsillen das Eindringen des Pilzes in die Ge-
websmaschen. „Die Erkrankung beginnt meist langsam und
torpid mit der Bildung einer hanfkorn- bis olivengrossen, harten,
soliden, mit normaler Schleimhaut bedeckten Geschwulst, welche
mehrere Monate unverändert und kaum schmerzhaft bestehen
kann; allmählich eiweicht die Geschwulst oder sie vereitert und
zeigt Fluctuation; ihr Inhalt ist dünnflüssig mit Pilzkörnern ver¬
mengt; sie bricht meist nicht von selbst auf.“ (S c h e c h.)
Als Rarität ist noch ein Fall von Echinococcus der Tonsill* 1
zu erwähnen (Dupuytren: Le^ons orales, Vol. II, p. 179).
Die carcinomatöse progressive Wucherung
der Tonsille zeichnet sich aus durch ein gleichmässig zunehmende-
Wachst hum, harte Consistenz von unregelmässiger, mehr höcke¬
riger Form, die Farbe ist meist bla3s, die Oberfläche meist glatt,
es fehlen lakunäre Einsenkungen. Die Geschwulst ist schmerz¬
haft, sie hat die lebhafte Tendenz des Ueberwuchems auf die
Nachbarschaft. Auch die härteren scirrhösen Formen des Carci-
noms neigen nach längerem Bestände zu Zerfall und ermangeln
selten ulceröser Processe. Oft schon frühzeitig, immer aber in
späteren Stadien, melden sich die Zeichen der Krebskachexie,
die Körpergewichtsabnahme und die anaemisehe Hautfarbe.
Charakteristisch ist für das Carcinom die frühzeitige Metastaseu-
bildung am Halse und die Härte der infiltrirten Drüsen. Gerade
hiedurch unterscheidet sich auch das Carcinom, sogar so lange
es noch klein ist, von der benignen Hyperplasie. Auch durch
die verschiedene Consistenz und Oberfläche unterscheidet sich
das schmerzreiche Carcinom von der kryptenreichen, schmerz
losen, chronisch-entzündlichen Hyperplasie. Während letztere
vorwiegend eine Erkrankung des Kindesalters ist, nimmt die
Frequenz der Carcinome mit dem höheren Alter zu. In späteren
Stadien fehlt der Hyperplasie natürlich auch die Kachexie und
die Ulceration.
Schwierigkeiten kann die Differentialdiagnose
mit Carcinom gegenüber Syphilis oder A k -
tinomykosc nur bieten, wenn eine der beiden Erkrankungen,
was wohl kaum der Fall sein dürfte, auf den Tonsillen be¬
schränkt auf tritt, da der lokale Befund Charakteristisches nicht
ergibt. Bei genauer Untersuchung des ganzen Körpers lassen
sich dann wohl stets weitere Anhaltspunkte zur Sicherung der
Diagnose finden. Diese fehlen gerade bei Lues in Form von
Narben, Driisenschwellungen fast nie. Kann man zudem hier
durch den Erfolg specifischer Therapie einen sicheren Schluss
ziehen, so ist das bei der Aktinomykose durch die mikroskopische
Untersuchung des abflicssenden oder durch Punktion gewonnenen
Eiters gegeben.
Am schwierigsten aber liegen die diagnostischen Verhältnisse
bei den Sarkomen.
Das Sarkom tritt in allen Altersperioden auf, sogar im
Kindesalter. Es beginnt ohne lokale Beschwerden höchstens mit
dislocirten Schmerzen am Ohre. Es kennzeichnet sich nur durch
sein einseitiges Auftreten, durch sein gleichmässig fortschreiten¬
des Wachsthum; doch kommt auch zeitweise Wachsthumsstill¬
stand vor. Die Oberfläche der sarkomatös degenerirten Tonsille
ist meist glatt, die Farbe roth-bläulich, die überkleidende
Schleimhaut selten ulcerirt. Auf die Nachbarorgane greift die
Neubildung seltener, jedenfalls erst in späteren Stadien über.
Gegenüber den Sarkomen anderer Organe treten hier schon sehr
frühzeitig Metastasen auf. Hat die Geschwulst erst längere Zei
bestanden und eine gewisse Grösse erreicht, dann lässt der zum
Arzt kommende Kranke meist schon jene eigene wachsartig •
blasse Hautfarbe erkennen, ähnlich den Septikaemischen.
In der ersten Entwicklung machen akti nomykotiache
und tertiärluetische Tumoren die Differenzirung mit
der sarkomatösen Degeneration der Tonsille schwierig, da sie
makroskopisch kaum Unterschiede ihnen gegenüber bietet.
Allen dreien fehlt der Schmerz, die Consistenz ist wechselnd,
sie kann bei Aktinomykose Fluktuation zeigen, die Farbe ist
hier vielleicht blasser als bei Gumma und Sarlo-m. Letzteren
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1378
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
kommen die Metastasen am Halse zu. Auch eine therapeutisch-
günstige Einwirkung durch Jodkali gibt unsicheren Aufschluss,
da Sarkome oft vorübergehende Besserung zeigen. Hier ent¬
scheidet also vor Allem, ausser der Anamnese, die Feststellung
weiterer Krankheitsherde oder Narben und die mikroskopische
Untersuchung. Besteht aktinomvkotische oder luetische Affek¬
tion schon lange Zeit, dann ist in Folge des eitrigen Zerfalles
derselben die Verwechslung mit Sarkom ausgeschlossen.
In der ersten Zeit der Sarkomentwicklung hat die so ver¬
änderte Tonsille die grösste Aehnliehkeit mit der chronisch-
entzündlichen Hyperplasie. Diese gibt auch am
meisten Anlass zu Fehldiagnosen. Treten im mittleren oder be¬
sonders höheren Alter, wo benigne Hyperplasien so gut wie aus¬
geschlossen sind, bei einem Kranken überhaupt liingerdauernde
Beschwerden am Ohr, oder am Halse auf, oder ist eine Ver-
grösserung der Tonsille schon constatirt, die stetig zunimmt, so
liegt der Verdacht nahe, dass es sich nicht um eine benigne
Veränderung handelt. Der Verdacht einer malignen Bildung
ist um so mehr gegeben, wenn der Tumor tuberöse Form, eine
glatte, roth-bläuliche Oberfläche, mit wenigen oder kleinen
Krypten zeigt, wenn harte Lymphdriisen an der gleichen Hals¬
seite zu fühlen oder gar schon anaemische Erscheinungen kennt¬
lich sind. Hier muss zur raschen Entscheidung gaschritten
werden und, wenn klinisch nicht möglich, die Diagnose durch
mikroskopische Untersuchung eines exeidirten Tumorstückchens
gestellt werden.
Bei dem raschen Wachsthum der malignen Geschwülste der
Tonsillen erscheint es mir überhaupt rathsam. an allen nach
dem 30. Lebensjahre auftretenden Tumoren, sofern nur der ge¬
ringste Zweifel in der klinischen Diagnose besteht, die Struktur
durch mikroskopische Untersuchung sobald als möglich fest-
zustellen.
Die Nothwendigkeit der Untersuchung bestellt nicht bloss
zur Unterscheidung zwischen gut- und bösartigen Geschwülsten,
sondern auch zur Unterscheidung der Arten maligner Ge¬
schwülste unter sich und zwar in prognostischer wie thera¬
peutischer Hinsicht. Was diese betrifft, handelt es sich bei den
Carcinomen der Tonsille ausschliesslich um Epitheliome und
zwar um Plattenepithelcardnome. Die Sarkome unterscheiden
sich histologisch, je nach ihrem Ausgangspunkte vom Binde¬
gewebe, in Fibrosarkome und die seltenen Spindelzellensarkome,
oder nach ihrem Ausgangspunkte von den lymphatischen Ele¬
menten als Alveolär- und Lymphosarkom. Zwischen beiden
stehen die Rundzellensarkome. Als seltene Geschwülste sind
noch die Rhabdomyosarkome anzuführen (W a g n e r und
Mikulicz). Sie zeigen sich als derbe Infiltrate oder als um¬
schriebene Geschwülste und neigen sehr zum geschwürigen Zer¬
fall. Ob die als maligne Lymphome beschriebenen Fälle eine
eigene Krankheit gegenüber dem Lymphosarkom darstellen, ist
wohl noch nicht sicher entschieden. Auffallend ist jedenfalls bei
einzelnen als Lymphomen oder Lymphosarkom beschriebenen Fäl¬
len das reichliche Auftreten von sarkomatösen Metastasen in der
Haut, der gelegentliche Stillstand in deren Wachsthum und die
spontane, oft totale Rückbildung selbst grosser metastatischer
Geschwülste (Kaposi). Während Hautmetastasen bei Sar¬
komen der Tonsillen nicht beobachtet sind, werden in ver¬
schiedenen Fällen Metastasen ferner liegender Drüsengruppen,
wie die axillaren, retroperi tonen len. erwähnt. Fehlt dem Carei¬
nom die frühzeitige Metastasirung der nächst liegenden Hals-
driison niemals, so trifft dies hier auch bei den Sarkomen zu. So-
ferne nur einige Wochen seit. Beginn der Erkrankung vergangen
sind, lioss sich in fast allen Fällen die Vergrösserung der Drüsen
naehweiseu. Charakteristisch Kt die Härte der metastasirten
Lymphdriisen und das Befallensein bestimmter Gruppen. Zu¬
nächst befallen sind die hinter dem Kieferwinkel liegenden
Drüsen gruppen, dann die der Carotisgabelung, besonders aber
die Glandulae cervioales profundae unter dem Kopfnieker.
Gelegentlich führen gerade die Metastasen durch massen¬
hafte Entwicklung zu Schluck- oder Kaubeschwerden in Folge
Bewegungsbehinderung des Kiefers oder durch eigenartige Lage
an der Trachea, und am Jugulum zu Athemhesehwerden.
Nicht unerwähnt bleibe der von Krön lein beobachtete
Fall von sekundärer Tvreh«infektion der Tonsille nach primärem
Mammacareinom.
_ Klinisch lassen sich die Carcinome und Sarkome durch fol¬
gende Hauptmerkmale unterscheiden, wie sie Honsel über¬
sichtlich angibt:
Eigenschaften: Carcinom
Aeusseres Ansehen Geschwür
Neigung zur Ausbreitung in
der Uui.ebung gross
Dissemination iin Körper fehlt
Häufigstes subj. Symptom Schlnckbesehwerden
Schmer/, 'n
Sarkom
tuberöser Tumor
gering
theilweise
Schlackbeschw.
Athemnoth.
Vor ich auf die Krankengeschichte übergehe, möchte ich
noch einige Bemerkungen über die Aetiologie machen. Bei den
malignen Geschwülsten im Allgemeinen bilden chemische und
mechanische Reize, Traumen und besonders chronische Entzün¬
dungen den Grund der Entstehung. Während besonders bei den
Lippen- und Zungencarcinomen diese Entstehungsursachen all¬
gemein anerkannt sind, finden sich bei den bisher veröffentlichten
Fällen von Tonsillargeschwülsten nur ganz wenige diesbezügliche
Angaben. Besonders auffallend ist das Fehlen vorhergegangener
chronischer Entzündungen. Im Gegentheile, es hat den An¬
schein, als ob gerade diejenigen Tonsillen zur malignen Degenera¬
tion prädisponiren, welche vorher von entzündlichen Affektioneu
frei geblieben waren. Die Bevorzugung des männlichen Ge¬
schlechtes an der Erkrankung ist hier wie bei Carcinomen anderer
Organe, auch die Häufigkeit des Auftretens in den verschiedenen
Altersperioden bietet nichts Abweichendes.
(Schluss folgt)
Aus dem Universitiitsinstitut für Chirurgie und topographische
Anatomie (Direktor: Herr Prof. Dr. Th. Jonneseo) zu Bukarest.
Die Ligatur der Gefässe der Milz beim Thier.
Von Dr. Balncescu,
Assistenzarzt der Klinik und des Institutes.
Clement Lucas') schlug zuerst im Jahre 1882 vor. die
Unterbindung des Gefässstieles der Milz behufs Herbeiführung
einer Milzatrophie da, wo die Splenektomie wegen zahlreicher
starker Adhnesionen oder ungünstigen Allgemeinbefindens nicht
ausführbar sei, zu versuchen.
Dic-cs Verfahren führte jedoch in den Fällen, in welchen
es bisher angewandt wurde, zum Tode der Kranken. So unter¬
banden W y m a n ') 2 Zweige der Art. splenica einer malarischen
mit der Nachbarschaft stark adhaerenten Riesenmilz, dann
B a t t 1 e 3 ) den ganzen Gefässstiel der Milz in einem Falle von
durch Kontusion des Abdomens verursachter Milzruptur, ferner
M a r c h a n d und Kuester*) den ganzen Gefässstiel einer
leukaemischen Riesenmilz und schliesslich Tricomi') die Art.
splenica einer leukaemischen Milz. Alle diese Kranken starben
jedoch: der erste an septischer Peritonitis 48 Stunden nach der
Operation, der zweite an Peritonitis am 9. Tage, der dritte sofort
nach dem Eingriffe und der vierte nach 45 Tagen. —
Seit langer Zeit hat man auch daran gedacht und versucht,
die Tumoren und besonders die inoperablen Geschwülste durch
Verkleinerung ihrer Ernährungswege zur Atrophie zu bringen.
Jedoch wegen der Misserfolge, die man dabei hatte, verwarf man
bald diese sogen. Methoda atrophicans. — Erst seit einigen Jahren
kamen die Chirurgen auf diese Behandlungsweise wieder zurück
und wandten sie in vielen Fällen von inoperablem Uteruscarcinom
an. — Sie erwies sich dabei als die beste Palliativbehandlung,
die alle bisherigen Palliativmittel zu ersetzen vermag.
Damit, die Atrophie eines Organs sicherer und rascher er¬
folgen könne, räth F rede t *), saramtliche Emährungswege des¬
selben resp. das hetr. Organ aus der Blutcirculation ganz auszit-
sehalren. Demi die bisherige Erfolglosigkeit der Ligatur beim
Zungencarcinom schreibt dieser Autor den zahlreichen Gefässen
der Zunge, die alle zu unterbinden nicht möglich sei, zu.
Um das Schicksal der Milz nach der Ligatur ihres Gefäss-
stiolo bezw. die Erscheinungen, welche nach einer plötzlichen
') CI. Lucas: Lancet 1882, T. I, p. 527.
0 Wyman: Amer. med. assoc. 1889.
*) Battle: Med. Pres, and circular 1893. T. LV. p. 403.
4 ) Marchand und Küster: Berl. klln. Wochenschr. 1894,
p. 813.
*) Tricomi: Mercredl Med. 1894. p. 232
*' Fred et: Des Ligntures de l'artfcre uterine. Revue de
Chirurgie 1898. No. 5. p. 4(51.
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27. August 19Ö1. MüENCHENER MEDiCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1376
und vollständigen Ausschaltung dieses Organs aus der Blut-
cireulation oder nach einer ers^ allmählich wachsenden Verkleine¬
rung seiner Emährungs wegen auf treten, kennen zu lernen, fing
ich schon seit 1896 an, eine Serie von Versuchen bei Hunden
zu machen. Die Ergebnisse, deren ein Theil auf den französischen
Kongressen für Chirurgie in den Jahren 1897 und 1898 von
Herrn Prof. Dr. Th. J onnesco’) mitgetheilt wurde, sind nun
folgende:
I. Ligatur des ganzen Gefässstieles der Milz mit Einschluss
des Ligamentum gastro-lienale.
Operationstechnik: 8—10 cm lange Laparotomie mediana
supraumbilicalis. Man sucht die Milz auf und bringt sie aus
dem Abdomen heraus, was bei dem langen Stiel der Hundemilz
leicht gelingt. In einigen Fällen wird nun ein wenig sanguino¬
lenter Saft aus einem vorher kauterisirten Punkt der Milzober¬
fläche mit Pipette oder Platinnadel entnommen und auf Bouillon,
Gelatine, Milch etc. behufs bncteriologischer Untersuchung ge¬
bracht. Dann wird der ganze Gefässstiel der Milz mit Ein¬
schluss des Lig. gastro-lienale mit 2 oder mehreren Catgutfäden
No. 1 oder 2 fest unterbunden. — Man bringt die Milz in die
Bauchhöhle zurück, vernäht dann die Abdominalwundo und legt
einen Verband an. Selbstverständlich worden dabei die anti-
septischen und aseptischen Regeln ebenso streng wie in der
menschlichen Chirurgie beobachtet
Erste Versuchsreihe:
Lebensdauer der Thiere post operatioue in.
Es starben:
8 Ilunde nach 24 Stunden.
Autopsie: Bei den 5 ersten: Milz um das 3-4 fache ver-
grössert, hart, braun. Kapsel intakt und frei von Adhaesionen.
Bei einem: Normalgrosse, der Gasgangraen verfallene
und auf Druck knirschende Milz. Bauchhöhlenflüssigkeit lu
grösserer Quantität
Bei den 2 letzten: Verkleinerte, der Gasgangraen
verfallene Milz, deren durchbrochene Kapsel die Pulpa heraus-
iliessen liess. Bnuchhöhlenflüssigkeit brauner als sonst und in ihr
schwammen gangraenöse Milztheile.
Bei allen 8 Tliieren war die Bauchhöhle von einem sanguino¬
lenten, schmutzig-braunen Fluidum gefüllt.
20 Hunde nach 48 Stunden.
Autopsie: Bel 9 Hunden: Enorm grosse, dunkelbraune
Milz. Kapsel gespannt Milz etwas weniger hart als bei den
vorigen. Gangruen mehr fortgeschritten. Bauch¬
höhle von einer sero-sanguinolenten Flüssigkeit, in welcher die ad-
haesionsfreie Milz schwamm, ganz ausgefüllt
Bei 3 Hunden: nonnalgrosse, leicht zerreissliche Milz.. Die
weiche Pulpa behält die Fingereindrücke bei. Die Milz hatte
schwache, leicht zerreissliche Adhaesionen mit dem Netz und dem
Magen. Chokoladenfarbige, schmutzige Bauchhöhlenflüssigkeit.
Bei 8 Hunden: Stark verkleinerte Milz, deren einige
Partien der Gasgangraen verfallen sind. Die Kapsel zeigt
mehrere Rupturen, die die braungelbliche Pulpa herausfliessen
lassen. Milzstücke schwammen ln einem schmutzigbraunen Baucli-
böhlenfluidum.
3 Hunde nach 3 Tagen.
Autopsie: In der Nähe des Milzhylus fand sich ein kleiner
Kapselrest in Verbindung mit einer kleinen Portion von Milz-
parenchym. Der Rest der Milz zerstört und in kleine gan¬
graenöse Stücke zerthellt, welche mit der die Milzloge umgebenden
sanguinolenten Flüssigkeit untermischt sind. Darmadhäslonen be¬
grenzen ein wenig diese Loge.
2 Hunde nach 4 Tagen.
Autopsie: Milz um die Hälfte verkleinert und zu
einem gelblichen Brei, der ln einer seropurulenten Flüssigkeit
schwamm, umgewandelt Das Ganze fand Aufnahme in einem
durch Netz- und Darmadhaeslonen gebildeten Sack. Im Abdomen
schmutzige seropurulente Flüssigkeit, ln welcher die Darm¬
schlingen schwammen.
2 Hunde nach 5 Tagen.
Autopsie: Die Milz war auf eine einfache, unförm¬
liche, braungelbliche Masse reduzirt, welche von
den Darmschllngcu und dem Netz umgeben ist. Letztere begren¬
zen einen weiten, mit sanguinolenter und einen penetranten Ge¬
ruch verbreitenden Flüssigkeit gefüllten Sack. In dieser nicht-
eitrigen Flüssigkeit fanden sich Milzstücke. die vielmehr faulen¬
den Coagula, als dem Milzparenchym ähnelten.
1 Hund nach 8 Tagen.
Autopsie: Die Milz war fast verschwunden, um
den Milzstumpf war ein kleiner Sack, welcher chokoladefarbigen
Elter enthielt.
1 Hund nach 9 Tagen.
Milz zu einem kleinen Knoten umgewandelt, welcher
in einem eitrigen Sack schwamm, er war durch miteinander ver¬
wachsene Darmschlingen gebildet.
9 Th. Jonnesco: Congr. frnnc. de Chirurg. 1897, p. 602 et
1898, p. 462.
No. 35.
Zweite Versuchsreihe:
Nach Vornahme der in Rede stehenden Liga¬
tur wurde eine zweite Operation (explorative
Laparotomie) gemacht, um den Milzbefund noch
während des Lebens der Thiere zu erheben. Es
wurden also reoperlrt:
2 Hunde nach 24 Stunden: In der Bauchhöhle sero-
siinguiuolenteK Fluidum. Die normalgrosse Milz hatte frische
Adhäsionen mit dem Netz und dem Magen. Kapsel ein wenig
runzelig. Nach Erhebung dieses Befundes wurde die Splenektomie
gemacht und die Thiere starben nach 24 Stunden.
Autopsie: Milzparenchym braungräulich und stark kou-
gestiouirt.
4 Hunde nach 2 Tagen: Bei 2 Milz kleiner als nor¬
mal, schlaff, leicht zerreisslich. Kapsel gerunzelt, intakt Auf
dem Durchschnitt fliesst die Pulpa wie eine schmutzigbraune
Flüssigkeit von penetrantem Geruch heraus. Schwache Ad¬
häsionen der Milz mit der Umgebung. In der Bauchhöhle san¬
guinolente Flüssigkeit. Es folgten Splenektomie und Ausspülung
der Bauchhöhle mit aseptischer physiologischer Kochsalzlösung.
Tod nach 24 Stunden.
Bei den 2 übrigen eine dunkelbraune R i e 8 e n m i 1 z; die
Kapsel gespannt, intakt Die adhaesionsfreie Milz schwamm in
einer sanguinolenten Flüssigkeit, welche in grosser Menge die
Bauchhöhle ausfüllte. Gleich darauf Splenektomie und Aus¬
spülung der Bauchhöhle mit aseptischer physiologischer Kochsalz¬
lösung. Tod nuch 24 Stunden.
1 Iluud nach 3 Tagen: Stark verkleinerte Milz. Die
Kapsel runzelig, aschefarbig und an dem Netz adliärent. Eine
schmutzige Flüssigkeit füllte die Bauchhöhle aus. Splenektomie
und sofortiger Tod.
2 Hunde nach 4 Tagen: Bei dem einen war die Milz
riesengross, hart und dunkelbraun. Kapsel gespannt Sie
ähnelte im Ganzen der Milz der voiigen, 2 Tage nach der Ligatur
reoperlrten Hunde. Keine Splenektomie. Tod nach 3 Tagen.
Bei dem zweiten: Milz stark verkleinert und am Magen
adliärent, die Kapsel durchbrochen. Der nekrotische Zerstörungs¬
preeess fortgeschritten. Schmutziges Fluidum füllte die Bauch¬
höhle aus. Splenektomie und Ausspülung der Bauchhöhle mit
Sublimat 1:2000. Trotzdem Tod nach 16 Stunden.
Autopsie: Bei dem nach 3 Tagen verstorbenen: Milz stark
verkleinert. Die Kapsel am hinteren Milztheil durchbrochen. Aus
der Ruptur floss ein schmutziges Fluidum heraus, das im Ganzen
dem der Bauchhöhle ähnelte.
1 Hund nach 8 Tagen: Wenig seröses, trübes Fluidum
in der Bauchhöhle. In der Milzgegend ein kleiner Netzknoten, in
dessen Mitte die Milz sich fand. Sie Avar auf die Grösse
einer Nuss reduzirt und zu einem braunen Brei umgewandelt,
auf dem Durchschnitt sieht man auch gelbe Theile. Nach Exstir¬
pation dieses kleinen Knotens blieb das Thier am Leben.
1 Hund n a c li 15 Tagen: Auch hier war die Milz zu
einem haselnussgrossen Knoten verkleinert und vom
Netz umgeben und mit dem Magen verklebt Keine Spur a*oii
Fluidum ln der Bauchhöhle. Nach der Estirpation des Mllzknoteus
lebte das Thier Aveiter.
1 Hund nach 16 Tagen: Auch hier die Milz zu einem
kleinen Knoten reduzirt, wie Aveun die Splenektomie ge¬
macht worden Avüre. Der Milzknoten fand sich in der Mitte einer
Netzmasse, die ringsum an der Milz adhärlrte. Nach Exstirpation
des Milzknotens lebte das Thier weiter.
3 Hunde nach 20 Tagen: Bei dem einen Avar die Milz
zu einem haselnussgrossen Knoten verkleinert, welcher
auf dem Durchschnitt ein gelbliches Aussehen bot. Nach Exstir¬
pation desselben lebte das Thier weiter.
Bei den 2 übrigen schAvnmm die zu einem kleinen Kno¬
ten verkleinerte Milz in einem eitrigen, gut abgrenzbaren Sack,
welcher bei dem einen an der Abdominalwand adhärlrte, beim
anderen ganz frei war und einer Cystengeschwulst des Netzes
ähnelte. Der Eiter ist als Entzündungsprodukt aufzufassen. Dl«*
Wände des Sackes waren verdickt. Leben.
2 Hunde nach 25 Tagen: Die Milz zu einem kleinen
Knoten reduzirt, welche ln einem mit Eiter gefüllten, gut ab¬
grenzbaren und an der Abdomiualwand adhärenten Sack
schwamm; braungelblicher Eiter floss durch die SackAvand heraus
und war mit kleinen Pulparesten untermischt. Die Sackwänd«*
verdickt Leben.
1 Hund nach 33, 1 nach 43, 1 nach G0, 1 nach
83 Tagen: Bei allen diesen war die Milz gauz verschwun¬
den, gleich als ob die Splenektomie gemacht worden wäre. Gar
keine Adhäsionen zwischen den Darmschlingen. Das grosse Netz
frei und normal. Da, wo die Ligaturfädeu angelegt wurden, gibt
es einen Knoten, der auf dem Durchschnitt gelblich aussieht. In
demselben gar nichts von Milzpulpa oder Milzkapsel zu sehen.
Leben.
Wir sehen also, dass von den 58 Hunden, bei welchen wil¬
den ganzen Gefässstiel der Milz mit Einscliluss des Lig. gastro-
lienale unterbunden, 37 im Zeitraum von l-*-9 Tagen
zu Grunde gingen. Zu dieser Gruppe muss man auch
die ersten 9 Hunde aus der zweiten Versuchsreihe rechnen, weil
sie die gleiche kurze Ivcbensdauer post oporationeui (1—7 Tage)
und die gleichen jetzt zu schildernden Milzveränderungen luitten:
Bei diesen 46 Thieren ergab nun,die Autopsie Folgendes:
Die Milz geht zuerst durch das Stadium der Hypertrophie. dann
3
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1380 MtTENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35.
folgt eine rasche Nckrotisinnig ihrer Elemente, ln einigen Fällen
verfällt die Milz der Gasgangruen. Stets 48 Stunden nach der
ersten Intervention wird die Milz schlaff, brüchig und enthält
viel Saft, der an geformten Elementen sehr arm ist. — ln der
Bauchhöhle findet sich stets ein sero-haemorrhagischee Fluidum,
welches um so massenhafter ist, je länger das Thier die Ligatur
überlebt hat. Es ist als ein peritonitisches Exsudat, welchem m
den Fällen von Kapselruptur der in der Milz während ihrer Ne¬
krose gebildete und aus den Rupturstellen in grosser Menge
herausgeflossene schmutzigbraune Saft, sowie auch kleine nekro¬
tische Milzpartien beigomischt sind, aufzufassen. In demselben
finden sich übrigens, wenn es massenhaft ist. Unzählige Leuko-
cyten von jeglicher Form, die jedoch die gleichen Laesionen wie
die Milzelemente zeigen.
Bei der mikroskopischen Untersuchung (Herr
Bruckner) zeigte es. sich, dass die Nekrose um so ausge¬
sprochener war, je länger das Thier die Ligatur überlebt hat.
Im letzten Fall ist die Milz unförmlich; ihre Elemente sind
nicht mehr zu erkennen. Die Zellen des Parenchyms, die Tra¬
bekeln und die Gefässwände sind getrübt und schwer abgrenzbar.
Auf der Oberfläche der Kapsel Ablagerung von zum grössten
Theil nekrotisirten Leukocyten. Je früher das Thier starb, desto
mehr näherte sich der Befund dem Normalen. Jedoch bei den
24 Stunden post ligaturam gestorbenen Hunden sind stets kleine,
absolut typische nekrotische Partien, dann eine Anschwellung
der Milzelemente und der Beginn einer trüben Degeneration
der letzteren zu konstatiren: das mehr opake Protoplasma färbt
sich undeutlich. Die Kerne sind dunkel, schlecht abgrenzbar.
In den letzteren sind keine chromatischen Körperchen zu
sehen. In einigen Fällen ist ein im Milzparenchym frei zer¬
streutes dunkelbraunes, feines Pigment sichtbar. In allen Fällen
fanden sich jedoch im Milzparenchym grosse Massen von einem
duukelgelben Pigment, welche vielleicht von vielen mit¬
einander verklebten und dann degenerirten rothen Blutkörper¬
chen herstammen. Im ganzen Milzparenchym findet sich kein
einziges lebendes Element: sämmtliche Zellen, die noch nicht
verschwunden sind, gelangten nahe an die Nekrose. Niemals
fanden sich abnorme Elemente wie Mastzellen etc.
Die bacteriologische Untersuchung ergab gar
keine Mikroorganismen in der physiologischen Milz. Erst bei der
Autopsie gewannen wir in einigen Fällen Kulturen von Bac-
terium coli und Streptococcen. Dieselben fanden sich auf der
Kapsel und unter derselben, sowie im Bauchhöhlenfluidum um
so massenhafter, je länger das Thier die Ligatur überlebt hat.
Gegen das Centrum der Pulpa hin wurden dieselben immer
weniger und fehlten im Centrum ganz, wenn die Thiere kurze
Zeit gelebt haben und ihre Autopsie rasch gemacht wurde. Die
Invasion der Mikroorganismen erfolgt also erst nach dem An¬
legen der Ligatur und erklärt sich folgendermaassen: Die der
Blutcirculation resp. des Lebens beraubte und desswegen der
Gangraen verfallene Milz wirkt wie ein fremder Körper im Ab¬
domen ein, erzeugt eine Peritonitis und verwäclist mit den Nach¬
barorganen und ganz besonders mit dem Darm. — Letzteres
ruft eine Dannwandentzündung hervor, denn stets fanden wir
die mit der Milz verwachsene Darmwand verdickt, dunkelroth
und ihres Endothels verlustig. Der Uebergang der Mikroorga¬
nismen vom Darm in das Peritoneum ist unter diesen Beding¬
ungen sehr leicht möglich und eine längst bekannte Thatsache.
In der im Stadium der Nekrose befindlichen Milz finden die
Mikroorganismen endlich den günstigsten Nährboden.
Der Tod unserer Thiere scheint nicht allein durch die Peri¬
tonitis verursacht zu sein, weil in einigen Fällen trotz der früh¬
zeitigen Splenektomie keine Besserung im Befinden der Thiere
eintrat. Wir müssen hier annehmen, dass wahrscheinlich einzig
und allein die vielleicht in der Milz während ihrer Nekrose sich
bildenden, durch die Kapsel difundirenden und dann vom Peri¬
toneum sich absorbirendon Ptomaine eine Intoxikation der Thiere
herbeizuführon im Stande wären. Für die Berechtigung dieser
Annahme spricht noch Folgendes: von einer 48 Stunden nach
der Ligatur erhaltenen, in Stücke geschnittenen und gefrorenen
und plötzlich erwärmten Riesenmilz wurde der austretende Saft
filtrirt und mehreren Thioren injizirt, nachdem die Dosis der
Injektion pro Kilogramm Gewicht des Thieres berechnet wurde.
Sie tödtote einen Hasen, ein Kaninchen und 3 Ratten. Drei
andere Ratten blieben jedoch am Leben. Obwohl die bei letzteren
angewandte. Dosis sehr klein war und diese Versuche jedenfalls
nicht beweisend genug sind, so möchten wir doch dieselben au
dieser Stolle erwähnen.
Dagegen ist es von grossem Interesse, dass von den 58
Hunden, bei welchen wir, wie gesagt, den ganzen Gefässstiel der
Milz mit Einschluss des Lig. gastro-lienale unterbunden haben,
nur 12 diese Operation zu überleben im Stande
waren. Bei denselben hat die explorative Laparotomie eine
vollständige Atrophie der Milz ergeben. Die Milz
war nämlich zu einem kleinen Knoten reduzirt; in einigen Fällen
war der Knoten so klein, wie wenn die Splenektomie gemacht
worden wäre. Durchschnitte durch einen solchen Milzstumpf
eines 43 Tage nach der Ligatur reoperirten Thieres zeigten
folgende Veränderungen: die runzelige Kapsel zum grössten Theil
nekrotisirt, die Trabekeln geschwunden. Das Centrum des Kno¬
tens bis zu seiner Peripherie ist von einer nekrotischen Masse
ausgefüllt, in derselben kein einziges lebendes Element sichtbar.
Unter der Kapsel sieht man hier und da Ansammlungen von
grossen mit braunenPigmentkörnern gefülltenZellen mit grossem
Protoplasma. Es sind vielleicht Reste der subkapsularon Fol¬
likeln, welche der Nekrose, dank des gefiissreichen peripherische»
Gewebes entgangen sind. In der That ist der Milzknoten von
einem an Fett und Gefässkapillaren reichen Bindegewebe um¬
geben.
Diese Fälle bestätigen die Rt*sultate von Carriere und
V auverts"). Auch ihre 11 Thiere (8 Hunde und 3 Hasen),
bei welchen der ganze Gefässstiel der Milz unterbunden wurde,
haben die Ligatur überlebt und zeigten grösstentheils die gleichen
Milzveränderungen wie die unserigen. Eine Umwandlung der
Milz in einen mit Eiter gefüllten Sack, wie es die obigen Autoren
beobachtet haben wollen, sahen wir jedoch nicht. Denn der in
4 (von unseren oben erwähnten 12) Fällen lediglich um den Milz¬
knoten gebildete Eiter war in einem Sack enthalten, dessen Wand
nicht von der Milzkapsel, sondern von den entzündeten und nu
der Milz adhaerenten Dannschlingen und Netz gebildet waren.
Die Entstehung dieser Eiterung möchten wir nicht nach Car¬
riere und V auverts auf die Vermehrung der angeblich in
der normalen Milz existirenden Mikroorganismen, sondern ent¬
weder auf Anwendung eines weniger aseptischen Ligaturfadens
oder auf das Eingedrungensein von Mikroorganismen des Dann-
traktus zurückführen. — Ferner haben wir die von diesen
Autoren in der Milz noch beobachteten Veränderungen, wie l)e-
generatio casco-purulenta, Neubildung von Capillaren, Invasion
von Phagoeyten und Bildung von einem Bindegewebswall um den
eiterigen Milztheil, gar nicht gesehen.
In grösster Uebereinstimmung jedoch erweisen sich unsere
Fälle mit denen von B o i n e t *). Auch er unterband den ganzen
Gefässstiel der Milz bei Hunden, sah jedoch die meisten daran
zu Grunde gehen und konstatirte die gleichen Milzveränderungen,
wie wir sie bei den unsorigen beschrieben haben. Nur waren
dieselben in unseren Fällen von einer Kongestion der Lungen,
der Leber und der Nieren, sowie einem Haemorrhagischwerden
der suprarenalen Kapsel nicht begleitet. Endlich haben auch
einige seiner Thiere die Ligatur 18 Tage bis 4 Monate lang über¬
lebt und dann konnte er Atrophie der Milz nachweisen.
II. Partielle Ligatur des Gefässstieles der Milz.
Erste Versuchsreihe:
Bel 4 Hunden wurden einzig und allein di«*
Art. splenlca und Vena splenlca da, wo erster«*
von der Art coellaca abgeht unterbunden,
nachdem dieselben gut Isollrt wurden.
Die obigen Hunde wurden 17, 20, 30 und 40 Tage nach «1er
ersten Intervention zum zweiten Mal laparotomirt.
Befund: Die Milz behielt die Grösse, die sie bei der ersten
Intervention hatte, bei. Auch mikroskopisch war keine Atrophie
derselben nachzuweisen. Die Oberfläche der Milz war jedoch mit
zahlreichen weissllchen Plaques b<Hleckt. Die Milz war bt'sonders
an ihren weissllchen Plaques härter, als lm normalen Zustande.
Ringsum adhiirlrte sie schwach an dem Netz. Sodann wurde der
ganze Gefässstiel der Milz nahe am Hylus unterbunden. Das
Lig. gnstrolienale blieb frei.
Dieselben wurden 15, 18, 24 und 28 Tage nach der zweiten
Intervention zum dritten Mal laparotomirt
Befund: Die Milz war um 1—2 cm lm Längsdurchmesser
und um 1—iy 2 cm Im Breitendurchmesser verkleinert. Dieselbe
*) CarrRre et Vauverts: Arch. de mßd. exp. et d’anat.
pntholog. 1899, p. 498.
*) B o 1 u e t: ltecher. exp. sur les fonctions de la rate. Med.
orientale, No. 21, 10. Nov. 1900, p. 448.
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27. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1381
war viel härter; die welssllchen Plaques haben sieh vermehrt und
bedeckten die ganze Milzoberflüche. Die von der Mllzperiplierle
zu dem Netz und den Darmschlingen laufenden Adhäsionen sind
solider.
Zwecks der mikroskopischen Untersuchung nahmen wir die
Kplenektomie bei den obigen Thieren vor: Die Kapsel scheint
von normaler Struktur und nicht verdickt zu sein. Auf ihrer
Oberfläche ein neugebildetes Bindegewebe, das an einigen Stellen
doppelt so dick als die Kapsel, an anderen Stellen jedoch sehr
dünn ist. Es besteht aus lockerem Bindegewebe und in der Tiefe
grösstentheils aus neugebildeten Gefüssen. Etwa in die Milz ein¬
dringende neugebildete Gefässe sieht man jedoch nicht. In der
Milz finden sich keine nennenswerthon Lacsionen: die Trabekeln
und die Gefässe scheinen normal zu sein. Es handelte sich also
um eine Perisplenitis.
Zweite Versuchsreihe:
Bei 4 Hunden wurde von vornherein der ganze
G e f il s s s t i e 1 der Milz unterbunden; nur das L i g.
gustro-lienale blieb frei.
Dieselben wurden 15, 20, 25 und 40 Tage nach der ersten
Intervention'zum zweiten Mal laparotomlrt.
Befund: Die Milzveründerungen waren ebenso die gleichen,
wie in den in der obigen Versuchsreihe erwähnten Fällen, bei
welchen, wie gesagt, der ganze Gefässstlel der Milz unterbunden
wurde. Es scheint jedoch, dass dieselben liier ln viel kürzerer
Zeit, als ln den Fällen, bei welchen die alleinige Ligatur der Art
spleuic. und Vena splenlc. gemacht wurde, aufgetreten waren,
denn sie sind stets ausgesprochener.
Dritte Versuchsreihe:
Bei einer Hündin wurde am 4. Februar 1000 nach Eröffnung
des Abdomens ein 20 cm langes und 6 cm breites Stück aus dem
Peritoneum parietale der linksseitigen Bauchwand resecirt. An
dieser blutenden Fläche wurde die 18 cm im Längsdurchmesser
und 3 y 2 cm (am vorderen Thell) und 3 ein (am hinteren) im Breiten¬
durchmesser messende Milz durch 8 Seidenfäden flxlrt.
Bei der am 23. Februar, d. h. 19 Tage nach der ersten Inter¬
vention vorgenommeuen zweiten Laparotomie zeigte es sich, dass
die Milz an der Abdominalwand vollständig ndhärent war. Nun
wurde der ganze Gefässstlel der Milz mit- Einschluss des Lig.
gnstro-lienale unterbunden.
Am 26. Mai dritte Laparotomie: Nach Durchschneidung des
Gcfiis88tieles der Milz zwischen 2 Ligaturen blieb die Milz nur
au der Abdominal wand hängen und das Thier blieb am Leben.
Am 3. Juli wurde das Thier behufs Untersuchung der Milz
getödtet: Makroskopisch war die Milz 5 Finger laug und hatte
einen Dickendurchmesser von 1 Finger und einen Breitendurch¬
messer von 1 y 2 Fingern. Kapsel sehr verdickt und an einigen
Stellen leicht ablösbar. Sie ist weisslieh und an einigen Stellen
milchweiss. Auf dem Durchschnitt ist die Pulpa conslstent Die
M a 1 p i g h i'scheu Follikel leicht sichtbar und scheinen ver¬
größert zu sein.
Die histologische Untersuchung ergab: Kapsel wenig verdickt.
Auf ihrer Oberfläche findet sich jedoch ein gefässreiclies Binde¬
gewebe, welches an einigen Stellen sehr dünn, an anderen 2 bis
3 mal dicker als die Kapsel ist. Durch die besondere Structur
Ist dieses Gewebe von der Kapsel sehr leicht abgrenzbar. Seine
oberen Schichten bestehen aus runden Zellen oder aus solchen
mit Fortsätzen und grossem Protoplasma. Zahlreiche neugebildete
Gefässe sind sichtbar. Die tieferen Schichten haben grössere Ge-
fiisse und bestehen aus fusiformen Bindegewebszellen. Die Tra¬
bekeln sind stark verdickt, das retlculare Bindegewebe Ist nicht
verdickt Die Wände der Gefässe sind durch peripheren und cen¬
tralen Zuwachs stark verdickt, das Lumen derselben Ist sehr ver¬
engt. Sie sind jedoch permeabel, denn es sind in denselben gut
erhaltene rotbe und welsse Blutkörperchen zu sehen. Die Zahl der
Gefässe ist gering, dieselben haben Jedoch ein grosses Kaliber.
Die M a 1 p I g h i’schen Follikel sind gut erhalten; dieselben sind
jedoch von einem sehr dünnen Pulpakreis und unmittelbar von
einer dicken Zone verdichteten Bindegewebes genau nach Art des
Lel>erlobulu8 bei der atrophischen Clrrhose umgeben. Im All¬
gemeinen scheint die Pulpa mehr verdichtet zu sein: kleine über¬
einander gelagerte Zellen drücken sich gegenseitig. An anderen
Stellen, und besonders gegen die Peripherie hin, ist die Pulpa ln
zahlreiche, sehr kleine Inseln getheilt, welche durch sehr dicke
Zonen von verdichtetem Bindegewebe, welches Ringe bildet, von
einander getrennt sind. An einigen Stellen ist die Pulpa voll¬
ständig verschwunden und die Ringe sind sehr klein: in denselben
sind jedoch einige kleine Blutkörperchen und einige protoplasma-
reiche und mit einem gelbbraunem Pigment gefüllte Zellen zu
sehen. Auch die Milzpulpa enthält Pigmentzellen, die jedoch ln
den von der Cirrhose verschonten Theileu sehr sporadisch, du-
g<gen in den cirrhotlschen Theileu zahlreich sind. Die normaler
Weise zwischen den Pulpazelleu vorhandenen zahlreichen rot hon
Blutkörperchen sind nicht zu sehen. Abnonne Elemente in
Plasma- und Mn: tzellen sind nicht sichtbar.
Es handelte sich also um eine ring- und i n s ei¬
förmige Milzcirrhosc* in Verbindung mit Peri¬
splenitis, Endo- und Periarteritis der Milz-
gefässe.
Anhangsweise sei hier bemerkt, dass die Todesursache der
Anfangs dieser Arbeit citirten und nach der Ligatur der Milz-
gefässe verstorbenen Kranken nicht klar ist, weil die Autoren
keine diesbezüglichen Details bringen. — Es ist alsp fraglich,
ob der Ausgang der Peritonitis in den ersten zwei Fällen und
ganz besonders in B a tt 1 e’g Fall, bei welchem der ganze Gefäss-
stiel unterbunden war, nicht etwa von der Milz ausgegangen sei.
Bei dem Kranken von Marchand und Kuester scheint der
Tod in Folge des Sekretes eingetreten zu sein, die geringste Re¬
sistenz der Leukaemischen der Splenektomie und anderen Opera¬
tionen gegenüber ist ja zur Genüge bekannt. Dann bemerkens-
werth war namentlich der Milzbefund im Falle Tricomi’s:
Die der Ernährung durch Unterbindung der Arteria spleniea
beraubte Milz soll der Gangraen verfallen und allmählich resor-
birt worden sein.
Fassen wir nun kurz zusammen, so ergibt sich Folgendes:
1. Die Ligatur des ganzen Gefässstieles der Milz mit Ein¬
schluss des Ligam. gastro-lienalo bewirkt Gangraen des Organs
und wird in der grossen Mehrzahl der Fälle von tödtlichen Er¬
scheinungen b(gleitet.
Wenn dagegen die Thiere der durch die Absorption der
gangraenösen Milz verursachten Intoxikation widerstehen, so
wird die Milz vollständig atrophisch. Diese Atrophie tritt in
relativ kurzer Zeit auf, so dass das Organ nach 8 Tagen zu einem
kleinen Knoten zusammengeschrumpft ist.
2. Die Ligatur nur der Arterie oder der Vene der Milz ver¬
trägt, sich mit dem Leben des Thieres und ohne dabei die Funk¬
tionen der Milz zu schädigen, denn die collateralen Wege führen
der Milz genügendes Ernährungsmaterial zu.
3. Der nach der Ligatur nur der Arterie und der Vene der
Milz auftretende Atrophieprocess ist minimal und findet langsam
statt.
4. Der Atrophieprocess ist rasch, das interstitielle Binde¬
gewebe wuchert in reichem Maasse und die Erscheinungen, der
atrophischen Milzcirrhosc sind manifester, jedesmal, wenn die
Vasa afforentia verkleinert sind.
5. Die zwischen der Milz und der Abdominalwand sich
etablirenden neuen gefässhaltigen Adhaesionen reichen aus, um
ein vegetativ« Leben des Organes zu unterhalten. Und so ver¬
fällt die Milz nach Verschluss ihrer grossen Vasa afferentia der
Gangraen nicht, sondern lebt weiter, ihr Atrophieprocess ist je¬
doch rasch und die normalen Milzfunktionen verschwinden pro¬
gressiv.
6. Schliesslich dringen die Mikroorganismen des Darmes in
die Milz ein, erst, nachdem dieselbe aus der Blutcirculation aus¬
geschaltet wurde.
-
Ueber ein synthetisch gewonnenes Abführmittel
(„Purgatin“).
Von Dr. H. Vieth in Ludwig9hafeu a. Rh.
Schon vor einigen Jahren habe ich, und zwar zunächst auf
Veranlassung weiland Professor v. Schroede Ps, Vorsuche über
synthetische Abführmittel aus der Reihe der Oxyanthrachinone
ausgeführt. Nach dem Tode Professor v. Schroeder’s wurden
diese Versuche in umfassender Weise fortgesetzt und Herr Pro¬
fessor Gottlieb hatte die Freundlichkeit, die pharmakologische
Prüfung der dargeetellten Substanzen im pharmakologischen In¬
stitute zu Heidelberg auszuführen.
Ueber die Ergebnisse der chemischen wie pharmakologischen
Untersuchung sei in Folgendem kur« berichtet.
Es ist eine Forderung der wissenschaftlichen Pharmakologie,
au Stelle der ungleichmässig zusammengesetzten Naturprodukte,
welche die Erfahrung als heilkräftig kennen lehrte, die An¬
wendung chemisch reiner Substanzen zu setzen. Trotz mancher
Erfolge, die auf diesem Gebiete erzielt worden sind, gelingt es
doch nicht immer, die praktische Anwendung der Drogen dureh
die der reinen und exakt dosirbaren Träger der Wirkung zu
verdrängen; sei es, dass die Droge in ihrer Wirkung dem prak¬
tischen Arzte durch lange Erfahrung näher bekannt und erprobt
ist, sei es, dass die Wirkung der Droge in manchen Füllen
sicherer oder überhaupt andersartig zu sein scheint als die der
bisher isolirten wirksamen Bestandtheile. Der Grund dieser
anderen Wirkungsweise mag darin liegen, dass das Kombinations-
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1382
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.^5
vcrhältniss oder die Form eine andere ist, in der die Pflanze ihre
wirksamen Principien enthält. In solchen Fällen besteht die
weitere Aufgabe, durch planmässige Untersuchung und chemische
Veränderung der wirkenden Pflanzenbestandtheile zu reinen Deri¬
vaten zu gelangen, welche ähnliche. Wirkungsbedingungen be¬
sitzen, wie sio in der Pflanze gegeben sind.
Als Beispiel für solche Verhältnisse sei an die Gerbsäure
erinnert; die Anwendung des reinen Tannins an Stelle der tannin-
haltigen Drogen zum Zwecke der Darmadstringirung war ge¬
radezu ein Rückschritt. Erst die modernen Tanninpräparate, in
denen die Gerbsäure derartig chemisch gebunden ist, dass sie
erst im Darm allmählich in Freiheit gesetzt wird, konnten den
zu stellenden Anforderungen entsprechen.
Ein ähnlicher Fall scheint bei der Gruppe milder Abführ¬
mittel vorzuliegen, welche vornehmlich bei chronischer Obstipa¬
tion gebraucht werden, bei der Frangula, Cascara sagrada, dem
Rhabarber und der Aloe.
Den Anfang zu einer Kenntniss der wirksamen Principien
dieser Pflanzen verdanken wir unter Anderen Tschirch'),
welcher naehwies, dass alle diese Drogen Oxymothylant.hrachinonc
theils im freien Zustand enthalten, theils solche bei der hydro¬
lytischen resp. oxydativen Spaltung im Verdauungskanal liefern.
Dass die Oxymethylanthrachinone, speciell die Emodine,
wirklich an der abführenden Wirkung wesentlich betheiligt sind,
scheint daraus hervorzugehen, dass die Natal-Aloe, welche kein
Emodin enthält (Ausbleiben der Bornträge rischen Reaction),
auch beim Menschen nicht abführend wirkt, und dass andererseits
durch Injektion von Emodinlösung in eine Dickdarmschiingo
beim Meerschweinchen ausgesprochene Peristaltik erzeugt wird
(Tschirch l.c.).
Bei der Darreichung per os der durch Hydrolyse aus den
Drogen erhaltenen und im reinen Zustande isolirten Oxymethyl¬
anthrachinone scheint deren Wirkung jedoch unsicher zu sein,
jedenfalls nicht so prompt wie die der Drogen selbst oder deren
Extrakte.
Insonderheit gehen die Angaben über die Wirkung der reinen
(’hrysophansäuro, dem aus Extract. rliei isolirbaron Oxymethyl-
anthrachinon. in der Literatur weit auseinander, so dass diese
Substanz theils als sicher wirksam, theils als völlig wirkungslos
bezeichnet wird. Zur Prüfung dieser Frage wurde eine grössere
Menge reiner Chrysophansäure durch Oxydation von Chrysa-
robin mit Luft, dargestellt und damit eine Reihe von Versuchen
gemacht: 0.5 g derselben bewirkten bei der Katze meist dünn¬
breiige Entleerung; die Substanz wurde daher in der unten folgen¬
den Aufstellung als schwach wirksam bezeichnet.
Hiernach musste man zur Ansicht gelangen, dass zwar die
Oxymethylanthrachinone in den genannten Drogen thatsächlich
an der Abführwirkung betheiligt sind, d^es ihre Wirkung im
reinen Zustande aber erheblich schwächer ist als in Form der
Drogen. Wonuif diese Verschiedenartigkeit der Wirkung beruht,
bleibe vor der Hand dahingestellt. Die Annahme, welche z. B.
Schmiedeberg in seinem Grundriss der Arzneimittellehre
macht und ausführlich begründet, dass die freien Substanzen
zu schnell resorbirt werden, um wirken zu können, ist zwar nahe¬
liegend, scheint aber der Thatsache zu widersprechen, dass z. B.
Aloin auch bei subkutaner Einspritzung, beim Thier wenigstens,
sicher abführend wirkt. Es wird in den Darm ausgeschieden
und ksfnn in den Faeces leicht nachgewiesen werden.
Wie dem auch sei, die aus den abführenden Drogen isolirten
Oxymethylanthrachinone hatten sich beim Thier sowohl wie
beim Menschen (eigene Versuche) als wirksam erwiesen. Es war
daher die Aufgabe gegeben, nach ähnlichen, leicht erhältlichen
Substanzen zu suchen und diese dann chemisch so zu binden,
dass sie bei interner Darreichung möglichst günstige Wirkungs¬
bedingungen besitzen.
Da die Darstellung der reinen Oxymethylanthrachinone aus
den Drogen in grösserer Menge zu kostspielig ist, um praktisch
in Frage kommen zu können, so wurde zunächst versucht, andere
Quellen für diese Substanzen zu erschliessen.
Die in den Drogen enthaltenen Oxymethylanthrachinone sind
bekanntlich nicht alle miteinander identisch, sondern unterschei¬
den sich durch Anzahl und Stellung der Hydroxyle. Da nun a priori
anzunehmen war. dass die an Kohlenstoff gebundene Methyl¬
gruppe ähnlich wie hoi vielen anderen Substanzen für die spe-
’) Berichte d. Deutsch. Pharmazeut. Gesellsch. 1808, S. 174.
cifische Wirkung nicht wesentlich sei, so wurden alle leicht zu-f'-J
gänglichen Oxyanthrachinone der Reihe nach durchgeprüft. Da ■
diese Substanzen in der Farbstoffindustrie in grossen Mengen •
verwendet werden, so sind sie leicht erhältlich und meist billig.
Die pharmakologische Prüfung wurde an Katzen ausgeführt,
die sich hierfür bei ausschliesslicher Fleischkost gut eignen. 1
Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass es wesentlich die Trioxy- j
anthrachinone sind, welche mehr oder weniger abführend wirken.
Auch das Emodin gehört ja zu dieser Gruppe. Die mehr als vier
Hydroxyle enthaltenden Anthrachinone wurden unwirksam be¬
funden, während unter den Dioxyverbindungen nur die Chryso¬
phansäure und das Xanthopurpurin sich als wirksam erwiesen. ;
Name
Constitution
10
o
O
1, 2 Dioxyanthrachinon
1, 2 Dioxyanthrachinolin-
0.5
1,0
Alizarinblau .
unwirksam
chinon
Xanthopurpurin..
1, 3 Dioxyanthrachinon j
0,3 ;
0,6 ,
unwirksam
wirksam
jl, 4 Dioxyanthrachinon |
1,0
1,0
Methylcliinizarin .
unwirksam
Chrysophansäure.
Methyldioxyanthrnchinon
0,5 1
wirksam (unsicher)
(
0,1 i
unwirksam
Anthragallol.
1,2,3 Trioxyan tl vrachi non j
0,3 1
wirksam
1
1,0
stark wirksam"
1,2,4 Trinxyanthrachinon j
1.0
unwirksam
2,0
wirksam
Nitropurpurin ....
—
1,0
unwirksam fstetf^
Erbrechen)
0,1
unwirksam
Flavopurpurin ...
l,2,6Trioxyauthrachinon
0,2
wirksam
0,5
stark wirksam
0,03
unwirksam
0,05
unsicher wirksam
Anthrapurpurin ..
1,2,7 Trioxyanthrachinon
0,1
0,3
wirksam
stark wirksam
0,5
sehr stark wirksam
Methyltrioxyanthrachin. j
0,1
unwirksam
0,2
Alizarinbordeaux .
1, 2, 3, 4 Tetraoxyanthra-[
0,5
unwirksam
chinon i
1
1,0
wirksam
Pentaoxyanthrachinon
Hexaoxyanthrachinon
1,0
1,0
unwirksam
unwirksam
Die Methylgruppe im Kern scheint, wie im Voraus ver-
muthet, keinen merklichen Einfluss auf die abführende Wirkung
zu besitzen *).
Ordnet man die Substanzen nach der Stärke der Wirkung,
so erhält man folgende Reihe: v
Anthrapurpurin
Emodin
Flavopurpurin
Anthragallol
Chrysophansäure
Xanthopurpurin
Alizarinbordeaux
Purpurin
Von den genannten Verbindungen kommen praktisch ledig¬
lich Anthrapurpurin und Flavopurpurin in Betracht.
Nun gibt es aber noch eine andere Reihe von Substanzen,
welche zwar selbst keine Anthrachinone wie die bisher genannten
sind, die aber bei der Oxydation in Anthrachinone übergehen. ,
Von den natürlichen Abführmitteln gehört das Aloin hierher.
Man kann diese Substanzen durch partielle Reduktion der Keton¬
gruppen entstanden denken. So besteht das Chrysarobin aus
Reduktionsprodukten der Chrysophansäure, denn man kann diese
- i
*) Auch die Bornträger’scbe Reaction (vlolettrothe Fär¬
bung beim Auskochen mit Wasser und Behandeln mit Benzol und
Ammoniak) wird durch die Methylgruppe nicht wesentlich beein¬
flusst, wie dies T s c h 1 r c h (1. c. S. 200) anzunehmen scheint, denn
auch die Ester des Anthrapurpurins und Flavopurpurins geben die
Bornträge rische Reaction, nur Ist die Färbung des
Ammoniaks mehr violett statt roth. Die eigentliche kireehrotlio
Farbe von der Tschirch spricht, scheint hauptsächlich vom
Emodin auszugehen; hingegen wird die B o r n t r ä ge rische Re¬
action und speciell die dabei zu beobachtende Farbennuance stark
von der Anzahl und Stellung der Hydroxyle der vorhandenen Oxy¬
anthrachinone beeinflusst. Reine Chrysophansäure (mit 2 Hydro-
xylen) gibt, die Reaction nur schwach, da sie in Ammoniak
fast unlöslich ist.
gut wirksam
[wirksam
I schwach
(wirksam
Alizarin
Alizarinblau
Chinizarin
Methylchinizarin
Pentaoxyanthrachinon
Hexaoxyanthrachinon
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27. August 1901,
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1383
durch Oxydation des Chrysarobins gewinnen. Das zum Alizarin
gehörige Reduktionsprodukt ist das den Dermatologen bekannte
Anthrarobin. Auch die Reduktionsprodukte des Anthrapurpurins
und Flavopurpurins wurden nach der Vorschrift von Lieber-
m a n n dargestellt und in Form ihrer Acetylderivate geprüft.
Von diesen Substanzen zeigten das Chrysarobin schon in kleinen
Dosen (0,05), das reine Chrysophansäurehydroanthron in grösseren
Dosen (1,0) eine starke Reizwirkung auf den Magen-Darmtractus
ähnliche wie grosse Dosen Aloin. Auch dieses kann ja in
grösseren Dosen tödtlich wirken.
Die Reizwirkung des Chrysarobins liess sich zwar durch Dar 1
Stellung von Derivaten (Peracetat) so weit abschwächen, dass das
Präparat bei der Katze in kleinen Mengen recht günstig wirkte,
allein beim Menschen trat bei interner Darreichung öfter Er¬
brechen ein, so dass die Substanz nicht praktisch brauchbar er¬
schien.
Alle anderen oben genannten Reduktiousprodukte verur¬
sachten zwar in mittleren Dosen kein Erbrechen, wirkten aber
auch zu schwach.
Nachdem sich so die dem Aloin verwandten hydrirten Oxy-
anthrachinone als unbrauchbar erwiesen hatten, war es nöthig,
zu den Oxyanthrachinonen selbst, den Verwandten des Emodins,
zurückzukehren. Es handelte sich, wie schon gesagt, darum, eine
Verbindung zu finden, welche vermöge ihres richtigen Grades
von Spaltbarkeit oder ihrer sonstigen Eigenschaften die der
Grundsubstanz innewohnende milde Reizwirkung auf die Darm¬
schleimhaut recht zur Entfaltung bringen würde. Zu diesem
Zwecko wurde eine Reihe von Verbindungen, besonders des
Anthrapurpurins und Flavopurpurins dargestellt und zwar die
Verbindungen mit Eiweiss, die Sulfoderivate, die Aether mit
Methylalkohol und Benzylalkohol und endlich die verschiedenen
Ester der Essigsäure und der Aethylkohlensäure.
Es ist nicht möglich, an dieser Stelle näher auf die Dar¬
stellung und die Untersuchung aller dieser einzelnen Substanzen
einzugehen.
Es sei nur kurz Folgendes erwähnt:
Die Eiweissverbindung des Anthrapurpurins enthielt z. B.
60 Proc. von letzterer Substanz. Beim Behandeln mit 0,5proc.
Sodalösung bei Körpertemperatur wurde alsbald das gesammte
Anthrapurpurin herausgelöst, es war daher anzunehmen, dass die
Verbindung sich von freiem Anthrapurpurin kaum unterscheiden
würde. In der That trat schon ca. 5 Stunden nach Einnahme
von 0,5 der Verbindung Stuhlgang und gleichzeitig kräftige
Harnfärbung ein; die Substanz war also zu leicht spaltbar.
Es wurde mm rauchende Schwefelsäure bei erhöhter Tempe¬
ratur auf die Trioxyanthrachinone zur Einwirkung gebracht und
die erhaltenen Sulfosäuren an der Katze geprüft. Wie bei vielen
anderen pharmakologisch wirksamen Substanzen wurde auch hier
die Wirkung durch den Eintritt der Sulfogruppe erheblich abge¬
schwächt. Auch als die Anthrapurpurinsulfosäure an Eiweiss
gebunden wurde, um sie dadurch schwerer resorbirbar zu machen,
war das Resultat kein besseres.
Die Sulfoderivate werden jedenfalls im Organismus gar
nicht gespalten und als solche sind sie nur schwach wirksam.
Sicherlich spaltbar hingegen sind die Aether und die Säureester
der Oxyanthrachinone. Da das Anthrapurpurin und Flavopur-
purin je drei Hydroxyle enthalten, so sind jedesmal Mono-, Di-
und Triderivate theoretisch möglich, wenn sie auch thatsächlich
bisher nicht alle erhalten werden konnten. Die Spaltbarkeit
innerhalb jeder einzelnen Gruppe nimmt natürlich von den Mono-
zu den Triderivaten ab. Um eine schnelle ungefähre Orientirung
über den Grad der Spaltbarkeit der erhaltenen Verbindungen zu
ermöglichen, wurden die Färbungen mit einander verglichen,
welche beim Behandeln der Verbindungen mit Sodalösung ent¬
stehen. Freies Anthrapurpurin und Flavopurpurin färben schon
sehr verdünnte Sodalösung in der Kälte sofort tief violettroth. Je
nachdem daher die Färbung schnell oder langsam, in der Kälte
oder erst beim Erhitzen mit Sodalösung eintrat, konnte man auf
den Grad der Spaltbarkeit schliessen.
Bei dieser Prüfung ist peinlich darauf zu achten, dass die
angewandten Substanzen völlig rein und in Sonderheit frei von
unverändertem Anthra- reep. Flavopurpurin sind; denn schon ge¬
ringe Spuren hiervon bedingen eine Färbung der Sodalösung.
Tritt mit 1 proc. Sodalösung schon in der Kälte sofort Violett-
No. 35.
färbung ein, so ist auf die Gegenwart von unverändertem Oxy-
anthrachinon zu schliessen.
Ordnet man nun die dargestellten und untersuchten Aether
und Ester des Anthrapurpurins und Flavopurpurins nach ab¬
nehmender Spaltbarkeit, so erhält man folgende Reihe:
Anthrapurpurindiacetat 3 ) j Anthraourpurintriacetat
Anthrapurpurindiaethylcarbonat | Flavopurpurintriacetat
Flavopurpurindiacetat I Dimethylflavopurpurin
Flavopurpurindiaetliylcarbonat | Dibenzylflavopurpurin
Was die Darstellung der genannten Substanzen betrifft, so
lassen sich die Acetate nach den bekannten Acetylirungs-
methoden gewinnen; bei der Darstellung der Diacetate ist Sorge
zu tragen, dass nicht mehr als 2 Hydroxyle in Reaction treten
können, da die Neigung zur Bildung der Peracetate stark hervor¬
tritt. Die Monoacetate haben bisher mit Sicherheit nicht er¬
halten werden können.
Die Diaethylcarbonate entstehen bei der Einwirkung von
Chlorkohlensäurcaethylester auf die Salze von Flavopurpurin und
Anthrapurpurin resp. auf eine Lösung dieser Substanzen in Pyri¬
din. Der Anthrapurpurindikohlensäureaethylester bildet gelbe
Krystallschuppcn von FP ca. 172 °, der Flavopurpurindikohlen-
säureaethylester krystallisirt in verfilzten Nadeln FP ca. 178°.
Der Methyl- und Benzyläther wurde durch Einwirkung von
Methylirungsmitteln resp. von Benzylchlorid auf Flavopurpurin-
natrium- resp. Bleisalz gewonnen; sie stellen gelbe krystallinische
Körper dar, welche von Sodalösung selbst beim Kochen kaum zer¬
setzt werden, dementsprechend wirken sie selbst in Dosen von
1,0 bei der Katze nicht abführend.
Die Ester der Essigsäure und Kohlensäure waren bei der
Katze sowohl wie beim Menschen alle mehr oder weniger wirk¬
sam und es handelte sich nur darum, die brauchbarste dieser Sub¬
stanzen auszusuchen. Nach zahlreichen Versuchen fiel die Ent¬
scheidung schließlich für das Anthrapurpurindi¬
acetat aus, weil dieses verhältnissmässig am leichtesten spalt¬
bar und.trotzdem widerstandsfähig genug ist, um seine Wirkung
allmählich entfalten zu können. Es lässt sich nach Eingabe von
0,5 deutlich im Koth durch Rothfärbung beim Uebergiessen mit
verdünnter Natronlauge nachweisen, während der Harn durch
seine röthliche Färbung direct die Gegenwart von Anthra¬
purpurin anzeigt.
Auch die quantitativen Spaltungsversuche im Reagensglas
entsprachen diesen Resultaten. Als 1 g Anthrapurpurindiacetat
6 Stunden lang mit 100 ccm 1 proc. Sodalösung bei ca. 40 0 ge¬
halten war, konnten noch 0,4 g ungelöster Rückstand gesammelt
werden, während die anderen Ester bei der gleichen Behandlung
einen grösseren Rückstand liessen.
Das Anthrapurpurindiacetat, welches von der chemischen
Fabrik von K n o 11 & Co. in Ludwigshafen a. Rh. dargestellt
wird, hat den Ilandelsnamen Purgatin erhalten 4 ). Es ist ein
gelbes mikrokrvstallinisches Pulver, dessen Schmelzpunkt bei
ca. 175° liegt. Im Polarisationsmikroskop (100 fache Vergrössc-
rung) erscheint es in Form kleiner Blättchen mit lebhafter Inter¬
ferenz.
Es ist in Wasser unlöslich, schwer löslich in Alkohol, leicht
löslich in siedendem Eisessig und Xylol. Verdünnte (1 proc.)
Sodalösung färbt sich mit dem Präparat alsbald roth.
Die am Menschen eben wirksame Dosis von Anthrapurpurin¬
diacetat beträgt 0,5, während von den anderen Estern der Essig¬
säure und Kohlensäure ca. 1,0 als minimale wirksame Dose fest¬
gestellt wurde. Der Harn ist meist schwach roth gefärbt.
Schon bei diesen Vorversuchen zeigte es sich, dass ver¬
schiedene Personen eine verschiedene Empfindlichkeit gegen das
Präparat besitzen, wie dies ja auch von anderen Darmreizmitteln
bekannt ist. Bei einzelnen trat auch nach 1,0 g nur schwache oder
keine Wirkung ein, während Personen mit empfindlichem Dann
schon auf 0,3 reagirten. Der Grad der Rothfärbung des Harnes,
welche bei verschiedenen Personen verschieden stark auf tritt,
scheint unabhängig von dem Grade der Wirksamkeit zu sein.
Die genauere klinische Untersuchung des Präparates wurde
bereitwilligst von den Herren Geheimrath Prof. Ewald-Ber-
*) Die Gesetzmässigkeit, die hierbei In Erscheinung tritt, hat
sich auch bei anderen Substanzen bestätigt gefunden.
4 ) In den Publica Honen von Trof. Ewald und Prof. Stadel-
m a n n Ist es als P u r g a t o 1 bezeichnet. Dieses ist also Identisch
mit Turgatin.
4
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1384
MUENCHENER MED1CIN1SC1IE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
lin 5 ) und Hofrath Prof. Stadel mann - Berlin °) ausgeführt.
Nach dem Urtheil dieser Autoren hat das P u r g a t i n die Eigen¬
schaften eines guten Abführmittels, indem es ohne besondere
Leibechmerzen und Tenesmus einen ausgiebigen, breiigen, nicht
wässerigen Stuhl hervorruft. Prompte und andauernde Erfolge
wurden mit dem Mittel besonders bei habitueller Obstipation in
Folge primär-atoniseher Zustände des Darmes z. B. bei Neur¬
asthenikern erzielt. Der Stuhl tritt ca. 12 Stunden nach Ein¬
nahme von 0,5—1,0 ein. Es bat nach Prof. Ewald vor den
meisten anderen Abfülirmitteln den Vorzug, „dass es vollkommen
geschmacklos ist und keinerlei üble Nebenerscheinungen von
Seiten des Magens und der Därme hervorruft“. Die Patienten
sind auf dio eintretende Rothfärbung des Urins aufmerksam zu
machen. In Fällen hartnäckiger Obstipation ist eine Dosis von
0,5—1,0 oft unzureichend, so dass man auf 2,0 steigen muss, doch
dürfte sich, wie schon hervorgehoben, die chronische Obstipation
als das eigentliche Anwendungsgebiet des Mittels erweisen. Im
Uebrigen ergeben sich die Indicationen von selbst aus den Eigen¬
schaften der Substanz als ein mildes Abführmittel nach Art
des Rhabarbers.
Aus dem Sanatorium Schloss Marbach am Bodensee.
Ueber auscultatorische Percussion. 1 )
Von J. Hofmann, Assistenzarzt.
Bei intensiver Beschäftigung mit den Untersuchungs¬
methoden mittels des B i a n c h i’schen Phonendoskopes resp. der
S m i t h’schen Modifikation desselben ’), sei es nun, dass man die
centrifugale Friktionsmethode nach Smith, sei es die von
B i a n c h i angegel>ene Pizzicatomanier anwendet, die centri-
petaler Art ist, liegt namentlich in Hinsicht auf letztere der Ge¬
danke ziemlich nahe, die percutorische Untersuchung mit der
phonendoskopischen zu verbinden, also eine auscultatorische Per¬
cussion anzuwenden. Es handelt sich dabei selbstverständlich um
eine möglichst zarte Art der Percussion, da härteres Klopfen bei
der Empfindlichkeit des Phonendoskopes in unangenehmer, ja
direkt schmerzhafter Weise auf das Gehörorgan wirkt. Der Ver¬
such dieser auscultatorischen Percussion lieferte — wie von vorn¬
herein physikalisch anzunehmen war — sehr gute Resultate, die
sich mit den phonendoskopischen Ergebnissen sowohl, seien sie
auf centrifugalem oder centripetalem Weg erreicht, deckten, als
auch durch ihre Schärfe sich auszeichneten. Nun stellte sich aber
ein Uebelstand heraus. Um diese auscultatorische Percussion
vermittels des Phonendoskopes auszuüben, müsste stets der zu
Untersuchende selbst oder ein Assistent das Phonendoskop halten,
damit der Untersuchende die Hände zum Percutiren frei hat,
oder, während der Letztere das Phonendoskop dirigirt, muss der
Assistent percutiren. Bei Beidem muss man also eine für diese
Art der Untersuchung wichtige Handlung aus der Hand geben.
Zwei Möglichkeiten sind nun vorhanden, diesem Uebelstandc
abzuhelfen. Die eine, indem man durch eine an der Schulter
des zu Untersuchenden angebrachte Tragvorrichtung das Phon¬
endoskop befestigte — was von vorherein zu grossen praktischen
Schwierigkeiten begegnen würde —, die andere, bessere, indem
man einen Klopfapparat darstellt, der sich mit einer Hand leicht
dirigiren lässt, so dass die andere für Direktion des Phonendo¬
skopes freibleibt.
•) Maiheft der Therapie der Gegenwart 1901.
•) Deutsche Aerzteztg, 2. Maiheft 1901.
') Cf.: Der Ausbau im diagnostischen Apparat der klinischen
Medlcin. Eine Geleitschrift zur wissenschaftlich-diagnostischen
Ausstellung des XIX. Kongresses für int. Medicin von Prof. M en¬
de 1 s o h n (Verlag Bergmann), p. 71. — Verhandlungen des
XIX. medicin. Kongresses zu Berlin. (Smith: Die Funktions-
priifung des Herzens etc.)
*) Smith: Ueber einige neue Methoden zur Bestimmung der
Herzgrenzen. Verhandlungen des XVIII. Kongresses für int.
Medicin. Bergmann, Wiesbaden 1900.
Der Klopfapparat selbst ist — wie aus der Abbildung 1 er¬
sichtlich — die Verbindung eines Plessimeters mit einem ein¬
fachen Percussionshammer derart, dass beide leicht von einer
Hand in Thätigkeit gesetzt werden können. Um den Percussions¬
schlag möglichst weich zu gestalten, ist über das aus Hart¬
gummi gefertigte Plessimeter eine Lage Weichgummi gelegt
und wurde als Hammerkopf die Form des Klavierhammers ge¬
wählt. Der Hammerstiel stellt einen zweiarmigen Hebel dar,
an dessen vorderem Arm der Hammerkopf selbst durch eine Zug¬
feder auf dem Plessimeter gehalten wird. Lässt man nun die
Kraft des hinteren Hebelarmes wirken, indem man denselben
herabdrückt, so steigt natürlich der Hammerkopf vom Plessi¬
meter nach oben. Lässt man den Druck auf den hinteren Arm
los, so schlägt, durch den Zug der Feder nach abwärts unterstützt,
der Hammer auf das Plessimeter. Je nachdem man nun die
Feder — an derselben ist eine Scala angebracht, nach der man
die Stärke der Anziehung ablesen kann — anzieht, desto stärker
resp. leiser ist der Hammerschlag. Andererseits ist ein Scalen¬
bogen angebracht, der die jedesmalige Hammerhöhe in dem
Moment des Niederschlagenlassens anzeigt.. So hat man durch
die Addition der Zugspannung der Feder plus der Hammerhöhe
im Moment des Niederschlagenlassens eine ziffermäseige Kraft¬
messung des Hammerschlages. Wichtig ist noch der Umstand
beim Gebrauche des Hammers, dass man beim Loslassen des
hinteren Hebels (resp. des unten beschriebenen Uebersetzungs-
hakens) den Finger nicht abschnellen, sondern abgleiten lässt,
da sonst ein schnappendes Geräusch entsteht, das die Unter¬
suchung wesentlich erschwert, ja direkt stört.
Die Abbildung 2 zeigt denselben Apparat, jedoch mit einer
Verbesserung. Unter dem Handgriff ist mittels einer kleinen
Uebertragung die Regulirung des Hammerschlages angebracht.
Diese Vorrichtung' erleichtert besonders im Anfang den Ge
brauch ’).
Was mm den Gebrauch des Instrumentes angeht, so zeigt
dasselbe seine besondere Verwendbarkeit bei Untersuchungen in
liegenden Stellungen, sowie bei Patienten mit starkem Fettansatz.
Als akustisches Instrument bei den Untersuchungen dient, wie \
schon oben gesagt, das Phonendoskop oder auch ein gewöhnliches \
Stethoskop, dessen Ohrmuschel durch zwei gabelförmig ver¬
bundene Ohrschläuche ersetzt ist. Jedoch ist dem ersteren und
besonders der S m i t h’schen Modifikation mit dem Rädchen zur |
Ausschaltung der Herzgeräusche, für diese kombinirte Unter- 1
suchung der Vorzug zu geben. 1
Untersuchungen wurden vornehmlich angestellt am Herzen
und der Leber, und diese Organe Hessen sich sehr genau durch
einen scharfen Schallwechsel abgrenzen. /
Folgender Versuch besonders lässt die Brauchbarkeit dieser
Untersuchungsmethode hervortreten. Einem fast abstinenten
Manne gab ich, um sein Ilerz künstlich zu dilatiren, Alkohol
(50 g Kirschgeist) auf einmal zu trinken. Vor der Gabe und
15 Minuten nach derselben wurden die Herzgrenzen mittels
der Friktionsmethode, der Fingerpercussion und der kombinirten
auscultatorischen Percussion festgestellt, und nach allen drei
Methoden ergaben sich dieselben Grösse Veränderungen.
Trotz der grossen Schwierigkeit, die die exakte Beschreibung
von etwas Gehörtem, das ausserhalb des musikalisch bestimmbaren
Tones liegt, bietet, sei doch der Versuch gewagt, den bei der
auscultatorischen Percussion zu vernehmenden Schall und Schall-
weehsel zu baschreiben. Mangelhaft muss die Beschreibung immer
bleiben, und stets wird bei solcher Gelegenheit der Satz zu Recht
bestehen bleiben: „Man muss ee eben selbst hören!“
Lässt man zunächst, ohne das Ohr mit einem verstärkenden
Instrument zu bewaffnen, den Hammer auf das massig stark
auf die Brust gedrückte Plessimeter klopfen, so vernimmt man
einen Schall, der dem gewöhnlichen, natürlich nicht allzu starken
*) Die Hämmer wurden nach Verfasser» Angaben von der/
Firma Martin Wallach Nachfolger in Kassel hergestellt, j
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27. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1385
der Plessimeterpercussion nahe kommt. Nur ist durch die
weiche Oberfläche des Plessimeters und den Filzhammerkopf bei
unserem Apparate der Schall etwas weicher. Bewaffnet man nun
zur Vornahme der auscultatorischen Percussion des Herzens das
Ohr mit einem geeigneten Instrumente, so hört man zunächst
ausserhalb der Herzgrenzen einen ziemlich hellen Schall, an sich
etwas heller als den, den man bei leiser Fingerpercussion ver¬
nimmt. Sowie der erste Schlag in den Bereich der Herzgrenzen
fällt, ändert sich dieser Schall in der Art, dass eine Dämpfung
wahrnehmbar wird, wie sie vielleicht passend zu vergleichen wäre
mit den Silben: teck—tock, wobei die Klangveränderung e—o
dem durch die Dämpfung erzeugten Schallunterschiede im Ver¬
gleich entsprechen würde. Es tritt — möchte ich sagen — ein
Tonschatten ein. Hierbei muss noch bemerkt werden, dass bei
der auscultatorischen Percussion des Herzens dieser Tonschatten
besonders bei der Percussion von unten, dem Magen her, nach
oben hin eintritt. Vielleicht wirkt hiebei das Zwerchfell als
Resonanz. Die einzige, wenn auch geringe Schwierigkeit, bietet
die auscultatorische Percussion des Herzens von der r. Lunge
über das Sternum in dem Sinne, dass über dem Sternum leicht
die Schallverstärkung als Schallwechsel angesprochen werden
könnte. Doch bei etwas Uebung überwindet man auch dies
leicht. Ebenso und unter denselben Umständen findet die aus-
cul tato rische Percussion der lieber statt.
Nun noch ein Wort zur auscultatorischen Percussion der
Lunge. Stellt man das mit dem Ohr in Verbindung gebrachte
Phonendoskop mitten auf dem r. unteren Lungenlappen auf und
lässt von der Fossa infraclavicularis nach unten den Hammer
in Thätigkeit gehen, so tritt oberhalb der r. Brustwarze ein
Schallwechsel auf, der sich in gekrümmter Linie nach der Achsel¬
höhle hin verfolgen lässt. Dies ist die obere Grenze des r. unteren
Lungenlappens. Durch zwei Momente unterscheidet sich diese
Grenze von der oberen Herzgrenze. Erstens die Lungengrenze
ist konstant, zweitens die Tondifferenz in dem Schallwechsel ist
eine bedeutend abgoschwächtere, nicht so stark kontrastirende
wie bei den Grenzen des Herzens und der Leber. Der letztere
Umstand begründet sich wohl in den Konsistenzverhältnissen
der genannten Organe.
Genau so lassen sich auch links vorn die unteren Lungen-
greuzen. indem man das Phonendoskop auf die Lunge setzt und
nun vom Herzen her zu percutiren anfängt, durch einen an der
Lungengrenze nuftretenden Schallwechsel feststellen.
Den Gebrauch des Hammers bei pathologischen Lungen¬
zuständen zu prüfen, fehlt mir das Material. Vielleicht lässt sich
ein Kollege, dem es daran nicht gebricht, durch diese Zeilen ver¬
anlassen, dahingehende Versuche anzustellen. Ich bin überzeugt,
dass sich die auscultatorische Percussion zur diagnostischen Fest¬
stellung bei Lungenerkranköngen, z. B. Cavemen, gut verwenden
lassen wird.
Wenn nun das klinische Allgemeininteresse mich zu dieser
Veröffentlichung veranlasste, so ist noch ein Punkt hinzuzufügen,
der für die Empfehlung meines Hammers sprechen könnte. Die
guten Resultate, die die Phonendoskopie gezeitigt hat, haben be¬
sonders in letzter Zeit ihr viele Freunde erworben. Die mit
dem Hammer kombinirte Methode liefert, was die äusseren Organ¬
grenzen des Herzens und der Leber angeht, ebenso genaue Re¬
sultate, ist aber leichter als z. B. die Friktionsmethode. Durch
ihre einfache Handhabung und sozusagen spontane Erlernungs¬
möglichkeit kann sie ausser einem diagnostischen Hilfsmittel
Dem, der die Phonendoskopie erlernen will und hierbei besonders
dem Autodidakten ein zuverlässiger Kontroleur sein.
Aus der Universitäts-Ohrenklinik zu Tübingen.
Zwei Fälle von latent verlaufener Thrombose des
Sinus sigmoideus nach Mittelohreiterung.
Von Dr. Hölscher, Kgl. Württemb. Oberarzt,
commandirt zur Universität.
Im Anfang des Sommersemesters 1901 hatte ich in der
Klinik Gelegenheit, 2 Fälle von Sinusthrombose zu operiren und
zur Heilung zu bringen, deren Mittheilung wegen ihres eigen¬
artigen Verlaufs nicht ohne Interesse sein dürfte.
Krankengeschichten.
I. Jakob G., .16 Jahre, Steinhauer von Rübgarten. Aufge¬
nommen 2G. IV., entlassen 17. V. 1901.
A n a ui u e s e. Patient hat im Januar des Jahres ein Ge¬
schwür Im rechten Ohr gehabt, welches ihm 8 Tage lang Schmerzen
verursachte. Im Anschluss daran trat eine starke schmerzhafte
Schwellung hinter dem Ohr auf. welche in 8 Tagen wieder zurück-
ging. Seither leidet er häutig an Kopfschmerzen. In der Zeit von
Ende Januar bis Mitte Februar hatte Patient mehrmals Schwindel-
anfälle, zuletzt am 14. II. Der Schwindel war so stark, dass
Patient sich halten musste, um nicht umzufallen. Nach Aufhören
des Schwindelanfalles trat Erbrechen ein. Vom Arzt wurden Jod¬
pinselungen hinter dem Ohr gemacht.
Am 19. II. 1901 kommt Patient erstmals zur Untersuchung.
Es werden Kopfschmerzen an der Stirn angegeben.
Status. (Jehörgang trocken, Trommelfell leicht vor¬
gebaucht und injleirt. Hinter dem Ohr die Spuren von Jodeinplnse-
lungen. Ueber dem Warzenfortsatz keine Schwellung, keine Druck¬
empfindlichkeit. Nach hinten vom Warzenfortsatz, der Gegend des
Emissarium mastoideum entsprechend, leichter Druckschmerz,
aber keine Schwellung oder Infiltration. Flüsterzahlen und hohe
Töne gut gehört. Stimmgabel vom Scheitel nach rechts. Auf¬
genommen zur Beobachtung. Puls und Temperatur normal. Am
nächsten Tag hat Patient keine Klagen mehr, die objektiven Er¬
scheinungen sind zurückgegangen. Patient wird desslialb ent¬
lassen mit der Weisung, sich wieder einzustellen, wenn neue Be¬
schwerden auf treten sollten.
Erst am 20. IV. stellt Patient sich wieder vor. Seit 14 Tagen
habe er wieder stärkere Schmerzen gehabt und s.dt 3 Tagen sei
eine Anschwellung hinter dem Ohr aufgetreten, worauf die
Schmerzen etwas nachiiesseu. In der letzten Zeit habe es auch
aus dem Ohr geeitert. Patient hat die ganze Zeit hindurch ge¬
arbeitet.
Status. Patient sicht sehr ergriffen aus und klagt Uber
Schmerzen hinter dem rechten Ohr. Im Gehörgang ist ziemlich
viel Eiter. Das Trommelfell zeigt eine Perforatiou hinten oben.
Ueber dem ganzen Warzenfortsatze starke, schmerzhafte Schwel¬
lung. die hintere Falte ist verstrichen und die Ohrmuschel nach
vorne gedrängt. Die Haut ist stark gespannt und geröthet. Keine
Fluktuation. Genaueres Abtasten wegen Schmerzhaftigkeit nicht
möglich. Drehung des Kopfes nur wenig behindert, am Hals
herunter nichts Krankhaftes. Augeubefund normal. Temperatur
und Puls normal.
Diagnose: Empyem des Warzenfortsatzes.
Operation 2<i. IV., 2 Uhr Nachmittags. Dr. Hölscher.
Aethernarkoso. An der gewöhnlichen Stelle hinter dem Ohr bogen¬
förmiger Hautschnitt. Gewebe stark infiltrirt. Bei der Ablösung
des Periosts nach hinten quillt aus einer dicht vor dem Emissarium
mastoideimi liegenden Fistel Eiter unter starkem Druck hervor.
Die Sonde führt von der Fistel aus ti£f nach hinten und unteu.
Zunächst Abtragung des Knochens zwischen der Fistel und der
hinteren Gehörgangsumrandung. Der Warzenfortsatz ist sklero-
sirt und sehr hart. Im Antrum ist etwas Elter. Vom Antrum
aus geht eine enge Fistel nach hinten, aus welcher viel Eiter unter
starkem Druck hervorquillt. Ein zweiter Hautschnitt Avlrd senk¬
recht auf den ersten nach hinten gemacht. Bei der Ablösung des
Periosts und der Durchtreunung des Gefässes selbst erfolgt aus
dem Emissarium mastoideum keine Blutung. Abtragung des
Knochens mit Meissei und Zange bis zur breiten Freilegung des
Sinus sigmoideus. wobei sich Eiter in beträchtlicher Menge ent¬
leert. An Stelle des Sinus sigmoideus findet siel» ein dicker Grauu-
lationswulst. an welchem das Emissarium mastoideum als kolla-
birter Strang hängt. Im Ganzen wird der Granulationswulst etwa
2 Querfinger breit freigelegt. Nach hinten zu wird die Kleinhirn-
dura etwa Zweimarkstückgross freigelegt, die Dura ist normal ge¬
färbt, erscheint aber stark gespannt und pulsirt nicht. Abtragung
des ganzen Stnusgranulatiouswulstes mit dem scharfen Löffel, wo¬
bei keine Blutung erfolgt. Jodoformgazetamponade, trockener
Verband. Dauer der Narkose 1% Stunde. Abends Temperatur
36.2": Puls 80, mittelkräftig.
28. IV. Am gestrigen Tage Abendtemperatur 39,0°, heute
Morgen 38,5°. Verbandwechsel. Nur ganz geringe Sekretion, die
Wunde erscheint nirgendwo eitrig belegt. Die Dura ist über dem
Kleinhirn nicht mehr so gespannt und zeigt deutliche Pulsation.
Die Sinusfurche ist deutlich erkennbar. Allgemeinbefinden gut,
keine Schmerzen. Abends 38.6°.
29. IV. Morgens 37.4", Abends 37.S
30. IV. Morgens 37.0 °. Abends 37.2°.
Weiterer Verlauf fieberfrei und ohne Komplikationen.
Am 3. V. steht Patient auf. Die Wunde verkleinert sich rasch.
Ara 17. V. ist mir noch eine fingerbreite, flache und gut grauu-
lirende Wunde vorhanden. Entlassen.
Am 13. VI. stellt Patient sieli wieder vor mit mässig breiter,
tief eingezogener Narbe. Patient ist wieder vollständig arbeits¬
fähig.
II. Stephan G., 41 J.. Weber von Nusslingen. Aufgenommen
1. VI., entlassen 25. VI. 1901.
Anamnese. Ende Oktober vorigen Jahres bekam Patient
nach kurzen Schmerzen eine Eiterung rechts. 4 Wochen später
traten unter Zunahme der Eiterung stärkere Schmerzen auf. Vorn
Arzt wurden Umschläge und Tropfen verordnet. Vom 5. III. bis
16. III. 1901 war Patient hier in der Klinik in Behandlung. Bel
der Aufnahme fand sich Im Gehörgang stinkender Eiter, im Trom¬
melfell war eine zapfenförmige Perforation und der Warzenfort¬
satz war mässig druckempfindlich. Abends massige Temperatur¬
steigerungen bis 38.0°. Am Puls war nichts Abnormes zu k<>n-
statlren. In der Nase Ozaena foetida. Bei der Entlassung war
4*
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1386
Patient lieber- und schmerzfrei, das Trommelfell blass. Es bestand
nur massige Eiterung, wahrend der Behandlung in der Klinik
nie Klagen Uber Schmerzen. Nach der Entlassung bekam Patient
gleich wieder mehrtägige Schmerzen, die sich dann alle Wochen
wiederholten. In der letzten Zeit wurden die Schmerzen stärker
und es kamen Schwindel, Erbrechen und Schüttelfröste hinzu. Die
Eiterung hörte mit dem Eintritt der stärkeren Beschwerden auf.
Seit 3 Tagen hat sich eine Anschwellung hinter dem Ohr gebildet,
seitdem Abnahme der Beschwerden. Patient hat beinahe die ganze
Zeit hindurch arbeiten können.
Status. Nach hinten und oben vom Warzenfortsatz aus¬
gedehnte, zum Theil fluktuirende Schwellung. Die hintere Falte
ist frei. Der hintere obere Theil vom Warzenfortsatz ist druck¬
empfindlich. Der Gehörgang ist trocken, das Trommelfell ist grau¬
gelb verfärbt und vorgebaucht Weber nach rechts, Flüsterzahlen
direkt. Augenbefund normal. Keine Symptome von Gehirn¬
reizung. Körperwärme 37,6; Puls 80, mittelkräftig.
Diagnose: Empyem des Warzeufortsatzes mit subperio¬
stalem Abscess.
3. VI. Patient hat die beiden Nächte vor Schmerzen nicht
schlafen können, Abends massige Temperatursteigerung bis 38,4°,
Morgens 37,6°. Puls ohne Besonderheiten, bei Tag keine Sehmerzen.
3. VI., 3 Uhr Nachmittags, Operation. Dr. Hölscher.
Aethernarkose. Hautschnitt hinter dem Ohr, oben bogenförmig,
unten schräg nach hinten über die Warzenspitze. Das Gewebe ist
stark eitrig infiltrlrt. Beim Durchschneiden des Periosts quillt von
hinten her Eiter in grosser Menge hervor. Es besteht eine grosse
subperiostale Abscesshöhle. Ein zweiter Hautschnitt wird senk¬
recht auf den ersten nach hinten gemacht in der Höhe der oberen
Gehörgangswand. Aus dem Emissarium inastoideum quillt Elter
unter Pulsation heraus. Die Sonde führt in grosse Höhle. Ab-
meisselung nach vorne ku. Der Knochen ist aussen unverändert,
hart und ganz skleroslrt, im Inneren erweicht und mit Granu¬
lationen durchsetzt. Etwas vor dem Emissarium ist in der Tiefe
eiDe grosse mit Eiter gefüllte Zelle, welche mit der vom Emissarium
aus sondirbaren nöhle kommunlzirt Die ganze Wundhöhle wird
durch ausgedehnte Abtragung der Knochenriinder erweitert und
dann die zwischenstehende Knochenleiste entfernt. Vorliegt der
ln Granulationen zerfallene Sinus sigmoideus. Weitere Freilegung,
bis überall normale Dura vorliegt. Abtragung der Granulationen
mit dem scharfen Löffel. Jodoformgazetamponade, trockener Ver¬
band. Dauer 1 Stunde. Nach dem Erwachen aus der Narkose
ist Patient benommen, an beiden Augen Nystagmus.
4. VI. Allgemeinbefinden gut, fieberfrei. Nystagmus wieder
versehwunden. Puls normal. Der Eiter ist keimfrei.
7. VI. Verbandwechsel. Wunde nahezu trocken, Dura pul-
sirt gut. Slnusfurche deutlich.
8. VI. Patient steht auf.
Glatter, reaktionsloser Heilungsverlauf, am 25. VI. ist die
Wunde bis auf eine kleine, flache, gut granullrende Stelle ge¬
schlossen.
Nach 14 Tagen stellt Patient sich wieder mit breiter, tief ein-
gezogener Narbe vor, welche nur noch stellenweise Granulation
zeigt.
E p i k r i s c. In unseren beiden Fällen war die Sinus¬
thrombose nicht diagnosticirt worden; das Vorhandensein einer
solchen konnte erst bei der Operation feetgestellt werden.
In Fall I bestanden keinerlei Symptome für eine Sinus¬
erkrankung oder eine intrakranielle Komplikation überhaupt.
Nach dem ganzen Verlauf der Erkrankung und dem Befund
bei der zweiten Aufnahme, eine ausgedehnte, schmerzhafte
Schwellung über dem ganzen Warzenfortsatz, mit Verdrängen
der Ohrmuschel nach vorne, Patient ist fieberfrei und hat, ab¬
gesehen von den lokalen Schmerzen, keine Beschwerden, konnte
nur ein einfaches Empyem des Warzenfortsatzes als vorliegend
angenommen werden.
Bei Fall II konnte man bei der Aufnahme im Hinblick auf
die vorgegangenen Schüttelfröste und die weiter nach hinten
sitzende Schwellung, welche den Eindruck machte, als ob sie mit
dem Emissarium mastoideum in Zusammenhang stehe, eher der
Ansicht sein, dass eine intrakranielle Komplikation, am wahr¬
scheinlichsten ein extraduraler Abscess, vorhanden sei. Jedoch
ergab die zweitägige klinische Beobachtung keinen weiteren An¬
haltspunkt für das Vorhandensein einer derartigen Komplikation
und nach deren Ergebnissen, Patient fühlte sich, abgesehen von
Kopfschmerzen und den mässigen örtlichen Beschwerden, ganz
wold und hatte nur Abends eine leichte Temperatursteigerung,
erwarteten wir, bei der Operation auch nur ein einfaches Em¬
pyem des Warzenfortsatzes zu finden. Dieser Fall zeigt also,
dass unter Umständen auch eine klinische Beobachtung zu
keinem bezw. zu einem falschen Resultat führen kann und dass
eine möglichst frühzeitige Operation die beste Beobachtung ist,.
Finden sich dann vorher nicht veimuthete Komplikationen, ist
der Operationsbefund für die Art und Grösse des weiteren opera¬
tiven Vorgehens maassgebend. Jedenfalls möchte ich cs gerade
bei den Folgeerkrankungen von eitrigen Processen in Mittelohr
No. 35.
' tmd Warzenfortsatz nicht für zweckmässig halten, zu viel Zeit
mit dem Beobachten zu verlieren und dadurch die Chancen für
; das Gelingen eines operativen Eingriffs zu verschlechtern, den
’ man später unter ungünstigeren Umständen doch machen muss.
Nach dem Operationsbefund handelte es sich in beiden
| Fällen nicht mehr um eigentliche Thrombosen des Sintis, son-
I dern um Folgezustände bereits abgelaufener thrombotischer Pro-
, cesse. Ein eigentlicher Sinus war beidemale nicht mehr vor-
| handen, er war beidemale schon in einen Granulationswulst auf¬
gegangen. Dass cs sich in beiden Fällen nicht um der vorderen
; Sinuswand aufgelagerte Granulationen, sondern um den zer¬
fallenen und in Granulationen aufgegangenen Sinus selbst
: handelte, bewies der Zusammenhang mit dem Emissarium
| mastoideum und das Fehlen eines Sinus. Noch deutlicher wurde
letzteres beim Verbandwechsel, wobei die anatomischen Verhält-
l nisse noch genauer wie bei der Operation zu übersehen waren.
An Stelle des Sinus fand sich nach Beseitigung der Granula-
i tionen nur eine genau seinem Verlauf entsprechende Furche.
Zudem gingen die Granulationen nach hinten zu unmittelbar in
I den normalen und desslialb uneröffnet belassenen Sinus trans-
; versus über.
Nach diesem Befund muss der ursächliche Entzündungs-
pi-ocess im Sinus schon lange vor der Operation abgelaufen sein.
' Am wahrscheinlichsten erscheint mir folgende Erklärung. Es
ist beidemale gleich nach Beginn der Erkrankung zu einer Mit¬
betheiligung des Antrum mastoideum gekommen, wegen des
Fehlens von Hohlräumen im Warzen fortsatz und wegen der
Härte und Dicke des Knochens war eine Ausdehnung der Eite¬
rung im Warzenfortsatz oder ein Durchbruch nach aussen un¬
möglich. Der am Abfluss verhinderte Eiter, bei Fall I kam es
im Anfang gar nicht zur Perforation des Trommelfells und bei
Fall II bestand nur eine kleine zapfenförmige Perforation des
Trommelfells, musste naturgemäss an der Stelle des geringsten
Widerstandes durchbrechen. Diese war hier nach hinten gegen
den Sinus zu, wo entweder eine schon präformirte Lücke bestand
oder nur eine dünne, wenig widerstandsfähige Knochenschicht
vorlag. Es kam zur Bildung eines jedenfalls im Anfang nur
kleinen perisinuösen Abscesses und Thrombosirung des Sinus.
Dieser ganze Process muss sich in beiden Fällen schon vor der
ersten Aufnahme abgespielt haben.
Diese Deutung des Operationsbefxlndes scheint auch am
besten mit dem klinschen Verlauf, wie ihn Anamnese und Be¬
obachtung ergeben haben, in Einklang zu stehen. Fassen wir
noch einmal kurz die hauptsächlichsten Punkte zusammen, so
finden wir, dass im Fall I in direktem Anschluss an den Beginn
der Mittelohrentzündung, ohne dass es zur Perforation des
Trommelfells gekommen war, eine schmerzhafte Anschwellung
hinter dem Ohr zusammen mit. heftigen Kopfschmerzen.
Schwindel und Erbrechen eintrat. Nach Zurückgehen der ent¬
zündlichen Schwellung dauerten die Kopfschmerzen und
Schwindelanfälle noch eine Zeit lang an. Bei der ersten Auf¬
nahme am 19. II. waren die stürmischen Erscheinungen schon
abgelaufen, Patient klagte nur noch über mässige Stimkopf-
schmerzen und die Untersuchung ergab neben dem Fehlen von
entzündlichen Veränderungen über dem Warzenfortsatz nur noch
eine geringe Reizung des Trommelfells, die bis zum nächsten
Tage noch vollständig zurückging. Körperwärme und Puls
waren normal. Patient konnte desshalb unbedenklich wieder
entlassen werden, da es sich um einen schon abgelaufenen Pro¬
cess zu handeln schien, und erhielt nur zur Sicherheit die Wei¬
sung, sich sofort vorzustellen, wenn neue Beschwerden auftreten
sollten. Vom Beginn der Erkrankung bis zur ersten Aufnahme
waren ungefähr 3 Wochen verflossen, zwischen der ersten und
zweiten Aufnahme lag ein Zeitraum von ungefähr 9 Wochen,
insgesammt waren also von dem Beginn der Erkrankung bis zur
Operation etwa 12 Wochen vergangen.
In Fall n war der Verlauf noch chronischer. Patient kam
zur ersten Untersuchung und Aufnahme etwa 5 Monate nach
Beginn der Mittelohrerkrankung. «Die akuten Erscheinungen
waren ebenfalls schon abgelaufen. Eine kleine, aber für die
geringe Sekretion völlig ausreichende Perforation war vor¬
handen. Ohne weitere Behandlung als einfache tägliche Reini¬
gung des Gehörgangs und feuchtwarme Umschläge ging die
leichte abendliche Temperatursteigerung zurück, so dass Patient
bei dem Fehlen subjektiver Beschwerden ohne weiteren Eingriff
entlassen werden konnte. Zwischen der ersten und zweiten Auf-
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27. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE -WOCHENSCHRIFT.
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nähme lagen nahezu 3 Monate, so dass sich die Erkrankung im
Ganzen über 8 Monate erstreckte.
Bei Fall I hatten in der ganzen Zwischenzeit zwischen der
ersten Entlassung und der zweiten Aufnahme keinerlei Be¬
schwerden bestanden; Patient hatte die ganze Zeit über arbeiten
können. Erst 14 Tage vor der zweiten Aufnahme traten wieder
Schmerzen auf, die nach dem Durchbruch des Eiters nach aussen,
wieder etwas nachliessen.
Bei Fall II kamen die früheren Schmerzen gleich nach der
Entlassung wieder und wiederholten sich dann häufig, jedoch
hatten die Schmerzen Patienten nicht an der Arbeit hindern
können. Wie bei I traten auch kurze Zeit vor der zweiten Auf¬
nahme stärkere Beschwerden auf, die ebenfalls nach dem Durch¬
bruch des Eiters nach aussen etwas nachliessen.
Wir haben also in beiden Fällen im Anschluss an den Be¬
ginn der akuten Eiterung die Bildung einer Sinusthrombose,
welche alsdann langsam unter Eiterung in Granulationen zer¬
fallen ist. Solange der Abfluss des Eiters durch Antrum-
Paukenhöhle in dem Gehörgang ungehindert war, machte der
langsam fortschreitende Krankheitsprocess keine bezw. nur
geringe Erseheinungen. Erst mit der Bildung eines grösseren
extraduralen Abscesses traten stärkere Beschwerden auf, die
mit der theilweisen Entleerung des Eiters nach aussen unter das
Periost wieder zum grossen Theil zurückgingen. Dass bei II
■der extradurale Abscess gröser war, die Beschwerden auch in der
Zwischenzeit auf traten und vor der zweiten Aufnahme heftiger
wurden, wie bei I, lag an der geringeren Weite des Abflussweges,
Antrum, Paukenhöhle, Perforation, Gehörgang und der ge¬
ringeren Einschmelzung des Knochens.
Es hat sich in beiden Fällen um eine verhältnissmässig gut¬
artig verlaufende Affektion gehandelt. Die ursprünglichen Ent¬
zündungserreger müssen frühe abgestorben sein und eine Neu¬
infektion ist nicht erfolgt. Die bacteriologische Untersuchung
■des Eiters von Fall II im hiesigen pathologischen Institut ergab
wenigstens das Fehlen jeglicher, auch nicht pa¬
thogener Keime. Bel Fall I war leider eine bacterio¬
logische Untersuchung des Eiters nicht möglich gewesen.
Wie unter günstigen Umständen derartige Fälle ausgehen
können, zeigt der im Archiv für Ohrenheilkunde im Operations¬
bericht 1900/01 unter No. 41 skizzirte Fall.
Bei der Sektion der an einem Kleinhirn abscess verstorbenen
Patientin fand sich, dass der Sinus auf der einen Seite in
grösserer Ausd ehnun g fehlte. Die Patientin war 6 Jahre vorher
im Anschluss an akute Mittelohreiterung unten schweren „Ge-
hirnentzündungserscheinungen“ erkrankt. Die damals ent¬
standene Sinusthrombose war, wie die histologische Unter¬
suchung ergab, unter bindegewebiger Organisation zur Aus¬
heilung gekommen. Wegen der anderen gefundenen Verände¬
rungen, Neubildung eines Ergänzungssinus, soll dieser Fall noch
ausführlich veröffentlicht werden.
Die vorstehenden Fälle zeigen auch wieder, dass die Folge¬
erkrankungen nach akuten Mittelohreiterungen im Gegensatz
zu denen nach chronischen nicht selten relativ gutartig verlaufen
können.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Professor Dr.
Wagenhäuser meinen ergebensten Dank für die Ueber-
laesung der Fälle auszusprechen. Den Herren Dr. Dömeny,
einj. freiwill. Arzt Dr. Michel und cand. med. Schütz bin
ich für die freundliche Assistenz zu Dank verpflichtet.
6eburt8komplikation in Folge Hydropsie des Foetus.
Von Dr. E. Kreisch, Frauenarzt in Coblenz.
Zu den nicht eben seltenen und desshalb praktisch bedeu¬
tungsvollen Geburtskomplikationen gehören diejenigen, welche
■durch Anomalien des Foetus hervorgerufen werden. Eine Be¬
obachtung dieser Art, die mir in mancher Hinsicht des Interesses
nicht zu entbehren scheint, hatte ich vor Kurzem zu machen Ge¬
legenheit und möchte sie in Folgendem wiedergeben.
Am 14. Mal, Morgens, wurde Ich von Kollegen Keller In
Plaidt zu einer Geburt gebeten, well es Ihm nicht möglich sei,
daa Kind, welches er bis zu den Waden extrahlrt habe — es be¬
stand vollkommene Fnsslage — völlig zu entwickeln. Die Kreis¬
ende, eine IV. Para, war eine grosse Frau mit starkem Knochen¬
bau, welche wegen einer seit 4 Wochen plötzlich aufgetreteneu
Nephritis ln ärztlicher Behandlung stand. Bei der Kochprobe lm
Heagensglase betrug, wie mir der die Patientin zuerst behandelnde
Arzt mittheilte, der Niederschlag % der Urinsäule. An den
Füssen, Händen, Labien waren starke Oedeme vorhanden, der
Leib war prall ausgedehnt, die Bauchdecken stark lnfiltrirt, Hessen
deutlich Fingereindrücke zurück. Der Uterus reicht mit dem
Fundus bis zu den Rippenbögen. Im Uebrigen war die
äussere Untersuchung wegen der Starrheit der Bauch¬
decken negativ und speciell für die Aufklärung der fraglichen
Geburtsschwierigkeit völlig resultatlos. Herztöne waren nicht zu
hören und auch von dem Kollegen nicht wahrgenommen worden.
Patientin hatte bis zur Geburt, wenn auch ln letzten Tagen
weniger, Kindsbewegungen gefühlt. Aus der Vagina hängen ein
rechtes und ein linkes kindliches Bein heraus, die beide stark
livid verfärbt sind und auf Reize nicht reagiren. Da Patientin
seit 8 Stunden keinen Urin mehr gelassen hat, wird, obwohl
äusserlich keine Anzeichen für starke Blasenfüllung zu konstatlren
sind, versucht, zu katheterlsiren. Zunächst perforirt der weibliche
Silberkatheter etwa 1 cm hinter dem Oriflcium extern, urethrae
ohne jede Kraftanwendung das stark ödematöse Gewebe und wird
in der Vagina fühlbar. Wegen starker Schmerzhaftigkeit bei Klar¬
legung der äusseren Theile unterbleibt ein erneuter Versuch und
aus demselben Grunde wird von einer inneren Untersuchung Ab¬
stand genommen und zunächst die Narkose eingeleitet. Die Ka-
theterlsation bietet nun keine Schwierigkeiten mehr, die Blase ist
iude8s leer. Die mit halber Hand vorgenommene innere Unter¬
suchung stellt fest, dass der Steiss des Kindes dem Kreuzbein
der Mutter zugewendet ist, und dass das Geburtshlnderniss in
einem übergrossen Volumen des kindlichen Bauches besteht, in¬
dem der ballonartig ausgedehnte Leib sich auf der Symphyse
aufstemmt. Die nunmehr mit dem Perforatorium vorgenommene
Punktion — weil ln ziemlicher Tiefe zu arbeiten war, musste ein
langgestieltes Instrument benutzt werden — fördert etwa % Liter
einer hellen, klaren Flüssigkeit zu Tage. Nunmehr gelingt die
Extraktion bis zum Nabel der Frucht, stockt dann aber wiederum
und zwar, wie eine erneute Untersuchung ergibt, weil auch der
kindliche Thorax zu grosse Dimensionen hat. Eine abermalige
Punktion lässt eine erhebliche Menge gleichartiger Flüssigkeit
abiiiessen. Die völlige Entwicklung des Kindes geht nun leicht
von statten.
Auch nach Geburt des Kindes bleibt der Uterus noch wie
vordem ausgedehnt; erst nach der wegen eintretender Blutung
nach Credfi vorgenommenen Entfernung der, wie sich nun
zeigte, riesenhaften Placenta fällt er bis zur Nabelhöhe und kon-
trahlrt sich dauernd gut
Die Placenta weist eine starke Entwicklung des fibrösen Ge¬
webes auf und ist in zahlreiche, mächtigen Polypen ähnelnde
Cotyledonen gethellt von denen einzelne von fast Faustgrösse
nur an einem lnngen, schmalen Stiele mit der Hauptmasse fest¬
haften. Infarkte fehlen auffallender Weise. Es wurde leider
versäumt, die Grössen- und Dickendurchmesser der Placenta zu
nehmen, ihr genau festgestelltes Gewicht betrug nach Reinigung
von allen Coageln 4 Pfund 25 Gramm.
Das Kind, ein im Allgemeinen kräftig entwickeltes Mädchen,
wog 6 Pfund 50 Gramm und ist anscheinend frisch abgestorben.
An ihm fällt besonders ein starkes Oedem des Gesichtes auf,
über welchem die Haut welsslich glänzend erscheint und an wel¬
chem deutlich die Spuren vom Fingereindruck Zurückbleiben. An¬
zeichen von luetischer Infektion konnten nicht konstatirt werden,
die Sektion wurde nicht gestattet. Beide Eltern geben auf Fragen
nach dieser Richtung hin bestimmt verneinende Antworten, auch
sprechen die drei voraufgegangenen normalen Geburten gesunder
Kinder nicht gerade für Lues.
Es interessirt nun vor Allem die Aetiologie der foetalen
Erkrankung. Bei den Wasseransammlungen im kindlichen
Bauche sind es bekanntlich in erster Linie die Nieren (Cysten¬
niere, Hydronephrose), die übermässige Ausdehnun g der kind¬
lichen Harnblase, die man nach Ahlfeld in der Regel als
Kloakenbildung. (Verschluss der Harnröhre mit Ansammlung
von Flüssigkeit in der Kloake) aufzufassen hat, die Bauchhöhle,
seltener die Ureteren, die die Flüssigkeit bergen. Eine Erkran¬
kung dieser Art hat wohl in unserem Falle nicht Vorgelegen. Ab¬
gesehen davon, dass man bei den cystischen Entartungen der
Niere, Erweiterung der Ureteren, bei Kloakenbildung in der Mehr¬
zahl der Fälle ^auch noch andere Missbildungen, oder Kachexie
des Foetus, oder wenigstens eine mangelhafte Entwicklung des¬
selben nicht vermissen wird, fehlte immer noch eine Erklärung
für den Hydrothorax und das so ausgesprochene Oedema faciei.
Am ehesten ähnelt unser Krankheitsbild noch der als foetale
Rachitis mehrfach in der Literatur beschriebenen Erkrankung,
bei der es zu enormen Oedemen der Haut und Ausschwitzungen
in die verschiedenen Körperhöhlen kommt. Aber das Oedem der
Haut war in unserem Falle nur im Gesicht und nicht auch an
den Extremitäten, die geradezu schön entwickelt waren, vor¬
handen, während doch gerade auch hier die mit Chondrodys¬
trophia foetalis behafteten Kinder fast charakteristische Verbil¬
dungen zeigen. Nach alledem halte ich mich zu der Annahme
berechtigt, dass wir es mit einer foetalen Nephritis zu thun haben,
die vielleicht in unmittelbarem, wahrscheinlich aber erst in
späterem Anschluss an die vor 4 Wochen ante terminum akut ein-
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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
setzende Nierenentzündung der Mutter entstanden ist. In der
mir zu Gebote stehenden Literatur finde ich einen ähnlich ge¬
deuteten Fall nicht beschrieben, vergeblich habe ich mich auch in
den Lehrbüchern der Geburtshilfe von Ahlfeld, Runge,
Schroeder, Schauta nach den Ansichten über das Auf¬
treten foetaler Nierenerkrankung oder eventuell Ucbertragbarkeit
einer Nierenentzündung von der Mutter auf das Kind umgesehen.
Und doch muss diese Möglichkeit zugegeben werden, denn wir
wissen, dass sowohl solche Erkrankungen, bei denen das Gift eine
gasförmige Beschaffenheit hat, als auch solche, bei denen das
Gift ein lösliches, mineralischer oder pflanzlicher Natur ist und
sich im mütterlichen Blute in gelöstem Zustande befindet, durch
die l’lacenta auf die Frucht übergehen können. Ob diese Thac-
sache in demselben Umfange auch für die Toxine und Ptomaine
ohne Weiteres Geltung hat, steht noch dahin und es fehlt vor
allen Dingen noch an praktischen Erfahrungen über diesen Punkt,
doch muss die Möglichkeit des Ueberganges auch dieser Stoffe,
sofern dieselben nicht an corpusculäre Elemente gebunden zu
sein brauchen, wohl zugegeben werden.
Wir können uns somit die Entstehung der foetalen Erkran¬
kung auf zwiefache Weise erklären, sei es, dass wir annehmen,
dasselbe Virus, welches bei der Mutter eine akute, hochgradige
Nephritis hervorrief, habe auch die foetale Niere ergriffen, sei
es, dass wir zu der Ansicht neigen, es hätten im Verlauf oder in
Folge der mütterlichen Erkrankung gebildete toxische Stoffe zu
tiefgreifenden Laesionen des kindlichen Nierengewebes geführt.
Aus dem St. Vincenz-Krankenhause zu Ilanau.
Ein Fall von Duodenalgeschwür mit retroperitonealem
Durchbruch.
Casuistische Mittheilung von Dr. med. R. Wagner.
Von den Komplikationen des Ulcus duodenale kommt die Per¬
foration bekanntlich in erster Linie mit in Betracht. Ein solcher
Durchbruch kann stattfinden direkt in die freie Bauchhöhle, oder
es kommt zur Penetration in ein Nachbarorgan: Leber, Pankreas,
Kolon, Gallenblase, grosse Gefässe. Sitzt ein Duodenalgeschwür
an einer Stelle des Zwölffingerdarmes, die des serösen Ueberzuges
entbehrt, also an der Hinterwand der Pars deseondens und trans¬
versa inferior duodeni, so kann ein solches Ulcus durchbrechen,
ohne das Bauchfell dabei in Mitleidenschaft zu ziehen, und es
kann, wie L c u b e auch in seinem Lehrbuch über specielle Dia¬
gnose der inneren Krankheiten ausdrücklich sagt, zu einem Sen-
kungsabseess nach der Inguinalgegend kommen. Es resultirt
dann wohl in den meisten Fällen eine septische Phlegmone, ver¬
bunden mit Hautemphysem. In dem von mir gleich zu be¬
schreibenden Falle war jedoch der Durchbruch mit den nach¬
folgenden Entzündungserscheinungen äusserst latent verlaufen.
Krankengeschichte: J. W., 45 Jahre alt, Cigarren¬
arbeiter aus K.-Ä., wurde am 14. II. 1901 in das Krankenhaus
aufgenommen. Der Mann gal» au. vor 2 1 /, Jahren ..leberleidend**
gewesen zu sein. d. h. er hatte beständig Schmerzen in der Gegend
unterhalb des rechten Rippenbogens, die sich nach Nahrungs¬
aufnahme wenigstens nicht wesentlich steigerten. Gelbfärbung
habe nie bestanden. Als Koliken wurden di** Schinerzen nicht
geschildert. Erbrechen soll verschiedentlich damals dagewesen
sein, jedoch ohne lllutbeimengungeu. Im Februar 19uo machte
sich in der rechten Leistengegend eine halbkugelige Anschwellung
bemerkbar, Avelche auf heisse Aufschläge hin zurückging, so dass
der Mann vom April ab den ganzen Sommer 1000 hindurch arbeiten
konnte. Im Oktober trat daun ganz in gleicher Weise wie Im
Februar eine Anschwellung in der rechten Leistengegend auf, die
am 17. Oktober aufbrach. Reichliche Mengen stinkender, braun¬
schwarzer Flüssigkeit entleerten sich. Mit zeitweise Tage langen
Unterbrechungen lloss dann mehr oder weniger stark gelblicn-
bräuniiehe Flüssigkeit ab. die jedoch nur faden Geruch zeigte. Pat.
berichtete ausserdem ganz von selbst, dass nach dem Essen einer
Weintraube eine Stunde später ..die Kerne“ aus der Wunde
herausgekommen seien. Ueber ausserordentlich grosses Durstge¬
fühl und über Stuhlverstopfung wird geklagt.
Status praesens: Stark abgemagerter Mann von kräf¬
tigem Knochenbau. Lungen und Herz ohne krankhaften Befund.
Die Leber liegt in der rechten Mammitlarlinie zwischen unterem
Rande der 6. Rippe und dem Rippenbogenrande. Ihre Oberfläche
und Rand ist glatt. Abdomen weich und nirgends druckempfind¬
lich. Die Wirbelsäule ist gerade, sorgfältige Abtastung der ein¬
zelnen Domfortsätze ist nirgends schmerzhaft. Es bestehen
keinerlei Innervationsstörungen. Körpertemperatur ist nicht er¬
höht. Der Puls ist regelmässig. SS Pulsschläge in der Minute.
Die Urinuntersuchung war negativ, spec. Gewicht betrug 1016.
Dicht über der inneren Hälfte des Lig. Poupartii befindet sich
eine fünfpfennigstückgrosse, mit schlaffen, livlden Granulationen
ausgefüllte Fistelöffnung, aus der beständig gallig gefärbte Flüssig¬
keit abgesondert wird. Letztere enthält kleinste Speiserestchen.
Auf der rechten Darmbeinschaufel und in der Beckenhöhle fühlt
man keinerlei auffallende Resistenz, auch keinen Unterschied im
Perkussionssehall zwischen rechts und links. Das rechte Hüft¬
gelenk Ist vollkommen frei, ebenso besteht kein entzündlicher Pro¬
zess an der rechten Articulatlo sacro-iliaca. Nach Fortnahme der
oberflächlichen Granulationen ln der Fistelöffnung mit dem
scharfen Löffel führte eine elastische Sonde ohne Widerstand bis
hinauf zur rechten N’ierengegend. Die Ausheberung des Magens
Stunden nach Einnahme des E w a 1 d'schen Probefrühstücks
ergab vollkommenes Fehlen freier Salzsäure (Congopapler und
G ü n z b u r g'sclies Reagens)! ln den Magen eingeführte Wasser,
mengen flössen nach f> Minuten in gleicher Quantität ab.
Bezüglich der Diagnose musste an elpe retroperitoneaie Per¬
foration der Hlnterwaud des Duodenum alsbald gedacht werden,
und es wurde die Gastroenterostomie mit Verschliessung des
Pylorus (Duodenalausschaltung) zunächst In’s Auge gefasst.
Patient war jedoch für jeden grösseren operativen Eingriff
absolut unzugänglich und verlangte sofort die Entlassung. Nur
auf Bitten der Angehörigen wurde der Mann in der Anstalt be¬
halten.
Am 1. IV. 1901 erfolgte der Exitus in Folge Inanition. Die
Sektion ergab ln der Mitte der Hlnterwaud der Pars descendeus
duodeni ein kleinlinseugrosses. rundes Loch. Die Darmwand war
an dieser Stelle leicht trichterförmig eingezogen. Eine von hier
aus eingeführte geknöpfte, biegsame Sonde ging in einem
schmalen, ziemlich gerade neben der Lendenwirbelsäule abwärts
verlaufenden Gange hinter dem Peritoneum bin und kam an der
Fistelöffnuug über dem P o u p a r t’schen Bande zum Vorschein.
Im Magen und Darm war sonst von geschwürlgen Prozessen
nichts zu finden.
Referate und Bücheranzeigen.
Prof. Dr. S. y. Basch: Die Herzkrankheiten bei Arterio¬
sklerose. Berlin 1901. Verlag von A. Hirschwald.
Abgesehen davon, dass nunmehr auch in den klinischen Lehr¬
büchern der Darstellung der arteriosklerotischen Erkrankungen
ein ihrer praktischen Bedeutung entsprechender Umfang einge¬
räumt worden ist, erschienen im letzten Jahrzehnt auch eine An¬
zahl von ausführlichen Monographien über diesen für die For¬
schung noch lange nicht abgeschlossenen Gegenstand, von denen
ich nur die Arbeiten von Huchard und E d g r e n nennen
will, denen sich nun v. Basch mit der vorliegenden eingehenden
Studie anreiht. Basch legt, wie bekannt ist, für die klinische
Würdigung der Arteriosklerose das grösste Gewicht auf die in-
strumentell zu eruirenden Verhältnisse des Blutdruckes und auch
das vorliegende Werk ist eine unausgesetzte Aufforderung, sich
der sphygmomanometrischen Methode möglichst häufig in allen
Fällen zu bedienen, wo Arteriosklerose, oder, wie der Autor es
genannt wissen will, Angiosklerose hereinspielen kann. Die Er¬
gebnisse der Messung mittels des Sphygmomanometers, auf die
Andere, wie Edgrcn, nicht das grosse Gewicht legen, stehen
fü. 1 Basch in mancher Hinsicht über dem Resultate der Per¬
kussion und rivalisiren mit dem unmittelbaren Aufschluss der
Autopsie. Der so erhaltene Blutdruckwerth entspricht mit einer
für praktische Zwecke völlig ausreichenden Genauigkeit dem
wirklichen, mit welchem die dadurch gewonnenen Zahlen parallel
gehen. Sicher hat die Blutdruckmessung mit dem Sphygmo¬
manometer den Vortheil, dass dadurch zalilenmässig ausdrückbare
Werthe erhalten werden, die dem Gedächtniss mit Sicherheit
aufbewahrt bleiben und unter sich einen Vergleich erlauben.
Für Basch sind die mit dem Sphygmomanometer zu erhalten¬
den Zahlen aber auch die wichtigsten Anhaltspunkte für Dia¬
gnose und Prognose vieler Fälle. Das G ä r t n e rische Tonometer
erfährt durch den Autor eine sehr scharf klingende Kritik, es ist
ihm einfach für Blutdruckmessung unbrauchbar.
Ein Druck von 150 mm bildet nach Basch die obere Grenze
der Norm, was darüber ist, fällt schon in das Gebiet des Patho¬
logischen. Fülle, welche eine zeitweilige Erhöhung des Druckes
au/weisen, sind der Pseudoangiosklerose zuzurechnen, die aber
eine noch physiologische Erscheinung darstellt, pathologisch im
eigentlichen Sinne wird die Angiosklerose von dem Augenblicke
an, wo der Druck permanent über 150 mm erhöht gefunden wird.
Die weitere Unterscheidung in eine latente und eine manifeste
Form der Angiosklerose ist nicht mehr ausschliesslich auf die
Verhältnisse des Blutdrucks zu basiren: das sichere Kriterium
liefert hier der Albumengehalt des Harnes, der eben bei der als
manifest bezeichneten Form im positiven Sinne vorhanden ist.
Die Bezeichnung Arteriosklerose möchte Basch für jene Fälle
reservirt wissen, in welchen mit Bestimmtheit eine sklerotische
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Erkrankung der grossen und grösseren Arterien nachgewieseu
werden kann, während die Erscheinungen der gewöhnlichen
Angiosklerose gerade durch die Betheiligung der kleinen und
kleinsten Qefässe hervorgerufen werden. Einer speciellen Schilde¬
rung werden die Erscheinungen der manifesten Alters- und der
manifesten Cerebral-Angiosklerose unterzogen. Für eines der
Hauptsymptome der arteriosklerotischen Gefäss- und Herzver¬
änderungen, die Dyspnoe, betont B a s c h als regelmässige Grund¬
lage einen Zustand der Lungen, den er als Lungenschwellung und
Lungenstarrheit bezeichnet. Andere Autoren stehen nicht auf
dem Standpunkte dieser Anschauung. Es ist dem Referenten
nicht bekannt, ob ein anatomischer Nachweis des von Basch
angenommenen Lungenzustundes schon einwandsfrei geliefert
worden ist. Basch entthront überhaupt die pathologische
Anatomie ihrer autokratischen Beherrschung des ganzen Ge¬
bietes der Herzkrankheiten, in mancher Hinsicht gewiss mit
Recht; im Vordergründe steht ihm die diagnostische und pro¬
gnostische Würdigung der Funktion des Organs, ein Standpunkt,
der mit Berechtigung jetzt immer mehr in Aufnahme kommt.
Immerhin wäre es nicht unerwünscht, wenn Basch in die Zahl
der in die Darstellung seines Gegenstandes als integrirenden Be- i
standtheil eingeflochtenen Krankengeschichten auch solche auf¬
genommen hätte, wo die Autopsie die klinischen Beobachtungen
und daraus fliessenden theoretischen Erörterungen kontrolirt hat.
Ln recht vielen Punkten weicht der Autor vom Pfade der traditio¬
nellen Anschauungen ab, woraus ihm gewiss Niemand einen Vor¬
wurf machen wird, der wissenschaftlichen Fortschritt will und
die Art und Weise kennt, auf welche derselbe zu Stande kommt.
Ich kann darüber nur Einiges andeuten, Verfasser nimmt an, dass
ein gewisser Grad von Lungenstarrheit schon physiologisch be¬
steht, ebenso eine physiologische Herzinsufficienz schon im
Rahmen der Norm angenommen werden könne. Die Wirkung
der Digitalis lässt ihn zu dieser Voraussetzung kommen. Das
Symptom einer Rigidität der arteriosklerotischen Gefässe existirt
für Bosch nicht, andere Autoren, wie E d g r e n, legen gerade
darauf das grösste Gewicht; die Verstärkung des 2. Aortentones
beweist nach B. keineswegs eine vermehrte Pulsspannung, die
Theorie von der endogenen Entstehung der Hypertrophie des
linken Ventrikels bei der Mitralinsufficicnz ist nach B. ganz und
gar unhaltbar, die Herzhypertrophie bei Aortenstenose hat mit
sog. Kompensation nichts zu thun; eine logische Begründung
der ganzen Kompensationslehre lässt B. überhaupt gar nicht
gelten. B. ist ein ausgesprochener Feind aller, etwa auf dem
Wege des klinischen Unterrichts, starr gewordenen schematischen
Auffassung über die Vorgänge des Lebens an den Organen.
Solche Frei denkgeister sind dem Fortschritt gerade auf wissen¬
schaftlichem Gebiete niemals hinderlich gewesen. Für die Be-
urtheilung der durch Arteriosklerose hervorgerufenen Herz¬
klappenfehler ist dem Verfasser mit vollem Rechte fast aus¬
schliesslich der Zustand des Herzmuskels maassgebend. Wie oft
wird noch heute aus einem systolischen Geräusche über der Aorta
und der begleitenden Hypertrophie des linken Ventrikels ein
schon demnächst zu vollstreckendes Todesurtheil formulirt. Dass
der gesunde Herzmuskel aber einen oft sehr langen Aufschub be¬
deutet, das wird auch heute noch oft nicht in die prognostische
Erwägung gezogen. In dem Kapitel über den Verlauf der Angio¬
sklerose hat B. höchst werthvolle Krankengeschichten mitgetheilt,
von Fällen, die der Autor viele Jahre ununterbrochen hat be¬
obachten können. Es sind meist Besucher von Marienbad gewesen.
Mit einem derartigen Material können dem Verfasser wohl nicht
zu viele Konkurrenten erstehen. Gerade solche über viele Jahre
sich erstreckende Beobachtungen sind aber für das Verständniss
der Arteriosklerose ganz unerlässliche Bedingung und ent¬
stammen nur selten der eigentlichen Klinik. In den Schluss¬
kapiteln des Werkes bringt Verfasser noch einen Beitrag zur
Theorie des Asthma cardiacum und der Angina pectoris, Sym¬
ptomkomplexe, welche B. streng auseinander gehalten wissen will.
Die letztere beruht auf einem nervösen Process, das erstere auf
Arteriosklerose.
Die Ausführungen des Buches dürften in manchen Punkten
zum Widerspruch herausfordern; allein Niemand wird demselben,
von Anderem abgesehen, den besonderen Vorzug absprechen, dass
es anregend wirken muss und aus einer ganz ausserordentlichen
Erfahrung heraus geschrieben ist.
• Grassmann - München.
Prof. Ludolf K r e h 1, Direktor der modicinischen Klinik
in Greifswald: Die Erkrankungen des Herzmuskels und die
nervösen Herzkrankheiten. Mit 2 Abb. Wien 1901. Verlag
von A. Holder. Einzelpreis 10 M.
Das Kreh l’sche Werk erscheint innerhalb des 15., den Er¬
krankungen der Kreislaufsorgane gewidmeten, Bandes der Noth¬
nagel’sehen Pathologie und Therapie, in einem Umfang von
462 Seiten. Die aus äusseren Grüuden eingetretene NothWendig¬
keit, die Darstellung des ganzen einheitlichen Gebietes der Kreis¬
laufstörungen unter mehrere Autoren zu vertheilen — K r e h 1
theilt sich mit Jürgensen, Schrötter und V i e r o r d t
in diese Aufgabe — hat die Bearbeitung des grossen und äuseerst
schwierigen Stoffes sicherlich nicht erleichtert. Trotzdem ist ein
Werk entstanden, das eine Meisterleistung im vollsten Sinne des
Wortes repräsentirt. Während man noch vor 10 Jahren aus den
Darstellungen der gebräuchlichen Lehrbücher über die Herzkrank¬
heiten den Eindruck gewinnen musste, dass auf diesem Felde
klinischer Forschung das Allermeiste an Arbeit schon geschehen
sei und die Darsteller desselben nur nöthig hätten, das viele
Gesicherte und Gewonnene an der Hand der pathologisch-anatomi¬
schen Thatsachen schön eingetheilt zu registriren, wie in einer
wohlgeordneten vollständigen Sammlung, sind unterdessen in
Folge der emsigen Arbeiten der Physiologen auf diesem Gebiete
für den Kliniker eine Menge neuer, oder wenn man will, alter
Fragen in neuer Beleuchtung hervorgetreten und wir sind in
mancher Hinsicht von einer unumstösslichen Einsicht in das
Geschehen der Erscheinungen soweit entfernt, dass wirklich er¬
fahrene und zugleich aufrichtige Erforscher dieses Gebietes, wie
wir einen solchen in Krohl vor uns haben, an allen Enden
ihrer Werke Veranlassung finden, auf die grossen Lücken unseres
Wissens hinzuweisen. Bekanntlich musste besonders die Patho¬
logie des Herzmuskels im Hinblick auf neue physiologische Ge¬
sichtspunkte eine Revision erfahren, nicht allein mit Rücksicht
auf die neue Theorie von der Automatie des Herzmuskels, sondern
vor Allem auch aus dem wichtigen Grunde, weil man, den ein¬
seitigen anatomischen Standpunkt verlassend, begonnen hat, den
funktionellen Anomalien des Herzens die ihnen gebührende Ach¬
tung zu schenken. Die Praxis hat das wohl schon viel früher
und ausgiebiger gethan, als es jetzt den Anschein haben möchte;
allein die Theorie erhielt den mächtigen Anstoss hiezu in her¬
vorragendem Maasse von physiologischer Seite, neben frucht¬
baren Anregungen aus den Kreisen der Kliniker und Aerzte.
Genug, der Herzmuskel und seine Störungen steht gegenwärtig
im Mittelpunkte des klinischen Interesses: es ist vom Endokard
auf das Myokard übergegangen. Schon vom Standpunkte des
Historikers aus würde also das Kreh l’sche Werk eine bleibende
Bedeutung für sich zu beanspruchen haben, indem es zu den
Werken gehört, in denen zuerst dieser wichtige Umschwung in
der Auffassung der Herzanomalien zum Ausdruck kommt. Allein
der Verf. hat die hervorragende Bedeutsamkeit seiner Arbeit
schon durch eine Reihe anderer innerer Vorzüge zu einer sicher¬
lich dauernden zu machen gewusst: durch eine meisterhaft klare
Darstellung, durch die in dem Buche hervortretende seltene Ver¬
schmelzung grösster praktischer Erfahrung und ungewöhnlich
gründlicher theoretischer Durchbildung, durch die denkbar
strengste Objektivität. Es wird wenige Darstellungen über Herz¬
krankheiten geben, aus denen so klipp und klar erhellt, was wir
hierin Alles nicht wissen, wie das Kreh l’sche Buch. In dem
unverblümten Hinweis auf diese klaffenden Lücken liegt manche
kräftige Anregung für die künftige Forschung auf diesem Ge¬
biete. Gerade auch die praktischen Aerzte können aus dem Werke
ersehen, welcher Antheil an dem Ausbau der Lehre von den Herz¬
störungen ihnen zufällt,, ein Antheil, der von der Klinik allein
gar nicht gelöst werden kann.
In den einleitenden Kapiteln bespricht K. kurz zusammen¬
fassend die Untersuchung Herzkranker und gibt da eine
werthvolle Kritik der hiebei gebräuchlichen Methoden mit einer
sehr schönen Einflechtung herz - physiologischer Erörterungen.
Hinsichtlich der Perkussion des Herzens macht K. auf den Werth
der Bestimmungen mittels des Widerstandsgefühles aufmerksam
und Referent kann nicht umhin, seine volle Uebereinstimmung
mit der warmen Empfehlung dieses Verfahrens auszusprechen,
das bei Herz- und Lungenuntersuchung eine viel grössere Wür¬
digung verdient, als ihm zu Theil wird. Für die annemischen
Herzgeräusche betrachtet Verf. muskuläre Klappeninsufficienxen
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1390 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35.
in Folge mangelhafter Muskelkontraktionen als das in nicht
wenigen Fällen Maassgebende. Ref. ist der nämlichen Meinung.
Diese Auffassung erklärt am Besten.
Die Darstellung der für die Herzkrankheiten in Betracht
kommenden ätiologischen Momente hält sich fern von dem hierin
so gebräuchlichen Schematismus und sucht den komplizirten wirk¬
lichen Verhältnissen nachzugehen, wobei K. mit Recht besonders
auf das Zusammenwirken einer grösseren Reihe ätiologischer
Faktoren hinweist, von denen vielleicht keiner für sich zu einer
schädlichen Wirkung hinreichen würde, während ihre Summation
eine solche herbeiführt. Das entspricht gewiss am meisten den
Verhältnissen der Wirklichkeit, die ja die absichtlich einfach und
eindeutig angeordneten Versuche des Laboratoriums nur sehr
selten kennt. Es ist interessant, neben der J ürgense n’sehen
Darstellung der Herzinsufficienz jene von K r e h 1 zu lesen, ein
Gebiet, auf dem der Autor selbst so viel gearbeitet hat. In diesem
praktisch so ausserordentlich wichtigen Kapitel finden auch die
der Herzinsufficienz zu Grunde liegenden Störungen der Funk¬
tion und Struktur der Muskulatur, die pathologische Anatomie
des Herzmuskels ihre prägnante Darstellung. Die später folgen¬
den allgemeinen Erörterungen über die Diagnose, Beurtheilung
und Behandlung der Herzkrankheiten bieten für jeden Leser, der
sich eingehender mit der Beobachtung Herzleidender befasst,
eine Fundstelle von vortrefflichen, aus eigener reicher Erfahrung
des Autors geschöpften Leitsätzen, die dem am Krankenbette in
Zweifel befangenen Arzte sicher oft die ersehnte Stütze sein
werden. Mit lebhafter Zustimmung hat Ref. die Worte gelesen,
welche K r e h 1 dem Diät-Schematismus in der Behandlung Herz¬
kranker und an anderer Stelle der als ganz neu erfunden aus¬
gegebenen Krankenpflege gewidmet hat! Er wird damit vielen
Aerzten und Klinikern ganz aus der Seele gesprochen haben.
Dem Schein-Physiologismus rückt K. überhaupt mit sehr erfreu¬
licher Schärfe allerorten zu Leibe. Es ist nicht möglich, hier
den reichen Inhalt des Werkes auch nur anzudeuten; ich möchte
nur noch anführen, dass grössere Kapitel gewidmet sind den Er¬
krankungen des Herzens bei akuten Infektionskrankheiten, wo
eben ganz voxwiegend die Betheiligung des Herzmuskels in Frage
steht, ferner den im Gefolge der Arteriosklerose auftretenden
Herzstörungen. Auf die von v. Basch hiebei so sehr betonten
Zustände von Lungenschwellung und Lungenstarrheit legt Verf.
augenscheinlich kein zu grosses Gewicht. Die Abhandlung über
die nervösen Herzkrankheiten nimmt in dem K r e h l’schen Buche
nur 30 Seiten ein, schon äusserlich ein Zeichen, dass der Autor
diese Bezeichnung sehr eng gefasst haben will. In der That
grenzt er innerhalb dieser Gruppe hauptsächlich jene das Herz
betreffenden Störungen ab, welche im Rahmen der allgemeinen
Nervosität und der Neurasthenie, sowie der Hysterie und ähn¬
licher Zustände Vorkommen. In der Frage, ob Veränderungen
der Herzgrösse und Herztöne auf rein nervöser Grundlage Vor¬
kommen, nimmt K. den Standpunkt ein, dass ein sicheres Ur-
theil hierüber noch nicht möglich ist; doch spricht nach seiner
Ansicht viel dafür, dass rein nervöse Einflüsse die Herzgrös^e
zu beeinflussen im Stande sind. Den Schluss des Werkes bilden
noch kurze Abrisse über die paroxysmale Tachykardie, sowie die
im Gefolge von Verletzungen des Körpers auf tretenden Herz¬
krankheiten; die letzten paar Seiten sind Aphorismen zur Ge¬
schichte der Herzkrankheiten gewidmet. Die Literatur über Herz¬
krankheiten, welche Verf. in seinem Werke mit seinem eigenen
Wissen zu einem Ganzen verechmolzen hat, ist enorm und re-
präsentirt für sich die Geschichte der Herzkrankheiten. In der
meisterhaften Zusammenfassung unserer heutigen Kenntnisse
und der scharfen Präzisirung unserer Kenntnisslücken über die
Erkrankungen des Herzmuskels ist das K r e h l’sche Buch im
eigentlichsten Sinne ein Säkularwerk an der Schwelle des neuen
Jahrhunderts.
Grassmann - München.
Schilling: Die Verdaulichkeit der Nahmngs- und
Genussmittel auf Grund mikroskopischer Untersuchungen der
Faeces. Alit 102 Abbildungen. Leipzig 1901, Verlag von
II. Hartung & Sohn (G. M. II c r z o g).
Die Untersuchungen S c h i 11 i n g’s erstrecken sich auf eine
sehr grosse Menge der gebräuchlichen Nahrungs- und Genuss¬
mittel aus Thier- und Pflanzenwelt. Ihre Resultate bestätigen
zum Theil schon Bekanntes, zum anderen Theil aber stehen sie
in bemerkenswerthem Gegensatz zu bisherigen Anschauungen»
was auf einem Gebiet nicht Wunder nimmt, auf dem so vielfach
alt überkommene ungeprüfte und unbewiesene Vorstellungen
herrschen. So bestreitet Schilling z. B. auf Grund seiner
Befunde die allgemein angenommene besonders leichte Ver¬
daulichkeit des Kalbfleisches und findet für seine
Behauptung ganz plausible Gründe in der eigenartigen Struktur
dieses Fleisches. Manche der Beobachtungen S c h i 11 i n g's
bedürfen allerdings wohl einer Bestätigung. So scheint mir die
mikroskopische Unterscheidung der verschiedenen Sor¬
ten Säugethierfleisches auf Grund von Befunden»
wie sie die beigegebenen Bilder veranschaulichen, doch sehr un¬
sicher zu sein.
Auch so kompetente Beobachter, wie A. Schmidt und
van Ledden-Hulsebosch, von dem schon aus dem vor¬
letzten Jahre eine vorzügliche Bearbeitung des gleichen Stoffes
vorliegt, kommen zu keiner derartig detaillirten Diagnostik des
Säugethierfleisches. Ueberraschen dürfte auch die Angabe, dass
die Passage der Speisen vom Mund bis zum After normaler Weise
36—48 Stunden dauert.
Wenn Schilling schliesslich die Ansicht ausspricht, der
Arzt, der Diätverordnungen aufstellen wolle, müsse die Mikro¬
anatomie und -Botanik der Nahrungsmittel beherrschen, um den
Nachweis des Verdautwerdens der verordneten Nahrungsmittel
zu erbringen, so möchte ich dieser Anschauung desshalb ent¬
gegentreten, weil solche zu weit gehende Forderungen zur Zeit
geeignet sind, die allgemeinere Anwendung der so wichtigen
Faecesuntersuchung eher zu hemmen als zu fördern. Vielmehr
soll die vorliegende Arbeit Schillin g’s wie die von
van Ledden-Hulsebosch neues Material zur Vertiefung
resp. Revision unserer Kenntnisse liefern; ihre Resultate sollen
dem praktischen Arzte eine sicherere Grundlage für seine diä¬
tetische Therapie geben; eine solch’ zeitraubende Diagnostik
selbst auszuüben, wird derselbe im Allgemeinen nicht im
Stande sein. Schütz- Wiesbaden.
Neueste Joumalliteratnr.
Zeitschrift für klinische Medicin. 1901. 43. Bd. Heft
3 und 4.
11) v a n Y z e r e n: Die Pathogenesis des chronischen Magen*
geschwürs. (Aus der medic. Polikiuik Utrecht; Prof. Talma.)
Dem Verfasser ist es geglückt, beim Kaninchen Magen¬
geschwüre zu erzeugen, welche in allen Punkten sich den beim
Menschen vorkommenden ähnlich erwiesen. Nach einigen ein¬
leitenden Bemerkungen zur Physiologie und speciell zur Inner¬
vation des Magens folgt die Schilderung der Versuche, welche in
Durchschneidung des Vagus unterhalb des Zwerchfells bestanden.
Bei 10 von 20 auf diese Weise operirten Kaninchen wurden Ge¬
schwüre erzeugt, die einige Tage nach der Vagotomie entstanden
und keine Neigung zur Heilung hatten. Meist handelte es sich nur
um ein einziges IJlcus und zwar in der Regio pyloriea an oder
nahe der kleinen Curvatur. Der Ulceration ging Nekrose der
Schleimhaut vorher, die Umgebung des Geschwürs blieb gesund.
Die Genese des Geschwürs w-ird vom Verf. so aufgefasst, dass
durch die gestörte Innervation Anlass zu häufigen tonischen
Krämpfen der Magenmusculatur gegeben ist. Hiedurch kommt es
zu lokalen Anaernien, welche Ursache von Gewebsnekrosen und
damit zur Ulceration werden. Vom Vorhandensein solcher Con-
tractionen der Magenmusculatur konnte sich Verf. bei Lebzelten
der Thierre durch Palpation überzeugen und auf diese Weise be¬
reits vor der Sektion die Thiere bezeichnen, welche Magen-
gschwüre hatten und welche nicht. Auch gelang es ihm durch
Gastroenterostomie und Spaltung der Musculatur der Regio
pyloriea die Entstehung der Ulcera zu verhindern. Diese Be¬
obachtung gibt ihm Anlass, ein ähnliches Verfahren auch beim
Menschen zu therapeutischen Zwecken Voranschlägen und er em¬
pfiehlt für sehr schwere, hartnäckige Fälle von Magengeschwür
die extramucöse Spaltung der Portiomusculatur.
12) L U t h j e - Greifswald: Kasuistisches zur Klinik und
zum Stoffwechsel des Diabetes mellitus. (Aus der medic. Klinik.)
Bei einem an Diabetes verstorbenen Patienten wurden die
letzten 3 Wochen vor dem Tode die Nahrungsaufnahme, sowie
verschiedene Ausscheidungsprodukte ln Koth und Harn quanti¬
tativ und zw'ar ohne Verlust bestimmt. Die Einzelheiten des so
ermittelten Stoffwechselverlaufes müssen im Original nachgelesen
werden. Gelegentlich eines diabetischen Komas wurde eiu frap-
pirender Erfolg durch Alkalibehandlung gesehen. (Es wurde
y 2 Liter 3 proc. Sodalösung intravenös injiclrt und ebenso viel
innerlich gegeben.) An einem 2. Koma ging allerdings der Patient
zu Grunde, trotz Alkalizufuhr (diesmal Natr. bicarbon.).
13) Mamlock: Ueber aussergewöhnliches Fortbestehen»
Mangeln oder Wiederauftreten des Kniesehnenreflexes bei
Rückenmarkskrankheiten, besonders Tabes, Myelitis transversa
und gummosa. (Von der Universität Berlin gekrönte Preisschrift.)
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1301
k 27. August 1901.
1 Verf. kommt auf Grund dos Studiums der ausgedehnten ein¬
schlägigen Iilterntur zu folgenden Resultaten:
Natur und Lokalisation des Patellarreflexes sind durch unsere
bisherige Auffassung genügend erklärt Zum Zustandekommen
des Reflexes ist aber andauernd ein bestimmte Grenzen nicht über¬
schreitender Tonus erforderlich, der dem Rückenmark wahrschein¬
lich durch Klelnhlrnfasem zugetragen wird. Das Verhalten des
Reflexes Ist ein Ausdruck dieses Tonus, gleichgiltlg. ob bei der
iHdreffenden Erkrankung die Westpha l’sche Zone freigolasseu
< Myelitis) oder mitergriffen ist (Tabes!. Ist sie ganz zerstört, so
fehlen die Reflexe natürlich. Zur Annahme tonisirender Rahnen
wird man dadurch A’eranlasst, dass der reflexhemmende Einfluss
de« Gehirns oft das Verhalten der Reflexe nicht erkliirt. Wahr¬
scheinlich spielt, und zwar speciell bei der Tabes, dns Verhalten
der Clark e’schen Säulen, die ja mit dem Kleinhirn In Ver¬
bindung stehen, eine wichtige Rolle. Ihre bei Tabes sehr frühe Er¬
krankung bedingt Wegfall des Kleinhirntonus und damit der
Patellnrreflexe* ihre ausnahmsweise Verschonung führt zu abnorm
langem Fortbestehen der Reflexe.
14) Mosse und Tautz: Untersuchungen über Berberin.
(Aus der medic. Poliklinik Berlin: Prof. Senator.)
Berberin. das in neuerer Zeit gegen Malaria und chronische
Milztumoren empfohlen wird, ist ein Alkaloid, das in fast allen
Speeles der Gattung BcTberls. ferner in den Wurzeln von Hydrnstis
ennadensis u. a. vorkommt. Es wirkt auf Racterien. wie auch auf
höhere Pflanzen wachsthumshenimend. Es ist für Tlilere ein
starkes Gift und zwar wirkt es vorzüglich auf Nervensystem und
Nieren. Eine Wirkung auf die Milz war nicht festzustellen. Tn
Folge Herabsetzung der Reflexerregbarkeit wurde bei Fröschen
eine Herabsetzung, ja sogar eine Aufhebung der Strychninwirkung
lHHihnehtet.
15! F m b e r: Ueber die fermentative Spaltung der Nucleo-
proteide im Stoffwechsel. (Aus dem ehern. Laboratorium des
pathol. Institutes Berlin; Prof. Salkowski.)
Verf. gewann aus Pankreas die Kerneiweisse (Nudeoproteid 1 )
analysenrein und verfolgte, vor Allem mit Hilfe der Pepsin- und
Trypsinverdaunng, Ihren Abbau. Das Nucleoproteid wird in zwei
Gruppen gespalten, einen gewöhnlichen Ehveisscomplex. der genau
wie die eigentlichen Ehveisskörper weiter verarbeitet wird und
«•inen Nucleinsäurecomplex. der unabhängig davon weiter gespalten
wird. Das Pankrcasnucleoprotefd ist reich an Kohlehydraten und
zwar einer Pentose. Diese steckt, im Nucleinsäurecomplex und
zwar in Guanlnnueleinsäure.
Ifl) Karfunkel -Bad Cndown: Bestimmurgen der wahren
Lage und Grösse des Herzens und der grossen Gefässe durch
Böntgenstrahlen.
Vergleich der Röntgenbilder an Leichen mit den anatomischen
Herzmaassen und den Percusslonsresultaten ergab, dass es meist
mit absuluter Exactheit gelingt, die rechte und linke Herzgrenze
durch Röntgendiagnostik, namentlich durch die Methoden von
L evv-Dorn und Moritz, festzustollen. wodurch unsere physi¬
kalischen Fntersuehungsmethoden wesentlich vermehrt sind.
Unsere üblichen Percnsslonslinien bieten, allerdings nur ver¬
gleichsweise und unter gewissen Voraussetzungen. Im Ganzen
»faktische Anhaltspunkte.
17! v. M o r a c z e w s k 1 - Karlsbad: Stoffwechsel bei Akro¬
megalie unter der Behandlung mit Sauerstoff. Phosuhor u. s. w.
Die Akromegalie besitzt eine Tendenz, organbildende Stoffe
- Stickstoff. Chloride, namentlich Phosuhor und Knlksalze —
zurflckzuhalten. Die Retention dieser Stoffe, namentlich der beiden
letzten wird durch Sehilddrüsensubstanz nur beeinflusst nicht auf¬
gehoben. Weiter mehr wirken, namentlich auf die Kaiknusschet
dnng. Silber-, Sauerstoff- und Phosphorbehandlung. Diese wirkt,
daher wahrscheinlich dem Knochenwachsthum entgegen.
IR! Kritiken und Beferate.
Kerschenstein er.
■ReitTas’ft zur klinischen Chirureie. Red. von P. v. B r u n s.
Tübingen. Tau pp. 30. Rd. 3. Heft.
Das .3. TToft des 30. Bandes der Beiträge eröffnet eine Arbeit
von Th. Schilling aus dem städt. Krankenhaus zu Nürnberg
über den schnellenden Finger, worin Sch. im Anschluss an einen
operlrten Fall eines schnellenden 4. Fingers bei einem Borsten-
znrlehter. ln dem eine knotige Verdickung des tiefen Beugers sieh
fand und die SnaUune do r Sublimisgabel zur Heilung genüef».
Aetiologle. Prognose und Behandlung dieses Leidens und speciell
die nnntomisehen Befunde hei 34 Fällen zusarameneestellt.
Ans der Rostocker Klinik liefert .T. Elter eine Arbeit zur
retToperitonealen Cvstenbildung unter Beschreibung eines für
Pnrkreascvste gehaltenen Falles retronerltonenler Lvmphcvste hei
13jährigem Knaben und bespricht die Diagnose der Pankreas-
evsten und speciell die Lymph- und Ghvluscvsten: hei grossen
PysfPD Ist eine sichere Entscheidung des Ausgangspunktes un¬
möglich. Die Ideale Behandlung Ist die Exstlmatlon alles Krank¬
haften wo diese unmöglich, wird Ineldirt und dralnirt. Punktion
ist verlassen. Die transperitoocale Operation ist. wenn auch lum-
haje Operation günstigere Ahflussverhältnisse liefert, doch als
leichter ausführbar und wegen der geringeren Gefahr der Nehen-
verlotznneen vorzuziehen.
Aus der gleichen Klinik liefert E. Elirlch einen Beitrag
Gallertkrebs der ekstrophirten Harnblase, gleichzeitig ein Bei¬
trag zum Mnvii l’sehen Oneratlonsverfahren der Blasenektopie.
er thellt den sehr seltenen Fall eines Gall*‘rteyllnderzellenkrcbs«s
bei 44 Jähriger Frau mit. der exstirpirt resp. nach M a y d 1 operirt
wurde (Implantation des Trigon. Lieutaudii mit den Uretermüud-
ungen in die Flexur), der Befund von Darmschleimhaut im Be¬
reich der Ilarnblasenwand wird entwickelungsgeschichtlich er¬
klärt; der vollständige Misserfolg (Tod ln Folge beiderseitiger
Pyelonephritis mit diffuser diphtheritlscher Entzündung derFlexur-
sehleimlmut im Umkreis der eingeniihteu Stelle! beweist die Gefahr
der Methode, sobald ammoniakalische Beschaffenheit des Urins
vorliegt, Jedenfalls Ist bei der Operation mit der Möglichkeit einer
Pyelonephritis stets zu rechnen.
O. Lau?, bespricht aus dem Liudeuhospltal zu Bern die
Quetschmethoden im Dienst der Magenchirurgie und theilt seine
diesbezügl. Erfahrungen bei Magen- und Darmresektioneu mit.
Aus dem Allgemeinen Krankeuhause Ham bürg-Eppendorf gibt
J. W i e t i n g einen Beitrag zur Säbelscheidenform der Tibia
bei Syphilis hereditaria tarda und bespricht eingehend die bogen¬
förmige Verkrümmung der für Syphilis hereditaria typischen Dif-
formitüt und ihr Zustandekommen.
Aus dem Hamburg-Eppendorfer Krankenhaus gibt J. Schulz
einen weiteren Beitrag zur Frage der operativen Behandlung der
B a s e d o w’schen Krankheit und gibt, gestützt auf 20 operirte
Fälle (von denen bei 18 vollständiger Erfolg erreicht, d. h. die
Beschwerden der Patienten beseitigt und deren Arbeitsfähigkeit
wieder hergestellt wurde), eine Ueberslcht der Theorien. Sym¬
ptome etc. der B a s e d o w’scheu Krankheit. Am auffallendsten
war die Aenderuug der Pulsfrequenz, die schon nach 24 Stunden
von 140 auf 100 herabsank, das subjektive lästige Herzklopfen,
die Bekleiumungserseheinuugen und GemUthsdcprcssioncn Hessen
bald nach der Operation nach, der Exophthalmus ging oft schon
in wenigen Tagen zurück; bei der Nachuntersuchung war mit
Ausnahme des einen Rechiivs ein Exophthalmus nicht mehr zu
konstatiren. Bei keinem der Patienten sind nach der Operation
Je wieder Basedow-Erscheinungen aufgetreten und da hei 11 Ope-
rlrton die Operation schon vor mehr als 5 Jahren gemacht ist. kann
man von wirklichen Heilungen sprechen. Sch. will aber die Base-
dow’sche Erkrankung durchaus nicht als chirurgisches Leiden an-
sehen, sondern riith stets erst einen Versuch der Heilung auf nicht
operativem Weg zu machen und erst, wenn man sich von der
Erfolglosigkeit, dor Internen Therapie ül>erzeugt hat. die Operation
auszufiihren; allerdings sollte sich der Patient noch In gutem Er¬
nährungszustand befinden. — Eine sehr grosse Struma erleichtert
den Entschluss zur Operation, organ. Herzaffektionen geben Im
Allgemeinen eine Contraindikation. Wenn auch die Gefahr der
Narkose zugegelien werden muss, so kann sieh Sch. doch nicht
den ohne Narkose Operirendcn anschliessen, die lokale Anaesthesle
reicht meist nicht aus und er hat in seinen Fällen die Chloroform-
narkose gut befunden, wenn sie vorsichtig (ca. alle Vs* Minute etwa
1 g tropfenweise und danach eine Pause) geschieht. Bezüglich der
Technik kommt vorzugsweise die partielle Exstirpation in Be¬
tracht. die ohne weitere Schädigung des Organismus jedem
Basedowkranken empfohlen werden kann. Enucleatlonen haben
die Gefahr event. stärkerer Blutung. Sch. legt für 48 Stunden
einen dünnen Glasdrain ln den unteren Wund Winkel, nach 4 bis
5 Tagen verlassen die Patienten meist das Bett und sind bei guter
Witterung den grössten Theil des Tages ln der freien Luft.
Aus dem Diakonisscnhaus zu Stuttgart berichtet M. Rhein-
w a 1 d über das Sarkom des Dünndarms; unter Mittheilung zweier
eigener erfolgreich operirter Fälle stellt er 43 Fälle aus der Litera¬
tur zusammen, von denen 77,5 Proc. das männliche Geschlecht be¬
trafen und die In allen Altersstufen vorkamen, und bespricht
Symptome, Diagnose und Therapie des Leidens. Die operative
Therapie soll sich auf die Fälle beschränken, bei denen in Folge
härterer Konsistenz der Geschwulst Stenosenerscheinungen Im
Vordergründe stehen, bei denen Marasmus fehlt oder sich als
Folge der Ernährungsstörung durch die Stenose erklären lässt.
E. Burckhardt bespricht aus der Baseler Klinik Conti-
nuitätsinfektion durch das Zwerchfell bei entzündlichen Pro¬
cessen der Pleura und sucht In der In Haegler’s Laboratorium
entstandenen Arbeit speciell der Frage der Entstehung der perl*
toniti8chen Entzündung nach pleuralen Affektionen auch experi¬
mentell näher zu kommen. Nach Mittheilung zweier Fälle (einer
Vereiterung eines leeren Bruehsackes in Folge von Pneumococcen-
Infektion nach Bronchitis mit kleiner Bronchopneumonie uml eines
Falles metapneumonlseher Allgemelninfektlon mit Peritonitis,
Pisoumoeoceenperikarditls und periarticulärem Schulterahseess),
ln denen der direkte Weg durch einfaches Fortschreiten der Ent¬
zündung durch dns Zwerchfell hindurch angenommen resp. ana¬
tomisch erwiesen wurde, vertritt B. die Ansicht, dass bei Jedem
Entzündungsprocess. der die Pleura diaphragm. ergreift, ein
nineinwachsen der Keime stattflndet und dass es von der Virulenz
derselben, der Schwere und Zeitdauer des Processes abhängt, ob
diese bis zum Peritoneum gelangen. Durch Experimente konstatirt
B. zunächst bezüglich der Frage ..wie verhält sich die Floura
diaphr. und das Zwerchfell indifferenten eorpusculären Elementen
gegenüber?“, dass solche wohl zwischen und unter das Epithel.
nl>cr nicht in das Gewebe aufgenommen werden. Dann bezüglich
der Frage, „wie sieh diese den Mikroorganismen gegenüber ver¬
halten“. dass nicht pathogene Keime sieh den Indifferenten Kör¬
pern ähnlich verhalten, pathogene Keime dagegen eine Entzündung
hervornifen und nach Zerstörung des Endothels in «las Zwerchfell
eindrlngen. Ans den Beolwhtungen und Thlerexperiin« , n1« , n B.’s
geht jedenfalls hervor, dass hei entzündlich mi Processen «1er
Pleura die Keime in das Zwerchfell einwnehsen uml dasselbe
event. auch durchwachsen können (je nach der Schwere und
Dauer «les Processes) uml dass Laesion des Pleura<‘inl«>thels Vor
bedlngung ist
Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik gibt Nie. A in
! b u r g e r einen Beitrag zur operativen Behandlung der Brust-
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MTTEtfpHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
1302
wand- und Mediastinal-Geschwülste, die er im Anschluss an
<i Fälle (2 Geschwülste des Sternum. 2 mit Stemalresektion plUok-
lich nperirte M<>«llnstinalg«>schwUlste. 2 Ilippentumoren) näher be¬
spricht und mit eingehender Berücksichtigung der betr. Literatur
nach Verlauf. Recidivgefahr. Komplikationen anal.vslrt.
Aus»der Foliklinik der Leipziger chirurgischen Klinik berichtet
E I g e u b r o d t über isolirte Luxationen der Carpalknochen,
snec. des Mondbeines. E. hält, gestützt auf 4 Fälle (die ihm
sämmtlieh mit der Diagnose typische Itndiusfraktur zukameni.
diese Luxationen für viel häutiger als man bisher glaubte. Die
Luxationen «h-s Mondbeines (wovon sieh 27 Fälle aus der Literatur
sammeln lassen — mit einer einzigen Ausnahme lauter volare
Luxationen! scheinen neben denen des Knhnbeins die häufigsten
isolirten Luxationen von Handwurzelknoehen darzustellen, von
Isolirter Luxation des Multang. majus und Luxation des Os mul-
tanp. minus wurdeu je 4 Fälle berichtet, von Luxation des Os
hnmntum liegt nur 1 Fall vor und E. l»eobachtete eine dorsale
Luxation dieses Knochens mit Abbruch des Hackens. Die Mei¬
nung, dass das Kopfboln, als Schlussstein des Gewölbes der Iland-
wnrzelknochen am häufigsten luxirt werde, ist nicht richtig; eine
vollständige isolirte Luxation dieses Knochens ist überhaupt nicht
beschrieben: die relativ häufige dorsale Subluxation ist nur eine
unvollständige Luxation im Intercarpalgelenk. E. schildert Sym¬
ptome. Diagnose und Behandlung spec. der vorderen Mondbein-
luxation und gibt typische Radiographien dieser Verletzung. Eine
charakteristische Komplikation ist die auch in einem der E.’schcn
Fälle iH-obachtete Druekersehelnung auf den X. ulnaris oder
X. medinnus. Relativ häufig (10 Fälle» ist di«* Gewalteiuwirkung
so stark, dass d«*r Knochen die Weichtlielle zerreisst: in diesen
Fällen empfiehlt sich die Exstirpation des Knoch«*ns schon zur
Vereinfachung d«*r Wundverhältnisse. In 14 Fällen wurde das
Mondbein excidlrt. und meist guter Erfolg erreicht, in vielen Fällen
trat al»er auch l>ei conservativer Behandlung Rückbildung der
Anfangs beträchtlichen Funktionsstörungen <ün. S e h r.
Cenlralblatt für Chirurgie. 1001. No. 31.
M. Jaf ff - Posen: Zur Exstirpation des Wurmfortsatzes im
freien Intervall.
Fm zu zeigen, «lass es gewisse Grenzen für die Appendie-
ektomie gibt und dass man unter Umstünden besser von derselben
absieht, erwähnt L. lx*souders die Fälle, ln denen sieh die Appen¬
dix längsseits an das Coeeum anlegt in solchen Fällen erfolgt die
Perforation in’s Coeeum. es bilden sich oft Ulcerationeu und Nar¬
ben in «lemselbeu. die zu Darmstenosen führen können und ana¬
tomisch bildet zuweilen Wurmfortsatz und Coeeum ein unzertrenn-
bar«*s Ganze. In einigen derartigen Fällen bat J. res«*eirt. Statt
vergeblichen Suchens nach der Appendix hält er die Danuresek-
tlon. eventuell auch, hei vorwiegenden Stenosensymptomen, dl«*
Knteronimstomose indioirt.
Th. K ö 111 k e r - Leipzig: Zur Diagnose des Wurmfortsatzes
als Bruchinhalt.
Bei einer älteren Frau, die mit Flexionskontraktur des rechten
Beines zuging, und die sich wegen heftiger Schmerzanfälle in der
recht«*!« T'nterbnuchtrcgcnd (bei Versuch das Bein zu strecken) ihre
irreponlble Schenkelhernie operlren liess. fand sich in der Hernie
nob«‘n tniissig v«*rdlektem X«*tz im Gnind d«*s Bruehsnt’kes der sehr
lange Wurmfortsatz mit sein«*m freien Ernte angewachsen und
wenn nwli adhnerentes X«*tz durch Zug am Peritoneum ähnlich«*
Schmerz«’n veranlassen kann, möchte doch K. die Lokallsatitm d«*s
S«*hmorz«*s in «ler ro«-hten Untorbnuchgegend, neben Fl«*xions-
sti'llung der rechten Hüfte, für die Diagnose eines mit dem Bruch-
sa«*k verwachsenen Wurmfortsatzes betleutungsvoll ans«*hen.
Sehr.
Centralblatt für Gynäkologie. 1001. No. 33.
1) E. W i n t e r n 11 z - Tübingen: Plastisch© Hilfsmittel für
den fireburtahilflich-gynäkologischen Unterricht.
W. hat für Unt<*rriohtszwooke eine Anznhl geburtshilflicher
und gynäkologischer Gipsmodelle anfertltren lassen. Erstere
sR-lh'n den Kindeskopf in «len verschiedenen S«-hädellagen und mit
«l«*n «lnraus resultirendon Fnnnvernmh'rungpot des Konfes dar;
nussenlom 2 Missbildungen: Hvdrocenhalus und Ancncephalus. D'e
gynäkologischen M«i<l<*lle umfassen die verschiedenen Lngeverftnd«*-
nuuren und Tumoren des Uterus. Don Verkauf d«*r Modelle hat
«las Medicfnls«*he Wanrenhaus in Berlin übernommen.
2) A. S o 1 o w i 1 - T/emberg: Eine einfache und sichere
Methode der instrumental len Ausräumung der Gebärmutter ohne
Assistenz bei Ab^rtus.
R. benützt die von B a n d 1 angeg«*bon«*n kurzen Cylind«*r-
spi«»g«*l zur Ausräumung des Uterus. Eine mit diesem Spiegel
armlrte T<ue«'lznnge fasst die vordere Linne des Mutt«*rmund<*s;
darauf wird der Spiegel cingefilhrt. mit «*iner Han«l flxirt und die
Vasrinalpnrtf«in hcrnutcnrezogen. während die andere Hand mit der
' tort/jinge den Uterus nusräumt. S. hat sein Verfahren seit
12 .Tahreu in der Privatnrnxis mit Erftdg ausgeführt.
3» O «1 e ii t h n 1 - Bonn: Ueber partielle Kolpokleisis bei
Blasenscheidenfisteln durch Lappenspaltung.
O. beschreibt <*in Verfahren, das er in einem Falle einer grossen
Blas«>iisclieidcnflst«*l mit Erfolg nnwandte und nacii «l«*m Vorgänge
Kaltonbac b’s als ..partielle Kolpokhüsis“ bi>z«*iehn«*t. Die
M«*th«xle ist olino Abbildung nicht vcrstämllich und muss im Ori¬
ginal nacbceicsen werden. Ri«* ist nur g«*eign<*t nacii Totalexstlr-
patiouen «les Uterus, soll aber der ii«*uer«lings vielfach vor
worfenen Kolpokleisis wi**«l«*r zu ihrem Recht verhelfen.
4) A. W i s s o 11 n e k - Danzig: Ein neuer aseptischer Instru¬
menten- und Verban drisch.
D«*r anscheinend s«*hr praktische Tisch hat die Form ein.*s
Ständers, an dem 2 Glasplatten zur Aufnahme von Instrumenten.
Naht-. Unterbindungs- und Tupfermaterlai. ein Instrumentenkocher
und ein B«*cken aus Niekelblech angebracht sind. Die Glasplatten
lassen sich in b«*ll«*bigcr Höhe fixiren. Der Tisch ist l>esond(*r8 für
den praktischen Arzt l>erechnet. dein er manche Assistenz erspart.
Zu hab«*n von «l«*r Firma Hahn 4 L o e c h e 1 in Danzig: Preis
nach der Ausstattung verschieden. J a f f 6 - Hamburg.
Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluss der
Stoffwechselpathologie und der Diätetik. Herausgegeben von
Dr. .T. Boas- Berlin. Band VII. Heft 3.
12) M a c h 1 z u c k 1 - Tokio: Ueber die Resorption der Ei¬
weisskörper von der Schleimhaut des Dickdarmes nach Ver¬
suchen mit Thymusklystieren. (Aus der II. mediein. Klinik:
Gelieimrath Gerhardt - Berlin.)
Zu der Frage von dem Werth o«ler dem Unwerth der Er-
niihningsklysticre liefert Verfasser einen interessanten Bebras
durch Versuche bezüglich der Resorblrbarkeit des ln der Thynius
enthaltenen Nucleoprotcids. Die Versuche, die zum Thell Selhst-
versuchc waren, ergaben, dass der Eiwelsskörper der Thymus¬
drüse vom Mastdarm gut resorblrt wurde und zwar li«*ss sich dies.*
Resorption erkennen durch die ei gent hü milche Eigenschaft d<*s
Nuoieoprotekls, die Harnsäur«*ausscheidung zu steigern. Hiedurch
ist für gewisse Eiwelsskörper wenigstens die Resorblrbarkeit anf
dies«*ni W<*ge erwiesen und so die Möglichkeit gegeben, eineu
wichtigen Bestandtheil uns«*rer Nahtung «iurch Klysmen dem
Körper zuzuführen.
13) R. R e n c k i - Lemberg: Die diagnostische Bedeutung der
mikroskopischen Blutuntersuchung bei Carcinom und Ulcus
ventr. rotund. mit besonderer Berücksichtigung der Ver-
dauun gsleukocy tose. (Aus der med. Klinik: Prof. Gluzinskü
Vorliegende Arbeit befasst sich mit den Blutverändeningen
bezüglich der rothen und weissen Blutkörperchen und der Ver-
dnuungsleukocytoso unter d«*n oben angegebenen Verhältnissen.
Nachdem jedoch in diesem II«*fte nur ein Theil der Abhandlung
vorliegt. «lürfte es nngezeigt sein, mit einer B«*spreehung bis
nach «1er V«*röff«*ntlichung der ganzen Artreit zu warten.
14) N. Z w e i g - Berlin: Die Bedeutung der Costa fluctu&ns
decima. (Aus der Klinik und Poliklinik: Dr. J. Boas.)
Nachdem bereits von anatomischer Seite die exeessiv-«lia-
gnostische Bedeutung von S t i 11 e r’s Cost. fluct. decim. als
Stigma enteroptotlcum sive neurasthenlcum angegriffen und Ix--
s-trltton worden ist. unternimmt es Verfasser im Vorliegenden
der Frage vom klinischen Standpunkt aus näher zu treten. An
der Iland eines Materials von 100 Krnnk«*ngeschieilten wendet
sich Zweig zunächst gegen S 1 111 e Fs Behauptung, dass die
Atonie die constante Begleiterin der Enteroptnse sei. Bons'
Schüler verlangt nämlich zur Stellung der Diagnose Atonie die Er¬
füllung ganz anderer Forderungen, als da sind: Nachweis derHernh-
mlnderung der motorischen Leistungsfähigkeit durch genaue Rest-
bestiminung nach einem Probefrühstüok. während Stiller ledig-
lieh nus dem Plätschern und dem Schallw«H*hsel bei Lageverände¬
rung die Diagnose Atonie erstellt. Die Schlussfolgening«*n der
Zwelg’scben Arbeit lauten: Costa fluct. decim. wird in der
Ilälfto «ler Fälle beobachtet und zwar bei Männern und Frauen
fast gleich häufig. Die weitaus überwiegende Zahl leidet an
nervöser Dyspepsie, ein kleiner Theil an anderen Erkrankungen,
ohne je Symptome eines nervösen Magenleidens gehabt zu haben.
Daraus erhellt dass die Costa fluct. decim. ein untrügliches
Stigma neurasthenlcum nicht bilden kann.
15) A. H e & 8 e - Kissingen: Magengeschwür oder Gallen¬
blasenleiden.
Hesse möchte, wie er selbst sagt. In seiner Arbeit den
Gründen nachgehen, warum alle Anleitungen zur Diagnose obiger
Krnnkheitsfonnen uns in nicht wenigen Fällen im Stiche lassen.
Alle die bei Ulcus ventriculi häufig zu beobachtenden Symptome,
wie dyspeptische Erscheinungen. Schmerzen. Erbrechen, Störungen
der Mngensnftsekretlon finden sich nicht weniger selten In
gleicher Welse auch hei Cholelithinsis. Tumoren können hin¬
wiederum auch bei Ulcus palpirt werden, sei es dass bei länger
bestehenden Geschwüren deren Ränder verdickt und hart sind, sei
es. dass durch funktionelle Hypertrophie der Musculatur die
Pylorusg«*gend zur Geschwulst wird. Was nun noch die beiden
als besonders charakteristisch geltenden differentlaldiagnostischen
Merkmale des Blutbrechens b«*zw. des Ikterus betrifft so wissen
wir von ersterem. dass auch die Choh'lithiasis als solche zu
Magenblutungen führen kann und der Ikterus wird nach Nan-
n y n überhaupt in der Hälfte aller Fälle vermisst. Alles in
Allem: <*s gibt auch nicht ein Symptom, welches für eine der
beiden Erkrankungen direkt, pathognomonlsch ist. so «lass in einer
Reihe von Fällen die Diagnose sich niclit über eine grössere oder
geringere Wahrscheinlichkeit erheben kann.
10) C. Simon und Th. Z e r n e r - Karlsbad: Untersuchungen
über die «ligestiven Fähigkeiten des Dünndannsaftes.
Die von beiden Forschern ausgeführten Untersuchungen er¬
gaben prompte Verdauung «l«*r Stärke Im nativen Dünndarmsaft.
Fibrinverdauung aber erst nach vorangegangencr Alkallsining.
wobei zugleich die dlnstntis«*he Fähigkeit vernichtet wurde. Da¬
raus resuitirt. dass im Darm Eiweiss un«l Stärke nicht gleich¬
zeitig am selben Orte gespalten werden können, d. h. es sind liier
In der gleichen physiologischen Flüssigkeit zwei Fermente vor-
i handelt, «lie unter diametral entgegengesetzten Bedingungen
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27. August 19Ö1. MÜENCHENEß MEDlClNISCttE WOCHENSCHRIFT.
arbeiten. Uud zwar komuien normaler Weise im überstell DUuu-
■tann vorwiegend die Eiwelsskoiper, lui mittleren und unteren
die Kohlehydrate zur Verdauung.
1«) E i s n e r - Berlin: Aij t. Congress für innere Medicin
vom io.—19. IV. zu Berlin, Referat.
Jordan- München.
Berliner klinische Wochenschrift. ibui. Mo. 33.
\ ■*; -v. \\ e s 11» u a 1 - t.reuswald: weiterer Beitrag zur .Lehre
^ von u*»r Tetanie.
ine mitgetiieilten 2 Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass es
Bich oei beiden um die Verbindung von Tetanie mit Epilepsie
namleae. Bet der Flau des ersten Falles trat schon am z. Tage
uacn einer Kropiexsiirpuuou Tetanie aui, zu der sich ein naibes
jailr spater epileptische Amalie gesellten, ln der lolgeudeu /.eit
zeigte mcu nun eine eigeuthumlicne Mischung zwischen Epilepsie
im« Tetanie, indem typische Tetanieautalie n.piiepsieuuiune ent-
leneten unu Tetamesieiiuug der Hände daun den epueptiscneu
.vniaii stundenlang überdauerte. Für die Entstehung beider Kruuk-
iieaen sind wohl toxische Einflüsse wirksam. Hie Kranke zeigt
aueu selir ausgesprochene psychische Storungen, welche übrigens
gleichzeitig mit uer ietauie uud Epilepsie eine bedeutende Besse¬
rung enunreu, ais eine Thyreojouiukur eiugeleitei worden war.
iiiusicütnch der übrigen Symptome ist noch zu erwähnen, dass bei
der i aueutiu Starbuduug beobachtet werden kounie, welche viel¬
leicht auch auf toxische Einflüsse zuruckgeluhrt werden muss.
1 i*i -. hall bestand ein chronischer Zustand von Tetanie, aucn war
eine lvoinbiuailou nicht nur mit Epilepsie, sondern auch mit Alyx-
ooieiu vorhanden.
2i 11. U u c h n e r - München: Sind die Alexine einfache oder
komplexe Körper Y
Her Artikel eignet sieh nicht für eine auszugsweise Wieder¬
gabe.
3) W. il o c h h e i m - Greifswald: Ueber Farbenblindbeit in
bahnarzuicner Beziehung und über den Wenn des Biau ais
Bignalfarbe.
Veriasser bespricht zunächst die verschiedenen Uuter-
suchungsmethotlen für die Feststellung der Farbenbliudheit; er
iiussert sicli dahin, uass mau sich die ganze Untersuchung auf
Farbenblmducil spuren köuute, wenn es gelingen würde, für Urdu
Blau ais Signaltarlie einzuführen, da Biau nicht mit Koth ver¬
wechselt werden kunn. Veriasser hat Uber die Verwendbarkeit
des Blau praktische Versuche angestellt. Allgemeine Schlüsse
möchte Verfasser aus seinen Experimenten vorläufig noch nicht
ziehen. Er macht darauf autmerksam, dass es uothweudig ist, die
' Untersuchung auf Farbenbliudheit später zu wiederholen, da das
ixddcu auch später erworben werden kann.
4) L. F r e u k e 1 uud O. Bronstein- Moskau: Experimen-
t teile Beiträge zur Frage über tuberkulöse Toxine und Antitoxine.
Her Aufsatz eignet sich nicht zum kurzen Ausaug.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift, iwoi. Mo. 33.
1; It. Koch- Berlin: Die Bekämpfung der Tuberkulose unter
Berücksichtigung der Erfahrungen, weiche bei der erfolgreichen
Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten gemacht sind.
Vortrag, gehalten auf dem Britischen Tuberkulose-Kongress.
Siehe das betreffende Referat ln dieser Wochenschr. No. 22, p. 1298.
2) v. llanseuiuun: lieber pathologische Anatomie und
Histologie des Carcinoms.
Vortrag, gehalten in der Sitzung des Comitö’s für Krebs¬
forschung am 7. Juni 1901. Zu einem kurzen Referat nicht ge¬
eignet.
U. Schmilinsky- Hamburg: Zur Diagnose der pharyngo-
oesophagealen Pulsionsdivertikel.
Nach einer Demonstration lm Aerztllchen Verein zu Hamburg
aiu 10. April 11)01. Referat siehe diese Wochenschr. Mo. 18, p. 728.
4) Walter Z w e i g - Berlin: Zur Diagnose der tief sitzenden
Oesophagusdlvertikel.
Zu den 7 in der Literatur beschriebenen Fällen von tief¬
sitzendem Oesophagusdlvertikel fügt Z. 3 Fälle eigener Beobach¬
tung und beschreibt eine Modifikation des Zweisondenversuches
• Einbringung einer Lösung von Methylenblau in den Divertikel),
welche die Differentialdiagnose der idiopathischen Dilatation der
Speiseröhre — ein Fall derselben wird beschrieben — wesentlich
erleichtert.
5) P. R ö m e r - Glessen: Der gegenwärtige Stand der Im-
munitätsforschung. (Schluss aus No. 32.)
Zusammenfassendes Referat über unsere Keuutuiss der Anti¬
toxine und der bactericiden Antikörper, vorgetrageu in der Medi-
cinisehen Gesellschaft zu Giessen am 30. Oktober 1900.
6) A. Fraenkel, E. Stadelmann und C. Bund a- Berlin:
Klinische und anatomische Beiträge zur Lehre von der Akro¬
megalie. (Schluss aus No. 32.)
Krankengeschichte und mikroskopischer Befund von 4 Fällen
von Akromegalie aus dem städtischen Krankeuhause am Urban
^iu Berlin. F. Lacher- München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 33. 1)8. Pertot -Triest: Beitrag zur Blutuntersuchung
am Krankenbette.
In einer „vorläufigen Mittliellung” berichtet P. über Versuche,
welche er in der NN eise augestellt hui, dass er mit Brunnenwasser
otler dcstllllrtem Wasser verdünntes Blut in abgemessenen Quanti¬
täten auf weisscs l iitrirpapier brachte uud die bei der vor stell
gellenden Aufsaugung der Flüssigkeit bemerkbaren Figuren und
i’ iirbenveiünderungen eingehend unalysirte. Es Hessen sich daix.-i
gewisse Unterschiede teststellcu, je nach der Concentration, dem
Salzgehalt uud der übrigen Zusammensetzung der zur Prüfung
kommenden Blutproben, nie Befunde zeigten, wie das Original
im Einzelnen ungibt, eine solche Regelmässigkeit, dass die mit
sehr einlachen Mitteln arueitcude Methode leicht auch am Kranken
bette angewendet werden kann, zur Untersuchung bei Fällen von
Amiemie etc.
2) G. A 1 e x u n d e r - Wien: Ueber die operative Eröffnung
des Warzenfortsatzes mScnieic h’scher Lok&ianaesthesie.
Verlasset berichtet über 11 Falle, hei denen fast immer die
regionäre Auaesthesie so gut gelang, dass die Operation ohne Nar¬
kose ausgeführt werden konnte. Nur das Klopfen beim Aui-
meisselu wurde unangenehm empfunden. Die für die Infiltration
nüthlge Menge der Flüssigkeit betrug zwischen 3.) uud iu ccm.
Verfasser innitrirte ausser dem Periost auch das Innere des i'roc.
inast., besonders die vorhandenen Granulationen uud das Eudosi.
Erbrechen kam übrigens auch nach der Lokalauaesthesie vor.
3) A. Halle- Leipzig: Ein Beitrag zur Kenntniss des Xero¬
derma pigmentosum.
ln ausführlicher Weise bespricht Verfasser die klinischen Er¬
scheinungen der von Kaposi oenanuten obigen Affeklion, indem
er die Erfahrungen einer Reihe von Autoren darüber zusammen¬
fasst. Bemerkenswerth ist besonders das Fortschreiten des l‘ro-
cesses uud die Bildung von Tumoren. Ferner berichtet U. genau
über einen von ihm beobachteten Fall der Krankheit, ein 0 jähriges
Kind betreffend. Die bisher bekannte Histologie der Affektion
wird genau geschildert. Es ergab sich auch hier, dass das Pigment
nicht im Epithel entsteht, sondern ln der Nähe der Blutgefässe.
Ueber die Entstehung der die Krankheit begleitenden Teleangi¬
ektasien gaben dem Verfasser seine Präparate keinen Aufschluss.
Die begleitenden Tumoren entsprechen Epithelcarcinomeu. Die
Prognose ist ungünstig. Die Therapie kann nur vorübergebende
Besserungen erzielen. G r a s s m a n u - München.
inaugur&i-Dusertationen.
Universität Greifswald. Juli 1901.
25. Dzickau Paul: Beitrag zur Anatomie der Leistenhernien.
2«!. Hirse hfeld Willi: Kasuistik zur Neurolyse und Neuro-
raphie des N. rmlialis liebst einem Beitrag aus der Klinik des
Herrn I>r. Pernico zu Frankfurt a. O.
Vereins- und Congressberichte.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 5. J uni 1901.
Vorsitzender: Herr C. Fraenkel.
(Schluss.)
3. Herr Hersohel: Ueber Kieferhöhleneiterung.
Die Einleitung des Vortragi*« bilden anatomische Bemerk¬
ungen über die Nebenhöhlen der Nase im Allgemeinen und
die Kieferhöhle im Speziellen. Vor Allem wird ausführlicher
als wichtigste der Wandungen der Kieferhöhle die mediale, an
die Nasenhöhle angrenzende, besprochen, die auch die Grundlage
für die laterale Nasenwand bildet, und wird an Zeichnungen und
Präparaten erläutert, wie das grosse Fortunen maxillare durch
Anlagerung mehrerer Knochen und einen doppelten Schleini-
hnutüberzug eine derartige Einengung erfährt, dass nur eine
ganz kleine Ocffnung im Hiatus semilunaris übrig bleibt, die in
der Mehrzahl der Fälle die einzige Kommunikation zwischen
Kieferhöhle und Nasenhöhle bildet; wichtig ist es jedoch auch,
zu wissen, dass in manchen Fällen — nach der Statistik Zucker-
knndl’s in jedem 10. Fülle — noch accessorische Oeffnungen im
mittleren Nasengange Vorkommen.
Es wird nun die Aetiologie der entzündlichen Kicferhöhlen-
erkrankungen besprochen, als welche — die wenigen durch
Trauma entstandenen Kieferhöhlenentzündungen ausgenommen
- - vor Allem die Infektionskrankheiten in Betracht kommen.
In erster Linie ist die Influenza zu nennen, weiter die croupöso
Pneumonie, Typhus abdominalis, Diphtheritis, Scharlach,
Masern; aber auch schon jeder akute Schnupfen kann die Ur¬
sache sein für eine Kieferhöhlenaffektion, auf welche dann Be¬
schwerden, wie eingenommener Kopf, Kopfschmerzen, starke,
eiterige Absonderung zurückzuführen sind. Auch bacterio-
logische Untersuchungsbefunde liegen bereits vor; im Höhlen-
citor fand sich der Influenzabacillus, der Diploooeous pneumoniae
u. a.; bei der Diphtherie haben Sektionen das Vorkommen diph-
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13Ö4 MUENCHENER MEDlCItflSCHE WOCHENSCHRIFT. K 0 . 35.
therischer Membranen auf der Kicfcrhöblenseldeimhaut festgc-
stellt. Häufig sind ferner Kombinationen von Gesichtserysipel
und Empyem; letzteres ist wohl als primäre Erkrankung aufzu¬
fassen, da das Gesichtserysipel meist seinen Ausgang nimmt von
Schrunden am Naseneingang, die erst eine Folge des eiterigen
Ausflusses sind.
Der Mechanismus der Entstehung der Höhlenentzündung ist
entweder der, dass die Entzündung der Nasenschleimhaut sich
auf die Kieferhöhle fortpflanzt, oder dass Sekret aus Nase oder
Hachen durch heftiges Schnauben in die Kieferhöhle geschleudert
wird und diese infizirt. Der dentale Ursprung darf dann
gelten, wenn eine cariöse Z ahnwurzel nur durch eine dünne
Knochcnlamelle von der Highmorshöhle getrennt ist oder frei
in die Höhle hineinragt.
Ein Zahnpräparat von einem Patienten mit Kieferhöhlen¬
eiterung wird gezeigt, an dessen Wurzel sich ein Eitcrsäekclieu
befindet, das mindestens als unterstützendes Moment für das Fort¬
bestehen und die Hartnäckigkeit der Eiterung aufzufassen war.
Je nach dem Stadium, in dem sich die Kieferhöhleneiterung
befindet, spricht man von akut- oder chronisch-katarrhalischen
Sehleimhautveränderungen und von akut- oder chronisch-eitrigen
Veränderungen. Zuekerkandl beschreibt im 1. akut-katar¬
rhalischen Stadium die Schleimhaut als iniiltrirt und auf ge¬
lockert, die starke Injektion, selbst Ekehymosen, zeigt. Bei der
chronisch-katarrhalischen Form ist die Infiltration aller Gewebs-
schiehten eine derartige, dass die Schleimhaut um das 10—15 fache
ihrer normalen Dicke anschwellen kann.
Eine weitere von Dmochowsky als hyperplastische
angeführte Form geht wohl erst aus der oedematüsen hervor
durch narbige Degeneration des Bindegewebes, das in Folge
Druckes auf die Drüsenausführungsgänge Cystenbildung ver¬
ursacht.
Beim akuten Empyem sind die entzündlichen Ver¬
änderungen-der Schleimhaut nur in höherem Grade entwickelt;
die Eiterbildung ist Anfangs gering und nimmt in dem Maasse
zu, wie die Schleimhautschwellung abnimmt.
Beim chronischen Empyem kann der Inhalt der
Kieferhöhle entweder schleimig-eiterig oder rein eiterig sein;
die erstere Form ist die günstigere, die letztere deutet schon auf
schwerere Veränderungen in der Kieferhöhle hin. Solche sind
Polypen, Cysten, Geschwüre in der Schleimhaut; Carie« bestellt
nach Zuekerkandl nur wesentlich seltener, als manche
lthinologen angeben. Zu erwähnen sind noch freie Knochen-
plättchen in der Höhle als Produkt des chronisch entzündeten
inneren Periostes; Zuekerkandl fasst sie als Ursprünge der
in den Höhlen Vorgefundenen Osteome auf. In seltenen Fällen
werden auch die schwersten Zerstörungen der knöchernen Wand¬
ungen angetroffen — ausgedehnte Nekrosen mit Sequestrirung
ganzer Bezirke.
Das Symptomenbild der Kieferhöhlenentzündung ist
ein sehr vielgestaltiges.
F icbertemperaturen nur im akuten Stadium oder
bei Exacerbationen des chronischen Empyems.
Schmerz tritt im akuten Stadium, besonders beim Em¬
pyem dentalen Ursprunges, lokal auf, ebenso bei Influenza, Ery¬
sipel. Das Schmerzgefühl besteht vor Allem in der Gegend des
Proc. frontalis des Oberkiefers und äussert sich entweder als
dumpfes Druekgcfühl oder als Neuralgie (im N. infraorbitalis
oder den Zahnnerven), die bei heftigem Anfalle durch Irradiation
auf den I. Trigeminusast Stimkopfschmerz hervorruft, ein Be¬
weis, wie trügerisch es ist, aus dem Sitz des Schmerzes einen
Schluss auf die erkrankte Höhle zu ziehen. Beim chronischen
Empyem sind die Kopfschmerzen diffuser, unbestimmter Natur
und in Bezug auf Intensität und Dauer grossen Schwankungen
unterworfen. Ob ein Zusammenhang zwischen Höhlenentzün¬
dung und Migräne besteht, ist nach den bisherigen Beobachtungen
nicht festzustellen.
Störungen der Geruchsempfindung äussern
sich als Schwächung resp. Aufhebung des Rieehvermögens oder
als subjektive Geruchsempfindungen, sog. Geruchshallucinationcn;
letztere werden als Kloakengeruch, als Riechen von Knoblauch,
gebranntem Stroh geschildert.
Das wichtigste Symptom ist der Eiterausfluss aus
der Nase. Der Eiter hat im akuten Stadium oft eine bräunliche
Färbung in Folge Blutbeimengung. Manchmal überschwemmt
er das ganze Terrain und quillt nach Abtupfen sofort wieder
nach, oder bildet missfarbene, foetide Borken. Ist der Abfluss
nach vorne durch Polypen verlegt oder fliesst der Eiter durch
eine aceessorisehe Oeffnung nach hinten ab, so beziehen sich die
Beschwerden des Kranken oft nur auf Rachen, Kehlkopf; häufige
Anfälle von Angina können die Folge sein, weiter chronische
Bronchitis, Magenkatarrh, deren eigentliche Ursache lange ver¬
kannt werden kann. Eine Folge der Eiterung sind Rhagadeu
am Naseneingang, Ekzem der Oberlippe, auch ozaenaartige Zu¬
stände der Nasenschleimhaut mit foetider Borkenbildung, die
bei richtiger Behandlung der ursächlichen Höhleneiterung eiue
günstige Prognose gestatten. Die sekundären Veränderungen
der Nasenschleimhaut bei Kieforhöhleneiterung bestehen in sog.
atypischen Hypertrophien und Polypenbil¬
dung; sie entstehen dadurch, dass der Eiter, der die Kieferhöhle
durch das Ostium maxillare verlässt, die Nasenschleimhaut gerade
dieser Gegend in einen chronisch-hyperplastischen Entzündungs¬
zustand versetzt; die Prädilectionsstellen der Hypertrophien sind
die Bulla etlunoidalis und der Proc. uncinatus.
Als eine Begleiterscheinung dieser Veränderungen konstatirt
man häufig At hemstörungen reflektorischer Natur, weiter
sind die als „Fernsymptome“ bezeichnten Gemüthsalterationen
zu erwähnen, die in der Form von Kongestions- oder Depressions-
zuslündcn auf treten und oft recht bedrohliche psychische Er¬
scheinungen, sogar Lebensüberdruss, zeitigen können. Auch
finden sich in der Literatur 2 Fälle von Schlafsucht verzeichnet;
letztere verschwand erst nach Ausspülung der Kieferhöhle.
Wenn man bei Berücksichtigung all’ dieser Symptome auch
ein oder das andere Mal im Stande sein wird, die Kieferhöhlen-
oiterung auch ohne eingehende Nasenuntersuchung zu diagnosti-
eiron, so bleibt doch zur Sicherstellung der Diagnose eine richtige
Deutung <h*s rhinoskopisehen Befundes die Hauptsache. Ueber
die Zeiten sind wir gottlob hinaus, wo man glaubte, eine Kiefer¬
höhleneitorung nur aus der Auftreibung der Höhlenwandungeu
zu diagnosticiren; heute wissen wir, dass Neoplasmen es sind,
welche die Ausdehnung der knöchernen Wandungen verursachen;
gelegentlich kann cs an anatomisch dazu disponirten Höhlen
auch zur Vorbuchtung einer Wand kommen, am ehesten noch an
der medialen Wand, wenn bei Verschluss des Ostium maxillan*
der Eiter sieh in der Höhle staut. An Alles, was betreffs der
Symptome gesagt ist, wird man bei der Diagnosestellung zu
denken haben. Die Angabe des Stirnkopfschmerzes wird uns
sogar veranlassen, den Sitz der Erkrankung eher im Oberkiefer
als in der Stirnhöhle zu suchen. Vor Allem hüte man sich vor
einer Diagnose des sogen, nervösen Kopfschmerzes, die man nicht
früher aeeeptiren darf, bevor nicht durch eingehende Unter¬
suchung der Nase und ihrer Nebenhöhlen eine diesbezüglich» 1 Er¬
krankung mit Bestimmtheit auszuschliessen ist.
Das Hauptgewicht ist natürlich auf die eitrige Ab¬
sonderung der Nase zu legen. Hat uns schon das beständige
Nachfliessen des Eiters belehrt, dass derselbe aus einem Reservoir,
einer Höhle, stammt, so sagt uns der Befund von Eiter im mitt¬
leren Nasengang, dass wir es mit einer Erkrankung einer von den
3 'Höhlen, welche in den mittleren Nasengang münden, zu thun
haben; es bleibt also noch übrig, zu entscheiden, ob der Eiter uus
der Stirnhöhle, der Kieferhöhle oder dem vorderen Siebbein¬
labyrinth kommt. An einer schematischen Darstellung der Lage
der Nebenhöhlen zum Hiatus seminularis wird nun gezeigt, dass
bei aufrechter Körperhaltung der Ausführungsgang der Stirn¬
höhle sich am Boden derselben befindet, während der Ausführ uugs-
gang der Kieferhöhle an deren höchstem Punkte zu suchen ist;
diese Verhältnisse ändern sich sofort, sobald der Kopf vornüber¬
gebeugt wird; es kommt dann das Ostium frontale an den
höchsten Punkt der Stirnhöhle zu liegen, während das Ostium
maxillare an den tiefsten Punkt der Kieferhöhle verlegt wird.
Im ersten Falle, bei aufrechter Kopfhaltung, wird also der Eiter
eher aus der Stirnhöhle abfliessen, im letzteren Falle, bei vorn-
iibergebeugtem Kopfe, eher aus der Kieferhöhle; in ersterem
Falle muss man also eher an eine Stirnhöhleneiterung, im letz¬
teren Falle eher an eine Kieferhöhleneiterung denken. Doch eine
definitive Entscheidung, ob Eiterung in der Kieferhöhle besteht,
liefert erst die Ausspülung derselben. Diese versuche man erst
mittels gebogener Kanüle von einer aecessorischen Oeffnung oder
dom Ostium maxillare aus; gelingt das nicht, so bleibt nur noch
»lio Punktion vom unteren Nasengang übrig mit nachfolgender
Probeausspülung. Redner zieht das Kraus e’sche, gebogene
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27. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1395
Troikart allen anderen Punktionsnadeln vor, die für diesen Zweck
vielfach zu schwach konstruirt seien. Es wird noch des unange¬
nehmen Zwischenfalls gedacht, der dem Anfänger schon einmal
passireu kann und darin besteht, dass das Troikart, mit zu grosser
Gewalt eingeführt, gleich die äussere Wand der Kieferhöhle mit
durchstösst, worauf dann die Spülflüssigkeit, unter die Wange
gespritzt, hier zu einem ganz gefährlich aussehenden Wasser¬
emphysem Veranlassung gibt, das aber unter leichtem Kom-
pressionsverbande nach einigen Tagen wieder resorbirt ist, meist
ohne weitere Störungen zu verursachen.
Von der im Allgemeinen als absolut geltenden Beweiskraft
der Punktion vom unteren Nasengang gibt es nur eine Ausnahme
und diese ist dann zu erwarten, wenn die Kieferhöhle durch eine
senkrechte Wand in 2 Hälften, eine vordere und eine hintere,
getheilt. ist: es braucht dann nur eine Hälfte Eiter zu enthalten,
während gerade das andere, leere Höhlensegment punktirt wird.
Es wird noch des K i r s t e i n’schen Punktionsverfahrens
gedacht, das von der Fossa canina aus in die Kieferhöhle dringt,
aber dem Redner wenigstens in dem Falle unzulänglich erscheint,
wo es sieh nur um Spuren von Eiter am Boden der Höhle
handelt, so dass die Punktionsstelle über der Sekretschicht zu
liegen kommt.
Als unterstützendes diagnostisches Hilfsmittel wird noch die
Durchleuchtung mittels elektrischer Glühlampe erwähnt,
bei der die entzündete Höhle sich, im Gegensatz zur gesunden
Seite, völlig verdunkelt zeigt; vor Allem fehlt dann der helleReflex
am unteren Augenhöhlenrande und die Erleuchtung der Pupille;
ebenso vermisst hier der Kranke den hellen Lichtschein im Auge.
Alle diese Untersuchungsmethoden lassen sich in der Sprech¬
stunde bequem amvenden; doch wird man in der Praxis auf eine
sofortige Diagnosenstellung verzichten müssen, wenn man an das
Bett des fiebernden Kranken gerufen wird, der über heftige Kopf¬
schmerzen und eitrigen Ausfluss aus der Nase klagt. Dann heisst
cs, erst ruhig die Reizerscheinuugen der Kieferhöhle vorüber¬
gehen lassen und sich auf Linderung der Beschwerden durch Eis,
Fiebermittel beschränken. Zur Reinigung der Nase verordne
man unterdessen die Nasondouche. Bei Empyemen dentalen
Ursprunges ist Extraction des cariösen Zahnes Grundbedingung;
dem extrahirten Backzahn, dessen Wurzeln in die Höhle reichen,
sieht man oft den Eiter auf der Stelle naehstürzcn, so dass eine
weitere Specialbehandlung der Kieferhöhle oft völlig unnöthig ist.
Die Heiltendcnz der akuten Empyeme ist im Allgemeinen
eine sehr gute und richtet sich ganz nach der Schonung, die der
Patient sich angedeihen lässt; Alkohol und Tabak sind gänzlich
zu verbieten. Um so wunderbarer ist dieses günstige Resultat
der Spontanheilung, wenn man bedenkt, dass die Grundbedingung,
Abfluss am Boden der eiternden Höhle, fehlt.
Gehen die Beschwerden bei dem oxspeetntiven Verfahren
nicht zurück, so ist die Ausspülung der Kieferhöhle zu versuchen,
auf die eine oder die andere Art.
Bei stinkender Eiterung ist als Desodorans Wasserstoffsuper¬
oxyd dem Spülwasser zuzusetzen, das Redner überhaupt dem Ge¬
brauch stärkerer Höllensteinlösungen, wie sie Hajek empfiehlt,
vorzieht; er sah vielfach nach letzteren die heftigsten Reizerschei¬
nungen folgen. Für die Behandlung des chronischen Empyems
kommen zweierlei principiell sich gegenüberstehende Methoden
in Betracht: die konservative und die operative.
Erstere spült die Höhle vom Ostium maxillare oder acoessorium
aus: von den operativen Methoden werden 3 besonders erwähnt:
Die Eröffnung der Höhle vom unteren Nasengange aus mittels
des Kraus e’schen Troikarts. 2. Die sog. C o o p e Esche Me¬
thode, welche die Kieferhöhle von der Alveole aus eröffnet. Die
Eröffnung der Höhle wird, am besten in der Gegend des II. Back¬
zahnes oder I. Mahlzahnee, nach Extraction des cariösen Zahnes
mittels durch Motor getriebenen Bohrers, Trephinen, Fraisen
gemacht. Später wird der Kanal offen gehalten durch einen
Guttaperchastift und kann der Patient von nun an sich selbst
die Kieferhöhle ausspülen. Die 3. Methode ist die Operation
von der Fossa canina aus, die als rein chirurgischer Eingriff
als bekannt vorausgeeetzt wird.
Redner wirft nun noch die Frage auf, wann jede dieser Me¬
thoden in Anwendung zu kommen hat und ob überhaupt die
konservative Methode beim chronischen Empyem berechtigt ist;
er kommt zu dem Resultat, dass Ausspülung vom Ostium maxil¬
lare oder accessorium auch beim chronischen Empyem sehr wohl
in ihrem Recht ist, wenn man einmal gesehen hat, wie ein altes,
stinkendes Empyem nach einigen Ausspülungen sich nicht nur
bessert, sondern sogar ausheilt. Redner macht desshalb den Vor¬
schlag, jedes Empyem erst einige Zeit, vielleicht 3—4 Wochen
lang, in dieser Weise zu behandeln; gelingt eine Ausheilung nach
dieser Methode nicht, dann tritt die Operation noch immer zur
Zeit in ihr Rocht. Selbstverständlich wird es wohl Keiner sich
einfallen lassen, an etwas anderes zu denken als die Operation,
wenn so schwere Veränderungen, wie Nekrosen und Sequester-
bildung in der Kieferhöhle anzunehmen sind.
Einer Eigenthüiulichkeit der Kieferhöhleneiterung wird noch
gedacht, das ist die Exacerbation, die das chronische Empyem
häufig erfährt, und die wohl als Folge einer jedesmaligen akuten
Erkältung zu deuten ist. Ebenso zeigt eine Kieferhöhle, die
einmal eine Eiterung durchgemacht hat, bei jeder Erkältung
Neigung, von Neuem wieder zu erkranken; sind die Ursachen
solcher häufigen Schnupfenzustände chronische Veränderungen
des Sehleirnhautül>erzuges der Nasenmuscheln, vor Allem Hyper¬
trophien, so wird cs sich in prophylaktischer Hinsicht empfehlen,
gegen diese Hypertrophien vorzugehen und normale Verhältnisse
in der Nase zu schaffen.
Zum Schlüsse wird noch der elektrische Durchleuchtungs¬
apparat demonstrirt.
Besprechung: Herr G r u n e r t redet Im Allgemeinen
ln Fällen chronischen Empyems der Kieferhöhle einer möglichst
radikalen operativen Therapie das Wort, welche sich in Wahrheit
oft als die „konservativste“ kennzeichne. Ohne die Berechtigung
des Versuches, auf nicht operativem Wege eine Heilung des chro¬
nischen Empyems herbeizuführen, zu verkennen, hält er doch
wegen des bei dieser Krankheitsform gewöhnlich so erheblichen
anatomischen Befundes das Erzielen einer Dauer heilung auf
diesem Wege, wenn nicht für unmöglich, so doch für recht selten.
Man darf ein$ temporäre Slstirung der Eiterung nicht mit einer
Heilung verwechseln, und es ist immer gewagt, eine Körperhöhle,
welche man mit dem Auge nicht übersehen kann, als von einer
Eiterung gehellt zu bezeichnen, wenn selbst für längere Zeit nichts
von Eiterabfluss aus derselben zu sehen ist. Aehnliche Verhält¬
nisse haben wir Ja bei den Nebenhöhlen der Paukenhöhle, und
jeder erfahrene Ohrenarzt weiss, wie häufig hier eine Eiterung
In das Stadium der Latenz treten kann, ohne dass doch von einer
Heilung derselben die Rede ist. In der Schwartz e’schen Klinik
bat Herr Gr. nicht selten Fälle gesehen, welche anderweitig als
„geheilt“ entlassen waren und bei denen die operative Freilegung
der Oberkieferhöhle die ausgedehntesten Veränderungen darbot,
insbesondere ausgedehnte Erkrankung der knöchernen Höhlen¬
wandungen. Die Häufigkeit solcher Erfahrung haben in der ge¬
nannten Klinik die principielle breite Eröffnung dos Antrum
Highmori von der Fossa canina aus in den chronischen Empyem¬
fällen gezeitigt, ein Operationsverfahren, welches neben der
grösseren Sicherheit des Erfolges den Vorzug mit den Behandlungs¬
methoden von der Nase aus gemeinsam hat, dass von einer Ent¬
stellung oder sichtbaren Narbe im Gesicht nicht die Rede Ist.
Herr Ilerscliel vertheidigt seinen Standpunkt und ver¬
weist auf seine günstigen Erfahrungen. Den Vorzug verdiene es,
wenn man ohne Operation auskommen kann, und die Operation
i kommt Immer noch zur Zelt auch in den Fällen, wo die konser-
i vative Methode einige Wochen lang ohne Erfolg geblieben ist.
Gegen die Reeidivlrung der Kleferhöhleneiterung wird vor Allem
empfohlen, normalere Verhältnisse in der Nase zu schaffen und
die Hypertrophien und Schwellungen der Nasenschleimhaut, die
gerade' die Ursache häufiger Schnupfenzustände sind, zu beseitigen.
Aerztlicher Verein München.
(Offlelelles Protokoll.)
Sitzung vom 22. Mai 1901.
Herr Moritz: Demonstration zweier Fälle von Fried -
r e i c h’scher Ataxie.
Es handelt sich um 2 Schwestern im Alter von 25 resp.
28 Jahren, bei denen seit der Kindheit Ataxie besteht, die in lang¬
samem Zunchmen begriffen ist. Die ältere der Kranken kann
ohne Unterstützung schon kaum mehr gehen. Noch weiter vorge¬
schritten ist das Leiden bei einer dritten, nicht mehr transpor¬
tabel Schwester, die im 33. Lebensjahre steht. Anamnestisch
konnte erulrt werden, dass der Vater der Kranken ein sehr erreg¬
barer, jähzorniger Mann ist. Die Mutter, welche unter der Ge-
müthsart ihres Mannes viel zu leiden hatte, soll einmal au Melan¬
cholie erkrankt gewesen sein, so dass ihre Verbringung ln eine
Irrenanstalt in Frage stand. Die Mutter der Mutter sei In ihren
30 er Lebensjahren an einer einige Jahre währenden „Rücken-
markserkranknng“ gestorben, über die nähere Daten fehlen. Eiu
Bruder der Patientinnen ist gesund. Alle 3 Kranke haben Kinder,
bei denen bisher keine Anzeichen für hereditäre Ataxie bestehen.
Neben den ataktischen Störungen lassen sich bei den vor¬
gestellten Kranken deutliche, wenn auch nicht sehr hochgradige
Senslbilität8störungen, sowie Verlangsamung und Monotonie der
Sprache konstatiren. bei einer der Kranken auch Nystagmus bei
seitlicher Blickrichtung. Ferner bestehen geringfügig? Blasen-
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MÜENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. No. 35.
Störungen. Es wird zu versuchen sein, durch Frenke l’schc
Uebungsbehandlung die Ataxie zu bessern.
Herr v. Heinleth (als Gast): Heber maligne Ge¬
schwülste der Tonsille. (Der Vortrag erscheint an anderer
Stelle dieser Nummer.)
Discussion: Herr Hecht: Ich hatte kürzlich Gelegen¬
heit, einen Fall von recidivirendem Rachensarkom zu untersuchen,
der im Jahre 1894 in Behandlung des verstorbenen Kollegen Ber-
g e a t gestanden hatte und im August 1894 von Herrn Prot.
Klnussner operirt worden war. Es handelte sich damals —
laut Mittheilung des Herrn Prof. Klaussner — um ein Sarkom
der linken Tonsille. Nach der Operation blieb Patient bis zum
Jahre 1897. also 3 Jahre, beschwerdefrei; dann stellte sich ein
Itecidiv ein, das von Kollegen Bergeat intrabuccal, kaustisch
behandelt und anscheinend auch auf diesem Wege radikal beseitigt
wurde, da Patient bis Ende 1900 vollkommen beschwerdefrei blieb,
also wieder ca. 3 Jahre. Jetzt ist wieder ein neues Itecidiv aus¬
getreten, das — auch nach Ansicht des Herrn Prof. Klaussner
— als inoperabel angesprochen werden muss. Ausser den relativ
grossen Tumonuassen im Rachen und regioniiren Drüsenmeta-
stasen finden sich auch solche peripherer Gegenden (Achselhöhle
und Inguinalgegeud). Da Patient wenig subjektive Beschwerden
hat, die Nahrungsaufnahme auch gut von Statten geht, so liegt für
einen operativen Eingriff keine Veranlassung vor. Ich habe nun
dem Kollegen, ln dessen Behandlung der von auswärts hierher¬
gekommene Patient steht, vorgeschlagen, neben innerlicher Dar¬
reichung von Arsen das — meines Wissens zuerst von Z i e m s s e u
empfohlene — Natrium arsenicosum subkutan auzuwendeu und
zwar in steigenden Dosen bis zu 0,02 als tägliche Maximaldosis.
Laut Mittheilung des behandelnden Arztes ist das Allgemein¬
befinden des Kranken ein dauernd gutes, der Tumor ist nicht
grösser geworden, die Drüsenintiltrate sind etwas zurückgegangen:
es ist dies also für einen inoperablen Fall ein immerhin ganz gutes
Resultat.
Neuerdings wurden von II a in o n d u F ongera y gegen in¬
operable Tumoren der oberen Luftwege, insbesondere gegen Carci-
nom, Kauterisationen mit >/ 2 proc. Cliromsilure empfohlen, mit der
Autor bei einigen Fällen recht gute Resultate erzielte, so dass
eine Nachprüfung in geeigneten Fällen Jedenfalls wünschenswert!!
erscheinen dürfte.
Herr Grünwald: Bei der Würdigung von malignen Binde¬
ge websgesch Wülsten, speciell des Rachens, ist in erster Linie der
Histologie Rechnung zu tragen, Myo-Sarkom.?, Spindelzellen¬
tumoren und Endothellome sind wohl ohne Weiteres nach dem
Typus eines Carcinoms zu behandeln, d. li. der Radikaloperation,
wenn solche noch möglich, zuzuführen. Anders die Rundzellen¬
geschwülste, auch als Lymphosarkom bezeichnet. Schon die ganz
ähnlichen malignen Lymphome, die Trmoren der Pseudoleukaem'e,
sind nach ihrer Entstehung nicht ganz aufgeklärt, eia Tlieil, r.u h
ein Fall des Redners, als Tuberculome erkannt. Besonders merk
würdig aber ist ein Fall von Mikulicz, typisch einseitiges
Mandelsarkom, das auf Arsenbehandlung vollkommen ver¬
schwand, um nach Jahresfrist im Einklang mit allgemeiner leu-
kaemischer Tumorenblldung den Tod zu bewirken (typisch leu
kaemischer Blutbefund). Weist dieser Fall schon auf die Möglich¬
keit. dass das Lymphosarkom des Rachens nur eine lokale Tlieil-
erscheinung allgemein lympliatisch-haf matogener Erkrankung sein
kann, hip, so wirft ein weiteres Licht auf diese Auffassung der
Erfolg der Arsenbehandlung auch in anderen Fällen. Redner hat
in einem inoperablen Fall von Mandelsarkom (diese Wochenschrift
1893. 52) parenchymatöse Arseninjektionen gemacht, mit vorüber¬
gehender Besserung, ohne den schlechten Ausgang zu verhüten;
hat in einem weiteren ebensolchen innerliche, von anderer Seite
verordnete Arsenbehandlung vollkommen fruchtlos gesehen und
war um so erstaunter über eine ganz neuerliche Erfahrung der Art.
Vor 4 Wochen stellte sich ein 44 jähriger Gendarmeriesergent mit
der Angabe vor, dass ihm seit 3 Monaten 5 mal „Rachenpolypen“,
bis zu Daumengliedstärke, von seinem Arzte entfernt worden seien.
In den letzten 4 Wochen sei auch der Hals aussen dicker. Be¬
fund: Kleiner, glatter Tumor dicht über der 1. Mandel, Drüsen der
linken Hals-Nackenseite diffus bis zu etwa halber Faustgrösse
geschwollen. Seinem zuständigen Militärlazaroth überwiesen,
sollte er dort sofort operirt werden, als der eine, interne, Arzt noch
einen Versuch mit Arsen machte. Nach 29 tägiger Behandlung
entlassen, stellte sich Patient wieder vor, ohne eine Spur
seines Rachentumors, noch der Drüsenpackete.
Nur unter dem linken horizontalen Kieferast ist eine erbsengrosse
harte Drüse zu spüren. Ob dieser Erfolg anhalten wird? Der
Patient bleibt in weiterer Beobachtung, vorläufig noch ohne Be¬
handlung und wird dann eventuell wieder Aiseu bekommen. Was
alter aus dieser und den anderen Beobachtungen folgt, ist nicht
etwa, einen operablen Tumor durch längere präliminare Arsen¬
behandlung in's Stadium der Inoperabilität gelangen zu lassen,
sondern: vorläufig Arsen anzuwenden, jedenfalls aber, falls dieses
in etwa 14 Tagen nicht überaus deutlich wirkt, sofor. rücksichts¬
los und gründlich zu < perin n. da auch bei Lymphosarkomen die
pathologische Dignität nieht aus dem histologischen Bilde, sondern
nur aus dem klinischen Verlaufe und anderweitigen Befunden ge¬
folgert werden kann, welche eventuell geeignet sind, den Tumor
rein als Lokalorkrankniig oder als Theilerscheinung eines allge¬
meinen Siecht bums zu kennzeichnen. In letzterer Richtung ist
als wichtigstes Merkmal der Blut lief und zu bezeichnen, der
schon frühzeitig das Bestehen einer Lymphaemie oder Leukaemic
| im Gegensätze zu der bei malignen Geschwülsten aller Arte»
häufigen gewöhnlichen Leukocytose verrathen kann. Ein? weitete
i Folgerung alter ist noch, auch der Operation fraglicher Ge-
( schwülste Arsenbehandluug nac-hfolgen zu lassen. HUft das nicht,
I so schadet das nicht: unsere Machtlosigkeit weit ausgebreltetni
j Recidiven gegenüber ist ebenfalls Anlass genug, zu jedem rütli-
, liehen Mittel zu greifen.
Noch eine Bemerkung zur Diagnose: Herr v. H e i n 1 e t h Lat
nelten der glatten, wellig-höckerigen Beschaffenheit des von in¬
takter Schleimhaut überzogenen Rachentumors eiue bläulich-roih;
Farbe als charakteristisch bezeichnet. Meine 2 Mandeltumur.-.i
nun hatten ein ganz blassis, fast lehmfarbenes Aussehen, während
der dritte, supratonsilläre, in der Farbe ganz der angrenzende»
Velumschleimhaut glich. Als kennzeichnend möchte ich sonach
nur die erstaufgeführteii Symptome der Glätte und rundhüvkerigen
Form betrachtet wissen.
Herr Adolf Schmitt: TJeber Bauchoperationen ohne
I Narkose. (Der Vortrag ist in No. 30 dieser Wochenschrift ab¬
gedruckt.)
Discussion: Herr v. S t u b e n r a u c h: Es ist nicht zu
leugnen, dass das Verfahren der Lokalauaesthesie auch für die
Operationen am Unterleib bestimmte Grenzen der Anwendbarkeit
hat. Seit längerer Zeit pflege ich bei jedem in Chloroform- oder
Aetliernarkose vorzunehmenden operativen Eingriffe alle Apparate
bereit zu halten, die zur Ausführung der lokalen Anaesihesie nötbig
sind; ich bin aber selten in die Lage gekommen, die allgemeine
Narkose abzubrechen und die lokale rinzuleiten. Diejenigen Fälle
I von Laparotomie, in welchen grosse Schwäche die Narkose contra-
indizlrt, betreffen zumeist Patienten, die in Folge mangelhaft«?
Ernährung (Stenosen der Speiseröhre, des Mag. ns oder des
Darmes) starken Kräfteverlust erlitten haben. Solche Patienten
sind, wurden sie nnrkotisirt oder nicht, grossen Gefahren durch
den Eingriff ausgesetzt: sie könntn an Inanition zu Grunde gelte»
oder, wenn sie die ersten Tage auch glücklich Uberstau len haben,
j einer Pneumonie zum Opfer fallen. Während nun den Pneumonku
l selbst nicht durch die lokale Annesthesle vorgebt ugt werden kann,
| ist, wie Ich glaube, doch mehr Aussicht gegeben, die Gefahr der
I Inanition und des Collapses bedeutend zu verringern dadurch, dass
der Kranke vor Schluss der Bauchwunde ein Niihrklystier in den
j Dünndarm erhält. Diese Methode, welche Ich prlncipiell bei
I solchen Kranken durchführe und die mir stets gute Erfolge ge-
i zeitigt hat. wird so ausgeführt, dass z. B. nach ausgeführter
| Gastroenterostomie oder Darmresektion mittels einer ziemlich
j engen Kanüle das Jejunum oder lleum punktirt und mit einer
j Mixtur, bestehend aus einigen Eiern. Kochsalzlösung, etwas
I Cognac und Zucker gefüllt wird. (Ueber die Punktionsöffnung
i wird eine seröse Naht gelegt.) Zudem bekommt der Kranke noch
subkutan 1 Liter Kochsalzlösung infundirt. Der Patient erhält
' innerhalb der ersten 12 Stunden post operatlonem per os nichts;
• erst. ;päter Bouillon, Kartoffelpüree etc.
Was nun die Bedenken anlangt, weiche gegen eine ausschlte»-
i Hebe oder häufige Anwendung der lokalen Anaesthesle bei Laparo-
! tomien bestehen, möchte Ich folgende erwähnen: Zunächst sind
psychisch erregbare, ängstliche Kranke nicht geeignet zur lokalen
Narkose. Angstvoll erwarten sie das Ende des Eingriffes, fragen
ununterbrochen, ob die Operation noch nicht bald vorüber sei uml
jammern bei den geringsten Sehmerzerapflndungen. so dass auch
schliesslich der Operateur den Augenblick herbeisehnt, in dem die
Sache vorüber ist. Natürlich wird unter den genannten unange¬
nehmen Umstanden zuweilen auch die Gründlichkeit leiden.
Ein zweites sehr störendes Moment ist die Empfindlichkeit
des Peritoneums. Es mag sein, dass die Serosa des Magens und
Darmes gar nicht oder nur wenig empfindlich Ist beim Eiu-
schneideu, Nähen etc. Bezüglich des parietalen Peritoutums kann
ich indess nicht die Ansicht des Herrn Kollegen Schmitt
theilen. In einem Falle von Oesophagusstenose, welche die An¬
legung elneV Magenflstel nöthlg machte, klagte der Kranke beim
Fassen wie beim Nähen der Parietnlserosa Uber iiusserst heftig'*
Schmerzen. Diese Empfindlichkeit werden wir wohl in der Regel
ganz besonders konstatiren können, wenn am Peritoneum der
obersten Bauchwand (in der Nahe des Process. xiphoideus) ge¬
arbeitet werden soll. Da muss man eben recht häufig unter grosser
Spannung nähen, die Parietalserosa zur Anlegung der Nähte stark
zerren.
Ein Umstand, welcher uns zwingen kann, zur allgemeine»
Narkose zu greifen ist die Empfindlichkeit der Gedärme gegen
Zerrungen. Operationen, bei welchen Gedärme eventrlrt, abge¬
sucht otc. werden müssen, werden besser unter allgemeiner Nar¬
kose gemacht.
Dann habe ich das Gefühl, dass sich die mechanische Reini¬
gung der ßauchhaut des Kranken vor Operationen unter lokaler
Anacstliesie nicht so gründlich durchführen Hesse wie unter all¬
gemeiner Narkcse, so dass die Asepsis leiden kann.
So glat.be ich, dass das Verfahren der lokalen Anaesthesin
wenigstens bei Laparotomien ein beschränktes Gebiet beherrschen
wird: es wird uns aber äusserst weTthvoll sein und bleiben können
in manchen Fällen, z. B. jenen, ln welchen anhaltendes copiüses
Erbrechen die Gefahr einer Aspiration bedingt.
Zum Schlüsse möchte ich noch eine technische Bemerkung
machen. Statt des Cocains, das Ich anzuwenden auf Grund einer
früher gemachten üblen Erfahrung Scheu habe, verwende ich m
letzter Zeit ausschliesslich eine Eucalnlüsung und zwar eine 1 pro< - .
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27. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1397
für regionäre Anaesthesie und eine 1 prom. für Infiltrationsanaes-
thesie (ln O.Sproc. NnCl).
Es würde mich sehliesslich sehr interesslren. zu erfahren, ob
Herr Kolleg« Schmitt bei Eröffnung des Leibes ln lokaler
Narkose niemals Collapserscheiuungen beobachtet hat.
Herr Krecte hat 18 nial die lokale Anaesthesie bei abdomi¬
nalen Operationen aDgewendet. Er hat sich allerdings immer der
Schleie h’8chen Lösungen oder der Brau n’schen Eucain-
lösung bedient. Die Eingriffe betrafen die verschiedenen Magen-
und Darmoperatlonen, Probelaparotomien, Herniotomlen, Ovari-
eklomlen, Ventrofixationen, Perityphlitisoperationen. Pneumonie
trat einmal nach der Operation ein und endete tödtlich. Bezüg¬
lich der Schmerzhaftigkeit ist zu sagen, dass zweifellos die Durch¬
trennung der Bauchwand völlig schmerzlos auszuführen ist. Jeder
Zug ain parietalen Peritoneum sowohl wie an den Eingeweiden
macht fast immer sehr heftige Schmerzen. Das Schneiden und
Nähen am Darm ist ganz schmerzlos. K. ist von der örtlichen
Anaesthesie bei Bauchoperationen nicht sehr befriedigt. Die in
fast jedem Falle auftretenden Schmerzäusserungen erschweren
deni Operateur das ruhige Arbeiten und lassen ln ihm oft den
Wunsch nach einer allgemeinen Narkose auf kommen. Zuzugeben
ist ja, dass bei der lokalen Anaesthesie noch Fälle operabel sind,
die man sonst nicht ln Angriff nehmen würde. Auf diese sollte
al»er auch das Verfahren beschränkt bleiben.
Herr Brunner hält an der Chloroformnarkose fest und
betont nur, dass man mit der minimalsten Menge des Narkoticums
auszukommen suchen muss, um die Gefahr der Allgemein-
Anaesthesie so viel als möglich zu vermeiden. Mit der Lokal-
Anaesthesie lässt sich durchschnittlich ein wünschenswerthes Re¬
sultat nicht erreichen.
Herr Krön scher: Die lokale Anaesthesie ist für grössere
Operationen eine unvollkommene Sache; sie ist es — besonders
die Schleie h’sche Infiltration — selbst für kleinere Eingriffe,
sie ist vielfach umständlich, bei Phlegmonen u. a. überhaupt nicht
zu gebrauchen.
Wir müssen cs desshalb vorerst mit der Narkose halten; es
muss aber neben dem Chloroform noch dem Aether die ihm ge¬
bührende Beachtung geschenkt werden. Man kann mit dem
Aether sehr vorsichtig und sparsam umgehen; zu grösseren Ein¬
griffen genügt sehr oft eine einmalige tiefe Aetherislrung, um
ciele Minuten nachher vollständig schmerzlos operiren zu können
u. a. m. Bel kleineren und selbst mittelgrossen Eingriffen empfiehlt
K. die von ihm angegebene „couplrte Aethemarkose".
Bei dieser Utherisirt man nun etwas Uber das Excitations-
stadium, um nachher minutenlang in voller Analgesie operiren
zu können. Diese Narkose ist als eine sehr einfache und unschäd¬
liche zu bezeichnen, kann von Jedem leicht und mit verhiiltulss-
mässig geringen Mengen ausgefühlt werden.
Zufällig ist aus dem Krankenhause Hamburg-Eppendorf
zu derselben Zeit als K.’s Publikation hierüber erfolgte, eine mit
der coupirten Aethernarkose völlig identische Aetherislrung,
wenn aucli in etwas anderer Anwendung, angegeben worden.
K. freut sich, dass seine Beobachtungen von dieser 8eite be¬
reits bestätigt sind.
Die Ursache dieser so frühzeitig eintretenden Analgesie ist
zweifelsohne in dem Umstande, dass bei der Aetherinhalation
zuerst das Centrum für die sensibelen Bahnen im Gehirn und erst
später die anderen nlterirt bezw. aufgehoben werden, zu suchen.
Herr Ad. Schmitt: Ich möchte weder auf die Theorie und
Praxis der Narkose noch auf die einzelnen Mittel zur lokalen
Anaesthesie näher eingehen — beides liegt zu weit ab. — Die
Frage, ob ich nicht zuweilen stärkere Aufregung oder Erschein¬
ungen von Schock bei Bauchoperationen ohne Narkose gesehen
habe, muss ich mit Nein beantworten; gerade das Fortfallen der
durch die Narkose bedingten Schädigungen halte ich für das
Werthvolle, weil das Herz eben nicht ungünstig beeinflusst wird;
durch den auf das Bauchfell u. s. w. ausgeübten Reiz habe ich
nie schädliche Nebenwirkungen gesehen. — Warum man unter
lokaler Anaesthesie nicht auch absolut aseptisch soll operireu
können, sehe ich nicht ein; ich habe nie einen Unterschied zu
Gunsten der Narkose In dieser Beziehung gesehen. — Als Normal-
methode wird, wie Ich glaube, die Narkose stets bestehen bleiben;
aber wir müssen uns freuen, ln der lokalen Anaesthesie bei Bauch¬
operationen ein Mittel zu besitzen, das es uns ermöglicht, auch
in sonst wegen der Gefahr der Narkose nicht mehr operirbaren
Fällen noch Hilfe und Erleichterung für die Kranken bringen
zu können.
Auswärtige Briefe.
New-Yorker Brief.
Zum St. Pauler Aerztecongress und nach Wunderland.
n.
In St. Paul.
„Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen,
Ihr durchstudirt die gross’ und kleine Welt"
Die Stadt des heiligen Paulus liegt malerisch an den links¬
seitigen Abhängen des Mississippi hingestreckt. Sie ist eine
frische amerikanische Schöpfung. Vor zweihundert Jahren noch
fanden hier die Kontrolversammlungen der Siouxiandwelir
statt. Erst hundert Jahre später baute sich ein stabiles Indianer¬
dorf an, welches vor wenigen Dezennien ebenfalls dem Ansturm
der amerikanischen Völkerwanderung weichen musste.
Vor sechzig Jahren hatte ein unternehmender Franzmann
den Muth, eine Niederlassung neben den Wigwams zu gründen,
welche dann bald von Kanadiern und französischen Schweizern
derart bevölkert wurde, dass man sechs Jahre darauf den kühnen
Plan, ein Hotel zu errichten, thatsäehlich ausführte. Bald ge¬
sellte sich hierzu der erste Schwarzrock, der Marchand tailleur,
der erste Apotheker und last but not least der erste Aeekulap.
So hatte sich im Jahre 1860 schon eine Gemeinde von zehn¬
tausend Einwohnern gebildet, welche bi9 zum heutigen Tage auf
zweihunderttausend angewachsen ist.
St. Paul ist die Hauptstadt des Staates Minnesota und Wohn¬
sitz des Gouverneurs. Es verfügt über 650 Fabrikanlagen, welche
25 000 Arbeitern lohnende Beschäftigung bieten.
In der bekannten amerikanischen Liberalität steht St. Paul
nicht zurück, denn es ist mit nicht weniger als zwanzig Hospi¬
tälern dotirt.
Die Stadt zerfällt in einen Geschäfts- und einen Wohnungs-
thcil. In dem ersteren, welcher dem Ufer des Mississippi am
näclisten liegt, befinden sich nur Geschäftshäuser und Hotels,
alle in schönstem europäischen Stil erbaut. Sie würden gerade
so gut Unter den Linden oder am Boulevard des Italiens stehen
können.
St. Paul ist die grosse Avenue für den Handel des Nord¬
westens. E 9 ist also eine amerikanische Kaufmannstadt im
strengsten Sinne des Wortes. Damit ist aber keineswegs gesagt,
I dass die Bevölkerung nur in merkantilen Bestrebungen aufgeht.
Warm ist das Interesse für Kunst und Wissenschaft, wie in der
ihr darin gleichenden süddeutschen Handelsstadt Mannheim, der
Stadt eines Dalberg und I f f 1 a n d, welche den Muth hatte,
dem grössten Dichter aller Zeiten ihre Thore zu einer Zeit zu
öffnen, als blinder Despotismus und thörichter Kleinmuth ihre
Verfolgungsorgien feierten.
Es ist auf dem europäischen Kontinent Mode geworden, in
dein Yankee nur eine geldmachende Maschine zu erblicken.
„Wirken und Schaffen. Schätze erraffen“, das sei seine Pa¬
role und wo bei anderen anständigen Leuten ein Herz zu schlagen
pflegt, da soll wie hei dem Holländer Michel ein fühlloser Stein
liegen. Nichts ist falscher als diese verbreitete Ansicht; der Voll¬
blutamerikaner betrachtet das Geschäft mehr wie eine Art Sport
und seine Geschäftsweise ist kurz und floskelfrei, zeichnet sich
aber im Gegensatz zu der mehrerer anderer Nationen durch einen
hervorragend noblen Zug aus.
Im Verhiiltniss zu der Prosperität der Einwohnerschaft steht
der Wohnungstypus auf den lieblichen Anhöhen der Stadt.
Da ziehen sich hinter herrlichen Avenuen, geschmückt mit
prachtvollen Kastanienalleen, die ebenso geschmackvoll als prak¬
tisch errichteten Wohnhäuser, zumeist von blühenden Gärten ein¬
gerahmt, hin. Selbst in den weiter landeinwärts gelegenen
Arbeitervierteln dominirt das kleine Einzelwohnhaus mit Ge¬
müsegarten.
Die öffentlichen Parke von St. Paul, von denen namentlich
der Comopark hervorzuheben ist, sind gross und schön. Die
fernere Umgebung der Stadt bietet manches Pittoresque. So
sind unter anderem mittels der elektrischen Strassenbahn die
durch Longfello w’s unsterbliche Dichtung bekannten Minne-
haha-Fälle leicht erreichbar.
Mit St. Paul durch breite Brücken verbunden, liegt auf dem
i rechtsseitigen .Mississippiufer, wie Kehl seinem schönen vis-ä-vis
Strassburg, die Schwesterstadt Minneapolis. Dieselbe ist hervor¬
ragend Fabrikstadt und hat über hunderttausend Einwohner.
Man behauptet, dass die beiden Schwestern grosse Rivalinnen
wären und böse Zungen gehen sogar so weit, zu imputiren, dass
man in Minneapolis aus purer Niedertracht die Bibel nicht lese,
weil sie respektvoll von Sanct Paul spricht.
Solche Regungen sind bekanntlich den reinen Seelen der
medicinischen Fraternität völlig fremd. Jedenfalls war die Auf¬
nahme, welche wir seitens unserer nordwestlichen Kollegen
fanden, eine überaus herzliche. Und fürwahr, es war keine kleine
Aufgabe, für diese mcdicinische Invasion Sorge zu tragen. Von
den 24 000 Mitgliedern der American Medical Association waren
über 3000 erschienen. Rechnet man dazu noch die braven A- rzto-
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1398
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
frauen und deren Appcndicula, so belief sich die Zahl der Gast¬
freunde auf beinahe 7000. Und dafür erwiesen sich die Gast¬
höfe von St. Paul als beinahe zu klein, so dass Viele in Minnea-
polis untergebracht werden mussten.
Es war ein heisser Sommermorgen, als der abtretende Präsi¬
dent, Dr. Reed aus Cincinnati, die Versammlung im Opern¬
hause von St. Paul eröffnet?. Eine gewaltige Corona hatte sich
hier zusammengefunden.
„Wer kennt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen!“
Vom atlantischen bis zum stillen Ozean und von den oberen
Seen bis hinunter nach Florida hatte fast jede Stadt der Union
ihre Vertreter, darunter der Koryphäen unheimliche Schaar, ge¬
sandt.
New-York war durch Dawbarn, Dench, Dennis,
F o s t e r , W e i r und Wyeth, Brooklyn durch F o w 1 e r vor¬
züglich repräsentirt. Chicago hatte Fenger, Goldspohn,
Kleba, Lydston, Moyer, Murphy, Newman,
Ochsn er und Senn, Philadelphia Anders, Deaver,
Eschner, Gould, Keen, Laplace, Noble. PackarJ,
R o d m a n und Wi 11 a r d entsandt. Boston war durch Engel-
m ann. M arey, Richa r d s o n und W a r r e n , Baltimore
durch s«?in grosses Trifolium II a 1 s t e d, Kelly und Osler,
Buffalo durch Benedict, Mann, Park und P o 11 e r,
St. ],ouis durch Dicker so n und B e r n a y s , Kansas City
durch C o r d i e r, San Francisco durch Jones. Macdonald
und M acMonagie, Cincinnati durch Reed. Detroit durch
Carstens und W a 1 k e r, Washington durch de Schwei¬
nitz und Johnson, Denver durch Powers und Omaha
durch Foote vertreten. Zu nennen wären ausserdem Mayo
aus Rochostcr. N o 1 te und Thienhaus aus Milwaukee und
Jlatas und P a r li a m aus New-Orlcans. Die berühmte Miclii-
gancr Universität zu Ann Harbor hatte ihren trefflichen Dekan,
Dr. Vaupha n, entboten.
Die erste Botschaft des Präsidenten thcilte uns mit, dass der
bekannte Millionär Rockefeller soeben der American Medical
Association die Summe von 200 000 Dollars (über 800 000 Mark)
benufs Gründung eines Privatlaboratoriums überwiesen hatte.
Dasselbe sollte ausschliesslich einen experimentellen Charakter
trauen. An seine Spitze wurde der ausgezeichnete Baltimorer
Pathologe Welch berufen. Man erzählt sich, dass Rocke-
feiler, als eines seiner Kinder dem Würgengel Diphtherie er¬
lag, empört über die Auskunft der behandelnden Aerzte war,
welche anstandslos Zugaben, dass unser Wissen Stückwerk ist.
R o e k e f c 11 o r meinte, es müsse mehr Licht in das Dunkel
der Infektionskrankheiten geworfen werden und so erblüht denn
auf dem Grabhügel des kindlichen Opfers eine neue Veste der
Wissenschaft. Sic mors gaudet succurrere vitae!
Am Nachmittag begannen die einzelnen Sektionssitzungen,
welche stärker als je vorher besucht waren. Im Ganzen bestanden
13 Sektionen. Dieselben umfassten klinische Medicin, Geburts¬
hilfe und Gynäkologie, Chirurgie und Anatomie, Hygiene,
Augenheilkunde, Kinderheilkunde, Stoffwechselkrankheiten, Ma¬
terie medica, Neurologie, Hautkrankheiten, Laryngologio und
Otologie, Physiologie und Diätetik, Pathologie und schliesslich
Bacteriologie.
Ihrer alten Tradition getreu, nahm die chirurgische Sektion
auch dieses Jahr das Hauptinteresse in Anspruch. Den Reigen
< rö ff liefe F enger aus Chicago, Ihnen als chirurgischer Patholog
hervorragend bekannt, mit einem klassischen Expose über metho¬
disches Exploriren des Gehirns nach Flüssigkeit (kürzlich im
Journal of the American Medical Association in extenso ver¬
öffentlicht).
Die zur Erschöpfung bereits ventilirte Appendicitisf rage
wurde natürlich ebenfalls con amore nach allen Richtungen zer¬
zupft. selbstverständlich mit demselben unbefriedigenden Re¬
sultat. wie bei den vorhergehenden Kongressen der amerika¬
nischen sowohl als anderweitigen AerztogeselIschafteil. Tout
emmne chez m»us! konnte in «lies.'in Jahre auch der «leutsehe
( liirurgiukongress sagen.
Solange wir «Ion entzündet« n Wurmfortsatz bei der gerämch-
losen Verrichtung seiner initialen Maulwurfsarbeit nicht be-
lausehen können, so lange kein Röntgenstrnhl sich unserer kli¬
nischen 1 nkenntniss erbarmt und ein pathologisch-anatomisches
Coiiteriei producirt. das uns als Mentor «licium könnte, oder so
lange die Vorsehung kein Fenster in der Darmbeingrube in-
stallirt, durch welches wir die einzelnen Stadien der Entzündung
beobachten können, wird der Parteien Gunst und Hass den Cha¬
rakter dieser eminent wichtigen Erkrankung entstellen.
Wer häufig Gelegenheit fand, im Frühstadium — bei der
Autopsie in vivo — die ausgedehntesten Zerstörungen des Wurm¬
fortsatzes zu konstatiren, welche auch nicht im entferntesten
Dignitätsverhältniss zu den leichten klinischen Erscheinungen
standen, welche man zumeist mit mystischen Bezeichnungen zu
benennen sich heutzutage bemüssigt fühlt, hat mehr Augst vor
den Gefahren der Toxine als denen seines erprobten aseptischen
Scalpells.
Ja, wenn man einen verlässlichen Indikator hätte, welcher
verkündete: bis hierher reicht der Ressort des Internen und da¬
rüber hinaus fängt die chirurgische Sphäre an! Aber wo ist
dieser Daniel, welcher wagt, einen milden Verlauf und milde
Anfänge mit Sicherheit zu prognosticiren ? Wer bürgt ihm
dafür, dass hinter diesem milden oder, wenn wir es euphemistisch
ausdrücken wollen, meinetwegen larvirten Bilde nicht schon die
Keime vernichtender Virulenz sich bergen? Heute noch eine
symptomlose chronische Entzündung der Mucosa, mag es morgen
eine interstitielle Gewebsveränderung sein, ulcx-riren und per-
foriren oder gangraenös werden.
Warum, frage ich, soll das „Darmpanaritium“ schon im
Frühstadium die hochvirulente Infektion der Mucosa und Mus-
cularis, die deutlichen Manifestationen derselben im klinischen
Bilde sofort wiedeispiegeln i Dass sie bald zum Ausdruck kommen
werden, ist mit Sicherheit zu erwarti'ii; aber dann ist es oft zu
spät!
Und andererseits, wer die stürmischsten klinischen Er¬
scheinungen unter Opium und Eisblase verschwinden sah. glaubt
ein Rocht zu haben, den chirurgischen Draufgänger mit der
Lauge seines Spott«*» zu begriissen, indem er hohnlächelnd auf
die Fälle weist, die der Chirurg operiren wollte, und die er mit
seiner feinen „Individualisirung“ rettend seinen Klauen entriss.
Und ein Jeder hat ja scheinbar so recht! Auch für die
nächsten paar Jahre kann man in Bezug auf die Lösung der
Indientionsstellung bei der Appendicitis, dieser permanenten
Sphynx, «lie Inschrift auf D a n t e’s Hölle beherzigen: Lasciate
ogni speranza! Die Einen verwerfen die Operation, weil sie un-
ltüthiger Weise vorgenommen worden sein soll und die Anderen
verworfen die expektative Behandlung, weil sie einer Operation
aus dom Wege geht, welcho nothwendig war.
Die Exspektanten, man kann sie auch Nihilisten nennen, er¬
heben die Klage, dass man bei Darmaffektionen, wie bei ein-
faclion Katarrhen, Koprostasen, Ptomainevergiftung und sogar
bei Typhus im Wahn, einen entzündeten Wurmfortsatz zu finden,
die Bauchhöhle mit und ohne letalem Ausgang eröffnet habe. Der
Frühoperateur hinwiederum in seinem J’accuse behauptet, dass
man in vielen Fällen die Diagnose auf die genannten Krank¬
heiten und andere gestellt habe, und die Autopsie habe ergeben,
dass es sieh um eine Appendicitis mit nachfolgender Peritonitis
handelte, welche durch Frühoperation zweifellos verhindert
worden wäre. Dazu kommen noch die Lauwarmen, welche
jammern, dass die Patienten so selten mit der Operation ein¬
verstanden wären und sie desshalb blutenden Herzens gezwungen
würden, gegen ihre bessereUeberzeugung expektativ zu verfahren.
Als ob Patientenlaunen und Wissenschaft etwas mit einander zu
thun hätten. Die Patienten thun im Grossen und Ganzen immer
was die Aerzte vorschreiben, wohlgemerkt, wenn die Letzteren
sich völlig geeinigt haben. Was kann man aber vom Publikum
verlangen, wenn der eine Arzt das Gegentheil des anderen an-
rät.h ?
Da ist nun z. B. Sen n, einer der grössten lebenden Clu-
rurgen. welcher conservativster Weise den Degen einsteckt,
während D e a v e r, der treffliche Chirurg des deutschen Hospi¬
tals in Philadelphia, ihn bei der leisesten Provokation zückt
Los extremes sc touehent. Im Allgemeinen jedoch ist die Strö¬
mung der amerikanischen Kollegen, wie sich auch auf dem Kon¬
gress ersehen liess, mehr zu Gunsten der Frühoperation.
Deaver beobachtete während des Jahres 1900 im deutschen
Hospital in Philadelphia 268 Fälle von Wurmfortsatzentzündung,
darunter 144 akuter und 124 chronischer Natur, welch’ sämmt-
licho operirt wurden. Die Mortalität war äusserst gering und
verfehlte seine Statistik nicht, in der chirurgischen sowohl wie
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1399
27. August 1901.
in der interuen Sektion Eindruck hervorzurufen. Die Mortalität
der akuten, mittels Operation behandelten Fälle betrug 15,9 Proc.,
während die der chronischen Fälle nur % Proc. auf wies. Von
11 Patienten, welche nicht operirt wurden, starben 3 und 6 ver-
liesson mit einer Tumeecenz in der rechten Darmbeingrube das
Hospital (im Journal of the American Medical Association,
13. Juli 1901 veröffentlicht).
Unter den ferneren Beiträgen ist hervorzuheben „Ungewöhn¬
liche Fälle von Appendicitis“ von Laplace - Philadelphia
ebenda veröffentlicht.
Die neuerdings immer mehr in den Vordergrund tretende
Carcinomfrage wurde von Park- Buffalo, Senn- Chi¬
cago, Powers- Denver, W e i r - New-York und Halstead-
Baltimore sehr eingehend erörtert.
Park, der berühmte Buffaloer Chirurg, neigt sich der para-
sitären Theorie zu. Im Staatslaboratorium zu Buffalo, dessen
Chef er ist, beschäftigt er sich in Gemeinschaft mit dem Patho¬
logen, Biologen, Histologen, Kliniker und Chemiker mit der Er¬
forschung der Aetiologie des Krebses, welche er in parasitären
Elementen sucht. Er vergleicht das Carcinom mit den Xylomen
der Bäume, jenen kropfartigen Auswüchsen, welche durch Para¬
sitenwucherung zuletzt den Baum zerstören. Man nennt diese
Baumknoten auch desshalb mancherorts Baumkrebse. Bei den
niederen Thieren sind Tumoren eine häufige Erscheinung und
ihre Entstehungsursache deckt sich mit derjenigen der Neu¬
bildungen des Menschen. Dr. G a y 1 o r d hat kürzlich im Labora¬
torium Adenocarcinom mittels Inoculation bei einer Serie von
Thieren hervorgebracht. Senn dagegen behauptet, dass das
Carcinom einer atypischen Proliferation der Epithelzellen seine
Entstehung verdanke und dass seine Entwickelung im meso¬
plastischen Gewebe unmöglich ist. Die Histologie spräche gegen
die parasitäre Theorie.
P o w e r s - Denver, früher in New-York, erwähnt die dia¬
gnostische Reaktion nach Carcinomscrum und die Autoinocula-
tion als ein Hilfsmittel zur Frühdiagnose von Carcinom.
H a 1 s t o a d - Baltimore discutirt speciell die Früdiagnose
des Mammacarcinoms, welches er in gut- und bösartige und in
multiple Formen eingetheilt wissen will. Auch unterscheidet er
besondere Gewebsveränderungen in den Acini des Mamma¬
gewebes. Unter 294 Geschwulstfällen, welche im Frühstadium
unter dem Totalcindruck der Gutartigkeit dem Hospital über¬
wiesen waren, fand sich die geringe Zahl von nur 23 thatsächlieh
gutartigen Fällen; alle übrigen waren maligner Natur.
M a y o - Rochester macht auf die Möglichkeit der Verwechs¬
lung des Blinddarmcarcinoms mit chronischer Appendicitis,
Tuberkulose des Coecums oder Koprostase aufmerksam.
W e i r - New-York verurtheilt die K r a s k e’sche Operation
als unzureichend für hoch&itzende Mastdarmcarcinome und em¬
pfiehlt statt dessen die M a u n 8 e 1 l’sche Methode. (Die Details
dieser sorgfältigen Arbeit sind im Juniheft der Medical Review
of Reviews enthalten.)
D e n n i s - New-York ist ein strammer Verfechter der
C z e r n y’schen Ansichten. Die Thatsache, dass die Toxin¬
behandlung bisweilen erfolgreich ist, spricht seiner Ansicht nach
zu Gunsten der parasitären Natur des Krebses.
R o d m a n - Philadelphia macht darauf aufmerksam, dass
bei Indianern und Negern Krebs sehr selten beobachtet wird.
Nur der Brustkrebs macht eine Ausnahme, denn er wird bei
diesen beiden Rassen ebenso häufig als bei der kaukasischen ge¬
funden.
W a r r e n - Boston berichtet über eine neue Methode der
Zungenexstirpation, welche darin besteht, dass ein Schnitt von
dem Mundwinkel abwärts zum Unterkieferwinkel geführt wird,
der sich dann entlang dem unteren Rande desselben bis zur
Parotisgegend fortsetzt. Die Wange wird nun zurückgeschlagen,
der Unterkiefer an irgend einer gewünschten Stelle durchsägt
und rctrahirt. Das obere Fragment wird temporär luxirt. Die
Vortheile dieser Methode bestehen in ausgiebiger Freilegung des
Operationsfeldes und der Möglichkeit, die Zunge und Tonsille
mit den inficirten Lymphdrüsen zusammen als eine zusammen¬
hängende Masse zu entfernen.
Warren trägt einen berühmten chirurgischen Namen.
Sein Vater hat mit Hilfe des Zahnarztes Morton die erste
Narkose vorgenommen. Dieses weltbewegende Ereigniss hatte
damals keineswegs einen allgemeinen Enthusiasmus hervor¬
gerufen. Man wusste im Gegentheil alles Mögliche an der Me¬
thode, welche nichts weniger aLs eine Wiedergeburt der Chirurgie
bedeuten sollte, auszusetzen und sogar der Bostoner Clerus suchte
seiner Zeit zu remonstriren.
Wenn man, wie es ja nicht ungern geschieht, das medi-
cinischo Sündenregister Amerikas aufzuschlagen beliebt, dann
sollte man dabei nicht vergessen, dass eine der grössten medi-
einischen Errungenschaften auf amerikanischem Boden ge¬
boren wurde! Thatsächlieh ist von der christlichen Zeitreclmung
an bis zur Entdeckung der Anaesthesie keine medicinisehe Er¬
findung gemacht worden, welche sieh auch nur annähernd an
Bedeutung mit derselben messen kann.
W i 11 a r d - Philadelphia erörterte die Frage der Fremd¬
körper der Trachea und Bronchien. Nach seinen Erfahrungen
gelangen vielerlei Fremdkörper, wie Samenkörner, Nüsse, Spiel¬
sachen, Nahrung etc. bei Kindern während des Lachens,
Schreiens u. dergl. in die Luftröhre. Sehr häufig dislociren die
darauffolgenden heftigen Hustenstösse den Fremdkörper, oder
fördern ihn gar heraus, bisweilen jedoch gelangt er in die Tiefe,
zumeist in den rechten Bronchus.' Man sollte in solchen Fällen
sofort die tiefe Tracheotomie ausführen. Wenn der Fremdkörper
metallischer Natur ist, so sind die Röntgenstrahlen von grossem
Werth. (Auch bei vielen anderen Fremdkörpern! Ref!) Bei
Gangraen der Lunge soll mau die vordere oder hintere Brustwand
als Angriffspunkt wählen. Man benütze die forcirte künstliche
At Innung, den Fell- O’D w y e r’schen und den Parham-
M a t a s’schen Apparat.
Murphy (durch seinen Darmknopf weltbekannt) ver¬
breitete sich über Pneumektomie und Pneumotomie. Er unter¬
schätzt. doch wohl etwas die Bedeutung des orsteren Eingriffs,
wenn er meint, dass man ihn ohne Gefahr für die Patienten
unternehmen könne. Lungenabscesse sollten mit dem Sealpell
und nicht mit dem Paquelin eröffnet werden. Fortes fortuna
adjuvat!
Fowler- Brooklyn stellt für die Behandlung alter Pleura¬
empyemfälle folgende Thesen auf:
1. Die Decortication der Lunge empfiehlt sich bei allen alten
Empyemfällen, sofern die Kräfte des Patienten eine so ein¬
greifende Operation zulassen und falls Tuberkulose auszu-
schliessen ist.
2. Da die Decortication in viel rationellerer Weise die Func¬
tion der Lunge wieder herstellt als die EstlandeFache Opera¬
tion, so sollte dieselbe überall statt der letzteren ausgeführt wer¬
den. (Die Estlande r’sche Operation sollte von Rechtswegen
die S i m o n’sche genannt werden! Ref.)
3. Die Decortication sollte der S ched e’schen Operation in
allen Fällen vorgezogen werden.
4. Die erkrankten Pleurabezirke, einschliesslich der visce¬
ralen, corticalen und diaphragmatischen Portionen, sollen, wenn
immer möglich, exstirpirt werden.
5. Wo dies unmöglich ist, nehme man die viscerale Pleur¬
ektomie vor.
6. Im Fall die Kräfte des Patienten zu sehr gelitten haben,
begnüge man sich mit der Detachirung der visceralen Membran¬
schicht.
7. Welche Methode man auch immer wählen möge, stets sei
man darauf bedacht, freien Zugang zur Höhle zu schaffen. Gym¬
nastik bei der Nachbehandlung ist ebenfalls dringend anzurathen.
Die Chirurgie des Rückenmarks wurde von dem New-Yorkcr
Chirurgen McCosh in eingehender Weise erörtert.
B eck - New-York hat, gestützt auf eine grosse Zahl von
skiagraphisehen Beobachtungen, ein Schema behufs Differen-
zirung gewisser Knoehenerkrankungen mittels der Röntgen¬
strahlen ausgearbeitet:
Das Osteom zeigt normale architektonische Struktur seiner
Deformität, während das Osteosarkom eine unregelmässige Tex¬
tur aufweist. Zum Mindesten erscheint ein Theil des Osteo¬
sarkoms völlig durchsichtig, einzelne Sphären sind dunkler
schattirt. Die Knochencyste zeichnet sich dadurch aus, dass ihro
Wand dünn und schmal, aber sehr deutlich und regelmässig ist.
Das Innere zeigt, da ee fast ganz aus Flüssigkeit besteht, natür¬
lich ausgeprägte Transparenz, sein heller Schatten zeichnet sich
ebenfalls durch eine grosse Regelmässigkeit seiner Grenzen aus.
Diese Regelmässigkeit der Contouron der Knochencyste ist diffo-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 35.
rcntialdingnostiseh absolut gegen dio Unregelmässigkeit beim
Osteosarkom zu vorwerthen.
Ein osteomyelitischer Herd zeigt eine deutlich aus¬
gesprochene und regelmässige Transparenz, von regelmässiger
Knochenbildung, ähnlich wie die Knocheneysto umgeben, aber
im (legensatz zu dcrsell>en keine weite Ausdehnung des erkrank¬
ten Gebietes zeigend. Die den Herd umgebende Knoehenkruste
ist auch dicker als bei der Cyste und dann zeigen sich auf der
Aussenscite des Knochens — dem Poriosteum entlang — mini¬
male ostitisohe Auflagerungen.
Bei der Knochennekrose ist ein exfoliirender Sequester stets
deutlich darzustcllcn und demgemäss schreibt sich die Richtung
und Länge des Schnittes behufs Extraktion von selbst vor. Bei
chronischem Rheumatismus zeigt die Uelonkfläehc geringe Un¬
regelmässigkeiten bei völligem Intaktsein der Knochen selbst.
Bei der Arthritis erseheinen dio Knochenepiphysen an einigen
Stillen sehr unregelmässig, gleich Iudentationen, an anderen
Stellen wieder sehen sie verschleiert aus.
Bei der Arthritis deformans stösst man auf unbedeutende
ostitisehe Proliferationen. Die arthritischen Depositen erkennt
man, da sic aus transparenten Ilnrnsäurcsalzen bestehen, als
helle Schatten der Epiphysen, während die Peripherie als dunkler
Schatten erscheint,
Tuberkulöse Herde bieten ein charakteristisches Bild,
welches im Grossen und Ganzen dem arthritischen ähnlich ist,
sieh aber von demselben deutlich durch dio viel tieferen Ein¬
schnitte der erkrankten Knochenepiphysen und das Vorhanden¬
sein isolirtcr Herde unterscheidet. Es ist selbstverständlich,
dass bei der Diagnose allo anderen klinischen Hilfsmittel in Be¬
tracht zu ziehen sind. Dieselben erfuhren jedoch durch das Röm.-
genbild eine werthvolle Ergänzung, lin Zweifelfall sind die
Röntgenstrahlen oft ausschlaggebend. Die charakteristischen
Eigenthümliehkeiten von Syphilis, Enehondrom, Osteomalacie,
Akromegalie, Cretinismus, Rachitis, Syringomyelie, Osteoarthro¬
pathie hyjKTtrophiante pneumique und dickwandigen, nicht pul-
sirenden Aneurysmen werden ebenfalls hervorgehoben. (Für den
Jnteressirten ist auf das Journal of the American Mcdicul
Association zu verweisen.)
J a c k s o n, der ausgezeichnete Lehrer der Anatomie an der
Staatsuniversität von Missouri, erklärt die gebräuchlichen Unter¬
richtsmethoden beim Studium der topographischen Anatomie als
unpraktisch. Der Gebrauch von Gefrierpräparaten ist unzu¬
reichend. Viel bessere Resultate werden durch das Studium ein¬
zelner Abschnitte erzielt, welche man durch Injektion von For-
rnalin in die Arterien herstellte. J. demonstrirt einen neuen
Apparat, mittels dessen sich Zeichnungen schnell und accurat
unfertigen lassen.
In der paed ia Irischen Sektion erfreute uns Keen-
Philadelphia, welcher noch beim vorigjährigen Kongress grosse
Skrupel in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Röntgonstrahlen
geäussert. hatte, mit einem begeisterten Dithyrambus auf die
wunderbare Entdeckung. Unter dem Beistand L o o n a r d’s.
dessen Verdienst, um die Verbreitung der Röntgonstrahlen in den
Vereinigten Staaten nicht hoch genug gepriesen werden kann,
war ('s Keen gelungen, Nierensteine bei einem 10jährigen
Knaben genau zu lokalisiren und mit Erfolg zu entfernen.
Je p so n-Sioux City hebt die Schwierigkeit der Diagnose
der congenitalen Cystenniere hervor und verbreitet sich über die
mannigfaltigen abdominellen Zustände, mit welchen diese seltene
Erkrankung verwechselt werden kann. Seine Erfahrungen sind
der Nephrektomie nicht günstig.
In der Abtheilung für Materia medica lässt K 1 e b s -
Chicago dio Serumbohandlung der Tuberkulose Revue passiro.i
und verbreitet sieh über die Applikationsmethode derselben und
die Endresultate. Er hebt besonders den Werth der Auswahl dev
Nahrung des Sanatoriumregimes hervor.
Fiitterer -Chicago stellt dem typischen runden Magen¬
geschwür eine gute Prognose bei der Ruhebehandlung. Ein
grosser Procentsatz der grösseren chronischen Magengeschwüre
heilt ebenfalls ohne chirurgischen Eingriff.
« Taknminc - Japan ist ein feuriger Kämpe für das Noben-
nierenextrnkt, dessen aktive Elemente nunmehr in freier
basischer krystnllisirtor Form als Adrenalin dargestellt sind.
In der bacteriologischen Abtheilung berichtet
M c D a n i e 1 - Minnenpolis über die Isolirung des Typhus¬
bacillus von eitrig-meningitischer Flüssigkeit bei einem Patien¬
ten, der, während er sich im Convalescenzstadium des Typhus be¬
fand, von einer Meningitis befallen wurde uud starb. Es war
M c I) a n i e 1 auch gelungen, bei exploratorischer Laparotomie
(’Gallenstcinkolik) den Typhusbacillus aus der Gallenblase zu
züchten. Der klinische Verlauf hatte in diesem Falle grosse
Aohnlichkeit mit Typhus und war es besonders interessant zu
konstatiren, dass Patient aus einer Gegend kam, in welcher
Typhus epidemisch herrschte.
In der internen Abtheilung betheiligte sich Babcock,
Billings, F a v i 11, P r e b 1 e (Chicago), Beck und W a 1 s h
(New-York), McFarland, M u s s e r und Stengel (Phila¬
delphia), Jones (Memphis), Rochester (Buffalo) und Os-
borne (New-IIaven) an einer längeren und interessanten Dis-
cussion über Perikarditis.
Billings hebt die Schwierigkeiten der Diagnose hervor,
da sich dio Krankheit oft nur durch unbedeutende klinische
Symptome verräth, wesshalb die Diagnose oft erst auf dean Secir-
tisch gestellt wird.
Babcock unterscheidet 2 Formen der adhaesiven Peri¬
karditis. Bei der einen Form, Pericarditis interna, bestehen
Adhäsionen zwischen den 2 Blättern des Herzbeutels und keiue
zwischen Herzbeutel und den Nachbarorganen; bei der anderen
Form, Pericarditis interna und externa, adhärirt das Perikard
nicht bloss dem Epikardium, sondern auch den Nachbargeweben.
Die Folgen auf Herz und Circulation zeigen sich besonders in
der Leber, weleho nun eine sogen, pseudoatrophische Cirrhose
entwickelt. Leider wird die erste Form intra vitam nur selten
erkannt; bei der zweiten ist die Diagnose leichter in Folge der
Verziehungen durch die Verwachsungen.
P r o b 1 e macht auf das häufige Vorkommen der Perikarditis
nach akutem Gelenkrheumatismus aufmerksam. Seine Autopsie-
befunde zeigen sic häufig mit Pneumonie vergesellschaftet
Beek sieht in deu Röntgenstrahlen ein werthvoll es dia¬
gnostisches Mittel, da bei Adhäsionen das Diaphragma ge¬
zwungen wird, eine charakteristische Kurve beim Heben uud
Senken zu beschreiben, welche fluoroskopisch beobachtet werden
kann. Beck riith ferner, perikarditische Adhäsionen eventuell
nach Analogie der Detachirung der Pleura unter strikt asep¬
tischem Vorgehen mit dem Skalpell anzugreifen.
Eine sehr merkwürdige Diseussion spielte sich am Ende der
allgemeinen Sitzungen ab, als die zu gleicher Zeit in St Paul
tagenden Frauenrechtlerinnen die American Medical Association
officiell ersuchten, in der in den letzten Monaten brennend er¬
örterten Frage der sogen. Armeekantine Stellung zu nehmen.
Der Appell wurde von einer ansehnlichen Zahl von Aerztinnen,
welche zu diesen „Women Suffragists“ gehörten, vor das Forum
gezerrt. Es ist geradezu unglaublich, dass die erlauchte Körper¬
schaft des Senats der freien Republik sich von diesen Repräsen¬
tantinnen des zarten Geschlechts derart in’s Bockshorn jagen
liess, dass sich thatsächlieh in einer schwachen Stunde eine
Majorität willig finden liess, die Armeekantine abzuschaffen.
Und de.r Kongress sagte Amen dazu. Das Kapitol war also
wieder einmal gerettet und dio gefiederten Moralwächterinnen
durften ihren Triumph urbi et orbi vorschnattern.
Nun lässt sieh das amerikanische Volk, gerade wie der
deutsche Michel, gar mancherlei gefallen, aber das ging ihm doch
über das Bohnenlied, und ein Sturm der Entrüstung brach im
ganzen Lande los. Man erinnerte sich, dass dieselben Vokative,
welche jetzt die Verfolgung predigten, Hannibal ante portas!
schrien und sich verkrochen, als Gerüchte von der Nähe ein«
spanischen Kriegsschiffes durch die Luft schwirrten. Man rief
sieh in’s Gedäehtniss zurück, dass der rauhe Krieger, als da*
Vaterland in Gefahr schwebte, als der Inbegriff vollendetster
männlicher Tugend strahlte; dasselbe Individuum, welches doch
auch den Herd dieser von Bemutterungsgefühl überlaufenden
Agitatorinnen vor wenigen Jahren mit tapferer Hand schirmte,
sollte nun auf einmal nicht mehr im Stande sein, seinen Leiden¬
schaften zu gebieten, und müsste desshalb von dieser Bekehrung*-
eorona am Gängelband geführt werden.
Zur Ehre des regulären amerikanischen Soldaten soll es ge¬
sagt sein, dass er, obgleich de facto Miethling, eine Bravour an
den Tag legte, welche man sonst nur bei solchen Kriegern zu
finden gewohnt ist, welche für die eigene Scholle kämpfen. Di®
meisten sind ausgezeichnete Schützen, wie es die stolzen Hidalgos
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27. August 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. '
1401
/.u ihrem grossen Leidwesen erfahren mussten, während von den |
amerikanischen Soldaten nur 97 während des ganzen Krieges dem !
erratischen spanischen Blei erlagen. Uncle Sams Blaujacken
sind den mittelalterlichen Landsknechten im besten Sinne des
Wortes nicht unähnlich und der wackere Georg v. Frundsberg
würde an ihnen seine helle Freude gehabt haben. Diesen braven
Jungen also vergällt ein fanatisches Consortium generis feminini
schnöde ihr Sehnäpslein, und, nicht damit zufrieden, sollte auch
die American Medican Association das Sigill ihrer Approbation
auf diese Vergewaltigung drücken.
Die Sprecherin der Frauenliga, eine spindeldürre Kassandra,
nahm einen schneidigen Anlauf und malte die Schrecken des
Pokulireus in den düstersten Farben.
Der treffliche Oberstabsarzt Seaman, durch seine Arbeiten
auf militär-hygienischem Gebiet vorthoilhaft bekannt, war ihr je¬
doch durchaus gewachsen. Seaman glaubt noch au die Weis¬
heit des Dogmas: „Mulier taceat in ecelesia“. Er wies an der
Hand eines ungeheuren Materiales nach, dass .seit der Insufficienz
der Markedenterei die geheimen Sünden sich kolossal vermehrt
hätten und dass die kriegsgerichtlichen Aburtheilungen wegen
Trunkenheit nunmehr gerade zehnmal so oft vorkämen, als zu
einer Zeit, wo man dem Soldaten unter Aufsicht seiner Vorge¬
setzten in der Kaserne, einen Trunk in Ehren gestattete und ihm
einen besseren Stoff kredenzte, als er ilm namentlich in den
kolonialen Fuselspelunken erhält.
Seaman behauptet auf Grund seiner reichen Erfahrung:
W enn der Soldat nicht sein Glas Bier oder leichten Wein in I
der Kantino erhalten kann, so sucht er sich in der nächsten
besten Kneipe schadlos zu halten. Die verbotene Frucht lockt
nur um so mehr. In Porto Rico erhält er Wein, der mit Fuselöl
versetzt ist, in den Philippinen den „Vino“, welcher, horrible
die tu, aus einer Art Holzspiritus besteht, und in China den
„Samshu“, ein Reisprodukt, welches ein derartiges Gift enthält,
dass ein oder zwei Gläser davon „sein Gehirn fortstehle“ wie
der drastische Amerikanismus lautet. Und in der süssen Hei-
math ist ee auch nicht der beste Whisky, den er sich hinten
herum erschleichen muss. Was sind die Folgen? Trunkenheit,
Insubordination und Desertion!
Der Rapport des zwölften Infanterieregiments zu Panique
auf den Philippinoninseln zeigt in den Monaten Februar und
März des Jahres 1900 die Zahl von 150 kriegsgerichtlichen Ver¬
handlungen. Vier Fünftel derselben waren durch Trunkenheit
(durch Philippinenwein) veranlasst.
Von nun an wurde eine Kantine eingerichtet, welche bis
zum Februar 1901 ihr freundliches Dasein fristete. Während
dieser Zeit war die höchste Zahl der Kriegsgerichte 20, die
kleinste 8. Darunter waren niemals mehr als zwei Fälle von
Berauschung durch Philippinenwein.
Auch anderweitige, dem Militärleben nicht fremde Excessc
verdoppelten sich nach Abschaffung der Kantine.
Dass die Ansicht S e a m a n’s, welche sogar von einer gro-ssen
Zahl abstinenter Offiziere getheilt wird, von der American Medi¬
cal Association indossirt wurde, konnte man aus dem ungeheuren
Applaus entnehmen, welcher seiner unerschrockenen Darlegung
folgte. Der Appell der Frauenliga, welche zu guter letzt noch
alle hosentragenden Individuen am liebsten in eine Zwangsjacke
steckt, wurde, wie zu erwarten war, von der Versammlung ein¬
stimmig abgelehnt.
Statt Gesetze zu machen, die von Hysterie und Fanatismus
inspirirt werden und die Soldaten nur verbittern, sollte man
durch freundschaftliche und kluge Reformbestrebungen in den
Soldaten das Interesse an harmlosen Vergnügungen (Sport, Lese¬
zimmer u. dgl. in den Freistunden) zu erwecken suchen.
Es würde zu weit führen, von all’ den vielen Geistesblitzen
zu berichten, welche auf die andachtsvolle Menge hernieder¬
fuhren. Nur sollen aus diesem Embarras de richesse noch einige
gesellschaftliche Episoden hervorgehoben werden.
Da wäre vor Allem noch der lukullischen Diners zu gedenken,
welche die Stadt St. Paul den einzelnen Sektionen gab. Das be¬
suchteste und wohl auch ausgesuchteste war das gemeinschaft¬
liche Liebesmahl der chirurgischen, gynäkologischen und derma¬
tologischen Sektionen, bei welchen W h e a t o n , einer der aus¬
gezeichnetsten Chirurgen des Nordwestens, mit schneidiger und
humorvoller Virtuosität den Vorsitz führte.
Der Bankettsaal des ltyan Hotel war kaum im Stande, die
sechshundert trinkfesten Medici zu fassen, welche sieh an den
Schnurren ihrer Koryphäen nicht wenig ergötzten. Von Ab¬
stinenz war hier nicht das geringste Symptom zu entdecken und
die reizende Bedeutung des uralten „Dulc* est desiper’ in loco“
zeigte sielv auch seitens der sonst so seriösen Zierden des Ka¬
theders in seinem liebenswürdigsten und unterhaltendsten Lichte
Am folgenden Abend war grosser Empfang auf dem Campus
der Universität von Minneapolis. Viel wäre von der praktischen
und opulenten Einrichtung des pathologischen Instituts daselbst
zu sagen; der Festesjubel war jedoch so gross, dass man sich gar
nicht zu ernster Uebcrlcgung nufschwingen konnte. Die Armory
(Zeughaus), welche ebenfalls auf dem Gelände der Universität
steht, war brillant dekorirt und bald strahlten tausende von elek¬
trischen Lichtern auf den glänzenden Reigen der tanzenden
Menge. Die Aeskulapjünger stellten ihren Mann und die schönen
Augen mancher reizenden Holdseligkeit ruhten mit Wohlgefallen
auf'ihnen. Die Amerikanerinnen haben ein angeborenes Talent,
hübsch auszuschcn und dem europäischen Auge fällt namentlich
ihr schlanker Wuchs und die natürliche Grazie ihrer Beweg¬
ungen auf.
Die Damen St. Pauls entwickelten überhaupt im Gegensatz
zu den geschilderten asketischen Zelotinnen eine äusserst liebens¬
würdige Thätigkeit. In den Vormittagsstunden wurden gemein¬
schaftliche Ausflüge unternommen, zu denen sämmtliche Damen
der Kongressgäste cingeladen waren. Ein Ausflug nach den
romantischen Minnehaha-Fiillen, der ausschliesslich von Damen
unternommen wurde, erfreute sich eines besonders enthusiasti¬
sche» Kommentars.
An den Nachmittagen fand regulärer Empfang in mehreren
der fasliionablen Villen statt. Die Gemahlinnen der Drs. Wheu¬
te n und Store gaben den ärztlichen Damen noch eine Soiree
in ihrem palatinalen Heim.
So flogen denn die vier Tago des Kongresses im Nu herum,
ein grosses Material angenehmster Erinnerungen zurüeklassend,
an denen man ein ganzes Jahr lang zehren kann. ALs nächst¬
jähriger Versammlungsort wurdo der berühmte New-Yorker
Badeort Saratogn, das Karlsbad Amerikas, erkiesen.
Carl Beek- New-York.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 27. August 1901.
— Auf Anregung des sächsischen Gesandten hat der Reichs¬
kanzler das k. Gesundheitsamt um Abgabe eines Gutachtens über
die Frage des Verbotes der Behandlung Kr a u k e r
aus der Ferne (d. h. also der gewerbsmässigen brieflichen
Behandlung) durch Reichsgesetz ersucht. In seinem Gutachten
spricht sich das Amt für das Verbot der ausschliesslich brief¬
lichen Behandlung Kranker aus mit dem Bemerken, dass das > er¬
bot in gleicher Weise für upprobirte Aerzte wie für Niehtapprobirte
gelten soll. Anders aber will das Gesundheitsamt die Frage l>.-
urtheilt wissen, ob den approbirten Aerzteu die gelegentliche Be¬
handlung Kranker aus der Ferne gestattet seiu soll. Es heisst in
dem Gutachten: „Dev gelegentlichen Behandlung Kranker aus der
Ferne wird iu besonderen Nothfillleu. sowie in schwach bevölkerten
und schlecht mit Aerzteu versehenen Gegenden niemals ganz zu
entrathen sein. Die Einführung eines allgemeinen Verbotes einer
derartigen Behandlung würde namentlich von der minderbemittel¬
ten Landbevölkerung als eine Härte empfunden werden und ge¬
eignet sein, dieselbe mehr noch als bisher den ortsaugesesseue»
Kurpfuschern zuzuführen. Für den Fall, dass einer einheitlichen
Regelung des Gegenstandes näher getreten wird, wäre daher von
einem unbedingten Verbot jeglicher Ferubehaudluug ebenso ab-
zuseheu, wie dies in der sächsischen Standesordnuug geschehen ist,
welche gleichfalls nur die ausschliessliche (briefliche) Behandlung
Kranker aus der Entfernung als unzulässig bezeichnet. Gegen
de» Erlass eines allgemeinen Verbots der Ankündigung und An¬
preisung der Ferulieliaudlung liegen Bedenken nicht vor. E'tt
rechtliches Hindernis« dürfte nicht entgegenstehen. Denn der im
§ 1 der Gewerbeordnung ausgesproehene Grundsatz der Gewerbe-
ireiheit bezieht sich nur auf die Zulassung zum Gewerbebetrieb,
nicht auf die Art der Ausübung desselben, abgesehen davon, dass
dieses Gesetz nach $ 0 auf die Ausübung der Heilkunde überhaupt
mir insoweit Anwendung linder, als es ausdrücklich.- Bestimmungen
darüber enthält. Es ist voraussichtlich in allen Bundesstaaten
a „ c h eine gesetzliche Grundlage vorhanden, um Polizei Verordnungen
Kiim Schutz von Leben und Gesundheit zu erlassen, ln deujentg«
Staaten, in denen ärztliche Ehrengerichte mit Stratgewali uue.
ullo approbirten Aerzte staatli« lierseits errichtet sind, durlt.-n d><‘
angeregten Vorschriften nur auf die nicht approbirten 1 ctsott.
zu erstrecken sein.“ - Das relchsgesetzliche Verbot der sogen.
Fernbehnndlung im Sinne des Gutachtens des Reichsgesmtdhetts-
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1402_MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35.
amtea würde die hässlichste und schädlichste Form der Kur¬
pfuscherei treffen und wäre als ein grosser Fortschritt im Kampfe
gegen diese zu begrüssen. Es wäre daher Sache der Aerzte, das
Zustandekommen des Verbotes nach Kräften zu unterstützen.
— I>ns preuss. Medlciualministerium hat jetzt Anweisungen
erlassen bezüglich der Durchführung jener Bestimmung der neuen
Prüfungsordnung für Aerzte, wonach das ,.p Taktische Ja h r“
ausser au Uuiversitätsinstituten auch an dazu besonders er
m ä e h t i g t e n Kraukenh ä usern innerhalb des deutschen
Reiches absolvirt werden kann. Als oberster Grundsatz ist auf-
gestellt worden, dass nur öffentliche Krankenhäuser mit mindestens
50 Betten zugelassen werden sollen. Die Zahl der Praktikanten,
welche an das einzelne Krankenhaus abgeordnet werden, wird nach
der gesammten durchschnittlichen BelegzifTer bemessen. Und zwar
soll das Krankenhaus berechtigt sein, auf je 25 Kranke einen
Praktikanten eiuzustelleu. Die Berechtigung zur Annahme von
Praktikanten soll den öffentlichen allgemeinen und den Soiuler-
kraukenhäusern wie den Entbindungsanstalten, Irrenheilanstalten,
Augenkliniken, Kinderkrankenhäusern und auch den Volksheil¬
statten für Lungenkranke gegeben werden. Ausgeschlossen hin¬
gegen sollen die Sieclienhiiuser und Genesungsheime sein, weil
diese nicht dem angestrebten Ziele, den Kandidaten mit der
Krankeubehandlung praktisch vertraut zu machen, genügen.
Nächst den Universitätskliniken, den Universitätspolikliuiken und
den ermächtigten Krankenhäusern kommen nach der Prüfungsord¬
nung für die Ausbildung der Praktikanten noch die m e di¬
el n i s e h e n nie htkliuis eben Uuiversitlitslnsti-
tute ln Betracht: die anatomischen, physiologischen, patho¬
logischen Uuiversitätsanstalten, die Anstalten für Arzneimittel¬
lehre, für Hygiene und für gerichtliehe Medicin. Sie sind jedoch
den ermächtigten Krankenhäusern nicht vollkommen gleichgestellt.
Es ist vielmehr dem Ermessen der Centralbehörde auheimgestellt,
die Zeit, während deren der Praktikant an einer solchen Anstalt
beschäftigt war. ganz oder theilweise auf das praktische Jahr
anzurechnen. Diesen medicin Ischen, nichtkliuisehen Universitäts-
anstalten stehen nach § 01 der Prüfungsordnung selbständige
m e d l e i n i s c li - w i s s e n s c li a f 11 i c h e 1 n s t i t u t e. z. B.
die pathologischen Anstalten der städtischen Krankenhäuser gleich,
insofern sie die Berechtigung zur Aunalnne von Praktikanten er¬
halten haben. Die Ertheiluug dieser Berechtigung wird davon ab¬
hängig gemacht, dass diese Anstalten einen anerkannten wissen¬
schaftlichen Ruf haben, hinreichendes Material haben und so aus¬
gestattet sind, dass eine erspriessliehe Beschäftigung der Prakti¬
kanten gewährleistet wird. Die zur Ausbildung von Praktikanten
geeigneten Krankenhäuser und medicinlsch-wissensehaftJichen
Institute sollen für jeden Kreis durch den Landrath nach An¬
hörung des Kreisarztes festgestellt werden.
— Der A e r z t e v e r e i u in Danzig ist mit dem „V e r -
bande Danziger Krankenkassen“, der etwa ein Viertel
der Versicherten am Orte in sich scliliesst, in Streit gernthen.
Gegenstand des Streites ist die freie Arztwahl, welche der Aerzte-
verein, nachdem er 59 Krankenkassen mit 24000 Kassenmitgliedern
dafür gewonnen hat. allgemein einführeu will. Die kassenärzt¬
liche Kommission des Danziger Aerztevereins wendet sich an die
deutsche Aerztcsclmft mit der Bitte um Unterstützung in dem
Kampfe, die zur Zeit in der Fenilialtung von Spezialürzteu zu be¬
stehen hat. In einer Warnung, welche die Kommission im „Aerztl.
Verelnsbl.“ erlässt, heisst es: ..Der Danziger Aerzteverein hat die
freie Arztwahl, zu der seine 110 Mitglieder laut Satzung verpflichtet
sind, fast allgemein in Danzig durchgeführt. Dazu gehören 59
Krankenkassen mit 24000 Kassenmltgliedern. Von Seiten eines
nur 8000 Mitglieder zählenden „Verbandes Danziger Kranken¬
kassen“, der hartnäckig gegen die freie Arztwahl kämpft, droht
letzterer dadurch Gefahr, dass der Verband durch Geld und
günstige Versprechungen Aerzte von auswärts für sich nach Danzig
lockt. Vor einem Jahre erbat jener Krankenkassen verband (als der
bis dahin von ihm fest angestellte Augenarzt — der zur freien
Arztwahl übertrat — sein Verliältniss mit ihm löste) die Zu¬
stimmung des Aerztevereins zur Behandlung seiner augenkranken
Kassenmitglieder seitens der Danziger Augenärzte, von denen zur
Zeit 8 in Danzig praktizlren. Diese Bitte, ja sogar die Behand¬
lung sämmtlicher Spezialärzte gewährte der Aerzteverein vorläufig
unter der Bedingung, dass der Verband seinen festen Kassen¬
ärzten am nächsten Kündigungstermine kündigen und zur freien
Arztwahl übergehen solle. Aber anstatt zu kündigen hat der
Krankenknsseuverband das Provisorium dazu benutzt, um unter
dem Vorgehen, der ärztliche Verein „entziehe" ihm die spezial¬
ärztliche Behandlung, den Versuch zu machen, auswärtige Spezial¬
ärzte für seine Zwecke nach Danzig zu ziehen. Wer als Arzt
dieses Vorgehen des Verbandes unterstützt, wird sich selbst sagen
müssen, dass er auf den Namen eines ehrlich und vornehm denken¬
den Kollegen nicht mehr Anspruch hat. Der Aerzteverein Danzig
aber ist durch jenen „Verband Danziger Krankenkassen“ ge¬
zwungen. gegen ihn den Kampf zur völligen Durchführung der
freien Arztwahl nufzunehmeu und warnt die Herren Kollegen hier¬
mit öffentlich vor ihm.“
— Pest. Türkei. Nach Inhalt einer amtlichen Nachweisung
vom 1. August waren in Konstantinopel seit dem 25. Juni d. J.
12 Erkrankungen und 2 Todesfälle an der Pest vorgekommen. Im
amtlichen Wochennus weise vom 7. August wird nachträglich eine
am 25. Juli erfolgte Erkrankung bekannt gegeben, ferner sind
darnach in Konstantinopel am 5. August 3 Erkrankungen und
1 Todesfall an «1er Pest vorgekommen. — Britisch-Ostimlien.
Während der am 19. Juli abgelaufeneu Woche wurden in der
Präsidentschaft Bombay 1947 Pesterkmnkungen und 1370 Pest¬
todesfälle festgestellt. Auch aus der Stadt Bombay wird eine be¬
trächtliche Zunahme der Pestfülle gemeldet; während der am
20. Juli endenden Woche zählte man daselbst 145 Neuerkrankungen
und 113 Todesfälle an der Pest, ausserdem wurden 196 Sterbe¬
fälle als pestverdächtig bezeichnet. Die Gesammtzahl der Sterbe¬
fälle in der Stadt war auf 765 gestiegen. Zu Folge einer Mit-
theilung vom 23. Juli sind in Karachi wieder neue Pestfiille vor¬
gekommen. In Kalkutta erkrankten vom 7. bis 13. Juli 17 Per¬
sonen an Pest und starben 10. — Siam. Zu Folge einer Mit¬
theilung vom 15. Juli ist in Tongkah die Pest ausgebrochen. —
Kaplnnd. Während der am 20. Juli abgelaufenen Woche sind in
der ganzen Kolonie noch 3 Pesttodesfülle zur Anzeige gelangt;
au der Pest gestorben sind in der gleichen Zeit 4 Personen. —
Mauritius. In der Zeit vom 7. Juni bis 11. Juli wurden auf der
Insel 0 Erkrankungen und 5 Todesfälle an der Pest festgestellt —
Queensland. Während der am 6. Juli abgelaufenen Woche ist in
Brisbane eine Pesterkrankung, sowie ein pestverdächtiger Fall zur
Anzeige gekommen.
— In der 32. Jahreswoche, vom 4.—10. August 1901 hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Lichtenberg mit 00,0, die geringste Darm Stadt mit 11,5
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Masern in Karlsruhe.
tH ochse h ulnachrichten.)
Heidelberg. Die Prlvntdoceuten Dr. Bettmann, Dr.
Brauer und Dr. Peterseu wurden zu a. o. Professoren er¬
nannt.
Rostock. Prof. Dr. A x e n f e 1 d hat den Ruf nach Frei¬
burg i. B. als Nachfolger des in den Ruhestand tretenden Directon*
der Universitäts-Augenklinik Geb.-Rath Prof. Dr. Manz an¬
genommen und wird mit dem 15. Oktober seine neue Stellung au-
treten.
Zürich. Der a. o. Professor für Pharmakologie Dr. Friedr.
G o 11 Ist von seinem Lehramte zurückgetreten. Zu seinem Nach¬
folger wurde der Privntdoeent ln der medieinischen Fakultät Dr.
Max Cloctta ernannt. Dr. Sidler-Huguenin habilitirte
sich für Augenheilkunde.
(Todesfälle.)
Der Professor der Physiologie und frühere Vorstand des
physiologischen Institutes der Universität Würzburg. Geh.-Ratü
Dr. Adolf Fick, starb, 72 Jahre alt. Im Seebad Blankenberghe.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Ernannt: Zum Bezirksarzt I. Klasse ln Teusehuitz der prakt.
Arzt Dr. Ludwig Heiss ler ln Reunertsbofen, zum Bezlrksan.t
1. Klasse in Mttncliberg der prakt. Arzt Dr. Karl Mayer in
Röthenbach und zum Bezirksarzt I. Klasse ln Kelhelm der prakt.
Arzt Dr. Einanuel Weber ln Ivronach.
Auszeichnung: Dem bayerischen Staatsangehörigen, prak¬
tischen und Badearzt Dr. Adolf Ritter ln Karlsbad wurde der
Verdienstorden vom bl. Michael 4. Klasse verliehen.
In den Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse
Dr. Friedrich Iv a e h n in Uffenhclm, seiner Bitte entsprechend,
wegen uaehgewiesener physischer Gebrechlichkeit unter An¬
erkennung seiner langjährigen, treuen Dienstleistung. Der Be¬
zirksamt II. Klasse Dr. Johann Karl Wolf ln Marktbreit, seiner
Bitte entsprechend, wegen zurückgelcgteu 70. Lebensjahres unter
Anerkennung seiner langjährigen, eifrigen Dienstleistung. Der
Hausarzt bei der Strafanstalt Kaiserslautern, Bezirksarzt I. Klasse
Dr. Karl K o 1 b, wegen nachgewiesener Krankheit und hiedurch
bewirkter Dienstunfälligkeit auf die Dauer eines Jahres.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München
in der 32 JahreBwoche vom 11 bis 17. Angnst 1901.
Betheiligte Aerzte 186. — Brechdurchfall 26 (25*), Diphtherie,
Croup 9 (10), EryBipelas 7 (12), Intermittens, Nenralgia intern.
— (—), Kindbottfleber 3 (1), Meningitis cerebrospin. — (—),
Morbilli 8 (27), Ophtbalmo-Blennorrhoea neonat. 1 (1), Parotitis
epidem. — (l), Pneumonia crouposa 4 (5), Pyaemie, Septikaemie
— (—), Rheumatismus art. ac. 10 (12), Ruhr (dysenteria) — (—'),
Scarlatina 3 (4), Tussis convulüva 16 (12), Typhus abdominalis
5 (4), Varicellen 5 (G), Variola, Variolois —(—), Influenza — (—),
Summa 97 (120). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebereicht der Sterbefälle in München
während der 33 Jahreswoche vom 11. bis 17. August 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 1 (2*), Scharlach — (—), Diphtherie
und Croup 4 (1), Rothlauf — (—), Kindbettfieber 1 (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 1 (—). Brechdurchfall 12 (12), Unterleibtypbus
1 (1), Keuchhusten l (3), Croupöse Lungenentzündung — (1),
Tuberkulose a) der Lungen 17 (17), b) der übrigen Organe 10 (12),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 3 (1), Unglücksfftlle 2 (8), Selbstmord 1 (1), Tod durch
fremde Hand 1 (—).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 195 (201), VerbältniBezahl anf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,3 (20,9), für die
über dem 1. I^ebensjahrc stehende Bevölkerung 10,6 (10,2).
) Die eingcklammcrten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
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mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
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MED ICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
Cd. Biiaier, 0. Bolliuger, H. Curschnaan, G. Gerhardt, 6. Merkel, J. i. Michel, H. i. Ranke, F. f, Wlnckel,
Freiburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München.
H. i. Zlenssn,
München.
No. 36. 3. September 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse £0.
48. Jahrgang.
Origin alien.
Zur chirurgischen Behandlung der Verengerungen
des Thränen-Nasenkanals.*)
Von Professor Passow in Heidelberg.
M. II.! Die Krankheiten des Ohres stehen in innigem Zu¬
sammenhang mit den Krankheiten der Nase; pathologische Ver¬
änderungen der Nase greifen auf den Thränennasenkanal über.
So ist «e erklärlich, dass wir bei ein und demselben Patienten
gleiohzöitig die verschiedensten Formen von Otitis und Rhinitis
und Epiphora beobachten, mit oder ohne Betheiligung der Neben¬
höhlen der Nase. Im Laufe der Jahre kamen eine ganze
Reihe solcher Patienten in meine Behandlung. Mehrere von
ihnen hatten bereits vergeblich wegen der Epiphora augeniirzt-
licho Hilfe gesucht. Das Sondiren hatte nicht oder vorüber¬
gehend geholfen, und zur Entfernung des Thränensackes konnten
sie sich nicht entschliessen.
In den Lehrbüchern der Augenheilkunde wird betont, dass
die Heilung von Strikturen des Thränennasenkanals in manchen
Fällen trotz grosser Ausdauer und Geduld Von Seiten des Arztes
und Patienten misslingt. Wird die Exstirpation des Thränen-
sacke« vorgenommen, so bleiben zwar die übrigen durch Striktur
und Stenose bedingten Beschwerden aus, das namentlich im
Winter lästige Thränenträufeln pflegt jedoch nur in geringem
Grade abzunehmen, ganz abgesehen davon, dass eine Narbe
zurückbleibt, die zwar nur wenig sichtbar ist, al>er immerhin
keine Verschönerung bedeutet.
So kam ich auf den Gedanken, durch Spaltung de« Thräiien-
Nascukanals von innen, von der Nase aus, dauernde Heilung der
Strikturen zu erzielen. Es ist bekannt, das« manchmal schon die
Entfernung der unteren Nasenmuschel von günstigem Einfluss
ist. Sic führt aber begreiflicher Weise keineswegs immer zum
Ziel, namentlich dann nicht, wenn bereits tiefergreifende narbig-.*
Veränderungen des häutigen Kanals eingetreten sind.
Nachdem ich mich an der Leiche überzeugt hatte, dass die
Spaltung des Kanals weit leichter zu bewerkstelligen ist-, als
anzunehmen war, wandte ich mich an Herrn Geheimrath Lebe r,
welcher einen Versuch am liebenden für angezeigt hielt. Er hatte
die Liebenswürdigkeit, mir zwei Patientinnen zu überweisen.
Bei diesen und bei einer Dritten aus meiner eigenen Praxis
wurde die Operation vorgenommen. Im Ganzen, da die eine
Kranke an doppelseitiger Struktur litt, vier Mal.
Zunächst wird unter Cocainanaesthesie das vordere Ende
der unteren Muschel mit der Cooper’schen Schoere entfernt.
Einige Tage später, nachdem die Reaktion abgelaufen, wird in
Narkose, nach Einlegung einer B o w m a n n’schen Sonde mit
dem Ilohlmeissel so viel von der Crista turbinalis des Oberkiefers
und vom Thränenbein fortgenommen, dass der häutige Kanal bis
zum Thränensaek hinauf frei liegt. Dass dies der Fall ist, er¬
kennt man daran, dass die eingelegte Sonde freier beweglich
wird; auch kann man sich darüber mit. einer zweiten Sonde leicht
vergewissern. Im Weiteren wird nun der häutige Kanal der
Sonde entlang mit einem feinen, geknöpften Sichelmesser bis oben
hinauf gespalten. Ist dieses geglückt, so kann man die durch
*> Vortrag, gehalten ln der medlclnischen Sektion des Natur-
historisch-medicinischen Vereins in Heidelberg am 30. Juni 1901.
No. 36.
die Thränenkanälchen eingeführto Sonde in der Nase frei be¬
wegen. Sie wird nach Abtupfen d<*> Blutes bis zum Thränensaek
hin sichtbar. — Während der Operation schafft man sich den
nüthigen Einblick in die Tiefe der Nase durch das Jura sz’sehe
Speeulum. Man kann auch einzeitig operiren, d. h. in der Nar¬
kose an die Entfernung des vorderen Endes der unteren Muschel
sogleich die Spaltung des Kanals anschliessen.
Welche Erfahrungen ich mit dieser Modifikation gemacht
habe, und was für und wider sie spricht, will ich weiter unten
erläutern.
Ich lasse zunächst die Krankengeschichten folgen:
1. 49 jährige Frau. Das linke Auge thriint und eitert seil
August 1S97. Seitdem in ärztlicher'Behandlung. Am 19. VII. 1900
Aufnahme in die Heidelberger Universitäts-Augenklinik. Am
19. VII. Schlitzung des oberen Thrüneukanälchens. Am 21. VII.
Entfernung des vorderen Endes der unteren Muschel unter Cocain.
Blutung gering. Am 30. VII. in Narkose Spaltung des Tlmineii-
Xasenkaiials iu der oben geschilderten Weise. Die Blutung war
äusserst gering. Beim Herauszielien der eingelegten Sonde wurde
ein beiderseits abgewebter (iazestreifen von der Nase aus durch
das Thränenkanälchen durchgezogen.
An den 3 folgenden Tagen wurde dieser Streifen erneuert.
Verband, der das Auge schützt Die Reaktion war verhiiltniss-
mässig gering, die Gazestreifen wurden fortgelassen. Eiue leichte
Conjunctivitis wurde mit Plumbum aceticum - Umschlägen be¬
handelt. Am 4. VIII. war nur noch wenig Sekret vorhanden, und
am 10. VIII., am Tage der Entlassung, war das Auge und die
ThrUnennasengegend reizlos. Die dickste B o w m a n n’sclie Sonde
war leicht etnzufübren.
Die Kranke wurde zu Hause von ihrem Arzte beobachtet,
der mir Ende des Winters schrieb, dass sie völlig frei von Be¬
schwerden sei. Si»? selbst behaupte, dass sie vom Thränentrilufelu
nichts mehr merke. Bei genauer Untersuchung jedoch stelle sich
heraus, dass das linke Auge etwas feuchter sei, als das rechte.
Am 30. VII. 01 sah ich die Kranke wieder, das linke Auge war
reaktionslos, die Kranke war ohne alle Beschwerden, mau konnte
die durch das obere Thränenkanälchen eingelegte Sonde frei in
der Nase bewegen und sie durch den Nasenspiegel bis oben hinauf
sehen (Vorstellung der Kranken).
2. 32 jährige Frau, seit <1—7 Jahren Thränen beider Augen,
vor 4 Jahren rechts, vor 2 Jahren links Schlitzung des oberen
Kanälchens und längere vergebliche Behandlung. Seit November
1900 ohne Erfolg in Behandlung der hiesigen Augenklinik.
Am 2S. I. 1901 sollte in Narkose die Operation der Striktur
auf der linken Seite einzeitig gemacht werden. Beim Einlegen d< s
J u r a s z’schen Nasenspiegels trat eine ausserordentlich heftige
Blutung ein, und zwar in Folge von Druck auf die Schleimhaut
des Septums. Datier konnte nur die untere Muschel entfernt wer¬
den. Am 11. II. wurde die ganze Operation einzeilig rechts vor-
genominen, ohne dass eine störende Blutung eintrat. Links be¬
stand geringe Perl-Dacryocystitis.
21. II. Vollendung der Operation links. Die Blutung war
diesmal ausserordentlich gering. Beiderseits wurden, wie bei d**r
ersten Patientin, Gazestreifen durcligczogen. Die Entzündungs-
ersebeinungen waren etwas heftiger als bei der ersten Patientin,
gingen aber vorüber, als die Gazestreifen fortgelassen wurden.
Boi dieser Kranken wurden nach der Operation täglich Bow-
m a n n'scho Sonden eingelegt, weil ich glaubte, dadurch gau/.
sicher die Neubildung einer Striktur zu verhindern. Das Sondiren
hatte vielleicht eine gewisse Reizung zur Folge uiul beeintriicli
tigte die Heilung: das Thränenträufeln blieb ziemlich erheblich
und liess erst nach, als die Sondirung auf Itnth von Horm Ge-
heimrath Loher unterlassen wurde. Ob die Entfernung der
aooessorisclien Thriineudrüse mit der Cooper’schen Scheere dazu
helgetragen hat, mag dahingestellt sein.
Am 4. III. lautet der Eintrag des Journals ln der Augenklinik:
Thränen geringer, aber noch nicht ganz vorbei. Mitte April sali
ich die Kranke zuletzt. Das Auge war reizlos. Die B o w m n n n'-
I
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1404
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
sehe Sonde liess sich beiderseits gut einführen, die Nase war
völlig reaktionslos, die Striktur zweifellos endglltig gehoben.
Leider ging die Kranke nach auswärts. Es war nicht ’/u
ermitteln, wo sie sich seit dem 15. Mai dieses Jahres befindet.
Der Dienstherr, bei dem sie bis zu diesem Tage beschäftigt
war, schrieb mir,- dass er keinerlei Augenleiden an ihr bemerkt
habe. Daraus geht hervor, dass jedenfalls eine sehr erhebliche
Besserung des Zustandes eiugetreten sein muss, denn ihre früheren
Dienstverhältnisse musste sie zum Theii wegen ihres Augenleidens
aufgeben.
3. Junges Mädchen, seit 15 Jahren Thränenträufeln links.
Häufig wiederkehrende entzündliche Schwellung der linken Nasen¬
seite. Vielfache vergebliche augenärztliche Behandlung und
monatelange Sondirung. In den letzten Jahren Thränenträufeln
bei kalter Witterung, dass Patientin oft wochenlang das Zimmer
hüten musste. Mai 1900 wegen Empyem der rechten lllghmors-
höhle Eröffnung von der Fossa canina aus. Nach Entfernung der
linken unteren Muschel im Herbst vorigen Jahres geringe Besse¬
rung des Thränenträufelns. die Sonde stiess jedoch im unteren
Thelle des Kanales auf Widerstand. Daher, wurde und zwar eben¬
falls unter Cocainanaesthesie ein Tlieil der Crista turbinalis fort¬
genommen lind der Thränennasenkanal etwa zur Hälfte gespalten.
Seitdem ist Patientin ohne Beschwerde, das Thränenträufeln ist
absolut beseitigt. Die früher häufig auftretende entzündliche
Schwellung der Gegend des Thränennasenkanales ist völlig ge¬
schwunden.
Die Ausführung der Operation stüsst im Allgemeinen nicht
auf Schwierigkeiton. Wie ich mich durch vielfache Versuche
überzeugt habe, erhält man selbst bei sehr engen Nasen genügend
Uehcrblick, wenn man das Juras z'sche Häkchen (Spcculum),
das an den Nasenflügel angelegt wird, etwas stärker krümmt.
Die Blutung störte nur in dem einen Falle, in dem die Schleim¬
haut des Septums durch das Spcculum verletzt wurde. Da an
der Crista turbinalis und weiter aufwärts kein Sehwellgewebe
vorhanden ist, sondern ziemlich straff aufsitzende Schleimhaut,
so ist auch nicht anzunehmen, dass in anderen Fällen die Blu¬
tung übermässig stark ist.
Nothwendig ist, dass ein Assistent das ,J u r a s z’sche Spe-
eulum absolut ruhig hält, und ein anderer mit Wattestäbchen
und Gaze schnell das Blut abtupft.
Geschieht beides in der richtigen Weise, so kann man, sei
es nur bei indirekter Beleuchtung mit dem Reflektor, sei es bei
direkter mit dem elektrischen Licht, das Operationsfeld gut
übersehen und genau soviel mit dem Meissei entfernen, wie noth¬
wendig ist.
Man operirt bei hängendem Kopfe oder legt, den Kopf auf
die erkrankte Seite. — Bei einigerniaassen geduldigen Patienten
kann man die ganze Operation unter Cocain machen. —
Selbstverständlich liegt es mir fern, nach den bisherigen Er¬
fahrungen bereits ein abschliessendes Urtheil über den Werth der
Operation zu fällen. Die Zahl der Fälle, die ich zu operiren Ge¬
legenheit hatte, ist noch zu gering. — Die Technik wird voraus¬
sichtlich noch Modifikationen erfahren, und über die Art der
Nachbehandlung müssen weitere Erfahrungen gesammelt werden.
Soviel scheint mir m. E. durch die vier von mir vorgenom¬
menen Operationen bewiesen, dass es thatsächlich auf die ge¬
schilderte Weise möglich ist, Strikturen des Thränennasenkanals
zu beseitigen, ich glaube sogar, dass es immer gelingt. Ist dies
der Fall, so leistet die Operation zum mindesten dasselbe, was
mit der Exstirpation des Thränensackes erreicht wird und zwar
ohne Narbe. In Fall 1 kann man wohl mit Recht annehmen,
dass der Erfolg von Dauer sein wird, denn es ist bereits
ein Jahr seit der Operation verflossen und völlige Vernarbung
eingetreten.
Eine andere Frage ist es, ob neben den übrigen durch
die Striktur herbei geführten Krankheitserscheinungen und Be¬
schwerden auch das Thränenträufeln allemal gänzlich gehoben
wird. Herr Geheimrath Leber machte mich darauf aufmerk¬
sam, dass das Thränen manchmal auch dann noch fortbestcht,
wenn die Strikturen durch das Sondiron gehoben sind. Daraus
geht hervor, dass der Abfluss der Thräncnflüssigkeit nicht allein
von der Durchgängigkeit des Kanals abhängt, sondern auch von
physiologisch noch nicht völlig erklärten Aspirationsbedingungen.
In zweien meiner Fälle ist das Thränenträufeln foiige-
blioben, im dritten (doppelseitigen) konnte das endgiltige Resultat
nicht festgestellt werden.
Ob man nun einzeitig operiren soll oder zweizeitig, müssen
weitere Versuche lehren. Hat ersteres den Vortheil, dass der
Kranke schneller aus der Behandlung entlassen werden kann, so
ist letzteres vielleicht desshalb vorzuziehen, weil ja die Spaltung
lies Thränennasenkanals in den Fällen nicht nothwendig ist., in
dc-nen die Entfernung des unteren Endes der vorderen Muschel
den Kanal wieder wegsam macht. In welchen Fällen nur die
Hälfte des Kanals zu spalten ist, wird sieh ebenfalls erst ent¬
scheiden lassen, wenn grössere Erfahrungen gesammelt sind.
Wie bei der Nachbehandlung zu verfahren ist, ob namentlich
Sondirungen vorzunehmen sind, lässt sich zur Zeit ebenfalls noch
nicht entscheiden.
Endlich ist es fraglich, ob die Entfernung der accessoriscln n
Thränendrüso von Nutzen ist, wie es in dem zweiten Fall den
Anschein hatte.
In der augenärztlichen Literatur fand ich nirgends eine An¬
deutung, dass bereits ähnliche Versuche gemacht seien.
Dagegen gebührt K i 11 i a n - Freiburg das Verdienst, da:-,
i er auf die Möglichkeit hingewiesen hat-, den Thränennasenknnnl
von der Nase aus zu eröffnen.
Im Sitzungsbericht der 6. Versammlung süddeutsch. Laryugo-
logcn (diese Wochenschr. 1899, S. 1775; s. auch Münch, mal.
Wochenschr. 1899, S. 1066) heisst es in der Diseussion im An¬
schluss an einen Vortrag von Seifert über Tuberkulose des
Thrünennasenknnals: „Herr Killian macht darauf aufmerksam,
dass man den Thränemiasengang von der Nase aus nach Entfer¬
nung der vordersten Theile der unteren Muschel mit dein neuen,
aufwärts gekrümmten Hart man n’schen Conchotom aufbrechen
kann, wenn eine vom Auge her eingeführte Sonde zur Führung
dient. Bei Tuberkulose des Thränennasenganges könnte ein
solches Verfahren gelegentlich nothwendig werden.“
Auf briefliche Anfrage hatte Herr Kollege Killian die
Güte, mir im Dezember v. J. zu schreiben, dass er sich schon
lange Jahre mit der Sache beschäftigt habe, und dass er in einem
Falle mit dem Conchotom operirt habe. Die Heilung sei scluiell
von statten gegangen, der Patient habe sich aber der Behandlung
entzogen.
Killian machte mich ferner darauf aufmerksam, dass be¬
reits im 18. Jahrhundert ähnliche Versuche gemacht, aber
in Folge mangelhafter anatomischer Kenntnisse wieder aufgo-
goben seien.
Ich habe in einem Falle, nachdem K. mir geschrieben hatte,
mit dem Conchotom und dom scharfen Löffel operirt. — Es han
dclte sich um einen Mann, der neben der Striktur an einer Fistel
am Thränenbcin litt, die ulcorirte. — Ich habe dabei den Ein¬
druck gewonnen, dass die Operation mit dem Meissei schonender
und dass die Blutung geringer ist. Ist keine Caries vorhanden,
so gleitet — an der Leiche kann man sich davon überzeugen —
dio Zange an der Crista turbinalis ab. Man erhält daher nicht
genügend freien Ueberblick. Auch scheint es mir von Vortheil.
den häutigen Thränennasenknnal möglichst zu erhalten und ihn
nur nach der Spaltung aufzurollen. — Er legt sich nach der Spal¬
tung: an den Knochen und verheilt.
Ich glaube, dass die Gefahr neuer Strikturbildung durch
Granulation grösser ist, wenn der Kanal unterhalb des Thränon-
sacks abgekniffen, als wenn er bis in den Sack gespalten ist. —
Die Technik meiner Operation ist ja zweifellos schwieriger,
sie lässt sich aber bei einiger Uebung im Meissein leicht er¬
lernen. —
Killian’s Vorschlag ist von augenärztlicher Seite nicht
beachtet worden. In Rücksicht auf die Stelle, an der er erwähnt
worden, ist dies erklärlich. — Ich selbst wurde erst durch einen
Hinweis im Kaf e man n’schen Buch „Rhinologische Operations¬
lehre“, darauf aufmerksam gemacht, nachdem ich schon Fall l
operirt hatte.
Aus dem pathologischen Institut der Universität Greifswald.
Ueber die Säurevergiftung beim Diabetes mellitus.
Von Privatdozent Dr. Otto Busse, I. Assistent am Institut.
So sehr auch unsere Kenntniss von den Anomalien des Stoff¬
wechsels bei Diabetes mellitus in den letzten Jahrzehnten des
vergangenen Jahrhunderts erweitert worden ist, so wenig sind
wir in dem Verständniss des Wesens und der eigentlichen Ur¬
sache dieser Stoffwechsclstörung gefördert worden. Nur soviel
wissen wir, dass die Anschauung von Frerichs, die dieser
hervorragende Kliniker mit in’s Grab genommen hat, dass näm¬
lich der letzte Grund für den Diabetes in einer Erkrankung des
verlängerten Markes zu suchen sei, ebenso wie alle anderen
Theorien sicher nur für einen ganz kleinen Theii der Fälle zu¬
trifft. Mehr und mehr bricht sieh die Erkenntnis? Balm, dass
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?>. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1405
manche Veränderung, wie z. B. kleine Blutungen etc. im Boden
des IV. Ventrikels, die Frerichs als Ursache des Diabetes
genommen hat, vielmehr wohl eiue Folge der Krankheit sei.
Daraufhin scheint mir auch schon eine von Kussmaul 1 )
im Jahre 1885 gethane Aeusserung sich zu beziehen, wenn er sagt,
dass die beim Koma auftretende Dyspnoe sich von allen anderen
Formen von Dyspnoe dadurch unterscheide, dass die Luft auf
dem Wege zu oder aus den Lungen auch nicht das geringste
Hindernis» zu überwinden habe, dass Athmung und Ilerzthütig-
keil beschleunigt sei und er folgert: „Die Dyspnoe kann nur von
einer direkten Erregung der Atliemcentren in
der Medulla oblongata ausgehen; sie lässt sich nicht von einer
Sauerstoffverarmung der Atliemcentren noch von einer über¬
mässigen Anhäufung der Kohlensäure im Blute ableiten; sie
muss ihre Gründe in einer Intoxikation anderer Art haben, die
mit chemischen Störungen des organischen Haushaltes im Dia¬
betes in Verbindung steht. Ueber die Natur des toxischen
Agens Hesse sich nichts Sicheres sagen. Die Acetonaemie er¬
kläre die Dyspnoe jedenfalls nicht. Auch das Koma sei wohl
toxischen Ursprungs.“
Gerade nun dieses toxische Agens ist. in der Folgezeit der
Gegenstand eifrigsten Studiums gewesen. Eine grosse Anzahl
von Klinikern, ich nenne nur Naunyn, Stadelmann,
Miukows ky, v. J a k s c h haben als eigentlich schädlich wir¬
kende Substanzen Säuren ermittelt, die sich in Folge mangel¬
hafter Oxydation im Körper anhäufen.
Jeder, der sich für diese Frage interessirt, findet eine aus¬
gezeichnete Zusammenstellung über die Entwickelung der ganzen
Lehre in der übersichtlichen Arbeit von Dr. Magnus-Levy
(im 42. Bd. d. Arcli. f. experim. Pathol. u. Pharmakol.): „Die
Oxybuttersäure und ihre Beziehungen zum Koma diabeticum."
Magnus-Levy stellt darin die grosse Bedeutung der Säuren,
speciell der Oxybuttersäure, beim Diabetes dahin fest, dass das
Koma diabeticum geradezu als Wirkung der im Körper zurück¬
gehaltenen Säuren, mit anderen Worten als eine Säurevergiftung
nnzusehen ist. Diese Beobachtungen hat er in neuester Zeit
durch Mittheilung neuer wichtiger Untersuchungsbefunde er¬
härtet und erweitert, so dass wir der folgenden Schlussfolgerung )
beipflichten müssen: „In den tödtlich endigenden Fällen von
echtem Koma diabeticum übersteigt die Quantität der vom
Körper gebildeten, als Säure wirkenden Produkte die Menge der
in den Geweben vorhandenen oder aus dem Darm resorbirten
alkalischen Faktoren und können diese überschüssigen
Säureinengen nicht, wie ausserhalb des Komas, «Aurcli Oxydation
unschädlich gemacht werden. Sie entziehen den Carbonaten
(und Phosphaten) des Blutes und der Gewebe die Alkalien und
beeinträchtigen (wahrscheinlich) lebenswichtige Gruppen der
Eiweissmolecüle (der Ganglien und der Körperzellen), deren nor¬
male, physiologische Funktion störend und vernichtend.“
Angesichts dieser klinischen Beobachtungen drängt sich von
selbst die Frage auf, ob nicht diese störende und vernichtende
Wirksamkeit der Säuren im Organismus anatomisch irgend¬
wie nachweisbar zum Ausdruck kommt und an der Leiche objek¬
tiv festgestellt werden kann.
Magnus-Levy lässt, wie das in Klammern eingc-
schlossene Wörtchen „wahrscheinlich“ zeigt, ebenso wie sein
Lehrer Naunyn, die Frage unerledigt und offen, ob die dia¬
betische Acidosis ausser der Gefahr des Komas noch andere
direkte schädliche Folgen haben könne, Beide sind geneigt, sie
zu bejahen.
Ich bin nun in der Lage, eine Anzahl von Sektionsfällen mit¬
theilen zu können, bei denen schwere Veränderungen des Paren¬
chyms, zumal der drüsigen Organe, vorliegen, die auch ihrerseits
auf eine Vergiftung durch Säuren Hinweisen.
Wir wurden zum ersten Male auf diesen Befund aufmerk¬
sam, als uns aus dem städt. Krankenhause in Charlottenburg von
Herrn Prof. F. Grawitz die Organe eines im Koma diabeticum
verstorbenen Kranken übersandt worden waren. In diesem Falle
fand sich eine so gleichmässige allgemeine Trübung und Fetl-
mt-tainorphose des gesummten Parenchyms in Nieren, Leber und
Herz, dass wir an das Krankenhaus berichteten, dass hier
toxische Veränderungen der Organe vorlägen und wir um Aus-
■) Arch. f. klln. Med. Bd. 14.
*) Adolf Magnus-Levy: Untersuchungen über die Acidosis
Im Diabetes mellituB und die Säureintoxikation Im Coma diabeti¬
cum. Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. Bd. 45, S. 389.
kunfl darüber bäten, ob die Einwirkung einer Giftsubstanz,
höchstwahrscheinlich einer Säure, vielleicht durch die Anamnese
zu ermitteln sei; die Organe wiesen die Veränderungen auf, wie
wir sie sonst nur bei Leuten zu sehen gewohnt wären, die an der
Vergiftung mit Mineralsäuren zu Grunde gegangen wären. Die
Möglichkeit einer solchen Vergiftung durch Zuführung einer
Säure von aussen wurde entschieden in Abrede gestellt, wesshalb
wir für uns die Erfahrung aus diesem Befunde herstellteu, dass
bei dem Diabeteskranken irgend ein uns damals nicht bekannter,
wie eine Mineralsäure wirkender Giftstoff im Körper gebildet
seil» müsste.
In der Folge haben wir nun diesen Befund bei Leichen von
im Koma diabeticum verstorbenen Kranken in mehr oder minder
ausgeprägter Form wieder angetroffen, so dass ich nicht anstehe,
diesen Befund bis zu einem gewissen Grade als „typisch“ zu be¬
zeichnen.
Im Folgenden lasse ich kurz die • Krankengeschichte und
einen Auszug aus dem Sektionsprotokoll von drei tödtlich ver¬
laufenen Fällen von schwerem Diabetes mellitus folgen.
Fall 1 betrifft die 30 jährige Arbeitersfrau S., die au
Katarakta di a bet. iutumescens auf der hiesigen
Universitäts-Augenklinik behandelt wurde.
Die Patientin bemerkte vor 3 Monaten eine Abnahme des Seh¬
vermögens für die Ferne und für die Nähe auf dem linken Auge.
Patientin sah Alles wie durch einen Schleier. 4 Wochen später
erkrankte auch das rechte Auge unter denselben Symptomen. All¬
mählich erlosch das Sehvermögen auf dem linken Auge ganz,
8 Tage später auch auf dem rechten Auge. Seit einem Jahr
Diabetes mellitus mit Polyurie und Polydipsie, reichlichem Appetit
und guter Verdauung. Seit dem Auftreten des Diabetes ist Put.
stark abgemagert und matt geworden. Im Herbst hat sie den
Arzt desswegen consultirt und etwa 8 Wochen lang Kartoffeln ge¬
mieden aber Brod gegessen. Die Abmagerung ist weiter vor¬
geschritten.
Bei der Aufnahme ln die Greifswalder Unlversltäts-Augen¬
klinik ist die Frau blass und sehr mager, mit trockener, ab-
schülfernder Haut, Acetongeruch aus dem Munde. Innere Organe
sind ohne nachweisbare Veränderung.
Augen blass und reizlos. Tonus bulbi normal. Vorder¬
kammern beide Hach, Pupillen mittelweit, reaglren gut auf Licht..
Linsen sind hauptsächlich in den centralen Theilen getrübt, zeigen
aber auch in der peripheren beginnende Trübungen. Schlagschatten
noch vorhanden.
Ophthalmoskopisch kein rothes Licht. Lichtschein und Pro¬
jektion in Ordnung.
Nase: starke Ozaena mit Borkeubildungeu.
U r 1 n b e f u n d: Menge 5«KJ0 ccm in 24 Stunden, Farbe stroh¬
gelb, obstartiger Geruch; kein Elweiss, aber Zucker 7 Proc. Aceton¬
reaktion positiv.
Ordination: Absolute Fleischdiät mit Grahambrod für
3 Tage. Getränk: Selterwasser, schwarzer Kaffee.
12. 1. Patientin klagt über Kopfschmerzen in der Nacht.
Natr. bicarb., Morphium.
13. 1. Etwas Dyspnoe, Kopfschmerzen, Patientin ist schwer
besinnlich. Puls über 100. Milchmehlsuppe, reichlich Natr. bicarb.
Nachmittags reichliche Harnentleerung, Abends ausgebildetes
Koma.
14. I. In der Nacht katheterlslrt, Morgens ist die Blase leer,
es erfolgt der Exitus letalis.
Aus dem Sektionsprotokoll der überaus mageren Leiche sei
hier kurz Folgendes hervorgehobeu:
Die Oberfläche des Herzens ist zart, grau durchscheinend und
glänzend. Unterhalb und oberhalb der Krauzfurche finden sich
am rechten Herzen vereinzelte dunkelrothe bis blaurotlie, runde,
Uber linseugrosse Flecken (Petechien;. Die Grösse des Herzens
stimmt ungefähr mit der Grösse der Faust der Leiche überein;
neben den Kranzarterien eine sehr dünne Lage gelben Fettgewebes.
Bel der Eröffnung des rechten Vorhofes entleert sieh eine Menge
dunkelblaurothen Blutes, aus dem rechten Ventrikel fliesst eine
miisslge Menge schaumigen Blutes. Die Atrioventrieularklappeu
sind für 2 Finger bequem durchgängig. Die arterielleu Klappen
schliessen auf Wassereinguss. Die Musculntnr des Herzens Ist
schlaff, röthlich.
Lungen zeigen keine pathologischen Veränderungen.
Die Milz misst 13:0:3,5 ein, Ist von derber Konsistenz, glatter
Oberfläche, graurotlier Farbe.
Die linke Niere ist 13 em lang, 0 cm breit und 3,5 cm dick.
Die Capsula fibrosa lässt siel» nur uuter thellwelsem Substanz¬
verlust abzlehen. Sonst ist die Oberfläche glatt, grauroth gefärbt
und gleiclimässlg stark getrübt. Die Niere fühlt sich weich au.
Die Marksubstnnz ist dunkler roth gefärbt als die Rinde, diese Ist
fast 1 cm breit und auch auf dem Durchschnitt opak. Das Nieren¬
becken Ist ohne Veränderung.
Die rechte Niere ist ungewöhnlich brüchig, auch Ist die Kapsel
der Niere am Hilus adhaerent. Die Konsistenz ist welch. Die
Niere misst 12,5:0:3,5 cm. Die IUndeusubstanz ist hellgrau roth
und trübe, fast 1 cm dick, die Marksubstanz dunkelgraurotli und
ebenfalls trübe.
Die Leber ist brüchig, hellbraun, aussen spiegelnd glatt und
glänzend, sic Ist 20 cm laug, 13 cm breit und 7 cm dick, sie Ist
I
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1406 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 34.
weich, schneidet sieh leicht, Liippchenzeichnuug ist undeutlich.
Blut fliesst reichlich über die Schnittfläche.
Am Gehini sind Veränderungen makroskopisch nicht wahr-
/.unehmeu.
Bei der mikroskopischen Untersuchung findet
sieh eine besonders starke Veränderung in den Nieren.. Alle ge¬
wundenen Harnkanälchen sind intensiv getrübt. Die Trübung
bleibt zum grossen Theil auch bei Zusatz von Natronlauge bestehen.
Auch im Herzen findet sich eine diffus verbreitete Trübung
mit Uebergaug in Fettmetamorphose.
Fall 2. 52Jähriger Arbeiter G.
Patient fühlt sich seit G Jahren krank, indem er am ganzen
Körper stets ein Prickeln wahrnimmt und an Körpergewicht ver¬
liert, er wog früher 140 Pfund, jetzt dagegen nur UM) Pfund. Im
März 11)00 bemerkt Patient starke Trockenheit und einen süss¬
liehen Geschmack im Munde. Von den consultirten Aerzteu wird
ihm fette Fleischnahrung verordnet. An der rechten Seite des
Halses unterhalb des Ohres hatte Patient schon seit einem halben
Jahre Brand- und Hitzegefühl. Seit dem 15. IV. 1001 bemerkt er.
dass sich an dieser Stelle plötzlich eine dicke Geschwulst bildete,
so dasH er weder rotirende Bewegungen, noch Beugebewegungen
mit dem Kopfe machen, noch auch den Mund weit öffnen konnte.
Er lässt sich desshalb am 25. IV. 1901 in die chirurgische Klinik
zu Greifswald aufnehmen, wo bei dem nbgemagerten. blass aus¬
sehenden Manne viel Zucker im Urin gefunden wird. Die Ge¬
schwulst unter dem Ohre ist etwa gänseeigross, reicht bis 4 cm
unter den Kieferwinkel herunter und lässt sich vom Kiefer deut¬
lich abgrenzen; Haut über dem Tumor ist nicht geröthet. Ober¬
fläche ist glatt, auf Druck sehr schmerzhaft, sehr starkes Oedcni
der Umgebung. Fluktuation nicht sicher, rechte Achseldrüse g>*-'
schwollen.
Am 30. IV. Ist die Fluktuation deutlich, der Abscess wird in
( ’hloroformnarkose gespalten und daraus werden käseartige Massen
entleert. Jodoformgazetamponade.
Nachmittags Collaps, der sich gegen Abend steigert. Puls
nicht fühlbar, Herztöne leise. Patient schläft fortwährend, öffnet
nur bei Anrufen die Augen und klagt über Schmerzen.
1. V. Collaps hält au.
2. V. Exitus letalis.
Urinmengen betrugen am 20.—27. IV. 5750 ccm, am 27—28. IV.
3920.ccm, am 28.—29. IV. 4170 ccm, am 29—30. IV. 3810 ccm.
Im Perikard liegt über dem Conus arteriosus ein Schnenfleek
von 2 cm Breite und 1.5 cm Länge. Die rechte Vorkammer enthält
50 ccm Cruor, der rechte Ventrikel ist leer. Die linke Vorkammer
enthält etwa 20 ccm, der linke Ventrikel Ist leer. Der Klappen-
apparat Ist funktionsfähig. Der Herzmuskel hat eine rothgellx;
Farbe und sieht etwas opak aus. Das Herz ist 9 cm lang, Aorta
8 cm breit, Endokard und Klappen sind zart und intakt.
In beiden Lungen findet sich ein gewisser Grad von Hypo¬
stase, in der linken ausserdem einige broncho-pneumonisehe Herde.
Die Milz misst 11:7,5:2.5 cm. Die Kapsel ist durchscheinend und
glatt, Parenchym grauroth, von der glatten Schnittfläche ist nur
wenig Pulpa abzustreichen.
Die linke Niere misst 11:7:2,5 cm. Capsula flbrosa Ist leicht
abzuzieheu, die 01>errtäche ist im Ganzen glatt, zeigt nur einige
grauweisse, narbige Einziehungen. Die Itinde ist gleichmiissig
opak, die Marksubstanz sieht bräunlichroth aus. Die rechte Niere
misst 12:7:2,5 cm. Auch sie zeigt einige grauröthlich gefärbte
leichte Einziehungen, sonst ist auch hier die Kinde auffallend opak.
Die ganze Niere sieht geradezu wie gekocht aus.
Die Leber misst 24,5:21:9,5 cm und zeigt an der Oberfläche
kleine, matt aussehende, nicht durchscheinende Flächen von grau-
weisser Farbe, sonst ist die Oberfläche glatt. Die Farbe der Leber
ist braunroth. Die Acinuszeichnung ist nicht recht deutlich er¬
kennbar. Konsistenz ist fest, das Parenchym scheint transparent.
Das Gehirn lässt keine Abweichungen von dem normalen Be¬
funde erkennen.
Auch hier findet sich bei mikroskopischer Untersuchung eine
ganz schwere, gleichmiissig ln allen Harnkanälchen verbreitete
Trübung, die bei Natronlaugezusatz bestehen bleibt.
Das Herz zeigt vorgeschrittene Trübung und Fettmetamor-
pliose, die ziemlich gleichmässig und diffus in allen Muskelfasern
vorhanden ist.
F all 3. 54 jiihr. Mann. Diabetischer Carl) u n k e 1.
Patient hat einmal eine Lungenentzündung durchgemacht, ist
sonst stets gesund gewesen. Seit dem 10. VI. bemerkte er eine
sich vergrössernde Schwellung in der linken Nackengegend, di»*
nach einigen Tagen aufbrach und Eiter entleerte, trotzdem nahmen
die Schmerzen zu; ein hinzugezogener Arzt machte Ineisionen und
rieth zur Aufnahme in die Greifswalder chirurgische Klinik. Hier
wird bei dem kleinen gutgenährten Patienten ein riesiger Carbunkcl
an der linken Halsseite festgestellt, Polyurie, Polydipsie. Zucker¬
gehalt des Urins 5,75 Proc., Aeetonurie, spec. Gewicht 1038.
Eisenchloridreaktion positiv.
Am 20. VI. wird wegen drohenden Komas ohne Narkose eine
tiefe Längsineision und 3 Querschnitte gemacht. Wenig Eiterent¬
leerung, auf dein Durchschnitt starke Eiterinfiltration im nekro¬
tischen Gewebe. Täglich 40 ccm Natr. bicarb. per os. Stuhlgang
angehalten.
27. VI. Harnmenge 3<MK) ccm, spec. Gewicht 1034. 1,87 Proc.
Zucker.
Verdacht auf Koma steigt wegen fortgesetzt positiver Eisen-
ehloridreactiou. Starker Acetougeruch. Patient klagt über
schweres Athemholen, Gefühl von Benommenheit.
Nachmittags Durchfälle. Putieut. ist apathisch und verliert
mehr und mehr das Interesse für seine Umgebung.
28. VI. Nacht war ruhig. Schlaf mit wenig Unterbrechungen
gut. Aeetonurie. Die ersten Anzeichen der „grossen Athmung"
treten auf, tiefes Aufseufzen.
Intravenös werden 400 ccm einer 3 proc. Natr. bicarb.-IÄisung
iujleirt. nachdem vorher 100 ccm Blut durch Aderlass entzöget)
sind. Gegen Abend schlechtes Allgemeinbefinden bei völliger
Klarheit. Puls klein, Kampherinjektion.
Nachts um 1 Uhr Exitus letalis.
Sektion am 29. VI. Der Herzbeutel enthält etwa 5 ccm klarer,
heller Flüssigkeit. Das Perikard ist spiegelglatt und glänzend.
Die Klappen funktionlrcu ordnungsgemäss. Das Herz ist 11,5 ein
lang, die Aorta 8 cm breit. Der linke Ventrikel ist 18 mm. » 1 er
rechte 7 mm dick, das llerzfloiseh sieht braunroth und etwas trübe
aus, ist schlaff. Unter dem Endokard des linken Ventrikels sieht
man zahlreiche fiohstiehartige Blutungen. Auch unter dem Peri¬
kard finden sieh einige punktförmige Blutungen. Die ltäuder der
Klappen sind zart und intakt, um die Basis derselben sieht mau
vielfach kleine, liäeheuartige. weisse Verdickungen. Mikroskopisch
findet sich in der Museulatur beider Ventrikel diffus verbreitete
Trübung, vielfach mit Uebergaug in Fettmetamorphose.
Beide Lungen Zeigen an den freien Kündern etwas Emphysem,
im rechten ITiterlappen findet sich ein massiger Grad von Hypo¬
stase und Ateleetase.
Milz ist 13: 5.5: 3 ein gross, ihre Kapsel grauwelss. nicht durch¬
scheinend, runzelig. Schnittfläche ist glatt. Konsistenz raässis:
weich.
Die linke Niere ist von einer fast 2 cm dicken Fettkapsel Uber-
kleidet. Aus der Capsula fibrosa lässt sie sich leicht und ohne
Substnnzverlust hernussehülen.
Die Oberfläche zeigt nur einzelne flach eingezogene Stellen, Un
alter sonst glatt. Die linke Niere misst 12:5,5:4,3 cm, die Rinde
misst 9 mm; ist gleichmässig opak und sieht wie gekocht aus.
Die Marksubstauz ist nur wenig dunkler als die blutreiche Rinde
und ist. ebenfalls trübe. Die Papillen sind etwas blasser als die
Basis der Pyramiden. Die rechte Niere ist ebenfalls von einer ge¬
waltigen Fettkapsel umgeben, sie misst 11,5:0,5:4 cm. Die Ober¬
fläche zeigt, einige flache Narben, siebt opak aus und hat eine grau-
rothe Farbe. Auf dem Durchschnitt misst die Rinde 10 mm.
Der Magen zeigt einen massigen Katarrh und zahlreiche Blu
tungen in der Schleimhaut.
Die Leber hat eine glatte Oberfläche und rothbraune Farbe
mit einem Stich in’s Gelbliche. Sie sieht opak aus, besonders auf
der Schnittfläche, auf der eine Acinuszeichnung nicht zu erkenntn
ist. Die Leber misst 20:19:8 cm, die Schnittfläche reisst und
bricht beim Emporhoben der Leiter ein. Konsistenz fest.
Im Gehirn ist makroskopisch keine Veränderung nachzu-
weiseu.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt wieder eine diffus ver¬
breitete Trübung und Fettmetamorpliose des Parenchyms im
Herzen und den Nieren, ebenso findet sich auch das Leber¬
parenchym gleichmiissig getrübt, die Trübung hellt sich hei Zusatz
vou Natronlauge zum grössten Theile auf. Nur kleiue. unregel¬
mässig gestaltete und gelagerte Bezirke der Aclul sind frei vou
Trübung.
Wir sehen in den vorstehend beschriebenen Füllen, bei denen
im Verlaufe eines schweren Diabetes mellitus zum Theil bei
deutlich ausgebildetem Koma der Tod eingetreten ist, als ge¬
meinsame Veränderung die schwere Parenchymdegeneration in
Nieren und Herzen und zum Theil auch in der Leber — leider
fehlt bei 2 Fallen eine Notiz über den mikroskopischen Befund
in der Leber. Die Trübung ist so schwer, so umfangreich und
so diffus verbreitet, dass die Organe, zumal die Nieren, geradezu
wie gekocht aussehen und in der Sektionsdiagnose die Vor-
j änderungon direkt als Nephritis parenehymatosa toxica be¬
zeichnet worden sind.
Es fragt sieh nun, wie diese Veränderungen zu erklären
sind. Hätte man den letzten Fall allein, so könnte man die¬
selben vielleicht auf den Carbunkel beziehen und als septisch
deuten, wenngleich der klinische Verlauf keineswegs für eine
schwere Sepsis spricht. Allein der erste Fall und der oben er¬
wähnte, uns von auswärts übersandte, bei denen keinerlei Eite¬
rungen Vorgelegen haben, zeigen die gleichen Veränderungen und
ich glaube, man kann sich dem Eindrücke nicht verschliessen,
das.-, die gleichartigen Schädigungen in den angegebenen Füllen
auf gleichartige Ursachen zu beziehen sind und als eine Folge
der beim Diabetes mellitus bestehenden Stoffweehselanomalien
angesehen werden müssen. Das Aussehen von Nieren, Herz und
Leber spricht dafür, dass Giftsubstanzen, die ähnlich schädigend
wie diluirt-o Mineralsäuren wirken, im Körper gekreist haben.
Nun wissen wir aus den Untersuchungen von Magnus-
Levy, Kraus u. A., dass beim Diabetes Säuren, vor Allem die
i -Oxybuttersäure in so grossen Mengen gebildet wird, dass
i schliesslich die Alkaleseenz der Organe und des Blutes dadurch
j aufgehoben wird und die Säuren frei und ungebunden im Orga-
1 nismus zu finden sind. Es ist festgestellt, dasa gerade die
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3. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1407
ß -Oxybuttersäure aus dem Blute - und den Organen von Dia¬
betikern in Mengen (es handelt sich dabei um hunderte von
Grammen) extrahirt werden kann, die vollkommen ausreichen,
den Tod herbeizuführen. Es ist desshalb in hohem Maasse wahr¬
scheinlich, dass die schweren Organveränderungen die direkte
Folge der Giftwirkung der im Organismus gebildeten Säuren
sind, dass das Koma und auch der Tod bei Diabetes mellitus
direkt als eine Säurevergiftung aufgefasst werden muss.
Immerhin ist auffällig, dass man auf diese Verhältnisse
nicht früher so geachtet und die Veränderungen geradezu als
toxische erkannt hat. F rerichs*) erwähnt in seiner be¬
rühmten Monographie die Veränderungen in den Nieren, der
Leber und dem Herzen als einer zwar nicht seltenen, jedoch
keineswegs regelmässigen Komplikation, führt allerdings auch
mehrere Fälle an, bei denen diffuse schwere Trübungen der
Nieren Vorgelegen haben. Ich halte aber für sehr wahrscheinlich,
da88 man diese Parenchymveränderungen öfter findet, wenn man
direkt auf sie fahndet und die Organe in allen vorkommenden
Fällen mikroskopisch untersucht. Erst hierdurch wird man viel¬
fach auf die Schwere der Erkrankung aufmerksam.
Ich halte auch nicht für unmöglich, dass sich bei systema¬
tischer eingehender Untersuchung auch sogar in der Medulla
oblongata anatomisch die durch die Säuren bewirkte Reizung
wird nachweisen lassen. Vielleicht tragen diese Zeilen dazu bei,
das verlängerte Mark in diesem Sinne zu untersuchen und so
auch eine anatomische Unterlage für das Koma diabeticum zu
schaffen. Ich für meine Person werde keinesfalls verabsäumen,
in allen vorkommenden Fällen diese Untersuchung vorzunehmen.
In den oben beschriebenen Fällen ist dies leider noch nicht ge¬
schehen.
Trotzdem habe ich dieselben veröffentlicht, weil die Organ¬
veränderungen gerade durch die neuesten klinischen Unter¬
suchungen verständlich und erklärt werden und weil sie anderer¬
seits, wie die Probe auf das Exempel, so einen anatomischen Be¬
weis für die Richtigkeit der klinischen Beobachtung bilden,
dass der Körper durch die beim Diabetes mellitus gebildeten
Säuren schwer geschädigt wird, dass der Tod beim Diabetes
mellitus bezw. beim Koma diabeticum thatsächlich als eine
Säurevergiftung aufzufassen ist.
Aus dem bakteriologischen Laboratorium der Universitäts-
Frauenklinik (Prof. Dr. Döderlein) in Tübingen.
Experimentaluntersuchungen über Händedesinfektion.
Von
Dr.phil. et med. Th. Paul und Dr. med. 0. Sarwey,
a. o. Professor für analytische a. o. Professor u. Assistenzarzt
and pharmaceutische Chemie. a. d. Univ.-Frauenklinik.
VH. Abhandlung,
Bakteriologische Prüfung der Hände nach vorausgegangener
Desinfektion mit Quecksilberverbindungen, mit besonderer
Berücksichtigung der modernen physikalisch-chemischen
Theorien.
I. Die Desinfektion der Hände nach P. Fürbringer.
L Geschichtliches.
Nachdem durch Robert Koch die desinficirendo Wirkung
des Quecksilberchlorids entdeckt worden war, benutzte man
dasselbe zunächst in der Weise zur Händedesinfektion, dass die
Haut nach gründlicher Reinigung mit warmem Wasser, Seife
und Bürste kurze Zeit mit einer 1 prom. wässerigen Sublimat¬
lösung gebürstet wurde. Besonders waren es Kümmell und
Förster, welche in der Mitte der achtziger Jahre die Brauch¬
barkeit dieser Methode durch eingehende Experimentalunter¬
suchungen nachzuweisen suchten und zu dem Resultat gelangten,
dass die Hände auf diese Weise, wenn auch zu¬
weilen schwierig, so doch vollkommen sicher
desinficirt werden könnten. Da diese Untersuchungen
in jüngster Zeit von anderer Seite ausführlich besprochen worden
sind *), wollen wir hier nicht noch einmal auf dieselben ein-
gehen, doch sei darauf hingewiesen, dass die Beweiskraft der im
Uebrigen den praktischen Verhältnissen recht gut angepassten
*) Ueber den Diabetes. Berlin 1884.
’) Vergl. G. Gottstein: Beobachtungen und Experimente
über die Grundlagen der Asepsis. Beiträge zur klin. Chirurgie 25,
372fT. 1899.
No. 36.
Versuche aus verschiedenen Gründen mangelhaft ist. Einmal
benutzten diese Experimentatoren Nährgelatine, welche sich zur
Züchtung von Hautkeimen bei Zimmertemperatur nur wenig
eignet ’), dann war die Art der Keimentnahme nicht zweckent¬
sprechend und schliesslich wurden unkontrolirbare Mengen der
Desinfektionsflüssigkeit auf die Nährböden übertragen. Letzteres
war besonders bei den Versuchen Kümmell’s der Fall, welcher
die Hände „direkt mit dem Desinficiens befeuchtet in die Nähr¬
gelatine einpre6ste“ *).
Im Jahre 1888 veröffentlichte P. Fürbringer, welcher
sich schon im Winter 1884/85 mit Händedesinfektionsversuchen
beschäftigt hatte, eine Abhandlung: „U ntersuchungen
und Vorschriften über die Desinfektion der
Hände des Arztes“, in welcher die Versuche beschrieben
sind, auf Grund deren er seine Händedesinfektionsmethode aus¬
arbeitete. Er stellte an die Händedesinfektion wesentlich
schärfere Anforderungen wie Kümmell und F o r s t e r, in¬
dem er bei der Prüfung sein Augenmerk hauptsächlich auf die
Unternagelräume richtete, diese mit Hilfe dünner, rauher Draht¬
stifte auskehrte und letztere in das Reagensglas mit flüssig
gemachter Gelatine fallen liess, in welcher sie agitirt wurden.
In Folge dessen erhielt er auch nicht so günstige Resultate wie
die erstgenannten Autoren. Ferner machte er als einer der
Ersten darauf aufmerksam, dass es bei der Händedesinfektion
nicht nur auf die bakterientödtende Wirkung der Desinfektions¬
lösungen ankomme, sondern „dass noch ganz andere Faktoren,
als die Concentration der antiseptischen Lösung am Desinfek-
tienseffekt betheiligt sind bezw. selbst die bestimmende Rolle
spielen können“. So fand er „dass stärker concentrirte Karbol-
und Sublimatlösungen bei der Reinigung der Hände gar nicht
selten Pilze von einer Widerstandsfähigkeit am Leben gelassen
hatten, welche bei der Kontrole durch minder stärkere Concen-
trationsgrade abgetödtet worden waren, bezw. bei der Behandlung
mit gradatim abgestuften Lösungen als ungemein gebrechliche
Lebewesen 6ich charakterisirt hatten“. Eine besonders wichtige
Rolle beim Händedesinfektionsprocess schrieb er zunächst der vor¬
bereitenden Bearbeitung der Haut und Unternagelräume mit
Seife, „zumal solcher mit freiem Alkali in warmer wässriger
Lösung“ zu. „Ganz abgesehen von der groben Wegnahme des
Schmutzes bezw. der anklebenden Keime schafft sie durch Ent¬
fernung des fettigen Hautsekrets, welches die zur Tödtung der
Keime erforderliche Adhaesion der antiseptischen Lösungen nicht
zulässt, für das Haften der letzteren an der Oberhaut günstige
Bedingungen.“ Leider musste er sich überzeugen, dass auch die
Waschungen mit stark alkalischen Seifen, ja selbst mit verdünn¬
ter Kalilauge „nur unvollkommen den Unternagelraum zur nöthi-
gen Kontaktwirkung zwischen Mikroorganismen und Desinficien-
tien vorzubereiten vermochten“, und nach vergeblichen Versuchen,
„durch Aether oder andere stark fettlösende Substanzen (Chloro¬
form und Benzin) der Epidermisauskleidung des subungalen
Raumes diejenige Fettmenge zu entziehen, welche einer kurzen
Seifen- bezw. Alkalibehandlung getrotzt hatte“, kam P. Für-
b r i n g e r auf den Gedanken, „zwischen Aether und antisep¬
tische Lösung ein Mittelglied einzuschalten, welches, in beiden
löslich, die erforderlichen Adhaesionsverhältnisse herzustellen be¬
sonders geeignet schien“, und wählte hierzu den A1 k o h o L
Wie der Erfolg lehrte, wurde mit der Ein¬
führung des Alkohols in die Händedesinfek-
tionspraxis durch P. Fürbringer zweifellos
ein ganz entscheidender Schritt nach vor¬
wärts gethan, mochte der Alkohol alsVorberei-
tung für das chemische Desinficiens (P. Für¬
bringe ris Methode) oder als alleiniges Des¬
infektionsmittel dienen (Reinicke). Nachdem
P. Fürbringer erkannt hatte, dass die Waschung mit Aether
ohne Nachtheil weggelassen werden konnte, stellte er folgende
Versuche an, auf welche wir hier etwas ausführlicher, ja zum
Theil im Wortlaut eingehen müssen, weil nur dadurch eine sach-
gomässe Beurtheilung seiner Resultate möglich ist.
„Erste Versuchsanordnung: Mechanische Reinigung der
Nägel, Bearbeitung der Finger mit warmem Seifen-
wasser und Bürste für eine Minute, Eintauchen oder
*) Vergl. Th. Paul und O. Sarwey: Experimentalunter¬
suchungen über Händedesinfektion. Münch, med. Wochensehr.
1900, No. 30.
*) Deutsch, med. Wochenschr. 12, 556. 1886.
2
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1408
MUENCnENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 33.
Waschen derselben in Brennspiritus für dieselbe Zeit und
sofort folgende Spülung in 3 proc. Karbol- oder 1—2 prom.
Subliniatlösung für gleichfalls eine Minute, Abtrocknen
mit reinem Handtuch, Aussaat der Abschabsei von den sub¬
ungualen Räumen. Von 16 derartigen Versuchen resultirten
14 mal keine einzige Kolonie, 1 mal 5 derselben
(Sublimatwaschung), lmal 6 (Karboldesinfektion).“
„Eine zweite Versuchsanordnung prüfte die Frage, ob nicht
vielleicht der Haupteffekt der direkt antiseptischen Wirkung dem
Spiritus zuzuschreiben sei. Zu diesem Behufe wurde die rechte
Hand nur mit Seife behandelt, und 2 Finger der linken Hand
ausserdem mit Alkohol *), 2 andere mit diesem und Sublimat und
der fünfte endlich nur mit letzterem behandelt.“
Deeinfektionserfolg:
des 1. Versuches des 2. Versuches
SeifenwaBchung .... 62 Keime ca. 700 Keime
Seife, Alkohol. 6 „ 268 „
Seife, Alkohol, Sublimat 0 „ 0 „
8eife, Sublimat. 9 „ ? (nicht notirt)
des 3. Versuches
8eifenwaschung. 250 Keime
Seife, Alkohol. 9 „
Seife, Alkohol, Sublimat 4 „
Seife, Sublimat.. 143 „
des
4. Versuches
35 Keime
5
„Trotz des — offenbar auf Fehlern der Technik beruhenden —
Widerspruches im 4. Versuche lehrt diese Reihe jedenfalls, dass
der Alkohol im Verein mit der Seife im Stande ist, eine erheb¬
liche Reduktion der Mikroorganismen im Unternagelrauin durch
direkte Tüdtung zu veranlassen, das eigentlich Desinfizirende
indess die Sublimatlösung ist, ferner, dass die letztere ohne Mit¬
wirkung des Alkohols in der Zeiteinheit relativ Dürftiges zu
Stande bringt. Auf eine Berechnung der Durchschnittswerte
verzichten wir aus Anlass der spärlichen Zahl der Versuche, deren
rein mechanischem Charakter wir sonderlichen Beschäftigungs¬
reiz nicht abzugewinnen vermochten. Möglich, dass eine weitere
Fortsetzung die Resultate erheblich verschoben hätte; am Gesetz
wäre nichts Wesentliches geändert worden.“
„Eine dritte Versuchsreihe galt der Ventilation der Frage
nach dem Antheil der Seifen Wirkung bei Verwendung des Alko¬
hols am Desinfektionsresultat. Es wurde hier ganz entsprechend
der vorstehenden Versuchsanordnung verfahren; stets dienten
gleich infizirte Finger als Substrat des Vergleiches.“ Es lieferte:
im 1.
2.
3.
4. Versuch
Alkohol, Sublimat
202
31
0
42 Kolonien
Seife, Alkohol, Sublimat
0
2
1
0 „
„Auch hier wieder ein innerhalb der Fehlerquellen liegender
Widerspruch im 3. Versuch, der nicht hindern darf, die inte-
grirende Eigenschaft der Seife anzuerkennen. Ueber die Frage
nach ihrer Rangstellung dem Alkohol gegenüber, mit anderen
Worten, ob bei nothwendig schleuniger Desinfektion der Hände
dem Seifen- oder Alkoholbad der Vorzug zu geben sei, können
unsere wenig zahlreichen Versuche nicht entscheiden. Eine Ab¬
kürzung des Verfahrens durch Verwendung sublimathaltigen
Alkohols hat sich nicht bewährt.“ .
„Endlich haben wir es uns in einer vierten Versuchsreihe an¬
gelegen sein lassen, die Wirkungen des Alkohols als desinfektions-
befördemden Mittels am bakterienstrotzenden isolirten Nagel¬
schmutz zu illustriren, und namentlich zu zeigen, dass bei einiger-
maassen dichter Beschaffenheit des letzteren eine Desinfektion
ohne Alkohol in annehmbarer Zeit trotz relativ concentrirter anti¬
septischer Lösungen geradezu unmöglich ist.“ Aus 3 weiteren Ver¬
suchen, welche in der W T eise angestellt wurden, dass der mit Nadeln
zertheilte Nagelschmutz einmal direkt eine Minute lang in eine
1 prom. wässrige Sublimatlösung und ein anderes Mal zunächst
eine Minute lang in Alkohol und dann ebenso lange in die Subli¬
matlösung gelegt wurde, ging hervor, dass nach der alleinigen
Behandlung mit Sublimatlösung zahlreiche (bis zu 2000) Keime
lebensfähig geblieben waren, während durch das vorherige Ein¬
legen in Alkohol mit nachfolgender Sublimatbehandlung alle
Keime abgetödtet wurden. Dass nicht der Alkohol das allein des¬
infizirende Agens war, schloss P. Fürbringer aus einem Ver¬
such, in welchem der Nagelschmutz nur mit Alkohol behandelt
wurde und 265 Kolonien aufkeimten.
4 ) Diesen Ausdruck gebraucht P. Fürbrlnger „im weiteren
Sinne“, um überhaupt stärkere Sorten des Aethylalkohols, etwa
von 80 proc. aufwärts, anszudrticken.
Aus vorstehenden Versuchen zog P. Fürbringer den
Schluss, dass „bei Zuhilfenahme von Alkohol unter der Form
des gewöhnlichen Brennspiritus mit einer an Sicherheit gren¬
zenden Wahrscheinlichkeit die vollständige Keimfreiheit
unserer Hände erreicht werde, gleichgiltig, in welchem Zu¬
stande der Infektion sie sich befinden, innerhalb 3—4 Minuten
bei Verwendung von 3 proc. Karbolsäure oder besser 2 prom.
Sublimatlösung“. Die von ihm gegebene Vorschrift zur Hände¬
desinfektion lautet.
„1. Die Nägel (ein Kürzen derselben ist nicht unbedingt noth¬
wendig) auf trockenem Wege von eventuell sichtbarem Schmutze
befreit,
2. die Hände eine Minute lang allenthalben mit Seife und
recht warmem Wasser gründlich abgebürstet, insbesondere die
Unternagelräume bearbeitet,
3. ebenfalls eine Minute lang in Alkohol (nicht unter
80 Proc.) gewaschen und darauf sofort, vor dem Abdunsten des¬
selben,
4. in die antiseptische Flüssigkeit (2 prom. Sublimatlösung
oder 3 proc. Karbolsäure) gebracht und mit dieser gleichfalls
eine Minute lang gründlich bearbeitet.“
Diese Untersuchungen Fürbringe Fs wurden in um¬
fassender Weise von Paul Landsberg*) in der Neisser’-
schen dermatologischen Klinik in Breslau nachgeprüft. Zunächst
konstatirte er, dass Fürbringer durch seine eigenen Versuche
einen Beweis dafür nicht erbracht habe, dass nach seiner
Methode „m it einer an Sicherheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit die vollständige Keim¬
freiheit unserer Hände, gleichgiltig, in wel¬
chem Zustande der Infektion sie sich befin¬
den, erreicht werde“. P. Landsberg begründet diesen
Einwurf mit folgenden Worten: „Es werden 24 Waschungen mit
Seife, Alkohol und Sublimat aufgeführt, von denen 18 voll¬
kommene Sterilisirung erzeugten, 6 je 1—6 Kolonien übrig Hessen.
Die Beweiskraft dieser Zahlen schränkt F ürbringer selbst
noch ein durch die Beurtheilung zweier Versuchsreihen, welche
er angestellt hat und aufführt, um den Antheil der einzelnen
Komponenten seiner Desinfektionsmethode am Erfolg derselben
zu illustriren. In jeder dieser Reihen von je 4 Versuchen steht
nämlich einer dieser Versuche im Widerspruche zu den anderen
drei — in der ersten gibt einmal Seife und Alkohol ein besseres
Resultat, als Seife, Alkohol, Sublimat; in der zweiten hat einmal
Seife, Alkohol, Sublimat weniger geleistet, als Alkohol und Subli¬
mat ohne Seife —; diese Widersprüche nun erklärt Für¬
bringer als auf Fehlern der Technik beruhend, innerhalb der
Fehlerquellen liegend, nimmt also 25 Proc. Fehlerquellen an!
Auf eine Fortsetzung der Versuche, deren rein mechanischem
Charakter er sonderlichen Beschäftigungsreiz nicht abzugewinneu
vermochte, verzichtete Fürbringer, weil eine solche „„die
Resultate möglicher Weise erheblich verscho¬
ben, am Gesetz aber nichts Wesentliches ge¬
ändert haben wiird e.““ Landsberg führte die Prüfung
der Hände nach der Desinfektion in der Weise aus, dass er ein¬
mal, gleich K ü m m e 11, die noch mit dem Desinficiens befeuch¬
teten Finger „recht sorgsam“ in den in weiten, kurzen
Reagensgläsern befindlichen Nährboden „eingrub“, das
andere Mal „mit einem an der Spitze und an den Rändern ab¬
gestumpften, schmalen, festen, vollkommen sterilisirten Skalpell
den Unternagelraum (im F ürbringe rächen Sinne) recht
gründlich ausräumte und alsdann den — festen — Nährleim
durchfurchte, alles, was an dem Skalpell haften geblieben war,
an dem Leim abstreifend.“ Er benutzte, im Gegensatz
zu seinen Vorgängern, Nähragar und „übergab
die Kulturen zur schnelleren Entwicklung
demBrütofe n“. Nach den in unserer vorigen Abhandlung c )
niedergelegten Anschauungen stellte er also die Maximalleistungs¬
fähigkeit der Methode P. F ü r b r i n g e Fs in einer Weise fest,
die wir auch heute noch benutzen. Die von P. Landsberg
erhaltenen Resultate, welche auch in anderer Beziehung von
Interesse’) sind, waren weit schlechter, als diejenigen Für-
*) Paul Landsberg: Zur Desinfektion der menschlichen
Haut, mit besonderer Berücksichtigung der Hände. Dissertation.
Wien 1888.
•) Diese Wochenschr. 1901, No. 12.
7 ) Kr benutzte unter anderen Desinfektionsmitteln auch alko¬
holische Lösungen von Sublimat und Thymol und schreibt darüber:
„Der mit alkoholischen Lösungen von Sublimat und Thymol er-
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3. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1409
bringe Fs, da er nur in einer von den 5 nach der Für¬
bring e Fschen Vorschrift mit Sublimatlösung angestellten
Versuchsreihen (No. 42—46) vollkommene Sterilität konstatiren
konnte. Betreffs der Einschaltung von Alkohol zwischen die
Seifenwaschung und die Behandlung mit wässeriger Sublimat¬
lösung (P. Landsberg benutzte eine 1 prom. wässerige Sub-
limatlösung, welcher nach Laplace’s Vorschrift 5 Prom. Wein¬
säure zugesetzt war) kommt er zu folgendem Resultat: „Eine
Bürgschaft für die Sicherheit des Erfolges konnte ich in der
Zuziehung des Alkohols nicht finden, selbst wenn ich von vorn¬
herein auf die von Fürbringer sehr betonte Zeitersparniss
verzichte, wenn ich trotz des Alkohols die Benützung von Wasser,
Seife und Bürste nicht einschränkte, weil mir eine nur eine
Minute damit bearbeitete Hand zu wenig vertrauenerweckend
aussah“. Ausserdem schreibt er dem Alkohol noch den Nach¬
theil zu, dass er Sprödigkeit der Haut, Stumpfheit der Finger
und Kribbelgefühl hervorrufe und dadurch eine operative Thätig-
keit sehr erschwere.
Wir sind auf die beiden Abhandlungen etwas ausführlicher
eingegangen, weil jene P. Fürbringer’s die Grundlagen ver¬
anschaulicht, auf welchen er seine Desinfektionsmethode auf¬
baute, und P. Landsberg in der seinen den ersten experi¬
mentellen Beweis erbrachte, dass dieser Methode nicht die grosse
Sicherheit zukomme, welche ihr vom Erfinder zugeschrieben
werde. Bei den folgenden in dieser Richtung angestellten Ar¬
beiten, deren Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit
macht, können wir uns kürzer fassen.
In einer gegen P. Landsberg gerichteten Abhandlung*)
wies P. Fürbringer nicht mit Unrecht darauf hin, dass
Landsberg’s Versuche nur qualitativen Charakter haben,
da er die Zahl der Kolonien nicht genügend festgestellt habe,
und ferner tritt er dessen Ansicht entgegen, dass der Alkohol
das Tastgefühl der Hände schädige. Nach einer allerdings nicht
einwandfreien Art der Berechnung findet er, dass P. Lands-
berg’s Versuche bei Verziehtleistung auf Alkohol über 50 Proc.
Misserfolg, bei Zuhilfenahme von Alkohol nahezu 86 Proc. voll¬
kommenen Erfolg ergeben.
Hierauf erwidert P. Landsberg*), dass er P.Für-
b r i n g e Fs Berechnungsmethode nicht als richtig anerkennen
könne, doch gebe er zu, dass die Einschaltung des Alkohols eine
Verbesserung der Resultate herbeiführe. Er bemerkt ferner, dass
zwei französische Autoren, Jules Roux und H. Reynes in
Marseille (Comptes rendus 1888, No. 22) ebenfalls die P. Für¬
bringe Fsche Methode einer Prüfung unterworfen hätten und
zu dem Schlüsse gekommen seien, dass diese Methode zwar bessere
Resultate liefere, als andere, jedoch nicht die Sicherheit ge¬
währe, welche ihr vom Erfinder zugesprochen werde.
Zu ganz ähnlichen Resultaten wie P. Landsberg kam
J. Preindlsberger"), welcher die Prüfung der Unternagol-
räume mit einer „an ihrer Oberfläche leicht rauhen, ausgeglühten
Platinnadel“ ausführte und diese in verflüssigten Agarnährboden
oder Gelatine brachte. Die Agarplatten wurden 2 Tage im
Brutapparat, die Gelatineplatten bis 8 Tage bei Zimmer¬
temperatur aufbewahrt. Er stellte nicht nur die Zahl der ent¬
wickelten Kolonien fest, sondern machte auch Angaben über die
Art der Keime. Aus seinen (11) Versuchen geht hervor, dass
in einzelnen Fällen wirklich eine Keimfreiheit erzielt wurde.
,Jn diesen Fällen waren aber fast nur Gelatine¬
platten ausgegossen oder der Unternagelraum mit der
Platinöse leicht berührt worden.“ Nach dem Ergebniss der
zielte, ziemlich vollkommene Effekt dagegen könnte auffallen —
wenn es nur nicht Argwohn erregen müsste, dass dasselbe Resultat
mit purem Alkohol absolutus erreicht* wurde, während die Re¬
sultate sich verschlechterten, sobald Ich der beinahe gleichen
Waschung Desinfektion mit einer wässrigen Sublimat- oder
Karbollösung folgen Hess! Ich möchte die Scheinerfolge — so
muss Ich sie bezeichnen — damit erklären, dass die alkoholischen
Lösungen die Haut sehr stark austrocknen und dadurch die Ent¬
nahme der Präparate nach der Fürbringe r’schen Art er¬
schweren, ebenso wie sie die Cohaeslon zwischen Finger und När-
lelm bei der anderen Prüfungsmethode (d. h. das Einbohren der
Finger ln den Nährboden) beeinträchtigen würden.“
*) Fürbringer: Zur Desinfektion der Hände des Arztes.
Deutsch, med. Wochenschr. 14, 985. 1888.
*) P. Landsberg: Zur Desinfektion der Hände des Arztes.
Deutsch, med. Wochenschr. 15, 37. 1889.
“) Jos. Preindlsberger: Zur Kenntnlss der Bacterlen
de« Unternagelraumes und zur Desinfektion der Hände. Wien 1801.
übrigen Fälle konnte er nur die Angaben P. Landsberp
bestätigen.
Die im Jahre 1889 von J. Geppert“) gemachte Beobach¬
tung, dass bei der bakteriologischen Prüfung von Desinfektions¬
methoden das Mitübertragen von geringen Mengen der Des-
inficicntien leicht einen Di*sinfektionseffekt Vortäuschen kann,
übte selbstverständlich einen prinzipiellen Einfluss auch auf die
Untersuchungen aus, welche sich von diesem Zeitpunkt an mit
der Prüfung der Desinfektion nach P. Fürbringer beschäf¬
tigten. Handelte es sich ja doch um das äusserst giftige Sub¬
limat, welches auch in sehr verdünntem Zustande das Aufkeimen
geschwächter Bacterien zu hindern vermag. Andererseits mussten
die früheren Untersuchungen, bei denen die von J. Geppert
geforderten Vorsichtsmaassregeln nicht beobachtet wurden, in
anderer Weise beurtheilt werden; wir haben in unserer letzten
schon oben citirten Abhandlung diesen Punkt genügend erörtert.
F. Henke“) machte bei seinen Händedesinfektions¬
versuchen insofern Gebrauch von den Beobachtungen J. Gep-
p e r t’s, als er die Hände nach der Desinfektion durch Abspülen
mit Wasser und Abtrocknen mit sterilen Handtüchern möglichst
vom Desinficiens befreite; eine Fällung mit Schwefelammonium
oder mit anderen ähnlich wirkenden Chemikalien wurde nicht
vorgenommen. Er prüfte den Keimgehalt der nach der P. Für-
bringe r’schen Methode durch Auskratzen mittels eines sterilen
eisernen Nagelreinigers und durch Fingereindruck in erstarrten
Nährboden; als solchen benutzte er fast ausschliesslich Glycerin¬
agar und züchtete die Kolonien bei Bruttemperatur. F. Henke
erhielt bei seinen mit Tageshänden angestellten Versuchen ähn¬
liche Resultate wie P. Landsberg; nach erfolgter P. Für¬
bringe Fscher Desinfektion, bei welcher er sowohl Sublimat¬
lösung wie auch Karbolwasser benutzte, entwickelten sich auf
den Glycerinagarplatten fast stets mehr oder weniger zahlreiche
Keime.
Im Jahre 1894 veröffentlichte R e i n i c k e ,:1 ), welcher auf
Veranlassung von P. Zweifel die verschiedenen Desinfektions¬
mittel und Desinfektionsmethoden und besonders die Für¬
bringe r’sche Methode einer Prüfung unterzog, seine bekannten
Versuche, nach denen man annehmen musste, dass — im Gegen¬
satz zu F ü r b r i n g e r’s Ansicht — nicht das Sublimat, sondern
der eingeschaltete Alkohol das wirksame Princip sei. R e i -
nicke arbeitete mit künstlich inficirten Händen (Catgut¬
bacillus und Pyocyaneus); die Prüfung des Keimgehaltes der
Hände nahm er nach P. Fürbringer mit sterilen Hölzchen
vor, welche in verflüssigten Agarnährboden geworfen wurden.
Das Sublimat wurde durch verdünnte Schwcfelammonium-
lösungen gefällt. Die Resultate, die er unter Einhaltung der
P. Fürbringe Fachen Vorschrift — 1 Minute Wasser und
Schmierseife, 1 Minute Alkohol, 1 Minute 1 prom. Sublimat¬
lösung — erhielt, und welche für uns hier nur in Frage kommen,
waren sehr ungünstig. Auf sämmtlichen Platten keimten zahl¬
reiche Kolonien auf. Da er bessere Resultate erhielt, wenn er die
Alkoholbehandlung auf 3—5 Minuten verlängerte, und noch
günstigere, wenn er die Waschung mit chemischen Desinfizientien
ganz wegliess, verzichtete man auf diese schliesslich ganz, und es
war besonders F. A h 1 f eld, welcher den Alkohol zur Grundlage
der nach ihm benannten Heisswasser-Alkoholdesinfektion machte.
Ueber diese Methode und unsere Erfahrungen mit derselben
haben wir schon in unserer zweiten Abhandlung eingehend be¬
richtet “). Hier möge nur noch die Bemerkung Platz finden,
dass F. Ahlfeld ebenfalls Versuche mit der Fürbringer-
schen Methode anstellte — er nahm die Prüfung mit harten
Hölzchen vor, welche in Bouillon geworfen wurden — und weder
bei Benutzung von 1 prom. Sublimatlösung noch von 3 proc.
Seifenkresollösung günstige Resultate erhielt 15 ). Die Keim¬
freiheit betrug bei Benutzung der letzteren im Allgemeinen nicht
u ) J. Geppert: Zur Lehre von den Antlseptlcls. Berlin,
klln. Wochenschr. 1889, No. 36 u. 37. — Ueber deslnfleirende Mittel
und Methoden. Berl. klln. Wochenschr. 1890, No. 11, 12 u. 13.
u ) F. Henk e: Ueber die Desinfektion lnflcirter Hände.
Dlssert. Tübingen 1893.
**) Rein icke: Bakteriologische Untersuchungen über die
Desinfektion der Hände. Centralbl. f. Gyniik. 1894, No. 47, S. 11M)
und Arch. f. Gynäk. 1895. Bd. 49, S. 515.
“) Münch, med. Wochenschr. 1899, No. 51.
”) F. A h 1 f e 1 d: Die Desinfektion des Fingers und der Hand
vor geburtshilflichen Untersuchungen und Eingriffen. Deutsch,
med. Wochenschr. 1895, No. 51, S. 851.
8 *
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1410
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT,
No. 36.
über 70 Proc. und konnte bei der nöthigen Uebung auf ca.
80 Proc. gebracht werden. W. P o t e n berichtet in einer im
Jahre 1897 erschienenen Broschüre” 1 ), dass er gleich Reinicke
mit der P. Fürbringe Fachen Methode, sobald Schwefel -
aromonium eingeschaltet wurde, nur sehr mangelhafte Resultate
erzielt habe.“ In demselben Jahre veröffentlichte P. Für¬
bringer in Gemeinschaft mit Freyhan: „Neue Unter¬
suchungen über die Desinfektion der Hände“"), in welchen mit
Rücksicht auf die inzwischen veröffentlichten zahlreichen Unter¬
suchungen über die Heisswasser-Alkoholdesinfektion die Frage er¬
örtert wurde, „ob mit Vortheil auf ein dem Alkohol folgendes
Antisepticum verzichtet wird“ und diejenige „nach der Theorie
derWirkung des Alkohols“. Ziy Lösung der ersterenFrage stellten
die Verfasser u. a. Händedesinfektionsversuche mit lproc.
Lysollösungen — Sublimatlösungen wurden nicht ver¬
wendet — nach vorausgegangener Waschung mit heissem Wasser
und Seife und 3 Minuten langer Behandlung mit Alkohol an.
Die Keime wurden theils in Bouillon, theils auf sorgfältig neu-
tralisirter Fleischwasserpeptongelatine bei einer der Verflüssigung
nahe kommenden Temperatur gezüchtet. Um dem, wie die Ver¬
fasser selbst zugeben, berechtigten Vorwurf zu begegnen, dass
bei den ersten Versuchen Fürbringer’s nicht geprüfte Nähr¬
böden gebraucht worden waren, überzeugten sie sich, dass das
von ihnen neuerdings benutzte Züchtungsverfahren „für unsere
Fragen im Wesentlichen das Gleiche leiste, wie die festen Agar-
beden im Brütschrank.“ Um die Mitübertragung des Desinfek¬
tionsmittels auf die Nährböden zu vermeiden, wurden die Hände
„vor der Abimpfung mit aseptischem Wasser nach dem Vorgänge
Ahlfeld’s gründlich ausgelaugt“. Ferner wurde „stets die
ganze Hand auf den Desinfektionsgrad durch energisches Aus¬
räumen der Untcrnagelräume und Abkehren der gesammten
Hautfläche mit. den Hölzchen geprüft.“ Von den angestellten
27 Versuchen ") können für unsere Zwecke nur 10 in Betracht
kommen, da nur diese der ursprünglichen, P. Fürbringer •
sehen Desinfektionsmethode entsprechen, während bei den anderen
die Alkoholbehandlung nach derjenigen mit Lysol vorgenommen
wurde. Von jenen 10 Versuchen, von denen nach der Seifen¬
waschung drei Minuten Alkohol und 1 Minute Lysol in Thätig-
keit trat, lieferten nur sieben vollkommene Keimfreiheit;
gewiss ein sehr bescheidenes Resultat gegenüber der nach den
ersten Versuchen betonten fast absoluten Sterilität. Leider
wurden diese 10 Versuche nicht mit festen Nährböden, sondern
mit Bouillon angestellt, so dass die Zahl der mit den Hölzchen
abgestreiften Keime nicht ersichtlich ist. In derselben Abhand¬
lung haben die Verfasser ferner noch eine Anzahl sehr instruk¬
tiver Versuche mit isolirtem Nagelschmutz beschrieben, welche
einen werthvollen Beitrag zur Lehre der Alkoholwirkung bei der
Desinfektion geliefert haben.
Von den in den letzten Jahren veröffentlichten zahlreichen
Untersuchungen über unser Thema mögen schliesslich nur noch
folgende besonders wichtige Abhandlungen kurz erörtert werden,
tun nicht den Raum in dieser Zeitschrift ungebührlich in An¬
spruch zu nehmen. Im Jahre 1899 veröffentlichte G. Gott¬
stein in einer sehr umfangreichen und werthvollen Studie:
„Beobachtungen und Experimente über die Grundlagen der
Asepsis“ dasErgebniss umfangreicher bakteriologischer Prüfungen
der Hände nach erfolgter P. Fürbringe Fscher Desinfektion,
welche in der chirurgischen Klinik zu Breslau auf Veranlassung
von v. Mikulicz vorgenommen wurden '*). Die Versuchs¬
anordnung bei den „praktischen“ Händedesinfektionsuntersucli-
ungen, welche mit Tageshänden gelegentlich der täglichen Opera¬
tionen angestellt wurden, war im Allgemeinen folgende: 3 bis
5 Minuten langes Waschen mit heissem Wasser und Seife mittels
Holzfaserbündel, 1 bis 2 Minuten lange Bearbeitung der Hände
mit der Bürste in 96proc. Alkohol und schliesslich 2 bis 3 Minuten
währende Waschung in 1 prom. Sublimatlösung. Die Prüfung
wurde durch Fingereindruck in erstarrten Agarnährboden aus¬
geführt und die Züchtung der Kulturen bei Körpertemperatur
vorgenommen. Die Resultate waren sehr ungünstig: Unter den
im Wintersemester 1896/97 untersuchten 75 Fällen waren die
Hände nur zu 25 Proc. keimfrei, wenn das Sublimat mit Schwefel¬
ammonium ausgefällt wurde, und zu 43 Proc., wenn dies nicht
der Fall war. Diesen grossen Unterschied im Vergleich mit den
1B ) W. Poten: Die Chirurg. Asepsis der Hände. Berlin 1897.
1T ) Deutsch, med. Wochenschr. 1897, No. 0.
“) 1. c. S. 83.
*•) Beiträge zur klln. Chirurg. 25, 388. 1899.
von P. Fürbringer früher und später in Gemeinschaft mit
F r e y h a n erhaltenen Zahlen führt Gottstein einmal auf
die Verschiedenheit der benutzten Nährböden, Gelatine und Agar,
zurück, worauf schon J. Preindlsberger aufmerksam
gemacht hatte, sowie darauf, dass P. Fürbringer bei seinen
Untersuchungen als Einheit nicht beide Hände, sondern eine
nahm. Immerhin blieben die Differenzen noch gross genug
(40 Proc. bezw. 54 Proc.), als die Zahlen in dieser Weise um¬
gerechnet wurden. Etwas bessere Resultate erzielte Gott-
81 e i n bei seinen „theoretischen“ Händedesinfektionsunter¬
suchungen, bei welchen die Wasserwaschung in möglichst warmem
Wasser 10 Minuten, die Behandlung mit 96 proc. Alkohol 2 bis
3 Minuten und die mit 1 prom. Sublimatlösung ebenfalls 2 bis
3 Minuten dauerte. Bei den im Sommersemester 1897 ange¬
stellten 18 Versuchen konnten bei 72 Proc. keine Keime von der
Hand entnommen werden, wenn das Sublimat nicht gefällt wurde.
Das Resultat der im Sommersemester 1898 ausgeführten Unter¬
suchungen war noch etwas günstiger: die Hände erwiesen sich
zu 77 Proc. keimfrei, wenn das Sublimat nicht ausgefällt wurde,
und zu 72 Proc., wenn letzteres der Fall war. Beiläufig sei noch
bemerkt, dass auch hier, wie bei den Untersuchungen von
Reinicke, F. A h 1 f e 1 d u. A., die Resultate besser waren
(82 Proc. bezw. 90 Proc.), wenn die Keimentnahme direkt nach
der Alkoholwaschung vorgenommen wurde.
Eine umfassende Untersuchung über die Desinfektion
der Hände nach P. Fürbringer liegt aus neuester
Zeit von C. S. Haegler”) vor, welcher nicht nur die
praktischen Verhältnisse berücksichtigte, sondern auch eine
Reihe sehr instruktiver Versuche anstellte, um Aufschluss
über die Wirkungsweise des Alkohols und des Sublimates
bezw. der Karbolsäure auf die Haut zu erhalten. Wir
können hier leider nicht näher auf diese bedeutende Arbeit ein¬
geh en und wollen nur hervorheben, dass nach Ansicht H a e g •
1 e Fs, in Uebereinstimmung mit der Annahme P. Für-
bringe Fs, die Alkoholvorbereitung der wässerigen Sublimat¬
lösung den Weg in die Zellen bahnt und desshalb bei der
P. Fürbringe Fschen Desinfektion eine entscheidende Rolle
spielt. Obwohl er mit vollem Recht betont, dass die Werth¬
bestimmung einer Händedesinfektionsmethode durch Vergleich
der Procentzahlen, welche den gelungenen Versuchen entsprechen,
nur innerhalb beschränkter Grenzen möglich ist, glauben wir
doch den Schluss ziehen zu dürfen, dass die Versuche
C. S. H a e g 1 e Fs etwas günstiger ausfielen wie die von Gott-
stein. Bei Anwendung des verlängerten P. Fürbringer-
6chen Verfahrens — für jeden Akt 5 bis 10 Minuten — und
Fällung des Quecksilbers mit Schwefelammonium erreichte er
in 84 Einzelbeobachtungen 81 Proc. Keimfreiheit (negatives
Kulturresultat); „die Resultate waren durchweg günstiger, wenn
die Versuchspersonen vorher informirt waren, als wenn sie un¬
vorhergesehener Weise untersucht wurden.“ Das Resultat stellte
sich noch günstiger, wenn nur die 56 Untersuchungen berück¬
sichtigt werden, welche C. S. H a e g 1 e r an den eigenen Händen
anstellte: In diesem Falle konnten bei 89 Proc. der Versuche
Keime von den Fäden (C. S. Haegier prüfte die Hände mittels
seiner Fadenmethode) nicht mehr gezüchtet werden. Wir glauben
mit Rücksicht auf die grosse Exaktheit, welche die Versuche
C. S. Ha e g 1 e Fs auzeichnen, annehmen zu dürfen, dass diese
Resultate das Maximum der Leistungsfähigkeit darstellen,
welches mit einem verlängerten P. F ü r b r i n g e Fschen Ver¬
fahren innerhalb einer zur Noth auch in der Praxis aufzu¬
wendenden Zeit überhaupt erreicht werden kann.
Wir sehen aus diesem kurzen geschichtlichen Rückblick, der,
wie schon erwähnt wurde, durchaus keinen Anspruch auf Voll¬
ständigkeit macht, dass das Vertrauen, welches man ursprüng¬
lich in die P. FürbringeFsche Händedesinfektion setzte,
mit dem Fortschreiten der experimentellen Prüfungstechnik
ziemlich erschüttert worden ist. Bei der Verbreitung, welche diese
Händedesinfektionsmethode trotzdem noch heutigen Tages in
Kliniken, wie auch bei praktischen Aerzten besitzt, hielten wir es
für nöthig, selbst eine Reihe von Versuchen unter Zugrunde¬
legung unserer in der ersten Abhandlung **) ausführlich dar¬
gelegten Versuchsanordnung anzustellen.
(Fortsetzung folgt.)
*°) Händereinigung, Händedesinfektion und Händescbutz.
Basel 1900.
**) Mtlnch. med. Wochenschr. 1899, No. 49.
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j
3. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1411
Medianusdurchtrennung. — Heilung.
Eine Studie von Dr. Max Oscar Wyss in Zürich, früher
Assistent an der chirurgischen Universitätsklinik.
Da Heilungen durchtrennter Nerven schon an und für sich
nicht häufig zur Beobachtung kommen, scheint ee von gewissem
Interesse, den ziemlich genau beobachteten Heilungsverlauf eines
durchtrennten Medianus zu veröffentlichen, zumal der Patient,
ein Arzt, auch auf die Details grossen Werth legte. Durch eigene
genaue Beobachtung von der Verletzung an bis heute haben wir
gewis8ermaassen ein Experiment vor uns, das dem Thierexperi¬
ment weit überlegen ist, weil bei jenem alle feineren Tast¬
prüfungen wegfallen, beim Menschen aber speciell die Durch¬
trennung des Medianus wohl nie absichtlich vorgenommen
worden ist.
Dr. M. fiel am 13. August 1900 Nachm., auf einer schiefen
Fläche ausgleitend, rückwärts, suchte sich mit der rechten Haml
nach hinten zu stützen, den Fall zu mildern, als Ihm die Ecke
eines scharfen Elsens ln die rechte Daumenballe eindrang. Aus
der plötzlich entstandenen, unten genauer beschriebenen An-
aesthesle constatlrte er sofort, „dass der Medianus durchschnitten
sei“. Da die Wunde sehr stark blutete, wurde sie erst gründlich
mit concentrirtein Alkohol deslnflclrt, dann ein steriler Com-
pression8verband angelegt, der allerdings noch durchblutet wurde.
Am Abend wurde Wunde und Wundumgebung nochmals gründ¬
lich deslnflclrt, und es zeigte sich bei dem vollständig gesunden
20 Jährigen Manne nun folgender Lokalbcfund: 2 y 2 cm vor der
distalen Handgelenksfurche findet sich eine 3 y 2 cm lange Schnitt¬
wunde, die 2 cm radial von der Längsfurche der Hohlhand be¬
ginnt und gegen diese, zugleich distal verlaufend, hinzieht An
ihrem vorderen Ende berührt sie die Längsfurche der Hohlhand.
Distal- und dorsalwärts erstreckt sich die Wunde ln die Tiefe.
Die verschiedenen Bewegungen von Daumen und übrigen Fingern
sind alle möglich, allerdings unter Schmerzen: es scheint somit
eine Sehnenverletzung nicht vorzuliegen. Die Sensibilität jedoch
Ist im Gebiete des Medianus vollständig verschwunden, und zwar
alle Qualitäten. Ohne Sensibilität sind: die radiale Seite des
4. Fingers und die Längshälfte seiner Volarseite: ferner die ganze
radiale Handvola vom Interstltlum III—IV bis zur Wunde in
leichter Ausbeugung radlalwärts, bis hinüber zur palmar-dorsal-
Begrcnzung des Daumens von der Wunde bis zur Daumenspitze
tauch die Daumenbeere anaesthetisch). Dann geht die Grenzlinie
zwischen sensiblem und anaesthetlschem Gebiet der Hautfalte
des Daumeu-Zeigeflngerlnter8tltium folgend längs der Radialseite
des Zeigefingers bis zur Mitte der 2. Phalanx, geht hier über das
Dorsum und auf der Ulnarseite des Zeigefingers zurück zum
Inlerstitlum II—III, ebenfalls auf dessen Kamm zur Radialseite
des Mittelfingers gehend. Hier am Mittelfinger biegt die Grenz¬
linie schon ln der Mitte der Grundphalanx über das Dorsum ab,
um auf der Ulnarseite zum IV. Finger überzugehen, an diesem ln
der Verlängerung des radialen Nagelrandes nach vorn verlaufend.
Es sind also anaesthetisch: die Volarseite des I., II. und
III. Fingers, die Hälfte der Volarseite des IV. Fingers, die radiale
Hälfte der Palma: ferner das Dorsum des Zeigefingers von Milte
der 2. Phalanx, des Mittelfingers von Mitte der Grundphalanx
nach vorn, d. li. die ganzen vorderen Flngerhälften.
Trotz diesen Verhaltens der Nerven war damals noch nicht
klar, ob es sich um eine sehr starke Quetschung oder wirklich
um eine Durchschneidung des Medianus handle; dies letztere
wurde erst durch den weiteren Verlauf offenbar.
Da gerade über diesen Punkt die Ansichten der Aerzte ver¬
schieden waren, so wurde einstweilen von einem operativen Ein¬
griff, dem Aufsuchen der Nervenenden und Vereinigung derselben
durch die Naht, abgesehen, und zwar geschah dies ln der Ueber-
lognng. dass für eine möglichst gute Heilung des eventuell durch¬
trennten Nerven die vollständig reaktionslose Heilung der Wunde
von grösster Bedeutung sei, dass ferner die beiden Nervenenden
nicht erheblich dlslocirt sein könnten, und eine neue Blutung
vermieden werden sollte. Es wurden somit einfach die Wund¬
ränder aufeinander gedrückt, Jodoformgaze aufgelegt und ein
feuchter 40proc. Alkoholverband angelegt.
Schon kurz nach der Verletzung bestand starke Schwellung
der r. Hand, besonders der 3 ersten Finger, die aber In den ersten
Tagen wieder zurückging. Die Wunde war bereits am 3. Tage
verklebt, vollständig reaktionslos, so dass jetzt ein Jodoformgaze-
Heftpflasterverband genügte. Wenige Tage später, d. h. am
9. Tage, finden wir eine den Schorf abstossende, derbe Narbe.
Während nun an den ersten 2 Tagen keine erheblichen
Schmerzen bestanden hatten, auch beim Trauma selbst nicht, so
traten am 3. Tage neuralgleähnliche Schmerzen auf, die bald
stundenlang dumpf sich mehr und mehr steigerten, dann wieder
schwanden, bald nur lanclnirend sich zwischenhinein bemerkbar
machten. Auffallend war Jetzt, dass Druck auf die Wunde selbst
Intensiv schmerzte. Wenn das Aussehen der Wunde nicht ein
absolut reaktlonsloses gewesen wäre, hätte mnn einen kleinen
Abscess In der Tiefe annehmen müssen. Die stärkere Extension
und Flexion der 3 ersten Finger war seit der Verletzung schmerz¬
haft und blieb dies auch noch wochenlang, allerdings in geringerem
Grade.
Nun blieb die intensive Druckempflndllchkelt der Narben-
gegend mit gleichzeitigem Ausstrahlen in die Finger bei stets sich
No. 36.
gleichbleibender Anaesthesle dieser letzteren bestehen. Man
konnte den Schmerz am ehesten mit solchem bei starkem fara-
dischen Strom vergleichen.
Dazu kam noch in der Folgezeit eine lokale Anaemie und
gleichzeitige rasche Abkühlung der 3 ersten Finger bei geringerer
Äussentemperatur, die allerdings ohne jedes Kältegefühl eiuher-
giug. Theils war diese Abkühlung wohl der Inaktivität der r.
llnnd, die gerade wegen deT Intensiven Druckeiupfindlichkeit der
Wunde geschont wurde, zuzuschreibeu; theils war sie wohl eine
Folge du roh trenntet* Arterlae digitales und vielleicht auch auf
nervöse Einflüsse, Vasoconstrictoren, zurückzuführen. (Vergleiche
die unten erwähnte lokale Ilyperhidrosls im r. Ulnarisgebiet.)
Die weitere Krankengeschichte ist folgende:
Therapie: Tägliches Bestreichen der anaesthetlschen Be¬
zirke mit farndisehem Pinsel, schwachem Strom. Faradisches
Wasserbad. Massage der adhaerenten Narbe, Fingergymnastlk.
27. VIII. 1900. Die Anaesthesle im betreffenden Medianus¬
gebiet Ist eine vollständige. Die Neuralgien, d. li. die dumpfen
Schmerzen in den 3 Fingern, Daumen-, Zeig- und Mittelfinger
(weniger deutlich differenzirbar auch Int 4. Finger) haben in den
letzten Tagen mehr und mehr nachgelassen und werden gegen¬
wärtig nicht mehr verspürt. Spannen und zuweilen zuckende
Schmerzen entstehen bei der häufig geübten maximalen Extension
und Flexion der Finger. Druck gegen die Narbe stets Intensiv
schmerzhaft, die Narbe derb, mit der Tiefe innig verwachsen, wird
nun gelinde massirt. D16 Zweifel an eine wirkliche Durchtrennung
des Nerven werden immer geringer. Die Behandlung mit fara-
dischem Strom setzt aus.
10. IX. Der Status ist im Ganzen und Grossen der gleiche
geblieben. Nur zeigten sich an den Fingerkuppen, einmal des
Zelgflngers, ein anderesmal des Mittelfingers kleine tiefe Ge¬
schwüre. die sich nach Auftreten einer Epldermlsblase entwickelt
hatten, jedoch rasche Heilungstendenz zeigten. Bis heute war ihr
Entstehen unklar und wurde auf troplilsche Störungen zurück¬
geführt. Heute bemerkt der Arzt, als Patient, Brandgeruch beim
Cigarettenrauchen, und wie er nachschaut, hat er sich ein Loch
ln den welssen Handschuh gebrannt, die Hand ist an dieser Stelle,
an der Zeigflngerkuppe, linsengross braungegerbt (Absolut kein
Gefühl davon, weder Schmerz noch Wärme.) Nach kurzer Zelt
entsteht eine Brandblase, die Epidermis stösst sich nach circa
3 Tagen ab. ln 8 Tagen Ist das ziemlich tiefe Geschwür ln Hei¬
lung. Durch Vorsicht von nun an wurde eine solche „trophlsche
Störung“ vermieden.
23. IX. In den letzten Tagen ist ein neues Symptom auf¬
getreten, das heute ganz eclatant vorliegt: Bel stärkerer An¬
strengung tritt eine Hyperhidrosls im Gebiet des r. Ulnarls auf,
distal vom Handgelenk, während am übrigen Körper Sudor kaum
vorhanden ist. Das auffallendste dabei, heute besonders schön
zu sehen, ist, dass genau ln der proximalen Verlängerung des
IV. Interstitlums bis zum Handgelenk die Hyperhidrosls
llneär scharf abgegrenzt Ist, Im Medlanus-
gebiet die Haut auffallend trocken, im Ulnaris¬
gebiet bedeckt von zahllosen kleinen Schweiss-
perlen, im Radialisgeblet anscheinend normal.
3. X. Die Hyperhidrosls lm Ulnarisgebiet ist weniger deut¬
lich,dochdleHautdes Medianusgebietes stets noch sehr trocken; nie
Irgendwelche Erscheinungen anderer trophlscher Störungen, einzig
die Fingernägel etwas mehr spröde und schwach blutunterlaufen.
Seit einigen Tagen bemerkt der Patient, dass auch dlstalwärts der
Narbe ganz allmählich Druckempfindlichkeit aufgetreten Ist.
Gleichzeitig uinchen sich lanclnirende Schmerzen an dieser Stelle
geltend, zumal dann, wenn durch äussere 1 Einflüsse, warme
Äussentemperatur, eine länger dauernde Hyperaemle auftritt
(4--8 solche „Nadelstiche“ in Stunde).
8. X. 2 cm distalwärts der Narbe constatirt man heute aus¬
gesprochenen Druckschmerz, der eigentlich noch unangenehmer
wird bei Kitzeln dieser Stelle. (Es wird der so erregte
Schmerz einem stark faradischen Pinselreiz verglichen.)
Dabei strahlt diese Empfindung in alle 4 Finger aus, während
dort noch vollständige Anaesthesle herrscht.
30. X. Seitdem konnte ein successlves Vorrücken
dieser auf Berührung mit Schmerz reaglren-
den Geffihlssphäre constatirt werden. Heute
reicht dieses neue Gefühlsgebiet distalwärts bereits bis zur Basis
der Dnumenendphalanx einerseits, andererseits bis je zur Basis
des Zeige- und Mittelfingers und zwar In der Welse, dass die Ent¬
fernung der Sensibilitätsgrenze von der Mitte der Narbe jeweils
ziemlich genau 8 cm beträgt Die übrigen Gefühlsqualitäten ver¬
halten sich an diesen wieder sensibel gewordenen Stellen so, dass
nur geringe Kälteunterschiede (von ca. 10*) ganz intensiv stark
empfunden werden, während höhere Temperaturen, über 37 \
schlecht unterschieden werden. Sind die Unterschiede grösser, so
wird die Kälte ebenfalls als Schmerz empfunden. Die Reaktions¬
zeit ist kaum verlängert. Druck- und Belastungsempfindung sind
ebenfalls gesteigert. Körper werden als schwerer gefühlt als ln
der 1. Hand und als Im r. Ulnarisgebiet; wie viel davon aber auf
den erwähnten Druckschmerz zurückzufllhren ist, kann nicht ge¬
sagt werden.
Das Auffallendste Ist jedoch, dass bei Berühren oder viel ex¬
quisiter noch bei Kratzen dieser wieder algetisch-scnsibol ge¬
wordenen Bezirke In die Finger ausstrahlende Schmerzen au'-
treten, die ganz bizarr erscheinen und der Lokalisation der Nerven
widersprechen.
3
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1412 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 36.
Dies zeigt sich am ausgesprochensten wieder im Bereich der
vorderen Sensibilitätsgrenzlinie, und zwar so, dass beim Kratzen
an der Zeigeflngerbasis volar die Schmerzen mehr In den Mittel¬
finger und Ringfinger als in den Zeigefinger ausstrahlen; und bol
Kratzen an der Daumengrundphalanx speciell der in den Mittel¬
finger ausstrahlende Schmerz auffilllt.
10. XII. Die Sensibilitätsgrenze ist seitdem succesive an den
Fingern vorgerückt, ohne weitere Behandlung als Massage; die
Hand wird fast wie früher gebraucht. Es wird heute folgender
Befund erhoben: Taub, resp. vollkommen anaesthetlsch sind noch:
die vorderste Kuppe des Zeigefingers, die distale Hälfte der Mittel¬
fingerendphalanx volar; dorsal die Mittelfingerend- und mittel-
phalanx. und ebenso die distale Hälfte der Ringflngerendphalnnx-
seite; so dass diese heutige Grenzlinie überall 10 cm von der Narbe
entfernt ist. Es ist gegenwärtig das Ausstrahlen des Schmerzes
in andere Finger, als diejenigen, die dem Nervenverlauf ent¬
sprechen. nusgesprochener als je; ja es strahlt derselbe z. B. bei
Berühren, Kratzen der ulnaren Seite des Zeigefingers so sehr in
den Mittelfinger aus, dass Patient glaubt, am Mittelfinger und
nicht am Zeigefinger berührt zu werden. Die Berührung der
Daumenendphttlnux wird zwar als solche gefühlt und nicht
schmerzhaft empfunden, dagegen wird gleichzeitig ein in den
Zeigefinger und in die radiale Hälfte des Mittelfingers aus-
strahlender Schmerz verspürt.
20. XII. Vollständig anaesthetlsch ist nur noch das Dorsum
der Mittelfingerendphalanx. Das wieder sensibel gewordene Ge¬
biet des Daumens und der Hohlhand reagiren bei Berührung kaum
mehr mit Schmerz, sondern annähernd normal.
Zeige- und Mittelfinger, weniger Daumen, erweisen sich beim
Anfassen kalter Gegenstände stets noch überempfindlich; zuweilen
wird plötzliche Kälte als Schmerz empfunden.
10. I. 1001. Da die Blutcireulation in Zeige- und Mittelfinger
stets noch etwas vermindert ist, hat sich ein Zustand von Pernio
eingestellt, ohne dass Wunden vorhanden wären: Schwellung.
Rüthung, Oedem. Gefühl der Spannung, wieder etwas mehr Taub¬
sein. Zuerst zeigte der Zeige-, später der Mittelfinger diese Er¬
scheinung. Einwickeln in Watte brachte in wenigen Tagen
Heilung.
14. II. Der heutige Stand ist folgender: Nirgends besteht
mehr Anaesthesie. Wenn auch das Dorsum des Mittelfingers nur
schwach sensibel ist. so reagirt es doch überall bei Berührung mit
Schmerz. Diese letztere Empfindung weicht an den übrigen
Stellen allmählich einem normalen Empfinden. Doch besteht
gleichzeitig noch der ausstrahlende Schmerz In andere Finger, als
in die berührten; und zwar bleiben diese Ausstrahlungen, wie siel»
aus Aufzeichnungen von verschiedenen Daten ergeben, konstant.
Eine solche Skizze vom 14. II. geben wir hier wieder. (An !
den Berührungspunkten ist jeweils notirt, wohin der Schmerz aus-
strahlt.) Am ausgesprochensten blieb der ausstrahlende Schmerz
bei Berührung der ulnaren Zeigefingerhälfte in den Mittelfinger;
der ulnaren Mittelfingerseite und radialen Ringfingerseite in den I
Daumen, der Volarseite des Mittelfingers ln den Ringfinger,
schliesslich auch des Mittelfingerdorsum ln den Zeigefinger.
Im Uebrigen ist eine kaum merkbare Atrophie des distalen
Thells der Daumenballenmuskulatur eingetreten, die für die Funk¬
tion bedeutungslos ist. Von trophischen Störungen wurde nie
mehr etwas konstatirt. Die Narbe ist fein lineür, kaum sichtbar,
weich, mit der Tiefe kaum mehr verwachsen. Starker Druck anf
dieselbe gibt noch schwach ausstrnhlende Schmerzen radialwärts
in den Daumen, in ihrer ulnaren Hälfte in die 3 übrigen Finger.
Nur allmählich kehrt der Tastsinn für feinere Gegenstände, vor¬
erst im Daumen und Zeigefinger, zurück.
15. III. Die Empfindlichkeit bei Druck und bei Anfassen
kalter Gegenstände ist nur gering. Das Ausstrahlen der Empfin¬
dung in andere Finger Ist weniger typisch als früher, und ver¬
wischt sich mehr und mehr durch Uebung. Aehnliche Kitzel¬
schmerzen werden stellenweise auch im Itadialisgeblet beobachtet
an Grenzstellen gegen das Medianusgebiet, wo keine Sensibilitäts¬
störung vorzuliegen schien, so besonders auf dem Dorsum der
Grundphalanx des Zeigefingers, dann auch am Ringfinger bis über
die Längsmittellinie auf dem Dorsum hinaus. Der Mittelfinger
zeigt diese Erscheinung bis zur Basis rings herum.
Resultat.
1. Die scharfe Durchtrennung eines Nerven bietet keinen
erheblichen Schmerz, auch nach der Durchtrennung nicht; er>t
am 2. bis 5. Tage treten neuralgienühnliche, zum Theil sehr
heftig zuckende Schmerzen in den der Sensibilität beraubten Ge¬
bieten auf.
2. Schmerzen bestehen später immer dort
am stärksten, wo die vorrückenden Spitzen
der auswachsenden Achsencylinder stehen,
zumal bei Druck gegen diese Stellen; und zwar handelt es sich
um Ki tzelsch merzen, die nach den sensibilitätslosen Ge¬
bieten ausstrahlen.
3. Von Zeit zu Zeit wird besonders bei Hyperaemie der
Nachwuchszone ein spontanes, momentanes, lanciniren-
des Stechen gefühlt.
4. Die von Neuem wieder sensibel gewordenen
Hautbezirke zeichnen sich im Anfang dadurch aus, dass die
Betastung (ausstrahlend) schmerzhaft ist, jedoch nicht
intensiv, sondern mehr dem Bestreichen mit dem faradischen
Strom entspricht. Ebenso wird Anfassen von kalten,
weniger von warmen Gegenständen als Schmerz
empfunden; oder es besteht wenigstens eine Hyperaesthesie
gegen relativ geringe Wärmeunterschiede.
5. Ob eine raschere Abkühlung der in der Sensibilität ge¬
störten Bezirke nervösen oder vasogenen Ursprungs ist, bleibt
zweifelhaft.
6. Es können die proximalen Achsencylinder
in andere distale Achsencylinder (oder besser
gesagt, an Stelle dieser) auswachsen, und thun
dies zweifellos sehr häufig, wenn die Schnitt¬
flächen beider Nerven nicht ganz genau so auf¬
einander liegen, wie sie zusammengehören.
7. Die Achsencylinder wachsen auch in Ge¬
biete au8, wo vorher keine Anaesthesie be¬
stand, in unserem Falle in solche, wo die Hautsensibilität
dem ungestörten Radialis angehört. Dies zeigt sich durch Auf¬
treten der erwähnten gleichen Berührungsschmerzen in solchen
Gebieten. Dass hier vor der Verletzung schon Radialis
und Medianus gemischt die Haut mit Sensibilität
versahen, ist um so wahrscheinlicher, wenn wir annehmen, dass
die Achsencylinder in ihre persistirendeu
Scheiden auswachsen und nicht neue Bahnen
aufsuchen, und nicht die Schwann’schen Schei¬
den um sich anlagern. Dafür spricht auch der
Umstand, dass die scharfe Grenzlinie in der
Vola gegen den Ulnaris von neuen Achsen-
cy lindern nicht überschritten wurde.
8. Es muss bei Hautveränderungen, die nach Nervendurch¬
trennung (Lähmung) auftreten, genau unterschieden werden, ob
es sich wirklich um „trophische Störungen“ handle
oder nur um Verletzungen (Brandwunden etc.),
die gerade nur wegen der mangelnden Sensi¬
bilität zu Stande kommen.
9. Das Auswachsen der Achsencylinder ist ein
successives, und es offenbart sich die distale Wachs-
thumsgrenze jeweils durch intensivere Berührungs¬
schmerzen. Die durchtrennten Achsencylin¬
der wachsen ca. 2mm pro die aus.
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3. September 1901. MUENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1413
Aus der chirurgischen Universitäts-Poliklinik in München
(Prof. Dr. K1 a u s s n e r).
Ueber zwei Fälle von Hemiatrophia facialis pro¬
gressiva und deren kosmetische Behandlung.
Von Dr. August Luxenburger, I. Assistent der Klinik.
Die nachfolgende Veröffentlichung zweier Fälle von Hemi¬
atrophia facialis progressiva erscheint gerechtfertigt einerseits
durch das ziemlich seltene Vorkommen dieser Erkrankung,
andererseits durch die Ueberlegung, dass zur Aufklärung eines
noch in vieler Beziehung dunklen Krankheitsbildes jeder genauer
beobachtete Fall etwas beitragen kann. Ausserdem dürfte der
hier angestellte „therapeutische“ Versuch bei einem bisher un¬
heilbaren Leiden einiges Interesse bieten.
Nachdem P a r r y und Bergson schon in den Jahren 1825
resp. 1840 Fälle von Hcmiatr. fac. mitgetheilt hatten, gab Böm¬
berg [1] zuerst im Jahre 1846 eine ausführliche Baschreibung
des Krankheitsbildes, anknüpfend an einen sehr charakte¬
ristischen Fall, der den meisten Autoren heute noch als Typus
des halbseitigen Gesichtsschwundes gilt. Daraufhin hat die Zahl
der einschlägigen Beobachtungen in den folgenden Jahren einen
langsamen Zuwachs erfahren; im letzten Jahrzehnt häuften sich
die Berichte, so dass jetzt die Kasuistik ca. 125—130 Nummern
enthält. Mehrfach wurden die publicirten Fälle in vergleichende
Statistiken zusammengestellt, ihre Einzelheiten kritisch be¬
leuchtet und zum Aufbau von Theorien über Art und Ent¬
stehungsursache des räthselhaften Krankheitsprocesses ver¬
arbeitet. So berichtet Wette [2] im Jahre 1881 über 43 Fälle
und gibt eine Revisitation des R o m b e r g *sehen Falles.
L e w i n [3] beschreibt ziemlich ausführlich alle 70 Fälle, die
er bis zum Jahre 1884 in den Zeitschriften auf finden konnte.
Mendel [4] citirt kurz 15 weitere Fälle im Jahre 1888.
S t e i n e r t [5] setzt die Aufzählung fort bis zum Jahr 1889,
J o 8 e p h [6] bis 1893. Fromhold-Treu [7] referirt über
alle bis zum Jahre 1893 publizirten Fälle, die er nach der Rein¬
heit und der Ausdehnung ihrer Symptome und nach den even¬
tuellen Komplikationen in 6 Gruppen eintheilt. Letztere um¬
fassen insgesammt 117 Fälle. Der grösste Theil der bisher an¬
gehäuften Literatur ist einer ausführlichen Darstellung der in
Rede stehenden Erkrankung in Eulenburg’s Realencyklopädie
angereiht. Eingehende und gründliche Besprechung bezüglich
des Wesens und der Herkunft wird dem Leiden in einer Mono¬
graphie von Möbius [8] und einem Aufsatz von Jen-
d r a s s i k [9] zu Theil.
Bei der Durchsicht der letzten Jahrgänge der Fachzeit¬
schriften stiees ich noch auf folgende Citirungen:,
Biirwald: Deutsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. 1894, V. —
Berend: Orvosl Hetllap 1894, No. 41. Neurol. Centralbl. 1895,
No. 17. — B e e v o r: British med. Journ. 1895, S. 813. Neurol.
Centralbl. 1896, No. 2. — Schlesinger: Wien. klln. Wochensehr.
1897, No. 21. — D e c z 1: Neurol. Centralbl. 1897, No. 3. — B r u n s:
Neurol. Centralbl. 1897, No. 11. — L e M a i r e: IIosp. Tld. 1897,
No. 4. Neurol. Centralbl. 1898, No. 11. — Jendrassik: Deutsch.
Arch. f. klln. Med. 1897, No. 59. — Donath: Wien. klln. Wochen¬
schrift 1897, No. 18. — Wolff: Münch, med. Wochenschr. 1897,
No. 1. — Y o n g e: British med. Journ., 6. Mürz 1897. Neurol.
Centralbl. 1897, No. 18. — H ö f 1 m e y e r, Münch, med. Wochen¬
schrift 1898, No. 13. — Z 1 e g e n w e 1 d t: Psychiatr. eu neurol.
Bladen 1898. Nov. Neurol. Centralbl. 1899, No. 15. — Hof f-
mann: Neurol. Centralbl. 1900, No. 21.
Die ebengenannten Fälle eingeschlossen ist die Gesammt-
summe auf 125—130 angewachsen — eine genauere Zahlfixirung
ist wegen der strittigen Zugehörigkeit einzelner Fälle unmög¬
lich —, welche ich um 2 weitere Beobachtungen vermehren
möchte, die numehr folgen.
I. Pal 1. Die Eltern der 19 jährigen Patientin T. L. starbeu
an Dannerkrankungen. Beide hatten kein Nervenleiden. Von
4 Geschwistern starben 3 ebenfalls an Darmaffektionen. Weder
die Letzteren, noch die lebende Schwester hatten Uber irgeud
welche nervöse Störungen zu klagen. Von* schwereren Erkran¬
kungen will die Patientin nie betroffen gewesen sein, doch gibt sie
an, dass sie ohne erkennbare Ursache zeitweise an doppelseitigem
Kopfschmerz von massiger Intensität litt Vor 3 Jahren habe sie
öfters über Halsschmerzen und Schluckbeschwerden zu klagen ge¬
habt; daran hätten sich heftige Anfälle von Schmerzen in der linken
Gesichtshälfte angeschlossen, die wöchentlich sich einstellten und
bis in’s linke Ohr und den Hinterkopf erstreckten. Vor ca. 2 Jahren
habe sie znm ersten Mal bemerkt, dass die linke Gesichtshälfte
magerer wurde und zwar am stärksten ln der Jochbeingegend ein¬
fiel. Ihr sei dabei keine besondere Röthung oder Blässe, ver¬
mindertes oder vermehrtes halbseitiges Schwitzen, oder Sensationen
beim Kauen, Geschmacksveränderung oder dergleichen aufge¬
fallen. Mit dem Fortschreiten der Entstellung seien die Schmerz¬
anfälle seltener, nur in monatlichen Zwischenräumen, ungefähr um
die Zeit der Menses gekommen, hätten im Sommer einen Tag, i:n
Winter etwas länger gedauert.
Der im Oktober 1899 von uns aufgenommene Status ist folgen¬
der: Das Mädchen ist von grosser Statur, mittelkräftigem Knochen¬
bau, wenig muskulös, hat ein gut entwickeltes Fettpolster. Sie
geht in etwas gebeugter Körperhaltung, oft die kranke Seite mit
der Hand bedeckend, sieht verstimmt aus, beantwortet Fragen
lungsam und wortkarg, spricht spontan selten. Jedem fällt beim
ersten Anblick sofort die Gesiclitsassymuietrie auf, die Möbius
sehr passend als „Mondgesicht“ bezeichnet hat. Die linke Hälfte
ist im Längen- und Breitendurchmesser verschmälert und ihre Wöl¬
bung ist flacher. Die Rundungen an Wangen und Kinn sind ver¬
schwunden, dafür längliche und tiefe Gruben entstanden, so dass
diese hochgradig abgemagerte Hälfte das eckige Relief eines alten
Weibergesichtes zeigt, während die rechte Hälfte in Jugendfrische
prangt. Linkerseits springt am stärksten der Jochbogen, ziemlich
erheblich auch der untere Augenhöhlenrand und der horizontale
Unterkieferast als Kanten vor, denen die Haut unmittelbar auf¬
liegt. Die Haut, deren Kolorit keine Veränderung aufweist, fühlt
sich welk an, glänzt nicht, enthält keine abnorme Pigmentirung.
Besondere vasomotorische Phänomene fehlen, lassen sich nicht
durch Streichen etc. auslösen, sollen auch spontan nicht auftreten.
Auf der Oberlippe, welche ebenso wie die Unterlippe eine geringe
Verschmälerung erlitten hat, steht eine Gruppe hirsekorngrosser,
eiugetrockneter Bläschen, die 2 Tage vorher ohne Fieber aufge-
treten sein sollen. Das blonde Kopfhaar ist beiderseits gleich
dicht, an den Wimpern und Cilien erkennt man keine Differenz.
Das linke Auge scheint in einer äusserst fettarmen Höhle zu liegen,
da Ober- und Unterlid eingesunken sind. Beide Pupillen sind
gleichweit, reagiren gleiclimüssig auf Lichteinfall und Aecomo-
datlon. Es besteht eine geringgradige Vermehrung der Tliränen-
sekretion linkerseits. Das Sehvermögen ist wie der Augenbefund
im Uebrigeu normal. Beide Ohrmuscheln differiren nicht in der
Grösse oder dem äusseren Aussehen. Das Gehör soll von jeher
schlecht gewesen sein, ohne dass ein Grund dafür angegeben wer¬
den konnte. Herr Prof. Haug hatte die Güte mir das Resultat
einer bei der Patientin vorgenommenen Ohruntersuchung mitzu-
theilen: Linkerseits Cerumen, dahinter eine Otitis media purulentn
chronica, rechterseits Otitis media, catarrhal. chron. Oberhalb und
unterhalb des linken Jochbogens, der an und für sich gegenüber
dem rechten eine Abflachung erfahren hat, sind durch den krank¬
haften Proeess die tiefsten Gruben geschaffen worden. Die ein¬
gesunkenen Partien auf der Oberlippe und in der Meutalgegend
stossen in der Mittellinie ohne scharfe Grenze mit gesunden Par¬
tien der rechten Seite zusammen. Die rechte horizontale Unter¬
kieferhälfte hat an Länge abgenommen (8% cm lang^egen 9’/, cm
rechts) und büdet einen etwas abgerundeten Winkel mit dem auf
steigenden Ast. Au beiden mit tadellosen Zähnen besetzten Ober¬
kiefern fällt nichts Bemerkenswerthes auf. Das Gleiche gilt für
die Zunge, Mund- und Rachenschleimhaut, Mandeln und den Ge¬
schmack. Auch ln der Geruchsphäre lag, soweit konstatirbar.
nichts Abweichendes vor vor. Tast-, Temperatur- und Sclimerz-
empfindung bieten überall normale Werthe. Bei Druck auf die
Trigeminusnustrittspunkte wird kein Schmerz geüussert. Ueber
dem rechten Arcus superciliaris ist eine inarkstückgrosse Haut¬
einsenkung unverkennbar, die vielleicht auf ein Einsetzen des
Uebels auf der gesunden Gesichtshälfte hindeutet Die Musku¬
latur, sowohl die des Kauens als die mimische fühlt sich kontrahirt
gleich stark an; sie funktlonirt gut, lässt keine fibrilläre Zuckungen
erkennen, ist für konstanten und faradisehen Strom leichter an¬
spruchsfähig nls auf der nicht afflzirten Seite (wohl wegen de*
verminderten Ilautwiderstandes in Folge Wegfalls des Fettes».
Aus der Verschmälerung der Lippen linkerseits kann man »las
Bestehen einer hier vorhandenen geringgradigen Muskelatrophie
entnehmen. Die Gewebe des Halses weichen nicht von der
Norm ab. Beide Oarotiden und Art. temporales differiren nicht
In der Pulsstärke. Die Untersuchung des übrigen Körpers enthüllt
keine weiteren pathologischen Zustände In irgend einem Organ
System. Das Befinden der Patienten lässt bezüglich ihrer vege-
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No. 36.
1414
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
tativen Funktionen nichts zu wünschen übrig, abgesehen von den
bereits erwilhnten Schmerzanfällen.
Die Patientin konnte aus beruflichen Gründen sich keiner
konsequenten Behandlung unterziehen und reiste in ihre Heimath.
Auf briefliche Aufforderung hin erschien sie wieder im Juni 1901
mit der Angabe, dass ihr Leiden sich nicht verschlimmert habe,
dass ihre Schmerzen seltener (circa 6 wöchentlich) sie belästigten,
in geringerer Intensität als früher. Beim Vergleich des jetzigen
Zustandes mit einer damals aufgenommenen Photographie, konnte
man eine wesentliche Aenderung nicht kouatatiren, speziell hat
die atrophische Stelle über dem rechten Auge nicht au Umfang
zugeuommen, was früher befürchtet wurde. Der krankhafte Pro-
cess scheint also nunmehr Halt gemacht zu haben.
Einem seltenen Zufall war es zu danken, dass Anfangs
Januar 1901 ein zweiter Fall von Ilemiatr. fac. progr. in Be¬
handlung kam, der sich noch im Beginn zeigte, unter unseren
Augen sich weiter entwickelte und bisher noch nicht zum Still¬
stand gelangte.
II. Fall. Ein ebenfalls 19jähriges Mädchen, P. V., ohue
hereditäre Belastung mit nervösen Erkrankungen war nie ernst¬
lich krank, bekam vor 3 Jahren ein geschwollenes Gesicht mit
heftigen Zahnschmerzen am rechten oberen zweiten Molar; dieser
wurde vom Zahnarzt extrahirt. Ausserdem hatte sie häufig Be¬
schwerden an ihren rechtsseitigen unteren Molaren. Jedoch lagen
niemals typische Schmerzanfälle nach Art einer Trigeminus¬
neuralgie vor. Vor ca. 2 Jahren wurde sie von anderer Seite
zuerst aufmerksam gemacht, dass ihr Kinn auf der rechten Seite
abmugere. Verschiedene Einreibungen verhinderten nicht, dass
diese Affektion in sehr langsamem Tempo fortschritt. Seit circa
1 Jahr beständen die einzigen minimalen Beschwerden nur in
einem leichten Span'uungsgefühl in der Kinngegend. Die Gesiclits-
entstelluug des zierlich gebauten, wenig muskulösen gut genährten
Mädchens ist deutlich genug, um auch einem wenig aufmerksamen
Beobachter sofort aufzufallen. Vom rechten Mundwinkel verläuft
schräg nach aussen und abwärts eine Linie, welche die nicht ganz
scharfe Abgrenzung des eingesunkenen Gebietes vom normalen
Hautniveau bildet. Mit unregelmässiger Grenze scheidet die Mittel¬
linie die affizirte Partie von der linken Gesichtshälfte. Das Lippeu-
roth ist rcchterseits schmäler. Die erkrankte Partie entspricht
somit einem Dreieck mit der Basis am Unterkieferrand. Hier
fühlt sich die Haut dünn an, faltet sich mehr und leichter, zeigt
keine abnorme Pigmentirung oder weisslichen Glanz, sondern ge¬
sundes Kolorit, erröthet, schwitzt wie die normalen Stellen, em¬
pfindet aber Betastung, Temperaturunterschiede uud Schmerz
etwas stärker als der Norm entspricht. Das Muskelvolumen ist
nur wenig vermindert, wird durch schwächere galvanische und
faradische Ströme als dies linkerseits gelingt, in Kontraktion ver¬
setzt, da die Widerstände in Folge völligen Fehlens des Unter¬
hautzellgewebes erheblich herabgesetzt sind. Entsprechend der
atrophischen Stelle befinden sich im Unterkiefer 2 cariöse Molar¬
zähne, deren zugehöriger Alveolarfortsatz eine knöcherne Ver¬
dickung auf weist. An allen übrigen Gesichtspartien konnte nur
normale Coufiguration und Beschaffenheit der Gewebe konstatirt
werden, obwohl auf alle die wichtigen in der vorhergehenden
Krankengeschichte angeführten Punkte genau geachtet wurde.
Die eingeleitete Therapie, die ln der Extraktion der cariösen
Zähne und Galvanisation der atrophischen Stellen, des Hals-
sympathicus und Trigeminus bestand, erzielte im Verlauf von
5 Monaten nicht die mindeste Besserung; im Gegenthell eine Ver¬
schlechterung stellte sich ein, indem nunmehr die Atrophie am
rechten Nasenflügel Platz gegriffen hat, ohne dass dabei subjek¬
tive oder objektiv wahrnehmbare Reizerscheinungen das Wohl¬
befinden irgendwie irritirt hätten. Die rechte Nasenhälfte ist
kleiner geworden, der Flügel steht höher und ist kürzer, so dass
das Nasenloch verengt wurde. Während das Kolorit der beiden
Nasenhälfteu kaum nennenswerth differlrt, fühlen sich Haut und
Knorpelgerüst auf der rechten Seite deutlich dünuer an als links.
Auch hier fehlen die Sensibilitätsstörungen.
Die ITebereinstimmung der Symptome des zweiten Falles
und die Art der Weiterentwicklung bewies seine Zugehörigkeit
zum ersten. Beide Male handelte es sich in der Hauptsache um
eine halbseitige Atrophie des Unterhautzellgewebes, eines wohl
nur unbetleutenden Muskel- und Knochen- resp. Knorpel¬
schwundes. Während No. 1 als ein weit vorgeschrittener, wahr¬
scheinlich schon zum Stillstand gelangter Fall gelten muss, da
er im Verlauf von IV 2 Jahren keine nennenswerthe Aenderung
erfahren hat, stellt No. II nur ein Anfangsstadium der Krank-
heitsentwicklung dar, welche voraussichtlich, wie die bisherigen
Erfahrungen bei der progressiven Gesichtsatrophie lehren, nicht
Halt machen wird. Zur genannten Diagnose gelangte man per
oxclusionein. Der flüchtige Beschauer hätte bei No. I au eine
angeborene Gesichtsatrophie, an eine lang bestehende, schwerere
muskuläre Lähmung mit nachfolgendem Schwund der Gesichts¬
muskeln und der zugehörigen Gewebe, an einen Schwund, wie er
zuweilen durch Sympathicusaffektionen verursacht wird, oder an
eine halbseitige Trigeminuslähmung mit folgender Abmagerung,
schliesslich vielleicht noch an eine Atresie der Oberkieferhöhle
denken können. Die erstgenannte Affektion schloss die Anam¬
nese aus; die nächstfolgende kam nicht in Frage, da die mimi¬
schen und die Kaumuskeln ausgiebig funktionirten; mit der
weiter abliegenden Diagnose: Atresie der Kieferhöhle, war die
Thatsache ausser andern nicht vereinbar, dass die Region ober¬
halb des Jochbogens am meisten gelitten hatte, dass die unter
dem Niveau liegenden Hautpartien bis in die Mittellinie des Ge¬
sichts reichten und hier ziemlich jäh zum normalen Niveau auf-
stiegen. Dem Sympathicus eine Schuld bei der Entstehung des
Leidens beizumessen verbot das Fehlen jeglicher vasomotorischer
und Pupillenerscheinungen. Auch könnte durch einen solchen
Causalnexus die Abmagerung nicht so hochgradig sein. Eine
Trigeminusparalyse schloss der Nachweis der intakten Sensibili¬
tät aus. Beim II. Fall kam nur die Sklerodermie diagnostisch
ernstlich in Frage. Diese hätte aber eine narbige, glänzende
Verfärbung der Haut verlangt, die hier vermisst wurde.
Positive Momente zur Unterstützung der angegebenen Dia¬
gnose förderte der Vergleich mit den bisher publizirten Fällen
zu Tage. Beide Kranke sind weiblich; ich zählte in der Litera¬
tur ca. 82 weibliche, gegenüber 53 männlichen. Die Erkrankung
begann wie bei ca. 42 anderen fällen zwischen dem 10. und
20. Lebensjahre (das nächsthäufig befallene Decennium ist das
zwischen 20 und 30 Jahren, nämlich ca. 27 Fälle). Den ersten
Anstoss zum Auftreten der Affektion bei No. II gab, wie bei
ca. 9 Fällen der Kasuistik, Zahnkaries mit Schmerzen und event.
geschwollenem Gesicht. Viel häufiger noch, ca. 14 mal, ist von
anfänglichen oder persistirenden Trigeininuaneuralgien die Rede,
wie in unserem ersten Fall. Andere, öfters verzeichnete anaiu-
nestische Angaben sind Traumen 23 mal, Halsdrüsenentzün¬
dungen 7 mal, infektiöse Anginen 6 mal. Vom Vergleich weiterer
Einzelheiten muss wegen Raummangel abgesehen werden, aber
zu erwähnen ist noch der Umstand, dass die sonst meist auf¬
geführte Haut pigmentirung und der einseitige Haarausfall, die
nicht selten konstatirte Komplikation halbseitiger Zungen- und
Gaumenatrophie und vor Allem narbige Beschaffenheit der Haut
in unseren Fällen nicht vorhanden ist. Gerade der letzte Punkt
war geeignet diagnostische Bedenken zu erregen, besonders weil
derselbe von so autoritativer Seite wie Möbius (L c) als un¬
bedingtes Erforderniss zur sicheren Diagnose hingestollt wird.
In seiner die Literatur kritisch zusammenfassenden Monographie
über den halbseitigen Gesichtsschwund sagt Möbius Folgen¬
des: „Die Diagnose des umschriebenen Gesichtsschwundes ist
leicht, wenn man daran fest hält, dass umschriebene Verdünnung
der Haut das wesentliche Merkmal ist, dass fast stets die ver¬
dünnte Haut auch verfärbt ist, dass die Krankheit eine Jugeud-
krankheit ist“. An einer anderen Stelle ist „das Cardinalsyin-
ptom der Krankheit, der Hautschwund“ durch einen Vergleich
mit der „offenbar nah verwandten Atrophia cutis acquisita“ die
an der ganzen Körperoberfläche Vorkommen kann, näher präcisirt.
Nun handelt es sich bei letzterer nach Lesser um excentrisch
sich ausbreitende Herde dünner Haut von hell-bräunlich-violetter
oder weisslicher Farbe, welche die Blutgefässe auffallend deutlich
durchscheinen lassen. An einzelnen Stellen der sonst scharfen,
unregelmässigen Grenzlinie finde sich ein überragender Grenz-
wall der langsam gegen die normale Haut vorrücke. „Die ganze
obige Beschreibung lässt sich“, fährt Möbius fort, „auf den
umschriebenen Geeichtsschwund übertragen, nur sei ee fraglich,
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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1413
o. September 1001.
ob auch liier ein Grenzwall, mit anderen Worten eine primäre
Infiltration der Haut zu finden sei. Diese Infiltration aber würde
die eigentliche Krankheit sein, die die Atrophie hinterliesse.“
Nun passt diese Schilderung durchaus nicht auf das Aus¬
sehen der atrophischen llautpartieu in unseren beiden Fällen.
Wie aus den Krankengeschichten ersichtlich ist, zeigte sich das
Kolorit der affizirten Hautstellen unverändert, die Blutgefässe
waren unsichtbar; nur die Niveaudifferenz, die vermehrte Fälte¬
lung und das sieh Dünneranfühlen waren die hervorstechendsten
pathologischen Zeichen. Auch der von Möbius an noch in
der Ausdehnung begriffenen Herden vermutliche Infiltrations¬
wall konnte an der frischen Lokalisationsstelle unseres II. Falles
nicht wahrgenominen werden. Der äusserlich erkennbare Effekt
des pathologischen Processes in unseren Fällen bestand im
wesentlichen nur aus einem Verlust des subdermalen Zell¬
gewebes und Fettes, geringem Schwund von Muskel und Knochen
mit Intaktsein der Cutis. Da nun Möbius geneigt ist, alle
Fülle, die den primären Hautschwund nach Art der Atrophia
cutis acquisita der Dermatologen vermissen lassen, aus dem
Kapitel der Hemiatrophia fac. progr. auszuscheiden, so mussten
auch uns bei der per exclusionem gestellten Diagnose Bedenken
kommen. Letztere wurden dadurch zerstreut, dass Möbius
schliesslich doch zugibt, „dass es Fälle gibt, in denen das Bild
wirklich dem umschriebenen Gesichtsschwund sehr ähnlich ist
und eigentlich nur die umschriebene Hautatrophic fehlt, so z. B.
der Steiner t’sche“. Dem möchte ich noch hinzufügen, dass
auch der bei Steinert citirte, von Hitzig [10] als Hemi¬
atrophia fac. publizirte Fall, das genannte Hautsymptom ver¬
missen lässt und in mancher Beziehung unserem I. Fall ähnelt.
Ferner findet Höflmeyer [11] bei seinem sehr ausge¬
sprochenen Fall von Hemiatr. fac. die Haut beider Gesichts¬
hälften gleichmässig gefärbt, nirgends Vertrocknungen oder Pig-
mentationen, nur auffallende Einsenkung der befallenen Par¬
tien, sowie eine stärkere Faltenbildung wie auf der gesunden
Seite. II offmann [12] beschreibt bei seinem II. Fall die
Haut als schlaff, dünn, etwas blass, direkt dem Knochen auf-
liegend. Diese von anderer Seite gemachten ähnlichen Be¬
obachtungen berechtigen zu dem Schluss, dass unsere Fälle, ob
wohl sie die skle rodermähn liehe Cutisveränderung entbehren,
doch nicht aus dem Gebiet der Hemiatr. fac. progr. ausgewiesen
werden können. Während bei Fall I der blosse Anblick zur Er¬
kennung dos Leidens genügte, war bei dem zweiten Fall vor
Allem das Moment maassgebend, dass der atrophirende Process
vom Kinn auf den Nasenflügel derselben Seite übersprang und
diesen zum Schwinden brachte.
Gemäss seiner Auffassung des umschriebenen Gesichts¬
schwundes als primäre Hauterkrankung hat Möbius für die
Entstehung und Art des pathologischen Processes folgende
Theorie aufgestellt: Irgend eine toxische Ursache gelangt in die
Haut, bringt zuerst sie zur Atrophirung, dann die unterliegenden
Gewebe; schädigt dabei die sensorischen Trigeminusfasern, die
mit neuralgischen Beschwerden reagiren. Die Beschränkung auf
die halbe Gesichtsseite erkläre sich dadurch, dass der Schwund
„sozusagen den Gefässen nachlaufe“. Auch Eulenburg und
eine Anzahl anderer Autoren ziehen einen sklerodermähnliehen
Process als Erklärung heran. Da nun an der Cutis unserer
Fälle 8klerodermartige Schrumpfung nicht konstatirbar ist, fehlt
ihnen somit das Haupterforderniss der Möbius’schen Hypo¬
these, die primäre Hauterkrankung. Als primäre genuine Fett-
zellgewebaatrophie, die excentrisch und nach der Tiefe sich aus¬
breitet, betrachten Bi tot [13] und Lande [13] die Hemiatr.
fac. progr. Dieser Auffassung beizupflichten verbietet im Fall T
die Begrenzung der Affektion durch die Mittellinie, im Fall II
das Ueberspringen des krankhaften Processes vom Kinn auf den
Nasenflügel. In einer Sympathicusstörung die Entstchungs-
ursache zu erblicken, wie dies von Selig in ii 11er [14] und
Eulenburg für eine Anzahl Fälle behauptet wird, ist hier
unmöglich, da an beiden Kranken niemals vasomotorische Stö¬
rungen oder Pupillenveränderungen zu bemerken waren. Uns
bleiben also nur noch die alte von Romberg [1] aufgesudlte
Theorie, und die aus der jüngsten Zeit von J e n d r a s s i k [9]
herstammendo als annehmbar übrig. Ersterer behauptete im
Trigeminus verliefen trophische Fasern und deren Schädigung
verursache den Gewebsschwund im Trigeminusgebiet ; Letzterer
aceeptirt die Läsion trophischer Elemente, verlegt sie aber wegen
der häufigen Komplikation der Hemiatrophie mit Sympathicus-
erseheinungen an eine Stelle, wo die Nervengebiete dos Trige¬
minus und S.ympathicus nahe beieinander liegen, als welche am
wahrscheinlichsten die sympathischen Kopfganglien oder die mit
denselben verbundenen Remak’schen Fasern anzusprechen
wäre. Zwischen beiden Theorien einen sicheren Entscheid zu
treffen erlaubt weder die Beweiskraft der vorhandenen klinischen
Beobachtungen noch der Mangel vorliegender Autopsiebefunde.
Dosshalb möchte ich mich beschränken zur Erklärung unserer
Fälle nur eine Läsion trophischer Elemente, die irgendwie mit
dem Trigeminus in Beziehung stehen, zu supponiren, und als
Grund hierfür bei Fall I hauptsächlich die neuralgischen Be¬
schwerden und den häufig auf tretenden Herpes anführen, bei
Fall II den Beginn mit einer Zahnerkrankung, die anfängliche
strenge Lokalisirung der Atrophie auf den Verbreitungsbezirk
des Ramus mentalis plus Ramus labii infer., dann das spätere
plötzliche Ergriffenwerden einer entfernten Partie mit Beschrän¬
kung auf das Versorgungsgebiet des Nerv, nasalis ex Nerv,
infraorbital. derselben Gesichtshälfte.
Ueber die Behandlung des umschriebenen Gesichtsschwundes
sagt Möbius: „Es gibt bisher keine Behandlung. Die Kran¬
ken sind natürlich elektrisirt, massirt, eingerieben worden, aber
geholfen hat es ihnen nichts“. Man hat die Beseitigung der
eventuellen Ursachen, cariöse Zähne, entzündete Mandeln etc,
empfohlen, auch Excision der zuerst befallenen Hautstellen, ja
sogar des ganzen Trigeminus, was wenigstens die Neuralgie be¬
seitigen könnte.
Als ich in dieser Wochenschrift (No. 11, 1901) die Warnung
von H. Meyer vor den G e r s u n y’schen Vaselineinjektionen
las, fiel mir ein, dass man vielleicht mit Injektion geringer
Menge dieses Stoffes die Entstellung bei den in Rode stehenden
Patienten beseitigen könnte. In der G o r s u n y’schen Arbeit
fand ich nun bereits den Vorschlag, mit Vaselininjektionen
Schönheitsfehler, Oberkieferdefekte im Gesicht zu corrigiren.
Nach der dort gegebenen Vorschrift machte ich mich an die
Ausführung des Versuchs. Es wurde die Nadel einer Pravaz-
spritze unter die Haut der atrophischen Partie eingestochen, mit
der Spritze angesaugt, um festzustellen, ob die Kanülenspitze in
einer Vene liegt; dann wurden einige Tropfen 3 proc. Nirvanin-
lösung injizirt, um die nachfolgenden Prozeduren schmerzlos zu
gestalten. Nach einer kleinen Pause wurde die Spritze mit dem
längere Zeit auf dem Wasserbad erhitzten geschmolzenen, weissen
amerikanischen Vaselin gefüllt, aufgesetzt und in dem Moment
in’s subkutane Gewebe theilweise entleert, in welchem eine auf¬
tretende weissliche Färbung im Vaselin die beginnende Er¬
starrung anzeigte. Letzteres geschah, um zu heisse Injektionen
zu vermeiden. Der so entstandene, flache Hügel musste nun mit
massigem Fingerdruck auf das gehörige Niveau zurecht model-
lirt werden unter kontrolirendem Vergleich der gesunden Seite.
Die jeweils injizirten Mengen richteten sich nach der Grösse
des auszufüllenden Raums, und zwar wurden sie in Portionen
von 'A bis Vs ccm eiugespritzt. Es empfahl sich mehr
kleinere. Mengen zu deponiren, . und nicht zu nah der
Haut, um das so gehobene Hautniveau gleichmässig
eben und nicht höckerig erscheinen zu lassen. Die nächste
Folge der Injektionen war gewöhnlich unbedeutendes Brennen,
geringe Röthung und das Gefühl eines Fremdkörpers in der
Wange. Diese geringfügigen Belästigungen verschwanden im
Verlauf eines halben Tages.
Wie die beigegebenen Photogramme (s.o.) zeigen, gelang es auf
diese Weise im Verlauf von 3 Wochen mit ca. 14 Pravazspritzen
gefüllt mit Vaselin bei Fall 1 durch kleine, nebeneinander ge¬
setzte Vaselindopots die tiefen Gruben oberhalb und unterhalb
des Jochbogens, in der Nasenrückenhälfte, in den Wangen, in
der Ober- und Unterlippe, in der Kinngegend zum Verschwinden
zu bringen, und eine natürlich aussehende Rundung zu schaffen,
so dass jetzt nur noch das eingesunkene obere und untere Augen¬
lid auf die Entstellung hindeutet, im Uebrigen Niemand etwas
Abnormes an der kranken Gesichtshälfte erkennt. In das untere
Augenlid wurde eine geringe Menge injizirt, das obere Augen¬
lid jedoch wurde vermieden, um nicht die Bewegungen des letz¬
teren durch den anwesenden Fremdkörper zu stören. Aus dem
gleichen Grund licss man die Hautstellen verschont, in denen
sich beim Lachen und Kauen die Haut am tiefsten faltet. Bei
Fall 11 wurde bisher nur mit ca. 4 Spritzen der dreieckige De¬
fekt an Kinn und Unterlippe in befriedigender Weiso korrigirt,
ohne erhebliche subjektive Belästigung, ohne dass irgend ein
Nachtheil zu Tage getreten wäre.
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1416
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Man hätte ja von der Einspritzung einos so heterogenen
Körpers Schädigungen erwarten können, allgemeine und lokale,
sind doch diesbezüglich bereits von verschiedenen Seiten War¬
nungen ergangen. So weist Meyer (1. c.) auf die Intoxikations¬
gefahr hin, wenn man grössere Mengen einer Substanz von in¬
konstanter chemischer Zusammensetzung, wie Vaselin, das selbst
mit alkaloidartigen Basen verunreinigt sein kann, dem Körper
einverloibe. Für unsere Zwecke brauchten wir nur eine geringe
Quantität, nämlich ca. 11,5 g, welches Gewicht den 14 injizirten
Spritzen entsprach. Demgegenüber sind die Mengen, welche
Gersuny ohne Schaden injizirt hat, erheblich grösser. Auch
die Thierversuche einiger Autoren mit Vaselinpräparaten ver¬
schiedener Provenienz zeigen, dass erhebliche Mengen vertragen
werden; M e u n i e r [16], B a y e r [16], Sobieranski [16],
St rau me [17] haben verschiedenen Thieren 3—10 g Vaselin
pro Kilo Körpergewicht injizirt. Straume sah erst bei viel
höheren Dosen üble Zufälle. Wenn man also von einem einiger-
maassen reinen Präparat nicht mehr als 25—30 g zu verbrauchen
genöthigt ist, kann man sich wohl ruhig der Befürchtung der
Intoxikation entschlagen, besonders bei allmählicher, in mehreren
durch Tage getrennten Sitzungen ausgeführten Einverleibungen.
Die Kontrole von Appetit, Puls, Temperatur und Athmung und
häufige Urinuntersuchung Hessen in unseren Fällen keine un¬
günstige Beeinflussung des Allgemeinbefindens erkennen.
Entschieden mehr Beachtung verdient die Gefahr der
Embolien in Folge der Vaselin- oder Paraffininjektionen. Die
Hautärzte, die Paraffinuni liquidum als Vehikel für unlösliche
Quecksilbersalze benützen, wissen über Anfälle pneumonischer
Natur zu berichten, die zuweilen bald auf die Paraffininjektionen
folgten. Straume sah bei seinen Versuchsthieren Magen-
ulcerationen auf embolischer Basis. Zur Vermeidung dieser
beunruhigenden Ereignisse, die meist durch die Anstechung
einer Vene resultiren, empfiehlt Besser nachzusehen, ob aus
der eingestochenen Kanüle Blut fliesst, ehe die Injektion erfolgt
(um noch sicherer zu gehen, kann man mit der Spritze an¬
saugen). Nach Hartung [18] geben allerdings solche Vorsich ts-
maassrcgeln keine absolute Garantie der Sicherheit. Doch zeigt
die einschlägige Literatur, dass auf ca. 1100 Injektionen erst eine
Embolie kommt (Epstein [10]); Pick [20] sah unter vielen
tausend Injektionen niemals derartige Ereignisse. Ferner ver¬
liefen die unerwünschten Zufälle meist so harmlos, dass die
wenigsten Dermatologen sich veranlasst sahen dem Paraffin un¬
treu zu werden. Trotzdem wird man es sich wohl überlegen
müssen, ehe man Vaselininjektionen anwendet und Pfannen¬
stil Recht geben, der auf Grund einer ungünstigen Erfahrung,
pneumonische Infiltration mit Ausgang in Heilung, warnt, in
venenreiehe Gegenden wie das periurethrale Gewebe Vaselin zu
deponiren. Andererseits wird wohl Jeder, der durch eine mit
so geringer Gefahrchance verknüpfte Behandlungsmethode von
entstellenden Gesichtsanomalien befreit werden kann, die erstere
gern in den Kauf nehmen.
Die lokalen subjektiven Störungen, welche Vaselininjek¬
tionen nach sich ziehen, wie Gefühl der Spannung oder eines
vorhandenen Fremdkörpers, besonders beim Kauen oder Lachen,
vorübergehendes Brennen, sind nicht der Rede werth und ver¬
schwinden bald. Die geringe Röthung, die zuweilen an den
Injektionsstellen sich bemerkbar macht, ist eine unwesentliche,
reaktive Entzündung. Schwerere Entzündungen, die mit Eite¬
rung oder Ausstossung des Vaselins einhergehen, wurden nicht
gesehen; dieselben sind gewiss durch aseptisches Vorgehen ver¬
meidbar. Die anfängliche Befürchtung, die Haut, welche ja in
Folge des Krankheitsprocesses unter geänderten, vielleicht un¬
günstigen Ernährungsbedingungen steht, könnte durch die
Vaselindepots in ihrer Ernährung geschädigt werden und
gangraenesciren, ist nicht eingetroffen.
Ueber einen eventuellen weiteren Nachtheil, der dem
Patienten durch unser Vorgehen entstehen könnte, vermag ich
leider noch keine Auskunft zu geben, gemeint ist die gewiss
denkbare, ungünstige Beeinflussung des Krankheitsprocesses.
Derselbe könnte durch den Reiz des im Unterhautzellgewebe
abgelagerten Fremdkörpers veranlasst werden, raschere Fort¬
schritte zu machen oder sogar aus einer Phase des Stillstandes
heraus wieder in Aktion treten. Erst eine monatelange Beob¬
achtung wird zeigen, ob nicht ein unerwünschter Nebeneffekt
in dieser Richtung nöthigen wird, derartige Versuche zu unter¬
lassen.
No. 36.
Die MögHchkeit, dass das Füllmaterial sich dem Gesetz der
Schwere gemäss nach unten senkt oder durch Kau- und mimische
Bewegungen an ungeeignete Plätze zusammenmassirt wird,
woran H. Meyer (l.c.) denkt, halte ich nicht für wahrschein¬
lich, da zu solchem Wandern todter Massen nur ein äusserst
lockeres Zellgewebe in der Umgebung disponiren würde, das aber
im Gesicht nicht in entsprechender Beschaffenheit zu finden ist.
Ausserdem wird die Bindegewebswucherung, welche laut der Ver¬
suche von J u k u f f [21] durch den Fremdkörperreiz das Paraf¬
fins produzirt wird, letzteres umwachsen, in ihm sogar ein binde¬
gewebiges Gerüst aufbauen, das als Stütze geeignet ist, das Ma¬
terial in seiner Lage zu halten.
Noch eine andere wichtige Frage harrt einer späteren völ¬
ligen Aufklärung, die des Grades und der Zeit der Vaselin¬
resorption. Gersuny fand einen von ihm durch Vaselin¬
in joktionen hergestellteu Kunsthoden nach einem Jahr erheb¬
lich hart und etwas geschrumpft vor. Dies konnte wohl nur
so zu Stande kommen, dass von dem Gemisch weicher und harter
Paraffine, welche das Vaselin darstellen, die mit niederem
Schmelzpunkt resorbirt wurden, die harten mit hohem Schmelz¬
punkt dagegen liegen blieben. Diese Resorption wird also nach
einer gewissen, jetzt noch nicht näher bestimmbaren Zeit störende
Lücken setzen und damit die Indikation abgeben zur Unter¬
polsterung der neuerdings eingesunkenen Partien. In der wei¬
teren Folge der Resorption, dem Hartwerden des Ausfüll-
materials, ist desswegen ein zweifelloser Nachtheil zu erblicken,
weil man sich denken kann, dass hartgewordene Vaselindepots
an manchen Stellen dos Gesichtes Belästigung verursachen
dürften. Diese Unvollkommenheit der Gersun y’sehen Me¬
thode müsste durch eine Verbesserung der Injektionsmasse be¬
hoben werden. Als wünschenswerter Ersatz des Vaselins wäre
eine reizlose, indifferente Substanz aufzusuchen, welche leicht
schmelzbar, weich, die elastische Konsistenz tierischen Fettes
besässe mit einem Erstarrungspunkte von ca. 40°, und der
Resorption nicht unterläge. Meine Versuche, eine solche zu
finden, waren erfolglos. Vielleicht existirt überhaupt keine Sub¬
stanz mit obigen Eigenschaften, die der Resorption auf die
Dauer widersteht; denn was dem Saftstrom nicht gelingt, aufzu-
lüsen, werden die allzeit beutegierigen Leukocyten wegschleppen.
Wenn es sonach erst einer ferneren Zukuuft Vorbehalten sein
wird, mittels einer idealen Injektionsmasse Gesichtsdefekte zu
korrigiren oder gar die Furchen des Alters zu verwischen und
Jugend vorzutäuschen, kann andererseits nicht geleugnet werden,
dass mit dem geschilderten Verfahren sich Entstellungen gut
korrigiren lassen. Das erhaltene Resultat hat jedenfalls die
beiden Patientinnen sehr befriedigt. In Anbetracht des
Umstandes, dass es sich um junge Mädchen handelte,
die ihr Aussehen ziemlich kritisch betrachteten, durfte man
über den Erfolg erfreut sein und den unzufriedenen
Gedanken unterdrücken, dass man ja keine Heilung erreicht
hatte. Bei einer Erkrankung wie die Hemiatr. fac. progr., die
hartnäckig Besserungsversuchen widerstrebt, sind sicherlich kos¬
metische Maassnahmen, welche die Entstellung verdecken, als
ein willkommenes Surrogat einer erfolglosen Therapie zu be-
grüssen.
Zum Schluss erlaube ich mir, meinem hochverehrten Chef.
Herrn Prof. Klaussner, für die Ueberlassung der Fälle und
das Interesse, das er diesen Versuchen entgegenbrachte, meinen
besten Dank auszusprechen.
1. Ko nt borg: Klinische Ergebnisse. Berlin 1840. S. 81. —
2. W e 11 e: Annalen der städt. allgem. Krankenhäuser zu München.
Bd. II, S. 000. — 3. Lewin: Charite-Annalen. 1884. S. 619. --
4. Mendel: Neurol. Centrulbl. 1888. No. 14. — 5. Steinert:
Inaug.-Diss. Halle 1889. — 6. J o s e f: Inaug.-Diss. Berlin 1894. —
7. Fromhold-Treu: Inaug.-Diss. Dorpat 1893. — 8. Möbius:
Nothnagel’« Patli. u. Therap. XI. Bd., 2. Th. — 9. Jendrassik:
Deutsch. Arch. f. killt. Med. 59. Bd., S. 241. _ 10. H 11 z i g: Berl.
klin. Woehenschr. 1870. No. 25. — 11. II ö f 1 m e y e r: Münch,
med. Woehenschr. 1898. No. 13. — 12. Hof mann: Neur. Central
blatt 11X10. No. 21. - 13. Citirt in Eulenburg’s Realencykl. —
14. Citirt in Eulenburg’s ltealencykl. — 15. Gersuny: Zeitsclir.
f. Heilk. 21. Bd. 1900. II. IX. — 10. Citirt bei Straume. --
17. Straume: Inaug.-Diss. Dorpat 1894. — 18. Hartung-
Arch. f. Denn. u. Syph. 1897. XII. Bd., H. 1. — 19. Epstein.
Arch. f. Denn. u. Syph. 1897. XL. Bd., H. 2 u. 3. — 20. Fick:
Handb. d. Therap. v. Penzoldt u. Stintzing. VII. Bd., S. 158. —
21. Pfannenstil: Centralbl. f. Gynilk. 1901. No. 2.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1417
3. September 1901.
N achtrag.
Nach Abschluss dieser Versuche (Mitte Juli) und Uebergabo
des Manuscripts an die Redaktion kam mir ein Vortrag von
Stein, über subkutane Paraffinprotliesen, zu Gesicht (Berl.
klin. Wochensohr, vom 12. Aug. 1901). Stein corrigirte mit
gutem Erfolg eine Sattelnase und eine Oeffnung im harten
Gaumen; er hält gemäss dem Resultat seiner Thierversuche die
Gefahr der Embolie für vermeidbar, dio der Intoxikation für
a u sgeechlossen.
Bezüglich dt« Dauererfolges der kosmetischen Injektionen
sei noch erwähnt, dass jetzt, nach Ablauf von 1!4 Monaten, die
Yuselindcpots deutlich härter geworden und um Wenige« ge¬
schrumpft sind und desshalb bereits eine geringfügige Naeli-
korrektur eintreten muss.
Aus der chirurgischen Klinik zu Würzburg.
Beitrag zur Behandlung des Tetanus traumaticus.
Von Dr. Adolf Dehler, I. Assistenzarzt der Klinik.
Eine sonst gesunde, 48jährige Frau stiess sich mit dem Stachel
einer Düngergabel ln den linken Fussrücken. Die kleine Wunde
blutete wenig, bereitete keine besonderen Schmerzen, wesshalb
sie nach oberflächlicher Verklebung nicht weiter beachtet wurde.
12 Tage nachher bemerkte die Frau allmählich zunehmende Be¬
schwerden beim Kauen und Sehlingen und suchte desshalb am
14. Tage die Hilfe der Klinik auf.
Es bestand Trismii9 und Facies sardonica; die Zahurelhen
konnten nur mit grösster Mühe 4 mm von einander entfernt
werden. Die Bewegungen des Kopfes waren frei, nur bei starker
Beugung nach vorne gab Pat. Spannung im Nacken au. Pat.
konnte nur flüssige Nahrung schlingen. Auffallend war reichliche
Schwelsssekretion nnf der Stime, die sehr häufig wiederkehrte.
Die 1 em lange Stichwunde über der Mitte des linken Fuss-
rückens zeigte' Verklebung der etwas braunrötlillch verfärbten
Ränder, keine Druckempfludllchkeit, reaktlonslose Umgebung.
Nach Oeffnen der Wunde Hess sich ein dünner 2 cm langer
Strohhalm extralilren, dem einige Tropfen trüben, röthlich-gelbeu
Sekretes folgten. Die Wundränder wurden excldirt, es folgte
energische Auswaschung mit 1 prom. Sublimatlösung und ener¬
gisches Aetzen mit Trichloressigsäure.
Die Allgemeinbehandlung ging von dem Plane aus, den als
mittelsehwer erscheinenden Tetanusfall zunächst mit grösseren,
dann mit kleineren Dosen von Antitoxin je nach Zu- oder Ab¬
nahme der Erscheinungen individualisirend zu bekämpfen, daneben
zur Erleichterung subjektiver Beschwerden von Narkotlcis Ge¬
brauch zu machen.
Es wurden desshalb von Tlzzonl’s Antitoxin an den ersten
drei Tagen (15.—17. der Erkrankung) je 2'/ 2 g (trockener Substanz)
in Lösung (25 ccm) subkutan injizirt, beginnend an der verletzten
Extremität; ausserdem wurden täglich 2>4—3 g Chloralhydrat ver¬
abreicht. Am Morgen des 2. (1(5.) Tages fand sich der rechte Muse.
oucullari8, am Abend sämmtllche fühlbaren Halsmuskeln in tetaui-
scher Kontraktion; Pat. konnte sich nicht allein aufsetzen; die
Zahnreihen waren fest geschlossen; die Sprache war schwerfällig
uud undeutlich. Die Aufnahme der Nahrung war sehr erschwert.
Am 4. (18.) Tage erschien die Nickbewegung des Kopfes
etwas freier, dagegen waren die Streckmuskeln am Rücken stark
kontrahirt. Der Gesammtelndruek war nicht eben gefahrdrohend,
auch war Pat. stets bei guter Stimmung und schlief Nachts ziem¬
lich gut, wenn auch mit Unterbrechungen.
Das nur langsame Fortschreiten der Kontraktur bei allmäh¬
lichem Freiwerden der zuerst befallenen Muskeln (die Facies sar¬
donica schwand vom 5. Tage ab) rechtfertigte ein vorsichtiges
Zurückgehen in der Dosirung des Antitoxins. Es wurden doss¬
halb täglich nur ly. g (15 ccm), am 7., 11.. 13. Tage kein Antitoxin
verabreicht. Chloralhydrat wurde in derselben Menge weiterhin
gegeben, am 5., 10. und 11. Tage abwechselnd Morphium 0,01.
In »len ersten sechs Tagen schritt <lie tetanlselie Kontraktur
unter allmählicher Genesung der zuerst befallenen Muskeln auf
die Längsmuskulatur zu beiden Seiten der Wirbelsäule fort, so
dass der Rumpf der Pat., ganz starr, aktiv nicht bewegt werden
konnte; auch die Bauchmuskulatnr und besonders die Muse, reeti
waren vom 5.—7. Tage kontrahirt. so dass aus der schon vorher
bestandenen Diastase der Recti eine Bauchwandhernie sich prall
hervorzuwölbeu begann. Am 8. uud 9. Tage wurden einige Male
schmerzhafte schleudernde Zuckungen in beiden Beinen und im
Gesicht beobachtet; lm Uebrlgcu blieben die Extremitäten frei.
Vom 11. Tage an besserte sich der Zustand rasch: die Zahnreiben
konnten leicht 1 cm weit von einander entfernt werden, die Sprache
und die Bewegungen des Kopfes wurden freier, Tat. konnte sich,
wenn auch mit Mühe aufsetzen und, sich auf die Arme stützend,
sitzen. Vom 14. Tnge au war das Schlingen flüssiger Nahrung
leicht möglich, die Kontraktur der Bauchmusculatur geringer.
Die Verabreichung von Antitoxin wurde um 13.. die von
Chloralhydrat am 18. Tage eingestellt; Pat. hatte in 13 Dosen 10 g
Antitoxin erhalten.
Eine schädliche Wirkung des Antitoxins selbst konnte nicht
konstatirt werden; zwar stellte sich trotz strenger Asepsis bei
Zubereitung und Injektion der Lösung am 6.—8. Tage rings um
die drei Stellen, wo je 2 Tage vorher Injizirt worden war, eine
scharf umschriebene, dunklere, erysipelatöse ltöthung uud etwas
central von der einen Iujektionsstelle fleckenweise Röthung unter
gleichzeitigem Anstieg der Temperatur bis 38,9° ein, doch schwand
diese Röthung, ohne mehr als Handtellergrösse erreicht zu haben
und blieb bei den folgenden Injektionen aus, nachdem das be¬
treffende Fläschchen mit trockener Substanz ausgescbaltet war.
Sonstige Exantheme fehlten. Der Urin blieb wahrend der ganzen
Behandluugszeit frei von pathologischen Bestandteilen. Der
Digestions- und Respimtionstraktus blieben ungestört normal,
Ebenso war die Thätigkolt des Herzens nicht beeinflusst. Die
Körpertemperatur hielt sich, abgesehen von oben erwähnter
Störung in den ersten 12 Tagen zwischen 3(i,9 und 37,5—37,8, sank
dann zu 3<>,(»—37,1. Von Anfang au fiel die starke Sehweiss-
sekretion an der Stirne der Pat. auf; zwar fühlte sieh, besonders
nach dem Schlafe und nach Nahrungsaufnahme, auch die Haut
anderer Körperstellen feucht an, doch kam es sehr selten zu s.»
reichlicher Sekretion von Keliweiss, wie au der Stirne, welche be¬
sonders in den ersten Tagen fast konstant und auch nach dein Ab-
wlselieu bald wieder davon bedeckt war. Dadurch erklärt sich
ungezwungen, dass die Temperatur niedrig blieb, was bei einer mit
tetanisclier Muskelkontraktion einhergehenden Infektionskrankheit
nicht von vornherein zu erwarten ist. Der Tetanus konnte am
19. Tage nach Beginn der Behandlung als abgeheilt betrachtet
werden, 7 Tage eher als die durch tiefe Aetzuug gesetzte Wunde
an der Eingangspforte der Bacillen.
Ueberraschungen bei Herniotomien.
Von E. Meusel in Gotha.
Dass der Bruchschnitt auch Dem, der sich einige Erfahrung
zuschreibt, immer wieder Neues und Ucberraschcndcs bringt, ist
ein oft wiederholter Satz unserer Altvorderen. Zu seiner Be¬
stätigung kann ich 2 Fälle aus meiner jüngsten Praxis vorlegen.
1. Der Fuhrmann J. aus Gotha, 72 Jahre, sehr schwerhörig,
wurde in’s Haus gebracht mit der Diagnose einer eingeklemmten
Hernie. Er zeigte eine faustgrosse Geschwulst der Leiste, be¬
hauptet, er hätte bis vor 5 Tagen die Geschwulst reponireu können.
Später stellte sich heraus, dass er sich seit langer Zeit mit einer
theilweiseu Reposition zufrieden gegeben hafte. Seit 5 Tagen hat
die Darmthätigkeit ganz aufgehört, es ist Erbrechen eingetreten,
sejt gestern bricht er kothige Massen.
Ich war ganz mit der Diagnose des Hausarztes einverstanden,
spaltete den Bruchsnck und fand ziemlich ausgedehnte Darin¬
schlingen, die sieli ohne grosse Mühe zurückbringen Hessen. Zu¬
letzt blieb eine Darmschlinge übrig, die über eine fünfniarkgross’*
Geschwulst des Mesenteriums lief und von ihr kompriiuirt wurde.
Der Tumor (wie die spätere Untersuchung bestätigte, ein Car-
cluom) war scheibenförmig, nicht dicker als ly 2 cm, hart, und
war im Mesenterium bis an den Darm herangewachsen. Ohne
in das Darmlumen einzudringen hatte er dasselbe allmählich
durch seinen Druck zum Verschluss gebracht.
Ich musste, um den Tumor zu beseitigen, ein Dünndarm-
stüek von 19 em reseclrcn. Das Mesenterium, in dem der Tumor
sass, Hess sich weit vorziehen und der Tumor sich ausgiebig uni-
schneiden. Der Defekt im Mesenterium hatte ungefähr die Ge¬
stalt eines gleichschenkligen Dreiecks von 8 cm Höhe, die Basis
bildete die resecirte Darmschlinge. Die beiden Mesontcrialsohnitte
wurden weitläufig miteinander vernäht, die Duruiendeu sorgfältig
vereinigt. Die Operation am Mesenterium war durch viele und
erhebliche Blutungen recht mühsam. Ich traute mich nicht das
genähte Mesenterium und den genähten Darm mit den vielen
Ligaturen uud Nähten durch die relativ enge Bruchpforte zu ro-
poniren, spaltete desshalb von der Bruehpforle aus ungefähr 1 em
dio Bauchdecken nach oben und nähte wie bei einer Laparotomie.
Der Verlauf war überaus leicht (nach 2 Tagen Stuhlgang*,
lieberlos und glatt. Der Patient war nach 3 Wochen geheilt.
Gegen die Stelle der erweiterten Bruchpforte drängt beim Husten
eine Darmschlinge und wird wohl das Tragen eines Bruchbandes
nötliig machen.
2. Der 4 jährige Max hatte seit ungefähr 3 Jahren eine
Leistenhernie, die sich durch ein Bruchband zurückhalten Hess.
Seit einigen Wochen war sie nicht mehr reponibcl. der Dann gm
durchgängig. Leider haben von nichtärztliclier Seite etwas derb*
Repositionsversuche stattgefunden. Der Knabe wurde mir zur
Radikaloperation zugesehickt. Schwächliches Kind, hochgradig
rachitisch, Ilerz und Lunge ohne abnormen Befund, leichter As¬
cites, erbliche tuberkulöse Belastung mit Sicherheit nicht an^z.i-
scbliessen.
Der Bruchsack stark verdickt und verfettet, mit dem Inhalt
der Hernie theilweise verwachsen. Bei der Loslösuug einer solchen
Verwaohsungsstelle relsst die Darmwnnd ein und wird gciiäld.
Nach völliger Blosslegung des Bruchinhaltes zeigt sich ein etwa
kinderfaustgrosses Knäuel vou Darmsehlingen. übersät mit grau-
weissen. stocknadelkopfgrossen bis erbsengrossen Knötchen, die
Schlingen unter sich vielfach verklebt. Aus der Bruehpforle tliesst
reichlich eine nicht ganz klare seröse Flüssigkeit. Die aus der
Bauchhöhle zur Untersuchung weit hervorgezogenen Sehlingen
sind mit denselben Knötchen übersät. Der llodeu liegt im Gewirr
der Brnchgeschwulst. Ich bin nicht im Stande, das Gewirr der
verklebten Bruchgeschwulst zu lösen und, eutmuthigt durch die
Diagnose einer allgemeinen Bauchfelltuberkulose, stand Ich vou
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1418
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
einem weiteren Eingriff ab, lagerte die Darmnaht an die genähte
Hautwunde.
Die Darmnaht heilte nicht, nach einigen Tagen entleerte «ich
aus der Hautwunde am Hodensnck eine Kothflstel, die Entleerung
aus dem After blieb normal. Das Allgemeinbefinden war gut,
im Gegentheil entwickelte sich der Knabe in der Krankenpflege
recht gedeihlich.
Um die lästige Kothflstel zu beseitigen, legte ich nach einigen
Wochen die Geschwulst noch einmal bloss. Zu meinem und meiner
Assistenten Erstaunen war aber von den oben beschriebenen
Knötchen nichts mehr zu sehen, auch die aus der Bruchpforte zur
Untersuchung weit vorgezogeneu Därme waren ganz frei von
Knötchen. Der Knäuel der vorgelagerten Darmgeschwulst ebenso
fest verklebt und verwachsen wie früher, so dass ich das ganze
Darmconvolut summt dem Hoden, der, wie sich spater zeigte, einen
kleinen käsigen Herd enthielt, abtrug. Beide zurückbleibenden
Darmenden wurden aneinander genäht und reponirt. Ich hatte,
wie das Präparat zeigt, ein Stück Dünndarm von 14 cm und etwa
3 cm Blinddarm sammt dem Wurmfortsatz entfernt.
Die Heilung verlief ohne Zwisclienfnll; der Knabe wurde
geheilt und in bester Gesundheit entlassen. Zum festeren Ver¬
schluss der Bruchpforte wird sich vielleicht später noch eine kleine
Nachoperation nüthig machen.
Ueber maligne Geschwülste der Tonsillen.
Von Dr. v. Ileinleth in Bad Reichenhall.
(Schluss.)
Patient, M. Fl. aus Bergen, ein grosser, kräftiger Mann, dessen
Eltern in hohem Alter gestorben sind, gibt an, früher nie an Hals¬
entzündungen gelitten zu halten. Im September 185)8, also im
59. Lebensjahre, bemerkte er eine Drüsenanschwellung der r. Hals¬
seite. Die Geschwulst wuchs langsam, machte jedoch nicht viel
Beschwerden. Mit Beginn des Jahres 1899 fing die Geschwulst
angeblich an auf den Schlund zu drücken und störte beim Schluck¬
akte Bald darauf bemerkte Patient die Geschwulst im Munde
selbst, an deren rechten hinteren Bande sich ein Geschwür zeigte.
Daraufhin ging er zum Arzte. Auf Gurgelwasser uml ätzende
Pinselungen trat jedoch keine Besserung ein, im Gegentheil es
mehrten sich die Beschwerden durch Zunahme der Geschwulst.
Gleichzeitig magerte Patient mehr und mehr ab. Als ich im Juni
185)9 um Rath angegangen wurde, fand ich folgende Verhältnisse:
Die Haut des Gesichtes zeigte ein leicht wachsartiges Kolorit
und verrietli einen anaemischen Zustand. Die r. Halsseite whr
vorgewillbt durch ein hartes, leicht bewegliches Drttsenpaquet von
gut Hühnereigrösse. Es erstreckte sich vom Ohrläppchen bis fast
ln die Mitte des horizontalen Uuterkleferastes und wird zum Theil
von ihm bedeckt. Sonstige Drüsenanschwellungen am Körper
fehlten.
Die Inspektion der Mundhöhle zeigt gute Zähne. Von der r.
Pharynxwand ausgehend wölbt sich ein fast hühnereigrosser
Tumor über die Mittellinie hinüber nach der 1. Seite; die Gaumen¬
bögen sind verstrichen; der welche Gaumen ist nach vorne, die
oedematös geschwellte Uvula nach links gedrängt. Ueber der
Zungenbasis findet sich eine circa fünfpfennigstückgrosse Ulcern-
tiou der Schleimhaut desTumors. Letzterer ist wenig beweglich, von
ziemlich fester Konsistenz und reicht nach oben bis in das Cavum
nasopharyngeale (fast bis zur Tuba Eustachii) nach unten bis au
das Niveau des Aditus laryngis. Die Oberfläche ist glatt, blauroth
von Farbe. Als Ausgangspunkt ist die Tonsille anzusehen, deren
Nachbargebilde nicht von der Geschwulst durchsetzt zu sein
scheinen.
Machte das Vorhandensein eines ulcerösen Processes am
Tumor mehr den Eindruck eines carcinomatösen Ursprunges, so
sprach das Fehlen von Schmerzen, die Lokalisirung des Processes
auf die Tonsille, die tuberöse Form, auch das stetig langsame An¬
wachsen für Sarkom.
Die Grösse der Geschwulst und der Metastasen schreckten
mich Anfangs von einer Operation ab. Ich entschloss mich dazu
erst nach einigen Tagen der Beobachtung des Kranken in meiner
Klinik auf Grund des verständigen Benehmens des Kranken, das
zu dieser Operation, besonders aber zu deren Nachbehandlung nicht,
ohne Bedeutung ist.
Was nun die Therapie der malignen Tonsillargeschwülste
betrifft, gleicht sic derjenigen bei anderen Organen. Bei Carci-
nom hot sich bis heute jede medikamentöse Einwirkung frucht¬
los gezeigt, war es die Behandlung mit Thyreoidin, Cholidonium
majus, Elektrolyse, mit Alkohol- oder Anilinfarbeninjektionen,
mit Calciumcarbid oder war es mit Toxin- und Seruminjektionen.
Ueber die neuerdings von Bruns empfohlenen Chlorzink¬
ätzungen kann ich nicht urtheilen.
Allein die radikale Entfernung des Tumors Lst erfolgreich,
aber auch nur dann, wenn sie frühzeitig und im Zusammenhänge
mit der Exstirpation jener Drüsengruppen und Lymphbahnen
geschah, welche dem Verbreitungsgebiete des lx-fallenen Organes
entsprechen.
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Sarkom, doch scheint
die Einwirkung medikamentöser Mittel, wie sie besonders l>ci in-
oiK*rablen Füllen in Anwendung kommen, je nach der Art des
Sarkoms von geringerer oder stärkerer Einwirkung. So behauptet |
Esmarch verschiedene Sarkome, auch Carcinome, auf luetische
Basis zurückführen zu können und durch lange fortgesetzte anti-
luetische Kuren Rückbildung und Heilung gesehen zu haben.
Jedenfalls kommt dem Arsen eine charakteristische Wirkung zu.
Temporärer Stillstand, ja sogar Rückbildung dos primären
Tumors und der befallenen Drüsen, besonders der Ilautmetu-
stasen, wird beobachtet. Man kann also von Besserung sprechen,
nicht aber von definitiver Heilung. Es wurde mir kein Fall be¬
kannt, der durch Arsen eine wirkliche oder auch nur eine relative
Dauerheilung erfuhr 1 ). Selbst in dem Falle von Kaposi, wo
durch spontane Rückbildungstendenz selbst kimlskopfgTusse
Hautmetastasen verschwanden, war trotz Arsen der baldige
Exitus nicht abzuwenden. Andere Mittel, wie Aetzmittel, Jod¬
kali, Jodoformglycerininjektion, wurden nur mit Misserfolg ange¬
wendet. Der als Spiudelzellensarkom diagnosticirte und mit
Jodoformglycerin geheilte Fall Woi n lechner’s ist und bleibt
ein Uni cum. Bei definitivem Heileffekte kann es sich nach
meiner festen Ueberzeugung nur um einen diagnostischen Irr¬
thum handeln. Ueber die von der Heidelberger Klinik so warm
empfohlenen 0 o 1 e y’schen Injektionen sind die Akten noch
nicht geschlossen. Als Schlussfolgerung des Gesagten ergibt sielt
also, dass bei inoperablen Fällen das Arsen ein sehr werthvolles
Besserungsmittel für Sarkom ist, dass aber bei dem Mangel einer
Dauerheilung mit internen oder lokal applizirt-en Mitteln die chi¬
rurgische operative Behandlung auch hier in ihr Recht tritt.
Sie kann natürlich, wie bei Carcinomen, nur Erfolge haben, wenn
sie früh genug cinsetzt, nicht aber als ultimum refugium heran¬
gezogen wird. Wie bei anderen Organen werden auch bei
den malignen .Geschwülsten der Tonsillen gegenüber früher di-*
Erfolge mit der Frühoperation besser werden. Die operative
Mortalität siimmtliclier Fälle bis heute ist 25 Proe. An Hei¬
lungen sind Insel trieben: mehren; Eiille, deren späterer Verlauf
jedoch unbekannt ist (Z w a a n, C a r r e 1 etc.). Honsel ver¬
öffentlicht von 7 Fällen eine Heilung mit V/> Jahr und eine mit
7 Jahren. Von Krönlein’s 19, meist sehr vorgeschrittenen
Fällen starben 4, einer lohte noch zur Zeit der Veröffentlichung.
1 Fall blich 19 Monate, einer 3 Jahre ohne Recidiv, 1 Fall war
zur Zeit der Veröffentlichung 7 Jahre am Leben. Briim fand
seinen vor 4 Jahren oj,>erirten Fall recidivfrei. F racnkel er¬
wähnt einen länger geheilten Fall, dessen Lebensdauer jedoch aus
der Arbeit nicht zu entnehmen ist. einen zweiten Fall mit
5 Jahren Heilung. Dazu kommt mein Fall mit bis jetzt 2 jähri¬
gem recidivfreien Bestände.
Besserung der operativen Erfolge bedingt auch die Verbesse¬
rung der 0|K.*rationsmethoden. Die früher gebräuchlichen iutra-
buccalcn Methoden der Entfernung der Geschwulst mittels
Messer, Thermokauter oder Schlinge konnten keinen anderen
als palliativen Werth haben, da sie einerseits nicht radical ge¬
macht wurden, andererseits die Drüsenmetastasen unberück¬
sichtigt blieben. Heute kommen nur mehr Methoden in Betracht,
welche extrabuecal Drüsen und Tumor gleichzeitig entfernen
oder solche, welche erst die Halsoperation extrabuecal und die
Entfernung des Tumors intrabuccal vornehmen. Letztere
Methode wurde von Alex. F r a e n k e 1 empfohlen. Ausgehend
von dem sehr richtigen Gedanken: je weniger eingreifend unsere.
Maassnahmen sind und auf je einfachere Weise wir zu dem an-
gestrebton Ziele kommen, desto besser für den Kranken, hat er
zuerst die Metastasen des Halses entfernt und dabei die Art.
carot. ext. ligirt. Dies brachte den Vortheil, bei der nun nach
einigen Tagen folgenden intrabuccalen Ausschälung der Ton-
sillnrgeschwulst fast blutlos operiren zu können.
Die kurze Ileilungsdauer, die äusserst einfache Nachbehand¬
lung, der gute Erfolg beider Fälle sprechen für die Methode.
Sie dürfte aber, wie ich glaube, nur bei kleinen Geschwülsten in
Anl>ctraeht kommen. Bei grossen Geschwülsten, besonders mit
starker fiäohonhnftor Ausbreitung sind die fast allgemein üb¬
lichen extrabuecalen Methoden vorzuziehen, die nach Entfernung
der Metastasen die Geschwulst, von gleicher Stelle entfernen.
Der Wege hiezu gibt es verschiedene. Die Einen beschranken
sieh auf Weichtheilsehnitte, Andere reseciren den Unterkiefer
temporär, wieder Andere entfernen gleich den aufsteigenden Ast
*) Uuter relativer Dauerheilung verstehe ich Fälle, welche
5-7 Jahre und darüber recidivfrei bleiben, da es unentschieden
sein dürfte, ob es sich nach dieser Zeit um ein Recidiv oder um
«•Ine Neuinfektion handelt, bei vorhandener Prädisposition.
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o. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1419
tlieilweiso oder ganz. Die Sclmittführungen sind theils wage-
recht vom Mundwinkel zum Ohr, theils senkrecht entlang dem
Kopfnieker, theils V-, T- oder bogenförmig. Es hängt dies
einerseits von der Ueberzeugung des Operateurs über die Zweck¬
mässigkeit des Vorgehens, andererseits aber und zwar haupt¬
sächlich von den lokalen Geschwulst Verhältnissen, entsprechend
der Ausbreitung und Art derselben und der Grösse der Meta¬
stasen ab.
Das Gemeinsame all’ dieser Methoden ist die breite Frei¬
legung des Operationsgebietes, um alles Krankhafte entfernen
und die Blutung sicher beherrschen zu können. Das Schwierige
ist. ausser der Technik der immerhin sehr eingreifenden Opera¬
tion, die Nähe des Respirationstraktus.
lim das Eindringen des Blutes in den Kehlkopfeingang zu
verhindern wurde besonders früher (auch jetzt noch von Miku¬
licz, Kocher. Cheever, I versen) die präventive Tra¬
cheotomie ausgeführt. Andere, wie Wolf und Körte, ope-
rirtcii am hängenden Kopfe; Grenzmer, Vernouil.
C z e r n y und besonders v. Bergmann und K r ö n 1 e i n
plnidirten für Vermeidung der Tracheotomie, wobei in aufrecht-
sitzender Lage des Kranken die Blutung lediglich durch sorg¬
fältige Unterbindung gestillt wird. Diese zeitraubenden Unter¬
bindungen können durch die präventive Unterbindung der Art.
ca rot. ext., wie sio Alex. F raonkel und Schiatter zu
oralen Operationen empfohlen haben, umgangen werden. Dieser
einfache Eingriff scheint also von grossem Vortheile.
Es lässt sieh nicht leugnen, dass die Tracheotomie mit all’
ihren naehtheiligen Folgen kein gleiehgiltiger Eingriff ist, zu¬
mal im höheren Alter der Kranken, um das es sieh hiebei meist
handelt. In Anbetracht der Schwierigkeit der Nachbehandlung
der behinderten Expektoration, des erschwerten Schluckaktes, i
somit der Gefahr der Pneumonie, ist es also ein nicht zu unter¬
schätzender Vorthoil die Tracheotomie entbehren zu können. Ge¬
währt doch zu alledem nicht einmal die T rondelenburg’- j
sehe Tamponkanüle die volle Sicherheit gegen das Einfliessen
des Blutes in die Trachea, wenigstens nicht gegen das Herab-
sickcm von Sekret in der Zeit nach der Operation. Honsel
hat desshalb den Vorschlag gemacht, sich hiezu einer, der phone¬
tischen Kanüle ähnlichen Tamponkanüle zu bedienen, deren
unterer Theil der Athmung, deren oberer dem Abfluss der in den
Larynx fliessenden Sekrete dienen soll.
Erleichtert man sieh freilich durch die Tracheotomie die
Entfernung der Geschwulst, so ist die Operation am hängenden
Kopfe durch die meist starke capilläre Blutung etwas erschwert.
Wer zum ersten Male am hängenden Kopfe opearirt, wird dadurch
etwas beirrt sein, man überzeugt sich jedoch bald davon, dass die
Blutung durch kürzere oder längere Tamponade stets wieder zu
stillen ist. Besonders bei Kindern, die in der Halbnarkose das
liorabfliessende Blut nicht zu expektoriren vermögen, ist diese
Methode sehr empfehlenswerth. Bei Erwachsenen dagegen geht
die Expektoration in der gemischten Morphium-Chloroform-
narkose meist leicht von statten, und kann man somit die Opera¬
tion bei aufreehtsitzender Haltung des Kranken ausführen,
welche v. Bergmann und K r ö n 1 e i n vorziehen. Die
Methode hat den Vorzug der Umgehung der Tracheotomie und
die Vermeidung des grösseren Blutverlustes. Ich kann, mich
jedoch des Gedankens nicht erwehren, dass hiezu wohlgeübte
Assistenz nothwendig ist. Diesen Vortheil grosser Kranken¬
häuser entbehrt unsereiner auf exponirtem Posten mehr minder.
1 m also guten Erfolg zu haben, wählte ich zur Operation die
hängende Kopflage, umsomehr, als der Kranke durch mehrtägige
Exercitien sie sehr gut zu vertragen schien. Er konnte in der¬
selben täglich mühelos eine Stunde liegen.
Von der Beschreibung der verschiedenen, wenig differenten
Operationsniethoden sehe ich ab, sie mag der Interessent aus den
Originalveröffentlichungon ersehen, mir schien die beste» die von
K r ö n 1 e i n verbesserte v. La ngenbec k’sche Methode. Die
Details derselben ersehen Sie aus der nachfolgenden Operations-
beschreibung meines Falles.
Operation am 17. VI. 1899. Der Kranke erhielt 2 cg Morphium
•■ine halbe Stunde vor Beginn (1er Chloroformuarkose.
Vom Mundwinkel beginnend führte ich im Bogen den Schnitt
abwärts Uber die Mitte des horizontalen Untcrkleferastes zum
Zungenbeinhorn, von diesem nach aufwärts über den Sternocleklo
hinweg zur hinteren Seite des Proc. nmstoideus. Nach theilweiscr
Abhebung dieses grossen Lappens ging ich gleich an die Resektion
<lts Uuterkiefers. Ich löste das Periost in kurzer Strecke ab, führte
mittels Braatz’scher Nadel die G i g 1 Fache Siige herum und
durchtrennte den Sohr starken Knochen au Stelle des 2. Dens
molaris. Die nun folgende Ausschälung zweier Uber pflaumen-
grosser und reichlicher kleiner Drüsen erforderte ziemliche Zeit,
in Folge deren Verwachsungen mit den Nnehbarorgane». Es wur¬
den hiebei die Glandula subllugnalis und parotis freigelegt, ferner
mussten die verschiedenen Gefässc (Art. carotis, nmx., thyr., lingd
frelpräparlrt werden, auch der N. liypoglossus und vagus kamen
zu Gesicht. Während sich diese alle erhalten Hessen, musste ich
die Art. lingualls unterbinden.
Zum Schlüsse wurde der Unterkiefer noch stärker nach .oben
luxirt und als sieh keinerlei Drüsen mehr fanden, zum zweiten
Tlieile der Operation, zur Eröffnung der Mundhöhle geschritten.
Während bisher der Kranke die gewöhnliche Lage auf dem
Operationstische (Braut/) mit etwas erhöhtem Oberkörper inne-
liatte. wurde nun, abweichend von Krönlein, bei horizontaler
Lage der Kopf über (len Rand des Tisches gesenkt und die Narkose
sistirt.
Bel Durchschneidung des Arcus palato-glossus und pharyngeus
war die Blutung so intensiv, dass das ganze Cavum pharyngemu
bis zum Aditus laryngis mit Blut sich füllte. Die Tamponade be¬
seitigte in wenigen Minuten diese Blutung und die Ausschälung der
Geschwulst liess sich ohne weitere Schwierigkeit vornehmen. Ilie-
hei wurde der vordere und hintere Gaumenbogen bis zur Zuugcn-
basis, die rechte Hälfte der hinteren Rachenwand und ein Theil
des weichen Gaumens snmint halber Uvula mitentfernt.
Die Deckung des grossen Schleimhautdefektes gelang zum
grössten Tlieile durch Annäherung der Schleimhaut der seitlichen
Wange an die der hinteren Raehenwand. wobei die restirende
Uvulahälfte mit einbezogon wurde. An die frei bleibende Stelle
wurde ein Tampon gelegt und dieser durch die Halswunde heraus-
geleitet. Die Maxilla inf. wurde mit Silberdraht genäht, die durch¬
trennten Muse, biventer und homohyoid. vereinigt und die Haut¬
wunde bis auf die Tamponstelle mit Katgut geschlossen, Jodo¬
formgaze. Watte-Kleisterbinden verband.
Die Nachbehandlung gestaltete sich sehr einfach, indem
Patient schon am Tage nach der Operation Flüssigkeiten zu
schlucken vermochte; dadurch war die Sondenbehnndlung un-
nölbig.
Die Wmnlheilung verlief völlig reaktiouslos. aller nur zu bald.
Anfang Juli, zeigte sich schon der Verdacht des gefürchteten Re-
cidives.
Status r>. VII. Auf (1er r. Seite (1er hinteren Rachen wand
wölben sich gramilationsühnliche Tiimomiassen vor. die sich hart
anfühlen und bis zum Zungengrunde einerseits, andererseits in das
Cavum pharyngonnsale erstrecken. Auch der Rest, des weichen
Gaumens fühlt sich hart an. Das Rccldiv breitete sich somit haupt¬
sächlich an den Schleimlmutwundrändern aus. Die Frobo-
exclsionen bestätigten die -Vermuthung des Recidives (siehe histo¬
logischen Theil).
Trotzdem wenig Aussicht vorhanden schien, den Fall zu retten,
ging ich dennoch an die nochmalige Operation, als dem einzigen
noch bestehenden Hilfsmittel.
Unter den jetzigen Verhältnissen, bei dem Mangel an Drüsen
und der schön geheilten Ilalswunde, zog ich vor, intrabuceal zu
operlren und zwar nicht mit Sealpel. sondern mit Kaustik. Audi
diesmal operirte loh unter Morphimn-Clilorofomi-IIalbnarkose br
hängendem Kopfe; die Carotis eounn. legte ich am Halse an
typischer Stelle frei und schlang zur allenfalls nötlilgen tempo¬
rären Unterbindung eine Ligatur um; diese aber kam nicht zur Ver¬
wendung.
Theils mit Galvanokauter, theils mit Paquelln entfernte ich
den ganzen r. weichen Gaumen, die Schleimhaut (1er hinteren und
der seitlichen Raehenwand bis zur Tubenöffnung und einen Theil
der Zuiigenbasis.
Die Art. palatina musste wegen starker Blutung durch Um¬
stechung llglrt werden. Die grosse Wund fläche wurde fest mit
•Todofomigaze tamponirt, deren Enden behufs Fixation zur Nase
und zur Tamponfistel der ersten Operation herausgeleitet wurden.
Auch nach diesem Eingriff vermochte Patient zu schlucke»
und sich dadurch auf natürlichem Wege zu ernähren.
Unter 2—3tägigem Verbandwechsel trat allmählich Granu¬
lation mul Heilung ein. Der Wundverlauf. Anfangs ganz reaktions¬
los. wurde später (17. VII.) durch ein leichtes Erysipel gestört.
Dieses erstreckte sich von der Fistelöffnung aussen am Halse über
die r. Hals- und Gesichtsseite, heilte jedoch unter Anwendung
von Anthrarobin in 8 Tagen ab.
Ein an der Tuba Kustachii auftretendes rccldiv verdächtiges
Granulom zeigte sich als nicht malig».
Am Tage der Entlassung wog Patient 148 Pfund: als er sich
am 22. Sept vorstollte, hatte er 3(5 Pfund /»genommen.
Die Fistel der Tamponstelle war verheilt. Die grosse Granu
latlonsfläehe der Mundhöhle war mit Schleimhaut oder Narbe be¬
deckt. Der Unterkiefer ist fest konsolidirt.
Die vorhandenen subjektiven Beschwerden waren gering:
saures Gefühl Im Mumie und an den Lippen, angebliche Schwellung
der Zunge.
Das Körpergewicht blieb seit Herbst 1899 annähernd auf
172 Pfund.
Gegenwärtig, 23 Monate nach der Operation, sehen Sie die
äussere Wunde als lineare Narbe.
Hier Ist die Incisionsstelle zur Unterbindung der Art. ca rot.
Es fehlt jede Entstellung durch die äussere Operalionswunde.
Iutralmccal kleidet die 1. Knchcnhälfte eine meist glatte, nur
in der Nähe des Kiefergelenkes leicht strahlige Nari*e aus. Funk¬
tionell besteht keiue Störung; weder die Sprache noch der Schluck-
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1420
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
akt ist beeinträchtigt, auch die anfänglich etwas vermehrte Sall-
vatlon ist wieder normal.
Die excldirte Geschwulst zeigt eine Länge von 4 und eine
Breite und Dicke von je 2 cm. Der Durchschnitt weist einen
strnldigen Bau auf.
Die mikroskopische Untersuchung hatte Herr Privatdocent
Dr. Borst die grosse Liebenswürdigkeit zu übernehmen, für
welche ich ihm hier meinen besten Dank bekunde.
Sowohl die ursprüngliche Geschwulst als auch die später
übersandten Theile des Itecldives zeigen den Aufbau eines Rund¬
zellensarkoms vom Typus eines Lymphosarkoms, dessgleicheu die
excidirten Lymphdriisen.
Die Details folgen am Ende dieser Arbeit
Ich rekapitulire.
Gegenüber den meist schmerzhaften, durch baldige Ge¬
schwürsbildung sich auszeichnenden Cnrcinomen der Tonsille
machen sich die Sarkome durch ihre anfänglich geringen sub¬
jektiven Beschwerden erst später bemerkbar und durch ihre
grosse Aehnlichkeit mit den gutartigen Tonsillenvergrösserungen
schwerer erkenntlich. Es gehört also gerade hier noch mehr oine
genaue F.rkenntniss und eine genaue Untersuchung dazu, um
im Frühstadium die Diagnose zu stellen. Liegt der Verdacht
einer malignen Geschwulst der Tonsille vor, dann versäume man
nicht die Zeit mit internen Mitteln, sondern überlasse die Be¬
handlung dem Chirurgen. Erst wenn auch hier die operative Be¬
handlung früher einsetzt, werden wie bei den Magen- und Uterus-
carcinomen und anderen die Erfolge besser werden. Also vor
Allem die Frühoperation. Aber auch durch die jetzt verbesserte
Operationsmethode werden die Dauerresultate wie bei obigen
Organen sich mehren.
Mag man bei kleineren Geschwülsten mit der F raenkel’-
sehen zweizeitigen Methode auskommen, die sich durch Einfach¬
heit des Eingriffs auszeichnet, bei vorgeschritteneren Fällen, bei
solchen, welche auf die Nachbarorgane übergegriffen haben,
scheint mir das radikale Vordringen von Aussen her zur Aus¬
rottung der ganzen Neubildung und deren Metastasen in einem
Akto das richtigere und möchte ich unter den verschiedenen
hiezu angegebenen Methoden der von K r ö n 1 e i n modifizirten
Langenbec k’schen Operation den Vorzug geben.
Sie hat den Vortheil breiter Freilegung des Operationsgebietes
ohne funktionelle und kosmetische Störungen zu hinterlassen und
bietet Schutz der Knochenverletzung vor Infektion von der
Mundhöhle aus. Aber auch sie wird gute Erfolge nur haben
bei Umgehung der Tracheotomie — nothwendige Ausnahmen zu¬
gegeben—sei es, dass die Blutstillung lediglich durch sorgfältige
Unterbindung der Gefässe oder durch präventive Carotisligatur
geschieht, sei es, dass man am hängenden Kopf operirt. Denn
nicht nur muss der Eingriff als solcher möglichst gering sein
und jede Komplikation vermieden werden, sondern auch die
Nachbehandlung muss sich möglichst einfach gestalten. Sie ist
leichter bei nicht Tracheotomirten, indem der Kranke leichter
schlucken kann.
Kann der Kranke durch Schlucken sich selbst ernähren,
kann ihm die Qual täglicher Schlundsondenfütterung oder gar
der sonde ä demeure erspart werden, so erholt er sich einerseits
leichter, andererseits entgeht er um so leichter der grossen Ge¬
fahr der Pneumonie. Zu deren Venneidung lasse ich solche
Kranken schon am 2. und 3. Tage auf stellen.
Unter all’ diesen Vorbedingungen können also trotz der
grossen Malignität der Geschwulst und deren raschem oft lang
unbemerktem Wnchsthum gute Erfolge erzielt werden. Freilich
darf man sich durch ein rasch auftretendes Recidiv nicht von
einem zweiten baldigen Eingriffe abseh recken lassen, um zu
einem guten Endresultate zu kommen.
So möchte ich im Anschluss an den demonstrirten Fall
empfehlen, von der operativen Behandlung besonders des Früh¬
stadiums der malignen Tonsillengeschwülste nicht abzulassen.
Mikroskopische Untersuchung eines Tonsillen-Sarkoms.
Bericht des Prlvatdoeenten Herrn Dr. Borst in Würzburg,
a) Die Geschwulst der Tonsille selbst.
Die Geschwulst zeigt eine ziemlich einförmige Zusammen¬
setzung. Eine ungeheure, gleichmässige Anhäufung von Rund¬
zellen liegt vor, durch welche sich spärlich grössere Bindegewebs-
zilge hindurchziehen und so eine, allerdings unvollkommene Ein-
theilung der Geschwulst in einzelne Knoten von verschiedener
Grösse und Gestalt bewirken. Meist sind diese Bindegewebssepten
selbst wieder ausgiebig diffus oder in Streifen und Nestern von
den Rundzellen der Geschwulst durchsetzt. Die Septen enthalten
grössere Gefässe, die sich zumeist als V e n e u darstellen. You
diesen gröberen Septen aus breitet sich ln die Geschwulstknoten
hinein ein zierliches, nahezu verschwindend gering entwickeltes
bludegewebiges Stroma, welches kleine Gefässe führt, die hie und
da leicht erweitert erscheinen. Die Geschwulstmasse selbst besteht
aus sehr gleiehruüssig entwickelten, kleinen mit schwächer oder
stärker grauulirten, rundlichen Kcruen versehenen Rundzellen,
die grosse Aehnlichkeit mit den Lymplikörperchen haben, nur sind
die Kerne etwas heller als die der Lympliocytou, und das ganze
Zellgebilde meist etwas grösser als die kleinen Lymphocytenformen
des Blutes. Ein überaus spärliches faseriges, feinstes R e t i -
c u 1 u m ist zwischen den Rimdzellen ausgespannt und erfährt
seine Anheftung an den reichlichen Kapillarwänden, welche häufig
nur als einfache Endotlielschliluche durch die Ge¬
schwulstmasse hindurcliziehen. Da wo die Geschwulst grössere
Bindegewebssepten ergreift, zeigt sie ein exquisit infiltra¬
tives Wachsthuin, indem die Rundzellen zwischen die spind-
lichen Bindegewebszellen und Bindegewebsfasern eiuwachsen und
schliesslich das fibrilläre Bindegewebe zu einem rcticulären Stütz-
gerüst entfalten. An einzelnen Stellen ist an dem Präparat auch
das Plattenepithel der Tonsillenoberflüehe erhalten: Die Geschwulst¬
masse reicht vielfach bis dicht au das Epithel heran. Das Epithel
wird über der Geschwulst gedehnt und atrophirt. oder die Rund-
zellenniasse durchsetzt diffus und regellos das Epithel und zer¬
stört dasselbe. Wo die Geschwulstmasse das Epithel noch nicht
erreicht hat und auch eine stärkere Dehnung des Epithels noch
nicht eingetreten ist. finden sich im Epithel viele Mitosen. In den
Geschwulstzellen selbst konnten Mitosen mit Sicherheit nicht
beobachtet werden.
b) Recidiv der Tonsille.
Das Präparat zeigt ein ausserordentlich reiches Balkensystem
von faserigem Bindegewebe mit. relativ wenig Spindelzellen,
welches massenhaft stark erweiterte, unregelmässige Bluträunu*
enthält, so dass ein cavernöser Charakter des Bindegewebes
rcsultirt. An einzelnen Stellen ist dieses Bindegewebe von Platten¬
epithel überkleidet; tlieilweise ist hier bereits ein Papillarkörper
in Entwicklung begriffen. Das Balkensystem dieses Bindegewebes,
welches den Eindruck eines narbigen Gewebes macht, um-
schliesst grosse Maschen, welche mit den vorhin beschriebenen
Rundzellenmassen zum Tlieil ganz und gar ausgefüllt sind. Die
Zellen sind liier vielfach etwas kleiner mit dunkel grauulirten
Kernen versehen und erinnern so ganz besonders eindringlich an
Lymplikörperchen. Aber auch die grösseren vorhin be¬
schriebenen Formen von Rundzellcn kommen vor. Vielfach findet
man innerhalb der Rundzellen Anhäufungen quergestreifter
Muskelfasern auf Längs- und Querschnitten, welche in allen
Stadien der Degeneration angetroffen werden. Die Snrkoni-
zellen wachsen hier im Interstitiellen Biudegewoli' 1
der Muskeln unter Erweiterung der hier vorhandenen Ge¬
fässe und Neubildung von Gefiissen. Da und dort sieht man
der Degeneration der Muskeln eine vorübergehende
Vermehrung der Muskelkerne vorausgehen (reaktive
Wucherung).
c) L y m p h driis e v o m Hals.
Mächtig vergrösserte Drüse, ganz und gar aus ntndzelligeni
Sarkomgewebe bestehend. Vom Bindegewebe sind nur schmale
Septen und Streifen, welche sich dann weiterhin netzförmig
als Stützgerüst in der Geschwulst masse verlieren, zu sehen. Pie
Geseliwnlstnmsse selbst zeigt sehr unregelmässige Zell¬
form e u. Kleinere und grössere Rundzellen mit rund
liehen und auch ovalen Kernen finden sich neben stark
in die Länge gestreckten Zellformen. (Ausdruck
der Raunibeschränkung.) Sehr schön ausgebildet ist
innerhalb der ganzen Gesell willst ein faseriges R e 11 c u 1 u m.
welches der Rundzellenmnsso als Stütze dient Die Drüsen-
kapsel ist vom Sarkom mehrfach durchwachsen und
finden sich die Sarkonizellen bereits im periglandulären Fettbinde¬
gewebe, tun weite Gefässe ungeordnet und zwischen die Fett-
zellen und in’s Rindegewebe infiltrativ vordringend.
d) V o m Gnu m e n.
Das Präparat zeigt an einzelnen Stellen der Oberfläche das
Plattenepitliei tlieilweise erhalten, darunter ein lockeres Binde¬
gewebe mit weiten Venen und schliesslich in der Tiefe
Läppchen von Schleimdrüsen, welche von Fett und Bindegewebe
cingoliüllt sind. An einzelnen Stellen ist das interstitielle Binde¬
gewebe der Driisenlüppchen von kleinen Rundzellcn in-
filtrirt, zugleich erweitern sich liier die Gefiisse. Da die in-
filtrirenden Rundzellen den vorhin beselirielienen Geschwulstzellen
in der Form gleichen, ist es wahrscheinlich, dass es sich um
ein beginnendes sar komatöses Infiltrat handelt.
e) Vom Zungengrund.
Wenn wir ln dem Präparate von der Oberfläche nach der
Tiefe vorschreiten, so finden wir Folgendes: Erst kommt eine
offenbar n e u g e b i 1 d e t e Epithelschicht mit jungem P a p i 1-
1 a r k ö rper und frisch entwickelten, mit breiter Keimschicht ver¬
sehenen Epitlielznpfon. Das Epithel ist geschichtetes Pflaster¬
epithel. An einzelnen Stellen ist die Epithelbekleidung des Binde*
gowebes erst im Gange. Unter dem Epithel findet sich
junges faseriges Bindegewebe mit reichlichen erweiterten
Gefiissen (Kapillaren, kleine Venen). Dieses Bindegewebe zeigt
stellenweise unbedeutende Infiltrate mit kleinen Rundzellen, deren
Kerne häufig excentrlsch liegen. Die Rundzellen finden sich
besonders um die Gefässe, besonders dicht unter dem Epithel:
sie sind kleiner, als die vorhin beschriebenen Geschwulstzellcn
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MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1421
3. September 1901.
uud haben sehr kleine dunkle Kerne. An einzelnen Stellen durch¬
setzen sie ln grösseren Massen das Epithel, wobei Bilder entstehen,
welche vollständig der physiologischen Durchwande¬
rung des Epithels (z. B. im Bereich der Zungenbälge) entsprechen.
Geht man tiefer in’s Präparat, so findet sich derbes Binde¬
gewebe mit vielen elastischen Fasern, in welchem cylinderepithel-
tragende Drüsenausführungsgänge uud sehr weite Venen
neben ebenfalls weiten Arterien verlaufen. Hier ist auch das
Gewebe vielfach durchblutet Anhäufungen von Rundzellen
finden sich auch hier um die Gefässe und Drüsenausführungs-
gänge. Sie haben jedoch nicht den Charakter der Geschwulst¬
zellen. Nur an einzelnen Stellen findet man um Gefässe gelegen
stärkere rundzeilige Anhäufungen, wobei die Zellen etwas grösser,
uugleichmässiger ausgebildet sind und durch die Beschaffenheit
der Kerne sich mehr dem Typus der Gesell wulstzellen nähern.
Ausserdem finden sich noch im Präparate Inseln von narbig ver¬
ändertem Fettgewebe. Reste von quergestreiften
Muskelfasern und Ncrveubündelcheu, meist in
narbiges Bindegewebe eingeschlossen. Schliesslich trifft man noch
auf Läppchen von Schleimdrüsen: Die Drüsen sind zum
Theil zwischen wucherndes Bindegewebe gefasst, atrophirend,
zum Theil leicht erweitert von Schleimmassen erfüllt. Das inter¬
stitielle Bindegewebe von Rundzellen durchsetzt, die jedoch nicht
den Typus der Tumorzellen zeigen. Ein sicherer Entscheid, ob
in diesem Präparat bereits eine beginnende sarkomatöse Infil¬
tration im Gange sei, konnte nicht getroffen werden.
L 11 e r a t u r:
Krönlein: Beiträge zur klinischen Chirurgie (v. Bruns».
Bd. XIX. — Honsel: lieber maligne Tumoren der Tonsille.
Ebenda. Bd. XIV. — Scheck: Krankheiten der Mundhöhle.
Derselbe: Centralbl. f. Ohreuheilk. — Schiatter: lieber
Carotisunterbindungen als Voroperatlou der Oberkieferresektion.
Bruns’ Beiträge z. klin. Chir. Bd. XXX, H. I. — Kaposi:
Ein Fall von Lymphosarkom mit ausgedehnten, spontan sich
rückbildenden Huutmetastasen. — Alex. Frnenkel: Wien. klin.
Wochenschr. 1898. No. 12. — Handbuch der prakt. Chirurgie.
Bd. I. — Langhoff: Ein Beitrag zur Kasuistik der Rachen-
carcinome. Diss. München 1898. — Kotsonopulos: lieber
Sarcoma tonsillae. München 1898. —■ Sonthelmcr: Ucber
Carcinom des Rachens. Diss. München 1898. — Hillebrand:
Jahresbericht über die Fortschritte auf dem Gebiete der Chirurgie
1897, 1898, 1899. — Mackenzie: Ilalskrankheiteu.
Referate und Bücheranzeigen.
Hans Schmaus: Vorlesungen über die pathologische
Anatomie des Rückenmarks. Herausgegeben unter Mitwirkung
von Dr. Siegfr. Sacki. Mit 187 theilweise farbigen Text¬
abbildungen. Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann, 1901.
Unsere Kenntnisse von der pathologischen Anatomie des
Nervensystems haben wir bis jetzt zum grössten Theil Klinikern
zu verdanken und es ist daher selbstverständlich, dass gerade
auf dem Gebiete der Nervenpathologic viele wichtige Fragen
weit mehr von klinischen Gesichtspunkten als vom Standpunkte
eingeliender pathologisch-anatomischer Forschung aus bearbeitet
worden sind. Dass hiedurch in manchen Fragen, wie z. B. über
den Begriff der Myelitis, auch zum Nachtheil der klinischen
Forschung die grösste Verwirrung entstand, ist ebenfalls be¬
greiflich.
Die Vorlesungen von Schmaus über die
pathologische Anatomie des Rückenmarkes
sind das erste und einzige jetzt existirende
Werk, in welchem die verschiedenen Krank¬
heiten dieses Organs auf Grund streng anato¬
mischer Forschung in zusammenhängender
Form bearbeitet sind.
Wie überhaupt die Kenntniss der pathologischen Anatomie
stets die Grundlage für das klinische Studium bilden muss, so
sollen auch diese Vorlesungen nicht nur für die Vertiefung und
Klärung vieler Fragen beitragen, sondern namentlich
für das klinische Studium der Rückenmarks¬
krankheiten vorbereiten. Da aber ein erspriesslicher
Unterricht in der pathologischen Anatomie für den künftigen
Arzt nur in engster Fühlung mit der klinischen Medicin mög¬
lich ist, so hat der Verfasser in seinem Werke die klinischen
Gesichtspunkte wenigstens soweit herangezogen, als der patho¬
logisch-anatomische Befund für manche klinische Symptome
ll mittelbar die Erklärung gibt.
Die Bearbeitung dieses Theiles des Werkes wurde haupt¬
sächlich von Sacki durchgeführt.
Die zahlreichen, nach Originalpräparaten des Verfassers
hergestellten vortrefflichen Abbildungen tragen wesentlich zum
leichteren Verständniss des überaus klar und anregend ge¬
schriebenen Textee bei.
Das beigefügte Litoraturverzeichuiss beschränkt sich aus¬
schliesslich auf Sammelwerke, zusammenfasseude und mono¬
graphische Arbeiten und soll lediglich als Wegweiser für ein¬
gehendere Literaturstudien dienen.
Schmaus, welcher gerade in der Erforschung der patho¬
logischen Anatomie des Nervensystems schon Hervorragendes
geleistet hat, hat sieh durch die Herausgabe des vorliegenden
Werkes ein grosses Verdienst und damit gewiss auch den Dank
»licht nur aller Fachgenossen, sondern auch der Kliniker und
Aerzte erworben; denn thatsäehlich wird durch das aus¬
gezeichnete Werk eine empfindliche Lücke in der medicinisehen
Literatur endlich ausgefüllt. Hause r.
Rudolf Glaessner: Die Leitungsbahnen des Gehirns
und Rückenmarks, nebst vollständiger Darstellung des Ver¬
laufes und der Verzweigung der Hirn- und Rückenmarks¬
nerven. Mit 7 farbigen Tafeln. 61 Seiten. Wiesbaden,
.1. F. Burgma n n, 1900.
G. beabsichtigt mit vorliegendem Büchlein, um seine eigenen
Worte zu gebrauchen, ein möglichst dankbares Vademecum für
das Anfangsstudium eines immerhin schwierigen Kapitels der
menschlichen Anatomie an die Iland zu geben, das in streng
übersichtlicher, eng züsammengetragener, aber doch in sich ab¬
geschlossener Form und dureh Beigabe leicht verständlicher
Leitungstafeln eine anschauliche Vorstellung von dem Verlauf
der Gehirn- und Gehirnnervenbalmcn, sowie der Art und Weist;
ihrer Funktionen in einer relativ kurzen Zeit bilden helfen soll.
Verfasser gibt zuerst eine Uebersieht über den Verlauf der
Fasersysteme im Gehirn, Kleinhirn, Rückenmark, bespricht dann
de»i Verlauf der Bahjien in den einzelnen Abschnitten des Hirn-
mantels, Ilirnstamms und Rückenmarks und schliesst eine Dar¬
stellung der Verzweigung der peripheren Nerven an. Es dürfte
sieh empfehlen, bei der hier angeschlossenen tabellarischen
Uebersieht der Innervation und der Insertionsstellen der ein¬
zelnen Muskeln gelegentlich einer Neuauflage auch deren Funk¬
tion ebenfalls anzugeben. Ebenso könnte auch, um diesen
Wunsch hier gleich anzusehliessen, die Segmentaldiagnose des
Rückenmarks, besondei’s nach der bildnerischen Seite, berück¬
sichtigt werden, um die Anwendbarkeit des Buches für den
prak tischen Gebrauch noch zu erhöhen.
Ernst Schnitze- Andernach.
A. Friedländer: lieber den Einfluss des Typhus
abdominalis auf das Nervensystem. Klinische Mittheilungen
und kritische Besprechung dor einschlägigen Literatur von 1813
bis Anfang des Jahres 1900. Berlin 1901, Verlag von S. Karger.
222 Seiten. Preis 6 M.
Im Anschluss an 24 eigene Fälle bietet Verf. in Gestalt einer
Monographie eine Zusainmenstollung unseres Wissens über die
Beziehungen, die zwischen Typhus abdominalis und den Er¬
krankungen des gesummten Nervensystems bestehen. Die Arbeit
gliedert sieh in eine Betrachtung der vom Verf. beigebrachten
Fälle und in eine eingehende Besprechung und Sichtung eines
sehr umfangreichen aus der Literatur zusammengestellten ka¬
suistischen Materiales.
Unter anderem ist besondere Sorgfalt der interessanten
Frage gewidmet, ob der von den Einen entschieden behauptete,
von Anderen aber ebenso entschieden bestrittene günstige, ja
heilende Einfluss des Typhus auf Psychosen als erwiesen ange¬
sehen werden darf.
Verfasser bejaht diese Frage auf Grund eigener Fälle und
eingehender Literaturnachweise und referirt die diesbezüglichen
Erklärungsversuche. Die im Gefolge des Typhus auf tretenden
Psychosen theilt Verf. wie Kraepelin ein in Initialdelirien,
die häufig vor allen anderen typhösen Symptomen beginnen und
daher diagnostische Wichtigkeit beanspruchen; in die mit dem
Fieber einsetzenden und mit demselben zusammenhängenden
Fieberpsychosen, und in die nach dem Typhus, oft sehr spät, auf¬
tretenden Psychosen, die meist unter dem Bilde einer Er-
schöpfungspsychose verlaufen. Ohne irgendwelchen Zusammen¬
hang statuiren zu wollen, fügt Verf. der Besprechung der spät
cinsetzenden Psychosen einen Ueberblick über naehgewiesmin
Fälle langer Lebensdauer der Typhusbacillen (7—10 Jahre) im
Organismus an.
Eine sehr umfangreiche kasuistische Zusammenstellung, die
im Intereaee der Vollständigkeit auch manchen nicht ganz
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No. 30.
1422
MHENOHENER MEDIZINISCHE WOZTTENSZTIRIFT.
hierhergeliörigcii Fall briiiKt* behandelt di« Erkrankungen der
ixripheren Nerven und dos Rückenmarks. Mit eigenen und
fremden Beobachtungen tritt Verfasser für das Vorkommen
echter Epilepsie und funktioneller Neurosen (Hysterie) als
Typhusfolge ein.
Der Arbeit ist ein auf 521 Nummern sieh erstreckendes Ver¬
zeichn iss der seit 1813 erschienenen Literatur angefügt.
Lommel - Jena.
Dr. H. Breitenstein: Einundzwanzig Jahre in
Indien. II. Theil: Java. Leipzig, Th. Grieben's Verlag
(L. ¥ erna u, 1900. Preis 8 M. 50 Pf.
Auf Grund der Aufzeichnungen in seinem Tagebuche schil¬
dert Verfasser in vorliegendem Bande seine Erlebnisse und Ein¬
drücke auf Java vom Beginn der Seereise nach Indien bis zu
seinem Abschiede von der schönen Insel, ln bunter Fülle
wechseln Bilder von Land und Leuten mit Erörterungen natur¬
wissenschaftlichen, medicinisehen oder kolonialpolitischen In¬
halts. Sitten und Gebräuche der Eingeborenen, Chinesen und
der dortigen Europäer sind ausführlich beschrieben, reiches,
statistisches Material ist so eingeflochten, dass die trockenen
Zahlen nicht ermüdend wirken; durch den steten Wechsel der
verschiedenen Themata und einen fliessenden lebhaften Vortrag
wirkt die Lektüre des Buches ausserordentlich angenehm und
spannend. Zum grossen Theil sind die vom Referenten beim
ersten Theil des Werkes (Borneo) beanstandeten vielen Hollau-
dismen vermieden, wenn auch noch manchmal gegen die
deutsche und malayischo Sprache gesündigt wird (z. B. bezeich¬
net Brei t c n s t c i n , dem holländischen Idiom folgend,
Gegenstände aus Messing als kupferne); auch die Abbildungen
sind viel besser. Zu beanstanden wäre, dass Breiten stein
seine Beobachtungen und Erfahrungen, welche er eben fast
ausschliesslich im Verkehr mit Holländern erworben hat, gerne
als für den ganzen indischen Archipel giltig hinstellt (ef. p. 283
über die Ilaustoiletto der Damen). Wenn Breitenstein
glaubt (p. 219), dass wegen des hohen Feuchtigkeitsgehaltes der
Luft in Indien Präriebrände niemals Vorkommen, so hätte er
sich in Sumatra recht häufig von dem Gegentheil überzeugen
können. Doch solche kleine Fehler thun den sonstigen Vorzügen
des Buches keinen Eintrag und die Lektüre desselben wird
Jedem, der sich für solche Themata intercssirt, grossen Genuss
bereiten. Ganz besonders möchte ich das Buch jenen jungen
Kollegen zum Studium empfehlen, welche gesonnen sind, in
holländische Militärdienste zu treten: Dieselben werden, da ge¬
rade die militärdienstlichen Verhältnisse auf Java sehr ein¬
gehend und sachkundig behandelt sind, sehr viel Belehrung
finden und wohl mancher von ihnen wird seinem Entschluss
untreu werden. Dr. P a s t e r.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1901. 70. Bd
5. u. 6. Heft.
20) E. M e y e r: Heber Alkaptonurie. (Aus dem Labora¬
torium für analytische und technische Chemie der technischen
Hochschule zu Braunschweig.) (Mit 1 Kurve.)
Unter Alkaptonurie versteht man eine Iteihe auffälliger Harn-
rcaktionen, die bisher relativ selten bei Personen verschiedenen
Alters und Geschlechtes gefunden wurden. Der Urin färbt sich,
noch bevor er in ammouiakalische Gähruug übergeht, von der
Oberfläche her braun, wenn er an der Luft steht, nicht aber, wenn
der Luftzutritt verhindert ist. Das Gleiche erfolgt sofort auf Zu¬
satz von Alkalien, mit verdünnter Fe Cl 2 -Lösung färbt sich der
Harn vorübergehend triibgrau. M. beobachtete dieses cha¬
rakteristische Verhalten des Harnes bei einem iy 2 jähr. Knaben aus
gesunder Familie, dessen auffällig dunkler Urin ln der Wäsche
braune Flecke hlnterliess, daneben bestand häufiger Urindrang
und Bettnässen. Als Alkaptonkörper fand sich, wie auch in den
anderen Fällen, die Iloinogentisinsäure, die aber innerhalb gewisser
Grenzen keine tiefer gehende Störung des Organismus bedingt.
21) F. Jam ln: Ein Fall von multiplen Dermatomyomen.
(Aus der k. med. Universitätsklinik zu Erlangen.) (Mit 3 Ab¬
bildungen.)
J. vermehrt die sehr spärliche Kasuistik von aus glatten
Muskelfasern bestehenden llautgesehwülsten um einen neuen
Fall, der übrigens ln den meisten Punkten mit den Angaben anderer
Autoren übereinstimmt. Bel dem jetzt 42 Jährigen Patienten traten
im 17. I^bensjahre am rechten Unterschenkel oberhalb derKnöchel-
gegend einige rötliliche, stecknadelkopfgrosso Geschwülstehen auf,
die sieh langsam auf den Oberschenkel und Brust ausbreiteten und
an Grösse Zunahmen. Seit 20 Jahren ist ein Stillstand eingetreten,
insofern als neue Knoten nicht auftraten und die vorhandenen
nicht an Grösse Zunahmen. Während die Affektion Anfangs
schmerzlos verlief, traten später anfallsweise stechende, brennende,
reissende Schmerzen auf, besonders im Winter. Während des An¬
falles schwillt die Haut des Unterschenkels unter Uüthung an.
der Schmerzanfall selbst dauert, ca. 20 Minuten, um nach einer
mebrKtündllclien Pause wieder zu beginnen. Narkotica waren den
quälenden Schmerzen gegenüber fast machtlos. Die histologische
Untersuchung excidlrter Knötchen ergab, dass es sieh um Dennato-
myome handelte, die von den Muse, arrectores pilorum ausgingen.
Du eine rationelle Therapie nur in der Exstirpation der Knötchen,
und zwar iin noch schmerzfreien Stadium, bestehen kann, so em¬
pfiehlt sieh eine frühzeitige, diagnostische Prolwexcision.
22) L. Mohr und II. Salomon: Untersuchungen zur
Physiologie und Pathologie der Oxalsäurebildung und -Aus¬
scheidung beim Menschen. I. Mittheilung. (Aus der inneren Alt-
theilung des stiidt. Krankenhauses ln Frankfurt a. M.)
Verfasser, die Ihre Untersuchungen fast durchwegs an kli¬
nischem Material anstellten, bringen Beiträge zur Frage nach (1er
Bedeutung, Entstehung uml Ausscheidung der Oxalsäure, ohne
vorläufig zu einem abschliessenden Gesammtergebniss zu kommen.
23) II. E i e h h o r s t - Zürich: Ueber Brand an Armen und
Beinen nach Scharlach und anderen Infektionskrankheiten. (Mit
Tafel XL)
In einem schweren Scharlach falle, der unter sehr bedroh¬
lichen Allgemeinerscheinuugeu und einer Angina necroth-a strepto-
eoee. et staphylocoee. verlief, trat, ohne dass sieh ein Befund aui
Herzen ergab, ganz plötzlich eine Gangraen des linken Unter¬
schenkels ein, die eine Ablatio crurls uötliig machte. Die Unter¬
suchung des Präparates ergab, dass die Art. poplitea 1 cm ober¬
halb ihrer Thelhmgsstelle in Art. tib. ant. lind post, durch einen
Pfropf vollkommen verschlossen war, der sich auch ln die beiden
Aeste fortsetzte. Die Entwicklung eines Brandes an Extremitäten
nach Scharlach ist ungemein selten. Trotz des plötzlichen Ein¬
trittes des Gefässverschlusses nimmt Verfasser keine Emboli»*,
sondern eine autochthoue Arterienthrombose au, da die histo-
logisehc Untersuchung des GefässquersehuUtes eine EudarteriitN
ergab. E. hält cs für zweifellos, (lass die Veränderungen in der
Blutgefässbahn der schweren Allgeineiuiufektlon (Toxine!) ihren
Lrsprung verdanken, die zunächst zu einer lokalen Endarteriiti'
der Art. poplit. und von da aus zu einer autochthonen Arterien-
thrombose geführt hat. Es muss betont werden, dass die eud-
artevlitlschen Veränderungen nur eine sehr geringe Läugenaus-
dehuung besitzen können, so dass das Gefiiss stets in weiter Aus¬
dehnung auf Serienschnitten zu untersuchen ist. Von 1(50 Fällen.
l>ei denen im Anschluss an verschiedene Infektionskrankheiten
Gangraen der Extremitäten eingetreten ist, ist nur einer eingehend
histologisch untersucht mit gleichem Befunde, hei vielen anderen
ohne zwingenden Grund emholiseher Verschluss irrthtimlieh an¬
genommen. Interessant ist. dass z. B. nach Ha ab die sogen.
Embolie der Art. central, retinae vielfach auf autochthoncr Throm¬
bose in Folge Eudarteriitis beruht.
24) A. Procliaska: Untersuchungen über die Anwesen¬
heit von Mikroorganismen im Blute bei den Pneumoniekranken.
(Aus der med. Klinik der Universität Zürich.)
Den zahlreichen, in ihren Resultaten grossentheils abweielion-
(leu Untersuchungen über den Keimgehalt des Blutes von Pueu-
monickranken fügt I\ eigene Untersuchungen an, hei deueu di»-
Blutentnahme stets durch Einstich einer sterllisirten Glasspritz--
in eine Hautvene erfolgte, ln süinmtlicheu 50 Fällen von typiseh-r
fibrinöser Pneumonie gelang es, Mikroorganismen im Blute naoii
zuweisen und zwar fast ausnahmslos F r ä u k e l'sche Pueuui«»
coccen. Die Schwere der Pneumonie scheint nicht abhängig z»
sein von ihrem Auftreten im Blute, auch nicht von ihrer Zahl;
denn unter den 50 positiven Fällen waren mehrere durchaus als
leicht zu bezeichnende Fälle. Der positive Ausfall aller unter¬
suchten Fälle rührt, wohl daher, dass zur Untersuchung stets
grössere Blutmengen (ca. 10 ccm) verwendet wurden und berechtigt
zu der Annahme, dass dieser Befund bei allen Pneumonien zu
erheben ist.
25) G. R e i n e c k e: Ueber einige Fälle von schwarzer Zunge.
(Aus der med. Universitätsklinik in Kiel.) (Mit Tafel XII.)
Als schwarze Zunge ist eine dunkle, bald schwarze, bald
bräunliche, selten grünliche Verfärbung der Zunge bekannt, di«*
stets auf den vorderen Zungenabschnitt beschränkt ist. Die dunkle
Färbung Ist stets gebunden an die Epithelhauben der Papill. fili¬
formes, deren Verlängerung die Bezeichnung „schwarze Haar-
zunge" veranlasst hat. Die Erkrankung kann wenige Tage oder
jahrelang bestehen, subjektive Krankbeltserscheinungen könuen
fehlen; manchmal werden unangenehme Sensationen an der Zunge,
leichte Herabsetzung der Geschmacksempfindung, angegeben,
deren Abhängigkeit von der schwarzen Verfärbung zweifelhaft ist.
Die Erkrankung kann selbständig oder im Anschluss an ver¬
schiedene Erkrankungen (Intoxikations-Infektionskrankheiten, be¬
sonders Lues) auftreten. Die eigentliche Ursache bilden ln vielen
akuten und chronischen Fällen dunklen Farbstoff producirende
Schimmelpilze. Von den 7 Fällen des Verfassers betrafen 5 akute
Fälle Luetiker, bei denen er in den braunen Körnchen und Schollen
Hg-Niederschläge vermuthot, ohne den Beweis erbringen zu können.
2(5) A. Ott- Heilstätte Oderberg: Zur Kenntniss des Xalk^
und Magnesiastoffwechsels beim Phthisiker. j
Verfasser nahm an 5 Phthisikern vollständige Stoff-
wech8eluntersuchungen vor (unter Berücksichtigung von Nahrung.
Harn und Kotb), um die Frage zu entscheiden, ob beim Tuber¬
kulösen eine Einschmelzung von Knochengewebe stattfindet, was
mit Rücksicht auf die in Frankreich so verbreitete n.vpotheRC von
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3. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1423
Interesse war, wonach in einer Demineralisation des Organismus,
besonders an Kalk und Magnesia, die Disposition zur Tuberkulös*;
ihre Erklärung findet. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass bei so
hinreichender Ernährung, dass stärkerer Eiweissverlust des Kör¬
pers verhütet wird, von einem Verluste au Kalk und Magnesia,
also von einer Einschmelzung von Knochensubstanz auch beim
fiebernden Phthisiker keine Rede ist Erst wenn in Folge Fieber
und Appetitlosigkeit eine hinreichende Ernährung unmöglich ist.
tritt ein erheblicher Verlust au Kalk und Magnesia ein.
27) R. O t s u r k a - Tokio: Ein Fall von Anadenia gastrica
bei Magencarcinom. (Aus dem pathoiog. Institut der Universität
Würzburg.)
Das Wesentliche ist in der Unterschrift enthalten.
28) O. S i m o u-Karlsbad: Untersuchungen über die Lösungs¬
vorgänge bei der croupösen Pneumonie. (Aus der med. Klinik in
Hasel.)
In dieser interessanten Arbeit beschäftigt sich S. mit dem
noch recht wenig bekannten Heilungsstadium der Pneumonie, ins¬
tesondere mit der Chemie des Itesolutionsprocesses, ausgehend von
«ler Annahme, dass hierbei den weisseu Blutkörperchen eine wich¬
tige Rolle zufällt.
Der physiologische Lösuugsvorgnng bei der Pneumonie dürfte
bedingt sein durch Fermente, die vou den zerfallenden Leuko-
eyten geliefert werden. Diese Auffassung wird gestützt durch
das Verhalten des Urins, der zur Zeit der Pneumumiekrisis pepton¬
haltig wird, was durchaus mit der Annahme stimmt, dass Pep-
tonurie ein Zeichen von Gewebseinschmelzung ist. Als Mutter¬
substanz des Peptons wäre das Fibrin anzusehen, das Ja bei Hei¬
lung der Pneumonie aus dem Körper verschwindet, indem das
aus den zerfallenden Leukoeyten stammende Ferment elwelssver-
dauend wirkt. Dieser Vorgang (Autolyse, Selbstverdauung) ist ein
Akt der Selbstreinigung des Organismus; die absterbende Zelle
selbst enthält schon Vorrichtungen, um den todten Zellleib in
I.*')8ung zu bringen und aus dem Körper zu schaffen. Die bei der
Lösung des Fibrins von Pneumonien zum Thell in den Harn über¬
gehenden Aminosäuren entstehen dort, wo eine regressive Meta¬
morphose vor sich geht, und stellen ebenso wie die Peptonurie einen
Ausdruck von Gewebseinschmelzung dar.
29) Besprechungen. Bamberger - Krouacli.
Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 33 a, 34.
M. Overlach: Ueber Chinin und seine Ester.
Neben dem Euchinlu hat die chemische Industrie unter der
Menge der Chininester einen Körper hergestellt, der in den
Arzneischatz eingeführt zu werden verdient, den Chininester der
SaJicylsäure, der Kürze wegen Salochinin genannt Salochinin,
in Wasser unlöslich, In Alkohol und Aether löslich, ist absolut ge¬
schmacklos; es erzeugt keine Störungen des Nervensystems
(Ohrensausen, Schwindel u. s. w.), es irrltirt weder den Digestions-
noch den Harnapparat 2 g Salochinin entsprechen 1 g des ge¬
wöhnlichen Chinin. Das Präparat bewährte sich als Antineuralgi-
cum und Antalgicura, ebenso als Antipyreticum, z. B. beim
Typhus. Man gibt ein oder mehrere Male 2 g täglich. Ferner
wurde das salicylsaure Salicylchinin, das Rheumatin, geprüft.
Bel dieser Verbindung kommt neben der Chininwirkung noch die
Wirkung der Säure in Betracht Das Rheumatin ist geschmacklos,
bildet weisse, ln Wasser schwer lösliche Krystalle; die antirheu¬
matische Wirkung ist vorzüglich. Bei akutem Gelenkrheumatis¬
mus gibt man die ersten 3 Tage 3 mal täglich 1,0, am 4. Tag
Pause, dann 4 Tage hindurch 4,0 g pro die, jeden 5. Tag Pause.
Die Präparate werden hergestellt von den Vereinigten Chiuiu-
fabriken Zimmer & Co. in Frankfurt a. M.
No. 34. W. Hannes: Schweissausbruch und Leukocytose.
(Ans der Universitäts-Kinderklinik in Breslau.)
Die in Anlehnung an frühere Versuche Horbaczewski’s
von B o h 1 a n d angestellten Untersuchungen über die leukogoge
Wirkung der Hldrotlea und Antihidrotica gaben dem Verf. Ver¬
anlassung, auch bei dem nicht durch ein Medikament hervor-
gerufonen Schweissausbruch das Verhalten der weisson Blut¬
körperchen zu untersuchen. 35 Versuche wurden an 29 Kindern
der Klinik angestellt, welche in 77 Proc. das Auftreten einer deut¬
lichen Leukocytose im Anschlüsse an den Ausbruch des Schweisses
ergaben, während In den übrigen Fällen, welche nur 5 Kinder
betrafen, entweder ein Konstantbleiben der teukocytenwerthc
oder eine deutliche Leukogenle beobachtet wurde. Unter den
untersuchten Kindern waren 8 Säuglinge unter 1 Jahr, 12 Kinder
gehörten dem späteren Säuglingsalter (bis 2 y s Jahren) an, die
übrigen 9 standen im Alter von 4—11 Jahren. Der Gipfel der
teukocytenkurve wurde fast in allen Füllen innerhalb der ersten
Viertelstunde nach dem Schweissausbruche bereits erreicht
y 2 Stunde nach Beendigung des Schweisses sank die Lcukoeyten-
zabl zur Norm zurück. Wir sehen also, dass mit dem Auftreten
eines Schweissausbruches zugleich Leukocytenbewegungen statt¬
finden. Diese deuten auf die Anwesenheit chemotaktisch wirk¬
samer StofTe Im Körper hin, welche unter normalen Verhältnissen
allerdings erst nach Anwendung besonderer äusserer Hilfsmittel
in Aktion treten, beim Kranken jedoch, und besonders bei den
chronischen Ernährungsstörungen des Kindesalters, im weitesten
Sinne des Wortes schon ohne Jedes äussere Eingreifen zu be¬
stimmten Zelten zu ihrer Funktion angeregt werden.
W. Zinn- Berlin.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 00. Bd., 1 . u. 2. Heft.
Leipzig, Vogel, 1901.
1) Grob 6: Ueber Nierentumoren in therapeutischer, klini¬
scher und pathologisch-anatomischer Beleuchtung, (t hirurgisclie
Klinik Jena.)
Bericht über die Operation von 115 Fällen. Verf. theilt die
Tumoren in 2 Gruppen,, in die un verseil löblichen uml in die ver¬
schieblichem Von den f» Patienten mit unverschieblichen Tumoren
starten 4 bald im Anschluss an die Operation. Die anderen zwei
Patienten lebten noch y 4 bezw. 1 Jahr. Die, wenn auch geringen,
Erfolge in diesen beiden Fällen müssen «loch zu weiteren opera¬
tiven Versuchen auch bei solchen ungünstig gelagerten Tumoren
aufforderu.
Von 11 pathologisch genauer untersuchten Tumoren waren
7 suprarenale Strumen, 1 Cystadenom, 1 intiltriroudes Careinoin,
1 Carcinoma papilliferum uml 1 Adeuoeareinom des Nierenbeckens.
Die Histologie der suprarenalon Strumeu wird ausführlich erörtert.
Ganz bestimmte Anhaltspunkte, um schon klinisch deren Diagnose
stellen zu können, ergeben sich aus Verfassers Beobachtungen
nicht.
Als Op«*ratiousverfahreu wurde die trausperitoueale Methode
bevorzugt. Von den 9 Patienten, die die Operation überlebt, haben,
starben 3 im Verlauf des 1. Jahres, 2 nach 1% bezw. 2'/ s Jahren,
3 leben 10 Monate, 1 Jahr, 5 Jahre nach der Operation, und von
1 ist das Resultat unbekanut.
2) J u s t i a n: Ein Beitrag zur Kasuistik der Tuberculosis
hemiaca. (Garnisonsspital I, Wien.)
Mitthciiung eines mit Erfolg operirten Falles. Es bestand
eine Tuberkulose der serösen Häute. %
3) S 11 o r 11 n - Winterthur: Zur Kasuistik der Aneurysmen
und des Angioma arteriale racemosum.
Bei der Behandlung eines Rankenangioms der Stirugegeud be¬
diente sich St. mit Erfolg der fortlaufenden Umstechung: nach
10 Tagen konnte d«;r Tumor ohne uennenswerthe Blutung exstir-
pirt werden, eine Gungraen der Haut war nicht eiugetreteu.
Ein wahres traumatisches Aneurysma der Arteria femoralis
wurde durch Exstirpation gehellt, ohne dass es zur Gungraen an
dem betr. Bein kam. ln Zukunft würde Verf. bei einem ähnlichen
Falle doch zunächst die Digitalkompression versuchen, in Anbe¬
tracht der häufigen Gaugraen (25 Proc.) bei der operativen Be¬
handlung.
Ein ganz monströses Aneurysma der Arteria iliaca (30:19 cm)
wurde bei einem an Arteriosklerose leidenden Kranken beobachtet.
Der Sack fasste so viel Blut, als normaler Welse die Blutmenge
eines Menschen beträgt; er hatte sich in 2«/ 2 Monaten gebildet
4) Gessner - Memel: Ueber Mischgeschwülste des Hodens.
(Friedrichshain Berlin.)
Unter 8 genau untersuchten Hodengeschwülsten fanden sich
4 teratoide und embryolde Geschwülste. Drei der Tumoren sind
als embryoide Geschwülste im Sinne W i 1 m s’ zu bezeichnen; in
allen Hessen sich Abkömmlinge aller drei Keimblätter mit Sicher¬
heit uachweisen. Den vierten Tumor möchte G. als ein Analogon
der von v. Recklinghausen beschriebenen und auf Reste
des Wolf f sehen Körpers zurückgeftibrtcu Adenomyome uml
Cystadenomyomo des Uterus und der Tubenwaudungen auffassen.
5) W e b e r: Ein weiterer Beitrag zur Kasuistik der sub¬
phrenischen Abscesse. (Moabit Berlin.)
Mitthciiung von 10 weiteren Fällen, vou denen 5 durch eine
Appendicitis bedingt waren.
6) Payr-Graz: Beiträge zur Technik der Rhinoplastik.
Bei einem nach Carcinomexstirpation zurückgebliebenen De¬
fekt der Nasenspitze, beider Nasenflügel, des ganzen häutigen und
knorpeligen Septum hat P. mit Erfolg einen doppelten Haui-
lappen verwendet, der ln einer Breite vou 2 */ 2 cm aus der Wangon¬
haut, dom Verlauf der Nasolnbialfalte entsprechend, ausgeschnitten
wurde. Die beiden Lappen wurden nach innen umgeschlagen und
vereinigt, so dass sofort ein resistentes Septum gebildet war. Der
kosmetische Erfolg war ein vortrefflicher. Verf. glaubt, dass
ähnliche Methoden beim Ersatz der Nasenspitze öfter zu verwenden
sein werden.
7) S c h u 11 7. e - Duisburg : Zur Exarticulatlon grösserer
Gelenke.
Bei Exarticulationen im Schulter- und Hüftgelenk lässt sich
oft die Esraarch’sclie Binde nicht anlcgen. Scli. empfiehlt in
solchen Fällen nach dem Princip der schrittweisen Unterbindung
Rose's dio schrittweise Abklemmung und Unterbindung der
Welchtheile vermittels der R i c h e 1 o t -1> o y e n'schen Kleiutu-
zangen. Das centrale Ende jeder Muskelpartie wird mit dünner
Solde oder Catgut umstochen und möglichst lang gelassen. Regel¬
rechte Versorgung der Gefässe uud Resectlon der Nerven. Eine
vorherige hohe Amputation ist nicht nothwendig. In drei Fällen
wurde das Verfahren mit Erfolg erprobt.
8) IC e 11 i n g - Dresden: Ein in physiologischer Beziehung
beachtenswerther Fall von Magenresektion nebst Bemerkungen
zur Gastro-Enterostomie.
Für die Gastroenterostomie gibt K. folgende Regeln: man
nehme eine möglichst hohe, aber nicht zu kurze Darmschling«',
wähle an der grossen Curvatur den tiefsten Punkt. ma«-li«> dio
Oeffnung so gross, dass der Mageninhalt bequem heraus kann,
sorge aber auch dafür, dass der Darminhalt ungehindert vorbui-
zupassiren vermag, nnd sclillesse nach Möglichkeit alle mesen¬
terialen Schlitze uud peritonealen Spalten. Dass es nicht nüthig
ist, nach Petersen die Darraschlinge möglichst kurz (8—10 cm)
zu nehmen, konnte Verfasser auf Grund einer Beobachtung nach
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1424
MÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3G.
einer Magenresektion erweisen. Es bildete sich in dem Falle
eine Duodenalflstel aus, aus welcher lange Zeit die Nahrung rück-
läulig nusfloss. Es beweist das also, dass der Darui von der Gastro-
euterostomieöstel aus nach dem Duodenum zu mindestens 50 cm
weit mit Mageninhalt gefüllt wird.
0) Carl Kitt e r: Die Aetiologie des Carcinom3 und Sarkoms
auf Grund der pathologischen Forschung. (Chirurgische Klinik
Greifswald.)
Verfasser hat sich die Frage vorgelegt, ob nach dem heutigen
Stande der pathologischen Forschung die Annahme einer infek¬
tiösen Natur des Sarkoms und Carcinoms ausgeschlossen ist, oder
ob es möglich ist, dieselbe mit den Thatsaelien der Pathologie
in Einklang zu bringen. Gestützt auf eine sehr umfassende
Litera turkenntniss, geht Verf. all’ die verschiedenen in Betracht
kommenden Thatsaelien durch und kommt zu dem Ergebniss, dass
man die Möglichkeit einer Infektiosität von Sarkom und Carcinom
nicht verneinen kann. Eine Bösartigkeit der Geschwulstzellen
selbst kann man nicht annehmen. K. möchte sogar glauben, dass
sie nützlich sind. Die Geschwulstzellen können anatomisch als
nichts anderes als Körperzellen erklärt werden. Warum die
Körperzellen Ihre biologischen Eigenschaften verlieren, warum sie
krebslg degenerireu, warum sie ihre Wachsthumsrichtung ändern
und in’s Unendliche wachsen, dafür ist bisher eine befriedigende
Erklärung nicht gegeben worden. Die Infektionstheorie kann sie
erklären, wenn in den Geschwülsten auch Zeichen von Schädi¬
gungen, ähnlich wie bei den Entzündungen, vorhanden sind. In
sehr geistreicher Weise glaubt nun Verfasser naehweisen zu
können, dass die Degenerationen in den malignen Tumoren sich
ausserordentlich leicht unter der Annahme einer infektiösen Ur¬
sache erklären lassen. Ja er glaubt, dass die Infektion ganz allein
im Stande ist, alle Erscheinungen der Degeneration zu erklären.
Was die Metastasenlehre anbetrifft, so bereitet dieselbe ja der
Annahme einer Infektiosität grosse Schwierigkeiten. Verf. glaubt
aber, dass die Metastasenlehre einer gründlichen Durchsicht bedarf
und führt eine Reihe von Punkten auf, die sich gegen dieselbe,
wie sie jetzt herrscht, heranziehen lassen.
10) B e c k - New-York: Ueber die Fraktur des Processus
coronoideus ulnae.
An 3 Fällen erweist Verfasser die Bedeutung der Röntgen -
stralilen für die Diagnose der genannten Fraktur.
11) M a i 11 e f e r t-Culm a. W.: Die Luxation der Kniescheibe
durch Verschieben nach oben.
Auf Grund einer Beobachtung glaubt Verf., dass neben der
Durehreissung des Ligamentum patellae eine wirkliche Luxation
der Kniescheibe nach oben vorkommt, bei der nur ein leichter
Einriss des Ligamentum patellae besteht. K recke.
Centralblatt für Gynäkologie. 19ul. No. 34.
1) Bau r-Berlin: Einfluss des Roborats auf die Milch
stillender Mütter.
„Roborat“ ist nach Angabe der Fabrik (Nilhrmittelwerke
II. Niemöller, Gütersloh) reines Getrelde-Eiweiss im Natur¬
zustände, das von B. in Bezug auf seinen Einfluss auf die Milch¬
sekretion geprüft wurde, und zwar zwischen 1. und 4. Woche
nach der Geburt. Der Erfolg war günstig: meist war schon nach
4—(5 Tagen eine erhebliche Zunahme der Milch vorhanden. Auch
die Qualität der Milch schien sich bei seinem Gebrauch zu bessern.
Auf Appetit und Stuhlgang hatte es keinen Einfluss; Kindern
selbst bekommt das Roborat nicht.
2) Ludwig P 1 n c u s - Danzig: Zur Zestokausis und Anderes.
P. widerlegt einige Einwände, die gegen die Zestokausis er¬
hoben worden sind. Strikt uren, von denen P. selbst 5 Fälle
erlebte, lassen sich vermeiden, wenn man bis zur Abheilung Jodo¬
formgaze in den Cervikalkanal legt. Auch die Exsudat¬
bildung soll sich bei vorsichtiger Ausführung der Operation
vermeiden lassen; besonders soll man sofort aufhören, wenn
Schmerzen auftreten.
Besonders bewährt hat sich die Zestokausis bei Cervix¬
gonorrhoe, Erosionen, Behandlung von Fistelgängen und paren¬
chymatösen Blutungen. Zum Schluss vertlieidigt P. seine Priorität
in der jetzt üblichen Ausführung der Operation gegen verschiedene
Angriffe unter Hinweis auf die Worte von Fritsch: „Die
Priorität muss dem zuerkannt werden, dem es gelingt, eine Er¬
findung zum Allgemeingut zu machen, sie so zu begründen und
zu empfehlen, dass sie überall anerkannt wird.“
3) O. P o 1 a n o - Greifswald: Zu meinem Aufsatz in No. 30
d. Bl. 1901: „Eine neue Methode der Behandlung chronischer
Beckenexsudate.“
Der in genannter Arbeit beschriebene Apparat zur Heissluft-
belinndlung (ref. in diesem Bl. No. 33, p. 1328) ist nicht von P.,
sondern von Klapp, was P. jetzt richtig stellt.
J a f f 6 - Hamburg.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 4. 1901.
1) K. N ak a n i s li i - München: Ueber den Bau der Bac-
terien. (Schluss.)
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
2) K. S t e f a n s k y - Odessa: Ueber eine durch Streptococcus
lanceolatus hervorgerufene Epizootie bei Meerschweinchen.
Im bacteriologischen Laboratorium zu Odessa starben ln
Zeit von 3 Monaten 40 Meerschweinchen, welche einer akuten In¬
fektionskrankheit zum Opfer gefallen waren. Die Thiere waren
apathisch, verweigerten die Nahrung, es trat Husten auf, ge¬
steigerte Athemfrequenz und Cyauose der Schleimhäute. Der Tod
trat ol't nach 3—4, gewöhnlich nach 8—10 Tagen ein.
Die Sektion ergab pneumonische Infiltration
der Lungen, entzündliche fibrinöse Ausschei
d u n gen an den innere n O rganen und sowohl im Blut
wie in den einzelnen Organen stets den Streptococcus
lanceolatus. Seine Virulenz war besonders für Kanincäiu
sehr bedeutend.
3) K. W a t z - Oberndorf: Bemerkung zu dem Aufsatz des
Herrn Gr. Gertler „Ueber einen Wärmeschrank (Thermo¬
staten) für praktische Aerzte“.
Wat. z bringt ln Erinnerung, dass er ebenfalls schon früher
einen Wärmeschrank mit noch grösserer Einfachheit konstruirt
habe. R. O. Neumann - Kiel. \
Berliner klinische Wochenschrift. t'.tOL No. 34. C
1) I*. K. P e 1 - Amsterdam: Echinococcus der Lungen, unter
dem klinischen Bilde der akuten Pleuropneumonie.
Der 37 jährige Kaufmann, dessen Erkrankung beschrieben
wird, zeigte zunächst Schüttelfrost, Husten, Auswurf. Seiten
stechen, allgemeines schweres Krankheitsbild und schien pliysi
kalisch die Erscheinungen einer Pneumonie des rechten Mittel-
lappeus und einen linksseitigen pleuralen Erguss darzubieten.
Wegen des blutigen Auswurfs, der übrigens dem scheinbaren Be¬
ginn der Erkrankung schon einige Tage vorausgegangen war.
wurde auch an eine laiwirte Tuberkulose gedacht. Bei der ver
suchten Empyomoperation auf der linkeu Seite wurde der Echino¬
coccus entdeckt, bei der Sektion auch rechts eine grössere Cyste,
letztere ohne die Erscheinungen der Infektion, welche die links¬
seitige darbot. Die rechtsseitige Cyste war vollkommen von den
Luft wegen abgeschlossen.
2) F. II neppe: Perlsucht und Tuberkulose.
Der vorliegende Aufsatz stellt eine scharfe Kritik der von
Koch auf dem Tuberkulosekongress zu London geäusserten An¬
schauungen über das Verhältuiss der Rindertuberkulose zur
menschlichen dar. II. bestreitet dpn Artunterschied zwischen dem
Erreger der Perisucht und der Meuschentuberkulose und vertritt,
wie auch schon in früheren Publikationen, die Auffassung, dass
die an den Erregern der beiden Tuberkuloseformen aufzufiudendeu
Unterschiede nur Modifikationen einer Art darstellen, welche durch
die Verschiedenheit der Wirthe hervorgebracht werden. Dass
ein Artunterschied zwischen den beiden Formen nicht vorhanden
sein kann, geht auch aus der Beobachtung hervor, dass bei der
Ucbertragung der Menschen- oder Rinderbaeillen auf Meer¬
schweinchen oder Kaninchen der Organismus der letzteren Thiere
die bestehenden Differenzen zwischen den beiden Formen so aus¬
gleicht, dass ein Unterschied nicht mehr wahrzuuehtnen ist. Von
K o e h wird immer, wie auch von anderen Bacteriologen, das
Moment der individuellen Empfänglichkeit zu sehr ausser Rech¬
nung gelassen. Das Haften des Rinderbacillus am Menschen ist
aber ganz sicher und findet in grösserem Umfange statt, als
Koch angibt. Der Kampf gegen die Tuberkulose der Rinder ist
nach II. mit aller Energie in dem bisher geübten Sinne fort¬
zusetzen. Es ist übrigens sicher, dass manche Formen von Tuber¬
kulose, welche man auf Elnathmung zurückfUhrt, doch auf Rech¬
nung der Nahrungsaufnahme zu setzen sind. Koch unterschätzt
die Gefahr der tuberkulösen Milch ganz bedeutend.
3) M. W 11 d e - München: Ueber die Absorption der Alexine
durch abgetödtete Bacterien.
Die mitgetheilten Versuche, hinsichtlich deren Einzelheiten
auf das Original verwiesen werden muss, ergaben überein¬
stimmend das Resultat, dass genügende Mengen von abgetödte-
ten Milzbrand-, Cholera- und Typhusbacterien im Staude sind, bei
entsprechend langem Kontakt Rinder-, Hunde- und Knninchen-
serum aller bactericiden und haemolytlscbcn Eigenschaften gegen¬
über verschiedenen Arten von Bacterien und Erythrocyteu zu be¬
rauben, ein Verhalten, welches mit der Buchner-Bordet-
sehen Auffassung von der Einheit des Alexins durchaus überein-
stiinmt und dieselbe wiederum bestätigt während es sich nach
der Ehrlich -Morgenrot h’sehen Theorie nur schwer er¬
klären lässt.
4) M. M e n d e 1 s o li u - Berlin: Zur Kompressionstherapie
der Herzkrankheiten.
Cfr. Referat pag. & r >3 der Münch, med. Wochenschr. 1901.
5) A. W o 1 f f - Berlin: Untersuchungen über Pleuraergüsse.
In der sich mit der Technik der Untersuchung befassenden
ersten Mittliellung bestreitet Verf. zunächst die Richtigkeit der
Annahme, dass alle Exsudate, in welchen sich keine Bacterien
finden, auf Tuberkulose beruhen sollen. Bei der bacteriologischen
Untersuchung der Ergüsse müssen die zu giessenden Platten nicht
so dünn gemacht werden wie gewöhnlich: ferner sollen immer
auch Bouillonkulturen angelegt werden. Es erscheint dem Verf.
nicht wahrscheinlich, dass in den tuberkulösen, serösen Ergüssen
überhaupt Tuberkelbacillen Vorkommen. W. macht sodann darauf
aufmerksam, dass eine Unterscheidung zwischen Exsudat und
Transsudat nach der Reaktion nicht sicher ist, da sehr viel auf
den betreffenden Indikator ankommt. Um für die Untersuchung
der zelligeu Elemente eine nicht so eiweisshnltige Flüssigkeit zu
erhalten, centrifugirt Verf. und mischt sodann das erhaltene Sedi¬
ment mit physiologischer Kochsalzlösung, wodurch eine leichtert'
Färbbarkeit der Zellen erzielt wird. Bezüglich der einzelnen
Färbemethoden der zelligen Elemente, aus deren morphologischem
Verhalten noch mancher Aufschluss gewonnen werden kann, muss
auf das Original verwiesen werden.
Grassmann - München.
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3. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 142-5
Deutsche medieinische Wochenschrift. 1901. No. 34.
1) W 11 m s ■ Leipzig: Zur Behandlung der Leberrupturen.
(Sehl ues folgt.)
2} F. II i r s c h f e 1 d - Berlin: Unfall und Diabetes.
Vortrag, gehalten Im Verein für innere Mediein zu Berlin am
24. April 1901. Referat siehe diese Wochenschrift No. 19, p. 708.
3) II. S a 1 o m o u - Frankfurt a. M.: Weitere Mittheilungen
über Spirochätenbacillen-Angina.
Nach den Untersuchungen von S. sehliesst der Nachweis der
charakteristischen Spirochätenbacilleu-Flora das Vprhandensein
einer diphtheritisclien Infektion beinahe sicher aus. Sehr häulig
dagegen ist die Spiroehiitenbazillen-Angiua mit sekundärer
Rachensyphilis vergesellschaftet. Bel Stomatitis sind Spirochäteu-
bacillen bisher nur 2 mal beobachtet.
4) J. B ro n s t e i n - Moskau: Zur Frage der Ratten Vertil¬
gung mittels des Danyszbacillus.
Die im bacteriologisch-chemIschen Institut von B 1 u in en¬
thalte Moskau angestellten Versuche bestätigen entgegen ander¬
weitigen Beobachtungen die Pathogenität des I) a n y s z'sclien
Bacillus; nur wird hervorgehoben, dass die Virulenz desselben
durch die Speeles, die lokalen Rasseverschiedenheiten der Ratten
beeinflusst werden können.
5) ö. A b e 1 s d o r f f - Berlin: Ueber einige Fortschritte
unserer Kenntnisse von den Thatsachen der Gesichtsempfln-
dung.
A. bespricht den Einfluss, welchen der Adaptionszustaud des
Sehorgans, die Lage der vom Lichtreize getroffenen Netzhaut¬
partie (direktes und indirektes Sehen) und endlich individuelle
Unterschiede, Anomalien und angeborene Defekte des Farben¬
sinnes (Farbenblindheit) auf die Licht- bezw. Farbenemplindung
ausüben.
(5) H. N e u m a n n - Berlin: Skrophulose und Tuberkulose
im Kindesalter.
Sammelreferat über die in den neuesten Arbeiten auf diesem
Gebiete (1900/01) niedergelegten Beobachtungen.
7) L a s k o w s k i - Berlin: Ein neuer Prostatakühler.
In der Hauptsache besteht der hier beschriebene Apparat
in einem in löffeiförmiger Biegung sich an die Prostata anlegenden
Metallrohr, welches in Folge seiner eigenthümlicheu Konstruktion
durch Hebelwirkung sich selbst au Ort und Stelle hält. Der
Apparat lässt sich ebenso zur Massage, wie auch zur elektrischen
Behandlung der Drüse verwenden. Bezüglich der näheren Be¬
schreibung muss auf den Originalartikel verwiesen werden.
8) Hoppe- Königsberg: Hat der Vater oder die Mutter
auf die Vitalität der Kinder den grösseren EinflussP
In Bezug auf die in No. 20 der Deutsch, med. Wocheuschr.
von R u p p i n unter obigem Titel veröffentlichte Abhandlung be¬
merkt Autor, dass die von II. gezogene Schlussfolgerung als rich¬
tig und einwandsfrei anerkanut werden müsse, dass die Begrün¬
dung derselben durch ein mystisches biologisches Gesetz aber un¬
annehmbar sei, da sich die Sache ganz natürlich erklären lasse
durch das bei den Juden viel seltenere Vorkommen der 3 für den
Vitaltemus bedeutungsvollsten Krankheiten, die Tuberkulose, die
Syphilis und den Alkoholismus. F. Lacher- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg. No.16.
J. Karch er-Basel: Das Schicksal der hereditärluetischen
Kinder.
Von 31 als geheilt entlassenen (Schmierkur) Fällen von
Ileredosyphills des Basler Kinderspitals konnten 16 wieder auf¬
gefunden werden. 6 waren als kleine Kinder gestorben, 4 wurden
als völlig gesund wieder gefunden, 5 waren tuberkulös (ohne Ba¬
cillennachweis).
Armin H u b e r - Zürich: Ueber Irrwege bei der Diagnose
der Perityphlitis. (Schluss.)
10 Krankengeschichten mit Epikrisen, welche die Möglichkeit
einer falschen Diagnose mehrfach beleuchten: Gallensteine,
rterusmyom, unklare Fälle „Appendlcitis larvata“, Appendicitis
perforativa und Ulcus ventrieuli perforatum, perlrectaler peri-
typhlitischer Abscess (die Herkunft vom Wurmfortsatz scheint
hier nicht sicher).
Theodor Z a n g g e r - Zürich: Die hydriatische Therapie des
akuten Stirnhöhlenkatarrhs.
Verfasser empfiehlt Schwltzenlassen (Dreiviertelspackung mit
Bettflaschen und helssem Getränk), darnach kühle Abreibung.
Fiscliinger.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 34. 1) Z u p p i n g e r - Wien: Ueber Herztod bei an¬
scheinend bedeutungslosen oberflächlichen Geschwürsprocessen.
Verfasser gibt die Krankengeschichte von 3, Kinder betreffen¬
den Füllen, bei denen sich im Anschluss an Entzündungen oder ge-
sehwürige Processe der Haut klinisch die Erscheinungen der
akuten Herzinsufflcienz. pathologisch-anatomisch die Symptome¬
akuter Myokarditis und Nephritis zeigten. Für 2 dieser Fälle
liegt der Obduktionsbefund vor. mit histologischen Unter¬
suchungen des Herzens und der Nieren, welche beide Male im
Zustande frischer Entzündung gefunden wurden. Die Ursache für
die besondere Giftempfänglichkeit des Herzens, namentlich bei
Kindern, .welche bei derartigen Hautentzündungen manchmal her¬
vortritt, ist zunächst noch unbekannt.
2) F. Ranzi-Wien: Zur Aetiologie der Leberabscesse.
Mittlieiluug der Krankengeschichte eines 02 jährigen Mannes.
bei welchem multiple Abscesse ln der Leber zur Bildung eines
subphrenischen Abscesses und schliesslich zu allgemeiner Peri¬
tonitis geführt hatten. Als Erreger des ganzen Processes, dessen
Ausgangspunkt im Darm gesucht wird, fand sich in 3 unter¬
suchten Abscessen ein Kapselbacillus, ebenso im peritonitischen
Exsudat und im Gallenblaseninhalt, dessen morphologische und
kulturelle Eigenschaften dafür sprechen, dass es sich um den
Bacillus pneumoniae haudelte. Die iu dem betreffenden Falle
gleichfalls vorhandene Endokarditis ist auf haematogenem Wege
sekundär entstanden.
3) A. B e y e r - Leipzig: Ueber atypische Psoriasis. (Fort¬
setzung folgt.) Grassmann - München.
Französische Literatur.
No vö- J o s s e r a n d - Lyon: Behandlung der angeborenen
Hüftgelenksluxationen nach Lorenz. (Revue meusuelle des
maladies de l’enfanee, Juni 1901.)
Verfasser war einer der Ersten, welche die Lorenz’sche
Methode der unblutigen Hüftgelenksluxationen in Frankreich an-
wnndten, hat nun 'im Ganzen 115 Fälle damit behandelt und 50
derselben datiren so weit zurück, dass ein abschliessendes Urtheil
J wohl möglich ist. Auf das operative Verfahren selbst, wie es N.
i geübt hat. auf die Nachbehandlung und Nebenerscheinungen iu
den Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden'und seien
nur die Schlussresultate angegeben. Wird die Operation vor dem
Alter von 5 Jahren ausgeführt, so erhält man ln beinahe der Hälfte
der Fälle ein anatomisches und funktionelles Resultat, welches
einer wirklichen Radikalkur gleichkommt; berücksichtigt mau nur
das funktionelle Resultat, so ist es in 80 Proc. der Fälle befriedi¬
gend und sonst ist immer Besserung vorhanden. Je jünger die
Kinder, desto besser das Resultat, die Indikation zur Operation
ergibt sich, sowie die Diagnose gestellt ist: mau kann sie Rchon
im Alter von 30—17 Monaten ausführen, wenn nur die Kinder
sauber genug sind, dass das Tragen einer Bandage möglich Ist.
Nach dem Alter von 5 Jahren sind die Erfolge weniger gut, die
völlige Reduktion selten, jedoch die Verbesserung der Körperform,
das \ erminderte Hinken und besonders die erhöhte Widerstands¬
kraft gegen Ermüdung lassen immerhin die Operation noch bis
gegen das Alter von iO Jahren empfehlenswert!! erscheinen, zu¬
mal alle aus der Luxation entstehenden Störungen dann stationär
bleiben und sich nicht verschlechtern. Nach dem Alter von
10 Jahren hätte man ernste Fälle von Fraktur und nervöse Stör¬
ungen zu fürchten und die Besserung, die man erwarten köunte,
ist zu illusorisch, um in diesem Alter den Eingriff vorzunehmeu,
von ganz besonders günstigen Umständen abgesehen.
Lobli ge vis: Ueber die E h r 1 i c h’sche Diazoreaktion
bei der Diphtherie und ihren diagnostischen Werth. (Ibid.)
L. untersuchte in 118 Füllen von Diphtherie den Urin nach
dieser E h r 1 i c h’sche» Probe und fand im Ganzen nur 1 posi¬
tiven Ausfall derselben, wenn die Diphtherie nicht mit einer
anderen Infektionskrankheit associirt ist; sie ist also ausserordent¬
lich selten, während sie Ehrlich .1 mal unter 9 Fällen, Esche-
r 1 c h 2 mal unter 4 Fällen u. s. w. fanden. Unter den 4 weiteren
Fällen, wo die Reaktion eine positive war, bestand gleichzeitig
bei zweien Scharlach, bei dem bekanntlich die Diazoreaktion häu¬
fig ist, in dem dritten ein seharlachähulieher Ausschlag und in dem
vierten war der Ausfall erst am Tage des Todes, wo eine Broncho¬
pneumonie eingetreten war, ein positiver. Die in Folge einer
Seruminjektion zuweilen vorkommende Hauteruption gibt mit der
Diazoreaktion eine Dunkelfärbung des Urins, welche niemals den
positiven Ausfall derselben (ornngeroth) bei Scharlach oder Masern
erreicht; dieser Unterschied kunn einen gewissen diagnostischen
Werth haben.
Noböcourt und Prosper Merk len: Die Rolle des
Streptococcus und der Leberveränderungen hei der Entstehung
gewisser infektiöser Erytheme. (Ibid., Juli 1901.)
Im Verlaufe und während der Reconvalescenz von ver¬
schiedenen Infektionskrankheiten, wie Typhus, Scharlach, Masern,
Diphtherie, können toxi-infektiöse, mit Erythemen begleitete Er¬
scheinungen von verschiedener Intensität Vorkommen und sind die
Folge sekundärer Infektionen, nicht der primären Erkrankung,
wie ihr ganzer Verlauf lehrt. Nach den Untersuchungen von N.
und M. (an 10 Fällen) spielt zwar der Streptococcus bei diesen
Sekundärerythemen eine wichtige Rolle, es kommen aber sicher
auch andere Keime in Betracht, deren Natur allerdings oft schwer
zu bestimmen ist. Die Leber ist in beinahe all’ diesen Fällen
krankhaft verändert, sie zerstört die Toxine nicht, die Niere bringt
sie nicht zur Elimination, in Folge dessen beeinflussen diese Im
Blute kreisenden Gifte leichter die vasomotorischen Centren der
Haut und können Erythem oder Purpura erzeugen.
Sarremone: Die adenoiden Vegetationen bei mangel¬
haft entwickeltem Pharynx. (Ibid.)
S. beschreibt das klinische Bild von Kindern im Alter von
4—10 Jahren mit adenoiden Vegetationen, bei welchen Nase und
Rachenhöhle noch mangelhaft ausgebildet sind und die Unter¬
suchung derselben oft ausserordentlich schwierig sich gestaltet.
Diese Vegetationen sind ebenso und auf dieselbe Weise zu ope-
riren. wie die anderen, und in späteren Jahren. Die Besserung
<les Befindens erfolgt nicht unmittelbar, sondern erst später, wenn
die Nasen-Rachenhölile sich entwickelt bat, wozu eben die Opera¬
tion, welche die Nnsenathrauug möglich macht, den Anstoss gibt.
Moncorvo: Die deformirende Arthritis im Kindesalter.
(Ibid.)
Den 48 aus der Literatur gesammelten Fällen dieser Affektion.
welche sogar bei Neugeborenen (!) Vorkommen soll, fügt M. einen
weiteren hinzu, welcher ein 5 Monate altes Kind betraf. Die
Mutter desselben war ebenfalls mit Rheumatismus behaftet ge-
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MU E N CH EN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
1426
wesen. Ausser Erscheinungen hereditärer Syphilis zeigte das
Kind Dift'onnitäten an mehreren Fingern beider Hunde, welche
nach der Mutter Aussagen schon seit dem Alter von 2 Monaten be¬
standen hatten; die aftieirten Finger werden in halbgebeugter
Stellung gehalten, die Zehen ebenso wie die grossen Gelenke der
4 Extremitäten sind nicht ergriffen. Zu den prädisponirendeu Ur¬
sachen dieser chronischen progressiven Arthritis des Kindesalters
sind nach M.’s Untersuchungen niedere, schlecht beleuchtete und
feuchte Wohnungen, fehlerhafte Ernährung (zu reichliche oder
zu geringe) zu rechnen. Das weibliche Geschlecht wiegt vor, die
meisten Fälle (23 von 45) fallen auf das Alter von 8—14 Jahren;
die Heredität, d. h. die Uebertmgung der Disposition von Eltern
auf die Kinder, ist eine zweifellose, welche Tlmtsache, ebenso
wie das Uebcrwiegen des weiblichen Geschlechts, schon Char-
cot festg» stellt hat. Auch der foetale. direkte Ursprung des
Leidens i.st, wie der vorliegende Fall lehrt, nicht zu leugnen.
G h a rcot war es auch, welcher auf den eentripetalen Verlauf der
Gelenksaffektionen, die am Anfang fast immer die peripheren
Gelenke befallen und dann progressiv auf die grossen Gelenke
übergehen, aufmerksam gemacht hat. Der glückliche Ausgang des
Leidens ist fast immer die Itegel, obwohl unter manchen seltenen
Umstünden die Arthropathie bis iu’s späte Alter den Kranken be¬
gleiten kann. Die Fixlrung der Gelenksuffektiouen, Ihr sym¬
metrisches und progressives Verhalten, das auf das periarticulare
Gewebe und die Synovialfalten beschränkte Vorkommen genügen
im Allgemeinen zur Diagnose. Bezüglich der Behandlung sind
Jod- und Elektrotherapie auch bei der deformireuden Polyarthritis
im Kindesalter noch immer die besten Mittel.
C o m b e - Lausanne. Scholder und Weit h: Die Ver¬
krümmungen der Wirbelsäule in den Schulen von Lausanne.
(Annales de mödeeine et Chirurgie infantiles 1901, No. 10—12.)
C.. auch Schularzt in L., hat noch 2 Mitarbeiter gefunden,
von welchen der eine Leiter eines Z a n d e r’sehen Instituts ln L.
ist. um in wirklich eingehender Welse diese Frage nach allen
Seiten zu beleuchten, und kann die vorliegende umfangreiche
Arbeit, die mit zahlreichen Textillustrationen versehen ist, als
eine werthvollere Bereicherung der schulhygienischen Literatur
angesehen werden. Aus den Schlusssätzen seien einige angeführt.
Es wurden 25 Proc. aller Schulkinder mit Skoliose behaftet ge¬
funden; die Schule ist für die Verfasser Dank der lange dauernden
sitzenden Lebensweise, welche sie fordert; Dank besonders der
fehlerhaften Haltung beim Schreiben die wichtigste Ursache der
Skoliosen; zu Hause werden noch unter ungünstigen hygienischen
Verhältnissen diese Uebelstände vermehrt. Warum dabei doch
nur 25 Proc. skoliotiscli werden, das hängt von der Prädisposition
der schwachen, auacmisclien, rachitischen Kinder ab, während
doch die Mehrzahl widerstandsfähiger ist. Die Forderungen der
Verfasser gehen nun dahin, dass die Kinder vor ihrem Eintritt in
die Schule ln Bezug auf einseitigen Plattfuss oder Ungleieheit in
der Länge beider Beine untersucht, die Schulbänke dem Alter an¬
gepasst, die Beleuchtung verbessert, die Körperübuugen an Zahl
vermehrt (wenigstens % Stunde pro Tag) worden. Die Selireib-
(ibungen sollten erst begonnen werden, wenn die Kinder an eine
völlig symmetrische Haltung ge\völint sind; der Steilschrift ist der
Vorzug zu geben. In den unteren Klassen soll (*s keine Haus¬
aufgaben geben; den anderen Schülern sind für die Ausführung
der schriftlichen Arbeiten zu Hause genaue, gedruckte Vor¬
schriften einzuhändigen (bezüglich der Haltung u. s. w.). Zum
Schlüsse wird der zahlreichen Aufgaben des Schularztes ge¬
dacht, der die schwachen, anaemischen Kinder genau beobachten,
fehlerhafte Haltung stets korrigiren, den Turnunterricht über¬
wachen und, wenn nöthig, eine orthopaedlsche Behandlung zur
rechten Zeit auordnen soll.
Woirhaye und C a z i o t - Maubeuge: Schwerer Ikterus
mit akuter Leberhypertrophie. (Revue de mCdecine, Juni 1901.)
Kasuistischer Beitrag zu dieser in ihrer Pathogenese noch
wenig aufgeklärten Affektion mit genauer Beschreibung des
autoptIschen und histologischen Befundes. Es handelte sich um
einen 22 jährigen Soldaten, dessen Vater und Mutter schon an
Diabetes gelitten hatten, der also die Prädisposition zu Leber-
affektionen ererbt hatte; diese Schwäche war noch unterstützt
worden durch mangelhafte Nahrung, eine komplizirende Pneu¬
monie und Ueberarbeitung. Trotzdem der Organismus mit allen
Vertheidigungsmitteln sich zur Wehre gesetzt hatte, trotz lokaler
und circulirender Ilyperleukocytose, trotz des thellweisen Wieder¬
eintritts von Leber- und Nierenfunktion war das Nervensystem
nach Ansicht der Verfasser zu sehr vergiftet, als dass eine Hei¬
lung möglich war und der Kranke wurde durch Eklampsie und
profuse Darmblutungen dahingerafft. Aller Wahrscheinlichkeit
nach handelt es sich in solchen Fällen nicht um einen primären,
sondern um einen sekundären schweren Ikterus, nachdem die
Leber eine ererbte, allzu grosse Zerbrechlichkeit zeigte, um noch
die Kosten einer Infektion zu tragen.
Albert: Ein Fall von Tropen-Milzabscess mit sterilem
Eiter. (Ibid.)
Den aus der Literatur gesammelten und tabellarisch zu-
snmmengestellten 9 Fällen von tropischem Milzabscess fügt A.
einen weiteren aus seiner Beobachtung hinzu, welcher einen
17 jährigen Gärtner betraf. Bei demselben ist der Abscess im
Verlaufe einer Fieberperiode (Malaria) entstanden und hat sich
im Gegensatz zu den übrigen Fällen, wo meist der Durchbruch
nach innen in die Bauchhöhle erfolgte, an der Aussenfliiehe der
Milz der Abscess. welcher glücklicher Weise durch Bauch fellver-
wachsungen abgekapselt war, durch Einschnitt in die Bauchwand
öffnen lassen — der möglichst günstige Ausgang. A. glaubt, dass
ilie Malaria aetlologisch beim Milzabscess zwar eine unleugbare
Rolle spiele, dass sie aber wahrscheinlich durch die Veränderungen,
welche sie in der Milz hervorruft, nur prädisponirend wirkt.
Fernerhin ergab es sich, dass es Abscesse mit vollkommen sterilem
Eiter gibt; derselbe ergab bezüglich seiner Zusammensetzung an
Leukocyten einige interessante Einzelheiten.
Bard: Experimentelle und klinische Untersuchungen über
den intrapleuralen Druck beim Pneumothorax. (Revue de
mödcciue. Juni und Juli 1901.)
Seit Langem verleiht man l>eim Pneumothorax, der von der
Lunge aus entstanden ist, der Obliteration oder dem Offenbleiben
der Pleuropulmonal-Fistel eine ganz besondere Wichtigkeit und
hat sielj bemüht, differentinldiagnostisehe Zeichen zwischen beiden
Zuständen festzustellen. Seit der Arbeit von Weil (1880) ist
der Grad des intrapleuralen Druckes das wichtigste Zeichen der
Differentialdingnose geworden. B. stellte nochmals zur Messuug
desselben genaue experimentelle Untersuchungen an und kam zu
folgenden Ergebnissen. Beim allgemeinen Pneumothorax,
wenn die Fistel nicht geschlossen ist, ist der Luftdruck ein posi-
tiver ln beiden Resplrationszeiten bei ruhiger Athmung. Der
Grad des intrapleuralen positiven Druckes ist ein nicht sehr hoher,
beinahe konstant bei ein und demselben Kranken, indem er
Schwankungen von einigen Centimetem um ein Mittel von 6 bis
8 cm Wassersäule zeigt. Der positive intrapleurale Druck beim
Pneumothorax ist eine Erscheinung von pathologischer Adaption
und Kompensation; die Messung dieses Druckes ist ein wichtiges
Element zur Diagnose der verschiedenen Arten von Pneumothorax,
besondere um das Vorhandensein einer Fistel, deren Persistenz
oder Obliteration schützen zu können. Der Druck ist positiv bei
der Exspiration und negativ bei der Inspiration beim par¬
tiellen Pneumothorax mit offener Fistel und er ist negativ
während In- und Exspiration beim allgemeinen Pneumothorax,
wenn keine Fistel vorhanden oder eine solche seit kürzerer
oder längerer Zeit geschlossen ist.
P. Hartenberg: Die Angstneurose. (Ibid.)
Die von Signi. Freud-Wien im Jahre 1895 erfolgte Ab¬
grenzung der Angslneurose von der Neurasthenie findet in dieser
Arbeit neuerdings eingehende Begründung und auf Grund von
4 selbst beobachteten Fällen verschiedener Aetiologie genaue Be¬
schreibung bezüglich Symptomatologie, Aetiologie, Pathogenese,
diagnostischer Schwierigkeiten. Die Hauptsymptome dieses
Ncivenleidens sind In erster Linie angstvolles Erwarten irgend
eines schlimmen Ereignisses, dann allgemeine Reizbarkeit akuter
Angstanfall oder sogen, rudimentäre Anfälle (Angstaequivnlenti,
welche in Herz-, Athemnoths-Anfilllen, in Schwindelgefühl, Magen¬
darmstörungen u. s. w. bestehen können, und schliesslich psy¬
chische Erscheinungen (wirkliche Besessenheit und Furchtzu-
stiimle). Das sexuelle Element spielt in der Aetiologie diesen
Leidens zweifellos eine wichtige Rolle, ja ist geradezu specifisdi
für dasselbe, meist auf einen irgendwie unbefriedigten geschlecht¬
lichen Akt oder Erregung tritt die Neurose auf, wie auch Löwen-
fehl, welcher früher die Angstneurose nur für einen Zwischen-
• zustand zwischen Hysterie und Neurasthenie aufgefasst wissen
wollte, nun zugibt: derselbe glaubt übrigens, dass dieser Zustand
bei Männern viel häufiger sei wie bei Frauen. G a 11 e 1 lu Wien
hat ln jüngster Zeit an der Klinik von K r a f f t - E b i n g ein¬
gehende Untersuchungen über dieses Leiden angestellt, fand aber
die l*eiden Geschlechter gleich stark betheiligt, wie desseu von
Hartenberg hier reproduzirte, tabellarische Uebereicht lehrt:
den zahlreichen Fällen von reiner Angstneurose folgen die wenigen,
die mit Neurasthenie, mit Hysterie, und beiden zusammen ver¬
mischt sind
B r i s s a u d und Lond e: Ein Fall von Akropar&estheeie
mit Tetanus und gichtischen Erscheinungen. (Revue de möde-
clne, Juli 1901.) .
Der Fall, einen 47 jährigen Mann betreffend, begann mit
Fnraesthesie (Prickeln, Stechen) an allen Fingern mit Ausnahme
des linken Ringfingers, dann wurde dieses Gefühl Immer schmerz¬
hafter, es traten Krämpfe mit oedematöser Schwellung und con-
secutiver Impotenz hinzu, dann vasomotorische Störungen mit
Erethysismus; all’ diese Erseheinungen traten anfallsweise in der
zweiten Hälfte der Nacht alle 10 Tage auf. Die Anfälle befallen
ln geringerem Grade auch die Uutercxtreinitüten uud führten
hol dem Kranken schliesslich zu einer dauernden Deformation
der linken Hand. Verlauf wie Ausgang der Affektion bestärkten
Verfasser ln der Ansicht, dass es sich um eine speeielle Art des
Giehtanfalles handle und die erweiterte Kcnntniss von den sym¬
pathischen Erkrankungen der Extremitäten eines Tages auch die
pathologische Physiologie der Gicht erleuchten werde, welche
meist eine Krankheit mit nkropathologlsehen Erscheinungen nicht
nur an Füssen, Händen, sondern auch am Gesicht und den Ge-
schlcchtstheilen (Penis) sei. Die rationelle Behandlung vorliegen¬
der Affektion wird sich einerseits mit der Gicht, andererseits mit
der Neuropathie beschäftigen müssen (allgemeinen und lokalen
Mitteln. */
Dubreuilh: Die Orthof ormeruptionen. (Presse m6di- X
cale 1901, No. 40.) J
D. unterscheidet 2 Formen von Ilauteruptionen, welche dieses,
sonst so unschädliche. Mittel hervorrufeu kann: 1. erythematöse.
mit Bläschen oder Pusteln begleitet und 2. gangraenöse, von welch'
letzteren ein genau beschriebener Fall folgt. Als auffallend und
noch in keiner der bezüglichen Arbeiten bis Jetzt erwähnt, hebt
D. hervor, dass das Orthoform auch auf intakter Haut diese
Hnuterscheinungen vervorrufen kann und dass die analgeslrende
Wirkung des Mittels auch auf die Affektioneu, welche es selbst
hervorgenifen hat, weiter bestehen bleibt.
Ed. Rist: Die Pest in Aegypten vom Mai 1899 bis Juli
1900. (Ibid., No. 42.)
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3. September 1901.
MUENG'HENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1427
Verfasser, früher Generalinspektor des Sanitätsdienstes In
Aegypten, beschreibt hier kurz die zu obiger Zeit in Aegypten
und besonders in Alexandrien (Situationsplan) vorgekomineneu
Pestfülle: sie zeigen, wie schwierig die Entdeckung der ersten
Fälle in einer grösseren Stadt und wie wichtig eingehendes Wissen
der dazu berufenen Aerzte ist Diese ersten Fälle sind oft in ver¬
schiedenen Quartieren zerstreut; R. ist ferner der Ansicht, dass
die Menschen im Allgemeinen nur ergriffen werden, wenn die Pest
der Ratten sich bereits über ein weites Gebiet verbreitet hat. Trotz
der guten sanitären Zustände Alexandriens schlich sich der Be¬
ginn der Epidemie 4 Monate dahin, ehe man die Wahrheit er¬
kannte: es können alle hygienischen und sanitären Maassregeln
vergebens sein, wenn die Drüsenschwellungen oder Pneumonien
bei den behandelnden Aerzten keinen Verdacht erwecken. Die
Pest ist eben desshalb so gefährlich, weil sie mit vielen anderen
Krankheiten verwechselt werden kann, während z. B. die Cholera
durch ihren brüsquen und dramatischen Beginn wohl charak-
terl8irt ist.
Ferd. Pe re z-Buenos Aires: Die Bacteriologie der Ozaena-
Aetiologie und Prophylaxe. (Annales de rinstitut Pasteur, Mai
1901.)
In Fortsetzung früherer Versuche (siehe diese Wochenschr.
1900. No. 16. S. 549) hat nun P. 90 Fälle bakteriologisch unter¬
sucht und ist völlig in seiner Ansicht bestärkt, dass der von ihm
beschriebene Coccobacillus foetidus ozaenae der spezifische Erreger
der Ozaena beim Menschen ist P. untersuchte nun weiterhin die
Bacterlen. welche im Nasenschleim und Speichel verschiedener
Thiere, wie Hund, Katzen, Pferde. Esel u. s. w.. vorhanden sind
und fand als normalen Bewohner dieser Sekrete beim Hunde zu¬
weilen den Coccobacillus foetidus ozaenae; derselbe kann sich
vermehren, wenn der Hund krank ist und die Schlussfolgerung
P.’s ist dass der kranke Hund besonders gefährlich und fähig
ist, die Ozaena zu übertragen, wie die Ratte die Pest. Die Ozaena
ist in den höheren Ständen eine seltene Krankheit, häufiger in
der poliklinischen Praxis und die 9 von P. angeführten Fälle, wo
die Träger der Ozaena grosse Hundefreunde waren, bestätigen
seine Ansicht dass der Hund die Ozaena auf den Menschen über¬
tragen kann. Weitere Fälle, wo mehrere Glieder einer Familie
affizirt waren, lehren die direkte Uebertragung von Mensch auf
Mensch, was eine viel ungezwungenere Erklärung sei als die von
Z a u f a 1, welcher einen durch Heredität übertragenen, rudimen¬
tären Zustand der Nasenmuscheln u. s. w. annimmt. Ein gegen
diese und in eklatanter Weise für seine Theorie sprechender Fall
wird von P. angeführt Auch gegen die pathologisch-anatomische
Theorie von G r U n w a 1 d und B r e s g e n polemisirt Verfasser,
deren Haltlosigkeit sei durch nichts besser bewiesen als durch
die experimentelle Reproduktion der Muschelatrophie bei Kanin¬
chen, welchen der beschriebene Mikroorganismus intravenös in-
Jlzirt wurde. Nachdem wir nun wissen, dass die Ansteckung vom
Hnnde oder vom Menschen aus erfolgen kann, ergeben sich zwei
Hauptindikationen: das Zusammen wohnen von Mensch, besonders
Kindern, und Hunden, und den innigen Kontakt zwischen Ozaena-
Kranken und gesunden Personen zu verhüten. Desinfektion der
Taschentücher und der verschiedenen Gebrauchsartikel der
Kranken. Therapeutisch ausgiebige antiseptische Spülungen der
Nasenhöhlen, energische Aetzung der Muschelschleimhaut mit
Höllensteinlösungen, Behandlung der Höhlenentzündungen nach
H a J e k’s Verfahren.
Ch. F6r6 und M. Francillon: Heber die Coincidenz
der symmetrischen Lipome mit der allgemeinen progressiven
Paralyse. (Revue de Chirurgie, Juni 1901.)
Im Anschluss an einen selbst beobachteten Fall, wo bei einem
51 jährigen Paralytiker symmetrisch an den Ober- und Unter¬
extremitäten eine Reihe von Lipomen vorhanden waren (8. Abb.),
besprechen Verfasser die verschiedenen Theorien über die Patho¬
genese der multiplen Lipome, verwerfen die Ansicht, dass es Bich
dabei um trophische, mit Veränderungen des Nervensystems ver¬
bundene. Störungen handelt und kommen zu dem Schlüsse, dass
die symmetrischen, bei allgemeiner Paralyse und vor dieser zur
Entwicklung gekommenen Lipome als angeborene Teratome oder
Embryome, die eine Entwickelungsstörung bedeuten, aufzu¬
fassen sind.
Jacques Silhol: Die BlutunterBUchung in der Chirurgie,
speciell vom diagnostischen Standpunkte aus. (Ibid.)
Dem Vorgehen H a r t m a n n’s und Mikulicz’ folgend,
hält S. die Blutuntersuchung zuweilen für sehr vortheilhaft zur
Sicherung der Diagnose. Man muss dabei 1. den Haemoglobin-
gehalt, 2. die Zahl der rothen und welssen Blutkörperchen berück¬
sichtigen und 3. Trockenpräparate machen, um die verschiedenen
Arten von Leukocyten zu unterscheiden. Ist der Gehalt an Haemo-
globin ein sehr geringer, z. B. 40 Proc., so deutet das auf ein
sehr schlechtes Allgemeinbefinden und Mikulicz operirt nicht.
Aus den Beobachtungen und Blutuntersuchungen von 10 Fällen
schlosst S.. dass bei einem Kranken mit einer Magenaffektiou
folgender Blutbefund auf eine Neubildung schliessen lässt: be¬
trächtliche Verminderung des Haemogloblngehaltes auf weniger
als die Hälfte, ebenso der rothen Blutkörperchen, ungleiche Formen
derselben, ausgesprochene Leukocytose (wenigstens 15—20000). Bel
allen Eiterungen, mit Ausnahme der tuberkulösen, ist ferner Leuko¬
cytose vorhanden, ebenso bei Frakturen, während sie bei Luxa¬
tionen fehlt, so dass damit ein werthvolles diagnostisches Hilfs¬
mittel gegeben wäre; diese Leukocytose Hesse sich übrigens durch
die Verletzung des Knochenmarkes erklären. Der Einfluss der
Operation auf das Blut böte ein interessantes Studium, wie über¬
haupt S. glaubt, dass hier noch ein sehr weites Feld zu bearbeiten
■ei, das von grosser Wichtigkeit sei. Stern- München.
Vereins- und Congressberichte.
Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 22. Juli 1901.
Herr Hauser bringt Mittheilungeu über den Schüller-
schen Krebsparasiten (siehe No. 31 dieser Wochenschrift).
Herr Qessner zeigt mehrere durch Operation gewonnene
Präparate, über die später ausführlicher in dieser Wochenschrift
berichtet werden soll.
Herr Treutlein demonstrirt ein Kayserlingpräparat von
Cysticercus racemosus an der Gehirnbasis.
Vortragender berührt kurz das Wesen des Cysticercus und
sein Vorkommen, die Einführung des Namens Cysticercus race¬
mosus durch Zenker und die bisher bekannten Fälle dieses
eigenthümlichen Gebildes Im Gehirn. Sodann gibt er eine aus¬
führliche Schilderung der klinischen Symptome und des Sektions¬
befundes.
Klinischer Befund: 52 jähriger Mann, dem mit
19 Jahren ein Bandwurm abgetrieben wurde, hatte mit 36 Jahren
zum ersten Mal epilepsieühnliche Anfälle, die sich alle paar Jahre
wieder holten; 3 Wochen vor dem Tode ebensolcher Anfall, dabei
Kopfschmerz, Schwindel, Doppeltsehen In vertlcaler Richtung.
Puplllen8taiTe, lallende Sprache, sowie Motilitüts- und Sensibili¬
tätsstörungen in den beiden linken Extremitäten. Wenige Tage
ante exitum plötzliche Besserung, dann aber schneller Tod unter
Temperaturanstieg auf 41 °.
Sektionsbefund: An der Gehirnbasis zusammen¬
hängendes Convolut von traubenförmigen Cysticercusbläschen,
speciell um das rechte Cliiasma nervor. optic., die Austrittsstellen
der Nn. oculomot. und trochlear. herum und dem Verlauf der
Arier, foss. Sylv. nach vorne, und der Arier, cerebell. sup. anter.
nach hinten entlang. Ueber beiden Grosshirnhemisphären, speciell
rechts, verkalkte Cysticercusknötchen mit circumscrlptera Flüssig¬
keitserguss im Subarachnoidenlraum und Depression der Gehirn¬
substanz im Gebiet der Gyri praecentrales.
Ein aufgestelltes mikroskopisches Präparat von der Membran
der Cysticercusblü8chen zeigt das von Zenker als typisch an¬
gegebene höckerig-wellige Aussehen der Umschlagsstelle und deut¬
liche Kontraktionsfalten. Scolices konnten Im Bläscheninhalt nicht
gefunden werden.
Herr Treutlein schliesst mit den Mahnworten Z e n k e r's
an die Aerzte, ln jedem Falle von Bandwurm, auch beim Fehlen
von Beschwerden, baldigst abzutreiben und derartigen Kranken
stets die peinlichste Sauberkeit der Hände, mit denen die Ueber¬
tragung der Bandwurmeier meist stattflnde, an’s Herz zu legen.
An der sich anschliessenden Debatte bethelllgen sich die
Herren Helm, Hauser, Schulz und Treutlein.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vareins.)
Sitzung vom 19. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr C. Fraenkel.
Es wird auf den Antrag des Vorstandes beschlossen, die
laufenden Unterstützungen die der Verein an hinterbliebene
Witwen von Aerzten zahlt, mit Rücksicht auf die Finanzlage des
Vereins in Zukunft nach und nach zu beschränken.
Herr A. Tschermak berichtet über die Untersuchungen
seines Bruders E. Tschermak -Wien, welche die Fragen der
künstlichen Kreuzung und der Bastardzüchtung an
phanerogamen Pflanzen betreffen. Die älteren Angaben
über mangelnde oder beschränkte Fruchtbarkeit der
Bastarde einerseits, über den Vortheil der Fremdbefruch¬
tung vor der Selbstbefruchtung andererseits sind vorschnell verall¬
gemeinert worden; die im Allgemeinen beschränkte Fruchtbarkeit
von Bastarden kann sogar in späteren Generationen wieder stei¬
gen. Nach den klassischen Arbeiten Gregor Mendel’s (1865),
die erst neuerdings „wiederentdeckt“ wurden, stellen speciell die
Mischlinge verschiedener Rassen nicht regellose Mischungen der
elterlichen Merkmale dar, sondern zeigen eine ganz geeetzmässige
Gestaltungsweise. Die dasselbe Organ betreffenden, ver¬
schiedenen Merkmale der beiden Stammsorten besitzen nämlich
eine verschiedene Werthigkeit für die sog. Vererbung, indem die
erste Mischlingsgeneration übereinstimmend die „dominanten“
Eigenschaften aufweist: die „recessiven“ Merkmale treten erst in
der zweiten Generation, und zwar bei einem Viertel der In¬
dividuen auf, deren Nachkommen sie konstant bewahren. Von
den dominant-merkmaligen 3 Vierteln erweist sich eines als
samenbeständig, die übrigen 2 Viertel liefern eine ungleich¬
förmige Nachkommenschaft im Verhältniss von 3 :1. Analoges
besagt das „Spaltungsgesetz“ für die folgenden Generationen. Da
sich die einzelnen Merkmale, in denen sich die beiden Stamm¬
rassen unterscheiden, im Allgemeinen wie selbständige Elemente
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1428
MUKNOHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3‘-,
verhalten, so kann der Züchter schon in der zweiten Generation
alle möglichen Kombinationen erhalten, in denen er die „recos-
siven“ Merkmale als durchaus konstant, die „dominanten“ als im
Verhältniss 1: 3 konstant betrachten darf. E. Tschermak
hat die M e n d e l’sehen Sätze in allem Wesentlichen bestätigt,
eine gewisse Abhängigkeit der Werthigkeit von bestimmten Fak¬
toren (Geschlecht des sog. Ueberträgers u. a.) naehgewiesen und
jene Gesetzmässigkeit für eine rationelle Züchtung neuer Kom¬
binationen durch künstliche Kreuzung praktisch verwerthet.
Rassenmischlinge sowie Bastarde können in gewissen Fällen, ja
in einzelnen Verbindungen gnnz gesetzmiissig, eine Verstärkung
elterlicher Eigenschaften, beispielsweise der Pigmentirung der
Samenschale, oder selbst ganz neue Merkmale aufweisen, wie sie
auch durch sog. spontane Variation oder durch Mutation, also
ohne Fremdkreuzung, auftreten können. Die Bildung neuer,
samenbeständiger Kombinationen, sowie die Auslösung neuer
Eigenschaften durch Bastardirung stellt, wie schon K e r n e r er¬
kannt hat, einen t hatsächlichen Faktor für die Entstehung
neuer Arten dar. Ein ebensolcher ist in der anpassungsweisen,
reactiven Gestaltiimlerung, sowie in der von de V r i e s be¬
obachteten Umprägung oder Mutation gegeben, während die
D a r w i n’sche Annahme einer natürlichen Zuchtwahl (d. h. einer
Konkurrenz minimal differenter Individuen um die beschränkten
Lel>ensbodingungen mit absoluter Entscheidung zu Gunsten der
einpn Form) einer thatsöchlichen Begründung entbehrt.
Besprechung: Herr Plsselliorst: Was die geschlecht¬
liche Fortpfianzungsfiibigkeft der Bastarde angeht, so zeigen sich
hier im Thierreich erhebliche Unterschiede. Bei den männlichen
Bastarden, z. B. vom Hausrind und dem indischen Gayal, die an
sich kräftige und schöne Thiere sind, fehlt dus Zeugungsvermügen
stets, und es zeigte sich In deu Fällen, die D. zu untersuchen
Gelegenheit hatte, als Ursache dieser Erscheinung stets fettige
Entartung der Hodenepitlielien. Worauf dieses zurückzufilhren,
ist dunkel. Die Potentia coeundi ist dabei vollkommen vorhanden,
die männlichen Thiere zeigen bei dem Cohabitationsakt dieselbe
geschlechtliche Aufregung, wie reinbliitige oder solche anderer
Kreuzungen — ein weiterer Beweis dafür, dass die Centren der
geschlechtlichen Erregung nicht an die funktionelle Intaktheit der
Hoden gebunden ist, geschweige denn an die der accessorischen
Geschlechtsdrüsen.
Dieses Verhalten der männlichen Gayal-Bastarde muss um
so mehr auffallen, als die im landwirtschaftlichen Institut hiesiger
Universität gezüchteten männlichen Yak - Bastarde vollkommen
zeugungsfähig sind.
Herr Fr ick: Stellung des Aerztevereinsbundes zum
„Verband der Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirt¬
schaftlichen Interessen“.
Herr F r i ck, der vom Verein mit seiner Vertretung auf dem
bevorstehenden Aerztetag in Hildesheim betraut ist, legt der Ver¬
sammlung eine Reihe von Leitsätzen vor. die seine Anschauungen
über die angeführte Frage wiedergeben sollen. Dieselben lauten:
1. Es ist nöthig, dass die Aerzte mehr noch als bisher sich
In straffer Organisation zur Selbsthilfe zusammenthun, um den
Ihrem Stande und ihrem Ansehen von den verschiedensten Seiten
drohenden Gefahren wirksam zu begegnen.
2. Es können bei solcher Selbsthilfe nur solche Mittel und
Wege als geeignet bezeichnet werden, bei denen die Würde und
das Ansehen des Standes zweifellos gewahrt werden.
3. Aerztestreiks sind nur in solchen Fällen als berechtigt an¬
zuerkennen, wo dieselben den Aerzten aufgedrängt und von der
Standesvertretung gebilligt werden.
4. Die Bildung einer ärztlichen Unterstiitzungskasse der im
Kampfe für die Interessen des Standes geschädigten Kollegen Ist
wünschenswert li.
5. Eine Spaltung in der Organisation der deutschen Aerzte
ist zu vermeiden.
6. Bei allen Neuorganisationen ist eine Anlehnung an die be¬
stehenden durchaus wünschenswerth.
7. Als wirkliches, grosses und durchgreifendes Mittel zur
Hebung der Stellung der Aerzte und des gesummten Standes ist
die gesetzliche Festlegung der freien Arztwahl zu betrachten und
anzustreben.
Die Versammlung erklärt sich mit diesen Sätzen einverstanden.
Herr Franz: Ueber vaginale Punktion und Incision.
(Der Vortrag erschien in No. 31 dieser Wockenschr.)
Besprechung: Herr B u m m theilt lm Wesentlichen die
Ansichten des Vortragenden, er warnt aber bei den Punktionen
zu diagnostischen Zwecken vor dem Gebrauch allzu dicker In¬
strumente. Am geeignetsten sei liier eine Nadel etwa von dem
Kaliber der Kanüle bei der P r a v a z’schen Spritze, die man ohne
Bedenken überall einstechen könne, ohne Blutungen u. s. w. be¬
fürchten zu müssen. Besonders sei diese Vorsicht angezeigt, wo
es sich um Haematocelen handle, die nicht einen einfachen Blut¬
sack darstellen, sondern eine starre W’andung besitzen und zu
Verblutungen, schweren Jauchungen u. s. f. Veranlassung geben
können.
Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Officiellcs Protokoll.)
Sitzung vom 20. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Stühmer.
Herr Enke stellt einen 77 Jährigen, noch arbeitsfähigen
Mann vor mit linksseitigem Mamm&c&rcinom. Der Kranke be¬
merkte den Beginn vor etwa 30 Monaten, gestern aber hatte er
Stiche in der Brust und dies veranlasste ihn, sich mir vorzustelien.
Die Geschwulst ist allmählich gewachsen und hat Jetzt die Grösse
eines Taubeneies erreicht. Sie ist hart, auf Druck nicht schmel¬
zend, mit der Haut verwachsen; die Warze ist eingezogen, die Epi¬
dermis um letztere herum abschürfend. In der Achselhöhle eine
Anzahl erbsengrosser harter Drüsen. Die anwesenden Chirurgeu
und Gynäkologen bestätigen die immerhin selten vorkommendc
Affektion als Carcinom der Mamma beim Manne.
Die mikroskopische Diagnose wird Vortragender später mit¬
theilen.
Herr Sledentopf berichtet:
1. Ueber einen seltenen Fall von kyphoskoliotlsch - rachi¬
tischem Becken.
Die 23 Jährige Frau L. hat mit 9 Jahren laufen gelernt, ist
vom IG. Jahre ab meustrulrt und hat sich seitdem dauernd wohl
gefühlt. Sie ist Jetzt am Ende der ersten Schwangerschaft und
hat seit 4 Stunden kräftige Wehen. Das Fruchtwasser Ist schon
vor Beginn der Wehen abgeflossen.
Die Patientin ist 118 cm gross, hat eine hochgradige links¬
seitige Kyphoskoliose der Brustwirbelsäule, eine ebenfalls starke
kompensatorische rechtsseitige Skoliose. der Lendenwirbelsnull.'
und rachitische Veränderungen des Brustbeins und der Rippen. Die
Oberschenkel sind stark nach aussen, die Unterschenkel ebenso
stark nach innen gekrümmt. Dns Becken ist bis auf den Stand
des Promontoriums ein ausgesprochen rachitisches. Die vordere
und hintere Beckenwand sind nahe anelnnndergedrängt, die
kleinen Darmbeinschaufeln verlaufen fast ohne Jede Krümmung
nach vorn und aussen, das Kreuzbein ist abgeflacht und besitzt
zwischen dem 4. und 5. Kreuzbein Wirbel eine annähernd recht¬
winkelige Krümmung nach vorn. Der Schambogen ist stark ab¬
geflacht und die Schoossfuge verläuft dachförmig von oben und
vorn nach hinten und unten. Eine wesentliche Abweichung vom
typisch rachitischen Becken zeigt das Promontorium. Wir finden
dasselbe sonst nach vorn und unten verlagert, ln diesem Falle
ist cs nur nach vorn verschoben und zwar soweit, dass es frontal
in einer Ebene mit dem unteren Rande der Symphyse steht, aber
8 cm darüber. Wir würden mithin ein ganz falsches Maass für
deu geraden Durchmesser des Beckeneingangs bekommen, wenu
wir denselben nach dem gefundenen Abstande des Promontoriums
vom unteren Rande der Symphyse mit G cm berechneten. Da
kein erheblicher Hängebauch besteht, so ist vielmehr für den
Uber dem Becken stehenden Kopf so gut wie gar kein Becken-
eingnng vorhanden. Die übrigen Maasse sind folgende: Spinae
27>/o cm, Cri8tae 25, Conjugata diagonal, ext. 13»/ 2 , Dlameter ob-
liquus ext. dext. 15, sinlst 13. Abstand der Trocbanteren 8%.
Abstand der Steissbeinspltze vom unteren Rand der Schossfuge
7 cm. Eine ausführliche Beschreibung dieses Interessanten
Beckens wird an anderer Stelle veröffentlicht werden.
S. machte den Kaiserschnitt und zwar die Eröffnung des
Uterus mittels queren Fundalschnitts. Die Patientin Ist nach
2 % Wochen gesund mit Ihrem Kinde entlassen worden. Es ist
dieses der 8. Kaiserschnitt in der Hebammenlehranstalt, bei dem
der quere Fundalschnitt nach Fritsch nusgeführt wurde. Der
Schnitt hat die ihm in einer früheren Veröffentlichung von S.
naebgerühmten Vorzüge auch ln den späteren Fällen Immer wieder
gezeigt. Es Ist keine von den 8 Patientinnen gestorben.
2. Ueber einen Fall von Eklampsie.
Eine 25Jährige Erstgebährende hatte während der Schwanger¬
schaft viel an Kopfschmerzen gelitten, in der letzten Zelt ge¬
schwollene FUssc gehabt und war ln der 35. Schwangerschafts¬
woche plötzlich erblindet. Gleich darauf war der erste eklamp-
tische Anfall eingetreten, dem in der kurzen Zelt, bis S. die
Patientin mit dem behandelnden Arzte sah, noch 2 weitere ge¬
folgt waren. Das Bewusstsein war nach dem ersten Anfall nicht
wiedergekehrt. Die Harnsäule erstarrte beim Kochen fast völlig-
Die Untersuchung ergab, dass die Wehen begonnen hatten, der
Gebärmutterhals war für einen Finger durchgängig und noch
etwa 2 cm lang. Die Schwere des Falles machte eine beschleunigte
Entbindung dringend nothwendlg; die der Zeit der Schwanger¬
schaft entsprechende ungenügende Vorbereitung des Gebärmntter-
halses würde eine operative Erweiterung zu einem grösseren Ein¬
griff gemacht haben, was S. bei Eklampsie möglichst vermeidet,
desshalb wandte er den Champetle r’schen Kolpeurynter an.
Derselbe hat eine Kegelfonn, der Durchmesser des Bodens ist
10 cm lang und der Ballon verjüngt sich nach oben wie ein
Flaschenhals. Dadurch, dass er aus Seide mit einem Kautscbuk-
belnge aussen und innen hergestellt wird, behält er auch auf-
getrieben seine Kegelfonn bei. Nachdem dieser Kolpeurynter in.
den Uterus eingeführt und angefüllt war, wurde sofort ein
kräftiger Zug an ihm ausgetibt. Dadurch trieb der Ballon den
Cervicalkanal und Muttermund keilförmig auseinander, so dass
nach noch nicht 10 Minuten die Oeffnung so gross geworden war.
dass S. bequem mit der Hand in den Uterus elngehen und die
darin befindlichen Zwillinge entwickeln konnte. Auf der linken
Seite des Muttermundes war ein kleiner Einriss entstanden. Der
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3. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1429
weitere Verlauf war sehr gut. Am 4. Tage war das Eiwelss aus
dem Urin fort und das Sehvermögen vollkommen zurtlckgekehrt.
Nach der Entbindung Ist kein Krampfanfnll mehr eingetreten.
S. empfiehlt den Champetle r’scheii Kolpeurynter warm ftlr
diese Fälle, ln denen eine schnelle Erweiterung des Muttermundes
nothwendig Ist
3. Umwandlung einer Gesichtslage bei plattem Becken.
Bei einer 25 jährigen Erstgebärenden mit glattem Becken,
Conj. vera c. 9 cm, hatte sich der Kopf in erster Gesichtlage ein¬
gestellt, die Mittellinie des Gesichts verlief im queren Durchmesser,
der Schädel stand noch über dem Beckeneingnng und es war sehr
viel Fruchtwasser vorhanden. Der Muttermund war fünfmark¬
stückgross. In Rücksicht auf das enge Becken beschloss S. die
GeBichtslage in eine Schädellage zu verwandeln. Zu diesem
Zwecke drängte er das Gesicht aus dem Becken heraus und
fixlrte es in Rückenlage der Mutter, so hoch es sich heraufdrängen
Hess, mit dem Zeigefinger der rechten Hand an der Nasenwurzel
und dem Mittelfinger am vorderen Winkel der grossen Fontanelle.
Jetzt wurde die Mutter auf die linke Seite gelegt, der kindliche
Kopf verschob sich nach rechts, die ihn flxirenden Finger
wunderten auf dem Scheitel nach hinten, wodurch das Gesicht
nach rechts und oben verschoben wurde. Sobald die beiden ein¬
geführten Finger die kleine Fontanelle erreicht hatten, wurde
durch einen Druck auf die kindliche Brust der Schädel nach unten
und in das Becken hinein gedrängt. Die Geburt verlief sodann
in Schädellage.
Die Modiflcatlon gegenüber dem von Thoru angegebenen, aus
den Baudeloque'schen und Schatz'schen Methoden combinirteu
Verfahren bestand darin, dass die Umlagerung der Frau erst vor¬
genommen wurde, nachdem das Gesicht aus dem Becken heraus¬
gedrängt war und sich daher bei der Seitenlagerung frei nach der
entgegengesetzten Seite verschieben konnte. Der Eingriff wurde
durch das viele Fruchtwasser wesentlich erleichtert.
Herrn Enke antwortet S., dass eine Correctur der Gesichts¬
lage nur Indicirt ist, wenn eine Komplikation, wie enges Becken
oder rigide Geburtswege, vorhanden ist; dass sie ferner nur ge¬
stattet ist, wenn das untere Uterinsegment noch keine stärkere
Dehnung erfahren hat und der grösste Thell des Schädels noch
über dem Beckeneingang steht
An der Discusslon betheiligten sich die Herren Enke,
Habs und T o e g e 1.
Sodann berichtet Herr Stühmer über folgenden Fall:
In der Nacht sei ein Pat. in voller Angst zu ihm gekommen
mit dem kurz vorher gelassenen Urin, der von einer herrlich
grünen Farbe gewesen sei. Er habe sich Anfangs den Grund
hlefür nicht erklären können, habe aber dann später zufällig er¬
fahren, dass dem betr. Pat. wahrscheinlich von einem Apotheker
Spasses halber eine Kapsel mit Methylenblau unter das Essen
unbemerkt gebracht war.
Herr Richter spricht kurz Uber Symptome. Differential-
diagnose und Therapie der Gehörgnngsfurunkel. wobei er be¬
sonders betont, dass der leiseste Zug an der Ohrmuschel sehr
schmerzhaft sei. R. kommt fast immer mit einer festen Tam¬
ponade des Gehörgangs aus und macht nur in den seltensten
Fällen die Incision.
An der Discusslon bethelllgen sich die Herren T o e g e l.
Habs, Schroeter und Enke.
Verein deutscher Aerzte In Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 22. April 1901.
Herr Lisiau stellt 2 Fälle von extragenitaler Sklerose
am rechten Vorderarme vor. 2 Frauen lnflzirten sich durch das
Tragen von hereditär-luetischen Enkelkindern.
Herr Bndolf Fischl demonstrlrt Skiagramme von Phalangitis
syphilitica. Die Durchleuchtung lässt den Process als rareflzireu-
den, von der Verkalkungszone einerseits und der kompakten
Knochensubstanz andererseits ausgehende Ostitis deuten.
Man sieht an den Radiogrammen eine diffuse, von der Ver¬
kalkungszone und dem Periost her fortschreitende Aufhellung des
Knocheninnern zum Unterschiede von Spina veutosa, bei der im
Knocheninnern mehrere weisse Stellen zu finden sind.
Herr 0 ö t z 1: Untersuchungen über reflectorische Anurie.
Ausgehend von der wiederholt klinisch beobachteten That-
sacbe, dass intrarenale, nur eine Niere treffende Drucksteigerung
die Harnabsonderang beider Nieren zu hemmen im Stande ist,
hat G ötzl im thierphysiologischen Institute in Berlin Ver¬
suche an Hunden vorgenommeu, um zu prüfen, ob bei Thicren
eine solche Reflexhemmung ebenfalls vorhanden ist. Bei seinen
Versuchen ist die grosse Morphiummenge, die er zur Narkose
verwendet störend und nachtheilig. Von 12 Experimenten sind
nur 3 als positiv zu betrachten. Er kommt zu dem Schlüsse,
dass es thatsächlich experimentell gelingt, durch Drucksteigerung
in einer Niere reflektorische Anurie zu erzeugen; die Sekretions¬
verminderung tritt nicht sofort, sondern erst nach geraumer Zeit
ein, und steht nicht in geradem Verhältnisse zur Höhe des an¬
gewendeten Druckes, violmehr scheint die Stetigkeit des Druckes
das Wirksame der Hemmung zu sein.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Soci6t6 de Biologie.
Sitzung vom 29. Juni und 0. Juli 1901.
Mauclaire spricht Uber epidurale Jodoforminjektionen,
um gewisse Formen des Malum Pottii zu behandeln. M. glaubt,
dass sich zu dieser Art der Behandlung diejenigen Formen eignen,
welche Knochenveriinderungen, die in den Canalis vertebralls sich
öffnen, oder eine äussere tuberkulöse Packymeningitls der Dura
mater aufweisen. Nach Versuchen an Kinderlelchen wandte M.
am Hebenden besonders ein gesättigtes Jodoform-Vaseliuöl, das
mit strengster Antisepsis priiparirt ist, au. Diese Injektionen wer¬
den ln die untere Oeffnung des Canalis sacralls gemacht und alle
14 Tage wiederholt (in Dosen von 2 ccm und mehr). Aus seiueu,
nicht sehr zahlreichen Versuchen hält M. die Unschädlichkeit dieser
Injektionen für erwiesen und ihre Wirksamkeit für sehr wahr¬
scheinlich; Immerhin bildeten sie nur eia unterstützendes Beliand-
lungsmIttel uud müssten stets durch don immobilisirenden Gips¬
verband ergänzt werden. Weitere Versuche au Skeleten mit
Wirbeltuberkulose, an welchen zu konstatiren wäre, dass der tuber¬
kulöse Herd von der Jodoformlösung durchtränkt wird, behält
sich M. vor.
U&urel - Toulouse bespricht die durch das Cocain ver¬
ursachten tödtlichen Zufälle. Im Allgemeinen liegt die Gefahr
desselben darin, dass es in andere Venen als die des Pfortader¬
systems gelangt, und in einer genügend starken Konzentration,
um den Leukocyten eine sphärische Form, was deren Todeszeichen
sei zu geben. Man muss also Immer das Cocain ln geuügeud ver¬
dünnter Lösuug geben, damit es nicht diese Wirkung bat, und
könnte auf diese Weise die Menge ohne üble Folgen vermehren.
M. schliesst aus seinen Experimenten, dass der Tod dadurch eiu-
tritt, dass die Lungeukapillareu durch die sphärisch gewordenen
welsseu Blutkörperchen verstopft werden. Wenn ein anderes
capillüres Netz (Heber, Nieren, peripheres oder seiht cerebrales)
eingeschaltet wird, wie bei den direkten Injektionen in die Arterien
oder ln die Pfortader, so wird der Tod vermieden.
Sitzung vom 13. Juli 1901.
Die epiduralen Injektionen bei der Hamlncontinenz.
A 1 b a r r a n und C a t li e 11 n studirten die Wirkung der epi¬
duralen Cocaiuinjektlouen bei Blasenscluuerzen und fanden, dass
2—3 ccm eiuer 1 >/ 2 —2 proc. Hösung genügten, um sowohl die spon¬
tanen wie die durch Instrumente verursachten Schmerzen bedeu¬
tend zu vermindern. In (4) Fällen von Incontinentia urinne (in
Folge von Tuberkulose, Paraplegie, Alterserseblnffuug des Sphink¬
ters) wurde ferner Rückkehr der Kontraktilität des Sphinkters
vom ersteu Tag an beobachtet. Eine eiuzige Injektion hat bei
einer Patientin die freiwillige Mietion auf 0 Tage herbeigeführt,
bei den anderen blieb die Besserung ziemlich lauge bestehen.
Stern.
Aus den englischen medicinischen Gesellschaften.
Edinburgh Medico-Chirurgical Society.
Sitzung vom 5. Juni 1901.
L. C. B r u c e: Klinische und experimentelle Beobachtungen
über Paralysis progressiva. Das Ergebniss dieser Untersuchungen
kann kurz dahin zusammengefasst werden, dass die genannte
Krankheit auf eiuer vom Magendnrmkanal übermittelten chroni¬
schen Intoxikation mit besonderer Betheiligung des Gehirns beruht.
Dies findet schon ln der klinischen Beobachtung eine Stütze. Be¬
kanntlich lassen sich drei Stadien des Uehlens unterscheiden. 1 ui
ersten ist der Patient öfters von akuten Symptomen ergriffen mit
Fieber, Gewichtsverlust, Unruhe, Aufreguugszuständen und Schlaf¬
losigkeit; im zweiten wird er träge, gleichmüthlg, setzt Fett an,
zeigt aber Neigung zu apoplektiformen Attacken, während Im
dritten wieder Gewichtsverlust eintritt lm Vereiu mit Schwach¬
sinn uud Hähmuugserscheiuungeu. Iu allen 3 Stadien finden sich
Verdauungsstörungen: lm 1. gewöhnlich hartnäckige Obstipation,
Pobelkeit, gastrische Sehmerzattacken bei wechselndem Appetit;
im 2. sehr oft Bulimie und im 3. als gewöhnliche Erscheinung
wechselweise Obstipation und Diarrhoe. Die Fiebercrscheinuugen
sind öfters unregelmässig und wenig charakteristisch. Am ehesten
als typisch zu bezeichnen sind die alle N 14 Tage ivkürriremlen
TeinpemtursteigeruHgen. Fortgesetzte Untersuchungen ergaben
auch eine Vermehrung der JAUikocyten um manchmal 20—30<RMi
pro Kubikceutimcter, der Höhe des Fiebers entsprechend. Dabei
waren die fieberfreien Intervalle stets um so länger, je grösser
die Iidikocytose war. Ferner hat B. im Blute und im Urin eines
Paralytikers einen beweglichen Bacillus gefunden; ohne irgendwie
Itestinunte Schlüsse aus diesem vereinzelten Befunde ziehen zu
wollen, glaubt er doch zu weiteren Untersuchungen auffordern zu
dürfen. Iu therapeutischer Hinsicht ist Folgendes beachtenswerth.
Blut von einem Paralytiker im zweiten Stadium durch Schröpf-
köpfe (wegen Humbngo) entnommen, wurde vor 2 Jahren dofibrinin
in Portionen von 2 ccm subkutan bei 2 anderen Kranken 3 Wochen
lang täglich Injizirt.. Bei beiden ist seitdem Stillstand in dem
Krankheitsbilde eingetreten. Jetzt versucht B. mit Thierserum
nach Itnmunisirung gegen Bacillus coli, der ja lm Dann von
Paralytikern ineist massenhaft gefunden wird, In ähnlicher Weise
eine Wirkung zu erzielen.
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1430
MIXENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3a
W. F. Robertson folgte mit Bemerkungen nur Frage von
der Pathogenese der Dementia paralytica. Er hat den Magen-
darmkanal bei 12 Füllen genauer untersucht nach Härtung mit
Formalin und in allen Fällen sehr ausgesprochene Veränderungen
gefunden. Achtmal fand sich eine deutliche Verdickung der
Magenwand und zweimal eine erhebliche Dilatation. Bei 5 Prä¬
paraten fand sich gleichzeitige Verdickung des Duodenums und
des oberen Theils des lleums. Dreimal fanden sich ausgedehnte
tuberkulöse Geschwüre im Ileum und in den übrigen 9 Fällen
verschiedene sonstige Laesionen im Dünndarm. Diese Abnormi¬
täten sind jedenfalls nicht die Ursache der Geistesstörung, aber
el>enso ist es nicht möglich, dass die Verdauungsstörungen der
Paralytiker von dem Gehirnzustand abhängen. Vielmehr fasst R.
seine- Ansichten auf Grund seiner Beobachtungen und der Mit¬
teilungen anderer Forscher, vornehmlich A n g 1 o 1 e 11 a’s, dahin
zusammen, dass er übereinstimmend mit dem Vorredner erklärt:
Die progressive Paralyse ist bedingt durch eine vom Gastro¬
intestinalkanal ausgehende Toxaemle. Diese namentlich von
Bacterien ausgehenden Toxine fördern die Entstehung von Wuche-
rungs- und Entartungsvorgiiugen der Blutgefässe des Central¬
nervensystems; namentlich diejenigen Gehirntheile, welche am blut¬
reichsten sind, werden am frühzeitigsten afflzirt. Tabes dorsalis
ist durch eine gleiche Art von Toxaemie bedingt. Syphilis hat im
Wesentlichen nur die Bedeutung, dass sie beiden Affektionen durch
Verminderung der natürlichen Immunität vorbaut Die am
Knochenmark konstatirten Befunde deuten darauf hin, dass diese
Herabsetzung der natürlichen Widerstandsfähigkeit zum Theil
durch beginnende Erschöpfung der leukoblastischen Funktion des¬
selben herbeigeführt wird. Die Behandlung muss in erster Linie
auf die Störungen im Verdauungstraktus gerichtet sein und wird
wahrscheinlich am ehesten durch speciflsche Antitoxine erfolgreich
sein. Dies dürfte nicht so aussichtslos sein, wie es zuerst erscheint,
denn wahrscheinlich handelt es sich hier nur um einige wenige be¬
stimmte Bacterien als aetiologische Faktoren. .
Philipp!- Salzschlirf.
Auswärtige Briefe.
New-Yorker Brief.
Zum St. Pauler Aerztecongress und'nach Wunderland.
m.
Von St. Pani znm Yellowstone Park.
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Thal, in Wald und Feld.“
Am Abend des 7. Juni, des letzten Kongresstages, bestiegen
wir den Spezialzug, welchen die grosse Northern Pacific Railway
Company uns zur Verfügung gestellt hatte. Von seinen pracht¬
vollen Vestibülen sollten wir die Merkwürdigkeiten des wilden
Westens schauen.
Unser Kontingent rekrutirte sich aus 158 Aerzten mit ihren
weiblichen Adnexa, nebst 3 Chemikern, im Ganzen 282 Personen.
Der illustren Namen waren gar viele. Da war K e e n, der treff¬
liche Philadelphiaer Chirurg, welcher von seinen beiden tapferen
Töchtern begleitet, zugleich eine Reise um die Welt antrat. Da
er mein unmittelbarer Bettnachbar war, so hatte ich Gelegenheit,
den fröhlichen alten Herrn aus nächster Nähe zu beobachten
und amusirte ich mich immer über die Sorgfalt, mit welcher er
des Abends in dem engen Raume seines sogen. Schlafkabinets
seine Toilette verrichtete, gleich als ob es sich um die Vor¬
bereitungen zu einer hochaseptischen Operation handelte.
Andere hinwiederum glaubten mit der Entledigung von
Rock und Hemdkragen den Anforderungen der Nachttoilette
Genüge gethan zu haben und plumpsten dann wie die Mehl¬
säcke in das Kissenkonvolut ihrer Schlafkommode, aus denen
sonore Schnarchquartette bald von der Euphorie der leicht be-
schwingteu Schläfer laute Kunde gaben.
Da kann man überhaupt die merkwürdigsten Beobachtungen
machen. Der amerikanische Schlafwagen steht unter der
Aegide des farbigen Tyrannen, Porter genannt; dieses stets grin¬
sende koboldartige Individuum drückt dem ganzen Milieu ein
demokratisches Gepräge auf, denn kein Rang und Name ficht
ihn an — vor ihm sind alle Schläfer gleich, es sei denn, dass der
eine oder andere Homo sapiens schon im Frühstadium der Reise
durch Verleihung einer grosskalibrigen Denkmünze sich in eine
höhere Rangstufe bei ihm einschlängelte. Dann thut er auch
wohl ein Uebriges. Um die Geisterstunde schreitet er durch die
düsteren Reih’n gleich einem Alt-Niirnberger Nachtwächter. Mit
geschicktem Griff entwickelt er die Stiefel unter der Bettdecke
ohne mit Morpheus in Streit zu gerathen, mit kundiger Hand
beherrscht er die Ventilation und geräuschlos knöpft er die Vor¬
hänge fest, „dass Niemand kein Schade geschieht“.
Von anderen hervorragenden Repräsentanten der Zunft
mögen noch Hotchkiss und J e 1 i f f e (New-York), E a c h -
n e r (Philadelphia) und N e w m a n und Simmons (Chi¬
cago) genannt werden. Simmons hat durch seine vielseitigen
Talente das Journal of the American Medical Association in
wenigen Jahren zu hohem Ansehen gebracht. Wie sehr dasselbe
gewürdigt wird, geht aus der hohen Abonnentenzahl von 24000
hervor. Simmons ist aber kein „Mittemachtslampenöl-
haemorrhoidarier“ geworden, auch ist er nicht wie andere Redak¬
teure gefürchtet, denn er ist was man in Deutschland ein fideles
Haus nennen würde.
Dass es nicht immer vortheilhaft ist, eine Grösse zu sein, er¬
fuhr Kollege G o u 1 d (Philadelphia) zu seiner Unfreude.
Die P u 11 m a n n’schen Betten waren nämlich bloss auf
6 Fuss berechnet, und der biedere Gould, ein Goliath im lite¬
rarischen sowohl, als im körperlichen Sinne, hatte dieses Maass
um der Zolle etzliche überschritten. So musste denn der illustre
Herausgeber der verbreiteten Aerztezeitung American Medicine,
die Einbryonallage nachahmend, seine Nächte bei einer erheb¬
lichen Ueberbürdung der Beugemuskulatur seiner unteren Ex¬
tremitäten zubringen. Es hat ihm jedoch die gute Laune keines¬
wegs verdorben, denn wo sich ein Kreis bildete, aus dem sein
joviales Gesicht um Haupteslänge hervorragte, da war eitel Lust
und Sonnenschein.
Ein grosser Theil der Kollegen nannte den Nordwesten seine
Heimath. Da war neben Chicago noch Milwaukee, St Paul,
Minneapolis, Oshkooh und Duluth vertreten. Auch Cincinnati,
Columbus, Toledo und sogar Neumexico hatten Theilnehmer
entsandt.
Man hatte uns in 13 grossen und eleganten Pullmannwagen
untergebracht. Für die Befriedigung der leiblichen Bedürfnisse
dienten 2 Speisewagen. Von vornherein sei es gesagt, dass Dank
der Zuvorkommenheit der Eisenbahngesellschaft unsere Tafel¬
freuden nichts zu wünschen übrig liessen.
Die Northern Pacific Railway, die ungeheure nördliche Ver¬
bindung zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ocean, ist
die ureigenste Schöpfung unseres berühmten Landsmannes Hein¬
rich V i 11 a r d, welcher in der alten Kaiserstadt Speyer geboren
und erzogen, als junger Mann nach Amerika auswanderte. Seine
Carriere ist selbst hierzulande eine ausserordentliche zu nennen.
V illard’s Vermögen, genialen Blickes, soweit es menschlicher
Berechnung gelingen mag, in die Zukunft zu schauen, realisirte
sich bald in einem fabelhaften Erfolg seiner kühnen Geschäfts¬
transaktionen, die ihn zum vielfachen Millionär machten.
Die Erwägung, dass die gewaltigen Länderstrecken des
Nordens nur desshalb brach lagen, weil keine Eisenbahnverbin¬
dungen vorhanden waren, liess V i 11 a r d den Plan fassen, die¬
selben mittels eines Schienenweges von den grossen Seen an bis
zur Küste des pacifischen Oceans zu erschlieesen und so wurde,
theilweise mitten durch die Wüste, die Nordpacifische Eisenbahn
gebaut. Vor fünfzehn Jahren wurde 3ie, die einen neuen Kultur¬
fortschritt verzeichnet, eröffnet und hatten sich viele hervor¬
ragende deutsche Landsleute oingefunden. Ich nenne darunter
unter Anderen Paul Lindau, welcher bei dieser hochinter¬
essanten Jungfernreise Stoff zu mehreren seiner mit Realistik
und Sentimentalität so geschickt gemischten Romane fand.
Enorme Summen mussten für die Anlagen von Nieder¬
lassungen entlang der neuen Heerstrasse verwendet werden, aber
die Herren Ansiedler liessen lange auf sich warten und mittler¬
weile erschöpften sich die Fonds des kolossalen Unternehmens,
welches mit so grossem Elan aus der Taufe gehoben worden war.
Das Ende war ein totaler Krach. Zu Ehren V i 11 a r d's
sei es gesagt, dass er ohne Zögern sein letztes Kleinod hergab,
so dass seine Gläubiger so gut wie gar nichts an ihm verloren.
Der auf dem Blachfeld der Börse ergraute Feldherr wurde
aber durch sein grosses Unglück nicht zu Boden gedrückt. In
der Tiefe des Unglücks zeigt sich oft die Höhe des Genies. Von
der Pike auf abermals dienend, erholte er sich langsam und
stetig wieder und als er im vorigen Jahre sein müdes Haupt zur
Ruhe legte, war er doch im Stande gewesen, seiner geliebten
Pfalz sowohl, wie den deutschen Hospitälern New-Yorks ansehn¬
liche Legate zu hinterlassen.
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3. September 1901. MUENCTIENER MEDICTNTSOTTE WOCHENSCHRIFT.
1431
Der Zug von Osten nach Wösten, welcher in den letzten I
Jahren eine immer grössere Ausdehnung gewann, kam auch |
schliesslich der Schöpfung V i 11 a r d’s zu Gute und macht sie ;
heutigen Tages zu einem gewinnbringenden Unternehmen. !
Villard hatte also Recht behalten; aus dem Samenkorn i
musste ein herrlicher Baum hervorgehen, nur hatte er sich die
Zeitdauer seiner Entwickelung zu kurz vorgestellt und an diesem
kleinen Rechenfehler sollte er sich verbluten.
In der Nacht durchquerten wir dio fruchtbaren Gelände ;
von Minnesota. Gern hätten wir einen Blick auf die wildroman- !
tische Umgebung des Leceli Lake geworfen, welcher sich in den j
Vereinigten Staaten eines vortrefflichen klimatischen Ruft« er- j
freut. Zu den herrlichen Fichtenwäldern, welche die Seen so !
freundlich umrahmen, findet jeden Sommer eine Wallfahrt von I
Bronehitikern und Asthmatikern statt. Man behauptet, dass
hier völlige Immunität herrsche.
Diese Gegend war früher der Schauplatz jahrelanger Kämpfe
zwischen Ojibway- (Chippewa) und Dakotaindianern (Sioux), j
Die Ojibwa.vs behaupteten schliesslich das Feld und ihre Epi- I
Konen sind üIhthII in den sogenannten Indianerreservationen j
von Lcech Lake Gountry zu finden. Die Namen der Flüsse,
Seen und Inseln, alle verrathen sie noch einen indianischen |
Beiklang. Da und dort sieht man eine Rothhaut in einem j
Boot von Birkenrinde den See durchfurchen, aber seine Haltung I
ist zahm und statt des Scalpmessers dräut er höchstens mit. der j
Schnapsflasche.
Am frühen Morgen blicken wir, behaglich unser Frühstück j
in angeregter Gesellschaft verzehrend, durch die hellen Scheiben ,
des Speisewagens auf die Weidegründe des Staates Norddakota.
Wo sieh früher eine ungeheure Einöde dehnte, sind Dank der
V i 11 a r d’schen Schöpfung eine Reihe wohlbekannter Nieder¬
lassungen entstanden.
Die einzelnen Farmen liegen zum Theil sehr weit aus¬
einander. Alan kann mitunter viele Meilen weit fahren, (die
man auf menschliche Wohnungen stösst.
Da und dort gelang es der Energie unermüdlicher Pioniere
der Agrikultur, dem Boden meilenweite Kornfelder abzuringen.
Dazwischen liegt unerschöpfliches Weideland. Bis zum heutigen
Tage werden an arme Einwanderer bis zu 125 Acker derartigen
Landes von der Regierung verschenkt Der Applikant hat weiter
nichts zu thun, als seine Bereitwilligkeit, amerikanischer Bürger
zu werden, zu dokumentiren und muss das Land selbständig be¬
bauen. Hat er diese Verpflichtung 5 Jahre lang zufriedenstellend
erfüllt, so wird ihm eine Besitzurkunde ausgestellt. Fürwahr,
(*ine unerhört (^Freigebigkeit! Wie. mancher Mühselige und Be¬
ladene hat sich aus seinem deutschen Schiffbruch hierher ge¬
rettet und ist zu gutorletzt noch stolzer Latifundienbesitzer ge¬
worden.
Die grossen Weidestrecken beherbergen Tausende von Vieh¬
herden. Die meisten derselben bereiten sich hier zu ihrer Be¬
stimmung, vom gefriissigen Osten verschlungen zu werden, cum
dignitato vor.
Einen geradezu wunderbaren Anblick gewährten die Cow¬
boys in ihren malerischen Kostümen, wie sie unter den Herden
dahinjagten und da und dort den obligaten La/.o schwingend,
einen renitenten Bullen zur Raison brachten.
Bisweilen begegneten wir einen jener Präriezüge, wie sie
uns in die patriarchalischen Zeiten des alten Testamentes zurück¬
versetzen. Voraus der Pater familias, dio Peitsche schwingend,
daJiinter ein vorsinthfluthlicher Wagen, auf dessen Mitte ein
veritables Holzhaus derart loso stand, dass es jeden Augenblick
losgekoppclt und heruntergoholt werden konnte, um seinem
wohnlichen Zweck zu dienen. Auf dem Vorplatz des Wagens war
die Familie verstaut. Da waltet die Hausfrau mit züchtigen
Blicken und lehret die Mädchen und wehret den Knaben. Diese
wagenburgähnlichen Vehikel wurden von 6 Ochsen gezogen und
waren von einer ansehnlichen Zahl von Kühen, Kälbern und
Sdiafen umgeben. Wo das Land eine gute Weide verspricht,
wird die Hütte aufgesetzt und die Kolonie organisirt sich.
Nach langer Fahrt durch die Prärie erreichten wir den
Missouri, dessen lehmige Wassermasse sich langsam dem Süden
zuwälzte. Als Vorbote der Civilisation und gewissermaassen als
Atrium der Stadt Bismarek grösste uns eine Brauerei an seinen
kahlen Ufern.
Die amerikanischen Kollegen warfen mir als guten Deutschen
sofort verständnissinnige Blicke zu.
Bismarck ist die Hauptstadt des Staates Norddakota, ln
diesem Namen liegt eine gewaltige Anerkennung für den Bau¬
meister des Deutschen Reiches. Freilich weist die ganze Stadt
nicht mehr als ein Dutzend Backstcingcbäudc auf. Alle übrigen
sogen. Häuser sind Wigwams und aus elenden Holzbrettern
dürftig hergerichtet. Man muss eben bedenken, dass vor
15 Jahren noch hier eine völlige Wildnis» war und nach weiteren
15 Jahren schon mag Bismarck vielleicht mit den grossen Metro
polen des Ostens eoncurrireu. Die Bewohner Bismarcks scheinen
sich einer geradezu ärztefeindlichen Gesundheit zu erfreuen.
Das schöne Geschlecht ist übrigens dort nicht dazu angethau,
die Dichter Dakotas zu Ix-gcistern. Freilich wird auch für die
männliche Bevölkerung der Apfel des Paris keine Verwendung
gefunden haben. Wir benützten den kurzen Aufenthalt, um
eine Postkarte zu expediren, damit meine Kinder des Ver¬
gnügens theilhaftig werden sollten, eine Postkarte von „Bis¬
marck“ zu erhalten. Leider war auf dem Centralbahnhof der
Rtaatshauptstadt weder Bank noch Tisch aufzutreiben, so dass
ich die Karte auf dem Rücken meiner Frau schreiben musste.
Bald verlassen wir das Gebiet des Missouri und nun fahren
wir mitten durch die Berge, welche mit ihren t hei Ls spitzen,
theiLs kuppelförmigen Häuptern einen ausserordentlich merk¬
würdigen und pittoresken Anblick gewähren. Viele derselben
enthalten grosse Tropfsteinhöhlen.
In der Nähe des Little Horn River berühren wir einen
historischen Fleck, das sogen. Custersehlaehtfeld. Vor 25 Jahren
war es dem verschlagenen „Kollegen“ und Indianerhäuptling
Sitting Bull gelungen, den tapferen Bei torgeneral Güster in die
»Schluchten dieser Bergkette zu locken, wo er mit seiner sech-
fachen Uebermaeht ihm und seinen 600 Getreuen ein jämmer¬
liches Ende bereitete.
Diese Tragödie soll seiner Zeit grosses Aufsehen hervor-
gerufen haben und auch in strategischen Kreisen Deutschlands
gab sich damals ein lebhaftes Interesse kund. Der bekannte mili¬
tärische Grundsatz: „Getrennt marschiren, vereint schlagen!“,
welcher sich bei früheren Indianerfeldzügen durchaus be¬
währt hatte, sollte sich in diesem Fall verhängnissvoll er¬
weisen. Sitting Bull war ein strategisches Genie. Er hatte
durch seine Kundschafter erfahren, dass General Custer seine
Streitkräfte in vier Kolonnen gethcilt hatte, welche das Indiauer-
lager am Flusse gleichzeitig von einer Seite angreifen sollten.
Seiner Geschicklichkeit war es ferner gelungen, die Amerikaner
über die Grösse seiner eigenen Streitmacht zu täuschen, so dass
Güster dieselbe völlig unterschätzte.
Durch geschicktes Manöveriren lockte er zunächst Güster
mit den 225 Reitern der einen Kolonne l*ei einer Krümmung des
Little Ilornflusses in einen Hinterhalt, so dass er in dieselbe
Lage kam, wie seiner Zeit die Franzosen in der Schleife der
Maas heim Dörfchen Uly, deren strategische Bedeutung dem
deutschen Generalstab besser bekannt war. als ihnen selbst.
Dieser geographische Schnitzer half das Wort Sedan in die
Weltgeschichte schreiben. Aehnlieh ist die Aetioiogie der häss¬
lichen Bezeichnung „Gustermassaere“ in den Annalen der ameri¬
kanischen Indianerkriege. Der einzige Ausgang, welcher
Güster blieb, wären die Hügelketten gewesen, die Pferde
scheuten jedoch, als sie dieselben erklimmen sollten und so
endeten die von Güster angeführten Kolonnen bis auf den
letzten Alaun unter den Tomahawks der erfolgtrunkenen Roth-
häute. Von den anderen Abtheilungen theilten zwei das näm¬
liche Schicksal, nur eine einzige schlug sich unter ungeheueren
Verlusten durch. Hunderte von Marmorsteinen bezeichnen heute
die Stelle, wo die Braven ihren Tod fanden.
Nunmehr erhebt sich hinter denselben eine grosse Nieder¬
lassung von. Siouxindianern, welche friedlich mit den Blass¬
gesichtern verkehren. Auf dem Indianerdorf weht heute die
amerikanische Flagge. Das Kriegsgeheul ist verstummt und das
Feuerwasser hat seine Mission, den edlen Sohn der Wildniss
in einen degenerirten Erzhallunken umzuformen, getreulich er¬
füllt. Tempora mutnntur! Uncas und Chingaoligook, sie
sind alle in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Des grossen
Geistes »Speeresschaft ist vor des jungamerikanischen Wälsungcn
Stahl zersplittert und der kupferfarbene Barde singt schwer-
miithige Klagelieder von der indianischen Götterdämmerung.
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1432
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30.
ln aiimnlhigen Windungen zieht sich der Fluss, wie eine
grosse Silbcrsehlange, durch die Wiesengelände, ein Bild tiefsten
Friedens. Auf seine lieblichen Ufer schauen die baumlosen Hügel
mit denselben phantastischen Physiognomien, wie da sie noch den
Rothhäutcn Unterschlupf gewährten. Hier in der „Crow Indian
Agency“ wohnen sie unter dem Schutz der Sterne und Streifen
eng zusammen mit den früher so verhassten Blassgesichtern und
liefern ihnen Pfeil und Bogen — als Spielzeug. Der ehrwürdige
Pater familias raucht zwar noch die alte tliönerne Indianerpfeife,
aber sein Anzug ist modern und nur sein Ehegespons kleidet sich
und ihr strampelfrohes Baby noch nach dem altindianischen
Modejournal.
In der Nähe von Medora erreichen wir die sogenannten Bad
Lands (schlechtes Land), eine Wüste von Thon und Gestein. —
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchrinnt den Sand.
Nicht geringes Interesse erregen in dieser amerikanischen
Sahara die in Sehaaren auftretenden Prairiehündchen (Cynomys
Lwlovicianus, Cynomys = Ilundemaus und Ludovieianus, weil
zuerst in der Nähe der Stadt St. Louis entdeckt).
Diese, urkomischen Thierchen haben mit dem ihnen eigenen
Geschick ganze Thonstädte angelegt, indem sie den Boden nach
allen Richtungen hin wie die Maulwürfe unterminirten. Zu
ihren unterirdischen Vorrathskammera führen eine Menge von
Tunnels, bei denen man sie hoerdenweise aus- und einhüpfen
sieht. Man kann sich über die Sprünge, Grimassen und
Stellungen dieser mausähnlichen, an Grösse einem Schoossliund
gleichkommenden Tliiere halb todt lachen.
Dieses amerikanische Kynoskephale und seine Katakomben
dehnt sich eine ansehnliche Strecke der Bahn entlang. Die
Fenster der Eisenbahnwagen waren minutenlang mit lachenden
Gesichtern gefüllt.
Bevor wir den Staat Montana erreichten, sollte uns noch
eine Ueberrasehung eigener Art werden. In richtiger Würdigung
des Interesses, welches wir Aerzte an merkwürdigen Natur-
phänome zu nehmen gewohnt sind, hatte die Bahnverwaltung
es so eingerichtet, dass wir auf offener Strecke halten durften,
um die berühmten versteinerten Wälder aus der Nähe in Augen¬
schein nehmen zu können. Da sah man nun Baumstrünke von
der Dicke grosser Schwarzwaldtannen, welche völlig petrifizirt
waren. Die Struktur der Holzfasern licss sich noch deutlich
verfolgen, die Schichten selbst, aber waren zu hartem Gestein
geworden.
Am Abend berühren wir den Staat Montana, das Eldorado
der Minenindustrie, wo alljährlich Millionen von Edelmetallen
zu Tage gefördert werden. Mancher arme Teufel verdankt einem
einzigen glücklichen Ruck seiner Wünschelruthe einen Schatz,
der ihn auf einen Schlag aller Sorgen für dieses Erdendasein
enthob.
In der Frühe — es war ein herrlicher Sonntagmorgen —
liess es uns nicht lange auf dem Lager. Der Ruf „Die Rocky
Mountains!“ licss uns emporschnellen und uns an dem pracht¬
vollsten Panorama ergötzen, das man sich nur vorstellen kann.
Im goldenen Licht der Morgensonne glitzerten die altohrwür¬
digen schneebedeckten Häupter der Riesen des „Felsongebirges“,
welches die Vereinigten Staaten in einer schiefen Linie, sozusagen
in zwei ungleiche Längshälften, theilt. Da sehen wir sie auf-
marschirt in endloser Kette, die Giganten der neuen Welt, an
A'usdehnung die Alpen weit hinter sich lassend und an Schönheit
ihnen kaum etwas nachgebend. Die Vergleiche drängen sich un¬
willkürlich auf. Mir waFs als fuhren wir durch das Lauter¬
brunnerthal und als müssten wir bald die Gutturaltöne draller
helvetischer Sennerinnen vernehmen. Aber das unmelodische Aus¬
rufen amerikanischer Zeitungsträger riss uns bald aus diesen
Träumen und verkündete, dass wir in Livingston, unserer letzten
Hauptbahnstation, angekommen waren. Dort zweigt sich die
Seitenlinie durch den Yellowstonepark rechtwinkelig nach Süden
gehend, von der in Portland am Stillen Ozean auslaufenden
Northern Pacific Railway ab. Der Glocken froh Geläute in
Livingston versetzt uns in eine feierlich sonntägliche Stimmung
und erinnert fern von der Ileimath gar lebhaft an die seligen
Tage der Kindheit, „als mau aus dem vergriffenen Gebetbüchlein
Gebete lallte“.
Durch lachende Wiesen, am reissenden Fluss und unter
einem Strich blauen Himmels, welchen die hochragenden Gebirgs-
giganten gerade noch zum Anschauen übrig gelassen hatten, ging
(^ mm entlang. Die Jx>komotiven keuchen, denn die Steigung
wird immer bedeutender und das Gefälle der tosenden Bäche
immer grösser. Wir sind im Höllenthal von Montana, 4000 Fiis*
hoch über dem Meeresspiegel. Kurz vor der Mittagsstunde er¬
reichen wir das Städtchen Oinnabar (Zinnoberstadt.), den Ter¬
minus der Zweigbahn. Dort begann alsbald ein reges Leben.
Wie die Fürsten wurden wir von einer Leibgarde der Vereinigten
Staaten Kavallerie empfangen, welche sich ein Vergnügen daraus
macht, uns durch allerlei Pirouetten auf ihren prachtvollen
Schimmeln zu imponiren. Es ist ihnen dies auch in vollem
Maasse gelungen, denn es war ein Anblick für Götter, diese
schlanken Jungens auf ihren Kentuckypferden nach allen Rich¬
tungen der Windrose und in allen möglichen Stellungen dahin¬
sausen zu sehen. Allen Respekt vor unserer deutschen Kavallerie,
aber solche Kunststücke macht selbst ein Ziethenhuaar einem
rauhen Reiter Onkel Sams nicht nach. Ross und Reiter scheinen
völlig mit einander verwachsen zu sein. Man erzählte mir, dass
die Zuneigung zwischen Mensch und Thier geradezu rührend sei,
dass Soldat, wie Pferd, au Heimweh kranken, wenn man sie von
einander trennt.
Ein junger Fähnrich aus dem Silbergrasstaat Kentucky,
welcher sich bekanntlich der schönsten Frauen, der edelsten
Pferde und des besten Whiskys rühmt, ritt neben unserem Wagen
her, als wir auf engem Pfad neben gähnenden Abgründen in
unserem Seehsgcspaim den Berg hinaufrasten. Er fühlte sich
geschmeichelt durch das Interesse, welches ich an ihm und seinem
prachtvollen Hengst nahm und erzählt uns, während er uns es-
kortirt, von den Wundern, die zu schauen uns Vorbehalten war.
Wir beschworen ihn an den engen Stellen nicht neben unserem
Wagen herzutraben, er versicherte uns jedoch lächelnd, dass sein
Pferd keinen Fehltritt mache und er schien wirklich Recht zu
haben. Es war auch, als ob das treue intelligente Thier den
Sinn völlig verstände.
Das Städtchen Oinnabar, der Schlüssel zum Yellowstonepark.
ist schon au und für sich eine Merkwürdigkeit. Das Gros seiner
Einwohnerschaft bestellt aus Minenbesitzern und -gräbem. Weder
die Physiognomien noch die Haltung der letzteren haben etwas
sympathisches, manche gleichen den berüchtigten Basser-
m a n n'schon Gestalten. Der Wunsch, einmal in Gemeinschaft
mit einem dieser verwegenen Kleeblätter den stillen Freuden
eines Skatspieles zu fröhuen, ist, so viel ich glaube, in keinem
von uns rege geworden.
Bowiemesser und Revolver wohnen hinter dem Ledergürtel
eng bei einander und ihre Nutzniessung bedarf keiner besonderen
Vorbereitungen.
Nicht weit vom Bahnhof entdeckten unsere Späheraugen ein
sogen. Restaurant, dessen weithin leuchtende Inschrift: „Bier
am Zupf!“ uns wie eine Offenbarung erschien. Es bedurfte keiner
grossen Ueberredung, einen Trupp Kollegen nach dieser Oase zu
dirigiren und mit Wollust schlürften wir eine nicht unansehnliche
Quantität von diesem langentbehrten schaumgeborenen Nass.
Der Wirtli war ein Schlauberger: Er hatte von der Ankunft der
Galeno gehört und kannte seine Pappenheimer.
Nachdem unsere Effekten registrirt- waren, wurden wir mit
denselben auf 30 sechsspännigen Wägen, welche den alten Thuru
und Taxis’schen Postwägen nicht unähnlich waren, zusammen¬
geschachtelt.
Unser Kutscher, ein Cowboy vom reinsten Wasser, schwang
seine ungeheure Peitsche und nun begann die wilde Jagd berg¬
auf. Die Männer johlten und einigen Frauen entfuhren bange
Rufe des Schreckens, bis sie sich zuletzt an das Springen über
Stock und Stein gewöhnt hatten. Die Gebirgsgegend nahm einen
immer wilderen Charakter an. Die Felsformationen schienen
sehr merkwürdig; viele glichen Basteien und Schlössern. Eine
dieser Formationen erinnerte mich an die Ruine Dilsberg, welche
allen Denen, welche so glücklich waren in Alt-Heidelberg stu-
diren zu können, wohl bekannt ist.
Nach einstündiger Fahrt verliessen wir den Staat Montana.
Eine Grenztafel hczeiebneto unseren Eingang in den Staat Wyo¬
ming und damit das Betreten de« Yellowstone Nationalparkes.
Nach einer im Ganzen zweistündigen Fahrt, während welcher
wir den Wolken um ganze 2500 Fuss näher gerückt waren, er¬
reichten wir unsere erste Station, Fort. Yellowstone.
Carl Beck- New-York.
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MUKNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
3. September 1901.
1433
Verschiedenes.
Bezüglich der therapeutischen Anwendung der V i b r a -
11 o u s m a s s a g e bei Herzkrankheiten stellt Dr. Sieg-
frled-Bad Nauheim folgende Gesichtspunkte auf:
1. Die Vibration des Herzens Ist stets nur mit grosser Vor¬
sich in milder Form und in beschränktem Maasse auszuüben.
2. In manchen Fällen von Tachykardie, Myokarditis, Dila-
tationszuständen ist die Vibration des Herzens ein brauchbares und
für den Patienten subjektiv angenehmes therapeutisches Mittel,
die Herzthütigkelt zu reguliren und die Beschwerden der Palpi-
uition und Dyspnoe zu lindern.
3. Die Wirkung Ist keine dauernde, sondern eine schnell vor-
iii »ergehende.
4. Die Anwendung der Vibration Ist koutraindizirt bei hoch¬
gradiger Arteriosklerose, bei Aneurysma, überhaupt in allen Fällen,
in denen eiue plötzliche Erhöhung des Blutdrucks vermieden
werden muss.
5. Das Hauptfeld für die Anwendung derVibrationsinussage liegt
nicht auf dem Gebiet der Herzkrankheiten, auf welchem sie nur
im Stande ist, erprobte Behandlungsmethoden, wie die balneo-
logischen, in manchen Fällen zu unterstützen.
(Deutsch. Medicinnl-Ztg. 1901, No. 41.) P. II.
Therapeutische Notizen.
Chinosol als Stypticum und sekretions-
beschränkendes Mittel. Das Chinosol bewährt sich nach
J. N ottebu u m - Kemilly (Lothringen) ln 1—2 prom. Lösung als
vorzügliches blutstillendes Mittel bei Quetschwunden, parenchyma¬
tösen Blutungen. Epistaxis und Gebärmutterblutungen. Diese
haemostatisehe Wirkung beruht auf den adstringirenden Eigen¬
schaften des C’hinosols (welche es möglicher Weise dem in ihm ent¬
haltenen Kaliumsnlfnt, das Ja auch einen Bestandtheil des Alauns
bildet, verdankt). Weitere Vorzüge sind der hohe, dem Sublimat
eielchstehende nntibacterielle Werth, die Ungiftigkeit und die
Eigenschaft, Blutgerinnsel zu lösen, im Gegensatz zum Sublimat,
welches eine Gerinnung derselben bewirkt, endlich noch seine
sekretionsbeschränkende Wirkung. Bei der Anwendung des Chino-
sols ist zu beachten, dass es durch alkalische Flüssigkeiten und
Seife zersetzt wird, wesshalb bei seiner Anwendung der voraus¬
gebenden Absteifung eine Wasserspülung folgen muss. Eisen wird
durch dasselbe angegriffen, während Nickel unverändert bleibt;
Sublimat giL)t mit Chinosol eine starke Fällung. (Therap. Beilage
der Deutsch, med. Wochenschr. No. 33.) F. L.
Feber einen verlM>sserten Apparat zur Verhütung
von Gonorrhoeinfektion mittels nach dem Coitus aus-
zuführender Protargolinjektionen l>erichtet Dr. Ernst
H. W. Fra n k. Der Verschluss des Apparates ist so hergestellt,
das» er durch einen Druck mit dem Fingernagel leicht und voll¬
ständig entfernt werden kann. Hiuunterdrücken einer kleinen Kork-
l'latte mittels des beigegebeuen Ginsstäbchens bringt die Flüssig¬
keit zum Austritt. Der oberhalb der Austrittsöffnung befindliche
Glaswulst verhindert auch bei weitem Oriflclum das zu tiefe Ein¬
dringen der Flüssigkeit und Verletzungen der Harnröhrenschleim-
lintit. Der Inhnlt eines Röhrchens entspricht der zur jeweiligen
Prophylaxe nöthigen Menge. Mehr als einmal soll das Röhrchen
?tiis Gründen der Hygiene nicht verwendet werden.
üm die Methode auf diejenigen Fälle von Urethral Infektion
aiiHzudehnen, in welchen es sich nicht tim das Eindringen von
Gonococcen, sondern von anderen Mikrobien handelt, die bekannt¬
lich auch zuweilen die Ursache von Urethritiden werden, ist dom
Inhalte der Kapseln Sublimat im Verhältnis« von 1:2000 zugeseizr.
Durch diesen Zusatz, der die Wirkung des Protargols in keiner
Weise beeinträchtigt, wird das Oriflclum nicht gereizt; es wird aber
eine Prophylaxe gegen bakterielle, nicht gonorrhoische Infektion
geschaffen, gegen welche sich das Protargol unwirksam erwiesen
hat. (Deutsch. Mc<licinnl-Ztg. 1901, No. 31.) P. II.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 3. September 1901.
— Eine Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 24. August
'•■rbietet behufs Abwehr der Pestgefahr die Ein- und Durchfuhr
von Leibwäsche, alten und getragenen Kleidungsstücken, ge¬
brauchtem Bettzeuge, Hadern und Lumpen jeder Art aus (1er
europäischen Türkei, einschliesslich aller türkischen
Häfen des Aegäischen und des Schwnrzen Meeres. Auf Leib¬
wäsche, Bettzeug und Kleidungsstücke, welche Reisende zu ihrem
Gebrauche mit sich führen oder welche als Umzugsgut eingeführt
werden, findet das Verbot keine Anwendung; jedoch kann die
Gestattung ihrer Einfuhr von einer vorherigen Desinfektion ab¬
hängig gemacht werden.
— Einen neuen Beitrag zu dem Kapitel: „Stadt-
Magistrat und Acrzte“ bildet folgende Episode: I u
•‘»stock erledigte sich im Juli vorigen Jahres die Impfarzt-
*tclle durch den Tod des bisherigen Impfarztes. Derselbe war für
j'«le einzelne Impfung nach der mecklenburgischen Minimaltaxe
G M. für Impfung, incl. Nachschau etc.) liouorlrt worden uml
stellte sich lm Durchschnitt auf 1800 M. pro Jahr. Bel Neuaus¬
schreibung der Stelle reducirte nun der hochlöbliche Magistrat
das Honorar pro Impfung auf 60 Pf. Auf die Weigerung des
Rostocker Aerzteverelns, diese willkürliche Herabsetzung der Taxe
anzunehmen, beschloss ersterer, zwei Impfärzte anzusteileu uml
Jeden mit einer Pauschalsumme von 800 M. jährlich zu bouoriren.
Da bei der stets wachsenden Anzahl von Impflingen diese Be¬
zahlung sehr bald erheblich hinter der Miniinaltaxe Zurückbleiben
würde, lehnte der Aerztevereln das Angebot ab und verlangte für
jeden der beiden Impfärzte 900 M., was also der Durchschnitts-
sunune der letzten 5 Jahre, 1800 M., entsprnoh. Diese berechtigte
Forderung einfach iguorirend, schrieb der Magistrat die Stelle mit
einem Jaliresgebalt von 1600 M. zum freien Wettbewerb aus. Der
ärztliche Verein beschloss daraufhin, seinen Mitgliedern die Be¬
werbung zu diesen Bedingungen zu untersagen und hofft, dass
sich auch von auswärts kein Kollege findet, der unterbietet.
— Laut Bekanntmachung des preuss. Staatsanzeigers wurde das
durch Allerhöchste Ordre vom 10. April 1899 dem praktischen Arzt
Dr. Pb. .T. S t e f f n n. früher in Frankfurt a. M., jetzt in Marburg,
crtlieilte Patent als Snnltätsmth zurückgenommen. Wie früher
berichtet, hatte Dr. St eff an auf den Sunitiltsrathstitel ver¬
zichtet. nachdem seine Klage gegen den Fiscus auf Rückerstattung
von 300 Mark Stempelsteuer in allen Instanzen abgewiesen
worden war.
— Beschwerde einer österreichischen Aerzto-
k a m m e r. Die Salzburger Aerztekammer hatte vor Kurzem au
die bayerische Regierung eine Beschwerde gerichtet, in (1er um
Einschreiten gegen zwei Aerzte von Freilassing wogen markt¬
schreierischen Anuoncircns in Salzburger Blättern gebeten wird.
Da aber die bayerische Regierung in ihrer Erledigung erklärte,
(lass eine gesetzliche Grundlage zu einem disciplinarischen Vor¬
gehen nicht gegeben sei, so hat die Salzburger Aerztekammer
unter Zustimmung aller übrigen österreichischen Kammern au die
Regierung eine Eingabe wegen Abstellung solchen, auch in anderen
Grenzbezirkou bestehenden Unfuges gerichtet. (Allg.Wien.med.Ztg.)
— Pest. Türkei. Am 19. August ist in Galata ein neuer
Pestfall festgestellt. — Aegypten. In der Zeit vom 2. bis ein¬
schliesslich 8. August wurden in Port Said 3 Erkrankungen (und
1 Todesfall) an der Pest festgestellt, in Alexandrien 2, ln Zagazig 1.
Vom 9. bis einschliesslich 15. August wurden in Alexandrien und
Port Said je 3 Erkrankungen und In Zagazig 1 Erkrankung fest-
gestellt: von den zwei gemeldeten Pesttodesfällen dieser Woche ent¬
fiel je einer auf Alexandrien und Port. Said. — Britiseh-Ostindien.
Während der am 26. Juli abgelaufeneu Woche wurden in der
Präsidentschaft Bombay 2402 neue Erkrankungen und 1739 Todes¬
fälle an der Pest festgestellt. Aus der bereits für pestfrei er¬
klärten Hafenstadt Karachi wurden 8 Erkrankungen und 4 Pest¬
todesfälle gemeldet: In (1er Vorwoche waren daselbst 1 Erkrankung
und 1 Todesfall festgestellt worden. In der Stadt Bombay starben
während der am 27. Juli endenden Woche 112 Personen an der
Pest und 173 unter Post verdacht; die Zahl der Neuerkrankungen
daselbst wurde auf 108 beziffert. — Kapland. Während der am
27. Juli abgelaufenen Woche sind in der ganzen Kolonie noch
5 Pestfälle zur Anzeige gelangt. 2 Personen sind der Pest erlegen.
— Vereinigte Staaten von Amerika. Vom 6. lös 11. Juli sind in San
Frauzisko 5 Erkrankungen und 4 Todesfälle an der Pest be¬
obachtet.
— In der 33. Jahreswoche. vom 11.—17. August 1901. hatten
von deutschen Städten tiber 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬
keit Lichtenberg mit 61.1. die geringste Dannstadt mit 11.5 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Masern ln Fürth, an Diphtherie und Croup
in Bamberg.
(H o c h s c li n 1 n a c li r i c b t e u.)
Berlin. Privatdoeent Dr. J ii r g e n s, langjähriger Assi¬
stent Virchow’s und Kustos am pathologischen Institut
wurde zum Professor ernannt
Jena. Gelieimratli Professor Dr. Schnitze feierte am
28. August sein 50 jähriges Doetorjubiiiium.
Kiel. Dr. med. Hugo G r a e t z e r, früherer Assistent an
der chirurgischen Klinik, ist zum Leibarzt des Fürsten von Bul¬
garien ernannt worden.
Rostock. Als Nachfolger Prof. A x e n f e l d’s wurde
Prof. Dr. G ree f f in Berlin auf die Professur der Augenheilkunde
berufen.
Bahia. Dr. M. B. da Costa wurde zum Professor der
zahnärztlichen Klinik ernannt.
Brooklyn. Dr. W. F. Campbell wurde zum Professor
der Anatomie am Loug Island College Hospital ernannt.
Brüssel. Prof. Rom meiner e legt sein Amt als Pro¬
fessor der I. mediciu. Klinik nieder. An seine Stelle tritt Prof.
S t i 6 n o u. Zum Direktor der II. mediein. Klinik wurde Prof.
DustrCe ernannt.
C h e r m o n t. Dr. B 1 d e wurde zum Professor der externen
Pathologie und operativen Mediein an der medieinischen Schule
ernannt.
Genua. Der bisherige Privatdoeent an der med. Fakultät
zu Neapel, Dr. G. Ascoll, linbilitirte sich für modicitiisHn*
Chemie.
Leyden. Der Professor an der med. Fakultät zu Amster¬
dam, Dr. J. A. Körte w e k, wurde au Stelle des verstorbenen
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1434
MT7ENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 36.
Professors Tan Iterson zum Professor der chirurgischen
Klinik ernannt.
London. l)r. R. Tauner Hewlett wurde zum Professor
der allgemeinen Pathologie und Bakteriologie au King’s College er¬
nannt.
Neapel. Der ausserordentliche Professor der gerichtlichen
Medicin Dr. G. Corrado wurde zum ordentlichen Professor er¬
nannt.
Parma. Habllitirt: Dr. U. S t e f a n I, bisher Privatdocent
an der med. Fakultät zu Padua, für Psychiatrie.
Pisa. Habllitirt: Dr. B. Bossalino für Augenheilkunde,
Dr. 1*. Pellegrine fiir experimentelle Hygiene.
R o m. Habllitirt: Dr. C. d e 11 a V a 11 e für Cytologie, Histo¬
logie und mikroskopische Anatomie, Dr. A. Dionisi für patho¬
logische Anatomie.
T u r I n. Habllitirt: Dr. O. Gaudenz! und Dr. O. P e s
für Augenheilkunde.
Wien. Habllitirt: Dr. G. v. Türük für Chirurgie.
(Todesfälle.)
In Berlin starb der hochverdiente Leiter des preuss. Sauitiits-
eorps Generalstabsarzt Dr. v. C o 1 e r, 70 Jahre alt.
In Giessen starb am 21. ds. der ausserordentliche Professor
4er Ohrenheilkunde Dr. Steinbrügge, 70 Jahre alt.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Erledigt: Die Bezirksarztesstelle I. Klasse in Uffenheim.
Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Ge¬
suche bei der ihnen Vorgesetzten K. Regieruug, Kammer des
Innern, bis zum 18. Septemlier 1901 einzureichen.
Ernannt: Der praktische Arzt Dr. Georg Schrank in
München zum Bezirksarzt I. Klasse in Mainburg.
Abschied bewilligt: Dem Generalarzt Dr. Stadelmayr.
Korpsarzt des II. Armeekorps, mit der gesetzlichen Pension und
mit der Erlaubniss zum Forttragen der Uniform mit den für
Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen.
Beauftragt m i t Walirne h m u n g der Ges c li ii f t e
des Korpsarztes III. Armeekorps: Der General¬
oberarzt Dr. Schiller, Divisionsarzt der .3. Division.
Ernannt: Zum Divisionsarzt der 3. Division der General¬
oberarzt Dr. Leitenstorfer, Regimentsarzt im 4. Inf.-Reg.:
zum Regimentsarzt im 4. Inf.-Reg. der Stabsarzt Dr. Webers-
berger.- BatRlllonsarzt im 14. Inf.-Reg.. unter Beförderung zum
Oberstabsarzt; zum Bataillonsarzt im 12. Inf.-Reg. der Oberarzt
Dr. Blank des 1. Fuss-Art.-Regts., unter Beförderung zum
Stabsarzt.
Versetzt: Der Generalarzt Dr. Zollitsch, Korpsarzt des
III. Armeekorps, zum II. Armeekorps.
Befördert: Zu Assistenzärzten die Unterärzte Hans P ul¬
st i n g e r Im 2/ Fuss-Art.-Reg. und Heiko Couu e m a n u im
4. Inf.-Reg.
Correspondenz.
In Erwiderung auf den auch in dieser Woehensehr., No. .‘53.
t heil weise abgedruckten Artikel des Pressausschusses des ärzt¬
lichen Bezirksvereins München, der sich mit dem „Oculariu m"
beschäftigte, richtet Rechtsanwalt Bernstein an die Press»*
eine Zuschrift, die wir. soweit sie sich auf das in unserem Blatte
Mitgctheilte bezieht, hiermit wiedergeben. Herr Bernstein
schreibt:
„In der Zuschrift des Pressausschusses war ferner gesagt:
„Die gepflogenen Erhebungen hätten ergel»en, dass die von der
Firma Oeularium eigens angestellten Augenärzte durch einen
jüngeren Arzt, Namens Fränkel, repräsentirt seien, welcher
angab, seine augenärztliche Ausbildung in Würzburg bei Herrn
Gehelmrnth Professor Michel erhalten zu haben; auf eine An¬
frage bei diesem sei die Antwort erfolgt, dass er sich an einen
Herrn dieses Namens überhaupt nicht erinnere“. — Im Aufträge
des Herrn Dr. Fränkel theile ich Ihnen hiezu Folgendes mit:
Herr Dr. Fränkel ist nicht „ein jüngerer Arzt.“ Er ist
praktischer Arzt seit bereits 12 Jahren. Der ehrenrührige Vor¬
wurf. er habe mit Unrecht auf Herrn Geheimrath Michel sich
berufen, ist vollkommen unberechtigt. Von Herrn Dr. Bach,
ausserordentlichen Professor der Augenheilkunde in Marburg,
sowie einem bayerischen Augenärzte, welche Beide zu derselben
Zelt wie Herr Dr. Fränkel in der Universitätsaugenklinik des
Herrn Geheimrath Michel in WUrzburg thiitig waren, liegen
schriftliche, in meinem Bureau zur Einsicht liegende Bestäti¬
gungen dafür vor, dass Herr Dr. Fränkel daselbst gearbeitet
hat. Dasselbe hat Herr Geheimrath Michel
selbst inzwischen dem Herrn 1) r. F riinkel m (i u d-
lieli und schriftlich bestätigt. Herr Geheimrath
Michel hat Herrn Dr. Fränkel am 19. ds. in Berlin
überdies die mündliche Erklärung gegeben, er habe bei der Be¬
antwortung der Anfrage des Pressausschusses sich nur augen¬
blicklich der Persönlichkeit des Herrn Dr. Fränkel nicht er¬
innert.
Den* Dr. Fränkel hat augenärztliche Praxis im Oeularium
überhaupt nicht nusgeübt. Er hat lediglich Brillengläser be¬
stimmt, Augenkranke aber nicht behandelt, sondern theils in die
hiesige Universitätsaugenklinik, theils zu verschiedenen Augen¬
ärzten gewiesen. Er ist in der Lage, dies durch Zeugen zu be¬
weisen.“
Dieser scheinbaren Berichtigung gegenüber ist der Press-
ausschuss des ärztlichen Bezirksvereins in der Lage, seine An¬
gaben vollständig aufrecht zu erhalten. Er schreibt uns:
„In einer Erwiderung, welche das Oeularium durch Herrn
Rechtsanwalt Bernstein auf unsere neuliche Aufklärung
erfolgen Hess, finden wir zunächst die Feststellung, dass Herr
Professor A 1 b u, dessen sogen, bichromatlsche Augengläser das
Oeularium als Specialität anpreist, deutscher Arzt ist und In
Persien den Professorentitel erhielt. Da wir uns hier nicht mit
der Person des Herrn Professor A 1 b u zu beschäftigen haben,
nehmen wir davon lediglich Keuutuiss.
Der zweite Punkt betrifft die „eigens angestellten Augen
ärzte“. Zunächst wird in der Erwiderung stillschweigend zu¬
gegeben. dass es sich in der Timt nicht um mehrere, wie in den
Annoncen behauptet wird, sondern nur um einen einzigen Ar/.i
Namens Dr. Fränkel handelt. Was wir über diesen Arzt ge¬
sagt haben, halten wir vollständig aufrecht, nur berichtigen wir
gern, dass Herr Geheimrath v. Michel uns auf erueute Anfrage
in einem zweiten Schreiben mitgetheilt hat, dass Herr Dr. Fränkel
allerdings vor 12 Jahren einmal ungefähr % Jahr lang Volontär
an der Würzburger Augenklinik war. Bei der Kürze des Aufent¬
haltes vor so langer Zeit ist es ja vollkommen begreiflich, dass
Herr Geheimrath v. Michel sich an den Herrn nicht melir er¬
innerte, bis er sich persönlich vorstellte. Von einer etwaigeu
augenärztlichen Thntigkeit des Herrn Dr. Fränkel in den seit¬
dem verflossenen 12 Jahren verlautet auch in der Erwiderung
nichts; ob er nun also Augenarzt Ist oder nicht, stellen wir dem
Urthell jedes Sachverständigen anheim. Das Recht, sich so zu
nennen, kann ihm freilich Niemand streitig machen, so lauge wir
keine ärztliche Standesordmmg haben; wir hatten desshall» auch
nur geschrieben:
„Der betreffende Herr ist also jedenfalls kein Augenarzt im
eigentlichen Sinne des Wortes, sondern praktischer Arzt; wenn
auch jeder praktische Arzt gesetzlich das Recht hat. Augenheil¬
kunde zu treiben, so versteht man doch im Publikum unter Augen¬
arzt einen Specialisten, welcher nach Erlangung seiner Appre-
bation als Arzt noch längere Zeit hindurch an einer Augenklinik
als Assistent thätig war und cs gilt unter den Aerzten mit lieHit
als unanständig und unzulässig, sich Special ist zu nennen, olm
eine solche besondere Vorbildung."
Herr Dr. Fränkel dürfte sich gesetzlich ebenso gut am-li
Frauenarzt oder Nervenarzt oder Chirurg nennen.
T'cbrigens scheint Herr Dr. Fränkel mm doch selbst ciu-
gesehen zu haben, dass sein Verhalten mit den Interessen und
dem Ansehen des ärztlichen Standes nicht vereinbar ist: er hat
nämlich, wie wir wissen, mehrfach erklärt, seine Thätigkeit am
Oeularium einstellen zu wollen." (letztere Bemerkung wird neuer
dings vom Oeularium -bestritten. Red.»
Der „Speeialarzt“ Dr. B 1 i t s t e I n in Nürnberg weist in einer
an uns geriehteton Zuschrift das ihm in No. 19. S. 770 d. W. in
«len Mund gelegte „Geständniss. «lass di«* Naturheilmethode keine
Diagnose brauche und auf sie pfeift", zurück. Nach unserem Be
rieht iihid. S. 775 1 hat Dr. B 1 i t s t e i n allerdings nur gesagt, <to*'
die meisten Patienten auf «lie Diagnose pfeifen. Wenn also unser
Refeivnt annimnit. dass ergo auch die Nnturhcilm»*thode s«*lbst atu
die Diagnose verzi«*hte. so war «lies ein S«*hluss. der ebenso nalie
liegen«!, wie erfahrutigsgemäss berechtigt war.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München
in der 34 Jahreswoche vom 18 bis 24. August 1901.
Betheiligte Aerzte 193. — Brechdurchfall 23 (26*), Diphtherie,
Croup 12 (9), Erysipelas 6 (7), Intermittens, Nenralgia intern.
1 (—), Kindbettfieber — (3), Meningitis cerebrospin. — (- •.
Morbilli 22 (8), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 6 (1), Parotitis
epidem. 1 (—), Pneumonia crouposa 4 (4), Pyaemie, Septikaenuo
— (—), Rheumatismus art. ac. 8 (10), Ruhr (dysenteria) 1 H.
Scarlatina 2 (3), Tussis convulsiva 22 (16), Typhus abdominalis
2 (5), Varicellen 5 (5), Variola, Variolois — (—), Influenza •— v — ,'»
Summa 120 (97). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 34. Jahreswoche vom 18 bis 24. August 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 3 (1*), Scharlach — (—\ Diphtherie
und Croup — (4), Rothlauf — (—), Kindbettfieber 1 (1),
Vergiftung (Pyaemie) — (1). Brechdurchfall 17 (12), Unterleibtypnu»
— (1), Keuchhusten 5 (l), Cronpöse Lungenentzündung
Tuberkulose a) der Lungen 20 (17), b) der übrigen Organe ■ (l'h»
Akuter Gelenkrheumatismus — (--), andere übertragbare Krank¬
heiten — (3), Unglücksfälle 6 (2), Selbstmord 1 (1), Tod duren
fremde Hand — (l). ... ,,
Die Gesammtzabl der Sterbefälle 206 (195), Verhältnisszahl a
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 21,4 (20,3), für d ,e
über dem 1. I^ebensjahrc stehende Bevölkerung 20,3 (10,6).
*) Die eingeklamnicrtcn Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — brück von E. Mühlthaler's Buch* und Kunetdruckerel A.Q., Münohen,
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Dlo Münch. ITcd. Wochetisehr. erscheint wflchonfl 11 lt 7 T \ TA IT TDIVTTHZn«on<f'mtfcn sind zn sdrc*«fron: Für dloHcdacrfD3
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen. y| I \1 . |—I M. \ H. I< Ottosirasse 1. — Kür Abonnement an J. F. Leh-
Prcla ln Dentschl. n. Oest.-Ungarn vlerteljährl. 6 JL, JJJ- W A .1 i a-i-i * * * ** mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
Ins Ansland 7.60 JL Einzelne No. 80 -t. an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
0. Boliinger, H. CBrscbminn, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. i. Michel, H. v. Rinke, F. v. Wlnckel, H. v. Zleassei,
Manchen. Leipzig. Berlin Nürnberg. Berlin. München Manchen. München.
Ch. Blamier,
Freibarg 1. B.
No. 37. 10. September 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
48. Jahrgang.
Origin alien.
Aus der Würzburger medicinischcn und chirurgischen Klinik
(Geh. Rath v. Leube und Geh. Rath Schoenborn.)
Beitrag zur Diagnose und Therapie der Divertikel
der Speiseröhre.
Von
Dr. Karl Mayr und Dr. Adolf Dehler,
I. Ass.-Arzt an der med. Klinik I. Ass.-Arzt an d. Chirurg. Klinik
Erhöhtes Interesse hat in den letzten 5 Jahren die Diagnose
und Therapie der Zenker’schon Pulsionsdivtft'tikel erregt
einerseits in Folge der wichtigen Verbesserungen der oesophago-
skopisehen Untersuchungsmethoden durch Kirstein, Kil-
1 i a n, K c 11 i li g, v. Hacker, Rosen heim u. A., anderer¬
seits wegen der zunehmenden Zahl glücklicher Radikalopera-
tionen, durch die solches Leiden dauernd beseitigt wurde. Es
möge daher in Folgendem der Krankheitsverlauf eines im
k. Juliusspitale zu Würzburg beobachteten Falles den bisher in
der Literatur beschriebenen angefügt werden.
S. C., 39 Jahre alt, Lehrer, war früher stets gesund und be-
schwerdefrel und lebt in glücklicher Ehe. Er war durch seinen
Beruf gezwungen, das Essen öfters hastig einzunehmen; vor
einigen Jahren soll Ihm einmal eine Griite mehrere Tage lang
im Halse stecken geblieben sein. Vor einem halben Jahre be¬
merkte er plötzlich beim Mittagessen, dass er grössere Stücke
Fleisch nicht mehr schlucken konnte, und solche trotz ausgiebiger
Würge- und Schluckbewegungen nach einiger Zeit wieder in den
Mund gelaugten. Etwas besser ging das Schlucken, wenn er die
festen Speisen mit Flüssigkeit zusammen zu sich nahm, doch hatte
er auch hiernach noch einige Stunden lang den Geschmack des
Fleisches und Weines im Munde. Dieser Zustand dauerte fast
ein halbes Jahr, ohne dass sich Patient wesentlich beunruhigt
hätte, da er sich vollständig ernähren konnte und bedrohliche Er¬
scheinungen nicht auf traten; dann aber veraniasste ihn ein neu
hinzutretender Umstand zum Eintritt in’s Spital (6. X. 1900).
Er bemerkte nämlich jedesmal nach dem Genüsse von Flüssig¬
keiten ein glucksendes, „gurrendes“ Geräusch, das aus seinem
llalse hervorzudringen schien, und ihm den Aufenthalt ln jeder
Gesellschaft verleitete.
Patient bot das Bild eines int besten Alter stehenden Mannes;
iiuBRerlich liess sich nichts Abnormes finden, namentlich ergab die
Inspektion und Palpation des Halses nirgends eine Vor-
w ö 1 b u n g oder dergleichen. Sämmtliche Organe waren normal.
Die eingeführte welche Schluudsonde stless nach 18 cm Vor¬
dringen auf einen geringen Widerstand, der aber durch leichten
Druck überwunden werden konnte, worauf das Instrument glatt
in den Magen gelangte, der ln jeder Beziehung ausgezeichnet
funktionirte; niemals blieb die Sonde an einer
Stelle stecken. Die gewöhnliche laryngo-
pharyngoskopische Untersuchung ergab nor¬
male Verhältnisse.
Es wurde nun behufs ÄufÜndung des vermutheten Divertikels
die Untersuchung der Speiseröhre mittels des Rosenhoi m'schen
Oesophagoskopes vorgenommeu; die normales Verhalten der
unteren zwei Drittel ergab. In einem Tubusabstand von 22 cm
von den Schneidezähneu an erschien das Lumen des Oesophagus
fast geschlossen und etwas stärker als normal nach links verlagert.
Bei 18 cm Entfernung gelang es jedesmal, den Eingang in
das Divertikel ln Gestalt eines bei vollständig
vertical gestelltem Tubus im rechten hinteren
Quadranten schräg verlaufenden Spaltes, um¬
geben von gerötheten, llppenförmigen Rändern,
einzustellen (was den Hörern der medicinischen Klinik am
lft. XI. demonstrirt wurde).
Nach vorhergegangener Eucainisirung des Oesophagus gelang
es auch, das Divertikel selbst zu entriren und seine Längsaus-
dehnung — 3 y a cm — vermittels einer durch den Tubus in
No. 37.
dasselbe eingeführten Sonde zu messen. Mit dem Tubus selbst
bis zum Fundus vorzudringen, erschien nicht rathsam. Das Innere
zeigte, abgesehen von starker Injektion der Wände im oberen
Tlieil, nichts Bemerkenswerthes.
Von aussen konnte der Tubus oder die Sonde
niemals gefühlt werden.
Ich versuchte nun endlich, nachdem Ausgangspunkt und
Grösse des Divertikels genau bestimmt war, nochmals die laryngo-
skopische Untersuchung, die zuerst, wie ja auch zu erwarten, Im
Stiche gelassen hatte. Zwar konnte man bei starkem Druck gegen
(len rechten Sternocleido Im eingeführten Kehlkopfspiegel deutlich
das Aufsteigen von Speiseresten hinter dem Ringknorpel be¬
obachten, doch gelang es erst bei Anwendung des
K 1 r 8 t e i n’schen Autoskopes, dessen Schnabel in die
Cartilago cricoidea eiugefülirt wurde, den Eingang zu Ge¬
sicht zu bekommen, der sich dann bei von aussenher aus¬
geübtem Druck öffnete und die Speisereste heraustreten liess.
Epikritisch ist diesem klinischen Befunde wenig hinzuzu-
fügon. Die oesophagoskopischen Ergebnisse decken sich genau
mit den schon früher von den obenerwähnten Forschern ver-
öifentliehten. Dass es sich nur um ein Z e n k e Esches Pul-
sionsdivertikcl handeln konnte, war ja durch die Untersuchung
vollständig klar geworden; ob allerdings das ja viel beschuldigte
Trauma auch in unserem Falle eine Rolle spielte, möchte ich
nicht entscheiden.
Wichtiger scheint mir zu sein, dass bei dieser Art von
Divertikeln, die am Uebcrgang vom Pharynx zum Oesophagus
sitzen, die Möglichkeit gegeben ist, ihren Aus¬
gangspunkt und die Uebergangsschwelle, ver¬
mittels des Kirstein’schen -Instrumentes
direkt zu besichtigen, zumal da doch die genaue Fest¬
stellung des Sitzes für eine eventuelle Operation von grösstem
Werthe ist, und die äussere Untersuchung, Inspektion und Pal¬
pation der betreffenden Partien leicht zu Selbsttäuschungen
führen kann.
Patient wtirde Anfangs 2 Monate lang bloss durch die
Sonde ernährt — von einer elektrischen Behandlung und auch
von einer Dehnung der Uebergangsschwelle glaubte ich absehen
zu müssen. Bald sah jedoch der verständige Patient das Un¬
zureichende dieser Therapio ein und verlangte selbst dringend
nach einer Operation, wesswegen er auf die chirurgische Ab¬
theilung verlegt wurde.
Die Berechtigung zu operativer Beseitigung des Leidens er¬
gab sich aus der nachgewiesenen bereits erreichten Grösse, dem
stetigen Waehsthum, aus der zunehmenden Erschwerung der
Nahrungsaufnahme und der fortschreitenden Abmagerung.
Die Technik des operativen Vorgehens ist nach den bisherigen
Veröffentlichungen weit ausgebildet und in der neuesten Zeit von
Veiel (Beitr. z. klln. Chirurg. XXVII, 3) kritisch geschildert.
Während ln den meisten bisher operirten Füllen wohl auch dess-
halb von der linken Seite der Trachea eingegangen war, well links
hinter der Trachea der Oesophagus mehr hervorragt, giug Herr
Hofrath Schoenborn in unserem Falle bei dem pharyugo-
s k o p i s c h nachgew l«senen, ausschliesslich
rechtsseitigen Sitz des Divertikels von einem Haut-
schnitt aus ein, der von der Holte des Zungenbeins am medialen
Rand des rechten M. sternocleidomastoideus herab bis zum
Jugulum geführt wurde. Bei Schonung der Muskeln (auch des
Omohyoideus) ermöglichten die nicht fettreichen Gewebe des
hageren Halses ein rasches Vordringen; eine Struma war nicht
vorhanden, die schwache Art. thvreoidea inferior wurde doppelt
unterbunden und durchtrenut, die grossen Gefässe, M. stehn, uml
omohyoideus, nach aussen, die Trachea vorsichtig nach der liuken
Seite gezogen: der rechte N. recurrens war durehschimmenid
sichtbar. Es stellte sich bei weiterem, stumpfem Vordringen bald
ein anormales Gebilde in das Operationsfeld ein, das nach hinten
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1436 MtfENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 37.
rechts vom Oesophagus dessen rechten Rund um etwa 2 cm über¬
ragte und bis 4 cm Uber die Höhe des rechten Schlüsselbeins
herabreichend, dem lockeren, praevertebralen Zellgewebe auflag.
Durch leicht gelungenes Einfuhren einer Sonde vom Pharynx aus
konnte die Art und Länge des Divertikels, sowie die Dünne seiner
Wand, welche am Fundus die Sonde durchscliiininern Hess, fest-
gestellt werden; es wurde au seinem unteren Pol zuerst, dann nach
oben hin bis zu seinem in der Höhe des SehiUlknorpels sitzenden,
engen Hals überall aus lockerem Bindegewebe isolirt. Das Diver¬
tikel liess sich dabei ganz uach rechts seitlich hinter dem
Oesophagus hervorziehen. Am Halse des leeren Sackes wurden
die äusseren Gewebsschichten rings incidirt und etwas zuriiek-
g»schoben (wie die Serosa bei der Amputation des Processus
vermiformis), eine feste Seidenligatur umgelegt, das Divertikel ab¬
getragen und die kleine Schlelmhauttläehe in der Mitte der ligirten
Stelle mit Galvanokauter verschorft. Diese Stelle wurde mit zwei
leinen Seidennähten Ubernäht. Da eine solche Versorgung der
Oeffnung an der Wand des Oesophagus wohl stets unsicher ist,
wurde nach v. Bergmanns Vorgang auf eine Naht der um¬
gebenden und bedeckenden Weiclitheile verzichtet, vielmehr durch
einen Jodoformgazetampon deren Heberlagern verhütet und die
Wunde offen gehalten. Indem durch in den Verband eingelegte
Pappschienen für 0 Tage eine Ruhigstellung der Halsmuskeln be¬
zweckt wurde, wurde Patient 5 Tage lang nur mit Niilirklystiereu
ernährt; der verständige Mann ertrug die Qualen des Durstes, die
ja durch Aufeueliten der Mundschleimhaut nur wenig gemildert
werden konnten. Vom 5. Tage an wurde Milch und flüssige
Nahrung, vom 12. Tage an breiige. Kost und nach 3 Wochen
Fleischspeise erlaubt. Die Wunde granulirte nach Entfernung des
Tampons am 7. Tage rasch, ohne dass auch nur eine
Spur von O e s o p li a g u s i n h a 11 d u r cli die Naht¬
stelle seiner W a n d a u s g e t r e t e u w a r. Das sub¬
jektive Befinden hatte natürlich während der Hungertage gelitten,
doch kehrte Wohlbefinden und Körperkraft bei beschwerdefreier
Nahrungsaufnahme rasch zurück. Drei Wochen nach der
Operatio n w a r die Wunde v e r h e i 11.
Das excidirte Divertikel war 3 cm laug und hatte bis zu 2 cm
Durchmesser, sein Hals war für eine Kirsche durchgängig. Nach
entsprechender Fixation in toto bieten L ä n g s durchschnitte i m
mikroskopischen Bilde folgenden Befund: Die ganze
Innenfläche ist von wohlerhaltenem Pflasterepithel ausgekleidet,
welches in viel dickerer Schicht als an der normalen Oesophagus-
sehleimhaut gelagert in seiner Keimschicht reichliche Papilien¬
bildung zeigt; nur im Fundus des Sackes ist, wie die ganze Diver¬
tikelwand auch die Epithelschichte dünner und zeigt fast keine
Papillenbilduug. Unter dem Epithel findet sich eine breite Sub-
mueosa mit wenigen arteriellen, aber reichlichen venösen Ge-
fassohon, mit einzelnen erweiterten und wenig geschlängelten
Dnisensohlüuchen und mit kleinen Bündeln glatter Muskelfasern,
welche an der Seite des Sackes massig dicht gelagert längs,
schräg und quer getroffen, im Vergleich mit der normalen Oeso-
phaguswaml spärlicher erscheinen. Gegen den Fundus des Diver¬
tikels hin zeigt die glatte Muskulatur der Submucosa mehr Längs¬
richtung und wird allmählich spärlicher, am Fundus selbst zeigt
die Wandung keine Muskulatur und keine Drüsentheile. Die
Wandung des Divertikels wird im Ganzen vom Halse her gegen
«len Fundus allmählich dünner durch Abnahme der Dicke siimnit-
lieher sie konstituirenden Gewebe, so dass sie dort nur %—Vi so
dick ist wie am Halse. In der Submucosa finden sich ausserdem
thcils in rundlichen Häufchen, thcils reihenförmig angeordnet
Lymphzellen, anscheinend in normal physiologischer Vermehrung
und Funktion, an anderen Stellen scheinen sie, unregelmässig au-
geluiuft. entzündliches Infiltrat anzudeuteu. Am Halse nicht,
wohl aber im Fundus zeigt die Wand tlieils dicht unter dem Epi¬
thel, thcils tiefer gelegen kleine Blutaustritte. Die äussere Schicht
der Divertikelwand bildet lockeres Bindegewebe mit einzelnen Ge-
fässehen, Fetttriiubclien und elastischen Fasern. Quergestreifte
•Muskelbüudel oder -Fasern finden sich nirgends an der Wand dos
Sackes.
Demnach gibt uns auch das mikroskopische Bild
Aufschluss darüber, dass im vorliegenden Falle das Divertikel
nicht amrebon n. sondern entstanden ist in Folge traumatischer
Ausstülpung der Schleimhaut durch eine Lücke der Constrie-
torenniuskulatur: Pharyngo-Oesopliagocele traumatica. Es gibt
«in« zugl- ich Aufschluss, wie leicht in Folge der Dünne der Wand
eine vielleicht lebensgefährliche Perforation durch Sondirung
erfolgen kann und dass bei andauernder Einwirkung mecha¬
nischer und chemischer Reize. Entzündung und Uleeration der
Wandung, careinomntüso Degeneration des, in lebhafter • Ver¬
mehrung begriffenen Epithels theoretisch zu erklären und zu
erwarten ist. wie thatsächlich sehon 2 Fälle von CarciHornbildung
in einem Divertikel beschrieben sind. Aus der Anatomie der
Divertikelwand ergibt sich ferner, dass der therapeutisch an¬
gewandte faradisehe Strom auf die spärliche, gedehnte, glatte
Muskulatur der Submucosa d<s Sackes so gut wie keinen wirk¬
samen Einfluss haben kann, sondern höchstens auf die den Ein¬
gang in den Sack umgebende und verengernde quergestreifte
Muskulatur.
Der technisch unbequemste und zugleich unsicherste Theil
der Operation war, wio in allen bisher veröffentlichten Fällen,
I der Verschluss des Divertikelstumpfes. Einstülpende Nähte ge¬
lingen am Oesophagus in vielen Fällen überhaupt nicht, beson¬
ders nicht bei weiterem Hals des Divertikels, und je mehr Nähte
gelegt werden, desto mehr droht Nekrose der Wand und Per¬
foration. Auch exakt gelegte Nähte können ausserdem in Folge
der unwillkürlichen Bewegungen der Speiseröhre leicht durch-
schueiden, so dass bis heute noch stets ein glücklicher Zufall
mitspiclto, wenn die Naht hielt. Eine Perforation kann, be¬
sonders in den ersten Tagen nach der Operation, wo die Gewebs-
spalten der Wunde noch nicht verklebt und durch Granulationen
bedeckt sind, leicht phlegmonöse Proeesso und Fistelbildungen
zur Folge haben, die wenn nicht den Tod, so doch wesentliche
Verlangsamung der Heilung verursachen.
Während v. Bergmann 1590 der Erste war, dem die Hei¬
lung durch Operation mit vollem Erfolge gelang, kamen von den
bisher veröffentlichten 25 Fällen 18 nach längorer oder kürzerer
Zeit zur Heilung, davon 4 ohne Eiterung und Fistelbildung;
5 endeten letal (1 an Arrosion der Art. thyreoid. infer., 1 an
Aspirationspneumonie, 1 an Nephritis 2 Tage p. op., 1 an un¬
stillbaren Diarrhöen, 1 an Halsphlegmone). Es ist nicht aus¬
geschlossen, dass andere operirte Fälle mit tödtlichem Ausgang
nicht bekannt gemacht wurden.
Bezüglich der Nachbehandlung Ist zu konstatiren, dass die
präventive Gastrostomie gerade bei geschwächten Individuen ein
viel zu folgenschwerer Eingriff ist, als dass sie zur Sicherung
der Ernährung wegen eines noch operablen OÖsophagusdiver¬
tikels vorgeiiommen werden sollte; in solchen Fällen wäre es
wohl sicherer, der Haltbarkeit der exakt angelegten Naht beim
Schlingen flüssiger Nahrung schon bald nach der Operation zu
vertrauen, als dem geschwächten Organismus eine so schwere
Komplikation zuzumuthon. Das Einlegen einer Verweilsonde
für die ersten Tage oder das wiederholte Einführen der Sonde
zum Zwecke der Fütterung schadet durch Dehnung der Oeso-
phnguswaml, Decubitus und Auslösung von Würgebewegungen.
Es bleibt also nur die Ernährung per rectum (eventuell auch
subkutan) für die ersten 4—5 Tage und danach die Zufuhr lang¬
sam konsistenter werdender Nahrung. Bei allzu starker Inani¬
lion, die eine solche Nachbehandlung nicht zulässt, hat die
radikale Operabilität der Oesophagusdivertikel selbstverständlich
ihre Grenzen.
Uebrigens ist nicht nur unter den zuletzt operirten Fällen
die Sterblichkeit proeontuell bedeutend geringer geworden, son¬
dern es verspricht auch die verbesserte Technik für die Zukunft
noch viel besser«; Resultate. Und wenn das Divertikel bereits
eine solche Grösse oder Form erreicht hat, dass interne Be¬
handlungsmethoden im Stiche lassen (entsprechende Lagerung
bei Aufnahme nur flüssiger Nahrung, Sondenbehandlung, Fara-
disHtio» der Divertikelmündung), gehen die Patienten ja so
sicher und qualvoll dem Tode entgegen, dass — je früher, desto
besser — nicht nur dem Arzte der Rath, sondern auch dem
Patienten der Entschluss zu einer radikalen operativen Behand¬
lung leicht wird, zumal alle bisher operativ geheilten Patien¬
ten. wie speciell auch der unsere geheilt blieben und frei von
ihn n früheren Beschwerden sich wieder ihres Lebens freuten.
Aus der chirurgischen Poliklinik zu München (Vorstand: Prof.
Dr. K1 a u s 9 n c r).
Zur Kasuistik der Blutcysten.
Von Dr. A. Gebhnrt, Assistenzarzt.
Wenn in die Interstitiell eines Gewebes eine Blutung er¬
folgt, welehe durch die Umgebung zur Geschwulstform einge¬
zwängt wird, so bezeichnet man dies als ein Haematoni
(E u 1 e n b u r g).
Die Ursache solcher Blutungen sind wohl meistens Traumen;
entstehen sie jedoch spontan, so liegt gewöhnlich eine allgemeine
Konstitutionsanomalie zu Grunde mit sekundärenVeriinderungen
der Gefässwandungen, so Skorbut, allgemeine haemorrhagisebe
Diathese, Syphilis etc.
In der hiesigen chirurgischen Poliklinik hatte ich Gelegen¬
heit, einen Fall von multipler Ilacmatombildung in der Muskula¬
tur zu beobachten, der auf dio oben erwähnte Weise schwer er¬
klärlich und zugleich in seinem Verlaufe so eigenartig ist, «lass
<>s wohl gerechtfertigt sein dürfte, denselben der Oeffcntliehkeit
zu übergeben.
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10. RcpteinJxr 1901. MUENCHENER MEDICTNISOIIE WOCHENSCHRIFT.
1437
Es handelte sich um einen 48 jiihrigen Mann, welcher spon¬
tan Blutungen in der Zwisehenrippenmuskulatur der linken Seite
bekam, die durch Bildung einer derhen Bindegowebskapscl in
kurzer Zeit eystisch abgeschlossen wurden, dennoch aber ständig
durch Nachblutung an Umfang Zunahmen bis sie Faustgrösse und
noch mehr erreichten und nun durch den Druck sogar zu TTsur
der benachbarten Rippen führten, so dass ein maligner Tumor
(weiches Sarkom) vorgetäuscht wurde: nach Tncision erfolgte
2 mal Ausheilung auf dem Wege der Granulation.
Die Krankengeschichte ist. folgende:
M. Michael, verhelrathet. ehern. Zuchthausaufsehcr. trat am
1. XIT. 1899 In die Behandlung der chirurgischen Poliklinik. Vor
ö .Tahren erhielt M. während seines Dienstganges von einem Sträf¬
ling einen Stich mit einer Scheere. welcher rechts vom Brustbein
zwischen den Bippen eindrang. Im Anschluss» an diese Ver¬
letzung entwickelte sich eine eitrige Rippenfellentzündung, welche
ihn mehrere Monate bettlägerig machte. Seit dieser Zeit ist Pat.
etwas schwerathmlg und leidet viel an Husten. Anhaltspunkte
fiir Uherstandene Lues fehlen. Ein Bruder des Patienten liegt zur
Zeit au Lungentuberkulose hoffnungslos darnieder.
Seit ungefähr fl Monaten bemerkt M. ln der Hegend der link»n
7. Rippe eine haselnussgrosse. nicht schmerzhafte Geschwulst: die¬
selbe l>egnnn schmerzhaft zu werden und rasch zu wachsen, als
er vor 3 Monaten, in der Sportnusstelhing nngestellt. schwere Snnd-
sücke tragen und am Seile des Fesselballons ziehen musste. Purei)
eine von ärztlicher Seite voreeeommene Prohepunktlon wurd» da¬
mals (am 2fl. X. 1899) linksseitiger lmemorrhagischer Pleura¬
erguss (wahrscheinlich auf tuberkulöser Basis) dingnosticirt. Am
30. XT. desselben Jahres wurde M. von der internen Poliklinik
wesen Verdacht auf ein malignes Neonlnsma der Rippen an die
ehlmrgisehe Abtheilune der Poliklinik zur T T ntersuehung ver¬
wiesen. Dieselbe ergab Folgendes:
Grosser, ziemlieh nhgemngerter Mann. Temperatur 30.5" C.
Athmung besehleunigt. 48; Puls kräftig. 74; Stimme heiser: zwi-
sehen 2. und 3. Rippe rechts. 2 cm vom Brustbein entfernt, eine
lineare. 3 cm lange Narbe (herrührend von der ScheeronVerletzung).
• Lungen: Selmll in den Suprnelaviculargruben different:
rechts hinten beginnt am Antrulus seapulae eine nusgesproch»nc
Dämpfung. Die Lungengrenzen sind rechts hinten unten n I e h r,
ausserdem gut verschieblich. Das Athomgeräusch ist im Bereiche
der rechtsseitigen Dämpfung aufgehoben an den übrigen Stellen
des Thorax vesiculär: in der linken Axillarlinic hört man pleu-
ritisehes Reihen. Husten gering, wenie schleimiger Auswuff
Tn der Gegend der linken 7. Rippe beginnt in
d e r Axillarlinic ein bis zur M n m m i 11 a r 11 n l o
reichender, kindskopfgrosser, fl u kt u Iren der,
prall elastischer, nicht verschieblicher Tumor
mit breiter Basis, von unveränderter Haut be¬
deckt: besondere Venenerw eitern ne oder -ver¬
mehr u n g i s t nicht zu bemerken; eine Probepunk¬
tion ergibt dunkles, flüssiges Blut: bei der
mikroskopischen Untersuchung derselben sieht
man unveränderte rothe Blutzöllen. Detritus¬
massen. r p ä r 1 i c h e Leukocyten.
Das Herz Ist nicht vergrössert. die Töne rein. A b d »in!
nnlorgnne nicht verändert: Appetit und Verdauung gut: der
Urin enthält weder Ehveiss noch Zucker. Drüsenschwcllumreu
sind weder In der Nachbarschaft des Tumors, noch anderweitig
nachweisbar.
Die Diagnose wurde demnach in folgender Weise gestellt:
Alte, ausgehellte Ohprlanpentuberkulose. alte pleurltische Schwarie
rechts, maligne Neubildung (wahrscheinlich Sarkom) der Rippen.
Es wurde beschlossen, zunächst eine Probeexcision zu machen,
event. elelch die Entfernung des Tumors anzuschliessen.
Bei der am 1. XII. 1899 in Chloroformnarkose vorgenommenen
Operation ergaben sieh nun folgende merkwürdige Verhältnisse:
Nach Spaltung der Haut und des Unterhautzellgowebcs ge¬
langte man auf einen fluktuirenden. prallen Tumor: Probepunk-
tIonen nn verschiedenen Stellen desselben ergaben Blut. Es wurde
nun die Wnnd dieser Blutcyste, welche aus festem, schwieligem
Gewebe bestand. In der ganzen Länge des Tumors gespalten: sic
hatte eine Dicke von 0.5 bis 1 ein. Nach Entleerung des dunklen,
flüssigen Blutes und Entfernung einiger leicht zerreissiieher Mem¬
branen, welche den Hohlramn durchzogen, prüsentirto sich eine
Höhle von etwa 10 cm Tiefe, 20 cm Länge und 0—8 ein Breite.
R»*i Betastung mit dein Finger fühlte man. dass die Wand dieser
Cvste ans einer schwartigen Membran bestand, mii deren Ober¬
fläche einzelne nekrotische Knochensplitter als Reste der oh-
literirten Rippe hervorragten. Die Rippe war auf eine Entfernung
von ungefähr 18—20 cm vollständig zerstört: Ihre zackigen Ränder
ragten, wie erwähnt, frei in den Ilolilrnum hinein.
Es wurde mm aus der hinteren Wand der Cyste vorsichtig ein
Stück excidirt — unter derselbe» lag die glatte, intakte Pleura:
cs war also offenbar die Hinterwand des Sackes scharf abgegrenzt
und mit der Pleura nicht verwachsen.
Nachdem die scharfen Rippenenden, soweit sie in den Ilohl-
raum hineinragten, mit der Knoehenzange geglättet worden waren,
wurde nochmals eine genaue Besichtigung der Höhle vorgenommen,
irgend welche Reste eines Tumors jedoch nirgends gefunden. Es
folgte nunmehr Tamponade mit Jodoformgaze und Vereinigung der
Haut durch einige Situationsnähte.
Da M. sich nach der Operation vollständig wohl befand, di»
Temperaturen normal waren, so wurde er tun 2. Tage aus der
Anstnltspflege entlassen und in seiner Wohnung in der Stadt
weiter behandelt.
Bei dem joden 2.-3. Tag vorgenommenen Verbandwechsel
zeigte sich nun. dass die grosse Höhle sehr schön und ohne Eite¬
rung nusgranulirte. Nach 12 Tagen, am 12. XII. 1899. begann
der Patient plötzlich zu fiebern, nachdem ein Schüttelfrost voran-
gpgangon war. Die Temperaturen bewegten sieh zwischen 38.2
und 39,0° C.
Eine genaue Untersuchung am 19. XII. ergab Folgendes:
Patient ist sehr schwach, leicht benomnvni. spricht verwirrtes
Zeug. Der kaum fühlbare Puls beträgt 139 Schläge ln der Minute,
die Respiration ">(). Temperatur 39.2° C.
Im Gebiete des rechten Oberlappens hört man bronchiales Ex-
spirium. ausserdem ist der Befund an der rechten Lunge wie bis¬
her. Links dagegen stellt die Lungengrenze rückwärts 2 Quer-
fingerbreite unter dem Schulterblatt winke! und Ist nicht verschieb¬
lich. Entsprechend der unteren Dämpfuugsgrenze Hört man bron¬
chiales Exspirium; der spärliche Auswurf ist schleimig: Milz nicht
vergrössert. Stuhl nngehalien: Urin eiweissfrei.
Die Wundhöhle granulirt schön und hat sich bis auf Taubonei
grosse ireschlossen.
Die Diagnose wurde auf frischen Nachschub der Lungen¬
tuberkulose gestellt mit linksseitigem dünnen Pleuraexsudat. Bei
der rasch zunehmenden allgemeinen Schwäche war die Prognose
als sehr ungünstig zu betrachten. Die Therapie bestand in der
Verabreichung von Exeitantien (Digitalis und Alkohol), für die
Nächte, während denen Patient sehr unruhig war, etwas Morphium
innerlich.
Im Laufe der folgenden Woche jedoeli änderte sieh das Bild
der Krankheit merkwürdiger Weise rasch Zur Besserung, indem
unter langsamem Abfälle der Temperatur und Sehweissnusbrüehen
allmählich die Benommenheit schwand und M. bei zunehmendem
Appetit sieh in kurzer Zeit so erholte, dass er fiir mehrere Stunden
des Tages das Bett verlassen konnte.
Rei einer am 28. XII. neuerdings vorgenommenen Unter¬
suchung war der Puls 82. kräftig, voll: der Lungeiibpfund war.
wie folgt: links hinten unten schwache Verschieblichkeit der
Ränder: auskultatorisch kräftiges Vesikuliirathmen: das Exsudat
war demnach in Resorption resp. Eindiekung begriffen.
Die Erholung war bald so weit vorgeschritten, dass M. zum
Verband Wechsel in die Poliklinik gehen konnte. Gegen Ende
Januar 1900 hatte sieh die Höhle bis auf Fingerhutgrösso ge¬
schlossen. Entlang der Iiieisionsnarhe sieht mau einige blaurotlie
Granulationen, in welchen stecknadelkopfgrosse, dunkle, leicht
läutende Stollen sieh befinden, die anscheinend kleine Gefiiss-
»ktasien dnrstellen. Auffälliger Weise hatte Ende Januar aus
der kleinen granulirendon Höhle dreimal eine so h«*deutende Blu¬
tung stnttgeflinden, dass der dicke Verband, sowie das Kopfkissen
und Leintuch vollständig durchtiiinkt waren. Patient wurde da¬
durch zwar etwas geschwächt, erholte sich aber rasch wieder, da
der Appetit und das Allgemeinbefinden fortdauernd gut waren.
Nachdem M. sich am 20. März in der Poliklinik als vollständig
geheilt vorgestellt hatte, traf er am fl. April wieder zur Unter¬
suchung ein. da innerhalb 8 Tagen ein neuer, faustgrosser Tumor
entstanden war: er snss unmittelbar miter dem früheren, fluk-
tuirle deutlich, war wenig schmerzhaft und ergab bei der Probe¬
punktion reines Blut.
Am 7. April wurde in Chloroformnarkose die etwa faust-
grosse Cvste freigelegt: sie lag. in eine dicke Schwarte eingebettet
in der Muskulatur und hatte die 8. Rippe, hart an der Grenze des
Knorpels beginnend und von da gegen die Axillarlinie zu, auf eine
Strecke von ungefähr 8 ein nsurirt, so dass dieselbe hier nur
ungefähr \/. £ cm breit war. Das usurlrte Rippenstück wurde
sammt einem Stücke des angrenzenden Knorpels reseelrt. die
blutgefüllte grosse Cyste gespalten.
Da unmittelbar neben derselben ln der Muskulatur des Inter-
costnlraumes sieh eine weitere, etwa erhsengrossc Cyste zeigte,
wurde auch diese exstirpirt: sie war bereits in dicke Schwarten
eingebettet und lag unmittelbar auf der Pleura, von der sie sieh
jedoeli auf stumpfem Wege leicht loslösen lless. Sie wurde zu
den später beschriebenen mikroskopischen Schnitten benutzt.
Die Nachbehandlung der Wundhöhle wurde wie früher vor¬
genommen: auch diesmal konnte dieselbe ln der Wohnung des
Patienten durchgefühlt werden.
In der Folgezeit verlor M. wieder sehr viel Blut aus der
grannlirenden Höhle: besonders hei nustenanfällen traten ziem¬
lich bedeutende Blutungen auf. Die Temperaturen schwankten
zwischen 37,3 und 37.9° C.. der Puls war melRt freipient, 120,
die allgemeine Schwäche zunehmend. Durch Tamponade waren
die Blutungen nicht zu bekämpfen; von weiteren therapeutischen
Maassnahmen, wie Thermoknutisation oder Gelatineinjektionen
musste in Rücksicht auf den elenden Zustand des Patienten Ab¬
stand genommen werden. Bel alledem war der Heilungsvorlnuf
der Wunde ein ungestörter: bis Mitte Juni hatte sieh die Höhle
beinahe geschlossen - es restlrte nur noch eine etwa markstück-
grosse Stelle, die mit leicht blutenden, üppigen Granulationen be¬
setzt war. Dagegen bekam M. Mitte Mal öfter Schüttelfröste
mit Temperaturen von 38,2 bis 39,0° C.. Aussehen hochgradig
anaemiscli. Nachts häufig Benommenheit mit Aufregungs-
zuständen, Schreien u. s. w., mehrfach gastrische Störungen mit
I Erbrechen. Eine am 10. Mai vorgenommene Untersuchung des
Urins ergab Ehveiss. hyaline und körnige Oylinder, rothe Blut¬
körperchen. Ziemlich bedeutende Milzsehwelluug: ditTose Bron¬
chitis. Im Laufe des Juni entwickelte sich unter Schüttelfrösten,
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1438
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
zunehmender Benommenheit, Milzschwellung und hnemor-
rliaglscher Nephritis immer deutlicher das Bild der chronischen
Sepsis. Nachdem am 20. Juni mehrere Anfälle von Dyspnoe ein¬
gesetzt hatten, welche sich an den folgenden Tagen öfter wieder¬
holten, trat am 23. Juni Nachmittags 3 Uhr 30 Min. unter urae-
mischen Erscheinungen (Cheyne-Stoke s’sches Phänomen
mit nachfolgendem Koma) der Tod ein.
Die am 24. VI. 1900 Nachmittag 5 Uhr vorgenommene
Autopsie ergab Folgendes:
Sektionsbefund: Stark abgemagerte männliche Leiche;
in der linken Axillarlinie, entsprechend dem 7. und 8. Intercostal-
raum ein markstückgrosser, mit Granulationen erfüllter Defekt
der äusseren Haut
Nach Eröffnung der Bauchhöhle zeigte sich der Zwerch-
f e 11 s t a n d rechts au der 4. Kippe, links au der 5. Rippe.
Nach Wegnahme des Sternums sieht man den Herzbeutel,
von der linken Lunge beinahe überlagert, thalergross vorliegen.
Rechte Lunge: im Oberlappen ausgeheilte, haselnuss¬
grosse tuberkulöse Herde; der Mittel- und Unterlappen zeigt
chronische Atelektase; die Lunge ist mit der Pleura costalis durch
eine fingerdicke Schwarte verwachsen.
Linke Lunge: einige verkalkte Herde im Oberlappen; be¬
deutendes Emphysem, Bronchitis purulenta; am Unterlappen
stellenweise pleurltisehe Schwarten; in der Pleurahöhle ein mit
Fibrinflocken vermischtes, trübes Exsudat.
Herz: schlaff, dilatirt, starke Fettauflagerung; Klappen
intakt; massige Atheromatose des Anfangstheiles, sowie des
Bogens und des Brustthelles der Aorta.
Leber: blass, graugelb, fettreich. Zeichnung verwaschen.
Milz: sehr gross, 12 cm lang, 8 cm breit. 0 cm im dicksten
Durchmesser, weich, missfarben, grauroth, Pulpa stark vor¬
quellend, M a 1 p i g h i’sche Körperchen schlecht sichtbar, an der
Peripherie ein kleiner, auaemischer Infarkt. Die Milzkapsel ist
mit peritonitisehen Schwarten bedeckt.
Magen- und Darmkanal zeigen keine Besonderheiten.
Nieren (rechte wie linke gleich): Kapsel schwer abziehbar,
an manchen Stellen nur mit Substanz vertust; einige Stellen der
Oberfläche zeigen deutliche Granularatrophie. Das Organ ist
blassgrau, Mark und Rinde nicht deutlich geschieden.
Diagnose: Sepsis, Pleuritis adhaes. dextr. Atelektase des
rechten Mittel- und Unterlappeus, Emphysem der linken Lunge,
Bronchitis purulenta, nusgeheilte tuberkulöse Herde in beiden
Oberlappen, Pleuritis fibrinosa et fibrosa sinistra, Nephritis
parenciiymntosn.
Der erkrankte Tlieil der linken Thoraxwand wurde bei der
Sektion abgetragen und bot nach der Präparation folgendes Bikl:
Die 7. und 8. Rippe zeigte an der Stelle der bei der Operation
vorgenommenen Resektion bindegewebige Schwarten; an der S.,
der zuletzt erkrankten, sass auf der Schwarte ein kleiner Tumor
von Granulationen, welche aus der noch restirenden, etwa
thalergrossen Hautwunde herauswucherten. Dicht neben der
noch granulirendeu Stelle befindet sich in den die Intercostal-
muskeln durchsetzenden Schwarten eine von aussen noch nicht
sichtbare, welschnussgrosse, mit Blut gefüllte Höhle; eine weitere,
etwa haseluussgrosse Blutcyste etwa 5 cm von dieser entfernt
nach rückwärts.
Das mikroskopische» Bild dieser von Schwarten umgebenen
Blutriiume war immer das nämliche: ich gebe die Beschreibung
der erbsengrossen Cyste, welche bei der 2. Operation entfernt und
dann in toto geschnitten wurde:
Eine eigentliche Wand der Cyste ist nicht erkennbar; der
durch den Bluterguss geschaffene Hohlraum ist eingefasst von
zellreichem Gewebe. Zolle au Zelle, fast ohne Zwischensubstanz,
annähernd kugelige Zellen — richtiges Granulationsgewebe; als
solches wird es auch noch gekennzeichnet durch stellenweise sicht¬
bare mächtige Entwicklung von Kapillaren. An diesen Saum von
Granulationsgewebe, welcher die ganze Höhle umgibt, schliesst
sich eine dicke Schichte von fertigem Bindegewebe, also eine
Schwarte, von spärlichen Gefässeu durchsetzt. An einer Stelle der
Peripherie der blutgefüllteu Ilöhle sieht man, wie das Granu¬
lat ionsgewebe in annähernd runde, aus fibrösem Gewebe be¬
stehende Scheiben übergeht, welche scheinbar Hohlräume aus-
filllen; es handelt sich an dieser Stelle wohl um obliterirte Ge-
fiisse mit organisirten Thromben, Ausdruck der reaktiven Ent¬
zündung in der Umgebung des Blutergusses.
Die erwähnte Blndogewebsschichte bildet die Grenze gegen
die Muskulatur der Umgebung.
An dieser selbst, sowie an den Gefässen derselben ist keine
besondere Veränderung wahrzunehmen; nur zeigen sich im Binde¬
gewebe zwischen den Muskelfasern und auch im perivaskulären
Gewebe stellenweise Anhäufungen von Rundzellen, vermischt mit
wenigen opitheloiden Zellen als Zeichen einer leichten Form von
Myositis, wie sie sich wohl gewöhnlich in der Umgebung von Ent¬
zündungsherden zu bilden pflegt. An manchen Stellen sieht man
zwischen den Muskelfasern Anhäufungen rother Blutzellen, welche
in ihrer Gestalt, unverändert, ausserhalb der Gefüsse angesammelt
liegen. Dass dies nicht etwa durch Zerrung oder Verletzung bei
der Operation entstandene Blutaustritte aus den Kapillaren sind,
beweisen viele Stellen, au welchen neben diesen unveränderten
Blutzellen Ablagerungen von verändertem Blutfarbstoffe, Blut-
pigmentansammiungen, zu sehen sind.
Der Inhalt der so gebildeten llohlräutne war immer unver¬
ändertes, theerfarbenes, nicht geronnenes Blut.
Fragt man sich nun, welcher Art von pathologischen Er¬
scheinungsformen dieses Gebilde zuzurechnon sei, so glaube ich,
dass es kaum zweifelhaft ist, dass eine multiple Ilaemntombildung
vorlag, wenn auch dabei einige Eigenthüniliclikeiteil vorhanden
sind, welche von den gewöhnlichen Ilaematomen im Verlaufe
und im klinischen Bilde bedeutende Abweichungen hervorrufen.
worauf ich später zurückkommen werde.
Maligner Tumor ist auszusehliessen, da thatsächlich 2 mal
vollständige Ausheilung eintrat.
Nur auf eine Erscheinung möchte ich etwas näher eingehen.
nämlich auf die eavernösen Angiome; ich glaube zwar keineswegs,
dass ein solches vorliegt, aber die klinischen Erscheinungen, be¬
sonders der Befund nach der ersten Operation, bietet so viel Aehn-
lielikeit mit einigen in dieser Hinsicht veröffentlichten Fällen,
dass ich sie nicht ganz umgehen zu dürfen glaubt».
V i r c h o w ') spricht in seiner Gesell wulst Ich re von caver-
nösen Angiomen des Muskels; der von Pott 2 ) als Aneurysma
per erosionem daselbst angeführte Fall hat einige Aehnlichkeit
mit dem vorliegenden. Ebenso erinnert der bei den ossären
Angiomen *) erwähnte Fall von Gräfe 4 ), sowie der von
Reiche 4 ) in seiner Beschreibung entschieden an den Befund
bei der ersten Operation des M. Auch die von Re u 1 i n g*) be¬
schriebene Blutcyste an Stelle des Kreuzbeines bietet ein ganz
ähnliches Bild: Erweichung und vollständige Zerstörung des
Knochens unter Bildung einer blutgefüllten Cyste.
Derartige Blutoysten sind am häufigsten am Halse be¬
schrieben. Eine eingehende Mittheilung der diesbezüglichen
Literatur findet sieh bei Franke 7 ), welcher einen derartigen
Fall, der zur Oi>oration kam, beschreibt*). 1891 hat K ä hier*)
einen weiteren Fall dieser Art publizirt.
Aus einer Durchsicht der Literatur über Blutcysten geht
ziemlich deutlieh hervor, dass sehr viele sehr verschiedenartige
Gebilde in diesen Rahmen hineingezwängt wurden: Es handelte
sich in vielen Fällen um eavernöse Angiome, in vielen um myelo¬
gene Sarkome, in einigen wohl auch um einfache IIaematoni;\
also im strengen Sinne des Wortes nicht um Cysten. Wenn wir
die Definition von A s c h o f f "’) für echte Cysten festhalten
wollen, wonach eine besondere Wand vorhanden sein muss, so
ist der Ausdruck Cvste für unser Gebilde absolut ungerechtfertigt.
Dagegen entsteht, eine Art von Hohlräumen durch unregel¬
mässigen Zerfall und Auflockerung soliden Gewebes, von
Aschoff als falsche Cysten bezeichnet; mit einer solchen fal¬
schen Cyste haben wir es hier wohl zu thun und zwar ist sie offen¬
bar gebildet worden durch Zerfall des Gewebes in Folge eines
Blutergusses, der sich durch reaktive Entzündung der Umgebung
abkapselte, also ein zweifelloses Hneinntom; doch bietet dieses
Uaematom Besonderheiten, welche nicht gut erklärlich sind: eine
eigentliche Entstehungsursaehe ist nicht zu finden; ferner ist
auffallend die sehr früh auf tretende schwartige Abkapselung, be¬
sonders merkwürdig und wohl ohne Analogon aber die Usur der
Rippen und das multiple Auftreten.
Auch haben ITnematonie doch gewöhnlich, wenn sie einmal
nbgeknpselt sind, die Neigung zur Eindickung, während hier
immer neue Blutung und ständige Vcrgrösserung des Haema-
’) Vlrchow: Geschwulstlehre. III. 1, S. 366.
■) Pereival Pott: Chirurg. Works. Vol. III, p. 223.
*) Vlrchow: pag. 369.
*) C. F. Gräfe: De notione et eura angieetaseos Iabioruiu.
Ups. 1807. pag. 20.
•) Reiche: Deutsch. Klinik 1854, No. 29.
') Reuling: Inaug.-Dissertation. Giessen 1866. Ausserdem
Literatur über Cysten mit blutigem Inhalte bei Franke:
Deutsch. Zeitschr. f. Cliir. 1888; es ähnelt aber nur der Fall Reu¬
ling dem unserigen.
T ) Franke: Deutsch. Zeitschr. f. Chirurgie 1888.
*) Von der von ihm angeführten Literatur scheinen folgende
Fälle mit dem unserigen verglichen werden zu können, bei
welchen es sieh wahrscheinlich um Haemntom handelte:
Mery: K.vste snnguin de l’hypoohondre droit cons^cutif ä
un trauniatisme. Progres m6d. No. 39.
Vorgl. Centralbl. f. Chirurg. 1886, No. 15.
Stein: Virch. Arch. Bd. 49.
K I e i n w ä c h t e r: Centralbl. f. Chirurg. 1888, No. 9.
Richet: Cyste hömatique formfl aux depens de 1'f‘piplooii
gastro-hf'patlque. Gaz. des hopit. 1877, No. 57.
Centralbl. f. Chirurg. 1877. No. 33.
") Kühle r: Ein Fall von Blutcyste der seitlichen Hals¬
gegend. Inaug.-Diss. Erlangen 1891.
'") Aschoff: Cysten; aus Lubarsch und Ostertag: Ergeb¬
nisse der allg. Patliol. u. patliol. Anatom, d. Menschen u. d.
Tliiere. Wiesbaden, Bergmann, 1897. S. 465.
Nur der Fall von Schlange: Arch. f. klin. Chlr. Bd. VI,
1887, bietet Aehnllclikeiten.
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10. September 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1439
toms eintrat. Die ständige Nachblutung erklärt auch de» Um¬
stand, dass unverändertes Blut als Inhalt gefunden wurde.
Was die Entstehung der Blutung betrifft, so kann man eine
allgemeine Disposition zu haemorrkagischer Diathese wohl nicht
annehmen (die Sepsis trat ja erst als Folgeerscheinung in den
letzten Wochen ein), damit also Blutung per diapedesin ziemlich
aussehliessen; eine Veränderung der Gefüsswünde ist in den
mikroskopischen Schnitten nicht zu bemerken. Man muss also
denken, dass die multiplen Uaematome im Anschlüsse an kleine
Gciasszerreissungcn entstanden, gelegentlich von körperlichen
Bewegungen, Hustenstössen u. s. w. Welche Ursache für diese
leichte Zerreisslichkeit der Gefässe gerade an dieser Stelle vor¬
handen war, bleibt allerdings ein Räthscl.
Einige wenige analoge Fälle finden sich bei Virclio w ')
zusammengestellt, welcher das Muskelhaematom einer eingehen¬
den Besprechung unterzieht. Am häufigsten scheint dasselbe in
den geraden Bauchmuskeln vorzukommen ' Zunächst ist aller¬
dings die Aetiologie nicht dieselbe, da V i r c h o w angibt, dass
der Muskel spontan reisst, und sich dann zwischen die aus¬
einander weichenden, zerisseneu Theile das Blut ergiesst, wie bei
einer Knochenfraktur.
Viel mehr Aehnlichkeit mit vorliegendem bietet ein anderer
von. V j r e h o w, S. 144, angeführter Fall' 3 ) von einem Bluter,
bei welchem sieh nach einer Hüftverletzung ein Tumor in der
Bauchhöhle entwickelte, welcher bei der 3'A Jahre später vor¬
genommenen Autopsie sieh als ein Haematom im Museulus iliacus
erwies. Die Bluteyste war 8,5 cm lang, 7 cm breit, 6 cm dick;
hatte knorpelartig harte Wandungen und blutigen Inhalt. Die
beigegebene Abbildung unterscheidet sich von unserem Falle ein¬
zig und allein dadurch, dass die Cyste kein frisches Blut, sondern
brüchigen, rothbraunen Inhalt enthielt, der allerdings mikro¬
skopisch rothe Blutkörperchen erkennen Hess.
Ganz spontan entstandene Haematome beschreibt Stöckel“).
Beide traten auf im Anschlüsse an heftiges Husten; im einen
Falle reichte das Haematom vom Rippenbogen bis zum Nabel,
im anderen sass es oberhalb des P o u p a r t’sehen Bandes. In
dem einen Falle fanden sich multiple Petechien in der Bauch¬
kaut, .welche auf haemorrhagische Diathese sehlicssen lassen.
Beide wurden incidirt, exkochleirt und mit Tamponade durch
Granulation zur Heilung gebracht.
.So viel Aehnlichkeit auch verschiedene dieser Fällt mit dem
unserigen besitzen, keiner zeigt die Besonderheiten des hier be¬
schriebenen: das multiple Auftreten, das ständige Wachsen des
-Tumors, die Usurirung von Knochen.
Aus der hacteriologisehen Untersuchungsstation des k. Garnisons-
lazareths Würzburg.
Experimentelle Untersuchungen über die Tuberkulose-
Infektion im Kindesalter.
Von Dr. Dieudonne, Stabsarzt und Privatdoeent.
Von den verschiedensten Seiten wurde darauf aufmerksam
gemacht, dass die Häufigkeit der Tuberkulose im Kindesalter
nach den verschiedenen Lebensjahren eine verschiedene ist.
Nach Feer 1 ) kommen in den ersten Lebensinouaten nur
äusserst selten Fälle von Tuberkulose zur Beobachtung, auch
.vom 4.-6. Monat sind sie noch selten, von da an steigt die
Frequenz sehr rasch und erreicht das Maximum am Ende des
ersten oder im zweiten Jahr, um schon im dritten Jahr stark
abzufallen. Nach Cor net') vertheilten sieh 263 Kinder der
ersten 5 Lebensjahre mit Tuberkulose aus dem pathologischen
Institut von Virchow auf die einzelnen Alter folgcndcr-
niaasscn:
0—2 2—3 3—6 6—9 9—12 Monat, 1—2 2—3 3—4 4—5 Jahr
0 2 8 15 18 83 56 51 30
"> 1. e. Bd. I. pag. 143.
'9 Virchow: Feber Entzündung und Ruptur des Museulus
rectus abdoininis.
Wiiraburg. Verb. 1853—1850. Bd. VII. S. 210.
Deutsch. Klinik 1800. S. 371.
Lorup: De haeniophilin nminola, ndjocto morbi specissime
rariori. I)iss. inaug. Berol. 1857.
“) Stoeckel: 2 Fälle von Bnuelideekeiiliaemotomeu in der
Schwangerschaft. Centralbl. f. (lyuäkol. 1901, No. 10.
0 Therapeutische Monatshefte 10OO. S. 023.
•) Die Tulierkulose. Notbuagers Jlaudbueh. Bd. 14. 8. 201.
No. 37.
Achnlichc Statistiken wurden auch von anderen Seiten ver¬
öffentlicht.
Diese Unterschiede in der Häufigkeit der Kinder tuberkulöse
haben offenbar ihren Grund, auf den besonders V o 11 a n d'),
Feer *) und Cornot 1 ) hingewiesen haben, in den verschie¬
denen Lebensbedingungen der Kinder in verschiedenen Lebens¬
altern; die Infektionsgelegenheit ändert sich je nach dem Alter.
Sie ist nach Feer im Säuglingsalter, wo die Kinder nur in
ihren Betten oder auf den Armen der Mutter sich befinden, noch
gering, wächst aber in’s Ungemessene, sobald die Kinder greifen,
sitzen und kriechen gelernt haben, vornehmlich desshalb, weil
dann die Kinder auf dem Fussboden herumkriechen, dabei viel
Staub einathmen oder den Staub und Schmutz an ihre Hände
bringen und verschlucken. Aehnlich äussert sich V o 11 a n d.
ln der Kindheit kommt der Mensch am häufigsten und
innigsten mit dem Boden in eine solche Berührung, dass unter
für den Tuberkelbaeillus entsprechend günstigen Eingangs-
Verhältnissen sein Eintritt in den Körper erfolgen kann. Das
tuberkulöse Sputum wird hauptsächlich auf den Buden entleert,
bleibt an ihm verhältnissmässig fest haften, die Infektion vom
Boden aus kann also zu einer Zeit, wo der Mensch am innigsten
mit dem Boden in Berührung kommt, nämlich in der Kindheit,
jederzeit stattfinden. JJm diese Zeit ist auch nach V. die Nascn-
und Mundsekretion in Folge des Zahnens eine recht reichliche
und braucht man nicht ganz besondere Sorgfalt, so kommt an den
Naseneingängen und Mundwinkeln leicht Wundsein zu Stande.
Auch ein Herpes labialis, ein Impetigo oder Ekzem bieten
günstige Eingangspforten dar. Durch den Reiz an diesen
wunden Stellen wird das Kind veranlasst, sich mit den Händen
in’s Gesicht zu fahren und den daran haftenden Bodensehmutz
sich förmlich hineinzureiben. V. bezeichnet daher die Skrophu-
lose und die erworbene Tuberkulose als eigentliche Sehmutz¬
krankheit. Auch Feer ist derselben Ansicht. „Je schmutziger
Kleider, Hände und Gesicht eines jungen Kindes, um so häufiger
begegnen wir vergrösserten llalsdrüsen, während die anderen
äusseren Lymphdrüson, welche nicht als Stapelplätze exponirter
Schleimhäute dienen, viel seltener vergrüssert und auch viel
seltener tuberkulös sind.“
Besonders gross ist diese Infektionsgefahr bei ärmeren
Leuten, bei denen die Kinder vielfach unbeaufsichtigt sich auf
dem Boden herumwälzen und bei denen der Boden oft vor
Schmutz starrt. Für die Richtigkeit dieser Annahme einer
Bodeninfektion sprechen mehrere in der Literatur veröffentlichte
Beobachtungen. So beschreibt R a c z i n s k y °) den Fall eines
11 monatlichen von gesunden Eltern abstammenden, mit der
Muttermilch genährten Kindes, bei dem sieh allgemeine Tuber¬
kulose entwickelte einige Monate nach dem Beziehen einer
Wohnung, in der unmittelbar zuvor ein Phthisiker krank war
und starb.
Merkwürdiger Weise wurden bis jetzt noch von keiner Seile
experimentelle Untersuchungen über das Vorkommen von
Tuberkelbacillen an den Händen von kleinen Kindern, die viel
auf dem Boden herumkriechen, gemacht. Seit einem Jahr
habe ich mich mit dieser Frage beschäftigt und zwar wählte ich
hiezu Kinder von : ‘i—2V& Jahren, deren Mutter oder Vater naeh-
gewitsenermaassen an Tuberkulose litten. Durch hilfreiches
Entgegenkommen mehrerer praktischer Aerzte, sowie der hiesigen
Poliklinik hatte ich bis jetzt Gelegenheit, 15 Kinder zu unter¬
suchen. In allen Fällen wurden die Hände und die Nase
auf das Vorhandensein von Tuberkelbacillen und von pyogenen
Coceeii untersucht; auf die Nase achtete ich desshalb, weil viele
Kinder die Untugend haben, mit dem Finger in der Nase zu
bohren und alle möglichen Fremdkörper in dieselbe einzuführen
und weil nach neueren Untersuchungen bei verschiedenen Krank¬
heiten der Primäraffekt in der Nase zu suchen ist. Die Technik
war die voy Cor net angegebene. Hasel nussgrosse sterile
Schwämmchen wurden in Pergamentkapscln in die betreffende
Wohnung gebracht, dort in eine Pineette geklemmt und damit
die Handflächen der Kinder tüchtig abgeriebeu; zur Entnahme
des Naseninhaltes wurden sterile hasclnu<sgrosse Wattebäusch-
chen benützt. Im Laboratorium wurden dann die Schwämmchen
3 ) Zeitschrift für klinische Mediein 1803. Bil. 23. S. 5o.
*) CorrespondenzUatt für Schweizer Aerzte 1894. Therap- ul.
}Ionatshofte 1000.
a. O.
') Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. 54. 1001.
2
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1440
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
und Wattebäuschchen in 15 ccm Bouillon ausgedrückt. Von der
so gewonnenen, stets stark trüben Flüssigkeit wurden je 5 ccm
zwei Meerschweinchen intraperitoneal eingespritzt; ausserdem
wurden davon mikroskopische Ausstriche gemacht und vorher
gegessene Glycerinagarplatten damit geimpft. Von einzelnen
Kindern wurden öfters Proben entnommen. Im Ganzen wurden
83 Meerschweinchen geimpft, davon starben 20 schon 2—3 Tage
nach der Impfung an Peritonitis, die theils durch Streptococcen,
theils durch verschiedene Bacterienarten bedingt war. Eine
Reihe anderer Thiere war gleichfalls einige Tage nach der
Impfung krank, erholte sich aber wieder. An Tuberkulose
starben nach 5—7 Wochen im Ganzen 5 Thiere, davon 2 Thiere,
die mit den von der Hand des Kindes H. S. stammenden Proben
geimpft waren; die mit den Nasenproben des Kindes geimpften
Thiere blieben dagegen gesund. Bei einem anderen Kind K. B.
fanden sich sowohl an der Hand als in der Nase virulente Tuber¬
kelbacillen, denn von den 4 damit geimpften Meerschweinchen
starben 3 an Impftuberkulose, das 4. war 3 Tage nach der
Impfung an Peritonitis eingegangen. In den übrigen Fällen
konnte bei den nach 8 Wochen getödteten Meerschweinchen
keine Tuberkulose nachgewiesen werden. Auf den Glycerin¬
agarplatten wurden häufig Staphylococcus albus und aureus,
dann Streptococcen, verschiedene Bacterienarten, darunter diph¬
therieähnliche gefunden. In den mikroskopischen Ausstrichen
des Naseninhaltes wurden in.2 Fällen zahlreiche säurefeste Bac-
tcrien gefunden, während die damit geimpften Thiere gesund
blieben und auf den Agarplatten weder Tuberkelbacillen noch
diesen ähnliche Bacterien wuchsen. Es ist nicht unmöglich, dass
es sich trotzdem um Tuberkelbacillen handelte oder vielleicht
auch um die neuerdings von Karlinski 1 ) häufig im Nasen¬
schleim gefundenen säurefesten Bacterien.
Der IVt Jahre alte Knabe H. S., an dessen Händen virulente
Tuberkelbacillen nachgewiesen wurden, hatte eine sicher tuber¬
kulöse Mutter, im Sputum derselben konnten allerdings
nur vereinzelte Tuberkelbacillen nachgewiesen werden. Die
Mutter des 1 V» Jahre alten Mädchens K. B., an dessen
Händen und in dessen Nasenschleim sich Tuberkel¬
bacillen fanden, war anscheinend -gesund, dagegen ,war
der Vater phthisisch und hatte zahlreiche Tuberkel¬
bacillen im Sputum. Die Wohnungen waren in beiden Fällen
ziemlich schmutzig, dunkel; die Kinder sich selbst viel über¬
lassen. Beide Kinder hatten geschwellte Cervicaldrüsen. Bei
den Kindern, in deren Nasenschleim nur mikroskopisch säure¬
feste Bacterien nachgewiesen wurden, waren die Mütter tuber¬
kulös, die Väter anscheinend gesund.
Es wäre wünschenswerth, wenn derartige Versuche auch von
anderer Seite in grossem Maassstabe ausgeführt würden, aber
immerhin stützen schon diese zwei positiven B.efunde die von
Voll and und Feer ausgesprochene Ansicht, dass bei der er¬
worbenen Tuberkulose und Skrophulose die Bodeninfektion eine
Rolle spielt und dass es sich dabei um eine Schmutzkrankhfeit
handelt. Das positive Resultat hat nach den Untersuchungen
von C o r n e t nichts Ueberraschendes, zumal da der Vater bezw.
die Mutter der betreffenden zwei Kinder viel Auswurf hatten und
keinen Spucknapf benützten. Auch in der Nasenschleimhaut von
Personen, welche viel um Phthisiker waren, wurden schon von
S t r a u s s öfters Tuberkelbacillen nachgewiesen.
Zur Verhütung von solchen Infektionen hat Feer einen
Schutzpferch empfohlen, dessen Bedeutung noch viel zu wenig
gewürdigt ist. Es ist dies eine allseitig abgeschlossene Holz-
hecko *), ähnlich wie man sie auch als Gehbarriöre empfohlen
hat, am Boden mit Matratze und reinem Leintuch belegt, um so
Hände, Kleider und Spielzeug der Kleinen sauber zu erhalten.
Zura Mindesten sollte man aber doch die kleinen Kinder anstatt
auf den Fussboden auf ein reines Tuch setzen, das man jeweilen
zu diesem Zweck axisbreitet und das sonst Niemand betreten
darf. Natürlich müssen ausserdem auch von Seiten der Eltern
oder des Pflegepersonals die sonstigen Vorsichtsmaassregeln
(grösste Reinlichkeit, Benützung eines Spucknapfes u. s. w.) ein¬
gehalten werden.
’) Centralblatt für Bacteriologle. XXIX. 1901. S. 525.
‘) Abgebildet in: Therapeutische Monatshefte 1900. S. 028.
Ueber die Energetik (präparatorische Thätigkeit)
der Ganglienzellen und ihre Bedeutung filr die funk¬
tionellen Nerven- und Geisteskrankheiten.
Von Dr. Adler in B reelau.
Im Gegensatz zur nutritiven Thätigkeit der Nerven-
(Ganglien-) Zelle, welche für die Erhaltung der Zellsubstanz
selbst zu sorgen hat, soll im Folgenden unter ihrer Energetik
diejenige verstanden werden, welche die für die Funktion
nüthigen Materialien beschafft und verarbeitet. Es ist nun
aber die Aufgabe der Ganglienzelle, zur Erzeugung elektrischer')
Energie dienende Chemikalien zu bereiten. Zu diesem Zwecke
muss sie aus der Nährlymphe geeignetes Rohmaterial entnehmen
und aus demselben lose, leicht zersetzliche Stoffe (Spannkraft-
material) herstellen 1 ), damit die gewöhnlichen inneren (Willens-)
und äusseren Reize im Stande sind, in ihnen chemische Umsetz¬
ungen auszulösen und hierdurch elektrische Energie freizumachen.
Je intensiver daher die Energetik der Ganglienzelle ist, desto
mehr und leichter zersetzliche Kraftkörper werden
gebildet und umgekehrt; und da die Erregbarkeit der Zelle mit
dem Grade der Zersetzlichkeit dieser Körper zu- bezw. abnimmt,
so steht die Erregbarkeit der Zelle auch im ge¬
raden Verhältniss zur Intensität ihrer En¬
ergetik. Die Zunahme der Erregung bei Verstärkung des
Reizes denke ich mir durch die häufchenweise Anordnung der
Kraftstoffe zwischen der nervösen Zellsubstanz (wie das Tigroid)
bedingt. Ein Reiz von Schwellenwerthgrösse (in Bezug auf die
Erregung, nicht auf die Empfindung) bringt nur ein einziges
Häufchen zur Entladung; je stärker der Reiz wird, um so mehr
Häufchen Kraftmaterials werden entladen, um so grösser wird
die Menge der erzeugten elektrischen Energie. Ich möchte hier
noch kurz darauf hinweisen, dass sowohl von der Peripherie
kommende, als von der Hirnrinde ausgehende Reize auf dem
Wege zu ihrem Endziel dadurch lawinenartig anschwellen,
dass die beim Durchgang des Reizes durch die erste Zellstation
[Sinneszellen der Sinnesendapparate*) (Riech-, Schmeck-, Tast¬
zellen, Stäbchen der Retina, Haarzellen des Corti’schen Or¬
gans), Pyramidenzellen der G rpsshirnruu)#],, (^ltwj^elt^ Menge
von elektrischer Energie auf die folgende wieder als Reiz
wirkt u. 8. f.
Für gewöhnlich arbeitet die Energetik, entsprechend ihrer
Aufgabe, nach Maassgabe des Verbrauchs an Kraftmaterial durch
die Erregungsvorgänge 4 ), doch nimmt sie durch Uebung zu, bei
Mangel an Thätigkeit ab (die Arbeitshypertrophie bezw. In¬
aktivitätsatrophie der Zellen beruht, neben Zu- bezw. Abnahme
der Zellsubstanz selbst, auch auf Veränderungen in der Anfüllung
mit Kraftmaterialien — Zu- und Abnahme des Zelltonus).
Die Zellenergetik und mit ihr die Erregbarkeit der Zelle
kann aber auf die verschiedenste Art und Weise auch künstlich
gesteigert und vermindert werden. So steigern eine Anzahl
Arzneimittel (Excitantia, Tonica) dieselbe, andere (Seda¬
tiva) setzen sie herab; eine Menge N ervengifte (unter
ihnen auch Krankheitstoxine) dürften ebenfalls die
Ganglienzellenergetik beeinflussen. Physikalische Pro-
c e d u r e n (wie Bäder, Massage, elektrische Maassnahmen)
wirken direkt oder reflektorisch modifizirend auf dieselbe; bspw.
die Anode bei stabiler Anwendung mindernd, die Kathode aber
steigernd. Auch können Verletzungen und Gemüths-
bewegungen die gleiche Wirkung entfalten, sogar die Zell¬
energetik vorübergehend vollständig lähmen (Erregung oder
Apathie nach starken Gemüthsbewegungen, Schrecklähmung,
Emotions(Gemüths)lähmung (B a e 1 z), Wuthausbrüche und alle
möglichen anderen nervösen (Sensibilitäts-, Motilitäts, vaso¬
motorische und sekretorische) Störungen funktioneller Natur
’) Galvanische Vorgänge spielen bei der Erregungsleitung Im
Nerven wohl die Hauptrolle (Hermann: Lehrbuch der Physio¬
logie 1900).
3 ) Cf. O. R o s e n b a c h: Der Nervenkreislauf und die tonische
Energie. Berl. Klinik, H. 101 (1896) u. Binswangen Neur¬
asthenie 3890, p. 22.
*) Ueber die Bedeutung der Sinnesendapparate; cf. O. R o s e u-
hach: Der Nervenkreislauf und die tonische Energie. Bert. Klinik
1890. H. 101.
*) Wenn die "loseren Kraftkörper zersetzt sind, tritt Er-
m U d u n g, wenn der gesummte Materlalvorrath verbraucht Ist,
Ersc h ö p f u n g ein. Der Eintritt dieser Zustände richtet sieh
nach der c. p. 1 n d i v i d u e 11 sehr verschiedenen Intensität der
Energetik.
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10. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1441
nach Trauma, ein Theil der indirekten Herdsymptome bei orga¬
nischen Gehirn- und Rückenmarkslaesionen etc.
Bevor wir nun daran gehen, die einzelnen, durch Schädi¬
gung der Ganglienzellenergetik herbeigeführten Symptome auf¬
zuzählen, möchte ich bemerken, dass ich in Analogie mit der
Lokalisation der körperlichen Gefühle (Organempfindungen) in
den centralen Projektionsfeldern (W ernicke) auch eine solche
für die seelischen an besonderen Stellen oder Schichten der
Grosshirnrinde für wahrscheinlich halte. Wie für den Ver¬
stand, dürften auch für das Gemüth, welches die Aufgabe hat,
auf die Beziehungen der Vorgänge in und ausser uns zu unserer
leiblichen und geistigen Persönlichkeit, wie wir sie mit Hilfe
unseres Denkorgans erkannt, in Gestalt seelischer Gefühle zu
reagiren, Ganglienzellen mit den sie verbinden¬
den A s s o c i a t i o n s f a 8 e r n das materielle Sub¬
strat 1 ) abgeben. Bei Annahme einer besonderen Lokalität
für die seelischen Gefühle, welche entweder Lust oder Unlust,
allerdings in den verschiedensten Nuancen, ausdrücken, be¬
greifen wir das primäre Auftreten gemüthlicher Störungen bei
einer Anzahl von Geisteskrankheiten, die isolirte Gemüths-
lähmung durch Schreck (B a e 1 z) etc. Wie die articulirte
Sprache das Ausdrucksmittel für den Verstand, so ist die Musik
dasjenige für das Gemüth.
Gehen wir nun zur Betrachtung der einzelnen Symptome
über, wie sie durch Veränderungen der Ganglienzellenorgetik
erzeugt werden können, so bewirkt eine Steigerung bezw. Herab¬
setzung derselben auf den Gebieten des Projoktionssystems und
des Associationsorgans *) (V erstand, Gemüth) Hyper-, Hyp-
und A n a es t h e s i e n , Steigerungen und Ver¬
minderungen der Reflexerscheinungen (auch
Reflexkrämpfe und -neuralgien), Paresen und
Paralysen, vasomotorische und sekretorische
Störungen, Beschleunigung und Verlangsamung
des G e d a n k en a b 1 a u f s, erhöhte gemüthliche
Erregbarkeit und Apathie 7 ).
Ist die krankhafte Steigerung der Energetik aber eine sehr
bedeutende, so werden die chemischen Kraftmaterialien in den
Ganglienzellen von so lockerer Konstitution, dass es zur Selbst¬
zersetzung derselben und spontan zu erheblichen explosiven Ent¬
ladungen kommen kaffn; auf diese Weise entstehen: Schmer¬
zen, besonders in Form der Neuralgien, die
sogen, lokalisirten Muskelkrämpfe, Kontrak¬
turen, Krampfanfälle, unmoti virte Verstim¬
mungen und Affekte [durch veränderte Energetik im
Gemüthsorgan'*)], Sinnestäuschungen und Bewe¬
gungsstereotypien.
In ausgedehntestem Maasse kommen bei den Neurosen und
funktionellen Psychosen Reiz- und Lähmungserscheinungen aus¬
schliesslich durch Aenderungen in der Zellenergetik zu Stande,
ohne dass die Ernährung der Zellen selbst irgend welchen Scha¬
den leidet, da ihre nutritive Funktion nicht gestört i^t. Daher
findet man bei diesen Krankheiten keine Veränderungen der
eigentlichen Nervensubstanz, während die gelegentlich ge¬
fundenen Schädigungen des Tigroids der Ausdruck dieser ener¬
getischen Störung sein könnten.
Gehen wir nun zu den einzelnen Neurosen und funktio¬
nellen Psychosen über, so zeigt die Neurasthenie im Ge¬
biet des Denkorgans verminderte, im Bereich der Sensi¬
bilität und des Gemüths aber gesteigerte Energetik. Daher die
geringe geistige Ausdauer, die erhöhte gemüthliche Erregbarkeit,
die Ueberempfindlichkeit der Sinnesorgane und motorische Un¬
ruhe bei Neurasthenikern.
Bei der Hysterie treten bunt durcheinander im Gebiete
der Psyche und des Projektionssystems bald Minderung, bald
Steigerung der Zellenergetik auf. Es kommen daher bei
dieser Krankheit spontan, reflektorisch (besonders auch von den
Genitalien aus) und aus anderweitigen Ursachen (Verletzungen,
Gemüthsbewegungen) alle möglichen nervösen Erscheinungen zur
Beobachtung: An-, Hyp- und Hyperaesthesien sensibler und sen-
‘) Die Erkenntnlss des eigentlichen Wesens der Gefühle Ist
uns, wie das aller psychischen Erscheinungen, verschlossen.
*) In anatomischem Sinne verstanden.
T ) Die verschiedenen Temperamente dürften auf indi¬
viduellen Unterschieden ln der Stilrke der Zellenergetik im Bereich
der materiellen Substrate für Verstand und Gemüth beruhen.
Materielles Substrat der seelischen Gefühle.
so rischer Art, Kontrakturen, Paresen und Paralysen, Krampf¬
anfälle, Apathie und erhöhte gemüthliche Erregbarkeit.
Die Epilepsie beruht auf krankhaft erhöhter Energetik
des Vasomotorencentrums in der Medulla oblongata; daher von
Zeit zu Zeit spontan oder unter dem Einfluss die Energetik
steigernder Momente (Alkoholgenusa, Gemüthsbewegungen) ex¬
plosive Selbstzersetzung der Kraftkörper, welche zu Gefässkon-
traktionen wohl im ganzen Bereich des Centralnervensystems
führt. Die Folgen sind Bewusstlosigkeit und Konvulsionen etc.
Die Migräne entsteht durch Hyperaktion des Ggl. cervic.
prim, mit zeitweise explosiver Selbstentladung. Hierdurch
kommen die Gefässkontraktionen im Bereich der Hirnhäute
bezw. der Hirnrinde zu Stande.
Die sogen, „lokalisirten Muskelkrämpfe“ und
die Neuralgien haben ihre Ursache in krankhaft gesteiger¬
ter Energetik der motorischen bezw. sensiblen Nervenkerne mit
nachfolgenden periodischen Entladungen.
Bei der Myasthenie versagt die Energetik der moto¬
rischen Nervenkerne zeitweise oder für immer. Man findet da¬
her posi mortem an denselben keine anatomischen Veränderungen.
Die Melancholie wird verursacht durch verminderte,
die Manie durch erhöhte Energetik in den Ganglienzellen des
materiellen Substrats für den Verstand. Die gemüthlichen Ver¬
stimmungen können, wenn man bei diesen Krankheiten nicht
gleichzeitig Veränderungen in der Energetik des Gemüthsorgans
annehmen will, als Reaktion des Ichs auf diese Vorgänge im
Denkorgan aufgefasst werden.
Alle die vorgenannten Krankheiten beruhen auf hereditärer
Grundlage, d. h. der Energiebetrieb der Ganglienzellen einzelner
Theile oder des gesammten Nervensystems ist von vornherein
zwar nicht defekt, aber doch nicht gleichmässig und der ihm ob¬
liegenden Aufgabe des Kraftmaterialersatzes entsprechend, son¬
dern bald über denselben hinausgehend, bald hinter ihm zurück-
bleibend; oder er wird es früher oder später ohne äussere Ur¬
sache.
Störungen der Zellenergetik aber können, wie bereits er¬
wähnt, auch durch eine Reihe von Schädlichkeiten bewirkt wer¬
den, ohne dass eine krankhafte Anlage vorzuliegen braucht, bei¬
spielsweise; durch Gifte, Ueberanetrengung, Ver¬
letzung, Gemüthsbewegungen. Daher können die
meisten der obengenannten Krankheiten auch ohne fehlerhafte
Anlage zu Stande kommen.
Wo es sich nicht, wie bei den Nervenzellen, um die Her¬
stellung von Spannkraftmaterialien, sondern wie bei den Drüsen-
zellen um Bildung von Sekreten, bei dem Knochenmark um
solche bactericider Stoffe, bei den Alveolarepithelien um
Trennung bestimmter Gase aus Gasgemischen und chemischen
Verbindungen etc. handelt, würde man nicht von einer Zellener¬
getik, sondern allgemeiner von einer „Stoffe herstellenden p rü-
paratorischen“ Thätigkeit sprechen, unter welche dann
auch die Energetik der Nervenzellen fallen würde.
Die nutritive Erregbarkeit der Zelle ist, wie man sieht, un¬
abhängig von der präparatorischen Zellthätigkeit,
letztere aber vielfach Vorbedingung der Funktion. Störungen
derselben können angeboren oder erworben sein, andauern oder
wieder verschwinden, ohne dass desshalb die Ernährung der
eigentlichen Zellsubstanz irgend welchen Schaden zu leiden
braucht; sie spielt nicht nur bei den funktionellen Nervenkrank¬
heiten, wie oben gezeigt, sondern auch bei den funktionellen Er¬
krankungen der übrigen Körperorgane eine grosse Rolle.
Ein kombinirbarer In* und Extubations-Apparat.
Von Dr. raed. A. R a h n, prakt. Arzt in Krippen a. d. Elbe, früher
Assistent an der Leipziger Universitäts-Kinderklinik.
Die mancherlei Umständlichkeiten bei der Intubation ver-
anlassten uns, eine Vereinfachung des Instrumentariums zu im-
provisiren: Unsere Aufgabe will es in Folgendem sein, einen
neuen Tubus und ein neues vereinfachtes Instrumentarium für
In- und Extubation bei stenotisehen Kindern zu veröffentlichen.
Die beiden genannten Operationsmethoden sollen durch einen
einzigen Apparat ermöglicht werden. Der dazu bestimmte In-
und Extubationsapparat bedient . sich einer einfachen Draht¬
schlinge, die in einer Metallhülse vermittels eines schon bekann¬
ten Schlingen führe rs (K r a u s e’scher Universalgriff) den Tubus
2 *
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144Ö
MtTENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Fig. a.
so einstellt, dass derselbe in den Kehlkopf sieh einführen und
ebenso sicher wieder aus demselben herausziehen lässt.
Um die Drahtsehlinge zu ihrer zweifachen Verrichtung ver¬
wendbar zu machen und ihr einen soliden Ansatz am Tubus zu
bieten, musste aber der Tubus erst eine besondere Armirung er¬
fahren. Diese Armirung besteht einfach in einem Zapfen, der
in dem Kopfstück des Tubus horizontal eingesetzt ist und dabei
in dessen inneres Lumen frei hereinragt.
Damit der Zapfen die obere Oeffnung der Tubuslichtung
nicht versperrt, musste die letztere oben möglichst weit gemacht
werden, und dies erreichten wir durch eine weitgeöffnete Trieliter-
form; ausserdem aber hat der Tubus noch weitere und zwar prin-
eipiell wichtige Aenderungcn aus physiologisch-anatomischen
Gründen erfahren.
Der Einfachheit halber wollen wir zunächst den neuen Tubus
beschreiben.
Die Tuben, wie sie bei Kindern bis zum Alter von 14 Jahren
zur Anwendung kommen sollen, sind nur in 4 (»rossen ausgeführt
(Tubus I, II, 111 und IV). erscheinen aber im Instrumentarium
in sechs Exemplaren und zwar aus äusseren Gründen, 'da die
Nummern II und III, als die häutigst gebrauchten, dein Instrumen¬
tarium doppelt beigegeben sind.
Die Figur a zeigt den Tubus von der Seite; derselbe
zeigt sich gegenüber den bisherigen nach amerikanischem
Muster mehr oder weniger moditizirten Tubusfonn ganz
wesentlich verändert und zwar darum, well in erster
Linie Rücksicht genommen wurde einerseits auf die
Spaltform der Kehlkopflichtung, andererseits auf die
Starrwandigkeit des Schildknorpeis, als des engsten und
strengsten umschnürenden Tlieiles am Kehlkopfe; diese
Rücksichtnahme gab unserer Tubus-Silhouette die neue,
eigenartige Form.
Das Kopfstück entspricht, wie erwähnt, der Form
eines Trichters, es vergrössert sich ganz allmählich nach
oben, und legt sich dadurch mit seiner ganzen Rundung
von hinten nach vorn zu abgesehriigt, so dass der Kelil-
AU i! re< H ht <lt>m Kehlkopfeingange auf. Am oberen Rande ist es
Tubusvou dckel bequem sich über den Tubuskopf lagern kann,
der Seite Das Halsstück dagegen ist dünn, seinem Namen
gesehen völlig entsprechend und mit Rücksicht auf den
dünnen, wenig nachgiebigen . Spalt des knorpeligen
Kehlkopfes von vorn nach hinten elliptisch; in der Mitte
ist die dünnste Stelle. Durch diese taillenartige Ein¬
schnürung wird ein zuverlässiger Sitz des Tubus im Schildknorpel-
ringe bedingt, da ihn dort der elastische Sehildknorpel straff um¬
fasst hält. Durch die Einschnürung des Tubushalses wird abei
gleichzeitig auch die grösste Schonung des Kehlkopfes erreicht,
da von dem dünnen Tubushalse die starrwandige und widerstands¬
fähige Keldkopfwand mit den Stimmbändern kaum gedehnt und
gedrückt wird.
Nach unten zu endet der Tubus mit dem eigentlichen Rumpf-
stück; dasselbe, ist cyüudrisch, hinten abgeplattet und entspricht
somit genau dem obersten Abschnitte der Luftröhre und füllt den¬
selben ln seinen verschiedenen (»Wissen nahezu aus. Damit aber
wegen der Oylimlerform die Einführung des Tubus nicht erschwert
wird, so ist das Rumpf stück am unteren Ende olivenartig verjüngt
und zwar ganz und gar nach dem Muster der SehlundstüsseiV
Oliven.
t
Die vier verschiedenen Tubusgrössen sind, soweit man am
Alter der Kinder bestimmte Durehselmittsmaass'.» des Kehlkopfes
fenthalten kann, folgeiulermnassen zu vertlieilen:
Tubus I für Kinder im Alter bis zu 1'/* Jahren,
„ II „ „ „ „ von 1'/*—4 „
• „ UI „ „ „ * „ 4-8 „
„ IV „ „ „ ., „ 8-14
Die Nummern stehen in römischen Ziffern hinten
auf der Rumpfplatte. Im Kopfstück des Tubus, uml
zwar auf dessen rechter Seite, findet sich das Loch für
die Schlinge des Seidenfadens.
Im Innern des Kopfstückes ruht die zapfenfönuige
Vorrichtung, welche die lii- und Extnbation vermittelt,
und diese ist folgeiulermnassen angebracht.
Etwas unterhalb des hinteren Randes ragt in das
trichterförmige Lunten der metallene Zapfen, der hori¬
zontal eingelassen und in der Wand fest verlöthet ist.
Trotz seiner ansehnlichen Länge, die eine gute Handhabe
für die Drahtsehlinge gewährleistet, geht er nicht über
die Mittellinie weg (s. Fig. b); er ist somit für die Ex-
DerTubus spekloration der Schleim- und Membranfetzen nicht
“V 1 Tubus- hinderlich, da bei der grossen trichterförmigen Lieli-
oben fte" tu ng des Kopfstückes reichlich Spielraum selbst
sehen. für Membranstficke gelassen ist. Der Zapfen ist oben
glatt, tiiiehenhaft. zeigt von oben gesehen eine halsartige
Einschnürung und von der Seite gesehen eine hakenförmige Ein¬
kerbung. um die Drahtschlinge, sobald sie in der Schlingenhülse
angezogen wird, nicht ahgleiteu zu lassen.
Der mit dem Zapfen armirte Tubus kann nun mittels der
Drahtsehlinge regiert werden. Die für die gleichzeitige ln- und
Extnbation verwendbare Sehlingen Vorrichtung ist im Einzelnen
Klar. b.
die folgende: An einen Krause’sehen Universalgriff, wie er für
die Schlingeufüliruug iu Nase und Kehlkopf angegeben ist, setzt
eine metallene, etwa 8 cm lange, vorn fast rechtwinkelig umge¬
logene Hülse an, in welcher gleichfalls eine Drahtsehlinge.durch
Hin- und Herschiehen am Griffe beliebig gross und klein gestellt
werden kann. Ist die Drahtsehlinge ganz eingezogen, so drückt
sie den Tubuszapfen gegen das liilelienhaft konstruirte Ende der
Metallhülse, und zwar schon beim einfachen Anziehen und Fest¬
halten am Griffe so fest, dass der Tubus mit der Metallhülse eiu
fast unbewegliches Ganzes bildet und schlechterdings nirgendwo
nusweichen kann.
Hat man den Tubus nach den üblichen Regeln der Intubation
bei angezogenem Griffe eingesetzt, so braucht bloss die Draht¬
schlinge durch einfaches Vorschiehen des Griffes gelockert und
vom Tub.uszapfen abgestreift werden, um den Tubus von seiner
Einlühnihgsvorrielitung zu befreien.
Die Figur e zeigt die Seblingenbülse am Krause’scbeu Griffe,
wie .sie mit dem Tubus armirt uud damit zur Intuhatiou fertig
gemacht ist.
Fig. c
Uebrigens kann zur In- und Extubation neb.*n dein Krause¬
schen Griffe auch ein von uns besonders angegebener Griff
(Pistolengriff, s. Fig. dl benutzt werden.
Fig. d.
Die Einstellung der Drahtschlinge geschieht mittels einer Ab¬
zugsvorrichtung: die Handhabung dabei ist einfach und leicht
zu ersehen.
Bei der Extnbation gellt das Verschteilen an der Drahtschlinge
in umgekehrter Reihenfolge, wie bei der Intubation, vor sich. Man
erweitert zunächst die Schlinge des Schlingendrnlites durch
Schieben des Griffes nach vorn, lässt die erweiterte Diulitschlinge
in das trichterförmige Lumen des Tubus ein und lässt sie wandern,
bis sie an deu Tubuszapfen im Innern des Tubus anstösst und
in den Zapfen hlneiuschlüpft; sobald inan den Widerstand am
Tubuszapfen fühlt, zieht man die Drahtsehlinge einfach an; die¬
selbe hakt sich dann so fest, dass sie den Tubus sicher beiin
. Herausziehen folgen lässt.
Die Drahtsehlinge In der Fülirungsliülse übernimmt also
gleichzeitig die Intubation und die Extubatiou, wie wir Eingangs
erwähnten.
Demnach resultiren aus dem neuen Intubations-Instrumen¬
tarium mancherlei Vortheile, und zwar bestehen diese Vorzüge:
am Tubus darin, dass
n) die Tubusform vollständig an den Durchschnitt des Kehl¬
kopfes mitsammt dem obersten Luftröhrenabschnitte angepasst
ist, und dass damit ein sicherer Sitz im Kehlkopfe gewährleistet
und ein Druck gegen die starrwandige und unnachgiebige
Knorpelwand vermieden ist,
b) dass mit Hilfe der Drahtschlinge die In- und Extubation
so bewirkt werden kann, dass eine Verlegung der Tubuslichtung
bei beiderlei Maassnahmen ausgeschlossen ist, und
c) dass mittels einer einfachen Drahtschlinge in ein und
derselben Form die In- und Extubation ermöglicht ist.
Die Vorzüge an der Drahtsehlinge und der zugehörigen
Rehlingenhülse bestellen in der Leichtigkeit und Uebersichtlich-
keit des Apparates und sic decken sich sonst mit den obigei)
Punkten, nämlich damit, dass
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10. September 1901.
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1443
a) die In- und Extubation mit Hilfe der Drahtschlinge so
bewirkt werden kann, dass eine Verlegung der Tubuslichtung
bei beiderlei Maassnahmen ausgeschlossen ist, und
b) dass in der Drahtschlingenhülse ein Apparat geboten ist,
der die In- und Extubation in ein und derselben Form ermög¬
licht; ferner wird
c) bei der Extubation mittels der Drahtschlingenhülse ein
Hinabstossen des Tubus in die Luftröhre unmöglich gemacht.
Ueberhaupt macht die Anwendung einer einfachen Draht¬
schlinge eine solche Vereinfachung und Verbilligung aus, dass
der praktische Arzt sich eher mit der Intubation und insbesondere
mit dem neuen kleinen Apparate befreunden kann und die In¬
tubation eher Eingang in die Privatpraxis finden kann. Bisher
war man ausserdem stets gezwungen, auf einmal ein vollständiges
Instrumentarium sich anzuschaffen. Es ist darum als Vortheil
zu bezeichnen, dass die zu einer In- und Extubation einmal notli-
wendigen Stücke einzeln und zum Originalpreise von den Ge¬
schäften bezw. der Fabrik 1 ) abgegeben werden.
Fig. e
Oenwnmt-Ansloht des Instrumentariums (In aufgerollter 8egeltuchtasche)
Die Figur e zeigt noch das ganze Intubations-Instrumen¬
tarium in einer aufgerollten Segeltuchtasche und lässt dessen Aus¬
giebigkeit bei aller Einfachheit erkennen. In der That, kennt
man einmal den Kraus e’schen Griff und denkt man sich die
Schlingenhülse mit der Drahtschlinge darangesetzt, so weiss man
sich sofort genugsam orientirt, und man wird ohne Bedenken
an den ersten Intubationsversuch herangehen, um so eher, als
man sich bei Vermeidung der Tubusverlegung ruhig Zeit nehmen
und die unangenehmen Zufälle bei der Intubation zuversichtlicher
mit in Kauf nehmen kann.
Wie aus Figur e weiter ersichtlich, ist auch hier dem In¬
strumentarium eine O’Dwyer’sche Mundsperre beigegeben
worden. Dieselbe zeigt aber zwei kleine Modifikationen. Diese
bestehen darin, dass an den Kieferplatten nur an einer Seite der
wulstige Rand gelassen ist, so dass diese Platten also nach einer
Seite hin, und zwar nach der Kieferreihe zu, offen sind. Sie laufen
zu dünnen, gerieften Platten zusammen und gestatten somit ein
bequemeres Eindringen zwischen die zusammengepressten Kiefer¬
reihen; an den Branchen der Griffe noch zeigt sich eine Aende-
rung darin, dass dieselben umgebogen, der Hohlhand mehr an¬
gepasst und damit handlicher sind.
*) Die Fabrikation des neuen Tubus (D.R.G.M. 142 914) hat
die Firma Alexander Schaedel ln Leipzig, Reichsstr. 14. Nikolai-
straase 21, übernommen.
No. 87.
Als neu sind in das Instrumentarium eingereiht worden
folgende Instrumente und Hilfsgegenstände, die bisher in jedem
Intubations-Instrumentarium zu vermissen waren:
1 gebogene Komzange nach Trendelen bürg (Tenettc)
zum Erfassen der etwa durchgebissenen Tubus-Seidenfäden.
Denn diese müssen auch jetzt noch jederzeit und bei jeder Ge¬
legenheit als gute Handhabe zur Extubation angesehen und als
solche benutzt werden, ferner
1 metallener Mundspatel und
1 gerade Scheere zum Schneiden der Seidenfäden und des
Heftpflasters, ferner
1 Strang Turnerseide als Tubenseide auf Hartgummizwickel
gewickelt und
10 cm amerikanisches Kautschuk-Heftpflaster in zwei Streifen
zum Fixiren der Tubus-Seidenfäden an der Wange.
Dieses kleine Gesammt-Instrumentarium ist entweder in
Segeltuchtasche oder in einem Nickel- oder Holzkasten eingelegt.
Was nun die Anwendungsweise des neuen Intubations-
Instrumentariums anbetrifft, so wird die ganze Handhabung der
Intubationstechnik, wie wir schon oben andeuteten, nicht wesent¬
lich, verändert, und wir können im Allgemeinen an dem festhalten,
was schon Carstens in seinen Ausführungen über das Ver¬
fahren der Intubation bei der diphtheritischen Kehlkopfstenose
im .Tahrbuche für Kinderheilkunde spccicll auf Seite 264 und 266
des 38. Bandes sagt und weiterhin Trum pp und Andere ver¬
vollständigen.
Aber die Intubationsfrage wird aktuell, mag sein, weil die
Diphtherie in ihrer Schwere nachlässt und damit einer Behand¬
lung leichter zugängig ist, mag sein, weil das Diphtherieserum
der Intubation zu Hilfe kommt, kurz wir dürfen uns jetzt mehr
und mehr auch in der Privatpraxis mit der Intubation vertraut
machen, und da erscheint es nicht werthlos, auf einige Fragen
speciell der Intubationstechnik zurückzukommen. Wir kommen
auf meist Bekanntes und möchten nur hie und da auf kleine
Eigenheiten des neuen Tubus mit verwiesen haben.
Für die Beherrschung der Kiefersperre zunächst und für
das sichere Einsetzen und die Wiederherausnahme der Kiefer¬
sperre ist es, wie schon Carstens hervorhebt, von wesentlichem
Vortheile, das stenotische Kind im Bette liegend zu intubiren;
man kommt im Nothfalle dabei auch mit einer Assistenz aus,
und diese brauchte nur auf das Einsetzen und Halten der Mund¬
sperre geschult sein; es bedarf hierzu nur einer anstelligen Person,
eine, solche würde sich schon finden lassen, dass sie nach einge¬
führter Kieferklemme das Halten derselben und das Einstellen
des Kopfes übernehmen kann. Wollte man aber das Kind auf¬
recht sitzen und mit verschränkten Annen festhalten lassen und
an den Beinen gleichzeitig festkleinmen lassen, so rnuthet man
dabei der Assistenz schon eine weitgehende Schulung und Ucbung
zu; und selbst eine solche geübte Person kann von hinten her nur
mühsam die Kiefersperrc übersehen und beherrschen, jedenfalls
kann auch sie nicht recht sicher festhalten. Wenn jedoch dem
Intubateur bei der Intubation 2 Helfer zur Seite stehen können,
so wird man erst recht die Bettlage des Kindes wählen, und zwar
führt der eine Helfer die Kiefersperre ein und hält zugleich mit
dieser den Kopf des Kindes gerade und leicht angezogen; der
andere Helfer hält die Hände des Kindes über die Brust gekreuzt
und die Beine geschlossen, um möglichst die Abwehrbewegungen
zu hindern. Das Kind liegt am besten ganz flach im Bett und
zwar den Kopf möglichst nahe dem Kopfende, damit die Assistenz
mit der Kiefersperre leichtes Zugreifen hat. Der Kopf ist dabei
eine Wenigkeit hintenüber gebeugt, sonst bleibt der Körper ge¬
rade und gestreckt.
Sobald der Intubateur am rechten Bettrande sich bereit stellt,
setzt der am Kopfende stehende Helfer die Kiefersperre bei dem
Kinde ein und zwar auf der linken Seite des Kindes, zieht den
Kopf, wie oben angegeben nach sieh zu gerade an und hält ihn
so ein wenig angezogen, während der zweite Helfer das Kind an
Abwehrbewegungen hindert.
Nunmehr geht der Intubateur in den mittels Mundsperre
weitgeöffneten Mund des Kindes mit dem Zeigefinger der linken
Hand ein, drückt die Zunge ganz dicht oberhalb des Zungen¬
grundes herunter und nach vorn und fasst sogleich den nunmehr
emporgeklappten Kehldeckel, um ihn schliesslich nach vorn herum¬
zuschlagen und damit den Zugang zum Kehlkopf frei zu machen.
Ist dies erreicht und bleibt der Kehldeckel vollkommmen zurück-
geschlagen, so kann man den Tubus einführen.
3
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Google
i
1444
Dies geschieht dadurch, dass man den an seinem inneren
Zapfen angeschlungenen Tubus in der Drahtsehlinge angezogen
und somit festhalt und ihn ganz dicht über die Zungenoberfläche
hinabgleiten lässt, bis man den Zungengrund bezw. den empor-
geschlagcnen Kehldeckel erreicht; nun sucht man den Tubus so
einzustellen zur Kehlkopfachse, dass man ganz senkrecht ab¬
kommt; ist man sich dieser Richtung sicher, dann schiebt man
langsam und gleichmässig den Tubus hinab. Das Einfuhren des
Tubus kann nicht leicht und schonend genug geschehen. Tritt
ein Krampf der Stimmbänder ein oder klemmte man selbst die
Epiglottis mit dem Tubus ein oder stellt sich ein mechanisches
Hinderniss an der Kehlkopfwand entgegen, so kann man mit dom
neuen Tubus ruhig einige Zeit zuwarten, weil dieser Tubus voll¬
kommene Luftpassage belässt. Erst wenn der Tubus gut liegt,
lockert man die Drahtsehlinge am inneren Zapfen, indem man
den Griff nach vorn stösst und streift die somit erweiterte
Schlingenüse vom Tubuszapfen vorsichtig ab.
Bezüglich des Extubirens müssen wir uns natürlich auch
liier erst fragen, ob wir nicht den »Seidenfaden am Tubus zur
Extubation benutzen können, und dies auch dann, wenn der
Faden durchgebissen ist und nur noch kleine Ueberreste von
Seidenfäden iin Rachen flottiren. Denn wir müssen uns immer
vergegenwärtigen, dass der Seidenfaden am Tubus nicht bloss
der Wärterin in Augenblicken der Noth eine schnell fassbare
Handhabe darbieten will, sondern dass der Seidenfaden auch für
den Arzt immer und bei jeder vorznunehmenden Extubation das
beste Hilfsmittel zur Extubation bleibt.
Wenngleich auch der Faden mit seinen Belästigungen für
die intubirten Kinder dem Intubateur und der Aufsicht manche
Plage und Sorge auferlegt, so kommen wir auch heute noch mit
Carstens überein, wenn er sagt: „Bei verständigen Kindern,
die weder am Faden zerren, noch ihn zernagen, ist das Liegen¬
lassen desselben allerdings das Beste.“
Ob der Seidenfaden intakt ist oder nur noch Stückchen
davon erhalten sind, gilt uns gleich. Flottiren die Fadenreste
frei und sichtbar im Rachen, so benutzen wir eine Kornzange —
unserem Instrumentarium liegt eine Tenet te nach Trendelen¬
burg bei —, die bei niefiergedrückt gehaltener Zunge bequem
die Fäden uns erfassen und daran den Tubus herausziehen hilft.
Erst wenn nichts mehr vom Faden zu sehen, bezw. nichts
mehr zu erfassen ist, wird man an die Extubation mittels Draht¬
schlinge herangehen. Die Vorbereitung zu derselben und die
Lagerung des Kindes dabei ist dieselbe wie bei der Intubation.
Man geht auch zunächst mit dem Finger genau so ein, wie
bei der Intubation, um den Kehldeckel richtig einzustellen und
gut zurückzuschlagen. Dann führt man aber die Drahtschlinge
erst weit geöffnet in das Tubuslumen ein und lässt sie in dem¬
selben spielen bis man an den inneren Zapfen anstösst. Stösst
man dabei an den Zapfen und fühlt man die Schlingenüse gc-
wissermaassen eingesehnappt, so zieht man die Drahtschlinge
an und drückt damit die Schlingenhülse fest gegen den Zapfen
an. An der angezogen erhaltenen Drahtschlinge hebt man den
Tubus heraus.
Dass der von uns zur Extubation warm empfohlene Seiden-
faden bisweilen auf den lntubat ionsverlauf recht störend ein-
wirkt, soll allerdings nicht geleugnet werden. Nach allen Um¬
ständlichkeiten während des Intubirtseins des Kindes kann es
uns noch begegnen, dass der Faden zur Extubation nicht einmal
da ist. Um das vollständige Unsiehtbarwerden des Tubusfadens
leichter zu vermeiden, versuchten wir einen kleinen Kunstgriff
mit dem Tubusfaden.
Derselbe besteht darin, dass man den Faden nicht direkt an
dein Tubuskopf befestigt, sondern an eine erst besonders ange¬
legte Knotenschlinge anbringt. Diese kleine Hilfsschlinge braucht
nicht grösser als ein Bleistift an Umfang misst, zu sein. Diese
wird ein paar Mal geknotet, so dass ein doppeltes Knotenpaar
entsteht und es ist gerade bei der von uns angegebenen Tubus-
form weniger Gefahr vorhanden, dass die Knotensohlinge etwa
den Tubuszugang verlegen könnte. Durch die Einschaltung einer
besonderen Knotenschlinge erreichen wir uin so leichter, dass
bei der Extubation wenigstens eine sichere, wenn auch kleine
Handhabe für die Branchen der suchenden Kornzange übrig
bleibt, selbst wenn die langen .Seidenfäden durchgebissen sind.
Denn die Schlinge mit den starren Knoten am inneren Seitcn-
theile des Tubus bleibt gowissermaassen aufrecht stehen, kommt
also nicht so zum \ ersehwinden, wie dies bei einzelnen, dünnen
No.37.
und allmählich weich und schlüpferig gewordenen Seidenfäden
zu befürchten war; und nach dem Tubuslumen zu kann die
Knotenschlingc nicht verschwinden, weil der Knoten aussen am
Rande des Tubus angebracht ist und sich derselbe an der Knoten-
wurzel, wie gesagt, aufgerichtet hält; in den Oesophagus aber
kann die »Schlinge sich nicht Umschlagen, da das Fadenloch zu
weit vorn, also zu weit weg vom Oesophagus gelegen ist. TTut
man eine solche steife, sichtbar im Rachen sich haltende Knoten¬
schlinge am Tubuskopfe angebracht, so steht es schliesslich sogar
frei, bei einfachen Laryngitiden, wo eine Tubusverlegung während
des Intubirtseins nicht zu erwarten steht, den bisher nach dem
Mundwinkel hcrausgeleiteten »Seidenfaden wegzulas-en, wenigstens
bei ungebärdigen Kjndern.
Bei halbwegs komplizirten Kehlkopf Stenosen aber und korn-
plizirt. erscheinenden empfiehlt cs sich selbst an der zwischen
geschalteten Knotenschlingc die bisherigen Seidenfüden immer
winler beizubchaltcn.
Was die sonstigen Intubationsprineipien aubelangt, so
werden dieselben durch den neuen Tubus nicht berührt. Uns
kam es nur darauf an, einer neuen Intubationsmethodik Eingang
zu verschaffen.
Aus dem Sanatorium Schloss Marbach am Bodensee.
Herzbefund bei Caissonarbeitern.
Von Dr. Hornung in Schloss Marbach am Bodensee.
Dank der gütigen Erlaubnis« der kaiserl. Werftdircktioa
zu Kiel und des ausserordentlichen Entgegenkommens des leiten¬
den Ingenieurs, Herrn Kessel he im, war es mir im vorigen
Sommer ermöglicht, eine Reihe von Herzuntersuchungen vor-
zunehmen bei den mit dem Dockbau beschäftigten Caisson¬
arbeitern. Allo Untersuchten waren selbstverständlich kern¬
gesunde Leute, die sehen durch Monate in den Caissons be¬
schäftigt waren. Eine kurze »Schilderung der festgestellten Herz¬
befunde an der Hand einiger Kurven soll den Inhalt des Folgen¬
den bilden.
Die Untersuchungen wurden so vorgenommen, dass ich mit
den Leuten die Sehleusse bestieg und dann zunächst bei geöffne¬
ter Thüre untersuchte. Danach wurde die Sehleusse geschlossen
und die Pressluft eingelassen. Von 5 zu 5 m Wasserdruck —
die Arbeiten fanden bei 15 in Tiefe statt — wurde die Luft¬
zufuhr abgc.stellt und wieder untersucht. Kurz vor Schluss der
Arbeitszeit schleusste ich mich dann nochmals ein und unter¬
suchte diu Leute von Neuem. Darauf wurde die Pressluft aus¬
strömen lassen und bei geöffneter Thüre die Untersuchungen
wiederholt, die mit der von »S m i t. h modifizirteu B i a n c h i’-
schen Methode ausgeführt wurden.
Ich habe aus der Reihe der Untersuchungsergebnisse vier
Typen herausgegriffen und lasse sie. der besseren Uobersieht
halber in Kurven gebracht, hier folgen. Die gestrichelte s<*nk-
rechte Linie bezeichnet die Herzhöhe, die gestrichelt + aus¬
gezogene Linie die Herzbreite von der Basis zur Spitze. A. n. 1.
und A. n. r. gibt den Abstand der Herzgrenzen nach rechts und
links von der linken Brustwarze an.
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN8CHRIFT.
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10. September 1901. MITENOHENKR HEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1445
Die Betrachtung der vorstehenden Kurven lässt ohne
Weiteres erkennen, dass sie alle übereinstimmend bei den Unter¬
suchungen von 0—15 m gleiche Verhältnisse ausdrücken. Das
Herz erweitert sich mit dem Zunehmen des äusseren Drucks so¬
wohl in der Höhe, als auch in der Breite, und wie die Be¬
merkungen unter A. n. 1. und A. n. r. anzeigen, mehr nach
rechts als nach links zu relativ beträchtlicher Grösse. Im Gegen¬
satz zu diesem stets wiederkehrenden Befunde ist das Verhalten
des Pulses ein ganz verschiedenes.
Während in Kurve 1 die Pulszahlen bei 0 Meter 88, bei
5 Meter 92, bei 10 Meter 76 und ebenso bei 15 Meter 76, und
die entsprechenden in Kurve III 88, 76, 72, 72 betragen, also
in I in der Hauptsache, in III überhaupt die Zahl der Pulse j
verringert wird, ergeben sich für H folgende Zahlen: 92, 96.
100, 104 und für IV: 100, 120, 118, 112. Es steigt also in II
die Pulsfrequenz fortwährend, wogegen sie in IV bei 15 Meter
wieder gesunken ist.
Ebenso verschieden sind die Ergebnisse der Untersuchung
nach ca. 6% stündiger Arbeit. Betonschaufeln, Stampfen etc.
In einzelnen Fällen, so in I, ist das Herz noch um ein geringes
grösser geworden, während es in der Mehrzahl der Fälle etwas
kleiner ist, als bei der letzten Untersuchung vor der Arbeit. —
Dagegen geben alle Untersuchungen nach dem Ausschlüssen
übereinstimmend dasselbe Resultat. Stets stimmt die Herz-
grenzc bei 0 Meter haarscharf mit der kurz vorher bei 15 Meter .
gemachten. Dagegen ist das Verhalten des Pulses auch hier
wieder verschieden. Während I, II und IV die Zahlen 76—84,
92—96. 80—84 zeigen, hat III 80—72.
Ob diese Verschiedenheiten in individuellen Abweichungen
oder vielleicht in der Art des Arbeitens oder auf anderen Gründen
beruhen, konnte ich ebenso wenig bestimmen, wie in den folgen¬
den Kurven, deren Versuchspersonen dieselben sind, wie unter
I und II.
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190
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Heisa* Ion.
um.
Es kam mir bei dem in Kurve V und VI skizzirten Ver¬
suche darauf an, zu sehen, ob eine möglichst beschleunigte Ein-
sohleussung, also eine sehr schnelle Drucksteigerung, eine
stärkere Erweiterung des Herzens, andere Pulsverhältnisse etc.
herbeiführte, als die vorher erläuterten Versuche ergaben, bei
denen einerseits, um die allmähliche Entwickelung der Erwei¬
terung zu studiren, dann aber auch zu meiner Schonung, die
Einschleussung sehr langsam erfolgte. Es wurden also die Hähne
soweit geöffnet, als ich es eben noch ertragen konnte, und in
6 Minuten die Einschleussung vollendet, während die Arbeiter,
wenn sie allein sind, zum Einschleussen höchstens 3 Minuten
gebrauchen. Aber auch hier war das Resultat verschieden.
In V zeigt sich zwar eine grössere Ausdehnung als vorher in 1;
dagegen ist das Herz in VI auch nicht grösser als bei der lang¬
samen Einschleussung in II; nur der Puls, der dort bei zu¬
nehmendem Drucke stieg, geht hier herab, wie auch in V, dort
jedoch entsprechend den Verhältnissen in I. Nach beendeter
Arbeit sind übereinstimmend beide Herzen kleiner und der Puls
gegen vorher beschleunigt.
Für die Entstehung der Erweiterung ist ohne Zweifel der
sich steigernde Druck der Pressluft auf die peripheren
Gefüsso verantwortlich zu machen; durch diesen ent¬
stehen ähnliche mechanische Verhältnisse, wie sie die Herz¬
erweiterung bei Gefässspasmus verursachen, auf die J acob-
(■udowa zuerst hinwies, und wie man sie künstlich durch Injek¬
tion von Coffein bei normalem Gefässsystem horvorrufen kann.
Leider konnte ich, da die Leute nach der Arbeit ihre Be¬
hausungen aufsuchten, nicht feststellen, wie lange nach dem
Ausschlüssen die Herzerweiterung noch nachweisbar ist. Mit
Sicherheit konnte ich nur beobachten, dass bei Beginn der näch¬
sten Schicht, also nach 16 Stunden, die Verhältnisse wieder ganz
normale waren, und dass, wie oben erwähnt, eine sofort nach¬
weisbare Verkleinerung nach dem Ausschlüssen, also nach dem
Uebergang in die gewöhnliche Atmosphäre, nicht stattfand.
Jedenfalls geht der anormale Zustand im Verhältniss zu den
mit Gefässparese verbundenen Dilatationen — ich führe nur
die durch heisse Bäder hervorgerufenen hier an, die Tage lang
dauern, — in Stunden vorüber, und ohne dass, vorausgesetzt,
dass der Herzmuskel gesund ist, Schädigungen irgend welcher
Art Zurückbleiben. Die Leute fühlen sich wohl nach der Arbeit,
und sind nur stark körperlich müde. Auch au mir selbst konnte
ich keinerlei Störungen bemerken, obwohl ich doch zum ersten
Male in Pressluft lebte.
Eine interessante Beobachtung, die ich zufällig machen #
konnte, will ich im Anschluss an meine Ausführungen nicht
unerwähnt lassen. Bekanntlich werden die Schwindelerschei¬
nungen bei der sogen. Caissonkrankheit auf den gesteigerten
Labyrinthdruck zurückgeführt und dementsprechend wird jeder
Arbeiter auf die Beschaffenheit seines Gehörorgans untersucht,
ehe er eingestellt wird. Leider befand ich mich in der trau¬
rigen Loge, an einer frischen rechtsseitigen Mittelohreiterung
mit Trommelfellpcrforution zu leiden, ich hätte aLso den Laby-
rynthdruek aus sozusagen erster Hand Ix'kommen sollen. leb
überging dies Leiden beim Unterschreiben des nöthigen Reverses
mit Stillschweigen und liess mich einschleussen, indem ich mir
sagte, dass ich ja immer wieder aufhören könnte, wenn Schwindel
einträte. Ich wartete vergebens; ja die Perforation, durch die
der unangenehme Druck auf das Trommelfell verhindert wurde,
war mir so angenehm, dass ich sehr gern auf der anderen Seit"
auch eine gehabt hätte.
Wenn diese eine Beobachtung auch natürlich nicht im Stande
ist, die Labyrinthdrucktheorie zu Falle zu bringen, so muss sie
immerhin die Veranlassung geben, an eine andere Ursache für
die Schwindelerscheinungen zu denken, und da ist wohl das
Nächstliegende, die innerhalb so kurzer Zeit einsetzenden Cireu-
lationsverändcrungcn dafür verantwortlich zu machen, voraus¬
gesetzt, dass sie ein schon vorher nicht intaktes Circulations-
system treffen. Es wird der Druck auf die peripheren Gefässe
sieh au den durch den knöchernen Schädel vor direkter Ein¬
wirkung geselliitzen Gehirngefässen geltend machen und das
Auftreten von Schwindel kann sehr wohl das Anzeichen einer
Rückstauung sein, wie wir sie am Herzen direkt abzulesen in
der Lage sind. Sind doch Schwindel, ja Ohnmachtsanfälle bei
plötzlichen Circulationssehwankungen für diejenigen Kollegen,
die sich im Besonderen mit der Behandlung von Herz- und Cir-
eulationserkrankungen beschäftigen, etwas sehr Bekanntes.
Zur Lehre von der Dysmenorrhoea membranacea.
Von Dr. Kollmann in Weilheim.
I 11 einer früheren Abhandlung über Dysmenorrhoea mera-
branaeea 1 ) stellte ich unter anderen Sätzen auch die These auf:
„Dysmenorrhoea membranacea kann spontan heilen“, und glaubte
die Begründung dieser Behauptung durch Mittheilung einer
') Kollmann: Ueber Dysmenorrhöen memhranacen.
kl in. Rundschau. 1900. No. 17.
IV
Wien.
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1446
MUENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Krankengeschichte liefern zu können, nach der die betreffende
Patientin 4 Jahre lang an Dysmenorrhoea membranacea litt,
dann concipirte und nach der Geburt 2 Jahre lang keine Haut¬
abgänge. mehr beobachtete. Wie sich jedoch nun nachträglich
herausgestellt hat, war die Heilung nur eine scheinbare; denn
gerade an dem Tage, an dem ich den Korrekturbogen der be¬
treffenden Arbeit abgeschickfc hatte, erhielt ich auch eine neuer¬
liche Membran von der oben erwähnten Patientin übersandt, der
ersten, die seit 2 Jahren abgegangen war. Ich sehe mich dess-
halb veranlasst, den damals aufgestellten Satz von der Möglich¬
keit einer Spontanheilung der Dysmenorrhoea membranacea
wieder zurückzuziehen.
Seit dem soeben besprochenen neuerlichen Abgang einer
Membran wurden nun wieder eine Reihe weiterer beobachtet,
die ich nun während eines Jahres beinahe alle zu untersuchen
Gelegenheit gehabt hatte.
Da mir die Ergebnisse meiner letzten Untersuchungen den
Werth einer fortlaufenden Untersuchung solcher Membranen von
aufeinanderfolgenden Menstruationen gezeigt hatten, unterliess
ich auch diesmal nicht, sie zu studiren und fand durch die neuer¬
lichen Beobachtungen auch eine Anzahl meiner damals auf¬
gestellten Thesen gestützt.
Ein betten. Färben und Schneiden der Membranen hatte Herr
Privatdocent Dr. Amanu die Liebenswürdigkeit zu über¬
nehmen, dem ich dafür auch hier nochmals meinen Dank aus¬
spreche.
Die erste eingelieferte Membran stammt von der Periode am
20. IV. 00. Es gingen damals 3 Stückchen ab: 0,5—1,5 cm lang,
0,2—1),7 cm breit, wie auch alle folgenden auf einer Seite glatt, auf
der anderen unebeu, wie gefranst, mehr oder minder dunkel rosa
gefärbt. Schmerzen bei der Menstruation massig. Fixation in
Formalin; Färbung mit Haemalauu.
Mikroskopisches Bild: Die Membranen bestehen fast ganz aus
kleinen, stark gefärbten Rundzellen, die das Grundgewebe fast
völlig verdecken. Die Stratum proprium-Zellen sind etwas aufge¬
blasen, die Zellkoutureu verwischt, ihre Kerne deutlich.
Zwischen den Kuudzellen linden sich feine Flbrluiaden, theils
iu welligen, länglichen Zügen, theils maschenförmig augeordnet;
doch ist diese Bildung nur auf einen Theil des Präparates be¬
schrankt. Drüsen sind nur iu ganz wenigen Exemplaren vor¬
handen, zum Theile zerrissen und mit DeuRocyien erfüllt.
Trümmer von Drüsen an verschiedenen Stellen des Gewebes nach¬
zuweisen.
Das Drüsenepithel besteht aus niedrigen Gyliuderzelleu; Deck
epithel ist nirgends vorhanden.
Die Wandungen der Blutgefässe erscheinen degeuerirt, Zeil-
konturen und Zellkerne au der Intima nicht mehr nachweisbar;
auch au den übrigen Schichten der Gelasswand zum Theil un¬
deutlich.
Blutaustritte in’s Gewebe sind nirgends zu sehen.
Membran 2 vom 20. V. 00. Sehr heftige Schmerzen. Es gingen
2 kleine Hautfetzeu ab, die ln Alkohol lixlrt wurden. Färbung mit
Haemalaun.
Mikroskopisches Bild: Drüsen und Deckepithel fehlen voll¬
ständig.
Im Gruudgewebe zahlreiche Blutergüsse, die an vielen Stellen
das eigentliche Mucosagewebe zerstört haben oder verdecken. Das
Gfundgewebe besteht zum Theil aus gleichmässig gefärbten,
strukturlosen, offenbar aus Fibrin gebildeten Massen, zum Theil
aus grossen, polygonalen Zellen, zwischen und in denen sich zahl¬
reiche Leukocyteu eiugelagert ünden.
Bei der Menstruation im Juni wurden keine Hautabgänge be¬
obachtet. (Periode miissig schmerzhaft.) Bei der folgenden im
Juli gingen zahlreiche Membranen ab; dieselben konnten aber
äusserer Umstände halber nicht auf bewahrt werden.
Membran 3 vom 17. VIII. 00. Starke Schmerzen. Fixation
iu Alkohol. Membran 2,3 cm lang, 1,5 cm breit. Färbung mit
Borax carmln.
Mikroskopisches Bild: Das Gruudgewebe besteht aus rundlich
polygonalen nicht vergrösserten Zellen, die an vielen Stellen durch
grössere Blutergüsse auseinander gedrängt siud; dazwischen auch
Leukocyten in geringer Menge. In diesem Grundgewebe betindeu
sich zahlreiche, gegen die Norm beträchtlich vermehrte Drüsen,
die durch Blutergüsse in den Drüsenhohlraum zum Theil erweitert
sind; nur in seltenen Füllen ist Schlängelung au ihnen zu bemerken;
ihr müssig hohes Cylinderepithel ist intakt Das Oberflächeuepithcl
ist theilweise erhalten und öfters in Streifen von der Unteriiüche
abgehoben, ohne dass jedoch die Blutergüsse bis au’s Decken-
epithel heranreichten. Die Blutgefässe sind im grossen Ganzen
intakt; an Stellen, an denen sich stärkere Blutungen linden, sind
die Gefässe Jedoch zerrissen, ihr Intimaepithel ist dann nur selten
mehr nachweisbar und auch die übrigen Schichten der Gefäss-
wiinde erscheinen zuweilen gequollen und iu eine homogene Masse
verwandelt.
Membran 4 vom 15. IX. 00. ln 2 kleinen Stückchen abgegangeu
Fixation ln Alkohol: Färbung mit Haemalaun.
No. 37.
Mikroskopischer Befund: Das Protoplasma der Stratum pro¬
prium-Zellen unbedeutend vergrössert zwischen den Stratum-Zellen
starke kleinzellige Infiltration.
Drüsen finden sich nur in geringer Anzahl vor und weisen
keine besonderen Befunde auf.
Blutergüsse in’s Gewebe sind an keinen Stellen nachweisbar.
Oberflücheuepithel iu den Schnitten fehlend. Ein grösseres Blut¬
gefäss mit homogenen, scholligen, fibrinösen Massen, in denen sich
einzelne Leukocyten finden, erfüllt.
Die Membranen, die bei der nächsten, mässlg schmerzhaften.
Periode im Oktober abgegangen waren, gingen verloren.
Membran 0. Am II. XI. wurden 5 grössere Stücke, 1,3—2,3 cm
hing und ca. 2 ein breit, überbracht und iu Sublimat fixirt; Färbung
mit Ilaemntoxyliu.
Das mikroskopische Bild derselben zeigt Drüsen in regel¬
mässiger Zahl und Form in einem kleinzellig stark intiltrirten
Stratum proprium, das aus nicht vergrösserten, rundllch-polygouaieii
Zellen besteht. Das Deckepithel der Membranen ist zum Theil er
halten und stellenweise von der Unterfiäche abgehoben.
Blutergüsse sind gering und finden sich nur in den tieferen
Schichten der Membran, wo sie das Gewebe auseinanderdrängeu.
Au den wenigen sichtbaren Gefässen sind keine besonderen Ver
hältnisse wahrzunehmen. Die Periode war mässlg schmerzhaft
gewesen.
Im Dezember gingen bei der Menstruation keine Häute ab;
Menstruation ohne Beschwerden.
Membran 5. Am 3.1. 01 gingen bei Beginn der schmerzlosen
Menstruation G Membranstücke ab, die in Alokohol fixirt wurden.
Sie waren 1.7—2,5 cm lang und 1,3—2 cm breit. Die Färbung ge¬
schah mit Haemalaun.
Das mikroskopische Bild derselben zeigte im Wesentlichen
die gleichen Verhältnisse wie das der Membran 3; nur waren die
Blutergüsse noch mächtiger und die Blutgefässe noch strotzender
gefüllt.
Membran 7 ging am 28.1. 01 ohne Schmerzen ab und zwar in
einem grösseren 3,8 cm langen und mehreren kleineren Stückchen,
die in Alkohol fixirt und mit Haemalaun gefärbt wurden. Ibr
mikroskopisches Bild deckt sich im Wesentlichen mit dem der
Membran G, uur fehlen bei Membran 7 die Blutergüsse voll
ständig.
In den Monaten Februar (krampfartige Schmerzen) und Mär/,
(fast schmerzlos) fehlten Hautabgänge.
Aus diesen Beobachtungen ergeben sich nun einige wichtige
Thatsachen. Vor Allem möchte ich darauf hinweisen, dass die
Schmerzen bei den einzelnen Menstruationen sich verschieden
verhielten. Jedesmal wurden sie zwar als krampfartig über
Symphyse und in der Nabelgegend lokalisirt geschildert und
waren mit dem bekannten Frösteln verbunden. Allein ihre In¬
tensität war eine sehr wechselnde, oft fehlten sie sogar voll¬
ständig. Die Entstehung der Schmerzen kann demnach nicht
mit dem Abgang der Membranen in Zusammenhang gebracht
werden, denn wenn wir untenstehende Tabelle betrachten, so ver¬
liefen Menstruationen, bei denen mehrere grosse Hautfetzen ab¬
gingen, vollkommen schmerzlos, andere jedoch, bei denen keine
Hautabgänge beobachtet wurden, oder bei denen die aus-
gestossenen Fetzchen nur klein waren, mit starken Schmerzen.
©
sc
Datnm
Nummer d.
Membrane!
Zahl und
Qrfisse der
Hanttetzen
Befund
Schmerzen
1
1900
26. IV.
1 |
3 kleine
kleinzellige Infiltr Fibrin
mässlg
2
20. V.
2 i
2 kleine !
Blutergüsse, kleinzellige
sehr heftig
3
? VI.
keine
Infiltr Fibrin
?
mässig
4
? VII.
zahlreich j
?
?
5
17. VIII.
3
1 grösserer
normales menslruirendes
sehr heftig
6
15. IX.
4
2 kleine
Endometrium
Endometritis interstilialis
7
17.X.
?
?
?
8
11. XI.
6
5 grosse
menetruirendes Endometr.
mässig
9
10
8. XII.
1901
3.1.
5
keine
6 grössere
kleinzellig infiltrirt
normales menstr. Endom.
kein«
keine
11
28.1.
7
1 grosser
menstr. Endometr. klein-
keine
12
26. II.
keine
zellig infiltrirt
?
schmerzhaft
13
24. in.
keine
?
keine
Damit fällt natürlich auch die Theorie von der Entstehung
der Schmerzen durch Passiren der Membranen durch die ver¬
engte Cervix. Ebensowenig lässt sich nach den oben geschilder¬
ten Befunden, die Erklärung halten, die die Schmerzen
auf eine gleichzeitig bestehende Endometritis bezieht. Denn
bei der Menstruation 5, bei der eine normale menstruirende
Mucosa ausgestossen wurde, waren die Schmerzen sehr heftig;
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10. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1447
in Fall 11, bei dem das Endometrium kleinzellig infiltrirt war,
bestanden überhaupt keine Schmerzen. Auch die mechanische
Losreissung der Membranen vom Utorufeinnern kann nicht der
Cirund der Schmerzen sein, weil eben die Schmerzen einmal bei
der Trennung grosser Membranen fehlten, andererseits heftige
Schmerzen bestanden, ohne dass es zu einer Ausstossung von
Membranen gekommen war. Es bleibt also nichts übrig, als
für die Erklärung der Schmerzen von der Bildung dor Mem¬
branen unabhängige Momente in Anspruch zu nehmen, sei es
nun eine erhöhte Empfindlichkeit der Nerven oder ein Spasmus
im Sinne T h e i 1 h a b e r’s '). Hier mag auch Gelegenheit sein,
die Meinung Theilhabc r’s, dass ziemlich häufig grössere
Schleimhautfetzen bei Frauen zur Ausstossung gelangen, die
nicht beobachtet werden, zu bestätigen. Denn ich war erstaunt,
zu erfahren, wie häufig Dysruenorrhoea membranacea dem prak¬
tischen Arzte zur Beobachtung kommt, wenn er dem Leiden
genauer uachforscht; genauere Verhältnisszahlen kann ich dar¬
über leider noch nicht angeben; doch waren unter den Frauen,
die ich im letzten Vierteljahr wegen anderer, meist interner
Krankheiten zu behandeln hatte, nicht weniger als 6, die ausser¬
dem an Dysmenorrhöen membranacea litten.
Das mikroskopische Bild der Membranen zeigt uns vor
Allem, dass es nicht angeht, einen bestimmten anatomischen
Typus für die dysmenorrhoischen Membranen aufstellen zu
wollen; denn wie aus vorstehender Tabelle erhellt, ist der mikro¬
skopisch-anatomische Befund ein äusserst wechselnder. Wir
finden Bilder, die einem normalen menstruirenden Endometrium
entsprechen, solche, bei denen Rundzelleninfiltration in sonst
normalem Gewebe in starkem Maasse auftrat, wir sehen einmal
das Bild einer Hypertrophia sou Endometritis interstitialis mit
fast vollkommen fehlenden Drüsen, und endlich Membranen, die
mit Fibrin durchsetzt waren und die, wie ich in meiner Eingangs
erwähnten Arbeit näher auseinandergesetzt habe, den Uebergang
zu den eigentlichen Fibrinmembranen bilden.
Besondere Beobachtung' verdient noch der Umstand, dass
diese wechselnden anatomischen Befunde an Membranen von
einer Patientin gemacht wurden, ein Beweis dafür, dass nicht
eine bestimmte anatomisch nachweisbare Ursache, am wenigsten
eine wahre Entzündung die Ursache der Membranbildung sein
kann. Gegen die Annahme einer Endometritis, mit vielleicht
wechselnder Intensität, spricht übrigens auch das Fehlen jeg¬
licher Symptome (Fluor, Schmerzen) in der intermenstruellen
Periode. Auffallend ist ja wohl die Lcukoeyteninfiltration, die
in der Mehrzahl der Präparate sich konstatiren licss; daraus
allein aber auf eine Endometritis sehliessen zu wollen, dürfte
nicht angehen; ich wenigstens fasse die Anwesenheit der Leuko-
cyten nicht in diesem Sinne auf, sondern verrauthe, dass sie
vielmehr in irgend einer Beziehung zur Loslösung der Mem¬
branen von der Uterusinnenfläche stehen, also eine Aufgabe er¬
füllen. ähnlich wie die Lcukoeyten bei der Sequesterbildung an
Knochen. Dass die Von mancher Seite angenommene mecha¬
nische Ablösung durch einen Bluterguss unter ein schwerer als
normal zu zerreissendes Obcrfliichenepithel oder unter die direkt
unter dem Epithel liegenden Stratumschichten, nicht richtig sein
kann, beweist der wechselnde Befund an Blutergüssen in die ab-
gestossenen Membranen, die an dreien der Präparate, die jedoch
zum Theil zahlreiche gefüllte Blutgefässe zeigen, vollständig
fehlen, an einem Präparate gering und nur an weiteren drei be¬
deutender sind.
Fasse ich zum Schlüsse die Resultate meiner Unter¬
suchungen noch kurz zusammen, so kann ich meinen bereits
früher aufgestellten Sätzen:
1. Dysmenorrhöen membranacea hat keinen Zusammenhang
mit Gravidität und Abort;
2. dieselbe bedingt keine Sterilität;
3. die dysmenorrhoischen Membranen haben nichts mit einer
Entzündung der Mucosa Uteri zu thun;
4. die Fibrinmembranen sind als wahre dysmenorrhoische
Membranen zu betrachten;
5. Verwechslung von Fibrinmembranen mit Blutcoagulis
ist ohne genaue Untersuchung möglich; ebenso Verwechslung
mit den Produkten einer croupösen Entzündung;
6. die Fibrinmembranen sind das Produkt einer durch
Blutung und Exsudation in’s Gewebe bedingten Nekrose,
noch folgende hinzufügen:
*) Münch, med. Wochenschr. 1901. No. 22 u. 23.
No. 87.
1. die Ursache der bei Dysmenorrhöen membranacea aui-
tretenden Schmerzen ist nicht in der Ablösung oder Ausstossung
der Membranen zu suchen;
2. das anatomische Bild der Membranen entspricht keinem
besonderen Typus und kann bei den einzelnen Menstruationen
ein und derselben Patientin wechseln;
3. die Lösung der Membranen geschieht nicht mechanisch
durch Abreissen durch einen starken Bluterguss;
4. Dysmenorrhoea membranacea ist eine häufige, nur oft
übersehene Erkrankung.
Indikationen zur Fettanreicherung der Säuglings¬
nahrung durch Pflanzenfette spec. Cacaofett.
Von Dr. Reinach, Kinderarzt in München.
Sowohl die klinischen Erfahrungen, wie die chemischen
Untersuchungen haben ergeben, dass für das Kind im ersten
Lebenjahre, als auch in der weiteren Entwicklung, das Fett der
wichtigste Nahrungsbestandtheil sein muss. Vor Allem ist es
unter den Nährstoffen der concentrirteste. Die in gleichen
Theilen Fett, Eiweiss und Kohlehydraten auf gespeicherte En¬
ergie steht im Verhältniss von 2,4:1,8:1 (Zuntz). Nach
U ffelmann und Munk hat man 1 g Eiweiss oder Kohle¬
hydrat zu 4,1 Calorien, 1 g Fett zu 9,5 (Jalorien berechnet. Es
bildet also das Fett die ergiebigste Wärmequelle für den Orga¬
nismus. Ferner wird durch Fett und auch durch Kohlehydrate
der Eiweissumsatz beschränkt.
Was nun die Ausnutzbarkeit der Fette im ersten Lebens¬
jahre betrifft — von diesem soll vorerst ausschliesslich die Rede
seiu •— so kommt hier naturgemäss die des Milchfettes in Be¬
tracht. Uf felmann findet im Stuhl 9—12—25 Proc. des
Nahrungsfettes. Biedert erwähnt Fälle, wo sich nur 1,24
bis 1,88 Proc. findet, ja einen Fall, wo die Vermehrung des
Fettes um 12 g pro die den ganzen Trockenkoth nur um 1,7 g
steigert, ln zwei Fällen meiner Untersuchungen bezüglich Aus¬
nützung des Rahmgemenges fand sich 1 resp. 5 Proc. Bekannt¬
lich haben unsere Milchmischungen im Vergleich mit der natür¬
lichen Säuglingserniihruug, der Muttermilch, zu wenig Fett.
Man hat nun verschiedene Verfahren zur Fettvermehrung er¬
dacht, sowohl durch Rahmzusatz als durch Milchzuckerzusatz.
Nach lleubner-Hofmann wird die Kuhmilch mit
gleichem Volum einer Lösung gemischt, welche 60 g Milchzucker
auf 1 Liter Wasser enthält. Es soll also der durch Wasserver¬
dünnung entstehende Mindergehalt der Nährflüssigkeit des
Säuglings an Fett, welcher ¥.i des Fettgehalts Soll beträgt, durch
das entsprechende dynamische Aequivalent Milchzucker ersetzt
werden. Bei genauer Berechnung zeigt sich aber, dass das Kind
nach dem H e u b n e r’scheu Verfahren immer noch zu wenig
Fett und viel zu viel Milchzucker erhält. Dies ist aber nicht
gleiehgiltig, wenn man die hohe Bedeutung des Fettes für die
Verdauung, abgesehen von anderen physiologischen Verrich¬
tungen im Organismus, würdigt. So dürfte mit grosser Wahr¬
scheinlichkeit der hohe Milchzuckergchalt bei Entstehung der
Rachitis durch Bildung abnormer Mengen Milchsäure eine Rolle
spielen. Fett wird am besten wieder durch Fett ersetzt. Ein im
Emulsionszustand befindliches, genau zu dosirendes Fett würde
zur Deckung des Fettmaucos bei unseren Milchverdünnungen
am besten passen. In Bicdert’s Rahmgemenge- Gärt-
nersche Fettmilch etc. basiren nur auf Biedert’s Gedanken
— haben wir den Weg, den Fettgehalt der Milch beliebig, d. h.
nach Bedarf bis zu 3,3 oder 4 Proc. zu erhöhen neben Reducirung
des Ei weissgeh altes. Pflanzenfette als Ersatz des Milchfettes
kommen in Verwendung bei der vegetabilischen Milch. In den
ersten 5 Monaten gibt cs kein zwcckmässigeres Verfahren als das
Bieder t’sche bei geeigneter Indieationsstellung. Nun gibt es
aber Fülle, wo aus äusseren Gründen die Herstellung des Rahm¬
gemenges nicht möglich ist, wo eine Herstellung im Grossen
nicht zu haben oder auf Reisen, wo frische Milch fehlt. Für
diese Fälle scheinen die Pflanzenfette eine nicht zu unter¬
schätzende Rolle zu spielen. Die Lnhmnn n’sche vegetabilische
Milch wird von einzelnen Seiten sehr gelobt, hat aber den Nachtheil
aller Konservenpräparate. Ein anderes zu beachtendes Pflanzen¬
fett bildet der Inhalt der Caeaobohne: die Cacaobutter. Letztere
ist in unseren Chocoladearten mit Zucker verarbeitet. Eines der
besten und ein absolut reines, d. h. frei von mehligen und Gewürz¬
substanzen hergestelltes Produkt ist die Prof. v. M e r i n g’sehe
Fettehokolade.
4
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1448
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
Die chemische Untersuchung derselben ergab 99,06 Proc.
Trockensubstanz, darunter 4,405 Proc. Eiweiss und Alkaloid,
20,97 Proc. Fett, 72,44 Proc. N-freie Substanzen.
Von der erwiesenen Thatsaehe ausgehend, dass die Verdau¬
lichkeit der Fette mit deren Emulsionsfähigkeit wächst und
diese erhöht wird durch Gehalt an freien Fettsäuren, hat Prof,
v. M e r i n g eine Chokolade herstellen lassen, deren Cacaobutter
mit Oelsäure verbunden ist.
Nach vorausgegangenen Versuchen am Thiere über die Ver¬
daulichkeit der Cacaobutter im Vergleich mit anderen notorisch
leicht verdaulichen Fetten, speciell über den günstigen Einfluss
auf die Emulgirbarkeit durch Zusatz geringer Mengen von Fett¬
säure hat Zuntz durch einen Selbstversuch die relativ hohe
Ausnutzung der Fettchokolade festgestellt. Von 96.46 Proc. Fett
der aufgenommenen Fettmenge erscheinen im Stuhl 4,416
= 4,88 Proc.
Von dem guten Emulsionszustande kann man sieh leicht
überzeugen, wenn man das im Aetherültrat zurückbleibende
Cacaofett mit einer 0,3 proc. Sodalösung in Berührung bringt.
Ausserordentlich feine Fetttröpfchen erkennt man mikroskopisch
in dieser Emulsion. Instruktiv in dieser Beziehung ist der Ver¬
gleich mit der gewöhnlichen Chokolade des Handels.
Für die Heranziehung der Fettchokolade zur Säuglings-
emährung gilt es in erster Linie festzustellen: Wie wird im
zarten Säuglingsdarm das Fett verdaut und ausgenützt, wie ver¬
halten sich die übrigen Hauptbestandteile der Chokolade be¬
züglich ihrer Resorption und Verdauungsmöglichkeit.
Zur ersteren Frage genügt es selbstredend nicht, eine kurze
Periode zu untersuchen; eine mindestens vierwöchentliche Be¬
obachtungszeit in klinischer und teilweise chemischer Be¬
ziehung kann uns nur ein einigermaassen sicheres Urtheil geben,
denn gerade die dauernde Toleranz der kindlichen Verdauungs¬
organe beweist die Güte eines Nährmittels.
In der Literatur habe ich nur zwei Arbeiten entdeckt, die
sich mit unserer Frage beschäftigen.
B e n d i x hat bei Ausnützungsversuchen bei einem 4 Vs jähr.
Kinde Milchfett und Cacaofett gleich ausnützbar gefunden.
Unter B e n d i x’s 14 Krankengeschichten finde ich ein
9 Monate altes Kind, und ein einjähriges, die bis zu 55 g Clioco-
lade täglich erhielten.
Die Ausnützung ist hier nach dem Gewicht berechnet, das
bei dem 9 monatlichen in 12 Tagen um 1 Pfund zunimmt. Leider
ist die genaue Angabe der Beikost etc. nicht erwähnt, so dass
man sich kein genaues Urtheil über die Ausnützung bilden kann.
Hauser hat Vergleichsversuche über die Ausnützung des
Leberthran, Lipanin und Fettchokolade angestellt. Er hat in
einet grossen Reihe von Fällen die Milchnahrung bezüglich ihres
Fettgehaltes durch Beigabe von obigen Fetten erhöht und kommt
zum Resultat, dass die Fettchokolade am liebsten genommen
wird, dass die Gewichtszunahme stetig, oft kolossal ist, auch bei
destructiven Processen in der Lunge und Abdominalorgancn.
Er kommt zum Schlüsse, dass die Cacaobutter offenbar ein vor¬
züglich verdauliches und gut auszunützendes Fett ist.
Unter seinen 5 Stoffwechelversuehcn findet sich ein 6 Mo¬
nate altes Kind. Dasselbe erhielt 4 Wochen lang täglich 3 mal
je 15 g Chokolade und dann 5 X 35 = 75 g Chokolade = 16,75 g
Cacaobutter.
Die Ausnützung der 75 g ergibt Trockensubstanz 13.06,
Aotherextract 1,379 g; proceutualisch ergibt sich 10,69 Pro.-.
Fett, d. h. procentuale Menge Fett im Troekenkoth.
Bei dem gleichen Kinde die Ausnützungsmenge des Milch¬
fettes 10,65 Proc.
Bei einem 114 jährigen Kinde mit 45 g Chokolade pro die
= 10,5 g Cacaobutter erscheinen im Stuhl 22,78 Proc.
Weitere Fälle füFs erste Lebensjahr habe ich nicht finden
können. Leider ist auch bei diesen nur die Zahlenangabe für
1 Versuch gemacht. Ich habe nun selbst bei 2 Kindern (ein 6
und ein 9monatl.) Ausnützungsversuche und zwar bei Kind 1
während 2 Perioden anzuführen.
Dieses Kind habe ich fast seit der Geburt in Beobachtung.
Es ist mit Milch und lteiswasser aufgezogen, ln den entsprechenden
Mengen, ohne recht zuzunehmeu. Dabei rachitisch und mit
Laryugospasmen behaftet. Näheres unten Fall IV.
Ausnützungsversuch zerfällt in 2 Perioden.
1. vom 11.—IC. Januar. Nachdem durch Wochen vorher
gehender Beobachtung die fast stete gleiclnnässige Beschaffenheit
und Konsistenz der Stühle festgestellt war, schien das Kind ge¬
eignet, da mir so die Stühle vollständig von der sehr verständigen
Mutter aufgefangen werden konnten, ohne wesentliche Gewichts¬
verluste.
11. I.
Datum
Gesammtmenge
Trockensubstanz
Wasser
Fett
Januar
g
in Procenten
11.
14,30
55,85
44,65
6,52
12.
48,3
38,39
61,61
9,40
13.
22,2
58,19
41,81
5,79
14.
22,4
35,74
64,26
7,90
15.
66,5
30,22
69,78
3,44
16.
31,5
35,82
64,17
5,23
Es werden ausgeschieden
in Gramm:
Datum
Trockensubstanz
Fett
Januar 11.
7,915
0,78
12.
18,54
4,54
13.
12,92
1,28
14.
8,0
1,76
15.
29,10
2,28
16.
11,29
1,64
II. Periode von Kind I.
Februar
1. | 2. | 3.
4.
Gesammtmenge ...
28,5 61,00
50,25
15,00
g % g I %
g %
g °/o
Wasser..
19,1 66,98 46,58 76,36
39,63 78,86
7,44 49,6
Trockensubstanz ..
9,4 33,02 14,42 23,64
10,62 21,14
7,56 50,4
Fett.
1,48 5,22 3,07 5,04
5. F e 1) r u a r:
2,29 4,57
3,10 20,71
Gesammtmenge Wasser Trockensubstanz Fett
59,7 g 42,3Gg 70,96% 17,34 g 29,04% 2,19 g 3,67%
Fall II.
Datum
Qeiammt-
menge
R
Wasser
R I %
Trockensubstanz
R 1 %
Fett
r i
11. II.
43,15
41,86
97,00
1,29 |
3,00
n
0,129:
03
12. II.
18,0
11,05
61,31
6,95
28,65
0,32
13
13. II.
10,75
8,39
77,94
2,36 !
27,06
0,13
138
14. U.
18,2
11,94
65,59
6,26
84,41
0,84
13
15. II.
21,3
14,15
66,42
7,15
33,58
0,39
136
Dieses Kind, M. J., ist im Alter von 14 Tagen mit Gewicht von
2700 g bei mir in Behandlung getreten. 19. V. 1899. Nach wieder¬
holten dyspeptischen Perioden betrug das Gewicht 2. IX. 3450 g bei
Itahmgemeuge I und Kufekesuppe.
23. XII. Gewicht 4380 g bei 130 ccm Rahm und 500 Milch mit
3«/, proc. Fettgehalt und 300 Kufekesuppe.
4. II. Beginn der Chokoladeperiode mit 32 g pro die und
Nahrung wie 23. XII.
10. II. Gewicht 4860 g. 16. II. 4980 g. 1. V. 6700 g. 45 g
Choeolade. — 1 Jahr alt.
Das Kind I erhielt pro Tag ln seiner Milchmenge 21 g Fett,
durch die Chokolade 7,42 g, zusammen 28,24 g Fett. Davon er¬
schienen ln deu Stühlen der I. Periode durchschnittlich 2,046 g.
der II. Periode durchschnittlich 2,42 g oder 2,842 der Trocken¬
substanz.
K i n d II. 30 g in der Milch,
7,24 g in der Chokolade
37,24 g pro die. Davon erscheint als Darchschnitt
von 5 Tagen 0,26 g ira Stuhle.
Beide Fälle geben eine recht gute Ausnützung des Fettes,
sowohl Milch- wie Chokoladefettes.
Zusammengehalten mit B e n d i x’s und Hauscr's Fällen
lassen sich sehr wohl aus der zwar geringen Anzahl von Unter¬
suchungen Schlüsse ziehen.
Eine grosse Anzahl von Untersuchungen rein chemischer
Natur anzustellen, unterliegt erheblichen Schwierigkeiten; denn
um ein Bild des dauernd Normalen zu erhalten, muss das Kind
in seinen gewohnten Verhältnissen bleiben. Ein Unterbringen
im Trockenbett oder in eigens konstruirten Aufsaugapparnten
— theoretisch das Beste — wird beim Kind nach kurzer Zeit
Dyspepsien event. dünne Stühle und damit veränderte Aus¬
nützung ergeben. Man wird also stets darauf angewiesen sein,
von der Mutter oder Wärterin in deu Windeln die Fäoes auf-
lieben zu lassen. Tn Folge dieser Seh\yierigkeiten liegen bis jetzt
auch nur ganz wenig oxnetc Stoffwechsel versuche, vor für diese?
zarte Alter.
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10. September 1901.
Um desshalb, diesen erschwerten Verhältnissen entsprechend,
möglichst genau sein zu können, muss man bei denselben Kindern
stets eine Reihe von Tagen beobachten und dann den Durch¬
schnitt nehmen, so werden Gewichtsverluste cinigermaasson vom
ersten und letzten Tag ausgeglichen. Denn ein Abgrenzen mit
Kohle oder Preisselbeeren oder Kindermehl etc. ruft sofort dys¬
peptische Erscheinungen hervor.
So wird es denn stets die klinische Beobachtung in erster
Linie sein müssen, die uns ein Bild von dem Werthe und der
Brauchbarkeit eines Nährmittels gibt.
Bei unserem Urtheile haben wir neben den Gewichtsnotizen
mikroskopische Stuhluntersuchungen, Reaktion der Fäces, Zahl,
Farbe, Consistenz zu bringen. Des Weiteren muss das Allgemein¬
befinden der Kleinen zum Urtheil herangezogen werden, der
äussere Zustand des Abdomen, Auftreten resp. Beeinflussung
anaemischer und rachitischer Symptome.
Wenn wir an einer grösseren Reihe von Fällen alle diese
Punkte berücksichtigen, dann werden wir an der Hand von
Krankenberichten genaue Indicationen stellen können für An¬
wendung eines Präparates.
Vorausschicken möchte ich, dass ich die Fettchokolade nur
als Zusatznährmittel zur Milch in Anwendung gezogen,
um stärkere Fett- und auch Kohlohydratzufuhr zu ermöglichen.
Wie bekannt und wie auch ich in einer Abhandlung nach¬
gewiesen, gelingt es in den meisten Fällen bei vorsichtigem
Tasten mit kleinen Milchmongen, eventuell unter Korrektion
durch Rahm etc. Klippen in der Ernährung schwacher Kinder
zu überwinden.
Nur einzelne Gruppen von Fällen machen der Anwendung
von Milehbestandtheilen über einen gewissen Procentsatz hinaus
Schwierigkeiten.
I. Fälle, bei denen bei Ernährung mit Rahmgemenge oder
anderen Milchmischungen von 2—3,3 Proc. Fett und 1—2,5 Proc.
Eiweiss eine saure Dyspepsie auftritt, d. h. nachdem die Stühle
bei einem Fettgehalt von 1—2 Proc. gelbgebunden waren und
alkalisch oder neutral reagirten, treten bei Uebergang zu höherem
Fettgehalt weniger gebundene, noch gelbe, riechende, saure
Stühle auf. Das Gewicht der Kinder steht still oder sinkt. Der
gewohnte Schlaf bleibt aus in Folge Schmerzen durch Gasbil¬
dung etc.
Mikroskopisch zeigen sich grosse Fettkugeln und Lachen.
Derartige Fälle sind noch nicht zur Fettdiarrhoe zu rechnen.
Dieselben stellen Uebergangsformen dar und werden am besten
als saure Fettdyspepsie bezeichnet.
Hier lässt sich durch Zusatz von Fettchokolade ein höherer
Fettgehalt der Milchmischung erzielen bis zu 4 Proc. und Auf¬
treten von wieder schwach sauren Stühlen. Bedingung für das
Gelingen der Chokoladeanwendung in diesen Fällen ist:
1. bei Auftreten der sauren Dyspepsie erst kurze Zeit eine
indifferente eventuell mehlige Nahrung zu geben;
2. neben der Fettdyspepsie darf nicht gleichzeitig eine Dys¬
pepsie gegenüber Kohlehydraten bestehen. Ueber letztere wird
eine eingehende Stuhluntersuchung Aufschluss geben.
Bei sauren, spritzenden Stühlen darf sonst nie eine An¬
wendung der Chokolade erfolgen, ebenso bei spritzenden, stark
alkalischen Stühlen habe ich Misserfolge gehabt.
Obige Toleranz gegenüber Pflanzenfetten — im Gegensatz
zu der gegenüber Milchfett — dürfte theilweise dem vorzüglichen
Emulsionszustand der Chokolademischung zuzuschreiben sein.
II. Die chronischen Enteritiden mit schleimig-alkalischen
Stühlen bieten das klassische Feld für Fettanreicherung der
Nahrung. Hier tritt vor Allem B i e d e r t’s Rahmgemenge in
seine Rechte.
Wie Jeder weiss, gibt es aber Familien, wo für gute Milch-
gewiunung die Mittel nicht vorhanden oder aus anderen äusseren
Gründen ein Abschöpfen des Rahmes und Mischen nicht mit der
nöthigen Genauigkeit hergestcllt werden kann, oder Rahm-
gcnicugc und Fettmilch im Grossen nicht erhältlich. Für diese
Fülle empfiehlt sich Fettehokoladezusatz.
Die sonst vorzügliche Rahmkonserve dürfte nur für gut-
siluirtc Leute passen.
III. Eine weitere grosso Grupj>e für Chokoladeauwcndung
bieten Fälle, wo bei normaler Verdauung mit dem anwendbaren
Milehquantum eine Zunahme nicht erzielt wird, wo aber eine
grössere Flüssigkeitsmenge zur Magcnatonie führen müsste.
1449
Dabei wird ein Zusatz von Fettchokolade eine concentrirtere
Nahrung darstellen.
IV. Ferner bei rachitischen, skrophulösen kleinen Säuglingen
oder bei reeonvalescenten Kindern nach Infektionskrankheiten,
Pneumonien etc.
Da sieht man oft ein stärkeres Fettpolster in verhältniss-
miissig kurzer Zeit entstehen und damit eine Hebung des All-
gemoinzustandes.
»Selbst Monate hindurch blieb die erweiterte Grenze für Fett-
ri sorption erhalten.
Der etwas grosse Zuckergehalt in unserem Präparat, der im
zweiten Halbjahr, wo die Grenze der Kohlehydratverdauung resp.
Abnützung eine weitere ist, wesentlich mit zur Anbildung dient,
scheint in den ersten 3—4 Lebensmonaten eine Anwendung der
Chokolade nur mit grosser Reserve zuzulassen. Die Stühle zeigen
hier bei Jodzusatz starke Blaufärbung, reagiren sauer und sind
sehr copiös. Dabei tritt gleich in den ersten Tagen Unruhe des
Kindes, Flatulenz, Auftreibung des Abdomens und am 2. oder
3. Tag bereits diarrlioischer Stuhl auf.
Für den nicht mehr ganz jungen Säugling ist der höhere
Zuckergehalt als Nährwerth wesentlich in Betracht zu ziehen.
Allerdings heisst es auch hier beobachten, um eine beginnende
Gührungsdyspepsie hintanhalten zu können.
Einen nicht zu übersehenden Körper enthält die Choko¬
lade in dem Theobromin. einem Xanthinkörper, ein für das
Wachsthum der Zellen wichtiger Bestandteil.
Die Ausnützung der stickstoffhaltigen Substanzen findet
nach Bend ix bis 68 Proc. statt; nach Cohn 53,7 Proc.
Die Menge der erträglichen Chokolade muss aus Beobach¬
tung des Verdauungstraktus etc. herausgefunden werden. Ich
habe von 16—45 g pro die angewandt (Hauser und Bendix
gehen noch darüber hinaus). Da die Einteilung in kleine und
kleinste Tafeln gewählt ist, so lässt sich genau der procentua-
lischc Gehalt von X-haltiger und N-freier Substanz für den ein¬
zelnen Fall dosiren.
Nach ca. 3—4 Wochen tritt eine gewisse Antipathie gegen
den Chokolndegesehmnek auf. die ein Aussetzen des Präparates,
aber meist nur für kürzere Zeit nötig macht.
Die Stühle wurden meist copiös, braun, etwas seifig glän¬
zend. Eine bestimmte Reaktion Hess sich nicht konstatiren;
bald sauer, bald alkalisch, bald neutral. Es scheint neben der in
bestimmten Fällen vorhandenen Ausnützung der einzelnen Be¬
standteile hiebei auch die beigegebene Kost mitzusprechen;
mitunter war der reine gelbe Milchkoth getrennt vom braunen
Theil.
Der von Hauser beobachteten Thatsache der Umwandlung
diarrhoischcr Stühle in konsistente kann ich nur bei oben sub I
erwähnter kleinerer Gruppe beistimmen.
Den Hauptnähreffekt habe ich bei vorher bereits normaler
Verdauung gesehen, wenn eine Dyskrasie oder vorhergegangene
Infektionskrankheit den Ernährungszustand zur Reduktion
bringt.
Eher zeigte sieh, besonders bei Anwendung sehr kleiner
Dosen, eine Neigung zur Obstipation, vornehmlich bei Beginu
der Chokoladeernährung.
Die Gewichtszunahmen sind oft sehr grosse, mitunter
sprungweise.
Aus meiner nunmehr 6 jährigen Erfahrung mit Fettehoko-
lade seien einige typische Fälle bezüglich Gewicht angeführt:
No.
Alter und frühere
Nahrung
Nahrung jetzt
, Gewicht
I.
3'/i Monat.
•24. II - 27, III. 1/2 M. V» W.
24. n. 4680 g.
Mehl, Milch.
-f- MZ 2 X Lipanin.
27. n. 4700 g.
27. 11. -}- 32 g Chokolade.
12. IV. 5700 g.
12. IV. 700 M. 300 W. 30 MZ.
28.1V 6120 g.
32 g Chokolade
11 .
4 Monat.
(28. II. 11 Fettmilch-f 35 MZ
28.11. 3600 g.
30. III. +16 g Chokolade -f
12. III. 3800 g.
125 Vollmilch.
z9.HI. 3900 g.
•20. IV. -4- 32 g Chokolade -4- 3. IV. 4185 g.
250 Vollmilch.
20. IV. 4800 g
4. VI. 11 Vollmilch 32 g Clio- 20. V. 5100 g
kolade 35 MZ. j
15. VI. 5560 g.
4*
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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1450
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
xj Alter und frühere
m Nahrung
Nahrung jetzt
Gewicht
III.
3 Monat.
Kindermehl,
Fettmilch,
Gerstenschleim
etc.
19. VHT. 135 M. -f 270 W. -f
30 MZ.
27. VIII. 510 M. -f 300 W. 4
30 MZ.
4. IX. 500 M + 16 g Chok.
4- 300 W.
15. IX. 700 M. -f 300 W. 45 g
Chokolade -f 30 MZ.
19. VIH. 2800 g.
24. Vin. 2890 g.
i IX. 2990 g.
15. IX. 3290 g.
22. IX. 3530 g
26. X. 4440 g.
IV.
5 Monat.
Mehlbrei, Milch.,
29. XII. 16 g Chokolade.
7. IH. 32 g Chokolade.
3. XII 4300 g.
28. XII. 4500 g.
10.1. 4830 g.
12. II. 5310 g.
27. UI. 5950 g.
V
5 Monat.
Mehlnahrung
Seit 1. IV. Chok. 16 g pro die
auf 425 ccm M. -f- 200 W.
•26. IV. 32 g Chok. 4 11M.
pro die.
29. XI 48 g Chokolade.
20. III. 3660 g.
24. III. 3430 g.
24. IV. 4050 g.
4. VI. 5050 g.
29. XI. 8010 g.
VI.
6 Monat.
Mehl, Milch,
Suppe. i
24. XI. Rahmgemenge I -f 24. XI. 5000 g.
2 X je 16 g Ch. 4- 125 M 30. XI. 5370 g.
29. XI. R. I + 250 M. -f 2. XII. 5520 g.
500 W. 32 -45 g Chohol. 29. XII. 6100 g.
Der von anderer Seite hervorgehobene günstige Einfluss der
Chokoladcemährung auf rachitische Processe ist wohl nur so zu
verstehen, dass bei Gelingen einer dauernden Hebung des Er¬
nährungszustandes auf diese Weise auch der chronische Krank¬
heitszustand der Rachitis günstig beeinflusst wird.
Literatur.
1. Arch. f. pnth. Anatomie u. Pliysiol. v. Virchow, Bd. 95. H. 3,
1SS4. — 2.•Zeitsehr. f. klin. Med. 1892, Bd. 20, H. 3. — Intern,
kl. Rundschau 1893, III. — 4. Wiener med. Woclienschr. 189G, 12.
— 5. Therapeut. Monatsli. 1895, 7.
Aus dem bakteriologischen Laboratorium der Universitäts-
Frauenklinik (Prof. Dr. Dödcrlein) in Tübingen.
Experimentaluntersuchungen über Händedesinfektion.
Von
Dr. phil. et med. Th. Paul und Dr. med. 0. Sarwey,
a o Professor für analytische a. o I’rofes or u. Assistenzarzt
und pharmaccutische Chemie. a d. Univ.-Frauenklinik
(Fortsetzung.)
2. Unsere Versuchsanordnung.
In der 6. Abhandlung") unserer Experimentaluntersuch¬
ungen über Iländedcsinfektion haben wir nachgewiesen, dass die
unter Anwendung eines unschädlich machenden Reagens, bei
Verwendung des Sublimates also des Schwefelammoniums, vor¬
genommene bakteriologische Prüfung des Effektes einer Desinfek¬
tionsmethode nur deren Minimalleistung darstellt, und dass wir
andererseits die Maximalleistung erhalten, wenn wir auf die Fäl¬
lung des Sublimates verzichten ' 3 ). Aus theoretischen und prak¬
tischen Gründen hielten wir es für wünschenswerth, den
Desinfektionseffekt der P. Fürbringe Fachen Händedcsinfek-
tionsmethode nach beiden Richtungen hin, ohne und mit Aus¬
füllung des Sublimates, festzustellen.
Die einzelnen Abschnitte unserer Versuchsanordnung gestal¬
teten sich-demnach in zeitlicher Aufeinanderfolge in nachstehen¬
der Weise:
1. Prüfung des Keimgehaltes der Tageshände vor der Des¬
infektion.
2. Ausführung der Desinfektion und Eingehen der mit Sub¬
limatlösung benetzten Hände in den „sterilen Kasten“. Von hier
ab erfolgen alle Manipulationen im sterilen Kasten.
3. Abspülen der Hände mit sterilem Wasser.
4. Prüfung des Keimgehaltes der desinfizirten Hände.
5. 10 Minuten langes Baden, der desinfizirten Iliinde in circa
37,5" C. warmem sterilem Wasser.
0. Prüfung des Keimgohaltes des Badewassers.
7. Prüfung des Keimgehaltes der gebadeten Hände.
8. 5 Minuten langes Scheuern der Hände mit Sand in circa
37,5° C. warmem sterilem Wasser.
”) Münch, med. Wochensohr. 1901. No. 12.
• s » Vergl. auch C. S. II a e g 1 e r: Iländereinigung, Iliinde-
desiufektion und Hiindesehutz. Basel 1900. S. 135.
No. 37.
9. Prüfung des Keimgehaltes dieses zweiten Badewassers und
des benutzten Sandes.
10. Prüfung des Keimgehaltes der mit Sand gescheuerten
Hände.
11. 5 Minuten langes Baden der Hände in ca. 37,5° C.
warmem sehr verdünntem wässerigem Schwefelammonium.
12. Prüfung des Keimgehaltes der mit Schwofelammoniuni
behandelten Hände.
Abweichend von unserer früheren Versuchsanordnung haben
wir bei den folgenden Untersuchungen zur Keimentnahme nicht
nur harte sterile Hölzchen (in der Mitte du rehgebrochene Zahn¬
stocher), sondern auch die von C. S. II a e g 1 e r zu diesem
Zwecke empfohlenen Seidenfäden benutzt. Obwohl wir
auf Grund unserer vergleichenden Untersuchungen 5 *) über die zur
Keimentnahme von den Händen gebräuchlichen Methoden —
Fingereindruckmcthode, Hölzchenmethode, Seidenfadenmethodo
— zu dem Resultat gekommen waren, dass der Hölzchenmethode
vor den beiden anderen Verfahren im Allgemeinen der Vorzug
zu gehen ist, da sie nicht nur eine vollkommen gleichmäßige
Bearbeitung der gesninmten Hautoberfläehe, einschliesslich der
Unternagelräuine und Nagelfalze, und eine gesonderte Entnahme
der Keime von den einzelnen Theilen der Hände gestattet, sowie
das Abstreifen der fest und tief zwischen den Runzeln und
Fältchen der Haut liegenden Dauerkeime ermöglicht, haben wir
doch neben den Hölzchen auch die Seidenfäden verwendet, weil
uns von verschiedenen Seiten der Vorwurf gemacht worden war.
dass die Entnahme der Keime mit den harten, spitzigen Hölzchen
nicht den klinischen Verhältnissen entspräche. Da sich in dieser
Beziehung gegen die Verwendung der Seidenfäden nicht das Ge¬
ringste einwenden lässt, und diese Art der Prüfung, wie wir
uns durch zahlreiche weiten* Kontrolversuche überzeugt haben,
für gewisse Theilo der Hände ebenfalls sehr brauchbar ist,
führten wir die Keimentnahme in der Weise aus, dass wir
für die Handflächen und Subungualräume
Seiden fäden und für die N a g e 1 f a 1 z e wie bis¬
her die Hölzchen verwendeten. Auf die Keimenl-
nahme mit dem scharfen Löffel, welchen wir bei unseren ersten
Untersuchungen am Schluss der Prüfung benutzten, haben wir
mit Rücksicht auf jene Einwände gänzlich verzichtet.
Ferner brachten wir nieht'wie bisher die zur Keimentnahnie
benutzten Hölzchen bezw. Seidenfäden zuin Lösschütteln der
Keime in Probirröhrchon mit je 3 cem Wasscr, sondern in solche
mit Bouillon. Hierzu veranlasste uns folgende Ueberlegung.
Das Sublimat tödtet in 1 prom. Lösung die vegetativen Formen
der Bakterien schon in kurzer Zeit ab, so dass es sehr wahr¬
scheinlich ist, dass diejenigen Keime, welche nach erfolgter
Fürbringe r’scher Desinfektion, ohne nachfolgende Behand¬
lung der Hände mit Sehwefelammonium, auf den mit Sublimat
verunreinigten Nährböden Kolonien bilden, auf irgend welche
Weise vor der Einwirkung der Sublimatlösung geschützt blieben
und als volllebondigo Individuen ihre Entwickelung trotz des
Quecksilbergehaltes des Nährbodens fortsetzton. Würde man
diese Keime nach der Entnahme von der Haut, in Wasser bringen,
welches gleichzeitig mit übertragenes Sublimat enthält, so könnt'!
letzteres die Keime noch nachträglich vernichten oder doch schä¬
digen; bringt man dieselben aber gleichzeitig mit dem mitüber¬
tragenen Sublimat in Bouillon, so erleidet das Sublimat in
dieser eine solche Umwandlung (vergl. die vorige Abhandlung)
in andere viel weniger giftige Quecksilberverbindungen, dass eine
nachträgliche Abtödtung oder Schädigung der Keime innerhalb
der Versuchszeit nicht mehr zu befürchten ist“). Diese Ver-
suclisanordnung passt sich auch insofern den praktischen Ver¬
hältnissen vollkommen an, als die Hände bei Operationen stets
mit Blut und anderen, organische Stoffe in grosser Menge ent¬
haltenden, Körperflüssigkeiten in Berührung kommen, an welche
sie gleichzeitig Keime und Sublimat abgeben.
Die Anwendung der Bouillon logt auf der anderen Seite die
Gefahr nahe, dass sich die Keime beim längeren Stehen im blut¬
warmen sterilen Kasten bzw. im Zimmer vermehren könnten, wo-
3i ) Vergl. unsere 3. Abhandlung: Münch, med. Wochensehr.
1900. No. 27.
Ä ) Ausserdem Ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass
gewisse Hauthacterien ln der I-Iaut als Sporen oder sporenähnliche
Dauerformen vorhanden sind, welche auch in reinwässeriger
Lösung dem Sublimat Widerstand leisten würden. Diese Frage
soll von uns gelegentlich experimentell erledigt werden.
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10. September 1901.
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1451
durch ein grösserer Keimgehalt der Hände vorgetäuscht worden
würde. Diesem Uebelstand haben wir durch ein besondere Ein¬
richtung unseres sterilen Kastens vorgebeugt, welche es er¬
möglicht, die Bouillon mit den Keimen auf einer Temperatur
von ca. 8—10° C. innerhalb des ca. 38—40° C. warmen Kastens
zu halten. Zu diesem Zwecke befindet sich an einer Seite des
Kastens ca. 2 cm über dessen oberem durchlochtem Boden ein
langer Blechtrog mit doppelten Wänden, der mit Wasser ange¬
füllt ist, und in welchem die je 3 ccm Bouillon enthaltenden
Reagensröhrchen stellen. Um ein Umfallen der Röhrchen zu
verhindern, sind innerhalb des Troges zwei durchlochte Blech¬
einsätze angebracht, deren Löcher mit einander korrespondiren
und die Röhrchen aufnehmen. Der Zwischenraum zwischen den
doppelten Wandungen des Troges wird beständig von Wasser¬
leitungswasser durchströmt, welches zuvor durch ein, in einem
mit Eis gefüllten Gefäss liegendes, bleiernes Schlangenrohr fliesst
und dadurch stark abgekühlt wird. Fig. 1 stellt den mit diesem
Troge versehenen sterilen Kasten und Fig. 2 die Anordnung
der Apparate während des Versuches dar 36 ). Die Erfahrung hat
gelehrt, dass die Temperatur des im Troge befindlichen Wassers,
so wie diejenige der in den Röhrchen befindlichen Bouillon circa
8—10 6 C. beträgt, wenn das abfliessende Wasser eine Temperatur
von ca. 5—6° C. hat. Während des Aufenthaltes im Zimmer
wurden die Bouillonröhrchen in Eiswasser gestellt.
Fig. L
' Jk ’ “ ' 7
A . /
i y
Steriler Kas tcn /.ur hak t eri ologischen Priifung de sin fiel rter littndc
nach Th. I’anl und O Sarwcy mit Kühlvorrichtung, um <lic Ent¬
wicklung der in die Hon ill on roh rch e n gebrachten II an t bn k t eri c »
während des Aufenthaltes im warmen Kasten zu verhindern,
hie llouillonröhrchcn stehen in dem an der linken Seitenwand befindlichen mit
Wasser gefüllten Troge, zwischen dessen doppelten Wandungen ein Strom kalten
Wassers cireulirt. Die AusiiussöfTimng für das Kühlwasser befindet sieh an der
Rückseite des Kastens und ist deshalb in der Zeichnung nicht sichtbar. Während
ile« Gebrauches wird der vorher durch Auskochen sterilisirte Kasten durch die
in der Abbildung an der einen Reite herausgezogene Glasplatte bakteriendicht
verschlossen. Die seitlichen Oeffnungeu dienen zum Einfuhren der Hände;
doppelte Leinwaiidmanschetteii ermöglichen auch hier einen hakteriendiehten
Verschluss.)
Unter diesen Umständen ist ein Auskeimen der in der
Bouillon befindlichen Hautkeime innerhalb der Versuchsdauer
nicht zu befürchten. Haben ja doch unsere in der 5. Abhandlung
beschriebenen Versuche ergeben, dass die Entwicklung noch bei
Zimmertemperatur sehr träge vor sich geht und mehrere Tage
in Anspruch nehmen kann.
Ferner wollen wir bei dieser Gelegenheit noch die Abbildung
(Hg. 3) eines Apparates bringen, den wir bei der in unserer
S. Abhandlung beschriebenen bakteriologischen Untersuchung der
Hände nach vorausgegangener mechanischer Desinfektion mit
htissem Wasser, Schmierseife und Bürste benutzten, und welcher
von uns bei allen Waschungen mit sterilem Wasser angewendet
**) Die in dieser Abhandlung beschriebenen Apparate werden
von der Finna Dr. Hermann Rohrbeck, Fabrik bacterio-
logischer, chemischer und technischer Apparate, Berlin NW, Karl-
Strasse 20 a, angefertigt und vorrttthig gehalten.
wird. Derselbe besteht aus einem runden Gefäss aus starkem
Zinkblech von 40 cm Durchmesser und 20 cm Höhe, welches
mit einem enganschliessenden ca. 10 cm übergreifenden Deckel
verschlossen werden kann. Das Waschwasser mit Bürste wird
in dem Behälter selbst durch halbstündiges Kochen sterilisirt
und bleibt mehrere Tage keimfrei. Der Apparat bietet den
Vortheil, dass der obere äussere Rand durch den ausströmeuden
Dampf ebenfalls sterilisirt wird.
Fig. 2. . .
//*//" /fr-/fi rj
Anordnung der Apparate bei der bakteriologischen Prüfung der
mit Q neckst1 b c r vc r b i n d u n g e n d e s i n f i e i r t e n Hände.
(Oie Vorrichtung hat den Zweck, die Entwickelung der in die Bouillonrührehcn
gebrachten Hantbakterien während des Aufenthaltes im wurmen sterilen Kasten
durch Abkühlung zu verhindern. Das Wusserleltnngswasser flicsst zunächst durch
ein bleiernes Sehlangenrohr, welches in dem mit Eis gefüllten Kühlkasten liegt,
durehströmt dann den äusseren Mantel des im sterilen Kasten befindlichen
Troges, in dem die Bouillonrührehcn stehen, und gelangt von da in das Aus¬
gussbecken. Der Zufluss des Wassers wird so geregelt, dass die Temperatur des
ubfiicssonden Wassers ca. 6—6° C. beträgt.)
Wie oben mitgetheilt wurde, lautete die ursprüngliche Des-
infek lionsvor.schrift P. Für bringe r’s dahin, dass die Hände
nach vorgenommener Nageltoilctte und 1 Minute langer Be¬
arbeitung in hcissein Wasser mit Seife und Bürste, 1 Minute
lang in Alkohol (nicht unter 80 Proc.) gewaschen und schliess¬
lich ebenfalls 1 Minute lang mit einer 2 prom. Sublimatlösung
gründlich bearbeitet, werden sollten. Diese Vorschrift ist im
Fig. 8.
Ge fit ss zum Wuschen der Häufle in sterilem Wasser nach Th. Paul
und o. Rarwev.
(Die Abbildung stellt einen senkrechten Durchschnitt des Gebisses bei uufge-
gesotztem Deckel dar. Das sterile Wasser wird in dem aus starkem Zinkblech
gefertigten Gelass selbst durch halbstündiges Kochen bei aufgesetztem Deckel
bereitet. Die Bürste wird mit ausgekocht. Der Apparat bietet «len Vorlhcil,
das« der obere äussere Band durch den nusstöinemien Wasscnliimpf ebenfalls
sterilisirt wird.)
Laufe der Zeit verschiedentlich abgeändert worden. Wie schon
P. L a n d s borg fand, ist die Zeit von 1 Minute für ein gründ¬
liches Waschen der Hände viel zu kurz bemessen und auch die
Dauer der Waschungen in Alkohol und in der Suhlimatlösung
wurde mehr oder weniger verlängert, während man in der Kon¬
zentration der Sublimatlösung mit Rücksicht auf die bei em¬
pfindlichen Personen leicht auf tretenden Ekzeme und Queck¬
silbervergiftungen auf 1 Prom. und Ys Prom. horabgegangen ist.
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1452
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
‘No. 37.
Wir glauben, dass folgende Vorschrift in Deutschland am meisten
gchandhabt wird: 5 Minuten langes Bearbeiten der Hiindo mit
heissein Wasser, Seife und Bürste, 1 Minute dauerndes Bürsten
in 90 proc. Alkohol und 5 Minuten langes Bürsten in heisser
wässeriger 1 proni. Sublimatlösung. Dies ist wohl auch der
maximale Zeitaufwand, der in der Praxis noch durchgeführt
werden kann. Wir halten ausserdem in zwei Versuchsreihen die
Dauer der Alkoholbehandlung auf 2 und 3 Minuten verlängert,
ohne einen deutlichen Unterschied des Resultates konstatiren zu
können. Um Zufälligkeiten auszuschliessen, nahmen wir bei der
Hälfte der Versuche die vorbereitenden Waschungen der Hände
mit sterilem Wasser in den oben beschriebenen Waschgefässen
vor, die Schmierseife, sowie die Bürsten wurden stets vorher im
Dampfapparat sterilisirt und auf ihre Keimfreiheit geprüft. Die
Sublimatlösungen stellten wir jedesmal frisch mit heissem destil-
lirtem Wasser in einer geräumigen Glasschale her.
An den nach P. Fürbringer’s Vorschrift ausgeführten
Versuchen, betheiligten sich 7 verschiedene Personen, welche
sämmtlieh die zur Ausführung solcher Experimentaluntersuch¬
ungen nöthige l’ebung und Erfahrung bosassen und ohne jedes
Vorurtheil von dem Wunsche beseelt waren, Klarheit über diese
für den Chirurgen wie Gynäkologen gleichwichtige Frage zu
schaffen; ausserdem wurden, wie bei allen unseren Versuchen,
sämmtliehe Manipulationen von uns geleitet und in Bezug auf
die Peinlichkeit der Ausführung kontrolirt. Abgesehen von
einigen bereits erwähnten und besonders für die Desinfektion
mit QuccksiIberverbindungen erforderlichen Abänderungen war
unsere Vorsuehsanordnung dieselbe, wie wir sie in unserer ersten
Abhandlung ”) ausführlich geschildert haben. Da die Unter¬
suchungen unter diesen Umständen viel Zeit und Mühe bean¬
spruchen — jede Versuchsreihe dauert ohne die dazu nöthigen
umfänglichen Vorbereitungen 4 Stunden und erfordert ausser¬
dem einschliesslich der zahlreichen Kontrolen das Ausgiessen von
mindestens 100 Potri’schcn Sehaalen —, kann die Zahl der Ver¬
suche gegenüber den Massenversuchen anderer Experimentatoren
nur gering sein. Wir sind aber der Meinung, dass
diese wenigen exakt durch geführten Unter¬
suchungen um so beweiskräftiger sind, als
sic mit verschiedenen Versuchspersonen zu
verschiedenen Zeiten an gestellt wurden und
im Wesentlichen stets das gleiche Resultat
ergaben. Obwohl wir durch die Arbeiten anderer Autoren
und besonders diejenigen C. S. H a e g 1 e Fs “), sowie auf
Grund unserer eigenen Versuche, zu der Erkenntniss ge¬
kommen sind, dass bei den Händedesinfektionsversuchen, zu¬
mal wenn sich verschiedene Personen an denselben betheiligen,
Zufälligkeiten wie die individuelle Beschaffenheit der Haut, der
mehr oder weniger grosse primäro Keimgehalt, die Intensität
der Desinfektion und der Kcimentnahmo etc. eine grosse Rolle
spielen können und zum Thcil die Verschiedenartigkeit der Re¬
sultate erklären, haben wir doch davon abgesehen, die Versuche
nur an unseren eigenen Händen anzustellen. Nureh Nichts kann
die Brauchbarkeit oder Unzulänglichkeit einer Desinfektions¬
methode für die Praxis besser bewiesen werden, als durch Mit¬
wirkung verschiedener mit den nöthigen Manipulationen ver¬
trauter Personen.
3. Versuchs ergehn iss e.
In Talxdle 1 sind unsere mit der P. F ü r b r i n g e r’sclu ti
Methode erhaltenen Resultate übersichtlich zusnmmengestellt;
jede Zahlenangabe ist das Mittel von 3 Kulturen.
Wir können dieselben in folgenden Worten zusammenfassen,
wobei die Ausdrücke „wenige Keime“ 1—20 Stück, „viele Keime“
20—80 Stück und „sehr viele Keime“ über 80 Stück bedeuten.
1. Von den unvorbereiteten Tagoshänden konnten bei allen
Versuchspersonen mittels harter Hölzchen und Seidenfäden sehr
zahlreiche Keime entnommen werden.
2. Nach, beendeter P. F ü r b r i n g e Fscher Desinfektion,
Eingehen der von Sublimatlösung triefenden Hände in den
sterilen Kasten und Abspiilen derselben mit sterilem Wasser
konnten (ohne Fällung des Quecksilbers mit Schwefelammonium)
in allen Fällen mehr oder weniger zahlreiche entwickelungs-
**) Diese Zeltsehr. 1890, No. 49. S. 1G33.
") C. S. Haegier: Häwlereinigung, Ilündcdeslnfektton und
Häudeschutz. Basel 1900. S. 129 ff.
fähige Keime von den Händen mit harten Hölzchen bezw. Seiden¬
fäden entnommen werden. Von den Handflächen wurden 1 mal
viele und 5 mal wenige Keime, von den Nagelfalzen 2 mal viele
und 4 mal wenige Keime, und von den Untemagelräumeu 3 mul
sehr viele, 1 mal viele, 2 mal wenige Keime entnommen.
3. Nach dem darauf folgenden 5 Minuten langen Verweilen
der Hände unter Wnschbewegungen in sterilem Wasser von Blut¬
temperatur wurden (ohne Fällung des Quecksilbers mit Schwefel-
ammonium) in allen Fällen sehr zahlreiche entwicklungsfähige
Keime an dieses Wasser abgegeben M ).
4. Nach diesem Handbad konnten (ohne Fällung des Queck¬
silbers mit Schwefelammonium) in allen Fällen mehr oder
weniger zahlreiche Keime von den Händen mit harten Hölzchen
bezw. Seidenfäden entnommen werden. Von den Handflächen
wurden 2 mal viele, 2 mal wenige und 1 mal keine Keime, von
den Nagelfalzen 3 mal viele und 2 mal wenige Keime, und von
Untemagelräumen 2 mal sehr viel, 3 mal wenige Keime ent¬
nommen.
5. Nach weiterem 5 Minuten langem Scheuern der Hände
mit Sand in sterilem Wasser von Bluttemperatur wurden (ohne
Fällung dt» Quecksilbers mit Sphwefelammonium) in allen Fällen
sehr zahlreiche entwickelungsfähige Keime an dieses Wasser ab¬
gegeben.
6. Nach diesem Sandhandbad konnten (ohne Fällung des
Quecksilbers mit Schwefelammonium) in allen Fälleu mehr oder
weniger zahlreiche Keime von den Händen mit harten Hölzchen
bezw. Seiden faden entnommen werden. Von den Handflächen
wurden 3 mal viele und 3 mal wenige Keime, von den Nagelfalzen
1 mal sehr viele, 3 mal viele und 2 mal wenige Keime, und von
den Untornagelräumen 3 mal sehr viele, 1 mal viele und 2 mal
wenige Keime entnommen.
7. Nach dem darauf folgenden Verweilen der Hände unter
Waschbewegungen in sterilem Wasser von ca. 37,5° C., welchem
ca. 5 Proc. Schwefelammonium (durch Einleiten von Schwefei-
. Wasserstoff in den 10 proc. Liquor nmmonii caustici des Deutschen
Arzneibuches bis zur Sättigung hergestellt) zugesetzt wurden*!,
konnten in allen Fällen mehr oder weniger zahlreiche Keime von
den Münden mit harten Hölzchen bezw. Seidenfäden entnommen
werden. Von den Handflächen wurden 3 mal sehr viele, 2 mul
viele und 1 mal wenige Keime, von den Nagelfalzcn 4 mal sehr
viele. 1 mal viele und 1 mal keine Keime, und von den Unter¬
nagelräumen 4 mal sehr viele, 1 mal viele und 1 mal wenige Keime
entnommen. Die Hände wurden durch das Sehwefelammoniun:
ausnahmslos stark schwarzbraun gefärbt. 5 ').
8. In der siebenten Versuchsreihe (Geh.-Rath B.S.Schultze
aus Jena), welche in vorstehenden Resultaten nicht mit inbegriffen
ist, wurden die Hände sofort nach dem Eingehen in den sterilen
Kasten 5 Minuten lang in schwefelammoniumhaltigem Wasser
gebadet und dann weitere 5 Minuten in einem zweiten Bad mit
Da die Menge des Badewassers ca. 300 ccm betrug und zur
Anlegung einer Plattonkultur uur ca. 1 ccm verwendet wurde, war
der gesammte Keimgehalt des Badewassers auch dann schon sehr
gross, wenn nur wenige Keime auf den Kulturen aufgingen.
*°) Da der Kasten sammt Inhalt durch einstündiges Kochen
des im Zwischenboden befindlichen Wassers sterilisirt wird und
das in Flaschen mit (»las- oder Korkstopfen befindliche Schwefel¬
ammonium trotz noch so sorgfältigen Verschlusses wegen des
liolien Dampfdruckes tliellweise verdunstet und den Kasten mit
Schwefelammoniumdämpfen anfüllt. Ist es zweckmässig, das
Schwefelnnuuonimn in starkwandige Glasröhren einzuschmelzen,
und diese am einen Ende zu einer Spitze auszuziehen. Beim Ge¬
brauch kann diese Spitze mit einer Pinzette leicht abgebrochen
werden.
*') Durch das Bürsten der Hände in warmer Sublimatlösung
wird die Haut sehr stark mit Quecksilberverbindungen lmprägnirt
und in Folge dessen wird durch das Behandeln mit verdünntem
Scliwefelnmmoulum nicht nur an der Oberfläche der Haut, son¬
dern auch in den zunächst liegenden Schichten derselben, das in
fast allen Lösungsmitteln ausserordentlich schwer lösliche
schwarze Schwefelquecksilber erzeugt, welches der Hand ein sehr
hässliches Aussehen gibt und trotz alles Waschen» und Scheuenis
wochenlang haften bleibt. Der Niederschlag lässt sich aber leicht
entfernen, wenn man die Hände mit einem dünnen Brei ans
frischem Chlorkalk und Wasser mehrere Minuten lang einreiht,
dann kurze Zeit in ganz verdünnter wässriger Salzsäure bürstet
und diese Procedur einige Male wiederholt. Diese Reinigung,
welche auf einer Ueberführung des Quecksllbersulflds in Queck¬
silberchlorid beruht, ist wegen der auftretenden Chlordämpfe an)
Besten im Freien vorzunehmen. Die Haut verträgt diese ener¬
gische Behandlung merkwürdiger Weise sehr gut.
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30. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1453
Tabelle 1.
Bakteriologische Prüfung der Hände (mit Benützung des sterilen Kastens) nach vorausgegangener Desinfektion nach P. Fürbringer und
nach deren von C. S. H a e g I e r angegebenen Modifikation.
Die Tabelle umfaßst 9 Versuchsreihen. Jede Horizontalreihe veranschaulicht den Keimgehalt der Hände einer und derselben
Versuchsperson während der einzelnen, zeitlich aufeinander folgenden Versuchsabschnitte.
[ j bedeutet steril. V///////A bedeutet viele Keime (ca. 20 bis ca. 80 Stück).
SSKÜHI bedeutet sehr viele Keime (über 80 Stück).
bedeutet wenige Keime (1 biß ca. 20 Stück).
Versuchs¬
person
Theile der
Hände, welche
auf ihren
Keimgehalt ge¬
prüft wurden
Keim¬
gehalt deij
Tages
hände vorl
der Des¬
infektion
Art und Dauer
der
Desinfektion
Nach der Desinfektion
(Prüfung im sterilen Kasten)
vor der Fällung dts Quecksilbers mit Schwefelammooium
rllemWasservon ca. 37,6°
einem ca 37,6“ warmen
Sandbandbad
Kurie« Ab- H lerauf6Mlnuten langes ^‘erauf 6Minuten langes
spulen der Haden der e0 ndc in “^.Scheuern der Hände in
desinflclr-
ten Hände
im sterilen
Kasten mit
sterilem
Wasser.
Keimgehalt
der Hände
Kelmgebalt
des Bade¬
wassers
Keimgehalt
der gebade¬
ten Hände
Hierauf
6Mln.lang.-a
Baden der
Hände ln
scbwefel-
ammonl-
um halt lg.
Wasser
Keimgehalt
der Hände
10
11
Prof.
Dö derlein
Dr. Glitsch
Prof. Paul
Prof. Sarwey
Dr. Visino
Dr. Levy
Geheimrath
B. S. Schulze
aus Jena
Handflächen
Nagelfalze
Unternagelr&ume
Handflächen
Nagelfalze
Unternagelräume
Handflächen
Nagelfalze
Unternageli&ume
Handflächen
Nagelf a'ze
Unternagelräume
Handflächen
Nagelfalze
Unternagelr&ame
Handflächen
Nagelfalze
Unternagelräume
Handflächen
Nagelfalze
Unternagelräume
1. Desinfektion nach P. Fürbringer.
6 Min langes Bearbeiten der Hände I ///////?//,
m. beissem Wasser,Seife u.Bürste ; I
1 Min. Bürsten in 90proc. Alkohol;
6 Min Bürsten in 1 ptom. heisser
Subllmatlösung.
dasselbe
6 Mio. Waschen wie oben;
3 Min. Bürsten ln OOproc. Alkohol;
6 Min. Bürsten ln lprom. heisser
8ubllmatlösung.
4 Min. Waschen wie oben;
Ausräumen der Unternagelräume
mit scharfem Messer;
3 Minuten Waschen wie oben mit
Wasserwechsel;
2 Min. Bürsten in 06proc. Alkohol;
3 Min. Bürsten in lprom. heisser
Sublimatlösung.
2. Desinfektion nach P. Fürbringer mit der von C. S. Haegier angegebenen Modifikation
I II 111!
Prof. Paul
Prof. Sarwey
Handflächen
Nagelfalze
Untsruagelräume
Handflächen
Nagelfalze
Unternagelräume
mzm
2 Min. Entfetten der Hände mit
Boluspaste;
6 Min. langes Bearbeiten der Hände
mit hclsscm Wasser, Kallseife
und Bürste;
2 Min. Abreiben der Hände mit
einem trockenen, rauhen, sterilen
Tuch;
3 Min. Bürsten in TOproc. Alkohol ;
3 Min. Bürsten in lprom. heisser
Sublimatlösung.
r i
mim
wmm.
w/ttm
mim
Bemerkungen: Die in Rubrik 3 befindlichen Angaben über die Thcllc der Hände, welche auf ihren Keimgehalt geprüft wurden, beziehen 6icb nur auf die
Rubriken 4, 6, 8, 10 u. 11.
In der 7. Versuchsreihe (Geheimrath B. S. Schulze) wurden die Hände nach dem Eingehen in den sterilen Kasten sofort 6 Minuten lang
in schwefolammoniumhaltigem Wasser von ca. 37,ö° gebadet.
Beim Keimgehalt der Badewässer ist die Durchschnittszahl der auf den Hattenkulturen entwickelten Kolonien In der Tabelle angegeben.
Da die Menge des Badewassers ca. 300 ccm betrug und zur Anlegung einer Plattenkullur nur ea. 1 ccm verwendet wurde, war der gesummte
Keimgehalt des Bndewassers auch dann noch sehr gross, wenu nur wenige Keime auf deu Kulturen aufgingen.
Sand gescheuert. Nach dem ersten Bad konnten von deu Hand¬
flächen, den Nagelfalzen und den Untemagelränmen mit harten
Hölzchen bezw. Seidenfäden durchgängig viele und nach dem
Sandhandbad sehr viele entwickelungsfähige KeimO entnommen
werden.
Dieses Resultat ist ein ausserordentlich
ungünstiges und übertrifft in dieser Be¬
ziehung die V e r s u eh s e r g o b n i s s c P.Landsbor g’s,
G. Go 11 s t e i n’fl, O. S. II aeg 1 o Fs-und anderer Autoren.
Wir haben uns selbst nur höchst ungern von
dieser Thatsacho überzeugt; da die Versuche
jedoch nach unserem Dafürhalten einwands¬
frei angestellt wurden, sind sie vollkommen
beweiskräftig.
Damit stellt übrigens die von A. D ö d e r 1 e i n *‘) und
anderen Autoren beobachtet« Thatsacho im Einklang, dass die
**) A. Dö derlein: Die Bakterien aseptischer Operntions-
ivunden. Münch, med. Wochenschr. 1889, No. 26.
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1454
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Operationswunden auch nach sorgfältig vorgenommener Des¬
infektion der Hände und Hautdecke nach Fürbringer
während der Operation stets sehr zahlreiche entwicklungsfähige
Bakterien enthalten, trotz des vielfach reaktionslos verlaufenden
I leilprocesses.
(Schluss folgt.)
Referate und Bücheranzeigen.
Kunkel: Handbuch der Toxikologie. II. Hälfte. Jena,
G. F i s c h e r, 1901. 12 M.
Mit dem zweiten Theile, der dem 1899 erschienenen ersten
Bande nunmehr gefolgt ist, liegt das K u n k e l’sche Handbuch
der Toxikologie vollendet vor. Damit ist ein klassisches Werk ge¬
schaffen, das den reichen Stoff in ebenso erschöpfender, wie glän¬
zender Weise behandelt. Der praktische Arzt findet alles über
Aetiologie, Symptomatologie und Therapie der Vergiftungen Be¬
kannte in vollständigster Weise zusammengetragen; der Fach¬
mann und Forscher erhält eine eingehende Darstellung dos Zu¬
standekommens jeder einzelnen Vergiftung unter sorgfältiger,
kritisch abwägender Berücksichtigung des experimentellen
Materials, wie der vorhandenen Literatur. Das Werk umfasst
nicht nur die praktisch als Gifte in Betracht kommenden Sub¬
stanzen, sondern daneben auch alle bisher nur im Thierexperi¬
ment als giftig erkannten Körper. Dadurch wird der wissen¬
schaftliche Werth des Werkes beträchtlich erhöht, zumal auch
stets den Beziehungen zwischen der chemischen Struktur des
Giftes und der toxischen Grundwirkung nachgegangen wird.
Von ganz besonderem Werth für die theoretische Wissenschaft
sind in dieser Beziehung die den einzelnen Gruppen (der Stoff
ist nach dem chemischen Eintheilungsprincip angeordnet)
vorausgeschickten allgemeinen Ausführungen. Ueber die Art der
Darstellung ist eingehend in der Besprechung des ersten Theiles
des Werkes im Jahrgang 1899, S. 632 dieser Wochenschrift be¬
richtet worden. Der zweite Theil umfasst auf Seite 565 bis
1093: „Dio stickstoffhaltigen organischen Verbindungen“ —
„Die Saponinsubstanzen“ — „Die Glykoside“ — „Giftige Bitter¬
stoffe“ — „Aetherische* Oele“ — „Ocrtlich reizende Stoffe“ —
„Giftigo Eiweisskörper“ (Thier- und Bactcriengifte) — „Die
giftigen Speisepilze“ — „Autointoxikationen“ (Giftigkeit der
Excrete und Organe) und anhangsweise eine Uebersicht über
„Giftige Farben“. Heinz- Erlangen.
G. v.Bunge- Basel: Lehrbuch der Physiologie des Men¬
schen. 1. Baud. Verlag von F. C. W. Vogel, Leipzig 1901.
381 Seiten mit 67 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. Preis
10 M.
Der bekannte Verfasser des vielverbreiteten Lehrbuches der
physiologischen und pathologischen Chemie, G. v. Bunge, hat
nun auch auf Wunsch seiner Schüler mit der Herausgabe eines
Lehrbuches der Physiologie des Menschen begonnen, von dem
der 1. Band, die Physiologie der Sinne, Nerven, Muskeln und
der Fortpflanzung enthaltend, erschienen ist. Das Thema wird
in 28 Vorträgen in durchaus origineller Weise in Angriff ge¬
nommen.
Ganz abweichend von den ausgetretenen Bahnen der bisher
üblichen Gruppirung physiologischen Lernstoffes beginnt Ver¬
fasser mit der Physiologie der Sinne, denn diese ist ihm „das A
und O der gesaramten Naturwissenschaft, das Fundament und
doch zugleich der Schlussstein, der das ganze Gebäude krönt.“ Wie
innig dio Physiologie der Sinne gerade mit der Physik verknüpft
sei, gehe schon daraus hervor, dass die Physik in Wahrheit nicht
nach dem Objekte als solchem, sondern auf Grund physiologischer
Momente eingetheilt sei, indem die Optik z. B. alle diejenigen
Vorgänge, welche sich dem Auge, die Wärmelehre solche, die
sich den specifischen Endorganen in der Haut darbieten, zum
Gegenstand der Betrachtüng habe, demnach also an sich nur
graduell verschiedene Bewegungen des Aethers in ganz getrenn¬
ten Kapiteln untergebracht seien. Die Physiologie der Sinne
schlage aber auch zugleich durch Vermittlung der Psychologie
dio Brücke zu den Gemeinwissenschaften.
Im 1. Vortrage wird nun die umfassende Bedeutung des Ge¬
setzes von der specifischen Sinnesenergie klargelegt und an der
Nouronenlehre, im Gegensatz zu den Apathi-Beth e’schen
Anschauungen, festgehalten. Der 2. bis 10. Vortrag sind nach¬
einander dem Hautsinne und den Gemeingefühlen, dem Muskel¬
sinn, der Raumvorstellung, dem Gesclimack und Geruch, dem
No. 37.
Gehör und Gesichtssinn gewidmet. Im 11. Vortrag beginnt Ver¬
fasser mit der Physiologie des Gehirns, die in besonders anregen¬
der Weise behandelt wird und durch die eingehende Berücksichti¬
gung klinischer und pathologisch-anatomischer Beobachtungen
am Menschen und die ausgedehnten G o 11 z’schen Versuche an
Hunden und Affen erhöhtes Interesse in Anspruch nehmen darf.
Zunächst wird im 11. und 12. Vortrag von dem Gehirn als Sitz
des Bewusstseins gesprochen, darauf im 13. Vortrag die sen¬
siblen, im 14. die motorischen Bahnen des Gehirns und Rücken¬
marks verfolgrt und zusammenfassend im 15. Vortrage die Func¬
tionen des Grosshirns dargestellt. Der 16. Vortrag, betitelt:
„Franz Joseph Gail und das Sprachcentrum“ ist einer Ehren¬
rettung dieses Forschers gewidmet, der 17. handelt vom Klein¬
hirn. Drei volle Vorträge, der 18., 19. und 20., befassen sieb
ausführlich mit dem Schlaf, dem Hypnotismus und dem Winter¬
schlaf. Ironisch bemerkt Verfasser im 18. Vortrage: „Eintönige
Geräusche machen bekanntlich sogar schläfrig, z. B. das Anhören
einer Vorlesung“. Der Uebcrgang zur Muskel- und Nerven-
physiologie wird im 21. Vortrage mit der Erörterung des Sym-
pathicus eingelcitet, im 22. Vortrage mit der Besprechung der
allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie vollendet, worauf im
23. und 24. Vortrage thierische Elektricität und Stimme und
Sprache sich anschliessen. Den Schluss des Buches bilden die
Vorträge über Fortpflanzung, 25., 26., Vererbung, 27., und Re¬
generation, 28.
Was das Buch besonders werthvoll macht, ist, abgesehen von
der ganzen Art der Darstellung, die ausgiebige Benützung und
Mittheilung der einschlägigen Literatur. Dadurch und durch
reichliche Exkursionen in das Gebiet der Pathologie tritt es, zu¬
mal die physiologischen Arbeitsmethoden und die zugehörigen
Apparate mehr oder weniger als bekannt vorausgesetzt werden,
aus dem Rahmen eines Lehrbuches für den Anfänger in der
Physiologie heraus und richtet sich an den schon mit etwas mehr
Kritik ausgerüsteten älteren medicinischen Studenten und prak¬
tischen Arzt; ja man könnte das Buch füglich als das physio¬
logische Lehrbuch des praktischen Arztes bezeichnen.
C. Liebermeister: Grundriss der inneren Medicin.
Für Acrzto und Studirende. Tübingen, F. Pietzcker, 1900.
Preis gebunden 8 M. *
Der hervorragende Tübinger Kliniker, der bereits in den
Jahren 1885—94 seine Vorlesungen über specielle Pathologie und
Therapie herausgegeben, hat in dem vorliegenden Werke die ge
sammte innere Medicin auf etwas über 400 Seiten kurz zu-
sammengefasst. Eine so gedrängte Darstellung war nur dadurch
möglich, dass L. das berücksichtigte, „was sich vorzugsweise für
die Praxis als wichtig bewährt hat“ und das ausschloss oder nur
andeutete, „was praktisch weniger wichtig erscheint,“ sowie da¬
durch, dass die Specialfächer, wie Geisteskrankheiten, Vergif¬
tungen, Hautkrankheiten und Syphilis weggelassen wurden. Es
ist eine grosse Kunst, das Wichtigste einer Wissenschaft kurz
zusammenzufassen und dabei doch leichtverständlich zu bleiben.
Sie setzt neben völliger Beherrschung der gesammten Materie
und der Fähigkeit klarer Darstellung einen Ueberblick voraus,
wie ihn nur ein durch langjährige Krankenbeobachtung und
Lehrthätigkeit erfahrener akademischer Lehrer sich erwerben
kann. Wie sehr diese Voraussetzungen in dem vorliegenden
Grundriss erfüllt sind, das lehrt eine Stichprobe, die vom Re¬
ferent in verschiedenen Abschnitten des Buches vorgenommen
wurde und ihm zeigte, dass die mit gewandter Hand in feinen
Strichen ausgearbeiteten Skizzen in der That das Wesentliche
und Wichtige der Krankheitsbilder dem Leser vor Augen führen.
Wir können daher Liebermeistcr’s Grundriss dem Stu-
direnden als Leitfaden zum Unterricht und dem praktischen
Arzt als Nachschlagewerk zu vorläufiger rascher Orientirung
bestens empfehlen. Stintzing.
Theodor L i p p s: Das Selbstbewusstsein; Empfindung und
Gefühl. Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann, 1901.
Preis 1 M.
Die vorliegende Untersuchung ist eine psychologische Studie,
die die Lösung ihrer Aufgabe auf Grund der durch die Selbst¬
beobachtung erforschten Thatsachen des eigenen Bewusstseins
anstrebt. Die Ausführung trägt nicht selten einen polemisiren-
den Charakter gegen die der Naturwissenschaft entstammende
physiologische Psychologie. Wir unterlassen es, hierauf ein-
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10. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1465
zugehen, lind beschränken uns auf die positiven Resultate der
Arbeit. .
In seiner Darstellung geht Verfasser von dem Sprach¬
gebrauch des „leb“ aus: „Ich“ bezeichnet theilweise ausser dem
Körper liegende Dinge — ich bin bestaubt (Kleidung) —, theil¬
weise Körpertheile — ich bin müde (Muskulatur) —, theilweise
direkt die Psyche — ich bin musikalisch begabt —. Trotz der
Verschiedenheit der Bezeichnungen muss doch ein und dasselbe
„Ich“ hier zu Grunde liegen, ein primäres ursprüngliches „Ich“;
dasselbe muss, wie alles Gedachte, aus einem unmittelbar Er¬
lebten seinen Inhalt hernehmen. Dieses „Ich“ hat die Eigen¬
schaft, dass es uns immer gegenwärtig ist. Eine Reihe von Er¬
klärungen des „Ich“' gipfelt, darin, dass das unmittelbar erlebte
„Ich“ nichts für sieh ist, sondern dass es mit dem Gesummt¬
bewusstseinsinhalt zusammenfällt, dass es der Zusammenhang
der Bewusstseinsinhalte oder Aehnliches sei. Eine genauere Er¬
wägung ergibt aber, dass mit Bewusstseinsinhalt nur eine Be¬
ziehung zum „Ich“ bezeichnet wird, nicht aber das „Ich“ selbst.
Es besteht hierbei das Verhältnis, dass das „Ich“ dasjenige ist,
wodurch alles als Bewusstseinsinhalt erscheint, dass es den Zu¬
sammenhang der Bewusstseinsinhalte schafft und bei den Be¬
wusstseinsinhalten, Empfindungen, Vorstellungen jederzeit
vorausgesetzt ist. Dagegen ist das „Ich“ im Gefühl direkt ge¬
neben. Im Gefühl finde, habe oder erlebe ich mich unmittel¬
bar und ursprünglich. Die Frage nach dem „Ich“ bedingt also
eine Untersuchung über das Gefühl. Gefühle sind nicht Em¬
pfindungen. Letztere sind gegenständliche Bewusstseinsinhalte,
betreffen die Dinge ausser mir oder meinen Körper, Gefühle sind
Elemente oder Bestimmungen meiner selbst, sind „Ich“-Inhalte
oder „Ich“-Qualitäten. In jedem Gefühle als solchem steckt
das „Ich“, in jedem Empfindungsinhalte die Gegenständlichkeit.
Es ist durchaus falsch, Gefühle, insbesondere Affekte auf „Organ¬
empfindungen“ zurückzuführen. Gefühle sind vielmehr, sehr all¬
gemein gesagt, ,3ewusstseinssymptome von der Weise, wie sich
die Psyche, die Persönlichkeit, das psychische Individuum zu
dem, was es erlebt, was ihm zu Theil wird, was in ihm vorgeht,
verhält, stellt, wie es darin sich bethätigt, davon affizirt wird,
dagegen reagirt“. Oder von der Seite der psychischen Vorgänge
aus betrachtet: „Gefühle sind das im Bewusstsein unmittelbar
gegebene Symptom von der Art, wie sich die psychischen Vor¬
gänge und Zusammenhänge von solchen verhalten zur Psyche,
zu ihrem überall gleichen oder von Individuum zu Individuum
wechselnden Wesen, zu Anlagen, Temperament und Naturell,
zu den ursprünglich gegebenen oder erworbenen Neigungen oder
Bethätigungsrichtungen, zu den dauernden oder vorübergehenden
Verfassungen, Zuständlichkeiten, Disponirtheiten, Gewohn¬
heiten“. Wie nun Gefühle und Empfindungen scharf zu son¬
dern sind, so darf auch der Körper nicht mit dem „Ich“ identifi-
zirt werden, wenngleich er zur Peripherie des Bewusstseinslebens
gehört, während das „Ich“ eben das Centrum ist. — In letzter
Linie kann man das „Ich“ folgendermaassen definiren: Es ist
das Wesen, das in den psychischen Erscheinungen sich bethätigt
oder sein Dasein kundgibt. Es ist das Empfindende, Vor¬
stellende, Fühlende, Wollende, im Sinne des realen Substrates
der als Empfindung, Vorstellung, Fühlen, Wollen bczeichneten
psychischen Thatbestände oder Vorgänge. Es ist mit einem
Worte die Psyche, d. i. dasjenige, was den Sinnen des fremden
Individuums im Bilde eines Gehirns und materieller Gehirn-
processe sich kundgibt, soweit es eben darin sich kundgeben kann.
Die Psyche ist das den Bewusstseinserscheinungen und zwar zu¬
nächst das dem „Ich“-Gefühle, dann aber auch den gegenständ¬
lichen Bewusstseinsinhalten zu Grunde Gelegte.
Geist- Zschadrass.
Krieg: Atlas der Nasenkrankheiten. Stuttgart, Verlag
von F. Enke, 1901. Sieben Lieferungen ä 6 M.
Der durch seine wissenschaftlichen Arbeiten und seinen
Atlas der Kehlkopfkrankheiten schon längst rühmlich bekannte
Verfasser hat es in dem vorliegenden Werke unternommen, auch
die Nasenkrankheiten in Bildern und kurzen Worten darzu-
eulJen, und muss dieser Versuch als glänzend gelungen be¬
zeichnet werden. Wer die Schwierigkeiten der Aufnahme endo-
nasaler Bilder kennt, wer weiss, wie viel auf die Haltung des
Spiegels, die Beleuchtung und auf die Perspektive ankommt, der
wird im höchsten Grade von den Leistungen K r i e g’s befriedigt
sein. Den Abbildungen ist stets ein kurzer Text in deutscher
Sprache und englischer Uebersetzung beigegeben. Im ersten
Hefte befinden sich mehrere Abbildungen von angeborenen Der¬
moiden, Dermoidfisteln der Stirnhaut, ferner Bilder des nor¬
malen Naseninnern, Deviationen, Cristen und Spinen, Choaneu-
verschlüssen. Im zweiten und dritten Hefte sehen wir dar-
gestellt das Ekzem des Naseneinganges, die Follikulitis, ferner
Frakturen und Luxationen, Atresien, Synechien, Nasendiph¬
therie, polypöse Rhinitis und Muschclhypertrophic, während das
fünfte und sechste Heft Pseudonasenrachenpolypen, verschiedene
Formen von hypertr. Rhinitis, Atrophie, Rhinitis sicca, per-
forirendem Septumgeschwür, Nasenbluten, blutenden Septum¬
polypen und Tuberkulose bringen. Die Sehlusslieferungen ent¬
halten typische Bilder von Syphilis der äusseren und inneren
Nase, von Carcinom, Sarkom und Nebenhöhlenerkrankungen,
auch ist dem letzten Hefte ein Index und Verzeichniss der Ab¬
bildungen und des Textes beigegeben. Die Ausstattung ist
glänzend, der betrauten Firma durchaus würdig, der Preis in
Anbetracht des Gebotenen erstaunlich niedrig. Möge das schöne
Werk allseitige Verbreitung finden.
Scheck.
Lassar-Cohn: Arbeitsmethoden für organisch-chemische
Laboratorien. Ein Handbuch für Chemiker, Mediciner und
Pharmazeuten. III., vollständig umgearbeitete und vermehrte
Auflage. Allgemeiner Theil. Leop. Voss, Hamburg und Leip¬
zig, 1901. 213 Seiten. Preis 7 M.
Das allgemein bekannte Lassar-Coh n’sche Hilfsbuch
für organisch-chemische Arbeiten ist in seiner ersten Hälfte:
„Allgemeiner Theil“ soeben in dritter Auflage erschienen. Die
neue Auflage ist vollständig umgearbeitet und wesentlich er¬
weitert. Der erste — allgemeine — Theil erscheint in der dritten
Auflage als selbständiges Heft von 213 Seiten Umfang Gross¬
oktav (während das ganze Werk in erster Auflage 330 Seiten
Kleinoktav, der „Allgemeine Theil“ 88 Seiten umfasste).
In dein „Allgemeinen Theil“ sind die Methoden, die
bei organisch - chemischen Arbeiten in Betracht kommen,
mit grösster Ausführlichkeit und Vollständigkeit geschildert. —
Sämmtliche Methoden des organisch - chemischen Arbeitern»
sich anzueignen dürfte dem Chemiker nur durch vieljährige
und vielseitige Laboratoriumsarbeit gelingen. Diese Methoden
finden sich nun nirgends (oder nur die allgemeinsten
unter ihnen) systematisch aufgeführt: weder in den grossen
Handbüchern der organischen Chemie noch in den Werken
über qualitative oder quantitative Analyse. Das Lassar-
Coh n’schc Buch ist daher für Jeden, auf dem Gebiete der
organischen Chemie Arbeitenden, von unschätzbarem Wcrtlie,
indem es ihm für alle möglichen, in Betracht kommende Maass¬
nahmen genaue, durch zahlreiche Abbildungen veranschaulichte,
Anweisungen gibt. In dem „Allgemeinen Theil“ werden nach¬
einander besprochen: Ausschütteln, Bäder, Destillation, Dialyse,
Entfärben und Klären, Filtriren und Abpresseu, Krystallisation,
Lösungsmittel, Moleculargewichtsbestimmungen, Schmelzpunkt-
lnst inunung, Siedepunktbestimmung, Sublimation, Tro-knen und
Entwässern.
Ganz besondere Dienste wird das Buch auch dem Mediciner
leisten. Demselben ist es naturgemäss noch schwerer als dem
Chemiker möglich, sich sämmtliche Methoden des organisch¬
chemischen Arbeitens anzueignen. Das Buch setzt ihn durch
seine präzisen und ausführlichen Anweisungen in den Stand,
überall das richtige Verfahren einzuschlagen, und - unter Er¬
sparung von viel Mühe und Zeit, zu befriedigenden Resultaten
zu gelangen. H e i n z - Erlangen.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 35.
Carl RösBler: Ueber Skatolroth und ähnliche Hamfarb-
stoffe. (Aus dem pathologisch-chemischen Laboratorium der k. k.
Krankenanstalt „Rudolfstiftung“, Vorstand: Dr. Freund.)
Bei der Indlkanprobe im Harn sieht man häufig die über dem
Chloroform stehende Flüssigkeit verschieden gefärbt. Diesen
Farbstoff, der meist in brauner Farbe in Amylalkohol übergeht
und der auch beim Versetzen des Urins mit rauchender Salzsaure
und Auschüttelu mit Amylalkohol entsteht, suchte R. zu deüniren.
Eine Reihe von Versuchen, die Farbstoffe zu isoliren, als.. Ins¬
besondere von Urorosöin und Indlgroth frei zu bekommen, ergab n
eine sichere Charakterislrung nicht. Des Weiteren untersucht.-
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1466 MTTENOHENER MEDIOINTSCHE WOCHENSCHRIFT. No. 37.
nun li. die Löslichkeit der einzelnen Farbstoffe in allen möglichen
Lösungsmitteln, um dann ITrine, die weder die Nencki'sohe
Urorosein-, noch die H uppert’selie Indigrothreaktion im nativen
Zustande gaben, weiter zu prüfen. Dabei ergab sich, dass die
Menge der zugesetzten Sjiure von wesentlichem Einfluss auf die
Entstehung der Farbstoffe war. Auf dem Wege des Ausschlusses
kommt Verfasser nun zu dem Resultat, dass es sich um Skatol-
rotli handle. Er suchte diese Annahme durch (laben von (Mi bis
1,4 g Skntol (K a li Ibau in) pro die und nachherlgen Nachweis von
Skatol in dem betreffenden Amylalkoholextrakt durch die Nitro-
prussidrenktion und die Fichtenspahnreaktion beweiskräftig zu
machen. Die Aethorsehwefeisäuren waren dabei nicht vermehrt,
so dass Verf. eine Paarung mit einer anderen Säure (event. Glyku-
ronsäurei annimmt. — Danach ergibt sich für den Nachweis
von Skatolroth: V«*rsetzen von 10 ccm frischen Urins mit dem
gleichen Volumen rauchender Salzsäure, nach 5 Minuten mit 5 ccm
Amylalkohol ausschütteln. event. vorher Versetzen mit */„. Vol.
Bleizucker und Entfernen von ludigroth und -blau. Die Skatol-
rothreaktion geht keineswegs mit der lndlgblaureaktion parallel.
d e 1 a Ca m p - Berlin.
Archiv für klinische Chirurgie. 64. Bd., 3. Heft. Berlin
llirschwald, 1ÜU1.
31) v. E i s e 1 s b e r g - Königsberg: Zur Technik der Urano-
plastik. (Auszugsweise vorgetragen auf dem 30. Chirurgcn-
kongress.)
v. E. berichtet über mehrere Versuche zur Deckung von
Gaumendefekteu, die er ausführte, weil entweder der Versuch
der Uranoplastik narb v. Laugenbeck theilweise oder ganz
misslungen war oder wegen zu starker Spannung der Wundränder
von vorneherein nicht ausführbar erschien. Im ersten Falle war
die Naht nach der Uranoplastik bis auf eine kleine hintere Brücke
auseinandergewichen: der Defekt wurde durch einen gestielten
Lappen aus dem Vorderarme gedeckt, dessen Brücke aui 10. Tage
durchschnitten wurde. Der Erfolg war ein guter. Bel zwei
weiteren nach Uranoplastik gebliebenen Spulten hu vordersten
Thell des Gaumens konnte der Defekt durch frontale Abspaltung
des mucösen Ueberzugs des Zwischenkäufers und Hiuaufklapiien
dieses Lappens geschlossen werden. 3 Fälle von breitem, ein¬
seitigem Urauoschisma wurden in der vorderen Hälfte durch einen
Lappen aus dem Vomer zum Verschluss gebracht: Schnitt Im
Vomer parallel dem Spaltrand, l'/ 2 cm oberhalb der Verbindung
mit der horizontalen Gaumenplatte, Drehung des dadurch ge¬
bildeten Lappens um seine Sagittalachse und Vereinigung mit dem
lateralen Spaltrand. Im 4. Falle endlich wurde die doppelte Auf¬
gabe: Verschluss des Urauocolobouia autlcum uml Hebung U‘‘i
eingesunkenen Nase, in kosmetisch befriedigender Weist* gelöst
durch Einpflanzung des kleinen Fiugers in den Defekt. Der
Finger wurde nach 20 Tagen in Höhe des Artic. metaearp. phal.
durchtrennt. E. empfiehlt namentlich die letztere Methode zur
Nachahmung in solchen Fällen, wo die gewöhnliche Methode
wegen Materialmangels nicht ausführbar ist.
32) G u 1 e k e: Beitrag zur Statistik des Mammacarcinoms.
Zusammenstellung der ln der Klinik des Herrn Gehelmrath
Prof. Dr. E. v. Bergmann ln den Jahren 1882—1891) zur Be¬
obachtung gelangten Fälle von Mammacarcinom.
G. berechnet aus 382 Fällen, die mindestens 3 Jahre lieobachtei
sind. 28,79 Proe. Dauerheilmtgen. Genaueres muss im Original
nachgesehen werden.
35) K a t z e n s t e 1 n - Berlin: Beitrag zur Pathologie und
Therapie der Spina bifida occulta.
Bel dem Patienten K.’s fand sich ein Defekt der Wirbelbögen
im Bereich des 5. Lendenwirbels und der oberen Krcuzlielnwirbel.
Die Haut zeigte an entsprechender Stolle eine trichterförmige, mit
Haaren besetzte Einziehung. Der 17 jährige Kranke litt seit frühe¬
ster Kindheit an trophisehen Störungen der unteren Extremitäten;
im 11. Lebensjahre waren Blasciistöruugcn aufgetreteu. die zu
vollkommener Inkontinenz geführt hatten. Die operative Frei¬
legung zeigte einen derben, reichlich elastische Fasern enthaltenden
Strang, der die nabelartige Einziehung der Haut fest mit der Dura
verband: die Exstirpation des Stranges führte zur Heilung der
Blnsenlähmung, während die tropliisclien Störungen unverändert
blieben.
Der Zusammenhang zwischen äusserer Haut und Rückenmark
ist (neben dem Offenbleiben des Wirbelkanals und dein Auftreten
einer Muskelgeschwulst in und um den Wirbelkanal) charakte¬
ristisch für die Spina bifida occulta, die in Folge mangelhafter
Trennung des Medullarrolirs vom Hornblatt entsteht. Während die
im foetalen Leben und die in frühester Jugend auftretenden
Innervntionsstörungen durch eine falsche Anlage des Rücken¬
marks oder durch Druck von Selten der Membrana rounleus post,
bedingt sind, erklärt K. die erst zur Zeit des grössten Körper-
waehsthums sich ausbildenden Störungen durch Zug seitens der
strangartigen Verbindung zwischen Haut und Rückenmark. Der
Zug kommt dadurch zu Stande, dass das Wachstlium des Rücken¬
marks mit dem der Bedeckungen nicht gleichen Schritt hält, so
dass dasselbe gleichsam im Wirbelkanal nach oben rückt.
30i L a n g e r: Erfolgreiche Exstirpation eines grossen
Haemangioms der Leber. (Gynäkologische Abtheilung des
Krankenhauses der Elisnbetliinerinnen zu Breslau.)
Reichlich kürbisgrosser Tumor, von der Unterfliicho des linken
Leberlappens ausgehend. Die sehr schwierige und blutige Ex¬
stirpation gelang sehliesslich. nachdem der Tumor nach Möglich¬
keit aus seiner Kapsel ausgelöst war, durch Umstechung des 15 cm
breilen und 22 cm dicken aus Lelwrgewebe bestehenden Stieles
mittels der D 6 e h a m p’schen Nadel ln 20 Portionen uud Ab¬
tragung mit dem Thermokauter. Das Geschwulstbett wurde ringsum
am Peritoneum nngeniiht und tamponirt. Trotz enormen Blutver¬
lust« erfolgte Heilung. Besprechung der Literatur.
43) Payr: Weiter© Mittheilungen über Verwendung des
Magnesiums bei der Naht der Blutgefässe. (Chirurgische Kliuik
Graz.)
P. hatte Gelegenheit, den früher (Bd. 62, H. 1 d. Archivs) ge¬
machten Vors; h'ag der Vereinigung durchschnittener Gefäme mitte!«
einer Magnesiumprothese praktisch zu erproben bei Gelegenheit
der Exstirpation eines Drüsenearcinoms der Leistengegend, bei der
4*4 cm der Vena femoralis reseeirt werden mussten: die Vereinigung
des Gewisses gelang ohne Schwierigkeit, die Circulation kam sofort
nach Lösung der Klemmen in Gang. Bei dem am 3. Tage an Pneu¬
monie erfolgten Tode des Patienten zeigte sich, dass das Lumen
des Gefiisses frei durchgängig war, dass keine Spur von Blutung
durch die Verelnigungsstelle erfolgt war, und dass nirgends Throm¬
ben vorhanden waren. Die Verklebung der beiden intimaflächen
war eine ziemlich feste, was sich auch mikroskopisch nachweiseil
Hess.
Für den provisorischen Schluss der Gefässe empfiehlt P. eine
besondere Klemme, die abgebildet ist. Die Form der Magnesimn-
prothese hat gegeu früher kleine Modifikationen erfahren, worüb-r
im Original naehzuselien ist.
33) K ü s t e r - Marburg: Die Nierenchirurgie im 19. Jahr¬
hundert. Ein Rück- und Ausblick.
34) I< ü m m e 11 - Hamburg: Praktische Erfahrungen über
Diagnose und Therapie der Nierenkrankheiten.
37) Alex. F r a o n k e 1 - Wien: Zur Wundbehandlung nach
Operationen wegen lokaler Tuberkulose.
38) W o li 1 g e nt u t li - Berlin: Eine neue Chloroform-Sauer¬
stoffnarkose.
39) Reger- I binzlg: Die Krönlei n’schen Schädelschüsse.
40) C r a m e r - Wiesbaden: Ueber die Lösung der verwach¬
senen Kniescheibe.
41) It o 11 e r - Berlin: Zur Behandlung der akuten Peri¬
typhlitis.
42) B r a u n - Göttingen: Ueber die Resektion des Hals-
sympathicus bei Epilepsie.
44» Ehrhardt: Ueber Zerstörung von Oeschwulstresten
in der Wunde durch heisses Wasser. (Chirurgische Klinik
Königsberg.)
45) B 1 u m b e r g - Berlin: Experimentelle Untersuchungen
über Quecksilberaethylendiamin in fester Form als Desinfek¬
tionsmittel für Hände und Haut.
Die Referate über vorstehende Arbeiten finden sich in dem
Bericht über den 30. Cbirurgenkougress, No. 10—19 dieser Wochen-
schrift. H e 1 n e k e - Leipzig.
Archiv für Gynäkologie. 03. IM., 3 Heft. Berlin 1901.
1) Walter Albert: Latente Mikrobenendometritis in der
Schwangerschaft, Puerperalfieber und dessen Prophylaxe. (Aus
der k. Frauenklinik ln Dresden.)
Ausser den Gonoeocceu kommen Im Endometrium der
schwangeren Frau Eitererreger und andere Mikroben vor, welche
vor der Geburt nur geringe oder keine Krauklieitserselieinungen
machen, jedoch nach der Geburt Fieber, ja selbst den Tod der
Wöchnerin verursachen können. — Eine 27 jährige I. Para starb
unentbuuden 3 Tage nach dem Blaseusprung; die Obduktion ergab
einen handtellergrossen Eiterherd hoch oben zwischen Eihäuten
und Uteruswand. Es war nur einmal nach dem Blaseusprung
vaginal untersucht worden. — Eine zweite Frau starb unter dem
Bilde der Sepsis acutissiina 42 Stunden hach der Geburt. Vorher
14 Tage lang Allgemeinstöruugeu (auch Schüttelfröste), einmal
vagiunl untersucht 4 Stunden vor der Entbindung. Abscess am
Fundus utcri, Gewelie von Streptococcen durchsetzt. Die Therapie
hat die Aufgabe, mehr als bisher von den weiblichen Genitalien
Infektionen fern zu halten.
2) G. Heinrlcius: Ueber die pathologische Bedeutung
der Retroversioflexio uteri. (Aus der geburtsh.-gyuäkol. Uni¬
versitätsklinik ln Helsingfors.)
Für die unkomplizirte Retrodeviation der Gebärmutter gibt
es keinen charakteristischen Symptomenkomplex oder einzelne
Symptome. Dabei vorkommende Beschwerden beruhen in Stör¬
ungen ln den Genitalorganen (Druckwirkung des retroflektirten
Uterus) oder ln anderen Theilen des Organismus.
3) Axel R. Limnell: Zur Anatomie der Ovarialtumoren.
(Aus der geburtsh.-gynäkol. Universitätsklinik zu Helsingfors.)
L. bespricht die verschiedenen Arten der Ovarialtumoren auf
Grund eines Materials von 250 klinisch beobachteten Fällen und
50 pathologisch-anatomischen Präparaten. Dabei folgt er überall
der von Pfannenstiel aufgestellten Theorie.
4) Axel Wallgren: Zur Kenntniss der Inversio uteri.
(Aus der geburtsh.-gynäkol. Universitätsklinik zu Helsingfors.)
W. thellt 4 Fälle von Inversio uteri mit. vou diesen waren
3 komplet, eine inkomplet; 2 mal handelte es sich um puerperale
und 2 mal um durch Geschwülste verursachte Inversion. Alle
Fälle wurden operativ behandelt, 2 mal wurde der Uterus er¬
halten, eine Frau starb nach Amputation des Uterus an Anaeuiie.
die übrigen 3 wurden geheilt. — Eingehende Llteraturaugalien.
5) F. E. Hellstroem: Untersuchungen über Verände¬
rungen in der Bacterienzahl der Faeces bei Neugeborenen. (Aus
dem Laboratorium der geburtsh.-gynäkol. Universitätsklinik in
Helsingfors.)
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10. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1457
H. machte eigene Untersuchungen an 5 Neugeborenen und
fand, dass bis zum 4. Lebenstag tlie Zahl der ln Kulturen entwick¬
lungsfähigen Keime aus den Fäces eine ungewöhnlich hohe ist.
Von da ab sind die meisten der lm Gesichtsfeld unter dein Mikro
skop sichtbaren Keime als abgetödtet anzusehen. Die Ursache
bildet H. darin, dass in den ersten Tagen der Nährgehalt des
Darmlnhaltes grösser ist als ln den spätem, und dass die ent
stehende saure Reaktion noch nicht ihre volle Wirkung übt.
G) Hjalmar Bergholm: Bacteriologische Untersuchungen
des Inhalts von Pemphigusblasen in Fällen von Pemphigus
neonatorum. (Aus dem Laboratorium der geburtsli.-gyuUkol. Uni¬
versitätsklinik in Helsingfors.)
Aus Anlass einer Pemphigusepidemie in der Gebäranstalt,
untersuchte B. den Inhalt von 0 Pemphigusbinsen und fand einen
Coccus in Reinkultur, den er für identisch hält mit dem von
anderen Untersuchem gefundenen (W h 1 p h a m). Damit ge¬
impfte Mäuse starben zu 80 Proc. innerhalb der ersten 5 Tage,
zeigten Jedoch keine Hauteruption.
7) Carl H a h 1: Strlktur des Os internum uteri als Geburts-
hindemiss. (Aus der geburtshilfl.-gynäkol. Universitätsklinik ln
Helsingfors.)
Bel einer 24 jährigen II. Para bestand 10 cm über dem Os
exteruum eine derbe Stenose, nur 2 cm weit, der Uterus war an¬
dauernd tetanlsch. Tarulor’s Eearteur erweitert für 3 Finger.
Cninioclast vergeblich angewendet, Extraktion am Fuss. Spätere
Beobachtung zeigte, dass es sich um eine angeborene oder früh
erworbene Im Os internum gelegene Strietur handelte.
8) Robert Ehrstroem: Ueber die sog. puerperale Pep-
tonurie. (Aus der geburtsh.-gvuäkol. Universitätsklinik in Hel¬
singfors.)
Pepton und Deuteroalbumose sind auseinanderzuhaltcn. Bei
Schwangeren und Wöchnerinnen kommt nach den von E. bei
8 Frauen angestellten Untersuchungen Deuteroalbumose im Harn
iiomial uielit vor, sondern ist stets als eiue pathologische Er¬
scheinung zu betrachten und zwar als eine Folge der Temjiera-
tursteigerung. Dr. Anton H e n g g e - München.
Hegar’s Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie.
Bd. V, Heft 1. Leipzig, Arthur Goorgi.
Pli. Langhans - Bern : Syncytium und Zellschicht.
Placentarreste nach Abort. Chorionepitheliome. Hydatidenmole.
(Mit 3 Tafelnd
Die Arbeit, die mit wenigen Worten zu referiren ganz un¬
möglich ist. behandelt in ihrem ersten Theil die zur Zeit bezüglich
der Anatomie der Plaeenta Im Vordergrund des Interesses stehende
Frage über die Entstehung und das gegenseitige Verhältniss von
Syncytium und der nach dem Verf. benannten Zellschicht. Sic
bringt die Resultate einer ausgedehnten Erfahrung, die ausschliess¬
lich die menschliche Plaeenta betrifft. Zu genauem Studium der
Frage ist nach des Verfassers Ansicht unbedingt erforderlich
frisches Material und feinste Schnitte; auch die Krankheiten der
Verstorbnen und die Konservirungsmetboden sind wohl zu be¬
rücksichtigen. Im Ganzen Ist die Finge über die Beziehungen
zwischen Syncytium und Zellschicht noch nicht definitiv zu ent¬
scheiden und die Entstehung des Syncytium aus dem Uterus¬
epithel Ist noch eine Hypothese. Der zweite Theil der Arbeit
bringt eiue Reihe genauer mikroskopischer Untersuchungen von
Placentarresten nach Abort, dann folgen vier Fälle von Cboriou-
epitheliom, die Verf. beobachtete und bei denen der Charakter
des Chorionepithels wenig oder gar nicht verändert war. Bezüg¬
lich der Auffassung der Blasenmole spricht sich Verf. gegen die
Stauungstheorle (Behinderung des Blutstroms In der Vena umbil.i
wie auch gegenMieVlrcho w’scheTheorie (Muclnentwicklung) aus.
E. K e h r e r - Freiburg: Pathologisch-anatomischer Beitrag
zur sogen. Salpingitis isthmica nodosa. (Mit 2 Abbild.)
K. hat einen Uterus infantills planifundalis. bei dem die Be¬
funde eines Adenomyoms des Tubenwlukels oder einer Salpingitis
isthmica nodosa der Form nach zu erwarten waren, in Serien¬
schnitte zerlegt. Derselbe stammte von einer 20Jiihr. Nullipara und
wurde abdominal entfernt. K. kommt nach seinem Befund und
Vergleich mit dem anderer Autoren zu dem Schlüsse, dass beide
Formen der Salpingitis am Istlunus und Tubonwinkel (intra-
tuuralis et Isthmica) durch Entzüudungserreger entstehen, die
fähig sind, chronische Prozesse zu unterhalten, dass die S. Intra-
muralis besonders durch Tuberkelbacillen entsteht und man also
bei knotenförmigen Verdickungen seitlich an der Pars keratina
des Uterus an Tuberkulose denken muss, während der S. isthmica
für die Mehrzahl der Fälle eine gonorrhoische Aetiologie beizu¬
messen ist. Genetisch kommt für epitheliale Bildungen Innerhalb
der Tubenwand in Betracht die Tube und die ITrniere. wahr¬
scheinlich auch die Uterusmucosa der Tubenecken und das
Serosaeplthel. Die epithelialen Hohlräume im angeführten Falle
waren direkt durch Ausstülpungen 1 der Tubenschleimhaut ent¬
standen.
F. Kerraauner und H. Lnmfirls - Graz: Zur Frage der
erweiterten Operation des Gebärmutterkrebses. (Mit 14 Abb.)
Anf Grund der statistischen Arbeit aus der Grazer Klinik,
die 34 Fälle von abdominaler Rndikaloperation umfasst, und
eigener Erwägungen halten sich die Verfasser für berechtigt,
folgende Hanptsätze aufzustellen: Nur beginnende Portioearcinome
einer Lippe können supravaginal nmputlrt werden; Orvixcnrclnome
erfordern die Laparotomie und gründliche Drüsonausrihiniung;
Nelienverletzungen sind hei weiter Imlikationsstellung oft unver¬
meidlich; die Gefahren dieser veränderten F r e u n d'schen Ope¬
ration sind geringer geworden; die Abwägung des Eingriffs hängt
nur von der klinischen Untersuchung der Parninetrien ab; bei
Komplikation mit Gravidität und Geburt ist. die erweiterte
Freund’sche Operation stets zu empfehlen; die Art des Weiter¬
greifens im Bindegewebe ist verschieden, Drüsen werden an «len
typischen Stellen ergriffen.
K. Wo 1 f f - Strassburg i. E.: Ein Fall von Neurofibromatose.
Waohsthum und Neuaultreten in der Gravidität. (Mit 3 Abb.
und i Tafel.)
Verf. hat schon früher 4 Fälle der Interessanten Krankheit
veröffentlicht, bei der es sich um nugelioreue libromntöse Diiithese
huudelt und fügt diesen jetzt einen hinzu, der sieh bei einer
35 jährigen 1. Para fand, deren Bauch und Brust ganz von kleinen
braunen Geschwülsten bedeckt war; doch fanden sie sich auch
sonstwo. Eine dieser wurde exstirpirt und die genaue Unter¬
suchung ergab typisches Neurofibrom: es gelang, was selten ist.
der Nachweis von Nervenfasern ln dem Hauttumor. ohne dass
Geschwulstbildung an den grossen Nerven sieh fand, ln den
letzteren Wochen der Gravidität war starke Neueniption aufge¬
treten.
A. M 11 ry-Basel: Zur Prophylaxe der Mastitis.
Verf. empfiehlt, nach der Geburt Warze und Areola mit ge¬
sättigter Borsäureiösung zu reinigen. Borken mit Vaselin zu ent-
entfernen. Auf Jede Warze kommt sofort eiu in 4 proc. Bor
lösnng getauchtes Läppchen, darfilier Guttapercha und nochmals
Gaze. Dies bleibt im Puerperium mul wird nach dem Stillen er¬
neuert; auch wird vor und nach dem Anlegen der Mund des Kindes
mit Borlösung gereinigt. Vogel- Würzburg.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd
2. lieft.
1) R. B o u u e t - Greifswald: Zur Aetiologie der Embryome.
Vortrag, gehalten im medieinisehcn Verein zu Greifswald
am 1. Dezember 1000.' Referat siehe Wochensehr. No. 8. S. 313.
2) K r o e n 1 g und F u e t h - Leipzig: Vergleichende Unter¬
suchungen über den osmotischen Druck im mütterlichen und
kindlichen Blute.
Veit, der die ersteu Versuche ülier den osmotischen Druck
im mütterlichen und kindlichen Blute durch Gefrierpunktsliestim-
muHgcu angestellt hat. kam zu dem Resultat, dass mütterliches
und kindliches Blut nicht isotonisch sind, sondern dass dem kind¬
lichen Blute ein höherer osmotischer Druck zukommt wie dem
mütterlichen. Die Ursache des höheren osmotischen Druckes im
kindlichen Blute schreibt er einer sekretorischen Thätigkcit der
Zellen der L a n g li a n a’sehen Schicht zu. wodurch ein reicherer
Uehergang von Salzen auf das kindliche Blut bedingt würde. Kr.
und F. haben diese wichtigen Untersuchungen V e i t's von Neuem
aufgeiiommen. von der Ueherzetigung ausgehend, dass die Mutter
und Kind trennende zarte Membran bei einem osmotischen Drttck-^
unterschiede kaum Widerstand leisten könne.
Die Resultate dieser Untersuchungen differiren mit den von
Veit gefundenen Zahlen, der mit dersellien Methode die Gefrier-
punktshcstiiiimuiigen vornahm und auch den B e c k m a n n'selien
Apparat benutzte, mit dem Einzelmessiiugen bis zu eines
Grades genau auszuführen sind.
Verf. stellten hei mehreren einzelnen Blutprolien je 4 Einzel-
messungen zur Bestimmungdes Gefrierpunktes an und nahmen dann,
nachdem alle möglichen Fehlerquellen genau festgestellt waren,
vergleichende Gefrlerpunktsbestimniungen zwischen mütterlichem
und kindlichem Blute vor. Die Versuche ergaben, dass Blutplasma.
Blutserum und Blutkörpereben derselben Blutprolie dieselbe Ge¬
frierpunktserniedrigung haben. Diese ändert sieh durch wieder¬
holtes Aufthauen und Gefriereidassen des Blutes bei kräftigem
Schütteln nicht. Mütterliches und kindliches Blut befinden sieh
am Ende der Austrelbungszeit der Geburt im osmotischen Gleich¬
gewichtszustand. Als Mittelwert)! fand sieli bei filier 20 ange¬
stellten Gefrierpunktsbestiinmungen des Blutes der Krelsseiwlen
und der Neugelioreiien — 0.320.
3) B r u n n e r - Zürich: Kasuistische Mittheilungen.
1. Ein Fall von Uervixeaivlnom mit Pyometra und Pyokolpos
bei Airesla vaginae senilis bei einer 70Jährigen Frau. Der bis
In die Mitte zwischen Proc. xiplioideus und Nabel ragende Tumor
wurde zwischen Urethra und Rectum eröffnet. Es entleerte sieh
viel schmutzig - gcllier Eiter, der sieh bei der bakteriologischen
Prüfung als steril erwies. Erst jetzt konnte festgestellt werden,
dass es sich um ein vorgeschrittenes Carelnom der Cervix handelte.
Die Ursache des Scheiden Verschlusses war eint* Vaginitis adhaesivn
senilis, die vor 12 Jahren, als Patientin starken Ausfluss hatte,
einsetzte.
2. Ovarialtumor von aussergewöhnlieher Grösse. Leibes¬
umfang 108 cm. Punktion wegen hochgradiger Dyspnoe. Abfluss
von (>()'/, Liter Flüssigkeit. Nach 3 Tagen Exstirpation der Cyste,
die papillären Bau zeigte und ein Gewicht von 10 kg hatte. Nach
2 Monaten Ascites. Wiederholte Punktion. Unter zunehmenden
Beschwerden und Marasmus Exitus letalis.
Die Autopsie ergab starken Ascites, an der Oberfläche des
Peritoneums zahllose Knötchen. Das kleine Becken war von Ge¬
schwulst müssen ausgefüllt. Es handelte sieh um ein Carelnom.
An die Beschreibung des Falles knüpft Verf. noch einige Be¬
merkungen über die Häufigkeit der grossem Ovarialtumoren und
filier die Entwicklung maligner Geschwülste auf dem Peritoneum.
4) Sehr ö der- Bonn: Zur Kaiserschnittfrage. (Moliatssehr.
f. Geb. ii. Gyn. Bd. X. II. 4.1
Verf. wendet sieh gegen Hiilil. der auf Grund der In der
Literatur bekannten Kaiserschnittsfälle mit querer Eröffnung des
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1468
IJterusgrundes dem Längsschnitt den Vorzug vor dem queren
Fundalschnitt gibt.
Sehr, theilt 13 neue Kaiserschnittsfälle mit querer Eröffnung
des Fundus mit, bei denen sich die von ihm schon früher hervor-
gehobeuen Vorzüge dieser Schnittrichtung wieder bestätigt haben.
Neben der Erleichterung und Vereinfachung der Technik
dieser Methode lässt sich das Einfliessen des Fruchtwassers in die
Bauchhöhle sicherer vermeiden; die Blutung aus der Uteruswunde
ist gering und lässt sich leichter stillen; diePlacenta wird nur selten
vom Schnitt getroffen; die Entwickelung des Kindes ist einfacher
und schneller, dadurch die Kontraktion des Uterus eine raschere.
Die Gefahr der Infektion des Peritoneums ist bei der einen
Schnittrichtung nicht grösser wie bei der anderen.
f>) P a 1 m - München: lieber papilläre polypöse Angiome und
Fibrome der weiblichen Harnröhre. (Fortsetzung im nächsten
Heft.) A. G e s s n e r - Erlangen.
Centralblatt für Gynäkologie, 19ol. No. 35.
1) Anselm Feitel- Wien: Zur arteriellen Gefässversorgung
des Ureters, insbesondere der Pars pelvina.
Eine vorläufige Mittheilung, in der F. angibt, dass er bei
8 anatomischen Präparaten einen neuen Ast der Iliaca communis
resp. hypogastrica gefunden, den er „Arteria ureterica“ nennt, und
welche bei der Radicaloperation des Uteruscarcinoms gefährdet sein
soll. Hierdurch sollen die häufig danach beobachteten Ureter¬
nekrosen zu erklären sein.
2) F. A. Kehrer-Heidelberg: Pelvis plana osteomalacica.
Den bisher bekannten 3 Formen platter Becken: Pelvis plana
Simplex, rachitica und ubique rainor plana fügt K. eine 4. Form
hinzu, die er Pelvis plana osteomalacica nennt Sie
entspricht dem ersten Stadium der osteomalakischen Formver-
anderungeu und kann viele Jahre dauern. Hier ist die Messung der
Conjugata diagonalis von grosser Bedeutung. Geburtsverlauf und
Therapie sind die des platten Beckens. K. hat diese Beckenform
in Glessen und Heidelberg vielfach beobachtet und beschreibt zum
Schluss die beiden zuletzt von ihm gesehenen Fälle.
J a f f 6 - Hamburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 54. Bd. Heft 2 .
.. I'nlk e n h e i m - Königsberg: Ueber familiäre amau¬
rotische Idiotose.
Iteferirt in No 42, 1900, Bd. 47 dieser Wochenschrift.
0) Ernst S c h i f f - Grosswardein: Neuere Beiträge zur
Haematologie der Neugeborenen. (Schluss.)
Das specifische Blutgewicht des Neugeborenen beträgt vom
1—0. Tag ca. 1,07—1,08, vom 7—10. Tag ca. 1,00—1.07. bei einer
, gleiclimüssigen Abnahme um ca. 0.001 pro die. Dabei ergibt sich
besonders in den ersten 3 Lebenslagen ein etwas höherer Werth
bei Pag, als bei Nacht. Kräftige Entwickelung und späte Ab
nabelung bei nicht iktorischen Säuglingen geben hohe Werthe.
Blutkörperchenzahl und Haemoglobingehalt scheinen ohne Ein¬
fluss zu sein, wohl aber von Einfluss die Nationalität.
Literaturbericht. — Besprechungen.
S 1 e g e r t - Strassburg.
Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 29 Bd*
3. Heft. 1901.
13) R. A. Redding ins: Die Zellen des Bindegewebes.
(Aus dem pathologischen Institut zu Groningen.)
R. betont die Einseitigkeit unserer heutigen histologisch-
pathologischen (mikroskopischen) Untersuchungsmethode und be¬
richtet über seine Untersuchungen, bei denen er die N i s s l’sche
Ganglienzellenfärbung anwendet, wodurch neben der Färbung der
Kerne und Kernkörperchen des Bindegewebes auch die Struktur
des Protoplasmas und die Zollgrenzen deutlich hervortreten. Durch
seine Untersuchungen über die Frage der Entzündung wird wieder
die aktive Thiitigkeit des Gewebes mehr in den Vordergrund
gerückt.
14) D. Schirschoff - St. Petersburg: Beitrag zur Kennt-
niss der zellförmigen Elemente der Eihäute der Vögel. (Aus
dem pathologischen Institut zu Freiburg i. B.)
Ausgehend von den S c h ü 11 e r’schen Untersuchungen
(Monatsschrift für Unfallheilkunde No. 9, 1899) über die Heilung
granulirender Wundeti durch Bedeckung mit der Selialenlnnenhaut
eines Hühnereies weist Verfasser auf Grund seiner embryologisch-
histologischen Untersuchungen die Ansicht jenes Autors hinsicht¬
lich der Genese der Schalcuhaut als unrichtig nach, bestätigt aber
die klinischen Beobachtungen desselben über die Wucherung«
fähigkeit der zelllgen Elemente der Sclialenhautinnenflüche.
1;>) A. F u j i a m i - Japan: Ueber die Gewebsveränderungen
bei der Heilung von Knochenfrakturen. (Aus dem pathologischen
Institut zu Freiburg i. B.)
Aus den umfassenden experimentellen Untersuchungen, die an
Säugothieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien (in allen Stadien
der Heilung) vorgenommen wurden, ergibt sieh: Der Vorgang der
Knochenregeneration nach Frakturen ist bei Menschen und Thieren
p r i n c i p i e 11 der gleiche, doch finden sich je nach der Thier-
specios, dem Individuum. Alter, Ernährungszustand und den
äusseren Lehensbedingungen Abweichungen. Die callusbildenden
Elemente sind die in Wucherung gerathenen fixen Zellen des
Poriostes und des Knochenmarkes (äusserer und innerer Gallus);
ob die umgebenden Woiehtbeiio sieli auch an der Callusbildung
betheiligen, lässt F. unentschieden. Das Endresultat der Fraktur-
No. 37.
hellung ist beeinflusst durch statische und mechanische Ein
Wirkungen auf die frakturirten Knochen.
10) L. .Tores und H. L a u r e n t: Zur Histologie und Histo-
genese der Pachymeningitis haemorrhagica interna. (Aus dem
pathologischen Institut und der chirurgischen Universitätsklinik
zu Bonn.)
Die Verfasser wollen auf Grund ihrer vorliegenden und
früheren Untersuchungen alle die Vorgänge, die bisher als iden¬
tisch unter dem Namen der Pach. haemorrh. int. zusammengefasst
wurden, in 3 Gruppen einthellen: 1. es handelt sieh um Orgnni-
sationsproeesse primärer subduraler Blutungen, die äusserlieh
viel Aehnlichkeit mit der Pach. haemorrh. int. besitzen: das End¬
resultat wäre eine fibröse Duraverdlckung. Bei der zweiten Grupp?
— besonders nach Infektionskrankheiten auftretend — findet sich
ein richtiges fibrinöses und fibrinös-haemorrhagisehes Exsudat, das
durch Organisation zur Bildung bindegewebiger, der Dura innig
anliegender Membranen führt, während der entzündliche Proress
gleichzeitig noch weiter fort sch reiten kann. Endlich ist für die
3. Gruppe charakteristisch eine von der Capillarsehichte der Dur»
ausgehende Wucherung sehr gofüssreicher, zu Blutungen neigender
Membranen: dieser I’rocess ist progredient, eine Rückbildung
findet nicht statt..
17) II. Merkel: Ueber Lipombildung im Uterus. (Aus dem
patholog. Institut zu Erlangen.)
Diese im Uterus enorm seltenen Geschwülste boten bezüglich
ihres Sitzes, wie der durch sie bedingten Formveränderung des
Uterus völlige rebereinstimmung mit interparietalen Myomen.
Hinsichtlich der Genese glaubt M., entgegen der Ansicht von
B rflnlng s. dass es sich nicht um eine Umwandlung vou glatter
Muskulatur in Fettgewebe handle, sondern um eine embryonale
Verlagerung von Fettgewebe (event. zugleich neben Myomanlagen)
in die Uterusmuskulatur.
18) S. Oberndorfer: Mittheilungen aus dem patholog.
Institut zu Genf.
O. beschreibt eine kleinapfelgrosse Cyste der Nebenniere, die
er auf Grund des mikroskopischen Befundes weiterer kleinerer
Cysten als Lymphcyste anspricht und berichtet ül>er 2 Fälle, iu
denen als zufälliger Befund mehrfache bis halberbsengrosso in
der Suhmucosa des Darmes gelegene Knötchen angetroffen wurden,
die Vorf. als primäre beginnende Lymphgefäss- (Fall 1) bezw.
Schleimhautkrebse (Fall 2) erklärt. (? Ref.)
19) F. Steinhaus: Histologische Untersuchungen über die
Masernpneumonie. (Aus dem pathologischen Institut zu Marburg.!
Die Masernpneumonie ist nach St.’s Untersuchungen keine
eigentliche katarrhalische Pneumonie, da ln den Herden der akuten
Entzündung stets Fibrin naehzuweiseu ist. Bezüglich der Patho¬
genese handelt es sieh ent w e der um eine primäre Bronchiolitis,
von der aus sieli dann meist durch Uebergreifen der Entzündung
auf die den Bronchus umgebenden Alveolengruppen, seltener durch
Absteigen des Processes in das zugehörige Alveolargebiet der
akute pneumonls e h o II e r d entwickelt. Oder aber es
entstehen durch Aufnahme (1er Entzündungserreger in die peri¬
bronchialen und perivasculären Lymphbabnen mehr chronische
interstitielle Herilchen. Die kleinsten Herde können
durch Konfluenz iu lobuläre und lobäre Hepatlsationen übergehen.
Die häufig vorkommenden Atelektasen rühren vom Verschluss der
Bronchiolen des betr. Bezirkes durch entzündliches Sekret her.
20) K. Sudsuki: Ueber die Pathogenese der diphtheri-
tischen Membranen. (Aus dem patholog. Institut des Kranken¬
hauses Friedrichshain.)
Die Ablösbarkeit der betr. Membranen entscheidet nach 8.
nicht die Frage, ob diphtheritiseh oder eroupüs im anatomischen
Sinne: dieselbe ist vielmehr abhängig von dem Fibringehalt und
der Grösse der ausschwitzenden Stelle. Die letztere kann u. U.
klein sein und sich das fibrinöse Exsudat von dort aus seitlich
noch weiter auf die Oberfläche der Schleimhaut ergiesseu. Die
Membranbildung in der Trachea zeigt gegenüber der an Uvula.
Gaumen mal Tonsillen einige Abweichungen. Stets handelt cs
sieli um fibrinöses Exsudat, nie um fibrinoide Entartung der Epi¬
theliom
E. / i e g 1 e r: Nachruf für Giulio Bizzozero.
H. Merkel- Erlangen.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
4d. Bd.. 1. u. 2. Heft.
1) T. S o 11 m a n u - Cleveland: Versuche über die Verthei-
lung von intravenös eingeführten isotonischen Na CI- und
Na,. SO,-Lösungen.
Bei den genannten Einspritzungen verlassen die Lösungen
die Gefiisse sehr rasch und nach einer halben Stunde ist das Blut
wieder fast normal, sowie der Serumgehalt des Versucbsthieres
zum früheren Betrag zurückgekchrt. Desswegen kaun nach Blut-
entziclning die Blutmenge durch Flüssigkeitseinspritzungen nicht
dauernd vermehrt werden. Salze und Wasser treten zunächst in
die Gewebe, darauf langsam in den Harn über. Ausserdem
steigern sich die verschiedenen Sekretionen, besonders sammelt
sich auch im Darm viel Flüssigkeit an. Der Harn zeigt in den
einzelnen Perioden gleiche moleculäre Couceutration an anorga¬
nischen Salzen, wie das Serum. Na CI reisst indes andere Salze
in etwas grösserer Coneentration mit, als sie sich Im Serum be¬
finden, während nach Na. SO* der Harn beinahe chlorfrei wird.
2) M. J a c o b y - Heidelberg: Ueber die chemische Natur
des Ricins.
Von rein pharmakologischem Interesse.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Digitized by CjOOQie
10. September 1901. MUENOTTKNKR MEDICINTSCITE WOCHENSCHRIFT.
1459
•0 Waldvogel - Berlin: Klinisches und Experimentelles
zur Nierendiagnostik.
Verf. unterzieht die Methode der Gefrierpunklsbostimmmig
von Harn uml Blut bei der Diagnostik von Niereiikrnuklieilen
einer Kritik und kommt zu folgenden für die Praxis wichtigen
Schlusssätzen:
1. P;e Wcrlho für A, Ä . Menge, und ^ bei Nephritis
siud für die Nierenentzündung nicht typisch und inkonstant:
gleiche Verhältnisse, diese Werthe betreffend, fanden sich l>ei
Iuauition und vicarilrender Hypertrophie nach Exstirpation einer
Niere. .
2. Blntentziehung und Koehsalz- hezw. Wassorinfusion sind
nieht im Stande, die für die Uraemle nicht typische Erhöhung des
Blutgefrierpunkts zu beseitigen, resp. zu vermindern.
X Bei einer wenig secernirenden, in einen Eitersack ver¬
wandelten Niere ist es angängig, ans einem über 1.0° liegenden
Werth für A des Gesammturins günstige Schlüsse für die Mög¬
lichkeit der Nierenexstirpation zu ziehen.
4. Wir sind im Stande, eine nach Nierenexstirpatiou sich nicht
gleich nach der Operation, sondern einige Tage später entwickelnde
l-'unktionsunfnhigkeit der zurückgebliebenen Niere durch Fest¬
stellung der unter 1. angegebenen Werthe festzustellen.
4i Fr. M ü 11 e r- Berlin: lieber Acetonglykosürie.
Die von Ruse li h a u p t hei Acetoninhalationsnarkose be¬
obachtete Glykosurk* hat nach den Versuchen M ii 11 e r’s ihren
Grund lediglich in den die Narkose begleitenden Schädigungen d:s
Organismus., nämlich in der stärkeren Abkühlung oder hoch¬
gradigen Dyspnoe. Aus den gleichen Gründen kommt Glykosurie
auch bei Anwendung anderer Narkotiea (Aothfr etc.) vor.'
Tu A. B a r n e s - Philadelphia: Ueber einige kr.impferregmce
Morphinderivate und ihren Angriffspunkt.
Währer.d die Morphoxylessigsäure und ihre llnmol igon relativ
ungiftige Körper sind, stellen ihre Methyl- und Aethyb-ster heftige
Krampfgifte dar. Dieselben wirken heim Frosch auf das Rücken¬
mark. heim Kaninchen dagegen liegt der alleinige Angriffspunkt
der charakteristischen Krampf Wirkung Im Hirnstanim.
<») H. v. R e c k 11 n g h nuson - Strnsslnirg: Heber Blut¬
druckmessung beim Menschen.
Verf. beschreibt zunächst einen neuen Apparat zur Blutdruck-
mcssu'ng. der jenem von Rlva-Roccl und Hill und Bar-
nard ähnelt. Eine doppelwandige Gummimanschette, deren
äussere "Seite einen Biechmantel trägt, wird um Ober- und Unter¬
arm etc. gelegt und solange mittels einer Pumpe mit .Wasser ge¬
füllt, bis au der peripheren Arterie kein Puls mehr gefühlt wird.
Durch eineu communicirenden Schlauch steht die Mansehotte mit
eineju Drucksclireiher oder einem Manometer in Verbindung.
Wesentlich ist, dass die gewählte Manschette eine ausreichende
Länge (ca. Io cm) besitzt, denn die Unzuverlässigkeit der älteren
Apparate beruht hauptsächlich auf einer zu kleinen Ausdehnung
der comprimirten Fläche. Verf. beweist dann in klarer Aus¬
einandersetzung, dass es mit genannter Methode möglich ist. den
maximalen Pulsdruek in den grossen Arterien des Menselien mit
vollkommener Zuverlässigkeit und für die meisten klinischen und
physiologischen Zwecke durchaus genügender Genauigkeit und
grosser Schnelligkeit zu messen. Steigert man den Druck in der
Manschette während der Pulszeichnung allmählich, so erhält man
die sogen. Treppenkurve, ans welcher sich die richtigen Grössen
des maximalen, minimalen und mittleren Blutdruckes leicht kon-
struiren lassen. Auch ist es möglich. Blutdruckschwankung: n von
nicht zu grossem Umfang korrekt graphisch zu registriren, ein
direktes Aufzeichnen von Pulsberg und Pulsthal in den richtigen
Proportionen gelingt indessen nicht. Bezüglich .der weiteren
technischen Einzelheiten bei Anwendung der Methode, sowie hin¬
sichtlich der Vergleichung mit den anderen bekannten Methoden
und hinsichtlich der gewonnenen Ergebnisse sei auf das Original
verwiesen.
7) O. Neubauer- Prag: Ueber Glykuronsäurepaarung bei
Stoffen der Fettreihe.
Fast sümmtliche Alkohole, die Ketone, gewisse ungesättigte
Kohlenwasserstoffe und manche Aldehyde gellen im Thierkörper
zu einem Tlieil in gepaarte Glykuronsäuren über.
8) W. W 1 e e h o w s k 1-Prag: Ueber, das Schicksal des
Cocains und Atropins im Thierkörper.
Beide Stoffe erleiden hu Thierkörper eine weitgehende Zer¬
setzung. Vom Cocain werden im Mittel mir.; 5,.,,vom Atropin
33 Proc. unverändert durch die Nieren ausgeschioden. Ecgoinu
oiler Tropin lassen sich als Zersetzungkproduktu'des Cocains resp.
Atropins in den Ausscheidungen nicht nachweisem
.L Müller- Würzburg.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 35.
Nekrolog auf Alwin v. Coler.
1) P. Ba umgarten - Tübingen: Ueber das Verhältnis3 von
Perlsucht und Tuberkulose. *
Verf. weist zunächst auf die schon früher von Galser aus-
Kefilhrten Versuche hin, welcher durch Impfung von Porlsueht an
Kälbern typische Miliartuberkulose erzeugen konnte und berichtet
sodann über die von einem unterdes« verstorbenen Arzte in thera-
peiitischer Absicht an Krebs- und Sarkom-Kranken ansgeführten
Versuche, durch UelWtrnguiig von Tuberkulose auf dieselben die
bösartigen Geschwülste zum Stillstand zu bringen. Da damals die
IVrlsucht als ganz Identisch mit der menschlichen Tuberkulös:* nn-
(reselicn wurde, wareii zu diesen therapeutischen Versuchen Perl-
Hiulitbarlllen verwendet worden. Bei keinem dieser Kranken
wurde die Entwicklung von Tuberkulose walirgeiioinmeii. Verf.
erblickt praktisch in der Tuberkulose des Rindes keine sehr grosse
Gefahr für den Menschen. Er kann aber doch nicht rathen, die*
bisherigen Vorsiehtsmaassregeln gegenüber der Rimlertuberkulos *
hufzugeben, da die Möglichkeit der Ucbertragung von Tuberkulose
immerhin zugegeben werden muss. B. vertritt ferner die An¬
schauung von der ursprünglichen Identität der Erreger der
Menschen- und Rlndertuberkulose. glaubt aber, dass durch die
viele Generationen hindurch einerseits im Rind, andererseits im
Menschen erfolgte Fortzüchtung den Tuberkelbacillus in mancher
Hinsicht inodilizircn konnte, so dass ihre Wirkung nicht ohne
Weiteres gleich ist. falls sie von dem einen Organismus auf den
anderen verbracht werden.
2) Th. G I u c k - Berlin: Beitrag zur Chirurgie der Peritonitis.
(Schluss folgt.)
Ö) (i. .1 u w ein- St. Petersburg: Zur Frage über den Ur¬
sprung und die Bedeutung der basophilen Körnchen und der
polychromatophilen Degeneration in den rothen Blutkörperchen.
Wie die Zusammenstellung der Anschauungen verschiedener
Autoren ergibt, bestellt in dieser Frage noch durchaus keine Einig¬
keit und neigen sich besonders Vieh* der Ansicht zu. dass man
hierin eine Degenemtioiiserschehiung vor sich habe. Verf. konnte
nun folgenden Fall beobachten: In eineni"»Fall schwerer Bothrio-
eephalus-Anaemie trat nach Abtreiben des Wurmes keine Besse¬
rung ein. sondern entwickelte sich diis Bild der perniclöseii pro¬
gressiven Annemie; daun Komplikation durch eine kntarrhalis h *
Pneumonie. Hierauf plötzliche Besserung mit dem Bilde der
sogen: Blutkrise, d. li. plötzlicher Rückgang der schweren Blutver¬
änderungen. In diesem Zeitpunkt erschienen hei dem Kranken
massenhafte basophile Körnehen im Blute, und es zeigte sieh die
Erscheinung der sogen, polychromatophilen Degeneration. Sobald
diese erhöhte Produktion des Knochenmarks wieder abnahni. ver¬
schwanden auch diese Gebilde aus dem Blute. Es erweist sich
also hieraus, dass sowohl die basophilen Körnchen, als auch die
andere bezeichnet« 1 Erscheinung Anzeichen der Blutregenerntiou
darstellon. Die basophilen Körnchen entstehen durch Karyorhexis,
die polychromatophilen rothen Blutkörperchen entstehen wahr¬
scheinlich durch Auflösung eines Thelles der Kernsuhstauz. Auf
die übrigen Schlussfolgerungen dos Autors kaun an dieser Stelle
nicht weiter cingegnngcn werden.
4) J. II e r z f e 1 d - Berlin : Ein Fall von doppelseitiger
Labyrinthnekrose mit- doppelseitiger Facialis- und Acusticus-
lähmung; mit Bemerkungen über den Lidschluss bei Facialis-
•lähmüngen während des Schlafes.
Im Verlaufe von Scharlach trat hei einem 9 jährigen Knaben
eine * doppelseitige Mittelohreiterung auf mit foetideui Sekret,
welche in ganz kurzer Zeit zu absoluter Taubheit führte. Bei
der Radikaloperatioii des 1. Ohres zeigte sich deT ganze Warzen-
fultsatz sequestrirt. nekrotische Stellen im inneren Ohre. Die
Schnecke wurde «. röffuet. Einige Zeit nachher erfolgt,* Ausstoßung
des Labyrinths, das nekrotisch geworden war. Auch auf dein
r. Ohr fand sich bei der späteren Radikaloperatioii Nekrose des
horizontalen Bogenganges. Der Knabe wurde beiderseits voll¬
ständig taub. Die doppelseitige Fnclulislähmung trat schon in
der ersten Zeit der Ohrenentzündung ein, mit den bekannten Sym¬
ptomen. Itn Wachen konnte der Lidschluss nicht völlig ausgeführt
werden, dagegen waren im Schlafe beide Augen vollständig ge¬
schlossen. Der Fall beweist, dass der Lidscliluss im Schlaf nicht
immer allein durch die aktive Kontraktion des M. orbietihiris er¬
folgt. Es scheint, dass hiebei die Erschlaffung von glatten Muskel¬
fasern mitspielt, welche vom Sympathicus innervirt werden und
sich im oberen und unteren Lid befinden; auch kommt das Ztiriick-
zielien des Bulbus lu die Orbita in Betracht.
r» E. F a 1 k - Berlin: Tubenruptur und Tubenabort.
Verf. bespricht das Zustandekommen und den Verlauf des
tubaren Abortes, von dem er ca. 00 Fälle gesehen hut. Klinisch
behandelt«» er 22 Fälle und nahm hei 10 derselben die Laparotomie
vor. Nur in 1 Fnlle war der Ausgang ein schlechter. Der Artikel
bringt die Krank heit sgeselilehten der operirten Fälle. Die wich¬
tigste Erscheinung des tubaren. Abortes ist die innere Blutung
mit ihren Erscheinungen, von denen besonders die schwere Ohn¬
macht Im Beginn liervorzUhcben ist, ferner oft ein heftiger
Schmerz im Unterteilte, mitunter Erbrechen. Maassgehend für
den operativen Eingriff ist das Urthell, oh die iunere Blutung zum
Stillstand gekommen ist oder nicht, ln letzterem Falle muss mög¬
lichst rasch operirt wirclen; meist kommt di * Laparotomie in Frage;
Oh die Blutung zum Stillstand gekommen ist, darüber kann nur
die stete Beobachtung der Frau ents.•beiden. Bei der Bildung
diffuser Haemntocelen oder hei solitären Ilaematoeelen Ist. falls
aus bestimmter Indikation bald nach der Unterbrechung der
Schwangerschaft operirt werden muss, der abdominale Weg zur
Operation zu wählen, nur hei länger best eilenden llaenintoeelen.
bei denen der Verdacht der Verjauchung oder Vereiterung bestellt,
ist die vaginale Incision angebracht.
G r a s s ui nun- München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 35.
1 1 Lucian B o 11 a c k und Ilayo Bruns- Strnssliurg 1. E.:
Rectus8cheidenabscess beim Typhus abdominalis.
Di« so mit ausführlichen hacterhilogischcn Unt«*rsuchuii::«*u h<*
l«*gl«> Krankengeschichte aus der X a u n y »'schon Klinik In Strass,
bürg liefert einen Beitrag zu d«*r spärlleh«*n Kasuistik d«*r durch
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 37.
1460
den Typhusbacillus im Subkutau- uud Muskelgewebe erzeugten
Eiterungen.
2) Siegfried K a tn 1 n e r - Berlin: Ueber den Einfluss von
Schwangerschaft und Entbindung auf den phthisischen Process
und den therapeutischen Werth der Einleitung von künstlichen
Aborten.
Vortrag, gehalten im Verein für innere Medlcln zu Berlin
am 3. Juni 1901. Referat, siehe diese Wochenschrift No. 24,
pag. 988.
3> Fritz J u 1 i u s b e r g - Breslau: Ueber Wirkung, An-
wendungsweise und Nebenwirkungen des Thiosinamins.
Versuche, welche mit dem von H. v. Helira zuerst
empfohlenen Thiosinamln (Allylsulfocarbamid oder Allylsulfoharu-
stofft In der dermatologischen Universitätsklinik zu Breslau an¬
gestellt wurden, ergaben sehr günstige Resultate in der Behandlung
von hypertrophischen Narben, Narbenkeloiden und bei Sklero¬
dermie, während die von anderer Seite gemachten Angaben über
Heilwirkung bei Lupus, Mykosis fungoides u. s. w. nicht bestätigt
werden konnten. I)le Anwendung erfolgt in Form von Injektionen
einer 10 proc. wässerigen Glycerinlösung (Thiosiunmin 10,0, Gly¬
cerin 20,0, Aqua destillata ad 100,0). Daneben erwies sich auch die
örtliche Applikation des U n n a’scheu Thiosinaminpünstermulls
und der Thiosinaminselfen von günstigem Einfluss, mit dem Uebel-
stand jedoch, dass wiederholt lokale Reizerscheinungeu auftrateu,
welche ein zeitweises Aussetzen des Mittels bedingten.
4) W i 1 m s - Leipzig: Zur Behandlung der Leberrupturen.
(Schluss aus No. 34.)
Kritischer Bericht über 19 Fülle von Leberzerreissung aus der
Leipziger chirurgischen Universitätsklinik. In der Behandlung
wird die Laparotomie mit Tamponade der Naht vorgezogeu. Drei
Heilungen.
5) A. Hess- Berlin: Ein Fall von Stinkbomben-(Schwefel-
ammoninum-)Vergiftung.
Kasuistische Mittheilung.
0) J. Herzfeld - Berlin: Ein Fall von horizontalem
Nystagmus, hervor gerufen durch Bogengangserkrankung.
Mittheilung aus der ärztlichen Praxis. Der durch die Radikal-
oi>oration nach Stacke geheilte Fall ist besonders dadurch inter¬
essant, dass es der erste Fall ist, in welchem das von Breuer
Iwreits 1874 durch das Thlerexperimeut entdeckte Phänomen, der
durch positiven uud negutiven Druck veränderten Richtung des
Nystagmus auch beim Meuseheu beobachtet wurde.
F. Lacher- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 3l.Jahrg. No.*7.
E. Wormse r: Ein weiterer Fall von puerperaler Gangraen
des Fusaes. (Aus dem Frauenspital ln Basel.)
Septische Endometritis, wahrscheinlich durch Selbstinfektion
von der Fistel eines praepatellaren Abscesses aus, Sepsis mit Ver¬
eiterung der Symphyse und Gangraen des linken Fusses in Folge
Thrombose der Cruralvenen. Exitus, Sektion. Durch Antistrepto-
eocceu-Serum (in der Milz nur Streptococcen) Fieberabfall, doch
keine sonstige Wirkung.
Erni-Gersau: Die mechanische Herabsetzung der Körper¬
temperatur.
Verf. vertheidigt seine Klopfmethode zur Behandlung der
Phthise (Beklopfen der Brust, „prophylaktisch auch der Spitze der
gesunden Seite“, mit einem silbernen Messer); es entsteht beim
Phthisiker wie beim Gesunden eine Temperaturerniedrlgung, ln
Folge vermehrter Wärmeabgabe durch die geröthete Haut. Dabei
soll die Lunge erschüttert werden; bei konsequenter Anwendung
soll das Fieber des Phthisikers dauernd herabgesetzt werden. —
Ein Indgefügter Brief von Prof. Sahli diskutirt kurz und trefTend
die Versuchsanordnung und die Folgerungen („Ausklopfen von
Käse“!).
E. Hagenbach-Burckhardt: Zur Geschichte der
Klumpfussbehandlung.
Verf. weist auf die fast vergessenen Verdienste Streck¬
eise n’s (| 1868) um die Aetlologie und Behandlung des Klump-
fusses hin. Streckelse u’s Methode ist mit der P li e I p s'schen
nahe verwandt. Pisehlnger.
Oeaterfeichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 35. 1) A. Pick-Wien: Die Sensibilit&tsneurosen dea
Magens. (Fortsetzung folgt.)
2) K. Dorauth - Aussig: Eklampsie bei einer 16 Jährigen
Virgo.
Das betreffende Mädchen.- das als Kind einmal an Krämpfen
gelitten hatte, erkrankte nach vorausgegangenen Kopfschmerzen
an allgemeinen Krämpfen bei vollständiger Bewusstlosigkeit. Die
Krämpfe wiederholten sich während eines Tages mehrmals und
sistirteu schliesslich nach Morphiuminjektionen. Der Harn ent¬
hielt 3 Proc. Zucker, aber kein Elweiss. Das klinische Bild ent¬
sprach vollkommen den eklamptischen Anfällen Schwangerer.
3» A. B e y e r - I/eipzig: Ueber atypische Psoriasis.
Verf. unterscheidet Fälle, in welchen ausser der Psoriasis noch
andere Hautkrankheiten an demselben Individuum vorkpinmen.
ferner solche Fälle, wo verschiedene Dermatosen an der nämlichen
Hautstelle erscheinen. Für beide Möglichkeiten liegen in der
Literatur viele Beispiele vor. Als eigentliche atypische Psoriasis
können jene Fälle gelten, wo das Aussehen der Bilder eine andere I
Dermatose, z. B. Ekzem, Vortäuschen kann. Eiue der auffallendsten
Atypien Im Bilde der Psoriasis ist die Ps. verrucosa, bei der
Papillome sich auf den Eruptionen entwickeln. Die Psoriasis kann
dann atypisch sein hinsichtlich der Anordnung und Lokalisation
der Efflorescenzen. Verf. beschreibt nun mehrere Fälle, welche
Kombination der Psoriasis mit Ichthyosis dnrstellen, bei denen
die Psoriasisberde zugleich ekzematös verändert waren, ferner
einen Fall, wo die Psoriasis sich auf mechanisch erzeugten Ex-
coriationen entwickelte, während sie in einem anderen auf einem
postseabiö8em Ekzem auftrat. Andere der geschilderten Fälle
machten die En's heidung zwischen Ekzem und Psoriasis schwierig.
Zwei Fälle zeigten ein Aussehen, das alle Charakterlstica eine«
Lichen ruber planus besass. Verf. empfiehlt küuftig eine genauere
Bezeichnung der Fälle, welche man zur atypischen Psoriasis
rechnet, belzufügeu und vor Allem Kombination und Komplikation
von den eigentlichen Atypien zu trennen.
Grassmnnn - München
Inangural-DisserUtionea.
Universität Bonn. August 1901.
24. Müller Leonhard: Beiträge zur Lehre von der Verwerthung
der Haeminkrystalle zu gerichtsärztlichen Zwecken.
23. Frantzen Paul: Ueber die Behandlung komplizirter Frak¬
turen der Extremitäten.
20. PetBch Arthur: Ueber Sinusthrombose.
27. Ruschhaupt Walther: Ueber ausgedehnte Darmresek-
tionen.
28. Brinkmann Eduard: Orthopädische uud funktionelle Re¬
sultate der Ventroflxatio Uteri bei Retroflexio Uteri.
29. Bühner Franz: Ueber elueu Fall von Nephrotomie wegen
Nierenblutung ln Folge einseitig haemorrhagischer Nephritis.
30. Kirchhof Joseph: Zur Lehre vom Schichtstnar.
31. Lern men Wilhelm: Die Brüche des Fersenbeins.
32. Schmitz Carl: Statistik der vom 1. Oktober 1895 bis 1. Ok¬
tober 1899 in der Bonner k. Klinik uud Im St. Johannishospltal
operlrten Hasenscharten.
33. F o u r m a n n Fritz: Wovon ist das Gewicht der Neugeborenen
abhängig?
34. R o c h e 11 Albert: Ueber Othaematom.
35. W o 1 f f Willy: Ueber die Radicaloperationeu von Leisten-
brüchen bei kleinen Kindern.
30. W 111 k a m p f H. Peter: Zur Statistik der Mammacareluome.
Universität Erlangen. Juli und August 1901.
14. Kolbe Viktor Heinrich Johannes: Ueber Cysten Im Ober¬
kiefer.
15. Hllsmann Stephan: Untersuchungen über die Beförderung
der Speisen aus dem Magen in den Darm unter verschiedenen
Einflüssen.
10. R o 11 w a g e Hermann: Ein Fall von primärem Nierensarkom
im Kindesalter.
17. Hundt Paul: Ueber Adnexerkrankungeu bei Uterusmyomen.
18. Krauss Hans: Aus dem pbarmakologisch-polikllnischen In¬
stitut der Universität Erlangen. Vergleichende Untersuchungen
über die Wirkungen der einfachsten Fett- und aromatischen
Säuren, ihre Substitutionsprodukte und Ester. Ein Beitrag
zur Frage nach den Beziehungen zwischen chemischer Kon¬
stitution und physiologischer Wirkung.
19. Plitt Wilhelm: Weitere Mittheilungen über den qoeren
Fundalschnltt. M. e. Tab.
20. Doerlng Paul: Ueber die angeborene Haarlosigkeit des
Menschen. (Alopecia congenita.)
21. Frisch manu Karl Hermann August: Spontanfraktur hei
Osteomyelitis suppurativa.
22. Bauerelsen Adam: Die Nabelschnurrestbehandlung des
Neugel>orenen.
Universität Freiburg. August 1901.
20. Huizinga Engbert: Ein Sitzbecken.
27. Scheller Otto: Ueber einen Fall von Splenektomie wegen
subkutaner traumatischer Ruptur der Mil*.
28. W e 1 n g e s Fritz: Chirurgische Behandlung des doppelseitigen
Empyems.
29. L I n g e 1 Aegidius: Zur Frage nach dem Einfluss der Kastra¬
tion auf die Entwickelung der Milchdrüse.
Universität Göttingen. November 1900 bis August 1901.
1. Bertram It.: Ueber Kuhhoruverletzungen des Auges.
2. Blanke I\: Verhalten des Centralnervensystems beim Dia-
l>etes mellitus.
3. Fed ermann A.: Uel>er das Verhalten des elastischen Ge-/
wehes im Hoden bei Tul>erkulose und Syphilis.
4. Fr icke E.: Zur Behandlung der Osteomyelitis acuta ln-
fectiosa, .
5. Heuer M.: Beiträge zur Kenntnlss der Extrauteringravidität
in den ersten Monaten.
0. Hoch hei in K.: Refraktion und Sehschärfe in den ver¬
schiedenen I^bensalteru.
7. Holzapfel O.: lieber die Behandlung der Taubstummheit.
8. H U ne W.: lieber die quantitative Bestimmung der Oxalsäure
im mensehlicheu Harn.
9. Jürgens II.: l’eher die in der Stadt Göttingen vom 1. April
1877 bis 1. April 1900 beobachteten Fälle von Typhus abdomi¬
nalis.
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10. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1461
10. Key 88 er B.: Beitrüge zur Kasuistik der multiplen Sklerose
nach Traumen.
11. Klein H.: Beitrag zur Statistik der Klappenfehler des llnkeu
Herzens.
'12. Leugerken O. v.: Reslstenzbestlmmung am Thorax.
13. Levisohn A.: Ueber die Im Gefolge einer Maseruepldeinle
1m Jahre 1899 ln der Universitäts-Poliklinik für Ohreukranke
zu Göttingen beobachteten Erkrankungen des Gehörorgans.
14. Llndner W.: Beitrag zur Lehre von den Fremdkörpern Im
. Iiesplra tlonstraktus.
15. Lude w lg Fr.: Ueber Wanderniere mit besonderer Berllek-
siebtlgung der Magen- und Darmverhilltnlsse.
1<». Mahrt G.: Ueber die Behandlung der Chlorose mit para-
uuclelnsaurem Eisen (Nuclelnelsen).
17. M U 11 e r E.: Die primäre fibrinöse Pneumonie ln der Göttinger
medlcinischen Klinik vom 1. April 1886 bis 1. April 1900.
18. Müller W.: Beitrüge zur Lehre von der A d d 1 s o n’schen
v Krankheit.
19. Polte F.: Die Enucleatio bulbi und Ihre Ersatzmethoden.
20. Bleck C.: Bericht über 34 Fülle von Carelnom des Corpus
uterl.
21. Bommel R.: Kleinhirn und cerebellare Ataxie.
22. Bunge E.: 100 supravaginale Amputationen und vaginale
Totalexstirpationen des myomatöseu Uterus.
23. Schmidt H.: Zur Kasuistik der Herula obturatoria.
24. Schorn bürg H.: Untersuchung der Entwickelung der
Muskeln und Knochen des menschlichen Fusses.
25. Siebs E.: 2 Fülle von freiem Cysticercus des Gehirns.
26. Sy men 8 P.: Ueber einen Fall von diffuser beiderseitiger
Mammahypertrophie.
27. Tollen 8 C.: Bildungsanomalien (Hydromyelie) im Central-
nervensystem eines Paralytikers.
28. Trommsdorff Fr.: Untersuchungen Uber die Innere Rei¬
bung des Blutes und Ihre Beziehung zur A 1 b a n e s e'scheu
Gummilösung.
29. Wiemann C.: Ueber einen Fall von Tic de Guinon.
30. Wiese dir.: Untersuchungen Uber die Verbiegungen der
Xasenscheidewnnd.
Unlversltiit Halle. Augnst 1901.
32. Berger Albert: Experimentelle Beitrüge zum Pankrens-
(llabetes beim Hund.
33. Elchl e r Hubert: Ein Fall von traumatischer Hydrouephrose
bei Hufei8euniere.
34. Grässner Franz: Uelier Unterkleferfrakturen.
^35. Har lug Carl: Uelier die Prognose der bei tuberkulöser
w Spondylitis auftretenden Liihmungen.
36. Heike Wilhelm: Bludruckmessungen nach Verabreichung von
Digitalis, ausgeffihrt mittels des RI va-Rocc l’schen Sphyg¬
momanometers.
37. Nesse Carl: Ueber die Behandlung der Orchitis und Epldi-
dymitis tuberculosa.
38. Sachtleben Adolf: Die Gastroenterostomie und deren An¬
wendung an der kgl. chirurgischen Klinik zu Halle a. S. 1892
bis 1900.
Universltüt Heidelberg. August 1901.
11. Schmidt August: Ueber eine Entgiftung durch Abspaltung
der Methyl- und Aethylgruppe Im Organismus.
Universltüt Jena. August 1901.
18. Vix W.: Ein Fall von symmetrischer Gangraen der Lider und
der Thrünensackgegend.
19. Berger Hans: Zur Lehre von der Blutclrculation in der
Schädelhöhle des Menschen, namentlich unter dem Einfluss von
Medicamenten. (Experimentelle Untersuchungen.) Habillt.-
8chrlft.
20. Stickel Max: Ueber doppelte Perforation des Augapfels
durch Schussverletzung.
21. Weissbach Ernst: Pathologisch-anatomische Untersuchung
eines ln Folge von Exophthalmus pulsans erblindeten Auges.
22. Worbes Carl: Das Krankheitsbild „Myokymie**.
Universität Marburg. Juli und August 1901.
23. Budde Moritz: Untersuchungen über die Lagebeziehungen
und die Form der Harnblase beim menschlichen Foetus.
24. Elch ler Wilhelm: Ueber die Bildung von Reiskörperchen
ln Gelenken.
23. GUngerlch Adolf: Ein Fall von Talusfraktur.
26. Mörchen Friedrich: Ueber Dämmerzustilnde. Ein Beitrag
zur Kenntniss der pathologischen Bewusstsclusveründerungeu.
Universität Strassburg. August 1901.
22. Stark Paul: Selbstmord in der Schule.
23. Hedslob Edmund: Zwei Fälle von Encephalocystocelen.
24. Bol lack Lucian: Ueber Wesen und Aetiologle von Akne und
Comedo.
25. D1 e r c k s Bruno: Ueber die Tenacitüt des Masern- und
Böthelnvlrus.
20. K a m p m a n n Ernst: Uelwr die ursächlichen Beziehungen
von Trauma und Gallenblasenerkrankungen.
27. Stein Arthur: Die Spütnusgiinge der Extrauterinschwanger¬
schaft
Universität Tübingen. Juli und August 1901.
24. Bilf Inger Hermann: Zur Frage von der Entstehuug der
traumatischen Hernien.
25. F e 1 d m a 1 e r Hugo: Ein Beitrag zur Lehre vom Hermaphro¬
ditismus im Anschluss an einen Fall von Pseudo-Hermnphro-
dttismus masculinus externus.
26. Segnltz Arthur v.: Beitrag zur Kenntniss der croupösen
Pneumonie im Kindesalter.
27. I) oe re n berge r Gustav: Zur Therapie und Statistik des
Abdominaltyphus.
28. F a 1 k e n b e r g Kurt: Ein Beitrag zur Pathologie und Thera- —
pie der Iridocyclltis tuberculosa.
29. Dietrich Albert Dr.: Beruht die bacterlenvemlchtende Wir¬
kung bacterieller Stoffwechselprodukte nach den von E m -
in e r i c h und Löw dafür angeführten Beweisen auf proteo¬
lytischen Enzymen «Nucleascn)? Habllitat-Sehrift.
30. Burk Walther: Ueber einen Amyloidtumor mit Metastasen.
31. Eickhoff Carl: Ueber die Erregbarkeit der motorischen
Nerven an verschiedenen Stellen ihres Verlaufe«.
32. (i r ü n e n w a 1 d Theodor: Ueber die Temperatur in peripheren
Körpertheilen.
Vereins- und Congressberichte.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offidelles Protokoll.)
Sitzung vom 2. März 1901.
Tagesordnung:
Herr Fiedler: Ueber Gallensteine und Gallenstein¬
krankbeit. (Schluss in der nächsten Sitzung.)
Sitzung vom 9. März 1901.
Tagesordnung:
I. Herr C r e d 6: Vorstellung eines vor 8 Jahren wegen Carci¬
noma pylori radikal operlrten Kranken.
Herr C r e d 6 stellt eine 53 jährige Frnn vor, der im Februar
1893 ein fanstgrosses, drcnläres, ulcerirtes Carcinom des Pylorus
durch ausgedehnte Resektion nach der ersten B 111 r o t h’schen
Methode entfernt hat. Im Mürz 1893 und Mürz 1894 ist die Kranke
schon der Gesellschaft vorgestellt worden. Im September 189S
stellte sich die Kranke, Frau E., mtt einem Recidiv vor, befand
sich aber ganz wohl. Es wurde ciu kirschgrosser rundlicher Krebs¬
knoten des vorderen Magens durch ausgiebige Resektion entfernt
und durch die Untersuchung des Bauchlnhaltew festgestellt, dass
sonst an keiner Stelle Recidive vorhanden seien. Seitdem befindet
sieh Frau E. wieder absolut wohl. Ihr Aussehen ist gjit, sie ist
arbeitsfähig und nirgends Ist etwas von Recidiv zu bemerken.
Dass ein Fall von dieser Ausdehnung eines Magencartinoms
nach vollen 8 Jahren sich wohl und gesund befindet. Ist gewiss
eine Seltenheit und verpflichtet mich. densell>en den Herren
Kollegen, behufs Fixlrung ln der Statistik, vorzustellen.
II. Herr Fiedler: Ueber Gallensteine und Gallenstein¬
krankbeit. (Schluss.)
III. Herr Rupprecht: Ueber Gallensteinkrankbeit
nnd Gallensteinoperationen anf Grund eigener Beobachtungen.
Sitzung vom 16. März 1901.
Herr F. H a e n e 1:
1. Vorstellung eines Patienten, bei dem wegen Zerrelssung
des inneren Semilunarknorpels des rechten Kniegelenkes die Ex¬
stirpation des Knorpels vor 3 Wochen vorgenommen war. Völlig
normale Beweglichkeit des Gelenkes.
Die Differentialdingnose zwischen 8emllunarknorpelverletzung
und freiem Gelenkkörper war ln diesem Falle nicht zu stellen. Die
Röutgenphotographie schien für letzteren zu sprechen: es handelte
sich jedoch um ein in der Kniekehle gelegenes Sesambein.
Unter 15 vom Redner operlrten Füllen handelte es sieh 14 mal
um Zerrelssung des Inneren Knorpels; nur 1 mal war der äussere
betroffen.
2. Demonstration zweier exstlrplrter Wurmfortsätze, von
denen der eine sich durch abnorme Länge (20 cm), der andere durch
abnorme Dicke (Daumendicke) auszeichnete.
Tagesordnung:
I. Discussion über die Vorträge der Herren Fiedler
und Rupprecbt.
VereiiTder Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 3. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr C. F raenkeL
1. Herr Engelhardt demonstrlrt ein 60 cm oberhalb der
B a u h 1 n’sclien Klappe gelegenes, durch Sektion gewonnenes
Bundzellensarkom des Dünndarms von einem 5 jährigen Kinde,
das die Darm wand in einer Ausdehnung von 20 cm circuliir um¬
schnürt und, wie so häufig, zu einer aneurysmatlschcn Erweite-
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1462
MUENCITENER MEDIOINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
rung (los Darmlumons Veranlassung gegeben hatte. Zu- und ab¬
führende Dannsehlingen sind einander durch ein Packet meta-
statisch inttitrirtor Lymplidrüson genähert; im Lohen kein Z -icheu
von Darmerkrnnknng. Ausser einem 2 in oherhalh am mesen¬
terialen Ansatz des Darmes gel«>g«»uon Gcsehwulstknoten keine
weheren Metastasen. Tod an Peritonitis, ausgehend von einer
verdünnten Stelle der (Jeschwulst, 4 Monate nach Beginn der Er¬
krankung. Den Ausgangspunkt des Tumors bilden aller Wahr¬
scheinlichkeit nach die Follikel der Mueosa, nicht die Submucosa.
2. Herr Schmidt-Bimpler stellt einen 75jährigen
Augenkranken vor. welcher an einer multiplen Gystenbildung
beider unteren Uebergangsfalten und an einer chronischen peri¬
pheren Furchenkeratitis leidet.
C y s t e n d er U «» b e r g a n g s f a 11 e sind, wie sich aus
einer Zusammenstellung von Ballaba n im letzten Juni lieft des
Archivs für Augenheilkunde ergibt, nur in geringer Anzahl be¬
schrieben worden: ich selbst habe mehrere gesehen. Nicht ge¬
sehen halte ich aber ein derartiges multiples Auftreten von Cysten,
wie unser Patient cs zeigt; auch findet sich in der obigen Arbeit
darüber keine Mittheilung. Perlensclmurartig aneinander gereiht
erheben sieh ti—,S solcher durchscheinenden Blasen in der sonst
normalen Schleimhaut, dicht hinter dem orbitalen Ende des Tarsni¬
theiles. In einzelnen derselben zeigt sich in dem sonst durch¬
sichtigen Inhalte ein gelblicher Punkt; die Cysten haben die Gross*
eines Stecknndelknopfes bis zu der einer Linse (ca. 4 mm im
Durchmesser). Die Untersuchung einer der exst irplrten Cysten
in frischem Zustande ergab die Auskleidung der Innenfläche mit
einem Plattenepithel: der zurückgebliebene feste Inhalt bestund
aus Zellen. Fett und Detritus, das gelbliche Körnchen enthielt
Kalk, wie die Itcaktion mit Salzsäure ergab. Nach der Erhärtung
anderer anliegender Cysten sah mau in den Schnitten dicht neben
der grösseren Oystenhühle mehrere kleine liegen, deren Wand-
membrnn zum Theil mit einer einfachen, zum Tlieil mit doppelter
Schicht eines entaschen oder plattenfürmigen Epithels bekleidet
war. Von der dnrüberüogendeu Conjunctivaloberflsiche zeigten
sieh die höchsten Punkte der Cysten nur durch eine schmale
Schicht von Bindegewebe getrennt. In dem Conjunctlvaleplthel
fanden sich zahlreiche Becherzellen. Das Anliegen kleiner Hohl¬
räume an »Jie grösseren Cysten macht es mir wahrscheinlich, dass
es sich um Degenerationsformen der neino-tubulösen Krause'-
hc1ii*ii r>rüsc*n handelt, wie cs auch von der Mehrzahl der Autoreu
für die solitären Cysten der Uebergangsfalte angenommen ist.
<i insberg, der in seinem Fall (Areh, f. Ophthalmologie Bd. 44)
die Cyste aus einer Verstopfung einer sog. H e u 1 e’selien Drüse
entstellen lässt, wendet ein. dass die K raus e'schen Drüsen nur
im äusseren Viertel der Uebergangsfalte vorkämen: das ist aber
falsch, wie sich aus den Untersuchungen von Klein Schmidt
und W o 1 f r i n g ergibt. Bel unserem Falle fehlten auch die
massenhaften, sclilnucharligen Epitheleinsenkungen (H en 1 •»*-
sehe Drüsen), die Olnsherg's Abbildungen zeigen, wenngleich
sie vereinzelt gesehen wurden. Herr Dr. Ackermann wird
noch eine genauere mikroskopische Untersuchung der später zu
entfernenden Cystenreihe des rechten Auges vornehmen und ihr*»
Ergebnisse ausführlicher veröffentlichen. Der Kranke hat. wie
es scheint, früher vorübergehend an Augenkatarrheu gelitten,
schwerere Affektionen, speeiell Trachom haben nicht bestanden.
. Weiter.beobachtet, man bei ihm am Rande der Cornea beider
Angen eine eigentümliche schmale Furchenbildung: am rechten
Auge sitzt dieselbe am inneren Rande, am linken am unteren und
inneren. Die äusserste Peripherie der durchsichtigen Cornea ist
an der betreffenden Stelle etwas grau getrübt (unter der Lupe er¬
kennt man. dass die Trübung am peripheren Rande der Fnrchen-
vertiefung. einzelne umschriebene, intensiver grau hervortretend«»
Punkte zeigt), dann folgt di«'» tiefe, durchsichtige Furche, an deren
«•cntralem Rand sich ein vorhandener Greisen bogen nnsehliesst;
an einer Stelle ist auf diesem, der Furche anliegend, eine kleine
Pelle bemerkbar; in die Furche hinein ziehen sieh von der Peri-
i»h«»rle kleine Cefüsse. Es handelt sich auch hier um eine ver-
hültnissmüsslg seltene Affektion. die ich zuerst ln der 4. Auflage
meines Lehrbuches (1880) als periphere chronische
K u r c h p n k e r n 1111 8 beschrieben habe. Diese Furcheu-
blldung kann viele Jahre stationär bleiben, trifft meist ältere In-
divhluen hiit Gerontoxon: doch können auch Jüngere Personen
ohne Greisenbogen von ihr befallen werden. Neuerdings hat
Fuchs (zweites Heft des Archivs f. Ophthalmologie. Bd. 52)
Fülle derselben Affektion unter der Bezeichnung Rand¬
ski c r o s c uml R and «trophie der Hornhaut niitge-
thellt. Er meint, dass Ich etwas anderes im Auge gehabt haben
müsse, indem er sich auf meine Schilderung bezieht, wo es heisst:
..Ein grösserer oder kleinerer Tlieil der Hornhaut Peripherie ist
ln etwa 1 nun Breite leicht grau getrübt (ähnlich etwa wie heim
Gerontoxon): die Trübung ist «»«»ntralwärts begrenzt durch eine
tiefgehende durchsichtige •Furche" etc. Nach' ibnl könne sich
diese Beschreibung nicht auf die vpu ihm gesehene Studie Rand-
Verdünnung beziehen, da bei letzterer „die Furche peripher vom
Arcus senilis, bei der Furcbeiikeratitis dagegen central von der
Trübung liegt". Es dürfte sich liier aber um ein Missverständnis»
liand«»ln: i«*li spreche gar nicht davon, dass das Gerontoxon peri¬
pher von der Furche liegt, sondern sage nur. die Ilornhaut-
periphorie sei grau getrübt — ii li n 1 i <• h etwa wie bei Gerontoxon.
Dies lässt sieb übrigens leicht konsiatireii und entspricht auch
den mikroskopischen Veränderungen, wie sic in «len Abbildungen
von Fuchs sich peripher von der Furche finden. Auf das Vor-
No. 37.
handens«>in eines central von tler Furche befindlichen Greigeu-
bogetis aber habe Ich bei meiner Beschreibung kein Gewicht ge¬
legt, da diese» Purcheukeratltis eben auch hei jüngeren Individuell
Vorkommen kann, wie z. B. die letzten Fälle zeigen, welche Fuchs
selbst beschreibt. Ich muss Übrigens bemerken, dass die Affek'.Iou.
wenn man einmal gewöhnt ist, auf sie zu achten, gar nicht allzu
selten ist. Ob übrigens in allen Fällen diese Furchenkmtiiis
durch eine Verdünnung von Innen her. durch Schwund der
B o w in n n'schen Membran und Auflock«»rung der Hornhaut
lamcllon zu Stande kommt, wie es sich aus dem sehr interessantin
Falle von Fuchs zu ergeben scheint, ist uilr doch noch
eiuigorinmissen zweifelhaft, besonders da man gelegentlich, neben
den Furchen und sich ihnen anschliessend, auch kleine Dellen
sieht, die epithellos sind.
?>. Herr E, B u m m spricht über die operativen Eingriffe
beim Puerperalfieber.
Trotz aller antiseptischen Bestrebungen hat die allgemeine
Morbidität und Mortalität an puerperaler Wundinfektion inj
Privathauso im Laufe der Jahre nicht wesentlich abgenommeu
und Fälle von Kindbettfieber sind immer noch häufig, in welchen
die gewöhnliche örtliche und allgemeine Behandlung keine Besse¬
rung bewirken und die Frage an den Arzt herautritt, ob nicht
durch einen chirurgischen Eingriff eine Heilung herbeigeführt
werden kann.
Als einfachster Eingriff kommt in erster Linie das Cu¬
re 11 e m e n t in Betracht. Vor routinemässiger Anwendung der
Curetle am infizirten puerperalen Endometrium kaun nicht genug
gewarnt worden, da nicht selten nach deren Anwendung allgemein
septische Peritonitis, Pyaemie und Phlegmasia alba beobachtet
wird und die direkt im Anschluss an die Ausschabung eintretende
Verschlimmerung des Zustandes (Schüttelfröste u. dergl.) kaum
einen Zweifel darüber lässt, dass die Gurette ungünstig gewirkt
hat. Beachtet man die histologische Beschaffenheit des intizirtcu
Endometriums, zumal die mächtige Ausbreitung weiter Venen¬
geflechte an den Placentarstellon, so werden die schlimmen Folgen
der mechanischen Verletzung der mit Keimen durchsetzten Ge-
websmassen und der freiliegenden Thromben ohne Weiteres be¬
greiflich. Bei Streptoeoccenendoinetritis, der häufigsten Form
der puerperalen Infektion, ist die Ausschabung unter allen Um¬
ständen contraindizirt. und auch bei Retention und Zersetzung
von Plaeentar- und Eiresten stellt die manuelle Ausräumung das
sehonendore Verfahren dar, die Losreissung von Thromben, Er¬
öffnung von placentaren Venen und L T ebertragung von Keimen
in dieselben ereignet sich dabei viel seltener, als wenn man die
scharfe, tiefer in die weichen Gewebe eindringende Gurette be¬
nutzt.
Wo antiseptisehe Spülungen und Curettemcnt nicht halfen,
die Infektion aber noch auf die Gebärmutter lokalisirt erschien,
hat man vielfach die Exstirpation des Uterus ausgefiihrt.
Vortragender sah von diesem Eingriff in 5 Fällen nur 2 mal Er¬
folg; beide Male handelte es sich um ausgedehnte Putrescenz des
Endometriums und der anschliessend»« Schichten der Muskel-
wand. Dagegen bringt die Ausschneidung des mit septischen
Keimen (Streptococcen) infizirten Uterus keinen Nutzen, weil
sich bei der Operation an dem infizirten Organ eine Einimpfung
der pathogenen Organismen in die frisch gesetzten Wunden und
in das eröffnetc Peritoneum nur selten vermeiden lässt und die
Patientinnen gewöhnlich rasch der Pelveoperitonitis oder der
septischen Phlegmone der Parametrien erliegen. Da Fäulniss-
proc(sse in utero in der Kogel vou selbst zur Abheilung kommen
und nur selten zu weitergehender Gangraen führen, ist die Ex¬
stirpation des Uterus beim Kindbettfieber jedenfalls nur in sehr
seltenen Fällen nützlich und nngezcigt.
Wenn sich die Infektion von der Eingangspforte am Endo¬
metrium weiter ausbreitet und die Grenzen des Uterus über¬
schreitet, kann sie, auf der Oberfläche der Schleimhaut weiter¬
schrei teml, den Weg in die Tuben nehmen, oder in die Gewebe
eindringend, den Weg durch die Lymphbahncn oder die Venen
eiiiseldngen.
Die Infektion der Tubarschleimhaut führt zum septischen
Pyosnlpinx, der sich häufig mit Absccssen des Ovarium -kom-
binirt und nach Verlöthung mit den benachbarten Baucliorganeu
zum puerperalen Adnextumor wird. Während Adnextumureu
gonorrhoischen Ursprungs eine durchaus günstige Operatious-
prognose geben, im Uehrigen aber auch bei gehöriger Geduld spon¬
tan ausheilen, muss vor allzu frühzeitigen operativen Eingriffen
bei septischen Adnextumoren entschieden gewarnt werden. Die
im Eiter enthaltenen Streptococcen können sich Wochen- und
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10. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 14G3
monatelang virulent erhalten und eine tödtliche Peritonitis be-
w irkcn, wenn sie bei der Operation auch nur in geringer Menge
mit dem freien Peritonealrauni in Berührung kommen. Ebenso
gefährlich ist die Ovariotomie bei Kystomen, welche gelegentlich
eines vorausgegangenen Wochenbettes infizirt wurden.
Die Verbreitung auf dem Wege der Lymphbahnen führt zur
Peritonitis, wenn die Keime die Uteruswand direkt durchwachsen
und dabei bis an den Serosaüberzug des Organes gelangen oder
zu parametritischer Phlegmone, wenn sie längs der grösseren
Lyniphstränge Vordringen und von da aus das lockere Zellgewebe
ucben dem Uterus befallen.
Was die septische allgemeine Peritonitis im Wochenbett an¬
langt,.so sind bisher alle Versuche, durch ausgiebige Incisionen,
Spülungen und Drainage eine Heilung herbeizuführen, fehl-
geselilagen. Vortragender hat in 4 Fällen nach Incision, reich¬
licher Spülung mit Kochsalzlösung und multipler Drainage die
au allgemeiner Streptococcenperitonitis erkrankten Wöchnerinnen
im Collaps rasch zu Grunde gehen sehen. Heilungen werden nur
erzielt, wo bereits durch die natürliche Reaktion des Organismus
eine Abkapselung und Lokalisation des Eiters bewirkt ist. Solche
intraperitonealen Abscesse müssen da eröffnet werden, wo sie sich
der Oberfläche am meisten nähern und pflegen nach der Eröffnung
in der Regel prompt auszuheilen. Dass man bei der Entleerung
der Eitersacke die Eröffnung des freien Peritonealraumes sorg¬
fältig zu vermeiden hat, ist selbstverständlich.
Dasselbe gilt von der Entleerung der paramotralen Abseesse,
welche von den Bauchdecken her nach der Vagina drainirt werden
sollen, um jede Retention des Eiters und das Zustandekommen
chronischer Vereiterungen des Beckenbindegewebes zu vermeiden.
Die allzu frühzeitige Eröffnung der Eiterherde kann bei der Starr¬
heit des infiltrirten Beckenbindegewebes, der Unmöglichkeit, die
Theile herabzuziehen und im Speculum gut zugänglich und sicht¬
bar zu machen, technisch sehr schwierig werden, und ist es dess-
halb im Allgemeinen mehr zu empfehlen, abzuwarten, bis sich
der Abscess in der Vagina oder an den Bauchdecken der Ober¬
fläche genügend genähert hat.
Vortragender bespricht zum Schluss die operativen Bestre¬
bungen bei puerperalarPyaemie. Da es Fälle gibt, wo
von der Placentarsteile aus nur eine Vena spermatica infizirt
wurde und der alleinige Sitz eitrig zerfallener Thromben ist,
erscheint ein operatives Vorgehen bei schweren Fällen puerperaler
Pyaemie nicht ganz ausichtslos. Der Sitz der thrombosirten Ge-
fiisse lässt sich in tiefer Narkose bei bimanueller Untersuchung
gewöhnlich feststellen, insbesondere wird bei Thrombophlebitis
des Plexus spermatieus ein dicker, teigig-weicher Strang gefühl*,
der in der Gegend des Lig. infundibulo-pelv. von dem Ovariuzn
zum Beckenrand verläuft. Freund hat in einem derartigen
Falle die Excision der Vene vorgenommen, ohne Erfolg, weil nocli
weitere Thrombc-nherde vorhanden waren. Vortragender berichtet
über 2 ähnliche Fälle, wo die Excision der eitererfüllten Sper-
maticalvene bis zur Höhe der Art. mesent. inf. ausgeführt wurde,
der Erfolg aber ebenfalls ausblieb, weil höher oben noch weitere
Eiterherde in der Vene sassen.
Besprechung: Herr v. Bramann betont ln An¬
knüpfung an eine Bemerkung des Herrn Vortragenden über die
lange Haltbarkeit und Lebensdauer der Bacterien ln den
Abecessen, dass diese selbe Erscheinung auch dem Chirurgen oft
genug entgegentrete und die Mikroorganismen ln derartig abge¬
kapselten Herden thatsächlicb Jahre hindurch überleben können.
Herr Fraenkel bestätigt dies auch durch das Beispiel der
Typhusbaclllen. Im Uebrigen bemerkt er Im Anschluss an das
eigentliche Thema, dnas nach Berichten In der Semaine mödicale
die gleiche Frage auch jüngst in den Pariser ärztlichen Vereinen
eine Erörterung erfahren und das Urtheil der Geburtshelfer
über die Aussichten operativer Eingriffe beim Puerperalfieber lui
Allgemeinen sehr ungünstig gelautet habe. Man hat sich dort
schliesslich etwa in dem Sinne ausgesprochen, dass die Operation
fast immer zu spät komme; so lange sie noch mit Aussicht auf Er¬
folg unternommen werden könne, greife man eben nicht zum
Messer, da eine natürliche Wendung der Dinge zum Bessern noch
erhofft werde.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 3. Mai 1901.
Herr Schloff er stellt eine Frau vor, bei welcher er weg’n
bestehender Dünndarmvaginalflstel eine unilaterale Darnmns-
mü;. Innig vorgeuommen hat. Im Anschlüsse an eine (wog. n nicht
eruirbarer Utcruserkrankung voigenommene) Exstlrpatio Uteri
vaginalis entwickelte sich au der Kuppe der Schelde clue Fistel,
ausserdem bestanden die Erscheinungen einer chronischen Da rin-
steno.se, in Folge deren der Stuhl nach heftigen Koliken nicht per
auum, sondern durch die Fistel entleert wurde. Bel der Laparotomie
fand Schloffer einen mächtig geblähten, in seiner Wand stark
verdickten Darm, der in’s kleine Becken heruntergezogen,» gegeu
die Scheide hin mit zahlreichen anderen Darmschlingen ver¬
wachsen war. In seinem, der Fistel näher gelegenen Abschnitte
mehrere Damistrikturen. zwischen diesen der Darm ampullenartig
gebläht; oberhalb derselben vereinigte Schloffer durch eine
mittels Naht ausgeführte Anastomose den zuführenden mit dem
abführenden Darm. Nachdem weder Kotli noch Flatus per vias
naturales ihren Weg nahmen, und die Koliken nicht aufhörten,
nach 18 Tagen abermalige Laparotomie: Resektion des 20 cm
langen, die Strukturen enthaltenden Darmstückes, Schliessung des
gegen die Anastomose zu gelegenen offenen Endes durch Ein¬
stülpungsnähte, Einpflanzung des gegen die Striktur gelegenen
distalen Endes ln die Bauchdecken. Seither normale Darni-
funktionen.
Nach Besprechung dieses Falles verweist Schloffer auf
die theoretischen Bedenken gegen die unilaterale Ausschaltung
des Darmes, hält aber sein Vorgehen in diesem Falle für gerecht¬
fertigt.
Herr Schloffer demonstrlrt weiter:
1. Resektion des Ganglion Gasseri nach Krause (wegen
Neuralgie) mit osteoplastischer Resektion des Jochbogens
(L e x e r).
2. Resektion des H. und IH. Trigeminusastes nach Krön-
1 e i n (ebenfalls wegen Neuralgie) ohne Resektion des Processus
coronoideus (ähnlich Kocher's Methode für den III. Ast).
Herr Alfred Kraus: Ueber den Nachweis der Haarsack-
milbe (Acarus folliculorum).
Bei den Versuchen, den Acarus follic., der in ungefärbten
Präparaten sehr schwer auffindbar ist, auf dem Wege färbe¬
chemischer Verfahren leichter nachweisbar zu machen, fand
Kraus, dass sich derselbe wie säurefeste Bacterien verhält, die
Farbstoffe zwar nur sehr schwer aufnehmen, nach erfolgter Bei¬
zung dann um so schwerer abgeben. Dementsprechend gelingt
cs in Aufstreichpräparaten vom Inhalte normaler oder patho¬
logisch veränderter Haarbälge bei Färbung nach Zicl-Niel-
s e n oder G a b b e t, den Acarus follic. roth gefärbt, gegenüber
der blau gefärbten Umgebung darstellen zu können. An Schnitt¬
präparaten hat K r a u 8 bisher die Verwendbarkeit der neuen
Methode nicht erproben können.
Sitzung vom 7. Juni 1901.
Herr Fr. Pick demonstrlrt autoskoplsch einen flottirenden
Kelilkopfpolypen.
Herr Rudolf F i s c h 1 demonstrlrt einen Fall von infan¬
tilem Myxoedem.
Das Kind, dessen Vater aus einer Kropfgegend ln Böhmen
stammt und selbst einen Kropf besitzt, ist 14 Jahre alt, 80 ein
gross, bat das charakteristische Gesicht, eine offene Fontanelle,
spärliche, tief ln der Gingiva sitzende Zähne, eine dicke permanent
vorgestreokte Zunge, eine an der Basis ointresunkene Nase, über
der Clavicnla myxomatöse Anschwellungen . Lipomatose der
trocknen, schilfernden Haut: koraplete Idiotie. F Ischl will
einen Versuch mit Thyreoidin risklron.
Herr Raudnitz berichtet über die Erfolge, welche er mit
Schllddrüsenverfütterung hei dem von Herrn Engel vorgestellten
Falle von Hypothyreoidie erzielt hat. Es wurde Anfangs Jodo-
tliyrin, später Thyraden verfüttert. Interessant sind die Fort¬
schritte der Verknöcherung. Während hei dem 8 jährigen Mädchen
sich Anfangs zwei Knoihtnkeme ln der Handwurzel und 1 in der
Epiphyse des Radius zeigten, sieht man jetzt an Skiagrammen an
den Epiphysen aller Phalangen die Knochenkerne ln voller Ent¬
wickelung. ebenso die proximalen an Daumen und Zeigefinger.
Ebenso bedeutende psychische Besserung. Im Ganzen wurden
verbraucht ca. 40 Jodothyrlnpastillen und 50 Thyradentabletten.
Die Behandlung wird fortgesetzt.
Herr Kleinhans demonstrlrt:
1. Primäres Scheidencarcinom (der hinteren Wand) mit
Uebergreifen auf die Rectalwand. Totalexstirpation der Scheide,
des Uterus mit Adnexen und circuläre Resektion eines 7 cm
langen Stückes des Mastdarms.
Klein ha ns ist der Ansicht, dass ln allen Fällen von pri¬
märem Scheidencarcinom mit Sitz an der hinteren Wand bei Ueber¬
greifen auf das paravesieale Bindegewebe auch ein entsprechender
Thcil des Rectums zu reseciren sei, doeh hat die Eröffnung der
Plica vesieo-uterina im Beginne der Operation zu geschehen.
2. Parovarialcyste in Folge von Stieltorsion (ca. 200") im
Zustande haemorrhagischer Infiltration.
3. Einen im 3. Monat graviden Uterus mit grossem Myom
der vorderen Wand. Regelmässige Blutung. Schwangerschaft
nur durch die Untersuchung per rectum diagnostizirt.
Herr Knapp: Demonstration eines Falles von Osteomalacie.
Vor einem Jahre Perforation des abgestorbenen Kindes, sellh -r
bedeutende Zunahme der Becken Veränderung. Einleitung der Früh¬
geburt, nach dem Wochenbett Kastration.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No.
1464
Weiters Demonstration einer von ihm seihst erfundenen
elektrischen Lampe (für geburtshilfliche Zwecke geeignet). Zu
beziehen von „American Electrical Xovelty & Mfg. Co.“. Berlin SW.,
ltitterstrasse 71 (75).
Herr Herr mann berichtet über einen Fall von malignem
Cervixadenom. Die Geschwulst, die alle klinischen Zeichen von
Malignität zeigte, präsentirte sich histologisch als gutartige Neu¬
bildung, bestehend in einer Cervixdrüseniinitatlon unter völligem
Mangel von Mehrschichtung und Polymorphie der Zellen.
Sitzung vom 5. Juli 1901.
Herr Hilgenreiner stellt einen von ihm operirten und
geheilten Fall von akutem Darmverschluss vor, bedingt durch
ein M e c k e l’sclies D i v e r t i k e 1. welches den Darm von der
Abgangsstelle des Divertikels clrculiir abgeschnürt und bereits zu
Nekrose und Perforation im Inoareerationsringe geführt hatte.
Im Anschlüsse daran zeigt er zwei Präparate von Meck ersehen
Divertikeln, welche beide den Tod des betreffenden Individuums
herbeigeführt hatten, und von welchen das eine eine Perforation
im Divertikel, das andere die Abschnürung eines Düundarmconvo-
lutes zur Darstellung billigt.
Herr Herrmann (Klinik des Herrn Billiger) demon-
strirt mikro- und makroskopische Präparate von einem Falle mit
entzündlichen Veränderungen im Ligamentum rotundum.
Herr Kleinhans bespricht die Erfolge der von ihm
vorgenommenen erweiterten Frcund’schen Operation wegen
Carcinoma portionis, bezw. cervieis uteri. »Siiinmtliehc 6 Fälle,
die er seit Anfang Mai operirt. genasen; bei allen wurde die
Foruix vag., bei einem ein grösseres Stück Scheide mitentfernt.
Herr Schloffer spricht über die Indikationsstellung
zur Operation bei Appendicitis. O. W.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Soci6t6 de Chirurgie.
Sitzung vom 3. Juli 1901.
XJeber tödtliche Zufälle nach der Bachicocainisation.
B r o c a bringt eine Beobachtung von Prouff, welcher eine
Ultra]umbfllc Cocaininjektion (1 ccm) lxü einer 02 jährigen Frau i
machte, um einen in den Fürs eiugestosscnen Nagel zu entfernen.
Die Analgesie war eine vollständige, nach Anlegung des Verbandes
konnte Patientin gut laufen und 1 Stunde später wieder ihrer Be¬
schäftigung nachgehen, aber noch 4 Stunden bekam sie heftige
Kreuzschmerzen, der Puls wurde fadenförmig, die Schmerzen
immer heftiger und 19 Stunden nach der Operation trat der
Tod ein.
•Nölaton hat erst neuerdings sehr schwere Herz-Lungeu-
erscheinungen beobachtet und die Analyse des Cocains hat ihm
Veränderungen gezeigt, die vielleicht für diese Erscheinungen die i
Ursache sind.
Roehard bestätigt die Ansicht N 61 a t o n s: das Cocain ist
oft verändert, man findet dabei unter anderem ein Zersetzung* •
Produkt, das Ecgonin, welches dem Atropin ähnliche Eigenschaften
besitzt.
C h a p u t erklärt, dass ln dem Falle von Prouff 2 grosse
Fehler begangen worden sind: 1. die Patientin so kurz nach der
Operation aufstehen und dann sogar umhergehen zu lassen und
2. keine präventive Aspiration von 10—20 ccm des Liquor cerebro-
spin. zu machen. Durch letztere gelang es Ch., in hunderten von
Fällen den Kopfschmerz zu vermeiden; wenn er trotz Punktion
sich einstellt, so beruht das auf spezieller Empfänglichkeit Was !
die ebenfalls zuweilen beobachteten Zltterhewegungen betrifft, so
glaubt sie Ch. dadurch verhüten zu können, dass er dem Kranken
eine Stunde vor der Operation eine Mischung gibt, welche 20 gtt.
Tlnclur. Digitalis und Morphium enthält.
Polrier begegnete es unter 50 Punktionen 2 mal, dass er
nicht in den Canalis (sacralis) gelangen konnte, und führt dies
darauf zurück, dass bei manchen älteren Personen eine Ossifikation
des fibrösen Gewebes eingetreten ist, was dem Durchgang dev
Nadel hinderlich ist.
Sch wartz hat neuerdings in 20 Fällen die Rachicooalni-
sation ausgeführt und zwar immer mit gutem Resultate und ohne
Nebenerscheinungen.
Tu ff ler tliellt die Folgeerscheinungen der Rarhlcoenini-
sation in unmittelbare, welche bulbären Ursprungs und nur mit
künstlicher Athmung zu behandeln sind, und In später auftretende,
welche auf Reizung der Gehirnhäute zurüekzufiihreu sind. ein.
Bezüglich der Technik hat T. seinen früheren Angaben nichts bei-
zufiigen. Ster n.
Aus den englischen medicinischen Gesellschaften.
Pathological Society of London.
Sitzung vom 0. Juli 1901.
F. J. Poynton und A. Paine berichten über die Er¬
zeugung von Arthritis bei Kaninchen durch intravenöse Injektion
von einem bei fieberhaften Rheumatismusanfällen gewonnenen
Diploeoeeus. Bei 18 Füllen von febriler ltheumarthritis haben sie
einen sehr kleinen Mikroorganismus lsollrt, der in schwach sauren
Medien seine Virulenz längere Zeit hindurch bewahrt und auch I»
stark alkalischen Nährflüssigkeiten gedeiht. Sie halten densollien
für identisch mit dein von Triboulet, Wassermann und
M eyer l>esehriebenen. Derselbe ist von ihnen in menschlichem
Gewebe nnchgewiesen, und bei Kaninchen ergab die intravenös-
Einspritzung ganz präeis den Symptomenkomplex von Rheum-
arthritis. Es erscheine gerechtfertigt, von einein ..Diploeoeeus
rheuiuaticus“ zu sprechen, wenn auch nicht in jedem Falle beim
Versuchsthier die Krankheit hervorgerufen werde und die Intensi¬
tät der Erkrankung Schwankungen aufweise. Das gebildete Ex¬
sudat sei bald klar, bald blutig tingirt, trüb uud flbrinoplastisch.
Manchmal waren die Sehnenscheiden in der Umgehung der (Je-
lenke und die Sclileimheutel initbetheiligt. Die ersten Symptom ■
machten sich meist schon am 3. Tage bemerkbar, doch dauerte di.-
Iueubntionsperiode manchmal auch 8 Tage. Hauptsächlich .waren
die grossen Gelenke affieirt. Zuweilen trat vollständige Genesung
ein. Zwei Fülle gingen in einen chronischen Zustand über mit
intensiver Verdickung der fibrösen Gebilde am Gelenk. Im akuten
Stadium war eine gelatinöse Schwellung dieser Theile zu kon
sintireu, und es war eine starke Infiltration von Zellen im zarten
Gewebe zwischen der Endothelanskleidung des Gelenks und der
faserigen Schichte vorhanden. Es machte grosse Schwierigkeiten,
Kulturen von solcher Synovitls rheuinatica massige» Grades zu
gewinnen, wahrscheinlich, weil in Folge der lebhaften Reaktion
die Diplococcen durch Leukocyten und Endothelzellen schnell ver¬
nichtet werden. Philipp!- Salzschlirf.
Edinburgh obstetrical Society.
Sitzung vom 12. Juli 1901.
H. O. Nicholson sprach über das Thema Eklampsie und
die Schilddrüse. Während der Schwangerschaft bestellt immer
in Folge des foetalen Stoffwechsels durch Assimilirung gewisser
Bestandthelle der Nahrung einerseits und die Exkretionen der
Frucht andererseits ein gewisser Grad der Toxaemie. Die Toxine
sind sowohl nach Quantität, wie nach Qualität nicht immer gleich:
hei Primiparcn sind sie am gefährlichsten. So lange die Nieren
intakt sind, treten keine weiteren Symptome hervor. Ein Zu¬
sammenhang und intime Wechselwirkung besteht zwischen diesen
Organen uud der Schilddrüse. Die praemonitorischen Symptome
der Eklampsie sind bekannt: Oedem von ziemlich fester Beschaff.u
heit. Albuminurie, geringe Urinausscheidung. erhöhter Blutdruck
in den Arterien. Kopfweh, Diarrhoe, Sehstüruugen und Mnskel-
zuekungen. Andererseits ist auch die Loher bei der Eklampsie
höchst wahrscheinlich mitbotheiligt. Bei drei Fällen hat N. aus
gesprochene Gelbsucht beobachtet.; es sei anzunehmen, dass dir
Lelier auch unter mangelhafter Schilddrüsenthätigkeit leide. -
Zur Behandlung empfiehlt N. die Darreichung des Thyreoidextraots.
womöglich vor Beginn der Albuminurie. al>er auch später um!
sogar im eklamptischen Stadium könne dasselbe mit Erfolg ge¬
geben werden. Die Dosis im ersteren Falle soll 0.3, zwei- bis drei¬
mal täglich zu nehmen. Indra gen. Bei drohendem Anfall gcln* mau
stündlich oder alle 2 Stunden eine subkutane Einspritzung von
Liquor tliyreoklei (y 3 —% Pravazspritze voll) oder frischen Schild
drüsensaft (0,5) mit dem gleichen Volumeu Aqua destillata versetzt.
Sonst wird man Morphium, Natron snlicyllcum. .Todkali u. s.
wie sonst in Anwendung bringen. Philipp!- Salzschlirf.
Verschiedenes.
Die perforirenden Magenverletzungen 1*-
leuchtet Dr. G 1 i t s c li - Stuttgart in geriehtlieh-medlcinischer Be¬
ziehung folgendennaassen:
1. Findet man innerhalb der topographischen Grenzen de«
Magens eine penetrirende Bauchdeckenwunde, so ist bei Stich- und
Schnittwunden eine Verletzung des Magens wahrscheinlich. l*ei
| Schusswunden so gut wie sicher. Bei Stichverletzungen hat man
! cs gewöhnlich mit einer, bei Schussverletzungen mit zwei Magen-
! wunden zu thnn.
2. Da penetrirende Verletzungen des Magens ln deu seltensten
Füllen sofort den Tod zur Folge haben, werden fast immer vitale
Rcnktionserscheimiugcn die I T ulerseheidung zwischen vitaler und
postmortaler Verwundung ermöglichen.
3. Magen Verletzungen in selbstmörderischer Absicht sind
äusserst selten: wenn überhaupt, so handelt es sich um Schuss¬
wunden. die auf das Herz abzielten. Iu diesen Fällen kann Fona
und Lage, sowie die Beschaffenheit der Einschussöffnung einen
Fingerzeig geben. .
4. Blutbrechen. Uollaps. Schock sind keineswegs ständig'
i Folgeerscheinungen einer perforirenden Mageuverletzung; dieselbe
i 1 aim im Gegeuthell zunächst völlig symptomlos verlaufen, gewöhn
lieh aber stellen sich früher oder später alarmirende Symptom"
ein. Von Bedeutung für die Folgen einer Magenverletzung sin'
der Füllungszustand des Magens, die Verletzung grösserer Bim
I gefüssc und die Betheiligung anderer Bauchorgone.
o. Die Prognose der Magenverletzung kann sich nur bei recht-
! zeitigem operativen Eingreifen günstig gestalten; der Gerichts»«;
; hat t ine derartige Verletzung als eine tödtliche zu qualifleiren. im-1
j es können hieran Fälle von Spontanheilung nichts ändern. Letztere
sind als die Ausnahmen, der tödtliche Ausgang als die Regel
j zuselieu.
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10. September 1901. MTTENCHENER MEBICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1465
6. Eine erfolgreiche Therapie einer perforireudeu Mageuvev- i
letzung kann nur in der Laparotomie und Magennaht bestehen.
7. Kommt ein Fall von perforireuder Magenverletzung recht¬
zeitig iu saehgemüsse Behandlung, so kaun sowohl anatomisch,
als bezüglich der Arbeit«- und Erwerbsfähigkeit völlige Restitutio
ad integrum eintreten.
8. Subkutane Magenperforatiouen (Rupturen) haben gewöhn¬
lich die schwersten Erscheinungen zur unmittelbaren Folge. Ihre
Prognose ist bedeutend schlechter als diejenige der penetrirenden
Magen Verletzungen; lu allen Füllen kann nur die Laparotomie
einige Garantie für die Heilung bieten. Vom gerichtlich-medi-
ciuischen Standpunkt aus ist eine subkutane Mugenzerreissung
als schlechtweg tödtlich anzuseheu. (Allg. inedic. Ceutral-Ztg. 1901,
No. 30-37.) P. H.
Den gegen wilrttgen Stand der Frage von den
im Gebirge auftretenden Veränderungen der
Blutmlschung und der Art Ihres Zustande¬
kommens beleuchtet Dr. M. Tausch- Berlin folgender-
maassen:
1. Die in den ersten Wochen eines Gebirgsaufeuthaltes ein¬
tretenden und konstant werdenden Veränderungen der Blut-
zusammensetzung, welche vor Allem in einer Vennehrung der
Erythrocytenmenge und des Hb-Gehaltes pro Kubikmillimeter be¬
stehen, können mit Recht als spcciflsche Wirkung des Höhen¬
klimas auf gefasst werden.
2. Man kann mit Grund dieselben ln ursächlichen Zusammen¬
hang mit der Abnahme des Luftdrucks bringen.
3. Die ln der Literatur vorhandenen Arbeiten sind nicht ge¬
eignet, sicher entscheiden zu lassen, ob Jene Vermehrung eine ab¬
solute oder relative ist.
4. Ein gangbarer Weg, diese Frage zn lösen, ist aui ehesten ge¬
geben durch eine Untersuchung, die die gesammte Blutmasse um¬
fasst. und das Nächstliegende wäre daun, diese so einzurichten,
dass man Veränderungen des Fe-Gelialts des ganzen Körpers und
der einzelnen Erythrocyten und Veränderungen ihrer Menge pro
Kubikmiillmeter während des Gebirgsanfenthaltes zu linden sucht
und miteinander verrechnet. (Allg. med. Centr.-Ztg. 1901. No. 38 |
bis 43.) P. H.
T'eber die neue Massageanstalt der Universität Berlin
erstattete Prof. Zabludowskl Bericht auf der Jüngsten Ver¬
sammlung der Balneoiogiscben Gesellschaft zu Berlin. Folgendes
sind die Aufgaben der Anstalt:
1. Durch Ausbildung in der Massage sowohl von Studirenden
höherer Semester als auch von schon approbirten Aerzten soll diese
Heilmethode als Tbeil der allgemeinen und speziellen Therapie
znn Gemeingut der Aerzte gemacht werden.
2. Es sollen wissenschaftliche Beobachtungen auf dem Ge¬
biete der Massage angestellt werden.
3. Durch praktische Ausbildung eines durch Intelligenz, Ge¬
schicklichkeit und moralische Qualifikation besonders geeigneten
Warteporsonals iu der Massage, als einem wichtigen Agens der
Krankenpflege, soll den Aerzten eine nicht zu unterschätzende
l uterstützung geschaffen werden.
4. Es soll Kranken, welche einer systematischen Massagekur
in?dUrftig sind, die Möglichkeit geboten werden, eine solche von
fachmännischer Iland zu haben.
Als Mittel zur Erfüllung der Aufgaben der Anstalt dienen
folgende Maassnnhincn:
Es werden in der Mnssageanstalt drei Massagekurse perio¬
disch abgelialteu. nämlich für Studirende der Mediein ein seine-
Mraler Kursus und für Aerzte zwei Lehrkurse, und zwar a) monat¬
liche systematische Kurse von 4 wöchentlicher Dauer, b) prak-
t’sche Uebungskurse iu der Massage Im Ambulatorium der
Massageanstait für diejenigen, welche den systematischen Kursus
schon absolvirt haben, ebenfalls von vlerwöehentlicher Dauer. 1
i Deutsche Medlcinal-Zeitung, 1901, No. 54.) __ P. II.
^ Therapeutische Notizen.
Ein Hand - und Fingergelenkspendel. Ferdinand
B ä h r empfiehlt in der Deutsch, med. Wochensehr. No. 35 seinen
bereits 1898 auf der Münchener Naturforscherversammluug demon-
strirten und nunmehr durch eine Reihe von Verbesserungen modi-
fizlrten Apparat zur Beweglichmachung steifer Hand- und Finger-
gelenke, mit welchem er speclell ln der Nachbehandlung von Unfall-
Verletzungen sehr gute Resultate erzielt hat. Der Apparat zeichnet
sich aus durch solide und einfache Konstruktion, praktische Hand¬
habung und mässigen Preis. Bezüglich detalllirter Beschreibung
mit erläuternden Illustrationen muss auf den Originalartikel (s. o.)
verwiesen werden. Bezugsquelle: A. Hohle, Haimover, Wahren-
walderstr. 47 b. F. L.
Blutuntersuchungen nach Ichthyol!» ädern
hat Dr. Karl Schütze-Bad Kögen ausgeführt. Er kam da¬
ta?! zu dem Schlüsse, dass die Ichthyolbäder einen unzweideutigen
Einfluss auf die Erhöhung ds Haemogloblngehaltes des Blutes
und auf die Vermehrung der Erythrocyten haben. Die Unter¬
suchungen über die Leukocyten sind noch nicht genügend, um ein
abschliessendes Urtheil abgeben zu können. Bemerkeuswerth ist
die Abnahme des Zuckergehalts im Uriu bei Zunahme des Haemo-
globins im Blute bis zu Polycythaemie. Bei der Untersuchung der
Alkalescenz des Blutes ist Verfasser zu sehr abweichenden Resul¬
taten gekommen, die in der Verschiedenheit der pathologischen
Zustände begründet erscheinen. (Deutsche Medlcinal-Ztg. 1901,
So. 32.) P. H.
Eine Trionalkur hat Dr. Wo 1 f f, Direktor der syrischen
Heilanstalt Asfuriyeli bei Beirut, ln 3 Fällen von akuter Psychose,
ganz frischer akuter Verwirrtheit (hallucinatorisches
Irresein) mit gutem Erfolge angewandt. Am ersteu Abend wurden
2 g Trional gegeben, am nächsten Morgen und Abend nochmals
je 2 g und dann Abends und Morgens täglich Je 1 g oder noch
weniger, so dass der Patient die ganze Zeit über in einem schlaf
ähnlichen Dämmerzustand verblieb, in welchem er mir durch
Essen und Verrichtung der Bedürfnisse gestört wurde. Traten
Erregung und Ilaliucinatiouen auf, so wurde die Dosis wieder
auf 2 g erhöht. Das Erwachen erfolgte allmählich innerhalb
1—2 Tagen, die Patienten waren dann ruhig und klar, hatten
Krankheilseinsieht und konnten nach einiger Zeit geheilt die An¬
stalt verfassen. Der 8chluf dauerte ungefähr 12 Tage. Die
Trionalkur hat, meint Verfasser, in seinen Fällen kouplreiul ge¬
wirkt; einen Zufall hält er für ausgeschlossen, und so empfiehlt,
ei die Anwendung und Prüfung der Trionalkur, die nicht gefähr¬
lich und leicht ausführbar sei. i.Ceutralblntt für Nervenheilkunde
und Psychiatrie, 1901, Mai-Ileft.) P. II.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 10. September 1901.
— Die peinlichen Erörterungen, welche der Protest des Ex-
Snni tütsrat lies Stoff an gegen uie Erhebung von 30t» Mark
Stempelgebühr für Verleihung des Sauitiits-
rathstitels zur Folge hatte, haben die erfreuliche Folge gehabt,
dass die preuss. Regierung sieh zur Aufhebung dieser Steuer ent¬
schlossen hat. Eine Bekanntmachung des preuss. Kultusministers
iui Reichsauzelger lautet: ..Die \ orschritt uuter No. 00 LIt. e des
Tarifes zu dem Stenipelsteuergesetze vom 31. Juli 1895 (Ges.-
Samuil. S. 413), welche „tiir die Verleihung von Titeln an Privat¬
personen“ einen Steuersatz von 300 -Mark vorsteht, ist bisher
auch bei der Verleihung des Titels .jSauitätsrath", „Geheimer
Snnitätsrath“ an nicht beamtete Aerzte zur Anwendung gebracht
worden. Die Stellung, welche der ärztliche Stand und seine Mit¬
glieder naeh der neueren Gesetzgebung in gesundheitlichen Fragen
eiiiiichineu, das erhöhte Moass, iu welchem sic au der Lösung
der Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege gegen früher be¬
theiligt werden, sowie eine Reihe öffentlich-rechtlicher Befugnisse
und Verpflichtungen, welche ihnen iu Bezug auf die Ermittelung
und Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten auferlegt sind,
rechtfertigen es, auch die nicht beamteten Aerzte nicht mehr als
Privatpersonen im Sinne des Stempelsteuergesetzes anzuseheu,
sondern auzunehmeu, dass sie auf dem Gebiete der Gesundheits¬
pflege, wie die Rechtsanwälte auf dem der Rechtspflege, eine
eigenartige Stellung öffentlich-rechtlichen Charakters bekleiden.
Auf Grund der vorstehenden Erwägungen bestimme ich im Elu-
verständniss mit dem Herrn Finanzmiuister, dass iu Zukunft bei
der Verleihung des Titels „Sanitätsrath“, „Geheimer Sanltütsrath“
an nicht beamtete Aerzte von der Einziehung des Stempels der
Tarifstelle No. 00 Lit. e des Stempelsteuergesetzes vom 31. Juli
lhüö abgesehen werde." -- Herr Kollege Steffan, dem das
Sanitätsrathspatent wieder entzogen, die 300 Mark Stempelgebühr
aber nicht zurückerstattet wurden, mag sich für dieses Missge¬
schick durch das Bewusstsein, seinen preussischeu Kollegen einen
Dienst erwiesen zu haben, reichlich entschädigt fühlen.
— Als Nachfolger v. C o 1 e r's ist Generalarzt Professor
Dr. v. Leuthold, der erste Leibarzt des Kaisers, zum General¬
stabsarzt der Armee, Chef dos Sanitütskorps uud der Medicinal-
nbtheilung im Kultusministerium uud zum Direktor der Kaiser
Wilhelms-Akademie für das militärärztliebe Bildungswesen er¬
nannt worden. Zugleich hat er den Rang als Generalleutnant er¬
halten. Seiue Stellung als Leibarzt behält v. L e u t li o 1 d bei.
— lu Paris ist auf Anregung Prof. B ro ua r d e l's die Grün¬
dung eines Museums für Geschichte der Mediein be¬
schlossen worden.
— Pest. Aegypten. Seit dem 10. August sind in Alexandrien
3 neue Pestfälle, der letzte am 18. d. Mts., in Port Said 3 neue Er¬
krankungen, die letzte am 20. d. Mts., und 2 Todesfälle beobachtet.
— Britisch-Ostindieu. Während der am 2. August abgelaufenen
Woehe wurden iu der Präsidentschaft Bombay 2022 neue Erkrank¬
ungen und 1930 Todesfälle an der Pest festgestellt, d. h. 241 bozw.
200 mehr als ln der Woche vorher. Aus Karachi wurden 5 Pest¬
fälle, alle mit tödtllchem .Verlauf, gemeldet. In der Stadt Bombay
starben während der am 3. August endenden Woche 130 Personen
erweislich an der Pest und 172 unter Pestverdacht; die Zahl der
Neuerkrankungen wird auf 93 beziffert. — Philippinen. In Manila
wurden während der am 22. Juni endenden Woche 9 neue Er¬
krankungen und 13 Todesfälle an der Pest festgestellt. — Kapland.
Während der am 3. August abgelaufeneu Woche siud in der ganzen
Kolonie noch 2 Pestfälle zur Anzeige gelangt: in Port Elizabeth
ist ein Eingeborener an der Post erkrankt und auf der Ktiplmlh-
Insei die Krankheit nachträglich bei einem Farbigen, der zunächst
unter verdächtigen Erscheinungen uuter Beobachtung gestellt war,
durch die bakteriologische Untersuchung festgestellt worden. Als
pestverdächtig waren am Ende der Woche noch 5 Kranke unter
Beobachtung, iu deu contact cnmps wurden noch 52 Personen,
darunter 20 Europäer, beobachtet. — Queensland. Nach dein amt¬
lichen Wochenausweise vom 0. Juli sind in der Kolonie seit dem
28. Februar 32 Pestfälle, darunter 10 mit tödtllchem Ausgang, vor-
gekommen; 31 Fälle entfielen auf Brisbane, woselbst am 5. Juli
der letzte festgestellt worden Ist. (V. d. I\. O.-A.i
— In der 34. Juhreswoehe, vom 18. bis 24. August 1901. batten
von deutselteu Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterbllch-
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1466 1KUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 37 .
keit Rostock mit 38,7, die geringste Scliüneberg mit 11,5 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner.
— Von „Annual and aualy tlcal Cyclo paedia
of practical Medicine“, herausgegeben von Dr. Ch.
S a j o u s (Verlag der F. A. Davis Comp, in Philadelphia) ist
jetzt der VI. Band, bestehend aus 2 Theileu, erschienen. Damit
schliesst die erste Folge des an dieser Stelle wiederholt angezeigten
Werkes ab. Von der ausserordentlichen Reichhaltigkeit desselben
gibt das am Schlüsse beigefiigte umfangreiche Generalregister
einen guten Begriff.
(Hochschulnachrichten.)
Berlin. Prof. Dr. G re eff wird auf Veranlassung des
Kultusministeriums die Stelle als Leiter der Augenklinik an der
hiesigen Charitß belbelialteu und daher die Berufung nach Rostock
ablehnen.
Messina. Habilitirt: Dr. G. Vinci für Materia medica
und experimentelle Pharmakologie.
Neapel. Habilitirt: Dr. E. CrUafulli und Dr. G. Li
b e r 11 n 1 für Psychiatrie.
Pa via. Habilitirt: Dr. M. Jatta für allgemeine Patho¬
logie, Dr. M. T r u f f I für Dermatologie und Syphilis.
(Todesfälle.)
Dr. Cu 1160, Generalinspekteur des Sanitätsdienstes der fran¬
zösischen Marine.
Dr. A. Vauclier, früher Professor der geburtshilflich-gynä¬
kologischen Klinik zu Genf.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Erledigt: Die Bezirksarztsstelle I. Klasse in Lohr. Bewerber
um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche bei
der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 20. September I. Ja. einzureichen. — Die Bezirksarztsstelle
I. Klasse in Landshut. Bewerber um dieselbe haben Ihn* vor-
sehriftsmässig belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten
k. Regierung, Kammer des Innern, bis zum 28. September 1. Js.
einzu reichen.
In den dauernden Ruhestand versetzt: Die Bezirksamt
1 Klasse Dr. Johann Georg Reiter In Landshut und Dr. Geer;*
Joseph Rottenhäuser in Ixihr, ihrer Bitte entsprechem),
wegen zurückgelegten 70. Lebensjahres unter Anerkennung ihrer
langjährigen, treuen und erspriesslicheu Dienstleistung.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München
in der 35 Jahreswoche vom 25. bis 31. August 1901.
Betheiligte Aerzte 198. — Brechdurchfall 29 (28*), Diphtherie,
Croup 4 (12), Erysipelas 12 (6), Intermittens, Neuralgia intenn.
— (1), Kindbettfieber — (—), Meningitis cerebrospin. — (—\
Morbilli 9 (22), Ophthalmo-Blennorrboea neonat. 5 (6), Parotitis
epidem. - (1), Pneumonia crouposa 6 (4), Pyaemie, Septikaemie
— (—), Rheumatismus art. ac. 14 (8), Ruhr (dysenteria) 1 (1),
Scarlatina 7 (2), Tussis convulsiva 16 (22), Typhus abdominalis
4 (2), Varicellen 2 (5), Variola, Variolois —(—), Influenza — (—),
Summa 109 (120). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in Manchen
während der 35. Jahreswoche vom 25. bis 31. August 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern — (3*), Scharlach 1 (—), Diphtherie
und Croup — (—), Rothlauf — (—), Kindbettfieber — (1), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) — (—). Brechdurchfall 11 (17), Unterleib typhös
— (•—), Keuchhusten 1 (5), Croupöse Lungenentzündung 2
Tuberkulose a) der Lungen 16 (20), b) der übrigen Organe 9 (9„
Akuter Gelenkrheumatismus 1 (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 2 (—), Unglücksfälle 3 (6), Selbstmord 2 (1), Tod durch
fremde Hand 1 (—).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 197 (206), Verhftltniaszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,5 (21,4), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,8 (20,3).
•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Morbiditätsstatistik der Infectionskrankheiten in Bayern: Juni 1 ) und Juli 1901.
Regierungs¬
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Städte mit
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Be völkerungsziffern*): Oberbayem 1*323,447, Nlederbayem 678,634,
Pfalz 831,633, Oberpfalz 663,867, Oberfranken 607,903, Mlttelfrankeu 816,666, Unter-
frankeu 660,768, Schwaben 713,616. — Augsburg 89,109, Bamberg 41,820, Hof 32,782,
Kaiserslautern 48,306, Ludwigshafen 61,906, München 499,969, Nürnberg 261,022,
Pirmasens 30,194, Regensburg 46,426, Würzburg 76,497.
Einsendungen fehlen aus den Städten Ludwigshafen und Hof und den
Aemtern Bogen, Kiitzting, Mamburg, Ludwigshafen, Hof, Rehau, Staffelstein,
Tenschnitz, Eichstätt, Günzenhausen, Gerolzhofen, Hofheim, Königshofen,
Mellrieh.-tadt, Augsburg, Kempten und Mindelhelin.
Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet
aus folgenden Aemtern bezw. Orten:
Brechdurchfall: Stadt- und Landbezirke Sehweinfurt 43, Freising 37,
Erlangen und Aschaffi-nbürg je 36, Amberg 35. Aemler Zweihnicken 63, Speyer 66,
Hersbruck 40, Germersheim und Burgiengenfehl je 37, München II 85 beh. Fälle.
Diphtherie, Croup: Epidemie in l'nterhcrgen (Landsberg), 19 beh. Fälle,
II.-A. Tulz 21 beh. Falle.
Influenza: Aemter Altütting 1', Vilnbiburg II, Zusinurshausen 12 (meist
gastrische Formen) beh. Fälle.
Morbilli: Fortsetzung der Epidemie in den Bezirken Vilshofen (ärztl.
Bezirk Aidenbach 32 heb. Falle), Germersheim (in Rheinzabern), Kusel (in
Bammels hach und Bhmbnch, hier neben Tussis), Landau (in Kirrweiler und
Venningen), Neustadt a./H. (in Neustadt), Memmingen (im Stadt- und Landbezirke
64 lieh. Fälle) und Sonthofen (eine weitere Gemeinde ergriffen). Epidemisches
Auftreten ferner in den Aemtern Viechtaeh (Schulschluss in Gotteszell). Wolf-
stein (in Waldkirchen und Eingebung), Bergzabern (Schulschluss in Silz, ca. */ 5
der Schulkinder krank), Hersbruck (in der Stadt Hersbruck), Rothenburg a./T.
(in bombuhl wieder erloschen), Stadt- und Landbezirk Kaufbeuern 30, Aemter
Fraukcnthul 51, Speyer 78 beh. Falle.
Parotitis epidemica: Fortsetzung der Epidemie in Nördlingen,
21 beh. Falle.
Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemie in den Bezirken Alt-
ötting (10 beh. Fälle), Landsberg (Abnahme in Diesscn und St. Georgen), Mühl¬
dorf lim ärztl. Bezirke Kraiburg, Abnahme gegen Schluss des Monats, milder
Verlauf), Pfaffenhofen (im ganzen Amtsbezirke, Schulschluss in Pornbach; 106 beh.
Fälle), Dessau (Abnahme im ärztl. Bezirke Fürstenzell), Pegnitz (in Mogeast
weitere Schulklasse geschlossen), Stadtsteinach (in Marktleugaat, beginnend in
ITessath), Zusmarshauscn (in Gemeinde Ilorgau). Epidemie in Heldenfeld (Schwein-
fnrt) erloschen. Epidemisches Auftreten ferner in Pienzenau (Miesbach), Raisting
(Weilhclm). Blaubach (Kusel), Mosbach (Viechtaeh), Schulschluss, 80 Kranke, in
Wonfurt (Hasslurt).
Typhus abdominalis: Fortsetzung der Epidemie in Willofs (Oberdorf),
7 beb. Fälle, Hauscpidemlc mit 7 Fällen in Indersdorf (Dachau).
Variola, Variolois: Stadt München 2 Fälle, ferner 1 letzter Fall in
Neunburg v./W.
Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird um
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Bericht«-
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehlanzeigen
ersucht, wobei anmerkungsweise Mitthellungen über Epidemien erwünscht sind.
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswert, dass Fäll*
aus der sog. Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Grenz-
amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern an¬
gezeigt werden.
Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen zu portofreier Einsen
düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Bezirksärat«
za erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. Sammelkarten als zu
Einzelneinsendungen der Amts- und praktischen Aerzte, welche in letz¬
terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle znsammengestellt suf
je 1 Karte pro Monat nebst allenfallsigon Bemerkungen über Epidemien etc. zm
Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht von Einsendung sog. Zähl
blättchen oder Sammelbogen abzusehen. Allenfalls in Händen befind
liehe sog. Postkarten wollen aulgebrancht, Jedoch durch Angabe der Zahl
der behandelten Influenzafälle ergänzt und unter Umschlag elngesandt werden
•) Nach dem vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1900. — *) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 32, 190),
eingelaufener Nachträge. — *) Im Monat Juni 1901 elnachllesalich der Nachträge 1291. — *) 23. mit 26. bezw. 27. mit 31. Jahreawoche. _
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von B. Mühlthaler'i Buch* und Kunstdruckerel A.G., München.
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Herausgegeben von
61. BtvBftr, 0. Botttager, H. CiirschnißR, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. ?. Michel, H. ?. Ranke, F. v. Wliekel,
Frefbnrg 1. B. München. Lelpslg. Berlin. Hftrnberg. Berlin. München. München.
H. t. ZlenssiR,
München.
Nö. 38. 17. September 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. P. Lehmann, Heustrasse 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Das Puerperalfieber.*)
Von Alfred Hegar in Freibur" i. Br.
Vor mehr als 50 Jahren trat Remmelwcis mit seiner
Theorie über die Entstehung des Puerperalfiebers zuerst in die
Oeffentlichkeit; er war schon todt, als die Richtigkeit seiner
Ansichten allgemein anerkannt wurde und die darauf gegründe¬
ten Maa9snahmen die Entbindungshäuser von ihrem schlimmsten
Feinde erlösten. War ja doch der Gedanke sehr ernsthaft be¬
sprochen worden, diese Anstalten ganz abzuschaffen. Nun kam
die Zeit der Bacterien und Coocen und es ging S e m m e 1 w e i s
wie später Anderen, wie Villemin, welcher die Infektiosi¬
tät der Tuberkulose nachwies und Noeggerath, welcher
die schlimmen Folgen des bis dahin als so unschuldig an¬
gesehenen Trippers darlegte. Was diese Männer gefunden hatten,
wurde durch das, was man von den Spaltpilzen und ihrer Wirk¬
samkeit kennen lernte, vollauf bestätigt, erschien aber nun so
selbst verst ändlich, dass man darüber die Vorgänger vergass. Man
übersah, dass sehr wesentliche Punkte der neuen Lehre schon
vorher bekannt und festgestellt waren.
Ich musste Semmel weis förmlich ausgraben, als ich
1882 bei Uebernahme des Prorektorats sein Loben und seine
Wirksamkeit als Thema des bei dieser Gelegenheit abzufassenden
Programms wählte. Es gereicht mir zu grosser Genugthuung,
dass Zweifel 15 Jahre nachher denselben Gegenstand zur Er¬
öffnungsrede bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft fiir
Gynäkologie in Leipzig benützte, und II o f m e i e r weitere
3 Jahre später, ebenfalls in einer Festrede, die Leistungen und
Verdienste von Semmel weis hervorhob.
Die Theorie von Semmel weis lässt sieh, soweit dies mit
wenigen Worten möglich ist, in den liauptzügen so wiedergehen.
Das Pueri>eralfieber ist identisch mit dein Wundficl»er, oder rich¬
tiger, mit der Pyaemie des Chirurgen, Pyaomie im alten Sinne
des Wortes, wobei der Eiterungen und Jauchungen begleitende,
mit Fieber verbundene Krankheitszustand gemeint ist. Man
darf dabei nicht an die Pyaemie denken, wie sie Virehow
definirt hat, welcher nur einen Tlieil jener Vorgänge, die ver¬
jauchende Thrombose und Embolie, damit, bezeichnet. Jene
Identität wurde zwar schon von Anderen, wie von C r u v e i 1 •
hier, behauptet, jedoch nicht weiter begründet und gewann auch
keine Anhänger. Die Pyaemie oder das Puerperalfieber ent¬
stehen durch zersetzte organische Stoffe verschiedener Herkunft,
wie z. B. von Leichen t hei len, von einem Krebsgesehwür, einem
eariosen Knochen. Wie die Herkunft verschieden ist, so ist.
auch der zersetzte organische Stoff verschieden und es gibt nicht
etwa ein einziges, spezifisches, das Puerperalfieber erzeugendes
Gift. Die Gifte werden von aussen her in den Körper der
Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin hercingebraeht. In¬
fektion von aussen. Auch eine, übrigens seltenere, Sei bst-
mfektion kommt vor, sobald eine grössere Monge todten
Materials, wie Blutgerinnsel, Plaeentarreste, zerfetzte Eihäute,
in den Geburtswegen sieh ansammelt.
Nach unseren heutigen Anschauungen treten an die Stelle
«kr zersetzten organischen Stoffe Toxine, welche sieh bilden, so¬
bald gewisse Mikroorganismen Best and I heile des Körpers als
*) Vortrag, gehalten am Ohcrrheiniselieu Aerztefag 1001 .
So. °,3.
Nährboden benutzen. Dabei kommt jenen Mikroorganismen
auch eine gewisse mechanische Wirkung zu.
Auch wir nehmen verschiedene Gifte und auch verschiedene
Erreger der zur Erzeugung der Gifte nothwemligen Zersetzung
organischer Stoffe an, wenn auch der Streptococcus und seine
Stoffwechselprodukto vor allen anderen als Ursachen des Puer¬
peralfiebers zu bezeichnen sind. Auch wir ertlieilen diu Haupt¬
rolle der Infektion von aussen und nur Wenige legen einer Art
Selbstinfektion durch die in dem Sexualsehlauch auch gesunder
Personen befindlicher Spaltpilze eine grosse Bedeutung bei.
Die Wohnstätten der das Puerperalfieber erzeugenden Mikro¬
organismen, gewisserinaassen ihre Bezugsquellen, sind sehr zahl¬
reich : eiternde und jauchende Wunden, Geschwüre, eitrige
Katarrhe, Loclucn, Peritonealexsudat, die die Bindcgewebsspalten
erfüllende trübe Flüssigkeit bei erysipelatösen und phlegmonösen
Processen, verjauchende Myome, Auswurf von Phthisikern,
Furunkeln, Onychion, Panaritien. Diese verschiedene Her¬
kunft. der Mikroorganismen geht häufig noch einher
mit verschiedener Virulenz und dieselbe Art des Pilzes
entwickelt, je nach ihrer Wohnstätte, also je nach ihrem Nähr¬
boden, sehr verschiedene Grade der giftigen Eigenschaften.
Dies wird auch durch das Experiment erläutert. Man hat
Streptococcen von solcher Virulenz gezüchtet, dass millionste
Tlieile eines Kubikeentimeters der Nährflüssigkeit ein Kanin¬
chen in kurzer Zeit zu tödten vermochten.
Die Uebertragung der giftigen Keime auf die Geschlechts¬
organe des in einer Fortpflanzungsphase befindlichen Weibes
kann nun durch leblose Gegenstände bewerkstelligt werden, wie
durch Instrumente, Utensilien mannigfacher Art, Verbandstücke,
Kleider, Wäsche, besonders Unterlagen. Ferner kann die Ein¬
führung der pathogenen Mikroorganismen in die Sexualorgane
durch die Puerpera selbst, geschehen, besonders dann, wenn sic
selbst eine Bezugsquelle, wie z. B. ein eiterndes Geschwür, einen
Furunkel an sich trägt. Auch bei deren intaktem Gesundheits¬
zustand beherbergen zuweilen gewisse Körpertheile, wie insbe¬
sondere die äusseren Genitalien, die Umgebung des Afters patho¬
gene Bakterien. Mittels der Hände der Puerpera oder durch
Verschiebungen der Bekleidung können die Keime in die Vagina
gelangen. — Auch eine haeuiatogenc Uebertragung wird ange¬
nommen; von einem Krankheitsherd, wie etwa von einer Angina,
einer Pneumonie aus können Pilze in das Blut und mit diesem zu
den Sexualorganen gelangen.
Alle diese Wege des Transports treten an Bedeutung sehr
zurück gegenüber den durch die Hände des Arztes und der
Hebamme bewirkten Einschleppungen. Diese Personen kommen
mit den verschiedensten Heimstätten der gefährlichsten Mi¬
kroben bei der Ausübung ihres Berufs in Berührung. Auch
können sie selbst eine Bezugsquelle des Giftes an sieh tragen,
was gar nicht so selten ist; ich habe schwere Puerperal¬
erkrankungen gesehen, welche ohne Zweifel von einer Onyehie
des Geburtshelfers herrührten.
Mit der Einführung der Mikroorganismen in die Gclmrts-
wege ist nicht nofhwendig die Entstehung eines Puerperalfiebers
verbunden. Jene müssen, um sieh vermehren zu können, einen
Nährboden haben, und um ihre invasiven Eigenschaften zur Gel¬
tung zu bringen, eine Eingangspforte linden. Beides ist nun
bis zu einem gewissen Grade bei jeder Puerpera gegeben. Wir
haben ein siiceulentes, mit Blut und Lymphe durehtränkies.
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1468
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
jedem traumatischen Einfluss leicht erliegendes Gewebe. Wir
haben todtes Material, Blutgerinnsel, Eihautfetzen, Placentar-
reste, abgestossenes und zerfallenes Epithel. Wir haben end¬
lich Eingangspforten für das Eindringen der Spaltpilze in die
Tiefe der Gewebe. Die Innenfläche des Uterus ist zwar nicht
so ohne Weiteres als eine Wunde anzusehen. Allein das Epithel
ist doch bis zu den tieferen Schichten abgestossen oder in Ab-
stossung begriffen, die Gefässwände au der Placentarstelle
liegen nicht stets fest aufeinander und die Lumina sind oft nur
durch Thromben geschlossen. Dazu treten noch Risse und Ab¬
schürfungen in der Cervix, in der Scheide, am Damm und den
äusseren Genitalien.
Häufig ist die Disposition gesteigert. In dem schlecht kon-
trahirten Uteruskörper sammelt sich Blut und Sekret an, welches
durch Dislokationen des Organs, starke Füllung der Blase oder
des Mastdarms, Verstopfung durch zurückgebliebene Eihaut¬
fetzen oder Placentarreste am Ausfluss gehindert ist. Wohl
noch häufiger sind aber Anhäufungen von Flüssigkeiten und
festen Massen in dem vorher stark gedehnten Hals oder Scheiden¬
gewölbe, was besonders dann vorkommt, wenn der Kopf gross
war und lange im Becken stand. Es kann sich eine ausser¬
ordentliche Menge Blutes in diesem Sack ansammeln, dessen
Wände ihre Elastizität verloren haben. Ich habe die Erschei¬
nungen hochgradiger Anaemie in Folge davon eintreten sehen,
ohne dass eine irgend bedeutendere Menge Blutes durch den
Introitus abfloss. Diese Zurückhaltung angesammelter Massen
wird begünstigt durch einen noch einigermaassen gut funktio-
nirenden Schlussapparat der Scheide oder durch stärkere Füllung
der Blase, welche die vordere Scheidenwand in ihrem unteren
Theil gegen die hintere andrückt oder durch eine Dammnaht,
welche der Geburtshelfer, eines Risses wegen, anlegte. Dabei
wird fast ausnahmsweise nur die Cutis mit dem daran stossenden
Gewebe in die Suturen gefasst. Dies heilt denn auch; der oft
recht weit in die Höhe reichende Scheidenriss wird aber nicht
vereinigt. Er würde auch schlecht heilen, da die Ränder ge¬
wöhnlich zerrissen, gequetscht und blutig suffundirt sind. Es
. bleibt daher in der Scheide eine blindsackartige Spalte zurück,
in welcher die Absonderung staut. Die gelungene Vereinigung
des tiefsten Abschnittes des Septum rectovaginale verhindert den
Abfluss der in den höheren Theilen der Scheide angesammelten
Sekrete. In nicht wenigen Fällen, in welchen ich zur Konsul¬
tation bei Puerperalfieber zugezogen worden bin, war der Damm
»genäht worden. Freilich kommen unter diesen Verhältnissen oft
viele ungünstige Momente zusammen: die Geburt ist künstlich be¬
endet worden, die Asepsis und Antisepsis lässt zu wünschen
übrig, Assistenz ist mangelhaft, die Beleuchtung schlecht. Aber
gerade deswegen sollte man unter diesen Umständen die Damm¬
naht unterlassen, welche bei wenig tief gehenden Rissen oft recht
überflüssig ist, bei Rissen durch den Sphinkter in den Mast¬
darm hinein keine Aussicht auf Erfolg verspricht. Dazu kommt
noch, dass man später ohne alle Gefahr und mit Aussicht auf
sichere Heilung anfrischen und zusammennähen kann.
Ausser diesen Faktoren, welche zur Stauung ausgeschiedener
todter Massen führen und die natürliche Drainage hindern, wird
die Disposition zur Erkrankung noch erhöht durch die unvoll¬
kommene Schliessung der Gefässe an der Placentarstelle und
durch die Bildung einer ausgedehnten Thrombose an dieser
Stelle in Folge mangelhafter Kontraktion des Uterus, durch
tiefe Risse in der Cervix, durch starke Quetschungen, Nekroseu,
Abschürfungen bei schwierigen, oft durch Kunsthilfe vollende¬
ten Geburten.
Doch gibt es auch günstige Umstände, gute Kontraktion des
T terus, nur mässige Dehnung des Halses und Scheidengewölbes
bei kleinem Kopf oder raschem Durchtritt durch das Becken,
gute Bauchdecken, keine starke Herabsetzung des intraabdomi-
ncllen Druckes, kein Hinderniss für den freien Abfluss der
Sekrete. Bei der reichlichen Ausscheidung in den ersten Tagen
des Wochenbettes können schon viele schädliche Stoffe weg-
geschwemmt werden.
Sind die giftigen Keime freilich sehr bösartiger Natur oder
hat eine eigentliche Impfung stattgefunden, so werden diese vor-
theilhaften Verhältnisse nicht viel helfen. Allein in anderen
I'ällen mögen sie doch die Entstehung mancher Erkrankung
verhindern. In den früheren grossen Epidemien blieben immer
noch Viele gesund, obgleich sie denselben Schädlichkeiten aus-
gesetzt waren, wie die Erkrankten.
Ist einmal eine bald mehr oberflächliche, bald tiefer gehende
Invasion in die Gewebe erfolgt, so sehen wir nun mannigfaltige
anatomische Veränderungen, wie die sogen. Puerperalgeschwüre
im Scheideneingaqg und an den äusseren Genitalien, an welche
sich, wie man dies nicht selten bei den früher herrschenden Epi¬
demien beobachten konnte, erysipelatöse oder phlegmonöse, nach
den Nates und unteren Extremitäten sich verbreitende Processe
anschliessen können. Von der Eingangspforte des Giftes in der
Cervix verbreitet sich besonders häufig ein phlegmonöser Process
in’s parametrane Gewebe. Dieser kann ganz circumscript
bleiben, so dass wir dann umschriebene Exsudatknoten seitlich
vom Uterus vorfinden. In anderen Fällen werden ausgebreitete
Abschnitte des Beckenzellgewebes durchsetzt. Der Uterushals
ist wie eingemauert, die Scheidengewölbe herabgedrückt, der
Mastdarm in der Gegend des Sphineter tertius zu beiden Seiten
wie von einer umfänglichen harten Zwinge umgeben. Auch
kann die Infiltration längs des Lig. infundibulo-pelvicum in’s
grosse Becken auf die Darmbeinschaufel hinaufsteigen und bei
noch diffuserem Charakter des Vorganges noch höher längs des
retroperitonealen Raumes und längs der grossen Gefässe durch
das Zwerchfell in das Mediastinum Vordringen und Pleuritis,
sowie Perikarditis erzeugen, wie dies Buhl seiner Zeit be¬
schrieb.
An diesem Processe im Bindegewebe nimmt das Bauchfell
sehr bald Antheil, so dass eine bald mehr auf das Becken be¬
schränkte, bald eine diffuse Peritonitis entsteht. Von dem Bauch¬
fell aus werden die Uterinanhänge ergriffen und die Salpingitis
ist, wie das Rudolf Maier nachwies, fast stets eine sekundäre,
nicht eine der Peritonitis vorausgehende primäre Affektion.
Die Vorgänge im Bauchfell können stark hervortreten, während
die Veränderungen im Bindegewebe nicht bedeutend sind, selbst
rückgängig werden. Ist der Process dann im Beckenperitoneuni
lokalisirt und sind besonders die Uterinanhänge mit Umgebung
betheiligt, so haben wir circumscripte Knoten, welche fälsch¬
licher Weise häufig als parametritische Exsudate angesehen
werden.
Wir sehen, dass diese Processe, auf einer gewissen Stufe an¬
gelangt, circumscript bleiben können. Das geschieht wohl da¬
durch, dass die Lymphgefässe und Spalträume im Bindegewebe
sich mit Exsudatmasse verstopfen und so ein Weiterkriechen
gehemmt wird. Die entzündeten Uteriuanhänge umgeben sich
mit abkapselnden Exsudaten. Fühlt man bei schwerem sep¬
tischem Fieber einen harten Knoten, so bessert dies die Prognose.
Findet eine Invasion der giftigen Keime von dem Cavum
corporis uteri aus statt, so haben wir zunächst eine Endometritis.
Selten oder vielleicht nie wird die Entzündung per continuitatein
längs der Schleimhaut der Tube bis auf’s Peritoneum über¬
geleitet. Dagegen kann die Wand des Uterus durchsetzt und
so das Bauchfell ergriffen w'erden. Doch sind bedeutende Ver¬
änderungen in der sogen. Muscularis uteri nur in sehr schweren
Fällen zu beobachten. Das Vordringen in die tieferen Schichten
ist häufig durch einen Grenzwall von Rundzellen gehindert,
welche das gesunde Gewebe von der erkrankten Schleimhaut
und deren nächsten Umgebung absperren.
Endlich sehen wir noch pathologische Processe in den Ge-
fässen des Uterus. Diese sind in grösserer Ausdehnung throm-
bosirt, wie gewöhnlich, und die Thromben setzen sich in die
Gefässe des Beckens fort. Die Pfropfe verjauchen, worauf sich
dann Stücke losreissen, in den Blutkreislauf gelangen und so
zu den sogen. Infarkten und embolischen Herden Anlass geben.
Man hat gesagt, das Puerperalfieber hat einen gelinderen
Charakter angenommen. Dieser Ausspruch deckt die Sachlage
nicht, kann zu falschen Vorstellungen führen und schlimme
Konsequenzen nach sich ziehen. Wir können durch unsere Vor-
sichtsmaassregeln die Ucbertragung gefährlicher Mikroorga¬
nismen hindern oder beschränken und so die Entstehung neuer
Brutstätten und Bezugsquellen der Gifte verhüten oder ver¬
mindern. Allein diese sind immerhin leider noch in genügender
Menge da und ich habe noch in den letzten Jahren die aller-
schlimmsten Formen in Privatverhältnissen gesehen und bin
überzeugt, dass, bei Unterlassung der üblichen Kautelen in den
Kliniken, innerhalb 4 Wochen dieselben Epidemien wie vor
40 Jahren erscheinen würden.
Die aufgezähltcn anatomischen Veränderungen sind nun
meist von dem sogen, septischen Fieber begleitet, ausgezeichnet
durch gewöhnlich sehr hohe Temperatur, meist sehr frequenten,
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17. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1469
leicht zu unterdrückenden Puls, rasche Respiration, leicht bläu¬
liche Gesichtsfarbe, trockene Zunge und starkes Ergriffensein
des Nervensystems. Die Kranken sind aufgeregt, schlaflos
deliriren oder sind wenigstens nicht ganz bei sich. Zuweilen
sind sie dagegen bei Bewusstsein bis an’s Ende, tief deprimirt,
voll Todesahnung.
Auf die durch die lokalen Veränderungen bewirkten Modifi¬
kationen dieser Erscheinungen einzugehen, würde mich zu weit
führen. Ich erwähne nur, dass der Grad des Fiebers durchaus
nicht immer in geradem Verhältnis» zu jenen Veränderungen
steht. Ob ohne lokale Processe, nur durch Resorption von
Toxinen, welche sich bei grosser Anhäufung todten Materials
unter dem Einfluss eingeführter Spaltpilze in der Uter^shöhle
bilden, schwere Erkrankung und der Tod herbeigeführt werden
kann, erscheint zweifelhaft. Fieber kann natürlich dadurch ent¬
stehen. Jedenfalls kann der örtlicho Process sehr beschränkt
sein und doch die Kranke durch Resorption schädlicher Stoffe
zu Grunde gehen. Bei Seil heim finden Sie die schöne Ab¬
bildung von einem Sagittalschnitt des Beckens einer 2—3 Stun¬
den nach der Geburt gestorbenen Wöchnerin, welche, mit hoch¬
gradigem Fieber befallen, kurz vor Ausetossung des Kindes in
die Klinik gebracht worden war. Die von Streptococcen durch¬
setzte und stark geschwellte Schleimhaut zeigt eine Reinkultur
dieser Mikroben, während in näherer und weiterer Umgebung
nichts von diesen aufgefunden werden konnte.
Andere Fieberzuständc sind oft recht schwer von einem
beginnenden septischen Fieber zu unterscheiden. Sind jene
Folgen von Erkrankungen anderer Körperabschnitte, so dienen
diese als wichtiges Mittel für die differentielle Diagnose. Allein
es gibt auch Fieber, welche von den Generationsorganen aus¬
gehen und dann ist die richtige Deutung oft recht schwierig.
Alan hat jenes Fieber als Resorptionsfieber, Febricula oder asep¬
tisches Fieber bezeichnet. Die Alten sprachen von Milchfieber,
da sic irrthümlicher Weise die in Gang kommende Milchsekretion
für die Ursache hielten. Dieses Fieber tritt in der ersten Zeit
des Wochenbettes auf und dauert gewöhnlich 1—4 Tage. Die
Temperatur steigt meist nicht hoch, bis zu 38,5°, zuweilen jedoch
auch höher, selbst über 39 u . Der Puls ist relativ langsam, die
Zunge nicht trocken und das Allgemeinbefinden nicht merklich
ergriffen, wodurch ein Hauptunterschied von dem septischen
Fieber gegeben ist. Erscheinungen, welche auf einen lokalen
Process hinweisen, sind nicht vorhanden. Meist lässt sich so die
Diagnose feststellen, insbesondere, wenn man noch die Daten
über den Geburtsverlauf, die vorausgegangenen Untersuchungen,
Hilfeleistungen benutzt.
Ueber die Ursachen ist man nicht ganz klar. Man beschul¬
digt Fäuhiissbakterien, welche von aussen in die Geburtswege
eingedrungen sind, als die Erreger. Auch die für gewöhnlich
in der Scheide befindlichen Bakterien werden angeklagt. Volk-
mann leitet sein aseptisches Wundfieber von dem nekrotischen
Zerfall der bei einem Trauma geschädigten Gewebsmassen her.
Dabei entstehen Exsudate und Stoffe, welche von den durch die
physiologische Gewebsmetamorphose und den normalen Stoff¬
wechsel erzeugten nicht weit entfernt sind. Das Fieber wird
durch deren Resorption hervorgebracht. Ein besonderer Erreger
ist nach V olkinann’s Anschauung nicht nöthig.
Ohno Zweifel spielen Stauungen und Hemmung der Ex¬
kretion bei der Entstehung eine Rolle. Zur Zeit der grossen
Puerperalfieberepidemien sah man häufig unter den gleichzeitig
entbundenen Wöchnerinnen Personen, welche an diffusen Pro¬
cessen im Parametrium und Peritoneum und heftigem septischen
Fieber in 1—2 Tagen zu Grunde gingen. Bei Anderen be¬
schränkte sich der Vorgang. Es bildeten sich cireuinseripte
Exsudatknoten im Bindegewebe des Beckens oder um die Uterin-
gchänge. Das war vielfach mit ausgesprochen septischem
Fieber, besonders im Anfang, verbunden. Aber nicht selten hatte
schon im Beginn das Fieber einen anderen Charakter oder nahm
diesen doch später an. Bei oft hoher Temperatur eine relativ
oder selbst eine absolut geringe Frequenz des Pulses und ein
wenig gestörtes Allgemeinbefinden, kurz ein vollkommen aus¬
geprägtes aseptisches Fieber, wie es Volkmann beschreibt.
Endlich sali inan viele Personen, welche die Erschei¬
nungen des Resorptionsfiebers ohne lokale Herde darboten.
Man wird wohl schwerlich daran denken, für die rasch zum
Tode führenden diffusen und die viel weniger gefährlichen cir-
cumscripteu Processe ein verschiedenes Gift als Ursache anzu
nehmen. Eher wird man sich die Sache so erklären, dass ver¬
schiedene Verhältnisse, besonders anatomischer Art, die Pro¬
liferation und Invasion desselben schädlichen Mikroorganismus
in höherem oder in geringerem Grade begünstigten. Für die
in jenen Epidemien sehr häufigen Resorptionsfieber wird man es
für wahrscheinlich halten, dass wenigstens ein Theil dem näm¬
lichen schädlichen Agens seine Entstehung verdankte, dass aber
Bedingungen vorhanden waren, welche seinem tieferen Ein¬
dringen in die Gewebe Hindernisse entgegensetzten.
Die Therapie einer mit progredienten Processen im Binde¬
gewebe oder mit verjauchenden Thrombosen verbundenen Sepsis
ist ziemlich trostlos, obgleich, besonders bei letzterer Krankheits¬
form, noch ganz merkwürdige Heilungen beobachtet werden.
Ein zuverlässiges Antistreptococcenserum ist noch nicht ge¬
funden, und Chinin, Alkohol u. a. erweisen sich, trotz aller An¬
preisung, nur zu häufig ohne Erfolg. Günstiger sind die Chancen
bei den circumscripten Phlegmonen und Peritonitiden. Doch
würde eine Besprechung der Therapie dieser Lokalaffektionen an
diesem Ort zu weit führen.
Die Prophylaxe muss bei den geringen Hilfsmitteln, welche
wir zur Bekämpfung der Krankheit selbst besitzen, in erster
Linie stehen. Die Mittel, um eine Uebertragung durch leblose
Gegenstände zu verhüten, sind hinlänglich bekannt. In der
Privatpraxis, besonders bei der ärmeren Volksklasse, sind
Mobilien, Bett, Kleidungsstücke und Wäsche selten rein und
sauber, und es hält auch schwer, hier Remedur zu schaffen.
Die wenigstens relative Seltenheit der Erkrankungen, auch unter
diesen Umständen, liefert wieder einen Beweis dafür, dass der
gewöhnliche Schmutz meist nicht schadet.
Die Art und Weise, in welcher die Kreissendo gereinigt wer¬
den soll, ist genügend bekannt. Schwierigkeiten entstehen dann,
wenn die Person selbst die Bezugsquelle pathogener Bacterien
an sich trägt, wie eine eiternde Wunde, einen Furunkel u. a.
Hier muss nach gehöriger Reinigung mit Antisepticis durch ge¬
eignete Schutzverbände geholfen werden, wobei die verschiedene
Form der Affektion auch ein verschiedenes Verfahren erheischt.
Entsprechend der überwiegenden Bedeutung der Infektion
durch Arzt und Hebamme hat man die hier nöthigen Cautelen
am eingehendsten discutirt. Semmelweis hatte verlangt,
dass Jeder, welcher im Gebärhaus zu thun habe, alle andere Be¬
schäftigung aufgebe, welche zu Verunreinigung seiner Person
oder seiner Kleidung durch schädliche Stoffe Anlass geben könne.
Aehnliches lässt sich nun für die Privatpraxis nicht durch¬
führen. Man hat daher die Vorschrift umgekehrt und Jedem,
welcher mit verdächtigen Dingen zu thun hatte, die Abstinenz
von geburtshilflicher Beschäftigung, wenigstens auf eine gewisse
Zeit, zur Pflicht gemacht. Während dessen soll der Arzt oder
die Hebamme ihre Person, ihre Kleidung, Wäsche auf das sorg¬
fältigste reinigen und desinficiren. Insbesondere sind die Hand¬
schuhe zu beachten, durch die ohne Zweifel schon viele Ueber-
tragungen stattgefunden haben. Diesen Anhängern der Ab¬
stinenz stehen nun Andere gegenüber, welche behaupten, durch
gewisse Verfahren die Hände in relativ kurzer Zeit keimfrei
machen zu können. Durch die Untersuchungen Bum m’s,
Döderlein’s und Anderer hat sich indess herausgestellt, dass
dies mit Sicherheit nicht zu bewerkstelligen sei und man wird
ohne eine gewisse Abstinenz nicht auskommen können und be¬
sonders dann zu ihr greifen müssen, sobald man mit besonders
giftigen Keimen zu thun hatte, bezw. mit Kranken, welche an
Sepsis litten oder gar daran gestorben sind.
Die Abstinenz ist auch von Denen einzuhalten, welche eine
Brutstätte virulenter Spaltpilze, wio einen Furunkel, eine
Onychio an sich tragen; selbst einige Zeit nach der Heilung ist
dies nöthig, da auch an festeren Partikeln, wie an einer sich ab-
schilfornden Epidermis, Keime haften können.
Wir verdanken nun hauptsächlich den Bemühungen
Döderlei n’s ein Mittel, welches gestattet, die Vorschrift von
Semmelweis, nach welcher der Geburtshelfer mit verdäch¬
tigen Stoffen nichts zu schaffen haben soll, und die andere Vor¬
schrift, nach welcher der, welcher mit verdächtigen Dingen zu
thun hatte, die geburtshilfliche Beschäftigung zeitweise aufzu¬
geben hat, wenigstens bis zu einem gewissen Grade ausser Acht zu
lassen. Dies ist der Gebrauch der Gummihandschuhe. Sio
schützen die Hand vor Besudelung und den Arzt selbst vor In¬
fektion, gestatten aber auch, in dringenden Fällen, eine Hilfe¬
leistung auszuführen, wenn er sich besudelt hatte. Unter-
1 *
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1470
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
suehuugen und leichtere Operationen lassen sich mit gut an¬
schliessenden Handschuhen ausführen. Sie gewähren übrigens
keinen ganz unbedingten Schutz, da ein Riss oder eine sonstige
Schädigung leicht entstehen kann. Benützt man sie daher, um
eine Kreissende vor der Berührung mit der verdächtigen Hand
zu bewahren, so muss diese, vorher nach einer der am besten
anerkannten Methoden (Ahlfeld-Fürbringcr) gereinigt
werden. Auch muss man, wenn die Handschuhe benutzt worden
sind, um die Hände vor Besudelung zu bewahren, nach dem Ge¬
brauch eine Waschung vornehmen.
Ein Heilverfahren zur Abschneidung der Sepsis fehlt uns,
sobald die giftigen Keime in die tieferen Gcwebsabsohnitte von
der Oberfläche aus eingedrungen sind oder von Anfang an in sie
eingebraeht. worden waren, wie bei der Impfinfektion. Man
hat den ganzen Uterus weggenommen, sobald man voraussetzen
konnte, dass da3 Uebel die Grenzen des Organs noch nicht über¬
schritten hatte. Allein wir besitzen kein Mittel, um dies fest-
zustcllen. Dagegen verfügen wir über ein Verfahren, welches
uns in den Stand setzt, den Abfluss der im Uterus angosanmielten
Exkrete zu begünstigen, diese und etwa vorhandene Toxine weg¬
zuspülen, ebenso ihre Erreger oder diese selbst zu vernichten
oder abzusehwächen. Zuweilen wird es sogar gelingen, eine noch
nicht tief gehende Invasion in die Gewebe in ihrem Fortsehreiten
aufzuhalten. Hierzu dient uns die Drainage und Ausspülung des
Scxualscldauehs. Als die Vorschläge hierzu zuerst gemacht
wurden, nahm man sie mit Enthusiasmus an, kam aber bald da¬
von ab, was sicherlich wesentlich der mangelhaften Technik zu¬
zuschreiben ist. So führte man ein längeres Gummirohr ein,
welches nach Art eines Kreuzes in der Nähe des einen Endes ein
querlaufendes kurzes Rohr trug. Dies sollte dazu dienen, das
Ganze im Uterus festzuhalten. Ich will hier nicht auf die
Gründe eingehen, welche die Misserfolge hervorriefen; das nähme
zu viel Zeit in Anspruch. Soviel mir bekannt ist, beschränkt
man sich heutzutage auf einzelne, 1—3, Ausspülungen des Uterus
und innerhalb 24 Stunden, wenn man überhaupt dazu greift; ein
Verfahren, welches mir keine Vortheile darzubicten scheint. Ich
habe die ]>ernmnente Drainage und häutige, nüthigenfalls alle
1 — 2 Stunden zu wiederholende, Ausspülung des Uterus schon seit
mehreren Decennicn ausgeführt, wozu mir die zahlreichen, die
Hilfe der Poliklinik in Anspruch nehmenden Fälle Gelegenheit
genug bieten und möchte das Mittel nicht entbehren. Die Er¬
folge sind sicherlich der verbesserten Technik zuzurcehncn.
Gebraucht werden gläserne Kanülen von verschiedener Form,
bald mehr, bald weniger gebogen. Oft sind sehr stark ge¬
krümmte Röhren vorteilhaft, die sieh nicht selten ganz von
selbst im Uterus festhalten. Die Kanülen haben auf der Rück¬
seite eine Rinne für den Ablauf, was übrigens von wenig Werth
ist, da jene leicht verlegt wird. Die weiche, nachgiebige Wund
der Cervix in den ersten Tagen des Wochenbetts bereitet dem
Abfluss neben der Kanüle her wohl selten Hindernisse. Ucbrigens
haben wir auch Doppelkanülen aus Glas konstruiren lassen mit
einer durch eine Scheidewand in 2 Hälften geteilten Olive, wo¬
von dio eine Ocffnungen für den Einfluss, die andere
Ocffnungen für den Ausfluss aus dom Uterus besitzt. Die
Olive muss ziemlich dick sein. An dem einen Ende der Kanüle
befindet sich ein etwa SO em langer Gummischlauch, auf welchen
ein Trichter aufgesetzt wird. Die Einführung in den Uterus
muss sehr vorsichtig geschehen, und Fehler bei dieser Mani¬
pulation mögen teilweise den Misskredit der Drainage ver¬
schuldet haben. Der Steiss der Wöchnerin muss genügend er¬
höht liegen, was durch die untergeschobene, ohnedies not¬
wendige Bettschüssel meist erreicht wird. Dann legt man
1 oder 2 eingeführte Finger der einen Hand an die hintere Lippe
an. Die oft zerrissenen, sehr weichen, lappenartigen Gebilde, als
welche sich die Muttermundslippen priisentiren, lassen Täu¬
schungen zu. Man verfehlt dio Oeffnung, gerät ins Scheidon-
gi‘Wölbe, drückt dieses selbst durch. Zuweilen stösst man auch
an der Wand der Cervix auf ein Ilinderniss. Gewalt darf nie
gebraucht werden. Stösst die in den Uterus eingedrungene Olive
gegen den I undus, so zieht man sie etwas zurück, da ein festes
Anliegen gegen die Wand nicht gut ist. Ist die Kanüle ein-
geführt, so klemmt man das Gummirohr in ihrer Nähe durch
eine Pincc zu, füllt dann Trichter und Schlauch mit der Flüssig¬
keit und drückt dann, von unten nach oben vorgehend, die Luft
aus dem Schlauch heraus. Ucbrigens wendet man nur einen
ganz massigen Druck an, damit ein Eindringen von Luft keinen
Schaden bringen kann.
Glaubt man die Luft entfernt zu haben, so nimmt mau die
Piuce weg und lässt, den Trichter nachfüllend, die Spülflüssigkeit
cinlaufon, je nach Bedürfnis» 1—2 Liter. Dann klemmt mau in
der Nähe der Kanüle und in der Nähe des Trichters ab, ehe
Alles aus dem Trichter ausgelaufen ist, damit Flüssigkeit üa
Schlauch bleibt und man bei Wiederholung der Procedur nicht
wieder die Luft zu entfernen braucht. Die Kanüle kann oft
durch Zusnmmenknüpfcn von Schamhaaren über ihr genügend
befestigt werden. Sonst geschieht dies durch 2 Bänder, welche
von einer leichten Bauchbinde zu ihr hiuziehen. Auch den
Schlauch mit Trichter kann man auf dieser Binde befestigen.
So ist Alles vorbereitet, um alle 1—2 Stunden die Spülung
zu wiederholen. Dies halten wir für nüthig und halten ein 2 bis
4 maliges Ausspiilen in 24 Stunden für durchaus ungenügend.
Auch glauben wir, dass wiederholte Einführungen des Rohres,
auch seihst wenn dies nur 3—4 mal im Tug stattfindet, nach¬
theilig zu wirken vermag. Man hat nicht immer eine ganz ge¬
übte Person zur Hand und die Kranke wird durch diese häufigen
Proceduren erregt, während die Wiederholung der einfachen Aus¬
spülung von jeder nur oinigerninassen geschulten Wärterin be¬
sorgt werden kann. Der Arzt braucht nur gelegentlich nachzu¬
sehen, ob das Rohr noch gut liege, es etwas heraus und wieder
hinein zu schieben, etwas zu drehen, damit es nicht immer den¬
selben Stellen anliegt.
Ich lasse* die Drainage gewöhnlich 2 mal 24 Stunden im Gang
halten. Hat man bis dahin keinen Erfolg erzielt, so ist dieser auch
bei weiterer Fortsetzung dieser Behandlung nicht zu erwarten.
Nur zuweilen wird nach 12 Stunden das Rohr noch einmal auf
32—24 Stunden eingelegt, wenn die Absonderung reichlich und
übelriechend ist.
Sehr wichtig ist die Wahl der Spülflüssigkeit. Man hat
Karbol, Lysol, selbst Sublimat zugesetzt und von jedem dieser
Mittel Vergiftungen beobachtet. Wir haben stets das Chlorwasser
gebraucht. Das in den Apotheken befindliche Präparat ist ge¬
wöhnlich stark genug. Man kann sich nüthigenfalls jederzeit
das (’hlorwasscr frisch anfertigen lassen. Zusatz von % bis
Vt Liter auf 1 Liter lauwarmen Wassers genügen. Zu konzontrirt
darf es gar nicht sein, da <s sonst einen dünnen Schorf bildet,
welcher cino Einwirkung auf die tiefer gelegenen Schichten
hindert.
Eine solche Spülflüssigkeit, welche dann etwas konzentrirter
«ein kann, ist, nebenbei gesagt, ein ganz vortreffliches Mittel
hei »Ionischen Nachblutungen und bewirkt sehr prompt kräftige
Zusammcnziehungcn des Uterus.
Wir haben von dieser Behandlung sehr gute Resultate ge¬
habt. Schwierig ist nur die Stellung der Indikation. Bei einem
unschuldigen Resorptionsfieher wendet man nicht gern ein ört¬
liches Verfahren an, welches, wenn es auch in geübten Händen
keine Nacht heile mit sieh bringt, doch unnüthiger Weise die
Kranke und ihre Angehörigen beunruhigt. Leider steht uns
kein ganz sicheres Mittel zur Verfügung, um ein beginnendes
septisches Fieber von einem Resorptionsfieher unter allen Um¬
ständen zu unterscheiden.
Geht die Tem|>eratur nicht viel über 38° hinaus und
sind keine lokalen Symptome vorhanden, so kann man getrost
2--3 Tage warten'und sieh darauf beschränken, alle Hindernisse
des freien Lochinlflusses zu beseitigen und etwaige Ansamm¬
lungen von todtem Material im Scheidengrunde durch Vaginal¬
irrigationen zu entfernen.
Eine Temperatur bis 39 0 und darüber erfordert die Drainage,
so bald sie mehr als 24 Stunden anhält. Selbstverständlich
gilt dies nur dann, wenn keine andere, die Sexualorgane nichts
angehende Ursache des Fiebers vorhanden ist.
Die Temperatur entscheidet nicht allein. Eine erhöhte Puls¬
frequenz, wenn sie sich nicht aus anderen Ursachen, Wlt ‘
1 h r/.fi lib-ni. akuter Anaemio, nervösen Störungen, erklärt,
schnelle Respiration, etwas bläuliches Kolorit, Schlaflosigkeit,
erfordern ein rascheres Einschreiten, als sonst der bestehende
Tempera turgrad erfordert hätte. Ebenso ist dies nötine
bei gewissen örtlichen Erscheinungen, wie bei einem auf¬
fallenden harten, kleinen, stark kontrahirten Uterus, den man
sehr bald nach der Geburt beobachtet hatte, bei heftigen Nach¬
wehen besonders Erstgebärender, Schmerzhaftigkeit des Uterus
bei Ileriilming, übelriechenden Lochien. Puerperalgesehwürcii.
Endlich kann auch noch die Geschichte des Falles (früh¬
zeitiger Wasserabfluss, Blutungen vor und in der Geburt, häuhff 0
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17. September 1901.
MUENCHENF.R MEDICTN1SCHE WOCHENSCHRIFT.
1471
Untersuchung, verdächtiges Personal, Kunsthilfe) die Drainage
früher erforderlich erscheinen lassen.
Bumm hat den Vorschlag gemacht, bei jeder fiebernden
Wöchnerin etwas Inhalt aus dem Uterus zu entnehmen und
je nach dem Resultat der bakteriologischen Untersuchung seine
Prognose zu stellen und seine Behandlung einzurichten. Man
hat auf die Gefahren der Procedur hingewieseu. Ich glaube
nicht, dass man diese bei einiger Uebung und Vorsicht zu
fürchten braucht. Allein es erscheint mir zweifelhaft, ob man
viel damit erreiche. Die Ansichten über den Bakteriengehalt
des puerperalen Uterus, über die. Eigenschaften der in den Ge¬
burtswegen aufgefundeuen Bakterien, über ihre Fähigkeit zur
Invasion, über den Wechsel in ihrem pathogenen Charakter, über
den Einfluss der im Körper befindlichen Nährböden sind noch
zu verschieden. Eine grössere Reihe Untersuchungen ist noch
nüthig, ehe man über den Werth dieser Methode für Diagnose,
Prognose und Therapie ein sicheres Urtheil haben kann.
Ein Hilfsmittel gegen Seekrankheit.
Von Dr. med. R. Heinz, Privatdocent in Erlangen.
Das hervorstechendste — und auch das lästigste — Symptom
der Seekrankheit ist das Erbrechen. Wie dasselbe zu Stande
kommt, ob durch Störungen in den Gleichgewichtscentren des
Gehirns, ob durch Schwankungen des intrakraniellen Druckes
oder Aehnliches, ist unaufgeklärt. Jedenfalls aber steht fest, dass
von dem erregten Theil ein Reiz auf das Brechcentrum über¬
tragen wird, durch den Würgen und Erbrechen entsteht. Das
Brechcentrum liegt — wie das Athemeentrum — am Boden des
IV. Ventrikels. Es ist räumlich mit diesem zum Theil identisch.
Aber auch funktionell bestehen die engsten Beziehungen zwischen
Athem- und Brechcentrum. Bei Ausführung des Breehaktes wer¬
den sämmtliche Athmungsmuskeln in Thätigkeit versetzt: Der
Brechakt wird eingeleitet durch eine tiefe Inspirationsbewegung,
sodann erfolgen — während gleichzeitig die Kardia sich öffnet —
heftige Exspirationsbewegungen. Es besteht aber noch eine
weitere Beziehung: Man kann einen irgendwie ent¬
standenen Brechreiz unterdrücken und das
Zustandekommen des Breehaktes verhindern,
wenn man rasch hintereinander eine Anzahl
tiefer Inspirationen vollführt. Dies ist eine That-
suche, die Mancher — bewusst oder unbewusst. — an sich selbst
(z. B. in der Studentenzeit) zu erfahren Gelegenheit hatte.
Was ist nun die Ursache dieses eigenthümliehen Verhaltens?
Es wird offenbar durch die vertiefte und beschleunigte Athmung
die Erregbarkeit des Breehcentrums so stark herabgesetzt, da-vs
der — kurz vorher unwiderstehlich scheinende — Brechreiz über¬
wunden werden kann. Es drängt sich da sofort die Annahme
auf, dass der Grund hierfür in der, durch die vertiefte und be¬
schleunigte Respiration herbeigeführteu, Apnoe zu suchen sei.
Rosen thal hat die ausserordentlich interessante Thntsnehe
entdeckt, dass durch Apnoe jede Reflexwirkung aufgehoben wer¬
den kann. So bewirkt Apnoe das Sistiren der Ileflexkräinpfe
durch Strychnin. Auch das Erbrechen durch Tartarus stibiatus,
das bekanntlich durch reflektorische Erregung des Brechcentrums,
in Folge Reizung der sensiblen Magennerven, zu Stande kommt,
wird durch Apnoe aufgehoben. Wie verhält sich nun das direkt,
nicht reflektorisch, erregte Brechcentrum bei künstlich herbei¬
geführter Apnoe? Wir haben in dem Apomorphin ein Mittel,
das durch Reizung des Breehcentrums selbst Erbrechen erregt:
das Apomorphin wirkt bedeutend rascher, wenn es subkutan (oder
intravenös) eingespritzt, als wenn es in den Magen gebracht wird:
man hat ferner durch direktes Aufbringen von Apomorphin auf
das Brechcentrum unmittelbar erfolgendes Erbrechen hervor¬
gerufen. Injicirt man einem Hund 1 mg Apomorphin, so er¬
bricht er mit absoluter Sicherheit innerhalb 1—3 Minuten. Ich
versetzte nun einen Hund in Apnoe, indem ich ihn kräftig künst¬
lich respirirte. Sodann injizirte ich dem Thier 0,001 g Apo¬
morphin: der Hund erbrach n i c h t. Wurde nunmehr die künst¬
liche Athmung unterbrochen, so zeigte der Hund Würgbewe¬
gungon und Erbrechen. Begann das Thier el>en Würgbewegungen
zu machen, so konnte durch rasch eingeleitete künstliche Re¬
spiration das Erbrechen verhindert werden. Selbst 2 mg Ajm>-
inorphin, die bei dem normalen Thier oftmaliges heftiges Er¬
brechen verursachen, zeigten sich in der Apnoe ganz unwirksam.
Es vermag also die Apnoe die Erregbarkeit des Breehcentrums
No. 38.
so stark herabzusetzen, dass selbst durch starke direkte Reize kein
Erbrechen mehr hervorgerufen wird.
Gibt nun zu dieser Herabsetzung der Erregbarkeit de« Athern-
centrums wirklich die Apnoe die Veranlassung? Wäre es nicht
möglich, dass durch die starken Respirationsbcwegungen ein Reiz
auf die sensiblen Nervenenden der Lunge herbeigeführt würde;
der eine Beeinflussung des, mit dem Athemeentrum in so inniger
Beziehung stehenden, Breehcentrums zur Folgt» hätte? Um dies
zu entscheiden, liess ich das Thier intensive Athembewegungen
machen, ohne dass es sich dabei mit Sauerstoff übersät.tigen
konnte. Zu diesem Zweck schaltete ich dem, durch eine Tracheal¬
kanüle athniendcn Thiere in die Inspirationsbahn ein Hindern iss
ein, das es nur durch sehr verstärkte Athmungsbewegungen,
unter Anstrengung sämmtlicher ]Iilfsmu*keln, überwinden
konnte. Nunmehr injizirte ich Apomorphin: das Thier erbrach
mehrmals heftig. Beseitigte ich das Hinderniss und respirirte
künstlich, so dass Apnoe eintrat, so schwanden Würgen und
Brechbewegungen. Es ist also thatsächlich die Apnoe, die das
Brechcentrum untererregbar macht, und das Erbrechen durch
Apomorphin verhindert. ^
Durch vertiefte Athembewegungen kann man, wie bemerkt,
den Brechreiz in Folge überfüllten Magens überwinden. Den
gleichen Effekt erreicht man bei Brechreiz in Folge Reizung des
Schlundes. Den durch Einführung der Magensonde gesetzten
starken Brechreiz macht man den Patienten am leichtesten über¬
winden, wenn man ihm Anweisung gibt, beständig rasche In¬
spirat ionshe wegungon zu machen. Im vorigen Jahre hatte ich
Gelegenheit zu beobachten, dass man auch den Brechreiz bei See¬
krankheit durch verstärkte Athmung erfolgreich überwinden
kann. Eine Dame und ein Kind wurden bei der Ueberfahrt
von Cuxhaven nach Helgoland bei massig bewegter See stark see¬
krank. Am nächsten Tage rieth ich der betreffenden Dame,
jedesmal bei einsetzendem Brechreiz mehrmals hintereinander
tief zu inspiriren. Thatsächlich erbrach die Dame bei der Ueber¬
fahrt von Helgoland nach Sylt — die bei viel bewegterer See
erfolgte als am Tage vorher — wiewohl sich Brechreiz und Uebel-
keit prompt einstellte, nicht ein einziges Mal, während das Kind
wiederum stark seekrank wurde. Dass auch Andere — zum Theil
ganz instinktiv — auf dieses Hilfsmittel gegen Seekrankindt ge¬
kommen sind, beweist eine Notiz in dem Blatte Truth des be¬
kannten englischen Parlamentariers Labouchere. Labou-
chere berichtet, dass eine Dame ihm erzählt habe, die See¬
reisen hätten für sie ihre früheren Schrecken verloren, indem sic
niemals mehr seekrank würde. Sie habe ein unfehlbares Mittel
gefunden: bei Ileruntergehen des Schiffskörpers tief zu inspi¬
riren, beim llerausgehen zu exspiriren. Es wird sich hierbei wohl
nicht um die genaue Ausführung dieser Vorschrift gehandelt
haben, sondern darum, dass durch vertiefte Respirationen Apnoe
und damit Herabsetzung der Erregbarkeit des Athemcentrums
herbeigeführt wurde.
Ich gebe dieses — wie aus der angeführten Zeitungsnotiz her-
vorgeht, sporadisch bereits gekannte — Hilfsmittel gegen See¬
krankheit bekannt, um zur Nachprüfung aufzufordern, die am ge¬
eignetsten zweifelsohne von Aerzten an der eigenen Person durch¬
geführt wenlcn dürfte.
Aus der medicinischcn Universitätsklinik zu Greifswald.
Beitrag zur Frage des renalen Diabetes.
Von l)r. Hugo Lüthje, Privatdocent und Oberarzt der
Klinik.
G. Kl em per er hat das Verdienst, auf die Möglichkeit
des Vorkommens eines renalen Diabetes in eindringlicher Weise
aufmerksam gemacht zu haben, ln den sich an seinen ersten Vor¬
trag ansehli(»ssondon Discussionen wurde eine Reihe von ab¬
weichenden Vorstellungen geiiussert, die jedoch mit wenigen Aus¬
nahmen rein persönliche Muthmaassungen ohne die Grundlage
genauerer B<“obaohtungen waren. Objektiv und gestützt auf eigene
Beobachtung hat sich neuerdings N au n y n eingehender mit der
Frage beschäftigt.
Schwer verständlich ist, dass sich in den Vordergrund der
älteren Debatten sofort die Frage gedrängt hat, ob es sieh beim
„renalen“ Dialntes um eine einfache passive Durchlässigkeit d<>
Nierenepithels für Zucker handle, oder aber, ob die Xicronzelleu
aktiv den Zueker aus dem Blute herausziehen und dann sis-er-
9
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1472
MTTENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
niron. Diese Frage dürfte doch wohl erst in zweiter Linie kommen
und ausserdem schwer zu beantworten sein.
Entschieden werden muss vor Allem die Grundfrage: Gibt es
beim Menschen einen spontan auf tretenden Diabetes, dessen Ur¬
sache in irgend einer Störung des Nierenparenchyms als solchem 1
liegt? Lassen sich sichere Beweise dafür erbringen, so haben wir
ein gutes Recht, von einem renalen Diabetes zu sprechen,
und unsere Kenntnisse in der Pathogenese des Diabetes sind um
einen sicheren Schritt vorwärts gedrungen: Wir kennen alsdann
ein weiteres Organ, dessen Funktionsstörung — mag sie sein,
welcher Art sie will — zur dauernden Ausscheidung von Zucker
und damit zu derjenigen Erscheinung führt, welche nach der
heute geltenden Definition für Diabetes mellitus charakte¬
ristisch ist.
Das in der Literatur vorliegende positive Material ist recht
spärlich, die theoretischen Auseinandersetzungen sind dagegen
recht reichlich.
Ich theile im Folgenden eine klinische Beobachtung mit,
welche mir zu den einwandfreisten zu gehören scheint und bei
der diejenigen Postulate, welche für die Anerkennung des
„Nierendiabetes“ bis unumgänglich nöthig erachtet werden, mit
einiger Sicherheit erfüllt sind, nämlich
1. Fehlen von Harnzucker vor der Nierenerkrankung;
2. bald nach Auftreten einer Nierenerkrankung tritt Zucker
im Harn auf;
3. Unabhängigkeit der Grösse der Zuckerausscheidung von
der Grösse der Kohlehydratzufuhr;
4. Verminderung des Blutzuckergehaltes.
Es möge die Krankengeschichte mit den Untersuchungs-
tabellen folgen.
O. M., Kaufmann, 22. Jahre alt.
Eltern leben und sind gesund; ebenso zwei Geschwister. Ein
Bruder ganz jung gestorben. Patient ist unverheiratbet.
Angeblich keine Kinderkrankheiten. Auch sonst will Pat. nie
ernstlich krank gewesen sein. Anfang November 1900 zog er sich
einen Tripper zu; er behandelte sich selbst bis zu Anfang Dezember.
Dann stellten sich Schmerzen in der Blasengegend ein; der
behandelnde Arzt koustatirte ein Blasenleiden. Am 13. XII. 00
erfolgte die Aufnahme in unsere Klinik. Tat. klagt über häufigen
Harndrang und Schmerzen in der Blasengegeud.
Stat. praes.: Mittelgrosser, kräftig gebauter und gut ge¬
nährter junger Mann; keine Oedeme, keine Exantheme.— Sensorium
frei, kein Kopfschmerz, kein Schwindel. Auch sonst von Seiten
des Centralnervensystems keine nachweisbaren Störungen. — Die
Harnentleerung ist schmerzhaft, besonders zu Ende des Urinirens.
Harn trübe, enthält einige Blutgerinnsel und zahlreiche Leuko-
cyten. Eiwelssgehalt ist stärker als dem Blut- und Eiter¬
gehalt des Harns entspricht. Mikroskopisch granulirte und hya¬
line Cylinder. Eplthelien der Harnwege. Der Harn reduzirt
Kupfersulfat etwas, gibt aber keinen Niederschlag von Kupfer¬
oxydul. Blasengegeud auf Druck etwas schmerzhaft, ebenso die
Gegend der beiden Nieren. — Prostata etwas vergrössert, druck¬
empfindlich.
Appetit gut, Durst nicht gesteigert. Leber und Milz
nicht vergrössert. Keine Störungen von Seiten des Verdauungs-
traktus.
Herzgrösse normal. lieber der Herzspitze leises systolisches
Geräusch; dasselbe ist etwas lauter im 2. Intercostalraum links
zu hören. Zweite Töne au der Basis symmetrisch. Am Puls nichts
besonderes.
Thorax symmetrisch und kräftig gebaut; beide Hälften be¬
theiligen sich gleichmässlg an der Athmung. Perkussion und Aus¬
kultation ergeben normale Verhältnisse über den Lungen.
Unter Saloldarreiehung geringe Besserung der cystitischen Er¬
scheinungen.
17. XII. T r o ra m e r’sclic und N y 1 a n d e r’sche Probe po¬
sitiv. Urin dreht nach Entfernung des Eiweisses noch 0,06 rechts.
Von jetzt ab war stets Zucker im Harn nachweisbar.
Die nebenstehende Tabelle gibt darüber Auskunft.
Am 8. I. 01 wurde Patient entlassen; er fühlt sich völlig
gesund. Urin klar, enthält kein Eiweiss, dagegen Zucker.
Wir haben also einen gesunden, kräftigen, jungen Mann mit
Tripporinfektion (Gonococeen nachgewiesen); sekundär gonor¬
rhoische Cystitis und höchstwahrscheinlich ascendirende Pyelo¬
nephritis. Zu Anfang bestand ganz geringes Fieber (37,7).
Sicher konstatirt wurde jedenfalls eine Nephritis, für deren Zu¬
standekommen jede andere Erklärung, sowohl aus der Anamnese,
als auch aus der diesseitigen Beobachtung fehlt.
4 Tage, nach der Aufnahme in’s Krankenhaus tritt Zucker
in quantitativ nachweisbarer Menge auf. Der Zuckergehalt des
Urins schwindet dann nicht mehr und schwankt an den einzelnen
Tagen in geringen Grenzen; er wird auch dann nicht wesentlich
geringer, als Patient eine Reihe von Tagen hindurch nur Spuren
von Kohlehydraten (vom 21. bis 20. XU.), resp. gar keine Kohle¬
I
XII.
Nahrung
S“
y c
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d: "p
2 5
Urinmenge
.2
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O
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24
w
Zucker in g
Bemerkungen
I
18. j
j
—
—
1750
1023
+
?
Trommer, Nylander
u. Gährungsprobe
pos.
19. |
1720
1030 0,6
10,32
Mikroskopisch :
Eiterkörperchen
und Cylinder; reichl.
Eiweiss
20.
—
—
1600
1026 0,9
14,40
reichl. Eiweiss
21.
Fleisch. Grünes
Gemüse, Bouil¬
lon, Kaffee.Thee.
Kalter Auf¬
schnitt
Spu¬
ren
im
Ge¬
müse
2200
1021
0,28
6,16
do.
22.1
do.
do.
2430
1023
0,16
4,00
do.
23.1
do.
do.
2300 1024
0,20
4,60
do.
24.1
do
do.
1990 1025
0.28
5,60
do.
25.
do.
do.
2150 1023
0,30
6,50
do.
20.
do.
do.
2220 1025
0,40
8,90
weniger Eiweiss
27.
Kaffee, Schin¬
ken, Bouillon,
kalter Auf¬
schnitt, Eier,
Fleisch
0
1740
1025
0,40
7,0
Urin klar, kein
Eiweiss
28.
do. + BO g
Semmel
25
1860 1023 0,40
1 |
7,0
do.
29.
do.
25
219011023
0,45
9,9
do.
30.
do.
25
18901025
0,30
5,7
Spur Eiweiss
31.
do.
25
1460-1030
0,25
3,7
do.
1 . 1 .
01
do.
25
1650; 1021
0,20
3,3
kein Eiweiss
2.
do.
25
1970:1023 0,22
4,3
do.
3.
do.-f-lOO g Brod
50
17201024 0,40
1 6,9
do.
4.
do.
50
110011024
0,55
i 6,10
do.
5.
do.
50
2150:1021
0,72,15,1
do.
6.
do.
50
1970
i021
0,6011,8
do.
7.
do.
50
2270 1022
1
0,7015,9
do.
hydrate (am 27. XII.) zu sich nimmt und zeigt keine wesentliche
Steigerung bei einer täglichen Zufuhr von 50 g Semmel (vom
28. XII. 1900 bis 2. I. 1901), resp. bei einer weiteren Steigerung
in der Zufuhr auf 100 g (3. bis 7. I.). Die Zeichen der Nephritis
sind mittlerweile völlig geschwunden.
Nach der Entlassung blieb der Patient unter unserer stetigen
Kontrolc. So oft der Urin untersucht wurde, war Zucker nach¬
weisbar, und zwar stets in den Mengen, in denen sie während der
klinischen Beobachtung ausgeschieden waren.
Ich gebe die Analyse einiger Tage im Folgenden:
20. V. Nahrung: Klare Bouillon, Fisch, Kalbsbraten ohne
Sauce, schwarzer Kaffee, 3 Eier, kalter Aufschnitt mit Butter.
Wildunger. Urinnienge 1820 ccm. Rechtsdrehung 0,4 Proc. = 7.28 g
Zucker. Kein Eiweiss. Keine Eisenchloridreaktion. Gäbrungsprobc
positiv.
21. V. Schwarzer Kaffee, kalter Aufschnitt mit Butter, klare
Bouillon, in Buttersauce gebratener Hering. Kotelette in Butter
gebraten ohne Mehl, Selters. Sauerbrunnen. Urinmenge 1900 ccm.
Roohtsdreliung 0,3 Proc. = 5,9 g Zucker. Kein Eiweiss, keine
Eisenchloridreaktion.
An den folgenden drei Tagen nahm der Patient steigend
je 300, 400 und 500 g Reis zu sieh und sandte uns die täglichen
Urinmengen zu. Leider sind die Untersuehungszahlen dieser drei
Tage verloren gegangen, jedoch erinnere ich mich mit Sicherheit,
dass der Zuckergehalt gar nicht oder jedenfalls nicht wesentlich
über die früher beobachtete Grösse hinausgestiegen ist.
Am G. VI. 01 Hess sieh Patient abermals in die Klinik auf¬
nehmen. Er hat sich seit seiner Entlassung immer wohl gefühlt.
Einige Tage vor der Aufnahme (20. V.) fühlte er wieder Blasen¬
sehmerzen, auch war die Urinentleerung bei den letzten Tropfen
schmerzhaft, hin und wieder etwas Blut.
Im Status bat sieh nichts Wesentliches geändert, speziell au
Herz und Gefässen nichts Abnormes zu finden. Der Urin enthält
weisse und einige rothe Blutkörperchen, sowie Eiweiss in geringen
Mcugon. Keine Cylinder. Trommer’sche und Gährungsprobe
stark positiv. Im Urethralsekret Diploeoccen. von denen nicht
sicher gesagt werden kann, ob es sich um Gonococeen handelt.
lieber die Zuckerausscheidungsverhältnisse gibt die folgende
Tabelle Auskunft:
(Tabelle siebe nächste Seite.)
Wir sehen also auch hier eine ständige Zuckernusscheidung,
die trotz der grossen Unterschiede in der Grösse der täglichen
Kohlehydratzufuhr nur in engen Grenzen schwankt. Selbst
während der 3 völlig kohlehydratfreicu Tage (vom 14. bis 16. M-
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17. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1473
Juni
01
Nahrung
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Zucker in g|
Bemerkungen
11.
2‘/*l Milch, 100 g
Brod, 50 Butter,
210 Fleisch, 7* 1
Bouill., 1 Ki
160
0
Ol
CO
1020
0,60
10,9
vomC.—10. Juni war die
Zuckerprobe stets posi¬
tiv. quantitative Be¬
stimmungen wurden
liier nickt gemacht.
12.
27*1 Milch, 200 g
Brod, 50 Butter,
230 Fleisch, 7a 1
Bouillon, 3 Eier,
75 g Compot.
247
1680
1025
0,75
12,«)
13.
27*1 Milch, 300 g
Brod, 50 Butter,
267 Fleisch, 7a 1
Bouill.,120Comp.
320
2 D0
1021
0,77
16,8
14.
30 g Butter, 320 g
Fleisch, 7» 1
Bouillon, 5 Eier,
s /4 1 Kaffee.
0
2300
1020
0,25
5,8
15.
do.
0
1710
1024
0,40
6,8
16.
do.
0
1890
1026
0,35
6,4
17.
50 g Butter, 270 g
Fleisch, 5 Eier,
7a 1 Bouillon, 3 /H
Kaffee,100g Brod.
50
1900
1020
0,50
I
3 g Diuretin.
1 s.
do. u. 200 g Brod.
100
167u
1027
0,75
12,5
3 g Diuretin
19.
do. u. 300 g Brod.
150
1470
1025
1,16
17,0
3 g Diuretin
20.
150 g Milch, 300 g
Brod, 100g Butter
165g Fleisch,7a 1
Bouillon, 1 Ei,
*/ 1 1 Kaffee.
157,2
1310
1025
0,82
1
21.
150 g Milch, 400 g
Brod, 100 g Butter
320 g Fleisch,
3 Eier, 72 1 Bouill.,
2 /41 Kaffee.
207,2
1420
i
1024
0,65
22.
i
do.
20 7,2
2370
1014
:0,4(j
10,9
Bemerkung zu obiger Tabelle: Milch wurde zu 4,8 Proc.,
Brod und Kompot zu 50 Proc. Kohlehydrate gerechnet.
1901) hört die Zuckerausscheidung nicht auf. Sie ist am 21. und
22. VI. bei einer Zufuhr von über 200 g Kohlehydraten nicht
grösser als z. B. am 17. VI. bei einer Zufuhr von 50 g und
nicht wesentlich grösser als am 14., 15. und 16. VI. (völlig kohlo-
liyd ratfrei!).
Vom 17. bis 19. VI. wurden pro die je 3 g Diuretin verabreicht
(in Anlehnung an die Jacobj’schen Versuche): die Zucker¬
ausscheidung bleibt unverändert, freilich auch die Diurese.
Die Erscheinungen der Cystitis waren bereits 6—7 Tage
nach der Aufnahme fast ganz geschwunden.
Am 21. VI. wurde eine Zuckerbestimmung des Blutes gemacht;
cs wurden 140 ccm Blut aus der Vena eephalica entnommen, das
Blut enteiweisst (mit Essigsäure und Na. carb.) und dann in
zwei gleiche Hälften getheilt; es ergab sich in der einen Hälfte
0,056 Proc. Zucker, in der anderen Hälfte
0,054 Proc. Zucker (Wägung des im Wasserstoffstrom rcducir-
ten Kupferoxyduls).
Epikritisch ist nur wenig zu dem Fall zu bemerken.
Die oben aufgestellten Postulate sind erfüllt, d. h.:
1. Es war vor der Nierenerkrankung wahrscheinlich kein
Zucker im Harn enthalten,
2. bald nach Auftreten dor Nierenerkrankung trat Zucker auf,
3. die Grösse der Zuckerausscheidung ist unabhängig von der
Menge der zugeführten Kohlehydrate,
4. es besteht eine ausgesprochene Herabsetzung des Blut¬
zuckergehaltes.
Wir dürfen somit unseren Fall als einen solchen von renalem
Diabetes bezeichnen, in dem Sinne, dass irgend eine Funktions¬
störung der Niere das veranlassende Moment für das Auftreten
von Zucker im Harn abgab. Der scharfe Gegensatz zwischen der
hier beobachteten Form von Diabetes und der gewöhnlichen Form
liegt auf der Hand.
Welcher Art die Funktionsstörung der Niere ist, kann nicht
entschieden werden. Warum sollte aber das Nierenfilter nicht
gelegentlich gerade so gut die Fähigkeit verlieren können, den
Blutzucker — ohne dass dessen Gehalt erhöht ist — zurückzu¬
halten, wie es oft die Fähigkeit verliert, das Bluteiweiss zurück¬
zuhalten ?
In unserem Fall waren zeitweilig beide Fähigkeiten verloren
gegangen: der Patient schied Eiweiss und Zucker aus. Theilweise
hat sich die Schädlichkeit wieder ausgeglichen, das Vermögen,
den Zucker des Blutes zurückzuhalten, ist dagegen bis heute
verloren geblieben.
Literatur:
G. Ivle m p e rer: „lieber regulatorische Glykosurie und
renalen Diabetes.“ Verhandl. des Vereins filr innere Medicin.
18. Mai 1896. Hier und in einer der folgenden Sitzungen auch
die anschliessenden Disc-ussionen. — Carl Jacobj: „Ueber künst¬
lichen Nierendiabetes.“ Areh. f. experiment. Pathol. u. Pharm.
Bd. XXXV. 1895. S. 214. — B. Naunyn: „Der Diabetes
mellitus“ in Nothnagel*s Handbuch. S. 106. Hier auch ältere
Literatur. — P. F. Richter: „Zur Frage des Nierendiabetes.“
Deutsche med. Wochensehr. 1S99. S. 840. — Schupfer: „L’albü-
minuria nel diabete ed il diabete reuale. (Pollcliuico 1900.) Citirt
nach Centralbl. f. inn. Med. No. 35. 1900.
Ueber Osteoklase und Osteoklasten.*)
Von Geheimrath Dr. L. Heusner in Barmen.
Die erste Anwendung der Osteoklase erstreckte sich natur-
gemäss auf deform geheilte Brüche und wurde schon in den
ältesten Zeiten geübt. Hippokrates erwähnt das Verfahren nicht
besonders; bei dem Werth und der Sorgfalt, welche unser Alt¬
meister auf die exakte Extensiou und Einrichtung von Brüchen
und Luxationen legt, darf aber mit Sicherheit angenommen
werden, dass er die Refraktion bei mangelhaft geheilten Knochen
geübt und gekannt hat. In der That ist sein mit Extensionswellen
atn oberen und unteren Ende ausgerüsteter Operationstisch
(Seamnum) zu diesem Zwecke ganz geeignet und auch nachweis¬
lich bis in’s spätero Mittelalter dazu benutzt worden. Celsus,
Christi Zeitgenosse, erwähnt in seinen medicinischen Schriften,
dass man deform geheilte Brüche mit den Händen brechen und ge¬
polsterte Schienen auf binden soll. Oribasius, Freund und Leib¬
arzt des Kaisers Julian apo.stata, geboren 325 zu Pergamos, sagt
in seinem Werke: Collectaneao medicinales, dass man den Callus
schief geheilter Brüche durch gewaltsame Extension trennen
solle, und sein gelehrter Nacheiferer, Paulus von Aegina, welcher
den Stand der Medicin in der Alexandrinischen Schule im 5. und
6. Jahrhundert abspiegelt, räth, wenn dieses Verfahren nicht ge¬
lingt, den Meissei anzuwenden. Der arabische Arzt, Abdul Kasim,
geboren zu El Zarah bei Cordova in Spanien um 1050, klagt,
dass das Wiederbrechen schlecht geheilter Frakturen in seinem
Lande vielfach von unwissenden Aerzton und Knocheneinriclitem
geübt würde, räth selbst aber davon ab und gibt damit das beste
Beispiel von dem Verfalle der Chirurgie im frühen Mittelalter,
welchen er selbst lebhaft fühlte und beklagte. Jamerius, aus der
Sallemitunisehen Schule, welche im 11. und 12. Jahrhundert
unter dem Schutze König Roger’s und Kaiser Friedrich IT.
blühte, sagt in seinen bruchstückweise erhaltenen Werken, dass,
wenn noch nicht 6 Monate verflossen sind, man den krumm ge¬
heilten Knochen durch Gegenstemmen des Knies wieder brechen
solle. Denselben Rath ertheilt Guy de Chauliac, Freund Petrar-
ka’s und päpstlicher Leibarzt zu Avignon, dessen Werk über
Medicin und Chirurgie das 14. und 15. Jahrhundert beherrschte.
Der deutsche Wundarzt Jeronymus Brunschwig aus der Strass¬
burger medicinischen Schule lehrt in seiner 1534 zu Augsburg
erschienenen „Chirurgica“, d. i. Handwlirkung der Wundartzeney,
wie er von vil erfarnen Artzeten gelernt und in seiner Praktica
löblich gebraucht hat: „Wil es sich aber nit lassen strecken also
mit der hand u. ziehen, so werd es gebrochen über ein Knü, oder
zertretten uff ein hilzen Instrument mit Thuch umbwunden u.
ein Küssen uff das Bein.“ Letzteres liegt dabei mit der Bruch¬
stelle frei über zwei gepolsterten Klötzen. Fabricius ab Aqua-
pendente, Professor der Anatomie und Chirurgie an der Uni¬
versität der Republik Venedig zu Padua, welcher mit seinem
Werke Pentateuchos chirurgicum nunmehr die Führung in der
Chirurgie übernalun, und eine Reihe von ihm erfundener, intelli¬
genter, chirurgischer und orthopädischer Apparate abbildet, er¬
wähnt, dass man krumm geheilte Knochenbrüche durch Schlag
*) Vortrag, gehalten ln der Frühjahrsversammlung der Aerzto
des Regierungsbezirks Düsseldorf. April 1901.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3*.
1474
mit dem Hammer auf das mit Wolle umwickelte, oder mit einem
Schwamm bedeckte Glied, oder auch mit Ililfe eines quer darüber
gelegten Stockes, zerbrechen könne. Es entstehe dadurch aber
leicht starke Weicht heilquetsehung, oder ein neuer Bruch an
anderer Stelle. Er selbst ziehe daher das Zerbrechen mittels den
Händen vor: „Si eallus fuerit durior, frango cum instrumento
attrahente in diversas partes“ (also eine Modifikation des Scam-
num Ilippokrates’). Die erste Notiz von einem eigentlichen
Osteoklasten findet sich in einem wenig bekannten Buche von
Purmann: „Grosser u. gantz neu gewundener Lorbeerkrantz
oder Wundartzeney.“ Frankfurt und Leipzig 1692: „Ein
sonderlich Sei »raubezeug“, das in einem Moment das Wieder¬
brechen verrichtete. Wiederhersteller der Methode ist der
Württcmbergische Oberamtsarzt Bosch zu Schlierbach bei Göp¬
pingen, der 1782 als Student der Mediein in Augsburg einen
neuen Apparat konstruirte und die von seinen Zeitgenossen miss¬
achtete Operation in einer ganzen Reihe von Fällen mit glück¬
lichem Erfolg in Anwendung brachte. Oesterlen hat das einer
Pflanzenpresse ähnliche Instrument später etwas verändert und
ihm den Namen Dysmorphostcopalinklastes gegeben. Im Jahre
1847 hat dann Rizzoli aus Bologna einen neuen Apparat
(Machinetta ossifraga) konstruirt, zu dem besonderen Zwecke,
bei Verkürzungen eines Oberschenkels auch den anderen Femur
zu brechen und so das Gleichmnass wieder herzasteilen. Riz-
zoli’s Instrument, welches hie und da noch im Gebrauche ist,
kann als eine Nachahmung des Zerbrechen« eines Stockes vor
dem Knie betrachtet werden. Zwei an den Enden eines Eiscn-
hügels mit Ketten befestigte Halbringe werden über den Ober¬
schenkel geschoben, dann eine in der Mitte des Bügels angebrachte
Druckpelotto mittels Schraube gegen den Knochen vorgeschoben,
bis er bricht. Der Apparat zeichnet sich durch Einfachheit,
Handlichkeit und Billigkeit aus, hat aber den Fehler, dass der
Bruch nur in der Mitte des Gliedes angelegt werden kann, und
dass der Knochen oft splittert und schräg bricht. Es kam aber
in neuerer Zeit eine Anforderung hinzu, welche es nöthig machte,
die Wirkung an das Ende des Knochens zu verlegen und mög¬
lichst genau zu lokalisiren, nämlich die gewaltsame Korrektion
des X-Beines.
Während des Mittelalters und bis zur Mitte des vorigen
Jahrhunderts wusste man diese Deformität nicht anders zu
heilen, als dass man das Glied mit Hilfe orthopädischer Ban¬
dagen im Laufe von Monaten langsam streckte. Es begann nun
zuerst Dolore, aus der chirurgischen Schule zu Lyon, welche
sich von jeher durch ihre orthopädischen Bestrebungen aus¬
zeichnete, im Jahre 1861 das X-Bein bei älteren Kindern in
einem Tempo zu korrigiren und nannte sein Verfahren Redresse¬
ment force. Er legte das verkrümmte Bein mit der Aussenseite
auf den Operationstisch, unterstützte den äusseren Fussknöchel
n«K‘h mit einem Polsterkissen und drückte mit einer Reihe stets
wiederholter Stösse gegen die Innenseite des Beines, bis die Bän¬
der an der Aussenseite nachgaben und das Knie niederbrach. Es
folgte ein Gipsverband für 8 Wochen und schliesslich Sehienen-
behandlung bis zur Festigung des gelockerten Gelenkes. Til-
1 a u x inodifizirte das Verfahren 1875 in der Weise, dass er den
Unterschenkel über den Operationstisch vorstehen liess und ihn
als Holx*l bei der manuellen Redression benutzte. In Deutschland
nahm die B i 11 r o t h'sche Schule die Methode auf und nament¬
lich Gusse nbauer hat sie in zahlreichen Fällen in der
Weise geübt, «lass er das Knie des hiuter ihm liegenden Patien¬
ten mit der Innenseite über seine Schulter legte, während beide
Hände den Unterschenkel fassten und mit kräftigem Rucke
niederbrachen. So wirksam das Verfahren ist, so hat es sich doch
als ein zu gewaltsames herausgestellt, indem öfters nicht bloss
das äussere Seitenband, sondern auch Knochen- und Knorpel-
stückrhen, ja selbst der ganze äussere Kondylus abrissen, chro¬
nische Reizerseheinungen des Gelenkes, hie und da auch Be¬
schädigungen des Nervus peronaeus zu Stande kamen., König
streckte das Knie durch Geradebiegen mit den Händen, legte das
Bein einige Wochen in Gips und wiederholte diese Prozedur alle
paar Wochen bis das Ziel erreicht war. Rascher verfuhr J. Wolff
mit seinem Etappen verbände, indem er alle 2—3 Tage, olme Ver¬
bandwechsel, eine Stellungsverbesserung vornahm, wobei der Gips¬
verband jedesmal amKnie eiugeschnitten und dann wieder geflickt,
schliesslich mit artikulirten Seitenschienen versehen wird. Lorenz
korrigirt die Deformität mit Hilfe seines Osteoklasten in einer
einzigen Sitzung, aber nicht gewaltsam, sondern mittels langsam
fortgesetzter Dehnung des äusseren Seitenbandes, worauf Gips¬
verband und orthopädische Apparate das Erreichte sichern. Es
ist jedoch gerathen, alle diese Methoden, welche eine bedeutende
Anpassungsfähigkeit der Gelenktheile voraussetzen, nur in leich¬
teren Fällen und bei jüngeren Kindern anzuwenden: Redard
gibt als Altersgrenze 14, II o f f a 18, Lorenz 20 Jahre an.
Man hatte früher die Entstehungsweise des X-Beines zu ein¬
seitig auf Waehsthumsstörungen an den Gelenkoberflächen zu¬
rückgeführt, und bald eine Kontraktur des äusseren Seitenbandes,
oder der Muskulatur, bald falsche Belastung als Ursache für das
stärkere Wachsthum der inneren und das Zurückbleiben der
äusseren Gelenkseite angenommen. Mikulicz wies in einer
wichtigen, 1879 erschienenen Arbeit nach, dass nicht sowohl
Waehsthumsstörungen an den Epiphysen, als Verbiegungen an
den Diaphysen, besonders am unteren Ende des Oberschenkels,
der Deformität zu Grunde liegen. Logischer Weise müssen daher,
wenigstens bei hochgradigen Fällen, die therapeutischen Bestre¬
bungen sich nicht auf Korrektion des Gelenkes, sondern der ver¬
bogenen Knochen richten. Im Jahre 1882 erfanden gleichzeitig
Dr. R o h i n in Lyon und der Instrumentenmacher C o 11 i n in
Paris Ilebelapparate, welche bestimmt waren, das X-Bein durch
Abbrechen der unteren Epiphyse des Oberschenkels zu korrigiren.
Der R o b i n’sehe Osteoklast hat, wie jener von Bosch, die Ge¬
stalt einer Presse, indem der Oberschenkel zwischen einer höl¬
zernen Platte und einem von oben dagegen geschraubten eisernen
Deckel von concaver Gestalt fest geklemmt wird. Das vorragende
untere Stückchen des Oberschenkels wird mit einem Metallband
umfasst und mit Hilfe eines kräftigen Hebels, welcher auf der
Eisenplatte angelenkt ist und in der Richtung dos Unterschenkels
verläuft, von unten nach oben abgebrochen, hierauf die noth-
wendige seitliche Korrektion an der Bruchstelle mit den Händen
ausgeführt und das Bein in Gips gelegt. Bei dem Colli n’schen
Osteoklasten wird der Olx'rschenkel nicht von oben und unten,
sondern von den beiden Seiten gefasst, wie beim Schraubstocke,
und der Knochen wird sogleich in der gewünschten Richtung von
aussen nach innen abgebrochen. Die Backen sind llohlriimen
von ungleicher Länge; der längere, an welchem der Hebel mittels
Chamieres befestigt ist, kommt gegen die Aussenseite, der
kürzere, gegen welchen der Kn«x*hen angepresst wird, an die
Innenseite des Oberschenkels zu liegen. Das Abbrechen geschieht
durch eine gegen den äusseren Obersehenkelkondylus wirkende
Druekpelotte, und der Hebel wird nicht mit der Hand, sondern
mittels eines am freien Hebelende angreifenden Flaschen¬
zuges in Bewegung gesetzt, wodurch eine kräftigere und steti¬
gere Wirkung erzielt wird. Man könnte denken, dass durch
den gewaltigen Druck die Weichtheile beschädigt und zerquetscht
würden; das ist jedoch nicht der Fall; vielmehr stimmt die Er¬
fahrung Aller, welche die Instrumente gebraucht haben, darin
überein, dass die Knochen eher nachgeben, als die Weichtheile
zerstört werden, und dass mit beiden Instrumenten in der Regel
reine Querbrüche ohne Splitterung erzielt werden. Epiphysen¬
lösungen kommen aber in der Regel nicht zu Stande; vielmehr
bricht der Kn<x*hen fast ausnahmslos 1—2 Finger breit oberhalb
der Epiphysenlinie ab.
Zu einer allgemeineren Anwendung gelangten die Osteoklase
durch die Apparate Robin’s und C o 11 i n’s, aber ihrer Ver¬
breitung trat ein unerwartetes Hinderniss in den Weg. Es war
die Entdeckung der Liste r’sehen Wundbehandlung, anfangs der
70 er Jahre, welche zuerst in Deutschland zündete, dann ihren
Siegeslauf durch die ganze Welt nahm und die älteren konser¬
vativeren Operationsmethoden für einige Jahrzehnte in den
Hintergrund drängte. Jede Gefahr der Eiterung und der Sepsis
schien beseitigt: man blieb nicht stehen bei offener Durch¬
trennung schief geheilter Brüche, sondern ging sehr bald mit
Messer, Siige und Meissei gegen Deviationen aus anderen Ur¬
sachen vor; selbst die Gelenke wurden ohne Scheu eröffnet. Beim
X-Bein lehrte Ogston durch Absägen und Hinaufpressen des
verlängerten inneren Obersehenkelkondylus die Abduktions¬
stellung des Unterschenkels beseitigen, und es waren nicht etwa
Nachrichten über Unglücksfällt-- und Knievereiterungen, welche
dieses Verfahren zu Fall bra«ihten, sondern die heranreifende
Uebcrzeugung, dass in den treppenförmig verschobenen Gelenk¬
flächen und Epiphysen auf die Dauer deformirende Processe und
Waehsthumsstörungen nicht ausbleiben könnten. An Stelle der
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17. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1475
O g 8 t o n’schen Operation trat die quere Durchmeisselung des
uutercn Obcrschenkelendes nach MacEwen und die kon-
kurrirendc Operation Schede’s am Schienbeinkopfe für den
selteneren Fall, dass hier die Hauptbiegung liegt. Nach den
zahlreichen günstigen Erfolgen, über welche MacEwen auf
dem internationalen Kongresse zu Kopenhagen 1883 berichtete,
wurde sein Verfahren allgemein adoptirt und findet vielfach selbst
bei jüngeren Kindern und leichteren Fällen Anwendung, wo man
recht gut mit weniger eingreifenden Methoden auskommen
könnte. Allein auch die moderne Wundbehandlung ist nicht un¬
fehlbar; Unglücksfälle kommen vor, nur werden sie nicht so
leicht veröffentlicht, als die günstigen Erfolge. Ich selbst habe
zwar keinen Todesfall zu beklagen gehabt, wohl aber einige Male
Eiterung erlebt, darunter einmal eine recht langwierige und tief¬
greifende, welche zu chronischer Ostitis und Nekrose Veranlas¬
sung gab und für mich eine recht schmerzliche Erinnerung bildet.
Nun ist man freilich auch bei unblutiger Operation nicht vor
allem Missgeschick sicher. Ich kenne eine junge Gräfin, welche
im 6. Jahre der Osteoklase am Unterschenkel unterzogen wurde
und trotz 5 maliger Nachoperationen eine Pseudarthrose behalten
hat; allein diese Gefahr ist gering und besteht auch bei der offenen
Durehtrennung. Ich bevorzuge daher, wo es angeht, die Osteo¬
klase und habe die Osteotomie auf ältere Individuen mit völlig
ausgereiften, harten Knochen eingeschränkt. Bei leichteren
Fällen verwende ich wiederholte Gipsverbände mit fortschreiten¬
der Stellungskorrektion, bei besser situirten Patienten einen
Schienenhülsenapparat mit verstellbarem Charnier an der Rück¬
seite des Knies, welches nicht in sagittaler, sondern in frontaler
Richtung wirkt. Bei jungen Kindern mit nachgiebigen Gelenk¬
bändern lasse ich nur des Nachts eine Modifikation meiner
Klumpfussfeder tragen, welche auf die Kniee korrigirend wirkt,
während die Fussgelenko durch steife Lederkapseln vor un¬
erwünschter Einwirkung der Feder geschützt werden.
Eino ganz ähnliche Entwicklung wie die Behandlung des
X-Beines hat jene des Klumpfusses im Laufe der Zeiten durch¬
gemacht. Im Alterthum und Mittelalter hatte man auch diesen
Fehler nur mit orthopädischen Apparaten anzugreifen gewusst.
Gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts ging dann Delore
nach vereinzelten von Nordamerika gemeldeten Vorversuchen
auch hier mit der gewaltsamen Korrektion vor. Er nannte sein
Verfahren „Massage forcee“, und bediente sich dabei der Kraft
seiner Hände, indem er in oft mehr als halbstündiger Arbeit
den Fuss herummodellirte „en lui impriment methodiquement et
progressivement des mouvements de redressement“. Nachdem
dann seine Schüler Jomard, Leriche und B a i 11 y an
Leichenversuchen nachgewiesen hatten, dass durch das stärkste
Redressement stets nur kleine Einreissungen von Bändern und
Fascien, bei fortgeschrittener Verknöcherung, allenfalls auch Ab¬
reibungen von Poriostlappen und Knochenschälchen, aber nie¬
mals Verletzungen von Nerven und Gefässen erzeugt werden,
gingen T r 6 1 a t und Vincent bei resistenteren Klumpfüssen
zur Anwendung von Maschinenkraft über. Vincent, welcher
sich des R o b i n’schen Osteoklasten bediente, um den Klumpfuss
unter Berücksichtigung seiner 3 fehlerhaften Komponenten in
einer einzigen Sitzung zu redressiren, nannte sein Verfahren
Modelage du pied bot ä moyen de l’osteoclaste, oder Tarsoplasie.
Auch diese hoffnungsvollen Anfänge wurden in der Zeit des
liochgehenden Operationsenthusiasmus in den Hintergrund ge¬
drängt. Es kamen die mancherlei Versuche, den Klumpfuss
mittels subkutaner, oder offener Durchschneidung der Plantar-
fascie und der sonstigen verkürzten Weich theile, oder durch
Excision eines Keiles aus dem Fussgewölbe, selbst ganzer Wurzel¬
knochen zu heilen. Allein allmählich kam auch hier die Erkennt¬
nis«, dass die Resultate keineswegs so glänzend waren, als sie in
den Augen und Berichten der Erfinder erschienen. Der Fuss
wurde durch die Operation in hässlicher Weise verkürzt, blieb
auf die Dauer noch mehr im Wachsthum zurück und es fehlte
keineswegs an Recidiven, die dann meist mehr Schwierigkeiten
bereiteten, als die ursprüngliche Missbildung. Die meisten
Chirurgen wandten sich daher von den blutigen Eingriffen wieder
ab. König empfahl als erster in Deutschland die energische
manuelle Korrektion, wobei er sich als Stütze gegen den Scheitel
der Verkrümmung eines zweckmässigen Keilbänkchens bediente;
Julius W o 1 f f wandte auch hier seinen Etappen verband an, und
Lorenz nahm Vincent’s Idee wieder auf und konstruirte zu
No. 38
diesem Zwecke seinen „Osteoklast-Redresseur“. Lorenz be¬
nützt statt des Hebels die Schraube; sein ursprüngliches, von
Reiner in Wien hergestelltes Modell hatte.aber noch einige
bedenkliche Mängel und ist erst nach der Umarbeitung durch
Stille in Stockholm zu einem recht guten Instrumente ge¬
worden. Es besteht, wie Sie an dem vorgezeigten Exemplare
sehen (vergl. Abb. 1) aus 2 leicht über die Fläche gebogenen,
Abbild. 1.
horizontal fassenden, eisernen Backen, welche auf einer festen
Holzplatte aufgestellt und mit fingerdicken Kautschuckplatten
bedeckt sind. Die eine der Platten steht fest, die andere wird
mittels Schraubenspindel dagegen bewegt. Letztere ist an der
Spindel mittels Kugelgelenk befestigt, so dass sie sich dem Gliede
genau anschliessen kann. 2 kleinere Hilfsschrauben nebst
Führungsstiften dienen demselben Zwecke. Zum Umlegen .der
Gliedmassen wird eine vor den Backen angebrachte, mit derber
Lederschlinge ausgerüstete, kräftige Zugschraube benutzt, welche
auf der Unterlage mittels Befestigungsbolzen versetzt und so in
jeden beliebigen Winkel zu dem eingespannten Gliedabschnitt
gestellt werden kann. Lorenz rühmt seinem Instrumente
nach, dass es wegen Verwendung der Schraube eine stetigere und
genauer dosirbare Wirkung ausübe als andere Apparate. Dies
mag für seinen speciellen Dienst als Redresseur dos Klumpfusses
richtig sein; im Allgemeinen ist die Schraube für die Zwecke
des Osteoklasten nicht besser als der Hebel, der Flaschenzug, die
Welle oder irgend eine andere Kraftübersetzung. Im Uebrigen
hat selbst die Still e’sche Modifikation noch einige Mängel über¬
nommen, wie die zu wenig ausgehöhlten Backen, die leicht ver¬
rutschbaren Gummiplatten und die ungefüge Lederschlinge.
Dass man auch bei Anwendung des Rizzoli’schen Princips
Gutes leisten und die früher gerügten Fehler meiden kann, zeigte
G r a 11 a n aus Cork mit seinem am Ende der 80 er Jahre kon-
struirten Osteoklasten (Abb. 2). Der kompendiöse Apparat be¬
steht aus 2, durch eine
Spreizvorrichtung stell¬
bare, stählerne Arme, auf
welche das Glied gelegt
wird, um dann mittels
eines in der Mitte da¬
gegen geschraubten Stahl¬
bügels abgebrochen zu
werden. Eine am Apparat
angebrachte Verlänger¬
ungsstange dient alsHand-
habe, damit es beim Ge¬
brauche nicht herum¬
rutscht. Die stählernen
U nterstützungarme
stehen nur wenige Quer¬
finger auseinander, und
Grattan gibt an, Abbild. 2.
dass man das untere
Oberschenkelende, ganz nahe dem Gelenke, mit grosser Prä-
cision und ohne Nebenverletzungen abbrechen könne. Newton
Schaffer, Chirurg am orthopädischen Hospital zu New-York,
3
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1476 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 38.
bestätigt Grattan’s günstige Erfahrungen. Auch beim Klump-
fuss soll das Instrument sich gebrauchen lassen, indem „several
tarsi have been crushed and torn with it“; indessen dürfte es hier
doch schwer sein, das Ausweichen und Herumrutschen des ge¬
fassten Fusses zu vermeiden, und dies ist wohl der Grund, wess-
halb Grattan in schwierigen Fällen ein anderes Verfahren
einschlägt. Statt des Fussgewölbes greift er nämlich den Unter¬
schenkel an, bricht ihn mit Hilfe seines Osteoklasten dicht über
den Knöcheln, falls nöthig, auch noch ein 2. Mal höher oben und
gipst das Glied dann mit korrigirter Fussstellung ein. Grat¬
tan sagt, dass er auf diese Weise die schwersten Klumpfussfälle
zu seiner und des Patienten Zufriedenheit geheilt habe, wird
aber mit seinem Vorgehen, welches die Deformität des Fusses
auf den Unterschenkel verlegt, wohl wenig Nachahmung finden.
Immerhin mag sein Beispiel eine Gewissensberuhigung sein für
die hie und da vorkommenden Fälle, wo bei gewaltsamer Kor¬
rektion ein oder beide Fussknöchel unbeabsichtigter Weise mit
abreissen.
Ich habe schliesslich selbst einen Osteoklasten konstruirt,
welchen ich Ihnen hier vorzeige, und mich dabei bemüht, die
Mängel anderer Instrumente zu vermeiden und eine recht viel¬
seitige Verwendung zu ermöglichen (vergl. Abbild. 3). Als Grund-
f t I
4
> i
Abbild. 3.
läge diente mir ein Parallelschraubstock mit niedrigen Backen,
wie er bei Metallhobelbänken benützt wird; zur Kraftleistung
benütze ich den Hebel. Dazu habe ich mir, der bequemeren An¬
wendungsweise wegen, einen einfachen hölzernen Operationstisch
mit durchlöcherter Platte anfertigen lassen, welcher die Befesti¬
gung des Instrumentes an jeder Stelle gestattet, aber auch zu
allen anderen Zwecken geeignet ist. Während bei den bekannten
Osteoklasten stets eine bewegliche Backe gegen eine feststehende
vorgeschoben wird, laufen bei meinem Instrumente beide Backen
gleichzeitig gegeneinander, wodurch ein rascheres Einspannen
ermöglicht wird. Um bezüglich der Dicke der zu fassenden
Gegenstände ganz unbeschränkt zu sein, ist die Spannweite der
Backen, resp. die Länge der Triebspindel Vs m gross gewählt.
Damit der Apparat nicht zu schwer wird, habe ich Schraube
und Backen aus ihrem eisernen Gehäuse herausgenommen und in
ein solches von genügend festem Holze eingefügt und das Ganze
auf einer kleinfingcrdicken Aluminiumplatte montirt, Letztere
hat an ihrem überragenden Rande vier Löcher zur Befestigung
des Apparates am Operationstische mittels durchgesenkter Mutter¬
schrauben. Auf den Backen stehen daumendicke Stahlzapfen
von 15 cm Länge, auf welche die zum Fassen der Glieder dienen¬
den Platten aufgeschoben werden. Auf der einen Backe befinden
sich zwei solcher Zapfen, handbreit von einander entfernt, auf
der anderen drei, von denen aber nur der mittlere, etwas weiter
nach vorn tretende, zur Aufnahme der Platte bestimmt ist,
während die beiden anderen zum Feststellen derselben dienen.
Während nämlich die mit zwei Stiften befestigte Platte beim
Zudrehen unverrückbar steht, kann die auf einen Stift auf¬
geschobene sich in horizontaler Richtung drehen und wird mittels
zweier Ililfsschrauben, welche durch die freigebliebenen Zapfen
verlaufen, gegen die Oberfläche des Gliedes angepresst. Die
Platten sind kurze Hohlrinnen aus dickem Metallblech, welehe
nach der Rundung der Gliedmassen gebogen und an der hohlen
Seite mit fcstliegendem Filzpolster und Lederüberzug versehen
sind. Auf der Rückseite tragen sie zwei parallele, flügelförmige
Fortsätze, welche mit Löchern zum Aufschieben auf die Zapfen
versehen sind. Da die Glieder nicht dieselbe Rundung und Grösse
haben, so muss man eine Auswahl der Platten für die ver¬
schiedenen Lebensalter vorräthig halten. Ich habe mir drei Stück
zum Fassen des Oberschenkels bei X-Bein, drei für den Unter¬
schenkel bei Klumpfuss und drei zum Fixiren des Beckens an¬
fertigen lassen. Einige Schwierigkeiten bei der Herstellung be¬
reiten nur die Beckenfixatoren, welche ich vom Kupferschläger
aus Vs cm dicken Kupferplatten, nach genauen Gipsabgüssen,
habe aushämmern lassen. Sie fassen hinten breit über das Kreuz¬
bein, vorne schtnal über die Spinae, nach Art zweier grosser
Hände, welche vom Kreuz her, dicht oberhalb der Trochanteren,
über die vordere Beckenkante gelegt werden und fixiren das
Becken seitlich vollkommen unverrückbar (vergl. Abbild. 4). Da-
Abblld. 4.
mit dasselbe nicht nach unten verrutschen kann, sind am unteren
Ende der Platten Schenkelriemen angenietet, welche am oberen
Ende mittels einer Schnalle geschlossen werden. Ein Ausweichen
nach oben ist nicht zu befürchten, da die breiter vortretenden
Trochanteren von den Seitenplatten nach abwärts gehalten
werden. Die Beckenfixatoren finden erwünschte Verwendung bei
der manuellen Korrektion falscher Oberschenkelstellungen nach
Hüftgelenkentzündung, werden sich wahrscheinlich auch bei
schwieriger Einrenkung angeborener Luxationen nützlich er¬
weisen.
Sämmtliche Platten sind in Folge der Zapfen Vorrichtung
leicht auswechselbar und werden durch untergeschobene Stell¬
ringe in die gewünschte Höhe gebracht. Zum Abbrechen oder
Umbiegen der Glieder benütze ich einen Hebel von ca. 1 m
Länge, welcher an einem Ende gabelförmig gespalten ist. Die
Aeste der Gabel endigen mit Ringen, welche auf die Zapfen der
Schraubstockbacken passen. An den Aussenrändem der Aeste
sind Knopfstifte angebracht zur Befestigung der beim Abbrechen
benützten Schlinge. Letztere besteht aus einer mit Filz über¬
zogenen, flachen Kette, deren unbedeckte Endglieder zum An¬
haken an die Knopfstifte benutzt werden. Die Kette ist nur etwa
zwei Finger breit, schmiegt sich dem Gliede besser an, als eine
steife Metall- oder Lederschlinge und besitzt doch die nöthige
Festigkeit. Beim Gebrauche wird der Hebel gleichzeitig mit der
entsprechenden Platte auf den Zapfen, vor welchem das Ab¬
brechen ausgeführt w r erden soll, in der Weise aufgeechoben, dass
er die Flügel der Platte zwischen seine Zinken fasst; nunmehr
die Kette um das Glied gelegt. Wie Sie an dem als Modell ein¬
gespannten hölzernen Beino bemerken, ist sowohl die Fixation
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17. September 1901.
MUENCHENEÜ MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1477
als die Kraft, die man au9Üben kann, eine allen Ansprüchen
genügende.
Ausser den beschriebenen Osteoklasten gibt es noch eine An¬
zahl speciell zur Korrektion des Klumpfusses konstruirter Instru¬
mente, welche wohl auch Tarsoklasten benannt werden. Sie
wirken alle ähnlich wie R i z z o 1 i’s Apparat, indem sie das
Fussgewölbe zwischen drei Stützpunkte einspannen und kor-
rigiren, haben aber den Fehler, dass sie die Befestigung des Fusses
am Unterschenkel nicht ausnützen und daher namentlich die
Supination und die Spitzfussstellung wenig beeinflussen können.
Solche Apparate sind von Bradford, Morton, Redard,
Phelps, Halstead-Meyers angegeben worden. Einer der
wirksamsten und originellsten davon ist jener von Phelps aus
New-York, bei welchem der Unterschenkel auf einem Tisch und
der Fuss auf einer Art Sandale festgeschnallt wird, deren vor¬
deres Ende in einen langen Hebel mit Querstab ausläuft
(Abbild. 5). Mit Hilfe dieses Hebels wird der Fuss herum-
Abbild. 5.
gearbeitet, während gleichzeitig von einem Gehilfen ein zweiter,
am Apparat angebrachter Druckhebel gegen den hervorragenden
Punkt am äusseren Fussrande angepresst wird. In Brad-
f o r d’s Instrument wirken drei Druckpelotten durch Schrauben
gegeneinander (vergl. Abbild. 6), in jenem von Redard durch
Hebelkraft; Morton
benützt statt dessen
Zugschlingen. Wer einen
guten Osteoklasten be¬
sitzt, bedarf dieser nur
für den Fuss berech¬
neten Instrumente nicht.
Man spannt den Unter-
3 Schenkel bis zu den
Knöcheln in den Ap¬
parat ein und lässt nun
die Zugschlinge in der
gewünschten Richtung
ein- oder mehrmals über
das Glied hingehen.
Nachdem so der Haupt¬
widerstand gebrochen
ist, wird der Rest mit den Händen beseitigt. Damit diese bei
dem anstrengenden Werke nicht abrutschen, kann man den Fuss
mit einem feuchten Tuch umwickeln, oder ihn mit der Harzlösung
bestäuben, welche ich zur Anlegrung von Extensionsverbänden
angegeben habe. (Deutsch, med. Wochenschr, Jahrg. 1895, No. 52.)
Die manuelle Korrektion stellt aber oft ungemein grosse An¬
forderungen an die Kraft und Ausdauer des Operirenden, wess-
halb man vielfach hebel- und zangenförmige Instrumente zum
Fassen und Biegen des Fusses zu Hilfe genommen hat. T r e 1 a t
hat einen modificirten Osteoklasten konstruirt, welcher das
Fussgelenk nebst Fersenbein mit schmalen Backen umspannt,
während der Mittelfuss durch zwei gegeneinander verschraubbare
Halbrinnen, die sich gegen Spann und Sohle legen, gefasst wird.
An dieser schuhförmigen Umhüllung des vorderen Fuss-
nbschnittes ist ein nach vorn verlaufender Hebel mit Kreuzarm
befestigt, mit dessen Hilfe die Korrektion vollzogen wird. Das
Fussgelenk und die Knöchel haben aber in Folge ihrer natür¬
lichen Festigkeit einen besonderen Schutz kaum nöthig und die
weit nach abwärts gerückten Backen des Osteoklasten müssen
beim Gebrauche hinderlich sein, weil dadurch der Raum für die
Excursionen des Hebels beeinträchtigt wird. Ein ähnliches In¬
strument wie T r e 1 a t benützt Bradford zum Erfassen des
vorderen Fussabsclmittes (Abbild. 7), doch hat dasselbe nur eine
Halbrinne für die untere innere Fusskante, das Obertheil wird
ersetzt durch zwei vom Hebel auslaufende Halbspangen,
welche über Spann- und Mittelfuss fassen und durch Verschrau¬
bung verstellbar, sind. Hoffa rühmt den B r a d f o r d’schen
Hebel nach eigener Erfahrung als recht brauchbar. Ein sehr
empfehlenswerthes Instrument ist auch die sogen. Thomaswrench,
ein für den speciellen Zweck modificirter englischer Schrauben¬
schlüssel, von Thomas in Liverpool, zwischen dessen zapfen¬
förmigen Kiefern der vordere Fusstheil sicher gefasst und nach
jeder Richtung gedreht werden kann. Das T h o m a s'sche Modell
ist etwas zart gebaut, daher nur für die Klumpfüsse kleiner
Kinder geeignet. Ich habe mir aus diesem Grunde durch Herrn
S t i 11 e in Stockholm ein doppelt so langes und starkes Exemplar
anfertigen lassen, welches sich noch dadurch auszeichnet, dass die
Zapfen nicht gerade, sondern der Rundung des Fusses nach¬
gebogen sind. Halstead-Meyers in New-York hat zwei
Exemplare der Thomaswrench in der Weise copulirt, dass zwei
Hebelarme mit je einem verschieblichen Zapfen sich um eiu
Chamier drehen, in dessen Auge ein dritter Zapfen steht
(Abbild. 8). Der Fuss wird in der Weise von dem Instrument
Abbild. 8. Abbild. 9.
gefasst, dass der feststehende Zapfen gegen den Vorsprung an
der Aussenseite des Fusses, die beiden anderen an der Innenseite
gegen Fersenbein und Mittelfussknochen zu liegen kommen;
durch Auseinanderziehen der Griffe werden die beweglichen
Zapfen gegen den feststehenden vorgeschoben und hierdurch die
Ummodelung des Fusses erzwungen. Meyers rühmt sein In¬
strument als sehr wirksam und benützt cs auch zur Osteoklase
bei X-Bein. Indessen ist es ein entschiedener Fehler, dass die
beweglichen Zapfen gegen den feststehenden nicht gerade vor¬
rücken, sondern gleichzeitig im Kreise auseinanderweichen, und
cs muss sowohl die Fixation des gefassten Gliedes, als auch die
genaue Lokalisation der Kraftwirkung hierdurch beeinträchtigt
werden.
Ich selbst benützte früher mit Vorliebe zum Fassen des
Fusses nach Gipsabguss gearbeitete Zangen mit armlangen
Stielen (vergl. Abbild. 9), allein diese Zangen müssen sehr sorg¬
fältig gearbeitet sein; man muss mehrere Exemplaro für rechts
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
1478
und links und verschiedene Fussgrössen zur Hand haben; auch
quetschen sie leicht beim Zusammenschliessen, wesshalb der Fuss
mit dickem Filz umwickelt werden muss. Ich ziehe daher neuer¬
dings ein einfacheres, hebelartiges Instrument vor, das ich mir
durch unsern Krankenhausschlosser habe anfertigen lassen. Eine
runde Stahlstange von 8—10 mm Durchmesser wird am Ende zu
einem Ringe umgebogen, dessen Grösse dem Umfange des zu
korrigirenden Klumpfusses, um das C h o p a r t’sche Gelenk ge¬
messen, entspricht und der durch Vernietung oder Umwickelung
mit Draht fest geschlossen wird. Dann wird der Ring in glühen¬
dem Zustande über den Vordertheil eines eisernen Fusses von
gleicher Grösse auf gehämmert, so dass er dessen Formen an¬
nimmt. Hierbei muss der Hebel in der Richtung nach innen
und unten zum Fusse gehalten werden, wie man ihn später beim
Korrigiren des Klumpfusses benützen will. Das andere Ende des
Stabes lässt man zu einem Ringe von etwas verschiedener Grösse
umbiegen und versieht sich mit mehreren Exemplaren dieses ein¬
fachen Instrumentes, um für alle Fussgrössen gerüstet zu sein.
Die Eisenfüsse lässt man sich nach Gipsabgüssen in einer
Giesserei anfertigen. Beim Gebrauche wird der Unterschenkel
bis zu den Knöchelspitzen in den Osteoklasten gespannt, der Hebel
mit dem Ring über den Fuss geschoben und nunmehr die Kor¬
rektion ohne viel Mühe ausgeführt. Auch zur Beseitigung des
Hohlfusses, welcher ähnliche Verhältnisse und Schwierigkeiten
bietet, wie der Klumpfuss, kann dieser Ringhebel mit gleichem
Erfolge benutzt werden.
Aus dem Allgemeinen Krankenhause zu Hamburg-Eppendorf
(medicinische Abtheilung: Oberarzt Dr. Rumpel).
Osteomyelitis sterni acuta bei Typhus abdominalis.
Von Dr. Georg Jochmann.
Das Auftreten einer akuten Osteomyelitis im Brustbein ge¬
hört zu den grössten Seltenheiten. Ich finde in der mir zugäng¬
lichen Literatur nur 6 Fälle verzeichnet. In den Jahrbüchern
der Hamburger Staatskrankenanstalten, Bd. IV, p. 285, berichtet
Sick [1] über 4 von ilun beobachtete Fälle. Gelegentlich dieser
Mittheilung erwähnt er einige anatomische, das Sternum be¬
treffende Daten, welche für diese Erkrankung von wesentlicher
Bedeutung sind. Die Beobachtung, dass bei der osteomyelitischen
Erkrankung der Röhrenknochen die Affektion oft an den Epi¬
physenenden Halt macht und dass es gelingt, bei rechtzeitigem
Eingriff, das Epiphysenende von der Krankheit frei zu halten,
legte Sick den Gedanken nahe, dass auch bei dem Sternum
jugendlicher Personen, wenn noch Knorpelfugen des Corpus
sterni vorhanden sind, unter Umständen eine Erkrankung dee
ganzen Brustbeinkörpers durch rechtzeitigen Eingriff vermieden
werden kann. An einem grösseren Leichenmaterial stellt er fest,
dass die Knorpel Verbindung zwischen Manubrium und Corpus in
dem Alter, welches meist für Osteomyelitis acuta in Betracht
kommt, fast stets erhalten ist und dass sie nur in seltenen Fällen
sehr frühzeitig verknöchert, und ferner, dass im Alter bis zu
20 Jähren bei einer ziemlichen Anzahl Menschen sich noch Knor¬
pelfugen oder Reete davon im Corpus sterni finden. Die Ver¬
bindung zwischen Schwertfortsatz und Brustbeinkörper beginnt
bei einzelnen Menschen schon früh zu verknöchern.
2 weitere Fälle werden in einer Publikation von A.v. Berg¬
mann (St. Petersburger med. Wochcnschr. 1884) erwähnt. Der
eine Fall ist von T üngel in den Klin. Mittheilungen aus dean
Allgemeinen Kraukenhauso in Hamburg 1863 publioirt. Der
andere Fall wurde von Salomon in der Deutsch, med. Wochen¬
schrift 1880 beschrieben.
Da bei dem eitrigen Process am Brustbein sehr leicht nach
Zerstörung des Periosts der Rückseite ein Durchbruch iu die
Pleura erfolgen kann und auch der dem Sternum anliegende
Theil dt« Herzbeutels leicht der Infektion zugänglich ist, so gilt
die Osteomyelitis sterni als äusserst lebensgefährliche Erkran¬
kung. Von den 6 bisher beschriebenen Fällen sind 4 gestorben.
Was die Aetiologie betrifft, so ist 2 mal Staphylocoocus pyo¬
genes aureus in Reinkultur gefunden worden. In einem Falle
ist nur bemerkt, dass Tuberkelbacillen nicht gefunden wurden.
In den übrigen 3 Fällen wird von bacteriologischer Untersuchung
nicht gesprochen.
In allen Fällen ist die Erkrankung bei vorher gesunden In¬
dividuen ohne Ixkannte Entatehungsursaclie plötzlich zum Aus¬
bruch gekommen, unter heftigen Schmerzen im Sternum und
hohem Fieber.
Im Allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppendorf kam
kürzlich ein Fall von Osteomyelitis sterni zur Beobachtung, bei
dem sich die Knochenerkrankung im Anschluss an einen Typhus
abdominalis entwickelte.
Posttyphöse Knochenaffektionen gehören im Allgemeinen zu
den weniger häufigen Komplikationen des Typhus. Nach einer
Zusammenstellung von Chantemesse und W i d a 1 [4] ist
der Lieblingssitz derselben die Tibia, nämlich in 86 Proc. der
Fälle; seltener sind die Erkrankungen der Rippen und der Ulna
(2 Fälle). 2 mal wurde ein Metatarsus betroffen gefunden und
je 1 mal Femur, Humerus und eine Phalange.
Osteomyelitis des Brustbeins im Gefolge von Typhus abdomi¬
nalis ist meines Wisßens noch nicht beschrieben. Die Mittheilung
des unlängst beobachteten Falles dürfte daher von einigem Inter¬
esse sein.
Krankengeschichte.
27. IX. 1900. Anamnese:
17 jähriger Schlosser. Er stürzte vor 2 Tagen angeblich zwei
Etagen hoch herunter, anscheinend in unklarem Zustande. Er will
schon seit 18 Tagen krank sein. Durchfall, Erbrechen, Appetit¬
losigkeit, Husten.
Früher stets gesund. Weiteres wegen Benommenheit des
Patienten nicht zu erheben.
Status praesens: Kräftig gebauter Mann.
Temperatur 39,2. Puls 130, dicrot.
Zunge trocken, rissig, mit Borken belegt
Keine Nackensteifigkeit Pupillen beiderseits gleich reagirend.
lieber den Lungen keine Dämpfung. Athemgeräuscli überall vesi-
culär, ohne pathologische Geräusche.
Herz nicht verbreitert. Herztöne rein.
Auf dem Leibe keine Roseolen. Abdomen voll und ziemlich
gespannt. Keine abnormen Dämpfungen oder Resistenzen. Deut¬
liches Ileocoecalgurren.
Milz nicht vergrössert.
Beide Malleolen am rechten Fuss gebrochen.
Urin: Diazo-Reaktion positiv. Reaktion sauer. Kein Blut,
kein Zucker, kein Eiweiss, kein Indikan.
29. IX. Im Stuhl etwas Blut Reichliche Durchfälle.
Wldal 1:40 positiv!
30. IX. Patient völlig benommen. Verschiedene Schüttel¬
fröste. Hochgradige Herzschwäche.
2. X. Rechtes Fussgelenk etwas abgeschwollen. Gipsverbaml
in korrigirter Stellung. Patient ist etwas klarer. Puls besser.
Von der chirurgischen Abtheilung des Krankenhauses zur medi-
cinischen verlegt
4. X. In der Nacht sehr unruhig. Puls 160.
6. X. Pulsfrequenz andauernd sehr hoch. Ein Hautabscess
am Ellenbogen der rechten Seite wird iucidirt Kultur des Eiters
ergibt das Vorhandensein von Staphyloeoccus pyog. aureus. Atb-
mung freier.
7. X. 2 kleine Hautabscesse am rechten Oberschenkel werden
geöfTnet Patient unklar.
12. X. Zunehmende Herzschwäche.
13. X. Belm Wechseln des Gipsverbandes ergibt sich, dass
keinerlei Komplikationen bei der Heilung der Fraktur aufgetreten
sind. AbscesBe am Oberschenkel gereinigt. Neue Abscesse am
linken Fuss in der Fersengegend, ferner über dem Kreuzbein.
Im Blut, welches steril aus der Armvene der linken Ellenbeuge
entnommen wurde, weist das Kulturverfahren Staphyloeoccus
pyogenes aureus ln Reinkultur nach.
Patient lässt unter sich. Sensoriura unklar.
14. X. Die Abscesse reinigen sich.
15. X. Hinten links unten über der Lunge Dämpfung und
grossblasiges Rasseln.
16. X. Dauernd hohe Pulsfrequenz. Fieber bis 40°. Starke
Benommenheit Leichte ikterisclie Färbung der Haut Es fällt
eine Pulsation auf dem Sternum in der Höhe der III. Rippe auf.
Eine besondere Schmerzhaftigkeit dieser Stelle ist nicht zu kon-
statlren.
Starkes Rasseln über den Unterlappen beider Lungern Per
erste Ton am Herzen, der bisher stark accentuirt war, ist leiser aLs
sonst.
Neue Eiterherde nicht aufgetreten.
17. Puls fadenförmig.
18. X. Exitus letalis.
Sektionsprotokoll.
Sehr magere männliche Leiche. Todtenstarre erhalten.
Zwerchfellstand rechts V., links VI. Intercostalraum. Ueber dem
Kreuzbein mehrere Hautdefekte mit unterminirten Rändern, ohne
eiterigen Inhalt. Ebensolcher thalergrosser Hautdefekt an der
Aussenselte der Ferse des linken Fusses.
An der Stelle der Fraktur ist am rechten Bein üusserlicli
nichts nachzuweisen. Nach Eröffnung des Fussgelenkes ergibt
sich, dass der Talus völlig gesplittert und der Malleolus internus
abgesprengt ist Eiter findet sich an der Bruchstelle nicht.
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1479
17. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Bei Herausnahme des Sternum findet sieh in der Höhe der
III. Rippe eine Contiuuitätstrenmmg im Brustbein, welche be¬
dingt. dass der obere Theil des Corpus Storni nach hinten, der
untere nach vorn abweicht. Auf der Rückseite des Sternum sind
im Bereiche der Continuitütstrennung die den Knochen bedecken¬
den Weichtheile zerstört, so dass der rauhe z. Th. mit dickem
Eiter bedeckte Knochen frei zu Tage liegt. Die in derselben Höhe
gelegenen Gelenkverbindungen der Rippen mit dem Sternum sind
gelöst. Der Eiter ist nach dem vorderen Mediastinum durchge¬
brochen.
Herz von der Grösse der Faust der Leiche. Im Herzbeutel
etwa 5 Esslöffel klar seröser Flüssigkeit. Endo- und Epikard
glatt. Klappenappanit intakt. Her/.fieiscli trübe, schlaff; an einer
Stelle eine grauweisse Schwiele. Farbe des Myokard grauroth.
Linke Lunge frei Im Pleuraraum. Im Oberlappen mehrere
Herde, die im Centrum Eiter enthalten und deren Umgebung in-
filtrirt Ist. Von diesen Herden übersteigt keiner Erbseugrösse.
Im Unterlappen Luftgehalt herabgesetzt, Blutgehalt vermehrt.
Lunge im Fahrigen etwas oedenmtös. Bronchialschleimhaut ge-
röthet.
Rechte Luuge enthält im Oberlappen einen Eiterherd von
Erbsengrösse. Im Unterlappen derselbe Befund wie links. Pleura
parietalis stellenweise mit der Pleura costalis verwachsen.
Im Rachen, auf den Tonsillen ein grauweisser Soorbelag.
Milz etwa auf das Doppelte der Norm vergrössert Pulpa
weich, dunkelroth. Follikel und Trabekel schlecht zu erkennen.
Ein Kulturversuch aus dem Milzsaft ergibt Staphylococcus pyo¬
genes aureus in Reinkultur.
Linke Niere - von normaler Grösse. Kapsel gut abziehbar.
Auf der Oberfläche der Niere ein gelber Eiterherd mit. haeinor-
rhaglschein Hof. Derselbe reicht tief in die Rinde hinab. Auf
dem Schnitt Ist die Zeichnung von Rinden- und Marksubstanz
deutlich. Nierenbecken ohne Befund. Rechte Niere normal gross.
Kapsel leicht abzuziehen. Auf der Oberfläche wechseln gelbwelsse
Partien mit dunkelrotheu ab. Auf dom Schnitt finden sich ln
der Rinde zahlreiche gelblich-weisse Streifehen und diffus gclblich-
weiss gefärbte Partien mit verwischter Zeichnung. Nierenbecken,
Freteren ohne Befund.
Nach Eröffnung des Darmes finden sich im Ileuin und in
den untersten Theilen des Jejunum, namentlich aber ln der Nähe
der Ileocoeeal-Klappe zahlreiche bis markstückgrosse duukelpig-
meutirte Stellen, in deren Bereich die Schleimhaut vollkommen
glatt (ohne Follikel! ist. Ausserdem sind noch vereinzelte ganz
geringe Epitheldefekte von Hanfkorngrösse vorhanden.
Mesentertaldrüsen sind geschwollen, bis zu Haselnussgrüsse.
Magen ohne Besonderheiten.
Leber von normaler Grösse, glatter Oberfläche, derber Kon¬
sistenz, Läppehenzeiehnung deutlich, Gallenwcge ohne Besonder¬
heiten.
Schenkelgefässe frei.
Wenn wir den vorliegenden Fall von Osteomyelitis stemi
mit den früher beschriebenen vergleichen, so sehen wir auch hier,
dass wegen der straffen Umhüllung des Brustbeins, die aus dem
fest mit. dem Knochen verbundenen Periost und der daran haf¬
tenden derben Kaseie besteht, die Zeichen der Vereiterung des
Knochenmarks nach aussen hin nur undeutlich sieh geltend
machen.
Ein Durchbruch des Eiters nach aussen ist nicht erfolgt.
Auffallend war hier bei Lebzeiten des Patienten nur eine Pul¬
sation oberhalb des osteomyelitischen Herdes, die in keinem der
früheren Fälle beobachtet, wurde und die. offenbar dadurch zu
Stande kam, dass die Pulsatioft der grossen Gefässe in Folge
der beschriebenen Kontinuitätstrennung sieh nach aussen fort¬
leitete.
Die in den anderen Fällen ausgeprägte lebhafte Selmierz-
empfindlichkeit über dem Brustbein war nicht vorhanden.
Wie in 4 von den 6 beschriebenen Fällen, so ist auch hier ein
Durchbruch des Eiters nach innen erfolgt und das Mediastinum
in Mitleidenschaft, gezogen.
Bei Beantwortung der Frage nach der Entstehungsursache
des beschriebenen osteomyelitischen Herdes muss zunächst betont
werden, dass die Eingangs erwähnte Malleolarfraktur und ihre
Umgebung ohne entzündliche Reaktion blieb und sieh bei der
Autopsie als völlig frei von Eiter erwies, dass also ein direkter
Zu-nnimenhang zwischen dem Knöehelbrueh und der Knochcn-
inarksvereiterung des Brustbeins etwa im Sinne einer von dem
Bruch aus erfolgten Infektion nicht bestand.
Man kann annehmen, dass die Osteomyelitis etwa 3 Wochen
vor dem Tode, also etwa 5 Tage nach dem Unfall des Patienten
eingesetzt hat, denn um diese Zeit machten sich die ersten
Schüttelfröste bemerkbar als Ausdruck einer pyaemischen In¬
fektion und bald darauf bildete sich der erste Hautabseess. Der
Beginn der Knochenmarksvereiterung fällt demnach in eine Zeit,
wo der typhöse Krankheitsprocess noch in vollem Gange war, wie
die in der Krankengeschichte vermerkten reichlichen Durchfälle,
das im Stuhl konstatirte Blut, die positive W i d a Fache Reaktion
No. 38
und die positive Diazoprobe beweisen. Nach au~>eii hin machte
sich die Osteomyelitis erst 3 Tage vor dem Tode dos Patienten
durch die Pulsation auf dem Sternum bemerkbar, eine Erschei¬
nung, die, wie schon erwähnt, mit der durch die Sektion
festgestellten Kontinuitätstrennung de' Brustbeins in Verbindung
zu bringen ist.
Nach diesem Entwicklungsgänge der Knochenmarksvereite¬
rung — bei Abwesenheit jeder erkennbaren Infektion von aussen
— war cs, wenn die Lehre von der pyogenen Eigenschaft des
Typhusbacillu-s zu Recht besteht, beinahe ein Postulat, in dem
Eiter Typhu-shaeillen nachzuweisen. Das Kulturverfahren ergab
jedoch das Vorhandensein von Staphylococcus pyogenes aureus
in Reinkultur und keine Typhusbacillen.
Der Grund für die Entwicklung der Osteomyelitis sterni ist
vielleicht darin zu suchen, dass der Patient seiner Zeit bei dem
Sturz aus dem Fenster eine Erschütterung des Brustbeins davon¬
getragen hat, welche einen Locus minoris rcsistentiae schuf, an
dem sich dann Staphylococeen ansiedeln konnten. Wie zurück¬
haltend man jedoch im Allgemeinen mit der Annahme einer durch
einen Locus minoris rcsistentiae begünstigten Eiterung sein soll,
beweist der Fall insofern, als die vorhandene Malleolarfrak¬
tur, die doch sicher einen exquisiten Locus minoris rcsistentiae
darstellt, ohne jede Eiterung blieb.
Dass die Osteomyelitis eine Oontinuitätstremmng des Ster¬
num herbeiführte, ist offenbar durch das Vorhandensein einer
Knorpelfuge bedingt gewesen, die sich nach den Untersuchungen
von Sick häufig in dem Alter d<*s Patienten vorfinden.
Zu Grunde gegangen ist der Kranke an der von der Osteo¬
myelitis sich weiter ausbreitenden pyaemischen Infektion. Der
typhöse Proeess war im Wesentlichen abgelaufen, wie sich aus der
Abheilung der Geschwüre im Ileum und ferner aus der Abwesen¬
heit der Typhusbacillen in Milz und Blut ergab.
Etwas näher oingehen möchte ich noch auf die baeterio-
logisehe Seite des Falles. Die Frage nach der Aetiologie der im
Gefolge von Typhus auf tretenden Eitorungon ist in dem letzten
Dcoennium in ausgiebigster Weise ventilirt worden. Da in einer
grossen Anzahl von Fällen aus Muskelabscesseii, subperiostalen
und Knocheneiterungen Typhusbacillen theils in Gemeinschaft
mit anderen Bacterien, theils in Reinkultur gewonnen werden
konnten, so lag der Gedanke nahe, den Erreger des Typhus auch
für die Aetiologie jener Eiterungen verantwortlieh zu machen.
Während auf der einen Seite A. Fraenkel, Valen¬
tin i, F o ä, Bordoni-Uffrcduzzi u. A. für diese Auf¬
fassung ointraten, bemühten sich andererseits E. Fraenkel
und Baumgarten [5] immer wieder, in scharfer Kritik nach¬
zuweisen, dass die Fälle, welche die pyogene Eigenschaft des
Typhusbacillus erhärten sollten, meist nicht in einwandsfreier
Weise untersucht worden waren. Einmal war der Thierversuch
unterblieben, ein anderes Mal bestand die angewendete Kultur¬
methode nicht vor der Kritik, ein drittes Mal war es unterlassen
worden, histologische Schnitte durch die vereiterten Partien an¬
zulegen. Wie wichtig beispielsweise der letzte Punkt ist, beweist
der Fall von Sudeck [6], bei welchem die histologische Unter¬
suchung einer vereiterten Ovarialcyste im Gefolge von Typhus
ergab, dass die Wand derselben neben vereinzelten Bacillen auch
in Diploform ungeordnete Coecen, theils der Innenfläche auf-
gelagort, theils im Gewebe selbst enthielt, während das Kultur-
verfahren eine Reinkultur von Typhusbacillen ergab. Unbegreif¬
licher Weise ist dieser Fall verschiedentlich als Beweis für die
eitererregenden Eigenschaften des Typhusbacillus verwerthet
worden.
Der sehr nahe liegende Versuch, durch Einspritzung auf-
gesehwemniter Typhuskulturen bei Thieren Eiterung hervor¬
zurufen und dadurch die pyogene Eigenschaft des Typhusbacillus
zu beweisen, ist verschiedentlich gemacht worden. O r 1 o f f [7],
Busehke [8], Durochowsky und Jnnowsky [tl]
schlossen aus ihren Experimenten, die eitererregende Wirkung
des Typhusbacillus festgestellt zu haben. Vor der Kritik konnten
auch diese Versuche nicht bestehen. Bei den von Duro¬
chowsky und Janowsky beschriebenen Impfresultaten
handelte es sich, wie E. Fraenkel hervorhol», nach der eigenen
Beschreibung der Untersuchungen nicht um wirkliche Eiterung,
sondern vielmehr um Gewebsnekrose mit sekundärer Erweichung.
Und dn. wo wirklich nach der Einspritzung Ab~ce-se sieh
bildeten, wie bei O r 1 o f f und Buschk e. ist der Beweis nicht
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1480
So. 3-8.
MUENCHENER MEDICINISC11E WOCllENSGl IKliT.
erbracht, dass die bei den Thieren hervorgerufenen Eiterherde
nun tliatsächlich ausschliesslich Typhusbacilleu enthielten und
frei waren von specifischen Eitercoccen.
E. F r a e n k e 1 hat durch Verimpfung von Typhusbacillen
auf Kaninchen und Meerschweinchen niemals Eiterung zu er¬
zielen vermocht.
Jedenfalls scheint der Beweis noch nicht mit Sicherheit ge¬
liefert zu sein, dass der Typhusbacillus im Stande ist, Eiterung
zu erregen.
Der vorliegende Fall, bei welchem eine durch den gelben
Eitercoccus hervorgerufene Osteomyelitis des Brustbeins im Ge¬
folge von Typhus abdominalis sich entwickelte, ist ein Beweis
dafür, auf wie fruchtbaren Boden die specifischen Eitercoccen j
fallen, wenn sie sich in einem durch die Typhusinfektion ge- |
schwächten und wenig widerstandfähigen Organismus etabliren.
Es erfährt dadurch diejenige Ansicht auf’s Neue eine Bekräfti¬
gung, die auch E. Fraenkel [10] vertritt, indem er den Satz
aufstellt, dass die im Verlaufe des Abdominaltyphus auftretenden
eiterigen Komplikationen als von der Wirkung des Typhus¬
bacillus unabhängig entstanden zu betrachten, vielmehr auf das
sekundäre Eindringen anderer, vom Typhusbacillus durchaus
differenter Mikroorganismen zurückzuführen sind.
Literatur.
1. Sick: Ueber akute Osteomyelitis des Brustbeins. Jahrbücher
der Hamburglschen Staatskrankenanstalten, Bd. IV, p. 2S3.
2. Tüngel: Klin. Mittheilungen aus dem Allgem. Krankenhause
in Hamburg 1863.
3. Salomon: Deutsch, med. Wochensclir. 1880.
4. Chantemesse et Widal: Des suppurations froides con-
s6cutives ä la fiiVvre typhoide; sp6clflcit6 clinique et bacterio-
logique de l’osteomySlite typhique. Soc. m£d. des höpitaux,
sgance du 24. novembre 1803; La Semaine m6d. 1893, p. 542.
5. Baumgarten: Jahresbericht über die Fortschritte in der
Lehre von den pathogenen Mikroorganismen. Jahrg. 1899/1900.
6. S u d e c k P.: Ueber posttyphöse Eiterung in einer Ovarial-
cyste. Kasuistischer Beitrag zur ./rage der pyogenen Eigen¬
schaft des Typhusbacillus. Münch, med. Wochenschr. No. 21,
1896.
7. Orlow L.: Zur Aetiologle der den Typhus abdom. kompli-
zirenden Eiterungen. (Russisch.) Wratsch. 1890, No. 4—6.
8. Buschke: Ueber die Lebensdauer der Typhusbacillen in
ostitlschen Herden. Fortschritte d. Medicin 1894, No. 15/16.
9. DurochowskyL. u. W. Janowsky: Ueber die eiterung-
erregende Wirkung des Typhusbacillus und die Eiterung bei
Abdominaltyphus im Allgemeinen. ZiegleFs Beiträge, Bd. 17,
H. 2, p. 221.
10. E. Fraenkel: Zur Lehre von der Aetiologle der Kompli¬
kationen im Abdominaltyphus. Jahrbücher der Hamburg.
Staatskrankenanstalten. 1. Jahrgang 1889.
Aus dem physiologischen Institut der thierärztlichen Hochschule
zu Dresden (Direktor: Geheimrath Prof. Dr. E 11 e n b e r g e r).
Die Tamponade der Bauchhöhle mit Luft zur Stillung
lebensgefährlicher Intestinalblutungen.
Von Dr. Georg Kelling in Dresden.
Die Blutungen in die inneren Körperhöhlen bedrohen das
Leben in der Kopf- und Brusthöhle durch die Beeinträchtigung
wichtiger Organe, in der Bauchhöhle aber durch die Menge des
verloren gegangenen Blutes. Die besonderen Verhältnisse der
Bauchhöhle werden gut demonstrirt durch die Unterbindung der
Pfortader. Bei diesem physiologischen Experiment verblutet sich
das Thier in kurzer Zeit in seine Intestinalgefässe. Ein analoger
Vorgang ist der Tod bei akutester Perforationsperitonitis
(Heineke: Deutsch. Arch. f. klin. Medicin. 69. Bd.). Die
Bakterienprodukte lähmen das Vasomotorencentrum und der
grösste Theil des Blutes sammelt sich im Splanclmikusgcbiete
an. Der Tod tritt ein durch „intravaskuläre Verblutung“, wie
es die Physiologen bezeichnen. Desswegen gleicht auch die aku¬
teste Peritonitis, wenn Fieber, Schmerzen und lokaler Befund
fehlen, einer inneren Verblutung.
Die meisten Blutungen in der Bauchhöhle erfolgen in den
Intestinalkanal. Die Kapazität desselben ist so gross, dass sogar
die iri'-annme Blutmenge des Körpers darin Platz haben könnte,
und desswegen können intestinale Verblutungen stattfinden, ohne
dass Blut per os oder per anum entleert wird. Die tödtlichcn
Blutungen betreffen meist den Magen; hier kann es sich um
Arrosion der Arlcrien durch Ulcera handeln, ferner um rein
kapilläre Blutungen, welche ganz unter dem Bilde eines Ulcus
nuft roten können, und au*-h um venöse Blutungen in Folge von
Leb- rcirrhose. Beim Darm kommt hauptsächlich in Frage das
l’lcus duodenale; dann typhöse Geschwüre, selten dysenterische
Geschwüre, kapilläre vicariirendc Menstruationsblutungen und
Thrombose der Mesenterialgefässc. Ausserhalb des Intestinal¬
kanals werden tödtliehe Blutungen verursacht durch die geplatzte
Tubar- und Ovarialschwangerschaft und die Pankreas-Apoplexie.
Letztere kann schon im Beginn durch Zerstörung des Pankreas
und durch Druck auf den Plexus solaris gefährlich werden.
Endlich kommen Verletzungen in Frage: abgesehen von den
Verletzungen grosser Gefässe sind es hauptsächlich diejenigen
der parenchymatösen Organe, der Leber und Milz, welche durch
ihre Blutungen gefährlich sind.
Wenn man die Sachlage betrachtet, so erkennt man, dass
es keineswegs die besondere Grösse der erüffneten Gefässe ist,
welche die Verblutung bedingt. Es handelt sich vielmehr um
mittlere und kleine Arterien, welche in Narben eingebettet nicht
rotraktionsfähig sind, um Varicen und sogar um Kapillaren.
Die Verblutung erfolgt auch demgemäss in den meisten Fällen
nicht plötzlich, sondern kann sich über mehrere Stunden und
I Tage hinziehen. E> würde hier wahrscheinlich oft gar nicht
zur Verblutung kommen, wenn der Körper über irgend einen
Faktor verfügte, welcher entgegenwirkt. Statt dessen sind die
Verhältnisse in der Bauchhöhle dem Ausfliessen des Blutes
günstig. Bekannt ist, dass die Bauchwand bei Füllung der
| Bauchhöhle reflektorisch nachgibt. Nehmen wir die gesammte
Blutmenge des Erwachsenen zu fünf Liter an und erinnern uns,
dass beim Menschen die Entziehung der Hälfte des Blutes zum
Tode führen kann, so würde es sich, wenn nichts vom Blut
per os oder anum entleert wird — was aber meistens der Fall
ist — um eine Füllung der Bauchhöhle mit ca. 214 Liter Blut
handeln. Man kann nun durch das Experiment nachweisen, dass
man in den Magen und das Kolon des Menschen 214 Liter Flüssig¬
keit hineinbringen kann, ohne dass desswegen eine Drucksteige¬
rung in der Bauchhöhle zu Stande zu kommen braucht. Die
Bauchwand wird nämliehdurehdieseFüllung noch nicht gespannt,
sondern gibt reflektorisch nach. Der Druck in der Bauchhöhle
bleibt immer noch gleich dem atmosphärischen Druck, und der
Körper kann sich desswegen leichter in die Bauchhöhle verbluten
als etwa aus einer Wunde von derselben Dimension in die atmo¬
sphärische Luft, weil im Innern die Reize zur Kontraktion der
Gefässe und zur Gerinnung des Blutes fehlen, welche der Atmo¬
sphäre zukommen.
Was nun die Methoden zur Stillung lebensgefährlicher
Blutungen anbetrifft, so sind sie fast in jeder Körperhöhle die
gleichen gewesen, und zwar sowohl die indirekt wirkenden all¬
gemeinen, als auch die direkt wirkenden lokalen Verfahren. Das
allgemeine Verfahren besteht bekanntlich in zweckmässiger Lage¬
rung, körperlicher und seelischer Ruhe, Auflegen von Eis, dessen
günstige Wirkung oft mindestens zweifelhaft ist, und verschie¬
denen Medikamenten, welche entweder die Blutgerinnung be¬
fördern oder die Gefässe zur Kontraktion bringen sollen. Dazu
kommen noch Infusionen von defibrinirtem Blut oder von physio¬
logischer Kochsalzlösung. Von der ausgedehnten Anwendung des
: letzteren Verfahrens möchte ich bei Blutungen, die sich nicht
direkt angreifen und dadurch sicher stillen lassen, abrathen.
Ich habe mich einige .Male bei Magenblutungen davon überzeugt,
dass sich mit der subkutanen Injektion allerdings das Allgemein¬
befinden hebt und der Blutdruck steigt. Mit der besseren Füllung
aber des Gefiisssysiems setzte dann die Blutung von Neuem ein
und führte zum Exitus. Man erreichte also thatsächlich mit
der Injektion nichts anderes als eine Ausspülung des Blutrestea
aus dem Gefässsystem. Wenigstens müsste man lieber kleine
Mengen und häufiger injiziren und den Blutdruck nur sehr lang¬
sam ansteigen lassen.
Die allgemeinen Verfahren sind bei schweren Blutungen
ganz unzuverlässig. Wenn sich auch der einzelne Arzt im ein¬
zelnen Falle bei den indirekten Maassnahmen beruhigen kann,
niemals wird dies die ärztliche Wissenschaft können. Diese muss
streben, direkt vorzugehen. Das Genaueste ist natürlich, die
Stelle der Blutung anzugreifen. Dazu gehört für die Bauch¬
höhle die Laparotomie. Die Grösse dieses Eingriffs ist aller¬
dings ein erheblicher Nachtheil. Aber in solchen Fällen, wo
die Stelle der Blutung bekannt ist und die Blutstillung
schnell auszuführen ist, ist sie trotzdem augezeigt. also
bei Verlctzunaon. bei Pankreasapoplexie, hei Extrauterin-
I giavidität. Aber bei Magen- und Darmblutungen wird sie wohl
niemals allgemeine Anwendung finden können. Wir wissen von
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17. September 1001.
m i; encii i-; x !•: i c jikuhi x i sc 11 k w uc 11 k x sc man
1481
vorne herein nicht, ob wir die Stelle der Blutung finden werden
und ob sie auch der Unterbindung in genügender Weise zugäng¬
lich sein wird. Der Nutzen ist also a priori zweifelhaft, eine
gewisse Schädigung des geschwächten Körpers durch den Ein¬
griff aber sicher. Zudem ist immer die Möglichkeit vorhanden,
dass der Patient auch ohne Eingriff durchkommen kann. Wir
müssen also demnach den Begriff der lokalen Therapie über die
blutende Stelle hinaus erweitern. Der nächste Schritt ist, das
blutende Organ anzugreifen. Hier bleibt dreierlei übrig: Ver-
schliessung der zuführenden Gefässe (Massenligatur), Tamponade
des Hohlraumes oder Kompression des ganzen Organs. Die
Ligatur der zuführenden Gefässe ist beim Magen, zumal, da
es sich meist um Patienten mit Ulcus handelt, gewiss ein sehr
zweischneidiges Verfahren, das zudem nicht ganz einfach aus¬
zuführen ist. Was die Tamponade des Magenhohlraumes an¬
betrifft, so bin ich wohl der Erste gewesen, welcher die Ansicht
geäussert hat, den Magen gegen Blutungen zu tamponiren.
(Müncb. med. Wochenschr. 1898, No. 34.) Allerdings habe ich
mir das Verfahren anders gedacht, wie es nachher von Li n dn er
(Reichardt: Deutsche med. Wochenschr. 1900, No. 20),
Heidenhain (Centralbl. f. Chirurg. 1900, 41, 1037) und
Später (Centralbl. f. Chirurg. 1899, 8, 245) ausgeführt haben,
welche den Magen eröffneten und mit Gazestreifen ausstopften.
Ich wollte den Magen von der Speiseröhre aus tam¬
poniren, etwa durch Einführung aufblasbarer Gummibeutel.
Man kann nun allerdings den Magen zu einem solchen
Drucke aufblasen, dass die Blutgefässe verschlossen werden.
Trotzdem habe ich das Verfahren später abgelehnt und gar
nicht erst experimentell fortzubilden versucht aus folgenden zwei
Gründen. Einmal ist es ziemlich gefährlich, da der mit Ge¬
schwüren durchsetzte Magen auf diese Weise zerrissen werden
kann. Ich hatte Gelegenheit, das an einem Falle beobachten zu
können. Es handelte sich um eine 38 jährige Frau, welche seit
1 Yt Jahren ununterbrochen an Magenbesehwerdeu litt. Sie
starb ziemlich plötzlich an Erscheinungen einer inneren Ver¬
blutung. Die Sektion zeigte, dass die tödtliche Blutung aus
einem grossen Geschwür, welches auf das Pankreas übergegangen
war, erfolgte. In Folge der Blutüberfüllung war nun der Magen
an der vorderen Wand geplatzt und zwar an einer Stelle, wo ein
zweites Ulcus sass. Die Tamponade des Magens hat aber noch
einen zweiten Nachtheil. Wenn sie nämlich energisch aus¬
geführt wird — und sonst hat sie überhaupt keinen Zweck —
so ist sie sehr schmerzhaft und die Dehnung der Magen wände
beeinflusst ausserdem sehr ungünstig den Puls. Man kann das
sicher schliessen aus den Erscheinungen der akuten Magen-
dilatation.
Der nächste Schritt wäre dann die Kompression des bluten¬
den Organes, also in erster Linie des Magens. Man kann von
einer Laparatomiewunde aus durch eingeschobene Gazestreifen
die Wände comprimiren oder noch einfacher durch eingeschobene
aufblasbare Beutel. Dies Verfahren hat einige Nachtheile.
Wenn man sicher die blutende Stelle treffen und genügend kom-
primiren will, so müsste die Tamponade sehr ausgedehnt sein.
Man würde weiter an dieser Stelle eine Kompression auf die
grossen Inteatinalgefässe ausüben; da man die Venen eher ver-
schliesst als die Arterien, könnte dadurch eine für das Gehirn ge¬
fährliche Hyperaemie des Darmtraetus entstehen und die
Blutungen sogar verstärkt werden. Ausserdem ist die Gefahr
vorhanden, dass man etwaige Adhaesionen des Magens mit der
vorderen Bauehwaml trennt.
Da die bisher besprochenen Wege zu keiner befriedigenden
Lösung führen, so müssen wir versuchen, ob wir weiter kommen,
wenn wir statt des blutenden Organes die gesammto Bauchhöhle
in Angriff nehmen und einen die ganze Bauchhöhle treffenden
Widerstand zu schaffen suchen. Hier bleibt nur zweierlei: Die
Kompression oder die Tamponade. Die letztere natürlich nur
entweder mit Flüssigkeit oder noch besser mit Luft ausgeführt.
Was nun die Kompression der Bauchhöhle anbetrifft, so
habe ich darüber mehrere Versuche angestellt. In solchen
Fällen, wo die Bauchhöhle schlecht gefüllt ist in Folge Fett¬
mangels und Leerheit der Därme, so dass die Bauchdecken ein¬
gesunken sind, ist der Erfolg einer Kompression allerdings fast
Null. Dabei ist es gleich, ob mit elastischem Material (breite
Gummibinden) oder unelastischem (TTeftpflasterstreifen) kom-
primirt wird. Wenn man einen Magenschlaueh einführt, den
Magen wenig mit Luft aufbläht, und nun den Magenschlauch an
einen Manometer anschliesst, so kann man den Druck vor,
während und nach der Kompression bestimmen. Hierzu kann
man natürlich nur Personen benutzen, welche den Magenschlauch
anstandslos vertragen. Anfangs hatte ich den Druck im Mast¬
darm gemessen, bin aber sehr bald davon abgekommen, weil man
gegen diese Versuche den Einwand machen kann, das- man den
Druck in der Mastdannainpulle unterhalb der Umschlagsfalte
des Peritoneums, also extraperitoneal, misst. Ausserdem wurden
bei diesen Versuchen die Personen aufgefordert, tief auszu-
athmen und im Momente der Exspiration die untere Thorax¬
partie durch einen breiten Heftpflasterstreifen fixirt. Dann
wurde die Einwickelung des Thorax theils mit elastischem, theils
mit unelastischem Material vorgenommen. Ich bringe hier als
Beispiele vier Versuche.
1. Ein kleines, dickes, hysterisches Fräulein von 24 Jahren.
Das Abdomen war fett und etwas vorgewölbt, Mngenlage normal.
Patientin wurde auf einen Schemel gesetzt. Nach Einbinsen von
etwas Luft betrug der Druck im Magen »>— 8 ein Wassersäule. Im
Stadium der Exspiration wird die untere Thoraxpartie mit Hel't-
pflasterstreifeu fixirt. Dabei bleibt der Druck im Magen 6—S cm.
Da Patientin etwas Luft nusstösst, wird der Versuch sofort wieder¬
holt. Der Druck betrügt jetzt im Magen 3—4 cm. Nach Fixation
des Thorax in Exspirntiousstellung G—7 cm. Nach Eiuwickelung
des Leibes mit Gummibinde ebenfalls G—7 cm; aber noch unter der
Bandage sinkt der Druck auf 4—5 cm.
2. 55 jähriges, grosses, hysterisches Fräulein mit langem und
schmalem Thorax, normaler Magenlage. Leib wenig eingesunken.
Druck im Magen 4 cm. Nach Fixation des Thorax im Zustand der
Ausathuiung 4 cm. Ganz energische Kompression des Abdomens
mit Heftpfiasterstreifen, wodurch der Druck auf 8 cm steigt. (Ver¬
such im Sitzen.)
3) 52 jähriger, untersetzter, dicker Mauu mit Neurasthenie
und normaler Magenlage. Druck unch Elublasen von etwas Luft
im Magen 4—6 cm. Nach Fixation des Thorax mit Heftpflaster-
Streifen 4—6 cm. Dann wird der Leib mit Gummistreifeu fest ein¬
gewickelt. Der Druck bleibt 4—G cm. (Versuch lm Sitzen.)
4) 3G jähriger, gut genährter Mann mit Neurasthenie. Normale
Mageulage. Magendruck 8 cm Wasser. Der Thorax wird im
Stadium der tiefsten Exspiration mit Heftpflaster fixirt und dann
der Leib mit Heftpflasterstreifeu, welche ringsherum gehen, kom-
priinirt. Jetzt wird noch ein Druck mit der Hand auf den Bauch
ausgeübt und dadurch gelingt es, den Druck im Magen auf IG bis
18 cm zu steigern. Lässt man den Druck der Hand weg, so sinkt
der Druck im Mageu auf 10 cm. Es beträgt also die Druck¬
steigerung durch die Heftpastereinwickelung nur 2 cm. (Versuch
ln Rückenlage.)
Wie man sich bei solchen Versuchen sehr bald überzeugen
kann, ist der Effekt einer Kompression der Bauchhöhle für eine
allgemeine intraabdominelle Drucksteigerung minimal. A priori
könnte das etwas merkwürdig erscheinen, weil wir doch durch
Anwendung der Bauchpresse eine Drucksteigerung auf 1—2 m
Wassersäule und mehr erzielen können. Bei der Bauchpresse
werden aber nicht nur die Bauchdecken angespannt, sondern
auch das Zwerchfell und der Beckenboden. Bei unserer Kom¬
pression aber übt das Zwerchfell und der Beckenboden keinen
Widerstand aus, sondern sie geben im Gege’ntheil nach. Sind
nun die Organe verschieblich, wie dies der Fall ist bei solchen
Personen, deren Leib eingezogen und relativ leer ist, so werden
diese Organe in Folge der Einwickelung des Bauches unter die
Rippenbögen und in’s kleine Becken geschoben. Der Becken¬
boden tritt etwas tiefer und das Zwerchfell etwas höher und so
haben die Organe bequem Platz. In solchen Fällen nun, wo der
Leib gut mit Fett gefüllt ist, würde wahrscheinlich genug In¬
halt vorhanden sein, um auf die unter den Rippenbögen und im
Becken liegenden Organe einen Druck auszuüben. Aber dazu
ist der Bauchinhalt in Folge des Fettansatzes zu wenig verschieb¬
lich; der durch die Kompression ausgeübte Druck bleibt in Folge
dessen zu sehr lokal. Wenn nun wirklich eine geringe allgemeine
Drucksteigerung in der Bauchhöhle eint ritt, so ist dieselbe für
die Stillung einer Blutung ganz unzureichend. Zudem würde
dieser geringe Effekt sofort wieder illusorisch werden, weun
durch Abgang von Blut per os oder anum wieder Raum für neue
Blutungen frei wird.
Wie steht es nun mit der Füllung der Bauchhöhle mittels
Luft oder Wasser? Von Wasser (erwärmte physiologische Koch¬
salzlösung) kann man abselien. weil das Verfahren viel umständ¬
licher ist, und zudem eine unnütze Belastung der Rückwand, des
Bauches und dadurch ein hydrostatischer Druck auf die retro-
peritonenl verlaufenden Gefässe ausgeübt wird. Wa« mm die
Füllung der Bauchhöhle mit Luft anbetrifft, so inii—cn folgende
Fragen beantwortet werden.
• 1 *
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148:
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nu. 38.
1. Wie hoch ist ungefähr der Druck in den
blutenden Gefässen zu veranschlagen?
2. Lässt sich die Bauchhöhle bis zu einem
für die Blutstillung genügenden Druck mit
Luft füllen?
Tabellen 1858, p. 111.) Damit stimmen die Wert he, welche
Jarotzn.v (Ceiitralbl. f. innere Med. 1901, 22. VI.) an der
Arieria brachialis des normalen Menschen erhalten hat (110 bis
320 mm Hg) mit der besten Methode, derjenigen von Hill und
B a mar d. Die Werthe sind also nicht wesentlich höher als
3. Wie ist die Wirkung des Verfahrens?
4. Entstehen dadurch irgend welche Schii-
d igungeu?
Wenn wir diese 4 Fragen günstig beantworten können,
handelt cs sich
5. darum: Wie wird das Verfahren am besten
ausgef ührt? Contraindikationen.
1. Wie hoch ist ungefähr der Druck in den blutenden Ge¬
fässen zu veranschlagen? Ich habe meine Versuche am Magen
angestellt, als demjenigen Organ der Bauchhöhle, welches am
meisten zu Verblutungen Veranlassung gibt. Die Versuche
wurden an Hunden in Aethernarkose ausgeführt. In die kleinen
Mageugefüsse kann man keine Kanüle einbinden und desswegen
konnte der Druck nicht anders bestimmt werden, als nach der
Methode von Base h. Es wurde also die Artcria eoronaria an
der kleinen resp. auch an der grossen Curvatur des Magens frei
präparirt. An der einen Stelle wurde die Arterie unterbunden.
Dann wurde das freipräparirte Stück auf den Finger genommen. |
Man muss hierbei sehr darauf achten, dass die Arterie nicht
etwa hervorgezerrt wird, sondern möglichst unbeeinflusst liegt,
sonst sind die Werthe ganz unbrauchbar. Die Arterie wurde nun
gegen den Finger mit Base h’s Blasenpelotte, welche mit einem
Quecksilbermanometer verbunden war, komprimirt. Dann wurde
sie oberhalb der Ligatur durchtrennt und nun konnte an dem
Ausfliesscii des Blutes der Druck bestimmt werden, bei welchem
die Arterie sich eben öffnet. Der Capillardruck in der Magen¬
schleimhaut wurde in der Weise bestimmt, dass ein spitzer
Zipfel aus der Magenwand ausgeschnitten und umgelegt wurde.
Die Schleimhaut wurde nun zwischen der Blasenpelotte und
einem gläsernen Objektträger komprimirt. Wir erhielten nun
den Druck, bei welchem die Schleimhaut blass wurde resp. sich
wieder röthete.
1. Kleiner, gelber Spitz. Druck in der Art. femoralis 84 mm
Quecksilber. Druck in der Art. eoronaria ventriculi sinistra
superior 40 mm Quecksilber. Druck in der Magenschleimhaut
35—20 mm Hg.
2. Grosse, getigerte Dogge. Druck in der Femoralis 110 mm
Hg. Druck in der Art. eoronaria ventriculi inferior 40 mm Hg.
ln der Magenschleimhaut 20—30 mm Hg. Der Hund verlor im
Laufe der Versuche ziemlich viel Blut, so dass der Druck am Ende
des Versuches ln der Carotis nur noch 35 mm Hg betrug.
3. Kleiner Foxterrier. Druck in der Femoralis 110—120 mm !
11g. Druck in der Arteria eoronaria ventriculi inferior 30 mm Ilg.
In der Magenschleimhaut 18—20 mm Hg. Auch dieser Hund ver¬
lor durch Rutschen der Ligatur an der Femoralis ziemlich viel Blut,
so dass am Ende der Druck in der anderen Femoralis nur 60 mm
Ilg betrug. Die Werthe von Versuch 2 + 3 sind für uns insofern
von Interesse, als wir auch beim Menschen in Folge der Blut¬
verluste Erniedrigungen des Blutdruckes bei Anwendung unseres
Verfahrens vor uns haben.
4. Kleiner Pinscher. Druck in der Femoralis 90—100 mm Hg.
in der Art eoronaria inferior 50 mm I-Ig. ln dem einen Aste der¬
selben, zwischen Mucosa und Muscularis laufend, nur 40 mm. In
der Magenschleimhaut 25 mm.
5. Mittelgrosser Dachshund. Druck in der Femoralis 320 mm.
Druck in der Art. gastro-lienalis 00 mm Hg. In einem zum Magen
gehenden Aste derselben 50 mm. in der Magenschleimhaut 15 bis
20 mm Ilg.
6. Grosser, schwarzer Spitz. Druck in der Magenschleimhaut
10—20 mm Hg. In der Art. eoronaria dextra inferior 30mm Ilg.
In der Art. gastro-lienalis 50—55 mm. Hinterher in der Femoralis
110 mm Ilg.
Als Resultat ergibt sich, dass wir bei einem Druck in der
Femoralis von 100—320 mm Hg finden in der Gastro lienalis
50—60 mm, in der Coronaria 30—50 mm, in der Mucosa
15—25 mm Hg. Eine genaue Proportionalität zwischen den ein¬
zelnen Arterien besteht aber dabei nicht.
Wie hoch ist nun der Blutdruck in den Magengefässen des
Menschen? Zur Beurtheilung können wir nur diejenigen Werthe
heranziehen, welche an den freigelegten Arterien bestimmt
worden sind. Es sind nur ausserordentlich wenig Unter¬
suchungen ausgeführt worden, und zwar bestimmte Albert
an der Arteria tibialis antica 100—160 mm Hg, F a i v r e an
der Brachialis bei einem 23 jährigen Manne 110 mm, bei einem
60 jährigen Manne 120 mm und der Femoralis bei einem
30 jährigen Manne 120 mm Hg. (Nach V i e r o r d t, Daten und
beim Hunde. Dies stimmt mit der Beobachtung der Physiologen
überein, dass der arterielle Druck bei Thieren von sehr ver¬
schiedener Grösse nahezu gleich sein kann. Uin nun nicht nur
auf ungewisse Schätzungen angewiesen zu sein, habe ich «len
kleinen Eingriff gewagt und 3 mal während der Operation den
Druck in der Arteria coronaria ventriculi direkt gemessen.
Fall 3 betrifft einen 52jährigen Laudwirth; er klagte üIkt
allgemeine Magensymptonie und Abmagerung: er hatte eine uu-
hestimmte Resistenz im Epigastrimn. Der Ernährungszustand war
leidlich. Lungen. Herz. Nieren gesund, an der Radialis etwas
Arteriosklerose. Die Probelaparotomie in Aethernarkose ergab
eine (’aroinommetnstase in der Leber. Im Leib bestand kein
Ascites, der primäre Tumor wurde nicht gefunden. Der Magen
war ganz gesund: der Druck betrug in «1er Arteria coronaria veu-
triculi Inferior sinistra 38—40 mm Hg. Sofort nach Beendigung
«ler Operation wurde au dem noch in narkotischem Schlafe legen¬
den Patienten der Blutdruck am 5. Finger der linken Hand 1h*-
stimmt mit Gärtners Tonometer. Wir erhielten 60 mm Hg.
Der Finger wurde dabei genau in Herzhöhe gehalten. Nach
6 Tageu aber erhielten wir an demselben Finger 75 mm Hg.
2. 5sjähriges, hysterisches Fräulein. Gastrostomie wegen
Cardiospasnius, Ü«*sophngitis und katarrhalischer Geschwüre. Der
Druck betrug, mit Gärt n e r’s Tonometer bestimmt, am 3. Finger
der rechten Hand am Tage vor der Operation 120 min Hg. An der
Arteria eoronaria ventriculi inferior dextra 80 mm t Aethernarkose!.
Direkt nach Anlegung des Verbamies wird an der noch in Narkose
befindlichen Patientin der Blutdruck wieder an demselben Finger
mit G ä r t n e r’s Tonometer bestimmt. Er betrug 110—120 mm Ilg.
3. 52 jähriger Mann. Laparotomie wegen Carcinoma ven¬
triculi. Aethernarkose. Der Tumor war inoperabel. Druck in
der Arteria coronaria ventriculi dextra 52 min 11g. Druck im
5. Finger der rechten Hand mit G ii r t n e r’s Tonometer 85 mm.
Ich verfüge noch über eine 4. Beobachtung, die ich zufällig
anstellen konnte und welche mit den obigen gut überein-
stiuunt. Es handelt sich um eine kleine, 48 jährige Frau, bei der
ich eine Magenresektion wegen Carclnom ausfülirte. An dein
hervorgezogen«*n Mngenstumpf rutschte an der kleinen Kurvatur
«*ine Ligatur und aus der Arteria coronaria superior sinistra spritzte
das Blut senkrecht hoch. Die Arterie spritzte zufällig genau so
hoch, als der um Operationstisch angebrachte Bogen war, welcher
das Operationsfeld trennte von Brust und Kopf. Nach Beendigung
der Operation wurde die Distanz gemessen und es ergab sich,
dass die Spritzhöhe 50 em betragen hatte. Der Blutdruck, mit
G ii r t n e r’s Tonometer am 4. Finger «ler rechten Hand liestinnnt.
betrug nach 10 Tagen 60 mm Hg. Sämmtliche 4 Patienten haben
übrigens eine ungestörte Reconvalescenz durchgemacht.
Wenn man nun auch zugiht. «lass für unsere Kranken der Blut¬
druck etwas niedriger gewesen sein mag als bei Gcsumlen, so ist
doch im Allgemeinen der Satz richtig, dass der Druck in Jeu
Magengefässen des Menschen (gleich wie in den Arterien der
Extremitäten) nicht viel höher zu veranschlagen ist, als beim
Hund. Wir können ihn etwa durchschnittlich auf 40—80 mm
Hg angeben. Nach grossen Blutverlusten ist er aber gewiss be¬
deutend niedriger.
Ich möchte hier an dieser Stelle noch auf eine Erfahrung
hinweiscn, die ich bei meinen Operationen öfters gemacht habe.
Es zeigte sich nämlich, dass manche elende Individuen mit
trockener Haut und oft mit niedrigem Haemoglobingehalt auf¬
fällig stark bluteten; selbst die kleinsten Gefässe spritzten mit¬
unter. Bestimmte ich nun den Blutdruck dieser kranken Indi¬
viduen, so war derselbe keineswegs höher als normal. Es kann
also nur daran liegen, dass die Arterien sich nicht genügend
kontrahiren. Es scheint mir dies aber offenbar eine Kompen¬
sationsvorrichtung der Natur zu sein, welche die geringe Blut¬
menge mehr circuliren lässt; denn der grössere Querschnitt der
Gefässe, welcher das Blut reichlicher ausströmen lässt, lässt es
| auch reichlicher durchströmen. Gerade in solchen Fällen habe ich
hei Nachblutungen von Seeale recht gute Erfolge gesehen. So kann
es z. B. sich ereignen, dass man bei Magenresektionen nicht jedes
kleinste Gefäss einzeln unterbindet um rasch mit der Operation
zu Ende zu kommen. Direkt nach der Operation tritt aber eine
Haematemesis auf, welche durch Seeale prompt steht. Hin¬
gegen ist in solchen Fällen, wo die Blutung aus starren Ge¬
schwüren oder sklerotisch veränderten Gefässen erfolgt, Seeale
kontraindicirt, weil sich hier die eröffneten Arterien nicht kon-
I trahiren können, der Blutdruck aber gesteigert wird.
Aus all’ dem können wir, glaube ich, entnehmen, dass wir
| die meisten Blutungen in der Bauchhöhle stillen könnten, wenn
wir einen Gegendruck von ca. 50 mm Hg zu schaffen vermöchten.
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17. September 1901.
MÜENCHENER MEDICINISCHB WOCHENSCHRIFT.
Lässt sich nun die Bauchhöhle bis zu einem
solchen Drucke mit Luft füllen? Schon von
vornherein können wir sagen, dass auch die Bauchhöhle des
Menschen die Füllung mit Luft bis zu diesem Drucke ver¬
tragen wird. Nämlich in einigen Fällen von Lebercirrhose sind
Drucke in der Bauchhöhle bestimmt worden, welche dem
unserigen ganz nahe kommen. So fand z. B. L e y d e n (Charite¬
annalen Bd. 3, p. 270) 40 mm Hg und Quincke (Deutsch.
Arch. f. klin. Med. 21. Bd., p. 460) 42 mm Hg. Wenn diese
Wert he bei Waaserfüllung vertragen werden, welche doch den
Unterleib ganz anders belastet, so werden sie bei Luftfüllung
erst recht vertragen. Bei diesen Drucken ist die Athmung schon
rein oostal und ob wir dann 10 oder 20 mm mehr nehmen, das
macht bei der schon so wie so ad maximum gefüllten Bauch¬
höhle niehts Wesentliches aus. Ich habe nun eine ganze Anzahl
Versuche an Hunden ausgeführt. Anfangs nahm ich Aether-
narkose, ich überzeugte mich aber sehr bald, dass der Eingriff
gar nicht schmerzhaft ist. Ich habe ihn dann meist ohne Nar¬
kose ausgeführt, und zwar wurde die Bauchhöhle bis zu einem
Drucke von 40—70 mm Hg aufgeblasen.
(Schluss folgt.)
Aus dem Pathologischen Institut zu Tübingen (Direktor Professor
v. B a u m g a r t e n).
Ueber die Differenz der histologischen Wirkung von
Tuberkelbacülen und anderen diesen ähnlichen säure¬
festen Bacillen.
(Grasbaciltus II Modler, Butterbacillus Petri-Rabinowrtsch,
Tbimotheebacillus Moeller.)*)
Von Dr. Hölscher,
Kgl. Württemberg. Oberarzt, command. zur Universität Tübingen.
Bei der grossen Verbreitung, welche die tuberkelbaeillen-
ühnltehen, säurefesten Bacterien in der Natur und insbesondere
auch in den beiden wichtigen Nahrungsmitteln Milch und Butter
haben, wurde die Frage zu einer brennenden, ob es sich hier nur
um harmlose Saprophyten handelt, die mit den Tuberkelbacillen
nur die Aehnlichkeit der Gestalt und die Säurefestigkeit gemein¬
sam haben, oder um modificirte Tuberkelbacillen, die unter Um¬
ständen ihre specifisehe Virulenz wieder erlangen können. Die
meisten Autoren, welche sich mit dieser Frage beschäftigt haben,
halten die Bacterien für nicht pathogene Saprophyten, welche
nur durch die Mitinjektion von Butter Wachsthumsbedingungen
erhalten, die sie in Stand setzen, bei Thieren eine tödtliche Peri¬
tonitis herbeizuführen. Nur wenige Autoren halten sie für thier¬
pathogen.
Auch bei meinen Versuchen im pathologischen Institut zu
Tübingen ist es gelungen, mit Reinkulturen allein
bei Meerschweinchen und Kaninchen bei bestimmter Infektions-
weiso Veränderungen hervorzurufen, die makroskopisch
von auf die gleiche Weise mit'Tuberkelbacillenreinkulturen er¬
zeugter typischer Tuberkulose nicht zu unterscheiden waren. Ver¬
wendet wurden Butterbacillus Pctri-Rabino-
witsch, Grasbacillus II und Thimothcebaciljus
Moeller.
Ueber die Resultate der histologischen Untersuchungen
möchte ich hier in Kürze das Wichtigste mitthcilen.
Bei intravenöser Injektion erfolgte wie bei echten Tuberkel¬
bacillen eine reichliche Bildung von isolirten typischen Lang-
hau s’schen Riesenzellcn und tuberkelähnlichen Knötchen mit
solchen. Tm Frühstadium waren diese Knötchen von echten
Tuberkeln häufig nicht zu unterscheiden. Das spätere Schicksal
der Knötchen war aber ein grundverschiedenes, bei den Tu¬
berkelbacillen Gewebsnekrose, Verkäsung,
bei den Pseudotuberkelbacillen Vereiterung.
Abgesehen von diesem histologischen Unterschied bestand
eine Differenz im Verhalten der Bacterien selbst. Während bei den
Tuberkelbaeillen von den primären Herden aus eincUcberschwem-
ung de« ganzen Gewebes mit Bacillen und eine unbeschränkte
Vermehrung derselben dem bekannten Hergang gemäss erfolgte,
war bei den Pseudotuberkelbacillen höchstens ein lokales Wachs-
tbum in Gestalt von Strahlenpilzformeu zu konstatiren. In Folge
dessen war schon relativ kurze Zeit, etwa 14 Tage nach der In-
*) War ursprünglich als Vortrag in Abtheilung 13 für die
Naturforscher-Versammlung ln Hamburg bestimmt.
No. 38.
1483
jektion, die Zahl der nachweisbaren Tuberkelbacillenkolonien
erheblich grösser, als "die der PseudotuberkelbaciUen. selbst wenn
von den letzteren eine mindestens 3 bis 4fache Menge eingespritzt
worden war. Da aber von L u b a r b ehr und S frh.U 1 1 ». nach¬
gewiesen worden ist, dass auch bei echten TttberknlhacilLep, bei
gehemmtem Wachst hum derselben, eine Strahlenpilzbildung im
Thierkörper erfolgen kann, ist der Unterschied im Verhalten der
Bacterien nicht von einer solchen prinzipiellen Bedeutung, wie
der im histologischen Verhalten.
Bei den Injektionen in den Nebenhoden war der zuerst an¬
geführte Unterschied in der Wirkung auf das Gewebe noch frap¬
panter. Die proliferative Wirkung fehlte beinahe gänz¬
lich, es überwog bei Weitem die exsudative; die Neben-
hodonkanälehen waren in grössere oder kleinere Abscesse ver¬
wandelt. • Von den Bacterien gilt auch hier das vorhin Gesagte.
Bei den intraperitonealen Infektionsyersuehen wurde von
Anfang an das Verhalten der Bakterien im Serum und ihre Wir¬
kung auf das Gewebe an mit Lymphröhrchen entnommenen
Serumproben verfolgt. Während die Tuberkelbacillen 7 bis
8 Tage lang in den gefärbten Präparaten nachweisbar waren,
fanden sich Pseudotuberkelbacillen nach 4 bis 6 Tagen nicht
mehr. Histologisch fanden sich bei beiden im Anfang über¬
wiegend polynucleäre Leukocyten. Nach 20 Stunden waren diese
bei den echten Tuberkelbacillen schon nahezu verschwunden und
durch abgestossene Endothelzellen, die grösstentheils mit Bae-
terien überladen waren, verdrängt. Bei den Psettdotuberkel-
bacillen blieben auch späterhin die polynücleären Leukocyten
vorherrschend und Endothelzellen traten in grösserer Zahl mir
vorübergehend auf. Die Pseudotuberkelbacillen waren sowohl ita
polynücleären Leukocyten, wie in Endöthelzellen nachzuweisen,
während Tuberkelbacillen nur in'Leukoeyten zu
finden waren. Gleichartig war also bei beiden
die anfängliche exsudative Reizung, die'Aber
bei den Tuberkelbacillen auch in diesen, be¬
züglich dieses Punktes besonders demonstra¬
tiven Versuchen nur vorübergehend war, wäh¬
rend sie bei den Pseudotuberkelbacillen kon¬
stant blieb.
Bei der Untersuchung der am Netz und den Bauchorganen
gebildeten Knoten fand sich auch wieder als gleichartig die
Bildung von zahlreichen grossen Langhan s’schen 'Riesen¬
zellcn und von Knötchen mit typischer Tuberkelstruktur. Anstatt
der tuberkulösen Verkäsung erfolgte aber in deri Pseudotuberkeln
im weiteren Verlauf bei Persistenz der Bacterien wieder eine
Absccssbi ldung oder Organisationunter V erschwin-
den der Bacterien. Ein Auswachsen der Bacterien aus
den Knötchen findet auch hier nicht statt.
Fassen wir die Resultate zusammen, so haben wir als Aehn-
lichkeiten der Wirkung die Bildung von L a n g h a n s’schen
Riesenzellen und Knötchen von gleicher Struktur und Abgrenzung
gegen das Gewebe. Beide« erfolgt allerdings -auch, Wie bekannt,
um kleinste leblose Fremdkörper, wenn diese nur einen fort¬
dauernden formativen Reiz auf ihre Umgebmag auHÜben und
ebenso noch um einige andere Bacterienarten; aber bei keinen
bilden sich Langhan s’sche Rieeenzellen und mit diesen aus-
gestattete Knötchen mit solcher Regelmässigkeit und Häufigkeit,
wie um die echten Tuberkelbacillen und diese säurefesten Peeudo-
tuberkelbacillen. Diese Gleichartigkeit der Wirkung dürfte sich
durch die Aehnlichkeit der chemischen Beschaffenheit der Bac-
teriensubstanz, auf welcher auch die beiden gemeinsame Säure¬
festigkeit beruht, erklären, ln der Ausbreitung der Knötohen-
bildung ist allerdings ein sehr bedeutender Unterschied zu kon¬
statiren. Bei den Tuberkelbacillen erfolgt von dem primären
Herd aus eine fortschreitende Bildung neuer Erkrankungsherde
von derselben Struktur wie der ursprüngliche; da» Verhalten der
Pseudotuberkelbacillen ist hingegen dem *o<ken Fremdkörper
ähnlicher: Die Bacterien bleiben an den Stellen, Wohin sie der
Blut- oder Lymphstrom getragen hat, liegen, und wirken dort als
örtliche Entzündungserreger, ein Aussohwarroen der Bacterien
und eine Bildung weiterer Erkrankungsherde findet bei ihnen
nicht statt.
Ein principieller Unterschied ist die endgiltige Wirkung
auf das Gewebe, bei Tuberkelbacillen Verkäsung,
bei Pseudotuberkelbacillen Vereiterung. Es
fehlt den Pseudotuberkelbacillen also die d e -
ö
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IfUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
: I484
struktive Kraft und die unbegrenzte para¬
sitäre V er mehrun gsf äh igk ei t der echten Tu¬
berkelbacillen.
Eine weitere Aehnlichkeit ist noch die Fähigkeit, im Thier¬
körper Sfrahlenpilzformen zu bilden.
Aus der dermatologischen Universitätsklinik in Bern (Direktor:
Professor J adassohn.)
Zur Ekzemfrage.
Von Dr. Jacob Frödöric, I. Assistenten der Klinik.
Für den internationalen Dermatologenkongress, welcher 1900
in Paris stattfand, war als erste Frage die nach dem „parasi¬
tären U rsprung der Ekzeme“ aufgestellt. Schon in den
letzten Monaten vor dem Kongress war eine Anzahl von Arbeiten
über dieses Schema erschienen. Ich selbst hatte ein Jahr lang,
auf Wunsch des Herrn Prof. J adassohn, Ekzeme auf ihren
Bacteriengehalt untersucht.
Bei der Kongressdiscussion [2] standen von den Referenten
Kaposi, Brocq und J adassohn auf dom Standpunkte,
dass das Ekzem als solches in seinem banalen, allgemein an¬
erkannten Typus, dessen wichtigstes Charakteristicum die
„Papulo-vesicule“ ist, eine primär bacterienfreie Krankheit sei;
sie stützten sich dabei auf die Resultate von K r e i b i c h [10],
von Veilion [24] und von mir [2]. Schon vorher hatten
T ö r ö k und Roth [18] der gleichen Anschauung Ausdruck
gegeben. Sabouraud, Morgan-Dockrell u. A. traten
ihr bei. G a 11 o w a y [2] hatte auch in frischen papulo-vesicu-
lösen Efflorescenzen weisse Coccen gefunden, denen er eine
wesentliche Bedeutung beizumesaen geneigt war. In der Dis-
cussion erklärte N e i s s e r, dass auch er, im Gegensatz zu den
von S c h o 11 z und Raab [16] aus seiner Klinik publizirten Re¬
sultaten an die Sterilität der primären Ekzemefflorescenzen
glaube. Danach konnte also der Staphylococcus pyogenes aureus
nicht, wie es zuerst geschienen hatte, ein konstanter und damit
nothwendiger Faktor zur Erzeugung der banalen Ekzeme sein —
ein Standpunkt, den übrigens neuestens auch S c h o 11 z selbst
auf Grund weiterer eigener Untersuchungen nicht aufrecht er¬
hält (Kongress Breslau 1901). Unna aber, der die parasitäre
Natur der Ekzeme zuerst behauptet und seine Morococeen als
ihre Ursache angeeprochen hatte, theilte seine neuen Unter¬
suchungsergebnisse [21, 22] mit, die ihn zwar zur Zurückziehung
des Morococcus als einer einheitlichen Bacterienart bewogen, ihn
aber in der Festhaitung der bactoriellen Natur der Ekzeme be¬
kräftigt hatten. Mit neuen (speciell tinctoriellen) Untersuchungs¬
methoden konnte er eine gewisse Anzahl von Coccen unterschei¬
den, von denen einzelne bei Einimpfung Veränderungen der
Haut erzeugten, die er als Ekzem deutete.
Mit Ausnahme von -Unna und (in wesentlich geringerem
Umfange) von G a 11 o w a y war also bei dieser internationalen
Vereinigung der Glaube an die amikrobischo
Natur des reinen, unkomplizirten Ekzems ein
allgemeiner. Eine weitere Frage — von sehr wesentlicher
theoretischer und praktischer Bedeutung — war die, welchen
Einfluss dio von allen Forschem in den späteren Stadien der
Ekzeme konstatirten Mikroorganismen auf deren Entwicklung
haben. Dio meisten Autoren waren darin einig, dass ein solcher
Einfluss besteht; aber ausser der allgemeinen‘Bemerkung, dass
speciell die Staphylococcen beim Ekzem Eiterung bedingen, hatte
bislang eigentlich nur Sabouraud behauptet, dass die banalen
Mikroorganismen — Staphylo- und Streptococcen — bestimmte
Veränderungen, die ersteren in Form von Pusteln (Impetigo
B o c k h a r t) die letzteren in Form von mehr oder weniger aus-
gebildeten Bläschen (Impetigo T. F ox) und serösem Nässen be¬
dingten [15].
Ich habe meine Untersuchungen, deren wesentlichste Re¬
sultate Herr Prof. Jadassohnin seinem Kongressreferat mit-
gotheilt hat [2], bisher nicht publizirt, weil ich sie während des
vergangenen Jahres nach verschiedenen Richtungen fortgesetzt
habe, welche mir der Bearbeitung zugänglich und bedürftig er-
schienen. Ueber einige dieser Punkte, welche, wie. ich glaube,
auch von allgemeinerem Interesse sind, möchte ich in Folgen¬
dem Bericht erstatten.
I. Bacteriologie des Ekzems.
In erster Linie möchte ich noch einmal auf die bacterio-
logische Untersuchung der „banalen Ekzeme“ eingehen. Je sorg¬
fältiger man die Fälle aussucht und je mehr man die Unter¬
suchung auf die einzelne ganz frische Efflorescenz beschränkt,
um so eher gelingt es, ihre Sterilität zu erweisen. Am
leichtesten ist dieser Nachweis bei denjenigen vesiculösen Formen,
welche an Stellen mit verhältnissmässig dicker Homschicht nuf-
treten, wie an den Händen. Die wasserhellen Bläschen, welche
hier den Typus der „dysidrotischen“ annehmen — ich kann an
dieser Stelle auf die Frage, ob die sog. Dysidrosis wirk¬
lich mit Recht vom Ekzem abgesondert wird, nicht eingehen —,
sind von mir am häufigsten steril gefunden worden. Als ein
indirekter Beweis für die Bedeutung der sekundärem Infektion
für die eitrigen Komplikationen der banalen Ekzeme ist wohl die
Thatsache anzusehen, dass gerade diese Bläschen auffallend lange
wasserhell bleiben und sich oft unmittelbar aus diesem Stadium
heraus involviren.
Wichtiger als die wiederholte Bestätigung der nunmehr kaum
noch anzuzweifelnden Thatsache, dass die banalen Ekzemvesikeln
mit unseren Methoden nachweisbare Bacterien im Princip nicht
enthalten, scheint mir eine kurze Besprechung derjenigen Bac-
terienformen, welche bei dem Gros der gewöhnlichen Ekzeme
auf der Oberfläche, in Schuppen, Krusten, Bläschen und Pusteln
sowie in dem serösen Exsudat vorhanden sind.
Ich habe mich zunächst sehr lange bemüht, die Morococcon
Uuna’s [20] zu finden; so leicht es histologisch ist, solche Bae-
terienhaufen nachzuweisen, so wenig möglich ist es mir baeterlo-
logisch gewesen; wenn es auch überflüssige erscheint, auf diese
Frage noch näher einzugehen, so muss ich doch hervorheben, dass
von den weiter zu erwähnenden gelben und weissen pyogenen
Staphylococcen abgesehen eine gewisse Rolle in meinen Befunden
nur solche Coccen spielten, welche die Gelatine gar nicht ver¬
flüssigten und in ihrem kulturellen Verhalten ganz dem sogen.
Staphylococcus albus cereus sive epidermidis
entsprachen; ich habe nur ein einziges Mal einen Coceus gefunden,
der in Bezug auf die unvollständige Verflüssigung der Gelatine
dem ursprünglichen Morococcus ähnlich war. Ob es sich hier um
eine abgeschwächte Art handelte, muss dahingestellt bleiben.
Tlmtsächlich aber sind nach meinen Untersuchungen bei Ekzemen
Staphylococcen, welche nach unseren bisherigen Methoden nicht
als pyogenes aureus oder albus oder albus cereus bezeichnet werden
können, verschwindend selten.
Was die pyogenen Staphylococcen anlangt, so ist unter
ihnen der Aureus zweifellos der allerwesentlichste. Nach
Sabouraud [15], nach Scholtz und Raab [16] müsste
man annohmen, dass er der einzige beim Ekzem bedeutungsvolle
Staphylococcus ist, während Kroibich [10, 11], Vei 11 on
[24], T ö r ö k) [18] und Roth auch den Albus gefunden haben.
Meine Resultate stimmen mit denen der letztgenannten Autoren
überein; ich habe zwar in einer grossen Zahl von Fällen den
Aureus ganz oder fast in Reinkultur erhalten; aber ich muss doch
hervorhebon, dass bei 5 Ekzemen (darunter 3 nässenden) nur
Staph. pyogen, albus aufging, und zwar auf einem Nähr¬
boden, auf dem der Aureus sonst schnell und stark Farbstoff
bildete. Es liegt mir fern, hier auf die F*age der Umzüchtbarkeit
des Albus in den Aureus einzugehen, deren Möglichkeit neuer
dings wieder behauptet worden ist (cf. Hä gl er). Ich möchte
nur betonen, dass bei den Ekzemen das Verhältniss zwischen
den beiden Hauptformen der pyogenen Staphylococcen dassellte
zu sein scheint, wie es meist bei infizirten Wunden und anderen
Eitorerkrankungen gefunden wird: hauptsächlich Aureus, seltener
Albus'); da der Aureus sich auch bei leichten Ekzemfonnen
in grosser Menge findet, kann ich über etwaige Differenzen in
den Befunden bei schweren und leichten Fällen nichts angeben.
Während die Staphylococcen von allen Seiten genügend ge¬
würdigt werden, sind über die Streptococcen bei Ekzemen
nur mehr vereinzelte Angaben zu finden; man ist gewohnt, die
ersteren als fast selbstverständliche Gäste bei verschiedenen Er¬
krankungen der menscldiehen Haut zu treffen, bei den letzteren
hat man von einer gleich grossen oder auch nur vergleichbaren
Ubiquität kaum gesprochen.
Meines Wissens haben zuerst G i 1 c h r i 91 [4] und Sabou¬
raud dio relative Häufigkeit der Streptococcen bei Hautkrank-
’) Von dieser allgemein für richtig gehaltenen Anschauung
welchen die Befunde Levy’s [13] ab, der bei 200 Eiterungen
verschiedenster Natur Stapliyl. pyogenes albus viel häufiger als
Stnpliyl. aureus fand und auch die Behauptung nicht bestätigen
konnte, dass der Albus zu milderen Erkrankungen führe.
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17. September 1901.
MUENOHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1485
hoiten betont. Ersterer fand bei 300 veeiculösen und pustulösen
Ilautefflorescenzen verschiedenster Natur auffallend häufig
Streptococcen. Dann war es wesentlich Sabouraud [15],
welcher wie die Impetigo Fox (= contagiosa), so auch gewisse
impctiginöse Komplikationen des Ekzems, seröses Nässen auf
Streptococcen zurückführte und sogar eine eigene, bisher wohl
meist zu den Ekzemen gerechnete Erkrankung (Dermite chro-
uiquo ä streptocoques) als durch die Streptococcen bedingt bo-
zeichnete.
Er kam zu dieser Anschauung vor Allem auf Grund der An¬
wendung einer sehr bequemen Methode, welche die Konstatirung
auch weniger Streptococcen mit Leichtigkeit gestattet.
Das Wesentlichste dieser Methode ist die Verwendung flüssiger
Nährböden in hoher Schicht. Zu diesem Zweck nimmt Sabou¬
raud sterile Pipetten, aspirirt einige Tropfen der zu untersuchen¬
den Flüssigkeit, dann noch 1—2 ccm des Kulturmediums (Ascites,
Ascltes-Bouillon, Bouillon), worauf das ausgezogeue Ende der Pi¬
pette zugeschmolzen wird.
Ich selbst Wich etwas von der Vorschrift Sabouraud’s ab,
indem zunHchst die etwa 10—12 cm lange und etwa 2—3 mm lm
Durchschnitt messende, an einem Ende spitz ausgezogene Pipette
an diesem Ende zugeschmolzen und hierauf von der anderen
Oeffuung angefüllt wurde; der obere Verschluss geschah mit einem
Wattebausch. Die Impfung wurde so vorgenommen, dass nach
Abnahme des Wattebausches mit der Platlnöse einige Tropfen der
zu untersuchenden Flüssigkeit oder Schuppen und Krusten ln die
Pipette gebracht wurden. Diese kam, so beschickt, für 24 Stunden
In den Brütofen, nach welcher Zeit Streptococcen meist in langen
Ketten bereits gewachsen waren.
Als Nährboden diente nach Sabouraud’s Vorschrift As¬
cites, dann auch Hydrocelen- und Ovarialkystomflüssigkeit, haupt¬
sächlich aber eine-lproc. Traubenzuckerbouillon nach Walt-
hard (25], in welcher Streptococcen sehr gut wachsen. (Aq. dest.
1000,0, Pept. sicc. 20,0, Traubenzucker 10,0, Kochsalz 5,0.) Wenn¬
gleich es selbstverständlich auch mit anderen Methoden gelingt,
Streptococcen nachzuweisen, so ist doch das eben kurz beschriebene
Verfahren ausserordentlich einfach; es scheint mir den Nachweis
sehr geringer Streptococcenmengen sehr zu erleichtern. Zum wei¬
teren Studium kommen natürlich alle Methoden der Isolirung
(nachträgliches Plattenverfahren, Zusatz von P a r i e 11 i’s Flüssig¬
keit zur Bouillon) in Betracht.
Mit dieser Mothodo untersuchte ich über 100 Fälle der ver¬
schiedensten Arten von Hautefflorescenzen, und zwar wesentlich
solche, bei welchen Flüssigkeit produzirt wird: Bläschen, Pusteln,
nässende, erodirto Flächen, Ulcerationen etc. I n 53,7 P r o c.
der Fälle, bei den verschiedenartigsten Krank¬
heiten fand ich Streptococcen: bei Ekzem (unter
27 auf diese Weise untersuchten Fällen 17 mal), bei Ulcus
c r u r i 8, Impetigo vulgaris, luetischen Papeln, Acne neorotica,
Neurodermitis chronica, Lupus vulgaris, Scabies, Ekthyma, Faul¬
ecke etc. Hauptsächlich in nässenden Ekzemflächen und bei
Ulcus cruris’) sind die Kettencoccen sehr reichlich, doch kon-
statirte ich sie auch in Pusteln (Pyodermien, Crotonderma-
titiden).
Auf Grund dieser, wie ich wohl sagen darf, überraschend
grossen Häufigkeit, mit welcher sich Streptococcen bei so ver¬
schiedenartigen und so „banalen“ Hautaffektionen finden, ist
cs selbstverständlich hier, wie bei den Staphylococcen, ausser¬
ordentlich schwer, zu sagen, ob sie für irgend eine bestimmte
Form, wie z. B. die von Sabouraud beschriebene, wirklich
eine im eigentlichen Sinne aetiologische Bedeutung haben; es
ist aber auch ausserordentlich schwer, zu behaupten, dass und
in wie weit sie den Ablauf einer Laesion beeinflussen. Ich
möchto hier z. B. nur einen Fall erwähnen, in dem ein Lupus
nach der Hollände rischen Heissluf tmethode behandelt worden
war; es fanden sich unter dem Schorf zu wiederholten Malen
reichliche Streptococcen, Anfangs in Reinkultur, später mit
Staphylococcen; trotzdem war der Verlauf ganz normal (kein
Fieber, keine Entzündung in der Umgebung).
Das Vorkommen von Streptococcen bei so vielen Hautkrank¬
heiten, bei denen man bisher ihre Anwesenheit kaum vermuthet
hatte, legte natürlich die Frage sehr nahe: Was wissen wir
von dem Vorkommen von Streptococcen auf
normaler Haut? Denn am wahrscheinlichsten ist es doch
sowohl für die gelben Staphylococcen als auch für die Strepto¬
coccen, die sich bei so vielen „banalen“ Affektionon finden, dass
sie in einzelnen eventuell schwer auffindbaren Exemplaren auf
*) Saboraud ist nicht abgeneigt, das Ulcus cruris Simplex
geradezu als „chancre chronique streptococclque“ zu bezeichnen;'
neben Circulationsstörungen etc. sei das Priinuiu movens der
Streptococcus. (Prat. dermatol. Paris 1900: Dermatophytes.)
der normalen Haut vorhanden sind, durch die Hauterkrankung
in günstigere Ernährungsbedingungen gesetzt, sich vermehren t
und dadurch leicht nachweisbar werden.
In der Literatur sind mir nur einige kurze Notizen über das
Vorkommen von Streptococcen auf normaler Haut bekannt ge- ;
worden. Während M a r k o f f [14] sie niemals : fand, konnte '
W 1 g u r a [26] „Streptococcus pyogenes“ und „Streptococcus llquc.
faclens“ züchten. V e 111 o n [24] erwähnt ganz kurz die Anwesen¬
heit der Streptococcen auf normaler Haut, ebenso S c h o 11 z uiid
Raab [16], unter Hervorhebung ihrer relativ grossen Seltenheit
den Staphylococcen gegenüber.
Ich kratzte mit einem ausgeglühten Scalpell eine etwa fünf¬
francsstückgrosse Hautstello gründlich ab und brachte dieses
Schuppenmaterial mit der Platinöse in die Pipette.
In 7,5 Proc. der untersuchten 160 Stellen
(bei 55 Menschen — zur Untersuchung kam normale Haut der
Achselhöhle, Bauchgegend, des Rückens, Arms, Oberschenkels —)
waren Streptococcen anwesend.
Bezüglich der Körperstellen möchte ich betonen, dass ich
Streptococcen hauptsächlich in der Achselhöhle, am Rücken,
seltener auf der Vorderseite des Oberschenkels fand; doch möchte
ich hierauf kein grösseres Gewicht legen.
Dio Streptococcen, welche ich von normaler Haut und von
den oben erwähnten Dermatosen züchtete, stimmten in ihrem
Aussehen in den Pipettenkulturen (makro- und mikroskopisch)
mit einander überein. Es handelte sich meist um lango Ketten
von 15—20 und mehr Gliedern mit einer auf der Richtung der
Kette senkrechten Theilungslinie — demnach Streptococcus
longus. (Flügge.)
Der wichtigen und schwierigen Frage nach der Patho¬
genität dieser Mikroorganismen kann ich erst in einer späteren
Arbeit nähertreten.
Die Thatsache steht jedenfalls fest, dass auch auf nor¬
maler Haut bei einer relativ nicht geringen
Anzahl von Menschen Streptococcen gefunden
sind. Es liegt nahe, aus ihrem so ausserordentlich häufigen
Vorhandensein in banalen Hautkrankheiten den Schluss zu ziehen,
dass geeignetere Untersuchungsmethoden — z. B. dio Entnahme
noch grösserer Mengen von Material — das Vorkommen von
Streptococcen auch auf normaler Haut noch häufiger ergeben
würden.
Ich kann an dieser Stelle auf die allgemeine Bedeutung
dieses Ergebnisses nicht eingehen, ich möchte bloes auf die Ana¬
logie mit dem Vorkommen von Streptococcen auf normalen
Schleimhäuten hinweisen.
II. Bacteriologie der arteficiellen Dermatitiden.
Bei der Besprechung der Aetiologie der Ekzeme und bei
ihrer Abgrenzung anderen Krankheitszuständen gegenüber haben
von jeher die arteficiellen Dermatitiden eine beson¬
dere Rollo gespielt. E 9 war seiner Zeit zweifellos ein ausser¬
ordentliches Verdienst Ferd. Heb ra’s, dass er gerade auf Grund
der genauen Beobachtung künstlich gesetzter Hautentzündungen
die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Stadien der Derma¬
titis erkannte, die bis dahin mit verschiedenen Namen be¬
nannt und als verschiedene Krankheiten bezeichnet wor¬
den waren. Der Standpunkt, dass die arteficiellen Der¬
matitiden gleichsam das Prototyp der Ekzeme sind, wird
auch jetzt noch von Kaposi [7] — und ebenso auch
z. B. von T ö r ö k [18] — gewahrt. Auf dem entgegengesetzten
Standpunkt standen und stehen die französischen Autoren, welche
die Dermatitiden von der Krankheit „Ekzem“ streng sondern,
und welche nur die Möglichkeit zugeben, dass bei einem dis-
ponirten Individuum eino arteficielle Dermatitis „ekzemat-isirt“*
oder dass durch eine Dermatitis ein Ekzem provozirt werden
kann. Auf diesem Standpunkt steht auch Unna, für welchen
jedes Ekzem eine primär parasitäre Krankheit war und ist.
N e i s s e r [14a] macht ebenfalls im Prinzip eine Scheidung
von Dermatitiden auf Grund bestimmter äusserer Ursachen und
von Dermatitiden „mit spezifischer Epithelalteration = ekzema¬
töse Erkrankungen“; aber die wichtigste Differenz, die er in
seinen Ausführungen hervorhebt ist die, dass er „das Chronisch¬
werden“ als geradezu pnthognomonisch für die Ekzemkrankheiten
ansieht; da er andererseits akute Ekzeme anerkennt und Queck¬
silber-, Jodoform- etc. Dermatitiden auch unter den Ekzemen
nnfiihrt, so ist für ihn die Scheidung wohl wesentlich eine prak¬
tisch-klinische. •
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1486
MUENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT.
No. 3a
Die Frage nach der Abgrenzung der arteficiellen Dermati-
tiden von den Ekzemen ist nicht bloss eine theoretische; sie hat
auch die Bedeutung, dass wir aus diagnostischen, und vor Allem
aus therapeutischen Gründen eine scharfe Deutung des bisher so
unbestimmten Begriffs „Ekzem“ anstreben müssen; denn dass die
eigentlichen arteficiellen Dermatitiden mit uns bekannter Ur¬
sache sich therapeutisch anders verhalten, als die „idiopathischen.“
Ekzlme, leuchtet ohne Weiteres ein. Mit der Diagnose: arte-
ficielle Dermatitis nach dem oder jenem schädlichen Agens, haben
wir meist schon den wesentlichsten Schritt zur Heilung gethan.
Es wäre also auch aus diesen sehr praktischen Rücksichten
wichtig, wenn wir eine scharfe Grenze zwischen beiden Gruppen
machen konnten;
Ich selbst bin dieser Frage aus anderen Gründen nahege¬
treten. Wenn die Wiener Schule mit ihrer Identifizirung recht
hätte, so wäre ja die Untersuchung der arteficiellen Dermatitiden
der bei Weitem Geeignetste und leichtest zu begehende Weg, um
über die Bedeutung, welche die Staphylococcen- und Strcpto-
coccen-Infektion für den Ablauf der Ekzeme hat, in’s Klare zu
kommen. Ich habe diesen Weg um so vertrauensvoller betreten,
als die Hoffnung bestand: wenn selbst strenge Differenzen
zwischen arteficiellen Dermatitiden und Ekzemen sich erweisen
Hessen, so würden sich doch vielleicht, bei den unzweifelhaften
und mannigfachen Aehnlichkeiten beider, Analogie-Schlüsse von
den ereteren auf die lotzteren ziehen lassen.
In Bezug auf das literarische Material, das ln dieser Frage
vorliegt, kann Ich mich kurz fassen. Bel den von v. Sehlen [17]
(1890) untersuchten, durch Antlseptica (Sublimat, Jodtinktur,
PyrogalluS, Chrysarobin) auf verschiedenen Hautkrankheiten her-
vorgerUFenfen eitrigen Dermatitiden fehlten Mikroorganismen ent¬
weder vollständig oder sie waren reichlich vorhanden. T ü r ö k
und Roth [18] konnten aus deutlich pustulösen Efflorescenzeu
einer Quecksilberdermatitls Bacterien nicht züchten, ebenso nicht
aus Vesikeln, selbst nicht ans trüb gewordenen (bei Oroton- Und
Subllmatdermatitte). Gilchrlst [4] fand eine Crotonölpustel
steril, ebenso eine SubUmatdermatitis. Am wichtigsten sind die
Angaben Sabouraud’s [15], dass die traumatischen
Dermatitiden eigentlich Mikrobienkrankheiten
sind; Theerakne, Crotonöl-, Thapsia-, Terpeutinpustelu seien
nichts anderes als Staphylococcenpusteln („impßtigos provoquös“);
ebenso kennt Sabour&ud eine chronische „dermite
ü staphylocoque s“, deren Gegenstück die „d e r in i t e
chronlque ä streptocoques“ bildet;, erstere ist durch
eine mlliäre Pustulation, letztere durch das seröse Nässen und
die I/lcheniflcatkm eharakterislrt; bei beiden bilden allerdings neben
den Eitercoccen traumatische Momente wichtige Faktoren.
Herr Prof. J adassohn hat schon in Paris betont, eine
wie grosse prinzipielle Wichtigkeit diesen Befunden zukommt.
Sie würden einen neuen Beweis für die Ubiquität des Staphylo-
coccus aureus auf der Haut, speziell in den Follikeln, abgeben;
sie würden den Analogieschluss gestatten, dass auch bei den
Ekzemen den Staphylococcen und eventuell den Streptococcen
dieselbe wesentliche Rolle zukommt, welche ihnen Sabouraud
bei seinen „knpätigos provoquäs“ zu schreibt. Es handelte sich
also zunächst darum, eine grössere Anzahl von arteficiellen Der¬
matitiden auf ihren Bacteriengehalt unter verschiedenen Um¬
ständen zu untersuchen.
Ich habe in dieser Beziehung Folgendes feststellen können:
Vor allen Dingen möchte ich hervorheben, dass es mir gelang
Crotonöldermatitiden in grösserer Zahl (10 Fälle)
steril zu finden, und zwar sowohl solche, welche auf desinfizirter
(4 Fälle), als aueh solehe, die auf nicht desinfizirter Haut (6 Fälle)
entstanden waren. Es war dabei das typische klinische
Bild einer Crotonöldermatitis vorhanden: Schwel¬
lung, Röthung, Papel- und Pustelbildung; häufig mit ziemlich
deutlieh folliculärem Sitz; speziell auch Pustelinhalt
erwies sich vollkommen steril. In 9 Fällen von
Crotondermatitia waren in dem Vesikel- und Pustelinhalt nur
wenig Bacterieo (Staph. albus cereus, pyogenes albus, pyogenes
aureus); in 9 Fällen waren sehr reichlich Mikroorganismen,
wesentlich Staphylococcus aureus, dann Streptococcen vorhanden.
Die bacterien reichen Crotonölefflorescenzen unterschieden sich
makroskopisch in nicht erkennbarer Weise von den sterilen; nur
war bei ersteren die folliculäre Anordnung nicht so deutlich
erkennbar.
(Ueber das histologische Bild siehe weiter unten.)
Bei pustulösecr Theerdermatitis am Kopf fand ich Rein¬
kulturen von Staphylococcus aureus. Dermatitiden, welche nach
Anwendung von Antisepticis entstanden waren, resp. nach
solchen Mitteln, welche bloss das Wachsthum der Bacterien
hemmen, erwiesen sich in ihren Anfangsstadien — Papel- und
Vesikelbildung — meistens steril oder enthielten wenig Bacterien
(Staph. alb. cer.) — später (z. B. im nässenden Stadium der Jodo-
formdermatitis) waren sehr reichliche Staphylococcen, wesentlich
der aureus, seltener der albus vorhanden.
So verhielten sich Entzündungen durch Jodoform,
Sublimat, Jodtinktur. Bei Pyrogallusderma-
t i t i s konstatirte ich theils sterile Pusteln, theils solche mit
reichlichen gelben Staphylococcen; die Pusteln bei Queek-
silberdermatitis waren entweder steril oder enthielten
wenig weisse Staphylococcen. Eine vesioulöse Resorcin-
dermatitis war steril.
Diese Untersuchungen ergaben also Resultate, welche nur
zum Theil mit denen Sabouraud’s übereinstimmen. (Die
Gründe, warum z. B. bei der Crotondermatitia meine Befunde
von den seinen verschieden sind, könnten in dem Material, z. B.
in Verschiedenheiten der Lokalisation, liegen; so waren die auf
dem behaarten Kopf von miT steril befundenen Crotonefflores-
cenzen allerdings auf einer vorher mit Antjaqpticis behandelten
Haut entstanden, während die an den Armen entstandenen auch
ohne vorhergegangene Desinfektion meistens steril waren.) Iu
jedem Falle bedarf der Satz, dass die arteficiellen Dermatitiden,
wie sie sich uns klinisch darstellen, baoterieller Natur sind, einer
starken Einschränkung. Die Thatsache, dass an der Haut sterile
Eiterungen auch beim Menschen Vorkommen, muss anerkannt
werden.
Für die uns hier in erster Linie interessirende Ekzemfrage
möchte ich aus diesen Resultaten Folgendes schliessen: Es ist
nach dem oben Gesagten ohne Weiteres klar, dass bakterio¬
logisch die arteficiellen Dermatitiden sich
im Ganzen ebenso verhalten, wie die banalen
Ekzeme — aueh bei ihnen gibt es im Princip sterile Efflorcs-
conzen; auch hier sind specicll gelbe Staphylococcen ausser¬
ordentlich häufig und zahlreich zu finden.
Die ausserordentlich grosse Bedeutung, welche für den Ab¬
lauf der Ekzeme von vielen Seiten den pyogenen Mikroorganismen
beigelcgt wird, gründet sich 1. auf den von Sabouraud*) be¬
tonten Satz, dass Bacterien, die sich in grossen Mengen in einer
Laesion finden, eine Bedeutung für dieselbe haben müssen; 2. auf
die Thatsache, dass gewisse Komplikationen der Ekzeme, wie
Furunkel, folliculäre Impetigo, auch unabhängig von Ekzemen
und arteficiellen Dermatitiden Vorkommen und dann sicher durch
die pyogenen Coccen verursacht werden; 3. darauf, dass man
bei den meisten vollentwickelten Ekzemen. Staphylococcen findet,
und 4. auf die von S c h o 11 z und Raab [16] publizirten Ver¬
suche, wonach arteficiell gereizte Hautstellen durch Staphylo-
coceen in wirkliche Ekzemflächen umgewandelt werden können.
Von diesen Momenten Ist das zweite zweifellos richtig; schon
längst waren diese Komplikationen auf sekundäre Infektionen bei
Ekzemen zurückgeführt worden; sie sind aber keineswegs bei
allen Ekzemen vorhanden, sondern stellen wirkliche Kompli¬
kationen dar.
Was die Massen haftlgkelt des Vorkommens
pyogener Mikroorganismen betrifft, so macht diese eine Wirkuug
derselben in der That wahrscheinlich, aber noch keineswegs sicher.
Wir wissen doch auch, dass auf gesunden Schleimhäuten Mikro¬
organismen sich in grosser Menge finden können.
Die Constanz des Vorkommens der Staphylococcen
hat gerade bei Mikroorganismen, die fast immer auf der Haut vor¬
handen sind, nicht mehr so grosse Bedeutung. Die von S c h o 11 z
und Raab angestellten Versuche haben zwar für die Entstehung
der Ekzeme als solcher keine Bedeutung mehr, da S c h o 11 z
selbst — wie oben bemerkt — die Sterilität der primären Ekzero-
efflorescenz anerkannt hat; aber man kann dieselben, da doch nicht
an den thatsächlichen Befunden, sondern nur an ihrer früheren
Deutung Kritik geübt worden ist, bei der uns hier interessirenden
Frnge sehr wohl heranziehen; man könnte sagen: eine leichte
Reizung läuft oliue Weiteres ab; kommen aber Staphylococcen
hinzu, so entsteht ein beträchtlicheres Krankheitsbild und nurdieses
ist damals als Ekzem gedeutet worden. Auf diese Diagnose werden
S e li o 11 z und Raab naturgemäss kein Gewicht mehr legen.
Al>er auch die Annahme, dass hier die Invasion der Staphylococcen
selbst, es war, welche die stärkere Entzündung bedingt habe, ist
nicht ohne Weiteres zu aceeptiren. Denn es könnte auch sehr
wohl sein, dass nur die Toxine der Staphylococcenkulturen eine
stärkere Entzündung bedingt haben, ohne dass es sich um eine In-
*) Sabouraud: Essai critique sur T^tiologle de l'eezC*nia
Ann. de derm. 1899.
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17. September 1901.
fektion handelte, ganz ebenso, wie z. B. eine Sublimatlösung als
weiteres Reizmittel gewirkt hätte. 4 )
Die Versuche endlich, welche beweisen sollten, dass die
Staphylococcen auch in der Tiefe des Gewebes sitzen, haben
Brocq und Veillon [2], Török und Roth [18] negative
Resultate ergeben; auch ich habe sie nicht bestätigen können.
Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass, wie
Brocq und Veillon [2] erwiesen haben, Desinfektion eines
nässenden Ekzems und Verband mit einem Zinkleim das Nässen
auch dann für einige Tage nicht aufhielt, wenn der Kulturversuch
nach Abnahme des Verbandes bewies, dass die Desinfektion voll¬
ständig Stand gehalten hatte. Auch diesen Versuch habe ich mit
dem gleichen Resultat wiederholen können. Er macht es wahr¬
scheinlich, dass das Nässen, ein sehr wichtiges Symptom beim
Ekzem, auch ohne die Anwesenheit von Coccen weiterbesteheu
kann.
Hier nun möchte ich auch meine Versuche mit arteficiellen
Dermatitiden heranziehen. A priori hätte man annehmen können,
dass die Infektion einen wesentlichen Einfluss auf den Ablauf
des Processes ausüben würde: Es ist auch zweifellos, dass dies
in manchen Fällen geschieht, z. B. wenn im Anschluss an arte-
ficielle Dermatitiden Furunkel auftreten. Wenn aber Pusteln
entstehen können, ohne dass eine Infektion
nachweisbar ist, wenn der Ablauf einer infizirten Der¬
matitis in wiederholten Fällen weder schwerer noch länger dauernd
ist als bei einer nicht infizirten, so resultirt der Eindruck, dass
mindestens oft die Bedeutung dieser Infektion für die klinische
Betrachtung sehr gering ist oder fehlt und ganz das gleiche
kann m. E. auch für viele Ekzeme zutreffen.
Wir sehen z. B. Jodoformdermatitiden — welche man ja
lange Zeit fast allgemein als Ekzeme bezeichnet hat — mit
massenhaften Staphylococcen, in kurzer Zeit ablaufen; welche
Bedeutung haben dann dabei die Staphylococcen im klinischen
Sinne gehabt? Wir sehen, dass bei chronischen Ekzemen, auf
denen man ja immer Staphylococcen findet, neue Ekzemefflores-
cenzen entstehen, die sich steril erweisen; welche Bedeutung
haben dann für diese Efflorescenzen die auf den Ekzemflächen
wohnenden Staphylococcen ?
Wenn wir also für jetzt die Bedeutung der Eitercoccen für
den klinischen Ablauf der Ekzeme beurtheilen wollen, so müssen
wir uns, gerade auf Grund meiner Beobachtungen an arteficiellen
Dermatitiden, m. E. sehr vorsichtig ausdrücken.
Wir können auch jetzt noch nicht mehr behaupten
als was Prof. J a d a s s o h n [2] in der 2. These seines Kongress¬
referates ausgesprochen hat: „Bei diesen Processen (sterilen Ekzem¬
bläschen) wie boi vielen anderen Dermatosen können wir meistens
die Invasion der banalen Mikroorganismen konstatiren, welche
auf der Haut und in der Umgebung des Menschen sich finden
(Staphylo- und Streptococcen). Die Folgen dieser Invasion sind
abhängig von der Virulenz der Mikroben, von der lokalen und
allgemeinen Prädisposition des Patienten und von der Natur des
ursprünglichen Krankheitsprocesses. Es entstehen so Alterationen,
welche eine lange Serie sehr verschieden starker Hautreaktionen
ausmachen, von der minimalsten Reizung bis zur starken Im-
petiginisation, von der hinfälligsten leichtesten Laesion bis zum
schweren und chronischen Ekzem (sekundäre banale Infektionen
auf wahrem Ekzem, auf arteficiellen Dermatitiden, auf parasitären
Ekzemen).“
Ich brauche nicht hervorzuheben, dass auch nach meiner An¬
sicht die Häufigkeit und die Zahl der Staphylococcen bei den Ek¬
zemen und ihr Vorkommen bei arteficiellen Dermatitiden nicht
bloss allgemein pathologisch, sondern auch für die Erklärung
der Komplikationen der Ekzeme und für die Therapie
eine grosse Bedeutung hat.
m. Vergleichende Histologie des Ekzems und der arteficiellen
Dermatitiden.
Meine Untersuchungen über die bakteriellen Infektionen der
arteficiellen Dermatitiden im Vergleich zu den Ekzemen haben
mich naturgemä8s auch zu der oben schon berührten Frage ge¬
führt, inwieweit eine Scheidung dieser beiden Gruppen morpho¬
logisch, d. h. makro- und mikroskopisch möglich ist. In der
Klinik gelingt es uns zwar sehr oft, ohne Weiteres die Diagnose
auf arteficielle Dermatitis zu stellen und wir gehen mit dieser
4 ) Diese auch schon von Jadassohn auf dem Pariser Kon¬
gress ausgesprochene Hypothese Ist in einer (während der Druck¬
legung dieser Arbeit erschienenen Mittheilung von Bender,
Bockhart und G e r 1 a c h (Monatsh. f. prakt Dermatologie,
No. 4) als richtig erwiesen worden.
No. 88.
1487
Diagnose meistens nicht fehl. Aber wenn wir überlegen, auf
welche Thatsachen wir sie stützen, so kommen wir zu dem Re¬
sultat, dass wir mehr äussere Momente, wie Lokalisation und Ab¬
grenzung benutzen, als die wirkliche Eigenart der Efflores-
eenzen und dass wir immer speciell bei sehr akuten Processen an
die Einwirkung äusserer Agentien zu denken geneigt sind. So
kommt es denn auch, dass wir umgekehrt oft genug fehlen, in¬
dem wir einen Krankheitsproeess als ein „idiopathisches“ Ekzem
ansehen, der sich nachher als eine „arteficielle Dermatitis“
herausstellt. Wir müssen nothwendiger Weise annehmen, dass
die ausserordentlich ekzemähnlichen Dermatitiden, welche jetzt,
in gar nicht so seltenen Fällen mit Sicherheit auf die Primula
obconica zurückgeführt werden können, bis vor kurzer Zeit wirk¬
lich als Ekzeme diagnosticirt worden sind, und ebenso ist es
früher mit den Jodoformdermatitiden gegangen; das heisst doch
nichts anderes, als dass eben für unsere bisherige klinische Be¬
trachtungsweise manche Dermatitiden mit ganz bestimmter
äusserer Ursache etwas Charakteristisches den idiopathischen
Ekzemen gegenüber nicht haben.
In dem oben erwähnten Sinne wäre es praktisch sehr wichtig,
wenn wir durch genaue klinische Untersuchung zu einer Diffe-
renzirung der arteficiellen Dermatitiden von den Ekzemen
kommen könnten, und wenn bisher die klinische Untersuchung
dies nicht immer gestattet, so könnte vielleicht die histo¬
logische Differenzen aufdecken, die dann das geschärfte
Auge auch klinisch wahmehmen könnte.
Auch aus diesem Grunde — ganz abgesehen von dem theo¬
retischen Interesse — sind die histologischen Untersuchungen
über arteficielle Dermatitiden, welche von mehreren Autoren
(Touton[19], Kuli sch [12], Unna [20], Hodara [15],
Engmann [3], Kellogg [8], Kopytowsky [9] etc.)
gemacht worden sind, von Bedeutung. Ich kann hier auf sie alle
nicht eingehen; sie haben ergeben, dass nach verschiedenen Reiz¬
mitteln die histologischen Veränderungen im Ganzen verschieden
sind. Ich möchte hier nur in aller Kürze über einige Befunde
berichten, die ich selbst erhoben habe, und die als Ergänzung
zu den oben berichteten baeteriologischen Untersuchungen bei
Dermatitiden nothwendig sind.
Ich habe ausser Idiopathischen Ekzemen Dermatitiden nach
C r o t o n ö 1, nach Cant h ariden pflaster und nach
J odoformgebrauch untersucht.
Bel den akuten Ekzemeffloresceuzeu ist das intercelluläre
Oedem, dessen stärkste Ausbildung Unna [20] als Status
spongoides bezeichnet hatte, von verschiedenen Seiten (Morgan-
1» o c k r c 11 [2], Sabouraud [2], S c li o 11 z, Kongress Breslau
1901, etc.) beschrieben worden; ich kann diesen Befund, bei dem
die Auswanderung der Leukocyteu zuerst sehr in den Hintergrund
tritt, für das Ekzem bestätigen; es kommt daun noch hinzu das
Oedem der Papille, die etageuweise Anordnung der Bläschen, die
Parakeratose etc. Von diesen Befunden sind die bei C ro tonöl-
dermatitis wesentlich durch das Vorwiegeu der folliculären
Pustulosis unterschieden; schon Uuna [20] (auf Grund von
Kuiisch’s Untersuchungen) hat die Aehnlicnkeit derselben mit
Impetigo hervorgehobeu, während sie, wie oben betont,
Sabouraud [15] geradezu als solche bezeichnete. Ich muss
speciell in Rücksicht auf letzteren Punkt darauf hlnweisen, dass
folliculäre Eiterungen In sehr ausgesprochener Weise
auch bei den von mir histologisch untersuchten Crotondermatitiden
vorhanden waren, trotzdem die aus ihnen angeleg¬
ten Kulturen sich steril erwiesen hatten; es ergibt
sich also aus den histologischen wie aus den baeteriologischen und
klinischen Befunden, dass pustulöse Folliculitis auch
ohne Coccenlnfektion statthaben kann. Von den
verschiedenen Details, die sich mir bei der Crontonöldermatitis
ergeben haben, möchte ich nur noch Dreierlei hervorheben.
1. Zuweilen kommt es Uber der rein folliculären Pustel zu
einer Art Vesikelbildung; die Hornschicht ist ln ziemlich weitem
Umkreis um die Folllkelöflfnung abgehoben, wodurch ein supra-
folliculäres Bläschen entsteht, dessen Inhalt aus körnigen Nieder¬
schlägen, wenig mono- und polynucleären Leukocyten, abgerundeten
Epitbelien besteht; die den Boden bildende Reteschicht ist mit
Leukocyten durchsetzt. Das ganze Bild erinnert in vielen Be¬
ziehungen an die Darstellung der Impetigo vulgaris im Atlas von
Unna [23].
2. In der folliculären Pustel findet man zuweilen neben Leuko¬
cyten und Epithelien, die aus dem Verband gelöst sind, typische
Riesenzellen mit mehreren, häufig wandstiludigen, mehr oder
minder stark färbbaren Kernen. Diese Riesenzelleu haben speciell
mit tuberkulösen grosse Aehnlichkelt.
3. Im Rete Malpighl ist in der Umgebung der Pusteln stellen¬
weise deutllclist ausgesprochener Status spongoides aus-
gebildet.
Ganz anders verhält sich die Oantharidlndermatitis.
Nach Unna [20] und K u 11 s c li [12] handelt es sich bei dieser
G
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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1488
MÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
um (»Ino fliiehenhafte. unregelmässige Zerreissung <ler Epidermis
in Vereinigung mit starker Zellnekrose und Proliferation.
Dieser Darstellung muss ich liiuzufiigen, dass neben diesen
grossen Ilohlräumeu, in denen Fibrin, vereinzelte Leukoeyten und
aus ilirem Verbände losgelöste, abgerundete Epithelieu mit mel»r
oder weniger gut färbbarem Kern vorhanden sind, in der Um¬
gebung Status spongoides ebenfalls nicht fehlt.
Alteration eavitaire ist nicht häutig, ebenso sind Verände¬
rungen in der Cutis hier sehr unwesentlich.
Bei der Jodoform dermatitis, von welcher ich in der
Literatur histologische Beschreibungen nicht habe finden können,
habe ich 3 Präparate (2 im oedematös-erythematösen, 1 im
vesikulösen Stadium) vom Menschen untersuchen können. In
den jüngsten Stadien habe ich Herdehen in der Epidermis und
zwar in den mittleren und tieferen Schichten des Rete konstatirt,
in denen unzweifelhaft Status spongoides vorhanden war; an
diesen Stellen waren auch Veränderungen zu sehen, welche mehr
der „Alteration eavitaire“ Leloir’s zu entsprechen schienen,
Leukoeyten waren nur in geringer Zahl in das Epithel aus¬
getreten. In der Cutis ist neben der wesentlich mononucleären,
meist den Gefässen entlang lokalisirten, ziemlich tiefgehenden
massigen Infiltration das Vorhandensein von grossen, flächenhaft
ausgedehnten Hohlräumen erwähnenswerth, welche mit W e i *
gert’scher Färbung gut tingirbares Fibrin enthielten und
in deren Wand ganz vereinzelte Endothelkorne sichtbar waren.
Zöllige Elemente fehlten in diesen Räumen, diese hatten keine
besondere elastische Wand, auch war ein elastisches Fasernetz
wie bei Lymphgefässon nicht erkennbar. Ich möchte annehmen,
dass es sich um eine fibrinöse Exsudation in’s Bindegewebe, resp.
in Lymphspnlten handelte.
ln dein Präparate, das einer schon ausgebildeten vesikulösen
Dermatitis entnommen wurde, war das Rete durchsetzt mit sehr
zahlreichen, vielfach über einander gleichsam aufgethürmten
ovalen und kreisförmigen, von einander durch dünne Epithel¬
spangen getrennte Hohl räume; diese enthielten reichlich echtes
Fibrin, poly- und mononueleäre Leukoeyten, freie Epithelion,
deren Kon touren entweder abgerundet oder nicht verändert, deren
Kern und Protoplasma gut färbbar waren; der Leukocytengehalt
war sehr wechselnd, zuweilen sehr erheblich, an anderen Stellen
sehr gering. Auch bei reichlichem Leukocytengehalt war Fibrin
mit der W c i g e r t’schen Methode nachweisbar. Im Papillar¬
körper waren starkes Oedem, fibrinöse Gerinnungen, Verdrängung
der elastischen Fasern die wesentlichsten Veränderungen; in der
Cutis sind die. gewöhnlichen Entzündungserscheinungen zu er¬
kennen, Mastzellen ziemlich reichlich vorhanden.
Im Allgemeinen zeigt die Jodoformdermatitis keine besondere
Vorliebe für die Follikel, doch kommen auch an diesen Verände¬
rungen wie in der übrigen Epidermis vor.
Wenn wir diese hier nur ganz kurz geschilderten Bilder
überblicken, so sehen wir, dass sie alle sich von dem beim ein¬
fachen Ekzem gewöhnlich erhobenen Befunde unterscheiden.
Aber diese Differenzen bestehen, wenn wir von der ausge¬
sprochenen Pustulosis der Crotonöldermatitis absehen, meist
mehr in quantitativen Differenzen, und speziell die Jodofonn-
dermntitis weist wie klinisch, so auch histologisch grosse Aohn-
lichkeiten mit dem Ekzem auf; Differenzen bestehen eigentlich
nur in dem grösseren Leukoeyten- und Fibringehalt der Bläschen
bei der Jodoformdermatitis. Speziell der Status spongoides, der
noch als das charakteristischste histologische Symptom des Ek¬
zems gilt, findet sich bei allen hier besprochenen Zuständen, und,
wie auch von anderen Autoren anerkannt wird (Da rier [1],
Dackrell [2] etc.) auch bei anderen Ilauterkrankungcn, die
mit Ekzem gar nichts zu thun haben.
Es liegt mir ganz fern, auf Grund des hier Dargestellten
etwa für eine wirkliche Identificirung der arteficiellcn Derma-
titiden und der Ekzeme zu plädiren.
Aber es muss offen anerkannt werden, dass wir bisher scharfe
Unterscheidungen dieser beiden Gruppen im Allgemeinen weder
auf dem Gebiete der Klinik noch auf dem der in neuester Zeit
auch hier in den Vordergrund getretenen Bacteriologie haben.
Nach allgemeiner Ueberzeugung können arteficielle Dcrmatitiden
Ekzeme werden. Die Existenz akuter Ekzeme, welche ebenso
schnell heilen, wie die arteficiellcn Dermatitiden. kann nicht
geleugnet werden. Wenn uns die Klinik und die Histologie
auch gewisse Anhaltspunkte für die Entscheidung geben, ob
eine arteficielle Dermatitis vorliegt, so reichen diese doch'absolut
nicht aus, um bei den Processen, die man als typische Ekzeme
diagnostiziren muss, die Einwirkung einer einzelnen, ganz be¬
stimmten äusseren Ursache auszuschliessen.
So lauge diese Unsicherheit für die theoretische Forschung
besteht, so lange ist es auch unbedingt nothwendig,
jeden einzelnen Fall von Ekzem nach den
beiden Richtungen hin zu untersuchen, welche
in der Aetiologio dieser häufigsten Haut¬
krankheit die wesentlichste Rolle spielen:
einerseits auf alle möglichen inneren Zu¬
stände, welche die, gewiss oft nur zeitliche,
Disposition schaffen, andererseits auf alle
äusseren Ursachen, welche bei bestehender
Disposition ein Ekzem bedingen können.
3. Besnier, B r o c q. J a c q u c t: La pratlque deuiatologi-
que. Paris 1900—1901. — 2. Comptes romlus du IV. congrOs inter¬
national de dermatologie et de sypliiligrapbie. Paris 1900. —
3. Eng mann: Ein Beitrag zur Histologie der Joddermntitis.
Monatsh. f. prakt. Demi. Bd. 17. — 4. G i 1 c h r i s t: The bacterio-
logieal and microscopical Examinations of over 300 vesicular and
pustular Lesions of the skin. wlth some experimental Observatlous
(Amor, dermat. societ. Journ. of cut. and urin. diseases. Vol. XVII».
— 5. Hodara Menahein: Histologische Untersuchungen Uber die
Wirkung des Chrysarobius. Monatssclir. f. prakt. Denn. 1900.
Bd. XXX u. XXXI. — 0. Hodara Menahem: Histologische
Untersuchungen über die Einwirkung der Salycilsäure auf die ge¬
sunde Haut. Monatsh. f. prakt. Denn. Bd. XXIII. — 7. Kaposi:
Qu'est ee que l'^czfunn. Ann. de denn. Aout 1900. — 8. Kel¬
logg.I.: Itesorein in Dermatotherapie. Histolog. Kesearehes upon
its aetion on the healthy skin. The St. Louis iued. and surg. journ.
Bd. LXXIII, Xo. 3. 1897. Bef. Arch. f. Derm. u. Sypli. Bd. 48. —
9. Kopytowskl: Texturveränderungen der Haut, hervorgerufen
durch Vesicnntien. Nows Lekarsk. 1897. Bef. Arch. f. Denn.
Bd. 40. — 10. K re i bi ch K.: Becherclies sur la naturc para-
sitaire des eczcmas. Ann. de denn. 1900, No. 5. — 11. Kr ei¬
lt ich Iv.: Zur Eiterung der Haut. Festschrift, gew. Kaposi
1900. — 12. Kuli sch: Sind die durch Cantharidiu und Crotonöl
hervorgerufenen Entzündungen der Haut Ekzeme? Monatssclir.
f. prakt. Dermat. Bd. 17, S. 1. Bd. 20. S. 05. — 13. Levy E.: Ueber
die Mikroorganismen der Eiterung. Ihre Speeilicität. ihre Virulenz,
ihre diagnostische und prognostische Bedeutung. Arch. f. experitn.
Path. u. Plmrm. Bd. XXIX, 1891. Bef. Bamngart. .TahreshericliU*
1891. — 14. Mark off: Zur Frage der Hautverunreiuigung der
Kranken durch Mikroorganismen. Diss.. Petersburg 1894; ref.
Contralbl. f. Bact., Bd. XX, p. 004. — 14a. Neisser-Jadas-
solin: Krankheiten der Haut, in Ebstein-Schwalbe'*
Handbuch der praktischen Medicin. — 15. Sabouraud B.:
Etüde clinique et bncteriologique de l'lmpetlgo. Ann. de denn. 19XK
— 10. S c h o 11 z- et B a a b: Becherclies sur la nature parasitaire
de l’ecz^iua et de l'impCtlgo Tilbury-Fox. Ann. de denn. 1900. —
17. v. Sehlen: Ueber medikamentöse Eiterungen bei Haut¬
krankheiten. Centralbl. f. Bact. u. Parasltenk.. Bd. VIII, 1890. —
18. Török L., Roth A.: Bacteriologisclie Untersuchungen Uber
das vesiculöse und nässende Ekzem. Pest, med.-chir. Presse 1900,
Bd. XXXVI, No. 27. — 19. To u ton K.: Vergleichende Unter¬
suchungen über die Entwicklung der Blasen in der Epidermis.
Diss. von Freiburg, Tübingen 1882. — 20. U n n a: Histopathologie
der Hautkrankheiten. Berlin 1894. — 21. Unna und Moberg:
Versuch einer botanischen Klnssiflcation der beim Ekzem ge¬
fundenen Uoccenarten, nebst Bemerkungen über ein natürliches
System (1er Coccen überhaupt. Mon. f. prakt. Derm.. Bd. 31, S. 1.
— 22. IT n n a: Ueber die netiologische Bedeutung der beim Ekzem
gefundenen Coccen. Monatsh. f. prakt. Derm. 1900. No. 5. —
23. V n n a: Histolog. Atlas zur Pathologie der Haut, H. 3, 1899. —
24. Veilion: Becherclies bactOriologlqucs sur reezthnn. Ann.
de denn. 1900. — 25. Walthard: Untersuchungen des weib¬
lichen (Icnitalsckretc in graviditate und im Puerperium. Arch. f.
GyniiUolgie. Bd. XLVII1. 1895. — 20. Wigurn: Uelier Quantität
und Qualität der Mikroorganismen auf der menschlichen Haut.
Bef. ('entralbl. f. Bact., Bd. 17, 1895.
Aus dem bakteriologischen Laboratorium der Universitäts-
Frauenklinik (Prof. Dr. Döderlein) in Tübingen.
Experimentaluntersuchungen über Händedesinfektion.
Von
Dr. pliil. et med. Th. Paul und Dr. med 0. Sarwey,
a. o. Professor für analytische a. o Profes or u. Assistenzarzt
und pharmaccutische Chemie. a d. Univ. Frauenklinik.
(Schluss.)
II. Die von C. S. Haegier modificirte Desinfektion nach
Fürbringer.
In seiner Studie über die Iländedesinfektion berichtet
C. S. II ae gl er über eine Reihe sehr instructiver Versuche,
durch welche er einerseits Aufschluss über die Wirksamkeit der
einzelnen Komponenten der P. F ü r b r i n g e r’schen Desinfek¬
tion: Waschen der Hände mit heissem Wasser, Seife und Bürste
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17. September 1901.
MUENCHENER MEDICTNTSCHE WOCHENSCHRIFT.
1489
— Bürsten in Alkohol — Bürsten in Sublimatlösung —, und
andererseits über deren Zusammenwirken zu erhalten suchte.
Er kommt zu dem Resultat “), dass „man nur dann von einer
Sublimatdesinfektion Vortheil erhoffen kann, wenn
2. die Haut gründlich entfettet ist,
2. durch wann es Wasser und Seife aufgelockert ist, d. h.
die Falten und Buchten sich etwas geebnet, hauptsächlich auch
die Drüsentrichter sieh etwas abgellaclit haben,
3. durch ein mechanisch wirkendes Instrument (und am
besten wirkt noch immer die Bürste und das nachfolgende Ab-
reiben mit einem rauhen Tuch) sowohl die groben Verunreini¬
gungen, als auch die oberflächlichsten, übrigens labilen, ver¬
hornten Epidermiszellen entfernt wurden.“
Zur Entfettung der Haut empfiehlt er die Anwendung einer
Boluspaste, welche durch Verreiben von 1 kg Bolus alba (Pfeifen¬
erde) mit 700 ccm Wasser in einer Reibschalo hergestellt wird.
Dioe Paste, welche die Konsistenz von dickem Honig hat, soll
an den Händen verrieben und event. nach dem Abwaschen mehr¬
mals erneuert werden. Er erzielte die relativ besten Resultate
mit der Sublimatdesinfektion nach folgendem Verfahren:
1. 1—2 Minuten langes Entfetten der Iländo mit Boluspaste;
2. 5 Minuten lange« Reinigen der Hände (oxel. der im
Ganzen 1—2 Minuten dauernden, mehrfach vorgenommenen
Nagelreinigung) mit Kaliseife und Bürste in möglichst warmem
Wasser;
3. Abreibon der nände mit einem trockenen groben Tuch;
4. 3 Minuten langes Bürsten der Hände in 70proc. Alkohol;
5. 3 Minuten langes Bürsten der Hände in heisser 1 proni.
wässeriger Sublimatlösung.
lieber die bakteriologische Prüfung der Hände nach An¬
wendung dieses modifieirten Fürbringe Fachen Verfahrens
berichtet II negier Folgendes’*): „Boi 11 genau in dieser
W eise vorgenommenen Versuchen (nach Füllung des Subli¬
mats mit Sehwefeliiinmonium) gingen nur in einem Fall
zwei Kolonien in der Agarsehale auf, auch das gleich¬
zeitig beschickte Bouillonglas ergab Kultunvachsthum; in den
übrigen 10 Fällen blieben die Nähnnedien steril. Es muss dabei
hervorgehoben werden, dass diese Versuche grösstentheila am
Knde der experimentellen Arbeiten angestellt wurden, zu einer
Zeit also, wo das Verständnis« für das Wesentliche der Hände-
rc-inigung durch Erfahrung schon sehr geschärft war, und dass
d ie Hände sich dabei in tadellosem Zustande befanden und seit
Wochen vor jeder Verunreinigung nach Möglichkeit ferngehalten
wurden.“ Die Keiraentnahme mit dem Faden wurde vor der
ITiindereinigung, wie auch unmittelbar nach jedem Akte der¬
selben vorgenommen. Haegier macht ferner darauf auf¬
merksam, dass auch das Sublimat nur einen bedingten Schutz
auf die Dauer abgibt.
Ermuntert durch die vorzüglichen Resultate, welche
C. S. Haegier nach dieser modifieirten Fürbringer¬
srhen Methode erhalten hatte, haben auch wir zwei Ver¬
suchsreihen mit derselben angestellt und benutzten dazu, um
Zufälligkeiten auszuschliesscn, unsere eigenen Hände. Dabei
sei noch bemerkt, dass der Eine von uns (Paul) ca. 3 Wochen
vorher mit keinem Desinficiens in Berührung gekommen war
und seine Hände besonders gut gepflegt hatte. Die andere Ver¬
suchsperson (S a r wey) war 3 Tage lang mit keinem Desinficiens
in Berührung gekommen und hatte ebenfalls gut gepflegte
Hände, soweit dies bei chirurgischer Thätigkcit (Desinfektions¬
mittel: Seifenspiritus) möglich ist. Es sei noch hinzugefügt,
dass die Versuche mit peinlichster Sorgfalt ausgeführt wurden.
Das Resultat derselben ist in Tabelle 1
unter Nummer 8 und 9 aufgeführt und bietet
dasselbe Bild wie die übrigen nach P. Fiir-
bringcr's Vorschrift ausgeführten Versuche.
Stets konnten mehr oder weniger zahlreiche
Keime von den Händen entnommen werden.
Da wir über die exacte und sachgemässe
Ausführung der Versuche seitens Ilaegler’s
keinen Augenblick im Zweifel sind, können
wir eine Erklärung für die Verschiedenheit
der Resultate nur in der verschiedenen Be¬
schaff»* n.h eit der Hände finden. Auf d c r
") 1. c. S. 12G.
**) 1. c. 8. 133.
anderen Seite lehren uns diese Versuche,
dass eine Desinfcktionsmethodo bei einer
oder mehreren Personen mit. sehr gutem Er¬
folg a n g o w e n d e t w o r d e n k a n n, w ä.h r e n d s i e
bei anderen mehr oder weuiger versagt, und
dass der a 11 g e m e. i n e n E i n f ü li r u n g eines Des-
in f c k tio n s v e r f a h r e n s eine vielseitige Prü¬
fung vorausgehen muss.
III. Weitere Desinfektionsversuche mit Quecksilberverbin¬
dungen und verschiedenen Lösungsmitteln.
3. Sublimat -Alkoholdesinfektion nach Job.
Hahn.
Die ungünstigen Resultate, welche wir mit der Anwendung
wässriger Rublimatlösung« n erzielt hatten, veranlassten uns, Vc.r-
suclie mit anderen Lösungsmitteln resp. anderen Quocksilber-
verbindungen zu machen. Es war uns daher sehr erwünscht,
dass Herr Dr. med. J. II a h n in Mainz, welcher schon seit
längerer Zeit in seiner ausgedehnten chirurgischen Praxis den
Sublimatalkohol zur Händedesinfektion bei ausgezeichneten kli¬
nischen Resultaten benutzt, uns den Vorschlag machte, nach
Tübingen zu kommen und seine Hände nach erfolgter Desinfek¬
tion bakteriologisch nach unserer Methodo zu prüfen. Wir
geben zunächst eine ausführliche Beschreibung dies«« uns von
Herrn Dr. Hahn gütigst mitgetheilten und auch im Central-
blutt für Chirurgie veröffentlichten Verfahrens.
Die Hände werden in gewärmtem, nicht sterilisirtom Wasser
von ca. 43 * 0. mit Hilfe einer durch öfteres Kochen in 2 proe.
Sodalösung möglichst weich gemachten und sterilisirten Hand¬
bürste unter Zuhilfenahme von so viel Schmierseife systematisch
gebürst(*t, dass das Wasser im Waschbecken einen starken, nicht
vergehenden Schaum bildet. Hierbei wird erst die Schmierseife
in die linke Hand genommen, lose gehalte.n und unter dem Strahl
des zuflicssend«*n warmen Wassers mit llilfo der Bürste mög¬
lichst fein im Waschwasser vertheilt 1h*zw. aufgelöst, hierauf
wer«len die 1 Limit* und Unterarme mit d«*r Seifenbrühe gründlich
durchfeuchtet, um die Epid«*rmis aufzulockern, und dann wird
jeder Eiliger, vom Daumen beginnend, mit der längsgehaltenen
Bürste systematisch abgebürstet. Nun werden tlie Untcrnagel-
räume mit quergestellter und die Nagelränder mit längsgestellter
Bürste sorgfältig, ohne zu grossen Druck auszuüben, bearbeitet,
wobei die zu bürstende lland über das Waschwasser gehalten
und die Bürste alle 5—10 Sekunden eingetaucht wird. In der¬
selben Weise werden die Handflächen und die Unterarme be¬
handelt. Alsdann lässt man das Wasser durch eine am Boden
der Schüssel befindliche Oeffuung ausfliessen und befreit die
Hände wie auch das Waschgefäss vom anhängenden Seifen¬
schaum durch Nachspülen mit warmem Wasser. Dieses Ver¬
fahren, welches beim Geübten ca. 4 Minuten in Anspruch nimmt,
wird genau in derselben Weise wiederholt. Jetzt werden die
stark erweichten Nägel' mit einer ausgekochten Nagolscheerc
beschnitten, die Untemagelräume mit sterilem Nagelreiniger
gesäubert und hierauf wird die oben beschriebene Bearbeitung
der Hände und Unterarme unter Wasserwechsel noch zweimal
in derselben Weise wiederholt, was je 2—3 Minuten dauert. Die
abgespülten, aber nicht getrockneten Hände kommen jetzt sofort
in eine Lösung von 1,5 g Sublimat auf 114 Liter ca. 98 proc.
Alkohol, bleiben 4 Minuten in derselben unter stetiger Benetzung
bis über den Ellenbogen und werden dann in wässriger 2 prom.
Sublimatlösung abgespült, bis der Alkohol in der Haut genügend
mit der wässrigen Lösung in Berührung gekommen bezw.
grösstentHeils ersetzt ist (ca. 2 Minuten). Zum Schluss werden
die Hände noch kurze Zeit (ca. 10 Sekunden) im Sublimat¬
alkohol abgespült.
DioKesult x atedosvonHerrn Dr. Hahn selbst
a u «geführt e n Versuch es sind in Tabelle 2 unter
Nummer 1 enthalten. Von don von Sublimat¬
alkohol triefenden Händen konnten nach dem
Eingehen in den sterilen Kasten und ober¬
flächlichem A b s p ü 1 e n mit sterilem Wasser
nur sehr wenige entwicklungsfähige Keime
entnommen werden, doch wurde deren Zahl
s e h o n nach dem einfachen Baden in 1* 1 u t -
warmem Wasser etwas grösser, au eh wurden
an das B a d e w a s s «• r mit Rücksicht auf die g e -
( 5 *
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1490
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
ringe Menge des zur Anlegung der Kulturen
benutzten Wassers zahlreiche Keime abge¬
geben. Unter denselben befanden sich ty¬
pische Hautkeime, so dass eine Täuschung
durch anderweitige Verunreinigungen voll¬
kommen ausgeschlossen ist.
Da wir das Verfahren H a h n’s nicht an unseren eigenen
Händen probirt, noch Versuche mit anderen Personen angestellt
haben, lassen sich diese Resultate nicht ohne Weiteres mit den
oben angeführten Desinfektionsversuchen nach P. Für-
b r i n g e r und nach deren von C. S. Haegier angegebenen
Modifikation vergleichen, noch allgemeine Schlüsse daraus ziehen.
Für uns kam es im Wesentlichen nur darauf an, zu prüfen, ob
diese von der Hand ihres Erfinders und mit aller erdenklichen
Sorgfalt ausgeführte Methode eine Keimfreiheit der Hand her¬
beiführen könne.
2. Desinfektion mit Sublimataceton.
Da weder mit dem in Wasser, noch in Alkohol gelösten Subli¬
mat eine befriedigende Desinfektion der Haut der Hände zu
erzielen war, versuchten wir mit Hilfe anderer Lösungsmittel,
Aceton und Methylalkohol, unser Ziel zu erreichen.
Wir gingen hierbei von folgender Ueberlegung aus. Die Des¬
infektionskraft der Quecksilberverbindungen, wie auch der anderen
Metallsalze, in wässriger Lösung steht in sehr innigem Zu¬
sammenhang mit deren elektrolytischer Dissociation **) und zwar
ist die Giftwirkung um so stärker, je grösser die Conoentration
der Metall-Ionen (Quecksilber-Ionen) in der Lösung ist. Das
Sublimat Hg CI, zerfällt in wässriger Lösung theilweise in Hg-
Ionen (Quecksilber-Ionen) und Cl-Ionen (Chlor-Ionen), und alle
Zusätze anderer Stoffe, welche die Zahl der Hg-Ionen ver¬
mindern, z. B. Kochsalz, Bromkalium, Jodkalium etc. setzen
auch die Desinfektionskraft der Sublimatlösung herab, ln
hochprocentigem Alkohol ist das Sublimat ebenfalls sehr wenig
elektrolytisch dissociirt und dies ist grösstentheils die Ursache,
dass alkoholische Sublimatlösungen sehr viel schlechter deeinfi-
ziren, als rein wässrige 10 ). In Alkohol, welcher mit Wasser ver¬
dünnt ist, liegen die Verhältnisse ganz eigenartig, hier gibt es
für die verschiedenen Metallsalze ein Optimum des Alkohol¬
gehaltes, bei welchem die Desinfektionswirkung am grössten ist.
Für das Sublimat liegt dieses Optimum bei ca. 25 Proc. Alkohol¬
gehalt. Eine wesentliche Ursache, warum eine wässrige Subli¬
matlösung, wie auch eine solche in 25 proc. Alkohol, die Haut
nur imgenügend desinfizirt, dürfte wohl im Fettgehalt derselben
zu suchen sein. Auch wenn wir die Haut durch Behandeln mit
Boluspaste und energischee Waschen mit Seife und Bürste noch
so stark entfetten, bleiben die tieferen Schichten und die Drüsen¬
ausgänge derselben doch noch fettreich genug, um ein Eindringen
des Wassers oder verdünnten Alkohols zu verhindern. Benutzen
wir dagegen eine Sublimatlösung in hochprocentigem Alkohol,
welcher jedenfalls tiefer eindringt, so vermag das Sublimat nur
eine geringe Giftwirkung zu entfalten, weil es in diesem Falle
nur sehr wenig elektrolytisch dissociirt ist.
Würden die eben angestellten Ueberlegungen für die Des¬
infektion der Haut allein maassgebend sein, so müsste ein
Lösungsmittel sicheren Erfolg versprechen, welches einmal ein
starkes Fettlösungsvermögen hat und in welchem andererseits
das Sublimat genügend stark elektrolytisch dissociirt ist, um seine
Giftwirkung zu entfalten. Ein solcher Körper ist, allerdings nur
bis zu einem gewissen Grade, das Aceton (Dimethylketon
CII,—CO—CII,), welches ein bedeutend grösseres Fettlösungs-
vermögen besitzt, als der Aethylalkohol, während das elektro¬
lytische Dissociationsvermögen annähernd das gleiche ist' 7 ). Wir
benutzten für unsere Versuche ausser dom reinen Aceton auch
solches, welches mit gleichem Volum Wasser verdünnt war. Wenn
das Fettlösungsvermögen dos letzteren Gemisches auch bedeutend
geringer ist, als das des reinen Acetons, so übertrifft es doch
“) Vergleiche unsere 6. Abhandlung, diese Wochenschrift 1901,
No. 12.
•*) Vergleiche: B. Krön lg und Th. Paul: Die chemischen
Grundlagen der Lehre von der Giftwirkung und Desinfektion.
Zeltsohr. f. Hygiene u. Infektionskrankh. 25, 91 <1897).
’ 7 ) G. Carrara: Zur Theorie der elektrolytischen Dissocia-
tion in anderen Lösungsmitteln, als Wasser. II. Aceton. Gazz.
Ohim. ital. 27. I. 207—222 (1897). Vergl. das Referat über diese
Abhandlung in der Zeltschr. f. pliysikal. Chemie 27, 184 (1898).
immer noch dasjenige des reinen oder gleichprocentigen wässrigen
Aethylalkohols und ausserdem wirken, wie B. K r ö n i g und
Th. Paul nachgewiesen haben, gewisse Metallsalze auch in
diesem Gemisch viel energischer auf die Bakterien ein, als die
Lösung in reinem Aceton **). Da es uns hier in erster Linie nur
darauf ankam, zu prüfen, ob sich mit Hilfe dieser beiden
Lösungsmittel vollkommene Keimfreiheit der Hände erzielen
Hesse, haben wir mit denselben je eine Versuchsreihe angestellt.
Die Ausführung des Desinfektionsaktes war folgende: 5 Mi¬
nuten langes Bearbeiten der Hände mit heissem Wasser,
Schmierseife und Bürste, Abspülen der Hände mit reinem
Wasser, 5 Minuten langes Bürsten der Hände in 2 prom.
Sublimataceton bezw. in einer 2 prom. Lösung von Sublimat in
einem Gemisch aus gleichen Volumina Wasser und Aceton. Das
Ergebniss dieser beiden Versuchsreihen ist auf Tabelle 2 unter
No. 2 und 3 aufgeführt. Wenn auch diese Desinfek¬
tionsmethode durchaus nicht im Stande ist,
vollständige Keimfreiheit der Haut herbei¬
zuführen, so lässt sich doch andererseits
nicht verkennen, dass die Haut, die vorher
sehr stark mit Keimen beladen war, durch
diese einfache B e h a n d 1 u n g s w ei s e sehr keim¬
arm wurde und dass die theoretischen Er¬
wägungen, welche zur Anwendung dieses Lö¬
sungsmittels führten, sich in der Praxis
stichhaltig erwiesen. Der Preis des gereingten
Acetons beträgt durchschnittlich ca. 1 M. 60 Pf. pro Kilogr amm
= 1!4 Liter, ist also noch etwas niedriger als der des ver¬
steuerten 96 proc. Alkohols.
3. Desinfektion mit Sublimatmethylalkohol.
Der Methylalkohol (gereinigter Holzgeist = CH, OH)
besitzt für die meisten Fette ein etwas grösseres Lösungsver-
mügen, als der Aethylalkohol und bietet für unsere Zwecke den
grossen Vortheil, dass er für Elektrolyte und demnach auch für
das Sublimat ein bedeutend grösseres elektrolytisches Dis¬
sociationsvermögen besitzt als jener "). Wir begnügten uns hier,
aus dem beim Aceton angegebenen Grunde mit einer Versuchs¬
reihe. Der Desinfektionsprocess war derselbe wie dort; die mit
reinem Methylalkohol angefertigte Sublimatlösung enthielt 2 g
Quecksilberchlorid im Liter. Die Versuchsresultate sind in
Tabelle 2 unter No. 4 aufgeführt. Leider wird auch
mit diesem Lösungsmittel keine vollkom¬
mene Keimfreiheit der Haut herbeigeführt,
doch ist die Zahl der entnommenen Keime
noch etwas geringer als beim Sublimataceton,
so weit sich dies überhaupt auf Grund einer
einzigen Versuchsreihe feststellen lässt. Der
Preis des Methylalkohols ist noch etwas geringer als derjenige
des Acetons; er beträgt durchschnittlich 1 M. 40 Pf. pro Kilo¬
gramm = 114 Liter. Obgleich die hier mitgetheilten Versuche
durchaus nicht genügen, die Brauchbarkeit des Acetons und
Methylalkohols als Lösungsmittel für das Sublimat zu Hände-
desinfektionszwecken darzuthun, laden sie doch dazu ein, die
Versuche mit diesen Lösungsmitteln fortzusetzen und die theo¬
retischen Ueberlegungen, welche zu ihrer Anwendung führten,
weiteren Experimentaluntersuchungen zu Grunde zu legen.
4. Desinfektion mit wässerigen Lösungen
von Q u e c k s i 1 b e r c i t r a t - A e t h y 1 e n d i a m i n und
Quecksilbersulfat-Aethylendiamin nach
B. Krönig und M. Blumberg.
In ihrer im Verlag von Arthur Georgi, Leipzig 1900,
erschienenen Abhandlung: „Beiträge zur Händedesinfektion“ *’)
haben B. Krönig und M. Blumberg Händedesinfektions-
“) B. Krönig und Th. Paul: 1. c. S. 92.
*“) G. Carrara: Zur elektrolytischen Dlssoclatlonstheorie in
anderen Lösungsmitteln als Wasser. I. Methylalkohol. Gazz. chim.
ital. 20, I, 119—195, 1896. Vergleiche das Referat über diese Ab¬
handlung in der Zeitsehr. f. physik. Chemie 26, 571 (1898). — Harry
C. Jones: The Elektrolytic Dissoclation of Certain Salts in
Methyl and Ethyl Alcohols, as Measured by the Boiling-Point
Method. Zeitschr. f. physikal. Chemie 31. 114 (1899).
*°) Vergl. auch B. Krönig und M. Blumberg: Ver¬
gleichende Untersuchungen über den Werth der mechanischen und
Alkoholdesinfektion der Hunde gegenüber der Desinfektion mit
Quecksilbersalzen, spec. dem Quecksilberaethylendiamin. Münch,
med. Wochensehr. 1900, No. 29 u. 30.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1491
17. September 1901.
versuche mit den complexen Verbindungen beschrieben, welche
das Quecksilber mit Aethylendiamin eingeht.
Sie gelangten zur Anwendung dieser Stoffe auf Grund folgender ,
theoretischer Erwägungen: „Gelingt es uns, die Haut mit einem
Desinficiens zu imprägniren, welches auch bei der Uebertragung
von Theilen der Haut auf einen empfänglichen Thierkörper noch ;
weiter eine derartige entwicklungshemmende Eigenschaft aus- :
übt, dass die Bakterien nicht im Thierkörper zur Entwickelung
kommen, so ist der Wunsch, die Haut so desinficirt zu haben,
dass sie nicht mehr inficiren kann, erreicht. Da wir also be¬
sonders auch auf die Entwicklungshemmung Werth legen, so
brauchen wir nicht die Metallsalze zu wählen, welche in reinen
Lösungen am stärksten desinficiren, sondern wir können andere
Metallsalze prüfen, welche vielleicht die Eigenschaft haben, tiefer
in die Haut einzudringen, oder gewisse Vortheile bei der prak¬
tischen Anwendung bieten.“ In der oben citirten Abhandlung:
„Die chemischen Grundlagen der Lehre von der Desinfektion
und Giftwirkung“, hatten B. Krönig und Th. Paul dar-
gethan, dass bei der Entwicklungshemmung der elektrolytische
Dissociationsgrad der Metallsalze im Allgemeinen ohne Einfluss
und dass die Tiefenwirkung eines Salzes auf die Haut um so
Dissociationsgrad der Metallsalze im Allgemeinen ohne Einfluss,
grösser ist, je weniger dasselbe dissociirt ist. Letztere Beobach¬
tung war auch durch die Untersuchungen von Schäffer")
und Blumberg") bestätigt worden, welche verschiedene *
Silberverbindungen auf thierische Gewebe einwirken liessen und
fanden, dass die complexen Salze thatsächlich die grösste Tiefen¬
wirkung besitzen, diejenigen Verbindungen also, welche in
wässeriger Lösung nur wenige Silberionen abspalten. Besonders
eine Aethylendiaminverbindung der Silbers, das Argentamin,
drang sehr schnell in die Tiefe ein. Da die Verwendung
des Argentamins zur Händedesinfektion wegen der Schwärzung
der Haut am Tageslicht ausgeschlossen war, liessen B. Krönig
und M. Blumberg von der Chemischen Fabrik auf Aktien
vorm. E. Schering in Berlin neue Verbindungen des Queck¬
silbers mit Aethylendiamin herstellen. Es werden deren jetzt
zwei in den Handel gebracht: eine concentrirte Lösung von
Quecksilbercitrat-Aethylendiamin (sie setzt :
sich nach den uns gemachten Angaben zusammen aus 10 Theilen '
Quecksilbercitrat, 4 Theilen Aethylendiamin und 86 Theilen j
Wasser und enthält in 100 Gewichtstheilen 4,31 Gewichtstheile
metallisches Quecksilber) und das feste krystallinische
Quecksilbersulfa t-Ae t hylendiamin mit 44,3 Proc.
Quecksilbergehalt. Beide Präparate wurden uns in dankens-
werther Weise von der obengenannten Fabrik zur Verfügung
gestellt
Die Desinfektion erfolgte in der Weise, dass die Hände bei
einmaligem Wasserwechsel 10 Minuten lang kräftig mit heissem
Wasser, Seife und Bürste behandelt., mit sterilem Wasser ab¬
gespült und hierauf 5 Minuten lang in der warmen Desinfektions¬
lösung abgebürstet wurden. Da es uns auch hier in erster Linie
nur darauf ankam, zu prüfen, ob die Methode eine Keimfreiheit
der Haut herbeiführe, haben wir uns auf drei Versuchsreihen
beschränkt, welche unter No. 5, 6 und 7 in Tabelle 2 enthalten
sind. Das Quecksilbercitrat-Aethylendiamin kam in ca. 3 prom.
Lösung (die concentrirte „10 proc.“ Lösung wurde mit Wasser im
Verhältniss 1:30 verdünnt, wie es B. Krönig für praktische
Händedesinfektionszwecke vorschreibt) und in 1 proc. Lösung
(200 ccm der concentrirten „10 proc.“ Lösung mit Wasser auf
2 Liter verdünnt), das Quecksilbersulfat-Aethylendiamin in
lproc. Lösung (20 g festes Salz auf 2 Liter Wasser) zur Ver¬
wendung. Wie aus der Tabelle hervorgeht, kann
auch bei dieser Methode von einer Keimfrei¬
machung der Haut keine Rede sein, und ist
hier besonders zu betonen, dass die Zahl der
mit Seidenfäden und Hölzchen entnommenen,
wie auch der in die Bäder übergegangenen
Keime sehr beträchtlich ist, ehe die Hände
mit Schwefelammonium in Berührung käme n").
") Bchäffer: Ueber die Bedeutung der Silbersalze für die
Therapie der Gonorrhoe. Münch, med. Wochenschr. 1895, No. 28
u. 29.
**) Bluinberg: Experimentelle Untersuchungen über Des¬
infektion im Gewebe thierischer Organe. Zeitschr. f. Hygiene und
Infektionskrankh. 1898, p. 201 ff.
“) Eine Beeinflussung der Haut durch das im sterilen Kasten
befindliche leichtflüchtige Schwefelammonium haben wir auch
Schon nach dem einfachen Abspülen mit ste¬
rilem Wasser im sterilen Kasten konnten mehr
oder weniger zahlreiche Keime entnommen
werden. Die erhoffte entwicklungshemmende
Wirkung, welche die mit den Keimen auf den
Nährboden übertragenen complexen Queck-
silberaethylendiaminverbindungen ausüben
sollten, hat also nicht oder doch nicht in be¬
merk e n 8 w e r th e r Weise stattgefunden und
wird nach unserem Dafürhalten wohl auch im
Thierkörper ausbleibe n.
Ein Vergleich dieser Desinfektionsmethode mit den vorher
beschriebenen lässt sich auf Grund so weniger Versuche natür¬
lich nicht mit Sicherheit ziehen, doch kann man mit einiger
Wahrscheinlichkeit sagen, dass sie ungefähr dasselbe leistet,
wie die F ürbringe Psche Methode. Es sei hier noch aus¬
drücklich darauf hingewiesen, dass B. Krönig und M. Blum¬
berg niemals behauptet haben, mit ihrer Methode Keimfrei -
heit der Haut erzielen oder die Entwicklung der lebensfähig ge¬
bliebenen Bakterien nach ihrer Uebertragung auf Nährböden
gänzlich verhindern zu können, ja dass es ihnen bei ihren
eigenen Versuchen auch nicht mit einer lproc. Quecksilber-
aethylendiamiulösung stets gelang, die künstlich auf die Haut
gebrachten Tetragenusbakterien vollkommen unschädlich zu
machen. (Vergl. Versuch 13 auf Seite 31 ihrer Abhandlung.)
Sie zogen vielmehr aus ihren Versuchen nur den zu
Recht bestehenden Schluss, „dass bei der Infektion
der Hände mit Tetragenuskeimen die Quecksilberaethylen-
diaminlösung, besonders wenn sie in stärkeren Concentrationen
angewendet wird, der lprom. Sublimatlösung an Desinfektions¬
kraft gleichwerthig ist, dass sie aber vor derselben den grossen
Vortheil voraus hat, dass wir sie wegen der fehlenden Aetz-
wirkung in sehr concentrirten Lösungen anwenden können und
dadurch im gegebenen Fall, wenn z. B. unsere Haut mit hoch¬
virulentem Eiter in Berührung gekommen ist, sicherer dos-
infiziren können“.
5. Desinfektion mit Sublimatlanolin.
Schliesslich wollen wir dazu übergehen, einige Versuche zu
beschreiben, welche wir mit Sublimatlanolin angestellt haben.
Hierzu veranlasst« uns folgende Ueberlegung. Der Miss¬
erfolg der Desinfektion mit den verschiedenen Sublimatlösungen
ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass dieselben, trotz¬
dem sie die Hautfette in hohem Grade zu lösen vermögen, nicht
in die tieferen Schichten der Haut und in die Sekretions¬
öffnungen derselben einzudringen im Stande sind. Die dort be¬
findlichen Keime bleiben in Folge dessen intakt und führen die
mangelhaften Desinfektionsresultate herbei **). Wenn es nun
den sublimathaltigen Lösungen nicht gelingt, in die Tiefe der
Haut einzudringen, so ist dies vielleicht bei quecksilberhaltigen
Salben der Fall, welche sehr energisch und unter hohem Druck
in die Haut eingerieben werden können. Ein Beispiel dafür,
dass dies möglich ist, bietet die graue Quecksilbersalbe, von der
wir wissen, dass das Quecksilber bei Tnunctionskuren bis in die
tiefsten Hautkanäle hinein gelangt. Für unsere Zwecke eignete
sich selbstverständlich diese Salbe nicht, doch liess sich einiger
Erfolg von einer Salbe envarten, welche grosse Mengen wässriger
Sublimatlösung incorporirt wurden. Als Grundlage für diese
Salbe diente Lanolin (Adeps lanae anhydricus des Deutschen
Arzneibuches), welches die 2—3 fache Menge seines Gewichtes
an Wasser aufzunehmen vermag und damit eine Masse gibt,
welche immer noch Salbenkonsistenz hat. Die von uns benutzten
hier dadurch vollkommen ausgeschlossen, dass wir das Schwefel¬
ammonium in Glasröhren einschmolzon und diese erst beim Ge¬
brauch durch Abbrecheu des einen Endes öffneten.
“) Die gleiche Ansicht hat C. S. H a e g 1 e r wiederholt in
seinem schon mehrfach citirten Buche ausgesprochen. Auf Grund
seiner sehr sorgfältigen Untersuchungen kommt er (S. 116) zu dem
Resultat, „dass nach einer Sublimatbehandlung von einer Zeit,
welche für die Hautdesiufektiou überhaupt in Frage kommt, das
Quecksilber nur ln den oberflächlichsten Epidermisschlchten liegt
und nicht in die Tiefe zu dringen vermag, nicht in den Grund der
Falten reicht, aber auch nicht ln die Tiefe der natürlichen Haut¬
lücken, deren Keime also durch Sublimat nicht beeinflusst werden;
dass durch die Manipulationen während der Operation, hauptsäch¬
lich durch das Schnüren der Fäden, die mit Quecksilber impriig-
nirte Epidermissehicht entfernt wird, der darunter liegende Theil
der Haut also als „nicht desinflzirt“ angesehen werden muss.“
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Nummer der Versuchsreihe ||
1402
MUENCTTENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Tabelle 2.
Bakteriologische Prüfung der Hände (mit Benützung des sterilen Kastens) nach vorausgegangener Desinfektion mit Sublimat und anderes
Quecksilberverbindungen in verschiedenen Lösungsmitteln.
I)ic Tabelle umfasst 1> Versuchsreihen. Jede Horizontalreihe veranschaulicht den Keimgehalt der Hunde einer und derselben
Versuchsperson während der einzelnen, zeit'ich aufeinander folgenden Versuchsabschnitte.
! "j bedeutet steril. V/ZZZ/Z/A bedeutet viele Keime (ca. 20 bis ca. 80 Stück).
fgBgHjjl bedeutet sehr viele Keime (über 80 Stück).
1' • / bedeutet wenig Keime (l bis ca. 20 Stück).
Versuchs¬
person
Tlieile der
Ilande, welche
auf ihren
Keimgehalt ge¬
prüft wurden
Keim-
gelinlt derj
Tages-
hflnde vor
der Des¬
infektion
Art und Dauer
der
Desinfektion
Nach der Desinfektion
(Prüfung im sterilen Kasten)
vor d«r Füllung des Quecksilber mit 8chwefelammonium
SÄ;
»puien uer Uaden der Hände in sie- ___
desinflclr-
ten Hände
im sterilen
Kasteu mit
sterilem
Wasser.
Kelmgehall
der Hände
,, ,,, einem ca. 37.5° wannen
rilemWasser von ca. 37,6° sandhnndbad
Keimgehalt
des Hade-
Wassers
Keimgebalt
der gebadc-
tcu Hände
Keimgehalt
des Sand¬
bandbades
Keimgehalt
der raftS and
gescheuer¬
ten Hfinde
Hierauf
SMtn. langes
Biden der
Hände in
schwefel -
ammnnt-
nmhallig
i Waascr
Keimgehalt
i der Hfindo
10
11
1. Sublimataethylalkohol. Methode von Dr. Hahn in Mainz (Die Einzelheiten dieser Methode sind im Text nachzulesen).
Dr.
Hah n
Mainz
Prof. Paul
Prof. Paul
Prof. Paul
Prof. Paul
Prof. Sarwey
Prof Paul
Pr-»f.
I) öder lein
Prof. Paul
Bemerkungen:
Handflächen
Nagel falze
Unternagelrüuiue
Handflächen
Nagel falze
Unternagel räumo
Handflächen
Nagel falze
Untcrnagelränmc
Handflächen
Nagelfalze
Uiiternagelriiume
VZIIZ7M
Sorgfältiges und energisches Bear¬
beiten der Hände und Vorderarme
mit lielsscm Wasser, 8chmtorseife
und Bürste unter traallgem Wasser¬
wechsel. Nach dem 2.Wasserwechsel
sorgfält Toilette der Nagel (Dauer
dieser Vorbereitung 20 Min ). 4 Min.
Sublimatalkohol (1 g Sublimat auf
1 Liter 95proc. Alkohol). 2 Min.
Abspülen der Hände mit 2 prom.
wässeriger Sublimatlösung. Kurzes
Abspülen mit Sublimatalkohol.
2. Sublimataceton.
5 Min. 1 nges Bearbeiten der Hände
m heisse in Wasser, Seife u Bürste.
6 Mm lang Bürsten in einer 2prom.
Sublimat - Aoctonwnssermischung
(cleicheTbeile Aceton u. Wasser).
r> Min. langes Bearbeiten der Hände
m. heissemWasser, Seife u Bürste.
6 Min. langes Bürsten ln 2 prom.
SubliinutacctoD.
I_j
* - J
|_|!
LZZZ
1 li
r' ; ;-.v|
'_l !
EZZZ
1 J
• J
1 _j
!_ Jl
1 1
rzzz
i \mzm
mim
czIz
8. Sublimatmethylalkohol.
6 Min langes Bearbeiten der Hände
m hcissemWasser, Seife u.Bürste.
5 Min. langes Bürsten ln 2 prom.
Sublimat methylalkohol.
I-'!
!
1 "'I
!-J|
1_1
4. Wässerige Quecksllbercitrat-Aethylendiaminlösung nach B. Krönig.
Handflächen
Nagelfalze
Unternagelräume
gg
10 Min. langes Benibeiten der Hände
in hcissemWasser,Seifeu.Bürste
(bei einmaligem Wasserwechsel).
5 Min langes Bürsten in warmer
3 prom wässeriger Lösung von
«iueeksilbo «itrut-Acthylcndiam.
r~ h
C •'.'•'•'-‘j 1 l v Z-
mzm |
f'' 1 1
'I7///7.7Ä
WZZ/ZZA
Handflächen
Nagelfalze
Unteroagelränme
hh
Dasselbe mit 1 proc. Quecksilber-
Citrat-Aethylendluminlosung.
‘mim.
L •]
f ■■■■■•■■■ '"'-.'ZI
\ i
i i
müi/A
Z///////A
vzzzzm vzzzzm
5. Wässerige Quecksllbersulfat-Aethylendlaminlösung naoh B. Krönig.
Handflächen
Nngelfalze
Unternagelräume
Handflächen
Nagelfalze
Unter nagelrSmnc
Handflächen
Nngelfalze
l'nternagelrämne
Art und Dauer der Desinfektion
dlc«dbc wie vorstehend. Die wäs¬
serige Qiieeksilbersulfot- Aethylcn-
dlaininl'isung war 1 proc.
0. Sublimatlanolin.
6 Min langes Bearbeiten der Hände
m heissem Wasser. Seife u. Bürste,
mit einmaligem Wasserwechsel.
Abspülen der Seife und Trocknen
der Hände mit sterilem Tuch.
4 Min langes Kinreiben der Hände
mit Sublimatlanolin (bei Prof. Drt-
derlein öproe.. bei Prof. Paul 1 proc.)
5 Min. Waschen der Hände mit ste¬
riler Seife und sterilem Wasser.
3 Min. Bürsten in 1 prom. wässeri¬
ger Sublimatlösung.
\wzzzm\wzzzm
tzz
vzzzzzzza
r mzm
mim
Die in Rubrik 3 befindlichen Angaben über die Theile der Hände, welche auf Ihren Keimgehalt geprüft wurden, beziehen steh nur auf die
Rubriken 4 , 6, 8, 10 u 11.
Die Zusammensetzung des zu den Versuchsreihen 8 u. 9 benutzten Sublimatlanolins Ist: Sublimat.0,6 bexw. 2,6, Aqu. dest. 30,0, Vaselin,
flav 2,0, Adip. lanne anhydric. ad 50 , 0 .
Beim Keimgehalt der Badenässer ist die Durchschnittszahl der auf den Plattenkulturen entwickelten Kolonien in der Tabelle angegeben.
Da die Menge des Badewas«i-rs ca. 300 ccm betrug und zur Anlegung einer Plattenkultur nur ea. 1 ccm verwendet wurde, war der gesammte
Keimgehalt des Badewassers auch dann noch sehr gross, wenn nur wenige Keime auf den Kulturen aufgingen.
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17. September 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1493
Salben enthielten 5 Proc. und 1 Proc. Sublimat und waren nach
folgender Vorschrift zubereitet: llydrargyr. bichlorat. 0,5 bezw.
2,5, Aq. dest. 30,0, Vaselin flav. 2,0, Adip. lanae anhydric. ad 50,0.
Der Desinfektionsakt mit diesem Sublimatlanolin gestaltete
sich folgendermaassen: 6 Minuten langes Bearbeiten der Hände
mit heissem Wasser, Seife und Bürste; Abspülen der Seife mit
sterilem Wasser und Trocknen der Hände mit einem sterilen
Tuch; 4 Minuten langes Einreiben der Hände mit Sublimat¬
lanolin; 5 Minuten langes Waschen der Hände mit steriler Seife
in sterilem Wasser und schliesslich 3 Minuten langes Bürsten der
Hände in 1 prom. wässriger Sublimatlösung. Die nachträgliche
Waschung mit steriler Seife und sterilem Wasser erfolgte dess-
halb, um die Salbe wieder von der Oberfläche der Haut zu ent¬
fernen, damit eine Entnahme der Keime ohne gleichzeitige Ver¬
unreinigung mit sublimathaltigerSalbe möglich war und die Haut
mit Schwcfelammoniura imprägnirt worden konnte. Die mit dieser
Desinfektionsmethode erzielten Resultate sind in Tabelle 2 unter
No. 8 und 9 enthalten. Einmal geschah die Prüfung der Hände
auf Keime direkt nach dem Eingehen in den sterilen Kasten,
also ohne vorherige Behandlung mit Schwefelammonium, im
üebrigen begnügten wir uns, den Koimgehalt erst nach dem
5 Minuten langen Verweilen der Hände in dem körperwarmen
sehwefelammoniurnhaltigen Badewasser festzustellen. Leider
hatte auch diese Methode nicht den gewünsch¬
ten Erfolg, der Keim ge halt der Ilände blieb
auch nach sorgfältigster Ausführung ziem¬
lich gross“).
IV. Rückblick.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Ergebnisse der
Versuche, welche in vorstehender Abhandlung niedergelegt sind,
so kommen wir mit Bestimmtheit zu dem wenig erfreulichen
Schlüsse, dass es auch mit. Hilfe so starker Bak¬
teriengifte, wie sie die oben genannten Ver¬
bindungen des Quecksilbers darstellen, nicht
gelingt, die Haut der Hände keimfrei zu
machen, mögen wir das Sublimat in wässriger
Lösung mitAlkohol kombinirt nach der P. Für¬
bring e r’s c h e n Methode, oder nach dem von C. S.
Haegier modifizirteu Verfahren, nach voraus-
gegangener Entfettung der Haut mit Bolus¬
paste, zur Anwendung bringen, mögen wir
andere Lösungsmittel, wie Aceton und Methyl¬
alkohol benutzen, mögen wir die Haut mit
sublimathaltigen Salben einreiben oder con-
centrirte wässerige Lösungen von komplexen
Quecksilberaethylendi am in verbind ungen verwenden.
Der Keimgehalt der Hände bleibt.auch dann
noch sehr bedeutend, ja überraschend gross,
wenn wir die Hände unmittelbar nach beende¬
ter Desinfektion, ohne vorhergehende Be¬
handlung mit Schwefelammonium, auf ihren
Keimgehalt prüfen. In dem einen Fall, wo es
uns nicht gelang, vor der Behandlung
mit Schwefelammonium entwicklungsfähige
K e i m e z u entnehmen (S u b 1 i m a t m o t h y 1 a 1 k o h o 1)
und i n d e n wenigen Fällen, wo die Zahl d e r ent¬
nommenen Keime nur gering war (Sublimat-
alkohol und Sublima tace ton) traten sofort
mehr oder weniger zahlreiche Keime auf,
wenn wir die Haut mit Schwefelammonium be¬
handelten.
Sollen wir desshalb auf die Desinfektion der Hände mit
Quecksilberverbindungen, speciell mit Sublimat, gänzlich ver¬
zichten? Wir glauben zur Zeit diese Frage mit „nein“
beantworten zu müssen, so lange uns kein anderes besseres
Mittel zur Verfügung steht, und schlieesen uns in dieser
Beziehung der Meinung C. S. Haegler’a an: „Wir
suchen das Mögliche zu erreichen, wenn das Ganze un¬
erreichbar ist, und die Sublimatdesinfektion ist ohne Frage
ein Hilfsmittel mehr für diesen Zweck.“ Vor Allem aber
“) Diese Versuche wurden selbstverständlich nur aus theo¬
retischem Interesse angestellt, da das wiederholte Einreiben der
Hände und Unterarme mit dem 1 resp. 5 proc. Sublimatlanolin
wegen der damit verbundenen Resorption und Vergiftungs-
gefahr In der Praxis vollkommen ausgeschlossen ist.
sollen diese Untersuchungen uns darüber belehren, dass die bis¬
her angegebenen Desinfektionsmethoden, welche auf der Gift¬
wirkung des Sublimats und anderer Quecksilberverbindungen
beruhen, unzulänglich sind, und dass wir uns niemals auf ihre
Wirkung allein verlassen dürfen. Auf der anderen Seite sollen
sie dazu anregen in dieser Richtung weiter zu arbeiten, neue
Verbindungen zu prüfen und neue Methoden zu schaffen. Die
Wege, auf welchen man zum Ziele zu gelangen hoffen darf, sind
in dieser und in unser vorhergehenden Abhandlung ebenfalls an¬
gedeutet. Mit Hilfe der neueren physikalisch-chemischen Theo¬
rien, durch welche unsere Anschauungen vom Zustande der Stoffe
in Lösungen — und diese kommen ja für die Händedesinfektions-
versuche fast ausschliesslich in Betracht — in vollkommen neue
Bahnen gelenkt worden sind, vermögen wir nicht nur den maxi¬
malen Desinfcktionsoffekt eines Stoffes herbeizuführen, sondern
sie geben uns auch die Mittel und Wege an die Hand, neue Des¬
infektionsmittel aufzufinden und herzustclleu.
Referate und Bücheranzeigen.
E. Kaufmann: Lehrbuch der speciellen pathologischen
Anatomie. Für Studirende und Aerzte. II. neu bearbeitete
und vermehrte Auflage mit 561 Abbildungen und 2 Tafeln.
Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer, 1901.
Das Kauf m a n n'sche Lehrbuch hat in der vorliegcndei'
zweiten Auflage eine wesentliche Umarbeitung erfahren, welche
namentlich durch die Fortschritte, welche nicht nur die patho¬
logische Anatomie, sondern auch die klinischen Diseiplinen in
den letzten 5 Jahren gemacht haben, begründet ist. Denn cs ist.
ein grosser Vorzug auch der neuen Auflage des Werkes, dass die
Darstellung der den verschiedenen Krankheiten zu Grunde
liegenden pathologisch-anatomischen Veränderungen stets unt -r
Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die klinische Beobachtung
durchgeführt ist.
Auch die Zahl der Figuren wurde in der neuen Auflare
wesentlich vermehrt, was bei dem hohen Werth instruktiver Ab¬
bildungen für das leichtere Verstiindniss anatomischer Verände¬
rungen gewiss dankbare Anerkennung verdient.
Trotz des grösseren Umfanges der neuen Auflage ist. der Text
doch durch ausgiebige Anwendung verschiedenen Druckes un¬
gemein übersichtlich geblieben, so dass eine schnelle Oriontirung
' ermöglicht ist.
Wenn schon die erste Auflage des Kau f ma n n’sc-hen
1 Lehrbuches sich allmählich immer grösserer Beliebtheit unter «len
J Aerzten und Studirenden erfreute, so wird dies in noch höheren!
; Grade für die zweite Auflage der Fall sein. Denn gerade die
Rücksichtnahme auf die klinischen Bedürfnisse und die Hervor¬
hebung und ausführlichere Darstellung der auch klinisch wich-
j tigen krankhaften Processe lassen das Lehrbuch für den pral-
j tischen Mediciner besonders werthvoll erscheinen. Hauser.
E. Ekstein: Die Therapie bei Abortus. 76 Seiten. Preis
I Ar. 2.40. Stuttgart 1901. Ferdinand Enke.
Mit seiner Arbeit beabsichtigt der Verfasser eine auf wissen¬
schaftlicher Basis und praktischen Erfahrungen beruhende ein¬
heitliche Behandlung des Abortus anzubahnen und sucht sich
dieser Aufgabe, gestützt auf eigene 10 jährige Praxis und unter
Berücksichtigung der ihm zugänglichen, in Frage kommenden
Literatur der letzten 10 .Jahre zu unterziehen.
Seine Methode (Modifikation nach Fritsch-Diihrs-
sen-Sänger) scheint mir nach keiner Richtung hin einen
Fortschritt zu bedeuten oder gar sich zur allgemeinen Ein¬
führung zu eignen. Polypenzange und Curette spielen die Haupt¬
rolle bei der Entleerung des Uterus. Die Einwände, die gegen
dio ausschliessliche Anwendung gerade dieser Instrumente' er¬
hoben werden, sind nicht neu, können aber meines Erachtens
gar nicht oft genug gemacht werden. Der Autor weist sie zu¬
rück, ohne 9ich die Mühe zu geben, sie zu widerlegen.
„D er antiseptischen Asepsis ist bei allen
Eingriffen und der objektiven Asepsis im
Allgemeinen stets strenge Rechnung zu
trage n“ — so der Autor!
Die mechanische Reinigung der Ilände erfolgt ohne Bürste
mit einem Gemisch von Kochsalz und Natrium hicarhoiticum.
danach Desinfektion in 1 prom. Sublimatlösung. Zur Scheiden-
und Utcrusspülung wird 3 proc. Karbollösung verwendet.
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1494
tfo. 38.
MÜENCHENEk MEDICINlSCllE WOCHENSCÖRIFf.
Neue Gesichtspunkte in der Abortbehandlung bringt die vor¬
liegende Arbeit nicht, so dass eine nähere Besprechung der Ein¬
zelheiten überflüssig sein dürfte. Die Darstellung ist recht weit¬
schweifig; Wiederholungen, oft ganz nebensächlicher Dinge, fin¬
den sich so häufig, dass die Lektüre sehr erschwert wird.
Die Abhandlung ist Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Mar¬
tin in Greifswald, dem früheren Chef des Autors, gewidmet.
Max Henkel- Berlin.
Alexander P i 1 c z: Die periodischen Geistesstörungen.
Eine klinsche Studie. Jena, J. Fischer, 1901. VII und
210 Seiten. Mit 57 Kurven im Text. 5 Mark.
P. versteht unter periodischen Psychosen jene Krankheits¬
formen, deren einzelne Anfälle ohne jede bekannte, äussere Ver¬
anlassungsursache in ihrer eigenthümlichen Erscheinungsweise
periodisch wiederkehren. Er wirft zunächst einen inter¬
essanten Rückblick auf die ersten altgriechischen Autoren, die
einen Wechsel von Manie und Melancholie erwähnen, bis zu den
modernen Irrenärzten. Ebenso wie aus seinen theoretischen Er¬
örterungen geht auch aus seinen Angaben über die Häufigkeit
des periodischen Irreseins hervor, dass er den Begriff wesentlich
enger fasst als Kräpelin, der etwa 10 Proc. aller Geistes¬
kranken zum manischdepressiven Irresein rechnet, während P.
unter mehr als 20 000 Fällen nur 2,86 Proc. periodisch Geistes¬
kranke findet. Das weibliche Geschlecht überwiegt. Verhält-
nissmässig knapp erscheint P i 1 c z’ Angabe über die Heredität
(62,5 bis 78 Proc.) Unter den Gelegenheitsursachen bespricht
er Menses, weibliche Sexualkrankheiten, Neuralgien, ferner
körperliche Krankheiten, psychische Traumen und das Gencra-
tionsgeschäft des Weibes.
Mit einer Reihe typischer Krankengeschichten illustrirt er
das circulare Irresein, unter sorgfältiger Heranziehung der
somatischen Befunde in der manischen und der depressiven Phase,
auch von Blutdruck, Pulsfrequenz, Harnanalyse, Menses, Körper¬
gewicht u. a. In der Symptomatologie legt er Nachdruck auf
das Vorherrschen der leichteren manischen Erregung, der Hypo¬
manie, während in der depressiven Phase die Störung vielfach
intensiver ist. Besonders betont er die beachtenswerthen leich¬
testen Fälle, die er mit Grund nicht zur Neurasthenie rechnen
möchte; dieser Streit ist übrigens angesichts der Prognose und
Behandlung keineswegs so raüssig, wie er nach S. 51 erscheint.
Nach einer genau durchgeführten symptomatologischen Analyse
der einzelnen Zustandsbilder schildert P. den Anfall als Ganzes,
mit besonderer Betonung der Erscheinungen in der Uebergangs-
periode zwischen Manie und Depression, der sog. Misehzuständc.
Zweckmässiger Weise verzichtet er darauf, den französischen
Autoren in dem Bestreben zu folgen, für jeden Intensitätsgrad
der Zustände besondere Termini zu prägen. Die mannigfachen
Verlaufstypen werden auch schematisch demonstrirt, wobei viel¬
leicht die in praxi so überwiegend häufigen irregulären Verlaufs¬
formen ebenfalls eine Wiedergabe verdient hätten. Mit be¬
sonderer Sorgfalt und Anschaulichkeit ist die Differential¬
diagnose, vor Allem gegenüber der Paralyse und den jugendlichen
Verblödungsprocessen, dargestellt.
Die periodische. Manie wird zunächst durch eine Reihe von
Krankengeschichten illustrirt und darauf symptomatologisch ge¬
schildert. P. muss zugeben, dass die Hypomanie von perio¬
dischem Verlauf sich in nichts von der hypomanischen Phase des
circularen Irreseins unterscheidet, während die Mania gravia
periodisch fast ebenso oft auftritt wie die Hypomanie. Immer¬
hin wäre zu erinnern, dass auch circuläre Fälle mit schwerster
manischer Erregung nicht allzu selten Vorkommen. Eine Unter¬
scheidung der periodischen Manie von der „akuten einfachen
Manie“ aus dem Zustandsbild ist auch nach P. unmöglich, nur
die Hypomanie soll nie einfach, sondern immer bloss periodisch
oder circulär Vorkommen.
Als periodische Melancholie bezeichnet P. Fälle von perio¬
disch wiederkehrenden, melancholischen Zustandsbildern, welche
die einfache Elementarstörung der traurig-ängstlichen Verstim¬
mung und der associativen und psychomotorischen Hemmung bei
klarem Sensorium und häufigem Fehlen von Wahnbildungen und
Sinnestäuschungen bieten. Die Seltenheit dieser Fälle gibt P.
zu; bei dem mitgetheilten Beispiel aus v. Krafft-Ebing
kann Niemand sagen, ob es der 35 jährigen Patientin nicht eben¬
so ergeht, wie in einem Falle meiner Beobachtung, der bis zum
58. Lebensjahr ganz ähnlich als periodische Melancholie verlief
und dann erst den circularen Typus anzunehmen begann.
In seltenen Füllen kommen ferner Psychosen vor mit
massenhaften Sinnestäuschungen, hochgradiger Verworrenheit,
ohne besondere Stimmungsanomalie, kurzum mit einem Einzel¬
bild, das der akuten halluzinatorischen Verworrenheit, der
Amentia M e y n e r t’s, entspricht. Vielleicht darf daran er¬
innert werden, dass die Katatonie auch manchmal schubweise
verläuft und ähnliche Bilder dabei auftreten, wie in dem ein¬
gehend geschilderten Fall, ohne dass zur Zeit der stürmischen
Erregung die typischen katatonen Symptome besonders deut¬
lich ausgeprägt wären.
Noch seltener treten periodische Zustandsbilder einer pri¬
mären Wahnbildung auf bei völlig klarem Sensorium und Fehlen
jeder Stimmungsanomalie, demnach eine „periodische Paranoia“
nach Ziehen. Freilich wäre auch hier einzuwenden, dass doch
in dem citirten Fall eine Affektsstörung, die gesteigerte Zom-
müthigkeit, angegeben wird, und dass die durch Ziehen an¬
gewandte Prüfung des Associationsverlaufs mit dem Münster-
b e r g’schen Chronoskop zur Beurtheilung einer etwaigen
manisch-depressiven Associationsstörung nicht völlig ausreicht.
Ferner bespricht P. ein periodisches Irresein in der Form
krankhafter Triebe, „periodische Monomanien“. Er rechnet hier¬
her die Dipsomanie, die von anderen der Epilepsie zugewiesen
wird, ferner die periodische Psychopathia sexualis.
Weiterhin kommen die periodischen deliranten Verworren¬
heitszustände zur Darstellung, die zum Theil allerdings Be¬
ziehungen zur periodischen Manie haben, andererseits freilich oft
sehr schwer klinisch abzutrennen sind von epileptischen Ver¬
worrenheitszuständen. Schliesslich bespricht P. noch sekundär
ausgelöste periodische Psychosen, dabei vorzugsweise das men¬
struelle Irresein.
Eingehend werden die körperlichen Symptome bei den perio¬
dischen Psychosen dargestellt, dann die komplizirenden körper¬
lichen Krankheiten, ferner Kombinationen von periodischem
Irresein mit. anderen Psychosen und Neurosen und schliesslich
die noch wenig ergcbnissreichen Untersuchungen über die patho¬
logische Anatomie der periodischen Psychosen.
Es ist entschieden ein recht verdienstliches Werk, die
grossen Gruppen des circulären Irreseins, der periodischen Manie
und der periodischen Melancholie zu beleuchten, wenn auch der
Versuch einer principiellen Abtrennung dieser einzelnen Formen
von einander ebensowenig in abschliessender Weise durch¬
geführt ist, wie die Abgrenzung von einer „einfachen Manie“
oder Depression, so dass wir in jedem einzelnen Fall, der uns
ohne Anamnese zu Gesicht kommt, sagen könnten: Hier handelt
es sich um eine einfache, da um eine periodische und dort um
eine circuläre Manie. Die kleineren Gruppen bieten noch zu
wenig Fälle, als dass man die Abtrennung für eine definitive an-
sehen könnte; überhaupt bleibt es immer eine, freilich oft un¬
umgängliche Schwierigkeit, Material anderer Beobachter mit zu
verarbeiten, da schliesslich jeder die Fälle in gewissem Grad mit
anderen Augen ansieht. Auf die epileptischen Geistesstörungen
mit ihrer Periodicität hat P. seine Darstellung nicht ausgedehnt.
Die reiche Literatur über die periodischen Psychosen ist mit
einer geradezu erstaunlichen Vollzähligkeit und Genauigkeit auf-
geführt und verarbeitet. Es wird keine Behandlung irgend
einer Frage aus dem grossen Gebiete mehr möglich sein, ohne
dass das P i 1 c z’sche Buch in weitem Maasse dazu herangezogen
wird. Weygandt - Würzburg.
Dr. A. Kollmann und Dr. F. M. Oberländer: Die
chronische Gonorrhoe der männlichen Harnröhre. Theil I.
Leipzig, Verlag von Georg Thieme, 1901.
Ueber den Werth der von Oberländer inaugurirten
mechanisch-instrumentellen Behandlung der chronischen Gonor¬
rhoe, unter andauernder Kontrole des Befundes der Harnröhren¬
schleimhaut mittels der Urethroskopie ist eine allgemeine
Einigung noch nicht erzielt. Immerhin wird zuzugeben sein,
dass, wenn sich auch hervorragende Vertreter des Faches in dieser
Richtung nur mit Reserve äussern, die rationelle urethro-
skopische Untersuchung und auch die zu therapeutischen
Zwecken unternommene Dehnung in Kombination mit arznei¬
lichen Applikationen, speciell in Folge der so ausserordentlich
eingehenden Arbeiten von Oberländer und Kollmann,
eine erhebliche Anzahl von Anhängern, darunter Namen vom
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149 r >
17. September 1901. MUENOHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
besten Klunge erworben hat. In dem vorliegenden Buche, dessen
II., der Therapie gewidmeter und uns besonders interessirender
Theil noch aussteht, wird zunächst die Pathologie und die patho¬
logische Anatomie der akuten und chronischen Gonorrhoe des
Mannes, weiterhin aber die Diagnose der Urethritis gonorrhoica
chronica mit besonderer Berücksichtigung der Urethroskopie be¬
handelt. Leider fehlen hier die, in dem früheren O.’schen Lehr¬
buch der Urethroskopio so trefflich gelungenen Tafeln. Vielleicht
werden dieselben dem II. Theile beigegeben sein, wenn auch eine,
Andeutung davon bisher vennisst wird. Uebcr die wissenschaft¬
liche und diagnostische Bedeutung der Urethroskopie dürfte ein
Zweifel kaum mehr aufrecht zu erhalten sein. Ueber den prak¬
tischen Werth der damit verbundenen meehanisch-instrumen-
tcllen Methoden werden wir mit unserem Urtheil besser zuriiek-
haltcn, bis das Buch vollständig vorliegt. K o p p.
Jahresbericht der Unfallheilkunde, gerichtlichen Medicin
und öffentlichen Gesundheitspflege für die ärztliche Sach-
verständigenthätigkeit, herausgegeben von Dr. P1 a c z e k.
Leipzig, G. T h i e m e, 1901. 707 S. Preis 18 M.
Kein Gebiet der allgemeinen ärztlichen Praxis ist in
den letzten Jahren so erweitert und ausgiebig bebaut worden,
wie das der ärztlichen Sachverständigenthätigkeit; in formeller,
technischer und wissenschaftlicher Beziehung sind hier grosse
und neue Aufgaben an die Aerzte herangetreten. Für manche
Arbeitsgebiete, wie die Medicinalverwaltung und gerichtliche
Medicin, werden naturgemäss immer nur einzelne bestimmte
Aerzte die regelmässig beigezogenen Sachverständigen bilden,
aber es kommt doch sehr häufig vor, dass die praktischen Aerzte
in Straf- und Civilproccssen als Sachverständige oder sachver¬
ständige Zeugen beigezogeu werden; die immer mehr sich aus¬
dehnenden Lebensversicherungen und privaten Unfallversiche¬
rungen beanspruchen die sachverständige Mitwirkung der Aerzte
in hohem Grade und namentlich für die Durchführung unserer
socialpolitischen Gesetzgebung, die Beurtheiluug der Erwerbs¬
unfähigkeit nach den verschiedenen Gesichtspunkten und des
Zusammenhanges zwischen Trauma und Krankheit, die Behand¬
lung Unfallverletzter, wie die Handhabung des Heilverfahrens
bei Versicherten bildet die sachverständige Thätigkeit aller
Aerzte die unentbehrliche Grundlage. Kein Arzt, sei er Kassen¬
arzt oder Specialarzt, kann und darf sich dieser Aufgabe ent¬
ziehen und muss sich daher auch mit diesen Disciplinen ein¬
gehend vertraut machen.
Man kann daher wirklich von der Abhilfe eines dringenden
Bedürfnisses sprechen, wenn ein neues Unternehmen diesen viel¬
seitigen Ansprüchen genügen und den Aerzten in ihrer Eigen¬
schaft als Sachverständigen in jährlicher Uebersicht Kenntniss
von den in zahlreichen, in- und ausländischen Fachblättern zer¬
streuten neuen und wissenswerthen Arbeiten bringen will, wie
dies für andere medicinsche Sparten seit Jahren der Fall ist.
Die Namen der vielen Autoren, deren jeder über ein ab¬
gegrenztes Gebiet referirt, Hessen etwas Gutes erwarten. Der
Leser findet in dem Jahresberichte nicht nur vielerlei, sondern
auch viel, was mit kritischem Geiste in knapper, anregender
Form zusammengestellt ist. Auf das Einzelne kann nicht weiter
eingegangen werden, schon die blosse Inhaltsangabe würde zu
viel Platz beanspruchen; Manches dürfte ausführlicher, Manches
kürzer oder anders behandelt sein,’ der Abdruck grösserer Ge¬
setze im Wortlaute dürfte wohl wegfallen. Jedenfalls stellt schon
das erstmalige Erscheinen dieses Jahresberichtes eine werthvolle
Bereicherung der ärztlichen Literatur dar, möge er daher die
wünschenswerthe Verbreitung finden. Dr. Carl Becker.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
Bd. V, Heft 3. 1901.
1) Max E i n h o r n - New-York: Heber Sitophobie intesti¬
nalen Ursprungs.
Sitophobie = Furcht vor Nahrung ist nach der Erfahrung
des Verf. ein Zustand, der lauge Zeit hindurch anhalten kann und,
wenn nicht erfolgreich behandelt, du» Loben gefährdet. E. theilt
die Krankengeschichte dreier Fülle mit, bei welchen der Glaube,
dass objektiv unbedeutende Darmstörungen sich durch die Auf¬
nahme erheblicher Nahrungsmengen verschlimmern möchten, zur
ungenügenden Nahrungszufuhr, rapiden Abmagerung. Anuemie,
nervösen Symptomen geführt hat. Hinsichtlich der Therapie em¬
pfiehlt er vorzüglich eine psychische Behandlung, unterstützt bei
nervösen Zustiludeu durch Brom-, bei schmerzhaften Erscliein-
ungeu durch Codein-Medikation.
2) Erich E k g re n - Stockholm: Untersuchungen und Beob¬
achtungen über den Einfluss der abdominellen Mas3a<?e auf
Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls, sowie auf die Peristaltik.
(Aus der III. inedieltiischen Klinik der Charite [Direktor: Geheliu-
ratli Senato r].)
Verfasser beobachtete bei der manuellen Anwendung ab¬
domineller Massage eine deutliche Herabsetzung des Gefüsstouus,
Verringerung der Pulsfrequenz und Anregung der Peristaltik.
11 Krankengeschichten beweisen seine Ausführungen. Er glaubt
daher eine subtile Massage als eine die Herzthätigkeit licruhigeude,
verlangsamende und gewissermaasseu regulirende I*roz«*dur em¬
pfehlen zu dürfen. Die Wirkung derselben erklärt er sich durch
die Erzeugung einer starken abdominellen Gefässfüllung, zeit¬
weise» Entlastung des Herzmuskels und möglicherweise auch eines
directen reflektorischen Bolzes auf den Vagus und die Vaso¬
dilatatoren.
Öl II. S a 1 o m o n - Frankfurt: Ueber die Wirkung der Heiss¬
luftbäder und der elektrischen Lichtbäder. (Aus der Abtheilung
des Prof. v. N oord e n.)
Während ü!ht die Wirkung heisser Bäder genaue Stoff-
wechselarbeiteu vorliegen, fehlen derartige Untersuchungen bisher
bei der Ileissluft- und elektrischen Licht-Bndcbehaudlung. S. hat
nun hei 2 Patienten während und unmittelbar nach Heissluft- und
elektrischen Licht-Bädern mittels des Z u n k - G e p p e r t’schen
Bcspirationsnpparatcs genaue Gasweehseluntersuchuugen an¬
gestellt. Er kommt dabei zu dem Resultate, dass die Wirkung auf
den Gaswechsel gegenüber der mächtigen Beeinflussung der Körper¬
temperatur, des Körpergewichts und des Allgemeinbefindens eine
relativ geringe Ist und die Vermehrung desselben selten über die
beim Fiel>or ermittelten Steigerungen ldnausgelit. Jedenfalls
reichen die Oxydationssteigerungen im Ileissluft- und Lichtbade
nicht entfernt an die von Wiuteruitz im heissen Wasserbade
gefundenen heran.
ln Praxis erscheinen also die elektrischen Lichtbäder als
reinliche, schnell wirkende Schwitzbäder. Eine speeitische Wir¬
kung erheblicheren Grades auf dou Stoffwechsel ist nicht nach¬
weisbar.
4) M. S i g f r 1 ed - Bad Nauheim: Die Dreiradgymnastik im
Dienste der Bewegrungstherapie. (1. u. II. Theil. Mit 11 Ab¬
bildungen.)
Das Dreirad erwies sich dem Verf. nicht nur zur Ergänzung
der Apparate der bahnenden wie der kompensatorischen Uebungs-
(lierapie (bei Myelitis. Polyneuritis und tabischer Ataxie) als
brauchbar, sondern lless sich auch bei der Behandlung von Herz¬
krankheiten zur Widcrstandsgymuastik mit Erfolg verwenden.
Denn vorsichtig eiugeleitete Muskelkontraktionen entlasten das
Herz. Bei richtiger Dosinmg der Gymnastik tritt eine Verlang¬
samung der Herzthätigkeit und Atlimuug. zugleich eine Vertiefung
der letzteren und eine Erhöhung der Pulswelle ein.
S. wandte die Kadgyiuuastik in Fällen von Herzdilatation und
Herzmuskelerkrankuug mit günstigem Resultate an, doch Ist eine
dauernde ärztliche Uobcrwachung der Hebungen unbedingte
Voraussetzung.
5) Pe 11 zaeu s-Suderode am Harz: Beschreibung einer auch
bei wechselndem Wasserdruck sicher funktionirenden Douche-
vorrichtung. (Mit 1 Abbildung.)
<») W. Camerer jun.-Stuttgart: Untersuchungen über Dia-
betikerbrode.
C. lenkt die Aufmerksamkeit der Aerzte darauf, dass nach
eigenen Analysen der Gehalt der sogenannten 1 Muhetikcrl»rode an
Kohlehydraten selten unter 40 Proc., das ist unter den Kohle-
hydratgelialt des gewöhnlichen Gniliamhrodes oder Pumpernickels
zu stehen kommt, in der Praxis also ihr Nutzen meistens über¬
schätzt wird.
Dazu kommt noch, dass je länger ein Brod aufbewahrt wird,
es einen relativ um so grösseren Kohlehydratgelinlt durch Wasser¬
verdunstung erreicht.
7) Julian M a r e u s e - Mannheim: Das hydrotherapeutische
Institut an der Universität Berlin. (Mit 3 Abbildungen.)
M. W assermanu - München.
Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 3- ; .
II. Z e e h u i s e n - Utrecht: Beitrag zur Mechanotherapie.
Verf. will systematische Muskelübung unter ärztlicher Auf¬
sicht. insbesondere Wlderstnndsthempie in einschlägigen Fällen
mehr angewandt wissen. An der Hand eines Falles von Fett¬
herz, den er mit Erfolg derart behandelte, bespricht er die all
bekannten Manipulationen, wie sie durch den Hausarzt vorzu-
nehmen seien. Als liesoudere Gebiete für die Anwendung der
Mechanotherapie. unter Umständen verbunden mit Hydrotherapie,
benennt Verf. die Rekouvalesceuz akuter und subakuter Erkrank¬
ungen. Fälle mit Unterernährung einhergehender Zustände von
körperlicher und psychischer Schwäche (abhängig zum Theil von
beginnender Tuberkulose, Anneniie. Chlorose». Gicht, atypische
Gicht uml mit gichtischer IMatliese einhergeliende ueutasthenische
Zustände. Fettsucht. Neurasthenie, Hysterie, traumatische Ncuio<c
und „aparte Fälle von Tuberkulose, die sich in Folge von psy¬
chischer Depression nicht zur Anstnltsbchnndiuug eigneten”.
Verf. will bei Allem die Mechanotherapie nur als BruHilImil
des Ganzen, d. h. also neben den gewöhnlichen therapeutischen
Agentlen amvenden.
Neues bringt der Aufsatz nicht.
de lu Ca mp-Berlin.
Digitized by
Google
M1JENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
»:)3
Archiv für klinische Chirurgie. 64. Bd., 4. Heft. Berlin,
Hirschwald, 1901.
47) Rosa Einhorn: Zur Kenntniss der Unterschenkel¬
frakturen. (Chirurgische Klinik Bern.)
Rein statistische Arbeit. Zum Referat nicht geeignet.
50) M <> r t e n s: Die Frakturen des Calcaneus, mit besonderer
Berücksichtigung des Böntgenbildes. (Chirurgische Klinik Leip¬
zig.»
M. hatte Gelegenheit, 15 Fälle von Culcaneusfraktur zu be¬
obachten und davon 9 mittels des Königen Verfahrens zu unter¬
suchen. 3 FraktUrformen sind nach M. zu unterscheiden; die
reine typische Kissfrnktur des Calcaneus, die Compressionsfraktur'
schwereren (Jnides — Zertrümmerungsfraktur — und die Com¬
pressionsfraktur leichteren Grades. l>as Köntgenhild der reinen
lUssfraktur zeigt weiter nichts, als dass ein Fragment von der
hinteren Iliilfte des Fcrsenboinkürpers abgerissen und nach oben
dislocirt ist. Her Körper des Calcaneus zeigt im Febrigen absolut
normales Verhalten, vor Allem vollständig erhaltene Bälkchen-
struktur. Hei der Kompressionsfiaktur schwereren Grades bildet
sich verwaschene, zum Tlicil völlig nufgrholiene Struktur der Sub-
stautia spongiosa. umtleichniässige, herdweise auftretende Verdich¬
tung uml Zusammenstauchung der spongiösen Substanz — kennt¬
lich am intensiveren Schatten, abwechselnd mit weniger komprl-
mirten helleren Partien — deutliche Verminderung der Höhe des
Calcaneus und ganz unregelmässig verlaufende Brtichlinicn. Die
Kompressionsfrakturen leichteren Grades zeigen dieselben Vor- ]
änderungen, nur in weit geringerem Grade. Das llauptcharakte-
ristische für diese sind die herdweise auftretenden an den ver¬
schiedensten Stellen des Cnloaneuskürpers lokalisirten Verdich¬
tungen der spongiösen Substanz mit Vorwasehensein der Bälkelien-
struktur.
Die Diagnose der schweren Kompressionsfraktur ist auch
klinisch immer leicht zu stellen, während die sichere Erkennung i
der leichteren Kompressionsbrüche oft nur mit Hilfe des Röntgen-
bildes möglich ist.
55» v. 11 i n t s - .Maros-Vasärhely (Ungarn): Ueber die isolirte
Zerreissung der Hilfsbänder der Gelenke, mit Anschluss eines
Falles von Ruptur des Ligamentum genu collaterale flbulare.
Der Fall von isolirter Zerreissung des äusseren Kuiegelenks-
bandes entstand durch Hinüberfallen des Oberkörpers nach links
bei lixirtem rechtem Fnterschcnkel. Der Fnterschenkel konnte
nach der Verletzung in geringem Matisse gegen den Oberschenkel
adducirt werden; über abnorme Rotation Hess sich kein Urtheil
gewinnen. In ticktirter Stellung konnte der Fnterschenkel nach
vorne und hinten nicht bewegt werden: die Ligamenta erueiata
waren demnach intakt. Nach der Heilung war die Funktion
des Keines tadellos, obgleich keine vollständig feste Vereinigung
des zerrissenen Bandes eingetreten war.
v. II. sieht den Grund des Fehlens einer Funktionsstörung in
erster Linie in der normalen Winkelstellung des Oberschenkels
zum Fnterschenkel. Die gleichen statischen Verhältnisse des
Kniegelenkes bedingen auch die grosse Seltenheit der Zerreissung
des äusseren Seitenbandes im Vergleich zur Ruptur des Liga¬
mentum lat. tibiale. Aus der gesummten Literatur konnte v. II.
27 Fälle von Ruptur der letzteren und nur 2 Fälle von Zerreissung
des äusseren Seitenbaudes zusammenstellen.
50) Schanz- Dresden: Was sind und wie entstehen statische
Belastungsdeformitäten P
Statische Belast ungsdeformitäten sind krankhafte Form Ver¬
änderungen des Traggerüsts des Körpers, welche durch statische
Inanspruchnahme derselben über seine statische Leistungsfähigkeit
entstehen. Die Entwicklung der Belastungsdeformitäten erfolgt
nach ganz einfachen mechanischen Gesetzen, die im lebenden
Organismus keine anderen sind, wie beim todten Material, nur re-
agirt der lebende Organismus in bestimmter Weise. Es müssen
demnach an den statischen Belastungsdeformitäten 2 Arten von
Erscheinungen zu linden sein: die einen als Ergebnisse der rein
mechanischen Einwirkung der Feberlastung und die anderen als
Keaktionserscheinungen des lebenden Organismus auf die durch
jene mechanischen Vorgänge entstehenden Veränderungen. Die
m Frage kommenden mechanischen Vorgänge führt Sch. an einer
Reihe von Beispielen aus, in denen er das Traggerüst des Körpers
mit einer biegsamen, elastischen Säule vergleicht.
Als erste und wichtigste Reaktioliserscheiuung des Organis¬
mus nennt Sch. die der fortschreitenden Verbiegung entsprechende
Verschiebung der Biegsamkeitsgrenze. Andere derartige Reaktions¬
erscheinungen sind die Bestrebungen des Körpers, dem deformiren-
den Process Einhalt zu tliun. z. B. die Anlagerung von Stütz¬
substanz auf der Seite der Conen vital einer Verbiegung (Exostosen¬
bildung an der skoliotischcn Wirbelsäule. Sübelsehcidenform der
rachitischen Tibiai oder bei Gelenken die Verstärkung der auf
Seite der Fonvexitiil gelegenen Kapseltheile (Hypertrophie des
Lignin, lat int. bei Genu valgtim, Verdickung der plantaren Bänder
beim statischen Platt fass).
-in» v. M i k n 1 i c z - Breslau: Die Methoden der Schmerz¬
betäubung- und ihre gegenseitige Abgrenzung.
4Si II e i d e li h a i n - Worms: Ueber Exstirpation von Hirn¬
geschwülsten.
49) Der sei b e: Ausgedehnte Lungenresektion wegen zahl¬
reicher eiternder Bronchiektasien in einem Unterlappen.
51 1 K o h 1 h a rd t: Ueber Entgiftung des Cocains im Thier¬
körper. (Krankenhaus P.crgmaiinstrost Halle.)
52) Rehn-Frankfurt: Die chirurgische Behandlung der
akuten Appendicitis.
53) Julius W o 1 f f - Berlin: Die Arthrolyse und die Resektion
des Ellenbogengelenkes.
54) Dorsel b e: Osteoplastik bei veralteter Patellarfraktur.
Die Referate über vorstehende Arbeiten finden sich hn Bericht
über den 30. Chirurgeukougress, No. 10—19 dieser Wochenschrift.
Heineke- Leipzig.
Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 34.
A. II e nie: Ein Kurzschlussunterbrecher für die Zwecke
der Endoskopie.
Fm eine Starkstromleitung direkt (nach Einschaltung des
nöthigen Widerstandes) für die Eudoskopie, speciell der Harn¬
blase etc., zu benützen, bedient sich II. (wenigstens bei Gleich-
stromleittuigen von nicht allzu hoher Spannung) eines einfachen
Ausschalters, wodurch die Lampe durch Kurzschluss ihres Stroms
beraubt wird, während die eingeschalteten Widerstände gross
genug sind, um ein Durchbreuneii der Sicherungen zu vermeiden.
Als Widerstand diente ein (s. Abbild.) Brett mit 3 Glühlampen von
19, 25 und 52 Kerzen, die je eine oder zwei durch Verstellung
eines entsprechenden Hebels in deu Stromkreis eiuzusclmlteu siud,
in welchem ausserdem ein kurzer Kheostat zur feineren Regu-
linmg eingefiigt ist. Damit das Licht dieser Widerstamlslampen
nicht stört, sind sie aus dunkelgrünem oder dunkelrotlicin Glas
gefertigt ts. die Abbild, im Original). Verfertiger G. llnertel-
Breslau. Sehr.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd.
3. Heft.
1) II. K e I tl er- Wien: Ein Beitrag zur Retroflexion und
Retroversion der schwangeren Gebärmutter.
Eine Rückwärtsverlagerung der schwangeren Gebärmutter
kommt nicht nur dadurch zu Stande, dass eiu retrolloktirter oder
retrovertirter Ftcrus geschwängert wird, sondern auch durch Ver¬
lagerung der antefiektirten Gebärmutter in der Schwangerschaft.
Bei bestehender Rotrodeviation kann eine RetroÜexlo zu einer
Ketroversio, eine Retroversio zu einer RetroÜexlo werden. Beide
Lageveräudorangen sind in ihrer Bedeutung sehr verschieden.
Eine Spontanaufrichtung des Uterus ist bei Ketroversio nicht zu
erwarten, doch ist ein therapeutisches Handeln auch bei Ketru-
flexio geboten. Die Fälle von Rückwürtsverlageruug, in denen
der Muttermund die höchste Stelle des im kleinen Becken ein¬
gekeilten Uterus bildet, oder in denen bei nach vorne und oben
gerichtetem Muttermund die Portio vaginalis fehlt, haben die
pathologische Bedeutung der Retroversio.
Die Hnrureteutiou darf selbst nicht bei fehlender Infektion
des Blaseninhalts durch plötzliche vollständige Entleerung der
Blase behandelt werden. Die sogen. Blasenblutung ex vacuo ist
der Ausdruck beginnender Blasennekrose.
2) M. Madlener- Kempten: Das Hautemphysem nach
Laparotomie.
Die bekannten Fälle von Hautemphysem nach Laparotomie
sind alle durch den Austritt der hn Abdomen zurückgebliebenen
Luft zwischen die genähten Wundränder entstanden. Gewöhnlich
breitet sich die Luft im lockeren subkutanen Gewebe aus. In
einigen Fällen entstand Emphysem vor vollständigem Schluss der
Bauchwunde. Die Beckenhochlageruug begünstigt das Entstehen,
ebenso ungenügende Vereinigung der tieferen Schichten der Bauch¬
naht. Das Emphysem macht kaum Beschwerden und wird meist
ohne Behandlung nach einigen Wochen resorliirt.
3) L e w e re n z - Stettin: Ueber die mit den Beckenorganen
im Zusammenhang stehenden Bauchdeckenflsteln.
Verf. bespricht im Anschluss an die Mittheilung von 5 Fällen
aus der Greifswalder Klinik die Entstehungsweise, Behandlung
und Verhütung dieser Fisteln. Es ist übertrieben, die Drainage als
Ursache der fistulösen Baueheiterungeu anzuschuldigen. Die Be¬
handlung muss zunächst mehr oder minder palliativ sein. Ist der
Douglas’sehe Raum Sitz der Eiterung, so ist es zweckmässig, das
hintere Seheideugewölbe zu eröffnen und vaginal zu drainiren.
In anderen Fällen sind Einspritzungen von ätzendeu und ad-
stringirenden Substanzen in den Eitergang von Erfolg. Versagen
alle Mittel, dann ist die Radikaloperation, die Exstirpation des
Fisteiganges und di«* Ausschaltung der Eiterungsquelle, geboten.
Die vaginale Operation ist in den Fällen zu empfehlen. In denen
wegen gleichzeitiger Erkrankung d«*r Adnexe tüe Totalexstirpation
des Uterus gestattet bezw. imlieirt ist.
Uni der Entstehung solcher Fisteln vorzubeugen, verwende
man bei versenkten Nähten ausschliesslich resorblrbares Material:
die Peritonealrisse sind sorgfältig zu schliessen; die Anwendung
der Drainage bezw. Tamponade ist nach Möglichkeit eiuzu-
seliränken.
4) V. J ohan n ovsk y - Reichenberg: Kasuistische Beiträge
zur operativen Gynäkologie.
1. Primäres Selieidensarkom, durch sakrale Totalexstirpatiou
des Uterus und der Scheide mit Erfolg operirt. Verf. sieht in der
sakralen Opcrntionsmethode gegenüber «lern perinealen Verfahren
von Olshausen und der Scheidemlamniincision von Dübrsseti
den Voriheil, «lass nach Entfernung der hinteren knöchernen
Bcckcnbegrcnzung Rectum und Scheide iu übersichtlicher Weise
freigelegt werden kann. Die Blutstillung kann exakter ausgefiihrt
werden, auch die von Krön lg hei dem Verfahren nach 01s-
h a u s e n in 4'erschlag gebrachte Resektion des aulii*gendeu
Rectumtheiles würde im gegebenen Falle einfacher sein.
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17. September 1901.
MFENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1497
2. Zwei konservative Kaiserschnitte, ausgeführt an derselben
Person. In beiden Fällen wählte Verf. den vorderen Längsschnitt
uud legte das zweitemal eine gemeinschaftliche lUerusbauch-
deckenmiht au.
5) F. S p a e t li - Hamburg: Antipyrln-Salol als Haemo-
b typ tl cum.
Verf. empfiehlt bei Blutungen die lokale Behandlung der
Uterusinnenflüche mit erhitztem verflüssigtem A.-S. Die Wirkung
beruht in der Auslösung kontraktionserregender Reize und ist ln
allen Fällen bei Blutungen in Folge muskulärer Erschlaffungs¬
zustände des Uterus eine prompte. Sind Geschwülste oder stärkere
Wucherungen der Uterusschleimhaut vorhanden, so genügt A.-S.
meist nicht zur definitiven Blutstillung.
ti) R. I* a 1 m - München: lieber papilläre polypöse Angiome
und Fibrome der weiblichen Harnröhre. (Schluss im nächsten
Heft.)
7) J. F u e t h • Koblenz: Zur Leitung normaler Geburten
durch den Arzt.
Bemerkungen zu der vom ärztlichen Leseverein in Aachen
angeregten Frage der staatlichen Prüfung uud Beaufsichtigung
von Woclienpflegeriunen. C. Weinbreuner - Erlangen.
Centralblatt für Gynäkologie. 19ul. No. 36.
1) Erwin Keh rer-Bonn: Eine sehr seltene Form von
Ruptur des muskulösen Beckenbodens und des Perineum.
K. beschreibt einen Fall bei einer I. Para mit Vaginitis granu-
losa, die in der Geburt eine komplizirte centrale Dammruptur ac-
quirirte. Die hintere Vaginalwand, das Septum recto-vaginale
und die vordere Wand des Rectum rissen ein; im Anus erschien
«las Gesicht des Kindes. Nach sagittaler Incision ging die Ge¬
burt glatt zu Ende.
Die Verletzungen wurden durch sorgfältige Naht vereinigt;
besondere Sorgfalt wurde auf die Vereinigung der Sphinkterenden
verwandt. Heilung günstig. Bei der Frau handelte es sich
übrigens um ein allgemein gleichmüssig verengtes, nicht rachi¬
tisches Becken.
In der Literatur fand K. nur 5 ähnliche Fälle, die er kurz
beschreibt.
2) E k s t e i n - Teplitz: Entgegnung auf die Publikation von
S o 1 o w i j: „Eine einfache und sichere Methode der instrumen-
tellen Ausräumung der Gebärmutter ohne Assistenz bei
Abortus“. (Centralblatt für Gynäkologie, No. 33. — Rpf. in
dieser Wochenschr. No. 35. p. 13i)2.i
E. bekämpft den Gedanken S.'s, eine iustrumeutclle Aus¬
räumung des Uterus bei Abortus ohne Assistenz auszuführen,
einmal wegen der Gefahr der Perforation, zweitens wegen der
Unsicherheit in Bezug auf exakte Entleerung des Uterus. Wenn
kein Arzt zur Verfügung, sollte eine Hebamme wenigstens immer
zur Assistenz geholt werden.
3) G a r i o n i - Padua: lieber ein gynäkologisches Speculum.
Wieder ein neues Speculum! Dasselbe gleicht dem Col Hu¬
schen Speculum bivnlve, besitzt aber auch noch eine damit fest
zu verbindende Kugelzange für Herabholung des Uterus und eine
ebenfalls fest anzubringende Kanüle zur Irrigation. So soll cs
gelingen, ohne Hilfe und unter strengster Antisepsis zu operiren.
Abbildung im Original.
Fabrikant ist X. Val egg ia in Padua.
J a f f 6 - Hamburg.
Archiv für Kinderheilkunde. 32. B<1., 1. u. 2. Heft.
H. Cramer-Bonu: Zur Stoffwechselgleichung beim Neu¬
geborenen.
Physiologische Untersuchungen über den Stoffwechsel Neu¬
geborener; die Ergebnisse wurden durch ungemein zahlreiche
Wägungen der Kinder erhalten uud so die aufgenommene Nahrung.
Koth und Urin, sowie die Perspiratio lnsensibilis — die Kinder
wurden in impermeable Stoffe eingehüllt — bestimmt. Die zahl¬
reichen Tabellen siehe im Original. — Das Wachsthum der Nou-
gelxj reuen ist durch Wägung am Morgen zu bestimmen; in den
ersten Lebenstagen tritt eine Wasserverarmung und damit eine
Verminderung der Ilarnaksonderung ein; ca. vom 10. Lebenstage
au betrügt für längere Zeit unter normalen Verhältnissen die
Urinmeuge 70 Proc. der eingenommenen Flüssigkeit.
G. Variot uud G. C h 1 c o t o t-Paris: Einige Anwendungen
der Radioskopie für das klinische Studium der kindlichen Brust¬
organe. (Aus dem „IlOpital des Enfants malades", Paris.)
I. Messung der Projektionsfläche des Her-
z e u s. Schilderung der Methode, durch welche die Verf. das
rawioskoplsche Herzbild erzeugen und mittels eines geometrischen
Verfahrens (Details Im Original) auf den wirklichen Herzumriss
korrlgireu. — II. Die Diagnose der genuinen (crou-
p ö s e li) Pneumonie beim Kinde mit Hilfe der
R n d i o s k o p i e. Mittels lichtschwacher Röhren konnten die
Verf. Verdichtungen ira Lungengewebe nachweiseu und halten
«lieses Verfahren für diagnostisch werthvoll, besonders bei cen
tralen Pneumonien und Fällen, wo die übrige physikalische Dia¬
gnostik im Stiche lässt. — III. ltadioskopische Beob¬
achtungen zur I) 1 f f e r e n 11 a 1 d 1 a g n o s e zwischen
Bronchopneumonie und genuiner Pneumonie
hei Kindern. Aufzählung der radioskopischen Befunde, die
1 h* 1 nicht hepatisirenden und nicht confluirenden Lungenerkrank-
uugeu wenig charakteristisch sind.
G. - v. Ritter: Zur Xenntniss der Atresia laryngis post
intubatlonem. (Aus Professor Ganghofner's Kinderklinik In
Prag.)
Beschreibung eines Falles bei einem lOniouatlieheu Knaben,
der wegen Diphtherie intubirt. daun sekundär traeheotomirt wurde
und bei dem sich eine völlige Obliterutiou des Kehlkopflumens
oberhalb der Kanüle ausbildete; Exitus durch intercuiTcntc
Masern. — Zusammenstellung der übrigen ähnlichen Fälle aus
der Literatur, welche auch für die Ansicht O’D w yers sprechen,
dass die sekundäre Tracheotomie die Entstehung von Stricturen
oder Obliteration des Larynxlumens zu begünstigen scheine, wohl
dadurch, dass die durch die Tula? gesetzten Decubitusgeschwüre
ganz sich selbst überlassen bleiben, v. R. schliesst. sich daher
O'Dwyer an. von der späteren Tracheotomie abzusehen uud die
Heilung dos Decubitus im Kehlkopf durch entsprechend uiodi-
lizirte Tuben anzustreben, entweder durch die kurzen Tuben von
Bayeux oder die speziell hiefür angegebenen O’Dwyer'sehen
Tuben.
J. K. F r i e d j u n g - Wien: Vom Eisengehalt der Frauen¬
milch und seiner Bedeutung für den Säugling.
Eiuo kleine Reihe von physiologischen Untersuchungen über
den Eisengehalt der Frauenmilch.
A. Baginsky: Zur Pathologie des Darmtraktus.
Referat in der pädiatrischen Sektion des XIII. Internat, mod.
Kongresses in Paris. — Ref. diese Wochenschr. 11)00, p. 1323.
P. It i c li tc r-Berlin: Ueber Masern und Pemphigus.
It. berichtet über die gesammte Literatur, welche das Auf¬
treten von pemphigusartigen Eruptionen im Gefolge von Maseru
behandelt. Es ist unentschieden, ob es sich bei diesen deletären
Erkrankungen um eine besondere und schwere Modifikation von
Masern handelt oder um eine Aufeinanderfolge von wirklichem
Pemphigus nach Morbilli.
Kleine Mittheilungen: #
A. A. K Issel: Ein Fall von Noma (nach Masern) bei
einem 5 jährigen Knaben mit Ausgang in Heilung trotz Kom¬
plikation mit blutigem Durchfall und Pneumonie. — Ein Fall
von eiteriger Pleuritis bei einem 2 jährigen Knaben, geheilt
durch modiflzirte Behandlung von Prof. Lewascheff. (Aus
dem St. Olga-Kinderkrankenhaus in Moskau.)
Kasuist Ische M ittheilungen.
L. Voigt, Oberimpfarzt in Hamburg: Bericht über die im
Jahre 1900 erschienenen Schriften über die Schutzpocken¬
impfung.
Referate. Lichteusteln - München.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenknnde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 6. 1901.
1) Nakanlshi: Heber den Bau der Bacterien. (Schluss.)
2) E. J ac o b 11 z - Halle: Die Sporenbildung des Milz¬
brandes bei Anaerobiose (bei Züchtung in reiner Stickstoff-
atmosphäre).
Im Gegensatz zu lvlett kommt Verf. bei seinen Untersuch¬
ungen zu dem Resultat, dass eine Sporenbilduug bei Milzbrand
auf Agarnährbodeu ln einer reinen Stickstoffatmo-
spliüro nicht stattfindet. Der Stickstoff verhält sich also genau
wie der Wasserstoff.
3) R. Rah n e r-Freiburg: Bacteriologische Mittheilungen
über die Darmbacterien der Hühner.
Die Dejektionen von jungen, eben erst ausgebriitoten lliihn-
ehen wurden qualitativ und quantitativ auf vorhandene Bacterien
untersucht. Es zeigte sich, dass erst am Ende des 2. Tages
einzelne nicht nach G r a m färbbare Bacterien auftreteu, die zur
Gruppe des Bact. coli gehören. Am 4. bis 5. Tage gesellen
sieh (* o c e c n und nach G r a m färbbare Stäbchen hinzu,
die Verwandte des Subtil is und Mesenterieus sind.
Aehnlieh wie beim Menschen Ist auch heim Hühnchen in den
ersten Stunden der Danuinhalt steril.
Das Bacteriui» coli, welches aus dem llühnerdarminhalt rein
gezüchtet wurde, ist in allen Stücken dem Bact. coli commune des
Menschen gleich und in allen Lebens- und Ernährungsverhältnissen
am reichlichsten vertreten.
4) E. 0 a c ac e - Neapel: Heber das proteolytische Vermögen
der Bacterien.
Die mit Sa reinen, Milzbrand und S t a p h y lo¬
co c o e n angestellten Versuche ergaben, dass Proteinsubstanzen
unter Bildung von Prolalburuosen, Deuteroalbumosen und Peptonen
zersetzt wurden. Die Produkte der Proteinspaltuug können in
weit fortgeschrittenen Stadien der Entwicklung der Bacterien
f«*hlon. Die Proteolyse ist dieselbe wie b«*i allen lel>eudeu Wesen.
5) K. Reuter- Hamburg: Ueber den färbenden Bestand¬
teil der Romanowsky-Noch t’schen Malariaplasmodien¬
färbung, seine ReindarBtellung und praktische Verwendung.
Durch methodische Versuche gelang es. «len färl>endcn Be¬
standteil «ier R o m a n o w s k y'sehen Färbung rein darzustellen,
so dass nunmehr mit absoluter Sielmrheit die (’hroinatlnfärlmug
ermöglicht wird. Der Farbstoff ist für sieh uud in seiner alko¬
holischen Lösung unveränderlich. Die näheren Details müssen im
Original nnchgelesen werden.
(j) A. Dietrich- Tübingen: Ein neuer Operationstisch für
Kaninchen.
R. O. Neil mann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 3(>.
1) H. J a e g e r - Königsberg i. Pr.: Heber Amoebenbefunde
bei epidemischer Dysenterie.
Die Befunde von Amoebon bei Dysenteriefällen differiren nach
den einzelnen Distrikten, aus denen die Untersuchungen stammen.
Verf. lmt bei 30 untersuchten DyseuteriefiUleu 23 und im Stuhle
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1498
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
Ainoclicu auffinden kilumn.. die den bei clor ägyptischen Ituhr
gefundene» in allen wesentlichen Merkmalen ähnlich waren. Sie
kamen und versehwauden mit dem Rulirprocesse. bosassen die
Fülligkeit, rot he Blutkörperelieu in sieh auf zunehmen, verhielten
sieh ablehnend gegen Ziiehtungsversuehe und waren pathogen für
Katzen. Yerf. hält für erwiesen, dass diese Amoebenform für die
in Ostpreussen vorkonnnende Ruhr eine wichtige aetiologisehe
Rolle spielt. Doch scheint auch im Nordosten Deutschlands eine
Ruhrart ohne Amoeben vorzukommen, wie auch Krause bei
seinen Untersuchungen im nlederrheluiseh-westfällsehen Ruhr¬
gebiet bei den Dyseuteriefällen keine Amoeben, sondern konstant
eine dem Typhuslmcterium ähnliche Stiibcheuart nachzuweisen
vermochte.
2) L. Mohr- Frankfurt a. M.: Zur Frage der Zuckerbildung
aus Fett in schweren Fällen von Diabetes mellitus.
Unter Anführung der über diese Frage vorliegenden Literatur
berichtet Yerf. über seine Stoffwoehseluutcrsuchungeu bei
2 schweren Diabetesfällon. bei denen die Berechnung ergab, dass
die ausgeschiedene n Zuckermengen unmöglich alle aus denKiweis-c-
suostanz.cn abstammen konnten. Auch schon frühere experi¬
mentelle Untersuchungen, ferner die Bestimmungen au mit
Phloridzin vergifteten Hunden, sowie eine Reihe theoretischer
Ueberlegungen lassen es nunmehr als sicher erscheinen, dass eine
Zuekerbilduug aus Fett möglich ist.
3» F. S e 1 b e r g - Berlin: Traumatische Pankreasnekrose.
Kin 3J)jiihr. Mann erlitt einen Hufschlag auf die Mngen-
gegend. es bildete sich eine Auftreibung über dieser Region, ferner
zeigte sich ein Pleuraexsudat links, das noch entleert wurde,
während eine weitere Operation wegen des schlechten Allgemein¬
befindens nicht mehr möglich war. Die Sektion des Patienten
ergab eiue völfige Nekrose des ganzen Pankreas, so dass unver¬
ändertes Drüsenparenchym an keiner Stelle mehr nachweisbar
war. Die Fettzeilen zeigten sich mit einem dunklen Pigment ge¬
füllt. Das histologische Bild war nicht vou jenem bei der spon¬
tanen Nekrose zu findenden zu unterscheiden. In diesem Falle
lag die Ursache mit aller Sicherheit in dem vorausgegangenen
Trauma.
4) Dreesmann - Köln: lieber Wismuth-Intoxikation.
In der Literatur sind eine grössere Reihe von Fällen be¬
schrieben, wo sowohl bei äusserer als auch bei innerer Anwendung
grösserer Wismuthmengen Yergiftungserscheinungen beobachtet
werden konnten. Der auftretende Symptomenkomplex hat grosse
Aehnliclikeit mit der Bleivergiftung, indem ebenfalls Stomatitis
und ein bläulicher Saum am Zahnfleisch sich zeigen; im Harne
findet sich ein Niederschlag, der manchmal noch als Wismuth
erwiesen werden konnte: auch kamen schon Darmgeschwüre zur
Beobachtung. Diese Krscheinuugen wurden auch bei Anwendung
des Dermatols, wie desAirols schon beobachtet. Aus seiner eigenen
Erfahrung beschreibt Yerf. einen Fall, eine 30jähr. Patientin be¬
treffend, wo nach einer ausgedehnten Verbrennung 10 proc.
Wismuthsalbe angewendet wurde, aber schwarzes Sedimeüt im
Harne, starke Stomatitis, sowie ein bläulicher Zahnfleischsaum
auftraten, so dass das Wismuth sistirt werden musste.
3) Th. Gluck* Berlin: Beitrag zur Chirurgie der Peritonitis.
(Schluss.)
Der sehr ausführliche Vortrag, über welchen bereits kurz an
dicserStelle herhhtit wurde, bespricht die Geschichte der Methoden,
mittels welcher man bisher der postoperativen Peritonitis Herr zu
werden versuchte. Abgesehen von schon lange aufgegebenen Ver¬
suchen bestanden sie in der Bestrebung, die Leibeshöhle offen zu
halten und für den Abfluss der Sekrete möglichst zu sorgen.
Gluck hat schon früher Apparate konstruirt, welche — sie sind
in dem Artikel nicht eingehender liesclirieben — es ermöglichen,
nicht nur die Bauchhöhle offen zu halten, sondern auch eine fort¬
währende Ueberspiilung mit beliebigen Flüssigkeiten, z. B. Koch¬
salzlösung. erlauben. Nebenbei kann noch die Tamponade und
Drainage todter Räume stattfinden. Bei 3 Fällen. Kinder betr.,
konnten unter dem Gebrauch der Apparate die Heilungsvorgänge
genau verfolgt werden. Von 30 operirten Fällen von tuberkulöser
Peritonitis hatte Yerf. 11 Todesfälle. Gl. liesprieht noch Einzel¬
heiten, welche sich bei der Spontanheilung der tuberkulösen Peri¬
tonitis abspielen. Verf. fordert weitere Versuche mit seinen
Apparaten.
0) Fr. € r a m e r - Wiesbaden: Eine balancirende Schwebe.
Der Artikel bringt die Abbildung und Beschreibung eines
Apparates, welcher es ermöglicht, dass das z. B. bei Oberschenkel-
ITaktim n im Verband befindliche Bein nicht in unveränderlicher
Höhe hängt, sondern balanclrt. so dass es mit dem übrigen Körper
sowohl gehoben als auch gesenkt worden kann, ohne dass es auf-
hörf, schwebend und in Extension gehalten zu werden. Verf. hat
sich überzeugt, dass die Erfolge mit der Vorrichtung gute sind
wegen der ungestörten Wirkung der leicht kontrolirbaren Ex
tonsinn: auch in der Privatpraxis kann der Apparat Anwendung
finden. Urassrannn - M fluchen.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 36.
li Ile hold und B r a t z - Wuhlgnrten (Berlin): Die Rolle
der Autointoxikation in der Epilepsie.
Vortrag, gehalten auf der Jahresversammlung des Vereins
deutscher Irrenärzte im April 1001. Referat siehe diese Wochen¬
schrift No. 20. pag. S10. '
2» Adolf B i e k e 1 - Göttingen: Untersuchungen über die Be¬
ziehungen zwischen der Veränderung des Gefrierpunktes des
Blutes und nervösen Störungen.
Nach vorliegenden Untersuchungen hängen die durch intra¬
venöse Injektion koi.z >n tri Her Kochsalzlösung erzeugten nervös-m
Reizerseheinungen bis zu einem gewissen Grade ab vou der
Schnelligkeit, mit welcher die Injektion vorgeuommeu wird. Da
min eine pathologisch vermehrte Konzentration des Blutes nur
sehr allmählich zu Stande kommt, lassen sich die Beobachtungen
von nervösen Reizerscheinungen, wie sie bei diesen Injektionen
gemacht wurden, nicht ohne Vorbehalt zur Erklärung der Uraemie
verwenden, und ist die bei der Uraemie vorhandene Steigerung
der inolekulären Konzentration des Blutes nicht als der Grund
der Störung anzusehen, wie Lindemanu meint, sondern unr
als ein Ausdruck der abnormer Weise im Körper retinlrteu Sub¬
stanzen.
3) Gotthold Herxheim er - Frankfurt a. M.: Ueber Fett¬
farbstoffe.
H. weist au einer Reihe vou Präparaten nach, dass die
M i c li a e 1 i s'sche Angabe, wonach nur den sogen, „indifferenten“
Farbstoffen die Fähigkeit zukomme, Fett zu färben, nicht ein-
wandsfrei ist.
4) Jaq. H. Polak- Amsterdam: Die Desinfektion der schnei¬
denden chirurgischen Instrumente mit Seifenspiritus.
Die sicherste Desiufektionsinethode für Instrumente Ist und
bleibt das Kochen derselben iu Sodalösung. Da dieses Verfahren
jedoch schneidende Instrumente zu sehr augreift, empfiehlt sich
für diese ein weniger schädliches Verfahren und besteht dasselbe
nach den Untersuchungen des Autors iu der Anwendung des
Spiritus saponato-kalinus. welcher sowohl mechanisch als chemisch
wirken soll (an den Instrumenten eingetrockneter Staphyloeoceus
wurde innerhalb 13 Minuten getödtet». Die Anwendung erfolgt
in der Weise, dass die Instrumente vor uud nach jeder Operation
13 Minuten im Seifenbade liegen und darin mit sterilen leinenen
Läppchen abgeriehen werden, die Seife wird durch 50 proc.
Alkohol oder sterile Borlösung beseitigt.
3) I m m e 1 m n n n - Berlin: Sammelbericht über die letzten
Arbeiten auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen.
ü) S e h 111 e r - T I e t z - Hamburg: Die Hautfarbe der neu¬
geborenen Negerkinder.
7) Matthiolius: Subclaviaunterbindung und Gelatine¬
injektion bei wiederholter Brachialisblutung.
Interessante kasuistische Mittheilung. Die Blutung stand
trotz je 2 maliger Ligatur der Bmehialis und der Axillaris und
2 maliger Gelatiuelnjektiou definitiv erst nach Ligatur der Sub- ,
clnvia. F. L a c h e r - München. \y
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 30. 1) K. B n e d i n ge r-Wien: Zur Pathologie und
Therapie des Sanduhrmagens.
Die 42 Jähr. Patientin, deren Erkrankung Verf. beschreibt,
litt nach jeder Mahlzeit an langdauerndem. schmerzhaften Auf-
stosseu und heftigem Magenkrampf; aus den klinischen Erschei-
ungen Ist ein Rieselgeräusch zu erwähnen, das über der Magen-
gegeiul gefühlt werden konnte, auch bestand Gastroptose. Die
Diagnose wurde auf Saudulinnageu in Folge Narbe gestellt und
wegen der schweren Erscheinungen lnparotomlrt. Bei der Ope¬
ration zeigte sicli nun eine an der grossen Curvatur beginnende
und gegen den Pylorus fortschreitende Contraction, welche in
ihrer letzten Phase einen Tumor resp. tumorartigen Wulst In der
allerdings auch vorhandenen Narbe produzlrte. Die vorgenom-
inene Gastroenterostomla retrocolica mit angeschlossener Gastro-
pexie hatte einen sehr guten Erfolg. Im Anschluss an diesen
Fall wird das Zustandekommen der verschiedenen Formen des
Magen- resp. besonders Pyloruskrampfes besprochen. Wo es zur
Bildung eigentlicher spastischer Tumoren kommt, handelt es sich
immer lim Contractlonen des Antrum pylori oder des Autrums
und des Pylorus. B. glaubt, dass iu seinem Falle die Narbe eine
Ursache fiir das Zustaudekommen des Krampfes abgab. Für die
Diagnose auf Sanduhrmagen war hu vorliegenden Falle das Riesel-
geräusch besonders ausschlaggebend. An 2 weitereu mitgetheilten
Fällen illustrirt Verf., dass ausser den üblichen Operationen des
Snnduhrmngens hie und da auch andere Methoden zu einem guten
Resultate führen. Cfr. hiezu die Abbildungen im Original. Die
Resektion des py torischen Magenabseimitt es ist in manchen Fällen,
speziell bei doppelter Strietur nicht zu vermeiden.
2) V. Cominotti - Triest: Aneurysma der aufsteigenden
Aorta mit Durchbruch in die obere Hohlvene.
Das von dem beschriebenen Fall stammende Präparat Ist im
Orlgiual allgebildet. Im Anschluss an statistische Mittheilungen
bespricht O. die klinischen Zeichen der Aneurysmen überhaupt.
Rei der 48 jähr. Kranken gelang es, noch Intra vitam die obige
Diagnose zu stellen, welche durch die Sektion bestätigt wurde.
Hinsichtlich der Elnzelnheiten der klinischen Symptome muss auf
das Original verwiesen werden. Am Schluss des Artikels gibt C.
noch eine kurze Zusammenstellung der Komplikationen der Aneu¬
rysmen.
3) A. P 1 c k - Wien: Die Sensibilitätsneurosen des Magens.
(Schluss.)
In sehr «‘ingehender Weise, welche ein kurzes Referat ver¬
botet, erörtert P. die einz«‘lnen Formen der genannten Krankheits-
gruppeii, mit b<*sonderer Berücksichtigung j«*nt‘r nervösen Aff«*k-
tinnen «l«*s Magens, in denen die Sensibilitätsstörungen das hervor-
stecliendsle Symptom darsiellen. Besprechung findet die Hyper-
aest.h«‘sie g«*gen thermische, mechanische und chemische Reize,
w«*lclie die Magenschleimhaut treffen, unter Schilderung der kli¬
nischen Bilder. Hervorzuludien ist besonders auch die sog. Süure-
hvperaesthesie. Aetiologlseh kommen für die Sensibilitäls-
störungen besonders die allgemeinen NVuroson In Betraeht, ferner
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17. September 1901. MUKXl 1IEXER MEDICINISCIIK WOCHEXSCIIRIFT. 14:»9
Überständern* Magenaffektionen. dann Atonie. Gnstroptose uml
seltener organische Magenaffektionen. Der Besprechung der The¬
rapie dieser Formen folgt eine ausführliche Darstellung des
Wesens, der Erscheinungen und der Therapie des sog. Magen
krampfes. der als Symptom einer grossen Anzahl organischer Ver¬
änderungen. sowie als Begleiter anderer nervöser Krankheiten des
Magens auftritt. Im 4. Abschnitt werden die abnormen Sen¬
sationen besprochen, welche bei empfindlichen Personen im Zu¬
stande der Magenleere auftreten. Bei einer weiteren Gruppe der
Kranken bietet die Magenneurose die Zeichen herabgesetzter
Sensibilität für alle Arten von Reizen, liier treten sehr häufig Stö¬
rungen der Sekretion des Magensaftes in den Vordergrund. Auch
Mir diese Affektioueu werden die einzelnen therapeutischen Maass¬
regel u auseinander gesetzt. Grassmann - München.
Italienische Literatur.
F i 1 i p p 1 n i: Ueber zwei Resektionen des ganzen linken
Leberlappens. (II pollcliuico 1901. No. 33.)
F.. Oberarzt am Bürgerhospital zu Brescia veröffentlicht
2 Fälle vou Totalresektion des linken Leberlappens, beide mit
glücklichem Ausgang. In dem einen Falle handelte es sich um
ein caveruöses Angiom von 2>/ 2 kg, im anderen um ein Careinom.
F. erörtert die noch nicht allzu reichliche Kasuistik der Leber¬
resektionen. Bis Jetzt seien 0 Fälle vou Totalresektion des linken
Lappens bekannt geworden.
Im Gegensatz zu Lücke und Tricomi glaubt F. die ein¬
zeilige Resektion empfehlen zu können. Die elastische Ligatur
wird nach Trennung der Leberligamente doppelt um den zu ent¬
fernenden Theil gelegt und bleibt liegen bis zur definitiven
Nekrose des abgeschnürten Leberlappens, welcher in Gestalt eines
Stieles extraperitoneal gelagert wird. Die Blutung Ist auf diese
Weise eine minimale. Auch sollen lästige Adhäsionen. Hernien
und Ptosis der Leber nach F. bis jetzt (12 Monate nach der Opera¬
tion; nicht eingetreten sein.
Cei'f herelli: Die Chirurgie des Pankreas. (II Morgagni,
Mai 1901.)
Eine umfassende, die Physiologie des Pankreas und die ge¬
summte chirurgische Literatur über dasselbe würdigende Mono¬
graphie. aus der wir hier nur einige Sätze anführen wollen.
Die beträchtlichen Schwierigkeiten, welche den Fortschritt
dieses Zweiges der Chirurgie hindern, liegen auf der Hand. Es
ist die versteckte Lage des Pankreas, die Beziehungen zu anderen
Organen und die unvollkommene Kenntnis» der Funktion.
Abmagerung, Anwesenheit von Fett in den Faeces. Zucker
im l’rin, Broneefärbung der Haut, Gelbsucht, Schmetv.cn sind
Symptome von Pankreas-Affektionen.
Der Pankreas8ehwanz ist chirurgisch leichter angreifbar als
der Pankr«askopf.
Experimentell ist nachgewlesen, dass die Exstirpation des
ganzen Pankreas mit dem Leben und der Gesundheit der Versuchs¬
tiere verträglich ist. Wenn klinisch trotz weniger positiver Fälle
Im Ganzen dieser Beweis noch aussteht, so liegt dies daran, tlass
cs sich meist um schwer dlagnostizirbare Affektionen handelt,
meist um Tumoren, welche sich auf mehrere Organe ausdehnen.
Bel tuberkulösen wie luetischen Processen Ist die Entfernung
nicht rathsam. Die partielle Exstirpation muss so ausgeführt
werden, dass einer der beiden Ductus wegsam bleibt. Die häufigsten
Tumoren sind Cysten mit blutigem und wässerigem Inhalt: Kalk¬
konkremente und Inkrustationen.
• Ein Krankheltsprocess des Organs ist neuerlich sorgfältig
studlrt, das ist die Pankreas-Nekrose, welche eine Ent¬
fernung der nekrotischen Pankreasfragmente nöthig machen kann.
Bel eiterigen und gangraenöseu Paukreasentziindungen hat
mim den akuten Verlauf abzuwarten und dann zu operireu auf
drei Wegen, je nach dem Befund und zwar auf dem lumbaren,
extraperitonealen, transpleuralen oder medianen oberhalb des
Nabels.
Chronische Pankreasentzündungen können zu Kompressions¬
erscheinungen des Choledochus und des Pylorus Veranlassung
geben.
Auch von Pankreas mobile werden Fälle in der Literatur an¬
geführt: in solchen Fällen Ist gegen die chirurgische Fixation nichts
einzuwenden. Pankreashaemorrhaglen können auch durch gangrae-
oöse Proce8se bedingt sein. Sie sind zu behandeln wie traumatische
Blutungen. Snturen des Organs werden gut vertragen; zu ver¬
melden ist, dass der Faden im Ductus liegen bleibt wegen der
Möglichkeit von Konkretionen.
Heute besteht kein Zweifel mehr an der Thatsache. dass das
Pankreas sich regeuerirt.
Der Erguss von Pankreassaft in die Bauchhöhle gibt nur
dann zu Peritonitis Veranlassung, wenn das Sekret ein ab¬
normes ist
Bei der Exstirpation des Organs empfiehlt es sich, die Nähte
vorher anzulegen, um grösseren Blutverlust zu vermelden; Galvano¬
kaustik empfiehlt sich nicht.
Zagarl: Ueber latente Aortenaneurysmen oder Aorten¬
aneurysmen mit so geringer Entwicklung, dass sie der Diagnose
und auch der Radloskopie entgehen können, handelt der Kliniker
Perugias. (Roma tlpogr. della rif. medlca 1901.)
Diese Aneurysmen betreffen den supravalvulären Theil der
Aorta und die ihm anliegende Partie des Herzens, ferner den
Winkel des Aortenbogens. Der Autor weist nach, wie durch exakte
und sorgfältige Feststellung des Symptomenblldes und namentlich
l des auskultatorischen Perkussiousbefuudes, der Pulskurven etc.
eine genaue Diagnose Intra vitam gestellt werden konnte, welche
dann post mortem sich bestätigte.
Eine gewisse Rolle spielen bei Aneurysmen gewisse Algien
und namentlich Cervicobrnchialneuralgieu. Z. erwähnt das Werk
seines Lehrers Ourdarrlli über Aneurysmen, in welchem den
Symptomen der Nervenlaesion ein besonderes Kapitel gewidmet
ist. C. nimmt dort zur Erklärung der Cervieobrachialneuralgien
an. dass kein besonderer direkter Druck des Aneurysmas auf die
Nerven nöthig sei, sondern ein Druck auf die Vena anonyma ge¬
nügen könne, manche Neuralgien zu erklären: auch eine Laesion
des Plexus oardiacus kauu durch peripherische Irradiation viel¬
leicht als ursächliches Moment herangezogen werden.
Z. meint mit Recht, dass in solchen Fällen eine frühe exakte
Diagnose sich dem Patienten wie dem Rufe des Arztes nützlich
erweisen könne.
Eine sehr ausführliche Literaturangabe und anschauliche Illu¬
strationen sind ein Vorzug der Monographie Z.'s. welche einen
Auszug aus dem italienischen Archiv für innere Medicin darstellt.
Ted esc hi: Immunisirung gegen Vaccine und gegen
Pocken. (Tipogr. della Soc. dei Tipografi. Triest 1901.)
Eine flelssige Arbeit von wissenschaftlichem und praktischem
Interesse und auf experimenteller Basis.
Der Augenblick, in welchem die Immunität gegen Vaccine
beim Rinde eintritt, fällt zusammen mit dem Auftreten der Pusteln
(am 2. Tage). Einige Pusteln genügen nicht/, um Immuuität zu
bewirken.
Dagegen fällt die Immunität gegen die Vaccine beim Menschen
zusammen mit der regressiven Periode der Pusteln und eine einzige
gut entwickelte Pustel genügt, um sie zu bewirken.
Die Oeffnung der Pusteln und Entleerung des Inhalts am 6.
bis 7. Tage ist der Erreichung einer vollständigen Immunität
hinderlich. Das Blut, sowie das Blutserum von Kälbern, von
Pferden, von Schafen, welche vorher durch Vaccine hnmunlsirt
sind, subkutan injizirt, genügt nicht, um den Menschen oder das
Rind gegen Vaccine zu iuimunisiren. Dagegen immuuislrt Cow-
pox subkutan angewandt ein Rind binnen 24 Stunden. Es tritt
dabei an der Injektionsstelle keine Pustel auf, auch Ist ln der In-
jektionsstelle selbst keine Ansammlung von Vaccinekörperchen
naclizu weisen.
Dagegen ist weder Cow-pox noch menschliche Vaccine unter
die Haut injizirt im Stande, den Menschen zu lmmunislren. Da¬
bei tritt auf der Ilaut au der Injektionsstelle öfter eine Vacciue-
pustel auf.
Nicht vaccinirte Kälber erlangen die Immunität gegen Vaccine
durch langen Aufenthalt in Ställen, in welchen sich vaccinirte
Thlere befinden.
Die Identität der Beschaffenheit und der Wirkung von Cow-
pox und liumanisirter Vaccine ist mehr als zweifelhaft und zur
Prophylaxe gegen die Pocken ist es jedenfalls nicht gleichglltig,
ob mau Cow-pox oder humanfsirte Vaccine verwendet.
Bei dieser Gelegenheit sei die neueste Arbeit vou F u u c k
erwähnt, welcher ln einem von Pfeiffer entdeckten Protozoon,
dem Sporidlum vaeeinale, das pathogenetische Agens der Vaccine
und der Variola gefunden haben will, und welcher durch Isolirung
und Einimpfung desselben in sterilen Emulsionen Immunität er¬
zeugt zu halien angibt.
Maragliano: Ueber die Wirksamkeit des Tuberkulose¬
heilserums. (Gazzetta degll osped. 1901. No. 63.)
In einer Notiz über sein Heilserum weist Maragliano
darauf hin, dass alle seine Untersuchungen über die Darstellung
und die Wirksamkeit des Heilserums in Moskau ln dem unter
M e t s c b u 1 k o f f’s Leitung stehenden bakteriologischen Institut
geprüft und bestätigt seien.
F r ä u k e 1 habe das Resultat dieser Untersuchungen in der
Moskauer biologischen Gesellschaft veröffentlicht. Dessglelchen
habe F riinkel zwei Monate lang in Genua der Darstellung und
der experimentellen Prüfung des Serums beigewohnt.
Gabritschefsky, unter dessen Vorsitz die biologische
Gesellschaft tagte, forderte die Aerzte Russlands auf, das tuber¬
kulöse Antitoxin bei der Behandlung der Tuberkulose zu ver¬
wenden.
Lueibe'lll: Jodlpin zur Bestimmung der motorischen
Kraft des Magens. (Nuova rivista cltnlco terap. No. 4. 1901.)
Jodlpin Ist ein sicheres Mittel zur Bestimmung der gastrischen
Motilität. Der Speichel hat keinen Einfluss anf dasselbe, lm
Magen wird es nicht verändert, nur lm Darm wird es gespalten
und zwar unter Mitwirkung der Galle, des Pankreas- und des
Darmsaftes. Unter normalen Verhältnissen erscheint die Jod¬
reaktion im Urin nach etwa 1 Stunde und 10 Minuten und sie ist
beendet nach etwa 40 Stunden. Ausnahmen können sprechen für
eine motorische Insufflcienz des Magens, für eine Pylorusstenose,
auch für Acholie. Kann man diese drei Momente ausschelden,
so kann die Jodiplnprobe auch ein wichtiges Kriterium für eine
Laesion des Pankreas abgeben.
Ted esc hi: Ueber den pathologischen Kreatinin - Stoff-
wechseL (Rlv. di Scienze Medlche. III. 1901.)
Bei abnormer Muskelthätigkcit ist der Kreatiningehalt des
Urins erhöht; er ist auch vermehrt lm Verhältnis zum Gesammt-
N-Gehalt des Urins.
Bei Muskelatrophie mit akut progressivem Ablauf wird der
Kreatlningehalt normal, bisweilen auch leicht vermehrt gefunden.
Auch bei Chlorose, so lange das Allgemeinbefinden wenig ge¬
stört ist, ist derselbe normal. Vermindert erweist er sich bei nicht
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1500 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. Xo. 3S.
kompensirten Herzfehlern, um nach der Kompensiruug eine Ver¬
mehrung zu erfahren. Bei miissigem Diabetes ist er normal oder
leicht gesteigert, bei Diabetes insipidus kann er beträchtlich
steigen.
Bei Fieberprocessen ist der Kreatiustoffwechsel gesteigert, in¬
dessen hat der Zustand der Nieren Einfluss auf denselben.
Obwohl auzunehmen ist, dass das Kreatinin, wenigstens unter
gewissen pathologischen Bedingungen vom Muskelfleisch des Or¬
ganismus herrührt, so finden sich doch bei Fleischdiiit die Krentinin-
werthe höher als bei Pflanzenkost.
Ob das Kreatinin im Organismus in Harnstoff sich umwandeln
kann, ist zweifelhaft. Der Umstand, dass bei der Iuauition die
Kreatininausseheiduug spärlich ist, auch im Verhiiltniss zum Ge-
sanimt-N des Urins, scheint dafür zu sprechen. Vielleicht wird
in der Leber Kreatinin in Urea verwandelt.
Burzi: Atropin bei Darmocclusion. (Gazzetta degll osped.
1901. No. G3.)
Dies Mittel bis zu 4 mg pro die subkutan und bis zum Ein¬
tritt der Pupillendilatation empfiehlt sich in allen Fällen innerer
Einklemmung, wo man eine Iiuhigstellung des Darmes und der
Peristaltik wünscht. Es ist geeignet, Invaginationen zurückzu¬
bringen und verhindert oder erschwert keinesfalls einen noth-
weudigeu chirurgischen Eingriff.
Hager- Magdeburg-N.
• Gerichtliche Medicin.
Ungar-Bonn: Ueber den Einfluss der Fäulniss auf die
Lungenschwimmprobe. (Vierteljahrssohr. f. gerichtl. Medicin.
1901. Heft I.)
Im Widerspruche mit der bisherigen Anschauung, dass foetalc
Lungen, die nicht geathmot haben, durch Fäulniss schwimmfähig
werden können und daher in diesem Zustande einen bestimmten
Schluss bezüglich desGeathmethnbons nicht mehr zulassen,stellten
französische Autoren, zunächst Hordas und Descoust, daun
auch Lebrun die Behauptung auf. dass Füulnisshlasen auf der
Oberfläche von Lungen nur dann sich vorilnden. wenn dieselben
geathmet hatten. Zur Nachprüfung stellte TJ. an herausgeschuit-
tenen luftleeren Lungen, Thlerfoeten und todtgeia»reuen Kindern
Beobachtungen au. indem er sie unter verschiedenen Beding- |
ungon der Fäulniss iiberliess. Zunächst konstatirte er hiebei i
allerdings, dass auch bei Lungen, die nicht geathmet haben, j
Fäulnissblasen sich entwickeln können, dass diese aber. ;
soferne ihnen nicht ein Hindern iss entgegenstcht, sich j
nicht in den Lungen ansammeln, sondern in Folge der Elasti- j
eitüt des Lungengewebes nach aussen diffundiren. Nach den j
Beobachtungen an intakten Thlerfoeten kam U. zum Schlüsse. !
dass die Fäulniss Lungen, die nicht geathmet haben, nur aus- |
nahmsweise schwimmfühig macht. Weiterhin iiberliess U. die i
Leichen von 12 todtgeborenen Kindern der Fäulniss unter ver- j
schiedenen äusseren Verhältnissen: trotz vorgeschrittener Fäul- i
niss erwiesen sich bei 10 Beobachtungen die Lungen nicht als j
schwimmfühig, namentlich fehlten Fäulnissblasen auf der Ober- j
fläche der Lungen vollständig; nur in 2 Fällen, in denen aber ein 1
intrauterines Athiuen in Folge der geburtshilflichen Operationen |
(Extraktion in Steisslage bezw. frühzeitiger Blasensprung, Nabel- j
schnurvorfall, wiederholte Untersuchung, Perforation) nicht aus- i
geschlossen werden konnte, war die Lungenschwimmprobe positiv !
und zeigten sich auf der Oberfläche der Lungen grössere Fäulniss¬
blasen. U. wünscht über diese Frage noch weitere Untersuch- ■
ungen, ist aber der Meinung, dass der positive Ausfall der Lungen- j
schwimmprobe, namentlich der Nachweis von Fäulnissblasen auf '
der Oberfläche der Lungen, geeignet ist, die Ansicht, dass das I
Kind geathmet habe, zu bestärken. !
Wilhelmi - Schwerin: Kindesmord oder Selbsthilfe? i
Geisteskrankheit, Bewusstlosigkeit, Ohnmacht der Mutter. !
(Ibidem.)
. Auf Grund des Sektionsprotokolles und der sonstigen Akten ,
erstattet W. ein ausführliches Gutachten über einen eigenartig ge¬
lagerten Fall» dessen Begutachtung allerdings bei einem besseren
Sektionsprotokolle und bei einer genaueren Beobachtung der Wöch¬
nerin nach der Geburt leichter geworden wäre. Eine 2G jährige, ]
alberne, in gewissem Grade geistesschwache und in geschlechtlichen |
Dingen unerfahrene Schnitterin hielt sich nicht für schwanger, i
verheimlichte die Geburt und leugnete sie, obwohl ein Arzt die I
Nachgeburt entfernen und den Damm vernähen musste. Tod des \
Kindes an Erstickung; Nabelschnur abgerissen. Mehrere streifen- |
und bogenförmige, theilweise blutig unterlaufene Hautaufschürf¬
ungen in der Gegend der Luftröhre — jede nähere Beschreibung
mangelt — sowie eine Verletzung der Wangenschleimhaut konnten
sowohl durch die Selbsthilfe der Gebärenden (Zugreifen an den
anstretonden Kopf und Hals), als durch Erwürgen verursacht
sein; im ersteren Falle konnte die Erstickung auch.dadurch herbei-
geführt worden sein, dass während der angegebenen und nicht zu
bestreitend, u Olmmacht der Mutter das Neugeborene zwischen
deren Schenkeln und unter dem Deckbette mit dem Gesichte auf
der Unterlage auflag. Das Gutachten, sowie das Oborgutachteu
der grossherzogl. Mediclnalkonunission kommen hei Lage der Sache
nur zu Wahrscheinlichkeitsschlüssen.
B ro u h a - Lüttich: Ueber die gerichtsärztliche Bedeutung
der Lochien. (Ibidem.)
Die mikroskopischen Formelemente der Lochien bestehen
während der ersten Tage des Wochenbettes vorwiegend aus rotlieu
Blutkörperchen; hie und da beobachtet man weisseBlutkörperchen,
seltener eine grosse Zelle, dem Epithel oder der Decidua entstam¬
mend. Bald vermehren sieh die Leukocyten so sehr, dass sie
bei weitem die grösste Zahl der histologischen Elemente bilden.
Um den 9. oder 10. Tag, bei normalen Fällen. Ist das genitale
Sekret fast ausschliesslich aus Epithelzellen gebildet. Die Decidua-
zellen, denen allein eine Bedeutung für die Diagnose einer vorau>
gegangenen Geburt zukommt, sind ln den Lochien nicht sichre,
höchstens nur mit einiger Wahrscheinlichkeit, von den Scheider-
epithelzellen zu unterscheiden; eine feste Differentialdiaguose bc
züglicb anderer vaginaler Ausflüsse ist dulier nicht gestattet. Wird
dagegen das Sekret im Gebiirmutterhalse zur Untersuchung ver¬
wendet, so lassen sich häutiger typische Deciduazelleu beobachten.
Gutsmuths- Genthin: Feststellung der Todesursache bei
einer in starker Verwesung begriffenen Kindsleiche, bei der
sämmtliche drei Höhlen geöffnet und verschiedene Organe nicht
mehr vorhanden waren. (Zeltschr. f. Med.-Beamte. 1901. No. 5..
Die Leiche eines 12 Tage alten Kindes war im Hochsommer
20 Tage auf feuchtem Grabenboden gelegen und zeigte weit vor¬
geschrittene Fäulniss. Im Kehlkopfe, in der Luftröhre und ihren
Verzweigungen, auch im Magen fand sich die gleiche schwärzliche
erdige Masse wie in der Umgebung und aussen an der Leiche;
da sie nur durch Aspiratiou und Verschlucken dahin gelangt sein
konnte, war Erstickungstod durch Verschluss der Luftwege an-
zunehmeu.
Grassl - Vlechtach: Zur Kasuistik der Syringomyelie.
(Friedr.-Bl. 1901. Heft I.)
G. berichtet über 2 mehrere Jahre lang beobachtete Krank¬
heitsfälle, wovon der erste im Anschluss an eine heftige Erkältung
und der andere nach einer Verbrennung des rechten Daumens
entstand und von den primären Erscheinungen einer Neuritis
ascendens an fortschreitende Entwicklung der vielgestaltigen
Symptome zeigte. In dem zweiten Falle wurde der ursächliche
Zusammenhang der Erkrankung mit der 5 Jahre zurückliegenden
Verletzung angenommen.
R ö s e 1 e r: Die Stichverletzungen des Bückenmarks in
gerichtlich - medicinischer Beziehung. (Ibidem.)
Auf Grund einer der Arbeit angefügten Zusammenstellung
von 4G in der Literatur veröffentlichten Beobachtungen werden
die Stichverletzungen des Rückenmarkes nach den wesentlichsten
Gesichtspunkten besprochen, so nach Sitz und Art der Verletzung,
pathologisch-anatomischem Befund, Symptomen, weiterem Ver¬
lauf und Prognose, Beurtheilung gemäss den einschlägigen Para¬
graphen des Strafgesetzbuches, Nachweis der Kausalität des Todes
mit der Verletzung und deren Entstehungswelse. Von den auf-
geführten Verletzungen betrafen 30 das Halsmark. 10 das Brust¬
mark; von den ersteren verliefen 12, von den letzteren 5 tüdtlich.
W o 1 f e s: Ueber Einheilung von Kugeln im Gehirn.
(I.-D. München T.ioi.)
Zusammenstellung von 19 Beobachtungen in vivo und aut
Sektionstische. Die Einheilungsdauer betrug iu den beschriebenen
Fällen G Monate bis 19>/ 2 .Jahre. Die nur kurz erwähnten Er¬
scheinungen während des Lebens bestanden teils ln leichter Be
nnmmenheit und Kopfschmerzen, teils ln motorischen, sensiblen
oder vasomotorischen Störungen; einmal ist Idiotismus angegeben,
in einzelnen Fällen sind gar keine Beschwerden verzeichnet.
Chlumsky- Leobschlitz: Ein Fall von Körperverletzung
mit Todeserfolg. (Vierteljahrssclir. f. gerichtl. Med. 1901, H. I.)
Ein bejahrter Rüben Wächter ward Nachts überfallen und
schwer verletzt: mehrfache Brüche der Extremitäten, der Rippeu
und des Schädels, Blutung ln die weichen Hirnhäute, Tod nach
6 Tagen an Lungenoedem und hypostatischer Pneumonie. Aus¬
führliches Sektionsprotokoll und motlvirtes Gutachten über den
Zusammenhang des Todes mit der Verletzung und über die iu
Frage kommenden Werkzeuge (eiserne Klammer, Hammer, Stot'k.
Anschleudern gegen die Bettstelle).
v. M a 1 a i s ö: Zur Kenntniss der spontanen Buptur des
Herzens und der Coronargefässe. (I.-D. Miincbeu 1900.)
Ein G7 jähr. Bauer fiel in der Kirche plötzlich lautlos todt um;
wegen vornusgegangener ehelicher Dissidlen Verdacht der Ver¬
giftung und gerichtliche Sektion. In Folge des Niederfalleus
agonale Blutunterlaufungen am Kopfe: die Todesursache bildete
eine spontane Ruptur des Herzens im linken Ventrikel, veranlasst
durch circuinskripte braune Atrophie des Herzmuskels; die Intima
der Aorta zeigte vorgeschrittene Atlieromatose. — Bei einer
7G Jahre alten, längere Zeit kranken Frau war der absteigende Ast
der linken Kranzader 6 cm oberhalb der Herzspitze rupturirt und
das Perlcard darüber eingerissen; in der Umgebung war der Herz¬
muskel ln Gestalt einer längsverlaufendeu seichten Rinne in eine
mürbe, bröckelige Masse verwandelt; Atheromntoee der Coronar-
arterieu.
Bergmann: Ueber einen Fall von traumattscher crou-
pöser Pneumonie. (I.-D. München 1900.)
Eine 43 jährige Zugeherin stürzte in Folge Ausgleitens gegen
einen steinernen Bruunenrand: In der linken Seite, namentlich
beim Athmen und bei Bewegungen starke Schmerzen, die in den
nächsten Tagen noch zunehmen; am 3. Tage Fieber und heftiger
Husten, der schon vor der Verletzung ln geringem Grade bestandeu
hatte; zähschleimiges Sputum mit geringer Blutbeimengung, nu-
regelmüsslge Fieberkurve. Herpes labialis, Delirium (Potntorlum
zugestanden), Tod am 12. Tage nach der Verletzung. Die Sektion
ergab eine Fraktur der linken VII. und VIII. Rippe mit Per¬
foration der Costalpleura. jedoch ohne Lungenverletzung, crou-
pöse Pneumonie des linken Oberlappens, serös-eitrig-fibrinöse
Pleuritis und ältere Bronchitis.
Schwarz: Beitrag zur Lehre von der traumatischen Ent- \
Stellung und Ausbreitung der Tuberkulose im Körper. (Inaug.- J
Diss. München 1900.) /
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17. Scpt« ,nl.fr 1901. MTTEXCHENER MEDICIXISCHE WOrHEXSCIIRIFT.
1 . 7*01
GArbeiter batten eine grosse Leiter zu tragen. 2 vorn, 4 hinten:
als 2 der letzteren gegen die Mitte der Leiter zugiugeu. also die
Last für die beiden hinteren Träger sich verdoppelte, verspürte
der Eine, der die Leiter auf der linken Schulter liegen hatte, plötz¬
lich einen Stich unter dem linken Schulterblatte, klagte, dass er
siel» wehe gethan habe, arbeitete jedoch noch einige Tage weiter,
allerdings unter beständigen Klagen über Stechen und Schmerzen
auf der Brust. 32 Tage nach dem Unfälle erfolgte der Tod au
linksseitiger exsudativer Pleuritis: der linke Brustraum war stark
angefüllt mit blutig tingirter und mit Fibrinflocken vermischter
Flüssigkeit; die rückwärts etwas adliaerente atelektatlsche Lunge
war mit einem leichten fibrinösen Belage überdeckt, unter dem¬
selben waren zahllose feinste graue Knötchen eingelagert, in der
Lungensubstanz selbst und in den Bronchialdrüsen dieser Seite
keine tuberkulösen Herde. Dagegen war die rechte Lunge fest
mit der Brustwand verwachsen, mit dicken fibrösen Schwarten
bedeckt und an der Spitze von zahlreichen, trockenen, fibrösen
käsigen Herden im Umfange eines Hühnereies durchsetzt: auch
im Unterlappen fand sich ein mandelgrosser Herd mit hanfkorn¬
grossen käsigen Knötchen. Zwischen dem Unfall und der tödt-
liehen tuberkulösen Pleuritis ward ein kausaler Zusammenhang
ln der Art angenommen, dass die Ueberanstreugung und die damit
verbundene Drucksteigerung im Thorax zu einer Zerrung, viel¬
leicht auch Zerrelssung der Verwachsungen der linken Lunge*
führte und hiedurch einen Locus minoris resistentiae für die Fest¬
haftung und Weiterverbreitung der Tuberkelbacillen schuf.
van Hees: Eine seltene Pfahlverletzung der Brust- und
Bauchhöhle. (I.-D. München 1900.)
Ein 20 jähriger Manu fiel in total angetrunkenem Zustande
aus etwa 2 m Höhe von einer Holzhütte auf den dieselbe um¬
gebenden Staketenzaun und rannte sich hiebei eine besonders vor¬
springende eiserne Spitze in den Leib: er machte sich selbst
wieder los, legte noch einen halbstündigen Weg zurück und ward
erst am folgenden Morgen in das Krankenhaus verbracht. Aus
einer 2 cm langen Wunde im linken 9. Interkostalraum ragte
fingerlang das Netz vor; Rippenresektion. Aufsuchung der ver¬
letzten Darmstelle. Anlegung eines Anus praeternaturalis. Tod
17 Stunden nach der Verletzung. Die eingedrungene Eiseuspitze
hatte den linken Brustraum eröffnet (Haematopneuraothorax), das
Zwerchfell durchbohrt, die linke Niere gestreift, das Mesokolon
und die Bursa omeutalis durchdrungen und den Anfangstheil des
Dünndarmes hart an seiner Verbindung mit dem D.uodenum auf
leiden Seiten angerissen.
Lange: 6 weitere Fälle von Bauchkontusionen. (Inaug.-
Diss. München 1900.)
Die nachstehend kurz skizzirten Krankengeschichten und
Sektionsberichte bieten bezüglich des Zustandekommens und der
Art schwerer subkutaner Bauch Verletzung auch in gerichtlicli-
medicinischer Hinsicht vielfaches Interesse.
1. Sturz mit dem Unterleib gegen eine Kistenknute aus 1 m
Höhe; Loch im oberen Tlieile des Dünndarmes, an zwei weiteren
Stellen des Darmes Kontusionen: Laparotomie: nach einem Jahre
wegen einer Arbeitsunfähigkeit verursachenden Verwachsung von
Dünndarm und Netz mit dem Peritoneum — Nachoperation. —
II. Ein von einer Kreissäge fortgeschleudertes Brett trifft das
linke Hypoehondrium; im oberen Dünndarm ein iy s cm langer
Riss; Laparotomie, Darmnaht; wegen Ileus in Folge Darmstenose
Resektion des verletzten Dünndarmstückes, Kothflstel, Tod an
Peritonitis. — III. Ein Taglöhner ward von einem Wagen umge-
stossen und fiel mit dem Bauche gegen einen in die Erde einge¬
rammten Holzpfahl; Operation verweigert, Tod nach 6 Stunden;
innere Verblutung in Folge eines grossen Risses im Dünndarm-
Mesenterium am Ansätze des Darmes. — IV. Ein Fuhrmann wird
zwischen Wagen und Pfosten eines Holzzaunes festgeklemmt: bei
der Operation wird ein Riss im rechten Leberlappeu und ausge- :
dehnte Zermalmung des Leberparenchyras konstatirt; Tod an j
innerer Verblutung, keine Sektion. — V. Ein in die Höhe kippendes
Brett schlügt gegen die linke Bauchseite eines 29 jährigen Zimmer¬
mädchens; Darm unverletzt, Querruptur der linken Niere, Exstir¬
pation derselben, Heilung. — VI. Ein Fuhrmann wird zwischen
Wagen und Zaun festgepresst: Bruch der rechten G. Rippe ohne
Pleuraverletzung, Ruptur der Leber und der rechten Niere: Naht
der Leberrisse. Exstirpation der Niere, Tod am folgenden Tage.
M a gg: Ueber einen seltenen Fall von traumatischer Septi-
kaemie, komplizirt mit Perforationsperitonitis. (I.-D. München
1900.)
Ein 45 jähriger Dienstknecht fiel bei Glatteis so, dass er mit
völlig abgespreizten Beinen auf dem Boden sass; in den nächsten
Tagen starke Schmerzen und Schwellung in der linken HUft- und
Leistengegend: am 6. Tage Schüttelfrost; mehrfache Incisioueu,
wobei die Inguinaldrüsen völlig vereitert gefunden werden: trotz
nochmaliger Incision hinter dem Trochanter major zunehmender
Verfall, plötzlicher Tod an Perforationsperitonitis 22 Tage nach
dem Trauma. Das Niederfallen hatte eine Quetschung der linken
Gesiiss- und äusseren Oberschenkelgegend verursacht: zugleich
hatten die Bemühungen, sich vermittels der Rectusmuskeln beim
Sturze aufrecht zu erhalten, zu subkutanen Muskelzerrelssungeu
und zu einem Hnematoin der Rectusscheiden geführt. Da keine
Hautverletzungen nachzuweisen waren, wird als Ursache und Aus¬
gangspunkt der Eiterung eine schon vor dem Trauma bestandene,
jedoch lokal gebliebene Infektion der Leistendrüsen nach Gonor¬
rhoe angesprochen; die durch die Verletzung erzeugte ausgedehnte
Blutunterlaufung bot eine günstige Gelegenheit zur Ausbreitung
der Infektion, die dann im weiteren Verlaufe auch zu einer Phleg¬
mone der Rectusscheiden und zum Durchbruche ln die Bauchhöhle
führte.
Wemmers: Zur Kasuistik der traumatischen Ruptur der
Harnblase. (I.-D. München 1900.)
In Fortsetzung der mit dem Jahre 1895 abgeschlossenen Sta¬
tistik v. Stuben raue h's hat W. 23 neuere Beobachtungen
über rein traumatische isolirte Ruptur der Harnblase aus der
Literatur zusummengestellt und einen im Münchener pathologi¬
schen Institut beobachteten Fall beigefügt. Der betr. 60 Jährige
Gärtner wurde Abends schwer betrunken auf der Strasse ge¬
funden. bewusstlos in das Krankenhaus verbracht und starb im
Laufe der Nacht. Bel der Sektion fand sich eine doppelte Ruptur
der Harnblase — ein 8 cm langer T-fönnlger in der hinteren und
ein 5 cm langer senkrechter Riss in der vorderen Wand — mit
ausgedehnter blutiger Infiltration des snbperitonealen Bindege¬
webes in der Umgebung der Blase, ausserdem mehrfache Rippen¬
brüche. Ueber die Entstehung der Verletzungen — Niederfallen
in trunkenem Zustande, Ueberfahrenwerden, grobe Misshandlung?
— war nichts zu erfahren: bei den übrigen kasuistischen Fällen
war die Blasenruptur theils durch Anprallen des Körpers gegen
feste Gegenstände, theils umgekehrt oder durch das Darüberfahren
eines Wagens entstanden.
G r a s s m a n n: Zur Kenntniss der auf traumatischer
Grundlage entstandenen Hodensarkome. (I.-D. München 1900.»
Tabellarische Zusammenstellung von 41 einschlägigen Fällen
aus der Literatur und dem Beobachtungsmateriale des Münchener
pathologischen Instituts. Der Zeitraum zwischen Trauma und
Geschwulstbildung betrug in den weitaus meisten Fällen 1 Monat
und darunter und nur In einem Falle 8 Monate; am häufigsten
war die Erkrankung im Alter von 20—30 Jahren zu beobachten.
Mayer- Siinmern: Zur forensischen Bedeutung der durch
chemische Mittel erzeugten Eiterung. (Vierteljahrsschr. f. ge-
ricbtl. Med. 1901, H. I.)
Der II. Theil der Abhandlung, deren Anfang bereits ln einem
früheren Hefte erschienen ist, behandelt „Die eitererregendeu
Mittel in der Hand der Kurpfuscher“ bei Behandlung der Krätze,
der lokalen tuberkulösen Prozesse und in der Wundbehandlung.
Die angewandten, meist eitererregenden, Mittel schiessen in Folge
ihrer Anwendungsart und der hoben Dosis oft Uber das Ziel hinaus
und können zu Gesundheitsschädigungen führen. M. erklärt die
Anwendung von „Digestivmitteln“ durch Kurpfuscher nicht als
unbedingt schädliches, zuweilen sogar wirksames, jedenfalls aber
als ein zweischneidiges, in solcher Hand leicht Schaden stiftendes
Mittel. Den Baunscheidtismus in der Hand von Ungebildeten er¬
achtet er als eine unter allen Umständen gefährliche Methode.
Grüner- Grossenlinin: Fahrlässige Körperverletzung. Ent¬
fernung der Gebärmutter anstatt der Nachgeburt durch einen
Arzt. (Ibidem.)
Aktenmüssige Mittheiluug des Geburtsverlaufs, des Gut¬
achtens und Obergutachtens, der Anklageschrift und der Urthells-
gründe. Beim Durchlesen drängt sich die Wahrheit des Spruches
auf: „Das ist der Fluch der bösen That. dass sie fortzeugend
Böses muss gebären. Dem betr. inzwischen verstorbenen Arzte
mangelt vor Allem die Befähigung zum Geburtshelfer; theoretisch
und praktisch Ist er nicht genügend in der Geburtshilfe unter¬
richtet und es fehlt ihm die ruhige Ueberleguug. das zielbewusste
Handeln; er gilt als Alkoholiker und macht auch bei seinem
Kommen den Eindruck, als ob er nicht nüchtern sei. Er findet
bei einer V. Gebärenden, die jedesmal ohne Kunsthilfe von Kin¬
dern mit grossen breiten Köpfen entbunden war, eine Kopflage,
den Kopf im Beckeneiugange festsitzend. Schon die erste Unter¬
suchung ist. soweit sich dies beurtheilen lässt, eine flüchtige, die
Indikationen und Vorbedingungen eines operativen Eingriffes
scheinen nicht erwogen zu sein; er legt eine kleine, dann eine
grössere Geburtszange an, sie rutschen ab, nun greift er zum Per-
foratorium, die nachdem angelegte Zange gleitet wieder ab,
•Vj stiindigt* Wendungsversuche sind gleichfalls vergeblich, er
kennt sich dabei nicht aus; nach einer Pause versucht er die
Evcntration und bringt endlich in Knieeilenbogenlage das Kind
zur Welt. Starke Blutung der Mutter! Der Arzt, der nach seiner
eigenen Angabe unter einer gewissen Aufregung arbeitet und zu-
. letzt die mediciniscbe Fassung verliert, sucht mit Hand und Iu-
| strument die Nachgeburt zu entfernen und fördert zu Tage —
i die Gebärmutter! Wahrscheinlich hatte er gleich bei seinem
I ersten Eingriff das Scheidengewölbe durchrlssen, bei seinen spä-
i teren Manipulationen das Loch immer mehr vergrössert und zu-
; letzt die Gebärmutter ganz abgerissen. Die Frau stirbt kurz
I nach dem Weggehen des Arztes. Bei der gerichtlichen Beurthei-
j luug kam ihm zu Gute, dass die Geburt in Folge der starken Ent-
j Wickelung des Kindes, namentlich seines Schädels, an sich eine
I schwierige Avar und die Scheidenzerreissung bei einer Melirge-
büremlen auch unter der Leitung eines geübten Operateurs und
unter Beobachtung aller Vorsichtsmaassregeln Vorkommen könnte.
; Es ward dessbalb lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung
; (nicht auch wegen fahrlässiger Tödtung) auf Geldstrafe erkannt.
I in melinann - Berlin: Ueber die Bedeutung der Röntgen¬
strahlen für den ärztlichen Sachverständigen. (Zeitsclir. f. Med.-
j Beamte 1901, No. 5.)
J. hebt die Bedeutung der Röntgenstrahlen in der Unfall-
1 Versicherungspraxis, für die Militär- u. Lebensversicberungsärzte,
sowie insbesondere für die gerichtliche Medicln hervor; oinge-
drungene Fremdkörper lassen sich mittels derselben leicht er¬
kennen und aus Ihrem Sitze lassen sich weitere Schlussfolgerungen
ziehen. Nicht beizustimmen ist aber, wenn der Autor das
, Röntgenverfabren bei Leichen empfiehlt. Das Aufsuchen eines
1 Knocbenkernes im unteren Femurende eines Neugeborenen ist
■ doch leichter, schneller und sicherer als eine Röntgenaufnahme
desselben. Wenn dann gar J. auf Grund einer Röutgeuphoto-
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1502
MUENC1IENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
graphie sich ein sachverständiges Urtheil darül)er zutraut. ob das
Kind lebensfähig war, nach oder während der Geburt gelebt hat.
wie der T.uftgehalt in den Lungen vertheilt ist und wie lange
das Kind nach der Geburt gelebt hat, ob das Kind lebend oder
todt. in eine Flüssigkeit gerieth, so ist er ein Tausendkünstler
und noch tüchtiger als die Schreibsachverständigen.
Chlumsky- I.eobschütz: Diebstahl bei Schwachsinn durch
Epilepsie. (Ibidem Xo. 6.)
Forensisches Gutachten nach § 51 des Strafgesetzbuches.
S n e 11 - Lüneburg: Gutachten über den Geisteszustand des
Tischlers Ernst H. aus Lüneburg. (Vierteijahrsschi*, f. geriehtl.
Med. 1901, H. I.)
Interessantes Gutachten über «len Geisteszustand des Tischlers
II.. Xothzucht und Blutschande gegen die Tochter. Körperver¬
letzung und Bedrohung der Ehefrau. Die Beobachtung in der
Irrenanstalt lässt eine Paranoia erkennen, deren allmähliche Ent¬
wicklung sich auf Jahre zurück verfolgen lässt. Einstellung des
Verfahrens wegen Unzurechnungsfähigkeit, Entlassung aus der
Untersuchungshaft, später Ueberfiihrung in die Irrenanstalt wegen
Genieingefährlichkeit.
B o 11 - Werneck: Zur Frage der Ehescheidung wegen
Geisteskrankheit. (Friedr. Bl. 1901, H. Id
M a r t h e n - Neuruppin: Zur Ehescheidung wegen Geistes¬
krankheit. (Aerzti. Sachverst.-Ztg. 1901. Xo. l.t
Nach § 1509 des Bürgerlichen Gesetzbuches kann ein Ehe¬
gatte auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geistes
kranklielt verfallen ist, die Krankheit Avährend der Ehe mindestens
drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, dass die
geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch
jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausge¬
schlossen ist. Beide Autoren gehen auf die hier verlangten Voraus¬
setzungen näher ein und veröffentlichen ein von ihnen erstattetes
Gutachten: bei Bott handelt es sich tun einen Kranken mit
Dementia praecox, bei Marthen um eine Frau mit circularem
Irresein, «las durch die lichten Intervalle «ler Beurtheilung
grössere Schwierigkeiten bereiten kann.
Dr. Carl Becker.
Inaugural-Dissertationen.
Universität Berlin. .Juli—August 1901.
23. Mendelsou Alfred: Vaginale Exstirpation bei Tubar-
gra viditüt.
24. Franke Ernst: Behandlung und Ausgänge von 44 Depres¬
sionsfrakturen am Schädel.
25. Jablotsclikoff Georg: Statistische Beiträge zur Aetio-
logie des Diabetes mellitus und insipidus.
20. L ö w e n s o h n M.: Der Kumys und s«*ine Anwendung bei der
Lungentuberkulose.
27. Li bin Wladimir: Faelnlislähmung bei Xeugeboreneu.
2S. Petro ff Nikolaus: Beziehungen zwischen der multiplen
Sklerose und Dementia paralytica.
29. Feh re Paul: Beitrage zur Lehre über die Tabes bei den
Weibern.
30. S c h rö der Emil: Die allgemeine Wundbehandlung des Galen.
31. Ritter Gustav: Ueber «iie pathologischen Torsionen und die
niH'chten Cysten der Nabelschnur.
32. Kotik Naum: Ueber die Verwachsung des Herzbeutels mit
dem Herzen.
33. Winckelmauu: Studie über Lungenschwindsucht in An
lehnung au 1000 beobachtete Fälle.
34. de Ahna Friedlich: Ein Beitrag zur Kasuistik der sogen.
I\ U m m e 1 l’schen Krankheit.
35. Sachs-Müke Paul: Die differentlaldlngnostlschen Bezieh
ungen des M o r v a n’srhen Symptomenkomplexes zur Lepra
und zur Syringomyelie.
36. Steinbrecher Willi: Ueber die in den Jahren 1895—1900
in der Frauenklinik der kgl. Charitß zu Berlin vorgeuommenen
Kaiserschnitte.
37. S a m e s Fritz: Beitrag zur Aetiologie der Utenismyome und
ihrer HIstogenese.
38. Frank A.: Ein Fall von Tabes dorsalis mit dem Symptomeu-
koraplex der Bulbärparalyse.
39. Henaroya Moise: Die künstlichen Nährpräparate, ihr Werth
und ihre Bedeutung für die Kranken- und Kinderernährung.
40. Lott Karl: Der Nährwerth des Feldzwiebacks.
41. Müller Kaspar: Ueber Hernia dlaphragmatica während der
Schwangerschaft und der Geburt.
42. S e h m i «1 t \\ err.er: Ein Beitrag zur Statistik des Erhängungs-
todes.
43. G u m t a u Walther: Neuere Anwliauungeu über die Behand¬
lung der B a s e d o w’sclien Krankheit.
44. S c h 1 u n g b a u m Arnold: Wiederholte Laparotomien an der-
s«‘lbeu Person.
45. Margulies A.: Ein Beitrag zu den Uebergangsformen
zwischen F l* i e d r e i c h'scher Ataxie und der Heredo-Ataxie
«•.'•i.'-belli-iise von Marie.
40. R a 1» i n «» w 11 s c h Grigory: Ueber den Verlauf der Geburt
bei Vorderhauptslagen auf Grund der Fälle aus der kgl.Cliaritö.
47. I.e v y Henry: Beiträge zur Abscesslehre im Alterthum und
Mittelalter.
48. Liepiuann Wilhelm: Ueber suprasymphysären Quer¬
schnitt.
49. Kirsch b a u m KalOv: Poliomyelitis anterior.
50. Preis« Meyer: Zur Frage über die Beschaffenheit der sibi¬
rischen Ivubbutter vom chemisch-hygienischen Standpunkte.
Universität Greif swald. August 1901.
25. Jung Hugo: Zur Kasuistik der Lymphosarkome der Racheu-
tonsllle.
26. Birrenbach Hermann Joseph: Ueber Mikromelie bei con¬
genitaler Syphilis.
Vereins- und Congressberichte.
XXI. Oberrheinischer Arztetag
zu Freiburg i. B.
(Eigener Bericht.)
Am 25. Juli fand, wie fast alljährlich, der XXI. Ober¬
rheinische Acrztetag mit. guter Betheiligung der auswärtigen
Herren Kollegen statt.
In der Augenklinik (7—8 Uhr Vormittags) besprach Herr
Geheime Rath Manz, nachdem er die Herren Kollegen herzlich
willkommen geheissen, zuerst einen Fall von Luxatip lentis
subconjunctivalis, wobei zur Enucleation des Auges geschritten
werden musste. Von dem dabei erhaltenen instruktiven Prä¬
parate wurden mikroskopische Schnitte demonstrirt. Sodann ver-
breitote sich M a n z in eingehender Weise über das seltenere und
darum von den weniger Erfahrenen auch manchmal verkannte
Krankheitsbild der E p i s k 1 e r i t i s nach Vorkommen, Art, Ver¬
lauf. Therapie und pathologischer Anatomie. Es wurde des Zu¬
sammenhangs mit sonstigen Krankheiten gedacht, sowie auf den
beobachteten Uebergang in bösartige Geschwulstform hinge-
wiesen. Hierauf wurde ein Mädchen mit einer Schussverletzung
des Auges vorgestellt und dabei mehrere Röntgenbilder anderer
Fälle vorgezeigt, und schliesslich wurden noch je ein Fall von
Herpes corneae und sogen. Frühjahrskatarrh demonstrirt.
Hieran schloss sich die gynäkologische Klinik (8—9 Uhr),
in der Herr Geheime Rath He gar einen Vortrag mit Demon¬
strationen über das Puerperalfieber und seine Verhütung hielt.
Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Nummer in
extenso.
Tn der medicinischen Klinik (9—10 Uhr Vormittags) stellte
Herr Geheime Rath Bäumler zunächst einen sehr inter¬
essanten Fall vor, der nach früher stattgehabtem Trauma einer¬
seits exquisit hysterische Erscheinungen, andererseits gewisse
Symptome der multiplen Sklerose (z. B. Nystagmus) darbietet.
Derselbe Fall ist auch auf dem letzten Neurologenkongress in
Baden-Baden von Bäumler ausführlich demonstrirt worden.
Sodann bespricht Herr Geh. Rath Bäumler das Krankheits¬
bild eines Mannes, der bei hochgradiger Kyphoskoliose und da¬
durch bedingter Verlagerung der Brusteingeweide und Verschie¬
bung ihrer Grenzen auseültatorische Erscheinungen über dem
Herzen zeigt, die die Diagnose eines offengebliebenen Ductus
Potalli am wahrscheinlichsten machen. Hieran schlossen sich
an der ITand zweier Fälle (Bäekerlunge ünd ausgeheilte Tuber¬
kulose mit Schrumpfungen; physikalisch nachweisbare Lungen¬
tuberkulose ohne Tuberkelbacillen im Auswurf) praktisch wich¬
tige Ausführungen über seltenere Fälle von Lungentuberkulose
und ihre Ansgänge.
Tn der chirurgischen Kinik demonstrirte Herr Hofrath
Kraske zunächst eine 56jährige Frau mit einem kindskopf-
grossen Tumor über dem rechten Hinterhauptsbein, der sieh
durch flache, oberflächlich liegende Knochenplatten, durch einen
Knochemvall in seiner Peripherie und das eigentümliche
Schattenbild aus der Röntgenphotographie als myelogener
Tumor kennzeichnet. Der Vortragende weist bei der Besprechung
der Diagnose auf die merkwürdigen, am Schädel verkommenden
Strumametastasen und Nebenschilddrüsen hin. erinnert dabei
an zwei in der Klinik beobachtete Fälle und glaubt, dass es sieh
auch hier um eine Strumametastase und zwar bei dem 5 jährigen
Bestehen des Tumors um eine gutartige Metastase einer jetzt
noch vorhandenen substemalen Struma handelt. Eine Operation
des grossen, äusserst blutreichen Tumors hält Kraske zwar für
möglich, aller, da «ler Tumor keine Gehirns.vmptomo und keine
besonderen Schmerzen macht, vorerst nicht für indieirt.
Sodann stellte Kraske ein Mädchen vor, bei welchem im
Verlauf einer Epi- und Perityphlitis eine Stenose des Coecums
entstanden war, di«» durch Resektion des Coecums und Implan¬
tation des Ileums in das Kolon beseitigt wurde. Bei der Demon¬
stration des durch diese Operation gewonnenen Präparates zeigte
es sich, dass der Processus vermiformis förmlich verloren ge¬
gangen ist und dass der Proeess, der zu der deutlich erkennbaron
Stenose geführt hatte, wie eine mitexstirpirte Driisc erkennen
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17. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1503
lässt, eiu tuberkulöser gewesen ist. Im Anschluss au dieses Prä¬
parat gelangte ein ganz ähnliches zweites zur Besichtigung, das
von einer älteren Frau stammt, bei welcher durch Resektion des
stenosirten Coecums ebenfalls Heilung erzielt wurde. Der Vor¬
tragende besprach hierauf den eigcnthümlichen Verlauf der chro¬
nischen Entzündung des Blinddarms, die häufig in Folge von
Mischinfektion auch akut einsetzen kann. So war es bei den
beiden mitgetheilten Fällen, so auch in einem kürzlich beobach¬
teten Fall von Aktinomykose des Blinddarms, die schliesslich
durch Metastasirung des Processes, vor Allem in der Leber, nach
monatelangem Krankenlager zum Tode führte (Demonstration
der mit aktinomykotischen Herden durchsetzten Leber). Schliess¬
lich stellt Eraske noch einen jungen Mann vor, welcher durch
Fall vom Rad eine subkutane Milzrnptnr erlitt und durch Ex¬
stirpation der Milz vom Verblutungstode gerettet worden ist.
Nachdem die Herren Kollegen theils den Neubau
für. Infektionskrankheiten des erweiterten
Hilda-Kinderhospitales besichtigt, theils den klini¬
schen Demonstrationen der Herren Prof. Killian, Bloch und
J a c o b i beigewohnt hatten, begann um 1 Uhr eine gemeinsame,
sehr gut besuchte Sitzung im Hörsaal der Anatomie, in der
Herr Medicinalrath K e 11 e r - Lörrach den Vorsitz führte.
Nach einem vorzüglichen und mit viel Beifall aufgenom¬
menen Referate über den diesjährigen deutschen Aerztetag des
Herrn Medicinalrath Fritsch i, hielt Herr Geh. Hofrath
Ziegler einen durch eine grosse Reihe ausgezeichneter Bilder
veranschaulichten Vortrag über die Verbreitungsweise der
Malaria. Hierauf sprach Herr Hofrath Thomas über
Anaemia pseudoleukaemica infantum (der zu Grunde liegende
Fall war den Herren im Kinderhospital Vormittags demonstrirt
worden), Herr Dr. W. Sachs- Mülhausen i. Eisass über Barm-
ausschaltung. Den Schluss des wissenschaftlichen Thciles
bildeten daim noch Demonstrationen von Dr. Kaufmann-
Freiburg i. B. und Dr. Sachs- Mülhausen i. Eisass.
Durch ein gemeinschaftliches, sehr animirt verlaufendes
Festessen fand der XXI. Oberrheinische Aerztetag, der sich
würdig seinen Vorgängern angereiht hat, einen gemüthliehen
Abschluss.
XXIX. Versammlung der Ophthalmolog. Gesellschaft
in Heidelberg am 5., 6. und 7. August.
Eigener Bericht, erstattet von Dr. Fritz Salzer, Privat-
docent in München.
Der Kongress wurde am 5. August mit einer Ansprache
S n e 11 e n’s eröffnet, in welcher Redner auf die vor jetzt
50 Jahren erfolgte Entdeckung des Augenspiegels durch Hermann
v. Ilclmholtz hinwies.
Nachdem der Präsident der ersten Sitzung, Uhthoff, daran
noch einige Worte über das erste Modell des Augenspiegels ge¬
knüpft hatte, folgten die Vorträge von
1. Nagel -Freiburg: Mittheilungen und Demonstrationen
über die dichromatischen Farbensysteme.
Die in Ophthalmologenkreisen noch vielfach acceptirte
II e r i n g’scho Gegenfarbentheorie hat unter den Physiologen
niemals Boden gefunden, da die zu Grunde liegenden allgemeinen
Anschauungen mit allgemein biologischen Erfahrungen über das
Wesen von Reizungsvorgängen unvereinbar sind. Als charak¬
teristisches Beispiel für die Unzulänglichkeit der H e r i ng’schen
Theorie erörtert Vortragender die typischen Unterschiede der
sogen. Rothblinden und Grünblinden, die nach Hering rein
physikalisch durch verschiedene Absorption des Lichtes in dem
ungleich stark entwickelten Maculapigment sich erklären sollen,
während durch v. Kries und Vortragenden nachgewiesen ist,
dass die Pigmenti rungsunterschiede mit den Typusunterschieden
gar nichts zu thun haben. Vielmehr können diese durch die
Maculatingirung eher verwischt werden und die scheinbaren
Zwischenformen zwischen den beiden Typen sind nur durch
Untersuchungsmethoden vorgetäuscht, die von den Verschieden¬
heiten der Maculatingirung und dem wechselnden Adaptations¬
zustande nicht unabhängig sind.
Der vom Vortragenden konstruirte Apparat ist von diesen
Komplikationen unabhängig und gestattet daher eine sehr rasche
und leichte Erkennung der Farbenblindheit und ihrer beiden
Haupttypen. Statt der irreführenden H e 1 m h o 11 z’sehen Be¬
nennung: Rothblind und Grünblind schlägt Vortragender die
v. K r i e s’schc Bezeichnung: Protanop und Deuterauop vor, die
nicht mehr aussagt, als wir sicher wissen, nämlich das Fehlen je
einer Komponente des trichromatischen Farbensystems. Die
Ilering’sche Bezeichnung: „relativ blausichtig und relativ
gelbsichtig Roth-Grünblinde“ steht mit sicher konstatirten That-
sachen in Widerspruch.
2. Bach- Marburg: Bemerkungen zur Methodik der Pu-
‘ pillenuntersuchung, zu den Ursachen der Anisocorie und den
Störungen der Pupillenbewegung.
Bach betont, dass es wünschenswerth sei, eine einheitliche
Methode der Pupillenuntersuchung zu besitzen. Er bespricht eine
Methode, die, ohne wissenschaftlich durchaus exakt zu sein, für
die meisten Fälle zur Analyse der vorliegenden Störung genügt.
Mit dieser Methode hat er ca. 300 Fälle systematisch untersucht.
Die gewonnenen Resultate werden vorläufig kurz mitgetheilt.
3. B a a 8 - Freiburg: Ueber eine seltenere Pupillarreaktion.
Es handelt sich um einen Fall von sog. Lidschlussreaktion
der Pupille. Die mydriatische, auf Licht starre, anfänglich auch
auf Accomodation und Convergenz kaum reagirende Pupille ver¬
engte sieh bei energischem Lidschluss. Die ganze Störung ging
allmählich zurück. Sonst war das Auge normal. Ala Ursache
wird eine Kernaffektion angenommen. B a a a stellt sich vor,
dass das Sphinctercentrum in Untergruppen für Lieht-, Aecommo-
dation-, Convergenz- und Lidschlussreaktion zerfalle, deren jede
isolirt erkranken könne. Für Vermittlung der Lidschlussreaktion
kommt das hintere Längsbündel in Betracht.
4. v. H i p p e 1 - Heidelberg: Zur Pathologie des Hornhaut¬
endothels.
Vortragender hat zur Erforschung der Frage, ob eine Er¬
krankung des Hornhautendothels Beziehungen zur Entstehung
parenchymatöser Hornhauttrübungen hat, Unterbindungen der
4 Venae vorticosae bei Kaninchen vorgenommen und parenchy¬
matöse Keratitis vom geringsten bis zum höchsten Grad erhalten.
Schon nach 1—3 Tagen liessen sich Endotheldefekte anatomisch
und klinisch mit Hilfe der Fluorescinfärbung feststellen. Die
Descemc t’sehe Membran blieb intakt, auch in Fällen, wo
starke Ektasie der Hornhaut bestand, in späteren Stadien fand
sich eine neugebildete Glashaut. In 2 anatomisch untersuchten
Fällen von Keratitis parenchyraatoea beim Menschen fehlte das
Endothel in grosser Ausdehnung. Klinische Untersuchungen mit
Fluorescin an 63 Fällen bestätigen frühere Angaben des Vor¬
tragenden, besonders dass beim akuten Glaukom während des Be¬
stehens der rauchigen Trübung regelmässig tieliegende Färbung
zu erhalten war.
5. Hertel- Jena: Zur pathologischen Anatomie der
Cornea.
6. Best-Giessen: Ueber das Vorkommen von Gly¬
kogen im Auge.
7. Salzmann- Wien: Die Chorioidealveränderungen
bei hochgradiger Myopie.
Dieselben unterscheiden sich nicht wesentlich von den Ader¬
hau tatrophien rein entzündlichen Ursprungs. Die Glashaut der
Chorioidea zeigt über den atrophischen Stellen Lücken, welche
wohl als Anfänge eines Processes zu deuten sind, den man sich als
Circulus vitiosus vorstellen muss: zusammengesetzt aus den rein
mechanischen Folgen der Dehnung, Bildung von Dehiscenzen, und
aus Reparationsvorgängen, namentlich von Seiten des Pigment¬
epithels. Die letzteren verleihen dem Prooess seinen entzünd¬
lichen Charakter. Die so entstandenen Narben sind wieder Orte
geringeren Widerstandes, an denen neue Dehiscenzen entstehen.
In therapeutischer Hinsicht dürfte man am ersten von einer
Herabsetzung des intraocularen Druckes etwas erwarten. Viel¬
leicht wirkt die Myopieoperation in diesem Sinne.
8. Leb er -Heidelberg: Ueber die phlyktänuläre Augen¬
entzündung.
Leber theilt vorläufige Resultate von noch nicht abge¬
schlossenen Untersuchungen über die phlyktaenuläre Augenent¬
zündung mit.
Die. Beziehung der Erkrankung zur Skrophulose ist un
bestreitbar, doch ist damit nicht viel zum Verständniss ihres
Wesens gewonnen, so lange wir über die Natur der Skrophulose
so wenig wissen. Aehnlich verhält es sich mit der Auffassung
der Krankheit als Ekzem. Ein Theil der Erkrankungen der Ge-
sichtshaut tritt jedenfalls erst in Folge der Augeuerkrankung
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1504
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 38.
auf, hervorgerufeu durch Aufweichung der Epidermis durch
Thränen, Wischen u. s. w. und nachfolgende Infektion. Schon
1888 hat Leber mitgetheilt, dass durch Coccen, die sieh aus dem
Augensekret züchten lassen, künstlich Ilautaffektionen erzeugt
werden können, aber keine Augenentzündungen. Neuerdings hat
L e b e r in G Fällen frische excidirte Phlyktaenen untersucht und
nirgends Mikroorganismen nachweisen können, trotz bester Me¬
thoden. Es folgt daraus, dass ektogene Infektion nicht vorliegen
kann. Anatomisch stellt die Alfektion ein einfaches, im Schleim¬
hautgewebe liegendes Knötchen dar, von dem das Epithel empor¬
gehoben wird. Letzteres ist an der Spitze nekrotisch, im Knöt¬
chen selbst kommen Riesenzellen vor. Dasselbe gewinnt dadurch
eine gewisse Aelmlichkeit mit einem Tuberkel, 6 Implantations
versuche bei Thieren fielen negativ aus. Es wurden auch Ein¬
spritzungen von Aufschwemmungen abgetödteter Tuberkelbacillen
in die Hornhaut und Bindehaut ausgeführt. Es gelang, Horn¬
hautentzündung von progressivem Charakter zu erzeugen, die
eine gewisse Aelmlichkeit mit der Keratitis parenchymatosa des
Menschen aufwics. Ob Phlyktaenen zu erzeugen sind, bleibt noch
unsicher.
9. He s 8-Wiirzburg: Die Erregung der Netzhaut bei
venöser Drucksteigerung.
Hess hat bei venöser Stauung, beim Niesen, Husten u. s. w.
entoptisch 4 leuchtende Punkte im Gesichtsfeld beobachten
können, die ihrer Lage nach den Eintrittsstellen der 4 Venae
vorticosae entsprechen.
10. Siegrist -Basel: Ueber wenig bekannte Erkran-
gungsformen des Sehnerven.
Vortragender macht auf eine wenig bekannte, nichtsdesto¬
weniger aber ganz ausserordentlich häufige Erkrankung der Seh¬
nerven des Menschen aufmerksam. Die Erkrankung tritt fleck-
weise auf. Die Flecken sind makroskopisch am frischen Präpa¬
rate nicht sichtbar, sie treten aber auf der Schnittfläche zu Tage,
sobald der Nerv einige Zeit in einer Chromsäurelösung gelegcm
hat. Schnitte, die mit W e i ge r t’s Ilaematoxylin gefärbt wur¬
den, lehren, dass die fleckförmigen Erkrankungsherde anfänglich
in runder oder ovaler Form im Inneren von einzelnen Nerven¬
faserbündeln liegen, dass sie sich aber leicht über die einzelnen
Bündelquerschnitte und trennenden Septen hinaus ausdehnen und
so zu grösseren, mehrere Bündelquerschnitte sammt den zuge¬
hörenden interfaseiculäreu Septen einschliessenden, schwarzen
Herden führen können. Allo diese Herde färben sich mit Wei¬
ter t’scheni Ilaematoxylin intensiv und diffus schwarz; sie sind
oft von zahlreichen quer, d. h. senkrecht zur normalen Faser¬
richtung, also in^ der Ebene des Querschnittes einherziehenden
markhaltigen Nervenfasern durchzogen, und bestehen zum gröss¬
ten Tlieile aus schwarz berandeten Schollen und Kugeln, die wirr
neben- und aufeinander liegen und so die diffuse Schwarzfärbung
der Herde bedingen. Färbung mit Eosin-Haematoxylin zeigen,
dass entzündliche Processe fehlen, dass aber in den Herden die
Neuroglia wohl gewuchert ist.
Unter 80 in M ü 11 e r’seher Flüssigkeit fixirten Organen fand
S i e g r i s t die Affektion 51 mal, d. h. in 62 Proc. der Fälle, bei
den verschiedensten Erkrankungen der Augen.
Schon vor 32 Jahren wurde die Affektion von Leber bei
Neuritis optica beobachtet und kurz beschrieben, und neuerdings
hat sie Schlodtmann in 2 Sehnerven gefunden bei Anlass
der Exstirpation retrobulbärer Tumoren.
Der Krankheitsprocess wird von Siegrist, gestützt auf
seine Befunde an frischem Materiale, das nach der Methode von
M a r c h i und mit Sudan III gefärbt war, als krümeliger
Zerfall und fettige Degeneration von mark¬
haltigen Nervenfasern bezeichnet. S i e g r i s t tritt
hiermit voll und ganz der anatomischen Diagnose bei, welche
Leber seiner Zeit für seine damaligen Befunde aufstellte.
Manche Fälle von Sehschwache ohne Befund, besonders bei
alten Leuten oder bei Allgemeinleiden der verschiedensten Art,
sind wohl auf diese fleckförmige Erkrankung der Sehnerven zu¬
rückzuführen.
In der Discusslon bemerkt F uchs, dass er den be¬
schriebenen Befund wohl kenne, ihn aber als eine postmortal durch
den Einfluss der Härtungsmittel entstandene Veränderung auf¬
fasse. Dieselbe Ansicht wird von mehreren Seiten geäussert.
Vortragender war auf diesen Einwand gefasst, hält aber post¬
mortale Veränderungen für ausgeschlossen.
Die in den beiden folgenden Vorträgen behandelte Frage
nach der Vollkorrektion der Myopie ist für weiteste,
nicht nur ärztliche Kreise von dem grössten Interesse, und soll
desshalb über beide Vorträge, sowie die sich anschliessende De¬
batte ausführlicher referirt werden.
11. P f a 1 z - Düsseldorf: Ueber die Entwicklung jugend¬
lich myopischer Augen unter dem ständigen Gebrauch voll-
corrigirender Gläser.
Seit vor 35 Jahren Donders die Grundzüge für die Gläser¬
behandlung der Myopie angegeben und begründet hatte, hat sich
auf diesem Gebiete nichts geändert. Der Vorschlag Försters (vor
17 Jahren), durch Vollkorrektion jugendlich myopischer Augen
dem Fortschreiten der Myopie Einhalt zu gebieten, ist, von dem
Amerikaner Risley, der vor 7 Jahren den Vorschlag wieder¬
holte, abgesehen, ohne Nachahmer geblieben und stellt der heutige
Standpunkt, wie ihn Königshöfer in seiner Prophylaxe
in der Augenheilkunde dahin präcisirt, dass zur Naharbeit nie¬
mals voll corrigirende Gläser benützt werden dürften, sogar
einen Rückschritt gegenüber den D o n d e r s’schen Grundsätzen
dar. Vortragender ist nun der Ansicht, dass nicht praktische Er¬
fahrung, sondern lediglich theoretische Gründe die vorher
skizzirte Anschauung befestigt haben. Mit Rücksicht auf den
folgenden Vortrag von Heine über denselben Gegenstand ver¬
zichtet er jedoch auf ein Eingehen auf das theoretische Gebiet
und beschränkt sich auf Darlegung seiner Erfahrungen, die ihn
allmählich bestimmten, auch für die Naharbeit Gläser, Anfangs
theilweise, seit 5 Jahren voll korrigirende in Anwendung zu
bringen. Er kam zu diesen Erfahrungen durch wiederholte Kon-
trole seiner Myopen. Diese Kontrole ist auch erforderlich, um
das Princip voller Neutralisation der Myopie auch für jede Nah¬
arbeit durchzuführen. Vortragender geht dabei so vor, dass er,
falls bei vollkorrigirenden Gläsern eine relative Acoommodation
von 2,5 D vorhanden ist (eine empirisch gefundene Grösse, die
sich dem Vortragenden als praktisch erwiesen hat), sofort die
vollkorrigirende Brille verordnet, sonst das schwächere Glas, mit
dem jene relative Accommodation noch eben vorhanden ist Im
letzteren Fall wird in Pausen von 2—3-Monaten ständig zu
stärkeren Gläsern fortgeschritten, bis vollkorrigirende Gläser an¬
genommen werden. Bei diesem Vorgehen kann man sehr bald
eine wesentliche Zunahme sowohl der absoluten und relativen
Accommodation, wie der centralen Sehschärfe feetstellen. Das
myopische Auge wird in seiner Funktion mit Brille dem emmetro¬
pischen gleich. Grossen Werth legt Vortragender bei den be¬
nutzten Brillen — nur diese, nicht Pincenez’s, sollen angewandt
werden — auf die Form der Gläser. Wenn vollkorrigirende
Brillen oft nicht vertragen würden, so läge die Schuld nicht au
der Brennweite, sondern an der Form des Glases, nebenbei aller¬
dings zuweilen auch an schlechter Centrirung, schlechten Brillen¬
gestellen. Vortragender wendet selbst bei schwacher Myopie in
der Regel, bei stärkeren Graden — über 2,5 D — immer peri-
skopisch geschliffene Gläser an, damit bei dem Blick durch para-
centrale Gebiete des Glases — beim Lesen imvermeidlich —
sphärische Aberration in Form von astigmatischer Ueberkorrek-
tion und prismatische Ablenkung vermieden werden. Er hat mit
den torischen Gläsern, bei denen selbst die stärksten Nummern
noch eine vorne leicht convexe Fläche haben, die allerbesten Er¬
fahrungen auch bei alten Myopien gemacht. Die Resultate seiner
Erfahrungen mit Vollkorrektion sind in 3 Tabellen eingetragen,
in welchen solche Myopen, die er in grösseren Zeiträumen mehr¬
fach genau zu untersuchen in der Lage war, verzeichnet sind.
Die erste Tabelle, deren Fälle zum Theil aus jener Zeit stammen,
wo Vortragender noch nicht voll zu korrigiren wagte, zeigt die
Zunahme der Myopie bei nicht für die Nähe korrigirten Augen.
In allen Fällen ist eine Zunahme, oft recht erheblich, vorhanden.
Die zweite Tabelle führt die Fälle auf, in denen theilweise Kor¬
rektion für die Nähe stattgefunden hatte. Auch hier ist die
Myopie noch überall fortschreitend, jedoch ist die Zunahme der¬
selben etwas geringer wie in Tabelle 1. Tabelle 3 enthält die
Fälle mit voller Neutralisation der Myopie auch für die Nähe,
im Ganzen 38. Nur bei einem 8% jährigen, sehr anaemischen
Knaben, der bereits mit M. — 7,5 D auf einem, — 1 D — As —
auf dem anderen Auge in Behandlung kam, schritt die Myopie
in 3 Jahren um 3,5 D fort, in 2 anderen Fällen um 0,5 bis 1,0.
in zweien einseitig um 0,25, in den übrigen ist der Fortschritt
in Zeiträumen von 1!4—5 Jahren = 0.
Vortragender wirft, ohne näher auf die Gründe des Still¬
standes einzugehen (mit Rücksicht auf den Vortrag von Heine),
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17. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1505
zum Schluss die Frage auf, ob nicht der mitHebung der Accommo-
dation Hand in Hand gehenden besseren Entwicklung des Cor¬
pus ciliare, bei dessen innigen Beziehungen zur Ernähung des
Auges, ein günstiger Einfluss auf die Entwicklung des jugend¬
lich myopischen Auges zuzuschreiben sei. Jedenfalls zeige ein
Vergleich der Tabellen, dass nicht die Accommo-
dationsthätigkeit, sondern der Mangel einer
solchen dem Fortschreiten der Myopie för¬
derlich sei. Vortragender fasst die Konsequenzen seiner Er¬
fahrungen in folgenden Sätzen zusammen:
1. Bei jedem jugendlichen Myopen ist volle Neutralisation
der Myopie anzustreben. 2. Zur Korrektion sind stets Brillen
zu benutzen, am besten mit periskopischen Gläsern, stets mit
solchen, wenn die Myopie 2,5 D überschreitet. Pincenez’s sind
hei jugendlichen Myopen zu verwerfen, ebenso sei die Saran-
s o n’sche Patentbrille als schädlich zu bezeichnen. 3. Alle jugend¬
lichen Myopen sind unter ständiger Kontrole zu halten. Auch
für ältere sei diese empfehlenswerth. 4. Ob es gelingt, jede
Myopie zum Stillstand zu bringen, ist noch eine offene Frage,
deren Beantwortung erst durch weitere, grössere Erfahrung er¬
folgen kann.
12. H e i n e - Breslau: Ueber Vollkorrektion der Myopie.
Heine tritt auf Grund theoretischer wie praktischer Er¬
wägungen für strikte Vollkorrektion der Myopie ein: dasselbe
vollkorrigirende Glas soll dauernd für Ferne und Nähe getragen
werden, bis der beginnenden Presbyopie wegen für die Naharbeit
schwächere Gläser ordinirt werden* müssen.
Theoretisch wird ausgeführt, dass ein Schaden starker Gläser
für die Ferne nicht zu erwarten wäre, da die Verarbeitung schar¬
fer Bilder dem Auge ja nicht schädlicher sein könne, als die ver¬
waschener. Im Gegentheil werde unter letzteren durch das Blin¬
zeln vermuthlich der intraoculare Druck gesteigert, was unter der
Vollkorrektion wegfalle.
Wenn man nun verlange, dass diese Gläser auch für die
Nähe getragen werden sollen, so müsse man von der Unschädlich¬
keit der Accommodation überzeugt sein; es wird in kurzen Zügen
auf die Arbeiten hingewiesen, welche des Redners Meinung die
Theorie von Helmholtz unwiderleglich beweisen: Linsen-
schlottern, Meeeungsmethoden für die passiven accommodativen
Linsenverschiebungen, Radienmessungen an menschlichen
Leichenlinsen, vor und nach Durchschneidung der Zonula, Linsen -
indexbestimmungen, mikroskopische Fixirung des Aceommo-
dationsaktes. Ferner wird darauf hingewiesen, dass wir
es jetzt als gesichert ansehen können, dass die Accommodation den
intraoeularen Druck nicht im geringsten beeinflusst. Auch die
durch angebliche Ciliarmuskelkrämpfe bedingten Verzerrungen
haben für die Myopie keine aetiologische Bedeutung, da sie sich,
wie Versuche zeigen, auf den vorderen Bulbusabschnitt beschrän¬
ken, die Myopie aber im Gegensatz zum Hydrophthalmus aq. eine
Erkrankung des hinteren Abschnittes ist.
Die Anatomie der Myopie, verglichen mit der des Hydroph¬
thalmus, ergibt eine angeborene mangelhafte Veranlagung der
hinteren Bulbushälfte, nirgends aetiologisch bedeutsame Ent¬
zündungserscheinungen.
Was wir daher bei der Therapie fürchten müssen, sind intra-
oouläre Drucksteigerungen, die aber nicht von der Accommodation,
sondern nachweislich von den äusseren Augenmuskeln hervor¬
gerufen werden. Diese müssen durch möglichste Ilinausrückung
der Leseweite (Arbeitsdistanz) vermindert werden. Ein beständiger
Wechsel von starken Gläsern für die Ferne mit um 3 D.
schwächeren Gläsern für die Nähe scheint die Myopie weniger
günstig zu beeinflussen als strikte Vollkorrektion.
Die beigebrachte Statistik spricht sehr für die vorgetragene
Ansicht: Von 18 längere Zeit beobachteten jugendlichen Myopen
über 6 D., welche unterkorrigirt waren, blieben 5 stationär,
8 wurden etwas, 5 stark progressiv. Zu den letzteren können
noch alle jene hochgradigen Myopen hinzugerechnet werden, die
nie ein Glas getragen haben, wie es ja fast dio typische Anamnese
ist. Von 32 strikt Vollkorrigirten blieben vielleicht dauernd pro¬
gressiv 2, doch sind auch diese nicht ganz einwandsfrei (schlechte
Sehschärfe, Anisometropie), 2 blieben wenig progressiv, einer
von diesen nur auf der einen Seite, 28 wurden mit Einführung
der Vollkorrektion stationär. Sämmtliche Fälle betreffen jugend¬
liche Myopen bis etwa 20 Jahren.
Demnach sind die dauernd für Ferne und Nähe getragenen
voll korrigirenden Gläser nicht nur nicht schädlich, sondern im
Gegentheil ein gutes Mittel im Kampf gegen die Myopie.
Dlseusslon: Dor ist seit 10 Jahren eifriger Anhänger
der Vollkorrektion. Er hat bis zu 2G D voll korrigirt. Er legt
besonderen Werth auf guten Sitz der Brille: die Gläser sollen nicht
gerade, sondern etwas schief vor dem Auge stehen.
Hess ist schon vor 4 Jahren für Vollkorrektion eingetreten
W i k e r c 1 e w i c z und v. Hippel sprechen sich gleichfalls
dafür aus.
Straub verweist auf seine Arbeit in der Zeitschrift für
Psychologie und Physiologie
Lucanus hat ophthalmoskopisch die Hyperaemie des
Augenhlniergrundes unter dem Einfluss der Vollkorrektion ver¬
schwenden sehen.
A x e n f e 1 d und U h t h o f f sind gleichfalls Anhänger.
M a j weg verfügt seit 1890 über 400 Fälle, bei denen Voll¬
korrektion angewendet wurde, darunter ganz hochgradige Fälle.
Er hat mehrfach einen Rückgang der Myopie um 3 und 4 D be¬
obachtet.
Goldstrand korrigirt ebenfalls seit mehr als 10 Jahren
mit bestem Erfolg total. Er legt besonderen Werth darauf, dass
das Kneifen mit den Augenlidern, welches den intraoeularen Druck
erhöht, wegfällt.
Fuchs warnt davor, nicht über das Ziel hinauszuscliiesseu.
(Beifall.) Es gebe auch Fälle, die nie Gläser getragen hätten
uud sich doch wohl fühlten und nicht progressiv geworden seien.
Schönemann macht darauf aufmerksam, dass man bei
manchen Gewerben nicht voll korrlgiren könne.
K rückmann theilt mit, dass auch die Leipziger Klinik
voll korrigirt, bis zu 8 D.
Pfalz betont in seinem Schlusswort, dass es wohl von nun
an als Regel gelten müsse, jeden jugendlichen Myopen voll zu
korrigirt n.
13. Uh t h o f f - Breslau: Ein Beitrag zn den Sehnerven-
verändemngen bei Schädelfraktnren, spec. zum Haematom
der Sehnervenscheiden.
U h t h o f f berichtet zunächst über 2 Fälle von Schädel¬
frakturen mit starken Blutergüssen in die Sehnervenscheldeu.
Beide Fälle kamen zur Autopsie. Die Sehriervenpriiparate werden
demonstrlrt und durch Mikrophotographien erläutert. Es handelt
sich um starke Ausdehnung der Opticusscheiden durch Blut bei
silmmtlichen 4 Sehnerven, die Erweiterung ist namentlich sehr
stark (bis zu 1,5 mm) dicht hinter den Bulbis. Die Papillen sind
oedematös und namentlich im 1. Fall deutlich steil prominent.
Auch die anatomischen Veränderungen gleichen denen wie bei
beginnender frischer Stauungspapille.
Beide Patienten starben relativ kurze Zeit nach der Ver¬
letzung und bei beiden handelte cs sich um Brüche durch die
mittlere Schädelgrube mit extra- und subduralen Blutergüssen, be¬
sonders auch an der Schädelbasis. Es bestand keine Fraktur des
Knochens am Canalis opticus. Mit dem Augenspiegel konnte
während des Lebens deutliche Neuritis optica mit venöser Stauung,
Gedern des Sehnervenkopfes und deutlich miissige Prominenz des¬
selben konstatirt werden.
U. erörtert nun im Anschluss an diese Sektionsbefunde fol¬
gende Punkte von allgemeinerer Bedeutung:
1. Das Yerhältniss der Sehnervenhaematome zur Fraktur des
khöchemcn Canalis opticus. In beiden Fällen fehlte eine solche
Fraktur, das Blut war direkt aus der Schädelhöhle in die Opticus¬
scheiden übergetreten. Dem gegenüber werden die Berlin-
HöldePschen Angaben über die Häufigkeit der Frakturen des
Canalis opticus und der Sehnervenseheidenblutungcn bei Schädel¬
frakturen erörtert, ebenso der Fall von Panas von Orbital¬
blutung bei Orbitalfraktur ohne Neuritis optica.
2. bespricht U. die ophthalmoskopischen Veränderungen ein¬
gehender, spec. das Bild der Neuritis optica, bei Schädelfrakturen
im Vergleich zur einfachen, namentlich einseitigen Opticus¬
atrophie und ebenso die Bedeutung der vorliegenden ophthalmo¬
skopischen und anatomischen Veränderungen für die Patho¬
genese der sogen. Staüungspapille. Die Befunde sprechen ferner
dagegen, dass starke Ausdehnung dor Opticusscheiden durch Blut
das Bild der Ischaemie der Retina wie bei Embolie oder Throm¬
bose der Arteria centralis retinae hervorrufen. Es ist also bei
dem klinischen Bilde der sogen. Embolie oder Thrombose der
Arteria centralis retinae dio Deutung der Sehnervenblutung nicht
gerechtfertigt.
3. Erörterung der Funktionsstörungen bei Sehnervenschcidon-
blutungen.
4. Die Besprechung des sonstigen Vorkommens des Seh-
nervenscheidenhaematoms bei intrakraniellen Blutungen und
Gohirnapoplcxien, Pachymeningitis haemorrliagiea und anderen
Ursachen (Nephritis, Scorbut, Haemophilie u. s. w.). Im Ganzen
ist die Affektion recht sei ton.
Zum Schluss werden noch kurz dio ophthalmoskopischen Be¬
funde bei Gohirnapoplcxien, Embolien und Thrombosen der Ge-
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1506 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 38.
hirnarterien von U. kurz erörtert an der Hand einer eigenen
Statistik. Er hat unter 160 Fällen keinen gesehen, in dem er
ein Sehnervenschaidemhaeinatom mit Sicherheit annehmen
möchte.
14. Dimmer- Graz hat die Photographie des Augen*
hintergrundes in der Weise vervollkommnet, dass die Reflexe
ganz ausgeschaltet sind und nur der Fundus in der Ausdehnung
von 6 V-i Pupillendurchmessern, 45—60 mm gross zur Darstellung
gelangt. Die Expositionszeit betrug '/„— 1 / 10 Sek. Verwendet
wurden isochromatische Platten von Edwards. Vortragender
demonstrirte eine grosse Anzahl vorzüglicher Bilder des normalen
und kranken Fundus.
15. V o 8 8 i u s - Giessen: Ueber Siderosis bulbi.
16. Hummelshei m-Bonn: lieber monoculares Doppelt¬
sehen bei Astigmatikern.
17. G r u n e r t - Tübingen: Die Lymphbahnen der Lider.
Vortragender hat nach der Methode von Gerota, einem
Schüler W a 1 d e y e r’s, die Lymphbahnen der Lider zur Dar¬
stellung bringen können.
18. Bernheimer -Innsbruck: Bemerkungen über die
Tabaks- und Alkoholamblyopie und über den reflektorischen
Nystagmus.
Vortragender hatte Gelegenheit, im vergangenen Jahr an
20 Fälle von Alkohol-Tabakamblyopie an der Klinik zu be¬
obachten und zwar im ersten Anfangsstadium. 8 davon betrafen
Bahnbedienstete, welche nur wegen Katarakt und Presbyopie die
Klinik aufsuchten. Eine bei genauer Untersuchung eben merk¬
liche Trübung und Röthung der äusseren Pupillenhälfte ermög¬
lichte die Diagnose, da charakteristische Beschwerden fast ganz
fehlten. Dieses für axiale retrobulbäre Neuritis charakteristische
und daher wichtige Frühsymptom ist in der Literatur gar nicht
oder nur flüchtig erwähnt (v. Michel, Uhthoff); da die voll¬
ständige Heilung dieser Affektion von der frühzeitigen Diagnose
abhängt, erscheint es nicht unwichtig darauf hinzuweisen. Damit
scheint auch indirekt die Ansicht Derer gestützt, welche die
Tabak-Alkoholamblyopie für eine primäre, partielle interstitielle
Neuritis halten.
Vortragender beobachtete ferner an 4 Patienten, welche,
wegen Refraktionsanomalien oder trockener Bindehautentzün¬
dung seine Klinik aufsuchten, 2 Arten von reinem reflektorischen
Nystagmus.
Die eine Form, welche bei Hypermetropen auftritt, wenn
sie andauernd ohne genügende Korrektion Naharbeit verrichten,
ist schon von Anderen beobachtet worden und ist auf erhöhte
Accommodations- und Konvergenzinnervation zurückzuführen. Die
zweite Art betraf Pat. mitCat.siccus mit oder ohne Hypermetropie
und scheint in der Literatur bisher nicht verzeichnet. Es genügte
bei den Patienten die Lider oder nur das untere Lid von dem
Bulbus abzuziehen, ohne einen Druck auf diesen auszuüben, um
eonstant, nach wenigen Sekunden bis einer Minute lebhaftesten
Nystagmus hervorzurufen, offenbar eine Folge von Reizung der
Trigeminusendigungen in Bindehaut und Hornhaut durch die
nach dem Abziehen der Lider schnell eintretende Vertrocknung
der Ilom- und Bindehaut. Es handelt sich in beiden Formen um
reine Reflexerscheinungen, das eine Mal nur im Gebiete der
Augenmuskelkemo und deren Endverzweigungen, das andere Mal
im Gebiet der sensibeln Trigeminusästchen und der Augenmuskel¬
kerne. Vermittelt wird der Reflex beide Male durch das hintere
Längsbündel. Dieses führt, wie Vortragender unter Anderen
nachgewiesen, centripetale und centrifugale kurze und lange
Bahnen, welche durch Contactwirkung mit allen Kernen der
Augenmuskelnerven und der übrigen zum Auge in Beziehung
tretenden Nerven in Verbindung stehen.
19. Römer- Würzburg: Zur Frage der Jodoformwirkung
bei intraocularen Injektionen.
Vortragender hat gute Erfolge von Einführung von Jodoform
in die vordere Kammer gesehen. Die Einwirkung, namentlich bei
durch Staphyloeoceen hervorgerufenen Eiterungen, war unver¬
kennbar.
20. E m a n u e 1 - Leipzig: Ueber die Beziehungen der Seh-
nervengeschwtilste zur Elephantiasis neuromatodes.
Sektionsbefunde bei an Sehnerventumoren Leidenden, an
in torcurrenten Krankheiten Verstorbenen zeigen fast immer
i'^er dem diagnostieirten Tumor noch andere Geschwulstknoten
am gleichen oder am anderen Sehnerven. Auch sonst bestehen
weitgehende Analogien zu den Neubildungen anderer Nerven-
stünmie. Für die vertretene Auffassung der Sehnerventumoreu
spricht ein beobachteter Fall, in dem Vater und Grossvater des
Kindes an typischem Fibroma molluseuin litten.
Am 5. und 6. August fanden Nachmittags Demonstrations-
sitzungen in der Augenklinik statt.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Officielles Protokoll.)
Sitzung vom 23. März 1901.
Der erste Punkt der Tagesordnung betrifft den Kassen¬
bericht und Voranschlag für das Jahr 1901.
Zum zweiten Punkt spricht Herr A. Schanz: Ueber die
Bedeutung von Massage und Heilgymnastik in der Skoliosen-
behandlung.
Vor der Tagesordnung:
Herr Deetz (als Gast) demonstrlrt I. ein Angiom der Wirbel¬
säule. Das l>etreffende Präparat, entstammt der Leiche einer
42 jährigen Frau, die unter Erscheinungen von Kompressious-
myelitis starb. Es wurde in vivo ein Sarkom der Wirbelsäule an¬
genommen.
II. Demonstration eines Angioma arteriale racemosum im
Gebiet der Art. corporis eallosi. Das Gehirn entstammt einer
56 jährigen Frau, die nur 2 Tage zur Beobachtung kam und in
beständigen Krampfanfällen lag.
III. Demonstration eines Gehirnangioms.
Herr F.Schanz stellt einen Patienten vor, dem vor 2 Jahren
ein Eisenstück in das Augeninnere gedrungen war. Die Magnet¬
extraktion, die mit dem Hlrschberg’schen Magneten von
anderer Seite versucht worden war, war erfolglos geblieben. Jetzt
war es Schanz gelungen, mit dem Slderoskop das Eisen nach¬
zuweisen und mit einem grossen Magneten durch die Pupille in
die vordere Augenkammer zu ziehen. Es bedarf jetzt nur eines
kleinen Einschnittes, um mit dem Hlrschber g’schen Magneten
es vollständig aus dem Auge zu entfernen.
Sitzung vom 30. März 1901.
Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Trautmann
einen Kranken mit Beri-Beri.
Von den früheren Symptomen: Analgesie und Anaesthesie in
den unteren Extremitäten bestellt nur noch verlangsamte Leitung.
Patellarreflexe sind noch sehr gesteigert. Fussklonus ist nicht vor¬
handen. Bauchdeckenreflexe sind da. Cremasterreflex links deut¬
lich, rechts kaum zu sehen. Brustbeklemmungen bestellen nicht
mehr, keine Oedeme mehr. Harnmenge auf 1850 ccm gestiegen,
ohne Eiweiss. Blutbefund: Haemoglobingehalt 100. rothe Blut¬
körperchen in normaler Form und Menge, weisse Blutkörperchen
nicht vermehrt.
Tagesordnung::
1. Herr F. Haenel: Ueber Plenro-pnlmonalfisteln.
2. Herr Steinert (Assistent an der I. inneren Abtheilung
des Stadtkrankenhauses, als Gast):
a) Periodisches Doppeltsehen bei Strabismus concomitans.
b) Ein Beitrag zur Lehre von den Embryonalkystomen.
Physiologischer Verein in Kiel.
(Offlclellea Protokoll.)
Sitzung vom 6. Mai 1901.
Herr Werth demonstrirt 2 Operationspräparate von Neben-
hornschwangerschaf t.
Präparat I, durch vaginale Exstirpation gewonnen, besteht
aus dem durchgängigen gut ausgebildeten rechten Uterushom und
dem schwanger gewesenen linken Nebenhorn, welches mit einem
breiten kurzen und membranösen Verbindungsstücke am offenen
Horne in der Gegend des Oriflcium internum befestigt gewesen
war. An der Spitze des Nebenhornes. etwas nach innen oben vom
Tubenabgange liegt ein kleiner Hohlraum mit verdünnten Wand¬
ungen, welcher das zerfallene Skelet eines 3—4 monatlichen Foetus
enthält. Auf der Kuppe des Hohlraums eine alte durch einen
angelötheten Netzzipfel locker verschlossene Ruptur. Medianwärts
von der Fruchthöhle ist das Horn dicker als das rechte, reichlich
hühnereigross und enthält, von einer derben muskulös-bindege¬
webigen Wand umschlossen (Metritis chronica), einen ganz engen
schmalen Kanal, welcher 1 cm vor dem Inneren Pole des Hornes
blind endigt und ln dessen äusseren Abschnitt noch ein langer
Röhrenknochen aus dem Knochenkouglomerate von der Spitze des
Hornes hineinragt.
Präparat II, durch Laparotomie entfernt bei einer 25 jährigen
Frau, welche 1 Jahr vorher einmal rechtzeitig geboren hatte.
Cessatio mensium Nov. 1900 bis März 1901. Anfang April unter
stärkerer Blutung Abgang deeiduaartiger Fetzen. Diagnose:
Ektopische Schwangerschaft. 27. IV. 1901: Laparotomie. Das
schwangere rechte Horn reichlich doppeltfaustgross, stark ge¬
spannt. entleert aus kleinem Einschnitte reichlich blutig gefärbtes
Fruchtwasser. Absetzung durch cireuiären, den unteren Pol des
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MUE N CI I EN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1507
17. September 1901.
Fruchtsackes umkreisenden Schnitt. Naht der Trennungsflilche
mit Fixation der znrückgelnssenen Adnexe auf der Stmnpfwuude.
Das Horn enthält 4 monatlichen macerirten Foetus. — Starke
Retraktion der Fruchtsackwand nach der Fruehtwasserentleeruug.
Dicke au der Absetznngsstelle 1—1»4 cm, am freien Pole einige
Millimeter.
Eine ausführlichere Publikation erfolgt an anderer Stelle.
Herr Hoppe-Seyler spricht über die sogen, peri¬
karditische Pseudolebercirrhose, indem er einige Fälle schildert,
deren Krankheitsbild in vieler Beziehung einer Lebereirrhose
mit einfachem Stauungsascites ähnelte. Es setzte sich aber zu¬
sammen, nach dem Ergehn iss der klinischen Beobachtung und
Autopsie, aus den Folgczuständen einer massig entwickelten
lebereirrhose, einer Stauung des Blutes in Folge von totaler
Synechie des Perikards und myokarditischen Veränderungen und
namentlich einer von Perikurd und Pleura auf das Peritoneum
übergreifenden serösen Entzündung. Diese hatte zu Perihepa¬
titis hyperplastiea (Zuckergussleber) geführt und ferner starke
Verwachsungen innerhalb des Abdomens erzeugt, welche sich zum
Theil vaseularisirt und so zu Abnahme des Ascites geführt hatten,
ln dem einen Fall führten diese festen Biudegewebsmassen zu so
starker Einengung des Harms, dass der Tod unter den Erschei¬
nungen des Ileus erfolgte. Ausführlicher werden die besprochenen
Krankheitsfälle in der Dissertation von Herrn Pfannkuehe
geschildert werden.
Sitzung vom 20. M a i 1901.
Herr Me wes: lieber zweierlei Samenfäden von Pala¬
dine. (ln den Mit theilungen für den Verein Schleswig-Holstcin’-
scher Aerzte publizirt.)
Herr Holzapfel zeigt einen Fall von exochorialer
Fruchtentwicklung. Frucht und Placcnta entsprechen dem
f>. Monat. Die Klhäute bilden eine kleine Tasche, der Eiliautriss
ist so klein, dass die Flucht in ihrer jetzigen Entwickelung nicht
liat hindurch treten können. Der Eiliautriss ist frühzeitig In der
Schwangerschaft erfolgt, der Foetus hat sich später ausserhalb
ilcs ('liorion-Ainnionsackes in der Uterushöhle weiter entwickelt.
Aerztlicher Verein Nürnberg.
(Offlcielles Protokoll.!
Sitzung vom 23. M a i 1901.
Vorsitzender: Herr Carl Koch.
Herr Simon bespricht folgende Fälle und demoustrirt die
dazu gehörigen Präparate.
1. Frau Sch. Carcinom der hinteren Lippe der Vaginal¬
portion mit Uebergrelfoji auf die Vagina. Um mit dein Carcinom
möglichst wenig in Berührung zu kommen und andererseits miig
liehst viel Scheide mit weg zu nehmen, wird die Operation be¬
gonnen mit Durchtreunuug des vorderen Scheidengewölbcs. Er¬
öffnung der Plica vesico-uterina und Ilervonvülzen des Uterus.
Dann Abbinden der Tuben und Versorgen der Spermntiealgefiissi*.
Durchtrennung des Peritoneums des Douglas von der Bauchhöhle
aus und Vemähung mit dem Blnsenperltoueum. Jetzt liegt der
Uterus, an Parametrien und hinterer Scheidenwand hängend,
völlig extraperitoneal. Durch Zurückdrängen der Scheide wird
mittels Klammern möglichst viel von den Parmnetrien mit fort-
genommen; die Scheide lässt sieh von oben nach unten sehr leicht
im Septum recto-vagin. bis zum Introitus ablösen. Einige Um¬
stechungen verkleinern die Wunde. Tamponade. Glatter Verlauf.
2. Frau Schw. Kechtsseitige Tubargravidität mit begin¬
nender Peritonitis. Durch die Exstirpation des 3 monatlichen
Fruclitsaekes wurde völlige Heilung erzielt.
3. Frau H. Graviditas tubaria. Pat., 11 Jahre steril ver-
lieirathet. erkrankte plötzlich nach 8 tägigem Oessiren der Menses
unter heftigen Schmerzen und Blutung. Es wird ein Tumor im
Douglas und an der linken Uteniskanto gefunden. Die Laparo¬
tomie ergab eine ea. 2 monatliche lebende Tubensehwnugerschaft;
der Tumor hinter dem Uterus ist ein faustgrosses Myom. Das
Ostium abdom. tub. ragte nach oben in die Bauchhöhle: es war
verklebt durch einige Darmschlingen. In der Bauchhöhle bereits
frisches Blut.
Beim Ablösen der Darmscldingen sprang die Blase und aus
dpr Tube wurde mit ziemlich starkem Drucke ein G em langer
frischer Foetus geschleudert. Es erfolgte eine starke Blutung aus
der Tube, welche durch die Exstirpation derselben gestillt wurde.
Es handelte sieh also um einen tubaren Abortus in statu nascendi
sozusagen.
Vortragender weist auf die Hiluflgkeit der Extrauterin¬
schwangerschaften bei sterilen Frauen und die häufige Komkli-
kation mit Genltaltuinoren hin. Glatte Heilung.
4. Frau Kr. Zwei faustgrosse elterhaltige Tubensäcke; die¬
selben waren abnormer Weise nicht im Becken adliaerent, sondern
lagen oberhalb des Uterus in der Bauchhöhle frei beweglich und
waren desshalb als Ovarialtumoren angesprochen worden. Heilung.
5. Frau H. Ein typisches Präparat von Salpingitis nodosa
isthmica, wobei die Uterusecken tief excidlrt wurden. Gleichwohl
bildete sich ein langwieriges Exsudat, so dass in diesen Fällen
wolil die Mitentfernung des Uterus anzuratlien ist.
G. Frau M. Zwei Pyosalpinxsäcke, nach 3 perltonitlscheu
Attaquen entfernt.
7. Frau H. Myoma uteri. Nach Eintreten der Klimax
rasches Wachsen des Myoms und allgemeiner Verfall.
Schon bei Eröffnung der Bauchhöhle Uollaps: die Operation
musste unter ballier Aetliernarko.se durchgeführt werden; es ge¬
lang in 1 Stunde das 2 inannskopfgrusse Myom supra vaginal zu
entfernen. Durch reichlich Kanipher und Koclisalzlnfiision konnte
Patientin 3 Tage über Wasser gehalten werden und machte dann
eine glatte Kekouvalescenz durch.
Vortragender räth desslialh zur Friilioperatiou der Myome
und bespricht deren Einfluss auf das Herz.
Interessant war in diesem Falle noch die Beobachtung, dass
drei Tage nach der Operation die Brüste wie bei einer Wöchnerin
anscliwolleu und Milch secernirten. welche ea. 8 Tage anhielt.
2. Herr Gugenheim berichtet über einen Fall von chro¬
nischem isoliitem Pemphigus der Schleimhäute der oberen Luft¬
wege und erörtert anschliessend dieses Thema in ausführlichem
Vortrag. (Der Vortrag erscheint iu extenso iu dieser Wochen¬
schrift.)
Rostocker Aerzteverein.
(Bericht des Vereins.)
Sitz u li g v o m 13. Juli 1991.
Herr Martins erwähnt mehrere in letzter Zeit von ihm
behandelte Fälle, welche klinisch das typische Bild der echten
Diphtherie dargeboten hätten, während die bactcriologische
Untersuchung in Bezug auf Löffler’sche Bacillen negativ
ausgefallen wäre.
Hierauf hält Herr Barfurth den angekündigten Vortrag:
Ueber den Einfluss des Nervensystems auf die Regeneration.
Die von Herrn B. vorgetragenen Resultate» werden demnächst
in der Dissertation de« Herrn cand. med. Rubin veröffentlicht
werden.
An der Dlseussion lietholllgen sieh die Herren K ii li n ,
A x e n f e 1 d und B a r f lirt li.
Sodann theilt Herr Lee hier Namens des Vorstandes mit.
dass derselbe in der letzten Vorstandssitzung auf Anregung des
Herrn Martins beschlossen hals*, in den im Laufe des Winters
statttiudenden Vereinssitzungen eine Serie von fortlaufenden Vor¬
trägen auf die Tagesordnung zu setzen, welche die sozial¬
politische Gesetzgebung, soweit dieselln* für den’ Arzt
und den ärztlichen Stand von Interesse und Einfluss ist, behandeln
sollen. Herr Martius nimmt darauf das Wort und theilt die
Einzelheiten des Prograinmes mit.
Zurr. Punkt 3 der Tagesordnung: Mittheilungen aus der
Praxis, berichtet Herr Kühn von einem in der medicinischen
Klinik behandelten Falle, bei dem die klinische Diagnose auf
Magenektasie und chronisches Ulcus gestellt
wurde. Die Obduktion, welche nach dem im Anschluss an eine
akute Magenblutung eingetretenen Exitus ausgeführt ward, be¬
stätigte diese Diagnose, ergab aber ausserdem das Vorhandensein
von ausserordentlich selten vorkommender primärer Leber¬
tuberkulose.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Acad6mie de mSdecine.
Sitzung vom 23. Juli lW’.l.
Ueber tuberkulösen Rheumatismus oder Pseudorheumatismus
bacillären Ursprungs.
Poncet lunchte die Erfahrung, dass die Tuberkulose sehr
verschiedene Geienksafl'ektionen verursachen kann und dass cs
ebenso einen tuberkulösen Rheumatismus gibt wie bei anderen
Infektionskrankheiten (gonorrhoischen, puerperalen. Scharia» h-
rheuniatismus u. s. w.). P. erlebte bei Tuberkulösen Hunderte
von Malen Gelenksaffekt Ionen, welche von der einfachen, inter-
mittireuden Arthralgie bis zur knotigen, »leformirenden Arthritis
gehen und alle Zwiseheiiformen begleiten können, und führt als
besonders charakteristisch 3 iu den letzten Monaten beobachtete
Fälle an. In dem ersten Falle, einem 44 jährigen Manne, gingen
einem akuten Gelenkrheumatismus gleichende Beschwerden einer
lokalisirten Hüftgelenks- und Wirbelsäulentnberkulose voraus, im
zweiten Fallt*, einer 45 jährigen Frau, verhielt es sich ähnlich und
es stellte sich nach multipler akuter Arthritis eitrige Osteo¬
arthritis einiger Phalangen ein; im dritten Falk*, einer »53 jährigen
Frau, zeigte die Autopsie eine Reihe mehr oder weniger hoch¬
gradiger Gelenksverfinderungeii. speziell suppurativer Natur :un
Tlbio-tarsal-Gelenk. Partikelchen, aus diesem Gelenk entnommen
und auf Meerschweinchen üb«»rinipft. ergaben ein positives Re¬
sultat, so dass «lie Beweiskette geschlossen erscheint.
Laveran und Poy rot beobachteten eboufalls eine Anzahl
ähnlicher Fälle.
H. d e Brun-Beirut spricht über Vibrationsbewegangen
der Bauchwand und deren diagnostische Bedeutung. Logt mau
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i nos
AI IJKXCII !•:N 7 Eli Al KI)I<'INI801 IE W0011ENSOHKIFT.
No
die Hand auf den Leib cims .Menschen, während man ihn spiv.-hen
Hissr. so beobachtet man manches Mal an allen Stellen Zitter-
bewegungen, ähnlich jenen der Brust wand: während letztere aber
bei gesunden Leuten beobachtet werden, kommen die der Baueh-
wand nur in gewissen pathologischen Zuständen und ziemlich
selten vor. Nach de I’.r.'s Untersuchung«*!! tiiti dieses Symptom !
dann auf, wenn ein Flässigkcitsorguss in die Bauchhöhle sich vor-
bereitet, so dass in mehreren Hillen darauf aufmerksam gemacht j
worden konnte, bevor irgend ein anderes Symptom vorhanden war. !
Diese Yibrationserseheinrng kann auch zur Diagnose ein¬
gekapselter Fliissigkeirsausammlungen in ih n oberen Theileti des
Abdomens dienen, wie z. 15. es de Brun gelang, eine Leber-
hydatitei'cysle bei einem Kranken zu diagiiosti/ären. der ihm wegen 1
Leberkrebs zugesehiekt word'-n war. j
Sitzung vom .'ln. Juli liioi.
Zur Frage der Moskitos.
Bla nehard brin_rt im Namen der Kommission für Malatia-
forsehung einen Bericht über die I’ebertragung von Krankheiten !
durch Moskitos in Paris und über die Mittel, diese Insektenplage t
zu bekämpfen. In Paris selbst wurden zwar von der Gattung .
Anopheles, welche all ‘in die Pebei tragimg der Malaria zu he- '
wirken scheint, keine gefunden, jedoch in der Umgehung von Paris
(der Anopheles bifureatns in Chantilly». Bl. glaubt, dass die .
Moskitos im Stande sind, die Lepra zu übertragen: mag das auch j
für Paris nicht zutreffen, so hält er cs immerhin für angezeigt, ;
die Moskitos zu zerstör« n wegen der Sclilafiosigkcit und dev |
Ilatitcrschetnungen. welche ihr Stich verursacht. Zu diesem i
Zweck«* sei «*s nöthig, ihre Larven zu zerstören, indem man in die |
stagnirenden Gewässer iv'nes Petroleum oder noch besser gemisclit
mit Timer bringt: in «hm zum Gebrauche di«mcnden Wässern kann
das Petroleum durch Del ersetzt werden. Die «han entsprechen«!
gefassten Leitsätze B 1 a n c h a r d's. wonach auch das Publikum
«öffentlich vor den Befahlen der Moskitos g«>warut und auf die
Mittel zu «li'i'i'U Zerstörung aufmerksam gemacht werden soll,
worden von der Akmlimiie einstimmig angenommen.
(' Ii a n t «• m esse und II a 1 1 o p e a u heben die Bolle der j
Moskitos bei der Uobortragbarkeit der Lepra hervor.
Behandlung der Chorea durch Immobilisation.
Alb. Hobln berichtet über diese von Huyghe- Lille in-
augurirte B«*!iandlungsmetliod«‘. Der Kranke wird (nicht voll¬
kommen) cldomformiit. dann «■ine «uitu'aische Massage an den
erkrankten Gliedern ausgcfiilirt. sodann, immer unter Narkose, 1
dieselben in Iloldschienen gelegt und ö- <> Tage iininobilisirt ge- !
balten, schliesslich der Verband entfernt. Sind noch ttnwill- '
kürliehe Bewegungen, wenn auch ganz geringfügiger Natur, vor- j
handelt, so muss die ganze Prozedur wiederholt werden. Bis jetzt !
bat II. bei verschiedenen Arten von Clmrea keinen Misserfolg; ]
das Mittel Ist linsehuldig und kann in allen Fällen und unter allen i
Umständen angewandt w«>r«k*u. Die Heilung beruht auf Auto- I
Suggestion: Der Kranke sieht seine Extremitäten nicht mehr, er !
vergisst, sie zu bewegen u. s. f. }
Soci6t6 de Biologie.
Sitzung vom 20. und 27. Juli 11)01.
Poncet, der Imkamite Forscher über Aktinomykose, be- |
richtet über seine weilenm Erfahrungen in dieser Krauklieit. Er i
beobachtet von derselben, welche lange Zeit für eine seltene
AITekiion in FraiikreieU gehalten wur»l«\ jedes Jahr 10—12 Fälle
am Spital (IhMel-Dien) zu Lyon. Ihr Sitz sind besonders die oberen
Verdammgswege (Mund und Nachbarorganc), seltener Coecuin
oiler Boetum. Die Diagnose der (»esiehts-IIals-Aktiuomykose ist
«•ine leichte. st«*ts wurde sie bacteriologiseh koutrolirt. aber es gibt j
Fälle, wo man von Anfang an die Natur des Leidens feststellen :
kann. Am Mastilann verwechselt man die Aktinomykose mit I
Mastdarmtisteln tuberkulöser oder nielittuberkulöser Natur; aber :
zugleich mit der Fistel ist eine tiefliegende o«ler subkutane Haut- ;
gesellwttlst vorhanden, welche auch ganz vcrschicd«‘ii vom nno- j
ivetah-n Sypliilom ist. Die Krankheit heilt durch Joil und lokale
Mittel, wenn frühzeitig ciugcgiilT« u wird; später kann cs schwierig j
sein, eine Heilung herbeizuführen: das Leiden erzeugt ausge- !
«lehnt«* Indurationen, chronische Plilcgmoneu, die schwer zu be- ‘
handeln sind.
Claude mul Aly Zaky haben den Einfluss des Lecithins |
auf Tuberkulose klinisch und experimentell studirt. Beim !
Menschen wie b«*im Thier ist das Mittel zwar nicht im Stande, ;
die Weiterem wieklung «ler Krankheit zu verhüten, aber es beein- j
tlussf in der günstigsten Weise den Ernährungszustand des
Patienten: das Gewicht nimmt zu, der Stoffwechsel wird energi¬
scher und bes<»n«l«*rs wird die Phosphor-Ausscheidung in betracht-
li«-hem Maasse verringert. Das Lecithin kann daher als ein werth- |
volles Hilfsmittel bei der Tuberkulose-Behandlung angesehen '
werden.
Bergouignan hat mit Erfolg die epiduralen Cocain- i
Injektionen bei tabetischen Blasenerscheinungen (Dysurie und j
«diguriei angewandt — 2 Injektionen von 2 ccm einer 2 proc. I
Lösung, je nach 3 tägiger Pause, ausgeführt.
Ster u.
Die 69. Jahresversammlung der British Medical
Association.
(Eigener Bericht.)
Die in Cheltenham tagende Jahresversammlung der British
Medical Association wurde am 30. Juli durch den Präsidenten
P erg uso ii fei«*rliehst eröffnet. In längerer Rede sprach Fer¬
guson über „Die wissenschaftliche Forschung als Hauptgrund-
läge jedes incdieiniscben und materiellen Fortschritts". Der b<*-
M-hränkte Raum verbietet es. an dieser Sudle näher auf die
üusserst Ies«*nswerthe Rede einzugehen und sei nur erwähnt, «lass
Redner warm für Si-haffung von Instituten eintrat, die der reimn
wissenschaftlichen Forschung zu dienen bestimnit sind und an
denen bisher in England ein grosser Mangel herrscht. Ueberhaupt
ist All«*s anfzubicten, um «li«* Erziehung aller Klassen zu heben,
die Kosten kommen nicht in Betracht, „ein Fa r ad ay, ein Koch
«»der I‘ a s te u r sind mit Millionen nicht zu hoch bezahlt".
Auch <lio übrigen Verhandlungen der beiden „Allgemeinen
Sitzungen" seien lii«*r übergangen und gehen wir sofort zu den
einzelnen Sektionen über.
ln «ler Abtheilung für innere Medicin erüffnete Garrod-
London eine Diseussion über chronische Gelenkerkrankungen,
die unter dem Namen chronischer Rheumatismus. Osteo-Arthritis
und rheumatische Dicht zusammengefasst werden. Wie man die
akuten rheumatischen Erkrankungen zuerst als rein lokale Er¬
krankungen der Gelenke, dann als Dyskrasie und schliesslich als
sp«*clfisches infektiöses Fieber nuffasste, so hat man es auch mit
«len chronischen Erkrankungen gethan. bei denen noch allerlei
theoretische Erwägungen über Rheumatismus und Gicht in Frage
kamen. Die Hauptfrage, die Redner sich gestellt hat. ist die.
ob alle die verschiedenen pathologischen Befunde, die man ltei
Sektionen erheben kann, durch einen und denselben Krankheits-
process hervorgerufen werden können. Redner selbst hat ge¬
lernt. zwei Hauptformen der Krankheit zu unterscheiden, die eine
bildet sieh vorwiegend bei jüngeren Frauen, tritt häufig nach
Intlnenza auf und ergreift zuerst die kleineu Gelenke, die spindel¬
förmig nufget rieben werden und bei Bewegungen deutlich kropi-
tiron: hochgradige Muskelatrophie ist ein frühzeitiges Symptom-
Die Krankheit schreitet unter leichtem oder höherem Fieber bald
rascher, bald langsamer fort, führt gewöhnlich zu Pigmentablag«*-
nmgen in der Haut, während viscerale Veränderungen selten sind:
zuweilen tritt Albuminurie auf. Bei der Sektion zeigt sich die
Synovialmembran viel mehr als der Knorpel ergriffen. Diese
Form der Krankheit möchte «>r als Arthritis rheumatica be¬
zeichnen. Die zweite Form findet sich ebenfalls mit Vorliebe bei
l-’iaucn. meist aber erst in späteren Lebensjahren: meist werdet)
die Terminal- und (’arpo-metacnrpal-Golonke der Daumen zuerst
ergrlfl'eu. Weder ist diese Form so schmerzhaft noch ver¬
läuft sie so rasch wie die erstbeschriebene. Allmählich
werden mehr und mehr G «‘lenke ergriffen, der Knorpel
wird absorbirt. die Knochenenden werden elfeubeinhart, und bei
Bewegungen sieht man, wie sie aneinander reiben: diese Fälle
kommen unter die Bezeichnung Osteo-Arthritis. Die erste Form
steht in keinerlei Zusammenhang mit. dem akuten Rheumatismus,
auch bleibt das Ilerz fast immer frei: ebensowenig hat die zweite
Form, wie von vielen englischen Aerzten angenommen wird, etwas
mit Gicht zu tbun; nach Redners Meinung liegt beiden Krank¬
heitsformen ein verschiedener, bisher unbekannter Krankheits¬
erreger (vielleicht bacterieller Natur) zu Grunde Die Behand¬
lung beider Formen ist mühsam und wenig erfolgreich; immerhin
kann man Touica versuchen, von Wichtigkeit scheint es zu sein,
die Organe der Mundhöhle ln gutem Stande zu halten.
O s 1 e r - Baltimore und A r m s t r o n g - Buxton liestätigteu
im Wesentlichen Garro «l’s Ansichten, während L u f f • London
davon überzeugt ist, dass die Arthritis rheumatica. wenn sie auch
vom akuten Rheumatismus abzutrennen ist, doch häufig als Folge
desselben auftritt. Die Ansicht, dass es sich bei der Arthritis
rheumatica um eine primäre Nervenkrankheit handle, verwirft
er, immerhin hält er es für möglich, dass nervöse Affektionen
durch Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit des Körpers den
Raeterien «len Weg zu den Gelenken öffnen könnten; er hat augen¬
blicklich (» Fälle in Behandlung Ihm denen die Erkrankung der
Entfernung beider Ovarien folgte. Neben guter Ernährung. Roth-
wein und strahlender Hitze hat er mit Vortheil Jodkali und
Guajakolkarbonat verwandt.
II e r r i n g h a in - London hält es für verfehlt, zwei Formen
aufzustellen, etwaige Unterschiede, die übrigens durchaus nicht
so scharf sind, hängen mehr vom Patienten, als von der Erkran¬
kung ab. den Zusammenhang mit akutem Rheumatismus hält er
für erwiesen, eine Ansicht, die auch von Hawthorne getheilt
wird. Cave- Bath und West- London betonen die Wichtigkeit
einer genaueren Anamnese und Untersuchung, nur selten wird
man vergeblich nach der Ursache des Leidens suchen und man
wird dadurch auch Mittel und Wege zur Bekämpfung desselben
finden.
Sowohl Cystitiden, wie Empyeme aller Art können die Krank¬
heit hervorrufeu, die Behandlung mit spezifischem Serum ist viel¬
versprechend.
Nachdem Watson Williams und S t o c k - Bristol einen
der seltenen Fälle gezeigt hatten, bei denen dauernd Cerebro-
spinallliissigkcit aus der Nase abläuft, sprach L u f f - London
über die Zusammensetzung und den Nutzen der Cheltenhamer
Mineralquellen und meinte Redner, dass man in Cheltenham ein
Bad habe, das Karlsbad, Kisslngen, Marienbad und Wiesbaden
für das englische Publikum entbehrlich machte.
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17. September 1001.
MUENCITENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
i reo
Die zweite Sitzung wurde fast völlig in Anspruch genommen ,
durch eine Discussion über die bei Biertrinkern beobachtete peri¬
phere Neuritis. R e y n o 1 d s - Manchester, der bekanntlich als |
Erster auf das Arsenik als Erreger dieser epidemisch aufgetretenen I
Erkrankung hingewiesen hat, beschreibt noch einmal eingehend i
die Symptome und betont besonders das Vorkommen von Haut
pigmentirungen, Herpes, Katarrhe der Augen und Nase*. Sehweiss
und Durchfall. Alle von ihm beobachteten Kranken tranken
arsenikhaltiges Bier, das Arsenik stammte aus durch den Ge¬
brauch von unreiner schwefeliger Siiure vergifteten Brauzuekern,
die alle aus ein und derselben Fabrik kamen. Eine Gallone Bier
(das Tagesquantum vieler Leute) enthielt bis zu 0,1 nrseniger
Siiure, Invert-Zucker enthielt 0,00 per Pfund, Glukose 0,25 und
sehwefelige Siiure 17,0 per Ffund.
Redner verwirft nun die Ansicht, dass der Arsenik die Haut¬
veränderungen und der Alkohol die eigentlichen neuritischen Sym¬
ptome erzeugt habe und behauptet, dass es eine eigentliche Alkoliol-
neuritis überhaupt nicht gebe oder dass dieselbe wenigstens zu
den nllerseltensten Krankheiten gehöre, die unter diesem Namen
beschriebene Krankheit sei als Arsenikneuritis aufzufassen. auch
Bier uud Spirituosen seien häufig arsenikhaltig. Auch Berl-Beri
sei, wenigstens in Europa, häufig, wenn auch nicht immer durch
Arsenik bedingt. Dixou M a n n - Manchester bestätigt das reich¬
liche Vorkommen von Arsenik in von ihm untersuchten Bieren.
Er glaubt, dass das Zusammenwirken von Alkohol und Arsenik
besonders geeignet sei, schwere Schädigungen der Nerven hervor¬
zurufen. Das Arsenik hat eine besondere Affinität zum Keratin
und kann man es leicht aus den Haaren und Nägeln von damit
Vergifteten gewinnen. Auch zu dem sogen. Nouro-Keratiu der
Achsencylinder und der Schwan n’schen Scheide hat er eiue
grosse Affinität und es gelingt leicht, dies naehzuwelseu. Tlieilt
man das Gehirn von mit Arsenik Vergifteten nach der weixsen
und grauen Substanz, so findet man, dass die weisse, die 10 mal
mehr Neurokeratin enthält, auch fast alles Arsenik enthält,
während die graue fast frei davon ist. Er glaubt, dass das Arsenik
schädlich auf die Zellen des centralen und des peripheren Nerven¬
systems wirke und zwar bindert es dieselben, ihrem Protoplasma
Sauerstoff eiuzuverleibcu. L u f f - London schliesst sieb dieser
Ansicht an, glaubt aber, dass es auch eiue reine Alkobolneuritis
gebe, was auch von R a w - Liverpool und O s 1 e r - Baltimore be¬
hauptet wird. Kellynack - Manchester gibt interessante
Statistiken über das Vorkommen der peripheren Neuritis in ver¬
schiedenen Theilen Englands,• auch er glaubt, dass das Arsenik
der Haupturbeber dieser Krankheit sei. dasselbe glauben Popo-
Leicester und G a i r d n e r - Ediuburg, die darauf himveisen, dass
enorme Mengen Alkohols als Whisky in Schottland konsumirt
werden und dass man nur bei Biertrinkern die Neuritis Auftreten
sehe und auch bei diesen erst seit neuerer Zeit, d. h. seit der Ver¬
drängung des Malzes durch die verschiedenen Brauzucker.
Zum Schlüsse sprach C a t o n - Liverpool über die Maasa-
ualimen zur Verhütung der akuten Endokarditis. Er verlangt,
dass alle Kranke, die einen akuten Rheumatismus durchmaeheii,
mindestens U Wochen bei schmaler Kost völlige Bettruhe haben ,
müssten, ferner hält er die Salicylprnpurate tur nicht geeignet, j
die Entstehung einer Endokarditis zu verhüten, die sogen. Herz¬
mittel, wie Digitalis etc. hält er für schädlich, grossen Nutzen
aber will er von der Anwendung zahlreicher kleiner BlasenpUaster
über der Herzgegend gesehen haben, daneben gibt er Joduatrium
zur Resorption etwaiger fibrinöser Auflagerungen. Osler-
Baltimorc und C1 i f f o r d - A 11 b u t - Cambridge loben C u-
t o n’s Methode, A 11 b u 11 empfiehlt daneben uoeü den Aderlass.
B r o a d b e u t - London macht die gewiss sehr richtige Be¬
merkung, dass die Ausführungen Cato n's nichts Neues brächten,
er behandelt den Rheumatismus mit Snlicyl, indem er 2 Tage lang
stündlich für ü Stunden je 1,0 salicylsaures Natmu gibt, tritt
ein Geräusch über dein Herzen auf, so ist das Salicyl sofort aus¬
zusetzen.
Abtheilung für Chirurgie. Am interessantesten war zweifel¬
los der Vortrag des Präsidenten der Sektion, Reginald Harri-
s o n, der über Nierenspannung und deren Beseitigung durch
chirurgische Maassnahmen handelte. Schon 1800 hat Harri-
son darauf hingewiesen, dass es manchmal gelingt, Fälle von
Albuminurie und ähnlichen Krankheitserselieinuiigeii. bei denen
ein Stein vermuthet, bei der Operation aber nicht gefunden wurde,
durch die scheinbar erfolglose Operation zu heilen. Er vergleicht
die Fälle von Druekstcigerung in der Niere mit denen im Auge
und mochte erster«? als „renales Glaukom" bezeichnen; auch beim
Hoden kommen durch Entzündung ähnliche Zustände vor und <x
gelingt, wie Smith gezeigt hat, nicht nur die Schmerzen durch
Punktion und Incision zu beseitigen, sondern weitgehende Schädi¬
gungen des Gewebes uud Sterilität zu verhüten. Was nun den
erliöhteu Druck in den Nieren angeht, so hält Ilarri son be¬
sonders Fälle von Scharlachuephrltis tresp. auch anderer akuter
N'ephritisfornien) als zur Operation geeignet, bei denen nicht
schnell Bcsse*rung eintritt, sondern die Albuminurie droht chro¬
nisch zu werden. Ausser diesen Fällen kommen noch solche von
sogenannter „maligner“ Scbnrlaelmephritis in Betracht, bei denen
cs sehr rasch zur Anurio uud Uraemie kommt und ohne Operaiiou
der Tod sicher in Aussicht steht. Die Operation besieht in Frei¬
legung der Niere durch einen Leudenschnitt paraleli dem Uippcii-
liogen uud Spaltung der Nierenkapsel mit oder ohne Punktion des
Organs. Die Kapsel spaltet inan am besten entlang der Kon¬
vexität, die Punktionen können überall gemacht werden, nur sollte
das Becken vermieden werden. Am Schlüsse der Operation wird
ein Gummidrain bis zur Kapsellncislou geführt, die übrige Wunde
aber vernäht, das Drain bleibt 8 bis 10 Tage liegen. Isr. eine
Niere besonders schmerzhaft, so wählt mau diese, anderen Falles
kommt es nicht darauf an, an welcher man operirt, da die Druck-
enthistung der einen günstig auf die andere Niere wirkt. Ueble
Folgen sali Harri son nicht nach der Operation, permanente
Nierentistein kamen nicht vor.
S p a n t o n-IIauley kann Harris o n's Vorgehen empfehlen,
da er es selbst mit Nutzen in 2 Fällen angewandt hat, früher
sali er auch gute Resultate durch tiefe Eiusclinitte in die Lenden
gegend, ein Verfahren, das G h i c k e n - Nottingham für allein er¬
laubt hält, da es auf ungefährliche Weise genau dasselbe erreicht,
wie die Kapselspaltung. Ward G o u s i n s - Portsmouth hält
Harri so n's Vorschlag für berechtigt, doch muss man sicher
sein, dass die Niere vorher gesund war.
J. Hutchinson jun.-Londou sprach über operative Be¬
handlung der Nierensteine und betonte die grosse Bedeutung
der Röutgeustrahlen für dieses Gebiet. Es gelingt heute in etwa
15 Sekunden eine genaue Aufnahme zu machen, auf welcher die
Zahl und vor Allem die Lage der Steine festgestellt werden kann;
zugleich kann man etwa vorhandene Steine in der anderen schein¬
bar gesunden Niere feststellen. Die vor der Operation mögliche
Orieiuirung erlaubt uns, die Niere während der Operation ziem¬
lich in Ruhe zu lassen und sofort auf den Sitz des Steines einzu¬
gehen. Mit Vorliebe eröffnet. Redner das Nierenbecken, da dies in
den meisten Fällen der direkteste und sclionendste Weg zur Ent¬
fernung der Steine ist; selbst wenn nur kleine Steine durch das
Röntgenbild nachgewiesen werden, soll mau die Operation vor¬
nehmen, da das Vorhandensein eines neuen Nierensteins eine
grosse Gefahr für den Träger bedeutet. M o r i s o u - Newcastle
hält den positiven Ausfall der Durchstraldung für beweisend, den
negativen aber nicht; auch er zieht den Schnitt in das Nieren¬
becken dom Konvexschnitt vor.
Bramwell - Cheltenhani berichtete dann Uber einen Fall,
in welchem eine Wanderniere durch peritoneale Verwachsungen
zur Stenose und Konstriktion des Duodenums geführt hatte; erst
die Sektion ergab den Sachverhalt.
P a r r y- Glasgow beschrieb eine neue Methode zur Radikal¬
heilung der Schenkelbrüche. Die Incision erfolgt parallel und
oberhalb des Ligam. Poup. Nach Freilegung des Bruchsackünlses
und Entleerung des Bruchinhaltes wird der Sack nicht entfernt,
sondern durch eine SehnUrnnht nach oben gezogen: dann wird
durch eine bestimmte Nahtlegung die Faseia transversalis und
die „conjoined teudon" von oben nach unten wie ein Vorhang
über den Sclieiikelkanai gezogen. L 1 o y d - Birmingham uud
E c c 1 e s - London verwerfen alle Bruchoperationen, bei denen der
Sack nicht entfernt wird, auch wollen sie Seide statt des von
Parry vorgcschlageiieu Katguts verwenden.
Brown- Leeds sprach über die Verhütung des Schock bei
langdauernden Operationen, dass subkutane Kochsalziufusionen
i hierfür ein sehr geeignetes Mittel sind, ist in Deutschland ja lange
i bekannt; J o s s o p - I.eeds legt grosses Gewicht auf die gleieh-
: zeitige Einverleibung grosser Dosen von Strychnin.
Die nächste zur Discussion stehende Frage betraf die Be¬
handlung des Magengeschwüres, des Duodenalgeschwüres und
der Pylorusstenose durch die Gastro-Jejunostomie.
B a r 1 i n g - Birmingham, der erste Redner, glaubt, dass das
Magengeschwür eine Mortalität von etwa 10 Proc. habe und dass
in Folge dieser hohen Mortalität operative Maassunhmeu wohl
berechtigt seien. Heftige, einmalige Blutungen sind für Opera¬
tionen ungeeignet; gute Resultate erzielt man dagegen bei den
häufig wiederkehrenden kleineren Blutungen und zwar ist die
Gnstro-Jejunostomie die geeignetste Operation, da sie den Magen
entlastet und ruhig stellt. Bei Pylorusstenosen zieht er die Pyloro-
piastik allen anderen Operationen vor, wenn keine Adbaesioucn
vorhanden sind; in diesem Falle nimmt er die Gastro-Jejunostomie
vor, die L o r e t a'seho Operation hält er für gefährlich und auch
für nutzlos. Er selbst näht bei der Gnstro-Jejunostomie, doch kann
man bei grosser Schwäche des Kranken und wenn man darin ge¬
übt ist, auch den Knopf verwenden. Die Mortalität der Gastro-
Jejunostomie beträgt etwa 20 I’roc., doch haben einzelne Opera¬
teure nur 5 Proc.
George H e a t o n - Birmingham schlägt die Sterblichkeit des
Magengeschwüres nur auf etwa 4 Proc. au; bei Mageublutuugcu
hält er die Operation für aussichtslos, bei Pylorusstenose zieht er
die Gastro-Jejunostomie der Pyloroplnstik iui Allgemeinen vor, die
L o r e t a'sche Operation verwirft er. Er verwendet den Knopf,
da man rascher annstomosiren kann und die neugeschaffene OefT-
nung sieh weniger leicht eontrnhirt.
B i d w e 11 - London vertheidigt die Lehre vom Pyloruskrampf
durch llyperaeidität, wie sic* sieh bei Magenuleus findet; er hat
sowohl von der L o r e t a'sHien Operation, wie von der Pyloin
plastik. als auch von der Gastro-Jejunostomie Nutzen gesehen:
er bevorzugt die vordere Methode der Gast i o Je jiinostoniie und
verwirft den Knopf, der in einem ulceriileii Magen grossen
Schaden anriehteu kann.
\V h i t e - Sheffield will die Gastro-Jejunostomie uml zwar die
vordere als Operation der Wahl bezeichnen, da man sie in jedem
Falle anwenden kann, gewöhnlich näht er.
Rutherford M o r i s o n - Newcasilr hat keinen Nutz n von
Operationen hei Blutungen gesehen, auch scheinbar hoffuuims
lese Fülle erholen sich oft ohne Operation. Bei Pyloru>sienosc
führt er die Pyloroplnstik aus, die er 2-1 mal ohne Ted« stall unter
nahm. Die Annstoinoscnbildung hält er für weniger gut.
F e r g u s o n - riicllcnham sprach über die Operation des
perforirten Magenuleus und führt ö neue Fälle an. von denen
2 gelleilt wurden. Dann berichtet er des Genaueren über die m
der Statistik niedergelegien Fälle, voll 11«► operii idi Fällen w urden
II geheilt, cs kommt Alles darauf an, möglichst raseli zu oprrireii.
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mo MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. No 38.
Dann berichtete Rutherford Morison - Newcastle Uber die
Nacligescliichten einer Serie von Pyloroplastiken wegen Magen-
ulcus und Stenose. Von 20 aufeinanderfolgenden Füllen wurde
der erste vor beinahe 7, der letzte vor 2 Jahren operlrt. 14 von
diesen Oporirten sind jet/.t ganz gesund und können jede Nahrung t
vertragen, 1 Ist nicht mehr aufzutinden, war aber bis vor ganz
Kurzem gesund; 3 sind sehr gebessert, haben aber noch gelegent¬
liche Magenbeschwerden. 2 sind gestorben, 1 an Carcinoin des
Pylorus, 1 an Lungentuberkulose, nachdem er 2 Jahre nach der
Operation noch ganz wohl gewesen war. Er hält desshalb die
Pyloroplnstik für die Operation der Wahl bei gutartigen Stenosen
und will die Anastomosenbildung nur dann ausfiihreu, wenn sich
starke Verwachsungen finden.
Zum Schlüsse sprach Beatson - Edinburgh über die von
ihm vor 5 Jahren zuerst vorgeschlagene Behandlung des Brust¬
krebses durch Oophorektomie und Fütterung mit Thyreoid-
extrakt. Gestützt auf eigene und fremde Beobachtungen, hält
er die Methode für gerechtfertigt in allen Fällen, in denen eine
Lokaloperation nicht mehr möglich ist. E c c 1 e s - London hat
auch Erfolge gesehen, aber nur wenn er Frauen vor der Meno¬
pause operirte; Stiles- Edinburgh und Morison- Newcastle
haben sie ebenfalls mit Erfolg ausgeführt, doch hat Letzterer
2 Frauen gesehen, bei denen nach der Kastration wegen Cysten
bildung Brustkrebs auf getreten war.
In der Abtheilung für Geburtshilfe und Frauenheilkunde
sprach als Erster B y e r s - Belfast über Puerperalfieber, Uterus-
krebs und die Verminderung der Geburten. Aus dem mit vielen
statistischen Einzelheiten versehenen Vorträge seien nur einige
Punkte hervorgehoben. Nach Itedners Angaben nimmt die Zahl
der an puerperalen Infektionen sterbenden Frauen von Jahr zu
Jahr in England zu. von 1847—50 betrug die Sterblichkeit an
Puerperalfieber 1.8 auf 1000. von 1875—84 2,28 auf 1000 und von
1 NSO—5)5 stieg die Sterblichkeit auf 2.40 per 1000. Es liegt dies
einmal daran, dass viel zu häufig die Geburt durch operative
Maassnahmen beendigt wird und zweitens an der mangelhaften
Durchführung der Antisepsis ln der Privntpraxis. (Den deutschen
Arzt berührt es eigeuthümlieh, wie leicht in England die Iudication
für die Zange gestellt wird: dass die Antisepsis und geschweige
die Asepsis durchaus noch nicht das Allgemeingut der englischen
Aerzte geworden ist, ist bekannt und bei den eigenthümllehen
ärztlichen Verhältnissen auch leicht verständlich; dazu kommt,
dass bedeutende Gynäkologen, wie P 1 a y f a 1 r in Lehrbüchern
und Vorträgen behaupten, dass das Puerperalfieber zumeist eine
Folge mangelhaft angelegter Aborte sei: für den Arzt ist es natür¬
lich einfacher, ein bischen nach etwaigen üblen Ausdünstungen
herumzuschnüffeln, statt sich ordentlich zu desinficiren. Referent)
Der zweite Theil der Rede beschäftigte sich mit der für den Redner i
feststehenden ständigen Vermehrung des Gebärmutterkrebses. 1
Leider gelingt es nur etwa 5 l’roc. aller Fälle durch die Operation
auf längere Zeit hinaus zu heilen, ein grosser Theil aller Fälle i
kommt überhaupt zu spät zur Operation, weil der Hausarzt nicht .
untersucht. Schliesslich spricht Redner noch über die bedeutende '
Abnahme der Geburten und fordert auf, aus Kräften dahin zu :
arbeiten, dass dieser Ausfall dadurch ausgeglichen wird, dass |
man die Sterblichkeit unter den Kindern verhindert.
Zur Discussiou stand dann die Ursache, Verhütung und
Behandlung des Abortes.
II o r r o c k s - London begann mit einer ausführlichen Zu¬
sammenstellung Alles dessen, was über diese Frage bekannt ist.
In der Discussiou wies La w re n c e - Bristol auf die oft 1
schwierige Different in ldiagnose zwischen Altort und Extrauterin- '
Schwangerschaft hin. Viel Blutung und wenig Schmerzen sprechen |
fiir den letzteren, geringe Blutung und viel Schmerz für den :
erstereu Zustand. Sobald der Abort sich nicht mehr nufluiltcn 1
liissf, muss der Uterus so rasch wie möglich unter Narkose ent- ,
leert werden, das beste Instrument ist der Finger; wird die Cervix ;
nicht genügend erweitert, so folgt leicht Sepsis. Smith- Dublin
hat zur Verhütung des Abortes gute Erfolge von Cannabis Imliea
und Opium gesehen; auch er räumt mit dem Finger aus. ,
L y c e 11 - Wolverhampton glaubt, dass der Alkoholismus eine 1
sehr grosse Rolle in der Aetiologie des Abortus spiele. Duncan- ,
London hat häufig Aborte durch Rücklagcrung des Uterus ent¬
stehen sehen und empfiehlt die prophylaktische Einlegung eines
Pessars. Den Abort bei Herzkranken vermeidet er durch strenge ,
Bettruhe und leichte Massage; bei schmerzlosen Blutungen wendet
er Ergotin an; bei starken Blutungen räumt er aus. curettirt und i
spült den Uterus mit Sublimat (l:2UUO) aus. I’h r s o n s - London
hält hei drohendem Abort das Vihuruum prunifolium für ein gutes
Mittel. Zum Schlüsse l>ctont Byers noch einmal diy Wichtigkeit
der Syphilis und rätli, stets beide Eltern zu behandeln.
Nach Demonstration eines Präparates von Deciduoma ma- ^
lignum durch Horrocks endigte die Sitzung mit einer Dis- ;
cnssion über den Kaiserschnitt. K e r r - Glasgow berichtet über
To seit 1 SSM in seiner Klinik ausgefülirte Operationen; die vor-
gekommenen Todesfälle (wie viele?) erfolgten sm Sepsis und zwar
ging die Infektion von der Vagina aus. wesxlmlb Redner grosses
Gewicht auf vorherige Reinigung der Vagina mit Lysol legt. Kr
macht nur einen kleinen Hautschnitt und zieht den Uterus nicht
vor die Batichwuude; die Ineision erfolgt in der Längsrichtung,
den Fuudussclinitt nach Fritsch verwirft er. In allen seinen
Fällen sass die Plaeenta hinten. Der Uterus wurde stets zurück-
gelassen, die Frauen aber durch Unterbindung und Durchschnei-
dung der Tuben sterilisirt. Bei der guten Prognose des Kaiser¬
schnitts hält Redner die Tödtnng eines Kindes fiir unerlaubt.
P tt r s 1 o w - Birmingham empfiehlt grossen Bauchschnitt und
Vorwälzen des I tems. Duncan macht stets den Polio.
Die Abtheilung für Psychologische Medicin wurde eröffnet
durch eine längere Rede von S p e n c e über die Verwaltung und
die Pflege in Irrenanstalten. Redner wendet sich scharf gegen'
die mehr und mehr zunehmende Sitte. Anstalten zu bauen, in
denen möglichst viele Kranke verpflegt werden können. Er be¬
fürwortet den Bau kleinerer Anstalten, deren Betriebskosten sich
durchaus nicht höher stellen als die der Massenanstalten und
deren Umfang cs dem leitenden Arzte ermöglicht, jeden einzelnen
Kranken genauer zu kennen und nach seiner Individualität zu
behandeln. Ferner beantragt er die Schaffung von Abtheilungen,
in denen Personen des Mittelstandes gegen geringe Bezahlung
verpflegt werden können. (Bisher gibt es in England ausser den
sehr theueren Privatanstalten nur freie öffentliche Irrenhäuser.
Referent.) Schliesslich will er die zahlreichen Epileptiker und
Blöden überhaupt aus deu Irrenhäusern entfernt und in eigenen
Kolonien untergebracht wissen.
F o rd - Ro b e r t s o n - Edinburgh leitet dann eine Dis-
cussion ein über die Rolle der Tosdne in. der Pathogenesa des
Irrsinns. Nach Redners Ansicht ist den Autointoxieationen vom
Darmkanal aus eine grosse Bedeutung für das Zustandekommen
vieler Formen des Irrsinns wie auch der Tabes, der idiopathischen
Epilepsie, der Arteriosklerose und der chronischen Niereu¬
schrumpfung beizumessen, eine Ansicht, die von Jones- Clay-
bury bestritten wird; Jones glaubt, dass die vielen Störungen
im Magendarmkaual der Irren sekundärer Natur seien.
G o o d a 11 - Cnrmarthen ist ein Anhänger der Toxintheorie
und weist auf den Nutzen hin. den Injektionen von Antistrepto-
coceenserutn in vielen Fällen von puerperaler Manie gebracht
haben; auch Passmore - Bansted spricht sich zu Gunsten dieser
Toxine aus; zum Schlüsse weist S p e n c e auf den günstigen Ein¬
fluss der Behandlung mit Abführmitteln und Darruantlsepticls hin.
Der nächste Vortrag von S h o f i e 1 d - London betraf die
Behandlung der Neurastheniker. Da die Persönlichkeit des
Arztes und die Sympathie, die er dem Kranken entgegen bringt,
von höchster Wichtigkeit sind, so hat die Behandlung am besten
in einer Anstalt zu erfolgen; hier können auch die übrigen Maass-
nalitnen, wie Hydrotherapie. Massage, Elektrieität und eine leichte
Mastkur am leichtesten dnrcligeführt werden. Vom Hypnotismus
will Reduer nichts wissen. Ist der Kranke gehellt, so muss inan
dafür sorgen, dass er eiue von der früheren verschiedene Lebens¬
weise und Beschäftigung ergreift. Körperliche Spiele im Freien
und Radfahren sind wichtige Heilmittel. Beach-London meint,
dass man auch ohne die kostspielige Anstaltsbehandlung viel er¬
reichen könne und zwar besonders durch eine Freilufttherapie.
Zum Schlüsse sprach Goodall über den Nutzen anthropo-
raetrischer Untersuchungen an den Insassen von Irrenhäusern.
Die Abtheilung für Augenheilkunde brachte einen Vortrag
J e s s o p’s - London über die Pathologie des Glioms. Solange
die Neubildung noch im Auge selbst sitzt, hat die Eutferuuug
des Auges grosse Aussichten auf Dauerheilung; sobald aber das
Auge durchbrochen ist, bleiben Rückfälle und Metastasen nur
selten aus.
Zur Discussiou stand dann die Myopie. Priestley Smith-
Birmingham sprach zuerst über die Schwierigkeit der Prognosen
Stellung. Nach seiner Erfahrung bieten Myopien stärkeren Grades
bei jüngeren Leuten besonders schlechte Aussichten; die gefähr¬
lichste Zeit ist die zwischen dem 15. und 25. Lebensjahre. Mangel¬
hafte Ernährung, die Lnctatlon, chronische Krankheiten und an¬
strengende Arbeit verschlechtern die Prognose. Da man niemals
mit Sicherheit entscheiden kann, ob es sich bei jungen Leuten
um einfache oder progressive Myopien handelt, so sind dieselben
unter steter Aufsicht zu behalten, da die Prophylaxe sehr viel
mehr Gutes thut als Heil versuche.
P e r c i v a 1 - Newcastle glaubt, dass die Kontraktion der
Augenmuskeln die Myopie verschlimmert, namentlich ist das
Nachuntensehen der Augen beim Lesen zu verhindern. Thomp¬
son- London glaubt, dass ein woblausgebildetes Staphyloma
posticum als schlechtes Zeichen aufzufassen Ist. Die meisten der
übrigen Redner legen besonderes Gewicht auf die Vermeidung
jeder Anstrengung und schlechten Lichtes, von einigen wird
Massage der Cornea und Sklera als nützlich erwähnt.
Die Ilauptdiscussion der Abtheilung für Laryngologie und
Otologie betraf die Behandlung der Obstruction in der Nase mit
Ausschluss der durch Polypen erzeugten.
Nach einer Einführung von Marsh verbreitete sich Kelly
über die Behandlung der vergröseerten Muscheln. Er rätli zur
Entfernung der Muscheln und zwar Itesouders des hinteren
M u schein lisch ui t tes, mit Hilfe der vorderen oder hinteren Rlilno-
skopie gelingt es stets, die Schlinge tun das hintere Muscheleuile
horumzuführon. den Finger in deu Nasopliarynx einzuführen, ist
unnöthig. Nach Entfernung des T)s turbinatum der einen Seite
hypertrophirt häufig das der anderen.
Parker lmt auf Grund von Untersuchungen festgestellt,
dass die Luft bei der EiuatInnung durch deu mittleren und oberen
Nasehgaug zieht, bei der Ausathmung jedoch durch den unteren.
Er will stets durch genaue Untersuchung feststellen, welche Tlieile
dem Luftstrom Widerstand bieten und etwa nöthige Operationen
so konservativ wie möglich ausfiihreu. Ebenso muss stets fest-
gestellt werden, ob es sich um inspiratorische oder exspiratoriselio
Hindernisse handelt, im ersteren Falle ist es ganz unnütz im
unteren Nasengang zu operiren. Das vordere Ende der mittleren
Muschel ist besonders oft das Hiudemiss und muss desshalb fast
immer entfernt werden. Exspiratorisehe Störungen, die durch
das Ausblasen von Tabakrauch zu bestimmen sind, brauchen nur
selten operativ beseitigt zu werden, da der Luftstrom sieh leicht
daran gewöhnt, statt durch deu unteren, durch die oberen Gänge
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17. Septemlwr 1001.
III 1 KN< ’I I l-'N ER M EDI Ol NI S< 11E WO( II ENS( '11 KI FT.
1511
xu streichen, nur wenn auch «liest* verstopft sind, muss man ope-
riren. liier ist meist «his hintere Ende der unteren Muschel der
schuldige Theil. Verbiegungen des Septum und Spinae erfordern
fast nie ein ojierntives Eingreifen, mir in Fällen von Heulteber
kann Ihre Entfernung zuweilen von Nutzen sein.
C o 11 i e r - London macht auf die zahlreichen Fälle aufmerk¬
sam, in deucn OhstniktionscrHchcimingcn nur auftreten, wenn der
ratient im Bette liegt, hei diesen Fällen sah 1) o n e 1 a n - London
überraschende Erfolge durch die interne Verabreichung von <>.3
XolMMinioreuextrakt vor dein Zubettgehen. (Im Allgemeinen
machte sich eine grössere Kritik und ein stark verminderter Furor
Operatlvus in dieser Abtheilung angenehm bemerkbar, lief.)
Die Abtheilung für Kinderkrankheiten beschäftigte sich vor¬
wiegend mit einer Discussiou über die Behandlung der Intussus-
ception.
Pitts- London, gestützt auf das grosse Material des Thomas
Hospital, empfahl dringend sobald wie möglich die Laparotomie
zu machen. Eingiessungen in den Dann, Lufteinblasungen etc.
nützen meist nichts und man verliert die kostbare Zeit. Unmittel¬
bar vor der Operation ist eine Aufblasuug oft nützlich, um den
Darm nach oben zu drängen. In jedem Falle muss die invaginirte
Stelle vor die Bauchhöhle gebracht werden, man vermeide dabei
das Austreten von Dünndarmschlingen; bestellt starker Mcteorls-
nius. so entleere man das (Jas durch eine kleine Incision. Ge¬
nügt die einfache Reduktion nicht, so öffne man die Scheide und
versuche durch Druck von innen naclizuhelfen, gelingt auch dies
nicht, so muss inan den Darm reseeiren. Bef schon bestellender
Gangraen flxire man die Darmenden aussen und stelle später die
Kontinuität her. Von grossem Nutzen sind Kochsalztransfusionen.
Die Bauchwunde muss gut genäht werden und die Nähte müssen
lange in situ bleiben, da leicht Aufgehen der Naht und Prolaps
des Darmes vorkommt.
D’A r c y -Power- London gestützt auf ein Material von
05 Fällen, die genau statistisch verarbeitet sind, ist ebenfalls ein
Anhänger der möglichst frühzeitigen Operation E e e 1 e s - Lon¬
don. der ebenfalls die Frühoperation empfiehlt, wäscht den ein¬
geklemmten Darm mit einer Lösung von Biuijodidquecksilber ab,
um Absorption septischer Stoffe zu verhüten. Auch er legt grosses
Gewicht auf eine gute Bauchnaht: nach der Operation gibt er
Opium und Muttermilch tlnHdöffelweise, erst nach 24 Stunden
darf das Kind wieder au die Brust gelegt werden. Zahlreiche
Redner bethelllgten sich an der Discussiou und waren einmüthig
iu der Empfehlung einer möglichst frühzeitigen Operation;
schlechte Ernährung und die in England so häutig angewandten
Abführmittel sollen die Häufigkeit der Erkrankungen erklären.
Die dermatologische Abtheilung wurde eröffnet durch Sa¬
li o u r a ti d - Paris, der über die Rolle sprach, welche Coccen in
der Pathologie der Haut spielen. Redner hat seine früheren An¬
sichten wesentlich moditizirt und glaubt nun, dass nur 3 Arten
von Coccen eine Rolle bei der Entstehung von Hautkrankheiten
spielen. Diese sind: der Streptococcus Fehleisen, der die Impetigo
contagiosa erzeugt und am besten durch Zinksulfat bekämpft
wird, der Staphyloeoecus aureus, der Erreger der follieulären
Pustel, zu bekämpfen durch’ Schwefel, und der graue Staph.vlo-
eoccus (Morococcus), der die Pityriasis simplex erzeugt und durch
Thecr zu beseitigen ist. Alle diese Coccen können natürlich sekun¬
där ln zahlreichen anderen Hautkrankheiten Vorkommen; ferner
ist es wahrscheinlich, dass sie nur polymorphe Varietäten eines
einzigen Mikrolieu sind. Während G a 11 o w a y - London auf
Grund zahlreicher eigener Untersuchungen Salto u r a ti d’s An¬
sichten im Wesentlichen bestätigen konnte, Hessen andere Redner
Zweifel laut werden: interessant war eine Beobachtung von
S a v i 11 - London, der einen Kranken mit schwerer Furunkulose
durch einige Einspritzungen von abgetödteteu Streptocoeeen-
kultureu geheilt hatte; liier hatten die Streptococcen also (V) die
Stnphylococccniufektion beseitigt.
Dubrenihl - Bordeaux sprach über P a g e t’s Disease an
der Vulva und beschrieb einen sei 1 >stl»eobnchteten Fall. Mac-
1 e o d - Ivoudon sprach über die Histopathologie der Yaws (Fram-
boesia), die Affektion ist als eine Krankheit sul generis aufzti-
fasse», gehört zu den iufcktlösen Granulationsgeseliwülsten und
hat auch nichts mit Syphilis zu tliim; letztere Ansicht wird von
K y n s e y - London bestätigt.
Die Hauptdiscussiou beschäftigte sieh mit der Behandlung
der Hautkrankheiten nach F i n s e n und durch Böntgen-
strahlen. Morris- London, der die Verhandlungen einleitete,
beschränkte sich auf die Behandlung des Lupus. Er hat nur
mit elektrischem Lieht gearbeitet und glaubt, dass es thera¬
peutisch dem Sonnenlicht überlegen ist; er verwendet einen Strom
von 70 Amperes und 00 Volts. Nach genauer Beschreibung der
Methode gab Redner Einzelheiten über 00 von ihm behandelte
Fälle; 30 mal handelte es »Ich um Lupus vulgaris, (5 mal um Lupus
erythematosus. 13 mal lag Ulcus rodens vor. ferner hat er Alopecia
arenta, Ivclolde und einmal ein Epitheliom behandelt. 8 Fälle von
Lupus vulgaris wurden geheilt, bei einigen trat kein Erfolg ein.
audere entzogen sich der Behandlung, wieder andere stellen noch
unter Behandlung; 2 Fälle von Lupus erythematosus wurden ge¬
heilt, elienso wie 7 Fälle von Ulcus rodens. In den erfolgreichen
Fällen schwankte die Anzahl der Sitzungen von S bis 37<>: meist
handelte »*s sieh um leichte, oberflächliche Fälle. Redner be¬
schreibt daun die Folgeerscheinungen der Bestrahlung nach F i u -
seu uud bestreitet die Behauptung von der Schmerzlosigkeit der
Methode; es tritt stets ein heftiger Naehschmerz auf und die be¬
gleitenden Schwellungen sind oft sehr läslig und schmerzhaft:
man muss aber stets versuchen, eine heftige Reaktion zu erzielen,
da der Erfolg ihr proportional ist. Narben uud starke I’igmeu-
tirung der Haut (wie sie auch durch vielfache Bestrahlung her-
vorgorufen wird) sind ein Hinderniss für das Eindringen der
Strahlen. Bel ausgedehnten Lupusformen ist die Behandlung oft
unmöglich, da mau «len Kranken täglich 3 Stunden behandeln
müsste, um mit der Krankheit Sehritt zu halten, ein Verfahren,
das wenig Kranke auslialten. Schleimhäute sind ungeeignet für
die Fi n seif sehe Methode, geben, aber gilt«* Resultate mit RöiU-
genls Strahlung. B 1 a c k e r - London verwendet neben dem Fi Il¬
se if scheu Apparat den von hortet und Genoud aus Lyon,
derselbe ist einfacher, billiger und braucht weniger Kicktricilät,
scheint dabei aber dem F i n s e if sehen ebenbürtig zu sein. Die
Röntgenbestrahlung ist Im Gegensatz zu der Methode von
Fi lisen nicht ungefährlich, da oft langwierige Ulcerationen
entstehen. Zur Eiltferming von Haaren taugt: die Röntgen¬
bestrahlung nicht, da die Haare stets nach etwa ti Monaten wieder
wachsen; ülierhaupt kann man sagen, dass während die F1 n •
s e n’sche Methode in der Lupusheliaudlung sieh bewährt hat. der
Nutzen der Röntgenbestrahlung noch zweifelhaft ist. Soquei ra-
Londou hat 200 Fälle nach F i n sen behandelt und in jedem Falle
von Lupus vulgaris Besserung gesehen. In ganz frischen Fällen
genügten schon 2 Sitzungen um den Lupus zum Verschwinden zu
bringen, in anderen Fällen waren über 300 Sitzung«*!) liothwendig,
stets ist es sehr schwierig zu bestimmen, wann die Bchumllung
aufhören darf, da leicht bei zu frühem Aussetzen Rückfälle auf¬
treten. Lupus erythematosus wird nur zuweilen günstig beein¬
flusst. Fälle mit starker ltötInnig sind ganz ungeeignet für die
Behandlung. Sequelra demonstrirte dann ein«* von ihm er-
sonuene, sehr billige und leicht zu handhabende Lampe, die
Sitzung«*n brauchen nur 15 Minuten zu dauern und man kann
jedesmal eine 1 >/ 2 Zoll lange Fläche behandeln. Röntgenbestrah¬
lung hält Redner für sehr geeignet zur Behandlung des Lupus
der Schleimhäute; auch Ulcus rodens wird durch die X-Strahlen
geheilt. Günstige Erfolg«* w«*rden auch bei Haarkrankheiten,
namentlich bei Sykosis erreicht. ,T a ni 1 e s o n - Edinburgh hält
die Röi)tg«*nbestrahluiig für ein gutes Hilfsmittel, glaubt aber
nicht, «hiss sh* dem Messer, der Auskratzung oder «len Aetzmitteilt
überlegen sind. B roo k e - Manchester will die hehlen Methoden
zusammen angewendet wissen, die F i n s e irselu* für die olier-
flüchlichen. di«* Röntgenstrahlen für die weniger leicht zugäng¬
lichen Herde. W a 1 k e r - Edinburgh Hält die Röntgenbestrahlung
für nützlich hei Lupus und besonders bei Favus; Ta y lor- Liver¬
pool weist auf die stimulirend«* Wirkung der X-Strahlen hin. sie
bringen grosse Wundflüchen zur Ueberhäutuug, selbst (’areiuom-
gcschwüre ülierhäuteu sieli temporär. Nach einigen weiteren Be¬
merkungen von E d w a r «1 s uud Batten drückte U r «»e k e r -
London im Schlusswort die U«*ber/.eugung aus. dass sowohl die
Fi n seifsehe Methode wie die Röntgenbestrahlung als dauern«]«*
Bereicherung unseres therapeutischen Könnens aufzufassen seien
und dass sie mit Vortheil sowohl miteinander wie auch mit
anderen Methoden kombiuirt werden können.
Die Abtheilung für Tropenkrankheiten wurde eröffnet durch
die Verlesung einer Rede «l«*s leider abwesenden Bonald Boss,
über die Fortschritte auf dem Qebiete der Tropenkrankheiten
während des letzten Jahres. Aus der interessanten Rede sei nur
liorvorgehobe», «lass Ross «*s für erwiesen hält, dass «las gelbe
Fieber durch Moskitohisse übertragen werden kann. Dann z«dlte
Redner.Iv o «• h und der deutschen Regierung reichliches Lob wegeti
der energischen Bekämpfung der Malaria mit ('hinin. Dann er-
öffnete F r e y e r eine Discussiou über den Stein (Blasenstein)
in tropischen Ländern. Der Name Frey er genügt wohl, um
jedem Leser zu sagen, dass nur die Litholapnxie als berechtigte
Operation anerkannt wurde, die blutigen Operationen und ganz
besonder der hohe Steinschnitt aller energisch verdammt wurden.
Cantlie glaubt ebenfalls, dass der hohe Blasenschuitt bald
allgemein verlassen sein wird. M a n s o n bekämpft di«? Ansicht
Freyer’s, dass kalkhaltiges Wasser iu Indien für das häutige
Vorkommen von Steinen verantwortlich gemacht werden könne,
auch G 11 «* s wendet sielt dagegen uud glaubt mit Mauson an
einen parasitären Ursprung der Steine. S a n d w 11 li weist darauf
hin, dass in Aegypten sehr häufig die Eier der Bilharzia den
Kern für eine Steinbildung abgeben.
Buchanan spricht über Staub als Träger der Keime des
Cerebrospinalflebers und weist darauf hin, dass 00 von ihm be¬
obachtete Fälle in einem Indischen Gefängnisse alles Leute waren,
die Staubbesehitftigungen hatten,
Daun sprach Cantlie- liondon über 4 Fälle von Leber-
abscess, die nach M a n s o n punktirt und dralnlrt worden waren.
Im Ganzen hat C a n 111 e 28 Kranke nach dieser Methode operirt
und 24 Heilungen erzielt. Die Methode Ist der B ii I n if sehen
I-Ieberdrainage bei Pleuraempyem nachgebildet und es wird iii«-lit
gespült.. Hreyer - London und J o r d a u - Hong-Kong haben
die Punktionsmethode zu Gunsten der Laparotomie wieder ver¬
lassen und Bftttye berichtet über sehw«*re Blutungen nach der
Punktion. Mauson und Cantlie halten daran fest, dass für
tiefliegende Leliembscesso die Punktion und nachfolgende Drai¬
nage das sicherste Verfahren ist. hei ganz oberflächlichen Ab-
scessen. «li«-* sclum di«* Haut vorwölben, kann man natürlich das
Messer gebrauchen.
Die Abtheilung für Hygiene brachte liauptsä«-ldich Vorträa«*.
die mehr Interesse für englische Leser besitzen, zu erwähnen ist
nur ein einstimmiger Beschluss „dahin zu wirken, «lass eine inter¬
national«* Vereinbarung zu Stande kommt, mich welcher Schifte,
die mit Festländern verkehren, gezwungen wenlen. vor dein Laden
und vor dem Ausladen alle Ratt«*ii an Bord zu tö«lten und dafür
zu sorgen, dass während des Aufenthaltes im Hafen keine Ratten
au Bord kommen“.
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3512
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Die Abtheilung für Anatomie und Physiologie wurde er¬
öffnet durch einen Vortrag Macalister’s Uber den Unter¬
richt in der Anatomie, in welchem Redner darauf hin wies; dass
der englische Anatom nach Deutschland gehen müsse, um Labo¬
ratorien und Material für wissenschaftliche Studien zu .linden
Dann folgte ein jedenfalls sehr interessanter Vortrag Someren’s-
Vencdig. betitelt „Hatte Luigi Cornaro BechtP“ Lulgi Cor-
u a ro war ein Venetianischer Edelmann, der im 15. Jahrhundert
lebte und eine Reihe von Aufsätzen über Makrobiotik schrieb. Er
wurde ihS Jahre alt und führte seine lange Lebensdauer auf eine
sehr massige Lebensweise zurück. Er lebte durchschnittlich von
»0.0 solider Nahrung und 120 ccm Wein. Später soll er täglich
nur ein Ei gegessen haben. S o m e re n hat nun an sich und zahl¬
reichen anderen Personen Versuche angestellt und zwar lässt er
jeden Kissen und jeden Schluck so lange im Munde verarbeiten,
bis derselbe jeden (Jeschmack verloren hat und durch die Ein¬
wirkung des Speichels alkalisch geworden ist. Nach einigen
Wochen tritt nun bei so lebenden Menschen eine oigenthümliche
Erscheinung auf. Während sie nämlich so eingespeichelt.e Nahrung
ohne Weiteres schlucken können, tritt weniger gut verarlieitete
Nahrung (noch sauer reagirendei reflektorisch wieder in die Mund¬
höhle zurück und dies wiederholt sich so oft, bis die Speise gut ein-
gespeicheit ist und alkalisch reagirt. Redner glaubt, einen,
jedem Menschen zukommenden Reflex wieder entdeckt zu haben,
der durch unzweckmässiges Essen in frühester Kindheit verloren
ging. Dieser Reflex soll den Menschen daran hindern, ihm schäd¬
lich«* Nahrung zu schlucken. Nach einiger Zeit isst der Mensch viel
weniger und vermeidet alle „rt*i«-li«>n‘* Speisen, er kommt von selbst
dazu, die einfachsten Dinge wie Rrod. Butter. Eier, Käs«*, Milch
und Obst allein anderen vorzuziehen. Dabei nähert sich sein Go-
wicht «ler für «las Individuum passenden Norm, er fühlt sich wohler
wie früher, «ler Stuhlgang tritt selten ein und rl«*«*ht wenig mehr,
ebenso der Urin, Flatus worden nicht mehr producirt. Die Zeit,
in wehlier «ler verlöten«* Itetlex wieder g«*wonnen werden kann,
schwankt zwischen 4 Wochen und einigen Monaten, aber bei
Hl Personen der versehied<*nston Nationalitäten trat er stets wieder
auf. Redner glaubt, «lass man bei ruhiger Lebensweise das nöthige
Essen auf ein Minimum reduziren kann, wie Luigi Cornaro es
timt und «lass eine derartige Lebensw«*ise nnturgoinüss und nütz¬
lich ist. Den Schluss «ler Verhandlungen bildete ein längerer Vor¬
trag P a v y’s ülx*r experimentelle Glykosurii*.
Die Abtheilung für Pathologie und Bacteriologie wurde er¬
öffnet durch Washhourn, «ler über die hauptsächlichsten
Krankheiten unter den im südafrikanischen Kriege verwendeten
Truppen sprach. Hauptsächlich handelte «*s sieh um Darmkrank-
h«*iten. während Lungenkrankheiten selten waren, es ist dies auf
Güte der Luft und schlechte Nahrung zurüekzufiihreu. Die rit»sige
Verbreitung von Typhus. Dysenterie und Diarrhoe Ist auf
mangelhafte sanitäre Verhältnisse zurückzuführen un«l könnte
durch Anstellung gut geschulter Sanitätsoffiziere stark einge¬
schränkt werden. Hltzsehlag wurde gar nicht beobachtet und
glaubt Redner, dass beim Zustandekommen dieser Krankheit nicht
nur «He Sonnenhitze, sondern auch eine bisher unbekannte Infek-
tion ein«* grosse Rolle spiele. Zahlreiche Fäll«* von Dysenterie
kamen zur Beobachtung und Sektion, doch konnten nie Ainoeben
im Stuhl nachgowicsen werden. Belm Typhus ist Verstopfung
sehr häufig und Phlebitis eine oft vorkommemle Komplikation.
Schutzimpfungen schützen nach Redners Erfahrungen weiler vor
«lem Typhus no«*h mildern sie seinen Verlauf.
Später sprach C 1 a r k e - Bristol über «Ile Pathologie des
Lyniphad«*noms und «len muthniaassllehen Zusammenhang dieser
Krankheit mit Tuberkulose.
Die Abtheilung für Militär, Marine und Ambulanzwesen
«liscutirto zuerst die Frage der Unterbringung der Verwundeten
hei Seegefechten.
K I r k e r. «ler die Dlscusslon einleitete, weist darauf hin. dass
in den llolzschiffen früherer Zeiten der Verbandplatz resp. das
Opcratlonszimmer stets Im „cockpit“ gelegen war. Die neue Bau¬
art der Schiffe hat das „orlopdeck“ und mit Ihm den „cockpit“
verdrängt und seit dieser Zeit wies der Kapitän des betreffenden
Schiffes «lem Arzte einen Je nach der Bauart des Schiffes ver-
schhxlon gt'legenen Operationsraum au. Redner tritt nun energisch
dafür ein. in jedem Kriegsschiff einen Operationsrauui nnzulegt*n,
«l«*r möglichst kugelsicher sein muss, damit nicht wie auf dem Japa¬
nischen Schiff«* „Iiiyei“ eine Granate Aerzte. Pfleger und Ver¬
wundete tödtet und alles Verbandmaterial und Instrumente zer¬
stört. Uedner hält es für unmöglich, während eines Seegefechtes
die Verwundeten zu transportiren. sie müssen liegen bleiben, wo sie
fallen. Der Transport zum Opera tioimraum geschieht am besten
auf einer Art Schlitten. <less«*u Modell Redner zeigt. Währen«!
einige Marineärzte den Ansichten Kirker’s zustimmen, verlangt
N i n n i s den Bau bestimmter Hospitalschiffe, die die Flotte be¬
gleiten und auf w«*l«*he nach dem G«*f«*eht die Verwundeten über¬
führt w«*rdon sollen: auch Clayton befürwortet den Bau von
llospitalscliifiVn. doch soll jedes grössere Kriegsschiff selbst zum
Operiren eingerichtet sein, am meisten empfiehlt es sich, 2 Opera-
tionsräutu«*. je einen vorne und hinten, zu haben.
Dann spraelt MacCormac - London üb«*r den Unterschied
zwischen alter und neuer Kriegschirurgie. Die neuen Geschosse
und «lie antiseptisebe Belinmllung haben die Kriege vl«*l humaner
gemacht; die beste Behandlung vieler Schusswunden, besonders
aller «ler Bauch wunden ist die conservativo. auch nrterio-veuöse
Aneurysmen soll inan in Ruin» lassen. Im südafrikanischen Kriege
kam auf r Verwundete nur 1 Todter, von den*Verwundeten star-
No 38.
ben nur C—8 Proc., während lm amerikanischen Kriege noch
34 , / 2 Proc. starl)«*n. Von grösster Wichtigkeit ist gute Deckung der
Truppen, bei Colenso verloren die Engländer 1100 Mann, während
die gedeckten Buren nur 25 Verwundete und 5 Todte hatten. Der
erste Nothvorbnnd hat sich im Allgemeinen bewährt. In der Dis-
cusslon entspann sich ein lebhafter Streit filier das sog. Duin-Duui-
Gcschoss, das von O’D w y c r und Anderen verdammt wird. Har-
v e y und G 11 e s vertheidigeu die Anwendung dieses Geschosse«
g«*g«*n uneivllisirtc Völkerschaften, die Humanität kann zu weit
gctrU’btm werden und es ist unmöglich, mit dein gewöhnlichem
mo«lertu*n Geschoss einen Wilden zum St«*hen zu bringen. Obwohl
von 5—U Geschossen durchliohrt, läuft der Wilde vorwärts uud
tödtet seinen G<*gnor lievor er sellist fällt. Es ist nach Harvey
humaner, „den Anderen zu tödten, bevor man selbst getödtet wird“.
S m i t li - Manchester weist noch auf «len grossen Nutzen des von
JiMlem Soldaten mit getragenen Verbandpäckchens mit, die Gaze
soll mit Heftpflaster lH*f«*stigt werden.
Zum Schlüsse «liscutlrte man noch die Aetiologie des Typhus
im Felde, und glaubten viele Militärärzte, dass nicht nur das
Wasser zur Verbreitung beitrage, sondern ebenso die Luft und ganz
besonders «lie Fliegen, die von «len Exkrementen der Kranken auf
die Speisen «ler Gesunden fliegen uud diese durch Ihren Koth in-
tiziren. J. P. zum Busch- London.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
Berlin, 10. September 1901.
Erhöhung der kassenärztlichen Honorare. — Arztähnliche
Titel.
Die Staiulesvcreine haben sämmtlich Ferien, ihre Sitzungen,
soweit sic überhaupt angekümligt werden, beschränken sich auf
gesellige Zusammenkünfte, und das sonst so warm pulsirenile
Vercinsleben bcfimlet sich noch im tiefsten Sommerschlaf, alle
die „brennenden Fragen“ scheinen ihre Gluth verloren zu haben
oder glimmen vorläufig n«»«*h unter der Asche, um erst im Winter
wieder zu hellem Feuer entfacht zu werden. Der Streit zwischen
Krankenkassen und Apothekern ist noch nicht beigelegt; der be-
sti-hcnde Zustand ist zwar für keinen der Betheiligten besonders
erfreulich, trotzdem aber bleibt die Sache bis auf Weiteres auf
dem Status quo, denn von einer Kampfesmüdigkeit ist nicht viel
zu bemerken. Die Pressstreitigkeiten um die Gleich- oder
Minderwerthigkeit der deutschen und schweizerischen Maturität,
die eine Zeit lang recht heftig geführt wurden, sind zu einem Ab¬
schluss gekommen, wenn auch nicht gerade zu einer glücklichen,
denn keine der beiden Auffassungen ist. «ler anderen gewichen:
die L<*ser haben auch jetzt noch kein ganz unzweideutiges Bild
über «lie Gymnasialvorbildung erhalten, welche unsere in der
Schweiz approbirten Kolleginnen genossen haben, dagegen haben
sie das wenig erbauliche Schauspiel mit angesehen, dass der rein
sachliche Streit stark in’s Persönliche hinüberspielte, und sind
daher im Grunde genommen froh, dass er beendet ist; die kom¬
mende Wintercampagne wird uns wohl auch wichtigere Aufgaben
bringen, als den Werth des schweizerischen Maturitütsexamens
im Vergleich zum deutschen zu entscheiden.
Angesichts der vielen Kämpfe, welche allenthalben zwischen
Krankenkassen un«l ihren Aorzten ausgefochten und nicht immer
zum Nutzen der Letzteren entschieden werden, ist eine Art Lohn¬
bewegung von Interesse, welche sich in aller Stille, aber auch in
aller Ruhe und in ungestörtem Frieden in Berlin vorbereitet.
Der „Verein der freigewählten Kassenärzte“, welcher schon so
oft den Weg gezeigt hat. auf dom ein friedliches und gedeihliche*
Zusammenwirken zwisch«*n Aerzten und Kassenvorständen sich
ermöglichen lässt, hat den Krankenkassen mit freier Arztwahl
mitgetheilt, dass die Aerzte vom nächsten Jahre ab die ärztliche
Behandlung <l«*r Kassenmitglieder für den früheren Preis von
3 M. pro Kopf und Jalir nicht mehr übernehmen könnten.
Während aber «lie Erfahrungen der letzten Jahre in den ver-
s«*hicdensten Städten g«*zeigt haben, dass auf derartige Mit¬
theilungen gewöhnlich sofortige Kündigung, Heranziehung
fremder Aerzte, kurz der ganze rücksichtslose Apparat zu ge¬
wärtigen ist. den «ler Arbeitgeber dem in viel ungünstigerer Po¬
sition befindlichen Arbeitnehmer gegenüber spielen lassen kann,
sehen wir hier, dass die ärztliche Forderung bei den Kassenvor-
ständen volles Verständnis» findet. Diese haben sicdi der Erkennt¬
nis nicht entzogen, dass «las bisherige ärztliche Honorar ein
ungenügendes ist und der Verbesserung bedarf. Ein grosser Theil
von ihnen ist jedenfalls principioll einer Erhöhung geneigt, wenn¬
gleich viele der Ansicht sind, dass der jetzige Zeitpunkt für
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17. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1519
eine Ilonorarorhöhung schlecht gewählt ist, weil in Folge der
augenblicklichen wirtschaftlichen Krisis viele Kassen sich in
ungünstiger Lago befinden. Die Forderungen der Aerzte sollen,
soweit schon jetzt etwas darüber bekannt geworden ist, dahin
gehen, dass das Honorar auf 4 M. pro Kopf und Jahr erhöht
wird, die (4—5 Proc. betragenden) Honorare für erste Hilfe¬
leistungen nicht mehr wie bisher vom allgemeinen Aerztehonorar
in Abzug gebracht, sondern von den Kassen getragen werden, und
schliesslich, dass Verträge von mehrjähriger Dauer abgeschlossen
werden. Ob oder inwieweit die Wünsche erfüllt werden, lässt sich
noch nicht sagen, denn die definitive Entscheidung kann erst im
November in den Generalversammlungen gefällt werden; es ist
auch klar, dass selbst, wenn sie erfüllt sind, noch immer nicht ein
fürstliches Honorar dem Kassenarzt als Lohn für seine Be¬
mühungen winkt, es dürfte schwerlich die halbe Minimaltaxe
der Gebührenordnung erreichen. Aber es ist von principieller
Bedeutung, dass eine an die Kassen gestellte und für diese immer¬
hin nicht unbeträchtliche Mehrforderung in aller Ruhe erwogen
wird, und dass aller Voraussicht nach die Angelegenheit ohne
Kämpfe und Krisen erledigt werden wird. Man wird nicht fehl
gehen, wenn man annimmt, dass eine solche glatte Erledigung
einer Frage, welche an anderen Orten und unter anderen Verhält¬
nissen schon so oft den Keim eines Konflikts in sich barg, im
Wesentlichen begründet ist in der mustergiltigen Organisation,
welche bei dem Verein der freigewählten Kassenärzte in Berlin
bes teilt.
Eine verständnisvolle Unterstützung im Kampfe gegen die
Kurpfuscherei hatten die Aerzte seit Langem bei dem Berliner
Polizeipräsidium gefunden. Als eines der wirksamsten Mittel
hatte sich das Verbot der Führung arztähnlicher und überhaupt
solcher Titel erwiesen, welche geeignet sind, den Glauben zu
erwecken, dass der Inhaber eine geprüfte Medieinalperson sei.
Um so befremdlicher wirkt eine Entscheidung des Oberverwal¬
tungsgerichtes, welche der Polizei verbietet, gegen eine Person ein¬
zuschreiten, die sich als „Professeur hon. ä la Fac. des Se. Magne-
tiques de Paris“ bezeichnet. Es worden allerlei Urtheilsgründe
für diese Entscheidung angeführt, z. B. dass, wer die dem Wort
„Professeur“ in französischer Sprache hinzugefügten Abkür¬
zungen überhaupt versteht, den Inhaber des Titels sicherlich nicht
für eine in Deutschland approbirte Medieinalperson halten wird,
und dass, wer sie nicht versteht, auch höchstens an einen im
Ausland erworbenen Titel denkt; ferner sei aus der Ankündigung
ersichtlich, dass es sich nicht um einen staatlich verliehenen
Titel, sondern um eine von einem Privatunternehmen verliehene
Bezeichnung handle. Auch ein Verstoss gegen eine Allerhöchste
Verordnung, der zu Folge preussische Staatsangehörige, welche
einen akademischen Grad ausserhalb des Deutschen Reiches er¬
werben, zur Führung des damit verbundenen Titels ministerieller
Genehmigung bedürfen, sei nicht vorhanden, denn akademische
Grade im Sinne dieser Verordnung seien nur Doktor, Lieentiat
und Magister, nicht aber Professor. Wir vermögen das juristische
Gewicht dieser Gründe nicht zu beurtheilen; wir vermögen aber
auch nicht, zu erkennen, dass ein Urthcil, das sich lediglich auf
den gesunden Menschenverstand stützt und von juristischen
Spitzfindigkeiten unbeeinflusst bleibt, in der erwähnten Bezeich¬
nung einen anderen Zweck erblicken kann, als den der Irreleitung
des Publikums, und darum können wir nur bedauern, dass durch
diese Entscheidung das Polizeipräsidium in seinem anerkennens-
werthen Bestreben, das Publikum vor gewissenloser Ausbeutung
zu schützen, gehindert wird. M. K.
Verschiedenes.
Einen Fall von Haemoglobinurie bei Stieltorsion
eines Ovarialtumors schildert Dr. Kober. Bei der be¬
treffenden Patientin ergab die vor der Operation vorgenoinmene
Untersuchung des Harns dunkle, blutige Färbung, geringe Mengen
Eiwelss, keinen Zucker, wohl aber reichlichen Blutfarbstoffgehalt.
Mikroskopisch erwies sich der Harn völlig frei von Blutkörperchen;
elieuso wenig waren Cylinder in ihm zu Anden. Bereits am Tage
nach der Exstirpation des Ovarialtumors war der Harn frei von
Blutfarbstoff, während die geringen Eiweissmengen im Laufe der
nächsten Tage verschwanden.
Die Herkunft des im Harn Vorgefundenen Haemoglobius lässt
sich am einfachsten so erklären, dass die in Folge der Stauung
ausgetretenen Blutkörperchen zerfielen, der Blutfarbstoff frei
wurde, in die Circulation gelangte und dann zum grossen Thclle
durch die Nieren ansgeschleden wurde. Seinerseits ist Verf. der
Ansicht, dass bei dem Zerfall der rothon Blutkörperchen gewisse
Stoffe (Lysinei frei werden, in den Kreislauf g. langen und einen
Zerfall der rotlien Blutkörperchen, die im Blute kreisen, hervor-
rufeu. (Allg. ined. Central-Ztg. 1901, No. 31.) P. H.
•- *-.•.**.,.** :
Eine seltene F o r m von Bau e h f e 11 1 u b o r k u lose
beschreibt Dr. Kobe r. Das Seltene in dein betreffenden Falle war
die Ausbildung verschiedener eystlseher Hohlräume, die lange Zeit
während der Operation an das Vorhandensein eines vielkamiuerlgen
Ovarialtumors «lenken Hessen, dann das Vorhandensein mächtiger
Schwarten bezw. Stränge, die man sonst bei der knotigen Form
der Bauchfelltuberkulose vortindet. (Allg. med. Centr.-Ztg. 11)01,
No. 31.) P. H.
Therapeutische Notizen.
Versuche mit Aspirin als Beiträge zur Kenntniss der Sall-
cylwirkung hat Singer-Elberfeld an Menschen und Thieren ange¬
stellt. Danach kann mau dem Aspirin eine harntreibende Wirkung
nicht zuerkennen. Eine Steigerung der Stiekstoffausschehluug tritt
deutlich nach toxischen, weniger sicher nach medicmaleu Dosen
auf. Doch sind die Oxydationsvorgänge nicht allgemein gesteigert,
wie die Beobachtung des Sauerstoffkousums ergab. Vielmehr
handelt es sich um eine nach «1er Aspirin-Darreichung auftreteude
Leukocytose und damit in Zusammenhang stellende Erhöhung
der HarnsiLureausscheidung. Die St eigerung «1er Harnsäurewert he
ist wie die Vermehrung der Leukocyten rasch voriiborgeheml; die
Erscheinungen beschränken sich auf die Tage der Aspirindar¬
reichung. Die Ausscheidung der Alloxurbaseu bleibt auf «1er nor¬
malen Höhe. Ebenso wenig ergab sich für «li«* Gesa uimt phosphor-
säure oder für die zweifach sauren Phosphate und die daraus be¬
rechnete Harnacidität ein Ansteigen nach der Aspirinmedication.
Auch die Aetherschwefelsäuren werden durch Aspirin in ihrer
Ausscbeidungsgrösse nicht bemerkbar beeinflusst. (Areh. f. d. gcs.
Physiologie 1001, B«L 84, H. 11 u/ 12, S. 527.) P. II.
Das .T o d i p i n wird von B a u m - Halle als Ersatzpräparat
des Jodkali auf’s Wärmste empfohlen (Tliornp. Monatsh. 0. 1001).
Es macht nie Jodismus. Bei innerer Darreichung nimmt mau das
10 proc. Jodipin, 3 mal täglich ein Theolöffel. Zur subkutanen
Einspritzung nimmt mau das 25 proc., das am besten in Dosen vou
5—10 g in die Glutaenlgegeud eingespritzt wird. Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 17. September 1001.
— Im preussisehon Kultusministerium sind jetzt die Grund¬
sätze für die Geh altreg eluugder nicht voll 1) e s o 1 d e -
ten Kreisärzte festgestellt worden. Der Z. f. Medlclnall). zu
Folge wurde anstatt des ursprünglich beabsichtigten Individual-
systerns ein gemischtes Besohlungssystom mit aufsteigender Be¬
soldung und mit persönlichen pensionssiclieren Zulagen ange¬
nommen, so «lass sämmtliclie Kreisärzte mit zunehmendem Dienst-
alter wenigstens den jetzt auf 2700 M. erhöhten Besoldungsdurch¬
schnittssatz erreichen. Die Kreisärzte erhalten demgemäss ein
pensionsfählg»*s Gehalt von 1800 bis 2700 M., steigend von ISO») auf
2250 und 2700 M.. so dass je eiu Drittel der Kreisärzte 1800. 2250
und 2700 M. erhalten: das Aufrücken in die einzelnen Stufen er¬
folgt nach Maassgalte des Dienstalters je nach dem Eintritt, vou
Vakanzen. Daneben werden persönlich«*, pensionsfähige Zulagen
von 000, 900 und 1200 M. gewährt, für deren Bewilligung folgende
Gesichtspunkte mn»ssgel>end sind: Schwierigkeit der St«*llen-
besetzung. Umfang der amtsärztlichen Obliegenheiten ohne gleich¬
zeitige Entschädigung «lurch Gebühren, geringe Einnahme von pen¬
sionsfälligen Gebühren, besondere örtliche Theuevungsverhältniss«*.
Die Gerichtsärzte, deren Einnahmen an Gerichtsgebühren nicht
pensionsfähig sind, sollen je 1200 M. als pensionsfähige Zulage
erhalten.
.— Der Reichsanzeiger veröffentlicht auf Grund der 1890 vou
den Bundesstaaten über die einheitliche Gestaltung der medicin.
Doctorpromotion getroffenen Vereinbarung zum erstenmal das
Verzeichn iss der im Wintersemester 1900/1901
auf den deutschen Universitäten erfolgten in e -
dieini selten Doctorpromotioncn. Das Verzeichnis«
enthält ausser dem Vor- und Zunamen des I’romovirten Zeit und
Ort seiner Geburt.. Wohnort, die Staatsangehörigkeit, die Art
seiner Vorbildung (die Anstalt, au der er das Reifezeugnis» erwarb,
und «las Jahr der Reifeprüfung), den Studiengang mit Angabe der
Studienorte und der Studienzeiten an jedem dieser, Titel der
Doctorsclirift und deren Druckort, den Referenten der Froiuotions*
arbeit, das Datum d«*s Rigorosuins oder «los Colloquiums bei der
Doctorprüfung. die Censur, «las Datum der Promotion und das¬
jenige der Approbation. Da ausser den Verzeichnissen der medicin.
Dissertationen in unserer Wochenschrift und den amtlichen Jahres¬
verzeichnissen der deutschen Universitätsschriften eine Zusammen¬
stellung der medic. Dissertationen bisher fehlte, worden die aus¬
führlichen Angaben des Reichsanzeigers vielfach willkommen sein.
— Am 9. und 10. ds. tagte in Stuttgart die VIII. Jahres¬
versammlung dos Central v«‘r b a n d s d e u t s c h «• r
Ortskrankenkassen. Auf derselben waren 1013 203 Ver¬
sicherte durch 134 Deleglrte vertreten. Von den Verhandlung«*!!
interessirt d«*r einlelteml«* Vortrag «l«*s Vertrnu«*iisarzt«*s «1er Central¬
kommission der Krnnkt*nkasseu Berlins. Dr. Friedeberg, über
„Krankenkassen. Aerzte und Apotheker“. Er verlangt«* in dem¬
selben, dass di«* Kassen die Initiative ergreifen sollten zu einer
Digitized by LjOOQle
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No 38.
1514
anderen Form der Honorinmg der Aerzte. Br schlägt für das
Land und die kleineren Städte einen Houornrsntz von 3M. pro Kopf
der Versicherten und Jahr vor, für Städte von 20 (MIO—KMHHM) Ein¬
wohner 3 M. 50 Pf.. für Städte (liier 100 000 Einwohner 4 M.
Auch die unnöthige Belastung der Aerzte mit Schreibarbeit solle
fortfailen. Um die Sonntagsarbeit der Aerzte eiuzuschränken.
wünscht er, dass die Arbeitgeber den Arbeitern in der Woche Zeit
geben, den Arzt zu konsultiren. Trotz mannigfachen Wider¬
spruchs. den der Itedner bei der Versammlung fand, wurde sein
Antrag auf Einsetzung einer Kommission zum Zwecke möglichst
einheitlicher Regelung der Arzt- und Apothekerverhältnisse an¬
genommen. Ein Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Mayer in
Frankenthal über „Krankenversicherung und Arbeiterwohnungs-
frage" verlangte thatkräftige Mitwirkung der Krankenkassen an
der Lösung der Wohnungsfrage.
— I Mi* von dem C e n t r a 1 c o m i t 6 für das ärztliche
F ortliilduugs w e s e n in Berlin veranstalteten Fortbildungs¬
kurse und Vorträge werden wieder ausserordentlich stark besucht
sein. Es sind schon die bis heute eingegangenen Meldungen weit
zahlreicher, als bei dem vorigen Cyklus am Schlüsse des Meldungs¬
tennines: denn damals betrugen sie im Ganzen nur 707, während
für den diesmaligen Cyklus bereits 1140 Meldungen eingelaufen
sind. Diese Zald muss als eine ganz ausserordentlich grosse be¬
zeichnet werden: wenn man sie nämlich im Verhältniss zur Ge-
sammtzahl der Berliner Aerzte betrachtet, so nimmt ca. die Hälfte
aller Berliner Aerzte an der Veranstaltung theil. Für 3 der ge¬
planten Kurse sind mehr, als je 100 Meldungen eingelaufen. Selbst¬
verständlich können nicht alle Meldungen berücksichtigt werden,
sondern bleiben zum Theil für den nächsten Cyklus vornotirf. Da
sich die Einrichtung der Vornotirung diesmal auf's Beste bewährt
hat. so wird sie auch in Zukunft bestehen bleiben, so dass Die¬
jenigen. deren Meldung bei dem gegenwärtigen Cyklus aus Raum¬
mangel nicht, mehr angenommen werden konnte, bei dem nächsten
Cyklus mit Sicherheit thellzunelnnen Gelegenheit haben.
— Die Feier von R. Virchow's SO. Geburtstag
linder, wie jetzt bestimmt ist, am 12. Oktober, also am Tage vor
dem Geburtstag selbst, statt. Als Hauptpunkt weist das Pro¬
gramm um 8>/ a Uhr einen Festakt im grossen Sitzungssaal des
Abgeordnetenhauses, unter Waldeyer's Vorsitz, auf. Karten
zu diesem Festakt sind durch Frof. P o s n e r . Berlin. Anhaltstr. 7,
erhältlich; in erster Linie werden diejenigen Personen berück¬
sichtigt, welche Beiträge zur R. Virchow-Stiftuug geleistet haben.
Bezüglich der Theilnalnne der Stadt Berlin an der Virchow-
Feier hat der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung fol¬
gende Vorlage zur Beschlussfassung übersandt: Am 13. Oktober
d. J. vollendet unser Ehrenbürger Stadtverordneter Geh. Mediciual-
rath Professor Dr. Rudolf Vircliow sein SO. Lebensjahr. Aus
diesem Anlass haben wir beschlossen, das hochverdiente Mitglied
unserer Gemeindebehörden in der Weise zu ehren, dass der seinen
Namen tragenden, für wissenschaftliche Zwecke bestimmten
„Virchow-Stift.ung , ‘ zur Förderung ihrer Aufgaben die Summe von
looooo M. überwiesen wird. Fenier schlagen wir vor. den Fest¬
tag durch ein von beiden Gemeindebehörden gemeinsam im Fest¬
saale des Rathhauses zu veranstaltendes Festmahl zu feiern.
— Vor der ihrer Vollendung entgegengehenden neuen Klinik
für Nerven- und Geisteskrankheiten in der k. CharltG in Berlin
soll nach einer von den Herren Erb. Gerhardt, K u s s m a u 1,
v. Liebermeister, Nothnagel und Sch aper unter¬
stützten Anregung des Stabsarztes Dr. Buttersack eine
Büste Wilhelm Griesinger'« zur Aufstellung kommen.
Beiträge zu den auf etwa 5000 M. sich belaufenden Kosten wollen
an Stabsarzt Dr. Butter sack, Berlin W., Potsdamerstr. G4/I,
gerichtet werden.
— Am 8. September wurde auf Schloss Wiligrad durch Dele-
girte der Deutschen Otologischen Gesellschaft Sr. Hoheit dem
Herzog Johann Al brecht zu Mecklenburg eine Adresse überreicht,
in welcher demsellien der Dank der Gesellschaft ausgesprochen
wird für die Begründung des erst c n o r d e n 11 i c h e n L e h r-
stuhls der Ohrenheilkunde an einer deutschen Uni¬
versität.
— Pest. Aegypten. Vom 23. bis 30. August sind in Port
Said 3 neue Erkrankungen (und 3 Todesfälle) an der Pest beob¬
achtet, in Mit Gamr 1 (1). ln Alexandrien, woselbst seit dem
18. August kein neuer Pestfall vorgekommen ist, befand sich am
30 dess. Mts. noch 1 Pestkranker in Behandlung, in Zagazig war
der letzte Pestkranke am 23. August geheilt entlassen. — Britlsch-
Ostinilien. Während der am 0. August allgelaufenen Woche hatte
in der Präsidentschaft Bombay die Zahl der Todesfälle gegenüber
der Vorwoche beträchtlich zugenonunen, denn es waren 3405 neue
Erkrankungen und 2402 Todesfälle an der Pest festgestellt. In
der Sladt Bombay waren während der am 10. August endenden
Woche im Ganzen 854 Personen gestorben, davon 108 erweislich
au Pest und 101 unter Pest verdacht, also 32 bezw. 10 mehr als in
der Vorwoche: die Zahl der Neuerkrankungen in der Stadt wird
auf 157 für die Berichtswoche beziffert und war darnach höher
als in jeder der 3 Vorwochen. — Kapland. Während der Woche
vom 4. bis 10. August sind in Port Elizabeth 4 Pestkranke, darunter
1 Europäer und 2 Eingeborene, in das Hospital aufgenommen,
eine Person wurde als pestverdächtig unter Beobachtung gestellt;
auf der Knphalbinsel kamen 1 Pestkranker iu's Hospital und
2 Personen als pestverdächtig unter Beobachtung. In Kapstadt
hielt man zufolge einer Mittheilung vom 14. August die Seuche
nuhnit hr für erloschen, da innerhalb Monatsfrist — seit dem 14. Juli
— nur 5 neue Fälle in der Stadt beobachtet worden waren; doch be¬
fanden sieh noch 15 Pestkranke im Hospital. In den contact camps
wurden am ln. August noch 58 Personen beobachtet, davon 23
ln Port Elizabeth und 35 auf die Kaplialbinsel. — Queensland.
Während der am 27. Juli abgelaufoncn Woche ist in Brisbane eine
Neuerkrankung au der Pest zur Anzeige gekommen.
— In der 35. Jahreswoche, vom 25.—31. August TJbl. hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Borbeck mit 30.5. die geringste Offenbach mit 12,0 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner.
— Die Deutsche Gesellschaft für Volks li ä d e r
wird ihre diesjährige Hauptversammlung im Sitzungssaal d*s
Kaiserlichen Gesundheitsamtes und zwar gegen Ende Oktober
allhalten. — Anmeldungen zu Vortrügen und zur Mitgliedschaft
werden erbeten an die Geschäftsstelle der Gesellschaft Berlin NW. 0.
Kn rlst rasse 10.
— I>er 1. ägyptische medicinische Kongress
wird in Kairo vom 10.—14 Dezember 1002 stattünden.
— An Stelle und als Fortsetzung der russ. medioin. Wochen¬
schrift „W rat sch", die bekanntlich auf Wunsch ihres verstor¬
benen Gründers und Leiters Prof. Mauas sein zu erscheinen
aufhört, wird die Verlagsbuchhandlung von Karl Kicker in
Petersburg eine neue Wochenschrift unter dem Titel: „R isski
Wratsch" herausgeben. Die Redaktion derselben liab.-n Prof.
I’ o d w y s s o t z k i - Odessa und Dr. S. W 1 a d i s 1 a w 1 e w -
Kt. Petersburg übernommen. Das neue Blatt wird in s-in r
äusseren Erscheinung wie im Programm dem alten gleichen.
— Herr Dr. Dresdner ersucht uns, festzustellen, dass er
der vielen Münchener Aerzten zugegangenen Broschüre: ..Fort
mit den Apotheken. Ein Aufruf au die deutschen Aerzte”
von Homo sura. Verlag von Püssl in München, für deren Ver¬
fasser er vielfach gehalten wurde, völlig fernesteht.
(H o c li s c h u I n a c li r i c h t e n.)
Bonn. Der Privatdocent Prof. Dr. Peters hat einen Ruf
als ordentlicher Professor und Direktor der Augenklinik an die
Universität Rostock erhalten und angenommen.
Groningen. Zum Professor der Physiologie wurde Dr.
II. J. Hamburger in Utrecht ernannt.
lv o p e n h a g e n. Professor 1 >r. Iv. B. P o n t o p p i d a n
wurde zum Professor der gerichtlichen Mediciu und Hygiene er¬
nannt.
Lund. Der Doeent für allgemeine Pathologie. Dr. M. J.
G. A. Forssinann. wurde zum ausserordentlichen Professor
ernannt.
Wien. In der medicinischen Fakultät der hiesigen Uni¬
versität sind Dr. Eduard Schiff, Privatdocent für Hautkrank¬
heiten. Dr. August llerzfeld. Doeent der Frauenheilkunde,
und Dr. Heinrich Lorenz. Privatdocent. der inneren Medicin,
zu ausserordentlichen Professoren befördert worden.
(T o d e s f ä 11 e.i
Dr. .T. R u b 1 o y G i 1 e s. Professor der Physiologie zu Sevilla.
Dr. A. E. Aust Lawrence, Professor der Geburtshilfe und
Gynäkologie zu Bristol.
I)r. Th. M. Mnrkoe. früher Professor der Chirurgie am
College of Physicians and Kurgeons zu New-York.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Verzogen: Dr. Ustymowicz von Neunkirchen a. Br., un¬
bekannt wohin.
Erledigt: Die Landgerichtsarzt stelle ln Deggendorf. Bewerber
um dieselbe haben ihre vorsehriftsmässig belegten Gesuche bei
der ihnen Vorgesetzten k. Regierung. Kammer des Innern, bis zum
3. Oktober 1. Js. einzureichen.
Gestorben: Dr. Karl Lu kluger, k. Generalarzt a. D. in
München.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München
in der 36. Jahreswoche vom 1. bis 7. Seotember 1901.
Betheiligte Aerzte 205. — Brechdurchfall 21 (29*), Diphtherie,
Croup 9 (4), Erysipelas H (12), Intermittens, Nenralgia interm.
— (—), Kindbettfieber— (—), Meningitis cerobrospin. — (—),
Morbilli 13 (9), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 2 (5), Parotitis
epidem. 1 (- ), Pneumonia crouposa 5 (6), Pyaemie, Septikaemie
— (—) } Rheumatismus art. ac. 14 (14), Ruhr (dyaenteria) — (1),
Scarlatina 8 (7), Tussis convulsiva 21 (16), Typhus abdominalis
3 (4), Varicellen 3 (2), Variola, Varioloia — (—), Influenza —(—),
Summa 108 (109). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 36. Jahreswoche vom 1. bis 7. Sepeinber 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 1 (—*), Scharlach — (1), Diphtherie
und Croup 2 (—), Rothlauf — (—), Kindbettfieber — (—), Blut¬
vergiftung (Pvaemie) 1 (--), Brechdurchfall 22 (fl), Unterleibtvphns
— (—), Keuchhusten 3 (1), Croupöse Lungenentzündung — (2),
Tuberkulose n) der Lungen 22 (16), b) der übrigen Organe 9 (0\
Akuter Gelenkrheumatismus — (lj, andere übertragbare Krank¬
heiten 2 (2), Unglücksfäile 4 (3), Selbstmord 2 (2), Tod durch
fremde Hand 2 (1). .
Die Gcsammtzahl der Sterbefälle 224 (197), Verhältnikszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 23,3 (20,5), für die
über dem I. Lebensjahre stellende Bevölkerung 13,1 (10,8).
*) Die eingcklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Vor!** von J F Lohn ann la München. — Druck vnn B. Mühlthaler't Buch- and Kun^tdruckerel A.Q., Münohen.
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bio Münch. Med. Wochenschr. erscheint wöchentl. ~|t rTTAT/NTT Ijl ATTT^X) Zusendungen sind sn adrewriren: Mr dieEedactlon
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen. yl I I [V I . K-1 H. tV H. Ottostresse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh-
Freis in Deutschi. u. Oest.-Ungarn vierteljfthrl. 6 Ji, XT-l. A.1 vAAJJli mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
ins Ausland 7.50 M. Einzelne No. 80 an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
Cfc. Banaler, 0. Bolllnger, H. Curschmann, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. i. Michel, H.!. Ranke, F. i, Wlnekel, H. y. Zleassei,
Freiburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München München München
No. 39. 24. September 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse ‘20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem physiologischen Institut und der medicinischen Klinik
zu Freiburg i. Br.
Untersuchungen über Rhodan-Verbindungen.
Von Professor Dr. phil. A. Edinger und Professor Dr. med.
G. T r eup e 1, Assistent an der med. Klinik in Freiburg i.Br.
II. Mittheilung.
Am Schlüsse unserer I. Mittheilung ‘), worin wir über Er¬
gebnisse der subkutanen Injektion von Rhodanalkali
berichtet haben, stellten wir in Aussicht, die Einwirkung dos
Rhodannatriums auf den thierischen Organismus nach Dar¬
reichung per os in den Kreis unserer Untersuchungen zu
ziehen.
Wir wurden um so mehr zu derartigen Versuchen ver¬
anlasst, als sich nicht nur das Rhodanalkali bei subkutaner
Injektion gegen Tuberkulose unwirksam er¬
wiesen hatte, sondern auch ebenso das im Kulturverfahren viel
wirksamere Chinolinrhodanat.
Dieses bewirkt bei Kaninchen, subkutan injizirt, in
ähnlicher Weise, wie wir das seiner Zeit vom Rhodanalkali mit-
theiltcn, oine deutliche Steigerung des Schwe¬
fels und Stickstoffs im Harne:
Tabelle I.
Resultate des Kaninchenliarns.
Datum
1899
28. XI.
30 XI.
1. xn.
2. XII
3 u.4. XII
6 XII.
7. XII.
8. u. 9. XII.
Normales Thier
275 1,010 0.0282 10,1;
400 1,01' 0,039'' |0,31
310 1,007 0.0242 !0,1
215 1,015 0,0598 0,1
270 1,019 0.0144 0.5i
90 1,015 0.0458 0,2i
160 1,019 0,0758 0,1:
38011,019 0,081 :0,4'
0,0776 0,
0,159 1,
0,0792 <i.
0,0975 0,
0,1198 1
0,0412 0
0,1212 0
: 0,3078 ;1
sim-; s h
«? ffl m eo I V.
Injizirtcs Tier
tägl. 0,01 g Chinolinrhodanat subkut.
,423 20511.01210,0.-62 10,2521 0.0M6 0.M6
,23' 90 1.019 0,074 lo.756l »,036 0,»80
.462 210 1,012 0,0364 i0.252 0,0743 0,529
,343 16511,016 0.016 0,252 0,070 0,390
,36-* >4011.021 0.057 0,70n 0,1363 l,6s0
,239 74 1,016 0.0272 0,2 J 0 0.0 0: 0,2072
,672 140 1,032 0,1192 0 560 0,1668 0.781
,808 146 1,027;0,1224 0,92410,1774 1,3398
Bacteriologische Versuche mit Chinolinrhodanat, Kultur-
versuche (Prof. Dr. M. Schlegel).
Bei den folgenden Versuchen handelte es sieh darum, den
Einfluss zu prüfen, welche Lösungen des Chinolinrhodanats auf
das Wachsthum verschiedener Bacterienartcn ausüben. Dabei
stellte sich, was schon zum Voraus betont sein soll — heraus, dass
die hemmende Wirkung des Chinolinrhodanats gegenüber den
untersuchten Spaltpilzen eine viel stärkere ist, als dies bei Rho¬
dannatrium der Fall war (cf. Münch, med. Wochenschr. No. 21
u. 22, 1900). Um nun die hemmende Kraft des Chinolin¬
rhodanats auf Tuberkelbacillen und Rotzbacillen festzustellcn,
wurden die im Naclistehenden verzeichneten Versuche derart aus¬
geführt, dass diese Versuchsflüssigkeit in einem gewissen Pro¬
centsatze — und zwar stets in 10 ccm Nährflüssigkeit — gelöst
wurde. Mithin gelangten solche Nährböden von Serum und
l ) VergL Q. Treupel und A. Edinger: Untersuchungen
Ober Rhodan-Verbindungen. Münch, med. Wochenschr. 1900,
No. 21 und 22.
No. 89.
Glycerinagar zur Verwendung, welchen bei der Herstellung
wässerige Chinolinrhodanatlösung so zugesetzt wurde, dass
dadurch in absteigender Linie 1 Proc., Vz Proc., V* Proc., Vs Proc.
und V w Proc. chinolinrhodanathaltige, schräg erstarrte Serum-
bezw. Agarnährböden entstanden. Bei jedem Einzelversuch wur¬
den gleichzeitig mit der Impfung dieser Nährböden auch Kontrol-
kulturcn, welche frei von Chinolinrhodanat waren, angelegt, um
vergleichende Resultate zu erhalten. Die Ueberimpfung der
Reinkultur des betreffenden Spaltpilzes auf den chinolin-
rhodanathaltigen Versuchsnährboden sowie auf die gleichzeitig
beschickten Kontrolnährböden wurde in gewöhnlicher Weise vor¬
genommen; es gelangten nur frische, lebendige Reinkulturen,
welche vor jeder Verimpfung mikroskopisch geprüft worden
waren, zur Verwendung. Alle geimpften Nährböden wurden
einer Brütofenwärme von 37—38 0 C. ausgesetzt. Die täglich vor¬
genommene makroskopische Besichtigung der auf den geimpften
Nährböden während des Versuchs angegangenen Bacterien-
kolonien wurden je nach Bedürfniss von Zeit zu Zeit durch die
mikroskopische Untersuchung derselben kontrollirt und bestätigt.
a) Züchtung von Tuberkelbacillen auf den
Versuchsnährböden.
Am 25. X. 99 und am 21. XI. 99 wurden während dieser
2 Versuche im Ganzen etwa 80 Röhrchen von schräg erstarrtem
Blutserum, welchen je 6 Tropfen Glycerin und ein bestimmter
Procentsatz von Chinolinrhodanatlösung zugefügt worden war,
mit dem Bacillus tuberculosis geimpft, um die Beeinflussung des
in den Nährböden direkt enthaltenen Chinolinrhodanats gegen¬
über dem Wacli9thum der Tuberkelbacillen zu beobachten. Von
diesen 80 Serumröhrchen entfallen je 40 auf jeden der 2 Ver¬
suche, und von diesen 40 Serumröhrchen waren 8 Stück mit
1 proc., 8 mit Vs proc., 8 mit % proc., 8 mit Vs proc. und 8 Stück
mH 7.. proc. Chinolinrhodanatlösung versetzt worden. Bei jedem
der 2 Versuche wurden zugleich mit diesen chinolinrhodanat -
haltigen Nährböden auch jeweils 8 Stück Serumröhrchen, welche
frei von Chinolinrhodanat waren, als Kontrolkulturen mit den
gleichen Tuberkelbacillenreinkulturen geimpft.
Das Ergebniss dieser 8—12 Wochen lang vorgenominenen
Beobachtung der geimpften chinolinrhodanathaltigen und chino-
linrhodanatfreien Tuberkulosekulturen war folgendes:
Auf den Kontrolkulturen ist überall reichliches Wachsthum
von Tuberkelbaeillen in Form grauweisser bis graugelber, dicker,
ausgedehnter, schuppiger Massen zu konstatiren; auf den
V 18 Proc. und Vs Proc. chinolinrhodanathaltigen Nährböden ist
nur kümmerliches Wachsthum von Tuberkelbaeillen eingetreten,
namentlich auf den % Proc. chinolinrhodanathaltigen Nährböden
war das Tuberkelbacillenwachsthum ein sehr spärliches, es gingen
hier bloss stecknadelkopfkleine Knötchen an, welche nicht ganz
so deutlich entwickelt waren, wie das Tuberkelbacillenwachsthum
auf den mit 1 Proc. Rhodannatrium versetzten Kulturen (cf.
Münch, med. Wochenschr. No. 21 u. 22, 1900). Auf den mit
V* Proc., Vi Proc. und 1 Proc. Chinolinrhodanat versetzten Kul¬
turen hingegen trat überhaupt kein Wachsthum auf; die hem¬
mende Wirkung des Chinolinrhodanats auf das Wachsthum der
Tuberkelbaeillen ist demnach mindestens 25 mal stärker, als die¬
jenige des Rhodannatriums. Im-Wachsthum aller Kulturen
wurden mik roskopisch nur Tuberkelbaeillen nachgewiesen.
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1516
MtTENCfiENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT'.
No. 39.
b) Züchtung von Rotzbacillen auf den Ver¬
suchsnährböden.
Am 17.11.00 wurde ein Versuch mit Rotzbacillen ange¬
stellt; im Ganzen wurden 48 Röhrchen von schräg erstarrtem
Glycerinagar, welchem ein bestimmter Proeentsatz Chinolin-
rhodanatlösung beigemischt worden war, mit Rotzbacillen ge¬
impft, um eine etwa hemmende Wirkung des in den Nährböden
direkt enthaltenen Chinolinrhodanats gegenüber den Rotzbacilleu
festzustellen. Von diesen 48 Agarröhrchen entfallen je 12 Stück
auf mit 1 Proc., Vz Proc., V* Proc. und Vs Proc. Chinolinrhodanat-
lösung versetztes Agar. Auch bei diesem Versuche wurden zu¬
gleich mit diesen chinolinrhodanathaltigen Nährböden 8 Stück
Agarröhrchen, welche frei von Chinolinrhodanat waren, als Kon-
trolkulturon mit den gleichen Rotzbacillenreinkulturen geimpft.
Das Ergebniss der durch mehrere Tage hindurch vor¬
genommenen Beobachtung dieser geimpften Nährböden war fol¬
gendes: Auf allen 48 Nährböden, welche in den angegebenen
Procentsätzen mit Chinolinrhodanatlösung versetzt worden
waren, ist nicht das geringste Wachsthum aufgetreten, während
hingegen auf den 8 Kontrolkulturen sehr reichliche und charakte¬
ristische Rotzkolonien gewachsen sind, welche zahlreiche typische
Rotzbacillen in reiner Form enthielten.
Die hier geschilderten Versuche haben demgemäss ergeben,
dass Chinolinrhodanatlösung in den angeführten Procentsätzen
einen wesentlich stärker (25 mal) hemmenden Einfluss auf
Tuberkelbacillen ausübt, als dies bei Rhodannatrium der Fall
ist. Am meisten aber wird das Rhodannatrium vom Chinolin¬
rhodanat in dessen desinfizirender Wirksamkeit gegenüber den
Rotzbacillen übertroffen, welche schon auf Vs proc., chinolin¬
rhodanathaltigen Nährböden nicht mehr wachsen, während sie
hingegen auf 1 proc. rhodannatriumhaltigem Glycerinagar ganz
gut gedeihen. —
Ganz anlog wie bei dem Rhodanalkali haben wir auch einige
Versuche mit Meerschweinchen und Kaninchen bei dem Chinolin¬
rhodanat angestellt, um seine etwaige Einwirkung auf
die künstlich erzeugte Tuberkulose kennen zu
lernen. Wie aus den hier kurz wiedergegebenen Versuchsproto¬
kollen ersichtlich ist, haben wir auch bei dem Chinolinrhodanat
keinen Heilerfolg konstatiren können.
Versuche mit Chinolinrhodanat an Meerschweinchen.
Meerschweinchen No. 30, 82 und 86 erhalten am 4. VII. 00 Je
Vt ccm der mit Bouillon aufgesehwemmten Tuberkelbacillen-Reln-
kultur Intraperitoneal lnjlzlrt.
Von diesen 3 Thieren wurden No. 30 und 82 vom 5. VII. 00
wöchentlich 3 mal mit 0,02 g Chinolinrhodanat subkutan lnjlzlrt.
No. 86 diente als Kontrolthier.
Mit Chinolinrhodanat behandelte Thier e.
19. VII. 00. Meerschweinchen No. 30
Die alsbald vorgenommene Sektion ergibt: Ausgedehnte
Entzündung des Unterhautzellgewebes, entzündliches Oedem Im
Bereich der Achselhöhlen, des Halses und Rückens. Die Knie-
faltendrüsen sind stark vergrössert. Ausgedehnte Tuberkulose des
Bauchfells, besonders des Netzes, der serösen Ueberzüge der Leber,
Nieren und Milz, welch* letztere auch Im Parenchym zahlreiche
Tuberkel aufweist. Zwischen rechtem Leberlappen und rechter
Niere und den anliegenden Darmschlingen ausgedehnte Verwach¬
sungen, nach deren Lösung ein fast kirschkerngrosser käsiger
Herd blossgelegt wird. Tuberkulose beider Nebenhoden. Die
Bronchialdrüsen sind vergrössert, die Lungen noch frei.
23. VII. 00. Meerschweinchen No. 82 f.
Die am nächsten Tage vorgenommene Sektion ergibt: Aus¬
gedehntes entzündliches Oedem des Unterhautzellengewebes wie
bei No. 30. Kniefaltenlymphdrtisen vergrössert. In der Bauch¬
höhle reichlicher blutig-seröser Erguss. Ausgedehnte Miliartuber¬
kulose der Leber und der Milz. Die Brustorgane sind frei.
Kontrolthier:
25. VII. 00. Meerschweinchen No. 86 f.
Kein entzündliches Oedem im Unterhautzellgewebe. Tuber¬
kulose der Kniefaltenlymphdrüsen. Ausgedehnte Peritonealtuber¬
kulose. Miliartuberkulose der Leber und Milz. Mediastinale
Lymphdrüsentuberkulose. Bronchialdrüsentuberkulose. Miliare
Tuberkulose der Lungen.
Versuche an Kaninchen.
Kaninchen No. 22 und 23 erhalten am 4. VII. 00 Je 1 ccm
der mit Bouillon aufgeschwemmten Tuberkelbacillen-Reinkultur
intraperitoneal lnjlzlrt.
Kaninchen No. 23 dient als Kontrolthier.
Kaninchen No. 22 erhält vom 5. VII. 00 ab täglich 0,01
Chinolinrhodanat subkutan bis zum 30. VIII. 00.
6. IX. 00. Kaninchen No. 22 -f.
Die alsbald vorgeuommene Sektion ergibt kein Oedem
oder irgend welche entzündliche Erscheinungen im Unterhaut¬
zellgewebe. Hochgradige Abmagerung und Anaemie. Ausge¬
dehnte Tuberkulose des gesammten Bauchfells, des Netzes: käsige
Herde auf der Dannserosa, käsiger Zerfall der peritonealeu
Lymphdrüsen. Tuberkulose der Leber, der Milz und der Nieren.
Ausgedehnte Tuberkulose der Pleuren und besonders links auch
der Lunge.
Das Kontrolthier starb erst am 26. X. 00.
Die nach 3 Tagen vorgenommene Sektion ergibt: Massig
zahlreiche bis linsengrosse tuberkulöse Knötchen in der Lunge,
vereinzelte in der Leber und am Netz. In sämmtlicheu Herden
Tuberkelbacillen in massiger Anzahl.
Aus den früher mitgetheilten Versuchen mit Rhodanalkali
und den hier Eingangs kurz wiedergegebenen Resultaten bei sub¬
kutaner Injektion von Chinolinrhodanat schien uns vor Allem
die oben erwähnte Einwirkung auf den Stoff¬
wechsel eine Erscheinung zu sein, auf die wir bei einer
Wiederholung der Versuche mit innerlicher
Darreichung in allererster Linie unser Augenmerk richten
wollten.
Während wir mit den diesbezüglichen, unten näher wieder¬
zugebenden Versuchen beschäftigt waren, sind nun nach unserer
ersten Publikation einige Arbeiten über Rhodangehalt in (thieri-
schen bezw.) menschlichen Sekreten erschienen [O. Muck ),
J. A. Grober*)]. Grober gibt in seiner Arbeit eine kurze
Uebersicht über die Untersuchungen des Speichels auf seinen
wechselnden Rhodangchalt bei gesunden und kranken Menschen
und kommt dabei u. a. zu dem Schluss, dass kachektische, dauernd
schwer affizirte Kranke wenig oder gar kein Rhodankalium nus-
seheiden. Aus der Reihe der chronisch Kranken, die wenig oder
gar kein Rhodanalkali ausscheiden, scheinen uns nun haupt¬
sächlich 2 Gruppen von besonderem Interesse zu sein.
Die erste Gruppe umfasst die Phthisiker, bei denen in
der That auch wir kein oder nur wenig Rhodan im Speichel nach-
weisen konnten. Die zweite Gruppe betrifft die harnsauren
Diathetiker, bei denen, wie wir bereits in unserer er-ten
Mittheilung ausführlich erwähnten, nach Bruylants') die
Rhodanbildung im umgekehrten Verhältniss zur Harnsäurepro¬
duktion steht. Diese von uns bereits früher auch theoretisch er¬
örterte Frage*) erscheint nun auf Grund der Ergebnisse unserer
seither angestellten Versuche in einem besonderen Lichte.
Wir haben zu diesen Versuchen zunächst 2 im Körpergewicht
ziemlich gleiche Hunde verwendet, von denen der eine 0,5 g
Rhodannatrium purissimum Merck') täglich mit seinem Futter
erhielt, während der andere, bei sonst gleicher Fütterung und
unter sonst gleichen Bedingungen gehalten, als Kontrolthier
diente.
Wie aus umstehender Tabelle ersichtlich ist, reagirten die
Harne der beiden vorwiegend mit Pflanzenkost gefütterten
Hunde alkalisch. Bei genauerer Prüfung der Alkalität ergab sich
aber ein deutlicher und konstanter Unterschied
zwischen beiden Thieren und zwar so, dass die Alkalitätdcs
Harnes bei dem Rhodanhund stets erheblich
grösser gefunden wurde als bei dem Kontrolthier.
Wir Hessen nun an Stelle der reinen Pflanzenkost zunächst
gemischte Fütterung (mit Fleisch) treten und zwar vom 14. n. bis
19. II. 1901 (incl.) und bestimmten von jetzt ab nur die Reaktion,
bezw. die Alkalescenz der Harne mit Normalschwefelsäure. Auch
hierbei ergab sich, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich ist,
dass die Alkalität des Harnes bei dem Rhodan¬
hund stets grösser war als bei dem Kontrol¬
thier.
*) O. Muck: Ueber das Vorkommen von Rhodan im Nnsen-
und Conjunctivalsekret. Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 34. —
Derselbe: Ueber das Auftreten der akuten Jodintoxikation nach
Jodkaligebrauch ln ihrer Abhängigkeit von dem Rhodangehalt des
Speichels, des Nasen- und des Conjunctlvalsekrets. Ebenda, No. 50.
*) J. A. Grober: Ueber den wechselnden Rhodangehalt des
Speichels und seine Ursachen beim gesunden und kranken
Menschen. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1901. Bd. 69, p. 243.
*) M. G. Bruylants: Bull, de l’Aead6mle royale de m6de-
cine Belgique 1888. Serie IV, t. II, p. 21 u. p. 147.
“) G. Treupel und A. E d I n g e r: 1. c.
*) Das Rhodannatrium erwies sich bei der Titration krystall-
wasserhaltlg und ergab einen thatsächiichen Substanz geh alt von
69 Proc.
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24. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1517
Versuche am Hunde.
Die Nahrung bestand zunächst aus Milch, Brod und Gemüseabfällen ohne jedwedes Fleisch. Das Verhalten der Harne dor
beiden Thiere ergibt sich aus folgender Tabelle:
Tabelle H.
Venrlfiiehende Tabelle über die Zusammensetzung von Hundebnm, mit nnd ohne Rhodanffltternng. Februar 1901.
_ Hund braun (Körpergewicht 7,<5 kg) Hund schwarz Körpergewicht 8,7 kg)
Datum
Volum,
ccm
I S "/o
S ausSulfat-
°/o Schwefel¬
säure
S°/o
aus
Aether-
schwefel-
säure
g
g
17./18. I. 01
390
0,0374 —
—
0,14586
7,534
18./19. I. Ul
430
0,0424 —
—
0,18232
6,02
19./20. I. 01
250
0,0416
—
0,1040
3,290
24 /25. T. 01
400
0,0218 -
—
0,0872
2,352
25./2G. I. 01
400
0,0214
—
0,0856
2,240
26./27. I. 01
320
0,0294 —
—
0,09408
2,016
27./28 I. 01
290
0,0398
—
0,11512
2,5984
28./29. I. 01
300
0,0284 —
—
0,0s. r 2
2,394
brauner
Kontrolhund
ohne Rhodan
. Jan., 1. Febr.01
365
0,0222 —
—
0,08103
1,839
1./2. Febr. 01
360
0,0266 —
—
0,09576
2,1168
2 /3. Febr. 01
370
0,0258, —
—
0,09546
2,4864
3 /4. Febr. 01
350
0,0206 —
—
0,0721
1,9110
5./6. Febr. 01
295
0,022 | — |
—
0,0649 ,
2,0237
stark alkalischer Harn, Alkalität, veibraucht: zu 100 ccm Harn
7,5 ccm */, H s SO, = auf TageamQnge berechnet 22,12 ccm norm II 2 SO,
Indikan: nicht vermehrt
6-/7. Febr. 01
7. /8. Febr. 01
8. /9. Febr. 01
390
:i-5
3.0
0,078
( i.omosi ;
0.07808
2,184
2,150
1,88
0,020 — , —
0,02 «6 — —
0,0244 0,0224 °/o 0,0020 %
=0,07168 1 =0,0064
g pro Tag g pro Tng
stark alkalischer Harn, Alkalität, verbraucht: zu 100 ccin Harn
15,0 ccm */, H, 80, = auf Tagesmenge berechnet 49,0 ccm '/, II. SO,
9./10. Febr. 01 I 300
0,0246 0,0218 °/ 0 0,0028 u / 0 1 0,o738 . 1,68
= 0,0654 = 0,0084 I
g pro Tag g pro Tag |
stark alkalischer Ham, Alkalität, verbraucht: zu 100 ccm
11,0 ccm */i Ha SO, = auf Tngesmenge berechnet 33,0 ccm '/i II. SO,
N
%
1,932
1,40
1,316
0,588
0,56
0,630
0,896
0,798
0,504
0,588
0,672
0,546
0,686
0,56
0,56
0,588
0,56
Volum
ccm
S
°/o
s 0 ; 0
ausSulfat-
schwefel-
säure
8°/o
aus
Aether-
schwefel
säure
150 0,0110 - —
290 0,0396 - —
250 0,0596 —
425 j0,0220
270 0,025 — | —
375 0,0266 — —
225 0,0380 —
359 10,0246 — | —
schwarzer Hund
330 0,048s — —
290 0,03872 — -
310 0,070 — —
320 j 0,0294 -
245 10,05 7 4 — —
S N
pro Tag proTag
g
0,0'65
0,11484
0,1490
0,0935
0,0675
0,09975
0,0855
0,0861
mit Rhodan
0,16104 | 2,4486
0,1122
0,2170
0,09408
0,14063
g
0,6720
3,735
4,900
2,677
2,457
3,255
2,205
2.45
2,3548
2,5172
2,24
2,1609
0,448
1,288
1,96
0,63
0,91
0,868
0,98
0,70
0,742
0,812
0.H12
0,70 |
0,8821
Ög
Q 3
°5
V .
TJ >
2 be
a
«3
5«
> 9
stark alkalischer Harn, verbraucht: zu i(X) ccm Ham
22,5 ccm norm H* SO, =• auf Tugeamenge 65,12 ccm */i H., SO,
Indikan: nicht vermehrt
0,2429
350 0,0694
460 0,055
320 0,0274
0,0248°/«. 0,0026 °/o
=0,07936 (=0,00832
g pro Tag I g pro Tag
stark alkalischer Harn, Alkalität, verbraucht: zu 100 ccm Harn
20,0 ccm 7i H 2 SO, = auf Tagesmenge 04,0 ccm V, H
0,2530
0,08768
2,45
3,1556
2,24
0,70
0,686!
0,70
0,08236 12,2736
SO,
0,7841
290 0,0284 0,0250 °/ 0 0,0034 u /o
= 0,0725 =0,00986
g pro Tag g pro Tag [
stark alkalischer Ifarn, verbraucht: zu 100 ccm Harn
17,5 ccm '/, H* SO, = auf Tagesmenge 60,76 ccin norm. II S SO,
Tabelle III.
Rhodanharn
Datum
Volum
ccm
Zur Neutra- Auf die
ÜBation von Tagea-
100 ccm menge be-
Hara verbr. rechnete
ccm Normal ccm Normal
H, 80, i H* 80,
Volum
ccm
Zur Neutra-i Auf die
liaation vonl Tagea-
100 ccm ! menge be
Harn verbr. rechnete
ccm Normaliccm Normal
H„ SO, | H, SO,
14./15. II 1901
325
10
32,5
350
9
31,5
15./16. H. 1901 i
400
6
24
380
5
19
16./17. II. 1901 1
350 ;
10
35
430
4
17,2
I7./18. H. 1901
290
16,6
48,14
390
6
23,4
18./19. H. 1901
370
18,8 ,
69,56
4(0
6.8
27,2
19 /2“. ii. 1901
200
17
34
260
7
18,2
Kontrolharn ohne Rhodan
Um nun jeden Irrthum ln der Beurtheilung dieses eigenthüm-
lichen Verhaltens der Harne auszuschllessen, wurden die beiden
Hunde g«‘wechselt, indem das seitherige Kontrolthier vom 8. III.
1901 ab täglich 0,5 g Rhodannatrium mit der Nahrung erhielt,
während es bei dem anderen bisherigen Rhodanbund weggelassen
wurde (cf. Tabelle IV).
Tabelle IV.
Rhodanharn
|KontroIbarn ohne Rhodan
Zur Neutra-
Auf die
Zur Neutra-!
Auf die
liaation von
Tagea-
liaation von'
Tages-
Datum
Volum
100 ccm
menge be-
Volum
100 ccm
menge be-
ccm
Harn verbr.
rechnete
ccm
Harn verbr.
rechnete
ccm Normal
ccm Normal
ccm Normal ccm Normal
H, SO,
H, 80,
H, 80,
Hf SO,
3./4. HI. 1901
320
30
96
420
20
84
4./5. III. 1901
420
26,4
110,88
365
21,2
77,38
5./6. III. 1901
310
29,6
91,76
260
1,2
3,12
Zur Neutra-
Auf die
liaation von
Tage»-
100 ccm
menge ver-
Harn verbr
brauchte
ccm Normal
ccm Normal
Na OH
Na OH
6./7. III. 1901
380
38,2
145,16
340
1,2
4,08
7./8. III. 1901
325
33
107,25
305
1,0
3,05
Die Hunde werden vertauscht.
Harn dea aelthcrigen Kontrolhundea
Harn d aeith. Rhodanhundes,
(erhält 0,6 g Rhodannatrium täglich)
der Jetzt kill Rhodan mehrerh
8./9 III 1901
360 i
20
72
255
1,2 1
3,06
9./10. UI. 1901
; 460
20
92
120
schwach sauer
10./11. UI. 1901
420
23,2
97,44
320
0.8
2,56
11/12. HI. 1901
| 350
20
70
375
schwach sauer
Bei fast ausschliesslicher Fleischkost zeigte
sich ebenfalls eine konstante Alkalesccnz des
Harnosbeim Rhodanhund, während der Harn des Kon-
trolthieres neutral oder schwach sauer reagirte (cf. Tab. V).
Tabelle V.
Rhodanharn
Kontrolharn ohne Rhodan
Datum
Volum ccm
jZur Neutra¬
lisation von
100 ccm
Harn verbr.
ccm Normal
H, SO,
Auf die
Tagea-
menge be¬
rechnete
ccm Normal
H, SO,
Aua-
geschieden
Rhodan-
natrinm
pro Tag
g Zur Neutrs-
g liaation von
100 ccm
5 Ham verbr
~ ccm Normal
> Na OH
Auf die
Tages¬
menge be¬
rechnete
ccm Normal
Na OH
1901
|
16./17.III.
420
8
33,6
0,52
220
0,2
0,44
17./18. IIIJ400!
5,2
20,8
1301
neutral
18./19. HI 210
12,8
26,88
0,367
280
1,2
3,36
Nach all’ diesen Ergebnissen erschien es uns interessant,
an einem Hund, dessen Ham von vornherein schwach sauer re-
ngirte, in fortlaufender Reihe die Reaktion des Harnes festzu¬
stellen und die Alkalescenz genau zu bestimmen, bei täglicher
innerlicher Verabreichung von 0,5 g Rhodannatrium. Es hat
sich bei diesem Versuch eine fast konstante Steige¬
rung der Alkalescenz des Harnes ergeben (cf. Tab. VI).
(Tabelle siehe nächste Seite.)
Die Sektion dieses durch Verblutung getödteten Hundes
ergab einon normalen Befund an den Nieren, dem Nierenbecken,
den Ureteren und der Blasenschleimhaut. Stückchen der Speichel¬
drüsen, ebenso wie solche des Pankreas wurden mit Wasser aus¬
gelaugt, mit verdünnter HCl-Lösung versetzt und mit schwacher
Eisenchloridlösung auf etwaigen Rhodangehalt mit voll¬
ständig negativem Resultat untersucht.
Ebenso konnten wir bei einem mit Rhodannatrium gefütter¬
ten Hunde, dessen; Speichel aufgefangen und sofort auf Rhodan
geprüft wurde, im Speichel kei n Rhodan nachweisen.
Fassen wir die Resultate der an den Hunden angcstellten
Versuche nochmals kurz zusammen, so ergab sich zunächst bei
vorwiegender Pflanzenkost eine stärkere
> 1 *
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1518 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 39.
Tabelle VI.
Schwarzbrauner Hund, Gewicht 7,9 Kilo erhält vom 11. V. 1901 an
0,5 g Na SCN täglich
Datum
Volum ccm
Zur Neutra¬
lisation von
100 ccm
Harn verbr.
ccm Normal
II, so 4
Auf die
TaKe»-
.mence be¬
rechnete
ccm Normal
H, SO,
Rhodan-Reaktion
Eiweiss
1901
11. 12. V.
200
8,8
17,6
stark
nicht vorhanden
12./13. V.
160
9,6
15,4
M
n „
13./14. V.
100
8,6
8,6
,. >
14./15. V.
170
9,6
16,3
n
» n
15 /16. V.
ll i0
16,8
16,8
n
16./17. V.
230
9,6
22
17./18. V.
200
14
28
„ r
18./19. V.
250
15,6
38
,, n
19 ,20. V.
210
20,8
43,6
•* •»
20 /21. V.
350
20,8
72,8
1» „
21./22. V.
200
38,6
77,2
»
22./23. V.
340
33,6
114,2
yy •»
23./24. V.
350
34
119
„
•> »
24./25. V.
310
40
124
n »
25 /26. V.
270
50,4
136
fy
26./27. V.
350
50
175
n
27./2S. V.
260
50,4
131
,, „
28 /29. V.
200
58,4
116,8
M >♦
29./30. V.
250
54
135
«> »»
30./31. V.
160
70
112
„ ,,
31.V./1.Y1. 180
106
190,8
•> „
1./2. VI.
185
158
292
»1 „
2 /3 VI.
280
112
313
- „
3/4. VI.
220
106
233
•» »»
4 /5. VI.
260
72
187
„ „
5./0. VI.
350
40
140
0,210NaSCN pro Tag
„ „
6-/7. VI.
300
92
276
0,24
yy f»
7./8. VI.
360
60
216
0,216 „
yy >
8. 9. VI
300
66
198
0,180 „
n n
9./10 VI. 240
123
295
0,192 „
vorhanden
II
it. kein Na SCN bekommen (10. VI. 01)
10./U. VI
160
70
112
0,192NaSCN pro Tag
Spuren *)
11/12. VI.
270
21
K 56,7
staik
nicht vorhanden
12./13. VI '280
27«
75,6
n „
13 /14. VI. 1150
49
73,5
„
„ „
Alkalescenz des Harnes bei dem mit Rhodan¬
natrium gefütterten Thiere; auch bei gemisch¬
ter und endlich bei vorwiegender Fleischkost
blieb der Harn des Rhoda n h und es mehr alka¬
lisch, bezw. weniger stark sauer als der des Kontrol-
thieres.
Es war uns von vornherein nicht zweifelhaft, dass die bis¬
weilen beobachtete ausserordentlich hohe Alkalescenz
des Rhodanharnes zum Theil dadurch bedingt sein möchte, dass
der bei frischer Entleerung neutrale oder alkalische Rhodanharn
eine raschere und intensivere ammoniakalische Gührung einginge
als der Kontrolharn. Und in der Thal haben einige G ä h r u n g s-
versuche mit Harn uns gezeigt, dass ein mit Rhodan¬
natrium versetzter Harn bei künstlich erzeugter Gührung (durch
Impfung mit faulendem Harn) in «1er gleichen Zeit eine stärkere
Alkalescenz liefert als ein Kontrolharn.
Gährangs versuche mit Ham.
I. Versuch.
17. VII. 01. 2 Hamproben. No. I und II. deren Acidität pro
100 ccm Harn = 2,7 ccm Normal-Natronlauge, wurden mit faulen¬
dem Harn geimpft und No. II ausserdem mit 0,1 Na SCN (pro
50 ccm) versetzt.
23. VII. 01. Die Titration der beiden Proben ergab:
I. 100 cem — 3 ccm Normal-Schwefelsäure, II. 100 ccm — 7 ccm
Norinal-Schwefelsäure.
II. Versuch.
23. VII. 01. 2 Harnproben, Je 50 ccm. deren Acidität pro
100 ccm Harn — 2,0 ccm Normal-Natronlauge, wurden mit faulen¬
dem Harn geimpft und II ausserdem mit 0,1 Na SCN versetzt.
26. VII. 01. Die Titration der beiden Proben ergab:
1.100 ccm = 11,5 ccm Norinal-Schwefelsäure, II. 100 cem = 26,5 ccm
Normal-Schwefelsäure.
Die Bestimmung der Kohlensäure, welche durch Einleiten der
mit II. SO, beim Erhitzen auftretendeu Gase in titrirtes Bar.vt-
wnsser und Bestimmung des nicht, als BaCO, gefällten Hai OH)*
mit Normal-Schwefelsäure ausgefiihrt wurde, ergab: I. 100 cem
= 0,121 CO,, II. 100 ccm = 0,198 CO,.
*) Beim Kochen und nachfolgendem Zusatz von HNO.,, sowie
hei der P'errocynnkalium-Esslgsäure-Probe ergaben sich Trübungen;
ob sie von Eiweiss her rührten, erscheint fraglich (cf. Sektions¬
befund).
So eindeutig die bisher berichteten Versuche an Hunden zu
sein scheinen, so möchten wir zunächst doch die hier erhaltenen
Resultate nicht verallgemeinern. Wir haben zwar durch Wechseln
der Hunde, durch Wechseln der Käfige — falls man etwa an
eine nachträgliche Verunreinigung der Harne denken wollte —,
durch möglichst frische Untersuchung der Harne nach Möglich¬
keit alle Irrthümcr auszuschliessen versucht. Wir haben aber
andererseits bei zahlreichen Versuchen an den verschiedensten
Hunden bisweilen, ohne für uns bis jetzt erkennbaren Grund,
wechselnde Resultate erhalten, so zwar, dass während der Rhodan-
darreiehung der Harn schwach alkalisch, amphoter, neutral oder
auch schwachsnuerreagirte.
Nachdem durch die Thierversuche und entsprechenden Kon-
trolversuche fest gestellt war, dass Rhodannatrium in Dosen von
0,5—1,0 g, innerlich gereicht, von Hunden wochenlang ohne sicht¬
liche Schädigung des Allgemeinbefindens genommen werden
konnte, der Stoffwechsel aber in einer bestimmten Richtung ge¬
ändert zu werden schien, hielten wir uns für berechtigt, einige
Versuche am Menschen anzustellen.
Vers u che am Menschen.
Wir haben bis jetzt 0 Patienten das Rhodannatrium in wäss¬
riger Lösung innerlich in Dosen von 0,1—0,5 g pro die gegeben.
Von diesen 6 Patienten litt einer an linksseitiger Otitis media
chronica, einer an chronischen Magendarmbeschwerden, einer an
Kehlkopf- und Luftröhrenkatarrh, einer an Anaemie und Nephri¬
tis und 2 an Tuberculosis pulmonum. Erhöhte Körpertempera¬
turen oder Fieber, die Athmung, der Blutdruck wurden durch
das Rhodanimtrinm in den erwähnten Dosen nicht in bemerkons-
werther Weise beeinflusst. Das Allgemeinbefinden, der Appetit,
der Stuhlgang blieben ebenfalls vollkommen ungestört. Eiweiss
trat im Harn während der Versuche nicht auf: in den 2 Fällen,
in denen cs von vorneherein vorhanden war, wurde es nicht ver¬
mehrt. Zweimal wurde von demselben Patienten unmittelbar
nach der Einnahme von 0,5 g Rhodaunatriuin über „Brennen ini
Leib“ und Aufstossen geklagt: indessen gingen diese Beschwerden
im Verlauf einer Viertelstunde vollkommen zurück und hinter-
liessen kein sichtbares Zeichen irgendwelcher Störung. Die in
Wasser gelöste Substanz wurde jeweils in einer Tasse Milch gern
genommen und zwar bis zu 14 Tagen hintereinander (Dosis
0,25 g). Von einer Einwirkung auf den tuberkulösen Process war
natürlich in der kurzen Zeit der Anwendung (12—14 Tage) nichts
zu bemerken, es hat das Rhodannatrium den Patienten aber sicher
auch nicht geschadet.
Was nun die nach den Ergebnissen der Thierversuche zu er¬
wartenden Veränderungen des Stoffwechsels be¬
trifft, so kam es uns zunächst vor Allem darauf an. ob eine deut¬
liche Aenderung in der Reaktion des Harns zu erkennen sei. Bei
den verhältnissmiissig sehr geringen Dosen (gegenüber dem Thier¬
versuch) war allerdings von vornherein anzunehmen, dass hier
der Ausschlag kein so erheblicher sein möchte. Thatsäcblich hat
sieli denn auch keine wirklich auffallende Schwan¬
kung in der Reaktion des Harns ergeben. Denn wenn es auch in
den gleich anzuführenden Versuch Protokollen bisweilen den An¬
schein hat, als sei unter dem Einfluss des Rhodan¬
natriums die Acidität dos Harnes abgestumpft,
oder ein vorher saurer Harn bis zur Neutrali¬
tät oder gar schwach alkalischer Reaktion ge¬
hr a c h t w o r d e n, so möchten wir uns doch, ehe genauere Ein-
zelbestimmungen des Harnstoffs, der Harnsäure, der Phosphor¬
säure und ihres Verhältnisses zu einander in solchen Harnen vor¬
liegen, in der Deutung dieses Verhaltens grosse Reserve nuf-
erlegen. naben uns doch speeiell darauf gerichtete Unter¬
suchungen am Menschenham gezeigt, dass die Reaktion des nor¬
malen Harns erheblichen Schwankungen innerhalb 24 Stunden
unterliegt.
Dagegen hat sich uns hei den Versuchen am Menschen im
Verhalten des Speichels eine recht bemerkenswerthe
Thntsaehe ergeben. Während nämlich die Rhodanreak¬
tion im Harn meist nach wenigen Tagen, nachdem das Rhodan¬
natrium ausgesetzt war, vollkommen verschwand, blieb sie i m
Speichel noch längere Zeit (bis zu 14 Tagen) nach
dem Aussetzen des Mittels deutlich nachweis¬
bar. Bei den Patienten, die vor der Darreichung des Rhodan¬
natriums keine Rhodanreaktion im Speichel hatten, konnte
Digitized by UjOOQie
24. September 1901.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1519
schon nach Verlauf der ersten beiden Stunden nach Eingabe des
Mittels Rhodan im Speichel eben nachgewiesen werden. Die Rho¬
danreaktion wurde dann während der täglichen Rhodanverab¬
reichung im Speichel sehr stark und nahm nach Aussetzen des
Rhodannatriums nur ganz allmählich ab, bis sie nach 14 bis
15 Tagen verschwand. Ob durch die Rhodanverabreichung eine
stärkere Rhodanbildung im Körper angeregt wird, oder ob das
verabreichte Rhodan beim Menschen vor Allem in den Speichel¬
drüsen aufgespeichert, oder wenn nicht aufgespeichert, so doch
ausgeschieden wird, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Nach
den Erfahrungen, die man mit Jod bei der Schilddrüse gemacht
hat, könnte man vielleicht an die letztere Annahme denken.
Wir führen im Folgenden nur 3 Versuclisprotokolle an, die
das Gesagte illustriren mögen.
V ersuchsprotokolle.
I. Patient G. (Abgelaufene II. Patient M. (Mngen-Darm-
Angina; linksseitige Otitis media beachwerden ohne Fieber),
chronica).
Beide Patienten erhielten während der Versuchszeit quan¬
titativ und qualitativ jeweils die gleiche gemischte Kost und
wurden auch sonst unter möglichst gleichen Bedingungen gehalten.
Die Harne reagirten seither sauer, waren frei von Eiweiss und
Zucker. Nachdem die Patienten zunächst täglich 0,1 g Iibodan-
natrlum bekommen hatten, nahmen sie vom 21. III. 01 ab täg¬
lich 0,2 g Rhodannatriu
1 Tasse Milch.
21.111. Ul. 24stündiger Harn
zum erstenmal schwach alkalisch ;
Rhodaureaktion zweifelhaft
22. III. 01. 24stündiger Harn
schwach alkalisch; Rhodanreak¬
tion angedeutet.
23. III 01. 248 t findiger
Harn alkalisch; frisch ge¬
lassen: neutral; Rhodan¬
reaktion schwach positiv.
Allgemeinbefinden ungestört.
Körpertemperatur, Athmung,
Blutdruck ohne Besonderheit.
(in Wasser gelöst) auf
21. III. 01. 24stündiger Harn
sauer; keine Rhodanreaktion.
22. Hl. 01. 24stfindiger Harn
sauer; Rhodanreaktion zweifel¬
haft.
23. HI. 01 24stündiger
Harn schwach alkalisch;
frisch gelassen: alkalisch;
Rhodunreaktion schwach posit v.
Allgemeinbefinden ungestört.
Körpertemperatur, Athmung,
Blutdruck ohne Besonderheit.
24.111.01. Harn amphoter, frei
v. Eiweiss; Rhodonreakt. positiv.
25. III. 01. Dasselbe.
Vom 26. III. 01 ab er ha
0,5 g Rhodannatrium pro
Patient G.
27. III. 01. Harn (frisch ge¬
lassen) neutral, frei von Eiweiss.
Rhodanreaktion positiv.
29. III. 01. 1 24stüiuliger Harn
30. IU. 01. j schwach alkal.
Harn (frisch gelassen)
klar, schwach alkalisch.
1. IV 01. 24st findiger Harn
trüb, alkalisch; frisch gelas¬
sener Harn klar, alkalisch.
Kiweissfrei: Rhodanreaktion sehr
deutlich positiv.
Allgemeinbefinden ungestört.
Körpertemperatur, Allmiung.
Blutdruck ohne Besonderheit.
2. IV. 01. 24stfindiger Harn
trüb, alkalisch: frisch gelas-
senerHarn klar, alkalisch.
Rhodanreaktion stark positiv.
Im Speichel ebenfalls starke
Rhodaureaktion.
24.IH.01. Harn amphoter, frei
v. Eiweiss; Rhodanreakt. positiv.
25. III 01. Dasselbe,
lten beide Patienten je
d 1 e.
Patient M.
27. III. 01. Harn (frisch ge¬
lassen) schwach sauer; frei von
Eiweiss. Rhodanreaktion positiv.
29. III. 01. | 24stündiger Harn
30. IH. 01. j schwach alkal.
Harn (frisch gelassen)
klar, ganz schwach sauer.
1. IV. 01. 24stündiger Harn
trüb, alkalisch; frisch gelas¬
sener Harn klar, neutral.
Eiweissfrei; Rhodanreaktion sehr
deutlich positiv.
Allgemeinbefinden ungestört.
Körpertemperatur, Athmung,
Blutdruck ohne Besonderheit
Wird am 2. IV. 01 gebessert
entlassen.
3 —8. IV. 01.: Harn (24 stfind u. frisch gel.) schwach sauer;
Rhodanreaktion weniger deutlich als seither.
Patient erhält heute zum letztenmal die Substanz,
da er in einigen Tagen entlassen werden soll.
Vom 9. IV. bis 17. IV. 01 fand sich bei täglicher Prüfung der
Harn schwach Hauer; die Rhodanreaktion nahm im Harn
allmählich ab, blieb aber im Speichel immer seh^deut¬
lich. Am 17 IV 01 wurde Patient entlassen
III. Patient F. (Phthlsls pulmonum (ohne Tuberkelbacllleu
Im Auswurf); Auaemie; Leber-, Milz-, Nleren-Amyloid [?]).
Patient hat zeitweise erhöhte Temperaturen und wechselnde
Mengen Eiweiss lm Harn. Er erhält während der ganzen Dauer
des Versuchs gemischte Kost (Milch, Fleisch, Gemüse und
Mehlspeisen). Das Verhalten des Hnrns, des Spei¬
chels vor, während und nach der Rhodannatrium
Darrei chu ng ergibt sich aus folgender Tabelle:
Tabelle VII. Untersuchungen des Harns und Speichels
Datum
Mai
Tageszeit
Harn
Acid in ccm ... , Bemerk-
Norm. Na OH °'* in ungen
Speichel
Rhodan¬
gehalt
Datum
Juni
Tageszeit
II ar
Acid in ccm
Norm. Na OH
n
Rhodan
Bemerk¬
ungen
Speichel
Rhodan¬
gehalt
28.
Morgens
100 ccm = 2,0
0
0
14.
Mittags
100 ccm = 2,2
+
Rh -f
Mittags
100 „ =1,8
0 1
0
Abends
100 „ = 1.2
+
„
Abends
100 „ =1,5
0
0
15.
Morgens
1D0 „ =2,1
-F
Allgerneinüefln-
„
29.
Morgens
100 „ =1,9
0
0
Vom 16. VI. C
1 an kein NaSCN mehr
„
Mittags
100 „ =3,0
0
0
16.
Abends
100 ccm = 1,1
-
-
Abends
100 „ =3,3
0
0
17
Morgens
100 „ =2,4
-
r
30.
Morgens
100 „ =1,9
0
0
„
Mittags
100 „ =2,7
-
-
„
„
Mittags
100 „ =16
0
0
Abends
100 „ =1,4
-
r
„
Abends
100 „ =1,5
0
0
18
Morgens
100 „ =2,0
-
-
31.
Morgens
100 „ =0,7
0
0
„
Mittags
ICO „ =2,3
ithr •
hnaeb
„
„
Mittags
100 „ =1,3
0
0
Abends
100 „=(0,5)
0
„
Abends
100 „ =2,7
0
0
19.
Morgens
100 „ =2,0
0
Juni
1
„
Mittags
100 „ =2,2
0
„
1.
Morgens
100 „ =1,6
0
0
„
Abends
(Amphot )
0
„
„
Mittags
100 „ =1,2
0
u
20.
Morgens
100 ccm = 1,5
0
,,
Vom 4. VI. 01 Morg. lO'/a Uhr an
0,25
NaSCN (69°/ 0 ) tägl.
unll'/aWlirhr.
Seit dem 19. VI. (also 4 Tage nach dem Aussetzen des Mittels)
4.
Morgenharn 1 100 ccm = 1,2
0
Rh +
ist die Rhodanreaktion im Harn v
ersehwunden.
Mittags
100 „ =1,5
0 1
n
20.
Mittagsharn
100 ccm = 1,5
0
Rh +
Abends
100 „ =3,2
0 1
Abendharn
100 „=liphoi.
0
5.
Morgens
00 „ =1,4
o |
21.
Morgenharn
100 „ =1,0
0
»1
„
Mittags
100 „ =1,3
0
Mittagsharn
100 „ =0,8
0
»1
Abends
100 „ =1,7
0
Abendharn
100 „ =1,4
0
Alcalescenz
„
6.
Morgens
100 „ =2,3
0 1
22.
Morgenharn
WO „ =0,3
0
II
.,
Abends
100 „ =1,6
0
Mittjigsharn
100 „ =1,5
0
7.
Morgens
100 „ =1,4
o 1
„
23.
Abendharn
10(1 „ =1,0
0
Alcalescenz
n
Mittags
100 „ =1,5
0 1
24.
Morgen harn
100 „ =2,0
0
»»
Abends
100 „ =2,0
0
,,
Mittags harn
100 „ =1,1
0
8.
Morgens
100 „ =2,2
0 I
n
Abendharn
100 „ =1,3
0
„
Mittags
100 „ =1,8
0
M
25.
Morgen harn
K0 „ =0,7
0
10.
Morgen harn
100 ,,=iBpho'.
+ 1
Mittagsharn
100 „ =2,0
0
„
„
Mittagsharn
100 „ =2,2
-
„
Abendbarn
100 „ =1,2
0
Abendharn
100 „ =1,1
-
'
! 26.
Morgenharn
100 „ =2,0
0
11.
Morgenharn
100 „ =3,0
-
Fieber
„
1 >t
Mittagsharn
nicht vorhanden
0
„
Mittags
100 „ =2.1
-
-
.
| „
Abendharn
100 ccm = 3,0
0
n
Abends
100 „ =2,4
•
,
,,
I 27
Morgenharn
100 „ =2,0
0
„
12.
Morgens
100 „ =2,0
-
- ■
' ,,
Mittagsharn
100 „ =0,8
0
Mittags
100 „ =1,2
-
-
1
Abendharn
100 „ =2,4
O
V
Abends
HK) „=(0,7)
-
| 28
Morgenharn 100 ,, = 1,2
0
„
13.
Morgens
100 „ =5,0
-
| Diazore iktion
1
Mittagsharn
100 „ =1,2
0
„
„
Mittags
100 „ =2,8i -
-
Abendharn
K 0 „ = 2,0
(>
„
„
Abends
100 „ =1,6
-
-
; 29 .
Morgenham 100 „ = 0,9
0
14.
Morgens
100 „ =2,0
H
I
| 30. Rhoda» verschwindet im Speichel (alsolbTagenach i!einAuss*-t/.en d Mittels)
Digitized by LC
1520
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Beim Vergleich der einzelnen Aciditätswerthe des Harns
vor, während und nach der Rhodandarreichung ergibt sich
keine so erhebliche Differenz, als mau vielleicht hätte erwarten
dürfen. Immerhin ist eine geringe Herabsetzung der
Acidität des Harns während und nach der Rho¬
dandarreichung zu erkennen. Denn es betrug i m
Mittel:
die Acidität des Harns vor der Rhodan-Darreichung: 1,9 °,°
» » » während „ „ : 1,7 °/„
v r> n n nach „ „ „ :l,6/o
Bei dem Patienten, der vor der Rhodandar¬
reichung kein Rhodan im Speichel und Harn hatte, trat
im Speichel bereits 1 Stunde nach der Eingabe
das Rhodan auf; im Harn dagegen erst nach einigen
Tagen. Nach Aussetzen des Mittels verschwand
die Rhoda nroaktiou zuerst wiederum im Harn,
und zwar am 4.Tage, iin Speichel erst am 15.Tage
und sie ist auch seither nicht mehr aufgetreten.
Aus der If. medicinisehen Klinik des Herrn Prof. v. Bauer
in München.
Ueber ausgedehnte confluirende Capillarhaemorrhagien
in Pons, Medulla oblongata und im Grosshirn.
(Obductionsbefund bei Tod im Status epileplicus.)
Von Dr. Theodor Struppler, Assistenzarzt.
Capillurblutungen im Gehirn können auftreten bei allen
Infektions-, Blutkrankheiten, kachektischen Zuständen, Vergif¬
tungen (Eichhorst*), Ziegler**), bei Schädeltraumen,
in der Umgebung entzündlicher Herde, bei starker lokaler
Stauung durch Druck von Tumoren oder grossen Blut¬
ergüssen, durch Verstopfung grösserer Arterien (Throm¬
bose und Embolie), durch Störung des venösen Abflusses
bei Sinusthrombose, Eklampsie, beim Status epilepticus.
S c h in o r 1') fand, dass von 65 Fällen von Eklampsie, bei 48 ini
Gehirn Veränderungen: kleine punktförmige Blutungen, meist
kleine Thromben sich zeigten, ln den meisten Fällen von Tod
nach schweren epileptischen Attacken finden sich, wie Weber 2 )
an den von ihm untersuchten Fällen beweisen konnte, in der
Hirnrinde und Medulla oblongata neben frischen Gefiisserkran-
kungen Blutextravasate mit theilweiser Zerstörung der benach¬
barten nervösen Elemente. Diese Veränderungen sind, falls sie
in der Medulla oblongata liegen, in vielen Fällen die direkte
Todesursache, in anderen Fällen verursachen sie, je nach ihrer
Lage zu den betreffenden nervösen Elementen, Circulations-
störungen und Blutungen in den grossen Körperorganen, schädi¬
gen den Respirationsapparat, machen transitorische Paresen der
Extremitäten und psychische Störungen (cf. auch Bins-
wanger), Kazowsky *).
Bei den capillaren Blutungen handelt es sich fast immer um
Diapedesisblutungen, nicht um Rupturen der Gefässwände; nur
in einem kleineren Theil der Fälle sollen Verfettung und Brüchig¬
keit der Arterien die primäre Ursache für die punktförmigen
Hirnblutungen sein (v. Monakow 5 ).
Während die grösseren, sogen. Massenblutungen in erster
Linie den Streifenhügel, Linsenkern, die innere Kapsel und den
Sehhügel der einen Seite befallen, sehen wir die capillären Blu¬
tungen am häufigsten in der Hirnrinde, nicht so selten gleich¬
zeitig in der rechten und linken Hemisphäre an ganz homo¬
logen Stellen auftreten; sie machen aber, wenn sie vereinzelt
•) Elchhorst: Handbuch der Pathologie und Therapie.
Wien 18i>6.
**) Ziegler: Lehrb. der allg. Pathol. u. pathol. Anatomie.
Jena 1898.
') Schmorl: Ueber anatomische Untersuchungen bei
puerperaler Eklampsie. IX. Kongress der Deutsch. Geseilsch. f.
Gynäkol. Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 23, pag. 943.
*) Weber: Obduktionsbefund beim Tod im Status epilepti¬
cus. Neurol. Centralbl. 1898, Bd. XVII, pag. 1063.
') Binswanger: Die Epilepsie. Bd. XII der Spec. Path.
u. Therap. von Nothnagel. Wien 1899.
t) Kazowsky: Zur Kenntniss der anatomischen Verände¬
rungen des Status epilepticus. Centralbl. f. allg. Pathol. u. pathol.
Anatomie 1897, Bd. VIII, No. 1 und Neurolog. Centralbl. 1897,
Bd. XVI, pag. 744.
*)v. Monakow: Gehlrupathologie. Bd. IX der Spec.
Pathol. u. Therap. von Nothnagel. Wien 1897.
sind, meist keine besonderen Symptome. Doch kann es in
A u s n a h m e f ä 11 e n auch Vorkommen, dass die
punktförmigen H a e m o r r h a g i e n so multipel
nebeneinander liegen und zum Theil con-
fluiren, dass sie in Ausdehnung und Wirkung
die Erscheinungen eines grösseren Blut¬
ergusses, wie bei S p o n t a n r u p t u r, hervorrufeu.
In ganz exquisitem Grade war das klinisch und anatomisch
in der folgenden Beobachtung, die makroskopisch anatomisch
einige differentialdiagnostische Schwierigkeiten und auch in
verschiedener anderer Beziehung beachtenswerthe Merkwürdig¬
keiten geboten hat, zu konstatiren.
Krankheitsgeschichte.
Ad. St., 19 Jahre, Tapezierermeisterssohn (Krankenhauptbuch
No. 7418) wurde am 12. September 1900 gegen Mittag auf der
II. medic. Abtheilung in bewusstlosem Zustande aufgeuommeu.
Anamnese nach Angabe des Vaters: Pat litt schon in
früher Kindheit an Zahnkrämpfen, dann an allgemeinen Krampf¬
anfällen, die manchmal mit einem Schrei begannen, worauf Pat.
bewusstlos wurde und Schaum vor den Mund trat. Die mit diesen
Konvulsionen einsetzende Bewusstlosigkeit habe fast stets y a bis
1 Stunde lang angehalten. Pat. ist ln körperlicher und geistiger
Beziehung sehr zurückgeblieben, sei seit dem 10. Lebensjahre in
seinem Charakter etwas bösartig geworden und desshalb mehrere
Jahre lang in einer Anstalt für Epileptische aufgenommeu ge¬
wesen. Der heutige Anfall begann mitten im besten Wohlbefinden
in der Frühe um >/ 2 7 Uhr ohne besondere Prodrome mit Schrei,
heftigen allgemeinen Krämpfen und Bewusstlosigkeit, welch'
letztere mit kurzen Unterbrechungen jetzt noch anhält. Vor
4 Monaten habe er einen ähnlichen, schweren .Anfall ge¬
habt; damals sei er 6 Tage lang bewusstlos gewesen. Lähmungen
seien im Anschluss daran und auch sonst niemals vorhanden ge¬
wesen.
Als Kind habe er Diphtherie, Scharlach, Masern und Lungen¬
entzündung durchgemacht.
Mutter gestorben an Lungenentzündung. Ein Grossonkel
mütterlicherseits habe auch an schwerer Epilepsie und ein Vetter
des Pat. lange Jahre an Veitstanz gelitten.
Status praesens: Untersuchung der Inneren Organe
wegen des bewusstlosen Zustandes sehr erschwert Keine Zwangs¬
stellung. Kolorit blass, Augen halb geschlossen, Lippen borkig
belegt, unterhalb des linken Tuber front, eine schräg verlaufende,
ca. 3 cm lange, glatt verheilte, am Knochen nicht adhaerente
Narbe. Oberhalb des rechten Auges noch 2 kleinere, weissllche,
gut verschiebliche Narben. Haut heiss und feucht. Kopf nicht
in die Kissen gebohrt. An den Ohren äusserlich und auch am
Trommelfell nichts Pathologisches sichtbar. Warzenfortsätze nicht
druckempfindlich. Hinterhauptsschuppe etwas vorspringend. An¬
scheinend keine Druckerapflndlichkeit des Schädels. Nirgends
Sugillationen. An der Wirbelsäule keine Deviation. Nacken¬
steifigkeit und Druckemptindlichkelt der Processus spin. der Hals¬
wirbelsäule fehlen. Zeitweise leichtes Schäumen vor dem Munde.
Pat. lässt den Urin unter sich gehen. Respiration stöhnend, bald
beschleunigt, bald verlangsamt und erschwert. Bei der Athmung
wird hauptsächlich der 5. und 6. Intereostalraum eingezogen.
Thorax: Lungengrenzen schwer verschieblich, beiderseits
gleich, in der Höhe des 10. Br.-W. Schall links v. o. etwas tym-
panlti8ch, sonst überall sonor. Athmungsgeräusch vesiculär.
Kein Husten. Kein Auswurf.
Cor: Spitzenstoss im 5. Intercostalraum in der Mammillar-
linie, sehr verbreitert fühlbar. Figur nach rechts und oben etwas
überlagert Herzaktion sehr erregt 2. Ton an der Spitze accentuirt;
an der Pulmonalis ein leises systolisches Geräusch. Aorten- und
Tricuspidaltöne rein.
Puls: Regel mässig, mittelvoll, beschleunigt Blutdruck
90—100 nach Basch.
Abdomen: Eingezogeu, nirgends gedämpft. Leber, Milz
normal. Blase leer.
Nervensystem: Pupillen eng, reagiren sehr träge auf
Lichteinfall und consensuell; auf Accommodation und Bulbus¬
bewegungen kann nicht geprüft werden. Trismus. Zeitweise tritt
tonischer Krampf im linken Muse, orbicul. oculi auf. Anscheinend
keine Facialisparese. Die übrigen Gehlmnerven können nicht ge¬
prüft werden. Von Zeit zu Zeit werden die Arme in tonischem
Krampf gegen den Thorax gezogen. Diese Spasmen lassen sich
mit aller Anstrengung kaum merklich lösen. Keine allgemeinen
Epilepsien (cf. auch Nothnagel, Luce'), Cohn'). Bei einer
circa 15 Minuten später vorgenommenen Untersuchung sinken die
Arme nach dem Emporheben schlaff herab, wobei Jedoch ein
leichter Tonus der Flektoren des rechten Armes weiter besteht.
Ebenso schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten. Priapismus.
Patellarsehnenreflexe links bei der ersten Untersuchung sehr ge¬
steigert, bei einer Nachuntersuchung nur fast unmerklich ge¬
steigert. Kein Fussklonus. Bauchdeckenreflex völlig fehlend.
Bei Prüfung auf Schmerzempflndung ganz geringe Abwehr¬
bewegungen im linken Arm, sonst Analgesie am ganzen Körper.
') Luce: Zum Kapitel der Ponshaemorrhagien. Deutsch.
Zeitsehr. f. Nervenheilk. XV, 5 u. 6.
’) Cohn: Ueber Ponsblutungen. Arch. f. Psychiatrie
34. Bd., 2.
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24. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1521
Leichte fibrilläre Zuckungen der Wadenmuskulatur. Keine
Stauungspapille.
Aus dem Verlaufe: Temperaturen am 12. zwischen
37,2 und 37,7. Puls 104, Respiration 36. Urin: sauer; spec. Ge¬
wicht 1025. Zucker negativ, Elnweiss 0,5 Prom. Esbach.; enthält
mikroskopisch Epithel- und Körnchencylinder in mässig reich¬
licher Menge, ebenso Epithelien und Leukocyten, Harnsäure in
Kugelform. Wiederholt Schäumen aus dem Munde. Aenderung
des Athmungstypus und exspiratorisches Stöhnen. Am 13. IX.
Temperaturen zwischen 37,0 und 37,6. Puls 140; Respiration 36
bis 40. Andauerndes Koma, zeitweise unterbrochen von kurz¬
dauernden Krämpfen, besonders der Arm- und Athem-
muskeln. Pupillen kaum reagirend, eng. Die hohen Reflexe
vollkommen aufgehoben, die tiefen noch erhalten. Blässe des
Gesichtes abwechselnd mit Cyanose. Blutdruck auf 125 gestiegen
(Base h). Gegen Abend Puls dicrot. Herzaktion jagend. Wieder¬
holt Konvulsionen. Extremitäten sämmtlich gelähmt. Urin
zuckerfrei. Elwelss wie oben. Am 14. IX. in der Frühe unter
dem Bilde der Respirationslähmung Exitus letalis.
Epikrise: Uraemie, welche differentialdiagnostisch in
Betracht zu ziehen war, konnte sicher ausgeschlossen werden,
in erster Linie auf Grund der sehr genau gegebenen Anamnese
durch den Vater des Patienten (jahrelanges Vorhandensein der
Epilepsie u. a.), auch waren Eiweissausscheidung und Blutdruck
geringer, speeifisches Gewicht des Urins höher, als es im All¬
gemeinen bei Uraemie zu sein pflegt. Dagegen konnte man nach
den greifbaren Veränderungen am Centralnervensystem die
Lokalisation der Laesion bestimmen. Klinische Diagnose: Sta¬
tus epilepticus, Ponshaemorrhagie, Nephritis parenchymatosa.
Der in Hinsicht auf die klinischen Erscheinungen ver-
muthete Herd in der Brücke und Medulla oblongata ergab sich
auch hei der Sektion. Als selton musste nun der da¬
bei gemachte Befund betrachtet werden, näm¬
lich der, dass es sich nicht um einen grösseren
Bluterguss mit Zerstörung von Gehirnmasse,
um eine Apoplexie handelte, sondern um
massenhaft kleinste und kleinere punkt¬
förmige bis stecknadelkopfgrosse, Blutaus¬
tritte, jedenfalls ohne Ruptur der Gefässe
(cf. auch mikroskopische Untersuchung), welche fast den
ganzen Querschnitt von Pons und Medulla
oblongata einnahmen und welche vielfach
confluirten.
Aus dem Sektlonsergebniss (Prof. Schmaus):
Organe der Circulatlon und des Verdauungsapparates ohne
nennenswerthe, gröbere pathologische Vei .Änderungen. Mässlgos
Oedem beider Lungenabschnitte. Harnapparat: beide Nieren
etwas verkleinert mit geringer Fettkapse!. 1. lebt abziehbarer
fibröser Kapsel. Oberfläche braunroth, glatt, glänzend, mit ge¬
ringer Gefässfüllung; auf der Schnittfläche M irk und Rinde von
gleicher Farbe; in der Rinde zahlreiche, kaum abgrenzbare,
graue Flecken von kaum miliarer Grösse. Das Gewebe zwischen
denselben spärlich und etwas dunkler. Zahlreiche Glomeruli als
graue Punkte promlnlrend. Nierenbecken und Hiius ohne Be¬
sonderheiten.
Nervensystem: Am Schädeldachs nichts Besonderes.
Dura an der Aussen- und Innenfläche glatt; an der Hirnoberfläche
die Venen stark gefüllt; Meningen durchsichtig. An den Win¬
dungen und der Basis nichts Besonderes, die Gefässe der Letzteren
nirgends verdickt. Linkerseits findet sich in der Fossa Sylvii,
zwischen Schläfenlappen und der Insula R e 11 i i. etwa in der Mitte
der Sylvius’schen Grube, eine röthliclie Verfärbung der Meningen
in der Ausdehnung von etwa Bohnengrösse. Die weichen Häute
darüber gequollen, das unterliegende Gewebe roth, gallertig durch¬
scheinend. Belm Einschneiden auf den Schnittflächen der Hemi-
sphaeren kein besonderer Befund. Rinde überall von normaler
Zeichnung. Blutpunkte ziemlich reichlich, Saftgehalt mässig. Die
Ventrikel nicht erweitert, mit seröser Flüssigkeit gefüllt, Ependym
glatt. Gyrus Hippocampl und Cornu Ammonis beiderseits gleich
gross, ohne pathologischen Befund. Im Pons zeigt sich
der ganzen Längenausdehnung nach im ven¬
tralen Theil eine sehr reichliche Anzahl zun:
Theil dicht stehender, multipler, punktför¬
miger Blutungen von frischer, dunkel rother
Farbe. In den untersten T heilen der Hauben¬
region finden sich mehr vereinzelte, punkt¬
förmige Haemorrhaglen, welche zum Theil
bis an die graue Decke reichen. Im Allgemeinen
dehnen die Blutungen sich nach der Ventrikularfläcbe zu weiter
aus. Im Aquaeductus Sylvii nichts Besonderes; keine Erweiterung
desselben. In der Mitte des Pons sind die Blutungen
grosBenthells fast kranzförmig um die Pyra¬
midenvenen herum angeordnet, die letzteren
selbst fast völlig von solchen frei. Etwas proximal¬
wärts gegen die Hirnschenkel liegen die Blutungen mehr in der
Mitte. Beiderseits von der Raphe zeigt an dieser Stelle das Ge¬
webe sich um die centralen Blutungen herum anscheinend etwas
aufgelockert, oedematös erweicht, nicht zerfallen. Diese Partie
hat auf dem Frontalschnitt einen Durchmesser von 8 bis 9 mm
nach jeder Richtung; sie ist leicht röthlich imbibirt. Rechts
unten, unterhalb der Pyramideufasem erstreckt die Erweichung
sich etwas caudalwärts. Gegen die Hlrnscheukel zu werden die
Blutungen spärlicher, mehr zerstreut; in den Hirnschenkeln selbst
sind gar keine Blutungen mehr nachzuweisen. Im oberen Theil
der Medulla oblongata bis zur Gegend der Oliven, die letzteren
freilassend, setzen sich die Blutungen nach rückwärts fort. Sie
sind besonders medianwärts und an den Seltentbeilen, hauptsäch¬
lich ventralwärts vorhanden. Auch hier ist die Pyramldengegend
vollkommen frei. — An der erwähnten Stelle zwischen Schläfen¬
lappen und Insel ist je eine Windung, eine der Insel und die
gegenüberliegende, dem Schläfenlappen angehörige. in der Aus¬
dehnung einer Bohne, von einer blutig gefärbten Flüssigkeit er¬
füllt. Anliegend noch eine zweite Windung, welche ebenfalls
weicher erscheint als normal, aber nur an ihrer Kuppe eine kleine
Blutung auf weist; in der umgebenden weichen Substanz liegen
wieder mehrere, und fast an der homologen Stelle rechterseits
ebenfalls einige eapillare Blutungen. In der Arterla basilaris
und ihren Aesteu und in der Arteria vertebralis kein Thrombus.
Ausserdem Anden sich noch in der Gegend des linken Corpus sub-
thalnmicum eine Gruppe von kleinen, umschriebenen Haemor¬
rhaglen, in der Breite von circa ly 2 cm. Gefässruptur oder Miliar¬
aneurysmen konnten nirgends konstatirt werden.
Bei der Autopsie verursachten die Veränderungen in der
Ilirnsubstanz insoferne einige diagnostische Schwierigkeiten, als
sie zweifelsohne an die von Wernicke*) beschriebene P o 1 i-
encephnlitis haemorrhagica erinnerten, doch liess
die mikroskopische Untersuchung aus den verschiedenen Be¬
zirken erkennen, dass nur einfache Diapodesisblutungen Vor¬
lagen, abgesehen von einigen nebensächlichen kleineren, älteren
Haemorrhagien in der Rinde (Plaques jaunes), vielleicht den
Residuen einer schweren, 4 Monate ante mortem aufgetretenen
epileptischen Attacke, die mit 6 tägiger vollständiger Bewusst¬
losigkeit einhergegangen war (cf. Anamnese).
Histologische Untersuchung: Auf Schnitten
lassen sich die Blutungen schon makroskopisch vielfach in
Gruppen angeordnet und von verschiedener Grösse erkennen.
Einzelne stehen gerade an der Grenze der Sichtbarkeit, andere
sind fast bis stecknadelkopfgross. Mikroskopisch erkennt man,
dass es sich um massenhafte ganz frische Blutungen han¬
delt (die Erythrocyten haben normale Form, Grösse und Färb¬
barkeit; die weissen Blutkörperchen sind spärlich). Die Haemor-
rbagien zeigen meist i,:1vasculäre Anordnung, es macht viel¬
fach den Eindruck, als ob das in den adventitiellen und peri-
vasculäron Lymphscheiden angesammelte Blut extravasirt sei.
An solchen Stellen erscheinen die Haemorrhagien kreisrund oder
sind unregelmässig; an anderen Stellen haben sie eine netz¬
förmige Anordnung, welcho dem Verlaufe, der Capillaren zu ent¬
sprechen scheint (,,capilläre Extravasate“). In der nächsten Um¬
gebung der Blutungen ist die Himsubstanz leicht gequollen, mit
einigen hyalinen Körperchen (veränderte Nervenfasern); die
Gliamaschen sind etwas erweitert: Leichte oedematöse Quellung.
Nirgends eine gröbere Zerstörung der Himsubstanz, keine Kern¬
vermehrung, keine Rundzellenanhäufungen. M a r c h i zeigt
keine Degeneration der Nervenfasern und keine Kömchen-
zellen an. Die Gefässwände (Arterien und Venen) überall
intakt. Keine Thromben. —
Es erübrigt noch kurz die Bedeutung der gefun¬
denen Haemorrhagien für den Status epilep¬
ticus und die Art derselben zu besprechen. Bekannt¬
lich wurden bei im Status epilepticus verstorbenen Kranken ent¬
zündliche Processe an den Gefässen beschrieben, welche sich
durch Hyperaemie, Infiltration der Gefässwandungen und des
Himgewebes durch multiple Blutextravasate kennzeichneten;
ferner im interstitiellen Gewebe Vermehrung der Kerne und
Spinnenzellen (Gliosis), sowie das Vorhandensein einer grossen
Zahl von Wanderzellen nebst Oedem und Erweiterung aller
praeformirten Räume; seitens der Nervenzellen degenerative Ver¬
änderungen bis zur fettigen Entartung und einfacher Atrophie.
Besonders K a z o w s k i ist geneigt anzunehmen, dass der
Statu« epilepticus in dem von ihm beschriebenen Falle ein*’
Folge der Haemorrhagien sei. welche sich als Schlussglied der
Reihe aller vorhergehenden Processe einstellten. Nach seiner
Ansicht konnte der letzte Anfall, nachdem er einmal zur Bil¬
dung der Haemorrhagien geführt hatte, nicht mehr zum Ab¬
schlüsse gelangen, sondern musste in Folge der gestörten Er¬
nährung der nervösen Elemente und Reizung derselben durch
das aus den Gefiisscn austretendo Blut zum Status epilepticus
*) Wernicke:
Cassel 1881.
Lehrbuch der Gehirnkrankheiten, II. Bd.
2 *
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WUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nu. 39.
1522
führen. Diese Erklärung hat für gewisse Fälle, bei denen es
sieh uni wirkliche chronisch-entzündlidhe (encephalitische) Pro-
cesse handelt, unbedingt etwas für sich, trifft aber für unseren
Fall nicht zu. Denn wie wir gesehen haben, fehlten Hyperaeinie
und Infiltration der Blutgefässe und des Hirngewebcs u. in. a.
(Es wäre denkbar, dass diese Veränderungen bei jugendlichen
Epileptikern sich noch gar nicht oder nur seltener finden.) Trotz¬
dem sind wir auch geneigt, in unserem Falle für den Status
epilepticus zum Theil die Haemorrhagien mit verantwortlich zu
machen, doch da wir primäre GofässVeränderungen vermissen,
müssen wir nach anderen Ursachen für die Haemorrhagien
suchen. Die Frage nach der Art und Entstehung der
Blutungen nun ist bei dem vorliegenden Befunde ziemlich
einfach: Es handelt sich zweifellos um Stauungsblutungen (cf.
histologischer Befund: perivnsculäre Anordnung etc.) durch Dia-
pedesis, für die ein Zusammenhang gegeben ist in der im Beginn
der epileptischen Insulte vorhandenen erhöhten arteriellen Span¬
nung und weiter in der hochgradigen Respirationsbehindorung.
Cyanose und venösen Stase des Gehirns. Inwieweit noch dabei
der Nephritis eine Bedeutung zukommt, auch in Bezug auf die
grosse Ausdehnung des Processes, ist schwer zu entscheiden.
Pruritus senilis linguae.
Von Doc. Dr. Egmont Baumgarten in Ofen-Pest.
Diejenigen Erkrankungen der Zunge, die mit einer sicht¬
baren Veränderung derselben einhergehen, bilden nicht Gegen¬
stand dieser Besprechung, denn seit dem Erscheinen des allbe¬
kannten B u 11 i n’sehen Buches und der vielfachen Abhand¬
lungen über Glossitis superficialis, sowie über P a -
pillitis linguae ist man mit diesen feineren und ober¬
flächlicheren, oft leicht zu übersehenden Erkrankungen der
Zunge in der Diagnostik wesentlich vorgeschritten. Ich muss
von diesen leicht zu übersehenden Erkrankungen bemerken, dass
sie selbst dem geübten Auge manchmal entgehen und speziell
gerade den Spezialisten, wenn diese ausschliesslich künstliches
Licht zur Untersuchung verwenden; ich verabsäume, es daher
nie — wie dies die Dermatologen tliun — bei Sonnenlicht mit
einer Linse zu untersuchen, denn gar oft entdeckte ich dadurch
Veränderungen, die mir beim reflektirten Lampenlichte ent¬
gangen wären.
Die Patienten, die mit den verschiedensten Klagen über die
Zunge zur Beobachtung kamen und bei denen keine sichtbaren
Veränderungen derselben zu konstatiren waren, sind meistens
ältere Personen und gehören in weitaus grösserer Anzahl dem
weiblichen Geschlechte an.
Für sehr viele Klagen kann man eine Erklärung finden,
wenn man trachtet, die Ursache des Leidens zu eruiren.
Man muss sich vor Augen halten, dass die Zunge nicht
nur als Sprechorgan am Eingangsorte des Respirationstraetes
vielen Schädlichkeiten ausgesetzt ist, sondern dass dieselbe ein
wesentlicher Faktor des Digestionstraetes ist, und in erster Reihe
auch als Spiegel des Magens und Darmes angesehen werden
muss. Sie kann also nicht nur durch die verschiedenen Affek¬
tionen ihrer unmittelbaren Umgebung in Mitleidenschaft gezogen
werden, sondern es können dieselbe die verschiedenen Affektionen
des Magens, des Darmtractes, der Leber, Niere, Milz etc. beein¬
flussen, sowie alle Arten von Störungen das Blutkreislaufes.
Ferner spielen, wie wir dies schon wissen, gewisse Erkrankungen
des Genitalapparates, besonders aber das Klimakterium, eine
grosse Rolle bei diesen Erkrankungen und schliesslich können
die Zungenklagen auch Vorboten wirklicher Erkrankungen sein,
sowie rein nervöse Erscheinungen, die wir alle hier besprechen
wollen. Nur nach Ausschluss aller dieser Möglichkeiten, die zu
Klagen über die Zunge führen können, kam ich zur Annahme
der im Titel dieser Krankheit angeführten Erkrankung, die zwar
sehr selten, aber doch vorzukommen scheint und per exelusionem
bei gleichzeitig vorhandener Affektion der Haut oder auch ohne
dieselbe, die plausibelste Erklärung der vorhandenen, oft qual-
\ ollen Erscheinungen geben kann.
Dies ist auch von therapeutischer Seite sehr wichtig, denn
bei fast allen oben angeführten Ursachen, wenn wir dieselben
herausfinden, können wir Heilung oder Liniierung der Zungen¬
symptome erreichen, und nur dieser Form, wie wir später
6ehen werden, stellen wir bisher rathlos gegenüber.
Bei keiner Erkrankung unseres Spezialfaches tritt die ge¬
rechte Forderung an den Spezialisten mehr zu Tage als bei diesen
mit unsichtbaren Veränderungen einhergehenden Zungenklagen,
dass derselbe in erster Reihe den Gesammtorganismus unter¬
suchen muss, und an alle diejenigen Ursachen, nahe und ent¬
fernte, denken muss, die hier eine Rolle spielen können. Wie
wichtig aber die Besprechung aller dieser Ursachen für den
praktischen Arzt sein kann, sollen die folgenden Erfahrungen
lehren.
Wenn wir nach der genauesten Besichtigung an der Zunge
selbst keine Veränderung sehen, so ist bei Zungenklagen die
Ursache in erster Reihe in der nächsten Nähe derselben zu
suchen. Vorerst ist immer der Zungengrund mit dem
Spiegel zu untersuchen, denn wir wissen ja, dass die Schwellung
der Zungentonsille, Geschwüre, Fissuren, Verdickungen etc. der¬
selben zu den verschiedensten Klagen Anlass geben können, die
alle bis zur Zungenspitze reichen können. Die Behandlung ist
je nach dem Befunde eine lokale und ist deren nähere Beschrei¬
bung hier überflüssig. Die Zungenklagen bei diesen Formen sind
oft bedeutend; müssen aber nach erfolgreicher Behandlung der
Ursache sogleich schwinden, denn sonst ist die Ursache eben
eine andere. Anders verhält es sich aber mit den V a r i c e n
am Zungengrunde. Diese sind eine häufige Ursache, dass Pa¬
tienten über Gedunsensein, Brennen, erschwerte Beweglichkeit
der Zunge klagen.
Die englischen, amerikanischen Specialisten haben vor
einigen Jahren diese erweiterten Venen des Zungengrundes bei
den geringsten Klagen sehr häufig galvanokaustisch gebrannt.
Die momentanen Erfolge waren sehr gute, aber anhaltend waren
dieselben nicht. Dies liegt ja in der Natur der Sache, denn diese
erweiterten Gefiisse sind ja keine Erkrankungen für sich, son¬
dern sind bloss sichtbare Zeichen irgend einer Stauung. Hier
will ich nochmals erwähnen, dass der Specialist nicht versäumen
darf, bei allen diesen Fällen den Patienten genau zu untersuchen,
denn wenn er einen solchen fast ganz blauen Zungengrund sieht,
und dann genau untersucht und den Grund der Stauung, der
im Darm, Leber, Kreislauf etc. seine Erklärung haben kann,
feststellt, und gegen das ursächliche Leiden seine Verordnungen
richtet, so kann ich fest behaupten, dass er viel mehr Erfolge
verzeichnen wird, als durch das Brennen allein. Auch sind die¬
jenigen Stauungen, die mit diesen sichtbaren Venenerweite¬
rungen einhergehen, viel leichter zu eruiren, als diejenigen, bei
denen dies nicht der Fall ist, und kann man in jedem solchen
Falle dem Zufall danken, dass er Einem einen so wichtigen
Fingerzeig gegeben hat.
Eine ebenfalls häufige Ursache der Zungenklagen bilden die
schlechten Zähne, wundes Zahnfleisch und schlecht an¬
liegende Gebisse. Oft ist eine spitze Zahnkante, die eine
nicht wahrnehmbare Erosion der Zunge verursachte, die Er¬
klärung für so manche Zungenklagen, und die Abschleifung
dieser scharfen Ecke genügt., alle Beschwerden aufzuheben. Aber
auch sonst schlechte Zähne, Fisteln, Zahnstein können die Ur¬
sache von Zungenklagen abgeben, wesshalb deren Entfernung
oder Heilung vorgenommen werden muss. Ich fand in einigen
Fällen auch, dass die Gebisse die Ursache der Zungenklagen
waren, sei es, dass das verwendete Material nicht gut war, oder
dass das Gebiss nicht gut sitzt und Decubitus entstand, oder
auch zu locker war, und dass sich übelriechendes Sekret darunter
ansammelte. Auch fand ich bei zwei alten Frauen, die keine
Zähne hatten und denen ein tadelloses Gebiss gemacht wurde,
dass die Beschwerden sich dennoch wiederholten, wenn auch in
geringerem Maasse. Bei diesen war es auffallend, dass die
Kieferränder sehr atrophisch waren, möglich dass dieser Umstand
! auch eine Rolle spielt.
Wenn ich die Ursachen der in der Umgebung der Zunge
j bestehenden Veränderungen mit denjenigen vergleiche, die in den
! entfernter gelegenen Organen begründet sind, so muss ich nach
I meinen Erfahrungen angeben, dass die letzteren die weitaus
! häufigeren sind.
Die verschiedensten Magen- und Dar merkrau
| k u n g e n geben zu den .verschiedensten Zungenklagen Anlas.'.
! Brennen, Stechen. Schwere, Schmerzen, Jucken, Beissen, Wund¬
sein, körniges Gefühl mit. oder ohne bitteren, pappigen Mund-
gesehmaok. Wenn mit den betreffenden Erkrankungen ausser¬
dem ein Belag auf der Zunge sichtbar ist, sei er weiss, gelblich,
schwärzlich u. s. w., so ist damit selbst für den Laien der Zu-
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MUENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1523
sammcnhang klar, ist kein Belag vorhanden, dann ist die Er¬
forschung der Ursache schwerer und ist nach anderen Sym¬
ptomen zu suchen.
Die chronische Obstipation ist von allen diesen Ur¬
sachen die häufigste, die zu Zungenklagen führt, und die Karls¬
bader und Marienbader Trinkkuren leisten hier grosse Dienste.
Dasselbe gilt auch von allen Fällen, die, wie schon erwähnt, als
Störungen des Kreislaufes aufgefasst werden müssen,
wenn auch keine Stauungserscheinungen am Zungengrunde vor¬
handen sind. Die Störungen können in den grossen Gefässen,
im Herzen, im Darm, in der Leber, Niere, Milz gefunden werden,
und muss das Grundleiden in erster Linie behandelt werden, denn
ohne diese eruirt zu haben, die Zunge zu pinseln, oder Gurgel-
und Mundwasser zu verordnen, kann nicht genug gerügt werden.
Wenn ich hier erwähne, dass ich in einem Falle von Oedem
der Uvula und der Gaumenbögen neben Zungenbeschwerden die
Diagnose auf Morb. Brightii stellen konnte, so will ich auch
auf diesen Zusammenhang aufmerksam machen. Ferner muss
ich einen sehr seltenen Fall erwähnen, den ich mit anderen ähn¬
lichen noch anderweitig veröffentlichen werde, dass ich aus dem
Trockenheitsgefühle der Zunge und des Mundes bei einem älteren
Herrn den Verdacht aussprach, dass hier Diabetes vorhanden
sein könne, was die Harnuntersuchung nachträglich zur grossen
Verwunderung des Patienten und des Hausarztes glänzend be¬
stätigte.
Eine eigene Gruppe bilden die Zungenklagen bei Frauen,
die im Klimakterium sich befinden. Ich habe schon vor
Jahren 1 ) darauf aufmerksam gemacht, dass der trockene Katarrh
des Rachens eine sehr häufige Begleiterscheinung des Klimak¬
teriums ist. Neben diesen Katarrhen klagen die Betreffenden
sehr über Trockenheit, Brennen, Beissen in der Zunge. Ueber
grössere Schmerzen wurde in den vielen Fällen, die ich be¬
obachtete, nicht geklagt, auch waren die Klagen hauptsächlich
im Rachen lokalisirt und nebenbei auch in der Zunge, doch
kamen vereinzelt Fälle vor, in welchen nur die Trockenheit der
Zunge die Patienten zu mir führte. Aehnliclie Beschwerden
kommen auch bei anderen Menstruationsanomalien
vor, ebenso ausnahmsweise auch bei Schwangeren, doch fehlt bei
diesen in der Regel der trockene Katarrh und die Zungenklagen
sind mehr nervöser Natur, ebenso wie bei einer Anzahl von
Uterinleiden. Diese Formen können ebenso wie die bei
ähnlichen Erscheinungen im Rachen und Kehlkopfe als reflek¬
torisch gedeutet werden.
Die Therapie in allen diesen Fällen ist die Behandlung des
Grundleidens, die Zungcnklagen schwinden schon rasch nach der
Besserung des Grundlcidens.
Eine reine Neuralgie der Zunge scheint sehr selten
vorzukommen, ich kann mich nicht erinnern, einen solchen Fall
beobachtet zu haben. Paraesthesien und Hyper-
aesthesien bei hysterischen Frauen kommen häufiger vor,
aber sind meistens mit anderen Symptomen verbunden, so mit
Paraesthesien des Rachens, des Kehlkopfes, Globus, Fremdkörper-
gofühlen etc.; selbst die Neurastheniker, die doch allerlei
Beschwerden haben, klagen nicht über isolirte Zungenbcschwer-
den, sondern nur so nebenbei. Bei schweren Fällen von Glossitis
nervosa bei Frauen hat sich doch nachträglich als Ursache ein
Frauenleiden entpuppt, so dass ich, wenn ich von den bisher
erwähnten Ursachen keine als Anhaltspunkt erklären kann,
die betreffenden Patientinnen doch gynäkologisch untersuchen
lasse, wenn sie auch ein Frauenleiden zu haben negiren. Bei
allen diesen Formen sind die Klagen über die Zunge oft sehr ver¬
schieden, lästig, schmerzhaft, aber nie so quälend, wie bei den
Fällen von Pruritus.
Auch bei Männern kommen Zungenklagen nervöser Natur
vor, doch pflegen dann gewöhnlich schwerere Erkrankungen des
Nervensystems vorzuliegen. Ursachen, wie Gebisse, Caries der
Zähne, Venen des Zungengrundes, Stauungserscheinungen be¬
treffen Männer ebenso wie Frauen. Ich habe Männer beobachtet,
die über Schmerzen in der Zunge klagten, ja die Berührung der¬
selben war so schmerzhaft, dass die Betreffenden aufschrien, und
diese Fälle waren mir gleich sehr verdächtig. Ich erinnere mich
bei 3 Fällen theilweise auch wegen anderer Erscheinungen, thoil-
weise wegen des unsicheren Ganges auf Tabes dorsalis
Verdacht gleich gehabt zu haben. Die Diagnose hat sich in
allen 3 Fällen bestätigt; in einem Falle waren nach Jodkali-
*) Deutsche meü. Wochenschr. 1892, No. 9.
No. 89.
gebrauch nach 9 Tagen die Schmerzen schon fast geschwunden.
Ferner habe ich die Erfahrung gemacht, dass Männer, die über
Zungenschmerzen, Schwere, Brennen in derselben klagen, wenn
dabei Ptyalismus vorhanden ist, sehr verdächtig sind, beginnende
Paralyse zu haben. Im Laufe der Jahre, als ich solche Pa¬
tienten dem Specialisten zusandte, konnte er im Beginne nichts
Verdächtiges finden, nach circa 2 Monaten dagegen bestätigte er
meinen Verdacht..
Bei Erkrankungen, die mit Atrophie der Zunge ein-
hergelnm, wird natürlich auch über Zungenbeschwerden geklagt,
so hauptsächlich bei der Duchenu e’schen Paralysis
glosso-lnbio-lary ngca.
Schliesslich muss ich erwähnen, dass ich Fälle von Zungen¬
klagen beobachtete, die einige Zeit nicht zu erklären waren, die
immer Zunahmen und bei denen es sich endlich herausstellte,
dass sie die Vorboten einer Zungenerkrankung waren. Die
Erfahrung lehrte mich, diejenigen Patienten mit Zungenklagen,
bei denen keine sichtbare Veränderung desOrgans vorhanden war,
bei denen keine der besprochenen Ursachen angenommen werden
konnten, wenn dieselben immer wieder klagten und hauptsäch¬
lich, wenn die Beschwerden Zunahmen, besonders zu beobachten
und keine leichtfertige Diagnose zu stellen. Ich sah solche Fälle,
bei denen schon nach wenigen Tagen herpetiforme Erup¬
tionen auf der Zunge und auch an anderen Stellen, so am
Gaumen, in der Wange, Epiglottis etc. auf traten.
In einem Falle wurde über Schmerzen, die täglich Zu¬
nahmen, Schwere und Brennen geklagt, bis endlich nach 8 Tagen
eine exfoliativo Entzündung der Zunge auftrat, die ich mir
ebensowenig erklären konnte, als die anfänglichen Schmerzen,
und die ich ebenso ohne Erfolg behandelte, als die Schmerzen.
Nur als alle Mittel mich im Stiche Hessen, Patientin sehr ab¬
magerte, die Schmerzen Zunahmen, die Erkrankung der Zunge
sich ausbreitete, entdeckten wir Blasen in den Schenkelbeugen
und konnten die Diagnose auf Pemphigus stellen, an
welchem Leiden Patientin auch bald darauf starb.
Bevor ich diese Vorbotenraöglichkeiten abschliesse, muss ich
endlich einen Fall erwähnen, der vom Beginne an sehr ver¬
dächtig war, denn die Berührung einer Stelle der Zunge war
schmerzhaft, die der anderen dagegen nicht. Die Zungenklagen
dauerten, als ich Patientin sah, schon 2 Tage. Den anderen Tag
konnte ich schon an der schmerzhaften Stelle eine Verdickung
palpiren und am folgenden Tag den Zungenabscess eröffnen.
Nachdem ich glaube, so ziemlich alle Ursachen, die zu
Zungenklagen, die ohne sichtbare Veränderungen der Zunge ein¬
hergehen, erschöpft zu haben, komme ich zur Besprechung der¬
jenigen Fälle, die mich zur Annahme der im Titel erwähnten
Diagnose brachten. Wenn ich hier erwähne, dass ich in den
letzten 3 Jahren auf der hiesigen Poliklinik von jährlich bei
3000 Ambulanten 2 solche Fälle beobachtete, so will ich damit
die grosse Seltenheit dieser Fälle hervorheben. Allerdings habe
ich nur in den letzten Jahren das Princip verfolgt, solche
Zungenklagcn, bei denen keine Ursache gefunden werden konnte,
wenn die Betreffenden sich immer wieder melden, nicht abzu¬
weisen, sondern sehr aufmerksam zu verfolgen; möglich, dass
mir dadurch früher solche Fälle entgangen sind, denn die
quälenden Symptome der Kranken zwingen dieselben dann,
anderweitig Hilfe zu suchen.
Beide Fälle betrafen alte Frauen, die keine Zähne mehr
hatten, bei denen ich für die Zungenklagen keine Ursache finden
konnte. Im ersten Falle, der mir dunkel blieb, und den ich nur
nach der Analogie des zweiten Falles dazu rechne. hal>e ich auch
in der Therapie alle« Ueblichc erschöpft. Jodkali, Mundwässer,
Coeainpinsclungcn, Massage mit. Perubalsain (was mir hei Papil-
litis der Zunge gute Dienste leistete), Faradisation und Galvani¬
sation waren ohne Erfolg. Ich konnte mir diese nervöse Hyper-
aesthesie nicht erklären. Es waren keine grossen Schmerzen vor¬
handen, sondern nur ein quälendes Jucken und Brennen der
Zunge. Nachdem Patientin längere Zeit ohne Erfolg auf die
Poliklinik kam, verlor ich sie aus-dem Auge.
Bei dem bald darauf beobachteten zweiten Falle war ich vor¬
sichtiger und glaube ich durch diesen genau beobachteten Ver¬
lauf zur Annahme berechtigt zu sein, dass eine dem Pruritus
senilis der Haut ähnliche Erscheinung auch auf der Zunge
Vorkommen kann, da bei dieser Frau im Verlaufe der Hc-
obaehtung der analoge Zustand auch auf der Haut auftrat. Die
68 jährige, noch sehr rüstige Frau klagte über leichte Schmerzen
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
in der Zunge, über Brennen und Jucken derselben. Nachdem
ich die Patientin genau untersuchen liess, da sie täglich auf die
Klinik kam, und keines der angewandten Mittel eine Linderung
erzielte, und keine der besprochenen Ursachen mit den Zungen¬
klagen in Einklang gebracht werden konnte, musste ich auch
diesen Fall für eine eigenthüniliche Neurose der Zunge erklären.
Das Jucken der Zunge wurde immer stärker, Patientin, die mit
erhobenen Armen täglich um Linderung bat, sagte, dass die
Schmerzen nicht so gross wären, aber das Jucken sei so qual¬
voll, dass sie die Zunge am liebsten herausrcissen würde.
Patientin hatte keine Zähne, das Gebiss, das ich zu tragen verbot,
hatte keine Ursache abgegeben, denn die Beschwerden nahmen
dennoch zu. Alle früheren Mittel, selbst Orthoform wurde ver¬
sucht, ohne die geringste Linderung zu erzielen, selbst vom
Schlafe erwacht sie wegen des Juckens. Endlich sehe ich nach
mehreren Tagen, dass Patientin sich die Unterschenkel zu reiben
anfängt, und als ich dieselben ansehe, sehe ich an denselben
Kratzeffekte. Patientin erzählt nun, dass seit gestern das fürch¬
terliche Jucken auch auf den Unterschenkeln aufgetreten ist.
Später trat das Jucken auch an anderen Stellen auf, jedoch traten
langsam die Symptome an der Zunge in den Hintergrund.
Wenn ich nach dem geschilderten Fall annehme, dass ein
dem Pruritus senilis der Haut analoger Zustand auch auf der
Zunge vorzukommen scheint, so glaube ich, dass diese Annahme
gerechtfertigt ist. Leider sind wir dadurch weder dem Wesen
der Krankheit niihergerückt, aber noch mehr zu bedauern ist es,
dass wir in einem solchen Falle ganz hilflos den qualvollen Er¬
scheinungen gegenüberstehen, denn keines unserer Mittel, keine
der üblichen Behandlungsweisen hatte irgend welchen Erfolg,
wie dies ja auch bei der entsprechenden Hautaffektion der Fall
ist. Ich muss aber aus Vorsicht noch hinzufügen, dass man
ja nicht so rasch die Diagnose auf Pruritus senilis der Zunge
machen darf, sondern nur nach längerer Beobachtung, nach Aus¬
schluss aller anderen Ursachen und mit Gewissheit nur dann,
wenn sich vor- oder nachher der analoge Zustand auch auf der
Haut zeigt.
Zwei Fälle von tödtlicher innerer Lysolvergiftung mit
Betrachtungen über Lysolwirkung.
Von Dr. Georg Burgl, kgl. Landgericht6arzt in Nürnberg.
Da die bisher bekannt gewordenen Fälle von Lysolvergiftung
nicht sehr zahlreich sind und es noch immer wünschenswerth er¬
scheint, unsere Kenntnisse in dieser Richtung zu erweitern, so
halte ich mich für berechtigt, zwei neue hiclicr gehörige Fälle
hiemit zu veröffentlichen. Dieselben stammen nicht aus meiner
Praxis, sondern sind mir lediglich desshalb zugänglich geworden,
weil sie beide ein gerichtliches Nachspiel hatten. In dem einen
Falle habe ich die gerichtliche Sektion vorgenommen, während
der zweite Fall noch aus der Amtstätigkeit meines Vorgängers
stammt. In der beigegebenen Tabelle sind diese 2 Fälle unter
No. 12 und 13 eingereiht
I. Fall. Von der Wärterin einer Wöchnerin wurde einem
5 Tage alten Knaben aus Versehen statt eines Kaffeelöffels voll
Rhabarbersiiftehen (Sirup. Rliei) ein Kaffeelöffel voll unverdünnten
Lysols eingegebeu. Der Arzt hatte nämlich Lysol für die Wöch¬
nerin zur Ausspülung des Unterleibes verordnet, während die
Hebamme ohne Wissen des Arztes für das Kind hatte Rhabarber-
säftehen holen lassen. Beide Medikamente standen in einem ver¬
dunkelten Zimmer auf dem gleichen Tischchen. Das Kind blieb
zunächst ruhig, der Irrthum wurde aber bald bemerkt, als die
Mutter das Kind küsste und sich durch diesen Kuss den Mund
verbrannte. Der nach etwa >4 Stunden eingetroffene Arzt fand
das Kind stark röchelnd und die Unterlippe und das Kinn stark
verützt und geschwollen. In der Mundhöhle fand er sehr viel
Schleim vor, konnte Jedoch im Rachen nichts Auffallendes ent¬
decken, da er wegen des vielen Schleimes nicht genau beobachten
konnte. Er verordnete lediglich, dass dem Kinde Milch oingeflösst
wurde, was ohnehin schon geschehen war und entfernte den
Schleim mit In etwas Wasser eingetauchter Watte. Er besuchte
das Kind noch zweimal, welches Abends 9>/ 2 Uhr verstarb. Das
Medikament hatte es um 7 Uhr Früh bekommen.
Zwei Tage darauf nahm ich die gerichtliche Sektion vor. Bei
/ derselben fanden sich starke Verätzungen an allen Theilen, welche
mit dem Gifte in direkte Berührung gekommen waren, so an den
Lippen, den Mundwinkeln, der äusseren Haut bis zum Kinn, der
Zunge, dem weichen Gaumen, dem Schlundkopfe, Kehldeckel und
Speiseröhre. Ziffer 6 des Sektionsprotokolles sagt: Sowohl Ober¬
ais Unterlippe üudet man verützt und erscheinen dieselben dadurch
weissgrau, während man unter der Unterlippe an der äusseren
Haut braungelbe, vertrocknete Streifen findet, welche von den
Mundwinkeln nach abwärts ziehen. Die verätzten Stellen sind
4 cm lang und 2 cm breit und reichen bis zum Kinn. Die Zunge
Ist in ihrer ganzen Länge veriltzt und mit einem schmierigen, hell¬
gelben, in Fetzchen leicht löslichem Schorfe bedeckt. Die gleiche
Verätzung findet sich am ganzen weichen Gaumen, dem Schlund¬
kopfe und dem Hnlsthcile der Speiseröhre. Auch über den ganzen
Brusttheil der Speiseröhre erstreckt sich dieVerätzung der Schleim¬
haut. Dieselbe löst sieh in zahlreichen, gelben Fetzchen los und
selbst die Muskulatur ist noch ein wenig von der Verätzung er¬
griffen. Am Kehldeckel ist ebenfalls noch ein kleiner Theil der
Schleimhaut mit einem gelben Schorfe bedeckt, während Kehlkopf
und Luftröhre nichts Abnormes zeigen. (Ziffer 34.)
Der Inhalt des Magens reagirt schwach sauer und besteht
aus etwa 10 g einer schleimig blutigen, graurothen Flüssigkeit von
dicklicher Beschaffenheit. Am äusseren Ueberzuge des Magens
fällt die starke Füllung der Gefässe auf und erscheint derselbe
hiedurch röthlich gefärbt. Ebenso zeigt sich die Schleimhaut des
Magens stark hyperacmisch und sind dieGefässe bis ln die kleinsten
Stiimmehen gefüllt. An der Oberfläche der Schleimhaut, welche
ihren vollen Zusammenhang besitzt, finden sich weder Abschürf¬
ungen noch Geschwüre, auch ist die Schleimhaut weder gewulstet,
noch gelockert, noch mit Blutaustritten versehen. Der Zwölffinger¬
darm zeigt ebenfalls deutliche Hyperaemie seiner Schleimhaut.
(Ziffer 18.) — Die Blase enthält etwa 10 g einer schwarzbraun-
rothen, blutuntermischten, dünnen Flüssigkeit (Ziffer 20.) — ln
beiden Lappen der linken Lunge findet sich eiterige Bronchitis,
ebenso in den 3 Lappen der rechten Lunge. (Ziffer 31.) An den
Nieren findet sieh makroskopisch nichts Auffallendes. So sagt
Ziffer 32: Die rechte Niere ist deutlich gelappt, von hellbraunrother
Farbe. Auf dem Durchschnitte erscheinen die Pyramiden gelb,
die Rindensubstanz dagegen braunroth gefärbt. Ebenso die linke
Niere. — In beiden Seltenventrikeln des Gehirns und in der
4. Gehirnknmmer zeigt sich etwas blutig-wässerige Flüssigkeit,
ausserdem ein ziemlich bedeutender Blutgehalt des Gehirns.
(Ziffer 37.) Bemerkt wird zum vorstehenden Falle, dass die Bron¬
chitis als Lysolwirkung aufgefasst werden muss, da vor dem Ein-
Einflössen des Lysols keinerlei derartige Erscheinungen vorhanden
waren, das Kind sich bester Gesundheit erfreute und die Rhabarber-
medlcin lediglich zur Beförderung des Stuhlganges des Kindes
gereicht werden sollte. — Eine Untersuchung des Urins konnte
nicht statt finden, da derselbe zum Zwecke der eventuellen Ueber-
sendung an das Medieinalcomitö zu Gerichtshanden genommen
wurde. — In Betreff der Behandlung ist zu erwähnen, dass eine
Magenausspülung von dem behandelnden Arzte wohl wegen des
zarten Alters des Kindes nicht vorgenommen wurde.
II. F a 11. Das 8 Jahre 4 Monate alte Mädchen eines Arztes
in H., welches nach Angabe des behandelnden Arztes (seines
Vaters) nn leichter Angina und Laryngitis litt, erhielt durch die
Unachtsamkeit seiner Mutter statt eines Löffels eines für ihn be¬
stimmten Ipeeacuanhainfus einen Theelöffel voll reinen Lysols,
welches zum Verbinden der Wunde einer erwachsenen Person be¬
stimmt und von dem Dienstmädchen aus Versehen gleichzeitig
mit dem Ipeeacuanhainfus auf den Tisch des Krankenzimmers
gestellt worden war. Das Kind bekam sofort Brechreiz. Man
gab Ihm Wasser zu trinken und Eis zxi schlucken, hierauf ein
paar Löffel eines Brechmittels (Brechweinstein), welches ohnehin
wegen des vielen Schleimes des Kindes vorräthig war, es trat aber
kein Erbrechen ein. Das Kind sank bald in’s Bett zurück und
verdrehte unter beständigem starken Luftziehen die Augen. Man
schickte nach dem Vater des Mädchens, der über Land gegangen
war. und da dieser nicht zu erreichen war, um den anderen Arzt
des Ortes, welcher ebenfalls sich über Land befand, aber nach
etwa % Stunde eintraf. Derselbe fand das Kind bewusstlos nnd
regungslos, von livlder Gesichtsfarbe und mit Trismus behaftet
(Zeichen von Phenol Vergiftung). Er machte den Versuch, den
Magen nuszuspülen. Das Kind wurde auf den Schooss der Mutter
gesetzt, mit einem Holzkelle der Mund des Kindes geöffnet, mit
Zeige- und Mittelfinger der linken Hand die Zunge niedergedrückt
und mit der rechten Hand die Sonde eingeführt. Dieselbe glitt
widerstandslos in den Magen und war etwa 30 cm tief eingesetzt,
worauf sofort Erbrechen erfolgte und eine weisse Masse entleert
wurde. Nach dem Erbrechen wurde die Schlundsonde entfernt
das Kind blieb bewusstlos und regungslos wie vorher, wurde noch
mehr blau und Hess den Kopf sinken. In diesem Augenblicke kam
der Vater des Kindes zurück. Es wurden noch Kamphereinspritz¬
ungen und künstliche Atlnnung gemacht, doch das Kind starb
nach etwa 2 Minuten.
Von einer gerichtlichen Sektion wurde Umgang genommen,
da der Vater des Kindes erklärt hatte, dieselbe sei nicht nöthig.
weil die Todesursache (Lysolvergiftung) ausser allem Zweifel stehe
und auch der andere Arzt den Eindruck gewonnen hatte, dass
Lysolvergiftung vorliege. Merkwürdiger Weise wurde damals der
Gericht8nrzt nicht um seine Meinung befragt sondern erst, nach¬
dem das Kind längst beerdigt war, als die Mutter des Kindes —
wohl zu ihrer Entlastung — behauptete, ihr Kind sei in Folge
der Einführung der Schlundsonde gestorben, Indem der beigezogene
Arzt die Sehlundsonde statt In die Speiseröhre ln den Kehlkopf
und ln die Luftröhre gebracht und es so erstickt hätte. In dem
nunmehr eingeholten gerichtsärztlichen Gutachten wurde ausge¬
führt, dass von einer fehlerhaften Einführung der Schlundsonde
bei dem als tüchtigen Chirurgen bekannten Kollegen keine Rede
sein könne und dies schon aus dem Grunde ausgeschlossen sei.
weil das Instrument, wenn es ln Kehlkopf und Luftröhre gebracht
worden wäre, ln einer Länge von 10—12 cm auf den heftigsten
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24. September 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1625
Widerstand gestossen wäre, nicht aber 30 cm tief hätte eingeführt
werden können; ferner, weil mit der Entfernung der Schlundsonde
die Athmung sich sofort hätte wieder einstelleu müssen. Es wurde
ferner darauf hingewiesen, dass das Kind möglicher Welse kränker
war als von seinem Vater angenommen wurde und vielleicht gar
an einer croupösen Erkrankung gelitten habe; dass es ausser des
Lysols, welches offenbar in hohem Grade verschlimmernd auf das
Befinden des Kindes eingewirkt habe, auch Brechw r einstein bekam,
welcher ebenfalls kollabirend wirke, dass möglicher Weise bei dem
stark benommenen Kinde, als es nach Einführung der Schlund¬
sonde erbrach, ein Thell der erbrochenen Masse in den Kehlkopf
gelangte und dadurch Erstickung herbeigeführt wurde. Auf dieses
Gutachten hin wurden sämmtllche Angeklagte (Mutter und Vater
des Kindes und der beigezogene Arzt) freigesprochen.
Für mich kann es nicht zweifelhaft sein, dass hier Lysol¬
vergiftung vorliegt, da ja der Vater und zugleich behandelnde
Arzt des Kindes aus freiem Antriebe erklärt hatte, dass die
Todesursache (Lysolvergiftung) über jeden Zweifel erhaben sei
und auf diese Erklärung hin von der gerichtlichen Sektion Ab¬
stand genommen wurde, da auch der andere Arzt diese Ansicht
theilte, da der behandelnde Arzt die Krankheit nur als leichte
Rachen- und Kehlkopfentzündung bezeichnet«, was er doch zu
seiner eigenen Belastung kaum gethan hätte, wenn er an die
Möglichkeit eines croupösen Processes gedacht hätte, da endlich
sofort nach Einnehmen des Lysols das Krankheitshild in gefähr¬
lichster Weise sich veränderte und die dabei aufgetretenen Sym- I
ptome (Cyanose, Störung der Athmung und Herzthätigkeit und
Bewusstlosigkeit) ganz dem Bilde der akuten Lysolvergiftung
entsprechen. Ich halte mich desshalb für berechtigt, diesen
Fall den Fällen von tödtlicher Lysolvergiftung anzureiheu. —
Dass ein verhältnissmässig geringes Quantum Lysol hier im
Stande war, den Tod herbeizuführen, dürfte sich wohl daraus
erklären, dass das Kind zart und öfter krank war, dass es zwei
Tage nichts gegessen hatte und überdies der Magen durch ein
Tags zuvor gereichtes Laxans entleert war, endlich, dass es eine
zweitägige fieberhafte Krankheit geschwächt hatte.
Das Lysol ist bekanntlich eine Auflösung von 1 Theil Stcin-
kohlcntheerkresol in 1 Theil Leinölkaliseife und bildet eine klare,
braune, ölartige Flüssigkeit von kreosotähnlichem Gerüche. Die
Giftigkeit beziehungsweise ätzende Wirkung des Lysols wird
durch die Eigenschaften seiner Bestandtheile bedingt. In dieser
Hinsicht kommt nur das Kresol in Betracht, denn der Seifen¬
lösung können weder ätzende noch giftige Eigenschaften beige-
niessen werden. Das Kresol ist das nächste Homologe des
Phenols, der Karbolsäure, also Methylphenol. Es wirkt stärker
antiseptisch, dagegen weniger giftig als jene. Durch Ver¬
mengung mit der Leinölkaliseife werden nun in Folge der Ver¬
dünnung die ätzenden Eigenschaften des Kresols noch weiter
herabgemindert, während seine antiseptische Wirkung dadurch
eher eine günstige als eine ungünstige Beeinflussung erfährt;
denn wegen der leichten Netzharkeit der zu desinfizirendeu Ob¬
jekte mit einer Seifenlösung werden diese inniger mit Kresol
in Berührung gebracht, als bei irgend einer anderen Ver¬
wendungsform derselben. Wenn nun aber auch dem Kresol und
noch mehr dem Lysol gegenüber dem Phenol ätzende und sonstige
schädliche Wirkungen nur in abgeschwächtem Grade zukommen,
so sind doch dieselben beim Lysol keinesfalls derartig gering,
dass man von Ungiftigkeit oder Harmlosigkeit desselben sprechen
kann. Der Streit, ob Lysol giftig oder ungiftig sei, ist auch
schon desshalb ein müssiger, weil jedes Antisepticum in einer
gewissen Konzentration und Menge giftige Wirkungen entfaltet
und cs ein ungiftiges nicht gibt und nicht geben kann. Ein
Mittel, welches die an Widerstandsfähigkeit in der belebten Welt
ihres Gleichen suchenden Dauerformen der Spaltpilze mit Sicher¬
heit tödtet und dabei in jeder Konzentration ohne schädliche
Wirkung für den menschlichen Organismus ist, wäre wohl das ;
Ideal eines Antisepticums, wird aber nie gefunden werden. Am j
nächsten kommt einem solchen Mittel dasjenige, welches die |
Mikroorganismen in einer für den menschlichen Organismus
unschädlichen Verdünnung tödtet oder unwirksam macht. Ein
solches Mittel ist zweifellos das Lysol. Es hat entschieden viel
mehr Vorzüge als Mängel und dürfte zur Zeit die grösste Ver¬
breitung als Antisepticum gemessen. Tausendfache Erfahrungen
sprechen dafür, dass eine 1 proc. Lösung zur Wundbehandlung
und eine Ms proc. zur Ausspülung von Körperhöhlen bei Erwach¬
senen und Kindern unter gewöhnlichen Verhältnissen keinerlei
schädliche Wirkungen entfaltet. Niemand wird bei dieser vor¬
sichtigen Anwendung schlimme Erfahrungen machen. Und da
es nach G e r 1 a c h und Schottelius an antibakterieller
Wirkung sowohl Karbolsäure als Kreolin übertrifft, genügen
auch diese starken Verdünnungen. Eine 0,3 proc. Lösung tödtet
in 20—30 Sekunden alle Mikroorganismen, die bei der Wund¬
behandlung in Frage kommen. In den Versuchen von Pohl
genügte ein Mj—% proc. Lysolgehalt, um eine Impfung mit
Bac. pyocyaneus, Strept. pyogenes und Bac. anthrac. unschädlich
zu machen, beziehungsweise auf frischem Nährboden gezüchtete
üppige Kulturen jener Mikroorganismen abzutödten. Nach
Hammer tödtet eine 0,3 proc. Lösung von Lysol die in Bouillon
befindlichen, sehr widerstandsfähigen Eitercoccen in 30 Minuten.
Milzbrandsporen wurden in 0,5 proc. Lysol in 8 Tagen getödtet,
während sie in Karbollösung um diese Zeit noch lebendig waren.
Bei einer Erhöhung der Temperatur auf 55° Cels. starben in
10 proc. Lösung die Sporen in 5 Stunden ab. In 0,2 proc. Lösung
waren Eitercoccen bei 60° in 3 Minuten vernichtet.
Durch die Hervorhebung der guten Eigenschaften dos
Lysols soll aber nicht gesagt sein, dass ihm allein aus der Reihe
der Theerabkömmlinge diese Eigenschaften zukommen. Es ist
vielmehr anzunehinen, dass an Hemmung von Bakterienwachs¬
thum und an fäulnisssistirender Kraft verschiedene Verwandte
des Lysols mit ihm ebenbürtig sind. Wie bei vielen Dingen in
der Welt spielt übrigens auch bei den Antisepticis die Mode
eine gewisse Rolle und während man früher auf Karbol schwur
und jetzt Lysol preist, wird in 5 oder 10 Jahren vielleicht auch
dieses wieder verdrängt sein.
Alle bisher beobachteten Lysolvergiftungen — ich konnte
16 aus der Literatur zusammeustellen und habe selbst 2 neue
hinzugefügt — wurden hervorgerufen durch unverdünntes,
konzentrirtes Lysol und zwar entweder durch Ver¬
schlucken desselben oder durch äussere Anwendung. Nur in
einem Falle (Grämer) trat der Tod ein nach Ausspülung des
Uterus mit 1500 ccm einer 1 proc. Spülflüssigkeit. Es ist dies
der bekannte Fall, welcher sieh in der Bonner Klinik ereignete
als nach Expression der Nachgeburt man die obengenannte
Menge Spülflüssigkeit in die Uterushöhle einlaufen liess. Da
aber bekannt ist, dass die Uterusirrigationen keineswegs ganz
harmlos sind, namentlich unmittelbar nach der Geburt, und
hier schon manche unangenehme Erfahrung gemacht wurde,
muss auch an die Möglichkeit gedacht werden, dass bei dem
tüdtliehen Ausgange dieses Falles andere Umstände mitgewirkt
haben. Ucbrigens lässt sich auch der Tod durch Lysolwirkung
erklären, da ja, wie wir sehen werden, das Lysol bei Kindern
und geschwächten Personen, zu welch’ letzteren eine eben Ent¬
bundene entschieden gehört, in verhältnissmässig viel kleinerer
Dosis, als man bisher angenommen hat, giftige Wirkung zu
entfalten vermag. Dass das unverdünnte Lysol bei äusserer An¬
wendung auf unversehrte Haut so schädlich wirken kann, wie
wir dies bei einigen der nachher aufzuführenden Fälle bemerken
werden, kann sich nur durch seine Aetzwirkung erklären, über
die wir uns weiter unten eingehend äussern wollen.
Um mir ein Bild über die Giftwirkung des Lysols entwerfen
zu können, habe ich die mir zugänglichen Fälle — 18 an der
Zahl — übersichtlich zusammengestellt. In der von mir ent¬
worfenen nachfolgenden Tabelle sind, soweit möglich, aufge¬
führt: Die Berichterstatter, das Alter des Patienten, die Menge
und Konzentration des Lysols, die Art der Anwendung, die Zeit
von der Anwendung des Mittels bis zur Giftwirkung, die ört¬
lichen und allgemeinen Erscheinungen, die Therapie, der Aus¬
gang der Vergiftung und ein allenfalls vorhandener Sektions¬
befund.
(Tabelle siehe nächste Seite.)
Von den 18 hier aufgeführten Fällen sind 13 Vergiftungen
herbeigeführt durch innerliche und 5 durch äusserliehe An¬
wendung des Mittels.
Von den 13 innerliehen Fällen sind genesen 7 und ge¬
storben 6.
Von den 5 iiusserlichcn Fällen genesen 2 und gestorben 3.
Es sind demnach unter 18 Vergiftungsfällen 9 genesen und
9 gestorben.
Unter den durch innere Vergiftung gestorbenen
6 Fällen befinden sieh 5 Kinder im Alter von 5 Tagen bis zu
8 Jahren 4 Monaten und eine erwachsene Person.
Die tödtliche Dosis bei den Kindern war 2 mal 1 Thcelöffel.
1 mal ein Kaffeelöffel und 1 mal ein Kinderlöffel voll, 1 mal
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Bisher veröffentlichte Fälle von Lysolvergiftung.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
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24. September 1901.
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(Fall von Haberda) unbekannt. Bei der erwachsenen Person
(Fa# er 1 und) betrug sie gegen 100 g. 4 mal erfolgte die
Vergiftung durch Verwechselung (statt Leberthran, Rhabarber-
syrup, Ipecacuanhainfus), 1 mal durch Mord (Haberda) und
1 mal durch Selbstmord (Fagerlund).
Bei den lödtlichen Vergiftungen durch äussere An¬
wendung trat der Tod 1 mal, und zwar bei dem L Falle von
Ro8sa dadurch ein, dass Lysol — in unbekannter Menge —
aus Versehen unverdünnt auf die Haut appli/irt wurde, 1 mal
dadurch, dass ein Umschlag auf die Brandwunde eines 10 Monat
alten Kindes in reines Lysol statt in Iproc. Lysollösung getaucht
wurde (Landau) und 1 mal durch Ausspülen der Uterushöhle
nach Expression der Nachgeburt mit 1500 een» einer 1 pro«;.
Spülflüssigkeit (Fall von Criimer, wie oben schon erwähnt).
2 von den Vergiftungsfällen durch äussere Anwendung
reinen Lysols genasen. Bei dem einen war Lysol (Menge ?) aus
Versehen äusserlich angewendet worden (2. Fall von Rossa)
und erfolgte baldige Heilung: bei dem anderen wurden 20 g
Lysol aus Versehen statt Kreolin bei einem an Scabies leidenden
Patienten aufgepinselt (R e i c h). Es trat Bewusstlosigkeit, so¬
wie stellenweise Ablösung der Oberhaut ein, welche durch ge¬
eignete Behandlung wieder zur Heilung kam.
Von den von uns hier aufgeführten Lysol Vergiftungen durch
innere Anwendung des Mittels (13) sind 7 genesen, darunter
5 Erwachsene und 2 Kinder, 4 und 1 Jahr alt. Die Dosen des
Lysol um purum bei letzteren waren 25 und 10 g und von «len
Erwachsenen 1 Theelöffel voll, 1 Schluck, 25 g in Kaffee, 60
und 10 g. Die Vergiftung erfolgte 6 mal durch Verwechselung,
darunter 1 mal statt Schnaps und 1 mal statt Rheuminfus; 1 mal
handelte es sich um einen Selbstmordversuch.
Die grösste Dosis, nach welcher Genesung eintrat, war 60 g
bei einer Erwachsenen (May) und 25 g bei einem 4jährigen
Kinde (Drews). Die kleinste Dosis, welche den Tod herbei¬
führte, war ein Theelöffel oder Kaffeelöffel voll, also 4—5 g
Lysolum purum bei Kindern von 5 Tagen bis zu 8 Jahren
4 Monaten (R a e d e, Haberd a, 2 Fälle von Burg 1).
Wenn wir die inneren Vergiftungen in Bezug auf ihren Aus¬
gang in’s Auge fassen, so fällt uns sofort auf, dass die Therapie
den grössten Einfluss hiebei hat, indem von den 7 Genesenen
5 mit Magenausspülung behandelt wurden. 2 von «len Genesenen
(Fall von Potjan und C o r n s t o o k) erreichten allerdings
ihre Genesung auch ohne Magemuisspülung; allein es handelte
sich in diesen beiden Fällen um verhältnissmässig leichtere Ver¬
giftungen, 1 Theelöffel und 114 Esslöffel voll, also bei knapper
Füllung etwa 4 g und 23,8 g. Von den in Folge innerer Ver¬
giftung mit konzentrirter Lysollösung gestorbenen Personen
(Fall von R a e d e, 2 Fälle von Haborda, Fall Fagerlund
und 1 Fall von Burgl) wurde bei 5 keine Magenspülung an¬
gewendet. In dem einen Falle (2. Fall von Burgl) wurde die¬
selbe zwar angewendet, aber nach Angabe des behandelnden
Arztes am moribunden Kinde. -Wir sehen hieraus, dass
die mit Magenspülung behandelten Patienten
fast sämmtlicli gerettet wurden, währen <1 die
der Magenspülung entbehrenden in wieder¬
holten Fällen zu Grunde gingen.
Da die Magenausspülung in verschiedenen Fällen noch nach
Stunden stark lysolhaltige Flüssigkeit zu Tage fördert, so geht
hieraus hervor, dass Lysol schwer resorbirbar ist und erklärt sich
aus dieser Eigenschaft in Zusammenhang mit der Magenspülung
die Erscheinung, dass in einzelnen Fällen grosse Dosen konzen¬
trirter Lysollösung den Tod nicht herbeigeführt und überhaupt
keine sehr schweren Erscheinungen verursacht haben. Dass
man hieraus auf die Ungiftigkeit und Ungefährlichkeit konzen¬
trirter Lysollösung nicht schliessen darf, geht schon daraus her¬
vor, dass Vergiftungen selbst mit den stärksten Giften, wenn
sie schwer in den Verdauungssäften löslich sind und aus dem
Magen noch rechtzeitig entfernt werden, nach Umständen ohne
schlimme Wirkung verlaufen können. So exist iren z. B. Fäll«',
dass Phosphor, in festen, grösseren Stücken «largereicht, wieder¬
holt keinen Schaden verursachte, wenn die Stücke nach einiger
Zeit wieder ausgebrochen wurden oder ohne viel Verlust mit dem
Stuhlgange abgingen (verschiedene Thierversuche von O r f i 1 a.
Bibra und T i 11 o i s, vid. Maschka: Vergiftungen, 1SS2.
S. 185). Auch von arseniger Säure liegen Genesungen vor nach
einem Genuss von einem Kaffeelöffel voll, ja selbst 2 Esslöffel
voll, ohne dass man desshalb wird behaupteu wollen, dass die
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1528 MUF.NGUENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 39.
arsenige Säure kein gefährliches Gift sei. Rum ho Id (lieber
akute Karbolintoxikation. Wien. med. Wochensehr. 1893) erzählt
einen Fall von einem Selbstmörder, der 120 g reine Karbolsäure
getrunken hatte und noch gerettet wurde.
Wenn man die Giftwirkung eines Stoffes fest setzen will,
darf man sieh nicht nach der grössten Dosis richten, welche in
einem oder in einigen wenigen Fällen unter besonders günstigen
Umständen ohne gefährliche Erscheinungen verlief, sondern
nach der kleinsten Dosis, welche in einem einzigen Falle einen
üblen Ausgang hervorrief, wobei selbstverständlich festgesetzt
worden muss, dass unmittelbar im Anschlüsse an die Einver¬
leibung des Giftes der bisher nicht lebensgefährliche Krankheits¬
zustand sich plötzlich in gefährlichster Weise unter den Sym¬
ptomen der betreffenden Vergiftung veränderte und eine andere
Ursache für die Verschlimmerung nicht aufgcfuiiden werden
kann. Ganz reine Fälle, d. h. solche, bei denen das Lysol auf
bisher vollständig gesunde Individuen einwirkte, werden die
Minderzahl bilden und können sieh nur auf Verwechslung be¬
ziehen, wenn z. B. Jemand einen Schluck Schnaps nehmen will
und statt dessen reines Lysol erwischt (Fall W i 1 m a n s), auf
Thierversuche oder in sehr seltenen Fällen auf Mord oder Selbst¬
mord (II aber da. May. Fagerlund). In der grösseren
Zahl der Fälle wird die Vergiftung Leute treffen, welche bereits
mit chirurgischen Leiden, Wochenbettsuiiomnli-n. sekundären
Eiterungen im Anschluss an Infektionskrankheiten etc. kürzere
oder längere Zeit behaftet und hiedurch mehr oder weniger ge¬
schwächt und in geringerem Grade widerstandsfähig geworden
sind. Und bei solchen reichen verhältnissmiissig kleine Dosen
hin. um die schwersten Erscheinungen herbeizuführen. So
traten in dem Falle von Kluge bei einer 34 jährigen, durch
vorübergegangenen Typhus geschwächten Frau nach einer Dosis
von 10 g die denkbar schwersten Erscheinungen (5—G ständige
Bewusstlosigkeit, allgemeine Krämpfe, beängstigende Herz¬
schwäche, Lungenoedem, schwere Verätzungen, Albuminurie
u. s. w.) auf und es ist nur der energischen Therapie (gründ¬
liche Magenspülung. Kampheroinspritzungen) zu danken, dass
der tüdtliehe Ausgang angewendet wurde. Tn dem von mir be¬
schriebenen 2. Falle trat bei einem 8 Jahre 4 Monate alten
zarten, aber nach Angabe seines behandelnden Arztes nicht
lebensgefährlich erkrankten Kinde der Tod nach Einnehmen
eines Theelöffel voll Lysnlum purum nach 1 ll> Stunden ein.
Wenn für ein Kind von 8 Vs Jahren 4.0—5,0 g Lysol um purum
bereits als tüdtliehe Dosis wirken können, so ergibt sieh, da man
für einen Erwachsenen gewöhnlich die doppelte bis 2'/.* fache
Dosis eines grösseren Kindes rechnet, 10,0—12.5 g Lysol uni
purum, also ungefähr ein Esslöffel voll als mögliche tüdtliehe
Dosis bei einem geschwächten Erwachsenen. Dieser scheinbar
willkürliche Schluss erhält eine grosse Stütze durch die kurz
vorher angeführte Thatsache, dass in dem Falle von Kluge
eine 35 jährige, durch vorübergegaugenen Typhus geschwächte
Frau faktisch durch den Genuss von 10 g in denkbar schwerster
Weise erkrankte und zweifellos ohne Magenspülung gestorben
wäre. Solchen Erfahrungen am Krankenbette gegenüber kann
den Resultaten von M aas, der aus Versuchen am Kaninchen
ableitete, dass für den erwachsenen Menschen eine Dosis von
100 g Lysol noch keinen tödtliehen Erfolg habe, kein Werth bei-
gclegt, werden und hat dies Schürmeyer ausführlich dar¬
gelegt (Deutsch. Arch. f. klin. Medio., 54 Bd., S. 79). Da übri¬
gens Maas das Giftverhiiltniss von Karbolsäure zu Lysol an¬
gibt wie 8:1 und die dosis letalis bei Karbolsäure bei Einführung
per os 10 g und bei Einführung in Körperhühlcn sogar schon
bei 1,0 g (nach K obe r t) liegt, müsste M a as wenigstens 80 g.
bezw. 8.0 g Lysol als tüdtliehe Dosis erkennen. Dali men,
welcher berechnet hat. dass für 1 kg Mensch die absolut tüdtliehe
Gabe Lysol 0.S3 g beträgt, kommt der praktischen Erfahrung
sehr viel näher. Denn, nehmen wir das durchschnittliche Ge¬
wicht eines Erwachsenen zu 70 kg, was aber entschieden zu hoch
ist. so hätten wir 70X0,83 = 58.1 g Lysol als ausgesprochene
tüdtliehe Gabe. Hammer gibt für Meerschweinchen 0.0 Kreso]
auf 1 kg als tüdtliehe Dosis an, wovon Lysol 47.4, also rund etwa
50 Pro«*, enthält. Auf das Gewicht eines erwachsenen Menschen
zu 70 kg berechnet, hätten wir als absolut tüdtliehe Dosis dem¬
nach 0,6X70 = 42 g Kresol oder 42 X2 = 84 g Lysol.
Wegen seiner hervorragenden antizymotisehen Wirkung bei
geringer Giftigkeit empfahl Maas die Anwendung des Lysols
bei innerlichen Krankheiten. Die interne Sterilisirung des
Darmkanales werde durch Verschwinden des Indicans aus dem
Urin in Folge seiner Anwendung dargethan. Weder der Stoff¬
wechsel, noch die Nieren oder Leber würden durch medikamen¬
töse Dosen des Lysols schädlich beeinflusst. M a a s empfahl das
Mittel wegen seiner desinficirenden und adstringirenden Eigen¬
schaften in erster Linie hei akuten und chronischen Magen- und
Dannkatarrhen, Dann tuberkulöse, Typhus, ferner bei Nieren¬
affektionen, Pyelonephritis. Van der Golz gab es als Anti-
pyretieum Kindern von 1,5 und 7 Jahren in Form einer Mischung
von 5 Theilen Lysol auf 10 Thcile Sherry, je 3, 5 und 10 Tropfen
täglich. Vopelius empfahl Lysol innerlich 3—10 Tropfen
in Milch gegen Diphtherie und prophylaktisch gegen dieselbe,
auch bei Scharlach, Masern, Diabetes und Morbus Brightii.
Aehnlieh N es e mann. Auch bei Dysenterie und Cholera
nostras soll es sich bewährt haben (Centralbl. f. klin. Med. 1893,
No. 21). Bei Carcinom soll es eine wunderbare Wirkung ent¬
falten und nahezu ein unfehlbares Mittel sein und wurde bis zu
10 g täglich gegeben (Aerztl. Praktiker 1892, No. 1). Auch als
Anthelminticuin 1. Ranges wurde es gepriesen (Th. Clemens.
Aerztl. Praktiker 1892, No. 10).
Die innere Anwendung des Lysols hat wohl hauptsächlich
unter dein Einflüsse der von Maas ausgehenden Reklame 1893
seine Blütheperiode erlebt, scheint aber bald wieder in Folge
allerlei übler Erfahrungen auf eine sehr bescheidene Rolle zu
rückgeführt worden zu sein. Es sehlicsst ja der abscheuliche Ge¬
schmack die innere Anwendung desselben schon fast ganz aus,
ferner ist die sogen, „innere Desinfektion“ praktisch nicht durch¬
zuführen. Jedenfalls war es in hohem Grade gewagt, auf Grund
von Laboratoriumsvcrsuchcn mit so grossen Dosen umher¬
zuwerfen, welche gerade bei geschwächten Personen, wie es die
Krebskranken gewöhnlich sind, leicht zu tödtliehen werden
konnten.
Wie schädlich das Lysol wirkt, wenn es in unverdünnter
Form auf die unversehrte ITaut aufgepinselt wird, schon wir au
dem Fall von Reich, bei dein 20 g, üusserlich auf die Haut
einer erwachsenen Person aufgetrngen, hinreiehte, um Bewusst¬
losigkeit herbeizuführen. Die Oberhaut sticss sich fetzen weise ab.
Die gleiche schädliche Wirkung entfaltete das reine Lysol,
ätisserlich angewendet, in den beiden Fällen von R o s s a. in
deren einem schwere Verätzungen und rascher Tod. in deren
anderem schwere Verätzungen. Bewusstlosigkeit und allgemeine
Krämpfe herbei geführt wurden. Wenn das konzentrirte Lysol
schon auf unversehrter Haut in gefährlichster Weise einwirkt.daif
cs uns nicht Wunder nehmen, dass es. auf eine Wunde gebracht,
in kürzester Zeit bei einem 10 Monate alten Kinde den Tod hrr-
beifiihrte. wie dies in einem von Landau berichteten Falle
zutraf. Hier wurde aus Versehen konzentrirtes Lysol statt einer
1 proc. Lösung applieirt und das Kind starb nach kaum zwei
Stunden.
Auf Schleimhäuten wirkt es ebenso ätzend. Pot j an und
W i 1 in a n s haben keine Aetzwirkungen wahrgenommen. Dabei
ist aber zu bemerken, dass die Wöchnerin Potjan’s trotz
Trinkens reichlicher Mengen Milch an Brennen im Halse litt,
was schon auf eine leichte Aetzwirkung hindeutet und dass der
Krankenträger W ilman s’ 5 Stunden lang auf seinen Schluck
Lysol bewusstlos war und hei so ungemein schweren Allgeinein-
erselieinungen leichtere Aetzwirkungen, welche doch in den
ersten Stunden die grössten Beschwerden verursachen, nicht
allzusehr in die Erscheinung treten dürften. In der weitaus
grössten Mehrzahl der von uns hier zusammengesteiltcn Fälle
von Lysolvergiftnngen finden wir Aetzwirkungen angegeben und
zwar 13 mal (Fall von Fried her g. R a c d o, Cornstook.
M a y, 2 Fälle von II a b e r <1 a, Fagerlund. Klug e, 1 Fall
von B u r g 1. 2 Fälle von R o s s a, Landau und Reich).
P o t j a n und W i 1 m a n s haben, wie schon erwähnt, keim*
Aetzwirkungen wahrgenommen. Der Fall von Crämer kommt
nicht in Betracht, da es sieh um kein konzentrirtes Lysol handelt
und in dem Fall von Drews und dem 2. Fall von Burgl
fehlen Angaben darüber. Die Aetzwirkungen des Lysols wurden
bisher beobachtet an allen mit dem Mittel in direkte Berührung
gekommenen Stellen, so am Kinn. Unterkiefergegend, Mund¬
winkel. Unterlippe. Lippen- und Wangensehleimhaut, Zunge,
hartem und weichem Gaumen, Tonsillen, Glottis und Kehlkopf.
Bronchien, Speiseröhre und Magen.
In Bezug auf den Grad der Verätzungen wird gesprochen
einfach von örtlichen Verätzungen, von deutlichen Verätzungs-
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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1529
24. September 1901.
marken, von starken Anätzungen, von gerötheten, durch An¬
ätzung entstandenen Stellen, von schweren Verätzungen, von im
höchsten Grade veränderten Stellen, von graubraunen Schorfen
als Aetzwirkungen u. s. w. In unserem ersten, zur Sektion ge¬
kommenen Falle blieben die Aetzwirkungen im Allgemeinen auf
die Schleimhaut beschränkt, nur im Brusttheile der Speiseröhre
betrafen sie stellenweise auch noch die Muskulatur. Die Farbe
der Schorfe wird von Kluge als braungrau bezeichnet, ln
unserem Falle waren sie an der äusseren Haut braungelb, an
Ober- und Unterlippe weissgrau, während die ganze Zunge mit
einem hellgelben, schmierigen, in Fetzehen leicht loslösbaren
Schorfe bedeckt war und ebensolche Farbe und Beschaffenheit
der Schorf an Gaumen, Schlundkopf, Kehldeckel und Halstheil
der Speiseröhre zeigte.
Bei den Thierversuchen von Maas zeigte sich, dass durch
reines Lysol die Gewebe vollständig abgetödtet und versehorft
und die Eiweisskörper zur Gerinnung gebracht wurden.
W T as die Allgemeinerscheinungen l>ei der Lysolvergiftung
betrifft, so fehlten dieselben bei den von uns zusammetigesteilten
18 Fällen nur 1 mal und zwar in dem leichten Falle von Pot-
j a n, in dem eine Wöchnerin nur 1 Theelöffel voll reines Lysol
genoss. In allen anderen Fällen sind Allgemeinerscheinungen
angegeben, oder wenigstens mit Sicherheit anzunehmen, da eine
Angabe nur bei 2 Fällen vermisst wird, welche zum Tode führten.
Diese Allgemeinerscheinungen bestehen (neben lokalen Aetzungs-
erseheinungen und Geruch nach Lysol) in Somnolenz, Cyanose
der Lippen, Kopf- und Leibsehmerzen, Erbrochen, Beschleuni¬
gung der Herzaktion und Erschwerung der Respiration, ln
schwereren Fällen, wenn nicht durch die Magenpumpe einge¬
griffen wird, treten schwerer Collaps mit rausohähnlichen De¬
lirien, tiefe Bewusstlosigkeit, vorübergehende Krämpfe der Kau-,
Schlund- und Extreinitätenmuskel, bisweilen Bronchitis, Glottis¬
odor Lungenoedom, Herzschwäche, starke Herabsetzung der Re¬
flexerregbarkeit, Enge und Trägheit der Reaktion der Pupillen,
Dunkelgrünfärbung des Urins, bisweilen mit Blutbeimischung,
Erscheinungen parenchymatöser Nierenentzündung (Albuminu¬
rie) und nicht selten der Tod ein.
Von der Karbolvergiftung, welche grosse Aehnlichkeit mit
der Lysolvergiftung besitzt, kann letztere vielleicht unterschieden
werden durch den Geruch und möglicher Weise durch die mehr
braungelbe, schmierige Schorfbildung der Schleimhaut der
Sehlingorgane gegenüber der weissgrauen Verfärbung derselben
bei Karbolvergiftung. Dass bei Karbolvergiftung die Vergif¬
tungssymptome in der Regel eher eintreten als bei Lysolvergif¬
tung, mag im Allgemeinen richtig sein, aber ein wesentliche'
Unterscheidungszeichen stellt dieser Umstand nicht dar, da
rascher Eintritt von Vergiftungssymptomen auch bei Lysolver-
giftung beobachtet wird (vide Fall von Landau und 2. Fall
von B u r gl). Auch eine sehr dunkle Farbe kann der Lysolharn
erreichen — in unserem 1. Falle war er schwarzbraunroth und
enthielt Blut beigemischt —, so dass auch diese beiden Momente
zur Differentialdiagnose nicht recht verwerthbar sind. Ebenso
können auch Eiweiss und Faserstoffcylinder im Harn bei Lysol¬
vergiftung auftreten (Fall von Kluge), was allerdings hier
mehr Ausnahme zu sein scheint, während bei Karbol Vergiftung
Albuminurie die Regel bilden dürfte.
Aus den Thierversuchen von Maas geht hervor, dass durch
das L.vsol die Herzthiitigkeit wesentlich beeinflusst wird, dass es
sowohl dessen Muskulatur als auch sein Nervensystem angreift.
Die Herzfrequenz wird bei grösseren Dosen langsamer, die Herz¬
aktion schwächer und bei Verabreichung einer tödtlichcn Dosis
steht das Herz in Systole still. Aehnliche Wirkung entfaltet das
Lysol auf die Athmungsorgane. Die Athmuug wird langsamer,
oberflächlicher. Diese Beeinflussung der Respirationsthätigkeit
bei letal wirkenden Dosen ist jedenfalls als Folge der Erschei¬
nungen am Herzen anzusehen und hieraus erklärt sich auch die
tödtende Giftwirkung des Lysols. Auch auf die nervösen Organe
wirkt das Lysol giftig und zwar vorzugsweise auf das periphere
System. Es bleiben aber auch die Centralorgane nicht von der
Wirkung verschont. Der Verdauungsapparat blieb bei den Ver¬
suchen, die M a a s an Hunden anstellte, vollkommen intakt. Der
Befund an den Nieren war fast durchweg negativ, entsprechend
den mangelnden pathologischen Befunden im Harn in vivo. Nur
in der Nierenrinde unterhalb der Kapsel fiel meist eine leichte
Schwellung und Hyperaemie auf. Einen im Ganzen gleich nega¬
tiven Befund wie bei der Niere zeigte die Untersuchung der
Leber. In einzelnen Fällen waren die Leberzellen körnig ge¬
trübt, vom Centrum zur Peripherie fortschreitend etwas zer¬
fallen, hin und wieder war etwas Bindegewebe eingelagert. Im
Uebrigen war die Kernfärbung fast durchweg gelungen, die
Zellen erhalten. Nur in einzelnen Fällen, in denen das Gift auf
den Organismus sehr lange eingewirkt hatte, war der Zerfall
der Zellen ein etwas ausgedehnterer, dieselben theils getrübt,
thcils von kleineren Fetttröpfchen durchsetzt.
Vergleichen wir diese Thierversuche mit den Beobachtungen
am Menschen, so ergibt sich, dass die Wirkung auf Herz, Athem-
organe und Nervensystem eine ganz ähnliche ist. Auch beim
Menschen tritt eine Schwächung der Herzaktion und eine Ver¬
schlechterung der Athemthätigkeit ein. Abweichend von den
Ergebnissen bei den Thierversucheu verhält sich beim Menschen
der Verdauungsapparat. Fast regelmässig tritt beim Menschen
nach dem Genuss grösserer Mengen von Lysol Erbrechen ein.
was bei den Versuchen von Maas an Iluudcn fehlte. Auch
wird die Magenschleimhaut des Menschen augeiitzt, während sie
bei Hunden intakt bleibt. Der Harn verhält sich beim Menschen
ebenfalls anders als beim Thier. Bei Thieren zeigt er keine Ver¬
änderung, beim Menschen dagegen nimmt er fast immer eine
dunklere Färbung an. Leider konnte eine Untersuchung des
Harns in dem von mir obducirtcn Falle nicht vorgenommt n
werden, da es sich um eine gerichtliche Sektion handelte und
die TIarnorgane nebst Harn zu Gerichtshanden gegeben werden
mussten. In den mir zugänglich gewesenen Fällen finden wir
5 mal eine Notiz über Harn- resp. Nierenbefund. In Com-
s t o o k’s Fall wird von mehrere Tage anhaltender, starker
Albuminurie gesprochen; bei May von nicht einmal deutlicher
Albuminurie; Kluge berichtet von Albuminurie und Aus¬
scheidung von Faserstoffcy lindern im Harn; Rae de von par¬
enchymatöser Nephritis; in Burgl’s 1. Falle liess der schwarz-
braunrothe, bhitig tingirte Harn auf eine Nierenaffektion
sehliessen. Aetzwirkungen sind, wie schon erwähnt, bei Thieren
und Menschen beobachtet.
Schliesslich sei noch der Behandlung beim Lysolismus mit
einigen Worten gedacht. Das souveränste Mittel ist bekanntcr-
maassen die Magenausspülung, welche bei keiner inneren Ver¬
giftung unterbleiben und möglichst früh angewendet werden
soll, auch bei den kleinsten Kindern. Kann dieselbe unmöglich
nngewendel werden, so ist ein Brechmittel am Platze, welchem
nach Prof. Huscmann grössere Mengen von Flüssigkeit mit
Zusatz von Essig voranzuschicken sind, um das freie Alkali zu
neutralisiren, weil sonst das regurgitirte Lysol, zumal beim Ein¬
dringen in den Kehlkopf, zu schweren Komplikationen, z. B.
Glottisoedem führen und selbst die Tracheotomie nöthig machen
kann. Wenn nach der Magenausspülung, welche in der Regel
rasch die Vergiftungssymptome beseitigt, die Bewusstlosigkeit
fortdauert, ist die Darmausspülung dringend indizirt, die in
Fällen, in welchen sich die Vergiftungserscheinungen erst am
2. Tage vom Darm aus entwickeln, das zuerst anzuwendende
Mittel ist. Sowohl zur Beförderung der Elimination der im
Blute vorhandenen Kresole als zur Verhütung später eintretender
Nephritis empfiehlt llusemann reichliche Zufuhr von Ge¬
tränken (Wasser, Limonade. Zuckerwasser, Kaffee). Nächst der
Magenausspülung wird wohl in den meisten Fällen Kampher
oder Acther wegen des Collaps angewendet werden müssen. Da
häufig in Folge der Verätzung Krampf der Rehlundmuskulatur
vorhanden ist und die weiche Magensonde sich leicht umbiegt,
empfiehlt es sich, sich eines elastischen Schlundrohres zu be¬
dienen.
Prophylaxe. Man verordne Lysol und ähnlich aus¬
sehende innere Medikamente, wie Lebert brau, Rhabarbersyrup
oder -Tinktur, dunkle Medicinalweine, gewisse Infuse u. dergl.,
nie nebeneinander, ohne auf die Aehnlichkeit der Farbe auf¬
merksam zu machen und Sorge zu tragen, dass das äussere und
innere Medikament an besonderen Plätzen verwahrt und nicht
nebeneinander gestellt werden. Das Lysol selbst soll mit der
Signatur „Gift!“, „Nicht unverdünnt anzuwenden!“ versehen
werden. Auch die Hebammen und Krankenpfleger sind auf die
Gefährlichkeit einer zu konzentrirten Lösung aufmerksam zu
machen. Selbst wende man zur Wundbehandlung keine stär¬
keren Lösungen als 1 proc.. zu Uterusausspülungen nur Vs proc.
Lösungen und meide bei ausgedehnten Sub-tanzverlu^ten der
Haut, namentlich bei Kindern, das Mittel gänzlich. Bei innerer
Anwendung halte man sich mehr an die Minimal- als an die bis-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
her empfohlenen Maximaldosen und wende das Mittel nur vor¬
übergehend, bei Kindern und geschwächten erwachsenen Patien¬
ten nur mit grösster Vorsicht oder besser gar nicht an. Nicht¬
ärzten, die sich auf eigene Faust Lysol verschaffen, sollen nur
ganz verdünnte Lösungen in die Hand gegeben werden.
Schlusssätze.
1. Das Lysol hat zur Zeit, weil es die meisten Vorzüge und
die wenigsten Nachtheile besitzt., als Antisepticum die grösste
Verbreitung und entfaltet in einer 1 proc. Lösung zur Wund¬
behandlung und einer Vz proc. zur Ausspülung von Körperhöhlen
bei Erwachsenen und Kindern unter gewöhnlichen Verhältnissen
keinerlei schädliche Wirkung, es ist aber kein ungefährliches
Mittel und erscheint es geboten, ähnliche Vorsicht bei seiner
Anwendung walten zu lassen wie beim Karbolgebrauch.
2. Bei grösseren kranken Hautpartien oder ausgedehnten
Wundflächen ist eine längere Applikation des Lysols, auch in
obengenannter Verdünnung, zu meiden und gilt dies nament¬
lich von Kindern. Ebenso sind stärkere Lösungen als die er¬
wähnten zu meiden.
3) Konzentrirtes Lysol wirkt auf unversehrter Haut ätzend
und giftig und sind hiedurch schon die schwersten Vergiftungs¬
erscheinungen, ja selbst ein Todesfall (R 0 s s a) hervorgerufen
worden.
4. Innerlich genommen wirkt das Lysolum purum ebenfalls
ätzend und giftig, und sind bei Kindern schon durch Mengen
von 1 Kaffeelöffel voll wiederholt Todesfälle und bei Erwachsenen
von 10 g an die schwersten Vergiftungserscheinungen beobachtet
worden.
5. Die mit Magenspülung behandelten Fälle von innerer
Lysolvergiftung werden fast durchweg gerettet, während die der
rechtzeitigen Magenspülung entbehrenden wiederholt tödtlich
verliefen.
6. Die beste Behandlung der inneren Lysolvergiftung ist
die mechanische Entfernung des Lysols durch die Magenpumpe
und soll diese in jedem Falle von innerer Vergiftung, auch bei
ganz kleinen Kindern, angewendet werden.
7. Bei innerer Anwendung des Lysols halte man sich mehr
an die Minimal-, als an die bisher empfohlenen Maximaldoseu
und wende das Mittel nur vorübergehend, bei Kindern und ge¬
schwächten erwachsenen Patienten nur mit grösster Vorsicht,
oder besser gar nicht an.
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bädern. Zeitschr. für ärztl. Landpraxis 1894, No. 5. — Sebür-
ineyer: Ueber Kresole, deren Wirkung und Nachweis im Orga¬
nismus. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 54, Heft I, 1894. —
Cramer-Bonn: Lysolvergiftung bei Uterusausspülung. Referat
in der Münch, med. Wochenschr. 1894, No. 41. — Cornstook:
Poisoning by lysol. Ref. in Virchow’s Jahresbericht 1895, Bd. I.
S. 370. — Haberda: Fieber Vergiftung durch Lysol. Wien. klin.
Woeheuschr. 1895. Die neueren Arzneimittel in ihrer Anwendung
und Wirkung von W. Löbisch, a. o. Prof, für angewandte med.
Chemie an der k. k. Universit. Innsbruck 1895, S. 163—167. —
Virchow: Bericht für das Jahr 1895, II. Bd., S. 653. C. M.
Groth: Ueber die Anwendung des Lysols als Antiseptikum in
der Geburtshilfe. Swenska Läkare cöllskapets för handling
for den 19. Febr., p. 20—22. — Julius May: Ueber Lysolvergiftung.
Inaug.-Pissert., Kiel 1896. — Stühlen: Fieber Gesundheits¬
beschädigung und Tod durch Einwirkung von Karbolsäure etc.
Viertelj.-Schrift f. gerlchtl. Med. 3. Th., Bd. X, 1896. — Schmidt s
Jahrbücher 1896, Bd. 249, S. 74 u. 132: Sur la dßsinfection des
matteres fßcales normales et pathologiques. Etüde de valeur com-
par6e des divers df*sinfectants chimiques actuels, par H. Vincent
Ann. de l’Inst. Pasteur, IX. Jan. 1895. — Ibidem. Fagerlund:
Selbstmord einer erwachsenen Person durch Lysol. — E. Tra-
b a n d t: Therap. Monatsh. 1896, No. 7. Ueber die örtliche Wir¬
kung des unverdünnten Lysols. — E. Saal f ei d: Ueber das
gleiche Thema. Therap. Monatsbl. 1896, No. 5. — Hammer:
Ueber die deslnflzirende Wirkung der Kresole und die Herstellung
neutraler wässeriger Kresollösungen. Arch. f. Hygiene Bd. XII
u. XIV. — Virchow 1896: Bericht für das Jahr 1895, 1. Bd..
S. 370. Referat über Haberda’s Vergiftung durch Lysol und
C o r n s t o o k’s Fall. — Hu sein ann: Lysolismus. Handbuch
der Therapie innerer Krankheiten von F. Penzoldt und
Stlntzing 1897, II. Bd., S. 510. Ibidem: Lysol zur Desinfektion.
Bd. I, S. 67. — Heinrich Crämer: Lysolvergiftung bei Uterus-
ausspülung. Centralbl. f. Gynük. 1898, No. 39 und Jahrb. über d.
Leist, u. Fortschr. d. ger. Medlc. von Virchow, 1898. — G. Kluge.
I. Assistent an der k. med. Univ.-Polikllnik in Kiel: Beitrag zur
Kenntniss der Lysolvergiftung. Münch, med. Wochenschr. 1898.
II. Bd., S. 889 und Jahrb. über die Leist, u. Fortschr. d. ger. Med.
von R. Virchow, 1898, Bd. I, 381. — Schmidt’s Jahrbücher
1898, Bd. 257, S. 197. H eff ler: Bericht über toxik. Arbeiten
über Aetzwirkungen durch Lysol von Trabandts, Saalfeld
und B e r g e 1.
Aua dem Herrmnnnhaus (Unfall-Nervenklinik der Sächsischen
Baugewerksborufsgenossenschaft) in Leipzig-Stötteritz.
Ein Fall von multipler Neuritis nach Kohlenoxyd¬
vergiftung mit Betheiligung der Sehnerven.
Von Dr. H. Schwabe, Nervenarzt in Plauen i. V., ehern.
Assistenten der Anstalt.
Unter den durch Vergiftungen hervorgerufenen Erkran¬
kungen des peripheren Nervensystems ist eine der am längsten
bekannten die nach Abklingen der schweren, durch die Ein¬
ut Innung von Kohlenoxydgas (Kohlendunst, Leuchtgas u. dergl.)
verursachten Allgemeinerscheinungen bisweilen beobachtete Ner¬
venentzündung. Ohne auf die bezügliche Literatur, die sich
ziemlich vollständig bei dem betreffenden Kapitel der ausge¬
zeichneten R e m a k’schen Monographie über Neuritis und Polv-
ncuritis ') berücksichtigt findet, näher einzugehen, sei hier nur
darauf hingewiesen, dass schon 1865 von Lendet 1 ) auf Grund
eines Sektionsbefundes die Ansicht vertreten worden ist, dass
eine Entzündung peripherer Nerven die Ursache der von ihm
und Anderen beobachteten Lähmungen sei.
Immerhin ist die Zahl der bisher mitgetheilten, hierher-
gchörigen Beobachtungen eine recht geringe. Ich bin daher
Herrn Prof. W indscheid für die Ueberlassung, wie die An¬
regung zur Veröffentlichung eines von uns im Anfang dieses
Jahres beobachteten Falles zu besonderem Danke verpflichtet, zu-
') Nothnagel’s Handbuch der spec. Pathol. u. Therap. XI. Bd..
III. Th., III. AbthelL, pag. 633. Wien 1899.
’) Arch. gßnßral. de M6decine 1865, pag. 518.
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24. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1531
mal derselbe wegen einiger Besonderheiten, in erster Linie der
Betheiligung der Sehnerven an der Erkrankung, ein erhöhtes
Interesse in Anspruch zu nehmen geeignet ist.
Leider haben wir die Erkrankung nicht von Anfang an zu
beobachten Gelegenheit gehabt. Ich bin vielmehr, da der Patient
erst mit Beginn der berufsgenossenschaftlichen Fürsorge in
unsere Behandlung trat, für die ersten 13 Wochen auf die ana-
mncstischen Angaben des Erkrankten und die freundlichen Mit¬
theilungen des zunächst behandelnden Arztes, Herrn Dr. Schu¬
mann in Döbeln, angewiesen.
Jacob G., Arbeiter, 36 Jahre alt, verheirathet, angeblich erb¬
lich nicht belastet und besonderen Schädlichkeiten auch sonst nicht
ausgesetzt gewesen, insbesondere kein Trinker, wurde am 10. I.
1901 aufgenommen. Er war angeblich am 3. X. 1900 — nach Aus¬
weis der Unfallanzeige am 29. IX. 1900 — zusammen mit dem
Aufseher F. in der Zuckerfabrik D. mit Einwerfen von Kalkstein
in einen Cokesofen beschäftigt; aus unaufgeklärter Ursache trat
dabei Gas nach oben aus, beide wurden — nach G.’s Angabe —
ziemlich plötzlich wirr im Kopf, fielen um, wurden nach kurzer
Zelt bewusstlos aufgefunden und heruntergetragen; während bei
F. die Wiederbelebungsversuche erfolglos blieben, wurde G. daun
in ganz verwirrtem Zustande, heftig delirirend, erst in seine Woh¬
nung und später in’s Krankenhaus geschafft, wo er nach einigen
Tagen in einen somnolent-komatöson Zustand mit Pulsverlang-
samung und Erbrechen verfiel und um den 10. X. wieder zur Be¬
sinnung kam. G. klagte dann in den nächsten Tagen über heftige
Schmerzen. Kältegefühl und Empfindungslosigkeit, besonders in
den unteren Extremitäten — „das Bein sei wie gar nicht da“ —
und bot an beiden, besonders am rechten Bein, ausgesprochene
Bewegungsstörungen dar, die sich auch durch das Fehlen fara-
disclier Erregbarkeit als durch periphere Lähmung bedingt cha-
rakterisirten. Nach G.’s Angabe wäre auch das r. Bein gleich
nach dem Erwachen geschwollen gewesen, hätte er auch
Schmerzen im r. Arm gehabt und auch Sehstörung gleich von An¬
fang an bemerkt, während er nach Mittheilung des behandelnden
Arztes erst um Neujahr Uber seine Augen geklagt hat und am
13. X. 1900 Im Krankenjournal bemerkt ist: „liest einen Brief“.
Bei der Aufnahme G.’s in’s Hermannhaus war in manchen
Beziehungen bereits eine Besserung eingetreten, insbesondere die
allgemeine Schwäche, sowie die Erscheinungen seitens des Kopfes,
Kumpfes und r. Arms beträchtlich zurückgegangen. Die Be¬
schwerden G.’s bestanden wesentlich in Schwäche und Schmerzen,
besonders Kälteempflndungen, beider Beine, r. > 1., an der
Aussenseite > Innenseite, und Schwäche des r. Arms ohne be¬
sondere Schmerzen.
Die Untersuchung des grossen, blassen und dürftig genährten,
ängstlich-besorgt aussehenden und leicht zum Weinen geneigten
Mannes ergab an den inneren Organen ausser raässiger Arterio¬
sklerose und geringem Emphysem keine Störungen. Die Mus¬
kulatur des Gesichtes war schlaff, das Pfeifen ging mangelhaft,
das Verziehen des Mundwinkels nach 1. war nur schlecht möglich,
doch erfolgten die Bewegungen sonst gleichmässig und war auch
die Funktion der übrigen Ilirnnerven, vom Augenbefunde (s. u.)
abgesehen, ungestört
Die Arme und Hände waren aktiv frei beweglich, die Kraft,
besonders r., deutlich herabgesetzt; der Händedruck betrug r. 15,
1. 23 kg. Es war weder stärkerer Tremor manuum, noch Druck-
empflndlichkeit der Nervenstämme, noch Störung der Sensibilität
oder Reflexe zu konstatiren.
Das r. Bein nebst Gesäss war erheblich schwächer als 1.,
fülüte sich kühl an und war, besonders Unterschenkel und Fuss,
auffallend cyanotlsch, die Muskulatur äusserst gering, schlaff
und welk. Der Umfang der Wade betrug r. 28,5, 1. 32,0 cm, der
Olwrschenkel (20 cm oberhalb der Patella) r. 40,0, 1. 43,6 cm.
Die aktive Beweglichkeit war beiderseits eine ausgiebige, nur am
r. Fuss in mässlgem Grade eingeschränkt; bei passiver Bewegung
zeigte sich besonders am r. Hüftgelenk deutliche Hypotonie, so
dass z. B. das r. Bein gestreckt fast an den Rumpf angelegt
werden konnte; die grobe Kraft war 1. leidlich, r., besonders an
den distalen Abschnitten, sehr gering; der r. Fuss, an dem ein
geringer Grad von Plattfuss bemerkbar war, hing beim ruhigen
Liegen mit der Spitze herab und wurde beim Gehen ln ent¬
sprechender Stellung schlendernd nach vorn geschleppt; G.
brauchte beim Gehen eine Stütze und ermüdete nach wenigen
Schritten. Eigentliche Ataxie bestand nicht, ein geringes Schwan¬
ken beim R o m b e r g’schen Versuch war durch die Schwäche des
r. Beins bedingt.
Die Sensibilität war an beiden Beinen, r. wesentlich > 1., für
alle Qualitäten derart herabgesetzt, dass ohne scharfe Grenzen
l>eginnend, die Intensität der Störung nach der Peripherie hin
zunahm, die Aussenseite durchweg stärker betroffen war, als die
Innenseite, am r. Unterschenkel und Fuss nahezu völlige An-
oesthesie (1. nur beträchtliche Hypnesthesie) bestand: dal>ei
wurden durchweg Nadelstiche noch empfunden, wo Tastempfin¬
dung schon fehlte, und bestanden spontan, nahezu dom wirklichen
Empfindungsvermögen umgekehrt proportional, am stärksten am
r. Fuss und Unterschenkel, heftige Schmerzen und quälende, be¬
sonders Kälteempflndungen. Die Druckempfindlichkeit der Nerven
und Muskeln (besonders Nn. femor., tibial., peron.. Mm. quadrie.
fern, und triceps surae) war 1. > r.; Dehnung des N. ischlad.
durch Erheben des gestreckten Beins war nicht schmerzhaft.
Die Patellarreflexe waren beiderseits prompt (vielleicht
1. > r.), der Achillesehnen- und Sohlenreflex 1. schwach, r. nicht
auszulösen, die sensiblen Reflexe im Uebrigen lebhaft.
No. 39.
Die elektrische Untersuchung ergab am 1. Bein und r. Ober¬
schenkel qualitativ normale Erregbarkeit mit Ausnahme des r.
M. biceps femor., an dem Zuckungsträgheit zu bemerken war.
Am r. Unterschenkel bestand sowohl im Tibialis- wie im Peroneus-
gebiet deutliche Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit vom
Nerven und Muskel aus, sowie bei vorhandener herabgesetzter
galvanischer Erregbarkeit der Nerven allgemeine EaR mit Ueber-
wlegen der AnSZ; die ausgelösten Zuckungen waren entsprechend
der Atrophie durchweg kraftlos; die Erregbarkeit des M. tibial.
ant. war nahe dem Fussgelenk grösser als an der normalen Reiz¬
stelle.
Unter der Behandlung mit Massage und Gymnastik, Galvani¬
sation und faradischen Fuss- und anderen Bädern, gelegentlicher
Darreichung von Phenacetin u. dergl besserten sich zugleich mit
dem Allgemeinbefinden (das Körpergewicht stieg bis 1. V. von
128 auf 138‘/ 2 Pfund) die lokalen Erscheinungen. Die Muskulatur
der Arme und Beine wurde kräftiger und straffer, der Händedruck
betrug Ende März bereits r. 31 (=4-16), 1. 34 (= -f- 11) kg, der
Umfang der Oberschenkel am 1. V. r. 44,5 (= -f- 4,5), 1. 47,8
(:=-}-4,2) cm, der der Waden r. 31,1 (= -f- 2,6), 1. 34,6 (ebenfalls
-j- 2,6) cm, während G. seit Ende März von selbst angefangen
hatte, sich leichte Beschäftigung in Haus und Hof zu suchen
und gut ohne Stütze längere Zeit gehen und stehen konnte.
Ebenso hatte sich zu dieser Zeit die elektrische Erregbarkeit soweit
wieder hergestellt, dass nur noch partielle EaR von M. peron.
long., Abduct. hallue., Flex. digit. min., einem Tlieil der übrigen
kleinen Fussmuskeln und vielleicht einzelnen Fasern des Cap. ext.
des M. triceps surae bestand, und besserte sich bis zur Entlassung
am 1. V. weiter, so dass nur noch ausser einer gewissen allge¬
meinen quantitativen Herabsetzung ein Ueberwiegen der Anode
(EaR?) an einem Theile der kleinen Fussmuskeln konstatirt
werden konnte. Die Sensibilität stellte sich gleichzeitig soweit
wieder her, dass, ausser an einem Theile der r. Sohle und Zehen,
auch leichtere Berührungen, wenn auch nicht in normaler Stärke,
wahrgenommen wurden. Die spontanen Schmerzen bestanden
dabei angeblich weiter, während vorübergehend von Mitte Fe¬
bruar ab auch über Ameisenkriechen geklagt wurde und zugleich
bei elektrischer Reizung der Nerven ausstrahlende Schmerzen
angegeben wurden. Endlich war auch am 1. V. noch Kühle und
Cyanose des r. Fusses und Hypotonie der Hüfte nachweisbar. G.
wurde Indessen entlassen, da er oft Ungeduld zeigte und zu Weh¬
leidigkeit und Uebertrelbung zu neigen anfing.
Die am 24. I., 7. II. und 1. V. durch Herrn Prof. Schwarz,
dem ich nicht nur in diesem Falle für seine liebenswürdige Aus¬
kunft und Belehrung Dank schulde, vorgenommene Untersuchung
der Augen ergab am 24. I. beiderseits neben beträchtlicher Hyper-
metropie eine mässige Herabsetzung der Sehschärfe: r. 6,5 DS
— < 7«» 1. + 7,0 DS = ♦/„, ein Befund, der sich im Laufe der Zeit
insofern änderte, als die manifeste Hypermetropie bis zum I. V.
1. auf 6,5, r. auf 5,5 (am 7. II. 6,0) D bei annähernd gleichbleibender
S (r. >. 1.) zurückging.
Ueberelnstimmend hiermit ergab die Prüfung des centralen
Farbensinns bei normalen Gesichtsfeldgrenzen eine Herabsetzung
wesentlich auf dem 1. Auge, am stärksten für grün, am geringsten
für blau: von Wolffberg’s kleinsten Gesichtsfeldproben von
3 mm Durchmesser wurde erkannt:
grün roth, gelb blau
1. in <1 2,5 1,5
r. >2 3,5 > 2,0 m
Entfernung. Die Untersuchung mit dem Spiegel ergab bol den
ersten Untersuchungen beiderseits etwas verschwommene Papillen¬
grenzen und r. allgemeine, 1. auf den oberen inneren Quadranten
beschränkte abnorme Röthung. Diese entzündlichen Erschei¬
nungen gingen später zurück, indem die Papillengrenzen lm Ver¬
lauf der weiteren Beobachtung schärfer wurden und die Röthung
mehr und mehr abnahm.
Ferner zeigte sich, während die Augenmuskeln Im Uebrigen
keine Störungen erkennen liessen, eine deutliche Verminderung
der rechtsseitigen Accommodationsbreite derart, dass erst bei
Uebercorrektion der Hypermetropie mit -(- 8,0 D die Einstellung
auf 22 cm möglich wurde, ein Verhalten, das am 7. II. nochmals
konstatirt, am 1. V. sich soweit gebessert hatte, dass mit 5,5
auf 24 cm accommodirt werden konnte. Auffällig ist dagegen
das Verhalten der Accommodationsfähigkelt 1., die am 24. I. mit
-f- 7,0 einen Nahpunkt in 17, am 7. II. mit -f- 8,0 In 23, und am 1. V.
mit -|- 8,0 ln 24 cm ergab.
Das Verhalten der Pupillen, die zur Zeit der Aufnahme G.’s
different (r. >. I.) und weit waren und zwar prompt, jedoch nicht
sehr ausgiebig auf Licht reagirten, liess bei den späteren Unter¬
suchungen keine Störungen erkennen.
Es handelte sich demnach zweifellos um eine peripher-ent¬
zündliche Erkrankung des r. N. ischiad., die nach der Peripherie
zu an Intensität zunehmend, ausgesprochene Tendenz zur Hei¬
lung zeigte und sich während der Behandlung zum grossen Tlieil
zurückbildetc. Unter Berücksichtigung dieser Thatsachen
glaubo ich weiter berechtigt zu sein, auch als Grundlage
der im Gebiete des L N. ischiad., der Nn. femoral., der,
besonders des r., Armnerven, vielleicht auch des 1. unteren
Fncinlisastes beobachteten geringeren oder stärkeren Störungen
— der Schwäche, sowie der sensiblen und reflektorischen Stör¬
ungen und der Druckempfindlichkeit der Nerven und Muskeln
am 1 . Bein — eine leichtere, mehr weniger bereits abgelaufene.
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1532
MUENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
neuritische Affektion anzunehmen, ohne allerdings dieselbe strict
beweisen zu können. Endlich lag eine in Abheilung begriffene
Neuritis optica vor, als deren Ausdruck besonders die linksseitige
Herabsetzung des centralen Farbensinns neben dem objektiven
Befund hervorzulieben ist, sowie eine rechtsseitige Accomo-
dationslähmung, die wir besonders unter Berücksichtigung des
den übrigen Krankheitserscheinungen parallelen Verlaufs wohl
ebenfalls auf einen entzündlichen Process am peripheren Nerven
oder an den Wurzelfasern — nicht auf eine destruktive Ver¬
änderung im Kerngebiet — zurückführen dürfen.
An dem Zusammenhang der Erkrankung mit der Vergiftung
kann nach Lage der Dinge wohl kein Zweifel sein.
Von Interesse ist zunächst die grosse Ausbreitung des ent¬
zündlichen Processes, die in der bisherigen Literatur kaum ihres
Gleichen hat, jedoch darin mit den bekannten Fällen überein¬
stimmt, dass die Vertheilung auf die einzelnen Nerven und
Muskelgebiete, wenn man von einer gewissen Bevorzugung der
distaleren Theile absieht, keinerlei Gesetzmässigkeit, wie etwa
bei der Bleilähmung erkennen lässt. So sind bisher neben ein¬
zelnen Fällen ’), in denen sich die Erkrankung auf den Trige¬
minus, den Axillaris oder Medianus und Ulnaris beschränkte,
eine etwas grössere Anzahl von solchen beobachtet, in denen
wesentlich der N. radialis, die Nerven eines Arms oder besonders
der N. ischiad. einer Seite betroffen waren. Nur in wenigen, noch
dazu nicht ganz eindeutigen Fällen (Lendet’s Fall V, Roki¬
tansky*), die beide tödtlich verliefen, handelte es sich um eine
doppelseitige Affektion; in einigen anderen, besonders von
Rendu’), wo ausser Arm und Bein auch der Facialis, in dem
3. Fall Maczko wski’s 4 ), in dem fast das ganze linke Bein
und Arm erkrankt waren, war die Ausbreitung insofern der im
Fall G. ähnlich, als besonders in letzterem die distalsten Theile
ebenfalls am stärksten affizirt waren, und besonders die Nn.
tibial. n. peron. noch keine Tendenz zur Heilung zeigten, als die¬
selbe am Arm, ausser im Ulnarisgebiet, bereits fast vollendet
war.
Trophische Störungen, wie sie vielfach als Ausdruck neu-
ritischer Veränderungen berichtet sind, haben wir ausser der
Kühle und Cyanose der Haut des rechten Unterschenkels und
Fusses nicht mehr beobachten können. Immerhin ist die An¬
gabe G.’s, dass Anfangs das r. Bein geschwollen gewesen sei,
wohl auf eine derartige Affektion zu beziehen.
Sehr ausgesprochen waren die sensiblen Störungen, deren
Restitution im Gegensatz zu anderen Erfahrungen nur langsam
vorwärts ging, sowie besonders die sensiblen Reizerscheinungen,
deren vorübergehende Zunahme im Beginn der Wiederherstel¬
lung des Gefühls Vermögens u. A. auch von Litten, E. Re¬
in ak 5 ) und Maczkowski') (Fall I) erwähnt wird.
Als Analogon der auch bei G. beobachteten Accommodations-
paresc ist auf den bisher einzig dastehenden Fall von Knapp*)
hinzuweisen, in dem neben anderen Augenmuskelstörungen, be¬
sonders der rect. sup. und int., noch nach 2 Monaten eine Accom-
modationslähmung konstatirt werden konnte, die sich dann zu¬
gleich mit den anderen Störungen nach und nach besserte. Ob
der von Emmert 1 ) mitgetheilte, von ihm selbst als central
durch haemorrhagisclie Prooesse in dor Gegend der Nervenkerne
bedingt aufgefasste Fall von Lähmung des 1. N. oculomot. und
einzelner Aeste des N. V und VII, in dem fast völlige Wieder¬
herstellung eintrat, hierher gehört, lasse ich dahingestellt. Von
Interesse erscheint im Fall G. auch der Umstand, dass mit
der Wiederkehr dor Funktion und des Muskeltonus sieh auch die
Refraktion des Auges änderte, so dass unter Hinzurechnung von
1 D latent gewordener Hypermetropie am 1. V. eine Accommo-
dationsbreite von 5 D gegenüber 3 D am 24. I. und 7. II fest-
gestellt werden konnte.
Eine Erklärung des eigenthümlichen Verhaltens der Accom-
modation des linken Auges zu geben, bin ich nicht sicher im
Stande, halte es indess, in Uebereinstimmung mit Herrn Prof.
Schwarz eher für wahrscheinlicher, dass es sich um hysterische
Störungen — als um eine organisch bedingte Accommodations-
parese — handelt.
*) Vergl. Remak 1. c.
4 ) Neurol. Centralbl. 1900, pag. 520.
*) Remak: 1. c., pag. 629; Litten: Deutsch, med. Wocheu-
schr. 1889, No. 5.
*) Arch. f. Augenheilk. IX., p. 229.
*) Corr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte 1890, pag. 42.
Nicht beschrieben ist bisher nach CO-Vergiftung, soweit
mir die einschlägige Literatur zu Gebote stand, eine Entzündung
des Sehnerven, wie sie im Fall G. beobachtet wurde.
Von ähnlichen Sehstörungen finde ich ausser der jedenfalls
nicht auf Neuritis zu beziehenden Angabe von Hilbert*), dass
er nach Kohlenoxydvergiftung Xanthopsie mit Herabsetzung des
Sehvermögens und Einengung des Gesichtsfeldes, die jedoch
schon nach einem Tage wieder verschwunden sei, beobachtet
habe, nur 2 von Schmitz*) beschriebene Fälle. Während
von diesen im II., neben sonstigen ausgesprochen hysterischen
Störungen, Gesichtsfeldeinengung mit Herabsetzung der cen¬
tralen Sehschärfe auf V, ohne objektiven Befund vorlag, fand
sich im I. neben der ausserordentlich hochgradigen concen-
trischen Gesichtsfeldeinengung (bis auf 5°) mit entsprechender
Farbenstörung und Herabsetzung der Sehschärfe auf V, „nur
in den ersten 2 Wochen starke Anfüllung der Venen, Enge der
Arterien, beiderseits oberhalb der Papille an dieselbe angrenzend
und ihr an Grösse entsprechend, eine grauweisse, eine kurze
Strecke eine Vene verdeckende diaphane Trübung“, später nor¬
maler ophthalmoskopischer Befund, insbesondere auch nach
Jahren keine Abblassung der Papille, wie auch die Sehschärfe
von 4—5 Monaten nach der Vergiftung ab dauernd normal war.
Die Accommodationsbreite ist nicht bestimmt worden, dagegen
findet sich die Notiz, dass Anfangs die Pupillenreaktion träge
gewesen sei, und dass noch nach Jahren an Händen und Füssen
Sensibilitätsstörungen nachweisbar waren. Es muss dahin¬
gestellt bleiben, ob es sich, wie Schmitz nach Analogie einer
auch von Knies 10 ) citirten Beobachtung L e b e Ps annimmt,
in diesem Fall um eine leichte organische Läsion der Sehnerven,
etwa durch Kompression am Foram. optic. gehandelt hat, ob
auch hier Hysterie im Spiel ist oder die Störung und der oph¬
thalmoskopische Befund in Analogie zu setzen ist mit den häufig
gefundenen multiplen kleinen Blutungen resp. Erweichungs¬
herden im Gehirn, als deren Ursache nach den Untersuchungen
von Klebs 11 ) die durch die Vergiftung hervorgerufene Gefäss-
atonie anzusehen ist. Dieser Schmitz’ache Fall wäre dann
ein Gegenstück zu der von Becker“) in einem als multiple
Sklerose nach CO-Vergiftung beschriebenen Falle mitgetheilten
Beobachtung, wonach er „beiderseits Hyperaemie der Netzhaut¬
venen und im r. Auge am unteren inneren Papillenrande ein
kleines Exsudat, welches eine Vene eine Strecke weit bedeckte“
fand. Becker, der leider über das Sehvermögen keine näheren
Angaben macht, weist ebenfalls schon auf die Möglichkeit obigen
Zusammenhangs hin und ein solcher darf auch wohl zur Er¬
klärung des später von Possolt 1 *) erhobenen Befundes von
„deutlicher Hyperaemie am Augenhintergrund“ in einem tödt¬
lich verlaufenen Falle herangezogen werden, in dem die Obduk¬
tion unter anderem beiderseits im Linsenkern Erweichungsherde
ergab.
Dieser auffallend geringen Anzahl positiver Befunde steht
allerdings nur eine gleich geringe Zahl von Notizen gegenüber,
in denen ein normales Verhalten des Augenhintergrundes ver¬
merkt wird. Man wird daher Knies 14 ) wohl zustimmen dürfen,
der annimmt, dass vielleicht häufiger derartige Veränderungen
gefunden würden, wenn öfter danach gesucht würde.
Ist es so bei der geringen Zahl der bisher mitgetheilten
Untersuchungen und vielleicht auch wegen des Mangels darauf
gerichteter Aufmerksamkeit erklärlich, dass bisher ein gleicher
Befund wie im Falle G. noch nicht erhoben zu sein scheint, so
liegt andererseits doch kein Grund vor, an seiner Bedeutung als
Theilorscheinung des ganzen Krankheitsbildes zu zweifeln und
ihn etwa als zufällige Komplikation anzusehen. Erscheint es zu¬
nächst schon an und für sich wohl verständlich, dass eine Noxe,
die erfahrungsgemäss an den verschiedensten peripheren Nerven
zu entzündlichen Processen führt, auch am Sehnerven derartige
Veränderungen hervorrufen kann, so ist dies um so wahrschein¬
licher, als wir bei einer ganzen Reihe von Polyneuritiden, be-
*) Memorab. XL, 2, pag. 72, ref. J.-Ber. f. Ophthal mol. 1896,
pag. 456.
*) Ueber die Einwirkung der Kohlenoxydgas-Vergiftung auf
das Auge. Festschr. Wiesb. Bergmann 1893.
10 ) Die Beziehungen des Sehorgans und seiner Erkrankungen
etc. Wiesb. 1893. pag. 226 ff.
M ) VIrchow’s Arch. XXXII.
”) Deutsch, med. Wochenschr. 1889, No. 26—28.
l *) Wien. klin. Wochenschr. 1893, No. 21 u. 22.
,4 ) L c. pag. 359.
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24. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1533
sondere solchen toxischen Ursprungs, derartige Kombinationen
lange kennen, eine Thatsaohe, die Uhthoff“) veranlasste,
alle „diejenigen Intoxikationen oder Infektionskrankheiten, die
zu multipler Neuritis disponiren“ als eine Gruppe zusammen¬
zufassen, bei der auch Sehnervenaffektionen im Wesentlichen vom
Charakter der retrobulbären partiellen Neuritis optica auftreten.
Es liegt mir selbstverständlich fern, aus dem mitgetheilten
Falle, zumal bei der Lückenhaftigkeit der Beobachtung in dieser
Hinsicht, die sich aus dem ursprünglich rein praktischen Inter¬
esse des Falles erklärt, irgendwie weitergehende Schlüsse auf die
Pathogenese ziehen zu wollen. Ich möchte jedoch auch nicht
unterlassen, darauf hinzuweisen, dass, wenn auch eine so aus¬
gesprochene Beeinträchtigung des centralen Sehens, wie sonst
bei derartigen Amblyopien, nicht nachzuweisen war, doch die
Herabsetzung des Farbensinns, insbesondere die starke Beein¬
trächtigung der Grünwahrnehmung, auf die Analogie der vor¬
liegenden Affektion mit anderen toxischen Neuritiden, besonders
den nach Alkohol- und Schwefelkohlenstoffvergiftung auftreteu-
den, hinzuweisen scheint, sowie dass möglicher Weise die nur
theilweise Röthung der linken Papille schon als Ausdruck einer
beginnenden temporalen Abblassung aufgefasst werden muss.
Diese nahe Verwandtschaft der Krankheitsbilder könnte
auch für die pathogenetische Auffassung der Kohlenoxyd¬
neuritis noch eine andere Bedeutung haben. Erklärt sich einer¬
seits vielleicht das relativ seltene Vorkommen derartiger Zu¬
stände dadurch, dass es sich, im Gegensatz zu der ausgesprochen
chronischen Entwicklung z. B. der Alkoholneuritis, bei der CO-
Intoxikation fast ausnahmslos um eine einmalige mehr weniger
intensive Einwirkung des Giftes handelt, so bleibt doch noch die
Frage ungelöst, warum bei gleicher Intensität der Vergiftung
einmal nach Abklingen der eigentlichen Intoxikationserschei¬
nungen Wiederkehr der Gesundheit, im anderen Fall langwierige
Nachkrankheiten zur Beobachtung gelangen. Die von Schwe¬
rin 1 *) ausgesprochene, unter Anderen auch von E. Eomak'’)
abgelehnte Hypothese, dass es sich stets um Drucklähmung in
Folge der Lage während des komatösen Zustandes handle, mag
ja für einzelne Fälle, darunter auch den von Schwerin mit¬
getheilten, zutreffen, sie mag auch in vielen Fällen für die Ent¬
stehung schwerer trophischer Störungen, des häufig beobachteten
Decubitus, verantwortlich gemacht worden, jedenfalls ist aber
der Druck des Körpers nicht das einzig in Betracht kommende
Moment. Ist es doch, wie in anderen Fällen, auch im Fall G.,
nicht wohl zu verstehen, wie eine derartig ausgedehnte, doppel¬
seitige Erkrankung durch eine bestimmte Lage hervorgerufen
werden, wie vor Allem die Augenaffektion davon abgeleitet wer¬
den könnte.
Viel eher glaube ich, dass man entsprechend der vielseitigen
Analogie der Krankheitsbilder daran denken muss, dass chro¬
nischer Alkoholgenuss prädisponirond für die neuritisehe Er¬
krankung eingewirkt haben kann, ähnlich wie Plenio 1 *) in
etwas anderem Sinne auf den ungünstigen Einfluss des Alko¬
holismus auf die allgemeine Prognose bei CO-Vergiftung hin¬
weist. Näher auf diesen Punkt oder gar auf die Frage, ob es
sich dabei um eine primäre oder mittelbare Schädigung der ner¬
vösen Elemente handelt, einzugehen, liegt um so mehr ausserhalb
des Zwecks dieser Zeilen, als die im Fall G. erhobenen anam¬
nestischen Angaben in dieser Hinsicht weder ausreichend noch
zuverlässig genug sind, um eine Verwerthung zu rechtfertigen.
Ich beschränke mich deeshalb darauf, an der Hand des Falles
selbst und obiger Ueberlegungen, wie auf das Vorkommen von
Neuritis opt. nach CO-Vergiftungen, so auch auf die Möglich¬
keit eines Zusammenhangs zwischen dem Auftreten schwerer
neuritischer Nachkrankheiten nach derartigen Vergiftungen und
vorherigem chronischen Alkoholismus hinzuweisen.
Ueber einen Fall durch Operation geheilter
Perforation8peritonitis.
Von Dr. Brunotte in Bitsch (Lothringen).
Die Entstehungsureache der sogen. Perforationsperitonitis
ist in der Mehrzahl der Fälle die Perforation irgend eines Bauch-
**) Vortr., XIII. Internat med. Kongr. ln Paris, 4. VIII. 1900;
ref. im Arch. f. Augenheilk. XLII, pag. 220.
**) Bert klin. Wochenschr. 1891, pag. 1089.
,f ) L c. pag. 526.
") Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XLIII.
eingeweides im Peritonealraum. Der Durchbruch kann von
innen her erfolgen oder durch eine äussere Verletzung hervor¬
gerufen werden. Abgesehen von diesen letzteren Fällen sind es
meist geschwürige Procesae des Magendarmkanals, die die Ur¬
sache bilden, zunächst der Magen — Ulcus ventriculi —, der
Zwölffingerdarm, der untere Theil des Dünndarms, besonders der
Wurmfortsatz, das Kolon. Dann aber auch die Gallenblase, be¬
sondere durch Steine, die Tuben, Ovarien, der Uterus und die
Harnblase. Die Perforation kann plötzlich erfolgen oder aber
es geht ein Stadium lokalisirter Entzündung voraus, wobei dann
erst in Folge des Nachgebens der Verklebungen eine diffuse Ent¬
zündung zur Entstehung kommt. Danach hat man zunächst
zwischen freier und abgekapselter Perforationsperitonitis zu
unterscheiden.
Die Dauer einer freien Perforationsperitonitis ist meist eine
sehr kurze; mitunter tritt nach der Perforation der Tod sofort
ein unter schockartigen Erscheinungen, in anderen Fällen nach
wenigen Stunden oder Tagen; Genesungen sind äusserst seltene
Ausnahmen.
Bei so schlechter Prognose lässt es sich wohl denken, wie
freudig es seiner Zeit bogrüsst wurde, als Chirurgen es unter¬
nahmen, auf operativem Wege dieser gefürchteten Erkrankung
beizukommen, und die ersten Heilungserfolge veröffentlichten.
Mikulicz und Krönlein 1 ) machten die ersten Opera¬
tionen mit Erfolg und seit dieser Zeit finden sich zahlreiche
Veröffentlichungen über Heilungen durch operativen Eingriff.
Rioblanc 5 ) berechnet die Heilungserfolge bei trau¬
matischer Perforationsperitonitis auf 28 Proc., bei ulceröser (mit
Ausschluss der Perityphlitis), also nach Typhus, Tuberkulose,
Ulcus ventriculi etc., auf 36 Proc., bei circumscripter Peritonitis
nach Perityphlitis auf 85 Proc. Die Abhandlung R i o bl an c’s
war mir leider nicht zugänglich, ich entnehme die Statistik
einer über Perforationsperitonitis gleichfalls interessante Daten
enthaltenden Arbeit von J a n z ’), der unter 29 • aufgezählten
Fällen 10 Heilungen, also 34,5 Proc., beschreibt. Sehr in’s
Gewicht fällt bei der erwähnten Statistik R i o b 1 a n c’s die An¬
gabe, dass es sich bei den operirten Fällen von Perityphlitis
speciell um circumscripte Peritonitis gehandelt habe, die ja ent¬
schieden als die günstigste Form der Bauchfellentzündung an¬
gesehen werden muss und dementsprechende Heilungschancen
bietet. Es handelt sich hier um eine durch Adhäsionen abge¬
grenzte, umschriebene, die eingedrungene Schädlichkeit durch
Abkapselung umschlieesende Entzündung, während das übrige
Bauchfell frei bleibt. Es fehlen hiebei auch die sonst das Krank¬
heitsbild vollständig beherrschenden peritonitischen Symptome.
Andere bei den übrigen Formen, der diffusen, jauchig-eitrigen
und der progredienten, fibrinös-eitrigen Bauchfellentzündung.
Körte*) rettete unter 11 Kranken, die an fibrinös-eitriger
Bauchfellentzündung litten, 6, unter 7 mit jauchig-eitriger, all¬
gemeiner Peritonitis keinen. Daraus ist ersichtlich, welch’ grosse
Rolle die fibrinösen Verklebungen spielen, die die fibrinös-eitrige
Form mehr der abgesackten nähern.
Sonnenburg*) erzielte durch Operation 71 Proc. Hei¬
lungen bei progredienter, fibrinös-eitriger Entzündung, und
44 Proc. bei jauchig-eitriger, in Gesammthedt 60 Proc. Heilung.
Körte*) betont Eingangs seiner Abhandlung, dass jede Heilung
einer eitrigen Peritonitis durch Operation einen wichtigen und
miltheilenswertben Erfolg darstelle. Doch nicht dies allein ist
es, was mich veranlasst, meinen einzelnen Fall zu beschreiben,
sondern abgesehen von den möglichst ungünstigen äusseren Ver¬
hältnissen ergaben sich im Verlaufe der Behandlung verschiedene
interessante Beobachtungen, so dass ich eine Mittheilung des¬
selben am Platz halte.
Matthias O., 36 Jähriger Ackerer von Busweiler bei Bitsch,
wurde am 10. Mai d. Ja. Morgens 6 Uhr beim Betreten des Stalls
von einem Füllen mit dem Huf gegen die rechte untere Bauchseite
geschlagen. Er verspürte zunächst zwar ziemlich erheblichen
Schmerz an der getroffenen Stelle, verrichtete aber trotzdem die
ca. % Stunden dauernde Stallarbeit weiter. Erst nach dieser Zeit
‘) Arch. f. klin. Chir. 1880, XXXIII.
*) Archive de mödecine et pharmacie mllltaires 1890, XVI.
*) Janz: Inaug.-Dissert., Berlin 1891.
*) Arch. f. klin. Chir. XXXXIV, 1890.
*) Sonnenburg: Deutsch, med. Wochenschr. 1901, Xo. 15.
*) 1. c.
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1534
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
wurde es ihm übel, kalter Schweiss trat ihm auf die Stirne, er
wurde halb ohnmächtig und klagte über zunehmende Schmerzen.
Gegen 10 Uhr wurde ich gerufen. Ich fand den Verletzten, einen
hageren, aber kräftigen Mann, zu Bett liegend, nicht gerade
schlecht aussehend, über keine besonderen Schmerzen klagend.
Auf leichten Druck ist die Gegend des Blinddarms etwas empfind¬
lich, die übrigen Partien des Leibes sind schmerzfrei. Stuhlgang
war am Tage vorher erfolgt. Während so zunächst nichts dafür
sprach, dass durch den erlittenen Ilufschlag eine Verletzung des
Darms hätte erfolgt sein können, wurde ich durch das Thermo¬
meter ln ganz bestimmter Weise aufgeklärt. Der kräftige, aber
beschleunigte Puls, 90, veranlasste mich, die Körpertemperatur
zu bestimmen In der Tliat konnte ich Fieber von 38,8 0 fest stellen.
Da eine Untersuchung des übrigen Körpers ein negatives Resultat
ergab, so war die Diagnose einer Darmverletzung sicher.
Ich habe nirgends in der mir zugänglichen Literatur eine
gleiche oder ähnliche Thatsaclie erwähnt gefunden, dass bereits
4 Stunden nach erlittener Verletzung derartig erhöhte Temperatur
bestand, mit anderen Worten, dass eine frisch entstandene Peri¬
tonitis einen derartigen foudroyanten Charakter trägt, ein aus¬
gezeichneter Beweis dafür, wie ausserordentlich empfindlich das
Bauchfell auf infektiösen Reiz reagirt
Der Vorschlag einer Operation wurde abgelehnt. Der Zu¬
stand des Verletzten schien der überhaupt messerscheueu Um¬
gebung trotz meiner eindringlichen Vorstellungen nicht so ge¬
fährlich, als dass sie einen Eingriff hätten vornehmen lassen, der
von mir auch nicht als unbedingt sicher hingestellt werden konnte.
So blieb denn nichts Anderes übrig, als den Verletzten zunächst
mit Opium zu behandeln.
Die Abendtemperatur betrug 39,2, Befinden immer noch leid¬
lich, mit Ausnahme von viel Singultus und Durst, Erbrechen nicht
vorhanden. Am 11. Mai Morgens 38,0, Abends 39,4; ich hatte an
diesem Tage den Patienten überhaupt nicht gesehen, die Hebamme
des Orts, die ihn gemessen, schrieb, dass er ausserordentlich un¬
ruhig sei, über zunehmende Schmerzen im Leibe klage, viel auf-
stosse und Schleim erbreche. Als ich am darauffolgenden Tage,
am 12. Mal, den Verletzten wieder sah, fand ich nun etwas sehr
Merkwürdiges. Im rechten Theil des Hodensacks befand sich
eine fast faustgrosse Hernie, der Inhalt fühlte sich weich an,
schien mir Netz zu sein, und befand sich bereits in leicht ent¬
zündlichem Zustand, so dass ganz leichte Repositionsversuche, die
nicht gelangen, sehr starke Schmerzen verursachten. O. gab an,
dass er nie ejwas von einem Bruch bisher wahrgenommen hätte,
erst ln der letzten Nacht wäre derselbe ausgetreten. Wie ich
einerseits ganz sicher bin, dass am 1. Tage der Beobachtung dieser
Bruch noch nicht vorhanden, resp. noch nicht fühlbar war, so
habe ich auch andererseits keine Veranlassung, an der Aussage des
Kranken zu zweifeln, und bin mir offen gestanden über die Ent¬
stehungsursache dieses Bruchs auch jetzt noch vollständig im Un¬
klaren. An der Gelegenheit, bei zweifelsohne schon präformirter
Bruchpforte einen ausgebildeten Bruch zu bekommen, hat es bei
einem schwer arbeitenden Mann sicherlich bis dahin nicht gefehlt,
wie sollte cs Jetzt bei Bettruhe dazu kommen? Das Erbrechen bei
Peritonitis geht so charakteristisch ohne Würgen vor sich, dass
die Bauchpresse dabei doch nur in ganz geringem Grade in Aktion
tritt
Abgesehen von diesem auffallenden Befund zeigte der Ver¬
letzte immer mehr in den Vordergrund tretende peritonitische
Erscheinungen, Temperatur Morgens 39,0, Abends 39,8°, Puls
klein, stark beschleunigt, 140, quälender Singultus, häufiges Er¬
brechen von thells gelben, galligen, theils grasgrünen Massen,
kein Stuhlgang, keine Flatus, häutiger Harndrang. Der Leib war
nicht besonders aufgetrieben, überall, besonders rechts unten,
schon auf leisesten Druck sehr empfindlich, bei Percussion au
allen Stellen Tympanie. Die Hernie ist ebenfalls stark druck¬
empfindlich, die Haut über derselben entzündlich geröthet, das
ganze Skrotum leicht oederaatös. Trotz des elenden Zustands des
Kranken und trotz der eindringlichsten Vorstellungen wird Opera¬
tion abgelehnt.
Am nächsten Morgen, also am 4. Tag nach der Verletzung,
werde ich wieder telegraphisch gerufen. Der Mann macht schon
bei flüchtiger Besichtigung den Eindruck eines mit schwerster
allgemeiner Bauchfellentzündung behafteten Kranken. Aus¬
gesprochene Facies liippocratica, Puls fliegend, 100—180, Tem¬
peratur 35,4, die Haut kühl, mit klebrigem Schweiss bedeckt, die
erbrochenen Massen braun, riechen stark füculent. Im sonstigen
Befund keine Aenderung seit gestern. Obwohl ich selbst nicht
mehr an Rettung dachte, schlug ich doch nochmals einen opera¬
tiven Eingriff vor, der angesichts des traurigen Zustands und auf
dringenden Wunsch des Verletzten selbst von der Umgebung end¬
lich zugegeben wurde. Jetzt blieb nur noch der 10 km weite
Tran8j>ort nach Bitscli in das dortige Spital übrig, in dem ausser
der Möglichkeit, mit sterilem Operationsmaterial zu arbeiten, die
Verhältnisse auch gerade keine für Laparotomien günstige sind.
Unter Aether-Kampherwirkuug wurde der Transport leidlich
überstanden. Um 2 Uhr Nachmittags Beginn der Operation. Ich
schickte der Laparotomie zunächst die Herniotomie voraus. Ohne
eigentlichen Bruchsack fand sich verdickt aussehendes, stark
injicirtes Netz vor; ein äusserst schonend gemachter Repositious-
versuch misslang und wurde nicht wiederholt, beim Zurückgehen
des Fingers aus dem Leistenring entleert sich aus der Bauchhöhle
kommend eine trübe, grünliche Flüssigkeit von fadem, aber nicht
faeculentem Geruch, die untere Seite des Netzes ist stellenweise
mit fibrinösen, eitrigen Auflagerungen bedeckt.
Hierauf verlängerte ich den für die Herniotomie angelegten
Schnitt nach oben bis in die Nabelhöhe. Nach Eröffnung der
Bauchhöhle zeigten sich erst geblähte, stark injiclrte, fibrinös be¬
legte DUnndarmschlingen, zwischen welchen etwas Exsudat von
gleicher Beschaffenheit, wie beschrieben, hervorquillt und sich
nach aussen entleert; dann kommt das namentlich an der Unter¬
seite fibrinös belegte, äusserst entzündlich aussehende Netz zuui
Vorschein. Beim vorsichtigen Vorgehen in die Tiefe zwischen den
leicht verklebten Darmschlingen nach der Fossa iliaca zu ent¬
leert sich plötzlich in dickem Strahl eine reichliche Menge gelb-
kothig aussehender, ekelhaft stinkender, Jauchig-eitriger Flüssig¬
keit. Die PerforationsöfTnung fand ich nicht; der Zustand des
äusserst heruntergekommenen Patienten gestattete nicht, länger
danach zu suchen. So beschränkte ich mich darauf, die Toilette
der Bauchhöhle, soweit zugänglich, aber ohne stärkere Verkle¬
bungen zu lösen, möglichst gut vorzunehmen, schloss nach Ein¬
legen eines langen, sterilen Gazestreifens die Herniotomie- und
zum Theil die Laparotomiewunde durch Nähte; Verband. Die
Abendtemperatur betrug 40°, fortwährendes Erbrechen galliger
und faeculenter Massen, Singultus, Puls klein, 120, Patient
äusserst schwach. Die Nacht war unruhig. Am nächsten Tag
kein Fieber, keine Schmerzen, doch ebenso wie noch am ganzen
nächsten Tag häufiges Erbrechen und quälender Harndrang.
Der Harn, erst an diesem Tage untersucht, enthält Eiweiss und
gibt starke lndicaureaktion. Am 2. Tage nach der Operation zeigte
sich der Verband derartig durchtränkt, dass ich denselben wech¬
seln musste. Die Wunde sieht gut aus, doch war der Leib stark
aufgetrieben und schienen die Nähte derartig gespannt, dass Ich
es vorzog, einen Theil derselben zu durchschueiden, so dass fast
die ganze Laparotomiewunde ungenäht blieb und die Därme offen
dalngen. Das Erbrechen Hess dann nach, das Aussehen besserte
sich sichtlich, wenn Patient auch immer noch in Folge der fehlen¬
den Ernährung weiter abmagerte. Dieselbe bestand in den ersten
Tagen nur in kleinen Eisstückchen, die nach dem Zergehen wieder
ausgespuckt werden mussten, und Nährklystieren aus Bouillon,
Ei, Rothwein oder Cognac. Am 4. Tage nach der Operation ent¬
stand plötzlich Abends Fieber, 38,2, zugleich sprach O. den ganzen
Tag verwirrt, war die Nacht äusserst unruhig, warf sich hin und
her, sprang aus dem Bett etc., ein Zustand, der am nächsten Tag
sich noch verschlimmerte. Temperatur Morgens 37,9, Abends
38,4. Ich hielt diesen Zustand theils für Inanitionsdellrlen, theils
veranlasst durch die nun seit 10 Tagen bestehende Stuhlverhal¬
tung, applicirte desshalb 2 hohe Einläufe und gab dann, als diese
nichts nützten, sondern nur quälenden Druck veranlassten, Riel-
nusöl. Es erfolgte reichlicher Stuhlgang, das Fieber sank sofort,
Patient klagte über Hunger, den ich mich nicht scheute, ihn jetzt
in vorsichtiger Weise stillen zu lassen. Jedoch zeigte sich beim
Verbandwechsel eine neue Komplikation, der Verband und die
ganze, sich schon verkleinernde Wunde waren mit Koth ver¬
schmiert, es hatte sich also eine Kothflstel gebildet Diese Kom¬
plikation war um so unangenehmer, als sich nun von da ab
4 Tage laug profuse Diarrhöen abscheulich stinkenden, dünn-
gelben Stuhlgangs, 10—12 am Tage, einstellten, die einen jedes¬
maligen Verbandwechsel nöthig machten. Trotz dieser Diarrhöen
kamen die Kräfte bei kaum zu stillendem Hunger von Tag zu
Tag mehr, und zum grössten Glück hatte sich, als die Diarrhöen
nach 4 Tagen nachliessen, auch die Kothflstel von selbst ge¬
schlossen.
Bereits am 27. Mal musste aus äusseren Gründen die Ent¬
lassung aus dem Spital erfolgen bei gut granulirender Bauch- und
vollständig geschlossener Hernlotomiewunde. Interessant waren
die Gewichtsverhältnisse. O. hatte sich wenige Tage vor der Ver¬
letzung zufällig gewogen und wog damals 155 Pfd., bei der Ent¬
lassung aus dem Spital nur noch 97 Pfd.
Am 1. Juli konnte ich denselben endgiltig aus der Behandlung
entlassen, er sieht blühend aus, die Bauchwunde ist völlig ge¬
schlossen, scheinbar ohne Aussicht auf einen Bauchbruch, jedoch
besteht ein irreponlbler, weil fest verwachsener Netzbruch, den
eventuell eine später vorzunehmende Operation beseitigen soll.
Eine kritische Betrachtung des Falles zeigt die gewiss er¬
freuliche Thatsaclie, dass cs trotz aller misslichen Umstände ge¬
lang, dem Patienten das sonst in aller Kürze verlorene I^ben
zu erhalten, nachdem durch die Schuld der Umgebung die beste
Zeit vertrödelt und der Verletzte bis auf’s Aeusserste herunter¬
gekommen war. Ferner zeigt der Fall die Berechtigung und die
Nothwendigkcit eines operativen Eingriffs bei traumatischer
Peritonitis. Der Zufall wollte es, dass ich kurze Zeit darauf ein
nach lnfluenzapneumonio entstandenes Empyem der Brusthöhle
mittels Rippenresektion operiren musste. Ein Vergleich beider
Fälle lag nur zu nahe und so gut kein Arzt sich scheuen wird,
dem in der Brusthöhle sich ansammelnden Eiter freien Abfluß
zu verschaffen, ebensogut muss auch für die Bauchhöhle dieselbe
Forderung erhoben werden, nach dem alten Grundsatz: Ubi pus,
ibi evacua.
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24. September 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1535
Aus dem physiologischen Institut der thierärztlichen Hochschule
zu Dresden (Direktor: Geheimrath Prof. Dr. Ellenberger).
Die Tamponade der Bauchhöhle mit Luft zur Stillung
lebensgefährlicher Intestinalblutungen.
Von Dr. Georg Kclling in Dresden.
(Schluss.)
Ich bringe nun einige Beispiele:
1. Kleiner Foxterrier. Bauchhöhle bis zu 50 mm Hg aufge¬
blasen. Uer Leib war bretthart; der Hund vertrug das anstands¬
los. Nach 2 Tagen war der Leib bedeutend weniger gespannt,
aber er enthielt noch ziemlich viel Luft. Auch nach 8 Tagen
enthielt er noch reichlich Luft, doch war die Bauchwand nicht
mehr gespannt.
2. Kleiner, gelber Spitz, zeigt ganz dasselbe Verhalten.
3. Kleiner Pudel. Leib aufgeblasen bis zu 45 mm Hg. Nach
2 Tagen wurde der Leib in Narkose geöffnet; es entströmt noch
sehr viel Luft. Magen und Darm waren kontrahirt und lagen der
Rückwand des Leibes an.
4. Weisser Spitz. Respiration betrug 15 pro Minute vor dem
Versuch. Der Bauch wurde bis zu GO mm Hg mit Luft gefüllt.
Die Respiration betrug danach ebenfalls 13—15. Die Luft wurde
nun im Leibe gelassen. Nach 19 Stunden war der Leib noch stark
gefüllt, aber etwas weicher. Die Venen der Bauchwand treten
prall hervor. Der Druck, mit einer Pravazuadel im Abdomen be¬
stimmt, betrügt 10 mm Hg. Nach 3 Tagen betrug der Druck eben¬
falls noch 10 mm Hg.
5. Grosser, weisser Spitz. Respiration 12 pro Minute. Die
Bauchhöhle wurde bis zu 60 mm Hg Druck mit Luft gefüllt. Dann
betrug die Respiration 20 pro Minute. Nach 19 Stunden war der
Leib noch sehr nufgetrieben und gespannt, die Venen der Bauch¬
wand deutlich gefüllt, Druck 15 mm Hg. Jetzt wurde nochmals
auf 50 mm Hg Luft nachgefüllt. Nach weiteren 24 Stunden be¬
trug der Druck im Abdomen 25 mm Hg. Nun wurde die gesammte
Luft herausgelassen. Während der Versuchszelt war der Hund
trotz des aufgetriebenen Leibes ganz munter, setzte Stuhl und
Urin ab, frass aber wenig.
G. Schwarzer Pinscher. Der Leib wurde bis zu 50 mm Hg mit
Luft gefüllt und durch Nachfüllen 1 Stunde lang der Druck ge¬
halten; es wurde anstandslos vertragen.
Beim Menschen ist die Spannung des Peritoneum parietale
auch schmerzlos, wie wir mit Sicherheit aus den Erscheinungen
des hochgradigen Ascites schllessen können.
Um die Wirkungen der Luftfiillung kennen zu lernen,
wurden erst einige Untersuchungen am Gefässsystem an¬
gestellt, z. B.:
1. Kleiner Pinscher. Aethernarkose. Der Druck in der Femo¬
ralis betrug 90 mm Hg. Es wurde nun Luft in die Bauchhöhle ein¬
geblasen bis auf 50 mm Hg, dabei stieg der Druck in der Femoralis
auf 110 mm. Als die Luft herausgelassen wurde, sank der Druck
auf 100 mm. Bei erneuter Füllung der Bauchhöhle bis zu 50 mm
stieg der Druck ln der Femoralis auf 110 mm und sank nach dem
Herauslassen wieder auf 100 mm. Das Abdomen wurde geöffnet
und die Därme ganz kontrahirt gefunden.
2. Mittelgrosser Dachshund. Aethernarkose. Druck in der
Carotis 110 mm Hg, in der Femoralis 130 mm Hg. Luft in’s Ab¬
domen eingeblasen bis zu 60 mm Druck. Es betrug dann der
Druck in der Carotis 130 und in der Femoralis auch 130 mm. Es
wurde nun daß Abdomen bis zu 80 mm aufgeblasen, dabei wurde
der Druck ln der Carotis kurze Zelt 140 mm Hg, sank aber dann
auf 120 mm. In der Femoralis betrug er 120 mm. Nach Ent¬
leerung der Luft änderte sich am Druck in der Carotis nichts,
an der Femoralis war das Blut im Manometer geronnen.
3. Mittelgrosser Schäferhund. Aethernarkose. Druck in der
Femoralis 106 mm, in der Carotis 120 mm. Das Abdomen wurde
bis zu 100 mm Druck aufgeblasen. Der Druck in der Femoralis
blieb 106 mm, in der Carotis stieg er auf 130 mm.
Wir sehen also aus den Versuchen, dass der Druck in der
Femoralis trotz der enormen Drucksteigerung im Abdomen fast
gar nicht beeinflusst wird. Man könnte glauben, dass dieser
Druck die Femoralis vollständig komprimiren würde. Dass dies
nicht der Fall ist, hat nun darin seinen Grund, dass das Peri¬
toneum parietale an ein festes Fasciengewebe gefügt ist, welches
von einer gewissen Grenze an nicht mehr nachgiebig ist, während
die darüber gelegte Muskelschicht noch bequem nachgeben kann.
In Folge dessen haben wir einen prall gefüllten engeren in einem
nachgiebigen weiteren Sack, zwischen welchen beiden die Gefässe
bequem verlaufen können. Beim Menschen verhält es sich
ebenso, denn sonst könnte es nicht bei hochgradigem Ascites Vor¬
kommen, dass die Nieren Ham absondern und dass sogar Oedeme
der Beine fehlen.
Es fragt sich nun weiter, wie sich die Organe selbst bei der
Luftaufblasung verhalten? Um dies festzustellen, schuf ich mir.
eine Methode der Endoskopie der uneröffneteu Bauchhöhle
(Koelioskopie) in folgender Weise. Die Bauchhöhle wurde mit
Luft gefüllt durch einen Fiedle Fschen Troicart. Der Vortheil
dieses einfachen und ingenieusen Apparates besteht bekanntlich
darin, dass man die Spitze sofort decken kann, sowie man die
Wandung durchstochen hat. Er besteht aus 2 Röhren, die äussere
spitz geschliffen, die innere abgerundet. Wird die innere Röhre
vorgeschoben, bis vor die Spitze der äusseren, so ist damit das
Ende des Troicarts stumpf. Nun kann man mit dem Instrument
die Organe berühren, abheben, niederdrücken etc. und auch ihre
Resistenz palpiren, ohne sie zu verletzen. Für die Besichtigung
nahm ich ein dünnstes Nitz e’sches Cystoskop von 6 mm Durch¬
messer. Dasselbe ist aber vollkommen gerade und wird in eine
unten spitz geschliffene Metallhülse eingesteckt. Es wird nach
Infiltrationsanaesthesie wie ein F i e d 1 e r’scher Troicart einge¬
stochen in die mit Luft gefüllte Bauchhöhle. Man kann auf diese
Weise fast schmerzlos dieBauchhöhle des lebenden Thieres wunder¬
schön besichtigen. Nach Beendigung des Versuches zieht man
das Cystoskop heraus, lässt durch den Troicart die Luft ent¬
weichen und bepinselt die kleinen Oeffnungen mit Jodoform-
collodium. Der Hund ist nach Beendigung des Versuches sofort
so munter wie vorher. Wenn man nun die Bauchhöhle bis zu
einem Druck von 50—60 mm Hg mit Luft füllt, so beobachtet
man Folgendes. Das Zwerchfell ist stark gespannt und fällt für
die Athmung aus. Die Leber und Milz sind in ihrem Volumen
beträchtlich verkleinert und sehen dunkelbraunroth aus. Der
Magen und Darm liegt komprimirt der Rückwand des Bauches
an, er ist ganz blass, die grösseren Arterien sind nur als feine
rothe Striche zu sehen; ebenso erscheint das Netz blass, mit
feinen rothen Strichen, häufig den ganzen Darm bedeckend. Es
kann kein Zweifel sein, dass bei starker Luftfüllung der Bauch¬
höhle die Organe blutarm werden und wahrscheinlich auch
Lymphe aus ihnen herausgepresst wird.
Macht man nun bei Luftfüllung der Bauchhöhle unter Kon-
trole des Auges Verletzungen an den Organen, z. B. Stiche und
Ritze an der Leber, so sehen wir, dass dieselben ausserordentlich
wenig oder auch gar nicht bluten. Lassen wir die Luft darin
und sehen wir nach 1—2 Tagen nach, so finden wir bei der
Sektion an der Oberfläche der Leber noch deutlich Risse, die
Rissflächen sind aber miteinander schon verklebt und zeigen nur
ganz minimale Blutungen.
Es wurden mm noch folgende Versuche ausgeführt, um die
Wirkungen des Verfahrens sicher kennen zu lernen. Bei 2 Hun¬
den wurde die Bauchhöhle mit Luft gefüllt bis zu 80 mm Hg.
Es wurde anstandslos vertragen. Jetzt wurden die Hunde durch
Einathmen von Chloroform getödtet und dann die Sektion aus¬
geführt. Es zeigte sich nun der Magen und Darm kontrahirt und
auffällig blass, die Leber und Milz verkleinert und auf dem
Durchschnitt sehr blutarm. Die Eingeweide sahen genau so aus,
wie bei einem durch Verblutung getödteten Thiere. Da bei der
Luftfüllung die Organe der Bauchhöhle beträchtlich vermindert
werden, so ist es wahrscheinlich, dass die Methode mit Nutzen
angewendet werden könnte bei gewissen Formen von Strangu-
lationsileus. Wenn man nämlich aus besonderen Gründen von der
Operation absehen muss, so könnte auf diese Weise eine spontane
Lösung des Hindernisses zu Stande kommen. Dann könnte es von
Nutzen sein bei akuter Peritonitis, wenn man nicht operiren will
oder kann, denn das Verfahren beseitigt die Blutüberfüllung der
Toxine. Es gibt noch andere Krankheiten, bei welchen dieses
Verfahren nützlich sein könnte. So z. B. könnte es bei der
Cholera nicht nur die Hyperaemie des Darmes, sondern auch die
enorme, die Todesursache abgebende Transsudation unterdrücken.
Jedenfalls haben wir in der pneumatischen oder hydraulischen
(mit physiologischer Kochsalzlösung ausgeführten) Kompression
ein mächtiges Mittel in der Hand, um auf den Blutgehalt der
Eingeweide einzuwirken. Doch sind für dies Allee specielle Thier¬
versuche erforderlich, zu denen ich leider nicht gekommen bin.
Ferner bestimmte ich, um die Blutstillung des Verfahrens
beweisen zu können, die Menge Blut, welche in derselben Zeit aus
derselben Wunde ausfloss, einmal mit Lufttamponade der Bauch¬
höhle und dann ohne solche. Zu dem Zwecke wurden die Hunde
mit Aether narkotisirt, die Bauchhöhle durch Schnitt in der
Mittellinie geöffnet. Soll die Leber verletzt werden, so wurde
dieselbe in der Nähe des Hilus mit einer stumpfen Oehrsonde
durchbohrt und ein Seidenfaden durchgezogen. An den Seiden¬
faden wurde ein zweischneidiges, an der Spitze durchlochtes
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1536
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Messer angebunden. Das Messer kommt dabei an die untere
Fläche der Leber zu liegen. Messer und Faden werden nun am
Wundwinkel herausgelagert; die Bauchhöhle wird dann mit fort¬
laufender Naht geschlossen. In den Wundwinkel, welcher das
Messer herausleitet werden 2 Knopfnähte provisorisch angelegt.
Das Messer wird jetzt durchgezogen, die Knopfnähte sofort ge¬
knotet, der Troicart eingestochen und die Bauchhöhle mit Luft
aufgeblasen. Wenn nun auch etwas Luft entweicht, so gelingt
es doch bei permanenten Blasen unter Kontrole mit dem Mano¬
meter, den Druck in der Bauchhöhle auf 40—50 mm zu halten.
Versuche:
1. Mittelgrosser Schäferhund. Sagittale Schnittwunde ln der
Leber. Bauchhöhle 10 Minuten unter Druck von 40 mm Hg mit
Luft tamponlrt. Dann die Bauchhöhle mit einem schnellen Schnitt
geöffnet und die Leber besichtigt. Es war eine ca. 8 cm lange
Wunde. Im oberen Winkel war ein grösserer Ast der Lebervene
längs geschlitzt. Die Wunde war mit Gerinnsel bedeckt, blutete
fast nicht; lm Ganzen war etwa 1—2 Esslöffel Blut ausgelaufen.
Es wurden jetzt die Gerinnsel von der Wunde abgewischt, so dass
dieselbe von Neuem zu bluten anfing. Dann wurde die Bauch¬
höhle mit Klemmen provisorisch geschlossen und genau nach
10 Minuten wieder geöffnet. Es fanden sich nun ca. 200 ccm Blut
im Peritonealraum.
2. Mittelgrosser, schwarzer Spitz. Hier wurde die Arteria
mesenterica superior frelpräparirt und auf’s Messer genommen.
Nach Durchtrennung derselben sofortige Lufttamponade bis 50 mm
Hg, 3 Minuten lang. Dann sofortige Oeffnuug. Wir fanden nur
sehr wenig geronnenes Blut. Die Bauchhöhle wurde jetzt 3 Minu¬
ten offen gelassen und füllte sich etwa zur Hälfte mit Blut.
3. Mittelgrosser, schwarzer Pudel. Hier wurde das Messer so
angelegt, dass die Milz quer zur Längsachse durchtrennt wird.
Dann 4 Minuten Lufttamponade bei 40—50 mm Hg Druck. Bei
der Oeffnung der Bauchhöhle fand sich nur ca. 1 Esslöffel Blut.
Die Querschnitte der beiden Milzhälften wareu mit Gerinnseln be¬
deckt und fingen wieder an zu bluten, aber nur sehr wenig. Es
wurden jetzt die beiden Querschnitte mit dem Messer angefrischt
und nun liefen ln 4 Minuten ca. 100 ccm Blut ab. Die Milzgefässe
wurden unterbunden und die Milz exstirpirt und nun ein zweiter
Versuch mit Arteria mesenterica superior angestellt. Nach Durch-
treunung derselben Lufttamponade bei 40—50 mm Druck 3 Mi¬
nuten. Sofortige Oeffnung des Bauches. Es fand sich etwa ein
Tassenkopf voll Blut darin, die Blutung stand nicht. Die Blut¬
menge, welche sich in den nächsten 3 Minuten entleerte, schätze
ich auf das 2y 2 —8 fache.
4. Mittelgrosser Dachshund. Hier wurden 2 y 2 Handbreiten
Dünndarm ausgewählt. Die zwei grossen zuführenden Arterien
sammt den Venen auf eine Schlinge genommen, dann die Bauch¬
höhle geschlossen und die Schlinge zum unteren Wundwinkel
herausgeleitet. Zum Verschluss dieser Lücke wurde eine Knopf¬
naht provisorisch gelegt. Jetzt wurde die Schlinge angezogen,
damit die Arterien und Venen vor die Bauchdecken gebracht und
nun dieselben mit der Scheere durchtrennt. Sie spritzten stark
und w’urden ln die Bauchhöhle hineingeschoben, dann wurde die
Knopfnaht geknotet und Luft bis 50 mm Hg hineingeblasen;
% Minute dauerte dies. Der Druck wurde nun 5 Minuten gehalten,
dann die Bauchhöhle geöffnet. Wir fanden etwa 2 Esslöffel Blut
mit Gerinnseln. Die Blutung stand, wie man an den pulsirenden
Stümpfen der Arterien deutlich sehen konnte. Es wurde mit der
Scheere ein neuer Querschnitt am Mesenterialstumpf angelegt, und
es lief Jetzt aus denselben Gefässen schon in der 1. Minute circa
50 ccm Blut ab.
Es ist unmöglich, genau in Zahlen anzugeben, wie sich die
aus derselben Wunde in der gleichen Zeit entleerenden Blut¬
mengen mit und ohne Lufttamponade verhalten. Das eine lehrt
aber schon der Augenschein, dass Blutungen aus mittleren und
kleinen Gefässen ziemlich schnell zum Stehen kommen, aus
grösseren arteriellen Gefässen das Blut wenigstens bedeutend
schwerer ausfliesst.
Wir müssen nun weiter fragen, welche Schädigungen durch
Ausführung der Lufttamponade der Bauchhöhle entstehen. Da
wir einen Troicart einstechen müssen, könnten wir damit die
Eingeweide verletzen. Bei richtiger Technik fällt diese Gefahr
weg. Wenn wir nämlich beim Durchstechen der Fascie und des
Peritoneums Luft in den Troicart einblasen, so schiebt diese
Luft die Eingeweide weg und sowie die Spitze des Troicarts
in der Bauchhöhle ist, wird dieselbe gedeckt. Wenn starker
Meteorismus besteht, so würde ich so Vorgehen, dass ich erst den
Magen mit dem Schlauch entleere und eventuell das Querkolon
durch Einstich mit einer Pravaz’schen Kanüle, und dann die
Lufttamponade ausführe. Ich habe das Verfahren dutzende Male
bei Thieren und einige Male bei frischen menschlichen Leichen
ausgeführt und mich dann durch Operation resp. Sektion davon
überzeugt, dass kein Organ verletzt worden ist. Sollte es nun
wirklich bei ungeschickter Technik passiren, dass der Troicart
statt in die Bauchhöhle in den Magen kommt, so muss das der
Arzt doch sofort merken, da sich der Magen aufbläht und nicht
die gesammte Bauchhöhle. Er lässt dann die Luft aus den Magen
heraus und führt den Troicart in die Bauchhöhle von Neuem
ein. Gerade die Lufttamponade, welche den Magen komprimirt,
verschliesst am besten den unbedeutenden Stichkanal. Es loinn
sich ferner ereignen, dass Luft neben dem Troicart entweicht
und ein Emphysem der Bauchdecken bildet. Man kann diese
Komplikation meistens vermeiden durch Wahl der Linea alba
oberhalb des Nabels zum Einstich. Das subperitoneale Fett wird
dann durch den positiven Druck in der Bauchhöhle luftdicht an
den Troicart angepresst. Dann muss man vermeiden, wenn es
möglich ist, in Narben einzustechen, weil diese wegen ihrer Härte
nicht den Troicart elastisch umfassen. Im Uebrigen ist das
Emphysem der Bauchdecken ungefährlich, weil man es durch
Einstechen von Kanülen und Herausmassiren sehr schnell ent¬
fernen kann.
Minimal ist die Gefahr der Infektion des Peritoneums.
Während bei der Laparotomie die gewöhnliche Zimmerluft in die
Bauchhöhle gelangt, wird bei unserem Verfahren die Luft
durch Watte filtrirt. Verletzungen könnten ferner indirekt ent¬
stehen durch Risse im Peritoneum in Folge des hohen Druckes,
doch braucht derselbe für die Blutstillung nicht über 50 mm Hg
zu gehen, zumal immer bei grossen Blutverlusten der Blutdruck
erheblich herabgesetzt ist. Bei diesem Druck hält das mensch¬
liche Peritoneum unbedingt. Ich stellte darüber einige Versuche
an Leichen an, welche aber nicht im Stadium der Todtenstarre
sein dürfen, weil sonst die Luftauftreibung nicht genügend ge¬
lingt. Dass das Peritoneum dicht hält, lässt sich aus zwei Um¬
ständen leicht kontroliren. Eimal weil das Manometer den Druck
hält, also keine Luft entweichen kann, und zweitens weil man
nirgends unter dem Peritoneum Emphysem findet. Beispiele:
1. 60 jähriger Mann. Tod an Pneumonie. Peritoneum hält
150 mm Hg Druck ohne Einriss aus.
2. 36 jähriger Mann; j- an Lungentuberkulose.
3. 73 jährige Frau; f an Diabetes.
4. 28 Jährige Frau; f an Lungentuberkulose.
5. 45 Jährige Frau; -f an Lungentuberkulose.
6. 87 Jähriger Mann; f an Sepsis.
7. 40 jähriger Mann; } an Lungentuberkulose.
Alle diese hielten eine Luftauftreibung des Abdomens unter
einem Druck von mehr als 1 Vs m Wassersäule ohne Einriss des
Peritoneums aus.
Wichtiger ist der Einfluss der Lufttamponade auf die Ath-
mung. Von 20 Hunden vertrugen 2 das Verfahren nicht. Sie
bekamen eine starke Dyspnoe. Bei dem einen Hund wurde der
Versuch in Aethemarkose vorgenommen. Dieser Hund colla-
birte. Ich liess sofort die Luft heraus und machte einige künst¬
liche Athmungen. Das Thier erholte sich sehr schnell. Ich
füllte aber nun nochmals die Bauchhöhle mit Luft, tim zu sehen,
woran es lag. Der Hund collabirte wieder und ich liess ihn im
Collaps zu Grunde gehen. Bei der Sektion fand sieh als Todes¬
ursache nichts anderes, als ein sehr grosses, schlaffes, blutüber¬
fülltes Herz.
Wie sich die Sache beim Menschen gestaltet, lässt sich ver-
muthen aus den Erfahrungen beim Ascites. Manche vertragen
eine enorme Füllung der Bauchhöhle ohne besondere Athean-
bcschwerden. Andere werden hochgradig kurzathmig, so dass sie
desswegen punktirt werden müssen. Ich möchte aus Herz- und
Lungenkrankheiten keine besondere Kontraindikation gegen die
Lufttamponade entnehmen. Wenn sich Jemand in Gefahr be¬
findet, sein Leben in kurzer Zeit durch Verblutung zu verlieren,
so darf der Arzt nicht wegen Bedenklichkeiten die Hände in den
Schoss legen. Ich würde das Verfahren, wenn der Patient damit
einverstanden ist, immer versuchen unter Kontrole des Pulses
und der Atlimung. Wird es nicht vertragen, so ist ja die Luft
in kürzester Zeit zu entfernen.
Ein weiterer Einwand würde bestehen in der Anaemisirung
der Eingeweide, durch welche dieselben vielleicht in kürzester
Zeit absterben könnten. Ich muss darauf antworten, dass bei
unseren Thierversuchen die Eingeweide die Kompression ohne
Schädigung ausgehalten haben. Selbst ein so empfindliches
Organ, wie das Gehirn, verträgt eine hydraulische Kompression
von 50 mm Hg und mehr ohne S chädig ung (Druck in der Schädel-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1537
höhle beim Hydrooophalus und Experimente über Hirndruck).
Ich erinnere ferner an die Eamarc h’sche Blutleere, welche
stundenlang vertragen wird. Wegen der Bedenken, die wir wegen
der vorübergehenden Anaemisirung der Eingeweide haben könnten,
dürfen wir nicht zulassen, dass der ganze Körper an Anaemie zu
Grunde geht. Das aus den Eingeweiden herausgepresste Blut
kommt zudem doch dem Gehirn und der Lunge zu gute. Wir
unterbinden doch auch die grössten Arterien, wie die Iliaca und
die Aorta bei lebensgefährlichen Blutungen und diese Ligaturen
können in viel ausgedehnterer und irreparabelerer Weise Organ-
theile schädigen. Bei Ligaturen grösserer Gefässo können Oedeme
und haemorrhagische Infiltrationen der Gewebe entstehen und zwar
sowohl bei Verschluss der zuführenden Arterie, als auch der ab¬
führenden Vene. Man erklärt dies in der Regel dadurch, dass die
Capillaren in der Ernährung gestört und dadurch durchlässig
werden. Wegen der Schnelligkeit aber, mit der diese Verände¬
rungen eintreten, ist es wohl wahrscheinlicher, dass es sich um
rein mechanische Vorgänge handelt. Gewisse Capillaren haben
vielleicht einen Klappenmechanismus, der so beschaffen ist, dass
er nur bei einem gewissen Druckgefälle schliesst. Ich vermuthe,
dass auf diese Weise die sonst imerklärlichen parenchymatösen
Magenblutungen zu Stande kommen, wie sie auf nervösem Wego
bei jüngeren Personen (vicariirende Menstrualblutungen) und
auch in Folge von sklerotischen Veränderungen der Magen¬
arterien bei älteren Leuten zu Stande kommen.
Es erübrigt noch, zum Schluss zu besprechen, wie die Luft¬
tamponade der Bauchhöhle am besten ausgeführt wird.
Der ganze dazu nothwendlge Apparat lässt sich ln einfachster
Welse herstellen aus einem Doppelgebläse, einem Fiedle Fachen
Trolcnrt, einem Quecksllbermanometer — statt dessen kann auch
ein Kapselmanometer verwendet werden, wie es bei dem Basch-
schen oder Gärtne r'schen Apparat zum Messen des Blutdruckes
gebraucht wird — welche mit Hilfe eines T-Stückes und einiger
Gummischläuche so zusaramengestellt werden, wie es die bei¬
liegende Abbildung zeigt Damit die Luft nicht unflltrirt
ln die Bauchhöhle gelangt, sind zwischen dem T-Stück und dem
Trolcart zwei gläserne Röhren eingeschaltet Jedes Glasrohr geht
von einem engeren in einen längeren weiteren Theil über. Die
beiden weiten Theile sind mit einem Gummischlauch verbunden.
In dem weiten Theil jedes dieser beiden Schaltstücke wird ein
Platindraht in Form einer Spirale eingelegt und hier wird dann
die sterile Watte locker mit einer Pincette eingestopft nach dem
Auskochen der gesammten Leitung Inklusive des Trolcarts (aber
exclusive natürlich des Manometers und des Gummigebläses).
Auf diese Weise ist es möglich, den Druck in der Bauch¬
höhle hinter dem Wattefilter zu messen, weil die lockere Watte
dem Ausgleich des Druckes kein Hinderniss in den Weg logt.
Für die Sterilität des Verfahrens ist dieses Verhalten von Vor¬
theil. Bei der Anwendung am Menschen müssen nun zwei Fehler
hauptsächlich vermieden werden: einmal, dass das Zwerchfell
vorletzt wird, wegen der Gefahr des Pneumothorax, und
zweitens, dass der Magendarmkanal verletzt wird, wegen
der Gefahr der Infektion der Bauchhöhle. Man porcutirt zu
diesem Zwecke den unteren Leberrand ab. Den Troieart sticht
man in der Linea alba oberhalb des Leberrandes ein. Die Linea
alba empfiehlt sich, weil hier das Fasciengewebc sehr fest ist und
sich darunter meist ein subperitonenler Fettlappen befindet,
welcher, sich um den Troieart luftdicht anlegend, ein Emphysem
der Bauchdecke verhindert. Der Einstichkanal kann mit
S c h 1 e i c h’scher Lösung infiltrirt werden, es geht aber auch
ohne dieselbe, da die Procedur nicht sehr schmerzhaft ist. Der
Troieart muss schräg durch die Bauchdecken geführt werden, so
dass die Spitze nach dem Nabel, das Ende nach dem Schwort-
fortsatz gerichtet ist. Der scharfgeschliffene Querschnitt der
Spitze soll etwa der Haut parallel liegen. Man durchsticht erst
die Haut und Unterhautfettgewebe; wenn die Spitze an die Fascio
kommt, so merkt man das an dem Widerstand des Gewebes und
man muss nun beginnen, energisch Luft einzublasen. In der
Regel entsteht dabei ein kleines Hautemphysem, was aber ganz
belanglos ist. Das Durchdringen der Fascie unter Lufteinblasung
hat aber den Vortheil, 'dass die Leber von der Spitze des Troi-
carts abgedrängt wird. Höchstens kann man einen unbedeutenden
Ritz der Loberoberfläche machen. Wenn dio Fascie durchstochen
ist, schiebt man das stumpfe Ende des Troicarts vor und geht
nun stumpf noch ein Stück tiefer. Die ganze Procedur lernt
man sehr leicht durch einige Versuche an einer Leiche. Die
Bauchhöhle muss langsam, aber stetig aufgeblasen werden unter
Kontrole der Athmung und des Pulses. Der erreichte Druck
muss wenigstens dem Druck der Capillaren von 30 mm Hg gleich¬
kommen, wird aber am besten auf 50 mm Hg gebracht. Dieser
Druck erscheint bei der Palpation ganz enorm hoch und es dient
zur Beruhigung des ärztlichen Gewissens, weim man sich er¬
innert, dass dio Natur selbst solche hohe Drucke in der Bauch¬
höhle schafft in den Fällen von hochgradigem Ascites. Durch die
Drucksteigerung kann mechanisch nach unten Urin und Koth,
nach oben Mageninhalt liorausgepresst werden. Es ist dies
natürlich ganz belanglos, man muss es aber wissen, um darauf
vorbereitet zu sein. Man erhalte nun den maximalen Druck
etwa V\—Va Stunde durch Nachblasen, man klemme dann den
Troieart ab und lasse ihn ruhig liegen. Den Troieart zu ent¬
fernen und später die Luft durch neuen Einstich herauszuziehen,
würde ich nicht empfehlen. Es könnte sich nämlich ereignen,
dass die Luft durch den Stichkanal entweicht. Dio Luft kann
dann nach einigen Stunden langsam und partienweise heraus¬
gelassen werden. Wenn der Troieart entfernt ist, schliesst man
die Oeffnung mit Collodium. Das Abdomen kann mit einem
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
Sandsacko belastet werden, da die Bauchdecken sehr erschlafft
sind. Kontraindikationen sind natürlich diejenigen Zustände,
bei welchen die Bauchhöhle keine Luft halten kann. E 9 sind
das Verletzungen der Bauchdecken, eventuell auch solche durch
Operationen, dann kommen die sehr seltenen Fälle wenigstens
in Erwägung, wo man fürchtet, dass das Zwerchfell einreissen
könnte, also Hernia diaphragmatica, subphrenischer Abscess, in
die Pleura durchgebrocheno Ecliinococoen etc. Endlich könnte
es auch möglich sein, dasß neben dem Troicart zu viel Luft ent¬
weicht und ein abnorm starkes Emphysem der Bauchdecken ent¬
steht. Bei meinen Versuchen an menschlichen Leichen habe ich
das zwar nicht beobachtet, wohl aber bei Thierversuchen. Das
Emphysem der Bauchdecken lässt sich durch Einführen einer
P r a v a z’schen Kanüle und Herausmassiren schnell beseitigen.
Endlich kann es sich ereignen, dass der Patient bei der Luft¬
füllung der Bauchhöhle zu kurzathmig wird. Doch darf man sich
hier nicht allein nach dem subjektiven Empfinden, sondern nach
den objektiven Zeichen, der Cyanose und dem Pulse, richten.
Bei Magenblutungen würde es sich empfehlen, vor Anwendung
des Verfahrens Gerinnung befördernde Mittel per os zu geben.
Ich habe im physiologischen Institut verschiedene Mittel ver¬
sucht, welche so beschaffen sind, dass sic für und auch mit dem
Magensaft gemischt die Blutgerinnung fördern, ausserdem un¬
schädlich und leicht erhältlich sind. Am besten hat sich bewährt
eine Mischung von pulverisirter Kreide und Milch, die man in
nicht zu kleinen Mengen per os geben kann.
Ich bedauere sehr, dass ich aus äusseren Gründen nicht in
der Lage bin, anzugeben, wie das Verfahren beim Menschen
wirkt. Während des Niederschreibens dieser Arboit hätte ich
zweimal Gelegenheit gehabt, es anzuwenden. Einmal handelte es
sich um einen Mann mit Lebercirrhose, der eine kolossale Magen¬
blutung bekam. Die Angehörigen, denen ich mein Verfahren
vorstellte, lehnten es aber ab, da sie von den früheren Blutungen
wüssten, duss Patient die Blutung überstehe. Diesmal hatten sie
sich aber getäuscht und der Patient ging in kurzer Zeit an einer
zweiten Blutung zu Grunde. Der zweite Fall war ein 60 jähriger
Mann mit Magenblutungen, die innerhalb zwei Wochen mehr¬
fach wiederkehrton. Dieser lehnte es ab, weil er mehrfach mit
Gelatineinjektionen gequält worden war. Er erklärte mir, dass
er sich nichts mehr einspritzen Hesse, da er sich von der Nutz¬
losigkeit der Einspritzungen überzeugt hätte. Hier konnte ich
die Sektion ausführen. Es handelte sich um eine parenchymatöse
Magenblutung bei sklerotisch veränderten Magcngefässen. Hoffent¬
lich sind andere Kollegen bald in der Lage, das Verfahren zu
versuchen.
Zum Schlüsse habe ich noch die angenehme Pflicht, Herrn
Geheimrath Prof. Dr. Ellenberger für die Gestattung der
Thierversucho meinen allerbesten Dank auszusprechen. Eben¬
falls danke ich bestens Herrn Medicinalrath Dr. Schmorl für
die Ueberlassung des Leiclienmaterials.
Christian Bäumler.
Von Prof. Dr. G. Treupel, Assistent an der mcdicinischeu
Klinik in Freiburg i. B.
Am 1. Oktober 1901 sind 25 Jahre dahingegangen, seitdem
Professor Bäumler als Nachfolger Kussmau l’s die Lei¬
tung der medicinischen Universitätsklinik zu Freiburg i. B. über¬
nommen hat. Fast ebenso lange bekleidet er das arbeitsreiche
und verantwortungsvolle Amt eines Verwaltungsrath-Vorsitzen¬
den des „Klinischen Hospitals“, dem fast alle klinischen An¬
stalten der Universität angegliedcrt sind. Eine ungewöhnlich
grosse Sprechstunden- und consultative Praxis endUch, welch’
letztere den Jubilar nicht selten weit über die Grenzen Badens
hinaus geführt hat, vollenden im Verein mit einer stetigen lite¬
rarischen Thütigkeit den äusseren Rahmen eines Lebens, das
Mühe und Arbeit ist.
Christian G. H. Bäumler wurde am 13. Mai 1836
zu Buchau in Oberfranken (Bayern) geboren als Sohn W. Ch.
Sigmund Bäumler’s, des naclunahgen Oberkonsistorialrathes
in München.
Vom Jahre 1848 an besuchte er das Gymnasium zu Nürn¬
berg und er bezog nach abgelegter Reifeprüfung im Jahre 1854
zunächst die Universität Erlangen. Nachdem er hier 1856 das
Tentamen physicum bestanden hatte, widmete er sich an den
Universitäten Tübingen, Erlangen — wo er 1858 das theoretische
medicinische Examen, 1860 die ärztliche Staatsprüfung ablegte
und auch im Februar 1860 promovirte —, später in' Berlin, Prag,
Wien, Paris und London weiteren medicinischen Studien. Es
waren Männer wie Dittrich, Thierseh, Griesinger,
v. Bruns, Virchow, v. Graofe, Kussmaul und
v. Z i e m s s e n, die während seiner Lernzeit besonders auf den
jungen Arzt einwirkten. Nach kurzer Assistentenzeit am
städtischen Krankcnhause zu Fürth, war Bäumler vom
Oktober 1860 bis Herbst 1863 Assistenzarzt an der Poliklinik in
Erlangen unter Kussmaul und Ziemssen. Im August
1863 zum Hausarzt am deutschen Hospital in London ernannt,
siedelte er nach London über, wo er bis zum Jahre 1872 zu¬
nächst als Arzt am deutschen Hospital, dann, nach abgelegter
Prüfung im Jahre 1866 „Member“ des Royal College of Physi¬
cians geworden, als praktischer Arzt und „Assistant physidan“
am deutschen Hospital, sowie am Victoria Park Hospital for
Diseases of the Chcst wirkte. Aus dieser lehr- und segensreichen
Thätigkeit wurde der junge Forscher, der neben dem praktischen
Arzt auch den literarisch arbeitenden Gelehrten nie vergessen
hatte, im November 1872 wieder nach Erlangen zurück¬
gerufen und zwar als Professor extraordinarius für propaedeu-
tische Klinik. Seine Londoner Wirksamkeit aber ehrte das
Royal College of Physicians in London dadurch, dass es ihn
im Jahre 1878 zum „Fellow“ erwählte.
Kaum 2 Jahre in Erlangen wurde Bäumler Ordinarius,
und war im Sommer 1874 in Stellvertretung mit dem Abhalten
der Klinik betraut worden, als er im Herbst desselben Jahres
bereits einen Ruf als Direktor der Poliklinik und Professor der
Arzneimittellehre nach Freiburg i. B. erhielt. Und wiederum
nach 2 Jahren, als Kussmaul den Freiburger mit dem Strass¬
burger Lehrstuhl vertauschte, wurde Bäumler mit Wirkung
vom 1. Oktober 1876 an zum Direktor der medicinischen Klinik
und Professor der spociellen Pathologie und Therapie in Frei¬
burg ernannt.
Seit 25 Jahren steht nun Bäumler an dieser Stelle, ge¬
tragen vor Allem von einem hohen Pflichtgefühl; in guten wie
in bösen Tagen, die auch ihm nicht erspart geblieben sind, sieh
stets gleich, sich selbst treu bleibend. Als Lehrer, als Gelehrter,
a'ls Arzt und als Mensch weist unser Jubilar eine seltene Har¬
monie auf.
Nahezu 40 junge Aerzte sind in diesen 25 Jahren zu dem
hochverehrten Lehrer als klinische Assistenten in nähere Be¬
ziehung getreten und die Zahl seiner Hörer beträgt fast 2000.
Was er diesen Allen gewesen ist, lässt die Dankbarkeit ahnen,
mit der sie Alle seiner gedenken.
Von der Unzulänglichkeit des einfachen klinischen Unter¬
richts durchdrungen, hat Bäumler, soviel in seinen Kräften
stand, versucht, die Studenten zu eingehenderen Studien und
zum praktischen Arbeiten durch Anfertigen von ausführlichen
Krankengeschichten, durch Protokollantendiensto u. s. w. heran¬
zuziehen, und er hat — es beweist das die verhältnissmässig hohe
Zahl der Assistenten — stets auch den jungen Aerzten, so viel
als möglich, Gelegenheit gegeben, sich nach dem Examen noch
weiter zu bilden. Der erheblichen Mehrarbeit, die ihm selbst
daraus erwachsen musste, hat er nicht dabei gedacht!
Arbeiten und jede Gelegenheit ergreifen, die sich zum
Weiterlernen bietet, das ist B ä u m 1 e Fs Natur und das ist auch
der Stempel, den er seiner Klinik aufgeprägt hat.
Die Art, wie Bäumler die KHnik hält, entspricht so sehr
dem ganzen Wesen des Mannes, dass sie hier nicht übergangen
werden darf. Im Vortiergrund steht die möglichst aus¬
führliche und bis i n’s Einzelne gohonde Unter¬
suchung des Kranken. Der Student bekommt nicht den Fall
mit der fertigen Diagnose und einem begleitenden Vortrag über
die jeweilige Krankheit vorgeführt, sondern er wird — wenn
ich so sagen darf — gezwungen, den Fall von Anfang an
mitzuuntersuchen. Indem Bäumler dem Kranken
gegenübertritt, als ob er selbst ihn jetzt zum ersten Male sehe,
indem er nach Aufnahme der Anamnese oder deren Vervoll¬
ständigung in der Klinik mit der mögUchst genauen und syste-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1639
i na tischen Untersuchung des Kranken beginnt und — wenn
nöthig — diese Untersuchung durch mehrere klinische Stunden
fortsetzt, oder im Verlauf ein und derselben Krankheit durcli
mehrmalige Untersuchung ihren jeweiligen Stand, die sich
daraus ergebende Diagnose, Prognose und Therapie feststellt,
will er den Studenten zeigen, wie sie selbst es später in der
Praxis machen sollen. Er will sie geradezu daran gewölmen,
ausdauernd in der Untersuchung zu sein und nie darin der
Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit zu ent-
rathen, die ihn, den Lehrer, in so hohem Maasse auszeichnen.
Gerade der Erfahrenere, der praktische Arzt, der schon draussen
in den Wirren der Praxis gestanden und die Lücken seines
Wissens und die Mangelhaftigkeit seiner Untersuchung gefühlt
hat oder jetzt, wo er in der Klinik Zeuge einer regelrechten
Untersuchung wird, zu fühlen bekommt, weiss, wie mir oft be¬
stätigt worden ist, die B ä u m 1 e r’sche Klinik zu würdigen.
Es ist oben schon angedeutet worden, dass B ä u m 1 e r be¬
reits in seiner Londoner Thätigkeit noch Lust und Zeit zu
wissenschaftlichen literarischen Arbeiten fand und auch in der
jetzigen Stellung, in der er seine ganze Kraft zunächst seinem
Lehramte und dem Dienste des klinischen Hospitals zuwandte,
hat er die Feder nicht aus der Hand gelegt. Neben den be¬
kannten Artikeln „Syphilis“ in v. Z i e m s s e n’s Handbuch,
„Herzbeutel- und Blutgefässkrankheiten“ in Penzoldt
und Stintzing’s Handbuch der Therapie veröffentlichte Bäum-
ler eine Anzahl Aufsätze im Deutsch. Arch. f. klin. Med., in
Medical Times and Gazette, Transactions of the Pathological
8ocietv of London, British Medical Journal, Quai n’s Dictio¬
nary of Medicine u. s. w. über Gegenstände der inneren Klinik
und Hygiene. Zur genaueren Kenntniss und Würdigung dieser
literarischen Thätigkeit sei am Schlüsse ein möglichst vollständi¬
ges, chronologisch geordnetes Verzeichniss seiner Arbeiten bei¬
gefügt.
Eine durchaus wahre Natur, streng gegen sich selbst und
nachsichtig gegen Andere, ein Feind jeder Pose, jeder Flüchtigkeit
abhold, wirkt Bäumler in seiner schlichten, dem Einzelnen zu-
pewandten Art, mit seinem auf reicher Erfahrung und fort¬
gesetztem Studium begründeten Wissen gleich nachhaltig und
segensreich als Lehrer wie als Arzt. Seine Gründlichkeit, seine
nie zu erschütternde Ruhe .und Geduld prägen sich Jedem, der
ihn auch nur vorübergehend sieht, dauernd ein. Sein kollegiales
Verhalten in allen Fragen des ärztlichen Standes, seine eifrige
Bcthätigung im ärztlichen Vereinsleben, in wissenschaftlicher
wie in allen anderen Beziehungen, haben ihm bei allen Aerzten
Freiburgs nicht nur, sondern ganz Badens eine grosso Ver¬
ehrung und Beliebtheit verschafft. Und in der That, in seiner
lauteren und freundlichen Gesinnung gegen Jedermann, in seiner
steten Hilfsbereitschaft, in seiner nie erlahmenden Arbeitslust
und Arbeitskraft, in seiner einfachen und edlen Lebensführung
muss er Alle, die ihn kennen, mit hoher Achtung erfüllen und
kann er uns vorbildlich seinl
Verzeichniss der bis jetzt von Bäumler ver¬
öffentlichten Arbeiten:
1860. Inaugur.-Abh.: Beobachtungen und Geschichtliches über
die Wirkung des Zwischenrippenmuskels.
1802. Ein Fall von Verschliessung der aufsteigenden Hohlvene
und von Pfortaderästen. Deutsche Klinik 1862, No. 13
und 14.
1862. TJeber Coloboma oculi. Würzb. med. Zeitschr., Bd. III.
1805. Ueber das Auftreten und die Bedeutung des tympani-
tischen Perkussionsschalls in der Pneumonie. Deutsch.
Arch. f. klin. Med., Bd. I.
1867. Ueber Stimmbandlähmungen. Deutsch. Arch. f. klin.
Med., Bd. II.
1867. Klinische Beobachtungen über Abdominaltyphus in Eng¬
land. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. III.
1867. Case of Cerebrospinal Meningitis, with special Reference
to the Temperature of the Body. Medical Times and
Gazette 1867, Vol. II, No. 890.
1S67. On a case of heatstroke. Ibid. No. 944.
1308. Ueber das Verhalten der Körperwärme als Hilfsmittel zur
Diagnose einiger Formen syphilitischer Erkrankung.
Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. IX.
1S<.S.
1869.
1870.
1871.
1872.
1872.
1873.
1374.
1874.
1877.
1880.
1880.
1880.
1881.
1382.
1883.
18S5.
1888.
1890.
1S90.
1890.
1891.
1S92.
1892.
1894.
1894.
1894.
1895.
1897.
1S98.
1893.
Ein Full von IJascdo w’schcr Krankheit. Deutsch. Arch.
f. klin. Med., Bd. IV, S. 495.
Gases of Haemoptysis, followed by inflammatory changea
in the lungs. Transact. Clin. Soc. London, Vol. II.
F. v. N i e m e y e r’s Clinical Lectures on pulmonary cou-
sumption. Translated from the 2d German edition for
the New Sydenham Society, London.
Cases of partial and general idiopathic Pericarditis. Re¬
ports of the Clinical Society, London, Vol. V.
Case of Aneurysm of the innominate artery, pressing
on the right pneumogastric and recurrent nervee. Trans¬
act. of the Patholog. Society, London, Vol. XXIII.
On a case of Enteritic Appendicitis, illustrating the dange-
rous cffects a purgative may have in such cases. Trans¬
act. Clin. Soc., Vol. V.
Ueber das Verhalten der Hautarterien in der Fieberhitze.
Centralbl. f. d. med. Wissensch., No. 12.
Chronische pseudomembranöse Peritonitis nach wieder¬
holter Paracentesis abdominis. Virchow’s Arch., Bd. 59,
S. 156.
Syphilis, in v. Ziemssen’s Handbuch der spec. Patho¬
logie und Therapie, Bd. III (3. Aufl. 1886).
Ueber Obliteration der Pleurasäcke und Verlust der
Lungenelasticität als Ursache der Horzhypertrophie.
Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. XIX.
('an the mildest forms of enteric fever be distinguished
from acute febrile, but nonspecific gastro-inteetinal
catarrh? Dublin Journal of Med. Science, November.
Der sogen, animalische Magnetismus und Hypnotismus.
Vortrag. Leipzig, F. C. W. Vogel.
Ueber Lähmung des Muse, serratus antic. maj. nach Be¬
obachtung an einem Fall von multiplen atrophischen
Lähmungen im Gefolge von Typhus abdominalis. Deutsch.
Arch. f. klin. Med., Bd. XXV.
Ein weiterer Fall von hochgradiger Anaemie mit Ancliyio-
stonium duodenale. Schweizer Correspondenzbl. 1881.
Temperature and Thermometer, in R. Quai n's Dictio¬
nary of Medicine. London, II. Edit., 1894.
Aotiologische Studien über Abdominaltyphus. Festschrift
der 56. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.
lieber Rccurrenslähmung bei chronischen Lungenaffek¬
tionen. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. XXXVII.
Die Prophylaxe des Scharlachs. Münch, med. Wochenschr.
No. 42.
Bemerkungen zur Morbiditätsstatistik der Heilanstalten
des Deutschen Reiches. Deutsch, med. Wochenschr.
No. 46.
Ueber die Influenza von 1889 und 1890. Verhandl. des
IX. Kongresses für innere Medicin zu Wien.
Ueber Influenza. Münch, med. Wochenschr. No. 2.
Beobachtungen bei Anwendung des Koch’schen Heil¬
verfahrens gegen Tuberkulose. Deutsch, med. Wochen¬
schr. No. 2.
Ueber eine besondere, durch Aspiration von Cavernen-
inhalt hervorgerufene Form akuter Bronchopneumonie bei
Lungentuberkulose. Deutsch, med. Wochenschr. 1892.
Ueber Krankenpflege. Vortrag. Freiburg, J. B. C. Mohr.
On the use of sublimed sulphur as a local application in
Diphtheria. Brit. Med. Journ., 3, III, 1894.
Die Influenzaepidemie 1893/94 in Freiburg i. B. Münch,
med. Wochenschr. No. 9.
Die Behandlung der Pleuraempyeme bei an Lungen¬
tuberkulose Leidenden. Deutsch, med. Wochenschr. No. 37
und 38.
Behandlung der Krankheiten des Herzbeutels und der
Blutgefässe. Handbuch der Therapie innerer Krank¬
heiten von Penzoldt und Stintzing, Bd. III
(2. Aufl., 1897).
Der chronische Gelenkrheumatismus. Verhandlungen des
XV. Kongresses für innere Medicin in Berlin.
Ueber Arteriosclerosis und Arteriitis. Münch, med.
Wochenschr. No. 5.
Ueber chronische ankylosirende Entzündung der Wirbel¬
säule. Deutsch. Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. XII.
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1540
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 39.
1899. Lungenschwindsucht und Tuberkulose. Deutsch, med.
Wochensehr. 1899, 21.
1899. Praktische Erfahrungen über Kaltwasserbehandlung bei
Ileotvphus. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 65.
1900. Die Behandlung der Tuberkulose im 19. Jahrhundert.
Siicularartikel. Berl. klin. Wochensohr. 1900, No. 14.
1900. Zur Diagnose der durch gewerbliche Staubinhalation her-
vorgerufonen Lungen Veränderungen. Münchener med.
Wochenschr. No. 16.
li>01. Uebor einen Fall von wachsendem Pigmeutnaovas mit
eigenthümlichen hydropischen Erscheinungen. Münch,
med. Woehensehr. No. 9.
1901. lieber akuten Dann Verschluss an der Grenze zwischen
Duodenum und Jejunum. Münch, med. Wochenschr.
No. 17.
1901. Der akute Gelenkrheumatismus. Deutsche Klinik, Bd. 1.
1901. Kreislaufstörungen und Lungentuberkulose. Med. Woche
No. 29.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Die Eingabe der bayerischen Amtsärzte an die kgl.
Staatsregierung und die beiden Kammern des Land¬
tages, betr. die ärztliche Standes- und Ehrengerichts¬
ordnung.
Herr Bezirksarzt Dr. E i d a di in Günzenhausen hat an silmmt-
liche Amtsärzte Bayerns ein Circular verschickt, in welchem er die
Amtsärzte auffordert, die Eingangs genannten Stellen zu bitten,
die Amtsärzte in die neu zu schaffenden Standes- und Ehren¬
gerichte aufzunehmeu. Als Grund für diese Bitte führt der Kollege
an, dass bisher die amtlichen und die praktischen Aerzte in bestem
Einvernehmen gelebt haben, dass zu befürchten wäre, dass dieses
Einvernehmen gestört würde, wenn die Amtsärzte in Zukunft nicht
mehr wie bisher den ärztlichen Ehrengerichten unterstellt wären.
Herr Bezirksarzt I)r. Eidam fürchtet, dass in der Folge nicht
mehr so viele Amtsärzte zu Vorständen der Bezirksvereine und als
Delegirte In die Aerztekammern gewählt würden. Er schlägt vor,
nur die dienstliche Eigenschaft der Amtsärzte von der ärztlichen
Ehrengerichtsordnung auszunehmen. Gegen diese Petition luiln*
ich einige Bedenken und exiaul»e ich mir diese den Herren Amts¬
kollegen vorzutragen.
Die bisherigen Standesgerichte. wie sie an die Bezirksvereine
angegliedert waren, waren privater Natur und sie hatten nur dann
praktischen Werth, wenn sich der Angeschuldigte freiwillig unter¬
warf. Dies soll sieh nun ändern. Der Staat organisirt die Statutes-
geriehte und übernimmt die Executive und erhebt sie zum Zwangs-
Institut für alle Aerzte. Nichtsdestoweniger bleiben sie doch reine
Standesgerichte. Von den aktiven Militärärzten ist es von vorno¬
herein ganz ausgeschlossen, dass sie in ihren ausserdienstlichen
Angelegenheiten einem eivilen Standesgericht unterworfen werden.
Auch der Civilstaat kann, wenn er seine Oberhoheit Uber die Amts¬
ärzte nicht schmälern will, nie zugeben, dass der Amtsarzt ge¬
setzlich einem Gerichte unterworfen wird, das unter Umständen
die gleiche Materie behandelt wie die Staatsaufsicht selbst. Jeder
Beamte in Bayern ist nämlich nicht bloss in seiner amtlichen
Thätlgkeit, sondern auch in seinem Privatleben — letzteres frei¬
lich mit Beschränkung — den Staatsorganen für sein Thun und
Lassen verantwortlich. Namentlich ein unhonoriges Benehmen
gegen die Aerzte wird jede Aufsichtsbehörde an ihren Amtsärzten
korrigiren. Der Amtsarzt könnte also eventuell zweimal gestraft
werden, einmal vom Standcsgerieht, dann vom Staat«*. Da aber
das ne bis in idem auch hier gilt, hat einfach der schwächere Theil,
das Standesgericht, zurückzutreten. Uebrigens ist es mit der Unter¬
scheidung der dienstlichen und ausserdienstlichen Thätigkeit eine
eigene Sache. Wenn der Bezirksarzt als behandelnder Arzt zu
einer Wöchnerin mit Puerperalüelxer gerufen wird, die vorher von
einem praktischen Arzte behandelt wurde, ohne dass dieser Anzeige
erstattet hat, und der naehbehaudelnde (amtliche) Arzt zeigt den
Kollegen wegen dieser Unterlassung beim Staatsanwalte an: ist
dies eine private oder dienstliche Handlung? Gehört die Begut¬
achtung und die oft erzwungene Kritik des behandelnden Arztes
ln einer Unfallssache zur Amtstätigkeit?
Beim letzten Streite der Aerzte Münchens mit der Orts¬
krankenkasse IV haben einzelne Amtsärzte die Theilnnhme ver¬
weigert in Folge Ihrer Amtsstellung und doch ist die Behandlung
der Krankenkasse-Mitglieder rein privater Natur.
Der Herr Kollege fürchtet, dass die Amtsärzte von den Ver¬
trauensstellungen verdrängt werden. Gar so arg wird es denn
doch nicht werden. Die Vereine und die Kammern halten doch
noch ganz andere Aufgaben. Uebrigens könnte es gar nicht
schaden, wenn in die Aerztekammern mehr praktische Aerzte
kommen würden.
Vielleicht wäre diese Möglichkeit für beide Thelle erspriesslich:
Den Amtsärzten sollte gesetzlich gestattet werden, sieh dem ärzt¬
lichen Standesgericht freiwillig zu unterwerfen, mit dem
Rechte, jeder Zeit auszutreteu, aber mit der Pflicht, bis zum Aus¬
tritt über ihr „ausserdienstliches“ Verhalten dem Standesgericht
unterworfen zu sein. Dr. G r a s s 1, Bezirksamt.
Referate und Bücheranzeigen.
G. Fraenkel: Die Arzneimittelsynthese auf Grundlage
der Beziehungen zwischen chemischem Anfban und Wirkung.
Eür Aerzte und Chemiker. Berlin, J. Springer, 1901.
557 Seiten. 12 M. geb.
In der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts ist e>
der chemischen Wissenschaft — dank ihrer grossartigen Fort¬
schritte — gelungen, die Konstitution des grössten Theils der
organischen Heilmittel aufzuklären. In den letzten 25 Jahren
ist man dann an die Aufgabe herangegangen, die Arzneimittel
der organischen Chemie synthetisch aufzubauen. Dies ist auch
in der That für eine beschränkte Anzahl, z. Th. sogar sehr kom-
plizirter, Verbindungen gelungen. Weit grössere praktische Er¬
folge aber haben die Versuche gezeitigt, den in der Natur vor¬
handenen Heilmitteln ähnliche, aber einfacher aufgebaute, Ver¬
bindungen darzustellen.
Man hat dann weiter — von zufälligen Entdeckungen, ex¬
perimentellen Erfahrungen und theoretischen Ueberlegungcn
ausgehend — ganz neue Körper konstruirt, in der ausge¬
sprochenen Absicht, sie als Arzneimittel nach ganz bestimmter
Richtung hin zu verwenden. Durch diese Bestrebungen der
synthetischen organischen Chemie ist unser Arzneischatz um
eine Anzahl werthvoller Heilmittel bereichert worden. Aller¬
dings ist auch eine sehr grosse Zahl Substanzen auf den Markt
gebracht worden, die vor den bereits vorhandenen durchaus keine
Vorzüge aufweisen konnten, und die daher auch nach kurzt-r
Zeit wieder spurlos verschwanden. Die Ursache hierfür liegt
darin, dass bisher — mit wenigen Ausnahmen — bei der Auf¬
suchung neuer Arzneimittel grob empirisch verfahren wurde, ab¬
gesehen davon, dass — wie leider sehr häufig geschehen — in
der Hoffnung auf Gewinn, mehr minder plumpe Nachahmung* n.
bereits erprobter Mittel als „neue“ Arzneimittel mit allen Mitteln
der Reklame einzuführen gesucht wurden.
Der Verfasser will nun in seinem Buche die Anleitungen
geben, wie der Pharmakologe oder der Chemiker — oder am
besten der erste re mit dem letzteren vereint — auf wissenschaft¬
lichem Wege zu der Darstellung neuer, zweckentsprechender
Heilmittel gelangen könne. Die Regeln, die ihn hierbei leiten
sollen, werden abgeleitet aus den Gesetzen, die für die Be¬
ziehungen zwischen chemischer Konstitution und physiologischer
Wirkung gelten. Solche allgemein anerkannte Gesetze existiren
aber sehr wenige. Die Frage nach den Beziehungen zwischen
Konstitution und Wirkung ist eine ganz moderne; systematische
umfassende Untersuchungen sind auf diesem Gebiete bisher noch
kaum durchgeführt worden. Dagegen existiren eine überaus
grosse Anzahl Einzeluntersuchungen über die Wirkungen be¬
stimmter Körpergruppen, über die Aenderung dieser Wirkung
durch die Einführung gewisser Radicale, über das Verhalten der
Körper einer homologen Reihe, von isomeren Verbindungen etc.
Aus diesen Arbeiten lassen sieh eine ganze Anzahl Beziehungen
zwischen chemischer Konstitution und physiologischer Wirkuug
ableiten. — Der Verfasser unternimmt es nun, die Resultate
aller dieser Arbeiten zusammenzufasseu. Dies ist äussersi
dankenswerth. — Die sicher sehr mühsame Aufgabe, das in den
verschiedenartigsten Zeitschriften verstreute Material zusammen¬
zutragen, hat der Verfasser in ausgezeichneter Weise gelöst.
Der Stoff ist ferner in sehr geschickter Weise nach bestimmten
Gesichtspunkten geordnet und durch die verbindende Geistes¬
arbeit des Verfussers dem Eingangs angedeuteten Ziele: zur
rationellen Darstellung zweckentsprechender neuer Arzneimittel
Anleitung zu geben, dienstbar gemacht.
Gleichgiltig nun, ob diese Anleitungen jemals zu praktischen
Resultaten Veranlassung geben werden — jedenfalls wird der
mit diesen Fragen sich Beschäftigende, vor Allem also der Phar¬
makologe. Chemiker und Physiologe, dem Verfasser dafür Dank
wissen, dass er das sämmtliche in Betracht kommende Material
in nahezu vollständiger Weise zusammengestellt hat. Leider
hat es der Verfasser durchaus unterlassen, Literaturangaben zu
machen. Dies bedeutet entschieden einen Mangel dos Buches,
dein ja aber bei einer Neuauflage leicht abzuhclfeu wäre.
Der Inhalt des Buches gliedert sich folgendermaassen:
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1541
24. September 1901.
I. Allgemeiner Theil: 1. Theorie der Wirkungen an¬
organischer Körper. 2. Theorie der Wirkungen organischer
Körper. 3. Bedeutung der einzelnen Atomgruppen für die
Wirkung. 4. Veränderungen der Substanzen im Organismus.
II. Spezieller Theil: 1. Allgemeine Methoden, um Körper
mit physiologischer Wirkung aufzubauen. 2. Antipyretica.
3. Alkaloide. 4. Schlafmittel und Inhalationsanaesthetica.
5. Antiseptica und Adstringentia. 6. Die Ichthyolgruppe.
7. Mittel, welche auf die Darmschleimhaut wirken. 8. Kampher
und Terpene. 9. Reduzirende Hautmittel. 10. Glycerophosphate.
11. Diuretica. 12. Gichtmittel. H e i n z - Erlangen.
Robert Behla: Die Carcinomliteratur. Eine Zusammen¬
stellung der in- und ausländischen Krebsschriften bis 1900 mit
alphabetischem Autoren- und Sachregister. Berlin 1901. 259 S.
gr. 8°. Preis 6 M.
Es war ein guter Gedanke, die zahlreichen Schriften und
Artikel über Krebs um die Jahrhundertswende zu sammeln und
bibliographisch zu bearbeiten. An gediegenen Mustern (z. B.
J. K. P r o k s c h: Bibliographie der venerischen Krankheiten)
hätte ee nicht gefehlt. Gerade an diesem Buche wäre zu ersehen,
wie der Stoff organisch gegliedert werden muss, um dem Leser
etwas Bequemes und Lehrreiches zu bieten. Unser Verfasser hat
es vorgezogen, den Stoff einfach alphabetisch zu ordnen und die
Gliederung des Stoffes in einem „Sachregister“ zu geben. Das
ist für Forscher sehr unbequem. Wer z. B. über „parasitäre
Theorie“ nachlesen will, ist genöthigt, nicht weniger als 129 mal
nachzuschlagen und sich schriftliche Notizen zu machen.
Den „Iudex-Catalogue“ scheint Verfasser nicht zu kennen.
Dieses Werk ist aber gerade für die Literatur des Carcinoms
nicht zu entbehren. Hätte Herr Behla nur S c h m i d t’s
J ahrbücher und V irchow-IIirsch’s Jahresbericht tüchtig
benützt, so hätte er Vollständigeres leisten können.
Es ist auffallend, dass selbst klassische und berühmte
Schriften vermisst werden. Von allgemeinen Werken fehlen
z. B. Schuh: Pseudoplasmen, 1854; Sangall i: Storia
clinica ed anatomica etc. dei tumori, 1860; J. Hughes
Bennett: On cancerous and caneroid growths; es fehlt der gute
Artikel des Marburger B e n e k e im Deutschen Archiv XV. Das
berühmte Buch von W a 1 s h e ist 1846, nicht 1896 erschienen.
Wir vermissen den bedeutenden Artikel II. Leber t’s: Ueber
Krebs der Gehirnhäute etc. (Virchow’s Arch. III); die gediegene
Arbeit von Victor Bruns: Ueber Lippenkrebs, in seinem Hand¬
buch; F rerichs’ Arbeit in Jenner Annalen 1849; W. Rein
liard: Ueber Lungenkrebs (Arch. der Heilkunde XIX); das
grosse Werk von Hanot et Gilbert: Uel>er Lebertumoren,
1888; den trefflichen Artikel von Hoppe-Seyler: Ueber
I>eberkrebs; B i r k e 11: On diseases of the breast, 1850; D u t i 1
(1874) und Roh rer: Ueber Krebs der Niere; die Artikel von
Rieh. Schulz im Archiv d. Heilk. über Endothelcarcinoiri,
Panzerkrebs, Dermoidkrebs; Neu mann: Ueber Sarkom und
Carcinom; Birch-Hirschfeld: Ueber Hodenkrebs; R i s -
don-Bennett: Intrathoracic Growths, 1872. Von älteren
Arbeiten fehlen u. A.: Bayle. 1821; Maunoir: Ueber
Markschwamm; John Clarke: Ueber Cauliflower-Excrescence,
1809 etc.
Die V a t e Eschen Körperchen (= Pacini) werden mit dem
Diverticulum Vateri verwechselt (p. 244, Haut!!). — Mit Disser¬
tationen und kleineren Joumalaufsätzen will ich gar nicht an¬
fangen.
Relativ vollständiger ist die Literatur über die unglück¬
seligen Versuche der neuesten Zeit, bezüglich des „Krebs¬
parasiten“. Was die „Krebse“ der Pflanzen zu dem Menschen¬
krebs für Beziehungen haben sollen, begreife ich nicht, so z. B.
der Krebs der Apfelbäume, auch die Cecidien, bei denen es sich
doch nur um irritative Schwellungen durch Hexaiaxlen oder
Aearinen handelt. Da müsste man zuletzt den Strahlkrebs der
Pferde und den Wasserkrebs der Kinder auch noch hcreinziehen.
Eine vollständige Bibliographie des Krebses wird nur durch eine
internationale Vereinigung von Forschern zu Stande kommen,
da es sich ja darum handeln würde, auch aus etwa 2000 perio¬
dischen Schriften Auszüge zu machen.
J. Ch. Huber- Memmingen.
Vogel: Lehrbuch der Geburtshilfe für Hebammen.
Stuttgart 1901. Ferdinand Enke. Preis 4.20 M.
Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, ein Lehrbuch
der Geburtshilfe zu schreiben, das kurz, leicht verständlich und
übersichtlich geordnet, Alles enthält, was eine Hebamme zur
Ausübung ihrer praktischen Thätigkeit wissen muss. Die Ein¬
teilung des Stoffes ist die übliche. Im Anhänge sind sehr
zweckmässig noch einmal die Fälle zusammengestellt, die für
die Hebamme das Hinzuziehen eines Arztes zur Pflicht machen;
ausserdem hat der Autor hier noch in dankenswerther Weise die
gesetzlichen Verpflichtungen der Hebamme erörtert.
Im ersten Abschnitt des Lehrbuches, der über Reinlichkeit
und Desinfektion handelt, scheint mir die prophylaktische
Pflege der Hände zu kurz gekommen zu sein. Ich glaube,
man wird sich mit der Zeit daran gewöhnen müssen, diese
als einen der wichtigsten Faktoren für die Desinfektion an¬
zusehen.
Im zweiten Abschnitt, der menschliche Körper, hätte ich
gern die Wichtigkeit der Puls- und Athmungsbeobachtung bei
Schwangeren, Kreissenden und Wöchnerinnen besprochen ge¬
funden; kurze Andeutungen finden sich hierüber allerdings vor.
Sehr dankenswerth ist es, dass der Autor in seine Be¬
sprechung den Gebärmutterkrebs und die Extrauteringravidität
hineingezogen hat. Davon muss gerade eine Hebamme etwas
wissen, und wenn es nur so viel ist, dass sie gegebenen Falles
an eine dieser Möglichkeiten denkt.
Den Rath Schlägen, die Verfasser den Hebammen bei Pla-
centa praevia gibt, schliesse ich mich nicht an. Ich würde es
für richtiger halten, die Hebammen so zu erziehen, dass sie bei
keinem Falle von Blutung in der Geburt innerlich unter¬
suchen oder gar die Scheide tamponiren. Heutzutage gibt cs
überall so viele Aerzte, dass auch auf dem Lande in ganz kurzer
Zeit stets diese Hilfe zur Hand ist. Durch jede Untersuchung
bei Plac. praev. verliert die Kreissende u n n ö t h i g viel Blut.
Die Scheidentamponade der Hebammen habe ich selbst zu oft
als zwecklos in Bezug auf die Blutstillung und gefahrvoll in
Bezug auf die puerperale Infektion kennen gelernt.
Stellt die Hebamme Fieber fest, so muss sie auch gleich¬
zeitig Frequenz und Qualität des Pulses berücksichtigen; denn
gerade in der Pathologie des Wochenbetts spielt der Puls in Bezug
auf die Beurtheilung der Schwere des Falles eine sehr wichtige
Rolle, und das muss auch eine Hebamme wissen. Der metallene
Katheter lässt sich in jedem Haushalt leicht vor dem Gebrauch
auskochen; man geht da doch sicherer, als wenn man ihn che¬
misch desinficirt.
Selbstverständlich werden die gemachten kleinen Ausstände
nach keiner Richtung hin den Werth des Buches beeinträchtigen.
Kürze, Inhalt und der leicht verständliche Stil werden dem Lehr¬
buch in dem Kreise, für den es geschrieben ist, eine freundliche
Aufnahme sichern; für Jeden aber, der mit dem Unterricht der
Hebammen beschäftigt ist, wird es eine willkommene Unter¬
stützung sein.
II o f me i e r hat in dem Vorwort dem Büchlein einige em¬
pfehlende Worte mit auf den Weg gegeben.
Max H e n k e 1 - Berlin.
Louis Fischer: Infant-Feeding in its relation to health
and disease. Mit 52 Hlustrationen, 23 Karten und Tafeln
Philadelphia, Chicago, Verlag von F. A. Davis Co., 1901
348 Seiten.
Prof. Fischer gibt in diesem Buche seine Erfahrungen
über Kinderernährung wieder, die er in seiner 10jährigen Thätig¬
keit als Direktor eines der grössten New-Yorker Kinderspitäler
und auf seinen Studienreisen in Europa gesammelt hat. Das
Buch ist für Anfänger geschrieben und enthält in kurzer, über¬
sichtlicher Form die wichtigsten Angaben über Anatomie,
Physiologie und Pathologie des kindlichen Verdauungstraktus,
sowie über natürliche und künstliche Ernährung. F. gibt inter¬
essante Aufschlüsse über die Anschauungsweise der amerika¬
nischen Pädiater und deren Behandlungsmethoden. Boi der be-
merkenswerthen Einfachheit des Stils ist die Lektüre Jedem
ermöglicht, der nur einigenuaassen der englischen Sprache
mächtig ist, und kann bestens empfohlen werden.
Trumpp - München.
Prof. Dr. E. Finger: Die Syphilis und $e venerischen
Krankheiten, ein kurzgefusstes Lehrbuch zum Gebrauche für
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1542
YTTF.NC’HFNER MEDTCTNhSrHF, WOCHENSCHRIFT. No. 39.
Studirende und Aerzte. 5., vermehrte und verbesserte Auflage.
Leipzig und Wien, Franz D e u t i c k e, 1901. Preis M. 7.50.
Das in neuer Auflage vorliegende Werk des Verfassers,
dessen Name auf dem Gebiete der Fachliteratur seit lange den
besten Klang hat, soll wesentlich praktischen Zwecken dienen.
Dem zu Folge wurden die Diagnose und die Therapie mit ihren
Indikationen besonders berücksichtigt, das sehliesst aber nicht
aus, dass auch die specielle Pathologie und Klinik der venerischen
Erkrankungen eine dem neuesten Stande der Wissenschaft ent¬
sprechende concise und objektive Darstellung gefunden haben.
Ein Lehrbuch für Studirende, ein Handbuch für den Praktiker
konnte eines weitläufigen historischen Beiwerkes leicht ent¬
behren. Zahlreiche beigefügte, sehr gut ausgeführte Tafeln er¬
leichtern das Verständniss der im Texte mitgetheilten anatomi¬
schen und pathologisch-anatomischen Daten. Die Bearbeitung
der syphilitischen und blennorrhagischen Augenerkrankungen
stammt aus der Feder des Herrn Prof. Dimmer. Im Ganzen
hat das Werk gegen früher durch Umarbeitung und Vermehrung
des Inhalts einen um mehrere Druckbogen gegen die letzte Auf¬
lage vergrösserten Umfang. Wir empfehlen das interessant und
flüssig geschriebene Buch allen Denjenigen, welchen es um eine
kurze und doch gründliche Orientirung auf dem Gebiete der
venerischen Erkrankungen (speciell auch zu praktischen
Zwecken) zu thun ist, auf’s Beste. K o p p.
Dr. 0. Rapmund: Das öffentliche Gesundheitswesen.
Allgemeiner Theil. Leipzig, bei C. L. Hirschfeld, 1901.
336 Seiten. Preis 9.50 M.
Das vorliegende Werk bildet einen Band des „Hand- und
Lehrbuchs der Staatswissenschaften in selbständigen Bänden,
begründet von Kuno F rankenstein, fortgesetzt von Max
v. Heckei“, und ist nicht nur für Fachkreise — Medicinal-
beamte, Hygieniker, Aerzte — und Verwaltungsbeamte be¬
stimmt, sondern für Alle, die sich mit volkswirtschaftlichen
Fragen beschäftigen. Es behandelt die geschichtliche Entwick¬
lung des öffentlichen Gesundheitswesens vom Alterthum bis zur
Neuzeit, die Aufgaben und die Durchführung der Gesundheit.« -
gesetzgebung und die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung der
sanitären Maassregeln. Wie die Verwaltung des öffentlichen
Gesundheitswesens und die Gesundheitsbehörden organisirt sind,
wird zunächst in grossen allgemeinen Zügen geschildert und
dann für die einzelnen deutschen Bundesstaaten, die anderen
europäischen und einzelne aussereuropäisehe Staaten näher aus¬
geführt. In einem zweiten Theile sind die wichtigsten gesetz¬
lichen Bestimmungen in verschiedenen Kulturstaaten mit-
getheilt; den Schluss bildet ein ausführliches Bücherverzeichniss.
Der Verfasser referirt nicht nur mit grosser Sachkenntnis«
über den gegenwärtigen Standpunkt der Gesundheitsgesetz¬
gebung, er bringt auch als erfahrener Modieinalbeamter werth-
volle Verbesserungsvorschläge und tritt namentlich mit Wärme
dafür ein, dass die medicinisch-technischen Gesundheitsbeamten
aus der Bevormundung durch die Juristen herauskommen und
eine grössere Selbständigkeit erhalten. Dr. Carl Becker.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
Bd. V, Heft 4. iy01
1) Max J o h n - Ofen-Pest: Ueber den arteriellen Blutdruck
der Phthisiker. (Aus der inneren Abtheilung des Krankenhauses
TTrban ln Berlin [Direktor: Prof. Dr. A. Fränkel].)
Die BlutdruckverhUltnisse bei Lungentuberkulose wurden in
neuerer Zeit hauptsächlich von französischen Autoren einer Unter¬
suchung unterzogen. Und insbesondere Uegnault erblickt in
der Herabsetzung des arteriellen Dnicks ein wichtiges Hilfsmittel
zur Erkennung der Phthise im Frühstadium, gerade dann, wenn
noch andere diagnostische Merkmale im Stiche lassen.
J. fand nun gerade im Anfnngsstadium der Tuberkulose nor¬
male Blutdruckvcrhältnisse, dagegen in vorgeschrittenen Fällen
regelmässig eine bedeutende Herabsetzung des Blutdruckes, welche
mit. der Schwere des plithisischen Proeessvs in einer gewissen
Parallele stand. Die Blutdruckbestimmung erscheint ihm daher
in prognostischer Hinsicht von Bedeutung zu sein. Wenn die
Phthise aber mit Nephritis kombinirt ist. tritt eine Erhöhung des
Blutdrucks ein. Die Blutdruekherabsetzung bei fortgeschrittener
Tuberkulose beruht nach eigenen und anderer Autoren Unter¬
suchungen auf einer vnsodilntatorischen Wirkung der Gifte des
Tuberkelbncillu8, qualitativer und quantitativer Veränderung des
Blutes und sekundärer Atrophie des Herzens.
2) Richard H e 11 e r- Salzburg: Studie über die natürlichen
Salzburger Moorbäder, sowie über Moor-Eisenbäder und deren
physiologische Wirkung.
Bericht über die chemischen und physikalischen Eigen¬
schaften der Moorbäder, Ihre Anweudungsart, physiologische Wir¬
kung auf Herzthätlgkeit, Athmung, Blutbeschaffenheit, Körper¬
temperatur, Harnausscheidung, Indication und Contralndication
ihrer Anwendung.
3) M. L ö w e n s o h n - Wereholensk (Russland): Der Kumys
und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose.
Die Kumystherapie, Genuss vergohrener Stutenmilch zu Heil¬
zwecken, die sich schon Jahrhunderte lang zurückverfolgen lässt.
Ist von russischen Aerzten ln Bezug auf ihren anregenden Ein¬
fluss auf Verdauung und Stoffwechsel wissenschaftlich begründet
worden. Im Kampfe gegen die Tuberkulose ist sie als ein wirk¬
sames Heilmittel zu betrachten, das heutzutage noch vielfach zu
wenig geschätzt wird.
M. Wassermann - München.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 60. Bd., 3. u. 4. Heft.
Leipzig, Vogel, 1901.
12) Z i e g 1 o r - München: Ueber das mikroskopische Ver¬
halten subkutaner Brüche langer Böhrenknochen.
Verf. hat in der schwefligen Säure ein vorzügliches, schnell
wirkendes Entkalkungsmittel gefunden und mit Hilfe derselben
eine Reihe von Untersuchungen über subkutane Knochenbrüche
bei Tritonen und Meerschweinchen angestellt. Nach Verf.’s Be¬
funden stellt sieb die Knochenheilung bei Röhrenknochen dar als
eine Wucherung der inneren Schicht des Periostes und nebenbei
als eine Wucherung und Trübung der inneren Markschichten,
namentlich nahe der Cortiealis und des Endothels der Ha versi-
selien Kanäle. Z. bat schon am 5. Tage bei Meerschweinchen eine
Ausscheidung von osteoider Substanz beobachtet. Ebenfalls am
5. Tage hat Z. eine Ausscheidung von Knorpelsubstanz beobachtet.
Der neugebildete Knorpel ist stets nur unter dem Periost und nie
im Innern des Markrnunis zu finden. Dieser Knorpel verknöchert
direkt und bildet spongiösen Knochen, worauf sich Resorptions-
processe einleiten. Sowohl bei der enchondralen wie bei der binde¬
gewebigen Ossifikation spielen die Osteoblasten erst eine sekundäre
Rolle.
Das Studium der Einzelheiten kanu nur an der Hand der
ganz vortrefflichen Abbildungen erfolgen.
13) Franke- Braunschweig: Ein seltener Fall von Magen¬
resektion.
Die Magenresektion wegen Oarcinom bei einem 79 jährigen
Kranken hatte trotz einer am 3. Tage einsetzenden Pneumonie
einen vollen Erfolg.
14) Pagen Stecher - Wiesbaden: Beiträge zu den Extremi-
tätenmissbildungen.
a) Braehydaktylie, einseitige Verkürzung einer oberen Ex¬
tremität. bedingt durch Verkürzung und Verschmälerung der Meta-
carpi und Phalangen, zumal der Endphniangen.
b) Pollex valgus. Seitliche Abweichung der Endphalaux. be¬
dingt durch eine leichte Verbiegung des ganzen Köpfchens der
Grundpbalanx.
c) Luxation des Radiusköpfchens, komplizirt mit einer Ano¬
malie beider Daumen (Adduction des Metnearpus und Al*duction
der Phalangen) und einer Beugekontraktur der 4. und 5. Finger.
15) B 1 e e h e r - Greifswald: Ueber den Einfluss der künst¬
lichen Blutstauung auf Gelenksteifigkeiten nach Traumen und
längerer Immobilisation.
Verf. hat in zahlreichen Füllen von Gelenksteifigkeit nach
Traumen und längerer Immobilisation ausserordentliche Besserung
der Bewegungsfähigkeit nach Anwendung der Stauungshyperaemie
gesehen. Die Besserung war zweifellos auf die Stauung allein
zurückzu führen, da andere Methoden nicht zur Anwendung kamen,
insbesondere weder Massage, noch passive Bewegungen, noch Gym¬
nastik versucht wurde. In einem Falle wurde sogar die Besserung
bei fixirtein Gelenke beobachtet.
Die Wirkung der Stauung erklärt sieh Verf. durch die Auf¬
lockerung der Bindegewebsbündel. Erweiterung der Kapsel. Ver¬
längerung der Bänder. Vermehrung der Synovia. Auflösung der
Blutergüsse durch das vermehrte Serum.
Unterstützen lässt sich die Stauungswirkung natürlich durch
die Vornahme von passiven und aktiven Bewegrungen und durch
Massage.
16) Stempel- Breslau: Das Malum coxae senile als Berufs¬
krankheit und in seinen Beziehungen zur sozialen Gesetzgebung.
Auf Grund sorgfältiger Beobachtung von 58 Fällen entwirft
Verf. ein gutes Bild der genannten Erkrankung:
Das Malum coxae senile ist eine ausgesprochene Berufskrank¬
heit und zwar des landwirthsehaftlichen Berufes. Die Ursache
dafür liegt in der übermässigen Arbeitslast der landwirtschaft¬
lichen Bevölkerung, in ihrer unzureichenden Ernährung und in den
ungünstigen hygienischen Verhältnissen. Ein einmaliges aber hef¬
tiges Trauma kann das Leiden horvorrufen. Es beginnt, mit mehr
oder weniger heftigen, anfänglich nur zeitweise, später anhaltend
auftretenden Schmerzen an verschiedenen Stellen des Körpers. Pie
Schmerzen lassen beim Gehen nicht nach. Am Gelenk bemerkt
man alsbald eine Hervorwölbung der Weicht helle. Auftreibung der
Knochenenden. Beschränkung der Bewegungen und zwar am
ersten der Rotation und der Beugung. Schmerzhaftigkeit der pas¬
siven Bewegungen. Die Muskulatur der betreffenden Extremität
wird alsbald atrophisch, besonders auch die Glutael.
Mit der Arthritis deformans hat das Malum coxae senile nichts
zu thun. Bei der Arthritis deformans ist die Beweglichkeit des
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24. September 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1543
Gelenkes nickt nur nicht beschränkt, sondern sogar ausgiebiger
als ln der Norm.
Erkrankung anderer Gelenke Ist bei der Arthritis det'ormuns
sehr häutig, bei dem Malum senile ganz ungewöhnlich.
17) Wllms: Die Entfernung von Fremdkörpern aus dem
unteren Theil des Oesophagus vom Magen aus. (Chirurgische
Klinik Leipzig.)
Die Abtastung der Speiseröhre mit dem Finger gelingt von
der üesophagotomiewunde bis zum 5. und 6. Brustwirbel, vom
Magen aus bis zum 7. und 8. Brustwirbel.
In des Verf.’s Falle lag das Gebiss, wie die Röntgenunter¬
suchung zeigte, zwischen 8. und 9. Brustwirbel. Das Gebiss konnte
auf der Platte erst sichtbar gemacht werden als der Thorax schräg
von vorn rechts nach hinten links durchleuchtet wurde.
Auf Grund der Erfahrungen in seinem Falle empfiehlt W.
am Magen eine kleine Incision in der Nähe des Fundus anzulegeu.
Der Magen wird vor die Bauchwunde gezogen und zunächst au
der gewählten Stelle eine die Serosa und Muscularis umgreifende
Tabaksbeutelnaht angelegt, die noch nicht geknotet wird. Im
Centrum dieses Nahtringes wird eine kleine incision gemacht, daun
der mit einem dünnen Condomgummi überzogene Zeigefinger in
die Oeffnung hineingeschoben. Darauf wird die Naht soweit zu¬
gezogen und geknotet, dass der Finger in der Mageuwaud lixirt
ist. Nunmehr kann man die Hand mit Leichtigkeit in die Bauch¬
höhle versenken und den unteren Theil des Oesophagus abfühlen.
In des Verf.’s Falle konnte das Gebiss in dieser Weise leicht
herausgezogen werden. Der Patient wurde vollkommen geheilt.
18) Koseusteiu: Ein Fall von Implantation der Urethra
in’s Rectum. (Chirurgische Klinik Königsberg.)
Analog der bei Ectopia vesicae mit Erfolg geübten Ein-
püanzuug der Ureteren in s Rectum hat v. Eiseisberg bei
einem Patienten mit Epispadie und Incontinentia urinae die Im¬
plantation der Urethra lu’s Rectum gemacht. Die Operation hatte
nur einen vorübergehenden Erfolg, so dass später noch eine
VVitzel’sche Schrägiistel angelegt werden musste, auch musste
die Fistel am Rectum wieder zur Verödung gebracht werden.
19) H. v. Burckharilt- Stuttgart: Ueber akute fortschrei¬
tende Peritonitis bei Epityphlitis und ihre chirurgische Behand¬
lung.
Des Verf.’s frühere Arbeiten über denselben Gegenstand haben
eine Beachtung nicht gefunden. Er sieht sich daher genüthigt, die
wesentlichsten in denselben niedergelegten Punkte nochmals zu
wiederholen.
Er weist nochmals nach, dass es unzweckmässig ist, die Be¬
zeichnungen „diffuse“ und „allgemeine" Peritonitis zu gebrauchen.
Das wesentlichste Kennzeichen der „diffusen“ Peritonitis im Gegen¬
satz zur „umschriebenen" ist nicht die in einem gegebenen Augen¬
blicke relativ grosse Ausdehnung der Entzündung, sondern ihr
Nichtbegrenztsein, ihr Fortschreiteu. B. empüehlt daher die Be¬
zeichnung „fortschreitende“ Peritonitis zu gebrauchen.
Ueber das Zustandekommen und die Entwicklung der fort¬
schreitenden Peritonitis hat v. B. an 17 Fällen ganz genaue Unter¬
suchungen angestelit. Bei ü war es auf Grund des Krankheits-
Verlaufes und des Operationsergebnisses zweifellos, dass die fort¬
schreitende Peritonitis sich unmittelbar au die Entzündung des
Wurmfortsatzes ungeschlossen und der Einbruch von Infektions-
material direkt in die freie Bauchhöhle stattgefunden hatte. Die
Zelt vom Beginn der Erkrankung bis zur Stunde der Operation
schwankte zwischen 11 und üü Stunden. Geheilt wurden nur die
3 Kranken, deren Peritonitis weniger als 30 Std. bestanden hatte.
ln 4 Fällen war der Einbruch in die freie Bauchhöhle von
einem um den Processus gelegenen Abscess aus erfolgt. Die Peri¬
tonitis war zur Zeit der Operation zwischen 2 und 30 Stunden alt;
alle Patienten wurden geheilt.
In einem weiteren Falle war die Perforation von einem ent¬
fernt vom Wurmfortsatz gelegenen Abscess aus erfolgt; auch dieser
Kranke wurde gehellt, die Operation fand 18 Stunden nach der
Perforation statt.
Bei 4 Fällen handelte es sich nicht um eine eigentliche Per¬
foration eines Abscesses, sondern um ein Weiterschreiten desselben
per contlnuitatem. Alle Kranken wurden geheilt.
Bei 2 Patienten schliesslich lag der Wurmfortsatz im Becken
und es hatte sich um denselben herum zunächst eine Becken¬
peritonitis ausgebildet. Von dieser aus hatte sich langsamer als
in den übrigen Fällen die fortschreitende Peritonitis entwickelt.
Auch diese Fälle wurden geheilt.
Bezüglich der Diagnose der beginnenden fortschreitenden Peri¬
tonitis betont v. B. nochmals, dass dieselbe sehr wohl möglich ist,
dass man vor allen Dingen durch häutiges Untersuchen das Umsich¬
greifen des druckempfindlichen Bezirkes, das allmähliche Auftreten
des Meteorismus nachweiseu kann.
Sehr genau sind von B.’s Vorschriften, wann je nach der Art
der Erkrankung operirt werden soll. Im Allgemeinen gibt er den
Itath, bei irgendwie verdächtigen Erscheinungen nicht zu lange zu¬
zuwarten und den Eingriff zu unternehmen, so lange das llerz
noch kräftig ist.
Die Operationsmethode ist im Allgemeinen folgende: Frei¬
legung des Herdes in der Ileocoecalgegeud durch einen grossen
Flankenschnitt, Resektion des Wurmfortsatzes, ähnlicher, nur
kürzerer, Schnitt auf der linken Seite, bei stärkerem Sekret hier
auch Eröffnung der linken Lendengegend durch Schnitt unterhalb
und parallel der 12. Rippe. Die rechte Leudeugegend wird ebenso
eröffnet, wenn zwischen Kolon ascendeus und äusserer Bauch wand
Eiter abfilesst.
20) Herz-Barmen: Zur Frage der mechanischen Störung
des Knochenwachsthums.
H. wendet sich gegen die von Maass auf Grund von Thier¬
experimenten aufgestellte Lehre von der Störung des Knochen-
wachsthums und tritt für die Lore uz’sehe iusufücieuz der An¬
passung ein.
21) Dohr n: Ein Fall von traumatischer intraperitonealer
Blasenruptur. Laparotomie, Heilung. (Chirurgische Klinik
Königsberg.) K r e e k e.
Archiv für Qynäkologie. 04 . Bd. 1 , Heft. Berlin 1901 .
1) Ludwig Mandl und Oskar Bürger: Beitrag zur opera¬
tiven Behandlung von Eiteransammlungen in den Anhängen
der Gebärmutter. (Aus der 1. Universitäts-Frauenklinik des llof-
rath Professor Schau ta in Wien.)
Das besprochene klinische Material umfasst 273 Fälle von
Eiterausammlung in den Adnexen und entstammt der Zeit von
1888—19UU. Aus den daraus gewonnenen Erfahrungen ergaben
sich für die Behandlung solcher Erkrankungen folgende Schlüsse:
Der vaginale Weg hat den Vorzug vor dem abdominalen. Die
vaginale Radikaloperatiou ist die Operation des Principes. Ein¬
seitige Entfernung vereiterter Adnexe kommt nur in Frage bei
voraussichtlichem Beschrünktbleibeu der Erkrankung auf die eine
Seite, lucisioneu ergaben ungünstige Dauererfolge.
2> W. V a s s m e r - Hannover: Ueber Adenom- und Cyst-
adenombiidung mesonephritischer Herkunft im Ovarium und
Uterus.
Im llilus wie in der Parenchym schiebt des Ovariums und in
der rechten Seiten- und Vorderwaud des Uterus fand V. in einem
Falle zahlreiche, zum Theil cystisch erweiterte epitheliale
Schläuche, die er auf l rnierenreste zurückführt. Die Gänge zeigen
hohes Cylinderepithel; eigene Wandung und cytogenes Biude-
gewebsstroma fehlen.
3) L. Landau und L. Pick: Ueber die mesonephritische
Atresie der Mülle r’schen Gänge, zugleich ein Beitrag zur
Lehre von den mesonephritischen Adenomyomen des Weibes
und zur Klinik der Gynatresien. (Aus Prof. L. Lauda u's
Frauenklinik in Berlin.)
ln dem mitgetheilten Falle handelte es sich um kongenitale
Atresie der Cervix mit Haematometra corporis Uteri, Uaemato-
salpinx duplex und Kystoma haemorrlmgicum ovarii sin. bei einer
40 jährigen Frau. An Stelle der Cervix fand sich eiu mesoueph-
ritisches Adeuomyom; der cervicale Abschnitt der M ü 11 e r'scheu
Gänge war durch abnorm starke Ausbildung des W o 1 f t"sehen
Körpers utretisch geworden. Schwierige abdominale Totalexstir-
patiou des Uterus und der Adnexe; Heilung.
4) Johann S c h o e d e 1 - Chemnitz: Erfahrungen über künst¬
liche Frühgeburten, eingeleitet wegen Beckenenge in den Jahren
1893—1900 an der kgl. Frauenklinik zu Dresden.
Die Mittheiluug bezieht sich auf 41 künstliche Frühgeburten
wegen Beekeueuge. Von dieser Operation blieben Erstgebärende
und Fälle mit 9,5—8,5 Conjugata vera ausgeschlossen. 35 Kinder
wurden lebend geboren, davon starben 9 in den ersten 10 Tagen.
Die Durchschuittsdauer der Geburt betrug 41 Stunden bei Kom¬
bination von Kraus e'scher Methode mit Metreuryse. Der Eiu-
lluss der Wärmeschränke (Couveusen) war günstig für das Ge¬
deihen der Kinder.
5) Th. S c h u 11 z - Kopenhagen: Pathologische Anatomie
und Pathogenese der kleincystischen Follikulärdegeneration der
Eierstöcke.
Sch. untersuchte die theils durch Operation, tlieils durch Sek¬
tion gewonnenen Ovarien von 43 Frauen und fand 11 mal klein-
cystiselie Follikulärdegeueration. Pathogenese: Durch Reizung der
Ovarialnerven (Follikelnerven) werden zahlreiche Follikel gleich¬
zeitig zur Entwicklung gebracht und die Ernährung des einzelneu
wird ungenügend. Das Ovarium erleidet eine kurzdauernde, aber
um so mehr intensive Thiiligkeitsperiode.
ti) Butz: Beitrag zur Kenntniss der „bösartigen Blasen¬
mole“ und deren Behandlung. (Aus der Prov.-Hebammenlehr- und
Entbindungsanstalt zu Osnabrück.)
Molenschwangerschaft im 3. Monat bei einer 44 jährigen
X. Para; theil weise Ausstossung der Mole, Curettage; nach
13 Tagen wegen neuer Blutung Curettage wiederholt. Darnach
1 Jahr lang Fehlen aller bedrohlichen Symptome. Nach 1 Jahr
Luugennietustnsen, welche durch Blutungen zum Exitus führten.
3 Tage vor dem Tode starke Uterusblutung. Auf Grund der histo¬
logischen Untersuchung glaubt B., dass ein erkranktes Endo¬
metrium den eindringeudeu syncytialeu Elementen der Zotten
nicht genügend Widerstand entgegensetzt, durch die arrodirt.cn
uterinen Gefässe gelangen syncytiale Massen in die Lungen, wo
sie, ihrer physiologischen Thätigkeit entsprechend, wieder Gefässe
arrodircu und Blutungen veranlassen. Es handelt sich also nicht
unt eine Tumorbildung durch selbständige Vermehrung des ab
getrennten Syueytiums. Prophylaxe: Probecurette 14 Tage
nach Ausstossung jeder Blasenmoie; findet sich abnorm tiefes Ein-
wtichern foetaler Elemente, so ist die Indikation zur Totalexstir-
pation gegeben.
7) K. B 1 ä e her- Reval: Ueber das Verhältniss der mütter¬
lichen zu den foetalen Gefässen der Pacenta.
Durch Injektionsnietboden hat B. gefunden, dass die mütter¬
lichen Gefässe aus der Decidua durch die Obertläche der Zotten
in deren Inneres elndringen und sich zwischen den foetalen Ge-
fiisseu verthellen. Dr. Anton H e n g g e - München.
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544
No. 39.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd.
4. Heft.
1) G. F 1 e c k - Güttingen: Ein Fall von Haematometra und
doppelseitiger Haematosalpinx bei Mangel der Scheide.
Nach sehr ausführlicher Beschreibung der durch Laparotomie
gewonnenen Adnextumoren führt Verf. die Entstehung der Gyn-
atresie auf eine Entwicklungsstüruug zurück. Viele Momente
sprechen, für die Annahme eines congenitalen Scheidenmangels,
während sich klinisch wie anatomisch keine Anhaltspunkte für
eine bacteriell-entzündliclie Entstehung des Scheiden- und Tuben*
Verschlusses ergeben.
2) U n t e r b e r ge r-Königsberg: Ein Fall von Pseudo¬
hermaphroditismus femininus externus mit Coincidenz eines
Ovarialsarkoms. Laparotomie.
Junges, stark entwickeltes Mädchen mit ausgesprochen männ¬
lichem Typus. Die äusseren Genitalien sprechen für eineu
Hypospadiaeus 3. Grades. Solider bis über die N'abelhöhe ragender
Tumor im Abdomen. Vom Rectum aus liess sich ein Uterus fest-
stelleu, der mit dem Tumor gestielt in Zusammenhang stand. Die
Laparotomie ergab ein linksseitiges Ovarialsarkom.
3) M. Heldern a n n- Berlin: Die Thrombose im Wochenbett.
II. stellte im Wüchnerinnenheim zu Berlin aus sämmtlichen
Wochenbettgeschichten mit Angabe über Thrombose alle gleich¬
artigen subjektiven und objektiven Erscheinungen zusammen, um
neue Symptome der „reinen“ Thr. im Wochenbett zu gewinnen.
Er unterscheidet zwei verschiedene Formen von Thr., eine leich¬
tere, die sich in den ersten Tagen in eng umgrenzter Thrombo¬
phlebitis fast nur der oberlläehlichcu Variceu meist einer Seite
abspielt, und die schwerere Form, die nach dem 4. Wocheubetts-
tage auftritt und meist mit Thr. der grossen spez. der Beekeu-
veueu komplizirt ist.
Oefter bestanuen neben den bekanten Störungen der schweren
Form der Thr. Klagen über Dysurie, in einigen Fällen tagelange
Ischurie. Charakteristisch für die Thr. war in allen Fällen ein
Meteorismus, der dem Auftreten der Thr. vorausging oder bei
schon bestehender Thr. zunahm.
Verf. führt alle die von ihm beobachteten Fälle ohne Aus¬
nahme auf Infektion zurück. Die allgemeinen und lokalisirten
rrodromalerscheinungeu, die Unruhe der Temperatur, das häuüge
gleichzeitige Befallenwerden zweier Frauen begründen die in¬
fektiöse Natur der Thr. Die Eintrittspforte der Mikroorganismen
bildet die Placeutarstelle.
Schmerzhaftigkeit unterhalb des P o u p a r t’schen Bandes
ist das sicherste Zeichen für das Bestehen einer Thr. der tiefen
Beckenvenen mit Betheiliguug der Vena femoralis in ihrem
obersten Abschnitt. Das Mahl c r'sclie Symptom fehlte in vielen
Fällen, immer, wenn von Anfang ein gewisser Grad von Meteoris¬
mus vorhanden war. Ein inniger Zusammenhang besteht zwischen
Thr. und Meteorismus, der in Folge seiner schädlichen intensiven
Wirkung auf das Ilerz ein plötzliches Auftreten oder eine akute
Verschlimmerung der schon bestellenden Thr. verursacht.
4) G. W i e n e r - München: Drittmaliger Kaiserschnitt an
einer Zwergin mit Uterusbauchdeckenfistel in der alten Narbe
und Placentarsitz an der vorderen Wand.
In der Eröffnungszeit trat eine starke Blutung aus der Bauch-
deckontistel auf. Schwere Anaemie. Nach Einlieferung der Pat.
in die Klinik wurde sogleich die Entbindung durch den Kaiser¬
schnitt vorgenommeu. Der Uterus war ausgedehnt verwachsen
und wurde nach Porro exstirpirt. Kind frisch abgestorben.
Kekonvalescenz reaktionslos. Die Komplikationen des Falles er¬
forderten die Exstirpation des Uterus. Die starke Blutung im
Beginn der Geburt hat ihren Ursprung in der Placeutarstelle und
entstand unter ähnlichen Bedingungen wie bei Placenta praevia.
Eine Kommunikation der Bauchdeckeulistel mit der Uterushöhle
konnte am Präparat nicht nachgewiesen werden.
5) M. Kaufmann- Lodz: Ueber die Zerreissung des
Scheidengewölbes während der Geburt.
Mittheilung zweier Fälle. In dem einen Full wurde nach Fest¬
stellung der Ruptur bei Querlage die Wendung und Extraktion
ausgeführt; Peritoneum in grosser Ausdehnung abgehoben, un¬
verletzt; im anderen Falle entstand der Riss mit Betheiligung
des Peritoneums mit spontaner Geburt eines fast 15 Pfund
schweren Kindes. Tamponade. Heilung. Im Anschluss au die
Mitthcilimg knüpft Verf. einige Bemerkungen an über das Zu¬
standekommen und die Behandlung der Zerreissung des Scheiden-
gewölbes.
<») R. P a 1 in - München: Ueber papilläre polypöse Angiome
und Fiurome der weiblichen Harnröhre.
Unter eingehender Berücksichtigung der Gesammtliteratur
bespricht Verf. die Entstehung. Anatomie und Behandlung dieser
Geschwülste und theilt selbst 4 eigene Beobachtungen von
papillären polypösen Angiomen und 2 Fälle von Fibrom der Harn¬
röhre mit.
Die näheren Ausführungen sind zu kurzem Referat nicht ge¬
eignet.
7) E. S c h rö d e r - Nienburg: Zwanzig Jahre Geburtshilfe in
ländlicher Praxis.
Die Arbeit enthält eine Zusammenstellung der von Verf. wäh¬
rend einer 20 jährigen Tliätigkeit geleiteten Geburten. Die ope¬
rativen Eingriffe, die Anzeigen zu denselben, die Ergebnisse, die
Erkrankungen der Mütter und Kinder sind in übersichtlicher
Weise geordnet. Verf. hebt die Schwierigkeiten hervor, mit denen
der praktische Arzt auf dem Lande zu kämpfen hat und bespricht
die Art der Behandlung verschiedener Geburtsstörungen, die in
einigen Punkten nicht ganz ohne Widerspruch bleiben dürfte.
C. Weinbrenner - Erlangen,.
Centralblatt für Gynäkologie. 19U1. No. 37.
1) Johannes F ü t b - Coblenz: Zur intra-uterinen Behandlung.
Um zu verhüten, dass bei intrauteriner Aetzung die Flüssig¬
keit schon im Cervicalkaual ausgepresst wird, hat F. eine Art
Cervixspeculum konstruirt, das den Cervicalkanal offen zu halten
und seine Wandung vor der Einwirkung der Aetzflüssigkeit zu
schützen bestimmt ist. Das recht komplizirte Instrument, dessen
Beschreibung im Original nachzusehen ist, liefert die Firma Wil¬
helm G ö t z ln Coblenz.
2) F. W e s t p h a 1 e n - Flensburg: Cocain in der geburts¬
hilflichen Praxis.
W. empfiehlt in Fällen, wo ein Stillstand der Geburt in der
Austreibungsperiode in Folge von ausgeschalteter Bauchpresse
eintritt, Cocaiusuppositorien (ü 0,03, davon 1—2 in iy a Stunden)
per rectum. Die liegulirung der Wehen soll prompt in 5 bis
10 Minuten erfolgen. Toxische Wirkungen sah W. nicht Er ver¬
fügt bis jetzt über „35—40" (sic!) einschlägige Fälle.
3) M i c 1 e s c u - Konstantlnopel : Zur Pathologie und Thera¬
pie des Schw&ngerschaftsikterus.
Einige Bemerkungen über Ikterus gravis gravidarum und
eine Krankengeschichte. Von ersteren sei hervorgehoben, dass M.
im Blut einer Kranken 10 Stunden vor dem Tode Streptococcen
fand, und dass er zwei Krankheitstypen des Ikterus gravis au-
nimmt: Akute Leberatrophie mit Hypo thermie, bedingt durch
Bacterium coli, und akute Leberatropbie mit Hyper thermie in
Folge toxischer Einwirkung von Strepto- und Staphylococcen. Der
Fall betraf eine 20 jährige I. Para, die im 8. Schwangerschafts-
mouat schweren Ikterus bekam und durch Einleitung der künst¬
lichen Frühgeburt hergestellt wurde. Auch die Frucht blieb ain
Leben. M. will Jeden Schwangerscbaftsikterus durch künstliche
Unterbrechung der Gravidität behandelt wissen. Dem steht aber
entgegen, dass recht häufig die Schwangerschaft auch so günstig
verläuft oder spontan unterbrochen wird. J a f f 6 - Hamburg.
Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 30. Bd.
1. Heft. 1901.
1) R. B e n e k e - Braunsehweig: 2 Fälle von Ganglioneurom.
Der eine beschriebene Fall stellt eine kindskopfgrosse, iui
kleinen Becken gelegene retroperitoneale Geschwulst dar, die für
die betreffende Frau ein Geburtshinderuiss gebildet batte; im
zweiten Fall schildert B. einen mannskopfgrossen derartigen Tumor
bei einem 10 jährigen Mädchen, der in der Oberbauchgegeud und
ebenfalls retroperitoneal gelegen war. Der letztere Fall ist in-
soferne von ganz besonderem Interesse, als er „in seiner Haupt¬
masse ein gutartiges Ganglioneurom (wie Fall 1) darstellt, in dem
es aber weiterhin durch eine zunehmende blastomatöse Erkrankuug
der Ganglienzellen zu einer richtigen malignen Neubildung der letz¬
teren gekommen ist“, mit Bildung eigenartiger Drüsenmetastaseu.
B. neigt der Annahme zu, dass diese Gebilde ihren Ursprung im
Sympathicus hätten.
2) O. Barbanl - Siena: Ueber Ausgang der akuten gelben
Leberatrophie in multiple knotige Hyperplasie.
B. beschreibt (leider ohne Krankengeschichte) in eingehender
Weise eine mit Milzschwellung und Ascites verbundene Leber-
uffektlou, bei der das mit gi obhöckeriger Oberfläche versehene
Organ von verschieden grossen, weissllch-gelben Knoten durch¬
setzt war. Die letzteren erscheinen mikroskopisch aus neugebilde¬
tem Lebergewebe bestehend ohne typischen Lüppcheubau tait mehr
oder weniger ausgedehnter fettiger Degeneration und Nekrose. Im
internodulären duukelrothen Gewebe fehlt die Lebersubstauz fast
völlig und Ist ersetzt durch ein mehr oder weniger zell- und gefäss-
reiches Bindegewebe mit gewucherten Galleugängen. B. bespricht
die Literatur mit besonderer Berücksichtigung der Adenomfrage
und stellt seine Fälle zwei ähnlichen von March and und
Stroebe beobachteten an die Seite, indem er sie als Ausgang
einer parenchymatösen Degeneration in noduläre Hyperplasie auf¬
fasst.
3) Gg. Reinbach; Untersuchungen über den Bau ver¬
schiedener Arten von menschlichen Wundgranulationen. (Aus
der chirurgischen Universitätsklinik zu Breslau.)
R. schildert zunächst in klinischer Hinsicht die normalen
physiologischen gesunden Wundgranulationeu und ihre specifischcn
Eigenschaften und stellt ihnen gegenüber die schlechten oder
pathologischen Granulationen. Beim histologischen Befund
koustatirt R. stets ein fibrinöses Exsudat auf der Oberfläche der
normalen Granulationen; das Gewebe selbst besteht aus Fibro¬
blastenzügen, die vom Grund des gesunden Gewebes aufsteigend in
Zügen nach oben sieb erstrecken, sowie aus zahlreichen neu¬
gebildeten Capillaren und ist durchsetzt mit verschiedenen Arten
Leukocyten. Bei den pathologischen Granulationen vermisst R. die
charakteristischen Fibroblastenzüge, koustatirt dagegen den reich¬
lichen Gehalt an flüssigem, zelllgem (Leukocyten) Exsudat und an
neugebildeten Capillaren, die jedoch in den oberen Granulatious-
schichten nicht aus der Tiefe des Gewebes stammen, sondern aus
der Nachbarschaft herü berge wuchert sind. Fettige Blndegewebs-
züge fehlen völlig, die Fibroblasten zeigen deutliche Verschieden¬
heit von denen in gesunden Granulationen. Mitosen werden ln
pathologischen Granulationen viel häufiger angetroffen, doch findet
eben ein wieder massenhafter Untergang der cellulären Elemente
statt.
4) K. Y a m a g i w a - Tokio: Einige Bemerkungen zu dem
Aufsatz des Herrn Katsurada: Beitrag zur Kenntniss des
Distomum spathulatum (Beiträge XXVIII, 3).
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24. September 1901.
MTJENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1545
Y. setzt seine von Katsurada abweichenden Ansichten
auseinander und beschreibt kurz 3 von seinen typischen Fällen
von DIst spathul.
5) F. K a t s u ra d a - Tokio: Einige Worte der Erwiderung
an Herrn Yamagiwa. (Aus dem pathologischen Institut in
Freiburg 1. B.)
Pio Frä- Turin: Giulio Bizzozero f. (Nachruf.)
H. Merkel- Erlangen.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 38. No. 1. 1901.
1) C. Flügge: Weitere Beiträge zur Verbreitungsweise
und Bekämpfung der Phthise.
2) B. H e y m a n n - Breslau: Versuche über die Verbreitung
der Phthise durch ausgehustete Tröpfchen und durch trockenen
Sputumstaub.
3) O. Nennlnger - Breslau: Ueber das Eindringen von
Bacteiien in die Lungen durch Einathmung von Tröpfchen und
Staub.
4) F. S t e 1 n 11 z - Breslau: Die Beseitigung und Desinfektion
des phthisischen Sputums.
5) F. Herr und M. B e n I n d e - Breslau: Untersuchungen
über das Vorkommen von Tuberkelbacillen in der Butter.
6) F. H e r r - Breslau: Das Pasteurisiren des Bahms als
Schutz gegen die Verbreitung der Tuberkulose durch Butter.
7) Derselbe: Ein Beitrag zum Verhalten der Tuberkel¬
bacillen bei Ueberimpfung auf Blindschleichen.
8) Derselbe: Ein Beitrag zur Verbreitung der säure¬
festen Bacillen.
Vorstehende von Flügge inaugurirte Arbeiten bilden
einen weiteren Fortschritt In der Erkennung über die Verbreitungs-
weise und Bekämpfung der Tuberkulose, deren Resultate in dem
voraufgehenden Bericht von Flügge zusammenfassend nieder¬
gelegt sind.
Nachdem die Infektionsmöglichkeit der beim Sprechen.
Husten, Niesen durch tuberkulöse Kranke gebildeten und aus¬
gestreuten Tröpfchen erwiesen war, gingen die Verfasser
Heymann, Nennlnger und S t e l n 11 z dazu über, die In¬
fektiosität des Sputumstaubes näher zu ermitteln.
Es verhält sich dabei so, dass die Infektionsmöglichkeit bei
versprühten Tröpfchen eine grössere ist als bei
Sputumstaub. Letzterer ist verliältnissmiissig grob und
bietet, well er leicht zu Roden fällt, eine nur kurzdauernde In¬
fektionsgefahr. Am gefährlichsten sind die sehr flugfähigen
Fasern von Taschentüchern und Kleidern, die mit
Tuberkelbaclllen-Sputum bespritzt sind. Sie sind aber nur ver¬
einzelt im Staube enthalten, so dass z. B. in Phthislkerräumen erst
ein dauernder Aufenthalt zur Inhalation und Infektion führen
würde.
Zur Desinfektion von Sputummassen empfiehlt sich
am besten das Sublimat, welches ln 5 prom. Lösung in
1 y 2 Stunden die Tuberkelbacillen abtödtet. Auch das A b -
kochen ist vortheilhaft. doch In grossen Betrieben nicht ohne
Umständlichkeit durchzuführen. Desshalb wird den verbrenn¬
baren Spucknäpfen das Wort geredet, deren Werth sich
für einen nur auf 3y a Pfg. stellt.
Die viel im Gebrauch befindlichen Spuckgläser, die ent¬
weder durch die Metalltheile oder durch zu dickes Glas eine
chemische oder mechanische Reinigung unbequem machen, sind
ebensogut durch Taschentücher, falls dieselben nur täglich
gewechselt und desinflzirt werden, zu ersetzen.
Sehr zu empfehlen sind die Taschentücher aus Japani¬
schem Papier, deren Kosten pro Stück nur ca. 1 Pfennig
beträgt.
Für eine eventuelle Wohnungsdesinfektion ist auch nach den
neuesten Versuchen von S t e I n 11 z der Forraaldehyd-
gebrauch am meisten zu empfehlen.
Nennlnger hat den Beweis erbracht, dass bei
der Inhalation von Staub und Tröpfchen die Mikroorganismen
bis ln die feinsten Aestchen der Bronchieh gelangen
können.
Herr 1 « Untersuchungen beschäftigen sich mit der Mild» als
Infektionsvermittler. Er fand, dass unter 45 Buttersorte n
etwa ein Drittel Tuberkel bacillen enthielten und empfiehlt
desshalb als prophylaktische Maassnahme das Pasteurisiren
des Rahmes der Milch, da bereits bei 85 0 5 Sekunden zur
Abtödtung der Bacillen genügen. Bei 65 0 würden 10—15 Minuten
erforderlich sein.
Bel Experimenten über die Anpassungsfähigkeit des Tuberkel¬
bacillus an saprophytlsches Wachsthura konnte Herr die Resul¬
tate anderer Forscher nicht bestätigen. Er bediente sich als Vor-
suchsthlere der Blindschleichen, konnte aber keine tuber¬
kulösen Erscheinungen bei Ihnen hervorrufen.
Am Schluss der F1U g g e’schen Abhandlung wird noch
darauf hingewiesen, dass ln den Maassnahmen zur Bekämpfung
der Tuberkulose eine zeitweise Isolirung der Kranken
ein wichtiges Moment sei, wie es z. B. auch bereits in Nor¬
wegen vorgesehen Ist. Ueberliaupt wird aber in absehbarer
Zelt nur ein Erfolg erreicht werden können, wenn die speci-
f Ischen, auf die Eigenschaften und die Verbreitungsweise der
Erreger gegründeten Maassnahmen energisch in den Vordergrund
rücken.
In BetrefT der Einzelheiten der Interessanten Arbeiten muss
auf die Originale verwiesen werden.
R. O. Neumann - Kiel.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 37.
1) Richard M e y e r - Berlin: Das Ausscheidungsverhältniss
der Kalium- und Natriumsalze bei Carcinomkachexie und
Phthise.
Während normaler Weise die Menge? des nusgoschiodoncii
Natrium bedeutend grösser ist. als die des Kalium, ist das Vor-
hiiltni88 bei kachektischen Zuständen gerade umgekehrt. Bei drei
Fällen von Carcinomkachexie verhielt sich KCl:NaCl=2 (bzw. 3i:l,
bei zwei Fällen progressiver Phthise das gleiche Verhältnis«,
während bei einem weiteren l’hthisisfalle mit wenig ausge¬
sprochener Kachexie und einem Falle von Phthisis ineipiens das
Verhältnis« noch normal, 1:3 bezw. 5 befunden wurde.
2) II. II e 11 e n d a 11 - Strassburg: Ueber die chirurgische
Bedeutung des in der lateralen Ursprungssehne des Musculus
gastroenemius vorkommenden Sesambeines.
Dieses Sesambein, welches von der Aerztewelt bisher fast
ganz unbeachtet sein sfellenwcisos Dasein fristete, verdankt es
Professor Röntgen, wenn es wieder in das Licht gezerrt wird.
Die Kenntnis« desselben ist desshalb wichtig, weil sein Schatten
im Röntgenbild einen Fremdkörper im Kniegelenke Vortäuschen
kann.
3) lg. Wat teil-Lodz: Zur operativen Behandlung der
Stichverletzungen des Herzens.
Sehr interessante und ausführlich beschriebene Kranken¬
geschichte des 13. In der Literatur veröffentlichten Falles von
Ilerznaht, zugleich (1er 6. mit dauerndem Erfolg operativ be¬
handelte und der 1. Fall, in welchem eine llerzwunde mit Ver¬
letzung der rechten Pleurahöhle und mit Pneumo-Haemothorax
derselben komplizirt war.
4) Max Einliorn-New-York: Das Vorkommen von Schimmel
im Magen und dessen wahrscheinliche Bedeutung.
Unter Mittheilung von vier Krankengeschichten und Illustra¬
tion der bakteriologischen Untersuchungen verbreitet sich K. über
das Wesen und die Therapie der Schimmelbildung im Magen. Die¬
selbe findet sieh vornehmlich bei zwei Gruppen von Magen¬
erkrankung, bei intensiver Hyperchlorhydrio und bei Gastralgion
mit normaler oder herabgesetzter Magensaftsekretion. Thera¬
peutisch scheinen Magenspülungen und Berieselung mit. 1—2 prom.
Lösung von Argentum nitricum von Vortheil zu sein.
5) Ivar R a n g - Christiania: Ueber Nucleoproteide und
Nucleinsäuren.
Physiologisch-chemische Untersuchungen, auf deren Resultate
hier nicht näher eingegangen werden kann. Von Interesse ist.
dass das Pankreas, welches die Zuckerproduktion des Organismus
regulirt, eine Substanz enthält, welche eine vermehrte Zucker¬
produktion nach Einspritzung von Nucleoproteid in’s Blut hervor¬
ruft und dass die Injektion von Guanylsiiure und noch mehr die
von Nucleoproteid die Blutgerinnung verhindert.
6) Otto B r u n s - Harburg a. E.: Ein Fall von Spätapoplexie
nach Trauma, und
7) Aug. B 1 e n c k e - Magdeburg: Ein Fall von reiner Meta-
tarsalgie.
Kasuistische Mittheilungen aus der ärztlichen Praxis.
8) C z y g a n - Benkheim: Ueber einen ostpreussischen
Malariaherd.
Unter Mittheilung von 8 bakteriologisch fest gestellten Fällen.
F. Lacher- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg.No.l8.
O. Bauer: Die Enucleation bei Panophthalmitis. Bericht
aus der Züricher Universitäts-Augenklinik über die Jahre 1886 bis
1000 .
In 53 Fällen von typischer Panophthalmitis (Ursache meist
Splitterverletzungen) war Enucleation gemacht worden (stets in
Narkose, ohne Conjunctivnlnaht), ohne wesentliche Zwischenfälle.
Heilung war ausnahmslos rasch (Entlassung durchschnittlich nach
7 Tagen).
L. S e h n y d e r - Born: J. P. F. B a r r a 8 (1789—1851). Ein
Kapitel aus der Geschichte der Magen- und Darmnenroscn.
Der fast vergessene Schweizer Arzt schrieb 1829 ein sehr
gutes, interessantes Buch: ..Traitf* sur los Gastralglos et les Kntör-
algies“, worin er gegenüber der damals herrschenden Anschauung
Rroussai’s (welche alle Krankheiten auf Entzündung zurück¬
führte) die Bedeutung nervöser Magen- und Dannleiden verfocht.
Jacob Nadler-Seen: Ueber Peroneuslähmung in Folge
schwerer Geburt.
Bei einer Erstgebärenden mit allgemein verengtem Becken
trat kurz vor der Geburt Lähmung des rechten Peroneus ein. die
bald (abgesehen von geringer Atrophie) völlig heilte.
Pischlnger.
Italienische Literatur.
Bi fff: Ueber die Natur der jodophilen und eosinophilen
Granulationen innerhalb der Leukocyten. (11 policlinieo IJxH,
No. 44.)
Ehrlich war der erste, welcher durch systematische Unter¬
suchungen die Anwesenheit von Jodophilen Körnchen im Eiter und
Blut feststellte. Kr hält dieselben für Glykogen, eine
Substanz, welche Hoppe-Seyler in den weissen Blutkörper¬
chen wie in den Eiterkörperchen nachgewiesen hatte. Diese
jodophlle Reaktion ist nach Ehrlich verschieden von der
eosinophilen. B. veröffentlicht Untersuchungen aus dem Labora¬
torium zu Faenza unter Leitung von Test!, aus denen hervor-
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1548
No. 39.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Rehen soll, dass die jodophilen und eosinophilen Leukocyten die
gleichen sind. Die Protoplasmakörnchen. welche diese Reaktion
zeigen, sollen aber nicht Glykogen sein, sondern Haemoglobin.
Ol) überhaupt glykogenhaltigo Körnchen in den Leukocyten vor-
kilnien. könne nicht auf Grund der jodophilen Reaktion allein
entschieden werden: vielleicht sei die jodopliile wie die eosinophile
Reaktion als ein Phänomen der Phagocytose aufzufassen.
Aus dein gleichen Hospitale zu Faenza veröffentlicht G a 11 i
eine Arbeit: Ueber den klinischen Werth der jodophilen Re¬
aktion des Blutes. (Ibidem.)
G. kommt zu dem Resultat, dass die Erscheinung dieses Phä¬
nomens bei den verschiedensten Krankheiten und unter normalen
Zuständen eine so wechselnde ist und es sich bisher so wenig
bestimmen lässt, was normal und was pathologisch ist. dass diesen
Befunden irgend ein klinischer Werth nicht zuzusprechen ist.
Häufig findet man Leukoeytose und Intensität der jodophilen
Reaktion vergesellschaftet; trotzdem aber lässt sich auch hier
keine sichere Beziehung nachweisen.
A j e 11 o und 0 e c a e e: Ueber die Ausscheidung der Gallen¬
säuren. (Giorn. int. di Scienze mediehe 1901. No. 9.)
Beim gesunden Menschen wie bei den Säugethiereu.
besonders bei den Hausthieren. wird keine Gallensäure
durch den Urin ausgeschieden. Die subkutane Ein¬
spritzung nicht zu kleiner Dosen von Gallensalzen ergibt stets
Gallensiiure im Urin.
Der ikterisehe Urin enthält stets Gallensiiure. Die Anwesen¬
heit von Gallensiiure im Urin des Menschen wie der Haussiiuge-
ildere ist immer als ein pathologisches Phänomen aufzufassen.
Gordero: Ueber die Anwendung des Amylnitrits gegen
die Inconvenienzen der Cocainanaestliesie. (Gazzetta degli osped.
UHU. No. 72.)
Die unangenehmen Nebenwirkungen, welche der Anwendung
der Coeainnarkose zu chirurgischen Eingriffen hinderlich sind,
bestehen fast ln allen Fällen in Erbrechen wenige Minuten nach
der Einspritzung, in Kopfschmerz und in Tomporatursteigeriingen
bis zu 39°.
In Bezug auf alle drei Erscheinungen soll sich Amylnitrit in
der gewöhnliehen Weise 3—4 Tropfen auf ein Taschentuch ge¬
träufelt einzuathmen und je nach Bedarf wiederholt prompt als
Antagonistieum bewähren, ohne die anaesthetische Wirkung auf¬
zuheben. C. will diese Beobachtung an 27 Operationen in der
chirurgischen Klinik zu Parma mit grosser Regelmässigkeit ge¬
macht haben und fordert dazu auf, seine Angaben nachzupriifen.
Damit diese Nachprüfungen unter den gleichen Bedingungen
geschehen, erwähnt er, dass er 6—9 mg Cocain in einer >/, proc.
Lösung einspritzt. Diese Dosis sei genügend für Eingriffe unter¬
halb der Höhe des Nabels. Die Flüssigkeit muss steril und lau¬
warm sein. Man lasse erst eine kleine Quantität Cerebrospinai-
fliissigkeit, welche etwa gleich der zu injizirenden Fliissigkeits-
uienge ist, austreten.
Die Injektion muss sehr langsam gemacht werden.
Biagi: Ueber den Einfluss der Sympathicusexstirpation
auf die Schilddrüse. (11 policlinlco 1901. No. 44.)
Im Gegensatz zu Katzen stein, welcher nach Entfernung
des Synipatkiciis-Ganglion, ja schon der Nervi laryngei vollständige
Degeneration der Schilddrüse beobachtet haben will, kommt B.
zu dem Resultat, dass Exstirpation der Syinpathicusnorveu wie
der Nervi laryngei keinerlei trophischcn Einfluss auf die Drüse
hat. auch keine sekretionsverändernde. Der einzige Effekt sei
eine nur kurze Zeit dauernde Gefiisserweiterung. Damit fehlt die
Basis für chirurgische Eingriffe, welche sich auf eine neue Theorie
bezüglich der Entstehung des Morbus Basedow stützen: es ist kaum
anzunehmen, dass diese durch Thierexperimente gewonnenen Re¬
sultate nicht auch für den Menschen Geltung haben.
M a n n i n 1: Ueber inkomplete Formen von Morbus Flajani-
Basedow. (Gazzetta degli osped. 190], No. 09.)
Die Frage, ob beim Morbus Basedow eine Funktionsstörung
der Schilddrüse oder des Sympathien« das eigentliche ursächliche
Agens ist, ist immer noch ungelöst. M. tritt dafür ein, dass eine
direkte oder reflektorische Laeslon des Sym-
p a t h i c u s das primäre Symptom dieser Krank¬
heit ist. Er führt als Beweis dafür die vielen inkompleten
Formen von Basedow an. welche bei Geisteskranken beobachtet
werden, bei welchen es nur zu einzelnen Symptomen der Krank¬
heit komme. Den Störungen der Funktion der Schilddrüse, sei
es, dass dieselben im Laufe der Krankheit auftreten, sei es, dass
sie primär zu sein scheinen, möchte M. nur die Rolle einer sympto¬
matischen Begleiterscheinung zusprechen.
Bruno: Ueber Morbus Basedow, ((,'linica moderna. V. 18- -19.
1901.)
Die veriin d e rte Funktion der Schilddrüse,
w e 1 e li e als di e U r suche der Bnscdo w’schen Krank¬
heit aufzufassen ist, soll einer Be li a n < 1 1 ti n g
d u r c li K 1 e k t r i <• i t ä t z u g ä n g 1 i c h s e i n. Unter dein Ein¬
fluss von elektrischen Strömen soll nach den in der Klinik zu
Pisa gemachten Erfahrungen die Drüse sich an Volumen ver¬
mindern. Die erste Konsequenz ist ein grösseres Eintreten der
angehäuften stofl'weehselvergiftenden Substanz in den Kreislauf
und eine Verschlimmerung der Basedow-Symptome; darauf folgt
eine Besserung. Die Drüse hat aber das Bestreben sich immer
wieder zu vergrössern. desshalb muss die Kur eine sehr lange sein.
La Mensa und Calla ri: Die Thyreoideatherapie in
einigen Keratodermien.
In der Clitiien mcd. No. 21, 1901, berichten die obigen Autoren
aus der Klinik für Dermatologie und Syphilis zu Palermo über
ihre Versuche mit der Schilddrüsentherapie.
Die Störungen bei dieser Behandlung sind die gleichen, welche
bei der Myxoedem-Behandlung auftreten: Kopfschmerz, Ver¬
dauungsstörungen, Polyurie, Asthenie, Abmagerung u. s. w. Sie
sind lästig, aber sobald sie überwacht werden, nicht gefährlich.
Dagegen wollen die Autoren bei fast allen Psorlasis-
wie Ich thyosis kranken gute Resultate zu ver¬
zeichnen gehabt habe n. Auch bei dieser Kur gibt es
Rückfälle, indessen auch bei diesen ist die Wirkung des Mittels
immer wieder eine sichtliche.
Comba: Ueber die Zellgewebsinduration der Neuge¬
borenen. (La clinica mcd. Italinna 1901. No. fl.)
Das Skieroder m a neonatorum Ist nicht eine
Krankheit s u i g e n e r 1 s . ebensowenig wie das Auasarka
der Erwachsenen. Es ist ein subkutanes Oodein, welches mit
einer Nephritis und mit Cireulationsstörungen Im Zusammenhänge
steht, welche ihrerseits durch Infektionsprocesse verschiedener
Art herbeigeführt sein können.
Baccarani: Ueber eine maligne rheumatische Infektion
(Gazzetta degli osped. 1901. No. G9.)
Aus der Klinik zu Modena unter Leitung von Prof. Galvagui
erörtert B. ein von italienischen Autoren namentlich mehrfach
discutirics Krankheitsbild, welches einerseits an eine akuteste
und bösartigste Form des akuten Gelenkrheumatismus, anderer¬
seits an eine septikaemisehe Infektion erinnert.
Es handelt sieh um eine Infektionskrankheit ähnlich dem
akuten Gelenkrheumatismus. Immer sind mehrfache Lokali¬
sationen vorhanden, in den Gelenken sowohl als In den serösen
Höhlen. Das Exsudat Ist ein fibrinös-eiteriges. Auch die Nieren
erkranken oft. Die Kranken bieten die charakteristische Facies
pneumonien seihst dann, wenn die Lungen nicht ergriffen sind.
Der bakteriologische Befund bietet bis jetzt wenig charak-
l teristisclies. Ausser Staphylococcns wurden Diplococcen und von
; Bona rdl ein bestimmter Bacillus capsulatus gefunden, alle von
hoher Virulenz. Die Einreihung dieser Krankheit in das noso¬
logische System stellt demnach noch dahin; vielleicht Ist sie als
, ein Gelenkrheumatismus mit hoher Virulenz oder mit Misch¬
infektion anzusehen. Hager- Magdeburg-N.
Inangnral-Diuert&tionen.
Universität Kiel. August 1901.
73. B tunke Oswald: Ein Fall von Isthmusstenose mit Ruptur der
auf steigenden Aorta.
74. R a u p p Robert: Ueber einen Fall von primärem Carciuotii der
Leber.
75. Mnrcusc Harry: Die primäre Tuberkulose der serösen
Häute.
76. Re nnefalirt Karl: Drei Fälle von Unterbindung der Carotis
communis zur Verhinderung des Wachsthums inoperabler
Krebse des Gesichts.
77. llenscl Karl: 40 Fälle von Eklampsie.
78. 111 in a n n ii August: Zur Kasuistik der Myositis ossifleans.
79. Kessler Bernhard: Die Voroperation zur Freilegung und
Exstirpation der Samenblasen und des Endstückes der Samen¬
leiter.
80. Schuster Oscar: Ueber die Tuberkulose bei Handwerks¬
bursehon. Gelegenheitsarbeitern und Landstreichern.
| 81. Hans Wilhelm: Zur Kasuistik der Pylorasresektionen.
| 82. Ivoopp Ernst: Ein Fall von Magencarcinom um ein altes
Magenuleiis mit Pleura- und Peritoneuracarcinose.
I 83. Schneider Conrad: Zur Pathologie und Therapie eines
durch Stoinbihlung in einem Ureter und Pyonephrose knm-
plizirten Falles von Inversio vcsicae.
I 84. Strooliloin Robert: Ein Fall von ausgedehnter Thrombose
des erweiterten linken Ventrikels.
| 85. Vo retzseh Oscar: Beitrag zur Statistik der Oesophngus-
divertikel.
Universität Würzburg. Januar bis März 1901.
1. Bernkopf Martin: Ueber ein haematoblastenlialtiges
Ostooidsarkom.
2. Sa 1 borg Willy: Ueber mehrfache Krebsentwicklung im
Magen.
3. Isaak Leo: Ueber die Zähigkeit des Fleisches in Ihrer Be¬
ziehung zur Dicke der Muskelfasern.
4. Bergen thal Max: Ueber ein Endothcllom des Peritoneums.
5. Fischer Karl: Ueber primäre Sarkome der Leber.
6. I. o 1 p o 1 d Karl: Die Aneurysmen dos Aortenbogens und ihn 1
Folgen, nebst Anführung eines eigenen Falles mit Perforation
in den Oesophagus.
I 7. P f a n n e n m ü 11 e r Hans: Anatomische Untersuchung eines
Falles von schwerer Epilepsie.
8. Baldes Karl: Ueber die Ausscheidung von sauerem und neu¬
tralem Schwefel im Harn des Kaninchens während des Hunger-
zustnndes.
9. Peiser Alfred: Zur Agglutination der Typhusbacillen durch
den Harn Typhuskranker.
10. Miynke Rioiclii: Ein Beitrag zur Anatomie des Dilatator
pupillae hei Säugethleren.
11. Sch aper August: Beitrag zur Aetiologie und Therapie der
spontanen Uterusruptur während der Geburt.
12. Stern Julius: Congenitale Anomalien der Uvula und des
welchen Gaumens.
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24. September 1901.
13. Jacobsohn Hugo: Ueber 1000 Geburten der K.Universitäts-
Frauenklinik zu Würzburg.
14. Herrin an n Burkhard: Beitrage zur kalorimetrischen Be¬
stimmung des Mutterkornes.
15. Brückner Arthur: Die Raumschwelle bei Simultanreizung.
10. Friedliinder Snlo: Zur Kasuistik der Operation des Hirn¬
tumors.
17. Schmincke Alexander: Magencarclnoin im Gefolge eines
chronischen Magengeschwürs bei einem Sechzehnjährigen.
18. Zander Paul: Talgdrüsen in der Mund- und Lippenschleim¬
haut
19. Menke Philipp: Ueber die serösen Cysten der Leber und
einer Gallengangscyste mit quergestreifter Muskulatur.
20. Gehring Anton: Ein seltener Fall von juveniler pro¬
gressiver Muskelatrophie mit mangelhafter Entwickelung der
Ganglien der motorischen Sphäre.
21. Rapp Franz Xaver: Regenerative Vorgänge an Muskeln
und Drüsen, sowie eigenartige Riickbildungsprocesse am Deck¬
epithel eines Amputationsstumpfes der Zunge (zugleich Beitrag
zur Lehre vom Recidiv).
22. Meyer so hu Sigmund: Zur Kasuistik der embryonalen
Drüsengeschwülste der Niere.
23. Körner Otto: Ein seltener Fall von peritonealem Endo¬
thel iom (sogen. Eudothelkrebs) komplizirt mit multipler Cysten¬
bildung.
24. Bühlau Alfred: Zur Lehre von den Degenerationsanomalien
der Ohrmuschel mit Berücksichtigung der Degeneration im All¬
gemeinen.
25. Stadtfeld Heinrich: "Weitere Beiträge zur Kenntniss des
Haemoglobiugehaltes der Muskeln.
20. Schuh Max: Histologische Untersuchungen über das Ampu¬
tationsneurom.
27. I bi n g Wilhelm: Ein seltener Fall von Papillom» lymph-
angiomatosum nach Trauma.
2N. Köster Bernhard: Ueber das Wachsthum des Mugcncarel-
noms in der Magenschleimhaut.
29. Sch wobei Ludwig: Zwei Fälle von Fibrosarkom der
Quadricepssehne.
Vereins- und Congressberichte.
(Eigener Bericht.)
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
tOfflcielles Protokoll.)
Sitzung vom 13. April 1901.
Vor der Tagesordnung:
Herr Meinert gibt einen Kommentar zu den durch ihn
iinlieabslchtigt hervorgerufenen und von ihm lebhaft bedauerten
Vorgängen in der Eröffnungssitzung des Wiener internationalen
Kongresses gegen den Alkoholismus.
..Nachdem das offizielle Programm bereits versendet war, wur¬
den Professor Forel und ich vom Präsidium zu Ansprachen in
d<*r Eröffnungssitzung aufgefordert. Jener sollte vom Standpunkt
«les Abstinenten, ich vom Standpunkt des Temperenzlers über die
Bedeutung der Anti-Alkoholbewegung sprechen. Erst am Vor¬
abend der Eröffnungssitzung konnten wir uns gegenseitig über die
Abgrenzung des Stoffes verständigen, den Jeder von uns zu be¬
im ndeln hätte. Der von der modernen Propaganda hauptsächlich
in’s Treffen geführte Antheil der höheren Stände an den verderb¬
lichen Trinksitten fiel mir zu.
Das Wort wurde mir ertheilt unmittelbar nach der letzten
der üblichen Begriissungsreden und da das Publikum nur durch
kleine Zettel, welche den wenigsten zu Händen gekommen sein
mochten, auf den nunmehrigen Eintritt in die sachlichen Erörte¬
rungen vorbereitet war. hielten mich wohl die meisten für einen
Deputirten, der gleich seinen Vorgängern einige verbindliche Worte
zu sagen haben würde.
Der entschiedene Kurs, den ich auf die höheren Stände nahm,
frappirte. und als ich nach kurzem Verweilen bei den Offizieren
und bei den akademisch Gebildeten der verschiedenen Fakultäten
das Verhültniss, in welchem der ärztliche Stand dermalen
noch zur Mässigkeltsbewegung steht, als das Haupthindernis ihres
siegreichen Vordringens bezeichnete, brach ein demonstrativer
Beifallssturm los. Durch denselben Hess ich mich — denn gleich
Prof. Forel sprach ich frei — leider zu starken Ausdrücken hiu-
reissen. welche besonders die bisher von der Antialkoholbewegung
und ihrer von Jeher auch an den Aerzten geübten Kritik un¬
berührten Wiener Kollegen zu verletzen geeignet waren. Sie
fühlten sich denn auch um so mehr verletzt, als die K. K. Ge¬
sellschaft der Aerzte ln Wien dem Kongress ihr Haus zur Ver¬
fügung gestellt hatte.
Der auf die Zwischenrufe von Wiener Aerzten entstandene
arge Tumult legte sich erst und wandelte sich in abermaligen all¬
gemeinen Beifall, als ich auf den Rath des Ehrenpräsidenten.
Unterriehtsministers Dr. v. Härtel, erklärte, dass ich selbst
Arzt, dass Ich der Vorsitzende des Dresdener Bezlrksvereius und
des sächsischen Landesverbandes gegen den Missbrauch geistiger
Getränke sei und seit 30 Jahren mich mit der Bekämpfung des
Alkoholismus beschäftige.
Bei der Parteinahme des von über 1200 eingeschriebenen Mit¬
gliedern besuchten Kongresses für mich drohte ein sein Weiter¬
tagen in Frage stellender Konflikt, welchen der Präsident, Hofrath
1547
Prof. Max Gruber, am nächsten Morgen nur durch die Er¬
klärung zu beschwören vermochte, dass, wenn die Versammlung
meine Ansicht über den ärztlichen Stand theile, er nicht in der
Lage wäre, ihr Präsidium zu führen.
Tags darauf gab ich die mit ihm vereinbarte Erklärung ab,
dass eiue beleidigende Absicht mir ferngelegen habe und dass Ich
alle um Verzeihung bäte, die sich durch meine Ausdrucksweise
gekränkt gefühlt hätten.
Entgegen einer von manchen Berichterstattern verbreiteten
Version, stelle ich fest, dass ein Widerruf von mir weder verlangt,
noch geleistet worden ist.“
Tagesordnung:
1. Herr F. D Ommer:
a) Das V a 1 e n t i n'sche Urethroskop.
b) Spüldehner nach F. Dommer. (Mit Demonstrationen.)
2. Herr Georg Hesse: Ein Fall von Lungenresektion
wegen Tuberkulose. (Mit Krankenvorstellung.)
3. Herr Putzer: lieber aerothermische Lokalbehandlung
mit Dr. Vorstädter’s Luftdouche. (Nebst Demonstration
derselben.)
Herr Gelbke* Nach der Geschäftsordnung unserer Gesell¬
schaft ist es nicht erlaubt, über Gegenstände, die vor der Tages¬
ordnung vorgetragen werden, zu dlscutlren. Ich möchte Sie daher
bitten, m. H., mir Jetzt noch nach beendeter Tagesordnung für
einige Minuten Gehör zu schenken, da Ich auf die von Herrn
Meinert ln Bezug auf seine in Berlin getbanen Aeusserungen
hier abgegebenen Erklärung zu erwidern mich veranlasst fühle.
Ich sehe ab von der nach Herrn M e 1 n e r t’s eigenem Zu¬
geständnis zu scharfen Form in die er seine Aeusserungen kleidete
— er hat dnfür in der Wiener Versammlung, und, wenn ich das an-
nehmen darf, damit auch den ganzen ärztlichen Stand um Ver¬
zeihung gebeten. Aber der materielle, der rein sachliche Inhalt
seiner Ausführungen, den er auch heute Abend vor uns aufrecht
erhalten hat, darf von unserer Seite nicht unwidersprochen
bleiben: Herr Meinert behauptete, dass der ärztliche Stand eines
der Haupthindernisse der Antl-Alkoholbewegung bilde, besonders
weil die Meinungen der Aerzte in der Alkoholfrage noch völlig
getheilt seien. In dieser Weise Uber unsere Stellungnahme zur
Alkoholfrage zu urtheilen. ist wohl nicht angängig, denn man
muss vor Allem unterscheiden unsere Stellung zum Alkohol als
Medikament und als Genussmittel.
Ueber die medikamentöse Verwendung des Alkohols sind die
ärztlichen Anschauungen allerdings getheilt, das ist eine rein thera¬
peutische Streitfrage; dagegen sympnthisiren wir Alle mit der Be¬
schränkung des Alkohols als Genussmlttel. Wir Alle, glaube ich
behaupten zu dürfen, erkennen die Berechtigung der Antl-Alkohol¬
bewegung an und kämpfen für sie, Insoweit als sie die M ä s s i g -
keit im Alkoholgenuss anstrebt und sich auf „Teraperenz“ be¬
schränkt. Nur die Forderung der vollständigen Enthaltsamkeit, der
Abstinenz, die jeden Tropfen alkoholischen Getränkes zu Genuss¬
zwecken verbietet, können wir nicht ungetheilt billigen. Das ist
heute die wahre Sachlage unserer ärztlichen Stellung zur Alkohol-
frage. Wenn Herr Meinert hieraus schllesst, dass unser Stand
das Haupthindernis der Anti-Alkoholbestrebung sei, so ist das
ein schwerer und unberechtigter Vorwurf für den ärztlichen Stand,
gegen den ich hiermit — ich darf wohl annehmen, auch in Ihrer
Aller Namen — energisch Verwahrung eiulegen möchte.
Greifewalder medicinischer Verein.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 4. Mai 1901.
Vorsitzender: Herr Bonnet. Schriftführer: Horr Busse.
1. Herr Rosemann: Geber den Einfluss des Alkohols
auf die Harnsäureausscheidung.
Durch den an Alkohol nicht gewöhnten Dr. Haescr hat
Bosoma n n Versuche derart anstellen lassen, dass er die Harn-
f-äurcausscheidung durch 10 Tage be,i gewöhnlicher Lebensweise
bestimmen licss, dann bei einer täglichen Wasseraufnahme von
1—2 Liter und endlich unter Ilinzufügon von 75 ccm 93 pme.
Alkohol. Nach der S a 1 k o w s k i’schen Methode fand er als
Mittelwerth:
in der Normalperiodo 0,8288 1
in der Wasserperiode 0,5879 I ’ 1
in der Alkoholperiode 0,7044.
Es stellen also Rosemann und II a es er ebenso wie
Herr m a n n. 11 e r t e r und Smith, Leber fest, dass der
Alkohol die TTarusiiureausschciduug heim Menschen in keiner
Weise beeinflusst. Die Versuchsergebnisse bei Thieren sind nicht
ohne Weiteres denen bei Menschen gl: ichzusetzen. Gleiche Re¬
sultate erhält inan, wenn man die Harnsäureausscheidung in den
Stunden nach der Alkoholaufnähme bestimmt, auch hier ist (‘in
Einfluss nicht, zu bemerken. Für die Beurtheilung der Gicht er¬
gibt sieh hieraus, dass die schädliche Wirkung der Alkoholica bei
Gichtikern nicht auf eine direkte Beeinflussung der Harnsäure-
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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1548 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. m
au-schciilung bezogen werden darf, sondern in anderer Weise
zur Geltung kommen muss.
2. Herr Westphal stellt zwei Kranke mit schwerer
Hysterie vor:
a) eine 34 jährige Frau, die im Anschluss an sexuelle Schädi¬
gungen erkrankt ist. Es besteht lebhafter Stimmungswechsel, er¬
höhte Suggestibilitiit, grosse AfTektorregbarkeit, mannigfache Par-
aesthesien, vasomotorische I'ebererregbarkeit. zeitweilige Expek¬
toration eines sanguinolenten aus dem Zahnfleisch stammenden
Sputums. Schmerzen in der Brust, werden durch Röntgenbild
auf eine hier steckende Nadel zuriiekgeführt;
b) im zweiten Falle handelt es sich um einen kräftigen
23 jährigen Knecht vom Lande, der au häutigen hysterischen
Anfällen leidet, die auch prompt durch Druck auf die Ovarial-
gegend ausgelöst werden können. Auf Opisthotonus folgen wil¬
deste Bewegungen des Rumpfes und der Extremitäten, tanzende
oder schwierigste turnerische Hebungen. Das Bewusstsein ist bei
diesen Handlungen ungetrübt, er gibt sinnentsprechende Antworten
und sagt selbst, dass ein innerer Zwang ihn zu den Handlungen
treibe, deren Unterdrückung oder Störung in ihm ein Gefühl inner¬
licher Angst hervorrufe. Auf der Höhe der Anfälle sind die Pu¬
pillen ad maximum erweitert und bleiben auch bei centraler focaler
Beleuchtung starr. Die Starre hält gewöhnlich nur einige Se¬
kunden an. Es beweist also auch dieser Fall, dass auch bei
hysterischen Anfällen Pupillenstarre ver¬
kommt.
Sitz u n g v o m 1. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Rönnet. Schriftführer: Herr Busse.
Herr Krehl: Ueber die Entstehung hysterischer KranV-
heitserscheinungen.
Krcli 1 spricht eingehend über die Psychogenes« der
Hysterie.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 2. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr Edlefsen.
Schriftführer: Herr H a f f n e r.
I. Demonstrationen:
1. Herr S a e n g e r zeigt im Anschluss an den Vortrag des
Herrn Stamm ln der letzten Sitzung ein ly 2 jähriges Kind mit
Spasmus nutans mit einseitigem Nystagmus und wackelnden Be¬
wegungen nach r. Anzeichen von Rachitis sind vorhanden.
2. Herr Knoop: Demonstration der Harn- und Geschlechts¬
organe eines 5 Wochen alten Mädchens. Seit der Gehurt hatten
die Eltern einen kirsehgrossen Tumor bemerkt, der zeitweise zur
Vulva heraustrat. Es Hess sich feststellen, dass die kleine Ge¬
schwulst aus der Urethra hervortrat. Das Kind starb im Marien-
krankenhaus an akuter Gastroenteritis und bei der Sektion fand
sich rechtsseitige Hydronephrose und Dilatation des Ureters. An
der Mündungsstelle des rechtsseitigen Ureters ist in der Blase
ein kirschgrosser cystischer Tumor vorhanden, der frei mit dem
Ureter kommunizirt und der so zeitweise ein Abflussbinderniss
für den Urin gebildet hatte. Die unterste Kuppe des Tumors, die
sich zeitweise je nach der stärkeren Füllung, aus der Urethra
hervorgedrängt hatte, war stark entzündlich verändert. Die Natur
des cystlschen Tumors konnte nicht ganz sicher ermittelt werden.
Am wahrscheinlichsten ist die Annahme eines Ureterdivertikels
an der Mündungsstelle in die Blase. Eventuell könnte noch
ln Betracht kommen cystlscheErweiterung einer abnorm gelagerten
Urethraldrüse.
3. Herr Delbanco demonstrirt ein Stückchen mensch¬
licher Haut, an welche der Ixodes ricinus geheftet ist Der Vortr.
verdankt das hübsche Präparat Herrn Dr. Nemann, welcher
das Stückchen Haut von dem Bein des Patienten entfernen musste,
well der Holzbock abgestorben und ohne Weiteres nicht zu be¬
seitigen war. Die Indication zur Excisiou war aber durch aus¬
gebreitete Reizzustände an der Haut gegeben, welche nach der
kleinen Operation sofort nufhörten.
4. Herr Mau demonstrirt Organe eines 21jährigen. an all¬
gemeiner, vom Kreuzbein ausgehender Sarkomatose zu Grund**
gegangenen Mannes. Es fanden sieh Metastasen im ganzen
kleinen Becken, in den retroperitonealen Lymphdrüsen, der 1. Niere,
der Leber, der Pleura pulin. und cost., den Bronchialdrüsen, in
der Wirbelsäule, im Schädeldach und in der Dura und in den
Oberschenkelknochen. Eigenartig war die Form der Pleura¬
metastasen: die ganze Lungenoberfläche war iibersiit. mit weissen
Iür haselnussgrossen Halbkugeln und Platten: wie Perlsclinilre
umsäuinten die runden Tumoren die unteren Ränder beider Untor¬
lappen. Klinisch bemerkonswerth waren die auch in der Literatur
erwähnten Temperatursteigerungen, die nach Exstirpation des
Primärtumors verschwanden, jedoch allmählich sich wieder ein¬
stellten, als der Tumor nachwuehs und sich ausbreitete.
5. Herr Boosen-Bunge zeigt das Präparat einer hyper¬
trophischen Lebercirrhose mit vollständiger Obliteration der Vena
eava inferior bis zur Elumündungsstelle der Venne renales.
II. Discussion iil>er den Vortrag des Herrn Stamm:
lieber Spasmus nutans bei Kindern. (Sitzung vom 18. Juni,
d. Wochenschr. No. 31.)
Herr S a e n g e r wendet sich gegen die von R a u d n i t z
zur Erklärung des Spasmus nutans, speziell des Nystagmus,
aufgestellte Theorie. Bei 3 daraufhin untersuchten Fällen
seiner Praxis habe er eine dunkle Wohnung nicht nach-
weisen können. Auch Fälle wie der vorhin demonstrlrte, mit ein¬
seitigem Nystagmus, sprächen gegen die R a u d n i t z’sche An¬
sicht. Kinder fixirten überhaupt nicht in der von Raudnitz
angenommenen Weise fortdauernd.
Er hält den Nystagmus, wie auch die Wackelbewegungen des
Kopfes bedingt durch centrale Reizung ohne bekannte Grundlage:
bei bestehender Rachitis wäre au die Wirkung von Stoffwechsel
Produkten zu denken.
Bei Gelegenheit zu anatomischen Untersuchungen wäre das
Corpus restiforme besonders zu berücksichtigen.
Eine anti rachitische Behandlung beseitige den Spasmus
nutans.
Herr Saenger fragt, ob Herr Stamm beobachtet habe,
dass der Spasmus nutans auch im Schlaf auftrete. Eine positive
Beobachtung liege vor, in dem gezeigten Falle aber nicht.
Herr Just berichtet über einen in der Privatpraxis beob
achteten Fall von Spasmus nutans. Rachitis war fast gar nicht
vorhanden, hingegen bestanden die Verhältnisse einer finsteren
Wohnung in sehr ausgeprägter Weise.
Die Eltern hatten eine Gastwirthschaft und wohnten in guter
Wohnung, aber auf der anderen Seite der Strasse, so dass die
Mutter gezwungen war, ihr Kind den ganzen Tag bei sich in der
dunklen Wirthschaftsktlche zu halten, wo beständig eine Lampe
und ein grosses Feuer brannte. — Heilung durch roborirende Be¬
handlung und Massage.
Herr Kawka stellt die Frage, ob die Säuglinge, die an
Spasmus nutans gelitten haben, künstlich genährt worden sind.
Die Säuglingstetanie, eine tonische Krampfform, der In der letzten
Zeit eine grosse Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. kommt
gerade bei künstlich genährten Säuglingen vor und zwar sowohl
im Zusammenhänge mit Rachitis, als auch ohne Rachitis. Herr
Stamm hat den vermehrten Blutreichthum der rachitischen
Seliädelknochen resp. Fluxionsvorgänge nach dem Gehirn für
den Spasmus nutans aetiologisch haftbar gemacht. Herr Kawka
glaubt, da die Tetanie jedenfalls, für den Spasmus nutans weiss
er es nicht, ohne Rachitis vorkommt, zu einer anderen Erklärung
greifen zu müssen. Stoffwechselstörungen, denen die Flaschen¬
kinder ausserordentlich häufig unterliegen, geben den Grund für
eine grössere Labilität des Nervensystems" ab; diese Labilität des
Nervensystems ist die Ursache der Krampfformen des Säuglings¬
alters.
Herr Stamm: Bei den von mir beobachteten Fällen hörten
die Kopfbewegungen während des Schlafes auf. Das Auftreten
des Spasmus nutans direct durch Stoffwechselstörungen zu er
klären, liegt auf Grund meiner Fälle kein Anhaltspunkt vor.
Wenn auch die meisten der betr. Kinder von Geburt an. einige
nach mehrmonutlieher Brustnahrung, künstlich ernährt worden
sind, so ist doch bei allen Fällen notirt, dass die Darmthätigkeit
zur Zeit des Spasmus nutans eine normale war. Nur wenn mau
das Gesnmmtbild der Rachitis durch chronische Autointoxikation
entstehen lassen will, dürften Stoffwechselstörungen bei der
Aetiologie des Spasmus nutnus eine Rolle spielen. So lange aber
der Zusammenhang zwischen Rachitis und Autointoxikation nicht
sicher gestellt ist so lange müssen wir uns begnügen, den Spasmus
nutans als ein Symptom der Rachitis aufzufassen, das prompt
unter antirachitischer Behandlung verschwindet und keierlei
Folgen hinterlässt.
III. Discussion über den Vortrag des Herrn Sim-
monds: Ueber die sogen, foetale Rachitis. (Sitzung vom
18. Juni.)
Herr Kawka fragt Herrn S 1 m m o n d 8 , für wie häufig
er die wirkliche foetale Rachitis halte. S t ö 1 z n e r spricht in
seinem Buche „Zur Pathologie des Knochen wach st bums“ davon,
dass es sicher Fälle von reiner foetaler Rachitis gebe, ohne sich
über die Häufigkeit dieser Fälle auszulassen.
Ferner fragt Herr Kawka Herrn Simmonds, wesshalh
Herr Simmonds die S t ö 1 z n e r’sche Ansicht zurückgewiesen
hat, dass der S t ö 1 z n e r’sche Fall von Chondrodystrophia byper-
plastlca foetalls als foetales Myxoedera anzusprechen sei.
Herr Edlefsen fragt, wie sich der Vortragende zu der Frage
des footalen Myxoedems stelle. Der von S t ö 1 z n e r und S a 1 ge
unter diesem Namen aufgeführte Fall, ln dem übrigens, soweit
Ihm erinnerlich, keine Atrophie der Schilddrüse vorlag. scheine
Ihm ganz der von Herrn Simmonds beschriebenen Chondro
dystrophla hypertrophica zu entsprechen.
Herr Simmonds: Auf die Frage des Herrn Kawka
nach der Häufigkeit echter foetaler Rachitis kann loh nur er¬
widern, dass Ich dieselbe, trotzdem ich seit Jahren meine Auf¬
merksamkeit darauf gerichtet habe und eine recht grosse Zahl
von Neugeborenen und Säuglingen aus den ersten Lebenswoehon
zu untersuchen Gelegenheit gehabt habe, bisher nicht gesehen
habe. Die Angaben anderer Untersucher sind äusserst wechselnd
und schwanken zwischen wenigen und 90 Proc. Ich vermag also
keine Zahl als Antwort zu nennen und möchte nur meiner An¬
sicht Ausdruck geben, dass eine echte kongenitale Rachitis etwas
extrem seltenes ist. Herrn Edlefsen möchte ich erwidern,
dass zweifellos Fälle beobachtet worden sind, wo die mit Chondro
dystrophie behafteten Kinder deutliche Zeichen von Cretinismus
oder, wenn man die Bezeichnung vorzieht, Myxoedem geboten
haben. Die Mehrzahl der Kinder und die beiden von mir be¬
schriebenen Säuglinge zeigten indess nicht die Eigentümlichkeiten
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24. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1549
jener Entwickluugsstürung, sie hatten keinen cretiuhafteu Ge¬
sichtsausdruck, keine prämature Synostose der Synchondrosis
sphenoocclpltalis, keine Abnormität der Schilddrüse, keine auf¬
fallende Veränderung der Haut und der Zunge und einige am
Leben bleibende Individuen zeigten normale Intelligenz. Aus
diesem Allem zog ich den Schluss, dass man nicht berech¬
tigt Ist, die Chondrodystrophie mit dem foe-
talen Cretinismus oder dem foetalen Myxoedem
zu identlfiziren.
IV. Vortrag des Herrn Delbanco: Zur pathologischen
Anatomie der strichförmig angeordneten Geschwülste der
Haut.
Der Vortragende demonstrirt aus der U n n a’scheu Privat-
clientel ein junges Mädchen von 21 Jahren, welches eine hoch¬
gradige Veränderung der Haut des Kopfes und Gesichtes zeigt.
Die linke stärkst befallene Seite ist von Geburt an verändert, die
Erkrankung der rechten Seite datirt seit dem 9. Lebensjahr nach
den Angaben der Pat. Die Haut über dem 1. Scheitelbein Ist in
grösster Ausdehnung betroffen, von hier aus erstreckt sich die
Veränderung strichförmig einmal in der Mittellinie des Hinter¬
kopfes abwärts auf den Rücken, die Mittellinie des Rückens wird
nur wenig nach rechts überschritten, nach links verbreitert sich
der Streifen zu einer Fläche von 3 Fingerbreite. Die untere
Grenze ist mit dem unteren Winkel der Scapula gegeben. Ein
zweiter Streifen zieht hinter dem 1. Ohr leicht geschwungen nach
abwärts, die Haargrenze innehaltend. Die linke Wange ist bis
dicht an das Ohr befallen. Der äussere Ohrrand und das Augen¬
lid sind in die Veränderung mit einbezogen. Die erkrankten
Hautpartien zeigen in der Hauptsache (allerdings in buntem
Durcheinander) 1. tief dunkelbraune, flache oder leicht erhabene
weiche und harte Pigmentmäler; 2. spitze Hauthörnchen;
з. massenhafte (Pigmentmäler und Hauthörnchen an Zahl weit
überragend) kleine Geschwülste von Stecknadelkopf- bis Erbsen¬
grösse. Von Farbe sind sie blassgelblieb, im Uebrigen nicht trans¬
parent, indolent, die Haut halbkugelig überragend. Die histologische
Untersuchung dieser Geschwülste hat ein holländischer Kollege,
Dorst, im Unna’schen Laboratorium ausgeführt. Die Inter¬
essanten Ergebnisse hat derselbe zu einer Dissertation verarbeitet.
Vortragender möchte dieselben au der Hand der Dorst-
scben Präparate vorläufig flxiren.
Es handelt sich also in dem vorgestellten Fall im Wesent¬
lichen um strichförmig angeordnete Geschwülste der Haut. Der
strichförmige Charakter der Affektion ist auf der Höhe des be¬
haarten Kopfes durch Zusummenfliessen der Streifen nur schein¬
bar verloren gegangen. Das Aeussere der Affektion gibt dem Vor¬
tragender zugleich die Veranlassung, in grossen Umrissen den
derzeitigen Stand unserer Kenntnisse über die strichförmigen
Veränderungen der Haut zu skizziren. Das bis zum Jahr 1897
vorliegende Material hat D. in seinem „Naevus linearis“ für
Eulenbur g’s Realencyklopädie (III. Auf!.) verarbeitet.
Keine einzige der bisher aufgestellten Theorien ist im Stande,
eine befriedigende Erklärung des Naevus linearis zu geben. Einer
besonderen Besprechung wird die Theorie unterworfen, welche
den strichförmigen Charakter mit den Haarströmen, bezw. den
zu ihrer Charakterisirung gezeichneten Linien in Beziehungen
setzt. Diese Theorie ist desswegen von vornherein abzulehnen,
weil übersehen wird, dass die Haarströme keine fixirten Linien
auf der Haut daratellen; sie sind um gewisse Wirbel herum
eigenthümlich angelegte, bezw. gedrehte Flächen. In der ange¬
zogenen Arbeit hat D. darauf hingewiesen. Die Haarströme
geben die Richtung der Haare und nicht die der Haarwurzeln an,
sagen somit über die Wachsthumsverschiebung epithelialer Ge¬
bilde in der Haut nichts aus. Der Vortragende geht daim auf
die Arbeiten mit Einschluss der jüngsten Arbeit von O k a m u r a
ein, welche sich mit der Hypothese einer segmentalen bezw. meta-
meralen Anlage der Haut befassen und in einer solchen die
Lösung des Problems ersehen. Auch diese Theorie beantwortet
nicht die Frage, wesshalb die Naevuslinie immer einen ganz be¬
stimmten Verlauf, z. B. am Beine einnimmt, wesshalb (im Sinne
letzterer Theorie) einzelne Segmente bevorzugt werden. Durch
entwicklungsgeschichtliche Thatsachen müssten die Naevus¬
linien aufgeklärt werden. Es wäre z. B. eine wichtige Aufgabe,
die Naevuslinie am Bein mit Einschluss des Embryonallebens
anatomisch zu studiren. Aus den bislang veröffentlichten Arbeiten
geht mit Sicherheit hervor, dass in den Naevuslinien die Ent¬
wicklungsstörung die verschiedensten histologischen Gebilde be¬
fallen kann, so dass bald reine Oberhautveränderungen resul-
tiren, bald mehr die epithelialen Gebilde betroffen werden, welche
in die Cutis eingelassen sind. Ausserdem ist erwiesen, dass
anatomisch und klinisch wohlcharakterisirte und aetiologisch
grundverschiedene Krankheitsbilder in den Naevuslinien ablaufen
können (Liehen ruber planus, Ekzem, syphilitische Eruptionen
и. g. w.). Nur muss man sich hüten, in Kratzfurchen auf¬
schiessende Veränderungen als linear angeordnete Affektionen zu
deuten. Wie wenig einheitlich die histologischen Befunde bei
den Füllen von Naevi lineares sind, geht schlagend aus Jadas-
sohn’s viel citirtem Fallo hervor, in welchem an einem und
demselben Individuum die typischen linearen Streifen aus
weichen, ichthyosiformen und Talgdrüsennaevis bestanden.
Der Vortragende legt die Photographien einer Anzahl von
Fällen strichförmiger Erkrankungen der Haut vor.
In mehrfacher Beziehung schliesst sich der vorgeeteilte Fall
der Beobachtung von J adassohn an, nur dass hier in den
einzelnen Linien in buntem Durcheinander weiche Naevi, Pig¬
mentnaevi mit inelir oder minder starken, den harten Naevus
eharakterisirenden Oberhautveränderungen, spitze Hauthörnchen
und schliesslich die oben erwähnten Geschwülste abwechseln.
Die histologische Untersuchung hat ergeben, dass die weisslioh-
gelbliehen, halbkugelig sich vorbuckelnden, indolenten Tumoren,
ohne dass makroskopisch die Unterscheidung
möglich ist, entweder das Bild der umschriebenen
Talgdrüsen hypertrophie, bezw. des Adenoma
sebaceum bieten, oder sich unter dem Bilde des Akan-
thoma bezw. Epithelioma adenoides cysticum
darstellen.
ln einem einzigen, durch 2 benachbarte Geschwülstchen ge¬
führten Schnitt ist es daher möglich, die beiden seltenen und
interessanten Gcsehwulstfonnen nebeneinander zu demonstriren.
Beide werden heute als selbständige, von einander durchaus zu
trennende Geschwülste behandelt, wiewohl eine ganze Reihe
Autoren vermeintliche Beziehungen zwischen ihnen erörtern, was
wiederum Anlass gab, dass jeder Autor, welcher über eine der
beiden Tumorarten arbeitete, die Literatur der anderen heran¬
zog. Auf den ersten Blick erscheint die Vorstellung geradezu
verwirrend und unverständlich, dass irgend welche Beziehungen
zwischen den beiden Geschwulstformen bestehen. Bei dem
„Adenoma sebaceum“, besser dem Talgdrüsennaevus oder der um¬
schriebenen Talgdrüsenhypertrophie, haben wir eine geschwulst-
artige Anhäufung von Talgdrüsemnassen in der Haut, einerseits
bis dicht an die Oberhaut, auf der anderen Seite bis dicht an die
untere Cutisgrenze, vor uns. Grössere und kleinere Talgdrüseu-
lüppchen mit und ohne Beziehung zu Lanugohaaren in der be¬
stimmten Gruppirung finden sich in jedem Schnitt. Für den
D o r s t’schen Fall kommt als interessantes Faktum hinzu, dass
in unmittelbarer Nachbarschaft der Talgdrüsenläppchen Nester
typischer Naevuszellen lagern. Für den vorliegenden Fall steht
Redner weiter nicht an, eine Beziehung zu den Haarbälgen in
den Vordergrund zu stellen, denn es finden sich Haarbälge, an
welchen das Follikelepithel verschwindet gegenüber dem mächti¬
gen allseitigen Kranz von Talgdrüsenläppchen, so dass der Schluss
naheliegt, dass das Follikelepithel der Haaranlagen, wenn Haare
auch nicht mehr sichtbar sind, völlig aufgebraucht wurde für
das aus ihm sich ditferenzirende Talgdrüsenepithel.
Bei dem Akanthoma bezw. Epithelioma adenoides cysticum
| handelt es sich um solide, niemals röhrenförmige, nachweislich
vom Deckepithel oder der Stachelschicht kleiner Lanugohaar-
bälge entspringende Epithelfortsätze, welche sich in Form von
fingerförmigen, feinen Ausläufern, drüsenähnlich gelappten Pro¬
tuberanzen, netz- oder gitterförmig verzweigten oder vollkommen
soliden, gröberen Massen in die Cutis hinaberstrecken und unter
Verschiebung der normal gebliebenen Bestandtheile alle Theile
derselben, von den Fettläppchen bis zum Deckepithel, berühren
und durclisetzen. Brooke in Manchester, welchem wir eine
grundlegende Arbeit über diese Geschwulstform verdanken, wies
darauf hin, dass alle Epithelstränge und -züge und -massen,
welche die Geschwulst zusammensetzen, von Cylindorzellen be¬
grenzt sind. Ein weiteres Charakteristicum ist die Bildung zahl¬
reicher Cysten, welche über die Geschwulst zerstreut sind, stets
von Epithel umgeben bleiben und eine sekundäre Bildung dar¬
stellen, als solche aber viel discutirt sind.
Diese epitheliale Neubildung ist von einigen Autoren von
Talgdrüsen abgeleitet worden, deren Epithel in Form von soliden
Sprossen und Auswüchsen wuchere und schliesslich zu der vor¬
liegenden Bildung führe. Die Bezeichnung eines Adenoms der
Talgdrüsen für „eine solche in fremden Bahnen sich bewegende
Wucherung“ — ein solcher Ursprung als Thatsache vorausgesetzt
— gibt Anlass zu begründeter Kritik. Andererseits sind reine
Fälle von Talgdrüsennaevi (Pring 1 e’s und Caspary’g Be-
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1550 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 39.
obaehtungen des Adenoma sebaceum) dem Epithelioma adenoides
eysticum (so von Jarisch in seiner Arbeit über das Tricho-
epithelioma papulosum multiplex) zugezählt worden, indem bei
ihnen die Talgdriisenauhäufung als unwesentlich und für den Sitz
der Affektion nicht auffällig erörtert, die Epithelwucherung als
übersehen betrachtet wird. D o 1 b a n e o geht auf die Literatur
des Akanthoma bezw. Epithelioma adenoides eysticum ein, er
bestreitet jeglichen direkten Zusammenhang mit Talgdrüsen und
bringt für den Dorst’schen Fall den Beweis, dass die Wucherung
den Ausgang nimmt von Haarbälgen, welche durch die in jedem
Schnitt aufzufindenden Talgdrüsenreste als solche sich legiti-
miren. Es handelt sich nach seiner Ansicht um eine eigenartige
und fast schrankenlose Wucherung des Follikelepithels der
Lanugohaarbälge. Die die Lymphspalten durchwachsenden, von
Cylinderzellen stets begrenzt bleibenden Epithelzüge führen zu
einer Lymphstauung; die Lymphstauung bewirkt eine Verflüssi¬
gung der von Epithelien umwachsenen Collagenbündel. Die so
entstehenden Cysten vergrössern sich auf Kosten der angrenzen¬
den Geschwulstepithelien. Diese D o r s t’sche Auffassung der
Cystenbildung eröffnet einen Ausblick auf manche bislang un¬
klar gebliebenen Cystenbildungen in Carcinomen der Haut. Die
aufgestellten Präparate zeigen nicht zahlreiche Mitosen im Ge¬
schwulstgewebe, sehr schön die Bildung von Epithelperlen mit
und ohne regressive Veränderungen.
Aus der Klinik des vorgestellten Falles, aus dem Neben¬
einander der beiden Geschwulstarten des „Adenoma sebaceum“
bezw. Talgdrüsennaevus und des Akanthoma bezw. Epithelioma
adenoides eysticum, aus dem Umstande, dass beide Geschwülste
an Stelle von Haaren gelagert sind, scliliesst Delbanco, dass
es sich bei ihnen um congenitale Missbildungen
von Haaranlagen handelt. Einmal kommt es zu einer
cxcessiven Differenzirung des Follikelepithels zu Talgdrüsenzellen
(Adenoma sebaceum), auf der anderen Seite unter Zurückbleiben
der Talgdrüsenbildung zu einer excessiven Wucherung des Fol¬
likelepithels. Sollte eine solche für den vorgestellteu Fall sich
aufdrängende Hypothese zu Recht bestehen, so wäre das Dunkel
zu einem Theil aufgehellt, welches bislang über die beiden Ge-
schwulstformen, bezw. ihre gegenseitigen Beziehungen gelagert
hat. Diese Hypothese vereinigt sich gut mit der Thatsache,
dass die beiden G<*schwulstformen, wie öfters beobachtet wurde,
erst in der Pubertätszeit zur Entwicklung gelangen. Diese Hypo¬
these bringt die umschriebene multiple Talgdrüsenhypertrophie
und das Akanthoma bezw. Epithelioma adenoides eysticum in
neue verwandtschaftliche Beziehungen, ohne dass eine gewaltsame
Verknüpfung der grundverschiedenen histologischen
Bilder nothwendig erscheint.
Physiologischer Verein in Kiel.
tOfflcielles Protokoll.)
Sitzung vom 10. Juni 1901.
Herr Heller spricht über chronische Endokarditis, wie
sie sich anscheinend auf syphilitischer Basis besonders am Rande
der Klappen entwickelt und zu Schrumpfung derselben führt, und
demonstrirt mehrere einschlägige Präparate.
Herr Werth demonstrirt eine der 36. Schwangerschafts-
woche entsprechende Frucht, welche nebst Placenta durch La¬
parotomie aus der Bauchhöhle am 8. Juni d. J. entfernt wurde.
August 1899 bis März 1900 Cessatlo mensium. April 1900 Aus
stossung der Decldua. Diagnose: Ektopische Schwangerschaft.
Die Frucht befand sich ln der rechten Bauchseite, fast überall
von einer zarten anscheinend neugebildeteu Umhüllungshaut dicht
überzogen. Welchtheile stark geschrumpft; das Gesichtsrelief
völlig verwischt. An der Stelle desselben harte kantige Kalk¬
ablagerungen unter der Urahüllungshaut. Letztere zum Theil auch
von Gefässen durchzogen, die von breiten Netzadhaesionen aus¬
gehen.
Im Beckeneingang, zwischen der völlig durchgängigen Tube
und dem Ovarium eingeschaltet die auf Kleinapfelgrösse reduzlrte
Plazenta, von einer dünnen Bindegewebskapsel umgeben. Der
obere Rand des Infundibulum ohne deutliche Fimbrien, mit der
Placenta nur leicht verklebt. Der untere Rand geht ln den
Placentarboden Uber; ein eigentlicher Fruchtsack nicht vorhanden.
Nabelschnur fehlt; auch keine sonstige Verbindung zwischen
Frucht und Placenta vorhanden. Anatomische Diagnose:
Schwangerschaft auf der Fimbria ovarlca.
Herr Neumann: Heber die eiweisssparende Kraft und
die Bedeutung des Alkohols als Nahrungsstoff. (In der Münch,
med. Wochenschr. No. 28, 1901 publizirt.)
Sitzung vom 24. Juni 1901.
Herr H. Hensen berichtet über neuere Methoden der
Blutdruckmessung beim Menschen, insbesondere über die Appa¬
rate vonM osso, Hill, Hürthle, von Frey, Gärtner und
Iii va-Rocci; die Methoden der 3 Letzteren werden demon-
strirt. Der Vortragende gibt dann einen Ueberblick über das
physiologische Verhalten des Blutdrucks nach Beobachtungen,
welche er mit dem Sphygmomanometer nach Riva-Rocci an¬
gestellt hat.
Sitzung vom 8. Juli 1901.
Herr Holzapfel spricht über Chorio - epithelioma
malignum und zeigt einen Uterus, in dessen hinterer Wand
mitten in der Muskulatur ein solcher Tumor sitzt. Die Neu¬
bildung ist überall, auch nach der Uterushöhle zu, von einer
Muskelschicht überzogen, und die ganze Körperhöhle mit einer
Deeiduaschicht ausgekleidet. Die anatomischen Verhältnisse in
Verbindung mit der Anamnese machen es wahrscheinlich, dass
im Anschluss an einen Abort in die Tiefe gedrängte Zotteuepithel
müssen bösartig wurden, nachdem sie ihren Zusammenhang mit
der Oberfläche verloren hatten. Später trat eine neue Schwanger¬
schaft ein, auf die die jetzt vorhandene Deeiduaschicht zurückzu¬
führen ist.
Herr Gross berichtet über chronisch-recidivirende
Haematoporphyrinurie bei einem Tabiker, der bereits mehrere
Jahre vorher wegen Darmkrisen und vorübergehender Arm-
lährnung mit derselben Urin Veränderung zur Beobachtung ge¬
kommen war. (Ausführliche Publikation im Deutsch. Arch. f.
klin. Med.)
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 6. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Carl Koch.
1. Herr Neuburger stellt eiuenFall vor von retrobulbärer
Sehnervendurchtrennung.
Der 28 Jährige Patient war überfallen und in der Weise ver¬
letzt worden, dass ein Stock mit grosser Gewalt zwischen nasaler
Orbitalwand und r. Bulbus eingestossen wurde. Dadurch wurdm
die Sehne des Muse. rect. int., die Carunkel und Pllca semilunaris
abgerissen, in der Mitte des Oberlides ein ca. y a cm langes Coloboiu
erzeugt und der Bulbus schläfenwiirts und 1 cm nach vorue ver
lagert. Der eineu Tag nach der Verletzung erhobene Augen
Spiegelbefund: stärkste Trübung der Netzhaut und des Sehnerven,
fase völliges Verschwinden der Netzhautarterien und unregel¬
mässige Füllung und Circulation der Venen, sowie das Fehlen
jeglicher Lichteiupflndung und die Lichtstarre der erweiterten
Pupille zeigten an, dass der Sehnerv gleich hinter dem Bulbus
durchtrennt worden war und zwar wahrscheinlich lndirect da
durch, dass der Bulbus durch das in die Orbita eingestossene, ca.
l>/ 2 cm dicke, stumpfe Stockende mit grosser Gewalt nach aussen
uud vorwärts getrieben worden war, da andererseits auch die
Orbitalwunde nicht tiefgehend war. Mit Rücksicht auf die stark
gequetschten, verunreinigten Wunden wurde erst 5 Tage darnach,
nachdem kein Fieber und keine Eiterung eingetreten war, das
Lidcolobom und die abgetrennte Sehne genaht. Jetzt, 3 y 2 Wocbeu
nach der Verletzung, ist das Auge fast reizlos, steht jedoch immer
noch in Schielstellung nach aussen unten und etwas nach vorn**
verlagert, kann auch nicht Uber die Mittelinie hinaus adducirt
werden. Der Sehnerv Ist deutlich blass, die Netzhautgefässe sind
wieder etwas gefüllt, aber viel schmäler als auf dem 1. Auge.
Eine Uber 2 Wochen sichtbar gewesene centrale graue Netzbaut-
trübuug Ist jetzt völlig verschwunden und ein kleiner centraler
Netz- und Aderhautriss sichtbar. Das Auge besitzt keine Licht-
empflndung; die weit gebliebene Pupille reagirt nur cousensuell.
2. Herr Fraenkel demonstrirt:
A. 2 Patienten, bei denen er die Transplantation ungestielter
Hautlappen nach Krause vorgenommen hat.
Im 1. Falle handelte es sich um eine ca. 20 Jährige Patientin,
hei welcher Lupus der 1. Wange, sowie des 1. unteren Augenlides
bestand; die lupösen Partien wurden excidirt und die Defekte mit
Kraus c’scheu Lappen gedeckt. — Vortr. weist hierbei darauf
hin, dass die chirurgische Behandlung des Lupus durch Excision
in den letzten Jahren viel an Verbreitung gewonnen habe. Int
Nürnberger Krankenhause siud seit 1. Januar 1899 im Ganzen
9 Fälle von Lupus durch Excision behandelt worden; die Deckung
der Defekte wurde, je nach den bestehenden Verhältnissen, durch
Thierse h’sclie oder Kraus e'sche Lappen oder durch ge¬
stielte Lappen aus der Umgebung vorgenoramen.
Im 2. Falle handelte es sich um Deckung eines Weichthcil-
defektes über dem Malleol. intern., welch’ letzterer in Folge einer
vor Jahren erlittenen uud nicht genügend reponirteu Luxatious-
fraktur des Fusses stark hervorragte. Die betreffende Quetsch¬
wunde kam wegen der ungünstigen Ernährungsverhältnisse zwar
zur Granulation, jedoch auch nach vielen Wochen nicht zur Uebei-
häutung. Die betreffende Partie wurde daher excidirt und der
circa zweimarkstückgrosse Defekt durch einen Krause'scheu
Lappen gedeckt. Der Lappen ist völlig verschieblich geworden:
Patient verrichtet seit über 1 Jahr seine Arbeit wie früher, er
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24. September 1901. MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
wird speziell auch nicht durch den Druck des Stiefels an der sehr
exponirten Stelle belästigt.
Vortragender weist im Anschluss hieran darauf hin. dass im
Nürnberger Krankenhause die Plastik nach Krause seit circa
2 Jahren vielfach nusgeführt wurde. Hierbei wird genau nach
den Krause"?eben Vorschriften verfahren; besonders wird auf
exakte Blutstillung nach sorgfältiger Anfrischung des Defektes,
sowie auf aseptisches, trockenes Operiren .Werth gelegt
Unter 17 Füllen von Krause’sclier Plastik hat Vortragender
nur 1 völligen Misserfolg zu verzeichnen.
Das Normalverfahren für Transplantationen ist im Kranken-
bnuse nach wie vor das T h i e r s c h’sclie geblieben; allein, wo
au die Resistenzfähigkeit der Lappen besondere Ansprüche ge
stellt werden (z. B. über Knoclienkanteu, in der Nähe von Ge¬
lenken etc.) wird die Plastik nach Krause bevorzugt. Letztere
hat speziell auch einige Mal bei der konservativen Behandlung von
Fingerverletzungen zur Deckung von Welchtheildefekten sich gut
bewährt.
B. 2 Patienten, bei denen wegen subkutaner Patellarfraktur
von Herrn Hofratli G ö s c li e 1, bezw. Vortragendem, die pri¬
märe Naht vorgenommen wurde. Bei dem einen Patienten wurde
innerhalb 4 Monaten 2 mal die Naht der 1. Patella ausgeführt;
nachdem Tat. nach der 1. Naht bereits einige Wochen aus dem
Krankenhause entlassen war, hatte er sich durch einen Fall auf
der Strasse eine Refraktur zugezogen. — In beiden Fällen ist
sowohl das funktionelle als auch das anatomische Resultat (De¬
monstration der nach der Heilung aufgenoiumeuen Röntgenbilder)
ein sehr gutes.
Vortragender erwähnt, dass im Krankenhause prinzipiell bei
allen Frakturen der Patella und auch des Olecranon die primäre
Knochennaht vorgenommen wird. Die Naht wird mit Silberdraht
ausgeführt, der versenkt wird: keine Drainage. Es wurden in
2» / , Jahren 5 mal die Patella, 1 mal das Olecranon genäht. Die
funktionellen Resultate waren stets gut, bis auf einen Fall von
Olecranonfraktur, der aus äusseren Gründen der Behandlung zu
früh entzogen wurde. Besonderer Werth wird auf eine sorgfältige
Nachbehandlung gelegt; mit vorsichtiger Massage wird bereits
8 Tage nach der Operation begonnen.
C. Demonstration mehrerer interessanter Röntgogramme
Besonders hlugewiesen sei auf das Rüntgogranim eines Patienten,
der mit den Zeichen einer typischen Rndiusfraktur in's Kranken¬
haus aufgenommen wurde. Das Röntgenbild zeigte neben der
Verletzung des Radius auch einen Querbruch der TJina im unteren
Drittel ohne Verschiebung, sowie eine Absprengung des Process.
styloid. ulnae. Vortragender fügt, die Bemerkung bei, dass die
Röntgenuntersuchung bei der sogen, typischen Rndiusfraktur sein-
häufig eine Mit Verletzung der Ulna, welche sonst der Diagnose
zu entgehen pflegte, klarstellt; er weist auf die diesbezüglichen
Untersuchungen von Kahlelss-Hulle, Beck-New-York etc. hin.
3. Herr Neukirch theilt folgende Krankengeschichte mit:
Am 28. Mai d. J. wurde das 21 jährige Dienstmädchen B. G.
auf die II. mediclnisclie Abtheilung des stiidt. Krankenhauses ge¬
bracht. Pat. war vorher nie ernstlich krank, hat nur an Bleich¬
sucht und wiederholt an Halserkrankungen gelitten. Seit 8 Tagen
leidet sie wieder an Halsschmerzen.
Die Untersuchung ergibt: Rachenschleimhaut und Tonsillen
geröthet, letztere geschwellt und mit zahlreichen gelben Pfrüpf-
chen besetzt. Ausser einem accidentellen systolischen Geräusch
an der Mitralis kein weiterer Befund. Temp. 38,7.
Am 29. Temp. 37,8 und 38,0; am 30. Tonsillen vollkommen
gereinigt. Temp. 37.8 und Abends 37,3.
Am 31. steigt die Temperatur Abends wieder auf 38.1; in der
Nacht tritt mehrmaliges Erbrechen ein und Diarrhoen, dabei hef¬
tige Leibschmerzen.
Am 1. Juni Morgens Temp. 40,3, Puls 100 klein, weich. Zunge
trocken, mit Borken belegt; Gesicht blass cyanotlsch; au Kinn und
Wangen, sowie an Hals, Brust und den oberen Extremitäten un¬
regelmässig zackiges, grossfleckiges (septisches) Exanthem. Leib,
Rückcu und untere Extremitäten frei. Leib gespannt, aufge¬
trieben, äusserst druckempfindlich. Temperatur bleibt den ganzen
Tag über 40, Abends 41,4, Puls 140, Urin mässig eiweisshaltlg.
Am 2. Temp. 41,0, Puls 100, an der Radialis kaum fühlbar;
Cyanose, Extremitäten kalt. Exitus 5>/ 2 Uhr Nachmittag.
Die Sektion ergab eine frische fibrinöse Peritonitis; die Dann¬
schlingen waren aufgebläht, stark injizirt, mit frischen fibrinösen
Beschlägen und locker verklebt: Hyperaemie der Lungen; Milz
stark geschwellt, mit breiig welcher Pulpa. Im Dickdarm waren
die Follikel leicht geschwellt. Es handelte sich aller Wahrschein¬
lichkeit nach um eine septische Peritonitis, die ihren Ausgangs¬
punkt von der lacunären Angina genommen hatte.
4. Herr H. Koch berichtet über folgende Fälle:
a) Ein in der Mitte der 50 er Jahre stehender Mann erkrankt
ln der Nacht vom 5./0. Mai d. J. unter den Symptomen eines Ileus.
Im Lauf des Tages steigern sich die Erscheinungen in bedroh¬
lichster Weise.
Da jeder operative Eingriff, auch eine Injektion, verweigert
wird, erhält der Pat. am 7. Morgens innerhalb 5 Stunden 2 x 0,001
Atropin, sulf.
Nachmittag gegen 2 Uhr tritt reichliche Rtuhleutleerung ein,
welcher Im Laufe des Tages noch einige folgen.
Nach 8 Tageu kann Pat. seine Arbeit wieder übernehmen.
b) Eine 35 Jahre alte Frau mit Mitralinsuftieienz und Stenose
leidet seit Jahren an schweren Kompensationsstörungon. die sich
Insbesondere durch Dyspnoe, hochgradige Cyanose, Asclles, Leber¬
and Milzschwellung äussern.
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Seit 1898 Ist sie gänzlich arbeitsunfähig und kann seit einem
Jahre nur durch fortwährende Dlgitalisgaben am Leben erhalten
werden.
Anfangs Mai d. J. beginnt sie täglich 10 Liter Sauerstoff zu
inhaliren mit augenfälligem Erfolg.
Schon nach 14 tägigem Gebrauch tritt erhebliche Euphorie ein;
die Cyanose ist seitdem nur mehr in geringem Grad vorhanden;
der Ascites, die Leber- und Milzschwellung sind in deutlichem
Schwinden begriffen.
Die Frau kann mit Ausnahme der schweren Hausarbeit ihrem
Hauswesen wieder vorstehen und sogar, was schon seit Jahren
nicht mehr der Fall war, in der Nähe ihrer Wohnung kleine Be¬
sorgungen vornehmen.
Unterelsässischer Aerzteverein.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 27. August 1901.
Herr Helle li dall spricht „über das Sesambein in der
äusseren Ursprungssehne des Musculus gastroenemius“, welches
bei ’/„—‘/ 10 aller Menschen verkommend, gelegentlich bei der
Radiographie Fremdkörper vortäusehen kann. Radiographie bei
starker Seitenlage des Untersuchten und bei leicht flektirtem
Knie wird den Nachweis des Sesamboins beiderseits ermöglichen.
Herr Schlesinger: Magenausspülungen bei magen¬
darmkranken Säuglingen.
Nach einer kurzen historischen Einleitung geht Vortragender
ausführlich auf die Technik der Magenausspülungen bei Säug¬
lingen ein. Er empfiehlt, dieselbe in sitzender Haltung des
Kindes vorzunehmen, nicht in Rückenlage (Epstein) oder
Seitenlage init, gesenktem Kopfe (Hcubner, Mont i). Die
Sonde wird durch den Mund, nicht durch die Nase (Stein¬
hardt) eingeführt. Nur für die allerkleinsten Säuglinge von
1—2 Monaten wird zur Spülung ein Nelatonkatheter (etwa
No. 22). sonst eine rechte Magensonde benutzt. Als Spülflüssig¬
keit wird am besten reines Wasser, ohne chemisch-medicamentöse
oder desinfizirende Zusätze, verwandt, dies um so mehr, als ge¬
wöhnlich ein Theil der Flüssigkeit im Magen zurückbleibt. Die
Sonde muss 25—35 cm weit eingeführt werden; die auf einmal
einzugiessende Flüssigkeitsmeugc schwankt nach der Kapazität
des Säuglingsmagens zwischen 50 und 150 ccm; die Druckhöhe
muss manchmal fast einen Meter betragen. Erwähnt sei ferner
die ausserordentlich grosse Toleranz gerade der allerjüngsten
Säuglinge (geringere Reflexerregbarkeit), das nicht seltene Vor¬
kommen der Unterdrückung der Athembewegung beim Einführen
der Sonde durch Würgen (wodurch ein Hineingelangen der Sonde
in den Kehlkopf vorgetäuscht werden kann; dies letztere ist so
gut wie ausgeschlossen), das bei zu starker Füllung des Magens
vorkommende Ucberlaufen desselben, im Gegensatz zu dem Er¬
brechen von Flüssigkeit neben dem Schlauch durch heftiges Wür¬
gen, schliesslich der zuweilen eintretende, nie schädliche Kr-
miidungszustand des Säuglings nach der Spülung. In dia¬
gnostisch-therapeutischer Hinsicht ist bemerkenswerth das Fehlen
freier Salzsäure bei mittelschweren Fällen, der Befund massen¬
hafter Eiterzcllen, Soor und Bacterien in grossen Haufen bei
schweren Fällen.
Bei der Einfachheit der Technik, gerade beim Säugling, und
der Gefahrlosigkeit (Contraindikation nur bei schwerem Collaps),
bei dem grossen Effekt der Magenspülung (Beseitigung d“r
Sehleimiiiassen, der unverdauten und unverdaulichen Milch-
klumpen, der GÜhrungs- und Zersetzungsprodukte aas denselben)
empfiehlt Vortragender, sich zu dem Verfahren leichter zu ent¬
schlossen, als dies — namentlich in der Privatpraxis — gewöhn¬
lich der Fall ist; er hält auch bei weniger schweren
Fällen von Gastroenteritis die Indikation
dann für gegeben, wenn man gegen das Er¬
brechen mit einer sonst bewährten diäte¬
tischen und eventuell aucli modicamentösen
Therapie nicht rasch etwas ausrichtet. Eine diä¬
tetische Therapie, Reduzirung der zu verdauenden Nahrung auf
ein Minimum in der allernächsten Zeit, muss mit der Ausspülung
Hand in Hand gehen. Vortragender erzielte bei Gastroenteritis
— die Fälle von Dyspepsie bei Seite gelassen — in der Hälfte der
Fälle ein sofortiges Sistiren des Erbrechens und auch eine rasche
Besserung des Durchfalls, in einem weiteren Drittel eine wesent¬
liche Besserung, manchmal erst ein Aufhören des Erbrechens
nach noehmaliger Spülung, in dem Rest, es handelte sich dabei
namentlich um verschleppte und weit fortgeschrittene Brech¬
durchfälle, keine wesentliche Aenderung des Zustandes.
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1552
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Diso 11 s sion: Auf eine Anfrage Nannyns über die lm
Magensaft gefundenen Bacterien theilt der Vortr. noch mit, dass
er hei Gastroenteritis neben Soor- und Hefezellen fast stets
Staphylocoecen, 2 mal aber auch, bei sehr schweren Brechdurch¬
fällen, lange Streptoeoccenketten gefunden hat.
Herr G u n s e 11 demonstrirt einen Fall von Lichen monili¬
formis, der durch Arsen in jektiouen fast geheilt ist. Interessant
war die Lokalisation längs der V. v. saphena magna, der bracldalis
und eephalica, ferner der V. epigastrica iuf. Ein aetiologischer
Konnex mit einer Erkrankung der Venenwaud war nicht nach¬
weisbar.
Discussion : Herr v. Recklinghausen sah bei
Veneninjektionen an einer Leiche mit Chlorzinklösung eine ganz
ähnliche dem Venenverlauf folgende Zeichnung auftreten. Die
Durchlässigkeit der Venen für flüssige Schädlichkeiten ist zweifel¬
los möglich und geeignet, zu Bildern zu veranlassen, wie bei dem
demonstrirten Falle.
Herr N a u n y n stellt einen Fall alkoholischer Lebercirrho.se
vor. welcher durch mehrere, fieberhafte, sehr schmerzhafte An¬
fälle von Cholangitis komplizirt ist. Diese Cholangitis bei Leber-
cirrhose kann, wie durch Autopsien einwandsfrei erhärtet worden
ist, unabhängig von Cholelithiasis auftreten. Die Cholangitis ist
nicht die Ursache der Cirrhose, wohl aber des Ikterus und der
schmerzhaften Anfälle. Analog dem II i r s c h f e 1 d’schen Falle
von Cholangitis coli-bacterica kann die Invasion der Gallomvego
durch die Coli-Bakterien, ohne eine eiterige Entzündung herbei¬
zuführen. zu der mehrfach in den letzten Jahren beobachteten
schmerzhaften, mit Ikterus einhergehenden Cholangitis führen,
die durch die Kultur, nicht aber durch die Autopsie nachzuweisen
ist. Der Nachweis der Coli-Bakterien in grosser Menge in den
Gallenwegen wäre entscheidend. Die. wie N a u n y n’s Schüler
nachgewiesen haben (Stolz, Ehret), bei Gallenstauung leicht
erfolgende Coli-Iufektion der Gallenwege ist auch bei dem sehr
verlangsamten Strömen der Galle in den durch cirrhotische Wuche¬
rung vielfach verengten Gallenwegen sehr gut denkbar, die Chol¬
angitis wäre dann die Folge, nicht die Ursache, der Cirrhose.
Herr Schaefer stellt eine Kranke vor, die wegen „tuber¬
kulöser Darmstenose“ eine recht komplizirte Operation erfahren
hat. Auf Grund dos Sitzes in der Ileocoeealgogend. des fieberlosen,
allmählichen Verlaufs und der fehlenden Kachexie wurde die Dia¬
gnose gestellt und bei der Operation von Herrn Madelung be
stiitigt. Der durch vielfache Adhaesionen mit der Umgebung ver¬
wachsene Tumor bildete eine Stenose des Kolon ascendens dicht
über dem Coecum, und konnte nur durch Quertrennung des Diinu-
und Dickdarms ausgelöst werden, die dann vereinigt wurden.
Eine fest verwachsene Dünndarmschlinge konnte ohne Er¬
öffnung nicht freigemacht werden, so dass in Voraussicht einer
Stenosenbildung nach der Naht eine Anastomosenbildung des zu-
und abführenden Theiles des Ileums erfolgen musste. Naht, Drai¬
nage, reaktionsloser Verlauf bis zur Entfernung des drainirendeu
Tampons. Unter heftiger Reaktion Auftreten einer 5 Wochen
nach der Resektion fast geschlossenen Dünndarmfistel.
Der Tumor erwies sich mikroskopisch als tuberkulöses Ulcus
des Dickdarms.
Auswärtige Briefe.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.!
Wien, 20. September 1901.
Oesterreichischer Aerztevereinstag. — Reform unseres
Sanitätswesens. — Kann ein Arzt sich vor der Aerztekammer
durch einen Advokaten vertreten lassen? — Röntgenapparate
in Apotheken. — Gegen das Kurpfuscherwesen in Apotheken.
— Ein neues Circular der Wiener Aerztekammer. — Aerzt-
liche Solidarität.
In Wien wird am 31. Oktober der XII. Ocsterreichisclie
Acrztevereinstag, bei welchem die dem österreichischen Aerzte-
vereinsverbande angehörigen Vereine durch Delegirte Vertretern
sind, tagen. Unter den Anträgen der Vereine figurirt auch ein
interessanter Antrag des Central Vereines deutscher Aerzte in
Böhmen, betreffend die Verbesserung unserer Sanitätsorgani¬
sation. Es wird beantragt, in jedem politischen Bezirke einen
Bezirkssanitätsrath, in Orten mit über (>000 Einwohnern einen
Ortssanitätsrath zu creiren, den bisherigen Landessanitätsrath
in eine nicht bloss konsultative, sondern (dem Landesschulratlie
entsprechende) mit dem Ernennungsrechte der Distrikts- und
Gemcindeärzte ausgestattete ärztliche Diseiplinarbchörde umzu¬
gestalten. Auch die Versorgung der Hinterbliebenen von
Distrikts- und Gemeindeärzten soll, entsprechend den bezüg¬
lichen Bestimmungen für den Lehrerstand, geregelt werden.
Der Gcsehäftsausschuss des österreiehisehen Aerztevereins-
verbnndes beantragt die Annahme einer Resolution, in
welcher die Aerztcknmmern ersucht worden, für eine zcit-
gemiisse Aenderung des Reiehs-Sanitätsgesetzes vom 30. April
1870 und eine einheitliche Sanitätsorgauisation einzutreten, nach
welchem alle im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Aerzte
No. 39.
einen geschlossenen Beamtenstatus unter der Leitung eines
Sanitätsministers bilden und in die Rangsklassen vor¬
rücken, zu welchen sie ihre Hochschulstudien berechtigen, gleich
wie die juridisch, technisch u. s. w. gebildeten Beamten. Bis zur
Erreichung dieses Zieles ist dahin zu wirken, dass die materiell"
Lage der Distrikts-, Gemeinde- und praktischen Aerzte ver¬
bessert und Wohlfahrtseinrichtungen getroffen werden, welche
ihnen und ihren Angehörigen Ruhe- und Versorgungsgenüsse
sichern.
Ein Erlass des Ministeriums des Innern beschäftigt sieh
mit der Frage, ob Aerzte zu den ehrenräthlichen Verhandlungen
der Aerztcknmmern ihre Advokaten als Vertheidiger zuziehen,
resp. sich von denselben vertreten lassen können. Im Einver¬
nehmen mit dem Justizminister wird den Landesbehörden zur
Kenntniss gebracht, dass die Advokaten zweifellos berechtigt
sind, auch vor dein Ehrcnrathe der Aerztekammern Parteien zu
vertreten. Es steht aber den Aerztekammern frei, in ihre Ge¬
schäftsordnung eine Bestimmung aufzunehmen, der zu Folge sie
eine solche Vertretung durch Advokaten für unzulässig erklären,
wie dies bereits eine Aerztekammer, die oberösterreichische, ge-
than hat. Insolange aber die Geschäftsordnung keine gegen¬
teilige Bestimmung enthält, wird der einzelnen Partei nicht
verwehrt werden können, hei ehrenräthlichen Verhandlungen ent¬
weder mit einem Advokaten zu erscheinen, oder sieh durch einen
Advokaten vertreten zu lassen und selbst der Verhandlung ferne
zu bleiben.
Weitere zwei Erlässe des Ministeriums des Innern an alle
politischen Landesbehörden beziehen sieh auf die Anzeigeptliclit
des nichtsyphilitischen Pemphigus neonatorum, sobald die
Krankheit in Impfstationen, Findelanstalten, Krippen, Schulen
etc. in gehäufter Weise auftritt, ferner auf Erhebungen über
die in Gebäranstalten zur Verhütung der Augenblcnnorrhoe der
Neugeborenen geübten Maassnahmen, speziell, ob die Hebammen
zur selbständigen Durchführung des Crede’schen Verfahrens
zugelassen und die Hebammenschülerinnen in demselben geübt
werden sollen. (Antrag Prof. C z e r m a k’s in Prag.)
Auf Veranlassung der niederösterreichischen Statthalterei
ist von Seite der Bezirkshauptmannschaften an die Apotheker
in Niedcrösterreieh folgender Erlass gerichtet worden: „Es ist
der niederösterreichisehen Statthalterei zur Kenntniss gebracht
worden, dass der Besitzer einer öffentlichen Apotheke Nieder¬
österreichs einen in seinem Besitze befindlichen Röntgen¬
appa r a t gegen Entgelt an Aerzte zu diagnostischen Zwecken
überlässt. Vor Entscheidung über die Zulässigkeit, bezw. die
Regelung eines solchen Gebahrens werden Erhebungen an¬
geordnet, ob etwa im betreffenden Verwaltungsbezirke ähnliche
Fälle vorgekommen sind. Die Apotheker werden daher ersucht,
mittheilen zu wollen, ob sie im Besitze eines Röntgenapparates
sind, und ob sie denselben gegen Entgelt den Aerzten zu dia¬
gnostischen Zwecken überlassen, ferner ob etwa die Aerzte den
Wunsch geäussert haben, dass sich die Apotheker in den Besitz
eines derartigen Apparates setzen.“
Unseres Erachtens sollten die Aerzte derlei Wünsche nicht
äussern, da kleine Landapotheker einen so theueren Apparat nicht
anschaffen können und es in den Städten schon Spitäler genug
gibt, in welchen derlei Apparate den Aerzten zur Verfügung
stehen. Schliesslich ist ja die Handhabung dieses Verfahrens
keine so einfache, sie erfordert Einübung und Erfahrung, da
sonst grobe Verstüsse unterlaufen können.
Auch ist — hier wie dort — das Verhältniss der praktischen
Aerzte zu den Apothekern kein so rosiges. In der Wiener Aerzte¬
kammer stellte ein Mitglied einen Antrag, in welchem verlangt
wird: 1. die Beschränkung des Handverkaufes in den Apotheken
auf eigene Lokale in den Apotheken oder die Uebertragung des
Handverkaufes an eigene Apothekerassistenten; 2. die Be¬
schränkung des Verkaufes von medieinischen Materialien auf
die Apotheken und 3. die Untersagung der Expedition von Re-
cepten, welche älter als ein Jahr sind. Namens des Vorstandes
der Aerztekammer beantragte der Referent (Dr. Adler), eine
Eingabe an die Statthalterei zu richten, in welcher um Heraus¬
gabe eines, dem der böhmischen Statthalterei vom 12. April 1894
analogen Erlasses in Betreff der Materialwaaren-Handlungen,
ferner um strenge Kontrole des Handverkaufes in den Apotheken,
Verbot der Ertheilung ärztlicher Rathschläge
in denselben und Verbot der Dispensirung von Receptcn.
welche älter als ein Jahr sind, gebeten wird. Man beschloss, sich
mit den Aerztekammern für Niederösterreich, mit Ausnahme
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24. September 190L
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIFT.
1653
von Wien, über diese Eingabe an die Statthalterei in’s Einver¬
nehmen zu setzen.
Die Wiener Aerztekammer versendet unter dem 17. Sep¬
tember 1901 folgendes Circular an die Aerzte Wiens: „Der
Arbeiter-Consum- und Sparverein in Simmering, Felsgasse
No. 3, beabsichtigt, dem Vernehmen nach, vom 1. Oktober
1. Js. an eine Familienversicherung für alle seine
-Mitglieder, die im Laufe eines Halbjahres Waaren im Mindest¬
betrage von 120 Kronen abnehmen, in der Weise einzuführen,
dass denselben statt einer Prämie von 6 Proc. nur eine solche
von 5 Proc. ausgefolgt und für das erübrigte Procent unent¬
geltliche ärzliche Behandlung gewährt wird. Der
Consumvcrein bietet den Aerzten als Honorar 6 Kronen, nicht
etwa für ein versichertes Mitglied, sondern für die ärztliche Be¬
handlung der ganzen Familie (Frau sammt Kindern) eines
Mitgliedes an. Es soll die Absicht bestehen, dieses Institut
eventuell auf alle Bezirke auzudehnen. Die Uebernahme einer
derartigen Stelle wäre im höchsten Grade standeswidrig,
wcsshalb die Herren Kollegen vor der Annahme einer solchen
Stelle dringend gewarnt werden.“
Schliesslich noch ein schönes Beispiel ärztlicher Solidarität,
welches vor Kurzem die Budweiser Aerzte gegeben haben. Die
Aerzte der Budweiser Bezirkskrankenkasse — die durchwegs der
czechischen Nationalität angehören — haben gegen die
versuchten Abstriche an ihren Honorarrechnungen dadurch re-
monstrirt, dass sie ihre Thätigkeit einstellten. Die Krankenkasse
hatte sich nun an die deutschen Aerzte in Budweis, die
seinerzeit in Folge der nationalen Strömung aus ihren Stel¬
lungen bei der Kasse hinausgedrängt wurden, mit dem Ersuchen
gewendet, die Stellvertretung zu übernehmen, was jedoch mit
der grössten Entschiedenheit abgelehnt wurde. Bedenkt
mau, wie heftig die nationalen Gegensätze in Budweis sind, so
wird man die Solidarität der deutschen Aerzte mit ihren
czechischen Kollegen um so höher schätzen müssen. Da, wo
Standesinteressen in Frage kommen, erwies sich die politische
Gegnerschaft als ohnmächtig. Dieses Beispiel verdient überall
beherzigt zu werden: Uebrigens hat auch die Haltung der
deutschen Aerzte bewirkt, dass der Konflikt zwischen der Bezirks¬
krankenkasse und ihren Aerzten nach dreitägiger Dauer
durch eine gütliche Vereinbarung beigelegt wurde. Die
„Oesterreich. är 2 tl. Vereinszeitung“ schliesst: Wir beglück¬
wünschen die Budweiser Aerzte ohne Unterschied der Nationali¬
tät zu ihrer wackeren Haltung! .
Verschiedenes.
Statistik des Instituts Pasteur zu Paris: Im
Jahre 1900 wurden 1420 Personen mit den Impfungen gegen Toll-
wuth behandelt, davon starben 11 Personen, bei 0 derselben trat
der Tod weniger als 14 Tage nach dem Ende der Behandlung ein,
eine Person wurde von der Krankheit im Verlaufe derselben er¬
griffen, so dass sich unter Abzug dieser 7 Fälle eine Mortalität von
4 Personen = 0,28 Proc. ergibt. Die Vergleichstabelle der in (len
Jahren 1880—1900 Behandelten ergibt, dass die Zahl derselben in
Paris von Jahr zu Jahr abnlramt, was wohl auch mit der allmäh¬
lich erfolgten Gründung 5 weiterer Impfanstalten ln Lille, Mar¬
seille, Montpellier, Lyon und Bordeaux Zusammenhänge und die
Mortalität in den letzten 5 Jahren fast den gleichen Procentsatz
aufweist. Die Behandelten werden wieder in 3 Kategorien ein-
getheilt: A. Die Tollwuth des Thieres wurde experimentell
(Impfung); B. durch veterinärärztliche Untersuchung festgestellt;
C. das Thier war nur wuthverdächtlg. Kategorie B. hat die
grösste Zahl von 866 Personen und 0 Mortalität, Kategorie C.
375 Personen und ebenfalls keinen Todesfall, Kategorie A. 179 Per¬
sonen und 4 Todesfälle. Von den 1420 Personen waren 1334
Franzosen und 86 Ausländer. Tabellarische Uebersicht nach der
Antheilnahme der einzelnen Departements von Kranken, kurze Be¬
schreibung der Fälle, bei welchen die Patienten im lauf der Be¬
handlung von Tollwuth ergriffen wurden, oder die behandelten
Personen weniger als 14 Tage nach der Behandlung starben oder
schliesslich die Tollwuth überhaupt nach der Behandlung noch den
Tod herbeiführte. St.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer Hegt das 115. Blatt der Galerie bei:
Christian Bäumler. Vergl. den Artikel zu BäumleFs
25 jährigem Professoren-Jubiläum auf S. 1538 dieser Nummer.
Unsere Photographie stammt aus dem Atelier von G. Prinz in
Freiburg I. B.
Therapeutische Notizen.
Um Blut ln den Faeces nachzuweisen, genügt im All¬
gemeinen die T e 1 c h m a n n’sche Reaktion. Ist nun recht wenig
Haematln Im Kothe vorhanden, eo empfiehlt Strzysowskl-
Lausanne folgendes Verfahren: Man nehme mit einem Glasstab
die am dunkelsten gefärbte Partie der Faeces heraus und presse
dieselbe gehörig zwischen einmal zusammeugelegtem Weisspapier
platt. Darnach bringe mau ein wenig von dem schwärzesten Theil
des Objektes auf den Objektträger, setze einen Tropfen einer
Natriumjodidlüsung (l:5UO) hinzu, dampfe ab, decke mit einem
Deckgläschen zu und koche während 3—6 Sekunden mit couc.
Essigsäure, die mau vom Runde aus stets nachsetzt. War Blut
zugegen, so sind unter dem Mikroskope leicht schwarz gefärbte
Hueminkrystalle zu erkennen, die aus dem jodwasserstoll'sauren
Ester des Haematius bestehen und sich von den gewöhnlichen
Uaemiukrystallen durch intensivere Färbung unterscheiden, auch
ist die Form gewöhnlich eine eiförmige, bieonvexe. (Therap.
Monatsh. 9, 1901.) Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 24. September 1901..
— Die Vorstände der 8 bayerischen Aerztekammern haben au
das Staatsministerium sowohl, wie an die Kammern der Ab¬
geordneten eine Eingabe (s. u.) gerichtet, in welcher um eine mög¬
lichst baldige Erledigung der der Kammer schon mit Beginn
ihrer letzten Tagung vorliegenden Standes- und Ehren-
gerichtsorduuug für die Aerzte Bayerns nach¬
gesucht wird. Nachdem seit der Berathuug dieser Standes- und
Ehrengerichtsordnung durch die Aerzte Juhre hingegangen sind,
ist dieser Wunsch wohl berechtigt. In Preusseu ist die Frage
der ärztlichen Ehrengerichte später auf die Tagesordnung ge¬
kommen, als in Bayern, und doch ist die Einrichtung dort schon
seit Jahr und Tag zur Zufriedenheit der Aerzte in Kraft, während
der bayerische Entwurf sich noch immer in Berathuug befindet.
Eine Vorlage, die so einstimmig die Billigung der Berufsklasse
besitzt, für welche sie gemacht ist, bedarf wahrlich keiner in Ein¬
zelheiten gehenden Prüfung seitens des Parlaments mehr. Die
bayerischen Aerzte dürfen daher billig erwarten, dass die hohe
Kammer ihre Eingabe berücksichtigen und die Vorlage der ärzt¬
lichen Staudesorduung in Bälde gutheissen wird.
— Die Pharm. Ztg.w-eiss die interessante Mittheiiung zu machen,
dass der Geh. Med.-Rath Prof. Dr. B r i e g e r, der Leiter der hydro¬
therapeutischen Abtheilung der k. Charitö in Berlin, seit einigen
Tagen in Wörishofen weilt, um das Kneip p’sehe Heilver¬
fahren aus eigener Anschauung kennen zu lernen.
— In Turin wurde am 17. ds. der V. internationale Physio¬
logenkongress eröffnet. Zum Präsidenten wurde Prof.
F o s t e r - Cambridge gewählt.
— Das Generalsekretariat des XIII. internationalen medielni-
schen Kongresses in Paris gibt den Mitgliedern des Kongresses be¬
kannt, dass der Druck und der Versandt des Allgemeinen
Bandes und der 17 Bände der Kougressberichte der
Sektionen nunmehr beendigt sind. Diejenigen Mitglieder oder
Subscribenten, welche irrthümlicher Weise die Bände, auf welche
sie Anspruch haben, nicht erhalten haben sollten, sind gebeten,
bezügliche Reklamationen an die Verleger des Kongresses, Herren
Masson & Co., 120 Boulevard Saint Germain, Paris, zu adresslren.
Nach dem 31. Dezember 1901 werden keine Reklamationen mehr
berücksichtigt.
— Pest. Türkei. In Assyr sind nach einem amtlichen Aus¬
weise vom 19. bis 28. Juli 2 Erkrankungen (und 2 Todesfälle) an
der Pest beobachtet, im Ganzen vom 3. Mai bis 28. Juli 73 (26). —
Aegypten. Vom 30. August bis zum 6. September sind in Alexan¬
drien 4 Erkrankungen (und 4 Todesfälle) festgestellt worden, in
Port Said 3 (2), in Mit Gnrar 8 (4). — Britisch-Ostindien. Während
der am 16. August abgelaufenen Woche sind In der Präsidentschaft
Bombay 3834 neue Erkrankungen und 2867 Todesfälle an der Pest
festgestellt, also 369 bezw. 375 mehr als ln der Woche vorher.
In der Stadt Bombay waren während der am 17. August endenden
Berichtswoche angeblich 223 Personen an der Pest erkrankt, d. i.
66 mehr als in der Vorwoche: die Zahl der erwiesenen Pesttodes-
fillle daselbst betrug ln der Berichtswoche 214, ausserdem waren
100 unter Pestverdacht gestorben. — Hongkong. Während der
4 Wochen vom 6. Juli bis 3. August sind in der Kolonie 26, 13, 19,
13 Erkrankungen und 21, 16, 20, 11 Todesfälle an der Pest amt¬
lich bekannt geworden; von diesen 71 Erkrankungen entfielen 47
auf die Stadt Viktoria, 24 auf die übrige Kolonie. Auf 1528 bis
zum 6. August gemeldete Krankheitsfälle bei Chinesen kamen 11t K»
Todesfälle, auf 31 im gleichen Zeiträume bei Europäern gemeldete
Krankheitsfälle 11; im Ganzen kamen auf 1610 gemeldete Erkran¬
kungen 1538 Todesfälle. — Philippinen. In Manila wurden wäh¬
rend der 3 Wochen vom 22. Juni bis 13. Juli nacheinander 15, 8,
12 Erkrankungen und 11, 7, 10 Todesfälle an der Pest festgestellt.
Auch in mehreren anderen Städten der Insel Luzon sind bis zum
6. Juli Fälle von Pest beobachtet; dieselben waren auf Manila zu¬
rückzuführen. — Kapland. Während der Woche vom 11. bis
17. August sind in Port Elizabeth 3 Personen an der Pest erkrankt,
darunter kein Europäer, ferner wurden 2 Pestleichen gefunden.
Auf der Knphalbinsel kamen ln der Zeit weder Pestfälle noch
pestverdächtige Erkrankungen zur Anzeige, doch soll während der
ersten Tage der am 18. August beginnenden Woche daselbst ein
neuer Fall gemeldet worden sein, ausserdem in Port Elizabeth 2.
— Queensland. Nach den 3 letzten amtlichen Wochenausweisen für
die am 13., 20. und 27. Juli abgelaufenen Wochen sind in dieser Zelt
3 Neuerkrankungen an der Pest zur Anzeige gekommen, und zwar
je eine in Brisbane am 7. und 24., in Cairns am 16. Juli. Am
27. desselben Monats waren in der ganzen Kolonie noch 5 Pest-
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fülle in Behandlung, gestorben war in diesen 3 Wochen kein Pest¬
kranker.
— In der 30. Jahreswoche, vom 1. bis 7. September 1901, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Königshütte mit 37,2, die geringste Kottbus mit 7,7 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb au Scharlach in Halle und Itemscheid.
(Hochschulnachrichten.)
Jena. Der ausserordentliche Professor in der medicinischeu
Fakultät und Direktor des zahnärztlichen Instituts der hiesigen
Universität, Dr. med. Adolf Witzei, hat aus Gesundheitsrück¬
sichten einen zweijährigen Urlaub erhalten.
Neapel. Habilitirt: Dr. N. Berardinone für medici-
nische Pathologie.
Padua. Habilitirt: Dr. G. Jona und Dr. A. Luzzatto
für medieinische Pathologie; Dr. C. Merlettl für Geburtshilfe
und Gynäkologie.
Palermo. Habilitirt: Dr. E. Gaglio für operative
Medicin.
Wien: Habilitirt: Dr. F. v. Sölder für Neurologie und
Psychiatrie.
(Todesfälle.)
— Der Professor der Medicin und vormalige langjährige
Universitätsbibliothekar in Leipzig Dr. Adolf Winter ist,
85 Jahre alt, gestorben.
Eingabe.
An die
Hohe Kammer der Abgeordneten
M ii n c h e n.
Betreff: Bitte der bayerischen Aerzte
um beschleunigte Beschlussfassung über
die ärztliche Standes- und Ehrengerichts-
Ordnung.
Seit Beginn der letzten Tagung ist der Kammer der Abge¬
ordneten d ie Vorlage einer Standes- und E h r en¬
ge richtsordn ung für die Aerzte Bayerns zugegaugeu.
Diese Vorlage wurde an einen besonderen Ausschuss verwiesen
und Herr Mediciualrath Dr. A u b zum Referenten bestellt. Der¬
selbe war durch die Vorboten seiner letzten Erkrankung monate¬
lang ausser Stande, das Referat zu erstatten; nach seinem Tode,
März 1900, wurde zwar ein neuer Referent aufgestellt, die lange
Session der Kammer verstrich aber, ohne dass die Vorlage zur Be-
ruthung und Beschlussfassung kam.
Es ist nicht unberechtigte Ungeduld, dass die bayerischen
Aerzte die geplante Standes- und Ehreugerichtsordnung kaum er¬
wartet! können.
Die neuere Zeit hat dem ärztlichen Stand in vieler Beziehung
Schwierigkeiten gebracht. Schwerer als früher ist es dem Ein¬
zelnen möglich, in seinem Berufsleben die alten bewährten guten
Sitten zu halten, die nötliig sind, wenn der Arzt die ihm zu¬
kommende Stellung im Staat sich erhalten soll. Die Gesammtheit
verlangt daher vom Einzelnen Unterordnung unter bestimmte Nor¬
men, deren Durchführung eben nur eine Standes- und Ehren¬
gerichtsordnung ermöglicht.
Vielfach hat sich die wirthschaftliehe Stellung der Aerzte
gegen früher verschlechtert. In bedrohlicher Weise mehren sich
die Fälle von Nothlagen durch Erkrankung etc., nicht minder die
von mittellos zuriickgelnssenen Wittwen und Waisen. Eine aus¬
reichende Fürsorge ist hier nur möglich durch das der Aerzte-
organisation zu ertheilende „Umlagerecht“.
Nur diese 2 Punkte sollen hervorgehoben sein zur Begründung
der Nothwendigkeit der gesetzlichen Aerzteordnung. Gerne
sind wir bereit, diese und andere Punkte eingehend zu motiviren,
falls dies gewünscht würde.
Eine Reihe deutscher Bundesstaaten hat diese Bedürfnisse des
ärztlichen Standes anerkannt und der bayerischen Vorlage ähn¬
liche oder gleiche Standes- und Ehrengerichtsordnungen erlassen,
die vielfach schon segensreich gewirkt haben.
Preussen, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Anhalt,
Hamburg sollen als solche genannt sein.
Bayern, welches Jahrzehnte laug in der Organisation seines
ärztlichen Standes allen anderen Staaten voraus war, ist fast
allein zurückgeblieben.
Die der Kammer seitens des kgl. Staatsministeriums zuge-
gangeue Vorlage fusst auf jahrelangen Vorarbeiten der ärztlichen
Staudesvertretungen und des Obermedicinalausschusses.
Sie hat ln ihrer jetzigen Form den ungetheilten Beifall der
staatlichen ärztlichen Organisation gefunden. All«* 8 Kammern
haben sie einstimmig gutgeheissen. Die ärztliche Fachpresse hat
sie nur lobend erwähnt und auch aus den weiteren ärztlichen
Kreisen ist kaum ein Widerspruch laut geworden. Irgend welche
Aenderung der Grundlagen, auf denen die Vorlage aufgebaut ist,
könnte sicher nur eine Verschlechterung bringen.
Die 8 bayerischen Aerztekammern haben ein Bittgesuch an
das hohe Staatsministerium gerichtet, dasselbe möge sich für eine
baldige Berathuug der Vorlage in der Kammer der Abgeordneten
verwenden.
Die gleiche dringende Bitte richten die Vorstände der Aerztc-
kammeru an die hohe Kammer der Abgeordneten:
„Es möge derselben gefallen, in die Be-
rathung der ärztlichen Standes - und Ehren*
No. 39.
g e r i c h t s o r d n u u g baldmöglichst einzutre¬
ten und durch unverkürzte Annahme der¬
selben den berechtigten Wunsch der baye¬
rischen Aerzte endlich zu erfülle n."
Ehrerbietlgst!
Die Vorstände der bayerischen Aerztekammern:
I Oberbayern: Hofrath Dr. Näher, München.
Niederbayern: Bezirksarzt Dr. Schm Id, Passau.
Pfalz: Hofrath Dr. Kaufmann, Dürkheim.
Oberpfalz und Regensburg: Hofrath Dr. Reinhard, Weideu.
Oberfrankeu: Oberarzt Dr. Jungengel, Bamberg.
.Mittelfranken: Hofratli Dr. Mayer, Fürth.
Unterfranken: v. u. Dr. Dehler, Würzburg.
Schwaben: Dr. Hagen, Augsburg.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat Juli 1901.
Iststärke des Heeres:
62 479 Mann, — Invaliden, 206 Kadetten, 148 Unteroff.-Vorschäler.
Unter-
Miuin
Invali¬
den
Kadetten
Offlrier-
vor-
schüler
1. Bestand waren am
30. Juni 1901:
1418
—
3
1
1 im Lazareth:
784
—
1
2
2. Zugang: -
im Revier:
2337
—
I 6 1
—
| in Summa:
3121
—
7 i
2
Im Ganzen sind behandelt: I
4539 1
—
10 i
3
u /uo
der Iststärke:
72,6 |
—
48,5 1
20,3
dienstfähig:
3187
—
9
3
°/oo der Erkrankten:
702,1
—
900,0 :
1000,0
gestorben:
7
—
—
—
3. Abgang:
°/üo der Erkrankten:
invalide:
1,5
29
—
—
—
dienstunbrauchbar:
20
—
—
—
anderweitig:
247
—
1
—
in Summa:
3490
—
10
3
4. Bestand
bleiben am
30. Juli 1901:
f in Summa:
°/oo der Iststärke:
| davon im Lazareth:
1 davon im Revier:
1049
16,8
676
373
— j
—
-
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten
an : Pyiimie (nach eiteriger Ohrspeicheldrüsenentzündung) 1, akuter
Miliartuberkulose 1, Lungentuberkulose 1, Darm- und Bauchfell-
tuberkulöse 1, Genickstarre 1, Krebs des Magens und der Bauch¬
speicheldrüse 1, Lungenentzündung 1.
Ausserdem starben noch 6 Mann ausser militärärztlicher Be¬
handlung: 1 Mann starb infolge von Herzlähmung (wahrscheinlich
während eines nächtlichen epileptischen Anfalles), 2 Mann er¬
tranken (1 beim Kahnfahren auf der Donau infolge Umkippens
des Fahrzeuges, 1 bei Pontonier-Uebungen), 1 Mann wurde während
des Ernteurlaubes in einem Getreidefeld mit zertrümmertem Schädel
todt aufgefunden, 2 Mann endeten durch Selbstmord (durch Er-
schiessen).
Der Gesammtverlust der Armee durch Tod betrug demnach
im Monat Juli 13 Mann.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München
in der 37. Jahreswoehe vom 8. bis 14. September 1901.
Betheiligte Aerzte 11H. — Brechdurchfall 16 (21*), Diphtherie,
Croup 17 (9), Erysipelas 6 (S), Intermittens, Neuralgia intern.
— (—), Kindbettfieber — (—), Meningitis cerebrospin. —
Morbilli 17 (13), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 4 (2), Parotitis
epidem. 1 (1), Pneumonia crouposa 4 (5), Pyaemie, Septikaemie
— (—), Rheumatismus art. ac. 13 (14), Ruhr (dysenteria) — (—
Scarlatina 7 (8), Tussis convulsiva 18 (21), Typhus abdominale
1 (3), Varicellen 6 (3), Variola, Variolois —(—), Influenza — (—)»
Summa 110 (108). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
U ebersicht der Sterbefälle in München
während der 37. Jahreswoehe vom 8. bis 14. 8eptember 1901.
BevölkerungBzahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 2 (1*), Scharlach — (—\ Diphtherie
und Croup 3 (2), Rothlauf 1 (—), Kindbettfieber — (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 3 (1), Brechdurchfall 2 (22), Unterleibtyphus
— (—), Keuchhusten 2 (3), Croupöse Lungenentzündung 2 (—).
Tuberkulose a) der Lungen 24 (22), b) der übrigen Organe 4 (9),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 8 (2), Unglücksfälle 3 (4), Selbstmord — (2), Tod durch
fremde Hand — (2).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 189 (224), Verhältnisszalil auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 19,7 (23,3), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,3 (13,1).
, *) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Vorlaji voa J. F. L«haaua ia Miaotiea. — Draok von B. lCühlthaler’a Bueh- und Kanatdraokerel A.Q., Münehsa.
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., aanoatn.
nOOgle
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Wo Mönch. Med. Wochenschr. erscheint wftchentL HJ'tYAT/'I T T I iV\T IiVI’ ) Zusendungen sind sn adresriren: Für dloBedaodoa
in Nnnunern yon darchscholttllch 6-8 Bogen. yl I I \l , I — I fi. \ H, rC. Ottostnwse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh-
Prels ln Dentschl. n Oeat.-Uni{*m vierteljahrl. 6 JC, ^ ^ V J - A 1 A - L - 1 * ■*-*-** mann, Heustrasse 20- — Für Inserate und Beilagen
ins Ausland 7.60 Ji Einseine No. 80 -f. an Rudoll Mosse, Fromenaüeplau IG.
WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
CI. Binler, 0. Btliiipr, H. CirselMn, C. ßerlirtt, 8. MirW, J. f. Michel, H.!. Rnkp, F. i. Wiickil, H. t. Zieassei,
Freiburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. München.
No. 40. 1. Oktober 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, HeastraBse Ü0.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der chirurgischen Poliklinik zu Jena.
Die Bedeutung der elastischen Fasern bei patho¬
logischen spec. regenerativen Processen.*)
Von Dr. B. Grohe, Privatdoceut und Assistent.
R a n v i e r [1] hat einmal deu Ausspruch gethan, dass iu
der Histologie eine neue Entdeckung oder die Aenderung einer
Ansicht nicht in Folge des höheren Genies oder einer gelungenen
Interpretation zu Stande kommt, sondern durch die Erfindung
einer neuen Methode, sei es in der Färbung oder der Härtung
oder der Dehnung der Gewebe.
W e i g e r t [2] sagt mit Recht, dass dieser Satz in dieser
Schroffheit nicht richtig sei. Man denke nur an die befruch¬
tende Wirkung, welche neue allgemeine Theorien, wie die der
Cellularpathologie, für die Histologie gehabt haben. Ja eine
neue Fragestellung allein kann zu Entdeckungen führen — ein
Moment, welches bei den Arbeiten über Entwickelungsmechanik
sehr mitgespielt hat. Ferner ist ja auch die Auffindung eineB
passenden Beobachtungsmaterials unter Umständen die Quelle
von Entdeckungen, wie die Lehre von den Befruchtungsvorgängen
z. B. deutlich beweist.
Aber ein Körnlein Wahrheit liegt doch in jenem Ranvier¬
sehen Ausspruch.
Auch der moderne Mikroskopiker würde ungern die alten
und einfachen Methoden der primitiven Untersuchung frischer
Objekte mit Hilfe der Nadel, des Rasirmessers oder des Valen-
tin’schen Doppelmessers missen; ja es würden ihm manche Be¬
sonderheiten in der Struktur völlig bei ihrer Ausserachtlassung
verloren gehen, aber der Fortschritt der mikroskopischen Technik
hat seit der zufälligen Beobachtung Gerlach’s, dass sich durch
Karminfarbe, welche er zur Gefässinjektion bei einer kindlichen
Leiche verwandt hatte, die Zellkerne färbten, einen derartigen
Umfang genommen, dass ohne ihre Hilfe nicht mehr auszu¬
kommen ist.
Kaum dürfte es nöthig erscheinen, diesbezügliche Einzel¬
heiten hier aufzuführen, doch darf ich beispielsweise erinnern
an die nur durch die neuere Technik ermöglichte genauere Er-
kenntniss der Zelltheilung, an die z. Th. differentialdiagnostisoh
wichtigen Bacterienfärbungen, an die neueren Untersuchungen
auf dem Gebiete der Entzündungslehre.
Der V i r c h o w’schen Anschauung, die Entzündung beruhe
auf Aenderungen der Gewebszellen, welche sie in die Lage setzten,
aus der Nachbarschaft, sei es ein Blutgefäss oder ein anderer
Gewebstheil, eine grössere Quantität von Stoffen an sich zu
ziehen, aufzusaugen und je nach Umständen umzusetzen, war
bekanntlich Cohnheim entgegengetreten. Seitdem galten
als Universalzellen lange Zeit die Leukocyten, welche im Orga¬
nismus allgewaltig sein sollten. Sie spielten nicht nur bei der
Entzündung, sondern auch sowohl beim Aufbau wie beim Abbau
aller möglichen Gewebe die Hauptrolle.
Pank der besseren Methoden, namentlich in den Händen
de« zu^rüh verstorbenen Dorpater B ö 11 oh e r, von Stricker,
von Grawitz u. A ist der Nachweis erbracht, dass die den
Leukocyten oktroyirte Rolle keine so gewaltige ist, vielmehr die
•) Nach einem Vortrag.
Ko. 40.
verschiedensten Zellelemente eine ebenso grosse Bedeutung haben,
so dass von dem Bau der Emigrationstheorie ein Stein nach dem
andern abgebröckelt ist.
Mit dem Fortschreiten der Farbenchemie, für die ja durch
die Hoffman n’sch.en Entdeckungen eine neue Aera anbrach,
sind nun unserm Studium auch Gewebselemente weit zugäng¬
licher gemacht, deren Existenz und Vorkommen schon lange den
Forschern bekannt waren, über deren Bedeutung im Haushalt
der Natur und über deren topographische jedesmalige Anordnung,
wie wir jetzt sehen können, doch grosse Unkenntniss herrschte.
Ein eclatantes Beispiel hierfür liefern die elastischen Fasern.
Ihr Vorkommen war besonders in den elastischen Organen,
nämlich den Bändern und Sehnen, in denen sie nur mit geringer
Beimengung von Bindegewebe und mit wenig Gefässen und
Nerven, sozusagen, rein auftreten, dann den elastischen Mem¬
branen, welche entweder als Fasernetze oder gefensterte Häute
erscheinen und in den Gefasshäuten, namentlich denen der
Arterien, in der Trachea und den Bronchien studirt [3]. A ~ J
Die Ansiohten über die Entwicklung des elastischen Gewebes
sind aber bis heute noch getheilt, indem eine Reihe von Autoren
eine Entstehung der elastischen Formelemente in der Grund¬
substanz ohne jegliche Betheiligung von Zellen annimmt^eine
Anschauung, welcher eine zweite gegenübersteht, nach der die
Genese des elastischen Gewebes an Zellen gebunden ist; doch
herrscht auch darüber keine Einigkeit, welcher 'Tkeil der Zelle
vorwiegend oder ausschliesslich für die Entstehung in Betracht
kommt. . .
In die Einzelheiten der Meinungsstreitigkeiten einzugehen
ist hier nicht der Platz. Es sei jedoch erwähnt, dass diese beiden
entgegengesetzten Anschauungen sich schon zu Schwann’s
Zeiten gegenüberstanden. Er lässt 1839 in seinen „Mikroskopi¬
schen Untersuchungen“ die elastischen Fasern durch Verlänge¬
rung, Verästelung und Zerfaserung von Elemcntarzellen ent¬
stehen, während Gerber ein Jahr später als Grundlage der
elastischen Fasern die Intercellularsubstanz bezeichnet, mit der
ihm wahrscheinlichen Einschränkung, dass sich auch in der
Intercellularsubstanz zuerst hohle Zellen bilden, welche zu den
elastischen Fasern zusammenstossen.
Henle, Virchow, Donders, Reichert, Frey,
Rabl-Rückhard haben sich an den Untersuchungen ge¬
nauer betheiligt und mit der Meinung des Letzteren stimmt
. K öllik er ii herein, wenn er in der neuesten Auflage seiner
Gewebelehre sagt: Es kann nunmehr als ausgemacht angesehen
werden, dass die elastischen Fasern aller Art weder aus Kernen
noch aus Zellen hervorgehen, sondern einfach durch eine be¬
sondere Umwandlung der Grundsubstanz bindegewebiger Anlagen
sich bilden. Entstehen sollen sie durch eine Umsetzung leim¬
gebender Substanz, indem entweder die Faser gleich als Ganzes
oder in manchen Fällen durch Aneinanderreihung von Körnchen
sich bildet. Eine Wiedererzeugung des elastischen Gewebes ist
nach Kölliker nicht bekannt, hingegen sind Neubildungen
desselben nicht selten. .
In eine ganz neue Phase der Erkenntniss des Vorkommens
und der Verbreitung des elastischen Gewebes, besonders unter
pathologischen Verhältnissen, welche bisher sehr wenig berück¬
sichtigt waren, trat die Wissenschaft, als es zunächst Unna
und. Tänzer Anfang der 90 er Jahre des vorigen Jahrhunderts
gelang, in dem Orcein ein specifisches Färbungsmittel für die
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1556
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
elastischen Fasern zu finden. Diese elektive Methode ist in
neuester Zeit, im Jahre 1897, noch übertroffen durch eine weit
sicherere und bequemere, indem W e i g e r t eine neue Methode
angab, deren Grundprincip in der Benutzung eines Farbstoffes
bestand, welcher in aller jüngster Zeit von Grübler - Leipzig
in Substanz als „Kreso-Fuchsin“ in den Handel gebracht wird.
Dadurch erst wurde es möglich, an den dünnsten Schnitten
das Vorhandensein der feinsten Fäserchen nachzuweisen und die¬
selben weiter zu verfolgen.
Es waren besonders zwei Organe, welchen sich die Aufmerk¬
samkeit der Anatomen und Pathologen zuwandte, die Blut¬
gefässe und die Haut.
Es zeigte sich, dass die Reichlichkeit der elastischen Ele¬
mente in den Arterien der verschiedenen Körperregionen eine
ausserordentlich verschiedene war. Es war vorzüglich
Bonnet, der aus dem Giessener, dann dem Greifswalder ana¬
tomischen Institut eine Reihe von Arbeiten publiciren liess, in
denen systematisch die einzelnen Gebiete durchforscht wurden,
durch deren Resultate er dazu kam, anzunehmen, dass —•
wenigstens unter normalen Verhältnissen — die Quantität der
elastischen Elemente abhängig sei von den physikalischen Ein¬
flüssen, welche auf das Arterienrohr von aussen oder von innen
einwirkten. Wirkt doch einmal der Blutdruck von innen und
er ist ein verschiedener, je nach Lage und Richtungsverlauf des
Gefässrohres, dann aber bildet die umgebende Materie einen
wichtigen Faktor bei der Be- resp. Entlastung des Gefäss-
systems.
Der Unterschied im Vorkommen der fraglichen Elemente
in den verschiedenen Altersstufen war auch ein in die
Augen springender.
Die Intima der Aorta des neugeborenen Kindes z. B. bildet
nur eine zarte, vielfach geschlängelte, elastische Faserschicht,
die einer bedeutend dickeren, fest zusammenhängenden Faser¬
schicht aufsitzt. Diese stärkere Schicht bildet gewissermaassen
die Grenze zwischen Media und Intima, wenn man diese zarte,
geschlängelte Faserschicht als Intima überhaupt bezeichnen will.
Es fehlt hier nämlich eine Schicht von Bindegewebe in der In¬
tima, wie sie sich bei älteren Individuen zu finden pflegt. An
diese festere, dicke, elastische Faserschicht, die Grenzlamelle
zwischen Tunica intima und Tunica media, legen sich in regel¬
mässiger paralleler Anordnung zahlreiche elastische Fasern an,
welche bei der Bildung der Media sich betheiligen, um allmäh¬
lich ohne scharfe Abgrenzung in die Adventitia überzugehen.
An der Aorta des mittleren Lebensalters hat hingegen die
Intima sehr an Stärke zugenommen. Während wir beim Kind
nur eine geschlängelte Faserschicht haben, sind hier
mehrere Schichten vorhanden, auch geschlängelt, aber recht
dicht aneinandergelagert, so dass man den Eindruck eines
derberen breiten Saumes gewinnt. Daran schliessen sich zahl¬
reiche sehr zarte elastische Fasern bis zu einer derben zusammen¬
hängenden Lage, die man wiederum als die Grenze zwischen
Intima und Media betrachten muss. Sie ist es, die man bei der
Aorta der Neugeborenen vermisst, also eine Schicht, die sich erst
im Laufe der Zeit entwickelt [4],
Ganz anders ist die Struktur der Gefässwand nun an den
Gehirngefässen. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Puls¬
welle im Schädel ist nach exakten Untersuchungen (von G r a s -
h e y) viel grösser als an anderen Orten, dafür liegen anderer¬
seits in der Schädelhöhle Verhältnisse vor, welche alle äusseren
Bewegungen, die einen Druck oder Zug auf die Gefässe aus¬
üben könnten, fortfallen lassen. So findet sich nach Triepel [5]
denn entsprechend der sehr grossen Spannungszunahme, die
nach Entfaltung des Arterienrohres an der inneren Oberfläche
der Wand eintritt, eine ungewöhnlich starke Entwicklung der
elastischen Innenhaut, während die der Media mit ihren vorhin
beschriebenen Theilen bedeutend hiergegen zurücktritt.
Die ausserordentliche Bedeutung, welche dem elastischen
Gewebe normtfler Weise im Bau und in der Funktion der Ge¬
fässe zukommt, dürfte durch diese kurzen Beispiele deutlich
illustrirt sein.
Wie ist nun sein Verhalten bei krankhaften Processen?
Beim Gefässsystem gibt es eine Erkrankung, das Aneu¬
rysma, welches seit Langem in Bezug auf seine Entstehung den
weitgehendsten Spekulationen Spielraum geboten hatte. Die¬
selben Momente, welche die Entstehung der Arteriosklerose be¬
günstigen, wurden und werden auch bei der Aetiologie der Aneu¬
rysmen angeführt. Immerhin ist die Entstehung eines Aneu¬
rysmas im Verhältniss zur grossen Häufigkeit der Arterio¬
sklerose ein seltenes Ereigniss und es erschienen daher doch noch
gewisse Umstände von Einfluss zu sein, welche man vorderhand
noch nicht näher bestimmen konnte. T h o m a und Fr. G r ohe
glaubten vor Jahrzehnten physikalisch-mechanische Einflüsse
zur Erklärung heranziehen zu sollen, da gerade einmal der
Aortenbogen mit seinem starken Suspensionsapparat, dann am
subdiaphragmatischen Theil die Aorta besonders häufig der
sackartigen Erweiterung anheimfalle.
Hier kamen nun die neuen Untersuchungsmethoden zu
Hilfe, indem esManchot [6] aus der Recklinghausen-
schen Schule gelang, nachzuweisen, dass wahre Aneurysmen der
Arterien Vorkommen, deren Intima keine sklerotischen, binde¬
gewebigen Verdickungen auf wies. Die Erweiterung des Gefäss-
lumens beim Aneurysma ist vielmehr durch primäre Zer-
reissungen der elastischen Elemente der Media
bedingt. Die entzündlichen Processe, die sich in einem Aneu¬
rysma vorfinden, sollen nur von sekundärer Bedeutung sein,
indem sie entweder eine zufällige Komplikation, wie eine all¬
gemeine Arteriosklerose des höheren Alters, darstellen, oder direkt
durch das Fortschreiten des Aneurysmas bedingt und hervor¬
gerufen sind.
Aus Anlass derartiger Laesionen der elastischen Elemente
glaubte M a n c h o t schwere körperliche Arbeiten, aus irgend
welchen Gründen häufiger wiederkehrende Steigerungen des
Blutdrucks, ferner häufiger sich wiederholende, man möchte fast
sagen, chronische Traumen ansehen zu dürfen. Die alten mecha¬
nischen Theorien kamen hierbei insoweit in Berücksichtigung,
als speciell solche Gefässe erkrankten, welche durch ihre ana¬
tomischen Lagerungen den angeführten Insulten besonders aus¬
gesetzt zu sein scheinen, so der Aortenbogen, Gefässe in der Nähe
von Gelenken, dort, wo grosse Stämme sich abzweigen.
Ob nun thatsächlich alle Aneurysmen dem geschilderten
Modus ihre Entstehung verdanken und ob Manchot in seinen
Folgerungen nicht zu weit gegangen ist, erscheint nach den
weiteren Untersuchungen doch zweifelhaft So unterscheidet
jetzt T h o m a [7] die Aneurysmen in Ruptur- und Dilatations¬
aneurysmen, von denen die ersteren den M a n c h o t’schen ent¬
sprechen, während die letzteren einer echten angiomalacischen,
also entzündlichen Ursache ihre Entstehung verdanken.
Der Endeffekt bei der aneurysmatischen. Entwicklung ist
aber unbestritten der, dass die elastischen Elemente aufs
äusserste reducirt werden, ihre charakteristische Form einbüssen,
an ihren Rissenden sich auf rollen, bröcklig und krümmelig zer¬
fallen, um stellenweise auf längere Strecken ganz zu ver¬
schwinden.
Diese destructiven Processe sind nun derartig gewaltige,
dass eventuelle regenerative Erscheinungen in der
Aneurysmenwand bisher nicht deutlich beobachtet werden
konnten, da sie im weiteren Verlauf ja auch nicht von Wichtig¬
keit sind.
Ganz anders liegen diese regenerativen Processe nun bei
den rein entzündlichen Processen der Gefässe. Besonders
J o r e s [8] in Bonn und seine Schüler haben in einer Reihe
von Untersuchungen Klarheit geschaffen. Es zeigte sich, dass
bei der Endarteriitis in der Arterienintima sehr frühzeitig eine
ausgedehnte Neubildung von elastischen Fasern erfolgt und zwar
waren zweierlei Arten von Neubildung dabei zu unterscheiden.
Die eine besteht in Bildung elastischer Lamellen aus der alten
praeexistirenden Membran.
Eine derartige Abspaltung von Lamellen scheint nun nur
eine untergeordnete Rolle bei der Arteriosklerose zu spielen, da
meist nur eine oder jedenfalls nur wenige Lamellen auftreten
und dieselben nicht weit nach innen von der Grenze der Media
reichen. Eine viel grössere Bedeutung scheint der zweiten Art
von Neubildung zuzukommen, nämlich dem Auftreten feiner und
feinster Fäserchen, unabhängig von dem bestehenden Gewebe,
welche bis zu gewaltigen Mengen sich in dem mikroskopischen
Bilde präsentiren können.
Mit Recht wohl hat man diese Endarteriitis als eine kom¬
pensatorische bezeichnet, indem gerade in den Gefässen, welche
vom Blute durchströmt werden, die elastischen Lamellen ihre
höchste Ausbildung erlangen und sicherlich eine hohe funk¬
tionelle Bedeutung haben.
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1. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1567
Noch deutlicher wird der Werth der Elasticae als ein für
die Gefässwand funktionell wichtiges Gewebe beleuchtet, wenn
man im Gegensatz zu den eben beschriebenen Gefässerkran-
kungen die einer Thrombosirung verfolgt [9]. Auch bei der
Arteriitis thrombotica findet sich als regelmässige Begleit¬
erscheinung eine gewisse Menge elastischer Fasern. Sie finden
sich aber viel später als bei den ersterwähnten Processen. Aber
auch bei längerem Bestehen dieser Form der Intimawucherung
bleiben diese Fasern immer sehr fein und körnig. Sie bilden
auch keine auf längere Strecken zusammenhängende Fasern.
Nur unter dem Endothel der kleinen Gefässchen, welche in dem
organisirenden Bindegewebe auftreten, reifen die elastischen
Substanzen zu einer homogenen zarten Membran aus, später
wenn die Wand dieser Gefässchen dicker wird, kann sich eine
zweite und dritte Elastica parallel dazu legen, aber im Grossen
und Ganzen entwickelt sich das elastische Gewebe bei der
Arteriitis thrombotica nur bis zu einem gewissen unvoll¬
kommenen Grade und es kann in einem 60 Tage alten ligirten
Gefässe noch gerade so aussehen, wie es nach 15 oder 20 Tagen
ausgesehen hat.
Bei allen diesen Versuchen wurde natürlich auch auf ex¬
perimentellem Wege versucht, Klarheit zu schaffen und dieser
hat uns dann auch gleichzeitig Aufklärung gegeben über die
Folge- speciell die Heilungsvorgänge, welche sich an direkte
Laesionen des Arterienrohres anschliessen, was natürlich für den
Chirurgen von grosser Wichtigkeit ist. Denn wir haben es
manchmal mit partiellen Verletzungen der Gefässwände zu thun;
dann ist aber in den letzten Jahren die Chirurgie der Gefässe
weit gefördert worden, indem auch durch Operationen am
Menschen gezeigt wurde, dass partielle Resektionen von Gefäss-
abschnitten, die z. B. durch Tumormassen umschlossen sind, vor¬
genommen, die beiden restirenden Gefässlumina wieder vernäht
werden können und eine restitutio ad integrum klinisch eintritt.
Dass dieselbe auch histologisch eine vollständige ist, lehrte
die Untersuchung am Thierexperiment [10]. Nicht nur in der
durch ein Trauma gesetzten Narbe der mittleren Gefäss-
haut tritt eine schnelle Regeneration elastischen Gewebes auf,
so dass dieselbe später eine solche Ausdehnung und Stärke er¬
reicht, dass ein völliger Wiederersatz der Funktion durch das
neugebildete Gewebe anzunehmen ist. Nein, auch bei totalen Ge-
fässdurchtrennungen zeigte sich, dass schon nach ca. 2 Monaten
eine so totale Regeneration der Intima eingetreten war, dass
z. B. ihre elastischen Elemente nicht nur wiederhergestellt waren,
sondern auch wegen der doppelten Inanspruchnahme in Folge
der noch existirenden Schwachheit der Media und speciell der
Adventitia eine kompensatorische Hypertrophie aufwiesen.
Es erübrigt noch auf das Verhalten der elastischen Fasern
in den Venen einzugehen. Es hat sich nach J o r e s [11] als
ganz analog dem der Arterien gefunden. Bei der akuten Phle¬
bitis werden z. B. die Fasern zunächst stark auseinander gedrängt
und gehen dann zu Grunde, entweder fleckweise oder mehr diffus,
je nach der Ausbreitung der entzündlichen Infiltration. Nach
Ablauf der Entzündung tritt eine Regeneration der elastischen
Fasern auf. Vor Allem wird auch der in Organisation begriffene
Thrombus bald reichlicher, bald weniger reich mit elastischen
Fasern versorgt. Gerade an solchen thrombophlebitischen Venen,
bei denen die Organisation des Thrombus bereits eingesetzt hat,
sieht man dann ein oft sehr reichliches, über die Norm zahl¬
reiches Auftreten von sehr feinen Fäserchen in der Media. Von
den grösseren Lamellen ziehen die feinen Fäserchen oft dicht¬
gedrängt gegen das Lumen zu.
Auch bei der Phlebosklerose ist eine, wenn auch geringe Zu¬
nahme elastischen Gewebes in der Media zu konstatiren.
Sehr mannigfaltige Bilder ergeben mm die Phlebektasien.
Die zarten ektatischen Hautvenen, die man vielfach an den
unteren Extremitäten findet, lassen ein Stadium erkennen, in
welchem starke Mesophlebitis zu einer Zerstörung des elastischen
Gewebes zugleich mit der Muskulatur führt. Manchmal sind
nur fleckenweise die Fasern zu Grunde gegangen, häufig aber so
massenhaft, dass die Fasern nur noch in einzelnen Bruchstücken
in der Gefässwand liegen, ja schliesslich verschwinden sie ganz
und gar und die Venenwand besteht nur noch aus Bindegewebe.
Ganz ähnlich verhalten sich die Wandungen der grösseren vari-
cösen Säcke, wo sich ebenfalls nur geringe Mengen elastischen
Gewebes finden.
Dass die Ursache derartiger Varicen nicht allein die Hem¬
mung des freien Abflusses des Venenblutes war, war schon lange
behauptet. Man nahm an, dass sie durch einen — allerdings im
Einzelnen noch unbekannten — primitiven krankhaften Zustand
der Wandung bedingt sei, den Billroth als „den reizbaren
Zustand“ bezeichnete. Ob man diesen zunächst als Mesophle¬
bitis oder Endophlebitis auf fassen sollte, war noch strittig;
neuere Untersuchungen scheinen der letzteren den ersten Platz
zuzuweisen.
Neben diesen entzündlichen und regressiven Processen
spielen sich aber in den Varicen bald regenerative ab, indem sich
an den Untergang des elastischen Gewebes gleich Regenerations¬
vorgänge anschliessen. Sie können sich in jedem Stadium der
Phlebektasien ausbilden. Oft findet man die Neubildung von
Fäserchen zugleich mit Zerstörung des elastischen Gewebes durch
Mesophlebitis in derselben Vene; in anderen ist der degenerative
Process abgelaufen und man erkennt an der Anordnung der
Fasern, ihrer Stärke und Reichlichkeit die regenerative Neu¬
bildung. Wohl in den meisten Fällen sind die Regenerations¬
bestrebungen, die auch hier meist zur Bildung sehr zarter Fasern
führen, ungenügend in Bezug auf Wiederersatz der Funktion,
vielfach ist auch die Zahl des produzirten Gewebes gering, ja
es scheinen regenerative Vorgänge von Seiten des elastischen
Gewebes ausbleiben zu können. In anderen Venen und zwar
hauptsächlich in solchen mit hypertrophischer Wandung finden
wir die regenerirten Fasern so reichlich, dass die Möglichkeit
eines funktionellen Ersatzes nicht von der Hand zu weisen ist.
Vielleicht liegt in diesem Umstand die Erklärung dafür, dass
nicht alle kleinen ektatischen Hautvenen sich zu hochgradig
varicösen Formen der Phlebektasie ausbilden.
Wenden wir uns nun von dem Gefässsystem zu dem anderen
eine reiche Ausbeute liefernden Material, nämlich der Haut, so
müssen wir uns eigentlich wundern, dass dies Organ, welches
in so eingehender Weise von den Dermatologen durchforscht
war, noch immer neue Thatsachen und Erkenntnisse liefern
konnte. Ich will nur erinnern an das mehr in das physiologische
Gebiet gehörende Verhalten der Haut bei fortschreitendem
Alter.
Die schon makroskopisch allen bekannte senile Degeneration
wurde nach den Untersuchungen von J. Neumann und
O. Weber als auf genetisch verschiedenen Veränderungen be¬
ruhend aufgefasst. Einmal sollte es sich um eine „körnige Trü¬
bung“ handeln, die aus einer „Verschrumpfung“ der Binde¬
gewebsfasern hervorgehe; die andere Veränderung sollte eine
von der Gefässwandung ausgehende „glasartige Verquellung“
sein.
Martin Benno Schmidt [12] hat später aber gezeigt,
dass es sich hierbei auch um eine Degeneration der für die
Elasticität und überhaupt für die physiologische Gebrauchsfähig¬
keit der Haut so wichtigen elastischen Fasern handle.
Der sich abwickelnde Umwandlungsprocess soll derart sein,
dass durch Atrophie der collagenen Bindegewebsbündel das aus¬
gedehnte elastische Netz in den untersten Theilen der Cutis, wie
besonders in den oberen Lagen des subkutanen Gewebes sich
dichter schliesst, und die nahe aneinander rückenden Fasern
stark gewunden werden; dass an letzteren selbst dann hyaline
Aufquellung und Schollenbildung durch ungleichmässige Ver¬
dickung oder durch Zusammenrollen der gequollenen Fasern
und körniger Zerfall nebeneinander hergehen; der letztere Pro¬
cess führt dann zur Konfluenz der Fasern, zur sekundären hya¬
linen Umwandlung und zur Entstehung der grösseren homogenen
Bezirke, die sich schliesslich über die ganze Cutis ausdehnen
können.
Eine andere Hautveränderung, welche dem Chirurgen sehr
oft zur Beobachtung bei Finger- und Hand Verletzungen kommt,
ist die Glanzhaut. Auf sie wurde zuerst wissenschaftlich von
den Engländern und Amerikanern genauer eingegangen, indem
Paget derartige, zum Theil mit lebhaften neuralgischen
Schmerzen einhergehende Störungen der Fingerhaut, als auf
Nervenstörungen beruhend, als „glossy skin“ beschrieb.
Die Folge hat nun gelehrt, dass Paget für seine Fälle
sicher recht gehabt hat, dass aber durch weit mehr und weit
allgemeinere Ursachen dieselbe Hautveränderung sich einstellen
kann, nämlich nach Lähmungen, bei Sklerodermie, bei Syringo¬
myelie, auf jeder entzündlichen Basis und ebenso durch Inaktivi-
1 *
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1558 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 40.
tat. Gerade mit den letzteren Faktoren hat der Chirurg ja fast
jeden Tag zu thun. v
Es ist nun das Verdienst von Ledderhose [13], an
einem grossen Unfallsmaterial diesem Krankheitsbilde nachzu¬
gehen und zwar fand er, dass man verschiedene Formen unter¬
scheiden müsse, nämlich eine hypertrophisch-sklerotische, bei
der die Haut immer mehr an Glätto und Glanz zunimmt, dabei
eine immer stärkere Derbheit und Spannung bekommt, und eine
atrophische Form, wo die Haut glänzend, faltenarm, verdünnt,
meist blass oder rosa gefärbt ist.
Bei beiden Formen fand sich mikroskopisch neben entzünd¬
lichen Infiltrationsherden besonders eine Verdickung und Ver¬
engerung der Gefässe, besonders der Arterien, und dann, dass die
elastischen Elemente eine hochgradige Degeneration zeigten, von
der Klumpung und Fragmentation bis zum völligen Schwund.
Der Process ist ein ähnlicher, wie er von U n n a in seiner „Histo¬
pathologie der Hautkrankheiten“ bei chronischen Oedemen ge¬
schildert ist.
Es ist wahrscheinlich, dass bei Zurückbildung dieser patho¬
logischen Processe, auch eine Neubildung resp. Wiederbildung
der elastischen Elemente einsetzt, doch ist bei der Schwierig¬
keit der exakten Grenzbestimmungen über die Quantität und
Qualität der Fasern gerade bei diesen formativen Aenderungen
absolut Sicheres nicht zu eruiren.
Ein viel günstigeres Objekt für das Studium der Regenera¬
tion in der Haut war nun die Hautnarbe und die Heilungs¬
vorgänge bei den Hauttransplantationen.
Dass in den Narben elastische Fasern Vorkommen, ist durch
frühere Untersuchungen schon bekannt geworden. So fand
Guttentag (cf. J o r e s 1. c. p. 394) im Allgemeinen kein
elastisches Gewebe in den Narben, doch in einzelnen waren feine
Fasern durch Orcein darstellbar. Er sah dieselben freilich nicht
als regenerirte an, sondern hielt sie für Ueberreste des elastischen
Netzes, die die Entzündungs- und Destruktionsprocesse über¬
standen hätten. Unna beschreibt nun dieselben Fasern, welche
in den Narben parallel in der horizontal geschichteten collagenen
Substanz verlaufen, und fasst sie als Regeneration auf, der er
eine Bedeutung für die Narbenbildung zuerkennt.
Die Menge des elastischen Gewebes ist aber in den einzelnen
Narben sehr verschieden. In älteren Narben trifft man es regel-.
mässiger an und reichlicher als in jungen; und in solchen, welche
viele Jahre alt waren, fand Passarge fast keine Unterschiede
zwischen dem elastischen Gewebe der Narbe und dem der nor¬
malen Haut. Das Gleiche gibt auch Guttentag an für die
Impfnarben, eine Beobachtung, welche von Kromayer be¬
stätigt wird, indem er sagt, dass bei drei- und mehrjährigen
Kindern die in der Impf narbe neugebildeten elastischen Fasern
sich nicht mehr durch ihre Dicke, sondern nur durch ihre Rich¬
tung von den normalen resp. alten unterscheiden.
Ist demnach nicht daran zu zweifeln, dass unter gewissen
Umständen die Regeneration des elastischen Gewebes in der
Hautnarbe eine nahezu vollständige werden kann, so fragt es
sich, ob dieses Endziel in jeder Narbe, vorausgesetzt, dass sie
lange bestanden hat, erreicht wird. Bei kleineren Wunden ist
dies jetzt wohl als sicher anzunehmen, während bei aus sehr
tiefen und breiten Wunden hervorgegangenen Narben, auch
wenn sie genügend alt sind, die elastischen Fasern in Bezug auf
Anordnung und Stärke nicht annähernd das normale Gefüge der
Haut erreichen.
Für die Regeneration der elastischen Fasern ist nun nach
J o r e s weniger das absolute, als vielmehr das relative Alter der
Narbe von Wichtigkeit. Man nahm bisher als sicher an, dass
sich in dem Granulationsgewebe keine elastischen Fasern bilden.
Sie sollten erst auftreten, nachdem das Bindegewebe in defini¬
tives umgewandelt ist, also zu einer Zeit, in der die Narbe
zwar noch reich an spindeligen und sternförmigen Zellen ist,
im Uebrigen aber aus fibrillärem Bindegewebe besteht. Erreicht
sie diesen Zustand schnell, so bildet sich auch das elastische
Gewebe schnell aus und vielleicht auch reichlicher; im anderen
Falle wird längere Zeit vergehen, ehe in dem malignen Binde¬
gewebe elastische Elemente zu sehen sind. So wurde die That-
sache erklärt, welche Kromayer fand, dass Narben, welche
per primam intentioncm oder unter dem Schorf geheilt waren,
frühzeitiger elastisches Gewebe produzirten, als diejenigen, die
aus offenen Granulationen entstanden waren. Diese Befunde
anzuzweifeln, kann ich nicht unternehmen; die Deutung der
Entwicklung rechnet aber immerhin mit einem falschen Faktor,
dass bisher in Granulationen nie elastische Fasern auf gefunden
sind. In allerjüngster Zeit ist es mir nun gelungen, ganz un¬
zweifelhaft die Existenz solcher im Granulationsgewebe nach¬
zuweisen.
G o 1 d m a n n machte nun darauf aufmerksam, dass die
nach T h i e r 8 c h transplantirte Haut ausgiebig und schnell
mit elastischen Fasern versorgt wird. Man wird nicht fehl
gehen, auch für diese Fälle eines der für die Regeneration
günstigen Momente darin zu suchen, dass es bei den Trans¬
plantationen zu einer frühzeitigen, ohne Umschweife erreich¬
baren Neubildung definitiven Bindegewebes kommt.
Die Arbeiten der erwähnten Autoren enthalten auch Be¬
merkungen über die Zeit, welche das elastische Gewebe zu seiner
Entwicklung braucht. Kromayer berechnet die Zeit der Ent¬
wicklung selbst in Narben, welche unter dem Schorf geheilt
waren, nach Jahren und für die aus Granulationsgewebe ge¬
heilten setzt er den Termin noch weiter. Goldmann da¬
gegen fand in einem Präparat, welches einer Hautpfropfung
am 10. Tag entnommen war, die ersten zarten elastischen Fasern
vom Rande her in das Narbengewebe eindringen. Enderlen [14]
gibt für die Transplantationen an, dass nach 4 Wochen die
Regeneration beginnt, dass nach 7 Wochen die Fasern schon
reichlicher angetroffen werden und nach Vz bis 2 Jahren fand
er gut ausgebildete Fasernetze. Jo res fand ebenfalls nach
4—6 Wochen die ersten Fasern, nach 5—6 Monaten hatte sich
ein subepitheliales Netzwerk und reichlich anderweitig Fasern
gebildet, die zunächst fein, nach 1—2 Jahren an Stärke etwas
zugenommen haben. Schwankungen in der Zeit des Auftretens
des elastischen Gewebes sind nach dem Gesagten naturgemäss;
ja selbst innerhalb ein und derselben Narbe können sich ver¬
schiedene Theile verschieden verhalten.
Kontrolirte man nun die Beziehung von dem alten zu dem
jungen Gewebe, so konnte besonders schön Enderlen bei
seinen Transplantationsstudien finden, dass in den Pfropfungen
an der Grenze zum normalen Gewebe die ersten Fäserchen auf¬
treten, welche mit den alten Fasern in Verbindung stehen, von
denen sie in einem Winkel abzweigen. Dieser Zusammenhang
tritt bei der Wundheilung nun überall zu Tage. Ein weiterer
Zusammenhang fand sich nun auch mit den alten Fasern, welche
i n den Transplantationslappen verpflanzt waren. In ihnen be¬
hielten gerade die elastischen Elemente zunächst am besten ihre
Form, wie sie überhaupt gegen Schädigungen im Verhältniss
zu dem anderen Gewebe äusserst renitent sind. Dass der Ent-
zündungsprocess z. B. die Fasern lange intakt lässt, ersieht man
aus den Untersuchungen von Fr. Schulz [15]. •
So fand Rischpier [16] bei Erfrierungen an Kaninchen¬
ohren, welche er unter M a r c h a n d’s Leitung vornahm, dass
ausgedehntere Kältewirkungen alle Gewebe mehr oder weniger
zur Degeneration brachten, und nur die elastischen'Fasern nicht
tangirten.
Dasselbe fand Melnikow-Raswedenkow bei seinen
ausgedehnten histologischen Untersuchungen über das elastische
Gewebe in normalen und pathologisch veränderten Organen.
Empfindlich erwies es sich eigentlich nur gegen akute, be¬
sonders eiterige Entzündungen, bei denen die elastischen Ele¬
mente schnell mit den übrigen Gewebselementen zu Grunde
gingen. Dieses Verhalten gegen entzündliche Infiltration konnte
er vorzüglich an dem frischen Milzinfarkt beobachten. Im Cen¬
trum desselben, wo sich ein chronischer Process abspielt, blieb
es zu einer Zeit noch völlig intakt, wo es an seiner Grenze, in
der Infiltrationszone, bereits verschwunden war.
M e 1 n i k o w [16] hat mit anerkennenswerthem Eifer seine
Untersuchungen über die verschiedensten Organe ausgedehnt
und fand besonders bei den drüsigen Organen, dass, wie bei
physiologischer Atrophie eines Organs, das elastische Gewebe
auch bei pathologischer Atrophie für Ausgleichung der gestörten
mechanischen Verhältnisse sorgte und dadurch die Funktion
der intakt gebliebenen Drüsenelemente erleichterte.
Er fand sich hiermit in Uebereinstimmung mit den Bonnet-
schen Theorien, von denen wir sehen werden, dass sie doch nicht
allzu sehr verallgemeinert werden dürfen.
Ein System haben nun Melnikow und andere Untersucher
auffallender Weise gar nicht bei seinen Untersuchungen heran¬
gezogen, das ist das Knochensystem.
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1. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1559
Trotz vieler und z. Th. klassischer Arbeiten über den
feineren Bau des Knochens, durfte man erwarten, dass mit Hilfe
der verfeinerten Technik Punkte eine nähere Aufklärung er¬
fahren dürften, über die die Anschauungen noch nicht geklärt
waren.
Es war schon früher aufgefallen, dass im Röhrenknochen
Erwachsener zwar sich elastische Fasern fanden, nicht aber in
dem von Neugeborenen und ebenso wenig an platten, besonders
an Schädelknochen.
In idealem Zusammenhang hiermit musste bei einer er¬
neuten Erörterung auch das Vorkommen und die Anordnung
der elastischen Elemente im Periost herangezogen werden./
Die diesbezüglichen Untersuchungen, besonders von Karl
Schulz [18] unter B o n n e t’s Leitung, ergaben nun, dass in
der Adventitia der Beinhaut sehr spärlich elastische Fasern sich
fanden, in enormer Menge, bis fast zu % des Volumens, aber in
der Fibro-Elastica, während die osteoblastische Schicht wiederum
von ihnen fast verschont war.
Die letztere verschwand aber bei dem wachsenden Menschen
immer mehr auf Kosten der Fibroelastica.
Im Röhrenknochen des Neugeborenen fehlte nun auch bei
den elektiven Färbemethoden jede Spur von elastischen Fasern,
ebenso wie im Periost der Schädelknochen beim Neugeborenen;
sie traten erst allmählich auf im Röhrenknochen, sowie im
Periost der Schädelknochen beim Wachsenden.
Diese Resultate dienten zur wichtigen Stütze der Bon net¬
sehen Anschauungen, dass das Auftreten der elastischen Fasern
in erster Linie bedingt sei durch die von Nachbarorganen
(Muskelbündeln, Sehnen, Faseien) her wirkenden Druck- und
Zugkräfte. Das Auftreten der Elastica erst in dem Schädel¬
periost Erwachsener sollte im Zusammenhang stehen mit den
erst im extrauterinen Leben sich geltend machenden Zug¬
wirkungen des Musculus epicranius auf die Galea aponeurotica
und durch diese auf’s Periost.
Auffallend blieb nun freilich der von der Struktur des
Knochens, namentlich in Bezug auf seine Lamellen, unabhängige
Verlauf der elastischen Fasern.
Die pathologischen Befunde hatten nun auch schon Grund
dazu gegeben, besagte Theorie nicht als absolut, oder wenigstens
nicht in allen Fällen als zu Recht bestehend ansehen zu lassen.
So könnte man z. B. das Auftreten der elastischen Fasern
in der verdickten Intima der Arterien sehr wohl auf den Blut¬
druck beziehen. Aber wir sehen auch elastisches Gewebe in der
Intima erscheinen, wenn der Blutdruck gänzlich ausgeschaltct
ist, zwischen 2 Ligaturen und bei der Organisation eines obtu-
rirenden Thrombus. Auch das Vorkommen der elastischen
Fasern in Geschwülsten zeigte merkwürdige Verschiedenheiten,
denn ein Fibrom der Haut, ein derbes Keloid sind dem äusseren
Druck und Zug viel mehr ausgesetzt, als ein Myom des Uterus,
und doch finden wir in diesem regelmässiger und reichlicher
elastische Fasern als in jenen.
Derartige Zweifel stiegen mir nun ebenfalls auf, als ich [19]
bei Transplantationen von Periostlappen getödteter Thiere
zwischen die Muskeln lebender, welche Versuche ich aus bio¬
logischen Fragestellungen betr. des Zelllebens vornahm, als
Nebenbefund sah, dass in der von dem transplantirten Periost
ausgehenden Gewebsneubildung regelmässig mehr oder weniger
reichlich elastische Fasern auftraten. Teil war schon damals
der Meinung, dass zu dieser Neubildung durch Zug oder Druck
keine Veranlassung vorliege.
Durch diese Befundo wurde ich nun angeregt, der Ent¬
wicklung der elastischen Fasern auch unter normalen Verhält¬
nissen im Knochen nachzuforschen. Ich hoffte um so eher eine
eventuelle Aufklärung über den Einfluss von äusseren oder
inneren mitwirkenden Kräften auf den Verlauf und die Ge¬
staltung der elastischen Fasern zu erhalten, als ja bekannt ist,
dass die feinere Knochenstruktur und Knochenfasem in mathe¬
matischer Weise durch die Funktion des Knochens beeinflusst
wird.
Ich kann hier nicht näher auf die Lehre von der Trans¬
formation der Knochen eingehen, wie sie nach der Culmann-
schen Entdeckung der Uebereinstimmung des Richtungsverlaufes
der Bälkchen der spongiösen Region der Knochen mit den Rich¬
tungen der Spannungstrajektorien der graphischen Statik von
•Julius Wolff in konsequenter Weise auch für die pathologischen
Knochenveränderungen nachgewiesen ist. Wer einmal derartige
No. 40.
Knochenfourniere oder ihre Reproduktionen 'studirt, wird gerne
einen Schritt weiter gehen und zugestehen, dass es wahrschein¬
lich sein dürfte, dass dieselben Wechselbeziehungen auch bei
anderen Gebilden des Organismus sich abspielen.
So hat z. B. Wilhelm Roux an der Schwanzflosse des Del¬
phins thatsächlich gefunden, dass die Struktur dieser das¬
selbe für das Bindegewebe darstellt, wie die Oberschenkelhals¬
struktur für das Knochengewebe, und daher gleich dieser ihre
Entstehung nur der direkten funktionellen Selbstgestaltung des
Zweckmässigen verdanken kann.
Des Ferneren zeigte Roux, dass die beiden Hauptfaser¬
systeme des Trommelfells, das radiäre und circulare denjenigen
Richtungen entsprechen, welche bei den Schwingungen desselben
die stärkste Dehnung auszuhalten haben.
Wenn ich nun kurz 1 ) über meine Versuche berichten darf,
so beschloss ich, Frakturen bei geeignetem Material anzulegen
und dann in den verschiedensten Zeitabschnitten die ver¬
schiedenen Phasen der Knochenentwicklung, des Verhaltens des
Periostes und der elastischen Fasern in beiden nach Möglichkeit
unter Erhaltung der totalen Topographie zu studiren.
Als Material wählte ich möglichst junge Kaninchen, war
aber natürlich durch äussere Umstände beeinflusst; dieselben
spielten eine Rolle schliesslich auch bei der Wahl der Fraktur¬
stellen. Ich habe nun die verschiedensten Knochen frakturirt:
Rippen, Scapula, Oberarm- oder Beinknochen, vorzüglich suchte
ich aber auch einen Radius oder eine Ulna zu brechen, so
dass der nebenlaufende Knochen eine natürliche Schiene bildete.
Da sich die Heilungen auch auf längere Zeitdauer ausdehnen
sollten, konnten verschiedene Thiere auch mehrmals der Osteo¬
klasie unterzogen werden.
Das so gewonnene Material ist dann später gehärtet, Ent¬
kalkt, eingebettet und geschnitten worden, wobei allerdings der
Umstand collidirte, dass man einmal ganze Situationsschnitte
zu haben wünschte, dass aber besonders bei einem zu spröden
Material darunter die absolute Dünnheit der Schnitte leiden
musste, welche aber gerade für die W e i g e r t’sche Tinctions-
methode, wie überhaupt für das Studium, doch sehr er¬
wünscht ist.
Von den Resultaten möchte ich nun soviel mittheilen, dass
man zunächst bei den jüngeren Frakturen, wenn der ganze
Knochen komplet durchbrochen war, meist, wenigstens an einer
Seite, eine vollständige Zerreissung der Fibroelastica findet. Die
Fasern derselben sind oft auseinan-lergezerrt wie die Reiser
eines Besens. Dies mag einmal ein mechanischer Effekt durch
die sprengenden Fragmente sein, dann aber spielen Blutextra¬
vasate eine Rolle und schliesslich wohl die grösste die sehr bald
einsetzende Proliferation der Zellen der Fibroelastica und der
Osteoblastenschicht. Diese drängen sie immer weiter aus¬
einander, so dass sich durch den neuen Gallus oft in ganzer Aus¬
dehnung Fasern zerstreut finden, ohne dass eine Gesetzmässig¬
keit zu finden war. Auffallend schien es mir in zwei Präparaten,
dass die Fibroelastica deutlich wie in zwei Portionen sich schied,
die eine Portion lag dicht der alten Corticalis auf, auf diese
baute sich ein spindelförmiger Callus von osteoider Struktur
und über diesen hinweg zog sich die zweite Portion als ein nicht
so compakter, aber doch deutlicher Streifen hin. Ob es sich hier
um eine Zweitheilung handelt oder ob die äussere Schicht eine
Neubildung ist, war noch nicht genau zu sagen.
Unmöglich wäre das letztere nicht, denn namentlich bei
recht alten Frakturen konnte man sehen, dass dort, wo sich ein
neuer Ansatzpunkt eines Muskelbündels fand, sei es durch ein
verschobenes Fragment oder durch Knochenneubildung, sich
sehr zahlreiche Fasern an dom neuen Fixationspunkt gebildet
hatten. Am schönsten sah ich es in einem Fall, wo Radius und
Ulna mit einander verwachsen und zwischen ihnen ein spitzes,
völlig eingeheiltes Knochenfragment sich weit in die Musculatur
schob. In dem 8 Monate alten Präparat zogen nun von diesem
Knochenvorsprung eine solche Unzahl feinster Fäserchen zu
und zwischen die benachbarten Bindegewebs- und Muskelpartien,
dass man es am besten mit einem Strahlenbüschel vergleicht.
Was mir auffiel, war nun, dass sich die feinen, anscheinend
jungen regenerirten Fasern nicht nur in dem äusseren Callus
fanden, sondern ich konnte sie einmal auch im inneren Knochcn-
markcallus finden. Von einer Versprengung von Periosttheilen
') Eine ausführliche Publikation erfolgt später.
2
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1560
No. 40.
MUENCI1ENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
konnte nach der ganzen Configuration der Fraktur nicht die
Rede sein.
Ziehe ich das Facit aus meinen bisherigen Untersuchungen
über das Knochenwachsthum, so ist in einem Theil der Form¬
bildungen der elastischen Elemente sicherlich festzustellen, dass
sie sich besonders reichlich dort finden, wo eine Festigung und
gewisse Stabilität der neuangeordneten Gewebstheile erwünscht
erscheint. Andererseits aber finden sich auch an Stellen neu¬
gebildete Gewebsfascrn, wo von den erwähnten Momenten keine
Rede ist.
Die Frage nach der Herkunft dieser Fasern führt uns zum
Schluss zu der generellen Frage der Entstehung der neuen
elastischen Fasern.
Da scheint nun eine Bedingung für das Zustandekommen
der Regeneration die zu sein, dass das neue elastische Gewebe
fast immer von dem alten auszugehen pflegt und mit diesem in
gewisser Verbindung steht. Für die Hautnarbe habe ich diese
Verhältnisse ausführlicher besprochen; dieselbe Erscheinung
tritt nun auch an den Arterien auf. Der Befund von elastischen
Fasern in manchen Geschwülsten hat die Vermuthung entstehen
lassen, dass die Neubildung der jungen Fäserchen von den
elastischen Fasern der Gefässe ausgehe. Ich glaube eine neue
Stütze für die Möglichkeit einer derartigen Entstehung gefunden
zu haben in dem Vorkommen von Fasern in dem Markcallus.
In dem Knochenmark sind die einzigen elasticaeführenden Ge-
webselemente die feinen Gefässe und ich glaube, einen gewissen
Zusammenhang zwischen beiden haben finden zu können, das¬
selbe darf ich von meinen Befunden der betreffenden Elemente
im Granulationsgewebe wohl annehmen, wofür mir vorläufig
allerdings der direkte Nachweis fehlt.
Sehliessen möchte ich nun meine Ausführungen nicht, ohne
noch der in neuester Zeit speciell von Jores [20] gemachten
Beobachtungen zu gedenken, dass man nicht nur bei der embryo¬
nalen, sondern auch bei der regenerativen Entwicklung des
elastischen Gewebes junge elastische Fasern den Zellen so dicht
anliegen findet oder sie so umspinnen sieht, dass man unwill¬
kürlich an einen engeren Zusammenhang zwischen beiden denken
muss; es wäre möglich, dass das Netzwerk der späteren elasti¬
schen Fasern ursprünglich ein cellulares wäre. Darüber müssen
aber erst weitere Untersuchungen Klarheit schaffen, ehe man
sich ein definitives Urthcil gestatten kann.
Literatur:
1. llanvie r: Technisches Lehrbuch der Histologie, über¬
setzt von N i c o t i und W y s s. Leipzig 1888. — 2. Weigert:
Merkel's und Bonnet's Ergebnisse der Anatomie und Entwick¬
lungsgeschichte. 111. Bd., 1804. — 3. Kölliker: Gewebslehre.
I. Bd., p. 118, 1889. — 4. Iirüper: Zur Kasuistik des Aneurysma
aortae abd. Dissert., Greifswald 1807. — 5. Triepel: Anatom.
Hefte von Merkel und Bonnet, I. Abth., 7. Bd. — 6. Manchot:
Virchow’s Arch. 121. Bd., 1800. — 7. Thoma: Festschrift der
Magdeburger medic. Gesellschaft. 1808. —■ 8. Jores: Ziegler’s
Beitr., 27. Bd. — 0. Jores: Ziegler's Beitr., 24. Bd., p. 467. —
10. Jacobsthal: Zur Histologie der Arteriennaht. Brun's
Beitr. zur kliu. Chirurgie, 27. Bd., 1000. — 11. Jores: Ziegler's
Beitr. 27. Bd., 1000, p. 388. — 12. M. B. Schmidt: Virehow’s
Arch., 125 Bd., 1801. — 13. Ledd erbose: Volkmanu’s Samm¬
lung lclin. Vorträge, No. 121. — 14. Enderlen: Deutsch. Zeit¬
sehr. f. Chir., 45. Bd. — 15. Friedr. Schulz: Dissert., Bonn 1803.
— 16. R i s e h p 1 e r: Ziegler’s Beitr., 28. Bd., 1900. — 17. Meinl-
k o w: Ziegler's Beitr., 26. Bd. — 18. Karl Schulz: Das elastische
Gewebe des Periosts. Dissert., Giessen 1805. — 19. B. Gr oh 6:
Die Vita propria der Periostzellen. Virchow’s Arch. 155. B<1., 1898.
— 20. Jores 1. c.: Verhandl. der Deutsch, patholog. Gesellseh.
III. Bd., 1900.
Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik (Direktor: Geheim¬
rath Prof. Dr. C z e r u y.)
Ueber einen Fall von tumorartiger Hyperostose des
Schädels.-)
Von I)r. A r li o hl Schiller, Assistenten der Klinik.
Tn dem letztverflossenen Semester hatten wir Gelegenheit,
einen sehr eigenartigen Fall von Sehiidelmissbildung zu be¬
obachten, dessen Veröffentlichung nicht- nur als Beitrag zu der
bisher noch recht spärlichen Casuistik des Leidens, sondern auch
desswegen geboten erschien, weil er auch auf die Pathogenese
der noch wenig bekannten Krankheit vielleicht noch einiges Licht
zu werfen vermag.
*) Nach einer Demonstration in der medlcinlscheu Sektion des
N'aturhlstor.-medicin Vereins zu Heidelberg am 16. Juli 1901.
Es handelte sich um einen 30jälirigen Friseur, der die Klinik
zur Behandlung einer elastischen Strictur, die auf dem Boden einer
seit 7 Jahren bestehenden Gonorrhoe sich entwickelt hatte, auf¬
suchte. Dabei wurde als Nebenbefund eine sehr auffällige Dif-
formitüt des Schädels gefunden, bezüglich derer die Anamnese
und Untersuchung Folgendes ergab:
Der Patient stammt von gesunden Eltern. Der Vater lebt,
die Mutter starb nach der 4. Niederkunft au Klndbettfleber. Für
eine hereditäre Lues waren keinerlei Anhaltspunkte zu ermitteln.
In der Familie sind Knochenleideu nicht vorgekommen. Nur ist
in dieser Hinsicht die spontane Angabe des Patienten von Inter¬
esse, dass das 4. Kind seiner Eltern, ein Knabe, der in Stelsslage
nicht ganz durch Extraktion entwickelt werden konnte, zerstückelt
werden musste, weil der abnorm stark entwickelte Brustkorb des
Kindes ein absolutes Geburtshinderniss abgegeben habe. Die
übrigen Entbindungen seiner Mutter seien spontan erfolgt. Nur
bei ihm selbst, dem 2. Kinde, war der Schädel so abnorm gross
und difform, dass die Zange angelegt werden musste. Diese ab¬
norme Schädelbeschaffenheit nahm in der Folgezeit mit fort¬
schreitendem Wachsthum mehr und mehr zu. Die Beschwerden,
die dadurch verursacht wurden, bestanden in rascher Ermüdbar¬
keit bei geistiger Anstrengung, während sonst die Intelligenz und
Auffasungsgabe eine normale war, und vor Allem in heftigen
drückenden Kopfschmerzen, die erst im 19. Jahre verschwanden,
zu derselben Zeit, als das Schädelwachsthum beendet war. —
Sonstige Störungen oder Erkrankungen, speziell des Knochen¬
systems, bestanden nicht. Am Ende des 1. Lebensjahres lernte
Patient laufen. Der Zahnwechsel vollzog sich ganz ungestört.
Störungen seitens der Hirnnerven und im Bereiche des Gesichts-,
Geruchs- und Geschmackssinnes haben nie bestanden. Niemals
hat der Kranke an epileptischen oder anderen Krampfanfällen
gelitten. Soldat ist er wegen seiner Schädelmissbildung nicht ge-
Avesen.
Fig. 1.
Was nun den objektiven Befund betrifft, so fällt bei dem
Patienten vor Allem die eigenartige Schädelbildung auf. Der
Schädel macht sowohl bei der Betrachtung von vorn (Fig. 1) als
im Profil (Fig. 2) einen
ausserordentlich plum¬
pen Eindruck. Dabei
besteht eine starke
Asymmetrie zu Un¬
gunsten d er linken
Seite (Fig. 3). Auf¬
fallend ist zunächst
das starke Ilervor-
treten der Stirn, be¬
sonders der Augen¬
brauenbögen, gegen
welche das Gesicht
etwas zurückzutreten
scheint. Verstärkt wird
dieser Eindruck noch
durch die Veränderung
an den Processus ju- .
gales des Stirnbeins,
von denen besonders
der rechte eine fast
hühnereigrosse. vor¬
nehmlich nach der .
Temporalseite, aber
auch noch deutlich
nach der Fossa lacrymalis entwickelte, breitbasige, glatte, knochen¬
harte GeschAVulst hervorgehen lässt, über die stark geschlängelt
die Art. temporalis emporzieht. Das Vortreten der Stirn und ihre
Verbreiterung verleiht dem Gesicht in der That etwas an die Facies
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1. Oktober 1901.
MUENOHENER MEDICI NISCHE WOCH ENSC H RI FT.
leouina Erinnerndes. Nicht minder auffüllig präsentire» sich die
Parietalin, besonders das rechte. Beide erscheinen sehr verdickt
und tragen, dem Tuber parietale entsprechend, einen knochen¬
harten, breitbasig aufsitzenden, flachen Tumor, dessen Oberfläche
nur wenig vortretende Unebenheiten aufweist. Der Umfang der
rechtsseitigen Knochengeschwulst entspricht etwa dem einer
Mannsfaust, der der
linken dem eines Gans¬
eies. Die Verbindungs-
niihte sind von der
Knochen-Neubildung
f reigeblieben. Auch
das Hinterhauptbein
ist. stark verdickt,
springt weit hervor
und trägt in seinem
Schuppeut heil, rechts
wieder auffälliger wie
links, 2 flache, median
zusammentiiessende
Erhebungen. Die Linea
nuchae ebenso wie die
l’rotuberantia oceipi-
talis externa springen
dadurch stark hervor.
Bei einer tiefen
Narkose zur Erweite¬
rung der Striktur fiel
das enorme Schiidel-
gewiclit. das etwa das
Doppelte eines nor¬
malen Kopfes betragen
Fig. 3. [mochte, auf. Um ein
f annäherndes Urtheil
iii>er das Schädelgewicht des Fatienten im Vergleich zu dem eines
normalen ausgewachsenen Menschen zu gewinnen, wurde der Kopf
in Rose Facher Lage über die Tischkante herabhangen gelassen
und sein Gewicht unter Vermeidung jedes aktiven Druckes auf
einer Haushaltungswange bestimmt. Bel mehrfachen Wägungen
eines normalen Kopfes bei einem etwa gleich grossen Erwachsenen
ergab sich das Schüdelgewicht stets zwischen 2 und 2i/ s kg, wäh¬
rend es bei unserem Kranken stets zwischen 5 und 5 «4 kg
schwankte, also Uber das Doppelte betrug. Selbstverständlich
können die Ergebnisse dieser Art der Schädelgewichtsbestimmung
am Lebenden nur einen relativen Werth beanspruchen. Der Per-
kussionsschnll ist über den erwähnten stark hervorragenden Par¬
tien des Schädels, der sich dabei übrigens nirgends als empfindlich
erweist, viel heller. Die Weichtheile am Kopf sind nicht verändert
und zeigen überall normale Dicken- und Verschieblichkeitsver¬
hältnisse.
Die Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen ergibt, am deut¬
lichsten in 8agittaler Richtung, dass es sich bei den Vorsprüngen
am Schädel, z. B. an den Farietalieu, keineswegs etwa um Aus¬
buchtungen einer normal dicken oder gar verdünnten Schädel¬
kapsel handelt, sondern um eine wirkliche Verdickung derKnochen-
substnnz. Denn der dem Gehirn entsprechende Schatten geht in
die Ausladungen nicht hinein.
Der Horizontalumfang des Schädels beträgt 61 ein. Der
bitemporale Durchmesser misst 13 cm, der biparietale 17,5 cm, die
Verbindungslinie zwischen den beiden lateralsten Punkten der
Augenhöhlenränder 13 cm, die Entfernung von der Ginbella zum
vorspringendsten Punkte des Hinterhauptbeins beträgt 22 cm.
Die Asymmetrie der beiden Schädelhälften kommt am besten zum
Ausdruck in dem Unterschied der Bogenlänge von der Horizontalen
zur Saglttalnaht über die Scheitelhöcker hinweg; dieselbe beträgt
rechts 18 y 2 , links 17 cm.
Sehr auffällig gegenüber der abenteuerlichen Gestaltung des
Hirnschädels ist die durchaus normale Bildung des Gesichts¬
schädels. Die Kiefer sind wohl gebildet, die Gaumenplatte nicht
abnorm gewölbt, Stellung, Zahl und Form der ausnehmend gut
erhaltenen Zähne oben wie unten völlig normal. Die Nasengänge
sind bis auf eine geringe Verengerung des linken unteren Nasen¬
ganges durch mässige Cristabildung gut durchgängig, das Rachen¬
dach normal gebildet. Die Jochbeine spriugeu nicht stark vor;
die Gehörgänge sind frei von Exostosen. Das Röntgenbild zeigt
die pneumatischen Höhlen der Gesichtsknochen, auch des Stirn¬
beins, in normaler Form und Ausdehnung.
Klinische Symptome der Schädeldlfformltät, wie Druckerschei¬
nungen seitens des Gehirns oder der Hirnnerven, bestehen gegen¬
wärtig nicht Die Bulbi sind nicht vorgetrieben, weisen völlig
normalen Augeuspiegelbefund und keine gröbere Bewegungsstörung
auf. Jedoch lässt sich bei Anwendung von Prismen konstatlreu,
dass in der Mittellinie gleichnamige Doppelbilder von % Kerzen¬
breite seitlichem Abstand entstehen, der bei der Blickwendung
nach oben aussen bis auf 2 Kerzenbreiten zunimmt.
Am ganzen übrigen Skeletsystem bestehen weder pnlpatorisch
noch im Röntgenbilde irgend welche Verbildungen, Exostospn, Ver¬
krümmungen etc.: nur nm Metacarpale des rechten kleinen Fingers
finden sich die Residuen einer vor Jahren mit geringer Dlsloeatlon
verheilten Fraktur. Hände und Füsso sind normal gebildet und
nicht vergrössert.
An den übrigen Organen sind mit Ausnahme einer gering¬
gradigen rechtsseitigen Spltzenschrumpfung und der erwähnten
elastischen Strictur der Urethra mit chronischer Gonorrhoe und
periurethraler Fistelbildung keine pathologischen Veränderungen
nachweisbar. Die Schilddrüse hat normale Form und Grösse.
1561
Fragt, man nun, wie dieser eigenartige Befund zu deuten
ist, so kann es kaum zweifelhaft sein, dass es sich hier um einen
jener ausserordentlich seltenen Fälle von Hyperostose der Schädel¬
knochen handelt, und zwar speeiell von tumorartiger Hyperostose.
In der letzten zusammen fassenden Bearbeitung des Gegen¬
standes durch M. Sternberg 1 ) werden die Hyperostosen der
Schiidelknoehen in 2 getrennten Gruppen abgohandelt, nämlich
als diffuse und tumorartige Hyperostose. Während von der
ersteren 16 Fälle in der Literatur niedergelegt sind, dürfte die
Zahl der letzteren schwerlich ein Dutzend überschreiten. Andere
neue Autoren, wie z. B. Heinoke 1 ) oder Schuchardt 3 )
fassen beide Gruppen zusammen.
Bei der diffusen Hyperostose werden die Knochen des Ge-
siehtssehüdels und der Schädelkapsel von der Verdickung mehr
gleichmütig befallen, zeigen zwar eine rauhe Oberfläche, die aber
frei ist. von stärkeren Exostosen. Der Schädel wird ausserordent¬
lich schwer, plump und ungefüge, die Höhlen im Schädel, die
Durchtrittslöcher der Nerven und oft auch der Gefiissc, werden
stark verengt.
Die tumorartige Hyperostose dagegen ist dadurch charakteri-
sirt, dass auf den diffus hyperostotisehen Knochen sieh meist
flache, breitbasig innen wie aussen aufsitzende Exostosen ent¬
wickeln. Beide Formen der Hyperostose scheinen manchmal nicht
nur auf dio Schädelknochen beschränkt zu sein, sondern können
sich auch auf andere Theile des Skclctsystems. besonders Wirbel-
säule und untere Extremitäten, erstrecken.
Von einem ITebergreifen des Leidens auf andere Skelet-
absebnittc ist in unserem Falle, wie die. Röntgenuntersuchung
lehrte, keine Rede; aber gerade im Hinblick auf die Möglichkeit,
dass es sich um die lokale Aeusserung einer ursprünglich all¬
gemeineren Disposition des Knochensystems handeln könne, er¬
scheint die Angabe, dass bei einem jüngeren Bruder die abnorme
Entwicklung des Thorax zum absoluten Geburtshinderniss wurde,
von nicht unerheblichem Interesse.
Die Symptome des Leidens lassen sieh aus den anatomischen
Befunden anstandslos erklären und setzen sich zusammen ein¬
mal aus den Symptomen der Raumbeschriinkung in der Hirn-,
Augen- und Nasenhöhle, ferner aus denen der Kompression von
Nerven und Gefässen durch Verengerung der Durchtrittslöcher an
der Schädelbasis und schliesslich aus der mechanischen Behinde¬
rung der Nahrungsaufnahme durch Deformirung der Kiefer.
Die verminderte Kapazität der Himkapsel iiussert sieh in den
Erscheinungen des chronischen nimdrueks. Kopfschmerzen,
Apathie, Schläfrigkeit,, epileptiforme Konvulsionen, selbst aus¬
gesprochene Geistesstörungen sind darauf zurück zuführen. Es
sind aber auch, so z. B. von Buhl *), Fälle beschrieben worden,
wo die Verengerung des Schädelraumes lange Jahre fast sym-
ptomenlos ertragen wurde. In unserem Falle sind klinische Sym¬
ptome dieser Art nur während der Zeit bis zum Abschlüsse des
Wachsthuma in Gestalt heftiger, andauernder Kopfschmerzen
und rascher geistiger Ermüdbarkeit zu Tage getreten, haben aber
seitdem völlig sistirt.
Die durch Verengerung der Orbitalhöhlen zu Stande kom¬
menden Erseheinungen bestehen zumeist in Exophthalmus und
Motilitätsstörungen, zu denen sieh durch Opticuskompression
Sehstörungen bis zu völliger Blindheit gesellen können. Aus
dieser Symptomengruppe finden sieh in unserem Falle nur die
geringen, oben erwähnten Motilitätsbosehränkungen.
Von den Folgen einer Verengerung der Nasenhöhle, wie be¬
hinderter Nasennthniung. Anosmie etc., ist bei unserem Patienten
nichts zu konstatiren, ebenso wenig von Gehörsstörungen, Läh¬
mungen oder Neuralgien im Bereiche der Gehimnervon oder von
abnormen örtlichen Kreislaufsverhältnissen, wie sio die Ver¬
engerung der Durchtrittslöcher an der Schädelbasis mit sich
bringt.
Bezüglich der Pathogenese des Leidens in unserem Falle
ist nun die bestimmte Angabe des Kranken sehr interessant., dass
die Sehädeldifforniitiit schon lx-i seiner Geburt bestanden und
*) M. Sternberg: Vegeta tionsstönmgen und System-
erkrnnkungen der Knochen. Notlinagel’s Handbuch. Bd. VIT. 1899.
*) H e 1 n e k e: Die chirurgischen Krankheiten des Kopfes.
Deutsche Chir.. Bd. 31, png. 172. 18,82.
*) Schuchardt: Die Krankheiten der Knochen und Gelenke.
Deutsche Chir.. Bd. 28. pag. 225. 1839.
*) v. Buhl: Mittheilungen aus dem pathologischen Institut zu
München. Stuttgart 1878. S. 301.
2 *
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3562
MUENCIIENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
sogar ein Geburtshinderniss gebildet habe, und dass sie seit dem
Ende der Wachsthumsperiode zum Stillstand gekommen sei.
Es liesse sich ja daran denken, dass der ganze Zustand durch ein
Verharren des Schädels in der intra partum entstandenen Con-
figuration zu erklären sei. Dem widerspricht aber die Thatsache,
dass an den Nähten keine Verschiebung der Knochenränder
gegeneinander besteht. Auch springt gerade das Occiput stark
vor, statt gegen die Parietalia zurückzutreten, wie man nach der
Form des Schädels, die am ehesten an die bei 1. Schädellago
durch plattes Becken zu Stande kommende erinnert, erwarten
sollte. Bisher ist übrigens nur ein einziger kongenitaler Fall
von Breschet 8 ) bei einem 18 Monate alten Kinde beschrieben
worden.
Sehr bemerkenswert!! ist es, dass an der Difformität bei
unserem Patienten die rechte Seite viel stärker betheiligt ist als
die linke. Dass der Schädel, wie der Körper überhaupt, meist
nicht ganz symmetrisch gebaut ist, und zumeist die rechte Seite
etwas überwiegt, ist ja eine oft gehörte Thatsache, und auch
für die pathologischen Formen der einseitigen Hypertrophien
haben Trelat und Monod") festgestellt, dass fast stets die
rechte Seite betroffen ist. Gerade im Hinblick darauf ist es
nun interessant, dass bei unserem Falle die einzelnen Knochen¬
auswüchse jeweils der Gegend eines Knochenkerns entsprechen.
Am Stirnbein entspricht die Lage des Tumors dicht hinter dem
Processus jugalis dem Knochonkern des hinteren unteren Stirn¬
beinwinkels, am Parietale deckt sich das Centrum der Exostose
etwa mit dem Hauptknochenkern im Tuber parietale, am Occiput
findet sich die Hauptentwickelung der Hyperostose entsprechend
den beiden Knochenkernen der Interparietalia. Aus diesen Lage¬
beziehungen der Hyperostosen zu den Knochenkernen liesse sich
aber nun nicht nur ihr Ueberwiegen auf der ja schon normaliter
meist präponderirenden rechten Seite leichter verstehen, son¬
dern auch die Thatsache, dass die weitere Entwickelung der
Schädcldifformität mit dem Ende des physiologischen Wachs¬
thums zum Stillstand kam. Wir würden damit für die Patho¬
genese in unserem Falle ungezwungen zu der Auffassung ge¬
führt, dass die Hyperostosenbildung hier bedingt sei durch eine
excessive Funktion der physiologischen Verknöcherungseen treu
des Schädels.
Zu differentialdiagnostischen Zweifeln könnten bei der vor¬
liegenden Form von tumorartiger auf die Hirnschädelknochen
beschränkter Hyperostose, von der, nebenbei bemerkt, Fischer 7 )
einen ganz analogen Fall anatomisch beschreibt und abbildet,
nur die Krankheitsbilder, wie sie durch Rachitis, Lues, Akro¬
megalie und die Osteitis deformans von Paget verursacht
werden, Anlass geben.
Rachitis und Lues lassen sich sowohl wegen der in dieser
Richtung absolut negativen Anamnese, wie wegen des objektiven
Befundes an Skelet, Zähnen, Augen etc. ohne Weiteres aus-
scliliessen. Gegen Rachitis spricht schon das Angeborensein des
Leidens. Akromegalie ist einmal desshalb, dann aber auch wegen
der fehlenden Veränderungen an Händen und Füssen, an den
Kiefern und den Gesichtsweichtheilen auszuschliessen. Schwie¬
riger könnte die Abgrenzung gegen Ostitis deformans erscheinen,
die ganz ähnliche Formen von Schädeldifformität zu erzeugen
vermag. Aber bei der Krankheit von Paget handelt es sich
nie um angeborene, sondern stets um erworbene, und zwar meist
erst jenseits des 40. Lebensjahres erworbene Zustände, und
ausserdem pflegt sie typisch auch das übrige Knochengerüst, be¬
sonders Wirbelsäule und untere Extremität zu ergreifen. Wir
glauben desshalb mit Recht, unseren Fall als tumorartige Hyper¬
ostose auffassen zu dürfen, wenn er auch durch die Beschränkung
auf die Knochen der Schädelkapsel und durch die intrauterine
Anlage etwas Exceptionelles besitzt.
Die Prognose des Leidens wird im Allgemeinen als schlecht
angesehen. Bei unserem Kranken kann sie wohl mit Rücksicht
auf die schon 11 Jahre anhaltende Remission günstiger gestellt
werden. Immerhin erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass
unter dem Einflüsse irgend eines der sonst für die Krankheit als
aetiologisch bedeutungsvoll angesehenen Reize, wie Trauma, ent-
s ) Breschet: Hyperostose du eräne chez un enfant de
dixhuit mois. Acnd6mie de medecine, 28. janv. 1834.
*) Trölat et Monod: De riiypertropliie unilaterale ou to¬
tale du corps. Areh. gfm. de Mödeclne. Mal—Juni 1809. Ref.
Virchow- Hirsch. 1809. I. pag. 174.
0 Fischer: Der Riesenwuchs. Deutsche Zeitschr. f. Chlr.,
Bd. 12, pag. 57.
zündliche Fluxion etc., die latente Disposition zur Hyperostoseu-
bildung wieder aufflammen und zu einem neuen Schube des
Leidens führen könnte.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass therapeutische Indi¬
kationen bei unserem Kranken gegenwärtig nicht zu erfüllen
sind. Beim Eintritt stärkerer Raumbeschränkung in den Höhleu
des Schädels könnten eventuell operative Maassnahmen in Frage
kommen, wie ja z. B. von englischen Chirurgen, theilweise mit
Erfolg, der Versuch gemacht worden ist, bei primärer Erkran¬
kung der Kiefer durch Resektion derselben ein Fortschrei teil
der gefährlichen und entstellenden Affektion zu verhindern.
Meinem hochverehrten Chef, Herrn Geheimrath Czerny,
sage ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank für
die Ueberlassung des Falles.
Aus der Universitäts-Ohrenklinik zu Tübingen.
Ein durch Operation geheilter Fall von Gehirnabscess
im Schläfenlappen nach chronischer Mittelohreiterung.
Von Dr. Hölscher,
Kgl. Württemb. Oberarzt, kommandirt zur Universität Tübingen.
Den bisher in der Literatur bekannt gewordenen Fällen von
Heilung otitischer Grosshirnabscesse dürfte sich auch der nach¬
folgende, den ich im Laufe des Sommersemesters 1901 zu operiren
Gelegenheit, hatte, mit einiger Berechtigung anreihen lassen.
Krankengeschichte.
Julius H., 18 Jahre. Taglöhner von Raidwangen. Aufge¬
nommen 17. VI. 1901.
Anamnese. Ursache und Dauer der Ohreiterung un¬
bekannt. Vor einem halben Jahre Ist Blut aus dem rechten Ohr
geflossen, seitdem ist erst das Vorhandensein einer Eiterung be¬
merkt worden. Seit 5 Tagen leidet Patient an Schmerzen im
Hinterkopf und in der Stirn, es soll auch Fieber mit Schüttel¬
frösten bestanden haben. Vor 2 Tagen ging Patient wegen dieser
Beschwerden zum Kassenarzt, welcher eineu grossen Polypen aus
dem Gehörgang mit der Schlinge entfernte. Gestern trat 4 mal
Erbrechen ein, es bestand Fieber, starkes Kopfweh und Schwindel.
Patient hat bis vor 3 Tagen als Erdarbeiter beim Bahnbau ge¬
arbeitet.
Status: Patient macht einen benommenen Eindruck. Puls
114, Körperwärme 38.5°. Als subjektive Beschwerden werden
Stlmkopfsehmerzen, die bis In den Scheitel ausstrahlen, angegebeu.
Pupillen gleich weit, reaglren beiderseits gleichmässig auf Licht¬
einfall, kein Nystagmus. Im Gehörgang stinkender Eiter, die Tiefe
wegen Vorbauchung der hinteren Wand unübersichtlich. Warzen¬
fortsatz unverändert. Flüsterzahlen werden rechts nicht gehört,
WebeT nach rechts. Links trübes glanzloses Trommelfell.
Nachmittags 5 Uhr 30 Min. Puls 84. sehr gespannt. Körper¬
wärme 38,9°. Die Halsschlagadern sind beiderseits stark gefüllt
und pulsiren stark. Die Stirnkopfschmerzen sind heftiger ge¬
worden. Patient klagt über Nackenschmerzen, die Nackenwirbel
sind druckempfindlich, der Kopf wird stark nach rückwärts ge¬
bogen. Die Benommenheit hat ebenfalls zugenommen.
0 Uhr 30 Min. Radikaloperation (Dr. Hölscher). Aetlier-
narkose, Asepsis. Hautschnitt hinter dem Ansatz der Ohrmuschel,
oben bogenförmig, unten schräg nach hinten über die Warzen¬
spitze auslaufend. Der Knochen ist aussen ganz unverändert, von
der hinteren knöchernen Gehörgangswand aus führt eine Fistel
nach hinten ln grosse Kuochenhöhlo. Der äussere Knochen ist
dick, hart und ganz sklerosirt. Nach ausgedehnter Abtragung
liegt eine grosse mit schön perlmutterglänzenden Massen gefüllte
Cholosteatomhöhle vor. welche von der Paukenhöhle an nach vorn?
das ganze Felsenbein einnimmt und vielfach nusgebuebtet Ist. Die
Dura der mittleren und hinteren Schüdelgrube, sowie der Sinus
■werden auf kleine Strecken freigelegt, alle erscheinen ganz normal.
Ueberall starke Knochenblutungen. Keine Fistel von der Pauken¬
höhle oder den vorderen Partien der Cholesteatomhöhle aus zu
finden. Wegen der zunehmenden Dunkelheit muss von einen!
weiteren Eingehen abgestanden werden. Spaltung der hinteren
Wand. .Todoformgazetaniponade. trockener Verband.
18. VI. Eine mässige Temperatursrteigerung dauert noch au.
Abends 38,4 Puls 90—94. mittelkriiftig. nicht mehr gespannt.
Augenspiegelbefund (Dr. Grunert) normal.
Die Stirnkopfschmerzen dauern an. die Nackenschmerzen sind
zurückgegangen. Klagen über Sehwindelgefülil. Stuhlverhaltuug.
auf Einlauf Entleerung.
19. VI. Anhaltende mässige Temperaturstelgerung. 38.3 bis
38.7°. Puls Vormittags 100—110. nicht ganz regelmässig. Abends
84 Schläge in der Minute. Klagen über Stimkopfschmerzen.
die bis in die Augen ausstralilen. Nystagmus liorizontalis nach
links.
20. VI. Körperwärme 38,2—38.7°. Puls 96—100. Stirnkonf-
Rclimerzen dauern au. Leichte Faclalislilhnuing, im Gebiet der
Mundzweige.
Verbandwechsel. Wunde gut. Sekretion gering, ln der Tiefe
der Paukenhöhle noch Cholesteatommasseu.
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1563
1. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Abends Klagen über Nackenschmerzen. Stuhlgang nur auf
Einlauf.
21. VI. Patient hat eine sehr schlechte Nacht gehabt. Klagen
über Schwindel und heftige Stirnkopfschmerzen. Morgens 38,7 °,
Puls GO. Augeuspiegelbefund (Dr. Grunert) normal. Mittags
wird auch über Zunehinen der Nackenschmerzen geklagt.
Die FaclallsUihmung ist nahezu zurückgegangen.
Nachmittags 4 Uhr Operation (Dr. Hölscher). Aether-
narkose. Asepsis.
Bei Herausnahme der Tampons entleert sich aus der Tiefe
der Wundhöhle vom Dach der Paukenhöhle her eine Menge
jauchigen Etters. Vom Dach der Pnukenhöhle aus führt eine
Fistel nach aufwärts in eine grosse Abscesshöhle. Abtragung der
oberen Felsenbeinkante bis an die hintere Umrandung der Fistel
und deT angrenzenden Theile der Scliliifenbeinschuppe mit Meissei
und Zange. Die vorliegende Dura ist stark gespannt, die Gefiisse
sind stark gefüllt, jedoch ist die Färbung der Dura nicht ver¬
ändert. . Die Dura und der vorliegende erweichte Temporallappen
werden von unten nach oben gespalten, wobei sich massenhaft
Eiter und nekrotische Gehirnmassen entleeren, der Abscess reicht
vom Dach der Paukenhöhle an etwa 3 cm nach oben. Sofort nach
Eröffnung und Entleerung des Abscesses tritt eine auffallende Puls¬
beschleunigung ein, die Pulszahl steigt Anfangs über 150 und geht
dann nach einiger Zeit auf etwa 100 zurück. Vorsichtiges Austupfen
der Höhle, welche sich glatt anfühlt, Einführung eines über finger¬
dicken Jodoformgazetampons von unten her. Trockener Verband.
Nach dem Erwachen aus der Narkose wird nur noch über
geringe Stirnkopfschmerzen geklagt Zeitweise noch etwas
Schwindelgefühl. Die Nackenschmerzen sind verschwunden, Pat.
kann den Kopf frei heben und drehen. Willkürliche Urinentleerung.
Abends 38,0°, Puls 84.
22. VI. Ziemlich gute Nacht, noch Klagen über Stirnkopf¬
schmerzen. Im Ganzen fühlt sich Patient aber wohler wie gestern.
Morgens 38,5°, Abends 38.0®. Puls 80, ziemlich schwach.
23. VI. Morgens 38,0°, Puls 100. Patient hat fast die ganze
Nacht geschlafen und fühlt sich wohl und schmerzfrei. Verband¬
wechsel, Wundöffnung frei durchgängig, mässige Eiterentleerung.
Einführung eineB starken Drainrohrs, feuchter Verband.
24. VI. 38,0®, Puls 86—90, etwas unregelmässig. Aus der
Abscesshöhle geringe übelriechende Elterentleerung. Die OefTnung
der Abscesshöhle erscheint etwas enge und Ist nur schwer durch¬
gängig-
Jodoformgazetamponade, feuchter Verband mit essigsaurer
Thonerde. Allgemeinbefinden gut, keine Schmerzen. Patient sitzt
auf und bewegt den Kopf frei. Abends auf Einlauf Stuhl¬
entleerung. 37,8 ®.
25. VI. In der Nacht starkes Kopfweh, heute früh keine
Schmerzen. 37,8®, Puls 90, mittelkräftig. Beim Verbandwechsel
entleert sich aus der Abscesshöhle unter Pulsation ziemlich viel
Eiter. Einführung eines mit Jodoformgaze umwickelten Drain¬
rohrs, feuchter Verband. Mittags 37,7 ®. Patient hat keine
Schmerzen, Ist aber sehr schwach. Augenspiegelbefund normal
(Dr. Grunert).
G Uhr Abends. 37,5®, Puls 6G. Seit 2 Uhr hat Patient sehr
heftige Stirnkopfschmerzen, so dass er häufig laut schreit. Klagen
über Schwindel und Augenschmerzen. Die auf morgen früh be¬
absichtigte Erweiterung des Eingangs der Abscesshöhle wird dess-
halb sogleich vorgenommen.
7 Uhr Abends Operation (Dr. Hölscher). Bromaerthyl,
Chloroformnarkose. Asepsis. Mit dem Finger wird die Abscess¬
höhle vorsichtig abgetastet, sie erweist sich nls glattwandig ohne
Ausbuchtungen. Von hinten unten her verhindern der stark ge¬
spannte Rand der Dura und die noch vorspringende Knochenleiste
einen freien Abfluss des sich dort etwas einsenkenden Sekretes.
Wegkneifen des überstehenden Knochenrandes mit der scharfen
Zange, feuchte Tamponade mit essigsaurer Thonerde, feuchter
Verband. Dauer der Narkose 20 Minuten. Nachher Puls 66,
mittelkräftig.
26. VI. Die Nacht verlief ziemlich gut, nur zeitweise etwas
Kopfschmerzen. Morgens 37,6°, Puls 84, ziemlich schwach. Tat.
ist heute überhaupt etwas matt und hinfällig. Verbandwechsel.
Mässige Eiterung. Trockener Verband. Nachmittags nach längerem
Schlaf Allgemeinbefinden besser, reichliche Nahrungsaufnahme.
Zum ersten Male spontane Stuhleutleerung. Abends dreimal
wässeriger Durchfall. Opium.
37,7", Puls 86, mittelkräftig.
27. VI. Patient hat ln der Nacht bis 3 Uhr gut geschlafen,
von da ab heftige Kopfschmerzen. Gegen Morgen Erbrechen,
worauf die Schmerzen nachlassen und ruhiger Schlaf eintrltt,
welcher bis Mittag andauert. Morgens 37,2 ®, Puls 84.
Nnch dem Aufwachen noch Klagen über leichtes -Kopfweh
und Augenschmerzen. Patient schläft wieder bis gegen 5 Uhr,
nachher Klagen über stärkere Kopf- und Augenschmerzen. Ver¬
bandwechsel, ziemlich viel Eiter. Trockene Jodoformgazetampo¬
nade. Abends 37,5®, Puls 78, mittelkräftig. Um 8 Uhr Puls 60,
schwach und unregelmässig. Klagen über heftige Stirnkopf¬
schmerzen und Augenschmerzen. Eisbeutel, Eiercognac. 2 mal
Stuhlentleerung von breiiger Beschaffenheit.
28. VI. Verlauf der Nacht gut. Morgens 37,4 ®, Puls 78, mittel¬
kräftig. Patient schläft beinahe den ganzen Vormittag und ist
beim Aufwachen schmerzfrei. Normale Stuhlentleerung. Abends
Puls 90, schwach und unregelmässig. 37,4®. Heftige Kopf- und
Augenschmerzen. Morphium 0,015 per os. Eiercognac.
So 40
29. VI. Bis 3 Uhr Nachts Andauer der Schmerzen, von dann
ab konnte Patient ruhig schlafen. Heute Früh schmerzfrei. 37,3®.
Puls 102, ziemlich kräftig. Verbandwechsel. Ziemlich starke
Sekretion. Die Abscesshöhle ist ziemlich klein geworden. In die
Felsenbeinhöhle hängt ein nekrotisirender Gehirnvorfall herein.
Trockner Verband.
30. VI. Gute Nacht ohne Schmerzen. 37,3. Puls 80. Keine
Kopf- und Augenschmerzen mehr. Patient sieht heute wieder
besser aus. Verbandwechsel. Mässige Sekretion von dem nekrott-
sirenden Gehirnvorfall. Entfernung der abgestossenen Massen.
Feuchter Verband.
2. VII. In der Nacht etwas Kopfschmerzen. Verbandwechsel.
Der Gehirnvorfall pulslrt. Temperatur normal. Allgemeinbefinden
gut Keine Kopfschmerzen.
6. VII. Keine Schmerzen oder Beschwerden mehr. Die Wunde
reinigt sich gut. Der Gehirnvorfall verkleinert sich durch fort¬
schreitende Nekrose. Täglich feuchter Verband. Pntient steht
y 2 Stunde auf.
10. VII. Patient steht täglich 1—2 Stunden auf. Unter
feuchten Verbänden fortschreitende Reinigung der Wunde. Von
den Rändern her gute Granulationen.
16. VII. Der ganze Prolaps ist mit guten Granulationen be¬
deckt. Trockene Verbände. Patient ist den ganzen Tag auf.
Wie so häufig hatte die schon jahrelang bestehende Mittel¬
ohreiterung trotz der Grösse des Cholesteatoms so wenig Be¬
schwerden gemacht, dass ihr Vorhandensein erst vor verhältniss-
mässig kurzer Zeit bemerkt wurde.
Bei der ersten Untersuchung war die Aufnahme einee
Trommelfellbefundes wegen der starken Vorbauchung der hinteren
Wand nicht möglich, ein sicheres Urtheil über die Art des zu
Grunde liegenden Krankheitsprocesses war also unmöglich. Der
Warzenfortsatz war äusserlich unverändert, Symptome für eine
intrakranielle Komplikation fehlten vollständig. Und doch
machte Patient einen so benommenen und schwerkranken Ein¬
druck, dass man das Vorhandensein einer schwereren Komplika¬
tion, über deren Art bei dem Fehlen ausgesprochener Erscheinungen
allerdings nur Vermuthungen gehegt werden konnten, annehmen
musste. Im Laufe des Nachmittags verschlimmerte sich der Zu¬
stand beträchtlich, die Stimkopfschmerzen wurden heftiger und
Nacken schmerzen mit Nackenstarre traten noch hinzu. Bei
steigender Temperatur verringerte sich die Zahl der Pulsschläge,
der Puls wurde hart und gespannt, der Herzstoss war in Rücken¬
lage des Patienten deutlich sichtbar und auch die Halsschlag¬
adern zeigten in ihrem ganzen Verlauf die gleiche Spannung
und Ueberfüllung, wie die Radialis. In der Hoffnung, einen
nach dem Befund an der Basis anzunehmenden Eiterungsprocess
durch einen Eingriff noch aufhalten zu können, entschlossen wir
uns, noch Abends zu operiren. Der Befund bei der Operation
erschien trotz der Grösse des Cholesteatoms nicht ausreichend
zur Erklärung der Erscheinungen, jedoch war nirgendwo eine von
der Cholesteatomhöhle ausgehende Fistel zu finden und die frei¬
gelegten kleinen Sinus- und Durapartien erschienen völlig normal.
Aufschluss musste der Verlauf der nächsten Tage bringen. Auf’s
Gerathewohl weiter vorzugehen, erschien nicht angezeigt, be¬
sonders, da nach Eintritt der Dunkelheit eine ausreichende Be¬
leuchtung nicht zur Verfügung stand.
Bis auf das Aufhören der Nackenschmerzen brachte der Ein¬
griff keine Besserung der subjektiven Beschwerden, auch die
Temperatur blieb erhöht, dagegen nahm die Spannung des Pulses
ab und seine Frequenz wurde der Temperatur entsprechend. Die
Kopfschmerzen, ausgesprochene einseitige Stirnkopfschmerzen,
steigerten sich von Tag zu Tag, Schwindelgefühl und Schmerzen
in den Augen kamen hinzu, am 2. bezw. 3. Tage nach der Opera¬
tion traten Nystagmus horizontalis naoh links und Nacken¬
schmerzen auf. Durch die zu diesen Symptomen am 4. Tag noch
hinzutretende Pulsverlangsamung wurde das Vorhandensein einer
intrakraniellen Komplikation zur Gewissheit gemacht, jedoch
war bei dem Fehlen ausgesprochener Herdsymptome eine Diffe¬
rentialdiagnose über Art und Sitz derselben unmöglich. Die
geringe Temperatursteigerung sprach eher für einen Abscess
als für eine Meningitis, ebenso war eine Sinusthrombose aus-
zuschliessen. Das Fehlen einer Stauungspapille bei mehrfachen
Untersuchungen durch Privatdocent Dr. Grunert, der
ständige Stirnkopfschmerz und die wieder auftretenden Nacken-
schmerzen sprachen am meisten für eine Lokalisirung in der
hinteren Schädelgrube 1 ). Allein die heftigen Augensehmerzen
konnten für einen Process in der mittleren Schädelgrubc, bezw.
*) Die Freilegungen von Dura und Sinus waren so klein, dass
hiervon das Auftreten oder Verschwinden einer Stauungspapille
nicht abhängig gemacht werden konnte.
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3564
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
im Schläfenlappen gedeutet werden. Der Verbandwechsel am
3. Tage hatte keinen Anhaltspunkt für die Lokalisation der Er¬
krankung gegeben.
Es wurde desshalb beabsichtigt, zuerst die hintere Schädel¬
grube durch Wegnahme der hinteren Felsenbeinwand zu er¬
öffnen, um einen extraduralen oder Kleinhirnabscess aufzusuchen,
und im Falle der Befund dort negativ sein würde, gegen die
mittlere Sckädelgrubo bezw. den Schläfenlappen vorzugehen.
Bei Herausnahme des Tampons wurde allen Zweifeln über
die Lokalisation ein Ende gemacht und die Diagnose gesichert:
Durch eine Fistel im Dach der Paukenhöhle entleerte sich eine
Menge jauchigen Eiters und die Sonde führte in eine grosse
Abscesshöhle; es bestand also ein Abscess in der mittleren
Schädelgrube, wahrscheinlich im Schläfenlappen. Die einzige
Schwierigkeit für die Freilegung des Abscesses bildete jetzt noch
der Umstand, dass sich der Abscess mehr nach innen, als wie
nach aussen zu im Schläfenlappen ausgedehnt hatte, dass also
nach aussen zu eine breite Schicht unveränderter Gehimsustanz
vorlag. In Folge dessen wurde der Abscess hauptsächlich von der
Basis her, wo die Gehirnrinde schon erweicht und zum Theil
nekrotisch war, froigelegt und eröffnet. Sofort nach Entleerung
des Abscesses erfolgte in Folge des Aufhörens des starken Ge¬
hirndrucks eine kolossale Beschleunigung der Pulsfrequenz, von
60 stieg die Zahl der Pulsschläge Anfangs auf über 150 und ging
dann langsam auf etwa 100 wieder zurück. In den nächsten
Tagen stellte sich heraus, dass die Knochenresektion, die nicht
übermässig gross gemacht worden war, um einen Prolaps des
Gehirns zu verhindern, und die Abscessöffnung nicht ausreichend
waren, weeshalb eine Erweiterung vorgenommen wurde. Nach¬
dem jetzt ein freier Abfluss für den Eiter geschaffen war, liessen
die Schmerzen völlig nach und Patient erholte sich rasch. Aller¬
dings trat jetzt ein ziemlich grosser Geliirnprolaps ein und die
Anfangs geschonte, nach vorne liegende Rindenpartic wurde
nekrotisch. Jedoch war der sonstige Erfolg ein so guter, dass
man dies als kleineres Uebel wohl mit in den Kauf nehmen
konnte. Bis zum 16. VI. hatte sich die Abstossung der nekro¬
tischen Gehimpartien vollendet, es lag jetzt nur noch eine mässig
vorgewölbte, mit guten Granulationen bedeckte Wundflüche vor.
Der Gehimprolaps war ganz unempfindlich, wie auch das Aus-
tamponiren der Abscesshöhle, abgesehen von einem massigen
Schmerzgefühl in der Stirn, keine Schmerzen machte. 11 Tage
nach der letzten Operation war Patient bereits so gekräftigt,
dass er mit dem Aufstehen beginnen konnte. Irgendwelche
Störungen oder Schädigungen sind, wie auch eine eingehende
Untersuchung in der psychiatrischen Klinik am 18. VII. be¬
stätigte, weder als Folge des Abscesses noch des Prolapses zu¬
rückgeblieben.
Begünstigende Momente für die Entstehung des Gehim-
abscesses waren hier der Polyp im Gehörgang und die Dicke und
Härte des Knochens, welche einen Eiterabfluss und einen Durch¬
bruch nach aussen erschwerten, bezw. unmöglich machten. Der
Abscess ging hier wie gewöhnlich plötzlich aus dem Latenz¬
stadium in das Terminalstadium über; wenn es nicht gelungen
wäre, ihn rechtzeitig zu entleeren, wäre zweifelsohne der tödtliche
Ausgang bald erfolgt. Ohne die vorhergegangene Radicalopera-
tion wäre auch ein Durchbruch in die Cholesteatomhöhle kaum
möglich gewesen.
Trotz der Grösse des Gehirnabscesses war, wie durch mehr¬
fache Untersuchungen durch Privatdocent Dr. G r u n e r t kon-
statirt wurde, eine Stauungspapille nicht vorhanden. Dieses
Verhalten steht in Uebereinstimmung mit unseren sonstigen Be¬
obachtungen. Bei sämmtlichen im Laufe der letzten IV 2 Jahre
durch Dr. G runert untersuchten Fällen von Gehirnabscessen,
Sinusthromboscn und extraduralen Abscessen fand sich ein ein¬
ziges Mal eine Stauungspapille. Nach unseren Erfahrungen ist
also 1. eine Stauungspapille nur sehr selten zu konstatiren, und
2. sohliesst das Nichtvorhandensein einer solchen auch eine sehr
ausgedehnte intrakranielle Affektion nicht aus. Von dia¬
gnostischer Bedeutung ist also nur der positive Befund, während
das Nichtvorhandensein einer Stauungspapille diagnostisch nicht
verwendbar ist.
Die bakteriologische Untersuchung ergab das Fehlen spe-
eifischer pathogener Bactericnarten. Unter den gewachsenen
\rten überwog der Proteus vulgaris.
Als Fehler muss ich es bezeichnen, dass bei der Hauptopera¬
tion am 21. V. nicht gleich eine ausreichende Eröffnung des Ab-
scesscs vorgenommen wurde. Abgesehen von einem. 1896 von
Prof. Hofmeister in der chirurgischen Klinik operirten Fall
von Gehimabscess im Schläfenlappen, ist der vorstehende der
einzige in der Klinik geheilte otitische Gehimabscess. Alle
übrigen haben bisher einen unglücklichen Ausgang gehabt.
Herrn Prof. Dr. Wagenhäuser möchte ich auch an
dieser Stelle meinen ergebensten Dank für die Ueberlassung der
Fälle aussprochen.
Den Herren Dr. Döraeny, Volontärarzt am pathologischen
Institut, Dr. Michel, einjährig-freiwilligem Arzt vom hiesigen
Gamisonslazareth, und cand. med. Schütz bin ich für freund¬
liche Assistenz zu Dank verpflichtet.
Dor weitere Verlauf des Falles war ein sehr guter. Bis An¬
fang September war die grosso Operationswunde vollständig aus¬
geheilt, so dass nur noch eine kleine pulsirende Narbe hinter dem
Ansatz der Ohrmuschel übrig geblieben ist. Patient ist wieder
völlig arbeitsfähig geworden.
Diplococcus semilunaris, ein Begleiter der Tuberkulose.
Von Edwin Klebs in Hannover.
Der oben bezeichnete Organismus begegnete mir im Laufe
der letzen 3 bis 4 Jahre so häufig als ein Begleiter der Tuber¬
kulose, dass er vielleicht schon au&. diesem Grunde Beachtung
verdient, zumal sich unschwer pathogene Eigenschaften desselben
auch im Thierexperiment na^weisen lassen. Neben den Dann-
bacterien, dem Kolonbaeillus, dem B. aerogenes, dem B. parvu«
recti, der vielleicht mit dem B. clavatus Kruse identisch ist und
den zahlreichen muciparen Formen und Proteusarten, welche
man so häufig auf den Tonsillen Tuberkulöser antrifft, deren
Hautkultur vernachlässigt wurde, ist der Diplococcus semilu¬
naris wohl der häufigste und scheint mir, dass sehr Vieles, was
als Staphylococcus albus oder auch als Streptococcus der Mund¬
höhle und des Auswurfes bezeichnet worden ist, in den Formen¬
kreis dieser Art gehört. Wenn man durch ausreichende Desinfek¬
tion der Mundhöhle und der Aftergegend, wozu ich gewöhnlich
Chinosol verwende, diese Bacillen zum Schwinden bringt, bleibt
der Diplococcus semilunaris gewöhnlich in Reinkultur auf den
Tonsillen übrig und gestattet sein reicheres oder spärlicheres
Vorkommen nicht selten einen Schluss auf die Widerstandsfähig¬
keit der Patienten gegenüber der causalen TC-Behandlung.
Sein spärliches Vorhandensein in günstigeren Fällen ist mir ein
Beweis für eine gute Widerstandsfähigkeit der Gewebe, während
sein reichliches Vorkommen diesen für den Heilvorgang un¬
entbehrlichen Faktor als mindestens zweifelhaft erscheinen
lässt. Alles Uebrige, so namentlich die Verbreitung des tubercu-
lösen Processes gleich gesetzt, ergibt dieser Befund eine gewisse,
nicht unerwünschte Prognose für die TC-Wirkung. Sind die
Diploooocen sehr zahlreich vorhanden, so steht eine Fiebersteige¬
rung auf TC zu erwarten und ist man nicht selten genöthigt, mit
der immunisirenden Substanz, dem Tuberkelprotein, die kausale
Behandlung einzuleiten.
Es gilt dies nicht nur für die Lungentuberkulose, sondern
auch für Knochen- und Gelenktuberkulosen, bei welchen letzteren
nach Schwund der tuberkulösen Bildungen gern Diplococcen-
Abscesse auftreten. Endlich wird er auch bei allen Toxitubereu-
liden der Haut in letzterer in reicher Entwicklung gefunden.
Aber auch ausserhalb des tuberkulösen Processes ist sein Vor¬
kommen im menschlichen Körper kein seltenes, so z. B. in ent¬
zündlichen Gelenkaffektionen, in denen er vielleicht von
P o y n t o n und P a y n e (Chelsea Clinical Society, 17. März
1901; Münch, med. Wochenschr. No. 30, S. 1231) gesehen worden
ist. Ich habe ihn schon vor mehreren Jahren in der Punktions¬
flüssigkeit eines Kniegelenks von einem Kinde gesehen. Ob er
mit den englischen Autoren als der Erreger der rheumatoiden
Gelenkaffektionen aufzufassen ist, will ich dahingestellt sein
lassen, doch ist dies nicht unwahrscheinlich, wenn man sich der
zahlreichen rheumatoiden Beschwerden erinnert, an denen Tuber¬
kulöse leiden, bei denen allerdings überwiegend Muskeln und
Periost in Mitleidenschaft gezogen werden, seltener die Gelenke,
wenn dieselben nicht gleichzeitig tuberkulös erkrankt sind. Audi
für die Katarrhe der Harnblase kommt er in Betracht, was bei
einem Organismus, der den ganzen Körper mit Leichtigkeit
durchwandert, nicht auffallen kann.
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3. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Endlich sei noch erwähnt, dass er in dem Körper unserer
Stubenfliege ausserordentlich häufig vorkommt und zwar vor¬
zugsweise in dem vorderen Theil des Darmtraktus, während ich
ihn in den Faeces derselben vermisste. Am leichtesten gewinnt
man ihn rein aus dem zerdrückten Kopf der Stubenfliege.
Der Diplococcus semilunaris bildet auf Glycerinagar (5 Proc.)
entweder nur sehr feine, durchscheinende, hellbräunliche Herde
oder etwas grössere und dann in auffallendem Licht mehr weiss-
lich erscheinende runde Kolonien, die bei einer Grösse von
1—2 mm einen centralen dunkleren Fleck zeigen, der etwas stärker
hervorragt und eine leicht wellige Beschaffenheit des Randes
zeigt. Die Herde liegen nur lose der Oberfläche auf und schmel¬
zen nur langsam zusammen, dünne, durchscheinende Streifen
bildend, die am Ende und den Rändern in einzelne Coccenhaufen
sich auflösen, wenn es sich um kleinere Formen der Doppelkörper
handelt, während die grösseren, mehr weisslichen Herde in ihrer
verdickten Mitte stets grosse Doppelkörper enthalten. Die letz¬
teren fehlen übrigens auch in den kleinen Herden meist nicht
gänzlich, sind hier vielmehr nur in geringerer Anzahl vorhanden,
umgeben von kleineren Formen.
Alle Doppelkörper bestehen aus 2 Halbmonden, welche durch
einen schmalen Spalt getrennt sind. Bei starker Entwicklung
entstehen scheinbare Tetraden, indem der Doppelkörper senk¬
recht zur ersten Theilung sich abermals theilt. Indem indess
diese Theilstücke sich wieder zur ersten Theilungslinie senkrecht
abrunden, kommt nur sehr vorübergehend das Bild einer Tetrade
zu Stande, ganz im Gegensatz zu dem Tetragenus, den ich als
pathogenen Parasiten schon seit langer Zeit kenne. Auch er¬
reicht der letztere niemals die Dimensionen der grossen Doppel-
körper des Semilunaris, welche bis nahezu 3 Mikra senkrecht
zur Theilungslinie heranwachsen, in der Querrichtung etwas
weniger messen. Die kleinsten Formen der Doppelkörper dürften
kaum 0,6 Mikra messen. Liegen sie in einfacher Schicht neben¬
einander, so werden sie stets durch helle Zwischenräume ge¬
trennt, doch gelang es nicht, diese Zoogloea färberisch darzu¬
stellen.
Zum Unterschiede von dem W eichseibau m’schen
Meningocoocus und dem N e i s s e Fschen Gonococcus findet sich
der Diplococcus semilunaris nur extraoellulär, wie er sich auch
durch die wechselnde Grösse der Doppelkörper von diesen unter¬
scheidet. Von dem T a 1 a m o n - F r a e n k el’schen Pneumo-
coccus unterscheidet er sich gleichfalls durch die letztere Eigen¬
schaft, wie auch durch den grösseren Durchmesser in der Rich¬
tung der Theilungsebene.
Als Färbemittel dient am besten eine 2 proc. Lösung von
Safranin T, das unter leichtem Erwärmen ihn in sehr kurzer Zeit
intensiv braun färbt, eine Färbung, welche ich Herrn Prof. O 11
von der Hannoverschen Thierarzneischule verdanke, welcher den
gleichen Organismus bei gewissen schweren Erkrankungen der
Pferde beobachtet hat, die unter eigenthümlichen Schwäche¬
zuständen schnell zum Tode führen. Auch bei Tuberkulösen
treten, wenn er reichlich vorhanden ist, namentlich in den Lymph-
drüsen, hochgradige Schwächezustände auf, selbst in Fällen,
in denen der tuberkulöse Process unter TC-Behandlung sehr be¬
deutend zurückgebildet ist.
Dieser Organismus ist jodecht, indess nur theilweise, wess-
halb ich die Bezeichnung der Grammethode vermeiden möchte.
Der Farbstoff wird nämlich nach der Jodbehandlung bei nach¬
folgender Alkoholbehandlung nur theilweise zurückgehalten, und
zwar ist es die braune Färbung, welche schwindet, während eine
schöne rosenrothe Färbung bald mehr, bald weniger hartnäckig
den Doppelkörpem anhaftet. Ich wende, um diese Verhältnisse
rasch darzustellen, eine Modifikation der Grambehandlung an,
welche darin besteht, dass ich das getrocknete Deckglaspräparat
ein- oder zweimal mit 5 fach verdünnter Lugollösung, der eine
gleiche Quantität Alkohol, 95 proc., zugesetzt ist, für wenige
Sekunden übergiesse, dann mit Wasser spüle und sofort in
Wasser untersuche oder noch weiter mit reinem Alkohol behandle.
Bald erscheint dieser letztere unwirksam, bald nimmt er aber
noch einen Theil der rosenrothen Farbe fort. Abgestorbene
Coccen in älteren Kulturen verlieren gänzlich die Farbe im
Alkohol. Es lässt sich demnach annehmen, dass überhaupt eine
Abschwächung der Lebensthätigkeit die Lösung dieses Theils des
Farbstoffes oder der Verbindung von Farbstoff und Bacterien-
plasma begünstigt. Die grossen Doppel-, bisweilen auch einfache,
1565
noch ungetheilte Körper von mehr als 1,3 Mikren Durchmesser
halten die Farbe fester, als die kleineren Formen und treten um
so deutlicher hervor, als die letzteren weiter entfärbt werden. Mit
Hinblick auf diese grössere Resistenz könnte man sie als Dauer¬
formen bezeichnen, zumal sie auch chemischen Einwirkungen
länger widerstehen.
Nun bleibt noch eine bemerkenswerthe Wuchsform zu er¬
wähnen, welche einen scheinbaren Polymorphismus dieses Diplo¬
coccus bedingt. Wenn seine Entwicklung eine sehr lebhafte ist,
so bildet er Haufen oder Platten, die, aus der wiederholten Thei¬
lung in einer Richtung hervorgehend, eine sehr regelmässige
streifige Anordnung der Coccen bedingen. Die einzelnen Streifen
liegen einander parallel, da die Theilung parallel der ersten
Theilungslinie erfolgt. Ist aber die Entwicklung eine abge¬
schwächte, so finden sich nur von einander getrennte Ketten¬
formen, welche meist wieder einzelne grosse neben zahlreichen
kleineren Gliedern auf weisen. Diese letztere Form trifft mau aus¬
schliesslich an, wenn von den Tonsillenabstrichen nur sehr
schwache Entwicklungen ausgehen, die makroskopisch sich als
äusserst feine Pünktchen und Striche darstellen. Die Strepto-
form ist in diesem Falle augenscheinlich das Resultat abge¬
schwächter Entwicklungsfähigkeit.
Von den biologischen Eigenschaften dieses Organismus soll
hier nur eine hervorgehoben werden, welche vielleicht Beziehung
zu seiner pathogenen Wirkung besitzt, nämlich die imgewöhnlich
hohe katalytische Leistung, welche denselben gegenüber vielen
anderen, auch namentlich den so oft ihn begleitenden Darmbnc-
terien gegenüber auszeichnet.*) Nicht bloss in Kulturen erkennt
man diese Eigenschaft, sondern auch bei der Anwendung des
H,0, auf Toxituberkulide der Haut, indem Wasserstoffsuper¬
oxyd, welches auf die erkrankte Hautflächo gebracht wird, stark
schäumt. Es genügt hiezu schon eine 1 proc. Lösung des che¬
misch reinen Wasserstoffsuperoxyds, welches jetzt von E. Merck-
Darmstadt geliefert wird. Erst sehr viel stärkere Lösungen, so
das unverdünnte II, O, von 30 Volumprocent bewirken Bläschen¬
bildung auch in der unversehrten Haut, die aber mehr in der
Tiefe liegen und kleine, wie es scheint, den Schweissdrüscn-
kanälen entsprechende Häufchen bilden. Ueber die katalytischeu
Kräfte der einzelnen Gewebe behalte ich mir vor, später Mit¬
theilung zu machen.
Noch deutlicher tritt die hohe katalytische Kraft des Diplo¬
coccus semilunaris hervor, wenn man die Reaktion an einer
Kultur desselben auf Agar vomimmt. Jede Kolonie bildet bei
Ueberscliichtung mit H,0. lproc., einen stetig lange Zeit auf¬
steigenden Strom von feinen Luftbläschen. Quantitativ lässt
sich die Wirkung in einem Gasentwicklungsapparat feststellen,
zu welchem Zwecke ich mich des Apparates von Wagner
(Ehrhardt & Metzger in Darmstadt) bediene. Danach
lieferte eine lebende, aber schon ältere Kultur von DC SL in
flüssigem Nährmedium 2,2 ccm O in 12 Stunden, während die
sterile Kulturflüssigkeit nach Entfernung der Coccen in der
gleichen Zeit nur 0,38 ccm O (red. auf 0° und 760 mm Hg) lieferte.
Die eigentliche und hauptsächlichste katalytische Wirksamkeit
kommt also den Coccen selbst zu und besteht nunmehr die Auf¬
gabe, die wirkende Substanz, welche wahrscheinlich auch den
eigentlichen Antikörper für den Diplococcus semilunaris darstellt,
aus den Körpern der Coccen zu gewinnen, worüber später be¬
richtet werden wird. Hier sei nur bemerkt, dass eine durch
Natrium-Bismuth-jodid dargestellte giftfreie Lösung dieses Kör¬
pers, welche ich unter dem Namen S e 1 e n i n B ausgegeben habe,
die gleiche katalytische Kraft zeigte, nämlich 0,38 ccm O in
12 Stunden entwickelte.
Pathogene Wirkungen des Diplococcus semi¬
lunaris.
Von den zahlreichen und mannigfach variirten Thiorver-
suclien will ich hier zunächst einen hervorheben, der, in jeder Be¬
ziehung einwandsfrei, die Möglichkeit zeigt, allerdings mit ziem¬
lich hoheGaben dcrDCSL eine typische Phlegmone bei einem sonst
ganz gesunden Thier hervorzubringen, während allerdings kleinero
Gaben nicht selten unter leichterer oder schwererer Teinpcratur-
8teigcrung ohne lokale Processo ablaufen. Wir werden Aebn-
liches auch bei dem Vorkommen desselben Organismus beim
*) Anmerkung bei der Korrektur. Nur der B. pro-
digiosus UbertrllTt ihn in dieser Beziehung, Staphylo- und Strepto¬
coccen wirken viel weniger zersetzend auf Wasserstoffsuperoxyd.
3*
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1566
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Menschen zu verzeichnen haben und können ausserdem schon hier
hervorheben, dass diese Verschiedenheit der pathi^cnen Wirkung
im Wesentlichen von der Lebenskräftigkeit des Organismus ab¬
hängt, die allerdings wiederum von dem Nährboden beeinflusst
sein kann. Die oben angedeuteten morphologischen Verschieden¬
heiten des polymorphen Organismus, vielleicht aber auch Sym¬
biosen kommen in Betracht, wie dies auch in gleicher Weise für
viele, bald pathogene, bald scheinbar unschuldige Organismen
gilt, so namentlich für den Diphtherie- und Pseudodiphtherie¬
bacillus. Dasselbe trifft aber auch für die Tuberkulose zu, bei
welcher R. Koch das in seinen aufsehenerregenden Mitthei¬
lungen am Londoner Tuberkulosekongress übersehen zu haben
scheint. Denn die Uebertragung der menschlichen Tuberkulose
auf Rinder mit dem Endergebniss, dass bei den letzteren Thieren
stets wieder die typischen Formen der Rindertuberkulose ent¬
stehen, ist von mir schon in den 60 er Jahren (Virchow’s Arch.)
nachgewiesen worden.
Der Fall von semilunarer Phlegmone ist der folgende: 2. Juli.
Ein gelbes Kaninchen von 1200 g Gewicht erhält subkutan injizirt
an der 1. Thoraxseite 10 ccm einer Aufschwemmung von DC SL
(Kultur vom 8. Juli, Fr. G. ein mässig schwerer Fall, von der Ton¬
sille gewonnen). 37,9 Rect.-Temp. Das Thier wird sehr bald
unruhig, die Ohren aufgestellt, ihre Gefässe weit, das Thier leckt
sich. Nach einer Stunde Teinp. rect. 38,9. Ohren heiss, Flanken-
athmen und Lecken. Am folgenden Tage 5 Uhr Nachm. 39,4.
Am 14. Früh todt auf gefunden. Sektion: L. Brustseite trockene,
eiterige Infiltration von phlegmonösem Charakter, von weit aus¬
gedehntem Oedem umgeben, das auch auf den Bauch und die
andere Brustseite Ubergreift. In der Bauchhöhle wenig Flüssig¬
keit (Kultur bleibt steril). Milz gleichmässig nach allen Rich¬
tungen vergrössert, starr, dunkelblau. Leber mässig gross, braun-
roth, Nieren stark fettig degenerirt in der Rinde, Mark dunkel-
roth. Lungen in den unteren Theilen oedematös, auf der r. Seite
verdichtet und haemorrhagisch.
Aus der Milz sind am folgenden Tage auf Glycerinagar
kleinere helle und etwas grössere welssllche Herde gewachsen,
vorwiegend DC SL, dazwischen einzelne kleine Bacillen, welche
durch Schotteliu s’sche Strichkulturen leicht ausgeschieden
werden. Die grösseren Herde enthalten grössere, die kleinen
kleinere Doppelkörper. Aus der Lunge wachsen dieselben Orga¬
nismen, etwas mehr kleine Bacillen, die nicht Jodecht sind.
Bei schwächerer Infektion, die namentlich tuberkulösen
Thieren verderblich wird, sind atrophische Zustände der Milz
und Leber auffällig. Sehr häufig daneben ebenfalls haemor-
rhagisch-pneumonische Herde, welche den DC SL enthalten,
meist rein oder gemischt mit einem kleinen Bacillus, auf den ich
noch als einen sehr gewöhnlichen Begleiter des DS SL zurück-
komme.
Bei tuberkulösen Menschen ist, wie schon erwähnt, das Vor¬
kommen dieses Organismus ein sehr gewöhnliches, seine reich¬
lichere Anwesenheit auf den Tonsillen und im Sputum gibt jeden¬
falls eine ungünstigere Prognose und ist eine rein antituberculose
Behandlung in diesen Fällen nicht immer ausreichend; es muss
auch gegen den Diplococcus semilunaris eingeschritten werden,
worüber unten mehr. Hier seien nur solche Fälle erwähnt, in
denen der letztere auf den Verlauf ganz offenbar bestimmend
einwirkt.
Dies ist schon der Fall bei manchen skrophulösen Drüsen¬
geschwülsten, welche unter seinem Einflüsse sehr beträchtliche
Dimensionen annehmen können. Sieht man aber auch von diesen
extremen Fällen ab, so wird man bei geschwellten Halsdrüsen
im Kindesalter mit beginnender Spitzeninfiltration nicht selten
solche Fälle antreffen, in denen einzelne Drüsen, namentlich wenn
in dieselben Tuberkulocidin injicirt wird, ganz auffallend an¬
schwellen.
In einem solchen Falle (Carl Sch., No. 53 vom 18. Januar d. J.)
Schwellungen der Nacken- und der jugularen Drüsen rechts, rechts¬
seitige Spitzeninflltration mit Rasseln, verstärkter Phonation,
hauchendem Exsplrium; geringer Auswurf ohne Tuberkelbacillen.
Dabei aber, trotz guter Ernährung auffallende Müdigkeit,
geringer Appetit. — Mit allmählich steigenden Dosen von TC
innerlich behandelt, besserte sich sein Zustand allmählich und
hatte Pat. am 1. Februar 3 Pfund zugenommen. Doch waren die
Drüsen wenig zurückgegangen, eine auf der r. Halsseite eher ver¬
grössert. In dieselbe wurden im Laufe des Februar 4 Injektionen
von 0,7 bis 1 ccm TO gemacht, ohne dass eine Verkleinerung er¬
zielt werden konnte. Im Gegentlieil vergrösserte sich die Drüse
und enthüllte damit den nicht oder nicht ausschliesslich tuber¬
kulösen Ursprung der Schwellung. Da in anderen ähnlichen
Fällen diese auf TC-Injektionen mit Schwellung reagirenden
Drüsen stets erhebliche Beschwerden gemacht hatten und wohl
als Ausgangspunkt mancher schwereren Zustände betrachtet
werden konnten (vergl. den folgenden Fall), so entschloss ich mich,
die Exstirpation vorzuschlagen, die auch beim Beginn der Schul¬
ferien ausgeführt wurde (von Herrn Dr. K r e d e 1 am 23. März)
und den gewünschten Erfolg hatte, dass Pat nicht mehr vou der
vergrösserten Drüse belästigt wurde. Auch sein Allgemeinbefinden
besserte sich so sehr, dass er als vollkommen gesunder und kräf¬
tiger Jüngling seiner Schulaufgabe nunmehr vollkommen ge¬
wachsen ist Am 16. Juni, dem Ende der Behandlung, batte
Patient ein Gewicht von 100 Pfund, also 9 Pfund zugenommeu
und sah blühend aus. Ueber den Lungen deutete nur eine leichte
Verstärkung der Phonation r. v. o. die Stelle der frühereu Er¬
krankung an.
Die herausgenommene Drüse bestand aus einem gleich-
mä88igen weichen weisslichen Gewebe von feuchter Beschaffen¬
heit, wie bei den gewöhnlichen Lymphomen, ohne eine Spur von
Einlagerungen. Auch mikroskopisch bestand sie durchwegs aus
kleinzelligem lymphatischem Gewebe, das keine Herde tuberkulösen
Gewebes, epithelioide Zellmassen, enthielt, ebenso wenig konnten
Tuberkelbacilleu nachgewleseu werden, was freilich deren Ab¬
wesenheit nicht vollkommen sicher stellt Leider wurde ich durch
äussere Umstände verhindert, mit der Drüsensubstanz Impf¬
versuche vorzunehmen. Dagegen Hessen sich kulturell grosse
Mengen des Diplococcus semilunaris in der Drüse uachweisen,
während auch in den Glycerin-Agar-Kulturen keine Tuberkel¬
bacillen wuchsen.
Es handelte sich demnach um eine überwiegend lymphatische
Neubildung, ein Befund, der mit ähnlichen von R. K o c h, P o.n -
f i c k u. A. erhobenen vollkommen übereinstimmt. Dass derselbe
keineswegs als Beweis für die nichttuberkulöse Natur der Skro-
phuloee gelten kann, ist auf der Hand liegend. Sehen wir doch in
diesem Fall eine, übrigens auf hereditärer Basis beruhende Tuber¬
kulose von diesen Lymphdrüsen auf die Lunge übergreifen und
unter der antituberkulösen Behandlung sich zurückbilden. Der
Befund beweist eben nur, dass schon in der skrophulösen Drüsen¬
affektion auch andere Organismen als die Tuberkelbacillen vor¬
handen sein und eine wichtige Rolle spielen können. Die Misch¬
infektion tritt schon viel früher ein als die Lungenzerstörung,
welche man gemeinhin als den Ausgangspunkt derselben be¬
trachtet. Die Erfahrungen von Jessen, Grober und vielen
Anderen nöthigen zu der Annahme, dass die schon früher von
mir als Lymphdrüsentuberkulose aufgefasste Skrophulose von
den Tonsillen auf die Halsdrüsen übergreifen kann und dass auf
diesem Wege, wie gar nicht anders zu erwarten, auch andere
Keime als Tuberkelbacillen in diese Bahnen eindringen können.
Es ist wohl nicht als eine zu gewagte Hypothese zu betrachten,
wenn man annimmt, dass gerade der Diplococcus semilunaris,
der so häufig auf den Tonsillen gefunden wird, hiebei eine wich¬
tige Bedeutung für den lokalen Verlauf gewinnt, indem er den
Boden für die Weiterentwicklung der Tuberkelbacillen vor¬
bereitet. Skrophulose ist demnach für mich Mischinfektion von
Tuberkelbacillen und dem Diplococcus semilunaris. Dass der
letztere hiebei stellenweise eine selbständige Bedeutung ge¬
winnen kann, ist eine Eigenschaft, welche allen Mischinfektionen
zukommt. Dieselbe erklärt auch, weeshalb diese Drüsenaffek¬
tionen, auch wenn sie reichlich Tuberkelbacillen enthalten, durch
lokale Eiterungen ausheilen können. Insofern vermag die An¬
wesenheit des DC SL unter Umständen einen günstigen Einfluss
auf den Ablauf der Skrophulo-Tuberkuloee auszuüben.
Die Bedeutung dieser Halsdrüsenskrophulose ist aber auch
noch in anderer Beziehung bemerkenswerth, indem es der DC SL
zu sein scheint, welcher unter Umständen ein Fortachreiten des
Processes auf die Meningen fördert. Es ist dies namentlich der
Fall bei derartigen Erkrankungen, welche die obersten dieser
Drüsen befallen, so namentlich die in dem Unterkieferwinkel ge¬
legenen. Ich kenne wenigstens solche Fälle, in denen diese Er¬
krankungen chronische, einseitige Meningitiden mit sehr be-
merkenswerthen HimstÖrungen nach sich zogen, die unter einer
antituberkulösen Behandlung rückgängig wurden. Ich kann aus
der letzten Zeit 2 solcher Fälle anführen, bei deren einem ein¬
seitiger Kopfschmerz mit Drucksymptomen und Augenerschei¬
nungen, bei dem anderen ausgesprochene psychische Störungen,
wie Platzfurcht, durch antituberkulöse Behandlung gehoben wur¬
den. Am deutlichsten aber tritt dieser Zusammenhang in dem
folgenden, einen ungünstigen Ausgang nehmenden Fall hervor:
Herr R. D. (No. 70). 38 Jahre alt, verh. Kaufmann, konsul-
tirte mich am 15. März. War bereits seit einigen Monaten erfolglos
von einem anderen Arzte an einer fieberhaften Lungenerkrankung
behandelt worden. Bel der Untersuchung ergab sich in der
1. Lungenspitze eine deutliche Dämpfung, welche sich auch noch
auf den 1. Interkostalraum erstreckte. Beiderseits leises hauchendes
Exsplrium ohne Rasselgeräusche. Phonation (Stimmleitung
vom Kehlkopf) links abgeschwächt, rechts verstärkt. Das Mikro-
Telephon zeigte nur links im inneren Drittel (StellungI) des 1. Inter¬
kostalraums und rechts im mittleren Drittel des 2. exspiratorlscbe
Geräusche.
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1. Oktober 1901.
MUKNCHENER MKDK'INISCHE WOCHENSCHRIFT.
1567
Phonation und Hauehen schienen aber hier links abge-
gesehwücht. rechts normal oder verstärkt. Hinten wenig scharf
begrenzte Dämpfung, links mit deutlichem Ex.spirntionsgeriiusch
und verstärktem Hauchen. Auch an der Scapulaspitze links neben
schwacher Respiration deutlich verstärkte Phonation. Rechts
daselbst nonnales Athmeu, nur Inspirationsgeräusch, Phonation
schwächer als 1., wohl normal. Auswurf war nicht vorhanden.
Die Herzaktion normal, ebenso die übrigen Organe. Der Mann
machte, wohl etwas nervös und mager, den Eindruck energischer
Leistungsfähigkeit. Da kaum ein Zweifel bestehen konnte, dass
eine, wie ich annahm leicht zu beseitigende, tuberkulöse Lungeu-
affektion vorlag, wurde sofort mit der Verabreichung von TC und
zwar von 5 Tropfen begonnen. Das Temperatur-Mittel ging nach
der ersten Dose von 37,95 auf 37,87 zurück. Maxima vor der Ein¬
nahme 38,7, nach 38,5. Nach der 2. Dosis Mittel 37.G7. Indess
hielt diese günstige Einwirkung nicht an, nach der 3. Dosis wieder
38,7 mit maximaler Temperatur von 39,6, nach einer Aufregung am
folgenden Tage sogar Mittel 39,17, Maximum 39,6 um 6 Uhr Abends
trotz Aussetzens des TC. Der weitere Verlauf wird am besten
illustrirt durch die folgende Tabelle, welche oben die mittleren
Tagestemperaturen, unten die Medicatiou enthält. Man sieht, wie
bei 0,25 TC und Eupyrin 0,5 zuerst das Tagesmittel fortdauernd
sinkt und am 11. Tage nach einer Einspritzung von 0.5 TC in die
stark geschwellte submaxillare Lymphdrüse r. sogar bis auf 37,98
heruntergeht, dann aber bei Aussetzen des TC und alleiniger An¬
wendung von Eupyrin wieder In 3 Tagen bis auf 38,7 ansteigt.
Tai d Ben andl un%:
Da es nun klar zu sein schien, dass neben der tuberkulösen
noch eine andere Infektion den unbefriedigenden Verlauf der
kausalen TC-Behaudlung bedingte, wurde, nach dem Vorgänge
eines günstig verlaufenen Falles, der früher publizirt wurde
(Emil R.i. auch hier eine Kombination der TC-Behandlung mit
Typhöse versucht. Unter schnell gesteigerten Dosen der letzteren,
bis 60 Tropfen (3 ccm) Im Tage, gelingt es zwar, auch unter er¬
höhten TC- und Tb-Pr-Gabeu (von 8 bis 20 Tropfen) die mittlere
Temperatur etwas herabzusetzen, indessen blieb das Allgemein¬
befinden unbefriedigend, namentlich wollte die Nahrungsaufnahme
nicht eine genügende Förderung erfahren, ja es bildete sich sogar
ein anderer, höchst beunruhigender Symptomenkomplex aus. näm¬
lich eine Sprachstörung. Pat., der über Kopfschmerzen klagte,
zeigte einen stellenweise bis auf 60 verlangsamten Puls und eine
ausgesprochene Sensibilitätsstörung. Am 1. April wird uotirt:
die allmählich beginnende Sprachstörung macht sich jetzt den
ganzen Tag über bemerkbar. Pat. ist völlig klaren Geistes, aber
vermag nur äusserst undeutlich die Worte hervorzubringen. Keine
Lähmung im Gebiet des Sprachorgans, Zunge, Gaumen frei be¬
weglich, nicht abgelenkt. Dabei starke Ilyperaesthesie des Ge¬
sichtes beiderseitig, am r. Arm stärker als links. Auch hier keine
Lähmung, Reflexe erhalten. Keine Veränderung am Auge, nur
die Pupillen, von mittlerer Weite, reagiren träge. Prof. R e I n -
hold, mit dem zu dieser Zelt konsultirt wurde, koustatirte noch,
dass der Augenhintergrund frei war. Ein Hirntumor konnte aus¬
geschlossen werden, dagegen musste ein meningealer Process an¬
genommen werden. Obwohl ich einen Zusammenhang mit der
8ubmaxillnreu Lymphdrüse vermuthete, konnten wir uns über die
Frage der Exstiipation nicht einigen und beschlossen, zunächst
den weiteren Verlauf abzuwarteu.
Die allmählich sinkenden Kräfte und die fortschreitende Ab¬
magerung nöthigten zu einem weiteren Versuche mit grossen
Gaben TC und Typhase, da vorauszusehen war, dass, wenn es
nicht gelingen würde, die vorübergehenden Erfolge des ersten
Versuches zu dauernden zu machen, kaum eine Hoffnung auf
Heilung übrig blieb. Erst nach 18 Tagen, am 45. Tage der ganzen
Behandlung, schien ein Erfolg sich eluzustellen, indem die Mittel-
temperatur an drei aufeinander folgenden Tagen bis 37.4 und 37.3
herunterging und das Allgemeinbefinden sich etwas besserte. Nun
wurde, am 45. Krankheitstage, die Exstirpation der Drüse von
Dr. It o e s e b e c k unter lokaler Anaesthesie vorgenomineu.
Ohne Anstand vollzog sich die Heilung der Wunde, nur einige
kurz andauernde febrile Anfälle, während gleichzeitig Selenin
(das Produkt des Diploeoeeus seniiluuaris, der in grossen Mengen
sich in der Drüse vorfand) in steigenden Dosen gegeben wurde.
Ein sehr tiefes Absinken der mittleren Temperatur bis auf 35,6
führte noch zu dem Versuch, die Widerstandsfähigkeit des Körpers
durch Tul). Protein zu erhöhen, doch blieb der Erfolg aus und trat
der Tod unter wieder zunehmender Temperatur am 73. Tage der
Behandlung ein.
Leider war es nicht möglich, von den Angehörigen die Vor¬
nahme der Obduktion zu erlangen. Doch konnte so viel festgestellt
werden, dass die LungenafTektion keine Fortschritte gemacht
hatte. Wahrscheinlich war der eigentliche Sitz der Affektion in
den Lymphdrtisen, über deren Beschaffenheit die exstirpirte die
einzige Auskunft geben konnte. Diese Drüse hatte eine Länge von
No. 40.
etwa 3 und eine Dicke von 1—2 cm. war derb, duukelroth und
durchsetzt von käsigen Herden, die zum Theii in Erweichung
übet gegangen waren. Doch hatten die gelben Einlagerungen keines¬
wegs den Charakter tuberkulös-käsiger Massen, sondern setzten
sicli mit scharfen geraden Grenzlinien gegen das rothe Gewebe
ab. zeigten nirgends eine knotige Beschaffenheit; dieselben waren
durchaus homogen, wenig feucht und von leicht gelbröthlicher
Farbe.
Auch die frische und die spätere Untersuchung dieses
Objektes ergab nicht die Anwesenheit von Tuberkelbaeillen, so
dass man an der tuberkulösen Natur des Processes zweifelhaft
werden konnte, wenn nicht das Thierexperiment den unumstöss-
lichen Beweis für eine solche geliefert hätte.
Die Drüse wurde 2 Tage lang in einem sterilen Reagensglase
ohne Zusatz konservirt und während dieser Zeit festgestellt, dass
weder die gelben noch rothen Stellen färbbare Tuberkelbacillen
enthielten, wogegen, wie schon bemerkt, reichliches und reines
Wachsthum von Diploeoeeus semilunaris auf Glycerinagar statt¬
fand. Am 29. April wurde ein Stück derselben einem gesunden
Meerschweinchen (No. V) in der Bauchwand subkutan implantirt.
Die Wunde heilte anstandslos und wurde das Thier am 21. Mai
bei einem Gewicht von 335 g (Anfangsgewicht 260, Zunahme
75 g) einem TC-Versuche, wie sie regelmässig zur Feststellung
der reaktiven Wirkung der neu hergestellten Sorten vorgenommen
werden, unterzogen. Es ergab sich auf Injektion von 0,5 TC
die geringe Steigerung von 38,5 auf 38,8 0 C. im Rectum.
Ohne dass irgend etwas anderes mit dem Thier vorgenommen
war, starb dasselbe am 30. Mai und hatte nunmehr ein Gewicht
von nur 270, also die ursprüngliche Zunahme von 75 bis auf 10 g
wieder eingebüsst. Seine Identität konnte sowohl durch die Fär¬
bung, wie durch die Implantation in der Bauchwand festgestellt
werden, die einzige derartige Operation, welche bei meinen Thieren
vorgenommen wurde, da ich sonst die Tuberkelbacillenemulsionen
in die Bauchhöhle einspritze.
Obduktion: An der Einpflanzungsstelle findet sich 1. von
der Medianlinie etwas unter dem Nabel ein theils eitriger, theils
käsiger Herd von kaum Erbsengrösse. Im benachbarten Peri¬
toneum und auf dem Nebenhoden eine geringe Anzahl grauer und
gelber Knoten. Das grosse Netz ist von solchen dicht durchsetzt,
straugartig. Die Milz ist nur wenig vergrössert, dagegen von
gelben hirsekorngrossen Knötchen dicht durchsetzt, sonst ist sie
glatt und von dunkelrother Farbe. — Leber nicht vergrössert,
dunkelbraunroth, mit spärlichen Knoten, eher atrophisch. —
Mediastinale und bronchiale Lymphdrüsen nur wenig vergrössert,
enthalten aber käsige Knoten von Hirsekorngrösse. Die Lungen
sind gänzlich frei, fleckweise hyperaemisch.
Auch aus den Organen dieses Thieres wuchs
reichlich Diploeoeeus semilunaris.
Ein grosses Stück des strangartig verdickten Netzes wurde
einem frischen Kaninchen No. I bei der Sektion des Meer¬
schweinchens V unter die Haut eingepflanzt Dasselbe starb am
26. Juni.
Obduktion: Etwas mageres Thier, auf der linken Brust¬
seite eine ln normalem Gewebe eingebettete, abgekapselte käsige
Masse. In der Nachbarschaft keine Veränderung, die Wunde voll¬
kommen geheilt Das Peritoneum ist frei von Knoten, nur auf
einem Dickdarmtheil liegt locker eine dünne fadenförmige Faser-
stoflfmasse auf. Die Lymphdrüsen sind überall schwach entwickelt.
Die Milz ist ganz auffallend klein, dünn,
schmal und blass, fast durchscheinend. Die
beiden rech len oberen Lungenlappen sind dunkelroth, derb in-
liltrirt mit gelben eingelngerten Knoten. (Keine Tuberkel.) In
der käsigen Masse neben I)C SL noch lauge Käsebacillen, in der
Lunge nur DC SL, keine Anzeichen von Tuberkulose.
In diesem Falle war also die tuberkulöse Infektion durchaus
erfolglos geblichen, woraus ich nicht schliessen möchte, dass die
Tulx'rkelbacillen des Meerschweinchens V überhaupt ihre In¬
fektionsfähigkeit verloren hätten. Wir wissen seit langer Zeit,
dass das Kaninchen viel resistenter gegen menschliche Tuberku¬
lose ist als das Meerschweinchen, und beruhten hierauf vielleicht
die scheinbar günstigen Resultate, welche R. Koch seiner Zeit
mit seinem Tubereulin bei diesen Thieren erzielt haben wollte.
Wenn auch die Meersehweinchentuberkulose in diesem Falle
nicht. Überträgen wurde, hatte doch der Diploeoeeus semilunaris
seine pathogene Wirksamkeit recht wohl bewahrt, aber freilich
nicht in Gestalt von Phlegmonen oder Entzündungen, sondern von
Atrophien zur Geltung gebracht. Es ist dies um so mehr be-
morkenswerth, als diese Erscheinung, das Darniedcrliegcn der
Lebenskräfte, sowie die Atrophie der blutbildenden Organe sich
in ganz gleicher Weise sowohl bei den gewöhnlichen Phthisen mit
reichlicher Tuberkelentwicklung, wie auch in dem oben mitge-
theilten aussergewöhnlichen Fall von R. 1).. Tuberkulose mit über¬
wiegender Seinilunnrinfektion, sich vortindet. Welcher Arzt, der
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15<?8
MFENCHENER MFDICIXISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
sich mit Tuberkulösen eingehend beschäftigt, hat nicht diese Crux
medicationis tausendfältig wahrgenommen. Nun scheint es mir
sehr wahrscheinlich, dass dieses so verderbliche Phnenomen der
Atrophie, der eigentlichen Phthise, ein infektiöses, durch den
Diplocoeeus semilunaris hervorgerufenes ist. Alle möglichen
Kombinationen mit Tuberkulose können Vorkommen, und der vor¬
liegende Fall zeigt, welche Gefahr dieser atrophirende Diplo-
coccenprocess auch bei schwach entwickelter, nahezu zurück-
gebildeter Tuberkulose noch herbeiführen kann. Die Magerkeit
der selbstimmunisirten alten Phthisiker mag wohl ebenfalls auf
dieser Mischinfektion beruhen.
Eine weitere sehr wichtige und dabei leicht übersichtliche
Kombination des Diplocoeeus .-t milutiaris mit Tuberkulose kommt
in den tuberkulösen Gelenk- und Knochenleiden vor. Auch hier
kann wohl angenommen werden, dass beide Organismen, der
DC SL und der Tuberkelbaeillu* schon sehr frühzeitig neben¬
einander Vorkommen und dass durch diese Kombination der Ver¬
lauf der Erkrankung wesentlich mit bestimmt wird. Einen
akuteren Charakter erhält derselbe erst dann, wenn der Diplo-
coccus semilunaris in aktiverer Weise sich entwickelt. Dann
treten, auch bei Rüekgängigwerden des tuberkulösen Processes
und theilweise geradezu antagonistisch zu demselben gerne
Abscessbildungen auf, in denen der DC SL in Reinkultur vor¬
handen sein kann. Dieselben führen alsdann zur Ausstossung des
einer Resorption nicht mehr fähigen, nekrotisirten. aber nicht
mehr infektiösen tuberkulösen Gewebes. Diese Vorgänge be¬
dürfen einer eingehenderen Darstellung, welche später geliefert
werden soll.
Ueber einen Fall von Sectio caesarea bei osteo
malacischem Becken.
Von Dr. Hugo M a r x, leitendem Arzte des Kreiskrankenhauses
zu Lübbecke i. W.
Frau Br., 42 y 2 Jahre alt. wird von der Hebamme am 17. Juni
Vormittags in das Krankenhaus gebracht mit der Meldung, der be¬
handelnde Arzt, Herr Dr. L ü c k e r aus Pr.-Oldendorf, habe die
Heberführung zwecks Vornahme des Kaiserschnitts veranlasst.
Ich lasse kurz die Krankengeschichte folgen:
1894, im Alter vou 35 Jahren. Heirath.
I. Geburt am 23./1X. 1895. Geburt geht leicht und ohne ärzt¬
liche Hilfe von statten; reifes lebendes Kind.
II. Geburt am 18./II. 1897. Geburt leicht, ohne Kunsthilfe;
reifes, lebendes Kind.
In der 2. Schwangerschaft machen sich während der 2. Hälfte
starke Kreuzschmerzen bemerkbar.
III. Geburt am 5. VII. 1899. Leichte Geburt, ohne Kuusthilfe.
Reifes, lebendes Kind.
Während der Schwangerschaft wiederum heftige Kreuz¬
schmerzen und Schwäche und Schmerzen in den
Beinen, so dass die Frau während des letzten Drittels der
Schwangerschaft am Stock gehen musste.
Die IV. Schwangerschaft datirt seit Mitte September 1900.
Im Anschluss an die III. Geburt blieben die
Kreuz- und Beiusch merzen bestehen. des¬
gleichen die Schwäche in den Beinen. Die Frau
hatte in dieser Zeit die Empfindung, als ob sie kleiner
würde; auch die Angehörigen hätten sie auf dies Kleinerwerden
hingewiesen. Thermal- und Soolbäder. welche die Frau gegen
ihren „Rheumatismus*' gebrauchte, halfen nichts.
Während der IV. Schwangerschaft wurden die Schmerzen
heftiger als je; die Frau konnte nur noch mit Stock gehen und
musste viel liegen. Ausserdem sei es ihr so vorgekommen, als
cb der Bauch diesmal viel mehr ..auf die Seite gehangen hätte“.
Beginn der Geburt am 10. Juni, Nachmittags 3 Uhr mit
mittelstarken Wehen, die um 0 Uhr gänzlich aufhürfen. Die Heb¬
amme. der bei der Untersuchung die abnorme Enge des Scheiden¬
eingangs auffällt, zieht in der Nacht zum 17.. da auch keine
Wehen mehr auftretf n. den Kollegen Dr. Llicker zu. der die
Frau sofert mit der Eingangs erwähnten Weisung In Begleitung
der Hebamme mir zuschickte.
Die sehr kleine Frau ist ausserordentlich gracil und mager
und ziemlich anaemis< b. IIciz und Lungen gesund. Keine
Oedeme. T.biae schmal und der Scheidenform angeniihert.
Starker Hängebauch. Kind in dorso-auteriorer Querlage, Kopf
rechts. Herztöne 144.
Das Kreuzoein der Frau zeigt in seiner Mitte einen spitz¬
winkligen G.'bbus und hat üusserst schmale Flügel. Symphyse
„sehnabel'g*
Distantla splnarum ^ 20 cm; Distantia cristarum — 33 cm;
Distantia der Tubera ossis iseliii = 6 cm; Conjugata vera 5,1 cm.
Die Blase springt während meiner Untersuchung.
Es lag also die absolute Indication zum Kaiserschnitt vor.
Unter freundlicher Assistenz des Kollegen L il c k er machte
ich lv, Stunden nach dem Blasensprung die Sectio caesarea.
UtcruscröfTnung durch Längsschnitt nach Anlegung des Schlauches.
Der Schnitt trifft die stark blutende I’lacenta, manuelle Ablösung
derselben, Extraction eines reifen, lebenden, männlichen Kindes.
— Entfernung der Plaeenta und Eihäute. Nunmehr trat eine
kolossale Blutung ein. ich entfernte den Schlauch und die Blutung
wurde sofort geringer und hörte nach Anlegung der Uterusuaht
und vorausgegangener Todoformgazetamponade des Uteruscavum
vollständig nuf. indem der Uterus sich gut kontrahirte. Den Uterus
vernähte ich mit etwa 12 durch die ganze Wand gehenden und
0 bis 7 Serosamihten. Verschluss der Laparotomiewunde durch
durchgreifende Nähte. Aseptischer Deckverband. Während und
gleich nach der Operation Injektion von je 0.2 Ergotin dialvs..
Nahtmaterial war Seide.
Aseptischer Wund- und Wocheubettsverlauf. Am 11. Juli
Entlassung der Frau.
Publlzirt habe ich den Fall wegen der sehr typischen Ana¬
mnese. zweitens, tun auf die Entbehrlichkeit des Schlauches hln-
zuweisen. drittens, um einen erfreulichen Beitrag zur Statistik
Publizirt habe ich den Fall wegen der sehr charakteristischen
Anamnese, zweitens, um nuf die Entbehrlichkeit des Schlauches
hinzuweisen. drittens, um einen erfreulichen Beitrag zur Statistik
des konservativen Kaiserschnitts zu lieferu.
Ueber einen Fremdkörper in der Nase.
Von Dr. med. Gross, Arzt in Schweidnitz.
Die kleine Mittheilung aus meiner Praxis, die ich den
Herren Kollegen nicht glaube vorenthalten zu dürfen, i3t meines
Erachtens besonders lehrreich für die Pathologie von Fremd¬
körpern in der Nase.
Die Vorgeschichte unseres interessanten Falles Hegt 4 Jahre
zurück. Damals will sich der jetzt 9 jährige Patient einen
schwarzen Schuhknopf in das linke Nasenloch gesteckt haben, der
ihm zwar keine Schmerzen bereitete, ihn aber doch so ängstigte,
dass ihn die Mutter zu einen Arzt führte, der indess nichts fand.
In der ersten Zeit nach dem Unfälle machte sich der Fremdkörper
gar nicht bemerkbar, es wiederholten sich nur gelegentlich die
Klagen des Jungen, dass er, besonders beim Gebrauche eines
Taschentuches, das Gefühl hätte, als drücke ihn etwas ln der Nase.
Allmählich aber wölbte sich die äussere linke Nasenwand hervor,
es trat auch eine miissige Sekretion ein, die aber nach einem
Jahre so stark wurde, dass der Junge fortwährend das Taschen¬
tuch gebrauchen musste, und an der Oberlippe eine sehr schmerz¬
hafte Dermatitis mit tiefen Rhagaden erzeugte. Verschiedene
Hausmittel gegen den „Schnupfen“ wurden gebraucht, und es ver¬
gingen noch 2 Jahre, bis die Eltern es für zweckmässig hielten,
ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es wurde nämUch all¬
mählich auch für die Umgebung der immer mehr zunehmende
Gestank aus der Nase unerträglich.
Bei der ersten Untersuchung am 9. April d. Js. bestand eine
starke Dermatitis um die linke Nasenöffnung an der Oberlippe.
Der Nasenrücken wich etwas nach rechts ab, der ganze linke
Naseutbeil war stärker, äusserlich aber auf Druck unempfindUcb.
Die rechte Nasenhöhle ergibt nichts Pathologisches, die innere
Untersuchung der linken Höhle war zunächst sehr schwierig und
schmerzhaft. Das Sekret hatte einen überaus üblen Gernch, war
gelbgrün, zähflüssig und sickerte konstant, wie sich bald zeigte,
aus einer nur für einen ganz dünnen Tupfer durchgängigen Oeff-
nuug hervor. Einen Spiegel in die linke Nasenhöhle einzuführen,
war unmöglich, auch nicht nach ausgedehnter Cocainisirung. Ich
beschränkte mich daher zunächst darauf, einige Tage die Nase zu
cocainisiren und einen Tupfer mit Argentum Crödä einzulegen,
der bei der jedesmaligen Entfernung einen abscheulichen Gestank
verbreitete. Nach 11 Tagen war die Sekretion bedeutend schwächer
geworden und die Nasenhöhle soweit durchgängig, dass ich meinen
grössten Ohrtrichter bequem einführen konnte, während der
Dupla y’sche Nasenspiegel Immer noch zu gross war. Eine
Sondirung der Nasenhöhle, die trotz der Cocainisirung sehr
schmerzhaft zu sein schien, ergab das rauhe Gefühl eines perlost¬
freien Knochens an der Scheidewand und auf dem Boden, während
man an der äusseren Wand und an der Decke der Nasenhöhle die
gesunde Schleimhaut abtasten konnte. Meine Diagnose lautete
demnach: ein Fremdkörper in der linken Nasenhöhle, der sieb
derart inkrustirt hat, dass er den Bodeh der Höhle, das Septum
und zum Thell auch die untere Muschel bedeckt.
Die einzige Therapie konnte also nur darin bestehen, den
inkrustirten Fremdkörper zu entfernen. Ein Versuch unter
Cocainisirung scheiterte an dem ängstlichen Wesen des Patienten
und der festen Verwachsung des Fremdkörpers. Ich chlorofor-
mirte daher den Jungen mit Unterstützung einer Schwester und
brachte mit einem kräftigen Zuge den Rhinollthen heraus. Als
Instrument diente mir eine Nasencurette, die ganz nach Art der
Uteruscuretten augefertigt ist Ich schloss auch an die Ent¬
fernung des Fremdkörpers ein typisches Curettement der Nasen¬
höhle an, ohne mich durch die überaus heftige Blutung stören
zu lassen, und förderte noch manche Inkrustlrte Fremkörper-
partikelchen heraus. Der starken Blutung wurde ich bald Herr
durch Ausstopfung der Nase mit Wnttetampons, die mit Hydro-
geniurn peroxydatum getränkt waren.
Der Rbinolith war so gross wie eine Haselnuss, stank entsetz¬
lich. doch konnte man aus seiner eckigen, scharfkantigen Form
noch keinen Schluss auf seinen Charakter machen. Er sah weit
eher einem Stück Kohle ähnlich, als dass man unter seiner Decke
den Schuhknopf vermuthen konnte. Die über den Erfolg der
Operation erfreute Mutter brachte Aufklärung, sie ging etwas
unzart mit dem Gebilde um und zerbrach es, wobei der stark
veränderte Schuhknopf mit der noch gut erhaltenen Metallöse zum
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1. Oktober 1901.
MFEXCHEXEU MEDICIXISCHE WOl'HEXSCIIHIFT.
1569
Vorschein kam. Es war mir also geglückt, den vor 4 Jahren in ; mit Geheimrath Riegel wurde angenommen, dass eine solche
die Nase gesteckten Knopf, in entstellter Form allerdings, an's
Tageslicht zu fördern.
Die Nachbehandlung der operirten Nasenhöhle bestand nur
in Reinigung und Austupfung mit einer Perubalsam-Bismutsalbe.
Nach wenigen Tagen war die Höhle mit zarter, leichtblutender
Schleimhaut bedeckt, und 14 Tage darauf konnte ich mich von
dem guten und erwarteten Erfolg der Therapie überzeugen.
v< rgrüsscrte Drüse den Gallengang obturirte und so die ge¬
schilderten Erscheinungen hervorrief. Die Therapie beschränkte
sich auf Fachinger Wasser und Aufenthalt im Freien. Allmählich
erholte sich Patient soweit, dass er Mitte Mai Bad Brückenau
aufsuchen konnte. Hier stellten sich nach 3 Wochen starke rheu¬
matoide Schmerzen mit Schwellung und Röthuug der Fussgelenke
ein. die den Pat. zwangen, nach Hause zurückzukehren. Eine
Als Thesen möchte ich auf Grutul diese« Falle» der Be¬
achtung empfehlen:
I. Jeder Fremdkörper ist sofort nach seiner Erkennung aus
der Nase zu entfernen.
II. Einseitiger stinkender „Schnupfen“ bei Kindern deutet
immer auf einen zurückgehaltenen Fremdkörper hin.
III. Differentialdiagnostisch ist eine Nebenhöhleneiterung
zu berücksichtigen, bei Kindern aber auszuschliessen.
Ueber einen Fall von Pseudoleukaemie mit inter-
mittirendem Fieber und gleichzeitiger Glykosurie.
Von Dr. August G o 1 d s c h m i d t,
Assistent der mcdicinischcn Poliklinik in München.
Patient wurde 1841 geboren und von einer luetischen Amme
genährt. Als Kind litt er an Skrophulose und mehrmals an Diph-
theritls. Im höheren Lebensalter traten häufig am Halse Drüsen-
scbwellungen auf, die Pat wiederholt Jodkalikuren in Leuk und
Münster a. Stein durchmachen Hessen. Im Winter 1895/96 reiste
er zu längerem Aufenthalt nach Italien. Im Anfang wurde die
Reise gut ertragen, bis Pat. in Nizza die Influenza bekam. Der
chronische Rachen- und Nasenkatarrh, an dem Pat. schon fast
immer krankte, soll damals durch den an der Riviera herrschenden
Staub besonders stark aufgetreten sein. Zugleich wurden die
DrtisenschweUungen am Halse so stark, dass Pat. auf ärztlichen
Rath abermals nach Leuk ging. Hier nun fühlte er sich sehr
schwach, konnte die Bäder nicht mehr vertragen und hatte Ohn¬
machtsanfälle. Der dortige Arzt fand darauf bei gelegentlicher
Untersuchung, dass die Drüsen nicht nur am Halse, sondern auch
ln der Axilla sehr stark hervortraten und schickte den Pat., ohne
ihm die Diagnose zu
sagen, nach Hause. Hier Mo i..u Amm-t
erkannte der Hausarzt
Sei'iemlu*’.
neuerliche Blutuntersuchung ergab eine geringe Abnahme der
Erythrocyten. Zugleich traten diffus an den Extremitäten multi-
forme Erytheme auf, die von einem regelmässigen Wechsel von
Fieberperioden und fleberlosen Zeiträumen begleitet waren. Diese
Affektion, die Anfang Juli begann und bis Eude September
dauerte, zeigte damit das Charakteristicum des chronischen RUck-
faüfiebers (Ebstein).
Aussehen und Ernährungsstaud des Pat. nahmen dadurch
rapid ab. Die hochgradige Schmerzempfindlichkeit der Extremi¬
täten verhinderte jedoch aktive oder passive Bewegung und Hess
den Patienten bei der leisesten Berührung laut aufschreien.
Die Therapie bestand im Anfang ln Chinin, Phenacetin und
Sauerstoffinhnlationen; ferner In kalten Umschlägen auf die Ex¬
tremitäten und kühlen Bädern. Auf die Drüsen selbst suchte man
lokal mit Jodaethyl einzuwlrkeu. Da alle diese therapeutischen
Maassnahmen einen negativen Erfolg hatten, wurde ein Versuch
mit Antistreptococcenserum von Prof. Marmorek in Paris ge¬
macht. Nachdem aber 2 Injektionen weiter keinen bemerkens-
werthen Einfluss zeigten (wie aus beifolgender Skala ersichtlich
Ist), wurden dieselben unterlassen.
Erst Ende September nahmen die Fiebertemperaturen ab
und zeitigten damit eine Besserung des Allgemeinbefindens. Pat.
wurde zweimal täglich massirt, um die GUeder wieder bewegungs¬
fähig zu machen, und konnte allmählich mittels Stock und Roll¬
stuhl mehrere Stunden täglich im Freien zubringen. Das selbst¬
ständige Geben kam nach und nach auch wieder, doch war der
Pat durch die lange Fieberperiode sehr reducirt und erholte sich
nur langsam.
Während des gesammten Krankheitsverlaufs wurde der Urin
von Zeit zu Zeit untersucht, und dabei zeigte es sich, dass gerade
während der Affektion der Febris intermittens Glykosurie
auftrat. Der Zucker schwand jedoch gänzlich von einem zum
anderen Tag und war in seinem Auftreten von dem Fehlen oder
Vorhandensein der Kohlehydrate in der Nahrung gänzlich unab¬
hängig. Die Diurese
war kaum vermehrt,
dagegen war das Durst-
Dr. Holländer das t*. rs i& ir i». i». to. ?i. ir. n. »» is. 21
Leiden als eine Pseudo-
leukaemie und begann ” Hi si irr fft iHfi-:; inj in
sofort mit der inner- * 5 |f| ^ g ij| fff
liehen Anwendung von 38 fjwrtrf rrr ^ iifcU fff fff ff fh \ rtr H jhilfe j J
Solutio Fowleri. Das »» r- r ^ füjfeT fj-j*^ gH feftE f 3
Quantum wurde allmäh- ” ffiMMf jMlli Ht
lieh gesteigert, bis der w iHflfiHfrhüiin i 1 mr‘i l i FTit T , i
Pat. schliesslich Diar¬
rhöen bekam und Sich SO An <tl '" nnterntrlehpiien TftROii landen Ii
schwach fühlte, dass die
Kur unterbrochen werden musste. Gleichzeitig wurde ein Haupt¬
gewicht auf gute Ernährung und völlige Ruhe gelegt, um den
Kriiftestand möglichst zu heben.
So verlief der Winter für den Pat. verhältnissmässig günstig.
Er fühlte sich objektiv wohl und konnte im Sommer (auf seinen
eigenen Wunsch) nach Münster a. Stein gehen, das ihm bereits
früher bei seinen Drüsenaffektionen gute Dienste geleistet hatte.
Doch stellten sich nach kaum 14 tägigem Aufenthalt heftige Diar¬
rhöen ein, die den Pat. wohl sehr schwächten, aber deu Erfolg
hatten, die Drüsen überall, am Halse, in der Axilla und der
Inguinalgegend zum Schwinden zu bringen. (Die Schuld au deu
Diarrhöen wurde von dem Pat. den schlechten Trinkwasserver¬
hältnissen zugeschrieben, zumal auch eiu Hötelbcdiensteter zu
gleicher Zeit an heftigen Diarrhöen erkrankte.) Im Laufe des
Sommers kamen die Drüsen sehr stark wieder und erreichten
z. B. in der Axilla die Grösse einer starken Mannesfaust. Der
Pat. ging desshnlb nacli Vetriolo bei Levlco in Südtirol Die vor¬
zügliche Luft des 1490 m hoch gelegenen Kurortes, die Triuk-
,\n (tcn imtcmtrichciien Taroii landen Injektionen von Antistreptocooeensemui stall
9 . 10 ix, 1 . 2 . 3. t. i- e. 7. «. 9. ■■». n. n. n. geftihl recht stark und
HiilU iif pf aijfti der Appetit gering. Die
• fjnib-! ü±I;;n p| s t 4 r (=^Hi HHÜ&UIIpf ifff=H Harnuntersuchungen
W -|iHvilpfHL fftttjltlff Tftfl wurden mittels der
pf H Tp tüjiü Tromme r*sehen und
P jjfllT ytl ijffi tffjUj Gährungsprobe ge-
a aBisürTti Mi ffrufTn^iliP;dil a Eine genaue Ana¬
lyse des chemischen
ttonen von Antistreptococcenseniui statt. Untersuchungsamtes zu
D. ergab folgenden Be¬
fund: Specifisches Gewicht des Urins bei 15° C. 1,0260; Farbe:
gelb; Reaktion: sauer; Eiweiss: nicht vorhanden; Zucker: 3,283
Proc.; Stickstoff: 0,4088 Proc., entspricht 0,8795 Proc. Harnstoff;
Phosphorsäure: 0,0924 Proc.
Die Besserung ging jetzt langsam, aber stetig voran, so dass
Im Sommer 1899 zuerst ein Aufenthalt in Gossensass als Ueber-
gangsstation. dann für 3 Wochen in Vetriolo zur Kur gemacht
werden konnte. Auf der Rückreise verweilte Pat. noch längere
Zeit am Achensee und kehrte dann erfrischt und gekrüftigt nach
Hause zurück. Allerdings hatten die Drüsen trotz Arseninjek¬
tionen nicht wesentlich abgenommen. Der Winter 1899/1900 ver¬
lief wieder verhältnissmässig günstig. Pat. litt wohl von Zeit zu
Zeit nu leichten Krisen, die sich in Erythemen, Temperatursteige-
rungeii. nervösen Erregungszuständen und rheumatoiden Schmer¬
zen offenbarten, doch brachte da meistens Lactophenin Be¬
ruhigung. Ausserdem traten Mittags zu einer ganz bestimmten
Zeit (direkt nach dem Essen) dünnflüssige, schwarz aussehende
Diarrhöen auf, die sich mit starkem Druck, aber ohne Leib¬
und Bäderkur der dortigen arsenhaltigen Quellen gabeu dem Pat.
so viel Kräftigung, dass er auf (1er Durchreise in die Heimath
grossen Opernaufführungen in München beiwohnen konnte.
Im Herbst 1897 wurde zum ersten Male mit Injektionen von
Natrium arsenicosum (0,4:20,0) begonnen und zwar aufsteigend
von y 3 bis 2 ganzen Spritzen täglich, also 0.04 Natrium arsonie.
Die Injektionen wurden anfänglich auch gut vertragen, doch
stellten sich trotz der langsamen Steigerung so ungünstige Er¬
scheinungen (Diarrhöen, Schwächezustände. Erytheme u. s. w.)
ein, dass die Kur unterbrochen werden musste. Ueberhaupt fühlte
sich Pat. stets wohler, wenn keine Injektionen gemacht wurden,
wenn auch alsdann die Drüsen stärker hervortraten. So verging
der Winter ganz leidlich, Theater- und Concertbesuche waren nicht
ausgeschlossen, bis Mitte März ein akuter Ikterus auftrat.
Der Appetit nahm ab, zeitweises Erbrechen und starker Juckreiz
stellten sich ein, der Urin war bierbraun und zeigte deutlich die
G m e 11 n’sche Gallenfarbstoffreaktion. Der Stuhl war lehmig,
von welsser Farbe und sehr üblem Geruch. Abdomen war nir¬
gends druckempfindlich, nur erschienen Leber und Milz ver-
grössert und waren deutlich palpabel. Feiner waren die abdomi¬
nalen Lyinphdrüsen sehr geschwollen und durch die Bauehdecken
hindurch in grossen Packeten gut zu fühlen. In Uebereinstimmung
schmerzen, ankündigten. Darnach fühlte sich der Pat. wohl er¬
leichtert, aber sehr matt und musste einige Stunden ruhen.
Während des Monats Februar und März wurden wieder
Arseninjektionen gemacht, die auf die Drüsen nur geringen Ein¬
fluss hatten und im Allgemeinen schlecht vertragen wurden.
Im Somme d. Js. wurde St. Moritz im Engadin nufgesucht.
Der Pat. gebrauchte die dortigen kohlensauren Stahlquellen zu
einer Trink- und Badekur, doch ohne Erfolg. Schlecht aussehend
und nervös kehrte er In die Heimath zurück, wo alsbald ein Ek¬
zema madidans an den Zehen, am Kopfe und den Ohren auftrat.
I der Appetit nahm jetzt bei dem Fehlen der Gebirgsluft wieder ab.
die Drüsen und der Ascites wurden stärker. Eine Untersuchung
dos Urins ergab keinen Zucker, aber kleinere Mengen Eiweiss;
mikroskopisch wurden granulirto Cylinder nachgewiesen. Die
Körpertemperatur war durchschnittlich siibn o r 111 a 1: dabei
empfand Patient ein starkes subjektives Hitzegefühl und lag ent-
blösst lm kalten Zimmer. Das Blut, das bei früheren Unter¬
suchungen einen ziemlich normalen Befund ergeben hatte, war hell
und'wässerig und zeigte jetzt eine betriiehtliehe Zunahme der
Leukoeyten (etwa 1:80—100). Auch stellten sieh häutig Blutungen
aus dem Zahnfleisch und der Nase ein. Patient konnte nur nm h
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157u
MTENCIIENER MEDICIXISCIIE WO( II EXS( 11RI FT
Xo. 40.
wenig gehen und war bei der geringsten Anstrengung sehr er¬
schöpft.
Es verwandelte sich damit die lymphatische Pseudoleukaemie
in das Bild einer ausgesprochenen echten Leukaeinie.
Am 13. März 1001 traten heftige Schmerzen etwas oberhalb
der Ivnrdia spontan und besonders beim Schlucken auf.
Den 15. März Messen dieselben dort nach und zeigten sich
dafür im rechten Hypochoudrium. Es wurde zur Beruhigung
Morphium injicirt.
Am 18. Seitenstechen in der linken Seite. Die Untersuchung
ergab daselbst deutliche pleuritische Reibegeräusche.
2 Tage darauf auch rechts hinten unten. Zugleich wurde
beiderseits ein massiges Exsudat nachgewieseu.
Am 23. Morgens lü Uhr verlor I’at. das Bewusstsein und ver¬
fiel Mittags in klonische Krämpfe und Delirien. Es wurden
Kampherinjektiouen und eine subkutane Kochsalzinfusion ge¬
macht.
Am 24. zeigte sieh I.ungenoedem und am 23. verschied Pat.
Morgens 3 Uhr in einem neuen Krampfanfalle.
Die Schwellung der 1> r ii s e u w a r dabei in den
letzte n Tage n (v o m 15. b i s 23.) völlig zu r ück-
gegangen.
Eine Sektion wurde nicht gemacht.
Fassen wir nun die bemerkenswerthosten Momente des vor¬
liegenden Falles nochmals zusammen, so fällt vor Allem die
wechselnde Zuckerausscheidung auf. Es ist dies meines Wissens
(soweit mir die umfangreiche Literatur überhaupt zugänglich
war) bei Pseudoleukaemie der erste derartige Fall. Rebitzcr
berichtet dagegen in der Prager med. Wochensehr, über einen
Diabetiker, bei dem sich später noch eine reine Leukaeinie hin¬
zugesellte. Bei unserem Falle hatte die Zuckerausscheidung
vor der Erkrankung an Pseudoleukaemie nicht bestanden,
wechselte dabei von einem Tag zum andern, unabhängig von der
Art der Nahrungsmittel, uni endlich nach einigen Monaten
wieder völlig zu verschwinden. In der Behandlung endlich
wurde Arsen nur im Beginn der Erkrankung gut vertragen,
trotzdem später die Injektionen streng nach Z i e m ssen’s Vor¬
schrift (Katzenstein: Archiv f. klin. Med.) gemacht wur¬
den. Der Versuch mit Injektionen von Antistreptococcenserum
war vielleicht damit begründet, dass namentlich französische
Forscher auf das Vorkommen von Streptococcen in den Drüsen¬
tumoren bei Pseudoleukaemie hingewiesen hatten. Ein sicht¬
barer Erfolg war allerdings in diesem Falle nicht festzustellen.
Weit brauchbarer noch als Chinin erwies sich bei Temperatur¬
steigerungen und nervösen Erregungszuständen Lactophenin.
Besonderes Gewicht wurde vor Allem auf eine geeignete Er¬
nährung gelegt. Auf Vorschlag Prof. S a h 1 i’s wurden 8—12
rohe Eidotter täglich gegeben, doch scheiterte diese Art der
Tleberemührung nach kurzer Zeit an dem Widerstand des Pat.
So ist. überhaupt der selten langsame Verlauf dieses schweren
Leidens weniger der medicamentösen Therapie, als der überaus
sorgsamen Pflege, die der Pat. genoss, zuzuschreiben.
Aus der Landpraxis.
Von Dr. Peters in Petersthal in Baden.
In den ersten Monaten 1900 herrschte bei uns. wie überall,
eine starke Influenzaepidemie. Dieselbe trat jedoch höchst eigen-
thümllcher Weise in drei von einander symptomatisch ganz ver¬
schiedenen Arten auf. die sieh auch zeitlich streng von einander
abgrenzen Messen. In der ersten Form, ganz im Anfang 1900,
erkrankten zumeist sonst gesunde, kräftige Leute mittleren Alters.
Ganz unerwartet, ohne irgend welche Prodromalerscheinungen,
wurde es z. B. einem Manne mitten am Tag bald nach dem Essen
schlecht. Er erbrach mehrere Male, bekam ganz profuse Diar¬
rhöen und bot binnen wenigen Stunden das Bild eines Schwer¬
leidenden, am besten vergleichbar «lein eines Cholerakranken. In
diesem Zustand blieb nichts bei einem solchen Patienten. Alles
wurde erbrochen, nur eiskaltes Bier, in ganz kleinen Schlucken ge¬
nommen, blieb und machte den Magen fällig. später
etwas Schleimsuppe wieder zu behalten. Was die Behandlung
anlangt, so ergab sich im Verlauf der Fälle, dass am meisten zu
erreichen war mit ein paar ordentlichen Gaben Kalomel oder
einem Einlauf — 2 Liter Wasser mit Ricinus und einem Stück
Soda —, nach ein paar Stunden wurde dann Opium gegeben. Dazu
Ileisswasserumsehläge auf den Leib, schwarzer Thee mit Itoth-
weiu, später Schleimsuppen. Auf diese Art verliefen die Fälle
innerhalb 3—8 Tagen sümmtlleh günstig.
Nach Ablauf dieser Krankheitsform gal» es einige Zeit Ruhe,
daun folgte ein neues Aufflammen der Epidemie, diesmal die Ath-
mungsorgaue mit Beschlag belegend. Das Hauptkoutingeut der
Betroffenen stellten die Kinder. Die Erkrankung bestand fast
durchweg in einer starken, mehr minder hartnäckigen Bronchitis
mit ganz vereinzelten Pneumonien.
Als letzte Form traten, wieder einige Zeit später, mehrere
Fälle auf mit rein nervösen Symptomen ohne organischen Be¬
fund. Diese Leute — meist Erwachsene mit schwächerer Kon¬
stitution — klagten über starkes Abgeschlageusein, Kopfdruck.
Unlust zu aller Arbeit, in einigen Fällen Abends leichte Tem-
peratursteigerung. Therapeutisch, schien mir zuerst Kalomel
u. 1—0.2 4 Pulver, dann täglich 3 mal 1.0 Snlipyrin die besten Er¬
folge zu gehen. • *
Nach diesem starken Auftreten der Krankheit im vorigen Jahr
war ich Anfang 1901 schon gespannt, ob sich auch dieses Jahr
etwas Aelmliehes zeigen würde. Doch es dauerte bis Mitte April,
ins wieder Erkrankungsformen aufzutreteu begannen, die ich als
nichts anderes denn als Influenza bezeichnen möchte. Durch¬
einander. Alt und Jung, wurdt; betroffen. Wieder ein gleich plötz¬
licher Anfang jedes Einzelfalles war zu konstatireu: Der Patient
hatte sich noch den Tag zuvor wohl gefühlt, war oft noch vor
4—5 Stunden seinem Geschäfte nnchgegangen und lag nun da mit
hohem Fieber, bis 40", oft in riesigem Schweiss und stets mit der¬
selben Klage: Stechen in einer oder beiden Seiten oder in der
Leber- oder Magengegend so stark, dass die Athmung der
Schmerzen wegen sehr beschwerlich war. Der Befund war ein
wechselnder. Oefter ergab sieh eine Pneumonie, die manchmal nur
in einem ganz schmalen bandartigen Bezirk vorn, unten oder seit¬
lich bestand, sich aber innerhalb 2—3 Tagen ausbreitete. Uder
es fanden sich beim Betasten des Rückens zur Seite der Wirbel¬
säule ein oder mehrere druckempfindliche Stellen, von wo aus der
Schmerz bis nach vorn intercostal ausstrahlte, ohne Pneumonie.
Was diese Influenzapueumonien anlangt, so wich ihre Art sym¬
ptomatisch fast stets von der Norm der gewöhnlichen Pneumonie
ab. Oft begannen sie mit Erbrechen, auch bei Erwachsenen — bei
Kindern tritt ja Erbrechen öfter au Stelle eines Schüttelfrostes —
einen eigentlichen Schüttelfrost seihst habe ich bei dieser Form
nie gesehen. Daun war der Verlauf unter Umständen ein äusserst
schneller, eine Krisis schon am 5. Tag nicht selten. In anderen
Fällen erfolgte die Ausbreitung über eine oder beide Lungen mit
unheimlicher Schnelligkeit und Intensität: die Krisis, erst spät,
am 9. Tag oder noch später eiutretend, war für den Kranken sehr
angreifend, die Lösung innerhalb der Lunge Mess lange auf sich
warten, die Reconvalescenz war hinausgezögert. Schliesslich
fanden sich in recht häufigen Fällen Delirien, die mitunter tagelang
allabendlich auftraten. Therapeutisch habe ich in Jedem Fall
Creosotal angewendet, von dessen vorzüglicher Wirkung l>ei ein¬
fachen fieberhaften Bronchitiden sowohl, als bei Pneumonien ich
mich seit 2 Jahren immer wieder überzeugt habe. Ich möchte bei
dieser Gelegenheit dieses Mittel ehrlich empfohlen haben. Es wird
gut vertragen, vom Säugling wie vom Greis, und scheint mir in
manchem Fall, wo ich es bei vorläufig nur katarrhalischem Be¬
fallensein einer oder beider Lungen gerade in dieser Zeit prophy¬
laktisch gegeben habe, das Zustandekommen einer Pneumonie
direkt verhütet zu haben. Jedenfalls sind bei dieser Therapie,
unterstützt durch W r ickel. Bäder, kräftige leichte Kost, in seltenen
Fällen Digitalis, von den vielen Schwerkrankeu dieser Art sehr
wenig gestorben, die Fälle doppelseitiger — genauer l?i seitiger —
Pneumonie sämmtlich durehgekommen. Bei der anderen Form:
Fieber. Druckschmerz neben der Wirbelsäule bis zum Rippenwiukel
ausstrahlend, kam ich Im Anfang mit der Therapie nicht recht vor¬
wärts. Natr. salieyl.. Antipyr., Chinin, Wickel, kurz alles Mög¬
liche Mess im Stich. Da kam ich auf die Idee, an der betreffenden
Stelle eine Sc b 1 e i c h'sche Spritze — 10 ccm — voll Schleich-
sclie Lösung II zu injiciren, dabei immer möglichst tief gehend
und möglichst die Flüssigkeit nusbreitend, dazu feuchte Wärme
und Snlipyrin 1.0 2 bis 3 mal täglich. Damit hatte ich entschieden
den besten Erfolg: mit 2 bis 3 Injektionen verliefen die Fülle in 4
bis ß Tagen entschieden am schnellsten.
Im Anschluss an Vorstehendes möchte ich noch kurz ein paar
andere Fälle allgemeineren Interesses erwähnen. Unter den mit
choleraähnlichen Symptomen Erkrankten des Jahres 1900 befand
sich auch ein 80 jähriger, sonst sehr rüstiger Fabrikant, welcher
seit Jahren eine völlige Eventeratio in Form eines riesigen Hoden-
bruolies mit sich herumträgt. Dieser erkrankte, wie gesagt, eben¬
falls plötzlich mit Fieber. Erbrechen, heftigem Stuhldrang,
Schmerzen im Bruch, ohne dass Jedoch Stuhlgang erfolgte. Ein
grosser Einlauf. 2 mal wiederholt, hatte keinen Erfolg, ebenso
Ricinus und Kalomel. Das Erbrechen nahm zu, der Geruch des
Erbrochenen wurde fiikulent. Da griff ich zum Atropin und gab
dem Kranken spät Abends 1 Injektion von 0,0025. Am anderen
Morgen fühlte er sich bedeutend besser, es waren stark riechende
Flatus reichlich abgegangen und im Lauf des Tages erfolgte dann
spontaner Stuhlgang. Derselbe Herr hatte nun vor Kurzem.
1 Jahr später etwa, in Folge Erkältung einen ganz ähnlichen Zu¬
stand: sehr heftige Schmerzen dicht über der Symphyse. Brech¬
reiz. Stuhldrang mit Stuhlverhaltung. Wieder waren Einläufe etc.
erfolglos, der Patient fühlte sich sehr schlecht machte seih
Testament und hatte sich selbst völlig aufgegeben. Da das Er¬
brochene am 2. Tag wieder fäkulent wurde nach Geruch und Aus¬
sehen. schlug ich eine erneute Einspritzung vor, wozu sich der
Kranke erst am 3. Tage verstand. Ich gab ihm subkutan 0.002
Atropin: das nutzte nichts: darauf am 4. Tag nochmals 0.0023 und
siehe da. das Mittel that an dem 81 Jährigen wiederum seine
Schuldigkeit und mit dem spontan erfolgten Stuhlgang besserte
sich das Befinden.
In einer Dissertation (Berlin 1884. von Hermann Ne u m a u nt
wurde zur Behandlung der serofibrinösen Pleuritis der Wernarzer
Brunnen-Brückenau empfohlen. Ich hatte Gelegenheit, mich in
einem Fall von der Wirksamkeit dieses Wassers zu überzeugen.
Es handelte sich um eine Frau mit einem pleuritischen Exsudat.
! welches die ganze linke Seite Dis zum unteren Drittel der Scapula
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1. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1571
einnahm. Der sie behandelnde Kollege hatte schon seit Wochen
Alles versucht; die Punktion wurde verweigert, das Exsudat nahm
nicht ab. Auf meinen Vorschlag hin wurde ein Versuch mit
Wernarzer Brunnen gemacht. Nach Verbrauch von 10 Flaschen
(= 10 Tagen) war eine beträchtliche Verminderung der Exsudat¬
menge zu konstatiren und weitere 10 Flaschen brachten den Rest
auch noch zum Schwinden. Der Erfolg ist meines Erachtens um
so bemerkenswerther, als die Frau tuberkulös war, die Pleuritis
also jedenfalls tuberkulösen Ursprungs. Immerhin hat die Patien¬
tin noch etwa iy 4 Jahr gelebt, bis der destruktive Process in ihren
Lungen ihr ein Ende bereitete und hat sich in dieser Zeit von einem
neuen Exsudat nichts gezeigt.
Im Gegensatz zu diesem erfolgreichen Fall steht der nach¬
folgende ganz anderer Art, dessen auf ihm lastendes Dunkel erst
die Sektion lichtete. Ein Mann im besten Alter, bislang als Wagner
rüstig thätlg, verlangte Hilfe wegen allerhand höchst unbestimmter
Beschwerden im Leib: Vollseiu, Appetitlosigkeit, Stuhlverhaltung,
Schwächegefühl im Leib, allgemeine Mattigkeit Die Unter¬
suchung ergab nur eine Druckemptindlichkeit in der Magengrube,
späterhin im Verlauf der Krankheit auch in der Gegend des
S romanum und auf dem Rücken links neben der rechten Spina
scapulae, das Abdomen an sich war aufgetrieben prall, der Ton
meteori8tisch. Fieber fehlte, Stuhl ohne Besonderheiten, Urin eben¬
falls. Kein Mediciniren schlug an, nach 3 Wochen trat eine ver¬
dächtige Abmagerung auf, welche mir meine Diagnose „Tumor
ocult" sicher machte. Ich bat Herrn Dr. K. zur Konsultation und
wir schickten nach einiger Zeit den Patienten in eine Klinik. Auch
dort war man ähnlicher Ansicht und schrieb mir von einer mög¬
lichen „Neubildung des Magens“. Mau rieth dem Patienten noch
den Versuch einer Operation, da bekam er — wohl in Folge Embolie
— einen Gehirniusult, konnte noch nach Hause gebracht werden
und starb bald darnach hier. Die Sektion ergab: Carciuorn des
ganzen Netzes, welches in eine etwa 2—3 cm dicke schmierig¬
braune Krebsmasse verwandelt war, nebst allgemeiner Carcinose
im Abdomen, die Därme in Folge Peritonealreizung sämmtlich fest
miteinander verklebt. Dabei hatte der Mann noch bis 2 Monat
vor seinem Tod gearbeitet.
So erkrankte voriges Jahr ein Manu, der noch am Tage zuvor
Feldarbeit that, 3 Tage zuvor eine Last Heu — ca. 1 Ctr. — auf
dem Rücken getragen und keine anderen Beschwerden gehabt
hatte, als ab und zu einen unbestimmten Schmerz in der Magen¬
gegend. Plötzlich Nachts wachte dieser Mann mit sehr heftigen
Leibschmerzen auf, er Hess sogleich — ländlich, sittlich — die
Hebamme holen, die ihm ein Klystier geben musste. Als ich am
anderen Morgen gegen 9 Uhr geholt wurde, fand ich einen Sterben¬
den mit den Zeichen der Perforation. Die Sektion ergab: Carci-
nom des Pylorus, welcher für einen Bleistift nicht mehr durch¬
gängig war, und Perforation der Magenwand dicht am Pylorus an
2 Steilen.
Zum Schluss möge mit gütiger Erlaubniss des Herrn
Dr. K i m m i g, welcher den Fall zuerst behandelte, noch ein
kurzer Bericht Uber eine erfolglos ausgeführte Lumbalpunktion
kommen: Ein ca. 11 jähriger Bube hatte einen ungefähr gleich¬
altrigen geschlagen und zwar nach Aussage Dieses in die linke Seite
nnd auf den Kopf. Der Geprügelte kam mit Mühe heim, legte sich,
erbrach, wurde bewusstlos und bekam krampfartige Anfälle. Herr
Dr. K. konstatirte, wie er mir mitzutheilen die Güte hatte, am
2. Tag Gehirnentzündung, es bestand hohes Fieber. Als ich am
4. Tag zugezogen wurde, bestanden alle Symptome des Hirn-
druckes ln Folge entzündlicher Reizung. Ich schlug als Ultima
ratio die Lumbalpunktion vor und führte dieselbe aus, wobei etwa
32 ccm trüber, zum Schluss schwach blutiger Flüssigkeit entleert
wurden. Die vorher bestandenen Zuckungen der Extremitäten
Hessen auf etwa 1 Stunde nach, kehrten jedoch alsdann wieder
und in der Nacht starb das Kind. Die Sektion wurde gemacht:
Keine Spur einer gewaltsamen Verletzung, das Ilerz, wie sämmt-
llche sonstige innere Organe auffallend schlaff und blutleer, ln den
IiUngen alte tuberk. verkalkte Herde von etwa Erbsengrösse. Die
Dura mater mit der Schädeldecke verwachsen, in Ihr eingelagert
weissliche hirsekornartige Knötchen. Die ganze Hirnmasse sehr
matsch und trüb, die Ventrikel fast leer, nirgends grössere Blut-
pnnkte. Alles in Allem ein Sektionsbefund, der unseren Erwar¬
tungen durchaus nicht entsprach.
Vergleichende Untersuchungen über die Leistung ver¬
schiedener Inhalationssysteme.
Von Dr. Rudolf Emmerich.
In einer unter der obigen Ueberschrift in No. 26 der Müncli.
med. Wochenschr. veröffentlichten Abhandlung habe ich ohne
Jedes selbstsüchtige Interesse die Resultate mitgetheilt, welche
die vergleichende Untersuchung einiger zu therapeutischen Zwecken
gebräuchlicher Zerstäubungsapparate ergeben hat.
Diese Ergebnisse waren insofern merkwürdig und von prak¬
tischem Werth, als ich fand, dass im W a s m u t h’sclien Inba-
lationsraum im Allgem. Krankenhaus München 1. d. I. sowohl
bol Yi ständiger Funktion des W a s m u t h’schcn als auch des
R e i t z’schen Zerstäubers, die Luft, nicht wie man allgemein
glaubte, mit Flüssigkeltstrüpfchen, sondern mit krystallinischem
Kochsalzstaub erfüllt ist, wenn Soole (3 proc. Kochsalzlösung) zer¬
stäubt wird.
No. 40.
Die Richtigkeit dieses aus unmittelbarer mikroskopischer Be¬
obachtung erzielten Resultates ist über Jeden Zweifel sicherge¬
stellt und lässt sich auch reichlich begründen.
Trotzdem glaubt Herr W a s m u t h , dieses Resultat an¬
zweifeln zu müssen und zwar auf eine Art und Weise, durch die
sich selbst ein Anfänger, welcher zum erstenmal eine experimen¬
telle Arbeit ausgeführt hat, beleidigt fühlen müsste.
Herr W a s m u t h sagt, „dass nicht diejenigen sich einer
„groben Täuschung“ hingegeben haben, welche des Glaubens
waren, „die dichten, den Inhalationsraum erfüllenden Staub¬
wolken beständen aus nassem, d. h. aus Flüssigkeitströpfchen zu¬
sammengesetztem Nebel“, sondern Herr Prof. Emmerich mit
seiner Entdeckung, dieser „Nebel“ werde durch „massenhaft
niederfallende Kochsalzkrystalle“ vorgetäuscht“.
Man sollte nun denken, Herr W a s in u t h würde diesen
schweren Vorwurf durch Versuche begründen, die er im Inha-
lationsiaum des Münch, allgem. Krankenhauses 1. d. I. unter den
gleichen Bedingungen, wie ich, durcligeführt hat, denn ich hatte
ja ganz besonders hervorgehobeu, dass meine Resultate vorläufig
nur für die an genanntem Ort bestehenden Einrichtungen und
Verhältnisse Giltigkeit haben.
Herr Wasmutli hat sich der Mühe, die solche Versuche
machen, nicht unterzogen und sich die Sache viel leichter gemacht:
er nimmt an, ich hätte bei der Zusammenstellung und dem Ge¬
brauch der von mir benützten, höchst einfachen, Apparate so
schülerhafte Fehler begangen, wie ich sie bei den vielen Hunderten
von Studenten, Aerzten und Hygienikern, die ich in der Aus¬
führung der hygienischen Untersuchungsmethoden im Verlauf von
mehr als 20 Jahren unterrichtete, sogar nur selten zu rügen Ver¬
anlassung hatte.
Herr W a s ra u t h findet es unerklärlich, dass beim Nieder¬
fallen
von 1000 Na Cl-Krystallen (Clar) 2,6 mgr Na CI
» 1^0 „ „ „ (Reitzl) 1,8 „ „
„ 3ü0d „ „ „ (Reitz II) 1,0 B „
in dem von mir analog den Itespiratiousorganen konstruirten
Apparat gefunden wurden.
Die Erklärung liegt darin, dass der C1 a r'sche und der
Reitz I-Zerstäuber sich in einem kleineren Raum befanden als
Reitz II, sowie, dass neben deu Kochsalzkrystallen bei den
beiden erstgenannten Systemen im kleineren Raum auch noch eine
geringe Zahl von FlUssigkeitstrüpfchen in der Luft enthalten
war, deren bei beiden Zerstäubern sehr verschiedene Menge
das scheinbar widersprechende Resultat bedingte. Ausserdem
konnte die Zählung der auf die Objektträger niederfallenden
Krystalle selbstverständlich nicht zur gleichen Zeit ausgeführt
werden, wie die Ansaugeversuche.
Anstatt diese Verhältnisse in Erwägung zu ziehen, klammert
sich Herr Wasmuthan einen für Jedermann ersichtlichen Druck¬
fehler meiner Abhandlung an, in wolcher die den Kehlkopfschlitz
ersetzende Röhre zu 0,3 mm Weite angegeben ist, statt zu 0,3 cm,
und sagt in völliger Unkenntulss der Art der Ausführung der¬
artiger Versuche: „Meine 300 Krystalle fanden möglicher Weise
die nur 0,3 mm (!) weite Röhre (c) bereits (sic!) ganz verstopft vor
und die Magenpumpe saugte vielleicht die Luft an irgend einer
oder mehreren der 14 (thatsächlich sind es nur 10) Verbindungs¬
stellen des Einathmungsapparates, welche Im Laufe des Experi¬
mentes undicht geworden waren.“
Es ist ein billiges aber boshaftes Vergnügen, dem Gegner
derartige kindliche Fehler zu subponiren, die, wie z. B. die Ver¬
stopfung der Röhre c und die Undichtigkeit der Gummischlauch¬
verbindungen Jedem geradezu unmöglich erscheinen werden, der
weiss, dass man die Dichtigkeit derartiger Apparate in der Zeit
von wenigen Minuten sicher zu kontrollren vermag. Dass es sich
um eine 0,3 cm weite Röhre und nicht um ein 0,3 mm weites
Capillarrohr handelte, hat Herr Wasmuth aus der von mir bei¬
gegebenen Zeichnung des Apparates deutlich ersehen, und wenn
er diesen offenkundigen Druckfehler gleichwohl in so lächerlicher
Weise ausschlachtet, so zeigt dies nur, wie kläglich schwach seine
Argumente sind.
Herr Wasmuth sucht nun weiterhin dem Leser Sand (man
könnte auch sagen Kochsalzstaub) in die Augen zu streuen. Er
stellt nämlich eine Rechnung an, aus welcher hervorgehen soll,
dass in der Luft seines Inhalationsraumes unmöglich Kochsalz¬
staub, statt Flüssigkeitstropfen enthalten sind. Wasmuth sagt:
„Würden Herrn Prof. E m m e r I c h’s Behauptungen zutreffen, so
müsste man nach Verlauf eines Vormittags, sagen wir nach vier¬
stündiger Zerstäubung, bei Anwesenheit eines Apparates circa
1 Pfund Salz auf dem Fussboden zusaminenfegen können“ (weil
pro Stunde 3—5 Liter Sohle mit je 30 g Salz zerstäubt werden).
Wasmuth hatte, als er dieses, den Unkundigen über¬
raschende, Rechenexempel niederschrieb, offenbar vergessen, dass
er einige Zeilen vorher mitthellte, sein Inhalationsraum werde
mit 900 ccm Luft pro Stunde ventilirt, so dass die Luft des nur
72 ccm grossen Raumes stündlich 12'/i mal erneuert werde.
Diese enorme, durch den Inhalationsraum ununterbrochen
strömende Luftmenge reisst natürlich fast allen Kochsalzstaub
aus demselben mit fort und die mikroskopisch kleinen Salz-
krystallo fliegen leicht, ohne niederzufallen, durch die weiten
Abzugskanäle hinaus.
Diese Durchlüftung des Inhalationsraumes mit 900 eom Luft
pro Stunde gibt nun auch eine völlig ausreichende Erklärung da¬
für, dass die ln der genannten Zeit zerstäubten 3—4 Liter Soole
so vollständig verdunsten, dass man in der Luft keine Flüslgkeits-
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1572
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
tröpfohon, sondern nur eine leichte, durchsichtige, aus Ivochsalz-
krystallen bestehende Staubwolke vorfindet und in dem völlig
trockenen Itaum nicht einmal Wassercondeusatiou an den
Fenstern wahrzunehmen Ist.
Die von Aussen in der grossen Menge von IKK) ccm pro Stunde
zugeführte Luft ist niimilch ln München häufig sehr trocken, so
dass, zumal im Sommer, ein Siittigungsdelieit von 20 g keine
Seltenheit ist. An dem Tage, an welchem ich die Versuche mit
dem W a s ui u t h’schen Zerstäuber nusfülirte, betrug die ver¬
mittels des Psychrometers ermittelte absolute Feuchtigkeit der
freien Luft 11,0 g und 1 cbm Luft konnte bei der im lnlmlations-
raum konstatirten Temperatur von 21 u C. noch 7,2 g Wasser bis
zur vollen Sättigung uufuelimen. Die pro Stunde in den Was-
m u t h’schen lnhalationsraum gesaugten IKK) cbm Luft wären also
im Stande gewesen (000 x 7,2) 0'/, Liter zerstäubter Soole voll¬
ständig wegzutrocknen, wenn soviel zerstäubt worden wäre.
Thatsächlich wurden aber nur 3 bis 3Liter Soole in der Stunde
zerstäubt. Berechnet man nun, um wie viel die relative Feuchtig¬
keit der Luft des Inhalationsraumes sich erhöhen musste, falls
die Luft wirklich die Gesammtmenge der zerstäubten 3 '4 Liter
Soole in Form von unsichtbarem Wasserdampf aufnahm, so er¬
geben sich SO Proc., eine Zahl, die mit der vermittels des W o 1 -
pert’sclien Procenthygrometers am Bilde des Versuches that¬
sächlich bestimmten relativen Feuchtigkeit des Inhalationsraumes
von 80 Proc. vollkommen übereinstimmt. Bs war also keine Ein¬
bildung meinerseits, sondern eine Nothwendigkeit, dass die Ge¬
summt menge der zerstäubten 3% Liter Soole verdunsten, die
Flüssigkeitströpfchen also auch der Luft verschwinden mussten,
damit die relative Feuchtigkeit der Luft des Inhalationsraumes
auf SO Proc. Anwachsen konnte').
Man hätte also schon auf Grund dieser Zahlen und Lieber-
legungen mit Bestimmtheit seliliessen können, dass in der Luft des
W a s m u t h'schen Inhalationsraumes bei der Zerstäubung der
Soolequantität von 3 bis 5 oder sogar 0 Liter keine Flüssigkeits¬
tröpfchen, sondern nur trockener Kochsalzstaub vorhanden sein
kann. Der direkte mikroskopische Nachweis durch Untersuchung
der an 12 verschiedenen Stellen des Raumes exponirten Objekt¬
träger wäre also nicht einmal nöthlg gewesen.
Damit ist es vollkommen klargestellt, wesshalb in der Luft
des W a s m u t h’schen Inhalationsraumes kein nasser, aus Flüssig-
keitströpfclien bestehender Nebel, sondern nur trockener, krystal-
liniseher Kochsalzstaub gefunden wurde. An dieser Thatsaclie,
«lie jederzeit auf’s Neue festgestellt und koutrolirt werden kann,
ändert sich nichts, auch wenn Herr Wnsmuth 10 hygienische
Institute statt eines zu Käthe zieht.
Herr W a s m u t h woiss nun, Dank meiner Untersuchungen,
was er au seinen Inhalatorien ändern muss, damit die Kranken
vom Gebrauche derselben keinen Schaden, sondern Nutzen haben.
Ich glaube, dass es ihm mit Hilfe seines Zerstäubungs-
apparates, den ich keineswegs getadelt habe, möglich sein wird,
mit Flüssigkeitströpfchen erfüllte Inhalatorien zu schaffen, wenn
er die Fingerzeige befolgt, die ich ihm gegeben habe -').
Es lag mir daran, zu zeigen, dass die Einrichtung von Inhala¬
torien gegenwärtig vielfach nicht die richtige ist und dass dabei
Verhältnisse und Fragen in Betracht kommen, die im Allgemeinen
nur der Hygieniker zu beurtheileu vermag. Jedes grössere In¬
halatorium sollte vor dem Gebrauch einer sachverständigen Kon-
trole unterzogen werden.
Herr Dr. B u 11 i u g hat dieses Prinzip für die von ihm zu
errichtenden Inhalatorien von vornherein aufgestellt und dies war
mit ein Grund, wesshalb ich dieselben empfohlen halie.
Ich habe durch meine Untersuchungen Herrn Wnsmuth
und vielleicht auch der leidenden Menschheit einen Dienst er-
wiesen, und es ist mir von Interesse, zu sehen, wie sich Herr
Wnsmuth entschuldigen und für meine Belehrung bedanken
wird.
Alwin v. Coler.
Wenn in hundert Jahren Einer die Geschichte der ärztlichen
Wissenschaft und des ärztlichen Standes schreibt, dann wird er
bei Alwin v. Coler, dem Generalstabsarzt der preussi sehen
Armee, ehrfurchtsvoll Halt machen.
Hier ist ein Markstein in der Geschichte der Medicin, und
der Historiker wird dieser Persönlichkeit zwei Kapitol widmen
müssen, das eine mit der Ueberschrift: Ausgestaltung des Hoeres-
Sanitätswcsens, das andere: Eintritt der Militärärzte in die
wissenschaftliche Forschung betitelt.
') Schliesst man die Luft-Zu- und Abführungskanäle zum
grössten Theil ab. so sind im W a s m u t h'schen Inhalationsraum
reichlich Flüssigkeitströpfchen zu beobachten.
J ) Herr W a s m u t h wird sich dabei aber auch mit einer
relativen Feuchtigkeit von 100 Proc. im Inhalatorium zufrieden
geben müssen. Eine ruhende Person empüudet dabei, wenn die
Beschaffenheit der Luft in anderen bekannten Beziehungen ge¬
eignet ist, keine L T nnunelimliehkeiten. Wir halten uns ja auch
bei Kegen und 100 I’roc. relativer Feuchtigkeit mit Beilagen im
Freien auf. Die relative Feuchtigkeit von 100 Proc. im B u 1 -
1 i n g’scheu Inhalatorium ist keiu Nachtheil und der Aufenthalt
m Inhalatorium ist trotz derselben ein angenehmer.
Wohl haben auch früher die Sanitütsformationen in den
Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 ihre Schuldigkeit gethan.
Coler selbst hat sich hei Errichtung des 3. schweren Feld¬
lazaretts in Hör sitz in der Nacht vom 3.—4. Juli 1866 und
später in der von ihm selbst geschaffenen Stellung eines Divisions¬
arztes (bei der/1. Division) ausgezeichnet. Aber mit den
wachsenden Anforderungen an die Schlagfertigkeit der sich
stetig vergrössernden Armee, mit der schnellen Entwickelung der
Gesundheitspflege und mit den Fortschritten der Medicin
wuchsen auch die Aufgaben, die im Krieg und Frieden an die
Militärärzte herantreten. Die Kriegs- und die Friedenssanitäts¬
ordnung, diese aus dein Jahre 1891, jene von 1878, stellen die
Werke dar, welche in mustcrgiltiger Weise für alle denkbaren
Fälle Vorsorge getroffen haben. Und wenn andere Staaten ihre
Organisationen darnach einrichteten, so ist das nicht allein für
ihren Schöpfer ein Ruhm, sondern für unser ganzes Reich.
Für v. Coler war die Stellung als Generalstabsarzt der
Armee und Chef des Sanitätscorps, die er seit 18S9 inne hatte,
nicht ein Posten zum Ausruhen. Lebhaften Temperaments und
ganz in seinem Berufe aufgehend, benützte er seinen Einfluss,
um alle Fortschritte in der Technik und Wissenschaft jederzeit
in seinem Wirkungskreise zur praktischen Verwendung zu
bringen. So richtete er in der unter seiner Leitung mit neuem
Leben erfüllten Kaiser Wilhelms-Akademie das erste, in grossem
Stile arbeitende Röntgencabinet ein, deren Bilder noch heute ob
ihrer Vorzüglichkeit geschätzt sind; und welche That die Ein¬
führung der Arzneimittel in Tablettenform und die ganze, eben
zur Durchführung kommende Neuausrüstung der Armee dar¬
stellt, vermag nur Derjenige, zu ermessen, der sich einmal die
realen Verhältnisse des Krieges vor Augen geführt hat.
Aber er begnügte sich nicht allein mit organisatorischen und
technischen Vervollkommnungen. Der Arzt in ihm verleugncte
sich nie. Er wusste, dass der Kranke nicht bloss regelrecht
verbunden sein und das zweckmässige Medikament verschrieben
haben will, sondern dass er warm empfundenes Mitgefühl und
menschliche Antheilnahmo eben so sehr nöthig hat. Wenn der
Generalstabsarzt der Armee seinen Sanitätsoffizieren zurief:
„Das Militärlazareth soll eine Stätte sein, wo der Erkrankte
selbst die vollste Zuversicht empfindet und auch seine Vor¬
gesetzten und Angehörigen ihn einer allseitigen Fürsorge theil-
haftig wissen, wie sie ihm im Schutze der Familie zu eigen sein
würde“, so kommt darin ein hoher idealer Sinn zum Ausdruck,
der doppelt leuchtet, jo seltener er gefunden wird. Der Erfolg
hat seinem Einfluss und seinem Wirken nicht gefehlt; unsere
Lazarcthe haben sich in der That zu Musteranstalten entwickelt,
zwar nicht durch prunkvolle Ausstattung im Aeussern, aber
durch sorgfältige Verwaltung in mcdicinisch-technischer, hygie¬
nischer und ökonomischer Hinsicht. Durcli die Einführung der
Chefärzte hat v. Coler den praktischen Beweis geliefert, dass
Aerzte auch Verwaltuugsgosehäfte besorgen können, so gut, wo
nicht besser als jeder Andere.
Aber v. C o 1 e r war sieh klar, dass nicht allein die Zweck¬
mässigkeit der Organisation, sondern in erster Linie die Vor¬
züglichkeit der Leistungen das Sanitätscorps vorwärts bringen
konnten. Die Weiterbildung der Militärärzte im Ganzen durch
Fortbildungskurse an den Universitäten, wie die besondere Aus¬
bildung Einzelner dureh längere Kommandirungen zu Kliniken
und Instituten lug ihm daher immer am Herzen. Die Zahl der
werthvollen Arbeiten, wie die häufigen Berufungen von Militär¬
ärzten an Hochschulen oder andere grosso Anstalten beweisen,
mit welch’ glücklicher Hand er die geeigneten Persönlichkeiten
herauszugreifen wusste. Als 1892 die Cholera an die Pforten
des Reiche« klopfte, da konnte er sofort die erforderliche Zahl
gut vorgebildeter Militärärzte sowohl für Cholera-Krankenhäuser,
als auch für die notlnvendigen hygienischen Ueberwachungen
aufbieten, eine Leistung, die einzig in der Geschichte dasteht
und kaum jo von anderen Organisationen erreicht werden wird.
In dieser kritischen Zeit verstand er es, den Stand der MiHt-iir-
iirzto immer mehr zu heben, und diese werden nie vergessen, zu
welch’ grossem Dank sie ihm in dieser Beziehung verpflichtet
sind. Aber auch das Civilinedicinalwesen und die Civilärzte
sind ihm Dank schuldig; er trat stets für eine enge Fühlung,
insbesondere mit den Universitäten, ein, und manche von den
Einrichtungen, die er im Militärsanitätswesen getroffen, sind
dort vorbildlich geworden.
Digitized by
Google
1. Oktober 1901.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1573
Nun weilt sie nicht mehr unter uns, die hohe elastische Ge¬
stalt, die für Jeden Ehrfurcht und Zutrauen zu vereinigen
wusste. Eine Persönlichkeit ist entschwunden, deren Idealismus
und Energie durch das Alter und die vielen, ihm entgogen-
gethürmtcn Schwierigkeiten noch zu wachsen schien. Ein Leber-
carcinom hat seinem irdischen Dasein ein Ende bereitet. Aber
wir Zurückbleibende hoffen, dass das Lebenswerk, das er ge¬
zimmert, sich als dauerhaft erweisen und dass sein Geist in
seinen Nachfolgern noch lange lebendig weitenvirken möge;
dann wird die Spur von seinen Erdentagen nicht in Aeoncn
untergeh’n.
Aus der medicinischen Hexenküche.
Beitrag zur Geschichte der Medicin im Mittelalter.
Von Dr. Julian Marcuae in Mannheim.
Die Geschichte des menschlichen Aberglaubens ist mit der
Geschichte der Medicin auf's engste verknüpft und nimmt einen
breiten Kaum in der Lehre von der Heilkunde ein. Schwär¬
merische Mystik, kabbalistische Spitzfindigkeit und betrügerische
Magie Avaren Jahrhunderte lang das Kennzeichen medicinischer
Wissenslosigkeit und die Stätte, wo Volksbetrüger und Charla-
tane den Lohn der Bethörung sich in Gestalt von Ruhm, Reich-
thümera, ja selbst von Anbetung holten. Eingeleitet wird dieses
Zeitalter von der Mönchsmedicin des zwölften Jahrhunderts, und
seine Wiedergeburt feierte es in den Epigonen des Mannes, der
mehr wie eine Episode ln der Geschichte der Medicin bedeutet,
nämlich von Paracelsus.
Ein genialer Denker, mit scharfer Beobachtungsgabe ausge-
stnttet, knüpfen sich an seine Erscheinung alle Hoffnungen, aber
auch alle Enttäuschungen, und während er auf der einen Seite
mit kühnem Geiste die Heilkunde von dem Galcnischen und
arabischen Dogmenglauben befreit und auf eine empirische Basis
zurückzuführen sucht, versinkt er auf der anderen Seite in einer
mystischen Welt und seine genialsten Gedanken verlieren sich in
un fruchtbaren Spekulationen und Vorstellungen. Nichtsdesto-
Aveuiger bleibt die Bedeutung des Paracelsus für die Entwick¬
lung der Medicin unbestritten, um so mehr, Avenn man sein Bild
mit dem seiner unwürdigen, ihm folgenden Anhänger A’erglelclit.
Lebendigen Geistes hatte er eine kräftige Bewegung in die ärzt¬
liche Welt gebracht, dieselbe aufgerüttelt und befruchtend auf
sie gewirkt, hatte er Chiromantie, lloroskopie, und wie diese
schAvarzen Künste alle heissen mögen, fern von sich
gewiesen, hatte er lauteren und uneigennützigen Charaktere alle
diejenigen, Avelche sich für Goldmacher, für Erfinder des Steines
der \> eisen ausgaben, als Narren und Betrüger gestempelt. Seine
unbestrittene Förderung der Chemie, die nach ihm nur der Arznci-
uicht der Goldmacherkunst dienen sollte, bildet einen Glanzpunkt
seiner Lehre Avie seiner Bestrebungen, aber auch den Ausgangs¬
punkt aller betrügerischen Vorhaben seiner Epigonen. Ein
SchAvarm abenteuerlicher Gesellen heftete sich an seine Fersen,
halbverdorbene Theologen und Juristen, die als paracelsische
Heilküustler auftraten, Avie Michael Bapst von Itochlitz, Johann
Gramann und andere, — offenbare Betrüger, die auf Raub aus¬
gehend, die leichtgläubige Masse mit den von Paracelsus em¬
pfohlenen Heilmitteln in gröblichster Weise täuschten, der berüch-
tigste unter diesen der Adept Turneysser zum Thum. Seine
Bedeutung in der Zeitgeschichte des sechzehnten Jahrhunderts
— er lebte von 1530—1596 — rechtfertigt ein näheres Eingehen
auf seine Person.
Als Sohn eines Goldschmieds wurde er zu Basel gelmren
und in dem Handwerk des Vaters erzogen; den Grund zu seiner
späteren ärztlichen Thäitigkeit legte jedoch sein Verkehr mit einem
Baseler Arzte, dem er Kräuter sammeln, Arzneien bereiten half
und dein er aus den Schriften des Paracelsus vorlesen durfte.
Dadurch bekam er Lust zur Arznei Wissenschaft, besonders zur
Botanik, und als er sich später bei seiner Profession als Gold¬
schmied mit dem Schmelzen, Mischen uud Anderem der Metalle
beschäftigte, Neigungen und Kenntnisse in der Chemie uud den
NaturAvissenschaften. Doch schon in jugendlichem Alter musste
er Basel verlassen, Avidrige Verhältnisse, die er theihveise selbst
durch betrügerische Handlungen heraufbeschworen hatte, nötliig-
ten ihn hierzu. Er ging 1548 im 18. Lebensjahre nach England,
das folgende Jahr nach Frankreich und, als er nach Deutschland
zurückkehrte, nahm er Dienste bei der Armee des Markgrafen
Albrecht von Brandenburg und machte die Plünderzüge dieses
undisziplinirten Haufens im römischen Reiche mit. Wenige Jahre
später kehrte er zu seinem Goldschmiedsberufe zurück, beschäf¬
tigte sich gleichzeitig mit dem BergwerksAvesen, legte in Tirol
Schmelz- und ScliAvefelhütten an und erraug sich ln Kurzem als
Kenner des Bergbaues einen grossen Ruf. Die Vielseitigkeit des
geschäftigen Mannes erhellt daraus, dass er in dieser Zeit steter
Arbeit und Reisen — diese letzteren führten ihn selbst nach Afrika
und Asien — noch Müsse fand, mit landesherrlicher Erlaubniss
1551) eine Frau zu seciren, der zur Strafe alle Adern geöffnet
Avorden Avaren. Es ist dies auch ein Zeichen der Wertlischiitzung,
in der er schon damals stand, denn Anatomie praktisch zu betreiben,
war nur den Wenigsten gestattet und vor Allem nur Fachärzten.
Es ist fraglich, in wie weit diese ihm eingeräumte Erlaubniss,
die scheinbar eine Bethätigung Avlssenschaftllchen Strebens war,
nicht vielmehr nur zur Gloriole seiner Persönlichkeit nach aussen
dienen sollte, denn von nun au beginnt eine Zeit im Leben Thurn-
eysser’s, ln der er seinen Avahren Beruf als „Schwarzkünstler“
erkannt zu haben scheint. NIit einem flelierhaften Flelss wirft
er sich auf alchymlstische uud astrologische Studien, praktlzirt,
macht Wunderkuren und beginnt eine Reihe von medicinischen
Büchern zu sehreil>en. Die bekanntesten von diesen sind sein
„Kräuterbuch“, Avelches in Frankfurt n. O. gedruckt und mit
Kupferstichen versehen wurde, sein Buch der „Heilquellen“ und
seine Kalender, die nach Art der damaligen Zeit im Lande ver¬
breitet Avurden und den Namen des Verfassers ln die Aveitesten
Kreise trugen. Unleugbar war Thumeysser ein kluger Kopf,
ein scharfer Beobachter uud Menschenkenner; er besass eine un¬
ermüdliche Wissbegier und ein A’ortreffliclies Gedächtnis». Alles
dies kam ihm vorzüglich zu statten, einmal, um seine völlige
Ignoranz in medicinischen Dingen zu verdecken, und weiterhin,
um die ScliAvächen der Menschen in cliarlatanhaftem Raffinement
auszubeuteu. In der theoretischen Arznei Wissenschaft, so gut sie
oamals, vor der Entdeckung des Blutkreislaufs, sein konnte, hatte
er nicht die geringsten Kenntnisse und seine Erklärungen der
lvrankheitsursachen und die Beurtheilung derselben, die er zu-
AA-eilen in den noch näher zu besprechenden Harnproben abgibt,
sind ebenso ungereimt Avie einfältig. In der praktischen Medicin
verliess er sich auf die in allen Ländern von ihm gesammelten
Recepte; die chemischen Mittel, die er geheim hielt, gab er selber
und legte sie nebst einer versiegelten Vorschrift, Avie sie gebraucht
Averden sollten, seinen Gutachten bei. Für Jeden einzelnen Zufall.
JecTes einzelne Symptom der Krankheit verordnet? er besondere
Mittel und der Kranke, der vielerlei verschiedene Erscheinungen
hatte, erhielt auch eine grosse Menge von Arzneien, also eine
Medikasterei schlimmster uud unwissendster Art. Natürlich
hatte auch er, wie alle Cliarlatane. sein System, und dass es ab¬
sonderlich genug Avar, um die Köpfe der Menge zu bethöreu, dafür
hatte er gesorgt. Er beurtlieilte nämlich die Leibesgebreehen der
Menschen nicht allein hydrostatisch, nach der grösseren oder ge¬
ringeren Schwere des Harns, sondern er theilte den menschlichen
Körper nach einem verjüngten Maassstab der Länge nach in
vierundzwanzig Grade ein und nahm die Proportion des ganzen
Körpers zu sieben Hauptlängen an. In ebenso viele Grade Avurde
das dazu verfertigte Destilllrglas, Avelehes lang und von oben
bis unten von gleicher Weite Avar, abgetheilt. Auch der Ofen,
der dazu gehörte, war nach dieser Form eingerichtet. Wenn nun
beim Destilliren des Harns in diesen verschiedenen Abtheilungen
des Destillirglases sich Dämpfe, Niederschläge oder dergleichen an¬
setzten, so sollten nach den abgetheilten Verhältnissen auch in
den Eingeweide!» und Gliedern, die damit korrespoudirten. sich
ebensolche Materien angehäuft finden und daraus diagnostizirte
er soavoIiI die gegcnAvärtigen Ursachen der Krankheit als auch
prognostizirte er die kommenden. Denen, die ihn konsultirten,
schickte er die bei der Destillation gefundenen Produkte in be¬
sonderen Papieren zu, damit sie um so mehr von der Richtigkeit
seiner Angaben tiberzeugt würden. Avie genau er alles wisse, wie
es mit jedem Eingeweide ihres Körpers beschaffen. Avelche Mittel
entsprechend den aufgefundeuen Uelieln zu bereiten wären, ln
diesem blöden Trug beAA'ogt sich seine ganze Ilcillehro uud ihr
en.sprechend Avareu auch die von ihm angewandten Mittel. Gold,
Edelgestein und Perlen bildeten die Hauptingredienzlen seiner
Arzneien, von deren Werth die Käufer, von deren Nutzen der
Verkäufer reichlich überzeugt Avurde. So wurde ein Lot Aurum
potabile mit 16 Thalern bezahlt, Bernsteinessenz mit 5 Thalern,
destillirtes Amethystemvasser, ebenso destillirtes Komliemvasser
mit 3 Thalern, ferner gab es in seinem Arzneischatz Rnbiuen-
tinklur. Saphirtinktur, auf verschiedene Art präparirtes rerleu-
pulver, Goldpulver und ähnliche Arcana in Mengen. Von ver-
schiedenen Essenzen aus Wurzeln und anderen Vegetabillen
verkaufte er ein Lot um 4 Tlialer und die Avohlfeilsten das
Lot 1 Tlialer; dagegen kostete 1 Lot Diaplioreticum soiis 10,
ein Lot Tinctura antimonil 10, ein Lot Spiritus vinl 0 Tlialer.
Zur Verfertigung seiner Arzneien unterhielt er eine Menge Labo¬
ranten, deren Zahl sich mächtig in dem Augenblick steigerte, avo
er die höchste Staffel seiner Laufbahn, die Stelle als Leibarzt
am Hofe des Kurfürsten von Brandenburg, erreicht hatte. Die
Kunde von seinen Wunderkureu AA-ar bis an den Hof gedrungen,
man Aviinschte seine Bekanntschaft zu machen, ein für ihn glück¬
licher Zufall, ein Unwohlsein der Kurfürstin, lies» ihn sein Licht
nicht unter den Scheffel stelleu und im Jahre 1371 erhielt er
seine Bestallung als Leibarzt mit einem Gehalt von jährlich
1352 Thalern, einer DienstAVohnung und anderen Subsldien. ln
dem Klostergebäude, das ihm als Wohnung angewiesen war. legte
er eine weitläufige Buchdruckerei an, um die von ihm verfassten
Werke selbst drucken zu können, hielt sich Schreiber, Laboranten
und Handlanger für seine chemischen Versuch«* und für die Ver¬
fertigung der geheimen Arzneien, die einen Hofstaat von mehr
als zweihundert Personen umfassten. Man erzählt von ihm, dass
er einen grossen Aufwand iui Kleidern trieb, stets in schwarz-
sanimtnen Kleidern, seidenen Strümpfen ging, um den Hals
goldene Ketten mit damnhängenden kurfürstlichen Bildnissen
und immer von zwei Edelknaben liegleitet. Wenn er fuhr, so
geschah «*s vierspännig und seine Bediente gingen nebenher. Er
Avur kaum am kurfürstlichen Hofe angekomm«*n, s«> kamen schon
aus aller Herreu Länder Boten und Schreiben, die seinen Rath
einliolen sollten, die vornehmsten Geschlechter, Fürsten, Grafen
und hohe Beamte wandten sich an ihn, um seinen iimdieinischen
Beistand bittend. Es existiivn Briefe von Kaiser Maximilian, von
der Königin Elisabeth von England, vom König Friedrich II. von
Dänemark, vom König von Polen Stephan Batliorl, von fast allen
deutschen Markgrafen und regierenden Herrschern an Thumeysser,
in kurzer Zeit war sein Name in Aller Munde. Dazu kam, dass
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1574
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
er ausser Wunderkuren auch Prophezeiungen abgab und seine
astrologischen Fähigkeiten ihm nicht minderen Zulauf brachten
wie seine ärztlichen. Auch hier waren es wiederum in erster Reihe
die Höfe, die sich an ihn wandten und Auskunft über alle nur
erdenkbaren zukünftigen Ereignisse, über Wunder, Räthsel,
Hexenspuk und dergleichen mehr haben wollten. Ausser diesen
Anfragen und Beschäftigungen allerlei Art, die ihm seine aus¬
gedehnte medizinische Thätigkeit, sein Laboratorium, sein Natu¬
ralien- und Kunstkabinet, sein botanischer Garten und die von ihm
angelegte Buchdruckerei gaben, stand er beinahe mit der ganzen
Stadt in Verbindung. Sein Haus war wie ein Lombard und in
ihm selbst wohnte die Seele eines grossen und geschäftigen
Wucherers, die in Ihm eingezogen war, seitdem er Vermögen auf
Vermögen erworben hatte. Wer Geld brauchte und Geldeswerth
hatte, schickte es ihm zum Versetzen! Er lieh gegen hohe Zinsen,
kaufte und verkaufte Metall und Edelgestein, übernahm secrete
Missionen politischer und geschäftlicher Natur, kurzum eine Ge-
schäftsrührigkeit und ein Erwerbssinn sondergleichen prädesti-
nirten ihn zu jedem, noch so zweideutigen Unternehmen. Kein
Wunder, dass auf diesem Wege sein Vermögen in’s Unermessliche
wuchs, warfen doch die Druckerei, der Vertrieb der Kalender und
Bücher, die in allen Landen verkauft wurden, die alchymistischen
Handschriften, die gegen hohe Bezahlung an Fürsten und be¬
sonders bevorzugte Leute abgegeben wurden, und vor Allem die
Arzneien und Harnproben, die er ausführte, ungezählte Summen
ab. Diese Harnproben waren wahre Goldgruben für ihn: Wer es
nur einigermaassen erschwingen konnte, pllgerte zu Thurneysser
oder schickte ihm seinen Urin, auf dass er Kunde von vermeint¬
lichen oder kommenden Leiden erhielte. Und dieses Vergnügen
musste theuer erkauft werden: Niemand durfte das „Propheten¬
wasser“ schicken, ohne 10 Thaler beizulegen; ausserdem musste
der Bote das nöthlge Kleingeld haben, um die Arzneien, die sofort
mitfolgten, zu bezahlen. Dafür erhielt man einen schriftlichen
Bericht, ein Kauderwelsch ärgster Art, und einige Tincturen.
Die minder Reichen kamen selten unter 4 bis 5 Thalern für Arz¬
neien weg. die reicheren und höheren Personen wurden nach
Standesgebühr mit Goldtropfen, Perlentinctur, Amethystenwasser
und anderen köstlichen Arzneien reichlich versehen, und das laus
Deo, so nachkam, belief sich zuweilen auf 50 bis GO Thaler. Das
Prophetenwasser wurde ihm täglich nicht allein aus der Mark,
sondern auch aus Hamburg, Bremen, Lübeck, Strassburg. Basel.
Augsburg, München, Wien und aus dem ganzen römischen Reiche,
vornehmlich aber aus Böhmen, Mähren, Schlesien, Polen etc. mit
eigenen Boten in versiegelten Gefässen zugeschickt, also ein Fern¬
heilverfahren, wie der geschmackvolle Ausdruck aus jüngster
Zelt lautet, Idealster Art. Auch die ärztlichen Rathschläge, die
ausser den Harnproben von ihm verlangt wurden, liess er sich sehr
gut bezahlen. Wer nicht gleich Geld mitschickte, bekam keine Ant¬
wort. Graf üurchard zu Bnrbl hatte ihm von Leipzig aus seine
Krankheitsgeschichte übersandt und keine Antwort erhalten; er
begriff die Ursache, schrieb wieder und legte 100 Dukaten bei,
nun wurde er umgehend bedient. Eine weitere Einnahmequelle
war für ihn der Verschleiss von Talismans, der mit den Vorher¬
sagungen des Schicksals verbunden wurde, und bei dem weit ver¬
breiteten Aberglauben vom Nutzen und der Wirkung dieser
Amulette ebenfalls blühte. So gestaltete sich Wirken und Schaffen
dieses Mannes, der seine reichen Fähigkeiten ln den Dienst
schnöder Habsucht stellte und dessen ganzes Leben nichts als
eine ununterbrochene Kette von betrügerischen Manipulationen
darstellt.
Mitten in seiner glänzenden Laufbahn, im vollen Besitz der
Gnade des Kurfürsten und des ganzen kurfürstlichen Hauses, mit
Ehrenbezeugungen und Lobeserhebungen seitens der ganzen Welt
überschüttet, im ruhigen Genuss glänzender Einkünfte und eines
von Tag zu Tag sich mehrenden Vermögens, überhaupt mit den
herrlichsten Aussichten in die Zukunft, wirkte auf ihn. wenn
wir uns astrologisch Im Thurneysser’schen Sinne ausdrlickeu
wollen, ein unglückliches Gestirn. Ein feindlicher Dämon lauerte
in einem der zwölf Häuser seiner Nativität, welchen er mit keinem
Talisman abgewandt hatte. Dieser flösste ihm eine unüberwind¬
bare Sehnsucht nach seinem Vaterlande ein, der er anfänglich
widerstand, die aber heftiger und heftiger wurde und ihn nach
Basel zurückzwjmg. Hier erfuhr der stolze und reiche Mann alle
Widerwärtigkeiten des irdischen Lebens, er schloss eine unsagbar
unglückliche Ehe, verstiess bald darauf seine Frau und nun kamen
Bitterkeit um Bitterkeit Uber ihn, er wurde verfolgt, verlor sein
ganzes Vermögen und aus dem Manne, der sein Jahrhundert mit
frecher Stirn an seinen Triumphwagen gespannt hatte, wurde ein
unglücklicher, elender Flüchtling, der sein Lebensende in Amiuth,
Kummer und Noth in einem Kloster zu Köln beschloss.
Lehrreich für die Geschichte der Mediciu ist die Person
Thurneyssers zum Thurn in vielfacher Hinsicht, zeigt sie doch in
drastischster Form, wie tief das Wesen des Wunderglaubens dem
menschlichen Gemüthe eingeprägt ist und wie leichtes Spiel der
gewissenloseste Betrüger hat, wenn er es nur versteht, den
Wunderkitzel anzuregen!
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Die Frage des ärztlichen Unterstützungswesens auf
dem deutschen Aerztetage zu Hildesheim 1901.
An die verehrlichen ärztlichen Bezirksvereine Bayerns!
Im vorigen Jahre habe ich in einem öffentlichen Anschreiben
an die ärztlichen Bezirksvereine (No. 25 dieser Wochenschr.) kurz
das ärztliche Unterstützungswesen in Bayern besprochen und den
Versuch gemacht, das aktive Interesse der Kollegen für diesen
Gegenstand zu wecken.
Es ist begreiflich, dass demnach jegliche Bewegung auf diesem
Gebiete mich lebhaft interessirt und ist mir desshalb wohl auch
die Erörterung obigen Themas hier gestattet.
Ich habe seiner Zeit dem Wunsch bezw. der Ueberzeugung
Ausdruck gegeben, dass irgend ein grösserer Verein die Angelegen¬
heit in die Wege leite.
Wenn nun dies auch bisher noch nicht so ganz in dem Sinne
geschah, wie ich eigentlich erhoffte oder wenigstens wünschte, so
muss ich es doch als ein sehr erfreuliches Ereigniss betrachten,
dass einer der rührigsten ärztlichen Bezirksvereine unseres König¬
reiches — der Verein Südfranken — einen noch von einer Reihe
anderer ärztlicher Vereine unterstützten Antrag vor den dies¬
jährigen deutschen Aerztetag brachte.
Dieser Antrag wurde dort sachlich sowohl als formell in vor¬
züglicher Weise von Dr. Dörfler- Weissenburg vertreten; aller¬
dings begnügte sich derselbe mit einem etwas platonischen Erfolge,
indem er zum Schluss aussprach, er halte d‘e gegebene Anregung
für vollkommen mit Erfolg gekrönt, wenn der Aerztetag erkläre:
„er erkenne an, dass bei dem heutigen Noth-
stände der Aerzte die derzeitigen Unter¬
st U t z u n g s k a s s e u nicht mehr Im Stande sind,
der Nothlage des Standes genügend entgegen¬
zuwirken. Der Aerztetag sei bereit, nach neuen
Mitteln und Wegen zu suchen, die dem Noth-
stände abhelfen könnten. Die Fürsorge für die
Witt wen und Waisen der Aerzte, sowie für die
vorübergehende und dauernde Invalidität der
Aerzte soll jetzt die Hauptaufgabe der nächsten
Aerztetage sein. Der Geschäftsausschuss werde
in der nächsten Tagung bestimmte Direktiven
In dieser Hinsicht dem Aerztetage unter¬
breite n.“
Diese Anregungen ernteten, wie ich aus dem offiziellen Be¬
richte über die Verhandlungen des Aerztetages ersehe, seitens der
anwesenden Kollegen lebhaften Beifall: eine Abstimmung da¬
rüber erfolgte jedoch nicht. Dörfler hatte nämlich, nachdem er
verhindert war, die Begründung seines Antrages in derWeise durch¬
zuführen, wie er es vorhatte, auf eine Antragstellung vorläufig
verzichtet; er erklärte aber ausdrücklich, die Sache beim nächsten
Aerztetage neuerdings zur Sprache zu bringen.
Nach diesem Vorgehen scheint der Verein Südfranken bezw.
sein Vertreter der gesicherten Erwartung zu sein, dass seitens
des Aerztetages erfolgreiche Schritte geschehen, welche eine Neu¬
gestaltung des ärztlichen Uuterstützuugswesens für ganz Deutsch¬
land herbeizuführen im Stande seien.
Der Verein geht dabei von der Anschauung aus, dass ceteris
paribus eine Kasse mit einer grossen Mitgliederzahl bei Vertheilung
des Risikos auf eine grössere Schulternzahl dauerhafter und
leistungsfähiger sei.
Die Richtigkeit dieser Voraussetzung wird wohl nicht Ihv
stritten werden können, es frägt sich nur, ob durch den Deutschen
Aerztebund der gehegte Plan der Gründung einer allgemeinen
deutschen Kasse der Reallsirung in absehbarer Zeit entgegen¬
geführt werden kann.
Was bisher seitens desselben in dieser Frage geschehen, lässt
wohl berechtigte Zweifel hierüber zu.
Wie Dr. Dörfler selbst in seinem Vortrage ausführt, hat
der deutsche Aerztetag 1880 vorläufig noch für den lokalen Aus¬
bau derartiger Kassen sich ausgesprochen.
Nach Mittheilung von Dr. Bensch- Berlin, der für allge¬
meinen Anschluss an die Versicherungskasse für die
Aerzte Deutschlands (früher Centralhilfskasse) eintrat,
liegt seitens des deutschen Aerztetages vom 29. Juni 1895 nach¬
stehende Empfehlung dieser Kasse vor:
„Nachdem die Kommission des Geschäftsausschusses die vom
vorjährigen Aerztetag vorgeschriebene Prüfung der rechnerischen
Grundlagen von mehreren Seiten aus hat vornehmen lassen und
das Resultat ein übereinstimmend gutes gewesen ist, nachdem
ferner die neuen Satzungen der Centralhilfskasse für die Aerzte
Deutschlands unter dem 10. Juni d. J. die staatliche Genehmigung
erlangt haben, empfiehlt der diesjährige Aerzte¬
tag den Beitritt zur Central liilfskasse für die
Aerzte Deutschlands und ermächtigt seinen Ausschuss, die Ehren¬
mitgliedschaft bei der Centralhilfskasse (1. § 4 der neuen Satz¬
ungen) anzunehmen.“
Mit Rücksicht auf dieses Verhalten des deutschen Aerzte¬
tages ist man zur Annahme befugt, dass derselbe auch ln Zukunft
den Anschluss an die eben erwähnte Versicherungskasse empfehlen
dürfte.
Ein derartiger allgemeiner Anschluss an diese Kasse scheiterte
aber bisher, wie Dörfler selbst ausführt, an den hohen, nicht
für jeden Arzt zu erschwingenden Beiträgen,; gegen eine allgemeine
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1. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1575
deutsche Vereicherungskasse spricht nach ihm die Schwierigkeit,
obligatorischen Beitritt hiezu zu erlangen und durchzuführen. Die
bisherigen Erfahrungen aber haben dargethan, dass zum Bestand
derartiger Kassen der Zwangsbeitritt unbedingt nothwendig ist.
Dörfler sagt daher: „Hält man an dem obligatorischen Bei¬
tritt als conditio sine qua non für das Gedeihen eines solchen
Unternehmens fest, so würden wir fast mit Naturnothwendigkeit
zum Ausbau unserer bundesstaatlichen Kassen gedrängt.
Für den Ausbau der bundesstaatlichen
Kassen zu allgemeinen Hilfskassen mit Rechts¬
ansprüchen ihrer Mitglieder spricht vor Allem
der ganze historische Gang der Dinge: die Un¬
möglichkeit, eine deutsche Aerzteordnung zu
erhalten, die Einrichtung bundesstaatlicher
Aerzteordnungen mit Umlagerecht, die staat¬
liche Subvention der bisherigen bundesstaat¬
lichen V e r s i c h e r u n g s k a 8 s e n weisen uns fast
mit zwingender Gewalt auf diesen Weg; für eine
solche spricht besonders auch der leichtere
und auf gesetzlicher Basis zu erreichende Aus¬
bau, welch’ letzterer am besten eine wirklich
allgemeine Betheiligung garantiren dürfte.“
Wer sich einigermaassen mit dem ärztlichen Versicherungs¬
wesen beschäftigt und dadurch die obwaltenden Verhältnisse
kennen gelernt hat, wird dem Inhalt dieser Ausführungen Dorf•
lcFs voll und ganz zustimmen.
Dieselben lassen aber meiner Anschauung nach keinen
anderen Entschluss zu, als thatsächlich an den Ausbau unserer be¬
stehenden bayerischen Unterstützungskassen hernnzutreten, an¬
statt neuerdings den nahezu aussichtslosem Versuch zu wagen, auf
dem Umwege über den deutschen Aerztetag eine voraussichtlich
wieder in den Sand verlaufende Bewegung nach Gründung einer
allgemeinen deutschen Kasse in’s Leben rufen zu wollen.
Der Gründung einer solchen Kasse oder dein Anschlüsse an
die erwähnte deutsche Versicherungskasse scheint eben die Stim¬
mung der deutschen Aerzteweit zur Zeit nicht günstig; es zeigt sich
dies auch aus den Bestrebungen der preussischen Aerztekammern,
auf Grund des ihnen übertragenen Umlagerechts Unterstützungs-
kassen zu gründen.
Die Ursache liegt wohl darin, dass, wie ja schon die Aus¬
führungen D ö r f 1 e Fs darthun, es eben nur auf Grund des Um-
lagerechts möglich ist, in erfolgreicher Weise die säumigen
Stnndesgenossen zum Kassenbeitritt heranzuziehen.
Dazu bietet der Ausbau der vorhandenen bundesstaatlichen
Unterstützungskassen keineswegs die Schwierigkeiten, welche bei
dem Versuche der Angliederuug bereits bestehender Kassen an
eine allgemine deutsche Kasse entstehen würden. Es würden im
letzteren Falle eine Reihe Bedenken bezüglich der Uebertragung
der der Kassen gemachten Zuwendungen, z. B. der staatlichen
Subventionen sich ergeben; diese Subventionen selbst würden dann
wohl nicht mehr weiter gewährt werden.
Würde eine Angliederung der bestehenden Vereine nicht er¬
folgen. so wäre wohl anzunehmen, dass die Mitglieder derselben
zum Beitritte an eine neue weitere Kasse kaum sich entschlossen
würden. Den Beitritt für diese bereits einer Unterstützungskasse
angehörenden Aerzte obligatorisch zu machen, dies würde sich
aber voraussichtlich nicht ermöglichen lassen, schon mit Rücksicht
auf die Höhe der finanziellen Leistungen dieser Aerzte.
Die Ausgaben für Lebensversicherung, Unfallversicherung,
Haftpflichtversicherung, Wittwen- und Waisenversicherung, Sterlie-
kassevereln, Verein für invalide, hilfsbedürftige Aerzte'), welche
Jetzt schon das Budget des Arztes belasten, sind wahrlich nicht
gering.
Würden wir in Bayern an die Ausgestaltung unseres ärztlichen
Versicherungswesens herantreten, so könnte ohne besondere
Schwierigkeiten eine allgemeine Hilfskasse geschaffen werden,
welche der bestehenden Nothlage kranker, berufsunfähiger Aerzte
sowie der Hinterbliebenen derselben in erfolgreicher Weise zu
steuern vermöchte.
Auf welche Art dies am zweckmässlgsten geschieht, Ist eben
Sache versicherungstechnischer Erwägung.
Am wünschenswertesten erschiene mir der alsbaldige Ausbau
unseres Unterstützungsvereins hilfsbedürftiger, invalider Aerzte zu
einer Invalidenversicherungskasse für bayerische Aerzte; denn so¬
weit ich die Lage der Dinge kenne, geht der Wunsch der meisten
Aerzte dahin, für die Tage längerer oder gar dauernder Berufs-
unfiihigkeit einen Rechts anspruch auf einen Unterstützungs-
bezug — auf eine Art Pension — zu besitzen.
Wenn Amtsärzte, die eine derartige Berechtigung in Folge
ihrer dienstlichen Stellung bereits besitzen, für die Weiterentwicke¬
lung des ärztlichen Unterstützungsweseus in Bayern so lebhaft
••intreten, so geschieht es desshalb, weil sie eben als ältere Aerzte
einen gründlichen Einblick in die diesbezüglichen Verhältnisse
haben und weil den Amtsärzten doch recht sehr daranliegt, dem
gesummten ärztlichen Stande eine möglichst gesicherte materielle
Grundlage zu schaffen; ist es doch bekannt, dass mit der Hebung
der äusseren Lage des Arztes auch das Standesbewusstsein und
damit dessen Ansehen nach innen und aussen sich hebt
Blickt man zurück auf das, was bisher von opferwilligen Kol¬
legen auf dem Gebiete des ärztlichen Unterstützungswesens in
Bayern geschehen ist so erscheint die Hoffnung vollberechtigt,
') Die Amtsärzte bezahlen ausserdem jährlich mindestens
50 M. zum A. U. V. und zur Tüchterkasse.
dass auch die als Nothwendigkeit sich erweisende Ausgestaltung
unserer Unterstützungsvereine von thatkräftigen Händen alsbald
in Angriff genommen werden wird.
Eine Anregung hiezu neuerdings zu geben, ist der Zweck vor¬
liegender Zeilen. Gutta cavat lapidem, non vi sed saepe cadendo?
Ebern. Dr. Spaet, kgl. Bezirksarzt
Referate und Bücheranzeigen.
Widmark: Mitteilungen ans der Augenklinik des
Carolinischen Medico-Chirurgischen Instituts zu Stockholm.
Jena 1901, G. Fischer. Preis 6 M.
Das 3. Heft dieser Mittheilungen (conf. diese Wochenschr.
1898, S. 1217, und 1899) enthält folgende werthvollen Abhand¬
lungen des Herausgebers und seiner Schüler:
1. Ein Fall von Chorioidalsarkom mit sekundärer Atrophie des
Auges, von cand. med. Clnar Key. Nach folgendem Krankheits¬
verlauf: 1. allmählich sich clnstellende Herabsetzung der Seh¬
schärfe mit leichten Symptomen von Glaukom, 2. Netzhaut¬
ablösung und vollständige Amaurose, 3. Glaukoma absolutum mit
heftigen Schmerzen, 4. Irldocyclltls mit Atrophia bulbi, ergibt die
pathologisch-anatomische Untersuchung einen zum grössten The»
nekrotislrten Tumor. Nach Anführung und kritischer Beleuchtung
ähnlicher Beobachtungen, besonders von Leber und Krahn-
Btfirer, Deutschmann, Evetzky und Janatowsky,
kann sich Verfasser für keine bestimmte Ansicht entscheiden.
Einerseits neigt er sich der Leber-Krahnstöre r’schen Auf¬
fassung hin, dass das Auge einer endogenen Infektion ausgesetzt
gewesen sei und Mikroben die Iridocyclitis hervorgerufen haben;
das Fehlen der Mikroben im Präparate, welches gegen diese An¬
nahme sprach, möge davon herrühren, dass die Untersuchung zu
spät vorgenommen worden ist, nachdem die Entzündung bei Auf¬
nahme der Kranken in das Krankenhaus nahezu abgelaufen war.
Andererseits könne man auch mit Evetzky die Iridocyclitis
als eine Toxinwirkung, von der Nekrose stammend, auffassen.
Die Nekrose sei hier jedoch nicht einer Thrombosirung der Gefässe,
wogegen der anatomische Befund zahlreicher unveränderter Capil-
laren spreche, zuzuschreiben, sondern aus einer Ernährungs¬
störung einer kleinen Partie im Centrum der Geschwulst mit all¬
mählichem Uebergreifen nach der Peripherie derselben hervor¬
gegangen.
2. Ucber Husculus dilat&tor pupillae des Menschen, von
J. Widmark. Auf Grund seiner Untersuchungen von 5 wegen
Sarkom enucleirten Augäpfeln, wobei die Präparate nach der De-
pigmentirung der Iris thells mit Eisenhaematoxylin nach Heiden¬
hain, theils nach v. G i e s o n, theils mit Orange und Säure¬
fuchsin gefärbt wurden, sehliesst Verfasser, dass die hintere Be¬
grenzungsmembran ganz den Charakter eines glatten Muskels hat,
denn sie lässt sich auf eine charakteristische Weise färben, sie
hat langgestreckte, von feinen Fibrillen umgebene Zellen mit
stäbchenförmigen Kernen und sie bildet in Querschnitten kein
kontinuirllches Gewebe, sondern ist aus runden, etwas eckigen
Elementen, offenbar quergeschnittenen Muskelzellen zusammen¬
gesetzt Nach den vorausgegangenen, schon sehr überzeugenden
Untersuchungen Grunert’s scheint demnach die lange und heiss
umstrittene Frage dahin gelöst zu sein, dass es einen wirklichen
Musculus dilatator pupillae gibt eine Thatsache, für welche schon
die physiologische Nothwendigkeit spricht.
3. Zur Frage der bakterientödtenden Wirkung der Thronen,
von A. H e 11 e b e r g. Angeregt durch und theilwelse in Ueberein-
8timmung mit den Untersuchungen Bernheime Fs und B a c h’s,
gelangt Verfasser zu folgenden, aus seinen Untersuchungen ge¬
zogenen, im Auszug wiedergegebenen Schlussfolgerungen:
1. Dass die Thränenflüssigkeit dem pyogenen Staphylococcus
gegenüber baktericide Eigenschaft besitzt und die baktericlde
Kraft sich um so stärker geltend macht, je geringer die Zahl der
inflzirenden Keime von Anfang an war.
2. Dass frische (virulente) Kulturen grössere Widerstands¬
kraft als alte Kulturen besitzen, woneben den habituellen Para¬
siten auf der Conjunctiva vielleicht eine grössere Resistenz zu¬
kommt. Das baktericide Moment ist, da es durch 4—5 Minuten
langes Kochen der Thränen unwirksam gemacht wird, entweder
ein flüchtiger Stoff oder geht in unwirksamem Zustande in den
voluminösen Eiweissniederschlag ein, welchen das Kochen ln der
Thränenflüssigkeit hervorruft. Die Salze derselben können daher
keine Rolle spielen, wie überdies durch Parallel versuche mittels
Salzlösungen und gekochtem Wasser nachgewieseu wird.
4. Ucber Glaukom nach Starextraktion, von A. Dalön. Ver¬
fasser hat als Grundlage seiner werthvollen Abhandlung 11 eigene
Beobachtungen und 20 genau beschriebene Fälle aus der Literatur
tabellarisch zusammengestellt. Er unterscheidet: Glaukom nach
kombinirter, nach einfacher Extraktion und nach Dlsclssion von
Sekundärkatarakt, und kommt zu dem Schlüsse, dass Glaukom
nicht, wie man erwarten sollte, nach einfacher Extraktion, sondern
nach kombinirter Extraktion, also mit Irisausschnitt, häufiger auf-
tritt. Die Ursache glaubt Verfasser nach einer eigenen ana¬
tomischen Untersuchung im Zusammenhalt mit anderen in der
Iris- oder Kapseleinheilung suchen zu müssen, wodurch Ver¬
stopfung der Kammerbucht und Veränderung des Kammerwassers
— zum Theil durch den Zerfnil abgestossener Epithelzellen —
hervorgerufen werde. Auch durch Proliferation des Hornhaut¬
epithels durch die Wunde hindurch könne die Kammerbucht
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1576
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
bloklrt oder durch Verwachsung zwischen Irisrnnd und Nnehstnr
'zur Drucksteigerung Anlass gegeben werden. Pie Drucksteigerung,
welche nach Piscission einer Katarakta secundaria auftrete, beruhe
gewöhnlich auf einer Störung der Kommunikation zwischen
hinterer und vorderer Kammer. Postoperatives — Sekundär- —
Glaukom, zu unterscheiden vom primären Glaukom in einem star-
operirteu Auge, trete daher häufiger nach Extraktion unreifer
Katarakte auf, da diese wegen Bildung einer Sekundärkatanikt
öfter die Piscission nötliig machen und Glaukom nach Piscission
von Sekuudärkatarakt am häufigsten auftrete. Glaukom nach Pis¬
cission von Sekundärkatarakt gebe auch die wenigst günstige
Prognose, Miotika seien hier ganz erfolglos, nur die Iridektomie,
von der überhaupt am ehesten eine Heilung zu erwarten ist, habe
in einigen Fällen kurative Wirkung gehabt. Pie sicherste Pro¬
phylaxe liege in einer guten operativen Technik.
Pie Dal6n’sche Arbeit kann als sehr lesenswerth empfohlen
werden.
5. lieber den Einfluss des Lichtes auf die Linse, von J. W i d -
m a r k. Es wird hier auf exactexperiinentollem Wege der Nach¬
weis geführt, dass nicht die elektrische Entladung allein, sondern
auch das Licht des Blitzes — und ganz besonders die ultra¬
violetten Strahlen — für die Entstehung des Blitzstars von Be¬
deutung ist, und bezieht sich hiebei Verfasser auf seine frühere,
im 1. Heft dieser Abhandlungen veröffentlichte Arbeit, wonach
die ultravioletten Strahlen in erster Linie durch die Linse ab-
sorbirt werden. Auch für die Erklärung des Stares, welcher bei
Glasbläsern vorkommt, müsse man noch andere Eigenschaften des
Lichtes, als sein Wännevermögen, berücksichtigen.
Die Fülle von interessanten Thatsachen und Beobachtungen,
wie bisher nun auch im 3. Heft in schmuckem Gewände dar¬
geboten, lassen weiteren Veröffentlichungen wiederum mit Ver¬
gnügen entgegensehen. S e g g e 1.
H ti e 11 i n: Mnemotechnik der Beceptologie. Leicht¬
fassliche Anleitung zum Erlernen der durch die Pharmakopoe
vorgeschri dienen Maximaldosen auf mnemotechnischem Wege.
2. Auflage. Wiesbaden, Bergmann. Preis 1 M.
Mancher Slaatsexamenskandidat und mancher prakticirende
Arzt, dem es peinlich ist, in Gegenwart seiner Patienten die
Maximaldosis nachzusehen, wird das vorliegende Büchlein mit
Freuden begrüssen. Der Zweck, das Lernen und Behalten der
Maximaldosen zu erleichtern, wird auf eine recht einfache und
bequeme Weise erreicht. Fast alle Zahlen, welche Maximaldosen
ausdrücken, bestehen aus einer Anzahl von Nullen (vor und
hinter dem Komma) und einer Ziffer von 1 bis 5. Für jedes
Arzneimittel ist nun ein Merkwort auf gestellt, dessen beide
ersten Vocale die Maximaldosis ausdrücken, indem der erste
Vocal die Zahl der Nullen, der zweite die Endziffer bezeichnet.
Dabei bedeuten a und ii = 1, e = 2 u. s. w. bis zu u = 5. Für
Gutti ist z. B. das Merkwort „Drastieum“ aufgestellt, a be¬
deutet, dass die Zahl, welche die Maximaldosis angibt, nur eine
Null enthält, und i dass die Schlussziffer 3 ist. Demnach ist
die Maximaldosis von Gutti 0,3. Das Merkwort für Phosphor
ist „Inhalation“, weil die chronischen Phosphorvergiftungen ge¬
wöhnlich durch Inhalation von Phosphordämpfen entstehen. Das
i bedeutet, dass die Zahl, welche die Maximaldosis ausdrüekt,
3 Nullen enthält, das a bezeichnet 1 als Schlussziffer. Die Maxi-
maldose des Phosphor ist also 0,001. Dazu kommen einige Verse
in der Art der lateinischen Genusregeln. Die Hilfsmittel wer¬
den es auch einem widerspenstigen Gedächtnisse ermöglichen,
die Maximaldosen mit Sicherheit zu beherrschen. O. S n e 11.
Prof. Dr. Franz M r a c e k : Handbuch der Hautkrank¬
heiten. Erste Abth. (mit 71 Abbildungen, Bogen 1—11). Wien,
A. Holde r, 1901. Preis 5 M.
Das gross angelegte Werk, welches in etwa 15 Abtheilungen
erscheinen soll, ist bestimmt, eine Lücke insoferne auszufüllen,
als es heute noch an einem Handbuch fehlt, welches mit einer
sachlichen Sichtung des angesammelten literarischen Materials
eine Darstellung des modernen wissenschaftlichen Standpunktes
verbindet. Die Namen der Mitarbeiter bürgen dafür, dass diese
Absicht auch erreicht werden wird; die vorliegende erste Ab¬
theilung umfasst die Anntomie der Haut (Rabl) und einen
Theil der Physiologie (Kr ei dl); die Gründlichkeit und Klar¬
heit mit. welcher diese schwierigen Kapitel zur Einleitung in das
Studium der Hautkrankheiten behandelt werden, lässt wohl mit
Bestimmtheit auch für die kommenden Abtheilungen eine ana¬
loge Durchführung erwarten. Speciell soll auch auf eine mög¬
lichst vollständige Bibliographie der Nachdruck gelegt werden,
so dass der Forscher und Gelehrte hier jenes Material vereinigt
vorfindet, das bisher zerstreut vorlag. Das Werk dürfte bei
Durchführung dieses Programms für den wissenschaftlich fort¬
schreitenden Fachmann unentbehrlich werden. Für den Stu-
direnden ist es natürlich weniger geeignet. Das Ganze soll in
etwa ein und einem halben Jahre vollendet vorliegen. Aus dem
vorliegenden Theile haben wir als besonders schön und instruk¬
tiv die zahlreichen histologischen Abbildungen zur Anatomie
des Ilautorgans hervorzuhebeu. K o p p.
E. Finger; Die Blennorrhoe der Sexualorgane und ihre
Komplikationen. 5., vermehrte und verbesserte Auflage. Leip¬
zig und Wien, Franz 1) e u t i c k e, 1901. Preis 12 M.
Bei Besprechung der früheren Auflagen des hervorragenden
monographischen Werkes des als Autorität auf dem Gebiete, der
Gonorrhoe bekannten Verfassers hatten wir wiederholt Gelegen¬
heit die Vorzüge dieses Buches hervorzuheben. In der neuen
Auflage finden wir viele Erweiterungen und Ergänzungen,
welche besonders durch die modernen Bestrebungen auf thera¬
peutischem Gebiete nothwondig wurden. Auch auf dem Gebiete
der Pathologie sind manche Kapitel, speciell diejenigen über
Vesiculitis scminalis und Trippermetastasen einer durchgreifen¬
den Umarbeitung unterzogen worden. Angesichts der un¬
geheuren, leider noch immer vielfach unterschätzten Wichtigkeit,
welche die gonorrhoischen Processe und ihre Komplikationen für
die allgemeine Volksgesundheit, und nicht zum wenigsten auch
für die Volksvermehrung besitzen, dürfte die Lektüre des inter¬
essanten Werkes weiteren ärztlichen Kreisen dringend zu
empfehlen sein. Auf dem Wege der hieraus zu erhoffenden Be¬
lehrung dürfte denn doch endlich die landläufige Gering¬
schätzung dieser in ihren Folgen unberechenbaren, aber immer
sehr ernsten Erkrankung beseitigt werden, und auch in einem
grösseren Publikum eine richtigere Einschätzung der hieraus
resultirenden Gefahren zu erwarten sein. So lange es noch
Aerzte gibt, welche von einem „leichten Tripperl“ sprechen, wenn
sich ihnen ein junger Mensch mit den Symptomen einer ersten
Gonorrhoe vorstcllt, kann es freilich nicht Wunder nehmen, wenn
dieses Leiden seitens des Publikums und der speciell betheiligtcn
männlichen Jugend nicht die gebührende Beachtung findet.
K o p p.
Pollatschek: Die therapeutischen Leistungen des
Jahres 1900. Wiesbaden, Bcrgman n, 1901. Preis 8 M.
Der 12. Jahrgang des an dieser Stelle wiederholt rühmend
genannten P.’schen Jahrbuches liegt, auch in diesem Jahre in
trefflicher Bearbeitung vor. In alphabetischer Uebersieht und
knapper Darstellung bringt cs alle für den Praktiker wissens-
werthen Neuerungen aus dem ganzen Gebiet der Medicin und
kann mit Recht allen Denen empfohlen werden, die sich in Kürz-
über eine neue therapeutische Frage unterrichten wollen.
K r c e k e.
Dr. Th. Kocher und Dr. de Quervain: Encyklopädie
der gesammten Chirurgie. Mit zahlreichen Abbildungen. Leip¬
zig 1901. F. C. W. Vogel. 9. und 10. Heft.
Von der schon erwähnten Encyklopädie, die in 25 Liefe¬
rungen ä 2 M. bis Oktober a.c. erscheinen soll und von der 2Liefi.‘-
rungen schon besprochen wurden, sind nun weitere 6 erschienen,
lieber die Brauchbarkeit und den praktischen Nutzen, sowie über
die Güte brauche, ich bei der Mitarbeit so vieler bewährter
Autoren nichts hinzufügen. Ziegler- München.
Heueste Journalliteratur.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 37.
D C r c d e - Dresden: Lösliches Silber als inneres Anti-
septicum.
('rede empfiehlt angelegentlich das Argentum eolloidale als
Mittel zur allgemeinen inneren Desinfektion bei allen nicht zu weit
vorgeschrittenen Strepto- und Staphyloeoeconerkrankuugeu. In
leichteren Fällen genügt die je nach Bedarf wiederholte energische
Einreibung einer 15 proe. Salbe in die gut gereinigte und wenn
möglich hyperacniisirtc Haut eines gesunden Körpertlieils (ein¬
malige Dosis 2- 3 g). Nicht nur Phlegmonen etc. und septische
Processe, sondern auch epidemische Cerchrospinalmcningitis und
Erysipel wurden günstig beeinflusst. Ahseesse und Nekrosen
werden natürlich nicht rückgängig. Bedeutend energischer wirkt
die intravenöse Applikation, wobei je nach der Schwert» des Falles
5—20 g einer V -,—1 proe. Lösung, wenn nötliig wiederholt, injizirt
werden. Thierversuche ergaben, dass dabei das Silber alle Organe
durchwandert und nach wenigen Wochen wieder ausgeschieden
ist; Argyrose wurde nie Ifeobaclitet. Diese Anwendungsweise ist
indicirt hei schweren septischen Erkrankungen, septischem Gelenk¬
rheumatismus, epidemischer Cerebrospinalmeningitis, septischen
Komplikationen von Tuberkulose und Typhus.
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1. Oktober 1901.
MITENOIIENKIt MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1577
2) II. Schneider- Berlin: lieber das Zehenphänomen
B a b i n s k i’s. Ein Beitrag zur Lehre von den Fusssohlen-
reflexen.
lief schwacher Heizung der Fusssolile tritt eine isolirte
riantarflexion auf: Ilimrindenretiex; bei starker Heizung eine
Dorsal Hex ion mit Beinbewegung: ltüekeninarksreliex. Das Ba-
liinski'sche Phänomen bestellt darin, dass auf schwachen Reiz
die Plantarflexion nusbleibt und gleich Dorsalflexion, d. li. der
Kiiekenmnrksrcflex erscheint. Ks kann entstehen: 1. durch Ver¬
nichtung des llindenreflexes bei Unterbrechung der Pyramiden-
haliu an irgend einer Stelle („echter Bubinski“;; 2. durch all¬
gemeine Steigerung der Rückeuinarksrellexe (Strychnin. Krank¬
heiten mit Reflexsteigemug ohne Pymuiidenlaesion) oder durch
Zustände, die den Rindenreflex hemmen (Ablenkung. Stupor.
Oedeni». Beide Formen sind nicht sicher zu trennen, da aber der
„Bablnski“ ohne Zerstörung des Rindenreliexes selten dauernd be¬
stellt und sich bei Pyrnmidenlaesion fast immer einstellt, so ist
er praktisch für die Differeutialdlagnose der letzteren wohl
brauchbar.
No. 3.8. 1) B. F r ii n k e 1 - Berlin: Bemerkungen zur Prophy¬
laxe der Tuberkulose und die Isolirung der Phthisiker.
Yerf. misst der Tröpfcheninfektion für die Verbreitung der
Tuberkulose mindestens die gleiche Bedeutung bei wie der Ueber-
tragung durch das Sputum mul empfiehlt bei der grossen Gefahr,
welche jeder Sehwindsiichtige für seine Eingebung darstellt,
olienso wie K o e h in seinem Londoner Vortrag, als wichtigste
Maassregel zur Einschränkung dieser Volkskrankheit die Gründung
von Spezialkrankciihäusern oder Asylen für Tuberkulöse.
2» Wilhelm T ilrk - Wien: Zur Aetiologie der lymphatischen
Leukaemie.
Verf. unterwarf die von Lüwit gefundene und als Ursache
der lymphatischen Leukaemie bezeiclinete ..Hacmnmocha intra-
miclearls" einer Nachuntersuchung und kam zu dem Ergehn iss,
dass es sich dabei nicht um Parasiten, sondern einfach um mit
den gewöhnlichen Methoden schwer färbbare Besta mit heile, wahr¬
scheinlich die Nueleoli des normalen I.yinphoey teil keines handelt.
3; W. T h o r u e r: Die stereoskopische Betrachtung des
Augenhin tergrundes.
Behufs leichterer Erkennung der normalen und vor Allem
IKithologiselien Niveaudifferenzen des Aiigenlilntergrumles kon-
struirte Verf. einen stereoskopischen Apparat für hiuoculare Unter-
siu’hung. dessen Beschreibung im Original naelizuiesen ist.
4i E. A r o n - Berlin: Ueber Sauerstoffinhalationen. (Schluss.)
('fr. Referat pag. 771 der Münch, mcd. Woehensehr. 1SK)1.
öi Jacques Joseph: Zur Streckung des P o t t’schen
Buckels. (Schluss.)
Cfr. Referat pag. 1IS4 der Münch, uied. Woehenschr. 1900.
II ö f er- Seliwahaeh.
Deutsche medioinisohe Wochenschrift. 1901. No. 38.
1) Eduard Bon neu bürg - Berlin: Appendicitis und der
Zusammenhang mit Traumen.
An der Hand von Beispielen erörtert S. die Frage Vom ge-
rlclitsärztliehen Standpunkt und kommt zu dem Schlüsse, dass
ein Trauma nicht im Stande ist, bei gesundem Wurmfortsatz eine
Appendicitis hervorzurufen, dass ihm Jedoch eine wesentliche
aetiologische Bedeutung zukommt, indem durch densellien eine
bis dahin latente Erkrankung, eine chronische Entzündung ln eine
akute übergeführt wird.
2) Leouor Michaelis und Alfred W o 1 f f - Berlin: Die
Lymphocyten.
Es werden zwei Arten von Lymphoidzcllen unterschieilen:
a) solche, welchen noch eine gewisse Dlfferenzirungsfähigkeit zu-
komiiit. wie die Lymplioidzellen des Knoelieumarks. die sieh zum
Tlieil in Myeloeytcn umwandeln, indifferente Lymphoid-
zellen, und b) solche, deren Entwicklung abgeschlossen ist, die
Lymphocyten (Ehrlich). Im Dormalen, strömenden Blut
der Erwachsenen ist jede Lymphoidzelle ein Lymphocyt, im
Kuocheumark linden sich beide Formen nebeneinander, während
die iu anderen Körperflüssigkeiten, Transsudaten, Exsudaten,
Eiter u. s. w. verkommenden Lymphocyten ähnlichen Zellen als
Degeiierationsformen aufzufassen sind, welche der Hauptsache
nach den neutrophilen, iwdynukleäreu Leukocyten und Epithelien
ontstuminen. Die K e r n d e g e n e r a t i o n geschieht, ferner
durch Kernverdichtung mit und ohue Zerbröckelung oder auch
Aufquellung.
3) W a 1 li a u ni - Harburg a. E.: Ein interessanter Fall von
erworbener Dextrokardie.
Hochgradige Verlagerung des Herzens nach reelits in Folge
einer rechtsseitigen Pleuritis mit Seliwartenbildung, mit stark aus¬
geprägten Störungen der Hcrztliiitigkeit: Oedemen, Cyauose, Milz-
und Iieberseliwelliing u. s. w.
4) Max B u c li - Finnland: Die Grenzbestimmung der Organe
der Brust- und Bauchhöhle, insbesondere auch des Magens und
Dickdarms, durch perkussorische Auskultation oder Trans-
sonanz.
B. hat die von B e n d e r s k i - Kiew auf dem internationalen
medidniseheh Kongress zu Rom 1894 zuerst demonstrirte Methode
der iierkussoriseheu Auskultation weiter ausgearbeitet und be-
richtet über seine Resultate, welche den Werth dieser leider nur
wenig bekannten und geübten, namentlich für die Bestimmung der
Magengrenzen sehr verwendbaren, einfachen und verlässigen Me¬
thode in Ueliereiustimmuug mit den von Hensehen, Rune¬
berg, Lepper, Stengel u. A. gemachten Erfahrungen be¬
stätigen. Er verwendet zu seinen Untersuchungen ein mit
Schlauch und Ohrenolive versehenes gewöhnliches Stethoskop
(ohne Ohrmuschel), welches ihm dieselben Dienste leistet, wie das
von B i a n e li 1 und C o in t e lieuUtzte Phonendoskop. Bezüglich
der Details der Arlieit muss auf den sehr iesenswerthen Original¬
er tikel verwiesen werden.
5) Martin Lubinski: Zur Lehre von der Perichondritis
acuta purulenta septi narium.
Besprechung zweier Fälle von mehr spccialärztlicbem
Interesse.
<») A. v. G n e rard-Düsseldorf: Uterusruptur bei Eklampsie
und Drillingen. Leibschnitt, Heilung.
Kasuistische Mittheilung aus der ärztlichen Praxis.
7» Arthur Ru pp in-Halle a. S.: Die Zwillings- und Dril¬
lingsgeburten in Preussen im letzten Jahrzehnt.
Koclulmedlcinische und statistische Studie.
8; B i b e r f e 1 d: Aus der neuesten Rechtsprechung für
Aerzte.
..Wie Kurpfuscher das Gesetz umgehen können“, aus der
Feder eines Juristen. F. L ach e r-München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 37. 1) W. Türk-Wien: Beiträge zur Diagnostik der
Concretio pericardii und der Tricuspidalfehler. (Wird fort¬
gesetzt.)
2) Fr. T e w e 1 e s - Wien: Ueber den Aetherrausch und seine
A n wendun gsweise.
Die von Sudeek (s. Milncli. med. Woclienschr. 1901, S. 122;
angegebene Anaesthesiruligsmcthode, welche in der Herbeiführung
bezw. Unterhaltung eines rauschartigen Zustandes mittels kleiner
Actliermengen besteht, ohne dass man es bis zum Exeitatious-
stadium kommen lässt, bewährte sieh 1x4 157 Fällen im Allge¬
meinen sehr gut für kurze, nlx*r auch längerdauernde chirurgische
Eingriffe. Als Vorth eile werden angegelxui: Die Operation
beginnt fast gleichzeitig mit den Inhalationen; kein Exeitations-
stadium. 2. Sehr geringer Aethorverbraueh. 3. Die Vorbereitung
des Patienten ist eine rein psychische, seine ganze Aufmerksam¬
keit wird auf die Narkose konzentrirt. 4. Einfachheit und Brauch¬
barkeit für die Privatpraxis. 5. Ist ausführbar in zwei Drittel
aller Operationen, andernfalls leicht iu eine Narkose mit
Act her, Chloroform oder einer Mischung Uberzuführen. (!. Voll¬
kommene Gefahrlosigkeit. Dem stellen als Nacht heile gegen¬
über: 1. Das Lärmen mancher Patienten trotz Annestliesle. 2. Die
ziemlich häufige Reaktion (Abwehrbewegungen etc.) beim ersten
Schnitt. 3. Das häutige Fehlsehingen der Methode bei hochgradig
erregten Patienten und starken Alkoholikern.
3) Otto Lenz-Wien: Der Aetherrausch, eine experimentelle
Intoxikationspsychose.
Verfasser kommt auf Grund von Beobachtungen an sich selbst
und ca. 150 Patienten zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Der
Aetherrausch ist eine zu thenijieiitisehen Zwecken hervorgerufene,
akute Iutoxikationspsyehose. 2. Die affektive Färbung derselben
Ist ein Produkt aus der Individuellen Reaktion und der Menge des
inhnlirten Aethers, wobei die ersten* der wichtigere Faktor ist.
3. Eine dauernde nervöse Störung ist hei der geringen Aetlierdosis
nicht zu befürchten. 4. Das Ideal des Aetlierrausehes ist ein Zu¬
stand nur partiell getrübten Bewusstseins, wobei die taktile
Sensibilität erhalten und nur die Schmerzenipflndung gelähmt ist.
5. Der Acthemiuseh ist koutraindleirt hei Potatoren und neuro-
pathiseli veranlagten Individuen (Vorkommen furibuuder Delirien).
No. 38. 1) Hermann Schlof fer-Pmg: Zur operativen
Behandlung der zweifachen Magenstenose.
Verf. führte bei einem Full von Saiululirmageu mit gleich¬
zeitiger Pylorusstenose, da. wegen Fixation des Magens an der
hinteren Bauchwand die Gastroanastoiuose unmöglich war, die
Gastmplastik und Gastroenterostomia uutecolica zwischen Pylorus-
ningen und Jejunum mit gutem Erfolg aus und bespricht im An¬
schluss daran die verschiedenen in Betracht kommenden Ope-
rat ionsverfuhren.
2) Jar. E 1 g a r t - Brünn: Ueber idiopathische und sympto¬
matische Myalgien (Myopathien).
Verf. liest reit et die aetiologische Bedeutung der Erkältung fiir
«las Zustandekommen von sogen, rheumatischen Muskelsclimerzeu
und will alle schmerzhaften Muskelaffekt Ionen auf kleinere «xler
grössere Zenvissungen in der Muskelsubstanz mit Blutaustritten
in diesellie zurückführen: Ihr häufiges Vorkommen bei akuten
Infektionskrankheiten (z. B. Angina, Influenza u. s. w.) beruhe auf
einer durch Toxiue bedingten Degneration und leichteren Zerreiss-
lichkeit der Muskelfasern. Prophylaktisch empfiehlt er 1x4 zu
Myalgien geneigten Personen systematische Kräftigung der Mus¬
kulatur. bei akuten Infektionskrankheiten Vermeidung stärkerer
Bewegungen.
3) Julius Berdaeli-Trifail: Zwei Fälle von Stroh-
m e y e r’schen Verrenkungsbrüchen.
Besprechung zweier Fälle von typischer Malleolarfraktur.
Hüter- Seliwahaeh.
Wiener klinisohe Bnndachan.
No. 31 und 32. V. S 1 in e r k a - Prag: Ueber Nitrobenzol¬
vergiftung.
Ein mittelsehwerer Vergiftungsfall, der durch hochgradige
Cyauose der Hände und Ftisse, suluionnale Temperatur, Bewusst¬
losigkeit, Bitternisudelgerueh der Exspirationsluft ebamktorisirt
war, gibt dem Verfasser Anlass zu Vergleichen mit anderen
Fällen der Literatur.
Darnach kann vorliegender Full als typisch gelten, nur die
Poikiloeytose steht ira Gegensatz zu dem sonst negativen mlkro-
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1578
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
mikroskopischen Blutbefunde und weicht auch von den Verände¬
rungen, die Ehrlich in einem Falle koustatlrte, ab (reichliche kern¬
haltige rothe Blutkörperchen, „lmemoglobinaemische Inneukörper-
eheu“, mässlge Leukocytose). Therapeutisch Ist die Magenspülung
auch nach einiger Zeit noch wirksam, Milch und Wein, welche
das Gift lösen, sind zu vermeiden.
No. 29—32. H. Chalupecky: lieber Farbensehen oder
Chromatopsie.
Nach eingehender, theilwelse durch eigene Krankengeschichten
gestützter Erörterung fasst Ch. die aetiologischen Momente kurz
zusammen: Allgemeinerkrankungeu, zumal mit Ikterus einher¬
gehende; ferner solche, bei denen in Folge schlechter Ernährung
Störungen in der Adaptionsfähigkeit der Netzhaut auftreten; ver¬
schiedene centrale Erkrankungen, wie Hysterie, Epilepsie, Mi¬
gräne, mit vorwiegender Affektion der Gefässe, Vergiftungen.
Krankheiten des Augenhintergrundes, speciell der Netzhaut, Blen¬
dung. Erweiterung der Pupille nur als sekundäres Moment. Die
Annahme eines eigenen Rindencentrums für Farbenempündung
ist durch nichts gerechtfertigt.
No. 31. H. Gerber-Wien: Therapeutische Versuche über
Sanguinal Krewel bei Chlorose.
Die Erfahrungen an der Neusse Fschen Klinik waren recht
befriedigend. Bel Darreichung von täglich 3 bis 4 mal 3 Pillen
schwanden bei Zunahme des Appetits in der Regel rasch die sub¬
jektiven Beschwerden, der Blutbefund wies, wie eine Anzahl
tabellarischer Uebersichten ergibt, eine beträchtliche Besserung
auf: Vermehrung des Haemoglobingehaltes, sowie der rothen
Blutkörperchen, Verminderung der Poikilocyten und Mikrocytose.
No. 32—36. W. 8 c h o e n - Leipzig: Kopfschmerzen.
S. begnügt sich nicht damit, die Krankheiten aufzuzählen,
als deren Begleitsymptom Kopfschmerzen auftreten, sondern legt
zunächst in anregender Weise die Grundlagen dar, auf denen sich
der Schmerz entwickelt, die Vermehrung des intrakrnniellen
Druckes, den Gefässmuskelkrampf, der auch bei den toxischen
Formen eine wichtige Rolle spielt, dann die Begriffe der Syn-
nesthesie und Synkinesie, die kombinirte Wirkung beider, die Be¬
deutung gewisser Gelegenheits- und steigernder Ursachen, wie
Allgemeinerkrankungen, Schwüchezustände, Menstruation, psy¬
chische Affekte. Dann erst wird zu den verschiedenen „Reiz¬
ursprungsstellen“ übergegangen, deren eine in das Gehirn selbst
verlegt wird, indem sehr lebhafte Willensübertragungen und
energische Innervationsthiitigkeit an sich Kopfschmerz hervorrufen
können. Entfernte Reizursprungsstellen können sich an den ver¬
schiedensten Organen befinden: Herz, Lungen, Genitalien, Darm¬
kanal, Nieren etc. Von den am Kopf selbst gelegenen: Zähne,
Nase, Ohr, Auge, schenkt Verfasser dem letzteren die eingehendste
Beachtung und entwickelt hier seine in diesem Referat nur ganz
oberflächlich angedeuteten Gedanken im Einzelnen an den Bei¬
spielen des Blepharospasmus, Nystagmus, verschiedenen Ano¬
malien des Augenbaues, schlechter Beleuchtung und Körperhal¬
tung etc. Die halbseitige Migräne lässt sich in vielen Fällen auf
Ueberanstrengung einzelner Muskelgruppen des Auges, Muskel¬
krampf und 8ynkinetischen Krampf der Hirngefässe zurück-
f(ihren. Immer liegen der Migraene nach dem Ausspruch Sch.’s
dlo drei Kopfschmerzarten zu Grunde: Schmerzhaftes FUhlbar-
werden der Innervation, Synaesthesie von den krampfhaft zu-
sammeugezogeuen Muskeln aus, syukinetischer Gefässkrampf.
Mannigfach, wie die Aetiologie, muss auch die Therapie sein; wie
wenig entspricht dieser wissenschaftlichen Forderung die so po¬
puläre Pulverbehandlung!
No. 34. R. Spira: Ueber die Pathogenese der Labyrinth-
erschütterung.
8. hat nur die Fülle im Auge, wo eine organische Laesion
objektiv durchaus nicht nachweisbar ist. Wiederholte oder
dauernde Reize bewirken bei dem Nerv, vestibularis, der das
Gleichgewichtsgefühl vermittelt, eine Gewöhnung und Ab¬
stumpfung, daher sei es unter Umständen möglich, dass man durch
Uebung des Schwindels beim Tanz oder au hohen exponirten Oert-
liehkelten, ferner des Unbehagens auf hoher See Herr werde.
Durch geeignete gymnastische Uebungen könne dieser Umstand
sogar therapeutisch gegen Schwindel Verwendung finden. Bei
dem Nerv, cochlearis dagegen mache sich eine solche Herab¬
setzung der Erregbarkeit durch bleibende Störung, Ohrensausen
und zunehmende Schwerhörigkeit (Maschinisten, Kesselschmiede
u. 8. f.) geltend. Verfasser glaubt, zur Erklärung eine Ver¬
schiedenheit im Verhalten der Neurone anuehmen zu müssen,
welche bei dem N. vestibularis auf öftere Reizungen immer wieder
iu ihre ursprüngliche Gleichgewichtslage zurückkehren können,
während die Lagerung der Neurone ira N. cochlearis eine
dauernde und zunehmende Alteration erfahre.
No. 35. H. H a e n e 1- Dresden: Scorbut, Morbus Addison
und Sklerodermie.
Wegen der seltenen, vielleicht einzigartigen Kombination der
Symptome, von denen die des Morbus Addison wohl im Vorder¬
grund stehen, gelangt der Fall, der vorerst gebessert zur Ent¬
lassung kam, zur Veröffentlichung. Dr. B e r g e a t - München.
Ophthalmologie.
Schoeler: Zur Frage der Hornhaut-Erosionen. (Centralbl.
f. prakt. Augenheilk. Juni 1901. S. 161.)
Zu dieser in neuerer Zelt besonders von S z i 1 i und
A. v. Reuss erörterten Frage äussert sich Verf. hinsichtlich des
Zustandekommens der der „Keratalgia traumatica recurrens" zu
Grunde liegenden Veränderungen folgeudermaassen:
Bei Verletzungen des Hornhautepithels entstehen die ober¬
flächlichen Wunden durch Gegenstände mit nicht glatter und
nicht sauberer Spitze oder Schneide. Das Hornhautepithel wird
abgeschält und höchst wahrscheinlich die entstehende Wundfläcbe
chemisch verunreinigt, indem kleinste, mikroskopische Partikel-
chen sich auf ihr festsetzen. Bel der schnellen Bedeckung der
Wunde durch das Epithel werden die fremden Substanzen nicht
mehr rechtzeitig abgestossen und bleiben so unter der Decke des
neuen Epithels liegen. Letzteres findet dadurch nicht überall eine
feste Verwachsung mit der Unterlage und wird bei Jeder stärkeren
Reibung der Lider gegen den Augapfel auf der Unterlage ver¬
schoben. Bel genügend hoher Reizung kommt es dann zu einer
Flüssigkeitsansammluug zwischen dem Epithel und seiner Unter¬
lage, die zur Abhebung desselben in Bläschenform führt. Auf diese
Weise wird auch das Recidiviren der Erkrankung verständlich.
Zur Behandlung empfiehlt Verf. folgendes Verfahren: Die
Jlornhaut wird cocaiulsirt und dann mit Chlorwasser, reinem oder
verdünntem, je nachdem es ganz frisch ist oder schon durch
Stehen an Chlor verloren hat, abgepinselt. Dabei entsteht in sümmt-
lichen Füllen ein beträchtlicher Epithelverlust der Hornhaut mit
unregelmässigen, steilen Rändern. Bei den frischen Erosionen
wird das Epithel ln ziemlich weitem Umkreis um die sichtbare
Erosion durch die Bepinselung entfernt. Bei reichlichem Cocain¬
gebrauch lassen die erträglichen Schmerzen, welche die Pinselung
hervorruft, sehr schnell nach. Die Nachbehandlung besteht im
Gebrauch einer Atropin-Lanolln-Salbe und Umschlägen mit stark
verdünntem Chlorwasser (etwa 1 Theelöffel Chlorwasser auf die
Untertasse Wasser). Die Atropinsalbe wird fortgelassen, sobald
kein Epitheldefekt und keine Trübung der Hornhaut mehr sichtbar
ist, was meist in 3 Tagen der Fall zu sein pflegt. Die Umschläge
lasse man noch einige Tage darüber hinaus fortbrauchen. —
Itecidive bat Verf. dabei nie gesehen.
Wlcherkiewicz - Krakau: Einige Worte über die medi¬
kamentöse Behandlung des Glaukoms. (Klin. Monatsbl. f. Augen¬
heilkunde. XXXIX. Jahrg., II. Bd. Juli 1901. S. 554.)
Verf. hat folgende Komposition vielfach praktisch erprobt,
und behauptet, dass dieselbe nicht nur augenblicklich das sub¬
akute Stadium zu beseitigen, sondern auch beim chronischen
Glaukom ohne Operation das Auge jahrelang zu erhalten vermag:
Eserini sulf. 0,01, Pilocarpinl mur. 0,2, Cocain, mur. 0,1, Aq. dest. 10,0.
Diese Lösung wird zur Nacht regelmässig eingeträufelt und nur
bei akuteren Nachschüben auch am Tage. Iu dieser Zusammen¬
setzung hält das Pilocarpin mit der schwachen Eserinlösung der
mydriatischeu Wirkung des Cocains das Gleichgewicht, während
letzteres stark druck vermindernd wirkt
Man kann dieselben Mittel in demselben Verhältnisse in
Salbenform anwenden, wo Thrünenfluss oder stärkere Conjunctival-
absonderung eine IJisung weniger sicher erscheinen lässt.
Ch. Abadle: Arthritische Ulcerationen der Cornea und
ihre Behandlung. (Sitzungsbericht der Soci6t6 frangaise d’oph-
thalmologle ln Paris. 6.-9. Mai 1901.)
Bei den leichten arthritischen Affektloneu des Auges kommt
man mit den gewöhnlichen Mitteln aus, bei den schweren, ausser¬
ordentlich schmerzhaften Randgeschwüren der Cornea haben
bisher häufig alle Mittel versagt. Vortr. empfiehlt nun den Ge¬
brauch von Rhus toxikodendron, „da es manchmal von geradezu
frappirender Wirkung ist“. Er gibt Tinctura Rhus toxikodendron
täglich 15—20 Tropfen innerlich.
F a g e: Behandlung der Blepharitis mit Pikrinsäure.
(Ibidem.)
Vortr. wendet die Pikrinsäure in S—10 proc. Lösung nach vor¬
heriger Reinigung der Lidränder in der Weise an. dass er mit
einem Pinsel die Lösung aufträgt, sie antrockneu lässt und dann
noch einige Lagen zufügt. Man kann die Pikrinsäure auch in
einer alkoholischen gummirteu Lösung aufstreichen. — Dieselbe
wirkt schmerzstillend, antiseptisch und keratoplastisch; sie unter¬
drückt die Entzündung und Maceration der Lidwinkel und tödtet
die Mikroorganismen. Die gelbe Färbung der Lidränder ver¬
schwindet nach 24 Stunden, wenn das Auge freigelassen wird.
Jocqs-Paris: Wie lassen sich unsere neuen Kenntnisse
über Isotonie und Osmose für die Behandlung der Netzhaut¬
ablösung verwerthenP
Verf. geht aus von dem Experiment mit dem P f e f f e r’schen
Gefäss. Dasselbe Ist ein mit einem offenen Manometer ver¬
bundenes poröses Gefäss, das eine gesättigte Kochsalzlösung ent¬
hält. Dieses Gefäss wird in ein anderes, grösseres Gefäss mit
Wasser gesetzt und es tritt nun das nicht salzhaltige Wasser ver¬
möge des osmotischen Druckes durch die poröse Wand ein. Trotz
der durch Wassereintritt in das volle unausdehnbare Pfeffer-
sche Gefäss hervorgerufenen Drucksteigerung wird die Konzen¬
tration der Kochsalzlösung herabgesetzt Wären die beiden
Flüssigkeiten ausserhalb und innerhalb des Gefässes von gleicher
Konzentration, so bestünde Gleichgewicht des Druckes, eine
Osmose würde nicht stattfinden. Weiterhin ergibt sich, dass je
grösser der Unterschied in der Concentration beider Flüssigkeiten
ist, desto stärker auch der osmotische Druck ist.
Bei der Netzhautablösung entspricht die wenig oder gar keine
Salze enthaltende subretinale Flüssigkeit der ausserhalb des
P f e f f e r’schen Gefässes befindlichen Flüssigkeit, die injlzirte
Salzlösung der in dem Gefässe enthaltenen. Es ist daher nur eine
logische Schlussfolgerung, eine möglichst konzentrirte Lösung zu
iujiziren.
J. nimmt mm an, dass das Blut der Aderhautgefässe das Salz
durch Resorption aufnimmt und dann seinerseits die subretinale
Flüssigkeit anlockt und resorbirt, jedenfalls aber dadurch weniger
Neigung besitzt, Serum durch die Gefässwand austreten zu lassen.
Verf. schlles8t mit folgenden Thesen: „Subconjunctivale Koch¬
salzinjektionen, denen Punktion der Sklera voraus-
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1. Oktober 1901.
MEEXCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1379
zugebe u bat, sind zur Zeit das wirksamste Mittel zur Behand¬
lung der Netzhautablüsung. Aus den Gesetzen der Isotonie und
aus dem Mechanismus der Osmose folgt, dass möglichst kon-
zentrirte Lösungen zu benutzen sind. Gesättigte Kochsalzlösung
wird bei Hinzufügen einiger Tropfen einer 1 proc. Acoinlösung
leicht vertragen. Ein Druckverband ist mit Vorsicht zu hand¬
haben, da er leicht eine Iritis hervorruft.
H. Cohn: Ueber Schreibbretter für Blindgewordene und
Schwachsichtige. (Wochenschr. f. Therap. u. Hygiene d. Auges.
1901. No. 43, S. 344.)
Von den verschiedenen Systemen interessirt uns hier ein neuer
Apparat, den der völlig erblindete Ophthalmologe Prof. Javal
in Faris ersonnen hat und der auf einem ganz neuen Prinzip be¬
ruht. Javal benützt als festen uud unverrückbaren Stützpunkt
seinen rechten Ellenbogen, den er in eine geeignete kleine Blech¬
schale legt. Diese ist am unteren Ende einer 75 cm laugen und
8 cm breiten flachen Holzschiene befestigt, auf welcher schlitten-
förmig ein 26 cm langes und 22 cm breites Blech, das nach oben
ein wenig schräg rechts steht, herauf- und heruntergeschoben
werden kann. Auf diesem Bleche ist ein Pappdeckel angebracht,
auf dem mit einer Klammer der Briefbogen oder das Papier, das
beschrieben werden soll, befestigt wird. Am oberen Ende des
Bleches befindet sich ein Zapfen, der beim Hinaufschieben des
Bleches immer 1 cm höher in ein Loch auf der Rückseite der langen
Schiene einschnappt. Beim Schreiben schiebt nun der Blinde, so
oft er eine Zeile beendet hat, in ruhiger Haltung des Ellenbogens
das Brett 1 cm höher; die neue Zeile kann also mit der vorher¬
gehenden nicht kollidiren.
Natürlich werden alle Linien, wenn auch unter sich parallel,
einen leichten Bogen nach rechts unten machen, da ja die Hand
bei feststehendem Ellbogen bei der Rechtsbewegung einen Kreis
beschreibt. Dies hindert aber nicht die Lesbarkeit.
Es empfiehlt sich, den Federhalter der zum Schreiben ver¬
wendeten Füllfeder auf der oberen Seite durch eine Marke zu
kennzeichnen, damit nicht mit der verkehrten Seite der Feder ge¬
schrieben wird. Da es Javal einmal passirte, dass er einen
Brief geschrieben hatte, das Papier aber weis» geblieben war. weil
die Füllfeder keine Tinte enthielt, so hat er an der rechten oberen
Ecke des Bleches ein Röllchen mit Fliesspapier anbringen lassen,
von dem ein kleines Ende zur Prüfung der Feder vorgezogen wird.
Von Zeit zu Zeit berührt er mit der Feder dieses Ende Fliess¬
papier: enthält die Feder Tinte, so macht sie in dasselbe ein Loch,
enthält sie keine Tinte, so durchdringt sie das Fliesspapier nicht.
(Der Apparat, welcher nicht patentirt ist, kann für 24 M. vom
Mechaniker Hessen in Breslau bezogen werden.)
N i e d e n : Ueber eine neue Tätowimadel und ein neues
Tätowirmaterial. (Sltzungsber. d. 29. Jaliresvers. d. Ophthnlm.-
Gesellschaft in Heidelberg. 5.—7. August 1901.)
Die Indicationen zur Tätowirung der Hornhaut sind: 1. Kos¬
metik; 2. Erzielung höherer Sehschärfe und grösserer Gebrauchs¬
fähigkeit der mit Hornhautflecken behafteten Augen; 3. Ver¬
dichtung der verdünnten staphylomatösen Hornhautpartien.
Von den bis jetzt gebräuchlichen Operationsmethoden ist die
Anwendung des Nadelbündels nicht zu empfehlen wegen des un¬
gleichen Eindringens der in plafier oder schiefer Ebene stehenden
Nadelspitzen und der ungenauen Begrenzungsmöglichkeit, es ist
vielmehr die Tätowirung mit der Hohlnadel vorzuzieheu. Mit der¬
selben können mit Leichtigkeit 400—600 Stichelungen in einer
Sitzung ausgeführt werden, wodurch sich eine Flüche von ca. 8 mm
Durchmesser decken lässt Die eine grössere Unannehmlichkeit
der Bedeckung des ganzen Operationsfeldes mit der Tuschmasse
besteht auch hier. Dieser soll nun die neue Tätowirnadel abhelfen,
die ganz nach dem Vorbilde der Füllschreibfeder konstruirt ist.
Sie besteht aus einer feingehärteten Hohlnadel und einem im
8tiele des Instrumentes verborgenen Tuschebehälter, aus dem erst
bei Jedesmalig ausgeführtem Stiche ein Tröpfchen ausströmt und
sich in den eben gebildeten Stichkaual ergiesst. Auf diese Weise
ist es möglich, auf einem vollkommen reinen und übersichtlichen
Operationsfelde zu arbeiten und die Operation in genauerer Weise
zu begrenzen. Das demonstrirte Instrument ist bei W i n d 1 e r
ln Berlin angefertigt.
Das neue Tätowlrungsmaterial besteht aus dem reinen,
chemisch isolirten Irispigment des Ochsenauges, welches ein
braunes, in Wasser, Aether, Alkohol und Chloroform unlösliches
Pulver darstellt Die Schwierigkeit der Darstellung (Merck ln
Darmstadt) und die geringe Menge des Ertrages (26 Ochsenaugen
liefern ca. 0,23 g) wird indess für seine Einführung ein bedeutendes
Hinderniss bilden. Rhein.
Vereins- und Congressberichte.
73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901.
Bericht von Dr. Grassmann in München.
„Euch, Ihr Götter, gehört der Kaufmann.
Güter zu suchen
Geht er. doch an sein Schiff knüpft das
Gute sich an."
(Schiller)
Bei dem Klange „Hamburg" muss in jedem Deutschen ein
Gefühl von Stolz sich regen. Dieser uralte Sitz deutscher Kul¬
tur, an die Spitze der kontinentalen Handelsemporen, an die
dritte Stelle aller Handelsplätze der Welt geführt durch die That-
kraft und Intelligenz seiner Einwohner, durch die emsige Arbeit
ununterbrochen tüchtiger Generationen seiner Bürger, muss
jedem Deutschen, der nur einmal unter den in wundervoller
Patina dastehenden Thürmen der Stadt gewandelt ist und
draussen am Hafen das gewaltige Regen des Welthandels geschaut
hat, unvergänglich sich in’s Herz graben. Aber gerade auch der
deutsche Naturforscher und Arzt findet in dieser Stadt, welche
iin letzten Jahrzehnt mit ungeheurer Energie an der Moderni-
sirung aller ihrer hygienischen Einrichtungen gearbeitet hat. be¬
sonders nachdem die Cholera im Jahre 1892 von ihren Ein¬
wohnern ihr 8605 entrissen hatte, ein unerschöpfliches Feld des
Studiums und gerade auch er kann hier mit freudigem Stolze
gewahr werden, wie reiche Früchte für ein Gemeinwesen es
trägt, wenn dieses es versteht, die Errungenschaften der wissen¬
schaftlichen Arbeit für das Allgemeine nutzbar zu machen. Mit
frohen Gefühlen konnte daher Jeder zur 73. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte nach Hamburg eilen, deren
bisheriger Verlauf Ihr Referent nachstehend zu schildern unter¬
nimmt. Es war nicht anders zu erwarten, als dass in Hamburg,
einer Stadt, die Unternehmungen und Veranstaltungen grössten
Stiles zu ihren häufigen Erlebnissen zählt, die Vorbereitungen für
die Versammlung mit aller Umsicht und Erfahrung getroffen
würden. Und in der That scheinen diese Erwartungen vollauf
bestätigt zu sein: Alles erscheint auf das Beste organisirt und
die Abwickelung am ersten Tage, dem Prüfstein aller Ausschüsse
und Kommissionen, verlief meinem Eindrücke nach ganz glatt.
Ein ganz tüchtiger Theil der Qundratflüchen hiesiger Stadt ist
für Plakate zu Gunsten der Naturforscher in Anspruch ge¬
nommen, um sie überall recht zu leiten, und sie nicht nur in ihre
Versammlungen und gut besetzten Ausstellungen, sondern auch
zu den erprobten Quellen neuen „Stoffwechsels" zu führen. Die
Hamburger sind überhaupt liebenswürdige Leute, mindestens
viel liebenswürdiger als die Mehrheit meiner engeren Landsleute.
Zu diesem Resultate komme ich auf Grund einer von mir er¬
probten Stichprobe, die ich an den Droschken- und Trambahn-
kutsehern anstelle und mit meinen heimathlichen Erfahrungen
vergleiche. Finden sieh an diesen niederen Lebewesen der
Urbanität schon deutlich entwickelte Ansätze von Höflichkeit
und Liebenswürdigkeit und fehlt die Uebererregbarkeit gegen¬
über kleinen Reizen, so hat man es mit einem höflichen Stadt-
organismus zu thun.
Der Sonntag Vormittag war den herkömmlichen Sitzungen
der Vorstandschaft der Gesellschaft, sowie des wissenschaftlichen
Ausschusses gewidmet, sowie jenen der Vorstände der medi-
cinisehen und naturwissenschaftlichen Hauptgruppe. Alle Mit¬
glieder dieser Vorstandskomplexe einigte ein gemeinsames
Mittagessen im Uhlenhorster Fährhaus an der Aussen-Alster,
das wohl einen angenehmen Ruhepunkt im Verlaufe von Wochen
sauerer Arbeit gebildet haben mag.
Von den Versammlungstheilnehmern, welche schon Sonn¬
tag Nachmittag hier anwesend waren, werden wohl alle von dem
Blumenkorso, welcher zu Ehren der Gäste vom Allg. Alster-Klub
auf dem mächtigen Wasserbecken der Aussen-Alster abgehalten
wurde, einen unvergesslichen Eindruck mitgenommen haben. Ich
als Landratte wenigstens kann mir nicht leicht reizendere Bilder
ausdenken, als sie dort bei blauem Himmel und flotter Ostbrise
auf den gekräuselten Wellen zu sehen waren. Meine medi-
cini-ehe Feder ist viel zu stumpf, um an die feine Arbeit heran¬
treten zu können, dies Alles säuberlich zu schildern. Nur ein
kleines Stückchen Papier möge mir die Scheere des Redakteurs
noch gönnen, um darauf sagen zu können, dass die bald mit
rothen. bald weissen, bald gelben, bald bunten Blumen bedeckten
Barken. Kähne und Dampfer, die prächtigen und höchst ge¬
schmackvollen Dekorationen und Blumenarrangements, die
flotten Mädchengestallen im weissen Kleide, die ihren Kahn so
herzerquickend frisch und frei zu steuern verstanden, die reizen¬
den Kinder, welche als Froschbesatzung eines Schiffes mit lautem
Qua! Qua! auf dem Verdeck parndirten, die jubelnden Menschen¬
mengen, die mit Rosen und Astern gelieferte Seeschlacht —
kurz all* dieser so wohlthuend mit Geschmack und fröhlicher Sitte
gepaarte Reichthum und Eebensmuth für immer lebhaft vor der
Erinnerung stehen werden. Vielen Dank den Veranstaltern!
Der Abend sah die bisher eingetroffenen Gäste zu einer un¬
gezwungenen Begriissungsfeier mit. rauschender Musik in d*m
Riesensaale des Konzerthniises Hamburg versammelt, der die
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MUEXC'HEXER MEDICIXISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
1580
Menge freilich kaum zu fassen vermochte. In Kürze wird der
Kontinent keine Lokale mehr aufweisen, welche die Gesammt-
sunnne der Theilnehmer an den Versammlungen der Gesellschaft
aufjiehmen kannten. Wir müssen wohl alsdann mit dem „Fürst
Bismarck“ nach Amerika fahren — auf Einladung der Rheder
der Hansestädte'.
Montag Vormittag 10 Uhr begann in dem grossen Saale des
Konzerthauses Hamburg die erste allgemeine Ver-
s a m m 1 u n g, der die .Mengen der mit ihren Damen herbei¬
geströmten Theilnehmer — die Zahl wird zur Zeit auf ca. 4500
geschätzt — kaum zu fassen vermochte. Wie immer war der
äussere Eindruck dieser von den ersten Koryphäen unserer
Wissenschaft besuchten Versammlung ein äusserst glänzender.
Prof. Dr. A. V o 11 e r - Hamburg eröffnetc als 1. Geschäfts¬
führer der diesjährigen Versammlung die Sitzung durch einen
mit grosser Wärme gesprochenen, gehaltvollen Willkommgruss,
in welchem er etwa Folgendes in schwungvollen Worten aus¬
führte: „Willkommen in Hamburg, dem uralten Sitze deutscher
Kultur, willkommen Alle zu ernster Arbeit, aber auch zu freudi¬
gem gegenseitigen Verkehr! Als die vorjährige Versammlung
in Aachen beschloss, die heurige Naturforscherversammlung in
Hamburg abzuhalten, übernahm die Stadt freudig eine Pflicht,
deren Inhalt ihr nicht unbekannt war; denn schon zweimal hat
die Versammlung hier getagt, das erste Mal 1830, zum zweiten
Mal im Jahre 1S76. Kaum werden mehr Männer leben, welche
die erste Versammlung mitgemacht haben und persönlich vom
damaligen Zustande der Wissenschaft uns berichten könnten,
und doch geht der Blick auf jene Zeit zurück, den Zusammen¬
hang suchend zwischen der Wissenschaft der alten und neuen
Zeit. Ein gewaltiger Fortschritt thut sich da auf. Viel Einzeln¬
arbeit musste damals geleistet, viel Material gesammelt werden,
um als Bausteine zu dienen für den späteren Aufbau der ver¬
schiedenen Disciplinen, wie wir si,e heute haben. Heute werden
Gebiete, die damals weit von einander entlegen schienen, als in
nahem Zusammenhänge stehend erkannt und können in einheit¬
lichem Lichte überschaut werden. Energetik auf der einen, Ent¬
wicklungslehre auf der anderen Seite, die heute den Inbegriff der
wGscii-ehaftliehen Auffassungen darstellen, waren damals noch
unbekannt. Ich erinnere Sie an die glänzenden Namen der vielen
'Männer, welche uns den geschehenen Fortschritt vermittelt
haben, indem ich nur Faraday, Darwin, FI e 1 m h o 11 z,
II ertz, Vircho w nenne. So gross ist dieser Fortschritt, dass
die 242 Theilnehmer jener 1. Versammlung heute verständniss-
los vor unserem wissenschaftlichen Programm stehen würden,
genau wie wir selbst, wenn uns heute das nach weiteren 70 Jahren
aufgcstellte Programm vorgelegt werden könnte. Es wäre aber
der Wissenschaft unwürdig, sich zu rühmen, wie weit wir es
gebracht. Ein solcher Mann verdiente die Antwort, wie sie Faust
bei ähnlichem Anlass dein Schüler gab. Nicht herabsehen auf
vergangene Zeiten! Wir Alle stehen auf den Schultern unserer
Vorgänger, wie unsere Nachfolger auf unseren Fundamenten
weiter bauen werden. Der eine Strom wissenschaftlicher Arbeit
geht durch alle Jahrhunderte und wir freuen uns, wenn er uns
neue Wahrheiten bringt. Das ist der Sinn, in dem wir heute
auf jene Versammlung vor 71 Jahren zurückblicken. Bis zur
2. Versammlung im Jahre 1876 war die Erkcnntuiss auf allen
Gebieten schon ungeheuer gewachsen. Aber noch etwas Anderes
hat sich seither vollzogen. 1830 war Deutschland noch ein zer-
.■•tii-kcltes Land. 1876 waren erst wenige Jahre verflossen seit
jenen Ereignissen der Weltgeschichte, welche eine neue Wendung
herbeiführten. Aus dem zerstückelten Lande war das neue
Deutsche Reich einporgewachsen, stark an Kraft, ein Hort von
Wissenschaft und Kunst. Aber damals lastete noch ein miieh-
ti'_<r Druck auf aller wissenschaftlichen Arbeit. Es schien fast
undenkbar, dass die tiefe Kluft, welche der Krieg 1870/71
zwischen den 2 bedeutendsten Kulturnationen der Welt aufge-
ihnu hatte, je überbriiekt werde, es schien undenkbar, dass nicht
nächstens wieder Kampf drohe. Das lag wie schwerer Nobel
über der deutschen wissenschaftlichen Arbeit. Aber was ist ge¬
schehen; Langsam, n!>er sicher füllt sich die tiefe Kluft wieder
aus. aus dem zertretenen Boden wachsen die grünenden Keime
der Hoffnung zu gemeinsamer Arbeit für die grossen Ziele der
Menschheit. Dass seit 1S71 alle Kulturvölker haben friedlich
arbeiten können, dass die Wolken sich verzogen haben, das ver¬
danke n wir jenen Mänmrn, welche das Reich geschaffen haben.
Seit 13 Jahren stellt an dessen Spitze der hervorragende Mann,
der den kaiserlichen Stuhl unseres Reiches einnimmt, der Freund
aller Wissenschaft und Kunst, der die Augen nicht schliesst auf
seinem hohen Posten und alle Bestrebungen der Kultur be¬
schützt; darum lassen Sie uns am Beginn unserer Arbeit
Seine Majestät den deutschen Kaiser mit einem dreifachen Hoch
begrüssen!
Nachdem die begeisterten Rufe der Theilnehmer verklungen
waren, erklärte der Redner die Versammlung für eröffnet.
Der 2. Geschäftsführer Med.-Rath Dr. Reineke-Ham¬
burg brachte hierauf ein Huldigungstelegramm an Seine Majestät
den deutschen Kaiser zur Verlesung, dessen Absendung unter
allgemeiner Zustimmung von der Versammlung beschlossen
wurde.
Das Eintreten Vircho w’s in den Saal führte zu einer
spontanen Ovation für den Nestor deutscher Wissenschaft, dessen
SO. Geburtstag in nächster Zeit zu feiern sein wird.
Herr Bürgermeister Dr. Hackmann, der nunmehr die
Versammlung im Aufträge des Senates begrüsste, wies in seinen
Ausführungen ebenfalls auf die rapiden Fortschritte der Wissen¬
schaft in den letzten Jahrzehnten hin, die ja auch dem Laien
nicht verborgen geblieben seien, und welche beweisen, dass die
Grenze der Selbstbescheidung des menschlichen Geistes immer
weiter hinausgeschoben werden darf. Hamburg, das die Natur¬
forscher und Aerzte mit Freude begrüsst, bietet zwar für die Be¬
rathungen derselben nicht den glänzenden Hintergrund eines
Fürstenhofes oder einer Universität, erfreut sich aber eines
reichen Kranzes ausgezeichneter Gelehrter, einflussreich genug,
um in der Bevölkerung der Einsicht von der Bedeutung der
Naturwissenschaften den Boden zu bereiten. Redner erinnert
an die Inangriffnahme grosser hygienischer Maassnahmen in
Hamburg, an denen tüchtig gearbeitet wurde, sobald erkannt war,
wo e* fehle. Ucber die Einzelheiten gibt die Festschrift Auf¬
schluss. Mit Spannung, aber mit gutem Zutrauen erwartet Ham¬
burg den Richterspruch seiner herzlich von der gesammten Be¬
völkerung willkommen geheissenen Gäste über den Werth der
geschaffenen hygienischen Einrichtungen.
Mit grossem Beifall, wie die Rede von Prof. Voller,
wurden auch die Worte des Herrn Bürgermeisters von der Ver¬
sammlung aufgenommen.
Wirkl. Geh. Admir.-Rath Prof. Dr. H. v. Neumayr-
Hamburg richtete Namens der wissenschaftlichen Vereine und
In ritutionen Hamburgs Begrüssungsworte an die Versammlung.
Anknüpfeud an einen Ausspruch, welchen der damalige Bürger¬
meister Kirche n bauer über das Verhältniss der Hamburger
zur Wissenschaft an die Theilnehmer der Versammlung vom
Jahre* 1876 gerichtet hatte, hob er hervor, dass, wie in der Wissen¬
schaft überhaupt, auch im wissenschaftlichen Leben Hamburgs
ein mächtiger Umschwung eintrat. Nicht nur auf dem Gebiete
des Handels und der Machtentfaltung ist der Fortschritt zu er¬
blicken, mit Stolz erblicken wir ihn auch auf dem Gebiete wissen¬
schaftlicher Arbeit. Die Früchte derselben für Hamburg sind
niedergelegt in den Arbeiten der Festschriften. Es ist oft ge¬
sagt worden, Hamburg lebe vorzugsweise den materiellen Inter¬
essen und die ideale wissenschaftliche Arbeit finde hier nicht
die gebührende Würdigung. Auch hierin ist es gewaltig anders
geworden. Seit 25 Jahren ist hier eine Summe von Arbeit ge¬
schehen, welche jeden Einsichtigen überwältigen muss. Aber
auch in der Bevölkerung greift immer mehr das Verständnis
für die wissenschaftliche Arbeit. Platz. Was hier speziell von
der ärztlichen Wissenschaft geleistet worden ist, davon legen
z. B. neben vielem Anderen Zeugniss ab die grossartigen Einrich¬
tungen der hiesigen Heilstätten. Wie emsig in den Hamburger
wissenschaftlichen Instituten schon längst gearbeitet worden ist,
das wissen alle Einsichtigen, auf deren Urtheil es aukommt.
Nur in stiller Arbeit kann man so weit gelangen, praktische
Ziele zu erringen. Als Beispiel aus unserer Stadt erwähne ich
nur die Arbeiten eines Hertz, die einen Erfolg in der Tele¬
graphie gezeitigt haben, den Niemand ahnte. Auch über Meeres¬
strömungen, Wind und Wetter wurde so viel Kenntnis» ge¬
sammelt, dass die Seewege gebessert und die Fahrten kürzer ge¬
macht werden konnten. — Redner drückt seine feste Zuversicht
aus, dass die Theilnehmer der Versammlung hier eine grosse
Summe emsiger wissenschaftlicher Arbeit, zu sehen bekommen
würden. „Die wissenschaftlichen Vereine und Gesellschaften, die
staatlichen Institute begrüssen Sie auf das Herzlichste und bieten
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1. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1581
Alles auf, um die Versammlung in ihren Zielen wirksam zu
unterstützen, zur Sicherung des Fortschritts, zum Heile des All¬
gemeinen !“ Mit diesen Worten schloss v. Neumayr seine
mit lautem Reifalle aufgenommene Ansprache.
Die inhaltvolle Rede, mit welcher nunmehr Prof. Hertwig-
München sieh an die Versammlung wandte, kann hier nur in
ihrem hauptsächlichen Gedankengange angeführt werden.
Nachdem der Redner als derzeitiger 1. Vorsitzender der Ge¬
sellschaft für die Begrüssungsworte der Vorredner gedankt hatte,
legte er dar, wie gerade in Hamburg die günstigsten Auspicien
für einen glänzenden Verlauf der Versammlung sich darbieten.
Mit den Schiffen, die Hamburgs Hafen verlassen und anlaufen,
strömt ein gut Thcil deutscher Eigenart und Intelligenz in
fremde Länder und kehrt reiche Anregung zu uns zurück.
E9 läge nahe, am Beginne des Jahrhunderts einen Ausblick
zu thun in die Zukunft; doch wer vermag hier die Propheten¬
rolle zu übernehmen ? Daher beschränkt Redner sich auf die
Erörterung, wie sich voraussichtlich auf Grund des bisherigen
Entwickclung8ganges das Wechselverhältniss zwischen den im
Rahmen der Gesellschaft vereinigten Disciplinen gestalten wird.
Das vergangene Jahrhundert, steht unter der Signatur immer
mehr zunehmender Spezialisirung, die an den Versammlungen
■der Gesellschaft in der allmählichen Abnahme der allgemeinen
Sitzungen, in der Zunahme der Sektionen sich äUsserte. H.
glaubt, dass der Höhepunkt dieser Entwicklung jetzt überwunden
ist und die Forschung, welche in’s Einzelne sich zu weit zu ver¬
lieren schien, sich jetzt wieder mehr zum Ganzen zusammen¬
linde. Viele Spezialdisciplinen treten nunmehr wieder in enge
Wecliselbeziehung. Während in der 1. Hälfte des 19. Jahr¬
hunderts ein mehr persönliches Band die Medicin und Natur¬
wissenschaften einigend umschlang, ist jetzt an die Stelle des¬
selben ein sachliches Moment getreten, der innere Zusammen¬
hang zwischen den speziell entwickelten Wissensgebieten. Die
Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte möge auch in
Zukunft ein Bollwerk sein gegen das öde Spezialistenthum, eine
Pflegestätte der Interessen, welche Medicin und Naturwissen¬
schaften einen. In Hamburg soll heuer der Anfang gemacht
werden, in der Tagesordnung streng wissenschaftlichen Fragen
von allgemeiner Bedeutung einen grösseren Spielraum zu ge¬
währen. Möge es Hamburg vergönnt sein, einen Wendepunkt
in der Geschichte unserer Gesellschaft zu bilden und einen Ver-
jüngungsprocess einzuleiten, der der Vereinigung der deutschen
Naturforscher und Aerzte ihre strittig gemachte centrale Stel¬
lung auch ferner einräumt. Treten wir in unsere Arbeit am
Beginn eines neuen Jahrhunderts mit dem alten Spruche ein:
Quod bonum, felix faustumque sit!
Nunmehr begann der 1. Redner für die Vorträge des Tages
mid sprach
Herr E. Lecher-Prag: lieber die Hertz’sche Ent¬
deckung elektrischer Wellen und deren weitere Ausgestaltung.
I Auto ref erat.)
H. Hertz war Hamburger. Es ist daher Pflicht der Dank¬
barkeit, seiner zu gedenken.
Nach Maxwell gibt es auch kurzdauernde elektrische
Ströme in Isolatoren, z. B. im Aether.
Eine solche, schnell hin- und herpendelnde elektrische Kraft,
ein sogen. Verschiebungsstrom, ist in seinen magnetischen Wir¬
kungen gleich einem rasch oscillirenden Wechselströme. Der¬
selbe. muss im benachbarten Aetherraume weitere Verschiebungs¬
ströme induziren, welche sich mit Lichtgeschwindigkeit fort¬
pflanzen und auch sonst mit Lichtstrahlen identische Eigen¬
schaften zeigen. Ein solcher oscillirender Verschiebungsstrom
ist dasselbe, was Fresnel als transversale Aetherschwingung
^nsah.
Diese theoretischen Ueberlegungen Maxwell’» stammen
aus dem Jahre 1865. Sie finden nur langsam Boden. — Ganz
unmöglich aber erschien ein experimenteller Beweis. Noch 1881
veröffentlichte Fitzgerald eine Arbeit: „Leber die Möglich¬
keit, wellenartige Störungen im Aether mit Hilfe elektrischer
Kräfte hervorzurufen.“ Hertz referirte darüber in den „Fort¬
schritten der Physik“ und berichtet, dass F itzgerald Gründe
bei bringt, welche solche Störungen unmöglich erscheinen lassen.
Als dann 6 Jahre später Hertz durch rasche Ladung und
Entladung Strahlen von elektrischer Kraft herstellte, mit welchen
er fast alle altbekannten optischen Versuche nachmachen konnte,
wie Reflexion, Brechung u. s. w., war cs wohl ein freudiges Ge¬
fühl der Erleichterung: den genialen Träumen der elektrischen
Lichttheorie entsprach reale Wirklichkeit.
Lnd wie einfach war die Wünschelruthe, mit der Hertz
seine Schätze hob. Die längst bekannten elektrischen Schwing¬
ungen, welche fast jede elektrische Entladung begleiten, erwiesen
sich ihm auch als Ausstrahler von M a x w e 1 l’schen elektrischen
Wellen. Durch diese wurden in einem entfernten Drahtringe
rasch oscillirende Wechselströme induzirt und ein kleines Fünk¬
chen zeigte dem scharfen Blicke des grossen Forschers noch in
etwa 10 Meter Entfernung von der Ursprungsstelle die Existenz
elektrischer Wellen an.
Und da sagte er: „Es erscheint unmöglich, fast widersinnig,
dass diese Fünkchen sollten sichtbar seiu; aber in völlig dunklem
Zimmer für das geschonte Augo sind sie sichtbar.“
Mit Rührung erfüllt uns der naive Jubel dieser Worte. Sie
sind der bescheidene Taufspruch eines gewaltiger Zukunft ent¬
gegenstrebenden Keimes. — Auf 300 km sendet bereits Mar¬
co n i, dem wohl der Ruhm gebührt, als Erster die technisch
worthvolle Seite der sogen, drahtlosen Telegraphie ausgearbeitet
zu haben, seine elektrischen Wellen und lässt sie in dieser Ent¬
fernung hämmern und klopfen. Vorbereitete Energie können
wir so in fernen Orten beliebig auslösen, im Guten und Bösen.
Manch’ gefährdetem Schiffe auf einsamem Meere ist jetzt schon,
wo die Sache noch im Beginne ihrer Entwickelung steht, durch
diese Aether-Telegraphie rechtzeitig Hilfe zu Theil geworden.
Unsere elektrischen Wellen könnten aber auch andererseits, z. B.
von diesem Saale aus, ohne Drahtleitung mit Lichtgeschwindig¬
keit fortfliegend, unschwer ganz Helgoland in die Luft sprengen. .
natürlich das nöthige Dynamit und die behördliche Erlaubnis*
vorausgesetzt.
Könnte H. Hertz heute unter uns treten, er wäre wohl
selbst überrascht, wie seine Wellen über die engen Grenzen de-
Laboratoriums hinausgewachsen sind, dessen Wände ihm durch
ungewollte Reflexion doch so manchen bösen Streich gespielt
halten.
Das Instrumentehen, welches sich durch solch’ staunens-
werthe Empfindlichkeit im Entdecken elektrischer Wellen aus¬
zeichnet, der sogen. Oohaerer, besteht aus einigen, lose aneinander
liegenden Metalltheilchen, deren Widerstand sich durch das von
den elektrischen Wellen ausgelöste Funkenspiel ändert. Man
konnte so die nach Centimeter und Meter zählenden Wellen¬
längen von FI e r t z bis auf 4 mm verkleinern.
Anderseits ist die längste Wärmewelle mit '/ 100 mm ge¬
messen worden, so dass das etwa 10 Octaven weite Gebiet der
Wärmestrahlung noch durch einen Zwischenraum von etwa 6 Oe-
taven von dem Gebiete der eigentlichen elektrischen Schwing¬
ungen getrennt ist, eine Lücke, deren vollständige Ueberbrückung
sehr unwahrscheinlich erscheint.
Mit diesen kleinen V'eilen hat man nun alle optischen Ver¬
suche in elektrischen Analogien nachgemacht. DiesesGebiet tauft •
Righi, der es systematisch und mit grösstem Erfolge be¬
arbeitete. mit einem, wenn auch vielleicht philologisch nicht ganz
richtigen, so doch ungemein bezeichnenden Namen: Optik
der elektrischen Oscillationen.
Dieser Theil des Nachlasses von Hertz ist wohl der be¬
rühmteste und bekannteste. Alles stimmt. Eine Riesenarbeit
der verschiedensten Forscher, eine Fülle von Fleiss und Scharf¬
sinn ermöglichte dies.
Die bis jetzt betrachteten Wellen pflanzen sich in Luft oder
in leerem Raume fort, bevor sie an das brechende oder reflek-
tirendo Medium gelangen. Man spricht daher oft. zwar nicht
ganz korrekt, aber bequem von Luftwellen, im Gegensätze zu d.n
Drahtwellen. Selbstredend ist es weder die Luft, noch der Drain,
die schwingen, sondern die elektrischen Kräfte in diesen Sub¬
stanzen.
Auch diese Drahtschwingungen sind theoretisch und prak¬
tisch Gegenstand unzähliger Arbeiten geworden und haben
manch’ interessante Resultate geliefert.
Von allgemeinem Interesse erscheinen besonders die Ergeb¬
nisse jener Betrachtungen, welche sich auf die Schwingungen
in einem einfachen geraden Drahte oder in einer Kugel beziehen.
Das Molekel ist ja auch etwas Derartiges. Hier nimmt die
Schwingung ungeheuer rasch ab, die Dämpfung ist sehr gross.
Nicht so sehr wegen der durch die elektrischen Wechselstrümo
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No. 40.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
15S2
erzeugten Erwärmung des Drahtes, sondern weil durch die Er¬
zeugung der elektrischen Wellen sehr viel Energie verbraucht
wird. Je grösser die Dämpfung, desto besser ist der Erreger.
Bei einmaliger Erregung hört schon nach ein paar Schwingungen
die Strahlung auf. Die Energieabgabo bei einer einmaligen
Erregung, die leider nur z. B. einige Millionstel Sekunde an¬
dauert. entspricht einer gleich kurzen Arbeitsleistung von etwa
50 Pferden. Dann haben wir aber eine lauge, lange arbeitslose
Pause, bis ein neuerlicher Funke neuerliche Schwingung und
neuerliche Strahlung erregt. Diese Pause zu verkürzen wird
um so schwerer, je rascher die elektrische Schwingung vor sich
geht. Für längere Wellen ist dies Tesla in seinen Aufsehen
erregenden Versuchen noch halbwegs gelungen; für die eigent¬
lichen II e r t z'schen Schwingungen aber steckt hier unsere
Technik noch in den Kinderschuhen im Hinblicke auf jene
glänzende Lösung des Problems, welches uns die Natur in den
glühenden Körpern zeigt. Hier wird der Strahlungsverlust durch
fortwährende Energienachfuhr unendlich rasch gedeckt, so dass
z. B. ein Quadratmeter der Sonnenoberfläche pro Sekunde eine
Arbeit von 45 000 Pferdekräften ausstrahlt.
In dem bisher reierirten ersten Theile des Vortrages wurden
Erscheinungen und Entdeckungen besprochen, welche in ihrer
Entwicklung den erwarteten Weg nahmen. Manche Schwierig¬
keit musste überwunden werden, manch’ freudige Ueberraschung
lohnte die Mühe, aber man kann hier von wesentlichen Kompli¬
kationen kaum sprechen. Es ist Alles in Allem eine glänzende
Bestätigung der elektro-magnetischen Lichttheorie.
Wir hatten es bisher hauptsächlich nur mit Wellen in Luft,
Aether oder längs Drähten zu thun und verhültnissmässig sicher
wies sich uns der Weg gleich dem Schiffer auf hoher See, so
lange er die wogende Brandung an starren Felsen scheut. Die
weite Ferne von Klippen und Ritfen glättet den Wellengiseht
und glatt scheinen von draussen die Küsten. Der Entdecker aber
muss landen, er muss hinein, hindurch durch den Kampf von
Meer und Land.
So finden auch wir härtere Arbeit, wenn wir aus dem glatten
Aelherraume Vordringen zwischen die zerklüftete, in Molekel
und Atome gespaltete Materie.
Eine sichere Thatsaehe jedoch steht hier einem wegweisen¬
den Leuchthurme gleich an den Grenzlinien unserer heutigen Be¬
trachtungen, die schönen Versuche von Zeeman über den Ein-
lluss magnetischer Kräfte auf die Spektrallinien leuchtender
Gase, wohl unter den Entdeckungen nach Hertz eine der be¬
deutendsten.
Dehnen wir nämlich unsere elektrischen Analogien auf Er¬
scheinungen aus, in welchen besondere Eigenschaften der
Molekel durch die optischen Wellen aufgedeckt worden waren,
z. B.: auf die Farbenzerstreuung, so finden wir manche derzeit
noch ungelöste Schwierigkeit.
Schon die eigentliche Optik hatte hier kein leichtes Spiel,
doch gelang es immerhin noch, die Fülle der Fülle in eine ein¬
heitliche Formel zu zwingen.
End nun kommt Hertz als Störenfried und erweitert die
altbekannten Aethersehwingungen, die wir besonders mit dem
Cohaerer unseres Organismus, unserem Auge studirt hatten, in’s
Inend liehe. Solche Störungen werden jeder Wissenschaft zum
Segen. Hatten schon die alten optischen Wellen ein glänzendes
Mittel zum Erkennen manch’ molekularer Eigenschaft der
Körper gegeben, so dürfen wir nun wohl auch voll Hoffnungen
die neuen, wenn auch in Folg«! ihrer Grösse etwas ungelenkeren
Schwestern in den Dienst der physikalisch-chemischen Forschung
-aellen.
Dieser Theil des Gebietes Hertz’seher Wellen ist derzeit
noch im Werden. Es handelt sieh da um jene merkwürdigen
Erscheinungen, dass ein Körper, «ler für gewöhnliche elektrische
Ströme als Isolator gilt, z. B. Alkohol, solch’ rasch oseillirende
II e r t z’sche Schwingungen absorbirt; man nennt das anomale
Absorption. Dabei tritt noch immer anomale Dispersion auf:
während in den meisten Fällen hei kleineren Wellenlängen die
Brechung grösser wird, finden wir hier hei den langen Hertz- j
.-eh« n Wellen oft ganz kolossale Brechungen.
Die Versuche auf diesem Gebiete, sind ganz besonders |
schwierig und es liegen derzeit nicht einmal allseitig überein- j
stimmende Resultat«- vor. Aber auch richtige und einheitliche i
Wr-iich-ergcbnisse vorausi>«>«etzt. wird die theoretisch«* Deutung
immer ziemlich verwickelt sein. Leichter war es, so lange mau
nur im Aether mit einem einheitlichen Itaumcontinuum arbeiten
durfte. Sowie man aber in dus intime Wechselgebiet von Aether
und Materie eindringt, treten die Inhomogenitäten der Materie
in’s Spiel, Molekel und Atome, Dinge, welche ob ihrer Kleinheit
sich der direkten Sinneswahrnehmung wohl ewig entziehen
werden.
Hier sind wir im Reiche der Phantasien, der Hypothesen
und diese erlauben unserem Geiste die Zertheilung der Materie
nach Bedürfnis» beliebig weit zu treiben. Man hat so das Atom,
das Untheilbare durch passende Versuchsdeutungen noch weiter
getheilt und diesen Theilen a priori elektrische Ladungen ver¬
liehen; auf Umwegen versuchte man sogar die Grösse und
Ladungen dieser Atomsplitter zu bestimmen. Diese neueste, noch
im Werden begriffene Entwickelung physikalischen Denkens geht
über die viel einfacheren, von Hertz behandelten Probleme
hinaus. Die Zahl der Wechselbeziehungen zwischen Licht,
Elektricität und Materie ist gross; hoffentlich viel, viel grösser
als unserem derzeitigen Wissen entspricht. Diese alle einheitlich
zu umspannen, ist das wohl nie zu erreichende Schiassideal der
Physik, angestrebt von den Ersten unseres Faches.
Wie der Kleinkrümer einstiger Tage im engen Kreise seines
Städtchens oder Ländchens noch Verdienst suchen und linden
konnte, indes» unsere grossen Handelsfürsten von heute weit¬
blickend die Conjunctur der ganzen Welt aasnützen müssen,
so wird auch nur der Naturforscher in Zukunft Grosses leisten,
welcher, ausgestattet mit dem modernsten Raffinement ein¬
schlägiger Hilfswissenschaften trotz pedantischer Emsigkeit im
Kleinen den Wagemuth und die Fähigkeit aufbringt, die ganze
Welt seiner Diseiplin einheitlich zu denken.
In diesem Sinne leistete Hertz wirklich Grosses. Denn
die nur in theoretischen Träumen erahnte Verbindung zweier
Riesencontinente unserer Wissenschaft, von Optik und Elek¬
tricität, endgiltig hergestellt zu haben, ist sein unsterbliches
Verdienst.
Ihnen, hochverehrte Versammlung, den auf diesem Ver¬
bindungswege heute schon lebhaft Irin- und herwogenden Ver¬
kehr flüchtig zu Schilden), war meine bescheidene Reporterpflicht.
Als «1er Beifall für den Redner, dessen Ausführungen an
die physikalische Vorbildung der Hörer sehr hohe Anforderungen
stellten und während deren der Faden des Verstehens wohl bei
der Mehrzahl der Theilnehmer, beileibe nicht etwa der zahlreich
anwesenden Damen allein, an vielen Punkten abgerissen schien,
sich gelegt hatte, machte der 2. Geschäftsführer Mittheilung,
dass Herr Prof. Hofmeister- Strassburg leider durch
Krankheit verhindert ist, seinen Vortrag über den chemischen
llausralh «1er Zelle zu halten. Es sprach nunmehr
Herr Prof. Boveri -Würzburg über das Problem der Be¬
fruchtung.
Der Vortragende beginnt mit einer kurzen Schilderung der
Befruclitungsvurgänge, wie sic zuerst im Jahre 1875 von
O. Ilertwig bei Seeigeln festgestellt worden sind. Eine
Samenzelle (Spermatozoon) dringt in die Eizelle ein, der konden-
sirte Kern der Samenzelle wandelt sich im Eiprotoplasma in
einen bläschenförmigen Ken« (Spermakern) um, der dem Kern
der Eizelle (Eikern) entgegenwandert und schliesslich mit ihm
verschmilzt. So entsteht der erste Embryonalkern, der sieb als¬
bald zur Theilung anschickt, worauf sich die Eizelle entsprechend
durchschnürt. Mit dieser Theilung hat die Embryonaleutwiek-
lung begonnen; durch fortgesetzte weitere Zelltheilung ent¬
stehen suiMvssive alle die Millionen oder Billionen von Zellen,
die «las neue lndivniuum zusammensetzen und von denen wieder
einzelne zu Eizellen oder Samenzellen werden, um den gleichen
Kreislauf von Neuen) zu beginnen. Will man den Vorgang
der Befruchtung beschreiben, so lässt sich derselbe sonach dahin
fonnuliren, dass zwei höchst ungleiche Zellen, eine männliche
und eine weibliche, zu e i n e r Zelle verschmelze)l. welche den
Ausgangspunkt für ein neues Individuum darstellt. Allein
unter „Befruchtung“ hat man stets eine Bewirkung ver¬
standen; das Befruchtungsproblem ist von jeher dieses gewesen:
Was bewirkt «l«*r Samen im Ei, um dasselbe entwicklungsfähig
zu machen i Von «len zahlreichen Möglielikeiten, die hier «lenk¬
bar wären, lassen sieh auf Grund verschiedener Erfahrungen ge¬
wiss«* IlauptgTuppcn sofort ausschlicsseu. Die Erscheinungen
«lei natürlichen und die von 1. Loch entdeckten künstlichen
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1. Oktober 1901. MUENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1583
Parthenogenese, d. h. die Entwicklung unbefruchteter Eier,
lehren, dass dem Ei keine essentielle Eigenschaft zur Entwick¬
lung fehlt, sondern dass es sich bei der typischen Unfähigkeit zu
spontaner Entwicklung um eine Hemmung untergeordneter
Natur handeln muss, die durch das Spermatozoon gehoben wird.
Das Ei lässt sich mit einer Uhr vergleichen mit vollständigem
Work, der aber die Feder fehlt und damit der Antrieb. Und da
das Triebwerk der Embryonalentwicklung in der fortgesetzten
Zelltheilung liegt, die qualitativen Veränderungen aber, die mit
diesen Theilungen verbunden sind und zur Bildung eines Zellen-
staates von bestimmter Art führen, im Ei selbst begründet sind,
so lautet das Problem: Was fehlt dem Ei, dass es sich nicht zu
theilen vermag, was bringt das Spermatozoon Neues hinein, um
die Theilungsfähigkeit herzustellen?
Auf diese Frage geben uns die Erscheinungen eine Antwort,
die wir nach dem Eindringen des Spermatozoons im Eiproto¬
plasma wahrnehmen können. Schon die ersten Beobachter be¬
merkten, dass sich um den Spermakern gewisse Bestandteile des
Eiprotoplasmas zu radiären Bahnen anordnen, dass diese
Strahlensonno oder Astrosphäre sich mit dem Spermakern dem
Eikern nähert und dass an ihre Stelle später zwei solche Strah¬
lungen treten, die sich am ersten Embryonalkem gegenüber¬
stehen. Ein Verständniss dieser merkwürdigen Erscheinungen
wurde durch das Studium der Vorgänge gewonnen, die sich bei
der Theilung irgend einer typischen tierischen Zelle abspielen.
Was zunächst die Theilung des Kerns anlangt, so geht dieselbe
in der Weise vor sich, dass der Kern als solcher verschwindet,
während eine in ihm entaltene Substanz, das sogen. Chromatin,
sich für eine zu jeder Spezies bestimmten Zahl von isolirten
fadenförmigen Stücken, den Kernelementen, zusammen¬
zieht. Diese theilen sich der Länge nach in je zwei identische
Hälften, worauf jede von diesen Hälften in einen anderen der
beiden Bezirke geführt wird, die sich später als Tochterzellen
von einander abgrenzen. Gehen also aus dem Mutterkern z. B.
48 Kernelemente hervor, so erhält jede Tochterzelle auch 48,
und zwar von jedem Element des Mutterkerns die eine Hälfte.
In jeder Tochterzello vereinigen sich dann die Kemelemente
wieder zur Bildung eines bläschenförmigen Kerns. Diese sorg¬
fältige Vertheilung der Kernelemente auf die Tochterzellen wird
durch einen Apparat bewirkt, dessen Entstehung und Wirkungs¬
weise seit dem Jahre 1887 bekannt ist. Es zeigte sich, dass neben
dem Kern im Protoplasma ein kleines Körperchen (Centrosoma)
liegt und das6 die Zelltheilung dadurch eingeleitet wird, dass
dieses Körperchen sich in zwei Hälften theilt. In diesen beiden
neuen Centrosomen sind, wie der weitere Verlauf lehrt, zwei
Mittelpunkte gegeben, deren jeder die Hälfte der Kernelemente
in Anspruch nimmt und die Hälfte des Protoplasmas um sich
abgrenzt. Jedes der beiden neuen Centrosomen umgibt sich,
während es sich von den anderen entfernt, mit einem Hof
radiärer Plasmastrahlen, mit einer Astrosphäre. Diese Astro-
spären haben die Eigenschaft, die Kernelemente an sich zu
binden und bis auf gewisse Entfernung an sich heranzuziehen.
Indem jedes Kernelament diese Einwirkung von beiden Astro-
sphären erfährt, wird es in die Mitte zwischen beiden geführt und
alle Kemelemente werden so in einer äquatorialen Ebene zwischen
den Centrosomen zur Ruhe gebracht. Die vorhin erwälmte
Spaltung der Kemelemente erfolgt nun so, dass jede Hälfte
mit einer anderen Sphäre in Verbindung bleibt. Jetzt weichen
die beiden Sphären auseinander, jedes die ihm verbundenen
Hälften der Kernelemente mit sich führend. In der Mitte
zwischen beiden Gruppen erfolgt sodann die Durchschnürung
des Protoplasmas. Während nun in jeder Tochterzelle aus den
Kernelementen der neue Kern entsteht, bildet sich die Astro¬
sphäre zurück, das Centrosoma dagegen bleibt bestehen, um durch
seine Zweitheilung die nächste Zelltheilung einzuleiten. Wir
lernen sonach in dem Centrosoma ein besonderes Organ der Zelle
kennen, dessen Funktion die eines Theilungs- oder Fortpflan¬
zungsapparates der Zelle ist.
Betrachtet man von dem gewonnenen Standpunkt aus das
Befruchtungsproblem, so ist die erste Frage: woher rühren die
beiden Ceutrosomen, welche die Theilung des Eiee bewirken?
Die Untersuchung zahlreicher thierischer Eier hat ergeben, dass
sie aus dem Spermatozoon stammen. Das Spermatozoon führt
ein Centrosoma in’s Ei ein, welches alsbald eine Astrosphäre um
sich erzeugt und sich alsdann theilt. Dem Ei fehlt das Centro-
soiua oder wenn ein solches vorhanden ist, ist es unter normalen
Umständen zu keiner Aktivität befähigt. Es wird ersetzt durch
dasjenige des Spermatozoons, von dem nun alle Centrosomen des
neuen Organismus abstammen.
Auf Grund dieser Thatsachen und einer Anzahl von Ex¬
perimenten (Befruchtung und Entwicklung entkernter Eier,
Lähmung des Spermakerns bei Wirksamkeit seines Centrosoma,
Folgen des Eindringens mehrerer Spermatozoen in’s Ei) hat der
Vortragende die Theorie auf gestellt, dass die befruchtende Wir¬
kung des Spermatozoons auf nichts Anderem als auf der Ein¬
führung eines neuen Theilungsapparates, eines Centrosoma, be¬
ruhe. Das ursprüngliche Problem der Befruchtung sieht er da¬
mit als gelöst an. Allein diese Lösung vermag uns nicht völlig
zu befriedigen. Durch sie selbst und durch eine Reihe sonstiger
Erfahrungen hat die ganzo Frage eine andere Gestalt ange¬
nommen, als sie ursprünglich hatte. Eine vergleichende Be¬
trachtung geschlechtlicher Vorgänge ergibt, dass ihre Wurzel
zurückgeht bis zu den einzelligen Wesen. Auch hier tritt von
Zeit zu Zeit eine Zellenpaarung, Conjugation, ein, die der Paarung
von Eizelle und Samenzelle vergleichbar ist, nur mit dem wich¬
tigen Unterschied, dass 1. die beiden conjugirenden cellulären
Individuen in den einfachsten Fällen vollkommen gleich sind,
und 2. die Zellenpaarung nicht den Ausgangspunkt eines Pro-
cesses bildet, den man als Entwicklung bezeichnen könnte. Vor
Allem dieser letztere Punkt ist für die Beurtheilung der Be¬
fruchtungserscheinungen von grosser Wichtigkeit; wollte man
die mit dem Wort Befruchtung sich unwillkürlich verbindende
Vorstellung des Anstosses zu neuer intensiver Lebensthätigkeit
auf die Conjugation übertragen, so liesse sich dies nur durch die
Annahme thun, dass nach einer Reihe von Zelltheilungen eine
Erschöpfung eintritt, die durch eine nun erfolgende Zellen¬
paarung gehoben wird. Eine derartige Anschauung, die vielfach
als „Verjüngungstheorie“ bezeichnet wird, hält der Vortragende
sowohl aus allgemeinen Gründen, wie auch nach Allem, was wir
über ungeschlechtliche Vermehrung von Pflanzen wissen, für
unhaltbar. Nach seiner Meinung — und dies dürfte gegen¬
wärtig, besonders auf Grund der Weismann’schen Schriften,
überhaupt die herrschende sein — kann die Bedeutung der Zellen¬
paarung nur in der Mischung der individuellen Eigenschaften
der verschmelzenden Zellen gesehen werden.
Ist dies richtig, so erklären sich diejenigen Eigenthümlich-
keiten, durch welche sich die Befruchtung der vielzelligen Orga¬
nismen von der Conjugation der einzelligen unterscheiden, in
folgender Weise. Der sexuelle Gegensatz, den wir zwischen Ei¬
zelle und Samenzelle finden, ist kein fundamentaler, sondern hat
lediglich die Bedeutung einer Arbeitstheilung. Fragt man, was
nöthig ist, damit zwei Keimzellen von zwei verschiedenen In¬
dividuen zusammen einem neuen Individuum Entstehung geben,
so lassen sich 3 Bedingungen namhaft machen: 1. Es darf nicht
jede Keimzelle für sich allein die Entwicklung beginnen; 2. die
beiden Zellen müssen Zusammentreffen, sich finden; 3. sie müssen
miteinander eine gewisse Menge von Protoplasma und Nährsub¬
stanz zum ersten Aufbau des neuen Organismus aufbringen. In
diese beiden letzteren Bedingungen haben sich die Keimzellen
getheilt; die Eizellen liefern das ganze Material an Protoplasma
und Nährsubstanz, die Samenzellen sorgen für die Vereinigung.
Und an diese Arbeitstheilung knüpft nun auch die reciproko
Hemmung an, die die selbständige Entwicklung der einzelnen
Keimzelle verhindert. Die Samenzelle ist gehemmt durch Proto¬
plasmamangel; in der Eizelle, die in dieser Beziehung alles zur
Entwicklung Nöthige besitzt, fehlt der Antrieb, das Centrosoma.
Betrachtet man nun die Erscheinung, dass bei den höheren
Organismen die Zellenpaarung an die Fortpflanzung geknüpft
ist und also der Anschein entsteht, als sei die Verschmelzung
zweier Keimzellen eine Nothwendigkeit zur Erzeugung eines
neuen Individuums, so führt unser Ergebniss, dass die Bedeutung
der Zellenpaarung nur in einer Qualitätenmischung liegen kann,
gerade zur umgekehrten Anschauung. Zwei, aus zahllosen Zellen
zusammengestzte Organismen können nicht zusammenfliessen
und ihre Eigenschaften vermischen; nur auf jenem Zustand ist
die Mischung möglich, wo das Individuum sozusagen noch in
eine Zelle zusammengefasst ist, wo es als Keimzelle existirt.
Da köimen 2 Keimzellen von 2 verschiedenen Individuen mit
einander verschmelzen und so in dem neuen Individuum eino
Mischung der elterlichen Qualitäten bewirken. Nicht die Zellen-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
paarung also ist eine Vorbedingung für die Entwicklung, son¬
dern umgekehrt: die Fortpdanzung durch eine Zelle ist die
nothwendige Voraussetzung für die Mischung. Die Unfähigkeit
von Eizelle und Samenzelle, sich selbständig zu entwickeln, er¬
scheint danach nicht mehr als ein fundamentaler Mangel, son¬
dern als ein Verzicht. Die Keimzellen haben eine ihnen ur¬
sprünglich zukommende, beim Ei ja in der Parthenogenese noch
hier und dort erhaltene Fähigkeit aufgegeben, um sie erst in
gegenseitiger Ergänzung wieder zu gewinnen- Und dem ent¬
spricht auch die Art des Defekts, den wir in den beiderlei Ge¬
schlechtszellen kennen gelernt haben und der in klarster Weise
den Charakter einer Hemmung und nicht einer Erschöpfung
trägt.
Von dieser reciproken Specialisirung hebt sich um so be¬
deutungsvoller ab die völlige Gleichwerthigkeit der Kerne. Ei¬
kern und Spermakern, wie sie schliesslich im Eiprotoplasma
nebeneinander liegen, sind in Grösse, Struktur und in der Zahl
der aus jedem hervorgehenden Kemelemente vollkommen iden¬
tisch. Offenbar sind in der Struktur dieser beiden Kerne die
individuellen Eigenschaften der elterlichen Organismen begrün¬
det, auf deren Vereinigung es bei dem Vorgang abgesehen ist;
und die Thatsachen, die vorhin über die Spaltung und Verkei¬
lung der Kernelemente bei jeder Zelltliedlung besprochen worden
sind, lassen verstehen, wie in allen Theilen des neuen In¬
dividuums die gleiche Mischung väterlicher und mütterlicher
Eigenschaften zur Entfaltung gelangt.
Der Vortragende schliesst mit einem kurzen Hinweis auf
die Bedeutung der im ganzen Thier- und Pflanzenreich mit so
gewaltigem Aufwand realisirten Individuenmischung, die seiner
Meinung nach dazu dient, neue Kombinationen von Qualitäten
hervorzubringen, und damit bei der Umwandlung der Orga-
nismeuwelt einen der wichtigsten Faktoren darstellt.
Nach diesem, durch entwicklungsgeschichtliche Zeichnungen
erläuterten, klar verständlichen Vortrag, der dem Redner reichen
Beifall eintrug, wurde die Versammlung um 1 Uhr geschlossen.
Die den Theilnehmern der Versammlung als Erinnerungs¬
gabe dargebotenen Festschriften bestehen aus 3 umfänglichen
Werken in vorzüglich schöner Ausstattung und betiteln sich:
1. Hamburg in naturwissenschaftlicher und medicinischer Be¬
ziehung (616 Seiten stark), 2. die Gesundheitsverhältnisse Ham¬
burgs im 19. Jahrhundert (327 Seiten stark), 3. die allgemeinen
Krankenhäuser und Irrenanstalten der freien und Hansestadt
Hamburg, mit 94 Abbildungen und 2 Tafeln (188 Seiten stark).
Diese Werke, auf deren Inhalt hier einzugehen der Raum ver¬
bietet, ehren die Ehrenden, unsere Gastgeber. Einerseits illu-
striren sie auf das Glänzendste die Grösse des Kapitals an Geist,
das diese Stadt neben ihrem enormen materiellen Reichthum ihr
eigen nennt, und ist ein Denkmal für die aus Bewohnern dieser
Stadt hervorgegangene wissenschaftliche Leistung eines Säcu-
lums, wie es nicht leicht vielseitiger in deutschen Landen ge¬
funden werden kann. Andererseits aber verkünden diese hier
beschriebenen öffentlichen Einrichtungen des Staates Hamburg,
der z. B. 1898 über 16 Millionen Mark für öffentliche Bauten,
über 8 Millionen für Unterrichtswesen verwendet hat, weit hinaus
die hohe Einsicht, welche die Verwaltung des Staates dem wissen¬
schaftlichen Fortschritt entgegenbringt. Wo es möglich ge¬
macht wird, mit enormen Aufwendungen das in der stillen
Kammer der Wissenschaft Ersonnene praktisch für die An¬
forderungen des öffentlichen Lebens in gewaltigen Dimensionen
zu verwerthen, wo die einmal fest gewordene Erkenntniss, neue
Forschungsergebnisse der Wissenschaft auf greifen und in eine
mächtige Tliat umsetzen zu müssen — ich erinnere nur an die
jetzige Wasserversorgung der Stadt, die Umwandlung einzelner
Stadtbezirke nach der Cholera 1892 — zu solchen fruchtbaren
Neu Schöpfungen und solchen gemeinnützigen Einrichtungen für
die Volksgesundheit drängt und treibt, da stehen nicht nur hohe
Intelligenz und Thatkraft an der Spitze, sondern die ganze
Bürgerschaft muss, wie v. Neuinayer- Hamburg in obiger
Rede mit vollem Rechte ausführen konnte, in einem Verhältnisse
zur Wissenschaft und ihren Ergebnissen stehen, wie wir es allen
deutschen Städten von Herzen wünschen möchten- In diesem
Sinne wollen wir Theilnehmer alle die Festschriften nach Hause
tragen und dort zur rechten Zeit auf das glänzende Beispiel
Hamburgs verweisen!
XXVI. Versammlung des Deutschen Vereins für
öffentliche Gesundheitspflege
zu Rostock am 18.—21. September 1901.
(Eigener Bericht)
Nach der Präsenzliste haben sich insgesammt (bis Schluss
der Versammlung) 288 Mitglieder eingefunden. Bayern hatte
6 Vertreter, worunter 2 Verwaltungsbeamte (München und Augs¬
burg) und 2 Hygiene-Professoren (Würzburg und Erlangen).
Bei der hohen Wichtigkeit, die einzelne Berathungsgegenstände
gerade für beamtete Aerzte haben mussten, ist diese geringe Be¬
theiligung gerade aus unserem engeren Vaterland sehr zu be¬
dauern. Dass in sehr grossem Maasse der nicht ganz glücklich,
wegen seiner grossen Entfernung gewählte Ort von Bedeutung
ist, muss wohl als sicher angenommen werden. Andererseits sei
auch erwähnt, dass eine grosse Anzahl preussischer, besonders
rheinischer, Städte auf ihre Kosten Vertreter entsendet, was
bayerischerseits wohl fast nie geschieht. Vielleicht könnte seitens
einer hohen bayerischen Staatsregierung Aehnliches geschehen,
wie es bereits bei den bakteriologischen Fortbildungskursen für
Aerzte an den 3 Landesuniversitäten statt hat.
Am 17. September Abends fand der übliche Begrüseungs-
abend im „Fürsten Blücher“ statt.
Am 18. September Früh wurde die Versammlung offiziell
durch Herrn Oberbürgermeister Dr. Schneider - Magdeburg
eröffnet. Namens des grossherzogl. mecklenburgischen Staats¬
ministeriums bewillkommnete Geh. Ministerialrath Müh len -
b r u c h, und wies darauf hin, dass in dem Verein Wissen¬
schaft, Technik und Verwaltung zusammenwirkten. Männer,
deren Ziel ist: „reine Luft und klares Wasser“, wären im Lande
herzlichst willkommen. Mühlenbruch schließst mit dem
Wunsche, dass die Aussaat dieser friedfertigen Versammlung
weithin auf fruchtbaren Boden fallen möge.
Für die Stadt Rostock begrüsst Bürgermeister Dr. Mass-
mann, im Namen der Universität spricht Herr Prof. Dr.
Staude, im Namen des Rostocker hygienischen Vereins
Medicinalrath Dr. Dornblüth. Auf Vorschlag des Vor¬
sitzenden wurden nach den üblichen Dankesworten in’s Bureau
berufen: Bürgermeister Dr. v. Borscht - München, Medicinal¬
rath Dr. Dornblüth -Rostock und Prof. Dr. Pfeiffer-
Ro8lock.
Der Vorsitzende widmet sodann den verstorbenen Mitgliedern
einen Nachruf, wobei er besonders der Verdienste eines Max
v. Pettenkofer, des Mitbegründers des Vereins, und des
Hamburger Oberingenieura Andreas Meyer gedachte. Von
bekannteren weiter gestorbenen Mitgliedern seien hier noch
Abegg, Brauser, Fodor, Pfeiffer - Darmstadt,
Sp inola erwähnt. Zu aller Verstorbenen Ehren erhob sich
die Versammlung von ihren Sitzen.
Mitglieder zählt der Verein jetzt 1501 (20 weniger als im
Vorjahr). Gestorben waren insgesammt 35, ind. dieser traten
insgesammt 110 Mitglieder aus. 95 traten neu ein.
Aus dem weiteren Geschäftsbericht des Geschäftsführers,
Geh. Sanitätsrath Dr. S p i e s s * Frankfurt a. M., ist noch her¬
vorzuheben, dass der Verein eine Eingabe wegen Einführung
der obligatorischen Leichenschau gemacht hat. Ausserdem war
ein Preisausschreiben „Erzielung grösserer Reinlichkeit bei
der Behandlung und dem Verkehr mit Nahrungsmitteln“ erlassen
worden. 18 Arbeiten waren prämiirt worden. Dieselben wurden
zusammen in ein Werkchen vereinigt und etwa 400 Zeitschriften,
Sonntags-, Familien- etc. Blättern zugeatellt mit der Bitte, zeit¬
weise Artikel hiervon zu veröffentlichen.
Nach Wahl des Bureaus wurde sodann in die Verhandlungen
eingetreten:
Die örtlichen Gesnndheitskommissionen in ihrer Bedeutung
für Staat und Gemeinde, sowie für die amtliche Thätigkeit
der Medicinalbeamten.
Referenten: Regierungs- und Geheimer Medicinalrath Dr. Rap¬
mund - Minden, Privatdocent Dr. J astrow, Stadtrath, Char-
lottenburg-Berlin.
Die Referenten hatten folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Für die Erfüllung der Aufgaben der öffentlichen Gesund¬
heitspflege ist die Einrichtung örtlicher Gesundheitskom¬
missionen nothwendig.
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1. Oktober 1901.
MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1585
2. Die Thatigkeit der Gesundheitskommission soll n) nicht
bloas eine begutachtende und anregende, sondern auch eine ver¬
waltende sein, sowio b) unter Mitwirkung und gegenseitiger
Unterstützung des beamteten Arztes stattfinden.
3. Bei Regelung der Befugnisse der Gesundheitskom-
missionen dürfen die Grundsätze der kommunalen Selbstverwal¬
tung nicht verletzt werden.
R a p m u n d führt zunächst die Nothwendigkeit solcher
Kommissionen aus; er meint, cs sollen nicht allein die Städte
und grossen Ortschaften, sondern bei dem regen Verkehr
zwischen Stadt und Land auch die kleineren Orte und da9 platte
Land zur Bildung solcher Kommissionen herangezogen werden.
In Preussen wird bekanntermaassen durch das neue Kreisarzt¬
gesetz nur bei Städten bis herab zu 5000 Einwohnern die Er¬
richtung derartiger Kommissionen verlangt. R a p m u n d
schlägt, überhaupt vor, auch bei den Verhandlungen des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege die Bedürfnisse
kleinerer Städte und des platten Landes entschieden mehr zu
vertreten. (Sehr richtig! der Ref.) Geschichtlich ist die Ent¬
stehung der Gesundheitskommissionen auf die Pestkommissionen
aus den Pestzeiten zurückführbar, so auch auf die grosse Cholera-
epidemie 1831. 1835 brachte der preussische Staat einen dies¬
bezüglichen Erlass; die Heranziehung von Bürgern, Bürger¬
meistern, Amts- und Gamisonsärzten, Thierärzten ist hiebei ge¬
wünscht. Damals war nicht nur berathende, sondern auch aus¬
übende Gewalt vorgesehen. Leider haben diese Kommissionen
ihre Pflichten wenig oder gar nicht erfüllt, es fehlte die conti-
nuirliche Fühlung mit den Kommunalbehörden und vor Allem
die sachgemässe Leitung. In Bayern, Sachsen und anderen
Staaten bestellen solche Kommissionen nur für besondere Epi¬
demien. Manche Bundesstaaten, so Mecklenburg, kennen über¬
haupt keine derartigen Einrichtungen; berathende Behörden
kennt Oesterreich-Ungarn, Frankreich etc.
Nach dem neuen preussischen Gesetze (16. IX. 1899) ist
jetzt der beamtete Arzt Vorsitzender der Kommission; letztere
ist jetzt eine ständige Einrichtung und muss viermal im Jahre
— mindestens — einberufen werden. Ihre Thätigkeit ist eine
berathende und Rathschlüsee gebende, keine verwaltende. Die
Heranziehung der Laien zur Kommission ist auf’s freudigste
zu begrüssen wegen der zu erwartenden Aufklärung derselben
und der zu erhoffenden Belehrung des Gesammtpublikums wieder
durch letztere. Gerade hierin liegt die grosse Gewähr für die
Durchführung der hygienischen Maassregeln und der Werth der
örtlichen Gesundheitspflege. Vorschläge können jetzt auch
seitens der Bürger gebracht werden, gemeinsame Besichtigungen
durch die Kommission können und sollen vorgenommen werden.
In kleineren Orten kann ein Zusammenlegen der besprochenen
Kommission mit der Baukommission gemacht werden, eventuell
auch in grösseren Orten.
Vom hygienischen Standpunkte aus sind ausser dem be¬
amteten Arzte folgende Mitglieder der Kommission empfehlen9-
werth: Aorzte, Architekten, Apotheker, Chemiker, Thier¬
ärzte etc.; wie viel und wer von den Bürgern hinzuzunehmen ist,
muss örtlicherseits entschieden werden. Dass die Kommissionen
ständig sind, erscheint äusserst zweckmässig; zur Verhütung von
Krankheiten etc. müssen die erforderlichen Maassregeln recht¬
zeitig getroffen werden, ausserdem kommen sie zu spät. Rap¬
mund verlangt an dieser Stelle seines Berichts neben den schon
erwähnten Erweiterungen der Kommissionen für die kleineren
Städte und das platte Land speciell solche für Bade- und Kur¬
orte. Die Aufgaben der Kommissionen sind berathende Eigen¬
schaften für das ganze Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege,
als Schlachtstätten, Wohnungen, Trinkwasserversorgung, Be¬
seitigung von Abfällen, Schulen, Bäder, Begräbnisswesen. Die
Berücksichtigung des bisher häufig übersehenen naltekinder-
wesens ist zu fordern; zu warnen ist vor dem Uebereifer — schon
der Kosten wegen. Festina lente! Empfehlenswerth ist für die
Städte, die Kommissionen auch mitarbeiten, theilweise sogar in
dor Verwaltung helfen zu lassen. (? der Ref.)
R a p m u n d kommt in seinen Ausführungen nun darauf
zu sprechen, in welchem Vorhältniss der Kreisarzt zu den Stadt¬
verwaltungen steht. Er soll das belebende und belehrende Ele¬
ment sein, Vorschläge mundgerecht machen; er braucht kein
Stimmrecht, er soll nur der Wächter des Gesundheitswesens sein:
Die Annäherung der staatlichen Organe au die städtischen Ge¬
sundheitskommissionen ist besonders wegen der Anforderungen
des wirtschaftlichen Lebens nöthig.
Nach Beleuchtung der hygienischen Seite der Gesundhedts-
kommission beleuchtet Herr Jastrow die verwaltungsrecht¬
liche. Die Gesundheitspflege ist mit dom Augenblicke, wo sic
eine öffentliche wird, ein Gegenstand der Verwaltung. Jastrow
nimmt sich nun zum besonderen Gegenstand seiner Besprechung
die neue preussische Verordnung und betrachtet sie nach fol¬
genden Gesichtspunkten: Die Entstehung der Kreisarztfrage in
Bezug auf die grossen Städte, die bisherige Stellung der Städte
hiezu, wie sollen sich die Städte ferner zu dieser Aufgabe stellen.
Die Nothwendigkeit dor hygienischen Maassnahmen wird all¬
seitig mehr und mehr anerkannt; die Unzufriedenheit gegen die
Eingriffe in das Privatleben nimmt ab. Sitz der hygienischen
Fortschritte in Preussen sind die Städte, Sitz der parlamen¬
tarischen Gewalt in Preussen dagegen das platte Land. Jastrow
theilt sodann die Geschichte des jetzigen Gesetzes in seinen ver¬
schiedenen Phasen mit. Man einigte sich schliesslich, indem
man einen beralhenden Kreisarzt für die Städte, aber nicht für
das platte Land schuf, ebenso wie man Gesundheitskommissionen
für Städte über 5000 Einwohner schuf, aber nicht für das platte
Land. Bisherige Stadtärzte können Kreisarztfunktionen be¬
kommen. Auf die besprochene rechtliche Stellung des durch den
Minister ernannten Kreisarztes zum Selbstverwaltungsrecht
der grossen Städte möge hier nicht näher eingegangen sein, nur
darauf möge hingewießen sein, dass man dem Kreisarzt die Be-
fugniss des Eingriffes in die Hygiene der grossen Städte gab,
wiewohl letztere immer schon ihre diesbezügliche Pflicht thaten,
und die doch nothwendig gewesene Einwirkung auf das in seiner
Hygiene so zurückgebliebene platte Land wurde versagt.
J a s t r o w schliesst mit den Worten: Die Städte brauchten die
staatliche Beaufsichtigung durch den Kreisarzt nicht zu be¬
fürchten. Aufsicht und Selbstverwaltung seien nicht Gegen¬
sätze, sondern im Gegensatz eine richtige Selbstverwaltung be¬
dürfe der Aufsicht.
Die anschliessende DiscuSBion spielt grösstentbeils gleich¬
falls auf verwaltungsrechtlichem Gebiete; es tritt jedoch auch hier,
im Gegensatz zu dem Referenten, der Wunsch zu Tage, die neuen
Kommissionen mögen nur berathende, keine verwaltenden
sein. In diesem Sinne sprechen MedieinaJrath Dr. Dornblüth-
Rostock, Kreisarzt Dr. Steinmetz - Strassburg i. E., welch’
letzterer auch die entsprechenden elsässer Verhältnisse schildert
Prof. Frankel - Halle meint, dass das platte Land zu sehr be¬
günstigt worden sei nach der schlechten Seite hin. Aber man
müsse auch bedenken, dass die Schäden dort nicht so verheerend
wirken, wie ln den Gressstädten. F r ä n k e 1 glaubt man müsse
zunächst die Wirkung des neuen Gesetzes in den Städten ab-
warten; jedenfalls sei ln dem Institute der beamteten Kreisärzte
ein grosser Fortschritt auf dem Gebiete der Hygiene zu ver¬
zeichnen.
Ausserhalb der Tagesordnung fordert Oberbürgermeister
P a g e 1 s - Oppeln auf, „der Deutsche Verein für öffentliche Ge¬
sundheitspflege möge der Centralstelle für die Beseitigung
städtischer Abwässer in die Flussläufe beitreten“.
Hygiene der Molkereiprodnkte.
Referent: Geb. Medicinnlrath Prof. Dr. Löffler - Greifswald.
Die Milch ist bekanntermaassen ein vorzügliches Nahrungs¬
mittel, sie wird jedoch leicht verändert und schädlich beeinflusst.
Neuerdings kommen mehr und mehr die Molkereiproduktgesell-
schaften in Aufschwung, was mit Rücksicht auf die gleiche Zu¬
sammensetzung der Mischmilch zu begrüssen ist; Schäden haben
diese Gesellschaften, wenn sie nicht durchaus verlässig sind. Die
Milch kann schädlich wirken, da eine Reihe von Stoffen, die die
Thiere nehmen, in die Milch übergeht. Das Thier wird durch
diese Stoffe gar nicht irritirt, jedoch wird die Milch verändert
und stellenweise giftig. Man hat beispielsweise die hohe Kinder¬
sterblichkeit im Sommer auf derartige Milch zurückführen zu
müssen geglaubt, so besonders auf Oolchicineinwirkungen.
Hauser- Karlsruhe wiess nach, dass unter sonst gleichen
Temperaturverhältnissen Kinder solcher Gegenden besonders
leicht sterben, die Milch von auf Kalkboden weidenden Kühen
erhalten. Es müssen hier bestimmte Futterkräuter ihre Ein¬
wirkung zeigen; die Colehicineinwirkung ist dagegen wohl in
Zweifel zu ziehen. Alan fand auch, dass die Fütterung mit Kar¬
toffeln einen Einfluss auf die Kindersterblichkeit habe (W cy h 1-
Strassburg). Es ist hier ein Bakterienprodukt „Solanin“ von
Wirkung. Man hatte schon längere Zeit auf bestimmte Futter¬
stoffe Verdacht und daher bei der Herstellung von Kindermilch
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1586
MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
besondere Vorsichtsmaassregeln eingeführt (prcussische Verord¬
nung bei der Herstellung von Kindermilch, ähnliche Polizeiver¬
ordnungen bestehen in Dresden, München, Nürnberg etc.). Diese
Milch ist jedoch viel zu theuer, um allgemein zu Gute kommen
zu können. Stellen sich überdies jene Untersuchungen als
richtig heraus, so müssten noch weitere Bestimmungen getroffen
werden.
In die Milch kommen nun eine ganze Reihe von Thierkrank¬
heiten, so die Maul- und Klauenseuche. Jedoch ist die Em¬
pfänglichkeit hiefür wohl nur eine geringe, sonst müssten bei
Weitem mehr Erfahrungen und Vorkommnisse hierüber zu Tage
kommen, als bisher dies der Fall ist. Dagegen ist die Gefahr
der Verschleppung der Maul- und Klauenseuche durch die
Molkereigenossenschaft selbst sehr leicht gegeben, so durch Zu¬
rücklieferung der Magermilch an die Genossen und Verfütterung
an Jungvieh, Schweine etc. Noch grösser ist die Gefahr der Ver¬
breitung gewisser anderer Thierkrankheiten, so die der Entzün¬
dung der Euter (Mastitis durch Streptococcen). Diese Erkran¬
kung kommt gar nicht so selten bei Kindern vor (B e c k, L ü t e r,
G a f f k y). Das grösste Interesse hat natürlich die Tuberkulose
der Rinder. Tuberkelbacillen hat man in zahllosen Fällen in
der Milch nachgewiesen, so besonders bei Thieren, die
Eutertuberkulose haben. Die Milch von Sammelbetrieben hat
weitaus in den meisten Fällen Tuberkelbacillen, was der enorm
weiten Ausbreitung der Tuberkulose zuzuschreiben ist. Die
Milch bei kleinen Betrieben ist häufiger frei. Dasselbe gilt bei
der Butter: bei Grossbetrieben enorm häufig Tuberkelbacillen
in der Butter. Bei der weiten Verbreitung der Eutertuberkulose
erschien natürlich die Gefahr der Ausbreitung der Tuberkulose
durch Milch und Butter sehr gross. Durch die neuesten Unter¬
suchungen von Robert Koch über die Uebertragbarkeit der
Rindertuberkulose auf die Menschen ist die bisherige Annahme
völlig geändert worden. Löffler bringt nun Koc h’s Arbeiten
und Anschauung und theilt mit, dass er sich denselben voll¬
kommen auschliesse. Baumgart berichtet über Versuche, die
vor 20 Jahren vorgenommen wurden: man hat damals Rinder¬
tuberkulose Menschen unter die Haut eingespritzt, um Ge¬
schwülste zu heilen, manchmal entstanden kleine Pusteln, nie
konnte man jedoch durch Sektionen eine allgemeine Tuberkulose
feststellen! Ebenso kann man aus den Sektionsbefunden an
Kinderkrankenhäusern nachweisen, dass primäre Darmtuborku-
losen ungeheuer selten sind, was doch dem häufigen Genuss der
tuberkuloseverdächtigen Milch nicht entspricht. Löffler hat
die Butter von 25 Betrieben in Greifswald untersucht, 7 von
8 Grossbetrieben hatten immer Tubcrkelbacillen. Trotzdem ist
in Greifswald trotz des grossen Konsums einer derartigen Butter
ein höheres Vorkommen von Tuberkulose als in anderen Städten
oder eine häufige Konstatirung von primärer Darmtuberkulose
nicht zu konstatiren.
Der Einfluss der Rindertuberkulose auf die Menschen ist
doch wohl ein recht geringer, wenn nicht ganz ausschliessbarer.
Trotzdem darf der Kampf gegen dieselbe nicht aufgegeben wer¬
den. Es würde sich bei bacillenhaitigor Milch zunächst nur um
ein ekelerregendes Nahrungsmittel, kein schädliches handeln.
Die Molkereien wären im eigenen Interesse, „Gefahr der Verwen¬
dung der Magermilch“, bei der Tuberkulose der Milch engagirt.
Löffler kommt nun auf das Hineingelangen menschlicher
Infektionskrankheiten in die Milch zu sprechen; es ist dies kein
seltenes Vorkommen, so sind Typhuserkrankungen beobachtet
worden, die so erklärbar sind, ebenso Diphtheriefälle. Die Ver¬
hütung der Infektionen mit Milch ist nur mit Sicherheit möglich,
wenn die Milch von Genossenschaftsmolkereien immer pasteuri-
sirt wird: 20 Minuten auf 60 Grad oder 2 Minuten auf 85 Grad.
Bei der grossen Wichtigkeit der besprochenen Frage mögen
die exakt gefassten Schlusssätze L ö f f 1 e r’s hier in extenso Platz
finden:
1. Vom hygienischen Standpunkt aus Ist zu verlangen, dass
die Molkereiprodukte, wenn sie in die Hand des Konsumenten ge¬
langen, von normaler Beschaffenheit sind, keine konservirenden
Zusätze enthalten und vor Allem frei sind von gesundheitsschäd¬
lichen (giftigen und ansteckenden) Stoffen.
2. Die normale Beschaffenheit kann leicht ermittelt werden
durch Prüfung der sinnfälligen Eigenschaften (Aussehen, Geruch,
Geschmack), durch Feststellung des Gehaltes an normalen Be-
staudtheilen, an fremden Bestandteilen (Milchschmutz), sowie
von konservirenden Zusätzen und durch die Ermittelung des Zer¬
setzungsgrades (Bestimmung des Grades der Säuerung durch
Tltrlrung oder Alkoholprobe). Praktisch nicht durchführbar ist
die Prüfung auf giftige Stoffe (herrührend von giftigen Kräutern
im Futter der Kühe, von Medikamenten, welche den Kühen ver¬
abreicht waren, von der Lebensthätigkeit niederer Organismen)
und die Prüfung auf pathogene Keime. Letztere sind zum Theil
unbekannt (Maul- und Klauenseuche, Scharlach), zum Theil sehr
schwierig nachweisbar in Bakteriengemengen (Typhus). Leicht
nachweisbar ist nur der Erreger der Pcrlsucht, dessen pathogene
Bedeutung für den Menschen durch die neuesten Forschungen
Koc h’s in Frage gestellt ist.
3. A. Eine Ueberwachung der gesammten Produktion und
des Verkaufes der Molkereiprodukte ist zur Zeit unmöglich, weil
die Produktion in einer ausserordentlich grossen Zahl von Klein¬
betrieben erfolgt, welche vielfach direkt an die Konsumenten
liefern, ohne die Produkte auf den Markt zu bringen oder ln Ver¬
kaufsstellen feil zu halten. Da gerade ln den Kleinbetrieben häuüg
die nothwendige Sorgfalt und Reinlichkeit bei der Gewinnung und
Zubereitung vermisst wird, und da bei den überaus häufig noch
anzutreffenden mangelhaften hygienischen Zuständen auf dem
Lande (schlechte Brunnen) die Gefahr einer Inflzirung der Mol¬
kereiprodukte mit menschlichen Infektionsstoffen eine nicht ge¬
ringe ist, so wäre eine Ueberwachung sämmtlicher Produktions¬
stellen, welche Molkereiprodukte in den Verkehr bringen, anzu¬
streben.
B. Die besten Garantien für eine den Anforderungen unter
1. entsprechende Beschaffenheit der Molkereiprodukte bieten die
Genossenschafts -Molkereien. In ihrem eigenen
Interesse liegt es, dass folgende Anforderungen erfüllt werden:
a) dass ein gesundes Personal vorhanden ist;
b) dass ein gutes, vor jeder Infektion geschütztes Wasser
für den Betrieb zur Verfügung steht;
c) dass die Milch von gesunden Thieren reinlich gewonnen
und reinlich verarbeitet wird;
d) dass die Milch von dem in ihr enthaltenen 8chmutze mög¬
lichst befreit wird;
e) dass die ein leichtes Verderben bewirkenden Saprophyten
und auch die pathogenen Keime durch Erhitzen auf 85° C. ver¬
nichtet werden (damit gut haltbare Produkte erzielt werden und
damit nicht etwa durch die zurückgelieferte Magermilch auf die
Viehbestände der Genossen Krankheiten übertragen werden, wie
Maul- und Klauenseuche und Tuberkulose);
f) dass die Milch nach dem Pasteurislren gut abgekühlt wird,
damit sie unzersetzt bis zum Verkaufe konservlrt werde. Mit der
Herstellung der C a s s e’schen Eismilch ist ohne Zweifel ein
grosser Fortschritt angebahnt (Verfahren von Ingenieur Helm.)
Durch eine Kontrolirung einer Durchschnittsprobe aus einer
Molkerei wird das Melkprodukt zahlreicher Producenten kon-
trollrt, die Kontrole daher sehr vereinfacht
Durch die Einrichtung besonderer, unter dauernder ärztlicher
und thierärztlicher Kontrole stehender Anstalten zur Herstellung
von Kindermilch wird naturgemäss eine weitgehende Garantie
geboten für eine unschädliche und gute Beschaffenheit der Milch.
C. Die Verkaufsstellen von Molkereiprodukten sind einer
regelmässigen Kontrole zu unterziehen bezüglich des Personals,
der Beschaffenheit der Räume und der Produkte.
4. Die Herstellung einer absolut keimfreien Milch wäre vom
hygienischen Standpunkte aus zu befürworten, wenn nicht durch
eine, eine vollständige Keimfreiheit verbürgende Sterilisirung die
Beschaffenheit der Milch verändert würde.
Für die Konsumenten empfiehlt es sich, um sich gegen jede
Infektionsgefahr zu schützen, und um eine schädliche Zersetzung
der Milch im Haushalte zu verhüten, die Milch unmittelbar nach
dem Ankauf abzukoehen oder doch wenigstens eine halbe Stunde
auf 85 0 C. zu erhitzen, sie dann in demselben Gefässe abzukühlen
und kühl bis zum Gebrauche aufzubewahren.
Anzufügen ist noch, dass die Pasteurisirung auch bei der
Rahm-, Butter- und Käsebereitung möglich ist. Empfehlens¬
wert h ist die Pasteurisirung der Milch auch desswegen, da sie
beim Stehenlassen (Abendmilch) sich leicht zersetzen kann.
Die neuerdings viel in den Handel kommenden Thermophor¬
apparate können empfohlen werden, vorausgesetzt, dass nur gute,
geprüfte Apparate seitens der Fabrik abgegeben werden.
Nur wenn die Einhaltung aller angegebenen Schutzmaase¬
nahmen gewährleistet wird, ist ein Herabgehen der Kindersterb¬
lichkeit zu erhoffen.
Von der sich anschliessenden Discussion ist erwähnens-
werth: Oekonomieratli Plehn-Berlin drückt die hohe Bereitwillig¬
keit der Lnndwirtlie aus. Alles zu thun, um eine gesunde Milch zu
produciren. Die Landwirthe verlangen In einem Gesetzentwurf
die Tödtung tuberkulöser Kühe gegen eine vom Staat und den
Viehbesitzern gemeinsam zu tragende Entschädigung.
Prof. Wclgmann- Kiel weist auf den RUbengeschmack
der Butter hin, der gleichfalls, wie das Solanin, auf bakterio¬
logischen Ursprung zurückführbar ist.
Dr. Müller- Erfurt bringt die Krankengeschichte zweier
Metzger, welche im Anschluss an eine Schnittwunde bei einem
tuberkulösen Rind beide eine Sehnentuberkulose am Arm (Tuber¬
kelbacillen nachweisbar) acquirirten.
Geheimrath R a p m u n d - Minden glaubt, dass immer das
Wasser, welches der Milch zugesetzt würde, der Träger der
Typhusinfektion sei (? der Ref.). Des Weiteren verlangt Rap-
mund grössere Reinlichkeit der Ställe, Waschen der Hände,
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1. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1587
Waschen des Euters. Viele Fälle von Infektionskrankheiten
(Masern, Scharlach) veraulassten wohl die Milchhändler.
Schluss der Sitzung 4 Uhr.
Abends fand das gewohnte Diner mit den üblichen Reden
statt.
Preussischer Medizinalbeamtenverein.
XVIII. Hauptversammlung am 13. und 14. September
1901 zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Die zahlreich erschienenen Mitglieder, etwa 120 an Zahl,
werden vom Vorsitzenden, Reg.- und Geh. Med.-Itath Dr. R n p -
in und- Minden, begrüsst. In höherem Grade, als das Jahr 1S99.
bedeute das Jahr 1901 einen Merkstein ln der Geschichte des preus-
sischen Medicinalwesens und des Vereins; denn habe damals das
Kreisarztgesetz dir gesetzliche Sanktion erhalten, so sei es nun¬
mehr zur Durchführung gelangt, und damit sei nicht nur der erste,
sondern auch der wichtigste Schritt zu der seit Jakrzelinteu all¬
seitig als nothwendig anerkannten Medlcinalreform geschehen.
Früher ist das Kreisarztgesetz vielfach, auch in ärztlichen Kreisen,
in seiner Bedeutung für die öffentliche Gesundheitspflege unter¬
schätzt worden; nachdem aber durch eine den Anforderungen der
öffentlichen Gesundheitspflege in hervorragender Weise ent¬
sprechende Dienstanweisung die Rechte und Pflichten der Kreis¬
ärzte geregelt sind, hat sich ein Umschwung in jener Anschauung
vollzogen; wie man jetzt wohl allgemein zugibt, stellt das Kreis¬
arztgesetz einen ausserordentlichen Fortschritt auf gesundheit¬
lichem Gebiete und eine sehr werthvolle Grundlage dar, auf der
mit Erfolg weiter gebaut werden kann und sicherlich auch wird.
Für die Aufbesserung der Gehälter, sowie für die Regelung der
Rangverhältiilsse sind die l>etheiligten Mediciualbeamten der
Staatsregierung und dem Landtage, namentlich dem Abgeordneten¬
hause, gewiss sehr dankbar. Noch grösser aber ist ihre Freude
und ihr Dank für die völlige Umgestaltung und Erweiterung ihrer
amtlichen Stellung, wodurch ihnen ein überreiches und nach allen
Richtungen hin befriedigendes Feld für ihre Thätigkeit gegeben
sei. Das Vertrauen, welches ihnen damit entgegengebracht worden
sei. werden sie zu rechtfertigen und das öffentliche gesundheitliche
Wohl nach allen Richtungen hin zu fördern bemüht sein. In Folge
der Durchführung des Kreisarztgesetzes sind eine Reihe von Medi¬
ciualbeamten und Verein8mitgliedem aus dem aktiven Staatsdienst
ausgeschieden. Es sei wlinschenswertb, dass diese Herren sich
auch fernerhin dem Verein als zugehörig betrachten; thatsächlich
hat bisher nur eine verhältnissmässig kleine Zahl ihren Austritt
aus dem Verein angemeldet. Der Vorsitzende begrüsst dann die
anwesenden Gäste, Regierungsrath Dr. Wutzdorff, der als
Vertreter des Reichsgesuudheltsamts. und Sanitätsrath Dr.
Aschenborn, der als Vertreter der Medicinalabtheilung des
Kultusministeriums den Verhandlungen beiwohnt, und erklärt die
Versammlung für eröffnet.
An Stelle des Schriftführers erstattet der Vorsitzende nun¬
mehr den Geschäfts- und Kassenbericht Die Mit¬
gliederzahl des Vereins hat seit der letzten Hauptversammlung
wiederum eine Zunahme erfahreu; damals betrug sie 1004, zur
Zeit beträgt sie 1040. Auch das Vereinsvermögen hat sich erhöht,
und zwar auf M. 3830,18. Nachdem der Vorsitzende dann noch
der seit dem 1. Oktober v. J. verstorbenen Mitglieder gedacht, be¬
richtet er Uber die Ausführung des im Vorjahre gefassten Be¬
schlusses betreffs Bildung eines „Deutschen Mediclual-
beamtenvereins“. Ayf seine Einladung hin hat am 2. Juli
ds. Jrs. in Frankfurt a. M. eine Versammlung von Delegirten
resp. Vertretern der Medicinalbeamten in den einzelnen Bundes¬
staaten stattgefunden, es wurde einstimmig die Bildung eines
Vereins der Medicinalbeamten im Deutschen Reich beschlossen,
und zwar unter voller Berücksichtigung der auf der vorjährigen
Hauptversammlung ausgesprochenen Wünsche. Der neue Verein
lässt die jetzt bestehenden und event. noch zu gründenden Medi-
cinalbeamtenvereine in den einzelnen Bundesstaaten unberührt,
dieselben bleiben in der bisherigen Weise bestehen, und es ist
ihrem Ermessen anheimges^ellt, ob sie in corpore in den neuen
Verein eintreten oder den Beitritt ihren Mitgliedern freisteilen
wollen. Die Sitzungen des Deutschen Medicinulbeamtenvereins
sollen ebenfalls alljährlich, abwechselnd an verschiedenen geeig¬
neten Orten und thunlichst im Anschluss an die Jahresversamm¬
lung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, aber
nicht an demselben Orte, stattfinden, damit die Mitglieder bequem
und ohne grosse Kosten an beiden Versammlungen theilnehmcu
können. Als Vereinsorgan soll die „Zeitschrift für Mediciual-
beamte“ beibehalten werden. Der Beitrag kann von den Landes¬
vereinen erhoben werden, er wird so festgesetzt, dass für die Mit¬
glieder des Preussischen Medicinalbeamtenvereins eine Erhöhung
des jetzigen Beitrags nicht erforderlich ist. Der Vorstand besteht
aus 10 ln der Hauptversammlung zu wählenden Mitgliedern, die
5 weitere Mitglieder zu kooptlren und Vorsitzenden, sowie Schrift-
und Kassenführer aus ihrer Mitte zu wählen haben. Sämmtliche
Königreiche und die sonstigen grösseren Bundesstaaten müssen
in ihm durch eigene, die kleineren Bundesstaaten durch gemein¬
schaftliche Vorstandsmitglieder vertreten sein. Der Verein tritt
am 1. Januar 1902 in’s Lebeu, im Jahre 1902 soll die erste Haupt¬
versammlung stattfinden, und dieser sollen die bis dahin auszu¬
arbeitenden Satzungen zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
Der Vorsitzende, Reg.- und Geh. Med.-Rath Dr. R a p m u n d ,
macht im Namen des Vorstandes den Vorschlag, dass der Preus-
sische Medlcinalbeamtenverein in corpore dem neuen Vereine bei-
tritt. Der Antrag wird nach kurzer Debatte einstimmig auge¬
nommen. Schliesslich legt der Vorsitzende noch eine von ihm ent¬
worfene Dienstaltersliste der preussischen Medicinal¬
beamten (Mitglieder der Provlnzial-Medicinailkollegieu, Regie¬
rungs- und Medicinalräthe, Kreisärzte und Kreisassistenzärztei
vor; die Liste bedarf in Bezug auf die Reihenfolge innerhalb der
einzelnen Emennungsjahre noch der Richtigstellung, welche auf
Grund einer Umfrage bei den Medicinalbeamten erfolgen soll.
Der folgende Gegenstand der Tagesordnung: Die Dienst¬
obliegenheiten des Kreisarztes nach der neuen Dienstanweisung
muss abgesetzt werden, weil der Referent, Medicinalrath und
Kreisarzt Dr. F i e 1 i t z - Halle a. S. durch einen Todesfall in
seiner Familie verhindert ist. Der Vorsitzende bittet die Mit¬
glieder, einschlägige Fragen, über welche eine Discussion in der
Versammlung gewünscht wird, auf Blättern aufzuschreiben und
diese ihm übergeben zu wollen.
Zur Bekämpfung der Tuberkulose spricht sodann Kreisarzt
Dr. Krause- Sensburg. Er geht davon aus, dass über kurz
oder lang der Staat, dessen Hilfe unumgänglich ist, eine noch
umfassendere Bekämpfung der Tuberkulose als bisher in die
Hand nehmen muss und wird. Für die Bekämpfung der an¬
steckenden Krankheiten zeigt sich bei den Staatsbehörden in
letzter Zeit ein erhöhtes Interesse; das sieht man z. B. an der Ein¬
setzung einer Kommission zur Nachprüfung der K o c h’schen Ver¬
suche über die Verschiedenheit der Menschen- und Rindertuber¬
kulose. Wenn aber der Staat entschiedener vorgeht, dann fällt
der grösste Thell der Aufgabe dem Kreisarzt zu, wesshalb für ihn
die Beschäftigung mit der Frage um so nothwendlger Ist. Eine
Hauptforderung ist, dass alle Erkrankungen an Tuberkulose zur
Anzeige gelangen. Zwar vermag sich der Kreisarzt schon jetzt,
ohne die Hilfe einer entsprechenden Maassregel, lediglich auf dem
Boden der Dienstanweisung über die Verbreitung der Tuberkulose
innerhalb seines Bezirkes einen Ueberblick zu verschaffen. Vor¬
tragender erläutert dies im Einzelnen, er zeigt, wie die Dienst¬
anweisung den Kreisarzt in den Stand setzt, auf verschiedenen
Gebieten, in Schulen, gewerblichen Betrieben, Krankenhäusern,
beim Verkauf von Nahrungsmitteln u. s. w., in energischer Weise
die Verbreitung der Tuberkulose zu bekämpfen. Aber ein voll¬
ständiges und genaues Bild von dem Stande der Tuberkulose kann
der Kreisarzt erst gewinnen, wenn für die Erkrankungen an
Tuberkulose die Anzeigepflicht besteht. Die Wohnungsfrage lässt
Redner unerörtert; diese Frage bildet ein ganzes Thema für sich.
Die Fürsorge des Staates aber allein genügt nicht, wenn man
anders Erfolge erzielen will. Vielmehr ist der Hebel noch einer¬
seits bei den Tuberkulösen und andererseits beim Publikum an¬
zusetzen. Der grösste Werth ist auf die hygienische Erziehung
der Kranken, die am besten ln einer Anstalt erfolgt, und auf Be¬
lehrung und Aufklärung weiterer Volkskreise zu legen. In letzterer
Beziehung empfiehlt sich die Verbreitung gemeinverständlich ab¬
gefasster Abhandlungen durch Vermittlung der Behörden; zweck¬
mässig ist auch die Einführung gemeinverständlich gehaltener
Vorträge, die am besten und einfachsten erreicht wird durch
Gründung von Ortsvereinen im Anschluss an den Deutschen Ver¬
ein für Volkshygiene. — Hinsichtlich der Uebertragung
durch Nahrungsmittel, welche von perlsüchtigen Rindern
stammen, muss abgewartet werden, ob die neuesten Behauptungen
Koc h’s in seinem Vortrag auf dem Londoner Kongress sich als
begründet erweisen werden. Jedenfalls wird der Kreisarzt in der
Erfüllung seiner einschlägigen Pflichten nicht lässig sein dürfen.
Einen bedeutungsvollen Schritt in der Bekämpfung der Tuber¬
kulose stellt der von der norwegischen Regierung durch Gesetz
vom 8. Mai eingeschlagene Weg der zeitweisen Isolirung
der Kranken dar. In England, welches über eine grosse Zahl
von Sanatorien verfügt, zeigt sich ein stärkerer Rückgang der
Tuberkulose. Die zeitweise und eventuell zwangsweise Isolirung
ist unzweifelhaft von grossem Segen für die Allgemeinheit und
ihre Einführung in allen Kulturstaaten auf das Eifrigste zu be¬
treiben und zu fördern.
In der Therapie haben die inneren Mittel versagt. Die mit
grossem Lärm empfohlenen Kreosotprüparate wirken nicht direkt
auf den Process ein, vielmehr nur als Expektorantien und Sto-
machica, ihre günstige Wirkung erfolgt auf einem Umwege;
andererseits begünstigen sie den Schlendrian, und damit geht
die kostbarste Zeit verloren; desshalb warnt Vortragender vor der
Anwendung dieser Mittel. Ueber die Behandlung mit Zimmtsäure
nach Länderer fehlt ihm ausreichende Erfahrung; er be¬
schränkt sich darauf, die verschieden lautenden Urtheile einiger
Beobachter kurz wiederzugeben. Allgemeine Sympathie wird der
Heilstättenbewegung entgegengebracht und ohne Zwei fei
mit Recht. Wollte man aber die genügende Zahl von Heilstätten
errichten, dann wären ungeheure Summen erforderlich, die durch
Staatshilfe nicht zu erlangen seien. Sollten in Zukunft Staats¬
mittel zur Verfügung gestellt werden, dann würde das Geld wohl
besser zur Erbauung von Tuberkuloseheimen nach Ana¬
logie der Lepraheime verwendet werden. In den Heilstätten und
in den Tuberkuloseabtheilungen der Krankenhäuser sowohl, wie
auch in der Privatpraxis könnte mehr erreicht werden, wenn man
sich entschliessen würde, die Kranken mit den beiden von Koch
entdeckten spezifischen Mitteln, dem alten Tuberkulin und
dem neuen T.R. genannten, zu behandeln. Beide stehen sehr mit
Unrecht im Verruf. Vortragender erläutert eingehend, wie nament¬
lich das alte Tuberkulin bei richtiger Anwendung ein durchaus
ungefährliches Mittel ist, das in geeigneten Fällen immer günstig
wirkt. Es beeinflusst den lokaltubcrkulösen Process ln heilsamer
Weise und schützt den Organismus gegen die chronische, durch
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No. 40.
MUENCHKNKR MEDIC’INiSCIIE WOC11ENSCHRIFT.
die Tuberkelbacillen bewirkte Toxinvergiftung. Ausserdem hat
es den Vorzug, in einzig dastehender Weise die Diagnose zu
sichern. Vortragender ist überzeugt, zumal sieh in den letzten
Jahren die Stimmen für die Tuberkulinanwendung wieder gemehrt
haben, dass diesem Mittel In Zukunft ein hervorragender Platz
in der Bekämpfung der Tuberkulose eingerilmnt werden wird.
Schliesslich empfiehlt Redner, mit Rücksicht auf die Bedeutung
der Angelegenheit mindestens alle 2 Jahre eine Besprechung über
die Tuberkulose als Thema für die Hauptversammlung anzusetzen.
Zur Discussion spricht zunächst Herr I>r. W. Becher-
Berlin. Er legt dar, wie er auf Grund von Untersuchungen über
Wohnungsverhaltnisse, die er gemeinschaftlich mit I)r. R. Leun-
hoff- Berlin gemacht, zuerst auf dem Berliner Tuberkulose¬
kongress die Errichtung von Erholungsstätten in der Nähe
der Städte empfohlen habe, auf denen die Kranken sich tagsüber
aufhalten. Die Idee sei von Oberstabsarzt Dr. P a n n w i t z auf¬
genommen worden, und so seien die Erholungsstätten vom Rothen
Kreuz entstanden, Anfangs für männliche und dann auch für
weibliche Kranke. Die Befürchtungen, die Frauen würden die
Erholungsstätten nicht aufsuchen, haben sich als unbegründet er¬
wiesen. Die zur Errichtung und Unterhaltung von Erholungs¬
stätten erforderlichen Mittel seien gering und Hessen sich ganz
oder zum grossen Theil durch Ankauf von Milch im Grossen und
Abgabe an die Kranken im Einzelnen herauswirthschaften. Be-
merkeuswerth ist noch, dass bei der einfachen Einrichtung der
Erholungsstätten die Kranken keinen Unterschied wahrnehmen,
wenn sie des Abends in ihre Häuslichkeit zuriiekkehreu. Becher
ladet die Versammlung zur Besichtigung einer Erholungsstätte ein.
Regierungs- und Medicinalrath Dr. M e y kü f c r - Düssel¬
dorf spricht sich gegen die vom Referenten empfohlene individuelle
Bekämpfung aus. Die Tub crknloscfrage- sei im Grunde eine
W o li n iin , e^Lcage Auf diesem Gebiete könne der Kreisarzt
segensreich wirken. Die Wohnungsfrage stehe aber nicht in Ver¬
bindung mit der wirtschaftlichen; es sei verblüffend, zu sehen,
wie wenig auch ein gut bezahlter Arbeiter für seine Wohnung auf- (
wende. Hier habe die Wohnungsbeaufsichtigung einzugreifen; i
ein Reichswohnungsgesetz sei gar nicht nüthig, es genüge eine j
entsprechende Polizeiverordnung, wie eine solche in seinem Be- j
zirke bestünde. Den in den Heilstätten erzielten Erfolgen habe \
er Anfangs skeptisch gegenübergestanden, er sei aber aus einem |
Saulus ein Paulus geworden. Einen TJebelstand hätten die Heil- :
Stätten aber, sie seien kolossal theuer. Wenn man nicht billiger
bauen könnte, sei der von Becher empfohlene Weg zu b.*-
schreiten.
Regierungs- und Geh. Medicinalrath Dr. Rap m und- Min¬
den meint, man könnte die Heilstätten so bauen, dass das Bett sich
nicht auf mehr als .1000 M. stellt
Kreisarzt und Medicinalrath Dr. Boinhauer - Höchst hält
die Erholungsstätten namentlich für die schwereren, von den Heil¬
stätten zurückgewiesenen Kranken geeignet. Bei dem den Kran¬
ken eigenen krassen Egoismus macht er sie darauf aufmerksam,
(biss sie sich selbst schadeten, wenn sie die hygienischen Maass-
uahmen unterliessen; nur so sei deren Beachtung zu erreichen.
Im Uebrigen spricht er sich für die Aufklärung des Volkes aus,
so lasse er z. B. Artikel aus der preisgekrönten Schrift von
Dr. Knopf im Kreisblatt veröffentlichen.
Kreisarzt und Medicinalrath Dr. Behl a - Luckau i. L. will
ln der Bekämpfung der Tuberkulose mehr Zwang angewendet
wissen; er schildert die Maassnahmen, welche er in der ihm unter¬
stellten Strgiau^talt angeordnet hat.
Kreisarzt Dr. Krause- Sensburg spricht sich im Schluss¬
wort dahin aus, dass er in TTebereinstimmung mit Dr. Meyhöfer
der Wohnungsfrage grosse Bedeutung zuerkenne. Aber neben
der Berücksichtigung der Wohnungsverhältnisse müsse der Kampf
im Einzelnen geführt werden.
lieber experimentelle, mikroskopische Studien zur Lehre
vom Erhängungstode spricht darauf Dr. P 1 a c z e k - Berlin. In
der Einleitung berührt er die verschiedenen Wandlungen, welche
die Lehre vom Erhängungstode im Laufe der Jahre erfahren hat.
Bestand ehemals das Dogma von der Kompression der Luftröhre,
so huldigte man dann der Anschauung, dass ein Verschluss des
Larynx erfolge, indem Zungenbein und Zungengrund an die hintere
Rachenwand gedrückt werden. Dazu kam der Nachweis der Kom¬
pression der Karotiden und dann auch der Vertebrales. Aber
immer, in der früheren engeren, wie in der späteren erweiterten
Lehre, bestand die Annahme, dass ein lokaler Reiz auf
die Vagi statt finde. Dagegen dachte man nicht an die
Möglichkeit, dass der gleiche Effekt durch hemmende Erregungen
zu Stande kommen könnte, welche von der durch Sauerstoffmangel
oder Kohlensiiureüberladung erregten Medulla oblongata ausgehen
und auf der Bahn der Vagi fortgeleitet werden.
Um die Bedeutung des Vagus für den Erhängungstod festzu¬
stellen, beschritt Redner zunächst den Weg der anatomischen
Untersuchung des Nerven. Theoretisch hielt er es nämlich nicht
für ausgeschlossen, (biss ein übermässig starker Druck, wie er
durch Strangulation auf die Halsorgane ausgeübt wird, anatomisch
greifbare, mikroskopisch nachweisbare Pruckspuren an den Vagi
hinterlassen könnte, analog den Intimarissen in Karotiden und
Jugularvenen. Das Ergebnlss der grossen Serie von Vagusprii-
paraten, die von Erhängten und von experimentell snspendirten
Iieiehen stammen, war völlig negativ; weder die äussere
Form der Nervenquersohnltte. noch die mnrkhaltigeu Fasern selbst
waren verändert. Wie aber verhielt es sich mit. der Annahme der
funktionellen Schädigung der Vagi und der daraus
resultirenden Mitwirkung an den Erscheinungen des Erhiingungs-
todes? Hier war eine Entscheidung nur durch das Thierexperiment
zu erlangen. Unanfechtbare Ergebnisse waren aber nur dann zu
erwarten, wenn die Versuche mit und ohne Einschluss der
Vagi erfolgten. Fenier war Bedingung, dass jede Blutdruekäude-
rung sorgfältig automatisch registrirt wurde. Die Mittheilung der
Versuchsprotokolle und der Registrlrkurven sich für die Ver¬
öffentlichung in der Vierteljuhrsschr. f. geriehtl. Med. vorbe-
haltcnd, theilt Vortragender kurz das Ergebniss mit: Der auf¬
fälligste Effekt der Strangulation, und zwar gleichgiltig. ob die
Vagi innerhalb oder ausserhalb der Schlinge sind, ist die Verlang¬
samung der Herzsystolen, also eine ausgesprochene Erregung des
medullären Vaguscentrums durch das qualitativ veränderte, die
Medulla oblongata durchströmende Erstickungsblut. Der Blut¬
druck, das Ergebniss des Ringens zwischen Vagus- und Vaso-
motorencentrum wechselt sehr; bald sinkt er schon zu Beginn der
Strangulation, bald bleibt er minutenlang auf gleicher Höhe, bald
steigt er sogar anfänglich. Irgend ein einheitlicher Einfluss der
Versuchsauordnung auf das Ergebniss ist nicht erkennbar. Im
zeitlichen Ablauf der Versuche sind geringfügige Schwankungen
nachweisbar, das Ergebniss der individuell verschiedenen Wider¬
standskraft der Thiere. nicht der Jeweiligen Versuch«nordnuug.
Demnach liegt für die Annahme einer örtlichen
Kompression der Vagi, die schon theoretisch in An¬
betracht ihrer geschützten Lage wenig glaublich erschien, nicht
der geringste Anlass vor.
Die aus der Unfallversicherungs-Gesetzgebung erwachsen¬
den besonderen Pflichten des ärztlichen Sachverständigen be¬
spricht Dr. P. Stolper - Breslau. Die Einleitung bildet der Vor¬
schlag. die praktische und wissenschaftliche Verwerthuug des
neuen Rechts, das den Aerzten durch die socialen Reformgesetze
■ gegeben ist. als versicherungsrechtliche M e d i e i u
: zu bezeichnen. Dann geht Vortragender auf die im Uufallver-
j Sicherungsgesetz begründete Sachverständigenthätigkeit unter
Ausschluss aller therapeutischen, allgemein-medicinischen und
aetiologischen Fragen ein, wobei er die durch das Gesetz vorn
30. Juni 11)00 erfolgten Aeuderungen besonders berücksichtigt.
Die Berufsgenossenschaft dürfe mau nicht lediglich als Partei im
Rentenfestsetzungverfahren anselien: vielmehr ist sie eine vom
Gesetz bestellte Behörde zur Durchführung öffentlichen Rechts.
Unberechtigte Ansprüche muss sie abweisen, berechtigte hat sie
zu erfüllen. Der ärztliche Sachverständige muss bemüht sein,
den Weg strengster Objektivität zu gehen, was freilich nicht
immer leicht ist. Des Weiteren geht Stolper auf den Gang des
Rentenfestsetzungsverfahreus Im Einzelnen ein, wobei er die Ab¬
änderungen gegen die früheren Bestimmungen betont. So zahlt
jetzt die Berufsgenossenschaft schon innerhalb der Wartezeit
d. i. vor Ablauf der 13. Woche nötliigenfalls eine Rente (5 13
G. U. G., § 15 Landw. U. G-). Es ist künftighin neben der Voll¬
rente von 100 Proc. = 66% Proc. des Jahresarbeitsverdienstes und
der entsprechend bemessenen Theilrente noch eine erhöhte Rente
bis zu 100 Proc. des Jahresarbeitsverdienstes zu bewilligen, „wenn
der Verletzte iu Folge des Unfalls nicht nur völlig erwerbsunfähig,
sondern auch derart hilflos geworden ist, dass er ohne fremde
Wartung und Pflege nicht bestehen kann“ (§ 9 Abs. 4 G. U. G., § 8
Abs. 3 Landw. U. G.). lieber diese Begriffe, sowie Uber die Be¬
rechnung des Jahresarbeitsverdienstes sollte der Arzt des Oefteren
die Rentennaehsuclier belehren, die in irrthümlieher Ueber-
scliätzung ihrer gesetzlichen Ansprüche dem für sie so segens¬
reichen Gesetze oft unberechtigt grollen. Dann empfiehlt Vor¬
tragender, in einschlägigen Fällen der Bestimmung des § 76 c des
Krankenversicherungsgesetzes rechtzeitig zu gedenken, der die
Uebernahme des Heilverfahrens noch während der Wartezeit der
Berufsgenossenschaften gestattet. Durch § 69 Abs. 3 G. U. G.
(bezw. § 75 Abs. 3 Landw. IJ. G.), welcher bestimmt, dass bei der
Rentenfeststellung der behandelnde Arzt zu hören ist, wird in
erster Linie das beachtenswerthe Prinzip zum Ausdruck gebracht,
dass die erste Feststellung seitens des erstbehandelnden Arztes
von ausschlaggebender Bedeutung für die Beurtlieilung eines Un¬
falles und seiner Folgen ist. Die neue Bestimmung legt aileu
Aerzten und insbesondere den Kassenärzten die Verpflichtung auf,
sich über alle Betriebsunfälle sorgfältige Notizen zu machen. Das
Gutachten zum Zweck der ersten Rentenfestsetzung ist von be¬
sonderer Wichtigkeit, weil durch glückliche richtige Schlüsse des¬
selben dem Verletzten wie den Rentenzahlern viele Weiterungen
erspart werden und weil alle späteren Gutachten zwecks Auf¬
hebung (Hier Erhöhung der Rente darauf zurückgreifen. Redner
bespricht desslmlb die Abfassung desselben eingehend. Eine be¬
sonders schwierige Stellung hat der ärztliche Sachverständige als
Vertrauensarzt bei dem Schiedsgericht. Zum Schluss betont
Stolper, dass der Arzt als Sachverständiger durch das Unfall-
versichenmgsgesetz einen ausserordentlich grossen Wirkungskreis
zugewiesen erhalten habe. Es wird nicht lange währen, so wird
die versicherungsrechtliche Medicin, was praktisch wichtige For¬
schungsergebnisse anlangt, ebenbürtig neben ihrer Schwester, der
gerichtlichen Medicin, stehen.
In der Discussion wendet sich der Vorsitzende gegen eine
Aeusserang, die Prof. Thiem - Cottbus auf dem diesjährigen
Ae rate tag in Hildesheim gethan. des Inhalts, dass nur, wer noch
die ärztliche Praxis betreibe. Sachverständiger in Unfallsachen
sein könnte. Gelänge dieser Ausspruch zur Geltung, dann würden
die Medieinalbeamten. die ja danach streben, vollbesoldete Beamte
ohne ärztliche Praxis zu werden, aus dieser Sachverständigen¬
thätigkeit herausgedrängt werden. Wenn die Schiedsgerichte und
Berafsgenossenschaften vielfach den beamteten Aerzten den Vor¬
zug geben, so liegt das daran, dass sie den staatsärztlich appro-
birten Aerzten grösseres Vertrauen entgegeubrlngen und manche
von praktischen Aerzten ausgestellte Atteste minderwerthig sind.
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1. Oktober 1901.
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1589
Auch weigern sich mitunter praktische Aerzte, ein Gutachten ab¬
zugeben, well sie dadurch Ihre Praxis zu schädigen fürchten. Dann
warnt der Vorsitzende davor, Ira Gutachten das Vorgutachten oder
einzelne' seiner Punkte ungünstig zu kritislren, das sei auch gar
nicht nöthlg.
Dr. P1 a c z e k - Berlin macht auf das VerhUngnlssvolle der
Bestimmung aufmerksam, dass die Gutachten Im vollen Wortlaut
dem Kentenbewerber mitgetheilt werden müssen. Ihm wird ent¬
gegengehalten, mau schütze sich gegen Anfeindungen, wenn mau
dem Rentenbewerber offen in's Gesicht sage, was man attestire.
Den Schlussvortrag des ersten Tages hält Dr. W o 1 f f - Har¬
burg a/Elbe über Theorie und Praxis der Grundwasser¬
enteisenung, mit Demonstrationen. Immer mehr tritt das Be¬
streben hervor, wenn nur irgend möglich, den Wasserbedarf in
Stadt und I-and aus dem Grundwasser zu decken. In diesem sei
aber oft Elsen enthalten. Insbesondere in der norddeutschen Tief¬
ebene. Die Befreiung des Wassers vom Eisengehalt ist vornehm¬
lich wegen der hohen sanitären Gefahren geboten, die dadurch ent¬
stehen, dass eine Bevölkerung, welcher die Brunnen nur eisen¬
haltiges Wasser liefern, sich stets des immer mehr oder weniger
suspekten Oberflächenwassers bedient, wenn es nur irgendwie zu
erreichen ist. Der Besprechung der einzelnen Methoden, die durch
Lichtbilddemonstrationen veranschaulicht werden, legt Redner
eine neue Theorie für die bei der künstlichen Eisenabscheidung
sich abspielenden Vorgänge zu Grunde. Diese Theorie gründet
sich auf den Lehrsatz der physikalischen Chemie, dass in einer
Flüssigkeit, in welcher die Ausfüllung eines festen Stoffes ein-
tritt, zuvor ein Uebersättigungszustand ln Bezug auf den ausge-
fiillten Körper bestanden haben muss. Dementsprechend sieht
W o 1 f f das eisenhaltige Grundwasser, wenn es unter Luft¬
einwirkung steht, als eine übersättigte Lösung au. Die beiden
auf solche Lösungen am meisten einwirkeuden Ausfällungs¬
faktoren sind feste Körper mit grosser Oberfläche und der frag¬
liche Stoff in festem Zustande. Bel allen unseren Enteisenuugs-
verfahren treten beide Faktoren in Thätigkeit: und darnach ist
die theoretische Erklärung ihrer Wirkung eine sehr einfache, ohne
dass es so komplizirter und durchaus nicht einwandfreier Deu¬
tungsversuche bedarf, wie er z. B. für die Rolle des sich auf den
Filtern niederschlagenden Elsenoxydhydrats gemacht worden ist.
Eine Lufteinwirkung auf das Wasser ist aber unter allen Um¬
ständen nothwendig. Wenn in neuester Zeit Verfahren angegeben
sind”, die angeblich ohne eine solche brauchbare Resultate liefern,
so ist dem gegenüber bestimmt daran festzuhalten, dass bei ihnen
doch eine Lüftung, wenn auch nur in geringem Umfange, erfolgt.
Unter Betonung der hohen hygienischen Bedeutung eines brauch¬
baren und billigen Verfahrens für den Kleinbetrieb empfiehlt Vor¬
tragender das D u n b a r’sche Eisenfilterfass, von dem er ein
Modell vorführt, als allen Ansprüchen genügend.
Im Anschluss an den Vortrag bespricht Prof. Proskauer-
Berlln neuerliche Beobachtungen über das Vorkommen von Mangan
im Grundwasser.
(Schluss folgt.)
Greifswalder medicinischer Verein.
(Eigener Bericht.) '
Sitzung vom 6. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr B o n n e t. Schriftführer: Herr Busse.
1. Herr P. Grawitz: Demonstration einer grossen Hernia
duodeno-jejunalis. Als zufälliger Befund fand sich bei der
Sektion eines an Wirbelsäulenfraktur verstorbenen starken. 30 jähr.
Landarbeiters eine grosse Hernia duodeno-jejunalis. Die Bruch¬
pforte wurde von der Plica duodeno-jejunalis umgriffen, in deren
Rande die Vena meseuterica inferior durchschimmerte. In dem
enorm grossen Brucksack lag fast der ganze Dünndarm. Die
Serosa sowohl des Darmes als auch des Gekröses war durchaus
zart und durchscheinend.
2. Herr A. Martin: Demonstration zur Symphyseotomie
und zum Kaiserschnitt. Bei einer 19 jährig, wohlgebauten Erst¬
gebärenden mit mässig verengtem Becken zeigte der grosse harte
Kopf des in erster Schädellage befindlichen Kindes trotz kräftiger
Wehen keine Neigung in das Becken einzutreteu. Weder durch
Druck von oben noch auch durch die angelegte Zange gelang es,
den Kopf in das Becken hineinzubringeu. Martin versuchte
desshalb zunächst durch die Symphyseotomie die Geburt zu be¬
endigen, die Operation gelang leicht und glatt, der Kopf aber
folgte der angelegten Zange nicht in’s Becken. Angesichts der
Unmöglichkeit, das noch lebende Kind lebend per vlas naturales
zu eutwickeln, wurde jetzt der Kaiserschnitt nach Fritsch
ausgeführt und die Frau entbunden. Naht des Uterus und der
Bauchwunde, sowie des Periostes. Der glatte Heilungsverlauf
wurde nur vorübergehend durch eine Pyocyaneus-Iufektion der
Bauchwunde gestört. Die Putlcutin wurde 20 Tage im Bett ge¬
halten, dann hat sie ohne grosso Beschwerden gehen gelernt und
kann nun im Elternhause ihrer gewöhnlichen Beschäftigung ohne
Störung nachgehen. Die Patientin wird demoustrirt.
Im Anschluss an diesen Fall bespricht Martin die dem
Geburtshelfer zur Verfügung stehenden Mittel und Wege, die Ge¬
burt bei einem Missverhältnis in der Grösse zwischen Becken
und Kopf durchzuführeu. Er verweilt dabei länger bei der
Symphyseotomie und kommt zu dem Schlüsse, dass für den prak¬
tischen Arzt der Kaiserschnitt der Symphyseotomie vorzuziehen
«ei, weil diese, wie auch der vorliegende Fall beweise, nicht unter
allen Umständen zum Ziele führe.
3. Herr E. B a 11 o w i t z: Ueber Epithelabstossung am
Urmund.
Ballowitz ergänzt, und erweitert seine auf dem dies¬
jährigen Anatomenkongress'über diesen Punkt gemachten An¬
gaben. In einem sehr frühen Entwicklungsstadium der Ringel¬
natter, das durch'eine Embryonalform gekennzeichnet ist., die der
Vortragende als Falterform oder Sehmetterlingsfigur bezeichnet
hat, findet sich in dem Theil, der dem Kopf des Schmetterlings
entsprechen würde und der der (legend des Urmundes entspricht,
eine gesell wulstartige Verdickung au der Vorderlippe des Ur-
muudes. Dieser Wulst bestellt aus grossen bläschenartigen Zellen,
die offenbar dem Untergang geweiht sind. An späteren Entwick-
lungsstadien zeigt sich, dass diese von dem Epithel der Vorder¬
lippe stammenden Zellen abgestossen werden. Aeknliclie Vor¬
gänge hat, B. bei der Kreuzotter beobachtet. Hier fand er ähn¬
liche Zellwülste am Rande einer hinter dem Urmund gelegenen
Rinne, dem Metastom; die Wülste bestanden auch hier wieder
aus Detritus von Zellen, die allerdings nicht vom Epithel, son¬
dern von den hier noch nicht in Ektoderm und Mesoderm diffe-
renzirten Zellen abstammten. B. glaubt, dass durch diese Zell-
abstossung eine Anfrischung des Gewebes herbeigeführt werden
soll, durch welche der Verschluss des Urmuudes erleichtert und
beschleunigt wird. Demonstration mikroskopischer Präparate
aus sehr frühen Embryonalstadien.
4. Herr Ritter demoustrirt die mikroskopischen Präparate
eines in der chirurgischen Klinik exstirpirten Tumors der Becken¬
schaufel, wie solche als Strumametastasen beschrieben worden
sind. In der Geschwulst befinden sich eigentliüinliehe an Golloid
erinnernde Körper, die Ritter für Parasiten und zwar für die
von S j ö b r i n g auf dem letzten Chirurgen-Kongress gezeigten
Krebserreger hält.
5. Herr Rose mann: Die physiologische Bedeutung der
Gcfrierpunktsbestimmung, mit Demonstration des Beck-
man n’schen Apparates.
Medicinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Officielles Protokoll.)
Sitzung vom 16. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr Bahrdt.
Schriftführer: Herr Braun.
Herr Ri ecke demonstrirt aus der dermatolog. Uuiv.-Ivlinik
des Herrn Prof. Dr. Riehl einen Fall von Fibroma molluscum
(Virchow). Derselbe ist dadurch bemerkeuswerth, dass sich un¬
gemein zahlreiche kleinere und grössere unregelmässig begrenzte
und vertheilte Pigmentflecke von bräunlicher Farbe neben relativ
wenigen und kleinen Tumoren voründen, die im Ucbrigeu in nichts
von dem bekannten Bilde abweichen. Bezüglich der Heredität
lässt sich in diesem Falle nur feststellen, dass eine Schwester der
P. dieselben Erscheinungen auf der Haut darbietet
Herr K r ö n i g: Ueber puerperale Infektion.
Aus dem etwas weit gefassten Thema bringt K r ö ui g zwei
Fragen zur Sprache, welche vornehmlich für den Praktiker von
Bedeutung sind:
1. Die Frage der Selbstinfektion.
2. Die Frage der Therapie bei der puerperalen Infektion,
speciell bei der Infektion der puerperalen Uterushöhle.
Die Frage der Selbstinfektion hat für den Arzt aktuelles
Interesse gewonnen, weil Hof meier in Würzburg vor nicht zu
langer Zeit den Ausspruch gethan hat, dass, wenn der Arzt nicht
die bei der Geburt unter normalen Verhältnissen in der Scheide
lebenden Bacterien durch desinfioirende Scheidenspülungen un¬
schädlich zu machen sucht, er einen Kunstfehler begeht. Es er¬
scheint daher Pflicht zu sein, dass die Aerzte hierzu Stellung
nehmen, wenn von einer so autorisirten Seite aus ein derartiger
Ausspruch fällt. Da die in der Leipziger Klinik an dem dort vor¬
handenen grossen Material gewonnenen Erfahrungen in vieler
Beziehung in einem direkten Gegensatz zu den Resultaten der
II o f m e i e Fachen Klinik stehen, so wird über die dort ge¬
wonnenen Resultate berichtet.
Die Frago der Selbstinfektion zerfällt in einen bacterio-
logisehen und einen klinischen Theil. Der bacteriologische Theil
wird nur kurz berührt und das Faoit gezogen, welches bisher
durch die Untersuchungen von Menge und Krönig erzielt
ist. Es lässt sieh dasselbe folgendermaassou ausdriiekon: „Unter
den in der Scheide der Hochschwang*“reu unter normalen Ver¬
hältnissen lebenden Bacterien befindet sich nicht der für das
Puerperalfieber wichtige Streptococcus pyogenes puerperalis. nicht
der Staphyloeoecus pyogenes aureus oder das Bacterium coli.
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MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
sondern die in der Scheide der Hochschwangeren lebenden Bac-
terien sind zum grössten Theil solche, welche nur bei Sauerstoff¬
abschluss wachsen. Es ist weiter begründete Wahrscheinlichkeit
vorhanden, dass unter diesen Bacterien auch keine Fäulniss-
bacterien sind, doch ist letztere Frage vor der Hand noch in
suspenso.
Das für die Praxis wichtige Resultat dieser Untersuchungen
ist, dass die Scheidenbewohner der Hochschwangeren für das
Puerperalfieber par exccllence, d. h. für das Puerperalfieber be¬
dingt durch Streptococcus pyogenes, irrelevant und mit der
grössten Wahrscheinlichkeit auch irrelevant für das Fäulniss-
fieber im Wochenbett sind. Wir haben uns in Folge dessen auch
nicht bei der Ausübung der praktischen Geburtshilfe gegen
die Bacterien des Scheidensekretes zu schützen, sondern wir
können mit grösster Wahrscheinlichkeit vom einfachen Tou-
chiren bis zu den schwersten operativen Eingriffen, die Placentar-
lösung inbegriffen, sämmtliche Manipulationen ausführen ohne
Rücksicht auf die Bacterien des Scheidenkanals. Der Genital¬
schlauch der Frau vom Hymen aufwärts ist als aseptisch zu be¬
trachten.
Da dieser Satz bacteriologisch, wie gesagt, nicht genügend
gestützt werden konnte, mussten klinische experimentelle Unter¬
suchungen helfend eintreten.
Dank dem Interesse von Zweifel sind diese Versuche in
der Leipziger Klinik in der umfassendsten und einwaudsfreiesten
Weise durchgeführt worden, so dass heute über ein so grosses
Material verfügt wird, dass bei aller Reserve, welche uns das
Wahrscheinliehkeitscalcul bei Verwerthung statistischen Mate¬
rials auferlegt, ein therapeutisches Gesetz aus diesen Versuchen
abgeleitet werden darf.
H o f m e i e r, überzeugt davon, dass die Scheidenbewohner
der Hochschwangeren in sehr vielen Fällen Schuld tragen an
dem Fieber im Wochenbett und an der puerperalen Infektion,
verlangt kategorisch, dass vor jedem, auch dem kleinsten Eingriff
bei der Geburt eine gründliche Auswischung sowohl der Scheide
als auch des Cervicalkanals mit Sublimat erfolgt. Er leitet von
dieser Behandlung die günstigen Resultate seiner Wochenbetts¬
statistik ab.
Die Versuchsserien der Leipziger Klinik erstrecken sich jetzt
auf mehrere Tausend Geburten. Sie wurden in der Weise durch¬
geführt, dass bei jeder zweiten Gebärenden auf dem Kreisssaal
eine Desinfektion der Scheide genau nach den Vorschriften Hof-
m e i e r’s ausgeführt wurde, während bei der anderen jede
Scheidendesinfektion unterblieb. Die übrigen Verhältnisse lagen
in beiden Versuchsserien absolut gleich, so dass die Wochenbett¬
verhältnisse der Serie der Ausgespülten, verglichen mit den
während der Geburt N ich tausgespülten, direkt ein Resultat geben,
ob die H o f m e i e r’sche Scheidenspülung nothwendig ist oder
nicht. An der Hand von Tabellen wird demonstrirt, dass die
Wochenbettverhältnisse bei den Wöchnerinnen ohne präliminare
Scheidendouche mindestens ebenso gut sind, wie bei denen, bei
welchen dio Desinfektion der Scheide genau nach den Vorschrif¬
ten II o f m e i e r’s ausgeführt wurde.
Sowohl bei klinischen Geburten, als auch bei Geburten in der
Praxis darf daher auf jede Desinfektion, jede Ausspülung der
Scheide verzichtet werden. Es ist dadurch die Asepsis im Privat¬
hause eine wesentlich einfachere geworden.
Schwieriger liegt eine zweite Frage der autogenen Infektion.
Es kann eine Infektion im Wochenbett nicht bloss von der
Scheide aus erfolgen, sondern es darf als erwiesen betrachtet
werden, dass die Bacterien von der Haut der äusseren Ge-
schlechtstheile während des Frühwochenbetts in den Cervical-
kanal ein wandern und bis in die puerperale Uterushöhle auf-
steigen können. Es entsteht also die für den Praktiker ausser¬
ordentlich wichtige Frage, ob auch Fieber im Wochenbett, speciell
puerperale Infektion erfolgen kann, ohne dass der Arzt, oder die
Hebamme, oder eine sonstige geburtsleitende Person die Kreis¬
sende berührt hat. Auch hier werden ausschliesslich klinische
Versuche, weil diese den Praktiker vornehmlich interessiren, her¬
beigezogen, und zwar in erster Linie die Versuche an der Leip¬
ziger Klinik, welche als die einwandfreiesten zu betrachten sind.
Es werden die Versuche erwähnt, über welche von Scanzoni
in dem letzten Heft des Archivs für Gynäkologie berichtet hat.
Es ist nicht leicht, im klinischen Betriebe derartige Versuche
anzustellen. Ist es doch nothwendig, jede Berührung von Seiten
der geburtsleitenden Person mit Sicherheit auszuschliessen. Nur
Derjenige, welcher aus eigener Erfahrung weiss, wie schwer es
ist, vor Allem die Hebammenschülerinnen von jeder Berührung
der Kreissenden fern zu halten, wird die Mühen dieser Unter¬
suchungen abschätzen können.
Es wurde folgendermaassen vorgegangen: Eine Kreissende
wurde, wenn sie von der Strasse in den Kreisssaal trat, in ihrem,
manchmal nicht gerade reinen Hemd gelassen, es wurde weder ein
reinigendes Bad gegeben, geschweige denn eine Desinfektion der
äusseren Genitalien vorgenommen. Ein Einlauf in den Mast¬
darm wurde unterlassen, weil hierdurch die Hebamme, ohne da*
sie es vielleicht selbst merkt, mit der angrenzenden Haut der
äusseren Geschleehtstheile in Berührung kommen konnte. Nach¬
dem dann durch die äussere Untersuchung, durch die Bauch¬
decken hindurch, die Kopflage des Kindes festgestellt war, blieb
die Frau sich selbst überlassen und trieb das Kind meistens in
Seitenlage aus, natürlich so, dass kein Dammschutz gemacht
wurde. Man kann hierzu, sowohl Mehr- als Erstgebärende ver¬
wenden. Die Zahl der Dammrisse wird, ob man einen Damm¬
schutz ausführt oder nicht, im Allgemeinen nicht grösser.
Die Abnabelung des Kinde geschah in üblicher Weise, auch
jetzt mit besonderer Vorsicht, dass ja nicht die Hände der Heb¬
amme die äusseren Genitalien der Entbundenen berührten. Nach¬
dem die Geburt vorüber war, wurde die Frau in das Wochenbett¬
zimmer gebracht und um jede nachträgliche Infektion von aussen
im Frühwochenbett auszuschliessen, wurden jetzt Bettwäsche und
Hemd in Dampf sterilisirt.
Soweit cs in der Klinik möglich, ist daher jede Berührung
von Seiten der geburtsleitenden Personen ausgeschaltet.
Leider sind es nur 97 Geburten, über die bisher berichtet
ist. Die Zahl der im Wochenbett Fiebernden ist ausserordentlich
gering, sie beträgt nur 11 Proc. Da der Procentsatz der im
Wochenbett Fiebernden in der Leipziger Klinik im Allgemeinen
27 Proc. beträgt, so ist also hier entschieden ein starker Rück¬
gang in der Morbidität zu erkennen. Sämmtliche Wochenbett¬
erkrankungen waren ausserdem leichte, keine Frau hat ein länger¬
dauerndes, fieberhaftes Wochenbett durchgemacht.
Wenn man aus 97 Fällen generalisiren darf, so kann folgen¬
der Schluss gezogen werden:
1. Durch eine Nichtberührung der Gebärenden von Seiten der
Hebamme und des Arztes wird, auch wenn weder die Scheide,
noch die äusseren Geschleehtstheile desinfizirt werden, die Mor¬
bidität im Wochenbett wesentlich herabgesetzt.
2. Fieber im Wochenbett kommt auch ohne jede Berührung
von Seiten der geburtsleitenden Personen vor.
Dies letztere ist von besonderer Bedeutung, weil bei Fieber
im Wochenbett nur allzu oft in unberechtigter Weise dem Arzt
oder der Hebamme ein stummer oder lauter Vorwurf von Seiten
der Angehörigen gemacht wird.
Wie ist dies Fieber zu erklären?
Nicht jedes Fieber im Wochenbett ist auf eine puerperale
Infektion zurückzuführen. Es gibt z. B. eine fieberhafte gonor¬
rhoische Endometritis, für welche der Arzt doch kaum verantwort¬
lich gemacht werden darf. Ausserdem rufen die kleinen in-
fizirten Schrunden der Brustwarze bei stillenden Frauen leicht
Temperatursteigerungen hervor. Kr. ist auch weit davon ent¬
fernt, behaupten zu wollen, dass nicht auch durch das Empor¬
kriechen von Hautbacterien puerperale Infektion entstehen kann,
möchte allerdings diese stets leichteren Grades erachten, weil
diesen Bacterien, selbst wenn sie pathogen sind, die Virulenz mehr
oder weniger dadurch geraubt ist, dass ihnen auf der Haut der
äusseren Geschleehtstheile eine saprophytische Lebensweise auf¬
erzwungen ist.
Ergänzt werden diese Resultate durch Untersuchungen,
welche vor Kurzem aus der Breslauer Klinik von S t i c h e r mit-
getheilt sind. Hier sollte festgestellt werden, wie weit speciell
dio Hände der geburtsleitenden Person bei den Wochenbetts¬
erkrankungen betheiligt sind.
Es wurden bei einer Serie von Geburten die Hände der ge¬
burtsleitenden Person mit Friedric h’schen Gummihand¬
schuhen versehen und die Wochenbettsverhältnisse bei diesen
Kreissenden verglichen mit denen, bei welchen während der Ge¬
burt die Hände der geburtsleitenden Person nur nach Für¬
bringer desinfizirt waren; eine Methode, der heute ein wirk¬
liches Keimfreimachen der Hände nicht zuerkannt wird. Die
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1. Oktober 190L
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1591
Versuche haben ergeben, dass die Resultate durch die Benutzung
der Gummihandschuhe nicht viel besser werden.
Der Schluss, welchen S t i c h e r aus seinen Resultaten
zieht, dass die Scheidenbacterien an einer grossen Zahl von
fieberhaften Wochenbetten schuld sind, ist nach Kr. nicht be¬
rechtigt Die von S t i c h e r beobachteten Temperatursteige¬
rungen im Wochenbett haben nur gezeigt, dass leichte Fieber¬
steigerung auch Vorkommen kann, selbst dann, wenn unsere
Hände „sterilisirt“ sind, d. h. durch Ueberziehen von Gummi¬
handschuhen wirklieh keimfrei gemacht sind. Kr. möchte aus
den Resultaten von S t i c h e r gerade den umgekehrten Schluss
ziehen, dass ein neuer Beweis dafür erbracht ist, dass die
Scheidenbacterien für die puerperale Infektion gleichgilt ig sind.
8 1 i c h e r erwähnt nämlich besonders, dass bei Gebärenden, bei
welchen die Scheide nicht deeinfizirt wurde, die Wochenbetts¬
verhältnisse genau gleich gute waren, ob intra partum innerlich
untersucht war oder nicht. Sind wirklich die Bacterien des
Scbeidensekrets für eine puerperale Infektion von Bedeutung,
so kann die innerliche Untersuchung nicht belanglos sein, weil
hierdurch die Möglichkeit gegeben ist, dass durch den touchiren-
den Finger die Bacterien in höhere Theile des Genitalkanals
verschleppt werden. Die Anhänger der Lehre von der Infektions-
möglichkeit durch Scheidenbacterien sprechen sich auch logischer
Weise in diesem Sinn aus. Soz. B. Kaltenbach: „Es schau¬
dert den Kundigen, wenn er bedenkt, wie beim Touchiren, vor
Allem bei Operationen, z. B. bei Placentarlösung die Scheiden¬
bacterien von der Hand des Geburtshelfers in die Uterusinnen¬
fläche hereingerieben werden. Nur so lange die Bacterien der
Scheide nicht von der touchirenden Hand in höhere Theile des
Genitalkanals verschleppt werden, können sie für den Wochen¬
bettsverlauf gleichgiltig sein, weil sie mit dem Fruchtwasser oder
der Post partum-Blutung nach aussen zu mechanisch fortge¬
schwemmt werden“.
Besteht also die Ansicht zu Recht, dass die Scheide der
Schwangeren häufig infektiöse Bacterien enthält, so muss durch
den Akt des Touchirens bei nicht desinfizirter Scheide der
Wochenbettsverlauf imgünstig beeinflusst werden. Die Versuche
S t i c h e r’s haben gerade das Gegentheil erwiesen. Bei den
Versuchen der Leipziger Klinik bestand bisher immer noch ein
gewisser Procentsatz zu Ungunsten der Touchirten, weil man
damals noch nicht in der Lage ,war, die Hände wirklich keimfrei
zu machen, aber schon in seiner ersten Arbeit erklärte Kr., dass
unter allen Umständen, wenn die Asepsis des Scheidenkanals zu
Becht besteht, die Wochenbettverhältnisse bei den Touchirten
und bei den Nichttouchirten vollständig gleich sein müssen, eine
sichere Asepsis der untersuchenden Hände vorausgesetzt.
Durch die schönen Untersuchungen der Breslauer Klinik ist
jetzt diese Annahme voll bestätigt. Durch die Friedriclo¬
schen Gummihandschuhe werden die Hände wirklich keimfrei
gemacht und daher sind die Wochenbettsverhältnisse bei
S t i c h e r bei den untersuchten und nichtuntersuchten Gebären¬
den vollständig die gleichen.
Kr. geht nach Anführung dieser wesentlich praktischen Re¬
sultate, welche die umfassenden Untersuchungen über Selbst-
infektion in den letzten Jahren ergeben haben, zur Besprechung
der Therapie der puerperalen Endometritis über.
Er greift speciell diese heraus, weil es heute als feststehend
angenommen werden muss, dass die schweren Wochenbetts¬
erkrankungen selten von infizirten Scheidenrissen, von infizir-
ten Dammrissen oder von Cervixrissen ausgehen, sondern dass
die schweren und tödtlichen Infektionen ihren primären In¬
fektionsherd mit einer gewissen Gleichmässigkeit in dem in¬
fizirten Endometrium, speciell der infizirten Placentarstelle
haben. Von hier aus geht viel häufiger, als von anderen Stellen
des Genitalkanals der Frau der Transport der Infektionserreger,
»ei es auf der Lymph-, sei es auf der Blutbahn in den Organismus
von Statten. Will man also einer gefährlichen Ausbreitung
der spezifischen Krankheitserreger im gesammten Organismus
Vorbeugen, so muss man sich der Behandlung der primären Tn -
fektionsstelle, also des infizirten Endometriums zuwenden.
Vor Allem auf die warme Empfehlung von Fritsch hin
wurde zur Behandlung der puerperalen Endometritis die Aus¬
spülung der Uterushöhle mit den verschiedensten Desinfektions¬
mitteln vorgenommen. Verdünntes Sublimat, Lysol, neuerdings
Alkohol, selbst bis zu Dosen angewendet, dass die betreffende
Wöchnerin durch Aufnahme des Alkohols von der Uterusinnen¬
fläche leicht benommen wurde, sind angewendet worden.
Wenn man die begeisterten Berichte aus manchen Kliniken
liest, in welchen vor Allem betont wird, dass nach einmaliger
Spülung die Temperatursteigerung entweder sofort oder an einem
der nächsten Tage zur Norm abgefallen ist, so sollte man es fast
für gewagt halten, diese Therapie noch kritisch zu beleuchten.
Die grossen Erfahrungen der Leipziger Klinik haben aber ge¬
zeigt, dass, wenn man bei den verschiedenen Formen der puer¬
peralen Endometritis exspectativ behandelt, in den meisten Fällen
das Fieber ebenfalls oft an einem oder in wenigen Tagen wieder
zur Norm zurückkehrt.
Weiter haben bakteriologische Untersuchungen gezeigt, dass,
wenn z. B. bei der Endometritis streptococcica der Uterus mit
vielen Litern Desinfektionsflüssigkeit durchgespült wird, schon
nach wenigen Stunden die Entnahme der Lochien aus dem Uterus
ergibt, dass eine merkliche Abnahme keimfähiger Bacterien
nicht stattgefunden hat.
Die klinische Beobachtung hat schliesslich immer mehr die
Ueberzeugung gebracht, dass sowohl bei der septischen, als auch
bei der saprischen Form der Endometritis die Uterusspülung eher
schädlich wirkt. Das Fäulnissfieber im Wochenbett mit den
stinkenden Lochienmassen legt dem Arzt allerdings den Wunsch
nahe, die Fäulniss durch desinfizirende Spülungen wegzuschaffen.
Doch ist nach unserer Ueberzeugung auch hier die Ausspülung
nur schädlich.
Von sonstigen Behandlungen der Endometritis beschränkt
sich Kr. darauf, vor Allem die Darreichung des Secale cornutum
innerlich zu empfehlen, um durch Verengerung der Lymph-
bahnen im Myometrium den Infektionsherd zu beschränken.
Vermag man den Infektionsherd auf das Endometrium zu lokali-
siren, so hat man Genügendes erreicht, denn an der Endometritis
allein stirbt nach der Erfahrung nur ausserordentlich selten eine
Wöchnerin.
Es werden noch die Versuche berührt, welche darauf hinaus¬
gehen, bei Streptococceninfektion die specifischen Giftprodukte
im Organismus durch Darreichung eines Antidots, des Anti-
streptococoenserums, unschädlich zu machen, und schliesslich die
Versuche Crede’s durch Incorporation von Silbersalzen die Ge-
webseäfte selbst entwicklungshemmend zu machen.
Dank der Initiative Z w e i f e l’s sind beide therapeutischen
Maassnahmen in der Leipziger Klinik geprüft. Das Mar¬
more k’sche Streptococcenheilserum bat einen durchschlagenden
Erfolg nicht gehabt, aber es aus dem therapeutischen Rüstzeug
einfach zu streichen, wie es Manche gethan haben, erscheint
mindestens verfrüht.
Die C r e d 6‘sche Silberbehandlung entbehrt vorläufig der
wissenschaftlichen Begründung. Die Versuche von Behring
und vielen Anderen haben gezeigt, dass es nicht möglich ist,
selbst durch Incorporation hoher Dosen von Quecksilber- oder
Silbersalzen die Entwicklung eingeführter, infektiöser Bacterien
im empfänglichen Thierkörper hintenan zu halten. Die kli¬
nischen Erfahrungen sind für heute noch zu gering, um ein ab¬
schliessendes Urtheil zu gestatten.
Auch die Versuche, durch Ausschneidung des infizirten
Uterus die Infektion zu coupiren, sind vor der Hand noch nicht
in ihren Resultaten spruchreif. Die Erfahrungen sind gering,
und zwar desshalb so gering, weil es so schwer ist, die strikte
Indikation zu einem so folgenschweren Eingriff zu stellen.
K r ö n i g hält, wenn auch bisher die grösste Zahl der operirten
Frauen gestorben ist, für manche Fälle diesen Weg sicherlich
nicht für aussichtslos. . .
Herr Kollmann demonstrlrte 1. zunächst ein von ihm
angegebenes dreitheüiges Intraurethrotom. Es ist nach dem¬
selben Prinzip konstrnlrt, wie das von ihm früher angegebene
zweitbeilige Intraurethrotom (vergL Nltze-Oberländer’sches
Centralbl.. 10. Band, Heft 3, März 1899), also mit zwei verschieb¬
baren Knüpfen versehen, vermittels deren man die Strikter peripher
und central elnstellt, um sie dann im dilatirten Zustande zwischen
diesen zwei Knöpfen mit einem vorher ln einem der Knüpfe ver¬
borgenen Messer zu durchschnelden. Die an dem Instrument hier¬
für vorhandene Einrichtung kann in bequemer Weise entfernt und
dasselbe dann zu gewöhnlichen Dehnungen resp. Spüldehnungen
benutzt werden. Die ausführliche Beschreibung des von C. G.
Heynemaun ln Leipzig angefertigten Instrumentes wird fn der
nächsten Zeit im Nltze-Oberländer’scben Centralblatt erfolgen.
K. legte dann der Gesellschaft einen acbttbeiligen
vorderen Dehner — für Anwendung mit GummlOberzug be¬
stimmt — vor, den er bereits seit mehreren Jahren vielfach In
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1592
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Benutzung hat. Der nchtthelltge Dehner kommt in seiner Wir¬
kung der soliden cylindrischen Metallsonde schon sehr nahe. Mit
diesem achtthelllgen Dehner ist wohl das geleistet, was seitens
des Instrumentenmachers ln diesem Fache überhaupt geleistet
werden kann; es ist kaum wahrscheinlich, dass es möglich sein
wird, ein Instrument herzustellen, welches noch mehr Branchen
als dieses aufzuweisen hat Kleine Mängel ln der Konstruktion
die.in der ersten Zeit seiner Anfertigung noch vorhanden waren
— bei der kompllzirten Bauart desselben Ist dies erklärlich —,
sind bei fortschreitender technischer Erfahrung inzwischen dem
Anschein nach dauernd beseitigt worden. Der achtthelllge Dehner
stammt aus der mechanischen Werkstatt der Herren Louis und
H. Löwenstein in Berlin.
Herr Kollmann berichtet dann 2. über seine weiteren
Erfahrungen auf dem Gebiete der Blasengeschwülste. Zu den
15 Fällen, über die er März 1900 an demselben Orte referirte (s.
Münch, med. Wochenschr. No. 17, 24. April 1900, sowie Sitzungs¬
berichte der Medicinischen Gesellschaft zu Leipzig), sind in¬
zwischen noch 5 weitere Fälle gekommen, und zwar 3 maligner
und 2 gutartiger Natur (Papillome). Im Ganzen hat K. bisher
etwa 80 erfolgreiche endovesikale Sitzungen nach der N i t z e -
sehen Methode vorgenommen. Die relativ grosse Anzahl derselben
erklärt sich aus dem Umstande, dass einige Male Tumoren vor¬
handen waren, die wegen ihres beträchtlichen Umfanges sich
absolut nicht in einigen wenigen Sitzungen ganz entfernen
Hessen. Dass bei dem Vorhandensein von malignen Tumoren die
intravesikale Abtragung nach N i t z e in der Hauptsache nur
zum Zwecke einer sicheren mikroskopischen Diagnosenstellung
geschieht, braucht eigentlich kaum besonders erwähnt zu werden;
Niemand wird sich einbilden, dass er damit auch therapeutische
Erfolge von Belang erzielen wird. Steht man einem Falle von
malignem Tumor gegenüber, welcher noch auf chirurgische Weise
operationsfähig erscheint, so soll man vielmehr nach Sicher¬
stellung der Diagnose die Sectio alta nicht verschieben. Die
relativ günstigste Prognose liefern dabei die Fälle, wo die obere
Hälfte der Blasenwand in nicht zu ausgedehnter Weise ergriffen
ist; in Fällen mit ausgedehnter Erkrankung des Blasenbodens
wird man ohne Totalexstirpation des gesammten Organes kaum
auf ein befriedigendes Resultate rechnen können.
Zur weiteren Veranschaulichung des Gesagten demonstrirte
K. eine Anzahl von exstirpirten Tumoren und Tumortheilen
makroskopisch und in mikroskopischen Schnitten.
Zum Schluss zeigte Herr Kollmann 3. einen 10cm langen
Gummischlauch, den er einige Tage zuvor per vias naturales aus
der Blase eines Jungen Mannes entfernt hatte. Der betr. Fremd¬
körper bildete den vorderen Theil eines als Irrigator für das Ohr
bestimmten Apparates, welchen der Patient seinen Angaben zu
Folge als Tripperspritze resp. als Katheter benutzt hatte zur Zelt,
als er — einige Monate nach einer gonorrhoischen Infektion —
einmal nur besonders mühsam zu urlnlren vermochte. Als K.
den Patienten sah, sass der Fremdkörper in der Harnröhre und
zwar mit seinem peripheren Ende etwa in der Mitte der Pars
anterior; bei den Versuchen, Ihn unter Leitung des Auges urethro-
s.koplsch ohne Verletzung der Mucosa zu fassen, rutschte er aber
beständig weiter nach hinten, bis er zuletzt dem Blick überhaupt
entschwand. Die Urethroskopie lieferte nur Im Anfang deutliche
Bilder; später war wegen Blutung nur noch wenig zu sehen.
Hiernach wurde die gesamrnte Form des Fremdkörpers und dessen
Lage in der Blase cystoskopiscli genau ermittelt, wonach seine
Entfernung von dort mit Hilfe eines löffelförmigen Lithotriptors
schnell und ln leichter Welse erfolgte.
Das Besondere an dem Falle liegt ln dem Umstand, dass,
den Angaben des Patienten zu Folge, der Schlauch ein volles
halbes Jahr In der Harnröhre gelegen hat, ohne dass dadurch
eine besondere Belästigung entstanden Ist.
Ob die in der Pars pendula fühlbare Verdickung des Corpus
cavernosum urethrae hierauf zu beziehen war, oder ausschliesslich
auf die vorausgegangene gonorrhoische Infektion, liess sich nicht
mit Bestimmtheit entscheiden. Eine vor der Extraktion kon-
stntirte katarrhalische Entzündung der vorderen Harnröhre, die
sich unter anderem ln geringem Ausfluss und in leicht diffus
trübem Urin kennzeichnete, schwand nach dieser sehr bald und
schon nach etwa einer Woche zeigte der Urin nicht die geringste
diffuse Trübung mehr. Das befremdliche schnelle Rüekwflrts-
gleiten des Schlauches während des ersten Thelles der Extraktions¬
versuche erklärte sich später durch die genaue Besichtigung des¬
selben. Der Schlauch war von stark konischer Form. Peripher,
wo er ganz offen war, hatte er ein weites Kaliber, gegen das
nach der Blase zu gerichtete Ende hin verjüngte er sich aber be¬
trächtlich; in der Mitte der Spitze hatte er nur ein kleines Loch.
An seiner Oberfläche zeigte er sich — besonders nnch dem peri¬
pheren dickeren Thelle zu — allenthalben mit Inkrustationen be¬
deckt. wodurch seine Konsistenz selbstverständlich vergrössert
wurde.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 20. Juni 1901.
Vorsitzender: Herr Carl Koch.
1. Herr Neuberger demonstrirt:
a) einen Fall von Lupus erythematosus discoides;
b) ein Mädchen mit wahrscheinlich artefact entstandenen
gangraenösen Stellen au beiden Gesichtshälften.
2. Herr Carl Koch demonstrirt das bereits früher von Herrn
Hofrath Dr. C n o p f vorgeführte Kind mit offenem Meckel-
schen Divertikel. Es ist inzwischen durch Operation geheilt
worden. Die Operation wurde ln der Weise ausgeführt, dass zu¬
nächst der Nabel Umschnitten und das Peritoneum geöffnet
wurde. Darnach wurde am Divertikel der Darm hervorgezogen,
das Divertikel abgebunden und abgeschnitten, sein Stumpf ein¬
gestülpt und Ubernäht Hierauf wurde die Darmschlinge wieder
versenkt und die Bauchwunde geschlossen. Die Heilung erfolgte
ohne Jede Störung. Bemerkenswert)! an dem Falle ist, dass der
intraabdominell gelegene Theil des Divertikels verhältnissmässig
kurz war, aber ziemlich breit trichterförmig in’s Ileum einmündete.
3. Herr Carl Koch berichtet über zwei vou Ihm in der letzten
Zeit beobachtet Fälle von Vaccineinfektion bei der Impfung, ln
dem einen handelte es sich um eine Autoinfektion bei einem
2 Jährigen Kinde, das durch Kratzen vom geimpften Arm aus im
Gesicht und an den Fingern sich Vacciuepusteln zuzog; in dem
anderen um eine Uebertragung des Giftes vom Impfling
aus auf dessen Mutter, bei welcher an der Nase und Wange Pusteln
zur Entwicklung kamen. In beiden Fällen war die Erkrankung
eine ziemlich schwere, insbesondere bei dem ersten, in welchem sie
eine sehr grosse Ausdehnung annahm. (Demonstration der Photo¬
graphie.) Beide Male aber erfolgte Heilung.
Die Krankengeschichte des ersten Falles Ist folgende:
A. Andreas, 2 Jahre alt, Gastwirthskind, hatte seit der Gebnrt
vielfach an Ausschlägen und Furunkeln unter beiden Achseln,
am linken Arm und an der rechten Schulter zu leiden. Deswegen
wurde es im vorigen Jahre von der Impfung zurückgestellt und
erst heuer am linken Anne geimpft, da rechts der Ausschlag noch
nicht vollständig geheilt war. DIE Impfung fand vor 10 Tagen
statt. Bei der Impfschau am 29. Mai wurde ein kleiner rother
Fleck über dem rechten Ohre bemerkt, aus dem sich ln den fol¬
genden Tagen rasch der jetzige Zustand Entwickelte. Die Impf¬
pusteln am Arm haben sich gut ausgebildet. Das Kind hat in
den letzten 2 Tagen Fieber gehabt und ist sehr unruhig gewesen.
Seit gestern Brechdurchfall.
Stat. praes. (1. Juni 1901): Temp. 39.5. Rechte Gesichts¬
hälfte stark geschwollen. Haut glänzend und geröthet, heiss sieh
anfühlend. Das Auge stark versehwollen. Zahlreiche Kratzeffekte
und ausserdem vereinzelt merkwürdig pustelartige Gebilde, die
stark an Impfpusteln erinnern. Sie sind etwa linsengross, von
gelblich-welsser Farbe. Uber das Niveau der Haut erhaben und
zeigen eine charakteristische kleine Delle an der Oberfläche. Die
Röthung der Haut hört in der Mitte der Wange, sowie nach rück¬
wärts am Nacken mit ziemlich scharfer Grenze auf. Das rechte
Ohr sehr stark geschwollen, in gleicher Welse die Gegend nach
hinten und oben vom Ohrensitz. Die Schwellung mit einer schmie¬
rigen weisslich-grauen Masse bedeckt, die sich zum Theil auf die
inneren Partien der Ohrmuschel fortsetzt Hier am Helix eine
pfennigstückgrosse gangraenöse Partie. Betrachtet man die ver¬
färbte Schwellung hinter dem Ohre genauer, so erkennt man, dass
dieselbe aus ähnlichen Gebilden besteht, wie die vereinzelten auf
der Wange; nur stehen die pustelartigen Gebilde so dicht dass
sie theilweise confluiren und so die Oberfläche ein wabenartiges
Aussehen gewinnt. Am Rand der retroaurikulären Schwellung
stehen zahlreiche einzelne Pusteln und man kann hier das Con¬
fluiren mancher derselben genau verfolgen. Dadurch dass die
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1593
1. Oktober 1901.
*
Epidermis vielfach macerirt ist, sieht die ganze Oberfläche so ver¬
schmiert aus. Die Lymphdrüsen unterhalb des rechten Kiefer¬
winkels zu grossem Packet angeschwollen. Am linken Nasen¬
flügel, sowie an beiden Zeigefingern und am linken Daumen je
eine Pustel. Die Impfpusteln am linken Arm alle gut entwickelt.
Unter feuchten Verbänden mit essigsaurer Thonerdelösung
und unter FlxLrung der Arme, welche ein weiteres Verschmieren
des Giftes verhinderte, kam es allmählich zur Abheilung der schwer
affizirten Gesichtshälfte. Am 14. Juli wurde das Kind geheilt ent¬
lassen. Die erkrankten Partien des Gesichtes wiesen noch rotbe
Flecke, aber keine eigentliche Narbcnbildung auf.
Die Krankengeschichte des 2. Falles ist folgende:
Frau W., 40 Jahre alt, erkrankte am 28. Mai, nachdem ihr
Kind 10 Tage zuvor mit Erfolg geimpft worden war. Es zeigte
sich bei ihr zueret am Uebergauge der Oberlippe in’s linke Nasen¬
loch ein kreisrundes etwa erbsengrosses Bläschen, das sie auf¬
kratzte. Darnach entstand eine erhebliche Anschwellung und
Röthung an der Oberlippe und dem Naseneingang.
Stat. praes.: Magere Frau, fühlt sich sehr elend. Die
Oberlippe am linken Naseneingange, sowie auch der Nasenflügel
beträchtlich geröthet und geschwollen. Ungefähr im Centrum
dieses Infiltrates ist die Epidermis macerirt und in eine schmierige
weissgraue Masse umgewandelt. An der linken Wange mehrere
Centimeter von dem geschilderten Infiltrate entfernt zwei isollrt
stehende, etwas über linsengrosse und Uber, das Niveau der ge-
rütheten Haut hervorragende, mit einer kleinen Delle versehene
Pusteln, die an Impfpusteln erinnern. Lymphdrüseu ln der Sub-
maxlllargegend geschwollen und schmerzhaft. Am 21. Juni war die
Affektion geheilt. Der Verlauf war ganz dem der Entwicklung
und Rückbildung von Impfblattern entsprechend.
In der Dlscussion bespricht Herr Cnopf sen. die von
Dr. B. D 1 e 11 e r im Jahre 1893 gegebene Mittheilung über 3 Fälle
von generallsirter Vaccine. Da die Beobachtung ergeben hat,
1. dass die Verschlimmerung des Ekzems bereits wenige Tage nach
der Möglichkeit der Infektion mit Vaccine eintreten kann, 2. dass
der Verlauf der entstandenen vaccineartigen Pusteln, wie auch
deren Heilung ohne Narbenbildung der richtigen Vaccine nicht
entspricht, 3. dass das Ekzem bei geimpften, wie nicht geimpften
Kindern in gleicher Weise von einem vacciuirten Kinde beein¬
flusst werden kann, 4. dass das Ueberstehen einer auf diese Weise
hervorgerufenen generalisirten Vaccine eine Schutzkraft nicht
gewährt, so ist Cnopf der Ansicht, dass unter dem Einfluss
vaccinirter Kinder auf ekzematös erkrankter Haut sich nicht ein
spezifisch vacclnöses, sondern nur hoch virulentes, septisches
Sekret bilde, das sowohl dem ekzematös erkrankten Kind, wie
seiner Umgebung Gefahr bringe.
Sitzung vom 4. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr Carl Koch.
1. Herr Goldschmidt theilt den I.Jahresbericht der Heil¬
stätte Engelthal mit unter besonderer Berücksichtigung der Pro¬
phylaxe der Tuberkulose.
Verschiedenes.
Ein neuer Korsetersatz und eine neue Leibbinde
werden von W 111 h a u e r - Halle a. S. empfohlen (Tlier. Monats¬
hefte 1901, No. 5). Der Korsetersatz „Johanna“, ist von Frau
Johanna Nähsmann In Braunschweig erfunden worden und
wird von der Firma von der Linde in Hannover ln den
Handel gebracht. Derselbe entbehrt jeder Steife und besteht
einfach aus Gurten, die sich meist rechtwinklig' kreuzen und
grösstenthells elastisch sind. Die Brüste ruhen in faltigen mieder
artigen Lätzen und werden durch Schultertragbänder nach oben
gehalten. An den unteren Gurtenbäuderu sind ringsum Knöpfe
angebracht zum Anknöpfen der Beinkleider.
Im Anschluss an diesen Korsetersatz hat W. eine Leibbinde
anfertigen lassen, von der er hofft, dass sie das Ei des Columbus
darstellt. Das Vordertheil der Binde wird durch einen heraus¬
nehmbaren Celluloidstab gesteift; denselben kann man in heissem
Wasser nach der Rundung Jeden Leibes zurecht biegen. Ausser¬
dem hat der Bauchtheil sowohl oben wie unten je 4 keilförmige
bis Uber die Mitte der Binde reichende Ausschnitte, die, mit einer
Verschnürung versehen, es ermöglichen, dass die Binde sich jeder
Rundung des Leibes glatt anschmiegt. Statt der Sclieukelriemen
sind vorn am unteren Rande Strumpfhalter angebracht.
Die Binde wird ebenfalls bei von der L 1 n d e - Hannover
angefertlgt und kostet etwa 12 M- Kr.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 116. Blatt der Galerie bei: Alwin
v. Coler. Nekrolog siehe S. 1572.
Therapeutische Notizen.
Das Extractum Pichl-Pichl fluldum Ist jetzt
auch, wie Martin Friedländer mittheilt, in Tablettenform zu
haben (Therap. Monatsh. 9, 1901). Dieselben werden von dem
Apotheker Dr. A. L e w y ln Berlin unter dem Namen Urosteril-
tabletten ln den Handel gebracht. No. I besteht nur aus dem
Extrakt, No. II hat noch einen Zusatz von Salol und Tannin. Von
ereteren nimmt man 3—4 Stück im Tage nach dem Essen, von
No. II 6—10 Stück. Bewährt haben sich die Tabletten zumal bei
der Gonorrhoe. Kr.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 1. Oktober 1801.
— Der 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte,
die in der vorigen Woche in Hamburg abgehalten wurde, gebührt
ein Ehrenplatz in der Reihe deriNuiurlorscherversuuimlungeu. Nicht
nur wegen ihres glanzenden, durch das Zusammeuwirken aller
nur möglichen günstigen Umstände gehobenen, äusseren Verlaufs,
sondern vor Allem wegen ihres wissenschaftlichen Inhalts. Man
hat in Hamburg zum ersten Mal Ernst gemacht mit der Verwirk¬
lichung der scüon länger bestehenden Bestrebungen, den allge¬
meinen Sitzungen wiener grössere Bedeutung zu geben durch die
Erörterung wichtiger, alle Zweige der Naturwissenschaften gleich-
massig interesslreuden Fragen uurch berufene Redner und m den
Sektionen der zunehmenden Speciallslrung entgegen zu arbeiten
durch Verminderung der Zahl der Abtheiiuugeu und durch Ver¬
legung des Schwerpunkts ihrer Arbeiten in die kombinirteu Sitz¬
ungen. Der Enolg des Versuchs ist unbestritten. Dank der glück¬
lichen und vers uinüuias vollen Auswahl der Vortrugsiheiuata
gaben die allgemeinen Sitzungen, besonders aber die gemeinsame
Sitzung der naturwissenschaftlichen und der mediciulscheu llaupt-
gruppe, in der die neuen Theorien der physikalischen (Jhemie und
inre Anwendung auf die Mediciu erörtert wurden, eine Fülle der
Anregung und Belehrung. Was der Versammlung ferner sehr
zu Siatten kam, ist die Vorzüglichkeit und AtuumgiaitigKuit der
wissenschaftlichen Institute und hygienischen Einrichtungen
Hamburgs. Wuhrend sonst Nicht-Univenmaissiadte lu dieser Be¬
ziehung den Uulversitäten gegenüber lin Nuchtheii sind, wird in
Hamburg der Mangel einer Universität nicht fühlbar. In den
That, Hamburg besitzt die Einrichtungen und die Lehrkräfte, um
eine Universität uuszurusteu, uaüezu vollständig, und es bedurrte
nur des Willens, Universität zu sein, und die 21. Alma mater
des deutschen Reiches wäre fertig. So wenig wohl im Uebngeu
ein Bedürfnis nach Vermehrung der Universitäten besteht, dass
das herrliche Material Hamburgs dem akademischen Unterricht
verschlossen bleibt, Ist bedauerlich. Vielleicht wird das anders
sein, wenn einmal nach aber fünfundzwanzig Jahren die Natur-
forseherversammlung ihr Heim wieder in Hamburg aufschlägt
Vorzüglich ,wie die Vorbereitung der Arbeiten der Versammlung,
war die Vorbereitung auch in jeder anderen Hinsicht. Die Aus¬
schüsse hatten alle musterhaft gearbeitet, und der der Geschäfts¬
führung am Schlüsse vom Vorsitzenden, Prof. R. Hertwig-
Müncheu, ausgesprochene Dank war wohlverdient. Die festliche
Stimmung, die schon am ersten Tage das reizvolle Bild Hamburgs,
dieser Perle der deutschen Städte, in den Besuchern geweckt hatte,
hielt die ganze Woche hindurch unvermindert an, ja sie steigerte sich
noch unter dem Einflüsse der vielen schönen Eindrücke, die die
Stadt und ihre liebenswürdigen, gastfreien Bewohner ihren Gästen
täglich bereiteten. So wird kein Theilnehmer der 73. Natur¬
forscherversammlung Hamburg verlassen haben, ohne einen
Schatz neuer werthvoller Kenntnisse und Anregungen und freund¬
licher Erinnerungen mit sich zu nehmen. — Die Versammlung war
von der ungewöhnlich grossen Zahl von ca. 3500 Thellnehmern und
1100 Damen besucht. Als Ort der nächstjährigen Versammlung
wurde Karlsbad gewählt
— Bei Gelegenheit der diesjährigen Naturforscherversammlung
hat sieh eine deutsche Gesellschaft für ortho¬
pädische Chirurgie coustituirt. Zu Mitgliedern eines
Organisatiouscomitös wurden die Herren Geh.-Rath Mikulicz-
Breslau, Geh.-Rath J. W o 1 f f - Berlin, Dr. Höftmann - Königs¬
berg, Prof. Dr. H o f f a - Würzburg, Prof. Dr. Lorenz- Wipu,
Priv.-Doc. Dr. JoachimBthal - Berlin und Dr. Schanz-
Dresden gewählt
— Der Konflikt des Aerztllchen Bezirksvereins Bamberg mit
der dortigen allgemeinen Ortkrankenkasse ist Jetzt zum definitiven
Abschluss gekommen dadurch, dass die ausserordentliche General¬
versammlung der Kasse vom 21. September den npuen Vertrag
mit dem ärztlichen Bezirksverein genehmigte. Der neue Vertrag
hat gegen den bisherigen besonders in folgenden wichtigen Punk¬
ten eine Aenderung gefunden: 1. Die Behandlung der Kassen-
raitglieder geschieht ausschliesslich durch die Mitglieder
.des ärztlichen Bezirksvereins und die von ihm nomlnlrten appro-
birten Zahnärzte. 2. Das Durchschnlttshouorar pro Kopf und
Jahr wird von M. 2,75 auf M. 3.— erhöht. 3. Es wird eine Ver¬
trauenskommission, bestehend aus 2 Aerzten und 2 Kasse¬
vorstandsmitgliedern eingeführt. Bezüglich der Anfrage, wie sich
der Bezirksverein zur Aufnahme neu sich niederlassender appro-
birter Aerzte (also auch approblrter ,,Naturheil“ärzte) verhalten
würde, wurde auf die im § 12 d. K. A. V. vom 4. Juli 1895, Bildung
vou Aerztekammem und ärztlichen Bezirksvereinen betr., ange¬
führten Ausschliessungsgründe verwiesen. Damit ist der durch
die Umtriebe des „Naturheilvereins" heraufbeschworene Konflikt
glücklich beigelegt. Die Aerzte Bambergs haben. Dank ihrem eln-
müthlgen und festen Zusammenhalten, gewiss keinen Grund, sich
Uber den Ausgang des Konflikts zu beklagen.
— Die X. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen
Bäderverbande8 findet vom 6.—9. Oktober 1. J. in Kolberg statt
— Pest. Türkei. Am 15. September wurde ein tödtlich
verlaufener Pestfall in Skutari festgestellt. .— Aegypten. Vom
6. bis 12. September wurden in ganz Aegypten 11 Erkrankungen
(und 6 Todesfälle) an der Pest festgestelit. — Britlscb-Ostlndien.
Während der am 23. August abgelaufenen Woche sind in der
Präsidentschaft Bombay 4288 neue Erkrankungen und 3037 Todes¬
fälle an der Pest festgesteiit, also 454 beew. 170 mehr als in der
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1594
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
Woche vorher. In der Stadt Bombay sind in der am 24.' August
endenden Berichtswoehe 206 Personen an der Pest erkrankt und
ebenso viele erweislich an der Pest gestorben. Einschliesslich der
,nls pestverdächtig bezeichnten Todesfälle sind daselbst In der
letzten Berichtswoche 404 Pesttodesfälle verzeichnet In Kal¬
kutta erkrankten ln der Zeit vom 11. bis 17. August 23 Per¬
sonen an Pest und starben 20. — Japan. Auf Formosa
waren seit Beginn dieses Jahres bis zum 20. Juli 4228 Er¬
krankungen und 3348 Todesfälle an der Pest zur Kenntniss
der japanischen Behörden gelangt; unter den von der Epi¬
demie Ergriffenen waren etwa 210, unter den Verstorbenen 105
Japaner; Europäer waren bis dahin nicht betroffen. Im Juli zeigte
sich eine Abnahme der Seuche, denn, während im Juni durch¬
schnittlich 40 Neuerkrankungen und 34 Todesfälle täglich vorge¬
kommen waren, belief sich die Zahl der täglichen Erkrankungen
vom 1. bis zum 20. Juli auf etwa 14, die der Todesfälle auf 13.
Am stärksten war die Seuche Mitte Juli noch ln Taipeh und den
umliegenden Ortschaften, besonders in Twatutia verbreitet. —
Kapland. Während der Woche vom 18. bis 24/ August hat die
Pestepidemie anscheinend zugenommen. In Port Elizabeth wurden
8 Personen, darunter 1 Europäer, dem Pesthospital überwiesen,
3 starben hier an der Pest, ausserdem wurden 2 Pestleichen,
darunter die eines Europäers, aufgefunden; auf der Kaphalbinsel
wurde 1 Pestleiche gefunden. V. d. K. G.-A.
— In der 87. Jahreswoche, vom 8. bis 14. September 1901,
hatten von deutschen Städten Uber 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Bonn mit 34,4, die geringste Kottbus mit 2,6 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen; an Masern in Elber¬
feld, G lei witz.
(Hochschulnachrlchtcn.)
Berlin. Dr. Friedrich P 1 e h n, Lehrer für Tropenhygiene
am orientalischen Seminar zu Berlin, wurde zum Professor er¬
nannt. Der bisherige Assistent bei der praktischen Unterrlchts-
anstalt für Saatsarzueikünde au der hiesigen Universität, Dr.
Ernst Zl e m k e, ist zum ausserordentlichen Professor in der medl-
cinischen Fakultät der Universität Halle ernannt worden.
Marburg. Der ausserordentliche Professor der Hygiene
Dr. Heinrich B o n h o f f wurde zum ordentlichen Professor er¬
nannt. (Marburg, wo ausserdem Behring eine Professur für
Hygiene inaehat, besitzt hiermit zwei ord. Professuren für
Hygiene.)
Rostock. Bei dem am 30. September an der Universität
Rostock beginnenden Aerztekurs treten als Docenten an die Stelle
der Herren Graser und A x e n f e 1 d die neu berufenen Herren,
Prof. Müller (Chirurgie) und Prof. Peters (Augenheilkunde).
Brooklyn. Dr. W. S. S i m m o n s wurde zum a. o. Pro¬
fessor der Anatomie am Long Island College Hospital ernannt.
Caracas. Dr. J. de Vlllegas Ruiz wurde zum Pro¬
fessor der medicinlschen Klinik und der pathologischen Anatomie
ernannt.
Chicago. Dr. L. Blake B a 1 d w i n wurde zum Professor
der Dermatologie am College of Physicians and Surgeons ernannt
Padua. Der Privatdocent an der medicinlschen Fakultät
zu Rom, Dr. M. Ponticaccia, babllitirte sich für Pädiatrie.
Philadelphia. Dr. Th. R. Neilsou wurde zum a. o.
Professor der Krankheiten der Harn- und Sezualorgane ernannt.
Rom. Habllitirt: Dr. T. G u ad 1 für Experimental-Hygiene
und Sanitätspolioel.
Siena: Habllitirt: Dr. A. A n d r u c I für operative Medlcln,
Dr. E. M o d i g 1 i a n o f ür Pädiatrie.
Stockholm. Dr. J. E. Johansson wurde zum Professor
der Physiologie ernannt
Turin. Habllitirt: Dr. R. C a 1 v i n 1 für Chirurgie und
operative Medicin.
(Todesfälle.)
Der Privatdocent für Hydrotherapie an der Zürieher Uni¬
versität, Dr. med. Max Freud weller, der sich erst im vorigen
Jahre habllitirt hatte, ist im 30. Lebensjahre gestorben. Er war
zugleich Assistenzarzt für Hydrotherapie und physikalische
Heilmethoden an der medicinlschen Klinik ln Zürich.
In Zürich starb der Professor der gerichtlichen Medicin
Dr. Hans v. W y s s lin 55. Lcliensjahr.
(Berichtigung.) In No. 38, S. 1483 (Hölscher: Ueber
die Differenz der histologischen Wirkung etc.) ist in Sp. 2, Z. 31
von oben zu lesen: „nie in Leukocyten“ statt „nur in Leukocyten“.
Das Referat Neumann’s in No. 39, S. 1545 betrifft nicht das
Centralbl. f. Bakteriologie, sondern die „Zeitschrift für Hygiene
und Infektionskrankheiten“, Bd. 38, No. 1.
In der Kurve zur Arbeit: K 1 e b 8. Diplocoecus semilunaris,
ein Begleiter der Tuberkulose, auf S. 1567 der vorliegenden
Nummer, bedeutet 10 D. und 20 D. die Injektion von io und
20 Tropfen Tc ln die geschwellte Drüse.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Josef O sehmann, appr. 1891, zu
Haromelburg. Dr. Dü tt mann, appr. 1882, ih WUrzbürg.
Verzogen: Dr. Ludwig D öderlein von Kleinheubach
unbekannt wohin. Dr. Leider von Edesheim nach Neidenfels.
Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Karl M a r z e 11 in Aub zum
Bezirksarzt I. Klasse ln Kitzlngen.
Erledigt* Die BezirkBnrztstelle I. Klasse ln Wertingen. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorSehrlftsmfiaslg belegten Gesuche
Verlsg von J. V. Ltkaiio io MAnebon
bei der Ihnen Vorgesetzten Kgl. Regierung, Kammer des Innera
bis zum 15. Oktober 1. Js einzureichen.
Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse Dr. Max Sc h Wein¬
berge r ln Wertingen, seiner Bitte entsprechend, in gleicher
Eigenschaft nach Traunstein.
In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Landgerichtsarzt,
Medicinalrath Dr. Joseph Rauscher in Deggendorf, seiner
Bitte entsprechend, wegen zurückgelegten 70. Lebensjahres, and
demselben ln Anerkennung seiner langjährigen, ausgezeichneten
Dienstleistung der Verdienstorden vom hl. Michael IV. Klasse ver¬
liehen. Der im zeitlichen Ruhestande befindliche Bezirksarzt
I. Klasse Dr. Karl Peither in Kaufbeuren, wegen physischer
Gebrechlichkeit, unter Anerkennung seiner langjährigen, treuen
und erspriesslichen Dienstleistung.
Ernannt: zu ltegimentsärzten: die Stabs- und Bataillonsärzte
Dr. Seel vom Elsenbahn-Bat im 9. Feld-Art.-Reg., Dr. Seit*
vom 1. Fuss-Art.-Reg. im 10. Feld-Art.-Reg., Dr. Wind vom
3. Pion.-Bat. im 12. Feld-Art.-Reg. und Dr. Rogner vom 16. lnf.-
Reg. im 2. Fuss-Art.-Reg., sämmtliche unter Beförderung zu Ober¬
stabsärzten; zmn Bataillonsarzt Im Eisenbahn-Bataillon der Stabs¬
arzt Dr. Scliönwerth des Inf.-Leib-Reg.
Versetzt: der Oberstabsarzt Dr. Baudrexl, Regimentsarzt
im 2. Fuss-Art.-Reg., zum 11. Feld-Art.-Iteg.; die Stabs- und
Bataillons- etc. Aerzte Dr. Hauenschild vom 2. Feld-Art-Reg.
zum 14. Inf.-Reg., Dr. Jungkunz vom 6. Feld-Art-Reg. zum
1. Fuss-Art.-lleg., Dr. Zenetti vom lnf.-Leib.-Keg. zum 3. Plon.-
Bat.; die Oberärzte Dr. Gäusbauer vom 20. Inf.-Reg. und
Dr. Brennfleck vom 3. Feld-Art-Reg. zum 9. Feld-ArL-Iteg.,
Dr. Haas vom 6. Feld-Art.-Reg. zum 10. Feld-Art.-Reg., Dr.
Bayer vom 10. luf.-Keg. zum 11. Feld-Art.-Reg.; deu Assistenzarzt
Dr. Loehrl vom 5. Feld-Art.-Keg. zum 12. Feld-Art-Reg.
Wieder angestellt mit ihrem Ausscheiden aus dem Ostasiat
Expedltionscorps: der Stabsarzt Dr. Wolffhügel uutl der
Oberarzt Dr. R u i d i s e h, bisher im 4. Ostasiat Inf.-Reg., Ersterer
als Bataillonsarzt im Iuf.-Leib.-Reg., letzterer im 1. Fuss-ArL-Keg.,
beide mit ihren früheren Patenten.
Abschied bewilligt: von der Reserve dem Stabsarzt Dr, Fried¬
rich Schrenk (Nürnberg) und dem Oberarzt Dr. Adolf Pracht
(Hof); von der Landwehr 1. Aufgebots den Stabsärzten Dr. Maxi¬
milian Miller (Bayreuth) und Dr. Hermann Möblmann
(Kaiserslautern), beide mit der Erlaubniss zum Tragen der Uniform
mit deu für Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen, dem
Oberarzt Dr. Fidel Göhl (Landshut); von der Landwehr 2. Auf¬
gebots dem Oberarzt Dr. Friedrich Wiedemann (Klsslngenj.
Befördert: zu Stabsärzten in der Reserve die Oberärzte Dr.
Ludwig Steinheim er (Nürnberg), Dr. Axel Block (Aschaffen¬
burg) und Dr. Emil Roselieb (Kisslngen); in der Landwehr
1. Aufgebots die Oberärzte Dr. Friedrich Duprfi (Hof), Dr. Ferdi¬
nand Fürst (Aschaffenburg), Dr. Lorenz Dorsch (Ansbach),
Dr. Friedrich Schmitt (Kaiserslautern), Dr. Herrn. Borgest
(1. München), Dr. Wilhelm W o 1 f f (Augsburg) und Dr. Wilhelm
S t r i tz 1 (Vil8hofen); zu Assistenzärzten in der Reserve die Unter¬
ärzte Dr. Arnold Gross (Rosenheim), Ernst Key hl und Fried¬
rich Minderte ln (I. München), Wilhelm Kör her (Erlangen),
Franz Schnitzler (I. München), Paul Radicke (Erlangen),
Dr. Karl Dürrlng (Ansbach), Dr. Wilhelm K r e b s (1. München),
Richard Schmidt (Würzburg), Dr. Hans L ö f f 1 e r (I. München),
Dr. Jakob Weber (Erlangen), Dr. Friedrich Barthelmes
(Nürnberg) und Dr. Rudolf PUrckhauer (Günzenhausen); in
der Landwehr 1. Aufgebots die Unterärzte Jakob Berkenheler
(Würzburg) und Dr. Sebastian S c h m i d (Regensburg).
Morbiditätsstatistik d. InfectionskrankheitenfQr Mönchen
in der 38 Jabreswoche vom 15 bis 21. September 1901.
Betheiligte Aerzte 203. — Brechdurchfall 18 (16*), Diphtherie,
Croup 16 (17), Erysipelas 14 (6), Intermittens, Neoralgia interm.
1 (—■), Kindbettfieber 2 (—), Meningitis cerebrospin. — (—),
Morbilli 12 (17), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 9 ( 4 ), Parotitis
epidem. 1 (1), Pneumonia crouposa 7 (4), Pyaemie, Öeptikaemie
— (—), Rheumatismus art. ac. 10 (13), Rohr (dysenteria) — (—),
Scarlatina 8 (7), Tussis convulsiva 6 (18), Typhus abdominalis
2 (1), Varicellen 1 (6), Variola, Variolois —(—), Influenza — (—),
Summa 107 (110). Kgl. Bezirksant Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle In München
wahrend der 38. Jahreswoche vom 15 bis 21. September 1901.
Bevölkernngszahl: 499 932.
Todesursachen : Masern — (2*), Scharlach — (—\ Diphtherie
und Croup 4 (3), Rothlauf 1 (1), Kindbettfieber — (—X Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 1 (3), Brechdurchfall 6 (2), Unterleibtyphns
1 (—), Keuchhusten 2 (3), Croupöse Lungenentzündung 4 (2),
Tuberkulose a) der Langen 18 (24), b) der übrigen Organe 3 (4),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 2 (8), Unglücksfalle 2 (3), Selbstmord 2 (—), Tod durch
fremde Hand 1 (—).
Die Gesammtzahl der Sterbefalle 197 (189), Verhaltnisssahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,6 (19,7), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,2 (11,3).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die FUe der Vorwoche.
. — Druck von X. MO bl U u Isr's Buch- and Konsulrucksrsl A.Q.,
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Die Mfinoh. Med. Wochenschr. erscheint w&chentl.
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen.
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(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
Cfc. Biflilir, 0. Bolllngsr, H. Curschaiiin, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. t. Michel, H. t, Ranke, F. v. Wlocktl, H. v. Zieassen,
Freiburg 1. B. München. Leipzig Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. München.
NoT41. 8. Oktober 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem Laboratorium des Herrn Prof. D i n k 1 c r im Luisen¬
spital zu Aachen.
Bacillol und Lysoform, zwei neuere Desinfektions¬
mittel.
Von Prof. Dr. Gramer aus Heidelberg.
Es war zunächst nicht meine Absicht, die weiter unten in
den beiden Tabellen auszugsweise mitgetheilten Versuche über
die beiden neueren Desinfektionsmittel Bacillol und Lyso¬
form der Oeffentlichkeit zu übergeben. Ich hatte dieselben viel¬
mehr zur eigenen Orientirung auf der Suche nach einem billigen,
bequemen Mittel zur Sputumdesinfektion unternommen. Es
scheint mir aber bei genauerer Kenntnisnahme der Literatur
vielleicht doch angebracht, den weiteren Leserkreis dieser
Wochenschrift auf die recht befriedigenden Eigenschaften des
einen, des Bacillols, und die wenig zureichenden des anderen,
offenbar überschätzten, des Lysoforms aufmerksam zu machen.
Ich mache allerdings dabei von vorneherein darauf aufmerksam,
dass ich das, was man eine erschöpfende Untersuchung eines Des¬
infektionsmittels nennt, an dieser Stelle nicht geben will.
Das eine der untersuchten Desinfektionsmittel, das
Bacillol 1 ), stellt ein Theerdestillationsprodukt, ähnlich
dem Lysol dar. Das wirksame Princip desselben sind
die Cresole, welche nach Angaben der Fabrik bis
zu 52 Proc. in ihm enthalten sind. Seine desinfiziren-
den Wirkungen sind demnach nach den grundlegenden
Arbeiten von C. Fränkel ohne Weiteres verständlich und
auch annähernd abzuschätzen. Es hat mit dem Lysol die leichte
Löslichkeit, wobei selbst bei hartem Wasser von ca. 14 Härte¬
graden eine leichte Trübung ohne wesentlichen Einfluss ist, die
verseifenden, lösenden und desinfizirenden Eigenschaften ge¬
mein; zeichnet sich aber vor demselben durch seine nahezu
völlige Geruchlosigkeit — 2 bis 3proc. Lösungen
riechen fast gar nicht — und seinen geringen Preis, der nur
etwa die Hälfte des Lysol beträgt, aus.
Seine Giftigkeit ist etwa analog derjenigen des Lysol, sic
beträgt nach Paszotta') für das Kaninchen 1,97—2,37 als
krankmachende, 2,37—3,55 g als tödtliche Dosis, für das Pferd
1,4 g als krankmachende, von 1,5 ab als tödtliche Dosis pro Kilo
Körpergewicht.
Ob das Bacillol in 1—2 proc. Lösung bei längerem, wieder¬
holtem Gebrauch, z. B. bei der Händedesinfektion, die Epidermis
angreift, vermag ich nicht zu entscheiden. Ich pflege meine
Lippen von etwa anhaftenden Sputumbestandtheilen mit einem
in 1 proc. Bacillol befeuchteten Wattebausch zu reinigen, den
Rest eintrocknen zu lassen, ohne bisher einen Nachtheil be¬
merkt zu haben.
Die Technik der Prüfung der desinfizirenden Wirkung des
Bacillol (und ebenso des Lysoform) war die in den bacterio-
logischen Laboratorien übliche. Benützt habe ich die Glas¬
perlen 6 ) und die V e r d ü n n u n g s m e t h o d e *).
') v «m Sander, Kacillolfabrik, Hamburg ln den Handel ge¬
bracht j
2 ) Monatshefte f. prakt. Thlerheilk. Bd. XII.
*) Mit HCl, NaOH, H,CrO,-Alkohol gereinigte und sterllislrte,
undurchlochte Glasperlen von gleicher Grösse und möglichst gleich-
massiger Oberfläche werden ln eine „homogene“ Kultur (24 stüudige
o. 41.
Benutzt wurden von den gebräuchlichen Nährböden Fleisch¬
wasserbouillon, Fleischextraktbouillon, Fleischwassergelatine,
Fleischwasserglycerinagar, sämmtliche bei Bruttemperatur. Die
bei jedem Versuch besonders angestellten Controlproben ergaben
durchweg schon nach 6—7 Stunden deutliches Wachsthura; bei
den Versuchen mit Typhusglasperlen war das Wachsthum wegen
der geringen Aussaat erst nach 9 Stunden zu bemerken. Die ge¬
trübten Röhrchen wurden durch Mikroskop und Kultur ge¬
prüft, ob sie Reinkultur enthielten. Die sterilgebliebenen am
8. bis 10. Tag, ob die Nährböden keine entwicklungshemmenden
Eigenschaften angenommen; die Probe ergab ausnahmslos maxi¬
males Wachsthum.
Von einer Prüfung der vorliegenden Mittel nach den Prin-
cipien von Marx und W e i t li e s ) glaubte ich zunächst ab-
sehen zu sollen. Abgesehen davon, dass es nach meinen Er¬
fahrungen wünsclienswerth erschien, die Theorie der Desinfek¬
tion, wie sie von den genannten Forschern aufgestellt worden ist,
möchte durch weitere Beobachtungen auf eine noch breitere
Grundlage gestellt werden, muss es bei der geringen Kcnntniss,
welche wir zur Zeit darüber besitzen, unter was für Umständen
die Bacterien ihre Virulenz verlieren und wieder gewinnen
können, vor Allem geboten erscheinen, zu prüfen, in welcher
Dosis und unter welchem Verhältnis die Bacterien von einem
Desinficiens völlig vernichtet werden. Ein pathogenes Bacterium,
das seine Virulenz eingebüsst, kann momentan nicht inlizircn,
darf aber nicht vernachlässigt werden, weil wir zur Zeit nicht
wissen, wie es in der Aussenwelt sein Dasein fristen, eventuell
seine Virulenz wieder erlangen kann.
Von Versuchen mit Sporenbildnern wurde abgesehen, da die
Cresole auf die Sporen so gut wie gar nicht einwirken.
Wie man aus Tabelle I, welche die wesentlichen Versuche
über das Bacillol übersichtlich vorführt, ist die Desinfektions¬
wirkung des Bacillol selbst in 1 proc. Lösung, wie das ja
bei seinem hohen Gehalt an Cresoleu nicht anders zu erwarten,
eine recht befriedigende. Die meisten Bacterien, Bact. coli,
Bact. typhi abdominalis, Staph. aureus, von denen namentlich
Bact. coli und der widerstandsfähige Staph. aureus als Test¬
objekte für die zur Zeit in Betracht kommenden Bacterien ohne
Sporen gelten, vermögen der lproc. Bacillollüsung bei Zimmer¬
temperatur nur 1—2 Minuten Widerstand zu leisten. Staph.
aureus bleibt gelegentlich bis zu 5 Min. c ) entwicklungsfähig,
darüber hinaus erliegt auch er.
Kultur auf schräg erstarrtem Glyeeriuagar in 10 Wasser suspeiidirt
unter Vermeidung der Brückeibildung) und nach sorgfältigem
Trocknen als Testobjekte benutzt.
‘) Von einer kräftigen Bouillonkultur, homogenen Bacterien-
Suspension in Wasser etc. werden nach Zusatz des Desinfektions¬
mittels in bestimmten Zeiträumen nicht zu geringe reberimpf-
ungen auf möglichst grosse Mengen neuen Nährmateriales ge¬
macht, derart, dass eine möglichst geringe Entwicklungshemmung
statt hat. Dieselbe betrug in meinen Versuchen höchstens
1:2 000 000 schätzungsweise. Die Verdünnungsmethode gibt einen
Maassstab dafür, wie lange die Bacterien irgend einem Desinfek¬
tionsmittel Widerstand leisten!
*) Centralbl. f. Bacteriologie XXVIII. Bd., S. 09.
«) Ob es sich hierbei uin „Ausuahmezellen“ im Sinne F r a e » -
kels handelt, oder ob sieh die Baeterieu durch Borkenbildung
selbst schützten, vermag Ich nicht zu entscheiden. Bin aber ge¬
neigt. der Dicke der angetrockneten Schiebt die Schuld beizu¬
messen.
1
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1596
MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Tabelle L Baoillol l°/o und 2°/o.
Minuten
F
F
i 5
8
10
15
20
30
40
50
60
Bac. coli
_
_
_
•
Verdünnung, Fleischwasserbouillon
2%.
M. st. aureus
—
—
—
—
•
2 o/o.
B. fluorescens
—
—
—
—
•
II
Fleischwassergelatine
2 °/o.
Staph. aureus
-
—
—
—
—
>»
Fleischextraktbouillon
1%.
Typhusbac.
—
—
—
—
II
1 °/o.
Typhusbac^
-
—
—
—
—
11
Fleischwassergelatine
l°/o.
8taph. aureus
•
4
4-
4*
4-
11
Fleischextraktbouillon
Wo-
Staph. aureus
4
—
—
•1
l°/o-
Typhusbac.
4-e-
4 g.
4-
—
—
—
„
Vs°/o.
Bac. coli
-
-
—
—
Glasperlen,
dicke Schicht')
8taph. aureus
-
-
4-
4
.
»
dicke Schicht ‘j
Staph. aureus
-
-
—
1*
dünne Schicht
Typhusbac.
-
—
—
—
.
11
l°/o-
Typhusbac.
-
-
4-
—
—
11
Fleischwassergelatine
l°/o.
Typhusbac.
-
-
—
—
11
Fleischextraktbouillon
1%.
Typhusbac.
-
-
—
—
—
* i *
„
1%.
Typhusbac.
-
-
—
—
—
• •
11
Fleischwassergelatine
1%.
8taph. aureus
-
-
4
4
—
• •
„
Glycerinagar
1%.
Staph. aureus
-
-
4
4-
—
Deckglas,
1 °/o.
Staph. aureus
H
h
—
• 1 •
Glasperlen,
Fleischextraktbouillon
l"/o.
IV
1 %.
17 -
Tabelle IT. Lysoform 2% und 3°/o.
1
3
5
8
10
15
10
30
40
50
60
Bac. coli
4-
4 -
4"
4
•
Verdünnung Fleischwasserbouillon 2%, 16-18°
Bac. coli
4-
+
4
.
„ Fleischextraktbouillon 3 °/o, 16-18°
Typhusbac.
4
4
4
4-
4 -
4 -
» „ 3 °/o, 16-18°.
Typhusbac.
4
4 -
4 -
» „ 3 °/ 0 , 16-18°.
Typhusbac.
.
4
—
» „ 3 °/o, 16-18°.
Typhusbac.
—
—
—
.. „ 3 «/„ 35-37°.
Staph. aureus
•
4
.
4
4
4
» „ 3 °/o, 16-18".
Staph. aureus
4
+
4
.
4
, » » 3»/o, 16—18°.
Staph. aureus
4-
4 -
4
4
4
12 M.
Glasperlen versuch, dicke Schicht 1 ) Fleisch wasserbouill. 3%, 16-18°
Staph. aureus
•
4-
4
•
„ [dünne „ *) „ 3%, IS—lb°.
Staph. aureus
•
•
.
4
4
4
4
» .» „ 2 ) Fleischextraktbouill.8°/o, 16—18*.
Bac. coli
•
4
•
4
4
4-
12 M.
•
,
» Fleischextraktbouillon 2° / o, 16-18°.
Typhusbac.
—
—
—
—
» Fleischwassergelatine 3°/,,“ 16—18°.
'typhusbac.
Typhusbac.
.
4-
—
—
—
.
» Fleischextraktbouillon 3°/o, 16—18°.
—
4
4
9Min.
•
•
» „ 3°/o, 16-18°.
Typhusbac.
•
•
—
•
—
—
•
» » 37o, 35-37°.
*) 2 schräg erstarrte
Kulturen
auf ca. 8 ccm homogenisirt.
8 ) Die scheinbar leichte Abtödtung ist dadurch bedingt
dass; nur üusseret wenig Bacillen an den Perlen haften bleiben.
g = gehemmt;
Dabei ergaben das Verdünnungsverfahren und die Glas- ;
perlenmethode recht gut übereinstimmende Resultate.
Auch mit den bereits vorliegenden Resultaten, wie sie unter
Anderen z. B. von Behrend 1 ) und G 1 a g e erhalten, ist die
TJebereinstimmung eine sehr absolute, so dass ich von einer Er¬
weiterung der Versuche zunächst absehen zu können, mich
namentlich in Hinsicht auf die bereits publizirten Versuche mit
den mitgetheilten Resultaten begnügen zu können glaubte.
Das Bacillol dürfte wohl berufen sein, an
Stelle des Lysols zu treten, aber auch die Car-
bolsäure, die wohl mit Unrecht sich einer all¬
gemeinen Beliebtheit erfreut, verdrängen.
Auch zur Sputumdesinfektion dürfte sich namentlich im
Heilstättenwesen das Bacillol wegen seines geringen Preises
eignen. Allerdings darf man seine Wirkung nicht überschätzen.
Von einer 1—2 proc. Lösung darf man in kurzer Frist keine
nennenswertlie Wirkung erwarten. Die Tuberkelbacillen waren in
grob geballtem Sputum in meinen Versuchen in einer 1 proc.
Lösung nach 3 Stunden noch nicht abgetödtet. Bekanntlich ge¬
hört tuberkulöses Sputum wegen seines Schleim-, Fett- und Luft¬
gehaltes zu den widerstandsfähigsten bacteriologischen Test¬
objekten. Man findet auch erhebliche Unterschiede in der Re¬
sistenz der einzelnen Sputumsorten, bedingt namentlich durch
den Luft- und den Fettgehalt. Aus diesem Grunde hielt ich es
nicht für angebracht, für die Zwecke der Sputumdesinfektion
umfangreiche Thierexperimente anzustellen. Für die Praxis
—
*) Prüfungsattest der Deslufektionskraft des Bacillol. Ham-
bürg, Chemisches und bacterlologisches Laboratorium von
Ur. Marquardt ;
wird ein ausreichender Effekt erzielt, wenn der grösste Procent¬
satz der Bacillen abgetödtet ist. Wenn 90—95 Proc. der Bacillen
im Sputum abgetödtet werden, werden sich jedenfalls keine
solchen Missstände heraussteilen, wie das jetzt leider in manchen
Heilstätten der Fall gewesen. Wer ganz sicher gehen will, wird
chemische und physikalische Desinfektion kombiniren. Man wird
die Sputumglüser mit 1 proc. Bacillol füllen, die grösseren Ballen
nach einiger Zeit durch eventuell mit Sägemehl bestreute Gaze
abfiltriren, die zugeschnürten Gazebeutel der grössten Ofen¬
heizung, durch eine bestimmte geschulte Persönlichkeit, das Fil¬
trat aber erst nach 24 stündigem Stehen der Kanalisation über¬
liefern. I'ür die meisten Zwecke ist ausreichend ein Auffangen
des Sputum in einer 3—4 proc. Lösung, am besten so, dass eine
3—4 proc. Mischung entsteht, und Beseitigung nach 18 bis
20 stündigem Stehenlassen *).
Das Lysoform, eine parfümirte, nach Formalin riechende,
ölig-seifige Flüssigkeit, ist anscheinend eine Lösung von For¬
malin in einer parfümirten Seife. Es löst sich leicht in Wasser,
wobei allerdings bei hartem Wasser eine Ausfällung von Kalk¬
seifen, welche allerdings die desinfizirende Wirkung nicht stört,
statt hat. Die Lösungen von 1—5 Proc. z. B. haben den Vor¬
theil, dass sie nicht oder doch nicht in störender Weise nach
Forinaldehyd riechen; dazu besitzen sie erhebliche desodorisirendc
und kosmetische Eigenschaften. Es scheint das Lysoform trotz
seines ziemlich hohen Preises (das Kilo kostet 3.50 M. gegenüber
0.70 M. bei dem Bacillol) offenbar wegen der bekannten des-
infizirenden Eigenschaften des Formaldehyd in der medicinischen,
') In den Heilstätten wird am besten militärischer Unterricht
lm Itelnlgen und Deslnfizlren der Spuckflaschen erthellt.
Digitized by kjOOQie
8. Oktober 1901.
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1597
namentlich gynäkologischen, Praxis mehr Eingang gefunden zu
haben als das Bacillol. Trotzdem ist die bakteriologische ex¬
perimentelle Grundlage, so viel ich sehe, eine ziemlich dürftige.
Dührssen*) empfiehlt eine 1 proc. Lysoformlösung von
60’ zur Desinfektion der Hände.
Ahlfeld“) hält eine 3—4 proc. Lösung zur Desinfektion
der Hände für ungenügend (sämmtliche Bouillonröhrchen trübten
sich). Strassmann 11 ) empfiehlt es bei der Procedur der
Händedesinfektion nicht seiner desinfektorischen, sondern seiner
kosmetischen Eigenschaften wegen, weil es die Hand geschmeidig
und elastisch erhält. Str. erwähnt Versuche von S y m a n s k i,
wonach Milzbrandsporen, an Seidenfäden angetrocknet, in
3 proc. Lysoform nach 24 Stunden abgetödtet werden; ebenso
Versuche von Vertun (wie die von Symanski, so viel ich
sehe, noch nicht publizirt), wonach z. B. Staphylococcus aureus
einer 3 proc. Lösung von Lysoform 1 Stunde lang Widerstand
leistet, B. coli durch 2 proc. Lysoform nach 10 Minuten, B. pro-
teus durch 2 proc. Lysoform nach 20 Minuten vernichtet wird.
Also, soweit das spärliche Material reicht, keine erheblichen des¬
infektorischen Eigenschaften.
Auch meine Versuche ergaben .keine besonders günstigen
Resultate. (Tab. II.) Staphylococcus aureus leistete einer 3 proc.
Lösung wiederholt bis eine Stunde Widerstand, B. coli einer
3 proc. Lösung mindestens 10 Minuten; selbst der Typhusbacillus
widi rstand bis zu 30 Minuten bei Zimmertemperatur. Bei
höhe; er Temperatur ergaben sich bessere Resultate, energischere
De; infektionswirkungen. Aber man wird bei höherer Temperatur
sich immer gegenwärtig halten müssen, dass das Formaldehyd
ein flüchtiger Körper ist, und dass es in der Praxis leicht Vor¬
kommen kann, dass durch das Erwärmen ein grosser Theil des
Formaldehyds verdunstet, ehe es seine Wirkung zu entfalten
beginnt, besonders, wenn man, wie vorgeschlagen wird, das Mittel
unbedenklich Laien in die Hand gibt.
Nach meiner Ansicht wird sich das Lysoform, weil es inner¬
halb der wünschenswerthen Frist von wenigen, 1—3, höchstens
5 Minuten die meisten vegetativen Formen der Bakterien bei
Zimmertemperatur nicht sicher vernichtet, in dio allgemeine Des¬
infektionspraxis keinen Eingang verschaffen, namentlich wenn
man den immer noch hohen Preis (das Kilo 3.50 M., also der
Liter 3 proc. Lösung 0.11 M., während die weit überlegene 1 proc.
Bacillollösung der Liter 0.007 M. kostet) in Betracht zieht.
Ganz vorzügliche Eigenschaften dagegen besitzt das Lyso-
forra nach meinen Versuchen als Desodorans und Kosmetikum,
besonders da, wo der Preis keine Rolle spielt.
Aus der Heidelberger medicinischen Klinik (Direktor: Herr
Geheimrath E r b).
Auftreten von Psoriasis vulgaris -im Anschluss an
eine Tätowirung.*)
Von Prof. Dr. Bett mann.
Der folgende Fall von Psoriasis vulgaris darf wohl einiges
Inten-sse beanspruchen, weil er wiederum einen Beleg für die
parasitäre Natur der Erkrankung zu liefern scheint.
Es handelt sich um einen 29 jährig. Bäcker, der einer Familie
entstammt, in welcher niemals Psoriasis vorgekommen sein soll;
er selbst war früher nie ernstlich krank und hat weder an
Schuppenflechte, noch sonst an einer erwähnenswerthen Haut¬
krankheit gelitten.
Vor 3 Jahren Hess er sich am rechten Vorderarm tätowiren,
ohne dass darauf irgend welche besonderen Erscheinungen auf-
trnten. Am letzten Ostermontag nun wurde ihm auch an der
Beugeseite des linken Vorderarms ein grosses Wappen eintäto-
wirt. Etwa 14 Tage darauf entstand — zunächst auf diese
Tätowirung beschränkt — eine schuppende HautafTek-
tion, die dann auf den ganzen linken Arm und allmählich auch
auf den übrigen Körper überging.
Es handelt sich bei dem kräftigen Manne um eine typische
Psoriasis vulgaris, die in multiplen kleineren Herden aufgetreten
Ist (Psoriasis guttata et nummularis). In ihrer Verthellung am
Kumpf und den unteren Extremitäten zeigt die Erkrankung nichts
Besonderes. Dagegen ist der linke Arm stärker als der rechte er¬
griffen, und vor Allem fällt ein grosser Herd auf, der durch die
Confluenz einer grösseren Anzahl von kleinen schuppenden
Efflorescenzen entstanden ist, und der sich mit a u f fällt-
*) Gynäkologisches Vademecuin S. 32.
10 ) Ahlfeld: Centralbl. f. Gynäkologie 1900, No. 51.
") Strassmau u: Ebenda 1901, No. 11. — Derselbe:
Therapie d. Gegenwart 1900, August.
*) Nach einer Demonstration im Heidelberger medicinisch-
uaturhiatorischen Verein am 11. Juni 1901.
ger Genauigkeit an die Grenzen der frischen
Tätowirung hält, deren ganze Fläche auf diese Welse in
einen Psoriasisherd umgewandelt erscheint Innerhalb der alten
Tätowirung am rechten Arm dagegen sitzt eine einzige llnsen-
giosse Efflorescenz.
Die Entstehungsgeschichte des Falles zwingt zu der An¬
nahme, dass die frische Tätowirung in irgend welcher näheren
oder entfernteren aetiologischen Beziehung zu der Psoriasis-
eruption unseres Patienten stehen müsse. Es frägt sich, ob dieser
Zusammenhang nicht einfach durch die Thatsache gegeben ist,
dass sich die Psoriasis mit einer gewissen Vorliebe an solchen
Hautstellen lokalisirt, die irgend einer besonderen Reizung
unterliegen, und gerade was Tütowirungen angeht, so sehen wir
häufig genug, dass sie bei frischen Ausbrüchen der Krankheit
sich besonders betheiligen oder dass sich in ihnen die Efflores¬
cenzen mit besonderer Hartnäckigkeit erhalten. Aber man wird
doch ein gewisses Bedenken tragen müssen, diese Erklärung für
Fälle wie den unserigen als ausreichend zu betrachten. Jene
Fälle, in denen bei bestehender manifester Psoriasis eine be¬
sondere Hautreizung spezielle Lokalisationen der Affektion be¬
stimmt, werden nicht ohne Weiteres mit solchen zusammen¬
geworfen werden dürfen, in denen bei vorher gesunden, familiär
nicht belasteten Personen die Krankheit im Anschluss an eine
solche Hautliision überhaupt erst zum Ausbruch kommt. Diese
letzteren Voraussetzungen treffen aber speciell für die in ge¬
nügender Zahl beobachteten Fälle zu, in denen eine Psoriasis im
Anschluss an die Vaccination oder eine Tätowirung mit primärer
Lokalisation an der Inoculationsstelle entstand. Ich darf in
dieser Beziehung wohl auch auf die von mir früher publizirte Be¬
obachtung verweisen, wonach bei einem bis dahin gesunden
Jungen aus gesunder Familie im Anschluss an die Revaccination
eine Psoriasis auftrat, die sich zunächst auf den frischen Impf¬
narben lokalisirte ‘). Die Annahme, dass in allen hierher ge¬
hörenden Fällen die betreffenden, bis dahin gesunden
Personen sich im Eruptionsstadium der Psoriasis befunden haben
sollten, und die Hautläsion nur als Agent provocateur gewirkt
hätte, und demgemäss also die Psoriasis wohl auch ohne das Da¬
zwischentreten der Tätowirung oder Impfung zum Ausbruch ge¬
kommen wäre, wird in dem Grade immer unbefriedigender, als
die einschlägigen Beobachtungen sich vermehren. Für unseren
speciellen Fall ist vielleicht noch darauf zu verweisen, dass die¬
selbe Reizqualität der Tätowirung, der jetzt der Ausbruch der
Krankheit folgte, vor 3 Jahren keine Erkrankung auslÖ6te.
Es kann nun nach allem Gesagten nicht Wunder nehmen,
dass man bei solchen Füllen die Möglichkeit heranzog, dass etwa
mit dem Impf- und Tätowirungsmateriale zugleich ein Psoriasis¬
erreger in die Haut eingebracht worden sei, und dass man somit
derartige Beobachtungen wesentlich für dio Annahme einer para¬
sitären Aetiologie der Psoriasis verwerthete. So verlockend eine
derartige Deutung auf den ersten Blick erscheinen mag, sind
jene Fälle doch weit davon entfernt, ein vollwerthiges Beweis¬
mittel für die parasitäre Theorie der Psoriasis zu liefern. Es
fehlt bei dieser supponirten zufälligen Einimpfung der Krank¬
heit jede Möglichkeit, nachzuweisen, wie etwa der unbekannte
Erreger der Affektion von einem bestehenden Krankheitsfalle
aus in das Impfmaterial gekommen sein sollte. Ferner hat man
niemals im Anschluss an die Vaccination etwa ein gehäuftes
Vorkommen von Psoriasis beobachtet, durch das der Vermuthung,
dass wirklich im Impfstoff „Psoriasiskeime“ enthalten gewesen,
eine bessere Basis gegeben wäre. Nach der ganzen Lage der
Dinge liefern die Fälle von Vaccinations- und Tiitowirungs-
Psoriasis keinen Beweis für die parasitäre Natur der Erkrankung,
so lange die übrigen Gründe, mit denen man die parasitäre Ent¬
stehung derselben verficht, nicht an Beweiskraft gewinnen.
Es lohnt sich wold, kurz auf diese Gründe einzugehen.
1. Eigent-hümlichkeiten im Charakter, in der Ausbreitung
und in der Rückbildung der Effioreseenzen zeigen einige Aehn-
liehkeiten mit dem Verlaufe parasitärer llautaffektionen; aber
ein solcher Vergleich berechtigt höchstens zu einem Analogie-
Schluss, der an sich keine Beweiskraft besitzt.
2. Einzelne klinische Beobachtungen schienen die Mög¬
lichkeit einer Uebertragung der Krankheit naho zu legen.
Zu verweisen ist auf einzelne Fälle, in denen zuerst ein Kind
und dann erst Vater oder Mutter erkrankten, oder TJ n n a’s Bc-
*) Bettmann: Ueber Lokalisation der Psoriasis auf Impf¬
narben. Münch, med. Wochensclir. 1899, No. 15.
1 '
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MUENCHENER MEDICINISOHE WOOHENSCHRIFT.
No. 4L
1598
obachtung, nach welcher bei den Kindern einer bis dahin ge¬
sunden Familie Psoriasis auftrat, nachdem eine psoriasiskranke
Nonne in den Dienst der Familie getreten war, oder die Er¬
krankung einer alten Frau, welche die Badeutensilien einer
Psoriasiskranken benützt hatte. Derartige Fälle sind aber ausser¬
ordentlich selten, sie können an sich keine volle Beweiskraft be- !
anspruchen, und wir müssen der Annahme einer Psoriasis-
„Ansteckung“ um so skeptischer gegenüberstehen, als beispiels¬
weise von einer Uebertragung der Psoriasis zwischen Eheleuten
so gut wie nichts bekannt ist.
3. Es hat natürlich nicht an Versuchen gefehlt, den Psoriasis-
Erreger selbst, sei cs mikroskopisch in den erkrankten Geweben,
sei es mit Hilfe der bakteriellen Kulturmethoden nachzuweisen.
Diese Untersuchungen haben zum Theil Kunstprodukte geliefert,
zum anderen Theil Organismen, deren aetiologische Bedeutung
für die Psoriasis vollkommen fraglich geblieben ist. Schon die
Tliatsaehe, dass die verschiedenen Untersucher keine einheit¬
lichen Ergebnisse fanden, muss stutzig machen. Auf alle Falle
steht der Beweis vollkommen aus, dass man etwa mit einer
Psoriasis-„Reinkultur“ die Krankheit überimpfen könnte.
4. Endlich aber hat man versucht, mit Hilfe von Psoriasis-
sehuppen, die man der gesunden Haut inoculirte, die Krankheit
zu übertragen, und diese Experimente müssen vorläufig als der
interessanteste Weg bezeichnet worden, die parasitäre Natur der
Krankheit zu erhärten. Solche Versuche sind von L a s s a r u. A.
an Thieren vorgenommen worden. Wo sie anscheinend positiv
ausfielen, blieb aber immer noch die Schwierigkeit, das ent¬
standene Krankheitsbild mit der Psoriasis des Menschen zu iden-
tifiziren, und Einwürfe, die eine solche Identität nicht aner¬
kennen wollen, werden nicht völlig zurückgewiesen werden
können. Somit blieb nichts anderes übrig als das Experiment
am Menschen. Tn dieser Richtung liegt eine Erfahrung vor,
deren Beweiskraft neuerdings besonders von Ilallopeau mit
allem Nachdruck verfochten wird.
Der französische Arzt D e s t o t, der vorher nie an Psoriasis
gelitten hatte, licss sieh im Jahre 1889 auf die scarifizirte Arm¬
haut eine frische Psoriasisschuppe übertragen. Nach wenigen
Tagen entwickelte sieh bei ihm eine Ilautaffektion, die nach
etwa 2 Wochen zur Genüge die Charaktere der Psoriasis darbot.
Nach 2—3 Monaten erfolgte spontane Heilung; im Laufe der
nächsten 2 Jahre entstanden dann noch 4 Rccidive; seitdem ist
D. gesund geblieben.
An der Richtigkeit der Diagnose kann nicht wohl gezweifelt
werden, und es müsste sich hier allerdings um einen sonderbaren
Zufall handeln, wenn nicht der Psoriasisausbruch durch die In-
oculation hervorgerufen worden sein sollte. Aber andererseits
werden wir auf diese ganz alleinstehende Erfahrung kein über¬
triebenes Gewicht legen dürfen: die parasitäre Natur der Pso¬
riasis kann heutigen Tages keineswegs als erwiesen gelten.
H a 11 o p e a u möchte den Verlauf, den die Erkrankung bei
dem Arzte Des tot genommen hat. mit als Argument für die
Annahme verworthen, dass in diesem Falle thatsiichlich eine
Juoculation der Psoriasis stattgefunden habe. Er hebt, hervor,
dass ein definitives Erlöschen des Leidens nach nur zweijähriger
Dauer gewiss etwas Auffälliges sei. und will diese rasche Heilung
damit erklären, dass das eingeimpfte Virus einen sehr un¬
günstigen Boden gefunden habe; Destot sei an und für sich
für die Psoriasis wenig prädestinirt gewesen. Selbstverständlich
lässt sich auch aus einer solchen Argumentation kein ernstliches
Beweismittel für die parasitäre Natur der Krankheit schmieden.
Immerhin dürft© es sich aber lohnen, die Fälle von anscheinender
Inoculations-Psoriasis daraufhin zu verfolgen, ob sie etwa einen
atypischen Verlauf zeigen. Was den von mir früher publizirten
Fall von anscheinender Tmpf-Psoriasis betrifft, so trat bei dem
Jungen sehr bald nach Beendigung der ersten Kur die Affektion
wieder in Erscheinung. Eine richtige Behandlung hat seitdem
nicht mehr stattgefunden, und das Leiden besteht nach nun¬
mehr 2Vs jähriger Dauer in massiger Ausdehnung unverändert
fort.
Ueber subkutane traumatische Bauchblutungen.*)
Von Oberstabsarzt Dr. Eichel in Breslau.
Die subkutanen Verletzungen der Bauchhöhle und ihres In¬
halts haben in dem letzten Jahrzehnt die Aufmerksamkeit der
Chirurgen in hohem Maasse in Anspruch genommen. Während
noch v. B e c k '), der als einer der ersten über solche Verletzungen
geschrieben hat, als einzige Heilungsmüglichkeit die Ruhigstel¬
lung des Bauchinhaltes durch Opiate, um Verklebungen zu er¬
zeugen, empfahl und von einer Operation als aussichtslos ab-
rieth, sind mit der fortschreitenden Bauchchirurgie Versuche ge¬
macht, derartigen Kranken operative Hilfe zu bringen. Zunächst
waren ja die erreichten Resultate keine sehr erfreulichen, mit
der weiter ausgebildetcn Diagnostik sind wir jedoch zu immer
besseren Erfolgen gekommen und manches Individuum, das in
früheren Zeiten seiner Bauchverletzung sicher erlegen wäre, wird
jetzt durch die Hand des Chirurgen gerettet.
Man unterscheidet bei den Verletzungen, die den Unterleib
treffen, zweckmässig 3 grosse Gruppen:
1. Die subkutanen Zerreissungen des Magendarmkanals,
2. die Verletzungen des uropoetisehen Systems,
3. die Fälle, in denen die Blutung in die Bauchhöhle das
Krankheitsbild beherrscht.
Selbstverständlich können sich mehrere dieser Gruppen ver¬
einen, so dass z. B. neben einer Darmzerreissung auch noch eine
Verletzung einer Niere vorhanden ist, oder neben dem Bluterguss
aus einem Leberriss sich auch noch eine Ruptur des Magens
oder Darmes findet. Man wird daher, wenn man wegen der Blu¬
tung laparotomirt, stets die Verpflichtung haben, nach Stillung
der Blutung auch den gesammten Darm abzusuchen und bei
einer Darmzerreissung sieh auch nach der Quelle einer vor¬
handenen stärkeren Blutung umzusehen. Im grossen Ganzen
jedoch tritt eine der genannten Verletzungen so in den Vorder¬
grund, dass sic die Indikation für die Operation abgibt.
Es sei mir im Folgenden gestattet, unter Demonstration
eines geheilten Falles von Milzzerreissung das Krankheitsbild
der subkutanen Bauchblutungcn zu zeichnen und bei der Gelegen¬
heit 2 Fälle, 1 Lcbcrzerreissung und 1 Milzzerreissung, die ich
in Strassburg i. E. operirt habe, mit zu besprechen.
Was zunächst die Aetiologic der subkutanen Bauchblutungen
betrifft, so kommen dieselben in der Mehrzahl der Fälle durch
schwere, auf das Abdomen einwirkende Gewalten zu Stande. In
erster Linie stehen hier: Hufschläge, sodann Ueberfahrcnwerden,
Sturz mit dem Pferde und Zuliegenkommen unter dasselbe,
Quetschung durch auffallende Gegenstände, anfahrende Wagen¬
deichseln, oder zwischen Eisenbahnpuffern, Anschlägen des
Unterleibes gegen eine Wand bei Herumgeschleudertwerden in
Treibriemen.
Bei allen den geschilderten Veranlassungen ist der Ver-
lctzungsmechanismus der, dass das Organ — meist handelt es
sich um die Leber oder die Milz — zwischen dem verletzten
Gegenstand: dem Huf oder der Deichsel einerseits und der Wir¬
belsäule, eventuell dem Erdboden, dem Sattelzwiesel, der Wand
andererseits gequetscht wird.
Für die Risse der Leber ist jetloch noch ein anderer Ent¬
stehungsmodus sicher erwiesen: der Sturz aus der Höhe.
Es sind zahlreiche Fälle beobachtet, bei denen Leute aus
einer Höhe von wenigen Metern hcrabstürzten und bei denen
sich entweder bei der Sektion oder bei der Operation Einrisse
der Leber in der verschiedensten Grösse vorfanden. Der Mecha¬
nismus ist hier so zu denken, dass das Organ sich noch in der
Fortbewegung befindet, während der Körper durch den Auf¬
schlag auf den Boden plötzlich zur Ruhe kommt und dass die
Leber entweder vom Ligamentum Suspensorium theilweise ab-
reisst oder durch das Aufschlagen ihre Form plötzlich ändert,
zusammengepresst wird und nun reisst.
Dass ein krankhaft verändertes Organ eine fettig degencrirtc
Leber auch durch ein geringes Trauma zerreissen kann, ist be¬
greiflich. So ist erst kürzlich von Engel 1 ) eine subkutane
Lcbcrzerreissung beschrieben, die bei einem Phthisiker dadurch
zu Stande kam, dass der Kranke, um sich vor Sturz zu bewahren,
scharf den Oberkörper nach hintenüber bog.
*) Nach einem in «1er Schlesischen Gesellschaft für vater¬
ländische Kultur gehaltenen Vorträge.
') Deutsch. Zeitsehr. f. Chirurg. Bd. 11 u. 15.
• J ) Engel: Fettembolie einer tuberkulösen Lunge In Folge
j .vou l.eberruptur. Münch. m»'<l. Wochenschr. 1001, No. 20.
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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1599
Indessen sind derartige Vorkommnisse doch von geringerer
praktischer Bedeutung. Es findet sich z. B. in der 189 Fälle
umfassenden Edler’schen Statistik kein Fall solcher Beob¬
achtung. Auch bei den wegen Leberzerreissung operirten
Kranken, die ich in der mir zugänglichen Literatur gefunden
habe, findet sich keine Bemerkung über eine pathologische Be¬
schaffenheit des rupturirten Organs.
Bei der Milz liegen die Verhältnisse insofern ungünstiger,
als die durch Malaria vergrösserte Milz einem Trauma sehr viel
leichter ausgesetzt ist. Dementsprechend berechnet Edler,
dass in 28 Proc. der Milzzerreissungen dieselbe krankhaft ver¬
ändert war. Lewerenz”) Statistik weist 3 Malariamilzen
= 10 Proc. unter 30 operativ behandelten Fällen auf, rechnet
man dazu noch den einen Trendelenburg’schen*) Fall, der
eine MilzvergrÖsserung unbekannter Ursache betraf, so sind das
4 = 13 Proc. Während aber Leute mit Malariamilzen wenigstens
in der fieberfreien Zeit ihrem gewohnten Beruf nachgehen, dürfte
eine Verletzung einer in Folge von Typhus oder einer sonstigen
Infektionskrankheit geschwollenen Milz zu den grössten Selten¬
heiten gehören, da derartige Individuen im Allgemeinen durch
ihren Krankheitszustand den Gelegenheiten einer derartig
schweren Verletzung an und für sich sehr viel weniger ausge¬
setzt sind.
In pathologisch-anatomischer Beziehung bieten die Ver¬
letzungen der Leber die verschiedenartigsten Bilder. Zunächst
können Zertrümmerungen des Lebergewebes ohne Einriss der
Capsula Gli8sonii stattfinden. Des Weiteren finden sich von
kleinen, ganz oberflächlichen, kaum den Peritonealüberzug durch¬
dringenden Rissen bis zur gänzlichen Durchreissung des Organs
alle Uebergänge. Die grösseren Wunden sind meistentheils nicht
ganz glatt, sondern mehr oder weniger zackig, mit längeren oder
kürzeren, vom Hauptriss abgehenden Seitenrissen. Bei den
kleineren werden des Oefteren sternförmige Figuren beschrieben.
Entweder ist nur ein Riss vorhanden oder es handelt sich um
mehrere, bis zu 20 *) sind an einem Organ beobachtet.
Die Risse kommen an allen Stellen der Leber vor, doch ist
die convexe Fläche des rechten Lappens am häufigsten betroffen.
Was das weitere Verhalten solcher Risse betrifft, so ist es
zweifelsohne, dass namentlich kleinere Risse unter günstigen
Verhältnissen heilen können. Die Leberwunde wird durch ein
Blutgerinnsel geschlossen, dasselbe wird organisirt und es bleibt
eine bindegewebige Narbe zurück. In anderen Fällen tritt,
namentlich wenn der Riss ein grösserer gewesen oder wenn das
Lebergewebe in seiner Umgebung stärker gequetscht ist, eine
Nekrose ein. Bleibt es bei der einfachen Nekrose, so findet
man bei der Operation oder Sektion eine Höhle, die mit Blut und
Leberdetritus angefüllt ist, meistens jedoch kommt es zu einer
Sekundärinfektion von den Gallengängen und zum Leberabscess.
Der Abscess bricht entweder in die Bauchhöhle durch und er¬
zeugt eine lokale oder allgemeine Peritonitis oder er entleert sich
nach vorausgegangenen Verwachsungen in den Darm oder durch
die Bauchdecken nach aussen.
Auch in der Milz sind die Einrisse meistens nicht glatte,
sondern zackig, und es pflegt von dem grösseren Riss, der sich
in der Längsrichtung des Organs erstreckt, ein längerer oder
kürzerer Seitenriss abzugehen, wie ich es bei meinen beiden
operirten Fällen beobachtet habe.
Eine Spontanheilung einer Milzruptur ist in einzelnen
Fällen durch die ßektion erwiesen. Ihr Zustandekommen wäre
in ähnlicher Weise wie bei der Leber zu denken.
Bei den snbkutanen Verletzungen des Pankreas ist entweder
die ganze Drüse zerstört, dann pflegt die Blutung eine sehr grosse
zu sein, oder es kommt nur zu Einrissen.
Subkutane Zerreissungen des Pankreas finden sich bei
Edler 3 aufgeführt. 2, die tödtlich endeten (einige Stunden
nach der Verletzung), zeigten das Pankreas einmal quer zerrissen,
einmal buchstäblich zerquetscht.
Bei den Fällen, die Körte*) zusammengestellt hat, ist nur
einmal der Versuch einer operativen Behandlung gemacht, doch
wurde die Quelle der Blutung nicht gefunden. Bei der Sektion
fand sich noch ein Milzriss. Auch die übrigen Verletzten zeigten
•) Lewerenz: Ueber die chirurgische Behandlung sub¬
kutaner Mllzrupturen. Archiv f. klin. Chirurg. Bd. 00, 8. 951.
9 Deutsch, med. Wochenschr. 1899, No. 40 u. 41.
*) Edler: Areh. f. klin. Chirurg. Bd. 34.
•) Körte: Deutsche Chirurgie, Lieferung 45d.
No 41.
bei der Sektion neben der Blutung aus dem Pankreasriss in allen
Fällen, ausser 4, Nebenverletzungen. Die Diagnose der Pankreas-
zerreissung war nicht gestellt. Dass Pankreasrisse spontan heilen
können, ist in mehreren Fällen erwiesen, auf die Spätfolgen der¬
selben, die traumatische Pankreatitis und falsche Pankreascyste
(Körte), sei nur hingewiesen T ).
Isolirte subkutane traumatische Rupturen von grösseren
Gefässen des Netzes habe ich nur einmal in der Literatur ge¬
funden. Guinard 8 ) hat wegen einer intraperitonealen Blutung
laparotomirt, und als Ursache der Blutung einen Abriss von
2 Dritteln des grossen Netzes vom Magen gefunden. Die Blu¬
tung wurde durch Unterbindung gestillt und das Netz wieder an
den Magen angenäht. Der Kranke starb am Tage darauf; bei
der Sektion fand sich ausserdem eine Durchreissung der linken
Vena renalis. Bei den übrigen Patienten, bei denen sich Ein¬
risse des Netzes oder des Mesenteriums fanden, war die Blutung
nicht so bedeutend, dass sie eine Operation indizirt hätte. Die
Risse wurden bei den Eingriffen, die wegen der gleichzeitigen
Darmverletzung stattfanden, gefunden.
Ein absolut sicheres Symptom für die Erkennung einer
intraperitonealen Blutung ist nicht vorhanden. Hier kann eben¬
so wie bei den subkutanen Magendarm Verletzungen nur die früh¬
zeitige und genaueste Ueberwachung des Kranken, der ein Bauch¬
trauma der geschilderten Art erlitten hat, zu einer Diagnose
führen. Gewöhnlich wird als hervorstechendes Symptom der
Schock angegeben. Wie aber Trendelenburg*) hervor¬
hebt, ist das Eintreten eines Schockes auch bei stärksten Bauch¬
blutungen nicht nothwendig, er fehlte auch in dem Falle Jor-
dan’s") und dem C o h n’s ”)• Bei anderen Fällen intraperi¬
tonealer Blutung ist ein ausgesprochener Schock vorhanden, so
fand er sich bei der subkutanen Leberzerreissung, die Hahn“)
in der Vereinigung der Chirurgen Berlins vorstellte, und auch
2 meiner Patienten zeigten ihn in starkem Maasse.
Ist ein Schock vorhanden, so pflegt für eine intraperitoneale
Verletzung und insbesondere für eine Blutung der Umstand zu
sprechen, dass sich der Patient trotz der angewandten Analeptica
nicht aus demselben erholt. Ich habe unter den zahlreichen
Fällen von Bauchkontusionen, die ich zu einer sehr frühen Zeit
nach der Verletzung in Behandlung bekommen habe, keinen ge¬
sehen, der stundenlang im Schock gelegen hätte, ohne dass es
sich um eine intraperitoneale Verletzung gehandelt hätte. Die
Leute, die, ohne eine Verletzung innerer Organe erlitten zu haben,
nach ihrem Trauma umfielen und bewusstlos wurden, haben sich
alle sehr bald erholt, mochte der Zustand auch Anfangs noch so
bedenklich erscheinen.
Bei den'Kranken, die ohne Schockerscheinungen in’s Kran¬
kenhaus gebracht werden, pflegt sich, falls es sich um eine intra-
peritoneale Blutung bedeutenderen Grades handelt, sehr bald,
meist schon nach 1 Stunde oder wenig mehr Zeit, eine rapide
Verschlechterung des Allgemeinbefindens geltend zu machen.
Der bis dahin frisch aussehende Kranke fängt an, blässer zu
werden, er wird theilnahmsloser. leicht somnolent.
Ist eine konkurrirende Schädelverletzung als Ursache aus-
zusehliessen, so kann diese frühzeitige Verschlechterung des Zu¬
standes nur auf eine Blutung in die Bauchhöhle bezogen werden.
Zugleich mit der Verschlechterung des Allgemeinbefindens
pflegt sich die Wirkung der akuten Anaemie auf das Verhalten
des Pulses geltend zu machen.
Derselbe, der bei der ersten Untersuchung vielleicht noch
ganz voll und ruhig war, wird jetzt klein und schneller und
zwar zu einer Zeit, wo von einer Reizung des Pulses durch eine
beginnende Peritonitis noch nicht die Rede sein kann. Die
Beschleunigung tritt bei der Blutung sehr viel früher auf und
nimmt in sehr viel rapiderem Tempo zu.
Die Athmung pflegt in Uebereinstimmung damit schneller
und oberflächlicher zu werden. Neben dieser Verschlechterung
des Allgemeinbefindens und der Aenderung oder, bei primär vor¬
handenem Schock, dem Nichtbesserwerden des Pulses können
lokale Symptome von Seiten des Abdomen vorhanden sein:
9 8 e n d 1 e r: Deutsch. Zeltsehr. f. Chirurg. Bd. 44. —
Boeckel: Revue de Chirurgie 1900.
•) Guinard: Revue Internat de thGrnp. et pharmac. 1*97,
8. 85.
*) a. a. O.
,# ) Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 3.
n ) Münch, med. Wochenschr. 1900. No. 18.
’*) Deutsche med. Wochenschr. 1899, Verelnsbellnge S. 220.
2
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1600
MUENCUENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Dämpfung, lokale Schmerzhaftigkeit, Erbrechen, feste Kontrak¬
tur der Bauchdecken, besonders an der verletzten Stelle.
Die vorhandene Dämpfung in einer oder beiden Unterbauch¬
gegenden kurze Zeit nach der Verletzung weist auf einen Blut¬
erguss hin. In ausserordentlich seltenen Fällen lässt sich diese
Dämpfung als durch den Austritt von Darminhalt bedingt er¬
klären. Es müsste schon ein sehr grosser Riss in einem stark ge¬
füllten Darmabschnitt sein, der zu einem sofort nachweisbaren
Flüssigkeitsaustritt führt, meist tritt in diesen Fällen der Nach¬
weis eines Exsudates erst sehr viel später auf, da dasselbe nicht
durch die ausgetretene Menge allein, sondern grösstentheils durch
die einsetzende exsudative Peritonitis bedingt ist. Das einzige
Organ, welches einen sofortigen stärkeren Erguss in die Bauch¬
höhle erzeugen könnte, wäre der Magen, der in angefülltem Zu¬
stande platzt.
Ob aber auch in solchen Fällen ein grösserer Erguss durch
die Perkussion und Palpation nachweisbar ist, ist mir sehr
zweifelhaft. Als Beweis für meine Ansicht, dass sich ein der¬
artiger Erguss von mehr als 1 Liter in der Bauchhöhle auf-
linlten kann, ohne dass wir ihn perkutorisch nachweisen können,
möge mein letzter Fall von Ulcus ventriculi perforatum dienen.
Es handelte sich um einen ausserordentlich kräftigen 22jähr.
Soldaten, einen Küfer von Beruf. Der Mann hatte in voller Ge¬
sundheit Tags zuvor beim Weinabziehen geholfen und dabei stark
gegessen und ebenso getrunken, ln der Nacht trank er wegen
seines „Brandes“ einen grossen Krug Wasser und erkrankte so¬
fort danach mit heftigen Schmerzen im Leibe. Als ich den
Mann etwa 10 Stunden später, am 15. VI. 1900, sah, konnte ich
ausser einer geringen Schmerzhaftigkeit des ganzen Leibes nichts
Krankhaftes finden, nirgends eine Dämpfung, nirgends einen be¬
sonderen Schmerzpunkt. Kein Fieber, Puls voll, 80 Schläge,
Leib nicht aufgetrieben. Ich nahm eine peritoneale oder Darm¬
reizung in Folge des starken Excesses an. Die schnell zu¬
nehmende Verschlechterung des Allgemeinbefindens zwang mich
zur Operation, bei der sich eine ausgesprochene Peritonitis mit
etwa 1'- Liter Flüssigkeit im Alnloincu fand. Als Ursache für
die Peritonitis stellte sich ein Ulcus ventriculi perforatum, das
an der Vorderfläche nahe dem Pylorus sass, heraus. Die Ex¬
stirpation des Ulcus, die gründlichste Reinigung der Bauch¬
höhle mit Spülung und Drainage vermochte den tödtlichen Aus¬
gang nicht aufzuhalten.
Ich sehe von der Schwierigkeit in diesem Falle, bei dem
Fehlen jeglicher Ulcusanamnese, die Diagnose zu stellen, ab
und weise nur darauf hin, dass ein Magen, an den schon durch
den voraufgegangenen Excess im Essen und Trinken starke An¬
forderungen gestellt waren, in Folge Ueberdehnung durch reich-
liehrs Wassertrinken, an einer alten TTlcusstelle platzt und die
Bauchhöhle mit seinem Inhalt überschwemmt. Und trotzdem ist
ein freier Erguss in der Bauchhöhle nicht nachweisbar. Das ist
nur so erklärbar, dass sich die Flüssigkeit zwischen und hinter
den Damischlingen vertheilt hat und gar nicht an die seitlichen
Bauchwandungen geflossen ist.
In ähnlicher Weise verhält es sieh auch mit den Blut¬
ergüssen. Ich muss gestehen, da^s ich mich nach dem Ergebnis«
der Perkussion und Palpation noch immer über die Grösse der
Blutergüsse getäuscht habe und jedesmal durch ihre Grösse,
auch bei den Bauchschussverletzungen, die ich zu operiren ge¬
habt habe, unangenehm überrascht bin.
So werthvoll also eine vorhandene Dämpfung für die
Diagnose eines Blutergusses in die Bauchhöhle ist, so wenig
würde ich durch die fehlende mein chirurgisches Handeln
bestimmen lassen. Von den weiteren lokalen Symptomen wäre
die lokale Schmerzhaftigkeit zu erwähnen. Sie war in keinem
meiner 3 Fälle vorhanden. Die Kranken klagten über allgemeine
Schmerzen im Leibe, die auf Druck nicht stärker wurden und
auch nicht an bestimmten Stellen, insbesondere nicht an der des
verletzten Organes lokalisirt wurden.
In der Mehrzahl der Fälle haben die Kranken kurz nach dein
Trauma gebrochen oder wenigstens Brechreiz verspürt. Das
dürfte auf eine Reizung des Peritoneums entweder durch das
Trauma selbst oder durch den Blutaustritt zurückzuführen sein.
Die feste Kontraktur der Biuiehdoekcn, besonders an der
verletzten Stelle, auf die T r c n d e 1 e n bürg ") und Auge-
T r o n d e 1 e n 1> u r g: n. :i. <>.
rer“) hinweisen, und die auch in dem J o r d a n’schen“) Falle
vorhanden war, habe ich trotz aller darauf gerichteten Auf¬
merksamkeit bei meinen Patienten bisher nicht nachzuweisten
vermocht.
Es erübrigt noch, mit wenigen Worten auf die Fälle '*) ein¬
zugehen, bei denen die Blutung durch die angegebenen Sym¬
ptome erst am Tage nach der Verletzung oder noch später in
die Erscheinung trat. Dieselben sind entweder so aufzufassen,
dass sich die verletzten Gefässe geschlossen hatten und das
obturirende Gerinnsel zur Lösung kam, oder so, dass eine zweite,
an und für sich unbedeutende Schädigung, etwa eine unvor¬
sichtige Bewegung, in dem betreffenden Organ eine neue Ver¬
letzung hervorgerufen hat.
Dem Angeführten entsprechend, sind wir in der Lage, die
Diagnose einer intraperitonealen Blutung zu stellen bei einem
Kranken, der ein Bauchtrauma erlitten hat:
1. wenn derselbe sich aus dem vorhandenen Schock nicht
erholt,
2. wenn das anfängliche gute oder leidliche Allgemein¬
befinden sich nach kurzer Zeit verschlechtert und im Besonderen
ein rapides Schneller- und Kleinerwerden des Pulses eintritt.
Die Diagnose wird unterstützt durch den Nachweis einer
Dämpfung im Bauche durch starre Kontraktur der Bauch¬
decken, sowie durch eine lokale oder allgemeine Schmerzhaftig¬
keit des Abdomens. Erbrechen kann dabei vorhanden sein öder
fehlen.
Aus welcher Quelle die Blutung stammt, lässt sich nur in
günstigen Fällen vorher mit Wahrscheinlichkeit sagen. Der Ver-
letzungsmechnnismus ist nur selten mit einer hierfür wünschens-
werthen Klarheit bekannt. Meistens wissen die Leute nur, dass
sie sich den Leib gequetscht haben, beim Stürzen mit dem
Bauche aufgeschlagen sind, dass ihnen das Rad über den Leib
gegangen ist; ob aber dabei Leber- oder Milzgegend bctrofFen war,
ist ihnen unbekannt. Höchstens die Leute, die Hufschläge oder
Aehnliches erlitten haben, können die Stelle angeben, wo die Ge¬
walt eingewirkt hat.
Ein Bluterguss der Bauchdecken braucht nicht vorhanden
zu sein, oder findet sich sowohl in der Leber- wie Milzgegend
oder über das ganze Abdomen.
Für die Milzzerreissung ist in einer Reihe von Fällen das Vor¬
handensein einer Dämpfung in der linken Bauchseite, die in
; die Milzdämpfung überging, angegeben. Auch in meinem letzten
! Falle stellte ich in Folge dieser Dämpfungsverhältnisse die
j Wahrscheinlichkeitsdiagnosc: Milzzerreissung. Es ist jedoch zu
erwägen, dass auch bei einem Leberriss das Blut einmal mehr
nach der linken Seite fliessen und eine Dämpfung hier er¬
zeugen kann, wie das unter anderem auch bei meinem
Kranken mit der subkutanen Leberzerreissung der Fall
war. Noch weniger als bei Traumen von Leber und Milz
können wir bei den ausserordentlich seltenen Fällen, in denen
ein grösseres Gefiiss des Netzes oder Mesenterium oder das Pan¬
kreas zerrissen ist, eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf den
Sitz der verletzten Stelle stellen. Dagegen sind wir bei Blut¬
ergüssen, die durch Nierenzerreissung sich nach Eröffnung des
Peritoneums ihren Weg in die Bauchhöhle gebahnt haben, wohl
stets in der Lago, aus der blutigen Beschaffenheit des Urins eine
Betheiligung der Niere, anzunehmen.
Wir sehen also, dass wir eine sichere Diagnose über die
; Quelle der Blutung vor Eröffnung der Bauchhöhle meist nicht
I stellen können. Aber das ist ja auch für die Fälle, um die es
I sich hier in erster Linie handelt, für die Kranken mit den grossen
Blutergüssen in die Bauchhöhle, gleichgiltig. Hier handelt es
sieh nur um die Diagnose: „intraperitoneale Blutung“. Ob die¬
selbe aus Leber oder Milz stammt, ob daneben noch Verletzungen
! des Darmtraktus vorhanden sind, ist für die Therapie von ge-
i ringerem Belang.
(Schluss folgtj
u ) An ge rer: Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für
i i'hirurgle. 15)00. 8. 482 ff.
I5 ) Joril a n: a. a. O.
") Valins: Province med. 94 und Sanltlitsbericht für 1894.
S. 200.
Digitized by VjOOQie
g. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN* IIRi ET.
1601
Aus dem hygienischen Institut der kgl. Universität zu Padua
(Prof. A. S e r a f i n i).
Ueber Auswaschung des Organismus bei der ex¬
perimentellen tetanischen Infektion.
Experimentelle Untersuchungen.
Von Dr. C. Tonzig, Assistent.
Es genügt, einen Blick auf die ausgedehnte Literatur über
die Frage der Tetanusinfektion zu werfen, um sich zu über¬
zeugen, dass, wenn auch die Biologie des Tetanusbacillus wohl
erforscht ist, andererseits noch viel zu thun übrig bleibt im
Studium des Toxins, welches er hervorbringt, und über die Art,
in welcher dieses im Organismus wirkt. Und folgerichtig lässt
auch die Behandlung des Tetanus noch ein weites Feld zum
Studium frei.
So hat die Serotherapie, welche gemäss den modernen Er¬
gebnissen der Wissenschaft die rationellste Behandlung ist, hin¬
sichtlich des Tetanus nicht völlig jenes Vertrauen gefunden,
dessen sie sich in verschiedenen ähnlichen Infektionen bereits
rühmt, obschon man hoffen kann, dass man von ihr sicher die
Resultate erlangt, welche man zu erwarten hat. Neuerdings
schloss Moschowitz [1] in einer seiner Arbeiten über den
Tetanus bei Austeilung einer Untersuchung über die bis jetzt
veröffentlichten und mit der Serotherapie behandelten Fälle,
dass, abgesehen von der verschiedenen Wirksamkeit der Seren,
diese Behandlung die Sterblichkeit an Tetanus von 90 Proc.
auf 40 Proc. herabsinken liess.
Er schreibt das Ausbleiben guten Ausganges direkt nur
jenen Fällen zu, in denen die Diagnose zu spät gemacht wurde
und die Zerstörung der centralen Zellen schon so weit vorge¬
schritten war, dass jeder Regenerationsversuch vergebens ist.
Das grösste kurative Vermögen scheint unter den verschiedenen
Antitoxinen, welche im Gebrauch sind, demjenigen T i z z o n i’s
zuzukommen.
Es kommen in die zweite Linie die Behandlungsmethoden,
welche wir palliative heissen, und denen zahlreiche Förderer zur
Seite stehen, weil sie oftmals mit glücklichem Ausgange ange¬
wendet wurden.
Unter diesen befindet sich das Kurverfahren, das sich auf
den Gebrauch von Substanzen stützt, welche geeignet sind, die
Reflexreizbarkeit der nervösen Centren herabzusetzen, so z. B.
das Chloral in starken und fortgesetzten Dosen, welches den
Zweck hat, den Kranken den schädlichen, seiner Umgebung ent¬
stammenden Reizungen zu entziehen, welche die tetanischen
Paroxysmen hervorzurufen im Stande sind.
Diese Kur wird von Einigen viel empfohlen, zumal dann,
wenn ihr die Entfernung des tetanischen Entstehungsherdes zur
Seite steht, die man entweder mittels tiefgehender Kauterisation
oder mittels Auskratzung der Wunde oder besser noch, in
günstigen Fällen durch Amputation des Gliedes besorgt. Man
hat viele Enttäuschungen dabei gehabt und unter diesen befindet
sich der Fall, welchen Schwartz[2] veröffentlicht hat, der
den Tetanus nach Amputation des Gliedes sich entwickeln sah.
Eine andere palliative Kur, die tüchtige Stützen gefunden
hat, ist diejenige, welche, zuerst von B a c c e 11 i ausgeübt, nun
unter seinem Namen in Gebrauch ist. Dieselbe besteht, wie be¬
kannt, in der subkutanen Injektion von starken Dosen (3—4 cg)
Phenol in wässeriger Lösung, die im Laufe des Tages bis zu
36—70—72 cg ansteigt. Das Phenol entfalte in diesen Fällen
ausser antitoxischer Aktion eine beachtenswerthe mässigende
Wirkung auf die Reflex-Excitabilität der nervösen Centren. Die
theoretische Grundlage dieser Kur ist vorzüglich insofern, als
sie ausser der leichten Anwendungsweise und der Ersparniss an
Zeit und Kosten der medikamentösen Bereitung einen der
Träume der modernen Medicin verwirkliche, denjenigen nämlich,
chemische Substanzen zu besitzen, welche, in den Kreislauf in-
jizirt, eine entschiedene Gegenwirkung gegen die von den patho¬
genen Mikroorganismen hervorgebrachten Gifte haben.
Die Praxis hat dem jedoch nicht immer entsprochen und
auch hier befinden wir uns vor zahlreichen Illusionen, welche
zu den von Baccelli erzielten und von seinen Schülern in
Evidenz gesetzten Resultaten im schroffen Gegensatz stehen.
Unter den Behandlungsmethoden, welche für Injektionen in
mehr oder minder zurückliegender Zeit vorgeschlagen worden
sind, befindet sich eine, die nach meiner Anschauungsweise ein
grosses Interesse nicht nur im Hinblick auf die Klinik und die
Hoffnungen, die mit ihr verknüpft werden können, sondern auch
darum bietet, weil sie als sehr wichtiges biologisches Experiment
dienen kann, sowohl über die Art des Verlaufes der bakterio¬
logischen Intoxikation, speziell bei jenen Infektionen, welche,
wie gerade der Tetanus, exquisit toxikaemische sind, wie über
den Vergleich, den man zwischen den respektiven Toxinen und
jenen Giften machen kann, welche bei in ihren Endergebnissen
genugsam analogen Wirkungen auf den lebenden Organismus
doch verschiedenartiger Natur sind und verschiedene anatomische
Laesionen hervorbringen.
Ich will damit von jener therapeutischen Operation sprechen,
welche auf der Einführung einer indifferenten Flüssigkeit in
die Blutmasse beruht, zu dem Zwecke, unter Benützung der
regulirenden Kraft des Blutvolumens, welche unserem Orga¬
nismus innewohnt, die verschiedenen Sekretionen der drüsigen
Oberflächen zu begünstigen und dergestalt Gifte oder Substanzen,
welche schädlich sein können, zu entfernen. Dieses Verfahren
hat mit Recht den Namen der Auswaschung des
Körpers erhalten.
Schon seit einiger Zeit empirisch im Gebrauch in Form
von Einführung grosser Quantitäten einfachen Wassers und
zwar entweder durch den Magen oder durch das Rectum (Entero-
klyse) verordnet, fand es schon im Jahre 1888 eine experimentelle
Bestätigung seitens Sanquirico’s [3], der untersuchte, ob
man es nicht auch bei den Vergiftungen mit den gewöhnlichen
Alkaloiden (Strychnin, Morphium, Nikotin etc.) gebrauchen
könnte.
Sanquirico unterwarf die Thiere, nachdem er sie mit
diesen toxischen Substanzen vergiftet hatte, der Auswaschung,
indem er zu verschiedenen Zeiten in die Jugularvene eine ver¬
schiedene physiologische Losung, die immer zu dem Gewichte
des Thieres in Beziehung stand, injizirte.
Sanquirico’s Versuche haben für die Praxis keinen be¬
sonderen Werth, da es für den Arzt schwierig ist, zur rechten
Zeit für die von ihm studirten Gifte einzugreifen, aber sie sind
von ausserordentlicher Wichtigkeit wegen der Schlüsse, die sich
im Hinblick auf die mögliche Vermehrung des Blutvolumens
und auf die Ausscheidung der Gifte mittels der Vermehrung
der verschiedenen Absonderungen aus ihnen ziehen lassen.
Er erzielte in dieser Weise die Rettung von Hunden, denen
er eine dreifache Dose der einfachen tödtlichen (0,2 mg) von
Strychnin und über die tödtliche hinausgehemle von Chloral,
Alkohol, Aconitin, Paraldehyd, Coffein und Urethan injizirt hatte,
während er Misserfolge bei anderen Giften, so dem Morphium,
dem Curare, dem Nitrobenzol, dem Hypnon, dem Nikotin hatte.
Solche Resultate, welche zeigen, dass man den Organismus
bis zu einem gewissen Grade von verschiedenen Giften, darunter
einigen vegetabilischen Alkaloideu, mittels der Auswaschung zu
befreien vermag, erwecken beim ersten Anblick die Hoffnung,
dass sich ein Gleiches auch für die toxischen Produkte der im
Blute circulirenden Bakterien erzielen lasse. Beobachtet man
die Infektion des Tetanusbacillus, so sieht man, wie diese sich
unter krampfartigen Erscheinungen abwickelt, die denen analog
sind, welche die Vergiftung mit Strychnin hervorbringt, für
welches Gift aber Sanquirico positive Resultate erzielt
hatte.
Ich darf jedoch nicht verschweigen, dass ich bei dem Ver¬
suche, Kaninchen zu retten, die mit diesem Gift in der Dosis
von 0,2 mg für jedes Kilogramm des Körpergewichtes behandelt
waren, hingegen negative Resultate erzielt habe, die sich durch
den von mir abweichend gewählten Einführungsweg der Aus¬
waschungsflüssigkeit erklären lassen, da ich dieselbe statt durch
die Jugularis durch die Peritonealhöhle einführte. Trotzdem
habe ich die durch die positiven Resultate Sanquirico’s
genährte Hoffnung nicht verloren und wollte versuchen, ob es
möglich sei, auch für das Tetanusgift zu einem gleichen Re¬
sultate zu gelangen. Diese Idee findet auch in der ärztlichen
i Praxis ihre Stütze bei verschiedenen Fällen mit glücklichem Aus-
; gange von verschiedenen Infektionskrankheiten, welche mit der
Auswaschung des Organismus behandelt wurden.
In der That, um nur die Neueren zu citiron, gebraucht«'
Doctor R. G o m e z [4] in einem schweren Falle von Tetanie
die Auswaschung des Organismus mit glücklichem Ergebniae,
indem er einem Knaben von 7 Jahren täglich 260 g physio¬
logischer Na Cl-Lösung zu 0,76 Proc. unter die Haut des
2
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41
1602
Rückens injizirte. Die Infektion wurde vom Autor der Intoxi¬
kation mit dem P f e i f f e risehen Bacillus zugeschrieben, welche,
als direktes Ergebniss, tetanisehe Muskelkonvulsionen hervor¬
gebracht hatte, die in jeder Beziehung den vom Tetanustoxin
hervorgebrachten ähnelten. Letzteres wurde jedoch durch den
absoluten Mangel an sichtbaren kutanen Laesionen (die jedoch
in einigen Fällen von Tetanus, so bei visceraler Infektion, nicht
nothig sind) und von der Modalität der Aufeinanderfolge der
die verschiedenen Muskelgruppen betreffenden Phänomene aus¬
geschlossen.
Lasletta [5] hat die Behandlung mit Salzinjektionen
in schweren Diphtheritisfällen versucht, wenn die Antitoxin¬
behandlung keine Resultate mehr ergibt und also die Herzkräfte
nachzulassen beginnen, und es scheint, als habe er die befriedi¬
gendsten Resultate erhalten.
Bose [6] erhielt, indem er in das Unterhautbindegewebe
von Typhuskranken 800—1000 ccm künstlichen Serums injizirte,
in der Anfangszeit nicht nur einige Reaktionsphänomene:
Schweissausbruch, ausgiebige Urinabsonderung, Erbrechen und
später Sinken der Temperatur, Diurese, Vermehrung des arteri¬
ellen Druckes, sondern er konnte auch beobachten, dass dem
künstlichen Serum in den Fällen von Enterorrhagien eine be-
merkenswerthe haemostatische Aktion zukommt.
B ayla c [7], welcher bemerkte, dass beim Typhus die endo-
venösen und subkutanen Injektionen künstlichen Serums un¬
bequem sind und bei einer Krankheit von langer Dauer nicht
lange genug gebraucht werden können, wendete mit glücklichem
Ausgange in Fällen von Typhus die Einführung von künstlichem
Serum auf intestinalem Wege an.
Diese Fälle haben C o i 11 a n d [8] zur Anregung gedient,
welcher berichtet, die Heilung in einem Falle von Tetanus
mittels Vereinigung der Hypodermoklyse mit der Blutegelkur
erzielt zu haben.
Schon einige Monate vor der Veröffentlichung der Note
C o i 11 a n d’s hatte ich im Laboratorium dieses Institutes den
bezeichnetcn Versuch im Thierexperiment durchgeführt.
Bevor ich mich zu ilim anschickte, habe ich erwägen müssen:
1. Dass aus den Studien von Vaillard, Fermi und
P a r n o s s i, sowie vielen Anderen, klar hervoi’geht, wie die
Natur des tetanischen Toxins sich absolut von derjenigen des
Strychnins und anderer stabiler Alkaloide unterscheidet.
2. Dass die stabilen Alkaloide auf den Organismus sofort
nach ihrem Eindringen in den Kreislauf, und wenn sie sich in
wägbarer Dosis darin befinden, wirken, während das Tetanusgift
nach seinem Eindringen in den Organismus zur Ausübung seiner
Wirksamkeit des Ablaufes einer gewissen Zeit bedarf, welche
in keinem direkten Verhältnis zur Menge des eingeführten
Giftes steht, sondern vielmehr von nicht genügend klargelegten
Umständen abhängt.
3. Dass das Gift des Tetanus seine Wirkung ausübt, indem
es in den Zellen der Nervencentren bestimmte anatomische
Alterationen herbeiführt und sich in ihnen festsetzt (B o n o m e
[10]). Ausserdem würde das tetanisehe Toxin nur wirksam sein,
insofern es in den Zellen der Nervencentren eine antagonistische
Substanz anträfe, mit der es, sich vereinigend, das Virus tetani-
cum (Blumen thal [11]) schüfe. Und daher würden sich die
tetanischen Phänomene nur manifestiren, wenn bereits die
Laesionen der nervösen Centren ihren Anfang genommen haben.
4. Dass der Urin der Tetanischen das Tetanusgift enthält,
wie auch der Speichel, die Nieren-, Leber- und Milzflüssigkeit,
sowie das Blut dasselbe enthalten, während man es in den ner¬
vösen Centren nicht antrifft.
V ersuchsanordnung: Wegen der Eigenart meiner
Untersuchungen hätte ich darauf hinzielen sollen, die tetanisehe
Infektion in einer Weise hervorzubringen, welche mich so viel
wie möglich den natürlichen Bedingungen näherte. Dies gelingt
nach Angabe der Autoren mit der Einführung von Sporen, die
toxinfrei sind. K i t a s a t o und Knorr haben zur Erlangung
dieses Zweckes angerathen, sterilisirte Holzsplitter in einer mehr¬
tägigen Tetanuskultur zu tränken, in welcher sich zahlreiche
Sporen finden, und nachdem man sie eine Stunde lang 80 0 aus¬
gesetzt hat, um das Toxin zu zerstören und die bacillären Formen
abzutödten, sie unter die Haut der Thiere zu bringen. Es ist
naturgemäss, dass sich mit dieser Methode für den Tetanus das
wiederholt, was sich in Natur ereignet, das heisst also, dass
Sporen, die toxinfrei sind, in den Organismus eindringen und
in Gemeinschaft mit einem Körper wirken, der die Gewebe ver¬
letzt. Jedoch haben die Autoren, welche diese Methode in die
Praxis einführten, gesehen, dass das Experiment nicht immer so
gelang, wie man hätte glauben dürfen, d. h. nicht in allen
Thieren, welche derart operirt werden, entwickelte sich die In¬
fektion und in den anderen verläuft sie mit einer solchen Varie¬
tät von Phänomenen, dass sie den Experimentator in Zweifel über
die Resultate setzt, wenn er sich anschickt, die Wirkung einer
antagonistischen oder kurativen Substanz auf den Tetanus zu
studiren. Wie den Anderen, so ist auch mir ein solcher Versuch
wenig befriedigend abgelaufen, da von den 12 Kaninchen, denen
ich den Tetanus mit dieser Methode beizubringen versucht hatte,
nur 8 nach einigen Tagen charakteristische Symptome und vou
verschiedener Intensität aufwiesen, während 6 ohne jedwedes
Symptom überlebten.
Desshalb habe ich zu Methoden greifen müssen, die, wenn
sie mich zwar zum Unterschiede von den Verfahren von Knorr
und Kitasato ein wenig von den gewöhnlichen und natür¬
lichen Bedingungen entfernten, mir doch in den Thieren den
Effekt erbrachten, den ich mir erwartete, d. h. die beständige
Entwicklung der charakteristischen Symptome. Um jedoch
keinen Zweifel über das Resultat meiner Untersuchungen in
Bezug zur Art der Entwicklung der Infektion zu haben, unter¬
nahm ich es, die verschiedenen bisher gebräuchlichen Experi¬
mentalmethoden des Tetanus in Anwendung zu bringen und sie
alle der Probe zu unterstellen.
So begann ich mit Inokulation der Reinkultur, der ich dann
in der Folge dieselbe in Mischung mit Kulturen von Prodigiosus
anreihte, der, wie schon andererorten gezeigt wurde, unter den
Mikroorganismen, welche die Tetanusinfektion begünstigen,
einer der thätigsten ist.
Aus neueren Arbeiten ist es bekannt, dass Tetanusbacillus
wie Tetanustoxin bei den geimpften Thieren die gleichen Phä¬
nomene ergeben, und desshalb habe ich es nicht unterlassen, die
mit dem aus Bouillon- und Gelatinekulturen durch Filtration
gewonnenen Toxin inokulirten Thiere einer Probe zu unter¬
stellen.
Schliesslich gebrauchte ich, da mir bekannt war, dass die
Virulenz der Kulturen je nach dem Nährsubstrat variirt, zum
Experiment Kulturen, die in den verschiedenen, in unseren
Laboratorien gebräuchlichen Substraten gewonnen waren.
Die von mir gebrauchte Tetanuskultur war aus dem Erd¬
boden der Medicinschule isolirt worden und nach der Entwick¬
lung in Bouillon unter Hydrogen bei 37° durch 3 Tage war
dieselbe im Stande, ein Kaninchen von 1,500 kg Gewicht in
4 Tagen und ein Meerschweinchen im Gewicht von 450 g in
2 Tagen in der Dosis von 0,50 ccm zu tödten.
Als Versuchthier musste ich, entsprechend der Eigenart
meiner Experimente, das Kaninchen wählen, das durch seine
Empfänglichkeit geeignet, auch fähig war, die Operation zu
ertragen, der es methodisch unterworfen werden musste.
Als die passendste und rathsamste Lösung gebrauchte ich
eine Kochsalzlösung zu 75 Proc., in einem passenden Recipienten
Vs Stunde lang bei 112° sterilisirt, um vor äusseren Verunreini¬
gungen bis zum Eindringen in den Körper des Thieree geschützt
zu sein.
Der von mir gewählte Injektionsweg war der peritoneale,
da der täglichen Wiederholung der Operation wegen die venöse
Injektion und wegen des Volumens der injizirten Flüssigkeit,
die etliche Male im Laufe des Tages 10 Proc. des Körper¬
gewichtes übersteigen konnte, die subkutane Injektion nicht an¬
ging. Ausserdem war es für die besondere Vergiftung, die ich
hervorbrachte, nicht nöthig, dass sich die Aufnahme der Flüssig¬
keit zur Auswaschung in’s Blut in stürmischer Weise vollziehe.
Dieser Weg bringt die Gefahr mit sich, einige Thiere durch
Infektion des Peritoneums zu verlieren, wesshalb ich alle von der
Wissenschaft angerathenen Kautelen der Asepsis angewandt
habe; so sah ich denn nur in zwei der für das Experiment zur
Verwendung gekommenen Kaninchen bemerkenswerthe Zeichen
von Infektion des Peritoneums bei der Autopsie.
(Tabelle siehe nädhste Seite.)
Die Inokulation von Kultur oder Toxin wurde im Unter¬
hautbindegewebe der äusseren Region des linken Schenkels der
Kaninchen vorgenommen, die Injektion des künstlichen Serums
durch den linken unteren Quadranten der Bauchwand.
Mit dieser Methode habe ich verschiedene Serien inokulirt,
die ich untereinander nach der Menge des injizirten Virus, sowie
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8. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET.
1603
Nummer der Serie
Datum
des Experiment«
Injizirtes Virus
Zahl
der
Thiere
jffi |
11 §
t £ *
< = S
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Methode
der Auswaschung
Zwischenzeit
bis zum Ersch.
der Symptome
an den Thieren
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Lebenstage
und Stunden der
Thiere
i cf 'm' o
= 3 g * O
t J*
0Q O ^ C
© c3 tl O
'Ö * D Uf
Beobachtungen
I
14.2.
1900
0,5 ccm Tetanuskultur in
Bouillon von 5 Tagen zu
37° 4 Theilen. Id. id. id.
von Prodigiosus B., 1 Th.
7
5
Tägliche endoperitoneale
Injektion von 150 ccm
in 3 Malen.
8 St.
8 St.
3—4 Tage
4 Tage
II
23.2.
1900
Wie vorstehend.
8
4
Tägliche endoperitoneale
Injektion von 60 ccm.
10 St.
10 St.
3—5 Tage
1 über¬
lebend
3—5 Tage
Das überlebende Thier zeigt
Lähmung der Glieder und stirbt
nach einiger Zeit an Kachexie.
III
7.3.
1900
0,5 ccm von Bouillon¬
kultur von 10 Tagen.
8
3
Täglich Injektion von
90 ccm in 3 mal
4 Tage
3 Tage
3—4 Tage
1 über¬
lebend
3 — 6 Tage
1 über¬
lebend
Die Symptome erschein, schneller
in 4 Kaninchen, denen die Aus¬
waschung vor dem Erscheinen
der Symptome zutheil wurde.
IV
23.3.
1900
0,5 ccm v. Bouillonkultur-
filtrat von 20 Tagen.
1
1
Injektion von 100 ccm
in 3 mal pro Tag
4 Tage
8 Tage
20 Tage
überlebt
lange Zeit
V
26.3.
1900
0,6 ccm Bouillonkultur
von 2 Tagen
2
1
Injektion von 30 ccm
täglich.
48 St.
48 St.
7 Tage
1 überleb.
6 Tage
Die Symptome fehlen im
überlebenden Thiere
VI
12.5.
1900
0,5 ccm filtrirte Gelatine¬
kultur von 20 Tagen.
2
1
Id. id.
48 St.
48 St.
2 Tage
l überleb.
3 Tage
Id.
VII
9.4.
1900
0,5 ccm filtrirte Bouillon¬
kultur von 20 Tagen.
2
1
Id. vor dem Erscheinen
der Symptome.
60 St.
48 St.
7-12 Tg.
1 überleb.
3-4 Tage
1 überleb.
VIII
19.5.
1900
Injektion von Stückchen
Agarkult. (Liborius) v. 3 Tg.
4
3
Id. nach dem Erscheinen
der Symptome.
48 St.
48 St.
7—12 Tg.
1 überleb.
3—4 Tage
IX
10.6.
1900
Id. id.
3
2
Id. nach dem Erscheinen
der Symptome.
48 St.
48 St. 8-9 Tage
il überleb.
6 Tage
X
198.
1900
Injektion von mit Sporen
getränkten u. von toxin¬
freien Holzsplittern.
6
6
Id. id.
10 Tg.
10 Tg.
12 Tage
im Durch¬
schnitt
16 Tage
im Durch¬
schnitt
2 der d. Auswaschung unferworf.
and 2 der Kontrol - Kaninchen
boten keine Symptome dar. Die
andern hatten eine nach Inten¬
sität verschied. Symptomatologie.
der Art, in der die Auswaschung vorgenommen wurde, unter¬
schied, und ich habe die Resultate in der Tabelle auf der vor¬
stehenden Seite zusammengestellt.
Schlussfolgerungen: 1. Man kann nicht auf
absolut günstigen Ausgang der Tetanusinfektion bei Anwendung
der Auswaschung des Organismus durch physiologische Koch¬
salzlösung auf peritonealem Wege hoffen.
2. Auch diese Versuche zeigen, dass das Virus des Tetanus
nicht kreisend im Organismus wirkt, sondern indem es sich an
die Gewebselemente anhaftet.
3. Wenn das Eindringen des Toxins in den Organismus
nicht auf stürmische Weise vor sich geht, verzögert die Aus¬
waschung mit künstlichem Serum das Erscheinen der tetanischen
Symptome und um einige Tage den Tod (Versuch VII, VIII,
IX); es darf daher dieses Verfahren nicht völlig verlassen werden
und man kann vielleicht zu ihm seine Zuflucht nehmen in Fällen,
wo die Serumtherapie nicht sofort eintreten kann.
Literatur:
1. Moschowltz: Studies from the Departement of the
Pathology. Columbia vol. VII, 1900. — 2. Sch wartz: Mercredi
mßdical, 1893. — 3. Snnquirlco: Archivlo per le sclenzc
mediche, vol. VI, 1887. — 4. G o m e z: Riforma medlca, vol. I, 1900.
— 5. Lasletta: The Lancet, num. 4025, 20 ottobre 1900. —
0. Bose: Congrt's international de mfdeciue, Parigl, 2-9 agosto
1900. Siehe Riforma Medlca, vol. IV. 1900. — 7. Bayla c: Bulletin
g6n6r. de Tlierapeutique, 30 sett. 1900. — 8. Coilland: Annali
d'Igiene speiimentale, vol. IV, num. 8, 1894_9. Fermi e Par-
n o s s 1: Riforma Medlca, vol. IV, num. 44, 1900. — 10. B o n o m e:
Archivlo per le sclenze mediche, vol. V, 1891. — 11. Blumen-
tal: Scnmlne ni^licale, num. 9, 1898.
Ueber die Behandlung der Fingerverletzungen mit
besonderer Berücksichtigung der späteren Erwerbs¬
fähigkeit.
Von Dr. II. G e o r g i i, Oberamtswundarzt in Rottenburg a. N.
Jeder praktische Arzt hat heutzutage Gelegenheit, das Re¬
sultat der Behandlung von Verletzungen nicht bloss nach der
wissenschaftlichen, sondern namentlich nach der praktischen
Seite hin oft noch nach längerer Zeit zu untersuchen und zu
begutachten. Daran ist die moderne Arbeiterschutzgesetzgebung
schuld. Die Berufsgenossenschaften wollen weniger das kos¬
metische als das praktische Ergebniss der Behandlung Unfall-
No. 41.
verletzter wissen, und der Arzt hat demnach in erster Linie eine
etwaige funktionelle Störung als Unfallfolge festzustellen und
auf Grund seiner Untersuchung den Grad der dadurch ent¬
standenen Erwerbsunfähigkeit abzuschätzen. Bei keiner Art
von Verletzungen hängt nun der Grad der späteren Erwerbs¬
unfähigkeit so sehr von der eingeschlagcnen Behandlung ab, wie
bei den Fingcrverletzungen; sie bildet daher eines der inter¬
essantesten und bedeutsamsten Kapitel in der Unfallheilkunde.
Für den praktischen Arzt ist aber die Frage der Behandlung
von Fingerverletzungen von erhöhter Wichtigkeit, weil sie als
ein Artikel der kleinen Chirurgie zum allergrössten Theil in
seine unmittelbare Behandlung gelangen und das spätere Schick¬
sal der meisten derartig Verletzten hinsichtlich der Beschwerden
und der Arbeitsfähigkeit somit in seine Hand gelegt ist.
Wie häufig kommt cs dem Land- oder Kassenarzt vor, dass
Patienten zu ihm gebracht werden mit gegipfeiten oder quer ab¬
getrennten Fingern, mit Verstümmelung der Fingerspitzen bis
herauf zum Grundglied, oft hängt die zerquetschte Haut in
Fetzen herunter und häufig ragen die knöchernen Endglieder
zwischen den Blutklumpen hervor! Die Behandlung derartiger
Verletzungen geschieht sowohl bei vielen Aerzten als auch seitens
nicht unbedeutender Spezialisten meistens noch nach den Grund¬
sätzen des streng konservativen Verfahrens: gerade bei den
Fingcrverletzungen dürfe man ja nichts kürzen, selbst wenn die
Knochenenden frei zu Tage treten, die mit der Zeit cintretende
Narbenschrumpfung werde die retrahirte Haut wieder über den
Stumpf heranziehen u. dgl. m.
Ledderhoso 1 ) war der Erste, welcher auf Grund reicher
Erfahrungen, Beobachtungen und Untersuchungen seine Stimme
erhoben hat gegen diesen übertriebenen Konservativismus bei
der Behandlung von Fingerverletzten, die ja meist der arbeiten¬
den Klasse angehörig, durch dieses Verfaliren gerade in ihren
sozialen Verhältnissen mehr geschädigt als gefördert würden, und
zwar hat dieser Autor den Nachweis geliefert, dass die in funk¬
tioneller Richtung so schlimmen Unfallfolgen nach Fingorver-
letzungcn in den meisten Fällen dieser erhaltenden Behandlungs¬
methode zur Last zu logen seien. Er hat die Lehre von der
„Glanzhaut nach Fingcrverletzungen“ aufgestollt und seine An¬
sichten in der erwähnten Monographie in einer nach jeder Ilin-
l ) Ueber Folgen und Behandlung von ■ Fingcrverletzungen.
1895. Leipzig, Breitkopf & Härte 1.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
sicht vortrefflichen und erschöpfenden Weise niedergelegt. Wer
sich des Näheren über Begriff, Wesen, verschiedene Formen,
pathologische Anatomie und Histologie, Prognose und Prophy¬
laxe dieser Art von Glanzhaut unterrichten will, dem sei die
Lektüre derselben dringend empfohlen.
Das praktisch Wichtige der Untersuchungen und Schluss¬
folgerungen Ledderhose’s muss aber hier Erwähnung finden,
weil damit die Begründung und das Fundament zu einem zwar
unter Umständen weniger konservativen Behandlungsverfahren
gegeben werden, einem Verfahren aber, dessen funktionelle End¬
resultate weit über den bisherigen Erfolgen der Behandlung
stehen. Der erhaltenden Methode hängen bezüglich der ver¬
stümmelnden Verletzungen folgende Hauptfehler an: die prima
intentio ist ausgeschlossen und desswegen die Gefahr langdauern¬
der Entzündungen und Eiterungen gross, diese führen zu Gelenk-
steifigkeiton, adhaerenten, bei jeder Berührung sehr schmerz¬
haften Knochennarben au den Fingerspitzen und -Stümpfen und
im weiteren Verlauf der Zeit zur Ausbildung der Glanzhaut.
Sie ist die Folge chronischer Circulationsstörungen, die während
des langsamen Heilverlaufs sich entwickeln, indem beispielsweise
bei freiliegendem Knochenende nach querer Abtrennung eines
Fingertheils von den benachbarten Hauträndem her üusserst
zögernd die Vernarbung erfolgt, dabei besteht eine fortwährende
Spannung an den Hauträndem, die zu Gefässveränderungen
führt und dadurch diese Ernährungsstörung der Haut bedingt.
Die Glanzliaut ist ganz besonders an den Fingerspitzen ausge¬
prägt, zeigt eine glatte und glänzende Beschaffenheit, eine rosa-
bi9 blaurothe Farbe, sie ist derb und gespannt und auffallend
empfindlich gegen Abkühlung (kühle Witterung), Lädirungen
aller Art; zugleich leidet die Beweglichkeit der Finger Noth.
Dieser Zustand kann nun Jahre lang dauern und wegen der
genannten Beschwerden die damit behafteten Individuen ganz
bedeutend im Erwerb schädigen. Solche Unfallreconvalescenten
sind auch in der That ein grosses Kreuz für die Berufsgenossen-
schaften. Die Verhütung dieser schwerwiegenden Folgen der Be¬
handlung liegt in der Sorge für einen unkomplizirten Wundheil¬
verlauf, der eine rasche Heilung ermöglicht. Beides ist aber nur
möglich, wenn von Anfang an für eine genügende gutbewegliche
Bedeckung der freiliegenden Knochen bezw. Knochenstümpfe
gesorgt wird und zwar mit reichlicher normaler Haut (Cutis und
subkutanes Gewebe) unter Vermeidung auch nur der geringsten
Spannung oder mit anderen Worten: Es muss ohne Rücksicht
auf die Länge des Fingers soviel vou dem freiliegenden Knochen
weggenommen werden, bis diese allein zweckmässige Bedeckung
des Stumpfes vollkommen erreicht ist. Jeglicher Zug an den
Hauträndem fällt dann weg; die Gofässvorbindungen zwischen
den Wundrändern gehen anstandslos vor sich und damit ist auch
die Ursache für adhaerente Knochennarben und die Glanzhaut
mit all’ ihren funktionellen Nachtheilen und Störungen beseitigt.
Es ist selbstverständlich klar, dass nun nicht jeder ge¬
quetschte Fingergipfel einfach resecirt werden soll, es muss hier
unter Berücksichtigung der neuen von Le d der li ose geltend
gemachten Gesichtspunkte ebenso streng von Fall zu Fall ent¬
schieden werden, wie sonst in der Mediein.
ln einer Reihe von Fällen habe ich in den letzten Jahren
Gelegenheit gehabt, das Resultat von mir behandelter Fingor-
verletzungen zu koutroliren, und möchte jetzt auch vom Stand¬
punkt des praktischen Arztes aus im Allgemeinen über meine
Erfahrungen berichten. Zunächst muss betont werden, dass es
bei den ersten Fällen immer langen Zuredens bedurfte, um die
Erlaubnis« von den Leuten mit verstümmelnden Verletzungen
zu einem weiteren verstümmelnden Eingriff in der besprochenen
Absicht zu erhalten; später ging cs unter Hinweis auf früher be¬
handelte Fälle leichter. Gestehen muss ich, «lass cs mir selber in
eigener Praxis mit eigener Verantwortung Anfangs schwer fiel,
entgegen den beim klinisch-theoretischen Unterricht auf der
Hochschule erhaltenen rein konservativen Weisungen, die auch
heute noch den meisten Aerzten zur Richtschnur ihres Handelns
dienen, zu verfahren; allein je mehr ich mich mit der Zeit auf
den mir wohlbekannten Standpunkt Ledderhose’s stellte,
um so dankbarer war das funktionelle Ergebnis«. Ich habe in
all’ den Fällen, in welchcu eine Kürzung des Knochens noth-
wendig erschien, primär resecirt; aber gerade Anfangs immer
noch iin Banne der eingeschärften konservativen Vorschriften:
Mehrmals habe ich zu wenig von dem freistehenden Knochen ge¬
opfert, die Lappen aus normaler Haut fielen zu kurz aus, was
nach einigen Tagen das Platzen der Naht und weiterhin einen
langweiligen Heilverlauf zur Folge hatte; auch das Endresultat
war hiebei nicht ganz so, wie man es gerne gehabt hätte; es
kam zur Bildung kleinster angewachsener Narben auf des
Stumpfes Höhe, die, so unscheinbar sie für das Auge waren, die
Unfallverletzten bei Berührungen, Anstossen u. s. w. in recht
schmerzhafter Weise an ihr Dasein erinnerten und die Ge¬
währung einer Unfallrente für mehrere Jahre rechtfertigen.
Ganz besonders erinnere ich mich einer Daumengipfelung, wobei
das Endglied in der Mitte abgetpietscht wurde; aus lauter Re¬
spekt vor dem Daumen wagte ich nicht, was in diesem Fall das
Richtige gewesen wäre, den Rest der Phalange zu entfernen,
sondern nahm nur so viel weg, dass die Hautränder mittels
einiger Nähte eben über dem Knochen zusammen gezogen werden
konnten: die Naht platzte und heute, nach mehr als 4 Jahren,
hat der Verletzte eine kleine Knochennarbe auf der Volarseite
des verstümmelten Endgliedes, die beim Fassen von Werkzeugen
noch sehr hinderlich ist; die Exartikulation des kleinen Knochen¬
restes hätte vollständig hingereicht zur bequemen Bedeckung des
Stumpfes mit normaler Haut ohne alle Spannung, und selbst
der Daumen dieses Taglöhners wäre trotz der weiteren Ver¬
kürzung um nicht einmal einen halben Centimeter gebrauchs¬
fähiger, als er es jetzt ist. Je mehr man sich auf Grund
eigener Erlebnisse zur sofortigen ausreichenden Verkürzung des
Knochens in den einschlägigen Fällen gewöhnt, um 90 besser
fallen die Endresultate aus; dieses gilt namentlich für die. Fälle,
bei welchen das Endglied überhaupt nicht mehr in Befracht
kommt. Bezüglich der Verletzungen des Endgliedes kommt es
darauf an, ob nur die Fingerkuppe ohne Knochenverletzung
fehlt oder ob der Knochen selbst querdurchtrennt ist; im ersteren
Fall ist das Zuwarten das Richtige, weil hier die Ueberhäutung
ohne Zug und Spannung von allen Seiten, gleichmässig und
rasch erfolgt und sekundäre Infektionen unter geeigneter Be¬
handlung sich viel leichter fern halten lassen als bei grösseren
Hautdefekten mit offenen Knochenwunden. Im letzteren Fall
wird unter Rücksichtnahme auf alle in Betracht kommenden
Momente in den meisten Fällen die primäre aktive Therapie
den Vorzug vor jeder anderen erhalten müssen.
Das Resultat meiner eigenen, ganz im Sinne Ledder-
hose’s behandelten Fälle war bei glattem Verlauf steta das
gewünschte: gut verschiebliche Bedeckung des Stumpfes mit
normaler Haut, keine adhaerenten Narben und damit keine oder
nur unerhebliche Funktionsstörungen.
Beim Zutritt von Wundkrankheiten war die Heilung ver¬
zögert; aber in keinem Falle kam es zur Ausbildung der mit
Recht so gefürchteten Glanzhaut, die so oft eintritt bei aus¬
schliesslich konservativer Behandlung; ich glaube das relativ
günstig«.! Ergebnis« bei s<‘kundärer Verheilung der operativ ge¬
bildeten Lappen nur dom Fehlen von Zug und Spannung an den
Hauträndem zuschreiben zu dürfen, was ohne Verkürzung des
Knochens unausbleiblich ist.
In technischer Hinsicht ist noch bemerkenswerth bezüglich
der Methode der Sturapfbcdeckung bei Resektionen und Exarti¬
kulationen au den Mittel- und Endgliedern der Finger, dass die
Bildung eines grösseren volaren unil eines kleineren dorsalen
Lappens praktischer ist, als die sonst übliche Bedeckung mit
nur einem volaren Lappen, weil dann die Narbe ganz ausserhalb
des Bereichs <h*s Knoehenondes kommt und keine Adhaerenz zu
befürcht «in ist (L e d «1 e r h o s e).
Von ganz besonderer Bedeutung gerade für den praktischen
Arzt, der nicht selten aus Mangel an geeigneter Assistenz zur
Narkose «iinen nothwendigon primären Eingriff unterlässt, ist
«las so einfache S c h 1 e i c lx’sche Verfahren zur Herstellung
d«*r örtlichen Unempfindlichkeit. Damit fällt für den allein¬
stehenden Arzt das Ilaupthindemiss, «lie allgemeine Narkose,
weg; Assistenz ist absolut überflüssig und jeder irgendwie an¬
gezeigte operative Eingriff kann schmerzlos mit voller Ruhe und
Sorgfalt und bei nicht ängstlichen Leuten leicht unter deren
eigener Beihilfe vorgenommen werden. In allen auch sonst von
mir vorgenommenen Fingeroperationen habe ich dieses Verfahren
angewan«lt um! zwar zur grössten Verwunderung meiner Pa¬
tienten, wirklich ohne den geringsten Schmerz zu erzeugen! Je
nach Lage des Falles habe ich theils örtlich, theils nach Oberst
die Analgesie hergt-stellt und kann an der Hand zahlreicher Fälle
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8. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1605
mit Freude- bestätigen, was Ledde rhose schon 1895 be¬
hauptet hat, dass die Lokalanaesthesie mit Cooainlösungen — 1
auch den heutigen sehr schwachen Schleie h’schon — dazu
berufen ist, nicht- nur alle an den Fingern angezeigten länger
dauernden Operationen vollkommen schmerzlos zu gestalten,
sondern auch, was noch bedeutungsvoller ist, dem praktischen
Arzt- sowohl, wie dom Patienten den Entschluss zur sofortigen
Operation zu erleichtern, um so letztere vor langwierigen
Heilungsprocessen und Funktionsstörungen zu bewahren.
Bezüglich der Behandlung der ausgebildeten Glanzhaut mit
ihren Beschwerden gelten die gleichen Grundsätze, wie sie oben
erwähnt wurden: Entfernung der krankhaften und mangelhaft
ernährten Haut und Narben und genügende Befleckung der
Stümpfe mit normaler Haut. Die funktionellen Resultate sind
auch hier trotz Kürzung der Finger sehr gute, wovon ich mich
während meiner Assisteutenzeit am früheren Reconvalescenten 1
haus für Unfallverletzte zu Strassburg i. E. — jetzt Unfall¬
krankenhaus — durch Beobachtung einer Anzahl von Fällen
vollauf überzeugen konnte.
Für die Berufsgenossenschaften ist die Kenntnis« dieser von
Ledderhose aufgodccktcn und wissenschaftlich klargesteilten
Tliatsachen ebenfalls von Bedeutung; denn es wird ihre Sache
sein, nicht sowohl im eigenen finanziellen Interesse, sondern ganz
besonders im Interesse der Unfallverletzten, für sofortigo richtige
Behandlung Sorge zu tragen, um dieselben vor Nachtheilen
.sozialer Natur: Funktionsstörungen und damit verbundener
langdauernder verminderter Erwerbsfähigkeit bei Zeiten zu
schützen.
Anomalien des Nasenrachenraums, erläutert an zwei
Fällen von Naseneiterung mit sogen. Reffexneurosen.*)
Von Sauitätsrath Dr. C. II o p in a n n in Köln.
Dio Zeit liegt schon ziemlich fern — es war Anfangs der
achtziger Jahre — als das Gebiet der von der Nascnschleimhaut
ausgehenden reflektorischen Störungen ungemein ausgedehnt
wurde. Heutzutage ist man vielleicht in das entgegengesetzte
Extrem verfallen, indem man geneigt ist, bei Naseneiterung bei¬
spielsweise vorkommende Kopf- und Gesichtsneuralgien an erster
Stelle auf eine Sinuitis, krampfhafte Hustenanfälle auf die in
den Kehlkopf herabfliessenden Sekrete zu beziehen.
Es scheint mir darum angebracht, wieder einmal darauf hin¬
zuweisen, dass auch vorwaltend reflektorische Störungen
in V e r b i n d ung mit Naseneiterung Vorkommen. Ich
führe um so lieber 2 Beispiele solcher an, als dieselben ausser¬
dem angeborene Anomalien des Nasenrachen¬
raums bezw. des Nasenskelets darbieten, welche, in
«lern ersten Falle durch Verkürzung, in dem zweiten durch Ver¬
engerung der Nasenhöhlen ihrerseits zu einem unregelmässigen
Verlauf der Eiterung beizutragen im Stande waren.
Der erste Fall betrifft einen 33 jiilirlgeu Schlosser, welcher
seit 2 Jahren fast Jeden Sonntag, während der letzten Monate auch
noch ein- bis zweimal ln der Woche, den ganzen Vormittag hin¬
durch, vom Erwachen an, durch Druck und Schmerz über den
Augen, fast immer nur rechterseits, durch Schwindel, Mücken-
seheu, Augenflimmem, üebelkeit, zuweilen auch Erbrechen zu¬
nehmend geplagt wurde. Die Migräne steigerte sich ln letzter Zelt
bis zur Lichtscheu, Thränenträufelu und Blepharospasmus rechts.
Obgleich schon jahrelang vor Auftreten der hemikranischen
Anfälle Eiterung der Nase und feste Sekretmassen im Nasen¬
rachenräume dem Kranken zeitweise die nasale Respiration sehr
erschwerten und desslinlb bei dein langen Bestände der Eiterung
die Lokalisation der Schmerzen über dem rechten Auge von vorn¬
herein den Verdacht auf Mitbetheiligung des Sinus front, dext. an
der Eiterung lenkte, so gab die Durchleuchtung nicht den min¬
desten Anhaltspunkt für diese Annahme. Im Gegentheil bewies
das ungewöhnlich helle und gleichmässige Aufleuchten aller
Höhlen ein zart gebautes Gesichtsskelet, bei welchem Sekret¬
stauungen otler lokale Schleimhautverdickuug wohl nicht vor¬
ig» rgen geblieben wären.
Nachdem durch Mulleinlagen die eingedickten nasalen und
pharyngealen Sekrete verflüssigt waren (wobei die Einlagen foetld-
eltrig durchtränkt wurden), fand ich die Schleimhaut dev Nase
und des Nasenrachenraumes trocken und entzündlich gerötbet.
wie gewöhnlich bei Rhlnopharyngitis sicca puruleuta; die unteren
Musebein zeigten sich nicht unerheblich atrophlrt; die mittlere
linke Muschel hypertrophlrt. Die untere Nase Ist, wie Sie an dem
hier anwesenden Manne sehen, schmal, doch gnt entwickelt.
*) Vortrag; gehalten in der Vereinig. Westdeutsch. Ilnls- und
Ohrenärete, VII. Sitzung. Köln, 21. April 1901.
Untersucht man den Nasenrachenraum, so findet man die
Tubenwülste weit näher bei einander als normal, was eine seit¬
liche Verengerung des oberen Rachenraumes bedeutet. Ferner
lindet inan die hinteren Enden der mittleren
M u s c li ein — bei der unteren ist das wegen der Atrophie
weniger deutlich — frei ln den Nasenrachenraum
hineinragend (ohne dass es sich um polypoide Hyperplasien
der hinteren Muschelenden handelt) und ferner den hinteren
Vomerrand nach vorn verschoben. Das entspricht einer Ver¬
längerung des Nasenrachenraums. Dieselbe ist erheblich, wie
Sie sehen werden. Nimmt man nämlich in der früher von mir an¬
gegebenen Weise die Septummaasse mit Hilfe dieses Messstäbcbeus
auf, so ergibt sich eine ganz erhebliche Verkürzung der Scheide¬
wand in der Richtung von vorn nach hinten.
Es beträgt hier a c (Distanz Nasenspitze — hintere Rachen¬
wand) 110 mm, ab (Distanz Nasenspitze — hinterer Septumrand)
78 mm, bc (Distanz hinterer Septumrand — hintere Rachenwand)
32 mm, oder ae — 100 gesetzt, ab —71. bc = 29.
Zum Vergleich gebe ich hier zwei Tafeln aus Braun’s Ge-
friordurchschiiltten herum. Tafel I betrifft einen gesunden,
21jälirigen Soldaten, bei dem die betreffenden Maasse 98:81:17
oder, auf 100 bezogen, 82:18 sind. Tafel II ist der Durchschnitt
eines ganz normal gebauten 23 jährigen Weibes, bei dem die
Maasse 100:85:15 sind. Demnach ist das Septum bei unserem
53 jährigen Schlosser 11 mm relativ kürzer, als bei dem 21jährigen
Soldaten und 14 nun kürzer, als bei dem 25 Jährigen Weibe.
Diese relative Septumkürzung rührt von einer Verlagerung
des Vomers her. wie Sie sieh durch Untersuchung des Kranken
mit dem Spiegel oder, mühelos, an diesem wohl gelungenen Ab¬
druck des Nasenrachenraums überzeugen können. Der hintere
V o m e rrund ist a um der Clioanalebeu e, der er nor¬
maler Welse angehört, einschliesslich der Aino
um io und au der conen vsten Stelle sogar
um 10 ni in nach vorn verschoben. In Folge
dessen ist die Nasenhöhle verkürzt, so dass die Muscheln mit
ihren hinteren Enden keinen Platz mehr in ihr finden, sondern frei
in den sehr verlängerten Nasenrachenraum hineinragen. Weiter
zeigt Ihnen der Abdruck den Nahestand der Tubenknorpel; sie
sind nur 10 mm von einander entfernt. Die Pllcae salplngo-
palatinae, welche die seitliche Umrandung der Clioauen mitbilden,
setzen sich hier ungewöhnlicher Weise nach oben hin fort und
tiiesseti im Gewölbe bogenförmig in einander über. 8o stossen
also die beiden Choualebenen. die nörmal in einander übergehen
sollten, unter einem spitzen Winkel zusammen. Wie abweichend
dieses Verhalten ist, ersehen Sie am besten durch Vergleich mit
diesem Abdruck hier, bei dem der hintere Septumrand in der
Chonimlebene liegt, oder auch' mit diesem anderen, bei dem er nur
wenig aus der Choannleliene nach vorn verschoben ist Nebenbei
mögen Sie an diesem letzteren Abdruck die Asymmetrie beider
(’hoanen bezüglich Ihrer Weite bemerken. An diesem vierten Ab¬
druck hier sind die Choanen von normaler Länge und Welte;
letztere wird nur olieu durch Vorspringen der stark entwickelten
Tubenwülste beeinträchtigt. Zwischen beiden Wülsten sehen Sie
einen, die Alae Vomeris verdeckenden Querwulst, welcher der
Rachenmandel angehört (Demonstration).
Das Verhindern der Eiudiekung oder Verborkung des Sekrets
durch regelmässig erneute Einlagen von Mullstreifen in die Naseu-
günge und Bestäubunc ihrer Schleimhaut mit Sozojodolon hat bet
dem Kranken dazu geführt, dass die Migriineanfälle schwächer und
schwächer wurden, um nach kurzer Behandlung ganz aufznhören.
Gleichzeitig hat sieh die Nasen ei terung ganz erheblich gebessert.
Nur einmal noch in den letzten 5 Wochen hat der Kranke
eine Art von Migränenufall gehabt, der aber diesmal mit heftigem
rechtsseitigen Zahnschmerz verbunden war. Dieser Anfall ging
von einem cariöseu Zahn aus und ist nach geeigneter Behandlung
des letzteren nicht wiedergekehrt.
Ich will hier auf die verschiedenen Erklärungsversuche nicht
eingehen, welche man für die Thatsache der einstweiligen 1 ) Be¬
seitigung der Hemikranie durch Behandlung der Nasenei terung
beibringen kann, eine Besserung, welche um so auffälliger er¬
scheint, als die Migräne seit 2 Jahren fast alle 8 Tage und in den
letzten Monaten vor der Behandlung, welche überdies während'
eines solchen Anfalles begonnen wurde, alle paar Tage in zu¬
nehmender Heftigkeit auftrat.
Heute möchte ich nur auf das Zusammentreffen der Nasen¬
eiterung mit angeborener Anomalie der Nase bezw. des Nasen¬
rachenraums hinweisen und kurz die Bedeutung des Zusammen¬
hanges erörtern.
Vor mehreren Jahren 5 ) veröffentlichte ieh eine Anzahl von
Septumin essungen normaler und kranker, namentlich auch
Ozaena-Nasen, aus deren Vergleich dio Thatsache hervorging,
dass in der Regel bei Ozaena genuina eine relative Scp-
t u m kürze besteht. Diese Messungsresultate sind mittlerweile
von verschiedenen anderen Autoren, von denen ich nur Gerber
hier nenne, im Wesentlichen bestätigt worden. Diese Septum-
*) Zusatz l»el der Korrektur: Bis Ende September c. lmt der
Kranke, der frei von Nnseneitcning geblieben ist, nur noch einmal
einen ganz leichten Anfall gehallt.
2 ) Arcli. f. Laryngol. 1893. I, 1; ibld. 1895, III, 1/2. Cf. auch
diese Wochenschr. 1894, No. 3: „Ozaena g.“
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
kürze kann nur in einer mangelhaften Entwicklung des Nasen¬
skelets begründet sein, und zwar in Folge congenitaler, die nor¬
male Entwicklung hemmender Einflüsse. Dieses aber wirft
wieder Licht auf die übrigen, bei Ozaena genuina ganz besonders
ausgeprägten Atrophien, namentlich diejenigen der Maschein.
Meine Auffassung der Ozaena g. ging demnach dahin, dass sie
in der Mehrzahl der Fälle auf der anatomischen Grundlage einer
Verkümmerung des Nasenskelets entsteht, indem evident er¬
scheint, dass 1. dem physiologisch nicht voll ausgestalteten Nasen¬
skelet auch eine dürftigere Entwicklung der periostalen und
mucösen Bekleidung entspricht, und dass 2. die mangelhaft, d. h.
dürftig mit Drüsen und Gefässen ausgestattete Schleimhaut
gegen bakterielle und anderweitige Schädlichkeiten weniger
widerstandsfähig ist und demnach eher, intensiver und hart¬
näckiger erkranken wird, als eine normal entwickelte Schleim¬
haut. Dann aber ist noch 3. die abnorme Weite der Nasenspalten
sowohl für die leichtere Ansiedelung und Ausbreitung einer
Eitcrinfektion, als auch, nach einmal aufgetretener Entzündung,
für den schleppenden Verlauf derselben verantwortlich zu
machen, da abnorme Weite der Nasenhöhlen die Austrocknung,
Stagnation und lange Retention der Sekrete und ihre Zersetzung
ungemein begünstigt. *
Wenn auch unser Patient nicht das klassische Bild einer
Ozaena g. bietet, so kann ich doch auch an ihm die Wechsel¬
beziehung von congenitaler Abnormität der Skeletentwicklung
der Nase und eitrigen Entzündung der Schleimhaut erläutern.
Zunächst stellt die erhebliche Verkürzung des Septums gleich¬
zeitig eine ebensolche Verkürzung der Nasenhöhle selbst dar, in
welcher nicht einmal die Muscheln ganz Platz haben. Der Luft¬
strom, der durch eine kurze Nasenhöhle streicht, kann aber nicht
in demselben Grade vorerwärmt, durchfeuchtet und entstaubt
werden, als in normal langen Nasenspalten. In Folge dessen
leidet die Ventilation der Nase selbst und wird der Inspirations¬
strom auch eine andere Richtung als normaler Weise nehmen.
Die Nasenschleimhaut selbst aber, die nach meiner eben dar¬
gelegten Auffassung an dem Verkümmerungsprocess betheiligt
ist — die unteren Muscheln z. B. sind entschieden verkümmert
— erwehrt sich nicht in physiologischer Art der auf ihr abge¬
legten Entzündungserreger: so entstand schon in den Kinder¬
jahren eine hartnäckige eitrige Schleimhautentzündung, die auch
auf den Nasenrachenraum Übergriff und zu Sekretanhäufungen
in diesem und der Nase führte. Gerade die, der kurzen Nasen¬
höhle korrespondirende grössere Tiefe des dazu seitlich verenger¬
ten Nasenrachenraums vermehrte die Sekretretention, da die
Rachenmuskulatur (die Constriktoren etc.) offenbar einen der¬
artig deformirten oberen Rachenraum durch ihre Kontraktionen
weniger leicht säubern können, als einen normal gebauten. Die
Sekretretention in Nase und Nasenrachenraum hat dann nächt¬
liche Mundathmung bewirkt und fehlerhafte Blutoxydation.
Diese aber schafft wiederum einen günstigen Boden für die Ent¬
wicklung von Neurasthenien, welche Migräne und anderweitige
vasomotorische Neurosen begünstigt. Die Auslösung der Anfälle
selbst erfolgte, wie die Besserung durch Beseitigung der Borken¬
bildung lehrt, durch den Reiz der borkigen Sekrete auf die
Nasen- und Rachenschleimhautnerven.
Der zweite Fall war folgender:
Vor einiger Zelt wurde ich ersucht, einen 18 jährigen jungen
Kaufmann an Behandlung zu nehmen, bei dem die bisher an¬
gewandten örtlichen und allgemeinen Mittel nichts gefruchtet
hätten.
Das Leiden bestand subjektiv ln Behinderung der nasalen
Athmung mit nasaler Sprache und nächtlichem Schnarchen, ln
Nasen- und Rachenverschleimung, Appetitlosigkeit, Kopfschmer¬
zen, häufig wiederkehrenden Stichen in den Ohren und, worüber
am meisten geklagt wurde, in heftigen Anfällen von
trockenem Husten, welche sich namentlich in den letzten
Monaten an Zahl und Dauer unerträglich gesteigert hätten. Die
örtliche Behandlung an seinem Wohnort hatte in Galvanokauteri¬
sation der Nasenschleimhaut. Wegnahme von Wucherungen im
Rachen, Pinselungen, Inhalationen bestanden, doch nur vorüber¬
gehende Linderungen erzielt.
Der Befund ist folgender: Beide Nasenhöhlen verborkt; am
Rachendach eine durch eine mittlere sagittale Furche getrennte
Mandel, Tubenwülste nahe zusammenstehend, Choaneu klein,
Septum verdickt Hörweite beiderseits fast normal. Bei Ver¬
flüssigung der Borken durch Mulleinlagen erweist sich das nasale
eitrig-schleimige Sekret schwach foetid. Die Muscheln sind mässlg
atrophisch, ihre Schleimhaut geröthot und aufgelockert. Be¬
rührung des Nasenrachenraumes mit der Sonde
löst jedesmal einen heftigen Husteuanfall aus.
Durchleuchtung der Höhlen zeigt alle intensiv und gleich-
mässig erhellt.
Nach Cocainlslrung des Nasenrachenraums und Abziehen des
Velums lässt sich ohne Schwierigkeit ein Abdruck gewinnen.
Das positive Gipsmodell dieses Abdrucks, das ich ihnen hier
vorzeige, zeigt deutlich die relative Enge und Kürze der Choanen.
das verbreiterte Septum, die vorspringenden, nahe zusammenge¬
rückten Tubenwülste und die Rachenmandel, deren beide, durch
die mediale Furche getrennten Hälften kissenartig vorspringeu.
Die Distanz der Tubenwülste, welche gewöhnlich 20 und mehr
Millimeter beträgt, misst hier nur 12 mm. Die Tubeneingänge sind
von oben nach unten eingeengt, doch im Uebrigen gut ausgeprägt.
Die hintere Septurawand ist kurz, aber sehr breit (ca. 3 mm); die
Choanen, von denen die linke noch etwas enger als die rechte ist,
sind 10 mm hoch und 8 mm breit; von oben her erscheinen sie
durch die Rachenmandel etwas verkürzt Der hintere Septumrand
liegt in der Choanalebene, also normal.
Es handelt sich demnach hier um 2 verschiedene pathologische
Zustände: erstens angeborene Enge des Rachengewölbes und
Kleinheit der Choanen und zweitens Prozesse, welche diese natür¬
lichen Engen noch zu vermehren geeignet sind (Hyperplasie der
Rachenmandel, mucöse und submucöse Verdickung der Septura-
bekleiduug, eitrige, zur Verborkung der Nase führende Rhinitis).
Die anderen Erscheinungen, welche der Kranke darbot (die Ohr¬
stiche, Kopfschmerz, Appetitlosigkeit und namentlich die anfalls-
weise auftretenden Paroxysmen trockenen Hustens) waren als
reflektorische Reizzustände besonders desshalb aufzufassen, well
als Ausgangspunkte und Hauptherd des Hustenreizes die Gegend
der Choanen und das Rachengewölbe überhaupt festgestellt war.
Die einzuleltende Therapie war demnach vorgezeichnet: Be¬
seitigung der die Choanen verengenden Zustände nach Möglichkeil,
und Behandlung der Naseneiterung.
Trotzdem Patient so stark Chloroform irt
war, dass er nach Erwachen versicherte nicht das Mindeste von
den Eingriffen gefühlt zu haben, so erfolgten doch vom An¬
selzen dos Ringmessers an (behufs Ausschneidung der Rachen¬
mandel) bis zum Abkneifen der Verdickungen des Septums und
der sehnigen Massen in der oberen Choanalapertur beständig
derartige Hustenparoxysmen, dass die Operation da¬
durch sehr erschwert und die ganze Umgebung des Operirten mit
Blut, wie mittels Sprühregen bespritzt wurde. Die Erweiterung
der Choanen. deren sehnige obere Faserzüge zunächst gesprengt
und später mit der Hartman n’schen Zange abgekniffen wur¬
den, gelang indessen bis zu einem solchen Grade, dass die Kuppe
des Unken Zeigefingers, die vorher selbst von der Kante aus nicht
in die Choanen hineingezwängt werden konnte, nunmehr in der
Breite hereinzupressen war. Einlage von Jodoformmull in beide
Nasenhöhlen boendiete die Operation.
Die Recouvalesceuz verlief, von einer vorübergehenden Tem-
peratursteigerung am dritten Tage abgesehen, ohne weitere
Zwischenfülle und endete mit einer so erheblichen Besserung aller
Beschwerden, dass Patient als geheilt betrachtet werden kann.
Patient hat keine paroxysmalen Hustenanfälle, keine Ohrstiche.
Kopfschmerzen und Magenbeschwerden mehr, er spricht normal
und schläft mit geschlossenem Munde. Es besteht nur noch ein
Rest der eitrigen Rhinitis.
Wie Sie an diesem, 4—5 Wochen nach der Operation ange¬
fertigten zweiten Abdruck des Nasenrachenraums unseres Patien¬
ten sehen werden, ist das Resultat, was Erweiterung der Choanen
betrifft, recht befriedigend zu nennen, da die Choanen, beson¬
ders nach oben hin, verlängert und in demselben Maasse breiter
geworden sind, als das Septum verschmälert wurde.
Ich bitte beide Abdrücke des Nasenrachenraumes des jungen
Mannes, V und Va, mit einander vergleichen zu wollen, um den
Unterschied beider, den ich nnführte, zu erkennen.
Der Fall lehrt, dass bei natürlicher Kleinheit der Choanen,
oder besser gesagt, bei angeborener Enge des Nasenrachenraums
verhältnissmässig geringe pathologische Veränderungen, welche
hinzukommen, genügen, um erhebliohe Störung der nasalen Re¬
spiration zu verursachen. Diese geringen pathologischen Ver¬
änderungen bestanden hier in einer, etwa kleinhaselnussgrossen
Hyperplasie der Rachenmandel und in einer Verdickung des
sehnigen Bindegewebes, welches die obere Hälfte des Septums
und der Choanen bekleidet. Hierzu kam dann noch die katar¬
rhalische, später purulent werdende Entzündung der Schleim¬
haut, wodurch die nasale Respiration vollends unterbrochen
wurde. Die mangelhafte Ventilation der Nase ist aber wiederum
die ergiebigste Ursaohe für die Chronicität der Katarrhe und
eitrigen Entzündungen. Auf diesem Boden entwickelte sich nun
endlich die Reizzone, besonders im Gebiete der verengten Partien,
in Folge deren die dort eingedickten und angetrockneten Sekrete,
besonders nach dem Erwachen, stürmische Hustenanfälle hervor¬
riefen. Dass letztere durch die Sekrete im Nasenrachenraum er¬
zeugt wurden, ist durch die festgestellte Hyperaesthesie dieser
Gegend und durch den Erfolg der Behandlung erwiesen, welche
eine Verminderung und Verflüssigung der Sekrete, sowie eine
Erweiterung des Choanalabschnittes bewirkte. Nunmehr können
die Sekrete denselben nicht so leicht verstopfen als früher, und
fällt dadurch auch der abnorme Reiz in der Reizzone aus.
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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1607
An diesem Abdruck des Oberkiefers des jungen Mannes sehen
Sie, dass der rechte obere mittlere Schneidezahn nur rudimentär
entwickelt ist und ausserdem quer in der Alveole steht. Das Vor¬
handensein dieser Missbildung unterstützt meine Annahme, dass
die im Nasenrachenraum nachgewieseuen Anomalien ebenfalls
angeborene Entwicklungsstörungen des Skelets darstellen.
Tod nach Pfuscherbehandlung.
Von Dr. F. Zaggl in Mallersdorf.
Sitzen heutzutage ein Paar Kollegen bei einem Glase bei¬
sammen, so versteht es sich von selbst, dass man sich gegenseitig
Kunde gibt von selbst geschauten Blütheu, unturheilkünstlerischeu
Erzeugnissen, emporgewuchert auf dem Boden, den die Degra-
dirung der Heilkunde zu einem Gewerbe, das Jeder betreiben darf,
wenn er nur Courage genug dazu hat, so unvergleichlich frucht¬
bringend vorbereitet hat. Wenn nun gar eine so lllustre Versamm¬
lung, wie sie der 29. deutsche Aerztetag in Hildesheim am 28. und
29. Juni 1901 bildete, sich auf’s Eingehendste mit diesem Schmer-
zenskinde befasste, so Ist die Art, wie das geschah, von höchstem
Interesse für die gesummte Aerzteschaft, es wird also aus dem in
der No. 28 der Münch, med. Woclienschr. veröffentlichten Vereins¬
und Kongressberichte die Litera c „Kurpfuscherei“ ganz besonderer
Aufmerksamkeit gewürdigt werden. Wie liest sich nun der von
Herrn Weinberg- Stuttgart verfasste diesbezügliche Bericht
lieraussen in der so fragwürdigen Praxis aurea des platten Landes,
mitten im Herzen Niederbayerns? Drei Punkte sind es, die da
auffallen müssen: a) Nach diesem Berichte liefen von 0313 An¬
fragen nur 903 positive Auskünfte ein, 5410 Anfragen blieben so¬
mit ganz unbeantwortet; fehlte es an Material? b) Der Bericht
kommt zu dem Schlüsse, dass seitens der Behörden bis Jetzt
äusserst wenig gegen die Schäden der Kurpfuscherei geschehen
ist, die bestehende Gesetzgebung bietet keine genügende Hand¬
habe etc.; und c) bei der auf diesen Bericht folgenden Debatte er¬
zählt Herr H ü f 1 e r - Chemnitz: „Ein Bezirksrath rieth, die Kur¬
pfuscherei todt zu schweigen“. Dieser Bath des Herrn Rath ist in
Wirklichkeit nicht schlecht, mag der Herr Rath Jurist sein oder
nicht — er kalkulirt einfach: Volenti non Üt injuria, ergo taceatis,
medlcii Sind vielleicht die 5410 nicht beantworteten Anfragen
auf solche Erwägungen zurückzuführen, wie sie den betreffenden
Bezirksrath zu seinem Rathe veranlassten? Fast möchte es so
scheinen. Um nun nicht den Schein zu erwecken, dass ich ganz
und gar mit dem Rathe des Bezirksrathes einverstanden bin, so
sympathisch mir derselbe ist, dann aber auch, um zu zeigen, dass
wenigstens die Behörden, die bei mir in Frage kommen, Alles thuu,
was gegen die Schäden der Kurpfuscherei geschehen kann, aber
durch die Degradirung der Ausübung der Heilkunde zum Gewerbe
keine genügende Handhabe mehr haben zum erfolgversprechenden
Einschreiten, habe ich mich entschlossen, dennoch in dieser Fach¬
zeitschrift eine auf dem Boden der Degradirung der Heilkunde zum
Gewerbe emporgewucherte Blüthe von unheimlichster Dimension,
eine wahre Victoria regia im schlechtesten Sinne, zu beleuchten,
einen Fall, beispielslos, was Rohheit einer Wundbehandlung an¬
langt sowohl, als in Bezug auf jene niederste Bildungsstufe, auf
der der betreffende Naturheilküustler steht, denn mein Künstler
hat nicht etwa älaBilz, Kühne, Peater etc. auch ein Buch
über seine Wissenschaft verfasst oder verfassen lassen, sondern
dieser 77 Jahre alte Bauer gehört zu Jenen, die, wenn es auf
Namenunterschrift ankommt, bescheiden die bekannten f -f f liin-
kritzeln. Zum Zeichen aber, dass die einschlägigen Behörden gegen
die Kurpfuscherei thun, was nach der in Kraft bestehenden Gesetz¬
gebung überhaupt geschehen kann, diene, dass mir die Erlaubniss
zu einer publizistischen Verwcrthung des Falles in einer Fach¬
zeitschrift sofort auf meine ergebenste Bitte gewährt wurde, in-
soferne die Namen der betheiligteu Personen und die Bezeichnung
der befassten gerichtlichen Behörden unterbleibt
Einen drastischeren Fall, zu zeigen, wo es fehlt, kann es wohl
kaum geben, also zur Sache:
Am Samstag den 28. Juli 1900, Mittag 1 Uhr, bei einer geradezu
tropischen Hitze, wurde ich durch einen schweisstriefendeu Veloci-
pedisten gerufen zu dem 11 Jahre alten Knaben des V. in L.
wegen schwerster Verletzung am rechten Fusse; das Vorderrad
eines mit Bausand beladenen Wagens, auf dem der Knabe sass,
brach, Rad, Wagen und Saud fiel auf den rechten Fuss des am
Boden liegenden Knaben. Ich fand folgenden Status prüsens: Gut
drelüngerbreit ober dem Talo-crurulgelenk bis hinab zu den
5 Zehen, diese noch voll erhalten, war die Haut abgestreift, scal-
pirt, dieselbe lag aufgerollt, eiskalt, vor Staub vom Strassenkotlie
nicht zu unterscheiden, entlang am äusseren Fussrande. Der starke
Bandapparat des Gelenkes abgestreift, dieses tief aufgerissen, mau
konnte weit ln dasselbe hineinsehen, die Talusrolle beobachten;
Arterla dorsalis mit dazugehörigem Venen- und Nervengefieclit«
verschwunden; die Strecksehnen der Zehen breitgedrückt, zerfasert,
zum Theil abgerissen; der Fuss hatte ganz seinen Halt verloren
und sank nach lnuen-unten; die Oberfläche der sämmtlicheu Fuss-
wurzelknochen war rauh anzufühlen; Beiuliaut abgestreift; alle
einzelnen Gelenke geöffnet; und dazu kam zweifellos das
Schlimmste: diese ganze kolossale Wunde, die kaum blutete, war
mit Bausand und mit dem Staube einer Strasse, auf der alle mög¬
lichen Hausthiere verkehren, eiugepudert, buchstäblich damit ein¬
gerieben. Dazu ziemlich ausgeprägter Choc.
Das Gesummtbild war derart, dass bei konservativer Behand¬
lung, abgesehen von einem gänzlich unbrauchbaren, funktlons-
Nn 41.
unfähigen Fusse, kolossale Eiterung, aber auch mit Sicherheit
Tetanus traumaticus erwartet werden musste, zumal da offensicht¬
lich eine absolute Reinigung der Wunde in allen ihren Buchten und
aufgerissenen Gelenken vom Strassenstaub einfach eine Un¬
möglichkeit sein musste. Sollte schliesslich Verhütung von Sepsis
gelingen, so war Verhütung von Tetanus ohne absolute Wundreini¬
gung nicht zu erwarten. War mein Vertrauen auf ausreichende
Antiseptlk schon ziemlich auf Null herabgedrückt in einem solchen
Falle, so war es dies erst recht auf eine erfolgreiche Behandlung
des Tetanus mittels Morphio-ehloralhydrat- oder gar mit Tetanus-
antltoxin-Behandlung. Man hätte Ja am Ende noch darüber dis-
cutlren können, ob mau diese Wundkomplikationen abwarteu und
dann, bei Fehlschlageu der Behandlung, erst amputiren soll, oder
ob dies sofort einzig und allein angezeigt und desshalb auszuführeu
sei. Mir wenigstens schien als einzig richtiger Weg zur Rettung
des Lebens nur die sofortige Amputation im unteren Drittel des
Unterschenkels angezeigt, und zwar je eher, desto sicherer, warum
also warten, nachdem im denkbar besten Falle doch nur ein gänz¬
lich unbrauchbarer Fuss das Resultat gewesen wäre.
Bei Abwesenheit des Vaters in St. konnte ich nur der Mutter
meine Ansicht über die einzig mögliche Rettung des Lebens ihres
Kindes auseinaudersetzen, ohne Einwilligung der Eltern nichts
thun, ohne mich den schlimmsten Folgen auszusetzen, und so
reinigte ich unter Beihilfe eines ganz geschickten Baders, der be¬
reits für viele Liter gekochten Wassers gesorgt hatte, die Wunde,
indem ich selbe mit Sublimatsolutlon überschwemmte, hiebei
kamen immer grössere, tiefer gehende Verletzungen zu Tage, und
selbstverständlich wuchs damit die Ueberzeuguug: nur in der
Amputation liegt Itettujig. Mit Sublimatsolutlon getränkte Jodo¬
formgaze, gleicher Verbandwatte und Gazebinden Avurde nun der
Fuss unter Richtigstellung desselben verbunden und dem äusserst
angegriffenen Knaben Tokayer zur Stärkung verordnet Vor
meinem Abgänge belehrte ich noch die Mutter über die Vorboten
des Starrkrampfes und ersuchte ich eindringliclist, mich es am
nächsten Morgen, den 29. Juli, bis y a G Früh, also ca. 18 Stunden
nach dem Unfälle, wissen zu lassen, ob der Vater die Amputation
zulasse, auf andere Behandlung Hesse ich mich nicht mehr ein.
Während ich mich nun während des übrigen Theils des Tages und
der halben Nacht mit der Ueberlegung abquälte, auf Avelche Weise
nur immer nach dem heutigen Standpunkte der Chirurgie am
sichersten noch das mir nun eiumal auf's höchste gefährdet er¬
schienene lieben des schön gewachsenen Knaben könnte gerettet
Averdeu, begann bereits 3 Stunden nach meiner Entfernung vom
Verletzten eine mit tausendmal geringerer Scrupellosigkeit in Scene
gesetzte Naturheilkünstlerbehaudlung, deren bis in’s Detail be¬
kannt gewordenes Wesen ich in der Lage bin, der staunenden Mit¬
welt bekannt zu geben, Dank der schon erwähnten Verwerthung
des Akteninhaltes unter gewissen festen Bedingungen. Laut des
bereits am 29. Juli, Früh '/ a G Uhr, an mich gelaugten Briefes der
Mutter des Verletzten erfuhr ich, dass V. am Abende des 28. noch
von St. den „Naturheilkünstler“ Sch. mitbrachte, welcher erklärte,
den Fuss heilen zu können, und sofort auch den Fuss verband.
Was nun ich, der ich natürlich von diesem Krankenbette fortan
ferne blieb, bei meinen fast täglichen anderweiten Kranken¬
besuchen in L. Uber die Sache’erfuhr, dass am 11. Tage nach dem
Unfälle noch Dr. R. gerufen tvurde, und am 13. Tage, d. i. am
9. August, Tod an Starrkrampf eiutrat, war von der Art, dass ich
in meiner Eigenschaft als amtlicher Arzt mich verpflichtet hielt,
der zuständigen Behörde Ivenutniss zu geben von Allem, und that
ich dieses in einer Anzeige mit dem Betreffe: „Tod nach Pfuscher¬
behandlung“, und beginnend mit dem, was ich am 28. Juli selbst
von der Verletzung, in der Folge durch den Brief der Mutter und
per fainarn erfuhr, bis inclusive der Todesnachricht, und am
Schlüsse quasi als Entschuldigung für mein Vorgehen anführend:
„Wenn ich auch weiss, dass bei der gegenwärtigen, die Ausübung
der Heilkunde betreffenden Gesetzgebung nicht viel zu envarten
sein dürfte von einer solchen Anzeige, so erscheint doch im Vor¬
geben des Pfuschers, des bekannten Heilkünstlers Sch., ein solch'
ungeheuerlicher Akt von Gewissenlosigkeit vorzuliegeu, dass An¬
zeige zur Pflicht wird.
Aus dem nun folgenden, wichtigsten Akteninhalte wird zu
ersehen sein, in Avelch’ rohe. geAvIssenlose Hände der arme Knabe
fiel, eine wahre Schweinerei von einer Wundbehandlung wird be¬
kannt, wie sie nicht vorkam in jener grauen Vorzeit, als man die
Wunden mit siedendem Oele übergoss, eine Behandlung, die heute
dem approbirten Arzte als Verbrechen angekreidet würde, dagegen
dem keiner Approbation bedürfenden Naturheilkünstler nicht im
Geringsten gefährlich Avird.
I. Ergebniss der Vernehmung der Sachverständigen.
a) Ich, als zuerst behandelnder Arzt erklärte nur, meiner in
der Anzeige an die kgl. Behörde enthaltenen Wundbeschreibung
und Begründung der Notlnveudigkeit einer Amputation nichts zu¬
zusetzen zu haben.
b) Dr. R. gab au: „Am 7. August wurde ich zum Knaben ge¬
rufen, fand ihn im Bette, jammernd, den Hluterkopf tief ln den
Kissen vergraben, der Unterkiefer fest gegen den Oberkiefer ge¬
presst, die Muskeln des Nackens und der Kiefer waren hart an¬
zufühlen und schmerzten, bei jeder Berührung des Körpers stei¬
gerten sich die krampfhaften Erscheinungen. Am rechten Fusse
fund sich ein Verband, bei Abnahme desselben machte sich fauli¬
ger, dumpfer Geruch bemerkbar. In unmittelbarer Berührung mit
der Wunde befanden sich eine Reihe Leinwandstreifen, welche mit
einer schmierigen, nach Thcer riechenden, braunen Masse Im-
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MTIENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
schmiert waren. Die ungefähr 20 ein lange und 10 cm breite
Wunde ist bedeckt mit dickem, höchst übelriechendem Eiter. Nach
Entfernung des Eiters traten theils eine rothe Fleischwucherung,
theils auch graue, fetzige Massen zu Tage, der Fuss war nach
ab- und einwärts gebogen, weil die Sehnen am Gelenke an der
Aussenseite des rechten Fusses zerrissen und beschädigt waren.
Starrkrampf lag vor, sicher ist das Gift des Starrkrampfes
durch die Wunde des rechten Fusses zur Zeit der Verletzung in
den Körper gelangt, die unmittelbare Todesursache war der Starr¬
krampf. Ich halte zwar die Behandlung des lleilkünstlers Sch.
nicht für eine den Starrkrampf direkt verursachende, doch für
eine solch’ unzweckmässige, dass durch den mangelnden Eiter¬
abfluss und durch Aufsaugung desselben nothwendiger Weise
Fieber und allgemeine körperliche Schwäche eintreten musste. Es
ist nicht unwahrscheinlich, dass der Tod des Knaben auch durch
die ungeeignete Behandlung des Sch. so rasch eiugetreten ist."
(Dr. Ii.)
II. Zeugenverhör.
V., der Vater des Knaben, gab an, was folgt: „Zur Zeit des
Unglücks war ich in St. und erhielt die Nachricht hiervon durch
Telegramm meiner Frau mit der Bitte, sogleich den Sch. mitzu¬
nehmen, weil der Bezirksarzt von Mallersdorf eine Amputation
des Fusses für nothwendig hielt Sch., au den auch bereits zwei¬
mal von meiner Frau telegraphirt war, kam mit mir Abends, und
nachdem er den vom Bezirksarzte angelegten Verband geöffnet
hatte, äusserte er „mau könne den Fuss auch s o heilen, wenn
nichts dazu kommt, das Gelenk sei noch gut, es sei immer
besser, als wenn der Knabe einen hölzernen Fuss erhalten müsse.
Da ich ihm Vertrauen schenkte, so liess ich mich bestimmen, von
einer Amputation abzusehen und dem Sch. die Wundbehandlung
zu überlassen. Sch. spritzte mit einer Glasspritze und Kamillen-
absud die Wunde aus, trocknete sie mit Leinwandläppchen ab,
bestrich sie mit Paraffluöl und legte mehrere zweiüugerbreite
Leinwandstreifen über die Wunde, nachdem er diese Fleckchen
zuvor mit einem braunschwarz aussehendeu Pflaster bestrichen
hatte. Darüber kam ein mit kaltem Schweinefett bestrichener,
grosser Leinwandlappen, welcher die ganze Wunde bedeckte,
darüber Karbolwatte und Gazebinde. Sch. kam von da an täglich,
bis zwei Tage vor dem Tode des Knaben und wiederholte auch
täglich die vorbeschriebene Behandlung der Wunde. Am 11. Tuge
nach der Verletzung jammerte der Bube, dass er seinen Mund
nicht mehr aufmachen könne. Ich theilte dies dem Sch. mit, als
er an diesem Tage kam, worauf er mir nahelegte, einen Arzt bei¬
zuziehen und zwar wegen der Krampferscheinuugen. Noch am
gleichen Tage kam Dr. R., ich erzählte ihm den ganzen Verlauf,
er verband die Wunde und ich übertrug ihm nun die Behandlung.
Am 8. Aug. traten fraisenartige Erscheinungen auf, Dr. lt. kam
gegen Abend an diesem Tage nochmals, machte eine Einspritzung,
bis gegen Nachts 1 Uhr setzten die Anfälle aus, dann aber traten
neuerdings solche auf und beim 11. Anfälle verseilbd der Knabe
den 0. Aug. früh y a 7 Uhr.“ (V.)
III. Verhör des Heilkünstlers Sch.
Dieser, 77 Jahre alt, gibt an, was folgt: „Ich fand den Knaben
bereits vom Bezirksarzt in Mallersdorf verbunden. Nur auf
dringendes Bitten des Vaters öffnete ich den Verband und besich¬
tigte die Wunde genau. (Folgt eine ausserordentlich mangelhafte
Wundbeschreibung.) Ich spritzte die grosse Wunde mit Kamillen¬
absud aus, hiebei brachte ich viel Sand aus der Wunde, das Aus¬
spritzen dauerte etwa 2 Minuten, dann trocknete ich die Wunde
mit Karbolwatte und weichen Leinwaudfleckchen ab; hierauf strich
ich mit einer Feder die grosse Wunde mit Parafflnöl ein. Dieses
Del ist ein specielies Wundöl, das ich von der Eiuhornapotlieke
hier beziehe. Alsdann strich ich auf etwa G—7 saubere, feine
Leinwaudfleckchen Balsampliaster und mit diesem bedeckte ich
die Wunde. Ueber dieses Pflaster legte ich eine Schichte Watte
und schliesslich Verbandgaze um den Füss. Das Balsampflasler
habe ich schon längere Zeit von einem gewissen Lehner in
Weisseuburg a. S. bezogen. Bei der Besichtigung der Wunde
habe ich wohl wahrgeuommeu, dass die seitlich gegen den Fuss-
rückeu zu verlaufende Arterie sammt den dazugehörigen Nerven
abgequetscht waren und dass die Strecksehuen der 5 Zehen breit
gedrückt und zerfetzt waren. Da ich derartige Verletzungen schon
viele auf die vorbesehriebeue Weise behandelt und gehellt habe,
hatte ich in dem vorliegenden Falle gar keine Bedenken, die Be¬
handlung des Schwerverletzten zu übernehmen. Dass aber eine
Amputation nothwendig wäre, habe ich nicht eingesehen. Diese
Behandlung setzte ich in täglichen Besuchen 11 Tage lang fort,
alltäglich nahm ich den Verband ab und behandelte die Wunde
wie das erste Mal. Als der Knabe Schmerzen auch im gesunden
l-'usse und ferner noch im rechten Arme bekam, kamen mir Be¬
denken, ob nicht vielleicht gar der Starrkrampf im Anzuge sei.
Als jedoch der Verletzte am G. oder 7. Aug. auch über Schmerzen
im Rücken klagte, war ich mir nun schon ziemlich sicher, dass
der Wundstarrkrampf eingetreten sei. Ich eröffnete dies dem
Vater und forderte ihn auf, einen Arzt beizuziehen. Erst 2 oder
3 Tage später holte der Vater auf meinen öfteren Vorhalt hin
den Dr. R. Als dieser die Behandlung übernahm, stellte ich meine
Besuche ein. 3 Tage später erfuhr ich, dass der Knabe gestorben
sei. (Diese Zeitangaben decken sicli nicht mit denen des Vaters.)
Ich habe bei der Behandlung des Verletzten alle Vorsicht auge-
weudet, habe die Wunde mit peinlichster Genauigkeit gereinigt,
und ich muss entschieden in Abrede stellen, dass mir eine fahr¬
lässige Verschuldung des Todes des Verletzten zur Last gelegt
werde. Die Eltern des Verletzten werden bestätigen müssen,
dass ich es in der Behandlung des Knaben in keiner Weise
habe fehlen lasse n.“ (| 11 Handzeichen des Sch.)
Amtsärztliches Gutachten
auf Grund der Obduction und des übrigen Akteniuhaltes.
Da die Leiche des Knaben bereits begraben war, als auf
meine Anzeige hin eingeschritteu wurde, erfolgte Exhumirung be¬
hufs Vornahme der gerichtlichen Obduktion. Als Hauptbefund ist
erwähnt: Fäulniss in hohem Grade vorgeschritten, Wunde des
rechten Fussrückens 20 cm lang, 11 cm breit, Haut und Muskeln
abgequetscht, Sehnen abgerissen, von Sprunggelenk, Kahn-, Würfel¬
und Keilbeinen Haut abgestreift, die Knochen von Beinhaut eut-
blösst, Gelenke sämmtlicher obiger Knochen geöffnet, Fuss nach
ab- und einwärts gesunken, die grosse Wundfläche mit grau-grünem
Eiter und mit Zellgewebsfetzeu von missfarbenem Aussehen be¬
deckt. Dann heisst es wörtlich weiter: „Es hat von der Wunde
aus eine Resorption septischer Stoffe stattgefundeu, der Knabe
ist an Wundinfektion und zwar an Starrkrampf gestorben. Die
Frage, ob bei Sch. in der Uebernalime der Behandlung, in der
Art der angewandten Mittel oder in dem Nichtbeiziehen eines
Arztes ein fahrlässiges Verschulden erblickt wird, welches für
den eiugetretenen Tod kausal war, ist zu beantworten: Sch. hätte
den Knaben gar nicht in Behandlung nehmen sollen, er musste auf
den ersten Bück erkennen, dass hier eine so schwere Verletzung
vorlag, die, wenn nicht von vorneherein in vorzüglichster Weise
behandelt, die grösste Gefahr nicht bloss für das verletzte Glied,
sondern selbst für das Leben in sich barg. Sch. musste die An¬
gehörigen des Knaben bei der Schwere der Verletzung an einen
Arzt weisen. Die von Sch. angewandten Mittel waren durchaus
unzureichend. Durch Mangel jeglichen pilztödtenden Verbandes
war der Vergiftung Thür und Thor geöffnet, es ist daher nicht zu
viel gesagt, wenn das von Sch. in dem vorliegenden Falle ange¬
wandte Heilverfahren als fehlerhaft und falsch erklärt wird; diese
fehlerhafte, jeder Antiseptik hohnsprechende Wundbehandlung
seitens des Sch. trügt die Schuld an dem tragischen Ausgange der
Verletzung. Es muss demgemäss die von Seite der Anklage ge¬
stellte Frage bejaht werden." (Dr. E.)
In der Anklageschrift heisst es nun: „In der Erwägung, dasö
Sch. verdächtig erscheint, durch Fahrlässigkeit, unter Ausser-
achtlassung derjenigen Aufmerksamkeit, zu
welcher er vermöge seines Gewerbes als Heil¬
künstler besonders verpflichtet ist, den Tod eines
Menschen verursacht zu haben, indem er die Behandlung dieses
Falles übernahm, diese überaus schwere Verletzung unter Miss¬
achtung der Vorschriften betr. Antiseptik behandelte, einen Arzt erst
beizog, als in Folge Sepsis bereits Wundstarrkrampf eingetreten
und eine Kettung des Kranken nicht mehr möglich war, in weiterer
Erwägung, dass diese Behandlung ein Vergehen der fahrlässigen
Tödtung bildet nach § 222 des K.-Str.-G.-B., erhebe ich öffentliche
Klage und beantrage die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen
denselben unter Bezug auf folgende Beweismittel: 1. Strafliste
(7 Vorstrafen wegen Abgabe von Arzneien, Uebertretung in Bezug
auf Verkehr mit Nahrungsmitteln, fahrlässiger Körperverletzung,
verläumderischer Beleidigung), 2. Vater V. des Knaben, 3. Dr.
Zaggl-Mallersdorf, 4. Dr. R. und 5. Dr. E.“
Der Rechtsbeistand des Heilkünstlers Sch. dagegen beantragte:
„Den Angeklagten ausser Verfolgung zu setzen auf Grund der
Aussagen des Vaters V. von L. und des Dr. lt.“
Diesem Anträge wurde stattgegeben „in der Erwägung, dass
sich nicht feststellen lässt, dass „lediglich" oder „haupt¬
sächlich“ durchdieBehandlungdesAngeklagten
der Tod des Verletzten verursacht wurde, während derselbe ohne
Einmischung des Angeschuldigten menschlicher Voraussicht
nach noch am Leben geblieben wäre, weil gerade aus der Ver¬
nehmung des Dr. Zaggl hervorgeht, dass dieser den Starr¬
krampf als höchst wahrscheinliche Folge der Verletzung bereits
voraussah, als noch Niemand an eine mögliche Behandlung durch
den Angeschuldigten dachte, dass im Gegentheil als sehr wahr¬
scheinlich angenommen werden kann, dass der den Tod herl»ei-
führende Starrkrampf auch daun eingetreten wäre, wenn au Stelle
des Augeschuldigteu jemand Anderer den Verletzten behandelt
hätte, da wieder nach den Bekundungen des Dr. Z n g g 1 die
Wunde derart verunreinigt war, dass eine vollständige Reinigung
unmöglich war, wurde beschlossen, es sei das Hauptverfahren
gegen Sch. einzustellen etc."
Also meiner Wenigkeit, dem Anzeiger des „Todes nach
Pfuscherbehandlung", fiel auch die Rolle des Befreiers von An¬
klage und Schuld des Pfuschers zu. War es mir versagt, zum
Lebensretter des Verletzten zu werden, obwohl ich demselben von
dem ersten Augenblicke an jene Aufmerksamkeit schenkte in der
gewissenhaftesten Weise, zu der ich ja eo ipso als Arzt aufs
Heiligste verpflichtet bin, so wurde ich dafür die Ursache, dass
der Heilkünstler, welcher thatsächlich sich der exorbitantesten
Ausserachtlas8uug derjenigen Aufmerksamkeit, zu welcher er ver¬
möge seines Gewerbes als Heilkünstler besonders verpflichtet war,
schuldig machte, mit heiler Haut aus dem Strausse hervorging.
Und was war meine Schuld an solchem Ausgange? Gibt es auch
für einen Naturheilkünstler, gewerbsmässig die Heilkunde ohne
approbirt zu sein ausübend, eine Aufmerksamkeit, zu der derselbe
besonders verpflichtet ist? Wenn ja — trifft in concreto dies
nicht zu?
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8. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1609
Schuld an diesem Ausgange war meine Prognose, meine so
berechtigte und so gerechtfertigte Prognose. Ich prognostizirte
nicht den Tod, wenn nicht amputlrt wird, sondern ich prognosti¬
zirte: Sepsis bei der sicher zu erwartenden ungeheuren Eiterung
und der unendlichen Schwierigkeit, mittels antiseptischen Ver¬
fahrens Sepsis zu verhüten, die eingetretene erfolgreich zu be¬
kämpfen, Ich prognostizirte mit noch grösserem Nachdrucke:
Tetanus schwersten Grades; diese zwei Komplikationen, die
ich entschieden auseinanderhalten muss, prognostizirte ich. Ist
Sepsis schon gleich Tod? Tetanus gleich Tod? Diese Fragen werden
nicht so ohne Weiteres mit Jabeantwortettwerden können, da es schon
gar manchesmal der Aufmerksamkeit und Mühewaltung des Arztes,
zu der er ja verpflichtet ist, gelang, das ln Folge Sepsis unrettbar
verloren geschienene Leben zu erhalten, und auch meiner Wenig¬
keit schon gelang, da es ferner ln Folge solcher pflichtmitssigen
Aufmerksamkeit und Mühewaltung schon so manchesmal gelang,
auch meiner Wenigkeit schon gelang, den Tetanus traumaticus
erfolgreich zu behandeln. Aber da muss eben nicht ein Mensch,
ein Scheusal, das sich Naturhellkünstler zu nennen den wohlfeilen
Muth hat, sich dazwischen werfen dürfen, um durch eine exorbi¬
tante Ausserachtlassung der Aufmerksamkeit, zu der er vermöge
seines Gewerbes besonders verpflichtet ist, zu verhindern, dass
der Arzt seiner heiligsten Verpflichtung, die Ihm durch seine
Approbation als Arzt auferlegt wurde, gewissenhaft nachkomme.
Dieses „Heilkunde ausüben dürfen, ohne approbirt zu sein“, diese
Degradlrung der Ausübung der Heilkunde zum Gewerbe Ist
es, die das Hauptübel genannt werden muss. Die Frage: Gibt es
eine Aufmerksamkeit, zu der der Naturheilkünstler bei Ausübung
seines Gewerbes besonders verpflichtet ist, und wenn ja — trifft
dies in unserem Falle zu? vermag ich nicht sicher zu beantworten.
(Nach einem im „Medico“ veröffentlichten Urtheile des Reichs¬
gerichts, I. Strafsenat, vom 26. Mai 1900 gibt es eine solche auch
für Pfuscher bindende pflichtmässige Aufmerksamkeit.) Das Eine
Ist gewiss: die Dazwlschenkunft. die Behandlung des Angeklagten,
kann ihr auch nicht der Tod lediglich oder hauptsächlich zur Last
gelegt werden, bewirkte nicht bloss, dass Alles, was geschehen
hätte sollen und geschehen wäre, was heute Wissenschaft und
Erfahrung in solch’ höchster Noth noch bietet, einfach un¬
möglich wurde, dass dagegen Alles vom Pfuscher geschah,
was zu den gefürchteten, aber gerade bei Beginn der Pfuscher¬
behandlung noch nicht vorhandenen Komplikationen, zur
Sepsis einer-, zum Tetanus andererseits führen musste, weil ‘die
Pfuscherbehandlung diesen auf Resorption der betreffenden Gifte
beruhenden Infektionskrankheiten „Thür und Thor“ erst recht
öffnete. Sapienti sat.
Ein Fall von erhaltenem Bewusstsein im epileptischen
Anfall.
Von Dr. Aug. Diehl in Lübeck.
Als ein differentialdiagnostisches Merkmal für den epilep¬
tischen Anfall gegenüber dem hysterischen galt bis in die
jüngste Zeit die vollständige Bewusstlosigkeit im Zustande des
nusgebildeten Anfalles. Zuerst hat man in den grossen Epi¬
leptikeranstalten verlernt, dieses Symptom im Anfall als ein
Postulat für die Epilepsie anzusehen. Hie und da verlief er in
der Weise, dass von dem forschenden Arzte bei den Kranken aus
der Zeit der Aura so gut wie aus dem Krampfstadium einzelne
Erinnerungen entdeckt oder geweckt werden konnten. Die voll¬
ständige Bewusstlosigkeit'erwies sich bei genauen Nachforsch¬
ungen als nicht vereinzelt vorkommend bei sicher hysterischen
Anfällen; dass sie hingegen nicht vollständig bei der Epilepsie
zu sein braucht, findet mehr und mehr Anerkennung. Die
Neurologen sind, wie es scheint, augenblicklich mehr als die
Psychiater geneigt, dem behandelten Symptom im Anfall den
Werth eines durchgreifenden Unterscheidungsmerkmales zu er¬
halten. Aus den Notizen über einen Fall meiner Klientel ist zu
ersehen, wie das Bewusstsein im epileptischen Anfall soweit er¬
halten blieb, dass eine Erinnerung an die Vorgänge in demselben
fortbesteht.
Herr X., 26 Jahre alt, entstammt einer Familie, in (1er weder
väterlicher- noch mütterlicherseits Störungen psychischer oder
nervöser Art zu ermitteln sind; ebenso fehlen psychische Abnormi¬
täten und Potatorium ganz. Der 73jälirige Vater ist ein körper¬
lich und geistig rüstiger Greis. Geschwister des I’at sind frei
von jeglicher Nervosität, auch sonst gesund. Pat. war als Kind
kräftig, hatte keine Krämpfe bei der Dentition, blieb von aller
Krankheit verschont mit Ausnahme einer mit 30 Jahren normal
verlaufenden Diphtherie, die keine Störungen im Gefolge hatte.
In der Schule war er mittelmässig befähigt; er zeigte kein
Sprachentalent, dagegen Interesse für Mathematik. Er entwickelte
»ich körperlich zu einem äusserst kräftigen, prächtig gebauten
Menschen, der eine zweijährige Militärdienstzeit bei bester Ge¬
sundheit, ohne nur einmal unwohl gewesen zu sein, immer in
froher Stimmung durchmachte. In der folgenden Zeit hat er nach
eigener Angabe ca. 2 Jahre lang Im Alkoholgenuss und in sexueller
Beziehung stark exeedirt, blieb aber frei von Geschlechtskrank¬
heiten. Bis zum Frühjahr 1898 kannte er keinerlei nervöse Be¬
schwerden; damals wurde sein Schlaf unruhiger und es kam fast
zu einer gänzlichen Schlaflosigkeit. Als er einmal nach alkoholi¬
schen und sexuellen Excessen schlaflos war und sich ln der
Unruhe im Bett aufgerichtet hatte, stieg ihm ein Gefühl vom
Leibe zur Brust auf und wurde da zu bisher unbekanntem, be¬
ängstigendem Herzklopfen. Nach einigen Sekunden fühlte er sich
umgeworfen und er Überstand einen Anfall mit Znngenblss,
Krämpfen etc. Auf einen Bericht hin erfuhr er von den Eltern,
dass er mit 6 Jahren an Krämpfen gelitten habe, über die er nichts
Näheres anzugeben weiss. Nach dem Anfall begann Pat. auf ärzt¬
lichen Rath Bromkalium in Tagesdosen von 2—3 g unausge¬
setzt zu nehmen. Seit dem nächtlichen Anfall wiederholte sich
ein solcher alle 2—3 Monate; nur einmal kam ein freies Intervall
von y 2 Jahr.
Jedesmal kam er Nachts, Jedesmal hatte Patient am Abend
vorher in Alkohol exeedirt. An der Aura, die stets den gleichen
bereits beschriebenen Charakter trug, wachte Pat meist auf. Ende
Dezember 1900 ging er mit der Einnahme von Bromkalium zurück
und setzte bald das Mittel ganz aus, obwohl er befürchtete, durch
sein willkürliches Vorgehen Schaden zu nehmen. Die Angst erwies
sich als unbegründet denn unmittelbar zeigte sich keinerlei Ver¬
schlimmerung. In diesem Jahre (1901) hatte er unter den stets
gleichen Verhältnissen einen Anfall Mitte Februar, April und die
Nacht vor dem Tage, an dem er sich zur Konsultation vorstellte
(26. VII.)
Patient, der sich mit einer auffälligen Nonchalance auf den
Stuhl hinfallen lies», führte sich bei mir mit der Bemerkung ein,
er sei krank am Gehirn, nicht nur nervös, und habe die letzte Nacht
wieder einen Anfall gehabt; allerdings müsse er hinzufügen, dass
er am Abend vorher 2 Weisse und 1 Dunkles getrunken habe;
daher komme es. Alkohol könne er so gut wie gar nicht mehr
vertragen, und wenn er ihm zuspreche, müsse er es in dieser Weise
Wissen. Auf die Zunge habe er sich auch wieder gebissen. Am
Ende des vorderen Drittels des rechten Zungenrnndes war eine
ansehnliche frische Bisswunde. Der Zungenrand war an mehreren
Stellen durch Narben eingekerbt. Patient sah verstört nus; die
müden Augenlider täuschten doppelseitige Ptosis vor; die Sprache
war monoton, und seine Auslassungen waren resignlrt. Im Verlauf
der Unterhaltung Hess er einfllessen, dass er seine Anfälle „natür¬
lich" kenne. Als ich nach der Bewusstlosigkeit im Anfall fragte,
stellte er sie ln Abrede, so dass ich an der Deutung des nach Ana¬
mnese und augenblicklichem Verhalten des Kranken klaren Falles
irre wurde. Unter Vermeidung der Suggestivfragen erfuhr ich,
dass Pat. niemals einen Zeugen seines Anfalles hatte, nie mit
einem Menschen darüber sprach, im Allgemeinen eine sehr leichte
Auffassung seines Leidens besass, das eben nach Alkoholgenuss
komme, innerhalb 24 Stunden ganz vorüber sei und ihm keine
besondere Sorge gemacht habe. Er sei immer ein sehr vergnügter
Mensch und lebe sorglos in den Tag hinein. Wenn die lästige
Stimmung vorüber sei. denke er kaum noch an den Anfall. Sonst
halte er sich für diese Stunden still zu Hause; diesmal sei er wegen
der Nähe zum Nervenarzt gegangen. Er fühle sich so ärgerlich,
und der Gedanke an Geisteskrankheit lasse Ihm keine Ruhe. Er
wisse ganz genau, dass dieses Unbehagen im Laufe der Nach¬
mittagsstunden schwinde und er mit seinen Bekannten am Abend
wieder sehr vergnügt sein werde. Ueber Epilepsie etc. hatte er
nichts nachgelesen, wie ihn „Medicinisches“ gar nicht interessire.
Auffallend war, wie Pat. es als so selbstverständlich ansah, dass
er über den Verlauf des Anfalles erzählte. So erfuhr ich, ohne
durch die Fragestellung die Antwort zu beeinflussen, dass die
Aura, wie schon erwähnt, in der Art stets gleich verläuft, aber
oft nur 2—3 Sekunden dauert, oft länger. Einmal habe sie wohl
eine halbe Minute gedauert, während der er versuchte, sich schnell
Wasser über den Kopf zu giessen, ohne Erfolg. Wenn er an der
Aura aufwache, lege er sich von der Bettkante in die Mitte. Plötz¬
lich werde er wie angepackt und wie umgeworfen. Nun zögen
sich die Finger zusammen (er zeigt den eingeschlagenen Daumen
mit den darüber in die Vola manus gepressten Fingern), dann
werden die Arme im Ellenbogen angezogen, und so werde er ganz
starr am Körper. Merkwürdig sei ihm, dass der Kopf sich regel¬
mässig rechts herum drehe. Dagegen könne er nicht an, obwohl
er das Gefühl habe, mit der Hand müsse er ihn zurückhalten.
Dabei sei ihm aufgefallen, dass das rechte Auge besonders so stehe,
als wollte es rechts um den Kopf sehen. (Aeusserste Endstellung,
temporal, am rechten Bulbus.) Weil er sich auf die Zunge beisse.
lege er sie anfangs ganz nach hinten. Das vergesse er nie. daran
müsse er immer zuerst denken. In der Starre liege er höchstens,
wie er glaube. 1 oder einige Minuten: dann komme die Zunge,
trotz aller Gegenarbeit, mit Gewalt nach vorne, er zucke ln den
Armen, kaue, speichele, zucke am ganzen Körper, und es werde
ihm dabei ..so dumm im Kopf: hier (er zeigt auf die Nasenwurzel)
setzt es sich dann fest und der ganze Kopf ist wie unter einem
Druck eingenommen“. Er schlafe wohl nachher ein, behalte aber
dauernd das Druckgefühl an der Stirn zwischen den Augen. Auch
am Morgen sei er so matt, niedergeschlagen, „so dumpf von dem
Gefühl am Kopf, der so schwer ist. dass ich sehr verdriesslich
darüber werde (!)“. Am Mittag bessere slch’s, am Abend sei
es ganz gut und vorüber. Nur jetzt denke er, es könne eine Geistes¬
krankheit daraus entstehen.
Diese Schilderung setzte sich aus recht verdriesslichcn, ver¬
zögerten Aeusserungeu zusammen. Er zeigte im Verhalten solche
Unwilligkeit darüber, dass man ihn mit dom Erzählen plagte, dass
ich immer erwartete, er werde um Schonung bitten und ver¬
stummen. Durch Wiederholung seiner spontanen Aeusserungen ln
L..
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1610
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Frageform brachte ich ihn zu einem detalllirten Bericht; etwa in
der Art: „Habe ich Sie richtig verstanden, die Zunge kommt gegen
Ihren Willen nach vorne?“ Dann schilderte er ausführlicher den
Vorgang mit dem stereotypen Beginn der Antwort: „Ganz
recht, etc.“.
Die körperliche Untersuchung ergab nichts Auffälliges. Her¬
vorzuheben wiire vielleicht eine erhebliche Mydriasis, die mir oft
in der niichsten Zeit (innerhalb 24 Stunden) nach dem Anfall auf-
flel, und bei deren Bestehen ich manchmal an die Existenz einer
trügen und unvollkommenen Pupillenverengerung bei Belichtung
und Akkommodation auf die Nähe denken musste. Wie weit dies
zutreffend ist oder anderweitig beobachtet wurde, vermag ich
nicht zu übersehen. Vielleicht blieben noch die schwachen Sehnen¬
reflexe und die von mir nicht auslösbaren Periostreflexe zu er¬
wähnen.
Pat. ist genau ausgeforscht ln Richtung der Dipsomanie, der
Aequlvalente, der periodischen Verstimmung, der Absence etc.,
alles ohne weitere pathologischen Ergebnisse. Für eine Jack-
son’sche Epilepsie sprach gar nichts. Die letzte Unterhaltung
drehte sich um die nicht uninteressante Mittheilung, dnss er ganz
vereinzelte Male im Leben rechtsseitigen Kopfschmerz mit Augen¬
höhlenschmerz gehabt habe, der vom Auge über die ganze rechte
Kopfseite bis zum Ansatz des Nackens zog und gleichmüssig em¬
pfindlich war. Andere Symptome, etwa die der Migräne, kamen
dabei nicht vor.
Fassen wir zum Schluss zusammen, was uns zur Diagnose
führt: Es stellt sich ein junger Mann vor, der über Anfälle
klagt, der die letzte Nacht einen Anfall hatte, der dem Fach¬
mann durchaus nicht normal in seinem Benehmen erscheint.
Alle seine Bewegungen sind schlaff, seine Haltung ist unkorrekt,
was zu der Bildung und Stellung des Patienten gar nicht passt;
er ist psychisch deprimirt, hat ein unfreies, gebundenes Ver¬
halten in seinen Mittheilungen und ist schwerfällig im Denken
wie im Thun. Nach Allem, was dazu sich noch anamnestisch
gesellt, handelt es sich um eine Epilepsie. Zur Annahme einer
Hysterie berechtigt uns gar nichts; für eine organische Störung
fehlt jeder Anhalt. Die Auffassung des Anfalles als epileptisch
scheint mir, wenn man den Thatsachen keine Gewalt anthun
will, nach dem, was wir heute wissen, allein zulässig. Um der
praktischen Bedeutung gerecht zu werden, müssen wir das Leiden
als eine Epilepsia nocturna bezeichnen. Allem Anschein nach
ist der entscheidende Anlass zum Ausbruch des Anfalles der
Alkoholgenuss, ein Vorkommniss, das nicht selten beobachtet
wird. Dass das Bewusstsein nicht erloschen und in so hohem
Grade während des Anfalles erhalten war, dass seine Details
aus der Erinnerung nachträglich wiedergegeben werden können,
ist nach der Schilderung nicht mehr zweifelhaft.
Statistische Beiträge zur Verbreitung der Tuberkulose
Von Dr. A. Gottstein in Berlin.
Soeben hat R. Koch 1 ) auf dem Londoner Tuberkulosekon¬
gress, gestützt auf neue Versuche, die Lehre aufgestellt, dass Rin¬
der für den Bacillus der Menschentuberkulose absolut unempfäng¬
lich seien. Die zweite, auch nach seiner Ansicht weit wichtigere
Frage nach der Empfänglichkeit des Menschen für die Rin¬
dertuberkulose erklärt Koch nur auf indirektem
Wege beantworten zu können. Diesen indirekten Beweis findet er
darin, dass im Vergleich zu der Häufigkeit des Genusses von Milch¬
produkten, die ja nachgewiesenermaassen reichliche Beimengungen
von Perlsuchtbacillen enthalten, dennoch die Erkrankung, nament¬
lich von Kindern, an primärer Darmtuberkulose zu den grossen
Seltenheiten gehört und dann noch oft genug auf die Infektion
mit Tuberkelbacillen menschlicher Herkunft zurückzuführeu sein
dürfte. Die Ansicht von Koch, welche nach seinen eigenen
Worten von der allgemein geltenden abweicht, lautet daher, dass
die Infektion von Menschen durch die Bacillen der Perlsucht nur
sehr selten vorkomme und dass es nicht geboten sei, irgend welche
Maassregeln gegen diese Gefahr zu ergreifen. Die Richtigkeit der
thntsäckllchen Grundlagen für diesen zweiten Theil der neuen
Koc h'schen Lehre ist vorläufig von einigen Seiten bestritten
worden, in jedem Falle aber sind für beide Theile umfangreiche
Nachuntersuchungen in Aussicht gestellt.
Der für die Prophylaxe des Menschen wichtigste Theil der
Streitfrage, ob Menschen durch die Bacillen der Perlsucht an
Tuberkulose erkranken können, Hesse sieh mit einem Schlage
durch eine einfache statistische Untersuchung lösen. Man braucht
nur die Tuberkulosesterblichkeit zweier Bevölkerungsgruppen ein¬
ander gegeuüberzustellen, die unter sonst durchaus gleichen Be¬
dingungen leben, von denen aber die eine niemals Kuhmilch oder
Kuhmilchprodukte als Nahruug erhalten hat, die andere dagegen
ausschliesslich oder überwiegend mit solcher Kost ernährt worden
ist. Besteht der zweite Theil der Koc h'schen Lehre zu Recht,
so muss die Tuberkulosesterblichkeit beider Gruppen gleich sein.
Hat die alte Ansicht von der Gefährlichkeit der Perlsuchtbacillen
für den Menschen noch Geltung, so muss die Tuberkulosesterblicli-
‘) Deutsch, med. Wochenschr. No. 33.
kelt der zweiten Gruppe als Additionsprodukt zweier Infektions¬
quellen die der ersten Gruppe tiberwiegen. Man brauchte also nur
an einem genügend grossen Zahlenmateriale die Tuberkulose¬
sterblichkeit von Säuglingen, die nur die Menschenbrust er¬
hielten, mit der von solchen, die Thiermilch ganz oder überwiegend
erhielten, zu vergleichen. Leider erschweren vier Gründe die Aus¬
führung dieses Verfahrens erheblich. Erstens gibt es wenige
Städte, die zugleich bei der Volkszählung die Ernährungsweise der
lebenden und bei der ärztlichen Leichenschau die der gestorbenen
Säuglinge aufnehmen. Für die Grösse der technischen Schwierig¬
keiten spricht z. B. der Umstand, dass man neuerdings in Ofen-Pest
auf die Verwerthung dieser Aufzeichnungen wegen unzulänglicher
Ergebnisse vorläufig verzichtet hat. Für Berlin dagegen hat
Boeckh seit 1881 werthvolles Material unter Ueberwindung vieler
Schwierigkeiten gesammelt. Zweitens Ist die Reglstrirung der
Todesursache für die Kindertuberkulose wegen der vielgestalteten
Lokalisation ausserordentlich erschwert. Die Todesfälle finden sich
auf die verschiedensten Nummern der gebräuchlichen Todes¬
ursachenschemata vertheilt. Drittens fällt der lange Zeitraum
zwischen Infektion, latenter oder manifester Krankheit und Tod
nn Tuberkulose sehr in’s Gewicht. Viele mit Tuberkelbacillen in-
ficirten Kinder erkranken oder sterben erst lange nach der Säug¬
lingsperiode oder die Tuberkulose der Drüsen wird erst im An¬
schluss an spätere akute Erkrankungen merkbar und tödtlich.
Immerhin ist der Brucbtheil der tuberkulösen Säuglinge ein recht
beträchtlicher. Nach Heubner*) kam unter 844 Säuglingen
seiner Klinik im Alter bis zu 3 Monaten kein Fall von Tuberkulose
vor; von den Säuglingen des zweiten Vierteljahrs waren 3.(5 Proc.,
des dritten 11,8 Proc.. des vierten Vierteljahrs 20.(5 Proc. tuberku¬
lös. Ausserdem fanden sich unter den 458 im zweiten Lebens¬
jahre stehenden Kindern 14,2 Proc. tuberkulöse. Kos sei*) fand
bei dem gleichen Material der Berliner Charltö unter fast 300
Sektionsprotokollen hei 2 Kindern unter 3 Monaten tödtliche
Tuberkulose, im Ganzen bei Kindern bis zu einem Jahre in G Proc.
Tuberkulose als Todesursache. Von den Kindern von 1—10 Jahren
war der enorme Procentsatz von 30.3 Proc. tuberkulös: doch war
nur in 12 Proc. die Tuberkulose Todesursache, ln den übrigen
Fällen latent. Viertens schliesslich trifft es überhaupt nicht
zu. dass die beiden zu vergleichenden Gruppen nur in Hinsicht
auf die Ernährung verschieden, sonst aber gleich gestellt sind.
Die mit Menscheumilch ernährten Säuglinge befinden sich häufig
unter besseren hygienischen Verhältnissen und besserer Pflege,
sind also oft der Infektion weniger ausgesetzt; In jedem Falle sind
sie einer solchen gegenüber viel widerstandsfähiger. Dabei ist
von den Aramenkindern ganz abgesehen, da sie nur einen geringen
Brucbtheil, in Berlin nur 2,25 Proc. der Säuglinge ausmachen.
Immerhin war es verlockend, wenigstens einen Versuch der
Lösung an der Hand des grossen Berliner Materials zu machen,
liier viel Dank der mühevollen Arbeit von Boeckh die erste
Schwierigkeit fort, die dritte trifft für beide Gruppen gleichmüssig
zu und die vierte lässt sich durch ein Verfahren umgehen, das
B o e k h für den vorliegenden Fall direkt empfiehlt und das später
als ganz allgemeine Methode Körösy') unter dem Namen der
Intensitätsberechnung einführte. Man braucht nur das
fragliche Sterblichkeitsverhültnlss mit demjenigen anderer Krank¬
heitsgruppen zu vergleichen, auf welche die zu untersuchende
Frage keinen Einfluss hat. Es bleibt daher nur die zweite
Schwierigkeit, der für den vorliegenden Fall unzureichenden Rubri-
cirung der Todesursachen bestehen. Diese Schwierigkeit
ist hier allerdings so erheblich, dass sie die erhaltenen Ergebnisse
nur als interessante Anhaltspunkte zur Beleuchtung der Frage,
nicht aber als entscheidende Beweise erscheinen lässt Ich habe
aus den „Tabellen über die Bevölkerung der Stadt Berlin“ für
die 0 Jahre 1893—1898 diejenigen Nummern aus der (V i rchow’-
schen) Todesursachenhezeichnung herausgesucht in denen die über¬
wiegende Mehrzahl der Todesfälle an Kindertuberkulose des
Säuglingsalters enthalten sein muss. In den übrigen Rubriken
konnten nur vereinzelte Fälle von Tuberkulose noch verborgen
sein. Umgekehrt aber enthielten die von mir ausgewählten Rub¬
riken bestimmt neben den Fällen von Tuberkulose noch solche
Todesfälle, die sicher mit Tuberkulose nichts zu thun haben. So
bezeichnet z. B. No. 67, Hirnhautentzündung, sie enthält alle Fülle
der tuberkulösen Meningitis, daneben aber noch die traumatischen,
otitischen und anderweit entstandenen Formen. Ebenso enthält
die No. 87, Bronchitis chronica, sicher alle Fälle tuberkulöser
Bronchitis und Bronchopneumonie, soweit sie nicht als Lungen¬
schwindsucht unter 89 besonders aufgeführt werden, daneben aber
auch eine wahrscheinlich erhebliche Zahl nicht tuberkulöser. Rein
oder fast rein tuberkulösen Charakters ist wohl nur die No. 37
der Drüsenabzehrung. Die von mir ausgewählten Gruppen waren
No. 30 Kinderschwindsucht (ausdrücklich gesondert von „sonstiger
Abzehrung“), No. 37 Drüsenabzehrung. No. 67 Hirnhautentzündung,
No. 87 Bronchitis chronica, No. 89 Lungenschwindsucht.
TabellcI.
Es starben in den Jahren 1893 bis 1898
(in Klammern Ammenkinder):
T , .‘50 3 7 67 87 89
Insgesamt. 744 166 935 1780 400
Brustkinder: 37(1) 21(1) 1S7(9) 166(4) 33(3)
an Säuglingen
Zusammen
4091
414 ( 1 «)
*) Bericht über den Berliner Tuberkulosekongress 1899, S. 282.
*) Zeitsclir. f. Hygiene Bd. 21.
*) Zeitschr. f. Hygiene Bd. XVIII.
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8. Oktober 1901.
MÜENCHENER MEDICINISCÜE WOCHENSCfiRIFT.
1611
Einen Anhalt für die Intensitätsberechnuug gibt dann die
zweite Tabelle.
Tabelle II.
Todesfälle an Kindern über 1 Jahr in Berlin 1893—1898.
j
Gestorbene
Ins-
gesammt
davon Brustkinder :
i
Verhältniss
11
Alle Krankheiten ,
66002
8772
(236 Ammenkindor)
1000:133
2
Akute Magen- und ,
Darmkrankheiten j
23303
1052
)23 Ammenkinder);
i 1
1000 : 43
3 |
Alle Krankheiten
nach Abzug von 2
42699
j 7720
(213 Ammenkinder)!
1000:181
1
4
Tuberkulose- Gruppe
4091
1
| 444 !
i (18 Ammenkinder) j
1000:108
Die Gruppe der akuten Magendarmerkrankungen bedingt be¬
kanntlich den erheblichsten Unterschied zwischen Brustkindern
und andersartig genährten. Bei Ihrer Grösse drückt sie den Ge-
sainnitdurchschnitt des Sterblichkeitsverhältnisses beider Gruppen
beträchtlich herab, der ohne sie 1000:181 l»etrilgt. In dieser Zahl
1000:181 ist aber das Verhültuiss ausgedrtickt, in dem die Brust¬
kinder auch abgesehen von der unmittelbaren Einwirkung der
Nahrung günstiger gestellt sind, als die andersartig ernährten.
Denn dem einfachen Zahlenbeslaude beider Gruppen nach müsste
das Sterblichkeitsverhältuiss sonst mindestens 1000:400 sein (vgl.
SStatistisches Jahrbuch der Stadt Berlin. 1890. S. 30). Die Gruppe 4
nun, die die Mehrzahl der Todesfälle an Säuglingstuberkulose ent¬
hält, zeigt gegenüber dieser Gesammtsterblichkeit, in der also
schon die sonstige bessere Lage der Brustkinder zum Ausdruck
kommt, noch ein fast um die Hälfte günstigeres Er¬
gehn iss (10:0). Wenn die Krankbeitsbezeiehnung auch nur
annähernd so rein wäre, wie in Gruppe 2, so müsste man, wie
dort, schllesseu, dass noch ein iu der Ernährung selbst liegender
Faktor die günstigere Sterblichkeit herbeigeführt hätte.
Aus Tabelle I sei noch folgende Einzelheit betont. Unter
nahezu 0000 Ammeukinderu der Jahre 1893/98 starben 23 an akuten
Magendarmerkrankungen und 18 aus der Tuberkulosegruppe, näm¬
lich je 1 an Kinderschwiudsucht und Drüseunbzehrung, 3 nu Lungen¬
schwindsucht, 4 an chronischer Bronchitis und 9 an Hirnhaut¬
entzündung. Von diesen letzten 9 werden nicht alle gerade au
der tuberkulösen Form gestorben sein. Es gehören also die ge¬
nannten Krankheiten zu den grössten Seltenheiten bei
Ammenkindern.
Da die obigen Betrachtungen leider den schweren Mangel
ungenauer Krankheitsbezeichuungeu tragen, so scheint mir für
die vorliegende Frage die folgende Tliatsache, die ich schon durch
frühere Berechnungen gewonnen habe, die aber erst jetzt allge¬
meineres Interesse gewinnt, von grösserer Beweiskraft zu sein.
Die Berechnung ergibt nämlich, dass der Gang der Sterb¬
lichkeit an Tuberkulose in I’reussen während
der letzten zwei Jahrzehnte für das Säuglings¬
und Kindesalter eine ganz andere Kurve bildet
als für die älteren Lebensabschnitte. Bekanntlich
hat namentlich Cornet’) zuerst darauf hingewiesen, dass die
Sterblichkeit an Tuberkulose in Preussen eine seit Mitte der
achtziger Jahre einsetzende Tendenz zur A b n a h m e zeigt.
C o r n e t schliesst aus dieser Tliatsache schlechthin, dass diese
Abnahme die Folge der gesteigerten Prophylaxe, die Folge der
durch bessere Beseitigung des Sputums verminderten Ansteckungs¬
gefahr sei. Dieser Auffassung schliesst sich Koch in seiner
neuesten Arbeit rückhaltlos au, indem er sagt: „Was allein mit
der allgemeinen Prophylaxis, welche sich aus der Erkenntniss der
Ansteckungsgefahr und der dadurch bewirkten grösseren Vorsicht
gegenüber den Schwindsüchtigen ergibt, zu erzielen ist, das zeigt
eine Berechnung Cornet's filier die Abnahme der Tuberkulose¬
sterblichkeit in Preussen ln den Jahren 1889 bis 1897." Dieser
Schluss auf die Wirksamkeit der Prophylaxe ist nicht ohne
Weiteres zulässig, wie folgende von mir entwickelte elementare
Formel klar macht.
Bezeichnet man die jährliche Mortalität einer Bevölkerung A
mit Mt, deren Morbilität mit Mb, die Zahl der Jährlichen Erkrank¬
ungen mit a, die der Jährlichen Todesfälle mit b, so ist
b a
Mt. = —, Mb. = —, die Letalität, das Verhältnis der Erkrankten
A A
zu den Gestorbenen, L = —; eliminirt man nun aus diesen Formeln
a
a und b, so erhält man Mt. == Mb.L.
Die jährliche Mortalität ist also gleich mässig abhängig
von der Morbilität und von der Letalität. Sie sinkt, wenn einer
oder beide Faktoren sinken oder wenn beide Faktoren sich un-
gleichmässlg ändern, der eine aber stärker abnimmt, als der andere
ansteigt. Die Verminderung der Morbilität ist das Werk der
Prophylaxe, diejenige der Letalität das der Therapie.
In keinem Falle aller ist es zulässig, aus der Abnahme der Mor¬
talität mit C o r n e t und Koch ohne Weiteres zu schliessen,
*) BerL klin. Wochensehr. 1895 und 1899.
No. 41.
dass die Morbilität abgenommen habe, wenn nicht gleichzeitig
uachgewieseu wird, dass die Letalität die gleiche geblieben oder
gar gestiegen sei. Im vorliegenden Falle aller ist es sogar wahr¬
scheinlich, wie schon G. Meyer 0 ) gegenüber Cor net betonte,
dass durch die Fürsorge des Krankenkassengesetzes und durch
das gesteigerte Interesse für die Behandlung der Lungenleiden
gerade die Letalität abgenommen hat. Aber es bedarf nicht
einmal der Tliatsache der grösseren Heilbarkeit, um eine Abnahme
der Mortalität herbeizuführen. Es braucht nur während eines
längeren Zeitraums eine beträchtliche, von Jahr zu Jahr steigende
Zahl von Kranken durch therapeutische Fortschritte eine Ver¬
längerung der Krankheitsdauer erfahren haben.
Dann muss während dieses Zeitraumes bis zur Erreichung des
Gleichgewichtes die jährliche Letalität sinken, weil die Zahl
der Erkrankten um so viel ansteigt, als die der jährlich Gestor-
lienen sinkt. Und mit dieser sinkenden Letalität sinkt auch die
jährliche Mortalität, ohne dass ein Mensch weniger erkrankt ist
oder ein Erkrankter weniger an der Tuberkulose gestorben ist.
Der Schluss, dass es allein die Wirkung der Prophylaxe, die Herab¬
setzung der Morbilität ist, welche die Mortalität der Phthise
verringert hat, schwebt durchaus in der Luft und ist Angesichts
der thatsäclillch auf die Letalität stark herabsetzend wirkenden
Faktoren bis jetzt nicht einiuul wahrscheinlich. Natürlich wird
aber die Prophylaxe einen gewissen Antheil an der Abnahme
haben.*)
Aber die C o r n e t’sclie Beweisführung hat noch eine zweite
statistische Forderung nicht lieachtet, die für die Tuberkulose
Würzburg schon 1884 begründete. Man darf nicht diegesammte
Bevölkerung vergleichen, sondern für jede Altersklasse gesondert
die Zahl der Todesfälle mit der Zahl der liebenden. Verfährt man
so, dann erhält man das wichtige Ergebniss, dass die Abnahme
der Tul>erkulose8terbliehkelt nur für die Jahresklassen über
20 Jahren gilt und zwar mit zunehmendem Alter in steigendem
Grade, dass sie aber bei den Altersklassen unter 20 Jahren, vor
Allem beim Kindesalter, sich ganz anders verhält. Diese That-
sache war schon Kruse bekannt. In seiner Arbeit: „Die Ver¬
minderung der Sterblichkeit ln den letzten Jahrzehnten und ihr
jetziger Stand" 7 ), gibt er in Tab. V die Sterblichkeit für die Lebens¬
dauer von 10—30 Jahren in den Jahren 1884/94 und in Tab. VI
für die Altersklassen von 30—00 Jahren in dem Zeitraum 1875/91
an. „Danach schien die Tuberkulosesterblichkeit im 10.—15. Le¬
bensjahre im Wesentlichen konstant geblielien zu sein. Un¬
bedeutend ist jedenfalls auch die Verminderung der Tuberkulose
im Alter von 15—20 Jahren, ganz erheblich dagegen in den folgen¬
den beiden Altersstufen und zwar bei beiden Geschlechtern." „Die
Tuberkulosesterblichkeit der männlichen Personen von 30 bis
00 Jahren seit 1887, die der weiblichen desselben Alters seit 1885
ist iu beständigem Sinken begriffen.“ „Nach Tab. IV (1875/91),
welche die Sterblichkeit der männlichen Säuglinge wiedergibt,
könnte es scheinen, als ob im ersten Lebensjahr die
Tuberkulose geradezu häufiger geworden se i."
Indess nimmt Kruse an, „dass hier nur ein Effekt der besseren
Kegistrirung der Todesursache vorliegt“ und verzichtet bei dem
augenblicklichen Zustand der Todesursachenstatistik für dieses
Lebensalter auf ein sicheres Urtheil.
Nun gibt es aber eine für den vorliegenden Fall brauch¬
bare seither erschienene Quelle, iu der die Todesursachen-
statistik zuverlässiger ist, nämlich den Band 157 der „Preussischen
Statistik" vom Jahre 1899. In diesem Quellenwerk bringt
die Einleitung eine „Uebersicht über die ln den Gross¬
städten und Universitätsstädten au Tuberkulose Gestorbenen
im Verhültuiss zu den Lebenden nach Altersklassen für die
Jahre 1870, 1881, 1880 und 1891 bis 1897". Iu dem Text zu
diesen Talielleu heisst es ausdrücklich: „Besonders lieweiskräftig
sind die Nachrichten aus den Grossstädten und Universitätsstädten,
weil dort die Grundlagen für die vorgeführteu Berechnungen be-
•) Berl. klin. Wocliensclir. 1809.
7 ) Zeitschr. f. Hygiene 1897, Bd. 25.
*» Gerade umgekehrt wie bei der Tulierkulose, aber ebenso
willkürlich ging mau bol der Diphtherie vor; man Ulentitlzlrte
hier ohne Weiteres die Abnahme der Mortalität mit der¬
jenigen der Letalität, also mit der Einwirkung der Serum-
thempie, ohne die Abhängigkeit der Mortalität von der Er-
krankungsziffer zu berücksichtigen. Leider besitzen wir für die
wenigsten Städte eine brauchbare Morbilitätsstatistik; München
verfügt über eine solche iu der von dem ärztlichen Verein ge¬
sammelten Erkrankungsstatistik. Aus den Angaben der amtlichen
„Münchener Jahresübersichten" für das Jahr 1898 habe ich folgende
Tabelle berechnet:
Diphtherie und Croup in München nuf 10 000 Einwohner;
Letalität in Procent:
Mt.
Mb.
Let.
Mt
Mb.
Let.
1891
9,5
72,2
13,2
1896
6,2
49,6
10,6
1892
8,3
60,0
13,8
1896
4,5
45,2
9,0
1893
6,7
53,1
12,7
1897
4,3
39,4
10,9
1894
7,5
51,6
12,8
1898
4,1
31,9
13,0
Ein Blick auf die Tabelle genügt, um zu erkennen, dass die
Abnahme der Diphtheriemortalität in München auf weniger als
die Hälfte nicht durch die Abnahme der I^etalität bedingt ist,
sondern durch die der Morbilität. Ganz ähnlich verhält es sich
in anderen Städten, wie z. B. iu Dresden und Berlin, nur dass die
meist ganz unbrauchbaren Morbilltütszifferu eine exakte Berech¬
nung ausschliessen.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4L
1612
sonders zuverlässig sind und eine ärztliche Fest¬
stellung der Todesursachen verlangt wird.“ Indem ich
die Einzeldaten aus den 23 dort aufgeführten Städten zusammen-
zülilte, erhielt ich genügend grosse Zahlen, um aus ihnen brauch¬
bare Schlüsse zu ziehen. Auf diesem Wege habe ich folgende Ta¬
belle gewonnen:
Tabelle III.
Todesfälle au Tuberkulose in 23 Gross- und Universitätsstädten
Preussens. Auf 10 000 Lebende jeder Altersklasse.
Jahr
Insge-
0-1
1—15
15-30
30-60
60-70
70
u. mehr
Jahre
sammt
Jahr
Jahre
Jahre
Jahre
Jahre
1876
38,33
35,99
13,24
31,21
60,47
71,82
46,28
1881
87,22
51,98
15,13
31,45
67,25
66.01
43,80
1886
35,62
51,80
17,34
29,96
56,67
62,55
42,99
1891
31,54
50,98
14,49
25,07
47,33
48,57
37,84
1892
28,85
47,60
14,22
23,23
42,29
48,85
34,40
1893
29,46
49,21
14,19
25,50
42,98
47,88
33,19
1894
2*,63
43,80
13,16
25,37
40,51
42,09
30,36
1395
28,14
43,24
12,48
24,95
39,83
46,10
29,27
1896
26,04
43,66
11,92
22,15
37,68
41,54
27,92
1897
25,50
40,68
11,92
22,01
36,42
39,46
28,06
Um den Grad der Schwankungen augenfälliger zu machen,
habe Ich in Tab. IV die Zahlen des ersten Jahres = 100 gesetzt.
Nun zeigen die Altersklassen von 0—1 und 1—15 Jahren gerade im
Jahre 1870 besonders niedrige Wertlie. Auch aus der Tab. IV von
Kruse ersieht man, dass die Jahre 1870/78 niedrigere Wert he
zeigen, als das vorausgegangene und die folgenden. Man kann
daran denken, dass erst um die Mitte der 70 er Jahre der Begriff
der Tuberkulose durch Heranziehung namentlich der chirurgischen
Formen eine Erweiterung erfuhr und dass daher 1870 der Begriff
der Krankheit als Todesursache noch nicht so weit gefasst wurde,
wie später. Seit 1881 aber hat keine wesentliche Aenderung der
Begriffsbestimmung stattgefunden. Um daher dem Einwand einer
Täuschung durch zu (»rundelegen einer zu niedrigen Einheitszuhl
zu begegnen, halte ich in meiner Tab. IV unter u das Jahr 1870 und
unter b das Jahr 1881 als Einheit zu Grunde gelegt.
Tabelle IVa.
• Todesfälle an Tuberkulose in 23 preussischen Städten.
1876 = 100.
Jahr
Insge-
sammt
0—1
Jahr
1—15
Jahre
15-30
Jahre
30—60
Jahre
60—70
Jahre
1876
100,0
1C0,0
100,0
100,0
100,0
100,0
1881
97,1
144,4
114,3
100,8
94,6
91,9
1886
92,9
143,9
130,9
96,0
93,6
87,1
1891
82,3
141,7
109,4
80,3
78,3
67,6
1892
75,3
132,3
107,4
74,4
69,9
68,0
1893
76,8
136,7
107,2
81,7
71,1
66,6
1694
74,7
121,7
99.4
81,3
67,0
58,6
1895
73,4
120,4
94,2
79,9
65,1
64,3
1896
67,9
121,8
90,0
70,9
62,3
57,8
1897
66,5
113,0
90,0
70,5
60,0
54,9
Tabelle IVb.
Dasselbe. 1881 = 100.
1
Insge-
0-1
1-15 j
15-30
30—G0 l
60-70
sammt
Jahr
Jahre j
Jahre
Jahre
Jahre
1681
1 100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
100,0
1886 !
! 95,7
99,6
114,6
95,3
99,9
94,8
1891 1
84,7
98,1
95,9
79,7
62,7
73,5
1892 1
77,5
91,6
94,0
73,8
73,9
74,0
1893 j
79,4
94-7
93,8
81,0
75,0
72,5
1894 |
76,9
84,3
87,0
80,7
70,8
63,7
Ife95 !
75,6
83,2
82,5
79,3
69,G
69,8
1896 i
70,0
81,0
78,8
70,4
65,8
62,9
1897 ;
i
68,5
78,3
78,8 i
69,9
63,7
59,7
Es ist also in- den 23 Städten die Säuglingssterblichkeit an
Tulterkulose heute noch höher als 1870 und die Kindersterblichkeit
nicht nenneuswerth geringer. Schultet man selbst das für die
Kindertuberkulose auffällig niedrige Wertlie ergebende Jahr 1870
aus, so ist die Säuglingssterblichkeit in den Jahren 1881/03 kaum
nenneuswerth herabgegangen und fiel dann allmählich bis auf
etwa vier Fünftel der ursprünglichen Höhe. Genau das Gleiche
gilt für die Kindersterblichkeit. Die Sterblichkeit der höheren
Altersklassen dagegen fängt, wie auch der Vergleich mit anderen
Quellen beweist, gleich nach dem Jahre 1880 erheblich zu sinken
an und zwar bis auf zwei Drittel der ursprünglichen Höhe und
mehr. Es zeigen sich also zwei erheblich von einander abweichende
Typen der Tuberkulosekurven, deren Trennung etwa durch die Er¬
reichung des 15.—20. Lebensjahres gegeben ist. Es erklärt sich
dies nicht ohne Weiteres aus der Verschiedenheit der Lokalisation
der Tuberkulose in den verschiedenen Lebensaltern. Erwägt man
das Ergebniss an der Hand der Formel Mt. = Mb. L., so muss man
zugeben, dass durch die Fortschritte namentlich der Chirurgie
seit 1881 die Erfolge in der Behandlung der Kindertuberkulose
mindestens so hoch angeschlagen werden müssen, als in der Be¬
handlung der Lungenphthise. Zwar die tul>erkulöse Meningitis
und Miliartuberkulose sind ebenso verhängulssvoll, wie früher;
aber das frühe und erfolgreiche Eiuschreiten des Operateurs hat
diese Komplikation in vielen Füllen von Drüsen- und Knochen¬
tuberkulose abwenden können. Ausserdem tragen die Einrich-
tuugen der Seehospize, Ferieukolonien u. s. w. dazu bei, dass der
Faktor der Letalität bei der Kindertuberkulose wohl mindestens
ebenso eingeschränkt worden ist, wie bei der Lungenphthise der
Erwachsenen. Der Fortschritt der Prophylaxe durch sorgfältigeres
Umgehen mit den Sputis muss ln genau demselben Grade den
Kindern zu Gute gekommen sein, wie den Erwachsenen. Die Ab¬
nahme der Tuberkulosesterbliclikeit bei diesen Letzteren muss zum
grösseren Tliell auf die Abnahme der I»etalitüt durch die grössere
Sorgfalt bei der Behandlung, gewiss zum kleineren Theil auch
auf die grössere Vorsicht beim Umgang mit Phthisikern und deren
Auswurfstoffen im Sinne von Koch-Cornet zurückgeführt
werden. Beide Momente kommen aber auch für die Kindertuber¬
kulose in Betracht. Die Empfänglichkeit der Generation seit 18S1
für den Tuberkelbacillus dürfte auch kaum als gesteigert anzu¬
sehen sein. Man hätte demnach unter allen Umständen ein
gleiches Verhalten ln der Sterblichkeitskurve erwarten müssen.
Da aber eine recht auffallende Abweichung stattfindet, so Ist per
exclusionem der Gedanke unabweisbar, dass in der Aetiologie
der Tuberkulose der Kinder und der Erwachsenen schwer¬
wiegende Unterschiede vorliegen müssen. Man muss
für die Infektion der Kinder eine andere Quelle anuehmen, als
für die der Erwachsenen und dann liegt es allerdings nahe, aus der
statistisch festgestellten Ungleichheit den Schluss zu ziehen, dass
die Quelle der Kindertuberkulose zum Theil in der Ernährung
mit tul>erkelbacillenhaltlger Milch zu suchen sei. während deren
Abnahme seit 1S94 auf die bessere allgemeine und individuelle
Prophylaxe der Milchversorgung zurückzuführeu ist. Ich wenig¬
stens habe vor etwa Jahresfrist, als ich die oben angeführten Ta¬
bellen ausarbeitete, ln dem erhaltenen Ergebniss einen sicheren
Beweis für den Einfluss der Ernähruugslnfelction auf die Ent¬
stehung der Kindertuberkulose zu finden geglaubt. Damals dachte
noch Niemand an die Möglichkeit, es köunten die Perlsuchtbacilleu
aetiologisch verschieden sein von denen der menschlichen Tuln*r-
kulose und für den Menschen als unschädlich gelten. Nachdem
heute von Koch diese Lehre nufgestellt ist, halte ich es für nütz¬
lich, meine Tabellen mitzutheilen und die von mir aus ihnen ge¬
zogenen Schlüsse zur Prüfung auf ihre Stichhaltigkeit zur Dis-
cussion zu stellen.
Referate und Bücheranzeigen.
P o n f i c k : Topographischer Atlas der medicinisch-
chirargischen Diagnostik. Jena 1901, Verlag von G. Fischer.
Diejenige Betrachtungsweise, welche man für die normalen
Verhältnisse als „topographische“ Anatomie der sogen, „deserip-
tiven“ gegenüberstellt, findet bei den innigen Beziehungen, der
pathologischen Anatomie zur Klinik in der ersteren seit jeher
eine ausgedehnte Anwendung, aber sie wurde bisher noch nicht
als solche abgegrenzt; noch weniger hat sie je in Bilder¬
werken eine Darstellung erfahren. Eine bildliche Darstellung
einer solchen topographischen pathologischen Anatomie
ist das Prinzip, welches dem „topographischen Atlas
der medicinisch-chirurgische n Diagnostik“
zu Grunde liegt. Bei der Herstellung desselben war der Heraus¬
geber von dem Grundsätze geleitet, dass naturgemäss ein solcher
Atlas, nicht wie entsprechende Bilderwerke der normalen Ana¬
tomie, eine vollständige und systematische Darstellung des Ma¬
terials bringen kann, sondern sich darauf beschränken muss,
einerseits besonders häufige und desshalb wichtige Vorkommnisse,
andererseits möglichst typische Bilder zu bringen, wodurch
eine relative Vollständigkeit erreicht werden kann und soll. Als
Grundlage der Darstellung wurden Gefrierdurchschnittc
gewählt, welche zwar vielleicht weniger als Oberflächenbilder
ein momentanes Zurechtfinden erlauben dürften, aber den hier
unentbehrlichen Vortheil höben, dass dabei auf einer Tafel
in zusammenfassender Weise der ganze Situs zur Darstellung
kommt, während man sonst eine Serie von Tafeln für denselben
nüthig hätte, wobei noch dazu der innere Zusammenhang mehr
oder weniger verloren ginge.
Eine Durchsicht des Atlas überzeugt auch sehr bald davon,
dass man auf diesen Gefrierdurchsehnitten auf Verhältnisse
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8. Oktober 1901.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1613
und Lageboziehungen aufmerksam wird, welche während der
Auseinandernahme des Situs bei der Sektion nicht so hervor¬
treten würden. Man vergleiche z. B. die Tafel II mit dem
Oedem der Pleura oder Tafel V, welche ein Pyloruscarcinom
darstellt und dabei zeigt, welcher Raum von dem, von aussen
vielleicht durchfühlbaren Tumor nicht vom carcinomatösen
Magen, sondern von den hinter ihm gelegenen Drüsenpaeketeu
und dem Pankreas eingenommen wird, ferner Tafel VIII, welche
den bei Perforation des Magens oder Darms von der ausgetretenen
Luft erfüllten Raum zeigt, Tafel XV, welche die Anfüllung
der Trachea mit Blut erkennen lässt, welche bei haemorrhagischer
lnfarcirung der Lunge eintritt und selbst Erstickungstod be¬
dingen kann, und andere mehr. Desshalb wird auch erst ein
genaueres Studium der Tafeln den vollen, auf den ersten Blick
nicht in dem Maasse in die Augen fallenden Werth derselben
erkennen lehren. Sie werden das Interesse des Obducenten und
des Klinikers auf jene Punkte zu konzentriren geeignet sein,
welche für beide von gemeinsamer, gleich grosser Bedeutung
sind, indem sie das wieder hersteilen, was bei der schichtweisen
Auseinanderlegung des Situs verloren geht.
Die Tafeln sind durchwegs farbig und entweder in natür¬
licher Grösse oder doch nur in geringer Reduktion der Grössen¬
verhältnisse (nicht mehr als %) dargestellt; welche Summe von
Arbeit in der Auswahl der Fälle, in der Herstellung der Prä¬
parate, der Wahl der Schnittrichtung und der der wiederzugeben¬
den Bilder enthalten ist, wird wohl auch eine genaue Betrach¬
tung des ganzen Werkes kaum vollkommen nachfühlen lassen;
nicht minder als die von Herrn Dr. phil. höschm a n n ausge¬
führte Wiedergabe der Originale ist auch die Ausführung der
Tafeln wie die Ausstattung des Werkes seitens der Verlags¬
handlung hervorzuheben.
Der Atlas wird in 5 Lieferungen von je 6 Tafeln mit zu¬
sammen 40 Situationsbildern erscheinen. Jeder Tafel ist ein
deutscher, englischer und französischer Text beigefügt und mit
einer schwarz wiedergegebenen Skizze versehen, welche die Be¬
zeichnungen trägt. Schmaus- München.
Dr. A. Riffel: Weitere pathogenetische Stadien über
Schwindsacht and Krebs and einige andere Krankheiten.
Frankfurt a. M. 1901, Verlag von Joh. Alt. VIII und 107 Seiten
Text und 35 Tafeln in Mappe. Preis M. 16.—.
R i f f e l’s Arbeiten dürfen bei den Lesern vielfach als be¬
kannt vorausgesetzt werden (Die Erblichkeit der Schwindsucht
u. s. w. Karlsruhe o. J. — Mittheilungen über die Erblichkeit
und Infektiosität der Schwindsucht. Braunschweig 1892). Im
vorliegenden Werke theilt er in farbigen durch Textbeschreibung
erläuterten Diagrammen die gesundheitlichen Stammbäume von
46 Familien mit, um dadurch weitere Beweise für seine Ver-
erbungstheorio zu bringen. Seine Beobachtungen sind vom
Standpunkte des praktischen Arztes aus gemacht. Sie beweisen,
wie Verfasser sagt, „dass die Tuberkulosefrage noch lange
nicht so klar ist, wie von extrem bacteriologischer Seite be¬
hauptet wird, und sie deuten mit unerbittlicher Strenge darauf
hin, dass gerade auf dem Tuberkulosegebiete die Entscheidungs¬
schlacht darüber wird geschlagen werden müssen, ob wir die
Bacterien wie Heuschreckensehwärme zu betrachten haben, die
kommen, verheeren und dann auf Jahre, oft auf viele Jahre
wieder verschwinden, oder ob wir auch einen Blick in die stets
und durch alle möglichen Dinge wandelbare Konstitution der
Menschen zu werfen und die erste und Hauptursache von Krank¬
heiten darin zu suchen haben“. Riffel sieht den Tuberkel¬
bacillus nur als Nosoparasiten an. Selbst der wissenschaftliche
Gegner, wenn er sich selbst nicht für unfehlbar hält, muss aner¬
kennen, welch’ eine ganz ungeheuere Fülle, von Fleiss und Arbeit,
aber auch vonBeobachtungsthatsaehen von grösstem wissenschaft¬
lichen Werthe in den Riffel’schcn Schriften niedergelegt ist, vor
Allem auch wieder in der vorliegenden. Ich bin weit davon
entfernt, an dieser Stelle zu sagen, Riffel habe nun in allem
Recht. Aber dass durch die Reihen scharf beobachtender Prak¬
tiker sowohl als auch vieler Hygieniker, die sich ebenfalls auf
reiche, auch experimentelle Erfahrungen stützen können, ein in
gewissem Sinne antibacterieller Wind weht, dass man der Dis¬
position (mit Recht) immer grössere Bedeutung beizulegen bereit
ist, muss ja heutzutage jeder sehen. Wenn man nun auch das
Thatsachenmaterial RiffeVs hier in Kürze referendo, nicht
wiedergeben kann, so muss doch die neue Arbeit als der Be¬
achtung aller Tuberkuloseforscher gerade aus den genannten
Gründen dringend empfohlen werden.
Liebe- Waldhof Elgershausen.
Karl Beck M. D.: Fractures with an appendix on the
practical use of the Röntgen raya. Philadelphia, W. B. Saun-
ders & Comp., 1900.
Die in manchen Gebieten geradezu umwälzende Entdeckung
der Röntgenstrahlen hat besonders in dem Gebiete der Frakturen¬
lehre zu genauerer Erkennt niss geführt, nachdem wir vermittels
des Skiagramms sozusagen im Stande sind, die anatomischen
Verhältnisse, die Art der Dislocation, Splitter, Fissuren im Ge¬
lenke etc. am Lebenden zu inspiziren, und besonders da, wo früher
die Diagnostik eine unvollkommene war, wie z. B. an den so ver¬
schiedenartigen Frakturen des Ellbogens, den für die Palpation
so wenig zugänglichen Beckenfrakturen etc. exakte Diagnosen zu
stellen. Wenn auch zahlreiche eingehende Arbeiten über dies Ge¬
biet vorliegen, so ist doch das B e e k’sehe Werk das erste, das
eine systematische Darstellung der Frakturenlehre vom skia-
graphischen Standpunkte aus darbietet. B. bespricht zunächst
in einem allgemeinen Theil, Erscheinungen, Diagnose etc. der
Frakturen, die Heilungsvorgänge und deren Störungen und
kommt dann im speziellen Theil zur Darstellung der einzelnen
Frakturen mit Einfügung entsprechender zahlreicher Röntgeno-
gramrne (178 Abbildungen), bei denen betreffs der Differential¬
diagnose stets auch die unter Umständen zu ähnlichen Deformi¬
täten führenden Luxationen herangezogen sind. Betreffs der
Therapie werden die bewährtesten Methoden eingehend ge¬
schildert, und B. huldigt im Allgemeinen nicht dem übertriebenen
Standpunkt, auch subkutane Frakturen mit der Drahtnaht zu
behandeln, er beschränkt vielmehr das operative Vorgehen auf
die mit starker Diastase der Fragmente einhergehenden Frak¬
turen des Olecranon, der Patella, bei welch’ letzterer er die
Durchbohrung der Fragmente nicht billigt, sondern ein einfaches
Herumführen der Drahtnaht um die Fragmente befürwortet.
Selbstverständlich wird auch bei Pseudarthrosen operatives Ver¬
fahren (speziell die treppenförmige Anfrischung der Fragmente)
empfohlen. In einzelnen Kapiteln schildert B. seine eigenen
Methoden, wie z. B. bei der Claviculafraktur, bei welcher er
einen Moospappeverband mit Fixation eines entsprechend zuge-
bogeneu Stückes Moospappe durch Bindentouren dem Say re'-
sehen Verband vorzieht. In vielen Kapiteln führt B. die von ihm
nach einem grossen Material speziell festgestellten skiagr. Be¬
funde, z. B. das häufige Vorkommen der Frakturen des Proc.
styloideus ulnae und der Fissuren des Capitulum ulnae etc., näher
aus und hebt hervor, dass manche Frakturen, wie z. B. die Ole-
cranonfrakturen, als viel häufiger anzusehen sind, als bisher ge¬
schehen (8 Proc. sämmtlicher Frakturen). Die grosse Mehrzahl
der Frakturen findet eine eingehende Darstellung, wenn auch bei
einzelnen, wie z. B. bei den Frakturen des Ilumeruskopfes, des
Calcaneus, die einzelnen radiographischen Varianten noch etwas
näher hätten ausgeführt werden können, auch die Schussfrak¬
turen etc. vielleicht etwas zu anhangsweise mit eingefügt sind.
Von grossem Interesse ist der von B. seinem Werke angereihte
Anhang über den praktischen Gebrauch der Röntgenstrahlen,
worin er das grosse Anwendungsgebiet der Röntgenstrahlen in
Medicin und Chirurgie bespricht, u. a. die Ausfüllung von
Empyemhöhlen mit Bismuth-subuitr.-Lösung betr. genauerer Er¬
kennt niss ihrer Ausdehnung, die Diagnostik von Magenektasien
etc. mittels quecksilbergefüllter Sonden, die Diagnostik der
Nieren- und Blasensteine und speziell der Gallensteine mittels
der RÖntgenogramme. Speziell betr. der letzteren hält B. an
der von ihm festgcstellten Erkennbarkeit durch Röntgenogramme
(bei durchscheinenden Steinen mit sehr kurzer Expositionszcit)
gegenüber anderen Autoren fest, auch die Diagnose von Gefäss-
krankheiten etc. werden besprochen und speziell die therapeu¬
tischen Erfolge bei Lupus vulgaris, Sykosis etc.
Ein ferneres wichtiges Kapitel ist das noch angefügte über
Täuschungen bei llöntgenographie, worin B. eine Reihe von wich¬
tigen Momenten, die zu irrthümlichen Auffassungen führen
können, wie z. B. das Os trigonum tarsi etc., bespricht und wobei
speziell eventuelle gerichtlich-medicinische Fragen mit heran¬
gezogen werden.
Beck hat bei nahezu 3000 Rönlgenogrammen seit 1896 nie
die geringste Hautreizung etc. gesehen und glaubt, dass nur
zu lange Expositionszeit etc. derartige Schädigungen durch die
5 *
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1614
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Röntgenstrahlen ermöglicht. Das Prof. W. Röntgen ge¬
widmete Werk ist wie die meisten amerikanischen medicinischen
Bücher vorzüglich gedruckt und ausgestattet und sei auch den
deutschen Aerzten bestens empfohlen. Schreiber.
Dr. P. Münz- Nürnberg: Handbnch der Ernährung für
Gesunde und Magenkranke. Mit besonderer Berücksichtigung
der jüdischen Speisegesetze. Mainz, Druck und Verlag der
Joh. W i r t’schen Ilofbuchdruckerei A.-G., 1901.
Wer heute noch ein Handbuch oder einen Leitfaden der Er¬
nährung schreibt, hat eigentlich die Pflicht, sich für das Wag-
niss bei seinen Lesern zu entschuldigen. Neue Gesichtspunkte
kann er ihnen schwerlich bieten, und die bereits vorhandenen
Bücher bilden schon Bibliotheken. Kein Wunder, wenn man
etwas misstrauisch jedem noch erscheinenden Werke entgegen¬
tritt. Um so angenehmer war Referent bei der Lektüre der vor¬
liegenden Arbeit überrascht. Der Autor hat es allerdings auch
geschickt verstanden, die angedeuteten Schwierigkeiten glücklich
zu überwinden. Er bekundet sogar dadurch eine gewisse Ori¬
ginalität, dass er in den Kreis seiner kritischen Betrachtungen
und der, wenn auch populär gehaltenen, medicinischen Bemer¬
kungen die jüdischen Speisegesetze zieht, deren grosse diätetische
Bedeutung er in geistreicher Weise darzustellen sucht. Auch
mehrere mittelalterliche jüdische Mediciner kommen zum Wort,
vor Allem bemerkenswerth und interessant sind aber die zahl¬
reich citirten Aussprüche von Maichonides, einem der
grössten Diätetiker aller Zeiten, Gedanken, die zum Theil einen
ganz modernen Anstrich haben.
Es würde den Rahmen des Referates überschreiten, näher
auf die Details einzugehen. Das Thema und die Behandlung
des Stoifes werden schon — abgesehen von dem niedrigen Preise
des Werkes — dafür sorgen, dass sich das M ü n z’sche Buch
bald einen grösseren Freundeskreis erwirbt und — was dasselbe
bedeutet — auf eine zweite Auflage nicht zu lange zu warten
hat. Dr. Alexander.
Prof. Dr. A. J a r i s c h: Die Hautkrankheiten. Mit 60 Ab¬
bildungen. Wien 1900. A. Holder.
Nachdem ich bereits nach Erscheinen der ersten Hälfte dieses
trefflichen ausführlichen Lehrbuchs der Dermatologie mich über
die Vorzüge desselben ausgesprochen habe, erübrigt mir heute,
da das ganze Werk beendet, nur Weniges beizufügen. So sehr
J arisch auch den konservativen Standpunkt der Wiener
Schule vertritt, hält er sich doch von einer einseitigen Unter¬
schätzung der Ergebnisse moderner Forschung durchaus frei.
Er wird im Gegentheil den letzteren, auch da, wo er andere
Meinungen vertritt, und nicht immer beistimmen kann, stets
gerecht und seine kritische Beurtheilung hält sich stets in dem
Rahmen einer ruhigen, vornehmen und objektiven Kritik, deren
Aeusserungen dadurch an Wirksamkeit gewiss nur gewinnen.
Reichliche Literaturangaben und die Berücksichtigung der
vielen, gewiss nur zum Theil mit Recht als neu geschilderten
Krankheitstypen lassen das Werk trotz seines konservativen
Zuges als durchaus modern erscheinen, und ich habe nicht den
geringsten Zweifel, dass dasselbe von allen Fachkollegcn als ein
wahres „Standard work“ angesehen und geschätzt werden wird.
Für Jeden, der sich über die neuesten Streitfragen, speciell auf
histologischem, aber auch auf klinischem Boden eingehend zu
orientiren gedenkt, bietet J a r i s c h’ Lehrbuch geradezu eine
Fundgrube des Wissens und der Belehrung. Ganz besonders er¬
freulich ist für den Praktiker die auf der Basis reichster per¬
sönlicher Erfahrung beruhende Darstellung der Therapie. Da¬
bei kommen auch die Ergebnisse anderer Forscher keineswegs zu
kurz: für den Leser aber ist es von grösstem Nutzen, hier die
von mancher bisheriger Uebung abweichende Ansicht des Ver¬
fassers ausführlich erörtert zu finden. Selbst alte und erfahrene
Praktiker werden hieraus zu lernen haben. Ich stehe nicht an,
die „Hautkrankheiten“ von J a r i s c h als eines der besten heute
existirenden Lehrbücher der Dermatologie allen Interessenten,
denen an einer ausführlicheren, über den Rahmen eines Kom¬
pendium hinausgehenden Darstellung gelegen ist, auf’s An-
ireUeentliehste zu empfehlen. K o p p.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 37—39.
No. 37. W. K rn in er-Glogau: Zur chirurgischen Behand¬
lung thrombosirter TJnterschenkelvaricen.
Wenn auch f(lr die Fülle mit sehr starrwandigen Gefiissen die
Totalexstirpation der von der Thrombose befallenen Veneuerweite-
ruugeli berechtigt bleibt, so sieht doch Kr. in einer Iteihe vou
Fällen die Indikation zu einem einfacheren, weniger eingreifenden
Verfahren, das nach entsprechender Hnutincislon ln Längsspaltung
der Gefässstränge mit vorsichtiger Entleerung der Gerinnsel-
massen besteht. Kr. fand dies Verfahren seit ca. 10 Jahren be¬
währt und hat in ca. 50 Fällen nach dieser Operation (zu der
hauptsächlich die trotz Fehlens frischer EntzUndung seit länger
bestehenden und anderweitig nicht zu ljeseitigenden Beschwerden
Anlass gaben) nie nachtheilige Folgen (Embolie etc.) beobachtet.
Die Wunden heilten unter Ruhelage 1 h* 1 fieberlosem Verlaufe ohne
Fistelbildung und hinterliessen schmale schmerzlose Narben, die
Patienten wurden bald von ihreu Beschwerden befreit.
W. Mertens: Zur retrograden Bougirung des Oesophagus.
Mittheilung eines sehr guten Erfolges bei sehr engen Strlk-
turen nach Ammoniakverätzuug.
A. Hammesfa h r: Die extraperitoneale R&dikaloperation
medianer Bauch- und Bauchnarbenbrüche.
H. hat das von ihm schon früher mitgetheilte Verfahren,
durch das ihm die glatte Heilung einer Reihe von Bauch- und
Bauchnnrbenbriiehen (zum Theil nach mehrfachen früheren ver¬
geblichen Operationen) gelang, neuerdings vereinfacht. H. prii-
pnrirt einen vom Schwertfortsatz bis zur Symphyse reichenden
ovalen Hautlappen mit dem subkutanen Fett ab. resp. eutblösst
so den Bruchsack von seiner häutigen Hülle (event. accideutelle
Eröffnung des Bruchsacks wird sofort mit feinen Nähten wieder
geschlossent; ist dannch die vordere Itectusseheide noch nicht in
ihrer ganzen Breite freigelegt, so wird die Bauchhaut mit sub¬
kutanem Fett entsprechend weiter, bis mindestens zu den lateralen
Rectnsrändern — l»esser noch etwas weiter — abprüparirt. nun
wird an irgend einer Stelle die Rectusscheide am medialen Rande
eröffnet und man dringt mit einem Finger zwischen hintere Mus-
keltliiche und hintere Rectusscheide ein und spaltet auf dem nach
oben und unten gleiteuden Finger die Rectusscheide am medialen
Rande der ganzen Länge nach und wenn dies rechts und links ge¬
schehen, so liegen beide Muskelbäuche, bedeckt von der vorderen
Rectusscheide, frei. Mit starken, nicht zu spitzen Nadeln werden
nun die versilberten Alumiuiumbrouzednihte in der Weise ange¬
legt, dass die Nadel am lateralen ltectusende eingestoclieu, an der
Hinterfläche des Muskelbauches auf dem zwischen diesem und
hinterer Rectusscheide eingefülirteu Finger medianwärts gleitet
und an der Grenze zwischen mittlerem und Innerem Drittel durch
Muskel und vordere Scheide wieder ausgestochen wird, hierauf auf
der anderen Seite den umgekehrten Weg macht. 5—<» derartige
Drahtringel mit dazwischen angelegten oberflächlichen (Fascie
und Muskel fassenden» Drahtnähten genügen zu festem Verschluss
und folgt hierauf Drainage auf jeder Seite und Naht der Baucli-
haut.
No. 39. E. Martin- Köln: Zur Epityphlitisoperation im
freien Intervall. Enteroanastomose.
Im Anschluss au die Empfehlung Jaffas theilt M. einen
Fall \on recldivirender Epityplilitis mit vorwiegenden Stenosen-
erschelnungen mit. bei dem die Blosslegung des Wurmfortsatzes
nicht gelang und M. mit gutem Erfolg eine isoperlstaltisclie seit¬
liche Anastoiuose zwischen lleum und Kolon ausführte. M. ist
der Ansicht, dass die Enteroanastomose in Fällen von recidiviren-
der Epityplilitis. bei denen die Stenosenerseheinungen die ent¬
zündlichen überwiegen und durch die Operation im freien Intervall
der Wurmfortsatz sich nicht ohne Darmverletzung isoliren oder
überhaupt nicht auftlnden lässt, immerhin Aussicht auf Erfolg
bietet, wenn auch weitere diesbezügliche Erfahrungen noch abzu-
warteu sind. Sehr.
Centralblatt für Gynäkologie. 19U1. No. 38 u. 39.
No. 38. 1) K. A. H e r z f e 1 d - Wien: Beitrag zur Dekapi-
tationsfrage.
H. vertheidigt nochmals den Carl Braun’selien Schlüssel¬
haken gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. H. fand an dem
von Br. angegebenen Originalhaken, dessen Modell noch vor¬
handen Ist, dass die Entfernung des Hakenknopfes vom Metall¬
stabe nicht, wie gewöhnlich angegeben. 3 cm, sondern nur 2 bis
2 % cm beträgt, weuu man die eigentliche Lichtung des Stabes
und nicht von dessen äusseren Rande aus misst. Zur richtigen
Anwendung des Hakens gehört auch, dass mim den kindlichen
Kopf bei erster Schultorlage mit der rechten Hand, bei zweiter
Schulterlage mit der linken Hand tixirt.
2) F. Ivleinertz - Stuttgart: Ein Fall von einer wohl intra
partum geplatzten Ovarialcyste.
22 jährige I. Para, die nach spontan beendeter Geburt 2 Tage
später mit hohem Fieber erkrankte und am (J. Tage starb. Die
Sektion ergab neben eiteriger Peritonitis eine geplatzte Ovarial¬
cyste, die event. Ursache der letzteren gewesen war. Iv. riitli.
unbedingt jeden Ovarialtumor, der während der Gravidität er¬
kannt wird, zu entfernen.
3) Joli. F ü t h - Koblenz: Ueber Zwillingsgeburten mit
langen Pausen zwischen der Geburt des 1. und 2. Zwillings.
Auf Grund von 5 Fällen, von denen 3 Frauen gestorlien und
darunter 2 unter den Erscheinungen von Pyaeruie, gelaugt F. zu
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8. Oktober 1901.
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1615
dem Schluss, dass es für den Praktiker nicht rathsam Ist, nach
iMiendeter Geburt des 1. Zwillings so lange zu warten, bis seitens
Mutter oder Kind eine Anzeige zur Geburtsbeendigung auf ge¬
treten ist. F. steht auf Seite von Fritsch, R u n g e und
Zweifel, die nach 1—2 Stunden die aktive Entbindung seitens
des Geburtshelfers empfehlen.
4) P. B a u m m - Breslau: Unelastischer Metreurynter.
Statt des elastischen Metreurynters von G h a m p e 11 e r, der
recht theuer ist und bei N ich tge brauch oft versagt, empfiehlt B.
eine Schweinsblase zu benutzen. Die Sterilisation der¬
selben geschieht in Sublimatalkohol; vor dem Gebrauch kommt
die Biase kurze Zeit ln warme Lysollösung. Alles Nähere mag
im Original nachgesehen werden.
No. 39. 1) K. K o b e r-Breslau: Haematocele retro-uterina
ohne Extrauterin-Gra vidi tat.
Den von H. W. Freund auf dem diesjährigen Gynäkologeu-
kongress mitgetheilten 4 Fällen von Haematocele ohne ektopische
Schwangerschaft fügt K. 2 eigene Beobachtungen hinzu. Im
1. Falle war die lvohabitation als Ursache anzunehmen, im 2.
lagen schwere entzündliche Veränderungen in der Umgebung der
Adnexe vor. Beide Fälle kamen zur Operation und wurden ge¬
heilt. Die von manchen Autoren verfochtene Ansicht, dass jede
Haematocele auf Extrauterinschwangerschaft zurückzuführen sei,
ist mithin nicht haltbar.
2) Modest Popescul - Czernowitz: Ein ungewöhnlicher
Fall von Sacr<eratom.
Der Fall ereignete sich bei einer Frucht, die in Querlage
nach Exenteratiou und Dekapitatiou entbunden wurde. Am
unteren Ende der Wirbelsäule sass eine zweikindskopfgrosse
weiche Geschwulst, die von Glutaealmuskulatur und Haut über¬
wachsen war und einen an Hirnmasse erinnernden Inhalt ein¬
schloss.
3) Roger Freiherr v. Budberg- Dorpat: Zur Alkoholbe¬
handlung des Nabelschnurrestes.
v. b. empfiehlt nochmals sein im Geniralblatt 189S, No. 47,
angegebenes Verfahren zur Nachprüfung. Die Nabelschnur soll
hierbei nicht zu kurz abgeschnitteu werden.
4) Erwin Keil rer- Botin: Ueber Paresen des N. facialis
nach Spontangeburten.
Ausführliche Beschreibung eines einschlägigen Falles, der sich
bei einem platt rachitischen Becken ereignete. Es gibt centrale
und periphere Faclalisparesen bei Spontangeburten, über deren
Literatur K. kurz berichtet. Sie kommen vor in Fällen von
engem Becken, insbesondere bei den verschiedenen Formen des
platten Beckens und der hierfür charakteristischen Vorderscheitel-
beiustellung. Die Prognose ist luy Allgemeinen eine günstige.
Tritt keine Spontanheilung ein, so versuche mau es mit Elektro¬
therapie. J a f f 6 - Hamburg.
Berliner klinische Wochenschrift. iWOl. No. 39.
1) Ed. A 11 a r d - Berlin: Zur Frage des Nachweises der
Acetessigsäure im Harn.
Verf. stellte Versuche an über die Brauchbarkeit der neuen
Methoden von Arnold und L i p 11 a w s k y und fand, dass die
erstere bis zu 0,1 Proin., letztere bis zu 0,04 Prom. Acetessigsäure
im Ham nachweisen lässt; sie eignen sich jedoch wegen ihrer
Kompli/.irtheit nicht für die Praxis und können die alte Ger¬
hard t’sche Eisenchloridreaktion nicht verdrängen.
2) B. S t i 11 e r- Ofen-Pest: Magenplätschem und Atonie.
Verf. wahrt gegenüber einer Arbeit von Elsuer (siebe lief.
Münch, med. Wochenschr. 1001, S. 721) seinen Standpunkt hin¬
sichtlich der grossen diagnostischen Bedeutung des Plätscherge-
rüusches für den Nachweis von Atonie des Magens, welche durch¬
aus noch nicht mit motorischer Insuflicienz, d. h. Austreibungs-
Schwäche identisch sei, wie Elsner lrrthümlich annehme. Ein
gesunder Magen ergebe selbst auf der Höhe der Verdauung nur
mit MUlie oder gar kein Plätschergeräusch, während der atonische
es auch bei geringstem Flüssigkeitsgehalt mit Leichtigkeit ergebe.
Das Symptom sei um so wichtiger, als die Atonie das konstanteste
Symptom der F.nteroptose sei, so dass Pliitschergeräusehe, Atonie
und Ptose innig zusammengehören. Die Mageuatouie und Entero-
ptose beruhe andererseits ebenso wie die nervöse Dyspepsie und
allgemeine Neurasthenie auf einer angeborenen Atonie des ganzen
Organismus: „Astlumia universaJis congenita".
3) Buttersack: Scheinbare und thatsächliche Krank¬
heitsherde.
Der Grundgedanke der geistreichen Ausführungen des Verf.
ist der, dass l>ei den Infektionskrankheiten die verschiedenen Or¬
gane nicht direkt von der Aussemvelt her inflzirt werden, sondern
dass die elngedrungcnen Krankheitserreger zunächst vom Lymph-
apparat aufgenommen werden, wo die erste, oft unmerkliehe, Re¬
aktion des Organismus gegen seine Feinde statttinde (Inkubations-
stadfum); ei-st von hier aus werden auf dem Lympli- oder Blut¬
weg die verschiedenen Organe befallen, von hier gehen sonst kaum
verständliche Recidive mancher Erkrankungen aus. So komme
man wieder zu der alten Vorstellung zurück, dass eine den ganzen
Körper durchströmende Flüssigkeit der Träger aller wesentlichen
Veränderungen sei.
4) Ludwig v. A 1 d o r - Karlsbad: Ueber kontinuirlichen
Magensaftfluss (Gastrosuccorrhoe, Reichman n’sche Krank¬
heit).
Verf. weist zunächst die Behauptung niaucher Autoren, es
gebe einen physiologischen, kontinuirlichen Magensaftfluss zurück
No. 41.
und umgrenzt daun auf Grund eigener Beobachtungen scharf das
genannte Krankheitsbild; er fordert im Gegensatz zu allen anderen
Beobachtern behufs Dlagnostizirung der Reichman n'scheu
Krankheit die absolut sichere Ausschi kssung der motorischen In¬
suflicienz und betrachtet als objektive Zeichen der Erkrankung:
1. Reichlichen Magensaft im nüchternen Magen (bei seinen Fällen
wenigstens lfiü ccm); 2. sehr niedriges specifisches Gewicht des
Mageninhaltes; 3. ausgesprochene Ilyperaciditiit desselben sowohl
bei nüchternem Magen wie nach Probemahlzeit; 4. als Konsequenz
davon: unvollständige Amylolysis.
ö.i A. Schön stadt - Schöneberg-Berlln: Nierentumor bei
einem 6 Monate alten Knaben. Operation.
Siehe Referat Münch, med. Wochenschr. 1901. S. 375.
Höfer- Schwabach.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 39. 1) Karl T i 11 e 1 - Wien: Ueber eine angeborene Miss¬
bildung des Dickdarmes.
Klinische und pathologisch-anatomische Beschreibung eines
Falles von kongenitaler, enormer Dilatation und Hypertrophie des
ganzen Dickdarincs bei einem 15 Monate alten Kind; die Länge
tles Kolon betrug GG cm, des S romanum ohne Rectum 41 cm, der
grösste Umfang 21,4 cm, der Rauminhalt des Kolon über 2 Liter.
2 ) Wilhelm Neutra-Wien: Beitrag zur Aetiologie der
Dupuytre u'schen Fingerkontraktur.
Nach eingehender Besprechung der Aetiologie an der Hand
zweier eigener Fälle (D u p u y t re n’sche Kontraktur auf Grund
von Syringomyelie) und der Literatur kommt Verf. zu dem
Schluss, dass das Leiden eine tropliische Störung ist, welche ge¬
legentlich Folge einer allgemeinen Ernährungsstörung sein kann,
bei welcher aber in erster Linie nervöse, speziell RUckenmarks-
erkrunkuugen mit trophischeu Störungen — u. A. Syringomyelie —
in Betracht zu ziehen sind; sie kann ein Frühsymptom der letzt¬
genannten Krankheit sein. Das Trauma spiele als aetiologiselier
Faktor keine grosse Rolle.
Bei Hebung der Grundkrankheit sei auch eine nicht operative
Heilung des Leidens möglich.
3) Wilhelm Türk-Wien: Beiträge zur Diagnostik der
Concretio pericardii und der Tricuspidalfehler. (Wird fortgesetzt.)
Höfer- Schwabach.
Wiener medicinische Presse.
No. 31—33. G r o d d e c k - Baden-Baden: Einiges über die
Bedeutung mechanischer Vorgänge im Bauche.
Verf. betont, wie oft die Befunde am Abdomen vernachlässigt
und unrichtig gedeutet werden, bespricht namentlich die Schlaff¬
heit, die abnorme bis brettharte Spannung des Leibes, die mecha¬
nische Einengung des olteren Drittels durch Deformität der unteren
Thoraxpartien, die Beziehungen lokaler Druckempfiudiickkeit zu
den Spannungszustäuden im Magendarmkanal, übermässige Fett-
ansammlung u. s. f. Bei seinen Krankengeschichten handelt es
sich fast durchgehends um verzweifelte Fälle, die nach richtiger
Diagnose durch seine Behandlung rasch zur Heilung gelangten.
Die zum Theil recht unliebeuswürdige Kritik, welche Verf. au
Misserfolgen und Missgriffen anderer Aerzte und einigen Kapiteln
der medicinischen Diagnostik (Hysterie, Wanderniere, Ulcus ro-
tnndum) übt, hätte ein niilteres Eingehen auf die Art der Therapie,
der er so überaus glänzende Erfolge verdankt, besonders erwünscht
gemacht.
No. 33. P r i e s 11 e y -'S m Ith- Birmingham: Ueber Früh¬
behandlung des Schielens bei jungen Kindern.
Nach S.’s Erfahrungen reicht der Beginn des Leidens meist,
in etwa (50 Proc. der Fälle, weit zurück, in das zweite und dritte
Lebensjahr. Eine Verminderung des Fixirvenuögens, Schädigung
oder Vernichtung des Fusionsvermögens, Beeinträchtigung der
Forinenwahrnehmuug, Sehschwache, das sind die Folgeerschei¬
nungen, welche leicht zu dauernden werden können. Es ist daher
stets eine frühzeitige gründliche Untersuchung und Behandlung
am Platz.
Letztere besteht in der Anwendung von Brillen mit oder ohne
gleichzeitiges Verbinden des gesunden Auges. Eine recht grosse
Zahl der Kinder wird allein durch Brillen völlig geheilt. Bei der
grossen Schwierigkeit, ein mangelhaftes Sehvermögen später
wieder herzustellen, greift S. nötliigenfalls selbst in diesem frühen
Lebensalter zur Tenotomie.
No. 34. J. K n o t z - Bnnjnlukn: Zwei Fälle von sub¬
phrenischem Abscess.
Die beiden Krankengeschichten geben dem Verf. Anlass zur
Erörterung der oft sehr schwer zu entscheidenden Frage der
Aetiologie, welche oft auf recht weit zurückliegende Erkrank¬
ungen rekurriren muss. Der eine Fall dürfte vermuthungsweise
von einem Magenkatarrh oder „gastrischen Fieber", der andere
von einer Perinephritis seinen Ausgang genommen haben.
No. 35. Graser- Erlangen : Die Bruchanlage und
-Erkrankung in ihrer Bedeutung für die Militärdiensttauglich-
keit und der Entscheid über Versorgungs-bezw. Entschädigungs¬
ansprüche.
Wir geben Graser’s eigene Thesen im Wortlaut wieder:
1. Die Mehrzahl der Leistenbrücho hei Erwachsenen entstellt in
Folge einer ganz allmählichen Ausstülpung des Bauchfelles unter
Mitwirkung der Eingeweide. 2. Eine plötzliche gewaltsame Knt-
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MUENCHENEß MEDIOINISCHE WOCHEKSCHRIET.
Ko. 41.
Stellung elues Leisteubruches iu allen seinen Bestandtheilen ist
tlieoretlseli sehr unwahrscheinlich, durch die praktische Erfahrung
nicht erwiesen. 3. Eine plötzliche Vergrösseruug eines iu der Ent¬
wicklung begriffenen Leistenbruches ist sehr wohl möglich und
muss unter besonderen Umständen als Umnil im Sinne des Ge¬
setzes betrachtet und entschädigt werden. 4. Die Diagnostik
eiues Unfallbruches kann sich nicht auf ein bestimmtes Sym-
ptoiuenbiid stützen und kann in den meisteu Fällen nur die Mög¬
lichkeit oder Wahrscheinlichkeit feststellcu. 5. Es gibt eine Reihe
von Zuständen, welche inan als Bruchaulagen, d. h. als eine die
Entstellung voll LeistenbrUchen erleichternde besondere Leibes-
beschaffeuheit bezeichnen muss.
No. 31». J. G a r o f o 1 o - Fiume: Zur Kenntniss der pella-
grösen Augenerkrankungen.
Die Erkrankung, welche beide Augen einer 28 jährigen Put.
betraf, war charakterisirt durch abnorm hochgradigen Exophthal¬
mus mit Uedem der Unterlider und Unbeweglichkeit, der Bulbi. Bei
stark verminderter Sehschärfe zeigte der Augeuspiegclbeuiud starke
Trübung, grauröthliche Verfärbung der Pupille; in deren Um¬
gebung war die Netzhaut wullartig vorgewölbt, grauweiss iufiltiht,
undurchsichtig, konzentrisch gestreift. Die Gefässe stark ge¬
schlängelt und erweitert. Unter Darreichung von Solut. Fowleri
kamen iu wenigen W ochen gleicliinüssig alle Erscheinungen von
Seiten der Augen zum Schwinden. Als die wahrscheinlichste Ur¬
sache für alle, auch die iutruoculüren, Symptome muss die ab¬
norm starke oedematöse Schwellung im Bereich der ganzen Orbita
angenommen werden.
A. O r a c i u n e s c u - Teniesvar: Tuberkelbacillen in Fäden
im klaren Urin.
Genannter Befund ermöglicht die Diagnose einer beginnenden
Tuberkulose des Urogenitalsystems, speziell der Fürs membrana-
cea der Urethra uuü des Ductus ejaculatorlus.
No. 37—39. O. Neustätte r- München: Zur Laurent y-
schen Theorie der Skiaskopie.
Der Aufsatz, welcher sich gegen Laur e n t y’s Anschauung* n
wendet, eignet sich nicht zum uel'erat.
No. 37. E. S z a n t o - Ofen-Pest: Ueber die Verwendung
des Acidum s&iicyncum beim Ulcus moile.
Bei der Behandlung des Ulcus moile hat sich dem Verfasser
die Salicylsäure in Salbenform (Ac. salleyl. 1,0, Vaselin 30,0, Tiuct.
benzoes 2,0) zur Sistiruug, Reinigung und Ueberhäutung als bestes,
auch dem Jodoform überlegenes, Mittel erwiesen.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 33—38. W. Mager-Brünn: Ueber Typhus abdominalis.
im Frühjahr ds. Jrs. herrschte iu Brünn eine Typhusepidemie,
welche auf die Trinkwasserverhältnisse (Versorgung aus dem
Schwarzatiusse) zurückgeführt wird. Bei 148 iu Spitalbehandluug
gelangten Kranken ergab sich eine Mortalität von 11,5 Proc. Aus
dem sehr reichhaltigen für die Symptomatologie des Typhus inter¬
essanten Beobachtungsstoffe sei nur Einiges hervorgehoben.
Die von Manchen stark betonte relative Bradycardie fand
man in den Anfangsstadien nicht häutig, dagegen in zahlreichen
Fällen eine absolute Bradycardie beim Uebergang iu die Rekou-
valoseenz und es scheint ihr eine prognostisch günstige Bedeutung
bezüglich Eintreteus eines ltecidives zuzukommen. Gleichfalls im
Beginn der Erholung wurde häuüg Mydriasis beobachtet. Sowohl
die Bradycardie als die Mydriasis will M. nicht als ein Zeichen
der Erschöpfung auseheu, sondern auf eine nach Ueberwiudung
der Infektion eintretende Labilität des Gefässsystems zurück¬
führen. Die Diazoreaktion war auf der Höhe des Fiebers
meist positiv, ihr Versagen im Anfang der Krankheit beeinträch¬
tigt ihren diagnostischen Werth. Die Gruber -Widal 'sehe
Probe fiel von 27 Fällen bei 19 positiv aus, wo auch das klinische
Bild keinen Zweifel Hess.
Bei drei Fällen von Gravidität ergab sich keine Störung.
No. 35. H. Schlöffet 1 - Prag: Der heutige Stand unserer
Technik der Darmvereinigung.
Die Brau u’sche Anastomosettbilduug mit fortlaufender
Naht hat sich an der W ö 1 f 1 e r’sclieu Klinik als das verlässigste
Verfahren bewährt, keine einzige Nahtvereinigung von 50 solchen
ist insuftieient geworden. Der Murphy knöpf wurde in gewissen,
besonders schweren Fällen der Zeitersparnis wegen in Anwen¬
dung gezogen. Die erheblich höhere Mortalität ist durch diesen
Umstand ullein erklärt. Nicht bewährt hat sich der F ra u k’sclie
Knopf, bei welchem wegen seiner raschen Resorption Nähte nicht
entbehrt werden können.
No. 37. H. Roeuii e e k e n: Ueber die Nachbehandlung der
Zahnextraktionswunden.
Bei Kieferperiostitis erlischt der Schmerz nicht mit der Ex¬
traktion des Zahnes, es stellt sich meist noch ein lebhafter Nach¬
schmerz ein. der am Unterkiefer noch tagelang währt, weil die
Wunde dort ungünstigere Abtiussbedingungeu hat und der In¬
fektionsgefahr mehr ausgesetzt ist. Um diese neue Infektion zu
verhüten, empfiehlt B. die Tamponade der Wunde mit Jodoform¬
gaze während des ersten Tages. Der Tampon soll gerade so gross
sein, dass die Wunde eben ausgefüllt wird. Spülungen des Mundes
werden am ersten Tag unterlassen, vom zweiten an mit Wasser
oder 2 proc. Wasserstoffsuperoxydlösung vorgenommen, nach Ent¬
fernung des Tampons. Dieser bietet auch den besten Schutz gegen
Nachblutungen. Ein ebenbürtiges Ersatzmittel für das Jodoform,
dessen Geschmack sich bei obiger Anwendungsform nicht zu sehr
geltend macht, ist noch nicht gefunden. Bei fortbestehender
Periostitis dient zur Lokalbehaudluug die 2 proc. Wasserstoff-
sttperoxydlösung; gegen den Nachschmerz ist das Ortlioform sehr
brauchbar. Dringend warnt Verfasser zum Schluss vor der An¬
wendung heisser Kutaplasmen bet Periostitis, da hierdurch ein
rascher Durchbruch gegen die Wange, eventuell das Entstehen
einer Wungentistel ilervorgerufeii wird. Zu Umschlägen empfiehlt
sich am meisten eiskalte, essigsaure Thouerdelüsung.
Dr. B e r g e a t - München.
Französische Literat ui.
Girard: Die Bolle des Trichocephalus bei der Appen-
dicitis. (Aunales de 1 Institut Pasteur, Juni 1901.)
Nach genauer Beschreibung eines Falles, wo iui reseclrteu
Wurmfortsätze histologisch 2 Nematoden nachgewiesen wurden,
konstatirt Verfasser: 1. dass der vordere Theil ues Trichocephalus
(dispur) iu die .'Schuht der Schleimhaut eiudriugeu und sich fest-
setzeu kann — was ein bisher noch bestrittener Punkt war, und
2. die Trichocephalen, häutige Bewohner des Darmes, wie die
Askariden, die Rolle von tneltr oder weniger septischen Fremd¬
körpern spielen und die Bakterien des Darmknuules und damit
schwere Störungen in den Wurmtortsatz bringen können. Nach
den von Metschuikoff schon gegebenen Regeln kommt daher
G. zu folgenden Schlusssätzen: 1. In suspekten Fallen von
Appendleitis sind die Fäkaimasseu auf Würmer zu untersuchen;
2. tu allen Fällen, wo dies möglich ist, sind \V urmmittel (Santonin
gegen die Askariden, Thymol gegen die Trichocephalen) anzu¬
wenden; 3. den mit Appendicitis behafteten Personen ist der Ge¬
nuss von rohen Gemüsen, Erdbeeren u. s. w. und von ungekochtem
oder untiltrirteni Wasser zu verbieten; 4. dieses Verbot bildet zu¬
gleich ein vorzügliches Propliylaktikum und 3. von Zeit zu Zeit
sind besonders bei Kindern die Stühle zu untersuchen und ihnen
wurmtreibende Mittel zu verordnen. (1 Tafel über obigen histo¬
logischen Befund.)
Sa wt scheu ko und M e 1 s e h i e h - Kieff: Studie über
die Immunität bei der Febri» recurrens. (Ibidem, Juli 19U1.)
Gelegentlich einer Epidemie zu Kasan int Winter 1900, die
sehr reiches Material bot, machten Verfasser experimentelle
Studien, welche die Wirkungsart des specilisclien Serums auf die
Spirillen im Reagensglase und iln lebenden Organismus, die Art
des Verschwindens der Spirillen im Organismus der refraktären
Thiere aufkläreu und die Frage lösen sollten, ob nicht irgend eine
Beziehung zwischen den Kurven der baktericiden Substanzen und
der Leukocytose bei den Recurrenskraukeu vorhanden sei. Die
baktericiden Substanzen bilden sich demnach nicht au der Impf¬
stelle, sondern im Blute, und zwar erst nach einiger Zeit, wenn
die Spirillen von der I’hagocyiV>se ergriffen sind. Die extracelluläre
Zerstörung der Spirillen liudet ebenso wie jene derUlioleravlbrioneu
bei den immunisirten Thieren in Körperhöhlen (Peritoneum) statt,
welche freie Alexine enthalten, aber uiemuls im subkutanen Ge¬
webe, wo der Organismus nur durch Phagocytose reaglrt. Wie
aus den Tliierexperimeiiteu und der Analyse der Kurven von
Leukocytose und baktericiden Substanzen hervorgeht, erscheinen
letztere einige Zeit, nachdem innerhalb der Zellen die Digestion
der Spirillen slattgefunden hat. Auch die agglutiuireudeu Sub¬
stanzen sind verschiedenen Ursprungs und von verschiedenem
Wertlie bezüglich der Pathogenese der Recurrens wie die bakten-
eiden Substanzen. Im Blute kann man nicht die extracelluläre
Zerstörung der Spirillen, welche mau im Reageus^lase beobachtet,
erwarten, da nach den zahlreichen Untersuchungen von Metsch-
nikoff und seinen Schülern das Plasma Alexme im freien Zu¬
stand nicht enthält. Die Phagocytose trägt zweifelsohne zur An¬
häufung der agglutinirenden Substanzen l>ei. Die vorliegende
Studie, welche uocli eine Reihe weiterer Ergebnisse über die Rolle
der chemischen Stoffe beim Mechanismus der Heilung resp. Im¬
munität briugt, gibt der phagocytären Theorie Metschnikoffs
nach des Verfassers Ansicht eine neue feste Basis und zerstreut
eine Reihe von Eiuwlirfeu, welche von der sogen, humoralen
Schule ehedem gemacht worden sind.
D e b o v e: Congenitales und abortives Myxoedem. (Presse
mödicale, 1901.)
D. beschreibt 2 charakteristische Fälle dieser beiden Krank-
lieitsarteu. ln dem eiueu Falle handelt es sieh um eiueu 21 jähr.
Maim, der im Aeussereu einem kaum 13 jährigen Knaben glich:
aufgedunsenes Gesicht, die Haut hart, abnorm dick, Körperlänge
130 cm; die intellektuelle Apathie, die Langsamkeit der Körper¬
bewegungen, die rudimentäre Entwicklung der Geschlechtstheile
Hessen die Diagnose nicht zweifelhaft; auch brachte die Dar¬
reichung von Seliilddrüseupräparaten stets bedeutende Besserung
des Zustandes. Der zweite Fall betraf ebenfalls ein männliches
Individuum, dessen Haut jedoch glatt und fein war wie bei Frauen.
Körpergrösse 158 cm, die Geschlechtstheile rudimentär entwickelt
(Testikel von Bohnengrösse); au denselben nur wenige Haare,
der sexuelle Trieb war nie vorhanden gewesen. Die Intelligenz
war immer ungenügend, trotz langjährigen Schulbesuches konnte
Patient weder lesen noch schreiben, die Stimme ist grell, weibisch,
das Vorhandensein eiuer Schilddrüse nicht zu konstatiren. Im
Gegensatz zu dem ersten Falle, wo sowohl bei den Vorfahren
wie bei dem Patienten selbst hochgradiger Alkoholismus festge-
stellt war, war dies bei dem zweiten Falle ausgeschlossen.
D. nennt solche Fälle abortive, d. h. nicht völlig ausgebildete
Formen von Myxoedem und glaubt, dass sie viel häufiger Vor¬
kommen als gewöhnlich angenommen werde.
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8. Oktober 1901. MTTENOHENER MF/DICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
1617
Curtis - Lille: Einige Bemerkungen über die Blasto-
myceten in der menschlichen Pathologie. (Presse mßdicale 1901,
No. 28.)
Verfasser. Professor für pathologische Anatomie an obiger
Universität, tritt energisch gegen die Theorie von V 1 a e f f iil>er
<lle Rolle der Blastomyceten beim C’arcinom auf. C. untersuchte
einige Hundert Fälle und konnte niemals beim nicht ulcerirten
Uarclnom einen einzigen dieser Blastomyceten entdecken. Dabei
hat er auch die Ueberzeugung gewonnen, dass die Körperchen
von Podwyssozky und Swat sehen ko gar nichts mit
den pathogenen Blastomyceten zu thun haben. Das Resmnf* seiner
Experimente ist. dass er niemals mit dem sogen. Saccharomyces
tnmefaciens einen epithelialen Tumor im histologischen Sinne des
Wortes erzeugen konnte, auch Via eff scheint dies nie gelungen
zu sein. Es habe daher keinen Zweck, die Produktion eines zur
Therapie verwerthbaren Antikrebslieilsorums mit Hilfe der Ilefe-
pllze. deren ätiologische Rolle keineswegs erwiesen sei. weiter zu
verfolgen.
B 111 et: lieber einige abnorme Ponnen der Malaria. (Ibid.)
Gelegentlich einer wahren Malariaepidemie im August bis
Oktober 1900 unter den Kolonialtruppen von Algier, wobei unter
3000 Mann 184 an den verschiedensten Formen derMalaria erkrank¬
ten und 52 derselben sehr rasch in das Stadium der Malariakachexie
gelangten, machte B. eine Anzahl Blut- und anderer Untersuch¬
ungen. welche Ihn zu folgenden Schlüssen brachten. Wenn ge¬
wöhnlich und bei nicht epidemischem Charakter der Krankheit
der Paludismus meist die Form des intermittirenden Fiebers mit
regelmässigem Typus (Quotidiann u. s. w.) begleitet, hat er auch
sehr oft und besonders zu Zeiten einer Epidemie die Form des
irregulären, remlttirenden oder kontlnuirliehen Fiebers mit ab¬
normen Symptomen, welche sehr rasch in das perniciöse Stadium
oder die Malariakachexie übergehen. In diesen Fällen kann nur
die Blutuntersuchung die Diagnose sichern. Der haematologische
Charakter der Malaria ist folgender dreifacher Art: 1. konstante
Anwesenheit der L a v e r n n'schen Körperchen. 2. Vorhandensein
von schwarzem Pigment, welches besonders ln den grossen ein¬
zelligen Leukocyten lokalisirt ist und 3. eine spezielle Form von
Leaikocyten. hauptsächlich durch mehr oder weniger stark aus¬
geprägte Mononucleose clmrakterisirt.
Maurice de Langenhagen - Plombiöres: lieber die
Enterocolitis mucomembranacea. (Ibid.. No. 38.)
Auf Grund von 000 selbst beobachteten Fällen bespricht L.
diese vor 10 Jahren noch völlig unbekannte Affektion. Deren
Hauptsymptome sind: Anwesenheit von Schleim und Membranen
in den Stühlen. Unregelmässigkeit der Darmfunktion (meist lang
währende Verstopfung) und Schmerzen. Dazu kommen verschie¬
dene dvspeptische Beschwerden, funktionelle Störungen der Leber
(abwechselnd Oligo- und Polycholie). ziemlich häufig ist Lithinsis
intestinalis damit verbunden. Vom anatomischen Standpunkt aus
ist die Erkrankung eine oberflächliche, katarrhalische Entzündung
der Schleimhaut des Dickdarms. Ein sehr wichtiger ätiologischer
Faktor sind die verschiedenen nervösen Zustände von der ein¬
fachsten Neuropathie bis zur schwersten Neurasthenie; letzten*
ln Verbindung mit dem sogen. Arthritismus sind meist vorhanden
bei der Enterocolitis mueomcmbr. und nur in 40 von obigen 000
Fällen fehlten diese Antecedentien. Frauen scheinen weit häufiger
befallen zu »ein (-135 Frauen, 141 Männer. 24 Kinder). Entzündungen
der Gebärmutter oder deren Adnexe spielen eine hervorragende
Rolle bei der Aetiologie der Affektion. L. erklärt sich das Zu¬
standekommen des Leidens folgendermaassen: In Folge des Neuro-
arthritismus allgemeine Atonle der Gewebe, specielle Atonie des
Magens und sekundäre Dilatation desselben (ln 218 Fällen von
000). Erschlaffung der Bänder des Bauches, wodurch Enteroptose
und Verlagerung der verschiedenen Eingeweide, schliesslich Atonie
des Darmes, welche meist durch Obstipation, in selteneren Fällen
durch Diarrhoe die schleimig-meiubranöse Dannaffektion hervor-
ruft. Meteorismus, auch Haemorrhoiden. sind meist vorhanden.
Abmagerung ist die Regel und zwar oft so hochgradige (25. 37 Kilo
in 0 Monaten) dass man an eine bösartige Neubildung denkt.
Lithinsis intestinalis scheint ferner stets von Enterocolitis muco-
membr. l*egleitet zu sein. Die Behandlung des Leidens besteht
1. in strenger Diät, 2. regelmiisig und methodisch angewandter
Enteroklyse — täglich oder wenigstens alle 2 Tage 2 Liter heissen
Wassers unter schwachem Druck (30—40 cm) oder auch hohe Ein¬
läufe von reinem Oel (150—500 g Olivenöl bei 37"); auch schwache
Abführmittel (Riolnusöl) und 3. zur endgiltigen neilung Bade¬
kuren. wozu L. in erster Linie die französischen Badeorte Plom-
bieres und Chfltel-Guyon empfiehlt.
Marfan: Schwere Form von Syphilis hereditaria tarda,
mit Oaumensegelperforation. (Annales de mödecine et Chirurgie
infantiles 1901, No. 15.)
Bel dem 10 jährigen Mädchen bestanden ausser der Per¬
foration des Gaumensegels ulcerös-gummöse Proeesse am linken
Unterschenkel. Unter dem Einflüsse der Behandlung trat Hei¬
lung der letzteren und Verschluss der Perforation ein. M. ver¬
wirft die unlöslicheu Queeksilbersalze zur subkutanen Injektion
und hält nach seiner Erfahrung für das beste lösliche Salz das
Cyanquecksilber (1:1000 Aqu. dest.); man muss die Injek¬
tion mit allen antiseptischen Kautelen in die Muskelmasseu der
Glutaealgegend. der Schenkel, des Rückens machen. Obiger Pa¬
tientin wurden jeden zweiten Tag 5 ccm (— V 2 cg Hg-Cyanür) iu-
jizlrt, gleichzeitig jeden 2. Tag 2 g Jodkali gegeben. Erwachsenen
kann man jeden Tag 5 ccm oder jeden 2. Tag 10 ccm Injiziren.
M. schliesst buh seiner Beobachtung, dass bei den schweren
Formen von hereditärer Spätsyphilis die innere Quecksilberbelinnd-
lung völlig ungenügend ist und man zu subkutaner Injektion lös¬
licher Salze und gleichzeitiger Darreichung von Jodkali in ge¬
nügender Dosis greifen muss.
Mahn: Die hypertrophische Rhinitis im Eindesalter; Be¬
handlung mit heisser Luft. (Ibid.)
Diese Affektion. auch chronischer Nasenkatarrh benannt, hat
als besonders häufiges Terrain ihrer Entwicklung die Skrophulose
und als hauptsächliche Folge Atheinnotli und Behinderung der
AtInnung. Unter Anführung dreier Fälle rühmt M. ais besonders
wirksam die Anwendung heisser Luft, welche von Lermoyez
mit einem von ihm konstruirten Apparat (s. Abbildung) zuerst em¬
pfohlen worden ist: cs werden alle 2 Tage Sitzungen von 2—3 Mi¬
nuten gemacht. Wenn die Behandlung von Erfolg ist. bildet sich
eine Retraktion der Schleimhaut, begleitet von einer gewissen
Anaesthesin: manchmal trat der Erfolg sehr rasch, in 5—0 Sitz¬
ungen. in anderen Fällen erst ln 12—15 Sitzungen ein.
Marfan: Die Epiphysentrennung bei der hereditären
Syphilis. (Ibid.. No. 10.)
Die auch syphilitische Pseudoparalyse der Neugeborenen
(Par rot) genannte Affektion fand sich im vorliegendem Falle
bei einem 2>4 Monate alten, zur rechten Zeit und scheinbar gesund
zur Welt gekommenen Kinde. Trotzdem es jedoch regelmäss'g die
gereichte Nahrung (künstliche) nahm, magerte es allmählich ab.
Gegen Ende des zweiten Monats bemerkte die Mutter, dass es den
rechten Arm nicht mehr rühren konnte und im obigen Alter starb
es. Die autoptisebe Untersuchung bestätigte die gestellte Dia¬
gnose. M. glaubt, dass alle Krankheiten, welche die noch unent¬
wickelten Knochen betreffen, als prädisponirende Lokalisation die
subperiostnle Schicht und den Verbindungsknorpel haben, da in
diesem Alter an den Naclibnrtheilen der Eniphvse die aktive Bil¬
dung eine oxcessive ist. Es können sowohl die platten, wie vor
Allem die langen (Extremitäten-) Knochen ergriffen werden: al>er
jene der Oberextremität werden häufiger betroffen, wie die der
unteren, und hier ist es wieder der Humerus am unteren Drittel
und an der hinteren Fläche, welcher am häufigsten ergriffen wird.
Bel der hereditären Spätsyphilis wird jedoch im Gegensntz zu
dieser Frühform am häufigsten die Tibia ergriffen. Der Knorpel
wird allmählich zerstört und dadurch tritt die Trennung der Epi¬
physen ein. Diese Erkrankung resultlrt aus einer schweren Form
der Heredosvphills. die Behandlung muss daher eine sehr ener¬
gische sein und M. riith auch hier (siehe oben) zu subkutanen
Injektionen einer He-Cyanürlösung (1 :1000t. joden Tag % ccm
(— V., mg Hg-f’vnnür). ausserdem 0.25 Jodkali pro Tag und Re¬
gelung der Ernährung.
Broca: Veraltete Luxation des Radius nach vorne. (Re¬
vue mensuelle des maladies de l’enfance. August 1901.)
B. beobachtete einen Fall dieser Affektion. die fast in Ver¬
gessenheit gerat heil ist und deren Vorkommen von manchen Chi¬
rurgen überhaupt geleugnet wird, bei einem 7 jährigen Knaben:
sie batte bereits 8 Monate bestanden und war früher für eine Frak¬
tur am oberen Ende des Radius gehalten worden. Das Haupt-
eharakteristikuin ist. dass inan an der Vorderfläche der linken
Oberextremität, während sie In Supination herabhängt. in der
Höhe der Ellbogenfalte einen Vorsprung sieht, welcher gerade
ausserhalb der Mitte dieser Falte, also vor und etwas innerhalb
des Condylus Immer! liegt : dieser Vorsprung wird noch deutlicher
durch die hochgradige Muskelatrophie am Arm und Vorderarm.
Er ist völlig irreduetibel auf die verschiedensten Bewegungen Im
Ellbogengeleuk. ebenso auf joden Druck von vorne nach hinten.
Broca. der bekannte Chirurg des Spitals Tenon. schliesst an diesen
Fall weitere Bemerkungen über diese chirurgische Affektion.
welche, wie auch liier, meist durch mehr oder weniger heftigen
Fall auf die Handfläche hei extendlrten und vorzüglich In Supi¬
nation gehaltenem Arm zu Stande kommt, an. Die Luxation des
Radius, komplet oder nnkomplet. je nachdem die Gelenkfläche des
Radius mit dem Condylus Immer! noch in Berührung bleibt, kann
nach vorn, hinten oder seitwärts entstehen. Die erstere ist be¬
sonders häufig bei Kindern. Zur Therapie derselben sind zwei
Operationen möglich: Reduktion des Köpfchens oder, wenn dies
nicht gelingt. Resektion: für beide ist ein äusserer Einschnitt
nothwondig. welcher ausserhalb und etwas hinter der nach vorne
und innen luxlrten Extremität liegt. Die Resektion, welche an
der am wenigsten stark wachsenden Epiphyse dos Radius vor¬
genommen wird, kann mir in geringem Maasse das Liingenwachs-
thmn der Extremität behindern. Auch im vorliegenden Falle, wie
wohl stets hei veralteten Luxationen, wurde die Resektion vor-
genonnnen. Heilung per primnm: das Resultat ist vermittels
weiters ausgeführter Massage ein gutes.
Victor I in e r w o 1 - Jassy: Beitrag zur Pathogenese und
Differentialdiagnose der tuberkulösen Herzbeutel Verwachsung.
(Ibid.)
Hutinel hat auf diese Affektion, welche in einer latenten
tuberkulösen Perikarditis mit sekundärer Ilerzbeutelverwacbsung
und Lebercirrhose besteht, zuerst aufmerksam gemacht (1893);
unter allen Herzaffektionen Im Kindesalter soll die Ilerzbeutel-
verwnehsung, mag sie rheumatischer oder tuberkulöser Natur sein,
am häufigsten tiefgehende Störungen der allgemeinen und der
Lebercirculation verursachen. Imerwol hatte Gelegenheit, am
Kinderspital Cautatea zu Jassy 2 Kinder Im Alter von 4 Jahren
mit der von H. beschriebenen Affektion zu beobachten: bei der
Autopsie wurden die klassischen Veränderungen der tuberkulösen
Ilerzbeutelverwachsung mit Lebercirrhose gefunden, ln einem
3. Falle, welcher l>ei Lebzeiten das ganze Symptomenbild dieser
ü*
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Affektion darbot, zeigte die Autopsie I»eri- uml Myokard völlig
intakt. Der Verlauf des Leidens ist meist ein über mehrere Monate
sich hinziehender, die subjektiven Symptome sind Dyspnoe,
trockener, heftiger Husten. Abmagerung, zuweilen Fieber,
Cyanose, Leib stark aufgetrieben, Ascites, Leber und Milz ver-
grossert. am Herzen oft objektiv nichts zu konstatireu. zuweilen
ist es verbreitert. Die Beobachtung der 3 Kranken lehrte den
Verfasser einige neue Tlmtsaehen. auf welche bis Jetzt noch nicht
hingewiesen worden ist: In den 2 ersten Fällen wurde konstatirt.
dass das dichte fibröse fJewebe, welches die Verwachsung bildete
und das Myokard bedeckte, mit der Wand der Venne cnvae bei
ihrem Eintritt in das Herzohr fest verwachsen war und die Veua
cava inferior komprimirte. deren Lumen auf diese Weise verengert
wurde, dadurch entsteht zweifellos eine Stauung im Leberkreislauf
und das Symptomenbild der sogen. Leberasystolie. Dieser Mecha¬
nismus (Konstriktion der Vena cava inferior durch das fibröse Ge-
wehe der perikarditischen Verwachsungen) muss also unter die
Theorien bezüglich der Pathogenese der sogen, kardiotuberkulösen
Leber eingereiht werden. Der Krankheitsverlauf bei dem zweiten
Patienten war insoferne von dem HutineTsehen Bilde ver¬
schieden, als fast keine Cyanose und Dyspnoe, jedoch ausser der
Lungentuberkulose als Hauplsymptom die beträchtliche Leber-
vergrösserung vorhanden waren (welch’ letztere unter dem Ein¬
flüsse einer Herzmedikation beinahe völlig zurückging): Imer-
wol möchte daher von einem ..Lebertypux“ als besonderer Form
der tuberkulösen Herzbeutel Verwachsung sprechen. Der dritte
Fall endlich, wo bei Lebzeiten eine solche Verwachsung für sicher
gehalten wurde, aller bei der Autopsie nicht vorhanden war, lehrt
dass hei Kindern im Laufe einer Tuberkulose neben anderen ana¬
tomischen Veränderungen Drüsentuberkulose am Ililus der Leber
das Symptomenbild der tuberkulösen Herzbeutelverwachsung
Vortäuschen kann.
F $ r 6: Die Adipositas dolorosa (Dercu m’sche Krank¬
heit). (Revue de mödecine. August 1901.)
Die Coincidenz von Fettgeschwülsten mit nervösen Störungen
ist ziemlich häufig: die Lipome, diffus, multipel oder symmetrisch,
stehen in engem Zusammenhang mit Nervenleiden, wesshalb man
sie als Manifestationen einer Trophoneurose. als teratologischo
Kombinationen angesehen hat. Die mehr oder weniger aus¬
gedehnte. aber unregelmässige Ablagerung von Fett unter die
rTaut. mit Schmerz zusammenfallend. ohne dass irgend ein anderer
Krankheitszustand vorhanden wäre, schien De re um eine selbst¬
ständige Krankheit mit dem obigen Namen zu sein. Bel dieser
T 1 orm von Dystrophie bildet das Fett im Allgemeinen symmetrische
Massen, welche Rumpf und Extremitäten bedecken, die äussersten
Theile (TInnde und Füsse) und den Kopf verschonend. Bis jetzt
wurde diese Adipositas nur bei Frauen beschrieben, sie beginnt
meist nach dem 40. Lebensjahre, kann sieh jedoch auch nach dem
00. einstellen und auch vor dem 40. Jahre. Bei genauer Beobach-
tung der Fälle konstatirt man. dass die beiden Hauptsymptome.
Adipositas und Schmerz, nach einander sich entwickeln und das
eine das andere überdauern kann. F. beschreibt 4 Fälle dieser
Art. 3 davon betrafen weibliche Patienten im Alter von 42 bis
40 Jahren, bei welchen ^ausserdem Erscheinungen von Ilvsterie
resp. Neurasthenie auf klimakterischer Grundlage vorhanden
waren. Der 4. Fall betraf einen 38 jährigen Mann, bei dem eben¬
falls nenrasthenische Erscheinungen sich zeigten. Die Beobach¬
tung der zweiten Patientin lehrte, dass der Schmerz unabhängig
von der Zunahme des Fettgewebes sein kann, da er Intensiver
wird, wenn das Volumen abnimmt. Bei dem männlichen Patienten
manifestirte sich der schmerzhafte Zustand In Folge eines
Traumas: derselbe zeigt auch lokale Schmerzempfindungen in
Folge von Aufregung und Amnesie nach geringfügigen Verletz¬
ungen. was bis jetzt bei Neurasthenie noch selten beobachtet
wurde. Mit der Adipositas dolorosa kann der Muskelrheumatismus
verwechselt werden, wenn er zufällig von Fettsucht oder um¬
schriebenem Oedem begleitet ist. Die meisten Beobachtungen von
Adipositas dolorosa fallen bei Frauen ln das Alter der Menopause,
d. li. in eine Zeit, wo die günstigsten Bedingungen zur Entwick¬
lung der Fettsucht gegeben sind. Einen Zusammenhang mit
Schilddrüsenerkrankung. wie er von mancher Seite aufgestellt
wurde, möchte F. nicht annehmen.
Bnsqnet: Ein Fall von peripherer Neuritis in Folge von
Malaria. (Ibid.)
Zur Kasuistik dieser bis vor Kurzem noch unbekannten Kom-
plikation der Malaria, welche erst durch SaoquPpfie und
Dopt er (siehe diese Wochenschr. 1900. S. 1279t genauer erforscht
wurde. Im vorliegenden Falle handelte es sich vorzüglich um
Hyperaesthesien an Händen und Füssen bei einem 24 jährigen
Soldaten: es waren aber auch Hypo- und unvollständige Anaesthe-
sien an Armen und Beinen vorhanden.
Brocard: Die epiduralen Injektionen nach S i c a r d.
(Presse mödicale 1901. No. 49.)
Beschreibung der Methode (den Lesern der Wochenschrift
schon aus den Verhandlungen der Pariser mediclnlschen Gesell¬
schaften bekannt), welche ebenso sicher wie die intralumbalen
Cocaininjcktinnen wirken soll, aber einfacher in der Technik und
weniger gefährlich sei. Angewandt wurde sie bis Jetzt mit Erfolg
bei Ischias. Lumbago. Herpes zoster, bei einfacher Interkostal- i
neuraIgle, bei blitzartigen Schmerzen (Krisen) mancher Fälle von I
,ilbos - Stern-München. ;
No. 41 .
Vereins- und Congressberichte.
73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
in Hamburg, vom 22. bis 2S. September 1901.
Bericht von Dr. Grassmann in München.
II.
Die GesammtsitzuiiR beider Ilauptgruppen
am 25. September 1901, welche bei sehr zahlreicher Betheiligung
ebenfalls im grossen Saale des Konzerthause« abgehalten wurde,
war vollständig der Besprechung der neueren Entwicklung der
Atomistik, wie sie durch die grundlegenden Arbeiten von Svanlie
A r r li e n i u s, O s t w a 1 d, v a n’t Hoff, Nernst u. A. ge¬
schaffen worden ist (dio 3 letzteren Gelehrten waren heute per¬
sönlich anwesend), gewidmet und zwar beleuchteten die 2 ersten
Redner des Tages den schwierigen Gegenstand vorwiegend von
physikalischen, die beiden letzten Redner mehr von physio¬
logisch-chemischen und klinischen Gesichtspunkten aus. Kurz
nach 10 IJhr erüffnete der erste Vorsitzende der 73. Versamm¬
lung, II e r t w i g - München, die Sitzung mit dem Ausdrucke
freudiger Genugthuung darüber, dass der in Hamburg gemachte
Versuch, rein wissenschaftliche Fragen vor dem ganzen Kreise
der Versammlung zu einer zusamtnenfaasenden Erörterung zu
bringen, offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen sei. wie der
so zahlreiche Besuch auch dieser Versammlung beweise. Der
Herr Vorsitzende theilte dann noch mit, dass er von R. V i r-
chow ersucht worden sei, mitzutheilen, dass im Dezember 1902
unter dem Protektorate Sr. Iloh. des Khedive ein ägyptischer
Kongress statt finden werde, auf dem besonders Fragen hygie¬
nischer Natur zur Berathung kommen sollen. Geh. Rath Vi r-
c h o w sei das Ehrenpräsidium dieses Kongresses ungebeten
worden.
Ferner nimmt die Versammlung davon Kenntnis«, dass als
Ort der nächstjährigen Versammlung Karlsbad in Aussicht ge¬
nommen ist.
Es spricht nun zuerst W. Kaufmann - Göttingen über:
Die Entwicklung des Elektronenbegriffs.
Ira Laufe der letzten Jahrzehnte hat die Elektrieitätslehre
eine Entwicklung genommen, die in mancher Beziehung eine
Rückkehr zu den älteren, längst überwunden geglaubten An¬
schauungen W. Wöbe Fs bedeutet, wenn auch unter Beibehal¬
tung der Forschungsergebnisse M a x w e 1 l’s und H e r t z\ Bei
der Anwendung der M a x w e 1 l’schen Theorie auf optische Vor¬
gänge — die Lichtwellen sollen sich ja nach Maxwell bloss
durch ihre Wellenlänge von den elektrischen Wellen unter¬
scheiden — stiess man auf Schwierigkeiten, die sich, wie II. A.
Lorentz naehwics, bloss dadurch überwinden Hessen, dass
man die einzelnen Moleküle der durchsichtigen Körper als elek¬
trisch entgegengesetzt geladene Punkt paare ansah, deren Eigen¬
schwingungen dann in mit der Erfahrung durchaus überein¬
stimmender Weise die Lichtschwingungen beeinflussen. Heber
die Natur dieser supponirten Ladungen gibt das F a r a d a y’sche
Gesetz der Elektrolyse Aufschluss, durch welches man, wie zuerst
v. Helmholtz 1881 in einer zum Gedächtnis« Faraday’s
gehaltenen Rede aussprach, mit Notlnvendigkeit zu der An¬
nahme bestimmter elektrischer Elementarquanta, d. h. elek¬
trischer Atome geführt wird; für ein solches ist jetzt allgemein
der von S t o n e n zuerst gebrauchte Name Elektron ein-
geführt.
Ein geradezu zwingender Beweis für die Richtigkeit der eben
skizzirten Hypothese wurde im Jahre 1896 durch dio Entdeckung
P. Zeeman’8 gebracht, der nachwies, dass im Magnetfelde die
Spectrallinien leuchtender Dämpfe in eigentümlicher, jedoch
durch die Theorie genau vorherzusagender Weise verändert
werden. Aus der Grösse der gemessenen Veränderung lässt sich
nach weisen, dass ein Elektron etwa 2000 mal kleiner ist, als ein
Wasserstoffatom (das kleinste bekannte chemische Atom). Ferner
ergab sich, dass stets das negative Elektron frei beweglich, das
positive an die Materie gebunden war, eine Einseitigkeit, die
sich auch hei allen anderen, die Elektronen betreffenden Ers/hei-
mmgen kundgibt. Vielleicht gelingt es in Zukunft einmal, auch
das freie positive Elektron nachzuweisen.
Der Entwicklung des Elektronenbegriffs auf dem Gebiete
der Lichttheorie folgte bald eine ganz entsprechende auf einem
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8. Oktober 1901.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1619
rein elektrischen Gebiete; nämlich dem der Entladungscrsehei-
mmgen in Gasen.
liier waren es namentlich die seit Langem durch die Unter¬
suchungen von P 1 ü c* k e r, Hittorf, Crookes, Gold-
stein u. A. bekannten Kathodenstrahlen, denen sieh haupt¬
sächlich in Folge der Röntge n’sehcn Entdeckung der
X-Strahlen wieder die "Aufmerksamkeit zuwandte. Eine grosse
Reihe von messenden Untersuchungen ergab, dass man os auch
lK*i den Kathodenstrahlen mit negativ geladenen Thcilehen zu
thun habe, die sich mit ungeheurer Geschwindigkeit (Vf-, bis V.i von
derjenigen des Lichtes) bewegen. Auch hier ergab sich, dass die
Theilchen etwa 2000 mal kleiner seien als ein Wasserstoffatom.
Wenn ein s<dches Theilchen plötzlich von einem festen Körper
gehemmt wird, so muss von ihm aus eine explosionartige elek¬
trische Welle in den Raum hinausgehen, genau wie von einem
aufsehlagenden Geschoss eine Schallwelle. Wahrscheinlich sind
die Röntgenstrahlen solche Wellen. Eine Reihe neuerer Unter¬
suchungen weisen darauf hin, »lass auch die elektrische Leitung
in Metallen, genau wie es Weber schon aunalun, in einer
Wanderung elektrischer Atome besteht.
Endlich hat man neuerdings eine Reihe von Körpern ge¬
funden, die ganz von selbst, ohne dass man bis jetzt die Energie¬
quelle kennt, Elektronen ausschleude.rn, und zwar mit einer Ge¬
schwindigkeit, die sieh kaum merklich von der des Lichtes unter¬
scheidet. Solch»* Elektrom*n — in diesem Falle als B«**querel-
strahlcn bezeichnet — vermög»*n selbst dicke Bleiplatten ohne
merklichen Energieverlust zu durchdringen.
Es knüpfen sich eino ganze Reihe principiell wichtiger
Fragen an diese werkwürdigem Gebihle, unter anderem die Er¬
wägung, ob nicht alle Massen als nur scheinbare zu betrachten
sind um! die ganze Mechanik nicht auf elektrische Vorgänge zu-
riiekzuführon ist. Namentlich erscheint es nicht aussichtslos,
über «Ion feineren Bau der chemischen Atome, sowie über die
Schwerkraft hier Aufschluss zu erlangen.
Jetlenfalls ist sicher, dass diese winzigen Theileh»*n, deren
Grösse sich zu «1er eines Bacillus verhält, wie letzterer zur ganzen
Erdkugel, und deren Eigenschaften wir doch auf das Genaueste
messen können, dass diese Elekt ronen einen der wichtigsten Be-
standtheile unseres ganzen Weltgebäudes bilden.
Di<‘scm mit grossem Beifall aufgenomiiu*nen Vortrag folgte
nun jener von H. Geitel - Wolfenbüttel: lieber die An¬
wendung der Lehre von den Gas-Ionen auf die Erscheinungen
der atmosphärischen Elektricität.
Auffallender Weise sind trotz der angestrengten und erfolg¬
reichen Thätigkeit der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete der
elektrischen Erscheinungen gerade diejenigen, die uns «lie Natur
selbst bietet, nämlich die der atmosphärischen Elektrizität, nach
ihr»*m inneren Zusammenhänge noch nicht befriedigend aufge¬
klärt. Es sind zwei Grundprobleme, deren Lösung noch aussteht.
Das erste ist die Frage nach »lern Ursprünge der Niedersehlags-
elektrizität oder der elektromotorischen Kraft, die zugleich mit
der Kondensation des Wasserdampfs in der Atmosphäre in Wirk¬
samkeit tritt und sich am stärksten in den eigentlichen Gewittern
üussert. Das zweite betrifft die Herkunft und die Erhaltung
der bei heiterem Wetter stets vorhandenen sogenannten normalen
Spannungsdifferenz zwischen dem Erdkörper und seiner Luft¬
hülle, die in einer negativen Eigenladung der Erde und einer
positiven der Atmosphäre besteht.
Die Erkenntniss des M«*ehanismus der Gasentladungen, die
sieh inzwischen vollzogen hat, scheint auch in Bezug auf diese
Fragen einen Schritt vorwärts zu bedeuten. Weim ein Gas
elektrisch leitet, so ist dies hiernach nur durch Vormittelung
von Elektronen oder Ionen möglich, d. h. von positiv oder negativ
geladenen Theilchen, die man sich durch eine Spaltung der Gas-
ntome entstanden denkt. Da nun die atmosphärische Luft, wie
experimentell bewiesen werden kann, ein zwar kleines, aber un¬
zweifelhaftes elektrisches Leitvermögen hat, so muss sie auch
freie Ionen in gewisser Monge enthalten, und wenn diese ihr ent¬
zogen werden, sie durch Neubildung ersetzen. Dieser Nachweis
des Vorhandenseins von Ionen in der Atmosphäre ist besonders
durch systematische Untersuchungen über die sogen. Elektri¬
zitätszerstreuung von Geitel und Elster erbracht worden.
Die auf dem lonengehalt beruhende Leitfähigkeit der Luft ist
am grössten an klaren Tagen, am geringsten bei Nebel. Be¬
sonders gross ist sie im Hochgebirge und in den Polargegenden
gefunden worden, auch im freien Lufträume nimmt sie mit der
Erhebung über den Meeresspiegel zu, wie Herr Ebeirt in
München durch Messungen vom Ballon aus nnchgewiesen hat.
Da die natürliche Luft sich qualitativ wie solche verhält,
die durch die Gegenwart der sogen, radiventiven Substanzen
künstlich in abnorm hohem Grade ionisirt ist, so darf man mit
einiger Wahrscheinlichkeit die gleichen Vorgänge in der Atmo¬
sphäre als tlüitig vermuthen, die man an jener künstlich ionisirten
Luft beobachtet.
Diese elektrisirt nun den mit ihr in Berührung befindlichen
Leiter im Allgemeinen negativ, während sie sieh selbst positiv
ladet, der Sinn der entstehenden Potcntialditferenz ist mithin
derselbe, wie zwischen der Erde und ihrer Atmosphäre. Ferner
wirken in künstlich ionisirten Gasen, die mit Feuchtigkeit ge¬
sättigt sind und dann durch Entspannen abgeküldt werden, die
Ionen als Ansatzk»!rne hei der Kondensation des Wasserdainpfs
und zwar, nach den Untersuchungen C. T. II. Wils o n’s die
negativen bei geringeren Graden der Entspannung als die posi¬
tiven. Die in der freien Atnuxsphäre in aufsteigenden Luft¬
strömen bei beginnender Ucbersättigung mit Wasserdampf sieh
bildenden Wolken würden danach zuerst aus negativ geladenen
Tröpfchen besü'hen und sich zu gleiehmiissig elektrischen Regen¬
tropfen verdichten. Fallen diese zur Erde herab, so bleibt die
Luft mit positiver Ladung behaftet zurück, erst bei fortschrei-
temler Ucbersättigung würden auch die positiven Ionen an
Wassertropfen gebunden und zur Erde geführt. Es ist nicht
unwahrscheinlich, wie zu»*rst J. J. Tho m soii vermuthetc, dass
solche Vorgänge b»?i der Scheidung der Elektrizität in den Ge¬
witterwolken wirksam sind *).
Nach einer Vj stünd. Erfrischungspause begann Th. Paul-
Tübingon seinen durch zahlreiche Tnl>«*llen, welche mittels Pro¬
jektionsapparates zur Anschuuung gebracht wurden, erläuterten
Vortrag über:
Die Bedeutung der Ionen-Theorie für die physiologische
Chemie. (Nach dem Autoreferate.)
Weitaus die meisten biologischen Vorgänge in Pflanzen und
Thieren beruhen auf einer Wechselwirkung der Stoffe in ge¬
löstem Zustande, da nicht nur die flüssigen Bestamltlicile <l«*r
Organismen, sondern auch die festeren Gewebe als Lösungen
aufzufassen sind, seitdem «lie neuere (’h«*mie ausser d»*n flüssigen
auch feste Lösungen kennt. Es war desshalb zu erwarten, dass
die Fortschritte, welche man in der Erkenntniss des Wesens «ler
Lösungen machte, auch b»*fru»*.hU*n«l auf die Physiologie ein¬
wirken würden, und «lass zwei wissenschaftliche Errungenschaften
ersten Ranges, die Theori»* der Lösungen von van t’IIoff
und die Theorie der elektrolytischen Dissociation von Svanhe
Arrhenius, durch welche unsere Anschauungen vom Zu¬
stande der Stoffe in Lösungen in vollkommenere Bahnen gelenkt
worden sind, für gewisse Gebiete der physiologischen Chemie
einen Wendepunkt bedeuten. Es lässt sich schon jetzt mit Be¬
stimmtheit sagen, dass viele der zahllosem Widersprüche und Un¬
klarheiten, denen man in der physiologischen Literatur so häufig
begegnet, nur auf Grund dieser neueren Anschauungen gelöst
worden können. Bisher nahm man an, dass in einer wässerig«*!!
Lösung, z. B. in einer Kochsalzlösung neben den Wassermolekeln
Ohlornatriuni-Molekeln enthalten sind. Da aber eine solche
Lösung den elektrischen Strom leitet, und deren osmotischer
Druck gnissor ist, als den molekularen Verhältnissen entspricht,
nimmt man nach der Theorie der elektrolytischen Dissociatiim
oder der „Ionen-Theorie“ an, dass in einer Kochsalz¬
lösung nicht sämmtlichcs Salz in der Form von Na(TMol«*keln
enthalten ist, sondern dass die Mehrzahl der letzteren in elektrisch
geladene Theilstüekc, die Na-Ionen und Cl-Ioncn, zerfällt, welche
den Transport der Elektrizität beim Durchgang»; ein»« elek¬
trischen Stromes vermitteln, und deren je»kw den osmotischen
Druck »ler Lösung in demselben Grade beeinflusst, wie eine in¬
takte Molekel. Di»*s»*r Vorgang tl»*r Spaltung »ler Ko»*hsalz-
mol<>k<*ln in elektrisch geladene Ionen, welcher st»*ts mit «lern
Auflösen dos Salzes in Wasser verbunden ist und ohne jode Zu¬
führung von Elektrizität von aussen vor sich geht, fin»l«*t Ihü
*) Da der Herr Vortragende Ulier ein «ler Grösse dos Raumes
aupassluires Organ nicht v«*rfiigto, war es für die Mehrheit der
Hörer schon aus diesem Grunde schwer, «len Darlegungen des
Forschers mit der Aufmerksamkeit zu folgen, welche sie ver¬
dienten.
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1620
MUENCIIENER MEDIOINISCnE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
sämmtlichen Salzen, Säuren und Basen statt, Stoffen, deren
wässerige Lösungen den elektrischen Strom leiten und welche
man desshalb mit dem gemeinsamen Namen „Elektrolyte“ be¬
zeichnet. So zerfällt AgNO, in das positive Silber-Ion (Ag-Ion)
und in das negative Snli)etersäure-Ion (NO.-Ion), das chlorsaure
Kalium in das positive Kalium-Ton (K-Ion) und in das negative
Chlorsiiure-Ion (ClOj-Ion). Die Säuren sind dadurch charak-
terisirt, dass sie sämmtlieh in wässeriger Lösung positive Wasser¬
stoff-Ionen (Il-Ionen) abspalten unter gleichzeitiger Bildung
eines für jede Säure charakteristischen negativen Ions. Die
Basen sind Verbindungen, welche in wässeriger Lösung sämmt¬
lieh negative Ilydroxyl-Ionen (0Il-Ionen) neben den für jode
Base spezifischen positiven Ionen abspalten. Die „Stärke“ der
Säuren und Basen richtet sieh nach dem Dissociationsgradc
dieser Verbindungen. Eine Säure oder eine Base ist um so
stärker, jo grösser die Konzentration der positiven Wasserstoff-
Ionen oder negativen Ilydroxyl-Ionen in ihrer wässerigen Lösung
ist, wenn gleiche molekulare Mengen dieser Verbindungen gelöst
werden. So ist die Essigsäure eine ungefähr 100 mal schwächere
Siiure als die Salzsäure und das Ammoniak eine ungefähr
100 mal schwächere Base als die Kalilauge.
Es lässt sieh an einer Reihe von praktischen Beispielen
zeigen, dass uns die lonen-Thcorie die Mittel und Wege an die
Hand gibt, die Zusammensetzung verschiedener bisher unge¬
nügend erforschter Körperflüssigkeiten zu ermitteln, und uns
in den Stand setzt, komplizirte physiologisch-chemische Vor¬
gänge* auf einfache wohll>ekannte Gesetze zurückzuführen und
für die physiologische Wirkung vieler Stoffe*, eine einheitliche
und ungezwungene Erklärung zu geben. So bedeutet es einen
prinzipiellen Fortschritt, als vor einigen Jahren St. Bugarszky
und F. Tan gl bei ihren Untersuchungen über die Zusammen¬
setzung des Blutserums durch die Bestimmung der Gefrierpunkts¬
erniedrigung, welche sich mit Hilfe der von Ernst Beckmann
konstruirten Apparate in kurzer Zeit mit grosser Genauigkeit
ausführen lässt, die Gesammtkonzentration der gelösten nicht-
dissociirten Molekeln und der Ionen ermittelten und die Kon¬
zentration der letzteren durch elektrische Leitfiihigkeitsversuche
feststellten. Eine ähnliche Untersuchung hat fast gleichzeitig
Hans Koeppe iilx-r den Salzgehalt der Frauen- und Kuhmilch
ausgeführt. Seitdem Reaumur als einer der Ersten um die
Mitte des 18. Jahrhunderts den Mageninhalt von Thicren auf
seine Acidität untersuchte, ist die Zahl der darüber veröffent¬
lichten Arbeiten auf mehrere Hundert angewachsen. Trotzdem
ist es bisher nicht möglich gewesen, die Konzentration der Säure
im Magensaft in absoluten Zahlen anzugeben.
Die Ionentheorie setzt uns in den Stand, den Begriff der
Acidität des Magensaftes in ganz unzweideutiger Weise zu prä-
zisiren: Die Acidität ist identisch mit der Konzentration der
darin enthaltenen Wasserstoff-Ionen. Die. exakte Messung der¬
selben lässt sich mit Hilfe einer galvanischen Konzentrations-
Kette bewerkstelligen, deren Theorie von Walter Nernst auf¬
gestellt wurde. Die Titration liis«t sich hierzu nicht benutzen,
da gleiche molekulare Mengen der starken Salzsäure und der
schwachen organischen Säuren, wie Essigsäure und Buttersäure,
gleiche Volumina Kalilauge oder Natronlauge zur Sättigung
brauchen. Damit soll nicht in Abrede g<*stellt werden, dass sich
mit Hilfe passend gewählter Indikatoren wie z. B. Methylviolett,
Tropäolin oder Kongoroth, welche erst auf eine grössere Wasser-
stoff-Ioncn-Konzontration reagiren, für die ärztliche Praxis
brauchbare vergleichende Werthe ermitteln lassen. Ja, es ist
wünsehenswerth, dass diese Methode mit Hilfe der Theorie der
Indikatoren weiter ausgebildet wird, welche Wilhelm Ostwald
auf Grund der lonenthoorie aufgestellt hat, und die es ermög¬
licht, die zahlreichen Indikatoren der Aeidirnetrie und Alkali¬
metrie nach einem einheitlichen Gesichtspunkte zu klassifiziren
und die für jeden Indikator charakteristische Empfindlichkeits-
grenzo festzustellen.
In neuester Zeit hat Rudolf Höher versucht, die Konzen¬
tration der Ilydroxyl-Ionen im Blut, also dessen Alkalcsoenz, zu
bestimmen, indem er defibrinirtes Rinderblut mit verdünnter
Natronlauge bezw. Salzsäure von bestimmtem Gehalt zu einer
galvanischen Konzentrationskette verband und die elektro¬
motorische Kraft des auftretenden galvanischen Stromes er¬
mittelte. Die Eigenschaft der Eiwe.issverbindungen, mit stär¬
keren Säuren lockere salzartige* Verbindungen zu bieten, welche
für die Pepsinverdauung sehr wichtig sind, hat vor mehreren
Jahren John Sjövist auf Grund der Ionentheorie klar gelegt
und mit Hilfe von elektrischen Leitf äh igkeitsmessungvn quanti¬
tativ bestimmt. Einige Jahn* später (1808) haben Stefan Bu-
garskv und Leo Lieber mann das Bindungsvermögen
eiweissartiger Stoffe für Salzsäure, Natriumhydroxyd und Koch¬
salz durch die Messung der elektromotorischen Kräfte in gal¬
vanischen „Gasketten“ und durch die Bestimmung der Gefrier¬
punktserniedrigung ermittelt. Die nach diesen von einander
ganz unabhängigen Methoden gefundenen Werthe stimmen ganz
befriedigend überein und sind insofern ein Beweis für die Stich¬
haltigkeit und Zweckmässigkeit der neueren Anschauungen, als
die darauf gegründeten Rechnungen sich der Erfahrung au-
schliessen.
Paul G r ii t z n e r hatte gefunden, dass die Kaseinfällung
in der Milch, welche durch aequimolekularc Säurelösungen ver¬
anlasst wird, je nach der Stärke der betreffenden Säure quanti¬
tativ ganz verschieden ist. Setzt man den Säurelösungen gleich-
ionige Salze zu, wie z. B. der Essigsäure essigsaures Natrium, so
wird die Menge des ausgefällten Kaseins geringer, obwohl be¬
kanntlich die Salze die Ausfällung von Eiweisskörpern im All¬
gemeinen unterstützen. Wie war diese merkwürdige Erschei¬
nung zu erklären? Die lonenthoorie gibt auf diese Frage fol¬
gende Antwort: die Konzentration der Wasserstoff-Ionen in der
wässerigen Lösung oder mittelstarken oder schwachen Säure
muss nach dem Massen Wirkungsgesetz durch den Zusatz eines
gleichionigon Salzes geringer werden und desshalb wird die
Fähigkeit der Säure, das Kasein auszufällen geringer. Mit Rück¬
sicht auf die grosse Bedeutung, welche dem Verhalten der Harn¬
säure und ihrer Salzo im Blut, im Harn und in den Gewebs¬
flüssigkeiten zukommt, da verschiedene häufig auftretende und
besonders schmerzhafte Krankheiten auf einer pathologisch'u
Abscheidung der Harnsäure und ihrer Salze im Körper beruhen,
haben Wilhelm H i s d. J. und Theodor Paul begonnen, das Ver¬
halten dieser Stoffe in Lösungen vom Standpunkte der Ionen-
theorie einer systematischen Untersuchung zu unterziehen. Sie
fanden u. a. in Uebereinstimmung mit den Lehren der Ionen¬
theorie, dass die Abscheidung eines schwerlöslichen harnsauren
Salzes aus einer D'isung nicht nur von der Löslichkeit des be¬
treffenden Salzes abhängt, sondern dass die gleichzeitig in der
Lösung anwesenden Salze, welche mit jenem ein Ion gemeinsam
haben, eine beträchtliche Lösliehkeitsverminderung veranlassen
können. So löst sich z. B. das saure harnsaure Natrium in
Wasser von Zimmertemperatur im Verhältnis* von 1:1130, in
einer physiologischen Kochsalzlösung dagegen, welche nur 7 g
Chlornatrium im Liter enthält, erreicht die Löslichkeit nicht ein¬
mal das Verhältniss 1:11000, da die Dissoeiation des Natrium-
urats durch die Natrium-Ionen dos Kochsalzes erheblich ver¬
mindert wird. Eine weitere Ueberlegung zeigte, dass die zur Zeit
noch ganz allgemeine Vorstellung irrig ist, wonach die Dar¬
reichung von Lithium, Piperazin, Lysidin und ähnlichen Prä¬
paraten, deren harnsaure Salze in Wasser leicht löslich sind, iin
Organismus eine Umsetzung mit den abgelagerten schwer lös¬
lichen harnsauren Salzen und die Bildung der leichtlöslichen
Verbindung veranlassen können.
Im innigen Zusammenhänge mit der Konstitution einer
Lösung steht auch ihre physiologische Wirkung, und da die Salze,
Säuren und Basen in wässeriger Lösung mehr oder weniger in
Ionen zerfallen, muss sich auch deren physiologische Wirkung aus
derjenigen der nicht dissociirten Molekeln und der Ionen zu¬
sammensetzen. Thatsächlieh haben zahlreiche Beobachtungen
diese Erwartung bestätigt. Dreser prüfte die Giftwirkung
von Quecksilbersalzen auf Hefezellen, Frösche und Fische, und
fand, dass das Kaliumquecksilberhyposulfit viel langsamer und
schwächer wirkte als Cyan-, Suceinimid- und Rhodanquecksilber,
obgleich der Quecksilbergehalt in allen Lösungen gleich gross
war. Dreser führte das abnorme pharmakodynamische Ver¬
halten des Kaliumqueeksilberhyposulfits auf die geringe Konzen¬
tration der Quecksilber-Ionen in dessen wässeriger Lösung zu¬
rück. Bei Gelegenheit einer ausgedehnten, unter Zugrunde¬
legung der neueren physikalisch-chemischen Theorien ange-
stellten Untersuchung über das Verhalten der Bakterien zu che¬
mischen Stoffen aller Art haben Bernhard Krönig und Theodor
Paul geprüft, ob die Giftwirkung von Metallsalzen, Säuren und
Basen im Zusammenhänge mit deren elektrolytischer Dissocia-
tion stehe. Diese Untersuchung war um so interessanter, als
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1621
8. Oktober 1901.
Behring den im schroffsten Gegensatz zu dieser Annahme
stehenden Satz aufgestellt hatte, dass z. B. „der desinfizirendo
Werth der Quecksilberverbindungen im Wesentlichen nur von
dem Gehalt an löslichem Quecksilber abhängig ist, die Verbin¬
dung mag sonst heissen wie sie wolle“. Redner zeigt an der Hand
zahlreicher Tabellen, dass diese Ansicht Behring’s vollständig
mit den Thatsachen im Widerspruch stehe. So fanden B. Krö-
n i g und Th. Paul die keimtüdtende Kraft der Halogenverbin-
dungen des Quecksilbers, von denen wir wissen, dass sie ver¬
schieden stark dissoeiirt. sind, sehr verschieden und zwar ent¬
sprach sie ganz dem elektrolytischen Dissociationsgrad dieser
Salze. Die bakterientödtende Kraft des Sublimats nimmt um
so mehr ab, je mehr CINa zugesetzt wurde. Die Hg-Cyan-
verbindungen erwiesen sich als am schwächsten wirksam. Auch
bei den Silber- und Goldsalzen liess sich ähnliches beobachten:
die gut dissociirenden Verbindungen wirkten sehr stark, die
komplexen Salze dagegen, in deren wässeriger Lösung die Kon¬
zentration der Metall-Ionen nur gering ist, waren viel weniger
giftig. Die Giftwirkung der Säuren und Basen entsprach im
Allgemeinen der Konzentration der Wasserstoff-Ionen resp.
Hydroxyl-Ionen. Auch die Aenderungen des Dissociations-
zustandes von Metallsalzen, welche der Zusatz eines gleicli-
ionigen anderen Salzes bewirkt, kam bei der Giftwirkung sehr
schön zum Ausdruck. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten
Scheurlen und Spiro.
Mit Rücksicht auf diese letztgenannten und andere Unter¬
suchungen, welche die Anwendung der lonentheorie auf physio¬
logische Vorgänge betreffen, weist Redner darauf hin, dass man
bei Deutung von Versuchen an höher organisirten Lebewesen
und besonders beim Thierexperiment mit grosser Vorsicht zu
Werke gehen muss, da hierbei noch eine Reihe anderer Faktoren,
als lediglich der Dissociationsgrad der Stoffe und die Eigen¬
schaften der Ionen maassgebeud sind. Zu verurtheilen ist ferner
die sich in neuerer Zeit besonders in Deutschland geltend
machende Unsitte, die neueren physikalisch-chemischen Theorien
für die Anpreisung von Heilmitteln und besonders für die Wirk¬
samkeit der Heilquellen zu verwenden. Durch solche und ähn¬
liche Gepflogenheiten kann und muss die Bedeutung der neueren
Anschauungen in Misskredit gebracht werden.
Die klare Darstellung des Themas, die Anführung der für
das Verständniss des Ganzen wichtigsten Grundbegriffe — wofür
besonders die „Mediciner“ dankbar waren — und ein bis in die
fernsten Ecken des Raumes gleich gut vernehmbares Stimmorgan
erklärten völlig den lebhaften Beifall, welchen der Redner
erntete.
Als letzter Redner bestieg His jun.-Loipzig das Podium
zu seinem Vortrage: Die Bedeutung der lonentheorie in der
klinischen Medicin.
Der thierische und menschliche Körper besteht aus halb¬
festen Elementen, den Zellen und umgebenden Flüssigkeiten,
dem Blut und der Lymphe. Beide stehen in einem Wechsel-
austausch gelöster organischer und anorganischer Bestandtheile.
Dieser Wechselaustausch wird theils durch rein physikalische
Kräfte, theils durch die den Zellen innewohnenden vitalen Eigen¬
schaften geregelt. Eine Erkrankung der Zellen muss sich in
einer Aenderung dieser vitalen Kraftäusserungen zu erkennen
geben; diese Kraftäusserungen sind ein Maass der physio¬
logischen Zellfunktion. Sie lassen sich von den rein physi¬
kalischen Kräften um so leichter sondern, je genauer diese be¬
kannt sind. Für die Austauschvorgänge im Körper sind am
wichtigsten die Gesetze der Osmose und Diffusion. Diese
Gesetze sind aber erst verständlich geworden durch die Auf¬
stellung der Lösungstheorie durch van t’IIoff und der Dis-
sociations- oder lonentheorie durch Svanhc Arrhenius. Diese
ungemein fruchtbaren Theorien stellen den durch die That¬
sachen auPs Beste gestützten Satz auf, dass gewisse Eigen¬
schaften einer Lösung, wozu der bei den Austauschvorgängen
im Körper überall wirksame osmotische Druck gehört,
nicht von der Art, sondern von der Konzentration der gelösten
Moleküle allein abhängen, und dass die Bestandtheile, in welche
die Elektrolyte in Lösung zerfallen, die Ionen, den Molekülen
in dieser Beziehung gleichwerthig sind. Die Anwendung dieser
Theorie auf die Medicin hat eine Menge von wichtigen Auf¬
schlüssen über die Austausch Vorgänge im Körper ergehen, frei¬
lich sind die Vorgänge im Körper so komplizirte, dass vorerst
nur die Grundlagen zu einer allgemeinen O rientirung
gegelten sind.
Während sich die todte Darmwand im Wesentlichen wie eine
thierische Membran verhält, sind die Resorptionsvorgänge an
der lebenden Darmwand viel komplizirter und nicht ausschliess¬
lich analog denen der Diffusion und Osmose durch thierische
Membranen. Immerhin wirft die jetzige chemisch-physikalische
Betrachtung dieser Processe auf Manches ein helleres Licht als
bisher. Z. B. kann erhofft werden, dass auf diesem Wege eine
Einsicht in die Wirkung mancher Mineralwässer gewonnen
werden wird. Die von K o e p p e über die Ausscheidung der
C1H im Magen aufgostellte Theorie ist aus manchen Gründen
nicht haltbar, vorläufig muss in diesem Vorgang die Mitwirkung
vitaler Processe als nothwendig vorausgesetzt werden. Festge¬
stellt ist, dass im Magen eine Sekretion von Wasser oder Salzen
in der Weise stattfindet, dass der Mageninhalt eine molekuläre
Konzentration annimmt, die um einen grösseren Werth unter
derjenigen ües Blutes liegt. Jedenfalls sind die bisherigen Ver¬
suche, die Salzsüuresekretion als rein physikalischen Vorgang zu
erklären, als widerlegt zu betrachten. Auch für die Exsudation
und Resorption durch Gefässe und seröse Endothelien scheint
eine lebendige Thätigkeit der Zellen, neben rein physikalischen
Processen, maassgebend zu sein.
Bei der funktionellen Prüfung der Nieren leisten die auf
die physikalisch-chemische Untersuchung der Ausscheidungen
gegründeten Methoden wenig mehr als die bisher geübte
chemische und mikroskopische Untersuchung. Anders bei ein¬
seitigen Nierenaffektionen, wo von einem geübten Untersucher
eventuell durch phys.-chemische Methoden eine Diagnose ge¬
macht und die Indikation zur Operation aufgestellt werden kann.
Doch sind diese Methoden besser noch der Klinik Vorbehalten,
denn die Untersuchungen wollen genau geübt sein, die zu
ziehenden Schlüsse sind noch zu unsicher, um für die praktische
Anwendung schon jederzeit maassgebend sein zu dürfen. Es
ist aber zu hoffen, dass der Kreis der praktischen Verwerthung
der chem.-phys. Methoden in der Zukunft erweitert werden kann.
Zur Discussiou nach dem Inhaltreicheu, fesselnden Vor¬
trage, der mit grösstem Beifalle aufgeuommeu wurde, meldete sich
zunächst Ost wald - Leipzig. Er führte aus, dass ln den bio¬
logischen Wissenschaften eine Zeit lang eine Art „ Verzweifluugs-
siiinmuug" geherrscht habe. Mit Hilfe von Chemie und Physik
habe man sich auf allerlei Probleme und Arbeiten gestürzt, allein
schliesslich seien die bet reteneu Wege ausgegangen gewesen, es
bestund der Eindruck, mit Chemie und Physik komme man nicht
zu Ende. Mau habe dann wieder die Dinge mit „vital“ bezeichnet.
Die vitalen Kräfte sind nach Redner diejenigen, welche mau noch
nicht bewältigt hat. Zwischen ihnen und den uudereu besteht kein
absoluter Unterschied, sondern nur eiu von der Zeit abhängiger.
Wenn die Biologen auf eine Erklärung „vitaler“ Vorgänge ver¬
zichten zu müssen glauben, so trauen sie sich zu wenig, den
Chemikern und Physikern zu viel zu. Für letztere Ist Manches
auf biologischem Gebiete gewachsen, z. B. die Auftinduug des
osmotischen Druckes durch Pfeffer und D’V ries. Mit einem
geistreich durchgeführteu Vergleich, in welchem Ostwald die
Chemiker und Physiker als die Dammbauer einer Eisenbahn be-
zeichuete, auf welchem daun die Biologen den Zug vorwärts
bringen könnten, schloss Itedner seine interessanten Aus¬
führungen.
Im Anschluss an den Vortrag von Th. P a u 1 - Tübingen
sprach hierauf B 1 a 1 - Kissingeu über die von ihm ungestellten
Untersuchungen betr. die Wirkung der Säuren
auf die Entwicklung der Hefe.
Als letzter Redner der Sitzung, die erst nach 4 ständiger
Dauer nach kurzen Schlussworten des 1. Vorsitzenden ihr Ende
nahm, erhob sich van t’H off- Cliarlotteuburg zu einer das
Be l'ruchtungs problem betreffenden Bemerkung.
Nach den Untersuchungen Loeb's über die Befruchtung
spielen bei derselben physikalisch-chemische Vorgänge eine Rolle.
Es sei ihm nun durch den Bover i’selien Vortrag die Idee ge¬
kommen, dass die Veränderungen, welche das Ei vor und nach
dem Eintritt des Spermatozoons zeige, vielleicht durch Aende¬
rungen des osmotischen Druckes entständen, speziell die Vor-
buchtung und nacliherlge Einziehung au einer Stelle des Eies,
wobei die Absonderung eines Eiweiss koagulirenden Enzyms
durch das Spermatozoon eine Rolle spielen könnte.
Da dem Spccialistenthum jetzt allseitig ein: Ne nimis! ent¬
gegengerufen wird und auch das Programm der heurigen Natur-
forschorversammlung, wie speciell die heutige Vortragsreihe
zeigte, mit voller Energie in den Dienst dieser einigenden Ten¬
denzen gestellt ist, so möchte Referent es nicht unterlassen, eines
Eindruckes zu gedenken, der sich ihm im Verlaufe der Verhand¬
lungen immer mehr aufdrängte. Wenn es erreicht werden soll,
dass die, physikalisch-chemischen oder anderen Gebieten det
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1622
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Naturwissenschaften engeren Sinnes entnommenen, Stoffe der
Vorträge bei den Modicinem einen wohl vorbereiteten lloden des
Verständnisses — und darin beruht ihr Werth — finden, so muss
dem Umstande Rechnung getragen werden, dass bei der enormen
Entwicklung der Einzelwissenschaften es nur relativ sehr
Wenigen möglich ist, seinem Arbeitsfeld immerhin entlegene
Gebiete mit zu überschauen. Die Folge ist, dass der „medi-
cinische“ Bruder mit viel weniger naturwissenschaftlichen Be¬
griffen zur gemeinsamen Unterhaltung kommt, als der „nmur-
wissonschaftliehe“ Bruder meint. Und vice vorsa! Wie sollen
sie sieh da gleich verstehen, wenn sie lange, Jeder in einem
anderen Lande waren? Dass sie die Mutterlauto an sich ver¬
stehen müssten, beruht, um aufrichtig zu sein, auf einer schönen,
poetischen Fiktion. Es wäre unrichtig, diese ruhig bestehen zu
lassen und sich zu verhalten, als verständen sich die Brüder bei
der jährlichen Aussprache trefflich. Warum soll man dem
wahren Verhältniss nicht Rechnung tragen und dafür sorgen,
dass die Themata der allgemeinen bezw. gemeinsamen Sitzungen
so frühzeitig bekannt gemacht werden (das geschieht sogar
schon), dass eine zweckmässige Vorbereitung hiefür ointreten
kann? Für die Aerzte wenigstens wäre es nicht zu schwer, durch
Vorträge in ihren Vereinen, durch entsprechende einführende
Erläuterungen in den Fachblättern dafür Sorge* zu tragen, das«
ihnen das wirkliche Verständnis» der naturwissenschaftlichen
Vorträge schwierigerer Natur vermittelt wird. Für den Ein¬
zelnen ist. der Weg hiezu zu zeitraubend oder überhaupt nicht
möglich. Vielleicht greift Jemand diese kurze Anregung auf.
Die Thoilnehmerzahl hat nunmehr 3000 überschritten —
die frühere Schätzung war zu hoch. Da» Wetter ist der Ver¬
sammlung bisher in seltenem Grade hold gewesen, was neben der
allgemeincii^Feststimmung besonders auch den den Gästen ge¬
botenen Veranstaltungen zu Gute kommt. Prächtig verlief so
der Abend am 23. September in dem entzückend schön be¬
leuchteten zoologischen Garten, wo ganz Hamburg den Natur¬
forschern ein gemüthlichcs Rendcz-vous gab, ebenso die gestern
Abend vor sich gegangene Einladung von 4—500 der Theil-
nehmer auf mehrere Dampfer der Hamburg-Amerika-Linie, die
gestern ihre Liberalität im glänzendsten Lichte zeigte. Referent
verlebte in Folge* dessen auf dem prachtvollen Schiff „Augusta
Viktoria“, wohin uns nach lVs stündiger Fahrt elbabwärts zwei
Dampfer brachten, einen unvergesslich schönen Abend, den näher
hier zu schildern, nicht meines Amtes ist. Auch der gestrige
Empfang einer anderen grossen Grupi>e der Theilnehmer durch
den »Senat in den Prachträumcn des Rathhaus«*! soll auf das
Glänzendste verlaufen sein. Die schön gebildete Frauengestalt
de« geschmackvollen Festzeichens hält dem Forscher den Spiegel
vor, damit er Selbsterkenntniss übe: in dieser Hamburger Fest¬
woche schauen nur festfrohe Forscher heraus!
Abtheilung für innere Medicin.
Referent: A 1 b u - Berlin.
I. Sitzung.
1. Herr Curschmann- Leipzig: Zur Diagnostik der
entzündlichen Exsndate der rechten Fossa iliaca.
(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochen sehr.)
Herr Lenhartz - Hamburg hat die l’roliepunktion ln etwa
5o Fällen (loch diagnostisch sehr bewährt gefunden. In den Fällen,
wo sie nichts ergab, trat denn auch stets spontane Heilung ein.
Man muss sie genau an der Stelle der grössten Schmerzhaftigkeit
machen. Die Verwachsung schlitzt gerade in den eitrigen Fällen
vor Infektion des Peritoneums. In 3 Fällen hat L. nach Aspiration
des Eiters sogar Heilung eintreten sehen, wenn nämlich der
Abscess oberflächlich liegt.
Herr v. ZIemssen- München hat von der Probepunktion
niemals Schaden gesellen, wenn man ganz senkrecht elusticht.
Alier sie gibt keine Sicherheit der Entscheidung.
Herr S t i n t z 1 n g - Jena steht in Folge eines unglücklich ver¬
laufenen Falles der Probepunktion zurückhaltend gegenüber.
Herr Curschmann hat auch 2 mal tödtliche Peritonitis
danach gesehen.
2. Herr Stintzing - Jena: lieber Neuritis und Poly¬
neuritis.
(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Woehenschr.)
3. Herr Gaertner- Wien: lieber ein neues Haemo-
globinometer.
(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Woehenschr.)
II. Sitzung, gemeinsam mit der Abtheilung für
Chirurgie.
1. Herr K e 11 i n g - Dresden: Heber die Besichtigung der
Speiseröhre mit biegsamen Instrumenten.
R»y.lner führt aus, dass die Besichtigung der Speiseröhre
für die Erkrankungen derselben ein nothwendiges diagnostisches
Hilfsmittel sei. Er zeigt dann weiter an Hand seines Materials,
das die Gastroskopie bei der Frühdiagnose de« Magenkrebses die
Probelaparotomie ersetzen kann. Es ist ihm gelungen, nicht pal-
pable Tumoren zu sehen, auf ihre Operabilität hin zu unter¬
scheiden, und nachher durch Operation zu entfernen, ausserdem
den begründeten Carcinomverdacht in anderen Fällen zurück¬
zuweisen. Redner erörtert dann noch das Princip, nach welchem
seine Apparate gebaut sind, bespricht einige neuerdings ange¬
brachte Verbesserungen und beschreibt zum Schlüsse eine neue
Methode, welche die Besichtigung des Innern der Bauchhöhle
und auch eine Palpation der Organe unter Leitung dt« Auges
gestaltet. (Es werden die Methoden demonstrirt.)
2. Herr v. Mikulicz-Breslau: Erfahrungen über Magen-
carcinom.
In der Jahren 1890—1900 sind 447 Fälle von Magcncarcinom
zur Aufnahme gekommen (davon einige 40 Kardiacarcinome).
320 Fülle sind operirt worden (127 nicht) und zwar Probeincision
44, Gastrostomie 27, Jcjunostomie 12, Gastroenterostomie 143,
Resectio ventr. 100, Exstirpatio ventr. 3. Aus diesem Material
ergeben sien hinsichtlich der Mortalität der Operation und der
dadurch erzielten Lobcnsverlüngerung folgende Daton: Die
Nichtopcrirtcn hatten eine durchschnittliche Lebensdauer von
11 Monaten, diejenigen nach Probelaparotomie 12 Monate. Von
diesen letzteren 44 Fällen sind 4 gestorben, aber nur 2 in Folge
der Operation, also hat die Probeincision eine Mortalität von
nur 4Vs Proc. Dosshalb sollte sie häufiger gemacht werden. Von
den 27 Gastrostomien sind 4 im Anschluss an die Operation ge¬
storben, sie haben danach noch 3% Monate gelebt, im Ganzen
12 Monate seit nachweislichen Beginn des Ioidons. Diese Opera¬
tion hat daher nicht erheblichen Werth, sie soll nur aus humaner
Rücksicht unternommen werden im letzten Stadium der Krank¬
heit, wo der Patient nun^erqualen leidet. Die Jejunostomie ist
als sehr gefährlich zu verwerfen und nur dann auszuführen, wenn
die ganze Magenwand so infiltrirt ist, dass die Anlegung einer
Fistel unmöglich ist. Die 143 Fälle von Gastroenterostomien
haben eine Mortalität von 31 Va Proc., in den letzten Jahren nur
noch von 26 Proc. Die 58 überlebenden Fülle hatten noch eine
Lebensdauer von 5Va Monate nach der Operation, von 13% Mo¬
nate nach Beginn des Leidens. Dieser Vortheil der Operation
erscheint gering, namentlich noch in Anbetracht ihrer grossen
Gefahr. Die 100 Resektionen hatten eine Mortalität von 37 Proc.,
in den letzten Jahren al>er nur noch 25 Proc. Die Chancen sind
also keineswegs ungünstiger als bei der Gastroenterostomie.
Dauererfolge: Von 57 leben noch 20 zwischen 14 und 814 Jahren,
10 mehr als 2 Jahre, 4 mehr als 314 Jahre. 17 Proc. können als
radikal geheilt gelten. Der Werth der Resektion liegt nicht nur
in der Erhaltung des Lebens, sondern auch als Palliativoperation
ist sie der Gastroenterostomie überlegen, weil die Patienten da¬
nach jedenfalls länger leben, offenbar weil der Carcinomherd aus
dem Körper entfernt ist. Die durchschnittliche Lebensdauer
nach der Resektion ist ein Jahr, dabei sterben die Patienten
meist an inneren, weniger schmerzhaften und lästigen Metastasen
z. B. Ovarium, Knochen u. dcrgl. Die Gastroenterostomie ist
also einzuschränken zu Gunsten der Resektion einerseits, der
Probelaparotomie andererseits. Sie ist nur bei Pylorusstenose
mit Stagnation indicirt. Wenn die Diagnose noch frühzeitiger
gestellt und die Technik noch weitere Verbesserung erfahren
haben wird, dann ist eine günstigere Gestaltung der Statistik zu
erwarten.
III. »Sitzung, gemeinsam mit der Abtheilnng für
Chirurgie.
Vorsitzende: Herr Schede- Bonn und Herr Cursch¬
mann- Leipzig.
1. Herr Quincke- Kiel: Chirurgische Behandlung der
Lungenkrankheiten.
Redner führt aus, dass die Chirurgie der Lungen nur im
»Stande ist und es somit ihre erste Aufgabe ist, der Eiterung
Abfluss zu verschaffen. Er bespricht sodann die verschiedenen
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8. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1623
Ursachen der Eiterung, die mechanischen, bakteriellen Ursachen
und die Prädisposition zur Eiterung, die durch die Erkraukung
der Schleimhaut der kleinen Bronchien durch Verlust ihres
Flimmerepithels gegeben ist. Sodann kommt Q. im Besonderen
auf die tuberkulösen Processe zu sprechen. Der Zweck, die Ent¬
leerung des Eiters, die Narbenbildung ist an der Lunge durch ihre
Eigenthümliclikeit der Lage, des Baues etc. nicht so leicht zu er¬
reichen wie sonst an den Organen, besonders wenn Verwachsungen
mit der Brustwand vorhanden, wenn das Gewebe, um den Abscess
herum durch langdauernde Processe starr und hart geworden ist.
Q. ist der Meinung, dass die Eiterung des Unterlappens in ge¬
wissen Beziehungen günstiger ist als die des Oberlappens. Für
die Höhlen des Unterlappens ist nur die Abscessspaltung, für die
des Obcrlappens aber ausgedehnte Rippenresektion nothwendig,
weil die Eiterung des Unterlappens durch die günstigen Aus¬
wurfsbedingungen beim Husten besser entleert wird als die des
Oberlappens. Das Wichtigste ist die Diagnose und zwar
die mikroskopische Diagnose, der Befund elastischer Fa¬
sern im Auswurf, wobei ihr Fehlen eine Höhle noch nicht aus-
schliesst. Auch Strepto-, Staphylo- und Pneumococeen sind
wichtig. Höhleneiter hat meistens üblen Geruch. Bei Höhlen
im Unterlappen findet die Expectoration gewöhnlich periodisch
statt. Die klassischen Höhlensymptome gelten vorwiegend für
die Höhlen des Oberlappeus, die gewöhnlich tuberkulöser Natur
sind. Die des Unterlappens stellen selten grössere Räume, ge¬
wöhnlich spaltförmige Formen dar, die zumeist noch ausgefüllt
sind. Das amphorische Athmen ist sehr trügerisch. Die Röntgen¬
durchleuchtung ist nur in sehr massigen Grenzen verwendbar.
Grössere Höhlen kennzeichnet sie durch ein helles Centrum mit
dunklem Rand. — Will man nun operiren, so ist eine weitere
wichtige Frage, ob die Pleurablätter an dieser Stelle miteinander
verwachsen sind. Alle übrigen physikalischen Zeichen dafür
haben keine grosse Bedeutung. Die Verwachsung fehlt sehr
häufig bei der aus chronischer Bronchitis entstandenen Eiter¬
bildung.
Man wird häufig bei der Operation, wo man sichere Ver¬
wachsungen vermuthete, enttäuscht, und dies immer zum Unglück
des Patienten, denn Infektion der frischen Pleurahöhle durch
den Eiter ist meist durch Kollaps oder durch Sepsis tödtlich.
Redner spricht dann noch über die Lungengangraen und die Ver¬
schlechterung der Diagnose durch die Putrcseenz wegen der sep¬
tischen Intoxikation. Nach den akuten einfachen und den akuten
putriden Abseessen muss man besonders die chronischen ein¬
fachen Abseesse betrachten, die gewöhnlich mit Bronchiektasien
verbunden sind. Die chronischen putriden Abseesse sind schwer
zu diagnostiziren, ihre operative Behandlung ist wenig erfolg¬
versprechend. So kommt er zu dem Schluss, dass akute Pro¬
cesse günstig, chronische ungünstig für den Erfolg chirurgischen
Handelns sind, dass Putreseenz bei beiden Arten die Prognose
stark beeinträchtigt. Die Fremdkörperabscesse sind
günstiger für die chirurgische Therapie. Die Tuberkulose wird
durch die Operation günstig beeinflusst, wenn man auch die
mit Tuberkeln durchsetzte Abseesswand nicht gut in Angriff
nehmen kann, so wirkt in vielen Fällen schon sehr günstig für
die Ausheilung der Tuberkulose die Ausschaltung des Lungen¬
flügels aus den Athmungsbewegungon durch Rippenresektion, die
Immobilisation der erkrankten Partie.
2. Herr G ar r 6 - Königsberg: Dasselbe Thema.
Vortr. discutirt zunächst die Frage, ob Pleuraverwachsungen
die nothwendige Vorbedingung für eine Lungenoperation sind
und wie man den Gefahren des operativen Pneumothorax wirksam
Vorbeugen kann. Wenn man nur an verwachsenen Lungen ope¬
riren soll, so werden der Lungenchirurgie sehr enge Grenzen ge¬
zogen. Wenn auch nach der bisherigen Statistik in 87 Proc. der
Fälle sich Verwachsungen der Pleurablätter fanden, so waren
doch viele Spätoperationen dabei. Aber kein diagnostisches
Hilfsmittel hat sich als zuverlässig erwiesen und jeder Operateur
muss mit der Möglichkeit eines partiellen oder totalen Pneumo¬
thorax als Komplikation rechnen. Glücklicher Weise haben die
klinischen Beobachtungen gezeigt, dass man diese Gefahr wesent¬
lich überschätzt hat, und in dieser Erkenntniss liegt nach
seiner Meinung der Ausgangspunkt für eine weitere Ausge¬
staltung der Lungenchirurgie.
Redner bespricht dann die Pathologie des Pneumothorax,
die Betheiligung des Mediastinums an der Funktion der ge¬
sunden Lunge und die Nothwendigkeit, das Mediastinum zu
fixiren, um den tödtlichen C’ollaps durch schlechte Funktion der
gesunden Lunge zu verhindern. Ein zweiter Grund, die Er¬
öffnung der Pleurahöhle zu scheuen, ist die Infektionsgefahr.
Ihr wird man wirksam durch Pleura-Lungennaht mit Tamponude
Vorbeugen, wie Roux es vorgeschlagen hat.
Die Abseesse der Zerfallshöhlen sind im Allgemeinen nach
den Grundsätzen zu behandeln, die für die Operation starr-
wandiger Eiterhöhlen gelten. Ein akuter, nicht lange bestehender
Lungenabseess kann wohl durch eine einfache Incision und Drai¬
nage, ausnahmsweise auch durch Punktion zur Ausheilung ge¬
langen, ebenso wie er durch Perforation in die Bronchien sieh
spontan sehliessen kann. Die meisten Erkrankungen müssen
aber nach den Prineipien der starrwandigen Eiterhöhlen be¬
handelt werden, dazu gehören: 1. die Tuberkulose, 2. die Aktino-
mykose, 3. der Abscess, 4. die Gangrän, 5. die Bronchiektasien,
6. der Ekehinocoeeus, 7. die Neubildungen.
Vortr. bespricht zunächst die Technik der Operation, die in
3 Abschnitte zerfällt: 1. die Thorakotomie, 2. die Pleurotomie,
3. die Pneumotomie resp. Lungenresektion. Für die Thorako¬
tomie gibt es keine Wahl des Operationsmodus, der Weicht hei l-
sehnitt soll ausgiebig angelegt oder mehrere Ri ppen resecirt werden.
Die einfache Thorakotomie im Interkostal raum ist ungenügend.
Bei einem Herd im Oberlappen und der Lungenspitze schafft die
Wegnahme der zweiten, event. 2. und 3. Rippe vom ausreichend
Platz, der Unter- resp. Mittellappen wird gut zugänglich durch
Wegnahme von 2 oder 3 fingerlangen Stücken der seitlichen oder
hinteren Rippenpartien, am Besten von der 8., 7. und 6. Rippe.
Die Pleurotomie ist bei Verwachsung einfach. Die zweizeitige
Operation, die künstlichen Adhäsionsversuche durch Actzungen
etc. hält II. aus vielen Gründen für schlecht und unzureichend
und will lieber einen partiellen oder totalen Pneumothorax mit
in den Kauf nehmen. Die brüske Eröffnung des Thorax ist
natürlich wegen der Gollapsgefahr zu vermeiden; sollte dies ein-
treten, so fasst man mit einer festen Pincette oder Zange die re-
irahirte Lunge und zieht sie kräftig an die Wunde. Damit wird
die gesunde Lunge wieder ventilirt, die Athemnoth verschwindet,
der Puls wird kräftiger. Wichtig ist daher die Pneuinopexie,
auch für die Aufsuchung des Lungenherdes. Näht man schnell
während der Exstirpation, tamponirt mit dem Finger oder mit
Gaze während der Inspiration, so kann der Pneumothorax nur
gering sein. Verfärbung der Pleura pulmonalis, stärkere In¬
jektion derselben, fibrinöse Auflagerungen oder Verdickungen,
veränderte Resistenz des Lungenparenchyms, eine umschriebene
Resistenz oder schlaffes Einsinken desselben sind Zeichen für
die Nähe des Herdes. Bei der Pneumotomie gibt er dem Paquelin
den Vorzug. Schwierig ist cs oft, den Abscess zu finden, hier
leistet eine gute Spritze mit dicker Kanüle gute Dienste. Vor
Ausspülung einer Caverne warnt er dringend wegen der Mög¬
lichkeit der Erzeugung bronehitischer Ilerde. Bei akuten Fällen
braucht man nun nichts weiter zu thun als zu tamponiren, die
Höhle heilt aus, weil die Wände noch elastisch sind, aber die
einfache Eröffnung der chronischen Abseesse ist nutzlos, weil der
Eiter unter keinem Druck steht, die Höhle im Thorax ausge¬
spannt ist. Nach anfänglicher Besserung bleibt die Wunde
Monate lang offen, es persistirt eine chronische Bronchitis und
es bleiben schliesslich Bronchiektasien. Daher soll man die vor¬
dere Wand der Caverne möglichst abtragen, Pleuraschwarten in
weitem Umkreis reseciren und schliesslich noch lieber eine Ripi>e
zu viel als eine zu wenig fortnehmen. Je grösser die Ilöhle, um
so gründlicher muss das umgebende Lungengewebe resecirt
werden. Die Nachbehandlung ist einfach. Am meisten sind
Nachblutungen entweder durch Arrosion grosser Gefässe oder
durch vom Drainrohr verursachten Decubitus zu fürchten. —
Vortragender bespricht dann eingehend die einzelnen Grupix'ii
der genannten Affektionen. Bei der Tuberkulose sind die
Gesammtresultate wenig ermuthigend, Sonnen bürg ist von
der Operation tuberkulöser Cavernen wieder abgekonunen, nach
Murphy sind unter 47 Operirten 26 Heilungen oder richtiger
Besserungen von 2—5 Juhren zu verzeichnen. Am radikalsten
ist einmal T a f f i e r vorgegangen, der nach Ausschälung der
Lungenspitze ein 5 cm langes Stück mit einem tuberkulösen
Knoten reseoirte und dauernde Heilung erzielte. Der Verallge¬
meinerung eines solchen Verfahrens wird aber stets die Unsicher¬
heit der Diagnose und die Erwägung der Nützlichkeit einer spon¬
tanen Ausheilung entgegenstehen. Am häufigsten ist die ein¬
fache Ineision und Drainage gemacht worden und wenn sic auch
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1624
MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
zur Ausheilung durchaus unzulänglich ist, so ist sie doch stets
von auffallend günstigem Einfluss in allen den Fällen gewesen,
wo durch den stagnirenden Inhalt der Caverne septische Fieber¬
erscheinungen auftraten. Die einfache Thoraeoplastik ohne Er¬
öffnung der Cavemen (Quincke, Spengler) hat keine er¬
mutigenden Resultate gegeben. Die Eröffnung der Pleura und
Loslösung aller Adhärenzen hat Murphy in letzter Zeit viel
einfacher dadurch erreicht, dass er sterile Luft in den Pleura¬
raum injizirte und glaubte, so durch Ruhigstellung der Lunge
die Heilung zu befördern. Als er sah, dass der Sauerstoff bald
resorbirt wurde, hat er gereinigten Stickstoff eingeblasen und
brauchte eine weitere Injektion von Vs —2 Litern erst nach 6 bis
10 Wochen zu machen. Er hat dies 7 mal versucht und glaubt
in 5 Fällen Besserung gesehen zu haben. Doch ist die Beobach¬
tungszeit (5 Monate.) zu kurz. G. glaubt jetloch, dass diese Be¬
handlungsmethode Beachtung verdient. Die Hauptsache bei der
Lungenchirurgie ist. neben der schärfsten Diagnose die strengste
Individualisirung. Redner präzisirt noch einmal seinen Stand¬
punkt dahin:
1. Die breite Eröffnung, Drainage resp. Tamponade einer
Caverne ist in Fällen von Sekretstauung und Zersetzung durch
pyogene Mischinfektion mit septischen Fiebererscheinungen be¬
rechtigt.
2. Die breite Freilegung und nach Mögliclikeit Resektion des
infiltrirten Lungengewebes mit ausgiebiger Thorakoplastik ist be¬
rechtigt bei isolirten Cavemen und tuberkulösen Herden im
Untcrlappen.
3. Die Mobilisation der Brust wand resp. der Pleura ist an¬
gezeigt bei singulären stabilen Cavemen der Lungenspitzen. Als
Methoden kommen dabei in Betracht:
a) Die Resektion der drei ersten Rippen ohne Eröffnung der
Pleurahöhle; b) Resektion der 2. Rippe mit Pleurotomie und
Auslösung der adhärenten Lungenspitze; c) Erzeugung eines
künstlichen Pneumothorax nach Murphy.
Die Aktinomykose der Lunge ist 8 mal operirt worden;
die Indikation und Technik bedarf keiner besonderen Be¬
sprechung.
Von 96 Fällen von Lungenabscess sind 77 geheilt, 19 ge¬
storben.
Hier ist Pneumotomie und Thorakoplastik das geeignete Ver¬
fahren. Je früher die Operation, desto besser die Prognose. Selten
hat eine eiterige Pleuritis als Folge der Abscess-Incision den un¬
günstigen Ausgang herbeigeführt, trotzdem in der Regel ein¬
zeitig operirt wurde. In */. der Fälle waren allerdings Ad¬
häsionen der Pleura vorhanden.
Bei der Lungengangrän liegt die Prognose weniger
günstig. Von 122 Fällen sind 80 geheilt, 42 gestorben. In vielen
Fällen war allerdings Fortschreiten der Gangrän, Komplikation
mit Meningitis, Hirnabscess, Embolie etc. die Todesursache. Die
meisten Gangränherde fanden sich im Unterlappen, nicht selten
komplizirt mit einem abgesackten Empyem. Als Operation
kommt nur die einzeitige Pneumotomie in Betracht. Nur bei
Gangraen des Oberlappens bei freier Pleura würde sich G. zu
zweizeitiger Operation entschliessen. Die Grösse und Ausdehnung
der Thorakoplastik wird bestimmt: a) durch dio Grösse der
Gangränhöhle, 2. die Lage derselben; bei einer Caverne im Ober¬
lappen müssen relativ mehr Rippen resecirt werden, 3. die In¬
duration des Lungenparenchyms, 4. das Alter der Patienten.
Bei Bronehiektasie sind von 57 Opcrirten 21 un¬
mittelbar oder im Laufe der ersten Wochen dem Eingriff er¬
legen. 46 Fälle sind als geheilt aufgefasst, aber leider wenig
mehr als die Hälfte sind als definitive Heilungen anzusehen.
Unbedingt zu verwerfen ist hier auch in leichten und einfachen
Fällen die Incision im Intercostalraum und Drainage nach
stumpfer Durchtrennung der Gewebe. Bei den multiplen, eylin-
drisehen und sackförmigen Bronchiektasien ist der Operations¬
erfolg zweifelhaft. G. glaubt jedoch, dass dies nicht zum ge¬
ringsten Theil auf Rechnung einer verzögerten und auch zu zag¬
haft und ungenügend ausgeführten Operation zu setzen ist., dass
man sich oft mit der Eröffnung nur einer Höhle begnügt hat.
Von 79 Fällen von Echinococcus sind 71 genesen und
nur 8 gestorben, liier ist die Punktion unsicher und gefährlich.
Nur die Pneumotomie darf in Frage kommen.
Excisionen von Neubildungen sind bis jetzt nur sehr
wenige gemacht worden. Ihre frühzeitige Diagnose bietet trotz :
der Röntgenstrahlen heute noch unüberwindliche Schwierig- \
keiten. Da Verwachsungen fehlen, spielt sich dio Operation bei
offener Pleurahöhle ab und man darf ohne Gefahr des Collapscs
die Lunge keinen Augenblick sich contrahiren lassen und muss
sie zum Schluss an der Pleura costalis fixiren.
Helfe rieh hat einmal bei Sarkom nach Unterbindung
des Ililus eine richtige Pneumotomie gemacht. Obwohl in diesem
Falle das Resultat nicht günstig war, glaubt G. doch, dass in
geeigneten Fällen die totale Exstirpation eines ganzen Lungcn-
lappens mit Erfolg möglich sein wird.
Diskussion: Herr L e n h a r t z - Hamburg hat 0 Fälle
von ausgedehnten Bronchiektasien mit putridem Auswurf operirt.
3 gelieilt: 23 Fälle von I.ungengnngraen mit 11 Heilungen und
12 Todesfällen. L. demonstilrt die Patieuten und die Kurven der
Sputummengen und Temperaturen. Auf einen Fnll legt er l>e-
sonderes Gewicht. Es handelte sich um ein Mädchen, bei dem sich
der obere linke Lappen fast völlig abgestosseu hatte. Trotzdem
Ist jetzt überall reines vesieuläres Atlimen zu hören. Da das
Heraufrücken des Herzens nicht so hoch sein kann, so glaubt L.,
dass eine Neubildung von Lungengewelie stattgefunden habe.
Herr B a r d e n h e u e r - Köln ist zu den gleichen Resultaten
gekommen wie Herr Gnrrö durch Experimente an Ziegen.
Herr v. Z i e m s s e n - München berichtet über einen seltenen
Fall von Streptothrix der Lunge bei einem jungen Mädchen und
deuionstrlrt die Röntgenbilder. Er fragt die Chirurgen au, ob sie
den Fall nach diesen Bildern und der Krankengeschichte operiren
würden.
Herr B il u m 1 e r - Greifswald macht auf eine Quelle der
Putrescenz aufmerksam, die besonders wichtig für die Tulierkulose
ist. Pas sind Blutgerinnsel, die im Bronchus stecken bleiben und
ihn iTweltern. Er gibt die Krankengeschichte eines solchen Falles,
der unglücklich nusgegangen ist und bei dem sich bei der Sektion
inmitten einer apfelgrossen Höhle ein altes Blutgerinnsel liefand.
Die Diagnose einer Höhle im Allgemeinen hält er für viel
schwieriger als man anzunehmen pflegt. Fälle von Lungen-
gangraen sah er oft spontan ausheilen. Er lässt die Patienten
Tag und Nacht Terpentlntnhnlntionen machen, indem er das ganze
Zimmer mit den Dämpfen nnfüllt Bel chronischen Bronchi-
ektasien hält er die von Quincke angegebene Mobilislrung der
Lunge für sehr gut.
Herr R e li u - Frankfurt a. M. macht auf die Abseesse mit
Blutungen aufmerksam, deren Operation zu den dankbarsten ge¬
hört. In vielen Füllen ist man bei Lungengangraen geradezu ge¬
zwungen, sehr schnell zu operiren, so dass er mit der Anschauung
Bäiunle r's nicht immer übereinstimnien kann.
Schlusswort: Herr Quincke- Kiel glaubt aus dem bisher
Gehörten den Schluss ziehen zu können, dass man lieber einen
Fall mehr operiren soll, als man im Allgemeinen thun würde. Er
hält dabei die Ohloroformr.arkose für ungünstig und benutzt fast
immer die S c h 1 e i c h’sche Anaesthesie.
Herr G a r r £ - Königsberg meint, dass man durch Hochlage¬
rung des Patienten die Gefahr der Aspiration bei der Chloroform-
narkoso vermeiden kann. Was die Frage der Lungenregeneration
nnlangt, so glaubt er. dass dies wohl nur eine scheinbare, durch
Hochlagerung des Zwerchfells bedingte ist.
Herr Quincke- Kiel glaubt, die Gefahren der Aspimtiou in
der C-hloroformnarkose auch nicht durch Hochlagerung beseitigt
zu hal>en.
3. Herr Jordan- Heidelberg: lieber die Entstehung von
Tumoren, Tuberkulose und anderen Organerkrankungen nach
Einwirkung stumpfer Gewalt.
(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochcnschr.)
Abtheilung für Chirurgie.
Referent: Wohlgemuth - Berlin.
1. Sitzung.
Der Einführende, Herr Kümmcll - Hamburg, eröffnet die
Verhandlungen mit einem kurzen Rückblick auf die. Entwicke¬
lung des medicinisehen Hamburg in den letzten 10 Jahren. Da¬
rauf wird zum Vorsitzenden gewählt Herr Kümmcll- Ham¬
burg.
Erster Redner Herr Schede* Bonn: lieber Rücken¬
markstumoren und ihre chirurgische Behandlung.
Sche.de berichtet über 4 von ihm in Gemeinschaft, mit
Geh.-Rath Prof. Sehultze beobachtete, und von ihm operirte
Fülle von Riiekenmarkstumoren.
1. 40 jährige Näherin. Vor 0 Jahren erste neuralgische
Schmerzen, seit 17 Monaten spastische Lähmung beider Beine,
die seit 13% Monaten nahezu total war. Patellarreflex verstärkt.
BlnsenlüInnung, die höchst gelegenen Störungen gehörten dem
7. Dorsalsegmeut an, dementsprechend wurde der Bogen des
5. Brustwirbels entfernt und das obere Ende des Tumors sofort
gefunden. Zu seiner Entfernung war noch die Wegnahme des
G. und 7. Bogens nöthig. Der Tumor lag extradural, war 4 cm
lang, 2,0 breit, 1%—1% cm dick und erwies sich als hartes Flbro-
sarkom. Wundverlauf tadellos. Nach 6 Monaten macht Patientin
im Bett alle Bewegungen mit den Beinen, nach 1 Jahr geht sie
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S. Oktober 1Ö01.
müenchener medicinische Wochenschrift.
162 o
im Zimmer ohne Stock und steigt Treppen, nach 14 Monaten geht
sie mit einem Stock y 2 Stunde weit.
2. 28 jähriger Gärtnereibesitzer. 3 Jahre lang neuralgische
Schmerzen längs des rechten unteren Rippenbogens, dann rasch
zunehmende spastische Lähmung, erst des rechten, dann auch
des linken Beines, die Im Laufe von 0 Monaten fast total wird.
Defrusorlä Innung, doppelseitiger Fuss- und l’atellarklonus, Fehlen
des Bauchdeckenreflexos. Herabsetzung der Sensibilität bis zum
Nabel, h.vperästhetische Zone 3 Finger breit höher. Ein Tumor
wird in Höhe des 8. Dorsalsegments und 7. Brustwirbels diagnosti-
zlrt und gefunden und nach Resektion des ti. und 7. Bogens ent¬
fernt. Er sass subdural und war ein Fibroinyxosarkom, fase
ebenso gross als der vorige Tumor. Heilung wie im vorigen Fall.
Nach G Monaten ist Tat. im Stande : )i Tagewerk als Gärtner zu
leisten.
3. 24 jähriger Student. 3—G Wochen lang vage Schmerzen
im Rücken beim Bücken etc., dann Parilsthesien Im linken Bein,
Einschlafen desselben. Unsicherwerden des Ganges, dann auch
Taubsein Im rechten Bein. Parese des Detrusor. Beiderseits Fuss-
klonus, Patellarklonus. Starke Herabsetzung der Sensibilität bis
zur Mitte zwischen Nabel und Symphyse, geringere bis zum Nabel.
Bauchreflex nur im Kpigastrium. Romberg. Nach 4 Monaten
totale spastische Lähmung beider Beine. 2—3 Finger breit vom
Nabel abwärts hyperästhetische Zone. Diagnose: Turnpr am 10.
bis 11. Brustsegment, gegenüber dem 0. bis 10. Brustwirbel. Ent¬
fernung des 8. bis 10. Bogens. Der Tumor, ebenfalls ein hartes
Fibrosarkom, liegt subdural unter dem 0. und 10. Bogen. Ent¬
fernung desselben. Naht der Dura. Vorübergehende Eiterung
der Wunde und Ausfluss von Liquor cerebrospinalis. Schliesslich
Heilung.
Nach 7 Monaten ist die Ataxie rechts ganz, links bis auf ge¬
ringe Reste verschwunden. Patellarreflex rechts normal, links
noch etwas gesteigert. Alle Bewegungen kräftig. Geht weite
Wege, ohne den Stock zu benutzen, kann den ganzen Tag ohne
Ermüdung im Laboratorium arbeiten.
4. 47 jähr. Mann, vor 20 Jahren Lues. Beginn vor IG Jahren
mit Schmerzen, die als ischiadische gedeutet wurden. Vor
13 Jahren Lühmungserscheinungen im rechten, vor 10 Jahren im
linken Bein. Vor 8 Jahren beginnende Blaseulühmung. Damals
völlige schlaffe Lähmung der vom linken Nerv, peroneus, fast
völlige der vom rechten versorgten Muskeln. Eutartungsreaktlon.
Sensibilität abgestumpft. Langsames Fortschreiten der Lähmung
auf die Tibiales. Dann Lähmung der Beuger vom Olwrschenkel,
fast völlige Anaesthesle im ganzen Bereich der Beine, Reitsattel¬
lähmung, blitzartige Schmerzen in beiden Beinen. Diagnose, ob
t'auda- oder Conusrmuor. nicht ganz sicher. Wegnahme des
Bogens des 1. Lendenwirbels, entsprechend der oberen Grenze
der Störungen, lässt die Spitze eines Tumors erkennen, der das
Rückenmark um einen Wirbel in die Höhe gedrängt hat. Ein
hühnereigrosses Stück wird entfernt. Aber Patient stirbt unter
enormem Verlust von Llq. cerebrospinalis aus dem Duralsack
nach 11 Tagen. Die Sektion ergibt, dass der ganze Sacralkauul
enorm ausgeweitet ist und der Tumor 13y 2 cm laug, 9*/ 2 cm tief
und 8 cm breit war. Es war ein Augiomyxosarkom; zwischen
4. und 3. Brustwirbel war es durch «Ile lntcr.vcrtebrallücher beider¬
seits in die Psonsinuskulatur durchgewuchert. Auf jeder Seite
fan«l sich hier ein taubeneigrosser Knoten. Keine Metastasen.
Sch. bespricht die Diagnose «ler Riickenmarkstumoren und
die Technik der Operation. Er legt vor Allem Werth darauf, einen
grösseren Verlust au Li«j. cerebrospinalis zu verhindern, und er¬
reicht dies nach dem Vorgang von Sick durch leises Abschnüren
«ler Dura mit oberhalb und unterhalb «ler Incisionsstelle mit einer
Aueurysmanadel eingeführieu Fiiden uu.l spätere sorgfältige Naht.
(Demonstration des Präparates.;
Discussion: Herr G raff-Bonn kann noch über einen
ähnlichen Fall berichten, «len er ln Vertretung von Schede vor
14 Tagen operirt hat. Es handelte sich um einen Tumor In der
Gnisse und Form einer Krachmandel, der sehr gefässreich war
uu«l sich mikroskopisch wie ein Cavernom ansah.
2. Herr B a r d e n h e u e r - Köln: Operative Behandlung
der traumatischen Ischiasis.
Vortragender spricht sich dahin aus, dass als Ursache für
die Entstehung der Ischias die traumatische direkte und in¬
direkte Verletzung, Contusion, Zerrung des Plexus ischiadicus
und zwar in «lein Verlaufe der sacralen Wurzel, von dem Wirbcl-
kanalc bis zum Foramen sacrale ant., anzusehen sei. Er ein-
ptiehlt daher Blosslegung und Aufmeisselung der sacralen Wur¬
zeln des Plexus isehiadacus aus dem knöchernen Kanäle.
B. erklärt durch 4 Beispiele, in welcher Weise der trauma¬
tische Reiz entstanden ist.
In allen 4 Fällen bestand bei «.ler Operation eine Anschwel¬
lung des Nerven, Röthung und Verdickung des Periostes und der
Nervenscheide, während in einem 5. Falle, wo wegen einfacher,
nicht traumatischer Ischias operirt wurde, ohne dass eiue trau¬
matische Ursache aufzufinden war, die Nervenscheide in der
Nates selbst glänzend woiss war und die Schwellung des Nerven
fehlte. Der Erfolg war in allen 4 Fällen ein guter, 2 sind schon
3 resp, 2% Jahre operirt, der ischiadische Schmerz hat sich nicht
mehr eingestellt, die Patienten sind dauernd arbeitsfähig ge¬
blieben, während sic vorher im Begriffe standen, ihren Dienst
aufzugeben.
B. glaubt daher, die Blosslegung der Nerven, die partielle
Resektion «ler Synchondrosis empfehlen zu müssen, in den Fällen
von Ischias mit traumatischer Ursache, insofern jede andere Be¬
handlung im Stiche lässt.
Die Operation wird in analoger Weise wie die Totalresektion
der Synchondrosis nusgeführt, wie B. sie in München auf der
Naturforscherversammlung 1899 beschrieb und zwar von einem
kleinen, bogenförmigen Schnitte aus mit der Convexitiit nach
innen (hinten) sehend. Die Operation, die Ausdehnung der Re¬
sektion wird bedeutend eingeschränkt. Die Rückenmuskulatur
wird von der hinteren Seite der Wirbelsäule nach hinten abprä-
parirt und mit Haken mich hinten gehalten, ferner werden die
Glutaealmuskeln sammt Periost vom Os ilei abgelöst und soviel
nach vom geschoben, dass man das Foramen ischiadieum in der
ganzen Breite und Höhe vor sich liegen sah, alsdann wird vom
Seitenrande das Os sacrum bis zur Höhe der oberen Umrandung
d«>s Foramen ischiadieum ein nach oben sich verbreitender, an¬
fänglich 1, na«*h oben 2— 2Vn cm breiter Streifen abgemeisselt,
der M. pyriformis wird alsdann quer durchtrennt und nach unten
resp. oben geklappt, worauf man den peripheren Tlieil der unteren
Wurzeln des Plexus vor sich liegen sieht. Nun sucht man an «lei-
vorderen Fläche «les Os sacrum mit dem Finger die Foramina
sacralia ant. palpatorisch auf und meisselt mit Hammer und
Meissei nach oben einen Keil aus der Synchondrosis, mit der
Spitze nach oben, mit der Basis nach unten gelagert, heraus, und
zwar über dem Hebel, welcher vor den Plexuswurzeln und hinter
dem Os sacrum liegend nach oben eingeführt worden ist; der Keil
muss so gross sein, dass man die sacralen Wurzeln frei vor sieh
liegen hat. Alsdann führt man, an den Wurzeln entlang, eine
Sonde in die Foramina sacr. ant. und meisselt mit einem
schmalen Meissei, während ein schmaler Hebel entlang der
Wurzel von dem freiliegenden Forani. sacr. ant. aus bis in den
Kanal hineingeführt ist, die Brücke zwischen den Sacrallöchern,
die hintere, und vonlere Wand des Foramen, aus, bis die be¬
treffende Wurzel frei zu Tage liegt. Die obere, die Lumbal¬
wurzel, braucht man nicht frei zu legen. Es bleibt daher nach
oben eine Knochenbrücke stehen, so dass die Continuitüt im
Beekenknochcnringe nicht aufgehoben ist, wodurch der asep¬
tische Verlauf mehr gesichert ist. Nach der vollendeten Opera¬
tion wird ein mit Jo«loformgaze umwickeltes Drainrohr ein¬
geführt, die Wunde, insoweit sie durch Haken gequetscht worden
ist. geglättet mit Messer, Pincettc und Scheere und alsdann die
Wunde ganz vernäht und ein Occlusivverband darüber gelegt.
Der Verlauf war jedesmal ein guter, reiner, nur trat in
einem Fall eine leichte Retention «les Sekretes ein.
Discussion: Herr K ö n 1 g - Berlin kann nicht nur als
Arzt, sondern auch als Patient hier mitsprechen. Er hat 3 mal
eine traumatische Attacke durchgemacht, jedesmal beim Reiteu.
Das 3. Mal mit einer wahrscheinlich theilweisen Ruptur des Pero¬
neus. Quoad therapiam. möchte er doch der Nervendehnung, trotz¬
dem sie unlängst in der Berliner inedicinischen Gesellschaft ab-
gethan werden sollte, sehr das Wort reden. Das Barden -
heue r’sche Vorgehen, so wichtig es für die Tuberkulose der
Synchondrosis, so wenig sei es die geeignete Methode für die
Ischias.
Herr Schede- Bonn hat mindestens 20 Fälle durch Nerven¬
dehnung gehellt.
Herr Barden heuer - Köln glaubt, dass man die Nerven¬
dehnung vorausschicken kann und nach Erfolglosigkeit die Re¬
sektion der Synchondrosis machen soll.
3. Herr H e 1 f e r i c h-Kiel: Bemerkungen über plastische
Chirurgie.
II. bespricht die Beziehungen zwischen einer etwa erforder¬
lichen verstümmelnden Operation (Amputation, Geschwulst¬
exstirpation) und der darnach nothwendigen plastischen Opera¬
tion in sachlicher und zeitlicher Beziehung.
Wenn es auch Jeder weis«, so wird doch nicht selten darin
gefehlt, bei der Exstirpation maligner Geschwülste, vielleicht
noch häufiger seit der häufigen Anwendung lokaler Anaesthesie.
Die Exstirpation oder Amputation soll vorgenoinmen werden
ohne jede Rücksicht auf die etwa erforderliche Plastik; die Be¬
freiung des Patienten von seinem Carcinoin oder die Absetzung
der durch schwere fortschreitende Entzündung das Leben ge¬
fährdenden Extremität etc. — ist die zur Erhaltung des Lebens
erforderliche Aufgabe. Besser die einfache Amputation durch
Zirkelschnitt o«l«;r «lie verstümmelnde Exstirpation einer inn-
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MTTENCHENER MEDtCINlSCRE WOCHENSCHRIFT.
ligneu Geschwulst ohne jede Plastik, als die Gefährdung des
Hauptzweckes der Operation!
H. erläutert das prineipiell Wichtige dieses Vorgehens,
welches im einzelnen Fall, nothgedrungen, gewiss schon jeder chi¬
rurgisch thatige Arzt geübt hat, an mehreren Beispielen, be¬
sonders am Keilschnitt bei Lippenearcinom, und hebt Einzel¬
heiten dieser Behandlung, sowie speciell den Nutzen solchen
Vorgehens bei der Operation maligner Tumoren am Kopfe
hervor.
1)1 sou s sion: Herr König-Berlin hat mit dem von
Helferlch perhorresoirten Keilselmitt bei Lippencarclnoin die
beste Statistik erreicht und kann diese Methode nur empfehlen.
Herr K raiise- Berlin sagt, dass schon Volkmann stets
empfohlen hat, ohne Rücksicht auf die nachfolgende Plastik zu
oiM*rireu.
Herr Helferlch- Kiel (Schlusswort).
4. Herr L e x e r - Berlin: Zur Operation des Ganglion
Gasseri.
Von 12 Fällen, an denen Lexer die Ganglionexstirpation
in der v. Berg m a n n’schen Klinik ausgeführt hat, ist ein Fall,
eine. 70 jährige Frau, an Meningitis gestorben. Dieselbe war
seit 12 Jahren mit einer typischen Trigeminusneuralgie rechts be¬
haftet und desshalb schon mehrmals in der Klinik operirt worden.
Ende 1900 erkrankte sie nach einer Influenza st) schwer, dass das
Ganglion entfernt wurde.
Die Sektion ergab einen unerwarteten Tumor der hinteren
Schädelgrube als Ursache des Leidens (Psammom). Sein Aus¬
gangspunkt ist die Dura im vorderen Abschnitte der hinteren
Fläche der Felsenboinpyramide. An seinem vorderen Pole ist der
Trigeminusstamm von der Geschwulst müsse umwachsen, die von
der Gestalt und Grösse einer kleinen Wallnuss eine Grube in der
Gegend der Flocke, des Kleinhirnschenkels und der Brücke ver¬
anlasst hatte, ohne dass Erscheinungen dadurch bedingt worden
waren (Demonstration des Präparates). Seiner Lage nach
stimmt der Tumor fast mit den diagnostizirten Fällen von
O ]> p e n h e i m und v. Monacow überein, doch waren die hier
bei der Sektion nachgewiesenen Geschwülste grösser (Demonstra¬
tion der Abbildungen dieser Fälle). Die Beobachtung ist nicht
neu, dass eine Geschwulst der Schädelhöhle kein anderes Sym¬
ptom als eine schwere Trigeminusneuralgie hervorruft und dess¬
halb das Ganglion entfernt wird. Z. B. fand Krause bei der
Sektion eines am Ganglion operirten Falles ein ausgedehnte«
Cholesteatom, das keine weiteren Erscheinungen gemacht hatte.
Die Kenntniss solcher Fälle ist für die Beurtheilung man¬
cher scheinbarer Reeidive nach Herausnahme des Ganglion wich¬
tig; wenn nämlich die Schmerzen schon bald nach der Operation
wiedcrkehren, ohne dass die Ausfallserscheinungen zurückgehen,
ln einem Falle von Lexer muss desshalb eine centrale Ursache
mit falscher, peripherer Lokalisation der Schmerzen angenommen
werden.
An dem Präparate des verstorbenen Falles zeigt Lexer
seine Abänderung des Krause’sclien Verfahrens. Durch
Erweiterung des Operationsgebietes nach unten (temp. Joch¬
bogenresektion und Fortnahinc der Schädelbasis bis in’s Foramen
ovale hinein) wird es möglich den Lappen in der Schläfe so klein
zu bilden und an das Ganglion mehr von unten heranzukommen,
dass «las Gehirn nicht gehoben zu werden braucht. Denn der
Druck mit dem Gehirnspatel (Demonstration) ist nicht gefahrlos;
das zeigen schon die Fälle von Krause, welcher einige Male
Aphasie, einmal halbseitige Lähmung beobachtet hat, ferner die
von Anderen berichteten Erweichungsherde und späteren Abscesse
im Temporallappen. Auch Lexer hat in einem dritten nach
Krause operirten Falle Aphasie erlebt. Die ganze Abänderung
der Operation bezweckt diese Gefahr zu verringern. Wird der
Kranke zur Freilegung des Ganglion, welcher Akt der Operation
genau geschildert wird, hoch aufgesetzt (nach v. B e r g m a n n),
so sinkt das Gehirn unter der sich faltenden Dura soweit in den
Schädel zurück, dass ein Heben des Gehirnes nicht nothwendig
ist. Das Operationsfeld ist nur äussorlieh kleiner, in der Tiefe
dagegen grösser; als Beweis wird angeführt, dass das Ganglion
nur einmal nicht in seiner Gesammtheit, sondern in 2 Theilen,
entfernt worden ist und gröbere Verletzungen des Sinus und
der Parotis nicht eingetreten sind.
Ausser dem einen Todesfälle und dem scheinbaren Reeidive
hat ein dritter Patient auf der nichtoperirten Seite eine schwere
Neuralgie bekommen, während die operirte noch alle Ausfalls¬
erscheinungen bietet. Alle übrigen Patienten sind
No. 41.
bis jetzt best* li tv erd e frei, der erst operirte seit
314 Jahren.
Die Unterbindung der Art. meningea wird für nothwendig
gehalten, nicht die der Carotis ext. Die. Hauptblutung stammt
aus dem Plexus venoeus, der das Ganglion umgibt und dessen
anatomische Beziehungen zum Ganglion an der Hand des Prä¬
parates besprochen werden.
Von 3 Fällen von Keratitis ist einer ohne Folgen geheilt,
die anderen haben Trübungen der Hornhaut bekommen. Von
4 Fällen mit Lähmungen einzelner Augennerven ist eine Ab-
duecnslähinung nicht vollkommen zuriiekgegaugen. Die lockere
Tamponade des Cavum Meckelii mit Jodoformgaze wird für noth¬
wendig erachtet, da stets, wenn auch die Dura nicht verletzt wird,
am oberen Ganglionrande der Subduralraum und durch das Aus¬
reise* n des Trigeminusstammes der Araclmoidealraum au der
Brücke eröffnet wird. (Ausführliche Veröffentlichung mit Kran¬
kengeschichten folgt im Arch. f. klin. Ohir.)
Dlscusslon: Herr K r a u s e - Berlin Ist der Meinung,
dass es nur zwei gute Modifikationen seiner Operation gibt, die
von I>o 11 Inger und die eben von Lexer gehörte, die im
Wesentlichen schon von Doyen in Paris geübt wurde, die dieser
aller jetzt zu Gunsten der ursprünglichen Krau s e’sclien Methode
wieder aufgegeben hat. Das Nichtunterbinden der Art. meningea
inedia muss er durchaus verwerfen. Er hat mit den Im letzten
Jahre in Berlin operirten 0 Im Ganzen 32 Fälle. Periphere Trige-
minusresektionen hat er im Ganzen 120 gemacht, die 0—8 Jahre
lang geheilt sind. Was nun die Frage des Augenschutzes anlaugt,
so steht er auf dem Standpunkt, dass man trotz aller Vorsichts¬
innassregeln Keratitis bekommt. K. demonstrirt dann Plioto-
gramme seiner Methode.
Herr v. Bergmann- Berlin betont, dass durch das Auf-
rlehten des Patienten viel Raum gewonnen wird, und dass dann
durch passende Iliruspatel wirksam dem Druck vorgelwuigt werden
kann.
Herr Lex er-Berlin verwahrt sich dagegen, dass seine Me¬
thode gleichbedeutend mit der von Doyen geübten ist.
5. Ilerr Kölliker- Leipzig: lieber Aether-Chloroform-
narkose.
K. leitet die Narkose mit Aether ein und setzt sie mit Chloro¬
form fort. Demonstrirt seine dreitheilige modifizirtc Juil-
lard’sche Maske.
Dlscusslon: Herr S u d e c k - Hamburg empfiehlt die
Operation im ersten Aetherrnusch, vor Eintritt des Excitations-
stadiums.
2. Sitzung: Gemeinsam mit der Abtheilung für innere
Medicin, siehe dort.
Abtheilnng für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Referent: Edmund Falk- Berlin.
Nachmittagssitzung am 23. September 1901.
Herr Staude begrüsst die Versammlung mit einem Rück¬
blick auf die Versammlung, welche vor 25 Jahren in Hamburg
stattgefunden hatte, und welcher Staude damals als Schrift¬
führer beiwohnte. Viele von Denen, welche damals als Vor¬
tragende anwesend waren, sind heute Zierden der Wissenschaft,
welche in dieser Zeit gewaltige Fortschritte gemacht habe, eine
Reihe neuer operativer Vorschläge auf dem Gebiet der Gynäko¬
logie und Geburtshilfe sind gemacht worden, aber mit Recht
nimmt die konservative Therapie jetzt wieder einen grösseren
Raum in der Frauenheilkunde ein.
Vorsitzender: Herr W. A. Freund.
Herr Schatz- Rostock: lieber die Hinterscheitelbein-
lagen.
Man kann die L i t z m a n n’sche Obliquität nicht richtig
erklären und verstehen, wenn man nicht vorher die Aetiologie
der N ä geloschen Obliquität, als ihres Gegentheiles, klar ver¬
steht. Beide sind zwar in geringem Grade auch bei normalem
Becken häufig genug zu beobachten, treten aber recht deutlich
nur bei engem Becken, und zwar am meisten bei plattem Becken
hervor. Wir müssen von den beiden Obliquitäten je eine pri¬
märe und eine sekundäre streng von einander unterscheiden. Die
primären, welche in der Schwangerschaft und noch in der ersten
Zeit der Geburt bestehen können, während der Geburt in die
wichtigeren sekundären übergehen.
Beim platten Becken steht am Ende der Schwangerschaft
und bei Beginn der Geburt der Kopf zunächst so auf dem
Beckeneingange, dass die Pfeilnaht gleich von vornherein oder
wenigstens bald nach Beginn der Geburt quer verläuft, ohne dass
dabei auch der Rücken des Kindes rein seitlich zu liegen braucht.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Dieser kann sehr wohl stark nach vorn oder hinten abweichen.
Die Kindes- oder Uterusachse wird in manchen Fällen senkrecht
stehen auf der Beckeneingangsebene, also mit der Bocken¬
eingangsachse zusammenfallen. Andere Male aber, wie z. B. bei
Hängebauch, wird sie oben von ihr mehr oder weniger stark nach
vorn, andere Male aber nach hinten abweichen. Ihr unteres
Ende trifft alle Mal auf die querverlaufende Pfeilnaht. Weicht
nun die Unterachse resp. Kindesachse mit ihrem oberen Ende
wie bei Hängebauch einigermaassen stark nach vorn ab, so wird
dadurch ihr unteres Ende nach hinten verschoben. Ist diese
Drehung gross genug, so kann die Pfeilnaht sogar hinter die
Mitto des Beckeneinganges zu stehen kommen, und so besteht
von vornherein eine — also primäre — Nägel e’sche Obliquität
oder Vorderscheitelbeinlage. Steht hingegen die Uterusachse zur
Beckeneingangsachse parallel, so würde bei normaler Conjugata
die Pfeilnaht in die Beckeneingangsachse fallen und genau im
queren Beckendurchmesser verlaufen. Bei engem Becken aber
und normalem Kopfe muss sie vor den queren Durchmesser des
Eeckeneinganges fallen, weil die nach hinten gelegene Hälfte des
Kopfes dicker ist, als die hintere Hälfte der Conjugata lang ist.
Fs besteht also von vornherein eine, wenn auch nur geringgradige
Hinterscheitelbeinlage = eine primäre Li tzmann’schc Obli¬
quität.
Bei der Geburt treten nun durch einen eigenthümlichen Vor¬
gang ganz neue Verhältnisse ein, welche die sekundären
Obliquitäten erzeugen.
Während durch die Wehen der innere Muttermund geöffnet
und der Kopf in den Hals eingetrieben wird, entsteht eine Ver¬
längerung oder Reckung des ganzen kindlichen Körpers. Der
Uteruskörper selber wird dabei zwar kürzer und schmäler, aber
da der Uterushals jetzt zur Umhüllung des Kindes mit heran¬
zogen wird, erscheint und ist der ganze Uterus länger und
schmäler, also mehr cylindrisch, und weil der Kopf noch nicht
in das Becken eintreten kann, muss der Uterusgrund im Bauche
um so höher emporsteigen. Dies kann aber bei wenigstens an¬
nähernd normalen Bauchdeeken und Bauchinhalt nur geschehen
durch grössere Vorwölbung der oberen Bauchhälfte. Sobald nun
die Bauchpresse in Wirkung tritt, sucht der Bauch die ihm
eigene Kugelform wieder anzunehmen; er drückt mit seiner
oberen vorgewölbten Hälfte den ihn vorwölbenden Uterusgrund
nicht nur nach unten, sondern auch möglichst nach hinten, und
lasst umgekehrt die unteren Theile des Uteruskörpers nach vorn
hin ausweichen, während der unterste Theil des Collum Uteri
auf dem Beckeneingange fcstbleiben muss. Es entsteht also am
ganzen Gebärschlauche eine nach vom konvexe Krümmung.
Diese Krümmung ist nicht ganz gleichmässig, sondern am
stärksten in der Höhe des inneren Muttermundes, weil dort die
aktiven und die passiven Theile des Gebärschlauches Zusammen¬
treffen. Das Kind, welches jetzt cylinderförmig gereckt im Ge¬
bärschlauche liegt, erfährt durch diesen die gleiche, für dasselbe
freilich seitliche Krümmung mit der Konvexität nach vorn, und
auch bei ihm ist die Krümmung nicht ganz gleichmässig, sondern
in der Höhe seines Halses, welcher jetzt etwa in der Höhe des
inneren Muttermundes liegt, am grössten. Diese Krümmung des
eylindrischen Eruchtkörpers mit der Konvexität nach vom be¬
wirkt nun an der Basis des Kopfes eine Bewegung nach vom
und dementsprechend am Scheitel nach hinten, weil der Kopf im
Ganzen 9eine Stellung auf dem Beckeneingange noch beibehalten
muss. Durch diese Drehung des Kopfes um seinen geraden
Durchmesser kommt die Scheitelnaht, welche Anfangs in der
vorderen Hälfte des Beckeneinganges gestanden hatte, in die
hintere Hälfte; es entsteht die sekundäre Nägele’sche Obli¬
quität, deren Folgen für die Form und den Eintritt des Kopfes
in’s Becken ich als nicht hierher gehörig nicht weiter verfolge.
Da also der Uebergang von der primären L i t z m a n n’schen
in die sekundäre Nägel e’sche Obliquität — das ist ja der bei
Weitem häufigste Fall — lediglich durch die kind-seitliche Krüm¬
mung des l'ruchtkörpers mit mutter-vorderer Konvexität zu
Stande kommt, so muss der Uebergang zur Nägel e’sehen Obli¬
quität ausbleiben und die Li tzmann’sehe Obliquität bestehen
bleiben, wenn jene Krümmung des Fruchteylinders ausbleibt.
Man wird den Uterus drehen oder heben können, um den
nach hinten liegenden Rücken nach vorn zu bringen. Es kann
dies natürlich nur dann zur Korrektur der Litzman n’schen
in die Nägel e’sche Obliquität führen, wenn der Kopf in L i t z-
ro a n n’scher Obliquität noch nicht zu weit in’s Becken einge¬
treten ist. Andere Male wird man durch Entleerung der Blase,
andere Male nur durch möglichst starkes Zurückbiegen des
Uterusgrundes, nicht selten auch dadurch Hilfe schaffen können,
dass man den über der Symphyse noch zu weit vorstehenden
Kopf nach der Kreuzbeinhöhle hin zurückdrängt, wodurch er
zugleich um seinen geraden Kopfdurchmesser gedreht wird.
Dieser ja zunächst liegende Handgriff führt aber nur bei leichten
Füllen und unsicher zum Ziel. Bei tiefstehendem oder doppel¬
tem Promontorium wird man damit, wenn das Becken einiger-
maassen eng ist., nur selten etwas erreichen, und Schatz hat
in einem solchen Falle, wo das erste Kind in Litzman n’scher
Obliquität hat perforirt werden müssen, beim zweiten Kinde, tun
cs zu retten, die Symphyseotomie ausgeführt.
Discussion: Herr Zweifel bestätigt, dass die hintere
und vordere Scheitelbeinstellung durch Abknickung der Uterus¬
achse zu Staude kommt, und zwar sind die Beweise für diese Be¬
hauptung die bisher veröffentlichten Gefrierdurchschnitte. Diese
Durchschnitte sind Augenblicksbilder von Gebärenden, und es Ist
die Behauptung nicht richtig, dass das Ueberelnken des Uterus
eiue Leichenerscheinung ist. Der sichere Gegengrund gegen diese
Behauptung ist das Vorhandensein von Abknickungen des Uterus
nach vorn gegen die Bauchwand der ln Rückenlage gefrorenen
Leiche. Bei dem einen Gefrierschnitt wurde Zweifel darauf
aufmerksam, dass die Abknickung des Uterus bezw. der Rumpf¬
achse des Kindes gegen die Kopfachse abhängig ist vom Sitz der
l’laceuta. Sitzt diese vorn, so zieht sich die vordere Wand des
Uterus weniger energisch zusammen, dafür um so stärker die
hintere Wand. Hierbei übt die Wirbelsäule einen Druck in einer
nach vom gerichteten Achse auf den Kopf aus, und dieser rollt
mit quer gestellter Pfeilnaht in dem Sinne, dass die Pfeilnaht
sich der hinteren Beckenwand nähert.
Herr W. A. Freund: Ueber kongenitalen Uterus-
Vaginalprolaps.
Da die Kenntnis« des kongenitalen Uterus-Vagi nal-Prolapsea
trotz mehrfacher Mittheilung des Vortragenden noch wenig ver¬
breitet ist, so benutzt F. einen im Wintersemester 1900/1901 auf
der Strassburger Klinik von ihm beobachteten und operirten Fall
dieser Art, um die Hauptlinien des anatomischen und klinischen
Bildes der Affektion zu zeigen.
Die 65 jährige V. J. hat seit frühester Kindheit an Prolaps
gelitten, der sich mit der Zelt vergrösserte und sich seit einem
.Talire mit Harnbeschwerden, Incontumta urinae komplizirt hat.
Man konstatirt vollständige Eveutrntion der Beckeneingeweide
und Tiefstand der Baucheingeweide; ln der Harnblase ein Coucre-
ment. — Der Prolaps reicht mit Vorzugs weiser dorsal wärts ge¬
richteter Entwicklung bis zur Mitte der Oberschenkel und erreicht
mit 42 cm den Umfang des Kopfes eines dreijährigen Kindes.
Nach gehöriger Vorbereitung wird zunächst mittels Vaginal-
Vesicalschnlttes der 155 g schwere, harte Harnstein entfernt. Da
nach Primaheilung der Incision die alte Cystitls anhält, so wird
eine breite quere Blasenfistel angelegt und Blase dralnlrt Nach
Heilung der Cystitls wird nach vergeblichen Versuchen, den müh¬
sam repouirten Vorfall zurückzuhalten, die Laparotomie gemacht,
der Uterus ln den unteren Bauchwund Winkel eiugenäht, die Vagi-
ualwämle durch eingelegte trockene Nähte fest aneinander ge¬
halten, eiue tiefgreifende Perinealplastik ausgeführt. — Voll¬
kommen geheilt nach 4 Wochen entlassen, kehrt (nach Mittheiluug
des Herrn Privatdocenten Dr. Funke) die Person mit einem
Iteeidiv in die Klinik zurück; das Recidlv hatte sieh nach voll¬
kommener Zerreissung des neugebildeten Dammes entwickelt
Eine N e u g e b a u er - Operation und Hegar’sche Kolpo-
perineorrhaphle ist dann von Dr. Funke mit vollkommenem
Heilerfolge ausgeführt worden.
Die Hauptzüge des anatomischen und klinischen Bildes der
Affektion sind:
1. Beginn als nemia Douglasii bei kongenital tiefer Douglas¬
tasche.
2. Genereller oder auf das Becken beschränkter Infanti-
lismus.
3. Beginn in der Jugend, häufig schon in der Kindheit mit
auffallender Toleranz gegenüber den sonstigen Beschwerden des
Prolapses.
4. Beginn der Erkrankung als Vorfall der hinteren Vaginal¬
wand.
5. Tiefstand der Danneingeweido, speziell des Dünndarms
und der Flexura iliaca in der Douglastasche.
6. Schwierige Reposition und Retention.
7. Operative Behandlung im Allgemeinen nach den modernen
Prineipien der Radikaloperation der Hernien einzurichten, aller¬
dings mit den kasuell gebotenen Modifikationen.
Discussion: Herr A. Martin bezweifelt die Häufigkeit
von Atavismus für das Zustandekommen des Prolaps, er sah
wiederholt, dass Masturbation die Ursache des Vorfalles bei
Jugendlichen Personen war. Die Fixation des Uterus am Kreuz-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
beln zur Heilung des Prolapses war ihm wiederholt unmöglich.
Herr Mnckenroth schildert einen Fall, in dem er gleich¬
falls den Vorfall des Mastdarmes in Folge von Atavismus als das
Primäre ansah, denn der Levator ani fehlte fast vollständig, erst
später stellte sich nach einer Geburt ein Vorfall des Uterus ein.
Herr W. A. Freund: Für die geschilderten Vorfälle ist es
charakteristisch, dass sie sich nach hinten mehr entwickeln, als
nach vorn; allerdings gelingt es häufig schwer, den Uterus zu re-
poniren, ihm gelang es jedoch stets. Der Ausdruck Atavismus
sei falsch, es handele sich um Infantilismus.
Abtheilung für Kinderheilkunde.
Referent: B. Bcndix - Berlin.
1. Sitzung: Montag, den 23. September 1901.
1. Herr Heubner -Berlin: Chorea.
Nach Ausschliessung der sog. Chorea hysterica, Maladie de
tic u. a. begrenzt sich der Begriff der eigentlichen genuinen
Chorea immer enger. Bei dieser letzteren tritt ein Zusammen¬
hang mit Rheumatismus, je mehr und genauer man darauf
achtet, immer konstanter zu Tage. Mit einem Hinweis auf die
M e y e r’schen Befunde aus der Hagenbac h’sehen Klinik
theilt der Vortragende mit, dass bei Beobachtung von 27 Fällen
von Rheumatismus und 77 Fällen von Chorea unter crstcren
2 bereits Chorea gehabt, während von letzteren ca. 32 Proc. die
Chorea im Anschluss oder nach Rheumatismus acquirirt hätten.
Nach des Vortragenden Meinung ist die genuine Chorea zu den
rheumatischen resp. zu den infektiösen Erkrankungen zu rechnen.
Dafür spricht neben Anderem, dass Chorea gern in rheumatischen
Familien auf tritt, dass sich auch bei Chorea rheumatische Exan¬
theme zeigen, und ferner die Neigung beider Erkrankungen, sich
bisweilen in die Länge zu ziehen und zu Recidiven zu führen.
Beide sind häufig komplizirt durch Endokarditis, gleichgiltig, ob
es sich um schwere oder leichte Primärerkrankung handelt. H.
weist noch auf die interessanten Beobachtungen von Litten
hin, dass Chorea sich gleichfalls wie der Rheumatismus im An¬
schluss an eine Gonorrhoe findet, wo sie als ein rheumatisches
Aequivalent aufzufassen ist. Der Vortragende weist noch darauf
hin, dass die echten Choreabewegungen beinahe regelmässig,
wenigstens ein Theil derselben, den Eindruck von Gemüths- oder
Affektsbewegungen machen; daher man auch die wirkliche
Chorea nur nach dem 3. und 4. Lebensjahre findet, in einer Zeit,
wo die Kinder bereits gelernt haben, ihre Gemiithsbewegung
durch eine bestimmte Muskelbewegung auszudrücken.
Bei II e u b n e Fs Auffassung der echten Chorea als einer
infektiösen rheumatischen Erkrankung müssen Bettruhe und
schweisstreibende Methoden indicirt und von Vortheil sein. Da¬
neben kommt Arsen zur Anwendung.
Dlscussion: Herr S o 11 m a n n - Leipzig betrachtet die
Chorea als eine psychomotorische Neurose, bei der durch Irra¬
diation der Willensimpulse den Willensbewegungen nicht lntendirte
Mitbewegungen beigemischt werden. Das kann durch
Laesioncn im Gehirn wie auch durch infektiöse Noxen (Rheuma¬
tismus), wie auch auf dem Wege des Reflexes geschehen (Ch.
s.vinptomatica, idtiopathica. reflectorica). Die eigentliche Ch. idlo-
pathica entsteht auch nach S. meist durch Rheumatismus. Die
Annahme der Franzosen ging schon dahin, dass kleinste Par¬
tikelchen vom Endokard fortgerissen werden, unterbrechen dann
im Cortex an Ort und Stelle meist die WUlensbahn, der Impuls
kommt auf Abwege und erzeugt, wenn die Innervationsdosis zur
Bewegung nicht die nothwendige und nicht zur rechten Zeit er¬
folgt, die Mitbewegung. Sogar experimentell hat man durch Ein¬
führung kleinster Partikelchen in die Blutbahn Chorea erzeugt.
Die Ch. ldiopathica Ist daher wohl meist eine embolische Infek¬
tionskrankheit resp. Intoxikation.
Herr v. Sontag - Ofen-Pest hebt als aetiologisch wichtige
Momente für die Chorea eitrige Anginen und Scarlatlna hervor.
Herr M U 11 e r - Hannover meint, dass, falls jüngere Kinder
von der Chorea befallen würden, diese nach seiner Beobachtung
meist Intelligente seien.
Herr II e u b n e r- Berlin (Schlusswort) hält gleichfalls die
eitrige Angina, sowie andere Infektionen, wie Scharlach und
Masern, für wichtige aetiologisclie Momente bei der Entstehung
von Chorea. Dies sind Momente, welche mit der Theorie des
rheumatischen Aequivalents zusammenfallen.
2. Herr Thiemich- Breslau: Klinische Beobachtungen
über die Funktionsfähigkeit motorischer Rindenfelder beim
Säuglinge.
Th. ist durch Untersuchungen der Bewegungen junger Säug¬
linge zu dem Resultat gekommen, dass dieselben bereits vom 3.
bis 4. Monate an eine Reihe corticaler Coordinationen (Faust-
seliluss, Beinverkürzung und Bein Verlängerung) besitzen, so dass
die Funktionsfähigkeit der motorischen Rindenfelder für dieses
Alter erwiesen ist. Mitunter findet sich die gleiche Leistung
schon bei Neugeborenen. Schwere, zur Atrophie führende Er¬
krankungen verzögern die Entwicklung, bezw. bedingen eine
grosse Erschöpfbarkeit der Kinder, ein schnelles Verschwinden
der Coordinationen.
3. Herr H. Gutzmann - Berlin: Zur diätetischen Be«
handlung nervöser Sprachstörungen im Kindesalter.
Vortragender bezieht seine Mittheilungen hauptsächlich auf
stotternde Kinder, die der Mehrzahl nach neuropathisch belastet
und nervös oder ncurasthenisch sind. Man findet bei ihnen sehr
häufig Verdauungsstörungen, die zum Theil Folge einer fehler¬
haften Ernährungsweise sind. Besonders wirkt eine übermässige
Fleischnahrung schädigend. An 2 Beispielen zeigt der Vor¬
tragende, wie durch eine Veränderung der Diät, Einschränkung
der Fleischnahrung, Bewegung in freier Luft, regelmässige
Waschungen Morgens und Abends auch ohne eine besonders aus¬
gedehnte Uebungstherapie nervöse Sprachleiden zum Verschwin¬
den gebracht werden können.
Dlscussion zum Vorträge von Herrn Gutz¬
mann:
Herr Carstens- Leipzig: Für die Thatsache, dass neuro-
pathisch belastete Kinder bei Erkrankungen des Darms Sprach¬
störungen zeigen, spricht die Erfahrung, dass bei Typhusfällen In
derselben Familie Aphasie gehäuft beobachtet wurde.
4. Herr Ganghofner- Prag: Zur Diagnose der Tetanie
im ersten Kindesalter.
Bei Prüfung des von Thiemich angegebenen Verfahrens
der galvanischen Erregbarkeitsbestimmung konnte der Vor¬
tragende bei 49 Fällen, sämmtlich mit deutlicher Steigerung der
mechanischen Erregbarkeit der Nerven, 41 mal = 83 Proc. auch
galvanische Uebererregbarkeit im Sinne Thiemich’s nach-
weisen, indem KOZ bei weniger als 5 MA im Bereiche des N.
medianus auszulösen war. G. ist der Meinung, dass das Ein¬
treten der KOZ zuweilen verdeckt wird durch frühzeitigen K. S.
tet., wodurch bei unzweifelhaftesten Tetanien das Ergebniss der
galvanischen Untersuchung scheinbar negativ ist.
Bei länger beobachteten Fällen ergab sich häufig eine auf¬
fällige Incongruenz in dem zeitweisen Auftreten der mecha¬
nischen Uebererregbarkeit einerseits, der galvanischen Ueber-
erregbarkeit andererseits. Es kann einmal die eine, einmal die
andere Art von Erregbarkeit zeitweilig fehlen, in manchen Fällen
sieht man die mechanische, in anderen die galvanische Ueber¬
erregbarkeit länger persistiren. Von Wichtigkeit für die prak¬
tische Verwcrthbarkeit der T h i em i c h’schen Untersuchungs-
methode ist der Umstand, dass die Prüfung eines einzigen Nerven
genügen soll, andererseits gibt sie dadurch nicht Aufschluss
über den oft wechselnden Erregbarkeitszustand aller in Betracht
kommenden Nerven, während die Steigerung der mechanischen
Erregbarkeit täglich an allen Nerven unschwer geprüft werden
kann. G. anerkennt den diagnostischen Werth der galvanischen
Untersuchung, kann jedoch der galvanischen Uebererregbarkeit
im Sinne von Thiemich nicht einen so weit gehenden Vor¬
rang vor allen anderen Latenzsymptomen der Tetanie einräumen,
dass man aus ihrem Vorhandensein allein die Diagnose zu stellen
berechtigt wäre.
G. hält aufrecht, dass die meisten Fälle von Laryngo-
spasmus junger Kinder zur Tetanie gehören, auch wenn man als
Kriterium der Zugehörigkeit zur Tetanie die galvanische Ueber¬
erregbarkeit heranzieht, was aus der Prüfung von 34 Fällen
von Stimmritzenkrampf hervorgeht. Ferner zeigten 17 Fälle
von Eklampsie, welche sich durch Steigerung der mechanischen
Nervenerregbarkeit als tetanoide Zustände documentirten, auch
galvanische Uebererregbarkeit, während in 4, nicht zur Tetanie
gehörigen Eklampsiefällen weder die mechanische, noch die gal¬
vanische Erregbarkeit erhöht war. Inwiefern eine wesentliche
Scheidung zwischen 2 Gruppen von funktionellen klonischen
Krämpfen sicherer als bisher dadurch ermöglicht wird, dass man
das T h i e m i c h’sche Verfahren der kompleten galvanischen
Prüfung eines Nerven in Anwendung zieht, müssen noch aus¬
gedehntere Untersuchungen von Eklampsiefällen lehren.
Dlscussion: Herr T h i e m i c h - Breslau glaubt nach
weiterer Fortführung seiner Versuche (an ca. 200 Fällen) sagen
zu dürfen, dass mit dem Nachweis der galvanischen Uebererreg¬
barkeit eine bestimmte Gruppe von Kindern charakterlslrt ist
von denen einige alle Erscheinungen der Tetanie aufweisen, andei
wiederum nur die galvanische Uebererregbarkeit Letztere sei ak
hängig von der Ernährung, vom Fülluugszustand der Gefässe,
wodurch zugleich ein Hinweis für die Therapie gegeben werde.
Auf die Anfrage II e u b n e r’s, wie Thiemich die Fehler¬
quelle, welche durch den Leitungswiderstand der Haut bedingt
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sei, ausschalte, erwidert der Letztere, dass er am Horizontal¬
galvanometer direkt Stromintensität ln M.A abgelesen habe, wobei
nur ganz minimale Fehler Vorlagen.
Herr Soltmann -Leipzig schllesst sich nach Nachprüfung
der T h 1 e m 1 c h’schen Methode der Auffassung Ganghof-
n e r’s und K r a n 1 c h’s an. Allein mau muss doch bezüglich der
sogen, galvanischen Uebererregbarkelt im ersten Lebensalter
vorsichtig sein, denn diese hängt zum Theil auch mit der Leitungs¬
geschwindigkeit zusammen und Aufnahmefähigkeit des elek¬
trischen Reizes, entsprechend den physiologischen Entwickelungs¬
vorgängen. Der Nerv reagirt hier wie bei ermüdeten Theilen des
Erwachsenen, d h. mit der Erscheinung der partiellen Entartungs¬
reaktion.
Herr T h 1 e m 1 s c h - Breslau Ist der Ansicht gegenüber Solt¬
mann, dass die galvanische Uebererregbarkelt über 6—8 Monat
sicher nichts mehr mit der Entwickelung zu thun habe, das be¬
weisen schon die grossen auch von Ganghofner beobachteten
Schwankungen bei den einzelnen Kindern.
Herr Ganghofner - Prag (Schlusswort): Bezüglich der Art
und Welse der elektrischen Prüfung steht er auf dem Standpunkt
von T h 1 e m 1 c h. Was die galvanische Untersuchung von Fällen
von Eklampsie betrifft, so Ist auch er der Ansicht, dass dieselbe
unsere Hilfsmittel zur Feststellung des tetanoiden Zustandes hier¬
bei ln wünschenswerter Weise vermehrt, insbesondere in zweifel¬
haften Fällen. Durch die Angaben T h 1 e m i c h’s über den Ein¬
fluss der Ernährung auf den Erregungszustand würden die Ver¬
hältnisse sich allerdings komplizirter gestalten.
XXVI. Versammlung des Deutschen Vereins für
öffentliche Gesundheitspflege
zu Rostock am 18.—21. September 1901.
(Eigener Bericht)
2. Tag.
Fortschritte auf dem Gebiete centraler Heizungs- und Lüf¬
tungsanlagen für Wohnhäuser und öffentliche Gebäude im
letzten Jahrzehnt.
Referent: Landes-Maschinen-Ingenieur A. Oslender - Düssel¬
dorf.
Referent gibt zunächst eine Ucbersieht der in den neun¬
ziger Jahren bestehenden Entwicklung der Heizungs- und Lüf¬
tungsanlagen. Den hauptsächlichsten Anstoss zur Arbeit in
diesen Gegenständen gab der 1883 ausgeschriebene Wettbewerb
für den neuen Reichstagsbau in Berlin: Die Lüftungsanlage
dee neuen Reichstagsgebäudes blieb vorbildlich für alle späteren
grossen Staatsbauten. Die Heizungsanlage ist ein Mischsystem
von Warmwasser mit Hochdruckdampf. 1884 erfanden dann
Bechern-Hagen und Käufer in Mainz die Niederdruck¬
dampfheizung. Letzterer ist der eigentliche Erfinder des jetzt
fast überall gebräuchlichen Systems mit seinen grossen Vor¬
zügen: Selbstthätige Regulirung der Heizung, selbständiger
Rückfluss des Condenswaseers, selbständige Regulirung der
Heizung von den Zimmern aus. Seit 1890 ist die allgemeine Ein¬
führung dieses Systems in Aufschwung gekommen.
Die centrale Heizung von mehreren Häusern wurde
zuerst im sächsischen Ministerium in Dresden eingeführt. Die
Vortheile hievon sind: Vermehrte Reinlichkeit, Vereinfachung
des Heizbetriebs, Verminderung der Feuersgefahr, wirthschaft-
liche Vortheile. Im Gegensatz hiezu muss der Hygieniker die
noch immer so grosse Verwendung des Leuchtgases zu Heiz¬
zwecken auf’s tiefste bedauern wegen der grossen Gefährdung der
Gesundheit. Der Geruchssinn und das Verhalten der Zimmer¬
pflanzen seien ein Beweis für die Schädlichkeit dieser Heizungs¬
art. (Geht wohl etwas zu weit. Es gibt z. B. schon ganz ein¬
wandsfreie Gasheizöfen. Der Ref.) Oslender stellt fol¬
gende 2 Thesen auf:
Als Endziel der Bestrebungen zur Vervollkommnung der
centralen Heizungs- und Lüftungsanlagen ist die vollständig
selbstthätige Wärme- und Lüftungsregulirung in den Aufent¬
haltsräumen zu betrachten. Für dicht bebautes Gelände ist cen¬
trale Heizstoffzufuhr zu den Aufenthaltsräumen anzustreben.
Steinkohlenleuchtgas und Wassergas, einzeln oder gemischt ver¬
wendet, eignen sich wegen ihrer Gesundheitsschädlichkeit nicht
für diesen Zweck.
Durch Gründung von Centralheizungs-Ueberwachungs-Ver-
einen nach Muster der Dam pfkessel-Ueberwachungs-Vereine
würde der zweckentsprechende Bau und Betrieb der Ileizungs-
und Lüftungsanlagen wesentliche Förderung erfahren.
Es fehlt zur Zeit noch eine Auskunftsstelle für die privaten
Heizungs- und Lüftungsanlagen. Der preussisclie Staat hat
durch Gründung eines besonderen Lehrstuhls an der technischen
Hochschule in Charlottenburg und Berufung eines Heizungs¬
ingenieurs auf diesen Posten (Geheimrath Iiietschel) die
hohe Bedeutung der Heizungs- und Lüftungsanlagen voll ge¬
würdigt.
Die Lüftungsanlagen sind in den letzten Jahren nicht weiter
entwickelt worden. Staatlicherseits wurde im Gegensatz zu
früher die Grösse des Luftweclisels ermässigt. Messungen des
Luftwechsels, Kohlensäurebestimmungen werden neuerdings
nicht mehr verlangt. Auf die Gesundheit der Kinder dürfte wohl
dieses Zurückbleiben der Lüftungsanlagen in den Schulen einen
nachtheiligen Einfluss ausüben. Bei den Münchener Schulen
fehle beispielsweise die nöthige Auftreibung der Luft in den
Kanälen. Oslender lenkt die Aufmerksamkeit auf die Un¬
sitte, dass gleichzeitig in manchen Schulen die volle Heizkraft
der Heizungsanlage stattfindet bei Oeffnen des Oberlichtes und
fordert: Lüftungsanlagen sind für Gesundheit und Wohlbefinden
nicht weniger wichtig wie Heizungsanlagen, und dürfen erstere
nicht zu Gunsten der letzteren vernachlässigt werden. Für
Schulen, Krankenhäuser und Versammlungsräume ist ein
Mindestluftwechsel durch die Art der Einrichtung der Ileizungs-
und Lüftungsanlage zu erzwingen.
Die Kippenheizkörper sind für Schulen und Krankenhäuser
als nicht reinigungsfähig zu verwerfen.
In der Debatte bedauert Petruschky - Danzig ebenfalls
die langsamen Fortschritte in der LUftuugstechuik und macht
auf das W u 11 k e’sche Luftzuführungsverfahreu aufmerksam.
Durch den Druck des Windes soll vom Dache her durch Luft-
schiiehte, je nach der Windrichtung selbsthätig eingestellt, eine
Ventilation stntttiudeu.
(,’ommercienruth Heuueberg - Berlin verlangt die Auf¬
stellung von festen Normen für die Veutllation, er schlügt ferner
vor, die Keuutniss von den Heizungs- und Lüftuugsanlagen mög¬
lichst in die grossen Massen hineinzutragen. Das Ziel aller Be¬
strebungen des Vereins müsse sein, darauf hinzuweisen, dass die
Heizungs- und Lüftungsiuilageu ein wesentliches Hilfsmittel für
die Gesundheitspflege seien. Die Feueranlageu verfolgen neben
dem wirthschaftllcheu auch einen hygienischen Zweck: Ver¬
hinderung der Verqualmung einzelner Dlstiikte, gute Vertheilung
von Wärme und Luft, Beseitigung der Feuersgefahr.
BUrgermeisteu v. Borscht- München glaubt, die Münchener
Schulen hätten eine gute LUftungsanlage. Klagen seien hierüber
bisher nie elngclaufeu, des Weiteren hält er die Gasheizung nicht
für so bedenklich wie Oslender.
Ingenieur V e 11 e r - Berlin und Direktor Pfützner-
Dresden halten den W u 11 k e'scheu Ventilator vom Dache aus
durch Luftschüchte für falsch wegen der Nähe von rauchenden
Schornsteinen. Professor Pfeiffer- Rostock verweist auf das
M ö n 1 c h’sche Fernthermometer, mittels dessen man vom
Heizungsraum aus die Temperatur der verschiedeneu Räume kou-
trolireu und wunschgemüss einstellen kann.
Die Bedeutung der hygienisch wichtigen Metalle (Aluminium,
Blei, Kupfer, Nickel, Zinn und Zink) im Haushalt und in
den Nahrungsgewerben.
Referent: Prof. Dr. K. B. L e h m a n n - Würzburg.
Die verbreiteten Ansichten über die gesundheitliche Be¬
deutung der einzelnen Metalle bedürfen in wesentlichen Stücken
der Korrektur.*
Es ist stets streng auseinanderzuhalten, ob es sich um die
Frage der Schädlichkeit einmaliger grösserer oder wiederholter
kleiner Dosen handelt. In einem kritischen Urtheil über die
Giftwirkung muss man unterscheiden, ob ein Körper rein ein¬
geführt wird oder ob er mit Speisen gemischt in den Körper ge¬
langt. Man kann nicht sagen, der eine Stoff ist giftig, der andere
nicht, es sind die Bedingungen festzustellen, wann die Gifte
wirken und welche Quantität nöthig ist.
Wirklich schädlich und gefährlich ist das Blei und alle Blei¬
präparate. Akute Vergiftungen sind selten, chronische recht
häufig im Haushalt. Die Verwendung von Blei im Haushalt ist
immer noch eine sehr reiche: Bleiröhren bei Wasserleitungen,
nieten und löthen mit Blei. Ausserordentlich verbreitet ist die
Verwendung der Bleifarben zum Anstreichen, Bleiweiss,
Mennige, Chromgelb; ferner die Verwendung der Bleiglasur bei
Thongeschirren. Die Glasur ist verschiedenartig löslich, je mehr
Blei verwendet ist, tun so leichter wird es von den Säuren an¬
gegriffen, in Essig- und Obstsäure ist es besonders leicht löslich.
Tadellos hergestellte Glasuren sind unlöslich. Ungelöst ein¬
geführte Bleiverbindungen wirken immer giftig, da sie im Kör¬
per gelöst werden, sogar das schwefelsaure Blei.
Akute Bleivergiftungen im Haushalt sind selten, hiezu sind
recht grosse Bleimengcn nothwendig. Beweis: dass grosse Mqn*
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1680
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4L
gen von Blei bei Ilaemoptoc gegeben werden, ohne dass Vergif¬
tungserscheinungen beobachtet werden; nur 2 Fälle sind be¬
kannt. Chronische Bleivergiftungen sind sehr häufig, so z. B.
bei Bleischminke, Blei mehl, Schnupftabaken, Bleipapier etc.
Massenvergiftungen durch Blei kommen zuweilen vor bei Ver¬
wendung von Blei zu Wasser lei tungsröhren. Es kommt hier auf
den Gehalt des Wassers an freier Kohlensäure an: hartes Kalk¬
wasser kann man durch Bleiröhren leiten. Bleibicarbonat schützt
vor Vergiftung., Die Disposition für chronische Bleivergiftung
erscheint sehr verschieden. Das Gesetz Brouardel’s, 1 mg
Blei pro Tag bringt eine chronische Bleivergiftung hervor, ist
jedenfalls einzuschränken. Die deutsche Reichsgesetzgebung ist
nicht durchweg glücklich und bedarf entschieden der Revision.
Z. B. das Ixithblei darf nicht mehr als 10 Proc. Blei enthalten.
Techniker halten dies für zu weitgehend. An den neuen Kon¬
servenbüchsen ist nur ein Minimum von Löthung und diese ist
aussen an den Büchsen in einer Rille. Schrot soll nicht zum
Reinigen von Flaschen verwendet werden. Gesetzlich wäre zu
verbieten die Färbung mit Bleichromat, was bisher nicht der Fall
war; die Gesetze über den Bleigehalt von Glasuren bedürfen der
Revision: Die Geschirre werden bekanntermaassen in der Weise
geprüft, dass trotz halbstündigen Kochens einer 4 proc. Essig¬
säurelösung kein Blei gelöst erhalten wird. Dies erscheint ent¬
schieden zu weit gellend; beispielsweise müsste dann der ganze
Würzburger Geschirrmarkt konfiszirt werden. Ein gewisser
Werth müsste angegeben werden, bis zu dem der Bleigohalt zu¬
gelassen werden dürfte, etwa 10 mg. Auffallender, aber erfreu¬
licher Weise fehlt jede Erfahrung über eine gesundheitsschäd¬
liche Wirkung von bleihaltigem Kinderspielzeug (Soldaten, Kin¬
deressgeschirre für Puppen).
Quecksilbervergiftungen im Haushalt sind zu selten, um die¬
selben näher zu besprechen.
Kupfer findet sich viel verwendet in den Haushaltungen, ins¬
besondere bei den Küchengeschirren wegen der Leichtigkeit der
Reinhaltung und des schmucken Aussehens. Säuren nehmen
Kupfer auf, sind jedoch trotz ihrer Farben in Blau und Grün
nicht sehr giftig, und worden auch wegen ihrer Farbe nicht ge¬
nossen. Die grünen Konserven werden mit Kupfer gefärbt, hier
ist eine Quelle der Vergiftung möglich, da die Verdauungssäfte
diese Kupfersalze in grossen Mengen lösen. Die Ansichten über
die Kupfervergiftungen gingen bisher weit auseinander: Kupfer
ist selbstverständlich in grossen Dosen schädlich. Die akuten
Kupfervergiftungen jedoch, die im Haushalt Vorkommen und
eventuell auf Kupfergefässe und Konserven zurückgeführt wer¬
den können, sind niemals schwer und ausserordentlich selten.
Viele sog. akute Metallvergiftungon des Haushalts sind sicher
Vergiftungen durch verdorbene Nahrung. Die Zeitungsberichte
über solche Fälle sind äusserst oberflächlich und wissenschaftlich
werthlos. Chronische Kupfervergiftungen sind nicht bekannt
und nach den Ergebnissen der Thierversucho unwahrscheinlich
(Beweis: die Nürnberger Bronzeindustrie). Möglich wäre eine
chronische Kupfervergiftung durch andauernd schlechte Mani¬
pulationen mit Grünspan.
Zinkgeräthe spielen keine Rolle im Haushalt (Milchkannen).
Die galvanisirten Eisenröhren (mit Zink galvanisirt) lassen nur
minimale Spuren von Zink lösen, die ohne Bedeutung sind. Der
Zinkgehalt der amerikanischen Aepfel (gehört zum Weissfärben)
ist wahrscheinlich nicht genügend um Vergiftungen hervor¬
zurufen. Jedenfalls gehört das Zink nicht in die Aepfel hinein.
Zinngeräthe sind selten mehr im Gebrauch, innen sind die
Konservenbüchsen mit Zinn ausgekleidet, das bleifrei sein muss.
Spargelkonserven nehmen leicht Zinn auf. Die Zinnsalze sind
farblos und von sehr geringem Geschmack. Die akuten Zinn¬
vergiftungen sind möglich. Stark saure Konserven sollen nicht
in Zinnbüchsen aufbewahrt werden. Chronische Zinnvergif¬
tungen scheinen nicht vorzukommen. Versuche mit Zinnfütte¬
rungen ergaben negatives Resultat.
Silber, Aluminium, Eisen und Nickel — obwohl theoretisch
auch nicht ungiftig — müssen als praktisch ganz unschädlich be¬
zeichnet werden.
Trotz der geringen hygienischen Bedeutung aller Schwer¬
metalle, ausser Blei und Quecksilber, sind alle Bestrebungen zu
unterstützen, diese Metalle von unseren Nahrungsmitteln (ins¬
besondere Konserven) möglichst fern zu halten. Gleichgiltigkeit
der Behörden könnte sehr leicht grobe Nachlässigkeiten der
Fabrikanten zur Folge haben, durch die nicht nur das Ansehen
der deutschen Industrie geschädigt, sondern auch namentlich
bei abnorm empfindlichen Personen, Kindern, Greisen, Kranken
wirkliche Gesundheitsstörungen hervorgebracht werden könnten.
Es ist den Schwermetallen gegenüber der gleiche Standpunkt ein¬
zunehmen wie bei den Konservirungsmitteln.
Wir brauchen die genannten Metalle nicht im Körper, folg¬
lich müssen wir sie fernhalten. Braucht die deutsche Industrie
die Verkupferung, so mag sie ihr gestattet sein unter strenger
Kontrole.
I>r. W e y 1 - Charlotteuburg macht darauf aufmerksam, dass
Spitzen mit kohlensaurem Blei gereinigt und Garne mit chrora-
saurem Blei gell) gefärbt werden: beides enorm schädlich.
Prof. Löffle r-Greifswald fordert die strenge Durchführung
von bleifreien Töpfen. (Erscheint nach Nürnberger Erfahrungen
möglich. Der Ref.)
Conimercienrath Henneberg - Berlin zieht aus dem Vor¬
trag für die Industrie die Schlussfolgerung, dass vor Allem
Kupferkessel bei der Einrichtung von grossen Krankenanstalten,
Gefängnissen verwendet werden sollen.
Am Nachmittag fanden gemeinsame Besichtigungen in
Rostock statt: Irrenanstalt Geldsheim (mit landwirthscliaftlicher
Beschäftigung der Kranken), Neptuuwerft, Brauerei, Elektricitäts-,
Gas-, Wasserwerk. Letzteres ist nach Hamburger Muster: Fluss-
wasserliltration. Nach meiner Ansicht ist die Anlage zu nahe
an der Stadt. Neu war mir auch, dass auf den Filterbecken Algen-
cutwicklung geduldet wird.
Abends war zwanglose Zusammenkunft auf Mahn & Ohle-
rich's Keller.
Vor den Verhandlungen am 3. Tage wurde die übliche Wahl
des Ausschusses für das kommende Geschäftsjahr vorgenommen.
Ausschieden nach den Satzungen: Stübben - Köln, Schnei¬
der- Magdeburg, Stich- Nürnberg. Neugewählt wurden
v. B o r s c h t - München, A 1 b r e c h t - Berlin, Fraenkel-
Halle. Es verbleiben Delbrück - Danzig, Reindl- Ham¬
burg, II ö f f n e r - Kassel.
Strassenbefestigungsmaterialien und Ausführungsarten, sowie
ihr Einfluss auf die Gesundheit.
Referenten: Stadtbaurath E. Genzmer - Halle a. d. S., Privat-
docent Dr. Th. W c y 1 - Charlottenburg-Berlin.
Genzmer bringt zunächst von den 30 grössten Städten
eine Uebersicht, wie viel dieselben für ihre Strassen ausgaben,
es beträgt dies überall Vs —% der gesammten Ausgaben für den
Bauetat. Die Richtung der Strassen sollte möglichst nicht Zu¬
sammenfällen mit der herrschenden Windrichtung. Die Strassen
sollen aus demselben Grunde nicht zu lang gemacht werden.
Die Höhenlage ist gleichfalls von Einfluss. Die Strasse muss
grundwasserfrei sein, die Häuser müssen mit ihren Kellern
ausserhalb des Grundwassers liegen, auch muss der Baugrund
ein guter sein. Die Steigung der Strasse sei eine solche, dass
sie nicht zu steil für die Zugthiere ist. Von grossem Einfluss
ist die Breite der Strasse, zu breite Pflasterflächen sind zu
theuer, es würde auch zu viel Staub aufgewirbelt werden. Bei
der Strassenvermessung wird meist viel zu weit gegangen. Der
Verkehr muss auf bestimmte Strassenstreifen gedrängt werden,
es sind daher sehr breite Strassen für den Verkehr nicht noth-
wendig (cfr. London). Für ein Fuhrwerk ist 2,5 m Breite nöthig.
Eine Breite von V/s m langt daher für 3 gleichzeitig fahrende
Fuhrwerke und genügt diese St rassenbreite für mittlere und
kleinere Städte. Sollen Strassenbahnen in die betreffenden
Strassen gelegt werden, so sind breitere Strassen nöthig. Selbst¬
redend handelt es sich bei den erwähnten Strassenbreitesn nur
um die Fahrbahn, nicht um die Gesammtbreite der Strasse,
welche eine beträchtlich breitere sein muss. Man kann in Wohn-
strassen Vorgärten anlegen, in Geschäftsstrassen möglichst breite
Gehsteige. Die Vorgärten vermeiden den Staub und das Ge¬
räusch für die Anwohner, gewähren ein freundliches Ansehen
und erlauben die Anlage von Bäumen, ohne dass die Häuser zu
stark beschattet werden.
Die Bäume werden bei zu schmalen Strassen den Anwohnern
oft zur Last, ln Wohnst rassen kommt man sehr gut mit 2 Fahr¬
bahnen aus. Man würde hiedurch auch grosse Summen sparen
und viel hygienische Missstände vermeiden.
Auch in Geschäftsstrassen wäre unter den oben angegebenen
Bedingungen „bei breiten Bürgersteigen“ eine Bepflanzung mit
Bäumen möglich. Hygienisch sind so viel als möglich Bäume
in die Städte hineinzubringen.
Bei breiten Bürgersteigen können auch die Versorgungs¬
leitungen gut untergebracht werden. Die allgemeine Durch¬
führung der unterirdischen Kanäle ist nicht zu empfehlen wegen
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8. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1631
der nothwendigen Zweigleitungen in die Häuser und die dadurch
bedingten hohen Kosten. Die Bürgersteig-Befestigungen sind
viel einfachere, wie die Fahrbahnen, auch nicht so feste, ein Auf-
reissen ist hier leichter.
Bei den Hauptverkehrsstrassen soll man für die verschie¬
denen Arten des Verkehrs verschiedene Streifen anlegen: so für
Beiter, Radfahrer (für diese Kieswege, da sich die Radler ihre
Wege selbst festfahren und fest unterhalten). Es empfiehlt sich
auch, bepflanzte Streifen anzulegen, die späterhin bei recht
grossem Verkehr wieder auf gegeben werden können. Im Winter
kann man die Probe auf’s Exempel machen, wenn man zusieht,
was vom frisch gefallenen Schnee weggetreten oder weggefahren
wird.
Jedenfalls erfordern die Strassenbefestigungen in den
Städten sehr beträchtliche Geldmittel; es ist daher gerecht¬
fertigt, für eine wirthschaftlich richtige Verwendung der letz¬
teren Sorge zu tragen.
Diejenigen Strassjcnbaumaterialien sind vom
wirtschaftlichen Standpunkt aus die besten, welche die
geringsten GesammtaufWendungen (einmalige Herstellungs¬
kosten und laufende Unterhaltungskosten) eine möglichst
langdauernde Brauchbarkeit der Strassendecke gewährleisten.
Z. B. ist es für die Städte ein grosser Fehler, chaussirte
Strassen anzulegen. Man hat nun geglaubt, wenn man einen
möglichst harten Stein nimmt zum Pflastern, dass man dabei
niu beeten wegkommt. Die Steine bekommen jedoch die sogen.
Katzenköpfe, welche für den Verkehr völlig ungeeignet sind, so
bei Basaltsteinen. Eine zu ebene Oberfläche wird bei einem
weicheren Steinmaterial erhalten. Dies ist jedoch eher zu em¬
pfehlen. Es sind Steine zu empfehlen, die langsam verschleissen.
Neben den hygienischen Erfordernissen kommen in Betracht
die Rücksichten auf den Verkehr. Dieselben bedingen eine der¬
artige Beschaffenheit der Strassenoberfläche, dass auf ihr, selbst
bei den ungünstigsten Witterungsverhältnissen, sowohl der Ver¬
kehr der Fussgänger wie derjenige der Zugthicre und Motoren
möglichst leicht und gefahrlos sich vollziehen kann. Dies wird
erreicht durch eine möglichst ebene Oberfläche von einem ge¬
wissen Rauhigkeitsgrade, der um so grösser sein muss, je stärker
die Strasse geneigt ist.
Den Radfahrern kann man in der Nähe der Gosse einen
ganz schmalen Streifen mit glatten Steinen geben. •
Vom hygienischen Standpunkt aus betrachtet, sind die¬
jenigen Strassenbefestigungen die besten, welche
a) sich am wenigsten abnutzen, also den geringsten Staub
erzeugen;
b) das geringste Geräusch verursachen;
c) die Verunreinigung des Untergrundes am sichersten ver¬
hindern ;
d) sich am schnellsten reinigen lassen.
Die F U8swegbef estigung muss eine derartige sein,
dass sie bei schlechtem Wetter gut gangbar ist. Thonplatten
leiden allmählich und werden glatt, auch die Granitplatten
kommen nicht in Betracht, sie sind zu theuer und werden auch
bald glatt, eher ist der Cementplattenbelag zu nehmen, wegen
seiner verhältnissmässigenBilligkeit (3 Cementplatten = 1 Granit¬
platte). Zu empfehlen ist der Asphalt, derselbe bleibt immer
rauh und fugenlos (gut gegen die Unreinlichkeit), er ist stets
wieder verwendbar.
Nothwendig ist ein guter Asphalt, kein Surrogat, sondern
Guss- oder Stampfasphalt. Der letztere eignet sich am besten
für die Fusssteige, ist jedoch sehr theuer. Sehr zu empfehlen
ist noch der Mosaik, ein weicher Stein, der nicht glatt wird,
nicht zu theuer, kann leicht aufgerissen und wieder verwendet
werden. Der Mosaik ist durchlässig, geht beim Frost auf und
nieder, bricht nicht. Man geht bequem auf diesem Boden. Der
Bürgersteig kann auch in mehrere Streifen eingetheilt werden,
so bei den Häusern Mosaik, für’s Gehen Asphalt, bei den Bäumen
eine Kiesbeschüttung.
Die Chausseen in den Städten müssen als veraltet angesehen
werden wegen ihrer grossen Unterhaltungskosten und wegen der
grossen hygienischen Gefahren (Staub und Schlammbildung).
Die Ausgiessung der Chaussee mit Pech ist nicht brauchbar. Das
Steinpflaster dürfte für die meisten kleineren und mittleren
Städte am meisten allen Bedingungen entsprechen. Stark be¬
fahrene Strassen wären unten mit Beton zu befestigen. Senk¬
ungen .würden vermieden werden. Dagegen würden sehr starke
Geräusche erzielt werden. Die Fugen müssen mit Asphaltpech
ausgegossen werdeu, wodurch auch bei gewöhnlichen Strassen
schon viel gewonnen wird: Verhinderung der Einnistung des
Strassenschmutzes, gute Befestigung. Bei schlechtem Unter¬
grund müssen die Strassen mit Drainagen versehen werden, so
bei Thonboden.
Das Material für die Fahrbahnen wird sich je nach der
Lage der Stadt und der Billigkeit des Materials richten müssen.
Im Allgemeinen sind die weichen Steine mehr zu empfehlen,
diese werden nicht glatt. Das Format der Steine darf nicht zu
gross sein, die Abnützung macht sonst die Steine zu schlecht:
10:16 ein ist zu empfehlen. Bei ebenen Strassen können die
Steine breiter genommen werden, bei Steigungen schmäler. —
Die künstlichen Steine haben bisher die natürlichen nicht er¬
reichen können, am besten brauchbar sind noch die Schlacken¬
steine; diese sind sehr gleichmässig, sehen gut aus, sind fast
geräuschlos. Der Fussgängerverkehr macht sie rasch glatt (bei
den Traversen), für den Fuhrwerksverkehr sind sie durchaus
brauchbar. Neuerdings wird ein Mannesfelder Stein verbreitet,
der nicht glatt werden soll. Bei Gossen kann der Stein gut ge¬
nommen werden, auch bei Radfahrwegen.
Die Herstellung der Strassendämme mit Cement ergibt zu
starren Grund, dauert auch viel zu lange. Die Bestrebungen
für geräuschloses Pflaster und die Gründe liiefür sind bekannt.
Verwendet wird Holz und Asphalt. Der Stampfasphalt ist un¬
durchlässig, elastisch, nicht zu theuer, gut ausbesserungsfähig,
er kann jedoch nur bei vollkommen ebenem Terrain höchstens
bei einer Steigerung von 1:100 gebraucht werden. Die Zug-
thiere müssen darauf erst laufen lernen. Asphalt sollte nur in
der ganzen Stadt, sonst nicht, verwendet werden, da es sonst stets
eine Quelle des Aergers und Verdrusses ist. (Geht wohl zu weit.
Der Ref.)
Das Holzpflaster ist in der Herstellung gerade so
theuer, jedoch in der Unterhaltung beträchtlich theuerer. (8 bi.-»
10 Jahre haltbar gegen 15.) Das Holzpflaster hält den Schmutz
an sich, wegen seiner Dehnung in den wannen Tagen kann cs
nicht in breiten Strassen angewendot werden. Bei mässigen
Steigungen ist Holzpflaster brauchbar. Man nimmt weiches
Material und bestreut dies mitKies. Gut soll das australischeHolz
sein, es soll sich oben nicht abrunden (erst weitere Versuche!).
Als Fortschritt ist das Kleinpflaster anzusehen: Es besteht darin,
dass man die Decklage der Chausseen ersetzt durch ganz kleine
Pflastersteine, ähnlich dem Mosaik, die dann festgewalzt werden.
Diese Strassenbefestigungsart eignet sich gut für die Wohn-
strassen, ist leicht zu reinigen und sieht gut aus.
Herr Weyl: Die Schädigungen der Gesundheit, welche
durch die Abnützung des Pflasters eintreten, sind der Verbreitung
der kleinen Staubtheilchen zuzuschreibon. Im Strassenschmutz
kommen alle Arten von Bacillen vor, so die der Tuberkulose, des
Starrkrampfes, der Pneumonie, Diphtherie, Wundinfektions¬
krankheiten. Der Staub bringt auch eine Schädigung der
Schleimhäute auf mechanischem Wege zu Stande, die spitzen
Fortsätze des Staubes reizen und verletzen die Schleimhäute und
in diesen feinsten Risswunden können sich jene Krankheits¬
erreger ansiedeln. Die Abnützung des Pflasters muss daher mit
Rücksicht auf jene Krankheitsgefalireu eine möglichst geringe
sein, Holz- und Asphaltpflaster sind wegen ihrer Ruhe ausserdem
die bevorzugtesten. Holzpflaster ist überall in der Anlage im
Abnehmen begriffen. Asphalt ist wegen seiner glatten Oberfläche
leichter zu reinigen. Bei Steinpflaster sind wegen der Reinlich¬
keit die Fugen mit Asphalt auszugiessen.
Macadam und Holzpflaster lassen sieh schwer reinigen, die
Walzen nehmen jedesmal von der Oberfläche etwas ab, machen
die Strassen rauh und dies fürchtet man vom hygienischen Stand¬
punkte aus.
Dass der Untergrund nicht verunreinigt werden darf, wird
allseitig anerkannt.
Reitwege gehören nicht in das Innere der Stadt mit Aus¬
nahme der grossen Pracht- und Promenadestrassen. Die Reit¬
wege sind wegen der Ueberschwemmung durch zu viel Regen
zu drainiren.
Die Zahl und Art der auf der Strassenoberfläche befindlichen
Keime kommen nicht in Betracht, wenn dafür gesorgt wird,
a) dass die Strasse feucht erhalten wird;
b) dass sie in hygienisch zulässiger Weise entwässert wird;
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1632
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
c) dass der Strassenkeliricht- feucht auf gesammelt und feucht
abgefahren wird.
Eino Desinfektion der Strassonoberfläche ist möglich, hat
jedoch nicht viel Werth. Eignen würde sich Kalk oder eine ver¬
dünnte Säure. Kalk sieht aber nicht schön aus, starke Säuren
sind unbrauchbar, weil die Hufe, Sohlen, Kleider ruinirt würden.
Nothwendig kann die'Desinfektion werden, wenn ein infektiöser
Leichnam die Strasse verunreinigt hat. Die Desinfektion der
Drosehkenlnilteplätze ist. vollkommen entbehrlich. Hier wird
immer Desinfektion und Reinlichkeit verwechselt.
Die Strassen müssen in richtiger Weise entwässert werden,
sorgen wir dafür, so ist der Reinlichkeitszustand auf’s höchste
Maass gebracht; hiezu brauchen wir Wasser und immer wieder
Wasser, das schleunigst wieder zu beseitigen ist. Iliebei Scho¬
nung des Untergrundes.
Die Methoden der Strassenreinigung: Die Handarbeit und
die Handbesen sind in grossen Städten durch Maschinen zu er¬
setzen. Die Kehrmaschinen kehren rasch und gründlich, jedoch
sind trockene Kehrmaschinen nur bei feuchtem Wetter oder nach
vorheriger Besprengung der Strassen zu gestatten. Bei trockenem
Wetter sind nur nasse Kehrmaschinen anzuwenden. Empfehlens-
werth sind solche Kehrmaschinen, welche die Strasse zugleich be¬
sprengen und den Kehricht aufladen. Neuerdings wird von
Düsseldorf eine Kehrmaschine „Salus“ in Verkehr gebracht, die
sprengt, kehrt und nufsammelt. Salus ist auch l>ei ganz un¬
ebenen Strassen brauchbar und sehr zu empfehlen.
Die in Amerika äugest eilten Versuche über die Besprengung
der chaussirten Strassen mit Rohpetroleum wären auch in
Deutschland nachzuahmen. Es kann hiedurch die Staubent¬
wicklung beträchtlich eingeschränkt werden, wenn die Oberfläche
der Strassen einen Thon besitzt, welcher sich mit dem Petroleum
verbindet; cs ist dies auch bei einigen anderen Gesteinsarten
möglich.
Den Kehricht durch Einwurf in die städtischen Siele zu be-
scitigen, ist unzweckmässig, geschieht auch in Deutschland kuum
mehr, schon der hohen Kosten wegen, welche das Herausschaffen
des Schmutzes uus dem Flusse macht.
Die Beseitigung des frischgefallenen Schnees aus den
städtischen Strassen, namentlich aus den Verkehrsstrassen, er¬
folgt am schnellsten und billigsten
a) durch Einwurf in die Strusscnsicle mittels besonderer
Schneesehäehte;.
b) durch Einwurf in den nächsten Fluss.
Dies Gesetz ist wohl allgemein angenommen: Die Reinigung
und Besprengung der Strassen ist Sache der Gemeinden.
Aus der Debatte ist hervorzuheben: Haurath v. Sc holt z-
Hrcslau empfiehlt für Gehsteig»* Cementplatten, da er bei
starkem Verkehr zu grosse Abnützung des (Jussasphalts
und Stampt'asphalts fdrehtet. Hin Wiesbadener Haurath macht
auf das Abspülen und Abwaschen der Strassen im Frühjahr und
Herbst aufmerksam. Das Hesprengen des Strassenkehrichts ist
bei recht trockenem Wetter einige Zeit vor dem Kehren vor¬
zunehmen. Das Besprengen mit Petroleum eigne sich wohl wegen
seines Geruchs nur für Eisenbahnst recken, nicht für Strassen.
Haurath II a u s e r- Berlin möchte einen belgischen Stein zum
Pflastern verwandt sehen, bringt ferner Vorschläge zum Unter¬
halt des Holz- und Asphaltpflasters: Bestreuen des Stampf¬
asphaltes mit Elbkies, der fast nicht staubt. Bei Holzpflaster nur
gleichaltrige Holzarten. Verschiedenartige Fugen je nach der
Härte des Holzes.
Prof. F r a e n k e 1 - Halle macht auf die zunehmende Nervosi¬
tät aufmerksam, welche in nicht geringem Mnasse auf die Ge¬
räusche der Strassen zuriickfülirbar ist. Zu vergessen sind jedoch
hierbei nicht die Geräusche, welche die elektrischen Bahnen, Milch¬
händler, Briquettsverkäufer etc. machen. Iliegegen sollten die
Stadtverwaltungen wirken.
Nach tlcn üblichen Dankesworten seitens Jos Herrn Vor-
sitzcnJen wurJe Jie diesjährige Tagung Jes Deutschen Vereins
für öffentliche Gesundheitspflege geschlossen.
Am Nachmittage gab Jie StaJt Rostock eine Lustfahrt über
Warnemünde in die Ostsee. Tags hernach fand noch ein gemein¬
samer Ausflug nach Dolx*ran und Heiligendamm statt.
Sigmund Merkel- Nürnberg.
Preussischer Medicinalbeamten-Verein.
XVIII. Hauptversammlung am 13. und 14. September
1901 zu Berlin.
(Eigener Bericht)
(Schluss.)
Die Verhandlungen des zweiten Tages werden durch eincu
Vortrag des Med.-Itathes Dr. Wernicke, Direktors des hygie¬
nischen Institutes in Posen, über die Schutz- bezw. Desinfektions¬
maassregeln während des Bestehens einer gemeingefährlichen
Krankheit elngeloitet. Nachdem Redner den Nutzen und die Be¬
deutung der nach Fliigge’scheu Priucipieu eingeführten For-
umliiidesiiifektioii betont hat, gibt er einen kurzen historischen
Rückblick über Schutz- und Desinfektionsmmissnahuieu während
des Bestehens einer gemeingefährlichen Krankheit Der beste
Schutz gegen eine gemeingefährliche Krankheit ist die Iminuni-
s i r u n g d e r G esuude n tlieils durch allgemeine hygienische
Maassimhmen, tlieils durch Immuulslruug des einzelnen Indi¬
viduums, und rasche Heilung der Kranken vermöge aetiologischer
Therapie. Im Anschluss au die gewaltige .Tenne Fache Ent¬
deckung und in Fortführung der Gedanken dieser besten, bisher
unerreichten Schutzmethode hat Pasteur zuerst in bewusster
Weise speciflsclie Schutzmanssnahinen gegen gemeingefährliche
Krankheiten ersonnen, während Koch zunächst die Prophylaxe
in der systematischen Ein- und Durchführung hygienischer Maass-
nalimen im weitesten Sinne erstrebt hat. die sich tlieils auf die
Vernichtung dos InfektionsstotTes, tlieils auf prophylaktische
Maassimhmen liezogen. K o c h’s grosses Verdienst Ist es, in ziel¬
bewusster Weise solche Bekämpfmigsmaassnalinien ersouueu zu
halten, welche die vom Kranken ausgegaugenen Iufektionsstoffc
wirklich vernichteten und der Verbreitungsart der verschiedenen
Iufeklionsstoffe augepasst waren. Hinwiederum hat Behriug
den Gedanken der i n u e reu Desinfektion verfolgt und
gegen die eigentlich kraukuiachenden Ageutieu, die Stoffwechsel
Produkte der Bakterien, wahrt* Antikörper gefunden, weiche bei
Diphtherie und Tetanus tlie wirksamsten Schutzumassregeln tlar-
stellen und bei der Diphtherie auch als sichere Heilmittel aner-
kauut. sind. Gegen die septischen Infektionskrankheiten halten
sieh bisher analoge, sicher wirkende Antikörper nicht aufflnden
lassen. Iller scheint der Schutz, wie bei den Pocken, in der Ver¬
wendung von sog. aktiven I iu in u n i s i r u n g s m e t h o d e u
zu liegen, dg reu Wirksamkeit und Uugefülirlichkeit für alle Ver¬
hältnisse noch nicht voll nachgewlesen ist. Imlessen stellt zu
hoffen, dass auch die von Pfeiffer zuerst genauer studirteu.
antibakteiiell wirkenden Körper für Schutz- und Immunisirung
bei septischen Krankheiten werden Verwendung tlndeu können.
Es besteht, wie uns die bewunderungswürdigen Arbeiten Ehr-
11 c h’s lehren, das Vorhandensein streng gesotzulässiger Bezieh¬
ungen zwischen specltisehen Reizen und dem Auftreten specifischer
Antikörper im Blute. Anders geartet als die toxischen und sep¬
tischen Krankheiten ist die Tuberkulose; hier verbeisst bei reinen
und noch nicht zu weit vorgeschrittenen Fällen die von Koch
nngegelieue Behandlung bei methodischer Anwendung Erfolg, wie
namentlich die schönen Untersuchungen von Petruscliki.
Krause und neuerdings von Goetseh lehren. Dürfen wir
hier weitere Erfolge abwarten, so hat das Tuberkulin als Dia-
gnosticum und somit als exquisites .Schutzmittel gegen Tuber¬
kulose allseitige Anerkennung gefunden. Im Uebrlgen herrscht
bezüglich unserer Schutz- und Dcsinfcktiousmaassnahmen bei Tu¬
berkulose noch keineswegs volle Klarheit; das lehrt die neueste
K o c h'selie wichtige Feststellung von der Nicht-Identität der
Menschen- und Thier tuberkulöse. Besteht die Ansicht zu Recht
— und Redner stellt durchaus auf dem K o c h’schen Stand¬
punkte —, so ist die Prophylaxe der Tuberkulose viel einfacher
und sicherer, und die erfolgreiche Bekämpfung der Tuberkulose
in greifbare Möglichkeit gerückt Bei allen Infektionskrankheiten,
zu denen mich den neuesten Entdeckungen auch die Malaria ge¬
hört, liaheu wir aller, gleichgütig, oh für sic speciflsclie Sclintz-
heilmethoden exlstireu oder nicht, noch gegen die Verbreitung der
Krankheit besondere Verhütungs- und Desinfektionsmaassuahmen
zu treffen, und diese Mnassnalimen haben sich genau nach der er¬
kannten Verbreitungsart des Erregers der betreffende« Infektions¬
krankheit zu richten. Redner erörtert an einigen Beispielen diese
Maassimhmen und ihre Methodik, die übrigens in der neuen
Dienstanweisung für die Kreisärzte ausgezeichnete Darlegung er¬
fuhren im heil. Unter Führung der Aerzte und der medldnIschen
Wissenschaft muss es gelingen, mit Hilfe des Staates, der Kom¬
munen und Bürger die endemischen weitverbreiteten Infektions¬
krankheiten. wie Tuberkulose, Typhus. Scharlach etc., zu seltenen
Krankheiten zu machen, wie es Pocken und Lepra bei uns ge¬
worden sind.
Die ain ersten Tage der Verhandlungen gewühlten Kassen¬
revisoren ertheileu dem Vorstande Deeharge. Es folgt die Vor-
standswnlil. Reg.- und Geh. Medicinalrath Dr. Rapinund-
Mindeii, Modiciimlrath Dr. E 11 e n - Berlin. Kreisarzt des Kreises
Teltow, und Kreisarzt und Medicinalrath Dr. F 1 c 1 i t z - Halle a/S.
werden wiedergewählt. An Stelle des Krelsphysikus z. D. und
Geh. Sanitätsrath Dr. W a 111 e h 8 - Altona und des Reg.- und
Geh. Medicinalraths Dr. B a r n i e k - Frankfurt a. O. werden
Prof. Dr. Fritz Strass mann - Berlin und Reg.- und Medicinal¬
rath Dr. Wodtke - Köslin ln den Vorstand gewählt
Letzter Gegenstand der Verhandlungen ist die Besprechung
der Dienstobliegenheiten des Kreisarztes nach der neuen Dienst¬
anweisung, auf Grund von Anfragen aus der Versammlung. Zur
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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1633
Besprechung leitete der Vorsitzende mit allgemeinen Ausführungen
über die neue Dienstanweisung über.
Die Thütigkeit der Kreisphysiker, so etwa führte Dr. Bap-
m n n d aus, war ln den einzelnen Regierungsbezirken verschieden,
je nach den Verfügungen des betreffenden Regierungspräsidenten,
und dieser Zustand hatte nachtheilige Rückwirkungen. Jetzt da¬
gegen bestehen den Wünschen der Medlcinalbeamten gemäss für
die ganze Monarchie geltende, einheitliche Vorschrifteu. Im (Je¬
setz selbst sind die Obliegenheiten des Kreisarztes nur im All¬
gemeinen geschildert, die betreffenden Paragraphen sind aus¬
reichend als Grundlage für die Regelung der Diensttliiltigkeit. So¬
mit war es nothwendig. diese summarische Grundlage im Ein¬
zelnen auszuführen, so dass jeder einzelne der Mediclnall>eamten
genau weiss, was er zu thun und zu lassen hat. Die amtsärztliche
Thütigkeit des Kreisarztes stellt auch nach dem neuen Gesetz
und nach der Dienstanweisung Immerhin künftig in erster Linie
eine berathende uud überwachende dar. Sie unterscheidet sich
aber dadurch, dass dem Kreisarzt nunmehr das Recht und die
Pflicht der Anregung, der sog. Initiative, übertragen ist, so dass
mit dem früheren Grundsatz endgiltig gebrochen ist, nach dem der
Physikus lediglich technischer Berather war, niemals aus eigener
Anregung, nicht ex officio, sondern erst nach Aufforderung seitens
der Behörde dlö erforderlichen Dienstreisen und notliweiullgen
Untersuchungen machen durfte. So lange eine solche Bestimmung
bestand, war an eine entsprechende Wirksamkeit nicht zu denken.
Nur wenn der Kreisarzt sich aus eigenem Antriebe über die sani¬
tären Verhältnisse seines Bezirkes unterrichten kann, vermag er
seiner vornehmsten Aufgabe, Krankheiten zu verhüten oder in
ihren ersten Anfängen zu ersticken, gerecht zu werden. Das Recht
der Initiative gibt dem Kreisarzt eine viel grössere Selbständigkeit,
wie er sie früher hatte, und diese grossen* Selbständigkeit hat zu
Befürchtungen Veranlassung gegeben, die Kreisärzte könnten den
Verwaltungsbehörden unbequem werden, so dass Konflikte herauf-
beschworen würden. Redner hält derartige Befürchtungen für
unbegründet. In anderen Staaten haben die Kreisärzte noch
grössere Rechte, ohne dass es zu Konflikten käme. Uud daun
hat ja der Kreisarzt eine anordnende und vollziehende, also eine
executive Thütigkeit überhaupt nicht; er soll auch gar nicht das
ausführende, sondern das anregende Element sein. Gestützt auf
seine technischen Kenntnisse uud praktischen Erfahrungen, sowie
auf seine Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen und den
einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, soll er der zuständigen
Behörde mit Rath zur Seite stehen, sie von der Nothwendigkeit
der erforderlichen hygienischen Muassregelu zu überzeugen suchen
und sie bei ihrer Durchführung unterstützen. Da die Gesund¬
heitspflege in die verschiedensten Gebiete eingreift, so ist es er¬
forderlich, nur solche Anordnungen vorzuschlagen, die sich be¬
währt haben, deren Wirksamkeit erwiesen ist. Durch später sich
herausstelieude Missstände schadet der Kreisarzt nicht nur der
amtlichen Autorität, sondern auch den Bestrebungen der öffent¬
lichen Gesundheitspflege. Seine Gutachten uud Vorschläge seien
ln bestimmter Form gehalten. Andererseits seien nicht halbe
Maassregeln zu treffen, sondern das einmal fiir richtig Erkannte
konsequent durchzuführen. Immer sei die finanzielle Leistungs¬
fähigkeit der Gemeinde zu berücksichtigen. Zum Schluss gibt
Re<lner der Zufriedenheit der Kreisärzte mit der neuen Stellung
und der Genugthuung Uber das Erreichte Ausdruck.
Nunmehr folgt die Besprechung der einzelnen, von Mitgliedern
gestellten Fragen. Wir beschränken uns darauf, die allgemein
interessirenden Punkte zu sklzziren.
Die Revision der Molkereien seitens des Kreisarztes wird all¬
seitig als erforderlich betrachtet. Nach der Dienstanweisung be¬
darf es auch zur- Besichtigung der Molkereien keines besonderen
Auftrags. In einem Regierungsbezirke sind die Kreisärzte direkt
ajpgewiesen, die Molkereien zu kontroliren. Macht ein Molkerei¬
besitzer Schwierigkeiten, so nimmt man die Hilfe der Ortspolizel-
behürde in Anspruch.
Nicht nur die Aerzte, welche sich behufs Ausübung der ärzt¬
lichen Berufsthätigkeit niederlassen, sondern auch die stellver¬
tretenden Aerzte, welche zu- und abziehen, unterliegen der durch
Polizeiverordnuug geregelten Meldepflicht beim Kreisarzt. Die
Militärärzte pflegen Schwierigkeiten zu machen, wenn sie der
Meldepflicht genügen sollen. Der Kreisarzt verlangt die Vorlegung
nicht nur der Approbation, sondern auch, vorausgesetzt, dass der
Meldende Doktor ist, des Doktordiploms. Ein Arzt hat sich ge¬
weigert, das Doktordiplom vorzulegen, und die Ortspolizeibehörde
hat es abgelehnt, einzuschrelteu. Der betreffende Kreisarzt hätte
heim Regierungspräsidenten Beschwerde führen sollen.. Von
anderer Seite wird betont, der Kreisarzt könne und solle von der
Vorlegung der Approbation Abstand nehmen, wenn der Stellver¬
treter ein älterer ihm bekannter Arzt sei.
Die Dienstanweisung besagt in dem Kapitel Uber die Beauf¬
sichtigung der Hebammen, dass, wenn in der Praxis einer Heb¬
amme ein Fall von Kindbettfleber oder ein Todesfall lm Wochen¬
bett voxkommt, der Kreisarzt an Ort und Stelle Ermittelungen
anznstellen habe, nach der Richtung hin, ob von der Hebamme
alle zwecks Verhütung und Weiterverbceitung des Kindbettfiebers
erlaaseuen Vorschriften beachtet worden sind. Da in vielen Fällen
schon durch die Meldung unzweifelhaft festgestellt ist, dass das
Wochenbettfleber nicht durch die Schuld der Hebamme entstan¬
den ist, so wird vorgeschlagen, eine Modifikation dieses Passus
der Dienstanweisung in dem Sinne zu beantragen, dass der Kreis¬
arzt nicht die Pflicht, sondern dos Recht habe, in jedem Falle an
Ort und Stelle Ermittelungen anzustellen, also eventuell eine
Dienstreise zu machen. Gegen diesen Vorschlag wendet sich der
Vorsitzende mit grosser Schärfe. Dabei wird ein Fall zur Sprache
gebracht, in dem der Kreisarzt in einer besseren Familie die ihm
durch den angeführten Pussus der Dienstanweisung übertragene
Pflicht erfüllen wollte, aber zur Wöchnerin nicht vorgelassen
wurde. Der Vorsitzende weist darauf hin, dass man ln solchen
Fällen nur dann die Ermittelungen anstellen dürfe, wenn dies
ohne Schädigung der Kranken möglich wäre. Die Sache hätte
übrigens 2 Seiten; wie der Kreisarzt bei Verstüsseu der Hebamme
das Erforderliche zu veranlassen habe, so müsse er sie anderer¬
seits lK*i unverschuldeten Unglücksfällen in ihrer Praxis gegen
Vorwürfe und Beschwerden mit Nachdruck in Schutz nehmen.
Im Anschluss an die Besprechung des Wochenbettflebers ge¬
langt die Versammlung zur Erörterung der Frage, was zu ge¬
schehen habe, um die schnelle Kenntnis» von Totlesfällen an an¬
steckenden Krankheiten zu sichern. In den verschiedenen Be¬
zirken werden verschiedene Verfahren geübt. Als das beste Ver¬
fahren hat sich erwiesen, durch Pollzeiverorduung den Haus-
haltungsvorstäuden die Meldepflicht aufzuerlegen. Das radikalste
Vorgehen bestünde ln der Einführung der obligatorischen ärzt¬
lichen Leichenschau; diese sei freilich ein frommer Wunsch.
Der nächste zur Besprechung gelangende Punkt betrifft di«'
Mitwirkung des Kreisarztes bei der Gewerbeaufsicht, die gesund¬
heitliche Beaufsichtigung staatlicher Betriebe und die Mitwirkung
bei der Konzessionlrung gewerblicher Anlagen. Die Besichtigung
eines Betriebes ist dem Kreisärzte nicht ohne Weiteres erlaubt;
der Inhaber des Betriebes ist nicht verpflichtet, «lern Kreisarzt den
Zutritt zu gestatten. Es wird der Rath ertheilt, im Weigerungs¬
fälle die Hilfe der Ortspolizeibehörde in Anspruch zu nehmen uud
dagegen wiederum eingewendet, «lass auch «lie Ortspolizeibehörde
nicht ohne Weiteres das Recht hals*, die Betriebsstiitte zu betreten.
Unter diesen Umständen bleibt dem Kreisarzt nichts übrig, als
sich mit dem Gewerbeiuspektor in Verbindung zu setzen und mit
ihm gemeinschaftlich nach Bedürfuiss die Anlagen, insbesondere
solche, deren Betrieb vorzugsweise Gesundheitsstörungen im (Je¬
folge lint, zu besichtigen. Dagegen besteht kein Zweifel über die
Berechtigung des Kreisarztes, eigenmächtig den Gewerbebetrieb
zu betreten, wenn dort ein Fall von ansteckender Krankheit vor¬
gekommen ist. In gleicher Weise wie die privaten Betriebe hat
der Kreisarzt die in seinem Bezirk belegeuen, unter die Vor¬
schriften der Reichsgewerbeordnung oder des allgemeinen Berg¬
gesetzes fallenden Staatsbetriebe gesundheitlich zu beaufsichtigen.
In Bezug auf die Besichtigungen und Gutachten Uber die Ge¬
nehmigung zur Errichtung, Verlegung oder Veränderung von ge¬
werblichen konzessiouspfllchtigeu Anlagen wird die Frage auf¬
geworfen, ob der Kreisarzt für diese seine Bemühungen Honorar
zu beanspruchen hat. Theoretisch einigt man sich dahin, die Ent¬
scheidung davon abhängig zu machen, ob die Besichtigung im
öffentlichen Interesse oder lm Interesse des Konzessionsbewerbes
erfolgt; im letzteren Falle stehen dem Krelsurzte Gebühren zu,
die der Konzessionsbewerber zu entrichten habe, während lm
ersteren Falle die Besichtigung zu den Dienstobliegenheiten des
Kreisarztes gehöre. In der Praxis wird die Frage in den einzelnen
Bezirken verschieden behandelt, ln manchen Bezirken erhalten
z. B. die Kreisärzte für derlei Besichtigungen immer Honorar,
gleichgiltig in wessen Interesse die Thütigkeit ausgeübt wurde.
Der Vorsitzende bringt dann einen Antrag des Stettiner
MedicinalbeamtenvereinB zur Sprache, dahingehend, die Versamm¬
lung möge bescldiessen und dahin wirken, dass die Medieinal-
bearuten mit Rücksicht auf ihre Ausnahmestellung in Bezug auf
die staatliche Ehrengerichtsbarkeit von der Umlage der Aerzte-
kammern befreit werden, Insoweit die Kosten für die Ehren¬
gerichte in Betracht kommen. Der Vorstand des preussischen
Medicinalbeamtenvereins hat diesen Antrag aufgenommen, ja er
geht noch weiter. Er unterbreitet der Versammlung den Antrag,
zu besclillessen, die Mediciualbeamten tragen zur Umlage nur bei,
soweit die geschäftlichen Unkosten der Aerztekammeru in Frage
kommen (also nicht zu den Kosten der Ehrengerichte), dagegen
bleibt es den Medlcinalbeamten überlassen, ob sie zu Unter-
stützuugszwecken für Standesmitglieder 1 »eisteuern wollen oder
nicht. Wenn sie jetzt auch Anspruch auf Pension hätten, so wolle
man ihnen doch das Recht wahren, von der Aerztekaminer Unter¬
stützung zu verlangen, für deren Gewährung nicht Bedürftigkeit
mnassgebend sei. Der Verein beschliesst im Sinne dos Antrags
des Vorstandes.
Schliesslich gelangt noch die Kurpfuscherei zur Erörterung.
Der Kreisarzt ist verpflichtet, sich über die Verbreitung der Kur¬
pfuscherei in seinem Bezirke zu unterrichten. Du er bei der Er¬
füllung dieser Aufgabe auf Schwierigkeiten stösst, hat man vor¬
geschlagen, die Kurpfuscher gleich den Aerzten zur Meldung beim
Kreisarzt zu verpflichten. Dagegen hat mau deu Ein wand er¬
hoben, das Publikum werde dadurch iu «len Glauben versetzt
werden, die Pfuscher würden, vom Staate beaufsichtigt und an¬
erkannt. In Minden sind, wie der Vorsitzende Dr. Rap m und
mitthellt, die Pfuscher durch Polizeiverordnuug zur Meldung beim
Kreisarzt verpflichtet; dass sie dadurch in ihrem Ansehen beim
Publikum gestiegen sind, davon hat man nichts gemerkt Recht
sonderbar seien mitunter die Ausweise, welche die Pfuscher über
ihre Vorbildung und Befähigung für den Heilberuf vorlegen.
Der Vorsitzende schliesst «lie Verhandlungen mit dem Aus¬
druck warmen Dankes für die Neuerungen, die das Kreisarzt¬
gesetz und die Dienstanweisung zur Folge gehabt. Geplant war
für den Nachmittag der Besuch der Erholungsstätten vom Rothen
Kreuz zu Pankow und Schönholz und der Besuch des zoologischen
Gartens behufs Besichtigung einer Enteisenungsauluge. Bei der
recht eifrigen Thütigkeit des Jupiter Pluvius zog es Referent vor,
unter Dach und Fach zu bleiben. P. II.
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1634
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 4L
Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohren-Aerzte
in Köln.
VII. Sitzung vom 21. April 1901.
I. Herr Reinhard -Duisburg spricht über die Vorzüge einer
neuen sogen. Klemmn&ht zum primären Verschluss der retro-
auriculären OefFnung an Stelle der bisher üblichen Knopfnaht
mittels Seide, Catgut oder Draht. Diese neue Methode ähnelt
dem bereits zur Mitte vorigen Jahrhunderts von Vidal an¬
gegebenen Verschluss von glatten Hautschnittwunden durch
kleine federnde Klemmen, die sogen. Serres fines. Cfr. V i d a l’s
Opera tionslehre.
Anstatt dieser V i d a l’schen Klemmen werden die von
Roser angegebenen Hnkenschieberpincetten benutzt, mittels
welcher, die Hautränder möglichst exakt aneinander gelegt und
befestigt werden in Zwischenräumen von ca. 1 cm.
Während des Verbandes bleiben die Klemmen liegen.
Zwischen je 2 Klemmen und längs der Wunde werden Gaze¬
streifen gelegt, so dass der Verband einen Druck von oben und
von der Seite ausüben kann. Ein Assistent muss während des
Verbandes die Klemmen parallel nebeneinander und senkrecht
vom Kopf halten.
Erst nach beendetem Verband werden die Klemmen entfernt
und die in dem Verband entstandenen Löcher durch aufgelegte
Watte oder Gaze verschlossen.
Nach 4—5 Tagen Wechsel des Verbandes. Bei prima
intentio glattes Aneinanderkleben der Wundränder, die jetzt mit
Gazestreifen und Collodium bedeckt werden.
Vermeiden von Infektion, Stichkanaleiterung etc. eher mög¬
lich. Durch früheres Fortlassen des grossen Verbandes
schnellere Entlassung aus dem Krankenhaus.
Zum Schluss Besprechung der Frage, welche Fälle von
Totalaufmeisselung einen primären Verschluss zulassen.
Ausgeschlossen sind: Tuberkulose und die Fälle, bei denen
sich die Caries nicht mit aller Sicherheit bei der ersten Opera¬
tion entfernen lässt, wie z. B. bei Sitz der Caries am Boden der
Pauke und an der hinteren unteren Paukenwand.
Sodann Vorstellung eines in obiger Weise operirten Pa¬
tienten, der mit glatter lineärer Narbe 10 Tage nach der Opera¬
tion aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Dlscussion: Herren Schmitz und H o p in a n n.
II. Herr Hopmann: a) Anomalien des Nasenrachen¬
raums, erläutert an zwei Fällen von Naseneiterung: mit sogen.
Reflexneurosen. (Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser
Wochenschrift.)
b) Kirschkemrhinolith.
Vor einigen Jahren theilte Ich den Fall von dreifachem Nasen¬
stein bei einem 42 Jährigen Manne mit, der sich ausserdem noch
dadurch auszeichnete, dass die Rhinollthen eine sehr reichliche
Bildung von Nasenpolypen zu Wege gebracht und diese wieder
reflektorische Störungen erzeugt hatten, unter denen Störung des
Sehens (Sehschwäche, Augenflimmern) und des Gleichgewichts
(Schwindel, taumelnder Gang) hervorragten. In allen 3 Nasen¬
steinen war das Centrum ein Kirschkern. Diese waren, wie nach¬
träglich mit vieler Mühe anamnestisch festgestellt wurde, wahr¬
scheinlich 30 Jahre früher bei Gelegenheit von heftigem Erbrechen
nach reichlichem Genuss von Kirschen, welche mit den Steinen
verspeist worden waren, von hinten her durch die Choanen in
die Nasenhöhle gerathen, bei welcher Gelegenheit sich rechts 2
und links 1 Kirschstein in den Nasengängen verkeilt hatten.
Auch der Fall, den ich Ihnen jetzt in aller Kürze referiren
will, betrifft einen Nasenstein, ln dessen Centrum ich einen Kirsch¬
kern als Ausgangspunkt der Versteinerung entdeckte. Auch dieser
Stein hatte eine Jahre lang bestehende stinkende Naseneiterung
zur Folge gehabt und namentlich auch eine Verstopfung der
Thrilnennasenwege.
Die Kranke, eine 53 jährige Köchin, litt seit vielen Jahren an
linkseitigem Thränentrüufeln, wesshalb sie ebenfalls Jahre lang
augenärztlich behandelt wurde. Es wurden B o w m a n n’sclie
Sonden Monate lang eingeführt, Spaltungen etc. vorgenommen,
ohne dass ein Erfolg erzielt wurde. Die Nase wurde niemals
untersucht. Nur der letzte Augenarzt, den Patientin konsultirte,
gab ihr den Rath, die Nase einmal untersuchen zu lassen. Es be¬
stand, so lange Patientin sich erinnern konnte, ein eitriger Aus¬
fluss mit Foetor und Borkenbildung. Nach Erweichung der Borken
wurde eine Sondenuntersuchung vorgenommeu. Die Sonde stiess
in der hinteren Hälfte des unteren Naseuganges auf einen harten
Körper, in dein ich einen Knochensequester vorinuthete. Bei der Ex¬
traktion, die grosse Mühe verursachte, kam ein nach Koth stinken¬
der Stein, bezw. ein rauhes, schwarzes Konkrement zum Vor¬
schein. Durchgesägt fand sich im Centrum, wie Sie sehen, ein
Kirschkern. Der Kalkmantel ist zum Theil beim Durchsägen ab¬
gesprungen.
c) Halbseitige Zungenphlegmone.
48 Jähriger Maschinenwärter, leidet seit 18. Tagen an Schling¬
beschwerden. Wie Sie hören (der Kranke wird vorgestellt) klingt
die Sprache wie l>ei Mandelabscess. Die Rachengebilde sind je¬
doch frei von jeder Entzündung, auch Kehlkopf bezw. Kehldeckel
normal. Die Zunge kann nur wenig vorgestreckt werden. Der
Zungeugrund zeigt rechts eine harte, rothe Anschwellung, welche
bei Druck sehr schmerzt. Auch vom Boden der Mundhöhle aus.
rechts neben dem Frenulum, kann man die Geschwulst abtasten.
Es handelt sich also um eine Hemiglossitis, die wohl schon zu
Eiterung geführt hat (Zungenabscess). Patient hat seit Jahres¬
frist schon zweimal Mandelentzündung gehabt. Eine solche soll
auch diesmal Anfangs bestanden haben; Patient trank viel heisses
Kandiszuckerwasser, das Schluckweh zu beseitigen, doch erzielte
er damit die Jetzt bestehende Entzündung des Zungengrundes.
Wahrscheinlich also hat er sich die Zunge verbrüht und den In¬
fektionskeimen eine günstige Ansiedelungsstelle am Zungengrunde
verschafft.
d) Idiopathischer Retropharyngeal - Abscess bei einem
Erwachsenen.
Die Mittheilung des folgendes Falles rechtfertigt sich durch
die besondere Schwere desselben und durch die relative Selten¬
heit von Retropharyngealabscessen bei Erwachsenen, speciell
solcher Abscessc, die nicht auf cariöser Basis, wie durch Spon¬
dylitis entstanden sind.
Ein 22 jähriger Bäckermeister und Wirth, der sich immer
guter Gesundheit erfreut hatte und so herkulisch gebaut war, dass
er die grössten Lasten heben konnte — er wog vor seiner Erkran¬
kung 95 kg — wurde plötzlich von Schluckweh und Fieber heim¬
gesucht, nachdem er erhitzt ein Glas kalten Bieres eilig getrunken.
Das Schluck weh trat zunächst rechts auf und wanderte nach
einigen Tagen auf die linke Seite herüber. Der hinzugezogene
Arzt stellte eine Angina fest und behandelte sie zweck¬
entsprechend. Der Schluckschmerz steigerte sich jedoch von Tag
zu Tag mehr, so dass am 10. Tage nach dem Beginn der Erkran¬
kung selbst Flüssigkeiten unter grossen Qualen nur In geringen
Mengen mehr heruntergewürgt werden konnten. Auch bildete sich
zunehmende Athemnoth und ein quälender Husten aus, so dass
der Kranke kaum noch die Treppe hinaufsteigen konnte. Nächt¬
liche Erstickungsanfälle versetzten endlich die bei dem Kranken
wachende Mutter in solche Aufregung und Angst, dass sie ihren
Sohn bewog, mit ihr nach Köln zu fahren, obschon die längere
Eisenbnhnfahrt dem Kranken äusserst beschwerlich fiel. Der
Kranke war äusserst eiend und matt, als er in der Sprechstunde
erschien. Er hielt die Zungenspitze etwas aus dem offenen Munde
vorgestreckt und athmete mühsam keuchend. Die Gewichtsauf¬
nahme ergab 79,7 kg, so dass der Kranke in den 18 Tagen der
Krankheit bereits über 15 kg eingebüsst hatte.
Die Zunge konnte weit herausgestreckt und ebenso bequem
niedergedrückt werden, so dass der Rachen gut zu überschauen
war.
An der hinteren Rachenwand fand sich nun eine gewaltige,
schwappende, tief nach unten reichende Geschwulst, deren grösste
Erhebung deutlich links von der Mittellinie sich befand. Sie
reichte nach oben hinter das Veluin bis in den Nasenrachenraum;
ihr unteres Ende war nicht zu ermitteln.
Es war klar, dass es sich um eine gewaltige Abscedirung der
hinteren Rachenwand handelte, wesshalb Ich sofort eine Incision
vornahm. In das vorgehaltene Becken ergoss sich nun in breitem
Strome ein rahmiger, nicht foetider Eiter, der nach einiger Zeit
blutige Beimengungen zeigte. Es dauerte wohl eine Viertelstunde,
ehe der spontane Elterabfluss aufhörte. Die abgeflossene Menge
betrug etwa % Liter. Da Patient mir unterdessen geklagt hatte,
er habe sich schliesslich nicht mehr bücken können, so vermuthete
ich einen cariösen Process der Wirbelsäule, doch kam ich weder
im Grunde des Abscesses mit der Sonde auf entblösste Knochen,
noch war die Wirbelsäule bei Druck an irgend einer Stelle
schmerzhaft oder verdickt. Ich forderte nun den Kranken auf,
sich zu bücken, was derselbe jetzt schmerzlos ausführte, jedoch
unter neuem, heftigem Eiterausbruch. Der Eiter stürzt förmlich
aus Mund und Nase hervor. Hierdurch war der Beweis geliefert,
dass der Absccss sich bis hinter das Mediastinum posticum, bis in
die Brustwirbelpartie gesenkt hatte. Aus diesem Grunde nahm
ich am folgenden Tage eine ausgiebige Spaltung des Abscesses
nach unten vor,. ohne dass es indessen möglich gewesen wäre,
die vordere Abscesswand bis an das untere Ende des Abscesses
aufzuschlitzen; dann sondlrte ich nochmals sorgfältig die Wirbel¬
säule und überzeugte mich wiederum von der Intaktheit derselben.
Den unteren Blindsack des Abscesses suchte ich zu tamponiren,
doch wurde die Jodoformmulleinlage stets nach mehrstündigem
Verweilen, welches Beschwerden verursacht, ausgestossen. so dass
ich schliesslich darauf verzichtete. Der Kranke wurde einige
Tage mittels Schlundsonde ernährt; konnte dann aber wieder
Flüssigkeiten verschlucken. Die Heilung der klaffenden Wunde
nahm 3—4 Wochen in Anspruch. Anfangs erfolgten noch heftige
Hustenanfälle und war zu beiden Selten im hinteren unteren
Lungenabschnitt grobblasiges Rasseln nachweisbar. Der Aus¬
wurf enthielt nichts Beraerkenswerthes, namentlich keine Tuberkel¬
bacillen.
Die Temperatur war während der ganzen Zeit nicht Uber
38,2 gestiegen.
Als Patient nach 9 Tagen mit noch klaffender Wunde das
Krankenhaus verlless, wurde eine weitere Gewichtsabnahme von
1 Kilo festgestellt. Er wog jetzt nur noch 78 Kilo gegen 95 Kilo
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1635
8. Oktober 1901.
vor 4 Wochen. Erst 8 Tage später konnte ein langsames Au¬
steigen und nach weiteren 2—3 Monaten wieder ein Gewicht von
88 Kilo nachgewiesen werden. Die Wunde war nunmehr gänz¬
lich vernarbt und Patient fast ganz wieder im Besitz der früheren
Kraft.
Dass es sich bei derartigen Abscessen um höchst lebens¬
gefährliche Zustände handelt, leuchtet ohne Weiteres ein.
Die Gefahr des plötzlichen Berstens der Eiterbeule und der
Uebersehwcinmung der Luftwege mit Eiter, vielleicht auch des
Durchbruchs in’s Mediastinum nach so erheblicher Senkung des
Abscessos, wie im mitgetheilten Falle, liegt nahe genug. In der
That sind denn auch unter den 18 Fällen von Retropliaryngeal-
abscess Erwachsener nicht spoudylitischer Herkunft, die man aus
den bisherigen 16 Jahrgängen des Int. Cent. f. Laryng. zu-
sanmienstellen kann, 6 Todesfälle verzeichnet. Bei 2 plötzlichen
Todesfällen fand man erst bei der Sektion als ihre eigentliche
Ursache einen übersehenen Retropharvngealabseess.
Für die Aetiologie der „idiopathischen“ Retropharyngeal-
abscesee ist, wie das jetzt ja auch für die. bei Kindern nicht so
selten vorkommenden Formen allgemein angenommen wird, Ent¬
zündung und Vereiterung bezw. Verkäsung der retropharyngealen
Drüsen an erster Stelle von Bedeutung. Most hat sich der
Mühe unterzogen die regionären Drüsen des Pharynx und des
Naseninnern mit ihren Lymphgefässen genau zu untersuchen.
Die sehr lehrreiche, durch Abbildung illustrirte Abhandlung be¬
weist die Abhängigkeit der Drüsen von der Nasenschleimhaut
und die reichliche Ausbildung der Drüsen selbst, besonders auch
unter den lateralen Partien der Schleimhaut. Ich selbst habe
daselbst, besonders bei Kindern mit adenoiden Formen, mehr¬
mals grössere Packete von infiltrirten Lymphdrüsen angetroffen
und einige Male letztere durch Incision und Aushebelung der
Drüsen entfernt.
Ob in unserem Falle die Entzündungserreger von den
Mandeln her in die Drüsen eingedrungen sind, lässt sich nur
desshalb vermuthen, weil die Krankheit mit einer „Angina“ be¬
gonnen haben soll. Ob auch hier, wie bei dem vorgestellten Falle
von Zungenphlegmone, der Missbrauch zu lieisser Getränke bezw.
Gurgelwiisser, welcher auf dem Lande sehr verbreitet ist, die Ent¬
zündung so hochgradig verschlimmert hat, vermochte ich nicht
mit Sicherheit feetzuateilen.
Discusslon: Herren Schmithuisen, Keller,
Lleveu, Schuster, Kronenberg, Reinhard.
Lieveu- Aachen: Ueber extragenitale Syphilisinfektion
an den Lippen.
(Der Vortrag ist ln No. 25 der Münch, med. Wocheuschr.
in extenso erschienen.)
Discusslon: Herren Schuster, Hopmau n.
Herr Kronenberg - Solingen: Ueber Behandlung von
Strumen mit parenchymatösen Injektionen.
Von der nichtoperativen Behandlung schliesst Vortragender
zunächst alle diejenigen Strumen aus, welche sich durch beson¬
dere Komplikationen, wie maligne Entartung, Cysten, ausge¬
dehnte Degenerationserscheinung, excessive Grösse, auszeichnen,
ebenso diejenigen, bei welchen wegen gefahrdrohender Erschei¬
nungen schnelle Hilfe geboten erscheint. Dagegen steht diese
Behandlung bei den rein parenchymatösen Kröpfen mittleren
Grades auch jetzt noch im Vordergrund, trotz der bedeutsamen
Entwicklung der chirurgischen Technik gerade auf diesem Ge¬
biete, welche die Strumektomie zu einem relativ ungefährlichen
Eingriff gemacht hat.
Die medikamentöse Behandlung, mit Jodpräparaten und
anderen Mitteln, lässt sehr oft im Stich, auch die Schilddrüsen¬
therapie hat an Boden verloren; bei ihr muss sorgfältig indivi-
dualisirt werden, und eine grosse Anzahl der gewöhnlichen paren¬
chymatösen Strumen entzieht sich ihrer Wirkung.
Den Einreibungen, der Elektrizität, Elektrolyse, Massage etc.
kommt eine nennenswerthe Bedeutung in der Behandlung der
Strümen nicht zu.
Um so grösser ist der Nutzen einer entsprechenden Lokal¬
behandlung mit parenchymatösen Injektionen, eine Therapie,
welche, konsequent ausgeführt, vorzügliche Resultate aufweist,
und mit Unrecht in den letzten Jahren etwas in den Hinter¬
grund getreten ist. Zu Injektionen hat man eine grosse Anzahl
von Mitteln gebraucht, welche aber theils unsicher wirkten, theils
nicht ungefährlich waren. Vortreffliche Erfolge erzielte man
mit der Injektion von Jodtinktur, allein man stand von ihrer
j Verwerthung ab, als eiue Anzahl von Todesfällen nach ihrer An¬
wendung bekannt wurden.
Das beste Mittel zur subkutanen Injektion ist das, zuerst
1890 von M o s e t i g zu diesem Zwecke empfohlene, später von
Kappes, Garro, Rosenberg und vielen Anderen ge¬
rühmte Jodoform. Garre hat bei mehreren tausend Einzel -
injektionen keinen einzigen üblen Zufall gesehen.
Vortragender benutzt zur Injektion eine Lösung von Jodo¬
form 1,0, 01. oliv., Aeth. sulf. aa 7,0, oder auch Jodoform 1,0,
Aeth. sulf. 14,0. Er hat in der Wirkung keinen Unterschied
zwischen beiden Lösungen gesehen. Die Injektionen geschahen
in der Weise, dass unter sorgfältiger Asepsis die nicht zu enge
Kanüle in das Parenchym der Struma eingeführt wurde. Dann
wurde die Spritze gefüllt, und sodann nachgesehen, ob aus der
Kanüle eine Blutung erfolgte. War das der Fall und damit die
Verletzung einer Vene wahrscheinlich, so wurde die Kanüle
etwas zurückgezogen und in etwas anderer Richtung wieder ein¬
geführt, niemals wurde die Haut ein zweites Mal angestochen.
Die Injektionen von 1,0 g geschahen 1—2 mal wöchentlich;
unter etwa 300 Einzeliujektionen wurde kein unangenehmer Zu¬
fall beobachtet; nur einmal entwickelte sich an einer Injektions¬
stelle nach einigen Wochen ein kleiner Abscess. Die Beschwerden
nach der Injektion waren gering; leichte Schmerzhaftigkeit, öfter
Ziehen im Ohr auf der injizirten Seite, häufig übler Geschmack
gleich nach der Injektion.
Die meisten Patienten standen im jugendlichen Alter. Die
grösste Zahl der gemachten Injektionen bei einem Individuum
betrug 21; im Durchschnitt etwa ein Dutzend. Der Erfolg war
befriedigend. Abgesehen von ein paar Fällen, welche nach den
ersten Injektionen fortblieben, war ein völliger Misserfolg nicht
zu verzeichnen. In 20 Proc. war die Verkleinerung der Ge¬
schwulst nur gering, in 11 von 21 Fällen konnte man den Erfolg
als vollständigen bezeichnen, da die Struma soweit zurückging,
dass man nur noch einen kleinen Rest palpiren konnte, der
keinerlei kosmetische oder physiologische Störungen verursachte.
Die Behandlung mit parenchymatösen Jodoforminjektionen
ist demnach als wirksam und gefahrlos in entsprechend ausge¬
wählten Fällen zu empfehlen.
Herr Brauner- Köln stellt einen Fall von flächenhafter
Verwachsung des Kehldeckels mit dem Zungengrunde vor und
hebt hervor, dass Verwachsungen ln dieser Ausdehnung sein-
selten sind. Der einzige analoge Fall, welchen er aus der Lite¬
ratur auführen kann, ist von Dr. Rlschawy in der Wiener
klin. Rundschau (1899, No. 28) veröffentlicht. Der Patient des
Letzteren hatte eine komplete Verwachsung, so dass der Zuugen-
rücken direkt auf die laryngeale Fläche der Epiglottis überging
und der Raum zwischen Kehldeckel und Zungengrund gänzlich
aufgehoben war. Während bei dem Patienten Bluchawy's
die Krankengeschichte luetische Processe als zweifellose Ursache
nachweist, kann Vortragender für seinen Fall den Beweis einer
syphilitischen Infektion nicht erbringen, glaubt aber auch eine
andere Ursache nicht annehmeu zu können. Ob sich jetzt auf
dem Boden der durch Irgendwelche geschwürlge Processe ent¬
standenen, vielleicht lange bestehenden Verwachsung ein Car-
cinom entwickelt habe (der Kehldeckelrand Ist leicht ulcerirt,
die Zunge in ihren hinteren Partien inflltrlrt, Drüsenschwellungeu
an beiden Seiten des Halses), müsse die weitere Verfolgung der
Krankheit lehren. Nach Ausschluss des Carcinoms könne rann
den jetzigen Process nur als einen gummösen auffassen.
52 Jähriger Fabrikarbeiter J. J. kommt am 20. März er. ln
die poliklinische Sprechstunde mit der Klage, seit Anfang De¬
zember vorigen Jahres an Schmerzen lm Halse und Schluckbe¬
schwerden zu leiden, so dass er nur Flüssigkeiten oder ganz weich¬
breiige Sachen schlucken könne. Patient will (abgesehen von
einer Fraktur des 1. Oberschenkels mit Luxation der Patella und
einer Varicocele) bis vor 1 y s Jahren, wo er im Rausch einen
Tripper acquirirte, immer gesund gewesen sein. Sein erste Frau,
welche er 1889 heirathete, machte eine Frühgeburt durch und
verlor ein Kind im ersten Lebensjahr; sie selbst starb im Irreu¬
hause. Die zweite Frau heirathete er vor 3 Jahren; dieselbe er¬
scheint frei von Lues. — Bei der Untersuchung des Patienten er¬
weisen sich die Organe, namentlich die Lunge, als gesund. Der
Auswurf, meist schleimig, ist frei von Tuberkelbacillen. — Nase
und Nasenrachenraum ist frei von cariösen Processen oder von
Defekten, welche auf Lues schliessen llessen. Der Kehlkopf Ist
ln seinem Innern intakt. Der Kehldeckel, dessen Rand etwas
ulcerirt Ist, Ist Jedoch mit etwa 7» seiner lingualen Fläche dem
Zungeugrunde adhaerent, nur die Seltenränder sind nämlich noch
frei. Die Digituluntersuchung bestätigt (las laryngoskopisclie Bild
und weist eine Infiltration der hinteren Znngeupartleu nach,
▲eusserllch Ist beiderseits, namentlich rechts, ein derber indolenter
Di-üsentumor zu fühlen. Derselbe scheint sich unter dem Ein¬
flüsse grosser Gaben JKa zu verkleinern.
Herr Kos es- Köln: I. Ein Fall von Carcinoma myxoma-
todes des Schläfenbeins.
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1636
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Das demonstrirte Präparat stammt von einem 63 Jährigen
Galizier, der bereits in Wien und Frankfurt „radikal“ operirt
wurde und vor ca. 1 Jahr wegen einer schmerzhaften An¬
schwellung über dem linken Ohr Hilfe Im Asyl suchte; nach in
Wien (Klinik Politzer: Dr. A11) eingezogenen Erkundigungen
hatte man die Operation wegen Verdachts auf bösartige Neu¬
bildung nicht vollendet.
Bei der Untersuchung zeigte sich eine hühnereigrosse Ge¬
schwulst Uber dem Ohr mit massiger Fluktuation; hinter dem
Ohr eine grosse retroaurlculäre Oeffuung, aus der zähen Schleim
nl »sondernde Granulationen wucherten, die gleichfalls im hinteren
Tlieile des äusseren Gehörganges festzustellen waren.
Ich beschränkte mich zunächst auf die Oeffnung der schmerz¬
haften Geschwulst, fand aber statt des vermutheten Eiters die¬
selbe mit einer huematom-artigen, blutig zäh-schleimigen Masse
gefüllt, die sich nach allen Seiten auf dem rauhen Knochen aus¬
breitet hatte; die mikroskopische Untersuchung ergab nur Schleim¬
gewebe und Blutkörperchen.
Auf Wunsch des Patienten, der unerträgliche Schmerzen litt,
versuchte ich einige Wochen später nochmals die Entfernung der
Geschwulst; cs wurde ein grosser T-förmiger Schnitt über und
hinter dem Ohr angelegt (entsprechend den alten Operations-
narbeu) und zeigte sich, dass die Geschwulst fast über die ganze
Schuppe her und nach vorn bis in die knöcherne Tube gewuchert
war; die Mittelohrrüume waren ganz von Tumormassen ungefüllt
und an zwei Stellen lag die Dura, die stark verfärbt, aber intakt
zu sein schien, in Markstückgrösse frei. Da unter diesen Um¬
ständen an ltadikalbeseitigung nicht zu denken war, beseitigte ich
von den Granulationsmasseu so viel zu erreichen war, und be¬
handelte die Wunde offen, worauf auch für eine geraume Zeit
ein Nachlass der Schmerzen eintrat, bis sich im späteren Verlaufe
mehrere Male Phlegmonen des Rachens (wohl von der Tube aus¬
gehend) einstellten und der Patient langsam zu Grunde ging.
Bei der Obduktion zeigte sich, dass sich die Granulatlons-
inassen fast über die ganze linke Schüdelhälfte ausgebreitet hatten;
der Knochen war au vielen Stellen eingeschmolzen, die Dura
war aber intakt und das Cerebrum frei. Als Ausgangspunkt der
Geschwulst dürfte wohl mit Bestimmtheit das Mittelohr aufzu¬
fassen sein.
Im mikroskopischen Präparat, das ich Herrn Dr. Levison-
KÖln verdanke, ist der papillomatöse Bau überall vorherrschend;
man findet Cylinderepithelhäufchen, theils zerfallen, umgeben von
Schleimgewebe, das von mehr oder weniger zerfallenen Binde-
gewebsstreifen durchzogen ist. In einem Schnitt von der knö¬
chernen Tube sieht man deutlich die ln die Knochensubstanz
hineingewucherten Papillen und Knöpfchen; es dürfte demnach
die Diagnose Carcinoma myxomatodes berechtigt erscheinen.
II. TJeber multiple L&iynxpapillome.
Der Patient, 11 Jahre alt, wurde bereits 1 Jahr bevor er ln
meine Behandlung kam. anderweitig eudolnryngenl operirt. Bei
der Untersuchung (Sept. 1900) zeigte sich fast die ganze ltima
von papillomatösen Wucherungen, die theils unter dem vorderen
Srimmhundwinkel. theils unter den Stimmbändern her, theils von
den ium ren Stimmbaudrändern ihren Ursprung hatten, ausgefüllt:
die Athmung war massig behindert, die Stimme fast aphonisch.
Da der Patient ausserordentlich geduldig war, gelang es, die
Tumormassen, die zusammen ungefähr die Grösse von 2 Kaffee¬
bohnen haben dürften, in 3 Sitzungen zu entfernen; später wurde
mit entsprechend gebogenen scharfen Löffeln der Mutterboden der
Tumoren ausgekratzt und mit gleichfalls gebogenen galvano¬
kaustischen Brennern kauterisirt.
Der Larynx ist bei der Demonstration (ca. 7 Monate nach
der Operation) frei, die Stimme klar; ausser einer massigen (nicht
papillomatösen) Verdickung des linken Stirnbandes und einer mini¬
malen Unebenheit des rechten (Aetzeflfekt ?) ist das Larynx-
bild normal. Bei der letzten Untersuchung (13. IX. 1901) war der
Larynx ebenfalls vollkommen recidlvfrei.
Der mikroskopische Befund ergab reines Papillom.
Es dürfte natürlich bei wenigen Patienten ein so radikales
endolaryngeales Vorgehen gelingen, jedenfalls war. trotzdem es
sich um Recidiv handelte, die nochmalige endolaryngenle Ope¬
ration berechtigt, da selbst mittels Thyreotomie wohl kaum eine
gründlichere Entfernung der Tumoren möglich gewesen wäre.
Im Allgemeinen lässt sich freilich nicht behaupten, dass bei
Kindern stets der eudolaryngeale Eingriff zum Ziele führe, zumal
die Fälle selten so günstig sind, wie der vorliegende; jedenfalls
sind wir Laryngologen berechtigt, uns stets, soweit überhaupt
möglich, bei Papillomen der Kinder der endolaryngealen Operation
zu bedienen, selbst auf die Gefahr eines Recidivs hin, denn die
Laryngotomie gibt auch keine Sicherheit gegen Recldive und birgt
ausserdem eine grössere Gefahr für die Stimme in sich, als sie der
endolaryngealen Methode anhaftet.
Physiologischer Verein in Kiel.
(Offlciellee Protokoll.)
Sitzung vom 22. Juli 1901.
Herr Heermann: Kritische und kasuistische Mit¬
theilungen zum M 6 n i d r e’schen Symptomenkomplex.
Vortragender referirt über 3 apoplectiforme Fälle eigener Be¬
obachtung. Der Vortrag wird veröffentlicht im Oktoberheft 1901
der Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der
Nasen-, Ohren-, Mund- und Halskrankheiten, herausgegeben von
Dr. Maximilian Bresgen in Wiesbaden.
Herr Gerulanos: Ueber Sehnenüberpflanzung zur Be¬
handlung von Mnskellähmnngen.
Die Behandlung von Lähmungen gewisser Muskeln einer Ex¬
tremität, mittels Sehnenübertragung oder -Ueberpflanzung beruht
auf dem Princip, den gelähmten Muskel durch einen anderen,
funktionsfähigen zu ersetzen. Nach einem kurzen historischen
Ueberbliek über die Entwicklung und die Erfolge dieser neuen,
erst seit 10 Jahren in Aufnahme gekommenen Behandlungsmethode
und kurzer Berücksichtigung der einfachen, auch früher gelegent¬
lich in ähnlicher Weise behandelten Fälle von vereinzelter Muskel-
lähmung nacli Durchtrennung einer Sehne, kommt G. zur Be¬
sprechung der komplizirtercn Fälle von Lähmung gewisser Mus¬
keln und Muskelgruppen, wie sie am häufigsten nach über¬
standener Poliomyelitis anterior acuta zurückzunleiben pflegen.
Die F unktionsübertragung durch Annähen der
Sehne des gelähmten an den Muskelbauch eines geeigneten
lebendigen Muskels ist in vielen dieser komplizirten Fälle nicht
ausführbar, da es sich hier zumeist um ausgedehntere Lähmungen
ganzer Muskclgruppeii mit stärkerer oder geringerer Parese
anderer Gruppen desselben Gliedabschnittes handelt, so dass
nicht immer ein mehr oder weniger funktionsfähiger Muskel
zur Verfügung steht und geopfert werden kann. In diesen Fällen
lässt sich sehr vorteilhaft die Sehne des zur Ueberpflanzung ge¬
wählten Muskels der Länge nach theilen und ein Theil derselben
übertragen. Hier wird das Princip der Funktionsthei-
lung (Drob nick) angewandt.
Diese Methode lässt sich noch besonders zu unseren Zwecken
dienstbar machen, da wir den meist sehr kräftigen Antagonist,
welcher durch seine gesteigerte Thätigkeit das Uebergewicht be¬
kommen und eine Deformität (Pes varus, Pes calcaneus u. 6. w.)
erzeugt hat, zur Theilung aussuchen können und somit denselben
in seiner Uebermacht abschwächen.
Statt der Vernähung des funktionsfähigen Muskels an die
Sehne des zu ersetzenden gelähmten ist schon früher in der Greifs-
walder Klinik (Prof. Helferich) die direkte Befestigung der
lebendigen Sehne auf den Knochen, nahe dem Ansätze der zu
ersetzenden Sehne vorgenommen. Wir wollen der Frage, ob die
gelähmte Sehne nicht atrophisch, zu dehnbar, nachgiebig und in
Folge davon zur Benützung geeignet ist oder nicht, weniger Ge¬
wicht beimessen, als gerade dem grossen Vortheile, welchen die
direkte Einpflanzung der Sehne auf den Knochen uns bietet, durch
eine beliebige Auswahl des neuen Ansatzpunktes die Funktion des
neuen Muskels, entsprechend der veränderten mechanischen Ver¬
hältnisse genauer bestimmen und modifiziren zu können.
Der Vortheil der Funktiousübertragung besteht aber nicht
allein in dem Ersatz des fehlenden Muskels. Es scheint mir viel¬
mehr als fast wichtiger die dauernde Beseiti¬
gung der abnormen Kontrakturstellung durch
eine lebendige Kraft (den überpflanzten Muskel). In
Folge dieser Stellung des Gliedabschnittes (etwa des Fusses) war
ausser dem gelähmten eine Anzahl anderer nur mehr oder weniger
geschwächter Muskeln in dauernder passiver Dehnung gehalten,
sie waren nicht im Stande den überwiegenden Antagonist zu
überwinden, sie geriethen dadurch ausser Thätigkeit und in eine
Inaktivitätsatrophie. Mit Beseitigung der Deformität
und Ermöglichung der bis dahin unausführbaren Bewegungen
durch den implantirten Muskel wird auch diesen abgeschwächten
und künstlich in Inaktivität gehaltenen Muskeln ermöglicht,
wieder in Thätigkeit zu treten und einen gewissen Grad von
Kräftigung, Funktionsausübung und Unterstützung des Neu-
implantirten wieder zu erlangen.
Nicht selten sehen wir Fälle (Anführung eines Beispiels aus
der Klinik), bei denen die einfache Tenotomie schon genügt,
in diesem Sinne Unerwartetes zu erzielen. Ein vollkommener
Funktionsausfall des tenotomirten Muskels ist nicht zu befürch¬
ten und die Abschwächung desselben und Beseitigung der De¬
formität genügt oft, um eine Thätigkeit der vielleicht nicht ge¬
lähmten, sondern nur abgeschwächten Antagonisten, eine Kräfti¬
gung derselben und Funktionsübernahme zu ermöglichen. Statt
der Tenotomie ist neuerdings die plastische Verlänge¬
rung der Sehne (V u 1 p i u s), auch eine V erkürzung der
entspannten und nun zu langen Muskeln (Franke u. A.) em¬
pfohlen; jedoch mehr in dem Princip, weniger in kleinen tech¬
nischen Beihilfen scheint mir das Hauptgewicht zu liegen. Da¬
gegen die bisher inaktiven, abgeschwächten Muskeln durch ener-
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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1637
irische, mechanische Behandlung, besonders Vornahme aktiver
Urbungen zu unterstützen, erscheint mir von grosser Bedeutung.
Nach Besprechung von Diagnose, Untersuchungsmethoden,
Operationsplan, Nachbehandlung und Erfolgen der Operation,
unter Berücksichtigung und Anführung von Fällen aus der chi¬
rurgischen Klinik in Kiel (Prof. Helferich), wird kurz die
Frage der Innervation berücksichtigt.
Es ist auffällig, dass Antagonisten (etwa Flexoren auf Ex¬
tensoren übergepflanzt) die neue Funktion übernehmen und die-
«•ll)o dem Willen vollkommen unterstellt ausführen. Es handelt
sich hier um die Erlernung der neuen Thätigkeit (D r o b n i k),
geradeso, wie die Neugeborenen die Benützung ihrer Muskeln
erst erlernen müssen. Da ausserdem bei jeder Bewegung alle
Maskein der betreffenden Extremität zu einer coordinirten
Thätigkeit treten, so erhalten alle Muskeln bei jeder Bewegung
einen Impuls (also auch die Flexoren, wenn Streckung beabsich¬
tigt ist). Die Erhaltung des Gleichgewichts, die Ausführung einer
coordinirten Bewegung unter Benützung der vorhandenen Muskel-
oentren und Muskelkräfte ist dann nur eine Uebungssache,
welche sehr bald erlernt werden kann. (Autoreferat.)
(Die Krankengeschichten der hier erwähnten Fälle kommen
in der später erscheinenden ausführlichen Publikation.)
Auswärtige Briefe.
New-Yorker Brief.
Zum St. Pauler Aerztecongreas und nach Wunderland.
IV.
Im Yellowstone-Nationalpark.
Das Unzulängliche, hier wird’s Ereigniss,
Das Unbeschreibliche, hier ist es gethan.
Der Ycllowstonepark ist mit Recht das Wunderland ge¬
heissen. Bevor die Eisenbahn auch dieses Gebiet der Kultur- j
forschiuig erschlossen hatte, klangen die Berichte der wenigen |
Reisenden, welche sich den ungeheuren Strapazen einer Ex¬
ploration des Ycllowstonepark unterzogen, wie Märchen, und
der Geist des hochseligen Freiherrn von Münchhausen drohte vor
dem Leser in bedenklicher Naturtreue aufzusteigen. Eine Be¬
schreibung dieses märchenhaften Parkes, denn märchenhaft ist
er auch heute noch, kann sich nur in dem Rahmen eines sehr
bescheidenen Essays bewegen. Denn vereinigten sich auch die
edle Plastik eines Phidias, die glühenden Farben eines Makart,
der eherne Griffel eines Shakespeare und die göttliche Inspiration
eines Beethoven zu einer ungeheuren Symphonie zum Preise der
Majestät dieses einzigen Naturwunders, sie könnten derselben
trotz ihrer unvergleichlichen Bemeisterung menschlicher Aus¬
drucksfähigkeit doch nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Was die unsterbliche Phantasie eines Richard Wagner ge¬
schaut, hier ist es zur Wirklichkeit geworden. Die Montsalfat,
Klingsoris Zaubergarten, Fafner’s Höhle Nibelheim, der Wal¬
kürenfels, der Feuerzauber mit der „wabernden Lohe“, sie liegen
alle vor dem entzückten Auge in leiblich-nüchterner Vollkommen¬
heit da.
Tausende von Geysern senden ihre kochenden Säulen zum
Himmel empor und lassen ihre Kollegen auf Island an Zahl wie
an Pracht weit hinter sich zurück. Die Terrassen, welche durch
die mineralischen Niederschläge der heissen Quellen nach Art
des Karlsbader Sprudels gebildet werden, übertreffen an Gross¬
artigkeit und Schönheit der Färbung alles Bekannte. Das Farben¬
spiel. welches das 10 Meilen lang sich hinziehende Grand Canyon
dnrbietet, wird allgemein als die merkwürdigste und eindruck-
vollste aller Landschaften der Erde angesehen. lieber veritable Glas¬
berge, ungeheure Wasserfälle, versteinerte Wälder und an un¬
heimlich knurrenden Vulkanen vorbei führt der Pfad die stau¬
nenden Touristen. Tausende von Merkwürdigkeiten gebieten ihm
Halt auf seiner Wanderung durch die herrlichen Thäler und
über die tiefblauen Seen, auf welche die mit ewigem Schnee be¬
deckten Riesen des Felsengebirges mit sublimer Ruhe hemieder-
schauen. Drei dör grössten Ströme Amerikas, der Missouri,
YelloWstone- und' Columbiafluss, nehmen hier ihren Ursprung,
die ersteren, um sich nach dem Atlantischen, und der letztere,
um sich nach dem Stillen Ocean zu wenden.
'In versttindnissvoller Würdigung der Bedeutung dieses
NationaljuWels Würde der Yellowstonepark durch einen be¬
sonderen Beschluss vom Senatus Populusque zum Nationaleigen¬
thum dekretirt und dem Ministerium des Innern direkt unter¬
stellt. Hierdurch wurden die so beliebten Aspirationen unästhe¬
tisch gesinnter Grundeigenthumsspekulanten sofort im Keime
erstickt, so dass der Park in seiner ganzen ursprünglichen Schön¬
heit dem Publikum zugänglich bleiben wird. Um die Integrität
des Parkes zu wahren, ist es sogar verboten, Holz abzuschneiden,
Mineralien aufzuheben u. dergl. Das Jagen von Thieren irgend
welcher Art ist ebenfalls untersagt. Wilde Thiere dürfen nur
dann getödtet werden, wenn nachweisbare Lebensgefahr vor¬
handen ist. Das Tragen von Feuerwaffen ist nur mit Einwilli¬
gung des Parksuperintendenten gestattet. Angelfischen ist. er¬
laubt, Netzfischen nicht.
Obgleich sämmtliche Thiere, darunter Bären und Panther,
sich frei im Park herumtummeln, wurde doch noch nie von einem
Angriff derselben auf Menschen berichtet. Die Theorie, dass
wilde Thiere im Allgemeinen nur dann den Menschen anfallen,
wenn sie gereizt werden oder vom Heisshunger getrieben sind,
findet hier ihre Bestätigung.
Ausser den genannten lieblichen Raubthierchen birgt der
Park auch Büffel. Elche, Wapitihirsche, Gemsen, Antiloj>en,
Wölfe, Waschbären, Füchse (rothe, graue und schwarze). Biber,
Otter, Marder, Zobel, Sumpfratten, Hermeline, Hasen, Ka¬
ninchen, Eichhörnchen — verschiedener Art, und, mit Respekt
zu sagen, auch Stinkthiere.
Von den geflügelten Bewohnern des Parkes wären zu nennen,
Adler, Geier, Habichte, Eulen, Schwäne, Pelikane, Kraniche,
Gänse, Enten in endloser Varietät, Krähen, Raben, Elstern,
Lerchen, Finken, Blaumeisen und Robine. Reptilien zählen zu
den Seltenheiten. Man trifft in einigen Abhängen des Parkes
Klapperschlangen, jedoch nur unter der Höhe von 6000 Fuss.
Von den Bewohnern des feuchten Elementes zeichnet sich die
Bach- und Seeforelle durch häufiges Vorkommen aus.
Die herrlichen Waldungen zeigen dio schönsten Cedern,
Tannen und Fichten. Ausserdem stösst man häufig auf Eschen,
Zwergahom und wilde Kirschbäume.
Dazwischen wuchern merkwürdige Gräser von über Manns¬
höhe, darunter das bekannte Sweet Grass, welches die Indianer
vielfach zu Korbflechtereien verwenden, ferner Salbeibüsche und
wilder Thymian. Ausserdem erfreuen zahlreiche Sorten wilder
Blumen das Auge des Wanderers. Sie zeichnen sich durch grosse
Resistenz gegen Frost aus, ja gerade dfe schönsten werden direkt
unter der Schneelinie getroffen.
Der Yellowstonepark hat einen Längsdurchmesser von 75
und einen Qüerdurchmesser von 65 englischen Meilen, und ent¬
spricht somit ungefähr dem Areal des Grossherzogthums Baden.
Er Regt im Staate Wyoming, seine Grenzen reichen jedoch östlich
einige Meilen weit nach Montana und westlich in den Staat
Idaho, des vorletzten vor dem Stillen Ocean. Er wird am 15. Juni
geöffnet und am 15. September geschlossen. In Rücksicht auf die
Kongresszeit hatte die Regierung eine Ausnahme gemacht und
uns schon am 9. Juni den Zutritt erlaubt.
Das niedrigst gelegeneThal des Yellowstoneparks befindet sich
auf der Höhe von 6000 Fuss. Die umgebenden Berge erheben
sich zu 10 000 bis 14 000 Fuss über dem Meeresspiegel. Die Vege¬
tation ist überreich und trifft man merkwürdiger Weise noch die
schönsten Tannenwälder bis zur Höhe von 10 000 Fuss.
Der Park steht unter dem Schutz eines Kapitäns der Ver¬
einigten Staaten-Cavallerie, welcher denTitel Parksuperintendent
führt. Derselbe residirt in der Kommandantur, einem malerisch
am Abhang des Berges hingegossenen Steingebäude, welches mit
allem modernen Luxus ausgestattet ist und von einem grossen
schönen Garten umgeben wird, den die merkwürdigste Einfriedi¬
gung einschliesst, die ich je gesehen. Dieselbe besteht nämlich aus
Hunderten von grossen Hirschgeweihen, so dass einem Vollblut¬
nimrod bei seinem Anblick das Wasser im Mund zusammenlaufen
kann. Die Garnison, welche aus 2 Eskadronen leichter Reiter be¬
steht, ist in Baracken untergebracht. Einzelne kleine Detache¬
ments sind rings im Park zerstreut und besorgen den Patrouillen¬
dienst. Das Gamisonslazareth, welches unter der Aegide eines
Stabsarztes steht, trägt, ein hervorragend chirurgisches Gepräge
und nährt sich sozusagen nur von Traumen, denn die rauhen
Reiter erfreuen sich in der herrlichen Luft einer so unverschäm¬
ten Gesundheit, dass die wenigen Bacterien, welche sich nach
dieser Höhe verirren, einen sehr ungünstigen Nährboden für die
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1638
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Ausübung: ihres schnöden Gewerbes finden. Herr Stabsarzt Fer¬
guson hatte die Liebenswürdigkeit, mit uns durch die Baracken
zu wandern und uns im Offizierskasino die interessante Waffen-
sammlung zu zeigen, an welche sich allerlei Erinnerungen merk¬
würdiger Verwundungen knüpften.
In unmittelbarer Nähe der Kommandantur befindet sich das
Mammoth Springs Hotel, ein grosses Holzgebäude, dessen behag¬
liche Einrichtung in angenehmem Gegensatz zu seinem unschönen
Aeusseren steht. Es ist wie die übrigen Herbergen im Yellow¬
stonepark nach modernen Principien eingerichtet. Alle diese
Hotels enthalten einen Maschinenraum zur Erzeugung von elek¬
trischem Licht, sind mit Badezimmer etc. versorgt und gehören
der Regierung.
Das Diner, zu welchem wir nach der steilen Bergfahrt einen
Wolfshunger mitbrachten, war vorzüglich, was um so mehr anzu¬
erkennen ist, als in unmittelbarer Nähe der Hotels nichts Ess¬
bares gepflanzt oder gezogen wird. Das gute Wild darf ja nicht
geschossen werden.
Am Nachmittag machten wir uns auf den Weg nach den be¬
rühmten Terrassen der Mammoth Hot Springs. Dieselben be¬
stehen, wie bereits angedeutet, aus den mineralischen Nieder¬
schlägen heisser Quellen. Das Gebiet dieser Quellen umfasst
170 Acker und zählt 50 Quellen und 13 einzelne Terrassen.
Zwischen denselben befindet sich eine Anzahl ausgebrannter
Krater und Höhlen. Die letzteren kann man wegen des Vor¬
handenseins von giftigen Gasen nicht betreten.
Im Vordergrund des imposanten Emporiums hebt sich die
sog. Minervaterrasse heraus, welche allein schon ein Areal von
nahezu % Ackern einnimmt und deren Gipfel eine kochende
Quelle von 20 Fuss Durchmesser entströmt. Die Temperatur am
Ufer dieses kochenden Teiches beträgt 154® Fahrenheit. Das
überlaufende Wasser fällt 40 Fuss tief herunter und bildet
während des Ablaufens viele merkwürdige, namentlich stalaktit¬
artige Gebilde, deren verschiedene Farbennuancen vom deli¬
katesten Lilienweiss am Gipfel bis zum tiefsatten Orangengelb
an der Basis variiren.
Unter günstigen Umständen setzt die Therme binnen eines
Zeitraumes von 4 Tagen eine Schicht von der Dicke zweier Milli¬
meter ab. Steckt man eiserne, gläserne oder überhaupt harte
Gegenstände in den Sprudel, so sind sie ähnlich wie in Karlsbad
gar bald mit einer weissen krystallenen Kruste überzogen.
Das Thermalwasser selbst ist durchsichtig blau und erinnerte
mich sehr an die blaue Grotte von Capri.
Die Jupiterterrasse ist die grösste der Gruppe und
zieht sich etwa 100 Fuss über der Minervaterrasse in einer Aus¬
dehnung von 2000 Fuss den Berg entlang. Ihr Hintergrund wird
in malerischer Weise von dunklen Fichtenwäldern gebildet.
Seitlich von der Jupiterterrasse befindet sich die „P ul p i t“,
vor welcher unser Künstler uns abkonterfeite. Ebenso interessant
in ihrer Art ist die Cleopatraterrasse. Die Devils Kitchen
(Teufelsküche) ist der einzige Krater, in welchen man ohne Risiko
für sein junges Leben hinabsteigen kann. Auf einer Leiter wagt
man sich in das feuchtwarme, leicht dampfende Loch, aus wel¬
chem so plötzlich als möglich wieder herauszukommen man alsbald
ein starkes Sehnen verspürt.
Zwischen den einzelnen Terrassen befinden sich kleine Geyser,
welche lustig brodeln und spuken.
Kurz bevor wir unsere zweistündige Wanderung durch diese
merkwürdige chemische Naturwerkstätte beendigt hatten, fing es
an zu schneien, allerdings nur auf wenige Minuten. Nach einer
vergnügten Rutschpartie, an den Abhängen der Minervaterrasse
vorbei, gelangten wir wieder in das Hotel zurück, um uns für die
Strapazen der bevorstehenden fünftägigen Wagenfahrt vorzu¬
bereiten.
Vor der weiten Rotunde des Hotels waren am nächsten Mor¬
gen 38 schwere Gobirgswagen mit Vierspännern angeschirrt (der
Stall des Hotels enthält 600 Pferde) und nun formirten sich die
einzelnen Gesellschaften zu scchsen und achten pro dosi. Ausser
meiner Gattin und mir waren nur 2 deutsche Familien in der
Karawane, die Chemiker Dr. Schwei t. z c r und Stiefel
nebst Gemahlinnen, und so war es natürlich, dass wir für die
Fahrt durch die Wildniss uns als eine Art Familie Buchholz kon-
stituirten. Um sieben kam unsere Karosse angefahren, geleitet
von einem tannenschlanken Jüngling, welcher seine 4 Braunen
mit Meisterschaft tummelte. Dieser Junge war ein Prachtkerl.
Aus seinem dünnen, kerngesunden Gesicht leuchtete ein intelli¬
gentes blaues Augenpaar und das Princip des Nil admirari war
ihm auf die braune Stirne geschrieben.
Es war ein kühler Morgen, als wir Uns langsam die
Schneckenlinie hinaufwanden, welche uns der Golden Gate zu¬
führt, die das 1001 Fass hoch gelegene Hochplateau des Gardiner¬
flusses erschliesst. Die Felsen steigen in schroffer Höhe rings um
den Engpass empor und ihre goldgelb schillernde Farbenpracht
hat den Namen „Goldenes Thor“ mit Recht inspirirt. Was mich
nicht wenig freute, war, dass der schönste im Weichbild der
Mammoth Springs gelegene Berg nach meinem unvergesslichen
Lehrer B u n s e n genannt war. Wir konnten es uns nicht ver¬
sagen, auszusteigen und den Manen des grossen Chemikers hoch
oben in der Wildniss ein donnerndes Hoch auszubringen. Der
Mount Bunsen ist 8775 Fuss hoch und ist übrigens leichter zu¬
gänglich, als es der weiland völlig unbeweibte Erfinder der
Spektralanalyse war.
An einem steilen Bachabhang gewahre ich den ersten inter¬
essanten Quadrupeden der Wildniss. Es war ein kleiner Wasch¬
bär, der, auf einem braunen Felsstück kauernd, uns mit dem
blöden Blick eines Cretins nachglotzte. Wir suchten ihn auf
allerlei gemeine Weise anzuulken, aber er liees sich durch nichts
auf seiner serenen Ruhe bringen. Wir gelangen nun der Hoch¬
ebene des Gardinerflusses entlang durch einen herrlichen Tannen¬
wald. Frau Stiefel beginnt mit ihrer glockenreinen Alt¬
stimme das Lied: „Wer hat dich du schöner Wald nufgebaut“
zu singen, was uns in derartige Begeisterung versetzte, dass wir
bald unsere rauhen Kehlen ebenfalls in Bewegung versetzten.
Unsere Vorläufer, es waren unsere Milwaukeer Kollegen und
deren Lebensversüsserinnen. schlossen sich uns auch bald an und
so stieg zuguterletzt ein antediluvianischor Cantus zum Himmels¬
gewölbe empor, bei dem sich der selige Mendelssohn im
Grabe herumgedreht hätte. Gegen 11 wurde mitten im Walde
Halt gemacht. Im Dickicht sprudelte eine kohlensaurc Quelle,
die man nach ihrem in allen Hotels der Welt unvermeidlich ge¬
wordenen Vorbild „Apollinaris“ getauft hatte. Wir nippten an
dieser kastallischen Quelle, ohne ein besonderes Verlangen nach
Excessen im Genuss derselben zu verspüren. Einige der Kollegen
aber schienen Specialisten im Wassertrinken zu sein und ver¬
schlangen ungeheure Mengen. Dazu pflegt sich ein ehrlicher
deutscher Magen, wenn er noch so amerikafreundlich gesinnt ist,
nun doch nicht herzugeben.
12 Meilen oberhalb der Mammoth Hot Springs berühren
wir den Obsidian Cliff, aus dessen Fuss man eine 1000 Fuss lange
Chaussee auf ingeniöse Weise herauskünstelte. Dieser ganze
Berg besteht aus rein vulkanischem Glas, dessen pentagona!'
Blöcke wie Tausende von Spiegeln in der Sonne glitzerten. Der
grössere Theil dieses Glasberges ist schwarz gefärbt, einige For¬
mationen sind roth und auch gelb. Die Herstellung einer Strasse
durch diesen hart an einen See (Bibersee) grenzenden Berg war
thatsächlicli ein Kunststück. Reguläre Sprengungsarbeiten
konnten hier gar nicht in Betracht kommen und so nahmen die
Ingenieure ihre Zuflucht zu einem merkwürdigen Mittel. Sie
legten grosse Feuer um die einzelnen Glasblöcke, die sie, sobald
sie sich durch die Hitze ausgedehnt hatten, mit Strömen kalten
Wassers übergossen, wodurch sie in kleinere Fragmente zer¬
sprangen. So fuhren wir denn über eine veritable Glasstrasse,
wohl die einzige ihrer Art in der Welt. Man erzählt uns, dass
die Indianer seiner Zeit den Obsidian Cliff als Arsenal für ihre
Pfeilspitzen benützt hätten. Hier war absolut neutraler Boden,
welcher selbst den mit einander im Kampfe liegenden Stämmen
als heilig und unverletzlich galt, ebenso wie das „Thonpfeifen¬
revier“ in Minnesota. Man findet noch überall Reste von india¬
nischen Pfeilspitzen um den Cliff zerstreut. Dass wir alle auf
1 derartige Reliquien nicht wenig erpicht waren, lässt sich wohl
vorstellen.
Die Strasse zieht sich in kühnem Bogen um den Beaver
I Lake herum, auf welchen wir 'eine grosse Biberwohnung be-
| merkten. Leider waren die Insassen nicht für uns zu Hause:
i wir bemerkten aber ihr Waldweben an den vielen ab- resp. zu-
! genagten Baumstämmen, scharf zugespitzt mit den Rattenzähnen,
welche die Wohnungssuchenden Biberfamilien für ihren Bedarf
j einheimsten.
Wir nähern uns nun dem Norrie Geyser Basin, dem
i höchst gelegenen Geyserrevier des Parkes. Ala Vorbote grösst
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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET. 1639
uns die Devils Frying Pan (des Teufels Bratpfanne), welche
lustig brodelt und dampft.
Am Norris Geyser Bassin trennen sich die Heerstrassen.
Links zweigt sich die Route nach dem Grand Canyon, rechts
die reguläre nach dem Fountain Hotel ab. Da die Capaeitiit des
Parkhötels der Zahl unserer Gesellschaft kaum zur Hälfte ge¬
wachsen war, so theilten wir uns in zwei grosse Abtheilungen,
deren jede den Circulus nach entgegengesetzter Richtung an¬
trat. Unserer Karawane wurde die reguläre Route zugotheilt,
und so fuhren wir dann neugestärkt und halbgetrocknet den
grossen Geysern zu.
Die Mixtur von Regen- und Schneewetter hellte sich zum
Glück wieder in Wohlgefallen auf, so dass wir den Missinuth
Mittags bald wieder vergessen hatten.
Zum Glück hatte ich mich, der besseren Einsicht der Haus¬
frau nachgebend, auch mit Sommer- und Winterüberzieher ver¬
sehen, so dass ich gegen das nasskalte Wetter einigermaassen
gewappnet war. Dennoch froren die Füsse so, dass zur Ver¬
vollständigung unserer Pedalbekleidung auch noch die Strümpfe
unserer Begleiterinnen herangezogen wurden. Aber das erwärmte
immer noch nicht genug, so dass wir mit Wonne des Tröpfleins
gedachten, das uns ein fürsorglicher Freund zu St. Paul in den
Tornister gepackt hatte. Wir konnten uns sonst nicht für Whisky
begeistern, aber in der schüttelfrostigen Atmosphäre unserer
ersten Tagfahrt im Yellowstonepark konnten wir auch seine
guten Eigenschaften schätzen. Freilich, ne quid nirnis! Auch
die Frauen, horribile dictu, nippten mit schamhaftem Lächeln.
Bald nachdem wir den isländischen Eulenspiegel in der
Dejeunercaverne verlassen hatten, drängte sich uns der Eindruck
auf, als beträten wir das Weichbild einer Fabrikstadt, denn es
fing nun an, sehr geräuschvoll zu werden. Dumpfes Rollen, ein
grollender Donner und brausendes Zischen, wie es beim Ent¬
weichen von Dampf vernehmbar ist, mischten sich mit einem
ganzen Orchester unsichtbarer Pfeif- und Blasinstrumente. Nun
stiegen Dampfwolken vor uns auf, so dass sich uns ein gewisses
Gefühl des Unbehagens aufdrängte. Dicht am Wege gewahrten
wir nun einen tiefen, schwarzen Kessel, einem grossen Schorn¬
stein vergleichbar, welcher lustig brodelte und eine immense
Dampfsäule zum Himmel emporsandte. Bisweilen spritzte eine
hohe Wassersäule zwischen Dampfwolken hindurch. Während¬
dem war in dem Kessel ein unheimliches, gurgelndes Geräusch
wahrzunehmen, welches manchmal auch ein brummendes Timbre
annahm. Einer der ersten Erforscher des Parkes gab diesem
grossen Kochtopf, vielleicht in wenig angenehmer Erinnerung
genossener Gardinenpredigten, den Namen Black Prowler (der
schwarze Brummer), und diese Bezeichnung ist offiziell auf die
Nachwelt übergegangen. Dem Thal des Gibbonflusses entlang,
passirten wir eine grosse Anzahl dieser Geyser, deren verschie¬
dene und chamäleonartig wechselnde Färbungen uns aus dem
Bewundern gar nicht herauskommen Hessen. Die schönsten der¬
selben sind neben dem Brummer der Congress, Constant,
Monarch, New Crater und Emerald Pool Geyser. Dieselben sind
von kleinen Teichen umgeben, durch welche das Wasser abfliesst,
welches bei einigen klar und durchsichtig ist., bei anderen wieder
milehweissc Tinten zeigt. Und Alles dies siedet und zischt be¬
ständig. Dabei nimmt man ab und zu einen penetranten
Schwefelgeruch wahr, welcher in mir wenig angenehme Reminis-
cenzen an den Vesuv weckte.
Der Monarch ist der grösste Geyser des Norris Basin. Er
besteht aus zwei Kratern, von welchen der grössere allein 20 Fuss
lang und 3 Fuss breit ist. Er ist von einer Corona prächtig
schillernder Felsen umgeben. In Intervallen von etwa 12 Stunden
erfolgen ruckweise Explosionen, während welcher ungeheure
kochende Wassermassen etwa 100 Fuss hoch in die Luft ge¬
schleudert werden.
Wir wenden uns nun nach Elk Park, einem reizvollen Thal,
welches von Tannenwäldern dicht besetzt ist, und gelangen drei
Meilen unterhalb des Norris Geyser Basin in den Gibbon Canyon.
Dieser romantische Engpass bildet den einzigen Ausweg aus
dem Norris Basin und führt den zahlreichen und kühnen Win¬
dungen des Gibbonflusses entlang, zwischen hohen und wild zer¬
klüfteten Felsmassen. Die steil abfallenden Wände erheben sich
theilweiso mehr als 2000 Fuss hoch über den Weg. Auch hier
begegnen wir einem berühmten Landsmann, dem Mount Schurz,
genannt nach Carl Schurz. Schurz verdient es auch, also
geehrt zu werden, und Deutschland und Amerika haben allen
Grund, stolz auf ihn zu sein. Er ist heute noch ein deutscher
Student im edlen Scheffel’schen Sinn und hat auf seine
amerikanische Umgebung einen unverkennbaren idealistischen
Zug übertragen. Wie er im idealen Feuer als junger Burseh
seinen Freund Kinkel aus dem Kerker befreit, wird seiner
Zeit mit ebensoviel schwärmerischer Romantik umgeben werden,
wie die Geschichte von Richard Löwenherz und seinem treuen
Blondei. Je mehr wir uns nach Süden wenden, desto zahlreicher
werden die heissen Quellen, welche von den hohen Flussufem
entspringen. Eine dieser Quellen, Beryll genannt, hat 15 Fuss
im Durchmesser, ist direkt am Fahrweg gelegen und macht sich
schon von Weitem durch das Zischen ihrer Dämpfe dem Auge
und Ohr bemerkbar.
Im Gibbonfluss befinden sich viele Forellen und was sonst
sehr leicht als Jägerlatein angesehen werden möchte, wird hier
zur realen Wirklichkeit, nämlich das.s man einen Fisch fangen
und, ohne seine eigene Stellung zu verändern, auch gleich kochen
kann. Man braucht, neben einer der heissen Quellen am Fluss
stehend, nur die Angel zu drehen und den zappelnden Fisch in
den natürlichen Kochtopf hinein zu praktiziren.
Eine reizende Erscheinung in diesem Engpass sind die sogen.
Gibbon Paint Pots (Gibbon Farbentöpfe), veritables Anstreich¬
material, welches fix und fertig aus dem Boden quillt. Diese
merkwürdigen Behälter bestehen aus vielfarbig schimmerndem
Thon und zeigen in Folge ihrer zerklüfteten Formen die aller-
merkwürdigsten Physiognomien; manche gleichen dem Gesicht
einer Katze oder eines Hundes, andere dem einer alten Frau
u. dergl. Einer dieser Riesenfarbentöpfe raucht gemüthlich am
Abhang des Flussufers, etwa 50 Fuss über dem Flussspiegel. Er
fällt durch seinen trichterförmigen Krater auf, dessen farben¬
prächtige, ebenfalls aus Thon bestehenden Wände ihn um
6 Fuss überragen. Aus diesem quillt in regelmässigen Zwischen¬
räumen eine Dampfwolke, welche sich nach 2 Sekunden ver¬
flüchtigt, so dass man einen kurzen Blick in den brodelnden
Brei dieser Hexenküche werfen kann. Derselbe nimmt, mirabile
dictu, bei jedem frischen Dampfspasmus die unverkennbaren
Formen einer schönen, aufgeblühten Rose an.
Spät am Nachmittag gelangen wir an die Gibbon Falls
(Gibbonfällc), die grossen Wasserfälle des Gibbonflusses. Da
ergiessen sich die mächtigen Wassermassen im wilden Bogen in
den Abgrund, aus dem das vergewaltigte Element noch einmal
hoch aufschäumt. An silberglänzenden Caskaden entlang geht
nun unsere Wanderung, bis wir das Thal des Firchole River
(Feuerlochfluss) erreichen. Dieser vereingt sich kurz darauf mit
dem Gibbon, jener mit dem Madison River, welcher einen der
llauptflüsse des Missouri darstellt. Hier hat ein kleines Piket
der Vereingten Staaten-Cavallerie ihr malerisches ßommer-
bivouak bezogen. Kurz bevor wir am Ende unserer 40 Meilen
langen ersten Tagereise anlangten, harrte unser eine kleine
Ucberraschung. Als wir uns dem östlichen Arm des Fire Holo
River näherten, rief plötzlich unser Schwerenöther von Kutscher,
als ob er „Augen links“ hätte kommandiren wollen, dass wir
unsere unteren Extremitäten auf den Wagensitz heraufziehen
sollten, was wir automatisch und nicht ohne Anstrengung thaten.
Gleich darauf setzten unsere Rosinantcn mitten in den Fluss,
die Peitsche knallte lustig d’rauf los, die Räder platschten
durch das Wasser, welches ungenirt in den Boden unseres hoch¬
gebauten Wagens eindrang, und ehe wir herzhaft fluchen konnten,
da waren wir wieder um eine neue Erfahrung reicher. Hohn¬
lächelnd schaute sich der Rosselcnker um und frug, wie uns die
Wasserfahrt gefallen hätte, während wir uns mit verdutzten
Gesichtern anglotzten und nicht wussten, ob wir ihm für seine
naive Keckheit etwas an seinen dreieckigen Kopf werfen oder
ihm unsere Bewunderung für seinen gelungenen Handstreich
ausdrücken sollten. Eine Meile weiter erreichten wir unsere
erste Ruhestation, das Fountain Hotel.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
Freie Arztwahl bei der Ortskrankenkasse IH in München.
Die Ortskrankeukasse III für das kaufmännische Personal
In München, bei der seit Februar 1898 die freie Arztwahl ein¬
geführt ist, hatte am Ende des abgelaufenen Jahres 5640 männ¬
liche und 0408 weibliche, im Ganzen 12 144 Mitglieder, somit 729
mehr als im gleleheu Zeitpunkte des Vorjahres. In dem Ver-
waltungsbericliie für das Jahr 1900 ist ausdrücklich anerkannt,
dass die freie Arztwahl wie im Vorjahre gut Cuuktiouirte und die
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1640 MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 41
Zahl der hieran sich betheiligenden Aerzte gestiegen Ist. Für
ärztliche Behandlung der Kassenraitglieder wurden
38130 M. 45 Pf. — 10,44 Proc. der Gesammtuusgaben verausgabt;
gegenüber den 3 Vorjahren macht sich hier eine relative Minde¬
rung geltend (10,5G: 17.11:17,99:16,44 Proc.). Die Kosten für
Arzneien und Heilmittel, die ln den letzten Jahren
dauernd sinken, haben in Folge der Durchführung der „ökono¬
mischen ärztlichen Verordnungsweise“ wieder etwas abgeuommen;
in den beiden Jahren vor Einführung der freien Arztwahl be¬
trugen sie 10,15 und 18,41 Proc. der Gesammtausgaben, nach der¬
selben gingen sie auf 17.03 Proc.. 14.29 Proc. und zuletzt 14,11 Proc.
zurück. Dagegen haben sich die Krankengelder von
54 400 M. 78 Pf. auf 75 707 M. 12 Pf. erhöht und sind im Verhält-
niss zu den Gesammtausgaben von 27.50 auf 32.(57 Proc. gestiegen,
also auf fast ein Drittel. Diese Zunahme ist nicht dadurch bedingt,
dass bei der freigestellten Wahl des Arztes die Kassenmitglieder
leichter eine Bestätigung über Erwerbsunfähigkeit erlangten,
sondern finden ihre Erklärung in Verhältnissen, die mit der freien
Arztwahl nichts zu tliun halten. Einen kleinen Theil der Mehr¬
ausgaben bedingte die Zunahme der durchschnittlichen Mitglieder¬
zahl um 700, die Ilauptursache aber liegt in der am 1. Oktober 1899
cingefülirten Erhöhung der Krankengelder, die im folgenden
Vierteljahre noch einen Mehraufwand von ca. 2000, im Jahre 1900
aber allein einen Mehraufwand von 11 452 M. 22 Pf zur Folge
hatte. Dies fällt bei Vergleichung der beiden Jahre ganz be¬
deutend in’s Gewicht. Ausserdem aber machte sich im Jahre 1900
eine auch sonst statistisch nachgewiesene Zunahme der Morbidität
uud Mortalität bei der Münchener Ortskrankenkasse III in einer
Steigerung der Erkraukungsfälle von 2900 auf 3395, der Krank¬
heitstage von 00 075 auf 73 991 und ln einer Zunahme der Sterbe¬
gelder um fast das Doppelte, ca. 3000 M., geltend; namentlich
traten die Erkrankungen an Iuiluenza und Bronchialkatarrh fast
doppelt so häufig auf als im Vorjahre. Da es auch anderweitig
von Interesse ist, sind nachstehend die am meisten Erwerbs¬
unfähigkeit bedingenden Erkrankungen des Jahres 1900 und 1899
zusammengestellt:
1900 1899
Influenza. 452 214
Bronchialkatarrh. 339 194
Blutarmuth. 259 178
Erkrankungen der Geschlechtsorgane . . . 223 209
Nervenkrankheiten. 185 132
Rheumatismus. 153 192
Tuberkulosis. 143 179
Verletzungen. 143 88
Andere Krankheiten der Athmungsorgane . 104 65
Magenkatarrh. 103 136
Darmkatarrh . 84 63
Lungenschwindsucht. 79 38
Bei dieser Sachlage kann mau die Erhöhung der Kranken¬
gelder nicht der freien Arztwahl zu Last legen, ebenso wenig wie
die Erhöhung der Wöchnerinnengelder.
Der Itcservcfond konnte trotz der bedeutenden ander¬
weitigen Ausgaben wieder vermehrt werden und hält sich seit
2 Jahren über der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe.
Diese kurzen Notizen mögen das noch immer hie uud da ge»
äusscrte Bedenken zerstreuen, dass die freie Arztwahl zum Ruin
einer Krankenkasse führe. Dr. Karl Becker.
Aua den Parlamenten.
Die bayerische Kammer de r A b g e o r ilueten
wurde am 28. September eröffnet. Die ersten Sitzungstage waren
durch allgemein politische Debatten ausgefiiili. Hoffentlich
kommt der in der vorigen Session unerledigt gebliebene Ent¬
wurf eines Gesetzes, die ä r z 11 i e he St a n des- u u d
Ehrcngericlitsord n uug betreffe n d, bald zur Be-
rathung. Den im Vorjahre von sämmtliehen bayerischen Aerzte-
kainmern gestellten Antrag, die kgl. Staatsregierung möge ihren
Einfluss daliiu geltend machen, dass beim nächsten Zusammen¬
tritt der Kammer der Abgeordneten die bayerische Aerzteordnuug
so bald als möglich zur Beratlmng gestellt werde, hat das Staats¬
ministerium des Innern dahin verbcschiedeu, „diesen Wunsch nach
Thunllchkeit in Bedacht zu halten“. Bei dieser sehr vorsichtig ge¬
haltenen Zusage erschien cs ganz am Platze, dass die Vorsitzenden
der 8 bayerischen Aerztekammeru au die Kammer der Abge¬
ordneten gleichfalls die Bitte richteten, in die Beratliuug der ärzt¬
lichen Standes- und Ehrengerichtsorduung baldmöglichst einzu¬
treten und durch eine unverkürzte Annahme derselben den be¬
rechtigten Wunsch der bayerischen Aerzte endlich zu erfüllen. Zur
Vorberathung ist der Entwurf einem besonderen Ausschüsse über¬
wiesen worden: der Abg. Landmann, der das Referat über¬
nommen hatte, hat dasselbe bereits au den Ausschuss abgcliefert.
In dem Etat des Staatsministeriums des Innern ist die Er¬
richtung von 5 neuen Bezirksämtern, nämlich in Oberbayern
Starnberg und Wolfratsliausen, in der Pfalz Dürkheim uud
St. Ingbert und in Unterfranken Genninden ln Aussicht genommen.
Da jedoch die Neubildung der Aemter Starnberg und Wolfnits-
liauscn die Auflassung des Bezirksamtes München II zur Folge
hat, werden effektiv nur 4 neue Bezirksämter und damit gleichviel
Bezirks:)rztsteilen errichtet.
Einschliesslich dieser 4 neuen Stellen beträgt die Zahl der
Landgerichtsärzte uud Bezirksärzte 194. Von den 4 noch vor¬
handenen Bezirks«rztstelleu II. Klasse unterliegen 2 — Marktbreit
durch Pensionirung erledigt. Dürkheim wird Bezirksamt — dem
Einzüge, dafür sollen 2 neue Bezirksärzte I. Klasse ernannt wer¬
den. Her eine soll dem Kreisniedicinulrcferenteu bei der kgl. Re¬
gierung von Oberbayern, welcher seine Geschäftsaufgabe allein
nicht mehr bewältigen kann, als Hilfsarbeiter und Stellvertreter
beigegeben weiden. Dann ist in Folge des starken Anwachsens
der Münchener Bevölkerung die Aufstellung eines dritten Bezirks¬
amtes für den Stadtbezirk München dringend nothwendig.
Bei den ganz ausserordentlichen Anforderungen des Medicinal-
dienstes in einer so rasch emporwaehsenden Stadt wie München
bleibt abzuwarten, ob dann den Bedürfnissen genügt ist; jeden¬
falls werden auch 3 Bezirksärzte mit Arbeit überhäuft sein, um
so mehr als sic* sich durch Nebenarbeiten, wenn auch grössten-
theils amtliche, ein zum Lebensunterhalte nothwendiges Ein¬
kommen verschaffen müssen. Es ist nicht billig, dass ein Bezirks¬
arzt in München trotz bedeutend grösserem Gesehäftsumfange
nicht mehr Gehalt bezieht als im kleinsten Bezirksamte; mit der
vollen Beschäftigung sollte die volle Besoldung verbunden werden.
Ausserdem möchte hier die Anregung gegeben werden, dem ge-
sehäfislcitomlen Bezirksarzte der Stadt München Titel, Rang und
Gehalt eines Medieinalrathes zu verleihen, ähnlich wie der einer
Distriktspolizeibehörde gleielistehendeu Polizeidirektion München
nicht ein Rczirksamtniann, sondern ein Polizeidirektor voreteht.
Durch eine derartig*» Organisation würde ein aus 3 BezirksHrzten
und 3 Physikatsassistenteu zusammengesetztes „kgl. Gesundheits¬
amt der Stadt München“ nicht nur in seiner Bedeutung und seinem
Ansehen nach aussen gehoben werden, sondern es würde dann
auch die einheitliche Durchführung des amtsärztlichen Dienstes
gewahrt bleiben.
1 )ie Gehalte der Landgerichtsärzte bewegen sich,
wie aus einem besonderen Ausweise zu ersehen ist, je nach der
Dienstaltcrsklassc zwischen 2340 und 3780 M., die der Bezirks¬
ärzte I. Klasse zwischen 1980 und 3420 M. uud die der Kreis-
ni e d i c I n a 1 r ä t h e zwischen 4920 und 0300 M.; der derzeitige
Gehalt des Co«tralimpfarztes beträgt 2880 M., der des
O b <» r m e d i c i n a 1 r a t h e s 7380 M. Die Regieaversen
der Bezirksärate sollen von 49 M. auf 70 M. erhöht werden und
ausserdem soll eine Reserve zur Anschaffung von ärztlichen In¬
strumenten beroltgestollt werden.
Bei dem Etat für Gesundheit sind ausserdem an persönlichen
und sächlichen Ausgaben vorgesehen: für den Obermedicinal-
a u s s c h u s s 4080 M., für die Medicinalcomit G's an den
Universitäten 0214 M. und für die Kreisraedicinalaus-
s c li ii s s e 7200 M.
Für den Pen sions verein für Witt wen und
W a 1 s e n bayerischer Aerzte und den Verein zur Unter¬
stützung Invalider hilfsbedürftiger Aerzte in
Bayern ist, wie früher, ein ordentlicher jährlicher Beitrag von
3430 M. vorgesehen, für den erstgenannten Verein weiterhin noch
ein ausserordentlicher Beitrag von jährlich 5000 M. Bei dieser
anerkennenswerthen Staatshilfe ist zu hoffen, dass die in der
letzten Zeit etwas zahlreicher gewordenen Beitrittserklärungen
noch mehr zunchmen.
Für niedicinisclie R e i s e s 11 p e n d i e n ist ein Jahres-
betrag von 9000 M., für Veröffentlichung von Arbeiten auf dem
Gebiete des Medicinaldienstes ein solcher von 3000 M. vorgesehen.
Für Woliltliätlgkeitszwecke, Beiträge an Armen- und Kranken¬
anstalten, Taubstummen-, Bünden- und sonstige Institute, sowie
für Leistungen auf Grund des öffentlichen Armen- und Kranken¬
pflegegesetzes sind, wie es einem Kulturstnate entspricht, grosse
Summen im Etat eingesetzt.
In München ist ein Neubau der k. Centralimpfanstalt und
die Errichtung einer Universltüts-Irrenkünik in Aussicht ge¬
nommen. Die Ceutralinipfanstalt befindet sich seit dem
Jahre 1889 auf dem Areal des v. Hauner'selien Kinderspitales;
eine weitere Belassuug auf diesem Platze ist aus verschiedenen
Gründen untliunllch. Es erschien ln sanitärer Hinsicht höchst
bedenklich, in der unmittelbaren Nähe der Baracken für scharlacli-
und diplitlieriekranke Kinder mit einem Lelchenhausc die Ge¬
winnung und Versendung der Lymphe vorzunehmen, sowie das
die Ceutralinipfanstalt besuchende Publikum verkehren zu lassen,
und ('s erwies sich daher eine provisorische Verlegung der Anstalt
bereits als nothwendig. Ausserdem ist es nicht möglich, die An¬
stalt mit Ihren dermnligen Räumlichkeiten den Anforderungen
der durch Bundesrathsbescliluss vom 28. Juni 1899 vereinbarten
Vorschriften über die Anlage und den Betrieb der Anstalten zur
Gewinnung von Thierlympiio entsprechend einzurichten und aus¬
zugestalten. Die Anstalt soll auch in Zukunft dem doppelten
Zwecke der Lympheerzeugung für das ganze Königreich und der
Vornahme der Schutzpockenimpfung für die Stadt München
dienen, ferner auch für die Medicinstudirenden behufs Ausbildung
Im Impfwesen leicht erreichbar sein und desshalb eine günstige
Lage zum Centrum und zu den Hnuptverkehrswegen der Stadt
haben. Der Gesammtaufwand für den Neubau wird rund
404 400 M. betragen.
Die Errichtung der neuen oberlmyerischen Kreisirrenanstalt
in Kalling und die Auflassung der bisherigen in München machen
die Errichtung einer TJniversltilts-Irrenklinik noth¬
wendig. Die Herstellung des Baues saniint der Inneren und
wissenschaftlichen Einrichtung der Klinik wird auf ca. ly, MUL
Mark zu stellen kommen. Für die kommende Finanzperiode soll
vorerst der Betrag von 1200 000 M. postulirt werden. Die Stadt¬
gemeinde bozw. die Krankenhausstiftung München überlässt von
iluvm Areale au der Ecke der Nussbuum- uud Göthestrasse eine
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8 . Oktober 1901.
MÜNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1641
Fläche von ungefähr 10 000 Qun<lratineteni, wovon ungefähr
4000 Quadratmeter überbaut werden sollen, zu Erbbaurecht; der
Freie des Grundstückes würde beim Ankauf kaum unter 1 Million
Mark betragen. Dagegen übernimmt die k. Ludwigs-Maximilians-
Universität die Erbauung, Einrichtung uud Unterhaltung, sowie
den vollen Betrieb einer Anstalt zur vorübergehenden Unter¬
bringung von Geisteskranken, welche zugleich als Stadtasyl und
als psychiatrische Klinik zu dienen bestimmt ist. Die Feststellung
der definitiven Pläne ist von der Zustimmung des Stadtmagistrats
abhängig. Die Zahl der Betten wird auf 100 festgesetzt. In der
Regel sollen nur Kranke Aufnahme linden, welche in der Stadt
München wohnhaft oder im Aufenthalte sind; nur wenn uud so
"‘eit die festgesetzte Betteuzahl zeitweise nicht mit solchen
Kranken belegt ist, können andere Geisteskranke vorübergehend
nnfgenommen werden. Sind bei einem vorübergehend unterge¬
brachten Geisteskranken die in der ministeriellen Eutschliessung
vom 1. Januar 1895 vorgeschriebenen Verhandlungen so weit ab¬
geschlossen, dass die Unterbringung der betr. Person in eine
Irrenanstalt erfolgen kann, so muss dieselbe im Falle der Trans¬
portfähigkeit der Kranken ohne Verzug bethätigt werden. Für
klinische Dauerfälle dürfen höchstens 10 Betten — je 5 für Männer
und Frauen — in Anspruch genommen werden, so dass die übrigen
90 Betten für provisorisch unterzubringende Geisteskranke stets
verfügbar sein müssen. Eine Vorstellung von Kranken zu Zwecken
des klinischen Unterrichts darf gegen den Willen der Kranken
oder ihrer Angehörigen nicht vorgeuommou werden. Die Tarif¬
sätze für die Kommunsäle sollen den für die städtischen Kranken¬
häuser geltenden Tarifsätzen gleichgestellt werden. Die Anstalts¬
leitung hat in jeder möglichen Weise dafür Sorge zu tragen, dass
der Nachbarschaft aus dem Betriebe der Anstalt keine Belästig¬
ungen erwachsen.
München, 4. Oktober 1901.
Dr. Becker- München.
Therapeutisfche Notizen.
/ Zur symptomatischen Behandlung des Hu¬
stens empfiehlt S a e n g eju Mag debur g—ängeTegeütllelf ' das
Menthol. (TherainTTOTItshefte 7, 1901). Die Anwendung
'• geschieht am einfachsten, wenn man einige in einem Löffel befind¬
liche Krystalle 5—20 Sekunden laug Uber einer Kerzenflamme
erwärmt und dann die Mentholdämpfe Inhalirt. Belm Nachlassen
der Verdampfung kann man von Neuem erwärmen. Löst man
das Mittel ln Alkohol (40—50 proc. Lösung), so braucht mau nur
einige Tropfen der Lösung zwischen der Handfläche zu verreiben
und die Hände wie eine Maske vor den Mund zu halten. Mit
einer der gewöhnlichen Chloroformmasken lässt sich der Zweck
ebenso gut erreichen.
Der Hustenreiz schwindet auf die Mentholeinathmuugen
ziemlich prompt, vorausgesetzt, dass nicht die Schleimhaut vou
Sekret allzusehr bedeckt ist Etwa vorhandenes Sekret muss ent¬
fernt werden, und das geschieht am besten in der Weise dass
man das Menthol in Olivenöl gelöst in den Kehlkopf einspritzt
Dadurch werden einerseits sehr starke Hustenstösse augelöst die
den Schleim entfernen, anderereits wird die Schleimhaut durch
das verdampfende Menthol in ausgezeichneter Welse anaesthesirt
Bei chronischer Bronchitis, auch bei Phthisikern, kann man durch
täglich 2—4 malige- Einspritzung von 1—2 g einer 10—20 proc.
l/osnng die Kranken fast vollkommen hustenfrei machen. Diese
Injektionen können ohne Hilfe des Kehlkopfspiegels auch von den
Angehörigen der Kranken vorgenommen werden. Kr
Ueberden Einfluss der Nubmaschinenarbeit
auf den weiblichen Organismus hat F a 1 k - Berlin
s«-hr gründliche Untersuchungen angestellt. (Therap. Monatshefte
Mal. Juni 1901). Im Allgemeinen zeigt er, dass die Gefahren der
NuImmschinenarbclt von vielen Seiten überschätzt werden. Aller¬
dings kann dieselbe bei gesunden Frauen manchmal Kongestion
xu den Genitalien verursachen und Im Anschluss daran katar¬
rhalische und entzündliche Proeesse. hei Schwangeren Fehlgeburt
herUeiführen. In höherem Grade macht sieh ein schädigender
Einfluss bei unterleibskranken Frauen bemerkbar; bei diesen muss
die Nnhmaseliineuarbolt als direkt schädlich angesehen werden,
l nd noch viel schädlicher wirkt eine anhaltende Beschäftigung
fm Stehen, wie z. B. hei Plätterinnen.
I»le Schädigung der Nähmaschlnenarbeit als solcher lässt sich
fast vollständig vermelden, wenn die Maschinen durch Dampf oder
Elektricitüt getrieben werden. Kr
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ü n c h e n, 8. Oktober 1901.
— IMe Feier von Rudolf Virclio w’s SO. Geburtstag,
die am 12. ds. stattfinden wird, verspricht sich zu einer Imposanten
internationalen Kundgebung zu Ehren dieses Heroeu der Wissen¬
schaft xu gestalten. Nicht nur die Vertreter der deutschen
Forschung werden in grosser Zahl zur Beglückwünschung in Berlin
erscheinen, sondern auch das Ausland seudet seine besten Männer
SO England Lord L i s t e r, Italien B a e e e 11 1. Frankreich
<’ o r n i 1 uud Lannelongue etc., zu dem Feste des deutschen
Gelehrten. Mit Stolz blickt Deutschland an diesem Tage auf
Vircho w, von dem man sagen kann, dass er in erster Liuie
«len wissenschaftlichen Aufschwung Deutschlands um die Mitte
de» vorigen Jahrhunderts eingeleitet und die glänzende Stellung,
die es in der Wissenschaft einnimmt, erkämpft hat. Es ist ein
seltenes Glück, dass wir den Mann, dessen Name mit der grössten
Epoche der Geschichte der Medieiu untrennbar verbunden ist,
heute noch schaffend uud arbeitend unter uns finden uud der
Wunsch Aller au seinem Ehrentage ist, dass die unverwüstliche
Frische des Körpers und Geistes, die ihn bisher auszeiclmete, ihm
noch viele Jahre beschieden sein möge.
— Der Geschäftsausseliuss des deutschen Aerzte-
vereinsbundes hat in seiner am 21. v. Mts. in Hamburg ab-
lialteuen Sitzung die Wahl des ueueu Geschäftsführers vorge-
uomnien. Bel der grossen Bedeutung, die nach der neuen Organi¬
sation diesem Posten zukonmit, hat uian dieser Wahl mit grosser
Spannung entgegengesehen. Sie fiel auf 11 e i n z e , das lang¬
jährige Mitglied des Geschüftsaussehusses und früheren Leiter
des Vereinsblattes. Da intime Vertrautheit mit allen Fragen des
ärztlichen Standes die erste Anforderung ist, die au den Geschäfts¬
führer des Aerztevereiusbundes zu stellen ist, und H e i n z e dieser
Anforderung auf’s Beste entspricht, da er ausserdem seine Ge-
scliäftsgewandtlieit im Dienste des Bundes seit Jahren zur Geuüge
bewiesen hat, so konnte, wie uns scheint, unter den gegebenen
Verhältnissen eine bessere Wahl nicht getroffen werden. Nach
dem Beschlüsse des letzten Aerztetugs hat der Geschäftsführer
bekanntlich nach Berlin überzusiedeln. — Als Delegirter des
Geschüftsaussehusses zum wirthschaftlichen Verband wurde
W i li d e 1 s gewählt.
— Nach einer Entscheidung des preussisclieu Ehreugericlits-
liofes für Aerzte ist eiue Beschwerde gegen das ärztliche Ehren¬
gericht wegen Abweisung von Anzeigen gegen Aerzte unzulässig:
„In dem Gesetze, betr. die ärztlichen Ehrengerichte, sind Rechts¬
mittel gegen Verfügungen der Ehrengerichte, welche die Zurück-
weisung vou Denunziationen gegen Aerzte zum Gegenstände
haben, nicht vorgesehen. Der Beschwerde war daher ohne
materielle Prüfung der Sachlage wegen Unzulässigkeit des Rechts¬
mittels der Erfolg zu versagen.“
— ln Gelsenkirchen ist eine umfangreiche Typliusepi-
demie zum Ausbruch gekommen. Als Ursache derselben ist
eine Verseuchung des Leituugswassers durch Typliusbucilleu fest-
gestellt, hervorgenifeu dureh eineu ln Königs-Steele vorgekom-
menen Rohrbruch, der vor einem typhusverseuehten Hause erfolgt
war. Bis Eude September sind 98 i Erkrankungen umtuch fest¬
gestellt; die Epidemie scheint jedoch ihren Höhepunkt über¬
schritten zu haben. /, t. M.-B.
--- Pest. Italien, ln der Nacht vom 23. bis 24. September
wurden in Neapel unter den Hafenarbeitern 12 pestverdächtigo
Krankheitsfälle angezeigt, von denen bisher 5 tödtlieh endeten.
Die Erkrankungen, welche sich bei der basieriologischen Unter¬
suchung als Pest erwiesen haben, sind ausschliesslich unter der
Arbeiterbevölkerung von Punto Franco vorgekommeu; eiue Ueber-
tragung auf Bewohner der eigentlichen Stadt war bis zum 28. Sep¬
tember nicht beobachtet. — Frankreich. Einer Mittheilung vom
25. September zu Folge sind ln Marseille 2 Manu vou der Be¬
satzung des Dampfers „Senegal" unter pestverdächtigeu Erschei¬
nungen gestorben. — Aegypten. Vom 13. bis 19. September kamen
im Ganzen 8 Erkrankungen (und U Todesfälle) zur Anzeige, davon
3(1) in Alexandrien, je 2 (2) in Port Said und Mit Gamr, 1 (1) in
Beniia. — Britisch Ostindien. In der am 3U. August abgelaufeneu
Woche siud iu der Präsidentschaft Bombay 5420 Neuerkrankungen
uud 3757 Todesfälle an Pest restgestellt worden, d. b. 1132 bezw.
120 mehr als in der Vorwoche, in der Stadt Bombay siud iu der
am 31. August eudenden Woche 189 Persouen au der Pest erkrankt
und 228 üaran gestorben; die Zahl der pestverdächtigeu Todes¬
fälle betrug 179, der Gesummtsterbefälle 007. — Hongkong. Ob¬
wohl die Koloniulregieruug laut amtlicher Bekanntmachung vom
22 . August die Pestepidemie als erloschen betrachtet, sind für
die Zeit vom 3. bis lü. August 10 Erkrankungen tund 12 Todesfälle)
gemeldet worden, vom 10 . bis J7. August 4 (5) und seitdem ins
zum 23. August 2 *2). Alle diese Fülle betrafen Chinesen. Einer
chincsisclierseits vorgebrachten Bitte, zu gestatten, dass die
Leichen der an der Fest verstorbenen Chinesen auf Wunsch der
Angehörigen oder Bekannten nach chinesischer Art eingesargt und
aus Hougkoug fortgebracht werden dürfen, hat die Kolonial-
regierung stattgegebeu. — Mauritius. In der Zeit vom 12. Juli
bis 1. August wurden auf der Iusel 2 Erkrankungen und 2 Todes¬
fälle an der Pest beobachtet; iu der ersten Augustwoehe wurde
kein Pestfall mehr festgestellt. — Kaplaud. Während der Woche
vom 25. bis 31. August wurden iu Port Elizabeth 4 Personen
(1 Eingeborener uud 3 Mischlinge) dem Pesthospital überwiesen,
wodurch die Zahl der Gesammtfälle dort auf 57 gestiegen ist;
ferner sind 3 Pesttodesfälle iu Port Elizabeth beobachtet. Auf
der Kaplialblnsel ist nach dem amtlichen Ausweise weder eine
Neuerkrankung noch ein Todesfall vorgekommen, 10 Pestkranke
verblieben hier noch in ärztlicher Behandlung, ferner 2 Pestver¬
dächtige unter Beobachtung und 89 Personen iu den coutact
camps. — Queensland. Während der am 3. und 10. August ab¬
gelaufeneu Wochen sind nach den amtlichen Ausweisen Neu-
erkrnnkungen oder Todesfälle au der Pest iu der Kolonie nicht vor-
gekomiuen. ln der am 17. August eudenden Woehe soll iu Bris-
baue aber eiu neuer Pestfall mit tödtlicliem Ausgang beobachtet
worden sein. — Neti-Kaledouien. Vom 12. August bis 15. Sep¬
tember siud iu Numen 29 Erkrankungen und 7 Todesfälle au der
Pest, darunter 9 bezw. 1 bei Europäern, festgestellt. Von den
29 Krankheitsfällen entfielen 20 auf die Zeit vom 12. bis 22. August,
V. d. K. G.-A.
— ln der 38. Jahreswoche, vom 15.—21. September 1901,
hatten von deutschen Städten Uber 40 000 Einwohner die grösste
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MUENOHENElt MEDICIN1SC11E WOCHENSCHRIFT.
No. 41.
Sterblichkeit Elbhip mit GO,4, die geringste Solingen mit C,0 Todes*
füllen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
<iestorlM*nen starb an Scharlach in Bochum, Hagen, Halle, an
Diphtherie und Croup in Broiui»erg, an Unterleibstyphus ln Pforz¬
heim.
— Gelegentlich der N a t u r f o rsclier ve rsam in hing in Hamburg
hat sich eine Gesellschaft für Geschichte der
M e d I c i n und Naturwissenschaften gebildet, zu
deren Vorsitzenden der verdiente Paracelsusforscher Dr. Sud¬
hoff in Hochdahl gewühlt wurde.
(Berichtigung.) In der Arbeit von K e 11 i n g in No. GO
ist Folgendes zu berichtigen: Seite lfiOö, rechte Spalte, Zeile 18
von unten muss es heissen: „denn das Verfahren beseitigt die
Blutüberfüllung der Eingeweide“. Seite 1538, linke Spalte. Zeile 22
von oben: „welche so beschaffen siud, dass sie für sich und auch
mit dem Magensaft gemischt etc.“
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Der appr. Arzt Eduard Miller in Ncuu-
kirelien a. Br. (Bezirksamt Forchheim).
In den Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse
Dr. Georg Adam Engelhardt in Würzburg, wegen Krankheit
und hiedurch bedingter Dienstesunfähigkeit, auf die Dauer eines
Jahres.
Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse für den Verwaltungs¬
bezirk der Stadt Würzburg. Bewerber um dieselbe haben ihre vor-
schriftsmiissig belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten k. Re¬
gierung, Kammer des Innern, bis zum 20. Oktober 1. Js. einzu-
reicheu.
Beurlaubt: der Oberarzt Dr. Fuhrmann des 7. Inf.-Keg.
unter Stellung & la suite des Snnitütscorps auf ein Jahr.
Befördert: der Unterarzt Dr. Joseph Müller im 7. Inf.-Keg.
zum Assistenzarzt.
Abschied bewilligt: dem Gcncralobernrzt Dr. Kratzer,
Divisionsarzt der 4. Division, unter Verleihung des Ritterkreuzes
1. Klasse des Mllitürverdleustordens, mit der gesetzlichen Pension
und mit der Erlaubniss zum Forttragen der Uniform mit den für
Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München
in der 39. Jahreswoche vom 22 biB 28. September 1901.
Betheiligte Aerzte 205. — Brechdurchfall 27 (18*), Diphtherie,
Croup 12 (16), EryBipelas 12 (14), Intermittens, Neuralgin intern.
1 (1), Kindbettfieber — (2), Meningitis cerebrospin. — (—),
Morbilli 37 (12), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 2 (9), Parotitis
epidom. 2 (1), Pneumonia crouposa 10 (7), Pyaenaie, Septikaemie
— (—), Rheumatismus art. ac. 14 (10), Ruhr (dysenteria) — (—\
Scarlatina 16 (8), Tussis convulsiva 16 (6), TyP^ M abdominalis
1 (2), Varicellen 12 (1), Variola, Varioloia — (—), Influenza 1 (—),
Summa 162 (107). Kgl. Bezirksaret Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
wahrend der 39. Jahreswoche vom 22 biß 28. September 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 4 (—■*), Scharlach — (—\ Diphtherie
und Croup — (4), Rothlauf 1 (1). Kindbettfieber — (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) — (1), Brechdurchfall 6 (G), Unterleibtyphns
1 (1), Keuchhusten 1 (2), Cronpöse Lungenentzündung 2 (4,
Tuberkulose a) der Lungen 17 (18), b) der übrigen Organe 11
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 1 (2), Unglücksfälle 1 (2), Selbstmord — (2), Tod durch
fremde Iland — (1).
Die Gesammtzahl der Sterbcfälle 216 (197), VerhäUnisezahl auf
das Jahr und 1000 Eiuwohner iuj Allgemeinen 22,5 (20,5), für die
über dem 1. Lebensjahre stellende Bevölkerung 10,7 (12,2).
•) Die olugcklammortcD Zahlen bedeuten die Fülle der Vorwoche.
Morbiditätsstatistik der Infectionskrankheiten in Bayern: Juli 1 ) und August 1901.
Summe
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Berölkerungszlffern*): Oberbayern l'S23,447, Nlederbayem 678,684,
PW* 8*1,6«, Oberpfal* 663,867, Oberfranken 607,903, Mittelfrauken 816,65«, Unter¬
franken «AO,768, Schwaben 713,516. — Augsburg 89,109, Bamberg 41,820, Hof 32,782,
Kaiserslautern 48,806, Ludwigshafen 61,906, München 499,959, Nürnberg 261,022,
Pirmasens 30.194, Regensburg 46,426, Wünburg 76,497.
Einsendungen fehlen aus den Aemtern Bogeu, Kelheim. Neunburg v./W.,
Kehau, TouschnUz, Ansbach, Günzenhausen, Neustadt a./A., Nürnberg, Hofhelm,
Königshofen, Mellrichstadl, Miltenberg, Augsburg, Kaufbeuren und Oberdorf
Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet
aua folgenden Aemtern bezw. Orten:
Brechdurchfall: Stadt- und Lundbezirke Freising 72, Landsberg 4G,
Arnberg 48, Aemter Neustadt a./H. 128, Zweibrücken 67. München II 64, PfalTen-
bofen 44 buh. Fülle; zahlreiche Erkrankungen im iirztL Bezirke Pleysteiu (Voheu-
strauss), meist ohne ärztliche Behandlung.
Diphtherie, Croup: StHdt- und Landbozirk Bayreuth 16, Aemter Zwei¬
brücken 21, Feaehtwaugen 14. Tölz und Wunsiedel je 13 beli. Fülle.
Influenza: A.-G. Nenöttlng (Altotting) 1 , luo mehr oder minder verein¬
zelte weitere Fälle vertheilt auf 3 grossere Städte und 3» Aemter
Morbilli: Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern Wnlfslein (im iirztl.
Bezirke Waldkirchen). Frankenthal (56 lieh. Fälle), Germershelm (noch in Kliein-
zabero, ferner ln Bellheim), Landau I. Pf. (erloschen in Lindau, neu in Nunsdorf),
Neustadt a./H. (in Neustadt, Haaidt, Gimmeldingen, Hassloch, nur 38 beli. Fälle),
Herabruek (In der Stadt selbst 60 beb Kalle). Rothenburg a ,T (in SebtBliigs-
ftirst, Frankenheirn und Bellcrshauseu neben Tussis) und Memmingen *in l.”gau
imd Helmerlingen). Epidemisches Auftreten ferner in den Aemtern Straubing
itm ärttl. Bezirk Oberscbnclding neben Tussis) und Wegscheid (in Gemeinde Gotts-
dorf 61 amtlich konstatirte Fälle; gehäufte Erkrankungen im ür/.tl. Bezirk Sirass-
beaseubneh (AschalTenburg).
Bosrlatlna: Epidemisch in Neustadt n./II., 40 beh. Fülle.
Tuasit convulsiva: Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern Alt¬
otting (in Reitenhaalach), Miesbach (79 beb. Fälle), Muhldorf (im Erloschen im
ärztl. Bezirk Kraiburg), Pfaffenhofen (in Pfaffenhofen und Umgebung, 73 beh.
Fälle), Passnu (noch in einzelnen Familien und Orten des ärztl. Bezirks Fürsten-
zell), Vieehtaeh (in Mosbach, weitere Verbreitung gegen S.-W.), Sludtsteinaeli tim
Erloschen), Kot heuburg a /T. (iu 3 Gemeindcu neben Masern) und Zusmarshau— n
(neuerliches Auftreten im ärztl. Bezirke Alienmünsterj. Epidemisches AufiM.-n
ferner in den Aemtern Straubing (in Oberschueiding neben Masern), Lundau i Pf
iln Bornhelm), Kempten (in Dietmunusried uud Schratlcubach) und iu dei Stadt
Memmingen.
Typhus abdominalis: Fortsetzung der Epidemie in Schlmding (Wun-
sledel), Im Juli 6, August 14 beh. Fälle; Epidemie in Maudach (Ludwigshafe»),
6 Fülle tu 3 benachbarten Häusern mit gemeinsamem verunreinigten Brunnen)
und Dictmanusricd tKempten), 8 beh. Fälle; je 6 Fälle in Neustadt a.. H. und ito
Amte Marktheidenf.dd, hievon 4 in Neubrunn.
Milzbrand: 1 Fall iu Dahn (Pirmasens), einen 68jährigen Schäfer betr.,
welcher sieh beim Abziehen einer kranken Kuh verletzt hatte.
Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird nm
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Bericht«
mouat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Kehl an zeigen
ersucht, wobei aumerkuugsweise Mittheilungen über Epidemien erwünscht sind
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswerth, dass Kille
aus der sog Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Grenz
amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern an¬
gezeigt werden.
Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen zu portofreier Einsen
düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Besirksärzt«
zu erhallen. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. 8 am m e 1 k a r t e n als zu
Einzel n einsendungen der Amts- und praktischen Aerzte, welche In letz¬
terem Falle die im betreffenden Monato behandelten Fälle zusammengestelll *ui
je 1 Karle pro Monat nebst allenfnllsigen Bemerkungen über Epidemien etc. zur
Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht von Einsendung sog. Zähl
blättcheu oder Bammelbogen abzusehen. Allenfalls in Händen befiud
liehe sog. Postkarten wollen aufgebraucht, Jedoch durch Angabe der Zahl
der behandelten Influenzafälle ergänzt und unter Umschlag eingesandt werdeu.
•) Nach dem vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung vom l. Dezember 1900. — *) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. S7, 1901,
clngcianfencr Nachträge. — *) Im Monat Juli 1901 einachliesalich der Nachträge 1227. — *) 27. mit 31 Losw. 32. mit 36. Jahreswoche.
Verlag von J. F. Lahm aan ln Münohen. — Druck von K. MÜhlthaler’k Buch- und Kunstdraokarel A.G., München.
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Dlo Münch. Med. Wochenschr. erscheint wüchentl.
ln Nummern von durchschnittlich 6—8 Bogen.
Preis in Deutschi. u. Oest,-Ungarn Tlerteljlhrl. 6 JC,
ins Ausland 7.60 JL Kinselne No. 80 4-
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Zusendungen sind so adrcaetren: Tür die Bedactloa
Ottostrasse 1. — Nr Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Bellagell
an Rudolf Mosse, Promenadeplats 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Heraasgegeben von
CI. Biiiltr, 0. Boilliftr, H. Cirsckiin, C. Berlirtt, 6. Mutti. J. i. Mlckti, H. v. Bukt, F. v. Wliektl, H. i. Zitissn,
Freiburg 1. B München Letpsdg. Berlin. Nürnberg Berlin. München München.
No. 42. 15. Oktober 1901.
Redaction: Dr. B. Spats, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem pharmakologischen Institut in Greifswald.
Warum wirkt die Gelatine haemostatisch ?
Von Dr. Z i b e 11, früherem Assistenten am pharmakologischen
Institut in Greifswald.
Die Anwendung der Gelatine als Haemostaticum ist nicht
neueren Datums; schon in der Literatur aus dem Anfänge und
der Mitte des vorigen Jahrhunderts finden sich Mittheilungen,
die sie bei Blutungen aller Art empfehlen. So berichtet
Hecker [1] in seiner praktischen Arzneimittellehre aus dem
Jahre 1838. dass eine Auflösung von Hausenblase gute Dienste
leiste bei Nasenbluten und Mutterblutflüssen, und in dem Werke
von Osiander [2] über Volksarzneimittel wird empfohlen, auf
blutende Wunden Tischlerleim warm aufzustreichen und Lein¬
wand oder Papier darüber zu kleben.
Camot [3] hat im Jahre 1896 in einer Mittheilung an die
biologische Gesellschaft wieder auf dieses in ärztlichen Kreisen
lange vergessen gewesene Mittel hingewiesen und seinen Gebrauch
angerathen. Nachdem Carnot’s Beobachtungen über die Ge¬
rinnung erregende Eigenschaft auch von D a s t r e und Flo¬
re s c o [4] bestätigt waren, unterzogen die französischen Kliniker
•las neue Haemostaticum einer eingehenden Prüfung, namentlich
bei der Behandlung von Aneurysmen, wo die bisherige Therapie
ziemlich im Stich gelassen hatte. Es waren hauptsächlich Lan¬
ce r e a u x und P a u 1 e s c o [5], die zuerst das neue Verfahren
praktisch erprobten und recht befriedigende Resultate erzielten.
Die Technik, deren sie sich bedienten, war folgende: Eine
sterilisirte Lösung von Gelatine blanche, 4,0 g in 200 ccm physio¬
logischer Kochsalzlösung, wurde aus einer dem Sprayapparato
ähnlichen, mit Doppelgebläso und Kanüle versehenen Flasche
langsam unter die Ilaut des Bauches oder der Schenkel mit Be¬
obachtung strengster Asepsis bis zu höchstens 100 ccm einge-
spritzt. Danach unterblieb jede Untersuchung des Aneurysma;
der Kranke hatte absolute Ruhe zu beobachten, damit kein sich
bildendes Coagulum abgelöst wurde. Dio Resorption der in-
jizirten .Flüssigkeit ging schnell von Stetten und hatte bei ge¬
lungener Asepsis keine örtliche Reaktion zur Folge. Nach 6 bis
8 Tagen wurde die Injektion mit einer etwas schwächeren Lösung
wiederholt, bis der beabsichtigte Erfolg eingetreten war.
Bei Patienten, die auf diese Weise behandelt wurden, konnten
Lancere au x und Paulesco beobachten, wie schon nach
wenigen Einspritzungen die weichen, pulsirenden Tumoren sich
verkleinerten, eine härtere Konsistenz annahmen, und das All¬
gemeinbefinden der Kranken sich besserte. Diese Besserung
hielt bei einzelnen Individuen bis zu einem Jahre an. Trateu
Rocidive ein, so wurden diese durch einige weitere Injektionen
beseitigt. In einem Falle, wo es Lancereaux [6] möglich
war, die Sektion zu machen, zeigte sich der Aneurysmasack voll¬
ständig mit alten, sehr festen Gerinnseln angefüllt, die gegen
das Eindringen des Blutes völlig abschlosson.
Weitere klinische Mittheilungen machten Huchard [7]
und B o i n e t [8]. Ersterer brachte trotz eines selbst beobachte¬
ten Falles schwere Bedenken vor gegen eine allgemeine An¬
wendung dieser Methode wegen der mit ihr verbundenen grossen
Schmerzhaftigkeit und besonders wegen der Gefahr einer Em¬
bolie. Denselben Standpunkt nimmt Boi net ein, der in einem
No. 42.
Falle akut sich entwickelnde Lungenphthise in Folge Stenosirung
der Arteria pulmonalis durch Fibringerinnsel entstehen sah.
Auch die deutschen, österreichischen und russischen Aerzte,
die bisher die neue Methode am Krankenbette angewandt haben,
wie Senator [9], Leyden [10], lvlemperer [11], ferner
S o r g o [12] in Wien und G o 1 u b i n i n [13] in Moskau, äusse-r-
ten sich sehr skeptisch und schrieben die günstigen Resultate
mehr der mit der Golatinekur verbundenen absoluten Bettruhe
und Diaeta parca als der Gelatine selbst zu. Immerhin müssen
Erfolge, wie sio Lancereaux, Fränkel[ 14], Rumpf
in Hamburg und Kaie n d e r u [15] in Bukarest erzielt haben,
dringend zu weiteren Versuchen auf fonlern.
Besser als bei der Behandlung der Aneurysmen sind die
bisher mit der Gelatine bei äusseren und inneren Blutungen er¬
zielten Resultate. Bei Lungen-, Magen- und Darmblutungen, wo
alle anderen Haeinostatiea im Stich Hessen, hat sie sich gut be¬
währt. Ferner hat sieh das Mittel wirksam erwiesen bei unstill¬
barem Nasenbluten haemophiler Personen, bei Ilaemoptoe, bei
Nieren-, Haemorrhoidal- und Uterusblutungen. Auch über einen
durch Gelatine geheilten Fall von Blutergelenk bei einem Knaben
ist von Kra use [161 berichtet worden. Zwei italienische Aerzte,
P e n s u t i [17] und S e n n i [18] haben die Gelatine auf Grund
ihrer Erfahrungen bei Blutdissolutionszuständen und haemör-
rhagisehen Infektionen empfohlen. Als Anregungsmittel zur
Steigerung der Gerinnbarkeit des Blutes ist die Gelatine gleich¬
falls benutzt worden; so konnte J aboulay [19] nach Injektion
von Gelatine in die Umgebung eines Mammacarcinoms dieses
ohne nennenswerthen Blutverlust exstirpiren. Auch bei innerer
Darreichung vermag das Mittel seine günstige Wirkung zu ent¬
falten, wie die Berichte Po 1 j a k o w’s [20] und Bauor-
m e i s t e r’s [21], die Gelatine bei Haematemesis in Folge von
Ulcus ventriculi gaben, beweisen. • •
Es versteht sich wohl von selbst, dass der Allgemeinzustand
des Organismus und die. Eigenschaften des Blutes, das bei dem
einen Patienten mehr, hei dem anderen weniger auf die Gelatine
reagirt, beim Zustandekommen der Wirkung eine nicht zu unter¬
schätzende Rollo spielen; es konnte desshalb auch nicht an ein¬
zelnen Misserfolgen fehlen. Trotzdem ist die Gelatine in unserem
Arzneischatz fast schon unentbehrlich geworden; man kann so¬
gar behaupten, dass sich ihr Wirkungskreis bei weiteren Ver¬
suchen und bei Verbesserung ihrer Anwendungsweise noch Ver-
grössem wird.
Wie kommt denn nun die Wirkung der Gelatine zu Stande?
Es ist bereits vielfach versucht worden, diese Frage zu beant¬
worten, jedoch kann wohl keine der bisher aufgestellten Theorien
eine genügende Erklärung geben. Wie 90 oft schon, hat auch
hier die „rohe Empirie“ die Lösung der Frage nicht abgewartet
und ist der Theorie vorausgeeilt..
Lancereaux [22] denkt sieh den Verlauf der Gelatine¬
wirkung so, dass die Lösung zuerst in den Lymphstrom und von
da in den Kreislauf in wirklicher Lösung gelange und durch
sich selbst — über die näheren Umstände hierbei gibt er nichts
an — die eoagulirende Wirkung ausübe. Diese Wirkung finde
jedoch nur an »Stellen der Gefässintima statt, die pathologisch
verändert seien. Er hält also eine Thrombosirung an Stellen, wo
die Gefässe gesund sind und physiologisch funktioniren. für aus-
i geschlossen.
Digitized by
1644
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Im Gegensatz zu Lancereaux erkennt Laborde [23]
die Gelatine in der Lösung nur als suspendirt, nicht als wirklich
gelöst an, negirt eine Resorption vom subkutanen Zellgewebe aus
und empfiehlt, die Injektionen direkt in den Aneurysmasack oder
in die Gefässe zu machen. Nach seiner Meinung wirkt die Ge¬
latine lediglich als Fremdkörper im Blute und ruft dadurch die
Gerinnung hervor. Desshalb soll sie auch im Stande sein, an
Orten ihre coagulirende Wirkung auszuüben, wo diese gar nicht
beabsichtigt ist.
Diese Theorie ist wohl kaum haltbar; denn abgesehen davon,
dass stets eine leicht von Statten gehende Resorption der inji-
zirten Gelatinelösung beobachtet worden ist, existirt in der
ganzen Literatur nur der eine von Boi net berichtete Fall, wo
an unerwünschter Stelle eine Fibrinbildung eingetreten war. Es
müssten, wäre diese L a b o r d e’sche Theorie richtig, doch schon
mehrere derartige Fälle an die Oeffentliehkeit gedrungen sein.
Auch eine andere von Laborde [24] aufgestellto Theorie
kann nicht Anspruch auf Richtigkeit machen, dass nämlich eine
Peptonisirung der Gelatine die Ursache der haemosta tischen
Wirkung sei. Denn einmal wirkt die Gelatine auch Gerinnung
erregend, wenn man sie auf eine äussere. Wunde bringt, wo, wie
S o r g o [12] mit Recht sagt, eine Peptonisirung ausgeschlossen
ist, und sodann haben Versuche verschiedener Forscher, wie
Delezenne [25], Gley, Pachon [26] u. A. übereinstim¬
mend nachgewiesen, dass Blut, in dem Pepton enthalten ist, nur
schwer oder gar nicht gerinnt.
0 a n n i s und Gley schreiben die Gerinnung verursachende
Eigenschaft, den in der Gelatine enthaltenen Säuren zu. Nach
ihrem Versuchen soll die Wirkung ausbleiben. wenn die Acidität
durch Soda abgestumpft wird, und zunehmen bei Steigerung der
Acidität.
Gegen diese Ansicht spricht die Thatsache, dass eine gute
Gelatine, wie sie für medieinische Zwecke doch nur angewandt
wird, Säuren in nur geringen Quantitäten enthält, und dass
ferner Boi net [28], Klempp ror f29] u. A. auch bei sorg¬
fältiger Neutralisirung der Lösung gute Resultate erhielten.
Ueber eine Theorie endlich wie sie B a u e r m e i s t e r [21]
aufgestellt hat, dass die Leukocyten durch das Betupfen der
blutenden Stelle mit Gelatine an der Wundfläche festgeleimt
werden, zu Grunde gehen und das wirksame Gerinnungsferment
ahgeben, kann man wohl getrost zur Tagesordnung übergehen.
Bei der Unzulänglichkeit nun aller bisherigen Erklärungen
der Gclatinewirkung drängte sich mir der Gedanke auf, ob nicht
vielleicht anorganische Bcstandtheile und besonders der Kalk
das Wirksame der Gelatine seien. Geführt wurde ich zu dieser
Annahme durch die Versuche mehrerer Forscher, wie Häm¬
in a r s t. e n [30], Freund [31] u. A., die ergeben hatten, dass
Kalk und Blutgerinnung in innigem Zusammenhänge stehen,
besonders aber durch die Resultate der A r t h u s’sc.hen T32}
Arbeiten. Letzterer fand nämlich, dass, wenn man zum Blute
Oxalsäure hinzusetzt, und zwar in dem Verhältnisse von 0,6 bis
1,0 g oxalsauren Kalis auf 1 Liter Blut, die Kalksalze des Blutes
ausgefällt werden und keine Gerinnung mehr eintritt, und dass
auf Zusatz kleiner Mengen Chlorcalciums zu diesem Gemisch
sofort Gerinnung erfolgt. Weiterhin waren Mitt.heilungen be¬
stimmend. nach denen sich Kalkpräparate bei Blutungen bewährt
haben sollen. So hat sich angeblich schon Galen [33] dos
schwefelsauren Kalks l>oi äusseren Blutungen, und namentlich
bei naemoptisis. bedient, und P a r a c e 1 s u s [34] empfahl ein
Präparat, der rothen Koralle besonders bei Uterusblutungen.
Neuerdings hat W r i g h t. [351 da^ Calciumchlorid bei Blutungen
aller Art benutzt und recht gute Erfolge damit- erzielt. Zog man
ferner in Betracht, dass ein anderes, von Reil [36] als Haemo-
staticum empfohlenes Mittel, das Gummi arabicum, sehr reich
an Kalk ist, so lag e« nahe, anzunehmen, dass die Wirkung der
Gelatine möglicher Weise gleichfalls auf ihren hohen Kalkgehalt
zurückzuführen sei.
Tch untersuchte daher vier Gelatinesorten. die aus hiesigen
Geschäften bezogen waren und von denen drei gewöhnliche, die
vierte beste Handelswaare darstellten — letztere ist die mit A
in den nachfolgenden Analysen bczeichncte —, um festzustellen,
ob sie erheblichere Mengen Kalk enthielten. Nebenher bestimmte
ich auch den Gehalt, an Magnesia, Eisen und Phosphorsäure.
Bevor ich nun die Resultate mittheile, will ich die Methode
schildern, die ich bei Ausführung der Analysen benutzte.
Um zunächst den Feuchtigkeitsgehalt der Gelatinen festzu-
stellcn, wurde ein Quantum jeder Sorte in kleine Stückchen ge¬
schnitten und bei 110° im Trockenkasten bis zum konstanten
Gewicht getrocknet. Aus der Gewichtsabnahme ergab sich der
Gehalt an Wasser.
Aus dieser getrockneten, nunmehr wasserfreien Gelatine
wurde gleichzeitig der Aschegehalt bestimmt, indem ich abge¬
wogene Quanten ira Muffelofen in Platinschälchen veraschte.
Die zur chemischen Analyse benutzte Asche wurde in der
Weise hergestellt, dass grössere Quanta Gelatine im hessischen
Tiegel über der Gasflamme verkohlt wurden; die Kohle wurde
nach dem Erkalten in Gläsern gesammelt und dann in kleineren
Mengen in flachen Platinschalen im Muffelofen bei schwacher
Rothgluth verascht. Dann wurden die einzelnen Ascheportionen
in Präparatengliisom gesammelt, zunächst durch Schütteln in
den Gläsern möglichst innig gemischt und vor der Analysirung
die ganze Asche noch in einem Achatmörser vorsichtig durch¬
einander gerührt.
Zur Analyse wurden Portionen der Asche in Wiegegläschen
gefüllt und ca. 12 Stunden bei 115° im Trockenkasten erhitzt»
Darauf wurden die Gläschen verschlossen im Exsiccator während
der Nacht stehen gelassen und am nächsten Morgen gewogen.
Nachdem das Gewicht von Glas und Inhalt festgestellt war,
wurde die Asche vorsichtig in eine tiefe Schale aus Platin ent¬
leert und und diese sofort mit einem in der Mitte durchbohrten
Uhrglase bedeckt. Dann wurde das Wiegeglas mit den in ihm
zurückgebliebenen Asehetheilclien gewogen und aus der Differenz
gegen die erste Wägung das Gewicht des in Arbeit genommenen
Aschequantums festgestellt. Nun wurde ein kleines Trichterehen
durch das in der Mitte des Ulirglases befindliche Loch gesteckt
und die Asche zuerst mit etwas destillirtem Wasser, dann mit
konzentrirter Salzsäure übergossen. Nachdem dann das Trich-
terchen innen und aussen mit destillirtem Wasser abgespritzt
war, so dass das nbfliessende Wasser in die Platinschale hinein¬
gelangte — es sollten hierdurch Verluste vermieden werden, die
leicht dadurch entstehen können, dass durch die in Folge des
Salzsäurezusatzes sich entwickelnde Kohlensäure Aschetheilchen
verspritzt werden —, wurde das Trichterchen entfernt und die
mit dem Uhrglase bedeckte Platinschale auf das Wasserbad ge¬
stellt. Erst wenn keine Oasbläschen aus dem Schaleninhalte
mehr entwichen, wurde das Uhrgläschen entfernt und seine
untere Fläche mit destillirtem Wasser abgespritzt., so da98 das
Spülwasser in die Schale ahfloss. Nun wurde ein grosser Trichter
über die Platinschale gestellt und der Inhalt bis fast zur Trockene
eingedampft, dann noch einige Male unter Umrühren mit kon¬
zentrirter Salzsäure befeuchtet und schliesslich eingedampft, bis
keine Salzsäuredämpfe mehr entwichen. Die löslichen Bestand-
theile der Asche waren jetzt als Chloride vorhanden.
Nachdem sich die Platinschale nhgekühlt hatte, wurde der
Inhalt wiederum mit konzentrirter Salzsäure befeuchtet und
kochendes destillirtes Wasser zugesetzt. Das, was sich gelost
hatte, wurde durch ein vorher bei 110* getrocknetes und ge¬
wogenes Filter filtrirt. Nach mehrmaligem Uebergiessen des in
der Platinschale befindlichen Rückstandes mit erwärmter ver¬
dünnter Salzsäure wurden schliesslich sämmtliche unlöslichen
Bcstandtheile auf dem Filter gesammelt und dieses so lange mit
heissem destillirtem Wasser ausgewaschen, bis das Filtrat mit
einer Lösung von Argentum nitricum keine Trübung mehr gab.
Das Filter mit. dem auf ihm befindlichen unlöslichen Rückstände
wurde dann bei 110* bis zum konstanten Gewicht getrocknet und
gewogen und durch Subtraktion des Gewichtes des Filters die
Menge der in der Asche enthaltenen Kohle- und Sandtheilchen
festgestellt. Durch Abzug der Kohle- und Sandtheilchen von
dem Gewichte der Asche wurde das Quantum der reinen
Asche bestimmt. Auf diesen Werth sind in den nachfolgenden
Analysen Kalk, Magnesia. Eisen und Phosphorsäure berechnet
worden.
Der weitere Gang der Analyse gestaltete sich dann folgender-
maassen:
Das gesammelte Filtrat, wurde in einem Messcylinder auf
200 ccm gebracht und je 100 ccm, die mit einer Pipette ab¬
gemessen wurden, zu zwei Kontrolanalysen gebraucht.
Zunächst wurde das Eisen als phosphorsaures Eisenoxyd in
der Weise bestimmt, dass die zu analysirende Flüssigkeit durch
Zusatz von Ammoniak alkalisch gemacht wuide, bis eben ein
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18. Oktober 1901.
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1045
Niederschlag entstand, der sofort in Essigsäure wieder gelöst
wurde. Die jetzt deutlich sauer reagirende Flüssigkeit wurde
erwärmt, worauf ein gelblicher, flockenartiger Niederschlag von
phosphorsaurem Eisenoxyd ausfiel. Dieser Niederschlag wurde
sofort abfiltrirt und das Filter mit heissem, destillirtem Wasser,
dem einige Krystalle salpetersauren Ammons zugesetzt waren,
ausgewaschen.
Das Filter sammt dem Niederschlag wurde sodann in einem
ausgeglühten und gewogenen Porzellantiegelchen zuerst langsam
erhitzt und darauf, sobald kein Wasserdampf mehr entwich, bis
zur völligen Veraschung des Filters stark geglüht. Nach dem
Erkalten des Porzellantiegels im Exsiccator wurde der Tiegel
gewogen, nochmals geglüht und gewogen, bis keine' Gewichts¬
abnahme mehr eintrat, und durch Abziehen des ursprünglichen
Gewichts des Tiegels, sowie des Gewichts der Filterasche die
Menge des phosphorsauren Eisenoxyds berechnet.
Der Kalk wurde aus dem essigsauren Filtrat gewonnen, in¬
dem dieses durch Zusatz von Ammoniak alkalisch gemacht
wurde, bis eben ein Niederschlag entstand. Der Niederschlag
wurde durch Zusatz eines Tropfens Salzsäure sofort wieder ge¬
löst, darauf so lange eine konzentrirte Lösung von Ammonium
oxalicum zugesetzt, bis kein Niedersclxlag mehr entstand, und
schliesslich noch einige Tropfen Ammonium aceticum hinzu¬
gefügt. Die Flüssigkeit wurde dann 12 Stunden sich selbst
überlassen und dadurch erreicht, dass sich der Niederschlag voll¬
ständig absetzte. Jetzt wurde die oben stehende klare Flüssig¬
keit vorsichtig, um ein Auf rühren des Niederschlages zu ver¬
hüten, durch ein Filter gegossen, der Niederschlag mehrmals
durch Decantiren mit heissem Wasser ausgewaschen und schliess¬
lich mit heissem Wasser auf das Filter gespült. Am Glase fest¬
haftende Theilchen wurden mit einem Gummiwischer fort¬
genommen und dieser ebenfalls auf das Filter abgespült.
Nach dem Auswaschen wurde das Filter getrocknet und
sammt dem Inhalte in einen geglühten und gewogenen Platin¬
tiegel gebracht. Um ein Verspritzen des Inhaltes bei dem nun
folgenden Verglühen zu verhüten, wurde der Rand des Filters
über dem Niederschlag zusammengefaltet, und dann der Tiegel
Anfangs gelinde, darauf stärker erhitzt, bis das Filter verascht
war und der Inhalt vollkommen weisse Farbe angenommen hatte.
Nachdem der Tiegel im Exsiccator erkaltet war, wurde er ge¬
wogen, noch einige Male erhitzt und gewogen, bis keine Gewichts¬
abnahme mehr zu konstatiren war, und schliesslich durch Sub-
traction des Gewichtes des Tiegels und der Filterasche die Menge
des gewonnenen Aetzkalkes berechnet.
Das durch Ausfällen des Kalkes erhaltene Filtrat wurde in
zwei gleiche Portionen getheilt und aus der einen die Magnesia,
aus der anderen die Phosphorsäure, beide als phosphorsaure
Ammoniakmagnesia, gewonnen. Beide Flüsigkeiten wurden zu
dem Zwecke durch Zusatz von Ammoniak alkalisch gemacht,
und zu der ersteren Natriumphosphatlösung, zu der zweiten
Magnesiamixtur hinzugesetzt, bis keine Niederschläge mehr ent¬
standen. Die Niederschläge wurden nach ihrem völligen Ab¬
setzen wiederum auf Filtern gesammelt, im Uebrigen so ver¬
fahren, wie oben bei der Kalkbestimmung, und die Rückstände
als phosphorsaure Magnesia gewogen.
Es folgen nunmehr die durch die Analyse erhaltenen
Werthe:
Gelatine A (beste Handelswaare):
I. Feuchtigkeitsgehalt: Der Feuchtigkeitsgehalt betrug
15,7561 Proc.
II. Aschenbestlmmung: 0,4860 g Material gaben 0,0075 g
Asche = 1,5432 Proc.; 0,4659 g Material gaben 0,0074 g Asche
= 1,5883 Proc. Mittel = 1,5657 Proc.
III. Analysen: 1,7849 g reine Asche gaben 0,8504 g CaO
= 47,6441 Proc.; 1,7849 g reine Asche gaben 0,8503 g CaO
= 47,6385 Proc.
1,7849 g reine Asche gaben 0,1016 g Mg.P, O t , also 0,0366 g
MgO = 2,0505 Proc.; 1,7849 g reine Asche gaben 0,1024 g Mg,P.O,,
also 0,0369 g MgO = 2,0673 Proc.
1,2982 g reine Asche gaben 0,0218 g FePO«, also 0,0115 g
Fe.O, = 0,8858 Proc.; 1,2982 g reine Asche gaben 0,0222 g FePO,,
also 0,0118 g Fe,0, = 0,9089 Proc.
Berechnet man aus den beiden letzten Werthen für FePO*
die Phosphorsäure, so ergibt sich: 0,0218 g FePO« enthalten
0,0141 g H,PO« = 1,0861 Proc., auf reine Asche bezogen; 0,0222 g
FePO« enthalten 0,0144 g H.PO« = 1,1092 Proc.
Die nicht an Bisen gebundene Phosphorsäure ergab folgende
Werthe:
1,7849 g reine Asche gaben 0,0452 g Mg.P.O,, also 0,0390 g
H.PO« 2,2354 Proc.: 1.7840 g reine Asche gaben 0,0456 g
Mg.P.O,, also 0,0402 g H.PO« — 2,2522 Proc.
Der Werth für die gesummte H,P0 4 wurde in der Weise be¬
rechnet, dass aus den vier erhaltenen Zahlen für H.PO« das Mittel
gezogen wurde.
Die gesammte H.PO« betrug demnach 3,3414 Proc.
Gelatine B (minderwerthige Handelswaare):
I. Feuchtigkeitsgehalt: Der Feuchtigkeitsgehalt betrug
14,5102 Proc.
II. Aschenbestlmmung: 0,4027 g Material gaben 0,0065 g
Asche = 1,6141 Proc.; 0,3829 g Material gaben 0,0062 g Asche
= 1,6102 Proc. Mittel = 1,6166 Proc.
III. Analysen: 1,1355 g reine Asche gaben 0,4729 g CaO
= 41,6469 Proc.; 1,1355 g reine Asche gaben 0,4732 g CaO
= 41,6732 Proc.
1,1355 g reine Asche gaben 0,0836 g Mg.P.O,, also 0,0310 g
MgO = 2,6508 Proc.; 1,1355 g reine Asche gaben 0,0828 g Mg.P.O,,
also 0,0299 g MgO =r 2,6332 Proc.
1,1355 g reine Asche gaben 0,0197 g FePO«, also 0,0104 g
Fe.O, = 0,9158 Proc.; 1,1355 g reine Asche gaben 0,0189 g FePO«,
also 0,0100 g Fe.O, = 0,8807 Proc.
Berechnet man wiederum aus den beiden Werthen für FePO«
die Phosphorsäure, so erhalten wir:
0,0197 g FePO« enthalten 0,0127 g H.PO« = 1,1185 Proc.,
auf reine Asche bezogen; 0,0189 g FePO« enthalten 0,0123 H,PO«
~ 1,0832 Proc.
1,1355 g reine Asche gaben 0,0244 g Mg,P,0„ also 0,0216 g
U,PO« = 1,0022 Proc.; 1,1355 g reine Asche gaben 0,0248 g
Mg,P,0„ also 0,0219 g H.PO« =: 1,9216 Proc.
Die gesammte H.PO« betrug demnach 3,0127 Proc.
Gelatine C (gewöhnliche Handelswaare):
I. Feuchtigkeitsgehalt: Der Feuchtigkeitsgehalt betrug
10,9838 Proc.
II. Aschenbestimmung: 0,3545 g Material gaben 0,0074 g
Asche 2,0874 Proc.; 0,3650 g Material gaben 0,0077 g Asche
.= 2,1096 Proc. Mittel = 2,0985 Proc.
III. Analysen: 1,8131 g reine Asche gaben 0,6813 g CaO
= 37.5765 Proc.; 1,8131 g reine Asche gaben 0,6812 g CaO
= 37,5710 Proc.
1,8131 g reine Asche gaben 0,2559 g Mg.P.O,, also 0,0922 g
MgO = 5,0852 Proc.; 1,8131 g reine Asche gaben 0,2607 g Mg.P.O,,
also 0,0939 g MgO = 5,1789 Proc.
1,8131 g reine Asche gaben 0,0271 g FePO«, also 0,0143 g
Fe.O, = 0,7887 Proc.; 1,8131 g reine Asche gaben 0,0277 g FePO«,
also 0,0146 g Fe.O, = 0,8052 Proc.
Die Werthe für die Phosphorsäure aus den beiden Werthen
für FePO« berechnet, stellen sich folgeudermaassen:
0,0271 g FePO« enthalten 0,0175 g H.PO« = 0,9652 Proc.,
auf reine Asche bezogen; 0,0277 g FePO« enthalten 0,0179 g H.PO«
=z 0,9872 Proc.
1,8131 g reine Asche gaben 0,0911 g Mg.P.O,, also 0,0804 g
H,PO« = 4,4344 Proc.; 1,8131 g reine Asche gaben 0,0911 g
Mg.P.O,, also 0,0804 g H.PO« = 4,4344 Proc.
Die gesammte H.PO« betrug also 5,4106 Proc.
Gelatine D (gewöhnliche Handelswaare):
I. Feuchtigkeitsgehalt: Der Feuchtigkeitsgehalt betrug
17,5688 Proc.
II. Aschenbestimmung: 0,3543 g Material gaben 0,0077 g
Asche r= 2,1732 Proc.; 0,1695 g Material gaben 0,0037 g Asche
= 2.1829 Proc. Mittel — 2.1780 Proc.
III. Analysen: 1,2629 g reine Asche gaben 0,5567 g CaO
= 44,0810 Proc.; 1,2629 g reine Asche gaben 0,5563 g CaO
= 44,0494 Proc.
1,2629 g reine Asche gaben 0,1163 g Mg.P.O,, also 0,0419 g
MgO = 3,3177 Proc.; 1,2629 g reine Asche gaben 0,1163 g
Mg,P,0„ also 0,0419 g MgO = 3,3177 Proc.
1,2629 g reine Asche gaben 0,0115 g FePO«, also 0,0061 g
Fe.O, = 0,4830 Proc.; 1,2629 g reine Asche gaben 0,0113 g FePO«,
also 0,0060 g Fe.O, = 0,4751 Proc.
Die Werthe für die Phosphorsäure aus FePO« berechnet,
stellen sich folgendermaassen:
0,0115 g FePO« enthalten 0,0074 g H,PO« = 0.5859 Proc.,
auf reine Asche bezogen; 0,0113 g FePO« enthalten 0,0073 g H.PO«
= 0,5780 Proc.
1,2629 g reine Asche gaben 0,0443 g Mg.P.O, = 0,0391 g
H.PO« = 3,0960 Proc.; 1,2629 g reine Asche gaben 0,0435 g
Mg.P.O, = 0,0384 g H.PO« = 3,0460 Proc.
Die gesammte H.PO« betrug 3,6529 Proc.
Um die TTebersicht über die erhaltenen Resultate zu er¬
leichtern, folgen hier noch vier Tabellen, deren Einrichtung
wohl ohne Weiteres klar ist. Tabelle I enthält die für CaO,
MgO, Fe.O, und H, PO. bestimmten mittleren Werthe auf
100 Theile reine Asche bezogen. In den Tabellen II und III
sind diese Werthe auf 100 Theile Trockensubstanz, d. h. wasser¬
freie Gelatine, bezw. auf 100 Theile frische, wasserhaltige Wan re,
wie sie in den Geschäften käuflich ist, umgereehnet. Tabelle IV
endlich gibt die Durchschnittswerte der Tabelle III, um einen
Ueberbliek über den durchschnittlichen Gehalt der käuflichen
Gelatine an anorganischen Bestandteilen, soweit sie durch die
Analysen bestimmt sind, zu ermöglichen.
1 *
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1646
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
T a b e 11 e I.
Mittlere Werthe auf reine Asche berechnet:
Gelatine
CaO
Mg O
Fea Os
Hs PO*
A
47,6413
2,0589
0,8973
3,3414
B
41,6600
2,6420
0,8982
3,0127
C
37,5737
5,1320
0,7969
6,4106
D
44,0652
3,3177
0,4790
3,6529
Tabelle H.
Mittlere Werthe auf Trockensubstanz berechnet:
Gelatine
CaO
Mg O
Fea Oa
Hs PO*
1
A
0,7459
0,0322
0,0140
i 0,0523
B
0,6735
0,0427
0,0145
0,0487
C
0,7885
0,1077
0,0167
0,1135
D
0,9597
0,0722
0,0104
0,0796
Tabelle IH.
Mittlere Werthe auf die käufliche
Waare berechnet:
Gelatine j
CaO ,
Mg O ;
Fea Os
| Hs PO*
A
0,6284
0,0271
0,0118
0,0440
B
0,5758
0,0365
0,0124
0,0416
C
0,6546
0,0894
0,0139 *
0,0942
D
0,7911
0,0595
0,0086
0,0656
Tabelle IV,
Mittelwerthe aus Tabelle EU:
CaO
Mg O
Fea O#
Hs PO*
0,6625 i 0,0531 ! 0,0117 , 0,0613
Wio aus den Analysen hervorgeht, enthält die Gelatine als
konstanten Bestandteil Kalk, und zwar im Durchschnitt etwa
0,6 Proe. in der käuflichen Waare. Es würde mithin unter Zu¬
grundelegung dieser Zahl ein Patient, dem 100 ccm einer 5 proe.
Gelatinelösung beigebracht werden, 0,03 g Kalk erhalten und
zwar in einer sehr leicht löslichen und dementsprechend auch
leicht resorbirbaren Form. Dass diese 0,03 g Kalk therapeutisch
nicht als zu geringe Dosis zu betrachten sind, lehrt die That-
sache, dass eine Reihe gerade wegen ihres Kalkgehaltes in be¬
stimmter therapeutischer Absicht benutzter Quellen nach
R o s e m a n n’s [37] Tabellen auch nur folgende Werthe auf¬
weist:
1 Liter
Driburger Hauptquelle.
enthält 0,991752 g CaO,
1 „
„ Hersterquelle.
0,996252 „ „
1 -
„ Caspar-Heinrichquelle .
0,353234 „ ..
1 „
„ • Kaiserquelle.
„
0,91677 „ „
1 „
„ Wilhelmquelle ....
0,6774 „ „
1 n
Lippspringer.
0,5717 „ ,
1 „
Pyrmonter Hauptquelle.
0,733646 „ „
1 „
„ Helenenquelle ....
0,794066 „ ..
in„
„ Trinkquelle ....
0,98855 „
i .
Wildunger Georg-Victorquelle
0,284643 „ „
i *
„ Stahlquelle.
0,054018 „
1 n
„ Helenenquelle ....
0,493881 „ ..
1 „
„ Königsquelle.
•
0,4771 „ „
Demnach handelt es sich hier auch nur um 0,03 bis 0,09 proe.
Lösungen, und gleichwohl steht die Leistungsfähigkeit der ge¬
nannten Brunnen für die Praxis fest.
Berücksichtigt man nun die schon oben geschilderte innige
Beziehung zwischen Kalk und Blutgerinnung, dann weiter die
eigenartige, dem pathologischen Anatomen hinlänglich bekannte,
wenn auch in ihrer letzten Kausalität noch völlig dunkle Be¬
ziehung des Kalkes zu den Gefässwänden und endlich den in
der Praxis erprobten günstigen Einfluss der Kalkpräparate auf
Blutungen, so glaube ich, zumal eine bessere Erklärung für die
Gelatiuewirkung bisher noch aussteht, als Ergebniss der vor¬
liegenden Arbeit die Behauptung aufstellen zu dürfen, dass
bei ihrer Anwendung als Haemostaticum die
Gelatine ihre Leistungsfähigkeit höchst¬
wahrscheinlich in erster Linie ihrem Kalk¬
gehalte verdankt.
Am Schlüsse meiner Arbeit ist es mir eine angenehme
Pflicht, meinem hochverehrten früheren Chef, Herrn Geheimrath
Prof. Dr. Hugo Schulz, für die Anregung zur Bearbeitung
des vorliegenden Themas, sowie für stets bereitwillige Unter¬
stützung, namentlich bei der Ausführung der Analysen, meinen
verbindlichsten Dank auszusprechen.
Literatur: ^
1. Hecker: Prakt. Arzneimittellehre, 4. A., 1838. —
2. Oslander: Volksarzneiiuittel und einfache nicht pharma- —,
ceut. Heilmittel gegen Krankheiten des Menschen. 7. A., 1877. —
3. Carnot: Eniploi de la gßlatine comme hßmostatlque (Journ.
de mßd. et Chirurg, prntique 1897.) — 4. D a s t r e et Floresco:
Action coagulante des injections de gßlatine (Arch. de physiol.
1890, VIII.) — 5. Lancereaux et Paulesco: Traitement
des nnßvrysmes par la gßlatine en Injections sous-coutanßes (Gaz.
des liftp. LXXI, 1898.) — 6. Therapie der Gegenwart 1900, VIII.
— 7. Huchard: Traitement des anßvrysmes aortiques par les
injections gßlatineuses (Bull, de l'acad. de mßd. LXII, 1898.) —
8. Bo inet: Traitement sur la methode de Lancereaux etc.
(Itßvue de mßd. XVIII, 1898.) — 9. Berl. klin. Wochenschr. 1900,
p. 394. — 10. Therapie der Gegenwart 1900, IV. — 11. Therapie der
Gegenwart 1899, VI. — 12. Sorgo: Die Behandlung der Aneu¬
rysmen und Blutungen mit Gelatine (Therapie der Gegenwart
1900, II). — Sorgo: Zur Diagnose der Aneurysmen der Aorta
und der Arteria anonyma und Uber die Behandlung derselben mit
subkutanen Gelatineinjektionen (Zeitsehr. f. klin. Med. Bd. 42). —
13. Berl. klin. Wochenschr. 1900. — 14. Deutsch, med. Wochenschr.
1899 V.B. 10, 1900 V.B. 5 u. 10. — 13. Therapie der Gegenwart
1900, IV. — 10. Miinch. med. Wochenschr. 1899, p. 1578. — 17. Cen-
tralbl. f. inn. Med. 1900, p. 1096. — 18. Münch, med. Wochenschr.
1900, p. 744. — 19. Therapie der Gegenwart 1899, II. — 20. Therapie
der Gegenwart 1900, IX. — 21. Bauermeister: Zur Wirkung
der Gelatine als Blutstillungsmittel (Deutsch, med. Wochenschr.
1900. V.B.) — 22. Lancereaux: Traitement des anßvrysmes
par la gßlatine en injections sous-coutanßes (Semaine mßd. XVIII,
1898). — 23. Labor de: Les injections de gßlatine dans le traite¬
ment des anßvrysmes (Bull, de l’acad. de mßd. LXXII, 1898). —
24. Ibid. — 25. Delezenne: Formation d’une subetance anti-
coagulante par le foie en prßsence de la peptone (C. R. de l’acad.
OXXII, 189G). — 20. Gley et Pachon: Influence du foie sur
l’action anticoagulante de la peptone (C. R. de la soc. de biol. 1896).
27. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 42. — 28. Centmbl. f. inn. Med. 1900,
p. 128. — 29. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 42, H. 1 u. 2. — 30. Ham¬
marsten: lieber die Bedeutung der löslichen Kalksalze für die
Faserstoffgerinnung (Zeitschr. f. physiolg. Chemie XXII. 1896).
Ilammarsten: Weitere Beiträge zur Kenntnlss der Fibrin¬
bildung (ibid. XXVIII, 1898). — 31. Freund: Ueber die Aus¬
scheidung von phosphorsaurem Kalk als Ursache der Blut¬
gerinnung (Wien. med. Jahrb. III, 1888). Freund: lieber die
Ursache der Blutgerinnung (ibid. III, 1888). — 32. Arthus: La
coagulation du sang et les sels de chaux (Arch. de physiol. XXIII,
1890). — 33. L er sch: Einleitung ln die Mineralquellenlehre
Bd. I. 18">5. — 34. Ibid. — 35. W right: Iiemarks on methods
of increa8iug and diminlshing the coagulabllity of the blood with
especial reference to thelr therapeutic employement (Brit med.
Journ. 1894). — 36. Reil: Fieberlehre III. — 37. Rosemann:
Die Mineralquellen Deutschlands, 1897.
Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr.
von Prof. Garre.
Zur Kasuistik und Behandlung der Fistula gastro-
coliea.
Von Dr. Alfr. Labhardt, Volontärarzt.
Zu denjenigen Komplikationen der primär und sekundär
ulcerösen Proeesse des Magens, die ihre Träger am meisten be¬
lästigen, gehört die Anastomosis gastro-colica. Trotzdem schon
eine Anzahl hierher gehöriger Krankengeschichten in der Litera¬
tur vorhanden sind, so ist doch noch wenig über die operative
Behandlung dieser Fälle bekannt. Es scheint mir daher gerecht¬
fertigt. 4 Fälle von dieser Erkrankung, von denen 2 operativ be¬
handelt wurden, kurz zu beschreiben; ist doch jeder Beitrag zur
Frage nach der Hebung der Beschwerden - jener bedauernswerthon
Patienten zu begrüssen. Diese Beschwerden beruhen auf den
folgenden 2 Hauptsymptomen: 1. Die Abmagerung durch Ein-
fliesson der Ingesta in das Kolon; das Kothbreehen, durch Ein-
fliessen von Dickdarminhalt in den Magen.
Was die Literatur anbelangt, so ist dieselbe vor nicht langer
Zeit von Unruh [1] zusammengestellt worden; ich erlaube mir
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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDTCINTSCHE WO CHEN SCHRIET. 1647
daher bezüglich der Publikationen auf jene Arbeit zu verweisen.
Teil gebe unten die dort verzeichnete Literatur wieder.
Unruh selbst hat an der Hand von 2 Fällen, von denen der
eine operativ behandelt wurde, die Diagnose und Therapie des
genannten Leidens besprochen. Bei dem operativ behandelten
Falle handelte es sich um ein in das Querkolon perforirtes Ulcus
des Magens. Das diesseits und jenseits der Perforationsstelle be¬
findliche Darmstück wurde je doppelt unterbunden und durch¬
trennt (Prof. Garre). Dann wurde die Kontinuität des Dick-
dannes durch eine seitliche Kolostomic wiederherges teilt. Der
Erfolg der Operation war ein ausgezeichneter; es verloren sich
die Beschwerden der Patientin, so dass sie schon bald ihre schwere
Arbeit wieder aufnehmen konnte.
Im Folgenden gebe ich erst kurz die Krankengeschichten
der 4 Patienten wieder, um dann im Anschluss an dieselben einige
diagnostische und therapeutische Punkte zu berühren.
Fall I. Sp. Chr., 41 Jahre. Die Eltern des Patienten sind
an unbekanntem Leiden gestorben; Patient selbst war bis zu
seiner Jetzigen Erkrankung nie wesentlich krank. Seine Be-
sehworden begannen im Juni 1K99 und bestanden in Magen-
sohmerzen nach den Mahlzeiten und zeitweiligem Erbrechen.
Diese Beschwerden nahmen mit der Zeit an Intensität zu. Patient
magerte ab; die Nahrungsaufnahme beschränkte sieh schliesslich
auf ein Minimum, da Patient Alles erbrach. Häufiges saures Auf-
stossen. In» Erbrochenen war nie Blut vorhanden.
17. II. 1900 Aufnahme in die chirurgische Klinik zu Königs¬
berg. Status: Blasser, sehr heruntergekommener Patient. Brust¬
organe ohne Abnormitäten. Am Abdomen ist dicht unter dem
Rippenbogen ein Tumor von der Grösse einer kleinen Faust zu
fühlen. Oberfläche desselben glatt, Beweglichkeit gering. Rectale
Untersuchung negativ. Im Urin keine pathologischen Bestand-
t heile.
Die Untersuchung des Mageninhaltes nach einem Probefrüh-
stlick ergibt Fehlen von freier HCl, dagegen deutliche Mllehsäure-
reaktion. lange Bacillen, Hefezellen. Beim Aufblähen des Magens
bleibt der Tumor an seiner Stelle. — Patient wird mit Nähr-
klystioren behandelt.
20. II. Bei der vor der Operation vorgenommenen Magen¬
spülung Avird Flüssigkeit mit deutlich fäkulentem Inhalt aus¬
gehebert: ausserdem finden sich deutliche Blutbeimengungen
dabei. Eine Kommunikation zwischen Magen und Kolon trans-
versum ist durch Aufblähung vom Rectum aus nicht mit Sicher¬
heit festzustellen, die Möglichkeit einer solchen ist aber dadurch
begründet, dass Patient nach der Aufblähung mehrmals übel¬
riechendes Aufstossen bekommt.
Operation (Prof. v. Eiseisberg): Narkose mit Billroth-
mi8chung. Laparotomie in der Medianlinie. Nach Eröffnung des
Peritoneums zeigt sich ein grosser Tumor der grossen Curvatur
des Magens; die GesehAvulst greift auf das Kolon transversum
über. Von einer genaueren Untersuchung wird Abstand ge¬
nommen. Das Jejunum ist stark collnbirt. Es Avird eine Schlinge
desselben links neben der Wirbelsäule hervorgenommen und an
derselben eine Jejunostomle nach W i t z e 1 angelegt.
Nach der Narkose erfolgt nochmaliges Erbrechen kothiger
Massen. Später blieb das für den Patienten so lästige Erbrechen
ganz ans. Der Mann erhalte sich etwas, die Schwäche blieb je¬
doch ziemlich gross. Heilung der Wunde p. p. Die DUnndann-
fistel funktionirte gut.
24. III. Gebessert entlassen.
Fall II. R. J., 51 Jahre. Patient stammt aus gesunder
Familie, war selbst bisher stets gesund. Jetzige Erkrankung seit
Dezember 1900. Beginn mit Magenschmerzen, besonders nach dem
Essen. Seit 3 Wochen Avird nur noch flüssige Diät aufgenommen.
Seit 2 Wochen häufiges, nach Koth riechendes Aufstossen. Auch
das Erbrochene und vom Arzt Ausgeheberte soll nach Koth ge¬
rochen haben. Im Erbrochenen war nie Blut Stuhl früher an¬
gehalten, seit 14 Tagen von diarrholscher Beschaffenheit In
letzter Zelt. Mattigkeit und Abmagerung.
C. VI. 1901 Aufnahme in die chirurgische Klinik zu Königs¬
berg.
Status: Blasser, leidlich ernährter Mann. Thoraxorgane
normal. Zunge feucht, belegt. Abdomen Aveich. einrückbar. Zu
beiden Selten und oberhalb des Nabels undeutliche Resistenz und
Druckempfindlichkeit. Magen dilatlrt; grosse Curvatur unter¬
halb des Nabels. Deutliches Plätschern. Fieber besteht nicht,
Urin normal.
7. VI. bis 10. VI. Mehrmalige Ausheberung des Magens nach
E w a 1 d’sehem Probefrühstück: Das Ausgeheberte besteht jedes¬
mal aus Koth. Täglich mehrere diarrhoisehe Stühle.
14. VI. Operation (Prof. Garrö): Nach der üblichen Vor¬
bereitung (Magenspülung) wird in Aethernarkose die Laparotomie
nuBgoffihrt. An der Vorderwand des Magens findet, sich ein
derber, mit dem Querkolon verwachsener Tumor. Die rechts und
links von der Geschwulst gelegenen Theile des Kolon trans¬
versum werden unterhalb des Tumors einander genähert und durch
Colo-colostomle verbunden.
Patient ttbersteht den Eingriff gut. Von der Operation an
bleibt das Erbrechen aus. Ernährung per os.
Vom 19. VI. an spontaner Stuhlgang von normaler Beschaffen¬
heit. Wundheilung reaktionslos.
No. 42.
Eine Ausheberung :»m 5. VII. ergibt reinen Mageninhalt
ohne Beimischung von Koth.
6. VII. Gebessert entlassen. Patient hat in den ersten drei
Wochen nach der Operation um 20 Pfund zugenoramen.
Seit der Entlassung hat sieh Patient mehrmals vorgestellt.
Rein Befinden ist gut. Kein Aufstossen und Erbrechen mehr.
Fall TIT. A. F.. 40 Jahre. Pnt. stammt aus gesunder
Familie, Avar bis zum Januar 1901 gesund. Damals erkrankte er
mit Magensohmorzen nach dem Essen. Reit April 1. Js. fast täg¬
liches Erbrechen, übles Aufstossen und schlechter Geschmack im
Munde. Rtarke Abmagerung mit grossem Rchwächegefflhl.
31. V. 1900 Aufnahme in die chirurgische Klinik zu Königs¬
berg.
Status: Blasser, stark abgemngerter Patient (97 Pfund).
Thoraxorgane normal. Bauchdecken schlaff. Die grosse Cur-
vatur des Magens reicht bis 3 Querfinger unterhalb des Nabels.
Dicht unterhalb des Nabels ist ein wurstförmiger. 3—4 Finger
dicker, an den Enden sich A-erjüngender Tumor von harter Kon¬
sistenz und geringer Verschieblichkeit. Die Ausheberung des
Mageninhaltes ergibt Täter einer bräunlich-gelben, mit Rchleiin
vermischten, fäkulent riechenden, breiig-flüssigen Masse. Die
chemische Untersuchung des Mageninhaltes nach Probefrühstück
ergibt Fehlen A'on freier Ralzsäure. Anwesenheit von Milchsäure.
Mikroskopisch viele lange Bacillen.
Patient bekommt als Vorbereitung zur Operation Nähr-
klysmeli. Ausserdem häufige Magenspülungen.
4. VI. Patient sollt«* heute operirt werden. Bel der A r or-
bereitenden Magenspülung Avird jedoch fast reiner Koth ontlf*ert.
so dass die Op«*mtion abgesetzt Avird.
Von nun an tii glich mehrmals diarrhoisehe Stühle.
0. VI. Das übelrioeheinli* Aufstossen hält an. Erbroehon g«>-
rlngor. Ernährung fast ausschliesslich durch Klysmntn.
14. VT. Rasch zunehmende Rchwiiche: starke Durchfälle, so
dass die Einläufe nusgesetzt Averden müssen.
17. VI. Ungehcilt entlassen.
Fall TV. Di«*ser Fall, den Herr Prof. Garrö ln seiner
Privatpraxis beobachtet hat. kam nicht in klinische Behandlung.
Ein ea. HC. jähriger Herr ist seit einigen Monaten abgemagert,
sehr elend und hinfällig geAvorden. ohne dass er zunächst über
Rclmiorzen oder bestimmte Besch werden zu klagen hatte. In
den letzten Wochen stellte sich hie und da nach d«*n Mahlzeiten
Erbrechen ein. das vor einigen Tagen von auffallend üblem Ge¬
rüche Avar.
Die MagcnnusiH'berung ergab eine gross« 1 Menge dünnflüssi¬
ger Ivothmnssen mit Rpeiserosten vermischt. B«‘i der Belastung
<l«*r Magengegmui war ein Tumor mit Rielierheit nicht zu fühlen.
Da Zeichen, di«* auf ein Ulcus hindouteton, nicht vorhanden
waren, so wurde «li«* Diagnose auf Perforation eines Mag«*nearei-
notns in das Kolon transversum g«*st«*ilt und d**m Patienten die
Operation angernthon. die aber abgeschlagen wurde. Unter zu¬
nehmendem Kräfteverfall, bei profusen Entleerungen von Kotli
per os. trat nach Av«*nigen Wochen «1er Exitus ein. Autopsie nicht
gemacht.
Was die Diagnose der Anastomosis gastro-coliea anbelangt,
so war sic in den 4 erwähnten Fällen leicht zu stellen: Das Er¬
brechen von Koth Avies jcweilcn auf den Process hin, der sich im
Magen abspielte. Ausserdem möchte ich hier auf einen Punkt
verweisen. der unter Umständen ebenfalls zur Stellung der Dia¬
gnose beitragen kann und der eventuell erlauben wird, den Zeit¬
punkt der Entstehung der Fistel fostzustellen, zu einer Zeit, wo
noch kein Koth in den Magen einfliesst.
Tn dem Moment nämlich, wo der dünne Mageninhalt in das
Kolon einzufliessen beginnt. Avird die Konsistenz des Stuhles ver¬
ändert werden — f*s AA’erden diarrhoisehe Entleerungen eintreten.
Da nun für Oareinomkranko, sowie auch für Ulcusleidende die
Konstipation die Regel ist, muss diese veränderte Konsistenz des
Stuhles auffallen und allein oder in Verbindung mit ander-
Aveitigen Symptomen an eine all fällige Perforation des Ge-
schwüres in das Kolon denken lassen.
Als Beleg für diese Thatsachc seien die obigen Fälle an¬
geführt : Pat. TT gab deutlich an. dass 14 Tage vor der Aufnahme
in die Klinik Kothbrechen aufgetreten sei und dass seit, jener
Zeit der Stuhlgang eine andere Konsistenz, die diarrhoisehe. an¬
genommen habe.
Bei Fall III Avurde die Diagnose einer Kommunikation des
Magens mit dem Kolon erst dann mit Sicherheit gestellt, als hei
der, der Operation vorangehemlen Mageiiausspiilung reichlich
kothige Massen zu Tage gefördert wurden. Von diesem Augen¬
blicke an, war auch der Stuhl diarrhoiseh. Nicht ausgeschlossen
ist, dass schon vorher eine minimale Kommunikation bestand,
die den facoulonten Geruch des Ausgeheberten brnlingto, die aber
s«) klein war, dass weder vi«*l Mageninhalt, in d«*n Darm, noch
viel Darminhalt in den Magen einiliessen konnte. Ol» nun der
plötzlich entstamlonc grössere Durchbruch durch die Sonde o«ler
durch spontane Ablösung eines grösseren Tumorstückes entstand,
möchte ich dahingestellt sein lassen; beides ist möglich.
2
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
1643
Boi Fall IV sind ebenfalls die mit der Perforation aufge-
tretenen dinrrhoisehen Entleerungen erwähnt.
Bei Full I fehlen die diarrhoischen Stühle, weil die Per¬
foration erst kurz vor der Operation entstand; nach derselben
konnte natürlich kein Mageninhalt mehr in das Kolon fliessen.
Aron [2] gibt an, es könne durch Entstehung einer Per¬
foration das vorher bestehende Erbrechen sistiren, dadurch, dass
der Mageninhalt nach dem Kolon Abfluss finde. Die Möglich¬
keit eines solchen Vorkommens ist zuzugeben. In solchem Falle
wird die plötzlich veränderte Beschaffenheit des Stuhles auf die
Entstehung einer Perforation himveisen. Differentialdiagnos¬
tisch wäre dieser Umstand von Werth gegenüber jenen Pylorus-
eareinomen, bei denen durch plötzliche Ablösung eines Ge¬
schwulst Stückes die Passage wieder frei wird und das Erbrechen
aufhört.
Betreffs des faeculenten Erbrechens, ist zu erinnern, dass
dasselbe auch ohne Kommunikation des Magens mit dem Dick¬
darm vorkommt. nämlich bei jenen Fällen von starren Carei-
nomen des P.vlorus, die einen Rückfluss des Speisebreies vom
Duodenum in den Magen gestatten. Hier wird jedoch der
typische Geruch des Jejunuminhaltes die Stellung der richtigen
Diagnose ermöglichen.
Was nun die operative Therapie des Leidens anhelangt, auf
die ich speciell aufmerksam machen möchte, so hat dieselbe auf
verschiedene Momente Rücksicht zu nehmen. Es ist klar, dass
der Erfolg bei Patienten mit gewöhnlichem perforirten Ulcus
ein besserer sein wird, als bei einem kaehektischen Oareinom-
kranken, bei dem es sich nur um ein symptomatisches Ein¬
greifen handelt. Allein auch hier scheint mir ein Eingriff, wenn
der Zustand es irgend erlaubt, indizirt. in Anbetracht des trost¬
losen Zustandes in dem sich die Patienten befinden.
Weiterhin wird auch der Allgemeinzustand der Kranken für
unser Handeln entscheidend sein. Ob und inwiefern die Be¬
schwerden der Patienten — das Vorwiegen des Erbrechens oder
der Abmagerung — die Art des Eingreifens beeinflussen werden,
darüber kann ich mir bei der geringen Anzahl der Fälle noch
kein Urtheil erlauben; ich werde später noch auf diesen Punkt
zurückkommen.
Ich lass«* im Folgenden diejenigen operativen Eingriffe fol¬
gen, die bei der Behandlung dos Leidens eventuell in Betracht
kommen. Es handelt sich um die Jejunostomie einerseits, um die
Kolo-Kolostomie mit oder ohne Isolirung des erkrankten Diek-
darmstüekos andererseits.
Der Hauptzweck der Jejunostomie ist, die Ernährung und
den Allgemeinzustand der Patienten zu heben. Es liegt ja auf
der Hand, dass, wenn die Tngesta vom Magen direkt in das Quer¬
kolon übergehen, der ganze Darin ausgeschaltet ist; es wird da¬
her eine Resorption von Nahrungsstoffen in ausgedehnter Weise
unmöglich gemacht. Denn «las Wenige, was auf dem Wege vom
Querkolon bis zum Darmende resorbirt wird, kann zur Erhaltung
des normalen Kräftezustandes nicht ausreichen. Die Jejunostomie
wird daher namentlich bei den Patienten indizirt sein, die in
ihrem Allgemeiuzustaml sehr reduzirt sind. Sie wird sich als
Voroperation für diejenigen Fälle eignen, bei denen man nach¬
her noch eine zweite, radikale Operation zu machen gedenkt.
Wie gut diese Art der Operation wirken kann zeigt Fall I.
Patient war sehr heruntergekommen; bei der Operation erwies
sich das Jejunum als total collabirt — also war wohl der nor¬
male Darmweg ausgesehaltet. Auf die Jejunostomie hin erholte
sich der Patient ordentlich. Zudem blieb das Erbrechen vom
Moment der Operation an aus. Eine bestimmte Erklärung für
diese Thatsache lässt sich nicht angeben; allein man darf wohl
annehmen, dass die Kommunikationsöffnung zwischen Magen
und Dickdarm kleiner wurde, weil in Folge der Operation der
Reiz von Seiten des Magens ausblieb; vielleicht kann in solchen
Fällen die Fistel sogar spontan heilen.
Die Jejunostomie mag sich auch desshalb bei herunterge¬
kommenen Patienten empfehlen, weil sie, unter Schleie h’-
sehcr Anaesthesie ausgeführt, als ein relativ leichter Eingriff
aufgefasst werden kann, leichter wenigstens, als die unten zu be¬
sprechende Kolo-Kolostomie. Ueber den günstigen Erfolg der
Jejunostomion wird demnächst eine Arbeit aus der hiesigen
Klinik erscheinen, auf die ich jetzt schon verweisen kann.
Die zweite Operation, die bei der Behandlung der Fistula
ga-tro-eoliea in Betracht kommt, ist die Kolo-Kolostomie. Der
Eingriff ist schon wegen der längeren Dauer der Operation ein
wesentlich eingreifenderer als die Jejunostomie und eignet sich
aus diesem Grunde mehr für Patienten mit besserem Allgemein¬
befinden, sei es nun, dass sie durch das Leiden nicht allzu sehr
herunterkamen, indem ein Theil der lngesta noch seinen nor¬
malen Weg nahm und resorbirt werden konnte, sei es, dass durch
vorhergehende Anlegung einer Jejunostomie der Zustand ge¬
bessert wurde.
Ueber einen Fall von Kolostomie mit Abtrennung und Ver-
nähung des mit dem Magen verwachsenen Kolonstückes, wie sie
von Prof. Garre auf der Rostocker Klinik ausgeführt worden
ist, berichtet U n ruh (1. e.). Der Erfolg war, wie erwähnt, ein
sehr guter; die Operation muss als die einzig radikale und bei
nicht malignen Perforationen zu erstrebende bezeichnet werden.
In Fall II ist eine Modifikation dieser Methode angebracht
worden, die sich gut bewährte und die in analogen Fällen even¬
tuell zu wiederholen wäre; es ist die Kolo-Kolostomie ohne Ab¬
trennung des erkrankten Kolonstückes. Es hat sich gezeigt, dass
durch diese Operationsmethode die subjektiven Beschwerden der
Patienten, namentlich das Einfliessen' von Koth in den Magen
und die daraus resultirenden Folgezustände in äusserst günstiger
Weise beeinflusst wurden. Es scheint, als sei das erkrankte Stück
Kolon doch fast vollständig ausgeschaltet — das Brechen und
übelriechende Aufstossen, sind vom Moment der Operation an
ausgeblieben. Zudem hat Patient an Gewicht ordentlich zu-
geno in men.
Der Vortheil der Operation liegt auf der Hand: die Opera¬
tion wird durch Weglassung der 4 nothwendigen Darmnähte be¬
deutend abgekürzt; zudem werden weniger Darmlumina eröffnet,
die Gefahr der Infektion des Peritoneum ist eine entsprechend
geringere.
Was nun, um unsere Resultate zusammenzufassen, die In¬
dikation für die verschiedenen operativen Eingriffe bei Ana-
stomosis gastro-colica betrifft, so möchte ich folgende Punkte
zur Berücksichtigung empfehlen: Handelt es sich um Patienten,
die zwar sehr heruntergekommen sind, bei denen aber doch noch
die Möglichkeit einer radikalen Heilung besteht, so wird man in
einer ersten Sitzung die Jejunostomie mit Lokalanacsthesie aus¬
führen; hört nach der Operation das Brechen nicht auf, so wird
man in der Zwischenzeit Magenspülungen machen. Haben sich
die Patienten dann erholt, so kann man in einer zweiten Sitzung
die Radikaloperation, d. h. die Kolo-Kolostomie mit Abtrennung
des erkrankten Kolonstüekes vornehmen.
Handelt es sich aber um Patienten, bei denen der Dünndarm
seine Funktionen noch beibehalten hat, bei denen also die lngesta
noch zum grössten Theil ihren normalen Weg nehmen. Patienten,
die aber unter dem Erbrechen von faeculenten Massen sehr zu
leiden haben — bei solchen wird die einfache Kolo-Kolostomie
am Platze sein. Wollte man schematisch vorgehen, so könnte
man kurz sagen: Ist das Einfliessen von Mageninhalt in den
Dickdarm vorwiegend, so ist die Jejunostomie indizirt ; fliesst
dagegen namentlich Dickdarminhalt in den Magen, so tritt die
Kolo-Kolostomie in ihr R«H*ht. Es ist klar, dass wir in den
meisten Fällen Kombinationen und Uebcrgiinge vor uns haben
werden; es wird sich dann darum handeln, zu individualisiren.
Schliesslich gibt es natürlich auch Fälle, die leider operativ
nicht mehr anzugreifen sind; die symptomatische Therapie, be¬
stehend in Magenspülungen, Nährklvstieren, Anwendung von
Narkoticis, wird alsdann die Aufgabe haben, die Beschwerden
der betreffenden bedauernswerthen Patienten nach Möglichkeit
zu lindern.
Zum Schlüsse sei es mir gestattet, Herrn Geheimrath Prof.
Dr. G arrc* für die Anregung zu dieser Arbeit, ihm und Herrn
Prof. Dr. v. Eiseisberg für die Ueberlassung der Kranken¬
geschichten bestens zu danken. Herrn Privatdocent Dr. B u n g o
danke ich für die Unterstützung bei Anfertigung der Arbeit.
Literatur.
1. TT n ruli: Polier Auastomosls gastro-colica. Deutsch. med.
Woclionschr. 1800. No. 10. -- 2. A ron: Deutsch, med. Woehensclir.
INI»2. pag. 4.".. — 3. M urehisou: On gastro-collc tistula; a col-
lat Um of cases and observations on its pathology, dlaguosis etc.
Edinburgh medical Journ. 18Ö7. lieferst von Martini in
Schmidt'» Jahrbücher 1 .'■OS, Bd. 03. pag. 70. — 4. Bouveret:
Lyon mf'dical. März 1300. — r>. (Joodridge: Brit. med. .Journ.
1300. pag. HM54. — 0. Hont sch el: Beitrag zur Lehre von den
Magenkolonfisteln. Diss.. WUr/liurg 1804. — 7. Scholz: Münch,
med. Woehensohr. 1300. pag. .‘{<'*3. — 8. May: Wien. med. Blätter
1800, No. 10 und 17. — 0. Thiele: Zeit sehr. f. kliu. Med. 1800.
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15. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1649
Bd. 27, png. — 10. Leube: Magenkrankheit. Ziemssen's
Handbuch, 2. Aufl., Bd. VII, 2. — 11. Llnilner und Knttner:
I>ie Chirurgie des Magens und Ihre Indikationen. Berlin 1808. —
12. Pi. M. Foote: The surgical treatment of round uleer of
»he stomnc and Its gequellte. Med. News 1886. — 13. v. Reeses:
Sehinklt's Jahrbücher Bd. 08, png 72.
Aus der psychiatrischen Klinik in Würzburg.
Zur Kenntnis« der infantilen Pseudobulbaerparalyse
und der angeborenen allgemeinen Bewegungsstörungen.
Von Dr. Theodor Zahn, I. Assistent der Klinik.
Wenn die Nervenbahnen von der Hirnrinde zu den Kernen
des verlängerten Marks an irgend welcher Stelle ihres Verlaufs
auf irgend eine Weise beiderseitig beschädigt sind, so fol¬
gen daraus Störungen ohne Muskelentartung in der sprachlichen
Artikulation, im Kauen, Schlucken und in den Stimmband-
bewogungen, und zwar je nachdem in allen diesen Thätigkeiten
oder nur in einem Theil derselben.
Ein Beleg hiefür ist die Pseudobulbärparalyse,
bei welcher mehrere Erkrankungsherde, z. B. Blutungen, gerade
die erwähnten corticobulbaren Faserzüge zufällig und nach ein¬
ander in beiden Hirnhälften betroffen haben, meist neben einer
einseitigen oder doppelseitigen Läsion der Pyramidenbahnen.
Bei Erwachsenen und auch, wie in den beiden Fällen Br a u e r’s
[1] und v. Halban’s [2] bei Kindern, und zwar hier durch
Encephalitis.
Weiterhin sind nicht so selten die genannten Funktionen
gestört bei den angeborenen Formen von ausgebreiteten Läh¬
mungen oder von Gliederstarre in Fällen, die auf Ver-
1 e t z u n gen des kindlichen Hirns bei erschwerter Geburt oder
Frühgeburt bezogen werden dürfen. Es ist klar, dass hiebei
die Ursachen leicht auf beide Seiten zugleich einwirken können.
Bei der allgemeinen Gliederstarre L i 1 11 e’s [3] sind nach dessen
eigenen Aeusserungen „die Sprachmuskeln gewöhnlich ergriffen,
und es variirt die Sprachstörung von einer blossen Undeutlich¬
keit in der Aussprache einzelner Buchstaben bis zum völligen
Verlust der artikulirten Sprache“. Ferner kommen dabei leichte
Schlingbeschwerden vor.
Auch in diesen Fällen hängt es von äusseren zufälligen Um¬
ständen ab, ob die corticobulbären Bahnen an den Läsionen über¬
haupt und ob sie beiderseits betheiligt sind, ähnlich wie die
Pyramidenbahnen das eine Mal nur auf der einen Seite, ein
anderes Mal auf beiden Seiten betroffen sind und wie bald alle
Gliedmaassen, bald nur die beiden unteren starr werden.
Solche Zufälligkeit fehlt aber offenbar in einer ferneren
Gruppe von Fällen mit pseudobulbären Symptomen. Nämlich
in denen, die auf inneren Entwicklungsgründen
beruhen, ohne hinzugetretene gröbere Schädigungen. Diese
Gründe sind zwar dunkel; wir wissen nicht, warum in solchen
Füllen die corticobulbären Faserzüge unterentwickelt bleiben.
Als nicht zufällig aber ist hiebei die Doppelseitig-
k e i t anzusehen, ebenso wie bei so manchen anderen Krankheiten
und Fehlern des Centralnervensystems, die in Folge ausschliess¬
lich oder theilweise innerer Gründe, nicht in Folge von Gefäss-
störungen, Verletzungen etc. entstanden sind, z. B. bei der Tabes,
der spastischen Spinalparalyse, den hereditären Formen der
Rückenmarkskrankheiten. Thatsächlieh werden bei den fami¬
liären und. hereditären Hirn- und Rückenmarkskrankhoitcn
pseudobulbäre Störungen raässigen Grades, besonders der
Sprache, öfters gefunden. Und in den seltenen, im Folgenden
zu schildernden Fällen schwerer Pseudobulbärparalyse des
Kindesalters ist eine ursprüngliche Entwicklungshemmung in
einem beträchtlichen Bruchtheile, wenn nicht in allen, höchst
wahrscheinlich. Man kann also sagen, dass hochgradige ange¬
borene Pseudobulbärparalysen besonders durch frühe Fehler der
Anlage veranlasst werden, während umgekehrt wohl nicht
jeder Anlagefehler gleich zu schweren klinischen Erscheinungen
führen muss.
Im Jahre 1895 beschrieb Oppenheim [4] zuerst einen
Fall von „infantiler Form der cerebralen Glossopharyngolabial-
paralyse“, wobei die pseudobulbären Symptome im Vorder¬
gründe des Zustandsbildes, nicht wie sonst bei den ver¬
schiedenen cerebralen Kinderlähmungen im Hintergründe stan¬
den. Ein 21 jähriger Mann litt von frühester Kindheit auf,
neben einer — nicht spastischen — Parese und athetoiden Be¬
wegungen aller Gliedmaassen und neben geringem Schwachsinn,
an einer Lähmung der Lippen-, Zungen-, Gaumen- und Kiefer-
muskeln mit sehr schlechter Artikulation, mit Kau- und Schling¬
beschwerden, ohne degenerative Atrophie der Muskeln. Bei der
Sektion fand man eine Porcncephalie und Mikrogyrie an der
linken, eine Mikrogyrie an der rechten Hemisphäre, beiderseits
in den unteren Theilen der Centralwindungen und ihrer nächsten
Nachbarschaft nach vorne und hinten.
Im Rückenmark war der rechte Seitenstrang atrophisch.
Zwei weitere verwandte Fälle mit Diplegia spustiea infantilis
und schweren pseudobulbären Symptomen, und zwar eine Mutter
und Tochter, wurden bald nachher ebenfalls von Oppenheim
[5] geschildert. Die Mutter war trotz guter Intelligenz und er¬
haltenen Gehörs völlig stumm; sie brachte willkürlich keinen Ton
aus der Kehle, sondern nur beim Lachen und Weinen.
Ferner ein Fall B o u c li a u d’s [6]: Ein 28 jähriger, von je¬
her stummer Epileptiker war im Sehlingen und Kauen sehr be¬
hindert. Dazu hatte er eine spastische Parose des linken Armes.
Anatomischer Befund: Symmetrische Mikrogyrie des unteren
Abschnittes der Centralwindungen.
Ferner 3 Fälle v. S ö 1 d e r’s [7], v. Halban’s [8], Gas¬
si r e r’s [9] von spastischen Diplegien mit infantiler Pseudo¬
bulbärparalyse. Ein hierher gehöriger Fall Gknghofner’s
ist mir leider nicht zugänglich.
Von den angeführten 7 Fällen beruhen 6 sehr wahrscheinlich
auf primären Entwicklungshemmungen: 2 mal wurde Mikro¬
gyrie gefunden, von den nicht secirten betreffen 2 Mutter und
Tochter, bei den beiden folgenden ist ausdrücklich angegeben,
dass die Geburt rechtzeitig und normal war und auch sonst kein
Grund für die Störungen gefunden werden konnte. In Cas-
s i r e r’s Fall war das Kind bei der (Steiss-) Geburt aspkyk-
tisch; die Frage nach der Entstehung ist also unentschieden.
Ausserdem fand König [10] unter 72 Fällen von cere¬
bralen Kinderlähmungen der verschiedensten Art 7 Fälle von
„Formes frustes“ des Oppenhei m’schen Typus, d. h. mit
Sprachstörungen, aber mit keinen oder nur geringfügigen
Schluckcrschwerungen.
Im Folgenden sei nun über 3 Beispiele schwerer cerebraler
Bulbärstörungen berichtet, die auch nicht anders als durch Unter¬
entwicklung der corticobulbären Bahnen erklärt werden können.
Bei dem ersten handelt es sich daneben um eine allgemeine
Gliederstarre, beim zweiten um eine ganz eigenartige, schwere
schlaffe Lähmung fast der gesammten willkürlichen Mus¬
kulatur. Beim dritten, mit Porencephalie, konnte der Hirn¬
stamm auf das Verhalten der corticobulbären Bahnen unter¬
sucht werden. Die pseudobulbären Störungen sind in den
3 Fällen nach ihrer Art und Ausdehnung verschieden und ge¬
statten darum einen interessanten Vergleich untereinander.
1. Krankengeschichte.
Hedwig II., 15 Jahre alt, das rechtzeitig und ohne Kunsthilfe
geborene uneheliche, erste Kind einer gesunden Bauernmagd. Bei
der Konzeption war der Vater „etwas angetrunken". Derselbe
ist ebenfalls gesund; auch ist in seiner und der Mutter Verwandt¬
schaft nichts von Nervenkrankheiten bekannt. Das zweite, um
3 Jahre jüngere Kind der Mutter, von einem anderen Vater, ist
gesund. Unsere Patientin soll im ersten Lebensjahre wie andere
Kinder gewesen sein; dann seien Krämpfe aufgetreten und sie
habe im Gehen und Sprechen keine Fortschritte gemacht. Seit
1892 ist sie In der Klinik.
Status praesens: Kopf und übriger Körper wohl ge¬
staltet und in recht gutem Ernährungszustände. Die Muskeln
sind überall gehörig entwickelt und kräftig; nirgends bestehen
eigentliche Lähmungen. Dagegen ist fast die gesammte Mus¬
kulatur steif angespannt und der willkürlichen Beeinflussung schwei-
gefügig. Das Mädchen geht und steht mit leicht geneigtem Kopfe,
den Kumpf in der Hüfte vorgebeugt, die Beine einander genähert
und ln den Knien etwas gebeugt, die Füsse in leichter Spitzfuss-
stellung. Die Oberarme liegen dem Körper leicht au, die Ell¬
bogen sind gebeugt. Die Hände sind uluurwärts flektirt und
häufig krampfhaft mit eiugeschlageneu Daumen zur Faust geballt.
Bei willkürlichen Bewegungen werden die Finger oft unwillkür¬
lich gespreizt und auch sonst treten hindernde krampfhafte Nebeu-
hewegungen in den Armen uuf. Die Hände sind desshalb unge¬
schickt im Zufasseu. Dennoch lernte das Mädchen mit dem
Griffel ordentlich schreiben. Sein Verstand ist, wie sich auch
sonst zeigt, durchaus gut. Es wird zu kleinen Botendiensten
innerhalb der Anstalt verwendet und zwar wegen seiner unge¬
schickten Hände mit Hilfe eines umgehängteu Sackes zur Auf¬
nahme der Bestellungen. Ein Papier würde in seinen spastischeu
Händen zerknüllt werden. Das Kind geht zwar schwerfällig und
schlürfend, aber doch ziemlich rasch, seitdem es sich genügend
geübt hat, es kann sogar laufen. — Epileptische Anfälle treten
jährlich etwa 1 mal auf.
a*
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
1650
Die Extremitäten bieten im Ucbrigen die gewöhnlichen
Zeichen hochgradiger Gliedcrstarre. Die Sinnesorgane sind ein
schliesslich des Gesichts und Gehörs normal. Kein Nystagmus.
Blasen- und Mastdannthätigkeit geordnet.
Die Facialis iunervatiou ist auf beiden Seiten gleich ge¬
stört. Die Stirne wird auf Geheiss nicht gerunzelt. Augenschluss
kräftig. Das Kind kann den Mund nicht spitzen, nicht pfeifen,
kein Lieht ausblasen. Beim Lachen geht der Mund krampfhaft
weit auseinander. Er ist auch sonst häutig offen und es besteht
dann Speieheltluss.
Die wohlgenährte Zunge wird leidlich gut nach vorne
herausgcslreckt, soweit es das etwas zu kurze Freuulum zulässt.
Dagegen sind die Bewegungen nach rechts, links und oben ganz
mangelhaft. Saugen ist möglich; sonst wäre die Ernährung in
den ersten Jahren unmöglich gewesen.
Der Iv. i e f e r s e h i u s s ist kräftig. Masseterenretlcx leb¬
haft. Nach den Seiten kann der Unterkiefer aber gar nicht bewegt
werden.
Das Gaumensegel steht beiderseits gleich hoch. Es
gellt beim A-sagen etwas in die Hohe, das Zäpfchen aber nicht
nach hinten. Daher näselnde Aussprache. GaumeureÜex nicht
zu erzielen, wohl aber Bachen- und Scldiugretiex.
Zum Essen braucht das Mädchen mehr Zeit als Andere und
zu feste Speisen muss es vermeiden; die gewöhnliche Krankenkost
verspeist es aber ohne viel Mühe.
Um so mehr ist die Sprache gestört, so zwar, dass sich
das Kind gar nicht mit ihr verständlich machen kann. Ausser
dem Buchstaben li und einem näselnden a ist kein Laut zu er¬
kennen. Alles andere sind uuartikulirte, laut und rasch liervor-
gestossene Tone. Utleuhnr fehlen die Bewegungsbilder für die
Worte und Buchstal eit keineswegs; man hört aus dem Ge¬
sprochenen, und besonders dem Vorgelesencn, «las mau leicht er-
ratheii kaum deutlich die richtige Aufeinanderfolge der Silben
und die Ankl.'tnge an di«* gewollten Buchstaben heraus. Die
Lippen-, Zungen- und Gaumenmuskeln sind zu stark und zu
schwach imtervirt; dazu kommen unzweckmässige Mitbewcgungeu.
Der Mund ist beim Npri*<*h«*n fast anhaltend breit verzogen und
wird nie rundlich vereng« rt.
Die Zunge wird dabei nur wenig von hinten mich vorne be¬
wegt, breit und schwerfällig. Die Anstrengung des Sprechens drückt
sielt durch Blinzeln der Stirne aus. das willkürlich nicht gelingt.
Die Bewegungen der St iminbänder selteinen an der Störung un-
het heiligt zu sein. Es gebt dies aus der Stärke «1er Stimme und
aus iler Möglichkeit der «baulichen Aussprache des lt imrvor.
Sprechen und Lachen sind sogar recht kräftig, einem hellklingen¬
den Iluitdegebiäl vergleichbar.
Neben einer ausgedehnten und erheblichen Starre der Glied-
maassett, <l«*s llalses und Rumpfes hat. also das Kind eine Be¬
wegungsstörung der Lippen-, Zungen-, Kau- und Gaumeii-
inuskein, welche sieh hauptsächlich üussert in einem Mangel
jeglicher Artikulation, wie er so vollständig wohl selten vor-
koimut. Nur die eiufaelLsten Laute a und h können unter¬
scheidbar gebildet werden. Daneben bestellt eine Kaustörung ge¬
ringeren Grades. Diese Störungen sind offenbar in ähnlicher
Weise auf spastische Zustände zurückzuführen, wie die Un-
gelenkigkeit. der Glicdmuasscn. Bei der Zunge und dem Gaumen
scheint allerdings auch «»ine Schwäche vorzuliegen.
Zur anatomischen Erklärung der Bewegungsstörungen liegt
am nächsten die Annahme einer Entwicklungshemmung leichten
Grades in den Pyramidenbahnen und den eorticobulbüren Bahnen
des Facialis, Ilypoglossus und motorischen Trigeminusastes.
Wenn man will, kann man die Betrunkenheit des Vaters hei der
Konzeption als «lnfür verantwortlich heranziehen, doch wäre dies
eine YerinutJiung, wcIcIkt angesichts der sonst vorzüglichen Kör-
pi*rl>eseliaffenheit und der normalen Intelligenz kein grosses Ge¬
wicht beizulegen wäre. Die leichte Epilepsie kann bedingt sein
durch den Defekt der motorischen Bahnen.
Aclinli«*h und unähnlich zugleich diesem Falle ist nun der
folgende. Es handelt sieh wieder um ein Kind mit einer an¬
geborenen schweren Bewegungsstörung am ganzen Körper ein¬
schliesslich der von den Hirn nerven versorgten Muskeln. Aber
die Innervation ist nicht wie dort zu stark, sondern zu schwach,
und der Zustand ist desshalb ein erheblich schlimmerer.
2. Krankengeschicht e.
Therese V.. 14 Jahre alt, stammt von gesunder Familie. Sie
ist «las vierte von fünf leitenden und gesunden Geschwistern;
drei weitere sind an Kinderkrankheiten früh gestorben. Patientin
kam zur richtigen Z«*it zur Welt, die Geburt verlief ungestört;
auch war der Mutter die Schwangerschaft gut verlaufen. Pat.
soll immer ein kräftig gebautes Kind gewesen sein, lernte aber
in Folge ihres Leidens nie geh«*». Dies«*s bestand offenbar von
jeher und änderte sieh ni<*. Als das Kind 2'/^ Jahre alt war, wurde
wegen angeborener Linsentrübung eine Iridektomi«* auf beiden
Ang«'U ausgefiihrt. mit gutem Erfolge. Zu dieser Zeit lernte das
Kind allmählich etwas sprechen. Mit 3 Jahren bekam es die ersten
Zähne. Damals bemerkt«* die Mutter zum ersten Mal«* an ihm
«•in starkes Zittern an alleti Gliedern. Die Schule konnte die
Kleine wegen ihrer Lähmung nicht besuchen; sie wuchs ln sehr
dürftigen Verhältnissen, ohne Unterricht auf. Trotzdem blieb sie
geistig rege. Seit nuu l‘/ 3 Jahreu ist sie hier in Pflege.
Status praesens: Die Körpergrösse entspricht an¬
nähernd dem Alter der Kranken. Der Ernährungszustand ist bei
sorgfältiger Wartung gut. Die Haut der regungslosen Füssv
und Beine ist kühl und etwas cyauotiseh gefärbt. Das Knochen¬
gerüste ist genügend stark und ohne rhaeliitische Zeichen. Die
Zähne sind tlieilweise dürftig entwickelt und ragen wenig über
das Zahnfleisch empor.
Das Mädchen liegt meist auf dem Kücken fast unbeweglich,
schlaff da, so wie man cs hingelegt hau Der Kopf ruht auf der
Unterlage und ist, sobald mau sieh mit dem Mädchen unterhält
oder solange es überhaupt auf etwas aufmerksam ist, iu fort¬
währender wackelnder Bewegung. Diese steigert sich beträcht¬
lich bei psychischen Erregungen oder bei willkürlichen Beweguugs-
versuclieu beliebiger Art, auch wenn mau das Kind passiv auf-
setzt. Dreht mau cs aus der Bückcnlagc auf eine Seite, was ihm
selbst nicht möglich ist, so kauu cs sich von selbst nicht oder
höchstens mit angestemmteu Anneu zurückdrehen. Ebenso wenig
kauu es sich aufsetzen oder aufgesetzt sich aufrecht halten, wenn
der Bücken nicht durch eine Lehne gestützt wird. Biegt mau
seinen Kumpf vornüber, so bleibt er ohnmächtig verkrümmt, bis
er wieder aufgerichtet wird. l>le Beine sind ln der Hüfte und
in den Knien gebeugt uud werden kaum bewegt. Mehr Leben ist
noch in den Armen; doch sind auch deren Bewegungen kraftlos.
Wegen der Uubeholfeuheit des Kindes macht seine Pflege viel
Mühe, um so mehr, als es l'riu und Stuhl unter sich lässt, weil
theils «las Gefühl hierfür, theils die Kraft der Schliessinuskelu,
wie es scheint, nicht ausreichen. Diese Hilfsbedürftigkeit ist
nicht etwa mitbediugt durch eine lutelligenzschwäche. Wenn
man vielmehr alle Erschwernisse berücksichtigt, die sieh der
geistigen Entwickelung des Kindes iu den Weg stellten: die liilt-
mungen, die Sehschwache, die Sprachstörung und die dürftigen
äusseren Verhältnisse, den Mangel der Schulbildung, so muss mau
eher staunen über seinen Verstand uud seine Kenntnisse. Man
kauu sieh mit ihm über Vieles unterhalten, es gibt inhaltlich
gute Antworten uud hat Sinn für Humor.
Der Kopf des Kindes ist reichlich gross, der Schädel nicht
ungestaltet. Die Neigung des Kopfes nach vorne gelingt ihm
nur mühselig und unvollkommen; der Kopf fällt gerne nach hinten
zurück. Das Wackeln hut keine bestimmte Kichtung: bald mehr
nach links und rechts, bald mehr nach vorn uud hinten. An diesem
Wackeln betlieiligen sieh bei grösseren Erregungen auch die
Schul terhelier.
Auf beiden Augen sind die Linsen ganz undurchsichtig
wegen des angeborenen UVntralstars. Dafür beiderseits opera¬
tives lriskoloboui. Die Sehschärfe ist gering: kleinere Gegen¬
stände, die ihr bekannt sind, wie einen Bleistift, erkennt die
Kleine etwa 20 cm vor dem Auge. Personen unterscheidet sie auf
mehrere Meter Entfernung. Bilder sieht sie gerne an, ermüdet
aber bald wegen des Kopfwackelus. Der Augeuhintergrund kauu
wegen der Linsentrübung nicht untersucht werden.
Die A u g e n b e w e g u n g e n sind nach den verschiedenen
Kielituugen hiu frei. Nur die Couvergenzbewegung ist untnög-
i « lt; bei der Aufforderung, <1 io Nasenspitze auztisehen, folgt ImiIiI
«las linke, bald das rechte Auge dem Befehle un«l das andere bleibt
parallel gerichtet. Offenbar ist die Couvergenzbewegung nie elu-
geiibt worden, weil sie bei dem Mangel der Linsenakkoinmodatiou
zwecklos gewesen wäre uud well das Kind wegen seiner Läh¬
mungen den Augen keine Gegenstände nähern konnte. Es wiril
ein N y s t a g m u s liorizontalis »lässigen Grades festgestellt. Es
muss fraglich bleiben, ob derselbe von einem Gesichtspunkte aus
mit «len übrigen unwillkürlichen Bewegungen angesehen werden
soll, «»der öl« er lediglich Folge der angeborenen Amblyopie ist.
'Protz der Kolobome ist beiderseits au den Pupillen deutliche
Liehtreaktion zu beobachten.
1 »er Kiefer Schluss ist massig kräftig. Seitwärtsbeweg-
uugi'it des Unterkiefers gelingen nicht.
Die F a c i n 1 i s Innervation ist auf beiden GesiehtshHlfteu
gleich unvollkommen. Die Stirne wird nicht deutlich gerunzelt.
Die Augen können ziemlich fest geschlossen werden. Der Mund
dagegen wird mit geringer Kraft verengert; Spitzen des Mundes.
Pfeifen. Ausblasen eines Lichtes ist unmöglich.
Das Gau m e u s e g e 1 steht lieiderseits gleich hoch; es wird
beim a-sagen ein wenig ln die Höhe, das Zäpfchen aber nicht
rückwärts bewegt. Der Gaumenreflex fehlt, ebenso der Rachen-
retlex. Dagegen Ist der Schlingreflex durch Berührung des Zungen¬
grundes jedesmal auszulösen. Der harte Gaumen Ist hoch uud
steil.
Die Zunge sieht gut aus und wird gerade und ziemlich weit
nach vorne gestreckt. Dagegen sind die Bewegungen naeh den
Seiten und nach ol»eu ganz unvollkommen möglich. Keine fibril¬
lären Zuckungen.
Das Essen macht viel Mühe, das Kauen sowohl als das
Schlucken; inan kann dem Kinde nur weiche Speisen geben und
auch diese werden nur langsam geschluckt. Zur Nase kommen
gegenwärtig die Flüssigkeiten nicht heraus; doch gibt das Kind
an, dass es früli«*r manchmal der Fall gewesen sei; wahrscheinlich
bei zu rascher Fütterung.
1 Me Artikulation der Sprache ist so schlecht, dass man
auch bei angestrengter uud geübter Aufmerksamkeit das Meiste
nicht versieben kann. Obwohl die nöthigen Sprceliliewegungeii
mit sichtlicher Mühe und richtig versucht werden, ist die Keile
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;5. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1651
doch kraftlos, undeutlich und sehr langsam, theilweise noch er¬
schwert durch unzweckmässige Nebenbewegungen lm Gesicht Ganz
schlecht kommen die Laute zustande, welche kräftige Lippenbeweg¬
ungen erfordern: p, f, o, u, w, ferner die Zungenlaute: t, k, r. Bei b
und p macht sich auch die Gaumenlähmung durch den näselnden
Charakter bemerkbar. Die übrigen Buchstaben gelingen etwas
besser. Die Aussprache mancher Consonanteugruppeu erleichtert
sich das Kind durch die Einschaltung von Vokalen zwischen die
einzelnen Consonanten, z. B. Würzaburg, Pärofessor.
Die Sprechmuskeln sind nicht wie im ersten Falle spastisch,
sondern in der Hauptsache kraftlos. Der Mund wird nicht wie
dort krampfhaft offen gehalten; er verengert sich vielmehr, aber
nicht fest genug. Wesentlich' betheiligt ist aber auch eine
Schwäche der Kehlkopfmuskeln. Während dort bei dem
völligen Mangel der Artikulation doch der Kehlkopf kräftig funk-
tionirt, die Stimme wenigstens stark und der einfache Kehlkopf¬
laut h ausser a der einzige erkennbare Buchstabe ist, wird im
zweiten Falle gerade das li im Verhültniss zu manchen anderen
Lauten schlecht erzeugt und die Stimme ist schwach. Es werden
überhaupt auser beim Lachen und Weinen keine lauten und hellen
Töne hervorgebracht, lind auch diese unwillkürlichen Affekt¬
bewegungen kommen nur mühsam zu Staude; es dauert immer
längere Zeit, bis aus dem breit verzerrten Munde und durch die
Nase hellere und dumpfere, grunzende und näselnde Laute heraus¬
kommen. Dass diese unwillkürlichen Töne lauter sind als die will¬
kürlichen, erinnert an den Oppenliel m’schen Fall der stummen
Frau.
Kumpf. Die Muskulatur des Kückens ist, entsprechend der
Unmöglichkeit einer aufrechten Haltung, sehr dürftig. Die
Wirbelsäule ist kyphotisch und stark nach links skoliotisch, am
meisten am Uebergang von der Lenden- zur Brustwirbelsaule —
ein gutes Beispiel für Länderers Erklärung der Skoliose
durch Muskelschwäche. Der Brustkasten ist vorn rechts vor¬
gewölbt.
Herz und Lungen ohne Besonderheiten. Puls 96. Die Ath-
mung geht ruhig und ausgiebig vor sich, 22 pro Min., so dass man
von einer Schwäche der Athenunuskeln nicht reden kann. Die
Bauchmuskeln sind mässig kräftig. Bauchreflex nicht deutlich.
Zu husten vermag das Kind nur schwach, da der Glottisschluss
nicht fest genug ist
Beim passiven Aufsetzen wackelt der Rumpf bedeutend hin
und her in der Art hochgradiger Ataxie.
Obere Extremitäten. Beide verhalten sich gleich.
Die Muskulatur ist ziemlich dürftig und schlaff, besonders an der
Mittelhand schwach entwickelt. Alle Gelenke sind passiv frei
beweglich, ohne jeden Widerstand, zum Theil sogar in über¬
mässiger Ausdehnung. So lässt sich der Ellbogen überstrecken;
er steht ausserdem in Valgusstellung.
Die Finger sind in allen Gelenken zu überstrecken, im Grund-
gelenk so weit, dass sie senkrecht zum Handrücken stehen. Diese
Ueberstreckungeu rühren offenbar von den gewaltsamen atak¬
tischen Bewegungen her (s. u.), welche immer wieder auf die
schlaffen Gelenke feinwirkten. Die Bewegungen in den verschie¬
denen Gelenken sind auch willkürlich überall möglich und in der
Ausdehnung nicht wesentlich beschränkt, aber der geringste
Widerstand ist für ihre Kraft zu gross, besonders ln der Schulter.
Ausserdem sind die Bewegungen sehr ataktisch, und zwar sowohl
beim Greifen nach einem bestimmten Ziel, als beim Geradeaus¬
strecken. Versucht das Kind, einem die Hand zu geben, so fährt
dieselbe mit dem ganzen Arm wild hin und her, die Finger werden
stark gestreckt und gespreizt; ebenso ist der Ellbogen überstreckt
und da die Erhebung in der Schulter zu schwach ist, wird der
Oberarm von der anderen Hand mühsam emporgehoben. Das
Kind kann nur mit Mühe ein Stück Brod zum Munde führen.
Gabel und Löffel sind ausgeschlossen.
Schliessung der Augen verstärkt die Ataxie nicht Doch ist
mit dieser Feststellung nichts anzufaugen, da bei der geringen
Sehschärfe und dem heftigen Wackeln des Kopfes den Augen so
wie so ein Einfluss auf die Bewegungen der Glieder fehlen muss,
Ein eigentliches Zittern besteht weder in der Ruhe, noch bei Be¬
wegungen.
Die Supinator- und Trlcepsreflexe fehlen vollständig.
Untere Extremitäten. Sie liegen fast todt da, in
Hüfte und Knie gebeugt Auch an ihnen ist zwischen rechts und
links kein Unterschied. Die Muskulatur ist sehr atrophisch in
Folge der Unthätlgkeit. Passiv sind die Gelenke, abgesehen vom
Knie, ganz frei beweglich; die Fussgelenke sind auffallend schlaff.
Die Kniegelenke sind in Beugung kontrakt so dass sie nicht mehr
als bis zu einem nach hinten offenen Winke) von 130° gestreckt
worden können. Beugung ist bis zu einem spitzen Winkel mög¬
lich. Nirgends eine Spur von Spasmen. Die aktiven Be¬
wegungen gehen ln den Hüft-, Knie- und Fussgelenken mit ganz
geringer Kraft und unvollkommen vor sich. Die Dorsalflexion des
Fusses und die Zehenbewegungen fehlen völlig. Die Patellar-
reflexe sind nicht auszulösen, ohne dass man dies durch die Beuge¬
kontraktur im Knie erklären könnte; ebensowenig die Achilles¬
reflexe. Auf Ataxie kann wegen der Lähmungen nicht geprüft
werden.
Sensibilität Das Empfludungs- und Lokalisationsver¬
mögen für Pinselberühningeu und Nadelstiche, ferner das Tem¬
peraturgefühl sind am ganzen Körper ungestört. Ebenso das
Lagegefühl ln den Gliedmaassen und der stereognostische Sinn in
den Händen. Die Huutreflexe an den Händen und den
Ko. 42.
Flusssohlen sind lebhaft. Kein Babinsk i’scher Zehenreflex.
Die Sinnesorgane sind normal, ausser den Augen.
Elektrisches Verhalten der Muskeln. Die
Muskeln sind alle, einschliesslich der Mundmuskeln, der Zunge,
der Hände und des atrophischen Kectus femoris sowohl galvanisch
als faradlsch erregbar, bei etwa derselben Stromstärke wie ge¬
sunde Muskeln. Die Zuckungen sind erheblich schwächer als der
Stromstärke entspräche, doch sind sie rasch und bei KS > An S.
Es handelt sich um eine einfache Herabsetzung der Erregbarkeit.
(Schluss folgt.)
Aus der Heilanstalt Falkenstein i. Taunus.
Ein bemerkenswerther Fall von Tuberkulose der
Trachea und gleichzeitiger Varixbildung daselbst
mit letalem Ausgange.
Von Dr. Gidionsen, 3. Arzt der Heilanstalt.
Es handelt sich im Folgenden um einen sehr merkwürdigen
Fall von ganz plötzlich aufgetretener, starker und äusaerst jäh
zum Tode führender „Lungenblutung“, deren Ursache sich bei
der Sektion als eine recht überraschende erwies und von Neuem
lehrt, dass man sich viel häufiger der Mühe unterziehen sollte,
derartige scheinbar oft so selbstverständliche Haemoptysen post
mortem gründlich auf ihre Entstehung hin zu untersuchen. Der
vorliegende Fall bot allerdings von vorneherein, rein klinisch
betrachtet, so viel Bemerkenswerthes, dass die Nachprüfung
durch die Obduktion als selbstverständlich erscheint.
Bevor ich auf eine nähere Besprechung eingehe, sei mir zur
schnelleren Orientirung eine knappe Wiedergabe der betreffen¬
den Krankengeschichte gestattet.
Die 41 jährige Patientin trat in unsere Behandlung, nachdem
sie seit einem Jahr an quälendem Husten und immer mehr sich
steigernden Athembeschwerden gelitten hatte. Von verschiedenen
Aerzten waren die Lungen und der Kehlkopf früher ausdrücklich
als frei von Tuberkulose bezeichnet worden. Eine Schwester der
Patientin ist in frühem Alter an Phthise gestorben. Nur eine
Ellenbogeneutzündung, die von chirurgischer Seite mit Jodoform¬
emulsionen behandelt war, liess den Verdacht auf eine doch vor¬
handene Tuberkulose bestehen. Eine im letzten Herbst durch¬
gemachte Lungenentzündung, sowie eine gegen die heftigen asth¬
matischen Beschwerden von anderer Seite vorgenommene Behand¬
lung mit komprlmirter Luft hatten die Kräfte sehr reducirt. Die
Patientin klagt über viel Auswurf, von dessen mikroskopischer
Untersuchung ihr nichts bekannt ist; dabei bestehen seit Wochen
und Monaten angeblich schon Fieber und sehr lästige Kurzathmig-
keit. Des Oefteren sind geringe Blutbelmengungen im Sputum vor¬
gekommen. Keine Nachtschweisse. Ausser unruhigem Schlaf
sonst keine Störungen im Allgemeinbefinden.
Statu 8: Ziemlich kleine, ganz kräftig gebaute Dame in
gutem Ernährungszustände. Gesichtsfarbe blass bei leichter
Cyanose. Athmung angestrengt. Thorax ln der Längsachse deut¬
lich verkürzt. Sternovertebraler Durchmesser vergrössert. Ziem¬
lich stark aufgetriebene Eudphalangen der Finger. Die Lungen¬
grenzen sind stark erweitert, reichen hinten bis zum II. Lenden¬
wirbel, überlagern das Herz fast vollkommen. Die Verschieblich¬
keit an den Lungenrändem ist nicht aufgehoben, aber stark ver¬
mindert. Das Exspirium ist überall sehr verlängert. Ueber der
linken Spitze besteht eine mässige Schall Verkürzung vorn bis zur
II. Rippe, hinten bis unter die Spina scapulae. Das Atliemgeräusch
hat im rechten Oberlappen einen bronchovesikulären Charakter,
ist sonst überall rauh-vesikulär. Auf beiden Selten sind einige
giemende und pfeifende Geräusche zu hören. Die Herztöne sind
rein. Nur der 2. Pulmoualton ist etwas accentuirt.
Körpergewicht 132,8 Pfund. Im Urin nichts Abnormes. Bei
zweimaliger Sputumuntersuchung keine Tuberkelbacillen. Aus¬
wurf sehr reichlich, schleimig-eitrig. Abdomen ohne Besonder¬
heiten.
In der Nase leichter, trockener Katarrh. Pharyngitis sicca.
Im Larynx sieht man am linken Processus vocalis kleine Ver¬
dickung mit weisser Kuppe, sonst nichts Besonderes.
Eine Woche nach der ersten Untersuchung trat, nachdem bis
dahin ganz normal gemessen worden war, eine Temperatur¬
erhöhung auf 38° ein, zugleich mit einer Steigerung der Kurz-
athmigkeit. Auf den Lungen war jetzt ausgebreitetes Giemen
nachzuweisen. Als nach 3 Wochen langem Lager die Kranke zum
ersten Male wieder an der gemeinsamen Mittagstafel thell-
genommen hatte, stellte sich beim Heraufgehen der Treppen eine
mässig starke Blutung ein, die abermalige Bettruhe nöthig machte.
Nach 4 Tagen ist der Auswurf frei von jeglicher Blutbeimengung;
die Temperaturen sind normal, das Allgemeinbefinden ist vorzüg¬
lich, so dass bei der am Nachmittag zwischen 5 und 6 Uhr statt-
flndenden ärztlichen Visite die Patientin selber den Wunsch
äussert, möglichst bald wieder aufstelien zu dürfen. Zum ersten
Male wurde an diesem Tage die Kranke wegen ihres guten Zu¬
standes nicht auch noch nach dem Abeudessen besucht. Die Ober¬
schwester überzeugte sich aber noch um 0 Uhr von dem Wohl¬
befinden derselben. Um 10 y 2 Uhr erfolgte plötzlich eine heftige
Lungenblutuug. Die sofort lierbeigeelite Schwester schickt gleich
nach ärztlichem Beistände. Die Kranke hatte sich ln Folge wohl
8
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1652
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
sofort eintretender stärkster Athembeschwerden selbst aus dem
Bett erhoben. Versuche mit künstlichen Atheinbewegungen,
Herausziehen der Zunge, Eingreifen der Hund bis in die Glottis,
um etwaige Gerinnsel zu entfernen, bleiben erfolglos. 20 Minuten
nach Beginn der Blutung ist der Exitus bereits erfolgt. —
Das Nachtgeschirr war bis zu einem Viertel etwa mit hellem,
schaumigem Blute erfüllt, dessglelchen der Spucknapf zum
grösseren Theile; da aber auch Blut in verschiedene Hand- und
Taschentücher, sowie in die Wasclischale geratheu war, lässt
sich nicht einmal ungefähr die Menge des Blutverlustes angeben.
Keineswegs war derselbe sehr beträchtlich. Der Tod geschah
unter den Zeichen der Erstickung.
Unsere Diagnose ging dahin, dass mit grosser Wahrscheinlich¬
keit Tuberkulose der Lungen auszuscliliessen und voraussichtlich
eine broucliiektatische Blutung erfolgt sei, über welche die Kranke
wegen der auf’s äusserste unelastischen Lungen nicht mehr
Herr zu werden vermochte.
Die 36 Stunden später vorgenommene Sektion ergab Folgen¬
des: Zwerchfellstand rechts bis zum unteren Baude der V. Kippe,
links bis zum oberen Bande der VI. Kippe. Bei Eröffnung der
Brusthöhle überragen die stark geblähten Lungen das Herz voll¬
kommen; sie collabiren nicht, treten vielmehr Uber die Brustfläche
vor. Die Pleurahöhlen sind beiderseits leer, die Lungen nirgends
adhaereut.
Der Herzbeutel enthält 1—2 Esslöffel klare, seröse
Flüssigkeit. Das Perikard ist stark mit Fett durchsetzt, vielfach
sehnig getrübt, besonders auf der Kückseite des linken Ventrikels.
Die linke Herzhöhle ist von mittlerer Weite; beide Höhlen ent¬
halten wenig Blut. Die Muskulatur ist von mittlerer Dicke, grau-
roth mit streifigen und punktförmigen gelben Einlagerungen.
Endokard und Klappen sind vielfach durch fibröse Auflagerungen
verdickt. Ziemlich starke Atheromatose der Aorta. Am rechte n
Herzen im Allgemeinen dieselben Veränderungen, nur weniger
stark ausgesprochen.
Mehrere Medlastinaldrüsen sind geschwollen, schiefrig in-
durirt.
Die Bronchien enthalten an den Durchschnittsstellen ge¬
ronnenes, schaumiges Blut; die Brouchialschleimliaut ist wenig
geschwellt, in den peripheren Theileu ganz atrophisch. Lumen der
Bronchien, besonders rechts, cyllndrlsch dilatirt, au vielen Stellen
mit Leichtigkeit bis zum Lungenrande aufzuschneiden.
Beide Lungen sind sehr stark emphysematos, besonders an
den vorderen Kündern und an den Spitzen. In beiden Unter-
lappeu zerstreute, duukelblaurothe, atelektatische Herde, zum Thell
mit derber Schnittfläche. Ein grösserer, etwa pflaumengrosser,
dunkelrother, über die Oberfläche erhabener, luftleerer Herd be¬
findet sich im Mittellappeu.
In den Spitzen keine Spur von tuberkulösen
Veränderungen irgend welcher Art.
In der Trachea mehrere varicös erweiterte
Venen. Dicht oberhalb der Bl furcation au der
Hinterwand ein etwa pfennigstückgrosses,
mehr längliches Geschwür mit stark aufge¬
worfenen Itändern und stark granullrter Basis,
in der Längsrichtung verlaufend, in unmittel¬
barer Nachbarschaft der Varicen. Beide grosse
Bronchialäste von derTheilungsstelle an dicht
mit theils noch flüssigem, thells geronnenem
Blute angefüllt, jedoch nur wenige Ceutimeter
bis unter die Bifur cation.
Lymphdrüsen in der Umgebung etwas vergrössert, schiefrig
indurirt.
Im Laryux nichts Besonderes, bis auf eine kleine Unebenheit
der Schleimhaut in der Nähe des linken Processus vocalis.
Oesophagus ohne Besonderheit.
Magen mit Speisetheilen angefüllt, stärkere Blutanhäufung
nicht nachweisbar.
Die Obduction der übrigen Organe war leider
nicht gestattet.
Unmittelbar nach der Sektion wurde mit ausgeglühter Platin¬
öse durch sanften Druck etwas aus dem Grunde des Tracheal-
geschwüres entfernt und auf einem Deckglase ausgestrichen. Ge¬
wöhnliche Färbung mit Methylenblau, sowie die Doppelfärbung
auf Tuberkelbacillen ergaben nichts Positives. Später wurden
das heruusgesehnitteue Ulcus, sowie die benachbarten Lymph¬
drüsen ln Alkohol gehärtet, iu Celloidiu eingebettet, geschnitten
und gründlich mikroskopisch untersucht. Die Präparate wurden
mit Alaunkarmin, gewöhnlichem Haematoxylinalaun und nach
vanGieson gefärbt. Namentlich die letzteren gaben an dünnen
Schnitten sehr schöne Bilder. Je näher die Schnitte nach der Mitte
des Ulcus zu lagen, um so deutlicher erkannte man die tuberku¬
lösen, zum grössten Theile bereits mehr oder minder stark ver¬
kästen Herde, mit der charakteristischen wirtelförmigen Anord¬
nung der Zellkerne am Rande der Tuberkel. Bei solchen Knötchen,
wo noch keine Nekrose eingetreten war, Hessen sich bei starker
Vergrösseruug iu der Mitte Rundzelleu, am Baude grössere epi-
theloide Zellformen nachwelsen. Deutliche Riesenzellen mit wand¬
ständigen Kernen in einigen Präparaten in ziemlich beträchtlicher
Anzahl. Am Bande des buchtigen Geschwüres waren die Herde
nach der freien Fläche hin aufgebrochen; das Flimmerepithel war
nirgends mehr erhalten. Die Herde reichten bis ln die Submucosa
herein, ohne jedoch das Perichondrium der benachbarten Tracheal-
ringe zu erreichen. Jenseits des das Ulcus umgrenzenden Walles
war die Schleimhaut stark verdickt und mit sehr vermehrten und
erweiterten Gefässen erfüllt. Dieselben erwiesen sich bei starker
Vergrösserung als Venen. Zum Theil war ein deutlicher noch intra
vitam entstandener Blutaustritt in das benachbarte Gewebe nach¬
zuweisen. An mehreren Stellen hatte sich das Blut, unmittelbar
am Perichondrium entlang, aus stark dilatirten Venen heraus
ausgebreitet. An einem Flecke dieser im Uebrigeu mit normalem
Flimmerepithel bedeckten Parthie war auch ein deutlicher Durch¬
tritt von Blut an die Schleimhautoberfläche erkennbar. Die Lymph-
drüsenschnitte zeigten ausser starker Pigmenteinlagerung nichts
Besonderes.
Eine Reihe von Präparaten wurden auch zwecks Nachweises
von Tuberkelbacillen mit Anilinwassergentianaviolett, Entfärbung
mit 20proc. Salpetersäure und Kontrastfärbung mit Vesuviu be¬
handelt. Leider Hessen sich trotz sorgfältigen Durchsuchens mit
Sicherheit keine Tuberkelbacillen aufflnden.
Zum Vergleiche fertigte ich dann noch von einem anderen
Falle, bei dein eine ausgedehnte Tuberkulose der Lungen, des
Larynx, der Trachea bis in die Hauptbronchien herein bestanden
hatte, aus einem etwa gleich grossen und gleichfalls an der Luft-
röhrenhinterwand lokalisirten Ulcus Schnitte an, die recht ähn¬
liche Bilder ergaben. Auch hier waren die tuberkulösen Herde
zum weitaus grössten Theile bereits in Verkäsung übergegangeu.
Aeusserst zahlreiche, theils sehr mächtige Riesenzellen. Nur war
in diesen Präparaten im Centrum der Ulceratiou bereits das Peri¬
chondrium ganz in den tuberkulösen Zeretörungsprocess einbe¬
griffen, stellenweise sogar auch der Knorpel selber erkrankt.
Am einfachsten lässt sich die plötzlich eingetretene Kata¬
strophe wohl in folgender Weise erklären. Das Vorhandensein
der sonderbaren Venenerweiterungen an der Hinterwand der
Luftröhre und dasjenige des tuberkulösen Ulcus in unmittelbarer
Nähe derselben sind als zwei unabhängig von einander bestehende
Proeesse aufzufassen. Klinisch hätten sich beide wahrscheinlich ,
völlig der Aufmerksamkeit entzogen, wenn nicht das Geschwür I
eine der gröberen Gefässdilatationen in Mitleidenschaft gezogen '
und damit den unmittelbaren Anlass zu der ziemlich heftigen
Ilaemorrhagie gegeben hätte. Das austrelende Blut ist dann
einfach in beide Bronchialstämme heruntergeflossen und hat die¬
selben im gleichen Momente für die Luftpassage unwegsam ge¬
macht, Die hochgradig emphysematosen Lungen waren nicht im
Stande, bei der Exspiration solche Kraft aufzubringen, um der
drohenden Erstickung mit Erfolg Widerstand zu leisten. Als
dritter, rein zufälliger Umstand wirkte also die enorme Herab¬
setzung der normalen Lungenelasticität durch die bronchitischen
und emphysematosen Veränderungen, sowie die durch da9 Em¬
physem bedingte dauernde Inspirationsstellung des Thorax mit
den beiden schon genannten zusammen, um zu einem so über¬
raschend schnellen tödtlichem Ausgange zu führen.
Die eigenthümliche Varicenbildung steht offenbar in direk¬
tem Zusammenhänge mit den schweren Kreislaufstörungen, die
schon seit längerer Zeit durch die Lungenerkrankung geschaffen
waren. ,
Von anderen Autoren, die Aehnliches berichten, kann ich
A v e 11 i s nennen, der auf der letzten Versammlung des Vereines
süddeutscher Laryngologen in Heidelberg über einen Fall Bericht
erstattet, der von anderer Seite für eine gewöhnliche Lungeu-
blutung gehalten wurde, sich aber in Wirklichkeit als aus
Tracheavaricen entstanden erwies. (Die ausführliche Beschrei¬
bung dieses Falles findet sich in No. 34, 1901 der Münch, med.
Wochenschr.) M. Schmidt erwähnt in seinem Buche über
die Krankheiten der oberen, Luftwege auch Fälle, wo er ein
paar Mal aus erweiterten Gefässen der Trachea Blutungen ge¬
sehen hat, besonders bei alten Männern mit Atherom der Gefässe.
Noch merkwürdiger ist die einzige Manifestation der Tuber- '
kulose im gesammten Gebiete des Respirationstraktus gerade an
dieser Stelle. Die vorher erwähnte Kuppe im Larynx war schon
bei einer Spiegeluntersuchung, die etwa 1—2 Wochen aute
exitum gemacht wurde, nicht mehr nachweisbar. Und bei der
Sektion war mit Auge und Gefühl an dieser Stelle der Schleim¬
haut auch nur für einen eigens darnach suchenden Beobachter
eine ganz geringfügige Unebenheit bemerkbar. Immerhin bleibt
es sehr zu bedauern, dass für eine spätere mikroskopische Unter¬
suchung der Larynx nicht aufbewahrt wurde. Hinsichtlich der
nachträglich durch das Mikroskop gestellten Diagnose auf
Trachealtuberkulose ist es gleichfalls zu beklagen,
dass nicht alle übrigen Organe auf einen etwa bestehenden tuber¬
kulösen Herd auf’s Genaueste bei der Sektion durchsucht worden
sind. In Folge dessen lässt sich eine primäre Tuberku¬
lose der Trachea natürlich nicht mit Sicherheit annehmen.
Gleichwohl ist die Thatsache, dass innerhalb der gesammten Re- !
spirationsorgane als ältester Ansiedlungsherd der
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15. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1653
Tuberkulose die Trachea aufgefunden wurde, als ein
recht seltenes Ereigniss zu verzeichnen.
In einem der neuesten Literatur angehörenden Aufsatze über
die Tuberkulose der oberen Luftwege von O. C h i a r i ist trotz
ausführlichster Besprechung aller sonst vorkommenden Lokali¬
sationen tuberkulöser Processe im oberen Respirationstraktus auf
die Tuberkulose der Trachea gar keine Rücksicht genommen wor¬
den. Eine viel ältere Arbeit von Dr. O. H e i n z e, die mit
grossem Fleisse die Ergebnisse von 4486 Sektionen mit Bezug
auf das Vorhandensein von tuberkulösen Larynx- und Tracheal-
erkrankungen prüfte, macht über das Vorkommen von Tracheal-
tuberkulose überhaupt und solcher mit primärem Sitze daselbst
sehr lehrreiche statistische Angaben. Nach H e i n z e stellte sich
folgendes Zahlenverhältniss heraus: Trachealulcerationen
kommen ohne solche des Larynx nur in 1,5 Proc. aller Fälle von
Phthisis vor, während in 6,5 Proc. Larynxulcerationen daneben
bestanden. Unter 1226 Lungentuberkulosen überhaupt fanden
sich 376 mit Ulcerationen des Larynx, das heisst also 30,6 Proc.
Wohlgemerkt spricht der Verfasser hier nur von „Ulcerationen“
überhaupt, ohne deren tuberkulöse Natur eigens zu betonen. In
einer anderen Zusammenstellung wurden 50 mehr oder weniger
erkrankte Kehlköpfe von Phthisikern allein untersucht, wobei
4 Proc. tuberkulöse Trachealulcerationen ohne
gleichzeitige Larynxtuberkulose nachzuweisen waren. Bei all’
den genannten Zahlen handelt es sich aber nur um Kehlkopf-
und Luftröhrenerkrankungen bei nebenher bestehen¬
der Lungentuberkulose. Also über das Vorkommen
und die Häufigkeit wirklicher primärer Trachealtuberkulosen ist
damit nichts ausgesagt worden. Com et führt in seinem
Buche: „Die Tuberkulose“ nur einen einzigen Fall von primärer
Trachealtuberkulöse an, den Valette in Gazette des hopitaux
1889, No. 91 beschrieben hat. M. Schmidt sagt nur im All¬
gemeinen, dass Tuberkulose in allen Theilen der oberen Luft¬
wege primär Vorkommen könne, wie dies in seltenen, aber sicheren
Fällen durch die Sektion erhärtet sei.
Nach obigen Untersuchungen handelt es
sich also um das Zusammentreffen von einem
tuberkulösen Trachealgeschwür (als einziger
nachgewiesener Ansiedlung der Tuberkulose
innerhalb des Respirationsgebietes) mit
V a r i c e n b i 1 d u n g in der Umgebung desselben;
die Entscheidung, ob hier eine wirkliche pri¬
märe Trachealtubcrkulose vorliegt, lässt sich
nicht mit Sicherheit treffen, da nicht alle
Organe auf tuberkulöse Herde untersucht
werden konnten.
Herrn Geheimrath Prof. Dr. W e i g e r t spreche ich für die
liebenswürdige Durchsicht der Präparate, meinem verehrten
Chef, Herrn Dr. Hess ausserdem für die freundlichen Finger¬
zeige bei der Bearbeitung dieses Falles meinen besten Dank aus.
Literatur.
1. Avellis: Ueber eine Art trachealer Haemoptoe (Vortrag
auf der VIII. Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidel-
l>erg). Münch, med. Woehenschr. 1901, No. 34.
2. O. Chiari: Ueber die Tuberkulose der oberen Luftwege.
Berl. klin. Wochensehr. No. 45—47 (nach dem Referate des Ver¬
fassers in der Sitzung der Tuberkulosecommission der deutschen
Naturforscher- und Aerzteversainmlung ln München 1899.
3. G. C o r n e t: Die Tuberkulose, im XIV. Bande von Noth-
n n g e l’s specieller Pathologie und Therapie.
4. O. Heinze: Die Kehlkopfschwindsucht. Leipzig 1879,
V e i t 4 C o. (Citirt nach dem Referate in Schmidt’s Jahrbüchern,
Jahrgang 1879, 181. Bd.)
5. M. Schmidt: Die Krankheiten der oberen Luftwege.
II. Auflage. Berlin 1897, J. Springer.
Aus der orthopädischen Heilanstalt des Dr. med. A. Schanz
in Dresden.
Die Behandlung des angeborenen Schiefhalses mit
offener Durchschneidung des Kopfhickers und Watte-
Redressionsverband.
Von Dr. A. Schanz.
Unter den deutschen Orthopäden wird zur Zeit lebhaft über
die Behandlung des angeborenen Schiefhalses discutirt. Ange¬
regt wurde die Debatte durch einen Vortrag, in welchem H o f f a
dem vorjährigen Chirurgenkongress über seine durch Kopfnicker¬
exstirpation erreichten Erfolge berichtete. Es erschienen dann
eine ganze Reihe von Mittheilungen, in denen von verschiedenen
Stellen über die Erfolge derselben Operation wie über die Erfolge
anderer Methoden Rechenschaft gegeben wurde.
Das Gesanuntergebniss dieser Mittheilungen ist folgendes:
Von allen je für die Behandlung des angeborenen Schiefhalses
empfohlenen Methoden werden heute fast nur die offene Durch¬
schneidung und die Exstirpation des Kopfnickers geübt. Beide
Methoden geben in einem Procentsatz der Fälle ausgezeichnete
Resultate, aber den günstigen Erfolgen stehen eine Anzahl un¬
günstiger gegenüber. Es kommt nach der Operation zu einem
mehr oder weniger schweren Recidiv. Diese Recidive sind
häufiger, wenn der Operation eine Nachbehandlung nicht folgt,
sie scheinen etwas seltener zu sein bei der Kopfnickerexstir¬
pation als bei der einfachen Durchschneidung. Ausgeschlossen
worden dieselben aber weder durch die Nachbehandlung, noch
durch die Exstirpation. Das Auftreten von Recidiven ist auch
von Operateuren angegeben, deren Namen dafür bürgt, dass
Operation und Nachbehandlung tadellos ausgeführt worden sind.
Diese Ergebnisse der heute üblichen Schiefhalsbehandlung
können als wirklich befriedigend nicht bezeichnet werden. Ja,
man darf dieselben als recht unbefriedigend bezeichnen, wenn
man sich überlegt, wie einfach eigentlich und für die Therapie
ausserordentlich günstig die Verhältnisse beim Schiefhals liegen.
Die ganze Deformität wird durch die Verkürzung eines einzelnen
ganz oberflächlich und zugänglich gelegenen Muskels bedingt.
Die ganze Aufgabo für die Behandlung besteht darin, diesen
Muskel genügend zu verlängern.
Die Verlängerung eines verkürzten Muskels ist eine der ein¬
fachsten Aufgaben der operativen Orthopädie, die wir sonst —
ich erinnere an die Operation des entsprechenden Spitzfasses —
nicht gewohnt sind, misslingen zu sehen. Es müssen Verhältnisse
beim Kopfnicker gegeben sein, die die Lösung jener Aufgabe
schwieriger machen, als an anderen Körperstellen.
Diese fraglichen Verhältnisse müssen zuerst klar gestellt
werden, wenn man nach Wegen suchen will, die Behandlungs¬
resultate des Schiefhalses zu verbessern; erst wenn wir die
Schwierigkeit erkannt haben, werden wir Mittel finden, dieselbe
zu überwinden.
Die Schwierigkeiten der Heilung des Schiefhalses hat man
einestheils in der unvollkommenen Wirkung der Operation ge¬
sucht. Man ist zuerst von der früher allgemein gebräuchlichen
subkutanen Tenotomie abgegangen, weil man nicht mit genügen¬
der Sicherheit subkutan alle verkürzten Stränge durchschneiden
kann. Andemthcils sah man die Ursache des Recidivs (Miku¬
licz) in der Neigung des durchgeschnittenen Muskels bezw. des
zurückgelassenen Muskelrestes, sich zu verkürzen. Daraus ergab
sich der Vorschlag der Exstirpation.
Waren diese Voraussetzungen und die auf dieselben gebauten
Schlüsse richtig? Was subkutane und offene Durchschneidung
des Kopfnickers betrifft, so ist es ohne Zweifel, dass die offene
Durchschneidung ein sichereres und gründlicheres Vorgehen ge¬
währleistet. Auch betreffs der Kopfnickerexstirpation gilt das¬
selbe gegenüber der subkutanen Durchschneidung, ja dieselbe ar¬
beitet auch noch gründlicher wie die offene Durchschneidung.
Wenn die Ursache der Recidive in der ungenügenden Durch¬
trennung der kontrakten Theile lag, so müssten Recidive nach
der richtig ausgeführten offenen Durchschneidung und erst recht
nach der Exstirpation unmöglich sein. Wenn uns jetzt die Er¬
fahrung lehrt, dass die Recidive auch darnach nicht ausbleiben,
so müssen wir daraus den Schluss ziehen, dass die Recidive
mindestens zum Theil aus anderen Ursachen als aus der unge¬
nügenden Durchtrennung der kontrakten Theile oder aus der
Schrumpfung der zuxückgelasscnen Reste entstehen.
Die Entstehungsgeschichte und der Befund, eines solchen
Recidivs bestätigten diesen Schluss. Wir finden beim Recidiv
straffe Narbenstränge zwischen dem zurückgewiclienen Muskel
bezw. Muskelstumpf und seiner alten Ansatzstello an Sternum
und Clavicula. Diese Stränge sind es, welche die ungenügende
Korrektion der Deformität bedingen; dieselben sind aber erst
nach der Operation entstanden, sie sind nicht bei der Operation
stehen geblieben. Die Operation hatte zunächst eine volle
Korrektion gegeben. Erst durch die Ausbildung
dieser Narben stränge geht ein Theil der Kor¬
rektion wieder verloren und mau erhält das
3*
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1654
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
R e c i d i v. Hat der ungenügende Erfolg in einer ungenügen¬
den Operation seinen Grund, so muss der sonst vorhandene
Augenblickserfolg der Operation fehlen oder ungenügend gross
sein. In solchem Fall kann man dann aber kaum von Recidiv
sprechen.
Das echte Recidiv hat also seine Ursache nicht in einer un¬
genügenden Ausführung der Operation, auch nicht in nachträg¬
licher Schrumpfung des zurückgebliebenen Muskelrestes, sondern
in der Ausbildung von kontrakten Narbenzügen zwischen den
beiden Muskelstümpfen.
Wollen wir das Recidiv vermeiden, so müssen wir darum
die Ausbildung dieser Narbenstränge verhindern. Hier ist der
Punkt, an dem wir ansetzen müssen, wenn wir die Recidive nach
Schiefhalsoperationen verhindern wollen.
Es fragt sich, können wir die Bildung jener Narbenstränge
vermeiden ?
Die Entstehung bindegewebiger Verbindungszüge zwischen
den Muskelstümpfen können wir nicht verhindern. Dieselben
werden in jedem Fall sich bilden; das ist für unseren Zweck aber
auch gar kein Uebel. Im Gegentheil, denn nur durch die Her¬
stellung solcher Verbindungszügo kommt der Muskel in die Lage,
falls er überhaupt eine Funktionsäusserung geben kann, diese
wieder zu gewinnen.
Die narbigen Verbindungsstränge zwischen den Muskel¬
stümpfen können wir also nicht vermeiden. Dieselben sind auch,
wie gesagt, eher von Vortheil, als von Nnehthedl, so lange sie
nicht zu kurz sind. Nicht die Stränge an sich sind schädlich,
sondern nur zu kurze Stränge.
Wir können unsere Aufgaben betreffs Vorbeugung der Re¬
cidive jetzt noch genauer als oben präcisiren. Das Recidiv ist
zu verhindern dadurch, das« für genügende Länge der sich nach
der Durchschneidung des Muskels zwischen den Stümpfen bilden¬
den Bindegewebsstränge gesorgt wird und — das können wir gleich
hinzufügen — dass die nachträgliche Schrumpfung dieser Stränge
verhindert wird. Wir haben hierin Aufgaben, deren Lösung an¬
scheinend recht wenig an uns fordert. Die Länge der entstellen¬
den Bindegewebsverbindungen können wir durch die Entfernung,
in welche wir die beiden Muskelstümpfe von einander bringen,
bestimmen: so weit die beiden Stümpfe von einander entfernt
sind, so lang werden die Verbindungsstränge. Eine nachträgliche
Schrumpfung können wir vermeiden, wenn wir eine Annäherung
der Stümpfe aneinander verhindern, so lange als die Stränge die
Neigung zum Schrumpfen besitzen. Die beiden Muskelstümpfe
weichen bei der Operation gewöhnlich mit dem Augenblick der
Durchtrennung genügend weit auseinander. Nur in schweren
Fällen bleibt noch eine Spannung im oberen — dem Warzen¬
fortsatz benachbarten — Theil, wenn man die Halswirbelsäule
in Korrektionsstellung bringt. Diese Spannung verliert sich,
wenn man das Manöver ausführt, welches Lorenz als das
modellirende Redressement bezeichnet. Es zieht sich dabei der
durchschnittene Muskel soweit zurück, dass nun eine vollständige
Ueberkorrektion möglich ist. Die jetzt gegebene Entfernung der
Muskelstümpfe ist die denkbar günstigste. Dieselbe aufrecht zu
erhalten, haben wir im Verband das einzige Mittel.
Allgemein wird zu diesem Zweck der Gipsverband verwendet.
Man fasst mit demselben den oberen Theil der Brust, den Hals
und den Kopf, und legt ihn in korrigirter Stellung des Halses an.
Ein solcher umfangreicher Verband macht den Eindruck, als ob
er die ihm hier gegebene Aufgabe in ausgezeichneter Weise er¬
füllt und doch tliut er das nicht. Gerade darin, dass
der Gipsvorband die auf ihn gesetzten Er¬
wartungen täuscht, liegt die ganze Quelle des
R e c i d i v s.
Legen wir einen solchen Gipsverband an, so haben wir schon
grosse Mühe, denselben zum exakten Sitzen zu bekommen. Der
Kopf bietet mit seiner gleichmässigen Rundung keinen rechten
Anhaltspunkt, um den Hals dürfen wir den Verband nicht zu fest
legen, der Thorax ist ein bewegliches Ding. Wir mögen noch so
genau den Verband anlegen, wir können, wenn er erstarrt ist,
sofort ohne jede Mühe von der Brust her die Finger darunter
schieben. Der Gips bleibt nach dem Erstarren doch noch reich¬
lich so plastisch, dass der Kopf sich einen gewissen Spielraum
schaffen kann. So gewiftnt der Körper in dem grossen, starren
Gipsverband so viel Raum, dass eine Annäherung der beiden
Muskelstümpfo erfolgen kann, und dass ein Theil des ersten
schönen Resultates verloren gellt. Ist dieser Theil gross genug,
so haben wir das Recidiv.
Die unerfreulichen Ueberraschungeu, welche man auf diese
Weise erfährt, sind mir ebenso wenig erspart geblieben, wie
Anderen. Die Erkenntniss ihrer Ursache liess mich nach einem
Verband suchen, welchem jene Mängel nicht anhaften. Nach
einigen Versuchen bin ich zu einem Verband gekommen, der
Alles leistet, was von ihm gefordert werden kann, und der dabei
den Vortheil bietet, viel einfacher als der Gipsverband zu sein.
Ich benutze ein dicke Lage Watte, die mit Binden fest um den
Hals zusammengedrückt wird. Die Anlegung des Verbandes
geschieht folgendermaassen. Nachdem die Operationswunde
durch einen kleinen aseptischen Wundverband gedeckt ist, um¬
wickle ich den Hals mit nicht entfetteter Watte zunächst in
3—4 facher Schicht. Diese Lagen werden unter mässigem Druck
mit Mullbinden festgelegt (s. Fig. 1), darauf folgt wieder Watte
Fig. 1. Fig. 2.
und wieder Binden, die schon etwas straffer angezogen werden,
und so fort mit sich steigerndem Druck der Binden, bis ein
Verband zu Stande kommt, wie ihn Fig. 2 zeigt. Der Verband
drückt sich dann fest zwischen Brust und Thorax, er ist so hart,
dass er, obgleich er aus weichem Stoff besteht, völlig die Rolle
eines Fixationsverbandes erfüllt. Er ist dabei aber — und das
ist der grösste Werth — so elastisch, dass er den Bewegungen
des Thorax und des Kopfes folgt und sich stets wieder fest an¬
schmiegt. Lockert sich der Verband, so wird er durch üm-
Fig. 3. Fig. 4.
legen einer Watteschicht und einer Binde wieder gespannt. Die
Elasticität des Verbandes gibt ausserdem den Vortheil, dass der
Verband im Sinne der Auseinanderlagerung der Muskelstümpfe
red ress irend weiter wirkt. Der Verband extendirt den Hals sehr
kräftig. Man überzeugt sich davon, wenn man den Verband ab¬
nimmt und dabei immer überrascht ist, wie lang der Hals unter
der Wirkung des Verbandes geworden ist. Hatte man nach der
Operation noch die oben beschriebene Spannung im oberen Theile
des Muskels, so wird diese durch den Verband, ohne dass ein
modellirendes Redressement nöthig war, vollständig be¬
seitigt.
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15. Oktober 1001.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1655
Wieweit unter der Wirkung des Verbandes der obere Muskel-
stumpf zuriiekweieht, zeigt Fig. 3. wo derselbe dureh Blau¬
stift markirt ist. Dureh die Dehnung «los Halses,
welche der Verband bewirkt, wird die Binde-
gewebsverbi ndung der beiden Stümpfe so
lang, dass nach A u f h ö r e n die s e r 1) e h n u n g
der verlängerte Muskel auch di e E i n n a h in e
der Ueberkurrcktio ns Stellung erlaubt (s. Fig. 4).
Um zu zeigen, dass es sich in dem hier dargesteilten Falle
um eino erhebliche Deformität, gehandelt hatte, füge ich Fig. 5
hinzu. Die Photographie stellt den 12 jährigen Knaben vor der
Operation dar.
Eine nachträgliche Schrumpfung der Bindegewebsbrüeke zu
venneitlen, muss man den Verband lange genug liegen lassen.
Von 14 Tagen bin ich all¬
mählich bis zu 6 Wochen
gekommen. Diese Zeit ge¬
nügt wohl für jeden Fall.
Ein V« rlust ist die längere
Zeit des Verbandes unter
keinen Umstünden, denn wir
kürzen dadurch die Zeit für
die Nachbehandlung. In
den Fällen . welche ich
6 Wochen im Verband be¬
hielt — die letzten 3 —
habe ich auf jede Nach¬
behandlung verzichtet, und
habe doch in jedem Fall ein
volles Bi-ultat erreicht. Im
(iiinzen habe ich meinen
Watteverband in 16 Füllen
zur Anwendung gebracht.
Es ist in keinem Fall zur Entwicklung eines Reeidivs gekommen.
Nach den grossen Vortheilen des Verbandes muss ich
einer üblen Folge desselben Erwähnung tliun. Der
elastische Druck des Verbandes ist. so bedeutend, dass er zur
Drucklähmung im Plexus brachialis führen kann dadurch, dass
er die Clavieula gegen den oberen Thorax drückt und den Plexus
auf diese Weise quetscht.
Diese unwillkommene Leistung des Verbandes habe ich
einmal erhalten. Das Kind klagte am Nachmittag nach der
Operation über Einschlafen der Hand. Ich legte dieser Klage
weiter keinen Werth bei, bis ich am anderen Morgen die fertige
Plexuslähmung fand. Es dauerte '/» Jahr, bis dieselbe beseitigt
war. Seitdem lasse ich besonders auf das Einschlafen der Ilände
achten. Es wurde noch in einem Falle bemerkt und der Ver¬
band rechtzeitig gelockert.
Wenn mau die Gefahr der Plexuslähmung beachtet, ist sie
leicht zu umgehen. Im Ucbrigen ist der redressirende Watte¬
verband ein ebenso gefahrloses wie sicheres und einfaches Mittel,
das Recidiv nach der Schiefhalsoperation zu vermeiden.
Nachtrag bei der Korrok :t u r: Der in vorstehen¬
dem beschriebene Verband wird sich ebenso eignen zur Nach¬
behandlung der subkutanen Durchreissung des Kopfnickers,
welche Lorenz soeben auf der Naturforscherversammlung
empfohlen hat.
Aus der dermatologischen Universitätsklinik (Prof. Dr. G. Riehl)
zu Leipzig.
Sterilisationsapparat für local anaesthesirende
Lösungen.)*)
Von Dr. Erhard Ri ecke, Assistenzarzt.
Die von Schleich inaugurirte Methode der Infiltrations-
anaesthesie hat im Laufe der Zeit immer mehr an Boden ge¬
wonnen und dürfte bald als Allgemeingut der praktischen Aerzte
betrachtet werden.
Gerade für die Letzteren bedeutet das genannte Verfuhren
einen entschiedenen Gewinn, insofern dadurch viele kleinere Ope¬
rationen jetzt unbedenklich in der Sprechstunde vorgenommen
werden können, die früher Chloroform- oder Acthernarkose er¬
forderten.
*) Nach einer Demonstration in der Medicinischen Gesell¬
schaft zu Leipzig.
No. 42.
Insbesondere erweist sich diese Methode für manche Spezia¬
listen als äusserst brauchbar. So kann z. B. der Dermatologe
weitaus die meisten seiner üblichen chirurgischen Eingriffe auf
diese. Weise leicht bewerkstelligen.
Kongenitale und selbst viele entzündliche Phimosen lassen
sich völlig schmerzlos mit der Infiltrationsannesthcsie operiren,
Bubo-lncisioneii und Exeoehlentionen werden bei einiger Uebung
in der Handhabung des Verfahrens ohne nennenswert hen
Schmerz auf diese Weise ermöglicht. Lupusexcisionen. Ex-
eoeldeatioiien und Thiersch’sche Transplantationen sind leicht
damit durchführbar.
Ganz besonders aber ist die .Methode bei den vielen Ex-
cisionen empfehlenswerth, die theils aus kosmetischen Gründen
theils zu diagnostischen Zw<*eken vom Arzte vorzunehmen sind.
Die Ilaupthedingung für die Berechtigung des in Rede
stehenden Verfahrens bildet aber die absolute Unschädlichkeit
desselben.
Es ist hier nicht am Platze, zu erörtern, welches der em¬
pfohlenen Mittel den Vorzug verdient, <>1> Cocain, Eueain A
oder B. oh Tropaeoeain oder Xirvanin, jedenfalls haben die zum
Ersatz des Cocains angegebenen Präparate meist «len Vorzug der
geringeren Giftigkeit und besseren Haltbarkeit.
Welches Medikament man aber auch verwenden mag, das
unbedingte Erforderniss ist eine absolute Keimfreiheit «1er
Lösung« n. In dieser Beziehung ist es nun gut, wenn der Arzt
sieh auf sieh seihst verlassen kann und nicht von der Gewissen¬
haftigkeit «l«‘s Apothekers oder Chemikers abhängig ist.
Meine eigenen Erfahrungen bestärkten mich in dieser Mei¬
nung. da v<>n 12 Proben Schiri r h'scln>r Lösungen, die aus
12 verschiedenen Apotheken stammten, nur 7 als steril sich er¬
wiesen, während die übrigen auf den üblichen Nährböden mannig¬
faltige. zum Theil sehr üppige Bakterienvegetatioiien auskeimen
Hessen. Schon der Verschluss der meisten «1er bezogenen Fläsch¬
chen mittels Korkstopfeus liess im streng bakteriologischen
Sinne eine Keimfreiheit der Lösungen nicht erwarten.
Es scheint daher unbedingtes Erforderniss, die Lösungen zu
diesem Zwecke vor dem Gebrauche zu st<*rilisiren. Um die Sterili¬
sation nun in bequemer und absolut sicherer Weise auch in dem
Ordinationszimmer möglich zu machen, habe ich einen Apparat
konstruirt, welcher nur geringfügige Beaufsichtigung erfordert
und «labei Keimfreiheit garantirt. Ueberdies ist derselbe ge¬
eignet, zur Aufbewahrung der sterilisirten Lösungen zu dienen.
Der Apparat setzt stell im Wesentlichen aus 3 Theilen zu¬
sammen: «lern Arbeitsranm. «lern Uhrwerk mit der Auslösungs-
Vorrichtung und «lern Einsatz mit den Gläsern.
Der erste Theil besteht aus einem rundlichen, aus Emaille
gefertigten und mit Aluminiumideell überzogenen Topf a. wei¬
cher auf einem eisern«*» «lreifiissigen Gestell 1» ruht; eine Heiz¬
schlange e für Gas heliudet sich unter dem Gefiiss und kann bei
«len kleineren Apparaten durch eine Spirituslampe ersetzt werden.
Ein leicht gewölbter Deckel <1 sehliesst das Gefiiss nl> uml
enthält neben 2 hölzernen Knöpfen e zur Handhabe in s«'ln«*r
Mitte eine EinlasKi'iffuung für ein Thermometer f.
Auf dem Boden «les Topfes befindet sieh neben 2 horizou-
tnh'ti Metnllplattcu g eine aus Kupfer und Zink zusammen-
gelötliete Spirale in Streifenform.
Am freien Ende derselben ist eine senkrechte Metallaehse li
angebracht, die bei Erwärmung die durch «li«* Ausdehnung der
Digitrzed by
1656
MUENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Spirale bedingte Bewegung auf einen Stift i übertrügt, welcher
Im rechten Winkel von der Achse h in ungefilhr Dreiviertelhöhe
des Gefässes dessen Wandung durchbohrt. Dieser Metallstift i
Ist nun zu einem Hebel k des am Apparat tlxirten Uhrwerks 1
so eingestellt, dass bol 100° C. die Auslösung des letzteren er¬
folgt. Das Uhrwerk entspricht einer gewöhnlichen Zeigeruhr
mit Federzug (Marinegehwerk). Zum Abstellen desselben dient ein
kleiner Hebel m an der Aussenseite.
Der dritte Theil des Apparates endlich besteht aus einem
ebenfalls aus Emaille gearbeiteten Einsatz n, der je nach der
Grösse des Apparates ein-, zwei- und dreistufig gebaut ist und 4,
12 resp. 24 runde Oeffnungen zur Aufnahme der Gläser hat.
Die Gliiser. die im Verhältnis» der Maximaldosen der be¬
kannten 3 Schleie h'schen Lösungen 100, 50 bezw. 25 ccm
Inhalt fassen, sind konisch gestaltet, indem sie sich von oben nach
unten verjüngen. Ihre Form ist so gewühlt, dass mau bequem
mit der Injektionsspritze die Lösungen einziehen kann.
Um eventuell an Flüssigkeitsmaterial zu sparen, ist jedes
Glas mit einem ebenfalls aufstellbaren, entsprechend gestalteten
Deckel versehen, der als Ausgussgefiiss dienen soll und zudem
das Aufziehen der Lösungen noch mehr erleichtert.
Im kleinsten Apparat befinden sich 4 Gläser zu 100 ccm. im
mittleren 4 Gläser zu 100 und 8 Gliiser zu 50 ccm und im grössten
Apparat (12 Gläser) 4 Gläser zu 100. 8 Gläser zu 50 und 12 Gläser
zu 25 ccm.
Die dreifache Kapazität der Gläser soll dazu dienen, diverse
Konzentrationen oder verschiedenartige Anaesthetica zum Ge¬
brauche bereit zu halten.
Wir haben besonderen Werth auf die bequeme Handhabung
der Gläser gelegt und die Form derselben, sowie der Deckelgläser,
aus diesem Grunde in der beschriebenen Weise gewählt: es fällt
damit die doppelte Sterilisirung einerseits der die Anaesthetica
enthaltenden Flaschen und andererseits der zum Einguss benutz¬
ten Gläser (Messgefiisschen, Petrischalen etc.) fort.
Die Benutzung des Apparates 1 ) gestaltet sich nach alledem kurz
folgendermaassen: Der Topf wird ca. % seines Volumen mit
WasseT ungefüllt und angeheizt, nachdem der mit den beschickten
Gläsern versehene Einsatz eingelassen ist. Erreicht der Innen¬
raum des Topfes die Temperatur von 100 °, so erfolgt durch die
oben geschilderte Vorrichtung die Auslösung des Uhrwerks, an
dessen Zifferblatt man die Zeit der Sterilisationsdauer ohne Wei¬
teres ablesen kann. Durch einen einfachen GrifT an dem Aussen-
hebel wird nach beliebig langer Einwirkung der Siedetemperatur
das Uhrwerk ausgeschaltet. Es kann somit auch von ungeübten
Händen eine sichere Sterilisation ausgeführt werden, da die Be¬
dienung des Apparates nur ln der Anheizung desselben und in
der Ausschaltung des Uhrwerks nach erfolgter Sterilisation be¬
steht. Neben dem Vortheil der Kontrole der StorlHsationsdauer
bedeutet die Möglichkeit, jede beliebige Zeit lang die Sterilisirung
ausführen zu können, einen Gewinn.
Zur weiteren Kontrole der zur Sterilisation nöthlgen Tempe¬
ratur werden jedem Apparat in einer Eprouvette sechs Maximal¬
thermometer nach Dr. Stic h*>. bestehend aus kleinen Stäbchen,
die Leeiruneen von Wismuth. Blei. Zinn und Cadmium darstellen
und bei 100° schmelzen, beigeffigt.
Dass der Apparat ohne nennenswertlie Modifikationen auch
anderweitigen Sterilisationszwecken dienen kann, sei nur bei¬
läufig erwähnt.
Aus der TTniversitäts-Obrenlslinik zu Tübingen.
Zwei Fälle von Fremdkörpern in - der Paukenhöhle.
Von T)r. Hölscher,
Kgl. Württemb. Oberarzt, kommandirt zur Universität..
Das häufige Vorkommen von Kunstfeblern bei der Behand¬
lung der Fremdkörper im äusseren Oohörgang bildet die Ver¬
anlassung. 2 schwere derartige Fälle nachstehend zu veröffent¬
lichen.
Vermöge der geschützten Lage der Paukenhöhle in der Tiefe
des knöchernen Schädels und der Krümmung des Qehörgangs
können Fremdkörper von aussen her auf direktem Wege nicht
hinein gelangen, abgesehen vielleicht von der Möglichkeit, dass
eine lange Nadel von aussen her eingestossen wird und das in
die Paukenhöhle gestossene Stück abbricht. Bei unverletztem
Trommelfell können in den Oehörgang eingehrachte Fremd¬
körper in die Paukenhöhle nur gelangen durch eine direkte Ge-
walteinwirkung. welche stark genug ist, das immerhin einen
nicht unbeträchtlichen Widerstand bietende Trommelfell zu
durchbrechen. Diese Gewalt muss um so stärker sein, da es sich
hierbei gewöhnlich um rundliche Körper handelt von einem
relativ sehr grossen Durchmesser, der häufig nahezu dem des
Trommelfells gleichkommt, deren Grösse und Form sie also
b Die Apparate werden von Herrn Fritz Köhler. Mechaniker
a. d. Universität. Leipzig-K.. Oststr.28. angefertigt und können auch
von demselben direkt bezogen werden.
: ) Münch, med. Woeheusehr. 1901, No. 28, pag. 1134.
eigentlich wenig geeignet zur Durchbrechung einer ziemlich
festen elastischen Membran erscheinen lässt.
Die Ursache zum Durchbrechen des Trommelfells und
Hineingelangen in die. Paukenhöhle sind bei allen Fremdkörpern
im äuseren Gehörgang einzig und allein fehlerhafte Versuche,
sie zu entfernen. Dass derartige Kunstfehler so häufig Vor¬
kommen, ist um so bedauerlicher, da ein Fremdkörper im äusseren
Gehörgang an und für sich eine ganz harmlose Sache ist und,
von wenigen Fällen abgesehen, gar keine Beschwerden hervor¬
ruft. Zur Gefahr für das Ohr oder das Leben des Trägers wird
der Fremdkörper erst durch fehlerhafte Versuche, ihn zu ent¬
fernen. Der bleibende Schaden, der mit derartigen falschen
Extraktionsversuchen angerichtet wird, ist um so schwerer, da
es sich gewöhnlich um Kinder handelt, denen dadurch für ihr
ganzes Leben ein wichtiges Organ zerstört und funktionsunfähig
gemacht wird, während bei einem richtigen Verfahren sieh der¬
artige schwere Folgen hätten vermeiden lassen. Auf die straf-
und privatrechtlichen Folgen, die ein derartiger Kunstfehler
unter Umständen für den betreffenden Arzt haben kann, brauche
ich wohl nicht, besonders aufmerksam zu machen.
F a 11 I. Anamnese. Ein 5 Jahre altes Mädchen hat sich
einen Kirschkern in dns rechte Ohr gesteckt Vom Arzt wurden
2 mal Extraktionsversuche gemacht und dann das Kind mit folgen¬
der Mittheilung an die Klinik überwiesen: „Das Kind hat einen
Kirschkern im rechten Ohre. Vorgestern Altend habe ich bei
Licht versucht, denselben zu entfernen, aber ohne Erfolg. Gestern
halte ich die Kleine cliloroformirt. Es gelang mir hinter den Kern
zu kommen, aber beim Anziehen riss mir die Oese des abgebogenen
Häkchens ab, so dass ich nicht mehr wagte, viel an dem Ohre zu
machen. Es wird wohl eine Ojteration nöthig werden zur Ent¬
fernung beider Fremdkörper.“ Nach einer beigefügten Zeichnung
war das abgebrochene Instrument eine Art stumpfer Ctirette ge¬
wesen.
Status. Im äusseren Drittel des Gehörgangs sind die Wan¬
dungen mit angetrocknetem Blut bedeckt. Die ganzen Wan¬
dungen erscheinen stark gequetscht. In der Tiefe ist blutig-seröse
Flüssigkeit, nacli deren Austupfen ein hinter den Resten des ganz
zerfetzten Trommelfells In der Paukenhöhle liegender glatter,
harter Fremdkörper fühlbar und sichtbar wird. Von der alt-
gebrochenen Mctallöse Ist nichts zu sehen. Vom Hammer ist
ebenfalls nichts zu finden.
Entfernung des Fremdkörpers nach Art der
Radikaloperation. Dr. Hölscher. Chloroformnarkose.
Asepsis.
Ein vorsichtiger Versuch in Narkose den Fremdkörper mit
einer feinen Polypenzange zu fassen, misslingt.
Grosser bogenförmiger Hautschnitt am Ansatz der Ohr¬
muschel. Umklappen der Ohrmuschel nach vorne. Bei der Ab¬
lösung des Gehörgangs zeigt sich, dass die hintere Wand schon in
grösserer Ausdehnung zerquetscht und perforlrt ist. In der
Paukenhöhle wird nach Vorziehen des Gehörgangs der Kirsch¬
kern sichtbar; davor liegt an der hinteren Wand ein glänzendes
gebogenes Metallstückchen, welches mit der Pincette entfernt
wird. Wegen der zu grossen Enge der knöchernen Umrandung
gelingt es nicht den Fremdkörper zu fassen. Abmeisselung der
hinteren knöchernen Umrandung, worauf der fest eingekeilte
Kirschkern mit der P f 1 e 1 d e r e r’schen Schlangenbisspolypen¬
zange gefasst und nach einigen leichten hebelnden Bewegungen
entfernt werden kann. Von Gehörknöchelchen ist nichts zu finden.
Spaltung des Restes der hinteren Gehörgangs wand T-förmig. Ver-
nähung der Zipfel nach oben und unten. Jodoformgazetamponade
vom Gehörgang aus. Schluss der ganzen Wunde durch Naht.
Airolpasre. Trockener Verband.
An den beiden nächsten Abenden kam noch eine Temperatur-
Steigerung auf 38.4°. Der äussere Verband musste im Lauf der
beiden Tage 2 mal wegen starker blutig-seröser Durchtränkung
erneuert werden. Die ganze Naht musste nach 6 Tagen wieder
geöffnet werden, weil von den nekrotisch werdenden Gehörgnngs-
resten im Inneren eine stärkere eitrige Sekretion erfolgte. Unter
weiterer Nachbehandlung als offene Radikaloperation war der
Heilungsverlauf zufriedenstellend.
F a 11 II. Anamnese. Ein 5 jähriger Knabe hat sich vor
9 Tagen einen kleinen Stein in das linke Ohr geschoben. Beim
Versuch der Mutter, den noch aussen sichtbaren Stein mit der
Haarnadel zu entfernen, glitt er weiter in die Tiefe. 3 malige,
sehr schmerzhafte Extraktionsversuche des Arztes an 3 ver¬
schiedenen Tagen waren erfolglos. Einmal kam der Stein durch
Ausspritzen wieder mehr nach aussen, glitt aber beim Versuch,
ihn mit einem Instrumente zu fassen, wieder in die Tiefe. Seit
4 Tagen bestehen Schmerzen im Warzenfortsatz und mässige Eite¬
rung aus dem Gehörgang.
St a t u s. Im Gehörgang schleimiger Eiter. Im Trommel¬
fell findet sich ein grosser, schräg von hinten oben nach vorne ver¬
laufender Riss, mit kleinen seitlichen Einrissen. Von einem Fremd¬
körper ist nichts zu sehen, bei der Unruhe und Angst des Kindes
ist auch eine genauere Sondinmg unmöglich. Die Warzenspitze
ist etwas druckempfindlich. Puls 120. Temperatur 37,3 °.
In Narkose war der Stein zunächst durch Sondinmg in der
Paukenhöhle nachzuweisen und konnte dann auch nach Beiseite¬
drängen der Perforationsränder gesehen werden. Ein vorsichtiger
Entfernungsversuch führte nicht zum Ziel, da der Stein zu gross
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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. i65?
war. Es wurde desslialb sofort die operative Entfernung an-
gesehlossen. Chloroformnarkose, Asepsis. Entfernung nach Art
der Radikaloperatlon. Dr. Hölscher. Grosser bogenförmiger
Hautschnitt am Ansatz der Ohrmuschel. Vorziehen der Ohr¬
muschel und Ablösung der hinteren Gehörgangswund, worauf der
Stein deutlich in der Paukenhöhle sichtbar wird. Extraktions¬
versuche mit einer schmalen Polypenzauge misslingen wegen Enge
des knöchernen Kanals. Desshalb Abmeisselung der hinteren
Knocheuumrandung, worauf die Extraktion des kirschkemgrossen
Steines leicht gelingt Weiterbehandlung als Iiadikaloperation.
T-förmige Spaltung der hinteren Gehörgaugswand. Vernähen der
Zipfel nach oben und unten. Tamponade mit Jodoformgaze vom
Gehörgaug aus. Schluss der ganzen Wunde durch Naht Airol-
paste. Trockener Verband.
Heilung per primam.
Der Fehler, der in beiden Fällen gemacht wurde, war, dass
beide Male zuerst versucht wurde, den Fremdkörper mit einem
Instrument zu entfernen. Der anscheinend so einfaohe Eingriff
ist aber von einer ungeübten Hand nicht ausführbar, besonders
bei ungenügender Beleuchtung und mangelnder Gewandtheit in
der Spiegeluntersuchung. Der Versuch, den Fremdkörper in
Narkose zu entfernen, wie es im ersten Fall geschah, war ja an
und für sich richtig, aber für den nicht genügend geübten Unter¬
sucher kam dann als neue Schwierigkeit die Erschwerung der
Uebersicht des Gehörgangs beim liegenden Kinde hinzu. Und
die Folge hiervon war, dass, wie aus dem Operationsbefund her¬
vorging, das Instrument gar nicht hinter den Fremdkörper ge¬
langt war, sondern bei den gewaltsamen Extraktionsversuchen den
Kirschkern nur vollends in die Tiefe stiess und dann nach Per-
forirung der hinteren häutigen Gehörgangswand am Knochen
abbrach. Im zweiten Falle waren die Neben Verletzungen etwas
weniger gross, aber der Haupteffekt war derselbe. Wegen der
geringeren Verquetschung der häutigen Gehörgangswandungen
war hier auch eine Ausheilung per primam möglich, während im
ersten Falle nachträglich wegen der Nekrose der zu stark ge¬
quetschten Weichtheile die langwierigere Offenbehandlung
nöthig wurde.
Mit welcher Gewalt in beiden Fällen gearbeitet worden ist,
erhellt wohl am besten daraus, dass beide Male die Fremdkörper
so gross waren, dass sie nach Ablösung des häutigen Gehörgangs
mit einer ganz dünnen Polypenzange nicht entfernt werden konn¬
ten, dass vielmehr eine ziemlich ausgedehnte Knochenabmeisse-
lung erfolgen musste, um den Durchgang zu ermöglichen. Ein
nicht zu unterschätzender Uebelstand ist auch der, dass die Kin¬
der nach solchen schmerzhaften gewaltsamen Extraktions¬
versuchen so verschüchtert und verängstigt sind, dass weitere
Untersuchungen und auch eine spätere Nachbehandlung nach
der Operation nur mit den grössten Schwierigkeiten durchzu¬
führen sind.
Aus diesen und ähnlichen Fällen müssen wir den Schluss
ziehen, dass die instrumenteile Entfernung von tiefer in den
Gehörgang eingedrungenen Fremdkörpern nicht Sache des prak¬
tischen Arztes, sondern des Specialisten ist, der besser im ein¬
zelnen Falle beurtheilen kann, wie weitgehende Entfernungs¬
versuche angezeigt sind. Der praktische Arzt, besonders wenn
er, wie so häufig, gar keine besondere Ausbildung in der Ohren¬
heilkunde gehabt hat, soll principiell bei allen zu ihm gebrachten
derartigen Fällen instrumenteile Extraktionsversuche unter¬
lassen und nur versuchen, mit Ausspritzen den Fremdkörper zu
entfernen. In weitaus den meisten Fällen wird er mit diesem ein¬
fachen Verfahren zum Ziele kommen, und gelingt es einmal aus¬
nahmsweise nicht, so ist wenigstens auch kein Schaden angc-
richtet worden. Auch quellbare Fremdkörper dürfen unbesorgt
mit der Spritze angegriffen werden, gelingt ihre Entfernung nicht
gleich, kann einem Aufquellen mit Sicherheit durch Ein¬
giessungen von erwärmtem Alkohol vorgebeugt werden. Dass
auch die Ausspülungen nur mit erwärmten Wasser gemacht wer¬
den dürfen, bedarf wohl keiner besonderen Betonung.
Herrn Prof. Wagenhäusor möchte ich auch an dieser
Stelle meinen ergebensten Dank für die Ueberlassung der Fälle
aussprechen.
Den Herren DDr. N e u m a n n und Dömeny vom patho¬
logischen Institut und Dr. Michel, einj.-freiw. Arzt vom hiesi¬
gen Garnisonslazareth bin ich für freundliche Assistenz bei
beiden Operationen zu Dank verpflieiltet.
Ein Beitrag zur Crede’schen Silbertherapie in der
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Von Dr. GustavWoyer, em. L Assistent der I. Universitäts-
Frauenklinik, Frauenarzt in Wien.
Seit C r e d e’s Veröffentlichungen im Jahre 1896 über die
chirurgisch werthvollen, antibakteriellen Eigenschaften des
Silbers und seiner Salze sind eine grosse Anzahl von Arbeiten
über diesen Gegenstand erschienen. Alle Publikationen be¬
stätigen die von C r e d 6 gemachten Angaben und gaben viel¬
fach noch weitere Indikationen für anderweitige Anwendung
der Präparate. Da auch ich bei mehrjährigem Gebrauch der
C r e d eschen Silberpräparate günstige Resultate erhielt, so
möchte ich diese Beobachtungen der Oeffentlichkeit übergeben,
um dadurch eine Nachprüfung dieser — wie mir scheint — aus¬
gezeichneten Mittel zu veranlassen.
Zunächst möchte ich meine Beobachtungen hinsichtlich des
Itrols (Argentum citricum) mittheilen. Dasselbe kann in
Pulverform oder in Lösung zur Anwendung gelangen. In
letzterer Form i9t es besonders von Werler bei Gonorrhoe em¬
pfohlen worden.
Ich habe ebenfalls Itrol bei recenter Uterusgonorrhoe
und eitriger Urethritis angewendet und zwar in folgender
Weise: Zunächst wurden Scheide und Cervikalkanal mit
Itrollösung gesäubert und hierauf ein Itrolstäbchen (Rp.:
Itrol 2,5, Gerne albae 1,5, Ol. Cacao 9,0 f. 30 Stäbchen von
3,4 cm Länge) in die Cervix eingeschoben und durch einen
Tampon festgehalten. Diese Anwendungsart war nicht nur
schmerzlos, sondern ich konnte auch bei sämmtlichen Fällen, bei
2—3 mal wöchentlich stattfindender Anwendung, ein rasches Ab¬
nehmen des Ausflusses beobachten. Gleichzeitig verminderten
eich auch die Gonococcen im Sekret und waren nach 4 bis
6 wöchentlicher Behandlung völlig verschwunden. Ein Fort¬
schreiten der Erkrankung über den Uterus hinaus fand in keinem
der so behandelten Fälle statt. Auch die eitrige Urethritis heilte
durch Einführung von Itrolstäbchen bald aus.
Sehr gute Dienste hat mir Itrol auch zur Heilung von Fistel¬
gängen geleistet. Selbst in Fällen, in denen solche sehr lange
bestanden und durch Verbindung mit dem Darmlumen kompli-
zirt waren, trat doch nach vielen vergeblichen Versuchen mit
anderen Mitteln unter Anwendung von Itrol Ausheilung ein.
Auch bei der Behandlung von puerperalen Geschwüren habe
ich mit Itrol Versuche angestellt und zwar sowohl bei Ge¬
schwüren der Portio und der Cervix, sowie der Vagina, als auch
bei schlecht geheilten Dammrissen und Episiotomiewunden.
Schon nach wenig Tagen fand ich lebhafte, gesunde Granu¬
lationsbildung. Bei 15 infizirten Ulcerationen, die ich in dieser
Weise behandelte, gewann ich den Eindruck, als ob man mit
Itrol ein schnelleres Ausheilen der Geschwüre erzielen könnte,
wie mit anderen Mitteln.
Ganz besonders werthvoll zeigte sich auch die sekretions¬
beschränkende Wirkung des Itrols nicht nur bei diesen Wunden,
sondern namentlich auch bei grossen Abscesshöhlen. Besonders
instruktiv waren in dieser Hinsicht zwei Fälle, in denen sich im
Anschluss an das Wochenbett grosse — mehr als 1 Liter fassende
— Eiterherde entwickelten.
Das zweite der C r e d ö’schen Präparate, dessen ich mich
bediente, war das Collargolum, das sogen, lösliche
Silber. Es stellt eine allotrope Modifikation des metallischen
Silbers dar und ist in Wasser fast löslich. In Folge dieser Eigen¬
schaft vermag es auch in Salbenform dem Körper durch dio
Haut, zugeführt zu werden. Von der ihm zugeschriebenen All-
geraeinwirkung bei septischen Erkrankungen habe ich in drei
Fällen so augenscheinliche Erfolge gesehen, dass ich dieselben
ausführlicher mittheilen will. An dieser Stelle sei übrigens
hervorgehoben, dass bei Durchführung einer Schmierkur mit
Ungt. Crede stets frische Salbe verwendet werden muss,
da sich unter dem Einflüsse von thermischen und photo¬
chemischen Einflüssen sehr leicht eine Zersetzung derselben
einstellt. Es ist daher in praxi unbedingt nothwendig, nur
kleine Dosen — etwa die für einen Turnus erforderliche Menge
zu verschreiben und gut verschlossen kühl aufbewahren zu lassen.
Fall I. Frau O. S., Primipara, Geburt zur normalen Zeit,
nach protrahlrter Eröffnungsperiode erfolgt Spontangeburt. Wegen
heftiger Blutung ln der Nachgeburtsperlode manuelle Lösung der
Placenta, die an der Uteruswand festgewachsen war. Ausspülung
4 *
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
des Cavum uteri mit Lysol; nach Angabe des luduindelndcn Arztes
war die Würlim rin 3 Taso liebert'rci. Puls aber 120.
Am 4. Woclienbcttstag«* heftiger Schüttelfrost. Temperatur
.'50,S, gleichzeitig übelriechende Lochien und DriicketnplindliehkeU
der Gebärmutter. Die Schüttelfröste wiederholen sich im Laufe
dieses Tages dreimal; Temperatur Abends 40,2.
Am nächsten Tage wurde ich zugezogen; es bestand der S.vni-
ptomonkomplex einer septischen Eudomctritis. Ausspülung der
Gebärmutter mit öbproc. Alkohol. Keine Besserung. Diät. Milch,
Aualeptica.
c>. Tag. Temperatur Abends 4n.5. Puls I4u. klein, Aibunnm
im Urin. Patientin benommen, anregende Diät, Analoptica.
Nachdem nach weiteren 2 Tagen der Zustand bei der Frau
sich nicht besserte, täglich 15—4 mal ein Schüttelfrost auftrat, der
Puls zusehends schlechter wurde, die Benommenheit, zunnlim, die
Ernährung nur durch Nährklysmen möglich war und mir die Pro¬
gnose iiusserst infaust erschien, entschloss ich mich im Einver¬
nehmen mit dem Hausärzte, einen Versuch mit einer Silberschmier-
kur nach Cred e zu machen.
Es wurden f» Einreibungen im Zwischenräume von je
10 Stunden auf «1er Innenfläche der Oberschenkel, auf den Ober¬
armen und dem Thorax zu je :5 g Ugtientum ('rede vorgenmnmen.
Vor jeder inuuktioii wurden die ehiznivibeuden Partien einer
exakten Desinfektion mit warmem Wasser. Seife, Bürste und
Alkohol unterzogen. Die Dauer einer Einreibung betrug gewöhn¬
lich eine halbe Stunde.
Ich war mit grosser Skepsis an den Versuch herangegangen
und war von dem Erfolge geradezu überrascht. 'Nach der 3. Ein¬
reibung erreichte die Morgcntemperatur nur mehr 38,7°, der Puls
besserte sich, das Sensorium wurde freier.
Am nächsten (11 .) Tage: Temperatur 38,0. Puls 110. Sensorium
vollständig frei. Patientin soll während der Nacht einige Stunden
guten Schlafes gehabt, haben. Bauch vollständig weich, keine
Druckempfindlichkeit, l'terus drei (juertinger über der Symphyse
stehend. Der Lochinltluss rein eitrig, nicht übelriechend.
Weiterer Temperaturabfall und Besserung des Pulses. Bus
Allgemeinbefinden hob sich langsam und am 25. Tage post partum
konnte die Frau das Bett verlassen. Sie erholte sich von da ab
rasch und war nach kurzer Zeit vollständig genesen.
Fall 11. Frau S. 1\, 20jährige III. Para, im Anschluss an
einen Sturz auf der Treppe im 4. Monat stellte sich ein Abortus ein.
Nach einigen Tagen ging die Frucht ab; die Placenta, die miss¬
farbig und leicht zerreissfich war, wurde vom behandelnden Arzte
entfernt, als schon eine Temperatursteigerung von 38,5 bestand.
Der l'terus wurde mit Lysol ausgespült und kontrahirte sich gut.
2 Stunden nach «ler Ausräumung Schüttelfrost mit 30,7 Tem¬
peratur. Danach geht die Temperatur etwas zurück. Am 3. Tage
darauf erneuter Anstieg auf 30,8. Die Frau klagte über grosses
Uitzegefiilil und Kopfschmerz; der geringe Ausfluss war leicht
blutig tingirt und übelriechend. Ausspülungen und Verordnung
von Chinin besserten nichts, es traten erneut Schüttelfröste auf
und die Temperatur hielt sich mit geringen Schwankungen
zwischen 30 und 35),ti.
Am 12. Krankheitstage sah ich die Patientin. Ausser den
durch das Fieber (:>!),2) bedingten Allgemeiuerscheiuungen fiel der
Puls auf (13(5, dikrot, bucht unterdrück lau*). Der L'terus war
weich und beweglich, die Adnexe frei. Aus der Gebärmutterhöhle
entleerte sich ein geringer, aber sehr übelriechender Ausfluss.
Ich verordnete eine intrauterine Ausspülung mit 50 proc.
Alkohol. Da aber durch zwei weiten* 'Page die Temperatur
unverändert hoch blieb, die Prostration zunahm, das Sensorium be¬
nommen wurde, so entschloss ich mich auch in diesem Falle zu
einem Versuche mit der G red 6* scheu Inuukt ionskur, die in der
vorher beschriebenen Art und Weise durehgeführt wurde.
Auch liier trat schon nach der 3. Einreibung ein langsamer Ab¬
fall der Temperatur ein und im Laufe der nächsten Woche ging die
Temperatur langsam und stetig bis zur Norm herunter. Schon am
3. Tage war die Zunge feucht, nicht mehr belegt, der Puls voller
und langsamer (110). Im Verlauf von 14 Tagen nach beendigter
Behandlung war di«* Frau genesen.
Fall III. F. M.. 28jährig«* II. Para. Auch hi«*r war
nach spontaner Geburt «l«*s Kindes in Folge starker Blutung eine
manuelle Lösung «ler Placenta nötliig gew«>rd«*u.
Zunächst war «ler Verlauf günstig. Die ersten 4 Tage des
Woeh«*nbett«*s verluden afebril, nur der Puls hi«*lt sich -- wohl in
Folge starken Blutverlustes — st«*ts über 120. Am 5. Tag«* sti«*g
die Temperatur unter einem Schüttelfrost auf 40,3. Der Frost
wiederholte sich im Lauf«* des Tages mehrmals, w«*sshaib noch
ein anderer Arzt zug«*zog«*n wur«le. Auch di«* von dies«*m ge¬
troffenen Anordnungen, insbesonder«* Ausspülungen mit 50 pro«*.
Alkohol, hitnlerlen nicht die Wie«l«*vkehr rasch aufcinander-
folgeinler Schüttelfröste (im Lauf«* von 24 Stunden 7). T«*m-
peratur 40.1. Am 8. Tage wurde ich zugezogen und fand eine
stark ti<*b«*rnd«* (30.2) blutarme Frau mit kleinem Puls (144». Die
T'ntersm lmng der Brust- und Fnterleibsorgane ergab wenig (’ha-
rakteristischi-s. Di«* Portio war stark lae«*rirt, «ler Lochialabfluss
reichlich mul übelriechend.
Ich entschloss mich auch hier zu einem Versuche mit l’ngt.
Cre<16 und zwar liess ich wi«*«ler in io ständigen Intervallen je 3 g
der Salbe einreiben. Gleichzeitig wurden. wie dies C r «*<1 C* in
einz«*ln«*n Fällen von septischen Erkrankungen «ler Uterushöhle
gethan hat, 4 Pillen von Argentum colloldalc auf der Mitte eines
hydrophilen Gazestreifens in das Uteruscavutn eingeführt (blieb
48 Stunden liegen). In den ersten 48 Stunden nach der Einleitung
No. 42.
dieser Behandlung könnt«* bloss eine Verminderung der Sekretiou
aus der Ut«*nishöhle und ein Nachlassen des Geruches konstatirt
w«*rd«*n, während «ler übrige Befund noch immer unverändert blieb.
Es traten im Lauf«* dieser Zeit noch weitere 4 Schüttelfröste mit
T«*mp«*raturen über 40 auf; «las Allgemeinbefinden war andauernd
schwer g«*stört. Erst nach der fünften Einreibung wurde ein Zu-
rü«-kgeh»*u der T«*mp«*ratur konstatirt. Auch der Puls wur«le lang¬
samer und kräftiger. Na«*h «ler siebenten Einreibung sank die
Temperatur auf 38.8 und es traten keine Schüttelfröste mehr auf.
j«*«loeh hielt sieh di«* Temperatur noch durch 4 weitere Tage auf
38.5. D«*r Puls wurde langsamer (100).
im Lauf«* der nä«*listen Wocht* schritt unter entsprechender
Diät «lie Besserung gleichmässig fort und <*s erreichte am Ende
dieser Woelu* (di«* dritte p«>st partum) die Temperatur nicht
mehr 38. Nach <l«*m B«*ri«*hte des behandelnden Arnes nahm die
l{eeonvalcsc«*nz von da ab «*ln«*n ungestörten Fortgang und die
Frau verlies« na«*h weiteren 3 Wochen geheilt «las Bett.
Es gehört zu «len schwierigsten Aufgaben, bei einer puer¬
peralen Sepsis eine sichere Prognose zu stellen, denn gerade hier
sind U«*l>«*rrasehung<*n an der Tagesordnung. Verzweifelte Fälle
nehmen plötzlich eine Wendung zum Bessern und bei anscheinend
nicht sehr schweren Fällen tritt jäh Exitus ein. In den 3 von
mir initg«*theilten Fällen ist nichts verabsäumt worden, was nach
unserem Wissen zweckdienlich ist, und «loch erfolgte die günstige
Aemlerung des Krankhoitsbildcs so rasch und deutlich nach der
dur«;hgeführten Inunctionskur, beziehentlich heilten alle Fälle
nachher in relativ so kurzer Zeit, dass ich der Crede-
sch«*u Behandlung einen grossen Einfluss auf diese günstige
W«*ndung zu«*rk«*nnen möchte. Auch bei anderen Allgemein-
erkrankungen infektiöser Natur haben manche Autoren über be¬
friedende Resultate lH*riehtet und dies steht nur in Einklang
mit «len von mir gemachten Beobachtungen; lu den 3 Fällen,
weil h« recht schwere Können puerperaler Sepsis repräsentiren.
war «li<* Wendung zum Besseren nach der durchgeführten Inunk -
lionskur eine so auffallende, dass an einen aetiologischen Zu¬
sammenhang recht wohl gedacht werden kann und auch Ihm
grosser Skepsis «ler Gedanke naheliegend ist, dass das post ho«*
i hier «loch wohl ein propter hoc sein dürfte. Im Uebrigen sei
nochmals betont, dass ich meine Erfahrungen in erster Linie
desshalb veröffentliche, um die Herren Collegen zu Versuchen
mit «l«*r C r e «1 e’sehen Medieation anzuregen, die mir in meiner
Praxis sehr zufriedenst«*llen<le Ergebnisse geliefert hat.
Ueber den Werth methodischer Tiefathmungen, ins¬
besondere bei Seekrankheit
Von M. Kaufmann, prakt. Arzt in Freiburg i/B.
Das von Dr. Heinz in No. 38 dieser Wochenschrift em¬
pfohlene Hilfsmittel gegen Seekrankheit, den
B reell reiz durch tiefe Ei nat hm ungen zu be-
k ii m p f v n, habe ich an tnir selbst erprobt und erlaubt» mir.
«ler Anregung d«s Wrfassers entsprechend, darüber kurz zu be-
richten.
Im August 1900 machte ich hei ziemlich bewegter See die
Uehorfnhrt von Hock in Holland nach Hnrwich, meine erste See-
! fahrt. Kanin hatte das S«*hiff d«*n Hafen verlassen, als mir auch
j schon, in Folge «los Stampfens sowie «ler Auf- und Abbcwe-
' gung«*n. schwindlig un«l ü1h- 1 wurtle. Ich musste mich eilends
| niederlegeu und erwartete resiguirt das Weitere. Doch versuchte
ich durch li«*f«* Kinathimmgcn den Brechreiz zu bekämpfen, wie
i«-h «*s oft genug in meiner Praxis empfohlen hatte; zugleich
suchte ich durch leises Singen oder Pfeifen meine Aufmerksam¬
keit von «lern ahseheuliehen Rhythmus der Schiffsbewegung. in
weEln-m i« h abwechselnd gehoben und gesenkt wurde, loszu-
machi-i!. Es gelang mir au«*h, den Brechreiz zu überwinden, nach
etwa 10 Minuten fühlte ich mich freier und konnte nun die Nacht
über bis zur Ankunft des Schiffes in Hnrwich schlafen. Am
anderen Morgen befand ich mich völlig wohl. Ein Mitreisender
der gleichen Kabine machte ebenfalls Tiefathmungen un«l blieb
wie ich vom Erhre«*ln'n verschont, während mehrere Bekannte, die
ich noch an Bord hatte, unter wiederholtem Erbrechen sehr zu
leiden hatten.
Neben dieser gelegentlichen Beobachtung bei See-
kranklu-it sind cs noch zahlreiche Vorkommnisse d«?r täglichen
Praxis, in welchen i«*h Tiefathmungen methodisch verwferthete
um! dieses so einfache Verfahren sehr schätzen gelernt habe. Vor
Allem bei O h n m a <* li t, wenn Bewusstseinsverlust droht oder
wenn Uebclkoit und Brechreiz als Begleiterscheinungen auf-
treten. Unter den mannigfachen Ursachen, welche zu Olmmacht
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15. Oktober 1901.
führen können, hebe ich besonders Blutungen während
der Geburt hervor, da ich hier am meisten Gelegenheit, ge¬
habt habe, das Verfahren anzuwenden. Neben reichlicher Luft¬
zufuhr und Tieflage des Oberkörpers erweisen die tiefen In¬
spirationen, welche man den Kranken regelmässig machen lässt,
sehr erhebliche Dienste. Ucbclkeit und Erbrechen treten weniger
leicht auf oder verschwinden biilder als ohne die Tiefathmungen;
das Sensorium wird freier, und die Kranken erholen sich rascher.
Das Vorfahren kann zur Anwendung kommen, wenn und sobald
der Patient auf die Aufforderung tief zu athmon, überhaupt re-
agirt. Es ist um so werthvollor. als es den Kranken aktiv be¬
schäftigt und ihm etwas gibt, woran er sich mit seiner Energie
anklammem kann.
Zur physiologischen Begründung der tiefen Athmungon bei
Ohnmacht braucht nicht viel gesagt zu werden. Es ist. ja eine
bekannte Thatsache, dass die Respirationsbewegungen fördernd
auf die Blutciroulation wirken; dadurch wird die Gehirnanaemie
günstig beeinflusst.
Ich bin sicher, dass viele Aerzte dieses Verfahren anwenden
und es für selbstverständlich halten. Trotzdem scheint es mir, ;
dass es nicht Gemeingut geworden ist. Tch habe es wenigstens
in einigen mir zur Hand befindlichen Büchern, in welchen von der
Ohnmacht und ihrer Behandlung die Red»? war. nicht erwähnt
gefunden, so in Schröder’* Lehrbuch der Geburtshilf«;
(7. Aufl.), in der B i 11 r o t h’sehon Schrift „Die Krankenpflege
im Haus und im Hospital“ (3. Aufl.), sowie in dem von dem
Reichsgesundheitsamt herausgegebenen „Gesundheit-s-
büchlein“ (2. Aufl.). Aber gerade in den Schriften, die, wie die
In-iden letzteren, für Krankenpfleger und Laien bestimmt sind, I
verdient die Empfehlung der Tiefathmungen als Mittel gegen i
die Ohnmacht und die mit ihr verbundenen unangenehmen Er- [
scheinungen wegen ihrer Einfachheit und Zweckmässigkeit ganz
besonders aufgenommen zu werden.
Dasselbe gilt auch von einer weiteren Anwendung der Tief- j
athmung, nämlich bei Nasenbluten. Lässt man tief durch
die Nase einathmen und durch den Mund ausathmen, so gelingt I
es in Fällen nicht zu starken Nasenblutens die Blutung zu stillen. |
ohne dass es einer weiteren Behandlung bedarf. Durch die tiefen ;
Inspirationen werden die Venen der Nase entlastet-.
Bei Ohnmacht sowohl als bei Nasenbluten wirken die Tief¬
athmungen wesentlich auf die Blutcirculation; die kramp f-
atillende Wirkung dieses Verfahrens habe ich in mehreren
Fällen von sehr lästigem Singultus bei nervösen Frauen er¬
probt. Ein Fall dieser Art ist mir in lebhafter Erinnerung, wie¬
wohl er 15 Jahre zurückliegt. Bei einer 25 jährigen Kaufmanns-
frau bestand Seit vielen Monaten ein weithin vernehmliches und
unbezwingliches Schlucksen, gegen welches verschiedene Mittel :
ohne Erfolg gebraucht worden waren. Die Dame fühlte sich sehr
unglücklich, da sie jede Gesellschaft meiden musste. Ich be¬
ruhigte sie, dass ihr die Unterdrückung des gewohnten Krampfes,
dessen Auslösung ihr eine momentane Erleichterung verschaffte,
nichts schadete und Hess nun regelmässige Tiefathmungen
machen. Um ihre Aufmerksamkeit von dem Krampfe noch mehr
abzulenken, liess ich dieAthmungen mit lautem Zählen verbinden.
Nach kurzer Athemgymnastik hatte die Patientin die Herrschaft ;
.über sich erlangt und war vom Schlucksen befreit.
In solchen Fällen wirken die tiefen Athmungen jedenfalls |
reizmildemd auf die Reflexeontren; ausserdem zerstreuen sie die .
Aufmerksamkeit, deren gespanntes Verweilen hei dem Reflex- I
Vorgang die Auslösung des Reflexes begünstigt.
Ebenso verhält es sich bei der Bekämpfung der
Uebelkeit und des Brechreizes durch tiefe
Athmungen. Gewöhnlich wird das Erbrechen nicht be¬
kämpft, sondern eher befördert, damit, die Uebelkeit nachlasse
und die erhoffte Erleichterung ein trete. Der Athem wird an-
gehnlten und die Athmungsmuskulatur unwillkürlich oder
manchmal bewusst in eine Stellung gebracht, die für den Ein- j
tritt des Erbrechens möglichst günstig ist. Die Aufmerksamkeit |
ist. dabei stark in Anspruch genommen. Durch die tiefen Ath- |
mungen und die dadurch bewirkte bessere Sauerstoffzufuhr wird 1
nun einerseits der Reflexreiz in dem Brechcentrum vermindert,
andererseits wird der das Erbrechen begünstigenden Haltung der
Respirationsmuskeln entgegengewirkt und die Aufmerksamkeit
abgelenkt. Neben der automatischen Wirkung der Tief- I
No. 42.
1659
athmungen auf das Brechcentrum darf also wohl noch eine all¬
gemeine psychische Wirkung angenommen werden.
Ueber die Frage, ob methodische Tiefathmungen als Hilfs¬
mittel gegen Seekrankheit von Werth sind und ob
dieser mehr iti der krampf-dilb nden Wirkung der Apnoe oder
in der psychischen Ablenkung zu suchen ist, darüber wird eine
grössere Erfahrung zu entscheiden haben.
Aber schon allein als psychisch wirkendes Mittel scheinen
mir di ‘ Tiefathmungen werthvollor zu sein, als die bisher gegen
Seekrankheit empfohlenen Ablenknngsmittel. wie die Phantasie
durch eine bi-stinnnte Vorstellung zu beschäftigen oder den Hori¬
zont oder «-inen bestimmten Gegenstand des Schiffes beständig
zu fixiren ').
Vor diesen Methoden haben die Tiefathmungen den Vorzug,
keine grosse Willensanstrengung zu erfordern und daher nicht
zu ermüden. Ob sie aber für den gewünschten Zweck genügen —
das ist freilich eine andere Frage.
lieber subkutane traumatische Bauchblutungen.
Von Oberstabsarzt Dr. Eichel in Breslau.
(Schluss.)
Die Behandlung unserer Verletzungen kann n.iturgcmiiss
nur eine operative sein. Wenn aiedi die MögHehk« it zuzugeben
ist, dass namentlich kleinere Risse, nachdem die Blutung von
selbst gestanden hat, heilen, so isi d•eh bei jedem grösseren Riss
die Wahrscheinlichkeit, dass die Blutung zum Stehen kommt,
eine recht gering«. Es b«‘steht ausserdem die Gefahr, dass die
Blutung sieh hei jeder unvorsichtigen Bewegung des Kranken,
beim Lagcnvcchs-L beim Stuhlgang, wiederholt. Mit dem Zu¬
warten und «lern Hoffen auf ein Stehen der Blutung wird aber
der beste Augenblick zur Operation verpasst. Es sei des Weiteren
darauf hingewiesen, dass der ursprünglich sterile Bluterguss
nicht keimfrei zu bleiben braucht, «lass von den Gallengängen
sowohl bei Leb« r/erreissung«'n, wie von ja immer möglichen
Darmlacsioney her Infektionserreger in ihn hin* in gelangen und
zu einer cirei eripten oder allgemeinen Peritonitis führen.
Natürlich wird man. wenn es irgend angängig ist, den Kranken
vor der Oper, lion noch eine kurze Zeit !>«*<.bnchten. Wie das
schon früher von M a d e i u n g ,T ) und dann auf dem Ohirurgen-
kongress 1800 von Lauen stein und mir hervorgehoben ist,
ist ja für alle subkutanen Bam-bverletzten eine fortwährende
ärztliche ITeberwaehung und möglichst oft wiederholte Unter¬
suchung geboten. Nur dadurch wird man zu einer Diagnose
kommen. Ich brauche wohl nicht hervorzuheben, dass eine der¬
artige Untersuchung hei dem Verdacht einer Bauchblutung
unter gröstcr Vorsicht nuszuführen ist, dass je<le brüske Be¬
wegung des Patienten, ebenso wie beim Transporte zu vermeiden
ist. Des Weiteren halte ich es für diese Zeit für ausserordent¬
lich wesentlich, die Flüssigkeitszufuhr per os «*t anum zu be¬
schränken. Durch die erster«; reizt man leicht zu neuem Er¬
brechen, die letztere kann durch Anregung der Peristaltik eine
sich etwa verklebende Darmschlinge, und wir sind ja vor Neben¬
verletzungen des Darmes nie sicher, zur Lösung bringen. Man
gebe als«» die Anilepti<*a in Form von Kampher, Aether und
Kochsalzinfusion subkutan, l«»ge die Kranken horizontal und
packe sie warm ein, um sie in möglichst gutem Zustande zur
Operation zu bringen. Die Operation, unter allen Kautelen der
Asepsis ausgeführt, ist immerhin keine ganz leichte. Da man
nie weiss, ob nicht auch eine Darinverlctzung mit vorliegt, und
man daher, wie schon erwähnt, in jedem Fall verpflichtet ist,
den gesainmten Darmtraktus und die sonstigen Organe der
Bauchhöhle mit zu untersuchen, empfiehlt «»s sieb, mit einem
Schnitt in der Mittellinie zu beginnen. Ich habe in meinen
Fällen, die sämmtlich muskelkriiftigo Individuen betrafen, zu¬
nächst das Peritoneum in leichter Chloroformnarkose auf etwa
10 cm Länge unterhalb des Nabels freigelogt. Sodann habe ich
das sich blauschwarz vordrängende Peritoneum zwischen 2 Pin-
cett.en eröffnol und sofort die Oeffnung in «l«;r Ausdehnung des
Hautsehnittes erweitert. Von dieser Oeffnung aus wird der
untere Bauehraum mit einer abgewickelten Rolle sterilen Mulls
ausgestopft und nun mit einer starken S i m s’sehen Seh«*ere
unter der Leitung des linken Zeige- und Mittelfinger^ de- übrige
') Vergl. Itosen hach: Di«» Seekrankheit. S. "s ff. Noth¬
nagel’» speeielh» Pathol. und Therap.
1T ) Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. 17.
5
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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1600 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42.
Bauchhöhle bis zum Processus xiphoideus in der Linea alba
unter linksseitiger Umgehung des Nabels eröffnet. Sofort nach
der Eröffnung stopfe ich eine Mullrolle nach der Lebergegend,
eine zweite nach der Milzgegend. Bei dieser Manipulation
blutet es kolossal, und es kommt Alles darauf an, durch mög¬
lichst schnelles Operiren und Tamponiren der Blutung aus der
Bauchhöhle Herr zu werden. Sehr hindernd kann hierbei der
Füllungszustand der Därme sein; so wurde ich bei meinem Leber-
patientea gezwungen, die stark geblähten Darmschlingen, ins¬
besondere das Kolon tranversum, aus der Bauchhöhle herauszu-
packeu und erst dann zu tamponiren. In den anderen beiden
Fällen waren die Darmschlingen kontrahirt und erschwerten die
Tamponade nicht. Ist die vorläufige Tamponade gelungen, so
kann man die Bauchdeckenwunde versorgen, meistens spritzen
nur wenige Gefässe. Ich entferne nun zunächst den unteren
Tampon und überzeuge mich dabei, ob irgend welche frische
Blutung aus dem unteren Theil der Bauchhöhle oder der Becken¬
höhle nachkommt, zugleich richte ich mein Augenmerk darauf,
ob die Flüssigkeit reines Blut ist oder etwa Darminhalt oder
Galle beigemischt ist. Sodann gehe ich in derselben Weise an
die Untersuchung der Lebergegend. Finde ich die Quelle der
Blutung entweder durch das Auge oder den tastenden Finger
hier, so tamponire ich zunächst den Riss, soweit er zugänglich
ist, nöthigen Falls unter Zuhilfenahme eines Schnittes parallel
den Rippenbogen nach rechts hin.
Steht die Blutung auf die Tamponade, so fragt es sich, ob
man den Tampon liegen lassen oder nähen soll. Die Naht ist
jedenfalls das idealere Verfahren. In meinem Falle von Leber-
zerreissung wäre sie wegen der Grösse und Lage des Risses sehr
schwierig gewesen. Da die Blutung auf die Tamponade stand
und der Zustand des Patienten zur Beendigung der Operation
drängte, habe ich mich damit begnügt. Hat man den gefundenen
Riss der Leber genäht oder tamponirt, so muss man immer noch
das Organ soweit wie irgend möglich untersuchen und besonders
auch die Hinterfiäehe sich zugänglich machen, da mehrere Fälle
veröffentlicht sind, bei denen ein hier übersehener Riss der Leber
selbst oder der grossen Gefässe derselben die Todesursache
abgab.
Ist die Lebergegend versorgt oder hier nicht die Quelle der
Blutung, so wende ich mich zur Milz und lege sie, falls ich ihre
gefühlte Verletzung dem Auge nicht sichtbar machen kann,
durch einen senkrechten Schnitt nach links frei. In meinen
beiden Fällen war die Zerreissung des Organs eine derartige, dass
die Blutung nur durch die Exstirpation gestillt werden konnte.
Teil würde dieselbe auch bei kleineren Rissen der Naht vorziehen,
da die Dauer und Schwierigkeit der Operation keine grössere ist.
und man auf diese Weise sicher ist, nicht etwa Risse, die sich an
der Hinterfläche befinden, zu übersehen.
Nach Versorgung der Blutungsquelle sehe ich mich nach Ver¬
letzungen der übrigen Organe der Bauchhöhle um, suche den
Magen und den gesammten Darm ab und schliesse die Bauch¬
höhle. Je nach dem Zustande des Patienten und seiner Empfind¬
lichkeit bekommt derselbe zur Anlegung der Bauchnaht wieder
etwas Chloroform; die ganze Bauchoperation nach Eröffnung des
Peritoneums bis zur letzten Unterbindung habe ich an den nicht
nnrkotisirten Kranken vorgenommen. Wenn ich auch einen
grossen Theil der Unempfindlichkeit auf den Schock und Blut¬
verlust, in dem sich die Leute befanden, rechne, so muss ich
doch die vorhandene Schmerzlosigkeit der Manipulationen in der
Bauchhöhle im Gegensatz zu der lebhaften Schmerzhaftigkeit
der Bauchnaht hervorheben. Ob dabei das Peritoneum parietale
die Ursache der Schmerzempfindung abgab, wie es Leun an der" 1 )
will, oder ob dieselbe nur durch «las Nähen der Haut 1>.dingt war,
muss ich dahingestellt sein lassen.
Mit der Beendigung der Operation ist aber das Schicksal der
Kranken, auch wenn sie lebend vom Tisch kommen, noch nicht
entschieden. Die Folgen des statt gehabten Blutverlustes können
sich auch nach anfänglich günstigem Verlauf noch geltend
machen. So ist es mir mit meinem ernten Operirten, einem
Kanonier mit einer subkutanen Milzzerreissung, ergangen. Er
erlag einem plötzlichen Oollaps 12 Stunden post Operationen!.
Die Sektion ergab, «lass die Blutung gestillt war. Ebenso starb
der eine Patient Cohns 30 Stunden post Operationen!, und in
der L e w e r c n z’sehen Zusammenstellung der subkutanen Milz-
zerreissungen sind 0 Fälle, bei denen die Blutung durch die Ex-
,s i Cent rnlHalt für t liinirgie 10 il. No. 8.
stirpation des Organs sicher gestillt war, den Folgen des statt¬
gehabten Blutverlustes meistens wenige Stunden nach vollendeter
Operation erlegen. Die Gesammtstatistik weist ausser diesen
9 Todesfällen noch 2 auf, die während der Operation starben,
2, die einer Peritonitis erlagen, und 1, der am 12. Tage seiner
Anaemie erlag. Dem gegenüber zählt Lcwerenz 16 Hei¬
lungen, zu denen noch der Coh n’sehe, J o r d a n’sche und mein
zweiter Fall kämen.
Von den primär operirten Leberrupturen, von denen ich
38'") Fälle in der Literatur gefunden habe, ist in 8 Fällen der
Leberriss nicht gefunden, und zwar wurde 6 mal die Operation
abgebrochen, 1 mal wurde als Hauptursache der Blutung eine
Zerreissung der Milz, die entfernt wurde, und 1 mal von Milz und
linker Niere, die gleichfalls exstirpirt wurden, gefunden. Der
Leberriss fand sich in allen 8 Fällen erst bei der Sektion. Au
den unmittelbaren Folgen der Blutung, die 11 mal durch Naht,
18 mal durch Tamponade gestillt wurde, sind 5 Patienten ge¬
storben. Ein Patient, bei dem die primäre Laparotomie einen
kleinen Einriss der Leber feststellte, erkrankte am 5. Tage mit
neuen heftigen Schmerzen im Leibe unter Temperatursteigerung,
durch Sekundärlnparotomie wurden grosse Mengen Blut ent¬
leert, es hatte also aus dem nicht versorgten Risse nachgeblutet.
Die Menge des ergossenen Blutes wird in allen Fällen als
sehr gross angegeben, sie betrug auch bei jedem meiner 3 Patien¬
ten über 2 Liter. Während ich im ersten Falle gegen die Folgen
der akuten Anaemie mit Analepticis aller Art, mit subkutaner
und rectaler Kochsalztransfusion kämpfte, habe ich mich in
meinen beiden letzten Fällen der intraperitonealen Kochsalz¬
transfusion bedient. Bei dem einen in der Weise, dass ich
48 Stunden tropfenweise in die Bauchhöhle nach der von mir
angegebenen Methode ”) einlaufen Hess, bei dem anderen, den
ich ausserhalb operiren musste, indem ich nach Schluss der
Operation nach 1 und 2 Stunden dureh ein in der Bauchhöhle
liegen bleibendes dünnes Drainrohr je Vs Liter sterile physio¬
logische Kochsalzlösung einfliessen liees. Auch in diesem Falle
hat die bakteriologische Untersuchung durch Plattenkultur und
Thierexperiment die Keimfreiheit des am 4. Tage entfernten
Drains ergeben. Ob diese intraperitoneale Transfusion mehr
dazu beigetragen hat, die Kranken über die Folgen ihrer schweren
Verletzung hinwegzubringen, als die gewöhnlichen Methoden,
lasse ich unentschieden, jedenfalls bin ich geneigt, derselben
einen Antheil an dem Erfolg beizumessen.
Sind die Kranken über die Folgen ihrer akuten Anaemie
hinausgebracht, so pflegen sich von Seiten des Peritoneums,
aseptische Operation vorausgesetzt, bei den reinen Milzzer-
reissungen keine Erscheinungen einzustellen. Es findet sich
unter den 35 operirten Fällen nur in einem Falle eine Peritonitis
und in dem J o r d a n’schen eine peritoneale Reizung verzeichnet,
die übrigen heilten, ohne im Verlauf Zeichen einer auch nur
lokalen Peritonitis zu bieten, oder zeigten bei der Sektion keine
Eiterung in der Bauchhöhle. Ganz anders ist das, wenn sich
neben der Milzverletzung eine Ruptur der Leber vorfindet.
Trendelen bürg 1 ') verlor einen derartigen Kranken am
7. Tage nach der Operation in Folge einer Peritonitis. Es ist
wohl zweifellos, dass dieselbe von dem übersehenen Leberriss aus¬
gegangen ist. In ähnlicher Weise waren bei einer Leberruptur,
die Wickershauser”) operirte, die beiden tamponirten
Risse reaktionslos, während ein übersehener eitrig belegte Rän¬
der bot und sich eine Peritonitis in seiner Umgebung lokali-
sirt hatte. Ausser diesem Falle erlagen noch 5 operirte sub¬
kutane Leberrupturen einer Peritonitis, immer fanden sich hier¬
bei die Wunden der Leber eitrig belegt. Die Möglichkeit einer
Sekundärinfektion der Leberwunden von den Gallengängen her,
macht unter Anderen auch F raenkel") geneigter, die Leber¬
wunden zu tamponiren, um sich etwa ansammelndes infizirtes
Sekret durch den Tampon nach aussen abzuleiten.
,0 ) 31 Fälle bei Frankel: Beiträge zur klinischen Chirurgie.
Bd. 30, H. 2: 7 weitere bei Vanverts: Archiven g4u6rales.de
m6deelue 1807.
20 ) lieber intraperitoneale Kochsalztransfusion. Laugenbeck's
Archiv. Bd. 58, II. 1.
21 ) Deutsche mcd. Wochen sehr. 1800, No. 40 u. 41.
W 1 c k e r s li a u s e r: eltlrt hn Centralbl. f. Chirurgie 1807.
S. 307.
a ) F raenkel: Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. 30.
lieft 2.
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15. Oktober 1901.
1661
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Komplikationen von Seiten anderer Organe haben sowohl
bei den Milz-, wie bei den Leberrupturen — subkutane Pankroas-
zerreissungen sind nicht primär operirt — den Verlauf selten
gestört. In dem Jordan’schen Fall fand sich eine Pleuritis
links.
Ein von Wickershauser operirter Fall, der seiner Ver¬
letzung erlag, hatte eine rechtsseitige Pneumonie. Ebenso be¬
kam ein Kranker, dessen Leberriss Zeidler 24 ) tamponirt hatte,
eine katarrhalische rechtsseitige Pneumonie. Auch der eine
Kranke Trendelenbur g’s erkrankte daran, während der
zweite F r a e n k e Fache Kranke, der tuberkulös belastet war,
eine Pneumonie des rechten Unter- und Mittellappen durch¬
machte.
Ueber eine Betheiligung der Nieren habe ich in der Literatur
keine Angaben gefunden. Demgegenüber muss ich hervorheben,
dass bei meinem letztoperirten Kranken am 8. Tage nach der
Operation eine Spur Eiweiss im Urin bemerkt wurde. Die
Albuminurie, die nur sehr gering war, hielt etwa 10 Tage an.
Eine Erklärung für sie zu geben, ist schwierig. Möglich, das
es sich um eine Kompression und Stauung in der linken Niere
gehandelt hat, wahrscheinlicher ist mir jedoch, dass doch ein
kleiner Nierenriss vorhanden war, der zwar primär nicht zu einer
blutigen Beimischung zum Urin geführt hat, aber doch sekundär
die vorübergehende Albuminurie erzeugt hat.
Die Rekonvaleseenz ist je nach der Resistenzfähigkeit des
Individuums verschieden. Immerhin pflegt sie dem grossen
Blutverlust entsprechend eine langsame zu sein. Ob die Er¬
setzung des Blutes durch die Exstirpation der Milz verzögert
/ wird, ist ja nach neueren Untersuchungen zweifelhaft, es ist mir
jedoch bei meinem Patienten aufgefallen, dass ich den zur Blut¬
körperchenzählung nöthigen Tropfen Blut auch nach Tagen nur
durch tiefen Einstich am Daumen und energisches Drücken er¬
halten konnte. Erst nach 14 Tagen floss sofort der Tropfen und
es blutete, wenn auch in geringem Maasse nach. Die Zählung
der rothen Blutkörperchen, auf die ich mich aus äusseren Grün¬
den beschränken musste, ergab die geringste Zahl von 2 400000
am 5. und 9. Tage nach der Operation; am 20. Tage war die Zahl
wieder auf 3 600 000 angestiegen, am 50. auf 4 200 000. Eine
Drüsenschwellung ist nicht aufgetreten.
Aus dem bisher Erörterten ergibt sich, dass wir bei trau¬
matischen subkutanen Bauchblutungen in den Fällen zur so¬
fortigen Operation gezwungen sind, in denen das Leben durch
die Blutung unmittelbar bedroht erscheint. Die weitere Er¬
fahrung muss lehren, ob wir auch bei Blutverlusten, die der
Organismus zu ertragen im Stande ist, zu einer Laparotomie be¬
rechtigt sind. Erwägt man die Gefahren, die aus einer Sekundär¬
blutung entstehen können, berücksichtigt man, dass der Blut¬
erguss, auch wenn er ursprünglich steril war, doch, namentlich
bei Leberblutungen, sekundär infizirt werden kann, so wird man
sich unter günstigen äusseren Umständen auch in diesen Fällen
zu einer frühzeitigen Operation, im schlimmsten Falle einer
Probelaparotomie entschliessen. Durch dieselbe bewahren wir
unsere Kranken nicht nur vor den Spätfolgen ihrer Bauch¬
blutung, wir setzen uns auch in die Möglichkeit, bisher nicht in
Erscheinung getretene Verletzungen des Magentraktus zur gün¬
stigsten Zeit in chirurgische Behandlung zu nehmen.
Krankengeschichte n.")
1. Der 20 jährige Kanonier G. wurde am 23. V. 1898 von
einem Artlllerlemunitlonswagen überfahren; die Räder gingen Ihm
über den Leib. Seine Aufnahme In’s Garnlsonslazareth Strass¬
burg 1. Bis. erfolgte etwa 2 Stunden nach dem Unfall.
Status praesens: Schwerkranker Mann, Bewusstsein
vorhanden. Keine Lähmungen. Am Kopfe nichts Krankhaftes.
Am Brustkorb keine Verletzungen, vor Allem keine Rippeubrüche.
Athmung 30 ln der Minute, oberflächlich; der Leib wird dabei still
gehalten. Puls sehr klein, 120. Der Leib Ist leicht aufgetrieben,
auf Druck schmerzhaft. In der linken Lumbalgegend, dicht unter¬
halb der Rippen, sieht man mehrere bis kinderhandgrosse Blut¬
austritte ln das subkutane Gewebe. In der linken Bauchseite
eine Dämpfung, die vom Rippenbogen bis zum Ligamentum Pou-
partl reicht und handbreit von der Mittellinie entfernt bleibt. Die
geringe Blasendämpfung ist von ihr durch eine Darmton bietende
Partie getrennt. Der mit dem Katheter entleerte Urin (etwa
200 ccm) war blutig gefärbt. Es handelte sich also um einen Er-
**) Zeidler: Deutsche med. Wochenschr. 1894, No. 37.
**) Fall 1 und 2 Ist bereits ln meiner Arbeit über intra¬
peritoneale Kochsalztransfuslon erwähnt, da die beiden Fälle Je¬
doch weder in die Statistiken über Milz- noch in die über Leber-
zerreissung aufgenommen sind, theile ich sie hier kurz mit.
guss in die Bauchhöhle, der entweder durch Bin laustritt oder durch
Entleerung von Dnnninlmlt bedingt war: nebenbei um eine Ver¬
letzung des uropoetischen Systems: Nieren- oder Blasenzer-
reissung. War erst eres der Fall, so konnte der Bluterguss in die
Bauchhöhle mit von der Niereuzerreissung herrühren, doch musste
daun das Bauchfell in der Nähe der linken Niere verletzt sein.
Da Patient von «lern iy s ständigen Transport und der Unter¬
suchung sehr angegriffen war, ausserdem ich den Mann erst noch,
wenn auch nur kurze Zeit, beobachten wollte, so erhielt er >/ 2 Liter
Kochsalzlösung subkutan eingespritzt und wurde iu's Bett ge¬
bracht.
ln den nächsten Stunden änderte sich der Zustand nicht; trotz
wiederholter Kochsalzeinspritzung subkutan und in den Mastdarm
besserte sich der Puls nicht, daher wurde t> Stunden nach dem
Unfall operirt.
Schnitt in der Mittellinie vom Nabel beginnend bis zur Sym¬
physe. Nach der Durchtrennung der Bauchdecken wölbt sich eine
dunkelblaue, vom Peritoneum bedeckte Geschwulst vor. Das
Peritoneum wurde zwischen 2 Pincetten au einer kleinen Stelle
eröffnet und sofort schiesst im Strahle, der immer stärker wird,
dünnflüssiges Blut heraus. Nachdem dasselbe, im Ganzen wurden
2 Liter aufgefangeu, möglichst langsam entleert ist, um die Spau-
nungsverhältnisse in der Bauchhöhle nicht zu schnell zu ändern,
wird das Peritoneum in der Länge des Bauchschnittes eröffnet.
Es zeigt sich, dass die Blutung von oben kommt, doch gelingt es,
ihrer durch Einfuhren von steriler Gaze Herr zu werden. Beim
Absuchen des unteren Thelles der Bauchhöhle findet sich keine Ver¬
letzung von Darm und Harnblase; das im kleinen Becken vor¬
handene Blut wird heruusgetupft Sodann wird nach Erweiterung
des Schnittes bis zum Process. xiphoid. an die Quelle der Blutung
herangegaugen. Dieselbe kommt von der Milzgegend her, doch
ist an ihrer der Bauchhöhle zugewapdten Fläche keine Verletzung
zu finden. Erst als das Organ aufgehoben wird, zeigt sich ein
Längsriss an der der Lumbalgegend aufliegenden Seite und ein
Einriss am Hllus. Daher wird unter schichtweiser Fassung der
Llg. lienale-gastricum und lienale-colicum, sowie des Hilus die
Milz exstlrpirt. Blutstillung, Bauchnaht. Kochsalzinfusion sub¬
kutan. Kaffee, Wein per ob gleich auf dem Operationstisch.
Der Patient erholte sich nach der Operation gut, der Puls
wurde langsamer und voller. Er erhielt 5 Stunden nach der Opera¬
tion nochmals eine Kochsalzinfusion von y„ Liter subkutan und
ein Kochsalzklystier von 1 Liter und befand sich bis gegen 5 Uhr
Morgens ganz wohl Dann trat ein Oollaps ein, dem er 12 Stunden
nach der Operation in 10 Minuten erlag.
Bei der Sektion fand sich 1 Esslöffel Blut in der Bauchhöhle,
keine Darmverletzung, keine Peritonitis. Ein unbedeutender Ein¬
riss dicht am Hilus der linken Niere, kein grösserer Blutaustritt in
die Nierenkapsel oder ihre (Umgebung.
2. Der 20 jährige Trainsoldat M. erhielt am 22. VIII. 1898
Morgens 4 Uhr von einem Pferde einen Huf schlag gegen den
Bauch. Er wurde kurze Zeit bewusstlos und wurde sofort dem
Garnlsonslazareth I Strassburg überwiesen. Um 5»/ 3 Uhr stellte
ich Folgendes fest:
Der kräftig gebaute Mann ist im leichten Schock. Sensorium
frei, doch antwortet er träge. Die Haut und die sichtbaren
Schleimhäute ziemlich blass. Am Kopfe, den Brusteingeweiden
und den Gliedmassen nichts Krankhaftes. Die Athmung ist ruhig,
mässig tief, 25 Athemzüge, der Puls ist mittelvoll, 80 Schläge in
der Minute. Der Leib ist nicht aufgetrieben, auif Druck etwas
schmerzhaft, doch gibt Patient keine besonders schmerzhafte
Stelle an, ebensowenig wie er die Stelle zu bezeichnen weiss,
wo ihn der Hufschlag getroffen. In der linken Bauchhöhle befindet
sich eine leichte Dämpfung, die vom Rippenbogen bis zum Darm¬
beinkamm reicht, nach vorn bis handbreit vom Nabel entfernt
bleibt Bei Lagerung auf die linke Seite wird die Dämpfung
wenig deutlicher, bei der auf die rechte verschwindet sie nicht
ganz. Von der Milzdämpfung ist sie nicht scharf abgrenzbar,
wohl aber von der geringen Blasendämpfung. Der spontan ge¬
lassene Urin, ca. 200 ccm, ist klar, frei von Blut Letzter Stuhl¬
gang 21. VIII. Abends, 22. VIII. Morgens nichts genossen. Der
Patient wurde zunächst, obwohl die Anzeichen eines Intraperi¬
tonealen Ergusses vorhanden, In’s Bett gebracht; gänzliche
N ahrungsenthaltung.
Um 9 Uhr war die Dämpfung links ausgesprochener und auch
rechts eine geringe Dämpfung vorhanden, doch war der Puls gut
geblieben. Um 1 Uhr fing der Puls an schneller zu werden, 100 bis
110 Schläge; er wurde ausserdem unregelmässig, daher wurde, da
ein Kochsalzeinguss von 1 Liter in den Mastdarm keine Besserung
herbeiführte, um 2 Uhr zur Operation geschritten. In Ohloroform-
narkose wird die Bauchhöhle in der Mittellinie eröffnet. Schon
vor der Eröffnung des Peritoneums schimmert eine blau-schwarze
Masse durch dasselbe hindurch und sofort nach seiner Durch-
trenuung entleert sich dünnflüssiges Blut. Es drängt sich sodanu
der stark geblähte Dickdarm ln die Wunde und trotz vorsichtiger
Eröffnung drängen sofort mit Blutgerinnsel bedeckte Darm¬
schlingen nach, so dass, um überhaupt einen Einblick ln die Bauch¬
höhle zu gewinnen, nichts anderes übrig bleibt, als nach Eröffnung
derselben bis 3 Finger breit über die Symphyse die ganzen vor¬
drängenden Därme herauszupacken. Die Bauchhöhle wird sodann
mit steriler Gaze ausgestopft und zunächst der herausgenommene
Darm abgesucht. Derselbe ist ebenso wie sein Mesenterium In¬
takt. Belm weiteren Absuchen der Bauchhöhle zeigt sich, dass die
Blutung von oben kommt, ihre Quelle lässt sich Jedoch, trotzdem
der Schnitt bis zum Proc. xiphoid. verlängert Ist, nicht finden.
5 »
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1GG2 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42.
Daher wird 5 cm oberhalb des Nabels auf deu ersten Schnitt ein
senkrechter, lu cm langer nach links hin gesetzt; die jetzt frei zu¬
gängliche Milz erweist sich unversehrt, dagegen lässt sich sehen,
dass die Blutung mehr von der Mittellinie herkommt, und nach
starker Anziehung des rechten und linken oberen Theiles der
Wunde sieht mau grosse Blutgerinnsel auf dem obersten Tkeile der
Leber liegen. Als diese entfernt sind, sieht und fühlt mau an dem
convexen obersten Theil der Leber einen etwa 10 cm langen, y 2 cm
tiefen Einriss. Da dersiibe für eine Naht nicht zugänglich ist, ein
Querschnitt rechts nicht angängig erscheint, wird der Hiss mit
steriler Gaze fest tampouirt. Die Blutung steht. Im Uebrigen
lassen sich Verletzungen au der Leber nicht linden, im Besonderen
ist die Gallenblase intakt. Auch am Magen keine Zeichen einer
stattgehabten Gewalteinwirkung. Nachdem die letzten Blutmasseu
auch uus dem kleinen Becken entfernt sind (im Ganzen schätze ich
die ergossene Blutuieuge auf 2 Liter;, wird die Bauchwuude ge¬
schlossen. Besondere Schwierigkeit macht die Zurückbriugung
des stark geblähten und mit einem ausserordentlich laugen Mesen¬
terium versehenen Colon trausversum. Aus dem obersten Wund¬
winkel wird der Tampon herausgeleitet, durch deu untersten ein
N'elatonkatheier 5 ciu in die Bauchhöhle eingelegt und durch die
Kanüle, die au die Haut augenäht wird, durchgeführt. Aseptischer
Verband. Während der Operation 2 Kanipherspritzeu, Dauer der¬
selben l>/ 2 Stunden. Der 1‘uls ist ziemlich klein geworden, 120 bis
13U Schlage in der Minute.
Sofort nachdem der Patient lu das Bett gebracht ist, wird mit
der tropfenweise intraperitouealeu lvochsalzinfusiou begonnen,
nachdem Patient zunächst 200 ccm auf einmal erhalten hat.
24. VI11. Betludeu zufriedenstellend. Puls kräftig, mit der
intraperitouealeu Kochsalzt rausfusiou wird auf gehört.
27. VIII. Verbandwechsel. Wunden trocken und cutzüu-
duugslos. Nelaton entfernt.
1. IX. Wunde geschlossen,’ Nähte entfernt.
2. IX. Patient stellt auf.
15. X. 18Ub. Patient w ird iu gutem Ernährungszustand mit
fester Narbe dienstunfähig entlassen.
3. Der 25 jährige Trompeter G. überschlug sich am 5. VI..
Morgens 10 Uhr, mit dem Pferde beim Attaquereiten und kam
beim Fall unter das Thier zu liegen. Er wurde unmittelbar uaeb
dem Sturz vom Exerzierplatz iu's Lazareth gefahren. Der be¬
handelnde Arzt, Herr Oberstabsarzt Dr. Schlott, stellte Fol¬
gendes fest: Schwerer Schock, Gesicht blass, Nase und Extremi¬
täten kühl. Puls 120, kaum fühlbar. Klagen über Schmerzen in
der linken Schulter und im. Leibe. An der Schulter nichts Krank¬
haftes. Leib im Ganzen schmerzhaft, Schmerzen werden auf
Druck nicht stärker. Leib nicht aufgetriebeu. In der linken
Unterbauckgegeud eine leichte Dämpfung. Brechreiz. Urin wird
von selbst in normaler Beschaffenheit entleert.
Ordination: Eiupaekeu in warme Tücher. Frottireu der Beine.
Portwein, theelülfelweise; als derselbe erbrochen wird: Aether
und Kampheispritzen subkutan. Um 0 Uhr sah ich den Kranken
in demselben Zustand, der Puls war vielleicht noch etwas schneller,
die Dämpfung iu der linken Seite ausgesprochener, sie liess sich
von der Milzdäuipfung nicht abgrenzeu, reicht nach vorn bis hand¬
breit von der Mittellinie. Es war klar, dass es sieh um eine
schwere iutraperiioiieale Blutung handeln musste, bei der Däm¬
pfung links und dem Freisein der Lebergegeud auf Druck, nahm
ich eiue Milzzerreissuug als das Wahrsclieiulicbste au. Sofortige
Operation. Leichte Gliioioformuarko.se nur für den tlautsehniit.
Das Peritoneum wird in der Mittellinie unterhalb des Nabels in
10 cm Länge freigelegt, dasselbe drängt sieb blauscliwarz vor und
wird zunächst zwischen 2 Pineetteu und sodann iu der Länge des
Hautschnittes eröffnet. Ausstopfung des unteren Bauchraumes
mit steriler Mullrolle. Eröffnung der Bauchhöhle bis zum Pro¬
cessus xiphoideus ln der Mittellinie. Tamponade der Lebergegend
und der Milzgegend. Bei diesen Manipulationen entleeren sieb
grosse Mengen Blutes, tlicils geronnenen, theils flüssigen. Der
untere Tampon wird entfernt, es blutet aus dem kleinen Becken
nicht nach. Auch bei Eutfernuug des Lebertampous zeigt sich
keine neue Blutuug, ebenso wenig ist an der Leber ein Kiss zu
sehen oder zu fühlen. Als der Milztampon entfernt wird, kommt
es zu einer neuen Blutung, daher wird, da iu der Milz ein grosser
Kiss gefühlt wird, oberhalb des Nabels ein senkrechter Schnitt
nach links auf deu Mediausclniitt gesetzt, der Milzhilus mit einer
Klemme vorläulig abgeklemmt und nach vorherigen doppelten
Unterbindungen des Ligamentum lienale-gastrieum und eolieum
das Organ exslirpirt: der Hilus wird durch eiue Gesammtligatur
und Eiuzelligatureu der erkennbaren Lumina versorgt. Ent¬
fernung der Blutgerinnsel aus der Bauchhöhle, Revision des Milz-
stumpfes, der Lebergegeud, Absuchung des Darmes. Schluss der
Bauchhöhle, in den untersten Wuudwinkel wird ein dünnes Drain
eingelegt und sofort /, Liter Kochsalzlösung iufundirt. Während
der Operation hatte der Kranke 10 Aetherspritzeu erhalten. Er
kam iu ziemlich collabirtem Zustande mit. eben noch fühlbarem
Pulse vom Tisch. Nach 1 und nach 2 Stunden nochmals Va Liter
Kochsalz iutraperitoueal transfundirt.
Die Maasse der alknhtdgehäricteii Milz (Gewicht 125g) be¬
tragen: Länge 11 ein, Breite Sem. Dicke 2,5 ein. 1 Kiss über die
ganze Vorderilüche 11 cm lang: von ihm ausgehend 2 senkrechte,
der eine 2.5 cm. der andere 5 ein lang; sammUielie Bisse gehen bis
auf die hintere Kapsel.
<>. VI. Beiinden leidlich. Nacht war etwas unruhig, doch
1 it Patient etwas geschlafen. Kein Erbrechen. Winde sind ab-
- angeil.
8. VI. Zustand wesentlich besser, gereichte Nahrung wird be-
; halten.
10. VI. Drain wird entfernt. Naht entzündungslos.
14. VI. Allgemeinbefinden zufriedenstellend. Appetit beginnt
i sich zu regen. Im Urin Eiweiss, Beagensglaskuppe eben bedeckt.
18. VI. Der grösste Theil der Nähte wird entfernt Wunde
! entzündungslos. Allgemeinbefinden zufriedenstellend. Urin ent-
! hält noch eine Spur Eiweiss.
24. VI. Rest der Nähte entfernt. Allgemeinbefinden hat sich
gehoben. Im Urin heute zum ersten Mal kein Eiweiss mehr.
30. VI. Patient steht auf.
10. VII. Patient ist noch ziemlich mager. Leib weich, nur
in der linken Unterbauchgegend auf tiefen Druck schmerzhaft
Die Narben in der Mittellinie und in der linken Unterrlppengegeud
sind schmerzlos, wölben sich beim Pressen nicht vor.
30. VII. Allgemeinbefinden hat sich weiter gehoben, Appetit
gut; keine Beschwerden. Die Blutuntersuchung ergibt: Zahl der
; rothen Blutkörperchen 4 200 000, Haemoglobingehalt 80 Proc.,
weisse Blutkörperchen sehr gering an Zahl. Verhältnis 1:1300.
; Einige Bemerkungen zum Inhalte der Broschüre des
Herrn Professors Dr. Adolf von Strümpell zu
j Erlangen über den medicinisch-klinischen Unterricht
an Universitäten.
i
Von Dr. Alfred Riedel, k. Bezirksarzt in Forehheim.
! Herr Professor Dr. v. Strümpell hat im Verlage von
i Delchertin Leipzig als Sonderabdruck aus der Festschrift der
I Universität Erlangen zur Feier des achtzigsten Geburtstages
; Sr. königlichen Hoheit des Prlnzregeuteu Luitpold von Bayern
| eine Broschüre erscheinen lassen, ln welcher er seine Erfahrungen
| und Rathschläge über die zweckmässigste Art des medicinlsch-
i klinischen Unterrichtes mittheilt.
I Die Lektüre dieser Broschüre gibt mir zu nachstehenden Be¬
merkungen Anlass:
v. Strümpell meint, man hätte das jetzt eingeführte prak-
: tische Jahr, das an einem Krankenhause oder bei einem durch
Wissen und Können hiezu geeigneten vielbeschäftigten praktischen
: Arzte zugebracht werden soll, fallen lassen, dafür das mediclnische
! Studium auf 6 Jahre verlängern und letzteres entsprechend
j intensiv und extensiv weiter ausdehnen können. Ferner empfiehlt
> v. Strümpell ausser dem eigentlichen Fachstudium einige
andere Gegenstände zur Nebenbeschäftigung in den erstell
Semestern.
Zunächst eine sprachliche Bemerkung. Man liest jetzt häufig
das sogen, praktische Jahr als annuum practicüm bezeichnet. Das
Wort annuum, in falscher Analogie rückwärts von trieuuium.
bieunium gebildet. Ist eine sprachliche Monstrosität und sollte nicht
mehr gebraucht werden. Es muss einfach heissen qnnus practicus.
Es Ist sehr fraglich, ob es möglich sein wird, das praktische
Jahr ln der beabsichtigten Weise aufrecht zu erhalten, ob es ge¬
lingen wird, die grosse Zahl der hier in Betracht kommenden-
Mediciuer iu Krankenhäusern oder bei geeigneten Aerzten unter-
zubringen und ob der vorschwebeude Zweck auch wirklich er¬
reicht wird. Für den Fall, dass die neue Einrichtung sich als
undurchführbar herausstellen sollte, zweifle ich nicht, dass man
dann auf die Vorschläge des Herrn Professor v. Strümpell
als maassgebend zurückkommen und das mediclnische Studium
auf 6 Jahre verlängern wird. Das ist durchaus nichts Neues, wir.
Alten, die wir das mediclnische Studium um dje Mitte des abge¬
laufenen Jahrhunderts begonnen haben, haben auch 6 Jahre" auf -
der Universität zubringeu müssen, wenn es nicht gelang, während
des sogen, biennium practicüm als Assistenzarzt an einem Kranken-
hause unterzukommen, und dies dauerte bis Anfangs.der 60er,
Jahre, wo daun die Zeit des medicinischen Studiums abgekürzt
wurde.
Ob eine Zweitheilung der ärztlichen Vorprüfung sich’ empfiehlt,
ist fraglich; es kommt hiebei doch auch der Kostenpunkt ln Be¬
tracht.
Nicht genug kann der Werth und die Bedeutung der Kinder¬
heilkunde hervorgehoben werden. Das Fehlen einer stationären.
Kinderklinik au einer Universität Ist ein grosser Mangel. Die
Behandlung kranker Kinder ist das tägliche Brod des praktischen
Arztes und die genaue Bekanntschaft mit der Kinderheilkunde ist
für den praktischen Arzt das Allerunentbehrlichste.
Recht zutreffend ist es, wie von v. Strümpell der Werth
des Zeichnens für den Mediciuer hervorgehoben wird, und es ist
sehr zu bedauern, dass das Zeichnen auf dem Gymnasium nicht
ernstlicher betrieben wird.
Professor B i 11 r o t h hat in seinen Vorlesungen über allge¬
meine chirurgische Pathologie und Therapie die Frage angeregt,
woran man denn erkennen könne, ob Einer zum Chirurgen ge¬
eignet sei, und beantwortet diese Frage so: Daran, wenn Einer
graphisches Talent hat.
Bei verlängertem Studium auf G Jahre empfiehlt Herr
v. Strümpell dem jungen Mediciuer in den ersten Semestern
als Nebenbeschäftigung fünf Gegenstände: Geschichte der Philo¬
sophie, Psychologie, Sozialwissenschaft, Technik und Hebungen
im Zeichnen.
Diesen fünf Nebenbeschäftigungen möchte Ich auf Grund
meiner Lebenserfahrung recht ernstlich und nachdrücklich als
sechste und siebente noch zwei weitere hinzufiigeu, nämlich die
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15. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1663
Beschäftigung mit höherer Mathematik und das Studium der
neueren Sprachen.
Jetzt, wo die Gleichberechtigung der Absolventen der deutschen
humanistischen Gymnasien und der Realgymnasien zum Studium
der Medlcin durch die Prüfungsordnung vom 28. Mai 1901 definitiv
besiegelt ist, gilt es für die Absolventen des humanistischen Gym¬
nasiums, den Vorsprung, den die Absolventen des Realgymnasiums
voraus haben, auf der Universität durch freiwillige Thätigkeit
wieder einzuholen und auszugleichen.
Der Abschluss des mathematischen Unterrichtes auf dem
humanistischen Gymnasium ist ein gar zu dürftiger und müssen
die mathematischen Kenntnisse auf der Universität durch Besuch
einer Vorlesung über analytische Geometrie und ül>er die Elemente
der Differential- und Integralrechnung ergänzt und erweitert
werden. Es ist dies zu einem gedeihlichen Studium der Physik
durchaus nothwendlg.
Die Gymnastik des Geistes, welche die Beschäftigung mit
höherer Mathematik mit sich bringt, ist eine so intensive, dass
ihr hierin keine andere geistige Beschäftigung gleichkommt und
dass sie durch nichts anderes zu ersetzen ist. Ihr gegenüber ist
die bloss mehr passive und receptive geistige Thätigkeit bei der
übrigen Naturerkenntniss eine verhältnissmässig viel zu leichte.
Nicht umsonst stand Uber der Eingangspforte des Lehrsaales des
Pythagoras angeschrieben:
/A*i<feis ovfta9*i[ittT<x6s eiaita!
Die Kenntniss der neueren Sprachen, vor Allem des Englischen,
ist für das praktische Leben des Mediciners ganz unentbehrlich.
Das humanistische Gymnasium leistet auch hierin zu wenig. Hier
müssen auf der Universität für die Studirenden, abgesehen von
den Neuphilologen, namentlich für die Mediciner eigene Kurse ein¬
gerichtet werden. Es ist gar nicht zu sagen, wie oft und hart
im späteren Leben der Mangel an Kenntniss der neueren Sprachen
empfunden wird. Wie wenig das humanistische Gymnasium hierin
leistet, haben wir, die wir zur Zeit des deutsch-französischen
Krieges als Hilfsärzte uns in Frankreich befanden, schmerzlich
empfunden; von Fähigkeit zu einer Konversation war gar keine
Rede. Das beste Hilfsmittel für das Privatstudium der englischen
und französischen Sprache bilden die Unterrichtsbriefe von
Toussalnt-Langenscheldt, aber für die Aussprache, zumal
des Englischen, kann man doch die persönliche Anleitung des
Lehrers nicht entbehren.
Im Uebrigen kann ich nicht genug hervorheben, wie interessant
und werthvoll die in der genannten Broschüre des Herrn Professor
v. Strümpell enthaltenen Erfahrungen und Rathschläge sind,
und empfehle sie nachträglich allen Kollegen zur Lektüre und
Beherzigung.
Referate und Bücheranzeigen.
R. Borrmann, I. Assistent am Patholog. Institut zu
Marburg: Das Wachsthum und die Verbreitungswege des
Magencarcinoms vom anatomischen und klinischen Stand¬
punkte aus. Mit 16 Tafeln und 21 Abbildungen im Text. Jena
1901. Verlag von G. Fischer. Preis 16 M. 376 Seiten.
Die vorliegende umfangreiche Habilitationsschrift des Ver¬
fassers ist erschienen als Supplementband zu den „Mittheilungen
aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie“ und stützt
sich auf die Untersuchung von 63 in der chirurgischen Klinik
zu Breslau resecirten Magencarcinomen. Die Arbeit baut sich
natürlich ganz auf den Anschauungen R i b b e r t’s (dessen
Schüler B. ist) bezüglich der Genese und des Wachsthums der
Carcinome auf und richtet sich hauptsächlich gegen den von
Hauser in dessen Monographie „Ueber das Cylinderepithel-
carcinom des Magens und des Dickdarms“ und in seinen späteren
Arbeiten vertretenen Standpunkt, sowie gegen die jüngst
von L o h m e r erschienene Arbeit (ZiegleEs Beitr. 23. Bd.).
Was die Gruppirung des umfassenden Stoffes betrifft,
so enthält T h e i 1 I die makroskopische und mikro¬
skopische Schilderung, sowie kurze klinische Notizen
der betreffenden Fälle. Im T h e i 1 II findet sich zuerst eine
pathologisch-anatomische Auseinandersetzung über
die aus den vorstehenden Befunden sich ergebenden Wachsthums¬
und Verbreitungsarten des Magencarcinoms und endlich ver-
werthet im klinischen Theil B. seine histologischen Unter¬
suchungen, besonders hinsichtlich der Ausdehnung der einzelnen
Carcinome zu wichtigen Schlüssen bezüglich der chirurgischen
Eingriffe.
Ohne auf Details weiter einzugehen, sei nur hervorgehoben,
dass nach B. Untersuchungen der Randpartien sich für die
Genese der Carcinome überhaupt nicht verwerthen lassen; eine
„krebsige Entartung“ der Epithelien gibt es für ihn
nicht (er erkennt nur eine Entartung im regressiven Sinne
an!); alle die Bilder, die ein primäres Tiefenwachsthum im Sinne
Hauser’s beweisen sollten, erklärt er für Täuschungen und
No. 42.
glaubt, dass es sich um Durchbrüche aus der Tiefe der
Submucosa nach oben zwischen die Drüsenschläuche hinein
handle. Das Vorschieben der Carcinomzellen in das
Lymphgefässnetz der Schleimhaut selbst stellt B. be¬
sonders in den Vordergrund und rückt die horizontale Aus¬
breitung des Magenkrebses an erste Stelle. Das regionäre
Recidiv im Sinne von T h i e r s c h erkennt Verfasser eben¬
sowenig an, weder für den Magenkrebs, noch für andere Car¬
cinome. H. Merkel -Erlangen.
Zur Lehre vom Aderlass. Von Privatdoc. Dr. E. Schreiber
und Assistenzarzt Dr. J. Hagenberg. S.-A. aus dem Central¬
blatt für Stoffwechsel- u. Verdauungskrankheiten. 1901. No. 11.
Die erste Mittheilung über die praktische Verwendung der
von dem französischen Arzt Poiseuille aufgedeckten, dann
fast völlig in Vergessenheit gerathenen und neuerdings von
H ü r t h 1 e , Hirsch und Beck und namentlich J a c o b j -
Göttingen wieder erweckten Lehre von der Viscosität oder
inneren Reibung des Blutes! Bei 3 Fällen von schwerer Uraemie
wurde mit dom bekannten, überraschenden Erfolge — ein Fall
konnte als fast geheilt entlassen werden! — der Aderlass mit
nachfolgender Kochsalzinfusion gemacht; eine zweite Blutent¬
ziehung folgte Va Stunde später. Die gewonnenen Blutbefunde
wurden durch 2 Untersuchungen an nephrektomirten Hunden
erhärtet. Es ergab sich, dass 1. der Gefrierpunkt des Blutes
konstant bleibt, somit also die Theorie Lindemann’s über
das Zustandekommen der Uraemie durch Erhöhung des osmoti¬
schen Drucks, wie dies Schreiber, Waldvogel und
Richter schon früher nachwiesen, als unhaltbar zu betrachten
ist; 2. dio innere Reibung des Blutes um ein Bedeutendes ab¬
nimmt; 3. die Zahl auch der rothen Blutkörperchen, nicht nur
der weissen, vermehrt ist. Es erklärt sich somit die Besserung
der uraeraischen Symptome daraus, dass 1. die Arbeit des Herzens
durch die Herabsetzung der Viscosität des Blutes erleichtert ist;
2. eine Ausschwemmung von giftigen Stoffen stattfindet Endlich
soll dio Vermehrung der rothen Blutkörperchen, die als Folge
der grösseren Stromgeschwindigkeit aufzufassen ist, eine bessere
Versorgung des Organismus, namentlich des Gehirns, bewirken.
Auf die letzte Weise ist jedenfalls allein die Besserung bei dem
dritten, durch einige Komplikationen von den anderen ab¬
weichenden, Falle zu erklären. Sz.
Otto K ü s t n e r : Stereoskopischer medicinischer Atlas
der Gynäkologie. Als 29. und 34. Lieferung der stereoskopiseh-
medicinischen Atlanten, herausgegeben von Albert N e i s s e r.
Leipzig, Ambr. Barth, 1900.
Die beiden Lieferungen enthalten 24 stereoskopische Photo¬
graphien gynäkologischer Befunde und zwar hauptsächlich Neu-
und Missbildungen der Vulva, Prolapsus Uteri mit ungeeigneter
Perineoplastik, Ulcus rodens vulvae, Operationsnarben nach Ex¬
stirpation des Carcinoma vulvae, Dammriss, Caruncula urethralis.
Die Auswahl betrifft theils praktisch häufige und desshalb
wichtige, theils operativ, theils diagnostisch belangreiche Fälle.
Die Bilder sind technisch einwandsfrei hergestellt, bei stereo¬
skopischer Betrachtung vollkommen plastisch; jedem Bild ist
eine kurze klinische Beschreibung beigegeben.
Aber trotz aller dieser Vorzüge scheint die hauptsächliche
Bedeutung des Atlas nicht in seiner Verwendung für den Unter¬
richt zu liegen; gibt man die Bilder den Studirenden in die
Hand, so merkt man, dass dio eigcnthümlioho Dunkel-, ja
fast Schwarzfärbung rother blutreicher Theile stört — man nehme
z. B. das Bild „Harnröhren-Carunkel“; auf diesem erscheint ge¬
rade die Carunkel selbst schwarz mit Glanzlichtern, man könnte
sie für ein Stückchen Kohle, für eine zufällige Verunreinigung
halten. Bekannt ist auch dio Schwierigkeit, die menschliche
Haut zu photographiren; dadurch tritt der Unterschied zwischen
Aussenhaut und Vulva, sowie Scheidenhaut, z. B. bei den Bil¬
dern „Dammriss“, nicht scharf genug hervor; gute Zeichnungen
und Holzschnitte sind hier zum Unterrichte Mindergeübter ge¬
eigneter. Wie schwer ist ee selbst für den Gynäkologen auf
Bild 346 „Sarkoma vulvae“ sich über das Entscheidende zu unter¬
richten.
Am besten sind die Bilder „Hottentottenschürze, Fibroma
pendulum, Kolpokleisis rectalis, Prolaps mit imgeeigneter Peri¬
neoplastik, Elephantiasis vulvae“.
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1664
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Aber die Bedeutung photographisolier Bilder im Allgemeinen
liegt darin, dass sie für den Geübten, den Fachmann, wissen¬
schaftliche documents humains von absoluter Zuverlässigkeit
sind, welche durch Zeichnungen nie erreicht werden kann.
Krankheitsbilder, Operationserfolge und — was für eine Fort¬
setzung der Sammlung besonders in Betracht kommen dürfte —
Operationsmethoden in ihren einzelnen Abschnitten lassen
sich damit in einer Weise wiedergeben, welche die Bilder sogar
späteren Gesclilechtem noch werthvoll machen wird.
Trotz der grossen technischen Schwierigkeiten wäre dess-
halb ebenso wie das bis jetzt Erschienene auch eine Fortsetzung
der Sammlung mit aufrichtigem Danke zu begrüssen.
Gustav Klein- München.
C. Bayer: Die Chirurgie in der Landpraxis. Kurz¬
gefasstes Nachschlagebuch für praktische Aerzte. Dritte, ver¬
mehrte und verbesserte Auflage. Berlin, F i s c h e r’s medicin.
Buchhandlung, 1001.
Nach 7 Jahren erscheint Bayer’s Chirurgie in dritter
Auflage. Durch Inhaltsvermehrung und grösseren Druck ist
die Seitenzahl von 147 auf 246 gestiegen. Die Zahl der Ab¬
bildungen ist von 24 auf 41 vermehrt.
Im Ganzen hat sieh der Inhalt wenig geändert. Was Ref.
im Jahrgänge 1896 dieser Wochenschrift darüber gesagt hat,
kann auch heute gelten. Ein frisch und anregend
g e s c h r i o b e. u e s W crkc.hcn voll p r a k t i s c h e r
W i n k e und brauchbarer R a t h s <• h 1 ii g e.
Im Einzelnen sei noch folgendes Besond erc dieser Auf¬
lage hervorgehoben:
Die in voriger Auflage von mir gerügte Ignorirung der
Asepsis hat in dieser Bearbeitung Berücksichtigung gefunden,
meiner Ansicht, nach aber immer noch nicht in genügender Weise.
Dio Vorschriften der Asepsis und der Antisepsis können auch in
einemNachsehlagebueh nicht präzis genug ausgesprochen werden;
laxe Vorschriften in dieser Hinsicht verführen gar zu leicht zu
gefährlicher Halbheit. So möchte ich einer späteren Auflage
besonders eine, strammere Vorschrift über Desinfektion der Hände
und des Operationsgebietes wünschen.
Neu aufgenommen ist in das Kapitel über lokale Anaesthcsie
eine Besprechung der Ober st’sehen Methode und der Schl ei ch-
sehen Infiltrationsanaesthesie.
Eine praktische Neuerung sehe ich in der Neuaufnahme
jo eines Kapitels über Behandlung der akuten Osteomyelitis
und der Epityphlitis, an welche sich neu eine Besprechung der
Therapie des Ulcus syphiliticum und tuberculosum, sowie der
Fussgeschwü re anschliesst.
Bei der Besprechung der von inneren Organen ausgehenden
Blutungen hätte Referent einen etwas energischeren Hinweis
auf den Nutzen frühzeitigen chirurgischen Eingreifens, ebenso
bei der so ausführlichen Besprechung der Tracheotomie eine be¬
sondere Empfehlung der Operation auf Grund der durch das
Heilserum viel besser gewordenen Prognose gewünscht.
Dass Verfasser die von ihm geübte einfache und als prak¬
tisch erprobte Methode der Herniotomie in dieser Auflage ge¬
nauer beschrieben, werden ihm die Leser dtw Büchleins danken;
ebenso für die Aufnahme von Quorschnittsbildern der Ampu-
tationsstümpfo mit Angabe der Lagt; der zu unterbindenden
Gefasst*.
Gewiss kann das Büchlein den praktischen Acre ton als Nach¬
sohl agebuch empfohlen werden, aber eben nur als Nachschlage-
bueli. Die Chirurgie soll nicht nur in Kliniken, sondern be¬
sonders von den praktischen Aerzten ausgeübt werden. Ebenso
wie die Kliniker können sie darum neben einem solchen Nach¬
schlagebuch niemals ein grösseres Handbuch der Chirurgie ent¬
behren. J)r. Doorfler - Weissenburg a. S.
Schlockow-Roth-Leppmann : Der Kreisarzt.
V. Auflage. Berlin, bei R. Schütz, 1901. Preis lwider Bände
brosch. 22 M., geh. 25 M.
Der frühere „preußische Kreisphysikus“ von Sc. block ow
hat in seiner nunmehrigen 5. Auflage in Folge des neuen Ge¬
setzes iiln-r die Dienststellung des Kreisarztes nicht nur einen
neuen Titel, sondern auch inhaltlich eine wesentliche Erweiterung
und Umgestaltung erfahren. Der umfangreichere erste Band
(718 S.) umfasst das Medicinal - und Sanitätswesen
und behandelt zunächst die Organisation dt« preussischen Me-
dicinalwcsens in der Central-, Provinzial-, sowie Kreis- und Lokal-
in.stanz, sodann in 14 Abschnitten die einzelnen Sparten des
Medieinalwcsens, wie Apotheken, Hebammen, Heilgehilfen.
Krankenhäuser, Nahrungs- und Genussmittel, Infektionskrank¬
heiten, Wohnungshygiene, Irrenwesou u. s.w. Vergleicht man
die gegenwärtige Auflage mit der früheren vom Jahre 1895, so
scheint l>ei den vielen inzwischen erlassenen reiclis- und landes¬
gesetzlichen Bestimmungen ein ganz neues Buch entstanden zu
sein. Der zweite Band (321 S.), dessen Inhalt gericht¬
liche Medicin und gerichtliche Psychiatric
bilden, hat gleichfalls, hauptsächlich durch die Einführung des
bürgerlichen Gesetzbuches, mehrfache Abänderungen erfahren.
Den Schluss beider Bände bilden Formulare, Beispiele und In¬
haltsregister. „Der Kreisarzt“ wird auch in Zukunft den Me¬
dici na lbea inten ein willkommener Helfer in ihrer Amtsführung
und den Kandidaten für die kreisärztliche Prüfung ein zuver¬
lässiger Führer bei ihrer Vorbereitung sein.
Dr. Carl Becke r.
Neueste Joumalliteratur.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 9. Bd., 2. und
3. Heft. 1901.
0) Codi villa: lieber die operative Behandlung der an¬
geborenen Hüftgelenksverrenkung.
<’. hat an 75 Fällen des genannten Leidens folgende Er¬
fahrungen gesammelt: Bei 3—12 jährigen Patienten lässt sich ge¬
wöhnlich die unblutige Reposition bewirken. Letztere bleibt etwa
bei der Hälfte bestehen und führt zu gutem funktionellen Resultat.
In den übrigen Fällen kommt es zur Reluxation, immerhin nicht
ohne Besserung der Stellung und Funktion.
Starke persistirende Aussen rot at Ion muss gelegentlich durch
Osteotomie des Femur beseitigt, werden.
Ist die blutige Operation nüthig, so kann die losgelöste Kapsel
gefaltet und als Ersatz des fehlenden Pfannendaches benützt
werden. Ist dalxd Aushöhlung der Pfanne nüthig. so empfiehlt es
sich, zur Vermeidung der Ankylose die Knpselhaube über den
Schenkelkopf zu stülpen.
Im Allgemeinen scheinen seine Erfahrungen mit der blutigen
Reposition weniger günstig gewesen zu sein.
7) Cacolari: Bober eine neue Einrenkungsmethode der
angeborenen Hüftverrenkung.
Er berichtet über (las Verfahren von G h i 11 i n 1, der je nach
der individuell verschiedenen Verlagerung des Femurkopfes in
Beugung oder Streckung, Abductlon oder Adduktion, Innen- oder
Ausscnrotation. resp. in einer koiubinirten Stellung, den Gipsver¬
band anlcgt. Die Nachbehandlung leitet er nach Lorenz (Be¬
lastung), nicht nach Paci (Ruhe, Extension).
8) T i m m e r: Eine neue Methode, Fussabdrücke zu
machen.
Der Fuss wird erst auf eine mit Druckerfarbe dünn lx*-
strieliene Glassplatte, daun auf ein ebenfalls auf Glas liegendes
Stück Papier gestellt.
Die Reinigung des Fusses geschieht mit Terpentin oder Petro¬
leum.
9) Graff: Einige neue orthopädische Apparate.
Verbesserung der Iv r u k e n b e r g’sehen Hüftpendelapparnte
für Beugung und Streckung. Ab- und Adduktion, insofeme die
Fixation dos Beckens sicherer gewährleistet ist.
Der niodiiieirte S 1111 e’selie Redresseurosteoklast besitzt den
Vorzug, dass die Zugrichtung sehr genau regulirt werden kanu.
10) Ivudrjascliof f: Spondylitis deformans.
Er glaubt, dass die ankylosirende Wirbelsäulenentziindmig
und die Spondylosis rhizoinelicft nichts ändert« sind als eine
Arthritis deformans. Vor Allem vervollständigt er die patho¬
logisch-anatomischen Kenntnisse durch Allbildung und Beschrei¬
bung einer Reihe schöner Präparate.
11) G h i 111 n i und Cancvazzi: Betrachtungen über
die statischen Verhältnisse des menschlichen Skelets.
l'nter Berufung auf frühere Arbeiten kritisiren die Verfasser
die letzten Untersuchungen von Albert über die Pathogenese
des Genu vnlgum.
12) .Schanz: Heber die mechanischen Gesetze der Skoli¬
osenbildung.
Verfasser sucht die charakteristischen Formen der skolio-
tischon Wirbelsäule, Krümmung und GegenkrtUuniungcn, die
robenfürmigo Windung, die Torsion, die Form des Keil-, Zwischen-
Schrägwirbt'ls als mechanische Notliwendigkeiteii zu er¬
klären; und zwar überträgt er die Erscheinungen an einem
überlasteten, runden, elastischen Stab, dessen Endqucrechnitte
an HorizontalclH'nen gebunden sind, auf die Wirbelsäule. I>io
Bogenreihe betrachtet er als Verstärkungsstreifen.
13) S t r u 1) e: Bericht über die H ö f t m a n’sche Klinik in
Königsberg.
Kurze Beschreibung der Anstalt und übersieht liehe Dar¬
stellung der geübten Behandlungsmethoden bei den wichtigsten
orthopädischen Leiden.
Eine grosse Zahl von Allbildungen beziehen sich auf die Er¬
folge roborirender Therapie (Mastkur) bei schwächlichen Sko¬
liosen.
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35. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1665
Eine Reihe von Mittheiluugeu interessanter Fülle aus der Un- ,
fallstation und von wohlgelungenen Bildern aus dem Röntgen-
kabinot besclUiossou diesen ersten Bericht der Anstalt, die seit
IS»! besteht.
14) Schult h e s s: Bericht über die Behandlung der Rück-
gratsverkrümmungen vom 1. I. 1895 bis 31. XII. 1900.
Der umfangreiche, mit immensem Fleiss und strenger Selbst¬
kritik hergestellte Anstaltsbericht gibt zunächst eine eingehende
Beschreibung der augewendeten selhstkonstruirten Uebungs-
apparate. Es folgt eine sorgfältige Reglstrirung der erzielten Re¬
sultate, aus der hervorgellt, dass die verbesserte Apparattechnik
durch eine Besserung der Erfolge belohnt werde.
15) Scliultze: Ein einfacher orthopädischer Tisch.
Der mehrfach abgebildete Tisch trägt am Kopf- und Fass¬
ende je eine Welle zur Aufnahme der extendirendeu Drahtseile,
einen vereinfachten L o r e n z’sehen Osteoklasten und die sogen.
Kyphosenschaukel. Er Ist fiir eine grosse Zahl orthopädischer
Maassnuliinen brauchbar.
10) Hager: Ueber sogen. Myositis ossifleans multiplex
progressiva.
Genaue Beschreibung eines lange lieobachteton Falles und zu¬
sammenfassende Darstellung des Leidens auf Grundlage der ge¬
sammelten Literatur.
17) Stumme: TJeber die Spätresultate der Resektion des
Kopfnickers beim muskulären Schiefhals nach Mikulicz.
St berichtet über die Ergebnisse seiner Nachuntersuchungen
der von M. mit partieller und totaler Exstirpation des Kopfnickers
operirten Patienten und widerlegt dadurch die Einwäude, welche
gegen diese radikale Methode erhoben worden sind.
Er betont, dass letztere nur bei schweren Fällen ln Betracht
kommt. Das kosmetische, wie das funktionelle Resultat hat sich
im Ganzen als günstig erwiesen, Gesichtsasymmetrie und Skoliosen
haben sich meist erheblich zurückgebildet, obwohl eine ortho¬
pädische Nachbehandlung nicht stattfand.
V u 1 p 1 u s - Heidelberg.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1901.
Bd. 3g. 2. Heft.
1) A. S c h ü t z e - Berlin: Experimentelle Untersuchungen
zur Kenntniss der Einwirkung der Antipyretica auf den Verlauf
akuter Infektionskrankheiten.
Die Meinungsverschiedenheiten, die immer noch In der un-
l>eaiitworteten Frage bestehen, ob Antipyretica bei akuten In¬
fektionskrankheiten schädlich wirken können, suchte Y'erf. da¬
durch zu klären, dass er Kaninchen mit Typhus inflzirte und den
Einfluss der Antipyretica auf die Agglutinine und Antikörper im
Kaninchenserum feststellte. Es zeigte sich, dass bol den mit
Antipyrin behandelten Thieren keine Verzögerung oder Vermin¬
derung der im Serum entstehenden spocifischen Substanzen cin-
trltt, also keine direkte Schädigung der zum s p e el¬
fischen Hell u ngs verlauf not li wendigen Re¬
aktion hervorgerufen wird. Dagegen beeinflussen die schäd¬
lichen Nebenwirkungen, die oft beobachtet werden, das H e r z
und das Circulationssystem; und dies ist um so schlimmer,
als die ungeschwächte Herz kraft bol akuten Infektionskrankheiten
mit das Allerwichtigste ist.
Es Ist daher nach Schütze nller Grund vorhanden, in der
Anwendung der Antipyretica durchaus vorsichtig zu verfahren,
weil der zu reichliche Gebrauch nur zum Collaps führen und
einen nicht erwünschten Ausgang befördern kann.
2) v. W a s 1 e 1 e w s k i - Halle: Beiträge zur Kenntniss des
V accineerregers.
In einer ausführlichen Arbeit unterzieht Verf. die bis jetzt
bekannten Thatsachen in Betreff des Vaccine-Erregers einer kri¬
tischen Betrachtung. Die von ejnlgen Autoren gemachten Be¬
hauptungen, die Vaccinekörperchen, welche bei Untersuchung der
Pusteln gefunden wurden, seien Zelldegenerationsprodukte oder
Leukocytendegeneratlonsprodukte, können nach den verdienst¬
vollen Untersuchungen von Guarnlerl und vom Verf. nicht
aufrecht erhalten werden. Es sind vielmehr diese Körperchen die
einzigen charakteristischen Gebilde, welche sicli bei Variola und
Vaccine in Haut und Schleimhaut finden, während sie sonst überall
fehlen. Auch sind die von einigen Autoren im Pustelinhalt ge¬
fundenen und als Vaccineerreger verantwortlich gemachten Bak¬
terien bedeutungslos.
Wichtig ist, dass die Vaecinekörpercheu, was bereits
Guarnlerl gefunden hatte, in den Hornhautepithelzellen von
Kaninchen mit Sicherheit nach der Impfung in die Cornea auf-
»reten. Dieselben müssen als Zellschmarotzer angesehen
werden.
Es gelang dem Verf. di** Fortzüchtung einer wirksa m e n
Vaccine im Epithel der Kaninehenhomhuut bis zur 48. Gene¬
ration, eine Beobachtung, welche durch Impfungen auf ein Kalb
und mehrere Kinder bestätigt wurde.
Da lieben den Vaccinekörperchen an den Impfstellen weder
mikroskopisch noch bakteriologisch Mikroorganismen nachzu¬
weisen sind, so muss die Annahme Guarnieri's, dass di«*
Vaccinekörperchen selbst die Vaccineer reger
sind, als sehr wahrscheinlich bezeichnet
w erden.
3) Plato und Gutli- Breslau: Ueber den Nachweis feinerer
Wachsthumsvorgänge in Trichophyton- und anderen Faden¬
pilzen mittels Neutralroth.
Dazu eine Tafel, welche (len Effekt der Neutmlrothfärbung
in dem untersuchten Trichophyton und P e n I c 111 i u m
brevicaule erkennen lässt.
4) E. Martini- Berlin: Ueber Inhalationspest der Ratten.
Da es für Erzielung eines wirksamen Pestserums nötliig ist,
höchstvirulente Pestkultureu zu haben, so schlägt Verfasser vor,
die aus Lungenpest isolirten Stämme zu benützen. Er hat
zum Zweck der Infektion der Ratten mittels Inhalation den Zer¬
stäuber „Parolein e“ der Firma Burroughs Well¬
come & C o. dadurch verbessert resp. abgeändert, dass er durch
einen luftdicht verschliessbaren Aufsatz für den Experimentator
die Ansteckungsgefahr ausgeschlossen hat. Verfasser empfiehlt
mehrere Ratten auf einmal zu iniicircu, was bei dieser Methode
leicht ausführbar ist Die Ratten sterben nach 3—4 Tagen.
R. O. Neumann -Kiel.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 7, 8 u. 9. 1901.
No. 7. 1) B. G al 11 - V a 1 er io- Lausanne: Sur un coli-
bacille du hamster.
Unter einer Anzahl Hamster, die Verfasser aus dem Eisass
bezogen hatte, brach eine Epidemie aus, welcher alle befallenen
erlagen. Bei der Soction fanden sich im Blut, in der M i 1 z.
in der L e b e r zahlreiche Bactcrien, welche im grossen Ganzen
den Coliorganlsmon sehr ähnlich sahen. Die Kartoffelkul¬
tur ist nur sehr zart, die Gasbildung schwach und
die Indolbildung fehlt. Es würde sich dieser Stamm da¬
mit dem Typhus sehr nähern. Allerdings findet sich nur stets
eine Geis sei. Der Organismus ist. pathogen für schwarze
Mäuse. Weisse Mäuse starben durch Fütterung mit den Bakterien,
während graue Mäuse am Leben blieben.
2) C. S p e n g 1 e r - Davos: Zur Aetiologie des Keuchhustens.
(Schlussbemerk ungeu zu Dr. Georg ,T ochman n’s Erwiderung
auf meine iu Bd. XXIX, No. 18 dieses Centralblattes erschienene
Publikation.)
Artikel polemischer Natur.
3) S. J. M e 11 z e r - New-York: Ueber den Einfluss der Peri¬
tonealhöhle auf das hämolytische Vermögen des fremden
Serums.
Die Resultate der Untersuchungen lassen sich dahin zu¬
sammenfassen, dass sowohl Immunscrum als auch nor¬
males Ser u in durch einen längeren Aufenthalt in der Bauch¬
höhle ihr haemolytisches Vermögen einbiissen. Wahrscheinlich
ist dies bewirkt durch eine elektive Absorption der toxischen
Komponente, E li r 1 i e h's Komplement oder B o r <1 e t’s Alexine.
4) O. Iv i s 8 k u 11 - Würzburg: Eine Modifikation der
G r a m’schen Färbung.
An Stelle der Entfärbung mit Aethy lalkohol sehlägt
Verfasser Amylalkohol vor, bei dessen Anwendung eine
grosse Reihe von Bakterien, dio sich sonst entfärben, ihre Farbe
beil>ehalten. Dazu gehören vor allen Dingen alle Organismen, die
Verwandte des B a c t. coli darstellen. Bemerkenswerth ist aber,
dass sich Bact. vulgare und B a c t. pyocyaneum und die
Vibrionen überhaupt nicht färben lassen.
In praktischer Hinsicht ist den Untersuchungen zu entnehmen,
dass die Entfürbungsmethode mit Amylalkohol bei
Schnittpräparaten, die in Celloidin eingebettet sind, recht
gute Dienste leistet, weil das Celloidin darin erhalten bleibt.
Ebenso eignet es sieh zu Färbungen von Bakterienaufschwem¬
mungen, die viel Detritus enthalten, wie z. B. Harasedimeut, Peri¬
tonealexsudat u. s. w.
5) C. v. Holub- Odessa: Insekten als lebendes Substrat für
Kultivirung ansteckender Krankheiten des Menschen und der
Thiere.
Holub tlieilt die interessante Beobachtung mit, «lass cs ihm
in mehr als 1000 Fällen gelungen sei, Ulcus molle auf alle
Insektengattungen, wie Orthoptern, Rhynchota, Heniiptera, Coleo-
ptera, Lepidoptera, Dlptera, Hymenoptera zu übertragen. Bereits
12 Stunden nach erfolgter Impfung könne man die Entwicklung
des Organismus im Insektenleib beobachten. Die Thiere lebten bei
Fütterung 21 Tage, ohne Nahrung ca. 2 Wochen. Die Impfung ge¬
schah zwischen die 2 Brustrtnge. Nicht nur durch direkte Im¬
pfung, sondern auch durch Zeuguug konnte die Krankheit über¬
tragen werden. Auch die Impfung mit Syphilis soll von Erfolg
begleitet gewesen sein, obwohl die Versuche noch der Wieder¬
holung bedürfen.
No. 8. 1) W. R u 11 m a n n - München: Ueber das Verhalten
des in Erdboden eingesäten Typhusbacillus.
Die Untersuchungen erstreckten sich sowohl auf steril**
wie auf nicht sterilisirte Erde, welche in Erlenmeyerkolben In
Mengen von 400 g eine Bodenfläche von 18 ein Durchmesser aus-
nmchte. Die einzelnen Proben erhielten Zusätze von G e m U s ** -
ilecoct, defibriulrtein Blut, Harn und W a s s e r.
Es zeigte sich, dass in sterilem Boden die Typliuskulturen sich
binnen Monatsfrist überall hin verbreiteten. Sie konnten noch
nach 0, sogar nach 10 Monaten nacligewiesen werden. In nicht
steriler Erde war in 11 Proben ein rasches Absterben der Typlius-
bakterien nachzuweisen, mit Ausnahme von 2 Proben, in denen
dieselben noch nach 100 Tagen lebensfähig angetroffen wurden.
2) Max Schüller: Zur Richtigstellung.
Verfasser wendet sich gegen den Vorwurf, er lialie bei seinen
Krebs- und Sarkomuntersuchungen Kork zellen für wichtige
Krebselemente angesehen.
3) E. F r i ed be rg e r- Königsberg: Ueber die Bedeutung
anorganischer Salze und einiger organischer krystalloider Sub¬
stanzen für die Agglutination der Bakterien.
Dio Resultate dieser Untersuchung lassen sich folgender-
maasseu zusamiueufasseu: 1. Agglutination kommt bei gänzlicher
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Abwesenheit von krystalloiden Substanzen in der Suspensions¬
flüssigkeit nicht zu Stande. 2. Von diesen Substanzen sind die an¬
organischen Salze die wirksamsten, in ihrer Wirksamkeit sind sie
jedoch von einander verschieden. 3. Die Schnelligkeit des Ein¬
trittes der Agglutination dlalysirter Kulturen ist abhängig vom
Salzgehalt der Suspensionsflüssigkeit. 4. Die Schnelligkeit des
Eintrittes der Agglutination in einer Bakterienemulsion ist ab¬
hängig von ihrem Kochsalzgehalt. 5. Die Wirkung der Salze bei
der Agglutination ist keine chemische.
4) E. Messlnco und D. C a 1 a m i d a - Turin : Heber das
Gift der Taenien.
Unter der Annahme, dass die Bandwürmer nicht nur durch
mechanische Reizung, sondern durch Giftstoffe schädigen, zer¬
kleinerten die Verfasser Bandwürmer, zogen sie mit Wasser aus,
und injizirten die Flüssigkeit Kaninchen, Meerschweinchen und
Hunden. Die Injektionen wurden auch an anderen Thieren aus¬
geführt, nachdem man die Flüssigkeit durch Berkefeldfllter fil-
trirt hatte. Es zeigte sich stets allgemeine Abgeschlagenheit, Er¬
niedrigung der Temperatur, Parese, besonders der Hinterextremi¬
täten. Nach 24 Stunden erholten sich die Thiere meist. Sektionen
ergaben diffuse Hyperaemie in allen Organen und beginnende Fett¬
degeneration.
No. 9. 1)N. MacLead Harris und W. T. Longcope-
Baltimore: Micrococcus zymogen.es: Some additional obser-
vations upon its occurrence.
2) C. Lubenau - Danzig: Haemolytische Fälligkeit ein¬
zelner pathogener Schizomyceten. (Schluss folgt.)
3) Allan M a c F a d y a n - London: lieber Agglutiniren der
Hefe.
Durch Einspritzung von Hefepresssaft in Kaninchen erhielt
Verfasser ein Serum, welches I-Iefezellen zur Agglutination
brachte. Kontrolversuche mit normalem Serum fielen negativ aus.
4) n. J. van’t Hoff: Erhöhung des Schmelzpunktes der
Nährgelatine mittels Formalin.
Es wird die Beobachtung mitgetheilt, dass Gelatine, der man
Formal in 1:500 (1 Tropfen Formalin von 40 Proc. auf 10 g
Gelatine; 20 Tropfen = 1 ccm) zusetzt, im kochenden Wasser noch
fest bleibt. Ein Zusatz von 1:1750 gab eine Gelatine, welche bei
40 0 erst im Wasserbade schmilzt.
Sollte sich diese Beobachtung bestätigen, so wäre für die Ver¬
wendung der Gelatine viel gewonnen.
5) v. D i a m a r e - Neapel: Zur Kenntniss der Vogelcestoden.
— Heber Paronia Carrinoi (mihi).
Artikel polemischer Natur.
6) Dante C al a m i d a - Turin: Weitere Untersuchungen über
das Gift der Taenien.
Der durch Berkefeldfllter erhaltene Auszug aus den Taenien
wird mittels chemischer Reaktionen geprüft. Ein in der Flüssig¬
keit durch schwefelsaure Magnesia erzeugter und in
Salzlösung wieder gelöster Niederschlag bringt bei der Injektion
in Kaninchen und Meerschweinchen sehr schwere Krankheits¬
erscheinungen hervor.
Dem Filtrat aus den Bandwürmern kommt haemolytisches
Vermögen zu, welches sich besonders schnell beim Schweineblut
zeigt Injizlrt man das Filtrat direkt in das Leberparenchym von
Kaninchen und Meerschweinchen, so beobachtet man alsbald
fettige Degeneration. Im Blut tritt bereits nach 6—8 Stunden
Leukocytose auf. R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 40.
1) J. A s c o 1 i und F. de G r a z i a - Genua: Zur Vertheilung
der Eiweissschlacken im Harn.
Die Verfasser untersuchten bei Lebercirrhoso und Nephritis
den Antlieil des Harnstoffs an der N-Ausscheidung im Harn und
fanden: 1. dass der relative Harnstoffcoefflcient des Harns ln
physiologischen und pathologischen Verhältnissen niedriger Ist, als
bisher angenommen w urde; 2. dass die P f a u n d 1 e r’sche Me¬
thode bisher unbeachtete Abweichungen des M-Coefflcienten nach-
weisen lässt; 3. dass diese Abweichungen bei Lebererkrankungen
ziemlich konstant sind; 4. dass auch Nierenkrankheiten auf die
Vertheilung der Eiweissschlacken im Ham einen wesentlichen
Einfluss haben.
2) Emst Bloch und Hans nirschfeld - Berlin: Heber
die weissen Blutkörperchen im Blut und im Knochenmark bei
der B i e r m e r’schen progressiven Anaemie.
B. und H. fanden bei perniciöser Anaemie bei starker Herab¬
setzung der Gesummtzahl der weissen Blutkörperchen im Allge¬
meinen eine procentuale Vermehrung der kleinen Lymphocyten
und eine relative Verminderung der neutrophilen polymorph¬
kernigen Lymphocyten, ohne dieser Thatsache jedoch eine dia¬
gnostische Bedeutung beizumessen. Im Knochenmark erwies sich
eine Differenzirung verschiedener Formen der Leukocyten als
ausserordentlich schwierig, immerhin Hess sich fast durchgehends
ein Ueberwiegen der Lymphzellen (besonders der kleinen) gegen¬
über den granulirten Formen, sowie durchweg eine absolute Ver¬
mehrung der ersteren gegenüber der Norm feststellen.
3) Hans H 1 r s c h f e 1 d - Berlin: Sind die Lymphocyten
amoeboider Bewegung fähig?
H. konnte mittels der D e e t j e n’schen Methode au einem
Fall von lymphatischer Iioukaemie nicht nur an den polymorph¬
kernigen Leukocyten, sondern auch an den Lymphocyten ziemlich
lebhafte amoeboide Bewegungen konstatiren.
4) Dionys Hell in: Ueber das Collabiren der Lunge beim
Pneumothorax, nebst Bemerkungen über die Wiederentfaltung
der Lunge und den doppelseitigen Pneumothorax.
Verfasser erzeugte durch verschieden grosse Oeffnungen ln
der Thoraxwand bei Kaninchen doppelseitigen Pneumothorax, wo¬
bei die Thiere keineswegs momentan zu Grunde gingen, sondern
bei baldigem Verschluss der Oeffnungen noch längere Zeit am
Leben blieben, und schliesst daraus, dass die Lunge bei Pneumo¬
thorax nicht vollständig collabirt
5) Schuman - Leclercq-Karlsbad: Heber die Ausscheidung
der Aetherschwefelsäure bei konstanter Kost unter dem Ein¬
fluss von Karlsbader Wasser, Karlsbader Salz, Wasser und Bier.
Bei Versuchen an sich selbst fand Verfasser Folgendes:
Karlsbader Salz bewirkt eine Verminderung der ausgeschiedenen
Aetherschwefelsäure, während kleinere und grössere Mengen
Sprudelwasser diese Wirkung nicht zeigten, eher das Gegentheil,
wohl in Folge der vermehrten Flüssigkeitszufuhr; denn Wasser
und Bier bewirkten in grösseren Mengen eine gesteigerte Ausfuhr
von Aetherschwefelsäure. Höf er - Schwabach i
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 39 u. 40. ^
1) Albert P1 e h n - Kamerun: Zur Dysenteriebehandlung.
An der Hand eines Materials von 38 Fällen, welche von
April 1900 bis Juni 1901 ln Hospitalbehandlung standen, tritt P.
neuerdings für die Kalomelbehändlung der Dysenterie ein.
2) Albert E. S t e i n - Berlin: Ueber die Erzeugung sub¬
kutaner Parafflnprothesen. (Schluss folgt.)
3) B u n z 1 o w : Ein Fall von Kniegelenkstuberkulose und
seine Behandlung mit K o c h’schem Tuberkulin neuer Art
(T.B.)
In dem beschriebenen Falle wurde durch die Petrusch-
k y’sche „Etappenbehandlung“, vier Tuberkulininjektionskuren im
Verlauf von 2 Jahren ein sehr günstiges Heilresultat erzielt
4) Ernst H o m b e r g e r - Frankfurt a. M.: Zur Behandlung
der Ex- und Transsudate.
Theoretische Auseinandersetzung über die durch den os¬
motischen Druck bedingte resorbirende Wirkung reichlicher
Wasserzufuhr bei Exsudaten und Transsudaten.
5) Eugen W e b e r - Berlin-Norderney: 3 neue Fälle von
„reiner“ hereditärer Ataxie.
Kasuistische Mittheilung.
6) Sophus B a n g - Kopenhagen: Eine Lampe für Licht¬
therapie nach einem neuen Prinzip.
In dieser vorläufigen Mittheiluug aus Finsen’s Medl-
cinske Lysinstitut in Kopenhagen berichtet B. über eiue
neue Bogenlampe, welche nicht wie die bisherigen für optische,
sondern speciell für medicinisch-therapeutische Zwecke konstmirt
ist. In derselben sind die Elektroden aus Eisen, dessen Spektrum
sehr reich an den wirksamen blauvioletten und ultravioletten
Strahlen ist, und werden durch strömendes Wasser abgekiihlt
Die bakterientödteude Kraft dieser Lampe ist 00 mal stärker als
die des gewöhnlichen Bogenlichtes.
No. 40.
1) Fr. S c h u 11 z e - Bonn: Zur Therapie des Milzbrandes.
Ein interessanter Parallelfall zu dem v. S t r u b e 11 in
No. 19 der Münch, med. Wochensclir. 1900 beschriebenen Falle.
Die Behandlung erfolgte nach der v. Braman n'schen Methode
— Sublimatverbäude, daneben innerlich Chinin mit Naptbalin.
Ausgang in Heilung.
2) K r e b s - Berlin: Schwitzen in elektrischen Licht- und
Heissluftkästen.
Die bisher an der neueingerichteten hydrotherapeutischen
Anstalt der Berliner Universität gemachten Erfahrungen werden
in folgende Sätze zusammengefasst: In elektrischen (weissen)
Glühlichtbädem schwitzen die meisten Patienten unter gleichen
Verhältnissen eher und bei niedrigerer Temperatur als bei anderen
Sclvwltzproceduren. Diesen Erfolg verdanken diese Bäder vor
Allem den Wärmestrahlen des elektrischen Glühlichtes. Elek¬
trische Bogenlichtbäder in Kästen erscheinen zu einer Schwitzkur
weniger geeignet. Bei längerem Verweilen (20—25 Minuten) ln
den Glühlichtbädem und nach energischem Schwitzen in ihnen,
steigt die Pulsfrequenz ziemlich bedeutend und sinkt der Blut¬
druck ln den meisten Fällen gleich, wie ln den Heissluftkästen.
Für Kranke mit organischen Herzfehlern u. s. w. sind die elek¬
trischen Glühlichtbäder keine gefahrlosen Schwitzbäder.
Diese Beobachtungen decken sich so ziemlich mit den von
anderer Seite bisher gemachten Erfahrungen. Weiterhin werden
noch Vorschläge gemacht zur Verbesserung der den jetzigen Appa¬
raten anhaftenden Mängel, welche hauptsächlich iu der ungleicheu
Erwärmung und fehlerhaften Tliermometrie bestehen.
3) Albert E. S t e i n - Berlin: Heber die Erzeugung sub¬
kutaner Paraflinpothesen. (Schluss aus No. 39.)
Mittheiluug aus der kgl. chirurgischen Universitätsklinik iu
Berlin (Prof. v. Bergmann) Uber die erfolgreiche Anwendung
der Parafüninjektionen zur kosmetischen Korrektur sowohl, wie
zu therapeutischen Zwecken. Illustration durch 3 Fälle. Aus¬
drücklich wird hervorgehoben, dass die Befürchtung einer Gift¬
wirkung vollständig unbegründet und die Gefahr einer Embolie bei
Befolgung der vorgeschriebenen Vorsichtsmaassregeln beinahe
sicher ausgeschlossen ist
4) G. v. Voss-St. Petersburg: Heber eine besondere Form
der Stenokardie (Pseudostenocardia rheumatica).
Die Beobachtung zweier Fälle sog. Pseudostenokardie führt V.
zu dem Schlüsse, den akuten Rheumatismus der tiefen Rücken-
muskulatur (mit Einschluss der Intercostalmuskelu) als Ursache
solcher ganz unter dem Bilde der Angiua pectoris auftretenden
Anfälle anzusprecheu.
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15. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1667
5) G. Oeder- Niederlössnitz b. Dresden: Wie lange kann ein
Mensch leben, der zum Diabetes eine Lungentuberkulose be¬
kommen hatP
Der Lungentuberkulose wird bekanntlich ein sehr verderb¬
licher Einfluss auf den Verlauf des Diabetes zuerkanut. Dass
dieselbe die Prognose aber nicht unter allen Umstünden ver¬
schlechtern muss, beweist der hier beschriebene Fall, in welchem
während einer 5 jährigen Beobachtung noch keine Verschlimme¬
rung eingetreten ist.
6) Schaeche - Chilteau-Sallns (Lothringen): Tuberkulöse
und seröse Meningitis, und
7) H. Windelschmidt - Köln a. Rh.: Zur Kasuistik der
akuten primären haemorrhagischen Encephalitis.
/ Kasuistische Mitthellungen aus der ärztlichen Praxis.
F. Lacher- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg .No. 19
Hans M e y e r-R ü e gg - Zürich: Cave hymini!
Ernste, treffliche Worte gegen jede nicht streng indizlrte
gynäkologische Untersuchung (dafür Mastdarmuntersuchung) und
gar Behandlung der Virgines intactae, wodurch vielfach erst ein
Reizzustand der Genitalorgane entstehen und eine schlummernde
nervöse (hysterische) Anlage gross gezogen werden kann.
A. J o s s - Huttwyl: Erysipelas gangraenosum und Strepto¬
coccenserumtherapie.
Schweres Erysipelas gangraenosum des Kopfes und (nach
Verfassers Anschauung durch Blutinfektion) der äusseren Geni¬
talien in puerperio, dessen Heilung (allerdings mit Verlust eines
Auges) auf das T a v e l’sehe Serum zurückgeführt wird.
Plschinger.
Oesterreiohische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 40. 1) Wilhelm Türk -Wien: Beiträge zur Diagnostik
der Concretio peric&rdii und der Tricuspidalfehler. (Schluss.)
An der Hand der ln den vorhergehenden Artikeln ausführlich
mitgetheilten 6 Krankengeschichten gibt Verfasser eine zu kurzem
Referat nicht gut geeignete, eingehende Besprechung der Sym¬
ptomatologie der Concretio pericardii, welche nur eine Theil-
erscheiuung einer allgemeinen „Serositis“ darstellt, während der
kardiale Symptoiuenkomplex fast der gleiche ist, wie bei orga¬
nischer Tricuspidalinsufficienz: Auffallende, allgemeine Cyanose
und gleichzeitiges, hartnäckiges, allgemeines Hautoedem, Ilydrops,
der Körperhöhlen, besonders des Abdomens, bei fehlendem Hydro-
perikard hochgradige Stauungsleber. Das Krankheitsbild der
nach Verfasser durchaus nicht gar so seltenen Tricuspidalinsuffi-
cienz wird bei dieser Gelegenheit ebenfalls erörtert.
2) Julius Donath: Beiträge zur Lehre von der Amusie,
nebst einem Falle von instrumentaler Amusie bei beginnender
progressiver Paralyse.
Amusie ist das Analogon der Aphasie auf musikalischem Ge¬
biet und tritt wie diese in verschiedenen Formen auf; man kann
unterscheiden: eine Musiktaubheit (auditive Amusie), eine Noten¬
blindheit (musikalische Alexie), eine motorische (vocale bezw. in¬
strumentale) Amusie, eine amnestische Amusie. Die verschiedenen
Formen können lsolirt auftreten oder sich miteinander, besonders
mit der jeweils entsprechenden Form der Aphasie komblniren, so
dass höchst interessante Krankheitsbilder entstehen können. Der
Sitz der Musiktaubheit sind anscheinend die vorderen Abschnitte
der linken 1. und 2. Teinporalwlndung. Zum Schluss theilt Ver¬
fasser den im Titel genannten Fall mit, bei welchem plötzlich
komplete motorische Aphasie, AVorttaublieit und partielle instru¬
mentale Amusie auftrat, derart, dass er aus seinem reichen Re¬
pertoire nur ein paar Akkorde und ein Stück, dieses aber tadellos,
spielen konnte. II ö f e r - Schwabach.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 28—34. R. K i e n b ö c k - Wien: lieber akute Knochen -
atrophie bei Entzündungsprocessen an den Extremitäten (fälsch¬
lich sog. Inaktivitätsatrophie der Knochen) und ihre Diagnose
nach dem Röntgenbflde.
Was der Kliniker Inaktivitätsatrophie nennt, Ist in vielen
Fällen eine akute Atrophie, welche Entzündungen oder Ver¬
letzungen an Extremitäten begleitet, jedoch nicht mit der In¬
aktivität als solcher zusammenhängt. Sie wird häufig auch ohne
klinische Erscheinungen gefunden und zwar verdanken wir ihren
Nachweis der Röntgenuntersuchung. Der Befund kann hier nur
ln aller Kürze dahin erläutert werden, dass der Schatten der
Spongiosa ein sehr weitmaschiges, aufgehelltes Strukturbild mit
eigentliümlichen Flecken gibt, in dem die Charakteristica einer
Ostitis fehlen. Der eigenthlimliche Process, welcher oft entfernt,
von dem Sitz der Verletzung etc. auftritt, ist in manchen Fällen
wohl auf reflektorische oder trophoneurotische Einflüsse zurück¬
zuführen, häufig bleibeu wir über den Zusammenhang im Un¬
klaren.
No. 32—40. H. C o h n - Breslau: Haben die neueren Ver-
hütungsvorschläge eine Abnahme der Blindenzahl herbei¬
geführt P
Nicht nur für die Blindenlehrer, vor denen er gehalten wurde,
sondern auch für die Aerzte bietet dieser Vortrag mit seiner
reichen Statistik viel Interessantes. C. unterscheidet folgende
fünf sicher verhütbare Formen der Erblindung: die durch Ver¬
letzungen, Schichtstar, Blennorrhoe, Trachom und Pocken. Im
Ganzen hat die Zahl der verhütbaren Erblindungen von 48 auf
44 Proc. abgenommen. Aber der Gednnke, dass fast die Hälfte
aller Erblindungen zu verhüten gewesen wäre, ist noch immer de-
primirend. Ein bedauerlich grosses Contiugent stellt noch die auf
so einfache Welse zu verhütende Blennorrhoe, der C. auch den
weitesten Raum in seinen Ausführungen gewährt. Im Jahre 1899
waren bei 14 000 Entbindungen in Breslau 182 Kinder an Blennor-
hoe erkrankt (nur aus der augenärztlichen und Spitalpraxis), da¬
runter 4 auf einem, 7 auf beiden Augen erblindet. In der Bres¬
lauer Blindenanstalt ergibt sich 1901 gegen 1895 eine Zunahme
von 21 auf 25 Proc. an Blennorrhoeblinden, unter 10 Kindern sind
7 solche,. In den deutschen Anstalten ist der Procentsatz seit
25 Jahren von 28 auf 20 herabgegangen, leider ist er in den letzten
Jahren auf dieser Höhe geblieben. In den holländischen ergab
sich 1901 eine Almahme von 19 auf 10 Proc. Von den in Anstalten
untergebracliteu Kindern unter 10 Jahren sind in Deutschland 31,
in der Schweiz und Oesterreich 27 Proc. blennorrhoebiind.
Trachomblinde sind in Russland enorm häufig, bei uns eine Selten¬
heit geworden, die Breslauer Anstalt weist keinen Fall auf.
Glänzend sind die Resultate der Prophylaxe bezüglich der Pocken.
AVährend in Oesterreich noch 9 Proc. aller Blinden in Anstalten
pockenblind sind, weisen die deutschen Anstalten noch nicht
1 Proc. auf. Cohn seihst sah seit 1874 unter 50 000 Kranken
keinen einzigen Pockenfall. Diese Thatsachen sollten unsern
Impfgegnern in’s Gewissen reden.
No. 31—33. F. B a 11 n e r- Innsbruck: Zur Gewinnung von
keimfreiem Trinkwasser durch Zusatz von Chlorkalk und Brom.
Verfasser hat die Verfahren von Traube-Lode und
Schumburg einer bakteriologischen Prüfung unterzogen und
bei je 120 Proben bis zu 1 ccm des inflltrirten Wassers bei
Traube-Lode dasselbe mit einer, bei Schumburg mit 2 Aus¬
nahmen steril befunden. Inzwischen hat S c h ü d e r das Schum-
burg’sche Verfahren durch Untersuchung grösserer Mengen des
behandelten Trinkwassers nachgeprüft und zwar mit unbefriedi¬
gendem Resultat, selbst bei Zusatz grösserer Brommengen. Eine
gleichartige Nachprüfung für die Traube -Lod e’sche Methode
steht noch aus. Der praktischen Handhabung des Brom Verfahrens
stehen überdies manche Bedenken entgegen und es ist nach B.’s
Berechnungen fast viermal so kostspielig als die Anwendung des
Chlorkalkes, die für 1000 Liter Trinkwasser etwa 28 Pf. kostet.
Ueber die praktische Verwerthung des letzteren Desinfektions¬
mittels machte B. in den diesjährigen Manövern recht gute Er¬
fahrungen.
No. 34—39. II. Wolf und J. K. F r i e d j u n g - Wien: Aus
dem VIH. Jahresbericht der unter der Leitung von Prof.
M o n 11 und Prof. Frühwald stehenden Klnderabthellung.
Diphtherie. Das Heilserum hat sich bei rechtzeitiger
Anwendung gut bewährt, nur bei Streptococceniufektion versagt.
Möglichste Concentration schützt am besten gegen unangenehme
Nebenerscheinungen. Ueber die Wirksamkeit des Tetanus-
antitoxins gab ein Fall nicht genügende Aufschlüsse. Das
Auftreten eines masernälinlicheu Exanthems bei demselben wäre
bei grösserer Concentration vielleicht auch unterblieben. Zwei
Fälle von Stenose der oberen Luftwege (Fremdkörper, Retentions¬
cyste ln der rechten Vallecula.) Zwei Fälle von frischer Darm-
invagination, geheilt durch Eingiessuugeu von wechselnder Tem¬
peratur bei gleichzeitiger Inversion des Patienten. Ein tödtlicher
Fall von Influenza bei Status lymplmticus. Zwei tödtliche Fälle
von Abnormitäten des Dickdarms mit Obstipation.
No. 35. V. J e z - Wien: Ueber die Behandlung des Erysipels
mit Serum von an Erysipel erkrankten Individuen.
\T. hat einigen Erysipelkranken subkutane Injektionen (5 bis
20 g) ihres eigenen Blutserums gemacht, das entweder durch Blut¬
entziehung oder mittels Veslcantien gewonnen wurde. Er berichtet
über 6 Fälle (4 E. faciel, 1 E. capitis, 1 E. pedis) und es ist den
Temperaturaufzelchnimgen zu entnehmen, dass bei 5 Kranken
nach 1—2 Tagen die Entfieberung eintrat. Auch Im Uebrlgen war
der klinische Verlauf durchaus günstig, störende Nebenerschei¬
nungen kamen nicht vor. Die Blutuntersuchung ergab bei
4 Fällen eine beträchtliche Zunahme der Leukocyten. Bemerkens¬
werth ist die deutliche, in der Regel eine Stunde nach der Injek¬
tion eintretende Temperaturerhöhung. Nur in einem Falle fehlte
sie, zugleich auch die Zunahme der Leukocyten und Patient war
erst nach 4 Tagen fieberfrei.
No. 35. M. T u r n o w s k y - Marosvfisilrhely: Drei Fälle von
vollständig geheilter Epilepsie.
Die erste Kranke, erheblich hereditär belastet, litt seit ihrem
IG. Lebensjahre zunehmend an typischen epileptischen Anfällen,
alle angewandten Mittel waren erfolglos. Etwa im 24. Lebens¬
jahre maente sie eine bilaterale croupöse Pneumonie durch und
ist seitdem, nunmehr 14 Jahre, anfailsfrel geblieben. Eine zweite
Kranke litt von ihrem 8.—17. Jahre an Chorea. Mit 18 Jahren
verheirathet, litt sie nach einer Frühgeburt an immer zahlreicheren
epileptischen Anfällen. Mit 24 Jahren überstand sie eine rechts¬
seitige Pneumonie und hatte seither 10 Jahre hindurch keinen
einzigen Anfall mehr. Ein Knabe hatte seit früher Jugend epi¬
leptische Anfälle, unter denen er nahezu idiotisch wurde. Vor
6 Jahren, im 6. Lebensjahr, bekam er Scharlach und ist nunmehr
von den Anfällen verschont, gesund und in langsam fortschreiten¬
der geistiger Entwicklung. Diese Erfahrungen könnten den Ge¬
danken nahelegen, unter Umständen einen Epileptiker bei einer
Epidemie leichten Charakters einer Erkrankung an Pneumonie
ouer Scharlach zum Zweck der Heilung auszusetzen.
No. 38—40. M. Kasso Witz-Wien: Zur Theorie der
Rachitis.
Ausführliche Polemik gegen Zweifel.
B e r g e a t - München.
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1668
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Inangnral-Dissertationen.
Universität Breslau. August und September 1901.
27. Hannes Franz: Das Wesen der genuinen und künstlichen
Vogelgicht und deren Beziehungen zur Arthritis urica des
Menschen.
28. Hannes Walther: Ueber die Beziehungen der Leukocytose
zu der spontanen, sowie der durch Wärme hervorgerufenen
Sch Weissbildung.
29. Frey Ernst: Ueber die Behandlung hochgradiger Kursichtig-
keit.
30. E i c k e Waldemar: Ueber den Zungenkrebs und dessen Heil¬
barkeit auf operativem Wege.
Universität Freiburg. September 1901.
30. Tuyl Adriaan: Ueber das Itegistriren der Vorwärts- und
Riickwärtsbewegungen des Auges.
31. Lilienthal Eugen: Ueber einen Fall von Duodenalfistel
nach Choledochotomie.
32. Zöllner Max: Ueber Störungen des Nahrungstriebes.
33. Freu ss Hermann: Ueber Knoeheuabseesse.
34. Wagner Mathilde: Entwicklungsstörungen bei Tuberkulose.
3 5. Hof mann Arthur: Ueber 4 Fälle von primärem Nieron-
carcinom.
Universität Giessen. August und September 1901.
35. Hill Theodor: Ueber Residuen des Dotterganges in der Darm¬
wand.
30. Hubert Rudolf: Ueber Ovarinlgescliwiilste bei Kindern.
37. Meyer Job. Aug.: Ueber Zerfallsvorgänge an Ovarialeiern
von Laeerta agllis.
38. Eiehler Alfred: Ein Fall von einem Caucroid der Orbita
beim Pferde, und statistische Zusammenstellung von Carci-
nomcn bei Pferden.*)
39. Nieberle Carl: Ueber die Nierenpapillennekrose bei Hydro-
neplirose.*)
*) Veteriuär-med. Dissertation.
Universität Heidelberg. September 1901.
12. Prelss P.: Beitrag zur Kasuistik der neuropatbischen Frak¬
turen.
13. Thaler Otto: Ueber die in der IIeidoll>erger chirurgischen
Klinik des Geh.-Rath Czerny 1889—1899 behandelten Fälle
von Carcinoma penis.
14. Arusperger Ludwig: Ueber den Rose’sehen Kopftetanus.
15. Amburger Nicolai: Zur operativen Behandlung der Brust¬
wand- und Mediastinalgesehwülste.
IG. Ilirschel Georg: Ueber Strumitis bei Typhus abdominalis.
Universität Jena. September 1901.
23. Noll Alfred: Morphologische Veränderungen der Thrünen-
driise bei der Sekretion. Zugleich ein Beitrag zur Grauulu¬
lehre. (Habilitationsschrift.)
24. S c h 1 a g i n t w e 11 Oskar: Ueber Balkongeschwülste.
Universität Königsberg. Juni bis Dezember 1900.
24. Hoppe Fritz: Ueber Ineubations- und Latenzzeit, bei
Syphilis.
25. Simon Walter: Zur Kenntnis« der Zuckergussleber.
20. Garfein Isidor: Beiträge zur Prognose und Therapie der
Nephritis in der Schwangerschaft.
27. Rambouts Görard Charles Francois: Ueber multiple Darm¬
resektionen.
28. Raabe Hans: Ueber fibrinöse Exsudation bei der Lobular¬
pneumonie und der Tuberkulose der Lunge.
29. Hundsdörf fer Georg Ernst Wilhelm: Beiträge zur Lehre
von der Selbstentwicklung.
30. ITezel Hans: Beitrag zur Aetiologie, Pathologie und Therapie
der Gynatresien.
31. Pfeiffer Friedrich Karl: Indikationen und Technik der
Embryotomie.
32. Bier ich Robert: Untersuchungen über die elastischen Ge¬
webe der Brustdrüse im normalen Zustand und bei Ge¬
schwülsten.
33. Lossen Josef: Anatomische Untersuchungen über die Carti-
lagines cuneiformes „Wrisbcrg'sche Knorpel“.
34. Skamel Paul: Ueber die Blepharoplastik mittels Ueber-
tragung grosser stielloser Ilautlappeu.
:t5. Cohn Raphael: Ueber 200 Fälle von Bindehautverwerthung.
30. R a d t k e Erich: Beiträge zur Kenntnis» der Ureteritis cystica.
37. Lauf Albert: Ueber Exstirpation vereiterter Ovarialtumoren.
38. Szcz.vbalski Philipp: Ein Fall von Cysticercus racemosus
des Gehirns mit Arteriitis obliterans glgantocellulaiis.
39. Zwei back Salomon: Ueber die Incisurae supraorbitalis et
frontalis des Stirnbeins und ihre Varietäten.
40. Giere Walther: Ueber zweizeitige Hautverpflanzungen, mit
vernehmlicher Berücksichtigung ihrer Anwendung auf das
Ulcus eruris.
41. Jacob y Max: Ueber Gastritis phlegmonosa.
42. LI tick Alfred: Ein Fall von Endothelioma lymphaticum
kystomatosum beider Ovarien.
43. Skierlo Friedrich: Ueber periodische Paranoia.
Januar bis August 1901.
1. Holz Oskar: Ueber die Wirkung des Dormiol bei Geistes¬
kranken.
2. Speiser Paul: Ueber die Nycteribliden, Fledermauspara¬
siten aus der Gruppe der pupiparen Dipteren.
3. Kurpjuweit Oscar: Entzündungsversuche am Knochen.
4. Lol da Willy: lieber die Ausscheidung von Typhusbacilleu
und Darmbakterien im Urin Typhuskranker.
5. Leb rum Fritz: Ueber Rupturen im Fundus uteri.
0. Mich eisen Fritz: Beiträge zur Prognose und Therapie des
Vorliegens und Vorfalls der Nabelschnur, dargestellt an
loo Fällen.
7. Woll sehläger Georg: Zur Lehre von den unstillbaren
endometrltIschen Blutungen.
8. Müller Fritz: Ueber die Geburt beim kyphotiseben Becken.
9. Pilz Walther: Ueber den Einlluss verschiedener Gifte auf die
Todtenstarrc.
10. Gatter Ernst: Ueber Erythema multiforme und Erythema
nodosum.
11. Pol lack Erich: Ein Beitrag zur Mechanik der Lunge.
12. Klokow Robert: Ueber Eierstocksdermoide mit Carclnom.
13. K r o p e 11 Alfred: Ueber doppelseitige maligne Ovarialtumoren
und doppelseitige Ovariotomie bei Schwangerschaft.
14. Tietz August: Ueber die Operationen bei Struma supra-
renalis aceessoria maligna Grawitz.
15. Braun Willy Oswald: Untersuchungen über das Tegument
der Analöffming.
IG. B osse Ulrich: Beiträge zur Anatomie des menschlichen Unter¬
kiefers.
17. Krakow Otto: Die Talgdrüsen der Wangenschleimhaut
18. Sichert Conrad: Ueber die nach Benzaldehyd- und Benzoc-
säuredarreicliung im Ilarn auftretendeu reduzirenden Stoffe.
19. Jap ha Arnold: Fettgewebsnekrose und Cholelithiasis.
20. Neufeld Paul: Zur Behandlung der Aneurysmen der Aorta
mittels subkutaner Gelutineinjektkmen.
21. Rosen feld Arthur: Ueber die Involutionsformen der Pest-
liacillen und einiger pcstälinlicher Bakterien auf Koehsalzagar.
22. Simon Meyer: l’eber das mikroskopische Verhalten des
Glykogens in normalen menschlichen Schleimhäuten.
September 1901. Nichts erschienen.
Universität München. August und September 1901.
110. Vatter Gustav: Beitrag zur Kasuistik und Kenntniss der
Dermoidcysten.
111. Peter sen Hugo: Ein neuer Fall von Schilddrüsentuber-
kulose.
112. Karl Emst: Drei Fälle von Erysipel bei Ikterus.
113. Merkel Karl: Zur Kasuistik der Myositis rheumatlca.
114. II ei u rieh Rudolf: Ueber Nephritis, uraem Ische Zustände
und deren Behandlung.
115. Desing Christian: Beiträge zur Entstehung der Tumoren
nach Trauma, im Anschluss an einen Fall von Fibro-Sareoina
eruris.
110. Feichtinger Paul: 50 in den Jahren 1892—1901 chirur¬
gisch behandelte Fälle von Perityphlitis aus der chirurgischen
Klinik zu München.
117. Yamada Kando: Ein Fall von Septicopyaemie mit Lokali¬
sation au den Pulmonalklappen.
118. Wimmer Hans: Ueber Kasuistik der malignen Ovarial¬
tumoren (Cystadenoma papilliferum enrclnomatosum und
Fibrosarcoma).
139. Frey tag Gustav Wllibald: Beiträge zur Aetiologie der
Aktinomykose. Mit 3 Abbildungen.
120. Maas Karl: Ueber Fibrosarkotu dt* Reet ums.
121. Dressier Emst: Parotitis Im Zusammenhang mit eitrigen
AbdomiunJerkrankungen.
122. Veith Adolf: Das Amnion in seinen Beziehungen zu deu
foetalen M issbildungen.
123. Sendtner Franz: Ueber das Fibrom dt* Ovariiuns.
124. Hirsch Otto: Uterus bicoruis blcollis mit Hemiatresie des
einen Ilorns, Vagina subsepta und Ligamentum recto-vesicale.
125. Schnitzler Franz: Ueber einen Fall von Sarkom der
Kreuz-Stelssbeingegend.
12G. Seifhardt Franz: Zur Kenntniss der kongenitalen Ohr-
und Halsfisteln.
127. Bauriedl Maximilian: Ein Fall von galliger Peritonitis
nach akutem Clioledoehusverschluss.
128. Klelleuthner Ludwig: Ein Fall von Leberadenom.
129. Heller Hans: Ueber Sarkom dt* Rectums.
130. Urban Otto: Ueber Frakturen des Unterkiefers mit tödt-
licliem Ausgang.
331. Woithe Friedrich: Ueber Niereuverletzungen.
132. R tipp rieht Wilhelm: l’eber Pseudartli rosen.
133. Paulsso n Hermann: Zwei seltene Fälle von infantiler
Hypertrophie und Dilatation des Herzens.
134. Pier sig Arthur: 14 Fälle von Ovariotomie in der
Schwangerschaft.
335. Bickel Max: Ueber die in der Münchener Poliklinik vom
Jahre 1895—1900 vorgenommenen Osteotomien.
13G. Engelke Ludolf: Ueber die Tonsillen als Eintrittspforten
für pathogene Mikroorganismen.
137. Schlosser Karl: Ueber Sarkomatose der Ovarien.
Universität Rostock. Juli bis August 1901.
17. C a 11 i e s Friedrich: Beitrag zur Lehre vom primärem Kerato-
conus. besonders dem pttlsirenden.
18. II oster Fettspaltung und Fettaufbau ira Gewebe, zu¬
gleich ein Beitrag zur Kenntniss der sog. „fettigen Degenera¬
tion“.
Digitized by VjOOQie
Io. Oktober 1901.
MUENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1669
19. Bebder Hans: Reitrag zur Kenntniss der besonderen Augen¬
symptome bei Tumoren des Stirnhirus und zur Beeinflussung
der Stauungspapille durch die Lumbalpunktion.
20. Schirrmacher Leo: Ueber den Einfluss der Strömungs¬
geschwindigkeit in den Kranzarterien des isolirten Säugethler-
herzens auf Stärke und Frequenz des Herzschlages.
Universität Strassburg. September 1901.
2S. Relss Eduard: Klinische Beobachtungen über Osteomyelitis
der langen Röhrenknochen, besonders in Bezug auf die Epi¬
physenknorpelfuge und die begleitenden GolenkaSektionen.
29. Blum Leon: lieber den Nährwerth der Heteroalbmuose des
Fibrins und der Protoallmmosen des Caseins.
30. Westhcimer Bernhard: Feber den heutigen Stand der
Lehre von der Angina lacunaris.
31. Levi Hugo: Hysterie und progressive Paralyse, ein Beitrag
zur Iichre von der Kombination organischer Hirn- und Rückeii-
markskrankheiten mit Hysterie.
32. Ehrlich Bernhard: Die Reinigung des Obstes vor dem Ge¬
nüsse.
Vereins- und Congressberichte.
73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901.
Bericht von Dr. Grassmann in München.
m.
Gemeinschaftliche Sitzung der medicinischen Hauptgruppe
am 26. September 1901.
Im grossen Saale des Concerthauscs Hamburg erüffnete
S t i n t z i n g - Jena anstatt des am Erscheinen verhinderten
Nauny n die gutbesuchte Versammlung zunächst mit der Mit¬
theilung, dass Gr über-Wien, der als Referent für das zu be¬
handelnde Thema der Schutzstoffe des Blutes zu sprechen beab¬
sichtigt hatte, das Korreferat zu bringen verhindert sei.*)
ln den einleitenden Worten führte der Vorsitzende aus, dass
die Medieiner ganz besonders das Bedürfnies hätten, sich mit den
übrigen Disciplinen ihrer Wissenschaft zu vereinigen, da gerade
bei letzterer in hohem Grade die Notliwendigkeit bestände, dass
Jeder zu specialistiseher Arbeit gedrängt werde, während es
diesen Bestrebungen gegenüber doch nicht zu öder specialistiseher
Verdachung kommen dürfe. Hier treten als Mittel der Einigung
die kombinirten Sitzungen der medicinischen Ilauptgruppe ein,
deren Themata gerade auch in den letzten Jahren Fragen von
« 3 ,
r
*) Herr Prof. G ruber ersucht uns um Abdruck des nach¬
stehenden Briefes, durch welchen er die Zurückziehung seines
Referates bei Prof. Naunyu motivirt hatte.
An Herrn Geheimrath Professor Dr. B. Naunyn
. •T r / h fl (■ {'.uv' ) d. Z. Baden-Baden.
■' Wien/19. September 1901.
Buer 1 lochwold geboren!
Als Sie seinerzeit das ehrende Ersuchen an mich richteten,
neben Herrn Geheimrath Ehrlich das Correfcrat über das
Thema „Die Schutzstoffe des Blutes“ für die 73. Versammlung
deutscher Naturforscher und Aerzte zu übernehmen, haben Sie
mir dieses Thema nach keiner Richtung hin beschränkt.
Durch die Uebemahme dieses (•orreferates wurde ich veran¬
lasst, dies verwickelte Problem der Antikörper im Blute gründ¬
licher als bisher in allen seinen Thcilen zu überdenken. — Diese
Studien lind Versuche, zu denen Ich — mit Tagesarbeit über¬
häuft ■— erst in diesen letzten Ferienwochen die erforderliche
Müsse gefunden habe, haben meine Bedenken gegen die Ehr-
lieh’sehe Theorie zu der Ueborzeugutig gesteigert, dass dieses
\ so ausserordentlich geistreich ersonnene llypothesongebiiude und
\die auf demselben begründete Nomcnelatur uns an der richtigen
Erfassung der Tlmtsaehen hindern und daher schädlich sind.
Es wäre mir daher heute ganz unmöglich, als (’orreferent
die Darstellung dieser Theorien anzuhören, ohne darauf mit
einer ausführlichen Kritik zu antworten.
Euer Hochwohlgeboren möchten aber eine ausführlichere
Polemik gegen Ehrlieh's Vortrag durchaus vermieden halten
und Sie deuten mir an, dass Geheiniratli E h rl ie h wahrschein¬
lich das Referat niederlegen würde, wenn eine solche Kritik
von meiner Seite in Aussicht stünde. Da überdies Herr Geheim¬
rath Ehrlich und Euer Hoehwohlgeboren in einer solchen
Kritik eine Verletzung der früher zwischen Herrn Ehrlich
und uiir getroffenen Vereinbarung betreffend die Vertlieilung
des Stoffes — bei welcher ich mir allerdings das Recht zu theo¬
retischen Erörterungen ausdrücklich Vorbehalten hatte — er¬
blicken würden, so sehe ich mich gezwungen, auf die Erstattung
des Correferates zu verzichten.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Euer Hoehwohlgeboren ergebenster
M. G r u b e r.
umfassender medicinischer Bedeutung behandelt haben, wie ein
kurzer Ueborblick über dieselben ausweist.
Es spricht nunmehr als einziger Redner der gemeinschaft¬
lichen, nach lVs stündiger Dauer schliessenden Sitzung
Herr Ehrlich- Frankfurt a/M. über: Die Schutzstoffe
des Blutes.
Redner geht von der Wesensverwandtschaft der normal vor¬
handenen und der durch Immunisiruug künstlich erzeugten
Schutzstoffe des Blutserums aus, welche für beide Arten von
Körpern einen einheitlichen Entstehungsmodus fordern lassen
muss. Die Aufstellung einer Bildungstheorie musste von den
künstlich erzeugten Immunsubstanzen ausgehen, da diese dem
Experiment leichter zugänglich sind. Als Resultat angestrengter
Einzelforschung gibt heute die vom Redner vor 4 Jahren auf¬
gestellte Seitenkottcntheorie eine befriedigende und
für weitere Forschung fruchtbare Erklärung der meisten Erschei¬
nungen auf dem Gebiet der Immunität. Redner weist zunächst
die Anschauung, dass die Antitoxine des Serums durch Umwand¬
lung der in den Organismus eingeführten Toxine entstanden, als
unverträglich mit den vorliegenden Thatsachen zurück. Die
Antitoxine können ebenso wie die entsprechenden, normal im
Serum vorhandenen Substanzen nur Produkte der Zellen des
Organismus selbst sein. Die Vorgänge, die sich bei der Bildung
derselben in der Zelle abspielen, bilden den Hauptinhalt der
Scitenkettentheorie.
Dio Grundlage der Theorie bildet die Erkenntniss, dass sich
Toxin und Antitoxin direkt beeinflussen und zwar so, dass beide
Substanzen zu einer ungiftigen chemischen Verbindung sich ver¬
einigen. Ausgedehnte Versuche, die Redner mit dem Diphtherie¬
gift und Diphtherieantitoxin anstellte, führten zu einer Bestäti¬
gung dieser Anschauung, zugleich aber zu einer Einsicht in die
iiussorst komplizirte Beschaffenheit d<*s Diphtheriegiftes und zu
der Auffindung ungiftiger Derivate dieses Toxins, der Toxoide.
Man muss nach diesen Untersuchungen dem Toxinmolekül ganz
bestimmte Eigenschaften zuschreibeu, deren wichtigste an zwei
getrennte chemische Gruppen desselben geknüpft sind, eine
toxophore Gruppe als Trägerin der eigentlichen Giftwirkung und
eine haptopliore Gruppe, welche sich mit einer entsprechenden
Gruppe des Antitoxins chemisch verbindet. Die Existenz dieser
beiden Gruppen klärt das Wesen der Vergiftung und vor Allem
das der Antitoxinbildung auf. Die Antitoxinbildung
erweist sich unabhängig von der toxophoren Gruppe und er¬
scheint lediglich als eine Funktion der haptophoren Gruppe des
Toxins. Die haptopliore Gruppe der Toxine — und darin besteht
ein fundamentaler Unterschied gegenüber den Giften bekannter
chemischer Konstitution, z. B. den Alkaloiden — geht auch
mit gewissen Substanzen der lebenden Zelle eine chemische Bin¬
dung ein, dio die Grundbedingung der Giftwirkung, zugleich aber
auch der Antitoxinbildung darstellt. Ganz analoge synthetische
Processe müssen sich aber auch im Organismus bei der Aufnahme
der Nährstoffe durch die Zelle, bpi der Assimilation,
abspielen. Diese Fähigkeit der Zelle, Nährstoffe chemisch zu ver¬
ankern, ist nun auch ihrerseits von dem Vorhandensein gewisser
chemischer Gruppen in der Zelle abhängig, welche zu den be¬
treffenden Nährstoffen eine maximale chemische Verwandtschaft
haben und welche als Seitenketten oder Receptoren
des Zollprotoplasmas bezeichnet werden. Die chemische Bindung
der Toxine im Organismus geschieht nun nach demselben Prin-
cip wie diese Bindung der Nährstoffe, indem durch ein Spiel des
Zufalls die haptopliore Gruppe gewisser Toxine mit der hnpto-
phoren Gruppe von Nährstoffen identisch ist. Mangel an der¬
artigen Receptoren bedingt in manchen Fällen natürliche Im¬
munität.
Durch die chemische Bindung der haptophoren Gruppe eines
Toxins wird die Zelle einerseits in den Wirkungsbereich der toxo¬
phoren Gruppe gebracht, andererseits wird hierdurch eiu Re¬
generationsvorgang eingeleitet, der zur Bildung der Antitoxine
führt. Die durch das Toxin l>esetzten Receptoren des Proto¬
plasmas sind für das Lehen der Zelle unbrauchbar geworden und
werden durch Neubildung (Regeneration) ersetzt. Boi solchen
Vorgängen findet aber nach einem von W ei gort aufgestellten
Gesetz nicht nur ein Ersatz, sondern eine U Überproduk¬
tion statt. Der Uebcrsehuss neugebildeter Receptoren kann so
gross werden, dass dieselben am Protoplasma nicht mehr Platz
haben, abgestossen werden und endlich frei im Blute kreisen.
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1670
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Diese Theorie macht vor Allem die specifischen Beziehungen
zwischen Toxin und Antitoxin verständlich, indem dieselbe che¬
mische Gruppe (Receptor) des Protoplasmas, welche die Be¬
dingung der Toxinwirkung bildet, in freiem Zustand als Anti¬
toxin wirkt. Die Theorie erklärt auch, wesshalb nur hochkom-
plizirte, den Nährstoffen analoge Substanzen zur Antitoxin¬
bildung geeignet sind. Eine glänzende Bestätigung fand sie vor
Allem in der Thatsache, dass auch wirkliche Nährstoffe, z. B. die
Eiweisskörper der Milch, das Eieralbumin u. s. w. zur Bildung
eigentlicher Antikörper im Organismus befähigt sind.
Nachdem der Redner noch ein reiches Thatsachenmaterial
zur Begründung seiner Anschauungen und zur Widerlegung
etwaiger Einwände beigebracht hat, geht er zu den viel kompli-
zirteren Erscheinungen über, die sich bei der Immunisirung mit
Zellen, insbesondere mit Bakterien (Typhus, Cholera etc.) ab¬
spielen, und die bei der Wirkung dieser „baktericiden“ Sera zu
Tage treten. Ein näherer Einblick in den Mechanismus dieser
Vorgänge war erst dann möglich, als man die Untersuchungen
an den Haemolysinen anstellen konnte, die viel einfachere
Versuchsbedingungen bieten.
Die Haemolysine sind Substanzen, welche durch Behandlung
von Thieren mit den rothcn Blutkörperchen fremder Species ent¬
stehen. Sie bringen die rothen Blutkörperchen dieser fremden
Species zur Auflösung und verhalten sich in jeder Hinsicht wie
die baktericiden Stoffe des Serums (Bakteriolysine). Die Haemo-
lysino und die Bakteriolysine setzen sich aus 2 Substanzen zu¬
sammen, von denen die eine (Komplement) schon im normalen
Serum vorhanden ist, die andere (Immunkörper, Amboceptor) erst
durch die specifische Immunisirung entsteht. Auf Grund von
Untersuchungen, die Redner gemeinsam mit Dr. Morgen¬
rot h anstellte, ergibt sich, dass der Immunkörper von den
Zellen, Blutkörperchen resp. Bakterien, chemisch gebunden wird
und dann seinerseits das Komplement bindet und so dessen zer¬
störende, fermentartige Wirkung auf die Zellen vermittelt. Dem
Immunkörper kommen 2 haptophore Gruppen zu, das Komple¬
ment entspricht in seinem chemischen Bau einem Toxin mit
haptophorer und toxophorer Gruppe. Redner tritt unter Hinweis
auf zahlreiche Experimente abweichenden Anschauungen ent¬
gegen, die sich auf den Mechanismus des Zusammenwirkens von
Immunkörper und Komplement beziehen und bespricht endlich
die Gründe, die zu einer Annahme der Vielheit der Komplemente
des Serums führen.
Die Entstehung der Immunkörper und Komplemente findet
gleichfalls in der Seitenkettentheorie ihre zwangloseste Er¬
klärung. Man muss im Protoplasma nur das Vorhandensein von
„Receptoren zweiter Ordnung“ als Analoga der Immunkörper
annehmen, die dazu bestimmt sind, hochkomplizirte Nahrungs¬
stoffe an sich zu reissen und diese durch ihre specifische Ver¬
wandtschaft zu den Komplementen der fermentativen Wirkung
der letzteren nahe zu bringen. Die Komplemente sind als Zell-
sekrete aufzufassen, die den Zwecken der inneren Verdauung
dienen.
Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, verliert die Im¬
munitätsreaktion des Organismus ihr mystisches Aussehen und
erscheint nur als das Widerspiel uralter Protoplasmaweisheit.
Die Immunität stellt also nur ein Kapitel der allgemeinen
Ernährungsphysiologie dar, und da sich Vorgänge, die denen der
Antikörperbildung analog sind, im normalen Stoffwechsel bei der
Aufnahme von Nährstoffen etc. fort und fort mannigfach ab¬
spielen, so kann es nicht Wunder nehmen, dass das Blutplasma
— als Repräsentant aller Gewebe — eine Unzahl von abge-
stossenen Receptoren enthält, die Redner als „II a p t i n e“ be¬
zeichnet. Von solchen Hapt.inen ist eine grosse Anzahl, wie die
Klasse der natürlichen Antitoxine, Fermente, Antifermente etc.,
bereits bekannt. Unter ihnen sind diejenigen, welche sich gegen
pflanzliche und thierische Zellen richten, von grösstem Interesse;
es sind dies die Agglutinine, die die Bakterien oder Zellen zur
Verklebung bringen, und die baktericiden resp. eytotoxischen
Substanzen, welche mit der natürlichen Immunität in näherer
Beziehung stehen. Bei einer eingehenderen Analyse der ein¬
zelnen Funktionsgruppen des Blutes hat sich herausgestellt, dass
dieselbe Funktion nicht einer einheitlichen Substanz zukommt,
sondern bei derselben Wirkung, den angegriffenen Materialien
entsprechend, verschiedene Substanzen in Betracht kommen. So
drängen die Erfahrungen über Agglutinine, Bakteriolysine etc.
zu der vom Redner vertretenen plurimistischen Auf¬
fassung des Haptinapparates. Die Haptine verdanken ihre Ent¬
stehung zum grössten Theil nur einem gewissen Zufall und sind
gewissermaassen als Luxusprodukte aufzufassen. Ihre Zu¬
sammensetzung ist einem steten Wechsel unterworfen.
Wenn auch ein relativ geringer Theil der Haptine im Sinne
von Vertheidigungsmitteln wirkt, so ist es nicht angängig, das
ganze Haptinsystem unter dem Namen des Alexins zusammen¬
zufassen, schon weil dadurch eine falsche unitarische Anschauung
erweckt wird. Denn auch die normale haemolytische und bak-
tericide Kraft des Blutserums beruht nach den Ausführungen des
Redners auf dem Zusammenwirken zweier Substanzen, des
Zwischenkörpers (Amboceptor) und des Komplements, die den
beiden Komponenten des künstlich erzeugten Haemolysins ent¬
sprechen, und nicht, wie Büchner es annimmt, von diesen
principiell zu trennen sind. B u c h n e r’s Beweisführung für
die Sonderheit der normalen thermostabilen Stoffe, die er
Hilfskörper nennt, ist unzureichend. Natürlich vorkommende
und immunisatorisch erzeugte Haemolysine entfalten ihre
Wirkung genau nach dem gleichen Mechanismus.
Redner führt weiter aus, dass die Komplemente des Serums
sowohl gegen eigene, wie gegen fremde Zellen wirken können,
wenn letztere nur durch geeignete Amboceptoren ihrer Wirkung
zugänglich gemacht worden sind. Trotzdem verhindert im Orga¬
nismus eine vom Redner als „H orror autotoxicus“ be-
zeichnete Regulationsvorrichtung, dass im Organismus Ambo¬
ceptoren gegen das eigene Gewebe entstehen. Dieser „Horror
autotoxicus“ des Organismus ist für die Pathologie von beson¬
derer Bedeutung. Während man durch Injektion von fremd¬
artigem Zellmaterial beliebige cytotoxische Substanzen, wie
Hepatotoxin, Nephrotoxin etc., erzeugen kann, ist es durch diesen
Regulationsmechanismus verständlich, dass bei der in der
menschlichen Pathologie häufig vorkommenden Resorption
eigener Körporbestandtheile die Bildung von Giften gegen das
eigene Parenchym (Autotoxinen) ausbleibt. So gelang es Redner
im Verein mit Dr. Morgenroth leicht, durch Blutimmuni-
sirung mit derselben Blutart Isohaemolysine, niemals aber Auto-
lysine zu erhalten. Den Isotoxinen glaubt Redner schon nach
den jetzt vorliegenden Erfahrungen eine grosse Rolle in der Dia¬
gnostik und Pathologie zuschreiben zu müssen.
In der Dlscusslon ergreift, nachdem S t i n t z i n g dem
Redner für seinen spannenden, das allgemeine Interesse in hohem
Maasse fesselnden Vortrag den Dank der Versammlung ausge¬
drückt hatte, nur Herr Koppe das Wort zu der Bemerkung,
dass ein von Ihm seit 5 Jahren mit Erfolg geübtes therapeutisches
Prlnclp darin bestehe, die für den Speichel nachgewiesene positive
Chemotaxis durch Erregung einer reichlichen Speichelsekretion
therapeutisch zu verwerthen.
Abtheilung für innere Medioin.
Referent: A1 b u - Berlin.
IV. Sitzung, 24. September, Nachmittags.
1. Herr Jolle 8-Wien: Heber neue Methoden der che¬
mischen Blutuntersuchung.
Um dem F errometer einen erleichterten Eingang in die
klinische Praxis zu verschaffen, hat Vortragender die Methodik
der Eisenbestimmung im Blute wesentlich modifizirt. Durch
entsprechende Abmessung der Quantitäten der zugesetzten Re-
agentien und der Dimensionen des Apparates war es möglich, die
dem Eisengehalte des normalen Blutes entsprechenden Färbungen
der Intensität und der Nuance nach in Uebereinstimmung mit
dem durch den Scalatheil von 90—100 bezeichnten Bereich des
Fleisch l’schen Ilaemometerkeiles zu bringen. Hierauf
spricht Vortragender über die Bedeutung und die Methodik der
Phosphorbcstimmung im Blute. Den wesentlichsten Bestand¬
teil der Erythroeyten und Leukocyten bilden nicht die Eiweiss¬
stoffe im gewöhnlichen Sinne, sondern die phosphorhaltigen Pro¬
teide oder die Nucleoalbumine. Unter den nicht eiweissartigen
Substanzen der Zelle sind in erster Linie das phosphorreiche
Lecithin, dann das phosphorsaure Alkali zu nennen, welches be¬
kanntlich bei der Kohlensäurebindung in den Blutkörperchen
eine wichtige Rolle spielt. Die Kenntniss des Phosphorgehaltes
in einer bestimmten Raumeinheit des Blutes dürfte daher in
mannigfachen pathologischen Fällen werthvolle diagnostische
Aufschlüsse geben. Gegenüber dem Phosphorgehalte der Blut¬
zellen ist der Phosphorgehalt des Serums im normalen Blute in
der Regel relativ vermindert, welches Verhältniss in solchen
Fällen eine Verschiebung erleiden dürfte, wo Blutzellen zu
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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1671
Grunde geben. Durch die Feststellung der Relation zwischen
Phosphorsäure im Gesammtblute und der des Serums, namentlich
in Kombination mit den übrigen üblichen Untcrsuchungsergeb-
nissen, können wir neue Kriterien für die Beurtheilung des
Blutes in pathologischen Fällen gewinnen. Die vom Vor¬
tragenden ausgearbeitete Methode zur quantitativen Phosphor¬
bestimmung des Blutes gestattet in minimalen Blutmengen den
I’hosphoreäuregehalt mit Genauigkeit zu bestimmen. Das Prin-
cip der Methode beruht auf den gelben Färbungen, welche bei
geringen. Mengen von phosphorsauren Salzen mit Kalium-
molybdat entstehen. Den Maassstab für die Gelbfärbungen
bieten bei dem „Phosphometer“ verschieden dicke Lagen
aus schwach gelb gefärbten Glasplättchen, deren Phosphorwerth
durch Vergleichen mit einer genau eingestellten Phosphorsäure¬
lösung bestimmt wird.
2. Herr F1 e i n e r - Heidelberg: Indikationen und Contra¬
indikationen für die Wismuthbehandlung des Magen¬
geschwürs.
Die Idee der Wismuthbehandlung ist, dem Gcsehwürsgrunde
einen Schutz zu verleihen vor den darüber gleitenden Speisen,
welche die frisch aufsehiessenden, zarten Granulationen leicht
wieder abreissen. Sie ist auch angezeigt in leichten Fällen,
welche von selbst heilen, beim Uebergang zur festen Diät und
beim Auftreten von Störungen in der Reconvalescenz. Stets
aber muss das Wismuth auf den reinen Geschwürsgrund kommen,
• lesshalb ist os auf leerem Magen zu verabreichen. Der
Magen ist am besten erst mit irgend einem Mineral¬
wasser zu spülen, dann Vz Stunde später 5—10 g Wismuth in
Wasser verrührt, allmählich kann man mit der Dose zurück-
pelien und das Wismuth auch mit Magn. ust. und dergl. ver¬
dünnen. Nach vorausgegangener Magenspülung kann man auch
10—20 g Wismuth, in 150 g Wasser gelöst, eingiessen. Auch der
Wechsel der Lagerung des Patienten empfiehlt sich, um das
Wismuth im Magen gut zu vertheilen. Bei Geschwüren am
Pylorus mit sekundärer Stenose derselben hat die Wismuth¬
behandlung meist nur vorübergehenden Erfolg. Rathsamer ist
frühzeitige Gastroenterostomie, weil die gesunkenen Ernährungs¬
verhältnisse später die Aussichten der Operation verschlechtern.
Die Gastroenterostomie begünstigt die Heilung des Geschwürs.
Als Kontraindikationen für die Wismuthbehandlung müssen
gelten, Geschwüre mit divertikelähnlichen Einbuchtungen der
Magen wand und verdickten, callösen, überstehenden Rändern,
sowie bei spontanem Durchbruch und Verwachsen des Geschwürs
mit Nachbarorganen, wie Leber, Pankreas u. dergl. In den er¬
wähnten Ausbuchtungen bleibt das Bism. subnitr. als schwarzes
reducirtes Wismuth liegen, das später bei Magenspülung erkannt
wird. Auf diese Weise ist der Misserfolg sogar diagnostisch zu
verwert!)en. Vortragender erwähnt eine bezügliche Beobachtung.
Auf Anfrage erklärt er, unter vielen Hundert von Fällen nie¬
mals eine Vergiftung beobachtet zu haben, nur zuweilen Obsti¬
pation.
Herr Ewald- Berlin bestätigt das Ausbleiben von Intoxi¬
kationen selbst bei hohen Dosen. Die Verabreichung des Wismuths
'lurch den Schlauch ist aber auch in den chronischen Fällen nicht
ii'ithig. Gerade alte Geschwüre eignen sieh für die wirksame
Wismuththeraple.
Herr L e n li a r t z - Hamburg hat auch nie Vergiftungs¬
erscheinungen gesehen.
3. Herr Umber- Berlin: Das Verhältniss von Zucker-
und Stickstoffausscheidung beim Eiweisszerfall bei Diabetes.
Bei der Berechnung der in den Stoffwechsel eingetretenen
F.iweissmengen, die nöthig sind, um den vom schweren Diabetiker
abgeschiedenen Eiweisszucker zu liefern, hält man sich heute
im Allgemeinen an die Vorstellung, dass aus 6,25 g Eiweiss
höchstens 2,8 g Zucker entstehen können (M i n k o w s k i’sche
Zahl). Ist die Quantität des ausgeschiedenen Zuckers im Ver¬
hältniss zum ausgeschiedenen Stickstoff (D: N) grösser als 2,8 —
die hier beobachteten Werthe schwanken zwischen 0,01—12,2:1
—, so vermochte man sich den Ueberschuss dieses sogen. „Eiweiss¬
zuckers“ nicht recht zu erklären. Rumpf und v. Noorden
sprechen als Quelle dafür das Fett an. Diese Berechnung der
der Zuckerbildung dienenden Eiweissmengen auf Grund des
Zuckerstickatoffquotienten setzt nun aber voraus, dass das Ei¬
weissmolecül, so wie es überhaupt in den Stoffwechsel eiutritt,
auch bis in. seine sämmtlichen Endprodukte abgebaut werde,
somit auch sein gesammter Stickstoff im Urin erscheine. Dem
stehen aber unsere Erfahrungen auf dem Gebiete der Eiweiss-
chemie entgegen und Vortragender tritt auf Grund seiner Unter¬
suchungen über die Zerfallsprodukte der Eiweisskörper dafür ein,
dass das Eiweissmolecül im Körper durch fermentative Processe
in primäre Spaltprodukte ganz verschiedener physiologischer Be¬
deutung zerlegt wird, von denen die einen zum Aufbau, die
anderen zur Ausscheidung bestimmt werden können, je nach der
herrschenden Stoffwechselanomalie. Der Diabetiker schwerster
Form steht nun meistens gleichzeitig unter den Gesetzen der
Unterernährung. Er wird also einerseits aus dem zerfallenden
Eiweissmolecül diejenigen kohlenstoffhaltigen Gruppen, die als
synthetische Bausteine zur Synthese seines ausgeschiedenen Ei¬
weisszuckers dienen — und dazu gehören keineswegs nur die
Derivate der präformirten Kohlehydratgruppe — eliminiren,
andererseits den zum Eiweissaufbau vollwerthigen N-reichen
Proteosenrest, der an Zuckerbildnern arm ist, wieder in seinen
Eiweissbestand ansetzen, so lange er eben unter den Gesetzen
der Unterernährung steht, und Eiweiss um jeden Preis zu reti-
niren sucht. Der ausgeschiedene N sagt uns also nicht, wie viele
Eiweissmolecüle mit ihren zuekerbildenden Gruppen in den Stoff¬
wechsel des schweren Diabetikers eingetreten sind; je nach dem
speciellen Eiweissbedürfniss derartiger Fälle kann der Werth des
Quotienten D : N die verschiedensten Grössen annehmen, herauf
bis zur Rump f’schen Zahl von 12,2, ohne dass wir desshalb ge-
nöthigt wären, eine andere Quelle für den ausgeschiedenen „Ei¬
weisszucker“ heranzuziehen als das Eiweissmolecül. Dabei muss
der gesammte Eiweissbestand des schweren Diabetikers unter
diesen Umständen allmählich an derartigen Zucker bildenden
Gruppen verarmen.
4. Herr V o 1 h a r d - Giessen: Zur quantitativen Bestim¬
mung der Fermentsekretion im Magen unter Zugrundelegung
des fettspaltenden Fermentes.
Vortragender hat seine bisherige Methode zu quantitativen
Bestimmung des durch das fettspaltende Ferment des Magen
saftes abgespaltenen Fettes vereinfacht, und dabei eine Fehler¬
quelle seines früheren Verfahrens, bei welchem die Verdauungs¬
gemische bei Zimmertemperatur auf Kaolin getrocknet wurden,
darin entdeckt, dass die Fettspaltung während der langen Trock¬
nung weiter fortschreitet.
Das von V. gemeinsam mit Stade ausgearbeitete Verfahren
ist folgendes: Die Verdauungsgemische (Eigelb und Magensaft!
werden sofort nach der Verdauung mit Aetlier (75 ccm) aus-
geschiittelt, vom Aetlierextrakt ein aliquoter Theil (50 ccm) ab-
gegossen und mit Alkohol (75 ccm) versetzt titrirt. Damit ist
der Procentgehalt an gespaltenem Fett gegeben. V. und S t a d < •
fanden nun bei Anwendung dieser einfachen Methode, statt de*
früher konstatirten unregelmässigen zeitlichen Ablaufs der Re¬
aktion einen stetigen, proportional der Zeit in regelmässigem
Anwachsen fortschreitenden Verlauf.
Gleichzeitig wurde noch einmal das Gesetz von Schütz
und Borissow, dass sich die Verdauungsprodukte in den zu
vergleichenden Flüssigkeiten wie die Quadratwurzeln der Fer¬
mentmengen verhalten, nachgeprüft und auch für dieses Ferment
bestätigt.
5. Herr Glaessner -Prag: Ueber Eiweissassimilatior.
im Magen.
Vortragender bringt erst eine ausführliche Literaturüber¬
sicht über die älteren Arbeiten bezüglich der Frage der Rückver ¬
wandlung der Eiweissspaltungsprodukte zu Körpereiweiss. An¬
knüpfend an die Hofmeister’schen Arbeiten über Assimi
lation und Resorption der Nährstoffe hat Verfasser Versuche an
Hunden angestellt, die in bestimmter Zeit nach einer Fleisch-
fütterung getödtet und deren Magenschleimhaut in Bezug auf
das Verhalten der Verdauungsprodukte untersucht wurde. Die
Schleimhaut wurde in zwei gleiche Theile getheilt, der eine so¬
fort verarbeitet, der andere erst 2—3 Stunden lang bei Brüt-
tomperatur belassen. Dann wurde nach einem besonderen Ver¬
fahren der Stickstoff der nicht coagulirbaren Substanzen, so¬
wohl der orsten als der zweiten Hälfte, bestimmt. Darauf wurde
mit Zinksulfat ausgesalzen und wiederum der Stickstoff be¬
stimmt. Die Differenz entspricht dem Albumosenstickstoff. Die
Resultate der angestellten Versuche sind folgende: 1. In de/
Magenschleimhaut findet eine Rückverwandlung der einge¬
führten Eiweissverdauungsprodukte zu einer nicht coagulablen,
unlöslichen Substanz statt. 2. Diese Rückverwandlung betrifft
ausschliesslich die Albumosen. 3. Die Rückverwandlung beginnt
bald nach Beginn der Verdauung und ist in der 8. Stunde der¬
selben beendet.
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1672
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Das Subferment, dem von mehreren Autoren eine solche
Funktion zugemuthet wurde, scheint nach der Ansicht des Vor¬
tragenden an diesem Rückverwandlungsproccss nicht betheiligt
zu sein.
6. Herr Hoppe-Seyler - Kiel: Ueber arteriosklero¬
tischen Diabetes.
Durch Autopsien hat Vortragender folgendes Bild der
Arteriosklerose des Pankreas kennen gelernt: Bindegewebs¬
wucherung mit consecutiver Schrumpfung. Verdickung der
Wände, der Arterien und Obliteration derselben; das Organ ist
verkleinert und hart, gleichzeitig starke Wucherung des Fett¬
gewebes, so dass im Ganzen nur wenig Reste normalen Pankreas¬
gewebes erhalten sind. Der Befund ist also ähnlich der arterio¬
sklerotischen Schrumpfniere. Deren klinischen Bilde entspricht
auch der Verlauf des arteriosklerotischen Pankreasdiabetes. Wie
bei jener zur Uraemie, so steigern sich allmählich die Erschei¬
nungen bis zum Koma diabeticum. Der Beginn ist mit leichter
Glykosurie. Aber allmählich verringert sich die Kohlehydrat -
toleranz. Die Abstinenzerscheinungen nach Entziehung der
Kohlehydrate (Diarrhoe u. dergl.) machen eine strenge Diätkur
unmöglich. Zuweilen treten plötzliche Verschlimmerungen ein
und Koma im Anschluss an interkurrente Erkrankungen.
Therapie: Diät und Jod.
Abtheilung für Chirurgie.
Referent: W o h 1 gem u t h - Berlin.
IV. Sitzung.
Vorsitzender: Herr König- Berlin.
1. Herr Schlagintweit- München: Kritik der B o t -
tini’schen Operation an 150 Experimenten und an 82 Prä¬
paraten von Prostatahypertrophie aus der Sammlung Guyon
des Hospital Neker in Paris.
Viele frühere Publikationen von „Erfolgen“ erweckten Miss¬
trauen. Jetzt ist dies anders, seit durch die Bemühungen
F r e u d e n b e r g’s u. A. eine genaue Begriffsbestimmung des Er¬
folges angenommen wurde. Man versteht unter Heilung, 50 bis
60 Proc., dass kein Katheter mehr gebraucht, der Urin im freien
Strahl gelassen und kein oder nur ganz wenig Residualurin zu¬
rückbehalten wird. Besserung, wenn niemals mehr kompleie
Retention, leichterer und weniger Harndrang, weniger Schmerz
und subjektives Beserungsgefühl besteht, 20—30 Proc. Un-
gebessert waren 13—18 Proc., Mortalität 4,5—8 Proc. Also (auch
nach Jahren noch bestehende) Erfolge 75 Proc.
Kontraindikationen: Schwere Nephritis und Pyelitis,
schwere eiterige Cyst.it is. schwerer Marasmus. Diseission der
Blase keine absolute Gegenanzeige, da sich die Funktion des
Detrusors schon mehrmals nach der Operation wieder einstellte,
lieble Zufälle: 1. Wälirend der Operation: Verbiegen des
glühenden "Messers durch unruhiges Halten des Instrumentes,
Durchbrennen der Klinge, Versagen des Stroms. Desshalb nie
Accumulatoren, sondern nur direkten Strassenstrom mit Trans¬
formatoren. 2. Nach der Operation: Fieber nur wenige Tage und
nur bei eitrigen Harnwegen, Nachblutung durch Schorfabstos-
sung (4.—20. Tag), Thrombosen und Pneumonien ziemlich selten.
Ausser der sehr leichten Handhabung des Instrumentariums sind
noch besondere Vorzüge: Oft momentaner Erfolg, keine Nar¬
kose, Möglichkeit der Wiederholung, kurzes Krankenlager (2 bis
3 Tage). Trotzdem also nach v. Frisch das Verhältniss der
Erfolge so günstig ist, dass sich die B o 11 i n i’sche Operation
mit irgend einem anderen gegen Prostatahypertrophie vor¬
geschlagenen chirurgischen Eingriffe gar nicht vergleichen lässt,
ist die Operation wenig populär bei den nicht urologischen Chi¬
rurgen 1. wegen ihrer Unverlässlichkeit, 2. wegen der Unmöglich¬
keit, Gründe für den jeweiligen Erfolg oder Misserfolg anzu¬
geben, 3. wegen der geringen postoperativen Sektionen, 4. wegen
des besonders in Deutschland empfindlichen Mangels zum Stu¬
dium geeigneter Präparate von Prostatahypertrophie.
Das Princip der Operation besteht in dem Einbrennen V-
förmiger, 2 cm tiefer Rinnen in das Parenchym, welche sich nach
Abstossung der Brandschorfe noch vertiefen und wenig Neigung
zum Vertheilen zeigen. Eine sekundäre Volumsabnahme findet
nicht statt und ist der rein mechanische Effekt der Operation
ein Beweis dafür, dass das ganze Wesen der Prostatahypertrophie
mit allen Folgeerscheinungen eben nur in der mechanischen Be¬
hinderung des Harnabflusses beruht.
Jetzt beruht die ganze Subtilität der Operation in der
a priori zu lösenden Cardinalfrage: In welcher Richtung, in
welcher Anzahl und in welcher Länge und Reihenfolge mus6 ich
in dem vorliegenden Falle meine Schnitte anlegen? Die meiste
bisher veröffentlichte Kasuistik gibt hierauf nur allgemeine, aber
nicht für den Einzelfall kontrolirbare Regeln. Die Operateure
müssten uns genau die anatomischen und topographischen
Gründe angeben, wesshalb sie gerade so ihre Schnitte anlegten.
Demonstration der photographischen Präparate durch Pro¬
jektion und Stereoskopie. Demonstration von Instrumenten,
welche Vortragender zu seinen an 22 Prostatikern ausgeführten
Experimenten benutzte. Versuche damit an Leim- und Gips¬
modellen.
Resultat: Nach der Einführung eines starren, geraden In¬
strumentes, wie des P> o 11 i n i’schen Incisors ist die Drüse nicht
mehr die nämliche. Nicht nur ihre Lage ist anders, auch ihre
Haltung, die Gruppirung etwaiger Mittellappen ist verändert.
Auch ist im Innern der Drüse sowohl, als in ihrer Kapsel, durch
die gewaltsame Geradestreckung der vorher winklig geknickten
Harnröhre eine labile Streckspannung entstanden, die propor¬
tional der Harnröhrenknickung, Härte der Drüse, und der Straff¬
heit ihres Kapsel- und Bandapparates ist. Dies ist die auFs
Sorgfältigste auszustudirende Situation nicht nur vor dem ersten
Schnitt, sondern auch vor jedem nachfolgenden, da sich oben
durch den vorausgehenden Schnitt in Folge der Spannung die
Configuration ändern kann. Das sogen, möglichst feste typische
Anhaken wird aus mehrfachen Gründen absolut verworfen und
die bereits dadurch hervorgerufenen publicirten und möglichen
Zufalle auf’s Eingehendste kritisirt. Hierauf werden die durch
Cystoskopie erreichbaren Aufschlüsse bezüglich Zahl. Richtung
und Länge der Schnitte besprochen. Auch hier sind Täusch¬
ungen möglich. Die bis jetzt konstruirten Incisionscystoskope
sind zu dick, schneiden zu seicht und zu kurz, geben keine Ga¬
rantie. dass man jedesmal so wenig Blutung hat. um auch den
Ansatz des Messers für den 2. und die folgenden Schnitte zu
sehen. Unter genauer Angabe der Gründe schlägt Vortragender
vor: Füllung der Blase nur mit steriler Luft. Bougie a boule
zugleich mit Roctumpalpation. Cystoskopie. Abtastung des
Orifieiums internums mit dem bereits zum Schnitt bereiten In-
cisor unter Zeigefingerkontrole vom Mastdarm her. Verwendung
eines möglichst leichten und ganz der von selbst eingenommenen
Lage zu überlassenden Incisors, der nicht angehakt, sondern nur
bis zur Berührung an das Orificium gezogen wird. Die Ab¬
tastung nach der Methode des Vortragenden geschieht nicht mit
dem ganzen Instrument, sondern nur mit dem leicht beweglichen
Klingentheil, wie mit der männlichen Branche eines Lithotrip¬
tors. Die-e Abtastung ergibt dicht vor dem eigentlichen Schnitr
so genaue Resultate wie die Cystoskopie und lässt sich sogar
dicht vor dem Schneiden während des Abtastern» graphisch nach
Art einer Pulseurvc darstellen, so dass man während der ganzen
Operation das Bild des Orifieiums vor Augen hat.
Alles in Allem ist mit den angegebenen, theils alten, theils
neuen Methoden zur Bestimmung der Länge, Zahl, Richtung und
Reihenfolge der Schnitte Folgendes zu ergründen: 1. Die Länge
der Schnitte für alle Richtungen. 2. Die Richtung der Schnitte
nach hinten. 3. Die Richtung der Schnitte nach den Seiten,
jedoch nicht über die Horizontale. 4. Die Zahl der Schnitte, be¬
sonders auch die Richtung der Schnitte nach vorn und seitlich
über die Horizontale ist zur Zeit noch nicht mit Sicherheit in
jedem Falle zu ermitteln. Dies wird vielleicht durch Messungen
des Winkels zwischen Incisorschaft und Symphyse, sowie durch
das Studium der Querschnittsfigur in verschiedenen Höhen der
hypertrophirten Prostata zu erreichen sein, eine Aufgabe, die
sich Vortragender vorbehält. S. schliesst mit dem Satze: Es
möge aus dem gegenseitigen Zusammenwirken der chirurgisch-
klinischen Erfahrung und dem topographisch-anatomischen Stu¬
dium für die B o 11 i n i’sche Operation das erreicht werden,
was für die Lithotripsie auch erreicht wurde: die Anerkennung
der Chirurgen nicht als eines experimental-chirurgischen Kunst¬
stückes, sondern als einer Methode.
2. Herr Kienböck- Wien: Ueber die radiogTaphische
Diagnose der Knochenresorption.
3. Herr Z u c k e rk a n d 1 - Wien: Ueber Blasenstein¬
operationen.
Z. bespricht die Erfahrungen, die er an 150 Operationen
des Blasensteines zu machen Gelegenheit hatte. Es wurden die
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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1673
Lithotripsic 109 mal, die perineale Lithotripsie 1 mal, der hohe
Blasenschnitt 37 mal ausgeführt. Nachdem die modeme Technik
dieser Operationen, namentlich die aseptische Ausführung der
Lithotripsie, eingehend besprochen wurden, zählt Z. seine Re¬
sultate auf; die Mortalität bei der Lithotripsie betrug 3,6 Proc.,
bei dem hohen Blasenschnitt 13,3 Proc. Recidive wurden in
beiden Methoden annähernd in der gleichen Anzahl beobachtet.
Mit Rücksicht auf die auch an der Hand von Literaturangaben
erwiesene grössere Gefahr des hohen Blasenschnittes, die längere
Heilungsdauer, die möglichen Komplikationen während des
Wundverlaufes und nach abgeschlossener Heilung hält Z. die
Bestrebungen für berechtigt, die Hebung des hohen Blasen-
sehnittes zu Gunsten der Steinzertrümmerungsmethoden mög¬
lichst einzuschränken. In diesem Sinne bedeutet die Einführung
der ]>erinealen Lithotripsic einen wesentlichen Fortschritt, indem
mit Hilfe dieser Methode eine Anzahl von Fällen, in denen nach
den bisherigen Anschauungen der hohe Blasenschnitt angezeigt
war, nunmehr der Lithotripsie zufallen. Die Zertrümmerung
von der erüffneten Harnröhre aus liefert durch die Kürze und
Weite des Weges besonders günstige Bedingungen für die Eva-
euation und für eine eventuelle Blasendrainage.
Mit Rücksicht darauf, dass der Steinschnitt in vieler Be¬
ziehung als schwererer Eingriff als die Lithotripsie aufgefasst
werden muss, können die beiden Operationen nicht als rivnli-
sirende Methoden gelten. Aus diesem Grunde halt Z. die sub¬
jektive Entscheidung bei der Wahl der Operationen für einen
nicht zulässigen Vorgang. Er verlangt eine Diagnosenstellung
mit allen möglichen Details und eine dem Einzelfall angepasste
OiH*rationsmethode.
Die Lithotripsie ist die Operation der Wahl und überall aus¬
zuführen, wo der Stein nicht zu gross und den Instrumenten zu¬
gänglich ist. Die perineale Lithotripsie ist dort angezeigt, wo
dio Harnröhre für die starren Instrumente unwegsam ist, also
bei Prostatahypertrophie, Strikturen oder Steinen der Harnröhre.
Zur Vollendung der Operation ist die perineale Lithotripsic an¬
gezeigt, wenn während der gewöhnlichen Steinzertrümmerung
die Harnröhre durch Prostatasehwellung oder Steineinklemmung
unwegsam geworden ist, und in der Blase noch grössere Frag¬
mente vorhanden sind.
Der hohe Blasonschnitt ist angezeigt bei Steinen, die die
ganze Blase ausfüJlen oder vermöge der Grösse auch nur eines
ihrer Durchmesser in einer Lage festgeklemmt sind, ferner bei
Steinen in Divertikeln, im tiefen Fundus, bei eingekapselten
Steinen, Ureterblasensteinen oder wandständigen und ange¬
wachsenen Steinen, Ferner bei Fremdkörpersteinen, bei Kompli¬
kation von Stein und Neoplasmen der Blase und endlich, wenn
eine Fistel angelegt werden soll.
4. Herr C a s pe r - Berlin: Die Veiwerthung der funk¬
tioneilen Nierenuntersuchung für die Diagnostik der Nieren-
und Bauchohirurgie.
Vortr. berichtet über seine weiteren Untersuchungen und
Erfahrungen auf dem Gebiete der funktionellen Nicrenunter-
suchung mittels der von ihm und P. F. Richter angegebenen j
Methode. Letztere besteht bekanntlich darin, dass man den j
Harn beider Nieren gleichzeitig getrennt auffängt und unter¬
sucht, Während Albumen und die körperlichen Elemente, wie
weisse und rotlu* Blutkörperchen, Cylinder, Mikroorganismen,
über die anatomische Beschaffenheit des Organs belehren, 30 kann
man die funktionelle Kraft jeder von beiden Nieren aus der zu
vergleichenden Menge des im Harn ausgeschiedenen N, dos durch
Phloridzininjektion künstlich produzirten Zuckers (Sa) und der
Gefrierpunktserniedrigung dt* Harns messen. Bei gesunden
Nieren sind die drei Werthe auf beiden Seiten gleich, bei der
kranken Niere sind sie stets auf der kranken Seite niedriger
als auf der gesunden, und zwar dermaassen, dass je kränker die
Niere, um so kleiner die Werthe. Durch zahlreiche neue Unter¬
suchungen hat sich Vortr. überzeugen können, dass die Methode
auch darüber hinaus geeignet ist, bei schwierigen Fällen der
Bauchchirurgie in allgemein- und differentialdiagnostischer Hin¬
sicht willkommene und worthvolle Unterstützung zu leisten.
Einige dieser Fälle, die besonders dazu angethan sind, die vom
Vortr. ausgesprochene Ueberzeugung zu begründen, werden mit-
getheilt. Es sind im Ganzen 9 Fälle.
Der erste Fall betrifft eine kräftige Frau, die im Sommer des i
Jahres 1889 unter den Erscheinungen einer rechtsseitigen Nieren- |
steinkolik erkrankte. Nach einiger Zeit verschwunden die Krauk-
heitserscheinungen, und die Patientin hatte bis zum Oktober 1900
Kühe, daun begannen alle 3 Tage heftige rechtsseitige Koliken
aufzutreten, die mit dem Abgehen vieler kleiner und Mitte No¬
vember eines grossen, sehr langen Steines endigten. Seitdem hatte
die Patientin rechts keiue Anfälle mehr, wohl aber stellten sich
Krankheitserscheinungen, wenn auch in geringerem Grade, in der
linken Niere ein, so dass man an einen Stein ln der linken Niere
dachte. Gewissheit sollte aber die Ureterenuntersuchuug ver¬
schaffen. Dieselbe ergab folgendes Resultat: Rechts: Harn trübe,
albumenhaltig; im Sediment zahlreiche rothe Blutzellen. a 0,95,
Sa 0.8, N 0,24. Links: Harn klar, albumeufrei. Im Sediment nur
Epithelieu. A 1,00, Sa 1,2. N 0,38. Auf Grund dieser Ergebnisse
wurde die Diagnose auf einen Stein im rechten Nierenbecken ge¬
stellt. und die daraufhin von Prof. Kotter ausgeftihrte Nephro¬
lithotomie ergab die Richtigkeit dieser Diagnose. Patientin Ist
genesen.
In dem zweiten Falle handelte es sich um eine 34 jübrige
Patientin, bei der im Abdomen rechts unterhall» des Rippenbogens
ein harter, etwas druckempfindlicher, bei der Athmung nicht ver¬
schieblicher, bimanuell von hinten und vorn palpabler Tumor fest-
gestellt wurde. Die Ureterenuntersuchuug mit Phloridzin ergab
auf l»eiden Seiten klaren, normalen llam und gleiche Wertln* für
Gefrierpunktsemiedrigung und Sa. Demnach wurde ein Tumor
diagnosticirt, der die Niere wenig oder gar nicht betrifft,, jeden¬
falls die Functionskraft der letzteren nicht tangirt, ein Tumor,
der dem Nierenlappen angeliört. nicht aber der Niere selbst. Die
von Prof. Rot t er ausgeführte Operation ergab ln der Timt
völlige Unversehrtheit der rechten Niere. Dieselbe war von einem
allseitig mit der Umgebung verwachsenen Adenom der Nebenniere
überlagert. Entfernung des Adenoms. Heilung.
Im dritten, dem vorstehenden ähnlichen Falle handelt es sich
um einen 49 jährigen Patienten, bei dem auf Grund der bestehen¬
den Erscheinungen der eine Chirurg, ohne eine genaue Diagnose zu
stellen, zur Freilegung der Niere rieth, der andere mit Wahr¬
scheinlichkeit einen Tumor des Nierenbeckens diagnosticirt«*. Dar¬
auf kam der Patient zum Vortragenden. Der zur Prüfung der
Funktionsfäliigkeit vorgeuommeno Ureterkatheterismus Ii«*ss die
Funktionskraft der linken Niere höher erkennen, als die der
rechten, und so gab Vortragender sein Urthell dahin ab, dass zwar
eine Unregelmässigkeit au der linken Niere vorhanden sei, daiss
diese aber die Niere selbst unbeschädigt gelassen haben müsse.
Die Operation ergab folgendes bemerkeuswerthe Resultat: An der
Niere befanden sieh mehrere bis hühnereigrosse Cysten, die nicht
mit «lern Nierenbecken zusammenhingen. Nierenbecken und
Nlereneysten selbst frei und normal.
Im vierten Falle, der einen 38 jährigen Patienten betraf,
schwankte die Diagnose zwischen einem Tumor der reelit«*n Niere
und einem perityphlltischen Ahscess. Die Urinuntersuchung ergab
auf beiden Seiten ganz normal«*« Harn, und so konnte der Tumor,
«ler sehr gross war. unmöglich der Niere augehören. Die Punktion
des Tumors ergab stinkenden Eiter. Bei der daraufhin vor¬
genommenen Operation wurde ein perltyplilitlscher Ahscess fest¬
gestellt.
Im fünften Falle schwankte die Diagnose zwischen Gallen¬
steinkolik und Nlereusteinkolik. Auch in diesem Falle wurde die
Differentialdiaguose einzig und allein Dank der Prüfung d«*r
Funktionsfähigkeit beider Niereu, die beiderseits fast vollständig
übereinstimmende Zahlen ergab, zu Gunsten der Gallenstelnk«»llk
entschieden. In der That wurde die betreffende Patientin wenige
Wochen darauf gelb. Nach Ablauf des Ikterus ist sie genesen,
olnn* dass die Koliken wiedergekehrt sind.
In den übrigen Fällen (4 au der Zahl) handelt es sieh um
Nephralgien, die unter dem Bild«* von Nephrollthtasis verliefen.
In diesen Fällen konnte wiederum Dank der Funktlonsprtifung der
beiden Nieren die Nephrolithiasis mit Sicherheit ausgeschlossen
werden.
Durch vorstehende Falk* glaubt Vortragender dargethnn zu
haben, dass der Ureterkatheterismus, verbunden mit der funktio¬
nellen Untersuchung (d. h. der Vergleichung der Werthe für N,
Gefrierpuuktserniedrigung und Sa), der Nierenchirurgie und auch
im Allgemeinen der Bauchchirurgie willkommene Unterstützung
bei schwierig zu dlagnosticirendeu Fällen zu leisten im Staude ist.
Vortragender bemerkt aber, «lass mau diese Methode nicht unter¬
schiedslos ln allen Fällen anwenden soll, dass sie vielmehr re-
servirt bleiben muss für diejenigen Fälle, ln denen mau mit den
sonstigen bewährten diagnostischen Untersuchungsmethoden allein
nicht zum Ziele gekommen ist. Die Methode soll die früheren
Verfahren nicht ersetzen, sondern sie soll sie ergänzen.
5. Herr P o s n e r - Berlin berichtet über einen neuen Fall
von überzähligem Harnleiter bei einem jungen Mädchen.
Der überzählige Ureter mündete unter der Harnröhre,
zwischen ihr und den kleinen Labien. P. hat «lurch eine Klemme,
deren eine Branche er in die Blase, deren andere iu den über¬
zähligen Ureter einführte, eine Kommunikation zwischen diesem
und der Blas«* hergestellt und dann die äussere Mündung des
Ureters geschlossen.
(5. Herr T r e n d e 1 e n b u r g - Leipzig: lieber Heilung der
angeborenen Blasenspalte mit Continenz.
(Erscheint in extenso in dieser Wochenschrift.)
7. Herr K ü m m e 11 - Hamburg stellt eine grosse Reihe von
Lupusfällen vor, die durch Röntgenstrahlen behandelt
worden sind, und glaubt iu vielen dieser Fälle von Heilung
sprechen zu dürfen. Die Behandlung dauerte bis zu ly, Jahr. Die
Narben sind ungleich b«*ssor als bei jedweder anderen Behandlung.
8. Herr S c h u c h a r d t - Stettin: "Heber Operationstische
im Allgemeinen, nebst Demonstration eines neuen Tisches.
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1G74
MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Sch. ist von der Verwendung von ..Universaltischen“ abge-
konunen, weil für die überwiegende Mehrzahl der chirurgischen
Operationen nur eine ganz einfache horizontale Lagerung noth-
wendig ist und kompllzirte Vorrichtungen hierbei nur im Wege
sind. ..Specialoperationstische“ werden nur für den besonderen
Fall in Gebrauch gezogen. Die einfache Beckenhochlagerung bei
geradegestellten Hüftgelenken, namentlich zur gynäkologischen
Laparotomie erreicht Sch. in einfachster Weise durch einen Veit-
S c 1» r ö d e r'schen Untersuchungsstuhl, bei dem die Sitzplatte
sieh um einen gemeinsamen Drehpunkt In die Höhe, die Rücken¬
platte nach abwärts bewegen Hisst Die Patientin wird in den
Beinhaltern an den gebeugten Kuieen befestigt und Ihr Oberkörper
und Kopf hängt, lediglich durch eine glatte, um 45 0 geneigte
Fläche unterstützt, frei nach abwärts.
Sch. hat nach dem Princip des Trendelenbur g’schen
Stuhles einen Tisch konstruirt, der eine für sämmtliche Körper¬
grössen Erwachsener ausreichende Verschiebung innerhalb der
Unterstützungsflüche ermöglicht. Er demonstrirt die Vortheile
des Tisches, insbesondere für die verschiedenen Modifikationen
der Beckenhochlagerung, für Eingriffe und für Hals- und Kopf¬
operationen.
Dlscussion: Herr Kümraell - Hamburg (zur Prostuta-
operation) ist der Ansicht, dass jede Operation ira Dunkeln ihre
Nachtheile hat. dass aber die Erfolge der B o 11 i n i’schen Opera-
lion nicht geleugnet werden können. Dass der operirte Patient
sofort uiiniren kann, ist eine seltene Ausnahme, doch braucht er
meist den Katheter nicht mehr. Die Fälle, die für die B o 11 i n i’-
selie Operation geeignet sind, müssen aufgesucht werden, nicht
alle passen dafür. Das Messer macht er im Gegensatz zu Anderen
so heiss als möglich, und er braucht nicht einmal Cocain zur An-
aesthesie, weil der geringe Schmerz des weissglühenden Messers
gut ertragen wird. K. demonstrirt dann noch ein Präparat, wel¬
ches % Jahr nach der Operation gewonnen wurde.
Herr S trau ss- Frankfurt a/M. hält eine regelrechte Cysto-
fkopie für eine conditio sine qua non bei der Bott i u i'schen
Operation. Man wird dann immer wissen, wohin man schneiden
soll. Eventuell operirt man in 2 Zeiten.
Herr v. Eiseisberg - Wien hat 8 mal die M a y d l’sche Im¬
plantation der Ureteren gemacht, mit 3 Misserfolgen und 5 Hei¬
lungen. Bei den 3 Misserfolgen hat stets die ascendirende Pyelitis
oiuc Rolle gespielt.
Herr Schlagi nt weit (Schlusswort): Er hat Herrn
K trauss zu entgegnen, dass die Cystoskopie vor der Operation
nic*l»t die Aufklärung gewährt, die er von ihr erwartet. Abgesehen
davon, dass sie sehr oft nicht ausführbar ist. liegt der nachher
cingeführte Incisor oft nicht mehr an derselben Stelle, wie vor¬
her das Cystoskop. Man kann in der linken Gabel der Y-förmigen
Harnröhre cystoskopirt haben und den Incisor dann, ohne es zu
bemerken, rechts oinführen. wodurch der ganze, auf der Cysto¬
skopie fussende Schnittplan hinfällig wird. Oft ist ein sehr grosser
Mittcllappen im Cystoskop gar nicht als solcher zu erkennen und
wird für einen Seitenlappen gehalten.
fl. Herr F. Krause- Berlin berichtet über einen Fall von
Epilepsie, der seit 8 Jahren durch Operation ge¬
ll c i 11 ist
Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Referent: Edmund Falk- Berlin.
Ritzung vom 24. September 1901, V ormittags.
Vorsitzender: Herr P. Müller.
1. Herr Werth- Kiel: Die Erhaltung der Ovarien bei
Tlyomotomie, vaginale TJternsexstirpation und Adnexopera¬
tionen.
Vorir. legt als Beitrag zu der in neuester Zeit lebhafter dis-
cut irtcn Frage, ob es besser sei, bei radikalen Operationen am
l'lerus die Eierstöcke zu erhalten oder mitzuentfernen, das Er¬
gebnis* von Erhebungen vor, die er bei 122 mit Erhaltung der
Ovarien operirten Füllen von Amputatio supravaginalis (32) und
vaginaler Totalexstirpation (90) anstellcn konnte. Als Grundlage
für die Beurthcilung des bei dem konservirenden Verfahren er¬
zielten Erfolges dienten:
1. Feststellungen über die Häufigkeit, des vollständigen Aus¬
bleibens von Ausfallserscheinungen und speziell des besonders
markanten Symptome* der sogen. Wallungen, sowie etwaiger
t ne'bischer Störungen an Vulva und Vagina.
2. Feststellungen über sekundäre Veränderungen und etwaige
pathologische Wirkungen der zurü«kgebliebenen Ovarien.
Von Wallungen sind gänzlich ui. t während der gesammten
Ihnbachtungszeit frei gewesen im Durchschnitt 50 Proc. aller
Ojc iirtcn (nach Amputatio supravaginalis 53 Proc., vaginaler
T« t.ih'xstirpation wegen Adnexerkrankung 61 Proc.). Dabei ist
zu b i iieksichtigon, dass sehr genau darauf examinirt worden, ob
zu ;;\;end einer Zeit Wallungen bestanden haben, sowie ferner,
dz .. die grosse Zahl ganz leichter Fälle mit schwachen und nicht
h.l: enden Erscheinungen, ferner auch die Fälle von späterem
f ft i_.it d :n r.:d ürli hen Klimakterium zusammenhängenden Er¬
No. 42.
scheinen des Symptoms grundsätzlich noch auf der ungünstigen
Seite gebucht wurden. Auch ohne eine auf diese Momente Rück¬
sicht nehmende Korrektur der gefundenen Verhältnissziffer lässt
diese schon die Ueberlegenheit des schonenden Verfahrens über
das radikale deutlich erkemien. Werth selbst sah von 16 mit
Fortnahme der Ovarien operirten (7 supravaginale Amputationen,
9 vaginale Totalexstirpationen) Fällen nur 2 von Ausfallserschei¬
nungen frei, bei 5 bestanden in höherem Grade belästigende, bei
3 sehr schwere Ausfall.ssyinptome. Von anderen Untersuchungen
fand Burckard bei 47 mit supravaginaler Amputation ohne
Schonung der Ovarien Operirten 81—89 Proc. — Mainzer
unter 79 Fällen von vaginaler Radikaloperation 81 Proc. von
Wallungen befallen.
Die Aussichten für die Forternährung des Ovarium sind
etwas besser bei der supravaginalen Amputation, welche auch
eine schonendere Behandlung des Organes und Herstellung
breiterer Verbindungen mit der gefässführenden Umgebung ge¬
stattet, ferner, wie es scheint, in denjenigen Fällen, wo bei vagi¬
naler Operation ein mit der Nachbarschaft breit verwachsener,
aber sonst nicht in höherem Grade veränderter Eierstock sich
findet und zurückgelassen werden kann.
Nach den Erfahrungen des Vortragenden ist es nicht richtig,
das erhaltende Verfahren auf jüngere Personen zu beschränken
und bei Frauen an der oberen Grenze des fortpflanzungsfähigen
Alters das Ovarium als einen für den Organismus werthlos ge¬
wordenen Luxustheil zu behandeln. Entgegen der fast durchweg
herrschenden Ansicht hat der Vortragende die Erfahrung ge¬
macht, dass noch weit nach dem 40. Lebensjahre die Folgen der
Kastration recht bemerkbar werden können, fast regelmässig und
oft auch heftig sich zeigen, sobald die Frauen bis zur Zeit der
Operation noch menstruirt waren, aber auch nicht immer fehlen,
wenn 9chon früher Menopause eingetreten war.
Nach des Vortragenden Erfahrung ist für den mit dem
Zurücklassen des Organs angestrebten Erfolg das Quantum von
Eierstock sehr innassgebend, welcher zurückbleibt. Beiderseitige
Erhaltung gibt die besseren Resultate. Mit nur einem Stück
Ovarium lassen sich die Ausfallswirkungen in der Regel nicht
fern halten. Wenn bei Kastration wegen Myom zuweilen das
Zurückbleiben eines kleinen Stückes den Erfolg vereitelt, so liegt
das an den exceptionell günstigen Bedingungen, welche für die
Forternährung des in situ belassenen Restes bestehen können.
Von 5 Frauen, die nach der supravaginalen Amputation aus
dem Stumpf regelmässig weiter menstruirten, hatten 4 ausge¬
sprochene, zum Theil recht lästige Ausfallssymptome, eine Er¬
fahrung die es fraglich erscheinen lässt, ob die Bildung eines
grossen menstruationsfähigen Uterusstumpfes wirklich bessere
Garantie für eine vollkommen gute Erhaltung des Ovariums uud
für das spätere Befinden der Operirten darbietet.
Ebenso wie Abel und andere Untersucher beobachtete
Werth in der Mehrzahl der für Palpation des Ovariums ge¬
eigneten Fällen oft nach anfänglicher mässiger Schwellung eine
deutliche Verkleinerung der Ovarien, dagegen waren atrophische
Veränderungen an Vagina und Vulva im Gegensatz zu dem
häufigen Vorkommen derselben nach Fortnahme der Ovarien
auch bei den vor langer Zeit Operirten nie ausnahmsweise und
nie in höheren Graden vorhanden.
Gröbere Veränderungen und pathologische Wirkungen hat
Werth nicht in der von den Anhängern des radikalen Ver¬
fahrens behaupteten Häufigkeit und Bedeutung an den zurück-
gelassenen Ovarien nachweisen können. Nur in wenigen Fällen
liessen sich — in keinem einzigen mit voller Bestimmtheit —
noch bestehende Schmerzempfindungen auf das zuriickgelassene
Ovarium allein zurückführen. Vor die Nothwendigkeit, aus
Rücksicht auf solche Schmerzen die nachträgliche Entfernung
zu erwägen, war Vortragender jedenfalls in keinem Falle gestellt.
Oystenbildung mässigen Umfangs kam 3 mal nach vaginaler
Totalexstirpation vor. Einmal entpuppte sich dieselbe später als
tuberkulöser Herd, in dessen bindegewebiger von Tuberkeln
durchsetzter Wand keine Eierstockselemente nachgewiesen
werden konnten — in einem zweiten Falle war bereits zwei Jahre
früher wegen eines Cystoma serosum simplex der andere Eier¬
stock entfernt worden. Um nichts unregistrirt zu lassen, was
dem zuriiekgelassenen Eierstocke zur Last gelegt werden könnte,
erwähnt Vortragender noch einen Fall, wo im Anschluss an einen
Sprung vom Stuhle 9 Monate nach einer supravaginalen Ampu-
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15. Oktober 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1675
tation unter hohem Fieber sieh Beekenoxsuflate entwickelt
hatten, in weleheni aber für eine Betheiligung der Eierstöeke
nichts und alles dafür sprach, dass dieselbe durch Explosion eines
alten bis dahin symptomlos getragenen Eierstoekes im Bocken
in Folge der starken Erschütterung entstanden war.
Mit dem Vorbehalt, welchen die für eine kritisch statistische
Verwerthung bei Weitem zu kleine Zahl seiner Beobachtungen
ihm auferlegt, glaubt er an diesen doch weitere Stützen für seine
Ueberzeugung gefunden zu haben, dass unsere zerstörenden Ein¬
griffe an den inneren Genitalien wenn irgend möglich an den
Ovarien Halt machen sollen, weil deren Zurücklassung
1. die operirten Frauen mit einem nicht geringen Maasse
von Wahrscheinlichkeit vor dem Auftreten von Ausfallsboschwer¬
den bewahrt,
2. vielleicht noch sicherer vor sekundärer Atrophie der
Vagina und Vulva schützt,
3. weil gröbere Nncherkrankungen der zurückgelassenen
Ovarien und von diesen ausgehende. Störungen zwar Vorkommen,
durcii eine richtige Auswahl der für die konservirende Behand¬
lung geeigneten Fälle aber ziemlich sicher vermieden werden
können, jedenfalls aber eine so seltene Ausnahme bilden, dass
sie gegenüber den Vortheilen, welche das erhaltende Verfahren
gewährt, nicht in Betracht kommen können.
Dlscussiön: Herr Schatz lieriehtet über einen Fall, in
dem, trotzdem nur ein kleiner Theil des Ovariuin erhalten blieb,
zwar Schwangerschaft eintrat, aber nach einem Jahre die Men¬
struation ausblieb: er schliesst daraus, dass die Erhaltung kleiner
Koste vom Ovarium nicht genügt.
2. Herr Carl Everke - Bochum: Ueber Kaiserschnitt.
In den letzten 3 Jahren hatte E. 29 mal Veranlassung, eine
Sectio caesarea auszuführen (24 conservativ, 4 Porro, 1 Total¬
exstirpation). Von den 29 Fällen starben 8, davon 3 an Eklampsie,
1 an vorher bestandener Sepsis, 1 an croupöser Pneumonie, 1 an
Verblutung (ltuptura Uteri).
Die Indikationen zur Sectio wurden gegeben 21 mal durch
Beckenenge, 5 mal durch Eklampsie, 2 mal durch Ruptura Uteri
und 1 mal wegen Verlagerung des Uterus durch frühere Ventro-
fixatio.
Im Ganzen hat Everke in 7 Fällen wegen Eklampsie
Sectio gemacht. Es handelt sich immer um Erstgebärende, die
6—12 Stunden bewusstlos, nach wiederholten, oft wiederkehren¬
den Krämpfen gebracht wurden, kurz Fälle schwerster Art, und
wo die Engigkeit des Muttermundes und die erhaltene Cervix cs
unmöglich machten, per vias naturales das Kind zu entwickeln,
wo ferner durch die. trotz Narkotica immer wiederkehrenden
Krämpfe, andauernde Bewusstlosigkeit, hochgradige Cyanose und
Lungenoedem u. s. w. der Gesammteindruck ein solcher war, dass
man sagen musste, in kurzer Zeit sind Mutter und Kind ver¬
loren. Von den 7 Müttern sind 2 genesen, 5 Mütter starben an
der Eklampsie. In den 7 Fällen wurden 5 mal die Kinder lebend
geboren, in 2 Fällen waren die Kinder schon vor der Sectio ab¬
gestorben.
Als Schnittmethode wurde bis auf 3 Fälle der vordere Längs¬
schnitt gewählt; der quere Fundalsehnitt erleichtert wohl die
Entwicklung der Frucht, er trifft aber ebenso oft die Placenta,
wie der Längsschnitt. Hie Blutung hat bei Längsschnitt nie be¬
lästigt. Die Narbe wird in der dickeren Vorderwand kräftiger
sein, als in der dünneren Funduswand. Die Verwachsungen der
ITterusnarbe mit Nachbarorganen sind bei Längsschnitt ziemlich
gleichgiltig, bei Fundalsehnitt, wo leicht Magen und Darm mit
der üterusnarbe verwachsen können, gewiss für das spätere Be¬
finden nicht gleichgiltig. Abscedirungen in der Uteruswunde
werden bei Längsschnitt bequem nach vorn durchbrechen, im
Fundus dagegen gern in die Bauchhöhle. Verwachsungen der
Funduswunde mit der Bauchwundc veranlassen eine abnorme
Fixation des Uterus.
Sofort nach Entleerung des Uterus wird ein Jodoformgaze-
tnmpon in den Uterus gelegt, um grösseren Blutverlust und
Atonia uteri zu verhindern. Zur Uterusnaht wurde in den letz¬
ten Fällen Juniperusölcatgut gebraucht. Eine Reihe Catgut¬
fäden, die nur Decidua und innerste Muskelschicht fassen, wird
nach der Uterushöhle zu geknotet, dann tiefe und oberflächliche
Catgutfäden nach der Bauchhöhle zu.
Auf Grund seiner Erfahrungen stellt Everke folgende
Thesen auf:
1. Die Perforation dos lebenden Kindes ist fast ganz zu ver¬
worfen. Das spätere Befinden ist bei den Frauen nach Sectio
besser, als wenn auf andere hier in Frage kommende Weise (Per¬
foration oder Syniphyseotoinie) die Geburt beendet ist, in An¬
betracht der hierbei oft nicht zu umgehenden Verletzungen der
Geburtswege (Dammriss, Fistel u. s. w.).
2. Vorherige Untersuchungen sind keine Contraindikationen
für Sectio. Durch energische Desinfektion wird man oft die
Infektionskeime entfernen. Bei den schweren Verletzungen der
vaginalen Operation werden mehr Eingangspforten für Sepsis
geschaffen, als bei der Sectio.
3. Zur Verhütung von allgemeiner Infektion und zur Ge¬
winnung einer festeren Uterusnarbe, die in späteren Schwanger¬
schaften Stand halten kann, ist obige. Nahtmethode zu empfehlen.
4. Der vordere Längsschnitt ist den anderen Schnitt¬
methoden vorzuziehen.
5. Zur Verhütung von grösserem Blutverlust und Atonia
uteri empfiehlt cs sich, erst bei Eintritt von Wehen zu operiren,
und nach Entwicklung der Frucht und Placenta einen Jodoform-
gazetampon in die Uterushöhle zu legen.
6. Auch in Fällen schwerster Eklampsie ist unter Umständen
zur Rettung von Mutter und Kind Sectio indizirt,
IÜscursIoü: Herr 7. w e i f e 1 machte darauf aufmerk¬
sam, dass bisher die Naht eines rupturirten Uterus nicht als
Kaiserschnitt bezeichnet wurde. Bei einem septischen Uterus
einen Kaiserschnitt auszuführen, sei nicht zweckmässig; die Ge¬
fahren sind bei schon bestehender Sepsis zu gross. Bei Eklampsie
muss man gleichfalls die Indikation für den Kaiserschnitt mög¬
lichst. einschriiukeii.
Herr K ü s t n e r warnt gleichfalls dringend, bei einer er¬
kannten Sepsis die Sectio caesarea auszuführen; jedesmal traten
schwerste Störungen der Kecouvalescenz oder der Exitus ein, falls
gegen diese Kegel verstossen wurde: wir können nie beurtheilen.
wie weit die Infektion vorgeschritten ist. Kiistner empfiehlt
einen Längsschnitt in situ zu machen, ohne den Uterus vor die
Bauchdecken hervorzuwälzen: Umschnürung mit dem Schlauch
und Kompression der Ligamenta lata sei nicht nüthlg.
Herr Martin: Bei Eklampsie, bei drohendem Collaps, hat
Martin mit günstigem Erfolge die schnelle Entleerung des
Uterus mittels des abdominalen Kaiserschnittes ausgeführt, aller
auch er empfiehlt liel Eklampsie die Einschränkung auf die
dringendsten Fälle. Technisch ist Martin mit dem Fumlal-
schuitt »ehr zufrieden, da dieser Schnitt durch die Kontraktion
des Uterus sich sehr verkleinert.
Herr Werth hält eine prophylaktische Uterustamiionade
nicht für ratbsam, da die Kontraktionen zu stark sind und die
Nähte gefährden können. Auch Werth ist für die Operation ln
situ, welche er stets ausgeführt hat; sie ermöglicht möglichst
kleinen Schnitt. Den entleerten Uterus hingegen wälzt er zur
Anlegung der Nähte vor die Bauchdecken. — Ist eine Indikation
für Verhütung weiterer Couception vorhanden, so wird der Porro
wieder mehr Anwendung finden, als Jetzt geschieht.
Herr Schatz empfiehlt eine leichte intrauterine Tamponade
als Reizmittel zur Anregung von Kontraktionen, aller bei Eklamp¬
sie kann die Tamponade neue Anfälle auslösen. Schatz sah liel
den allerschwersten Fällen günstige Erfolge von der Sectio
caesarea, aber auch nur in diesen verzweifelten Fällen ist sie
gestattet.
Herr Müller sah von dem Herauswälzen des Uterus und
der Umlegung eines Schlauches keine Nachtheile. Zur Naht em¬
pfiehlt er, wie Everke, möglichst exakte Naht der inneren
Schichten der Gebärmutter.
Herr Everke verwahrt sich dagegen, dass er im Allge¬
meinen bei septischen Zuständen die Sect. caes. empfohlen halie;
auch bei Eklampsie macht er die Sectio nur ln Fällen, in denen
die Frauen den Eindruck einer Moribunden machen.
3. Herr Winternitz - Tübingen demoustrirt das Präparat
eines carcinomatösen Uterus stimmt dem ausgedehnt erkrankten
und liei der Operation miteutfemten linken Parametrium. Es
handelte sich um eine 50»jährige Frau, welche von Prof. Döder-
1 e 1 n nach der Werthel m’schen Methode operirt wurde.
Beim Freipräpariren des linken Ureter zeigte es sich, dass der¬
selbe mitten durch das carclnomatös lnflltrirte Pammctrium hin¬
durch verlief. Der Ureter wurde absichtlich durchschnitten, um
das Parametrium möglichst radikal entfernen zu können. I>le
linke Niere wurde herausgenommen. An der Theiluugsstelle der
Aorta waren 2 Drüsen von Bohuengrösse nachweisliar, welche ex-
stirpirt und später ln Serienschnitte zerlegt wurden. Eine der-
sellien erwies sieh bei der mikroskopischen Untersuchung als
carclnomatös. (Die mikroskopischen Präparate der Drüse und des
Portiocarcinom8 wurden demoustrirt.) Pat. Ist von der Operation
genesen. In den anderen von Prof. Döderldn nach Wert-
heim operirten Fällen von Careinom waren die Drüsen nicht
carclnomatös.
4. Herr Gellhorn -St Louis demonstrirt einen Fall von
Vaginitis exfoliativa, über den er im Anier. Joum. of Obstetr.
in extenso berichtet hat. Die 50 jährige Patientin, die an Menor¬
rhagien bei grossen Uterusmyomen litt, wandte ein Geheimmittel
an, und zwar Scheidensnppositorien, die ihr gegen Fibrome nu-
geprieaeu wurden. Darauf erfolgte neun Mal in sechs
Wochen Ausstossung der Scheldensehleimliant in Form unver¬
sehrter bimförmiger Säcke, die mikroskopisch nur aus verhornten
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MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Plattcneplthelien bestehen. Trotzdem keine Alteration der Scheide.
Vogen amlauernder Blutungen begab sieh Put. endlich in ilr/.tiiche
Behandlung und G c 11 h o r u führte die supravagimüc Amputation
aus. Völlige Genesung.
5. Herr Jnng demonstrirt 2 Teratome, welche in der Grelfs-
walder Klinik entfernt wurden und welche sich durch die Mannig¬
faltigkeit der in denselben enthaltenen Gewebe auszeichnen. In
dein einen Falle fanden sich schwere Veränderungen scheinbar
maligner Natur am Netz und an den retroperitonealen Drüsen,
die mikroskopische Untersuchung ergab, dass es sieh um eine Er¬
krankung der Gefässe handelte, welche diese Veränderungen her-
vorrufe, diese Dissemination auf dem Peritoneum war also gut¬
artig, und es ist wahrscheinlich in gleicher Weise die Heilung
der Fälle zu erklären, welche in der Literatur beschrieben sind, bei
denen trotz Dissemination auf das Peritoneum kein Recldiv ein-
trnt. Natürlich kann auch ein Teratom Sitz einer sarkomatosen
Degeneration werden und alsdann Metastasen machen, dieselben
sind dann aber sarkomatöser Natur.
6. Herr A. Martin : Heber Myomenncleation.
Die radikal-operative Behandlung der Myome hat heute eine
weit breitere Basis gewonnen; es ist aber zweckmässig, die kon¬
servativen Methoden bei der Myombehandlung wieder mehr zu
pflegen; die Enucleation bei Myome, welche ein funktionsfähiges
Organ erhält, trat mehr in Hintergrund, wenn auch eine Reihe
günstiger Beobachtungen über dieses konservative Verfahren
vorliegen. Nachdem M. 1893 schon über 139 Enuclea-
tionsfälle berichtete, hat er 1892 bis Ostern 1899 über 140
Enucleationen bei Myomen ausgeführt. Seine heutigen Bemer¬
kungen sollen sich bezüglich der Operationsresultate auf 50 in
2/s Jahren in Greifswald operirte Fälle basiren, 40 Fälle sind
vaginal operirt, alle sind genesen, 10 abdominal ausgeführt, von
denen 3 starben, welche unter ungünstigen Verhältnissen operirt
wurden (bei eitrigen resp. infektiösen anderweitigen Erkran¬
kungen). 2 mal traten Blasenverletzungen ein bei atypischer
Lagerung der Blase. Das spätere Verhalten der operirten Frauen
ist als durchaus befriedigend zu bezeichnen. Die Rekonstruk¬
tion des Uterus ergab bei multipler Enucleation günstige Ver¬
hältnisse. Recidive sah Martin unter ca. 260 bis Ostern 1899
enucleirten Fällen nur 7 mal. Die Möglichkeit der Conceptions-
fähigkeit ist aber besonders wichtig. Schwangerschaften sind
allerdings nicht viel beobachtet. Martin kann über 5 neue
Fälle, von denen in 3 auch das Cavum Uteri eröffnet werden
musste, berichten. Aber auch im Klimakterium sucht Martin
den Uterus zu erhalten. Wann soll operirt werden ? Erst bei der
Operation lässt sich entscheiden, ob genügend funktionsfähiges
Gewebe für Erhaltung des Uterus vorhanden ist. Im Allgemeinen
wird man sehr umfangreiche fest verwachsene Myome nicht von
der Scheide operiren, dessgleichen bei ungünstigen Scheidenver¬
hältnissen. Anaemie (Myomherz) und clironischer Bronchial¬
katarrh lasen, wenn irgend möglich, eine vaginale Operation
wünschenswert!! erscheinen. In allen Fällen ist eine vollkommene
Freilegung des Uterus nothwendig, die eventuell eröffnet« Uterus¬
höhle muss selbstverständlich für sich vernäht werden, wichtig
i9t dass die Serosa geuau zum Abschluss kommt. Ob die vordere
oder hintere Colpocoeliotomie ausgeführt wird, hängt vollkommen
von dem Sitz der Myome ab, im Allgemeinen bevorzugt Mar-
t i n den vorderen Scheidenschnitt. Die Vortheile der Enuclea¬
tion sind so gross, dass sie mehr wie bisher angewendet werden
sollte; man kann mit der Enucleation früher Vorgehen, als bei
einer Totalexstirpation.
7. Herr Heinrich: Ueber Alexande r’sche Opera¬
tion.
Die Alexande rische Operation hat sich in der Stille
während der letzten 10 Jahre viele Anhänger erworben. Die Mehr¬
zahl derselben dürfte wohl der von Fritsch ausgesprochenen
Ansicht beistimmen, dass, wenn diese Operation stets Dauer¬
erfolge gibt, sie zweifellos die beste, ungefährlichste und rich¬
tigste Methode der Heilung der Retroflexio ist. Diese ist sie
sicher bei Retroflexio raob., falls keine üblen Folgen darnach
entstehen. Bei fixirter Retroflexio ist die Eröffnung des Bauches
in der Mittellinie vorzuziehen, lieble Folgen sind bei der Geburt
nicht bekannt, Heinrich hat unter 8 Entbindungen, von
denen er 3 selbst beobachtete, auch nichts dergleichen beobachtet.
Einzelne Fälle von späteren Hernien sind mitget.heilt, und
diese Fälle werden sich sicher mehren, wenn wir nicht zu einem
einheitlichen, hernienverhütenden Operationsverfahren kommen.
Ein solch«« Verfahren muss die Bildung eines künstlieben Bruch¬
sackes vermeiden, und ebenso die Zurücklassung einer schwachen
Stelle in der Bauchwand.
Heinrich betont, dass bei gehöriger Verkürzung des Lig.
rot. sich stets eine Ausstülpung des Peritoneums bilde und dass
dieses künstliche Divertieulum Nuckii verödet werden müsse.
Desswegen muss der Leistenkanal eröffnet werden und nach
Anziehen dos Bandes der Peritonealtrichter eingeschlitzt werden,
denn wenn derselbe dadurch beseitigt werden soll, dass die das
Band fixirenden Nähte auch mit durch den Proc. perit. gelegt
werden, so wird auf diese Weise nur der nach vorn gelegene Theil
desselben verödet.
Da ferner nach Erfahrungen aus der Leipziger Klinik bei
starkem Anziehen des Bandes der Uterus leicht umkippt, weil
das Band das darüber liegende nicht eröffnet« Peritoneum und
damit den unteren Theil des Uterus hebt, so wird auch von dort
(Z w e i f e 1 - K ö n i g) dringend die Eröffnung des Peritoneal¬
trichters gerathen.
Heinrich hat nach der Eröffnung das Peritoneum mit
einigen feinen Catgutnähten au das stark vorgezogene Band ge¬
näht und dieses dann wieder etwas in die Bauchhöhle zurück¬
gleiten lassen, wie er es schon vor 5 Jahren beschrieb.
Das Ecstnähen des Bandes selbst erfolgt mit 4 quer durch
dasselbe geführten Nähten, wobei darauf geachtet wird, dass
die Nadel nicht mehr als etwa l;i der Bauehdicke fasst, um die
central liegenden Gefässe möglichst zu schonen und Nekrose zu
vermeiden. Durch diese Nähte werden die Schenkel des Leisten¬
kanals fest zusainmeng««ehnürt.
Ist der innere Leistenring sehr dehnbar, so wird er beim
festen Anziehen des Bandes in einen länglichen Schlitz ver¬
wandelt, auf diesen Versorgung Rumpf hingewiesen hat. Die¬
selbe geschieht durch das Legen von 2—3 Nadeln lateral von
der Umsehlagstelle des Bandes.
Als Nälnnaterial benutzt Heinrich Seide sowohl beim
Festnähen des Bandes als bei der Aponeurosennaht.
Unter 50 so ausgeführten Operationen hat Heinrich bei
deren Entlassung keinen Misserfolg gehabt. 32 davon liegen
länger als 2 Jahre zurück. Von diesen, die allein hinsichtlich
«ler Dauerresultate in Betracht kommen, hat er 22 Fälle selbst
wieder untersucht und richtige Lagerung gefunden. Entbunden
sind 8, von denen sind 5 naohuntersucht, dieselben hatten kein
Recidiv.
Discussion: Herr Wert h lenkt die Aufmerksamkeit auf
die Vortheile, welche das direkte Aufsuchen des Bandes bietet;
nicht den äusseren Leistenring soll man sichern, sondern den
Leistenkanal durch Spaltung der Aponeurose eröffnen; die störende
Blutung fällt hierbei fort.
Herr Mackenrodt: Nach der Alexande r’schen Opera¬
tion behält der Uterus weniger seine normale Lage, als nach einer
richtig ausgeführten Vaglnitlxation. M. sucht zur Ausführung der
Verkürzung das Ligamentum rotundum retroperltoneal auf und
verkürzt diesen Theil, während er den Theil Im Leistenrand er¬
hält Er fixirt den Stumpf durch 2 Fäden in die Muskelbäuche.
Hierdurch hat der Uterus eine mehr nach vorn geneigte Lage, als
bei der ursprünglichen Alexander-Adam s’schen Operation.
Im Uebrigen sind es aber sicher nur wenige Fälle, in denen die
Operation indlzirt ist.
Herr Zweifel weist darauf hin, wie viel lelcher das Liga¬
mentum lm Leistenkanal, als retroperltoneal zu finden sei; er be¬
tont die Nothwendlgkelt einer exakten Blutstillung zur Erleich¬
terung der Operation. Dass auch gut ausgeführte Vaglnlflxuren
Geburtsstörungen geben können, hält er auch bei der Macken-
r o d t’schen Operation für sicher.
Herr Asch: Die Alexander-Adam s’scbe Operation
schafft durchaus normale Verhältnisse. Der Perltonealtrichter
lässt sich gleichfalls vermelden. Auch in wenigen Fällen von
fixirter Retroflexio lässt sich nach Lösung der Fixationen von
der Vagina aus die Alexander-Adam s’sche Operation mit
Erfolg ausführen.
Herr Brose: Bel erschlafften Bauchdecken und grossem,
schweren Uterus entsteht bei der Alexander-Adam s’schen
Operation sehr leicht ein Recidiv, hier gibt die Ventroflxatlon
bessere Resultate; stets sei eine Indlvldualislrung nothwendig.
nerr St ratz-Haag weist auf die Nothwendlgkeit hin.
längere Zeit zu beobachten, bevor man von einem Fehlen von
Recidiv spricht, viele als gehellt berichtete Fälle recldivlrten
später.
Herr Martin warnt vor der Ausführung der Alexander-
sehen Operation, die Dauerresultate seien sehr schlecht, wenn man
längere Zelt nach der Operation untersucht.
Herr P. Müller: Trotz anscheinend normaler Lage behalten
viele Frauen nach der Operation ihre Beschwerden, desshalb ist
Müller auch in den letzten Jahren von der Alexande rischen
Operation zurückgekommen; vielfach hängen die Beschwerden gar
nicht von der Retroflexio ab.
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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1677
Sitzung vom 24. September 1901, Nachmittags.
Discussion zu Martin: lieber Myomenucleation.
Herr Hofmeier: Hie Frage, ob Enucleation vor-
zunelimen, hängt davon ab, wie weit man die Indikation
für den operativen Eingriff ausdehnt. Bei kleineren Myomen ist
die Technik einfach, bei grösseren häufig recht schwierig. Wer
also der Ansicht ist, dass kleinere Myome im Allgemeinen nicht
operlrt werden müssen, wird seltener die Indikation für die
Enucleation finden; bei grossen Myomen können unangenehme
Blutungen bei der Enucleation eintreten. Vor Allem kommt die
Enucleation bei jugendlichen Individuen in Betracht, bei denen
die Möglichkeit vorhanden ist, eine Konzeptionsfähigkeit zu er¬
halten. Die Gefahr eines Recldlvs besteht naturgemiiss immer.
Dass man sich erst bei der Operation über die Art der Operation
entscheiden muss, ist ein Nachtheil, da die Operation hierdurch
viel blutiger wird. Die Indikation zur Enucleation von Myomen
von der Scheide findet H o f m e 1 e r nur ln wenigen Fällen.
Herr T h o r n - Magdeburg ist immer mehr von der Enuclea¬
tion abgekommen; zu beobachten sind weiter die Gefahren, falls
später eine Geburt eintrltt. So beobachtete Th. eine sehr schwere
Frühgeburt bei einer Frau, bei der er während des 4. Monats der
Gravidität einen grösseren Myomknoten enucleirt hatte. Th. hatte
unter 28 vaginalen Myomenucleationen 8 Reeldive; abdominal liegt
es allerdings anders, bei der abdominalen Operation kann man
leicht subseröse Myome enucleiren, jedoch wird stets die Zahl
für die Indikation der Enucleation klein sein.
Herr Küstner befürwortet dringend die Enucleation der
Myome; er hat vielfach wegen Sterilität die Enucleation nusge¬
führt, um Konzeptionsfähigkeit zu erzielen. Die Operation muss
unter der grössten Aseptik durchgeführt werden.
Herr F r ä n k e 1 - Breslau sah stets günstige Erfolge von der
Myomenucleation, nie sah er Recidive, einmal trat in der Folge
Gravidität ein! Eine Kranke verlor er allerdings an einer Nach¬
blutung: da er das Myombett nicht tief und fest genug vernähte,
es handelte sich aber um eine schwer nnaemlsehe Torson. Auch bei
submucösen Myomen hat er die vaginale Myomenucleation mit
Erfolg ausgeführt. In 2 Fällen hat er retrocervicale Myome
zurückgelassen, nur einzelne leicht emieleirbare Myomknoten ent¬
fernt und die Kastration angeschlossen, ln beiden Fällen mit
günstigem Erfolg.
Herr Bröse befürwortet die vaginale Myomenucleation.
selbst grössere Myome kann man, wenn man den Uterus spaltet
und das Myom morcellirt, vaginal entfernen.
Herr v. Guörard sah nach Myomenucleation gleichfalls
bei einer Frau, welche längere Zeit steril verheirathet war, in der
Folge Gravidität eintreten; ln einem anderen Falle trat schon
4 Monate nach der Enucleation multipler Myome eine Gravidi¬
tät ein.
Herr W. A. Freund: Das Marti n’sche Verfahren schien
hier Immer als das ideale. Bei jugendlichen Personen, bei denen
es aber vor Allem auf die Erhaltung des Uterus ankam, sah er
fast stets Recidive eintreten, hingegen sah er sehr günstige Re¬
sultate bei Frauen, welche ln der Nähe des Klimakterium standen.
Er weist darauf hin, dass Adenomyome sich nicht enucleiren
lassen.
Herr A. Martin: So lange Myome keine Beschwerden
machen, operlrt er dieselben auch nicht; machen dieselben aber
Beschwerden, so hält er die Operation auch von kleinen Ge¬
schwülsten für indicirt, falls durch interne oder Bäderbehandlung
keine Besserung eintrltt. Thorn musste Recidive erleben, da er
nur durch die Austastung die Myome feststellte. Die vollständige
Freilegung entweder durch Uterusspaltuug oder durch Eröffnung
des Peritoneums ist nothwendlg. wenn man Recidive vermelden
will. Die Kastration passt nur für Frauen im Klimax, nicht aber
für jugendliche Personen, in denen man die konservative Methode
anwendet, um die Hoffnung auf Konzeption zu erhalten.
1. Herr K r ö n i g - Leipzig: Zur Therapie der Extrauterin¬
gravidität.
Die Erkenntni88 in der anatomischen Auffassung der Tubar-
gravidität, dass nämlich das Ei in die Tubenwand selbst hinein¬
wächst, musste auch auf unser therapeutisches Verfahren einen
Einfluss ausüben, ln der Folge wird man die Unterscheidung
zwischen Tubenruptur und Tubenabort nicht festhalten können.
Bei jedem Abort finden sich Zerstörungen der Tubenwand. Die
Ruptur hingegen kommt nur allmählich zu Stande. Auch bei
dem kompleten Abort bleiben stets Chorionzotten zurück, so dass
selbst ein Unterschied zwischen kompletem und inkompletom
Abort nicht aufrecht zu erhalten ist. Demgemäss müsste man
theoretisch jeden Fall operiren, und wie Prochownik in
der Operation das allgemeine Heilmittel der Tubargravidität
sehen, v. Scanzoni stellte nun an der Leipziger Klinik
Untersuchungen an:
Es waren arbeitsfähig von:
66 exspektativ behandelten . . 41
25 elytrotomirten.19
38 laparotomirten ..... 24
Bedingt arbeitsfähig waren von:
56 exspektativ behandelten . . 15
25 elytrotomirten.- 6
38 laparotomirten.13
Arbeitsunfähig waren von:
66 exspektativ behandelten . . 0
25 elytrotomirten. 0
38 laparotomirten. 1
Endlich verworthete man gegen die cxspectative Behandlung
die bleibende Funktionsunfähigkeit der Eileiter und die hieraus
resultirende Oonceptionsbchindcrung.
Von 43 exspektativ behandelten, concipirten 16 = 37 Proc.
„ 18 elytrotomirten „ 10 = 55 „
„ 29 laparotomirten „ 5 = 17 ,,
Die exspectativ Behandelten sind also nach dieser Talielle
mindestens el>enso günstig daran, als die Operirten. Unter den
Operirten finden sich aber prognostisch wesentlich ungünstigere
Fälle; daher neigt Krönig mehr einem operativen Verfahren
zu, «las cxspectative hat die Gefahr der nachträglichen Blutungen
und einer Verjauchung des Blutergusses. Auch nachträglich
kann bei Tubenabort oder Ilaomatoeelenbildung eine Ruptur ein¬
treten, da die Zotten auch noch nach der Ausstossung des Eies
die Wandungen weiter zerstören können.
Eine vaginale Operation kann nur ausgeführt werden, wenn
am Lig. infundibulo-pelvicum keine Verwachsungen vorhanden
sind. Für das vaginale Ineisionsverfahren fehlt theoretisch
jeder wissenschaftliche Boden, aber die Praxis beweist, dass,
wenn man genau das Freisein der Tube mit dem Finger von den«
Sack aus feststellt, keine Nachblutung zu fürchten ist Viele der
elytrotomirten Frauen haben später geboren.
2. Hon- Heinrich: Ueber Operation grosser Nabel- und
Bauchnarbenbrüche.
Dass die sogen. Etagennaht bei Laparotomie am sichersten
vor späteren Narbenbriiehen schützt, ist durch die Untersuch¬
ungen von Abel naehgewiesen.
Desshnlb muss die Etagennaht auch principiell bei Bauch¬
narbenbrüchen angewendet werden; es ist nöthig, hier kurz
Einiges über die Physiologie der Bauchdecken zu sagen.
Die physiologische Bedeutung der Recti beruht darauf, dass
dieselben ein Punctum fixum für die queren Bauchmuskeln dar¬
stellen; da sie aber bedeutend schwächer sind als die letzteren,
so können sie nur ihrer Aufgabe gerecht werden, wenn beide
Recti fest miteinander verbunden sind. Diese Verbindung
(Linea nlba) wird um so weniger in Anspruch genommen und
gezerrt, je stärker die Recti selbst sind im Verhältniss zu den
queren Muskeln.
Heinrich operirt folgendermaassen: Nach Ablösung der
Därme und sonstiger Adhaesionen wird der Bruchsack abge¬
tragen und das am Rande der Bruchpforte gelockerte Peritoneum
durch fortlaufende Catgutnaht vereinigt. Dann wird die Rcctus-
scheide einer Seite freigelegt und dieselbe durch einen flach
bogenförmigen, nach aussen convexen Schnitt durchtrennt. Die
Endpunkte des Schnittes liegen ober- und unterhalb der Bruch¬
pforte in der Linea alba. Der so gebildete halbmondförmige
Fascienlappen wird sorgfältig vom Muskel abgelöst, umge¬
schlagen und an der Rectusscheide der anderen Seite angenäht.
Diese Naht muss mit einem schwer resorbirbaren Material —
Seide — angelegt werden. Darüber folgt die Hautnabt.
Bei drei in dieser Weise operirten Fällen ist keine Spur
eines beginnenden Recidivs vorhanden.
Liegt die Bruchpforte nicht in der Linea alba, so kann die
Bildung und das Umschlagen von Fascienmuskellappen Vortheile
bieten.
Discussion: Herr Zweifel; Die Ursache für die Ent¬
stehung des Bauchbruehs Ist gewöhnlich, dass bei der primären
Naht die Muskeln nicht genügend adaptirt werden. Auch bei
Bauchbrüchen muss dasselbe Princlp gelten wie bei der primären
Operation. Zw. spaltet auch die Rectusscheide auf, näht die
hinteren beiden Blätter mit versenkten Seidennähten, legt alsdann
durch beide Recti Catgutnähte und endlich auch durch das vor¬
dere Blatt der Rectusscheide. Die Zahl der Bauchbrüche Ist in
der Leipziger Klinik seit der Veröffentlichung der A b e Tschen
Tabelle noch gesunken.
Herr Brose weist auf die Unterschiede von Bauch- (Dlastase
der Recti) und Bauchnarbenbrücben hin. Heinrich behandelt
Bauchnarbenbrüche. Dieselben können in der Schnittlinie und
auch in den Stichkanälen entstehen. Daher können auch Frauen
mit per primam geheilter Bauchwunde Ilernien bekommen. Diese
letzteren bieten namentlich, wenn mehrere vorhanden sind, der
Operation wesentliche Schwierigkeiten. Bei der Operation muss
man vor Allem die Spannung der Fasele vermeiden durch An¬
legen von Muskelnähten.
Herr v. Wild: Für die Prophylaxe der Bauchbrüehe nach
der Geburt geschieht bis jetzt ln» Gegensatz zur Vorbeugung der
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1678
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Bauelinnrbenbrüetae viel zu wenig. Gymnastik während der Re-
konvaleseeuz des Wochenbettes circa vom 7. Tage ab ist. dringend
nuzurathen; man lasse die Frauen sich selbst aufrichten, eine
weitere Vorbeugungsmaassregel Ist das Tragen von Mittlern im
Gegensatz zum Ivorset.
Abtheilung lür Kinderheilkunde.
Referent: B. B e n d i x - Berlin.
2. Sitzungstug: Dienstag den 24. S e p t e in ber 1901.
1. Herr J. v. B6kay (Referent): Ueber den gegen¬
wärtigen Stand der Intubation.
Vortragender bespricht die Frage auf (5rund seiner Be¬
obachtungen an 1261 eigenen Fällen und der ihm zur Verfügung
stehenden literarischen Daten, und erklärt schon in der Ein¬
leitung seines Vortrages, dass er seine Ansicht, dass die. In¬
tubation bei der operativen Behandlung des Croups, als vorhält-
nissinässig leichter durchführbarer und weniger Gefahren mit
sieh führender, unblutiger Eingriff, über die Tracheo-
t- o in i e zu stellen sei, auch heute unverändert aufrecht hält. Vor¬
tragender ist. nach 10 jähriger Spitalserfahrung der Meinung,
dass die primäre Tracheotomie bei Croup bloss in jenen Fällen
nicht durch die Intubation ersetzt werden kann, wo a) n e b e n
der bestehend e n I. a r v uxstenose a u e h <* i n e
hochgradige Pharyuxst e n o s e v »rha n d e n i s t,
und b) wo in Folge starker oedematiiser An-
s e h w c 11 u n g des lv e h 1 k o p f e i n g a nges die er¬
folgreiche Intubation nicht erhofft werden
k a n u.
Don Zeitpunkt des operativen Eingriffes, daher der Intu¬
bation, betrachtet er bei jedem (’roupfalle für gekommen, in dem
Momente, wo die Larynxstenose konstant geworden ist, und
einen solchen Grad erreicht, dass das Kind mit der beginnenden
Erstickung zu kämpfen scheint. Seit der Serumbehandlung
(1894) konnte bei 37 Proc. seiner stenotischen Kranken die
Operation vermieden werden. B. missbilligt den auch jetzt noch
von Einzelnen geübten frühzeitigen Eingriff, da «lie Intubation,
wenn auch kein so ernster Eingriff, wie der Luftröhrenschnitt,
von unangenehmen Nebenwirkungen nicht vollkommen frei ist.
Vortragender übte das O’I) w y e r’sche Verfahren in der
Privatpraxis ebenso wie im Spitale und glaubt, dass dieser Punkt
heute kaum mehr Gegenstand der Discussion bilden kann. Bil¬
deten doch in den Vereinigten Staaten, in der lleimath der In¬
tubation, bloss 5 Proc. sämmtlieher intubirter Fälle. Gegenstand
der Spitalsbehandlung, und alle übrigen Kranken würden in der
Privatpraxis behandelt.
Dass in der Lamlpraxis bei grossen Entfernungen ein in¬
tubirter Kranker nicht ohne fachkundigen Arzt zurückgelassen
worden kann, ist selbstverständlich, und in diesen Fällen ver¬
dient die Tracheotomie entschieden den Vorzug vor der In¬
tubation. Bei solchen Fällen empfiehlt Autor den Luftröhren-
sehnitt bei liegendem Tubus, als solches Verfahren, welches die
Tracheotomie bedeutend erleichtert. (Der Tubus wird knapp
vor Eröffnung der Luftröhre mittels des Fadens entfernt.)
Bei postmorbillösem Croup ist Autors Standpunkt
der nämliche, und auf Grund seiner dem Spitalsmateriale ent¬
nommenen Statistik widerspricht er Netter, der bei dieser
Form des Croups die Tracheotomie empfiehlt.
Nach längerer Discussion der Frag*?, ob zwischen der In¬
tubation und der bei intubirten Croupkranken eventuell vorkom-
menden Pneumonie ein Zusammenhang sei, gestützt auf eine
statistische Zusammenstellung, spricht B. seine Meinung dahin
aus, dasß die Intubation in dem Maasse, als dies im praktischen
I/obon ein Theil der Aerzte zu thun geneigt ist, keineswegs für
das komplizirende Auftreten der katarrhalischen Pneumonie be¬
schuldigt, werdeu kann. Zum Zwecke der Verminderung des
Auftretens dieser Pneumonien hält B. in Anbetracht ihrer Ent¬
stehung das in der Diphtherieabtheilung der Pariser Kinder¬
spitäler eingeführte Boxsystem für besonders wichtig.
Das Auftreten der sogen. Schluckpneumonien bei
Intubirten erklärt Vortragender für die grösste Seltenheit und
bezeichnet die Furcht vor dieser als Gefahr.
Bezüglich des Hinabstossens von Pseudomembrauen und der
Verstopfung des Tubuslumens durch dieselben hält B. seinen im
Jahn» 1894 erörterten Standpunkt aufrecht. Ob die Tuben von
Forroud, T s a k i r i s und F roin (schräg abgeschnittene
Tuben, Tuben mit conischera Ende) im gegebenen Falle die
Hinabstossung von Pseudomembranen nicht eher verursachen,
als die amerikanischen, vollkommen abgerundet endenden Tuben,
weiss er nicht, doch ist er es zu glauben geneigt. Die Möglich¬
keit der pseudomembranösen Tul>enVerstopfung vor Augen hal¬
tend, betrachtet er jene Modifikation von Tsakiris und
Froi n, das untere Ende des Tubus conisch gestaltet und mit
zwei seitlichen Oetfnungen versehen, nicht ganz glücklich, da
hierdurch die Exspeetoration von Membran entheilchen ent¬
schiede gehindert wird, wodurch die Bildug eines pseudomem¬
branösen Pfropfes unter dem unteren Ende des Tubus, daher in¬
mitten der Luftröhre, begünstigt, wird.
AIit der Frage des Intubationstraumas, mit welcher B. sich
in seiner jüngst erschienenen Monographie befasst hat, beschäf¬
tigt er sich nicht, und bespricht nur die örtliche Behandlung der
crieoidealen Decubitlisgeschwüre. liier benutzt Vortragender
mit auffallendem Erfolge die noch von O’D w y e r empfohlenen,
doch von jenem bloss bei einem Falle verwendeten, mit Gelatine
überzogenen und Alaun imprägnirten, sehmalhalsigen Bronee-
tuben. Auf Grund seiner 6 mit Erfolg behandelten Fälle ist er
der Meinung, dass diese Methode O’Dwyer's bei der Behand-
lung-der laryngealen Druckgeschwüre eine äusserst einfache und
erfolgreiche ist, und schon auf Grund seiner bisherigen günsti¬
gen Erfahrungen empfiehlt er, dass in allen Fällen, wo die Tubus-
läge 100 Stunden überschritten hat, und die immer kürzer wer¬
dende Extubationsdauer den Verdacht immer mehr bestärkt, dass
im Kehlkopfe Druekgesehwüre vorhanden sind, die erwähnten
selnnalhalsigen Bronzetuhen verwendet werden mögen, wobei er
hofft, dass mit Hilfe dieser Methode die sekundäre Tracheotomie
oft vermieden werden kann.
Das O’D vv y e r’sche Verfahren, welches bei der Behandlung
des Larynxeroups bereits an den meisten Orten in die Heil¬
praxis übergegangen ist, erobert sich seinen Platz auch bei
anderen stenotischen Erkrankungsproeessen, so dass diese Opera¬
tion nun nicht bloss «lie Kinderärzte, sondern auch die Laryngo-
logie stark beschäftigt, und von .lahr zu Jahr erweitert sieh der
Kreis, in welchem die Intubation als Heilverfahren zur Geltung
kommt. Vortragender hebt besonders den vorzüglichen Werth
des Ö’D w y e r’schen Verfahrens bei luetischen Stenosen, nicht
luetischen narbigen Strikturen, !>ci Laryngitis subglottiea hyper-
trophiea und Decanuleinent-Schwierigkeiten hervor.
2. Herr F. Siegert - Strassburg (Correferent): Die In¬
tubation und Tracheotomie bei Diphtherie seit der Semm-
behandlnng.
Referent sucht die Bedeutung der Tracheotomie
bei der Behandlung der Kehlkopfdiphtherie dadurch festzu¬
stellen. dass er an der Hand des Materials fast aller Städte Mittel¬
europas mit über 50000 Einwohnern, insgesammt 22600 Fälle von
1895—1900 aus 93 Spitälern, ermittelt: 1. die Leistungen der
Tracheotomie im Vergleich mit den Erfolgen der principiellen
primären Tntubntion; 2. die Leistungen der Tracheotomie in den
intubirendeu Spitälern, primär wie sekundär, also bei aussichts¬
loser oder erfolgloser Intubation. Durch eine einfache Wand¬
karte wird sowohl die Herkunft d*?s verwendeten Materials an¬
gegeben. wie ein anschauliches Bild von der Verbreitung der In¬
tubation in Mitteleuropa an der Jahrhundertwende erreicht. Nur
Spitalmaterial, unter Ausschluss des privaten, wurde verwendet,
weil letzteres zu wenig einwandsfrei ist. Ausser dem Erfolg, wie
er durch die relative Mortalität bezeichnet wird, wurde bei der
Intubation auch deren Versagen berücksichtigt, soweit die
Tracheotomie nothwendig wurde. An die Untersuchung der
Frage, ob der üebergang zur Intubation den betreffenden Spi¬
tälern eine Verminderung der Mortalität gebracht, hat, schliesst
S. eine Erörterung der Häufigkeit der Tracheotomie in den in-
tubirenden Spitälern mit guten resp. schlechten Resultaten und
vergleicht schliesslich die Spitäler mit besten und schlechtesten
Erfolgen betreffs des angewendeten Verfahrens. Dabei gelangt
er zu folgenden Schlüssen:
1. Tracheotomie und Intubation ergeben im
Spital bei 11104 Traeheotomirten und 11511 i n
intubirenden Spitälern operativ Behandelten
eine Mortalität von 34,29 resp. 34,27 Proc., also
die gleiche Mortalität.
2. Zur Erreichung dieses Resultates bedarf
die Intubation der primären und sekundären
Tracheotomie.
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15. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1679
3. Der grösseren Häufigkeit der Tracheo¬
tomie entspricht in den intubirenden Spi¬
tälern c. p. der Erfolg.
4. Durch Uebergang zur Intubation haben
die tracheotomirenden Spitäler ihre Mortali¬
tät nicht vermindert.
5. Die principielle Tracheotomie, wie in
höherem Grade die principielle Intubation
sind unrationell.
6. Nur die Anwendung beider Vorfahren er¬
laubt den bestmöglichen Erfolg.
Im zweiten Theile seines Referates begründet S. die Noth-
wendigkeit des Uebergangs zur fakultativen Intubation seitens
der Tracheotomen mit der Thatsache, dass es bei fakultativer
Intubation bei mindestens gleichem Endresultat gelingt, die blu¬
tige, eingreifendere Tracheotomie in zwei Drittel der Fälle zu
vermeiden.
Die Tracheotomie aber hat ausser einer ganzen Anzahl von
den intubirenden Klinikern erhobenen Vorzügen nur wenige
Nachtheile: den blutigen Eingriff, die Narbenbildung, die
schwerer zu erlangende Einwilligung zur Operation, die längere
Dauer der Behandlung. Eine Anzahl weiterer von den Gegnern
der Tracheotomie behaupteter Nachtheile: Häufigkeit gefähr¬
licher Blutungen und Nachblutungen, Schwierigkeit der Wund¬
behandlung und Assistenz, das „Springen“ und Herausreissen
der Kanülen wird als unberechtigt zurückgewiesen. Trotz der
zahlreicheren Schwierigkeiten der Intubation und gewisser Vor¬
theile der Tracheotomie aber ist diese nicht erlaubt, wo die
weniger eingreifende Intubation genügt. Noch mehr aber
ist die principielle Intubation zu verwerfen,
da unbedingte Contraindikationen derselben
allgemein anerkannt sind. Nur die fakulta¬
tive Intubation und Tracheotomie erlaubt die
Erfolge, die heute von jedem Spitalleiter ge¬
fordert werden können und müssen.
Im letzten Theil werden die Forderungen erhoben, welche zu
erfüllen sind, weim die Lehre von der operativen Behandlung
der Larynxdiphtherie weitere Förderung erfahren soll.
Zu diesem Zwecke bedarf es 1. einer recht genauen klinischen
Mittheilung des Diphtheriematerials der Spitäler mit genauer
Berücksichtigung der mit und ohne Operation behandelten
Croupfälle. Die Vor- und Nachtheile der Tracheotomie und In¬
tubation, lokal wie allgemein, die augenblicklichen und dauernden
Folgen, die Komplikationen bedürfen wie vieles Andere der ein¬
gehenden Wiedergabe. Sodann müssen 2. dio Indikationen für
den primären Eingriff, Intubation oder primäre Tracheotomie,
genauer gestellt werden. Vor Allem aber bedarf es 3. viel schär¬
ferer Angaben über die Verhältnisse und den Zeitpunkt, welche
für die sekundäre Tracheotomie maassgebend sind. Erst wenn
hier Klarheit gewonnen ist über die Momente, welche den Ueber¬
gang von der Intubation zur Tracheotomie gebieten, sei cs die
Rücksicht auf eine ungenügende Beseitigung der Athemnoth,
sei es auf eine drohende lokale Schädigung durch den Tubus, sei
es auf mangelhafte Ernährung, wird ein weiterer Fortschritt er¬
reicht werden bezüglich der Intubation und Tracheotomie bei
Diphtherie.
3. Herr Pels-Leusden- Berlin: Ueber Intubations-
Stenose.
Vortr. spricht über 3 Fälle von Intubationsstenose. Es
handelt sich um Fälle, bei denen der durch die Diphtherie noth-
wendig gewordenen Intubation dio sekundäre Tracheotomie ge¬
folgt war und schliesslich trotzdem die Stenose nicht gehoben
wurde. Der Sitz dieser Stenose betraf, wie es in diesen Fällen
gewöhnlich ist, den grössten Theil der Cartilago crico. thyreoidea
und der oberen Trachealringe.
Der Vortragende bespricht kurz das Operationsvorfahren, das
in der Excision der Narbe, Ueberbrückung der defekten Partie
durch sekundäre Plastik besteht. Dann wird zuerst eine
Schimmelbusc h’sehe Schornsteinkanüle eingeführt, je
nach dem Verlauf monatelang liegen gelassen, durch eine ein¬
fache Fensterkanüle ersetzt, und schliesslich erfolgt das De-
can ulement.
Zu dem 9 jährigen Mädchen, das mit auffallend tiefer
Männerstimme spricht, bemerkt König- Berlin, dass dieser
Fall für die Operation durch Fehlen beinahe dos grössten Theils
des Schildknorpels ganz besonders schwierig gewesen sei. Das
Kind spreche mit Rachenstimme, es fehle ihm, wie den Kehlkopf-
exstirpirten, der Kehlkopf.
4. Herr Erich Müller- Berlin: Beitrag zur Statistik der
Diphtheriemortalität in Deutschland.
Der Vortr. hat eine Statistik der absoluten Diphtherie¬
mortalität für Deutschland aufgestellt. Seine Erhebungen er¬
strecken sich auf die deutschen Städte von 40 000 und mehr Ein¬
wohnern und umfassen einen Zeitraum von 12 Jahren und zwar'
die letzten 6 Jahre der Vorserumperiode von 1889—94 und die
6 Jahre der Serumperiode von 1895—1900 incl. Die Bevölkerung
dieser Städte — 90 an Zahl — repräsentirt etwa 10 Millionen
Einwohner, d. i. Vz> der gesammten Bevölkerung Deutschlands.
An der Hand seines — amtlichen — Materials kann der Vortr.
nachweisen, dass die Diphtherierrtbrtalität in Deutschland mit
dem Jahre 1895 beginnend kritisch gesunken ist, nur % der¬
jenigen der früheren Jahre betragen, hat und sich dauernd auf
diesem niedrigen Niveau erhalten hat. Die Schwankungen in
der absoluten Anzahl der Todesfälle während der Vorserum¬
periode sind seit dem Jahre 1895 verschwunden und haben einem
andauernd fortschreitenden Rückgang der Mortalität Platz ge¬
macht. Mit dem Jahre 1895 ist ein neuer die Diphtherien:orta-
lität in diesem so günstigen Sinne beeinflussender Faktor auf¬
getreten. Dieser kann nur das B e h r i n g’sche Diphtherie¬
heilserum sein, dessen allgemeine Einführung fast mathematisch
genau mit dem kritischen Sinken der Diphtheriemortalität zu¬
sammenfällt. Graphische Darstellungen und Tabellen illustriren
diese Verhältnisse.
5. Herr v.Eanke -München: Ueber die Behandlung des
erschwerten DScanulements in Folge von Orannlombildnng
nach Intubation und sekundärer Tracheotomie.
6. Herr Trnmpp - München: Das fernere Schicksal der
überlebenden tracheotomirten und intubirten Kinder.
7. Herr Pfaundler -Graz: Ueber Spätstörungen nach
Intubation und Tracheotomie.
(Die Vorträge der Herren v. Ranke, Trum pp und
Pfaundler erscheinen in extenso in dieser Wochenschr.)
Dlscusslon: Herr Rauchfass - Petersburg macht ganz
besonders darauf aufmerksam, dass ln den beiden, sonst so vor¬
trefflichen Präparaten ein Moment ausser Acht gelassen. Bei Be¬
trachtung seines eigenen Materials findet R., dass die Sterblich¬
keit der Croupfälle genau parallel geht der Sterblichkeit der ohne
Stenose verlaufenden Fälle. Steigt diese, d. h. haben wir eine hohe
Welle toxischer Fälle, dann starben auch mehr Fälle mä Stenose,
sowohl unoperirte als operirte. Sie starben alle durcheile durch
den Genius epldemicus bedingte höhere Toxicitüt. Somit lässt
auch ein Vergleich der einzelnen Statistiken gar kein Urtheil zu,
so lange nicht der Coefflcient der Toxicität für die einzelnen Fälle
bestimmt wird.
Besonders erfreut hat R. Indessen das Eintreten für die
Tracheotomie, allein schon aus dem Grunde, damit diese Operation
erlernt und geübt werde. R. verwendet Tuben mit 3 verschiedenen
Schwellungen und vermeidet dadurch eher Decubitus.
Herr Ganghofner - Prag intubirt und tracheotomirt mit
Auswahl der Fälle. Bezüglich der Beweiskraft der S I e g e r t - -
sehen Statistik weist er darauf hin, dass das Alter der Operirten
bei Slegert nicht berücksichtigt wurde, und zeigt an den
Zahlen aus seiner Anstalt, wie sehr dieser Faktor auf die Mor¬
talität von Einfluss ist.
Herr Förster- Dresden hebt hervor, dass man daran ar¬
beiten müsse, eine strengere Indikation für die eine oder die
andere beider Operationen zu geben. Die Frage, ob die Tracheo¬
tomie die schwerere Operation sei, dürfe niemals entscheiden.
Gegen die Intubation spreche für gewisse Fälle, dass nach Aus¬
führung dieser die Expectoratlon, das so wichtige Moment zur
Erleichterung, vollkommen ausfalle; hieraus erklärt sich auch die
häufige Beobachtung der Aspirationspneumonien nach der In¬
tubation.
Herr B a g 1 n s k y - Berlin hat In 244 Fällen nur die Intuba¬
tion ausgeführt; davon starben 22, also nur eine Mortalität von
10 Proc. Bei der Intubation mit sekundärer Tracheotomie (370
Fälle) starben 95 Kinder. Seine Meinung geht dahin, dass bei
Larynxstenosen zuerst die Intubation vorgenommen werden solle.
Contraiudicirt ist die Operation eigentlich nur bei Kindern unter
1 Jahr und bei ausgesprochenem descendirendem Croup.
Benutzt wurden die echten O'D w y e r’schen Tuben aus
Gummi mit Metalleinlagen.
Herr S o 11 m a n n - Breslau hebt als wichtigstes Moment für
die Frage — ob Intubation — ob Tracheotomie — die Dauer der
Erkrankung und damit zusammenhängend die Verfassung, den
Kräftezustand des Patienten hervor; ausser den septischen, von
Bauchfuss erwähnten Fällen, die immer gleich schlechte Re¬
sultate bedingen. Ist der Fall frisch, so ist die Intubation am
Platze, ist bereits Herzschwäche, Kriifteverfall da, wirkt allein
noch die Tracheotomie segensreich. Bei letzterer ist die Athmung
und Expectoratlon freier, während nach der Intubation die Ex-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
pectoration, worauf schon Frister hinwies, beinahe voll¬
kommen aufgehoben ist. S. weist noch darauf hin, dass trotz
schwerer Diphtherie im Krankenhaus die Mortalität nach Ein¬
führung der Tracheotomie besser geworden sei, doch seien die
Erfahrungen von 2 Jahren noch nicht gross genug, um im Sinne
S 1 e g e r t’s zu sprechen.
Trumpp- München spricht sich für alle Fälle für möglichst
frühzeitige Intubation aus. Man solle dieselbe auch dem prak¬
tischen Arzte überlassen, aber auch dafür sorgen, dass er sowohl
diese wie auch die Tracheotomie erlerne.
v. S o n t a g - Ofen-Pest ist principiell für primäre Intubation,
allerdings mit Auswahl der Fälle zur Tracheotomie. Unter 230
Diptheriefiillen bekamen 119 Stenosen: 54 davon heilten ohne
chirurgischen Eingriff (45 Proc.), bei G5 wurde ein Eingriff ge¬
macht, darunter heilten 33, d. h. 52 Proc. S. theilt die Sektions¬
befunde mit.
Herr S e 11 e r - Solingen findet, dass der Genius epidemicus
diphth. im Sinken ist. Macht genau mit gutem Erfolg die Intuba¬
tion gerade bei Kindern unter einem Jahre. Er benutzt als
Wache für die Intubirten seine unterrichteten Krankenhaus¬
schwestern.
Herr S i e g e r t - Strassburg (Schlusswort): Die Forderung
des Herrn IUuchf usa nach Berücksichtigung der Natur des
Eiuzelfalles entspricht dem ersten Punkt meiner 3 Forderungen
am Schluss. Die vorzüglichen Erfolge des Herrn Baglnsk y
zeigen in schönster Weise die hohe Bedeutung der primären und
sekundären Tracheotomie im iutubireiulen Spital. Auch die Aus¬
führungen des Herrn Sol t mann unterstützen meine Schlüsse.
Was die Privatpraxis anbelangt, so weise ich nochmals darauf
hin, dass die Tracheotomie hier fast nie nöthlg wird, die elegante,
lucrative Intubation aber immer leicht zur Anwendung gelangen
wird. Herrn S o n t a g gegenüber weise ich auf B o k a i’s Er¬
fahrung hin, der auch Fülle von Membranen bis in die feinsten
Bronchien mit der Intubation geheilt hat, was ich für die Tracheo¬
tomie von mehreren Fällen behaupten darf. So hoffe ich, die all¬
gemeine Einführung der Intubation durch mein Referat nach
Kräften gefördert zu haben und schliesse: nur Intubation und
Tracheotomie vereint und am rechten Platze versprechen uns den
besten Erfolg bei der Diphtherie des Kehlkopfs im Kindesalter.
8. Herr H. Leo -Bonn: Zur Phosphorbehandlung; der
Rachitis.
Während Leo früher niemals, trotzdem er seit Einführung
der Phosphortherapie dieselbe verwerthet, Störungen schwerer
Art nach Gebrauch von P. bei Kindern gesehen hat, hat er vor
Kurzem 2 Todesfälle beobachtet, die auf die interne Anwendung
des Phosphors zu beziehen sind. Beide Kinder zeigten klinisch
ungefähr die gleichen Erscheinungen: Icterus ä Apathie, das
eine auch eine Lebervergrösserung. In dem einen Fall war nur
kurze Zeit (im Ganzen 0,015) Phosphor verabreicht, in dem
anderen (chronischen) Fall mit Lebervergrösserung ca. 6 Monate
lang, wenngleich mit Unterbrechungen. In beiden Fällen trat
nicht allzulange nach Auftreten der klinischen Erscheinungen
der Tod ein. Im letzteren Fall wurde die Sektion verweigert, im
ersten Falle ergab der pathologische Befund eine fettige Degene¬
ration der Leber, Nerven und des Herzens. Die pathologische
Diagnose wurde auf Phosphorvergiftung gestellt.
Der Vortragende hebt hervor, dass er niemals die vorge¬
schriebenen Phosphordosen überschritten habe und kleinere Dosen
verordnet habe als sie z. B. Flachs angebe.
Nach den letzten beiden traurigen Ereignissen stellt sich
Leo, welcher stets von einem günstigen Einfluss auf den Allgo-
ineinzustand bei Rachitis überzeugt gewesen ist, auf den Stand¬
punkt, entweder das Mittel nunmehr ganz fortzulassen oder die
Dosis herabzusetzen.
Discussiou: Herr Soltmann - Breslau: Abgesehen
von dem von Ihm vertretenen Standpunkt, dass der Phosphor die
Rachitis günstig beeinflusst, wenn auch nicht direkt durch Beein¬
flussung des Knochenwachsthums, so doch durch eine Verbesse¬
rung des Stoffwechsels und damit schliesslich auch der Knoclien-
entwiekelung, so kommt, es nach Soltman n's längst vertretener
und auch oft publicirter Ansicht vor Allem darauf an, dass der
Phosphor in Oel richtig verabreicht wird. Die Apotheker müssen
eine Lösung von Phosphoröl fertig halten von 1:500 (nicht aber
von 1:80), in der der Phosphor nicht ausfälit. sondern gelöst
bleibt. Von dieser Lösung hat dann der Apotheker bei ärztlicher
Verordnung (von 0,01/100) nur 5 g zu nehmen (worin 0,01 Phosphor
enthalten ist) und noch 95 g Oel zuzusetzen, lieber einfaches Oel
als Leberthran, weil durch letzteren die Wirkung des Phosphor
verdeckt werde.
Herr Falken hei m- Königsberg gibt nur eine Dosis täg¬
lich von «1er 0,01 proc. Lösung, wie es nach seiner Meinung
Kassowltz empfohlen hat, also 0,0005 pro die. Von dem Er¬
folg einer Phosphorkur ist er bei 10 jähriger Anwendung über¬
zeugt.
Herr Gernsheim - Essen hat ausser leichten Gastritiden
nie etwas Schädliches bei der Phosphorauwendung gesehen. G.
gibt allerdings sehr kleine Dosen; seine Verordnung lautet:
Phosphor 0,01
Ol. amygd. dulc. 10,0
Ol. eort. aurant. gtt. IV.
Ds. 3 mal täglich 1 Tropfen, allmählich steigend bis auf 3 Tropfen.
Iit‘rr S c h 1 o ss m a n n - Dresden: Der Phosphor fällt nicht
aus, sondern wird bisweilen in kleinen Mengen oxydirt; die
Zweite l’schen ungünstigen Versuche beruhen wohl auf Ver¬
suchsfehlern. S. hält den Causalnexus zwischen der Phosphor¬
darreichung und dem Tode der Kinder von Herrn Leo nicht er¬
bracht.
Herr Ritter- Berlin betont, dass bereits von Kassowltz
die von Gernsheim angeführte Verordnung angegeben ist Im
Uebrigen hat er eine Reihe von Phosphorvergiftungen gesehen,
wo das Medicament erbrochen, daher nicht resorbirt worden
ist, es seien daher die chronischen Vergiftungen mehr als die
akuten zu fürchten.
Herr Thomas- Freibtirg: Kassowltz verordnet 2 mal
täglich Phosphor (zu 0,0005), nicht nur einmal. Das Mittel macht
bisweilen leichte Verdauungsstörungen, aber sicher in den vor¬
geschriebenen Dosen keine Intoxikationen. Der von Leo ge¬
gebene Sektionsbericht enthält nichts von miliaren Haemorrhagien
im ganzen Körper, nichts von fettiger Entartung der wilikürlidmn
Muskulatur; Thomas hielt ihn nicht für beweisend für Phos¬
phorintoxikation.
Herr Leo-Bonn (Schlusswort): L. gibt zu, dass der Phos¬
phor. wie es Schlossmann verlangt, als eudgiltiger Beweis
der Phosphorvergiftung In den Organen nicht nachgewiesen ist.
Indessen hielt der Vortragende, der sich früher lange mit ex¬
perimenteller Phosphorvergiftung beschäftigt hat. Herrn Schloss-
m a u n entgegen, dass in Fällen von Phosphorvergiftung bei
heftiger Degeneration der Phosphornachweis häufig ausbleibt.
Daher ist dies Desiderat nicht ausscldaggel>end. Dass die .fettige
Entartung nicht durch andere Erkrankungen bedingt sein konnte,
konnte L. bei Mangel solcher ausschliessen.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Kreisversammlung; oberpfälzischer Aerzte.
lt e g e n s b u r g, 10. Oktober 1901.
Heute fand dahier im Hötel „Grüner Kranz“ die Kreisver¬
sammlung oberpfälzischer Aerzte für das Jahr 1901 statt. Aus
allen Thellen der Oberpfalz waren zahlreiche Gäste eingetroffen
und alle Vereine hatten ihre Vertreter geschickt. Bevor ln die
Tagesordnung, Abhaltung wissenschaftlicher Vorträge, Kraukeu-
vorstelluug etc., eingetreten wurde, theilte der I. Vorsitzende,
Herr I>r. K o h 1 e r - Regensburg mit, dass die Aeuderungen,
welche der Abgeordnete v. Landmnnn als Referent ül>er den
G e s e t z e n t wurf, betreffend die ärztliche St a n -
des- und Ehrengerichtsordnung, beim zehnten be¬
sonderen Ausschuss «ler Kammer der Abgeordneten beantragt,
derartige seien, dass man schnellstens un«l auf's energischste da¬
gegen .Stellung nehmen müsse, sollen nicht auf's Neue die vitalsten
Interessen «l«‘s bayerischen Aerztestandes mit Füssen getreten und
auf unabsehbare Zeit wieder die alten beschämenden, den Aerzte-
stand entwürdig«>nden, misslichen Verhältnisse ad calendas graecas
weiterbesteheu. Er ertheilt sodann zu dieser Angelegenheit
Dr. D o e r f 1 e r - Regensburg das Wort. Derselbe liest zunächst
die Landman u’schen Abänderungen vor (vergl. den Artikel von
Dr. Becker auf S. 1*581 dieser Nummer) und äussert sich
unter energischen Zurufen und lebhaftestem Beifall etwa folgen-
(lermaassen: Seit Jahren arbeite die bayerische und deutsche
Aerztescliaft daran, eine ärztliche Standes- und Ehrengerichts¬
ordnung zu erhalten, die ihr das Recht geben soll, Ordnung und
gute Zucht zu halten im eigenen vielgeschmäliten Hause: die
sämmtlichen Aerztevereine Bayerns hätten einstimmig und drin¬
gendst ihre Aerztekanmiern beauftragt, bei der zuständigen lie-
gierung «lafür mit aller Kraft «dnzutreten. Dies sei geschehen.
Alle 8 Kammern haben einstimmig dafür gewirkt, die Regierungen,
von der dringendsten Nolhweudigkeit einer ärztlichen Standes-
und Ehrengerichtsonlnung selbst längst und fest überzeugt, haben
den Kutw.urf befürwortet, das k. Ministerium hat denselben gut-
geheisseu und Hin dem Landtag zur Berathung vorgelegt und zur
Genehmigung! Dafür musste zunächst ein Referent bestellt wer¬
den. der Abgeonlnete v. L andrnan n, und was thut dieser? Mit
ein paar Federzügen wirft er das, was Tausende von Aerzten seit
Jahren sehnsüchtig erstreben, was die Aerztekammeru, zusammen¬
gesetzt aus den berufensten Vertretern des bayerischen Aerzte¬
standes, nach ernster Berathung schaffen, was Regierungen und
Ministerium billigen und zur Genehmigung l>eautragen, leichten
Herzens über den Haufen, und wagt den Aerzten einen Zusatz zu
dem Entwürfe anzubieten, der ihr ganzen Streben zur leeren
Farce und den ganzen Entwurf zu Schanden macht. Tiefe Em¬
pörung muss jeden deutschen und bayerischen Arzt erfüllen, der
noch auf Selbsta« , htung und sittliche Höhe seiner selbst hält, wenn
er «lie Land in a n löschen Zusätze liest. Sie machen nicht nur
den ganzen Entwurf zu einem wertlilosen Wische, sondern dieser
Zusatz bedeutet auch einen Faustschlag in's Gesicht der baye¬
rischen, ja «ler ganzen deutschen Aerztescliaft! Meine Herren! Wir
wissen, dass der Abgeordnete v. L a n d tu a n u dem Aerztestande
an sich nicht günstig gesinnt ist; hat er ja beispielsweise versucht,
den Amtsäraten die Impfgebühren zu entziehen dadurch, dass er
beantragte, dass das Impfen der Amtsärzte zu den nicht remune-
rlrten dienstlichen Verpflichtungen gerechnet werde, und anderes.
Aus seinen Zusatzanträgen sehen wir aber auch, dass er offenbar
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15. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1681
eine juristische und eine medlclnlsche Ehre unterscheidet, und die
Ehre der Aerzte wird natürlich wieder an zweite Stelle herab¬
gedrückt, indem er denselben grossuiüthig zugesteht, dass sie dann
ein ehrengerichtliches Verfahren eiuschlageu können gegen ein¬
zelne Mitglieder, wenn es sich um einen Vorgang handelt, welcher
auch bei gebildeten Niehtärzten als ehrenrührig angesehen wird!
M. H.! Das ist ja unerhört. Man müsste darüber lachen, wenu's
nicht so furchtbar ernst wiire und — traurig, dass man heute dem
ärztlichen Stande so etwas bieten darf! Es muss schlimm um
uns und unsere gute Sache stehen, wenn v. Land mann es wagen
kann, derart mit den bayerischen Aerzten umzuspringen! M. II.!
Es ist eben immer wieder das alte traurige Lied, dass ein Jurist
bestellt ist zum Heferenten in rein ärztlichen Standes- und Ehren¬
fragen, ein .Jurist, der in diesem Falle in erster Linie dem ärzt¬
lichen Staude nicht elnmul (las unparteiische Wohlwollen entgegen¬
bringt, das mau von vornherein von jedem korrekten Referenten
verlangen muss und darf, sondern der offenbar auch nicht das
leiseste Verstiindniss dafür hat, wie schwer auf dem ärztlichen
Stande die Zugehörigkeit zur Gewerbeordnung lastet, wie tief das
Ehrgefühl des einzelnen Arztes dadurch ständig verletzt wird und
wie korrumpirend dieses unselige Gesetz der Zugehörigkeit zur
Gewerbeordnung auf den deutschen Aerztestand gewirkt hat! Was
würde derselbe sachverständige Herr v. L a n d m a u u sagen,
wenn ein Arzt zum Referenten bestellt würde über ein ähnliches
juristisches Thema, z. B. die Standesordnung der Rechtsanwälte
oder Richter betreffend. Da würde Zeter und Mordio gerufen
durch’s ganze Land und es heissen: „Die Jurisprudenz den
Juristen! Aber lud den Aerzten ist das ganz etwas anderes! Das
versteht der Jurist Herr v. Land mann selbstverständlich aus¬
gezeichnet! Wir aber rufen: „Die ärztlichen Angelegenheiten den
Aerzten“, sonst erhalten wir wieder solch’ eine Missgeburt, wie
schon so oft — von den Herren Juristen! Möchte doch endlich ein¬
mal dieses bescheidene Recht den Aerzten zugestanden werden,
das jeder einzelne Staatsbürger hat, nur der Arzt nicht, nämlich
Ul>er seine eigenen Angelegenheiten selbst zu urtheileu! M. II.!
Wir wollen und können uns das, was der Abgeordnete v. L a n d -
mann uns bietet, nicht gefallen lassen, eiustinnnig, wie ein
Manu sollen die bayerischen Aerzte sich erheben und laut prote-
stireu gegen die unwürdige Zumuthung des Referenten!
Und sollte der Zusatz des Herrn Referenten zur Wirklichkeit
werden, m. H„ dann verzichten wir auf die ganze Ehrengerichts¬
ordnung und halten strenge Zucht unter uns und Uebung der
Kollegialität bis ein besserer Stern uns aufgeht.
Ich bitte Sie nun, folgende Resolution anzunehmen:
Der heute in Regensburg tagende, von zahlreichen Aerzten
aus allen Theilen der Ol>erpfulz besuchte „überpfälzische Aerzte-
tag“ erhebt einstimmig entrüsteten Protest gegeu die von dem
Abgeordneten v. Laudmau n in seinem Referat über die neue
ärztliche Standes- und Ehreugerichtsorduuug zu Abs. 3 ge¬
schaffenen Zusätze, und erklärt, dass:
1. dadurch der ganze Entwurf für den ärztlichen Stand un¬
annehmbar und gänzlich werthlos wird, und dass
2. dadurch Uber die alten misslichen Verhältnisse nur ein
neuer, etwas glänzender nusstuftirter Deckmantel geschaffen wird,
unter welchem die schmutzigen Elemente des ärztlichen Standes
auch fernerhin unbehelligt und straflos ihr staudeswidriges Treiben
fortsetzen können, dass
3. in den Schlusssätzen eine Herabsetzung der ärztlichen
Standesehre enthalten ist, die einer schweren Beleidigung des
ganzen Aerztestaudes gleichzuachten ist, und dass
4. die Annahme des v. Land m a n n’schen Zusatzes den
ganzen jahrelangen ehrlichen Kampf der bayerischen und
deutschen Aerzte um eine würdige Stamlesorduung auch des klein¬
sten Erfolges berauben würde.
Unter brausendem Beifall wurde die Resolution einstimmig
angenommen und beschlossen, sie als Protest zur öffentlichen
Kenntniss zu bringen. Mögen die übrigen Kreis- und Aerzte-
vereine sich schleunigst der Regensburger Resolution anschliesseu!
Eile thut uoth!
VII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und
Neurologen
am 10. und 20. Oktober d. J. ln Jena,
Sonnabend, den 19. Oktober, von 8 Uhr Abends an:
Gesellige Vereinigung im Ilötel zum schwarzen Bären.
Sonntag, den 20. Oktober: I. Sitzung: 9 Uhr Vor¬
mittags. in der Ohrenklinik (Projektionsapparat); II. Sitzung:
1 Uhr Nachmittags, in der psychiatrischen Klinik; Festmahl:
4 y, Uhr Nachmittags, im Hötel zum schwarzen Bären.
Tagesordnung.
1. Herr H i t z i g - Halle: Aufklärung einiger Streitpunkte in
der Lokalisationslehre. — 2. Herr K ö s t e r - Leipzig: Ueber den
Ursprung des Nervus depressor. — 3. Herr V o i g t - Göttingen:
Ueber Neurofibrillen. — 4. Herr 111 b e r g - Sonnenstein: Ueber
das Centralnervensystem eines 2 tägigen Hemicephalen. — 5. Herr
W e b e r-Göttingen: Hyaline Gefiissdegeneration als Ursache
miliarer Hirnblutungen. — 6. Herr A s c h a f f e n b u r g - Halle:
Berufsgeheimniss (§ 300 St. G. B.) und Psychiatrie. — 7. Herr
S 1 e f e r t - Halle: Ueber das Careinom der weichen Häute des
Centralnervensystems. — 8. Herr S c h ä f e r - Blankenhain: Das
Verhalten der Cerebrospinalfiiissigkeit bei psychisch Kranken. —
9. Herr Möbius- I^eipzig: Serumbehandluug der B a s e d o w'-
schen Krankheit. — 10. Herr Sänger- Hamburg: Ueber frei¬
williges Hinken. — 11. Herr Windscheid - Leipzig: Die durch
Arteriosklerose bedingten Nervenleiden. — 12. Herr Warda-
Blankenburg: Ueber die sog. psychischen Zwangszustände. —
13. Herr B i n s w a n g e r - Jena: Spiritismus und Geistesstörung.
— 14. Herr Strohmayer -Jena: Ueber die Bedeutung der Iu-
dividualstntistlk in der Erblichkeitsfrage. — 15. Herr Stier-
Jena: Ueber Geisteskrankheiten und ihre Behandlung beim Militär.
— 10. Herr Berger-Jena: Zur Kasuistik der Hirntumoren. —
17. Herr Mainzer- Jena: Einfluss geistiger Arbeit auf den Harn¬
stoff Wechsel.
Wenn auch eine Zeitdauer für die einzelnen Vorträge nicht
bestimmt ist, so wird doch gebeten, dieselben thunliclist nicht über
20 Minuten und diejenige der Bemerkungen in der Discussion
nicht über 5 Minuten auszudehnen.
Anmeldungen zu weiteren Vorträgen werden baldigst, An¬
meldungen zu der Theilnahme am Festmahl (Gedeck 4 M.) werden
bis zum 15. Oktober an den I. Geschäftsführer (Biuswanger-
Jena) erbeten. Die Herren Theilnehmer werden in der Lage sein,
die Abendschnellzüge in der Richtung Weimar, Gera, Gross-
heringeu und Saalfeld zu benutzen.
Das Hötel zum schwarzen Bären und das Hotel zur Sonne
werden als Absteigequartier empfohlen.
Gäste sind willkommen.
Die Geschäftsführer:
Binswanger - Jena. Schäfer- Blankenhain.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Die ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung in
Bayern.
Von Dr. Carl Becker in München.
Um das Schicksal des Gesetzentwurfes, die ärztli.he Standes-
und Ehrengerichtsorduung betr., sind die Würfel in's Rollen ge-
rathen. Au den besonderen Ausschuss der bayerischen Abgeord¬
netenkammer, welchem dieser Gesetzentwurf zur Vorberathung
überwiesen ist, hat der Referent, Herr Abgeordneter v. Land¬
mann, nachstehenden Antrag gestellt:
„M ünchen, den 3. Oktober 1901.
Ich kann mich nur für eine gesetzlich genau flxirte Ehren¬
gerichtsordnung aussprechen und beantrage daher folgende Aende-
rungen:
Art. 1. Für den Bezirk jeder Aerztekammer wird ein ärzt¬
liches Ehrengericht, für den Umfang des Königreiches ein ärzt¬
licher Ehrengerichtshof gebildet.
Art. 2. Die Zuständigkeit des Ehrengerichtes erstreckt sich
auf die approbirten Aerzte mit Ausnahme:
1. derjenigen, für welche bereits ein staatliches Disciplinar-
verfaliren besteht,
2. der Militärärzte,
3. der Militärärzte des Beurlaubtenstandes während Ihrer Ein¬
ziehung zur Dienstleistung.
Art. 3. Der Arzt ist verpflichtet, seine Bemfsthätigkelt ge¬
wissenhaft auszuüben und durch sein Verhalten in Ausübung des
Berufs soAvie ausserhalb desselben sich der Achtung würdig zu
zeigen, die sein Beruf erfordert.
Ein Arzt, welcher die ihm obliegenden Pflichten verletzt, hat
die ehrengerichtliche Bestrafung verwirkt.
Politische, Avissenschaftliche und religiöse Ansichten oder
Handlungen eines Arztes als solche können uiemals Gegenstand
eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden. Die durch die Reiclis-
geAverbeorduuug festgelegte Freiheit des ärztlichen Berufes darf
in keiner Weise beeinträchtigt werden.
Es kann daher insbesondere die Form und der Inhalt der
verschiedenen Ankündigungen, das Anbieten brieflicher Behand¬
lung, der Kauf oder Verkauf der ärztlichen Praxis, das Heilver¬
fahren, die Anwendung von Heilmitteln aller Art, die unentgelt¬
liche Behandlung von Patienten, das ärztliche Honorar, der Ab¬
schluss von Verträgen mit öffentlichen und pri\ f aten Korpora¬
tionen, die BeAverbung um ärztliche Stellen aller Art, der Verkehr
mit den Patienten anderer Aerzte, das Verhalten bei Konsilien
nicht Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden, in-
sofeme es sich hiebei nicht um einen Vorgang handelt, Avelcher
auch bei gebildeten Nichtärzten als ehrenrührig angesehen wird.
Art. 4. Zuständig ist das Ehrengericht derjenigen Kammer,
in deren Bezirk der Arzt, gegeu welchen das ehrengerichtliche
Strafverfahren gerichtet ist. zur Zeit der Erhebung der Klage
seinen Wohnsitz, oder in Ermangelung desselben, seinen Auf¬
enthalt hatte.
Zu Art. 5. Ohne Erinnerung — nur mit der Aenderung
„Ehrengericht“ statt „Ehrenrath“.
Diese letztere Bemerkung soll auch für alle Ubrigeu Artikel,
in Avelchen vom „Ehrenrnth" die Rede ist. gelten.
Art. 0. Von dem Vorsitzenden des Ehrengerichtes wird Ter¬
min zur Verhandlung anberaumt, zu welchem sämmtllche Mit¬
glieder des Ehrengerichtes und der Augeschuldigte zu laden sind.
Abs. 2 unverändert.
Abs. 3. Die Verhandlung ist nicht öffentlich; den Mitgliedern
der Aerztekammer ist jedoch der Zutritt gestattet, anderen Per¬
sonen nur auf Antrag des Angeschuldigten.
Zu Art. 7. Ohne materielle Erinnerung.
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1682
MtTENCIIENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 42.
Zu Art. 8. Die Geldstrafe dürfte in maximo zu hoch gegriffen
sein; ich beantrage Geldstrafe bis zu 300 M. Die öffentliche Be¬
kanntmachung soll nur dann zulilsslg sein, wenn es sich um einen
Vorgang handelt, welcher auch die Oeffentlichkeit beschäftigte.
Zu Art. 9 und 10. Ohne Erinnerung.
Zu Art. 11. Es dürfte zu erwägen sein, ob nicht eine Re¬
visionsinstanz zu schaffen ist.
Zu Art. 12. Ohne Erinneruug.
Zu Art. 13. Wenn keine Revisionsinstanz geschaffen wird,
muss den Distriktsverwaltungsbehörden die Befugniss eingeräumt
werden, die Beihilfe zu verweigern, wenn sie die Ueberzeugung
haben, dass im gegebenen Falle das Gesetz verletzt wurde; Ver¬
mögensexekution wäre den Gerichtsvollziehern zu übertragen.
Zu Art. 14. Die Erhebung von Beiträgen durch die Aerzte-
kammer und die ärztlichen Bezirksvereine halte ich nicht für
nöthig.
Zu Art. 15. Vollzugsverschrifteu dürften bei Art. 3 ausge¬
schlossen sein.
Wenn meinem Anträge entsprechend eine Standesordnung
nicht genehmigt wird, ist selbstverständlich auch die Ueberschrift
entsprechend zu ändern. v. Landman n.“
Noch ehe der Gesetzentwurf Uber die ärztliche Standes- und
Ehrengerichtsordnung in dem besonderen Ausschüsse zur Vor-
berathuug gestellt wird, sollte in ärztlichen Kreisern entschieden
Stellung gegen den Antrag des Referenten genommen werden.
Jedenfalls werden sich auch die Vorsitzenden der 8 bayerischen
Aerztekamntern, die am 13. ds. Mts. zu der alljährlichen Vor¬
besprechung ln Nürnberg Zusammenkommen, über die nunmehr
erforderlichen Schritte sich schlüssig machen, insbesondere dar¬
über, ob nicht nach den v. Landman n’schen Anträgen noch¬
mals eine eingehende Motivirung für die Notliwendigkeit einer
ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnuug der Kammer der
Abgeordneten unterbreitet «'erden soll. Denn so. wie der Re¬
ferent Herr v. Land mann die Vorlage der k. Staatsregierung
abgeändert wissen will, kann sie niemals die Zustimmung der
bayerischen Aerzteschaft linden.
Abgesehen von der Anregung, ausser der Berufungsinstanz,
dem Ehrengerichtshofe noch eine dritte, eine Revisionsinstanz
zu schaffen, sind die Anträge des Herrn v. Land mann nur
negative, sie streichen aus dem vorzüglichen Gesetzentwürfe
(siehe Münch, med. Wochenschr. 1899, No. 41) rein Alles, worauf
die Mehrheit der bayerischen Aerzte von Jeher den grössten Werth
legen musste.
Nach dem Gesetzentwürfe sollen sämmtliche Aerzte, «'eiche in
Bayern Praxis ausiiben. einer Standes- und Ehrengerichtsordnung
unterstehen. Die Standesordnung, «'eiche die den Aerzteu
in Ausübung ihres Berufes und zur Wahrung der Stajulesehre
obliegenden Pflichten enthält, wird nach Einvernahme der Aerzte-
kainmern und des Obermedicinalausschusses durch das Staats¬
ministerium des Innern erlassen. Die Standesorduung sollte nur
auf dem Verorduungswege erlassen «'erden und* in das Gesetz
selbst Aufnahme nicht finden, um dem Jeweiligen Bedürfnisse,
den Erfahrungen und wechselnden Auffassungen leichter Rech¬
nung tragen zu können und nothwendig werdende Abänderungen
nicht dadurch zu erschweren, dass sie immer erst die gesetzgeben¬
den Körperschaften passiven müssen.
Herr v. Landmann spricht sich nun in seinem Referate
gegen eine Standesordung aus; der Grund hierfür ist zunächst
unbekannt In Preussen ist allerdings von dem Erlasse einer
Standesoidnung abgesehen und das Verhalten der Aerzte lediglich
der ehrengerichtlichen Beurtheilung anheimgegeben. Dieser Stand¬
punkt hat in Bayern bis jetzt von keiner Seite eine Vertretung
gefunden. Weil die Verteidigung der Standesehre gegen Ueber-
griffe und Ausschreitungen nicht nur durch ehrengerichtliche B e -
Sträfling erfolgen soll, sondern die Tendenz des Gesetzent-
W'urfes darauf hinausgeht, solchen Handlungen, die Ehre und An¬
sehen des ärztlichen Standes herabwürdigeu, durch eine Fest¬
stellung der Berufspflichten vorzubeugen, Aerzte. deren Ver¬
halten mit der Standesordnung nicht in Einklang steht, hierauf
aufmerksam zu machen, damit vertrauliche Mahn¬
ungen und Warnungen zu verbinden oder die Einleitung
des ehrengerichtlichen Verfahrens anzudrohen,
gerade wegen dieser Prophylaxe legen die bayerischen Aerzte auf
den Erlass einer Standesordnung grossen Werth. Wenn in der¬
selben auch nicht sofort alle Berufs- und Standespflichten eines
Arztes festgestellt oder alle denkbaren Verstösse dagegen auf¬
gezählt sein können, so wird eine solche gleichwohl für die Ent¬
scheidungen der Ehrengerichte und des Ehrengerichtshofes eine
werthvolle Unterlage und wichtige Anhaltspunkte geben, sie wird
vor allen Dingen dem jungen Arzte, der von der Universität in
die Praxis hinübertritt eine Richtschnur vorzeichuen, nach der
er sein Verhalten einzurichten hat. Eine Standesordnung ist da¬
her, wenn auch nicht unumgänglich nothwendig, doch auch nicht
gut zu entbehren.
Sollte die Kammer der Abgeordneten und der Reiclisräthe sich
nur für eine Ehrengerichtsordnung, nicht zugleich für eine Standes¬
ordnung aussprechen, so wird sich eben nach und nach aus den
Entscheidungen der Ehrengerichte und des Ehrengerichtshofes
eine Art von Standesordnung hernusbilden. Bei der Entwicklung
dieser würde Jedoch — und das Ist zu betonen für Diejenigen,
welche den Aerzten nicht durch eine Standesordnung grössere
Disciplinarbefugnisse gewähren wollen — das k. Staatsmini¬
sterium des Innern nur durch den als Mitglied des Ehrengerichts¬
hofes ernannten Verwaltungsbeamten Einfluss haben, nicht aber
schon bei Erlass der Standesordnung, wie dies der Entwurf vor¬
sieht, eine autoritative Stellung eiuuehmen.
Was nun die Ehrengerichtsordnung anlangt, so hat
Herr v. L a n d m a n n in seinem Abänderungsantrage zu Art. 3
zunächst die §§ 28 und 62 der Rechtsauwaltsordnung hertiber-
genornmen, deren Inhalt andernfalls in die Standesordnung auf¬
genommen worden wäre, wie auch die Bestimmung, dass poli¬
tische, wissenschaftliche und religiöse Ansichten oder Handlungen
eines Arztes als solche nicht Gegenstand eines ehrengerichtlichen
Verfahrens bilden können. Der zweite Absatz des Art. 3 würde
sich nur insoferne mit den Anschauungen der Aerzte decken, als
sie gegen einen Arzt, der die ihm obliegenden Pflichten verletzt
unter Umständen auch mit einer ehrengerichtlichen Bestrafung
Vorgehen wollen, er weicht aber dadurch weit von ihnen ab, dass
er die viel milderen Hinweise auf ein unkorrektes Verhalten, die
Mahnungen und Verwarnungen ausschliesst
Den grössten Widerspruch fordern die weiteren Sätze des
Referenten heraus. Obwohl er zuerst dafür sich ausspricht, dass
der Arzt verpflichtet ist, seine Berufsthätigkeit gewissenhaft aus-
zuiibeu und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufs sowie
ausserhalb desselben sich der Achtung würdig zu zeigen, die sein
Beruf erfordert und derjenige Arzt welcher die ihm obliegenden
Pflichten verletzt, die ehrengerichtliche Bestrafung verwirkt fährt
er, sich selbst widersprechend fort: „Die durch die Reichsgewerbe-
ordnuug festgolegte Freiheit des ärztlichen Standes darf in keiner
Weise beeinträchtigt werden. Es kann daher insbesondere
die Form und der Inhalt der verschiedenen Ankündigungen, das
Anbieten brieflicher Behandlung, der Kauf oder Verkauf der
ärztlichen Praxis, das Heilverfahren, die Anwendung von Heil¬
mitteln aller Art, die unentgeltliche Behandlung von Patienten,
das ärztliche Honorar, der Abschluss von Vertrügen mit öffent¬
lichen und privaten Korporationen, die Bewerbung um ärztliche
Stellen aller Art, der Verkehr mit den Patienten anderer Aerzte,
das Verhalten bei Konsilien nicht Gegenstand eines
ehrengerichtlichen Verfahrens bilden, insoferne es
sich hiebei nicht um einen Vorgang handelt, «'elcher auch bei
gebildeten Nichtärzten als ehrenrührig angesehen wird.“
Es wurde mich lnteressiren, In welchem Paragraphen der
Reichsgewerbeordnung Herr v. Landmann die „Freiheit des
ärztlichen Berufes“, die er übrigens mit Zügellosigkeit zu ver¬
wechseln scheint, „festgelegt“ sieht. Von der in der Gewerbe¬
ordnung gewährten Freiheit des ärztlichen Berufes kenne ich nur
die, dass die Aerzte in der Wahl ihres Wohnortes nicht beschränkt
sind (§ 29, Abs. 3). dass sie die Heilkunde auch im Umherziehen
ausüben dürfen (§ 56a, Abs. 1, Ziff. 1), dass die Bezahlung der
approbirten Aerzte der Vereinbarung überlassen bleibt und nur
als Norm für streitige Fälle Taxen von den Centralliehörden fest¬
gesetzt werden können (§ 80, Abs. 2), schliesslich, dass die für
Medicinalpersonen bestehenden besonderen Bestimmungen, welche
ihnen unter Androhung von Strafen einen Zwang zu ärztlicher
Hilfe auferlegen, aufgehoben werden (§ 144, Abs. 2). Aber wo,
frage ich jeden Juristen, ist ln der Gewerbeordnung die Freiheit
festgelegt, dass ein Arzt marktschreierische Reklame treiben,
briefliche Behandlung öffentlich anbieten, eine ärztliche Praxis
kaufen oder verkaufen, mit notorisch werthlosen Heilverfahren
und Heilmitteln seinen Patienten das Geld aus der Tasche ziehen,
sich mit Kurpfuschern identiflziren, durch öffentliche Zusicherung
billigerer Behandlung seine Clientei vermehren oder bei Bewerb¬
ungen um ärztliche Stellen aller Art sich aufdrängen und seine
Konkurrenten unreell unterbieten und herabsetzen, Patienten
anderer Aerzte hinter deren Rücken übernehmen und an letzteren
abfällige Kritik üben und bei Consilien mit übertriebener Wichtig¬
keit sich einen besonderen Nimbus geben oder den Hausarzt un-
nöthig herabsetzen darf? Von einer solchen „Freiheit des ärzt¬
lichen Berufes“ steht in der Reichsgewerbeordnung kein .Wort.
Im Gegentheil, sie erkennt ausdrücklich au. dass es auch Berufs¬
pflichten gibt und dass nach den darüber bestehenden
Gesetzen zu beurtheilen Ist „inwiefern Zuwider¬
handlungen der Ge «'er bet reibenden gegen ihre
Berufspflichten ausser den In diesem Gesetz
erw’iihnten Fällen einer Strafe unterliegen“
(§ 144, Abs. 1). Die Reichsgewerbeordnung wird demnach, soweit
sie die ärztliche Thiltigkeit berührt, durch eine ärztliche Standes-
und Ehrengerichtsordnung nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern
vielmehr ergänzt.
Gerade diejenigen Verfehlungen, mit «'eichen am häufigsten
gegen Ehre und Ansehen des ärztlichen Standes gesündigt wird,
will Herr v. Landmann dem ehrengerichtlichen Verfahren ent¬
zogen wissen. Was bleibt dann noch übrig für die Ehrengerichts¬
ordnung? So gut «’ie Nichts. Es sollen sogar den ärztlichen
Standesvereinen die Hände gebunden werden; sie sollen da nicht
eiuschreiten dürfen, wo zunächst der Hebel zu einer Besserung
der gegenwärtigen Lage anzusetzeu ist. Die meisten der vor¬
stehend nicht erwähnten Verfehlungen gegen die ärztlichen Berufs¬
pflichten konnten bisher unter Umständen strafrechtlich ver¬
folgt werden und dieser Weg könnte auch in Zukunft beschritten
«•erden. Aber wer «-ird es denn gut heissen, wenn alle Ver-
geaen, die sich Aerzte gegen ihre Berufspflichten aus Unkenntniss
oder Leichtfertigkeit zu Schulden kommen lassen, vor dem öffent¬
lichen Gerichte abgehandelt werden, die Aerzte mit Beleidigungs¬
klagen vor Gericht kommen oder sich gegenseitig «regen unlauteren
Wettbewerbes belangen? Solche öffentliche Verhandlungen, die
das Publikum vom „Brodneid“ der Aerzte reden macht, über die
jeder anständige Mann verächtlich die Achseln zuckt, die müssen
vermieden werden, wenn sie nicht die Achtung vor dem ärztlichen
Berufe noch mehr untergraben sollen, und gehören nicht vor die
öffentlichen Gerichte, sondern vor das Forum des Ehrengerichtes.
Da die Ehrengerichte über jede lokale Beeinflussung über¬
hoben sind und nur am Sitze jeder Aerztekainmer, also ln jeder
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15. Oktober 1901. MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1683
Kreisliauptstndt, gebildet werden, da gegen die Verurtheilung Be¬
rufung nn die höhere, aus den Delegirten s ä m m 11 i <• h e r Acrzte-
kauunern und einem vom Ministerium bestimmten Yerwaltungs-
beamten bestehenden Instanz, den Ehrengerichtshof, vorgesehen
ist, da ferner als Ehrenriehter von den Aerztekammern gewiss nur
lebenserfahrene und kollegial gesinnte Aer/.te gewühlt werden, ist
jede Befürchtung ausgeschlossen, dass etwa die Ehrengerichte und
der Ehrengerichtshof in ihrer Auffassung über die Standes¬
würde zu weit gehen, die Freiheit der Aerzte ln der Ausübung
ihres Berufes einseitig und unzulässig l>eschränken oder behufs
Verbesserung der ethischen und wirthschaftlichen Verhältnisse
der Aerzte einen ungehörigen Druck auf nichtiirztliche Kreise aus¬
üben. Speciell für die Krankenkassen trifft eine solche Befürch¬
tung nicht zu. Bisher, auch bei den in Bayern vorgekommenen
Konflikten zwischen Aerzten und Krankenkassen, waren es nie¬
mals die Aerzte. «lie Unbilliges verlangten, sondern nur die Maass-
losigkeiten der Krankenkassen, welche die Verwicklungen auf¬
rollten und die Aerzte zwangen, bei ihren Standesvereineil Schutz
zu suchen. Sollten wirklich einmal die lokalen ärztlichen Standes¬
vertretungen zu weit gelien in Ihren Forderungen an das von den
Aerzten einzuschlagende Verhalten bei einem solchen Streite und
gegen solche, die mit diesem Vorgehen nicht einverstanden sind
und den anderen Aerzten in den Rücken fallen, das ehrengericht¬
liche Verfahren anhängig machen, so bietet eben die Ehrengerichts-
ordnuug eine viel g Wisse re, ja die einzige Garantie gegen die Terro-
risirung einzelner Aerzte in den Staudesvereinen.
Herr v.Lanitinann will nur solche Vorgänge der im letzten
Absatz seines Art. 3 genannten Art dem ehrengerichtlichen Ver¬
fahren unterstellen, welche auch bei gebildeten Nicht-
ürzten als ehrenrührig angesehen werden. Er hätte dann
eigentlich beantragen müssen, dass die Handhabung der Ehren-
gerichtsordnung nicht den Aerzten selbst überwiesen werden dürfe,
sondern dass die Ehrengerichte nur durch Laien zu besetzen sind.
Wie aber bei den Schwurgerichten die einzelnen Geschworenen
je nach Beruf und Lebensstellung ein Verbrechen strenger oder
milder beurtheilen, so werden auch gegenüber den Berufsverfehl¬
ungen der Aerzte sich Immer verschiedene Meinungen unter den
gebildeten Nichtärzten zeigen. Der Eine, der in einer ärztlichen
Praxis nur ein „Geschäft“ erblickt, wird öffentliche Reklamen,
bezahlte Danksagungen in den Zeitungen. Unterbietungen der
Konkurrenz u. s. w. anders beurtheilen als Derjenige, welcher in
ähnlicher Weise wie bei Beamten. Notaren. Rechtsanwälten und
Offizieren, den Aerzten nicht nur Berufsrechte, sondern auch davon
untrennbare Berufspflichten zuerkennt und der Möglichkeit, durch
ärztliche Thiitigkeit Geld zu verdienen, desshalb gewisse mora¬
lische Grenzen gezogen wissen will, und wird für zulässig halten,
was ein Anderer als standesunwürdig ansieht. Jeder urtheilt
nach den Gepflogenheiten, die in seiner Gesellschaft und in seinem
Stande maassgebend sind. Wenn übrigens Herr v. L a n d m a u n
nur „ehrenrührige“ Vorgänge der bezeiclineten Art geahndet
wissen will, so ist zu bemerken, dass ein Verhalten sehr oft im
höchsten Grade unanständig und standesunwürdig sein kann, ohne
ehrenrührig sein zu müssen.
Da die Stellung der Aerzte mit der der Rechtsanwälte
sehr Vieles gemein hat, muss darauf hingewiesen werden, wie
diejenigen Verfehlungen gegen die Standes- und Berufspflichten,
die nach Hern v. Landmann in die ärztliche Elireugerichts-
ordnung nicht eiubezogen werden dürfen, von den Ehrengerichten
der Anwaltskammern und deren Ehreugerichtshof beurthellt
werden. Aus einem kleinen Kommentare zur Reclitsanwalts-
ordnung ist zu ersehen, dass u. A. folgende Verfehlungen durch
Entscheidung des Ehrengerichtshofes bestraft wurden: Werben
um Praxis durch besoldete Agenten und Winkelschreiber oder in
anderer anstandverletzender Weise (öffentliche Zusicherung bil¬
ligerer Bedienung. Zeitungsanzeigen), Hebertragung der Praxis
gegen Entgelt, Feilschen um die zu vereinbarende Vergütung, ge-
gewohnlieitsmässlge Gebührenerhebung unter der gesetzlichen
Taxe behufs Erweiterung der Praxis, Beleidigung von Berufs¬
genossen vor Gericht oder durch Herabwürdigung in der Presse
mler im sonstigen Verkehre; leichtsinnige Gefährdung des Rufs
eines Berufsgenossen. Was aber den Rechtsanwälten billig ist,
das sollte auch den Aerzten recht sein. Wer es mit dem ärzt¬
lichen Stande gut meint und wer ihm unter und neben den anderen
gebildeten Ständen Achtung und Ansehen erhalten will, der darf
ihm auch die Disclplinarbefugnisse nicht vorenthalten oder ver¬
kürzen, wie Herr v. Land mann es will; sonst wird Jeder mit
den Fingern auf die bayerischen Aerzte hlnweiseu und sagen:
„Ihr habt nichts gemein mit den Beamten, den Offizieren, den
Notaren, den Rechtsanwälten, mit Euem Kollegen in Preusseu,
Sachsen, Hessen u. s. w.; denn in Eurer Ehrengerichtsordnung
steht ausdrücklich, was Alles Ihr ungeahndet begehen dürft."
Quod Deus bene vertat!
An den ärztlichen Bezirksvereinen muss der
Referent, Herr v. Landmann, wenig Gefallen haben; er will
sie aus der Ehrengerichtsordnung ganz herausstreichen. Es be¬
deutet dies aber das Gegentheil einer Verbesserung. Denn nach
dem Gesetzentwürfe und seiner Begründung sind die ärztlichen
Bezirksvereine, die ja den einzelnen Aerzten In ihrem Berufsleben
am nächsten stehen, in erster Linie geeignet und berufen, die Ein¬
haltung der Standesordnung zu überwachen und zu wahren; ln
der Erfüllung dieser Aufgabe wird cs der Vorstandschaft eines
Bezirksvereines zustehen, im gegebenen Falle einen Arzt auf die
Standesordnung zunächst aufmerksam zu machen, gegen ordnungs¬
widriges Verhalten Mahnungen zu erlassen und selbst Warnungen
oder Zurechtweisungen mit Androhung ehrengerichtlichen Vor¬
gehens damit zu verbinden. Erst wenu diese Maassuahmeu zur
Aufrechterhaltung der Standesordnung gegen einen Arzt erfolglos
bleiben oder wenn solche in besonders schweren Fällen von vorne-
lierein als unzulänglich zu erachten sind, hat die Bezirksvereius-
leitung das ehrengerichtliche Verfahren zu veranlassen und zu
diesem Zwecke unter entsprechender Vernehmung des Beschul¬
digten für eine verlässige und erschöpfende Ermittlung und Fest¬
stellung des Thatbestandes, sowie Erhebung aller Beweisbehelfe
Sorge zu tragen, gegebenen Falles, namentlich wenn eidliche Ver¬
nehmungen uotliweudig werden, unter Mitwirkung der Distrikts¬
polizeibehörden.
Es wurde schon oben ausgeführt, wie hoch gerade di** vor¬
beugende Thiitigkeit der Bezirks veraine. eine kollegiale Heran¬
ziehung der jüngeren Aerzte zu den Stamlesbestrelningen und eine
wohlwollende Belehrung bei Verstössen aus Unkenntniss oder
Leichtfertigkeit anzuschlagen ist. Diese Befugnisse, die viel mehr
auf die Erhaltung der Standesehre hinwirken, als ehrengericht¬
liche Strafen, sollten den Bezirksvereinen nicht genommen werden.
Bezüglich der A u s n a h m e s t e 11 u u g ein z e lner
Kategorien v o n A e r z t e n erscheint der v. L a n d m a n n -
sehe Antrag nicht so empfehlenswert!» wie die Bestimmung des
Entwurfes, welche säm tätliche Aerzte, die in Bayern Praxis
ausülien, einer Standes- und Ehrengerichtsorduung und damit auch
der Uebcrwachung durch die Bezirksvereine unterstellt; soll Jedoch
gegen einen im Staats- oder Militärdienst stehenden Arzt das ehren¬
gerichtliche Verfahren eingeleitet werden, so ist die Angelegenheit
ohne weiteres Verfahren der Vorgesetzten Dienstbehörde vor¬
zulegen, die dieselbe im Diseipliuarwege zum Austrage bringt.
Auf die Höhe der Geldstrafen, die im Entwürfe gleichlautend
mit der Rechtanwaltsorduung in maximo 3000 M. betragen und
wovon Herr v. Landmann nur 300 M. beantragt, legen die
Aerzte kaum ein grosses Gewicht Sie erachten es auch als selbst¬
verständlich, (hiss die öffentliche Bekanntmachung einer ehren¬
gerichtlichen Strafe nur zulässig sein soll, wenn es sich um einen
Vorgang handelt, der auch die Oeflfentlichkeit beschäftigte.
Hat Herr v. Landmann den Entwurf der Standes- und
Ehrengerichtsordnung auch schon arg zerzaust, er wirft ihr in
seinem Anträge zu Art. 13 noch einen weiteren Stein in den Weg:
„Wenn keine Revisionsinstanz geschaffen wird, muss den Distrikts-
verwnltungsbehörden die Befugnlss eingeräumt werden, die Bei¬
hilfe zu verweigern, wenn sie die Ueberzeugung haben, dass im
gegebenen Falle das Gesetz verletzt wurde.“
Es ist auch hier nicht zu begreifen, warum Herr v. Lund¬
in a n u die Aerzte schlechter behandeln will als die Rechtsanwälte;
bei ihnen sind die Entscheidungen des Ehrengerichtsliofes end-
giltig und mit der Revision nicht anfechtbar. Bei der schon er¬
wähnten Zusammensetzung des iir/.tlichen Ehrengerichtsliofes
aus Delegirten siimmtlieher Aerztekammem und einem vom
k. Staatsministerium des Innern bestimmten Verwaltungsbeainten
Ist eine weitere Instanz wirklich nicht nothwendig. Im höchsten
Grade aber liefremdet die Forderung, die Entscheidungen des dem
Ministerium unterstellten Eiirangerichtshofes durch die Distrikts¬
pol izeihehürden nachprüfen zu lassen, ob nicht das Gesetz ver¬
letzt wurde.
Da Herr v. Landmann nur für eine Ehrengerichtsordnung
sich nusspricht, entfiele damit auch die Befugnlss der Aerzte-
kummern und ärztlichen Bezirksvereine — ob die Beiträge von
beiden euer nur von den Vereinen erhoben werden, ist gleieh-
glltig —. zur Erfüllung ihrer Aufgaben, soweit sie Standes-
angelegenlieiteu oder ärztliche Wohll'ahrtseiurichtungen betreffen,
von den Praxis ausübenden Aerzten des betreffenden Bezirkes
Beiträge zu erheben. Gerade für die ärztlichen llnterstützungs-
verelne. deren Leistungsfähigkeit von den einfliessenden Beiträgen
abhängt, wäre ein solches zu bedauern.
Nach all’ dem Voraufgeführten muss mau sagen: „Lielier gar
keine Ehrengerichtsordnung, als eine solche, wie sie Herr
v. Landmann in seinem Referate beantragt!" Darum richten
wir Aerzte an die hohen Kammern der Abgeordneten und der
Reichsräthe die Bitte, die v. Landmun u’schen Anträge zu ver¬
worfen und den von der k. Staatsregierung vor-
gelegten Entwurf eines Gesetzes, die ärztliche
Standes- und Ehrengerichtsordnung betref¬
fend. unverkürzt anzunehmen.
München, den 10. Oktober 1901.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht)
Berlin, 13. Oktober 1901.
Die Bndolf V i r c h o w - Feier.
Schon seit Wochen ist V i r c li o w’s 80. Geburtstag das Er¬
eignis*, auf das die Blicke der ganzen civilisirten Welt gerichtet,
sind, und hier, am Wohnort des Jubilars und an der Stätte seines
Wirkens, werden schon seit Monaten Vorbereitungen getroffen,
um den Ehrentag eines Fürsten der Wissenschaft würdig zu
begehen. Bei Männern, welche über das biblische Alter hinaus
unter den Lebenden weilen, pflogen sich die Gedenktago und
Jubiläen zu häufen, nicht selten tragen sie das Gepräge einer
gewohnhoitsmässigen Feier, und selbst bei gekrönten Häuptern
ist mitunter die Begeisterung nur zum Theil eine freiwillige,
zum andern Theil eine künstlich arrangirte. Wenn jemals ein
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1684 MTTENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42
derartiges Fest hervorgegangen ist aus dem innersten Bedürf¬
nisse aller Freunde und Verehrer des Jubilars und getragen
wurde von der aufrichtigen Verehrung aller seiner Theilnehmer,
so ist es der heutige 80. Geburtstag Virchow’s. Es ist ein Fest,
welches die ganze Welt mitfeiert. Nicht die Medicincr allein,
sondern die Angehörigen der verschiedensten Stände und Berufe,
auf welche der umfassende Geist V i r c h ow ’s belebend und
befruchtend eingewirkt hat, betrachten ihn als den Ihrigen. Doch
aber liegt der Schwerpunkt seines Schaffens auf medicinisehem
Gebiete, unsere Zeit wird in der Geschichte der Medicin als das
Zeitalter V i r e h o w’s bezeichnet werden und er selbst betrachtet
trotz der Vielseitigkeit, mit der er sich auf anderen Gebieten
bethätigt hat, die Medicin als seine eigentliche wissenschaftliche
Ileimath. Dem entspricht auch die Art, die er zur Begriissung
seiner Gäste gewählt hat; er empfängt sie im Pathologischen
Museum, er zeigt ihnen seine Werkst litte und die Pro¬
dukte seiner Arbeit. Wer hier eine Reihe von Ansprachen
und Erwiderungen erwartete, der hat die Eigenart V i r e h o w’s
verkannt; auch inmitten der ihm persönlich dargebrach ton
Ovationen blieb er der Gelehrte und Forscher, der seine Gäste
mit geistigen Genüssen bewirthete und ihnen einen gehaltvollen
Vortrag hielt, der die Entwicklung der Pathologie zum Gegen¬
stand hatte. Eine kurze Unterbrechung der wissenschaftlichen
Darbietungen bedeutete eine Ansprache des Charite-Directors
S c h a p c r , welcher, selbst ein Schüler V i r c h o w’s, in warmen
Worten die Glückwünsche der Charite zum Ausdruck brachte.
Er erinnerte daran, dass V irchow vor 57 Jahren als Charite¬
chirurg in die Charite eintrat und schon damals nicht nur als
Lernender, sondern auch als Lehrender sich in hohem Maasse
hervorthat, dass er, obwohl er noch kein Examen gemacht hatte,
mit den Geschäften eines Prosektors betraut wurde; aus jener
Zeit datiren somit die Anfänge seiner wissenschaftlichen Arbeit.
Auf diese Ansprache, folgten Demonstrationen mit dem Pro¬
jektionsapparat, hauptsächlich aus dem Gebiete der Parasiten¬
lehre und der Entwicklungsgeschichte, und im Anschluss daran
wurde unter der Führung Virchow’s und seiner Assistenten
ein Rundgang durch die herrlichen Sammlungen des Patholog.
Museums unternommen. Aus dem Vortrage Virchow’s, auf
dessen wissenschaftlichen Inhalt einzugehen hier nicht der ge¬
eignete Ort ist, wollen wir nur das erwähnen, dass er auch hier
zum Ausdruck brachte, wie sehr ihm gerade die Gründung dieses
Museums eine besondere Freude und Genugthuung bereitet hat.
Es enthält die ungemein reichhaltigen und interessanten Samm¬
lungen, von denen einzelne Stücke fast 2 Jahrhunderte alt sind,
deren grösster Tlieil aber Virchow’s eigener Forseherarbeit
zu verdanken ist, es stellt ein gutes Stück von Virchow’s
Lebensarbeit dar.
Der Nachmittag vereinigte den Jubilar und seine Familie
mit einem engeren Kreis von Freunden und Verehren» — aber
dieser engere Kreis umfasste doch über 200 Personen — zu
einem Festmahl im Abgeordnetenhause, an dem auch die Spitzen
der Behörden und die auswärtigen Dehgirten Tlieil nahmen.
Es muss eine Freude für den Gefeierten gewesen sein, als
Achtziger noch die Freunde seiner Jugend um sich zu sehen;
an diese Jugendzeit erinnerte ihn sein ältester Freund, der
Senior der Berliner Aerzte, Geheimrath Körte, sein Alters¬
genosse, der Stadtverordneten-Vorsteher Dr. Laugerhans
und sein ältester Schüler, Dr. Mayer- Aachen; auch der greise
Menzel wohnte als Ordenskanzler dem Mahl und der ganzen
Feier bei.
An das Festmahl schloss sich die eigentliche Fostfeier im
grossen Sitzungssaale des Abgeordnetenhauses an, der bis auf
den letzten Platz gefüllt war. Kurz vor 9 Uhr betrat der Jubilar,
geführt von Waldeyer und begrüsst von den feierlichen
Klängen der Musik, den festlich geschmückten Saal. Bald darauf
cröffnete Waldeyer das Fest. Nach Ernennung der Ehren¬
präsidenten, der Staatsminister Graf Posadowsky und
Studt, v. Leuthold, Baccelli, Lister, Cornil,
Botkin, Toldt, Stokvis, Armauer Hansen,
v. Recklinghausen und v. Bergmann, welche sämmt-
lich mit lebhaftem Beifall begrüsst wurden, begann er seine An¬
sprache und legte zunächst die Gesehiehtedes Virchow-Ausschusses
dar, der sich vor 2 Jahren zur Begehung des 80. Geburtstages
gebildet hatte. Die Bestrebungen des Ausschusses fanden überall,
wohin der Name V i r c h o w’s gedrungen war, und das ist das
ganze Erdenrund, die lebhafteste Unterstützung. Das liebste
Geschenk, das man ihm darbringen konnte, war eine Vermehrung
de« Fonds derVirchow-Stiftung zur Förderung wissenschaftlicher
Unternehmungen, und er selbst hatte erklärt, dass er zu Gunsten
dieser Stiftung gern auf alle anderen Ehrungen verzichten wollte.
Die in’s Werk gesetzten Sammlungen haben einen Betrag von
50 000 Mark ergeben, der der Virchow-Stiftung zufliesst. Aber
die zahlreichen Verehrer und Schüler Virchow’s wollten sich
die Gelegenheit zu einer gemeinsamen Ehrung des Meisters nicht
nehmen lassen, des Mannes, der zwei Wissenschaften von Grund
aus umg(«taltet, ja fast neu begründet hat. Wo immer ein Lehrer
der pathologischen Anatomie einen Lehrstuhl inne hat, da ist er
mittelbar oder unmittelbar ein Schüler V i r c h o w’s, aus seiner
Schule sind die Lehrer seiner Wissenschaft in drei Geschlechtern
hervorgegangen. Ein Forscher von der Bedeutung V i r c h o w’s
ist ein nationaler Schatz, welcher mitbestimmend ist für die
kulturelle Bedeutung der Nation. Sein Einfluss erstreckt sich
aber auch weit über die Grenzen des Vaterland«« hinaus und
wirkt zur Förderung der internationalen Beziehungen. Mit
einem Hoch auf Virchow, in das die Versammlung begeistert
einstimmte, schloss W aldeyer seine Rede.
Es folgte nun eine Ansprache des Kultusministers Dr. Studt,
welcher im Namen dt« Kaisers tlie grosse goldene Medaille für
Wissenschaft und ein Glückwunschschreiben des Kaisers über¬
reichte; zugleich beglückwünschte er den Jubilar und dankte
ihm als Chef der preussisehen Uuterrichtsverwaltung, an deren
Aufgaben Vircho w stets mit regstem Eifer und glänzendem
Erfolg Tlieil genommen habe. Im Namen des preussisehen
Kultusministeriums hatte er eine Marmorbüste Virchow’s
gestiftet, welche im Pathologischen Museum Aufstellung fand.
Für die wissenschaftliche Deputation für das Medicinalwesen
sprach Ministerialdirektor Dr. Althoff; er erinnerte u. A. an
die grossen Verdienste, die Virchow sich bei der erst kürzlich
in die Wege geleiteten Umgestaltung des Medici nal weseiis er¬
worben habt», und sprach den Wunsch aus, dass die unschätzbare
Kraft Vircho w’s auch weiterhin der Vollendung der Medicinnl-
reform zu gute kommen möge. Es folgten die Ansprachen des
Professor Leasing für die Generalverwaltung der königlichen
Museen und des Generalstabsarztes der Armee Prof. v. Leuthold
für das preussisehe Kriegsministerium; sodann wurden 3 Tele¬
gramme verlesen, von der Prinzessin Therese von Bayern, dem
Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg und dem Reichskanzler
Grafen B ü 1 o w. Besonders warm und freundschaftlich war das
des Herzogs Johann Albrecht gehalten, welcher noch heute seinen
Dank für tlie Liebenswürdigkeit auszusprechen sich gedrungen
fühlte, mit welcher Virchow vor 21 Jahren ihm als jungem
Studenten entgegen gekommen sei! Mit lebhaftem Beifall wurde
die jetzt folgende Ansprache des italienischen Ministers Baccelli
begrüsst, welcher in glänzender lateinischer Rede im Namen des
Königs von Italien und der italienischen Wissenschaft deren
Glückwünsche überbrachte. Im Aufträge der italienischen Aerzte
überreichte er ein Doppelbild, welches zur Linken Morgagni,
der als Erster in Italien die Wissenschaft der pathologischen
Anatomie eingeführt und verkündet hat. zur Rechten Virchow,
der die lx*hre mit erlesener Weisheit in Deutschland zur Vol¬
lendung gebracht hat. tiarsteilt.
Es würde zu weit führen, alle die verschiedenen Ansprachen
und Glückwünsche einzeln anzuführen und tlie Redner zu nennen;
das Programm, welches dieses Verzeichniss enthält, umfasst
14 Druckseiten; wir wollen tlaher im Folgenden nur einige, die
besonderes Interesse erregten, hervorheben. Nach tlem Vicc-
präsidenten des Abgeordnetenhauses, welcher dem. seit fast
40 Jahren dem Hause angehörenden Mitgliede den Glückwunsch
des Hauses und den Dank für seine rastlose Mitarbeit aussprach,
folgte der ständige Sekretär der Akademie der Wissenschaften
Prof. Va hlen, ferner für die Leopoldinisch-Carolinische
Akademie Prof. F ritsch - Halle und dann im Namen der
Berliner Universität der Rector magnificus Prof. Harnack.
Mit begeisterten Worten feierte er den Jubilar als eine Zierde
und den Stolz der Universität; er erinnert an Virchow’s
Lehrer und Vorgänger Johannes Müller und an den Um¬
schwung, den unter M ü 11 e Fs und Vircho w’s Führung die
biologischen Wissenschaften erfahren haben. Es sei nicht bloss,
wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, der Dampf und die Elektri¬
zität, welche den Fortschritt der Welt bedeuten, sondern der
Geist einer grossen Persönlichkeit; was die Welt vereinigt, ist
die Kraft des Gedankens, die Macht eines grossen Geistes; und
die Kraft, welche die Vertreter der Wissenschaft aus aller Herren
Länder hier hat zusammenatrömen lassen, ist V i r o h o w. Es
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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1685
15. Oktober 1901.
reihten sich nun die Glückwünsche der thierärztlichen Hoch¬
schule, der Berliner medicinischen Fakultät, der anderen medi-
cinischen Fakultäten Deutschlands, deren Sprecher v. Zicmssen
war, des Aerztekammcr- Ausschusses, des Medicinal- Kollegiums
und der Aerztekammcr von Hamburg an. Sehr eindrucksvoll war
die Rede, mit welcher der Oberbürgermeister Kirschner im
Namen des Magistrats und der Stadtverordneten von Berlin den
Jubilar begriisste. Er feierte ihn als den Wohlthäter der Be¬
völkerung, den Schöpfer grossartiger hygienischer Einrichtungen;
ihm habe die Reichshauptstadt die Kanalisation, die Organisation
des Krankenhauswesens und vieles Andere zu danken. Die höchste
Ehre, welche die Stadt zu verleihen in der Lage ist, den Ehren-
biirgerbrief, habe sie ihm bereits vor 10 Jahren übergeben. Um
aber den Dank der Bevölkerung auch heut zum Ausdruck zu
bringen, habe der Magistrat beschlossen, dem neuen grossartigen
Kankenhause, welches jetzt im Entstehen begriffen ist, den
Namen Rudolf Virchow-Krankenhaus zu geben; ferner habe die
Stadt in der Erkenntnis*. dass man Virchow’s Wünsche am
besten erfüllt, wenn man die Zwecke der Wissenschaft fördert,
ein Kapital von 100 000 M. zur Vermehrung der Virchow-
Stiftung bestimmt. Unter den jetzt folgenden gelehrten Gesell¬
schaften ist als die erste die Berliner medieinisehe Gesellschaft
zu nennen. 1 n deren Aufträge feierte v. B e r g m a n n den
Jubilar nicht als den Forscher und Gelehrten, sondern als den
Arzt, der mit unermüdlicher Arbeitskraft regelmässig unter
seinen Kollegen weilte und wirkte. Seit 20 Jahren leitet er als
Vorsitzender die Arbeiten der Gesellschaft, deren Aufblühen in
erster Reihe ihm zu verdanken sei. Die medieinisehe Gesell¬
schaft habt! die Absicht, durch Errichtung eines Virchow-ITauses
dem Andenken an ihren langjährigen Vorsitzenden und Ehren¬
präsidenten für ewige Zeiten auch äusserlich Ausdruck zu geben.
Als Festgabe überreichte v. Bergmann das jetzt fertig ge¬
stellte Generalregister der Sitzungen der medicinischen Gesell¬
schaft, aus welchem hervorgeht, dass Virchow, abgesehen von
seiner Thätigkeit als Vorsitzender, nicht weniger als 587 mal in
Vorträgen oder Discussionen das Wort ergriffen und an den Ar¬
beiten der Gesellschaft Theil genommen habe. Im Anschluss
hieran gratulirten Abordnungen der anderen Berliner ärztlichen
Vereine, der deutschen ärztlichen Gesellschaften, der ärztlichen
Vereine in deutschen Städten, der anthropologischen und natur¬
wissenschaftlichen Gesellschaften und des deutschen Fischerei -
voreines. Erst in der zwölften Abendstunde kamen die Abord¬
nungen aus fremden Ländern zum Wort. Die Geistesaristokratie
aus aller Herren Länder hatte sich zusammengefunden, um dem
Meister ihre und ihrer Völker Glückwünsche zu Überbringern
Klangvolle Namen waren cs, Namen, welche weit über die
Grenzen ihres Vaterlandes hinaus bekannt sind, deren Träger als
die Vertreter ihrer Nationen hier erschienen. Mit grossem Jubel
wurden Lord L i s t e r und abermals Prof. B a c c e 11 i begrüsst;
von den vielen Anderen erwähnen wir nur noch Heymans,
Salomonscn, Cornil, Somon, Maragli ano,
v. Luschan, Stokvis, Armaucr Hansen, T o 1 d t ,
Weichselbaum, v. Chrobak, Chiari, Raptsehc-
w s k i , II o m e n , Miirner; auch Amerika und Japan fehlten
nicht; im Ganzen hatte das Ausland 50 Abgeordnete nach Berlin
entsandt. Zum Schluss beglückwünschen noch die früheren und
jetzigen Assistenten ihren verehrten Lehrer, es schlossen sich
dann noch die Studirenden der Universität und der Kaiser
Wilhelms-Akademie an, und endlich spät nach Mitternacht er¬
reichte das denkwürdige Fest mit einer Ansprache des stell¬
vertretenden Vorsitzenden Prof. B. Frankel, welche in ein
Hoch auf den gefeierten Jubilar ausklang, sein Ende.
So hat die Reichshauptstadt und mit ihr die ganze gebildete
Welt ein Fest gefeiert, wie es selten ein Sterblicher erlebt, ein
Fest, welehes eine Huldigung der gesammten Wissenschaft für
ihren grössten Meister bedeutet. Wir Aerzte der Gegenwart
haben allen Grund, stolz darauf zu sein, dass wir in der Zeit
V i rchow’s leben und lernen durften, denn unser ganzes medi-
cinisches Denken ist aufgebaut auf den Lehren, die wir von ihm
empfangen haben. Und darum wollen wir uns aus vollem Herzen
dem Wunsche ansehltCHson, den alle die Reden und Ansprachen
zum Inhalt hatten, dem Wunsche, da-s es ihm noch vergönnt
sein möge, viele Jahre hindurch mit der unverminderten Krafi
des Körpers und des Geistes weiter zu arbeiten und zu wirken
zur Freude seiner Faehgenosscn, zum Stolz seiner Mitbürger,
zum Heile der Menschheit. M. K.
New-Yorker Brief.
Zum St. Pauler Aerztecongress und nach Wunderland.
(Fortsetzung.)
Das Fountain Hotel (nach seinem Ragazer Vorbild mögen
wir es mit Quellenhof übersetzen) ist eine durchaus nach
modernen Principien restaurirte Herberge und erscheint in
jeder Beziehung eleganter, als das Maminoth Spring Hotel.
Seine Badeappartements zeichnen sich dadurch aus, dass sie
direkt von den heissen Quellen der Nachbarschaft gespeist
werden.
Trotz unserer halberfrorenen Füssc machten wir uns sogleich
auf den Weg nach dem in der nächsten Nähe befindlichen
Lower Geyser Basin (unteres Geyserbassin). Das Areal dieses
ungeheuren Kochofens umfasst gegen 40 englische Quadrat¬
meilen und zählt 693 heisse Quellen und 17 Geyser. Die Höhe
beträgt durchschnittlich 7250 Fuss; die Umgebung, welche ihm
einen herrlichen Rahmen verleiht, besteht aus Hügelland, welches
fast ausschliesslich von grünem Tannenwald bedeckt ist. Un¬
gefähr einen Büchsenschuss vom Hotel entfernt, befinden sich
die Mammoth Paint Pots, welche die oben beschriebenen Gibbon
Paint Pots sozusagen en gros darstellen. Dieser gigantische
Farbentopf ist wirklich einzig in seiner Art. Er hat einen Längs-
durehmesser von 60 und einen Querdurchmesser von 40 Fuss.
Seine Umwallung, bestehend in einem 5 Fuss hohen Thonkranz,
hat er sieh im Laufe der Zeit selbst angesetzt. In diesem rosa¬
grauen Farbentümpel geht es merkwürdig zu. Da sieht man
eine weissliehe breiige Masse in beständigem lebhaften Durch¬
einander. Ueberall heben sich teigige Blasen, ähnlich wie Seifen¬
blasen empor, die unter hörbarem Ruck wieder verplatzcn. Die¬
selben sind bald drei- oder viereckig, bald wieder rund und
murmeln ein weithin hörbares, eigenartige« Geräusch, welches
ungefähr wie ein heiser geflüstertes plop klingt. In dem um¬
gebenden Wall bildeten sich im Laufe der Zeit einige 40 kleine
Farbentöpfc von Rosafarbe. Die Annäherung ist nicht bloss
schwierig, sondern auch gefährlich, da die natürliche Thonein¬
friedigung sehr schlüpfrig ist. Wir hatten wegen des grossen
Schmutzes Gummiüberschuhe-angezogen, dieselben blieben aber
mit hörbarem Suetionsgeräuseh in dem zähen Thonpudding
stecken. Der geniale Stiefel wusste jedoch Rath und band
unsere Galoschen mit dicken Schnüren fest, so dass unsere Pedale
wie die abruzzischer Räuber aussahen.
Wenige Wochen nach unserem Besuch verunglückten an
dieser Stelle zwei Brookl.vner Damen, die Gattin und Schwieger¬
tochter eines Kollegen. Die Mama war in den Krater geglitten
und die. wackere Tochter gerieth bei dem Versuch, sie heraus¬
zuziehen, tief in den kochenden Schlamm. Zum Glück war
alsbaldige Hilfe vorhanden und kamen die Damen mit dem Leben
davon. Dass diese Farbensuppe sich auch praktisch verwerthen
lässt, zeigen die Wände des Fountain Hotel, die damit gestrichen
sind.
Einige hundert Fuss davon entfernt befindet sich der Great
Fountain Geyser. Derselbe entströmt einem 10 Fuss im Durch¬
messer haltenden Krater und „spukt“ alle 10 bis 12 Stunden
auf etwa eine halbe Stunde lang. Dem Eruptionsstadium geht
höflicher Weise eine Art Inkubationsstadium voraus, welches
sich in immer höherem Anfüllen und endlichem Ueberlaufen des
kochenden Wassers anmcldet.
Plötzlich schiesst dann eine ungeheure, glänzend weissu
Wassergarbe zischend in die Höhe. Um den grossen Geyser,
„wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt“, gruppiren sich
eine Menge kleiner Trabanten, welche sich auch den Spass ge¬
legentlichen Expectorirens in kleinem Maassstabe leisten und
das Terrain ringsherum derart bewässern, dass man gut thut.
wasserdichtes Schuhwerk zu tragen. Von weiteren Geysern, die
sich im Dunstkreis des Grossmoguls des unteren Geyserbassins
befinden, sind wegen ihrer Schönheit noch der White Domo
(Weisser Dom), Surprise G T(? herraschung), Fire-hole Spring
(Feuerlochquelle), Mushroom (Pilz — wegen seiner Form) und
die Buffalo Spring (Büffelquello) hervorzuheben. Die letztere
Bezeichnung rührt davon her, dass einer der ersten Park¬
erforscher das weissglänzende Skelett eines Bergbüffels in der¬
selben gefunden hatte. Das Thier war jedenfalls bei einem Fehl¬
tritt vor Jahren schon hineingefallen. Ausserdem gibt es noch
eine grosse Anzahl wundersam geformter Fontänen, deren Be¬
schreibung den Rahmen dieses Berichtes überschreiten würde.
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1688 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42.
Die geradezu erdrückende Monge von Sehenswürdigkeiten
des ersten Tages hatten jedoch noch lange nicht ihren Abschluss
erreicht. Nach dem opulenten Abendessen folgten wir der
grossen Schaar der zum Theil ungläubig dreinschauenden Gesell-
scliaft zu einem begrasten Hügel, der sich an der Lisiere des
Waldes, etwa Vs Meile hinter dem Hotel hinzieht, um die Bären
bei ihrem Souper zu belauschen. Ich versichere bei dieser Ge¬
legenheit denjenigen meiner lieben deutschen Kollegen, welche
beim Lesen meines Berichtes mich in dem schnöden Verdacht
haben sollten, dass ich mir das Spässchen herausnähme, ihnen
einen Bären aufbinden zu wollen, dass die Bären im Yellowstone¬
park wirklich frei herumlaufen. Es heisst, dass sie sich ebenso
wie die aristokratischen Raubthiere höherer Gattung, wie die
Panther z. B., fast nur in den dichtbewaldeten und wenig zu¬
gänglichen Theilen dos Waldes aufhalten und auf den Fahrwegen
desshalb nicht gesehen werden. Ich muss nun offen gestehen,
dass ich doch schon aus diesem Grunde Niemandem anrathe,
auf eigene Faust Explorationen im Yellowstonepark vorzu-
nehmen, und folge man desshalb auch lieber hier dem allgemeinen
menschlichen Herdentrieb. Wie schon oben erwähnt, befleissigt
man sich einer weisen Prophylaxe. Man placirt um die
Abenddämmerung hinter den Hotels Küchenabfälle, besonders
Fleisch, an einer bestimmten Stelle. Die Thiere wissen dies,
stellen sich regelmässig ein und befriedigen ihren Appetit, so
dass ihnen die Versuchung auf Menschenfleisch nicht kommt.
Also nach etwa 15 Minuten langem Warten sahen wir einen
schwarzen Bären aus dem dunklen Tannendickicht treten und
langsamen und gemessenen Schrittes auf seine Frasskatakombe
zutreten. Mit einem Blick unsäglicher Verachtung schaute
Meister Betz auf uns herunter, und ohne Hast und mit Würde
verschlang er seine Dosis. Im Ganzen verweilte er etwa 10 Minu¬
ten, ungefähr 200 Fuss von uns mehr oder weniger erregten Be¬
schauern entfernt, und dann trollte er ebenso langsam und feier¬
lich in den Forst zurück. Was mir besonders auffiel, war das
herrlich glänzende schwarze Fell, wie ich es bei keinem seiner
Cousins in der Menagerie je gesehen hatte. Ueberhaupt gewährt
ein Thier in der Freiheit einen ganz anderen Anblick. Es ist
nicht bloss das Gefühl der Furchtbarkeit, welches sich unserer
bemächtigt, sondern man wird auch zum Anstaunen der Schön¬
heit des Thieres gezwungen. Kaum war Atta Troll verschwun¬
den, da stürzte ein gelbgraues Thier von der Grösse eines grossen
Schäferhundes auf den Speisehügel zu. Im Gegensatz zu der
Ruhe und Bedächtigkeit seines Vorgängers warf dieser flinke
Geselle ängstliche Blicke um sich, riss hastig seine Bolus heraus
und verschwand im Nu wieder im Wald. Wir hatten kaum Zeit,
ein dreieckiges, hundeähnlichee Gesicht zu erkennen und einen
sehr schönen, langen und buschigen Schwanz zu bewundern.
Meine Frau meinte, es wäre ein grosser Reinecke gewesen,
ich aber hielt es für einen Wolf, und da Niemand uns belehren
konnte, so wird diese Frage wie so manche andere auf ewig
ungelöst bleiben.
Während wir noch unter dem tiefen Eindruck des Gesehenen
standen, sahen wir unter und auf der Wiese ein merkwürdiges
Schauspiel. Es sah sich dasselbe nämlich gerade so an, als ob
ein Mann sich mit zwei Frauen herumraufte. Als wir näher
kamen, erklärte sich dieser scheinbare Skandal einfach dadurch,
dass sich kleine Geyserembryonen unter der trügerischen Gras¬
fläche gebildet hatten und eine der gar zu kühnen Damen hatte
sich zu weit vorgewagt und war durchgebrochen. Eine nahe¬
stehende Dame war beim Versuch, ihr herauszuhelfen, ebenfalls
eingebrochen und als mm ein Eingeborener denselben heraushalf,
so entwickelte sich das merkwürdige Bild des „Halb zog sie ihn,
halb sank er hin“. Der Unfall hatte übrigens keinerlei ernst¬
liche Folgen.
Leider war ich nicht so glücklich, während der Reise noch
mehr Bären zu sehen, dagegen erzählten uns mehrere Kollegen,
dass sie öfter, und einmal sogar ein Rudel von Vieren, zusammen
beobachtet hätten. Darunter waren auch graue Bären gewesen.
So wunderbar es auch klingen mag, Thatsache ist es, dass man
nie von einem Angriff auf den Menschen im Park gehört hat.
Nachdem wir wie die Murmelthiere geschlafen hatten, rief
uns früh ain Vormittag das Abfahrtssignal zu neuen Timten.
Siegreich hatte die Sonne die Wolken des gestrigen Tages ver-
sel'.eu! lit und weckte in unser Aller Brust, die frohe Stimmung,
wie sie sich so leicht und spontan bei schönem Wetter in einer
unternehmungsbeflissenen Gesellschaft entwickelt.
Unser nächstes Ziel war das 10 Meilen entfernt liegende
Upper Geyser Bassin, die Piöce de resistance der Yellowstone-
geyser. Der zumeist durch Tannenwälder führende Fahrweg ist
fast überall mit dampfenden Quellen und kleinen Geysem um¬
rahmt und bedeutet schon für sich allein eine Merkwürdigkeit.
Das obere Geyserbassin selbst hat eine dreieckige Form und
nimmt einen Flächenraum von 4 Meilen ein. Ihm entquellen
26 Geyser und über 400 einzelne heisse Quellen. Innerhalb des
verhältnissmässig kleinen Flächenraums einer Quadratmeile
drängen sich die grössten und herrlichsten Geyser zusammen,
welche die Welt kennt.
Schwere Dampfwolken hängen über der ganzen Gegend und
rufen von Weitem den Eindruck hervor, als wäre eine grosse
Stadt, in den Erdboden versunken und ihre Dächer stünden in
Flammen. Die Vegetation ringsum ist ausgestorben, der Gesang
der Vöglein verstummt. Statt dessen hört man ein Toben, dass
die Erde unter den Füssen erzittert. „Und es brauset und siedet
und kochet und zischt, als ob Wasser mit Feuer sich menget.“
Das ganze Terrain ist von kieselartigen Niederschlägen bedeckt,
aus welchen sich die Geyserwiinde wie ungeheuere weisse Kata¬
falke herausheben. Wenn man, sich vorsichtig vorbeugend, über
diese Wandungen hineinblickt, so gewahrt man eine in den merk¬
würdigsten Farben schillernde, undulirende Wasserfläche. Die
vorherrsehendsten Farben sind milchweiss, rosa und himmelblau.
Plötzlich schiesst aus einer dieser Flächen eine kochende Wasser¬
hose empor, senkt sich wieder, um kurz darauf zu Kirchthurm-
höhe emporzusausen.
Man vergisst beinahe zu athmen, denn in das Staunen
mischen sich doch auch unheimliche Empfindungen. Wir stehen
mitten im Feuerzauber, Alles um uns her dampft und zischt, wir
erkennen unsere Nachbarn manchmal nur als Silhouetten durch
den Dampf hindurch.
Die Eruptionsperioden der einzelnen Geyser sind ver¬
schieden, manche schicken ihre glitzernden Fontänen alle halbe
Stunden, andere bloss alle drei Tage zum Himmel empor.
Der verlässlichste ist der Old Faithful Geyser (der alte zu¬
verlässige Geyser!), welcher alle 63 Minuten erscheint. Man
kann sich darauf so bestimmt verlassen, wie auf einen königlich
preussischen Registrator, und hat man im Buffet der Früstücks-
station sogar eine Uhr, welche den nächsten Ausbruch des
Geysem auf die Minute im Voraus verkündet. Die ganze Ge¬
sellschaft umstand unter der Leitung eines Führers im Halbkreis
den brodelnden Tümpel des alten getreuen Spritzteufels und be¬
merkten wir zunächst nur einige spasmodische Zuckungen seiner
brodelnden Wasserfläche. Wenige Minuten vor dem Ausbruch
fingen die Wasserbogen an, über den Rand des Kraters hinaus¬
zuschwellen.
Dieser misst in seinem Längsdurchmesser 6 Fuss und in
seinem Querdurchmesser 2 Fuss nach innen, während sich aussen
8 Fuss im Längen- und 4 Fuss im Querdurchmesser ergeben.
Die Farbe des Kraters gleicht der einer Perle.
Ziemlich unvermittelt wurde nun plötzlich eine Wassersäule
zu einer Höhe von 150 Fuss hinaufgeworfen. Der Anblick war
unvergesslich. Die Sonne stand hell am Firmament und in
ihren Strahlen brachen sich nun die Millionen kochender Tropfen
in den schönsten Regenbogenfarben.
Die vorherrschendsten Tinten waren milchweiss, safran-
und orangegelb, rosa, grau und braun. Auf dieser Höhe hielt
sich dio Fontäne etwa 3 Minuten, dann war wieder Alles
wie vorher.
Eine halbe Meile vom Old Faithful entfernt und in dichter
Nähe des Fircholsflusses befindet sich der Giant Geyser, dessen
10 Fuss hohe Umfriedigung wie ein grosses Grabmal uns schon
von Weitem entgegenleuchtete. Dieser Gigant macht sich rar
und tritt nur zweimal wöchentlich auf. Wie nicht anders zu
erwarten war, that er uns jedoch den Gefallen, heute zu debütiren,
und so waren wir Zeugen des erhabenen Schauspiels, eine un¬
geheure Wassermasse zu der Höhe von 250 Fuss emporgeworfen
zu sehen.
Von den anderen Geysem verdient der Bee Hive (Bienen¬
stock), der Grand und Splendid Erwähnung, welche sämmtlich
einen Wasserstrahl von 200 Fuss Höhe emporschleudern. Die
merkwürdige Form des Bee Hive, welche thatsächlich wie die
eines Bienenstocks aüssieht, gab ihm den Namen. Andere merk¬
würdige Ornamente zeigte der Sponge, welcher seine Bezeich¬
nung seinen badeschwammähnlichen Contouren verdankt. Sehr
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15. Oktober 1901. MtJENCHENER MEDlCIttlSCaE WOCÄENSCHIÜFT. 1687
merkwürdig sahen der Grotto-, der Fan- (Fächer) und Mortar-
(Mörser) Geyser aus. Wir erwähnen ferner die Punch Bowl-
(Punschterrine) und die Morning Glory-Quelle. Letztere sieht
wirklich wie eine vollaufgeblähte hellblaue Winde aus.
Die grösste natürliche Einfriedigung besitzt der Castle
Geyser (Schlossgeyser), seiner hohen und starken Wände wegen,
die an eine Felsenburg erinnern, so benannt.
Nicht zu vergessen ist das Biscuit Basin, welches aus
Hunderten kleiner symmetrischer Erhebungen von Biscuitform
besteht. Dieselben sind von olivengrüner Farbe.
Am Upper Geyser Basin befindet sich kein Hotel, sondern
nur eine sogen. Lunchstation. Dieselbe ist etwas weniger pri¬
mitiv als das Zeltlager am Norris Basin. Die Mittelfront ist
aus kleinen Baumstämmen gezimmert, während die Seitenflügel
ebenfalls aus Segeltuchzelten bestehen. Die daselbst gereichten
Mahlzeiten sind einfach, aber gut.
In diesem weltentlegenen Fleck erlebte ich eine Episode,
welche mir beinahe noch wunderbarer dünkt, als die vielen Merk¬
würdigkeiten, deren Augenzeuge ich am vorhergehenden Tage
war, und die zeigt, wie klein doch eigentlich die Welt ist.
Die Wirthin des urwäldlichen Restaurants berichtete uns
nämlich, dass sich vor einer Woche ein Deutscher im Old Faithful
Geyser schwer verbrüht habe und nunmehr in einem improvi-
sirten Chambre garni zu Bette läge. Da sie von der Ankunft
der Aerzte gehört hätte, so wäre die Frage gestellt worden, ob
sich nicht auch ein Deutscher unter denselben befände. Ich
liess mir dies natürlich nicht zweimal sagen und suchte meinen
unglücklichen Landsmann hinter der rothgeblümten Bettgardine,
welche ihn von dem Gewühl im „Empfangszimmer“ trennte, auf.
Ich fand einen älteren bebrillten Herrn, welcher mir nun schil¬
derte. dass er ohne Führer sich an den Old Faithful herangewagt
hätte, dass plötzlich ein Windstoss gekommen sei und ihm einige
Wasserpartikcl in’s Gesicht gepeitscht hätte, so dass er er¬
schrocken zurückwich. In Folge seiner Kurzsichtigkeit bemerkte
er einen dicht daneben befindlichen kochenden Tümpel nicht und
fiel bis an die Hüften hinein. Er behauptete, sich leidlich wohl
zu befinden, und was hingebende Pflege leisten kann, ist auch
in der That seitens der einfachen braven Leute in diesem
Fütterungswinkel vollauf geschehen. Die ärztliche Behandlung
jedoch bestand in dem Appliziren von Vaseline. Darüber kam
ein Watteverband, welcher von einem Medicinstudenten der
Minnesotaer Universität täglich gewechselt wurde.
Dieser Studio befand sich noch im ersten Semester und
fungirte, das Utile cum dulci verbindend, während des Sommers
als Kellner im Restaurant. Ich hatte nachher Gelegenheit, ihm
meine volle Hochachtung zu schenken. Ich wagte nun aller¬
dings, immer noch unter dem Eindruck stehend, mich einem
Laien gegenüber zu sehen, einzuwenden, dass man aus dem
Vaseline zwar sehr nützliche Sälblein bereiten könnte, aber die
moderne Chirurgie verfüge doch über Besseres, worauf der
Patient mir in mcdicinischen Ausdrücken erwiderte, dass er sich
vom guten Aussehen der Wunden überzeugt habe etc.
Nun erst dämmerte mir der Gedanke, dass ich einen Kollegen
vor mir habe, und wie gross war mein Erstaunen, als ich in
demselben meinen früheren Vorgesetzten, den Generalarzt S. er¬
kannte. Welch ein Zusammentreffen nach einem Vierteljahr¬
hundert 1
Das hätte sich der gute S. auch nicht träumen lassen, als
ich, ein junger Springinsfeld, noch vor ihm die Beine stramm
zusammenzog und er mir in seiner stabsärztlichen Würde den
Standpunkt klar machte, ich auch einmal den Stiel herumdrehen
könnte.
Ich hielt es nun für meine Pflicht, trotz seiner optimistischen
Versicherungen, die Beine genau zu inspiziren, was er, in rich¬
tiger Witterung der folgenden Ereignisse, nur widerstrebend
duldete. Ich fand nun das eine Bein in einem leidlich guten
Zustand, zumeist nur die Erscheinungen einer Verbrennung
ersten und zweiten Grades darbietend. Das andere Bein jedoch
sah abscheulich aus. Namentlich am Unterschenkel waren
thalergrosse Nekrosen, die sich tief in’s Muskelgewebe fortsetzten.
An einer Stelle, nahe dem Knie, war sogar ein handtellergrosser
grünschwarzer und übelriechender Hautlappen. S. hatte die¬
selben in Folge seiner Kurzsichtigkeit nicht gut erkennen
können und der junge Studiosus glaubte, dass dies zu einem
ordentlichen Wundverlauf gehöre. S. war auch in den ersten
Tagen ziemlich schwach gewesen. Ich erklärte nun, dass diese
nekrotischen Fetzen entfernt werden müssten, wogegen er die
Zuversicht aussprach, dass sich dieselben exfoliirten.
Nun schleuderte ich ihm aber die chirurgischen Kriegsartikel
in’s Gesicht, ihm besonders vorhaltend, dass, wenn er sein eigener
Patient wäre, er doch sicherlich die Exfoliation der Zeit nicht
überlassen würde und so einer mehr als wahrscheinlichen Sepsis
in die Hände arbeitete. Ja die Aerzte sind doch zu komische
Leute, wenn sie selbst Patienten sind. Nun, der wackere S.
wurde aber auch schliesslich mürbe und so vereinbarten wir die
Operation auf den folgenden Morgen.
Ich telegraphirte an den Kollegen Ferguson in dem
50 Meilen entfernten Fort Yellowstone, Aether und Jodoformgaze
durch einen Courier zu senden. Wir kehrten nun auf demselben
Wege in das Fountain Hotel zurück, von wo wir, um uns der
Karawane wieder ansehlicssen zu können, schon um 5 Uhr
Morgens abfahren mussten. Unsere Wagengenossen Hessen es
sich trotz der frühen Stunde nicht nehmen, mich zu begleiten.
Wir trafen unseren lieben Generalissimus bei bestem Humor.
Der medieinische Ganymed hatte alle Vorkehrungen getroffen.
Steriles Wasser konnte ich ja an den Geysern leicht bekommen.
Der sehnlichst erwartete Courier war noch nicht eingetroffen und
so mussten wir uns ohne Narkose und mit. hydrophiler Watte
behelfen. Zum Glück hatte Herr Dr. Schweitzer eine
ganze Flasche Europhen bei sich, welche uns nun sehr zu Gute
kam.
Ich entfernte nun unter nicht unansehnlicher Blutung die
mortificirten Gewebstheile, was der brave S. mit heroischem
Muth ertrug. Wie gut, dass ich, meinem Prinzip getreu, stets
mein chirurgisches Taschenetui mit mir führte!
Mit schweren Herzen verlicssen wir unseren tapferen Pa¬
tienten, welcher 2 Tage später dann von einem Kollegen dei
anderen Partie besichtigt wurde. Wie aus den täglichen tele
graphischen Bulletins zu ersehen war, war die Heilung ohne
Störungen des Wundverlaufes vor sich gegangen. Freilich
musste er noch volle 2 Monate dort verbleiben und während der
Abfassung dieses Berichtes befindet sich S. auf der Reise nach
New-York. S. hatte eine Reise um die Welt gemacht, hatte alle
Fährlichkeiten des damals brodelnden chinesischen Kessels um¬
steuert, um nun auf dem Wege über San Francisco beim Old
Faithful einen so merkwürdigen Schiffbruch zu erleiden.
Die Wirthin erzählte uns, dass im vergangenen Sommer ein
Medicinstmlent — wie merkwürdig, dass die medieinische Fakul¬
tät so hervorragend in der Verbrühungsgeschichte des Yellow¬
stonepark figurirt — ebenfalls seine Beine verbrannt hat. Sie
behandelten ihn ebenfalls mit Vaseline. Nach 2 Monaten, als
er beinahe geheilt gewesen sein sollte, „hätte sich die Wunde auf
dem weiten Eisenbahntransport erkältet“ und da hatte man dann
zu Hause die Amputation vornehmen müssen. Sapienti sat!
Der Aermste hat jedenfalls eine Verbrennung 3. Grades er¬
litten und die Zersetzung der nekrotischen Fetzen hatte Sepsis
der Extremität herbeigeführt.
Ich konnte mir nun eine Wüstenpredigt über einen asep¬
tischen Text nicht versagen und hinterliess der wackeren Frau
geschriebene Vorschriften für Wundbehandlung in solchen
Fällen; auch meldete ich die Angelegenheit an das Ministerium
mit dem Vorschlag, die in der Nähe der Geyser beamteten Per¬
sonen, namentlich Soldaten, einen antiseptischen Verbandkurs
durchmachen zu lassen, wodurch derlei traurige Eventualitäten
künftig vermieden werden möchten. Es ist überhaupt nach
meiner Ansicht tadelnswerth, dass man die Besucher häufig ohne
Führer herumgehen lässt und die gefährlichen Stellen nicht ein¬
friedigt.
S. ist des Lobes voll über die freundliche Sorgfalt seiner
Umgebung. Mir imponirte S. nicht wenig durch seine aus
Toussaint-Langenscheidt geschöpfte Kenntniss der englischen
Sprache: So etwas bringt doch nur ein Deutscher fertig!
Wir schlossen uns nun der mittlerweile herangekommenen
Gesellschaft, welche natürlich grosses Interesse an unserem
lieben Patienten nahm, an, um unserem nächsten Ziel, dem
Yellowstone Lake zuzusteuern. Wir berühren auf dieser Fahrt
den Madison River, und gelangen nach erheblicher Steigung auf
die Wasserscheide, welche die Flüsse des Atlantischen von denen
des Stillen Oceans trennt. Die Fahrt durch diesen Gebirgspass
ist wildromantisch und kann sich keine schweizerische hohle
Gasse, sei sie noch so halsbrecherisch, mit demselben vergleichen.
(Schluss folgt.)
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ics$ MUENOHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. tf 0 . 42.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Aus dein Etat des b a y er. S t a a t s m i n i s t o r 1 u m s
d <• s 1 u n e r n f ü r K i r c li e n - u n d S c h u 1 a n s f I c g e u
heit e n tur die XXVI. Fiiiauzpcriodc 1902 und 1903 interessirt
zuniiehst der Voranschlag für die iiiedieiiiiselien Ansialteii der drei
I.and(*suniversi täten.
a) U n i v e r s i t Fi t M ii n <• li e n.
An neuen Postulaten kommen in Ansatz zur Erhöhung des
Rcalctats des hygienischen Institutes, des pathologischen In¬
stitutes und der otiatrischen Klinik ein regelmässiger Jahresbetrag
von je .'{ooo M., zum gleichen Zwecke für die Anatomie 2000 und
für die Fniueiiklinik 7.KM) M.. für die Polikliniken im Kcisinge-
rianum ein JaJiresiietrag von 08(M> M. im ordentlichen und 4100 M.
im ausserordentlichen Etat, zur (iewälming des Gehalts eines
ausserordeiitliciien Professors an den Leiter der pädiatrischen
Poliklinik 2400 M., für Vorlesungen über gewerbliche Hygiene
1200 M. und für physiologische Kurse in Folge der neuen Prü¬
fungsordnung 3000 M.
Sämmtliehe I’ostulate sind eingehend als dringend iiotlnvendig
begründet. Die Erhöhung des ltealetats der verschiedenen An¬
stalten wird durch die steigenden Ausgaben für Bauunterhaltuug.
Beheizung, Beleuchtung. Betrieb der Anstalt und Einführung von
Verbesserungen gerechtfertigt. Der bisherige Betriebsetat der
Ohrcitklinik im lmslicinisch-klinischen Institut von Hhh) Al.,
wovon 700 M. für den Assistenten bezahlt werden und nur 300 Al.
für sachliche Bedürfnisse verbleiben, ist für eine entsprechende
Ausstattung und Foniühning des otiatrischen Ambulatoriums
und der zugehörigen stationären Abtheilung absolut unzulänglich.
Es handelt sich hiebei nicht nur um die Beschaffung und Er¬
haltung des notliwendigen Instrumentariums, sondern auch um
die Bereitstellung von Frell»etten. um in Wissenschaft lieh oder
unterricht lieh besonders interessanten Fällen auch solche Kranke
:iufnehmeii zu können, welche keinen Anspruch auf das städtische
Krankenhaus haben. Auch eine bessere Iloiioriruug dos Assi¬
stenten erscheint, veranlasst, um geeignete Hilfskräfte der Klinik
länger zu erhalten.
Im U fisingerianum worden 7 Polikliniken der Uni¬
versität abgelialten: die modicinisehe. die chirurgische, die
pädiatrische. «1 io laryngologische, die gynäkologische, die oliatrische
und die dermatologische. Die beiden letzteren sind der chirur¬
gischen Poliklinik als Abtheilungen angefügt, die übrigen werden
von ihren Leitern selbständig verwaltet. Die beschränkten Räume
gestatten keine intensivere Ausnützung der Patienten für den
Unterricht; durch die l'eberweisung der Znhnkrunkcn an das zahn¬
ärztliche Institut sind die Verhältnisse etwas erträglicher ge¬
worden. Weiter wurden zur Entlastung des Ueisingerianums die
bisher in demselben abgehaltenen Dispensirii Innigen in das
pharmakologische Institut verlegt und »*s bestellt die Absicht, das
zur Zeit im Keisingerianmn befindliche Fakultätszimmer in einem
anderen medlcinisehen Institute unterzubringen, um auch dadurch
Raum zu gewinnen. Eine durchgreifende Besserung wird freilich
nur ein Erweiterungsbau bringen können. Zunächst handelt es
sich darum, die Polikliniken durch dauernde Erhöhungen ver-
schi<*dener Betriebsetats und einmalige Zuschüsse wenigstens so
auszustatten, dass sie ihre Aufgabe erfüllen können.
Der Leiter der pädiatrischen Poliklinik im
Reisingerinnum bezog bisher lediglich einen jährlichen Funktions-
geluilt von 1200 M.. während die Leiter der nuHlicinischen und der
chirurgischen Poliklinik als ausserordentliche Professoren au¬
gestellt sind. Da die Verhältnisse an diesen drei Polikliniken im
Wesentlichen gleich gelagert, sind, ist beabsichtigt, auch den Ixüter
der Kinderpoliklinik zum ausserordentlichen Professor vorrücken
zu lassen.
Die Gewerbehygiene erhält ln Folge der Zunahme der
Industriebevölkeruug Immer grössere praktische Bedeutung für
den Arzt, ln den allgemeinen Vorlesungen über Hygiene kann
die Gewerbehygiene bei dem grossen Umfange der hygienischen
Wissenschaft nicht eingehender behandelt werden, es sollen aber
auch Vorlesungen über Gewerbehygiene gehalten werden, welche
sich nicht auf allgemeine Gesichtspunkte beschränken, sondern
die eigenthüniliche Art der einzelnen Industrie- und Gewerbe¬
betriebe, die dabei auftretenden besonderen Schädigungen und die
in jedem einzelnen Fall angezeigte Prophylaxe im Zusammen¬
hang eingehend behandeln. Die beiden Vertreter der Hygiene an
der hiesigen Universität sind nicht im Stande, zu ihren jetzigen
Obliegenheiten auch noch diese Vorlesungen zu übernehmen, es
soll daher eine g«*eignete jüngere Lehrkraft mit einem Lehrauf¬
trag für die Gewerbehygiene versehen werden.
Die am 1. Oktober in Kraft getretene neue ärztliche Prüfungs¬
ordnung fordert für die Zulassung zur Vorprüfung u. a. den Nach¬
weis einer Thcilnnlune an einem physiologischen Prakticum. Da
bisher physiologische Kurse dieser Art nicht bestanden,
muss die Einrichtung hiefür neu beschafft werden. Versuchsweise
sind für die erste Einrichtung und den Betrieb 3<M»o M. für jedes
.Inhr der Finanzperiode angesetzt und zwar im ausserordentlichen
Etat, da sich der wirkliche Bedarf noch nicht bestimmt übersehen
lässt.
b) Universität W ü r z b u r g.
Das physiologische Institut soll an die städtische
Elektrk itätsanhure angeschlossen werden, elektrische Beleuchtung
und einen neuen Projektionsapparat erhalten, wofür 4600 M. für
jedes Jahr der Finanzperiode im ausserordentlichen Etat vor¬
gesehen sind.
Zur Erhöhung der Iteaiexigeuz des pathologischen Institutes
ist ein jährlicher Mehrbetrag von 500 AI., für das hygienische In¬
stitut und die otiatrische Klinik ein solcher von je 1000 Al. postu-
lirt. Letztere hat zur Zeit einen Reale tat von 1200 Al. und einen
Personaletat von 318 AI. für Assistenz. Aus dem Realetat sind
nicht nur die Kosten des Ambulatoriums (Medikamente, Instru¬
mente etc.), sondern auch die Verpflegung der stationär be¬
handelten, unbemittelten Kranken zu bezahlen, zu weleh’ letz¬
terem Zwecke Betten in einer Privatklinik gemiethet sind. Auch
eine bessere Entlohnung des nicht nur während der Klinik, son¬
dern auch bei den Operationen, Vorlesungen und Kursen, sowie
bei dcu poliklinischen Besuchen in Anspruch genommenen Assi¬
stenten erscheint angezeigt, um geeignete Kräfte der Klinik
länger zu erhalten. Die Uebersiedeluug der Augenklinik in den
Neubau, die Centralheizung, elektrische Beleuchtung, die Ver¬
mehrung des Dienst- und Hilfspersonals erfordern eine jährliche
Erhöhung der Rcalexigonz um 14 000 Al.
ln der chirurgischen und medlcinisehen Klinik soll je ein
weiterer Assistent aufgestellt werden mit einem Funktioimgehalte
von 000 AL, wovon 250 Al. vom Juliusspital und 650 AI. von der
Universität zu übernehmen sind.
Die Verhältnisse Im Juliusspital drängen zu einem
Neubau für die in demselben untergebraehten Kliniken. Die
nähere Begründung des Postulats wird in gesonderter Denkschrift
erfolgen. Zunächst ist zur Vorbereitung eines Neubauprojektes
ein Betrag von 5000 M. für j«*d<*s Jahr der 20. Finanzperiode
vorgesehen.
c) Universität Erlang e n.
Für das Univcrsitätskrankcnliaus soll der Realetat jährlich
um 4010 AL. für die Frauenklinik um 12 000 M., für da« ana¬
tomische Institut um 500 M. und für die chirurgische Klinik tun
15 800 M. erliöiii werden. Die Erweiterung der Fniueiiklinik durch
einen mit Gent Ölheizung, Liiftungs- und Warnt wasserbereitungs-
anlage ausgestatteten Neubau und der im laufenden .Jahr seiner
Vollendung enfgegengelieiide Erweiterungsbau der chirurgischen
Klinik machen den gefonlerten Mehraufwand für Betriebskosten..
Pflegt* -upd Hilfspersonal nothwendig.
In der chirurgischen wie in der modle!nisehen Klinik macht
sich mit dem erweiterten Betriebe das Bedürfnis nach Aufstellung
eines weiteren Assistenten geltend.
Dii* ausserordentliche Professur für Hygiene
soll in eine ordentliche umgewandelt werden, da au allen anderen
deutschen Universitäten, sowie auch an den österreichischen und
sc* weizerischen Universitäten Ordinariate für die Hygiene be¬
stehen.
Für die psychiatrische Klinik sind zur Trennung der
Professur für Psychiatrie von der Stelle des
Oberarztes an der Kreisirreuaustalt jährlich
30<io AI., für einen Assistenten 1140 und für sachliche Bedürfnisse
500 AI. ucupostulirt. Die Professur für Psychiatrie ist zur Zeit
einem Oberärzte au der Kreisirreuaustalt Erlangen im Nebenamte
übertragen. Der Oberarzt ist als solcher mit so vielen Dienst-
gcschäfteii belastet, dass er der Professur nicht die erforderliche
Zeit widmen kann und insbesondere zu wissenschaftlichen
Arbeiten nicht die nölliige Müsse findet. Durch die neue Prüfungs¬
ordnung für Aerztc, welche die Psychiatrie zum selbständigen
Pnifuiigsgegenstand erhellt und dem Professor für Psychiatrie
erhöhte Pflichten auf erlegt, wird dieses Missverhältnis noch, ge¬
steigert werden. Es soll daher, unbeschadet der fortdauernden
Benützung der Kleisirrenanstalt zu klinischen Zwecken, die
psychiatrische Professur von der OberarzLstelle getrennt und zur
selbständigen Professur erhoben und das Verhältnis zur Kreis¬
irrenanstalt ln der Weise geregelt werden, dass der Professor eine
mit geeigneten Kranken belegte Abtheilung der Krelslrrenanstalt
zur ärztlichen Leitung und Benützung für den klinischen Unter¬
richt erhält, die Leitung der Abtheilung in administrativer und
ökonomischer Beziehung aber bei der Direktion der Kreisirren¬
anstalt verbleibt.
Das grösste Postulat für die Universität Erlangen bilden
323()00 M. zum Neubau eines pathologischen In¬
stitutes und 36(KM) AI. zur Adaptur der alten Ana¬
tomie für Zwecke des physiologischen Insti¬
tut! r. Tn den Motiven zum Finanzgesetzeutwürfe sind die der¬
zeitigen überaus ungenügenden räumlichen und die misslichen
hygienischen Verhältnisse des pathologischen Institutes eingehend
beleuchtet, so dass eine Verbesserung des Baues ausgeschlossen
ist und nur ein Neubau erübrigt. Derselbe soll sieb in thunllehster
Nähe des Krankenhauses befinden. Es bietet sieb daher, da ein
Neubau auf dem dermallgen Grunde in den erforderlichen Dimen¬
sionen nicht durchführbar ist, nur die eine Möglichkeit, den Neu¬
bau unter Heranziehung des Areals de» südlich angrenzenden
physiologischen Institutes mehr gegen Süden vorzurücken und
das physiologische Institut zu verlegen. Das dennalige physio¬
logische Instituisgebüude. ein gleichfalls nur adaptlrtes und seinen
Zwecken lange nicht mehr genügendes Haus, das bis zum Jahre
1879 als Gebärhaus diente, müsste fallen. Das physiologische
Institut könnte in dem demnächst frei werdenden, provisorisch zu
adaptirenden alten Anatomiegebäude bis auf Weiteres unter-
gebraebt werden. Dr. Becker- München.
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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1689
Therapeutische Notizen.
Die Bell a n j! 1 u n g der II ft u t e r k r a n k u n g «* n
durch die ciico d y hau r e n Salz e hat Saal f e 1 d -
Berlin in 50 Füllen erprobt tTlierap. Monatshefte 1901. 01. Die
Anwendungsweise war eine verschiedene: entweder die Arsycodile-
plllen (— Natrium eaeodylieiun) in Dosen von 0,025. 4 pro die, oder
von der 5 proe. Arsycotlilelösung 4 mal täglich 10 Tropf«*«. oder
hei der subkutanen Applikation täglich je eine Ampulle mit 1 ccm
einer 5 proe. sterillsirten Arsycodilelösung. oder zur rectalen An-
wendungsweise eine die gleiche Dosis enthaltene Ampulle oder
ein Suppositorium mit 0.05 Arsycodile.
S. glaubt in dem neuen Mittel entschieden eine Bereicherung
unseres Arzneischatzes sehen zu müssen. Für die wirksamste
Anwendungswelse hält er die subkutane, die durch die Ampullen
sehr bequem gemacht ist. Magenbeschwerden wurden bei innerer
Anwendung nur einmal beobachtet. Bei einem Drittel der intern
behandelten Kranken wurde über einen unangenehmen Knob-
lauchgeruch geklagt.
Neben den Arsycodilepillen werden auch noch die einen Eisen-
zusatz enthaltenden Ferricodilepillen hergestellt. Die Dosis der¬
selben ist die gleiche wie bei den Arsycodilepillen. Auch Ampullen
mit Ferrlcodiie werden angefertigt. Kr.
Der CJebrauch der Arsenlkqn eilen ist nach Sanitätsrath
Dr. L adi u s er n - Levico-Ifannover zunächst bei folgenden In¬
fektionskrankheiten indizlrt: bei sämmtlichen Malariaerkran
kungen. bei der Tuberkulose in allen Formen, bei Erysipel und bei
Syphilis. Von den konstitutionellen Krankheiten gehören in di«»
Domäne der Behandlung mit Arsenikquellen die Chlorose, und
zwar die eigentliche Oligoeythaemie der Entwicklungsperiode, der
Skorbut, der Morbus maeulosus Werlhoftii. die Ilaemophllie. die
Louknemie, die Skrophulosis. der Diabetes mellitus, die flicht und
der chronische Rheumatismus. Rachitis und die Fettsucht. Das
gesummte Gehirn gehört nicht in den Kreis der Ileilanzeigen der
Arsenikquellen, und vom Rückenmark nur die chronische Myelitis,
die graue Degeneration der hinteren Strange; ferner aus den Er¬
krankungen des N. sympathicus Heinikranie iMigräne), der Mor¬
bus Basedowli. Sehr ausgiebig wirken die Arsenikquollen bei der
Erkrankung der Nerven. Von «len Neuralgien sind «»s beson¬
ders die Neuralgie des Qulntus in ihren verschieden«*!» F«»rm«*n
und die Neuralgie des Ischiadicus. «li«* häutig Cegenstand der in
Rede stehenden Therapie sind: auch kommt intoivostalo Neuralgie
nicht selten zur Behandlung.
Die allgemeinen Neurosen sind von Alters her (Jegen¬
stand der Ars«»ntherapie gewesen, so besonders die Chorea, di'-
Hysterie und die Neurasthenie. Von den Erkrankungen der Re-
spirationsorgnno gehör«»n In «las fJebiet der Heilwirkung «l«*r Arsen
«luellen das chronische Nasenbluten, die chronischen Katarrhe und
Wucherungen In den oberen Partien d«*s R«»spin!tl<*nstraktus. die
chronischen Pleuraexsudate, das Asthma und das Emphysem.
Aus den vielseitigen Erkrankungen des Verdauungs¬
trakt ns kommen hi«»r vor Allem in Betracht die chronische
Gastritis und die chronische Enteritis. Von «len Nierenkrank¬
heiten wird durch die Arsenikquellen günstig beeinflusst vor Allem
«lie Bright’sche Krankheit. «l«*ssgleichen «li«* einzig bekannte Er¬
krankung der Nebennieren, der Morbus Addisonil.
Die uralte Domäne «1er Arsentherapie ist und bleibt das grosse
Feld einer Reihe von Hautkrankheiten. Von parasitären
Hautkrankheiten gehören hierher Pityriasis v«*rsieol«n\ Favus,
ITerpes tonsurans, Lupus erythematodes. Von nhdit parasitären:
chronische Ekzeme, gleichgiltig aus welcher Ursaclu*. Akne
rosacea. Sykosis, Ichtliyosis, Lichen. Prurigo. Pruritus. Psoriasis,
Herpes, Furuneulosis, Ilyperhidrnsis, Seborrhoe, chronisch«* Urti¬
caria und «las Ulcus <*mris. Fast «*b«*nso unbestritten ist das
Feld auf dem Gebiete folgender Frauenkrankheiten: Menstrua¬
tionsanomalien. Katarrhe der Vagina und «1er Cervix. Endometri¬
tis chronica, Metrorrhagie, Parametritis chronica. Oophoritis chro¬
nica, Prolaps und Atonia uteri (Sterilität und Abort). (Deutsche
. Medicinalztg. 1001. No. 58.) P. II.
Eine einfache M a g c n c 1 e k t r o d e hat Dr. Karl W e g e 1 e -
Bad Königsborn (Westphalen) construirt und von der Firma It «* i -
n i g e r, Gebbert & Schall herstelleu lassen. I Heselbe be¬
steht aus einem s«*hr weichen, elastischen Stahldraht von ca. 90 cm
Läng«*, der an seinem unteren Ende einen khdncn Knopf, an
seinem oberen eine breitere Platt«* trägt uinl durch eine doppelte
Klemmschraube geschoben ist. Um zu vermei«l«*n, «lass «las untere
Knöpfende der Elektrode durch «li«* untere OctYnung der Sehlund-
sondc gleitet und mit der Mag<*nschleimhaut direkt in Berührung
kommt, misst man vor der Einführung ab, wie tief der Draht in
«len Magenschlauch clngoführt werden darf. Diesen Punkt tixirt
mau durch die eine Klemmsehratihe; dann lässt man d«*n weichen
Schlauch schlucken, verbindet denselben mit Glnszwisohtuistfiek.
Schlauch und Trichter, spült aus oder giesst -'ii Liter warmes
Wasser ein, nimmt Schlauch und Trichter ah uu«l führt nun den
Draht der Elektrode ein; nun schraubt man in di«* zweit«* Kh'iniue
die Lcitungsschnur «ler elektrischen Batterie ein. l»*gt auf «li«*
Magengegend eine breite Platteuelektrode. welche mit dem auil«*ri*ii
Pol der Batterie in Verbindung steht, auf und schaltet den Strom
ein. Nach Beendigung der Sitzung zieht man den Draht zuerst
allein heraus und reinigt denselben gründlich, wozu er aus der
Klemmschraube herausgezogen werden kann: »*s empfiehlt sich,
die Elektrode ganz tro«*ken aufzubewahren. (Deutsche Mediciual-
zeltung 1001, No. 57.) P. II.
Gegen den wachsenden Zuckerkonsum und
seine Gefahren w«*ndet sich Prof. Bunge- Basel. Er w«*ist
darauf hin, dass «ler Zucker an und für sieh zwar nicht schädlich,
jedoch indirekt schädlich wirkt, indem er Sättigung und ver¬
minderte Nahrungsaufnahme und in Folge dessen einen Ausfall
an organischen Salzen, insh«*sotnler«* einen Ausfall an Kalk, an
dem «lie Nahrung meistentlieils ohnehin s«*hon viel zu arm ist, be¬
dingt. So enthält «lie Frauenmilch in KM» g Trockensubstanz
2-13 mg Kalk und 2,3 bis 3,1 mg Eisen, während in chemis«*h iso-
lirtem Zucker nicht eine Spur von Kalk oder Eisen enthalten ist.
Die Gefahr einer ungenügenden Zufuhr von Kalksalzen und Eisen
ist besonders gross beim wachsenden Organismus, beim Kinde,
welches «lies«* Stoffe zum Aufbau seiner Gewebe und Organe be¬
darf. Gerade «lie Kinder haben das lebhafteste Verlangen nach
Zucker, was daran liegt, «lass Kinder sich in «1er Regel mehr Be¬
wegung machen, als Erwachsene. Wenn also die Kinder nach
Zucker verlangen, so gehe man ihnen zuckerreiche Frücht«*, vor
Allem wirklich reife Trauben, Feig«*n, Datteln. Birnen. Aprikosen,
Pflaumen, welche frisch oder getrocknet das ganze Jahr zu haben
sind. Man entziehe aber den Kindern möglichst vollständig alle
Zuck«*rwaaren, «lie aus reinem Zucker mit geringen Zutlinten be¬
reitet wer«I«*n; d<*ssgl<*ich«>n s«»ll «ler Gebrauch des reinen Zuckers
als Zusatz zu Speisen und zu den Genussmitteln Kaffee und Theo
möglichst eingeschränkt, werden. Verfasser spricht sogar den
Wunsch aus, die staatliche Gesundh«»ltspflege möge dahin wirken,
dass «ler Zucker möglichst hoch lH*steuert. dagegen alle Zölle auf
«li«* Einfuhr von Südfrüchten beseitigt und mit allen Mitteln der
Gartenbau und «li«* Obstkultur l>efürd«*rt werde. (Allg. ined. Cen¬
tn! Iztg. 1901. No. öS.) P. II.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ü n <• h «* n, IS. Oktober UHU.
- - Mit grenzenlosem Erstaunen, das alshakl lauter Ent¬
rüstung wich, haben <li<* bayerischen A«*rzte in «ler vergangen«*!»
Wocln* gelesen, was der Referent über «lei» Entwurf ein «* r
ä r z t 1 i «• h e I» St a n d e s - u n d E lirengi'riohtsorilii u n g
in Bayern. Herr v. L a n <1 in a n n. aus diesem Entwurf zu
inm-hcn b«*i «lein zustiiinlig«*ii Kaininerausseliusse beantragt hat.
Seit«*» wird eine so grüiidlitdi v«*rl»«*rsitlieue Vorlage dem Land¬
tage zugegangen sein, wie «liest*, auf die man beinahe das Horaz’-
selie nonnm preinalur in nniiuin anwenden könnt«*. Vom Aerztc-
kanunerausselmss entworfen, von «len ärztlichen B«»zirksv«*n*inei»
und «l«*n Aerzt«*kaiiim«*rn wie«leriu»lt durehherathen. vom engeren
und erweitert«*!! 01 >eriuedi<*iiialaussehuss al>ennals geprüft und
endlich von der Staatsivgierung in «li«* vorliegeml«* Form gebraeht.
entspracl» di«* Vorlage den Wünschen «Icr Aerzte und scl»i«*n. ohne
irgewlwh* zu weit, gehend«*, mit «l«*r Fr«*il»«*it «les Stand«*» unv<*r-
t rüglieh«* Forderungen zu enthalten, geeignet, dem ärztlich«*»!
Stand«* «h*n Schutz zu verleihen, dessen er zur Wahrung seiner In-
t«*gritüt mul seines Ansehens s<» dringend h«*darf. Ein derartig be-
r«*ift«*s Werk verwaud«*lt nun «ler Ka»»imerreferent. im g«*w«öhn-
lieheu Leh«*n Biirgenn«*ist«*r von Giinzhurg. mit einen» Fod«*r-
strich in sein gerades G«*gentheil. Nicht nur versagt er den
A«*r/.t«*n «len Schutz g«*g«*n Ausschreitungen, den ihnen die Vor¬
lage gewähren sollte, sondern indem er ausgesprochen wissen will,
dass gewisse Handlungen, die bisher unter anständigen Aerzton
verpönt waren, nicht Geg«*nstand eines <*lir«»ngeriehtliehen Ver¬
fahrens l»lld«*n können, legalisirt er diese Handlungen geradezu
und gibt damit den ärztlich«*»» Beruf schutzlos dem wüstesten
Banausenthun» pr«*is. Um so unerträglicher wäre dies«“r Zustand
für «li«* bayerischen Aerzte. als die Ehrengericht«* «ler übrigen
Bundesstnat(»n ganz Im Sinne unserer verlangten Standesordnung
i»rthellen (s. u.) »ind so Bayern bald der Tummehdatz all’ der un¬
sauberen Elemente würde, denen im Reich das Handwerk gel«*gt
wunl«». Wir haben nicht den geringsten Zweifel, dass «Ile k. Staats-
»•(»glerung Ihre Aerzte vor der Schmach dieser Lex Landmann be¬
wahren und lielier auf die Vorlage ganz verzichten, als die Land-
in an n’sehen Anträge annehmen wird. Wir haben aber auch das
Vertrauen zu unserer Volksvertretung, dass sie im wohl¬
verstandenen Tnt«*r«‘sse «l«*s Volks die ursprüngliche Vorlage an-
nehmen wird. Denn ein lauterer, an der idealen Auffassung des
Berufes festhalt«»n«ler Aerztestnnd ist eine Nothwendigkeit; «11«*
Entartung des ärztlichen Berufs zur reinen G(*s«*häftspmxis. wie
sie nach den Landmnn n’sehen Anträgen sicher eintreten
müsste, wäre ein nationales Unglück. — An anderer Stelle dieser
Nummer find«*n unsere Loser den Wortlaut der L a n d m n n n’-
sohon Anträge sowie eine eingehendere Tvrttik derselben (S. 1081).
Wie im TVhrigen die Stimmung der bayerischen Aerzte gegenüber
den Anträgen v. L a n d m ii n n’s ist. geht ans unserem Bericht
üh«*r die oherpfälzlsche Kreisversammlung (S. IfifiO) hervor. Tn
den schärfsten Worten, wie «ler gerechte Zorn sie auf die Lippen
drängt, wurden von dem dortigen Refer«*i»ten die Anträge zuriiek-
gewiesen. unter dem brausenden B«*ifall «l«*r versammelten Aerzt«*
des Kreises Oherpfnlz. Wir zweifeln nicht, dass di«*s«*r Beifall
auch in d(*n übrigen Kr«*is«*n Bayerns Widerhall findet.
— Dass Herr v. Land mann von ganz Irrigen Voraus¬
setzungen ausgeht, wenn er nnniniint. dass die Bestimmung«*»»
des Entwurfs der bnyerlselien Standesordnung der Reiclisgewerho-
ordnung widerstrel)en. weist schon Herr Kollege Becker In
seinem Artikel auf S. 1 GS 1 «lieser Numm«*r nach. Es g«*hl aber auch
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1690 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42.
hervor aus folgenden Entscheidungen des |ireussl-
s c h e n E h r e n g e r i e h t s li o f s. Danach macht sich ein Arzt,
der fortgesetzt oder in marktschreierischer Weise seine Berufs-
tliiitigkeit in »ler Presse annoncirt. einer Verfehlung g«*g«*n die
iirztliche Stau<l»*H«*lir<* schuldig. Allgeklagt war. was die fort¬
gesetzte Ankündigung der Berufstätigkeit In der Presse angeht,
ein Arzt, der In der Zelt vom 2. September bis zum 25. Dezember
1900 lti mal tlieils in einer Tageszeitung. tlieils in eiii«*r Woclien-
sehrlft mitgethellt hatte, dass er von der Heise zurückgekehrt sei.
dass er seine Poliklinik verlegt habe »Hier seine poliklinische
Sprechstunde ausfallen lass»*. Nach dem l'rtheile des Eliran-
gerlclitshof»*s lässt die grosse Zahl der Inserate erkennen, dass der
Angeschuldigte je»le (S»*legenheit vom Zaune bricht, um sich dem
Publikum immer auf’s m*ue in’s G«><lüclitiilss zu bringen. Be¬
sonders lielastend sei in di«*ser Beziehung die Thatsache. dass der
Angeschuldigte, obwohl er nicht mehr Heisen gemacht zu haben
b»*hauptet. als den Monat August hindurch und zw»*l Tage im Ok¬
tober. die Annonce ..Von der Reis«* zurück“, am 2. 9. 29. September,
20. und 28. Oktober. 3., 10. und 17. .\'ov«*mb»*r hat erscheinen lassen.
In dieser Zahl und in diesen Zeiten sind die Annoncen aus d«*r
Veranlassung der Heise nicht zu »*rklär«*n. vUdmchr liegt klar zu
Tage, »lass die Heise als Vorwand dient, um eine unzulässige Wer¬
bung um Praxis durch Anzeigen in den öffentlichen Blättern zu
erreichen, ln zwei weiteren Fällen ..in arktschrelerisch e r“
Reklame handelt es sich tun zwei Aerzte. von denen der ein»* sich
durch wiederholte Anzeigen in öffentlichen Blättern Iwsondere
Leiden ..binnen acht. Tagen mit kombinirter neuer Mtdhode zu
heilen“ erboten hatte, der andere von sich initgetheilt hatte, »lass
er Specialsrzt für Haut- und andere Leiden sei und mit bewährtem
Erfolge behandle. Die grundsätzliche Frage, ob das
p r e ii s s. Elirengeric htsgeset z. insbesondere des¬
sen § 3. n 1 c h t m i t de r R e i c h s g »* w erbe o r d n u n g i m
W iderspruch st e h e n ii d desswegen hinfällig
s e i. w i r d dahin ents c h i e d e n: ..Die ReichsgewerlKHml-
nung findet auf die Ausübung der Heilkunde nur insoweit An¬
wendung. als si»* ausdrücklich»* Bestimmungen darüber »Mithält.
Dieser Vorbehalt beruht nach den Motiv»*n auf der Abshdit des
Oesetzgebera. in die Medicinaiverfassung der «dnzelnen Bundes-
staaten niclit weiter einzugreifen, als »*s nothwendig ist. um für
das ärztliche (lewerbe di«* Freizügigkeit herzustellen, und es sollte
bei den landesg»*setzlich»*n Bestimmungen über die Pflicht«*n der
Aerzte bew»*nden. Fenier bestimmt «ler § 144 der Reichsgewerbe¬
ordnung: ..Inwiefern abg«*s«*h**n von «l«*n Vorschriften über »li«*
Entzi«*hung «l«*s (»«*\verlH*lietri«»b»*s (§ 143) Zuwiderhandlung«*!! der
Oewerb«*treibenden gt*gen ihr»* Berufsptlh-hten ausser den in »lies«*m
Ges»*tze erwähnt»*» Fällen einer Strafe unterliegen, ist nach den
darüber bestehend«*!! <les»*tzen zu lM*urtheilen. Jedoch werden auf-
g(*hob«*n die für Medicinnlpersouen bestehen»l(‘n liesonderen Be-
stimmumr«*n. welche ihnen unter Androhung von Straf«*u ein«*n
Zwang zu ärztlicher Hilfe beilegen.“ Die Rechte und Pflichten
der Aerzte sind hiernach durch die Reichsg«*werbeordnung nicht
«»rschöpfeud geregelt, vielmehr ist hier der Land«*sg»*s«*tzg»*bung
ein weiter Spl»>]raum g«*lass«*n. Insbesoiid«*re »*ntliält die Reichs-
g«*werb»*ordnung keine Bestimmungen fib«*r die Standespflichten
der Aerzte und «Ii«» »*hrengerichtliche Ahndung der Febertretung
dieser Pflichten. Die Re»*htsgiltigkeit d«*s Ehrengeri«*htsgesetz«*s.
insbesondere d«*s § 3 desselben, ist daher ni«*ht zu b«*anstan»len.“
— Die vom nassauischen Heilstättenverein für Lung«*nkwinke
zu Wiesbaden g»*grün«l<»te Anstalt für Kranke des w<*niger b
güterten Mittelstandes beiderlei (»eschlechts. am Siidalihang d« «
Taunus zwischen d«*n Ort«*n Naurod und Ni«*»lernhausen 300 m
hoch gel«*g«»n. wird in der ersten Hälfte des Monats November
««röflfiiet werden. Die Anstalt wird unter Leitung von Dr. Wehm er.
früher G<’>rlM*rsdorf und Sehüinb»>rg, st«*hen. Der Wrpflegungspreis
wird sich auf 4—ö M. täglich stellen.
— Pest. Italien. Feber den Ausbruch der P«*st in Neapel
li«»gt nachstehende nähere Mittheilung vor: Am 23. September
wurde der Präfektur durch die Anz»*ige eim*s IIaf«*narzt»*s be-
kani't. dass inehr«*re ITnf»»nnrb«»iter des als Löscliplatz für die
Schiffe b«»stimmten. Punto franco genannten Hafeutheiles an einer
verdäiditigen Krankheit erkrankt seien, und dass sich in den
Lagerbäus»»ni daselbst eine gross»» Sterblichkeit der Ratten be-
merkbar gemacht habe. Die daraufhin von <l»*r Präfektur unver¬
züglich angeordnete Untersuchung durch den Provinzialarzt er¬
gab. dass seit Ende August d. .1. 7 Haf«*narbeiter unter verdiiehti-
g«»n Eracheinung«*n erkrankt waivn. Von di»*sen waren inzwischen
3 gestorben. 1 war als geheilt zur Arbeit zurückgekehrt, di«*
übrigen 3 waren noch leidend. Die Art der Erkrankung war von
den «lie betreffenden Arbeiter behandelnden Aerzten anscheineml
nicht erkannt. dementspn»»*h«*n«l war als Tod«»sursnohe in den
3 Sterb« fällen LoistendrüsenentZündung. Luug«*nentzündung und
Blinddj.rmentzündung angegeben worden. — Türkei. Einer Mit-
theilnng vom 28. Sept«*mber zu Folge ist In Smyrna ein P«*stfall
fest gestellt worden. Ferner sind in Samsun nach einem Berichte
vom 2. Oktob»*r <! solche Fälle zur amtlich«*!! Ivenntniss g«*langt. —
Aegvplen. V«>m 20. bis 2(i. September kamen zusammen 5 Er¬
krankungen (und 3 T(Mlesfälle) zur Anz«*ige. davon 3 (D In Alexan-
«lrien und j«* 1 (1) in Mit Gnmr und B«*nha. Au Bord d»*s vor
Alexmdrien li«»g«*ndi*u österreichisch«*!! Lloyddampfers „Maria
Tei*»*sa“. welcher, von Konstantinopel kommend, den letzt¬
genannten Platz an' li». September v«*rlass«*u liatt«». wurden am
20. S»pteniber 3 pestverdächtige Erkrankung»*!! f«»stg«*stcllt. —
Britisch Ostindien. In der am 0. S«»pt«»mber endendeu Wocln* sind
in der Präsid<*ntschnft Bombay (7455 Erkrankungen und 43514
To»li*sfälle an der Pest f«*stgest«*llt worden, d. h. 1035 liezw. 037
m e h r als in der Vorwoche. In der Stadt Bombay kamen ln der
am '». September abgelaufeiien Woche 210 Erkrankungen und
240 Totlesfälle zur Anzeige; die Zahl der pestverdächtigen Sterbe-
fälle b»'trug 173. die («»‘sammtzahl der SterlK*fäll«* 953 gegen 907
in der Vorwoche. — Fliiiia. Einer Mittheilung vom 29. August zu
Folge ist die Pest in Amoy »*rlosehen. Die Stund»» hatte auch in
diesem Sommer voi* der «*ing«*borenen Bev«ölk»*rung eine grosse
Zahl voll Opf«*m gefordert, eine Abnahme g»*gen «las Vorjahr war
nicht, zu bemerken. Ausländer sind von der Krankheit nicht er¬
griff «‘u worden. — Kapiand. Dem amtlichen Ausweise zu Folg«*
Ist in der Woche vom 1. bis 7. September auf der Kaphalbinsei
ein Europäer an der Pest «-rkrankt und ein andiavr als lA*iche unter
Feststellung der Pest als T«xlesursa«-h<* aufgefunden worden; in
Port ElizalH*th fanu man die Leiclu* einer Eing(»bor»»nen. Am
1. Oktober sind 3 Erkrankuiigt*n auf einer Farm l»«*i Kapstadt
festgest«»Ilt. worden. (V. d. Iv. G.-A.)
-- In der 39. Jahreswoclie. vom 22. bis 28. IX. 1901, hatten
von «l»»uts»*h«*n Städten ilb»*r 40 (MH) Einwohner «lie grösste
Sterblichkeit Königshütte mit 33.4. die geringste Koblenz mit 5,7
T«»desfiill«*n pro Jahr und RMM) Einwohner. Mehr als »»ln Zehntel
aller (T»*storbeii«*n starb an Scharlach in Barm<*n. Bremen. Halle,
Königshütte, an Masern In Fürth.
— Dr. Hermann Tja den. k. R»*gieruugsrath und Mitgli»*d
d»*s Reiclisg«»sundli«*itsamtes. wurde als Nachfolger dt»s jüngst ver¬
storbenen Dr. Kurth zum Direktor des bakteriologischen Staats¬
laboratoriums in Bremen ernannt.
— Der OlMTarzt «ler II. äusseren Abtheiluug am Stadtkranken-
haus»* Fri»*drichsta<lt-Dr»*s«leu. llofnith Dr. M a r t i u i. ist iuu
1. Oktober nach mehr als 35 jähriger Thiitigkeit in den Ruhestand
g«*t raten.
(Hochschulnachrichten.)
K r a k a u. Habilitirt: Dr. (’ Ii 1 u in s k y für Chirurgie.
L e m b e r g. Habilitirt: Dr. K o w a 1 s k i für Hydrotherapie.
Neapel. Habilitirt: Cantani für med. Pathologie. Del
V e c c li i o für Chirurgie, M andalari für Psychiatrie. Real e
für Dermatologie.
Pisa. Habilitirt: Beuvenuti für med. Pathologie.
Tomsk. D»*r auss»»r»>r»leutliche Professor der Histol«>gie
und Embryologie Dr. S m i r n o w wurde zum ordentlichen Pro¬
fessor ernannt.
Wien. D»»r Privatdocent für Gynäkologie an der hi«»sig«*n
Fniversitiit Dr. med. K. A. Herz fei »1 wurd«* zum ausserordent¬
lichen Professor ernannt. Prof. Dräsche ist in seiner Eigen¬
schaft als Primararzt d«*s allgemein»*!! Kraiikenhaus«*s in den
Ruli«*staiid getreten. Habilitirt: Dr. Ernst Bischof f für
Psy»*hiatrie und Neurologie. Dr. Rudolf Loos für Zahnheilkmnle.
Dr. Max Richter für gerichtliche M»»»llcin.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Leim Heinrich (aus Giessen), appr. 1899 zu
Grosslangheim. P i s t o r y Karl (aus Wattowitz in Oberschlesien),
appr. 15MM). zu Marktbrait. beide Bezirksamt Kitziugen. Theodor
Proskauer. appr. 1889. in II«»f.
Verzogen: Gustav Baas von Brand. B.-A. Wunsit*del. unbe¬
kannt wohin. Bezirksarzt a. I>. J«*s«*f Schmidt von Kitzingen
nach As«*haffenburg. Dr. Otto Ritter von Gaukönigshofen
als liezlrksärztlicher Stell vert rat er mu-h Aul».
Gestorben: Dr. Karl Wolf. Bezirksarzt a. D. in Marktbreit.
75 Jaliri» alt.
Morbiditätsstatistik d. InfectionskrankheitenfQr Manchen
in der 40. Jahreswoche vom 29. September 22. bis 5. Oktober 1901.
Betheiligte Aerzte 207. — Brechdurchfall 22 (27*), Diphtherie,
Croup 17 (12), Erysipelas 15 (12), Intermittens, Neuralgia interm.
— (1), Kindhettfleber 1 (—), Meningitis cerebrospin. — (—),
Morbilli 14 (37), Ophthalmo-Blennorrboea neonat 11 (2), Parotitis
epidem. 3 (2), Pneumonia crouposa 13 (10), Pyaemie, Septikaemie
1 (—), Rheumatismus art. ac. 15 (14), Ruhr (dysenteria) — (—-),
Scarlatina 8 (16), Tussis convulsiva 18 (16), Typhus abdominalis
2 (1), Varicellen 12 (12), Variola, Variolois — (—), Influenza 1 (1),
Summa 162 (162). Kgl. Bezirksamt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle In MOnchen
wahrend der 40. Jahreswoche vom 29. Sept. bis 5 Oktober 1901.
Bevölkernngazahl: 499 932.
Todesursachen: Masern — (4*), Scharlach — (—X Diphtherie
und Croup — (—), Rothlauf — (1), Kindbettfieber — (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) — (—), Brechdurchfall 3 (6), Unterleibtyphus
— (1), Keuchhusten 1 (1), Croupöse Lungenentzündung 2 (2),
Tuberkulose a) der Lungen 12 (17), b) der übrigen Organe 12 (11),
Akuter Gelenkrheumatismus 1 (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 3 (1), Unglücksfälle 2 (1), Selbstmord 2 (—), Tod durch
fremde Hand 2 (—).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 158 (216), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 16,4 (22,6), für die
über dem l. Lebensjahre stehende Bevölkerung 9,4 (10,7).
•) Die elngeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerei A.G., München.
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l>lo Mönch. Med. Wochenschr. erscheint wöchentl.
ln Nummern von durcbschnltllich 6—6 Bogen.
Treis ln Doutschl. u Oeat.-Ungam vlertelj&hrl. 6 JC,
ins Ausland 7.50 JL Einzelne No. 80 4.
MÜNCHENER
Anwendungen sind so a^resslren: Mr die ßedaedott
Ottosirnswe 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Ueustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Moswe, Promenadeplats 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Gh. Blunler,
Frelbnrg 1. B.
0. Bollinger, H. Curscbnann,
München. Leipzig.
Herausgegeben von
C. ßerhardt, 6. Marbel, J. i. Michel,
Berlin. Nürnberg. Berlin.
H. v. Ranke,
München.
F. t. Wiockei,
München.
H. t. Zlemssei,
München.
No. 43. 22. Oktober 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. P. Lehmann, Heustrnase 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Ueber Gallensteine und Gallensteinkrankheit*)
Von Dr. F i cd le r in Dresden.
Bereits vor 22 Jahren (18. Jan. 1879) habe ich in unserer
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde einen Vortrag gehalten
„über Gallensteine“ (ef. Jahresbericht 1878/79). Es freut mich,
dass ich jetzt wieder, einer Aufforderung unseres Herrn Vor¬
sitzenden entsprechend, Gelegenheit hatte, das gleiche Thema
zum Zwecke eines Vortrages zu bearbeiten, die neuere ein¬
schlägige Literatur durehzusehen und die Ergebnisse mit meinen
Beobachtungen, wie ich sie im Krunkenhause und in der Privat¬
praxis gemacht habe, zu vergleichen. Interessant und lehrreich
war es dabei, zu erfahren, in welcher Weise sieh die Anschau¬
ungen und lehren über Cholelithiasis in verhültnissmässig kurzer
Zeit geändert und folgewiehtige Reformen erfahren haben. Wir
verdanken diese Fortschritte in der Hauptsache den Arbeiten
eines Naunyn, Kehr und Riedel.
Was zunächst die Statistik anlangt, so kann ich auf Grund
der neuen Beobachtungen nur wiederholen, dass die Cholelithiasis
auch bei uns zu den häutigst vorkommenden Krankheiten ge¬
hört.. dass sie viel häutiger ist, aLs man gemeinhin anzunehmen
geneigt ist und dass zahllose Beschwerden, die fälschlicher Weise
als Magenkrämpfe, Darmkolik, Neuralgie, Lumbago, Nierenkolik,
als Folgezustände beweglicher Nieren etc. gedeutet werden, re
vorn, wie das auch von anderer Seite immer und immer wieder
hervorgehoben wird, auf das Vorhandensein von Gallensteinen
zu beziehen sind.
Und so wird es insofern aueli in Zukunft bleiben, als immer
eine Anzahl Fälle übrig bleiben werden, in denen die Diagnose,
ob es sich um Gallensteine oder andere pathologische Verände¬
rungen und Zustände handelt, nicht mit Sicherheit wird gestellt
werden können.
Ziffermässige genaue Angaben über die Häufigkeit des
Vorkommens der Gallenstefinkrankheit, besonders solche, denen
grössere Zahlen zu Grunde liegen, sind mir nicht bekannt;
Riedel nimmt an, dass im Deutschen Reiche etwa 200000
Menschen bewusst oder unbewusst Gallensteine mit sich herum -
tragen, und ich glaube, dass diese Ziffer nicht weit von der Wahr¬
heit entfernt liegt.
Wenn ich unter ungefähr 93 000 Kranken, die, im Verlaufe
von 33 Jahren bis heute auf meiner Abthoilung im Stadtkranken¬
hause aufgenommen und verpflegt wurden, nur 133 mal die Dia¬
gnose Gallensteine bozw. Gallensteinkolik notirt finde, also bei
0,14 Troc. aller innern Kranken (und zwar bei ’/„ Proc. Männern
und '/, Proc. Frauen), so beweist das nichts für die Häufigkeit
des Vorkommens der Gallensteine bei unserer Bevölkerung.
Gallensteine kamen auch bei uns und unseren Kranken viel
häufiger vor, machten aber entweder gar keine erheblichen Er¬
scheinungen oder die Krankheitssymptome, über die die Kranken
klagten, wurden auch von mir irrtlnimlieher Weise, besonders in
der ersten Zeit meiner ärztlichen Thätigkeit, anders gedeutet
und auf andere Krankheitszustlinde bezogen, als auf Gallen¬
steine.
*) Vortrag, gehalten am 2. und 9. März 1901 ln der Gesell¬
schaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
No. 43.
Kehr nimmt an, dass vielleicht nur 5 Proc. der Gallen¬
steinträger etwas von der Gegenwart ihrer Steine fühlen.
Wichtigere Auskunft über die Häufigkeit des Vorkommens
der Gallenkonkremente geben selbstverständlich die Sektions¬
befunde. Während meiner 8 jährigen Prosektorzeit am
Dresdener Stadtkrankenhause habe ich dem Vorkommen der
Gallensteine immer meine Aufmerksamkeit zugewendet, aber
doch bin ich überzeugt, dass ich gar nicht selten Gallenkonkre-
mente übersehen habe, besonders gilt dies von kleinen Steinen,
zumal wenn sie in zäher Galle eingebettet lagen. Wenn man
die Gallenblase bei emporgehobener Leber nur ansticht bezw. auf-
selmeidet und die Galle auslaufen lässt, wenn man die Blase, den
Blasenhals und die Ausführungsgänge nicht sorgfältig öffnet und
abfüldt, so entzieht sieh gewiss manches Konkrement unserer
Wahrnehmung und die statistischen Angaben liegen hinter der
Wahrheit zurück.
Vom Jahre 1862 bis 1869 habe ich 2833 Leichen im Kranken-
hause secirt und in den Sektionsprotokollen finde ich 201 mal
„Gallensteine“ notirt, d. h. also hei 7 Proc. aller Leichen (bei
4 Proc. männlichen und bei 9 Proc. weiblichen); darauf hat mein
früherer Assistent, Dr. Krug, 11077 Obduktionsprotokolle
aus späterer Zeit durchgesehen und fand 599 mal Gallensteine
erwähnt, also in 5,4 Proc. und zwar bei 6528 Männern 97 mal,
d. h. bei 2,7 Proc., und bei 4549 Frauen 416 mal, d. h. bei
9,1 Proc.
Mit grösster Sorgfalt Hess in den vergangenen Monaten
der jetzige Prosektor, Dr. Schmorl, 500 Leichen auf
das Vorhandensein von Gallensteinen untersuchen. Es
wurden 49 mal Konkremente gefunden, also bei 10 Proc. der
Leichen (die übrigens allen Altersstufen angehörten) und zwar
bei 277 männlichen Leichen 15 mal = 5,4 Proc. und bei 223
weiblichen 34 mal = 15 Proc. Diese Zahlen entsprechen wohl
den ^tatsächlichen Verhältnissen, wie sie bezüglich des Vor¬
kommens der Gallensteine bei den Kranken unseres Hospitals
und man kann wohl auch behaupten, bei unserer Bevölkerung be¬
obachtet werden. Von den Personen, welche das Dresdener Stadt¬
krankenhaus als Kranke aufsuchen, hat somit jede 7. bis 8. weib¬
liche und jede 29. männliche Gallensteine.
Ueber die Diagnose der Cholelithiasis im Allgemeinen will
ich, da mich das viel zu weit führen würde, nicht sprechen, nur
ein diagnostisches Hilfsmittel kurz berüliren, welche« für den
Nachweis der Gallensteine in Zukunft gewiss noch an Bedeutung
gewinnen wird. Es ist das die Durchleuchtung mit Röntgen¬
strahlen.
Vielfache Versuche sind damit allerdings schon angestellt
worden, fast alle mit negativem Resultate. Trotzdem, hoffe ich,
wird es der photographischen Technik doch noch gelingen, das
Problem zu lösen.
Es gibt allerdings Steine, die bis 90 Proc. Cholestearin ent¬
halten oder die in der Hauptsache aus Gallenfarbstoff bestellen,
und von diesen kann man wohl nicht erwarten, dass sic Schatten
gehen und beim Durchleuchten sichtbar werden. Das sind aber
die selteneren Steine, die meisten enthalten neben ('holestearin
mehr oder weniger, viele sehr bedeutende Mengen Kalk, und dass
diese sichtbar gemacht worden können, besonders bei mageren
Personen, ist a priori nicht in Abrede zu stellen.
Ebenso gut. wie man Geschwülste — Aneurysmen, Abscessc
— in der Brust- und Bauchhöhle photographisch nachweist, und
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
die Contouren des Magens, Herzens etc., ebenso, sollte ich meinen,
müsste auch der Nachweis von Gallensteinen gelingen. Und
Dr. Beck, Prof, of Surgery, New-York, St. Mark’s Hospital,
führt uns ein Photogramm vor, welches von einem 37 jährigen
Manne stammt und ganz deutlich 2 grosse facettirte, elliptisch
geformte Steine in der Gallenblase, einen kleinen im Ductus
cysticus eingekeilt und 3 kleinere, deutlich facettirte, wahrschein¬
lich in der Leber, erkennen lässt.
Auch möchte ich auf die Arbeit von Kümmell -Hamburg
(Berl. klin. Wochenschr. 1901, No. 1), sowie auf die Abhandlung
von Beck (Berl. klin. Wochenschr. 1901, No. 19) über die Dar¬
stellung von Gallensteinen mittels der Röntgenstrahlen aufmerk¬
sam machen, und Dr. Lange, Assistent am pathologisch-ana¬
tomischen Institute zu Dresden, zeigte mir eine Anzahl von
Gallensteinphotogrammen, die er dadurch gewonnen hatte, dass
er die Konkremente verschiedenen Leichen unter die Leber ge¬
legt und dann die Durchleuchtung vorgenommen hatte. Viele,
besonders die stark kalkhaltigen Steine, waren mit grosser Deut¬
lichkeit zu erkennen. So aussichtslos, wie von mancher Seite
angenommen wird, ist die Sache also doch nicht.
Von hohem Interesse und praktischer Bedeutung sind die
Beobachtungen, welche jetzt bezüglich der Entstehung der
Gallensteine vorliegen. Wir verdanken sie in der Hauptsache den
klassischen Untersuchungen Naunyn’s. Er wies nach, dass
die frühere Annahme, welche seit S ö in m e r i n g, Friedrich
August W a 11 h e r etc. die herrschende war und auch noch von
Schüppel, Niemeyer etc. vertreten wird, nach welcher die
in der Galle gelösten Bestandtheile, wie Cholestearin, chol-
saurer Kalk, Gallonfarbstoff, ausgeschieden werden und sich
niederschlagen, sobald gewisse Veränderungen in der chemischen
Zusammensetzung der Gallenflüssigkeit eintreten, und dadurch
die nächste Veranlassung zur Gallensteinbildung gegeben wird,
nicht richtig ist, oder wenigstens nur für die wenigsten Fälle
Geltung hat. Eine Zersetzung der Galle ist also nicht die Ur¬
sache zur Bildung der Konkremente.
N a u n y n wies nach, und findet mit seiner Ansicht immer
mehr Anklang, dass die beiden wichtigsten Steinbildner Chole¬
stearin und Calcium aus der Schleimhaut der Gallen¬
blase stammen, aus den Epithelien, und dass es sich um eine pri¬
märe Erkrankung der Schleimhaut handelt.
Die Epithelien entarten fettig, es bildet sich Myelin und
daraus Cholestearinklümpehen als erste Anfänge der Gallen¬
steine. Erst später entwickelt sich in diesen Cholestearinmassen
krystallinische Struktur.
Stoffwechsel und Nährweise kommen nach Naunyn bei
der Entstehung der Konkremente nicht in Betracht. Derselbe
konnte Hunden grössere Mengen Cholestearin oder Kalk in’s
Blut bringen und sie auf dio verschiedenste Weise ernähren, die
chemische Konstitution der Galle blieb unverändert. Sind ein¬
mal die Myelin- und Cholestearinkalkklumpen vorhanden, so ver-
grössern sich dieselben durch Apposition. Es setzen sich neue
Schichten an, die aber immer wieder der Schleimhaut ent¬
stammen.
Uebrigens spricht schon Meckel von einem gallenstein-
bildenden Katarrh. Neuerdings gelangt die Ansicht immer mehr
zur Geltung, dass dieser Katarrh bakteriellen Ursprungs ist, und
man hat das Baetoriuin coli in Verdacht, dass es unter gewissen
Umständen einen entzündlichen Reiz auf die Schleimhaut der
Gallenblase ausübt.
So lange der Abfluss der Galle ungehindert stattfindet, ist,
wie es scheint, die Gallenflüssigkeit steril, sobald aber aus irgend
einem Grunde Gallenstauung stattfindet, und besonders bei vor¬
handener Cholecystitis, wurde regelmässig das Bacterium coli
nachgewiesen.
Die Untersuchungen über diesen Vorgang sind noch keines¬
wegs zum Abschlüsse gelangt, so viel aber steht fest, dass das
Bacterium coli eine ganz verschiedene Virulenz besitzt. Wo¬
durch dieselbe aber im einzelnen Falle bedingt, erhöht oder ver¬
mindert bezw. aufgehoben wird, das ist noch unaufgeklärt.
M i g n o t und M i a k e geben an, dass sie durch direkte
Einspritzung von Bacterium coli mit abgeschwächter Virulenz
bei Hunden, nachdem der Gallenabfluss verlangsamt oder ver¬
hindert war, Steine erzeugt haben.
Die Schichtung der Gallensteine, sowie die Mächtigkeit der
Schichten, wie wir sie auf dem Durchschnitt beobachten, wird mit
den, zu verschiedenen Zeiten auftretenden und ungleich lange an¬
haltenden lithogonen Katarrhen, welche das betreffende In¬
dividuum durclizumachen hatte, in Zusammenhang gebracht,
daher auch die immer gleiche Zahl von Schichten, die sich bei
den einzelnen, aus ein und derselben Gallenblase stammenden
Steinen finden.
Bekannt ist es, dass man zuweilen Fremdkörper, z. B.
Seidenfäden, Stücke von Ascaris, Kerne etc., im Centrum eines
Gallensteins gefunden hat, und die Annahme, dass sich um diese
herum Calcium, Cholestearin aus der Gallenflüssigkeit ausge-
sehieden und abgelagert hat, liegt nahe, aber ebenso gut kann
man annehmen, dass ein steinbildender Katarrh nebenbei be¬
stand, der jene Materialien lieferte. Naunyn hat verschiedene
Fremdkörper in die Gallenblase von Hunden gebracht und nie¬
mals Niederschläge irgend welcher Art erzielt.
Bezüglich der Actiologie der Gallensteine findet sich mehr¬
fach die Angabe, dass der Typhus abdominalis zur Bildung der¬
selben disponire, auch ist es bekannt, dass man in der Galle
Typhuskranker Typhusbacillen gefunden hat. In den Mittheil,
a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. (7. April 1900) wird ein Fall be¬
schrieben, bei dem sich 4 Wochen nach Beginn des Typhus die
Cystotomie nothwendig machte und 58 kleine Cholestearinsteiue
entfernt wurden, in deren Centrum, so wie in dem Eiter, welchen
die Gallenblase enthielt, Typhusbacillen gefunden wurden. Auch
Naunyn beobachtete wenige Wochen nach überstandenem
Typhus bei einem 14 jährigen Knaben Gallensteinkolik.
Diese Beobachtungen liegen allerdings vor. Ich kann aber
darin noch keinen Beweis für die besondere Häufigkeit des Vor¬
kommens von Gallensteinen nach Typhus erkennen. Während
meiner 40 jährigen Thätigkeit am Stadtkrankenhause zu Dresden
habe ich 4490 Typhuskranke behandelt bezw. beobachtet, von diesen
starben 9 bis 10 Proc. in den verschiedensten Stadien der
Krankheit. Es ist mir nicht erinnerlich, dass auch nur einer von
den Kranken über Erscheinungen klagte, die man als Gallen-
steinkolik hätte deuten können, und bei Durchsicht der Sektious-
protokolle fand ich nui* 2 mal das Vorhandensein von Gallen¬
steinen notirt, und zwar bei 2 älteren Frauen.
Viele von den Personen, welche im Krankenliausc Typhus
überstanden hatten, sah ich auch in späterer Zeit wieder und
wurde von ihnen konsultirt, aber über Beschwerden, die auf das
\ orhandensoin von Gallensteinen zu beziehen waren, klagte, so
viel ich weiss, keine.
Dass die Gallensteine in einer grossen Anzahl von Fällen,
ohne Krankheitserscheinungen zu verursachen, ertragen werden,
habe ich bereits oben erwähnt. Im strengsten Sinne des Wortes
ist dies jedoch meiner Ansicht nach nicht richtig, denn gewisse
Beschwerden, die aber von dem Laien sowohl, als von dem Arzte
anders gedeutet und auf andere Organe bezogen werden, treten
bei solchen Personen, die an Gallensteinen leiden, wenigstens zeit¬
weilig fast immer auf.
Aus eigener Anschauung weiss ich, dass eine Gallenblase,
in der sieh Gallensteine finden, fast niemals ein ganz normales
anatomisches Verhalten zeigt. Gewisse pathologische Verände¬
rungen finden sich an ihr stets. Entweder Verdickung der
Blasenwand und Veränderungen des Cylinderepithels (dasselbe
ist oft platt gedrückt und hat das Ansehen von Pflasterepithel),
oder Verlöthung der Steine mit der Blaseuwand; Schrumpfung
der Gallenblase; sträng- oder flächenförmige Verwachsungen der
Serosa mit den Nachbarorganen; Erosionen, Geschwüre oder
Narben an der Innenfläeho der Gallenblase etc. Dass diese patho¬
logischen Veränderungen nicht ohne alle und jede klinischen Er¬
scheinungen einhergehen, kann man ohne Weiteres annehmen. —
Und tritt bei solchem Kranken, wie er angibt, ganz plötzlich und
ohne vorhergehendes Unwohlsein ein Anfall von Gallenstein¬
kolik ein, so erfährt man bei genauer Nachfrage regelmässig,
dass doch schon oft gewisse Beschwerden und Erschei¬
nungen dagewesen sind, die zweifellos durch die längst vor¬
handenen Gallensteine verursacht wurden.
Treten heftige Kolikschmerzen bei Gallensteinkranken ein,
so nahm man früher ganz allgemein an, besonders wenn gleich¬
zeitig Ikterus vorhanden war, dass der Stein seine ruhige Lage
in der Gallenblase verlassen hat, sich auf der Wanderung befindet
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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und entweder im Blasenhals oder in den Ausführungsgängen ein¬
geklemmt ist. Daher die Selunerzen.
Dass dieser Vorgang existirt., ja dass er gar nicht selten die
Veranlassung zu den heftigen Kolikanfällen ist, davon bin ich
allerdings fest überzeugt, aber aus den klassischen Untersuch¬
ungen und Beobachtungen von Riedel, Kehr und Naunyn
geht zweifellos hervor, dass jene Schmerzanfälle auch
auf andere Weise zu Stande kommen können und zwar häufiger
als wir bisher anzunehmen geneigt waren, nämlich durch Ent¬
zündung der Gallonblasenwand, durch Cholecystitis. Nicht selten
sind beide Ursachen gleichzeitig vorhanden und die Schmerzen
werden im konkreten Falle ebenso durch Entzündung als durch
Einklemmung verursacht.
Zu der Ansicht aber, dass die Schmerzen nur als Ausdruck
einer vorhandenen Cholecystitis aufzufassen sind, kann ich mich
auf Grund meiner Beobachtungen und Erfahrungen nicht be¬
kennen.
Ungehindert und ohne Schmerzen gelangen nur ganz kleine,
etwa halberbsengrosse Steine in den Darm.
Konkremente, welche die Grösse einer Erbse überschreiten,
können meiner Meinung nach ohne Ulceration die Ausführungs-
gängo nicht passiren. Diese Ansicht habe ich bereits in meinem
früheren Vortrag (18. Jan. 1879) vertreten und halte ich noch
heute in vollem Umfange aufrecht.
Mehrfach ist dieselbe angezweifelt worden, vielfach wird
angenommen, dass weit grössere Steine ohne Verletzung ausge-
stosson werden können. Naunyn aber nimmt ebenfalls ,an,
dass nur Steine von der Grösse einer Erbse, höchstens eines
Kirschkerns, per vias naturales abgehen können, Müller in
Würzburg ist derselben Ansicht und führt an, dass selbst Steine
von Erbsengrösse nur unter heftigen Schmerzen den unverletzten
Ductus cysticus passiren können, auch Kehr und Riedel
stehen dieser Ansicht nicht fern.
Wie früher, so behaupte ich auch jetzt noch, dass Gallen¬
steine viel häufiger durch Ulceration in den Darmkanal gelangen
und ausgestossen werden, als man gemeinhin anzunehmen geneigt
ist, dass nur selten bei ihrer Wanderung die Gallengange in¬
takt bleiben. Der Vorgang ist wohl gewöhnlich der, dass zu¬
nächst ein kleiner Stein von 1 höchstens 1,5 mm den Ductus
cysticus (der von den Ausführungsgängen den geringsten Durch¬
messer besitzt, ausserdem korkzieherartig gewunden ist, und die
bekannten Haustra besitzt) passirt, in den Duct. choledoch.
gelangt, hier allmählich an Grösse zunimmt, und durch den
Strom der Galle, die ja unter Umständen neben dem Stein in
den Dann abfliessen kann (daher Ikterus gar nicht vorhanden zu
sein braucht) theilweise auch durch Muskelkraft bis an die Pars
duodenalis des Duct. choledoch., welche bekanntlich die Darm¬
wand in schräger Richtung durchbohrt., vorgeschoben wird.
liier findet aber das Konkrement, wie ich das bereits in
meinem ersten Vortrage geschildert habe, den grössten Wider¬
stand. Man darf nicht annehmen, dass sobald dasselbe andrängt,
sich das Divertikel erweitert und öffnet, ebenso wie der Pylorus.
In der Pai^s duodenal, duct. choledoch. finden sich nur wenig
unregelmässig verlaufende muskulöse Faserzellen und Faserzüge,
aber so spärlich, dass von einer besonderen Muskelhaut auch
nicht im Entferntesten die Rede sein kann. Drängt nun ein
Stein gegen die Duodenalwand an, so stülpt er diese nach dem
Lumen zu vor, schliesslich entsteht dort ein Decubitusgcschwür,
Druckgangrän und endlich gelangt der Stein durch Eiterung
in’s Duodenum. Ist das geschehen, so zieht sich die Perforations¬
öffnung wieder zusammen, die ulcerirte Stelle vernarbt und es
bildet sich am Divertic. Vateri ein fester Bindegewcbsring, wie
ich das bei Sektionen an Menschen, die früher Gallensteine mit
dem Stuhle entleert hatten, zu wiederholten Malen gesehen habe.
Eine sehr instruktive Abbildung findet sich in der Sammlung
des pathologischen Instituts zu Dresden. (Naunyn beschreibt
den Vorgang ganz in gleicher Weise (lieber die Vorgänge bei der
Cholelith. etc. Mittheil, aus den Grenzgebieten der Medicin und
(’hir., Bd. 4, 1898). Die meisten Gallensteine, welche mit dem
Stuhle entleert werden, sind, wie ich glaube, auf diese Weise in
den Darm gelangt. Um die Dehnbarkeit der Pars duoden. duct.
choledoch. zu prüfen, liess ich Kälbern unmittelbar, nachdem
sie geschlachtet waren,Laminariastifte in diesenTheil des Gallen¬
ganges einführen und es ergab sich, dass die Stifte, welche im
trockenen Zustande einen Durchmesser von 2,8 mm hatten, in
der Pars duodenal, nur um 1,2 mm aufquollen, im übrigen Theile
des Duct. choledochus um 4,0 mm.
Freilich so verhälttiissmässig glatt, wie oben beschrieben,
■»geht die Ausstossung der Konkremente nicht immer ab, die¬
selben gelangen nicht allemal bis in die Pars duodenalis, sondern
bleiben irgendwo im Verlaufe, des Ductus cystic. oder chole¬
dochus mehr weniger fest eingeklemmt liegen. Das Konkrement
wirkt in dieser Lage zunächst reizend auf die Schleimhaut des
Gallengangcs, daran schliessen sich in der Regel tiefgehende
Ulcerationsprocesse, welche zu Perforation, Eiterung in den
Nachbarorganen, besonders in der Leber etc. führen. Solche
traurige Fälle hat jeder beschäftigte praktische Arzt beobachtet.
Die chirurgischen Kollegen werden sagen, man darf es gar
nicht dazu kommen lassen, dass der Stein aus der Gallenblase in
die Ausführungsgänge Übertritt, es kommt darauf an, dieselben
durch Operation zu entfernen, so lange sie sich noch in der
Blaso befinden. Und ist der Uebertritt in den Duct. cystic. oder
choledochus doch erfolgt, so muss der Stein sofort auf operativem
Wege entfernt werden, man kann nicht darauf rechnen und
darauf warten, dass der Stein bis an das Duodenum vorrückt,
hier durcheitert und in den Darm gelangt.
Dieses Verlangen der chirurgischen Kollegen hat entschieden
seine Berechtigung, aber so leicht ist es für uns interne Acrzte
nicht, demselben zu entsprechen.
Schon oben wurde erwähnt, dass es oft sehr schwer ist, die
Diagnose auf das Vorhandensein von Gallensteinen in der Gallen¬
blase mit solcher Sicherheit zu stellen, dass man zur Vornahme
der Operation rathen und drängen muss.
Selbst eine Probelaparotomie ist doch kein gleich-
giltigcr Eingriff, wenigstens immer ein solcher, den man dem
betreffenden Kranken so lange als möglich erspart. — Und
zweitens erfolgt, der Uebertritt der Konkremente aus der Blase in
den Cysticus oft ganz plötzlich, ohne angebbare Ursache und
ohne dass schwere x\nfiille oder Krankheitserseheinungen voraus¬
gegangen sind. Mittel und Wege, diesen Uebertritt zu verhin¬
dern, gibt es nicht. Und was die Entfernung des Steins aus
den Gängen anlangt, so ist die Mortalität bei dieser Operation,
auch wenn sie, ehe noch peritonitische Erscheinungen oder
sonstige Komplikationen aufgetreten sind und von der Meister¬
hand eines Kehr, Riedel etc. ausgeführt sind, keine geringe,
und es fragt sich in vielen Fällen, bei welcher Methode der
Kranke mehr Chancen hat, geheilt zu werden, bei der zu¬
wartenden oder durch Operation.
Für uns praktische Aorzte ist die Entscheidung der Frage,
ob und wann operirt werden soll, sehr oft ausserordentlich
schwierig. Die Verhältnisse bezüglich der Behandlung der Chole-
lithiasis haben sich allerdings in den letzten Dceennien durch die
grossem Errungenschaften, welche die Chirurgie zu verzeichnen
hat, gewaltig geändert und die Indikationen für Vornahme der
Operation sind sehr erweitert: dem müssen und wollen wir
praktische Aerzte bei der Behandlung unserer Gallensteinkranken
jederzeit Rechnung tragen. Auch sind Jedem von uns Fälle in
trauriger Erinnerung, in denen der Tod durch perforatorische
Peritonitis, durch Pylephlebitis, Leberabscosse, cholaemische Zu¬
stände, Sepsis oft ganz unerwartet eintrat., aber wir können dem
gegenüber auch von zahlreichen Fällen berichten aus jener Zeit,
wo von Gallensteinoperation noch keine Rede war, in denen
Monate lang schwere Krankheitserscheinungen, die zweifellos
auf Gallensteine und Einklemmung zu beziehen waren, bestanden
und die doch mit voller Genesung endeten, von Fällen, in denen
nach langer Krankheit grosse Steine durch den Darm abgingen
— ich besitze deren 7 Stück, von denen einer 45 g wiegt, und
einen vollen Abguss der Gallenblase darstellt — und bei denen
volle restitutio in integrum erfolgte. Auch hat Jeder von uns
Kranke beobachtet, die Jahre lang viele Anfälle von Gallenstein¬
kolik mit Ikterus. Schüttelfrösten, Fieber etc. durchgemacht
haben, bei denen schliesslich die Anfälle doch seltener wurden,
zuletzt volle Ruhe eint rat und die sich dann lange Jahre und
bis in ein hohes Alter der besten Gesundheit erfreuten. Bei
mehreren dieser Kranken habe ich später den Duct cysticus vor¬
schlossen, die Gallensteine fest gelagert in der Gallenblase, dem
Blasenhals odor im unteren Theile des Duct. cysticus bei der
Sektion nachgewiesen. Solche Fälle bekommen die Chirurgen
selten zu sehen, daher die differente Ansicht zwischen ihnen
und den Internisten bezüglich der Operation.
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No. 43.
Und wenn v. Winiwarter sagt, mit der Diagnose Gallen¬
steine ist auch die Indikation zur Operation gegeben, so ist das
ein Verlangen, dem wir inneren Acrzte nimmermehr Folge leisten
können, das wir vielmehr auf das Entschiedenste als viel zu weit
gehend bezeichnen müssen. Mit einem solchen chirurgischen
Radikalismus ist der Menschheit nicht gedient und nichts ge¬
nützt.
Bereits oben habe ich erwähnt, dass die frühere Annahme,
nach welcher die Kolikschmerzen bei Gallensteinen allemal als
Einklemmungserscheinungen aufzufassen sind, durch die neueren
Untersuchungen widerlegt- ist. Auf Grund direkter Anschauung
l«*i zahlreichen Operationen gelangte Riedel zu der Ueber-
zeugung, dass jene. Kolikschmorzen nicht sowohl durch Ein¬
klemmung verursacht werden, sondern als Entzündungscrsehoi-
nung aufzufassen sind. Kehr und Naunyn theilen im All¬
gemeinen diese Ansicht, wenn auch nicht mit der Exclusivität,
wie es Riedel thut.
Nach der früheren Anschauung waren die Kolikschmerzen
die Folge des Reizes, welchen der in den Gallenblasenhals oder
den Duct. eysticus vorgeschobene und eingeklemmte Stein, um
den sich die Wand krampfhaft zusammenzog, ausübte. Von hier
aus wurden dann gewisse Reflexerscheinungen, Darmkontrak¬
tionen, Erbrechen etc. ausgelöst.
Dieses alte Schema genügt jetzt allerdings nicht mehr, um
jeden Kolikanfall zu erklären. Riedel behauptet nun, dass
jede Gallensteinkolik primär auf der akuten Entzündung einer
hydropischen Gallenblase beruht. Er nimmt an, dass der Stein
zunächst symptomlos in den Gallenblasenhals rückt, den Gang
verlegt und den Abfluss der Galle behindert; dadurch entsteht
zunächst, aber ohne dass der Stein wirklich eingeklemmt ist,
Hydrops vesieae fclleae. Der Inhalt der Gallenblase wird in
eine dünne, viscide Masse umgewandelt und eine solche Gallen¬
blase hat grosse Neigung, sich zu entzünden. Es kommt unter
heftigen Schmerzen zu einer Cholecystitis mit serösem oder eero-
purulentcm bezw. rein eitrigem Exsudate. Erst sekundär, wenn
der Stein klein genug ist, kann er weiter in den Duct. eysticus
getrieben werden und sich zum Schmerze der Entzündung in
manchen Fällen auch der der Einklemmung hinzugesellon.
Kehr und Naunyn sind der Ansicht, dass in der
Regel Mikroorganismen die Ursache zur Entstehung der Chole¬
cystitis sind, zunächst das Bacterium coli, aber auch Staphylo
eoccen und Streptococcen. Begünstigend für ihre Ansiedelung
wirkt Behinderung des Gallenabflusses. Auch ohne das Vor¬
handensein von Steinen können Mikroorganismen Cholecystitis
verursachen. Riedel nimmt das nicht an, sondern eine be¬
sondere Art der Entzündung, die er Perialienitis oder Peri-
xenitis nennt, also eine Entzündung um einen Fremdkörper, in
unserem Falle um Gallensteine, welche zu qualitativ ver¬
schiedenen Exsudaten führen kann. Vielleicht werde diese Ent¬
zündung durch Traumen verursacht. Uebrigens sind Riedel,
Kehr und Naunyn übereinstimmend der Ansicht, dass die
Cholecystitiden unter Umständen sehr schnell entstehen, aber
auch ebenso schnell wieder zurückgehen können.
Beiläufig sei erwähnt, dass Riedel seine Lehre von der
Perialienitis noch auf viele andere Entzündungen ausdehnt, z. B.
die Gelenkentzündung bei Gicht, die Bursitis praepatcllaris, die
Tonsillitis, Appendieitis, Nephritis calculosa, Osteomyelitis etc.
Was meine Ansicht anlangt, so glaube ich, dass Riedel
gewiss in sehr vielen Fällen recht hat, wenn er annimmt, dass
der Koliksehmerz auf Entzündung der Gallenblase beruht, dass
aber jede Gallensteinkolik primär als Cholecystitis aufzufassen
ist, das will mir nicht einleuchten. Ich glaube vielmehr, dass
eine ziemliche Anzahl von Gallensteinkranken existirt, deren
Kolikschmerzen allerdings direkt durch Einklemmung von
.Steinen verursacht werden. Wenn der Stein, wie das ja oft der
Fall ist, eckig und hart ist, und die entsprechende Grösse be¬
sitzt, so kann man sich sehr wohl denken, dass er durch ein
Trauma, durch besondere Lagerung, Bewegung und Füllung
der Därme, oder durch die Bauchpresse, durch Kontraktion der
Gallenblase zum Zwecke der Entleerung etc. vorwärts geschoben
wird und zunächst in den Blasenhals gelangt, dass er hier einen
mechanischen Insult zunächst auf die Schleimhaut ausübt, dass
dieser Reiz sich bis auf die Serosa fortsetzt und dass dieser dann
zu energischen reflektorischen Kontraktionen der Gallenblase,
die mit heftigen Schmerzen und Krampfgefühl verbunden sind,
führt. Dadurch kommt die Einklemmung zu Stande, der Stein
wird festgehalten und eingekeilt. Erst sekundär kommt dann
gewiss oft Entzündung mit allen ihren Folgezuständen hinzu.
In den meisten Fällen lässt der Krampf nach einiger Zeit nach
und der Stein fällt nach längerer oder kürzerer Zeit wieder in die
Gallenblase zurück.
Handelte es sich wirklich allemal um Entzündung, dann ist
es mir nicht erklärlich, wie es möglich ist, dass die furchtbaren
Schmerzen fast immer so ganz plötzlich ohne Vorboten ent¬
stehen, gleich mit voller Heftigkeit einselzen, dass sie sehr oft
ebenso schnell wieder verschwinden, entweder spontan oder un¬
mittelbar nach einer Morphiumeinspritzung, nach Applikation
von Leinmehlumsehlügen etc. und dass sie vollständig und oft
auf lange Zeit verschwinden. Wie ist es möglich, dass, wenn es
sich um Entzündung handelt, der Schmerz, der so intensiv war,
dass man die Gallenblasengegend nicht berühren durfte, ohne
dass der Kranke laut aufschrie und stöhnte, dass dieser oft nach
kurzer Zeit und zwar plötzlich so vollständig verschwunden ist,
dass man die vorhex so ausserordentlich empfindliche Gegend
jetzt beliebig ohne jedwede Schmerzempfindung drücken und
kneten kann. Würde das bei einer bestellenden Entzündung der
Fall sein? Diese braucht doch eine gewisse Zeit zu ihrer Ent¬
wicklung, allmählich erreicht sie ihren Höhepunkt und langsam
klingt- sie wieder ab. Das rasche Aufhören dos Schmerzes erklärt
sich viel ungezwungener, wenn man annimmt, dass der Reflex¬
krampf. welchen der eingeklemmte Stein veranlasst, nachlässt,
dass sich die Umgebung, also in der Regel die Sclileimhaut des
Blasenhalses an den Eindringling gewöhnt und derselbe ruhig
dort liegen bleibt oder dadurch, und das kommt gewiss, wie ich
schon sagte, häufiger vor als man annimmt, dass der Stein,
welcher in den Blascnhals vorgcscholwm war und hier Reiz und
Krampf verursachte, wenn dieser vorüber ist, in die Blase
zurückfällt. Ich verstehe nicht, wesshalb dieses Vorkomm-
niss, durch welches sich die rasche Entstehung ebenso wie das
rasche Verschwinden der Koliksehmerzen in ungezwungener
Weise erklärt, so selten sein bezw. gar nicht bestehen soll.
Auch die häufige Wiederkehr der Sehmerzanfälle bei
Gallensteinkranken, wie wir sie gar nicht selten beobachten,
macht, es mir unwahrscheinlich, dass wir cs dabei allemal mit
Entzündungsvorgängen, mit Cholecystitis, zu thun haben. Es
gibt Kranke, die alle 14 Tage und häufiger von mehr oder minder
heftigen, ganz charakteristischen Gallensteinkoliken mit oder
ohne Ikterus heimgesucht werden. Eine Dame ist mir erinner¬
lich, die in dieser Weise litt, in der Zwischenzeit aber, abgesehen
von Obstruktionsbeschwerden und leichter Druckempfindliehkeit
in der Lebergegend, ganz gesund und leistungsfähig war. Ganz
plötzlich, auf dem Spaziergange oder bei irgend welcher Arbeit,
mitten im Wohlbefinden, traten bei ihr die heftigsten Kolik-
sehmerzen ein, unter Anwendung von Leinmehlumschlägen, oder
nach Einspritzung einer kleinen Dosis Morphium Hessen die
Schmerzen schon nach Vs —1 Stunde nach und dio Kranke war
wieder schmerzfrei und so gesund wie vorher. Und dass es sich
in diesem Falle wirklich um Gallensteine handelt, geht daraus
hervor, dass vor Jahren ein fast erbsengrosses Cholestearin-
Kalkkonkrement mit dem Stuhlgang abgegangen ist.
Auch sind die Schmerzen bei Gallensteinkolik in der Regel
so furchtbar und so speeifischer Natur, wie wir sie bei Schleim¬
hautentzündung (auch wenn diese auf die tieferen Gewebe über¬
greift) anderer Organe nicht kennen. Die Verhältnisse bei der
Gallenblase sind allerdings ganz besonderer Art. die rasche
Ansammlung des Entzündungssekretes, die Spannung der
Wände, die. Kontraktion der muskulösen Elemente kommt
dabei mit in Betracht; immerhin abex sehe ich nicht ein, wie
sich dadurch die ganz intensiven, und ich wiederhole es, spe-
cifischen Schmerzen erklären sollen, dazu fehlt alle Analogie;
wohl aber findet sich eine solche in den Erscheinungen, wie wir sie
hei Einklemmung von Nierensteinen im Harnleiter beobachten.
Ich weiss recht wohl, dass hierbei gewisse, besondere Umstände
obwalten, dass durch den nachdringenden Urin, der nicht ab-
fliessen kann, an und für sich schon Beschwerden und Schmerzen
verursacht werden, aber in der Hauptsache geschieht das meiner
Meinung nach, gerade so wie bei vielen GallensteinkoUkanfällen,
durch die Einklemmung. Auch bei den Nierensteinen entstehen
die Schmerzen in der Regel, wenn das Konkrement in den Harn-
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MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
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leiter gelangt, ganz plötzlich, und verschwinden ebenso schnell
wie sie gekommen sind, wenn dasselbe den Ureter passirt
hat und in die Harnblase gelangt bezw. durch die Urethra abge-
gangon ist, ohne dass auch nur die geringste Empfindlichkeit
der Uretergegend zurückbleibt.
Noch möchte ich erwähnen, dass die blosse Ausdehnung der
Gallenblase, auch wenn sie akut entsteht, in der Regel nur ge-
rige Schmerzen und Beschwerden verursacht. Man fühlt bei
Kranken zuweilen die Gallenblase als birnenförmigen, prall ge¬
füllten, etwas druckempfindlichen Tumor, unter der Leber, und
am nächsten Tage ist die Geschwulst vollkommen verschwunden,
und das wiederholt sich noch öfters. Wir müssen annehmen,
dass sich die Gallenblase in diesen Fällen plötzlich füllt und
wieder entleert. Mit wesentlicher Schmerzempfindung sind diese
Vorgänge aber keineswegs allemal verbunden.
Ich bin der Ansicht, dass es zweierlei Arten von Kolik¬
schmerz gibt, die eine durch Entzündung verursacht, die andere
durch Einklemmung, häufig wirken beide Ursachen gleichzeitig.
Die ganz plötzlich auftretenden, ganz specifischen und mit
grösster Intensität auftretenden, bei denen die Kranken vor
Schmerz laut schreien und stöhnen, oft collabiren, die aber in
der Regel spontan oder nach Anwendung von Morphium, Kata-
plasmen etc. rasch verschwinden, ohne Empfindlichkeit zurück¬
zulassen, halte ich für Einklemmungsschmerzen; die langsamer
sich entwickelnden, langsamer vollständig verschwindenden und
nicht so heftigen Anfälle für Kolikschmerzen, die durch
Entzündung verursacht werden. Uebergänge gibt es gewiss,
auch gebe ich gern zu, dass auch die Entzündungssclimerzen zu¬
weilen intensiv auftreten und dem Kranken das Leben verbittern
können.
Und nun möchte ich mir erlauben, noch einige andere Vor¬
kommnisse zu besprechen, die bei Gallensteinkranken Vorkommen
und die für uns praktische Aerzte von Wichtigkeit sind.
Wenn wir nach einem heftigen Kolikanfalle die Faecal-
massen nach Gallensteinen untersuchen, was mit Hilfe des be¬
kannten Spülapparates keine Schwierigkeiten verursacht, so ge¬
lingt es uns nicht selten, das Corpus delicti in Form eines Gallen¬
steines zu finden. So erfreulich das ist, so darf man doch nicht
allzu grosse Erwartungen an diesen Befund knüpfen, denn die
.Sektionsbefunde lehren uns, dass es sich in der Regel nicht
um einen Gallenstein handelt, den die Gallenblase beherbergte,
sondern um mehrere bezw. viele, und man darf desshalb nicht
mit Sicherheit annehmen, dass das Uebel gehoben und der Kranke
nunmehr von seinen Leiden befreit sei, wenn ein Stein abging.
Neue Kolikanfälle können nach längeren oder kürzeren Inter¬
vallen immer wieder auftreten und bis an sein Lebensende ist
der Kranke nicht sicher davor; höchstens kann man erwarten,
dass nach Abgang eines Steines der Abgang weiterer erleichtert
ist und dass, je länger der Anfall ausbleibt, desto mehr die Wahr¬
scheinlichkeit wächst, dass schliesslich durch Verödung der Gallen¬
blase, Verfilzung der Steine mit der Blasen wand, Abschluss nach
dem Duct. cystic. zu etc. der Process zur Ruhe kommt.
Und was den Ikterus anlangt, so scheint es mir, als ob man
noch vielzusehr die Diagnose Gallensteinkolik von der An- oder
Abwesenheit der ikterischen Färbung abhängig macht. Aller¬
dings ist der Ikterus, wie das ja jeder Kollege weise, eine ganz
gewöhnliche Begleiterscheinung bei Gallensteinkolik, aber die
Zahl der Fälle, in denen dieses Symptom fehlt, ist eine sehr be¬
deutende, und N a u n y n hat ganz gewiss Recht, wenn er an¬
gibt, dass in der Hälfte der durch Nachweis von Steinen
in den Faece9 gesicherten Fällen Ikterus fehlte. Sitzt
der Stein im Ductus cysticus oder im Blasenhalse, so ist
der Gallenabfluss in der Regel nicht behindert; und liegt
das Konkrement im Duct. clioledochus oder hepaticus, so können
sich diese Gänge sehr bald so weit ausdehnen, dass die Galle
neben dem Steine noch ungehindert in den Darm abfliessen
kann. Auf der anderen Seite kann auch Ikterus die Schmerz¬
anfälle bei einfacher Cholecystitis, ohne dass Steine vorhanden
sind, kompliziren, die. entzündliche Schwellung der Gallenblase
setzt sich in solchen Fällen auf die Schleimliaut des Duct. hepat.
oder choledochus fort und dadurch wird der Abfluss der Galle ver¬
hindert. Auf dieses Vorkommen hat besonders Riedel hin¬
gewiesen. Er unterscheidet lithogenen und entzündlichen Ikterus.
Vielfach ist die Frage discutirt worden, wie oft nach glück¬
lich operirten Fällen Recidivo eintroten, d. h. sich neue Steine
No. 43.
bilden. Kehr beantwortet diese Frage dahin, dass bei 300 Ope¬
rirten in 15 Proc. Recidive eintraten, und diese Erfahrung kann
nicht überraschen, da die Bedingungen zur Entstehung der
Gallensteine, die Disposition dazu in den meisten Fällen nach
der Operation dieselbe bleibt.
Freilich liegt wohl auch die Möglichkeit vor, dass dann
und wann Konkremente, die versteckt in hemiösen Ausstülpungen
lagen, bei der Operation übersehen und zurückgelassen wurden
und zu neuen Kolikanfällen Veranlassung gaben.
Interessant war es nun, zu erfahren, wie schnell die Gallen¬
steine wachsen können. Die zahlreichen Schichten, die man auf
Gallensteindurchschnitten so oft beobachtet, erweckten immer
die Vorstellung, dass lange Zeit vergeht, ehe sich ein halbwegs
grosser Stein bildet. In der Regel ist das auch so. N a u n y n
beantwortet die Frage dahin: „Ich halte es für ausgemacht,
dass bei vielen Gallensteinen die Entwicklung sich sehr langsam
vollzieht, wahrscheinlich in Jahren, doch glaube ich nach mannig¬
fachen Beobachtungen, dass Gallenkonkremente sich gelegent¬
lich auch viel schneller, vielleicht in Tagen bilden können.“
Endlich noch ein Wort über das Carcinom der Gallenblase
und der Gallengänge. Während meiner Proseetorzeit (1861 bis
1869) habe ich diesem Vorkommniss besondere Beachtung ge¬
schenkt und auf Grund zahlreicher Beobachtungen bin ich zu der
Ansicht gelangt, dass Personen, die an Gallensteinen leiden, in
grosser Gefahr schweben, an Carcinom der Gallengänge bezw. der
Gallenblase zu erkranken. Der Reiz, welchen die Konkremente
ausüben, scheint die Entstehung dieser malignen Neubildung zu
begünstigen. Zahlreiche Fälle derartiger Carcinome habe ich ge¬
sehen, niemals fehlten dabei Gallensteine, und die in den meisten
dieser Fälle jahrelang zurückdatirenden Gallensteinbeschwerden
machen cs mir in hohem Grade wahrscheinlich, dass die Gallen¬
steine das Primäre waren und erst sekundär der Krebs auf¬
trat. Mir will es scheinen, als ob das Carcinom der Gallenblase
und Gallengänge überhaupt jetzt häufiger vorkommt als früher,
jedoch bin ich nicht in der Lage, diese Annahme durch genaue
statistische Unterlagen sicher zu stellen. Die Sache selbst ist
übrigens längst bekannt. Courvoisier fand in 84 Fällen
von Gallenblasenkrebs 74 mal Konkremente. Brodowski hat
sie in 40 Fällen niemals vermisst, und N a u n y n sucht in der
Cholelithiasis fast ausschliesslich die Ursache zu jenen malignen
Neubildungen.
Dreimal fand ich bei meinen Sektionen Carcinom der
Papilla duodenalis (und gleichzeitig Konkremente in der Gallen¬
blase), vielleicht weil hier der Reiz eines andrängenden Steines
am intensivsten auftrat und am längsten anhielt.
Bezüglich der Aetiologie der Gallensteinkrankheit tragen
meine Beobachtungen nichts zur Klärung der noch vorliegenden
Streitfragen bei. Ob z. B. die Gallensteinkrankheit erblich ist
oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Zuweilen geben die
Kranken an, dass in ihrer Familie öfters Gallensteinkoliken vor¬
gekommen seien, aber bei der Häufigkeit des Vorkommens dieser
Krankheit lässt sich aus solchen Angaben nichts schliessen.
Ebensowenig vermag ich zu sagen, ob Gicht und Fettleibigkeit
zur Bildung von Gallenkonkrementen disponiren, wie das be¬
hauptet worden ist. Dass Gallensteine mit zunehmendem Alter
immer öfter Vorkommen, ebenso bei Frauen viel häufiger als bei
Männern ist eine bekannte Sache, ebenso ist die Annahme wohl
gerechtfertigt, dass die sitzende Lebensweise und die feste Klei¬
dung (Schnürleib und Rockbänder) die Entstehung der Gallen¬
konkremente beim weiblichen Geschlecht begünstigen.
Was die chirurgische Behandlung der Gallensteinkrankheit
anlangt, so habe ich bereits oben meinen Standpunkt gekenn¬
zeichnet und mich gegen das allzu rasche und frühzeitige Ope-
riren ausgesprochen, wie es von manchen Chirurgen empfohlen
und wohl auch geübt wird. Aber ich möchte nicht falsch ver¬
standen sein. Die Auffassung einzelner Chirurgen, nach der
schon „in einem einzigen erfolglosen Anfalle ohne Ikterus die
Indikation zum Operiren gegeben ist“, theile ich allerdings nicht,
noch weniger die Ansicht, dass die Diagnose „Gallenstein“ allein
schon die „Vornahme der Operation“ indizirt; aber ich stehe
auch nicht auf dein Standpunkte derjenigen Aerzte, die „nur bei
Vitalindikation einen chirurgischen Eingriff“' zulassen wollen!
In medio veritas! Wenn die Kolikschmerzen und Incnrcerations-
ersclieinungen immer wiederkehren und Steine in den Dejek-
tionen nicht gefunden werden; wenn der Kranke abmagert und
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1696
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
herunterkommt; wenn er immer wieder an der Ausübung seiner
Berufsthätigkeit behindert wird; wenn die Mittel, welche uns die
innere Medicin an die Hand gibt, erschöpft sind, dann ist
meiner Meinung nach die Operation allerdings indizirt.
Ja ich bin der Ansicht, dass man mit der Vornahme der¬
selben nicht allzu lange zögern soll. Wir müssen bei Behand¬
lung unserer Kranken immer der allgemeinen Erfahrung ein¬
gedenk sein, dass die Situation der an Gallensteinen Leidenden
von dem Augenblicke an, wo der Stein die Gallenblase verlässt,
eine viel ernstere, der Zustand ein bedenklicher wird. Wir müssen
stets daran denken, dass die Gefahr der Entwicklung eines Carci-
noms der Gallenwege um so grösser ist, je länger der Stein seinen
Reiz auf die Gallenblase ausübt; wir müssen ferner uns stets an
die günstigen Resultate erinnern, die durch die Operation, so
lange die Steine in der Blase liegen, erzielt werden (nur 1,5 Proc.
Mortalität — Kehr). Die Operation ist ferner indizirt bei
Hydrops vesic. felleae, wenn nachgewiesen werden kann, dass
die Flüssigkeitsansammlung zunimmt und der Kranke heftige
Schmerzen dabei empfindet.
Forner soll operirt werden, wenn man Grund hat, anzu¬
nehmen, dass es sich um eiterige Cholecystitis handelt, da bei
dieser die Gefahr der Allgemcininfektion mit jedem Tage wächst.
Ebenso wenn Erscheinungen von Peritonitis auftreten, die Per¬
foration befürchten lassen, oder wenn schwere Erscheinungen
(Schmerzen) vorhanden sind, die für das Vorhandensein von Ver¬
wachsungen der Gallenblase und Gallengänge mit der Umgeburf^
sprechen. Endlich ist der chirurgische Eingriff indizirt, wenn
ein dauernder Verschluss des Ductus choledochus besteht.
Diese Indikationen, die auch von anderer Seite in ähnlicher
Weise aufgestellt und anerkannt werden, können im Allge¬
meinen als Richtschnur für unser therapeutisches Handeln bei
der Gallensteinkrankheit dienen. Immer aber werden noch Fälle
übrig bleiben, in denen es sowohl für den Chirurgen, als auch
für den Internisten sehr schwer fällt, eine präzise Diagnose zu
stellen und die Frage zu entscheiden, ob ein operativer Eingriff
gewagt werden soll oder nicht. Und in solchen Zwcifelsfälleu
kann ich den Kollegen nur rathen, bei ihrer Entschliessung der
schönen Worte unseres Altmeisters Sydenham eingedenk zu
sein, die er am Abende seines Lebens von sich sagen konnte:
Aegrorum nemo a me alias tractatus est,
quam egomet tractari cupercm, si mihi ex
iisdem morbis aegrotare contingeret.
Ueber die Behandlung des erschwerten Decanule-
ments in Folge von Granulombildung nach Intubation
und sekundärer Tracheotomie.*)
Von H. v. Ranke.
M. H.! Nach dem veröffentlichten Programm der dies¬
jährigen Tagung der Gesellschaft für Kinderheilkunde, sollte ich
über die Behandlung des, glücklicher Weise seltenen, narbigen
Kehlkopf Verschlusses nach Intubation und sekundärer Tracheo¬
tomie eine Mittheilung machen.
Im Laufe der vielen Jahre, seitdem ich das Intubations¬
verfahren anwende, habe ich 6 derartige Fälle zu Gesicht be¬
kommen, aber erst in letzter Zeit habe ich begonnen. Versuche
anzustellen, den narbigen Kehlkopfverschluss durch systematische
Behandlung zu beseitigen.
Vorher hatte ich nur versucht, die Narbenkontraktion, zu
welcher wohl stets eine Tendenz angenommen werden muss, wenn
Decubitalgeschwüre in der Gegend des Ringknorpels die Indi¬
kation zur Tracheotomie gegeben hatten und dann der Kehlkopf
durch Einführung der Trachealkanüle für längere Zeit ausser
Funktion gesetzt wird, dadurch zu verhüten, dass ich die
Durchgängigkeit des Kehlkopfes durch probeweise, inter-
mittirende Intubation aufrecht zu erhalten suchte.
Wenn aber, ehe ich diese Vorsicht gebrauchte, und später trotz
dieser Vorsicht, narbiger Kehlkopf Verschluss dennoch eingetreten
war, so hatte ich bisher dieses Ereigniss mehr im Lichte eines
unglücklichen aber nicht mehr zu ändernden Geschickes be¬
trachtet, während es mir jetzt scheint, dass das schwere Leiden
*) Vortrag, gehalten in der Sektion für Kinderheilkunde auf
der Xaturforscherversainmlung zu Hamburg.
in vielen, wenn nicht den meisten Fällen durch geeignete Be¬
handlung doch wieder beseitigt werden kann.
Ich hatte nun gehofft, heute schon über definitive Heilungs¬
resultate berichten zu können. Die Behandlung meiner Fälle
hat sich aber mehr in die Länge gezogen, als ich Anfangs er¬
wartet hatte, so dass ich cs vorziehe, anstatt Ihnen etwas Un¬
fertiges vorzutragen, die Besprechung dieses Themas auf eine
nächste Gelegenheit zu verschieben und, anstatt dessen, über einen
nahe verwandten Gegenstand zu sprechen, nämlich über die Be¬
handlung von Stenoseerscheinungen, welche zuweilen, glücklicher
Weise ebenfalls sehr selten, nach Intubation und sekundärer
Tracheotomie in Folge von Granulombildungen
in Kehlkopf oder Trachea veranlasst werden. Es gehört dieses
Vorkommniss eben auch zu jenen schlimmsten Chikanen, wenn
ich mich dieses Ausdruckes bedienen darf, die uns treffen können,
wenn wir, nach den Wechselfällen der Intubation und Tracheo¬
tomie, das Leben eines Kindes schon gerettet zu haben glauben
und nun im letzten Moment noch auf Schwierigkeiten stossen,
die den ganzen Erfolg unserer Behandlung in Frage stellen.
Bekanntlich sind Granulationswucherungen nach primärer
Tracheotomie, besonders nach der oberen Tracheotomie (Kriko-
tomie und lvrikotracheotomie), von der Schnittwunde aus, im
Innern der Luftwege, keine Seltenheit und bilden die häufigste
Ursache für erschwertes Decanulement.
Ich hatte, wie die Aelteren von Ihnen sich erinnern werden,
im Jahre 1890 in der Festschrift für Henoch, eine Arbeit ver-
eröffentlicht unter dem Titel: „Intubation des Kehlkopfes bei
erschwertem Decanulement nach Tracheotomie“ und dort aus
dem Jahre 1887 einen Fall von Granulombildung nach Tracheo¬
tomie mitgetheilt, in welchem die verschiedensten Maassnahmen
von laryngologischer sowohl als von chirurgischer Seite, ein¬
schliesslich der Laryngofissur, nicht zum Ziele geführt hatten,
während die O’D w y e Psche Intubation durch den andauernd
gleichmässigen Druck der Tube auf die im Kehlkopf wuchernden
Granulationen ein baldiges Schwinden der letzteren und dauernde
Heilung herbeigeführt hatte.
Ich machte damals darauf aufmerksam, dass überhaupt die
hauptsächlichsten Ursachen, welche sich der definitiven Ent¬
fernung der Trachealkanüle entgegenstellen, als: Granulations¬
wucherungen, Narbenstenosen, Schwellung und Verdickung der
Kehlkopfschleimhaut im Bereiche des Ringknorpels, die sogen.
Chorditis inferior, Gewohnheitsparese und endlich noch die so
oft vorkommende Angst vor der Kanülenentfernung, am besten
durch Intubation überwunden werden können.
Ich darf heute wohl sagen, dass die allgemeine Erfahrung
mir hierin Recht gegeben hat.
Es kommt nun aber zuweilen auch nach Intubation
und sekundärer Tracheotomie in Folge von Granulations¬
wucherungen zu Stenoseerscheinungen, indem sich nicht nur
von der Tracheotomiewunde, sondern zuweilen auch von Stellen
aus, an welchen die Schleimhaut, sei es des Kehlkopfes oder der
Trachea, durch die Tube lädirt war, Granulome bilden können.
Dass Granulombildungen nach der oberen Tracheotomie viel
häufiger beobachtet werden als nach der unteren, ist eine be¬
kannte Tliatsache.
Da ich nun seit vielen Jahren nur die untere Tracheo¬
tomie ausführe und ausführen lasse, sollten schon aus diesem
Grunde unter meinen Patienten, von der Tracheotomiewunde
aus nur selten Granulome Vorkommen; dass andererseits
Schleimhautverletzungen durch die Tube eine sehr seltene Ur¬
sache für Granulombildung sind, geht ziffemmässig daraus her¬
vor, dass ich in dem 11 jährigen Zeitraum von 1890 bis incl. 1900
unter mehr als 900 intubirten Kindern nur 5 Fälle von Granulom¬
bildung nach Intubation und sekundärer Tracheotomie beobachtet
habe.
Das Alter der Patienten betrug lVs bis 5% Jahre.
Von diesen 5 Fällen wurden 3 geheilt entlassen, während
2 starben.
In dem ersten tödtlich verlaufenen Fall hatte eine kompli-
zirende infektiöse Gastroenteritis die kleine Patientin auf das
Aeusserste erschöpft. Bei der Sektion wurde in dem rechten
Ventriculus Morgagni noch eine kleine polypöse Wucherung ge¬
funden.
Der zweite tödtliche Fall endete durch tuberkulöse Pneu¬
monie und Miliartuberkulose, nachdem Pat. bereits 6 Wochen
lang vor seinem Tode ohne Tube und ohne Kanüle frei geathmet,
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
22. Oktober 1901.
1697
also von seinem ursprünglichen Leiden, den Granulationswuche¬
rungen, geheilt war. Wie die Sektion erwies, hatte dieser Pat.
im Kehlkopf kein Granulom mehr, wohl aber ein Geschwür, an
dessen Rändern sich offenbar früher die Granulome gebildet
hatten.
Ich lasse nun die Krankengeschichten dieser Fälle folgen,
bei denen besonders das gegenseitige Verhältniss
von Intubation und Tracheotomie und das Zu¬
sammenwirken der beiden Methoden, um Hei¬
lung zu erzielen, von Interesse sein dürfte.
1. Fall. Rosa W., 5 Jalire alt, erkrankte am 5. X. 1895 au
Rachen- und Kehlkopfdiphtherie. In die Klinik aufgeuommen
7. X.; erhielt eine Injektion von Behring III und musste sofort in-
tublrt werden. Die bakteriologische Untersuchung ergab Diph¬
theriebacillen in Reinkultur.
14. X. Die Tube war seit der Aufnahme täglich Morgens
herausgenommen worden, um zu prüfen, ob Pat. dieselbe ent¬
behren könne. Pat. kann es aber ohne Tube nicht nur nicht aus-
linlten, sondern die Pausen zwischen Extubation und Reintuba-
tion werden immer kürzer. T. 39 u . Heute, kurze Zeit nach Heraus¬
nahme der Tube, ein Anfall von Asphyxie mit Cyanose und Be¬
wusstlosigkeit; der Anfall wich erst einige Zeit nach Wieder¬
einführung der Tube und künstlicher Athmung, indem Pat. unter
convulsiven Zuckungen wieder zu sich kommt. Leichte Albu¬
minurie. Die Gesammtintubationsdauer beträgt 122y a Stunden.
Tracheotomia inferior.
29. X. Die Kanüle wird probeweise entfernt und, um die
Durchgängigkeit des Kehlkopfs zu prüfen, die Tube wieder ein¬
geführt. Eine Stunde nach Herausnahme der Tube ein noch¬
maliger Anfall von Asphyxie, wesshaib die Trachealkanüle sofort
wieder eingeführt wird.
1. XI. Durch einen Hustenstoss wird ein linsengrosses
Granulom herausgeschleudert.
17. XII. Probeweise Einführung der verkorkten Spreeh-
kanüle, die schlecht vertragen wird. Im Fenster derselben bleibt
eine Granulationswucherung hängen, darauf Wieder¬
einführung einer gewöhnlichen Kanüle.
30. XII. Heute bleibt nochmals im Fenster der Sprechkauüle
eine Granulationswucherung hängen. Darauf wird
die verkorkte Sprechkauüle 24 Stunden ohne Anstand vertragen.
1. I. 1896. Kanüle entfernt, Verband; die Athmung bleibt frei.
11. I. Geheilt entlassen.
2. Fall. Josefa W., 3 Jahre 4 Monate alt, erkrankte am
24. XI. 1898 an Diphtherie; seit 20. XI. heiser und dyspnoisch.
Am 27. XI. in die Klinik aufgenommen. Erhielt Behring III.
Die bakteriologische Untersuchung ergab Diphtheriebacilleu,
Strepto- und Staphylococcen.
27. XI. Wegen starker Dyspnoe sofortige Intubation. Wie
bei dem ersten und allen folgenden Fällen, wurde täglich Morgens
die Tube herausgenommen, um zu prüfen, wie lange Pat. ohne
Tube athmen kann. Bei eintretender Dyspnoe wird die Tube
wieder eingeführt.
2. XII. Nach 92 VI» stündiger Intubation kann heute die Tube
entbehrt werden.
3. XII. Athmung zwar ohne wesentliche Beschwerde, doch
noch nicht vollkommen frei.
7. XII. Wieder starke Einziehungen, so dass intublrt werden
muss. Kind sehr elend, Rachen frei, der Harn enthält Eiweiss.
10. XII. Die Extubation wird jetzt immer nur kurz ver¬
tragen. Gesammt-Intubationsdauer bereits 162 Stunden, wesshaib
heute die Tracheotomie (Trach. iuf.) gemacht wird.
20. XII. Die verkorkte Sprechkanüle wird 13 Stunden er¬
tragen, Kind hat Stimme.
21. XII. Ein ca. 3 mm langes und 1,5 mm breites
Granulom, das beim Husten in der Wunde zum Vorschein
kommt, wird mit der Pincette gefasst und entfernt. Darauf wird
auch die Kanüle weggelassen.
22. XII. Wunde schon fast ganz geschlossen, Athmung jedoch
noch geräuschvoll, wenn auch ohne Dyspnoe.
27. XII. Befinden gut. Kind munter, Temp. normal. Wunde
völlig geschlossen; bei der Inspiration aber noch immer Stridor.
29. XII. Die Luft dringt wieder schlechter ein, wesshaib
auf’s Neue intublrt werden muss.
1. I. 1899. Jetzt wird die Extubation jedesmal kaum V4 Stunde
ertragen und die neue Intubationsdauer beträgt schon wieder
45% Stunden. Ich vermuthe das Vorhandensein eines weiteren
Granuloms und entschliesse mich zur nochmaligen Tra¬
cheotomie.
9. I. Ohne dass in der Zwischenzeit die Ausstossung eines
weiteren Granuloms beobachtet worden wäre, wird jetzt die
Sprechkanüle 24 Stunden gut vertragen.
10. I. Kanüle entfernt, Athmung geräuschlos und frei.
16. I. Geheilt entlassen.
3. Fall. Josefa Tr., 4 Jahre alt, am 1. I. 1898 an Diphtherie
erkrankt; am 13. I. Athembeschwerdeu. 14. I. In die Klinik auf¬
genommen. Behring III; sofortige Intubation; durch die Tube
eine 2 cm lange Diphtheriemembran ausgehustet; Rachen frei;
starke Albuminurie. Bakteriologischer Befund: Diphtheriebacilleu
und Streptococcen.
20. I. Seit gestern früh ohne Tube.
24. I. Geheilt entlassen.
Dieses Kind erkrankte am 6. II. 1898 an einem Diphtherie-
Recidiv.
9. II. Mit starken Stenoseerscheinungen in die Klinik auf¬
genommen und sofort intubirt. Harn schwach eiweisshaltig. Die
bakteriologische Untersuchung ergibt wieder Diphtheriebacilleu
und Streptococcen.
12. II. Nach Entfernung der Tube wird eine grössere Menge
dicken eiterigen Sekrets entleert. Die Extubation wird nur
\\ Stunde ex-tragen, darauf plötzliche Athemnoth und Cyanose.
Erneute Intubation; Rachen frei, zahlreiche gross- und mittelgi’oss-
blasige Rasselgeräusche: diffuse Bronchitis.
14. II. Da die Extubation noch immer nicht vertragen wird,
Gesammt-Intubationsdauer 95 Stunden, Tracheot. inf.
15. II. Sehr viel eiteriges Sekret durch die Kanüle ausge¬
hustet.
16. II. Kanüle in ihrem unteren Drittel stark beschlagen;
es wird noch immer viel eiteriger Schleim ausgehustet, über den
Lungen nirgends Dämpfung, verbreitete Rasselgeräusche.
17. II. Beim Kanülenwechsel entleeren sich ca. 15 ccm
eiterigen, übelriechenden Sekretes: Putride Bronchitis.
18. II. Beim Kanülen Wechsel wiederum etwa 1 Kinderlöffel
voll stinkenden Eiters aus der Wunde entleert.
22. II. Auch bei liegender Kanüle leichte Stenoseerscheiu-
ungen. geringe Albuminurie.
25. II. Seit gestern ohne Kanüle. Athmung noch immer
etwas mühsam.
26. II. Wegen zunehmender Athemnoth wieder intubirt.
1. III. Die Extubation wird nur kurz vertragen; Tracheal-
wunde noch in der Dicke eines dünnen Bleistiftes offen.
3. III. Da die Extubation andauernd nur ganz kurze Zeit
vertragen wird, Wiedereinführung der Tracheotomlekanüle, da¬
rauf Athmung ohne Beschwerden.
7. III. Kanülenwechsel. Nach Herausnahme der Kanüle
starker Husten und Athemnoth und Einziehung der Wundränder,
dann Aushusten eines kaum mehr als stecknadelkopf-
grossen Granuloms. Nach Wiedereinführung der Kanüle
ruhiges Athmen.
9. III. Beim Kanülenwechsel ein linsengrosses Gra¬
nulom ausgehustet.
14. III. Wieder ein pfefferkorngrosses Granu-
1 o m ausgehustet.
28. III. Die verkorkte Sprechkanüle wird nur kurze Zeit
vertilgen.
30. III. Bei Einfühlung der Kanüle wird eine aus Gra¬
nu latlonsge webe bestehende flache Masse aus-
geliustet.
2. IV. Pat. trügt den ganzen Tag die verkorkte Sprechkauüle
ohne erhebliche Beschwerden. Sprache laut und deutlich. Allge¬
meinbefunden gut, Temperatur normal.
4. IV. Gestern früh Kanüle entfernt. Heute Athmung wieder
so erschwert, dass Kanüle nochmals eingeführt werden muss;
darauf Athmung ruhig.
7. IV. Starke Schleimsekretion. Die Sprechkanüle wird nur
kurze Zeit vertragen. Nachmittags starke Athemnoth und Cyanose.
Mit der Pincette gelingt es, einige Fetzen Granula¬
tion » r e xv c b e aus der Wunde hei’auszuholen, darauf Athmung
wieder frei; Stimme laut und rein.
14. IV. Seit 48 Stunden ohne Kanüle, Athmung jedoch nicht
ganz frei.
18. IV. Mehrere Erstickungsanfälle; Athmung besonders
während des Schlafes, aber auch in wachem Zustande, von einem
lauten, pfeifenden Geräusch begleitet; Husten bellend; ziemlich
starke Einziehungen, Ti'achealwunde fest geschlossen.
30. IV. Während der letzten Tage Athmung etwas besser;
nur im Schlnfe zuweilen noch das inspiratorische Pfeifen hörbar.
11. V. Erbrechen, grosse Mattigkeit, Temperatur 39,8.
12. V. Athmung erschwert, stäi-kere Einziehungen und Cya¬
nose. Nochmalige Intubation, dann Athmung freier. Milz ver-
grössert, dünne Stühle: Infektiöse Gastroenteritis.
14. V. Zunehmende Mattigkeit, Athmung bei liegender Tube
besser; diffuse, grossblasige, feuchte Rasselgeräusche.
15. V. Nachdem schon gestern einmal die Tube ausgehustet
woi’den war, worauf, bis dieselbe wieder eingeführt werden
konnte, starke Cyanose eintrat, wurde heute die Tube nochmals
ausgehustet; darauf nach wenigen Sekunden Herzstülstand und
Exitus letalis.
Sektionsbefund: Glottisoedem, Stenose und Ulceration des
Larynx unterhalb der Stimmbänder; in der Nische zwischen
rechtem wahren und falschen Stimmband eine kleine polypöse
W ucherung. Stauungshyperaemie beider Lungen, Milztumor,
Stauungsleber, Schwellung der Mesenterialdrüsen, entzündliche
Hyperaemie des Dünn- und Dickdarmes.
4. Fall. Johann Z., 1% Jahre alt, erkrankte am 9. IX. 1899
an DIphth. fauc. et laryngis.
11. IX. in die Klinik aufgenommen, Behring III, wegen
hochgradiger Dyspnoe sofort intublrt. Bakteriologischer Befund:
Diphtheriebacilleu, Strepto- und Staphylococcen.
12. IX. Die Tube wird öfter ausgehustet. Unmittelbar nach
dem Ausstossen der Tube wird einmal eine ca. 3 cm lauge Croup¬
membran ausgehustet, darauf wesentliche Erleichterung der Ath¬
mung für mehrere Stunden.
16. IX. Die Tube wird täglich Morgens entfernt, muss aber
stets wegen zunehmender Dyspnoe noch wenigen Stunden wieder
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1698
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
eingefülirt werden. Heute trat zum ersten Mal die Athem-
uotb sehr plötzlich ein.
22. IX. Patient entbehrt die Tube ohne Beschwerde.
25. IX. Athmet bereits 3 mal 24 Stunden ohne Tube. Nur
wahrend des Schlafes Respiration noch etwas erschwert.
I. X. Patient macht bereits Gehversuche, ist aber noch sehr
matt. Stimme noch heiser.
10. X. Ohne erkennbare Ursache seit letzter Nacht wieder
stärkere Athembeschwerden. Gegen Abend nimmt die Dyspnoe
einen so bedrohlichen Charakter au, dass Patient wieder intubirt
werden muss. Die Tube liess sich leicht elnführen und brachte
sofortige Erleichterung.
II. X. Die Tube konnte nur 1 Stunde entbehrt werden, dann
trat wieder plötzlich Dyspnoe ein.
13. X. Da die Tube andauernd nur immer einige Minuten
entbehrt werden kann und dann plötzlich hochgradige Dyspnoe
auf tritt: Tracheotomie (inf.). Athinung darauf ruhig und aus-
giebtg.
20. X. Seit dem 17. wurden tägliche Versuche mit der Sprech-
kaniile gemacht, dieselbe musste jedoch stets nach kurzer Zeit,
wegen starker Athemnoth, wieder entfernt werden. Die heute
probeweise vorgenommene Intubation lässt den Kehlkopf wieder
als frei durchgängig erkennen.
28. X. Bei Herausnahme der Sprechkanüle, die nur wenige
Minuten vertragen wurde, bleibt in dein Fenster der Kautile ein
ea. knffeeboli neugrosses Granulom hängen.
30. X. und 2. XI. Probeintubation, Kehlkopf frei durch¬
gängig.
9. XI. Nach der gestern vorgenommenen Probeintubation,
die den Kohlkopf wieder frei durchgängig erwiesen hatte, wird
die Trachealkanüle weggelassen. Patient athmet seitdem frei und
ausgiebig ohne Kanüle.
12. XI. Nachdem Patient 3 Tage lang ohne Tube und Kanüle
gonthmet, trat in der letzten Nacht wieder Dyspnoe ein. so dass
man gezwungen war, nochmals zu intubiren. Die Tube wird mehr¬
mals ausgehustet, worauf Immer rasch Dyspnoe sich einstellt;
es wird daher die bereits in der Vernarbung weit vorgeschrittene
Tracheotomiewuude nochmals eröffnet (unter leichter Chloroform¬
narkose, Granulationen mit dem scharfen Löffel ausgekratzt; ln
den tieferen Partien war noch keine Vernarbung eiugetreten) und
die Trachealkanüle wieder eingeführt.
15. XI. Die gestern eiugeführte, verkorkte Sprechkanüle
wurde 23 Stunden ohne Beschwerden ertragen. Beim HeTaus-
ziehen derselben blieb im Fenster wieder ein bohuen grosses
Granulom hängen, darauf Athmung ruhig und ausreichend.
Kanüle weggelassen.
IG. XI. Wegen wieder eintretender Athemnoth muss die
Kanüle nochmals elngeführt werden.
18. XI. Kanüle weggelassen.
12. XII. Nachdem Patient seit dem 18. XI. zufriedenstellend
geathmet hatte, die Stimme aber noch vollkommen heiser ge¬
blieben war, stellte sich heute Nacht, ohne besondere Vorboten,
derartig plötzliche Athemnoth ein, dass Patient sofort intubirt
werden musste, worauf alle Beschwerden nachllessen.
14. XII. Patient athmet ohne Tube und ohne Kanüle. Ein
Stickanfall, wie der oben erwähnte, ist nicht wieder aufgetreten.
23. XII. Keine Anfälle von Athemnoth mehr.
1. I. 1900. An Stelle der Trachealwunde besteht eine Fistel,
welche wenig serösen Eiter secernirt.
7. I. Auftreten von Koplik; Verlegung auf die M a s ern¬
st a 11 o n.
8. I. Auftreten des Masernexanthems, mässige Conjunctivitis
und Bronchitis.
17. I. Die Sekretion aus der Trachealflstel hat zugenommen;
keine Steuosenerscheinungen.
20. I. Ueber beiden Oberlappen hinten Dämpfung; Ath-
mungsgeräusch hauchend, bronchial.
20. I. Athmung unregelmässig, mit ausgesprochenen Athem-
pauscn, Puls unregelmässig: Miliartuberkulose.
28. I. Exitus letalis.
Anatomische Diagnose: Tuberkulöse, käsige Pneumonie.
Peribronchitis und Bronchiektasie, putride Bronchitis. Verkäsung
der perlbronchialen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose, Pleuritis,
Dilatation des rechten Ventrikels. Miliartuberkulose in Leber und
Milz; beginnende Verkäsung einzelner Darmfollikel. Beginnende
parenchymatöse Nephritis. Im Kehlkopf, in der Gegend des
1. Stimmbandes, ein etwa bohnengrosses Geschwür, mit höcke¬
rigem Grunde und höchst unregelmässigen Rändern.
5. Fall. Edmea B., 5 y a Jahre alt, erkrankte am 22. II. 1900
an Diphtherie. In die Klinik aufgenommen 24. II. Dlphth. fauc.
et laryngis. Starke Dyspnoe und Cyanose, so dass sofort intubirt
werden musste. Behring III. Bakteriologischer Befund: Diph¬
theriebacillen in Reinkultur.
28. II. Seit der Aufnahme wurde die Tube täglich einmal
herausgenommen und musste stets nach kurzer Zeit wieder ein¬
geführt werden.
1. III. Morgens extublrt. Athmung noch etwas stenotisch;
vollkommene Heiserkeit. Reintubation Abends 9 Uhr.
2. III. Die Tube weist oberhalb der Bauchanschwellung
2 seitlich sitzende, ltnsengrosse Flecken auf.
3. III. Tube auch heute stark beschlagen, kann nur kurze Zelt
entbehrt werden. 11 Uhr Vorm. Tracheotom. inf.
7. III. Erster erfolgloser Versuch mit der Sprechkanüle.
11. III. Da die Luft nur in sehr geringem Maasse durch den
Kehlkopf geht, wird Patient auf 3 Stunden intubirt. Die Tube ist
nach Herausnahme wieder deutlich beschlagen.
13. III. Die Einführung der Tube gelingt leicht, ohne jedes
Hindern iss.
15. III. Die Anwendung der Sprechkanüle wird noch nicht
vertragen, worauf, stets wieder die ungefenBterte Kanüle ein-
geführt wird.
21. III. Aushusten mehrerer Granulome beim Ka-
nülenwecli8el.
24. III. Kind kann mit der Sprechkanüle phonlren, ertrügt
dieselbe jedoch nur kurze Zeit ohne cyanotisch zu werden.
29. III. Die Sprechkanüle wird noch immer nicht vertragen,
obgleich die Tube ohne Hinderniss den Kehlkopf passirt
8. IV. Es werden wieder mehrere kleine Granu¬
lome aus der Trachealwunde ausgehustet.
9. IV. Bei liegender Trachealkanüle wird Morgens auch die
Tube eingeführt und letztere 24 Stunden liegen gelassen.
10. IV. Extubation und Versuch mit der Sprechkanüle, welche
jetzt schon etwas länger vertragen wird als früher.
11. IV. In den letzten Tagen wurden abermals mehrere
Granulome ausgehustet. Dieselben scheinen sämmtlich in der
Umgebung der Trachealwunde zu sitzen und werden meist durch
die scharfen Ränder des Fensters der Sprechkanüle weg¬
genommen.
16. IV. Jeden Tag Versuche mit der Sprechkanüle; heule
hielt Pat. schon 10 Stunden mit derselben aus. Abends wieder
Intubation und Einführung der gewöhnlichen Kanüle.
19. IV. Heute wird nur während der Nacht intubirt, die
Kanüle bleibt weg.
20. IV. Kanüle wieder eingeführt; Abends Intubation.
27. IV. Während der letzten Tage war Patient stets in der
Nacht intubirt, am Tage frei, ohne Tube und ohne Kanüle. Die
Trachealwunde hat sich bereits grossentheils geschlossen.
1. V. Seit 27. IV. war das Kind nicht mehr intubirt Athmung
mühelos, auch in der Nacht. Stimme schon wieder ziemlich gut,
zeigt nur noch leichte Rauhigkeit.
10. V. Trachealwunde vollkommen geschlossen. Athmung
frei und ungehindert Stimme gut
15. V. Gehellt entlassen.
Das fernere Schicksal der überlebenden tracheo-
tomirten und intubirten Kinder.*)
Von Privatdocent Dr. Trum pp in München.
In einer Mittheilung „Predispositions tuberculeuses“ auf
dem Tuberkulose-Kongress zu Berlin im Mai 1899 äusserte sich
Prof. L. Landouzy - Paris wie folgt: „Ebenso steht es, gegen¬
über dem bacillären Contagium, mit der Empfänglichkeit von
ehedem wegen diphtherischen Croups tracheotomirten Kindern,
von denen wenige das Mannesalter erreichen. Beweis dafür ist,
dass unter den Erwachsenen, die sich zur militärärztlichein Unter¬
suchung stellen, sich nur ausnahmsweise solche befinden, deren
Hals die Spuren einer ehedem ausgeführten Tracheotomie auf¬
weist. Das mag — in Beziehung mit tuberkulöser Ansteckung
gebracht — daher kommen, dass wahrscheinlich auf der im Be¬
reich der Narbe des Endothelium beraubten Schleimhaut die ab¬
wehrende Wirksamkeit der Phagocyten aufgehoben ist, und nun
der Koch’sche Bacillus vom Ex-Tracheotomirten mit dem Staube
eingeathmet unterhalb des Kehlkopfes weniger Widerstand für
seine Entwicklung und Fortwanderung findet und so bis in die
Bronchien und Alveolen vordringt.
An welche Art der Krankheitsentwicklung man auch immer
denken mag, um es zu erklären, dass wegen Croup ehedem
Traclieotomirtc von der Schwindsucht befallen nicht oft das
20. Lebensjahr erreichen, die Thatsaclie behält ihren ganzen
Werth und zeigt, dass die Tracheotomie, indem sie im mensch¬
lichen Organismus den Grund zur Tuberkulose legt, auch ihrer¬
seits erworbene Disposition schafft.“
Die Behauptung Landouzy’s ist an und für sich in
plausibler Form auf gestellt, allein sie scheint doch von vorne-
herein allen unseren Erfahrungen aus der Praxis zu wider¬
sprechen. Immerhin ist damit eine interessante und für die
operative Larynxbehandlung recht wichtige Frage aufgeworfen.
Wir dürfen uns eben nicht damit begnügen, unseren Patienten
momentan das Leben zu retten, wir müssen uns auch darüber
klar sein, ob ein vorzunehmender operativer Eingriff keine
bleibenden Nachtheile für das betreffende Individuum mit sich
bringen kann.
*) Vortrag, gehalten auf der 73. Versammlung Deutscher
Naturforscher und Aerzte, Abtheilung für Kinderheilkunde, Ham¬
burg, 24. September 1901.
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D2. Oktober 1901. M IIF'NC l! KN' KU MKDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1699
Jeder ältere Arzt behält eine Anzahl von ehedem Trachco-
lomirten im Auye, die oline irgendwelche iilde Folgeerschei¬
nungen aufzuwei^en. gesund. kräftig und bi.-tung .fähig heran-
waehsen. Die grosse Mehrheit der Operirten aber verschwindet,
im Strom des i.eh n •. wir tvi’-M n nicht; mehr über ihr ferneres
Schicksal an/nuebi n.
Eine für Praxis und Wissenschaft brauchbare Bestätigung
oder Verwertung der I. a u d o u z vielten BehnupUmg können
wir nur dann nusspivch« n. wenn wir über das Schicksal ganzer
Gruppen in einem bestimmten Zeiträume, womöglich während
ein und der.'elben Epidemie, opm-irter und geheilt entlassener
Patienten Erkundigungen ( in/ii h- n. Dem Resultate dieser
l "i-chum.r wird besonders in einer solchen kram* um so mehr
Ikdeiitumr b: izume.-sen s» in. je umfangreicher das Material ist.
Was ich nun in dieser Sache in dem kurzen Zeiträume von
i I Monaten eruiren konnte, i.-t \vrbältni.--mä-sig wenig, aber
doch vielleicht interessant geniir, um verötfentlieht, zu werden.
Ich wandte mich zunächst- an die obersten militärärztlichen
IBehörden in München und erwirkte durch die überaus gilt i ge
Vermittlung tler (leneralslabsiirzte der bayerischen Armee, Ex¬
cel buz v. Vo jr 1 und Dr. 1» e s t C 1 in ey e r, dass bei den Iie-
krutenunter tmlnuigcu im Köniereieh Bayern auf das Vor¬
kommen von Leuten mit Traehcotomicnarben und auf die alb n-
fallsig»; Dietistc-tauglichkeit b<zw. Untaiiglichkeit dieser Leute
gi achtet wurde.
Es wurde mir über die dii -heziigl. Beobachtungen mit Ge¬
nehmigung des Herrn Krit gsministers Folgendes mitfretheih:
..Von siimm* liehen Wrhrplliehi igen d-s Jahrgatiges 19**1
hatten -ID —_ 0.48 IVom. der Enti rsuehteii Narheu von einer
Vorausgegangeuen Tracheotomie.
Von diesen wurden 20 1*\S1 Pro«-. tauglieh, 13 = 26.53 Pme.
weiten der Folg - n der Tracheotomie untauglich. und 10
22,65 I’roe. wegen der Fohren der Tracheotomie zuriiekgestellt.
Von (b n in der Armee in der Zeit vom 1. April 1900 mit
• 51. "März 1901 U'iter.-üehlen l-'r*-i\vi 11iii -:i hatten 6 — 0.77 I’rom.
’l’raeheoloinieiia'b'n. Von die-en wur-b n 3 - 50 l’roe. tauglich,
5 . 50 I’roe. wegen der Folgen d>T Tracheotomie untauglich.
Von sämmtliehen Fntersuehlen hatten demnach 55
0,5 Prem. Trtieheotomienaih.-n. Davon wurden 23 — 41,82 l’roe.
tauglich, 16 — 29.09 l’nx’. untauglich, 16 —29,f9 I’roe. zurück-
m-teilt.“
Dieser Bericht lässt verschiedene, recht interessante Fragen
noch ungelöst. Wirwi-sen nicht, welcher Proeentsatz aller vor etwa
20 Jahren in Bayern durch Tracheotomie (icheilten die genannte
Zahl der traeheotoinii teil Stelluim-pllieht igcti ausmaeht. (Die
Zahl der iiherh bendeu weiblichen Patienten könnte man ja, wahr¬
scheinlich ohne allzu grossen Reehnunysfehlcr, auf die gleiche
Höhe setzen.) Wir erfahren nicht, wegen welcher Folgen der
Tracheotomie die betreffenden Leute dauernd oder zeitlich un¬
tauglich zurückgewiesen bezw. zurück-gestellt wurden. Es wäre
aber jedenfalls uiithunlich gewesen, bei den anstrengenden Muste¬
rungen über jeden einzelnen Tracheotomirten genaueren Bericht
zu erstatten: wir sind den militärärztlichen Kollegen für das
freundliche Entgegenkommen und die gehabte Mühewaltung
schon dankbar genug.
Für unsere Zwecke brauchbare statistische Aufzeichnungen
über Diphtheriemorbidität und -Mortalität in Bayern zu Anfang
der 80 er Jahre existiren leider nicht. Ende der 80 er
Jahre und Anfangs der 99 er Jahre wurden aus ganz
Bayern jährlich 34—19 000 Erkraukungsfällo und 4800—5700
Todesfälle an Diphtherie zur Anzeige gebracht. An dieser .Sta¬
tistik hatte sieh aber jeweilig nur etwa die Hälfte aller baye¬
rischen Acrztc betheiligt, man wird also, um die (I< saminlsumine
der Diphtheriefalle zu < rhalteii. die Zahl jed< nfalls um ein Drittel
erhöhen dürfen. Nimmt man nun selb .) an. das- von <-a. 20 0p0
jährlichen Diphlhoriefällen nur 5 l’roe. — 10*>*> wegen Larynx-
-li nose operirt werden mussten, und von diesen wieder nur etwa
15 l’roe. mit dem Lehen davon kamen (Mortalität der klinisch
Tiaehcotoinirten in der V. S. i*. f!0 l’roe.) — 150, so ergäbe
v -ieh im Vergleich mit den ministeriellen Zahlen doch, dass etwa
'in Drittel der Traeheoloniirten vor erreichtem Manne-alter g ( -
-loiben i-1 Damit i-t freilich noch nicht mit Landouzy
’l Dass Traelii oimui"nai'l>en übersehen winden. i-t wohl m'D-
lieh. aber IlieJil |ee| ; t walirsejo-inlieli. naeh'leiil speeielIes Allgt ti-
merk darauf geriehb t wurde.
No. A:\
i gesagt, dass dieses Drittel an den Folgen der Tracheotomie ge-
, stürben ist.
| Was wir aus dem obigen Bericht positiv erfahren, ist, dass
i hei der Musterung von den überlebenden männlichen Traeheo-
! tomirten über die Hälfte an Folgen der Tracheotomie noch zu
I leiden halte n, und dass diese Folgen wieder bei 29 Proc. derartige
waren, dass sie zu dauernder Militärdienstesuntauglichkeit
I führten ; )-
; Um zu erfahren, welcher Art diese Folgezustände sein
I könnten, um nähere Angaben über das Schicksal ehedem Trachoo-
tomirter zu erhalten, wandte ich mich an verschiedene ältere
i praktische Acrztc in München und an die Universitätskinderklinik
da-elhst. Aus der Praxis wurden mir noch keine definitiv ver¬
wendbaren Berichte zuge-bllt. Ich kann bis jetzt nur so viel
sagen, dass jeder der Herren einige Fälle kannte, denen die
Tracheotomie keinen dauernden Naehtheil gebracht hatte.
! Das Material der Universitätskinderklinik war mir in frei-
i gehigster und liebenswürdigster Weise von Herrn Hofrath Prof.
, Dr. v. Ranke zur Verfügung gestellt worden. Es betrug die Zahl
' der in den Jahren 1886—1892 wegen diphtherischer Larynx-
steimse geheilt entla-seiien primär Tracheotomirten 45. die Zahl
i der geheilt Entlassenen Int liierten 114. Ich konnte leider nur
über 14 Tracheotoiuirte und 09 Iutubirte Nachricht erhalten.
Von den 69 Intubirten sind 62 am Leben, 7 gestorben. Und
zwar sind gestorben: 4 Fälle 1 Monat nach der Entlassung im
| Pneumonie, Pneumonie und Morbillcn, Pneumonie und Per¬
tussis, Nephritis; 1 Fall wenige Tage nach der Entlassung an
den Folgen der Diphtherie, 1 Fall nach 2 Monaten au Pneu¬
monie, 1 Fall nach 7 Monaten an Tuberkulose (hereditär be¬
lastet).
Bei 22 überlebenden Intubirten werden von den Eltern seit
der Operation bestehende Erkrankungen der Athmungsorgaue
angegeben, und zwar bei 11 Fällen mehr oder weniger bedeutende
Heiserkeit, bei 1 Fall „etwas liefe Stimme“, ein ander Mal „Im-
kommt in <h r Kälte und in feuchten Räumen regelmässig starken
i Schnupfen und wenige Ki künden anhaltende Stiekanfälle“. Bei
den übrigen Fällen findet sieh notirt: „bei raschem Gehen oder
i Laufen Kurzailnnigkeit und weithin hörbares Atheiligerüusch,
dicker Hals“; „Kurzailnnigkeit, Stimme belegt, Bleichsucht“;
„öfter Reizhusten“; „zeitweises Halsweh“; „bei rauher Witte¬
rung zu Ilalssehmerzcii geneigt“; „häufig Mandelansehwellung,
von Zeit zu Zeit röchelnde Athmung“; „ziemliche Verschleimung
und etwas Husten seit der Operation“; „bei angestrengtem Gehen
Stechen auf der Brust und sehr starker Auswurf (hat seit der
Op« ration G mal die Lungenentzündung überstanden)“; „Neigung
zu Bronchialkatarrh“.
Die Intubationsdauer schwankte bei diesen Fällen zwischen
1U-. Tagen und 18 Stunden.
Die 14 Tracheotomirten sind siimmtlich am Leben. Von
einem Fall wird angegeben: „ist manchmal heiser“; von einem
| anderen Fall: „ist immer kränklich, lungenleidend, hat einen
linksseitigen Buckel“: von einem dritten Fall: „Kurzathmigkcit,
Nachts starkes Rasseln in der Luftröhre, häufig Katarrh ohne
Auswurf, Blutarmut li“.
Die Trachealkanüle wurde in diesen 3 Füllen 11, 8 und
1 25 Tage lang getragen.
Herr Kollege S i e g e r t - Strassburg hatte die grosse Güte
und Freundlichkeit, mit Aufwand von viel Zeit und Mühe für
: no ine Zwecke eine Sammdforsehung im Eisass anzustcllcn. Er
sandte mir Material über 194 in Strassburg in den Jahren 1886
bis 1M6 traebeotomirtf Fälle. Nur 1 Fall stammt aus dem
Jahre I>s2 und 1 Fall aus dem Jahre 1898.
55 dieser Fälle war. u mit .Serum behandelt worden, von
dt mm nur 1 gestorben ist. Bei 80 Fällen sind seit «1er Operation
m* in* als 1<) Jahre v< rstrb-hcn. 7 Fälle stehen zur Zeit schon
im mannbaren Aller, sind älter als 17 Jahre. 3 Fälle wurden
2 mal trächt otomirt, wovon 2 leben. 10 Fälle sind gestorltcn
und zwar:
-) Ks bestellt freilich ilic Befahr, «lass ht-i solchen Belegen-
hinten Manches in die l.enm erst „hiimimrel nrnd" wird. Zweifel
an d.-r Richtigkeit der g. machten Angaben dürften am h den
i Ianpi .rrninl zur Zuriieksieilnng um Id 1.einen imbildet habmi.
da s.ne-r kaum anzmiehnien ist. dass seit .lahr/elimeii bestehende
Anomalien min inuerhallt weniger .lalire auf einmal versehw indem
werth n.
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1700 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43.
1. 1 Tag nach der Entlassung an Masernpueumonie.
2. 3 Tage nach der Entlassung an diphtherischer Herzlähimmg.
3. 1* Tage nach der Entlassung an Masernpueumonie.
4. 2 1 /, Monate nach der Entlassung an ..Lungenschlag“.
r». 2 Jahre nach der Entlassung an der /.weiten Tracheotomie.
d. 2 Jahre nach der Entlassung an Pneumonie.
7. 4 Jahre nach der Entlassung an 7
5. S Jahre nach der Entlassung an Masern.
1). 7 nach der Entlassung au 7
30. 7 nach der Entlassung an 7
Von 43 Fällen erfahren wir, dass sie gesund sind (bei 28
dieser Fälle wird noch besonderes Gedeihen betont).
Bei 3 Fällen wird angegeben, dass sio nicht gut entwickelt
sein sollen. Bei weiteren 9 Fällen finden sich folgende Ver¬
merke- „stark blutarm“; „Hypertrophia tonsillarum“, „seit der
Operation oft Angina und Pseudocroup“, „schnauft zuweilen
stark“; „bekommt leicht eng, ist noch heiser“; „ist noch heiser
(nach 3—4 Monaten intubirt, dann 2. Mal tracheotomirt)“;
..Nachts schweren Athem“; „Narbendruck“; „trägt noch die
Kanüle“. Uebcr den Gesundheitszustand der restireiiden 129 Fälle
waren offenbar nähere Angaben nicht zu erhalten, es ist ledig¬
lich bemerkt: „lebt“.
Zuletzt wandte ich mich noch an die Direktion der Olga¬
heilanstalt in Stuttgart, da ich wusste, dass dieses Spital über
ein selten reiches Diphthcricniaterial verfügt. Dem gütigen Ent¬
gegenkommen des Direktors, Herrn Prof. Dr. Sigel, und der
freundlichen Unterstützung des Assistenten, Herrn Dr. S i p p e 1,
verdanke ich die folgenden Aufzeichnungen.
In den Jahren 1888—1891 incl. wurden 127 1 raoheotomirte
Kinder geheilt entlassen. Uebcr 74 dieser Ex-Traeheotomirten
erhielt ich bis jetzt von den Eltern nähere Angaben.
6 Fälle sind gestorben und zwar
1. am Tage der Entlassung an Diphtherie.
2. 5 Tage nach der Entlassung an Diphtherie.
3. kurze Zeit nach der Entlassung an Herzlähmung.
4. Kurze Zeit nach der Entlassung an Lungcidiihmung.
7>. 1 Jahr nach der Entlassung an „Lungeiikrankheit“.
<*>. 3 Jahre nach der Entlassung an „Zehrtieher" (Traelieallistel
nicht zugcheilt, Dysphagie).
(58 Fälle sind am Leben (bei 15 Fällen wird der Gesundheit«-
stand als besonders gut bezeichnet).
Von einem Falle wird angegeben, dass er seit der Operation
stottert.
Bei 2 Fällen bestehen Drüsenanschwellungen am Halse.
3 Fälle waren nach der Operation noch längere Zeit zu
Bronehialkatarrhen und Lungenentzündung geneigt.
30 Fälle sind seit der Tracheotomie mit Krankheiten der
Atlnnungsorganc behaftet. Bei 13 Fällen besteht noch Heiser¬
keit, darunter bei 5 Fällen ausserdem noch Husten und er¬
schwertes Athmen, bei 3 Fällen Heiserkeit und erschwertes
Atlimen, bei 8 Fällen Heiserkeit und Husten.
Bei den übrigen 17 Fällen ist angegeben: „ist im Hals sehr
empfindlich“; „ist etwas beengt im Kehlkopf und kann ausserdem
weder das G noch das K ausspreehen“; „hat nach starker körper¬
licher Anstrengung ein raschelndes oft pfeifendes Athmen“.
3 Fälle haben erschwertes Athmen. Bei 0 Fällen besteht seit
der Operation mehr oder weniger kontinuirlieher Husten.
2 Fälle leiden an Husten und erschwertem Athmen. Bei
3 Fällen wurde zur Zeit an der Olgaheilanstalt Lungenspitzen¬
katarrh konstatirt.
Tn Summa summaruin sind also von den aufgezählten 351
wegen diphtherischer Larynxstcnose in den Jahren 1886 bis
1896 operirten Kindern 23 gestorben, 328 am Leben. Von
»54 Fällen erfahren wir, das* sie seit, der Operation an Affektionen
di s Hachens, Kehlkopfes und der Lunge, leiden.
Wenn cs erlaubt ist. aus diesem leider noch recht kleinen
.Material Seldii-sc zu ziehen, so wäre cs
1. dass I,a ndo uzy's Angaben über das fernere Schicksal
der Trneheotoinirteii. für Deutschland wenigstens, widerlegt er¬
scheinen, dass die Tracheotomie offenbar nur in Ausnahmefällen
Prädispnsiiion für Tuberkulose schafft.
2. aber, und das sage ich besonders im Hinblick auf die An¬
gaben unserer Militärärzte, dass immerhin ein nicht unbedeuten¬
der Procetitsatz. der ehodoin Operirten an gewissen Folgoerschei-
ungcii zu leiden hat, und zwar gilt dies — wie von vorneherein
anzuni hmen war — nicht, ausschliesslich für die Traeheotomir-
»<-n. sondern auch für die Intubirten. (Dass wir nicht jedes cin-
zi Ine der milgethoilten Krnnkheitssyniptome ohne Weiteres als
Folgeerscheinung der Operation betrachten, ist selbstverständ¬
lich.)
Es muss nun freilich in Anschlag gebracht werden, dass
unser Material mit Ausnahme von 55 Fällen (S i e ge r t) aus der
Vorserumzeit gewählt wurde — was mit Rücksicht auf eine mög¬
lichst lange Beobachtungszeit geschah —, allein wir wissen, dass
Deeubitalgcschwüre, welche wohl hauptsächlich bei unserer Frage
in Betracht kommen, nach Tracheotomie und Intubation leider
auch unter der Serotherapie nicht zu den Seltenheiten gehören,
da ihre Entstehung durchaus nicht stets an eine lange Be¬
handlungsdauer geknüpft ist.
Wir können also auch heutzutage unter den so viel günsti¬
geren therapeutischen Umständen, wenn der Operirte zunächst
geheilt erscheint, noch nicht dafür bürgen, ob der operative Ein¬
griff keinen bleibenden Nachtheil für den Patienten schaffen
wird.
Diese Erkenntniss wird uns natürlich nicht abhalten, nach
wio vor im Nothfalle zur Operation zu schreiten, aber die vor¬
liegenden Thntsaehen werden uns doch dazu anregen, in noch
grösserem Maas&sUibc wie bisher prophylaktische Maassnahmen
zu ergreifen, um eine Operation möglichst zu vermeiden. Am
empfehlenswcrthesten scheint mir das Vorgehen Fischl’s und
anderer Kollegen, hei jeder diphtherieverdächtigen Affektion des
Kehlkopfes ohne Weiteres, noch vor sichergestellter Diagnose, eine
Injektion von Diphtherieheilserum No. III vorzunehmen und den
betreffenden Patienten der Dampfbehandlung zu unterziehen, die
sieh, wenn auch oft nur in primitiver Weise (durch Begiesseu der
heissen Herdplatte, erhitzter Ziegelsteine mit Wasser, Aufstellen
von Rechauds u. s. w.) — auch in der Privatpraxis durchführen
lässt. Wenn es dann trotzdem bei besonders akuten Fällen noch
zur Operation kommen sollte, so wird unter der bereits einsetzen¬
den Wirkung des specifischen Mittels und der hydrothera¬
peutischen Maassregeln doch in der Regel die Bchandlungs-
dauer eine wesentlich abgekürzte, der Verlauf ein milderer sein.
Des Weiteren geben vielleicht die vorstehenden Unter¬
suchungen den Anstoss dazu, dass mehr wie bisher Werth auf die
Erlernung von Operationen gelegt wird, die eben jeder allgemeine
Praxis betreibende Arzt beherrschen muss; dass nicht junge
Aerzte in die Praxis hinaustreten, ohne vorher mehr gesehen zu
haben, als etwa einmal eine Tracheotomie an der Leiche im
Operationskurs.
Schliesslich aber scheint cs nothwendig, noch ernstlich an
der Vervollkommnung und Verbesserung unserer Opera tions-
teelmik weiterzuarbeiten, um die mit Tracheotomie und In¬
tubation immer noch verbundenen Gefahren und Nachtheile
thunliehst zu beseitigen.
Den Herren, die mich bei der vorliegenden Arbeit so gütig
unterstützten, Sr. Exc. Herrn Generalstabsarzt Dr. v. Vogl.
Herrn Generalstabsarzt Dr. Bestolmeyer, Herrn Hofrath
Prof. Dr. v. Ranke, Herrn Prof. Dr. Sigel uml Herrn
Dr. S i p p e 1, insbesondere aber Herrn Privatdoc. Dr. S i e g e r t
spreche ich auch an dieser Stelle nochmals meinen verbind¬
lichsten Dank aus.
Aus der pacdiatrischen Universitäts-Kinderklinik in Graz
(Vorstand: Prof. Dr. Th. Escherich).
Zur Kenntni$8 der „Spätstörungen“ nach Tracheo¬
tomie und Intubation.*)
Von Dr. Meinhard Pfaundler, Privatdocont und
Assistent obiger Klinik.
Von mancher Seite wurde der Verdacht geäussert, dass die
wogen hosteheiuler Larynxstcnose vorgenommeue operative Be¬
handlung. als Tracheotomie und Intubation, Monate und Jahre
nach ülu rstandenem Eingriffe noch persistirende Gesundheits¬
störungen und eine Neigung zu gewissen Krankheitszuständcu
zur Folge, haben könne.
Auf die sehr dankenswertheAnregung von Prof. Escherich,
meinem hochverehrten Chef, forschte ich daher, um unser ein¬
schlägiges Material zu verwerthen, dem Schicksale der im De-
cennium 1890—1899 auf der Klinik des Genannten nach Tracheo¬
tomie und Intubation entlassenen Kinder nach. Die Intubation
*) Nach einem in der pädiatrischen Sektion der 73. Versamm¬
lung deutscher Naturforscher und Aerzte iu Hamburg gelialteneu
Vort rage.
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22. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1701
wird an der Anstalt seit dom Jahre 1890 geübt und stellt derzeit
fast ausnahmslos den ersten Eingriff dar, den wir bei vorhandener
bedrohlicher Stenose vornehmen und dem wir nur in dem ver-
hiiltnissmässig selten vorliegenden Bedarfsfälle die sekundäre
Tracheotomie folgen lassen. Die Indikation zu letzterer sehen
wir namentlich dann gegeben, wenn die Stenose nach 24 bis
48 stündigem Liegen der Tube und eventuell einmal wiederholter
Intubation persistirt, sowie unter bestimmten anderen Um¬
ständen, deren Bericht nicht in den Rahmen dieser Darlegung
fällt.
Die Zahl der nach beiden Eingriffen im angegebnen Zeit¬
räume entlassenen Kinder beträgt 202; dieselben waren seiner
Zeit allo wegen Rachendiphtherie aufgenommen und allermeist
geheilt entlassen worden.
lieber das Befinden von 173 dieser ehemaligen Patienten
konnte ich durch persönliche Untersuchung oder zuverlässig
scheinenden Bericht Kunde erhalten. Das Ergebnis* dieser Er¬
hebungen ist folgendes:
8 der Patienten, aus äusseren (Jründen ungeheilt entlassen,
starben bald nachher noch an den unmittelbaren Folgen des
diphtherischen Processes selbst. (Absteigender Croup, Pneumonie,
postdiphtherisehe Lähmung.) Von den übrigen 105 waren:
137 (83,03 Proc.) seit Langem vollständig beseliwerdefrei oder
nach einem längeren, ungestörten Gesundheitszustände von Er¬
krankungen befallen worden, die mit dem stattgehabten opera¬
tiven Eingriffe bestimmt in keinerlei Zusammenhänge stehen.
IG (9,70 Proc.) Kinder boten Beschwerden leichtester Art
(Kategorie A), die ein objektives Zeichen bei der Untersuchung
zumeist gar nicht erkennen liessen, Beschwerden, die nur von
den Begleitpersonen über eingehendes Befragen angeführt, und
auch von diesen als indifferente gekennzeichnet wurden; und zwar
nannte man mir:
a) leichte Atlimungsbescliwerden beim Laufen oder Stiegen¬
steigen 5 mal;
b) angeblich zeitweise belegte Stimme 5 mal;
c) Zurückgebliebenheit in der Entwicklung der Sprechfähig¬
keit 3 mal;
d) leichtes Stottern 3 mal.
Von diesen Beschwerden der Kategorie A Hess sich in der
Kegel nicht feststellen, ob sie nicht noch in den Rahmen des
physiologischen Verhaltens fallen. Dio Angabe der Begleit¬
personen, dass die Störung seit dem durchgemachten Halsprooosse
datire, kehrte zwar häufig wieder, doch muss es angesichts der
wenig hervorstechenden Symptome dahingestellt bleiben, ob in
dieser Angabe nur der Ausdruck des Kausalitätsbedürfnisses
der Leute, oder aber der Hinweis auf einen wirklich bestehenden
Zusammenhang zu finden ist. Letzteres hat nach meiner Em¬
pfindung nur eine geringe Wahrscheinlichkeit.
12 (7,27 Proc.) Patienten wiesen folgende Erkrankungs¬
zustände auf oder waren denselben theils in unserer klinischen
Beobachtung, theils zu Hause erlegen (Kategorie B):
a) dauernde Heiserkeit mittleren oder höheren
Grades 1 ) 3 mal;
b) narbige Trachealstenoso geringen Grades
3 mal;
c) chronische, cirrhotisohe Pneumonie mit
Bronchitis und Bronchiektasie 3 mal;
d) Lungentuberkulose 3 mal.
Von den besagten 173 Kindern waren 141 intubirt,
16 tracheotomirt worden; bei den restlichen 16 hatte Intubation
und Tracheotomie vorgenommen werden müssen, erstere ent¬
weder primär oder nach der Tracheotomie behufs Erleichterung
des Decanulements.
Die erwähnten Gesundheitsstörungen vertheilen sich auf In¬
tubation und Tracheotomie wie folgt:
Die leichtesten oder angeblichen Beschwerden der Kategorie A
fanden sich unter
7,8 Proc. der Intubirten,
12,5 „ „ Tracheotomirten,
18,8 „ Intubirten und Tracheotomirten.
Dio Erkrankungszustände der Kategorie B boten
3,5 Proe. der Intubirten,
12,5 „ „ Tracheotomirten,
31,3 „ „ Intubirten und Tracheotomirten.
') Mit Neigung zur Erkrankung an Lobulilrpneuinonien (tmnl).
Die nähere Vertheilung lässt folgende Uebersicht erkennen:
Intubation
Tracheo¬
tomie
Intubation
u.Tracheot.
i
Summe
Dauernde Heiserkeit . . .
2
0
1
Trachealstenose.
0
1
2
3
Chronische Pneumonie . .
1 t
0
1 o
!!
Lungentuberkulose ....
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•Summe
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12
Was die Fälle ernsterer Zustände nach Intubation betrifft,
so sind zur Bcurtheilung des Zusammenhanges zwischen
Operation und Gesundheitsstörung einige Einzelheiten von Be¬
deutung.
I) a u e rüde II e i s e r k e i t (lauf. Nummer des Protokolls,
Fall 41»; Die bleibende Stimmstörung Irat erst einige Monate
nach Entlassung aus dem Spitalo auf. Das Alter des Kindes be¬
trug zur Zeit der Operation 4 Jahre; die Tube lag in Summa
4 Tage.
Dauernde Heiserkeit (Fall 87): Pat. aequirirte bald
uach Entlassung Lues. Ob der Kehlkopfprocess specitiseher Natur
ist oder nicht, konnte nicht festgestellt werden. Tube lag 3 Tage
an dem damals 19 monatlichen Kinde.
C h r o n i s c h e P u e u uioni e (Fall 42): Das zur Zeit der
Operation 8 monatliche Kind, bei dem die Tube 5 Tage lang ge¬
legen hatte, bot bis zum 5. Lel>ensjahre. von einigen Bronchial¬
katarrhen abgesehen, keine Krankheitserscheinungen. 5 Jahre
nach Ueberstehen der Diphtherie erkrankte es au Lungen- und
Rippenfellentzündung und starb im folgenden Jahre in unserem
Spitale.
Lungentuberkulose (Fall (50): Die Tube lag nur
48 Stunden bei dem damals 3 jährigen Kinde. 3 Jahre nach Ent¬
lassung starb dasselbe zu Hause nach 4 wöchentlichem Kranken¬
lager an „gallopirender Lungenschwindsucht“. In jenen 3 Jahren
soll es ab und zu gehustet haben, sonst aber stets frisch und nie¬
mals bettlägerig gewesen sein. Ueber hereditäre Belastung nichts
erfrngbar.
Lungentuberkulose (Fall 178»: Pat. entstammt einem
tuberkulösen Vater. Zur Zeit der Intubation 7 Jahre alt (Tube
2 mal 4S Stunden), starb er Ende des 9. Lebensjahres an Lungen-
(und Allgemein) Tuberkulose. Feber das Betinden in den
zwisehenliegi nden DA Jahren nichts Bestimmtes eruirbar.
Die Fälle von Erkrankungen nach Tracheotomie oder In¬
tubation und Tracheotomie sind kurz folgende:
Trachealstenose (Fall 13(b: Alter 5 Jahre, Traeheo-
tomla inferior. Kanüle 8 Tage. Die Beschwerden (Stridor, Schwer-
athmigkeit) datiren von der Reconvalescenz nach der Operation;
es besteht überdies Neigung zu recidivirenden Bronchialkatarrhen.
Lungentuberkulose (Fall 215): Aller zur Zeit der
Operation (1898) 0% Jahre Traeheotomin inferior, Kanüle 7 Tage.
Seit jener Zeit stets kränklich; Husten schleimiger Auswurf. Vor
y s Jahr wurde eine bacill.äre Spitzcnaffektion diagnosticirt. Der¬
zeit ist der Befund gering, das Betinden ein besseres. Hereditär
belastet.
Dauernde Heiserkeit (Fall 95): Damals 3 Jahre alt.
Traeheotomin inferior, Kanüle 18 Tage: erschwertes Deeanulc-
ment; Tube 10 Tage. Seither stets stark „belegte Stimme". Hat
auch 2 Lungenentzündungen durchgemacht.
Trachealstenose (Fall 130): Damals 2'/ a Jahre alt.
Primäre Intubation durch 24 Stunden. Traeheotomin inferior,
Kanüle 10 Tage. Seither stets kränklich. Nebst der Kurzatlunig-
keit und hörbarem Stridor besteht bei schnellerem Gehen auch
Herzklopfen. Kein nachweisbarer Klappenfehler.
Trachealstenose (Fall 210): Zur Zeit der Operation
17 Monate alt. Tube 0 Tage, Kanüle (Traeheotomin inferior)
11 Tage. Nebst den deutlichen Zeichen der Stenose bietet Pat.
seither häutig bronchitiseheu Befund.
Chronische Pneumonie (Fall 3): Im Alter von
2 Jahren tracheotomirt (Kanüle 9 Tage) wegen erschwerten De¬
canulements intubirt (Tube 28 Tage). Soll seither fortwährend
husten und hat eine schwere chronische Lungeninflltration Über¬
stauden (klinische Beobachtung). Bietet jetzt nur mehr wenig
Befund und sieht besser aus.
Chronische Pneumonie (Fall 34): Damals G Jahre
alt. Intubation durch 24 Stunden; Tracheotomia inferior (Kanüle
7 Tage). Von jener Zeit datirt eine chronische, eirrhotische, oft
exacerblrende Pneumonie, welche Jüngst den Verdacht einer ba-
cillüreu Sekundärinfektion erweckt und trotz iiusserst sorgsamer
Ptiege (Badekuren etc.) den Allgemeinzustand wenigstens zeit¬
weise schwer beeinträchtigt.
Nach dieser kurzen Darlegung des Materiales lässt sich sagen,
dass Erkrankungen des Respirationstraktes bei ehemals Intubirten
nicht öfter gesehen wurden, als schätzungsweise der spontanen
Erkrankungswahrscheinlichkeit der Kinder in dem Zeiträume von
2—12 Jahren entspricht. Für letztere kommt noch in Betracht,
dass unsere Wirkungssphäre grossentheils in den proletarischen
Kreisen liegt. Ein Zusammenhang der ausnahmsweise kon.-ta-
tirten Erkrankung mit der Operation ist in keinem Falle auch
mir cinigcrmnasscn wahrscheinlich. Von ernsten Spät-
3*
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s t ö r u n g e n n a cli Intubation ist s o mit, soweit
u iiscre E r f a li rung r eicht, ii b e r li a u p t nichts
zu eruiron.
Hei traclicotomirt und trachcotoniirt und intubirt gewesenen
Kindern hingegen fanden sieh nach Jahren in einem verhält niss-
mässig erheblichen Procentsatz der Fälle Krankheitszustiinde auf
dem Gebiete des Respirationstraktos, die thoils mit Bestimmtheit,
theils mit grosser Wahrscheinlichkeit auf den vorgenommenen
Eingriff zurückgeführt werden können.
Das Ergehn iss dieser Nachforschungen i>t somit geeignet,
zu zeigen, dass auch in Bezug auf die eventuell zu gewärtigenden
Spätstörungen der schonende Eingriff der Intubation jenem der
Tracheotomie bei weitem vorzuziehen ist, ein Finnland, der neb-t
anderen unser seit Langem bestehendes Bestreben, den in¬
dikationskreis der letzteren zu dunsten der ersteren einzuschrän-
ken, gerechtfertigt erscheinen lassen mag.
Ohne Zweifel waren jene Fälle, in welchen wir nebst der
Intubation oder von Anfang an zur Tracheotomie* griffen, die
schwereren, also jene, welche wohl an s i e-lt eher eine gewi'sc
Neigung zu Folgezuständen zuriieklussen konnten. Doch kann
diese Fehlerquelle nicht in dem Man.-sc in Frage kommen, dass
dadurch an obiger Dcduction eine prineipielle Aenderung be¬
dingt würde.
Meinem Freunde, Dr. Robert II esc hl, Kekundararzt. an
der Isolirstation des Anna-Kinderspiiales, danke ich die .Mit¬
wirkung bei der Zusammenstellung des Materiales.
Eine praktische aseptische Spritze für subkutane
Injektionen.
Von Dr. med. B. W o 1 f f in Köln.
Die bekannten Spritzen für subkutane inj ktionen werden
vor <lem jedesmaligen tJebrauelie desinlizirt. Diese Desinfektion
währt natürlich immer nur ganz kurze Zeit und ist daher nicht so
gründlich, als wenn das Instrument während der ganzen Dauer
des Nielitgebrauelies der Einwirkung einer desinlizirendei;
Flüssigkeit ansgesetzt ist.
Letzteres zu ermöglichen, und die Spritze stets gebrauchs¬
fertig zu haben — da bei der dauernden Desinfektion ein Nielit-
fuuktioniren oder Eint rock neu des Kolbens ausgeschlossen ist —.
ist Zweck vorliegender Neuerung. Dieselbe bestellt darin, dass
durch besondere Konstruktion das Innere der Spritze, wie be¬
sonders die Nadel, eine dauernde Desinfektion erleiden.
Mittels dl s Stempels zieht man die desinliziicnde Flüssigkeit
auf und schraubt oder steckt die Nadel umgekehrt in den jetzt
mit der Flüssigkeit gefüllten Cylinder. Ein .Melaiifutleral nimmt \
ei. se Spritze auf und dient dessen Deckel, «U r uaclt dem !•. kauiit n
Modell eines Stebaufs konsiruin ist. bei eventuellem («ebrauehe
der Spritze zur Aufnahme Her in derselben enthaltenen Flüssig¬
keit. so dass man selbige Flüssigkeit immer wieder als Desinfektor
benutzen kann. Feiner birgt die Spritze in der bohlen Steuipel-
, Stange eine Reser\enadel.
J>as Lanze hat Aussehen und (5Wisse wie die Thermometer
in Melallhiilsc. so dass die Kompendiositiit des kleinen Iustru-
! nicht cs nichts zu wünschen übrig lässt.
Die Zeichnung veranschaulicht eine Ausfiihnmgsform des
Modelles. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass die Spritze den
bekannten subkutanen Spritzen gleich ist. Der hohle Stempel b
ninii.it die Rosorveiiadel e auf. iMmli Aufziehen der Flüssigkeit
wird das Innere der Spritze a desinlizirt und durch Einschrauheii
oder Eitisteekeii der Nadel f in den Foims d wird erstens die
Spritze abgedielitet und zweitens die Nadel desintizirt. Fig. '•'<
veranseliaiiliehl die Hülse. Fig. 4 deren Deckel als Reservoir,
weither durch Metall li beschwert in der Weise eines Steliaufs funk-
tioiiirt und somit ein Yergiesscn der atifgeuoinniexieu Flüssigkeit
vi rhindert.
Fm kurz zusamnienzufassen. haben wir eine Spritze für sub
! kutane Injektionen, liei welcher die Nadel in umgekehrter Rich¬
tung in den Cylinder gesteckt oder ge.-% t hraubt wird, und ein zwei¬
theiliges Melaliiiu leral. dessen Länge gestattet, die mit des-
intizireiider Flüssigkeit gefüllte Spritze mit aufgezogenem Stempel
und in d« n Cylinder liineiugesteekter Nadel nufzuuehmen. wobei
der Deckel dieses Futterals durch die oben beschriebene Stebauf-
einriehiung als Fliissigkeitsreservoir während des Gebrauches
dienen kann, so dass dieselbe Flüssigkeit immer wieder als Des¬
infektor benutzt werden kann.
Als Desinfcklor benutz«* ich eine 2 pme. Lysollüstmg. die si.-li
durchaus berührt bat und das Metall, sowie die Schärte der Nad 1
in keiner Weise angieilt.
(Anfertigung und Vertrieb hat die Kölner Finna Kühne.
Sie vers & N e ti m a ti n iilieriioinmen. Preis .‘5 M. (Jebrauehs
Illuster atlgeiin ldel.i
Aus der psychiatrischen Klinik zu Würzburg.
Zur Kenntniss der infantilen Pseudobulbaerparalyse
und der angeborenen allgemeinen Bewegungsstörungen.
Von Dr. Theodor Zahn, I. A>sisteiit der Klinik.
(Schluss.)
Das Mädeln n leidet ab) an einer angelt neu ><!ilat!'i n
! Lähmung, die mehr oder weniger schwer die Muskeln des Mun
des, der Zunge, des Rachens, Kehlkopfes, Halses, Rumpfes und
i aller (iliedmaassen betrifft. Ausserdem au starker Ataxie der
! Arm- und Rumpfmuskeln, sowie an wackelnden Bewegungen de-
i Halses. Hie Schnenrellexe fehlt n, die llautretloxe und die Scnsi-
j hilitiit der Haut und der Muskeln sind erhalten. Die Blasen- und
j Mastdarmthätigkeit ist gestört.
; Die schwere Lähmung, die den Zustand beherrscht, ist eine
| beiderseitige cerebrale im Gebiete der Pyramidenbahnen und
j der eortioobulbiiren Bahnen. Die Art der Ausbreitung der Liili-
| mutig entspricht etwa derjenigen der cerebralen Diplegicii.
; Trotz der schlaffen Form der Lähmung darf keine Läsion de-
: peripheren Neurons angenommen werden, gleichzeitig oder ans-
I seidiesslich, da die Zeichen degfiierntiver Atrophie fehlen. Die
! Muskeln sind theils überhaupt nicht auffallend mager, thoils
nicht mehr, als durch einfache Atrophie und gewiss auch durch
Armuth an Gewebsflüssigkeit und Blut in Folge der geringen
[ Inanspruchnahme, hei den Beinen vollends in Folge der au-
| dauernden Regungslosigkeit bedingt sein dürfte. Die Reine
j fühlen sieh immer kühl an. Ferner ist die elektrische Erregbar¬
keit nicht qualitativ vermindert und es sind keine fibrillären
Zuckungen zu sehen.
Das F e h 1 e n j e d e r s p a s t i s e h e r E r sehei-
ii tl ti ft e n und zudem der Sehnenreflexe i-t freilich bei einer
Störung in den Pyramidenhahnen sehr auffallend. Die cere¬
bralen Diplegion sind fast immer spastisch, bei Degeneration
«»der Agenesie. Ein schönes Beispiel für letzteren Zustand ist
der von A n t o n [11] geschilderte Fall eines Mikroccphalcn mit
völligem Mangel der Pyramidenbahnen im Rückenmark, der
während des Lehens hochgradige Spasmen aller Extrcmitäten-
muskeln veranlasst hatte. Es muss dies so sein, wenn der Muskcl-
tonus des gewöhnlichen hemmenden Einflusses dieser Bahnen
entbehrt. Es können zwar wold in solchen Fällen die Spasmen
auch einmal fohlen, wie in dein Falle O p p c n h o i m’s mit
-Mikrogyrie und Atrophie eines Py S die Extremitäten nur pare-
tiseh waren. Dior waren aber die Sehneim flexe wenigstens vor¬
handen. »Sodann ist daran zu erinnern, dass in Ausnahmefällen
von direkten Hemiplegien die Extremitäten noch nach Jahren
im Zustand vollständig schlaffer Lähmung sich befinden können.
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22. Oktober 1001.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1703
Schlaffe Lähmungen mit Aufhebung der Sehnenreflexe be¬
obachtete auch Sachs [12, 13] in dein von ihm aufgestellten
Krankheitsbilde der „amaurotischen familiären Idiotie“, welche
mit Schwäche aller Gliedmaasseu, Abnahme des Sehvermögens,
Marasmus und verminderter Intelligenz einhergehend fast aus¬
nahmslos vor Ablauf des zweiten Lebensjahres mit dem Tode
endigt. Dabei sind die Sclmenreflexe bald gesteigert oder normal,
bald fehlen sie ganz. Sachs nimmt auf Grund mehrerer Sek¬
tionsergebnisse eine nach verschiedenen Richtungen hin fehler¬
hafte Anlage des Centralnervensystems einschliesslich der Pyra¬
midenbahnen an. Doch möchte ich nicht aus diesem Fehlen der
Reflexe bei ganz kleinen und marantischen Kindern einen Schluss
zu ziehen wagen, der den gewöhnlichen Erfahrungen ganz wider¬
spräche.
Bei unserem Falle jedenfalls dürfen wir uns nicht begnügen
mit der Annahme eines alleinigen Defektes in den Pyramiden¬
bahnen, sondern müssen, um die Schlaffheit der Lähmung zu er¬
klären, darau denken, dass der Muskeltonus normaliter durch die
Hinterst ränge erhalten und dass er durch eine Läsion derselben
herabgesetzt wird. Die Ilautreflexe und die Sensibilität der
Haut, sind freilich ganz erhalten. Aber die schweren Störungen
der Blasen- und Mustdarmthätigkeit, die Angaben des verständigen
Kindes, dass es die Nothwendigke.it zu uriniren nicht nahen
fühle, vor Allem aber die ganz erhebliche Ataxie sprechen
eindringlich für eine Schädigung auch der Hinterstränge. Atak¬
tische Störungen kommen zwar wohl auch bei gewöhnlichen cere¬
bralen Diplegien vor (Freu d, K ö n i g), aber dann sind es spas¬
tische, als ganz andere Zustände. Auf eine Entwickeluugs-
hemmung des Kleinhirns aber die Ataxie wegen ihres zum Theil
statischen Charakters zu beziehen, wäre eine Vermuthung, die
sich zu wenig auf Beobachtungen stützen könnte.
Wir stellen uns also einen Defekt in erster
L i n i e der P y r a m i d e n b a h n e n vor, der die sch w c r e
L ii h mung b e dingt, u n d in zweiter Linie eine n
Defekt in den II i n t e r s t r ii n ge n, der die Schlaff¬
heit der Lähmung, die Ataxie und die Blasen-
u n d Mastdarmstörung bewirkt.
Ohne Zweifel ist dieser Zustand seinem Wesen nach ver¬
wandt mit dem der Friedreich’sehen hereditären (familiären)
Ataxie.
Wie diese, ist er in der Anlage begründet, es besteht starke,
auch statische Ataxie, es fehlen die Sehnenreflexe, die Sensibilität
der Haut ist. ungestört, die Intelligenz gut, die Lichtreaktion der
Pupillen erhalten. Ferner hat die Sprachstörung manche Aehn-
lichkeit mit der bei der F r i ed r e i c h’schen Krankheit. Auch
kleinere Züge wie das Wackeln des Kopfes werden hier beob¬
achtet; ferner erinnert, die gewaltsame Spreizung der Finger
an die manchmal gesehene krampfhafte Dorsalflexion der grossen
Zehen bei der hereditären Ataxie. Mit dem gewöhnlichen Bilde
der letzteren stimmt nicht überein das Vorherrschen der
Muskelschwäche, die in unserem Falle ganz bedeutend ist, dort
unbeträchtlich und wenig ausgedehnt zu sein pflegt. F’erner be¬
ginnt jene Krankheit meist erst im 7. Lebensjahre oder später
und wird im Laufe vieler Jahre allmählich schlimmer. Hier
dagegen ist das Leiden von der ersten Lebenszeit an vorhanden
gewesen und hat sieh jedenfalls seit einer längeren Reihe von
Jahren auf dem gleichen Stande gehalten.
Gewiss sind das aber keine trennenden Unterschiede. Bei
der F r i e d r e i c h’schen Krankheit ist eben die Ataxie die
Hauptsache, die Muskelschwäche von geringerer Bedeutung, in
unserem Falle ist es umgekehrt, wenn auch die Ataxie, recht er¬
heblich ist. Es sind also nur graduelle Unterschiede. Auch
anatomisch dürfte unser Fall der hereditären Ataxie verwandt
sein. Bei dieser wird das Rückenmark als Ganzes „auffallend
klein und schmächtig gefunden; ausserdem meistens kombinirte
Erkrankung der Hinter- und Seitenstränge (Schultz e). . . .
Es ist noch zweifelhaft, ob die Seitenstrangaffektion das System
der PyS betrifft.“ (O p p e n h e i m [14].)
Diese letztere Frage würde durch unseren Fall bejaht werden,
wenn der anatomische Nachweis für die Richtigkeit unserer Auf¬
fassung erbracht würde. Uebrigens wurde sie auch von manchen
Untersuchern schon bejaht.
Ausser den Defekten im Centralnervensystem hat das Kind,
wie oben erwähnt, eine angeborene doppelseitige Linsentrübung.
Angeborene Katarakte sollen häufig mit anderen körperlichen
Entwickelungshemmungen Vorkommen. Fis erinnert die Katarakt
No. 43.
übrigens daran, dass eine andere Augenstörung bei cerebralen
Diplegien öfters beobachtet, wird: die Opticusatrophie (Koni g).
— Sodann ist bei unserem Falle noch darauf hinzuweisen, dass
die ersten Zähne spät, erst im 4. Jahre, auftraten und jetzt
noch tlieilwei.se nicht richtig ausgebildet sind. Vielleicht sind
diese beiden Entwiekelungsfehler an den Augen und an den
Zähnen nicht für sich, sondern als Anzeichen einer überhaupt
gestörten Keimanlage aufzufassen.
Jedenfalls haben wir für die Defekte im Centralnerven¬
system in den beiden Fällen als wahrscheinlichste Ursache eine
primäre Entwicklungshemmung zu suchen. Für eine spätere
Entstehung kurz vor der Geburt, während oder nach derselben,
fehlt jeder Anhaltspunkt. Daher wird es sich auch nicht um
eine Degeneration der motorischen Bahnen in Folge einer Ent¬
zündung, Erweichung oder Blutung, sondern um einfache Hypo¬
plasie handeln. Die gleichzeitige Störung in zwei Rückenmarks¬
systemen vollends ist kaum anders zu begreifen.
Es stimmen also diese Beispiele zu der Eingangs gemachten
Bemerkung, dass die meisten, wenn nicht alle bisher bekannten
Fälle von infantiler Pseudobulbärparalyse auf ursprünglichen
Fehlern der Anlage zu beruhen scheinen.
Der nächste Fall dürfte hiefür auch durch den anatomischen
Befund eine Stütze sein.
3. Krankenges <• h 1 e h t e.
Kaspar W., gel>. 1M3Ö. seit 181*5 Insasse (1er Epileptiker¬
pfründe in Würzburg. starb IM!(4 mit öS Jahren an einer sep¬
tischen tielenksentzünduug daselbst. Soweit den Aufzeichnungen
zu entnehmen ist. war W. von Geburt an immer epileptisch. Er
war körperlich kräftig und thiitig. obwohl er durch eine Lähmung
der linken (»liedmaassen behindert war. Sein Zustand ist bei
Sommer [15J folgendennaassen geschildert:
..Zur Zeit (IMtl.’b besteht eine in ihrer specielleu Form auf¬
fallende spastische Lähmung des linken Armes und linken Beines.
Das linke Bein ist viel geringer entwickelt als das rechte. Die
Wac hsthumshemmung betrifft alle Gewebe anscheinend in gleicher
Weise . . . Der linke Arm ist ebenfalls geringer entwickelt als
der rechte . . .
W. ist. ohne taub oder blödsinnig zu sein, fast völlig
stumm, vermöge einer starken cerebralen Artikulationsstörung
im Facialis- und Hypogloxsusgcbict. Eine Verschiedenheit der
Facialisiunervation ist nicht zu bemerken. Pfeifen, Schnauze
bilden etc. ist unmöglich. Mimischer Ausdruck sehr intensiv.
Sprnelmrtlknlation ganz unmöglich. Fordert man den Patienten
auf. die Zunge herauszustrecken, so bewegt er den ganzen Unter¬
kiefer nach vorne und scheint vergeblich eine Innervation der
Zunge zu versuchen. Dabei wird die Zungenspitze, auf der unteren
Zalinreilie gleitend, wirklich bis zur Mitte der Unterlippe geführt.
Die Zunge selbst ist wohlgenährt. Fordert man den Patienten
auf, die Zunge zu bewegen, so ist er nicht im Stande, dieselbe
von dem Mundboden zu erheben, man bemerkt jedoch ein Convex¬
werden des vorher flach ausgestreckten Organs, so dass gleich¬
zeitig die Zungenspitze eine Kleinigkeit nach vorne geschoben
wird. Dadurch erklärt sich die ebenerwähnte Thatsaclie, dass der
Patient die Zunge bis zur Mitte der Unterlippe liervorbringen
kann. Eine Verschiedenheit zwischen rechts und links, bezw. ein
Abweichen der Zunge ist bei der erwähnten Innenation nicht zu
bemerken. Bei der Produktion des Lautes a. welchen er von allen
Vocalen allein verständlich vorbringt, bleibt die Zunge in toto
unbeweglich am Boden der Mundhöhle liegen, während an ihrem
Kücken im mittleren Abschnitt an der Medianlinie eine Konvexi¬
tät. bemerklich wird. Dabei ist eine Innervation des weichen
Daumens deutlich sichtbar.
Saugen kann W. wie die kleinen Kinder, indem er die Zunge
als Stempel benützt und ruckweise zieht. Trotz der Unfähigkeit.
Laute zu produziren, har er die Worte, welche zu Personen und
Gegenständen gehören, im Bewusstsein, Ja er versucht sie sogar
richtig zu artikuliren. Sein Gestöhn hat ebenso viel Absätze, als
das Wort Silben hat.”
Der Schädel ist im Ganzen zu klein, auf beiden Selten ohne
merklichen Unterschied.
Die vom Facialis und ITypoglossus abhängigen Bewegungen
sind also wieder schwer gestört. Auch diesmal sieht man
übrigens deutlich, dass nicht etwa bloss einzelne bestimmte Be¬
wegungen, wie das Sprechen oder Kauen, leiden, sondern mehr
weniger alle willkürlichen Bewegungen von Seiten der gerade ge¬
troffenen Nerven. Es ist nicht wie bei der motorischen Aphasie,
wo die zum Sprechen unfähigen Muskeln für andere Funktionen
völlig verfügbar bleiben. Fis kommen beliebige Kombinationen
vor, je nachdem eine, zwei oder mehr der centralen Hirnnerveii-
bahnen defekt sind.
Fis handelt sieh demnach auch nicht um Defekte umschrie¬
bener Hirnrindenstellen. Daher kann auch die l’oron eo-
p h a 1 i e , die aus der spastischen Hemiplegie mit Fintwickdungs-
störung geschlossen werden muss, unmöglich Ursache der Arti-
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Go6gIe
1704
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
kulationsstörung gewesen sein. Ganz abgesehen von dem rechts¬
seitigen Sitze der Porencephalie. Pseudobulbäre Erscheinungen
finden sich ohne Porencephalie und diese ohne jene. Ebenso wenig
kann der mangelhafte Zustand der cerebralen Facialis- und Hypo-
glossusbahnen von der schon während des Lebens festgestellten
Mikro cephalie abhängig gewesen sein. Die beiden Kinder
unserer ersten Fälle haben recht grosse Köpfe. Wohl dürfte man
aber, wenn man wollte, von der Porencephalie, der Mikroccphalie
und der Unterentwicklung der genannten Bahnen vermuthen,
dass sie, wenn auch nicht von einander ab hängen, so doch zu¬
sammen hängen, als gleichwcrthige Zeichen einer primären
Entwickelungshenunung im Gehirn.
Bei der Sektion und nach der Maceration des Schädels ergab
sich: der Schädel ist. im Ganzen mikrocephal, hat nur 930 ccm
Inhalt. Die Zustände der Nähte und die Kuochendicke, ebenso die
Verhältnisse der Achsen sind im Wesentlichen normal, ohne
nennenswert he Asymmetrie. Gewicht des ganzen Gehirns: nur
7(50 g, etwa entsprechend dem Schädelinhalt. An beiden Gehirn¬
hälften bestehen porencephalisclie Defekte, rechts erheblich grösser
als links. Dem entsprechend wiegt die linke Hälfte 370 g. die
rechte nur 230 g. Das Kleinhirn ist 130 g schwer, ist also, wie
auch sonst bei Mikroccphalie, von ungefähr gewöhnlicher absoluter
Grösse.
An der 1 i n k e u Hemisphäre nimmt die porencephalisclie
Lücke den Platz des unteren Drittels der hinteren Centralwindung
und den des Gyrus snpramarginalis ein, von vorne nach hinten ver¬
laufend, etwa so gross, dass man die vorderen Glieder eines
kleinen Fingers hineinlegen kann. Rechts ist ein langer, breiter
Spalt, der von vorne nach hinten und etwas nach oben zieht und
die ganze untere Stimwindung, die unteren Drittel beider Central¬
windungen, die ganze obere Schläfenwindung, sowie die Gyri
supramarginalis und angularis vertritt. Eigentliche Zerstörungen
fehlen, die anliegenden Windungen endigen zwar an den Höhlen
in ungewöhnlicher Form, sind aber nicht beschädigt. Anscheinend
handelt es sich um primäre frühe Entwicklungshemmungen. Die
Pia liegt dem Grunde der Höhlen auf. Die Windungen der rechten
Hemisphäre sind ein wenig schmäler als die der linken, wie es der
geringeren Grösse der ganzen Hemisphäre entspricht.
Es konnten Himstamm und Rückenmark näher untersucht
werden. Vom Hirustamm und obersten Halsmark wurden
Serienschnitte, vom Rückenmark einzelne Schnitte aus ver¬
schiedenen Höhen nach Weigert angefertigt.
Die Pyramidenbahnen aus der rechten Hemisphäre sind
überall dürftig ausgebildet. Im Hirnsclienkelfuss nehmen sie
einen etwa 2>/ 2 mal kleineren Platz ein, als die der anderen Seite;
die rechte Seite Ist hier ganz verkümmert. Dagegen ist der Theil
des rechten Hirnsehenkelfusses, der dem lateralen des linken ent¬
spricht, voll entwickelt und kräftig gefärbt. In der Brücke sind
die Felder für die Py B rechts weniger zahlreich, kleiner und
heller als links. Der linke Brückentlieil ist wieder wesentlich
umfangreicher als der rechte und nach rechts über die Mittel¬
linie hinübergerückt Im Rückenmark sind bis zum Lenden-
abschnltt die linken Py S schmäler und heller als die rechten.
Was nun die uns besonders interessirenden Hirnnerven be¬
trifft, so sind ihre Wurzeln und Kerne auf beiden Seiten wohl aus¬
gebildet und sehr schön gefärbt, so der Oculomotorius, Trigeminus
sammt cerebraler und spinaler Wurzel, der Facialis, Glossopharyn-
geus, Vagus u. Hypoglossus. Dagegen findet sich nun an der media¬
len Seite des sonst normalen linken Hirnsehenkelfusses etwa da,
wo ln Obersteine Fs [IG] Figur ISO Feld 2 das Gebiet für
die corticobulbären Bahnen zwischen der frontalen Brückenbahn
und der Pyramidenbahn bezeichnet, eine kleine Stelle mit sehr
wenig Fasern und einem dichten, dunkelbräuulichen Zwisehen-
gewebe mit spärlichen Gliazelleu und ohne Lücken. Dass hier
etwa Pyramidenbahnen fehlen, ist unwahrscheinlich; denn das
Gebiet der betr. Pyramidenbahnen ist weiter spinalwärts, in
der Brücke und im Rückenmark, im ganzen Querschnitt kräftig
gefärbt. Auf der rechten Seite lässt sich eine ähnliche Fest¬
stellung nicht machen, da der mediale Theil des Fasses mit der
Pyramidenbahn überhaupt schlecht entwickelt ist. Anders in
den Briickenquersehnitten, wo die corticobulbären und die Pyra-
midenbahnen von einander getrennt sind. In den Schnitten des
proximalen Drittels der Brücke sieht man, dass beiderseits
in dem medialen Theil der medialen Schleife verschiedene für
Nervenfasern bestimmte Felder theils keine, theils nur ganz
wenige Fasern enthalten und dafür von einem grau-bräunliclieu
Gewebe ausgefüllt sind, das wie das oben erwähnte spärliche
Gllazellen und keine Lücken birgt. Die Nervenfasern sind zum
Theil so schmächtig und haben einen so schmalen Markmantel,
«lass sie erst bei sehr starker Vergrösserung erkannt werden. Im
ausgesprochenen Gegensatz hiezu sind die übrigen Felder der
medialen Schleife, besonders deren lateraler Theil, ausgezeichnet
gefärbt.
Wir haben nun Grund, nnzunehmen, dass diese fasorarmen
Felder für die corticobulbären Bahnen bestimmt seien. Ober¬
steiner (S. 411) sagt: „auch für die motorischen Ilirnnerven-
kerne beider Seiten (insbesondere Facialis und Hypoglossus)
führt die Schleife cerebrale Faserbahnen herab.“ „Die medialsten
Bündel wenden sieh proximal vom vorderen Brückenrand zum
Hirn Schenkel hinab, den sie an der Peripherie als Bündel von
der Schleife zum Fuss umziehen.“ Und nach Edinger[17],
S. 325, wachsen der oberen Schleife „aus dem Pyramidenabschnitt
des Fusses Fasern zu, welche, dorsalwärts gehend, sich an sie
dicht neben die Mittellinie anlegen. Diese Züge, Tractus
cortieobulbarcs, enden später dorsalwärts steigend in den
Kernen der Brücke und Oblongata, so die Rindenverbindung
dieser für die Sprache, Mimik und den Schluckakt wichtigen
grauen Massen darstellend.“
Das histologische Bild der faserarmen Stellen sieht nicht
wie bei einer Degeneration aus, sondern lässt mehr an eine
Hypoplasie denken. Dafür spricht auch die ganz erheb¬
liche Verkümmerung de« rechten Hirnsehenkelfusses, ferner die
Verschiebung des grösseren linken Brückentheils über die Mittel¬
linie nach rechts, wie solche Platzergreifung bei früh ent¬
standenen Hypoplasien und Agenesien beobachtet wird. Dafür
spricht- vor Allem auch das Fehlen einer erkennbaren Ursache
für eine Degeneration. Die Rindenpartien für die cortico¬
bulbären Bahnen sind links ganz intakt; es sind nicht einmal
die Pyramidenbahnen betroffen. Der Defekt der linken Hemi¬
sphäre war im Leben gar nicht zu diagnosticiren. Die Bündel
der rechten oberen Schleife und des rechten Hirnsehenkelfusses
verhalten sich histologisch nicht anders als die faserarmen Stellen
links; auch sie sind augenscheinlich nicht eigentlich degenerirt.
Dies stimmt zu der Art der Porencephalie, die wohl nicht auf
einer späteren Zerstörung, sondern auf einer frühen Entwick¬
lungshemmung beruht.
Hätte man nur den rechtsseitigen porencephalischen Defekt
und die Verkümmerung der von der rechten Hirnrinde kommen¬
den Faserbahnen vor sich, so müsste man versucht sein, dies«; von
jenem als Ursache abzuleiten. Der Befund auf der linken Seite
zeigt aber, dass die Faserzüge auch für sich unterentwickelt sein
können, ähnlich wie cs primäre Fasererkrankungen im Rücken¬
mark gibt.
Wir haben also mit grosser Wahrscheinlichkeit die defekten
cerebralen Bahnen für die im vorliegenden Falle betroffenen
Nerven, Facialis und Hypoglossus, gesehen. Wir müssen uns
vorstellen, dass in den beiden anderen Fällen anatomisch ähn¬
liche Zustände vorliegen, nur dass auch noch andere Hirnnerven
gestört sind.
Wenn wir es als wahrscheinlich gefunden haben, dass die
infantile Pseudobulbärparalyse mit Vorliebe oder ausschliesslich
bei primären Entwickelungshemmungen vorkomme, so ist damit
nicht gesagt, dass diese Formen im Uebrigen besonders schwer
sein müssten. In unserem ersten Falle ist ja keine eigentliche
Lähmung der Glieder vorhanden, die Pyramidenbahnen können
also nicht stark defekt sein. Auch müssen die Laesionen im
Gehirn nicht sehr verbreitet sein, wie der Fall Bouchaud’s
mit der spastischen Parese nur einen Armes zeigt. Bezüglich der
Sprachstörung im Besonderen betont Freud [18], dass dieselbe
bei cerebralen Lähmungen mit den übrigen Bewegungsstörungen
durchaus nicht parallel gehe. Er habe Kinder mit sehr schweren
allgemeinen Störungen gesehen, die deutlich sprachen. Bei diesen
muss also die Sprachbildung sowohl, als die Artikulation un¬
berührt gewesen sein.
Die bisher bekannten Fälle von angeborener infantiler
Pseudobulbärparalyse sind wie die unserigen nicht selb¬
ständig, obschon dies theoretisch wohl denkbar wäre, sondern
alle verbunden mit motorischen Störungen von Extremitäten.
Man fasst die infantile Pseudobulbärparalyse als Theilerschei-
nung der „cerebralen Kinderlähmungen“ auf. Dies stimmt für
unser erstes und drittes Beispiel ohne Weiteres, das zweite aber
lehrt, dass sie auch mit anders gearteten Erkran¬
kungen des Centralnervensystems sich ver¬
einigen kann.
Dass keineswegs Störungen der Intelligenz mit den cere¬
bralen Lähmungen und pseudobulbären Symptomen vergesell¬
schaftet sein müssen, zeigen unsere Fälle klar. Sogar der Mann
(Fall 3) mit Mikrocephalie und Porencephalie hatte einen recht
guten Verstand. Auch in den oben aufgeführten anderen Bei¬
spielen von infantiler Pseudobulbärparalyse wird wiederholt die
gute Begabung der Kinder betont; nur in Oppenheim's Falle
von Mikrogyrio wird von geringem Schwachsinn und bei dem
Epileptiker Bouchand’s von geistiger Beschränktheit ge¬
sprochen. Ueberhaupt ist bei cerebralen Diplegien eine Ueber-
einsiiinmung zwischen den motorischen und psychischen Sym¬
ptomen durchaus nicht Regel, wenn auch in vielen Fällen beide
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22. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
170*5
gleichzeitig vorliegen. Die Hirnrinde braucht nicht ausgedehnt
und nicht tief beschädigt zu sein.
Nebenbei bemerkt muss es bei schwer gelähmten Kindern
oft recht schwierig sein, eine eigentliche direkte Intelligenz¬
störung festzustellen. Es sind jedenfalls alle Momente sorgfältig
abzuwägen, welche indirekt auch eine an sich genügend grosse
Intelligenz in ihrer Ausbildung hemmen mussten: die Er¬
schwerung der Verständigung mit der Umgebung durch die
Sprachstörung, die Abgeschlossenheit von der Aussenwelt durch
die Lähmung, äussere dürftige Verhältnisse, fehlender Unter¬
richt, je nachdem noch eine Sehschwache. Zu diesen Ab¬
wägungen gehört eine wochenlange Beobachtung in einem Kran¬
kenhause, wo die Kinder in ihrem Benehmen gegenüber den
kleinen Ereignissen des Tages gesehen werden. Aus diesen Grün¬
den würde es mir auch schwer fallen, eine amaurotische „Idiotie“
klinisch zu diagnosticiren, wenn es sich um Kinder unter
2 Jahren handelte, deren geistige Regsamkeit durch schwere all¬
gemeine Lähmungen, Blindheit und tötlichen Marasmus auf’s
Aeusserste beeinträchtigt sein muss.
Meinem verehrten Chef, Herrn Prof. Rieger, spreche ich
für die gütige Ueberlassung der Fälle und für sein Interesse an
ihrer Beschreibung meinen aufrichtigen Dank aus.
Literatur.
1. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. — 2. Wien. klin.
Woclieuschr. 1900, No. 24. — 3. Citlrt bei Freud: Die cerebralen
Diplegien des Kindesalters, 1893. — 4. Neurol. Centralbl. 1895,
S. 130. — 5. Berl. klin. Wochensohr. 1895, No. 34. — 6. CItirt bei
Brauer, cf. 1. — 7. Neurol. Centralbl. 1898, S. 573. — 8. Wien,
klin. Woelienschr. 1899 No. 40. — 9. Neurol. Centralbl. 1901,
S. 632. — 10. Neurol. Centralbl. 1895, S. 799. — 11. Anton: lieber
angeborene Erkrankungen des Centralnervensystems. Wien 1890.
— 12. Deutsch, med. Woelienschr. 1898, No. 3. — 13. Sachs: Die
Himliihmungen der Kinder. Volkmann’sehe Vorträge 46, 47, 1892.
— 14. Oppenheim: Lehrbuch der Nervenkrankheiten, 1898,
S. IGO. — 15. R. Sommer. Diagnostik der Geisteskrankheiten,
1901, S. 217. — 16. Obersteiner: Nervöse Centralorgane, 1901.
— 17. Edinger: Bau der nervösen Centralorgane, 1900. —
18. Cf. No. 3.
Vergleichende Untersuchungen über die Leistung
versheiedener Inhalationssysteme.
Von Alfred Wassmuth in Monsheim.
Auf die in No. 40 der MUncli. med. Woelienschr. zum Abdruck
gelangte Antwort des Herrn Professors Dr. It. Emmerich
(vergl. meine Entgegnung in No. 34 der gleichen Wochenschrift)
möge mir eine kurze Erwiderung vergönnt sein.
Es lag und liegt mir fern, Herrn Professor Emmerich
„kindliche, schülerhafte Versuchsfehler“ supponireu zu wollen,
welche bei dessen Stellung und Vergangenheit als unmöglich an¬
genommen werden müssen. Wenn aber dennoch zu Folge meiner
Ausführungen wegen der durch den Druckfehlerteufel in die
Abhandlung des Herrn Professor Emmerich hineingerathenen
Capillare (c) der Schein gegen mich sprechen sollte, so möge mir
diese unbeabsichtigte Wirkung verziehen sein.
Worauf es aber nukommt und was auch den Hauptgegenstand
meiner Entgegnung bildet, so bin ich nach wie vor der TTeber-
zeugung, dass unglückliche Momente die normale Funktion meines
Apparates im Münchener allgemeinen Krankenhause 1/1. ver¬
hindert haben müssen, als Herr Professor Emmerich seine
Untersuchungen vornahm. Diese anormale Funktion musste Herrn
Professor Emmerich zu den von sonstigen Beobachtungen
so ausserordentlich abweichenden Resultaten führen, welche Herr
Professor Emmerich in No. 40 d. Woelienschr. durch weitere
theoretische Erwägungen zu begründen sucht. Herr Professor
Emmerich macht mir — nicht ganz mit Unrecht — den Vor¬
wurf, dass ich bei meinem Rechenexempel wegen der Ansammlung
von Kochsalz in meinen Inhalationsräumen offenbar das vergessen
hatte, was von mir einige Zeilen vorher ln Bezug auf die Luft¬
erneuerung mitgetliellt worden Ist Ich hätte sagen müssen:
„In Reichenhall, wo 12 Apparate von mir tagtäglich im Sommer
„arbeiten, müssten sich somit jeden Mittag ca. lli/ 2 Pfund Salz
..vorfinden, resp. so viel weniger, als an Krystallen während des
„Vormittags eingeathmet und mit der ausströmenden Ventilations-
„luft dem Inhalationsraum entzogen worden ist“. Dass es sich
dabei nur um einen Theil und nicht „fast allen“ Kochsalzstaub
— (Hier sagen wir auch — Flüssigkeitsstaub — handeln kann, sei
nebenbei bemerkt, da die Ventilationsluft ihren W’eg nicht allein
durch die Abzugskanäle. sondern auch durch Wände und Decke
nimmt. Ich muss aber konstatiren, dass der Herr Prof. E in m e -
rieh wenige Zeilen später bei seinem Kocheiiexempel ebenfalls
dieser Lufterneuening nicht, gedacht hat.
Herr Prof. Emmerich sagt: „Die pro Stunde in den Wass-
„inuthinhalationsraum gelangten 900 ccm wären also im Stande
„gewesen (900 x 7,2 g) gleich 6*4 Liter zerstäubter Soole voll¬
ständig wegzutrockneu, weun so viel zerstäubt worden wäre“.
Diese Rechnung stimmt keinesfalls und zwar aus folgenden Grün¬
den. Der Wassmuthraum enthält nach früherer Angabe 72 cbm.
Mein Apparat schafft pro Stunde ca. 900 cbm Aussenluft iu den
Raum, in 5 Minuten also ca. 72 cbm. Diese 72 cbm treiben die im
Raum vorhandenen 72 cbm durch die Abzugsöffnungeu etc. hinaus.
Nach weiteren 5 Minuten treten weitere 72 cbm Aussenluft in den
Inhalationsraum ein und verdrängen die während der ersten
5 Minuten eingeführten 72 cbm u. s. w. Zieht mau dieses Moment
in Betracht, so kommt man zu ganz anderen Resultaten.
Herr Prof. Emmerich ist der Ansicht, dass die leidende
Menschheit und meine Wenigkeit für seine Entdeckung des Koch¬
salznebels im Münch, allg. Krankenhause 1/1. dankbar sein müsste,
und dass es meinerseits klüger gewesen wäre, seinen Winken in
Bezug auf Verbesserung meines Apparates zu folgen, als seine
Abhandlung ln der von mir beliebten Weise zu kritlsiren. Mit.
dieser Ansicht würde Herr Prof. Emmerich vollständig im
Rechte sein — und ich wäre jedenfalls der Letzte, welcher wohl¬
gemeinten und mir einleuchtenden Verbesserungsvorschlägen das
Ohr verschlösse —, wenn — ja — wenn seine Entdeckung Irgendwo
sonst als zutreffend bestätigt werden könnte. Aber dies ist keines¬
wegs der Fall. Inzwischen angestellte Untersuchungen in meinen
Inhalationsräumen in Soden a. T. und Münster a. St. haben er¬
geben, dass nach 5 Minuten langer Exposition von Objektträgern
an verschiedenen Stellen des Inhalationsraumes weit über
100 000 Sooletröpfchen bis zur Grösse von Blut¬
körperchen pro Quadratcentlmeter zu konstatiren
sind und dass von Kochsalzkr.vstallen nichts zu bemerken ist.
Wie mir mitgetliellt worden, sollen auch ln meinen Inhalations¬
räumen in Baden-Baden Untersuchungen mit gleich günstigen Er¬
gebnissen vorgenommen worden sein. — Die Resultate werden
demnächst publizirt werden.
Bei dieser Sachlage erscheint es unumgänglich nothwendig,
lin Wassrauthinhalatorium im Münchener allg. Krankenhause 1/1.
eine Nachprüfung vorzunehmen und habe ich nach erhaltener
Kenntniss der ersten Abhandlung des Herrn Prof. Emmerich
alsbald meine Bereitwilligkeit zum Ausdruck gebracht, mich der
Reise nach München unterziehen, der Nachprüfung beiwohnen
und dafür sorgen zu wollen, dass mein Apparat so arbeitet, wie
man es anderwärts von ihm gewohnt ist.
Ich hoffe und wünsche, dass mir bald Ordre wird, nach Mün¬
chen zu kommen und dürfte die vorliegende Streitfrage dann leicht
zur Klärung und Ruhe gelangen.
Auf die vorstehende Entgegnung des Herrn Wassmuth
habe ich wenig zu erwidern. Unrichtig ist die Behauptung des
Herrn Wassmuth, dass ich bei meinem Rechenexempel der
Luftemeuerung nicht gedacht hätte und „dass meine Rechnung
nicht stimme“. Die Ausführungen, die Herr Wassmuth zur
Begründung dieser seiner Behauptung macht, sind nicht nur mir,
sondern auch anderen Fachmännern der Ventilationstechnik gänz¬
lich unverständlich.
Das von mir experimentell ermittelte Resultat deckt sich voll-
Kominen mit der Rechnung, so dass ich eine „Nachprüfung“ der
Untersuchungen im Inhalationsraum des Krankenhauses 1. d. I.
für überflüssig halte. Ich bin aber gerne bereit, Herrn Wass¬
muth an genannter Stelle von der Richtigkeit meines Befundes
zu überzeugen.
Iu meiner letzten Erwiderung soll es statt 900 ccm selbst¬
verständlich 900 cbm heissen. Prof. Dr. Emmerich.
Adolf Fick. +
(Nekrolog.)
Mit Adolf Fick, dem jüngst in Blankenberghe ver¬
storbenen Würzburger Physiologen, geht einer der letzten Ver¬
treter der glänzenden Physiologenschule aus der zweiten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts zu Grabe, düreh deren Arbeit und
kritische Schärfe die moderne mechanische Physiologie mit
begründet und ausgebaut worden ist. Zur vollen Würdigung des
ganzen Menschen ist aber bei Adolf Fick neben seiner Be¬
deutung als Forscher, Gelehrter und Lehrer nuch seine energische
und thatkriiftige Unterstützung öffentlicher, besonders erziehe¬
rischer Fragen hervorzuheben. Er war überall, wo er mit angriff,
eine hervorstechende eigenartige Erscheinung und verdient, in
der Ehrentafel der Geschichte an besonderer Stelle eingetragen
zu werden.
Adolf Fick war am 3. September 1829 in Kassel geboren,
wo sein Vater als Geheimer Oberbaurath in hessischen Diensten
stand. Nuch einer Haustradition stammt die Familie Fick
aus dein Salzburgischen, von wo ein Vorfahre als vertriebener
Protestant etwa um 1730 in das damalige inarkgräflich-
Baireuthische Land eingewandert ist. — Der Vater F i c k’s stand
zuerst als angesehener Ingenieur in bayerischen Diensten in
Erlangen. Er wurde zur Oberaufsicht und Reorganisation des
Strassenbauwesens von der hessischen Regierung nach Kassel
berufen; dort wurde als letztes von 9 Kindern Adolf Fick
geboren.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
1706
F i ck , an dem sieh schon in der Jugend eine hervorragende
mathematische Begabung aussprach, bezog die Universität mit
der Absicht, Mathematik 2 u studiren. Sein älterer Bruder
Heinrich, der erst vor wenigen Jahren als Professor des römischen
Rechts an der Hochschule Zürich gestorben ist, übermiete ihn
zum Studium der Medicin, das er in Marburg und Berlin betrieb;
an erste rer Hochschule promovirte er im September 1851. Schon
im Jahre 1852 wurde er unter C. Ludwig, mit dem er für das
ganze Leben in inniger Freundschäft verbunden blieb, Pro¬
sektor in Zürich, habilitirte sich daselbst im Jahre 1856 und er¬
hielt als Nachfolger von Ludwig und Moleschott im
Jahre 1862 die ordentliche Professur für Physiologie in Zürich,
die er durch 6 Jahre innc hatte. Im Jahre 1868, nach v. Bezold’s
frühem Tode, wurde er nach Würzburg gerufen, wo er die Lehr¬
stelle für Physiologie 31 Jahre lang bekleidete. Sein Wirken
daselbst wird noch an anderem Orte besondere Würdigung er¬
fahren. Mit Ende des Sommerseinesters 1890 trat er von seinem
Lehrauftrag zurück, nicht aus Arbeitsmüdigkeit oder Alters¬
schwäche, sondern bei vollster Frische des Körpers und des
Geistes, in strenger Befolgung eines lange ausgesprochenen
Vorsatzes, mit vollendetem 70. Lebensjahre jungen Kräften Platz
zu machen.
Die Zeit, zu der F i c k in die Physiologie eintrat, kann man
noch zu dem Anfang der modernen, schulgemäss anerkannten
und betriebenen wissenschaftlichen Modicin rechnen. Durch den
Aufschwung der Chemie mit dem Beginn des vorigen Jahr¬
hunderts hatte zuerst eine richtige Fragestellung in der Biologie
begonnen. Die ersten von der Naturwissenschaft gewonnenen
sicheren Positionen hatte man sofort dazu benützt, die Lehre von
der Lebenskraft abzusetzen und die wichtige Thesis aufzustellen,
dass man versuchen müsse, die spezifischen Lebenserscheinungen
als durch chemische und physikalische Vorgänge bedingt zu er¬
klären. Gerade wie die Chemiker La voisier , L i e b i g u. A.
mit den für ihre Spezialdiseiplin gewonnenen Erkenntnissen
sofort an die Lösung biologischer Fragen sich machten, ebenso
ging eine physikalische Schule von ihrem Standpunkte aus an
die Disoussion der ihr zugehörigen physiologischen Fragen. Die
Gebrüder Ernst Heinrich und Eduard Weber, II elmholt z,
du Bois-Rcymond, Ludwig, Brücke sind die her¬
vorragendsten Namen aus dieser Schule, die jetzt schon der
Geschichte angehören. Zu diesen ..physikalischen“ Biologen
muss Adolf Fick nach seiner hervorragenden physikalischen
Beanlagung und Schulung, sowie nach seinen Leistungen gestellt
werden.
Es ist schon verschiedentlich behauptet worden, dass die
Ergebnisse der rein physikalisch-physiologischen Bestrebungen
von Seiten so vieler hervorragender Gelehrter nicht so reich¬
haltig sind, als diese Schule selbst es für sich und als man
es allgemein von dieser Schule erwartet hatte. Es habe die
anfänglich mit viel geringerem äusseren Erfolge in die Arena
getretene chemische Richtung der Physiologie bis heute grössere
praktische Erfolge für die Gesammt-Mediein aufzuweisen, als
die rein physikalische Richtung. Wer aber möchte eine so fun¬
damentale Disciplin wie die Biologie nur nach dem klingenden
Erfolg beurtheilen und wer könnte heute, wo wir ja eigentlich
noch im Anfänge einer richtigen Fragestellung in der Biologie
sind, es schon unternehmen, die einzelnen Fachwissenschaften
nach dem Antheil, der von ihren Errungenschaften jetzt in
Scheidemünze nusmünzbar ist, zu klassifiziren?
Schon im Jahre 1849 als 19 jähriger Student veröffentlichte
Fick seine erste wissenschaftliche Untersuchung, über die
Musculatur des Oberschenkels, die heute noch eine sehr lesens-
wertlie Analyse der mechanischen Verhältnisse der Ilüftgelenks-
musculatur darstellt. Diesen Untersuchungen über die Mechanik
des menschlichen Körpers blieb Fick immer zugethan. Er
beschrieb monographisch die Gelenke mit sattelförmigen Flächen,
gab in seiner medicinischen Physik, deren erste Auflage im
Jahre 1856 erschien, eine vorzügliche Darstellung der Mechanik
der Gelenke überhaupt; in dem grossen Sammelwerk über Physio¬
logie (L. Iler m a n n) übernahm er die spezielle Bewegungslehre
und regte immer einzelne seiner Schüler für gleichartige Unter¬
suchungen an.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Mechanik des
Körpers führte Fi ck zu einer Spczialfrage, der er den grössten
Theil der Arbeitszeit und Kraft seiner reifen Jahre widmete,
der nach dem inneren Vorgänge bei der Muskelzusammen¬
ziehung. Es sind ungefähr 30 Abhandlungen von Fick selbst,
dazu eine Anzahl von Arbeiten seiner Schüler, die sich auf
Einzelfragen der Muskelphysiologie beziehen. Die ersten Mit¬
theilungen erschienen in der Züricher Vierteljahrsschrift, die
späteren im Pfliiger’schen Archiv, sowie in den Sitzungsberichten
und Abhandlungen der Würzburger physikalisch-medicinischen
Gesellschaft. Einmal war es die Wärmeentwicklung bei der
Contraction, die spezieller untersucht wurde. Fick konstruirte
neue thermo-elektrische Vorrichtungen, womit es ihm gelang,
auch die absoluten beim Tetanus entwickelten Wärmemengen
annähernd zu bestimmen. Sodann definirte er neu die wichtigen
Begriffe der isometrischen und isotonischen Zuckung und stu-
dirte die Einzelheiten bei diesen Zustandsänderungen der Muskel-
substanz. Zur Messung der Arbeit konstruirte er seinen Arbeits-
snmmler. Als Resultat endlich aller seiner Muskelstudien sprach
er seine Ideen über das Wesen des Contraetionsvorganges selbst
aus. Die spezielle Formulirung seiner Hypothese ist nicht ohne
Widerspruch geblieben. Eine Folgerung Fick’s aber, die er
gewissermaasen per exelusionem gewonnen hat, insofeme andere
mögliche Erklärungsarten der Muskeleontraction als durch Be¬
denken, die aus dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärme¬
theorie folgen, für ausgeschlossen gelten müssen, ist wohl von
ganz prinzipieller Bedeutung. Nach Fick kann die durch
chemische Umsetzungen im Muskel erzeugte kinetische Energie
speziell nicht in der Weise entstehen, dass die verbrauchte che¬
mische Energie zuerst in Form von Wärme entwickelt und diese
erst in die geordnete kinetische Energie der Zusaramenziehung
umgowandelt wird; es müssen vielmehr die chemischen Spann¬
kräfte, die im Muskel aufgespeichert sind, so geordnet sein, dass
sie bei ihrer Ueberführung in kinetische Energie direkt die Ge-
stnlt.sveränderung des Muskels bewirken. Die Zusammenziehung
ist also nicht ein thermodynamischer Vorgang, wie ein solcher
:n der Dampfmaschine geschieht, die chemische Energie wird
vielmehr direkt in die geordnete kinetische Energie der Con¬
traction umgewandelt. — Mit dieser wichtigen Definition über
den Vorgang der Muskelzusammenziehung ist eine erste wichtige
Etappe in der Aufklärung der contractilen Substanzen gewonnen
und jede weitere Disoussion über diese Frage wird hier anknüpfen
müssen.
Weiterhin hat sich A. Fick vielfach mit Untersuchungen
über Ilaemodynamik beschäftigt. Er verbesserte zunächst die
Methodik der Aufzeichnung der Blutdruckkurve. Die von ihm
hiezu angegebenen Instrumente, das Federmanomoter und das
Kautschuk-Federmanometer sind allgemein in Gebrauch ge¬
nommen. Er analysirte zuerst mittels des von ihm konstruirten
(jetzt Plethysmograph genannten) Apparates die Geschwindig¬
keitsverschiedenheiten des strömenden Blutes in Arterie und
Vene mit aller Klarheit und Bestimmtheit (Arbeiten des Züricher
Laboratoriums 1868). Heber die Erscheinung des Dikrotismus,
über den Blutdruck in der Herzkammer und den grossen Gefässen
gab er durch neue Untersuehungs- und Betrachtungsmethoden
werthvolle Aufschlüsse.
Von der Physiologie der Sinnesapparate kultivirte er be¬
sonders den Gesichtssinn. Seine Dissertation: Tractatus de
errore optieo etc., Marburg 1851. behandelt hauptsächlich die
Erscheinungen des Astigmatismus (Helmholtz: Physiolog. Optik,
pag. 147). Vielfach beschäftigte sich Fick mit Spekulationen
über Erklärung des Farbensinnes; eine Reihe von kritischen und
experimentellen Studien hat er darüber veröffentlicht. Sein
letzter Vortrag in der Würzburger physikalisch-medicinischen
Gesellschaft behandelt die H e r i n g’sche Theorie des Farben¬
sehens. — Zum Gehörsinn gab er eine experimentelle Arbeit über
den Mechanismus des Paukenfells und liess von einem Schüler
(X o 1 d a) ein Paukenfellmodell prüfen. — Ueber den Tastsinn
enthalten die Mole s e h o t t’schen Untersuchungen des Jahres
1860 eine Arbeit von Fick.
Zur Physiologie der Nervensubstanz überhaupt hat A. F i c k
nur einzelne Aufsätze publizirt. ln den Jahrgängen 1862 mit
1864 der Wiener Akademieberichte und in der Festschrift für
E. H. Weber im Jahre 1871 veröffentlichte er Studien über
Xervonreizung. Einzelne Aufsätze behandeln die Rückenmarks-
empfindlichkeit. Die Abhandlung über verschiedene Erregbar¬
keit funktionell verschiedener Präparate verdient besondere
Hervorhebung.
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22. Oktober 1901.
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1707
Von den Arbeiten F i c k’s über Stoffwechsel, Verdauungs-
und Drüsen-Physiologie ist besonders bekannt geworden die
mit Job. W ialicenus zusammen angestelltc Messung des bei
einer grossen Arbeitsleistung (Bergbesteigung) geschehenen Ei¬
weissumsatzes. Das Resultat, dass das bei der Muskelarbeit ver¬
brauchte chemische Material stickstofffrei sein müsse, wurde
alsbald allgemein anerkannt. — Die Versuche und Veröffent¬
lichungen über Peptone, deren Schicksal in der Blutbahn, über
Pepsinwirkung, über die Bedeutung der verschiedenen Nahrungs¬
stoffe waren durch gelegentliche Beobachtungen in den Vor¬
lesungen, für die Fick sehr zahlreiche und mühevolle Experi¬
mente vorbereitete und demonstrirte, hervorgerufen.
Die Lehrbücher, die A. Fick verfasste, zeichnen sich durch
Klarheit der Darstellung, Schärfe des Ausdrucks und der kriti¬
schen Besprechung aus. Das erste Buch: „Die medicinische
Physik“ schrieb er in seinem 27. Lebensjahre; es erlebte 3 Auf¬
lagen. Es war das Buch, das den jungen Physiologen sofort als
Kandidaten bei Sedisvacanzen bekannt machte. Von dem „Kom¬
pendium der Physiologie“ erschienen 4 Auflagen; die letzte im
Jahre 1892. Schon im Jahre 1862 gab er ein „Lehrbuch der
Anatomie und Physiologie der Sinnesorgane“, als Theil eines
grossen Sammelwerkes heraus. Von dem schon genannten aus¬
führlichen „Handbuch der Physiologie“ schrieb er noch den Ab¬
schnitt über Dioptrik und über Lichtempfindung. — Aus dem
physiologischen Laboratorium in Zürich erschienen im Jahre
1869, aus dem Würzburger Institut in den Jahren 1873 bis 1878
„Physiologische Untersuchungen“ (vier Lieferungen). Beim
C a n s t a t t’schen Jahresbericht war er 14 Jahre lang, von
1852 an, Referent über physiologische Literatur.
Die besondere Begabung und Schulung F i c k’s für mathe¬
matisch-physikalische Fragen, die ihn z. B. auch dazu befähigte,
bei Vacanz des physikalischen Lehrstuhls die Experimental¬
vorlesung über Physik zu halten, bethätigte er auch in eigener
Produktion als Forscher und Schriftsteller auf diesen Gebieten.
Am bekanntesten ist die Arbeit über Hydrodiffusion in den
Poggendorf’schen Annalen. Die meisten der hieher gehörigen
Aufsätze fallen in das Grenzgebiet zwischen Physik und Philo¬
sophie, besonders die Grundbegriffe der Mechanik und die durch
die mechanische Wärmetheorie gewonnenen Anschauungen waren
der Lieblingsgegenstand seiner Spekulationen. Eine kurze Auf¬
zählung der Titel der wesentlichsten hieher gehörigen Abhand¬
lungen möge hier genügen: „lieber die der Mechanik zu Grunde
liegenden Anschauungen“, „lieber die Zerstreuung der Energie“,
„Versuch einer physischen Deutung der kritischen Geschwindig¬
keit in Weber’s Gesetz“, „Heber Druck im Innern von Flüssig¬
keiten“. — Mehr nach der philosophischen Seite liegen die Ab¬
handlungen : „Die Naturkräfte in ihrer Wechselwirkung“, „Die
Welt als Vorstellung“, „Das Grössengebiet der vier Rechnungs¬
arten“, „Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit“,
„Die stetige Raumerfüllung durch Masse“ etc.
Schon diese flüchtige Uebersicht über F i c k’s literarische
Thätigkeit zeigt, wie umfassend er sich das Arbeitsgebiet abge¬
steckt und wie tiefgründig er es bearbeitet hat. Aber auch in
allen übrigen Zweigen menschlichen Wissens war er mit seltener
Vielseitigkeit unterrichtet; er war ein aussergewühnlieh gelehrter
und belesener Mann. Seiner Definition entsprechend: ein ge¬
bildeter Mann sei Derjenige, der von den wesentlichsten Ergeb¬
nissen der Geistesarbeit der gesummten Menschheit einen guten
Ueberblick sich verschafft habe, studirte und beherrschte er ein
sehr umfassendes Wissensgebiet. Unterstützt wurde er in diesem
Bestreben durch ein besonders treues GcdUchtniss. das er bis zu¬
letzt in voller Frische sich erhielt.
Die hervorragende Stärke in der Beanlagung F i e k’s war
sein kritischer Verstand. Die Grundfragen der Erkenntniss-
lehre. der Mechanik behandelte er mit seltener Klarheit und
Schärfe und verstand es, eine Reihe ihm neu vorgetragener Vor¬
stellungen richtig zu analysiren und zu beurtheilen. Er galt bei
seinen Bekannten als berufener wissenschaftlicher Kritiker.
Bei seinen experimentellen Arbeiten half ihm eine hohe
manuelle Geschicklichkeit. Er rühmte sich, aus der Schule
B u n s e n’s zu stammen, und befolgte dessen Manier, die ersten
Modelle neuer wissenschaftlicher Apparate mit einfachen Mitteln
sich selbst zusammenzustellen. Die Konstruktion der verschie¬
denen von Fick eingeführten Instrumente: Manometer, Ple¬
thysmograph, Pneumograph, thermoelektrische Säulen etc. gibt
davon Zeugnis«.
Man würde der Erscheinung F i c k’s nicht gerecht werden,
wenn man ihn nur als Gelehrten, nur von der Verstandesseite
beurtheilen wollte. Fick fasste die sittlichen Aufgaben des
Mannes höher als die Verstandesaufgaben. Die Stellung, die
durch Begabung und Fleiss der Mann sich erringt, muss er be¬
nutzen, um seinen Idealen, den sittlichen Aufgaben, gerecht zu
werden. Diese Verpflichtung nahm Fick hoch ernst und ver¬
folgte sie mit fortschreitenden Jahren in immer rückhaltloserer
Weise, nicht nur in Worten, sondern unter Aufbringung grosser
persönlicher Mittel, so dass man sagen kann, er war ein Agitator
für seine Ideale. Diese Agitation betrieb er vor Allem literarisch,
im persönlichen Verkehr nur in seiner Gesellschaft. An die
Allgemeinheit wandte er sich als Redner nicht. Dazu hatte er
nicht die hiefür nothwendige Unmittelbarkeit der Beredsamkeit.
Seine Rede war immer überlegend, jedes Wort abgewogen, ob es
für den gerade zu nennenden Begriff das richtige, am besten
angepasste sei. Solche kritische Naturen sind keine Volksredner.
Wie ernst und energisch Fick seine Aufgabe anfasste, be¬
weisen am besten seine eigenen Worte. In einem Aufsatze über
Vorbildung zum Studium der Medicin schreibt er: „Das Maass
der idealen Gesinnung eines Mannes ist offenbar lediglich zu
schätzen nach der Grösse der Opfer, die Jeder für seine Ideale
bringt. Man hätte z. B. auszurechnen, den wievielten Theil
ihres Einkommens die Einzelnen für diese Zwecke aufwenden.
Ich muss sehr befürchten, dass solche Ermittelungen nicht zum
Vortheile der Bevölkerungsklasse ausfielen, welcher ich selbst an¬
zugehören die Ehre habe.“
Fick spricht hier aus, was ihm theilweise selbst begegnete
und was ihm nach den Erfahrungen aller Reformatoren be¬
gegnen musste: er fand mit seinen Neuerungen viel Indifferen-
tismus, auch Widerstand und durchaus nicht allgemeine Gegen¬
liebe. Auf seine Grundsätze hatte das aber gar keinen Einfluss;
er blieb fest bei dem „kategorischen Imperativ“ der Erfüllung
seiner Ideale.
Von diesen Bestrebungen F i c k’s können nur die auf's
öffentliche Leben bezüglichen Punkto kurz angedeutet werden.
Von seiner politischen Stellung erzählt er selbst, dass er
als ganz „unpolitischer“ junger Mann nach Zürich gekommen
sei. Die jammervollen Zustände in Kurhessen, unter denen er
aufwuchs, mussten einem ideal beanlagten Jünglinge jeden Rest
von Vaterlandsliebe nehmen. In der Fremde erst, wohl angeregt
durch die hochbegabten politischen Flüchtlinge, Kinkel,
Sein per u. A., mit denen er in Zürich zusammenlebte, ent¬
wickelte sich der glühende Patriotismus, der in den Gescheh¬
nissen des Jahres 1870 seine theilweise Erfüllung fand, der bei
ihm aber werkthätig sich äussern musste. Er war grossdeutsch
im vollsten Sinne des Wortes: sein Ideal war die politische Ver¬
einigung aller deutschen Stämme. So wurde er ein eifriges Mit¬
glied des alldeutschen Verbandes,‘des deutschen Kolonialvereins,
des Schulvereins, des Vereins zum Schutze deutscher Interessen
im Auslande, des Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger etc. und
brachte für alle diese Bestrebungen grosse Opfer.
Weiterhin interessirte sich Fick besonders lebhaft für die
Alkoholfrage. Sowie erst in Deutschland Vereinigungen zur Be¬
kämpfung der Trinksitten sich gebildet hatten, trat er diesen bei,
verpflichtete sich zu ständiger Abstinenz und wurde ein eifriger
Führer für die Verbreitung der Abstinenz. Der geringe Fort¬
schritt, den in Deutschland die Abstinenzsache machte, war ihm
ein grosser Schmerz. Immer wieder wies er auf das Beispiel
Amerikas hin, das für ihn das I>and der Zukunft war und von
dem er auch in anderen Fragen l>efreiende Neuerungen für die
Menschheit erwartete.
Mit der gleichen Begeisterung trat Fick für alle fort¬
schrittlichen Fragen, besonders des Erziehungsgebietes, ein. In
jeder neu aufgeworfenen Idee schien ihm der Keim für eine
Verbesserung der menschlichen Verhältnisse zu liegen.
In einem Briefe, worin er seiner Freude über die Be¬
sprechung der Alkoholfrage Ausdruck gibt, sagt er selbst : „Mir
spricht schon überhaupt in allen Gebieten der mit dem historisch
Gewordenen nicht paktirende Radikalismus und Rationalismus
immer zum Ilerzen.“ So stand er in der Frauenfrage unbe¬
dingt auf Seite derjenigen, die die jetzige Ordnung der Dinge
gründlich verändern wollen. — ln der Gymnasialbildung er¬
strebte er weitgehende Reformen. An der Erweiterung der
Kompetenzen der Realgymnasien hat er wacker mitgekämpft;
die Erfüllung dieser Bestrebungen hat er gerade noch erlebt.
e
No. 43.
1708
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Fick hatte ein überaus schönes und glückliches Familien¬
leben. Er war ein treubesorgter, liebevoller Gatte und Vater
und wurde von den Seinigen wieder über Alles geliebt und hoch
verehrt. Die Schatten, die menschlichem Glück nie erspart
bleiben, sind auch auf sein Leben tief und schwer gefallen. Von
fünf erwachsenen blühenden Kindern verlor er zwei: eine Tochter
von zwölf Jahren und einen hoffnungsvollen Sohn, der schon
Doetor juris war und sich mit socialpolitischen Studien in
München befasste: beide Kinder au perforirender Typhlitis.
Von dem letzten Schlage erholte sich die Mutter nicht mehr ganz.
Sie war eine der vornehmen selbstlosen Frauennaturen, deren
ganzes Leben in der Pflichterfüllung und Sorge für die Familie
aufgeht und die dabei Albs was sie that und was sie umgab
mit ihrer gütigen freundlichen Art erheiterte und verschönte.
Der Verlust ihrer Lieblingssehwester, erst vor wenigen Monaten,
nahm wieder ein Stück von dem weg, was sie noch an’s Leben
band. Als auch der Gatte gestorben war — die drei überlebenden
Kinder sind in angesehener Lebensstellung und glücklich ver-
heirathet — da war ihr Geschick erfüllt. Sie starb 14 Tage nach
dem Tode ihres Mannes, an gebrochenem Herzen könnte man
sagen. Ihre Aufgabe war gelöst, sie hatte nichts mehr zu sorgen.
— Welche Tragik liegt in dem Lebensabschluss dies*« Hauses,
das noch vor wenigen Wochen wegen seines äusseren Glückes
beneidet werden konnte!
Fick war zu Ende Juli als scheinbar vollständig gesunder,
frischer Mann in das Seebad Binnkenherghe zur Sommerfrische
gegangen; er hatte sich dorthin mit den Familien seiner Kinder
verabredet. Ganz plötzlich, aus dem heiteren Himmel voller
Gesundheit heraus, begannen am 19. August Nachmittags Iäih-
mungszeichen der rechten Körperhälfte. Eine ganz langsam ein¬
setzende, aber kontinuirlich zunehmende Gehirnblutung machte
binnen 48 Stunden dem kräftigen Leben ein Ende. — Er hatte
den bestimmten Wunsch ausgesprochen, dass am Grabe keine
Reden gehalten, nur die liturgischen Gebete verrichtet werden
sollten.
So war Adolf Fick: wahrhaftig in Wort und Werk.
Er war ein Ritter des Geistes, aber auch ein Held der sittlichen
That, ohne Furcht und ohne Tadel im Kampfe für alles Wahre
und Gute. — Was sterblich an ihm war, haben wir verloren. Un¬
sterblich bleibe seine Gestalt in der Geschichte als leuchtendes
Vorbild für unsero deutsche Jugend.
K u n k e 1 - Würzburg.
Referate und Bücheranzeigen.
Handbuch der praktischen Chirurgie. Herausgegeben von
v. Bergmann, v. Bruns und v. Mikulicz. 4 Bände.
Stuttgart 1899—1901, Vorlag von Ford. Enke.
Der Prosjiekt dieses Werkes gab an, das neue Handbuch solle
eine umfassende Darstellung des heutigen Standes der speziellen
chirurgischen Pathologie und Therapie bieten und als solche
zwischen das grosse Sammelwerk der „Deutschen Chirurgie“
und die Chirurgischen Lehrbücher eingereiht werden.
Nach dem Vorbild analoger Werke der ausländischen Lite¬
ratur und nach dem von den Herausgebern aufgestellten Arbeits¬
pläne war dem Werke eine gute Aufnahme vorherzusagen. Es
sollte in 4 Bänden die Chirurgie: 1. des Kopfes, 2. des Halses,
der Brust und de« Beckens, 3. de« Unterleibs, 4. der Extremitäten
darstellen. Die Wahl der Mitarlwiter war glücklich, indem die
betreffenden Verfasser der einzelnen Abschnitte auf ihrem je¬
weiligen Gebiete schon speziell gearbeitet, z. Th. sogar den
gleichen Abschnitt in der „Deutschen Chirurgie“ geschrieben
hatten.
Heute liegt das Werk fast vollendet, vor und ist nun ge¬
bührend zu würdigen. Die gestellte Aufgabe ist glücklich gelöst.
Sind auch die einzelnen Beiträge nicht als völlig gleichwertig
zu bezeichnen, so ist doch das Werk so gleichmässig gediehen,
wie es bei der Zusammenarbeit Vieler überhaupt, möglich ist.
Das Werk wird auch den erhofften Erfolg haben. Sehen wir cs
jetzt schon in zahlreichen neueren Einzelarbeiten öfter citirt,
so wird es gewiss noch weit mehr von den chirurgisch thätigen
Aerzten in stiller Arbeit zu Käthe gezogen und bei geplanten
Eingriffen gewieserinaassen zu Grunde gelegt. Stellt ee doch
den Stand der deutschen Chirurgie um die Wende des Jahr¬
hunderts dar!
So empfiehlt sich das Werk, welches obendrein gut aus¬
gestattet und mit zahlreichen guten Abbildungen versehen ist,
selbst und Referent braucht keine besonderen, rühmenden Worte
hinzuzufügen. Helfe rieh.
Max Runge : Lehrbuch der Geburtshilfe, kerlin,
Springer, 1901. 6. Auflage.
ln zehn Jahren sechs Auflagen — das ist für ein Lehrbuch
der Geburtshilfe das beredteste Zeugniss seiner Vorzüge. Zu
diesem Erfolge haben viele Umstände beigetragen. Das Buch
ist vor Allem praktisch; frei von langen Erörterungen über
schwebende Streitfragen gibt es bündige Auskunft über Alles,
was der Studirende und der praktische Arzt darin sucht. Die
Schreibweise ist so klar und einfach, dass man selbst in die
schwierigsten Fragen (Syncytioma, Chorioina) leicht eingeführt
wird; reichlich sind Hinweise auf die kleinen Schwierigkeiten
der Praxis und die Mittel zu ihrer Beseitigung gegeben — man
lest- z. B. den Abschnitt über „Komplikationen und Schwierig¬
keiten bei der Extraktion“ in Beckenendlage. — Die Literatur¬
angaben sind so gewählt, dass man mit ihrer Hilfe leicht weiteres
findet.
Zu diesen Vorzügen des Wortes treten solche der Bilder.
Sie sind meist in klarem Holzschnitt gegeben, nicht — wie
leider heute so oft — selbst bei ganz ungeeigneten Original¬
bildern durch Oliches; wo nöthig, ist mehrfarbiger Druck ge¬
wählt (Bilder der Chorionzotten, der Ei-Insertion u. s. w.).
Nicht ohne Erwähnung darf auch die übrige Ausstattung
bleiben: schöner Druck, gutes Papier, gefälliger Einband; in
diesem letzten Punkte dürften manche deutschen Verleger,
welche gewohnt sind, immer nur ungebundene Bücher in den
Handel zu bringen, sich hier ein Muster nehmen.
Kein Zweifel — das Werk R u n g e’s gehört schon jetzt zu
den am meisten verbreiteten deutschen Lehrbüchern der Geburts¬
hilfe und es wird noch manche neue Auflage erleben.
Für diese dürfen vielleicht folgende, wenn auch unterge¬
ordnete, Punkte zur Berücksichtigung geeignet erscheinen: Er¬
wähnung des vaginalen Kaiserschnittes nach
Dührssen; wird die Operation auch selten indizirt und für
den Nicht-Spezialisten meist unausführbar sein, so stellt sie doch
einen sehr beaehtenswerthen neuen Typus geburtshilflicher Ope¬
rationen dar. — Kurzer Hinweis auf die Giftwirkung
inacerirter Focten, welche experimentell erwiesen ist
und manche subjektiven Beschwerden der Trägerin erklärt
(Frösteln, Unbehagen, leichte Temperatursteigerung); diese Er¬
scheinungen sind auch diagnostisch und desshalb für den Prak¬
tiker nicht ohne Belang.
Bei der W alcher’schcn Ilängelagc (S. 393 u. 413)
verdient eine Erwähnung auch die Ursache, welche die Ver¬
änderlichkeit der Oonjugata vera bedingt (Rotation im Ileosakral-
gelenk); Runge selbst scheint die Hängelage nicht oft anzu¬
wenden, da er z. B. schreibt: „Die Hängelage wird von vieleu
Praktikern warm befürwortet, wenn es auch an Täuschungen
über den Effekt nicht gefehlt haben mag.“ Und doch ist dieses
Verfahren gerade für den Praktiker bei mässig verengtem
Becken einer viel wärmeren Empfehlung werth.
Aber das sind untergeordnete Punkte gegenüber den hervor¬
ragenden Vorzügen des Buches. Gustav Klein.
I. Löwenfeld: Der Hypnotismus. Handbuch der Lehre
von der Hypnose und der Suggestion, mit besonderer Berück¬
sichtigung ihrer Bedeutung für Medicin und Rechtspflege.
Wiesbaden 1901, Verlag von J. F. Bergmann. 522 Seiten.
Preis M. 8.80.
Seitdem auf dem Gebiete des Hypnotismus keine über¬
raschenden Entdeckungen mehr zu Tage gefördert worden, ist
die erst so lebhafte Discussion allmählich verstummt. Die Kennt-
niss dieser Erscheinungen gehört zum festen Bestand der Wissen¬
schaft, wenn auch noch nicht aller ihrer Vertreter. Diejenigen
Aerzte, die Hypnotisiren gelernt und damit ihr therapeutisches
Rüstzeug bereichert haben, sind ihres Vortheils gewahr geworden,
die Anderen verdecken ihre Lücke durch Stillschweigen.
Indessen aber wird das Gewonnene ausgebaut und hat die
Hypnotherapie in den letzten Jahren beachteuswerthe theore¬
tische und namentlich praktische Fortschritte gemacht. Es war
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22. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1709
desshalb sehr zeitgemäss und verdienstlieh, dass der Verfasser
wieder einmal den Stand unseres Wissens zusammen fasste,
was in vorzüglicher Weise geschehen ist an Hand grosser Er¬
fahrung und vorurteilsloser Beobachtung.
So wusste er das umfangreiche Material kritisch zu sichten
und durch eigene Auffassung zu bereichern. Ausser den direkt
zum Studium der Hypnose gehörigen Dingen bespricht der Ver¬
fasser auch einige verwandte Erscheinungen: die pathologische
Hypnose, den Yogaschlaf und Aehnliches, „das Hellsehen“ und
die Telepathie, die Suggestion im Leben der Massen. Der
Hypnose und Suggestion im Dienste der Medicin und ihrer Be¬
deutung für dio Rechtspflege, ebenso ihrer Beziehung zur Psycho¬
logie ist je ein besonderes Kapitel gewidmet. Die Suggestion
wird dcfinirt als „die Vorstellung eines psychi¬
schen oder psycho-physischen Thatbestandes.
welche in Folge von Beschränkung o d er Auf¬
hebung der associativen T h ä t i g k e i t durch
Herbeiführung dieses Tliatbest andes eine
aussergewfihnliche Wirkung ausser t“. Warum
„aussergewöhnlich“, da doch der Suggestion .ganz analoge
Vorgänge im gewöhnlichen Leben, z. B. bei der Erziehung, eine
sehr grosse Rolle spielen? Man brauchte diese von den experi¬
mentellen nicht so scharf zu trennen.
Für den Begriff derjenigen Vorstellung, die einem Individuum
erst beigebraeht werden soll, damit sie zur Suggestion wird,
will er statt des dafür in zweideutiger Weise ebenfalls gebrauchten
Wortes „Suggestion“ den Ausdruck „Eingebung“ ein¬
führen, den Ford früher schon statt Suggestion ül>erhaupt
empfohlen hatte. Ob der Verfasser mit dem Vorschlag dureli-
dringt ?
Die Hypnose ist nach Löw e n f e l d: „e in Zu¬
stand partiellen Schlafes, d e m d i e s e 1 b e n
physiologischen Veränderungen in dem funk¬
tionellen Verhalten der c o r t i c a 1 e n Eie m e n t e
zu Grunde liegen, wie dem natürlichen Schlafe;
und die verschiedenen Formen und Grade d e s
hypnotischen Zustandes sind lediglich durch
die Schwankungen in der Ausbreitung der in
Frage stehenden V e r ii n d e r u n g e n i n «1 e n ein¬
zelnen Fällen beding t.“
So lange wir nicht wissen, was Schlaf ist, gewinnt man
aber mit einer solchen Parallelisirung wenig, ganz abgesehen
davon, dass sie nicht zu beweisen ist.
Die sinnliche Deutlichkeit suggerirter Vorstellungen wird
dadurch erklärt, dass bei dem Sinken der Erregbarkeit des
psychischen Organs Abflusshemmungen von Reizen entstehen
und dadurch Stauungen, welche an gewissen Punkten eine Steige¬
rung des Processes bewirken.
Wenn Verfasser in seiner Besprechung über Ilellsehen mit
Anderen meint, dieMöglichkeit dos Sehens durch undurchsichtige
Massen sei seit dem Bekanntwerden der Röntgenstrahlen weniger
iu Abrede zu stellen, so vergisst er wohl, dass nur solche Strahlen
ein Sehen vermitteln können, die durch unsere Augenmedieu
in gleicher Weise wie das Licht gebrochen werden. Diffuse Er¬
regung der Retina bewirkt eine Lichtemptindung. lässt aber keine
Formen unterscheiden.
Ebenso wenig ist die Marconi’sehe Telegraphie als Ana¬
logon zur Telepathie zu verwenden. Beeinflussung
ä distance ist noch lange nicht Erregung eines gleichen Vor¬
gangs in so unendlich komplizirten Maschinen wie das mensch¬
liche Gehirn sie darstellt.
In seinen psychologischen Vorstellungen zeichnet sieh Ver¬
fasser durch eine Klarheit aus, wie man sie in ähnlichen Werken
selten findet. Nur das entspricht nicht ganz unserem Wissen,
wenn er einem bestimmten „psychischen“ Vorgang „wegen
seines ausgesprochen intelligenten Charakters“ Bewusstsein
nicht absprechen mag. Es gibt doch wohl sehr komplizirte zweck¬
mässige Vorgänge, die nicht bewusst zu werden brauchen.
Uebrigens nimmt der Verfasser wohl mit Recht an, dass „das
Bewusstwerden im gewöhnlichen Sinne“ (d. h. wohl Auftauehen
im Oberbewusstsein) von der Verknüpfung mit dem Vor-
stellungskomplexe unseres ganzen Ego abhängig sei, weil durch
diese die Aufmerksamkeit auf den betreffenden Proeess gelenkt
wird. Aehnliches ist schon längst vom Referenten geäussejt
worden '), hat aber so wenig Verständnis» gefunden, wie die damit
übereinstimmenden Ansichten Exne r’s ")•
Die gemachten Ausstellungen sind alle unwesentlich und
können und wollen der Vortrefflichkeit des L ö w e n f e 1 d’sehen
Buches keinen Eintrag thun. Dasselbe enthält alles Wichtige,
was hieher gehört, kritisirt das vorhandene Material und hält sich
ebenso fern von Enthusiasmus für den Stoff, wie von vorgefasster
Verneinung feststehender Thatsachen, die wir nicht erklären
können. Bleuler- Burghölzli.
Dr. Th. Kocher und Dr. de Quervain: Encyclopädie
der gesammten Chirurgie. Mit zahlreichen Abbildungen. Leip¬
zig 1901. F. C. W. Vogel. 3.—10. Lieferung.
Das Werk, das in seinem 10. Heft bis „Frakturen“ fort¬
geschritten ist und in 25 Heften vollständig sein soll, entspricht
in seiner wünschenswert hon Kürze und gleichzeitigen Voll¬
ständigkeit. den gestellten Erwartungen, auch sind dio zahl¬
reichen Abbildungen gut. Lieber dio Zweckmässigkeit dieser
Encyelopädien verweise ich auf das bei der ersten Lieferung
Gesagte. Ziegler- München.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1901. 71. Bd.
1. Heft.
1) Katt Winkel: Untersuchungen über das Verhalten
des Balkens nach grösseren corticalen Hirnläsionen. (Mit 14 Ab¬
bildungen.)
K. untersuchte an .'MS <Jehirnen, wie sieh der Balken bei
Lnesiouen in einer der Hemisphäre)! verhält und zwar stets das
Corpus callosum solcher (ichirne. bei denen durch Erweichung
oder Blutung umschriebene Windungsgrnppen in grösserem Um¬
fange zerstört waren. Trotz t heil weise enormer Zerstörungen
fand sieh keine sekundäre Degeneration, wie sie von anderen
Autoren angegeben ist. obwohl alle technischen Cautolen peinlich
beobachtet waren; in Vs» der Fälle waren dagegen primäre Herde
im Balken. Vielleicht Ist das Ausbleiben sekundärer Degeneration
Im Balken nach corticalen Hirndefekten auf die grosse Anzahl von
(’ollateralen znrtlckzufUhren.
*2) H. Vogt: Ein Stoffwechselversuch bei akuter Gicht. (Aus
der modleinischon Poliklinik in Marburg.»
V. suchte an einem sonst gesunden. akut flicht kranken die
Frage zu entscheiden, ob es sich bei der N-Hcietithm der (Jiehtiker
um einen Wietierersatz nach vornusgegangenen Verlusten handelt
oder um ein»» mangelhafte Ausscheidung von Endprodukten des
Stoffwechsels. Er gelangt zu »lein Hruchm-s. dass beim (Jiehtiker
keilt Fleischansatz, sondern eine Trägheit des NueleinstolTWechsels
vorliegt, dessen P wie beim (lesundctt ausgeschteilen wird, während
der N zuriickgehalteii wird.
.3) M. I t o: Ueber das Vorkommen von echtem Pepton
(Kühne) im Harn. »Aus der niedieitiisehcii Klinik in Würz¬
burg.)
Während von verschiedenen Auloren betont wurde, dass
IVpton im Sinne 1\ ii h u e's bisher noch nie im Harn gefunden
wurde, gelang I. in »•inwaudsi'reier Weise dieser Nachweis lx»i
einer Bellte von Erkrankungen, bei denen die Ausscheidung von
Detiteroalbumoscii schon erwiesen ist. und dosshalb Pepton noch
am clicstcu zu erwaricn war icioupöse Pneumonie. Puerperium.
Empyem. Phthlsis pregress. etc.i. Dieses echte Pepton kommt wohl
nur zusammen mit Alhiimoseti und zwar in geringerem Mansse.
als letztere im menschlichen Hartl vor und verschwindet mit <l«»u-
seioen. wenn die Ursache für sein Bestehen aufgehört hat.
4) H. M ay: Notiz über ein einfaches Verfahren zur Kyrto-
metrie. (Anwendung von Gipsbinden). (Aus dem med.-klin.
Institut der Universität München.)
Zu kyrtometrischen B»*stimmungen verwendet M. an Stell»»
«l»»r »lrcitheilig«»u Horngliederkette od«»r des dicken Bleidrahtes
Hipshinden. was ebenso einfach ist. als es genaue Resultate gibt.
5) Ii. May: Ueber einen Doppelstethographen zur Curven-
schreibung auf dem Kymographion. (Aus »lern med.-klin. Insti¬
tute »lor Universität Münchcn.i (Mit t» Abbildungen.)
Den voll Iiiegel augegelxmeu Dopi>elstethographeu, mit
dessen Hilfe man die Exeursiouen symmetrisch gelegener Punkt«»
ln»ider Thoraxliälften vergleichen kamt, änderte II. so um. dass er
gleichzeitig zur Aufzeichnung auf einem Kyiuographiou verwendet
werueu kann. Näheres im Original.
til F. M 111 *» 11» a e h - Lcitmcritz: Ein Beitrag zur Kennt-
niss der Alkaptonurie.
M. beobachtete an einem 44 jährigen Buhnlteamten die Er¬
scheinungen der Alkaptonurie. der Urin enthielt nur Iloinogcutlsin-
säure itu». färbte sieh trotz dauernd saurer Reaktion an «1er Luft
bald dunkel. Tag- und Nn<»htharn zeigten «inantitativ keinen
Unterschied hinsichtlich »l«»r Homog«>ntisinsüur»». während s«»hmah*
vegetabilische Kost und Hunger einen Rückgang, T.vrosinzufuhr
eine Steig«»rung derselben veranlassten. Als Bildungsstätte «ler
') Allg«*m«»lne Zeitsehr. f. Psychiatrie. Bd. DO.
9 Entwurf zu «*in«»r physiologischen Erklärung der psychi¬
schen Erscheinung von Dr. Sigmund Exuer, 1. TheiJ, 1SH4.
pag. 279 und vorhergehende.
5 *
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1710
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Säure ist wohl <h*r ober«', fäulnissfrcic Darnmbschnitt zu be¬
trachten. an der Entstehung selbst vielleicht ein Enzym betheiligt.
Verfasser ist geneigt, die Alkaptonurie nicht als Folge einer
Uoberproduktion von Homogentisinsäure anzusehen, Sonden» nls
eine Oxyoationshemraung, wodurch der Organismus die Fähigkeit
verloren hat, die normaler Weise g«;bildete Alkaptonsüure zu zer¬
stören. Diese Fähigkeit fehlt den mit Alkaptonurie Behafteten ln
der Itegel zeitlebens, kann aber unter Umständen wieder erlangt
und wieder verloren werden. Mit dieser Auffassung könnte man
die Alkaptonurie zwei anderen, ebenfalls auf einer Oxydations¬
hemmung beruhenden Stoffwechselanomalien an die Seite stellen,
«ler Glykosurie und Oystinurie, die chronisch oder transitorisch
auftreten können.
7) A. Böhm: Zur Frage der Darmfäulniss bei Gallen-
abschluss vom Darme. (Aus der kcl. med. Universitätspoliklinik
in München.)
In 3 Fällen von Ikterus katarrhalis fand B. eine Erhöhung
der Darmfäulniss in Folge des Gallenabschlusses, womit er, wie
die Mehrzahl der Untersucher, die Lehre von der fäulnisswidrigen
Wirkung der Galle bestätigt. Als Maassstab des Grades der
Darmfäulniss diente die Menge der Aetherschwefelsiiure im Urin,
die ausnahmslos beträchtlich venn«*hrt war.
St A. Qurin: Heber das Verhalten des normalen und
pathologisch gesteigerten intraabdominalen Druckes und seine
Rückwirkung auf die arterielle Blutcirculation. (Aus der kgl
Universitätspoliklinik in Tübingen.) (Mit 6 Kurv«*n.)
Beobachtungen iil>er direkte Messungen des im Innern der
Peritonealhöhle herrschenden Druckes liegen in der deutschen
Literatur bis jetzt nicht vor. Veranlassung zur vorliegemlen
Arbeit war ein enormer Ascites, der zu direkter manometrischer
Messung herausforderte.
Zunächst wurde im Thierexperiment in das eröffnet«' Peri¬
toneum eine gebogene Glaskanüle luftdicht eingebunden und mit
<*inem Manometer verbunden, das die Druckschwankuugen auf ein
Kymographlon übertrug. Es ergab sich, dass der Intraabdominale
Druck normaler Weise positiv ist, dass er bei ruhiger
Athmung während «ler Inspiration st«‘igt, während der
Exspiration sinkt, bei angestrengter Athmung jedoch
wahrend der Inspiration sinkt und während der Exspiration steigt.
Die grosse Schwankungsbreite des normalen Abdominaldruckes
hängt ausser vom Zwerchfell von der grösseren oder geringeren
Betheiligung der Bauchmuskeln ab.
In einer 2. Versuchsreihe studirte Q. das Verhalten des patho¬
logisch gesteigerten Abdominaldruckes während der beiden Ath-
mungsphasen und seinen Einfluss auf die arterielle Blutcirculation,
wobei nls druckerhöhendes Mittel eingeführte Luft diente. Es
zeigte sich, dass der pathologisch gesteigerte Abdominaldruck
während der Exspiration sinkt, während der Inspiration steigt,
dass der arterielle Blutdruck bis zu einer gewissen Höhe zunächst
steigt, sow«‘it eben die Reservekraft des Herzens ausreicht, um
bei weiterer Steigerung bis unter die Norm bezw. bis zum Tode
des Thieres zu sinken.
Die Bestimmung des Abdominaldruckes am lebenden Men¬
schen — es konnten natürlich nur Fälle verwendet werden, in
d«*nen ein erhöhter Druck in Folge Flüssigkeitsansammlung «lie
Einführung einer Kanüle nötliig machte — bestätigte durchaus
das Thierexperiment.
9) Besprechungen. Bamberger - Kronach.
Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 40 u. 41.
No. 40. 1) K. A. H e r z f e 1 d - Wien: Beitrag zur Eklampsie¬
frage.
H. legt seinen interessanten Ausführungen 81 Sektionsfälle
Eklamptischer zu Grunde. Die Mortalität ist gegen früher herunter¬
gegangen, 25:17,5 Proc. Anatomisch fanden sich in allen Fällen
Veränoerungen am uropoetischen System, und zwar in 46,6 Proc.
chronischer Morbus Brigthii, in 31,1 Proc. parenchymatöse De¬
generation der Nieren und In 22,3 Proc. beiderseitige Kompression
der Ureteren. Letztere entsteht nach K u n d r a t bei Varianten
in der Theilung der Aorta abdominalis, wodurch die Art. iliaca
eomm. den Ureter weiter nach vorn drängt und ihn dem Druck des
Uterus mehr aussetzt, als gewöhnlich. Es kommt aber nur bei
Primiparis im vorgerückten Stadium der Schwangerschaft zur
Kompression; bei späteren Schwangerschaften braucht dieselbe
Frau nicht wieder an Eklampsie zu erkranken.
H. schliesst aus seinen Fällen, dass in der Mehrzahl die Dis¬
position zu Eklampsie im uropoetischen System gegeben ist. Die
Therapie soll in einer möglichst raschen und schonenden Entbin¬
dung bestehen, die bei Erstgebärenden häufiger als bisher in der
Sectio caesarea zu bestehen hätte.
2) A. S o 1 o w i j - Lemberg: Entgegnung auf die Ent¬
gegnung Dr. Ekstein’s in d. Wochenschr. 1901, No. 30.
3) James E i s e n b e r g - Wien: Eine einfache und sichere
Methode der instrumenteilen Ausräumung der Gebärmutter
ohne Assistenz bei Abortus.
Beide Autoren vertheidigen die Verwendung des Bandl-
schen Spekulums zur Ausräumung des Uterus ohne Assistenz gegen
die Angriffe Ekstein’s im Centrnlblatt (cf. diese Wochenschr.
No. 38. p. 1497.)
4 ) W. S t o e c kcl- Bonn: Beitrag zur Diagnose der Tuberku¬
lose in der weiblichen Blase.
Zur Diagnose der Blasentuberkulose dient der Nachweis von
Bacillen im Urin, der Thierversuch und die cystoskopisclie Unter¬
suchung. St. bericht«*! über 3 Fälle, die beweisen sollen, dass «lie
Gystoskopie die zuverlässigsten Resultate gibt, auch da, wo die
Bacilleufärbung und selbst das Thierexperiment versagen. Im
1. Falle gelang es niemals, Bacillen im Urin nachzuweisen,
während die Thierimpfungen positiv ausfielen. Die endoskopische
Untersuchung ergab das sog. „circumscripte bullöse Oedem“. Im
2. und 3. Falle handelte es sich um chronische Blasentulierkulose,
«lie absolut symptomlos bestand; trotzdem liess das Cystoskop
tuberkulöse V«*rändenmgen der Blas«*ns«*hleimhaut erkennen.
No. 41. 1) G. K 1 e i n - München: Abdominale Exstirpation
von Carcinomrecidiven 1 : Yt Jahre nach vaginaler Totalexstir¬
pation des Uterus.
Es handelte sich um eine 27 jährige IV. Para, «ler zuerst
wegen grossen Portioeaneroids die vaginale Totalexstirpation des
Uterus ohne Adnexe gemacht worden war. 8 Monate später ver¬
geblicher Versuch, einen bohnengrossen Recidivknoten aus dem
linken Parametrium vaginal zu exstirpireu. 1% Jahre später ab¬
dominale Exstirpation nach Werthelm von 2 Netzmetastasen,
1 parametraleu und auf die Blase übergreifenden 3. Knoten sammt
Tuben und Ovarium. Heilung.
Der Fall eröffnet der parametraleu Operation bei Uterus-
carcinom ein ueu«*s Fehl: «lie abdominale Exstirpatiou
v o n R e c I d i v p n.
2) K. R e i f f e r s c h e i d - Bonn: Beitrag zur Lehre von
der Hydrorrhoea uteri gravidi.
Eine 38 jährige Multipara abortirte im 7. Monat, indem sie seit
dem 3. Monat kontinuirlichen Abfluss von Fruchtwasser bemerkt
hatte. An der foetalen Seite der Placenta bestand eine sehr aus-
gesprochene Margobildung von .1—5 cm Breite. Die Eihöhle fasste
nur 120 ccm Wasser, während der Foetus 840 ccm Wasser ver¬
drängte.
R. nimmt an, «lass die Blase frühzeitig geplatzt, die Frucht
in die freie Uterushöhle getreten war und sich hier zunächst
weiter entwickelt hatte, während nach aussen kontlnuirilcher
Abfluss von Fruchtwass«*r stattfaud. Aehuliclie Fälle sind v«>n
Stoeökel und b«'son«h*rs von französischen Autoren veröffent¬
licht.
3) S. M o n s i o r s k i - Warschau: Einiges über Missbildung
der weiblichen Genitalorgane.
Ein Fall von Atresie des Hymens, wo der Coitus durch die
Urethra stattgefunden hatte, ein Fall von blind endender Scheide
und einer von Vagina duplex. J a f f 6 -Hamburg.
Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 19. Bd. 5. u
6. Heft,
L. R. Müller: Weitere Beiträge zur Pathologie und patho¬
logischen Anatomie des unteren Rückenmarksabschnittes. (Aus
der medie. Klinik in Erlangen.)
Die Autopsie eines Kranken, der seit langen Jahren das aus
gesprochene Bild «ler traumatischen Conusaffektion bot und
schliesslich einem Lungenleiden erlag, zeigte, dass thatsächlich
d«*r untere Theil des Sakralmarkes durch den nach hinten vor-
springenden Körper des 1. Lendenwirbels zertrümmert worden
war. Die Fasern der den Conus umgebenden Cauda etjuina waren,
nach beiden Seiten gedrängt, wohl erhalten geblieben. Nach
Schilderung der histologischen Veränderungen im Rückenmark
und in den degenerirten Muskeln und Nerven bringt der Autor
noch zwei weitere Krankengeschichten von Patienten mit trau¬
matischer Conusaffektion, bei welchen auch Bruch des 1. Lenden¬
wirbels zu dem typischen Krankheitsbild geführt hat. und er¬
örtert eingehend die Störungen in den Funktionen der Blase, des
Mastdarmes und des Geschlechtsapparates.
L. M i n o r - Moskau: Zur Pathologie der traumatischen
Affektionen des unteren Rückenmarksabschnittes.
Der Autor bringt den Bericht über mehrere Kranke, bei
welchen die vom Plexus sacralis versorgte Hautpartie anaesthe-
tisch und die von dort aus innervirten Muskeln gelähmt waren.
Dabei war aber der Patellarsehnenreflex immer auszulösen und
der Tonus der Sphinkteren der Blase und des Mastdarmes erhalten
gebliel>en. Es musste also im Rückenmark das 5. Lumbalsegment
und das 1. bis 3. Sacralsegment zerstört sein, während das 4. Lum¬
balsegment, in welchem der Kniereflex zu Stande kommt, und der
eigentliche Conus terminalis (4. und 5. Sacralsegment und Coc-
cygealmark) noch funktionstüchtig waren. M. nennt die erkrankte
Partie des Rückenmarkes, als über dem Conus gelegen, den Bpi-
c o n u s. Das von dem Autor geschilderte Krankheitsbild Ist ein
ganz typisches und ist wohl regelmässig durch den Bruch des
1. Lendenwirbels bedingt Zweifellos bleibt dabei der aller¬
unterste Theil des Rückenmarkes, der Conus, meist erhalten, ob
freilich die Integrität des Blasensphinkters ein Beweis dafür ist,
erscheint dem Referenten fraglich.
W. W a rd a - Blankenburg: Ueber Akromegalie.
Zwei kasuistische Mittheilungen Uber diese Krankheit, ohne
autoptischen Befund.
Stein hausen - Hannover: Ueber die physiologische
Grundlage der hysterischen Ovarie.
Die von Charcot begründete Lehre von der Ovarie, d. h.
der Möglichkeit, durch Druck auf die Gegend der Ovarien Reiz¬
erscheinungen (Röthung des Gesichtes, Herzklopfen u. s. w.). ja
sogar grosse hysterische Anfälle auszulösen, wird von manchen
Seiten noch heute anerkannt. Stein hausen hat nun durch
seine Untersuchungen nachweisen können, dass bei einem grossen
Procentsatz (88 Proc.) von gesunden Soldaten durch plötzlichen
Druck auf die seitliche Unterbauchgegend Reaktionserscheinungen,
wie Streckbewegungen der Wirbelsäule, Röthung des Gesichtes,
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22. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1711
Steigerung der Pulszahl und Pupillenerweiterung erzielt werden
konnten, dass es sieh somit bei der Ovarie um rein physiologische
Vorgänge handelt; wenn durch Druck auf die Ovarien hysterische
Anfälle erzeugt werden, so ist die Ursache dafür lediglich iu der
Suggestion zu suchen.
Kybalkin- Petersburg: Ueber einen Fall von Jackson¬
scher Epilepsie auf syphilitischer Basis mit operativem Eingriff.
Stursberg: Ueber die Ursache meningitisähnlicher
Krankheitserscheinungen bei Ileotyphus. (Aus der medio.
Klinik in Bonn.)
Ein Kranker mit einem Anfangs regelrecht verlaufenden
Unterleibstyphus war nach der Entüeberung noch stark 1h*-
nommen und bot später unter schnellem Wi«*«Iomnsteigeii der
Temperatur alle Zeichen der Meningitis. Bei der Autopsie konnten
makroskopische Veränderungen an den Stirnhäuten nicht nach¬
gewiesen werden. Mikroskopisch konnte in den Venen der Cen¬
tral furche und des Sulcus centralis posterior weisse und gemischte
Thromben nachgewiesen werden. Für solche Krankheitsbilder,
die im Leben meningeale Symptome zeigen, wesentlich ana¬
tomische Veränderungen aber vermissen lassen, schlägt der Autor
vor, den von den Franzosen eiugeführteu Ausdruck „M enin-
g i s ui u s“ anzunehmen.
Bruns- Hannover: Zur Kasuistik der infantilen progres¬
siven spinalen Muskelatrophie von familialem resp. hereditärem
Charakter.
Mittheilung von 3 Fällen von Muskelatrophle im frühen
Kindesalter, die sich ganz schleichend, ohne Fieber oder Kon¬
vulsionen, einstellt und anfänglich hauptsächlich die Muskeln des
Beckens und des Rumpfes ergreift. Später werden auch die Arme
und die Füsse ergriffen. An der Wirbelsäule kommt es in Folge
der Muskelschwäche zu Verkrümmungen. Sensibilität sstörungen
fehlen. Der Tod tritt in Folge von Lähmung der Atlieui-
muskeln ein. Da ganz ähnliche Fälle von W e r il n i g und von
Hoffmann sehou beschrieben sind, scheint es sich um einen
bestimmten Typus der Muskelatrophie zu handeln.
B a 1 i n t - Ofen-Pest: Ueber das Verhalten der Patellar-
reflexe bei hohen Querschnittsmyelitiden.
Nach eigenen Beobachtungen und nach den ln der Literatur
niedergelegten Thatsachen kommt B. zu dem Schluss, dass die
Trennung der motorischen Nervenzellen von den eerebellaren,
centrifugalen Bnhnen den Tonus der Nerveuzellen und so auch der
Muskeln verringert, und dadurch den Ablauf der Retiexfunktionen
ungünstig beeinflusst. Unter solchen Umständen genügt dann eiue
gerade ln solchen Fällen häufige, auch weniger intensive sekun¬
däre Erkrankung des Reflexweges, um die Retlexfunktiun voll¬
ständig aufzuheben.
H i g i e r - Warschau : Zur Klinik der angiosklerotischen
paroxysmalen Myasthenie (Claudication intermittente Char-
cot’s) und der sogen, spontanen Gangraen.
Ausführlich«* Schilderung dieses merkwürdigen Kranklielts-
bildes, mit Berücksichtigung der Aetiologie und Pathogenese, der
Prognose und der Therapie.
Spitz- Wien: Zur Kenntniss der leukaemischen Er¬
krankung des Centralnervensystems. (Aus der MeudeFschen
Nervenkllnik in Wien.)
Bei der chronischen Leukaemie kommt es neben Haemor-
rhagien im centralen Nervensystem ganz besonders häufig auch
zu infiltrativen Vorgängen in demselben und zwar bevorzugen
diese krankhaften Processe das Mittelhirn und Nachhirn und die
aus der Medulla oblongata entspringenden Hirnnerven.
Besprechungen. L. R. Müller- Erlangen.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
46. Bd., 3. u. 4 . Heft.
9) R. Winternitz- Prag: Ueber entzündungswidrige Wir¬
kung ätherischer Oele.
Verfasser erregte bei Kaninchen durch Aieuronatinjektion
in den Pleurasack pleuritlsche Eiterungen. Ein Tliell der Thlere
erhielt gleichzeitig per os Gaben von Ol. Santali, Ol. cubebar., Ol.
terebinthin. oder Terpentinhydrat und diese Thiere wiesen bei der
Tödtung fast ausnahmslos kleinere Exsudatmengen auf als die
Kontroltliiere. Besondere Versuche ergaben, dass die Wirksamkeit
der ätherischen Oele nicht auf die Steigerung der Diurese, sondern
sowohl auf entzündungshemmende, als namentlich auf resorptions-
befördernde Eigenschaften derselben zurückzuführen sind.
W 1 n t e r n 11 z erklärt sich die Wirkung so, dass die Oele vom
Blut aus auf die Leukocyten anziehend wirken und verspricht sich
bei Ihrer innerlichen Verabreichung Vortheile, wenn es gilt Ent¬
zündungsherde zur Aufsaugung zu bringen.
lü) K. W a 1 k o - Prag: Ueber Reduktion und Wirkungen
aromatischer Nitrokörper.
Experimentell-pharmakologische Studie.
11) J. B. E s s 1 e iu o n t - Aberdeen: Ueber die Innervation
des Herzens.
Versuche am Frosehherzen, deren Methode und Einzelheiten
lm Original nachgelesen werden müssen, führen den Verfasser zu
folgender Ansicht Die zum Herzen tretenden centrifugalen Nerven
zerfallen ln zwei grosse Gruppen. Eine (katabolische Nerven
G a 8 k e 1 l’s) verursacht eine Verstärkung sämmtUeher Funktionen
des Herzens, der Pulsfrequenz, der systolischen Kontraktion, der
elastischen Spannung und der Erregbarkeit, während die andere
Gruppe (Gaskell's anabolische Nerven) eine Hemmung und
Abnahme aller jener Funktionen und Zustände bedingt. Die
beiden Gruppen zeigen grosse Unterschiede hinsichtlich der Latenz¬
zeit, des Vermögens der Summutiou von Reizen, der Dauer der
No. 43.
Nachwirkung, des Verhaltens gegen Gifte u. s. w. Jede Gruppe
zerfällt ln zwei Uuterabthelluugen, von welchen die eine iu erster
Linie die Herzfrequenz beeinflusst, während die andere einen
direkten Einfluss auf die Beschaffenheit des Herzschlags ausübt.
E.‘nimmt an. «lass jene Nerven, welche die Pulst're«iuenz beein¬
flussen, in tlt-n Muskeln von Vene und Sinus des H«*rzens, dag«*g«*n
«lie auf die Herzkoutraktlon wirkenden In den Vorhöfen und Ven¬
trikeln endigen. Ileimnungs- und Beschleuniguugsvorrichtungen
sind gungliüser Natur und können durch direkte Reizung stärker
erregt werden, als imlirekt durch «len Vagus. Versuche am Ka-
ninciieuherzen führten zu analogen Anschauungen.
12) A. II e f f te r-Bern: Das Verhalten der Kakodylsäure
im Organismus.
Die neuerdings In der dermatologischen Praxis öfter ver-
w»*nd«*te und angeblich wenig giftige Kakodylsäure, (CILi-As
OOII, wird nach II e f f t e r’s Unt«*rsuchuugeu grösstentbeils un¬
verändert im llarn ausg«*soliieden. Nur ein sehr kleiner Theil, >•
d«>ssen Arsen als arsenig«: oder Arsensäure lm llarn erscheint,
wir«! im Organismus oxydiit und auf ihm beruhen wahrscheinlich
allein die pharmakologischen Wirkungen. Eine Anzahl thierischer
Organe (in erst«*r Linie Leiter, Magen und Darm) sind im Stande,
Kakodylsäure unter Bildung von Kakodyloxyd zu redueiren.
13) W. Karo-Bern: Das Verhalten des Harns nach Ge¬
brauch von Sandelöl.
1 )er Sandelölhnm glitt im Gegensatz zum Copaivaliarn nach
Zusatz von Mineralsäuren kein«* Fnrbenreaktion und verhält sich
sp«*ktroskopis«-h negativ. Auf Zusatz von kouzeutrirter Salzsäure
fallen Ilnrzsäuivn aus. Der Harn r«*«luzirt erheblich iu Folge Ge¬
halts von Glucuronsäuren, die vermuthlich mit Ses«iuiterpenalko-
liolen ties San<l«*löls gepaart sind.
14) A. J «t 11 «* s und K. F r i e <1 j u n g - Wien: Zur Kenntniss
des Eisengehaltes der Frauenmilch und seine Bedeutung für
den Säugling.
Die Verfasser kommen zu folgenden Schlüssen: Die Milch
gesunder Frauen zeigt einen zwar geringen aber konstanten Eisen¬
gehalt (3,t‘—7.2 mgr Fe pro Liter Milch). Ein gesetzmässlges all¬
mähliches Absinken «les Eisengehalts während der Stillzeit lässt
sieh nient uachweis«*n. Schl**chte äussere V«*rliältnisse, höheres
Alter un«l chronisch«* Erkrankung der StiUeiid«*n, dürften in «ler
Iteg«*I ein«* erhebliche Wrininderuug des Mlicheisens be«ling«*n.
Das Gleiche gilt für «lie Milch scheinbar gesunder Frauen, deren
Kinder «-rhebliche Eruälirungsstöruug«-u auf weisen. Die üblichen
Meth«tden «1er künstlichen Ernährung führen dein Kinde erhebli«-h
weniger Eisen zu als <li<* Darreichung der Brust.
15) II. Hildebrandt - B«*rlin: Ueber Synthesen im Thier¬
körper. (3. Mittheilung.) Weiteres über Citral, Uber seine Oxy¬
dationsprodukte im Organismus und über einige eyklisebe Isomere.
Zu einem kurzen Referat nicht geeignete pharmakologische
Studie.
IG) A. Jacquet und R. S t ä h e 11 u - Basel: Stoffwechsel¬
versuch im Hochgebirge.
Der durch Exaktheit der Methodik ausgezeichnete Versuch,
den J a «i u e t an sieli selbst austellte, bestand aus einer je
7 tägigen Vor- und Nuchperio«le zu Basel uml eiimr 14 tägigen
" Höhenperiode auf dem Chasaeral (1(500 in). Während der ganzen
Zeit wurde die gleiche, genau aualysirte Nahruug genossen uml
der N-Umsatz, sowie der Gaswechsel nach Geppert-Zuntz-
scher Methode bestimmt. Während «1er Höhenperiode fand eine
N-Retention von 1,5 g pro die statt. Diese kann nicht allein auf
«li«* «lurch Jaquet erwiesene Blut Vermehrung, welche nur ca.
0.8 g N täglich erfonlern würde, bezogen wertlen, somlern weist
auf eine Neubihlung ander«*r Gewebselemeute hin. Das Athmungs-
volum im llölieukiinia ist in der Ruhe ungefähr das gleiche wie
im Tieflande: nach Reduktion auf U u uml 7GO nun Druck erscheint
es al»er deutlich herabgesetzt. Die CO,-Ausscheidung und 0,-Auf-
ualmie ist in der Ruhe g«*st«*igert; der respiratorische Quotient,
«•rhöht. Nach <l«*r Rückkehr in’s Tiefland bleiben CIL-Ausschei-
«lung und (»..-Aufnahme noch eine Zeit lang erhöht und kehren
nur langsam auf die ursprünglichen Wertln* ziirüek. Es findet also
im Hochgebirge «*in«*rseits Zunahme der OxydatIonen mit erhöhtem
r«*sp. Quotienten, an«lererseits Abnahme des Eiweissabbaues und
Ansatz von stlehstoffhaltig«*n Gew«*bsb«*staiidtlieilen statt.
17) K. A r c li a n g e 1 s k y - Tomsk: Ueber Rhododendrol,
Bhododendrin und Andromedotoxin.
Von rein pharmakologischem Interesse.
J. Müller- Würzburg.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 10 u. 11, 1901.
No. 10. 1) E. K r o in p e c li e r - Ofen-Pest: Untersuchungen
über das Vorkommen metachromatischer Körnchen bei sporen¬
tragenden Bakterien und Beiträge zur Kenntniss der B a b e s -
Ernst’schen Körperchen. (Schluss f«»1gt.)
2) Roman S 1 u p s k 1 - Königsberg: Bildet der Milzbrand¬
bacillus unter streng anaeroben Verhältnissen SporenP
Nach den Untersuchungen des Verf. muss als f«*stst«*heml
ang«*8«*hen wenlen. dass der Milzbrand bei Sauerstoff-
abschluss keine Sporen bildet. Sein ganzes Wa«*hs-
thuin ist bei SnuerstofTmnng«*l kümun*rli«*li. Es ist wahrscheinlich,
dass die andere M«*inung. «l«*r Milzbrand könnt* bei Sauerstoff¬
mangel Sporen bilden, nur auf Versuchsfeldern b«*grün«let ist.
Zum Zweck des völligen Abschlusses von Sauerstoff diente «Ion
Verfasser ein einfach konstndrter Apparat aus mehreren in
einander hlueingestellten Glassehaleu.
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1712
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
3) A.Briou- Strassburg: Cholecystitis typhosa mit Typhus¬
bacillen.
Ein Fall von Typliusrecldiv, bei welchem in der Gallen¬
blase Typhusbakterien durch Kultur nachgewiesen werden
konnten. Es gelang auch, zum Unterschied von den bereits be¬
bekannten Fällen von Cholecystitis typhosa, den Typhuserreger
durch Agglutinationsprobe als echten Typhus zu erkennen.
4) C. Lubenau - Danzig: Haemolytische Fähigkeit ein¬
zelner pathogener Schizomyceten.
Genau nach dem Vorgang von Nelsser und Wechs-
b e r g untersuchte Verfasser eine Reihe Bakterien auf ihre haemo-
lytisches Vermögen, so Staphylococceu, Diphtherie, Tetragenus,
Pyocyaneus. im Wesentlichen konnte Lubenau die von
Neisser und Wechsb e r g gefundenen Thatsacheu bestätigen,
nur fand er nicht immer bei Mikrococcus pyogenes
albus die haemolytische Kraft. Da nach seiner Ansicht bei dem
Haemolysiruugsvermbgen Alkalien eine Rolle spielen, so ver¬
suchte er auch verschiedene Chemikalien, z. B. Ammoniak, Milch¬
säure, Natt*. carbon., Milchzucker, und fand in der That, dass
dieselbe ebenfalls haemolytische Eigenschaften aufwieseu.
5) E. Levy und P. Levy: Ueber das Haemolysin des
Typhusbacillus.
Am geeignetsten erwies sich zur Herstellung des Haemo-
lysins ganz schwach alkalische Bouillon. Am besten zeigte sich
zur Lösung das Hundeblut, welches von 0,01 ccm des zwei¬
wöchentlichen Filtrates noch beinahe komplet gelöst wurde.
Durch Injektion von Typhuskulturen in den Huudeorganismus
liess sich bereits nach 0 Tagen ein Autihaemolysin dar¬
stellen, welches erhitzen auf 00" aushielt.
No. 11. 1) A. Hinter berger- Wien: Einiges zur Morpho¬
logie des Milzbrandbacillus (Kapseln, Hüllen, eigenthümiiche
Faden).
Ausser der bei Milzbrand bekannten Hülle, die mau mit
der .) o h n e'sclieu Kapselfärbung sichtbar machen kann, fand
Verfasser hülleuiihnllche Gebilde, die noch bedeutend grösser sind,
als die gewöhnlichen Hüllen, die aber dem Milzbraudbacillus auch
angeboren sollen. Andererseits zeigten sich bei einem von ihm
modilicirten Fiirbeverfahreu lange Fäden und netzartige
Gebilde in der Umgebung der Bacillen, die er als Mycel
gedeutet wissen will. Einige Photogramme geben das Gesehene
anschaulich wieder.
2) E. Krum p echer- Ofen-Pest: Untersuchungen über das
Vorkommen metachromatischer Körnchen bei sporentragenden
Bakterien und Beiträge zur Kenntniss der Babes-Ernst’-
schen Körperchen.
Es finden sich bei einigen sporeutragenden Bacillen (Milz¬
brand) bisher unbekannte Körnchen, welche sich mit Karbol-
metliyleubluu metachromatisch intensiv hellroth färben. Diese
Körnchen scheiben in irgend einer Beziehung mit der Sporen-
bilduug zu stehen, da sie ebenfalls resistent gegen Hitze sind.
Dass die Körnchen, wie von einigen Seiten behauptet wird, mit
dem Virulenzgrade der Bacillen in Zusammenhang ständen,
also dass bei mehr Körnchen eine grössere Virulenz zu er¬
warten sei, scheint nicht der Fall zu sein. Die Grösse und die
Form der Körnchen varlirt sehr stark.
3» dir. Barthel und O. Steuström: Beitrag zur Frage
des Einflusses hoher Temperaturen auf Tuberkelbacillen in der
Milch.
Von der bekannten Thatsache ausgehend, dass im Allgemeinen
Milch und Flüssigkeiten bei neutraler resp.
alkalischer Reaktion viel schwerer zu sterllisiren als bei
saurer Reaktion, stellt Verfasser durch Versuche fest, dass bei
Anwendung von stark veränderter, d. h. alkalischer Milch
das Erhitzen während 5 Minuten auf 80“ ohne Wirkung blieb,
während bei Anwendung einer noch immer in ihren Eigenschaften
wenig veränderten Milch von einer au verhältnissmässig junger
Eutertuberkulose leidenden Kuh ein momentanes Erhitzen auf
SO“ genügend war, um die Tuberkelbacillen zu tödteu. Erst unter
Anerkennung dieser Thatsache könne mau übereinstimmende Ver¬
gleichsresultate erhalten. R. O. Seumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 41.
1) G. B a c c e 11 i: Rudolpho Virchowio.
2) A. W e i c h s e 1 b a u m und E. Zucke rkandl - Wien:
Ueber den Einfluss V irchow’s auf die Entwicklung der patho¬
logischen Anatomie, der öffentlichen Gesundheitspflege und der
Anthropologie in Oesterreich.
3) V. C o r n 11 - Paris: Souvenirs d’autrefois.
4) P. H. Pye- Smith: The influence of Virchow on
Pathologie in England. *
5) B. J. S t o k v i s - Amsterdam: Virchow und die nieder¬
ländische Medicin.
6) W. S c li e r v i n s k y - Moskau: Rudolph Virchow und
die russische Medicin.
7) C. Sund b erg- Stockholm: Rudolph Virchow und
die schwedische Pathologie.
8) C. J. Salomonsen - Kopenhagen: Rudolph Virchow
und die dänische Medicin.
9) G. Karamltzas - Athen: Rudolph Virchow und
die griechische Medicin.
10) A. J a c o b y - New-York: Rudolph Virchow und die
amerikanische Medicin.
11) O. I s r a e 1 - Berlin: Das pathologische Museum der
Königlichen Friedrich-Wilhelm’s-Universität zu Berlin.
Festnummer zu Vircho w’s 80. Geburtstag.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No 41.
Festnummer zu Ehren Rudolph Vircho w’s.
1) Hugo K 1 b b e r t - Marburg: Rudolph V i r c h o w, der
Schöpfer der Cellularpathologie.
2) Erlsmann - Zürich: Virchow als Hygieniker.
3) A. IH s s a u e r - Berlin: Virchow als Anthropologe.
4) Paul G r a w i t z - Greifswald: Die Eintrittspforten der
Tuberkelbacillen und ihre Lokalisationen beim Menschen.
G. macht darauf aufmerksam, dass die Mandeln als Eingangs¬
pforte wie für andere Infektionen so auch für die Tuberkulose
von grösster Bedeutung sind, dass ein strenger pathologisch-ana¬
tomischer Beweis dafür aller so schwer zu erbringen ist, wie für
primäre tuberkulöse Darmaffektioueu.
5) V. B a b e s - Bukarest: Ueber Neurogliawucherung, und
6) II. C h i a r 1 - Prag: Gliomatöse Entartung des einen
Tractus und Bulbus olfactorius bei Glioma cerebri.
Beiträge zu dem Kapitel der von Virchow zuerst als eigene
Geschwulstspecies erkannten und eigens benannten Neubildungen
der Neuroglia, der Gliome.
7) Haus U r y - Charlottenburg: Zur Methodik der Fäkal¬
untersuchungen.
Untersuchungen aus dem pathologischen Institut der Universi¬
tät Berlin über die Vertheiluug von Stoffwechselprodukten und
Nahruugsresten im Koth des Gesunden bei gemischter Kost.
Annähernd lassen sich bei normalen Verhältnissen die Sekrete
des Darmes durch eine gründliche Extraktion der frischen Faeces
mit Wasser von den als unlöslicher Fllterrtickstand zurückbleiben¬
den Nahrungsresten abscheiden. Die Bestimmung des Nuclöiu-
pliosphors in den Faeces erfolgt direkt durch Extraktion derselben
mit alkalischen Flüssigkeiten. Bezüglich der Details der Methode
muss auf die Originalarbeit verwiesen werden.
8) Arthur M e y e r - Berlin: Malariabekämpfung in der Cam¬
pagne romana.
Bericht Uber die praktischen Resultate des von der italie¬
nischen Gesellschaft vom „Rotheu Kreuz“ unter Leitung von Prof.
Postempskl im Sommer 1900 gegen die Malaria im Gebiete
der römischen Campagna unternommenen Feldzuges.
F. Lacher- München.
Oesterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 41. I. Virchow -Nummer.
1) Weichselbaum - Wien: Zum 80. Geburtstag Rudolph
Vircho w’s.
2) J. Z a p p e r t - Wien: Kinderrückenmark und Syringo¬
myelie.
Berichtet über die Untersuchung von 200 Rückenmarken von
Kindern und zwar über Fälle mit einer intra partum erlittenen
Blutung, dann über Fälle, welche angeborene Veränderungen des
Centralkanals aufweisen. Die Bedeutung der einfachen Ilydro-
myelie schätzt Verfasser nicht hoch ein und ist der Anschauung,
dass dieselbe häufig einen nicht pathologischen Befund darstellt.
Wichtiger ist eine frühzeitig einsetzende Wucherung der Glia.
Eine sicher angeborene Gliawucherung konnte übrigens nicht auf¬
gefunden werden.
3j K. Laudsteiner-Wien: Ueber degenerative Ver¬
änderungen der Nierenepithelien.
Hinsichtlich der wesentlich histologischen Ausführungen des
Artikels wird auf das Original verwiesen.
4) O. S t o e l* k - Wien: Ueber Nierenveränderungen bei Lues
congenita.
Verfasser beschreibt Nieren Veränderungen des letzten foe-
talen und des ersten postfoelalen Lebensabschnittes bei Lues cong.,
welche er als sekundäre Vegetationsstörungen ansieht, nämlich als
pathologische Bildungen, hervorgerufen durch eine Störung der
normalen Entwicklung des Ausbaues unter dem Einflüsse einer
hereditären Noxe. Bezüglich der zahlreichen Zeichnungen und der
histologischen Details wird auf das Original hingewiesen.
5) E. Staugl-Wien: Zur Histologie des Pankreas.
Verfasser untersuchte das Pankreas eines 30 jährigen Hin¬
gerichteten eine Stunde nach dem Tode und fand in den ver¬
schiedenen Zellarten der Drüse einen grossen Reichthum an Fett¬
tröpfchen, deren Eigenschaften er an einer grossen Anzahl mensch¬
licher Bauchspeicheldrüsen näher untersuchte. Augenscheinlich
handelt es sich bei diesen Fetttropfen um normale Produkte des
Stoffwechsels.
(5) A. Weichselbaum und E. S tan gl-Wien: Zur
Kenntniss der feineren Veränderungen des Pankreas bei Dia¬
betes mellitus.
Die Verfasser berichten über 18 von ihnen untersuchte Fälle,
unter eingehender Angabe der histologischen Befunde. Hierüber
ist das Original zu vergleichen.
7) F. Kitel b 8: Flimmerepithel bei einem Magencarcinom
und seinen Metastasen.
Das betreffende Präparat, dessen histologische Einzelnheiten
in 3 Zeichnungen des Originals dargestellt sind, wurde an einem
50 jährigen kachektischen Manne gewonnen, dessen Magencarci¬
nom sich als sog. inflltrirender Skirrhus prttsentlrte.
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22. Oktober 1901.
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1713
8) J. Brdthelm: Beitrag zur Xenntniss der branchio-
genen Organe des Menschen.
Grössere entwioklungsgeseliiehtliehe Studie, deren Ergebnisse
sieh zu einer kurzen Zusammenfassung nicht, eignen.
9) Chr. Stravoskindls: Ueber die Bildung und Rück-
bildung von Deciduagewebe im Peritoneum.
Verfasser theilt die an 28 untersuchten Fällen gewonnenen
histologischen Ergebnisse mit. Nach denselben stammen die
Deciduazellen nicht vom Endothel der Serosa, sondern von den
Rindegewebszellen derselben ab. Die sich abspielenden regres¬
siven Veränderungen sind in ihren Einzelnheiten noch nicht völlig
aufgeklärt.
10) O. Th. Lindenthal: Zur Entstehung der Tubar-
ruptur.
L. beschreibt die anatomischen Verhältnisse einer sehr jungen
TubargraviditUt aus dem Befunde an einer 20 Jährigen Kranken,
welche an innerer Blutung trotz vorgenommener Laparotomie zu
Grunde ging.
11) Fl. Al brecht und A. Ghon-Wlen: Ueber die Aetio-
logie und pathologische Anatomie der Meningitis cerebrospinalis
epidemica.
In der vorliegenden ausführlichen Studie beschreiben die Ver¬
fasser den von ihnen in 22 Fällen gezüchteten Coccus nis eine
wohlcharakterislrte Mikrococcenart. die zweifellos dem Mikro-
eoecus gonorrhoeae nahesteht. Mit der Gattung Streptococcus hat
diese Form nichts zu thun. Meist handelt es sich bei den be¬
treffenden Erkrankungen um Reininfektionen. Auch hier muss be¬
züglich der wichtigen Einzelheiten auf den Originalaufsatz ver¬
wiesen werden.
12) Wintersteiner: Ueber metastatische Ophthalmie
bei Meningitis cerebrospinalis epidemica.
Verfasser berichtet iil>er den pathologisch-anatomischen Be¬
fund eines Falles, welcher einen 20 jährigen Taglöhner betraf.
In demselben war die metastatische Ophthalmie durch den Piplo-
coceus intraeell. mening. verursacht.
19) M. Sachs: Der Bacillus pneumoniae (Friedländer)
als Erreger eines Hirnabscesses.
Kasuistische Mittheilung unter Anführung des Sektions- und
des bakteriologischen Befundes.
14) -K. Deiner- Wien: Ueber Influenza als Mischinfektion
bei Diphtherie.
L. berichtet über 11 Fälle von Diphtherie, bei welchen In-
fluenzapneumonien zur Beobachtung kamen. Die Komplikation
der Diphtherie mit Iufiuenza verschlechtert natürlich die Pro¬
gnose der Erkrankung noch weiter.
1) J. Barthel- Wien: Zur Aetiologie und Histologie der
Endokarditis.
Die ausführliche klinische Studie eignet sich nicht zu kur¬
zem Auszug. Grassmann - München.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 38. K o b e r t: Ueber Giftspinnen.
Nach allgemeinen zoologischen Bemerkungen konstatirt K. die
Ungiftigkeit der Tarantelspinne. Als Giftspinnen sind in Europa
bekannt Chiraennthium nutrix und Lnthrodectes tredecim guttatus
in ihrer rothen und schwarzen Varietät. Letztere kommt in Russ¬
land häufig vor und ist dem Viehstand stellenweise sehr verderb¬
lich. Karneole weisen nach dem Biss 33 Proc. Mortalität auf.
Pferde 10. Rinder 12 Proc. Menschen gehen selten durch sie zu
Grunde, erkranken jedoch unter heftigen Allgemeinerscheinungen,
die bis zu Collaps, Somnolenz. Krämpfen. Asthma, Oyanose führen
können und nach mehrtägigem Bestehen in eine länger dauernde
Schwäche übergehen. Ein wässeriger Auszug der Spinne wirkt
intravenös bei vielen Thieren rasch letal, subkutan noch stark
giftig. Selbst die ganz jungen Thiere. auch die Eier sind gift¬
haltig. Vom Magen aus scheint das Spinnngift, wie das Schlangen¬
gift. unwirksam zu sein.
No. 39. H. v. O r t y n s k I • Warasdin: Beitrag zur Kasuistik
der Impfblattern (Vaccina generalisata).
Der Fall bedeutet ein sehr seltenes Vorkommniss. da sich die
Allgemeinverbreitung der Pockenpusteln bei einem Revacci-
nlrten (Militärpflichtigen) einstellte. Ausgang in Heilung nach
14 tägigem Fieber.
No. 36—41. W. V y s i n - Prag: Ueber die Beziehungen der
Nephritis zur Hydraemie und zum Hydrops.
V.’s Resultate lassen sich in folgende Leitsätze zusammen¬
fassen: Bel Hydraemie pflegt die Verdünnung des Gesammtblutes
unverhiiltni8smässig stärker zu sein, als die des Blutserums. Die
Zahl der rothen Blutkörperchen und der Haemoglobingehalt.
ebenso die im Ham nusgeschiedene Ei weissmenge sind ohne Ein¬
fluss auf das speciflsche Gewicht des Blutes. Das speciflsche Ge¬
wicht des Blutes ist bei Nephritis mit oder ohne Hydrops meist
herabgesetzt, bei Circulationsstörungen gewöhnlich normal. Bei
Nephritis und bei Olrenlationsstürungen hat der Hydrops seine Ur¬
sache in SchM'ankungen des Blutdruckes. Zwischen Hydraemie
und Hydrops bestehen keine bestimmten Beziehungen.
Wiener medicinische Presse.
No. 39. J. Thenen-Wleu: Broncho-alveolltis flbrinosa
haemorrhagica.
Profuse Blutungen bilden bei genuiner fibrinöser Bronchitis
eine grosse Ausnahme. Der hier beschriebene, einen 49 jährigen
Mann betreffende Fall war dadurch charakterisirt, dass die Ent¬
zündung nicht eine rein fibrinöse, sondern flbrinös-haemorrliagische
war; demgemäss zeigten die typischen dentritischen Sputa den
bekannten Faserstoffkern gleichmässlg umhüllt von einer Schicht
geronnenen Blutes. Flüssiges Blut wurde dabei niemals ex-
pektorirt.
No. 39. .7. Fischer- Wien: Darmerkrankungen im
Wochenbett.
F.’s Bericht liegen die Beobachtungen an 500 Fällen zu
Grunde. Die Obstipation ist eine sehr häufige Beschwerde
der Gravidität und gellt als solche auch in das Puerperium über;
sie pflegt sich dann besonders geltend zu machen, wenn vor der
Geburt künstlich reichliche Entleerung erzielt wurde, sie ist ge¬
ringer, wenn von der Geburt ab reichliche gemischte Kost gegeben
wurde. Unter Umständen führt sie zu Erscheinungen, welche dem
Ileus so sehr ähneln, «lass eine Unterscheidung Schwierigkeiten
machen kann. Als solche gibt di«* Obstipation kaum Veranlassung
zu Temperatursteigerungen. Jedenfalls viel seltener, als in der
R«*gel angenommen wird. «>lier b«»i Kombination mit Darmkatarrh
und dann nicht über 38,5. Jedenfalls ist zuerst, an andere Ur-
Kuchcn eiues auf tretenden Fiebers zu denken. Dass b«;steheude
Infektlonsprocesse und das mit diesen zusammenhängende Fieber
durch Bestätigung der Obstipation und ihrer mechanischen Wir¬
kungen günstig beeinflusst wird, ist alter zuzugelten. Die Fis¬
sur a a n i sah F. gleich oft nach spontaner wie nach operativer
Geburt auftreten. Sie stellt sielt gewönlicli ein, wenn während der
ersten Zeit des Puerperiums hartnäckige Obstipation bestand und
dürfte auf Verletzungen der empfindlichen Schleimhaut durch
harte Skybala beruhen.
No. 40 und 41. T. v. Györy - Ofen-Pest: Aetiologisches zum
Morbus hungaricus.
Studie über kulturhistorische, nationalökonomische klima¬
tische und hygienische Verhältnisse in Ungarn zu den Z«*lten der
Türkenkriege, ihren Einfluss auf die Entstellung des für die nicht
eingeborenen Truppen so verhängnisvollen Morbus hungaricus.
den wir heute als Typhus exanthematicus zu klassiflzlren haben.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 39 und 40. A. P i c k - Prag: Symptomatologisches zur
Epilepsie.
An der Hand zweier Fälle verbreitet sich Verfasser über die
Wichtigkeit der Frühsymptonie der Epilepsie und speciell über die
Erscheinungen der Traumzustände und der Pseudoremlniscenz.
B e r g e a t - München.
Englische Literatur.
David W a 11 ac e: Ueber Blasengeschwülste und Vergröße¬
rung der Prostata. (Laneet, 13. Juli.)
Wir übergehen den pathologischen und diagnostischen Theil
dieser Arbeit und wenden uns sogleich zur Therapie; die Entfer¬
nung von Blasengeschwülsten soll, nach Verfassers Meinung, auch
bei Frauen nur durch den suprapubischen Blasenschnitt ge¬
schehen; auch bei grossen, breit aufsitzenden Geschwülsten erhält
man durch theilwelse Abtragung der Geschwulst schöne Besse¬
rungen, die jahrelang andauern können. Bei starken Blutungen
während der Operation, die auf Heisswasserberieselung nicht
stehen. legt man Dauerklemmen an. Die Blase wird niemals ge¬
näht, son«lem längere Zeit hindurch mit einem Heberapparat drai-
nirt. Gegen Yergrösserungen der Prostata thuen Operationen an
den Hoden oft gute Dienste; die Castration wirkt sicherer wie die
Durchschneidung der Samenleiter, und ist bei alten Leuten stets
die Castration vorzuziehen. Nützen diese Operationen nichts, so
mache man den hohen Blasenschnitt und exstirpire resp. enucleire
möglichst grosse Stücke der Prostata. Gelingt es, die Passage
durch die Harnröhre frei zu machen, so schließt sich die Blase
stets wieder und braucht man keine Fistelbildung zu fürchten.
R. W. Mnrsden: Die Diagnose und Behandlung des Ab¬
dominaltyphus. (Ibid.)
Aus dem ersten Theile der Arbeit sei nur hervorgehoben, dass
Verfasser die Wlda l’sche Reaktion als sehr wichtiges Hilfs¬
mittel der Diagnose betrachtet. In den letzten 12 Monaten hat er
214 Fälle nach W i d a 1 untersucht und in 209 Fällen stimmte die
klinische Diagnose und der Blutbefund überein. In 149 Fällen
wurde ein positives Resultat erzielt, doch ist zu erwähnen, dass
es unter diesen eine grösst* Anzahl von Fällen gab, in denen die
sonst üblichen diagnostischen Methoden keine ganz sichere Dia¬
gnose erlaubten. Was die Behandlung anlangt, so verwirft Ver¬
fasser die sonst ln England so hoch geschätzte antiseptische Be¬
handlung des Darmes vollkommen; ebenso hat er von Typhus¬
antitoxin keinen Erfolg gesehen. Die von Zelt zu Zeit auf¬
tauchenden Medikamente hält er ohne Ausnahme für entbehrlich.
Von grösstem Nutzen ist eine systematisch durchgeführte Bäder¬
behandlung (wie ln Deutschland) nud Regelung der Diät. Es ist
nicht nöthig, den Kranken durchaus auf flüssige Diät zu setzen,
hat er Appetit und verträgt und verdaut er feste Nahrung, so soll
sie gegeben werden; nur Im ersten Beginn der Krankheit soll
flüssige Kost gegeben werden. Die chirurgische Behandlung der
Darmperforation soll lm gegebenen Falle stets versucht werden:
die Diagnose ist so früh als möglich zu stellen, damit die Operation
nicht hinausgeschoben wird, besteht bereits deutliche Peritonitis,
so sind die Aussichten auf Erfolg sehr gering.
W. Ewart: Die Behandlung der Bronchiektasien und
chronischer Bronchitiden durch Lagerung und Athmungs-
übungen. (Ibid.)
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1734
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Im Gegensatz zu Quincke, der die .Sehniglagerung nur
zeitweilig auwendet, hat Ewart Kranke mit Hronehiektasien
dauernd für längere Zeit schräg gelagert, indem er das Küssende
des Bettes 12 ins 14 Zoll erhöhte. Namentlich der quälende Husten
hörte sehr bald auf und mich einiger Zeit trat wesentliche Hesse¬
rung auf. Ichthyol und Atlicmübungen sind ebenfalls wichtige
Ileilfaktoren.
Stanmoro Bishof: Eine bisher nicht beschriebene gut¬
artige Neubildung der Gallenblase. (Ibid.)
Es handelte sieh um eine 42 jährige Frau, bei der wegen ver-
mutheter Gallensteine laparotomirt wurde. Hie Gallenblase war
in einen kindskopfgrossen Tumor umgewandelt, bei Eröffnung kam
man auf eine Anzahl nicht mit einander kommunizirender Cysten,
die die Gallenblase ausfüllten und in den Duet. evxtic. hinein¬
ragten. Der Tumor wurde entfernt und der Stumpf des sehr er¬
weiterten Duet. eystic. in die Bauehwunde eingeniiht. Es scheint
sich nach genauerer Untersuchung um eine enorme glanduläre
Hypertrophie der Mucosa zu handeln, die Cysten waren alle mit
einschichtigem Cylinderepithel ausgekleidet. !
W. Bourne Hallowes: 4 Fälle von erfolgreich durch
rectale Chloraleinläufe behandelter puerperaler Eklampsie.
(Ibid.)
In 12 Stunden wurden 4 mal je 4.0 Chloralhydrat in etwas [
Wasser in das Rectum eingegossen; wenn nüthig, wurde ausserdem '
die Geburt beschleunigt.
Alexander E.dington: Die Rattensterblichkeit in Kap¬
stadt, die der jetzigen Pestepidemie vorausging. (Lancet, 3. Aug.)
Als Verfasser am 5. Februar ln Kapstadt aukam. erfuhr er,
dass während der letzten 2 Monate entschieden mehr Ratten als ;
früher gestorben waren; trotzdem gelang es während der ersten i
6 Tage seines Aufenthaltes nicht, todte Ratten zur Untersuchung I
zu bekommen. Am 7. Tage erhielt er 2 todte und eine Anzahl |
lebender Ratten aus verschiedenen Theilen der Dockaulagcn. keine i
derselben zeigte Pestsymptome, nur eine lebende Ratte aus dem i
südlichen Dock (in welchem die Rattensterbllchkoit besonders be- !
merkt worden war) zeigte eigenthiimliehc Symptome. Die Sektion j
der Ratte und die bakteriologische Untersuchung derselben ergab. I
dass es sich nicht um Pest, sondern um haemorrhagische Sepsis :
handelte und glaubt Verfasser, dass weitere Untersuchungen
nöthig sind, um den Zusammenhang zwischen Ratten- und Men¬
schenpest festzustellen. Schon am 12. Februar konnte er bei einer
Anzahl von Menschen die Pest mit Sicherheit klinisch und bak¬
teriologisch feststellen.
Oskar Jennings: Die physiologische Heilung der Mor¬
phiumsucht. (Lancet. 10. Aug.)
Verfasser beginnt seine Abhandlung mit der Behauptung,
dass vor seiner 1800 erschienenen Arbeit über diesen Gegenstand
es keine auf therapeutische Indikationen basirte Behandlung der
Morphiumsucht gegolten habe. Die auf Ignoranz beruhenden ;
früheren Heilmethoden (mehr oder weniger plötzliche Ah- !
gewöhnung) brachten bei den Kranken, die nicht durch Selbst- I
mord oder an der Kur starben, nach fürchterlichen Qualen meist I
nur temporäre Besserungen zu Stande. Die ersten Beobachtungen I
hat Verfasser bei seiner eigenen Heilung gemacht und sie später !
bei vielen Kranken nnchgepriift. Auch bei Verfassers Kur muss I
der Kranke überwacht werden, er muss seine Spritze aufgeben; ;
besteht neben dem Morphinismus noch ein anderer -Ismus, so ist '
dieser zuerst zu beseitigen, was stets leicht gelingt. Verfasser j
beginnt die allmähliche Abgewöhnung des Morphiums damit, dass j
er den Einverleibungsmodus ändert, statt «1er subkutanen Injektion
gibt er rectale Injektionen: meist kann man die subkutanen In¬
jektionen langsam vermindern, bis man auf 0,1 per Tag an¬
kommt, von nun an beginnt die Einverleibung per rectum und
zwar gibt man doppelt, so viel per rectum, als man von den sub¬
kutanen Injektionen fortnimmt. So gelingt es. das ..Stimulans“,
die Spritze, bald ganz abzugewöhnen. Die rectale Einverleibung
stimulirt nicht, sie hat eine sedative Wirkung: die unangenehmere
Art «1er Einverleibung reizt den Kranken nicht so, wie die be¬
queme Spritze und er begnügt sieh mit einer Menge, die gerade
genügt, um den ..Morphiumhunger“ zu stillen. Von nun an be¬
ginnt man die Ausfallserscheinungen zu bekämpfen, die Herz¬
erscheinungen werden am besten durch Digitalis und Spartein be¬
einflusst; die Hvperaeidität des Magens und des ganzen Organis¬
mus wird durch Natr. lticarbon. beseitigt. Hier folgt eine Polemik
Rogen Erlenme y e r, der angeblich Verfassers Priorität nicht
gewürdigt hat. Als drittes Hilfsmittel verwendet er das heisse
Luftbad, das eine tonisirende und sedative Wirkung entfaltet;
ausserdem regt es den Stoffwechsel an und führt vielleicht zur
Ausscheidung gewisser Substanzen, die den Morphiumhunger her-
vorrufen (Oxydimorphin?). Ausser den ebengenannten Ileilfak-
toren besteht Verfasser auf einer iniissigen Diät und der Abstinenz
von Alkohol. Schlaflosigkeit weicht oft der cerebralen Galvani¬
sation. stets dem Trional: zuweilen verwendet er Extrakte der
t’oea oder der Kola und stets nehmen die Kranken Ammon,
valerian. Cocain. Dionin. Heroin und andere Morphiumderivate
sind strengstens zu vermeiden. Während der Entziehungskur ;
nehmen die so behandelten Kranken meist an Gewicht zu. Nach i
vollkommener Entziehung muss der Exmorphinist ein massiges, |
thiitiges Leben führen, da die Ueberladuug «los Körpers mit Harn¬
säure d«*n Morphiumhunger hervorruft. 5» ausführliche Kranken¬
geschichten erläutern die Einzelheiten der Behandlung.
F. W. Smith: Die elektrolytische Transmission des in dem
Wasser von Harrogate enthaltenen Schwefels durch eine |
Sehweinshaut und die therapeutische Bedeutung dieser Methode
bei Menschen, die an Ekzem, Gicht etc. leiden. (ibid.)
Es gelingt nach Verfnss«;r leicht, Patienten, die in Harrogate
baden, durch Einwirken des konstanten Stromes mit Schwefel
in statu nascendi zu überziehen. Ebenso soll es, wie Verfasser
experimentell nachzuweisen sucht, gelingen, den Schwefel durch
die Haut in die Oireitlation zu treiben. Klinisch hat sich diese
Methode bei sonst unbeeinflusst gebliebenen Fällen von Ekzem
sehr bewährt.
Bermtrd Holländer: Die Lokalisation der Melancholie
im Gehirn. (Journal of mental scicnce. Juli 1001.)
Jensen und Tigges haben festgest«*llt. dass die Stim-
lappon Melancholischer keinerlei Gewiehtsveränderungen oder
atrophische Vorgänge zeigen. Holländer hat nun in anderen
Theilen des Gehirnes gesucht, und glaubt den Sitz «1er Melancholie
(einer Krankheit des Gtffiihlslchons, die einen Gehirntliell ergriffen
hat. der bei den Vorgängen des Intellektes nicht betheiligt ist)
in dem Gyrus angularis und supramarginalis des Parietallappens
gefunden zu haben. Zum Beweise (li«»ser Ilypothes«* werden einige
in der Literatur nied«*rg«*legte Fälle von Verletzungen dieser
Gegend mit nachfolgender Melancholie angeführt, sowie einige
Sektionsb«>funde, bei denen symmetrische Atrophie beider Scheitel¬
lappen bei Melancholischen gefunden wurden, ln manchen Fällen
bestand (besonders bei Verletzungen der linken S«*it<‘) gleichzeitig
Wordblindheit. Verfasser glaubt, dass ..das Gefühl der Furcht“
im Centrum des Parietallappons lokalisirt ist und dass Ver¬
letzungen «lieses Ilimtheilos zu melancholieähnliehen Zuständen
führt.
Specialnummer für Augenkrankheiten. tlndiau Medical
Gazett«», Juni 1901.)
Es s«>i an «liosor Stell«» auf diese Extraausgabe aufmerksam
gemacht, da sie liehen anderen Arbeiten <‘iu«‘ für unsere euro¬
päischen Verhältnisse geradezu ülierwültigende Statistik von Star-
operationen gibt. Um nur einige Namen zu erwähnen, hat Pope
über 7000 (in den letzt«*n 5 Jahren 3000) Staro|iemtIonen gemacht,
Hendle.v und Pank operirten von 1891—1900 im Mayo Hos-
pedalc zu Jaipur 5310 mal wegen Stars. Smith hat 3430 Extrak¬
tionen unternommen (1050 in den letzten 11 Monaten). Zählt
man alle Operationen zusammen, so findet man, dass eine Hand-
voll von Militärärzten in wenigen Jahren in Indien etwa 25 000
Staroperationen ausg«*führt haben. Mögen nun auch die Augen
der eingeborenen Inder, ihre allgemeine Konstitution, «las Klima
etc. noch so sehr von den gleichnamigen Verhältnissen in Europa
verschieden sein, so wird sich ein genaues Studium dieser ge¬
waltigen Anzahl von Fällen doch auch dem europäischen Arzte
lohm-n. Pope desinflzirt den Conjunetivalsaek und die Instru¬
mente auf das sorgfältigste; vor der Operation träufelt er Atropin
ein, um «las Verhältnis« der Iris zur Linse festzustellen, «lie Kapsel
trennt er mit einer Nadel; dann extrahirt er die Linse, ohne vor¬
herig«» Iridektomie, durch eine grosse Lappenwunde der Oonjunc-
tiva. Irisvorfall ist bei dieser Methode nicht zu befürchten. Das
Auge wird 1—2 Tage lang verbunden gehalten, möglichst früh¬
zeitigen Luftzutritt hält er für wünschenswert!!. Bei Conjunctival-
kafarrli wird mit gesättigter Borsäurelösung ausg«‘spült und dann
Höllenstein eingctraufelt, bei eitriger Hornliautenzündung ver¬
weiset er ausserdem noch Atropin, bei Irhlo-eyelitis entfernt er
das Auge aus Furcht vor sympathischer Entzündung des anderen.
Audi di«* übrigen, oben erwähnten Autoren legen grosses Gewicht
auf Desinfektion des Conjunktivalsaekes (Sublimat 1:3000); sie
operiren fast immer ohne Iridektomie: Smith entfernte in seinen
letzten 1050 Operationen die Linse stets mit der Kapsel, seine Er¬
folge sind glänzende.*
C. B. Keetley: Zur Prophylaxe des Carcinoma. (Lancet,
31. August.)
Die kleine Arbeit enthält eine Hypothese, dass C'areinoni
durch den Gentiss von Milch resp. Milchprodukten, wie Butter und
Käse, erzeugt wird. Verfasser nimmt an, «hiss der Erreger «les
Careinoms in der Milch und ihren Produkten einen guten Nähr¬
boden findet, und durch Genuss dieses Nahrungsmittels in unge¬
kochtem Zustaude in den Organismus gelangt. Der Brustkrebs
der Frauen wird dadurch erklärt, dass Frauen oft Butter anfassen,
ohne sieh nachher die Hände zu waschen, und so beim An- oder
Auskleiden die Keime an die Brust bringen. (Ob Verfasser den so
häutigen Vteruskrebs ebenso zu Stande kommen lässt, geht aus
der Arlieit nicht hervor. Ref.)
W. H. B. Stoddnrt: Dementia paralytica und Syphilis.
(Journal of mental scieuco, Juli 1901.)
Verfasser ist davon überzeugt, dass Dementia paralytica fast
nur hoi friilier syphilitisch gewesenen Personen vorkommt; nicht
syphilitische laufen keinerlei Gefahr paralytisch zu Grunde zu
gellen. Den Einwand, dass die Syphilis oft erst im Aufangs-
stadium der Paralyse erworben würde, zu einer Zeit, wo «lie
Patienten stark gesteigerten Gesehlechtstrieb zeigen sollen, wider¬
legt er dadurch, dass thatsächlich bei 03 Procent der Paralytiker
der G «‘schlecht st rieb schon s«*hr frühzeitig vermindert oder er¬
loschen ist. Audi bol jungen Individuen kommt Paralyse fast aus¬
schliesslich dann vor. wenn hereditär-syphilitisch«; Belastung nach¬
gewiesen werden kann. Offiziere stellen das Haiiptkontlngent zur
Syphilis und zur Paralyse, hei katholischen Priestern kommt Para¬
lyse fast nicht vor. (Vor Kurzem wurde in England uneligcwieseti,
dass die Juden in ganz ungewöhnlich hohem Procentsatz uud schon
sehr früh an Paralyse erkranken; danelien aber wird von Hut¬
chinson uud Anderen fest behauptet, dass Syphilis in Folge der
Beschneidung bei den Juden auffallend selten sei, während Tripper
häutig vorkomme. Ref.)
\V. J. McCardi e: Weitere Fälle von Narkose mit Aethyl-
chlorid. (Lancet, 20. Juli.)
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22. Oktober 1901. MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1715
Im Anschluss au eine ln <ler Lancet (9. März 1901) veröffent¬
lichte Arbeit Uber denselben (legenstand gibt Verfasser die Nar¬
kosengeschichten von 19 mit Aethylehlorid betäubten Patienten.
Nach Verfassers Meinung eignet sich das Mittel vorzüglich zu
kürzeren Narkosen, wie sie zur Entfernung von Adenoiden, Man¬
deln, Zahnwurzeln, kleineren Amputationen etc. nöthig sind. Er
verwendet eine Aethermaske und giesst Jeweils etwa 2 ccm auf.
nöthig sind meist 5 bis 10 ccm. Die längste Narkose dauerte
17 Minuten. Obwohl unter diesen 19 Fällen einmal Bewusstlosig¬
keit nicht zu erzielen war (Alkoholismus) und 1 Patient eine Stunde
nach der Narkose starb (Urethrotomia interna bei einem 37 jähri¬
gen Manne; die Sektion ergab alte Perikarditis, Pleuritis und Peri¬
tonitis), glaubt Verfasser doch das (’ldoraethyl für kürzere Nar¬
kosen warm empfehlen zu können.
Campbell Thomson: Die Prognose und Therapie des bei
alkoholischer Lebercirrhose auftretenden Ascites, (lbid.)
Verfnsser unterscheidet zuerst zwischen Ascites, der direkt
abhängig ist von den durch die Lebercirrhose gesetzten Circu-
latlonsstörungen und solchem, der mit der (Mrrhose kombiuirt, aber
nicht durch sie bedingt ist. Im ersteren Falle ist «1er Ascites ein
höchst ungünstiges Zeichen und durch die Behandlung, namentlich
durch die Laparotomie, nicht zu beseitigen, im zweiten Falle kann
dagegen die chirurgische Behandlung oft helfen. Die häufigste
Ursache für den Aseit«‘s in der zweiten Gruppe von Fällen liegt
in dem gleichz«*itigen Bestehen einer Perihepatitis und Peritonitis.
In diesen Fällen kommen Heilungen nach Laparotomien vor, doch
glaubt Verfasser, dass häutig wiederholte Punktionen von ebenso
gutem Erfolge begleitet sind. Auf Grund eigener Erfahrungen
un«l gründlicher Literaturstudien glaubt Verf. behaupten zu
können, dass Heilungen von lediglich durch die ('irrhose bedingtem
Ascites bisher noch nicht beobachtet worden sind.
George Carpentes und Sydney S t e p h e n s o u: Die
Tuberkulose der Chorioidea. (Ibid.)
Die Arbeit stützt sich auf 49 eigene Beobachtungen der Ver¬
fasser, die zu folgend«-!» Schlüssen kommen: Die Chorioidenl-
tuberkulos«* kann in jedem Stadium der Tuberkulose auftreten.
sie findet sich sehr häufig bei akuter Miliartuberkulose und bei
tuberkulöser Meningitis (.10 Proc. der Fäll«*). Meist tritt sie in
diesen Fällen nur in einem Auge auf und es findet sich nur ein
kleiner Tuberkel. Bei der chronischen Tuberkulose findet sie sieh
weit häufiger als man bisher geglaubt hat, öfters erreicht die
Ohorioidealtuberkulose hierbei grössere Ausdehnung und kann
selbst den Bulbus durchbrechen. Auch bei latenter Tuberkulose
kommen tul>erkulöse Laesionen der Chorioidea vor und zwar
linden sie sich meistens in grösser«*!* Ausdehnung in «ler Mitte
des Fundus; die Ilauptlaeslon ist mehr oder w«*niger pigm«*ntirt
und hat zuweilen Satelliten.
Edmund Cautley: Ueber den Skorbut der Säuglinge,
(lbid.)
Die Arbeit wen«l«*t sieh hauptsächlich gegen verselii«*<lene
Autoren, die empfohlen haben, «li«* Milch für Säugling«* nicht zu
kochen. Nacii Verf.’s Meinung hat das Kochen der Milch
durchaus nichts mit d«*m Entstehen «t«*s Skorbuts zu tliun. der
auf Fehlern in der Ernährungsweise beruht. Allerdings verliert
gekochte Milch all Nährwerth proportional mit <l«*r Länge «les
Kochens und der Höhe der Temperatur un«l man sollt«* desshalb
etAvas Gerstenwasser «Hier Fruehtsaft zusetzen, wenn nach s<*hr
langer ausseldi«*ssliclier Müchnahrung Z«*ieheu von Skorbut auf-
treten; es wäre ab«*r falsch, auf diese sehr geringe Wahrschein¬
lichkeit hin das aus anderen Gründen nolli wendige Kochen der
Milch zu unterlassen.
James S t a r t i n; Die Behandlung des Lupus und des IJlcus
rodens mit Böntgenstrahlen. (lbid.)
f> Krankengeschichten, die entschied«*u «len Nutzen <l«*r Be-
linndlung mich ln weit f«>r(g«*schritte!ien Fällen beweisen. Verf.
arbeitet mit einem 1.1 Zoll Induktionsapparat und stellt «li«* Kolm*
etwa 5 Z«>11 von der erkrankten Hautstelle auf. Die Bestrahlung
erfolgt, an 4 bis 1 aufeinander folg«*nd«*ii Tagen und dauert jedes¬
mal i0—15 Miuutcn. Je heftiger di«: D«*rmatltis, um so besser ist
gewöhnlich der Erf«>lg.
P. J. Frey er: Die Totalexstirpation der Prostata zur
Heilung der Prostatahypertrophie. (Brit. Med. Jouni., 20. Juli
1901.)
Verf. berichtet über 4 Fälle, iu denen er nach suprapubischcr
Eröffnung der Blase «li«: Prostata total exstirpirt hat. Es g«*llngt
leicht, nachdem der In «lie Blas«* vorspringende Tlieil der Ge¬
schwulst mit Haken gefasst und vorgezogen ist, die Schleimhaut
zu durehtrennen und nun mit <l«*m Zeigefing«*r der linken Hand
die Prostata entweder in toto (Mittel- und S«*itenlnppen) oder iu
3 Theilen zu enu<*l«*iren. Ein in das Kectum eingeführter Finger
der rechten Hand erleichtert die Operation s«:lir. Nach «l«*n boige-
fügten Photographien zu schllessen, unterliegt es allerdings keinem
Zweifel, dass Verf. die vorhandenen Tumoren der Prostata (Ade-
nome) unverletzt enucleirt hat. IM«* Urethra wird bei dieser Ope¬
ration nicht verletzt, die Blutung ist gering und die Heilung er¬
folgte ln allen 4 Fällen prompt, so «lass die Kranken wieder ohne
Katheter leben konnten. (Da Verf. in seiner Veröffentlichung be¬
hauptet, dass die von ihm ausgeführte Operation, zu «leren gutem
Erfolge in 4 Füllen man ihm gewiss alles Glück wünschen kann,
eine von ihm ganz neu erfundene s«*l, da er weiter behauptete, in
jedem Falle die ganz«: Prostata inclusive der Kapsel und ohne
Verletzung der Harnröhre entfernt zu haben. un«l da er angibt,
dass vor ihm kein Fall operirt worden sei, der wieder olin«* Ka¬
theter habe lebeu können, so entspann sieh in den nächsten Num¬
mern des Brit. Med. Journ. natürlich eine lebhafte Fehde zwischen
ihm und zahlreichen anderen Chirurgen, die lauge vor Frey er
dieselbe Operation aiisgt'führt haben. Dass die anatomischen und
literarischen Kenntnisse od«*r der gut«: Geschmack des Herrn
F r e y e r in dieser Fehde besonders g«*gläuzt Italien, ist nicht zu
behaupten. Itefer.)
W. E. Foggle: Psoriasis der Nägel, die während Jeder
Schwangerschaft recidivirt. (Scottish Medical and Surgieal Jour¬
nal, Mai 1901.)
Eine 28 jährige Frau kam im August 1899 zur Beobachtung.
Im 5. Monat der Jetzigen (<>.) Schwangerschaft waren, wie in d«*n
4 vorhergehenden, die Nägel erkrankt. Die Krankheit begann mit
Schmerzen und Brennen in den Fingerspitzen, dann lösten sieh
«lie Nägel vom Nagelbett ab, si«* wurden grau, glanzlos und «*s
traten Längs riefen auf, später zeigten sich auch Querriefen und
nach 3 Monaten waren alle Nägel abgestossen; Anfang 1900. nach
Ul »erstandener Schwangerschaft, waren die Nägel wieder ge-
waehsen und fast von normaler Beschaffenheit: 5 Monate später,
als Patientin wieder im 5. Monat schwanger war. wiederholte sieh
derselbe Vorgang. Beide Male traten ausserdem deutliche I’soriasis-
flecke am Handrücken, dem Knie und Ellenbogen auf.
Di«: Nagelaffektion glich durchaus der von II u t e h i u s <> n
beschriebenen Psoriasis «ler Nägel.
W. J. Walsham: Die Diagnose und chirurgische Behand¬
lung der carcinomatösen Kolonstriktur. (Lancet. 17. Aug. 1901.)
Verf. betont, dass «las Cnrcinoin des Kolon meist lange Zeit
hindurch lokal und auf die Darm wand beschränkt bleibt; es l»l«*t«*t
desshalb bei früher Entfernung sehr gute Aussichten auf Dauer-
licilnng und muss eine möglichst frühzeitige Diagnose äugestrelit
werden; kommt man zur Operation erst zu einer Zeit, wo schon
ohstruktionsersclicinungcii vorliegen, so hat die Operation (falls
man den Tumor überhaupt u<x*li entfernen kann) zweizeitig zu
geschehen. Die Symptome, die «:ine Frühdiagnose ermöglichen,
resp. zur Vornahme einer Probelaparotomie zwingen sollten, sind
«‘inuial unbestimmte Zeichen von Störungen in den Buuchorgunen,
Auftreibung, Gefühl von Völle, Verstopfung etc., die durch «li«*
gewöhnlichen Mittel nicht rasch l>ess«*r werden: dann Anfüll«: von
Schmerzen oder Krämpfen, «lie in die Gegend des Kolon lokulisirt
werden; sehr liäulig Durchfälle verbunden mit einem «ittäleudeu,
fast beständigen Drang zur Stuhlentleerung und eine stetige Ab¬
nahme des Gewichtes. Findet man bei diesen Symptomen weder
vom Rectum noch durch «lie Bauchdecken Zeichen einer Ge¬
schwulst, so schreite man zur Probelaparotomie und event. gleich¬
zeitigen Entfernung der Geschwulst. Bestehen vor der Operation
schon Zeichen von Dnrniversehluss, s«> legt Verf. zuerst einen
künstlichen After ol>«>rhaIh «ler Flexur od«*r am Coceum an; erholt
sieh Patient nach der Entfernung, so versucht man bald nachher
die Geschwulst saninit «len Kunstart er durch Dnrmresektion zu
entfernen. Zu erwähnen ist noch, dass Verf. zur Vereinigung der
Darnienden den Murphyknopf Inmutzt. Eine Reihe von Kranken¬
geschichten erläutern das Gesagte.
John Brownleo: Die Serotherapie der Pest. (lbi«l.)
Verf. gibt, in dieser Arbeit Bericht über die Erfahrungen mit
V «• r s 1 n'seliem ; «•rum (Pasteur-Institut), «lie «*r wühtvud «ler
vorjährigen Pest«*pi«l<*niie in Glasgow saiinm*ln konnte. Glei« , h
im Anfang sei Ixunerkt, «lass «li«: in Glasgow beobaeht«*t«*n Fäll«*
viel milder waren, als di«*, die man iu Indien sl«*ht. Verf. kommt
zu dem Schlüsse, dass «li«* subkutane Einverleibung von 10 ccm
d«*s Serums zwar nicht uuliedingt sielier, aber doch in vielen Fällen
vor der Krankheit schützt. Bri«*lit die Krankheit trotz der proph.v-
laktiselien Einspritzung aus, so verläuft sie milder. Die Heil¬
wirkung des Serums ist, s»*lbst wenn «*s erst spät in der Krauk-
li«*it gegeben wird, eine sehr m«*rkliclie, aber nur dann, wenn «lio
Einverleibung intravenös erfolgt: bei subkutaner Einspritzung ist
der Erfolg nur gering und kommt dies vielleicht daher, «lass das
Lymphsystem als biologisch«** Filter für «las Serum wirkt und
dass auf diese Weis«* von den regionürvn Drüsen der grösste Theil
der Antitoxin«* zurückgchalt<*ii wird und nur geringe Mengen iu
den Kreislauf gelangen. St«*ts g«*l>e man grosse Anfangsdoseu
(00 ccm intravenös); will man überhaupt subkutan «*inspritzen.
so iujizire man nur an einer Stelle, den*n Lymphsystem direkt
zum Bubo führt. Es folgen 7 ausführliche Krankengeschichten.
E. Klein und II. Williams: Versuche mit dem Batten¬
bacillus von D a n y s z. (Ibid.)
Die Verfasser haben iu londoner Waarenliäusem zahlreiche
Versuche <larüls*r angest«*llt, ob «*s gelingt, durch Ausleg«*n v«m
mit dem D a n y s z’sciieii Bacillus iutlzlrtciu Futter (Krod. Mäuse,
Meerschweinchen) «*in tödtlhdie Krankheit unter «len Ratten zu
erzeugen. Obwohl «lie Ratten sowohl «las Br«xl. wie di«* iiiüzlrteu
Thierleh'hen begierig frassen, trat keinerlei Sterblichk«*it unter
ihnen auf; Ratten, «lie durch Inj«*ktlon«*n des Bacillus getüdtet
waren, wurden von den anderen Ratten nicht g«*fress«*n. Die Ver¬
fasser weisen darauf hiu, «lass <lk*so in grossen Wanrenhüusem
mit möglielister Berücksichtigung der Wirklichkeit angestellten
Versuch«: viel beweisender sind als Laboratoriumsversuche
(Kister und K ö 11 g e n). du Ratten ln der Gefangenschaft
überhaupt sehr leicht eiugelien.
G. T li ornto n und II. J. G o d w i n: Ein Fall von Typhus-
recidiv; Perforation und Operation. (Ibhl.)
Bei der Operation, di«: etwa 2 Stunden nach der Perf«>mti«ui
vorgenommen wer«leu könnt«*, fand man im letzten Theile des
Ilcum ein perforirtes Geschwür und ein weiteres, das der Perfora¬
tion nahe war; beide wurden übernülit. Die Operation wurde hei
der 27 jülirigen Frau unter lokaler Ana«*sthesie gemaelit und gut
vertragen; leider starb die Kranke 8 Tage nach der Operation
an Pneumonie und Herzschwäche, die Geschwüre waren gut v«*r-
heilt und von Peritonitis fand sich keine Spur.
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1716
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
J. Effie P o w s e: Eine verbesserte Methode zur Photo¬
graphie pathologischer Präparate. (Ibid.)
Die Kamera wird vertical an einem Stativ befestigt, das
Präparat liegt in einer flachen Glnsschüssel mit geradem Hoden
und Seiten, und ist von einer dünnen Schicht Wasser bedeckt;
durch diese Schicht hindurch wird photographirt. Die so auf-
genommeuen Bilder sind sehr scharf; ein grosser Vortheil besteht
auch noch darin, dass sich das Präparat im Wasser von selbst
nusbreitet und sich ln seine natürliche Form legt.
H. T. Butlin: Leukom resp. Leukoplakie der Vulva und
Carcinom. (Rrit. Med. Journ., 13. Juli 1001.)
Der bekannte Zungenspecialist beschreibt hier 4 Fälle von
Leukom der Vulva mit nachfolgender Bildung eines Carelnoms
in einem der leukomatösen Flecke. Die Flecke, die nur auf der
Schleimhaut auftreteu, gleichen makroskopisch und mikroskopisch
durchaus den an der Zunge beobachteten Leukoplakien; in einigen
in der Literatur beschriebenen Fällen wurden Zunge und Vulva
derselben Person ergriffen. In keinem von Verfassers 4 Fällen
lag Syphilis vor, doch möchte er ein grösseres Gewicht auf Gicht
und Rheumatismus als aetiologische Faktoren legen. Wie Ver¬
fasser glaubt, handelt es sich bei den Leukoplakien weniger um
entzündliche, als um degenerative Vorgänge; er empfiehlt wegen
des häufigen Vorkommens von Krebs in diesen Fällen die prophy¬
laktische Entfernung aller Leukoplakien der Vulva.
W. Wraugham: Akute Bleivergiftung durch den Ge¬
brauch von Diachylon als Abortivum. (Ibid.)
Verfasser hat im Verlaufe von 3 Jahren 5 Fälle von schwerem
Saturnismus bei Frauen Iwobachtet, die längere Zeit Diachylon-
pillen genommen hatten, in der Absicht. Abort herbeizuführeu.
Nur in einem Falle trat der gewünschte Erfolg ein, 2 Frauen
starben und 3 genasen nach langem Kranksein; in allen Fällen
wirkte das Diachylon besonders auf das Nervensystem, wenn auch
Magendarmsymptome nicht ganz fehlten. Besonders ergriffen
waren die Augen. 4 von den 5 Kranken zeigten Neuritis optica
und Augenmuskellähmungen. Zu bemerken ist noch, dass die
„Ineubationsperiode“ der Bleivergiftung eine recht lange, min¬
destens t» Wochen war und dass auch nach dem Aussetzen der
Diachylonpillen die Symptome noch Zunahmen.
Clifford All butt: Infektion durch den Urin von Typhus-
reconvalescenten. (Ibid.)
Verfasser weist auf die grosse Gefahr hin, die darin liegt,
Typhusreeonvalescentcn früh nach Hause zuriiekkehren zu lassen,
du die Typhusbacillen lange (bis zu 5 Jahren?) ihre Virulenz iui
Urin behalten. Stets soll man versuchen, durch Urotropin die
Uarnwege zu desinllziren, und kein Patient soll entlassen werden,
bevor nicht der Urin bacillenfrei Ist.
Lewis C. Bruce und H. de Maine Alexander: Die
Behandlung der Melancholie. (Lancet, 24. Aug. IDOL)
Nach der Ansicht der beiden Autoren beruht die Melancholie
auf einer Veränderung des Stoffwechsels (eine Reihe von Harn-
analyseu etc. ist beigefügt): die Behandlung muss desshalb darauf
hiuzielen, die Ausscheidung von Schlacken durch die Nieren und
die Haut zu befördern: am besten geschieht dies durch Verab¬
reichen von flüssiger Nahrung. Reichliche Mengen von Milch, sehr
schwachem Thee und Wasser bei Bettruhe wirken ausgezeichnet.
Von Arzneien verwenden sie nur Kaliumcitrat; die Behandlung
soll möglichst frühzeitig beginnen.
C. F. M a r s h a 11: Schmierkur und intramuskuläre In¬
jektion bei Syphilis. (Ibid.)
Gestützt auf ein Material von 09 Kranken, die etwa 1 Jahr
lang unter Beobachtung standen, glaubt Verfasser, die Frage nach
der besseren Behandlungsmethode zu Gunsten der Schmierkur ent¬
scheiden zu müssen; angeblich treten nach Injektionen etwa
doppelt so viele und schwere Reeidive auf wie nach der Schmier¬
kur. (Sowohl die Zahlen wie die Beobachtungsdauer sind viel zu
klein, um Schlüsse daraus zu ziehen. Ref.)
Robinson: Schusswunden im spanisch-amerikanischen
Kriege. (Annals of Surgery, Febr. 1901.)
Gestützt auf ein Material von 1590 Fällen, kommt Verfasser
zu dem Schlüsse, dass die durch moderne Waffen verursachten
Schusswunden meist aseptisch sind und demgemäss behandelt
werden müssen. Die Form des Geschosses und der sofort an¬
gelegte erste Nothverband verhindern meist die Sepsis. Primäre
Blutungen sind sehr selten, da die Blutgefässe meist zur Seite
gedrängt werden. Sogen. ,.Explosiv“-Wirkungen werden nicht
häufig beobachtet, sie sind ebenso eine Folge der Gewebsart, die
getroffen winl, als der Schnelligkeit des Geschosses. Penetrlrende
Brustwunden heilen unter konservativer Behandlung; bei starkem
Ilaemothorax muss man punktiren. Knieschüsse sind meist asep¬
tisch: sind sie infizirt, so muss, um das Leben zu retten, sofort
amputirt werden: überhaupt sind Amputationen, ausser bei Ver¬
letzungen des Ellenbogens, den Resektionen vorzuziehen. Bauch¬
schüsse heilen am besten unter konservativer Behandlung; die
Laparotomie auf dem Schlachtfelde ist nicht berechtigt. (Im All¬
gemeinen stimmen diese Ansichten mit denen der englischen Chi¬
rurgen überein, nur wurde in Südafrika sehr selten amputirt und
resezirt. Ref.) ,1. I*. zum Busch- Ixmdou.
Vereins- und Congressberichte.
73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
in II amburg, vom 22. bis 28. September 1901.
Bericht von Dr. Grassmann in München.
IV.
II. allgemeine Sitzung.
Freitag, den 28. September.
Nachdem Voller- Hamburg die wieder sehr zahlreich be¬
suchte Versammlung mit einigen geschäftlichen Mittheilungen
eröffnet hatte, folgte sofort der erste Vortrag des Tages: Medicin
und Seeverkehr, in welchem Curschmann - Leipzig Fol¬
gendes ausführte:
Die herrliche Feststadt Hamburg brachte dem Redner das
vorstehende Thema als fast selbstverständlich entgegen. Die
Theilnahme der Medicin an den Verhältnissen des Seeverkehrs
ist in Deutschland relativ jung, in anderen Ländern wird schon
seit lange See- und Tropenmedicin getrieben, jetzt freilich auch
bei uns, seit die Kolonisationsbestrobungen hervortraten. Die
deutsche Medicin hat sich diesen Fragen mit dem Eifer gewidmet,
mit dem der Handel vorangegangen ist.
Der Seeverkehr stellt grosse Aufgaben an die Medicin: Die
Hygiene der Schiffe und der Küsten, die Behandlung der Krank¬
heiten in fernen Ländern, die eigentliche Tropenhygiene, die
Akklimatisationsfrage, die Rolle der Bewohner fremder und ein¬
heimischer Länder bei der Entstehung und Verbreitung von
Krankheiten u. A. spielen da herein. Auf die Verhältnisse der
Kriegsmarine kann Redner nicht eingehen. . Das Schiff ah*
schwimmendes Bauwerk vereinigt, mehr in sich als das Haus.
Indem es Bewohner und Waaren hinaus- und zurückträgt, winl
cs Erreger, Vermittler und Entstehungsort vieler Krankheiten.
Die naturgemässe Beschränkung de« Raumes in allen Tlieilcn.
das enge Beisammensein der Bewohner wird zur Grundlage
vieler Schädlichkeiten des Seeverkehrs. Eine regelmässige Ven¬
tilation, Reinigung und Desinfektion ist erschwert, dabei besteht
die Schwierigkeit in der Beschaffung frischer Nahrungsmittel
und von Trinkwasser; Hitze und Kälte kommen dazu, um die
idealistische Ueberschntzung der Vortheile der Seereise zu ver¬
hindern.
Schiffbau und Seeverkehr haben, das muss freudig festgestellt
werden, jetzt die grössten Fortschritte gemacht. Das Segelschiff
ist für den Personenverkehr verdrängt, eine ungemein gesteigerte
Schnelligkeit der Schiffe ist erreicht, die Innenräume sind ge¬
sundheitlich besser gestaltet. Besonders wichtig gerade in ge¬
sundheitlicher Rücksicht ist die Steigerung der Schnelligkeit,
der Richtungssicherheit. Vor Allem ist dadurch auch eine weit
grössere Aufnahme frischer Lebensmittel ermöglicht, nament¬
lich eben für die Dampfer. Das häufigere Aus- und Umladeu
des Schiffe führt zur Befreiung de« Schiffes von infektiösem
Material, das öftere Anlaufen der Häfen führt zu häufigerer
hygienischer Untersuchung. Fortschritte haben auch die Hafen-
und Schiffsbehörden in hygienischer Hinsicht gemacht. Die
Verbesserung der Räume des Schiffes vermindert die Gefahren,
welche wie am Lande durch Massenanhäufung von Menschen
erwachsen. Einzelne Krankheiten sind heute schon sehr selten
an Bord geworden, z. B. Skorbut, Typhus, Ruhr. Andere sind
geblieben und mahnen zur Vervollkommnung. Einige technische
Fortschritte haben gesundheitlich auch ihre Schattenseiten;
z. B. begünstigt die Beschleunigung des Seeverkehrs die Ein¬
schleppung von Krankheiten, die früher bei uns selten waren.
Die Fahrzeit ist kürzer geworden als die Inkubationszeit mancher
Krankheiten. So können bei scheinbar gesund Eingeschiffteu
spiiter dennoch Krankheiten an Land ausbrechen.
Die Bewohner des Schiffes sind von den eingeführten Ver¬
besserungen sehr ungleich berührt. Alle Vortheile kommen
mehr den Passagieren als der Mannschaft zu gute. Die Fahrt
I. Klasse im Schiff ist in jeder Richtung besser und sicherer ge¬
worden, als jene auf dem Lande. Auch für die Mitteldeeks-
passagicrc* ist besser gesorgt. Am wenigsten günstig liegen die
Verhältnisse für die Matrosen, Feuerleute und sonstigen Arbeiter.
Diese Mängel traten am meisten hervor durch die Betrachtung
der bei diesen Leuten vorkommenden Krankheiten. Von letzteren
kommen 2 Gruppen in Betracht: 1. Krankheiten, deren Keime an
leblosen Gegenständen oder in infizirten Menschen eingeschleppt
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22. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1717
werden oder während der Fahrt ausbrechen; 2. Krankheiten,
welche durch den Schiffsverkehr speziell bedingt sind und ge¬
fördert werden durch die eigenartige Beschäftigung und das
Leben der Mannschaft. Zu letzteren gehören katarrhalische und
rheumatische Erkrankungen, Seekrankheit, Skorbut. Das fast
völlige Verschwinden des letzteren ist ein Beweis für die Wirk¬
samkeit hygienischer Maassnahmen. Die Tuberkulose spielt auf
See der stabilen Mannschaft gegenüber eine noch grössere Rolle,
als auf dem Lande. Die Kriegsmarine ist hierin der Handels¬
marine gleich. Bei den Hamburger und Bremer Seeleuten sind
38 Proc. der Todesfälle durch Tuberkulose verursacht. Die
Tuberkulose fordert zur See mehr Opfer als auf dem Lande unter
sonst gleichen Verhältnissen. Hier tritt der Einfluss des nahen
Zusammenlebens mit Tuberkulösen klar zu Tage. Die un¬
genügende Versorgung des Sputums, schlechte Unterkunftsräume
für die Mannschaft, schlechte Fussböden, Mangel an Bade-,
Douehe- und Waschgelegenheiten kommen da in Frage. Gesunde,
kräftige Männer sieht man im Seeklima an Tuberkulose er¬
kranken und sterben. Der jüngste Tuberkulosekongress in
London hatte kein Wort über die Tuberkulose der Seeleute. Es
bedarf aber der offenen Beleuchtung dieser Verhältnisse. Für
eine Sani rang derselben ist es nöthig, den Gesundheitszustand
der anzuwerbenden Mannschaft zu berücksichtigen, sowie jenen
der Reisenden. Sehwerkranke sollen möglichst ausgeschlossen
werden. Redner ist der Ansicht, dass Reisen zu Heilzwecken
überhaupt nicht oder nur unter besonderen Vorsichtsmaassregeln
gestattet werden solle. Manches kann auch Belehrung an Bord
und auf dem Lande nützen.
Zu den Berufskrankheiten der Seeleute gehört auch der
llitzsehlag, verursacht durch den langen Aufenthalt bei dem
Feuer der Maschinen. Die Feuerleute arbeiten bei 30—40°, nach
der Arbeit kommen sic wieder in schlechte Räume. Auch hier
ist die Erkrankungs- und Sterblichkeitsziffer gesteigert, be¬
sonders hinsichtlich der Herz- und Nierenkrankheiten, sowie
der Arteriosklerose. 16 Proc. aller an Bord sich ereignenden
Todesfälle w’erden von den Hamburger Hafonärzten dem Hitz-
sehlag und seinen Folgen zugeschrieben. Manches würde sich
auch auf der Handelsmarine verbessern lassen durch Vermehrung
des Personals, Besserung der Schlaf räume, bessere Ventilation
der Heizräume. Von einseitigen ärztlichen Forderungen muss
man abstehen, aber gewisso gerechte Ansprüche, mit weiser Be¬
schränkung geltend gemacht, werden sieh erfüllen lassen. An
dem guten Willen unserer Behörden und Rhedereien ist gewiss
nicht zu zweifeln.
Von den Krankheiten, die vom Lande auf das Schiff ver¬
schleppt werden, ist zunächst das gelbe Fieber zu nennen, dem
fast 14 aller Todesfälle von Seeleuten an Bord zuzuschreiben ist.
Die Sterblichkeit an Land eingerechnet ergibt sich eine Mor¬
talität von 42 Proc. Die grossen Häfen der brasilianischen
Küsten sind für das gelbe Fieber von grösster Bedeutung. Die
Krankheit folgt fast ausschliesslich den Wegen des Schiffsver¬
kehrs, Schiffe und seine Bewohner sind die Vormittler. Ob
Stechfliegen hiebei eine Rolle spielen, sei dahingestellt. Das
Contagium haftet lange an leblosen Gegenständen, an der Ladung,
die sich oft nur schwer desinfiziren lässt. Italien, Spanien und
andere Küsten des Mittelmeeres, auch England, haben den
schlimmen Gast schon beherbergt, Invasion nach Deutschland ist
nicht ausgeschlossen. Vorläufig besteht eine noch zu geringe
Aufmerksamkeit gegenüber dieser Gefahr. Ist das gelbe Fieber
im Hafen festgestellt, so muss die Mannschaft vom Lande zurück-
gehalten werden, wie dies in musterhafter Weise die Hamburg-
Südamerika-Linie praktisch durchführt, die in derartigen Fällen
ihre Mannschaft auf einer Insel unterbringt und das Ausladen
durch Eingeborene besorgen lässt. Manchmal genügt es, etwas
vom Lande entfernt zu ankern, z. B. in Veracruz hat sich das
bewiesen. Der Nutzen der Quarantäne kann nicht bestritten
werden. Die Inkubation scheint 2—6 Tage zu betragen.
Eine andere Krankheit ist das Dengue-Fieber, dessen Kon-
tagium leicht direkt übertragbar ist. Dieser Seuche gegenüber
ist um so grössere Vorsicht geboten, als die Erkrankungen der
Schiffsleute oft massenhaft erfolgen.
Beri-Beri ist eine an den Küsten und grossen Flussmünd¬
ungen verbreitete fernere Krankheit. Sie kann auf Schiffen
endemisch auf treten. Zahlreiche Berichte melden ihren Aus¬
bruch auf hoher See. Es werden nicht nur Farbige befallen,
auch ist die Krnnkheit nicht ausschliesslich an das tropische
Klima gebunden.
Hinsichtlich des Typhus und der Cholera ist die unglück¬
selige Grundwassertheorie nun beseitigt. Da wir die Keime und
ihre Bedingungen kennen, so ist die Bekämpfung dieser Seuche
nun erleichtert. Hinsichtlich der Bedeutung des Kielwassers
sind wir nun zu einer klaren Auffassung gelangt. Die Vcr-
unreingung desselben ist wichtig. Von Bedeutung ist auch die
Beschaffenheit des Wassers, welches zu Ballastzwecken eingeführt
wird. Choleravibrionen konnten im Inhalte der Tanks auf¬
gefunden werden. Hinsichlich des Typhus sind die Verhältnisse
so gebessert, dass er kaum mehr für uns in Betracht kommt,
doch ist unausgesetzte, Vorsicht nöthig. Frankreich hatte auf
den Schiffen jüngst noch 14 Proc. Typhusmortalität. Die Cholera
hat hinsichtlich ihrer Bekämpfung günstige Aassichten. Die
kleineren Dampfer und Segler können ihre Einschleppung be¬
fördern. Die Pestgefahr ist seit Kenntniss ihres Erregers weit
geringer geworden. Viel trägt dazu bei die musterhafte Organi¬
sation der Gesundheitsbehörden der Hafenstädte. Wie es hin¬
sichtlich der Pest gelingt, den einzelnen Fall unschädlich zu
machen, hat der Hamburger Fall im vorigen Jahre gezeigt.
Auf Variola, Malaria, parasitäre Krankheiten kann Redner
nicht eingehen. Sehr wichtig ist noch die Hygiene der Hafen¬
städte und der Häfen selbst. Die Hafenstädte sind dauernd
stärker bedroht als das Binnenland. Die Seestädte denken nicht
nur an das lokale Interesse, sondern an das allgemeine, wenn sie
das Unheil fern zu halten suchen. Wichtig ist es auch, die fremd¬
ländischen Häfen gesundheitlich zu überwachen.
Die ärztlichen Disciplinen des Binnenlandes reichen zur
Lösung all’ dieser Aufgaben nicht aus. Die Kliniken und die
Hygiene müssen sich hier spezialisiren. Eigene Schulung in be¬
sonderen Instituten, deren Sitz die Hafenstädte sein müssen,
ist nöthig. Länder, die Kolonien besitzen, können diese An¬
stalten auch dort errichten. Praxis und Wissenschaft müssen
sich hier vereinigen. Die Zahl der bisher errichteten Institute
dieser Art ist noch gering, die Einrichtung derselben entspricht
nicht immer den Erfordernissen des Unterrichtes. Am besten
ist z. Z. das Institut in Hamburg für Schiffs- und Tropenpatho¬
logie, während andere Anstalten, wie jene der Franzosen in Algier,
der Holländer in Batavia, der Engländer in London, noch die
Probe bestehen müssen. Hamburg hat sich auch in dieser Hin¬
sicht an die Spitze gestellt. Möge das neue Hamburger Institut
grossen und reichen Segen stiften durch die innige Verknüpfung
der Errungenschaften der Medicin mit dem Seeverkehr 1
Nachdem Voller- Hamburg dem Redner für seinen inter¬
essanten und gerade auch Hamburg hoch ehrenden Vortrag, der
grössten Beifall fand, den Dank der Versammlung aasgedrückt
hatte, ergriff Nernst- Güttingen das Wort zu seinem Vortrag:
Ueber die Bedeutung elektrischer Methoden und Theorien für
die Chemie.
In der naturwissenschaftlichen Erkenntniss wie auch in
den technischen Anwendungen der Naturkräfte standen im ver¬
gangenen Jahrhundert die elektrischen Erscheinungen mit an
erster Stelle. Insbesondere gilt dies für die Chemie und die
chemische Technologie. Von der Idcntifizirung der Volta’sehen
Spannungsreihe der Me.tallo mit ihrer chemischen Verwandt¬
schaft zum Sauerstoff durch Ritter bis zur modernen Auf¬
fassung der lonenreaktionen lässt sich der befruchtende Einfluss
der Elektrizitätslehre auf die chemische Forschung verfolgen und
ebenso haben in neuerer Zeit thcils ältere rein chemische Me¬
thoden der elektrochemischen Technik weichen müssen, theils
sind früher fast unzugängliche Substanzen durch den elektri¬
schen Strom darstellbar geworden.
Durch diese einleitenden Bemerkungen möchte ich den Ver¬
such rechtfertigen, an dieser Stelle den Einfluss der Elektrizitäts-
lehrc auf die chemische Forschung in ihren wichtigsten Zügen zu
charakterisiren, um daran einige Ausblicke allgemeinerer Art
zu knüpfen.
Unter dem Einfluss der Arbeiten über elektrische Schwing¬
ungen ist in neuerer Zeit die Meinung verbreitet worden, die
sogen. Fluidumstheorie der Elektrizität, die in ihr ein körper¬
liches Agens erblickt, sei beseitigt und es ist sogar die unmoti-
virte Behauptung auf gestellt worden, die Elektrizität sei ein
Schwingungszastand. Die Frage nach dem Wesen der Elektri¬
zität blieb aber trotzdem dieselbe wie vorher. Es scheint als ob
über das Wesen der Elektrizität uns Forschungen am meisten
Auskunft zu geben versprechen, die mit den von der Chemie
benutzten Methoden die grösste Aehnlichkeit besitzen.
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1718 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43.
I)io Elektrochemie beschäftigt sieh mit (lein Werden und
Vergehen geladener Moleküle, der Ionen, die als eine für sich
existirende Molekülart anzusehen sind und deren Untersuchung
man daher mit den gleichen Methoden in Angriff nehmen kann,
wie bei den gewöhnlichen Molekülen.
Wenn wir ein in Wasser gelöstes Salz untersuchen, das, wie
wir wissen, zum grossen Theil in seine Ionen gespulten ist, so
können wir durch Anwendung der van t’II off-Avogadri-
sehen Regel das Molekulargewicht bestimmen und dadurch, wie
Arrhenius gezeigt hat, über die Menge und Art der Ionen,
in welche das Salz zerfallen ist, Auskunft erhalten, besonders
wenn wir damit das ITeranziehen chemischer Analogien ver¬
binden. Es treten aber noch besondere Methoden hinzu, die
darauf beruhen, dass die Ionen eben elektrisch geladene Mole¬
küle sind, und dies sind eben die elektrischen Methoden der
Chemie. Als solche sind in erster Linie zu nennen die. Messung
der elektromotorischen Wirksamkeit von Lösungen, (!rossen, die
wesentlich von den Ionen abhängen und daher umgekehrt, zur
rntersuchung der Ionen dienen können.
So gibt uns die Messung der elektrischen Leitfähigkeit,
einer Säure einen sicheren Aufschluss über die Stärke derselben
und somit über eine wichtige Seite ihres chemischen Verhaltens.
Die elektromotorische Kraft zeigt uns in wie grosser Menge, ein
spezielles Ion, z. B. das des Silbers, in der Lösung enthalten ist
und zwar noch bei Konzentrationen, die so klein sind, dass auf
keinem anderen Wege ein Nachweis des betr. Ions möglich wäre.
Vor Allem aber gehört hierher die Erscheinung, dass der gal¬
vanische Strom die Ionen in elektrisch neutraler Form an den
Elektroden abzuscheiden vermag, d. h. die Fähigkeit des Stromes
chemische Verbindungen zu elektrolysiren. Die Elektrolyse ist.
also im Prineip nichts anderes, als der Uebergang elektrisch ge¬
ladener Moleküle in die Ionen, der durch die Abgabe der elektri¬
schen Ladung an die Elektroden erfolgt.
Der elektrische Strom gibt so dem Chemiker ein Mittel an
die Hand, Elemente in freiem Zustand darzustellen, die auf
anderem Wege nur iiusserst schwierig oder gar nicht isolirt
werden können. Beim Beginn des vorigen Jahrhunderts schied
bekanntlich D a v y die Alkalimetalle aus ihren geschmolzenen
Hydroxyden durch den Strom ab; aus wässeriger Lösung wäre
dies nicht möglich gewesen, weil Wasser die abgeschiedenen Me¬
talle sofort angreifen würde. Es war also zur Darstellung dieser
Metalle ein wasserfreier Elektrolyt nothwendig. Vor 15 Jahren
gelang esMoissau das Fluor, dessen Reindarstellung bis dahin
ein ungelöstes Problem war, ebenfalls auf elektrolytischem Wege
frei zu machen und zwar bediente er sich dabei im Prineip des
gleichen Kunstgriffes wie I) a v y; er benutzte einen wasserfreien
Elektrolyten, nämlich durch Fluorkalium leitend gemachte Fluss-
siiure.
Während bei der Elektrolyse der galvanische Strom Ver¬
wandtschaften löst, wird bei dem umgekehrten Phänomen der
Stromerzeugung in einem galvanischen Element chemische
Energie in elektrische umgesetzt. Auch der Mechanismus dieser
Vorgänge ist mit Hilfe der lonentheorie und der Theorie des
osmotischen Druckes in neuerer Zeit klargestellt worden. Wenn
sich z. B. Zink in einem galvanischen Element auflöst, so ist
das ein Vorgang, der von der Auflösung irgend einer anderen
Substanz nicht wesentlich verschieden ist; das Eigen thümliche
besteht nur darin, dass hier wie bei Metallen überhaupt, elektrisch
geladene Moleküle, also Ionen, in Lösung gehen.
Daraus, dass durch Elektrolyse die Spaltung der festesten
chemischen Verbindungen gelingt, sieht man, dass bei chemischen
Vorgängen elektrische Kräfte eine grosse Rolle spielen und es
tritt so die Frage an uns heran, ob nicht etwa die chemischen
Kräfte überhaupt elektrischer Natur sind.
Die Beschäftigung mit der anorganischen Chemie zeigte,
dass in der Zusammensetzung zahlreicher chemischer Verbind¬
ungen ein deutlicher Dualismus zum Vorschein kommt; man
konnte die Elemente und Radikale in zwei Kategorien theilen,
die positiven und die negativen und fand, dass die positivem wie
die negativen Radikale je unter einander schwierig reagiren,
während ein positives und ein negatives! Radikal sich leicht zu
einer chemischen Verbindung vereinigen. Diese von Borze-
1 i u s an einer elektrochemischen Theorie entwickelte dualistische
Anschauungsweise versagte, als die organische Chemie zahllose
Verbindungen entdeckte, die nicht in den Rahmen der Theorie
passten und so entstand die unitaristische Theorie der Konsti¬
tution organischer Verbindungen, d. h. eine Valenztheorie, die
sich um jenen Dualismus nicht kümmert.
Beide Anschauungsweisen sind einseitig; wir müssen an¬
nehmen, dass bei der Bildung chemischer Verbindungen sowohl
einheitlich wirkende Kräfte, als auch solche polarer Natur thätig
sind, wofür die elektrischen Kräfte das deutlichste Beispiel sind.
Der von Berzelius erkannte Dualismus lässt, sich vom
Standpunkt, der lonentheorie in folgender Weise deuten. Die¬
jenigen Elemente oder Radikale, welche aus chemischen Verbin¬
dungen als positive Ionen abgespalten werden, bilden die eine
Kategorie, diejenigen, die als negative Ionen auftreten,
bilden die andere Kategorie. Diese elektrische Spaltung
äussert sich in der elektrolytischen Leitfähigkeit und der
damit verbundenen Fähigkeit, unter Einwirkung eines
hinreichend starken elektrischen Zuges sich in freie
Radikale spalten zu lassen, gleichzeitig auch, worauf
II i t to r f zuerst hinwics, in dem leichten chemischen Umtausch
eines positiven Ions gegen ein anderes positives und eines nega¬
tiven Ions gegen ein anderes negatives, mit anderen Worten in
der glatten gegenseitigen Umsetzung von Salzen. Ilittorf
drückte das sehr prägnant durch den Satz aus: Elektrolyte sind
Salze.
Während Berzelius nnnahm, dass der Grad der Posi-
tivität oiler Negativität eines Elementes oder Radikals durch die
Stärke der elektrischen Ladung bestimmt sei, weiss mau seit
Faraday, dass die elektrische J.adung ganz unabhängig von
der Natur eines Elementes oder Radikals ist; verschieden ist
aber die Festigkeit, mit der die Haltung gebunden ist.
Der experimentelle Ausdruck der Tluitsache, dass die ver¬
schiedensten eimverthigen positiven oder negativen Radikale die
gleiche elektrische Ladung gebunden halten, ist das Faraday’sehe
elektrolytische Grundgesetz, wonach die gleiche Strommenge aus
den verschiedensten Elektrolyten immer chemisch aequivalente
Mengen in Freiheit setzt.
Zweiwerthige Elemente oder Radikale binden genau doppelt
so viel, dreiwerthige dreimal so viel u. s. w. Elektrizität wie die
eimverthigen.
Diese; höchst merkwürdigen Thatsachen lassen sich einfach
und anschaulich deuten, wenn man, wie II el m hol tz in seiner
Faradnyrede (1881) angedeutet hat, die Ionen als ehernisclie Ver¬
bindungen von gewöhnlicher Materie mit Elektrizität auffasst;
da, wie die Giltigkeit des Faraday’schen elektrolytischen Grund¬
gesetzes zeigt, für die Verbindungen zwischen Elektrizität und
Materie das Gesetz der konstanten und multiplen Proportionen
gilt, so liegt es nahe, wenn man in weiterer Ausdehnung der
durch alle bisherigen Erfahrungen berechtigten Anschauung
einer substanziellen Natur der Elektrizität letzterer eine ato¬
mist ische Struktur zusehreibt, wie ebenfalls schon Helm¬
hol t z angedeutet, hat. Man kann sich am einfachsten die
Sache so deuten, dass es ausser den bisherigen chemischen Ele¬
menten noch zwei neue gibt, nämlich die positiven und die nega¬
tiven Elektronen, wie man in neuerer Zeit jene elektrischen
Elementaratome bezeichnet. Diese beiden Elemente sind aber
insofern von den bisherigen völlig verschieden, als sie ein äusserst
kleines Atomgewicht besitzen (nach Untersuchungen über Ka¬
thodenstrahlen und verwandte Erscheinungen ergibt sich für die
negativen Elektronen das Atomgewicht 2000 des Wasserstoffs,
und für die positiven Elektronen dürfte ein gleicher Werth der
wahrscheinlichste sein). Die besondere Eigenthümlichkeit dieser
chemischen Elemente besteht lediglich in den Kraftäusserungen,
die sie unter einander ausüben und die als die elektrischen Kräfte
von der Physik seit Langem gekannt und untersucht werden.
Die Ionen selber sind im Sinne dieser Anschauung als ge¬
sättigte Verbindungen aufzufassen, indem man sie aus den
Prineipien der Valenztheorie ableiten kann.
Es liegt die Frage nahe, ob man nicht eine Verbindung aus
einem positiven und negativen Elektron hersteilen kann. Wir
hätten so ein elektrisch neutral<*s, so gut wie inasseloses Molekül;
es erscheint möglich, dass im Verhalten des Lichtäthers, jenes
bis heute noch völlig hypothetischen Agens, diese Molekülgattung
eine Rolle spielt.
Auf Grund dieser Anschauung können wir uns ein klares
Bild von dem Yerhültniss zwischen unitaristischer und dua¬
listischer Anschauungsweise machen. Die verschiedenen Ele¬
mente oder Radikale besitzen zu den positiven und negativen
Elektronen verschiedene Affinität; jo nachdem sie Affinität zum
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22. Oktober 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1719
positiven oder negativen Elektron haben, gehören sie zur Gruppe
der positiven oder negativen Elemente. Ausserdem besitzen die
Elemente untereinander chemische Affinität, die nicht polaren
Charakters ist. Beispiele dafür sind die Verbindung aus zwei
Wasserstoffatomen zu einem Wasserstoffmolekül, Verbindungen
von Nichtmetallen mit einander, wie Chlorjod, Schwefelphosphor
u. s. w. und endlich der Kohlenstoff, der mit positiven und nega¬
tiven Elementen Verbindungen liefert; da auch hier die Elek¬
tronen aus dem Spiel bleiben, wird die Möglichkeit einer rein
Militaristischen Auffassungsweise bei den Kohlenstoff Verbind¬
ungen verständlich.
Der an neuen Anschauungen und weiten Ausblicken in die
Zukunft so reiche Vortrag riss die Zuhörer zu lebhaftem Bei¬
falle hin.
Als 3. Redner sprach nun J. B. e i n k e - Kiel: Ueber die
in den Organismen wirksamen Kräfte.
Der Vortragende ging aus vom Begriffe der Kraft im All¬
gemeinen. Der sprachliche Ursprung von Kraft führt auf die
Muskelkraft zurück; er wurde dann auf andere Naturerschein¬
ungen übertragen, man spricht von Wasserkraft, Dampfkraft,
Schwerkraft; von Geisteskraft, Willenskraft, Einbildungskraft.
Wo immer eine Naturerscheinung durch eino andere beeinflusst
wird, erblicken wir darin die Thätigkcit einer Kraft. Kraft ist
in der Natur das Wirkende, das Wirksame, die Fähigkeit, etwas
zu bewirken.
Der Begriff der Kraft ist viel allgemeiner als der Begriff
der Energie, der Kraftbegriff sehliesst. den Energiebegriff ein.
Denn Energie, mag sie als Bewegung oder als Spannung auf-
treten, ist die Fähigkeit, mechanische Arbeit zu leisten; Energie
ist Arbeitsvermögen, Kraft ist Wirkungsvermögen.
Dass diese Unterscheidung von Kraft und Energie gerecht¬
fertigt ist, geht aus dem Umstande hervor, dass es schon in der
unorganischen Natur Kräfte gibt, die ausser Stande sind, me¬
chanische Arbeit zu leisten, und die auch dem Erhaltungsgesetze
nicht unterliegen, sondern die verschwinden, ohne sich in ein
Aequivalent umzusetzen, und die wirken, ohne sich dabei aufzu¬
zehren. Die reflektirende Kraft eines Spiegels, die brechende Kraft
eines Diamanten, die doppelbrechende Kraft eines Kalkspaths
werden als Beispiele nichtenergetischer Kräfte an¬
geführt. Löst man den Kalkspath in Salzsäure auf, so ist seine
doppelbrechende Kraft äquivalentlos vernichtet, während der
Diamant Jahrtausende lang das Licht bricht, ohne dass seine
Kraft abnimmt oder einer Erneuerung bedarf.
Die nichtenergetischen Kräfte sind bedingt durch die Con-
figuration der materiellen Systeme, in denen sie zur Geltung
kommen. In den Maschinen zeigt sich ein Zusammen¬
wirken der nichtenergetischen Kräfte mit der Energie, die in
die Maschine zu deren Betrieb eingeführt wird. Jene nicht¬
energetischen, von der spezifischen Struktur der Maschine ab¬
hängigen, die zugeführte Energie zu ganz bestimmten Leistungen
veranlassenden Kräfte hat Vortragender in früheren Arbeiten
Dominanten genannt. So kann die Energie in verschiedenen
Apparaten die gleiche sein, und das eine Mal setzt sie ein Wägel¬
chen in Bewegung, das andere Mal dreht sie die Zeiger einer
Uhr mit bestimmter Geschwindigkeit, das dritte Mal lässt «ie
ein Musikstück ertönen. Der verschiedenartige Erfolg wird
dadurch herbeigeführt, dass die gleiche Energie mit verschiedenen
Dominanten in Wechselbeziehungen tritt.
Auf die Organismen übergehend, geht Vortragender davon
aus, dass die gleichen Kräfte im unvollkommensten wie im voll¬
kommensten Organismus, in der einfachen Zelle wie im Menschen
in Thätigkeit stehen. Diese Kräfte sind tlieils Energien, die
in letzter Instanz immer wieder auf chemische Energie und auf
die Energie der Sonnenstrahlen zurückweisen, theils Dominanten.
Die letzteren müssen wir anerkennen, sobald wir den Organismen
Maschinenstruktur beilegen, und diese Maschinenstruktur hält
Vortragender mit Cartesius für eine der wichtigsten Eigen¬
schaften der Organismen und hat sie seit vielen Jahren auch
bereits für das Protoplasma postulirt.
Man kann die Dominanten der Organismen eintheilen in
Arbeitsdominanten und Gestaltungsdominanten, obgleich beide
Gruppen nicht scharf von einander geschieden sind. Aber in
den Organismen, wenigstens den höheren, haben wir auch mit
psychischen Kräften zu rechnen, die theils bewusste, theils
unbewusste sind. Das Bewusstsein sehliesst Vortragender von
seiner Betrachtung aus, weil es physiologisch ganz unerklärt da¬
steht; von den unbewusst psychischen Kräften dagegen, den In¬
stinkten und Trieben, sucht Vortragender zu zeigen, dass sie
schon wegen der masch inen massigen Sicherheit
ihres Wirkens den Dominanten sich nähern, ja, dass sie
ihnen zugerechnet werden dürften. So ist es z. B. biologisch
nebensächlich, ob der Dachs seinen Wintervorrath als Fett unter
der llaut ansetzt oder ob der Hamster ihn in Gestalt von Körnern
in seinen Bau zusammenträgt. Das eine Mal veranlassen Domi¬
nanten die Anhäufung von Roscrvematerial aus assimilirter
Nahrung in den Fettzellen, das andere Mal zwingt der Instinkt
das Thier, sich die für die Winterszeit erforderliche Nahrung
ausserhalb seines Körpers zu sammeln. In beiden Fällen handelt
cs sich um einen disponiblen Vorrath von jiotentieller Energie,
ohne die die Maschine des Thierkörpers nicht würde in Betrieb
erhalten werden können. Und beide 'filiere, der Dachs wie der
Hamster, haben ihre auf die Zukunft bezügliche Handlungs¬
weise nicht gelernt, sondern von ihren Vorfahren ererbt.
Was sich vererbt, ist die spezifische Struktur ein« 1 « Organis¬
mus, von der wiederum spezifische Dominanten abhängen. Wenn
wir nun sehen, dass sich Instinkte und psychische Eigenschaften
mit der gleichen maschinenmiissigen Sicherheit vererben wie
morphologische Merkmale, so werden wir wiederum geneigt sein,
die Instinkte und Triebe auf die Wirksamkeit einer spezifischen
Oonfiguration und auf deren Dominanten zurückzuführen.
Die Erblichkeit chemisch oder sonst irgendwie, energetisch
erklären zu wollen, hält Vortragender für ein vergebliches Be¬
mühen. Ebenso wenig befriedigend erscheint Darwin’s
Hypothese der Pangenesis, auch in ihren neueren Umgestal¬
tungen. Nur eine, dynamische Theorie der Erblichkeit
scheint dem Vortragenden aussichtsvoll zu sein. Es sind Kräfte,
und zwar Dominanten, die in der Vererbung übertragen werden.
Es gibt ein lebloses Instrument, dessen Verhalten eine gewisse,
auch immer noch recht entfernte Analogie zum Vererbungs-
process darbietet, es ist der Phonograph. Wie ein Gedicht, eine
Rede in den Phonographen hineingesprochen, auf der Platte
desselben sich gewissermaasson als latente. Anlage kondensirt,
um sich später unter der Mitwirkung elektrischer Energie von
Neuem zu entfalten, so halten die Eigenschaften des Thier- und
Pflanzenkörpers in die Keimzelle ihren Einzug, um hier latent
zu werden und sich später im Verlaufe des embryologischen Pro-
cesses zu entwickeln und die Eigenschaften der Eltern zu re-
produziren. Damit hat sich wenigstens in dynamischer Hinsicht
auch die Vererbung einem Vorgänge auf dem Gebiete der Ma¬
schinen vergleichen lassen. Alle Erklärung ist aber Beschreibung,
und alle Beschreibung wird nur durch Vergleiche möglich.
Vortragender bezeichnet seine Auffassung des Lebens im
Gegensatz zur vitalistischen und zur materialisti¬
schen als eine mechanistische, die das Wesen der Or¬
ganisation und des Lebens auf die Oonfiguration des Organismus
und auf die von dieser abhängigen Kräfte zurückführt.
Chemie und Energetik sind für die Erklärung der Lcbens-
erecheinungen nicht ausreichend; wie in der Maschinenkunde
tritt eine besondere Struktur hinzu, aus der nichtenergetischc,
die energetischen Processe beherrschende Kräfte, die Domi¬
nanten, hervorgehen. Sie sind nothwendig zur Erhaltung und
Fortpflanzung des Lebens.
Nach dem Danke V o 11 e Es an den Redner erhob sich der
Vorsitzende der diesjährigen Versammlung, Hertwig-
München, zu der Schlussansprache, in der er ausführte, dass aller
Grund bestände, mit den in den Abtheilungs- und kombinirteu
Sitzungen, sowie in den allgemeinen Tagungen erreichten Re¬
sultaten ernster Arbeit zufrieden zu sein. Nochmals betonte er
die Nothwendigkeit eines festen Zusammenschlusses und der
organischen Weiterbildung der Gesellschaft deutscher Natur¬
forscher und Aerzte. Das heuer erzielte Resultat ist den Vor¬
tragenden in erster Linie zu danken, dann vor Allein den lokalen
Ausschüssen, in deren Händen die schwierige Aufgabe lag, die
Organisation einer Versammlung mit fast 4700 Theilnehmem
(einschliesslich der etwa 1200 Damen) durchzuführen, eine Auf¬
gabe, der sie sich mit ausgezeichneter Hingabe, Gewissenhaftig¬
keit und Liebenswürdigkeit unterzogen. Den Hamburger Herren
gebührt der wärmste Dank, besondere noch den Herren Voller
und R e i n k e. Sonnige Tage liegen hinter uns mit herrlichen
Festlichkeiten. Beinahe zu viel herzlicher Gastfreundschaft
wurde geboten. Dank gebührt Hamburgs Senat und Bürger-
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1720
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
schaft, seiner ganzen Bevölkerung. Zu ihrer Ehrung erhob sich
die Versammlung von den Sitzen.
In seinem Schlusswort nannte es Voller - Hamburg eine
fast wehmüthige Pflicht, die Tagung zu schliessen. Der warme
und herzliche Dank an Hamburg werde Allen eine unauslösch¬
liche Erinnerung sein. Ohne die gewaltige Mitarbeit der grossen
Gemeinde denkender Männer aus unserem deutschen Volke wäre
eine solche Versammlung nicht denkbar. Wenn der grosse Ge¬
danke der Zusammenfassung heuer in Hamburg gestärkt worden
sei, so fühlten die Hamburger darin ihren vollen Lohn. Mit dem
Wunsche, dass die nächstjährige Versammlung in Karlsbad
ebenso günstig verlaufen möge, schloss Voller um 1 Uhr
Mittag die 73. Naturforscherversammlung.
Der Nachmittag brachte noch einen grossen Theil der Fest¬
gäste nach der an interessanten Bildern reichen Hafenrundfahrt
elbabwärts nach dem schönen Blankenese, von wo man bei
sinkender Nacht, vorüber an den beleuchteten Elbufern, nach der
Stadt zurückkehrte, um hier beim Absehiedsfeste im Hamburger
Konzcrthuu.se noch einen letzten Becher zu leeren auf die alte,
ewig junge deutsche Ilansastadt. „Was sollen wir sagen vom
heutigen Tag? Er ist nun einmal von besonderem Schlag!“
Nie konnte Goethe’s Lied besser nachempfunden worden sein,
als von jedem der Hamburger Festgiiste.
Der 28. September war den Ausflügen nach Helgoland und
nach Kiel, sowie nach der Holstein’schen Schweiz gewidmet und
brachte auch dieser herrliche Herbsttag allen Theilnehmern noch
unvergessliche (Jeniisse.
Der Epilog der Hamburger Tagung mag kurz sein: die
Arbeit war ernst, die Feste waren froh, die Sonne golden. So
werden die in Hamburg verlebten Tage Allen ein geweihtes Blatt
der Erinnerung bilden!
Abtheilung für innere Medicin.
Referent: A 1 b u - Berlin.
IV. Sitzung.
1. Herr K r o n e c k e r - Bern: Innervation des Säuge¬
thierherzens.
Nach eingehend historisch-kritischer Uebersicht der Streit¬
frage des neurogenen oder myogenen Ursprungs der Ilerzthätig-
keit, in der Vortr. insbesondere auf Widersprüche Engel-
man n’s in seinen wiederholten Publikationen hinweist, fasst er
seine Ausführungen in folgende Sätze zusammen:
Die Verfechter des myogenen Herzschlages haben folgende
Eigenschaften des Herzmuskels zu berücksichtigen:
1. Er kontrahirt sich nur maximal (Bowditch, Kron¬
eoker und S t i r 1 i n g). 2. Er ist nur durch chemische Reize
reizbar, in Abwesenheit derselben nicht durch elektrische
(K roncck e r mit J. B r i n c k , Bet schasnof f). 3. Er
ist, während er sich zusammenzieht und, wenn abgekühlt, auch
längere Zeit nach dem Pulse nicht erregbar (K r o n eck e r und
S t i r 1 i n g , M a r ey, E ugcl in a n n). 4. Er kann nicht in
Tetanus versetzt werden (K ronecker und S t i r 1 i n g).
5. Er summirt latent Erregungen wie ein Reflexorganismus
(v. Basch, Kaiser). 6. Er ruht normaler Weise niemals
längere Zeit. 7. Er bewegt sich normaler Weise nur rhythmisch.
8. Er bewegt sich automatisch (L u c i a n i , Merunowicz,
II is, Krehl und R o m b e r g). 9. Der embryonale. Vorhof¬
muskel besitzt vorzugsweise Automatic, der Kammermuskel
wesentlich Irritabilität (Fano). 10. Er kontrahirt sich nach
Abtrennung von centralen Theilen periodisch (Lncian i).
11. Er leitet die Erregungen normaler Weist; nur in einer Rich¬
tung (E n g o I m a n n). 12. Er wird auch durch schwache Mus¬
carindosen gelähmt. 13. Er wird durch Erregung eines seiner
Nerven (Vagus) gehemmt (E. II. Weber). 14. Er empfindet
(Fano, II is und Rom borg). 15. Er geräth in fibrilläre
Zuckungen: durch Tetanisirung, durch einen Nadelstich, durch
sekundenlange Anaemie, durch Abkühlung auf 25“, durch Chloro¬
form und einige andere Gifte.
Zwei Thatsaehen, eine anatomische und eine physiologische
beweisen unwiderleglich, dass nicht Muskeln die Erregungen
von den Vorkammern des Herzens zu den Kammern leiten.
Xun sind aber keine normal besteh e n d e n Muskel-
brücken von den Vorkammern zu den Kammern nachgewiesen.
Ilenle gibt in seinem Ilandbuche ausführlich an, dass die
Muskulatur der Vorhöfe überall vollständig von derjenigen der
Kümmern getrennt ist.
Den physiologischen Nachweis hat Vortr. mit Schmay
(1881) erbracht: Ein Stich in das obere Drittel der Kammer-
seheidewand des Hundeherzens tödtete dasselbe sogleich. Das
Herz stirbt „flimmernd“ ab. Die Muskeln sind aber keineswegs
gelähmt, sondern in wilder Bewegung, doch unfähig Blut aus
dem Ventrikel zu treiben, weil sie abwechselnd ungeordnet
zucken. Es ist also nicht die Bewegung unmöglich, sondern die
Coordination der Muskelaktion. Spätere Experimente belehren
uns, dass akute Anaemie der Herzwandungen die Funktion des
Nervensystems im Herzen momentan lähmt.
In der Kammerscheidewand muss also ein nervöses Centrum
gelegen sein, dessen direkte oder reflektorische Erregung die
Coronararterien verengt.
Ohne Vermittelung von Nerven sind diese Ergebnisse uner¬
klärlich.
Fräulein Lernakina hat im Berner „Ilallerianum“ durch
Unterbindung von Nervengeflechten zwischen Aorta und Pulmo-
iialis die Schlagfolge von Vorhöfen und Kammern stören können,
liier waren also die Muskelverbindungen ungestört.
Die Pharmakologie und die Klinik bedürfen der Annahme
von Nerven, um die Wirkungen vieler Herzgifte zu erklären.
Die Psychologen werden im platonischen Sitze eines Seelen-
theiles die Nervenverbindungen mit den Centralorganen nicht
entbehren können.
Herr III s - Leipzig widerspricht den Behauptungen des Vor¬
tragenden In mehreren Punkten. So hat er, Ii I h, dem Herzen
keine Empfindung, sondern nur Irritabilität zugesprochen. Ferner
sei die Abwesenheit von Nerven im embryonalen Herzen sicher
erwiesen.
Herr I\ ronecker erwidert, dass seine Angaben filier Aus¬
sprüche der Herren II i s und Uo m lierg wörtlich aus deren
Werken citirt sind. Das embryonale Herz fungirt ganz anders als
das ausgewachsene. Auch überlebende Herzstücke verhalten
sich anders als lebende.
2. Herr Friedenthal -Berlin: Die Entfernung aller
extracardialen Herznerven bei Säugethieren.
Diese Operation und die dadurch bedingte dauernde Iso-
lirung des Herzens vom cerebrospinalen Nervensystem gelingt
beim Kaninchen und beim Hunde, wenn ein Nervus recurrens
und ein Theilehen der zur Lunge und zum Verdauungstraktus
führenden Nerven erhalten bleibt. Die Trennung der hemmenden
und der eben erwähnten lebenswichtigen Fasern im Wurzclgebict
des 9.—11. Hirnnerven ermöglicht die Operation. Durch Ver¬
wendung künstlicher Athmung bei der Operation wird der Tod
der Thiere durch doppelseitigen Pneumothorax bei Exstirpation
der sympathischen Ganglien vermieden. Die Ausfallserschein¬
ungen nach Entfernung aller extrakardialen llerznerven sind
auch Monate nach der Operation noch sehr gering, doch ver¬
lieren die Thiere die Fähigkeit zu erheblieher Arbeitsleistung.
Eine gewisse Anpassungsmöglichkeit besitzt auch das völlig
isolirte Herz in dem Umstand, dass wechselnder Blutdruck den
Herzschlag direkt beeinflusst. Die Thatsacbe, dass das Herz
durch Erregung der extrakardialen Herznerven zu sofortigem
dauernden Stillstand gebracht werden kann, sowie die mangelnde
Leistungsfähigkeit des Organismus nach Entfernung aller zu-
führeiidcn Nerven, weisen auf die Wichtigkeit des Nervensystems
des Herzens hin. welches noch in den mannigfachsten Richtungen
einer erweiterten Untersuchung unterzogen werden muss.
3. HHr. Hi 8 -Leipzig und P & u 1 - Tübingen: Die harn-
sauren Ablagerungen des Körpers und die Mittel zn ihrer
Lösung.
Paul bespricht die chemischen Grundlagen für das
Problem der Harnsäurelösung im Körper, indem er von der
Erörterung des Zustandekommens dor harnsauren Ablagerungen
ausgeht. Die physikalische Chemie verschafft neue Gesichts¬
punkte für die Erkennung der Lösungsbedingungen der Harn¬
säure und ihrer Salze. Sie zerfallen in Lösung durch elektro¬
lytische Dissoeiation in ein Wasserstoff-Ion und in das Ham-
säure-lon. Dieses allein tritt bei der Salzbildung in Reaktion
und für dieses, als das wesentlichste Moment, hat P. die Lösungs¬
und Ausfallsbedingungen ermittelt.
II i s bespricht die klinische Anwendung der neu ge¬
wonnenen Gesichtspunkte für die Therapie.
Sie zeigen, dass die Alkalisalze, sowie die Diamine: Lysidin,
Lycetol, Piperazin u. s. w. zur Lösung dieser Ablagerungen un¬
tauglich sind. Wohl aber erseheint diese erreichbar durch An¬
wendung von Substanzen, welche mit der Harnsäure leicht lös¬
liche chemische Verbindungen eingehen.
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22. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1721
Die irrthümlich beschriebenen Verbindungen mit Harnstoff
(Rüdel) und Glycocoll (Horsford) existiren nicht, wohl
aber diejenigen mit N ucleinsäuren resp. Thymussäure
(K o s s e 1 und Goto, Minkowski) und mit Formal¬
dehyd (Tolle ns, Pott und Webe r).
Die letzteren sind weit leichter löslich als die Harnsäure
und ihre Salze; sie passiren den Körper zum Theil unzersetzt
und erscheinen im Harn.
Zur Lösung gichtiger Tophen und Gelenkherde
ist weder Nucleinsäure resp. Thyminsäure noch der Formaldehyd
praktisch erprobt, noch erscheint die Probe aussichtsvoll. Neben
den bekannten diätetischen und physikalischen Maassnahmen
ist die Erhöhung des Blutzuflusses durch lokale Applikationen
am meisten empfehlenswerth.
Die Lösung von Harnkonkrementen ist (abgesehen
von den Mineralwässern, deren Wirkung noch unerklärt ist) weder
durch Alkalien, noch durch die Diamine zu erreichen. Sie ist
aber erreichbar durch Anwendung von Mitteln, welche im Harn
chemische Verbindungen mit der Harnsäure eingehen. Von
diesen ist das U rotropin bisher untersucht, es scheidet im
Harn Formaldehyd ab. Seine harnsäurelösende Wirkung ist un¬
zweifelhaft und von der Acidität des Harnes unabhängig, jetloch
für praktische Zwecke zu gering. Es ist wünschenswerth, dass
die Chemiker ihr Augenmerk auf andere wirksame Stoffe richten,
welche mit der Harnsäure chemische Verbindungen eingehen.
Herr S 11 b e r - Breslau empfiehlt die Wärmewirkung des
Fango zur Lösung der harnsaurcn Konkretionen.
4. Herr Francke - München: Die Algeoskopie.
Jede Entzündung verändert die Empfindlichkeit des befal¬
lenen Gebietes gegen Druck. Die Empfindlichkeit wird erhöht
und sie ändert sich der Art nach, kurz es tritt krankhafter
Druckschmerz ein. Die Untersuchung auf krankhaften
Druckschmerz nennt d ti Redner Algeoskopie (Schmerz-
schau). Vortragender sucht nachzuweisen, dass wir in dieser
Methode auch bei den Erkrankungen in der Brusthöhle ein wich¬
tiges diagnostisches Hilfsmittel haben, das mit Unrecht bisher
vernachlässigt wurde. An der Hand von Projektionsbildern
werden die anatomischen Verhältnisse des Brustkorbes erörtert,
insbesondere die Elastizität der Knorpel, der langen, schmalen
und dünnen spongiösen Rippen und des spongiösen Brustbeines.
Es wird die Länge der Knorpel, die Breite der Rippenzwischen¬
räume und der oberen Brustkorböffnung in Zahlen angegeben.
Es sind also besonders zugänglich für die Methode: die Lungen¬
spitzen, das Herz und die unteren Pleura- und Lungentheile.
Der Druck wird nicht mit einem Instrument, sondern mit der
Beere eines Fingers ausgeübt. Die Stellen des krankhaften
Druckschmerzes wurden mit Jodtinktur gefärbt und der Körper
dann photographirt. Wir haben in der Algeoskopie eine brauch¬
bare diagnostische Methode für Pleura-, Lungen- und Herz¬
leiden, die unsere übrigen Untersuchungsmethoden vortheilhaft
ergänzt.
Abtheilnng für Chirurgie.
Referent: Wohlgemuth - Berlin.
5. Sitzung.
Vorsitzender: Herr Trendelen bürg - Leipzig.
1. Herr L o r e n z - Wien: Ueber die unblutige Behandlung
des musculären Schiefhalses.
In der Behandlung des Schiefhalses herrscht zur Stunde
keine Einigkeit. Hier subkutane, hier offene Myotomie, hier
Verlängerung des Muskels durch künstliche Plastik, hier radikale
Exstirpation des ganzen Muskels. Alle diese Methoden richten
sich einseitig gegen das Caput obstipum und lassen das Collum
obstipum mehr weniger bei Seite, desshalb sind die Resultate
vielfach ungleichmässig. Die Beseitigung des Caput obstipum
bedeutet lediglich die Ermöglichung einer oocipitalen Kompen¬
sation der Cervikalskoliose, diese selbst bleibt bestehen, es wurde
zur Krümmung die zugehörige Gegenkrümmung hinzugefügt:
der Fortbestand der Cervikalskoliose begünstigt die Recidive der
Kopfneigrung. Eine rationelle Therapie muss gegen das Caput
obstipum und gegen das Collum obstipum g 1 e i c h in ä s s i g
Vorgehen. Gegen das Caput obstipum hat Lorenz bisher die
offene Myotomie des Kopfniekcrs, gegen das Collum obstipum
das modellirende Redreesement der Halswirbelsäulo mit bestem
Erfolge angewendet. Dabei wurde die Myotomie loliglich als
Vorakt des modellirenden Redressements betrachtet.
Durch methodische Pflege dieser letzteren Maassnahmen sah
sich Lorenz in die Lage versetzt, die Behandlung des Schief-
halses noch konservativer zu gestalten und des Messers da¬
bei völlig zu entrathen. Das modellirende Redresse¬
ment der HaLswirbelsüule ist nämlich im Stande, sämmtlicho
Hindernisse, welche sich der Korrektur entgegenstellen, zu be¬
seitigen. Soweit der Kopfnicker hiebei in Frage kommt, ge¬
schieht dies durch subkutane Myorrhexis desselben. Die erreichte
Umkrümmung wird sofort durch einen Dauerverband fixirt. Die
bisher erreichten Resultate sind insoferne ideale, als jede Spur
der Deformität verschwindet. Es fehlt sowohl die Narbe als
auch die bekannte, seitliche Abflachung der Halsbasis, da die
Muskelkulisse des Kopfnickers erhalten und derselbe soweit dehn¬
bar bleibt, dass entgegengesetzte Kopfneigungen leicht ausge¬
führt werden können. Die Indikationsgrenzen der subkutanen
Myorrliexis sind mit Sicherheit noch nicht festzustellen, die ge¬
lungenen Fälle standen im 6., 8. und 14. ILebensjahre. An eugm
im 9. Lebensjahre stehenden Knaben und bei 2 Patieutimw^^n
den ersten 20er Jahren misslang die Methode. Lorenz hofft,
dass dieselbe dem kindlichen Schie.fhalse gegenüber stets aus¬
reichender werde. Beim veralteten Schiefhalse der Adolescenten
und Erwachsenen bleibt die Myotomie zu Recht bestehen. Doch
hat Lorenz selbst in diesen Fällen mit der subkutanen Myo¬
tomie und energischen, modellirenden Redressements der Hals¬
wirbelsäule, sein Auslangen gefunden. Lorenz leugnet nicht,
dass in solchen Fällen auch die von Mikulicz empfohlene
Exstirpation des Kopfniekcrs gute Resultate geben könne. Allein
er hält das Vorfahren für unnöthig eingreifend, wegen der
starken Abflachung der kranken Halsseite für entstellend und
zudem für überflüssig.
Die subkutane Myorrhexis des Kopfnickers hat
auch ein aetiologisches Interesse, da sie gewissermaassen
die Gegenprobe zur Stromeye Eschen Theorie von der Ent¬
stehung des Schiefhalses durch Muskelriss während der Geburt
darstellt. Ist die Theorie richtig, so müssen alle durch Myor¬
rhexis geheilten Schiefhälse recidiviren, was nach den
bisherigen Erfahrungen nicht zutrifft, da die ältesten Fälle seit
einem, bezw. eineinhalb Jahren tadellos geheilt geblieben sind.
Auch die hundertfältigen Erfahrungen, welche Lorenz über
die Myorrhexis adductorum gelegentlich der un¬
blutigen Einrenkung der angeborenen Hüftgelenksverrenkuu^
gemacht hat, sprechen dagegen, da Adductionskontrafc-
t u r e n niemals zur Beobachtung kamen. Lorenz hält es für
wahrscheinlich, dass die subkutanen Muskelverletzungen ge¬
ringere Neigung zur Narbensehrumpfung zeigen, als die in
offener Wunde gesetzten. Lorenz stellt die unblutige Behand¬
lung des Schiefhalses in Parallele mit der unblutigen Behandlung
des Klumpfusses durch das modellirende Redressement und hofft
beim Schiefhalso auf dieselben ausgezeichneten Resultate wie °ie
beim Klumpfuss mit der analogen Methode allerwärts erreicht
wurden. Lorenz will das Gebiet der unblutigen Chirurgie
durch die neue Methode um ein wichtiges und dankbares, wenn
auch kleines Arbeitsfeld erweitert haben und ladet die Fach¬
genossen zur Nachprüfung seiner Methode ein.
Dlscussion: Herr J o a c h I m s t h a I - Berlin hat Fälle
nufzuwelsen, die durchaus für den congenitalen Charakter des
Schiefhalses sprechen, ebenso wie er den angelmrenen Schiefst and
des Schulterblattes beobachtet hat. Er übt nur die offene Durch-
schneidung des Stemocleido und hat stets radikale Heilung ge¬
sehen, ohne dass längere Nachbehandlung nothwendig war.
Herr Schanz- Dresden tlieilt eine Beobachtung von con¬
genitalem Schiefhals sofort nach der («eburt mit, wo er erst in
dem Muskel nichts fand, nach 3 Tagen alter mehrere Knoten fand,
die nach Massage in <! Wochen schwanden. Er glaubt, durch die
Behandlung einem dauernden Schiefhals vorgebeugt zu halten. S.
beschreibt dann noch seinen Verlmnd nach Sclilefhalso|M*rntjon.
Herr P e t e r s e n - Kiel: Kr ist der Erste gewesen, der die
Stromeye r’nehe Theorie des Caput obstipum Itekümpft hat.
und kann über Fälle Iterlehten, in denen die Eltern ganz genau Ite-
obnebtet lullten, dass die Kinder bis zum 4. und ö. Leltcnsjahre
ganz gesund gewesen sind, bis sich allmählich der Sehlefhals aus-
gebildet hat.
2. Herr H o f f & - Würzburg: Die experimentelle Begrün¬
dung der Sehnenplastik. (Der Vortrag erscheint in extenso in
dieser Wochenschrift.)
3. Herr L & n g e - München: Die Bildung von Sehnen aus
Seide bei der periostalen Verpflanzung.
Bei der periostalen Verpflanzung der Muskeln, die sich oft
verkürzen, hat er die Sehnen durch Seide verlängert nach dem
Vorgänge von Gluck und Kümmel 1. ln 44 Fällen hat er
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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
damit gute Erfolge erzielt. Bei dieser Operation legt er grossen
Werth auf die normale Spannung des Muskels. L. bespricht
dann zwei Fälle, in denen die Seidensehnen die Haut durch¬
schnitten, einmal, unter dem Druck des Gipsverbandes, ein
anderes Mal unter dem des Schnürstiefels. Dass diese Seiden¬
sehnen, die er bis zu 20 cm lang gemacht hatte, sich mit nor¬
malem Sehnengewebe umgeben, dafür sprechen seine klinischen
Erfahrungen und die Palpation. In einem Falle hat er bei einer
Nachoperation gesehen, dass dies wirklich der Fall war. Die
ursprüngliche Sehne präsentirte sich als kleiner, derber, runder
Strang, in dessen Mitte die Seidenfäden lagen und die mikro¬
skopische Untersuchung ergab normales Sehnengewebe. (Demon¬
stration der mikroskopischen Präparate.)
Discussion: Herr Julius W o 1 f f - Berlin (zum Vortrage
Hoff a’s) demonstrirt ein Verfahren, die Sehne zu verlängern
durch vielfaches Eiukerben auf jeder Seite.
Herr Hoff a erörtert die Vorzüge des B e y e r’schen Ver-
flkvns. die subkutane Einkerbung der Sehne am unteren und
Knefcn Ende je auf einer Seite.
Herr J. Wolff bezweifelt die gute subkutane Ausführbar¬
keit der Methode.
Herr Hof fa demonstrirt dieselbe durch Zeichnungen.
Herr K ü m in e I 1 -Hamburg spricht ein Wort für Gluck,
und hält es für Pflicht, seine Verdienste bei der Frage der künst¬
lichen Sehnen hier auszusprechen. Wie alle Anderen hat auch K.
zuerst nicht an die Erfolge des Glue k’schen Verfahrens ge¬
glaubt, bis er an seinen eigenen Präparaten die erwähnten gün¬
stigen Beobachtungen gemacht hat.
Herr V u 1 p i u s - Heidelberg fragt an, wie Herr Lange
sterilisirt. Er hat sehr häufig noch nach Jahren Ausstossung der
seidenen Sehne gesehen.
Herr L a n g e - München: 10 Minuten lang Auskochen in
10 prom. Sublimatlösung. Er benutzt die stärkste Seide.
Herr P e t e r s e n - Kiel empfiehlt für diese Operationen den
Silkworm, da derselbe für Bakterien nicht durchgängig ist
4. Herr Reimer- Wien: Ueber Epiphyseolyse bei Genu
valgum.
Nach vielfachen Leichenversuchen und wenigen an Lebenden
ist er zu dem Schluss gekommen, dass man die Epiphysenlösung
vom 7.—8. bis zum 17.—18. Jahre ohne Neben Verletzungen
machen» kann und er hat diese Operation besonders in Hinsicht
auf die Korrektur des Genu valgum studirt. Dazu hat er sich
einen Apparat konstruirt, den er demonstrirt, mit dem die Ope¬
ration durch einen Druck ausserordentlich leicht auszuführen ist.
Die. Gefahren sind gering, die Nachbehandlung kurz, 5 bis
€ # Wochen Verband.
Discussiou: Herr T re n <1 e 1 e n b u r g - Leipzig fragt
nach Röntgenaufnahmen, die beweisen, dass die Trennung auch
in «1er Epiphysenlinie geschehen ist, und wie es mit den Wachs-
thunisstöruugen bei jüngeren Individuen ist.
Herr Reimer hat Waehstliumsstöruugeu nicht beobachtet;
die zahlreichen Untersuchungen von anderer Seite halben auch zur
Genüge bewiesen, dass Wachsthumsstöruugen nur entweder durch
Dislokation oder Entzündung der Epiphyse «Antritt. Röntgen¬
aufnahmen hat er gemacht, doch nicht mitgebracht
Herr Jul. Wolff- Berlin hat durch den Etappenverband die
denkbar besten Resultate erzielt. Er hält die Epiphysenlösung für
ein nicht erstr«*benswerthes Ereignis«.
Herr Reimer-Wien hält «llo Gefahr einer Waelisthums-
störung für ausgeschlossen und betont die kurze Zeit der Behand¬
lung gegenülier anderen Verfahren.
C». Herr Lindemann - Berlin demonstrirt eine verbesserte
Elektrothermkompresse und einen handlichen Rheostaten.
G. Herr V u 1 p i u s - Heidelberg: Ueber die Behandlung
von Contracturen und Ankylosen im Kniegelenk.
(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochenschrift.)
I) I s <• u s s 1 o n: Herr Lorenz- Wien kann die Gefahren
des unblutigen Redressements nicht anerkennen, wie er durch
sein«* zahlreichen Beobachtungen bestätigen kann. Allerdings «larf
man ein schnell gewonnenes Redressement nicht gleich iixiren.
7. Herr Silber- Breslau: Demonstration eines beleuch¬
teten Stereoskops.
8. Herr J. R i e d i n g e r - Würzburg: Ueber willkürliche
Verrenkung des Oberarms.
Von unwillkürlicher Verrenkung des Oberarmes sind nur
wenige Fälle bekannt geworden. Fuhr sammelte die ersten Mit¬
theilungen aus der Literatur im Jahre 1892. Später wurde die
Kasuistik nur unerheblich erweitert R. stellt einen 12 Jahre
alten Jungen vor, der es allmählich dahin brachte, den linken
Oberarm nach hinten und unten willkürlich zu verrenken. Ausser¬
dem war er in der Lage, das sternale Ende der linken Clavicula
nach vorn zu verrenken. Ein grösseres Trauma od«*r eine Krank¬
heit waren nicht vorausgegangen. Auch die Einrenkung erfolgte
willkürlich. Im Anschluss an die Vorstellung des Patienten und
die Demonstration eines Röntgenbildes erörtert R. den Mecha¬
nismus der Verrenkung und das Moment der kongenitalen Dis¬
position, welches in der mangelhaften Ausbildung der Hemmungs¬
vorrichtungen sowohl der knöchernen Konstituentien als der
Kapsel und der Bänder des Gelenkes gegeben ist. Der Mecha¬
nismus scheint bei der ebenfalls sehr seltenen angeborenen
Schulterverrenkung ein ähnlicher zu sein, wenn wir die Muskel¬
wirkung aussehalten.
Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Referent: Edmund Falk- Berlin.
3. Sitzungstag. Mittwoch, den 25. Sept. 1901.
V ormittagssitzung.
Vorsitzender: Herr Schatz-Rostock.
1. Herr Knorr- Berlin: Ueber intravesicale Tumoren
und deren endovesicale Behandlung.
Er bespricht die auf die Blase übergehenden Carcinome des
Uterus, dann die vom Sphincter ausgehenden Schleimpolypen
und schliesslich die intravesicalen Tumoren. Die einzelnen
Krankheiten werden durch Lichtbilder mittels Projektions¬
apparat illustrirt. Er berichtet über einen Fall von Carcinoma
vesicae, sowie über 2 Fälle von Papillomen. Einen derselben hat
er mit dem Nitz e’schen Operationscystoskop geheilt. Es han¬
delte sich dabei um eine 84 jährige Frau, die dem Verblutungs¬
tode nahe war.
2. Herr W. Thorn: Die praktische Bedeutung der Lac-
tationsatrophie. (Erscheint in extenso in dieser Wochenschr.)
3. Herr E. Fraenkel -Breslau: Die Appendicitis in
ihren Beziehungen zn den Erkrankungen der weiblichen
Sexualorgane.
Die durch die irrthümliche Zurückführung der häufigen
peritonitischen Attacken dos Weibes ausschliesslich auf Erkran¬
kungen des Sexualapparates entstandene Annahme einer be¬
sonderen Prädileetion der Appendicitis für das männliche Ge¬
schlecht ist nicht mehr haltbar.
Die Fortleitung entzündlicher Proeesse vom C«>ecum und
Wurmfortsatz zu den weiblichen Sexualorganen und auch in
umgekehrter, aufsteigender Richtung erfolgt: sowohl intra¬
peritoneal als auch extraperitoneal.
Die häufigste Genitalkomplikation der Appendicitis sind ent¬
zündliche bezw. eitrige Proeesse in den Adnexen, und zwar meist
doppelseitige oder, wenn einseitig, rechts sitzend. Nur ganz
ausnahmsweise reicht die abnorm lange Appendix bis in die
linke Bookenseite hinüber. Die auffallende Frequenz der Kom¬
plikation von Appendicitis mit Stieltorsion von Ovarial- und
Parovarialcysten lässt sich durch die bei der Perityphlitis ver¬
stärkte Wirkung der Bauchpresse und vermehrte Peristaltik er¬
klären.
Wegen der Seltenheit, der einseitigen Adnoxitis muss be-
sontlers l>ei rechtsseitigem Sitz derselben und bei gleichzeitig vor¬
handener Appendicitis ein CausalVerhältnis» zwischen beiden
angenommen werden; ebenso in Fällen rechtsseitiger Pyosalpiux
oder sogen, „idiopathischer“ Pnrametritis bei kindlichen oder
jungfräulichen Individuen, die kein Zeichen von Gonorrhoe oder
Tuberkulös bieten.
Der von Edebohls behauptete enge Causalnexus zwischen
rechtsseitiger, Symptome machender Wanderniere und ehron.
Appendicitis einerseits, sowie Adnexitis andererseits kann, wenig¬
stens in der von ilun beanspruchten Bedeutung, nicht anerkannt
werden. Die seiner Beweisführung zu Grunde Hegende pal-
patorische Bestimmung des normalen Appendix ist nur unter
ausnahmweise günstigen Bedingungen möglich, der positive
Nachweis dt« krankhaft veränderten Wurmfortsatzes ist zwar
von hohem diagnostischen Werth, unterliegt aber mannigfachen
Irrthümern. Alle diagnostischen Schlüsse und statistischen Be¬
rechnungen, welche ausschliesslich auf diesem Palpatiousbefunde
beruhen, sind unzuverlässig.
Wiederholte, zuweilen fieberhafte Anfälle von Schmerz,
hauptsächlich im rechten Hypogastricum, kurz vor oder während
der Menstruation, ferner unregelmässiger, meist verspäteter Ein¬
tritt derselben mit ungewöhnlich starkem Blutfluss bei Indi¬
viduen, die früher ganz oder nahezu normal menstruirten, neben
sonstigen gastrischen, intestinalen oder nervösen Störungen
müssen die Aufmerksamkeit, abgesehen von den anderen be¬
kannten Ursachen der Dysmenorrhoe, auch auf larvirte Appen -
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22. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1723
dieitis richten und können nach Erschöpfung aller anderen Mittel
die Appendektomie zur Erwägung bringen.
Grundsätzlich soll bei jeder an Appendieitis erkrankten
Frau eine fachmännische, schonende, aber genau bimanuellc
Bauchdecken-Scheiden-Mastdarmuntcrsuchung — wenn nöthig
in Narkose und Beckenhochlagerung oder im sehr wannen Bade
— zur Vermeidung diagnostischer Irrthürner vorgenommen
werden. Umgekehrt, ist aber auch bei allen anscheinend rein
gynäkologischen Erkrankungen die Möglichkeit einer kompli-
zirenden Appendieitis in Erwägung zu ziehen.
Bei jeder wegen Erkrankung der weiblichen Scxualorgane
und insbesondere wegen entzündlicher oder eitriger, ein- (rechts-)
«nler doppelseitiger Adnexaffektion vorgenommenen abdominalen
Koeliotomie soll der Wurmfortsatz, wenn möglich, schonend auf-
gesuchr und — wenn erkrankt — mitentfernt werden. Auch ein
sonst, scheinbar gesunder, nur lose adhaerenter Appendix soll re-
seeirt werden.
Ebenso muss, soweit dazu nicht Trennung schützender
Verwachsungen nöthig ist, bei jeder Laparotomie zwecks Appen¬
dixentfernung der Zustand des Uterus kontrolirt bezw. korrigirt
werden.
Bei Verdacht einer Komplikation von Appendieitis mit ent¬
zündlich-eitrigen Adnexerkrankungen ist der abdominale Opera¬
tionsweg dem vaginalen vorzuziehen. Der typische (Sonnen-
burg’schc) Flankenschnitt genügt bei Komplikation mit aus¬
schliesslich rechtsseitiger Ailnexitis, sonst ist der Medianschnitt
vorzuziehen. — Bei sehr tief herabreichenden Douglasabscessen
empfiehlt sich deren Eröffnung von der Vagina oder bei kind¬
lichen oder virginellen Verhältnissen vom Mastdarm aus. Findet
sieh dann noch über dem Beckeneingang oder auf der Beeken-
sehaufel ein zweiter, mit dem Douglas nicht, kommunizirender
Abscess, so kann dit-ser entweder in derselben Sitzung durch ab¬
dominale Koeliotomie, event. mit dem Appendix s»'lbst und mit
den erkrankten Genitalorganen, oder später, bei neuen, vom
Appendix oder den Adnexen ausgehenden Störungen, im freien
Intervall operirt werden.
DIscuHslon: Herr Tliorn: Das Zusammentreffen von
Stieltorsion mit Appeinlixverwaclisungen lässt si<-li leicht durch
die perltonltIschen Verwachsungen erklären, ohne dass eine Appen*
»Ileitis die Ursache der Stieltorsion in Folge der verstärkten Bauch¬
press«“ sein muss.
v. Wild weist an der Beschreibung von einzelnen Fällen
nach, dass die Verwechslung zwischen (ienitnlerkniukungeu und
Appendieitis sehr häufig sei. Er weist besonders auf die larvirte
Perityphlitis hin.
4. Herr Otto Küstner: Die blutige Beinversion des
Uterus durch Spaltung der hinteren Wand nach Eröffnung
des hinteren Douglas.
Seit seiner ersten Veröffentlichung 1893 hat K. seine
Methode der blutigen Reinversion durch »Spaltung der hinteren
Uteruswand nach Aufsehneiden des hinteren Douglas in noch
2 Fällen angewandt.
Der 2. Fall (veröffentlicht durch Dr. Bert hold t, Allg.
m<“d. Centralztg. 1899, No. 21) betraf eine „onkogenetisehe“ In¬
version, bedingt durch ein Myom. Erst Enueleation des Myoms,
später blutig«? Reinversion, welche erst nach Spaltung der ganzen
hinteren Uteruswand gelang; in derselben Sitzung Laparotomie,
Ventrifixur und Vcrniihung sowohl der Uterus- als der hinteren
Laquearwunde vom Abdomen aus.
Im 3. Falle handelte es sieh um IM* Jahre lang bestehende
puerperale Inversion. Operation wie im ersten Falle, nur dass
die Douglaswunde sagittul geschnitten war und die Reinversion
weniger durch Druck auf den invertirten Uteruskörper, als durch
Zug mittels von der Douglaswunde in die Uteruswunde einge¬
setzter Hakenzange bewerkstelligt wurde. Alle 3 Fälle sind re¬
aktionslos genesen.
Nach seinen Erfahrungen und nach Würdigung der zahl¬
reichen, seit seiner ersten Veröffentlichung erfolgten Publi¬
kationen und der bezüglichen Modifikationen und Vorschläge
muss K. sein Verfahren für das brauchbarste halten.
Die Punkte, welche von B«*doutung sind, sind folgende:
1. dass die Operation von der Scheide aus und zwar
2. nach Eröffnung des h i n t e r e n Douglas gemacht
wird, dass
3. dementsprechend die hinter e Uterus w a n d ge¬
spalten wird.
Zu 1 ist zu sagen, dass überhaupt gar keine Verhältnisse
denkbar sind, welche das Betreten des abdominalen Weges zweek-
mässig erscheinen lassen.
Das Oporationsterrain liegt der Vulva näher als einer noch
so günstig angelegten Laparotomiewunde; auch sonst kommen
der vaginalen Inversionsoperation alle Vortheile zu, welche die
vaginale Operation vor der abdominalen überhaupt hat.
Everke, welcher vor 3 Jahren noch einmal und zwar mit Er¬
folg vom Abdomen aus operirte, gelang die Reinversion erst,
nachdem er die hintere Uteruswand und das hintere Selieiden-
gewülhe gespalten hatte, und dann wurde der Hauptakt der
Operation, die eigentliche Reinversion von der Scheide aus, aus¬
geführt —- beides hätte er hei Befolgung meines Verfahrens be¬
quemer haben können.
Zu 2 und 3. Die von Kehrer und Polk vorgcsclilagone
Spaltung der vorderen Wand ist weniger zweckmässig, als
die der hinteren, weil, wenn die Spaltung auf die ganze Wand
ausgedehnt werden muss und wenn, was principiell zweckmässig,
das entsprechende Seheidengowölbe weit geöffnet, werden muss,
die Abtrennung der Blase eine weitere Komplikation darstellt.
Principiell ist auch wegen der Ermöglichung einer recht
exakten Naht und wegen der Erreichung möglichst sauberer
Wundverhältnisse zweckmässig, die Verwundung nicht auf den
Uterus zu beschränken, überhaupt die Verwundung nicht v.u
knapp zu gestalten. Man kann sonst Heilungskoinplikationen
erleben; wie sie Kehrer in seinem Falle sah.
Einen anerkennenswert heil Fortschritt erblickt K. in der
Westermark-Borcliu s’sehen Modifikation. Dadurch,
dass Westermark-Borelius den Spaltsehnitt in der hin¬
teren Uteruswand mit dem Schnitt im hinteren Lnqucar ver¬
einigen, ist es ihnen möglich, die Reinversion noch in der Vagina
vorzunehmen und als 2. Akt erst di»* Reposition des in
Rotroversion in der Scheide liegenden Uterus vorzunehmen.
Für künftige Fälle empfiehlt K. zunächst, den hinteren
Douglas zu öffnen und nur einen Tlieil der hinterem Uteruswand
zu spalten, die. Reinversion jedoch wie in Fall III im Wesent¬
lichen durch Zug mittels durch die Douglaswuxide geführter und
in der Uteruswundc eingesetzter 1 lakenzangen zu bewerkstelligen.
Ferner empfiehlt K. die unblutigen Rein versionsversuche
nicht zu lange auszudehnen, sondern bald zur Operation zu
schreiten.
Die Operation muss immer gelingen; wenn Salin und
Josephsohn nicht reussirt»n, so liegt es bei Letzterem sicher
daran, dass er den Schnitt in den Uterus zu klein gemacht hat,
bei Ersterein vielleicht auch.
Die onkogenetischen Inversionen sind nur erst nach
ganz exakter mikroskopischer Diagnose des die Inversion
veranlassenden Tumors eventuell konservirend zu behandeln,
weil gelegentlich auch Sarkome angetroffen worden sind.
Bei diesen Inversionen ist die Totalexstirpation um so leichter
zu verschmerzen, als sie meist bei älteren Frauen beobachtet sind.
5. Herr Winternitz -Tübingen: Das Bad als Infek¬
tionsquelle.
Da es trotz autiseptisolier und aseptischer Leitung der Ge¬
burt, trotz der verschiedenen prophylaktischen Maassnahmen, wie
Scheidenausspülungen, Untersuchen mit Gummihandschuhen,
immer noch nicht gelungen ist, die Morbidität im Wochenbett in
der erwünschten und gehofften Weise zu vermindern, so lag es
nahe, ausser der wohl häufigsten Art der Keimübertragung durch
die Hände und Instrumente, auch nach anderen Infekt ions-
mögliehkeiten zu suchen, durch welche die T< *m per aturst ei ge¬
rungen im Wochenbett ihre Erklärung finden sollten. Als solche
wurde von verschiedener Seite im Verlaufe der letzten Zeit das
Badewasser beschuldigt.
Es gibt hauptsächlich 2 Methoden, um die Möglichkeit des
Eindringens von Badewasser in die Scheide zu prüfen, nämlich
eine chemische und eine bakteriologische. Die ersten» besteht
darin, »lass man dem Badewasser chemische, für den Organismus
unschädliche Substanzen zusetzt, welche nach Eindringen des
Badewassers in die Vagina im Seheid«*ns»*kret wieder miehge-
wieseu worden können. Diesen Weg hat St roganof f oin-
gesehlagen.
Die zweite, bakteriologisch»* Methode hat Stic li r r an¬
gewandt, indem er das Badewasser mit. einem für gewöhnlich im
Soheidensvkret nicht verkommenden, gut eharaktcrisirten Reim,
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1724
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
dem B. prodigiosus, infizirte, den er nach dem Bade aus dem
Vaginalsekret herauszüchten konnte, woraus er den Schluss zieht,
dass in die Vagina und zwar bei Erst- und Melirgebärendon die
im Bado befindlichen Keime hineingelangen können.
Die bakteriologische Methode liat Winternitz nicht an¬
gewandt, sondern es vorgezogen, dio von Stroganoff ange¬
führten Versuche zu wiederholen und weiter auszudehnen. (Zu¬
satz von Eosin bezw. von chinesischer Tusche zum Badewasser, in
anderen Füllen von spektroskopisch leicht nachweisbarem Lithion
carbon.)
Wenn auch durch die Versuche ein Eindringen des Bade-
wassers in die Scheide nicht nachgewiesen werden konnte, so
müssen trotzdem beim Baden von Kreissenden bestimmte hygie¬
nische Maassregeln beachtet werden.
Seine Resultate fasst Winternitz in folgenden Sätzen
zusammen:
1. Das Eindringen von Badewasser in dio Scheide konnte
nicht nachgewiesen werden.
2. Da beim Baden sehr viele Keime vom Körper abgegeben
werden und in’s Badewasser gelangen, so ist es rathsam nur solche
Wannen zu benützen, die gut gereinigt und desinfizirt werden
können. Hierzu eignen sich am besten Kupferbadewaunen,
welche vor dem Gebrauch mit Spiritus ausgerieben werden.
- 3. Ein Bad soll nur einmal, auch für dieselbe Kreissende,
benützt werden.
4. Nach jedem Bade sollen, besonders vor der inneren Unter¬
suchung, die äusseren Genitalien desinfizirt werden.
5. Werden diese Vorsichtsmaassregeln eingehaltcn, so ist das
Bad nicht als Infektionsquelle zu fürchten.
fi. Herr Kantorowicz- Hannover: Die Alkoholthera-
pie der puerperalen Sepsis.
Die Anschauung der Gynäkologen und praktischen Aerzte,
dass die beste Therapie der puerperalen Sepsis die Behandlung
mit grossen Dosen Alkohols wäre, bedarf dringend der Revision.
Sie stützen sich dabei hauptsächlich auf die Arbeiten R u n g e’s
und Marti n’s. Runge und sein Schüler Lorenz empfehlen
auf Grund klinischer Beobachtung neben Lokaltherapie grosse
Dosen Alkohol und laue Bäder. Bei einer genaueren kritischen
Würdigung der von ihnen ausführlich geschilderten 33 Fälle
wird man jedoch nichts finden können, was klar und deutlich für
den therapeutischen Werth des Alkohols spricht.
7. Herr 0. Schaeffer- Heidelberg: lieber experimen¬
tell von den inneren Genitalien auslösbare reflektorische und
coordinirte Fernerscheinungen, besonders des Blutgefäss¬
systems.
Die in der Absicht, Klarheit bezüglich der Wechselwirkung
zwischen Genitalfunktionen und denen anderer Organe zu schaffen,
unternommen Versuche wurden theils mit, theils ohne Narkose
ausgeführt. Es handelte sich um Reizungen des hinteren
Scheidengewölbes, des eröffneten Septum Douglasii, der eröffne-
ten D o u g 1 a s’sehen Peritonealtasche selbst, des inneren Mutter¬
mundes und des Cavum uteri unter gleichzeitiger Kontrolirung
des Pulses, des Blutdruckes, der Respiration seitens eines Assi¬
stenten, sowie die am Uterus selbst, gleichzeitig beobachteten Vor¬
gänge in der motorischen und vasomotorischen Sphäre.
Der Blutdruck wurde mittels des G ä r t n e r’schen
Tonometers bestimmt und sank z. B. erheblich unter der Ein¬
wirkung der Atmokausis, stieg aber bei forcirtcr Dilatation des
inneren Muttermund«»« nicht gravider Uteri. Reizung des er¬
öffneten Douglasseptums rief in Narkose stürmische Würg- und
Pressversuche hervor unter gleichzeitiger Beschleunigung von
Puls und Respiration. Unter der Atmokausis ist der Puls zuerst
verlangsamt, ja aussetzend, dann aber beschleunigt und klein.
Die Blut Mischungsverhältnisse im Uterus
(Probeentnahme aus der Portio) sind typisch, andere unter je¬
weilig verschiedenen physiologischen und pathologischen Vor¬
bedingungen. Versuche mittels isotouischer Jodjodkalilösungen:
«las Häufigkeilsverhiiltniss der dunkelgefärbten (kräftigen) zu den
schwächtingirten (schwachen) Erythroeyten ist bei gesunden In¬
dividuen und Genitalien 2,5 bis 5: 1, wobei entfärbte und granu-
lirte Zellen ganz fehlen. In der Gravidität besteht Hyperiso-
tonie, z. B. 12,0:1 bei starker Farbeannahme; mit Beginn der
Wehen Sinken der Resistenz der Blutkörperchen; noch ungünsti¬
ger wird die Blutmischung bei abgestorbener Frucht. Es sind
dieses also neue diagnostische Merkmale so¬
wohl für die erste Zeit der Schwangerschaft,
als auch für die Retention von Abortiveiern!
Bei Erregung künstlicher Wehen dieselben Erscheinungen,
nach der Atmokausis Besserung der Blutruischung, d. h. hyper¬
isotonische Erhöhung der Resistenz der Erythroeyten sofort und
noch nach Wochen nachweisbar. (Erscheint ausführlich in der
Monatssehr. f. Geburtsh.)
8. Herr 0. S c h a e f f e r - Heidelberg: Geber indviduali-
sirende Gesichtspunkte bei der Behandlung der Fehlgeburt.
Vortragender sichtete seine bezüglich Anamnese, früherer
und späterer Nachuntersuchung genau beobachteten über 200
Privatfälle nach ihren Erscheinungen vor und nach der Fehl¬
geburt und ferner danach, ob nach dem Abortus ausgeschabt
worden war oder nicht. Es ergab sich, dass die exspectativ
behandelten Fälle im weiteren sexuellen Leben der Frau weit
weniger günstige Resultate aufwiesen, als die eure ttir-
ten; dass häufiger Fehlgeburten, Sterilität, Menorrhagien,
irreguläre Menstruationen, vor Allem aber Geburtsstörungen, zu¬
mal in der Nachgeburtsperiode zu verzeichnen waren; dass ferner
diejenigen Fälle, welche trotz der Curettage (unter Aus¬
schluss der gonorrhoischen Fälle) später wenig günstige Resul¬
tate lieferten, alle nicht Erkrankungen des Endometriums,
sondern andere Genitalanomalien aufwiesen: so z. B. Infantilität,
Genitaltuberkulose, Ovariendegeneration oder Tumoren, schwere
Stoffwechselanomalien, Tropenkrankheiten und andere Er¬
schöpfungszustände des Greammtorganismus. Es zeigte sich
ferner, dass allemal lange vor der Fehlgeburt pathologische Er¬
scheinungen, vor Allem Menstruationsbeschwerden oder orga¬
nische Fehler vorhanden gewesen waren. Bei hochgradig chlo-
rotisclien und hysteroncurasthenischen Individuen, zumal mit
wenig entwickelten Genitalien, beschrieb Vortragender bereits
in einer Schrift über die „unterbrochene Fehlgeburt“ (München)
den „Abortus imminens nervöser Natur'*, der zum völligen
Abortus werden kann, charaktcrisirt durch spastische Sen¬
sationen, die objektiv nachweisbar sind, und heftige Reflexe
(llyperemesis z. B.); vor der Schwangerschaft besteht diese Nei¬
gung zu Spasmen bereits als Menstrualkoliken, Vaginismus,
Darm- und Blasentenesmus u. s. w. Bei diesen Fällen und in¬
fantilen Uteri kann cs nach einmaligem oder wiederholtem Abor¬
tus zu Reif «»gebürten kommen; Vortragender nennt dies«js „natür¬
liche Heranzüchtung“ des infantilen Uterus, welche er künstlich
nachgealmit hat durch wiederholtes Einlegen von Larainaria und
Gazetamponade.
Dio Forderung des Vortragenden besteht darin, bei einer
jeden Fehlgeburt, da sie fast immer nur ein Symptom in
einer Reihe von v o r- und nach her vorhandenen pathologischen
Erscheinungen ist und nur selten der nicht infizirende Abortus
an sieh de>- Anlass zu sekundären Leiden ist, die Behandlung
streng nach dem Status quo und nach den Vor erschei-
nungen zu regeln, weit häufiger als es im Allgemeinen geschieht,
den anscheinend glatt beendeten Abortus dennoch als einen
inkompleten zu behandeln und lege artis auszuschaben
und dann zu tamponiren. Nicht aber etwa will Vortragender
jeden Abortus ausschaben; hier soll eben individualisirt werden.
9. Herr Seligmann - Hamburg demonstrirt 1. einen Fall
von hochgradiger Osteomalacie, welche im Jahre 1893 mittels
Porro operirt und alsdann in einen Streckverband gelegt
wurde, die Patientin ist dadurch um 18 cm grösser geworden.
Während sie 7 Jahre vorher bettlägerig war, ist jetzt die Geh-
fähigkeit eine gute. Die Osteomalacie ist nicht recidivirt.
2) Eine zweite Frau, welche im Jahre 1898 wegen eines
grossen tuberkulösen Tumors laparotomirt wurde, zeigte damals
einen grossen Lupus des Gesichts, welcher nach der Operation
ohne jede weitere Behandlung vollkommen ausheilte.
3) Demonstrirte S. Kulturen von Pruritus vulvae, in welchen
stets ein Diplococcus gefunden wurde, welcher dem Gonococcus
sehr ähnlich aussieht, sich jedoch durch seine Färbbarkeit unter¬
scheidet. Therapeutisch bewährt sich Guajacolvasogen in 15 bis
20 proe. Lösung.
10. Herr Gebhard - Berlin berichtet über 20 Fälle vaginaler
Ventroflxation des TJterus. Kolpotom. ant. Hervorwälzen des
Uterus. Umstechung der Ansatzstellen der Ligg. rot. beiderseits
mit 2 langen Catgutfäden, die mit Hilfe einer halbstumpfen, ge¬
stielten Nadel bei Beckenhochlagerung oberhalb der Blase durch
die Bauchdecken nach aussen geführt und auf einer Gazerolle ge¬
knotet werden.
4 mal wurde bei Prolaps, 8 mal bei Retrofiexio mobilis, 8 mal
bei Retrofiexio fixata operirt. Nebenverletzungen fanden nicht
statt. Recidive sind s«»lbst bei den ältesten (vor % Jahren) ope-
rirten Fällen nicht aufgetreten.
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22. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1725
11. Herr Edmund Falk- Berlin demonstrlrt eine zusammen¬
hängende Kellie präparirter Becken von Föten aus dem 3. bis
d. Monat. Dieselben zeigen die fortschreitende Entwickelung der
Kuochenkeme, von denen der Knochenkern in der Darmbein-
scliaufel bereits in der ersten Hälfte des 3. Monats nachweisbar
ist. An diesem Kern lässt sich am Ende des 3. Monats ein dor¬
saler und caudaler, und im 4. resp. 5. Monat ein ventraler Fort¬
satz erkenuen; Fortsätze, welche für die Formeutwickelung und
für die Architektur des Beckens von Bedeutung sind, denn sie
tragen indirekt, dadurch, dass sie den Kuorpelrand frühzeitig er¬
reichen und hier das Knorpelwachsthum hemmen, zur Bildung
der knorpeligen Spina anterior superior und Spina posterior
superior bei. Bis in den G. Monat lassen sich diese Fortsätze
am aufgehellten Präparat als tief in den Knoeheukern sich fort¬
setzende Keile naehweisen. -- Die Ausbildung der Liings-
krünunung der Wirbelsäule ist nach Falk auf die Wachsthums¬
richtung der Darmbeiuknorpel zurückzuführen und nicht auf
Waclisthuinsvorgänge in dem Wirbel, da ursprünglich nur die
lntervertebralseheiben au der ventralen Fläche verbreitert sind
und sich erst in der Folge die Keilform des 1. Kreuzbeinwirbels
ausbildet Die Knochenkerue au der Innenfläche des oberen Sitz-
l>einastes erscheinen im 4.—5.. die im oberen Schambeinast im
5.—7. Monat. In Bezug auf die Geschlechtsunterschiede, welche
vom 5. Monat ab nachweisbar sind, verweist Falk auf seine
Arbeit im letzten Heft des Archiv f. Gynäk., er betont, dass zu¬
erst ein charakteristischer Geschlechtsunterschied im Breiten¬
wachsthum der Symphyse auftritt, da die Symphyse bei Knaben
höher als breit, bei Mädchen hingegen gewöhnlich breiter als
hoch sei.
Endlich demonstrlrt er an mehreren Präparaten das häufige
Auftreten vom Uebergangswirbel im 5.—0. Monat, ein Vorgang,
bei dem der 25. Wirbel, der bleibende 1. Kreuzbeinwirbel sich aus
einem Lendenwirbel in einen Kreuzbeinwirbel umwandelt.
14. Herr Holzapfel demonstrlrt einen Fall von
Deciduoma m&lignum. Es fand sich ein wallnussgrosser Knoten
über der Harnröhre. Ein zweiter grosser Tumor fand sich im
Uterus, der in gar keinem Zusammenhang mit der Mucosa stand.
Die Schleimhaut des Uterus war in eine Decidua verwandelt,
welche vielleicht von einer späteren Schwangerschaft stammt.
Klinisch bestanden unregelmässige Blutungen. Bei einer Probe¬
abrasio hätte man über die Natur der Geschwulst keine Sicherheit
bekommen: es ist daher zweckmässig, in allen derartigen Fällen
von Sehoidendeeiduoinen bei gleichzeitiger Vergrössenjng des
Uterus denselben mitzuentfernen.
13. Herr A. v. Guerard - Düsseldorf demonstrirt einen
Acardlacus und Anencephalus männlichen Geschlechts im
5. Monat.
14. Herr A. v. Gußrard - Düsseldorf: Demonstration einer
wahren interstitiellen Gravidität. Das vorgezeigte Präparat
stammt von einer 38 jährigen 7. Para, bei der 3 Monate die Regel
nusgeblieben war. Plötzlich Erkrankung unter starken Krämpfen
im Leibe, Ohnmaclitsaufälleu und Erbrechen. Nach 36 Stunden
Operation. Gleich nach der Eröffnung der Bauchhöhle entleert
sich eine grosse Menge Blut, zwischen den Coagula ein 3 monat¬
licher Fötus. Der Uterus ist sehr stark retrovertirt, die rechte
Hälfte des Fundus ist von einer kleinfaustgrosseu Höhle einge¬
nommen, die nach der Bauchhöhle zu aufgebrochen ist, und ln
welcher die locker haftende Placenta sitzt. Keilförmige Exclsion
des Geschwulstbettes aus dem Uterus mit sofort angeschlosseuer
fortlaufender Catgutnaht. Darauf Abtragung der rechten Adnexe.
Vom 2. Tage an glatte Rekonvaleseenz.
Das Präparat lässt deutlich sehen: 1. die absolute Intaktheit
der 8 cm langen Tube, 2. die völlige Abgeschlossenheit des Ge¬
schwulstbettes vom Cnvuiu Uteri, die Wand des Sackes wird nur
von Uterusmuskulatur gebildet. Das Llg. rot. sass auswärts von
der Geschwulst. Ibis Bett ist oval mit einem Durchmesser von
5: G cm.
Klinisch ist zu bemerken, dass die Rupturstelle nicht die
I’lacentarstelle traf, da sich diese im Grunde der Höhle befand.
Daher trat auch nicht der sofortige Verblutungstod ein, wie
meistens in derartigen Fällen.
Ein solch’ typischer, klarer Fall, mit Genesung der Frau
endend und Erhaltung des Uterus, gehört zu den grössten Selten¬
heiten.
15. Herr Semon demonstrirt eine Placenta, welche von
einer Mehrgebärenden stammt, welche bisher gesund war. Die
Geburt verlief spontan. Die Placenta sah aus. als ob auf der
Amuiosfläclie Tuberkel süssen. Im centralen Theile fanden sich
submiliare Knötchen, in dem peripheren Theile grössere kon-
öuireude Knötchen. Mikroskopisch lässt sich schwer entscheiden,
um was es sich handelt. Die Frucht war eine hochgradige Miss¬
bildung, die äusseren Geschlechtstheile fehlten fast vollkommen,
es fehlte gleichfalls eine Analöffnung.
Von dem Dlckdann war nur ein kurzes Stück vorhanden,
eine Ileocoecalklappe ist nicht nachweisbar. In der Bauchhöhle
waren beide Hoden vorhanden. Die Nieren fehlten, dessgleiehen
die Ureteren, statt der Blase fand sich ein muskulöser Wulst,
die Nebennieren waren vergrössert.
Abtheilung für Kinderheilkunde.
Referent: B. Bendix - Berlin.
3. 8 i t 7 . u n g s t a g. Mittwoch, 25. September
1. Herr A. Baginsky: Ueber Scharlach-Nierenent¬
zündung.
Der Vortragende weist zuerst auf seine gemeinsam mit
seinem damaligen Assistenten Stamm im Jahre 1893 gemachte
Publikation über die anatomischen Veränderungen der Nieren
bei Scharlach hin. (1. Eine weithin gesunde, in Herden oder mehr
diffus auf tretende, meist an die. Gefässe geknüpfte zellige Infil¬
tration bei Kindern (meist septischen), die in der 1. Woche der
Scarlatina starben. M a lp i g h i’sche Körperchen und Gloineruli
nehmen an der Vermehrung der Rundzellen Thcil. Exsudative
oder degenerative Vorgänge an denselben nicht nachweisbar.
2. Bei den in der 2. Woche (meist auch septisch) gestorbenen
Kindern waren neben der geschilderten Zellinfiltration in erster
Reihe auch degenerative Vorgänge in den gewundenen und ge¬
raden Harnkanälchen vorhanden, ausserdem einzelne emboliseho
nekrotische Herde. M a 1 p i g h i’sche Körperehen und Glomeruli
auch hier noch keine besonders auffälligen Veränderungen.
3. Von der 3. Woche ab neben parenchymatöser Degeneration
der Epithclien und Verlegung der erweiterten Harnkanälchen
mit Oylindern und dabei interstitiellen Zellenanhäufungen
wesentliche Veränderungen an den M a 1 p i g h i’schen Körper¬
chen und an den Glomeruli. Nun wendet sich der Vortragende
zur Klinik der Nieren bei Scharlach.
In den letzten 5 Jahren fielen auf 919 Fälle von Scharlach
88 Nephritiden.
34 Fälle davon kamen sehr früh in Behandlung und gaben
daher Gelegenheit zu guter Beobachtung. Der früheste Termin,
an welchem unter diesen Fällen die Nephritis ausbrach, war der
6. Tag der Erkrankung (1 mal); 2 mal trat Nephritis am 13. Tage,
3 mal am 15. bis 18. Tage, 3 mal am 30. Tage auf; die anderen
in der Zwischenzeit der angegebenen Daten.
Die Schwere des Exanthems steht in keinem Zusammenhang
mit einem Ausbruch der Nephritis.
Das Gros der Nephritiden setzt mit Fieber ein, eine kleinere
Zahl zeigt gar keine oder nur sehr geringe (bis 38") Temperatur¬
steigerungen. Gefährlich erscheinen die Fälle, wo hohes und kon-
tinuirliehes Fieber vorhanden; beachtenswcrth die, wo nach Ab¬
sinken der Temperatur mit erneutem Emporsehnellen auch
wieder neue resp. gesteigerte Eiweissausscheidung statthat.
Der Puls ist gewöhnlich beschleunigt, doch meist ohne Be¬
ziehung zur Temperatur, drahtähnlich bei Uraemie.
Die Harn menge ist wechselnd, oft gar nicht beeinflusst,
bisweilen erheblich gesteigert anfangs und erst später verringert,
meist allerdings vermindert.
Die Nephritis steht mit der primären Scharlachalbuminurie
in keinem Zusammenhang.
Für die Bedeutung des Processes ist das gesammte Harn¬
bild das Entscheidende. Der septische kaffcebraunschmutzige
Harn ist allerdings prognostisch ungünstig. Die Haematurie
an sieh ist prognostisch nicht so ungünstig, als man in der Regel
annimmt.
Fast jede Nephritis äussert sich mit geringen Oedemen der
Augenlider, schwerer und ausgebildeter Hydrops verschlechtert
die Prognose.
Baginsky hat seine Fälle in Bezug auf die Hydropsfrago
in 2 Gruppen getheilt: a) in solche, die innerhalb der ersten
5 Tage nach Beginn der Scarlatina in seine Behandlung kamen,
b) in solche, die später in Behandlung kamen.
Zur Gruppe a) gehören 37 Fälle, wo nur einmal Hydrops
gesehen wurde, ln der Gruppe b) sind 30 mit schwerem Hydrops
vorhanden (8 Oedeme das Gesichts, 12 mit schweren Komplika¬
tionen). Den Unterschied beider Gruppen glaubt Baginsky
auf die Diätetik und Therapie zurückführen zu müssen.
U raemie wurde unter den Fällen von Hydrops, die früh
in Behandlung kamen, 6 mal beobachtet.
Im Ganzen starben von 18 uraemischen 5 Kinder, von SS
Nephritiden 11.
18 Fälle der aufgenommenen Nephritiden zeigten lang-
dauernde Albuminurien, darunter sind 5 sichere Fälle von chro¬
nischer Nephritis, wozu allerdings keiner von den früh aufge¬
nommenen Kindern gehört.
Zur Verhütung des Ilydrops, der chronischen Nephritis, der
Uraemie empfiehlt Baginsky Bettruhe (4 Wochen) und ab¬
solute Milchdiät (14 Tage). Bei langdauernder Albuminurie, bei
Haematurie empfiehlt B. innerlich Aeid. tnnnie. 1 :100. 3stiindl.
1 Kinderlöffel. Gegen die Uraemie bei hohem, gespannten Puls
Blutegel und Vennesektion.
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172(5
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
Dlspiisaion: Herr P f a u n d 1 e r - Graz macht auf die
Beobachtung aufmerksam, dass die Nephritis bisweilen einsetzt
mit Albumosurie. Friigt weiter den Vortragenden, wie derselbe
sieh gegen die (besonders von Natt e r in Paris» empfohlenen
prophylaktischen Maassnahmen gegen die Nephritis mit Terpentin
verhält.
Herr R i 11 e r - Berlin fragt an, ob nicht gerade die durch
leichtes Exanthem ausgezeichneten Fälle häutig zu schwerer Neph¬
ritis disponiren.
Herr Z u ppingor - Wien hat trotz streng dureligefiihrter
Bettruhe und absoluter Milchdiät bei Scarlatina gerade im letzten
Jahre die schwersten Nephritiden gesehen
Herr M ay- Hamburg fragt an. wie lange Zeit man die Ruhe
ausdehnen soll, und wie Bagiusky die Bäder bei hydropischen
Zuständen verwert lief.
Herr Pi za-Hamburg lässt die Scharlachkranken prineipiell
t‘> Wochen im Bette liegen, lässt aber darin gar keine Beeinflussung
bezüglich der Entstehung der Nephritis, nach ihm Ist dieselbe viel¬
mehr abhängig von dein Henna epidemicus. Auch kann P. sich
nicht vorstellen, dass die absolute Milchdiät das Entstehen der
Nephritis verhüten kann.
Herr B a g i n s k y - Berlin (Schlusswort» hat gleichfalls die
Beobachtung gemacht, dass auf leichten Scharlach bisweilen
schwere Nephritis folgt. Wenngleich das Entstehen im gewissen
Sinne auch abhängig sein mag von der Schwere der Epidemie, so
gibt cs doch kein besseres Mittel zur Verhütung und schnellen
Heilung als absolute Milchdiät. Bei Hydrops verwendet auch B.
ausgedehnte, je nach dem Falle verschiedene hydrotherapeutische
Maassnahmen.
2. Herr Zuppinger -Wien: Ueber einen seltenen Fall
von Fremdkörpern.
Z. dernonstrirt ein Lungenpräparat, das einem 2'/a jährigen
Mädchen entstammt, welches sich, in der Nacht einen rechts¬
seitigen Pneumo- resp. Pyopneumothorax zuzog, indem es aus
seinem defekten Bett st roll sack eine leere Kornähre im Schlafe
aspirirte. Nach 38 Stunden starb das Kind. Z. macht auf diese
Gefahr für Kinder aufmerksam.
Diseussion: Herr II o 11 tu a n n - Breslau tlicilt einen
vollkommen analogen Fall mit. bei dem es sich um Aktinom.vkose
handelte. Da im mitgetheilten Falle die Untersuchung auf Tu-
berkclbncilleu nicht gemacht wurde, wäre es denkbar, dass es sieh
auch hier um Aktiimmykose gehandelt habe. Auch im Holt.-
munn'schen Falle, der 1 mm Lebzeiten diagnostieirt war. war die
Aktlnomykosls erworben durch das Verschlucken einer „Tauben¬
gerste". die die Retroviseeralspalte perforirt und an der Thorax¬
seite zum Vorschein gekommen war.
Herr Z u p p 1 n g e r - Wien (Schlusswort»: Hegen die Auf¬
fassung seines Falles als Aktinomykosa spreche das anatomische
Bild der Tuberkulose, wie es die Sektion ergeben halte.
3. Herr J. Ritter: Die Behandlung schwächlicher
Kinder.
Die Behandlung von Kindern, welche eine ausgesprochene
Vulnerabilität, bestimmter Körpertheile. wie der Haut, der
Schleimhäute, speziell der Respirationsschlcimhüute, und der
Sinnesorgane zeigen, bei schneller Betheiligung des lymphatischen
Apparates und ausgesprochener Neigung zum Reeidiv, hat Vor¬
tragender seit mehr als einem Lustruin unter ein. alle natürlichen
Unterstützungsmittel zusammenfassendes, rationelles Regime zu
bringen gesucht. Die Vorbedingungen für das Heilverfahren
wurden von Thierversuchen abgeleitet. Tn erster Reihe steht die
saehgennisse Ernährung. Den Mineralsalzen die ihrer Bedeu¬
tung entsprechende Stellung Ihm der Kostwahl zu geben, ist die
eindringliche Forderung. Durch ausgedehnte Stoffweehselver-
suche wird nachgewiesen, dass nicht nur das Dreigcstim der
grossen Nahrungsmittel. Eiweiss, Fette und Kohlehydrate, son¬
dern auch die Mineralsalze zur Entwicklung der nothweudigen
Lcbcnsenergie gehören. Und zwar darf kein einziges der nor¬
malen Körpersalze fehlen; ja es muss sogar in seiner ganz be¬
stimmten Verbindung zur Stelle sein, wenn der Organismus auf
diesen Mangel nicht durch das Herabgehen seiner vitalen Kräfte
reagiren soll. Klassisches Beispiel hierfür ist das mehr durch
seinen Mangel als durch sein Anlagekapital sich bemerkbar
machende Eisen. Dabei zeigt sich ein deutlicher Unterschied
in der Ausnutzung der Mineralsalze bei animaler und vegetabi¬
lischer Kost zu ganz entschiedenen Gunsten der letzteren. Ausser
den Erfolgen des eine Reihe von Jahren fortgesetzten Verfahrens
und der deutlichen Sprache der Stoffwechsel versuche bringt jetzt
die pliy.-ikalisohc Chemie, die van t’Hof Esche Lehre von der
Lösung, die letzten nnfklärenden Beweise für die Richtigkeit des
Ernährungsprineipes.
Sodann wird über die hervorragend wichtige Gymnastik der
Lungen, die meehanUche Behandlung der Muskulatur des Brust¬
korbes, die methodischen Abreibungen und Sandbäder ausführ¬
lich berichtet. Eine bedeutsame Stelle nimmt auch in Rücksicht
auf den lymphatischen Zustand dieser Kinder die den Bahnen
des Lymphsystems sorgfältig angepas>te Massage ein.
Endlich sehlicsst der Rainer, der in den Erholungsstätten
für tuberkulöse. Arbeiter eine entsprechende Durchführung seiner
schon früher für die Behandlung skrophuloser Kinder empfoh¬
lenen Principien und somit die Durchführbarkeit auch seiner
Ideen sieht, mit einem Appell, auch der Prophylaxe zu geben,
was ihr zukomme, da dies für das Allgemeinwohl von über¬
ragender Wichtigkeit und ohne Aufwendung übermässiger Mittel
möglich sei.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein München.
Sitzung vom 5. Oktober 1901.
Nach (len üblichen Sommerferien im ärztlichen Vereinslelien
hielt der ärztliche Bezirksverein wieder seine erste Sitzung ab.
die wegen des Oktoberfestes weniger als sonst besucht war uml
auch die Tagesordnung glatt erledigte. Der Bericht, den Herr
Abgeordneter v. Land mann an den besonderen Ausschuss zur
Vorlierathung des Gesetzentwurfes über die ärztliche Standes-
und Ehrcngerichtsordnuiig als Referent erstattet hatte, war noch
nicht bekannt; er hätte sonst gewiss eine sofortige energische
Stellungnahme herausgefordert.
Das Andenken der verstorbenen Vereinsmitglieder. Re¬
gierungsdirektor Heheimrath Dr. Oskar v. Lippl und Dr. Lud¬
wig Eisenberger, ehrte der Vorsitzende durch einen wannen
Nachruf und die Versammlung durch Erheben von den Sitzen.
Herr Dr. v. Lippl, früher ein vielbeschäftigter Arzt, war aus
seiner Stellung als Babnarzt in den Verwaltungsdienst der baye¬
rischen Staatseisenbahnen hinübergetreten und hat sieh hier durch
sein Organisationstalent bleibende Verdienste errungen und
namentlich auch das balmärztliclie Institut gefördert; mit den
Aerzten blieb er auch in seiner Amtsstellung stets lu Verbindung
und brachte ihren Bestreitungen grosses Interesse entgegen.
Entsprechend einem früheren Beschlüsse des ärztlichen Be¬
zirksvereins war au das kgl. Staatsministerium des luneru die
Bitte gerichtet worden, \V a r n u n g e u vor S e h w indel-
mittelu und II e i 1 k ii u s 1 1 e r ii zu erlassen. Laut Mlni-
sterialentSchliessung vom 13. September hat diese Anregung zur
Kenntuiss gedient und wird im gegebenen Falle je nach den Um¬
ständen angemessen in Baiacht gezogen werden. Mit dieser Zu¬
sage, die ebenso vorsichtig und zurückhaltend ist wie die Ver-
bescheidung der Anträge der Aerztokammern. ist noch nicht viel
gewonnen, sie kann jedoch die bayerischen Bezirksvereine ver¬
anlassen, in Fällen von notorischer Ausbeutung des Publikums
beim Ministerium vorstellig zu werden.
Aus dem sonstigen Einlaufe verdient Erwähnung das Schrei¬
ben eines Heil m a g n e t i s e u r s an (len Bezirksverein: beseelt
von edler Begeisterung, (len nrmen unheilbaren Kranken zu helfen,
bietet er sieh an, mit den Herren Aerzten zusammen zu wirken:
er will liel>er mit den Aerzten, als gegen dieselben wirken, wie
denn nur die aufrichtigste Tlieilnalime atu menschlichen Elend
ihn zur heilmagnetisclieu Praxis getrieben habe; wunderbare
Erfolge ernmthigeu Hin. auf seiner Bahn weiter zu dringen, und
er glaubt, auf Hrnnd derselben, dass die Aerzte mit ihm nicht zu
Schauden würden; 2 Fälle von jahrelanger Steifheit von Gliedern
brachte er durch blosse Worte in einer Minute wieder zurecht.
IVI »er die Revision de r amtsärztlichen Ge¬
lt ii ii r e n o r d n u n g (Regierungsauftrag zur Aerztekainmer»
erstattete Herr Bezirksarzt Dr. firnber ein ausführliches Re¬
ferat über die derzeitigen Bestimmungen der Verordnung, die Ver¬
gütung für ärztliche Amtsgeschäfte betreffend, und stellte mehrere
Anträge, die nach kurzer Diseussion angenommen wurden. In
gleicher Weise wie den übrigen Staatsbeamten sollen auch deu
Amtsärzten Taggebühren (Diäten) gewährt werden, wenn
der Ort der Vornahme der Dienstgeschäfte mindestens 3 km vom
Amtssitze, bezw. in grösseren Städten von der Wohnung oder dem
Anitslokale entfernt ist. Ebenso soll Ersatz der Reise¬
kost e u beansprucht werden dürfen, wenn die Entfernung des
Ortes der Geschüftsvornnlune von der Wohnung (nicht Amtssitz»
mindestens 3 km betrügt. Die Reiseeutsehüdigung 1 »einisst sieb
für die Amtsärzte nach der Verordnung vom 11. Februar 187."».
die Aufrechnung der Tagegelder und Reisekosten bei auswärtigen
Dienstgesehüfteu der Beamten und Bediensteten des Civilstaats-
dlenstes betreffend; nichtamtliche Aerzte konnten bisher nach der
Gebührenordnung fiir ärztliche Dienstleistungen in der Privnt-
praxis bei mehr als 2 km Entfernung :i—5 M. für jede Stunde der
auf den Hin- und Rückweg verwendeten Zeit bis zum Maximum
von 20—3o M. für den Tag liquidiren. Hiezu wurde nach dem An¬
träge des Referenten angenommen, dass als Ersatz der Reisekosten
ohne Rücksicht auf das Beförderungsmittel (Eisenbahn,Trambahn.
Fahrrad, Motor. Droschke etc.) und die versäumte Zeit die Ent¬
schädigung nach der Kilometerzahl des zurückgelegten Weges er¬
folgen soll. Für A b w artnng 1 a n g d a u e r n d e r gericht¬
lich e r T e r in i n e soll den Amtsärzten auch innerhall) ihres
Amtsbezirkes eine Tagegebühr gewährt werden. Fiir die Ver¬
wesung einer A ni t s a r z t s t e 11 e durch einen praktischen
Arzt soll das Tagegeld von 3 auf (5 M.. für die Abordnung
e i n e s ni c ii t a m 11 i c ii e n Arztes au einen fremden Ort
bei Epidemien u. s. w. von 10 auf 15 M. erhöht werden. Unter
den Taxiiorinen für einzelne ärztliche Amtsgeschäfte wurden
folgende Sätze vorgeselilageii und genehmigt:
Fiir die Besichtigung einer Leiche nebst Befundbericht 5 bis
10 M. (bisher 3 bis U M.).
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22 . <)!<Io1ht 1901.
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
i727
Für die Vornahme einer Leichenöffnung nebst Befundbericht
lö bis .‘50 M. (bisher U bis 15 M.).
Für eine Wu ml bcsc-lniu nebst Befuudberlcht und vorläufigem
Cutachten 5 bis 10 M. (bisher 3 bis 0 M.).
Für ein motivirtes Endgutachten iu solchen Füllen 10 bis
30 M. (bisher 5 bis 18 M.).
Für einen einfachen Bericht au eine Behörde 3 bis 10 M.
(bisher 1 y 3 bis 3 M.).
Für einen ausführlichen Krankenbericht mit begründetem
Cutaehteu 10 bis 30 M. (bisher 10 bis 25 M.).
Für ein motivirtes Gutachten über den Geisteszustand einer
Fersen 10 bis 30 M.
Ferner wurde der Antrag angenommen, dass unter Aufhebung
der bisherigen Bestimmung der Bauordnung die amtsärztlichen
Gutachten in B ausacheu honorlrt werden sollen und
zwar die Besichtigung eines Baues behufs Ertheilung des
Wohnungskonsenses mit 5 M. und die motivirte Begutachtung von
Bauplänen nach dem Satze der motivirten Endgutachten.
Soweit bakteriologische und mikroskopische Untersuchungen
— abgesehen von den Medicinnlkomites — auch von den Amts¬
ärzten oder praktischen Aerzteu vorgenommen werden, sollte
hlefiir eine Gebühr iu Ansatz gebracht werden.
Hierauf begründete Herr Kriiche seinen Antrag, das
Ministerium um Erlass einer Warnung vordem Studium
d e r Medici n, mit Ausnahme der militiir- oder marineürztliohen
Laufbahn, zu bitten, etwa folgeudermaassen: Die Ueber-
l'iillung des ärztlichen Standes sei eine bekannte Thatsache.
namentlich der Zugang vieler ungeeigneter Elemente sei bedauer¬
lich. Wer aus innerem Drange Mediein studire und mit Lust
und Liebe beim Fache sei. der sei immer willkommen; wer aber
nicht recht wisse, welches Studium er ergreifen solle, schwankend
sei. oft erst im letzten Moment durch irgend eineu Zufall sich zur
Mediein eiitscliliesse, nicht die erforderliche körperliche oder
geistige Ausdauer besitze, der entwickle sich nicht zur Freude;
sei aber einmal das Studium angefangen, dann falle es schwer,
umzusatteln. Die von privater Seite oder von ärztlichen Vereinen
ausgegaugeneu Warnungen vor dem Studium der Mediein hätten
bereits einen kleinen Erfolg zu verzeichnen, wirkungsvoller aber
sei es, wenn eine solche Warnung von autoritativer Stelle ausgehe,
wenn vom Ministerium die Rektorate angewiesen würden, die
Absolventen auf die Ueberfülluug des ärztlichen Standes, auf das
langdauernde und kostspielige Studium und auf die schweren
Anforderungen des ärztlichen Berufes hinzuweisen; ähnliche War¬
nungen seien bereits mit Erfolg für das Studium der Jurisprudenz,
der Philologie und der Forstwirtschaft erlassen worden. Der
Antrag ward nach kurzer Debatte mit Mehrheit genehmigt.
Zum Schlüsse der Sitzung fand der zwischen der Abtheilung
für freie Arztwahl und der Betriebskrankenkasse der Elektricltäts-
gesellschaft vorm. Erwin B u b e c k abgeschlossene Vertrag die
statuteugemäss erforderliche Genehmigung.
Ausserhalb der Tagesordnung berichtete Herr Neustätter
über die vor einigen Tagen vom Naturheilvereine München ab¬
gehaltene Versammlung, iu der G e r 1 i n g als Redner auftrat. Die
Vorstandschaft des ärztlichen Bezirksvereines München liess bei
dieser Gelegenheit die A I e x a u d e Fache Schrift über wahre und
falsche Heilkunde zur Vertheilung bringen.
Dr. Carl Becker.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht)
Berlin, den 16. Oktober 1901.
Nachklänge zur Virchow- Feier. — Zum Streit der
Apotheker und Krankenkassen. — Spezialärzte für Naturheil¬
verfahren.
Mit der Feier im Abgeordnetenhause, welche zu Ehren
V i rchow’s am Vorabend seines 80. Geburtstages stattfand,
waren die Ehrungen, welche ihm zugedacht waren, noch nicht
beendet. Der folgende Tag, der eigentliche Geburtstag, sollte für
die engere Familie Vorbehalten bleiben; aber die vielen Hunderte
von Glückwunschtelegrammen, Blumenspenden etc., die an
diesem Tage für ihn abgegeben wurden, mögen ihn wohl nur zu
oft daran erinnert haben, dass ein Virchow nur wenig Zeit
hat, seiner Familie anzugehören, und dass die ganze gebildete
Welt zu seiner Familie gehört. Dem Hausnachbar galt eine
sinnige Ovation, welche die anderen Bewohner der Sclielling-
strasse ihm darbrachten, die Häuser der ganzen Strasse waren
zu Ehren des gefeierten Mitbürgers illuminirt. Am folgenden
Tage gab der Reichskanzler ihm zu Ehren ein Festessen, zu dem
auch die Vertreter der auswärtigen Delegationen eingeladen
waren; gestern fand ein grosser Festkommer9 statt, an dem der
greise Jubilar auch bis tief in die Nacht hinein Theil nahm,
und mancherlei weitere Festessen, Festkommerse und andere
mehr oder weniger anstrengende Ehrungen dürften ihm noch
bevorstelien; man weiss nicht, was man dabei mehr bewundern
soll, die einmüthige Anerkennung für Vi rchow’s Verdienste.
welche zum Ausdruck zu bringen in diesen Tagen die lieimath
des grossen Forschers und das Ausland wetteiferten, oder die
Elastizität des Körpers und Geistes, mit der der jugendfrische
Greis alle die Ovationen über sich ergehen liess, die zu über¬
stellen selbst für einen Mann von der fast sprichwörtlichen
Arbeitskraft und Unermüdlichkeit Vi rchow’s eine recht an¬
sehnliche Leistung sein muss.
Diese Geburtstagsfeier nahm so sehr das allgemeine Inter¬
esse und besonders das der Aerztc in Anspruch, dass daneben
die kleineren Tagesfragen in den Hintergrund traten. Jetzt,
nachdem die Wogen der Begeisterung sich allmählich zu legen
begonnen haben und das Vereinsleben nach Beendigung der
Sommerferien sich wieder zu regen anfängt, tritt man auch
wieder in die Discussion über alte, unerledigt gebliebene und
über neu auftauchende Fragen ein. Zu den ersteren gehört der
leidige Streit zwischen Krankenkassen und Apothekern, der mit
ungescliwäehtem Kampfesmuth von beiden Parteien fortgeführt
wird und der trotz einiger behördlicher Eingriffe zu Gunsten
der Apotheker noch immer auf dem Status quo stehen ge¬
blieben ist. Neuerdings hat es nun der Vorstand der Betriebs-
krankenkassc der Stadt Berlin übernommen, einen neuen Ver¬
such zur Einigung aiizubahnen. Der Vorsitzende machte den
Parteien den Vorschlag, ein Einigungsamt zu bilden und diesem
die Beilegung des Streites zu überlassen. Das Einigungsamt
soll aus dem Vorsitzenden, 2 Unparteiischen und je 6 Inter¬
essenten, die jede Partei wählt und die von der Gegenpartei nicht
abgelehnt werden dürfen, bestehen. Die Delegirten der Apotheker
und der Krankenkassen erklärten sich vorbehaltlich der Zustim¬
mung ihrer Auftraggeber mit diesem Vorschläge einverstanden
und das Einigungsamt soll bereits in der nächsten Woche zu
seiner ersten Sitzung zusammentreten. Hoffentlich ergeht es
ihm nicht ebenso wie dem Vorstand des Vereins der freigcwählten
Kassenärzte, dessen Einigungsversuehö zu Beginn des Streites
leider fehlschlugen.
Die in unserem vorigen Berichte bereits erwähnten Wünsche
der Aerzte hei Abschliessung der neuen Verträge mit den Kassen
— allmähliche Erhöhung des Honorars von 3 auf 4 M. pro Kopf
und Jahr, Fortfall der bisherigen Honorarabzüge zur Deckung
der Kosten für schleunige Hilfeleistungen und mehrjährige
Dauer der Kontrakte — sind kürzlich in einer Generalversamm¬
lung des „Vereins der freigewählten Kassenärzte“ zur Besprech¬
ung gelangt und fanden natürlich allgemeine Billigung. Von
Bedeutung ist aber, dass die anderen kassenärztlichen Ver¬
einigungen, der Verein Berliner Kassenärzte und die Aerzte de3
Gewerkvereins, sich in dieser Frage mit dem Verein der frei¬
gcwählten Kassenärzte solidarisch erklärten.
Bei einer andern Angelegenheit aber hat der Gewerkskranken¬
verein grossen Unwillen unter den Aerzten erregt. In einem
Inserat gab er die Absicht kund, 3 „Spezialärzte für Natur-
verfahren“ anzustcllen und hat damit gewissermaassen eine
Kategorie von Aerzten sanktionirt, die wir nicht gern als voll¬
berechtigte Kollegen anzusehen pflegen. Nicht ohne Genug-
thuung sehen wir die moderne Mediein in ihrer praktischen An¬
wendung als ein Naturheilverfahren an und haben es stets für
die Pflicht eines jeden Arztes gehalten, sich die Kenntniss der
physikalischen Heilmethoden zu eigen zu machen. Der formelle
Ausdruck „Naturheilverfahren“ wird aber mit Vorliebe von den
Kurpfuschern auf ihre Fahne geschrieben und als ein Kampf¬
und Schlagwort benutzt, durch da9 der Gegensatz zur wissen¬
schaftlichen oder, wie sie mit einem Beigeschmack von Nicht¬
achtung zu sagen pflegen, zur Schulmedicin zum Ausdruck ge¬
bracht werden soll. Allerdings haben sich auch, angelockt durch
die Erfolge der Kanitz, Kneipp u. A., wissenschaftlich aus¬
gebildete Aerzte gefunden, welche unter Verzichtleistung auf das
übrige Rüstzeug der Therapeutik diese eine und einseitige
Methode als die allein seligmachende erwählt und sich die Be¬
zeichnung „Spezialärzte für das Naturheilverfahren“ zugelegt
haben. Aber wenn wir diesen Titel lesen, so werden wir doch
gar zu sehr an ihre nichtärztlichen Kollegen erinnert und können
uns des Eindrucks nicht erwehren, dass sie diesen näher stehen
als uns. Die weitgehende Spezialisirung unter den Aerzten hat
ja schon manche seltsamen Erscheinungen gezeitigt und man
begegnet mitunter der ironischen Frage, oh Dr. N. Spozinlarzt
für das linke oder das rechte Ohr sei, aber immer waren es doch
wissenschaftliche Disciplinen, welche die Spezialität kennzeich¬
neten, nicht therapeutische Methoden; und ebenso wenig wie
wir einen Spezialarzt für die Anwendung von Jodkali oder einen
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172S MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43.
»Spt zinlisten fürSehilddrüsentherapie anerkennen würden, können
wir auch zugeben, dass das Spezialistenthum für Naturheilver-
i’ahron mit der Würde der Wissenschaft in Einklang zu bringen
ist. Der Gewerkskrankenverein war entschieden schlecht be-
rathen, als er diese Stellen ausschrieb; es ist auch kein Zweifel,
dass die jetzt bei dem Verein thätigen Aerzte in ihrer über¬
wiegenden Mehrzahl mit den physikalischen Heilmethoden hin¬
reichend vertraut, sind, um sie in geeigneten Füllen anwenden
zu können. Schon beginnt in den Spalten der Faehblütter gegen
die geplante Neuerung sich ein IJnmuth auszuspreehen, der zu
einem Entrüstungssturin anzuschwellen droht. Vielleicht wird
das dem Gewerkskrankenverein zum Bewusstsein bringen, dass
er einen faux pas begangen lmt, und wird ihn veranlassen, von
der Anstellung dieser Art von »Spezialisten Abstand zu nehmen.
M. K.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
W i en , 20. Oktober 1031.
Nothnagel -Feier. — Ein Erfolg in der Frage der
Meisterkrankenkassen. — Ein Landtag plaidirt für die Kur¬
pfuscherei.
Zu gleicher Zeit, da in Berlin die V i r e h o w - Feier be¬
gangen wurde, gab es in Wien eine N o t h n a g e 1 - Feier, frei¬
lich bloss eine bescheidene, sozusagen „intern-klinische“ Ovation,
während die Berliner Feier bekanntlich einen internationalen
und imposanten Charakter aufwies. Nothnagel, unser
weltberühmter Kliniker, hatte seinen GO. Geburtstag, der auf den
28. September fiel, fern von Wien verlebt; seine unmittelbaren
Schüler Hessen es sieh aber nicht nehmen, ihm nach seiner Rück¬
kehr am 13. Oktober ihre grenzenlose Verehrung, ihre Liebe und
Dankbarkeit auch öffentlich zum Ausdrucke zu bringen. Im
festlich geschmückten Ilürsaale erschienen in grosser Zahl die
jetzigen und früheren Assistenten und Aspiranten der Klinik,
um den Meister in warmen Worten zu begrüssen und der Klinik
ein von ihnen gestiftetes, vom Maler Ilorowitz meisterhaft
ausgeführtes Porträt zu übergeben. Der Redner, Primarius
Dr. v. Kogerer, betonte die unwandelbare Anhänglichkeit
der Schüler an ihr geistiges Oberhaupt und fuhr fort: „Was wir
Ihnen, verehrter Meister, sagen wollen? Tausend Dank für Alles,
was sie uns Gutes gethan, und die heissesten Wünsche für Ihr
ferneres Wohlergehen. Sie waren uns stets ein fürsorglicher
väterlicher Freund. Uns und den Tausenden, welche Ihren
Vorträgen gelauscht, waren Sie ein Lehrer, welcher, selbst be¬
geistert für die Wissenschaft, der er sein Leben geweiht, Be¬
geisterung auch in seinen Schülern weckte. Ihre Schaffens¬
kraft und Ihr nie erlahmender Fleiss fanden stets und finden
heute mehr als je unsere Bewunderung .... Fest, wie auf
die eigene Kraft, mögen Sie, verehrter Meister, auf unsere Treue
bauen!“
Namens der jüngeren Generation sprach der jetzige erste
Assistent der Klinik Dr. Breuer, w'orauf Nothnagel in
herzlichster Weise dankte. Zahllose Telegramme aus dem In-
und Auslande übermittelten Festgriissc, Deputationen humani¬
tärer studentischer Vereine gratulirten ihrem Protektor oder
Gönner. Die „Wiener klinische Rundschau“, redigirt von den
Privatdozenten Dr. F. Ober m a y e r und Dr. Carl K u n n,
hatte eine mit dem Bildnisse Hofrath N o t h n n g e l’s gezierte,
starke Festnummer erscheinen lassen, welche nebst Beiträgen
von E. v. L c y d e n und O. Rosenbach zahlreiche wissen¬
schaftliche Aufsätze gewesener Assistenten und Mitarbeiter der
Klinik enthält. Nothnagel wurde im Jahre 1882 an die
Wiener Universität berufen.
Die Statthaltereien zahlreicher Länder, so die in Linz. Triest,
Görz, Pola etc., hatten die zuständigen Kammern im Verlaufe
der letzten Monate mittels Erlässen davon verständigt, dass sie
sich ebenfalls veranlasst sehen, die bezüglichen Beschlüsse der
Aerztekammern, betreffend die Meisterkrankenkassen, aufzulieben
und für rechtsunwirksam zu erklären. Einzelne Kammern
hatten den Rekursweg betreten, andere nicht, so z. B. die Kammer
in Pola desswegen nicht, „weil nach ihrer Ansicht ohnehin keine
Aussicht vorhanden sei, beim Ministerium, welches offenbar nach
und nach alle Kammern von den betreffenden Landesstellen
aus mit ähnlichen Geschenken beglücken werde, besseres Gehör
zu finden und weil alle Aerzte des Sprcngels ohnehin ihr Ehren¬
wort schriftlich abgegeben hätten“. Trotzdem ist in der Fragt-
der Meisterkrankenkasse ein vorläufiger Erfolg — ob in Folge
d(*s Einschreitens der Aerztekammern sei dahingestellt — zu
verzeichnen. Die Regierung hat dem Abgeordnetenhause einen
Gesetzentwurf, betreffend die Abänderung und Ergänzung der
Gewerbeordnung vorgelegt, in welchem eine Bestimmung dahin
geht, dass die Genossenschaften berechtigt sind, ihre Mitglieder
zur Versicherung auf Krankengeld oder auf Kranken- und Be-
gräbnissgeld, jedoch mit Ausschluss der Ver¬
sicherung auf unentgeltliche ärztliche Hilfe,
zu verhalten, ln diesem Falle ist die Höhe und die Dauer des
zu versichernden Krankengeldes beziehungsweise die Höhe des
Bcgräbnissgeldes festzusetzen. Doch darf das Krankengeld
wöchentlich 28 Kronen, das Begräbnissgeld 400 Kronen nicht
übersteigen. Ein Zwang auf Versicherung auf Begräbnissgeld
allein ist unstatthaft.
Das „Oestorr. Aerztekaminerblatt“ jubelt — aber mit Be¬
dacht : „Etwas anderes haben die Aerzte betreffs der Meister-
krnnkonkasson nicht begehrt! — Nun ist aber noch ein weiter
Weg, bis dieser Entwurf und diese Bestimmung Gesetz wird,
und noch manche Fiihrlichkeit ist zu überwinden. Zunächst
wäre cs sehr angezeigt, dass die einzelnen Kammern an die in
ihrem Sprengel sieh befindlichen Handelskammern (den
Handelskammern hat die hohe Regierung diesen Gesetzes¬
entwurf zur Begutachtung vorgelegt, den Aerztekammern
bislang noch nicht — Der Ref.) herantreten und denselben die
Forderung der Aerzte und die Berechtigung dieser Forderung
darstellen, damit sie nicht etwa diese Bestimmung zur Streichung
beantragen; denn in den Handels- und Gewerbekammem sitzen
nicht durchaus Freunde der Aerzte!“ Und von dem Wohl¬
oder Misswollen der Herren Ilandelsrüthe ist unser Wohl oder
Wehe noch abhängig!
Vor ca. 4 Jahren fasste der oberösterreichische Landesaus¬
schuss den Beschluss, an die hohe Regierung die Bitte zu richten,
dem bekannten Beinbruchrichter Franz Stadl Dauer, Kramer
und Hausbesitzer in Landshaag, die Konzession zum Beinrichten
etc. zu verleihen. Damals protestirten alle österreichischen
Aerztekammern, in erster Linie selbstverständlich die Öberöster¬
reichische Kammer, gegen die Verleihung einer solchen Kon¬
zession zu Gunsten eines Kurpfuschers und thatsächlich wurde
diese Konzession bisher nicht ertheilt. Neuerdings richteten
44 Gemeinden des Mühlviertels an den Landtag die Bitte, gleich
für alle drei Brüder Stadlbauer, den Franz, den Wenzel
und den Karl, diese Konzession zu erwirken. Die Familie
Stadlbauer, heisst es in der Petition, hat der Bevölkerung
dadurch Dienste geleistet, dass sie Beinbrüche mit ausserordent¬
lichem, ja sicherem Erfolge heilte. Es sei daher den 3 Brüdern
ausnahmsweise die Bewilligung zu ertheilen, Beinbrüche,
Quetschungen und Verrenkungen ohne Anwendung innerlicher
Medikamente zu behandeln, unter vorhergehender Verständigung
eventuell Beiziehung eines Arztes . . . Man könne minder¬
bemittelten Patienten nicht zumuthen, in solchen Fällen einen
»Spezialisten aus Linz holen zu müssen, nicht jeder Arzt könne
Spezialist sein. Durch diese Art der Beiziehung von Arzt und
Beinrichter werde den Herren Aerzten in ihrem Ansehen keinerlei
Eintrag zugefügt.
In einer Gegenpetition bat der Präsident der Oberösterreich.
Aerztekammer, über das Ansuchen der 44 Gemeinden wegen Er-
theilung der Praxisfreiheit an die 3 Brüder St. zur Tagesord¬
nung überzugehen und begründete dieses sein Ansuchen Namens
der Aerzte, denen wohl ein bedeutender Eintrag sowohl au An¬
sehen, als auch an Einkommen zugefügt werden würde.
Welcher Arzt würde sich so weit erniedrigen, diesen Herren St.
— Assistentendienste zu leisten resp. hinterher die Verantwortung
für einen etwaigen Misserfolg zu übernehmen? Wenn ein Arzt
vorhanden sei, so brauche man diese Kurpfuscher nicht, wenn
aber kein Arzt da ist, wie könnte ein solcher vorher verständigt
und event. beigezogen werden?!
Der Gemeinde- und Verfassungsausschuss des Oberösterreich.
Landtages verfasste einen Bericht über diese Petition der 44 Ge¬
meinden, in welchem er die Geschicklichkeit des Beinbruch¬
richters, dessen zahlreiche Heilungen etc. herausstrich und
schliesslich zu folgendem Anträge gelangte: „Der hohe Landtag
wolle beschliessen, das Ansuchen der 44 Gemeinden des Mühl¬
viertels werde dem Landcsausschusse mit der Ermächtigung zu-
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22. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1729
gewiesen, dasselbe nach genauer Berücksichtigung aller Um¬
stände und event. weiteren Erhebungen zu erledigen.“
Am 9. Oktober verhandelte der oberösterr. Landtag diese An¬
gelegenheit und acceptirtc den eitirten Ausschussantrag mit 23
gegen 13 Stimmen. Vergebens wies ein Abgeordneter (im ober¬
österr. Landtage sitzt kein Arzt) darauf .hin, da-^s bei Erfüllung
des Wunsches dieser Gemeinden viele Leidende der ordentlichen
ärztlichen Behandlung entzogen und vielen Missbräuchen Thür
uud Thor geöffnet würde. Durch die Förderung der Kur¬
pfuscherei würde überdies der Landtag eine traurige Berühmt¬
heit erlangen. Derlei Ansuchen gehörten überhaupt nicht vor
den Landtag, der dann vielleicht aucli einmal über allgemeine
Heilkunde, über Anwendung von Spruchbüchlein oder über die
Wirksamkeit des am Johannestage gesegneten Weines (darob
grosse Entrüstung eines klerikalen Abgeordneten!) gegen die
Gicht werde debattiren müssen. Alles vergebens — die ober¬
österr. Bauern behielten Recht, vorläufig bloss im Landtage,
denn es ist nicht zu befürchten, dass eine h. Regierung dem
l anzüglichen Wunsche nach Protogirung der Kurpfuscherei nacli-
kommen werde. Einen komischen Eindruck macht es schliess¬
lich, wenn man liest, dass derselbe Landtag danach sofort e i n -
s t i m m i g den Antrag annahm, die Regierung aufzufordern,
die Errichtung einer medicinischen Fakultät in Linz neuerdings
zu erwägen und diesen oft geäusserten Wunsch des Landtages
endlich zu verwirklichen. Wozu noch eine modicinische Fakultät,
wenn man die famosen 3 Brüder St. im Lande hat? Viel besser
klingt der Ruf: Hoch die Kurpfuscherei!
New-Yorker Brief.
Zum St. Pauier Aerztecongress und nach Wunderland.
(Schluss.)
Wir verlassen die Geysergegend und klimmen die von
grünenden Tannen besetzten Bergabhänge empor. Es ist eine
wunderbare Erscheinung, diese dunkelgrünen Koniferen noch in
einer Höhe von 10 (XX) Fuss gedeihen zu sehen, während man in
der Schweiz bei 4000 Fuss Steigung fast nur mehr auf Strauch¬
werk stösst.
Gegen Mittag — es war am 12. Juni! — fing es an, lustig zu
schneien. Wir versetzten uns in die schöne Weihnachtszeit,
denn die Tannen waren ringsherum mit glänzendweissem Schnee
bedeckt. Ja, unter dem saftigen, grünen Gras lugten überall
die schönsten Blumen zwischen den Schneemassen hervor. Die
Schneeflocken flogen durch den Wagen und setzten sich rück¬
sichtslos auf unsere Gesichter, aber sie störten unseren Comfort
nicht wie das kalte Regenwetter von vorgestern. Unserer Route
entlang zeigen sich vielfach zwischen den Bäumen und Fels¬
massen grosse, zum Theil gletscherartig vereiste Schneeschichten.
Bald sind wir auf der Höhe des Passes, 8400 Fuss über dem
Meeresspiegel, angelangt. Wenn wir rückwärts schauen, so trifft
unser Auge den Yellowstonefluss, welcher sich dem Mississippi
zuwendet, während wir nach vorn die Anfänge des Snake River
(Schlangenflusses) wahrnehmen, welcher sich in den grossen
Columbiafluss, der dem Stillen Ocean zugehört, ergiesst.
Auf dem Gipfel machen wir Halt. Wir sind, wie schon
früher angedeutet, dicht hinter dem Wagen unserer Milwaukeer
Kollegen. Dort herrschte eine ausgelassene Lustigkeit, trotzdem,
wie uns versichert wurde, das Feuerwasser längst ausgegangen
war.
Jenseits des Berggrates geht es an schwindelnden Abgründen
vorbei bergab. Die Aussicht über die schneebedeckten Berge und
ihre dazwischen grünenden Wäldern ist herrlich.
Unser Rosselenker lässt die Pferde in scharfem Galopp den
Berg hinunterrasen. Uns vergeht Hören und Sehen. Eine Fahrt
im Engadin ist auch keine Kleinigkeit, aber was will seine wohl¬
geschützte und regelmässig sich dahinwindende Poststrasse gegen
diese abnorm abschüssige und nur an einigen wenigen Stellen
eingefriedigte Passage heissen! Und wenn eines unsere Pferde
stürzte, so käme die hinterdrein sausende wilde Jagd auf unseren
Rücken und aus wär’ es gewesen. Durch Zufall habe ich noch
dazu in Erfahrung gebracht, dass nur das eine Handpferd zu¬
verlässig war, die übrigen waren frische Ranchos und erst kurz
vor unserer Reise in der Prairie aufgefangen worden. Man
kann sich vorstellen, dass diese Information, welche ich vor¬
läufig für mich behielt, keineswegs zum ungestörten Genuss dieser
wilden Strecke beitrug. Es lief aber Alles gut ab und mit einem
überlegenen Lächeln stieg der edle Rosselenker vom Wagen, als
wir unten am Yellowstone Lake anhielten. Derselbe that sich
plötzlich vor unseren Augen auf, wie eine Fata morgaua. Erst
noch inmitten des schneeigen noehgebirgwaldes und nun eine
unendlich schöne, tiefblaue Fluth, von den mit ewigem Schnee
bedeckten Riesen der Rocky Mountains eingerahmt. An Schön¬
heit steht er dem Vierwaldstädter oder Genfer See sicherlich
gleich, an Grossartigkeit der Umgebung aber übertrifft er sie.
In der Mitte des herrlichen Panoramas steht der Grand Teton,
welcher eine Höhe von 13 654 Fuss besitzt und in seiner Form
der Jungfrau gleicht. Er ist wie diese mit ewigem Schnee be¬
deckt. Rings herum befinden sich Berge von 10 bis 12 000 Fuss
Höhe. Das Niveau des Sees selbst ist 8000 Fuss über dem
Meeresspiegel gelegen. Seine Länge beträgt 20 und seine Breite
15 Meilen und ist er mit kleinen Inseln besät, welche eine üppige
Vegetation tragen. Auf einer derselben befindet sich die einzige
sich noch der Freiheit erfreuenden Büffelheerde. Dieselbe kann
man von dem vorbeiführenden Dampfer aus beobachten. Der
Yellowstone-See bildet wegen seines grossen Fischreichthums den
Gipfelpunkt des Entzückens der Fischamateure. Einige der
Kollegen fingen in wenigen Minuten eine Legion mehrpfündiger
Seeforellen und die Speisung der 5000 Mann wäre hier kein
Wunder zu nennen gewesen.
Unsere sehr ermüdeten Pferde wurden an der am Eingang
des Sees befindlichen Thumb Ray Lunch Station untergebracht.
Der Name derselben rührt von dem daumenförmigen Wasser¬
streifen her, welcher sich vom See aus weit in’s Land hineinzieht.
Kurz bevor wir ankamen, begegneten wir unserer entgegen¬
gesetzten „Hälfte“, welche gerade mit ihrem Mittagsmahl fertig
geworden war. Unter lauten Begrüssungen fuhren wir an¬
einander vorüber und die eine Hälfte schrie der anderen zu,
dass sie doch den schöneren Theil durchwandert hätte.
Unser Lunch, der eigentlich ein sehr verspätetes Mittagessen
war, lief in diesen engen Räumen des „Daumenrestaurants“ nicht
so gemüthlich ab, wie bei seinen gleichgestimmten Vorbildern.
Wir wurden mit Fischen abgefüttert, trotzdem es keineswegs am
Freitag war, und dann war das Drängen unangenehm. Einige
unserer Kollegen schifften sich auf dem kleinen Dampfer ein,
welcher sie in schnurgerader Richtung bald nach dem am anderen
Ende des Sees gelegenen Lake Ilotel brachte, während wir cs
vorzogen, die reichliche Zahl der kleinen Geyser und heissen
Quellen am Uferrand zu besuchen. Auch begegneten wir
mehreren roScnfingrigcn Farbentöpfen, deren schmatzende Musik
schon von Weitem hörbar war. Dieselben gleichen denen des
Lower Basin und wird ihnen von manchen Reisenden die Palme
zuerkannt.
Im Ablauf des Geyserwassers beobachteten wir langsam
faulendes Holz, um welches sich zwischen Silicaten und kohlen-
saure'n Depositen moosartige Gebilde geklammert hatten, und
ist cs zu verwundern, dass deren Leben nicht durch den hohen
Temperaturgrad erlosch.
Spät am Nachmittag setzten wir unsere Reise um den See
herum fort. Gegen Abend fing es an zu schneien, nachdem über
die Mittagszeit die Sonne nur zu warm auf uns heruntergebrannt
hatte. Seitlich im Gehölz trafen wir auf einige prachtvolle
Dammhirsche, welche uns mit kindlich erstaunten Blicken an¬
sahen. Die Tliiere scheinen zu wissen, dass man ihnen nichts
anliaben darf. Auf dem See bemerkten wir Schaaren wilder
Enten und Gänse, auch fiel uns eine erkleckliche Zahl von
Adlern auf, welche über der Wasserfläche kreuzten.
Kurz vor Einbruch der Nacht langten wir im Lake Hotel
(Seehötel) an. Eines unserer Pferde war gestürzt, ohne glück¬
licher Weise Schaden zu nehmen. Es war dies auch nicht zu
verwundern, denn sie hatten eine Strecke von 48 Meilen über
wilde, unregelmässige Gcbirgspfade an diesem einen Tage zurück-
legcn müssen.
Die Abende verliefen sämmtlich in höchst gemüthlicher
Weise und konnte man einen tiefen Blick in die Eigenart der
westlichen Kollegen in den Plauderecken am Kamin thun.
Die meisten Kollegen nebst ihren Frauen machen bei ober¬
flächlicher Bekanntschaft keinen erwärmenden Eindruck auf ein
deutsches Gemüth. Die nachlässige Haltung, welche dem ganzen
Habitus den gewissen herausfordernden Zug des II o r a z'sehen
Nil admirari verleiht, wie er in der Provinz vielfach auch dein
Berliner imputirt wird, und die lauten Conversationsmanicrcn.
wie sie beiden Ge.-ehleehtern in graduellen Variationen eigen sind.
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1730
No. 43.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
haben selbst für Den, welcher jahrelang in den Vereinigten Staaten
ansässig ist, nichts Sympathisches. Hat man sich aber erst mit
diesen, nur an der Oberfläche des Charakters haftenden Eigen¬
schaften abgefunden, so wird man durch allerlei lobenswerthe
Charakterzügo dieser, sozusagen noch in den Kinderstrümpfen
der Kultur spazierenden Menschen gefesselt. Ich muss gestehen,
dass ich durch die nähere Bekanntschaft mit diesen westlichen
Kollegen meine Vorurtlieile gründlich bereute, und ich gedenke
jeder einzelnen dieser offenen und weitherzigen Seelen mit ihrem
scharfen, gesunden Menschenverstand, welcher ihnen so oft die
Gelehrsamkeit ersetzt, mit Achtung und Liebe. Nur mit Einem
mache ich eine Ausnahme. Es war ein Kollege von europäischer
Abstammung natürlich, welcher in einer Ecke, in die ich mich
behufs Aufzeichnungen in mein Tagebuch retirirt hatte, ein
wissenschaftliches Attentat auf mich ausübte, so dass ich in
meiner ungemüthlichen Stellung, worin er mich weidlich
schwitzen machte, sehr deutlich in meine Examina zurückversetzt
wurde, und das Unglück wollte, dass ich bei ihm auch noch gründ¬
lich durchfiel. Zuerst quetschte er alle Für und Wider in der
Appcndicitisfrage aus mir heraus und dann wollte er die ver¬
schiedenen Nahtmethoden des Peritoneums von mir gewürdigt
wissen. Er warf dabei mit allen möglichen chirurgischen Namen
um sich, und trotzdem mir der eine oder andere bekannt vorkara,
so konnte ich mich doch nicht entsinnen, dass die betreffenden
Biedermänner besondere Nahtmethoden angegeben hätten. Ich
bedeutete ihm, dass ich eben meine Nähte einfach so anlegte,
wie cs mir mein sog. gesunder Menschenverstand eingab, was ihn
derart von meiner krassen Unwissenheit überzeugte, dass er
empört die Ecke freigab und sich auf ein anderes Inquisitions¬
opfer stürzte. Während der ganzen Reise umkreiste er mich
dann in weitem Bogen und ich fürchte, dass er meiner mit sehr
mangelnder Hochachtung gedenkt.
Ein sehr beliebtes Thema waren die europäischen Hoch¬
schulen. Das Hauptinteresse nahmen Berlin, Wien und Paris
in Anspruch. London scheint seine frühere Anziehungskraft
für Amerikaner ziemlich eingebüsst zu haben. Die deutschen
Koryphäen erwiesen sich als sehr bekannt und hochgeachtet. Die
beliebtesten amerikanischen Lehrbücher sind ja auch von
deutschen Grössen geschrieben und in’s Englische übersetzt.
Ein im Allgemeinen vernichtendes Urtheil wurde über das
Meusurwesen gefällt, zu welchem Gesprächsgegenstand die
Stammbuchblätter, welche man mir seiner Zeit in meine Physio¬
gnomie gekritzelt hatte, den Anlass lieferten.
Ich suchte mm den Kollegen zu erklären, dass mau nicht
Jugend und Weisheit zu gleicher Zeit besitzen könne und dass,
wenn doch einmal gerauft sein muss, dies besser unter allgemein
respektirten und kavaliermässigen Regeln vor sich geht, als das
in Amerika beliebtere Boxen. Ich konnte es mir auch nicht ver¬
sagen, ihnen von dem idealen Geist der deutschen Universitäten
zu sprechen, der grossen Begeisterung, die in scheinbar kalten
Naturen oft nur latent existirt, aber bei der ersten besten Ge¬
legenheit in helle Flammen angefacht wird. Als ich ihnen von
der traurigen Epoche erzählte, in welcher der grosse Usurpator
den Fuss auf den Nacken des deutschen Volkes setzte, so dass
es aussah, als solle es sich nimmermehr erheben, und als ich
ihnen klar machte, dass es der ideale deutsche Burschengeist
war, der durch die deutsche Volksseele zog, dass es sich wieder
aufrichtete und sogar seinen verzweifelnden König mitriss, da
fingen sie doch an, etwas andere Saiten aufzuziehen. Ich schleu¬
derte ihnen den K a n t’schcn Imperativ in’s Gesicht, die Vis a
tergo, die den alten Marschall Vorwärts die Kanonen durch den
tiefen Schmutz vor Belle-Alliance ziehen licss; das eiserne
Pflichtgefühl, welches die deutschen Studenten seiner Armee so
glühend beseelte, dass der entfesselte Furor tcutonicus selbst ge¬
wöhnliche Naturen mitriss und die schon schwankenden Flügel
der grossen Schlachtlinie wieder festigte. Wo wäre der Ruhm
eines Wellington geblieben, wenn nicht deutsche Begeisterung
ihm im kritischen Moment zu llilfe gekommen wäre! Es war
wohl Einer, der mich an den Verkauf der Hessen an die Eng¬
länder erinnerte, damit sie gegen Washington kämpfen sollten,
aber ich erinnerte sie an die moralische Unterstützung der jungen
amerikanischen Republik durch Friedrich den Grossen und an
die Verurtheilung dieses Landeskinderverkaufs durch Schiller in
seiner bis auf den heutigen Tag unnachahmlich gebliebenen
..Kabale und Liebe“.
Die Anderen aber fingen als Zeichen ihrer Zustimmung an
kolossal zu fluchen und zu schwören, dass sie auch noch einmal
deutsche Studenten werden wollten. Wenn’s noch eine Weile
so weiter gegangen wäre, glaube ich, wäre noch allgemeine
Bruderschaft getrunken worden, trotzdem das im Englischen, wo
man Jedermann sozusagen duzt, seine technischen Schwierig¬
keiten gehabt haben würde.
Diese Erfahrung zeigte mir aber wieder, wie begeisterungs¬
fähig der scheinbar so kühle Yankee ist, wenn man erst sein Ver¬
trauen geniesst und ihm mit Ernst und ohne Furcht in’s Ge¬
wissen redet.
Die östlichen Kollegen unserer Reisegesellschaft waren aus¬
nahmslos hochgebildete Männer und hatten sämmtlieh den¬
jenigen Erzichungsgrad, welcher in Deutschland für die Zu¬
lassung zum ärztlichen Studium obligatorisch ist, aus eigenem
Antrieb genossen. Die Vorkenntnisse, welche in den östlichen
Staaten heutzutage nöthig sind, entsprechen der Oberseeunda
eines deutschen Gymnasiums; in wenigen Jahren wird jedoch,
wie es jetzt schon in Harvard (Boston) und John Hopkins (Balti¬
more) der Fall ist, das Abiturientenexamen verlangt werden.
Das ärztliche Staatsexamen ist nun dem deutschen so ziemlich
gleichwertig.
In der Nähe des Hotels besichtigten wir einen jungen Elch,
der gerade mit Milch gefüttert wurde. Das Alter dieses un¬
beholfenen Babys, dem man gestern seine Mutter geraubt hatte,
war auf 10 Tage geschätzt worden. In der Nacht hörten wir die
Schreie von Hirschen in nächster Nähe und Herr
Dr. Schweitzer hatte im Zwielicht des Morgens Gelegenheit,
5 Hirsche direkt vor der Hötelpiazza zu sehen und zu photo-
graphiren.
Am folgenden Morgen fuhren wir den Ufern des Yellow¬
stoneflusses entlang, unserem letzten grossen Schaustück, dem
Great Canyon zu.
Wir passiren auf dem 17 Meilen langen Weg den Sulpluir
Mountain (Schwefelberg), dessen zum grössten Theil aus
Schwefel bestehende Felsen in wüstem Durcheinander liegen.
Da und dort steigen Dämpfe empor, die einen stechenden
Schwefelgeruch verbreiten. Etwa 5 Meilen vom See em
fernt treffen wir die Mead Volcanos (Schlammvulkane), welche
in ihrer Konstruktion dem Vesuv ganz ähnlich sind. Statt der
emporgeworfenen Steine aber sieht man hochaufsteigenden
kochenden Schlamm. Der eine dieser Vulkane hat einen 30 Fus-;
tiefen, trichterförmigen Krater, welcher von einem bleifarbenen,
moorähnlichen Teig gebildet wird, der sich bei seinen wieder¬
holten Eruptionen ansetzte.
Das Geräusch der kochenden Schlammlava in den Kratern
hat einen eigenthümlichen gurgelnden Charakter und ist ähnlich
wie das des Vesuvs weithin vernehmbar.
Wir können wiederum, nur mit Gummischuhwerk geschützt,
herantreten. Die Abwesenheit jeglicher Schutzmassrcgeln glaube
ich an diesem gefährlichen Territorium einer Kritik unterziehen
zu müssen.
Die Reinigung des Schuhwerks nahm, ehe wir wieder in
unseren Wagen stiegen, geraume Zeit in Anspruch und verlief
nicht ohne tragikomische Zwischenfälle.
Der Charakter der Gegend ändert sich nun sehr. Zwar
sieht man vereinzelt noch einige kleine Geyserbabys ihre dünnen
Rauchsäulchen emporwinden, die Tannenwald- und Wiesen¬
gelände prädominiren jedoch jetzt wieder und der breite Hayden
Valley erinnert uns an die Sommerau im Schwarzwald. Kurz
nach Mittag erreichen wir das Canyon Hotel, in dessen nächster
Nähe wir einen grossen Waschbär behaglich auf einem Felsen
sitzen sehen. Diese vorzügliche Herberge befindet sich auf einer
steilen Anhöhe, von welcher man auf die grossen Fälle dos
Yellowstoneflusses hinabsieht.
Man muss etwa 1000 Fuss hinabsteigen, um die Fälle aus
der Nähe bewundern zu können. Dieselben sind kleiner als die
Niagarafälle, aber ebenso schön. Der erste Theil der Fülle lässt;
eine Riesenkaskado von 180 und der zweite eine solche von
360 Fuss in den gähnenden Abgrund hinabstürzen. Die Gross¬
artigkeit dieser Fälle weicht übrigens zurück vor dem unver¬
gleichlichen Anblick der sich an dieser Stelle aufthuenden
Grand Canyon (Grosse Schlucht), welche der Fluss nach seinem
jähen Absturz durchjagt.
Die Wände dieser Schlucht steigen 1200 Fuss über dem
Fluss, welcher fast nur noch wie eine Silbersehlange in der Tiefe
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22. Oktober 1901. MUENCHEtfER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1731
aussieht, empor, und bestehen aus ungeheueren Felsmassen, deren
Grundfarbe orangegelb ist, wodurch wohl der Name Yellowstone
(Gelbstein) entstand. Dazwischen mischen sich hunderterlei ver¬
schiedene Tinten, welche der sich 10 Minuten weit fortsetzenden
Schlucht ein höchst merkwürdiges Ansehen verleihen. Tief
unten sieht man die sammtenen Draperien der grünen Moose,
zwischen denen schneeweisse Felsen sich hervordrängen. Darüber
wieder blutrothes und braunes Gestein. Man könnte denken, |
tausend Regenbogen wären vom Himmel gefallen und hätten |
das Gestein bedeckt. Thatsächlich gewinnt man den Eindruck, '
die ganze Schlucht stände in Flammen. Das Farbenspiel wird
von allen Weltreisenden als das grossartigste, und wohl mit I
Recht, gepriesen. Wir haben stundenlang wortlos am Point |
Lookout gesessen, demjenigen Aussichtspunkt, der uns am
schönsten dünkte. Wenn wir alle die vielen schönen Scenerien J
rekapitulirten, die wir in 3 Erdtheilen gesehen hatten, so konnten ,
wir uns doch nicht an ein Bild erinnern, das einen so tiefen !
Eindruck auf uns hervorgorufen hätte. Die Formationen der [
Felsen sind einzig. Dort glaubt man eine alte Ruine am Rhein
zu sehen, dort eine Bastei, da wieder eine Kathedrale im vollsten |
Glanz. Wenn eine Walküre hinter einem dieser Felsendome auf- ,
tauchte, man würde sich ebenso wenig wundern, als wenn Wotan
selbst einen nach Walhall entböte. Und über all* diesem un- |
heimlich prächtigen Naturschauspiel eine unendliche hehre !
Stille. Selbst der wild tosende Fluss lässt von der ungeheureu
Tiefe herauf nichts von sich hören, wir sehen nur da und dort
ihn sich aufthürmen, wie er sich in enger Klause über die Felsen
bäumt. Niemand ist im Stande, dieses Naturwunder mit dem
Pinsel festzuhalten, und alle Versuche von Künstlerhand haben
nur einen schwachen Abglanz dieser Pracht zur Anschauung zu
bringen vermocht.
Was uns abermals unangenehm auffiel, waren die geringen
Vorsichtsmaassregeln. Zwar sind einige Cavalleristen in der
Nähe, haben aber keinerlei prophylaktisches Verständniss. Dass
Herrn Dr. Schweitzer nichts passirte, ist bloss zu verwundern,
denn er kletterte überall herum, um sich eine Sammlung von
mehreren hundert Photographien anzulegen.
Am Abend erlebten wir die Freude, einige Graubären jen¬
seits auf der unzugänglichen Seite der Sehlucht durch unser aus¬
gezeichnetes Z e i ss’sches Fernrohr beobachten zu können, ferner
ein Rudel Hirsche und eine ganze Heerde von Borgschafen, die
nicht weit von den letzteren ruhig grasten.
Am anderen Morgen brachen wir bei herrlichem Sonnen¬
schein auf und warfen noch einen letzten Blick auf die unver¬
gessliche Canyon, an deren Zacken sich die Sonnenstrahlen wie
an Tausenden von leuchtenden Prismen brachen. Tief unter uns
sehen wir auf einer schornsteinähnlichen Felsensäule einen
Adlerhorst und erkennen durch das Fernrohr, dass sich Junge
in demselben befinden.
Durch den nicht ohne Fährlichkeiten zu überwindenden Auf¬
stieg hinter dem Hotel gibt uns der Superintendant der Canyon
das Geleite. Er erinnert auch, wie er mit unendlich wichtiger
Miene seine Mähre durch den auf geweichten Weg traben lässt,
an den tapferen Kellermeister Spazzo im Ekkehard, wie er, dee
rothen Meersburgers voll, auf seinem Rösslein Falada das
Schlachtschwert zückt und Vincc luna schreit.
Also hob der Schluchtgewaltige seine grosse Reitgerte und
fuchtelte un9 in der Absicht, auf den oder jenen Punkt auf¬
merksam zu machen, derart vor der Nase herum, dass wir vor
beständigem Blinzeln fast gar nichts sehen konnten.
Wir legten den 12 Meilen weiten Weg nach dem Norris
Basin durch prächtige Tannen Waldungen in fröhlichster Stim¬
mung zurück. Da und dort bemerkten wir Hirsche, ruhig
grasend. Durch Baum und Busch hüpften und flogen blaue,
rothe und gelbe Vögelein und schmetterten ihre Preislieder in
dies Waldweben hinein. Es war, als wären wir wieder in der
lieben alten Heimath und die Fahrt über die grosse Pfütze wäre
nur ein Traum gewesen.
Bei Eulenspiegel von der grünen Insel convergiren wir wieder
mit unserer zwar nicht besseren aber grösseren Hälfte und
tauschen nun per Dampf unsere Erlebnisse aus. Nach einem
wieder durch irländische Kalauer gewürzten Dejeuner ä la four-
chette gingen wir weiter und kamen um 4 Uhr Nachmittags im
Mammoth Springs Hotel an. Dort stürzten wir uns auf die lang-
ontbehrte Korrespondenz und überzeugten uns, dass Alles zu
Hause wohl war. Mit besonderer Freude vernahmen wir aus
einer Mittheilung unseres Patienten vom Upper Bassin, dass er
sich wohl befinde.
Abends 8 Uhr gelangten wir wieder nach Cinnabar, wo
unser Extrazug uns gerade so erwartete, wie wir ihn verlassen
hatten. Bei der gefährlichen Thalfahrt war ein Pferd ausge¬
glitten und der Wagen war nahe daran, in den Abgrund zu stür¬
zen. Die Insassen sollen sich alle ausserordentlich besonnen da¬
bei benommen haben; zum Glück ging Alles gut ab.
Wir hatten nun einen Weg von über 2700 Meilen von Now-
York aus zurückgelegt, also eine Entfernung, welche der
zwischen Europa und Amerika entspricht, und noch trennten
uns über 1000 Meilen vom Stillen Ocean. Welch’ ein ungeheueres
Land! Wie wenig vermag man sich doch in Deutschland einen
Begriff von diesen Dimensionen zu machen!
Man bedenke, dass die Vereinigten Staaten zweimal so gross
als Europa sind und dass der bevölkertste Staat der Union, der
Staat New-York, ebenso gross wie ganz Deutschland ist. Der
Staat Texas, dessen Umfang Deutschland tun mehr als das
Doppelte übertrifft, hat nur 2 Millionen Einwohner. Es ist also
noch Platz genug da.
Die Vereinigten Staaten sind aber nicht bloss ein grosses
Territorium mit unerhörten Resourcen, sondern durch das ganze
Land geht ein unleugbarer grossartiger Zug. Wer nicht blass
flüchtig aus der Perspektive des Eisenbahn- und Hotelfensters das
amerikanische Leben, dessen Fremdartigkeit ihn ja zuerst ab-
stossen mag, beobachtet hat, kann sich dieser Ueberzeugung un¬
möglich verschliessen. Ich habe während eines Fünfteljahr¬
hunderts, obgleich ein Fremdling, nur Güte und Liebe erfahren,
und ich kann es nicht vergessen, wie freundschaftlich mich ge¬
rade die amerikanischen Kollegen behandelten, in deren Mitte ich
mich als ihr quasi Konkurrent niederliess. Jeder, der im über¬
füllten Vaterland sich beengt fühlt, wird hier willkommen ge¬
heissen, man frägt nicht wie Elsa, wie sein Nam’ und Art, son¬
dern nur, ob er ein anständiger Mensch war. Man denke 9ich die
Einwanderungsverhältnisse umgekehrt in Europa, und ein Schrei
der Entrüstung würde durch alle Klassen gehen.
Nie sah ich einen Amerikaner die Bitte um einen Samariter¬
pfennig verweigern, und ehe man über ihn die Nase rümpft, ge¬
denke man des schönsten Bibelworts: „Gehe hin und thue dess-
gleichen!“ Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten. Wo aber
die Sonne hell und erwärmend strahlt, da soll man sich darüber
freuen und nicht in den finsteren Ecken herumstöbem, wo sich da
und dort etwas Unrath verirrte, und ihn dann mit einem „Pfui
Teufel“ an’s Licht zerren.
Die gebildeten Amerikaner sind jeden Sommer zu Tausen¬
den in Deutschland anzutreffen, sie treten zumeist einfach und
bescheiden auf, und da sie oft ein besseres Deutsch sprechen wie
mancher deutsche Dorfgewaltige, so fallen sie gar nicht auf und
man spricht nicht von ihnen. Wenn aber ein deutscher Parvenü
nach seinem Heimathsdorf zurückkehrt, nachdem er sich in der
neuen Welt nebst seinen Schätzen nur noch die Schattenseiten
des amerikanischen Lebens angeeignet hat, wenn er mit selbst¬
zufriedener Miene die schwerberingte Hand auf die antediluvia-
nische Berlocque der theuren Piquetweste legend sagt: „Seht Ihr,
so weit kann man es als Bürger der grossen Republik bringen“,
sagen gar Viele, indem sie in einer solchen Karrikatur das Ur¬
bild des Amerikaners erblicken: „Ecce Americanus!“ Man lerne
den echten Amerikaner, ebenso wie den Deutschen, innerhalb
seiner Penaten kennen, und man wird ihn ebenso lieb gewinnen.
Unsere Rückreise verlief in der angenehmsten Weise. In
St. Paul löste sich die grosse Gesellschaft auf. Als Bekannte
waren wir vor 9 Tagen zusammengetroffen und als Freunde
schieden wir.
Nach einem kurzen Aufenthalt in St. Paul reisten wir des
Abends nach Chicago, wo wir nach 7 Nächten im Bahn wagen
einmal wieder in einem breiten Bett zu schlafen gedachten. Alle
die angenehmen Erinnerungen der Herreise wurden nun wieder
auf gefrischt.
In Chicago besuchte ich u. a. das Presbyterien Hospital, mit
welchem das Rush Medical College in Verbindung steht. Unter
der liebenswürdigen Führung von Senn überzeugte ich mich
von den kolossalen Fortschritten, welche Chicago auch in wissen¬
schaftlicher Beziehung gemacht hatte. Die chirurgische Technik
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1732 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43.
Amerikas hält heutzutage wirklich den Vergleich mit jedem
Lande der Erde aus.
Senn hatte Tags zuvor den Grundstein zu einer neuen De¬
pendance des Hospitals gelegt, welches wissenschaftlichen For¬
schungen dienen soll. Die nöthigen Mittel, nahezu eine halbe
Million Mark, hatte er aus eigener Tasche geliefert. Ein solches
Zeugniss von opferwilliger Hingebung zum grössten aller Berufe
dürfte in der Geschichte der Medicin bis dato vereinzelt dastehen.
Vivat sequens!
v Tags darauf wurde mir die Ehre zu Theil, von den Regi¬
mentsärzten des Staates Illinois, welche zu ihrem jährlichen
Konvent in Chicago zusammengetreten waren, eingeladen zu
werden, meinen Standpunkt in der Kriegschirurgie zu erläutern.
Die ungünstigen Verhältnisse der letzten spanisch-ameri¬
kanischen Kriege wurden eingehend erörtert und der Grund so
vieler Mängel namentlich in dem Umstand gefunden, dass die
Militärärzte ihro Befehle nicht von den obersten Leitern des
Sanitätskorps erhielten. Es war nun sehr interessant, von einigen
Kollegen, die gerade von den Philippineninseln zurückgekehrt
waren, zu vernehmen, in welch’ armseligem Milieu sie zuweilen
die schwierigsten Operationen vollbrachten. Ich führte den
Herren Kollegen von Illinois die Disziplin des deutschen Heeres
als Muster vor, und ich habe den Eindruck, dass es der Energie
eines Senn gelingen wird, die Reformen nach deutschem Muster
in der ganzen amerikanischen Armee mit der Zeit durchzuführen.
Nach einem herzlichen Abschied wandten wir uns wieder
hudsonwärts an den grossen Seen vorbei und durch das reizende
Moliawkthal, welches dem Neckarthal so sehr ähnlich ist. Frei¬
lich kommt es demselben an Lieblichkeit so wenig wie irgend ein
anderes Thal der Welt gleich.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Die ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung in
Bayern.
Von Dr. Carl Becker in München.
Anträge des Abgeordneten Dr. H a u b e r — als Korreferenten
— an den X. (besonderen) Ausschuss zum Gesetzentwürfe, die
ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung betreffend.
München, den 11. Oktober 1901.
Das materielle und ideale Interesse des Volkes wie des ärzt¬
lichen Standes erfordert im Anschlüsse au die hauptsächlich durch
die Arbeitergesetzgebung erfolgten Verschiebungen im ärztlichen
Berufsleben eine Standes- und folgerichtig auch Ehreugerlchtsord-
nung.
Um einerseits den Ernst der zu treffenden Maassnahmen,
anderseits die Wichtigkeit einer Regelung zu betonen, gestatte ich
mir, den Antrag auf gesetzliche Festlegung der Standes- und
Ehrengerichtsordnung zu stellen.
A. Standesordnung.
a) Allgemeines.
1. Jeder Arzt ist verpflichtet seinen Beruf gewissenhaft aus-
zuiiben und durch sein Verhalten in der Berufstätigkeit wie
ausserhalb derselben — selbstverständlich ist das religiöse und
politische Verhalten ausgeschlossen — die Ehre und das Ansehen
seines Standes zu wahreu.
2. Der Arzt muss auf dem Boden der wissenschaftlichen Heil¬
kunde stehen und darf abweichende Ansichten nicht zu Reklame¬
zwecken benützen.
3. Die öffentliche Gesundheitspflege soll jeder Arzt nach Kräf¬
ten zu fördern trachten.
b) S p e c i e 11 e s.
I. Die ärztliche Praxis. 4. Praxiseröffnuug,
Wohnungswechsel und vorübergehende Abwesenheit darf nur in
einer der Würde des Standes angemessenen, ortsüblichen Weise
angezeigt werden.
5. Ausschreiben unentgeltlicher Behandlung ist verboten, aus¬
genommen von staatlichen Anstalten zu akademischen Lehr¬
zwecken.
6. Das öffentliche Anbieten brieflicher Behandlung ist ver¬
boten.
7. Die Bezeichnung „Specialist“ ist ohne Nachweis besonderer
Vorbildung unstatthaft.
8. Die Bezeichnung „Klinik“ und „Poliklinik“ gebührt nur
staatlichen Lehranstalten und den von den Specialisten geleiteten
ileilaustalten.
9. Geschäftsmässiger Verkauf von Apparaten und Heilmitteln
jeder Art, sowie deren geschäftsmässige Vermittlung sind ver¬
boten.
10. Kauf und Verkauf der ärztlichen Praxis, sowie das ge¬
werbsmässige Vermitteln solcher Geschäfte ist unstatthaft.
11. Es ist eines Arztes unwürdig, seine Hilfe aufzudringen, sei es
persönlich oder durch andere; ebenso erscheint es unwürdig, gegen
Entgelt (durch Hebammen, Bader u. dergl.) Kranke zu erwerben.
12. Das Ausstellen von Zeugnissen zu Iteklaraezwecken ist
verboten.
13. Krankengeschichten, ärztliche Berichte etc. dürfen nur in
ärztlichen Fachblättern veröffentlicht werden.
14. Oeffentliehe Danksagungen aller Art sind hintanzuhalten.
15. Mit Ausnahme der nächsten Verwandten dürfen Laien zu
Operationen nicht eiugeladen werden; insbesondere dürfen die¬
selben für Reklame- und Seusationszwecke oder Zeitungsberichte
nicht zugelasscn werden.
II. Verkehr mit den Patienten anderer Aerzte.
10. Das Benehmen eines Arztes, der einen Kranken übernimmt,
der schon in anderweitiger ärztlicher Behandlung steht, muss den
Rücksichten der Humanität und Kollegialität entsprechen.
17. Der Arzt darf ohne genügenden Grund die von ihm ge¬
forderte Hilfeleistung nicht verweigern.
In N'othfiillen darf die Hilfeleistung auch den von anderen
Aerzten bereits behandelten Kranken nicht verweigert werden:
doch ist der behandelnde Arzt nachträglich zu verständigen.
18. Werden bei eiligen Fällen mehrere Aerzte gerufen, so be¬
hält der Hausarzt den Kranken; beim Fehlen eines solchen wählt
«ter Kranke den Arzt.
19. Kontrolbesuche im Aufträge von Berufsgenossenschafteu.
Versicherungsgesellschaften, Kassen u. s. w. dürfen nur im Be¬
nehmen mit dem behandelnden Arzte stattflnden. Dauernde Kou-
trolthätigkeit für solche Anstalten bedarf der vorherigen Ge¬
nehmigung des für den in Aussicht genommenen Arzt zuständigen
Bezirksvereines.
III. Konsilien. 20. Bei Konsilien ist pünktliches Er¬
scheinen uöthig. Der Erstaugekommene hat gegebenen Falles eine
Viertelstunde zu warten, bei weiten Entfernungen entsprechend
länger. Nur ganz dringende, nachträglich klar zu legende Fälle
entschuldigen das Fernbleiben.
21. Ist der behandelnde Arzt im Konsilium nur allein er¬
schienen, so verordnet er nach seinem Gutdünken.
Ist der in's Konsil gezogene Arzt nur allein erschienen, so hat
er die ihm zweckmässig dünkenden Maassnahmen sofort zu treffen
und den behandelnden Arzt hievon zu verständigen.
Verzichten die Angehörigen oder der Kranke selbst auf die
Hilfe des erstbehandelnden Arztes, so ist derselbe sofort hievon
zu benachrichtigen.
22. Der Meinungsaustausch der berathenden Aerzte muss ohne
Zeugen geschehen.
23. Bei Uneinigkeit der berathenden Aerzte muss einem alleu-
falsigen Verlangen von Seite des Kranken oder seiner Angehörigen
nach Zuziehung eines dritten Arztes entsprochen werden. Wird
auch dabei eine Einigung nicht erzielt, so steht die Entscheidung
beim Kranken oder seinen Angehörigen. Jedenfalls steht es dem
Konsiliarius frei, unter Angabe seiner Gründe sich zurückzuziehen.
24. Die Familie des Kranken hat ein Recht, das Ergebniss des
Konsiliums unverfälscht berichtet zu erhalten; etwaige Meinungs¬
verschiedenheiten der Aerzte gehören nicht zum Wesen des Be¬
richtes.
25. Von dem im Konsilium beschlossenen Verfahren soll nur
im Notlifalle vom behandelnden Arzte abgegangen werden.
20. Die Initiative zu Wiederholungen des Kouslls steht sowohl
dem Hausarzte als der Familie zu.
27. Konsilien dürfen in dringenden Fällen weder vom Haus¬
arzte, noch dem in's Konsil gerufenen Arzte abgelehnt werden.
IV. Vom ärztlichen Honorar. 28. Die in Ansatz zu
bringenden Gebührensätze für die Privatpraxis bemessen sich nach
dem jeweiligen Uebereinkommen mit den Betheiligten. Grund¬
legend hiefür ist die Jeweilig geltende Gebührenordnung für ärzt¬
liche Dienstleistungen.
29. Verträge einzelner Aerzte mit öffentlichen oder privaten
Korporationen mit Versicherungsgesellschaften, mit Kranken-.
Unfall-, Invalidität^- und sonstigen Kassen müssen dem Bezirks¬
vereine vorgelegt werden.
30. Bel Bewerbung um öffentliche oder private ärztliche Stellen
darf kein Unterbieten der bestehenden Taxen stattlinden, wenu
nicht finanzielle Missverhältnisse seitens der Stellenvergeber be¬
stehen. Jede Aufdringlichkeit, sowie jedes Herabsetzen der Eigen¬
schaften von Konkurrenten muss strengstens vermieden werden.
V. V e r t r e t u n g. 31. Werden in Verhinderung des Haus¬
arztes andere Aerzte gerufen, so haben dieselben die hausärztliche
Stellung zu respektiren.
32. Die Entschädigung für Vertretungen bei Erkrankungen
oder Abwesenheit eines Kollegen bleibt dem Uebereinkommen
überlassen.
B. Ehrengerichtsordnung.
Anlangend die Ehrengerichtsordnung bin ich der Ansicht, dass
a) den ärztlichen Bezirksvereinen — als den Aerzten in ihrem Be¬
rufsleben am nächsten stehend — im Sinne des § 3 Abs. 1 des Ge¬
setzentwurfes über „ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung“
zunächst die Einhaltung der Standesordnung seitens der Praxis
ausübenden Aerzte zukommt. Sie sind am ehesten in der Lage,
Aerzte auf ein Verhalten aufmerksam zu machen, das mit der
Standesordnung als nicht im Einklänge stehend erachtet wird. —
Insoweit staatlich angestelite Aerzte, sowie Militärärzte Privat¬
praxis ausüben, haben die ärztlichen Bezirksvereine auch diesen
gegenüber für Beobachtung der Standesordnung seitens derselben
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22. Oktober 1901. MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1733
zu sorgen. Es muss angängig erscheinen, dass ein lm Staatsdienst
stehender Arzt bei Verfehlungen gegen die Standesordnung min¬
destens denselben ehrengerichtlichen Ahndungen unterworfen wer¬
den kann, wie der einfache praktische Arzt. — Was die ehren¬
gerichtliche Aburtheilung der Militärärzte anbelangt, so stehen der¬
selben die Bestimmungen über die Zuständigkeit der Militär¬
gerichtsbarkeit entgegen; es ist aber dringendst zu wünschen, dass
sich baldigst eiue Organisation ähnlicher Art entwickeln wird,
welche für die bisher rülimlichst auzuerkennende Intaktheit dos
militärärztlichen Standes Sorge tragen wird. — Endlich muss auch
die Zuständigkeit eines Bezirksvereines für einen Arzt gegeben
sein, der Innerhalb der Grenzen desselben wohnt und, gleichviel
aus welchen Gründen, demselben nicht beitrltt
Ich bin weiter der Ansicht, dass b) es zweckentsprechend ist,
wenn am Sitze der k. Kreisregierung ein Ehrenrath (Ehrengericht
nach v. Landmann) gebildet wird, der aus vier Aerzten, zwei
Stellvertretern und einem Beamten der k. Kreisregierung gebildet
wird. Die betreffenden Aerzte und ihre Vertreter müssen dem zu¬
ständigen Kreise entnommen sein.
Ich erkläre mich auch einverstanden, dass c) als letzte Ent¬
scheidungsinstanz Im ehrengerichtlichen Verfahren ein Ehren¬
gerichtshof in München wellt, der aus je einem ärztlichen Ver¬
treter der acht Regierungskreise mit Stellvertretern, sowie aus
einem Verwaltungsbeamten des k. Staatsministeriums des Innern
zusammengesetzt sein soll.
Mit dem Herrn Referenten einer Meinung bin ich, dass d) die
in Art. 8 Abs. 2 des alleg. Gesetzes sub 11t c festgesetzte Maximal¬
strafe zu 2000 M. zu hoch gegriffen ist. Ich beantrage, als Maxl-
raalstrafe 800 M. zu setzen. Bestimmend für mich hierin ist die
Thatsache, dass die meisten Fälle, welche zur ehrengerichtlichen
Aburtheilung kommen, den Broderwerb als Ausgangspunkt haben
und aller Wahrscheinlichkeitsberechnung gemäss die Höhe der in
dem Gesetzentwürfe vorgesehenen Maximalstrafe in keinem Ver¬
hältnisse zur Höhe des wirklichen oder erhofften Gewinnes stehen
würde.
Ich bin ferner der Ansicht, dass e) die Veröffentlichung der
ehrengerichtlichen oder ehrenrätlilichen Urtheile nicht nur dann
erfolgen soll, wenn es sich um einen Vorgang handelt, der die
Oeffeutllcbkeit beschäftigt hat, sondern auch In solchen Fällen,
in welchen die Veröffentlichung als verschärfende Straffolge
wirken soll.
f) Endlich halte Ich die Erhebung von Beiträgen — Umlage-
recht — für absolut nothwendig. Es erwachsen durch Vernehmung
von Zeugen und Sachverständigen Kosten, deren Deckung durch
die Gesammtheit der Aerzte schon um desswillen berechtigt er¬
scheint, weil sie zur Lösung der ärztlichen dringendsten Staudes¬
fragen wesentlich beitragen und man nicht berechtigt Ist, die Auf¬
wendungen hierfür anderen Steuerzahlern zuzuinuthen.
In diesem Sinne stimme ich Art 1 unverändert zu; beantrage
zu Art. 2 Abs. 2 die Fassung: „Die Standesordnuug wird nach
Einvernahme der Aerztekammern und des Obermedicinalaus-
schusses durch die gesetzgebenden Faktoren gesetzlich geregelt.“
Abs. 1 und 3 beantrage ich ungeändert zu belassen. Art. 3 sei un-
geändert zu belassen. Art 4 Abs. 1 und 2 seien unverändert an¬
zunehmen, dagegen ln Abs. 3 folgende Fassung zu wählen: „Den
Fällen des Art 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 ist auch ein im Staats¬
dienste stehender Arzt unterworfen; Verfehlungen der Militärärzte
gegen die ärztliche Standesorduung werden nach vorheriger In¬
struktion durch den zuständigen Bezirksverein der Vorgesetzten
Militärbehörde zur disciplinären Ahndung zugewiesen.“ Art. 5,
G und 7 seien erinnerungslos anzunehmen. — In Art. 8 Abs. 2
lit. c sei zu setzen: „Geldstrafe von 20 bis 800 M.“ Art. 9, 10 11, 12,
13, 14 seien unverändert anzunehmen. Art. 15. sei zu streichen.
Dr. H a u b e r.
Das vorstehend im Wortlaute wiedergegebene Korreferat des
Abgeordneten Herrn Dr. H a u b e r (bezirksärztlicher Stellver¬
treter in Arnstorf) steht in erfreulichem Gegensätze zu dem in der
letzten Nummer mitgetheilten Referate des Herrn Abgeordneten
v. L a n d m a n n. Es kommt doch wieder auf den von den baye¬
rischen Aerztekammern und dem Obermedicinalausschusse gut¬
geheissenen und von der k. Staatsregierung vorgelegten Gesetz¬
entwurf zurück und beantragt die Zustimmung zu demselben, ab¬
gesehen von einigen Aenderuugen.
Vielleicht wäre es zweckmässiger gewesen, das Referat über
den Gesetzentwurf einer ärztlichen Standes- und Ehren¬
gerichtsordnung einem ärztlichen Mitgliede des besonderen Aus¬
schusses zu übertragen und das Korreferat einem juristischen
Mitgliede, zumal seitens desselben eiue gegnerische Stellungnahme
zu dem Entwürfe zu erwarten war. Wir setzen unsere Hoffnung
auf den Korreferenten und die Vertreter der k. Staatsregierung.
Vielleicht gellugt es dann noch seitens des Ausschusses dem
Plenum der Abgeordnetenkammer einen dem Gesetzentwürfe
günstigen Antrag zu unterbreiten.
Das Korreferat weicht zunächst dadurch von dem Gesetz¬
entwürfe ab, dass die Standesordnung gesetzlich fostgelegt werden
soll. Bereits ln der vorigen Nummer wurden die Gründe aus¬
einandergesetzt, aus denen es nicht rathsam erscheint, die Aus¬
führungsbestimmungen, die sich den jeweiligen Verhältnissen und
Bedürfnissen aupasseu müssen, in das Gesetz selbst mit auf¬
zunehmen. Es würde dies nur einen Hemmschuh für die gedeih¬
liche Entwicklung der neuen Verhältnisse bilden und es hnbeu sich
daher auch die Vorsitzenden der bayerischen Aerztekammer noch¬
mals für den Erlass der Standesordnung im Verordnungswege aus¬
gesprochen. Bei viel wichtigeren und für die Allgemeinheit ein¬
greifenderen Gesetzen wurden die Ausführungsbestimmungen ver¬
trauensvoll der Staatsregleruug überlassen; um so mehr könnte
dies hier der Fall sein, wo das neue Gesetz zunächst nur den ärzt¬
lichen Stand berührt, von ihm eine gewissenhafte Beruftsthätigkeit
und ein standeswürdiges Verhalten fordert und der Allgemeinheit
durch die Unterstellung der Aerzte unter die Ehrengerichtsordnung
nur Vortheil und Schutz vor Ausschreituugen bietet. Auch ent¬
spricht es nicht der Bedeutung und der hohen Aufgabe der gesetz¬
gebenden Körperschaften Bayerns, sich mit den einzelnen detail-
lirten Vorschriften der Standesorduung näher zu befassen. Ueber
die Grundzüge der Standesordnung die Meinung der Volksvertreter
kennen zu lernen, wird den Aerzten stets von Interesse sein, aber
die einzelnen, auch beim besten Willen immer unvollständigen,
Ausführungsbestimmungen dürfen sie getrost den Aerztekammern,
dem Obermedicinalausschusse und dem k. Staatsministerium des
Innern überlassen.
Aus dem Abänderungsantrage des Herrn Abg. Dr. H a u b e r
zu Art. 2 geht nicht klar hervor, ob er vor dem endgiltigen Be¬
schlüsse der Abgeordnetenkammer mit Rücksicht nuf die ver¬
änderte Lage eine nochmalige Einvernahme der Aerztekammern
und des Obermedicinnlausschusses für nothwendig hält. Die Er¬
ledigung der Gesetzesvorlage würde hierdurch jedenfalls verzögert
und unter Umständen für die laufende Session unmöglich gemacht
werden.
Wenn Herr Dr. H a u b e r. abweichend von dem Gesetzent¬
würfe, auch die im Staatsdienste stehenden Aerzte der Ehreu-
gerichtsordnung unterstellt wissen will, befindet er sich im Ein¬
verständnisse mit der Mehrheit der praktischen und amtlichen
Aerzte. So lange eben nicht unsere Amtsärzte vollbesoldete Beamte
sind und auf die Privatpraxis angewiesen bleiben, müssen sie mit.
den praktischen Aerzten in Wettbewerb treten und sollen daher
auch den gleichen Disciplinarbestimmungen wie diese unterliegen.
Ihre dienstlichen Verfehlungen müssen selbstverständlich der staat¬
lichen Diseiplinargewalt zur Beurtheilung Vorbehalten bleiben:
jedoch können sie hinsichtlich ihrer privatärztlichen Thätigkeit
ohne Schädigung ihrer Amtsstellung mit den anderen Aerzten den
Ehrengerichten unterstehen. Nehmen wir z. B. an, dass an einem
Orte der Wettbewerb zwischen dem amtlichen und dem nichtamt¬
lichen Arzte standesunwürdige Formen annehme, so kann der
Amtsarzt zwar gegen seinen Kollegen den Bezirksverein anrufen
und das ehrengerichtliche Verfahren beantragen und betreiben,
während seinem Konkurrenten nur die Beschwerde an die Vor¬
gesetzte Dienstbehörde offen steht und eine weitere Mittheilung
über den Ausgang des Disciplinarverfahrens nicht zu Theil wird.
Auch ist bis Jetzt der Kreis der „lm Staatsdienste stellenden
Aerzte“ noch nicht begrenzt, ob hierunter nur die pragmatischen
Medicinalbeamten zu verstehen sind oder auch die bezirksärzt¬
lichen Stellvertreter, die Bahnärzie und Postürzte.
Das Festhalten an der Ausnahmestellung der Amtsärzte würde
sicher dem bisherigen gemeinschaftlichen Zusammenwirken der
amtlichen und praktischen Aerzte argen Eintrag thuu. Es würde
nicht mehr angängig sein, dass Amtsärzte der Vorstandschaft eines
Bezirksvereins angehören, die ja in erster Linie die Einhaltung der
Standesorduung zu wahren hat; sie würden wahrscheinlich auch
nicht mehr in die Aerztekammern delegirt und könnten keinesfalls
zu Ehrenrichtern berufen werden. Bei der bisherigen lebhaften
Thellnahme der Amtsärzte am Vereinsleben und ihrer auch für das
öffentliche Wohl erspriesslichen Mitarbeit in den Aerztekammern
wäre dies zweifellos ein grosser Schaden.
Hinsichtlich des Maximums der Geldstrafen hat der Referent
300 M„ der Korreferent 800 M. und der Gesetzentwurf 2000 M.
beantragt. Bel einem Arzte, der aus Noth sich einmal gegen die
Standesordnung verfehlt, wird gewiss nur eine niedrige Gehlstrafe
zur Anwendung kommen, dagegen sind bei fortgesetzten gewinn¬
süchtigen Handlungen und bei Wirkungslosigkeit gelinderer Dis-
ciplinarmittel auch einmal hohe Geldstrafen am Platze.
Der beim Ehrengerichte mitwirkende Verwaltungsbeamte soll
nach dem Entwürfe von der Kreisregierung bestimmt werden, nach
den Ausführungen des Korreferenten soll er der Kreisregierung
angehören. In Preussen gehört den Ehrengerichten ein von der
Aerztekammer gewähltes richterliches Mitglied eines ordentlichen
Gerichtes als Beisitzer an. Den W’ünschen vieler Aerzte würde es
entsprechen, wenn anstatt eines Verwaltungsbeamten ein Medl-
cinalbeamter als Mitglied des Ehrengerichtes bestimmt würde.
Die vom Herrn Korreferenten vorgeschlagene Standes¬
ordnung würde iusoferne gegen die Bestimmungen der Ge¬
werbeordnung verstossen, als sie In Ziffer 17 und 27 den Aerzten
einen Zwang zu ärztlicher Hilfeleistung und zur Thellnahme an
einem Konsilium auferlegt.
In dem Abschnitte, der vom ärztlichen Honorar handelt, hat
der Herr Korreferent aus dem Entwürfe des Obermedicinalaus¬
schusses diejenigen Sätze nicht mit herübergenommen, welche di«*
ärztlichen Bezirksvereine zur Aufstellung bindender Ortstaxen be¬
rechtigen und die Aerzte verpflichten, zahlungsfähige Kranke in
der Regel nicht unentgeltlich zu behandeln: ebenso fehlt die zweck¬
mässige Bestimmung, dass die Verträge einzelner Aerzte mit
öffentlichen oder privaten Corporationeu, insbesondere mit Ver¬
sicherungsgesellschaften und Anstalten, mit Kranken-, Unfall-.
Invalidität»- und sonstigen Kassen von diesen und den seitens der
Bezirksvereine dazu angestellten Commissionen abzuschlicsscti
sind.
Sehr auffällig ist. dass der Herr Korreferent aus dem von den
Aerztekammern und demObermedicinalausscliusse Voranschlägen«*«
Entwürfe einer Staudesordnung folgend«* Sätze wcggelasseu hat:
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1734
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
„4. Das Geheimmittelunwesen und die Kurpfuscherei zu unter¬
stützen ist unerlaubt, denselben Ist vielmehr überall eutgegen-
zutreten.
15. Geheimmittel und Reklamemittel darf kein Arzt verordnen.
18. Ein Arzt darf nicht mit seinem Namen therapeutische
Maassnahmen von Nichtärzten decken.
20. Nichtärzten gegenüber ist jede abfällige Kritik ärztlicher
Thätigkeit verboten.“
Hier hat anscheinend der Arzt dem Politiker ein Opfer ge¬
bracht, indem er politischen Parteiansichten mehr Rechnung trug
als ärztlichen Standesbestrebungen.
Dass in der Standesordnung, mag sie nun gesetzlich festgelegt
oder im Verordnungswege erlassen werden, viele Bestimmungen
einer geschickteren Fassung bedürfen, soll nicht unerwähnt
bleiben.
Zu Ziffer 24 des Korreferates wäre noch zu bemerken, dass
eine „Verfälschung“ des Ergebnisses des Konsiliums doch wohl
nie vorkommt. Wenn unter Umständen die beiden Konsiliarärzte
es fiir nothwendig halten, der Familie des Kranken die Ursache
der Erkrankung (z. B. frühere geschlechtliche Ausschweifungen,
Selbstmordversuch u. dergl.), anvertraute wichtige Nebenumstünde
oder die Unheilbarkeit der Erkrankung zu verschweigen, so sind
sie hiebei lediglich von humanen Rücksichten auf den Erkrankten
und auch für die Familie selbst geleitet; im anderen Falle würden
sie nur den Interessen derselben entgegen handeln.
Uttncbe n, 18. Oktober 1901.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Der besondere Ausschuss der bayerischen Abgeordneten¬
kammer zur Vorberathung des Gesetzentwurfes über die ärzt¬
liche Standes- und Ehrengerlchtsorduung hielt am 18. Oktober
seine erste Sitzung ab. Da hiebei sämmtiiche Ausschussmitglieder
und auch die Vertreter der Staatsregierung sich über den Gesetz¬
entwurf äusserten, ist es nicht verwunderlich, wenn die wider¬
sprechendsten Ansichten zu Tage treteu.
Der Referent, Herr Abg. v. Landmann, erklärte sich als
ein Gegner von Standesgerichten und verneinte das Bedürfnlss
nach einer ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnung, da nicht
anzunehmen wäre, dass der hochachtbare Stand der Aerzte so
viele Elemente unter sich hätte, welche die Schaffung einer
Staudesordnung nöthig machten. Er lasse sich von folgenden
vier Gesichtspunkten leiten: Nichts könne zur Genehmigung be¬
antragt werden, was der Gewerbeordnung zuwiderlaufe; die Rück¬
sicht auf das Publikum dürfe nicht ausser Acht gelassen werden;
der Gesetzgeber müsse auch Rücksicht nehmen auf jene Aerzte,
welche mit dom Entwürfe nicht einverstanden seien, und das
Recht der freien Forschung müsse gewahrt werden. Der Arzt
stehe unter der Gewerbeordnung und bleibe trotz aller Verfehl¬
ungen und Bestrafungen Arzt, während die Rechtsanwälte aus der
Anwaltsliste gestrichen werden könnten. Wenn die Aerzte solche
Elemente nicht von den Rockschössen abschütteln, wozu nütze
dann die Standesordnung? Der Vergleich mit der Stellung der
Rechtsanwälte sei daher unzutreffend. — Den Aerzten könne man
es nicht überlassen, die Sache allein zu ordnen, da das Publikum
dabei sehr interesslrt sei; den Hauptbeschwerdepunkt bilden
die Anordnungen bezüglich des Honorars, man könne eine Ring¬
bildung der Aerzte befürchten; in der Standesordnung sei nur von
den Rechten der Aerzte gegenüber dem Publikum, aber nicht von
Pflichten die Rede. — Viele (?) und bedeutende Aerzte hätten sich
gegen dieses „Knebelgesetz“ ausgesprochen, es als reaktionär im
schlimmsten Sinne bezeichnet, als eine Ruthe, mit der sich der
ärztliche Stand selbst züchtige. — Durch die Standesorduung
werde den Aerzten die freie Forschung unterbunden, Naturheil¬
lehre und Homöopathie könne nicht mehr gelehrt und betrieben
werden; ein Hessing oder Kneipp hätten unter derselben
nie ihre Bedeutung erlangen können. Iu Sachsen sei ein Arzt
wegen eines Vortrages in einem Naturheilvereine (desshalb allein
wohl nicht. Ref.) mit 300 M. bestraft worden, weil das als Ent¬
würdigung des ärztlichen Standes aufgefasst worden sei; die Frei¬
heit der Wissenschaft müsse gewahrt bleiben, eine kgl. bayerische
Therapie wünsche er nicht. — Der Wunsch nach einer Standes¬
ordnung sei veranlasst durch die scharfe Konkurrenz in Folge der
Ueberfiillung des ärztlichen Berufes; da helfe keine Standes-
ordnung; eher müssten die Aerzte selbst vor diesem Berufe
warnen, der für junge Leute wegen des frühen (?) Verdienstes
und der selbständigen (?) Stellung viel Verlockendes habe.
Der Korreferent, Herr Abg. Dr. Hauber, hält für den ärzt¬
lichen Stand eine Standesordnung noch für viel nöthiger als für
die Rechtsanwälte. Publikum und Aerzte hätten das grösste Inter¬
esse daran, den ärztlichen Stand auf der errungenen sittlichen und
kulturellen Stufe zu erhalten. Diejenigen Aerzte, welche gegen
eine Standesordnung seien, hätten ihre bestimmten Gründe, der¬
selben auszuweichen. Der freien Forschung geschehe kein Ein¬
trag: ln den ärztlichen Vereinen befänden sich die Anhänger ver¬
schiedener medicinischer Richtungen friedlich beisammen. Von
einer Knebelung könne keine Rede sein, es handle sich um eine
Reaktion im besten Sinne, da man die unlauteren Elemente von
sich stossen wolle. Originelle Menschen, wie Hessing oder
Kneipp, würden auch in Zukunft zu ihrem Rechte kommen.
Redner verbreitete sich weiter über die ürzüichen Vereine und
die Aerztekammern, die missliche finanzielle Lage der Aerzte und
die Bedrückung durch die Krankenkassen und schloss mit einem
warmen Appell zu Gunsten der Standesorduung.
Der Vorsitzende, Herr Abg. Dr. Jur. Casselmann halt
das Bedürfnis nach einer ärztlichen Standesordnung für gegeben,
nachdem sie von den Vertretern des ärztlichen Standes einstimmig
verlangt worden sei. Dass einige Aerzte eine solche nicht
wünschten, falle nicht ln's Gewicht; nur wenige bekämpften die¬
selbe wohl aus idealen Gründen. Die Interessen des Publikums
seien nicht gefährdet. Wenn die Meinung des Referenten richtig
sei. dass der Erlass einer Standesorduung gegen die Gewerbe¬
ordnung verstosse, dann wäre sie in vielen anderen deutschen
Bundesstaaten nicht eingeführt wordeu. Die Gewerbeordnung
stehe nicht im Wege. Es lasse sich sehr wohl eine Parallele
zwischen Aerzten und Rechtsanwälten ziehen; wenn ein Arzt aucii
nicht aus den Listen gestrichen werden könne, werde er durch
hohe Strafen und event Veröffentlichung des Urtheils genug ge¬
brandmarkt. Im Interesse der Aerzte und des Publikums wünsche
er das Zustandekommen einer Standes- und Ehrengerichtsordnung.
Der kgl. Staatsminister Frhr. v. F e i 1 i t z s c h hält letztere
für nothwendig; auch in den beiden Kammern des Landes sei
früher der Wunsch nach einer solchen ausgesprochen worden. Diu
bisher bestehenden Verordnungen genügen nicht, da ein Zwang
zum Anschlüsse an einen Aerzteverein nicht bestehe. Ein Be¬
denken hinsichtlich der Gewerbeordnung bestehe durchaus nicht.
Die Interessen des Publikums würden in keiner Weise geschädigt,
es solle den Aerzten nur vor Allem ein Recht in dlsciplinarer
Richtung eingeräumt werden. Das Verlangen darnach sei be¬
rechtigt und in den anderen Staaten habe man mit der Standes¬
ordnung gute Erfahrungen gemacht. Auf die Stimmen einer ver¬
schwindenden Minderheit könne nicht geachtet werden. Die
Standesordnung ganz auf dem Wege der Gesetzgebung zu er¬
lassen, sei nicht praktisch, da im Falle einer nöthlgen Aenderung
wieder eine Gesetzesänderung nothwendig sei; aus diesem Grunde
allein habe sich die Staatsregierung den Erlass derselben Vor¬
behalten; trotzdem könnten bestimmte Punkte nach dem Willen
des Landtages gesetzlich festgelegt werden.
Herr Abg. Lehmeier hält eine ärztliche Standes- und
Ehrengerichtsordnung nicht für ein Bedürfniss, ist aber mit einer
solchen einverstanden, nur vermisst er eine Verpflichtung der
Aerzte zur Hilfeleistung; hier macht ihn der kgl. Staatsminister
sofort auf die Gewerbeordnung aufmerksam, nach welcher sich
die Aufnahme einer derartigen Bestimmung von selbst verbiete.
Herr Abg. Dr. med. G ä c h legt auf die Standesordnung keinen
Werth; die Aerzte sollten aus der Gewerbeordnung herauskommen.
Mit der geplanten Ordnung schaffe man Zuuftärzte und öffne dem
Denunziantenwesen Thür und Thor; die Pfuscher seien dann
besser daran als die approblrten Aerzte. Die ärztlichen Bezirks¬
vereine seien, wenigstens in Niederbnyern, von den Amtsärzten,
Hofrüthen u. s. w. beherrscht. An der schlimmen finanziellen Lage
der Aerzte sei der Rückgang des Wohlstandes auf dem Lande
schuld; anstatt für eine Standesordnung solle die Regierung für
eine bessere Verthellung der Aerzte auf dem Lande sorgen. Für
einen freien Mann gebe es keine Zunftmedicin; beim Zustande¬
kommen der Standesordnung höre er mit seinem ärztlichen Berufe
auf und privntisire.
Der Abg. Dr. med. Frhr. v. Haller erblickt ln dem Gesetz¬
entwurf den Keim einer Zwangsinnung, eine verwerfliche Be¬
schränkung der Freiheit des ärztlichen Standes, einen Anlass zur
Gesinnungsschnüffelei; der ganze Geist der Standesordnung stehe
im Widerspruche mit der Gewerbeordnung; bezweckt sei nur eine
materielle Verbesserung der Lage der Aerzte; von den Patienten
sei darin keine Rede, nur vom Arzte. Die vom Obermedicinal-
ausschusse ausgearbeiteten Grundzüge seien eine Missgeburt,
welche der Ausschuss im Interesse des Publikums und der Aerzte
möglichst bald ersticken solle. Dieser Ausdruck ward vom kgl.
Staatsminister sofort zurückgewiesen.
Der Abg. Beneflciat Bauer stellt sich auf den Standpunkt
des Referenten, erblickt ln der Vorlage die Begünstigung einer
Ringbildung, vermisst einen Schutz des Publikums und glaubt,
dass das Plenum nicht zustimmen werde.
Herr Obermedicinalrath Dr. v. Grashey weist da¬
rauf hin. dass die Standesordnuug einem dringenden Bedürfnisse
abhelfe und hebt die Bedeutung der ärztlichen Vereine hervor,
denen eine bisher entbehrte Executive gegeben werde. Der Ge¬
danke. in erster Linie die materiellen Verhältnisse zu bessern, sei
nicht maassgeliend gewesen, die Bewegung sei rein idealer Natur;
es handle sich darum, die unfeine schmutzige Konkurrenz zu be¬
seitigen.
Damit wird vorbehaltlich des Schlusswortes der beiden Re¬
ferenten die Generaldiskussion geschlossen und die Sitzung auf
den 24. Oktober vertagt.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer Hegt das 117. Blatt der Galerie bei: Adolf
F i e k. Nekrolog siehe Seite 1703.
Therapeutische Notizen.
Das Aspirin als analgetisches, autifebriles
Mittel. Während es jetzt wohl über allen Zweifeln erhaben ist,
dass das Aspirin ein vortreffliches Ersatzmittel des Natr. salicyl.
und besonders wirksam gegen akuten Gelenkrheumatismus, alter
auch gegen chronischen Rheumatismus ist, hebt Gap i tan auch
die rein schmerzstillende und antifebrile Wirkung des Mittels in
einer Reihe von Krankheitszuständen hervor (Mödecine moderne
1901, No. 37). Weil unterdrückte die Schmerzen bei Uterus- und
Mastdarmkrebs mit der Dosis von nur 1 g, Goldberg hat mit
Vortheil das Mittel in einer Anzahl von Neuralgie- und Migräne-
fülleu, G r a w i t z bei Influenza mit neuralgischen Schmerzen
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
22. Oktober 1901.
1735
Die ärztlichen Prüfungen im Prüfungsjahre 1899/1900.
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1
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1
82
25
55
2
Halle .
37
1
o
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i
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4
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1
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1
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47
18
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3
Kiel .
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2
7
— 1
2
4
1
1
2
2
—
—
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1
—
1
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2
3
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3
129
43
73
13
Königsberg .
41
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- 1
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—
—
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4
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20
Marburg ....
31
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-
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1
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34
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Erlangen....
17
25
3
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1
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47
14
30
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München....
68
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7
13 | 4
3
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—
1
4
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1
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Wiirzbnrg ...
50
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5 6
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1
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3
2
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—
1
1
_
—
1
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101
22
59
20
Leipzig.
32
3
:u
- 1 -
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2
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4
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3
2
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1
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1
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113
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Tübingen ...
8
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17 —
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26
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18
5
Freiburg ....
31
1
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2 11
1
1
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1
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1
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1
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40
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Heidelberg ..
14
3
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- 3
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—
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1
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—
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Giessen .
19
1
—
— 1
16
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—
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—
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_
2
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12
23
4
Rostock.
4
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— 2
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19
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5
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—
—
—
—
—
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_
1
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31
9
15
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Jena.
16
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1
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2
2
—
—
2
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_
_
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29
4
19
6
Strassburg ..
7
5
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3 1
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—
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—
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—
—
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—
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34
1
51
5
45
1
Im Ganzen
840
141
87
•13 32
32
29
10
6
11
17
7
ö
1
11
4
1
K
2
2
3
3
12
45
l )3G
1384
384
869
131
i ) Darunter 14 aus Russland, 6 aus Oesterreich, 3 aus den Vereinigten Staaten von Amerika, je 2 aus Italien, Aegypten, West¬
afrika, China, je 1 aus den Niederlanden, der Schweiz, England, Brasilien und Argentinien.
angewandt, mit der Dosis von 1—2 g konnte Lehmann Neur¬
algien und Ischias hellen, seihst die Schmerzen der Tabetiker
wurden unterdrückt (auch Referent hat das Aspirin mit Erfolg
bei schmerzhafter (lesiohtsneuralgie. jedoch in der Dosis von
3—4 g angewandt, ebenso bei chronischem Muskelrheumatismus,
und hat ln einem Falle als Nebenerscheinung hartnäckige Ob¬
stipation erlebt, wenn auch die schmerzstillende Wirkung des
Aspirins prompt eintrat). Die antifebrile Wirkung desselben
wurde von S e r r a t e bei gastrischem Fieber und gutartigem
Typhus (1 g alle G Stunden), von Iteuon und Lison, von
Combeiuale beim Fieber der Phthisiker erprobt; in allen
Fällen trat sehr reichliche Schweissabsouderuug ohne das ge¬
ringste Zeichen von Collaps oder von Intoleranz ein. Das Aspirin
bedeutet, wie C a p i t a n hervorhebt, einen grossen Fortschritt
in der Salicyltherapie, es hat alle therapeutischen Eigenschaften
der Salieylsüure im höchsten Maasse ohne deren zahlreiche Neben¬
wirkungen; es ist ein Medikament ersten Ranges mit einer Reihe
von klinischen Indikationen und man erzielt die bemerkens-
werthesten Resultate selbst mit schwachen Dosen und ohne die
geringste (? s. oben) Nebenwirkung; es sei also ein nahezu ideales
Heilmittel. St.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München. 22. Oktober 1901.
— Mit der Lex Land mann beschäftigte sich die am
17. ds. zu Neustadt a. II. abgehaltene General versa m m -
1 u n g des Vereins pfälzischer A e r z t e. Med.-Rat h
Dr. D eniuth - Fraukenthal, der die Versammlung leitete, kon-
statirte mit Genugthuung. dass das Gefühl der Solidarität unter
den Aerzten im Wuchsen sei, was auch Angesichts der jüngsten
Vorgänge auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet in Bayern ausser¬
ordentlich nothweudig sei. Denn das, was im bayer. Landtage
durch die sogen. Lex Landmann dem Aerztestand angethnn werden
solle, fordere unbedingt zur Selbsthilfe auf. Er empfiehlt daher
dringend den Pfälzer Aerzten den Beitritt zum w i r t h -
scliaftllchen Verband. I»er bewährte Kämpfer in wirth-
schaftliehen Fragen des ärztlichen Standes. Dr. Sehcror-Lud-
wigsliafen refcrlrt. sodann über die Landman n'sohen Anträge
zur ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnung. Er führt aus.
dass die Grösse des Verlustes, den die bayer. Aerzte durch den
Tod A u b’s erlitten haben, jetzt um so fühlbarer werde, wenn
man sehe, welch’ abscheuliche Missgeburt unter den Häimlen «D*s
neuaufgestellten Referenten v. Laudmann aus der Standes¬
ordnung geworden sei. Was die Aerzte in jahrelangem Kampfe
erstrebt hätten, habe Herr v. L. einfach gestrichen, statt Brod
reiche er den Aerzten Steine. Sein Referat sei ein ITohn auf die
bayer. Aerzteschaft und ein Faustsehlng in's Gesicht, derselben.
Was für die Juristen recht sei, solle den Aerzten nicht billig sein.
Die Zugehörigkeit zur Gewerbeordnung laste ohnehin schwer ge¬
nug auf den Aerzten. jedoch der Versuch, ihnen daraus einen
Strick zu drehen, sei in der Geschichte der ärztlichen Kämpfe
unerhört. Er schlägt, desslialb eine Resolution vor, die identisch
ist mit der am 10. Oktober von den oberpfälziseheu Aerzten an¬
genommenen (vcrgl. vor. Nummer, S. 1(581). Diese Resolution
wurde einstimmig angenommen und der Referent selber durch
reichen Beifall für seine entschiedenen Worte belohnt. — Auch
der ärztliche Bezirks verein I\ i s s i n g e n hat in seiner
Sitzung vom 18. ds. sich dem Protest der oberpfälzischen Aerzte
gegen die Anträge L a n d m n u n’s angesehlossen.
— Der wirthsehaftllche Verband der Aerzte
Deutschlands, Sektion Pfalz, hielt am 17. Oktober in
Neustadt seine aus der ganzen Pfalz zahlreich besuchte 1. General¬
versammlung ab. Herr Dr. S c h e r e r - Ludwigshafeu. welcher
die ganze Bewegung mit in’s Leben rief und in der Pfalz
und den Nachbarländern unermüdlich für dieselbe agi¬
tatorisch tliütig war. begrüsste die anwesenden Mitglieder und
konnte in seinen weiteren Ausführungen die erfreuliche Mit-
tlieilung machen, dass nach Beilegung des Zwistes mit dem
Deutschen Aerztevereinsbund die Mitgliederzahl des Verbandes
in raschem Steigen begriffen ist, so dass die baldige Erreichung
des Hauptzwecks: Gründung einer Unterstützungskasse für die
Aerzte Deutschlands, sowie die Errichtung eines Stellennachweises
erhofft werden kann. Bei der Neuwahl eines Vertrauensmannes
für die Pfalz wurde Herr Dr. Scherer einstimmig wieder¬
gewählt. Ferner wurde die Aufstellung örtlicher Ausschüsse be¬
sprochen und Reclinungsablage erstattet. Nach Schluss der Ver-
I Sammlung erklärten 20 neue Mitglieder Ihren Beitritt.
— Die bayerischen Aerztcknmmorn sind zu ihrer
diesjährigen Versammlung auf Montag, den 28. Oktober, an den
I Sitz der Kreisregierungen einberufen. Seitens der Regierung wild
| von ihnen eine gutachtliche Aeusserung über die Revision der
I amtsärztlichen Gebührenordnung gefordert.
i — Zum Chef des milltürärztlichen Offizier-
korps in Oesterreich wurde an Stelle des Generalstabsarztes
Nagy Ritter v. Rothkreuz der Generalstabsarzt Dr. Joseph
U r 1 e 1 ernannt.
— Pest. Italien. In Neapel und Umgegend wurden ln der
Zeit vom 27. September bis 1. Oktober 0 Neuerkrnnkungen (mit
2 Todesfällen) angezeigt, darunter 4 (1) bei Arbeitern von Punto
Franco und je 1 in San Giovanni Teduceio und ln Bnrra bei An¬
gestellten einer Mühle zu Teduceio: von den Ixüden letzten ist 1
tödtlich verlaufen. Insgesnmmt sind seit dem Ausbruch der Epi-
I demie 18 Erkrankungen mit 7 Todesfällen festgestclt. Vom 1. bis
! 7. Oktober ist kein weiterer Fall gemeldet worden. — Frankreich.
| An Bord des am 18. September aus Kinnen in Marseille oinge-
| laufenen Dampfers „Ville de la Ciotat“ wurde Anfnturs Oktober
! ein Testfall festgestellt. — Aegypten. In der Zeit vom 27. Scp-
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1736
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 43.
tomber bis 4. Oktober wurden insgesammt 8 Erkrankungen (und
2 Tod es fülle) an der Pest angezeigt, davon ln Alexandrien 5 (1),
in Port Said 1 (0). in Benha 2 (1). An Bord des vor Alexandrien
liegenden Lloyddampfers ..Maria Teresa“ sind 2 neue Pestfillle so¬
wie ein vierter pestverdäiehtiger Fall festgestellt worden. — Bri-
tiseh-Ostindien. In der am 13. September abgelaufenen Woche sind
in der Präsidentschaft Bombay 8255 Erkrankungen und 5845 Todes¬
fälle an der Pest gemeldet worden, d. h. 1800 bezw. 1451 mehr
als in der Vorwoche. In der Stadt Bombay kamen in der am
14. September endenden Woche 202 Erkrankungen und 273 Todes¬
fälle an der Post zur Anzeige; die Zahl der pestverdächtigen Sterbe-
fiille betrug 142. die Gesainmtzahl der Sterbefälle 905 gegen 953
in der Vorwoche. In Broach, einem Hafen in der Präsidentschaft
Bombay, sind in der Zeit vom 15. August, bis 12. September
171 Erkrankungen und 137 Pesttodesfälle vorgekommen. — Neu-
Kaledonicn. Vom 23. Sept. bis 2. Okt. sind in Numea 2 Pesterkrank¬
ungen mit 1 Todesfälle angezeigt worden. (V. d. K. G.-A.)
— In der 40. .Tahreswoche. vom 29. September bis 5. Oktober
1901. hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die
grösste Sterblichkeit Reuthen mit 29.7. die geringste Halberstadt
mit. 3,0 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bochum. Bremen,
Halle, an Masern in Fürth, an Diphtherie und Croup in Bamberg,
an Unterleibstyphus in Heidelberg.
— Im Kunstverlag Rud. S c 1» u s t e r - Berlin ist ein vortreff¬
liches Bild des Geheimen Medlcinalrathes Professor Dr. Rudolf
Vlrchow in Kupferätzung nach einer photographischen Auf¬
nahme (Bildgrösse 32:24) erschienen, das den SO jährigen Jubilar
bei der Betrachtung eines wissenschaftlichen Präparates zeigt.
Wir machen alle Mediclner, namentlich den grossen Kreis seiner
ehemaligen Schüler darauf aufmerksam. Das Blatt, trägt das
Fncsimile des berühmten Gelehrten, kostet 0 M. und kann durch
jede Buch- und Kunsthandlung oder direkt bezogen werden.
(Hochschulnachrichten.)
Jena. In der modicinischen Fakultät der hiesigen Uni¬
versität liabilitirte sich der praktische Arzt Dr. G iese als Privat-
doeent für gerichtliche Mediciu.
Leipzig. Die Wittwe des vor 2 Jahren verstorbenen Pro¬
fessors der Geschichte der Medlcin an der Wiener Universität Hof¬
rath Dr. Puschmann hat, wie sich jetzt bei ihrem Ableben
herausstellt. ihr gesummtes, mehr als eine Million Kronen be¬
tragendes Vermögen der Universität Leipzig vermacht.
Strassburg. Der im Sommer liabilitirte Privatdocent
Dr. Weidenreich hat unter Verzicht auf die Venia legendi
einen Ruf als Histologe an das Institut für Krebsforschung in
Frankfurt angenommen.
(Todesfälle.)
Am 15. ds. starb der Geh. Medicinalrath Dr. Stelzner,
vormals Oberarzt der chirurgischen Abtheilung am Stadtkranken¬
hause in Dresden, im Alter von (52 Jahren. Stelzner war von
186G bis 1881 chirurgischer Oberarzt am Dredner Diakonissen¬
hause. von da wurde er an das Stadtkrankenhaus berufen, an
dem er bis zum 31. Dezember 1900 segensreich wirkte. Stelzner
war ein geschätzter Chirurg, der sich in seiner Vaterstadt Dresden
der allgemeinsten Beliebheit und Hochachtung erfreute.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Josef Werner, approb. 1900, zu Allers¬
berg. Bezirksamt Hilpoltstein. Karl Volluber g, approb. 1895,
in Dietenhofon, Bezirksamt Neustadt a. A.
Verzogen: Dr. Arno Fritzsche von Allersberg nach
Coburg.
Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Martin Steichelein Weissen¬
born zum Bezirksarzt T. Klasse in UfTenheim.
Gestorben: Dr. Joseph Payr in Passau, 78 Jahre alt.
Eingabe.
An die
Hohe Kammer der Abgeordneten
München.
Nachdem die Vorsitzenden der bayerischen Aerztekammern
Mitte September die dringende Bitte gestellt haben, es möge die
..ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung“ baldigst berathen
und unverkürzt angenommen werden, zwingt der seitherige Verlauf
der Borathungen sie zu einer Erklärung.
Das Referat, das der Referent im zuständigen Ausschüsse,
Herr v. L a n d m a n n, erstattete, ersetzt die gewünschte Standes¬
ordnung durch seinen § 3 Abs. 4 in einer Weise, dass Alles, was als
Ehren- und Anstandspflicht bis jetzt bei den Aerzten Brauch war
und ferner erhalten werden soll, geradezu auf den Kopf gestellt,
und statt verboten, direkt als gesetzlich erlaubt, festgelegt wird.
Die Annahme einer derartigen Standesordnung würde auch jede
Ehrengerichtsordnung vollständig überflüssig machen, weil ein¬
fach nichts mehr zu richten übrig bliebe.
Auch sonst sind die Aerzte vielfach auf falsche Auffassungen
und Auslegungen gestossen. so dass sie sich erlauben, in letzter
Stunde noch eine ausführliche Motivirung zu überreichen, was sie
mit einer Standes- und Ehrengerichtsordnung anstreben. Des¬
gleichen werden die Vorsitzenden der Aerztekammern eine Wider¬
legung des genannten Referates folgen lassen.
Dabei aber müssen sie erklären, dass eine im Sinne des
v. Landman n’schen Referates verstümmelte Aerzteordnung
vollständig unannehmbar wäre und zur Zertrümmerung der gan¬
zen staatlichen Organisation des ärztlichen Standes in Bayern
führen müsste.
Ehrerbietigst!
Für die Vorsitzenden der acht bayerischen Aerztekammern:
Dr. Näher- München. Dr. Mayer- Fürth.
Denkschrift über die Standes- und Ehrengerichtsordnung
für die Aerzte Bayerns.
Ueberreicht von den Vorsitzenden der 8 bayer. Aerztekammern.
Die Aerzteordnung. wie sie von der hohen Staatsregierung im
Entwurf vorgelegt ist, entspricht dem Wunsche der Gesammt-
heit der bayerischen Aerzte.
Die Aerztekammern aller 8 Kreise des Königreiches haben ein¬
stimmig sich für den Erlass einer Aerzteordnung ausgesprochen
und den Entwurf gutgeheissen.
Die staatliche Organisation des ärztlichen Standes in Bayern
war Jahrzehntelang mustergiltig für das übrige Deutschland. Die
ärztlichen Bezirksvereine sind durch die Aerztekammern in euger
Fühlung mit der hohen Staatsregierung und wie jeue die ge¬
brachten Vorlagen gewissenhaft erledigten, so fanden auch
wiederum die Wünsche und Anträge der Aerzte selbst A'olle Würdi¬
gung. Nicht der Verkehr zwischen Regierung und Aerztckammeru,
das berufliche Miteinanderlehen der Aerzte selbst braucht wirk¬
samere Stützen als seither. Neue Zeit braucht neue Wege. Viele
deutsche Bundesstaaten, so Sachsen, Preussen, Baden, Braun-
schweig. Hamburg haben dem Wunsche der Aerzte nach einer
staatlichen Aerzteordnung bereits entsprochen. Andere stehen in
Aussicht. Die sümmtliehen Bezirksvereine Bayerns, denen von
rund 3000 Aerzten 2200 angeboren, haben meist einstimmig ihre Zu¬
stimmung zu dem wohl vorbereiteten Entwurf der hoben Staats¬
regierung gegeben. Was bedeuten dagegen einzelne, jetzt laut
werdende Stimmen, die heimlich dagegen opponiren; in der OelTent-
lichkeit hat es kaum einer gethan und wir dürfen sagen, wer von
den bayerischen Aerzten sich gegen diese Ehrenordnuug wendet,
mag die Handhabung der Ehrenbostimmuugen selbst zu fürchten
haben.
Die Aerzteordnung gibt den Standesvertretungen eine Dis-
ciplinarbefugniss über alle Aerzte.
Das Verlangen der bayerischen Aerzte nach einer Aerzteord¬
nung ist ein altes.
Die R e e h t s n n w alte erfreuen sich seit lange einer An¬
waltsordnung, und sie würden ohne eine solche ihren Stand schwer
auf der auch ihnen nöthigen sittlichen Höhe halten.
In vieler Beziehung lässt sich der Stand der Aerzte dem der
Rechtsanwälte vergleichen. Beide erfüllen neben der Ausübung
ihres Berufes als „Broderwerb“ höhere, dem Staat unentbehrliche
Aufgaben.
Neben der Mitwirkung bei so vielen allgemeinen Fragen der
öffentlichen Gesundheitspflege, nimmt der Arzt als Berather des
Volkes bei allen Schäden und Leiden des Körpers und deT Seele
eine so verantwortungsvolle Stellung ein. die Ausübung seines Be¬
rufes erfordert ein solches Hintansetzen der eigenen Person, solche
Opfer von Mühe und eigener Gesundheit, das Vertrauen, das ihm
in den wichtigsten Angelegenheiten in Familie und Haus entgegen-
gobraeht werden muss, ist so gross, dass neben dem rein ärztlichen
Können von jedem Arzte die höchste Ausbildung des Geistes, und
dabei ein rädelloses Verhalten bei der Ausübung seines Berufes
verlangt werden muss.
Von Jeher haben desshalb die Aerzte das Bedürfniss gehabt,
sich selbst bei der Berufsführung einem gewissen Zwang zu unter¬
stellen.
Theils waren dies ungeschriebene, usuell anerkannte Vor¬
schriften, tbeils legten die Standesvereine in ihren Satzungen Be¬
stimmungen fest, nach denen die Mitglieder sich zu richten hatten.
Der Grundgedanke dabei ist stets, im Verkehr der Aerzte unter sich
und mit dem Publikum, also in der praktische!) Thätigkeit an und
um das Krankenbett, nichts gelten zu lassen, was gegen humane
und wissenschaftliche Principien verstösst.
Jegliche Reklame, jeder unlautere Bewerb, Verlassen des rein
wissenschaftlichen Bodens galten als unstatthaft.
Alle diese von den Vereinen getroffenen Bestimmungen ver¬
sagten oftmals im Ernstfälle, weil das Verbleiben unter den selbst
geschaffenen Gesetzen ein freiwilliges war und Jeder sich einer
Ahndung durch Austritt aus dem Verein oder durch Nichteintritt
entziehen konnte.
Bei der Freiwilligkeit aller Beitragsleistungen konnten auch
andere Zwecke, z. B. die Unterstützung nothleidender Aerzte und
der Relikten von solchen, nur ungenügend erfüllt werden.
Trotzdem hat es lange Zeit so leidlich gut gethan. Die
..gute alte Zeit“, in welcher im Deutschen Reich eine relativ geringe
Zahl von Aerzten als hochgeachteter Stand und mit durchgängig
ausreichendem Auskommen es leichter hatten, sich guten Sitten zu
fügen, liegt nicht sehr weit zurück.
Die Lage des ärztlichen Standes hat sich seit etwa 1 y 2 Jahr¬
zehnten wesentlich zum Schlechteren geändert.
Mit der riesigen Entwicklung der mediclnischen Wissen¬
schaften und den ungeahnten Fortschritten derselben hat die sociale
Stellung der Aerzte nicht Schritt gehalten.
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22. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1737
Im wesentlichen sind äussere Faktoren die Veranlassung
davon.
In erster Linie muss hier die riesige Ueberfüllung des Faches
gen.-uint werden, die dasselbe allerdings mit anderen gelehrten Be¬
rufszweigen theilt. Während aber bei den anderen einmal die
Limitirung der zu besetzenden Stellen den Zuzug hemmen mag,
oder aber, wie bei der Jurisprudenz, den Jüngern des Itechts andere,
oft ganz abliegende Arbeitsfelder geöffnet werden, Ist die Heil¬
kunde naturgemüss schrankenlos dem jährlich wachsenden An¬
drange neuer Aerzte offen, und der unvermeidliche Konkurrenz¬
kampf derselben wird von Jahr zu Jahr schwerer. Ist doch die
Zahl der Aerzte seit 187U bis 1900 von etwa 15 000 auf 27 374 ge¬
stiegen, also um Uber 80 Proc. bei einer Bevölkerungszunahme von
51 y 4 Millionen auf 50Va Millionen (13,05 Proc.). Und nicht wie bei
den Juristen ist das Feld der ärztlichen Thätigkeit ausdehnbar, im
Gegentlieil, cs ist für die Gesammtheit der Aerzte eher einge¬
schränkt worden.
Wir werden später über die Stellung der Aerzte zum Ivranken-
versieherungsgesetz reden, hier zur Vervollständigung nur die
Thatsache, dass das meist im Reich gebräuchliche System der
Kassenärzte einen hohen Procentsatz der Erkrankten der freien
Konkurrenz entzogen hat, und nicht angestellten Aerzten das
Fortkommen erschwert; dazu kommt noch, dass meistens bei
den Kassen die Entlohnung des Arztes entfernt nicht der ver¬
langten Leistung entspricht.
Dann kam 1809 die Einreihung der Aerzte In die Gewerbe¬
ordnung, und damit die „Kurierfreiheit“ für Jedermann im
deutschen Reich. Es ist heute nicht der Platz, über die Schädigung
an nationalem Wohlstand und Volksgesuudbeit zu streiten, wie
sie die frei losgelassene Pfuscherei mit sich bringt. Ebensowenig
über die vollständige Verkennung der Aufgaben des ärztlichen
Standes, wenn man denselben jedem Gewerbebetrieb gleichgestellt
hat. In den Kreisen der Aerzte selbst hat die Maassregel nur bei
politischen Fanatikern und bei gutsitulrten Grossstädtern Beifall
gefunden, die den Bedürfnissen der Allgemeinheit ihres Standes
entfremdet waren. Das Gros der Aerzte empfand die Herab¬
würdigung des Standes schwer. Dem üppigen Aufwaehseu jeg¬
licher Art von schwindlerischem Pfuscherthum, der schamlosen
Anpreisung immer neuer Geheimmittel folgten bald Angriffe aller
Art auf die ärztliche Wissenschaft selbst und deren Vertreter, die
Aerzte, denen diese begreiflicher Weise meist passiv gegenüber-
steheu mussten. Und was Wunder, dass bei dem steigenden
Kampf urn’s tägliche Brod auch minderwerthlge Elemente unter
den Aerzten selbst auf bis jetzt für unerlaubt gehaltenen Wegen,
und meist wohl gegen die eigene bessere Ueberzeugung ihr ,,Ge¬
werbe“ auszuüben für erlaubt hielten.
Der Staat selbst zeigt ja, dass er die Aerzte höher als Ge¬
werbetreibende einschützt, er gibt gesetzliche Taxordnungeu
heraus, an welche die Aerzte sich halten sollen. Schützen dieselben
einerseits das Publikum vor Ausbeutung, so gilt ein Herabgehen
unter die Taxen, ein „Unterbieten“, als unstatthaft. Solches Unter¬
bieten erfolgt doch nur ln der Hoffnung, den Entgang durch Mehr¬
arbeit zu ersetzen, und „Mehrarbeit“ ln diesem Sinne bedeutet fast
immer minderwerthige Leistung.
Der alte Spruch „dat Galenus opes“ gilt schon lange nicht
mehr. Die grosse Menge der Aerzte mag genügendes Auskommen
haben, ein grosser Procentsatz hat sicher nicht mehr so viel Ein¬
nahmen, als das Leben erfordert. Vor wenig Jahren wurde be¬
kannt, dnBs wohl 50 Proc. der Berliner Aerzte weniger als 3000 M.
versteuern; vor Kurzem stand zu lesen, dass ebendort 1899 00 bis
70 Aerzte bei der israelitischen Kultusgemeinde um Unterstützung
eiugekominen sind. So flagrant wie in den grössten Bevölkerungs-
ceutreu tritt der Nothstand nicht überall hervor, aber Anzeichen
davon und greifbare Fälle hat man schon mannigfach auch anders¬
wo zu verzeichnen.
Angreifbar sind alle angeführten Uebelstände nur dort, wo
die Aerzte selbst ein Verschulden trifft. Die nur freiwillig ge¬
haltenen Normen versagen aber, wie schon gesagt, oft Erst wenn
den Standesvertretungen, wie bei den Rechtsanwälten, eine D i s -
ciplinargewalt über alle Aerzte gesetzlich zugesprochen ist,
kann an eine durchgreifende Abstellung einer Reihe von Schäden,
an ein Abstellen unrichtiger Handlungen des Einzelnen, an ein
Wiederheben des gesunkenen ärztlichen Ansehens gedacht werden.
Die Aerzteordnung regelt die Art der Ausübung des ärztlichen
Berufes durch eine Standesordnung.
Dieselbe enthält detaillirte Vorschriften über die Pflichten
der Aerzte, über die Art der Einführung in die Praxis und die
Führung derselben.
Selbstverständlich gehen diese Normen weit über das hinaus,
was irgend ein anderes „Gewerbe“ in seinem Betriebe für erlaubt
hält.
Mögen manche der Bestimmungen minutiös oder kleinlich er¬
scheinen, alle sind sie reicher Erfahrung im praktischen Leben ent¬
sprungen und einfach unentbehrlich.
Jeder Praktiker weiss zu bestätigen, wie leicht z. B. bei Nicht¬
beachtung der Vorschriften des Verkehrs zweier Aerzte bei einem
gemeinschaftlichen Patienten Kränkungen eines Arztes oder aber
fatale Zweifel oder Missverständnisse bei dem Kranken erregt
werden.
Langjährige Vertrauensstellungen werden so durch bewusste
Unkollegialitäten eines zweiten Arztes grundlos erschüttert; wie
schlimm für Patient und Familie, wenn kleine Differenzen, deren
Belanglosigkeit der Laie nicht ermessen kann, zu ihren Ohren
kommen. Die Bestimmungen der Standesordnung sind daher
ebenso zum Schutze des Publikums geschaffen und in vielen
Städten, wo sie Jahrzehnte lang in Kraft stehen, sind sie einem
grossen Theil der Bevölkerung bekannt und Anden volle Würdi¬
gung. Wer freilich in seinem Arzt nur einen bezahlten Gewerbe¬
treibenden sieht, wer meint, das Publikum müsse vor den Aerzten
geschützt werden, der versteht solche Anstandsregeln und ihre
Nothwendigkeit nicht.
Anders ist die Frage zu beantworten, ob eine solche Standes¬
ordnung überhaupt nöthig erscheint Preusseu z. B. hat seiner
Aerzteordnung keine angefügt. Daun urtheilen eben gegebenen
Falles die Vereine und Ehrengerichte nach allgemeinen praktischen
Erfahrungen, und die kommen wieder auf dasselbe hinaus, nur
dass persönlichen Anschauungen und der Willkür doch mehr Raum
gegeben ist, als bei Festlegung der Ilauptprincipien. Dazu kommt
noch, dass der junge Arzt ohne die geringste Kenntniss dieser
praktischen Bestimmungen in seinen Beruf elntritt, und die vor¬
herige Einsichtnahme der festgelegten Standesordnung fast nöthig
hat. Dieselbe soll ja vielmehr den Verfehlungen Vorbeugen als sie
bestrafen.
Da aber nicht zu leugnen ist, dass sich die Ansichten ändern
können, ein Punkt später vielleicht als unwichtig oder unrichtig
ausgemerzt, ein anderer nach Aller Wunsch hereingenommen wer¬
den müsste, so soll die Staudesordnuug nicht gesetzlich festgelegt,
sondern von der hohen Staatsregierung im Verordnungswege er¬
lassen werden.
Die Aerzteordnung enthält eine Ehrengerichtsordnung.
Eine Reihe von Bestrafungen sind in der der Aerzteordnung
angefügten Ehrengerichtsordnung vorgesehen. Da das
ärztliche Gericht stets unter staatlicher Aufsicht steht, wird ein
Missbrauch der Gewalt ausgeschlossen sein. Die Erfahrungen in
Vereinen, die aus anderen Gründen, z. B. weil sie mit den Kassen
Verträge haben, jetzt schon über ihre Mitglieder eiu Strafrecht
ausüben können, sprechen überdies dafür, dass die ärztlichen Ge-
richte nicht zu viel in Anspruch genommen werden dürften. Die
Gewissheit, einer Strafe zu verfallen, wird widerstrebende Ele¬
mente genügend im Zaum halten.
Die Aerzteordnung gibt der Standesvertretung das Umlage recht
und dadurch die Möglichkeit, kranken und nothleidenden
Aerzten, sowie armen Wittwen und Waisen durch mässige Bei¬
träge ausgiebige Hilfe zu leisten.
Die ärztlichen Einnahmen sind in der Masse nicht mehr so
gross, dass grössere Ersparnisse für Nothstand und Alter gemacht
werden können. Nach dem Tode des Arztes bleiben Frau und
Kinder oft in bitterer Noth zurück. Das Mögliche ist seither schon
freiwillig geschehen. Drei Vereine bemühen sich in Bayern Hilfe
zu bringen. Aber tlieils leisten diese Vereine nur au Mitglieder,
und Indolenz oder Leichtsinn hat den rechtzeitigen Beitritt ver¬
säumen lassen, tlieils sind die Unterstützungen doch noch gering.
Der leistungsfähigste Verein unterstützt invalide Aerzte mit ca.
IG 000 M. jährlich, gibt aber nichts mehr an die Relikten. Eine
Statistik von 1898 ergibt, dass in Bayern etwa 127 Wittwen von
Aerzten leben, die sicher ganz arm oder nicht weit davon sind.
Die wenigen Mark, die bei allgemeiner Betheiligung, der Einzelne
zahlen muss, tun sichere Hilfe leisten zu können, sind doch erst
zu haben, wenn durch das Umlagerecht der Beitrag obligatorisch
wird. Es braucht nur berührt zu werden, welch’ beruhigenden
Einfluss es haben muss, wenn der hart arbeitende Arzt weiss. dass
er und eventuell seine Angehörigen vor der bitteren Noth geschützt
sind.
Die Aerzteordnung ermöglicht mehr als seither den ärztlichen
Stand für statistische und hygienische Arbeiten im allgemeinen
Interesse heranzuziehen.
Auch so haben viele Aerzte sich der Betheiligung an der
öffentlichen Gesundheitspflege nicht entzogen. Die Anzeige be¬
stimmter ansteckender Krankheiten ist bekanntlich gesetzlich ver¬
langt. Aber manche interessante Frage, so eine jetzt schon in
Bayern freiwillig geleistete Statistik der Erkraukttugeu, werden
nutzbringend erst bei Betheiligung aller Aerzte. Das ist bei
einer straffen Organisation möglich.
Die Aerzteordnung soll auch das Verhältniss zwischen Aerzten
und Krankenkassen in friedlicher Weise in gute Wege lenken,
zur richtigen Durchführung der grossen socialen Aufgabe, die
beide Kontrahenten zu erfüllen haben.
Die Aerzte haben wohl fast ausnahmslos die deutsche sociale
Gesetzgebung als Kulturfortschritt begriisst. Die Segnungen
dieser Gesetze für den Arbeiterstaud zu leugnen, wagen auch die
radikalsten Politiker nicht mehr. Es thut dem Ganzen keinen
Eintrag, wenn Einzelnes in der praktischen Durchführung ver¬
besserungsbedürftig erscheint. Und die Aerzte speciell, auf deren
Kenntnissen und Gewissenhaftigkeit das ganze Krankeuversiehe-
ruugsgesetz beruht, die Aerzte, welche die eigentlichen Vollstrecker
der neuen Einrichtung sind, haben in mancher Hinsicht durch das
Gesetz und seine Handhabung Schaden erlitten in ethischer und
materieller Beziehung.
In ethischer Hinsicht, weil noch niemals die ärztliche Arbeit
so auf den Markt geworfen und vielfach an die Wenigst nehmenden
beinahe versteigert wurde, als durch das Kassenwesen: bedenkt
man, dass im deutschen Reiche 9% Millionen Arbeiter unter «las
Krankenversicherungsgesetz fallen und dass die Familien »ler Ver¬
sicherten zuweilen von Kassen mitversichert werden, mindestens
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1738
aber in der Regel auch den Kassenarzt nehmen, so ermisst man,
welche Riesenzahl von erkranketn Menschen nicht mehr einer
selbstgesuchteu ärztlichen Behandlung unterstehen. Ein heftiger
Konkurrenzkampf namentlich des Jüngeren Elements des ärzt¬
lichen Standes ist dadurch entfesselt, und die Mittel und Wege,
wie die Stellen an den Kassen erstrebt und vergeben werden, sind
nicht immer staudeswürdig und reinlich.
Nun sind dazu die hauptsächlichen Leistungen der Kassen
gesetzlich festgelegt, das Krankengeld, die Entschädigung der
Krankenhäuser etc. Das Honorar der Aerzte ist lu der That die
einzige Ausgabe, die nicht gesetzlich feststeht, an welcher daher
gehandelt werden kann. Die Gemeinden jammern über die hohen
„Aerztelöhne“ und über das Detieit der Krankenkasse, rechnen
aber nicht, dass sie vielfach ihre Spitäler durch die Kassen er¬
halten und in ihren Armenunterstützungen wesentliche Ein¬
sparungen durch die Krankenversicherung machen. Jede Kasse
ist stets bereit, das Honorar der Aerzte herabzudrllekeu. Keine
fragt, ob der verlangten ärztlichen Leistung ihre Gegenleistung
entspricht. Häutig ist die Bezahlung geradezu eine unwürdige,
und doch linden sich immer wieder Aerzte, die um den gebotenen
Preis arbeiten, in der Hoffnung, die Masse werde es liereinbringeu,
oder weil die NotU sie zwingt. Die erkrankten Kassemnitglieder
aber erwarten doch die humane Behandlung und Sorgfalt, welche
die Krankheit fordert und die der schlecht bezahlte Massenarbeiter
einfach nicht leisten kann, so wenig wie der mit eigener Noth
kämpfende Arzt.
Es ist voll nnzuerkennen, dass das Krankenversicherungs¬
gesetz nicht nur Nachtheile für den ärztlichen Stand gebracht hat,
es sind zum Thell auch materielle Vortheile entstanden; besonders
dort wo freie Arztwahl bt^stelit, kommt ein junger Arzt häutig
rascher zu einer lohnenden Thätigkeit als früher. Ebenso
ist nicht zu verkennen, dass bei den Krankenkassen, da bei
der geringsten Schädigung der Arbeitsfähigkeit ärztliche Hilfe
gesetzmässig in Anspruch genommen werden muss, die ärztliche
Leistung häutiger als sonst eine recht geringfügige ist. Nicht
minder auch haben die Aerzte nie verkannt, dass manche Kassen
besonders armer und kleiner Gemeinden, nur recht schwierig eine
richtige Bilanz halten können. Diesen Verhältnissen wurde bis
da stets Rechnung getragen und beträchtliche Nachlässe au den
staatlich genehmigten Taxen gewährt, oder aber, um auch andern
auf der Hand liegenden Missständen zu begegnen, der Zahlungs¬
modus geändert, und Pauschale für die Kopfzahl der Mitglieder
oder der Krankheitsfälle angenommen.
Bis ein Reichsgesetz hier prineipiellen Wandel schafft,
und die Stellung der Aerzte zu den Kassen besser lixirt, geht das
Streben der Aerzte dahin, dass einmal die Zulassung zur Be¬
handlung Knssepliichtiger nicht der Willkür Einzelner, so und so
oft inferiorer oder gar eigennütziger Menschen überlassen bleibt,
und dass die Aerzte nicht gezwungen sein sollen, um die Kassen-
stelleu unwürdigen Wettbewerb zu treiben. Zweitens aber, dass
die Ixdstungen der Kassen au die Aerzte nicht ohne deren Mit¬
wirken festgesetzt, und nicht grundlos zu niedrig gehalten
werden.
Die Noth hat die Aerzte, speciell in der letzten Zeit, enger zu-
sammengeschweisst als früher. Die Fälle, wo die Aerzte grösserer
Städte sich wehren mussten gegen Unbilligkeiten, die muthwillig
von Krankenkassen ihnen zugemuthet wurden, sind neu und be¬
kannt. Sie haben erkennen lassen, dass die Aerzte anfangen, die
Solidarität ihrer Interessen zu begreifen. Und viele Stimmen sind
laut geworden, man werde überhaupt nur auf dem Wege der sogen.
„Selbsthilfe“ gegen Uebergriffe der Kassen sich wehren können.
Und doch ist ein Streit, ein in der Oeffentlielikeit geführter
Kampf bei der Stellung, die der Arzt zu den Kassen als Ver¬
trauensmann einuehmen sollte, stets etwas Unerquickliches und
gewiss zu bedauern. Anderseits wieder steht der einzelne Arzt
machtlos den Thatsacheu gegenüber, die ihn und seinen Stand
schädigen.
Wir hoffen, dass die neue Ordnung die ärztlichen Standes-
vertretungen in die Lage setzen werde, in gemeinschaftlichem
maassvollem Vorgehen auch die Kassenkämpfe in friedlichere
Bahnen zu lenken.
Zu erstreben ist. dass die im Gesetz verlangten „Verein¬
barungen“ über die ärztlichen Leistungen nicht von den ein¬
zelnen Aerzten, sondern von den Staudesvertretungeu mit den
Kassen geschaffen werden, und dass die Kassen nicht selbständig
und allein Bestimmungen d i k t i r e n können.
Auf welchem Wege dies um besten zu erreichen sein wird,
mag die Erfahrung lehren. Eine Reihe grosser Städte, speciell
in Bayern, steht seit lange auf diesem Standpunkt (so z. B. Nürn¬
berg, Fürth; Gleiches ist in München im Werk); in gemeinschaft¬
lichen Kommissionen der Kassen und Aerzte werden die Verträge
vereinbart.
Auch der letzte grosse Streit zwischen Aerzten und einer
Krankenkasse in München wurde schliesslich durch eine ad hoc
gewählte Kommission unter Leitung der kgl. Kreisregierung güt¬
lich beigelegt.
Ob es sich nicht empfehlen würde, in Friedenszeiten solche
Kommissionen zu bilden, die, gleichmässig von Aerzten und
Kassen beschickt, etwa unler unparteiischer Leitung eines Staats-
*) Detaillirte Schilderungen der Verhältnisse zwischen Kassen
und Aerzten siehe „Der ärztliche Stand und die Arbeiterversiche¬
rung“, zusanmicngestellt vom ärztlichen Lokalverein Augsburg
RH»1.
No. 43.
beamten. Honorarsätze und andere Bestimmungen festsetzen
könnten?
Die Errichtung solcher „E i n i g u n g s s t e 11 e n“ würde den
meisten auch in Zukunft drohenden Misshelligkeiten die Spitze ab-
brcchen und segensreich im Interesse der ganzen socialen Gesetz¬
gebung wirken.
W f ir haben nur noch einen Punkt zu berühren, der Bayern
speciell betrifft. In allen grösseren Staaten Deutschlands sind in
der letzten Zeit die Aerzte in neuer Aerzteordnung organisirt
worden. Bayern allein ist zurück. Schon ist zu koustatiren und
bald wird sich dies deutlich zeigen, dass minderwerthige ärztliche
Elemente, denen daheim der Boden zu warm wird, nach Bayern
sich ziehen, wo bis jetzt jede unkollegiale und reklamehafte, jede
unanständige Handlung eines Arztes erlaubt ist, ja wo man
von berufenen Seiten den Versuch machen sieht, den unanständigen
Geschäftsbetrieb der Aerzte gesetzlich zu sanktioniren, angeblich,
weil das Gewerbegesetz dies involvire. Das Gesetz hat doch auch
Sachsen, Baden, Hamburg etc. nicht verhindert, ihren Aerzten mit
der unseren gleichlautende Standesordnungen zu geben.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
_für den Monat August 19hl.
Iststärke des Heeres:
63 071 Mann, — Invaliden, 204 Kadetten, 146 Unteroff.-Vorschüler.
Unter-
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Offlxlcr-
vor-
■ehüler
1. Bestand waren am
31. .
Juli 1901:
1048
—
—
—
[ im Lazareth:
923
— |
—
6
2. Zugang: j
im Revier:
2769
— |
—
—
l in Summa:
3692
— 1
—
6
Im Ganzen
sind behandelt:
4740
—
—
6
°/oo
der Iststärke:
75,1
—
—
41,1
dienstfähig:
3314
—
—
6
°/oo der Erkrankten:
699,1
—
_
1000,0
gestorben:
6
—
—
—
3. Abgang:
u /oo der Erkrankten:
invalide:
1,3
39
—
■*—
—
dienstnnbrauclibar:
17
—
_
__
anderweitig:
169
—
—
—
in Summa:
3545
—
—
6
4. Bestand
bleiben am ]
30. Juli 1901:
f in Summa:
°/oo der Iststärke:
davon im Lazareth:
l davon im Revier:
1195
18,9
721
474
—
—
-r,
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten
an: Lungentuberkulose 2, akuter Lungenentzündung 1, Entzün¬
dung der Herzklappen und Foigezuständen 1, Blinddarm- und
Bauchfellentzündung 1, chronischer Nierenentzündung 1.
Ausserdem starben noch 3 Mann ausser militärärztlicher Be¬
handlung: 1 Manu lu Folge von Lungentuberkulose, 1 Mann ver¬
unglückte im Urlaub in einem Steinbruch (Zerreissung des Kör¬
pers in Folge vorzeitiger Entladung eines Sprengschusses), 1 Manu
endete durch Selbstmord (Erschlossen).
Der Gesammtverlust der Armee durch Tod betrug demnach
Im Monat August 9 Manu.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankh eiten für München
in der 41. Jahreswoche vom 6. bis 12. Oktober 1901.
Betheiligte Aerzte 199. — Brechdurchfall 28 (22*), Diphtherie,
Croup 11 (17), Erysipelas 6 (15), Intermittens, Neuralgia intenn.
— (1), Kindbettfieber 1 (—), Meningitis cerebrospin. — (—),
Morbilli 14 (14), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 2 (11), Parotitis
epidem. — (3), Pneumonia crooposa 5 (13), Pyaemie, Septikaemie
1 (1), Rheumatismus art. ac. 12 (14), Ruhr (dysenteria) — (—•),
Scailatina 6 (8), Tussis convulsiva 19 (18), Typhus abdominalis
2 (2), Varicellen 9 (12), Variola, Variolois — (—), Influenza — (1),
Summa 118 (162). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 41. Jahreswoche vom 6. bis 12. Oktober 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern — (— *), Scharlach 1 (—X Diphtherie
und Croup 1 (—), Rothlauf 2 (—), Kindbettfieber — (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 2 (—), Brechdurchfall 11 (3), Unterleibtyphus
— (—), Keuchhusten 1 (1). Croupöse Lungenentzündung 2 (2),
Tuberkulose a) der Lungen 24 (12), b) der übrigen Organe 2 (12),
Akuter Gelenkrheumatismus — (1), andere übertragbare Krank¬
heiten 4 (3), Unglücksfälle — (2), Selbstmord 1 (2), Tod durch
fremde Hand — (2).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 181 (158), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 18,8 (16,4), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,0 (9,4).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag vou J. K. Lehmann in München. — Druck von K. Mühlthaler's Luch- und Kunstdruckerei A.G., München.
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»8
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
DIo Mönch. Med. Wochenichr. erscheint wAchentl. H/TT T'VT/'N I T I j^TVTT~jVT} Znsendungen alnd «n edreetiren: För die Redectlon
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen. |Y| I I I \ 1 . I — I |i ■ rfc. Ottosireeee t. — Für Abonnement an J. F. Leh-
Prels ln Deutschi. n. Oest.-Ungarn viertelj&hrl. 6 JC, W 0.1 V/ X -». B i * A * ** mann, Heustr&sse 20. — Für Inserate und Beilagen
Ina Ausland 7.60 JC Einseine No. 80 4- an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Cb. Biialer, 0. Bolllnger, H. Curscbaun,
Freiburg 1. B. Mönchen. Leipzig.
No. 44. 29. Oktober 1901.
Herauagegeben von
C. 6erhirdt, 6. Merkel, J. v. Mlcbel, H. i. Rinke, F. v. Wiechel,
Berlin. Nürnberg. Berlin. Mönchen. Mönchen.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasee 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustraase 20.
H. v. Zleastei,
Münch«.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der chirurgischen Klinik zu Leipzig.
Ueber Heilung der angeborenen Blasenspalte mit
Kontinenz des Urins.
Von F. Trendelenburg.
Es sind jetzt 20 Jahre verflossen seit ich (Juli 1881) zum
ersten Aral den Versuch machte, bei angeborener Harnblasen-
spalte mit Ektopie der Blase durch direkte seitliche Vereinigung
der Spaltränder eine von Schleimhaut ausgekleidete normal
funktionirende Blase zu schaffen — ein Ziel, welches ich da¬
durch zu erreichen suchte, dass ich in einer Voroperation auf
einer oder auf beiden Seiten die Synchondrosis sacro - iliaca
trennte, um so die beiden vorn auseinander klaffenden Becken¬
hälften und damit zugleich die Spaltränder einander zu nähern 1 ).
Von den früheren 6 Patienten, die ich nach dieser Methode
operirt habe, leben 4, 3 jetzt erwachsene junge Männer und
1 Mädchen, von denen 2 junge Männer emo annähernd normal
funktionirende Blase erlangt haben. Ueber den einen dieser
beiden Patienten, der in Breslau lebt, haben Mikulicz und
Tietze*) vor einigen Jahren berichtet, er hat „fast völlige
Kontinenz“. Den anderen sah ich kürzlich wieder, er bleibt
des Nachts trocken, wacht 2 oder 3 mal mit Harndrang auf,
lässt Urin und schläft weiter, im Stehen kann er den Urin
aber nur mit besonderer Willensanstrengung für kurze Zeit
halten, so dass er doch ein Urinal tragen muss. Der 3. junge
Manu, und nach brieflicher Mittheilung auch das junge Mädchen,
haben keine Kontinenz. Delagcniere’) in le Maus be¬
richtete in Moskau über einen Fall, in dem er durch Operation
nach meiner Methode Kontinenz erzielte.
Alle Modifikationen des Verfahrens der direkten Naht¬
vereinigung, wie sie von Czerny (1883), Mikulicz,
Schlange, König, Rydygier, Ilocf traann, Beck
u. A. angegeben worden sind, denen gemeinsam ist, dass sie die
Vereinigung der Spalträndcr ohne Synchondrosentrennung,
und zwar mit oder ohne Ersatz dieser Hilfsoperation durch be¬
sondere, die zu vereinigenden Theilo mobilisirende operative
Maassmihmen an den Rändern der Bauch- und der Beckenspalte,
anstroben, haben meines Wissens noch in keinem Falle zu voll¬
ständiger Kontinenz geführt. Denn der Fall, in dem Pop-
]i e r t *) durch eine besondere Art der Naht am Blasenhalse Kon¬
tinenz erzielte, war nicht ein Fall von totaler, sondern nur von
partieller Blasenspalte, ebenso wie ein mit gleichem Resultat
operirtev Fall von Lot heissen (v. Hacker'). Wenn nicht
die ganze vordere Blasomvand und nicht die ganze Bauchwand
bis zum Nabel gespalten ist, sondern nur der Blascnhals und
«ler unterste Theil der vorderen Blasenwand, so liegen die Ver¬
hältnisse natürlich viel günstiger, da die Spaltränder weniger
weit von einander entfernt sind. In solchen Fällen gelingt also
die Heilung mit Kontinenz, wie die beiden Beispiele zeigen,
ebenso wie bei Epispadio, die mit Inkontinenz verbunden ist,
auch ohne Synchondrosentrennung').
’) Centralbl. f. Chirurg. 1883. No. 49; 1886, No. 24; 1887, No. 25.
Arch. f. klin. Chirurg. XXXIV. und XLIII. Jubiläumsheft.
’) Beiträge z. klin. Chirurg, von Bruns. XVIII.
') Centralbl. f. Chirurg. 1900, p. 1281.
4 ) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. XXVIII, 528.
5 ) Vergl.: Ueber meine Erfahrungen bei Epispadle. Arch. f.
klin. Chir. XLIII.
No. 44.
Diese immerhin noch recht mangelhaften Resultate und
die bei den Chirurgen verbreitete irrige Anschauung, dass die
Trennung der Synchondrose eine schwierige und gefnhrvollo
Operation sei, was sie bei Kindern durchaus nicht ist, erklären,
dass man von verschiedenen Seiten auf die Herstellung einer
normalen Blase von vornherein überhaupt verzichtet und bei
der Behandlung ganz andere Wege eingcschlagen hat — meiner
Ansicht nach Abwege. Sonnenburg*) exstirpirt bekanntlich
die ganze Blase und heilt die Uretercn in die Penisrinne ein,
wodurch die Verhältnisse für den Kranken insoferne etwas
günstiger gestaltet werden, als das Urinal besser anzulegen ist
und leichter sämmtlichen Urin auffängt, auch der lästige Prolaps
der Blase wegfällt. Das Sonnenburg’sche Verfahren ist
älter als das meinige, aber Sonnenburg hat auch später
daran festgehalten. In neuerer Zeit hat dann AI a y d 1 T ) die
früheren missglückten Versuche der englischen Chirurgen
Simo n und Smith u. A., die Uretercn in den Darmkanal zu
transplnntircn und so den Urin statt in der Blase im Rectum sieh
ansaimneln zu lassen, in sehr wesentlich verbesserter Form wieder¬
holt und damit in einer Reihe von Fällen ein sehr günstiges
Resultat erzielt. Die Patienten können den Urin stundenlang
im Rectum zurüekhalten. Diese AI a y d l’sehc Afethode der
Implantation der Uretercn in die Flexura sigmoidea, welch«
schon In über 40 Fällen Anwendung gefunden hat, ist wohl die
bei totaler Blasenspalte zur Zeit am meisten gebräuchliche.
Fig. 1. Fig. 2.
Ich habe nun in den letzten Jahren nach längerer Paus«
wieder 3 Knaben mit vollständiger Blascnspalto in Behandlung
*) Berl. klin. Wochen sehr. 1881, 30 un«l Verhandl. der Deutsch.
Gesellsch. f. Chirurg. 1882.
’) Wien. med. Wocheuschr. 1894, 23—28.
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1740
MuEjnuHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
bekommen und nach meiner Methode operirt. Zwei davon sind
noch in Behandlung, der dritte ist. geheilt. Dieser, ein jetzt
6 Jahre alter Knabe, kann den Urin bis zu 2 Stunden zurück¬
halten, die Menge des dann in kräftigem Strahl (vgl. Fig. 1) ent¬
leerten Urins betragt 40 ccm und darüber. Er kann den Strahl
auch willkürlich abbrcchen und wieder in Gang setzen, kurz
die Funktion der Blase ist vollständig hergestellt. Die einzige
noch vorhandene geringfügige Störung besteht darin, dass das
Uriniren wenigstens alle 2 Stunden, also häufiger als normal,
erforderlich wird und dass bei psychischer Erregung mitunter
einige Tropfen Urin unwillkürlich abgehen. Für gewöhnlich
bleiben die Kleider ganz trocken. Nachts muss er einige Mal
zum Urinlassen geweckt werden, wenn er trocken bleiben soll ’).
Dieses Resultat ist erreicht durch im Ganzen 5 Operationen,
wobei die Operationen zur Beseitigung der beiden angeborenen
Leistenbrüche, welche bei dem Knaben bestanden haben, nicht
mitgezählt sind. Die Operationen vertheilen sich auf einen
Zeitraum von 2 V» Jahren. Ich hätte auch schneller Vorgehen
können, aber es ist immer rathsam, die Kinder sich nach jeder
Operation erst wieder ordentlich erholen und die Narben erst
wieder weich werden zu lassen, ehe man die nächste Operation
vornimmt, auch wurde die Behandlung dadurch verzögert, dass
der zarte Knabe wiederholt von Anginen befallen wurde, die
Masern durchzumachen hatte und gelegentlich Decubitus bekam.
Das Bild vor Beginn der Behandlung war das typische Bild der
Spaltung mit F.ktopie der Blase (vgl. Fig. 2).
durch Naht geschlossene Wunde in der Gegend der Synchondrose
heilt fast immer per primam.
Drei Monate später wurde in Beckenhochlagerung, wobei in
tiefer Narkose die sich sonst herausstülpende Blase ganz in die
Bauchhöhle zurücksinkt oder mittels eines Schwämmchens leicht
in die Bauchhöhle zurückgedrückt erhalten werden kann (vgl.
Fig. 3), die Anfrischung, Ablösung und Vcmähung der Spalt¬
ränder vorgenommen. Nur etwa in der Mitte der vorderen
Blasenwand wurde zum Abfluss des Urins eine etwa erbsengrosse
Oeffnung zurückgelassen. Wie gewöhnlich gelang die Nahtver- '
einigung ohne Spannung sehr leicht im Bereich des Penis, etwas
schwieriger im Bereich der Blase und am unvollkommensten an
der wichtigsten Stelle, am Blasenhals. Hier bildete sich auch,
während alles Uebrige glatt heilte, eine Fistel. — Auch nach
dieser Operation that die Wasserstrahlpumpe, welche den Urin
von der Nahtlinie absaugte, ausgezeichnete Dienste.
Als der Knabe sich wieder vollständig erholt hatte, wurde
das absichtlich offen gelassene Loch in der vorderen Blasenwand
durch Lappendeckung geschlossen, wobei wieder eine kleine Fistel
am Scheitel der Blase zurückblieb.
In einer vierten Operation wurde diese kleine Fistel durch
Deckung mit einem Hautläppchen zum Verschluss gebracht uni
zugleich dio etwas weitere Fistel am Blasenhals bezw. an der
Wurzel des Penis, durch welche jetzt aller Urin abfloss, in An¬
griff genommen. Die Fistel wurde durch 2 in der Längsrichtung
der Harnröhre liegende schwach bogenförmig gekrümmte, nach
Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5.
Die erste Operation bestand in der Trennung der rechten
Synchondrosis sacro-iliaca, die linke Synchondrose blieb un-
getrennt, da es sich zeigte, dass die einseitige Operation zur
genügenden Annäherung der Spaltränder gegeneinander aus-
reichtc. Der Knabe wurde in den früher von mir angegebenen
Lagerungsapparnt zur seitlichen Kompression der Beckenhälften
gebracht und der Urin mittels einer Bunsen’schen Wasser¬
strahl-Luftpumpe abgesaugt, so dass der Knabe ziemlich trocken
blieb und die Operationswunde an der Synchondrose nicht mit
Urin in Berührung kam. Die Anwendung dieser kleinen Pumpe,
derselben, welche Perthes bei der Behandlung von Empyemen
verwendet, um den Druck im Pleuraraum durch Ansaugen
negativ zu machen, ist ein nicht unwesentlicher Fortschritt in
der Nachbehandlung gegen früher. Die Pumpe wird an den
Hahn der Wasserleitung angefügt, druch einen Gummischlauch
steht sie mit einer verschlossenen Glasflasche und durch diese
mit einem dünnen Drainrohr in Verbindung, dessen schräg ab¬
gestutztes Ende mittels eines Streifchens Heftpflaster in der
Inguinalgegend so fixirt wird, dass das Lumen in den kleinen
See von Urin eintaucht, welcher sich bei Rückenlage des Kranken
in der Gegend des Blasenhalses ansammelt. Unter hörbarem
Geräusch wird der Urin in kleinen Quantitäten stossweise in
die Flasche hinein abgesaugt. Unter dem Schutze dieser ein¬
fachen Vorrichtung braucht der kleine Patient nur selten wieder
trocken gelegt zu werden, die ganz oder fast in ganzer Ausdehnung
*) Der Knabe wurde der chirurgischen Sektion der Versamm¬
lung deutscher Naturforscher und Aerzte ln Hamburg vorgestellt.
oben bis in den unteren Abschnitt der Blase, unten bis zur Corona
glandis reichende Incisionen Umschnitten, Blasenhals und
Urethra wurden durch schräg in die Tiefe gehende Schnitte
jederseits vom Schambein ergiebig abgelöst, und da Blasenhals
und Anfangstheil der Harnröhre nach dem Aufklappen der Rinne
als abnorm breit erschienen, so dass zu fürchten war, der durch
Naht geschlossene Ring möchte zu weit werden, um einen Ver¬
schluss des Lumens durch Sphinkterwirkung zu Stande kommen
zu lassen, wurde vor Anlegung der Naht vom Rande der Blasen-
und Urethralrinne jederseits ein schmaler Streifen fortge¬
nommen. Sodann wurden Urethra und Blasenhals mit feinem
Catgut, die darüber liegenden Weichtheile einschliesslich der
Haut mit feiner Seide sehr sorgfältig vernäht. Der Urin wurde
durch einen dünnen Katheter abgeleitet.
Von dieser Operation, welche im Uebrigcn zu vollständiger
Heilung führte, blieb eine haarfeine Fistel hinter der Eichel
zurück, aus der beim Urinlassen — Kontinenz war jetzt vor¬
handen — der Urin in einem feinen Nebenstrahl oder tropfen¬
weise hervorkam. Dieses letzte Fistelchen Hess sich durch An¬
frischung und Naht leicht zum Verschluss bringen (vgl. Fig. 4).
Ich will nicht behaupten, dass das geschilderte Verfahren in
allen Einzelheiten vollkommen ist und sich nicht noch verbessern
und vereinfachen Hesse. Versuche in dieser Richtung, mit denen
ich beschäftigt bin, sind noch nicht abgeschlossen. Soviel scheint
mir aber schon jetzt festzustehen, dass die Methode, wenn sie
ein so gutes Resultat ergibt, wie in dem beschriebenen Falle (und
ich hoffe bald über weitere ähnliche Resutato berichten zu können),
der Implantation der IJreteren in den Darm vorzuziehen ist.
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29. Oktober 1901.
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1741
Letzter? Methode beseitigt zwar die Inkontinenz, setzt aber an
Stelle dieser schweren Infirmität eine andere, wenn auch sicher
viel geringere Infirmität. Denn die Urinentleerung durch den
Anus nach Art der Vögel und Amphibien ist und bleibt für den
Menschen nicht nur ein unnatürlicher Zustand, sondern auch,
wenigstens für das männliche Geschlecht, eine recht unange¬
nehme Infirmität. Die andere Methode schafft Kontinenz und
zugleich nahezu normale anatomische Verhältnisse mit nahezu
normaler Funktion der von der Missbildung betroffpnen Organe.
Auch bezweifle ich nicht, dass die Maydl’sehe Methode sich als
gefährlicher erweisen wird als die meinige, sobald einigermaassen
gleichwertige Zahlenreihen einander gegenüber gestellt werden
können.
Bemerken möchte ich noch, dass die Form des Penis sich
nach Anwendung meiner Methode auffallend gut gestaltet (vgl.
Fig. 5, erwachsener Patient). Durch die Annäherung der
Beckenhälften gegen einander werden auch die auseinander ge¬
wichenen Crura penis einander genähert und dadurch gewinnt
der Penis wesentlich an Länge. Der Gang der jetzt erwachsenen
Opcrirten ist ein absolut normaler, auch in dieser Beziehung
braucht man die Trennung der Synehondrosen nicht zu scheuen.
Ueber die Entstehung von Tumoren, Tuberkulose
und anderen Organerkrankungen nach Einwirkung
stumpfer 6ewalt (unter Ausschluss von Frakturen,
Luxationen, Hernien und traumatischen Neurosen). 1 )
Von Professor Dr. Jordan in Heidelberg.
M. II.! Seit der Einführung der Unfallgesetzgebung in
Deutschland hat dieFragc der Beziehungen von Traumen zur Ent¬
stehung von Geschwülsten und einer Reihe anderer Organ¬
erkrankungen neben dem wissenschaftlichen Interesse, das sie
früher fast ausschliesslich erweckte, eine eminent praktische Be¬
deutung erlangt, sic ist in neuerer Zeit bei den Aerzten geradezu
populär geworden. In Folge der rapiden Entwicklung der Ver¬
kehrsverhältnisse und der stetigen Ausbreitung der Industrie ist
die Zahl der Unfälle von Jahr zu Jahr gestiegen und andererseits
ist die in der menschlichen Natur liegende Neigung der Kranken,
ein lokal auftretendes Leiden mit einer lokalen Ursache, speziell
mit Verletzungen, in Zusammenhang zu bringen, durch die Aus¬
sicht auf materiellen Gewinn, auf Entschädigung seitens der Be-
rufsgcnovsenschaften eher grösser geworden. Jedem praktischen
Arzte wird heutzutage die Aufgabe gestellt, sich gutachtlich da¬
rüber auszusprechen, ob die Angabe des Patienten, dass ein Car-
cinom auf einen vor Jahren erlittenen Stoss, eine Caries pedis
auf eine vor Monaten stattgefundene Distorsion, eine Osteo¬
myelitis tibiae auf einen vor wenigen Tagen erfolgten Fall
zurückzuführen sei, Glauben verdiene. Das praktische Bedürf¬
nis« hat eine Vertiefung in den Stoff veranlasst, hat dazu ge¬
führt, Anschauungen, die man früher auf Grund klinischer Ver¬
hältnisse für feststehend hielt, auf experimentellem Wege zu kon-
troliren und hat endlich eine statistische Verarbeitung des klini¬
schen Materials gezeitigt. Bei dieser Sachlage dürfte es von
Interesse sein, objektiv festzustellen, welche positiven Kennt¬
nisse wir zur Zeit über das Kausalitätsverhältniss von Traumen
und einer Anzahl von Erkrankungen besitzen und bin ich daher
der ehrenvollen Aufforderung der Geschäftsleitung unserer Ver¬
sammlung. Ihnen einen solchen Ueberblick zu geben, gerne ge¬
folgt.
Bei dem mir gestellten Thema handelt es sich nach
meiner Auffassung ausschliesslich um die Frage des Ein¬
flusses einer einmaligen stumpfen Gewalt¬
einwirkung, einer Kontusion als Folge eines
Falles, eines Stoss es etc. auf die Entstehung
von Tumoren, chirurgischen Tuberkulosen und anderen
chirurgischen Affektionen, deren Besprechung ich bei der Kürze
der mir zugemessenen Zeit auf die akute Osteomyelitis und die
Beritvphlitis beschränken muss.
Eine Gewebsquetschung als solche bewirkt Gefässzerroissung,
Blutung, Ernährungsstörung oder Abtödtung von Gewebsclemen-
ten, kann aber nach der herrschenden Anschauung keine echte
Geschwulst erzeugen. Erfahrungsgemäss entwickelt sich das
’) Vortrag, gehalten lra Aufträge der GescliRftsleltung der
73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Ham¬
burg am 24. IX. 1901.
Gros der Tumoren ohne vorausgegangenes Trauma und die zahl¬
losen Unfälle, die zur Beobachtung kommen, sind nur in einer
verschwindend kleinen Zahl von Fällen von Gesehwulstbildung
gefolgt. Bei Thieren ist es niemals gelungen durch stumpfe Ge-
walteinwirkung eine Neubildung zu erzeugen. Das Trauma
könnte also nur durch Folgezustände, wie H.vperaemie, entzünd¬
liche, reparative Processe den Anstoss zur Tumorbildung geben,
indirekt geschwulstbildend wirken. W issen-
schaftlich wäre die Wechselbeziehung nur dann zu ergründen,
wenn es gelänge, die verschiedenartigen, beim Menschen vor¬
kommenden Geschwülste etwa durch Implantation von Ge¬
schwulstpartikeln oder durch Impfung mit spezifischen Erregern
bei Versuchsthieren zu erzeugen und den Einfluss von Kontu¬
sionen auf das infizirto Organ zu studiren. Die Frage des
Kausalitäts Verhältnisses ist demnach auf’s
Engste verknüpft mit dem Problem der Ent¬
stehung der Tumoren überhaupt.
Was das letztere betrifft, so hat der 1877 von Cohnheim
in seiner allgemeinen Pathologie ausgesprochene Satz: „wenn es
irgend ein Kapitel in unserer Wissenschaft gibt, das in tiefes
Dunkel gehüllt ist, so ist dies die Aetiologie der Geschwülste“
auch heute noch volle Geltung; von einer Einsicht in die Ur¬
sachen der Genese sind wir noch weit entfernt.
Die theoretische Erörterung muss sich unter
diesen Umständen an die über die Geschwulstent¬
stehung aufgestellten Hypothesen halten. Indem
wir die gangbaren Theorien Revue passiren lassen, werden wir
feststellen, ob und in welchem Umfang dieselben
den Einfluss einer Kontusion auf die Ge¬
schwulstentwicklung verständlich erschei¬
nen lassen.
Von der, zuletzt namentlich von B i 11 r o t h vertretenen An¬
schauung, dass der Geschwulstbildung eine spezifische allgemeine,
der tuberkulösen analoge Diathese zu Grunde liege, ist man zu¬
rückgekommen, inan nimmt vielmehr mit V irchow an, dass
es sich bei den Geschwülsten um ein rein lokales Leiden handelt
und dass zur Entstehung zwei Momente gehören, nämlich einmal
eine lokale Gewebsveränderung und dann ein Reiz, der die vor¬
handene Anlage zur Entfaltung bringt. Die verschiedenen Hypo¬
thesen legen auf den einen oder anderen dieser Faktoren das
Hauptgewicht.
Vircho w vertritt den Standpunkt, dass bei der Existenz
gewisser, ihrer Natur nach unbestimmter Veränderungen der
anatomischen Zusammensetzung einzelner Gewebsabschnittc lo¬
kale Reize, speziell auch Traumen, die Geschwulstbildung ver¬
mitteln können: der stumpfen Gewalteinwirkung kommt also
nach V i r c h o w eine grosse Bedeutung für die Geschwulst-
geneso zu. Cohnheim führte die Tumoren auf Unregel¬
mässigkeiten der embryonalen Anlage zurück, liess sie von über¬
schüssigen, beim Aufbau der Organe nicht zur Verwendung ge¬
langten Zellen uusgehen, die an einer Stelle im Gewebe ab¬
geschlossen sitzen bleiben oder mehr oder weniger gleichmässig
über eine der histogenetischen Keimanlagen vertheilt sind.
Reichliche Blutzufuhr, wie sie durch physiologische Verhältnisse
(Pubertät, Gravidität, Knochenwachsthum) herbeigeführt wird,
ist allein ausreichend, um diesen embryonalen Zellen die ur¬
sprüngliche Fähigkeit reichlicher Produktion wiederzugeben.
Lokale Reize haben nach C o h n h e i m keine oder nur minimale
Bedeutung, doch gibt er zu, dass die einem Trauma folgende
entzündliche Hyperaemie einen vorhandenen Geschwulstkeim
zur Entwicklung bringen oder dass bei der Anlage eines Systems
zur Geschwulstbildung ein Trauma gelegentlich den speciellen Ort
des Gewächses bestimmen könne. Bei seinem ablehnenden Stand¬
punkt hinsichtlich der traumatischen Aetiologie der Geschwülste
stützt sich Oohnhoiin auch auf die Erfahrungen der Klinik,
insbesondere auf die Statistik Wolf f s ’) aus der Langen-
beck'schen Klinik, die ergab, dass bei 86 Proc. der Tumoren
kein vorausgegangenos Trauma nachweisbar war. Die Cohn-
h e i m’sche Theorie ist für einen Theil der Geschwülste als
richtig anerkannt: Dermoidcysten, branchiogene Oarcinome, die
Mischtumoren des Hodens, der Parotis lassen sich in der Thnt
nur durch Keimversprengung erklären. Sic bedeutet insofern
einen Fortschritt, als sie uns den Charakter der Ausgangszeilen
der Geschwülste enthüllt.
*) W o 1 11 : Zur Entstehung von Geschwülsten nach trau¬
matischen Einwirkungen. Inaug.-Dlss., Berlin 1874.
1 *
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1742
MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET.
No. 44.
R i b b e r t’s 3 ) neueste Lehre ist als eine Erweiterung der
0 o h n h e i machen Hypothese, als eine Ausdehnung derselben
au? das extrauterine Leben zu bezeichnen. Nach R i b b e r t
bewahren die Zellen ihre embryonale Fähigkeit der Produktivität,
sind aber durch ihre Einfügung in das normale Gewebe an der
Entfaltung dieser Fälligkeit gehindert. Sobald das Hinderniss
wegfällt, sobald die Zellen aus ihrem physiologischen Zusammen¬
hang gelöst und gleichsam ihrer ursprünglichen Freiheit wieder¬
gegeben werden, können sie schrankenlos wuchern und damit
Geschwülste erzeugen. Die Geschwulstbildung setzt also nach
R i b b e r t die Isolirung von Gewebselementen, das Unabhängig¬
werden derselben von der übrigen Umgebung voraus. Eine
Qualitätsänderung der Zellen im Sinne Ilansemann’s (Ana¬
plasie) ist dabei nicht im Spiele. Für eine solche Loslösung
von Zellen oder Zellgruppen aus ihrem Zusammenhang ist nun
das Trauma nach Ribbert von grosser Bedeutung und zwar
direkt und mehr noch indirekt. Durch einen Stoss, eine Quetsch¬
ung können Zellen direkt abgetrennt und damit zur Geschwulst¬
bildung befähigt werden. Die Möglichkeit einer solchen Ge¬
schwulstgenese ist z. B. für die Epithelcysten der Finger durch
Thierexperimente Scliwenninge r’s, Kaufman n’s und
R i b b e r t’s erwiesen. Für die Bildung maligner Tumoren
dürfte indessen dieser Modus jedenfalls nur ausnahmsweise in
Betracht kommen, da plötzlich abgerissene Zellgruppen in Folge
unzureichender Ernährung meist zu Grunde gehen werden. Eine
genügende Ernährung ist nach Ribbert nur dann gesichert,
wenn die Abtrennung der Elemente ganz allmählich erfolgt.
Beim Careinom wird diese allmähliche Isolirung durch primäre
Bindegewebswucherung herbeigeführt, das wuchernde Binde¬
gewebe durchwächst das Epithel und die dadurch selbständig
gewordenen Epithelzellen vermehren sich nun wie die embryo¬
nalen Zellen Cohnheim’s. Bei diesem Vorgang kann das
Trauma indirekt eine Rolle insofern spielen, als es die Binde¬
gewebswucherung durch eine Entzündung vermittelt. Diese Ent¬
zündung wird möglicherweise — hier macht Ribbert den An¬
hängern der parasitären Aetiologie des Carcinoms eine Kon¬
zession — durch Parasiten verursacht, deren Lokalisation durch
die vorausgegangene Gewebsquetschung begünstigt wird.
Seitdem die bakterielle Richtung in der Medicin zur Herr¬
schaft gelangt ist, hat die Zahl derjenigen, die auch die malignen
Tumoren auf Rechnung bakterieller Infektion zu setzen ver¬
suchen, bedeutend zugenommen. Die parasitäre Theorie, deren
Anhänger sich zumeist im Lager der Chirurgen finden, schwebt
indessen noch ganz in der Luft; alle Versuche, spezifische Er¬
reger zu finden, sind bis jetzt gescheitert. Eine Reihe von
Momenten, in erster Linie das selbständige Wachsthum der
Tumoren, ihre Weiterverbreitung durch die Zellen des primären
Tumors sprechen gegen eine parasitäre Entstehung. Für die
Vertreter der parasitären Lehre ist der Einfluss eines Traumas
auf die Tumorentwicklung verständlich: die Kontusion setzt
die Widerstandsfähigkeit des Gewebes herab und erleichtert den
im Körper befindlichen Mikroben die Lokalisation und Wuche¬
rung.
Aus den bisherigen Betrachtungen folgt, dass die be¬
stehenden Hypothesen den geschwulstbeför¬
dernden Einfluss einer stumpfen Gewaltein-'
Wirkung in engeren oder weiteren Grenzen
möglich erscheinen lassen, dass wir aber über
die t h a t s ä c h 1 i ch e Rolle, die das Trauma spielt,
keinerlei Anhaltspunkte besitzen. Bei Beur-
theilung der Verhältnisse sind wir daher einzig und allein
angewiesen auf klinische Erfahrungen und
Beobachtungen.
Wolf f 4 ) stellte 1874 574 Geschwulst fälle aus der Langen-
bcck'schen Klinik zusammen und fand in 82 Fällen, d. h. in
14.3 Proe., ein vorausgegangenes Trauma verzeichnet. Liebe“)
verarbeitete das Material der Strassburger Klinik aus den Jahren
1872—1881 und konstatirte bei 343 Tumoren in 37 Fällen =
10,8 Pro«’, traumatische Aetiologie. Von 499 Fällen der Mün-
*) 11 i b b ert: Lehrbuch der allg. Pathologie 1900 und: Inwie¬
weit können Neubildungen auf traumatische Einflüsse zurück¬
geführt werden? Aerztl. Saehverstündigenztg. 1898.
*) 1. c.
s ) Liebe: Beiträge zur Lehre von der traumatischen Ent¬
stehung der Sarkome und Euchondrome. Inaug.-Diss., Strass¬
burg 1881.
chener Klinik wurden nach Z i e g 1 e r’s °) Berechnung 70, d. h.
18Proc., auf einen Unfall zurückgeführt. Löwenthal 1 ) (1895)
sammelte mit Bienenfleiss 800 traumatische Tumoren aus der
Literatur, doch ist diese Zusammenstellung für unsere Frage
werthlos, da eie uns keine Verhältnisszahl liefert und zudem die
Angaben über das stattgehabte Trauma in der Mehrzahl der
Fälle ganz unzuverlässige sind. Im Jahre 1898 regte v. Büngner
in dankenswerther Weise eine Sammelforschung an, um durch
grösseres klinisches Material die Frage des Kausalzusammen¬
hangs zwischen Tumor und Trauma der Lösung näher zu bringen.
Sein Aufruf veranlasste eine Anzahl von chirurgischen Kliniken
zur statistischen Verarbeitung der in den Jahren 1893—1898
beobachteten Geschwülste und zur Publikation der Resultate.
Unter 714 Geschwulstfällen der Brun s’schen Klinik waren
nach Würz*) 19, d. h. 2,66 Proe., mit Wahrscheinlichkeit auf
ein Trauma zurückzuführen. Zu einem ähnlichen Procent¬
satz 8 ). nämlich 2,06 Proe., gelangte Machol auf Grund von
920 Tumoren der Strassburger Klinik, von denen 24 mit einiger
Wahrscheinlichkeit traumatischer Natur waren. Sandhövel' 0 )
führte von 230 Geschwülsten der Bonner Klinik 17, d. i. 7 Proe.,
auf ein einmaliges Trauma zurück; von diesen sind aber nur
8 Fälle, d. i. 3,5 Proe., stichhaltig und bei strenger Kritik nur
1 Fall (Sarcoma scapulae) beweiskräftig. Von 579 malignen
Tumoren der Königsberger Klinik wiesen nach Lengnick ")
12 Fälle eine vorausgegangene Verletzung auf, d. i. 2,07 Proe.;
eine Durchsicht der Krankengeschichten ergibt indessen, dass
nur 5 als traumatisch anerkannt werden können, d. i. 0,86 Proe.
Von 300 Fällen bösartiger Geschwülste der Erlanger Klinik i: )
waren 33 nach Angabe der Patienten traumatischen Ursprungs
und von diesen wurden 6, d. i. 2 Proe., auf eine einmalige stumpfe
Gewalteinwirkung zurückgeführt; thatsächlich hält aber nur
einer der traumatischen Fälle (= 0,33 Proe.) der Kritik Stand.
Die neuesten Statistiken, die augenscheinlich mit strengerer
Kritik der Fälle bearbeitet worden sind, zeigen bezüglich
der Frequenzziffer eine auffallende U eber¬
einstim mung, ergeben, dass einmalige stumpfe
Gewalteinwirkung nur in einem sehr kleinen
Procentsatz der Fälle für die Entstehung von
Geschwülsten verantwortlich gemacht wird.
Ueber den Einfluss des Traumas auf die einzelnen Ge¬
schwulstarten ergibt sich aus den erwähnten Zusammenstellungen
Folgendes:
1. Carcinome.
Unter den Tumoren der Tübinger Klinik befanden sieh
502 Carcinome, von denen nach Würz kein einziges mit Sicher¬
heit auf ein einmaliges Trauma zurückgeführt werden konnte.
Die traumatische Entstehung wurde nur in 7 Fällen von Mamma-
carcinom behauptet, doch war der Zusammenhang in keinem
dieser wahrscheinlich. Machol verzeichnete unter 502 Car-
cinomen 6 Fälle, d. i. 1,2 Proe., mit möglicher traumatischer Ent¬
stehung und zwar 4 Mamma-, 1 Magen- und 1 Gesiehtscarcinom.
Von den Carcinomfällen Lengnick’s wurden 2 auf Trauma
bezogen, die indessen beide nicht stichhaltig sind. Von 184 Fällen
der Bonner Klinik wurden 6, nämlich 5 der Mamma und 1 des
Gesichts, von Sandhövel als traumatisch erklärt, d. i. 3,26 Proe.,
thatsächlich ist aber keiner dieser Fälle auch nur einigermaassen
beweisend. Ziegler (Münchener Klinik) verzeichnete 328 Car-
cinomfälle und führte von 170 Mammacarcinomen 37 und von
46 Carcinomen des Kopfes 1 Fall als traumatisch an; keine ein¬
zige dieser Beobachtungen kann indessen Anspruch auf Beweis¬
kraft erheben. Liebe hatte unter 221 Fällen 22 = 10 Proe.
und W o 1 f f unter 344 42 = 12 Proe. traumatische Fälle re-
gistrirt.
*) Ziegler: Ueber die Beziehungen der Traumen zu den
malignen Geschwülsten. Münch, med. Wochensclir. 1895.
7 ) Löwenthal: Ueber die traumatische Entstehung der Ge¬
schwülste. Langenb. Arcli. Bd. 49.
8 ) Würz: Ueber die traumatische Entstehung von (Je¬
schwülsten. Brun’s Beitrüge zur klln. Chirurgie Bd. 2(5, 1900.
v ) Macliol: Die Entstehung von Geschwülsten iiu Anschluss
au Verletzungen. Inaug.-Diss., Strassburg 1900.
’") Sandhövel: Ueber den Einfluss von Traumen auf die
Entstehung maligner Tumoren. Inaug.-Diss., Bonn 1900.
“) Lengnick: Ueber den aetiologischen Zusammenhang
zwischen Trauma und der Entwicklung von Geschwülsten.
Deutsch. Zeitsohr. f. Chirurg. Bd. 52.
,a ) Rausch: Verletzungen als Ursache von Tumoren. Inaug.-
Diss., Erlangen 1900.
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20. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1743
Nach dem bis jetzt vorliegenden Material
kann dem Trauma für die Entwicklung der
Carcinome jedenfalls nur eine minimale Be¬
deutung zuerkannt werden.
2. Sarkome.
Für die Genese der Sarkome kommt dem Trauma zweifellos
eine gewisse Bedeutung zu, es gibt Sarkomarten, bei denen die
traumatische Entstehung direkt nachweisbar ist, nämlich die
Callussarkome, die sich an der Stelle der Fraktur, offen¬
bar aus Zellen des regencrirenden Knochengewebes, entwickeln.
In der Wür z’schen Statistik sind 82 Sarkomfälle verzeichnet,
von denen 6 = 7,31 Proc. mit grosser Wahrscheinlichkeit auf
stumpfe Gewalteinwirkung zurückzuführen sind, weil das Trauma
an der Stelle der späteren Geschwulstbildung eingewirkt hatte
und meist eine ununterbrochene Reihenfolge von Erscheinungen
bestand. Von den 6 Sarkomen betrafen 5 die Extremitäten
und 1 das Steissbein. Von 51 Fällen der Erlanger Klinik waren 3,
d. i. 6 Proc., nach R a u s c h’s Ansicht im Anschluss an stumpfe
Gewalteinwirkung entstanden, doch fehlen bei allen 3 Fällen
nähere Angaben über das Trauma und die zeitlichen Verhält¬
nisse der Geschwulstentwicklung. Das Strassburger Material
enthält 150 Sarkome, von denen nach M a c h o 1 11, d. i. 7 Proc.,
mit einem Trauma Zusammenhängen konnten. Leng nick
sieht von den Königsberger Fällen 13 als wahrscheinlich trau¬
matisch an, doch sind von diesen nur 5 stichhaltig und gerade
der Hauptfall, ein Myxosarcoma testis, ist in keiner Weise be¬
weiskräftig. Sandhövel fand bei 28 Sarkomen 1 mal trau¬
matische Entstehung (= 3,95 Proc.). C o 1 e y ”) gab von 170 Sar¬
komen 44 als traumatische an, doch ist die Mehrzahl derselben
nicht beweiskräftig, da vielfach das Auftreten des Tumors schon
1 Woche, 1—2 Monate nach dem Unfall beobachtet wurde. In
Z i e g 1 e r’s Statistik (171 Fälle mit 35 traumatischen) sind die
Angaben zu einer Verwerthung für unsere Frage zu ungenau.
Liebe verzeichnete unter 42 Fällen 3 traumatische, d. i. 7 Proc.,
und W o 1 f f unter 100 Fällen 20 traumatische, d. i. 20 Proc.
Unter den 800 traumatischen Tumoren Löwenthal’s fanden
sich 316 Sarkome.
Aus den angeführten Zahlen folgt, dass der Proceut-
satz der traumatischen Sarkome zwar auch
ein relativ geringer, aber doch ein mehrfach
grösserer ist als der der Carcinome und die
Durchsicht der Krankengeschichten ergibt, dass die trauma¬
tische Aetiologie vorzugsweise bei den Extremitäten¬
sarkomen eine Rolle spielt.
Für die gutartigen Geschwülste, denen in puncto Begut¬
achtung keine so grosse Bedeutung zukommt, wie den bösartigen,
berechnete Würz 3,12 Proc. und M a c h o 1 1,9 Proc. trauma¬
tische Fälle. Das Hauptkontingent zu den letzteren stellen die
Enchondrome, Osteome und Exostosen, während die Kasuistik
der Fibrome, Lipome, Myxome, Angiome, Adenome und Neurome
nur vereinzelte Beobachtungen traumatischen Ursprungs auf-
weist. Unter 10 Fällen von Exostosen der Brun s’schen Klinik
waren 4 durch Trauma bedingt, von denen 2, durch Honsel 1”)
ausführlich beschrieben, als typische Beispiele gelten dürfen.
In der Statistik Lieb e’s sind von 7 Enchondromen 3 und von
5 Exostosen 2, bei W o 1 f f von 18 Enchondromen 6 und von
7 Exostosen 3 als traumatische notirt. Bezüglich der Exostosen
ist übrigens zu bemerken, dass noch keine vollständige Ueber-
cinstimmung darüber besteht, ob dieselben als echte Neubild¬
ungen oder als Produkte eines entzündlichen Processes aufzu-
fassen sind.
In der erwähnten LöwcnthaIschen Tabelle traumatischer
Tumoren figuriren die Chondrome mit 3,4, die Fibrome und
Keloide mit 2,6, die Osteome mit 2,25, die Lipome mit 2, die
Gliome mit 1,4, die Adenome mit 1,25, die Myxome und Neurome
mit je 1, die Angiome mit 0,6 und endlich die Myome mit
0,25 Proc.
Unter den benignen Tumoren kommt demnach der
traumatische Einfluss überwiegend bei den Knochen-
geschwülsten zur Geltung.
Da wir für die Entscheidung der Frage eines Kausal¬
zusammenhanges uns ausschliesslich auf klinisches Material
stützen können, müssen wir bei der Beurtheilung des letzteren
strengste Kritik walten lassen. Einer klinischen Be¬
obachtung könnte meiner Meinung nach nur
dann volle Beweiskraft zugesprochen werden,
wenn sie folgende Bedingungen erfüllte: 1. Es
muss die veranlassende Kontusion ärztlich
beobachtet, topographisch genau fostgestellt
und notirt worden sein. 2. Die Geschwulst
muss in ihrer Lokalisation genau der Stelle
der stattgehabten Gewalteinwirkung ent¬
sprechen. 3. Die Zeit zwischen Trauma und
Auftreten des Tumors muss mit der Entwick¬
lungszeit des betr. Tumors übereiustimmen.
4. Es müsste der Nachweis erbracht werden,
dass an der Stelle der Kontusion nicht bereits
die Anfänge der Geschwulstbildung bestanden.
Ad 1. Die bisherigen Statistiken genügen dieser Forderung
nicht. Die Angabe, dass die Geschwulst, auf ein früheres, oft
jahrelang zurückliegendes, geringfügige« Trauma zurückzu¬
führen sei, stammt stets von den Patienten selbst und kann daher
auf Zuverlässigkeit keinen Anspruch machen. Dazu kommt,
dass die Statistiken nachträglich aus Krankengeschichten auge¬
fertigt wurden, bei deren Abfassung der Zweck der Sammel-
forsehung noch nicht bestimmend war, dem Trauma als aetio-
logischem Moment keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt
wurde. In einer Reihe der veröffentlichten Fälle fehlt in der
Tliat jeglicher Vermerk über den Ort der Kontusion und findet
sich nur die Notiz „Fall“ oder „Stoss“. Die genannte
Bedingung wird nur durch Einzelbeobacht¬
ungen, die der Zufall bringen muss, erfüllt
werden können; erst nach Jahren werden wir, wenn die
Aerzte der Frage ihr Interesse zuwenden, über ein grösseres zu¬
verlässiges Material zu verfügen in der Lage sein.
Ad 3. Die Entwicklungszeit der Tumoren,
insbesondere der malignen, ist im Allge¬
meinen unbekannt. Wir haben, wie ich schon an anderer
Stelle ,5 ) ausführte, keine Ahnung davon, wie lange in einem
gegebenen Falle die Neubildung von ihren ersten Anfängen im
Gewebe bis zur Bildung eines klinisch hervortretenden Tumors
gebraucht hat, nur so viel wissen wir, dass das Wachsthum sehr
variirt, dass es sehr langsam und sehr rasch wachsende Car¬
cinome und Sarkome gibt.
Bei den Carcinomen gibt uns das Auftreten von Recidiven
nach Exstirpation des primären Tumors einen gewissen Anhalts¬
punkt für die Beurtheilung der Wachsthumszeit. Da die Reci-
dive aus zurückgebliebenen Krebszellen sich entwickeln, die die
gleiche Proliferationsenergie wie der Primärtumor besitzen, so
wird die Entwicklungszeit der sekundären Geschwulst im Allge¬
meinen mit der der primären übereinstimmen.
Wenn also nach Carcinomexstirpatiorien das Recidiv erst
nach 5, 6, 8 Jahren in die Erscheinung tritt, so dürfen wir die
gleiche Entstehungszeit für die ursprüngliche Geschwulst an¬
nehmen. Meiner Ueberzeugung nach können die ersten Stadien
eines z. B. apfelgrossen Brustkrebses viele Jahre zurückdatiren.
Auf der anderen Seite liegen bei den Sarkomen Beobachtungen
vor, die für das Vorkommen einer sehr raschen Geschwulst¬
entwicklung sprechen.
Aus der Kasuistik geht hervor, dass Callussarkome schon
wenige Wochen nach geheilter Fraktur nachgewiesen werden
können. Als typisches Beispiel sei ein Fall F 1 i t n e r’s '") aus
der B r a m a n n’schen Klinik kurz erwähnt:
Ein 17 jähriges Mädchen zog sich am 31.1.1891 eine Fractura
femorls zu, die nach 5 Wochen consolidirt war; trotz bestehender
Schmerzen ging die Patientin nun herum; nach 9 Wochen starke
Anschwellung der Frakturstelle; Mitte April, also 10 Wochen
nach dem Unfall, Sarkom festgestellt; die Operation wurde erst
am 28. VII. von der Patientiu zugelasseu, als der Tumor nmnns-
kopfgross war; am 29. IX. Exitus an Metastasen.
T h i e m vertritt in seinem Handbuch der Uufallerkrank-
ungen den Standpunkt, dass eine Kontusion für die Entstehung
des Carcinoms nur dann verantwortlich gemacht werden könne.
'*) Coley: The lufluence of injury upon the development of
sarcoma. Annals of surgery 1898.
,4 ) Hon seil: Heber traumatische Exostosen. Bruns’ Beitr.
Bd. 22, 1898.
No 41.
’*) Jordan: Die chirurgische Behandlung der Uteruscarci-
nonic. Zelt8chr. f. Geburtsh. u. Gynäkologie. Bd. 45, II. 2.
,# ) Flltner: Ein Beitrag zur Lehre vom traumatischen Sar¬
kom. Inaug.-Diss., Halle 1890.
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1744
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
wenn entweder die Erscheinungen der Geschwulstbildung späte¬
stens innerhalb zwei Jahren nach dem Trauma vorhanden seien,
oder aber eine ununterbrochene Kette von Symptomen zwischen
Unfall und Erkrankung bestehe. Eine solche verbindende Brücke
wird durch zurück bleibende Anschwellung oder durch Schmerzen,
die an der Quetschungsstellc bestehen bleiben oder innerhalb
Jahresfrist wieder auftreten, hergestellt. Hat sich Jemand zwei
Jahre nach dem Trauma völlig wohl befunden, so ist es nach
T h i ( m höchst unwahrscheinlich, dass ein später auftretendes
Carcinom von der Verletzung herrührt.
Pieso Formulirung der zeitlichen Verhältnisse kann vom
wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht als ganz einwandsfrei
bezeichnet werden, denn einmal ist die Entwicklungszeit der
C'arcinome, wie schon erwähnt, unbekannt und zweitens besteht
die Erfahrungsthatsache, dass Carcinome lange Zeit symptomlos
verlaufen können: Mammacarcinome von Eigrösse werden nicht
selten von der Träger in oder von einem dieBrust aus anderenGrün-
den untersuchenden Arzte zufällig entdeckt, Magenkrebse stellen
vielfach einen zufälligen Sektionsbefund dar. Das Fehlen einer
verbindenden Brücke zwischen Trauma und Tumor kann meines
Erachtens nicht gegen einen etwaigen geschwulstbildenden Ein-
iluss des Unfalls in’s Feld geführt werden und eine langjährige
Latenzzeit ist ebenfalls nicht gegen den Kausalzusammenhang
zu verwerthen.
Ad 4. Da die Geschwülste aus mikroskopisch kleinen An¬
fängen sich entwickeln, von einzelnen Zellen oder Zellgruppen
ihren Ausgang nehmen, entziehen sich die Anfangsstadien
unserer Erkenntniss. Wir werden daher nie zu ent¬
scheiden vermögen, ob beim Eintritt des Un
falles nicht schon der Tumor in kleinem Um¬
fang im Gewebe vorhanden war. Erschwerend für
die Beurtheilung wirkt die oft lange währende klinische Latenz,
sowie der Umstand, dass eine Kontusion ein rascheres Wachs¬
thum eines bestehenden Tumors auslösen kann. In Folge der
nun mehr auf tretenden Schmerzen und der raschen Volums¬
zunahme wird die Aufmerksamkeit des Pat. auf die bis dahin
symptomlose Geschwulst gelenkt. Diese Deutung gilt für eine
Reihe von Fällen der einschlägigen Kasuistik, bei denen die
Existenz eines schon ausgedehnten Carcinoms, z. B. der Mamma,
einige Wochen nach einem Stoss konstatirt wurde.
Bei der klinischen Rechnung haben wir es
also mit 2 Unbekannten zu thun und sind da¬
her nicht in der Lage, einen vollgiltigen
klinischen Beweis des Zusammenhangs von
Tumoren mit einem Trauma zu führen. Es ent¬
zieht sich zur Zeit noch vollständig unserer Beurtheilung, in
welcher Häufigkeit die Einwirkung von Kontusionen auf die
Geschwulstgenese anzunehmen und welcher Art dieseWirkung ist.
Das Ignoramus, das wir vom theoretischen Standpunkt aus¬
sprechen müssen, hat indessen keine erheblichen Konsequenzen
für den begutachtenden Arzt; für ihn sind Möglichkeiten und
Wahrscheinlichkeiten zur Abgabe seiner Entscheidung genügend,
zumal nach dem Gesetz die Entschädigungsptlicht der Berufs¬
genossenschaft auch schon dann einzutreten hat, wenn der Un¬
fall nicht die alleinige, sondern nur eine der mitwirkenden Ur¬
sachen der Erkrankung bildet. Wenn das Trauma einen bis
dahin symptomlosen Tumor zu raschem Wachsthum und damit
zu klinischen Erscheinungen führt, so ist eben der Unfall als
das ursächliche Moment der nun eintretenden Verschlimmerung
zu bezeichnen.
Da aus den statistischen Mittheilungen sich ergeben hat,
dass die einmalige stumpfe Gewalteinwirkung im Grossen und
Gunzen in der Aetiologie der Geschwülste eine sehr geringe
Rolle spielt, wird man im Einzelfall ausserordent¬
lich kritisch bei der Beurtheilung des Kausal¬
zusammenhangs vorgehen müssen. Die Ver¬
sicherungs-Gesellschaft darf nur dann als
haftpflichtig angesehen werden, wenn der
Ort der Geschwulst genau der Stelle der
stattgehabten Quetschung entspricht und
die letztere selbst ärztlich festgestellt oder
vom Patienten durch Zeugen einwandsfrei
nachgewiesen worden ist. Ob die zeitlichen Verhält¬
nisse den ursächlichen Zusammenhang wahrscheinlich erscheinen
lassen, muss im gegebenen Fall unter besonderer Be¬
rücksichtigung der Natur des Tumors entschieden
werden. Eine Brücke von Erscheinungen im Sinne T h i e m’s
erleichtert dem Arzt die Beurtheilung des Falles, das Fehlen der¬
selben darf aber nicht für die Verneinung des Zusammenhanges
bestimmend sein.
Einen festeren wissenschaftlichen Boden betreten wir, wenn
wir uns nunmehr der Frage zuwenden, übt eine Ge-
webskontusion einen direkten Einfluss
auf die Lokalisation chirurgischer Tuber¬
kulose, kann bei vorhandener tuberkulöser Disposition i n
einem bis dahin gesunden Organ die Entwick¬
lung einer tuberkulösen Erkrankung durch
eine einmalige stumpfe Gewalteinwirkung
hervorgerufen werden? Wir kennen den Krankheits¬
erreger, wir sind im Stande, mit Reinkulturen desselben bei Ver-
suchsthieren die Krankheit zu erzeugen und können demgemäss
die Einwirkung von Traumen direkt studiren.
Klinisch gilt es auf Grund vielfältiger Erfahrung längst für
ausgemacht, dass in einem gewissen Procentsatz von Fällen
tuberkulöse Affektionen der Knochen, Gelenke, Schleimbeutel,
Sehnenscheiden, des Hodens, seltener Weise auch der Meningen
in direktem Anschluss an Verstauchungen rosp. Quetschungen
auftreten können und man hat daraus den Schluss gezogen, dass
Kontusionsherde einen Locus ininoris resistentiae schaffen, den
im Kreislauf befindlichen Tuberkelbacillen den Austritt aus den
Gefässen, das Haften und Weiterwuchern ermöglichen.
Ueber das Verhältniss von Trauma und Tuberkulose sind
wir durch statistische Arbeiten der letzten Jahre genauer orien-
tirt. Von 436 Fällen von Gelenk- und Knochentuberkulose der
Mik ul ic ziehen Klinik wurden nach Wiener") 125, d.i. 28,6Proc.
auf ein vorausgegangenes Trauma zurückgeführt und von diesen
boten 26 Fälle, d. i. 6 Proc. das typische Bild der traumatischen
Tuberkulose, insofern sich der tuberkulöse Process in mehr oder
weniger direktem Anschluss an die Kontusion entwickelt hatte;
in 54 der Fälle (= 12,4 Proc.) bestand eine kurze Inkubationszeit
zwischen dem Unfall und dem Auftreten der ersten spezifischen
Symptome. Lemgen“) berichtete über 261 Fälle der Bonner
Klinik und führte 23 von diesen auf einen Unfall zurück
(= 10 Proc.), von denen aber nur ein Theil als beweiskräftig
angesehen werden kann. Unter 1729 Fällen der Tübinger Klinik
waren nach H o n s e 11 1P ) 242, d. i. 14 Proc. wahrscheinlich trau¬
matischen Ursprungs, ln 88 dieser Beobachtungen gingen die
direkten Folgen des Traumas ohne merkbare Grenze in die Tuber¬
kulose über (= 5 Proc.), in 100 Fällen bestand zwischen beiden
eine Periode anscheinender Besserung und in 54 Fällen endlich
ein kürzeres freies Intervall. Eine ausführlichere Kasuistik der
traumatischen Tuberkulose der einzelnen Organe findet sich in
den Handbüchern von Kaufmann und T h i e m.
Die alte klinische Erfahrung, dass das Trauma eine wichtige
Gelegenheitsursache für die Entwicklung der lokalen Tuber¬
kulose bildet, fand eine Stütze in den Thierexperimenten
S c h ü 11 e r’s und Kraus e’s. Im Jahre 1879, also schon vor
der Entdeckung des Tuberkelbacillus, brachte Schüller*")
Hunden und Kaninchen tuberkulöses Material (Sputa, zer¬
riebene Massen tuberkulöser Lungen, Drüsen, Granulationen)
durch eine Tracheotomiewunde in die Lunge und contundirte
am gleichen Tage ein Kniegelenk. Neben allgemeiner Tuber¬
kulose entwickelte sich danach eine tuberkulöse Synovitis im
verletzten Gelenk und es traten mehrfach auch osteomyelitische
Erweichungsherde an den Gelenkenden mit Verkäsung auf. Da
das Impfmaterial Scliüller’s nicht einwandfrei war, wurde
die Beweiskraft seiner Ergebnisse späterhin angezweifelt.
Krause“ 1 ) nahm die Versuche wieder auf und verwendete
Reinkulturen von Tuberkelbacillen, mit denen er Meerschwein¬
chen subkutan und Kaninchen intravenös infizirte. Unmittelbar
vor oder nach der Impfung oder auch mehrere Tage oder Wochen
später wurden Distorsionen einzelner Gelenke und Frakturen er-
") Wie n e r: Beitrag zur Statistik tuberkulöser Knocben-
und Gelenkleiden nach Trauma. Inaug.-Diss., Breslau 1887.
1S ) Bern gen: Zur Aetiologie der lokalen Tuberkulose etc.
Inaug.-Diss., Bonn 1898.
” Honseil: Ueber Trauma und Geleuktuberkulose. Bruns’
Beiträge Bd. 28.
M ) Schüller: Experimentelle und histologische Unter¬
suchungen über Entstehung und Ursache der skrophulösen und
tuberkulösen Gelenkleiden. Stuttgart 1880.
:: ) Krause: Die Tuberkulose der Knochen und Gelenke.
1891.
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1745
zeugt. In Uebereinstimmung mit der klinischen Beobachtung,
dass nach schweren Verletzungen bei tuberkulösen Individuen
fast niemals lokale Tuberkulose zur Entwicklung kommt, heilten
bei allen Thieren die Frakturen durch knöchernen Callus ohne
die geringste Spur von Tuberkulose an der Bruchstelle zu bieten.
Von den verstauchten Gelenken dagegen erkrankten eine Anzahl
(bei Meerschweinchen von 44 Gelenken 15, bei Kaninchen von
28 14) an Tuberkulose, während die nicht verletzten Gelenke
bis auf ein einziges bei einem Kaninchen freiblieben. Daraus
ergab sich der Schluss, dass zum Zustandekommen der Gelenk-
tuberkulöse neben der Allgemeininfektion noch eine lokale Ur¬
sache, nämlich eine Kontusion, erforderlich sei. Gegen die an
sich einwandsfreien Versuche Krause’s lässt sich geltend
machen, dass die Gelenktuberkulosen auf dem Boden einer akuten
Miliartuberkulose entstanden, und dass die Verhältnisse bei den
Versuchstieren daher in keiner Weise denjenigen der chroni¬
schen Tuberkulose des Menschen entsprachen.
Die Ergebnisse S c h ü 11 e r’s und Krause's wurden bei
einer Nachprüfung, wie sie in neuester Zeit von Laune-
1 o n g u e und A c h a r d , von Friedrich und von II o n s e 11
vorgenommen wurde, nicht bestätigt. Lannelongue und
Achard 33 ) machten eine Reihe von Impfungen bei Meer¬
schweinchen auf den verschiedensten Wegen und erzeugten die
verschiedenartigsten Gelenk- und Knochenverletzungen unmittel¬
bar oder kürzere und längere Zeit nach der Infektion. Die Tliiere
starben alle zwischen dem 8. und 232. Tage nach dem Trauma
und an keinem der verletzten Gelenke war eine Spur von Tuber¬
kulose nachweisbar. Friedrich 33 ) benützte zu seinen Impf¬
ungen die arterielle Blutbahn, brachte das tuberkulöse Material
von der Carotis aus direkt in den linken Ventrikel.
Durch Verwendung sehr virulenzschwacher Reinkulturen gelang
cs ihm, bei Kaninchen eine der menschlichen analoge, erst
zwischen dem 4. und 9. Monat klinisch hervortretende Gelenk-
tuberkulöse zu erzeugen. An keinem der traumatisch beein¬
flussten Gelenke gelangte eine Tuberkulose zur Entwicklung,
sümmtliche beobachteten Knochen- und Gelonktuberkulosen be¬
trafen vielmehr traumatisch nicht affi/.irte Gelenke. Durch das
Trauma wurde also keine Disposition für die Lokalisation im
Blute kreisender Keime geschaffen. Auch Honsel l 34 ), der
eine grosse Reihe von Thierversuchen mit theils vollvirulcnten,
theils schwachvirulenten Reinkulturen in verschiedenster Art
anstellte, kam zu der Ansicht, dass das Trauma keinen Einfluss
auf die Lokalisation der Tuberkulose, übe und dass sogar die
lädirten Gelenke eine geringere Tendenz zur Erkrankung auf-
weisen als die nicht lädirten. — Die letztgenannten Forscher
zogen aus ihren Thier versuchen den Schluss, dass es sich bei
dem beim Menschen zur Beobachtung kommenden Zusammen
hang zwischen Trauma und Tuberkulose um die Anfachung,
um das Manifestworden eines bis dahin latenten tuberkulösen
Herdes handle
Da w-ir klinisch im E i n z e 1 f a 11 nicht zu ent¬
scheiden vermögen, ob das a f f i z i r t e Gelenk
beim Eintritt der Verletzung völlig intakt
war, können wir den E i n w a n d , dass di e Kon¬
tusion die Tuberkulose nur aus einem latenten
in einen manifesten Zustand ü b e r g e f ü h r t
habe, nicht entkräften. Die Frage, ob das
Trauma einen Locus m i n o r i s resistentiao im
eigentlichen Sinne schafft, muss demnach
bis auf Weiteres noch als eine offene be¬
zeichnet werden. Diese Lücko in unseren Kenntnissen
ist indessen ohne grosse Bedeutung für die Entscheidung des
Begutachters. Auch wenn ein vor dem Unfall nur „anscheinend
intaktes“ Gelenk im Anschluss an das Trauma tuberkulös er¬
krankt, ist der Unfall zum Mindesten als eine der mitwirkenden
Ursachen der Erkrankung anzusehen und es hat Entschädigung
zu erfolgen. Der Kausalzusammenhang wird dann
angenommen werden müssen, wenn die Ver¬
letzung einwandfrei nach gewiesen ist, die
Tuberkulose an der Stelle der Verletzung
**) Lannelongue et Achard: Traumatlsme et Tuber-
culose. Bullet. mödical 1899.
a ) Friedrich: Experimentelle Beiträge zur Kenntnis« der
chirurgischen Tuberkulose. Deutsch. Zeitschr. für Chirurgie.
Bd. 53, 1809.
,4 ) 1. c.
sich entwickelt hat und die ersten Symptome
des Leidens sich im unmittelbaren Anschluss
an die Unfallerscheinungen oder nach einem
kürzeren, jedenfalls einige Monate nicht
übersteigenden Intervall geltend gemacht
haben.
Eine erfreuliche Uebereinstimmung zwischen den Erfah¬
rungen der Klinik und den Ergebnissen der experimentellen
Forschung besteht auf dem Gebiete der akuten Osteomyelitis.
Die Beurtheilung traumatischer Einwirkungen ist bei dieser Er¬
krankung in Folge ihres akuten Beginnes und typischen Ver¬
laufes erleichtert. Zum Zustandekommen der Knochenent¬
zündung bedarf cs keiner lokalen Gelegenheitsursachen, das Gros
der Fälle zeigt vielmehr eine spontane Entwicklung. Durch
stumpfe, geringgradige Gewaltcinwirkung, wie Stoss, Schlag,
Fall, Erschütterung, wird indessen die Lokalisation der im Blute
kreisenden Coccen zweifellos begünstigt, das vorausgegangene
Trauma spielt, wie aus der Kasuistik hervorgeht, als disponirendes
Moment eine gewisse Rolle. G e b e 1 e :t ) stellte aus der Literatur
299 Fälle zusammen, von denen 8-3, d. i. 28 Proc., traumatische
Entstehung aufwiesen. T h i e m bringt in seinem Handbuch
eine Kasuistik von 102 typischen Fällen traumatischer Osteo¬
myelitis. Zur Illustration des Kausalzusammenhangs möchte ich
2 einwandfreie Beobachtungen kurz mittheilen, die ich in der
Heidelberger ehirurg. Klinik zu machen Gelegenheit hatte.
1. Fall. Ein 15 jähriger Junge, mit einem Nackenfurunkel
behaftet, rollte am 23. VIII. 1899 ein Wagenrad zur Vornahme
einer Reparatur zum Wagner. Dabei strauchelte er. stürzte und
das llad liel ihm auf den linken Unterschenkel. Wegen starker
Schmerzen musste er sofort zu Bett gebracht und am 26. VIII.
wegen Steigerung der Schmerzen, aufgetretener Anschwellung
und schwerer Allgemeinerkrankung in die Klinik transferirt
werden. Die Untersuchung ergab eine akute Osteomyelitis des
1. Unterschenkels mit Abscessbildung in der Mitte der Tibia;
Temperatur 39,7; in der rechten Nackenhälfte ein im Ausheilen
begriffener Furunkel. Die am 4. Tage nach dem Unfall aus-
gefährte Ineision ergab einen subperiostalen Abseess mit haemor-
rliagischeiu Eiter. Nach 10 Wochen wurde ein 18 cm langer
Corticalsequester entfernt.
I’atient befand sich in Folge seines Furunkels im Zustande
pyogener sympt.omloser Blutinfektion. Durch die Quetschung der
oberflächlichen Knochenschiehto der Tibia xvurde ein IiOcus mlnoris
resistentiao geschaffen, der den im Blute kreisenden Staphylo-
coeeen das Haften und die weiten» Entwicklung ermöglichte.
2. Fall* 1 ). Boi einem 15 jährigen Knaben wurde am
3. III. 1899 in Narkose ein Redressement seiner Plattftisse mit
Illlfe des Loren z'schen Keilpolstors manuell ausgeführt und
beiderseits ein Gipsvevband angelegt. In den nächsten Tagen ent¬
wickelte sich unter heftigen Schmerzen und hohem Fieber eine
Osteomyelitis des Cuboids, das sich bei der Ineision als nekrotisch
erwies.
Der Ursprung der haematogenen Infektion war nicht nach¬
weisbar, die lokale Disposition wurde offenbar durch die bei dem
Redressement erfolgte Quetschung des Knochens herbeigeführt.
Tliierexperimente haben ergeben, dass zur Erzeugung der
akuten Osteomyelitis bei jugendlichen, noch in» Stadium des
Knochen wachst hums befindlichen Thieren die Blutinfektion mit
pyogenen Coccen allein genügen kann (Rodet, Laune-
1 o n g u e et Achard, Lcxe r). Bei ausgewachsenen , £hieren >
sowie bei geringerer Virulenz der Mikroben ist aber eine vor¬
gängige Verletzung des Knochens zur Lokalisirung erforderlich,
jedenfalls gibt das Trauma die grössere Sicherheit in den Re¬
sultaten. Die meisten Autoren legten subkutane Frakturen an,
in einzelnen Fällen wurde aber auch durch leichte Quetschungen
(Schlag) die erwünschte Wirkung erzielt (Ullman n, Lexer).
Aus den Erörterungen folgt, dass eine Kontusion des
Knochens zweifellos den Boden für die Entstehung einer eitrigen
Osteomyelitis sehaffen kann, dass das Trauma als eine wichtige
Oclegenheitsursnehe angesehen werden muss. Hat sich die
Osteomyelitis nachweislich an der Stelle der
Verletzung entwickelt, so ist die Berufs-
geno8senschaft als e n t s c h ii d i g u n g s pflichtig
anzusehen unter der Voraussetzung, dass die
Erkrankung in unmittelbarem Anschluss an
den Unfall, innerhalb woniger Tage bis spä¬
testens 14 Tage nach dom Unfall, einsetzt.
Wohl kann die Osteomyelitis in seltenen Fällen subakut und
“) Geb eie: Ueber die Aetiologie der akuten spontanen
Osteomyelitis und Ihren Zusammenhang mit Traumen. Inaug.-
Diss., München 1896.
**) Kaposi: Zwei bisher nicht beobachtete Unfälle nach
modellirendem Redressement. Münch, med. Woehensehr. 1899.
?*
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1746
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44
selbst chronisch sich entwickeln und es kann die Abscessbildung
Monate auf sich warten lassen, doch müssen — darin stimme
ich vollständig mit T h i e m überein — die ersten, wenn auch
geringfügigen Zeichen der eingetretenen Entzündung innerhalb
der ersten Wochen sich geltend machen, wenn man einen Zu¬
sammenhang mit dem Unfall annehmen will. Da die Folgen
einer leichten Kontusion rasch zu verschwinden pflegen, ist eine
lange Inkubationsdauer, etwa von Monaten oder Jahren, bei der
Osteomyelitis ausgeschlossen.
Aus der neuerdings gebrauchten Bezeichnung Epityphlitis
traumatica 2T ) folgt, dass man auch für die Entstehung der
Blinddarmentzündung Unfälle verantwortlich gemacht hat. Für
den Begutachter ist die Kenntniss der Beziehungen des Traumas
zur Perityphlitis von grosser Wichtigkeit, zumal nicht selten
die Angehörigen von an Blinddarmentzündung verstorbenen
Patienten Rentenansprüche erheben mit der Motivirung, dass
die tödtliche Erkrankung Folge einer Verletzung gewesen sei.
Dass ein ganz normaler, keinen Inhalt bergender Wurmfort¬
satz durch eine stumpfe Gewalteinwirkung lädirt oder abgerissen
werden sollte, ist bei der Beweglichkeit des Organs unwahr¬
scheinlich. Dagegen ist es sehr wohl denkbar, dass bei der
Existenz eines oder mehrerer harter Kothsteine durch einen
Stoss ein Einriss der über dem Fremdkörper gedehnten Schleim¬
haut oder auch der Durchbruch eines Deeubitusgeschwürs durch
die Wandung erfolgen kann. Die Anwesenheit von Kothsteinen
braucht keinerlei klinische Symptome hervorzurufeu und ebenso
kann wahrscheinlich auch eine Ulccration ohne Beschwerden für
den Träger bestehen. Entwickelt sich bei solchem pathologischen
Zustand im Anschluss an ein Trauma eine akute Appendicitis,
so ist der Unfall als direkte Veranlassungsursache der Erkrank¬
ung aufzufassen.
In der Literatur finde ich 9 Fälle verzeichnet, bei denen nach
einer stumpfen Gewalteinwirkung, wie Fusstritt, Bajonettstoss,
Stoss durch eine Wagendeichsel auf die rechte Bauchseite, eine
Perityphlitis mit schwerem und mehrfach tüdtlichem Verlauf
einsetzte. In fast allen diesen Fällen wurde ein Kohtstein fest-
gesteilt und für die Perforation des Wurmfortsatzes verant¬
wortlich gemacht. Was die Häufigkeit, des Vorkommens trau¬
matischer Appendicitis betrifft, so waren von 150 Fällen
Iv ö r t e's *) 3 traumatischen Ursprungs und von 152 Fällen
B r a m a n n's :o ) 2 durch direkte Gewalt entstanden.
Die Frage, o b ein K a u s a 1 z u s a m tn e n h a n g
zwischen Appendicitis und Traum a b e stell e,
w i r d d a n n bejaht w e r <1 e n m üssen, w e n n nach-
pcwifsetif rmaassen die Blinddarmgegend
v o n d e m Insult b ('troffen w u r d e u n d in u n -
in ittelbnrem A n s e h 1 u s s an den Unfall bei d c m
bis dahin gesunden Individuum die Ers c hei-
nuugeii der Krankheit akut ein tret en. Hat eine
Person schon wiederholt Attaquen von Blinddarmentzündung
durchgemacht oder dauernd über Beschwerden geklagt, die auf
chronisch-entzündliche Veränderungen des Wurmfortsatzes hin-
weisen, so ist bei nach Kontusion erfolgender tödtlicher Per¬
foration der Unfall als ursächliches Moment der Verschlimmerung
zu beschuldigen.
M. II.! Die Aufgaben, die dem begutachtenden Arzte gestellt
werden, sind, wie aus meinen Darlegungen hervorgeht, schwie¬
rige und verantwortungsvolle, sie nöthigen den Arzt häufig,
noch dunkle Gebiete unserer Wissenschaft zu betreten. Wenn
irgendwo, so gilt es hier zu individualisiren, das Urthcil auf
die genaueste Berücksichtigung aller Einzelheiten des Falles zu
gründen. Wenn trotz sorgfältigster Erwägung keine sichere
Entscheidung möglich ist, wenn Zweifel bezüglich der Auffassung
des Kausalzusammenhangs von Unfall und Erkrankung bestehen,
dann sollte für das Votum der entsprechend modifizirte juristische
Grundsatz in die Wagschale fallen: In dubio pro
a e g r o t o.
,7 > S e h o 11 m ii 11 e r: Epityplil. traunmt. Grenzgebiete von
Medicin und Chirurg. Bd. »>.
”) Bore li a r d t: Grenzgebiete der Medicin u. Chirurg. Bd. 2.
") Neu mann: Ueber akute Appendicitis und ihren Zu¬
sammenhang mit Traumen. Langenbeck’s Arch. Bd. 62.
Die Verwendung fabrikmäesig sterilisirten Naht¬
materials in der Praxis.
Von Dr. Krönig, a. o. Professor in Leipzig.
Durch die Vereinfachung, welche die Asepsis bei der Wund¬
behandlung in den letzten Jahren gewonnen hat, ist der Operateur
heute eher in der Lage, selbst grössere Operationen im Privat¬
hause durchzuführen.
In einem kürzlich im „Archiv für Gynäkologie“ erschienenen
Artikel hat C o q u i') aus eigener Erfahrung heraus die Maass-
nahmen geschildert, welche der Operateur treffen muss, um in
möglichst einfacher Form, z. B. Laparotomien, wenn plötzlich ein¬
tretende Umstände deren sofortige Ausführung im Privathause
erfordern, vorzunehmen. Er betont mit Recht, wie angenehm es
hierbei ist, wenn die Verband- und Nahtmaterialien dem Opera¬
teur schon fertig sterilisirt geliefert werden. Noch weitgehender
ist das Bedürfnis« des allgemeinen Praktikers nach fertig ge¬
liefertem sterilisirtem Verband- und Nahtmaterial, weil er unter
den vielen schwierigen Verhältnissen, welche die Praxis, vor
Allem die Landpraxis bietet, nicht im Stande ist, sich das
Material selbst zu sterilisiren. Gerade ihm muss es darauf an¬
kommen, ein sicher aseptisches Verband- und Nahtmaterial jeder¬
zeit gebrauchsfertig zur Iland zu haben. Sterilisirte V erband-
materialien werden in verschiedenster Form z. Z. dem Praktiker
geliefert: Anders steht es mit dem Naht material.
Wird ein n i c h t resorbirbares Material verwendet, so ist die
Sterilisation der Seide allerdings einfach, da sie gleich¬
zeitig mit der Sterilisation der Instrumente ausgeführt
werden kann. Damit verzichtet aber der Praktiker von vom
herein auf die mannigfaltigen Vortheile, welche die Verwendung
resorbirbaren Materiales, vor Allein des Catgut, bietet. Ich
möchte hier nicht noch einmal die Vortheile des Catgut gegen¬
über der Seide in der Wundbehandlung hervorheben, sondern
verweise auf einen früheren Artikel ; ).
Speziell für den Landarzt hat die Anwendung dos Catgut
bei Dammrissen etc. auch eine gewisse Annehmlichkci t,
weil er nicht, in die Nothwendigkeit versetzt ist, an einem
bestimmten Tage, am 6. oder 8. Tage, die Betreffenden wieder zu
besuchen, um Fäden zu ziehen, sondern der Dammriss 1. und
2. Grades heilt bei ausschliesslicher Anwendung von Catgut aus¬
nahmslos, so dass das für die Kranken wie für den Arzt lästige
Fadenziehen erspart ist.
Da die einwandfreie Sterilisation des Catgut für den Prak¬
tiker mit gewissen Umständlichkeiten verbunden ist, so habe iah
mich schon seit, mehreren Jahren bemüht, Catgut sterilisirt
in den Handel zu bringen, und dasselbe in möglichst, hand¬
licher Form verwendbar zu machen. Ich beauftragte die Finna
Droiike in Köln a. Rh. Cat gut nach der von mir 3 ) an¬
gegebenen Methode in Schachteln zu sterilisiren.
Es wird die fabrikmässige Sterilisation in der Weise
vorgenommen, dass in eine kleine Schachtel 3 Faden
zu je 3 m 1 Jingo, von denen jeder Faden wiederum
einzeln in Seidenpapier gewickelt ist, eingelegt werden.
Die Schachtel wird durch einen übergreifenden Deckel ge¬
schlossen. In den Rand dos Deckels sind an verschiedenem
Stellen kleine Löcher eingebohrt, welchen gleiche Oeffnungen in
dem Boden der Schachtel entsprechen, ähnlich wie bei den all¬
bekannten Schimmelbuse h’sehen Büchsen zur Sterilisation
des Verbandmaterials. Die Schachteln werden in ein Cumolbad
geworfen: durch die offen stehenden Löcher flieest das Cumol
in das Innere der Schachteln ein. In dem Cumolbad worden die
Schachteln-auf 160" eine Stunde lang erhitzt, kommen dann in
Benzin und schliesslich in den Trockenofen. Ist die Trocknung
des Materials vollendet, so genügt eine kleine Drehung de«
Deckels, um die Oeffnungen zu verschliessen und das Catgut in
der Schachtel bakteriendicht gegen die Aussenluft abzuschliesaen.
Das Catgut hält sich in diesen Schachteln dauernd steril,
wie von mir angestellto Proben nach zwei-, ja dreijährigem Auf¬
enthalt de« Catgut in den Schachteln oft erwiesen haben.
’) Coqul: lieber Laparotomie im Privathause. Archiv f.
Gyn. B(l. 03, Berlin 1901. png. 434 ff.
: ) Krönig: Zur Wahl des Nahtmaterials. Deutsch, ined.
Wochen8clir. 1900. No. 44 u. 45.
*) Ueber Sterilisation des Catgut. Central bl. f. Gyn. 1894.
No. 27.
Digitized by kjOOQie
29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1747
Schon seit vielen Jahren war dieses Material ausser in der
Leipziger Universitäts-Frauenklinik noch in vielen anderen
Kliniken, vor Allem auch bei praktischen Aerzten, in Gebrauch.
Nur ein Einwand konnte bisher stets erhoben werden, nämlich
der, dass der Abnehmer keine Garantie dafür hat, dass der Fabri¬
kant auch wirklich den Catgutfaden in der Schachtel auf die
erforderliche Temperatur von 160° erhitzt hatte.
Die vielen Anfragen, welche an mich gerichtet wurden, ob
das von Dronke gelieferte Material auch wirklich sicher steri-
lisirt wäre, konnte ich bisher nur durch einen Hinweis auf die
glänzenden Resultate in der Leipziger Frauenklinik, in welcher
jahrelang dieses Material bei allen Operationen ausschliesslich
zur Verwendung gekommen war, beantworten. Ich konnte aber
keine sichere Gewähr dafür geben, dass die Sterilisation in der
Fabrik dauernd zuverlässig sei. Mein Bestreben musste daher
weiter gehen: Ein gewisses Testobjekt zu finden, welches dem
Abnehmer die Garantie gibt, dass der Faden in der Schachtel
wirklich auf 160° erhitzt ist.
Tch glaube dies in folgender Art einwandfrei erreicht zu
haben. An das Ende des obersten Fadens in der Schachtel wird
von dem Fabrikanten ein Metallröllchen angepresst, welches aus
einer bei 160“ schmelzenden Legierung besteht. Bei der Er¬
hitzung auf 160“ wird das Metallröllchen nach und nach weich
und schmilzt an den Catgutfaden an. Da das Oatgut eine Er¬
wärmung auf 160° nur in Cu mol verträgt, so ist dem Ab¬
nehmer dadurch die Garantie gegeben, dass auch wirklich die
Schachtel in dieser Flüssigkeit auf 100 0 erhitzt worden ist; da
ferner die Legierung nicht schnell schmilzt, so ist auch Sicher¬
heit dafür vorhanden, dass die Erhitzung auf 160° mindestens
eine Stunde lang gedauert hat.
Für die Anwendung in der Praxis möchte ich noch Fol¬
gendes erwähnen. Nehmen wir den Fall an, dass ein
Dammriss zu nähen ist. so wird die Schachtel geöffnet und
mit einer sterilen Pincette das oberste Cat gutpacket herausge¬
nommen. Es genügt der in dem obersten Seidenpapier liegende
Catgutfaden von 3 m Länge vollständig, um auch einen relativ
grossen Dammriss exakt zu vereinigen. Nach der Entnahme
wird die Schachtel wieder geschlossen, und die beiden anderen
in der Schachtel zurückgebliebenen, in Seidenpapier gewickelten
Fäden können nach beliebig langer Zeit verwendet werden,
da durch die einmalige Entnahme des obersten Catgut-
packets die Keimfreiheit des darunter liegenden Materials nicht
gestört ist.
Ich hatte es bisher für praktisch gehalten, in jede S<hachtel
3 Fäden von jo 3 m Länge einzeln in Seidenpapier gewickelt
legen zu lassen. Neuerdings wurde mir von vielen Aerzten der
Wunsch geäussort, aus Sparsamkeitsrücksichten Schachteln in
den Handel zu bringen, welche 3 Fäden zu je 85—100 cm Länge
einzeln in Seidenpapier gewickelt enthalten. Die Firma
Dronke hat sich bereit erklärt-, auch derartige Seluichteln neuer¬
dings sterilisirt vorriithig zu halten. Dadurch, dass die meisten
Instrumentenmacher heute diese von Dronke hergestellten
Schachteln auf Lager haben, ist auch der Bezug für den prak¬
tischen Arzt vereinfacht worden.
Das Oatgut wird in verschiedenen Stärken hergestellt. Für
die Bedürfnisse des praktischen Arztes bei der Naht von Damm¬
rissen oder bei kleineren Operationen empfehlen sich im Allge¬
meinen die Nummer 0. 1 und 2.
Noch besonders möchte ich darauf hinweisen, dass man
das Oatgut nicht vor dem Gebrauch in eine wässerige Ib's-
infoktionslüsung, z. B. Sublimat legt, weil hierdurch die Festig-
No 44.
keit des Materials wesentlich verringer wird. Es ist das Ein¬
fachste. das Oatgut direkt trocken aus der Schachtel in die
Nadel zu fädeln und so zu verwenden. Nur dann, wenn der
Oatgut faden in dickeren Nummern — 3—5 — etwas spröde
ist, empfiehlt es sich, ihn kurz vorher einmal durch steri-
lisirtes Wasser, event. auch durch eine Desinfektionslösung,
hindurchzuzieheii.
Ich habe diese Gebrauchsanweisung deswegen hier wieder¬
gegeben, weil bei der Verwendung der Schachteln so häufig b<v
treffs technischer Einzelheiten Anfragen von den verschiedensten
Seiten an mich gerichtet sind.
Ich glaube, dass diese Methode der namentlich in Amerika
angewendeton Form, das Oatgut sterilisirt in den Handel zu
bringen, vorzuziehen ist. Auch hier wird das Oatgut meistens
nach der von mir angegebenen Methode in Oumol sterilisirt, ist
alx*r unter Alkohol in kleinen Glasröhrchen eingeschmolzen. Der
Arzt muss vor dem Gebrauch das dünne Glasröhrchen zerbrechen,
um das sterile Material gebrauchsfertig zu entnehmen.
Ein Fall von Schwangerschaftsniesen.
Von Dr. Karl Heil, Frauenarzt in Darmstadt.
Frl L.. früher immer gesund und regelmässig menstrulrt.
hatte ihre letzten Menses vom 18. bis 20. Februar 1901. also vor
11 Vi Wochen (Tag der Untersuchung 8. Mai 1901). Alsbald nach
Oessiren der Menses trat heftiges, häufiges Niesen auf.
Seit 7. Mai 1901 starke Blutung. Die Untersuchung ergibt: be¬
ginnender Abort ns. Der Abort verlief am folgenden Tag spontan
ohne stärkere Blutung. Ungestörte Convalescenz.
Am 17. Juli 1901 erscheint Frl. L. wieder in der Sprechstunde:
I-etzte Periode am 1. Juni. Seit 8 Tagen wieder heftiges, häutiges
Niesen, «las seit dem Abortus bisher nicht wieder aufgetreten war.
Die Diagnose: Gravidität Im Beginne des zweiten Mounts, hat sieh
ln der Folge bestätigt.
Patientin führte den ersten Abortus auf das heftige Niesen
zurück.
Um der eventuellen Wiederholung dieses Ereignisses vorzu-
bougen und um die Patientin von dem lästigen Niesen zu befreien,
e oenlnislrte i e li die N n s e n s e h 1 e i m h a u t wiederholt
mit einer öproc. Lösung. Besonders die Schleimhaut des
Septum, war stark injizirt: abgesehen von einer stärkeren Vor¬
wölbung des Septum linkerseits, fand sich ln den Nasenhöhlen
nichts Abnormes: es bestand auch keine vermehrte Sekretion.
Bereits nach einmaligem Ooealnlsiren Hess das Niesen nach.
Nach der zweiten Coeainlsirung war die Gefässinjektiou der Nasen-
schleimbnut bedeutend zurüekgegnngen und das Niesen schwand
nach wiederholtem Coeninlslren nahezu vollständig.
Da durch die Flies s’schen Angaben über die nasale Dys¬
menorrhoe die Wechselbeziehungen zwischen Nase und Genital¬
apparat erhöhtes Interesse gewonnen haben, schien mir dieser
Fall um so mehr der Veröffentlichung werth, als die Handbücher
der Geburtshilfe (P. Müller, Veit-Olshausen, Ahl-
feld, Sohauta, und von älteren Hohl, Scanzoni,
Spiegelberg. Späth) diese Sehwangerschaftskomplika-
tion nicht, erwähnen, wohl aber z. Th. Veränderungen in der
Goriiohsompfindung und kongestives Nasenbluten.
Eulenburg dagegen (Realencyklopädio, III. Auflage,
Bd. XVII. S. 267 u. 268) spricht von Fällen von Niesekrampf,
„welche öfters typisch in Verbindung mit Menstrualstöruugcn
und den letzteren parallel oder in bestimmten Abschnitten der
Schwangerschaft auftroten“. Eulen bürg fasst dieses Niesen
als einen von der weiblichen Genitalsphäre ausgehenden Reflex-
vorgnng auf, wenn eine veranlassende lokale Noxe, z. B. Katarrh
der Nasenschleimhaut, nicht, vorhanden oder wenigstens nicht
nachweisbar ist.
Da es nun den Rhinologen bekannt ist, dass während der
Schwangerschaft Schwellungen der Nasenschleimhaut, stärkere
Gefässinjektiou derselben, ja sogar lebhafte Wucherung von
Schleimpolypen nicht selten zu beobachten sind, Veränderungen,
die mit verrückender Schwangersclifift oder während oder nach
dem Wochenbett wieder spontan zu schwinden pflegen, so dürfte
für die Fülle von „Schwangersehaftsniesen“ die Annahme eines
von der Genitalsphäre ausgelösten Reflexes als Ursache des
Niesens von der Hand zu weisen sein. Die weit ein¬
fachere Erklärung dürfte vielmehr die sein,
dass in Folge der durch die Schwangerschaft
herbeigeführtenVeränderung imCireulations-
System die Nasenschleimhaut aufgelockert
und stärker injizirt wird, ohne dass ein Ka¬
tarrh besteht; diese stärkere Gefüssfüllung
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
verursacht ihrerseits durch Druck oder ver¬
mehrte Spannung eine Reizung der sensibeln
Nasennerven, die alsdann das Niesen auslöst.
Die primäre Ursache des in der Schwangerschaft auf¬
tretenden Niesekrampfes ist also nicht ein unbekannter, von der
Genitalsphäre ausgehender Reflexvorgang, sondern die kongestive
Hyperaemie der Nasenschleimhaut, die ja bekanntlich so stark
werden kann, dass durch Ruptur der Schleimhautgefässe Nasen¬
bluten eintritt.
Hierbei drängt sich der Gedanke auf, ob nicht auch manchen
anderen Störungen während der Schwangerschaft, die wir aus
mangelnder Kenntniss der letzten Ursache als Reflexe, bezw.
Reflexneurosen zu deuten genöthigt sind, bestimmte anatomische
oder chemische Veränderungen als primäre Ursachen zu Grunde
liegen, die ihrerseits eine Alteration der nervösen Apparate erst
sekundär zur Folge haben.
Einige Bemerkungen Uber die Spezifität der Bakterien.
Von Dr. med. Paul Klemm, dirigirender Arzt in Riga.
Mit der wissenschaftlichen Erkenntniss des aetiologischen
Zusammenhanges gewisser Mikrobenformen mit klinisch mehr
oder weniger gut charakterisirten Krankheitsbildern wurde auch
sehr bald die Frage aufgeworfen, ob die aufgefundenen Mikro¬
organismen in jedem Fall dieselbe bestimmte Erkrankung ver¬
ursachten, oder ob sie bald diese, bald jene Krankheit zu er¬
zeugen im Stande wären. Diese Frage ist im Laufe der letzten
20 Jahre viel ventilirt worden und hat auch im Augenblick noch
keinen allseitig befriedigenden Abschluss erhalten.
So lange man noch bestimmte klinische Krankheitsbilder
gewissen Mikroben gegenüber stellte und das aetiologische Ver¬
hältnis letzterer für die betreffende Krankheit zu entwickeln
suchte resp. der Frage näher trat, ob die pathologischen Aeusscr-
ungen der Mikroben eine spezifische Aktion gerade dieser Keime
wären, war die Frage schwierig zu lösen; die beiden Begriffe:
Klinisches Krankheitsbild und aetiologisches parasitäres Moment
sind eben incommensurabel.
Erst als man die Wirkung der Mikroben auf die Zellen
zu studiren begann und die pathologischen Veränderungen,
welche jene in den Körpergeweben erzeugten, zum Ausgang der
Betrachtung pflanzlicher Einwirkung auf thierische Zellen
machte, kam mehr Licht in die Frage.
Man fand, dass die Mikroben in der Regel in den
Geweben bestimmte Veränderungen bewirkten, dip für bestimmte
Bacteriengruppen mehr oder weniger wohlcharakterisirte Merk¬
male aufwiesen.
Die Gruppe der Streptococcen und Staphylo-
coccen galt Anfangs nur als Erreger der Eiterung; im Laufe
der Zeit stellte sich aber heraus, dass ausser diesen beiden noch
eine ganze Reihe anderer Mikroben im Stande war, unter Um¬
ständen thierisches Gewebe unter Erweichungserscheinungen zu
verflüssigen, wobei mehr oder weniger eiterähnliche Massen, wenn
wir den Staphylococceneiter als klassisches Paradigma des Eiters
hinstellen, gebildet wurden (Typhusbakterien, Tuberkelbacillen,
Pneumococcen, Kolonbacillen, Aktinomyceten etc.).
Die anatomische Untersuchung ergibt aber, dass jene
Schmelzvorgänge sich verschieden gestalteten: Das Gewebe er¬
weicht unter Bildung eines dicken rahmigen Eiters, der sehr zell¬
reich ist und die ausgesprochene Neigung zur Propagation be¬
sitzt (Staphylococcengruppe); in anderen Fällen treten reichlich
dünnflüssige, käsig-krümelige Massen auf, die von tuberkel-
tragenden Membranen eingehegt werden. Die Flüssigkeit ist
zellarm, die Leukocyten zeigen ausgesprochene Neigung zu re¬
gressiven Veränderungen, während Mitosen fehlen (Tuberkel¬
bacillen, Gumma, Leprom), wieder in anderen Fällen geht die
Erweichung unter sehr lebhafter wässeriger Transsudation in
die Gewebe vor sich. Im Verhältniss dazu wenig Leukocyten.
Das Fluidum zeigt einen jauchigen Charakter und weist nicht
selten brandige Gewebsfetzen auf. Wir sehen, die Eiterung ist
kein einheitlicher Vorgang — die anatomischen Befunde variiren
je nachdem, ob dieselben von dieser oder jener Baktcriengruppe
bewirkt wurde.
Die möglichen Reaktionsweisen der Gewebe Bakterien gegen¬
über, soweit sie sich auf erweichende Vorgänge beziehen, sind
in der That nicht sehr mannigfaltig. Die Gefässe, die aus den¬
selben stammenden Leukocyten, sowie die freien Bindegewebs¬
zellen bilden die wesentlichen Faktoren, welche sich an dem Zu¬
standekommen der Erweichung der Gewebe betheiligen. Je nach
der stärkeren oder geringeren Betheiligung einzelner dieser Kom¬
ponenten, je nachdem, ob hyperplastische Vorgänge, die erst
sekundär zur Verflüssigung führen, vorwalten, kommen jene
Eigentümlichkeiten der verschiedenen bacillären Erweichungs¬
vorgänge zu Stande.
Produktion und Reduktion stellen die
hauptsächlichsten B e w eg u n g s v o r g ä n g e der
Ge webserweichung dar, deren celluläre Cbarakteristica
dann natürlich anatomisch festgestellt werden können.
Auch die anatomische Beschaffenheit des Gewebes, in
welchem es zur Erweichung kommt, spielt eine wichtige Rolle,
insofeme dieselbe auf die cellulärcn Vorgänge selbst, sowie auf
die Richtung in der dies erfolgt, bestimmend einwirkt (Knochen,
Intermuskularspalten, Haut, Drüsen, drüsige Organe etc.).
Der Typhuskeim, der in der grössten Mehrzahl der Fälle seine
primäre Aggressivität in den PeyePschen Plaques der Darm¬
schleimhaut zeigt und diese unter dem Vorgänge der markigen
Infiltration zur Nekrose bringt, vermag durch Verschleppung
auf dem Wege der Blutbahn in andere Organe, z. B. in das
Knochenmark, zu gelangen und hier eine Erkrankung des
Knochens zu erzeugen, die unter der Bildung käsiger oder puri¬
former Massen verläuft. Es treten dann durch den Lebens-
process des Typhuskeimes pathologische Produkte auf, wie sie
ähnlich durch den Tuberkelbacillus oder die Staphylococcen ver¬
ursacht werden. Ich machte in meiner Arbeit „Ueber
Streptomykose der Knochen“ schon darauf auf¬
merksam, dass es Fälle von Tuberkulose der Knochen gibt, die
grob anatomisch eine grosse Aehnlichkeit mit der Staphylo-
mykose besitzen.
Es sind dieses Fälle infiltrirender Tuberkulose, wo die
primäre Erkrankung der Epiphyse nach Zerstörung der Knorpel¬
fuge auf das diaphysäre Knochenende übergreift. Sie befällt
gelegentlich auch die schwammigen, platten Knochen, wie die
O. ilei. Die bakteriologische Untersuchung hat in solchen Fällen
die Aufgabe, das Bestehen einer tuberkulösen Monoinfektion
nachzuweisen und das Nichtvorhandensein einer Mischinfektion
mit Streptococcen oder Staphylococcen, die sonst bei der
Knochentuberkulose, namentlich bei fistulösen Fällen, nicht
selten ist, darzuthun. Die Aufdeckung des feineren anatomi¬
schen Baues bei den Schmelzvorgängen wird dann vollends Licht
in den Process bringen.
Derartige Beispiele lassen sich in grosser Menge anführen,
sie beweisen sämmtlich, dass es eine obligate
Spezifität der Bakterien nicht gibt, sondern
dass dieselbe nur eine fakultative ist.
In diesem Sinne ist auch das Verhalten der Streptococcen
und Staphylococcen in den Geweben des menschlichen Körpers
zu betrachten. In meiner Arbeit: „Ueber das Verhält¬
niss des Erysipels zu den Streptomykose n“ (Grenz¬
gebiete der Med. u. Chir. VIII. Bd., 3. H.) sagte ich, dass ich
das Erysipel als Prototyp der streptomykotischen Gewebs-
erkrankung hinstellen möchte, weil diese in erster Linie dazu
angethan ist, die häufigste Eigenschaft der Streptococcen zu
demonstriren; ich bezeichnete das Erysipel dabei als Lymph-
angitis capillaris streptomykotica, weil gerade
die Thatsache der streptomykotischen Aetiologie in Verbindung
mit dem anatomischen Vorgänge der Ausbreitung der Er¬
krankung in den capillaren Lymphbezirken der Haut, zwei Pro-
cesse, die sich in der Regel als Symptome des Erysipels
äussern, erkennen lassen:
1. die Lymphangitis serosa in den sub¬
kutanen Lymphnetzen;
2. die schnelle Propagation der serösen
Entzündung.
Des Weiteren wies ich auf die anatomischen Vorgänge hin,
welche das Auftreten nekrotisirender streptomykotischer Eite¬
rungen zu begünstigen im Stande sind.
In seiner Arbeit: „Ueber die Aetiologie des Ery¬
sipels und sein Verhältniss zu den pyogenen
Infektionen“ (Münch, med. Wochenschr. No. 35, 1901)
wendet sich Jordan gegen diese Ausführungen:
„K lemra behauptet nun, dass die Streptococcen in erster
Linie die Erreger der serösen Entzündung seien, in dem befallenen
Gewebe eine Reihe pathologischer Vorgänge erzeugen, die im
Wesentlichen in einer sehr bedeutenden Hyperaemie und Trans-
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29. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1749
sudation bestehen. Spielt sieh die Entzündung an der Ober¬
fläche der Gewebe ab, so kann sich das Transsudat vertheilen
und die erkrankten Gewebe werden ln ihrer Ernährung nicht be¬
einträchtigt. So zeigt sich nach Klemm ln allen serösen Häuten
und in der Synovialis der Gelenke die Streptomykose in Form von
seröser oder sero-fibrinöser Entzündung. Im Gegensatz dazu steht
die Wirkung der Staphylococcen, die den von ihnen befallenen
Boden unter starker Eiterung zerstören. Spielt sich die Strepto-
ooccenentzünduug in Geweben ab, die von starken Fasclenwänden
eingescheldet sind, wie z. B. im intermusculären Bindegewebe
oder in den Lymphdrüsen, so kommt es in Folge des steigenden
Druckes des Transsudates, das nicht ausweichen kann, zu nekro¬
tischen Zerstörungen grösserer oder kleinerer Gewebsabschnitte
und zur Bildung einer dünnflüssigen, eiterähnlichen Jauche. Der
Grund des differenten Verlaufes der Streptococceninfektion liegt
nach Klemm in mechanischen Momenten des inflzirten Gewebes.
Oberflächenerysipel und intermuskuläre Phlegmone sind demnach
absolut gleichartige und anatomisch gleichwerthige Processe. Die
Staphylococcen schmelzen in der Kegel ganz unabhängig vom Ge-
websdruck und der anatomischen Spannungen den besiedelten
Boden unter Bildung eines dicken rahmigen Eiters ein. Die
Coccenwlrkung ist demnach eine priucipiell verschiedene.“
J ordan meint, dass diese Anschauungen, weil sie zu den
thatsächlichen Verhältnissen im Widerspruch ständen, leicht zu
widerlegen sind. Er fährt dann folgendermaassen fort:
„Die Behauptung, dass die Streptococcen keine reine Eite¬
rung erzeugen, ist unrichtig: Eine Reihe von Empyemen, eitrigen
Arthritiden, pnra- und perimetritischen puerperalen Eiterungen
wie osteomyelitischen Abscessen sind durch Reinkulturen von
Streptococcen bedingt; beim Erysipel werden nicht seiten sub¬
kutane, durch den Krankheitserreger selbst verursachte Eite¬
rungen beobachtet; ein Theil der abscedirenden Phlegmonen ver¬
dankt einer Streptococceninfektion die Entstehung. In vielen
Fällen Ist es unmöglich, bei der Operation aus der Beschaffenheit
des Eiters auf die Natur der veranlassenden Coccen zu schllessen.“
Ich habe nun den Streptococcen nirgendwo die Fähigkeit,
Eiterung zu erzeugen, abgesprochen. Auf pag. 267 sage ich:
„Die Streptococcen sind in erster Linie die Erreger der
serösen Entzündung, eitererregende und nekrotisirende Eigen¬
schaften kommen ihnen erst in zweiter Linie und unter
bestimmten Verhältnissen zu.“ Weiter unten heisst es: „Die
Streptococcen schmelzen das von ihnen in-
fizirte Gewebe in der Regel nicht ein etc.“ Dann
weiter: „Dieses sind die Fälle, in denen die Streptococcen eine
gewisse Aehnlichkeit mit den Staphylococcen
haben, nur dass der gebildete Eiter weit dünnflüssiger,
leukocytenärmer ist und stets Gewebsfetzen enthält.“
Ich habe also die eiterbildende Fähigkeit der Streptococcen
gar nicht in Frage gestellt, ich habe nur, so weit ich mir aus dem,
was ich durch Beobachtung und Untersuchung erfahren habe,
ein Urtlieil erlauben darf, nach den Bedingungen geforscht,
unter welchen die Streptococcen Eiterung bewirken. Ich habe
ferner bemerkt, dass die Streptococceneiterung Merkmale, nicht
prinzipielle, wie J ordan sagt, aufweist, die sie von anders¬
artigen Eiterungsprooessen unterscheiden lässt. Ich kam so zur
Ueberzeugung, dass die streptomykotische Eiterung einen nekro-
tisirenden Charakter trägt und dass der gebildete Eiter im Ver¬
gleich zu dem dicken rahmigen Staphylococceneiter durch seine
dünnflüssige, jauchige Beschaffenheit auf fällt. Als die Ursache
dieser Vorgänge glaube ich gewisse mechanische Momente, die
in der anatomischen Beschaffenheit der Gewebe liegen, ansehen
zu müssen.
Ich glaube nicht, dass dieser Erklärungsversuch der That-
sache, dass die Streptococcen unter Umständen den von ihnen
besiedelten Boden einzuschmelzen vermögen, Abbruch thut.
Jordan führt eine Reihe von Erkrankungen an: Arthritiden,
Pleuritiden, subkutane Abscesse, Para- und Perimetriden, wo die
Streptococcen sicherlich eine „reine Eiterung“ erzeugt hätten. Ich
gebe das natürlich zu und stimme auch weiterhin mit ihm überein,
dass die Seltenheit einer Erkrankung nicht als wissenschaftliches
Argument gegen das Vorkommen derselben überhaupt ver¬
wertet werden darf. Ich behaupte aber wohl, dass man berech¬
tigt ist, die charakteristisch biologische Eigenart einer Pilz-
species in der gewöhnlichen, sozusagen normalen Aktionsweise der¬
selben zu sehen. Aus dieser Betrachtungsweise soll natürlich kein
starres Gesetz konstruirt werden, welches in letzter Linie zur abso¬
luten Spezifität der Bakterien führen muss; sie gewährt uns aber
die Möglichkeit, Erkrankungen desselben Organes, die durch ver¬
schiedene Mikroben verursacht wurden, je nach der Reaktions¬
weise der Gewebe und den dabei auftretenden hyperplastischen
und regressiven Vorgängen zu Gruppen zu vereinigen, die natür¬
lich sich nicht scharf durch prinzipielle Unterschiede von ein¬
ander trennen lassen.
Betrachtet man z. B. die streptomykotischen Arthritiden,
so kann doch nicht in Abrede gestellt werden, dass dieselben
in der Mehrzahl der Fälle Eigentümlichkeiten be¬
sitzen, die den gleichnamigen staphylomykotischen Erkrank¬
ungen abgehen. Kein Geringerer als R. v. V o 1 k m a n n hat
als Erster, auf rein klinische und anatomische Untersuchungen
gestützt, die katarrhalische Gelenkeiterung beschrieben,
die sich dann später, dank dem bakteriologischen Nachweis
seines Schülers Krause, als eine Synovialisstreptomykose prä-
sentirte. Nach LexePs und meinen Beobachtungen scheinen
Erkrankungen der Synovialis, durch Streptococcen bedingt, sehr
häufig abhängig von kleineren oder grösseren streptomykotischen
Epiphysenherden aufzutreten, so dass die Gelenkergüsse resp.
-Eiterungen nur Begleiterscheinungen einer osteomyelitischen
Mykose wären. Betrachtet man ferner jene Arthritiden, wie sie
im Gefolge des Scharlachs schon seit dem Jahre 1816 die Be¬
obachter interessiren und von jenen schweren pyaemischen
staphylomykotischen Gelenkeiterungen und zwar auf klinischem
Wege unterschieden werden, so muss doch die Berechtigung zu¬
gegeben werden, die Streptomykose der Knochen und Gelenke
gesondert von der Staphylomykose derselben zu betrachten.
Ein heutzutage viel diskutirtes Thema bildet die Gelenk¬
erkrankung, wie sie im Anschluss an tonsillare Affektioneu vor¬
kommt. Die Kasuistik dieser Arthritisform ist eine sehr grosse.
Auch hier handelt es sich um seröse oder sero-fibrinöse strepto¬
mykotische Gelenkergüsse, die in der Regel schwinden, ohne
eine Schädigung der Synovialis zu verursachen. Das strepto¬
mykotische Scharlachgelenk unterscheidet sich von der oben
namhaft gemachten Gelenkaffektion in keiner Weise. Für die
streptomykotische Osteomyelitis gibt es J o r d a u selbst zu, dass
sie häufiger zu corticalen Herden, zu Herden in den Epiphysen,
zu Lösungen derselben und Gelenkeiterungen führt, als die
staphylomykotische Knochenerkrankung — freilich meint er,
wäre dieses kein durchgreifender Unterschied; vergleicht man in
meiner Arbeit: „D ie Streptomykose der o& h e n“
auf pag. 1247 meine Schlusssätze, so ersieht msm daraus, dass
ich von einem „durchgreifenden“ Unterschied auch
gar nicht gesprochen habe. In Satz 4 heisst es: „Die Veränder¬
ungen am Knochen sind im Gegensatz zur Osteomyelitis acuta
staphylomycotica geringfügig, sie bestehen h ä u f i g in corticalen
Herden oder solchen an den Epiphysen oder Epiphysengrenzen,
so dass Epiphysenlösungen oder Gelenkergüsse hier häufiger
sind, die fortschreitende Markphlegmone aber fehlt.“ Die ein¬
zige zu apodiktische Behauptung, die ich mir hier habe zu
Schulden kommen lassen, kann in dem Negiren der fortschrei¬
tenden streptomykotischen Markphlegmone gesehen werden.
Jedenfalls ist dieser Vorgang ein so excessiv seltener, dass er in
der Symptomatologie der streptomykotischen Osteomyelitis sicher
keine hervorragende Rolle spielt und die übrigen Charakteristica
dieser Form der Knochenerkrankung dadurch verwischt würden.
Ebenso kann man in seltenen Fällen im Verlauf der typhösen
Osteomyelitis die Bildung eines grossen centralen Sequesters
beobachten, ohne dass durch dieses Ereigniss die fürgewöhn¬
lich in Erscheinung tretenden charakteristischen Eigentüm¬
lichkeiten dieser Knochenerkrankung in Frage gestellt werden
dürfen.
Wie schon gesagt, habe ich nur davon gesprochen, dass die
Streptococcen in erster Linie die Erreger der serösen Ent¬
zündung sind. Es bleiben demnach noch zwei andere Möglich¬
keiten bestehen: 1. dass die Streptococcen auch noch andere
Eigenschaften, als die der Erregung einer serösen Entzündung
besitzen und 2. dass letzterer Process durch andere Mikroben
als Staphylococcen erzeugt werden kann. Auf pag. 1370 seiner
Arbeit gibt Jordan selbst zu, dass das menschliche Erysipel
in der Regel durch Streptococcen hervorgerufen wird. Wenn
ich auch selbstverständlich zugebe, dass der bakteriologische
Nachweis, der in den 5 von Jordan referirten Fällen von
Erysipel den Staphylococcus ergab, völlig einwandfrei ist, so
bitte ich doch zu bedenken, dass ein Einwand, der ja auch von
anderer Seite erhoben worden ist, zu Recht bestehen bleibt, ich
meine die Schwierigkeit, das Bestehen einer Mischinfektion mit
Sicherheit auszuschliessen. In dem Falle von Bonome und
Bondini-Uffreduzzi von Erysipela-s phlegmonosum
wurde neben reichlichen Staphylococcen nur sehr spärlich
3*
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1750
MüENCHENEH MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Streptococcus Befunden, der zudem in der Kultur nicht einmal
aofging, somit also als abgestorben betrachtet werden kann.
Darf man hier nicht so sehliessen, dass das Erysipel durch
Streptococcus verursacht worden ist, die Abscesse aber der Aus¬
druck einer später sich hinzugesellenden Mischinfektion sind?
Ich hatte in diesem Semester einen 7 jährigen Knaben in
meiner Abtheilung, der unter den Symptomen einer schweren
Blutinfektion eingebracht wurde. Er war vor 6 Wochen an
einem Kopferysipel erkrankt, zu dem sich phlegmonöse Abscesse
der Kopfschwarte gesellt hatten.
In dem dünnflüssigen, grünlichen Eiter fanden sieh sehr
zahlreiche Staphyloeoccen und nur wenige Ketten, die bei nicht
aufmerksamem Suchen sieh der Beobachtung wohl entziehen
konnten. Im kreisenden Blut derselbe. Befund.
Später traten ausgedehnte Abscedirungen an den Extremi¬
täten auf: Im Eiter Hessen sich gegenüber den üppig wuchernden
Staphyloeoccen nur spärlich Streptococcen nachweisen. Bei der
Sektion wurden multiple Abscesse in den Lungen, den Nieren,
der Leber, im Herzfleisch etc. aufgedeckt. Der bakteriologische
Befund war derselbe wie bei der intra vitam ausgeführten Unter¬
suchung. Es lag hier eine Mischinfektion vor, wo die Staphylo-
coceen die Streptococcen zu überwuchern begannen; wäre I’at.
lange genug am Leben geblieben, so wären möglicherweise die
Streptococcen untergegangen und das Ganze hätte als Staphylo-
mykose imponirt. Betrachtet man die grosse Kasuistik strepto-
mykotischer Erysipele, so wird die Thatsache, dass sich in 5 Fällen
nur Staphyloeoccen als muthmassliche Krankheitserreger haben
nachweisen lassen, einem nicht die Berechtigung verweigern,
das Erysipel schlechtweg als Streptomykose der Ilaut pur
exeellence, als Lymphangitis streptomykotiea capillaris zu be¬
zeichnen.
Dieselben Bedenken mache ich auch gegen die Ansicht
J ordan’s geltend, der die Osteomyelitis als Pyaemie der Ent¬
wicklungsperiode bezeichnet. Dieser Anspruch gilt doch in erster
Reihe für die staphylomykotisehen Knoehenerkrankungen — die
übrigen, wie die typhösen, tuberkulösen, syphilitischen etc.
Affektionen können doch nicht als eine Pyaemie des wachsenden
Organismus gedeutet werden. Meiner Meinung nach ist es
zweckmässiger, die Osteomyelitisformen nach dem Krankheits¬
erreger, dann den anatomischen Veränderungen, die dieser im
Knochen bewirkt, zu klassifiziren. In der weitaus grössten Anzahl
der Fälle ist die Osteomyelitis ein Werk der Staphyloeoccen, die
ihrerseits wieder eine Reihe verschiedener anatomischer Er¬
scheinungen zu Wege bringen. Unter diesen ist die eitrige Ein¬
schmelzung des Markes mit Absterben grösserer und kleinerer
Theile des Knochens der häufigste Vorgang.
So wie ich für die Wirksamkeit der Streptococcen das Ery¬
sipel als Paradigma hinstellc, so sehe ich im Furunkel das
klassische Beispiel der Staphylocoecenaktion. Trotzdem aber
muss auch eine obligate Spezifität des Staphylocoecus in Abrede
gestellt werden. Unter Umständen bleibt die eitrige Schmelzung
der Gewebe aus und der Infektionsproccss kulminirt in einer
serösen Entzündung.
Betrachten wir z. B. einmal ein staphylomykotisehes Pana-
ritium am Finger. Unter Anstieg der Temperatur, unter
Frösteln und subjektivem Unbehagen kommt es zur Bildung
leicht erhabener rotlier Streifen, die vom Pauaritium zu den
regionären Lymphdriisen führen.
Die Drüsen schwellen an und werden auf Druck schmerzhaft.
Zu dem Panaritium hat sich eine Lymphangitis staphylomykotica
und eine ebensolche Lymphadenitis gesellt. Das Ganze vermag
zu schwinden, ohne dass es zur Eiterung kommt. Wenn man
will, ist diese Lymphangitis auch eine Art Erysipel, wenngleich
die Ausbreitung desselben, die ja in erster Linie von den ana¬
tomisch praeformirten Bahnen abhängt, hier vorherrschend in
einer Richtung erfolgt.
Die Passage der Staphyloeoccen ist offenbar in den Lymph-
gängen eine zu flüchtige, die Keime haften nicht, sie gelangen
bald in die Lymplulrüsen, wo sie der schnell einsetzenden Leuko-
eytose zum Opfer fallen.
Ob die sklerosirende Osteomyelitis als eine seröse Ent¬
zündung des Knochens aufzufassen ist. fragt sich. Meiner
Ueberzeugung nach deutet man dieselbe besser als eine miliare
eiterige Erkrankung des Knochens, hei welcher jedes Ab-
seesschen durch sklerotische Knochenwucherungen abgekapselt
ist, wie wir das isolirt beim solitären Knoehenabscess sehen
können.
Zum Schlüsse betone ich noch einmal, dass
cs durchgreifende Unterschiede in der Wirk¬
samkeit der verschiedenen in die menschlichen
Gewebe gelangenden Krankheitserreger nicht
gibt. Es hängt dieses, wie ich schon oben sagte, mit der relativ
beschränkten Reaktionsmöglichkeit der Gewebe selbst zusammen.
Der Unterschierl in der Wirkungsweise ganz differenter
Reize kann nicht einmal ein durchgreifender uml principieller
genannt werden. Mechanische, chemische, thermische, elektrische
und Bakterien-Wirkungen bringen in den Geweben Effekte her¬
vor, die sich zum Theil ähnlich sind und eines durchgreifenden
Unterschiedes entbehren. Röthung der Ilaut und seröses In¬
filtrat, welches bald mehr der Fläche nach vertheilt, bald mehr
in Blasen angcsammelt, auftritt. beobachten wir nach mecha¬
nischen Insulten (Schlag, Druck) Verbrennungen, Erfrierungen,
Terpcnthincinwirkiing, Bakterieninfektionen etc. Je nach In¬
tensität und Dauer des Reiz<>s können sich die Gewebe erholen
uml es vermag Restitutio completa einzutreten oder die Schä¬
digung war zu intensiv und es kommt zu einer Reihe regressiver
Vorgänge, die in Gangraen, Nekrose und Verflüssigung enden.
Trotz dieser Allgemeinheit in der Reaktionsweise der Ge¬
webe ist es aber doch berechtigt, Gleiehwerthiges zusammen¬
zufassen und nach Merkmalen zu suchen, die Gleichartiges ver¬
binden, um je nach dem aetiologisehen Moment von Druck¬
wirkung, Erfrierung, Verbrennung, Verätzung, Infektion etc.
sprechen zu können und jeden dieser Vorgänge in seine patho-
logiseh-anatomischen cellularen Details zu zerlegen.
Wir kommen durch diese Betrachtungs¬
weise zur Ueberzeugung, dass es eine obli¬
gate Spezifität der Bakterien nicht gibt,
dass dieselbe aber eine fakultative ist und
dass den Aktionen der verschiedenen Bak¬
terie n g r u p pe n Reaktionen charakteristi¬
scher Art der Gewebe entsprechen.
Aus dem städtischen Barackenkrankenhause in Düsseldorf.
Tragrahmen zur Behandlung der Obersehenkel¬
frakturen kleiner Kinder.
Von Dr. Carl Stern, leitender Arzt.
Für die Behandlung der Oberschenkelbrüche bei kleinen
Kindern haben wohl die meisten Chirurgen nach dem Vorgang
von Schede die Extension in verticaler Suspension eingeführt,
von der Ueberzeugung und Erfahrung geleitet, dass durch das
senkrechte Aufhängen des Beines am besten die sonst so leicht
auftretenden Ekzeme und Excoriationen unter den Verbänden
vermieden werden. Diese Art der Suspension hat aber meines
Erachtens zwei Nachtheile, deren Beseitigung mir wünschens-
werth erschien. Erstens sind kleine. Kinder häufig nur schwer
dazu zu bringen, ruhig zu liegen mit dem suspendirten Beine,
vielmehr werfen sie sich herum, wodurch eine Drehung an der
Frakturstelle zu Stande kommt, die die glatte Heilung beein¬
trächtigt, und zweitens sind die Kinder durch die Extensionslage
gezwungen, längere Zeit zu Bette zu liegen, was z. B. bei
rachitischen Kindern entschieden von Einfluss auf das All¬
gemeinbefinden ist. Auch erschwert die bisher übliche Art, die
Kinder zu lagern, meiner Erfahrung nach doch die Reinhaltung
bis zu einem gewissen Grade, insofern besonders in den ersten
Tagen jede Bewegung des Oberkörpers au der Bruchstelle
Schmerzen verursacht. Um diesen Uebelständen abzuhelfen
und zu erzielen, dass erstens die Fraktur möglichst nach der An¬
legung des Verbandes unverrückt liegen bleibt, dass zweitens die
Kinder mit der gerichteten Fraktur ohne viel Umstände in’s
Freie getragen werden können, und dass drittens die Umbettung
der Kinder bequemer erfolgen könne, habe ich mir als kleines
Hilfsmittel den in nebenstehender Abbildung dargestellten
Tragrahmen unfertigen lassen, der sich mir in einer Anzahl
von Fällen gut. bewährt hat und dessen Brauchbarkeit auch für
dio Praxis ausserhalb des Krankenhauses mir von einer Reihe
von Kollegen bestätigt ist.
Der Rahmen besteht aus einem starken, verzinnten Draht-
biigel, der mit leinenen Gurten bespannt ist. An diesen Bügel
(den Tragrahmen) ist eine Schiene senkrecht angebracht, in der
das Beinchen mittels Heftpflasterextension aufgehängt ist und,
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1751
worauf ich besonderes Gewicht legen möchte, durch kleine Leder¬
riemen auch fixirt ist. Die Extension geschieht am Fussstück
durch Riemen und kann mehr oder minder stark angespannt
werden. Es steht auch nichts im Wege, durch Anbringen einer
Schraube die Extension zu bewirken, jedoch wird der Apparat
dadurch komplizirter. Anfangs hatte Ich den Extensionsbügel
drehbar machen lassen, so dass derselbe Rahmen für rechts und
links nutzbar gemacht werden konnte. Es war dann nur nöthig,
den ExtenslonsbUgel um 180 0 zu drehen. Es hat sich aber gezeigt,
dass die Solidität des Rahmens hierdurch beeinträchtigt wurde;
daher habe ich es vorgezogen, mir für jedes Bein einen beson¬
deren Apparat anfertigen zu lassen, der eine grössere Festigkeit
hat. Die Versuche werden jedoch fortgesetzt und gelingt es uns
vielleicht, ein stabiles Modell für beide Beine zu konstruiren.
Die Anwendung des Rahmens zeigt die Abbildung. Wir
lassen die Kinder tagsüber stundenweise im Freien umhertragen
und haben so den Vortheil der Gehverbände bei den Er¬
wachsenen.
Dass der kleine Apparat sich für alle Erkrankungen der
unteren Extremität anwenden lässt, welche eine senkrechte Ex¬
tension wün8chenswerth machen, bedarf keiner Erläuterung. So
haben wir Kinder mit Unterschenkelfrakturen in Extension
darin gelegt, ebenso Kinder mit akuten entzündlichen Erkran¬
kungen, bei denen wir eine Suspension für zweckmässig er¬
achteten.
Der Apparat ist durch die Verwendung der Gurten ungemein
leicht und hat uns recht gute Dienste gethan, so dass wir ihn
als Hilfsmittel bei der Behandlung von Erkrankungen der
unteren Extremität bezw. Frakturen für Kinder bis zu 4 Jahren
wohl empfehlen können.
(Der Apparat wird angefertigt von Herrn Bandagisten
L. B o r 8, Düsseldorf, Grabenstr. 10.)
Urobilin in Ascitesflüssigkeit
Von Dr. Conrad Stich in Leipzig.
Bei Durchsicht der medicinischen Literatur, wie sie mir
in der Kgl. medicinischen Klinik hier zugänglich ist, fand ich
nur eine Notiz über Vorkommen des Urobilins im Serum, in
der Ascitesflüssigkeit einer Leiche bei Lebercirrhose: die Haut
war leicht ikterisch, die ascitisehe Flüssigkeit enthielt Gallen¬
farbstoff und zeigte nach Enteiweissung und Einengung den
Streif des Urobilins. Man darf annehmen, dass dieser Stoff nach
dem Tode durch Diffussion aus dem Dann in die Flüssigkeit
gelangt war. So berichtet Quincke im 95. Bd. Virchow’s
Arch. pag. 138.
Hier handelt es sich um Urobilinbildung intra vitam, in der
Ascitesflüssigkeit bei parenchymatöser haemorrhagischer Ne¬
phritis.
Bei einer Reihe Eiweiss-Fettbestimmungen von Ascites¬
flüssigkeiten und Pleuraexsudaten wurde immer bei der Ascites-
flüsoigkeit dieser Nephritis im Aetherextrakt der Trockensub¬
stanz eine lebhafte Fluorescenz beobachtet. Zur genaueren Fest¬
stellung des Urobilins wurde das Aetherextrakt abgedunstet, mit
90proc. Alkohol aufgenommen. Diese Lösung zeigte durch Zu¬
gabe von 5 proc. alkoh. CaCl,-Lösung und Am mon- stärkere
No. 44.
Fluorescenz und im Spectrum zwischen b u. F die bekannten
Absorptionsstreifen.
Ein Theil der alkoholischen Losung eingedunstet und mit
HNO s behandelt, liess die Farbenskala von grün-gelb nicht er¬
kennen.
Anal. Labor, d. städt. Krankenhauses zu Leipzig.
Zum 70. Geburtstage Carl v. Voit’s.
Von Max C r e m e r.
Der gewaltige Aufschwung, den die Physik und Chemie in
der ersten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts genommen haben,
ist nicht ohne mächtigen Einfluss auf die Physiologie geblieben.
In Deutschland zunächst, dann aber auch in der ganzen civili-
sirten Welt, beginnt mit Johannes Müller einerseits und mit
Justus v. Liebig andererseits eine Blütheperiode der physio¬
logischen Wissenschaft, die ihres Gleichen nicht in der Vorzeit
findet, mag man die Thätigkeit eines Galen, eines Harvey,
eines Albrecht v. Haller u. A. noch so hoch angeschlagen, und von
der die Epigonen nicht hoffen dürfen, dass sio je wiederkehrt. Wohl
ist noch mancher Schatz in der Physiologie zu heben, aber die
grossen Entdeckungen sind sehr viel seltener geworden. Wir
leben hauptsächlich in der Zeit kritischer Detailarbeit nach der
einen, und zusammenfassender Verallgemeinerungen nach der
anderen Richtung. Jene Zeit dagegen, wo Schlag auf
Schlag die Entdeckungen auf einander folgten, dürfte für
immer dahin ein. Von jenen Männern, die in Deutschland da¬
mals berufen waren, Pathe zu stehen bei der gewissermaassen
neugeborenen Wissenschaft und ihren Siegeezug mit in die Wege
zu leiten, ist leider schon mancher aus dem Leben abberufen
worden. Die Wissenschaft musste den Tod von Männern be¬
klagen wie Brücke, Helmholtz, Du Boia-Reymond,
Ludwig, Heidenhain, Fick, Willy Kühne und zuletzt
Pettenkofer. Andere aber aus jener grossen Zeit sehen wir
noch in geistiger und körperlicher Frische unter uns weilen, ehr¬
würdige leuchtende Vorbilder für die jüngere Generation.
Unter diesen befindet sich ein Mann, auf den wir Mün¬
chener mit besonderem Stolze blicken dürfen, der Altmeister
der Lehre vom Stoffwechsel und der Ernährung, Herr Geheimrath
Professor Dr. Carlv. Voit, dessen 70. Geburtstag Schüler und
Freunde — auf Wunsch des Jubilars nur in kleinem Kreise —
zu feiern sich anschicken.
Aus diesem Anlass möge es mir gestattet sein, den bisherigen
Lebens- und Entwicklungsgang meines hochverehrten Lehrers
den Lesern dieser Wochenschrift in grossen Zügen wenigstens zu
schildern. Natürlich kann es nicht meines Amtes sein, diesen
dabei erschöpfend darzustellen.
Carl Voit wurde am 31. Oktober 1831 zu Amberg ge¬
boren. Sein Vater August Voit verwaltete damals die Stelle
eines „Baukondukteurs“ wurde aber sehr bald als „Bauinspektor“
nach Speyer versetzt. In Speyer empfing CarlVoit den ersten
Unterricht im Hause der Eltern. Die Lateinschule und das Gym¬
nasium besuchte er erst in München, wohin sein Vater im Jahre
1840 als Professor an die Kunstakademie an Gärtnefs Stelle
berufen wurde. August Voit baute in dieser Stellung bekannt¬
lich die neue Pinakothek und den Glaspalast.
Carl Voit verliess München von 1840 an nur noch zu
Studienzwecken, so dass die Haupt- und Residenzstadt mit Fug
und Recht als seine eigentliche Vaterstadt bezeichnet werden
kann. Hier bezog er mit 17 Jahren (1848) die Universität. Die
beiden ersten Jahre betrieb er hauptsächlich naturwissenschaft¬
liche Studien neben solchen allgemein philosophischen Inhaltes.
Namentlich war es sein Umgang mit dem Professor der Botanik
Sendtner, seinem späteren Freunde, durch welchen V o i t ge¬
rade für das erstere Studium besonders begeistert wurde. Die
Medicin schien ihm am meisten geeignet seinen Wissensdrang zu
befriedigen. Desshalb unterzog er sich 1850 der sog. Admissions¬
prüfung. Herbst 1851 ging er nach Würzburg, wo er bei Köl-
liker, Leydig, Virchow, Scanzoni und namentlich
auch bei Scherer Vorlesungen hörte. Das sog. Biennium
brachte er dann wieder in München zu. Obwohl er den Besuch
der Kliniken nicht versäumte, er besuchte namentlich die Klinik
v. P f e u f e Ps, so fand er doch in diesen klinischen Semestern
noch Zeit, die Vorlesungen des grossen Liebig zu hören.
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1752
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Im Sommer 1854 bestand V o i t die praktische Prüfung für
Aerzte und bald darauf, am 8. August 1854 die Doktorprüfung.
Jetzt wandte er sich nach Beendigung des eigentlich medicini-
schen Studiums erst recht den Naturwissenschaften zu. Er hörte
J o 11 y und v. Siebold, Bischoff und nochmals L i e b i g.
Ausserdem bat er Pettenkofer, ihn als Praktikanten in sein
Laboratoriuni aufzunelimen. Anfangs war Dieser gar nicht dazu
geneigt. Zu dem abschlägigen Bescheid muss aber wohl der junge
V oit ein so trauriges Gesicht gemacht haben, dass Petten¬
kofer den ungewöhnlichen Eifer erkannte und sich erweichen
liess. Bekanntlich wurden aus Lehrer und Schüler bald zwei
innige Freunde. Das Arbeiten im Laboratorium Petten-
k o f e Fs, der damals Professor für medicinische Chemie war,
trug schon sehr bald besondere Früchte.
Die Cholera hatte ihren zweiten Einzug in München gehalten,
und Voit führte, zum Theil auf Veranlassung Buhl’s, im
Pettenkofer’schen Laboratorium eine Reihe von Unter¬
suchungen, theils am Harne von Kranken, theils au Leichen aus.
L i e b i g war es nicht gelungen, im normalen Muskel Harnstoff
nachzuweisen. Voit gelang dieser wichtige Nachweis bei den
Choleraleichen (auch noch im Gehirn etc.). Es war eine Erst¬
lingsarbeit, wie sie selten, auch von später berühmten Forschern,
geliefert wird.
Weiter untersuchte dann Voit in demselben Laboratorium
auf Veranlassung S e n d t n e r’s eine Reihe von Bodenarten, um
eine bestimmte pflanzenbiologische Frage zu lösen (Flora 1855,
S. 407).
Herbst 1856 ging Voit nach Göttingen, um seine chemische
Ausbildung zu vollenden. Er verfertigte im Laboratorium von
W ö h 1 e r, dem berühmten Entdecker der ersten Synthese des
Harnstoffs, unter Limpricht eine rein organische Arbeit:
Ueber einige Benzoylverbindungen (Liebig’s Annalen Bd. 99,
S. 100). Er führte damit den Nachweis, dass er es zum fertig aus-
gebildeten Chemiker gebracht hatte. Voit nützte seine Zeit
fleissig aus. Er vergass in Göttingen nebenbei die Physiologie
nicht. Er besuchte gleichzeitig den Experimentalkurs bei Rudolf
W a g n e r, damals dem bedeutendsten Physiologen nach
Johannes Müller und nahm ebenfalls bei dem berühmten
Physiker L i s t i n g einen Curs in der. physiologischen Optik mit.
1856 kehrte Voit nach München zurück. Schon war er im
Begriff nach Dorpat zu B i d d e r und Schmidt zu gehen,
deren einige Jahre zuvor erschienenes Buch: „Ueber die Ver¬
dauungssäfte und den Stoffwechsel“ so mächtigen Eindruck auf
ihn gemacht hatte, da erhielt er in München Gelegenheit zu
dauernder Thätigkeit. Am 18. August wurde er Assistent bei
Bischoff, wodurch die Arbeitsrichtung V o i t’s definitiv fest¬
gelegt wurde.
In kurzer Zeit führte er mehrere Experimental Unter¬
suchungen aus, von denen zwei im Jahre 1857 im Druck er¬
schienen (Mcdieinisch-chemischo Untersuchungen, Augsburg,
Verlag der Riege Fachen Buchhandlung). Die beiden Arbeiten
erschienen auch einzeln und zwar die erstere: „Beiträge zum
Kreislauf des Stickstoffs im thierischen Organismus“ auch als
nachträgliche Inauguraldissertation, die zweite: „Ueber die Auf¬
nahme des Quecksilbers und seiner Verbindungen in den Körper“
als Habilitationsschrift. Die erstere ist für uns von grösserem
Interesse, weil sie ein direkter Vorläufer der nun folgenden
grossen Arbeiten ist. Im Scldussworte derselben sagt Voit:
„Ich erhalte dabei von Herrn Prof. Bischoff die vielfachste
geistige Anregung; der beste Dank für dies scheint mir zu sein,
wenn ich ihm zeigen könnte, dass der Same, den er gesäot, nicht
auf unfruchtbares Land gefallen. Vielleicht ist es mir gelungen,
in dieser Abhandlung, die, obgleich nicht voluminös, doch viel
Zeit und Mühe gekostet, ein solches Samenkorn von ihm zur
Reife gebracht zu haben.“
Das hat V o i t in der That in dieser Abhandlung redlich ge-
tlian. Um dies näher würdigen zu können, muss ich etwas weiter
ausholen. Die meisten Forscher hatten damals ein sog. Stick¬
stoffdefizit bei Fütterungsversucheu an allen möglichen Thiercn
gefunden. Das heisst, es gelang nicht, den Stickstoff der Nah¬
rung vollkommen in Harn und Koth wieder zu finden. Bei vielen
Forschern war der scheinbare Verlust, also derjenige Theil, von
dem man annehmen musste, dass er gasförmig den Körper ver-
liees, ein ganz erheblicher Bruchtheil des zugeführten Nahrunga-
stickstoffs. Nur B i d d e r und Schmidt, in so manchen
Punkten V o i t’s, von ihm so hochgeachtete und verehrte Vor¬
läufer, hatten sowohl bei Hunden wie bei Katzen nahezu allen
Stickstoff der Nahrung im Harn und Koth wiedergefunden, aber
gerade V o i t’s damaliger Meister, Bischoff, hatte, trotzdem
er sich der neuen Titrirmethode seines Freundes Liebig be¬
diente, entgegengesetzte Resultate gehabt. Die Sache schien
nicht klar. Voit klärte sie, zum Theil in Gemeinschaft mit
Bischoff, vollständig auf. Seine Inauguraldissertation war
ein erster Schritt auf diesem Wege. Voit warf die Lehre vom
Stickstoffdefizit vollständig über den Haufen. Und wie erreichte
Voit dieses Ziel! Einfach dadurch, dass er die richtige Me¬
thode schuf. Man muss den Stickstoffwerth der Nahrung richtig
kennen, man muss allen auf den Versuch treffenden Ham und
Koth erhalten und ihn richtig analysiren, dann verschwindet das
N-Defizit. Voit lehrte, wie man diesen Bedingungen gerecht
werden muss. Besonders berühmt ist sein Versuch an einer Taube.
Aber so einfach, so unantastbar seine Grundsätze auch waren,
welch’ einen Kampf hat es V o i t gekostet sie zur Herrschaft zu
bringen!
Ich möchte hier einer kleinen Episode Erwähnung thun, die
wohl nur Wenigen bekannt ist. Bischoff war anfänglich den
neuen, von den seinen abweichenden Resultaten gegenüber etwas
misstrauisch, namentlich zweifelte er, ob V o i t die Lieb i g’sche
Titrirmethode im Geiste ihres Entdeckers ausführe. Er ver¬
anlasst« daher seinen Freund Liebig den Assistenten einmal
unauffällig bei einer solchen Titration zu überwachen. Liebig
that Bischoff den Gefallen und das Misstrauen B i s c h o f f’s
war mit einem Schlage geschwunden.
Bis der Kampf um das Stickstoffdefizit ausgekämpft war,
verging eine lange Zeit, und Voit war in seinen äusseren Ver¬
hältnissen über den Assistenten weit hinaus.
Am 8. Oktober 1857 war er als Privatdooent in die medi¬
cinische Fakultät auf genommen worden. Seine ersten Vor¬
lesungen behandelten auch den Ham. Im Allgemeinen aber sehen
wir Voit über Dinge vortragen, die seinem eigentlichen Arbeits¬
gebiet fernlagen. So las er über Nervenphysiologie, namentlich
aber auch über Sinnesphysiologie. In Bezug auf diesen Punkt
haben wir es offenbar mit einer Nachwirkung seines Verkehrs
mit Listing zu thun. Auch verräth sich hier die intime
Freundschaft, die ihn mit Adolf Steinheil verband. Ich
führe diese Thatsacshe hauptsächlich desahalb an, weil sie am
besten geeignet ist, zu zeigen, wie vielseitig Voit trotz seiner
für den Laien so einseitig erscheinenden Beschäftigung ist.
V o i t’s Arbeiten (es kam da nicht bloss das Stickstoffdefizit
in Betracht) verfehlten nicht mächtigen Eindruck zu machen.
Ein Ruf nach Tübingen stellte die Fakultät vor die Wahl, ent¬
weder V o i t zu befördern oder auf ihn zu verzichten. Daraufhin
wurde Derselbe 1860 ausserordentlicher Professor und 1863
ordentlicher Professor der Physiologie, während sein Lehrer
Bischoff nur noch anatomische Vorlesungen abhielt.
Die ganze Thätigkeit V o i t’s war damals, abgesehen von
einigen kleineren Arbeiten zum Theil physiologisch-chemischen
Inhaltes, der fortwährenden Weiterbildung und Anwendung der
exakten Methodik der Stoffwechseluntersuchungen gewidmet.
Anfangs stand dabei Voit ganz auf dem Standpunkte Liebig’-
scher Anschauungen. War es doch dieser gewesen, der prinoipiell
gezeigt hatte, wie man aus der genauen Kenntniss der Ausschei¬
dungen Rückschlüsse machen könnte auf die Zersetzungen der
Stoffe im Organismus. So richtig dieses Princip war, so waren
doch andererseits L i e b i g’s Speculationen der Beobachtung weit
vorausgeeilt und es kann nicht verwundern, wenn Voit bald
Thatsachen fand, welche das gerade Gegentheil von dem waren,
was man damals allgemein, in L i e b i g’s Ideen befangen, an-
nabm. Liebig hatte die Nahrungsstoffe in plastische oder ge-
websbildende einerseits und in Rcspirationsmittel andererseits
eingetheilt. Zu den ersteren gehörten die Eiweissstoffe, zu den
letzteren die Fette und Kohlehydrate. Soweit es sich hierbei
nur um eine Eintheilung der Nahrungsstoffe in N-haltige und
N-freie handelt, wird diese Eintheilung natürlich ihren ewigen
Werth behalten. Aber Liebig war weiter gegangen. Er war
von bestimmten theoretischen Voraussetzungen über die Ursachen
der Stoffzersetzung im thierischen Organismus ausgegangen. Die
Ei Weisssubstanz der Muskeln sollte bei der Arbeit zerstört, ein¬
gerissen werden. Zum Wiederersatz sollte das Nahrungseiwedss
dienen, und diesen Vorgang betrachtete Liebig als den eigent¬
lichen „Stoffwechsel“. Der ausgeschiedene Harnstoff war sein
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1753
Maass (cf. B i s c h o f f’s gleichnamiges Buch 1853). Auf die
Zersetzung N-freior Stoffe dagegen hatte die äussere und
innere Arbeit keinen direkten Einfluss. Das bestimmende Moment
für ihre Zersetzung war der aufgenommene Sauerstoff. Sie
lieferten dabei keine Kraft, sondern nur Wärme.
Waren diese Vorstellungen richtig, so musste die Muskel¬
arbeit einen mächtigen Einfluss auf die Eiweisszersetzung
äussern. Diese Konsequenz der L i e b i g’schen Ideen wollte
V o i t sicher stellen. Wie gross war aber sein Erstaunen, als
exakte Versuche, mit der neu geschaffenen Methodik gewonnen,
das gerado Gcgentheil ergaben. Die Eiweisszersetzung kann trotz
grosser Arbeit ungeändert bleiben, das war das nächste wichtige,
auch heute noch giltige Resultat, das V o i t der Wissenschaft
schenkte.
Man findet häufig in der Literatur auch von Fachleuten, die
es doch so leicht besser wissen könnten, die völlig irrige Meinung
ausgesprochen, als habe V o i t gelehrt: das Eiweiss sei überhaupt
an der Kraftleiatung der Muskeln nicht betheiligt, sei überhaupt
nicht eine Quelle der Muskelkraft. Das ist total falsch; V o i t
hat das nie gelehrt.
Noch nach anderer Richtung trugen V o i t’s Untersuchungen
zum Sturze L i e b i g’scher Anschauungen bei. Mit den ur¬
sprünglichen Meinungen Liebig’s war namentlich eine That-
sache des Eiweissstoffwechscls schwer vereinbar: die Abhängig¬
keit der N-Ausscheidung von der N-Zufuhr. Liebig adop-
tirte, um diesem Ein wand zu begegnen, die sog. Theorie der
Luxuskonsuinption. Darnach sollte nur das im Hunger zer¬
fallende Eiweiss für den Menschen nolhwendig sein, jedes Pias
wäre ein Luxus und fiele der Zerstörung durch den Sauerstoff
anheim. V o i t zeigte, dass auch diese Theorie der Luxuskon-
sumption unhaltbar sei. Er zeigte, dass man einem Hunde
wesentlich mehr Fleisch darreichen muss, als im Hunger zerfällt,
wenn man Eiweissvorhist vom Körper verhüten will.
Im Verlaufe aller dieser Arbeiten klärte V o i t den Eiweiss¬
stoffwechsel gründlich nach allen Richtungen auf. Er corrigirte
L i e b i g’s übertriebene Ansichten über die Bedeutung des
Fleischoxtraktes, untersuchte den Einfluss einer Reihe von Fak¬
toren auf den Eiweissumsatz. Es sei hier nur der Entdeckung
des ersparenden Einflusses der Fette und Kohlehydrate auf den¬
selben Erwähnung gethan. V o i t lehrte, wie man solche Vor- :
suche überhaupt anzustellen habe. Man bringe die Thiero zu¬
nächst in’s Stickst off gleichgew ich t. Das ist die V o i t’sche
Zauberformel, um die es sich hier immer handelt.
Neben diesen Bemühungen V o i t’s um den Eiweissstoff¬
wechsel, liefen andere, um dio weitere Ausbildung der Stoff-
wechselmethodik einher, die nicht weniger fruchtbringend waren.
V o i t erkannte, dass dio bisherige Methode, aus der Aenderung
dos Körpergewichtes einerseits und der N-Ausscheidung anderer¬
seits Schlüsse über die Fettzersetzung im Thierkörper zu machen,
völlig unwissenschaftlich sei und dass ein Apparat für grössere
Tliiore noththue, der, ohne das Thier in ungewohnte Bedingungen
zu bringen, alle Ausgaben de« Thierkörpers genau zu bestimmen
gestatte. Dass er mit Hilfe Pettenkofer’s, seines Lehrers
und Freundes, einen solchen Apparat in den Dienst der Wissen¬
schaft stellte, darin lag das zweite grosso Verdienst
Voit’s um die Ausbildung der Methodik der
Stoffwechseluntersuchung. Es ist bekannt, in
welch’ genialer Weise Pettenkofer die ihm von V o i t ge¬
stellte Aufgabe löste. Der grosse Respirationsapparat wurdo mit
Hilfe der Munificonz Seiner Majestät des Königs Max erbaut
und bewährte sich in für alle Zeiten klassischen Untersuchungen.
Diese wurden von Pettenkofer und V o i t gemeinschaftlich
herausgegebon; aber man weiss, dass der Löwonantheil daran
V o i t zufüllt. Er führte dio eigentlichen Untersuchungen aus
und nur wer ähnliche Versuche selbst an gestellt hat, kann ciniger-
maasscu die Riesenarbeit würdigen, die mit denselben ver¬
bunden war.
Zum ersten Mal war für Mensch und Thier ein exakter,
sich über 24 Stunden erstreckender Bilanzversuch ermöglicht. Es
lies9 sich zeigen, dass der Mensch zwar nicht, wohl aber ein Hund
in der Lage war, von Fleisch allein zu leben. Uoberschüssig zu-
gesetztes Fett zur Nahrung wurde im Wesentlichen einfach ab¬
gelagert. Im Detail auf alle diese Dinge einzugehen, hicsse eine
Geschichte der Lehre des Stoffwechsels schreiben.
In seinem rastlosen Eifer nach Vervollkommnung der Me¬
thodik baute V o i t nach dem Princip des grossen einen Respira-
tionsnpparat für kleinere Tliiere und liess mit ihm durch seine
»Schüler eine grosse Reihe von Untersuchungen ausführen. Wie
berühmt auch dieser kleine V o i t’sche Respirationsapparat ge¬
worden ist, das wurdo mir erst klar, als ich eines Tages in London
das South-Kensington-Museum besuchte und ich mich plötzlich
zu meinem freudigen Erstaunen vor dem mir so heimathlichen
Apparat befand.
V o i t strebte immer nach der einen Wahrheit. Irgendwie
begründete Zweifel an einer früher geäusserten Meinung ist er
stets bereit durch neue Versuche prüfen zu lassen. Erkannte
er einmal irgend einen Mangel, so gab er das stets gerne zu.
„Wer nie etwas gearbeitet, hat auch nie geirrt.“
So stellte Voit seine frühere Meinung richtig, dass aas
Kohlehydraten wahrscheinlich im Organismus kein Fett erzeugt
werde, nachdem Versuche seiner Schüler (Erwin Voit und
K. B. Lehmann, Rubno r) in seinem Laboratorium das
Gcgentheil darthaten.
Ausser den bisher besprochenen wurden aber auch noch eine
ganze Reihe anderer Fragen des intermediären und allge¬
meinen Stoffwechsels in Angriff genommen. So prüfte Förster
V o i t’s Ansichten über das circulirende und Organeiweiss, eine
auch heute noch alle Thatsachen befriedigend erklärende Hypo¬
these, durch intravenöse Injektion von Blut und Eiweisslösungen.
F e d e r verfolgte das Schicksal der Ammoniaksalze im Orga¬
nismus und den zeitlichen Verlauf der Eiweisszersetzung.
Bauer und Voit untersuchten wichtige Fragen der Resorp¬
tion. Schon damals wurde festgestellt, dass besondere Vorgänge
bei derselben obwalten müssen, die mit einfachen osmotischen
Annahmen nicht erklärt werden können. Heidenhain hat
dieses Verdienst um die Theorie der Resorption schon einmal ge¬
bührend hervorgehoben und auch heute noch ist jener V o i t’sche
Standpunkt der einzig mögliche. Daran ändert sich nichts, auch
wenn mau denselben Ausspruch in das moderne physikaliseh-
chemische Gewand kleidet.
Uober den Werth der Aschebcstandtheile förderten Förster
und Erwin Voit wesentlich neue Thatsachen zu Tage. Eine
ganze Reihe von Untersuchungen beschäftigten sich mit dem Ver¬
halten des Glykogencs im Organismas. Voit selbst schrieb
darüber eine sehr wichtige Abhandlung (1891).
Tndom ieh andere Arbeiten, deren Besprechung zu weit
führen würde, übergehe, will ieh nur drei grosse Gesichtspunkte
resp. Gosel ze hervorheben, die im V o i t’schen Laboratorium
fest gestellt wurden.
Man glaubte lange, Anfangs auch Voit noch, dass auch
der Sauerstoff als eine direkte Ursache der Zersetzung angesehen
werden müsse. Voit erkannte aber später die völlige Unab¬
hängigkeit der Zersetzungen von der Sauerstoffaufnahme. Auf
anderem Wege kam Pflüger zur selben Erkenntnis«. Nicht
dio Sauerstoffuufnahme bedingt die Zersetzungen, sondern um¬
gekehrt, die Zersetzungen in den Zellen bedingen die Sauerstoff¬
aufnahme. Das andere Gesetz ist unter dem Namen dee
R u b n e r’sehen Isodynamiogeeetzcs bekannt, indem es R u b n o r
war, der in V o i t’s Laboratorium die betreffenden Untersuch¬
ungen ausführte und dasselbe auf fand. Das Gesetz besagt, dass
unter gewissen einschränkenden Voraassetzungen die Nalirungs-
stoffo sich in den Verhältnissen im Organismus vertreten, in
denen sie gleiche Wärmemengen entwickeln. Eng mit diesem
verknüpft ist das andere von Rubner im V o i t’schen Labora¬
torium gefundene Gesetz, dass für den absoluten Werth der Ge-
sammtwärmeproduktion nicht das Körpergewicht, sondern die
Oberfläche maassgebend sei.
Nach diesem Ueberbliek ül»or V o i t’s Bemühungen auf dem
Gebiete der Lohre vom Stoffwechsel mass ich der anderen grossen
Seite seiner Thütigkoit gedenken, die ganz besonders für die
Hygiene und die Nationalökonomie von Bedeutung
ist, seiner Lehre von der Ernährung. Streng sind beide Gebiete
ja nicht von einander zu trennen. Das jetzt zu Besprechende
enthält ja im Wesentlichen nur die praktische Anwendung des
ersteren, docli treten auch einige selbständige Fragestellungen in
ihr auf.
Wir verdanken Voit, abgesehen von speciellen Vorschriften,
namentlich die Klarstellung wesentlicher Begriffe. Im Anschlüsse
daran stellte Voit gewisse Erfordernisse auf für jede Nahrung.
Zunächst muss jeder Nahrungsstoff in genügender Menge vor¬
handen und resorbirbar sein. Die einzelnen Stoffe müssen im
richtigen Verhältniss stehen. Ausserdem gehören die nöthigen
Genussmittel dazu.
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1754
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
Eine Reihe von Arbeiten, theils V o i t’s selbst, tlieils seiner
Schüler, waren nun darauf gerichtet, für praktische Ernährung
brauchbare Zahlen im Sinne der aufgestellten Grundsätze zu
gewinnen. Ich erinnere hier an die praktisch so wichtigen Aus-
nützungsversuehe (Rubner, Meyer, P r a u s n i t z), an die
Untersuchungen über das Kostmaass (cf. Voit: Die Kost in
öffentlichen Anstalten, Zeitsehr. f. Biologie, Bd. —. Derselbe:
Anhaltspunkte zur Beurtheilung des sogen, eisernen Bestandes
der Soldaten. Voit, Forster, Renk und Schuster:
Untersuchung der Kost in einigen öffentlichen Anstalten. Voit,
im Handbuch für Gefängnisswesen etc.)
Man kann ohne Uebertreibung sagen, dass jetzt in der ganzen
Welt die V o i t’schen Ideen bei der Massenernährung berück¬
sichtigt werden. Die 118 g Eiweiss, 56 g Fett und 500 g Kohle¬
hydrate, die Voit für einen mittleren Arbeiter verlangte, sind
berühmt geworden. Die dogmatische Bedeutung, die diesen
Zahlen von mancher Seite beigelegt wurde, sollten sie übrigens
nie haben.
Aber nicht nur in der Ernährung des Menschen waren
V o i t’s Untersuchungen epochemachend. Sie dienten auch
zum Segen der Land wir tli seli aft, indem eine rationellere Er¬
nährung unserer Hausthiere durch seine Arbeiten gleichfalls in
die Wege geleitet wurde. Die Verleihung der goldenen Liebig-
Medaille galt diesen Verdiensten.
Bisher handelte es sich im Wesentlichen um die Verhält¬
nisse beim gesunden Menschen und dem gesunden Thicre. Al>er
auch für den Pathologen verdankt die Wissenschaft Voit und
seiner Schule werthvolle Aufklärungen. Um nur Einiges her¬
vorzuheben, so sei an die Untersuchungen V o i t’s und Petten-
kofer’s am Diabetiker, Leukaemiker und Pleuritiker er¬
innert. Das grosse Werk über „Ernährungstherapie“, das
L e y <1 e n herausgegeben hat, wäre nicht möglich gewesen ohne
V o i t’s Wirken.
Die meisten der bisher erwähnten Abhandlungen von Voit
und seinen Schülern sind in der Zeitschrift für Biologie, ent¬
halten, die. er mitbegründete und jetzt seit dem Tode seines
Freund«*« Kühne allein herausgibt. Andere, da runter auch
eine Reihe meisterhafter Nekrologe, finden siel» in den Sitzungs-
liericliteu und Schriften der bayerischen Akademie, der er seit
1865 als Mitglied, seit 1.882 als Klassensekretär der mathematisch-
physikalischen Klasse angehört. Ein kleiner Theil erschien in
Licbig’s Annalen, in den Sitzungsberichten der G^ellschaft
für Morphologie und Physiologie zu München und der Münchener
medieinischen Wochenschrift. Ein Rest ist zerstreut. Von
selbständig erschienenen Werken ist namentlich noch die Physio¬
logie des allgemeinen Stoffwechsels und der Ernährung zu nennen
als Theil von . Ile r m a n n’s Handbuch der Physiologie. Ein
vollständiges Verzeichniss aller Arbeiten findet sieh in den
Almanachen der Akademie.
Nicht nur aus dem Inlande, aus allen Welttheilen kamen
Schüler zu Voit. Viele derselben sind sowohl au deutschen,
wie an auswärtigen Hochschulen Inhaber von Lehrstühlen und
Zierden des ILehrkörpers, dein sie angehören.
Neben dieser Ehrung, die ihm seine Schule schuf, fehlte es
einem Manne wie Voit selbstverständlich auch nicht an
äusseren Anerkennungen, denen er selbst zwar in seiner Be¬
scheidenheit nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen suchte.
So ist er Inhaber des Kronenordens und gehört dem Kapitel de«
Maximiliansordens für Kunst und Wissenschaft an.
Ich würde Wesentliches unberücksichtigt lassen, wollte ich
nicht kurz der bedeutenden Verdienste um den physiologischen
Unterricht, sowie der persönlichen Eigenschaften des Jubilars
gedenken. Als akademischer Lehrer zeichnet er sich besonders
durch klaren, angenehmen Vortrag aus, der seinen hervorragendem
Rcdnereigenschaften entspricht. Im persönlichen Verkehr ist er
stets von zuvorkommender Liebenswürdigkeit. Seine bekannteste
Eigenschaft ist seine das gewöhnliche Maass weit überragende
Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue. Von früh bis spät ist er
auf das emsigste thiitig. Das Einzige, worüber er manchmal
klagt, ist, dass seine übrigen Berufspflichten ihm nicht mehr so
wie früher gestatten, persönlich an den Untersuchungen sich zu
betheiligen. Oft erklärte er, dass er seine Assistenten um die
schöne Zeit beneide, die denselben für wissenschaftliche Arbeit
zu Verfügung steht.
In voller geistiger und körperlicher Rüstigkeit steht Voit
vor uns. Möge der allverehrt« Lehrer dem Kreise der Seinen,
seinen Schülern und Freunden und vor Allem auch der Wissen¬
schaft noch lange, lange erhalten bleiben! Den schön¬
sten Lohn für seine Thätigkeit möge er in dem Be¬
wusstsein dessen finden, was er für alle Zeiten ge¬
leistet ! Gibt es doch keinen zweiten Menschen, auf den
besser passt, was Donders so schön in seinem kleinen Buche
über die Nahrungsstoffe ausdrückt: „Wer mit aller ihm inne¬
wohnenden Kraft an der Entwicklung dieser Kenntnisse arbeitet
und mit Ausdauer den Resultaten seiner Untersuchung Eingang
zu verschaffen bestrebt ist — der arbeitet auf breiter Basis au
der Entwicklung der Menschheit“.
Ad multos annos!
Georg Friedrich Louis Thomas.
Ende Oktober wird in Freiburg i. B. das 25 jährige Doppel¬
jubiläum von Geh.-Rath B ä u m 1 e r als Direktor der medicin.
Klinik und Ilofrath Thomas als Direktor der medicin. Poli¬
klinik festlich begangen. Des Ersteren ist in dieser Wochen¬
schrift schon gedacht worden. Mögen diese Zeilen dem verdienst¬
vollen Wirken des zweiten Jubilars gerecht werden.
L. Thomas wurde am 22. Januar 1838 in Möckern bei
Leipzig als Sohn des späteren Schuldirektors Thomas geboren.
Nach Absolvirung dos Gymnasiums in letzterer Stadt widmete
er sich daselbst dem Studium der Medicin von 1855 bis 1860 und
promovirte im Dezember dieses Jahres mit einer Dissertation:
De albuininuria. Nach halbjähriger Assistentenzeit an der chir¬
urgischen Klinik in Rostock war er von Sommer 1861 bis Früh¬
jahr 1865 I. Assistent der medieinischen Klinik in Leipzig
unter Wunderlich. Anfangs 1864 habilitirte er sich und
erhielt, im Juli 1865 die Leitung der offiziellen Distriktspoli¬
klinik. 1868 zum Professor extraord. ernannt, folgte er 1876
einem Rufe an die Universität Freiburg i. B. als ordentlicher
Professor der Hcilmittcllchre und Direktor der medieinischen
Poliklinik.
In der Leipziger Zeit entstanden eine grosse* Zahl wissen¬
schaftlicher Arlx-itcn, meist, aus dein Gebiete der Kinderheil¬
kunde, welche Thomas besonders pflegte. Es seien davon nur
horvorgchol>cn die vielcitirtcu Abhandlungen über die akuten
Exantheme in Ziemss e n’s Handbuch der speeiellen Pathologie
und Therapie, sowie die Bearbeitung der Kapitel Croupöse Pneu¬
monie und Nephritis in Gerhard t’s Handbuch der Kinder¬
krankheiten.
Seine Freiburger Thätigkeit ist ausserordentlich vielseitig.
Neben Vorlesungen über Arzneimittel- und Verordnungslehre,
über Balneologie und Klimatologie, welch’ letztere Wissenschaft
er durch eigene Studien bereicherte, wirkt er in der Poliklinik
in einer für die Studirenden und Kranken gleich segensreichen
Weise. Was die Studenten besonders zu ihm hinzieht, ist. die
schlichte Art. in der er seinen Schülern auch persönlich nahe,
tritt, und der einfache, auf das Praktische gerichtete Vortrag.
Dem Lieblingsfache, der Kinderheilkunde, ist er auch hier
treu geblielien und hat in nicht rastender Thätigkeit die Erbauung
eines Kinderkrankenhauses du rehgesetzt, welches 1887 eröffnet
und ganz neuerdings durch einen allen Anforderungen «1er Jetzt¬
zeit entsprechenden Bau für Infektionskrankheiten vergrössert
wurde. Auch diese Anstalt wird von ihm geleitet und in der¬
selben regelmässig Kinderklinik abgehalt.cn. Damit hat er der
Universität ein weitere« klinisches Institut geschaffen und fiir
die Studirenden die Ausbildung in der Kinderheilkunde in vol¬
lendeter Weise ermöglicht.
Neben dem Lehren hat Thomas auch die wissenschaftliche
Thätigkeit nicht vergessen. Ich möchte vor Allem anführen die
Bearbeitung des zweiten (semiotischen) Theils des bekannten
Handbuches der Harnanalyse von Neubauer und Vogel.
Seine klinischen und sonstigen Beobachtungen überlässt er
meist in selbstloser Weise Studirenden zu Dissertationen, deren
Zahl bereits eine sehr erhebliche geworden ist.
Zu dieser reichen akademischen Thätigkeit kommt eine be¬
deutende Privat- und Konsultationspraxis, die ihn weit im
badischen Lande und besonders im ganzen Schwarzwald herum¬
führt. Seine schon hervorgehobene einfache, schlichte Art macht
ihn dabei bei Aorzten und Patienten gleich beliebt.
Auch die Bürgerpflichten werden darüber von Thomas
nicht vernachlässigt, und als Polikliniker wie als Mitglied des
Armenraths lindert er mit seiner allgemein bekannten Menschen¬
freundlichkeit und Milde nach allen Kräften soziales Elend.
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1755
Ein weiterer nicht zu übergehender Zug im Wesen unseres
Jubilars ist sein tiefes Verständniss für landschaftliche Schön¬
heit und seine wahre Freude an der schönen Schwarzwaldnatur,
die er in häufigen, oft langen Wanderungen bei grösster Massig¬
keit geniesst. So hat er sich einen gesunden, äusserst leistungs¬
fähigen Körper erhalten und ist den Schülern auch in seiner
Lebensführung ein Vorbild hygienischer Körperpflege.
Seine 18S0 geschlossene Ehe, welcher 4 Söhne entsprossen
sind, ist das Muster eines schönen und gesunden Familienlebens.
Und so haben wir denn zum Feste nur den Wunsch: Möge er uns
noch lange Jahre in Frische und Arbeitskraft erhalten bleiben.
R.
Referate und Bücheranzeigen.
Hamburg in naturwissenschaftlicher und medicinischer
Beziehung. Mit 254 Abbildungen im Text und 5 Tafeln. Ham¬
burg, Leop. Voss, 1901.
Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im 19. Jahr¬
hundert. Mit 76 Abbildungen im Text und 3 Tafeln. Ebenda,
1901.
Die allgemeinen Krankenhäuser und Irrenanstalten der
freien und Hansastadt Hamburg. Mit 94 Abbildungen im Text
und 2 Tafeln. Ergänzungsband der Jahrbücher der hamburg.
Staatskrankenanstalten, herausgegeben von Prof. Dr. len-
hart z, Direktor Dr. Bey e und Direktor Dr. D e n e k e.
Ebenda, 1901.
Obige 3 Werke, welche allen ärztlichen Theilnehmern der
73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Ham¬
burg überreicht wurden, werden voraussichtlich demnächst im
Buchhandel zu haben sein, so dass auch an dieser Stelle ein
empfehlendes Wort angezeigt erscheinen dürfte. Die zuerst ge¬
nannte Festschrift bringt nach einer allgemeinen Einleitung
über die Topographie, Flora und Fauna Hamburgs eine Be¬
schreibung aller naturwissenschaftlichen und Krankenanstalten
der Stadt, von deren letztgenannten nicht weniger als 26 auf¬
geführt werden, ferner das Krankentransportwesen und die Kran¬
kenfürsorge in der öffentlichen Armenpflege. Alsdann folgt eine
Darstellung in der öffentlichen Gesundheitspflege im ham-
burgischen Staatsgebiet mit seinen hygienischen und medicinal-
polizeilichen Anstalten, sowie den der Gesundheitspflege dienen¬
den Anlagen, wie Wasserversorgung, Sielanlagen, Abfuhr u. dgl.
Den Beschluss macht eine kurze Darstellung der ärztlichen Stan¬
desvertretung und eine Beschreibung der Bibliotheken und
wissenschaftlichen Vereine. Das zweite Werk ist eine Frucht ge¬
meinsamer Arbeit der Aerzte des Hamburger Medicinal-
kollegiums und enthält eine Geschichte der Gesundheitsverhält¬
nisse und Krankbeiten Hamburgs im vorigen Jahrhundert, so¬
weit dies nach dem vorliegenden Zahlenmaterial möglich war.
Der 1. Theil behandelt solche städtische Zustände und Einrich¬
tungen, die, wie Klima, Bevölkerung, Wasserversorgung, Wohn¬
ungen u. dgl., von Einfluss auf den Gesundheitszustand der Be¬
wohner gewesen sind; der 2. Theil stellt die thatsächlich ge¬
wordenen Gesundheitsverhältnisse an der Hand der Geburten,
.Sterbefälle, Säuglingsmortalität und Infektionskrankheiten dar;
der 3. Theil fasst die Ergebnisse der beiden ersten Abschnitte
als Rückblick und Ausblick zusammen. Das dritte Werk gibt eine
ausführlichere Darstellung der in der erstgenannten Festschrift
schon beschriebenen Staatskrankenhäuser Hamburgs und einen
Rückblick auf deren Entstehungsgeschichte. Besitzer der grossen
Festschrift werden diese, obwohl specieli für Aerzte berechnete
Schrift entbehren können.
Wenn die erste und letzte der vorliegenden Schriften mehr
von lokalem Interesse sein mögen, so beansprucht die Arbeit des
Medicinalamts eine weit darüber hinaus gehende Bedeutung.
Wenn man sieht, dass ein grosses Gemeinwesen, wie Hamburg,
welches im vergangenen Jahrhundert 3 grosse Cholera- und eine
nicht minder verderbliche Pockenepidemie durchzumachen hatte,
in seiner Gesammtsterblichkeit mit Einführung der sanitären
Anlagen stetig heruntergeht und Dank derselben jetzt zu einer
der gesündesten Städte Deutschlands geworden ist, so verlohnt
es sich wohl der Mühe, den Ursachen dieser Verbesserung an der
Hand des sorgfältig bearbeiteten statistischen Materials nachzu-
golion. Es lässt sich deutlich verfolgen, wie zuerst die Kanali¬
sation und die verbesserten Wohnungsverhältnisso nach dem
No. 44.
grossen Brande 1842 den Grundstein zur allgemeinen Sanirung
der Stadt legten, wie seit der Einführung des Impfgesetzes die
Pocken verschwanden, aber auch, dass erst seit 1893 mit Ein¬
führung der allgemeinen centralen Wasserfiltration, unterstützt
durch die planmässigen Desinfektionen bei ansteckenden Krank¬
heiten und verschiedene Maassnahmen der öffentlichen Hygiene
das jetzt vorhandene glänzende Resultat erzielt wurde. Ist doch
die Gesammtmortalität allein in den letzten 4 Jahren des Jahr¬
hunderts von 250 auf 172, also um 78 auf 10 000 Einwohner ge¬
sunken. Annähernd gleich mit Hamburg stehen jetzt nur noch
Altona, Berlin, Bannen, Elberfeld und Hannover, überlegen sind
ihm um ein Geringes Bremen und Frankfurt a. M., während alle
anderen Städte erheblich ungünstiger daran sind, so auch z. B.
selbst München um fast 6 auf 1000 Einwohner (23,5:17,9).
Dass neben den allgemeinen hygienischen Maassuahmen auch
die grossartige Ausgestaltung der öffentlichen Krankenhäuser
ihren Antheil an der Herabminderung der Gesammtsterblichkeit
hat, ist selbstverständlich. Wie weit die einzelnen Faktoren
sich hieran betheiligt haben, möge man in den Originalschriften
nachlesen, deren Studium jedem Arzt empfohlen werden kann.
Die vornehme Ausstattung der Festschrift, für welche der Ham¬
burger Staat die Summe von 25 000 M. zur Verfügung gestellt
haben soll, gereichen dem Verleger und Drucker zu grosser Ehre.
Zur Chirurgie der Bauchhöhle. Aus dem Allge¬
meinen Kranken hause Hamburg-Eppendorf,
Abtheilung von Dr. II. K ü m m e 11, I. Chirurg.
Oberarzt. (Mittheilungen aus den hamburg. Staatskranken-
anstalten, Bd. III, H. 3, 1901, Verlag von Leop. V o s s in Ham¬
burg.)
Monatshefte für praktische Dermatologie, Bd. 33, No. 7,
1901, Verlag von Leop. Voss in Hamburg.
Auch diese beiden Schriften sind den Theilnehmern der dies¬
jährigen Naturforscherversammlung gewidmet, enthalten aber
natürlich nur wissenschaftliche Arbeiten von allgemeinem Inter¬
esse. In der erstgenannten Schrift hat Kümmell, wohl einer
der erfahrensten auf dem Gebiete der Bauchchirurgie, das grosse
Krankenmaterial des Eppendorfer Krankenhauses aus den letzten
5% Jahren zusammengestellt und einzelne Gebiete daraus dureli
seine Assistenten bearbeiten lassen. Es sind über 1000 Laparo¬
tomien, welche der Arbeit zu Grunde gelegt werden konnten,
darunter allein 528 Darmoperationen, 194 Operationen am
Magen, 182 an der Leber und den Gallen wegen, 2 Milz- und
8 Pankreasexstirpationen u. s. f. K. selbst hat die Einleitung ge¬
schrieben, in welcher er über die von ihm geübte Technik be¬
richtet. Es folgen Beiträge zur Chirurgie des Magens von
Ringel, der Darmcarcinome und narbigen Darmstrikturen von
Aichel, Hildebrandt und W i e t i n g, der Erkrankungen
der Leber und Gallenwego von Sudeck, der Pankreaserkran¬
kungen und Fettgewebsnekrose von Tschirschwi tz, über
Dauerresultate der operativen Behandlung der tuberkulösen
Peritonitis von Thoenes, über Perityphlitis von Scholz,
über entzündliche Adnexerkrankungen von Flockcraan n,
über Extrauterinschwangerschaft von Rumpel.
Von weitgehendstem Interesse dürfte Scholz’ Arbeit über
Perityphlitis sein, da ihr sämmtliche Fälle von Appciulicitis zu
Grunde gelegt sind, die seit 1888 auf der innern und seit Ende
1895 auf der chirurgischen Abtheilung des Krankenhauses zur
Behandlung kamen, im Ganzen 850 Fälle, von denen 655 zur
ersten und 195 zur zweiten Gruppe gehören. Die Gesammt-
mortalität betrug 4,7 Proc., die der Operirtcn 11,5 Proc. K. unter¬
scheidet leichte, mittelschwcro und schwere Fälle
und stellt danach seine Prognose und Indikationen zur Opera¬
tion. In den leichtesten Fällen wird die Eis- und Opiumtherapie
angewandt, in den schweren Fällen von Peritonitis wird sofort
operirt. In den mittelschweren Fällen wartet K. ab, so lange
der Allgemeinzustand gut ist. Wird der Puls schlechter, ist ein
deutlicher Abscess vorhanden oder steigt die Temperatur, so wird
sofort operirt. In anderen Fällen hat K. gewartet und viele, selbst
schwere Fälle zur Heilung kommen sehen. Manche wurden dann
noch später im intermediären Stadium mit Erfolg operirt. lv.
steht mit seinen Anschauungen im Gegensatz zu manchen Chi¬
rurgen, wie Rehn und Sprengel, die jode Appendicitis so¬
fort operiren wollen, während Sonnonburg, der früher eben¬
so radikal dachte, jetzt konservativer geworden ist. lv.’s Rosul-
fi
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1756
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
täte beweisen vollauf die Berechtigung des von ihm stets ver¬
tretenen Standpunktes.
Die übrigen Arbeiten des Heftes seien besonders den Chirur¬
gen zum Studium empfohlen.
Die Abhandlungen des Monatsheftes für prak¬
tische Dermatologie sind von Hamburger Dermatologen
verfasst und behandeln wissenschaftliche und praktische Fragen
aus dem Gebiet ihrer Spccialwissenschaft. So berichtet Appel
über ein neues Hautmittel „Sapolan“, Arning über die Be¬
handlung der Furunculosis, Herz über die Therapie der Prosta¬
titis chron. blennorrhoica. Leist ikow über die Ichthargan-
behandlung der chron. Gonorrhoe, sowie Dorst-Delbanco,
Lochte, Pappen heim, Unna, Werner und West¬
berg über verschiedene mikroskopische und klinische Befunde.
Auch in diesem Hefte findet nicht nur der Specialist, sondern
auch der Praktiker mancherlei von allgemeinem Interesse.
J a f f e - Hamburg.
Dr. August Hoffmann -Düsseldorf: Pathologie und
Therapie der Herzneurosen und der funktionellen Kreislaufs¬
störungen. Mit 19 Textabbildungen. Wiesbaden, Verlag von
J. F. Bergmann, 1901.
Wie II offmann in der Vorrede seines Werkes schreibt, hat
er in demselben den Versuch gemacht, die funktionellen Kreis-
laufsstürungcn gewissermaassen als Supplement zu einem Hand¬
buch der Herz- oder Nervenkrankheiten zu behandeln. Es ist ge¬
wiss verdienstlich, die in den Lehrbüchern sehr zerstreuten An¬
gaben über die sog. Herzneurosen in einem geschlossenen Werke
zusammenzufassen, aber es ist dies auch eine sehr schwierige Auf¬
gabe. Denn das Gebiet, um das es sich hiebei handelt, ist vor¬
läufig noch recht unvollständig von den anderen Kapiteln der
Herzstörungen abzugrenzen, besonders gegenüber den Herz-
nniskelcrkrankungen, und es lässt sich nicht vermeiden, dass
unsere an so vielen Punkten noch nicht geklärte Einsicht in die
Vorgänge das schöne Einordnen des Stoffes in gut abgegrenzte
Kapitel verhindert. Bis zu einem gewissen Grade wird das bei der
Darstellung von nicht in Paragraphen unterzubringenden bio¬
logischen Dingen auch stets der Fall sein. Was Verfasser in
seinem mit einer enormen Litera tu rkenntniss geschriebenen
Werke als zum Gebiet der nervösen Kreislaufsstörungen gehörig
betrachtet wissen will, erhellt am besten aus einer kurzen Ueber-
sicht des speciellen Theiles. Er bespricht da: die funktionellen
Störungen seitens des Herzmuskels und die akute Herzdilatation,
die Herzstörungen bei Vergiftungen, die Herzerscheinungen bei
fieberhaften Erkrankungen, dio Störungen des Kreislaufs bei
Konstitutionskrankheiten, bei den organischen Erkrankungen des
Nervensystems, bei den funktionellen Neurosen, ferner die sog.
reflektorischen Störungen der Herzthätigkeit, die Herzanomalien
bei den Erkrankungen der Leber, der Nieren, der Lungen. End¬
lich finden gesonderte Darstellung die Adam-Stokes’sche
Krankheit, die paroxysmale Tachykardie, die Basedow’sche
Krankheit; den Schluss des so reichen Inhalts bilden die Gefäss-
neurosen. Im Allgemeinen wollte II. alle diejenigen Erkran¬
kungen der Kreislaufsorgane schildern, welche ohne nachweisbare,
sichere anatomische Erkrankung der Klappen, der_Muskulatur
oder der Blutgefässe des Herzens einhergehen. Eine schärfere
Scheidung wird erst dann möglich werden, wenn wir gelernt
haben werden, dio „molekularen Veränderungen“, welche heute
noch als Grundlagen der .sog. Herzneurosen supponirt werden,
als etwas anders zu erkennen, als eine euphemistische Bezeichnung
der Grenzen unserer Wissenschaft. Der allgemeine Theil des
Werkes enthält einen gedrängten Abriss der Herzphysiologie,
über die ja gerade in der Heimathstadt des Verfassers vor
3 Jahren, bei Gelegenheit der damaligen Naturforscherversamm¬
lung, ein scharfer Kampf geführt wurde, ferner eine Darstellung
der Untersuchungsniethoden, der Symptome bei den funktionellen
Herzkrankheiten, sowie der Prognose und allgemeinen Therapie
derselben. Hinsichtlich des Verhältnisses der funktionellen zu
den organischen Erkrankungen des Herzens steht H. auf dem
Standpunkt, dass erstcre nicht so selten als Vorläufer der letz¬
teren sich darstellen. Schon daraus erhellt die Bedeutung ihrer
rechtzeitigen Erkennung. Ob man, wie es H. tliut, in Abrede
stellt, dass eine funktionelle Erkrankung förmlich in eine orga¬
nische sich verwandeln kann, scheint mir gegenüber eben ge¬
kennzeichneter Stellung ohne Belang. Hinsichtlich der Rolle,
die frühere syphilitische Infektion spielen kann, möchte Referent
noch auf Grund eigener Untersuchungen anfügen, dass hiebei
2 Momente berücksichtigt werden müssen; einerseits kann — aber
meiner Ansicht nach in doch ziemlich seltenen Fällen — eine
lange Jahre zurückliegende syphilitische Infektion für die An¬
nahme einer organischen Erkrankung des Herzens verwerthet
werden; andererseits aber kommen funktionelle Störungen des
Kreislaufes gerade in den früheren Stadien der Syphilis mit ganz
ausserordentlicher Häufigkeit vor. Wenn in der Anamnese eines
derartigen Kranken daher eine noch relativ frische, über das
sekundäre Stadium noch nicht hinausgekommene Syphilis auf¬
findbar ist, so wächst die Wahrscheinlichkeit, dass wir es in dem
betreffenden Falle nur mit einer funktionellen Erkrankung des
Herzens zu thun haben, in hohem Maasse. Nach meinen Er¬
fahrungen muss unter den Konstitutionskrankheiten, bei denen
häufig funktionelle Erkrankungen des Kreislaufs beobachtet wer¬
den, nach Chloroso und Anaemie gleich auch die Syphilis in
ihrem Sekundärstadium genannt werden, und zwar im Sinne
einer primären Ursache funktioneller Herzstörungen. Das H.’sehe
Werk sei der Aufmerksamkeit aller Aerzte wärmstens empfohlen.
Grassmann - München.
Felix D 6 v 6: De PEchinococcose secondaire. Paris, Socictc
d’Editions scientifiques, 1901. 256 Seiten. 8° Mit 7 Fig.
Diese gründliche Arbeit, welche als These de Paris, praeside
R. Blanc hard erschienen ist, wird für Parasitologen und
Chirurgen von grossem Interesse sein. Die darin zu Tage tretende
Kenntniss des französischen und deutschen Schriftenthums ist
sehr achtenswerth. Die Ergebnisse lassen sich in folgende Sätze
fassen: Die operativ, traumatisch oder spontan erfolgende Er¬
öffnung (rupturc) einer llydatide setzt eine Anzahl specifischcr
Keime in Freiheit, die sich irgendwo festsetzen (greffor, ein¬
impfen) können, wodurch sekundäre Echinococccu entstehen.
Diese Keime können Scolices oder Tochterblasen sein. Diese
„Greffe“ kann örtlich begrenzt oder weit ausgebreitet (z.B. in einen
serösen Sack) sein, sie kann auch auf dem Wege des Kreislaufs er¬
folgen (embolisch!). Praktische Folgen sind die Vermeidung
aller, auch der diagnostischen Punktionen, grösste Vorsicht bei
chirurgischen Eingriffen (worauf schon Volkmann aufmerk¬
sam gemacht hat). Der Eröffnung der Cysten soll eine parasiten-
tödtonde Einspritzung vorausgehen. Verfasser hofft auch von
dem Studium der sekundären Echinococcen Klarheit in einigen
dunklen Punkten der Geschichte des fraglichen Parasiten zu
gewinnen.
In Deutschland ist die praktische Seite der Frage längst in
Angriff genommen, so von Krause (in Volkmann’s Vorträgen
1S88), von F. König jun. 1890, von Hohl 1892, von R i e -
m ann 1899. Zuerst hat R. Volkmann 1877 die Gefahr der
Keimzerstreuung klar geschildert.
Die Verdienste V o 1 k m a n n’s werden auch von unserem
Verfasser voll anerkannt. Ausser der historischen Partie sind
auch die Experimente Dev e’s beachtenswerth, da eine grössere
Anzahl derselben zu positiven Ergebnissen geführt hat.
Eine sehr gute Zusammenstellung der bisherigen Beobach¬
tungen finden wir pag. 61—93.
Im 2. Theil gibt der Autor eine Kritik der verschiedenen secun-
dären Lokalisationen des Parasiten. Es kann hier bemerkt werden,
dass R. Leuckart in der 2. Auflage die vielfachen Echino¬
coccen nur auf Masseninvasion zurückführt. Da ein reifes Glied
der Taenia Echinococcus etwa 500 Keime enthält, so könnte man
sich die Sache wohl erklären. Aber mit der Möglichkeit einer
Keimzerstreuung hat der grosse Zoolog nicht gerechnet.
Von Interesse ist die milde Beurthcilung, welche Deve
unserm H. Klencke zu Theil werden lässt. Er nennt ihn
„esprit brillant, curieux“. Bekanntlich hat Klencke, der Ver¬
fasser von 200 Schriften, im Jahre 1844 eine 168 Seiten starke
Schrift „lieber die Contagiosität der Eingeweidewürmer, nach
Versuchen“ herausgegeben, welche C. Th. v. S i eb o 1 d in seinem
Berichte über dio Leistungen im Gebiete der Helminthologie in
den Jahren 1843 und 1844 geradezu vernichtend kritisirt. Gleich¬
zeitig haben auch J. Henle und Bischoff in Canstatt’s
Jahresbericht etc. mit Indignation den Stab über Klencke’s
Arbeiten gebrochen. J. Ch. Huber- Memmingen.
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1757
Prof. I)r. Heinrich Obersteiner: Anleitung beim
Studium des Baues der nervösen Centralorgane im gesunden
und kranken Zustande. Vierte, vermehrte und umgearbeitete
Auflage. Mit 250 Abbildungen, 680 Seiten. Leipzig und Wien,
D e u t i c k e, 1901. Preis M. 17.—.
Das an dieser Stelle bereits in den früheren Auflagen be¬
sprochene Buch hält vollkommen Schritt mit der Entwicklung der
Ilirnanatomie. Alle nennenswerthen Errungenschaften der letz¬
ten Jahre sind darin berücksichtigt und zwar nicht bloss durch
Einschiebung in den alten Text, sondern, wo immer es wünschbar
war, durch Umarbeitung betreffender Abschnitte.
Durch ausgiebigere Benutzung verschiedener Typen ist trotz
des grossen Umfanges die Uebersichtlichkeit erhöht worden.
Bleuler- Burghölzli.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medicin. 1901. 43. Bd. Heft
5 und 0.
39) A. Pappenheini: Beobachtungen über das Verhalten
des Knochenmarks beim Winterschlaf, in besonderem Hinblick
auf die Vorgänge der Blutbildung.
IMe mit allem Kaftinemeut der modernen Bluthistologie aus-
geführten Untersuchungen wurden an Zieseln vor, während und
nach dem Winterschlaf vorgenommen. Während des Winter¬
schlafes tritt entsprechend der allgemeinen Körperreduktion eine
einfache Atrophie und fettige Degeneration des Markes ein. Nach
Beendigung des Winterschlafes erfolgt sehr rasch eine Regenera¬
tion des Malkes, schon nach wenigen Stunden findet sich rothes
Mark, mikroskopisch ein Zustand, den mau am besten als „Rei¬
zungsmark“ bezeichnet. Belm Winterschlaf ist der Schlaf das
Primäre; eine eigentliche Anaemie besteht nicht.
Zum Schlüsse betont der Verfasser, dass alle Anaemlen sekun¬
där sind — es handelt sich stets um eine mehr oder minder grosse
relative Insufücienz der haemoglobinbildeuden Knochenmarks
funktion gegenüber dem nothwendlgen Bedarf an Blut — und
gibt eine -Eintheilung der klinisch wichtigen Anaemien. Je nach¬
dem der Blutverbrauch vergrössert oder das Blutbildungsorgan
beeinträchtigt ist, unterscheidet er primär haemophthlsische An¬
aemien (traumatische und toxogene, dazu auch die pernieiöse A.
gehörig) und primär myelophthisische.
20) Speck- Dillenburg: Abkühlung, Lichtwirkung und
Stoffwechselbeschleunigung.
Verfasser wendet sich gegen die Kritiklosigkeit, welche
manche übereifrige Anhänger der physikalischen Heilmethoden an
den Tag legen. Eine Einwirkung der Abkühlung (kalter Bäder)
und namentlich der Belichtung auf den Stoffumsatz wird ent¬
schieden in Abrede gestellt. Es gibt nur ein Mittel den Stoff¬
wechsel anzuregen, das ist die Muskelthätlgkeit.
21) Volhard: Ueber das fettspaltende Ferment des
Magens. (Aus der med. Klinik, Geh. Rath Dr. Riegel, Giessen.)
Die Abhandlung beschäftigt sich mit dem genaueren Studium
des vom Verfasser uaehgewiesenen Fermentes. Es ist wie das
Lab- und Popsinforinent im Schleimhautextrakt nicht als solches,
sondern als Zymogen vorhanden. Dementsprechend verhalten sich
Magensaft und Schleimhautextrakt verschieden. Gegen Alkali
ist das Ferment im Magensaft sehr empfindlich, gegen Salzsäure
ist es aiier resistenter als das Schleiinhautextrakt. Mit dem Lab-
und Pepsinferment bestehen auch sonst Analogien: die Ver¬
dauungsprodukte verhalten sich wie die Quadratwurzeln der Fer-
mentmengeu (Schütz - Borlsso w’sches Gesetz). Bei Achylien
ist auch die Sekretion des fettspaltenden Fermentes herabgesetzt,
ebenso bei stärkeren Graden von Il.vperacidität.
22) Bloch: Beiträge zur Haematologie. (Aus dem städt.
Krankenhaus Moabit-Berlin, Geh. Rath Prof. Renvers.)
Die sehr eingehenden Untersuchungen, welche sich knum in
den Rahmen eines Referates zwingen lassen, befassen sich haupt¬
sächlich mit der Morphologie der rothen Blutkörperchen. Was die
normalen Verhältnisse betrifft, so kommt Verfasser zu dem Er-
gebniss, dass eine feinere Struktur der Erythroeyten einstweilen
nicht festzustellen ist und dass wir bis auf Weiteres ein homogenes
Aussehen der intakten und normalen rothen Blutzellen annehmen
' müssen. Dagegen sind eine Reihe von Veränderungen in Krank-
heitszuständeu bekannt geworden. Unter diesen beschäftigt sich
Verfasser besonders mit der körnigen Punktiruug des Cytoplas¬
mas. Das Hauptinteresse an dieser Erscheinung ist ein theo¬
retisches. ITaktisch ist sie nur insofern wichtig, als sie als erstes
und einziges Zeichen einer krankhaften Veränderung bestehen
kann, wo alle sonstigen Symptome noch fehlen; so bei Bleiintoxi¬
kation. wahrscheinlich auch bei der Tropeuanaemic. Sonst be¬
sitzt sie keine diagnostische oder prognostische Bedeutung. Was
die Natur der Körnchen in den puuktirten Erythroeyten betrifft,
so können sie aus verschiedenen Gründen, deren Erörterung im
Original naehgesehen werden muss, nicht als Zerfallsprodukte des
Zellkernes aufgefasst werden. Der Keruverlust der Erythroeyten
hat damit nichts zu thun; er erfolgt in ganz anderer Weise und
zwar ist wahrscheinlich die Möglichkeit der Entkernung eine
doppelte: durch Kernaustritt und durch intracellulären Kern¬
schwund. Bei der körnigen Degeneration der Erythroeyten han¬
delt es sich vielmehr wahrscheinlich um bestimmte regressive Ver¬
änderungen, wobei es vielleicht zur Ausscheidung eines normaliter
im Zellsaft gelösten Eiweiss- oder ei weissartigen Körpers kommt.
Näheres lässt sich einstweilen nicht aussagen.
23) Xeuberg; Ueber die wichtigsten Fortschritte auf dem
Gebiete der Chemie und Physiologie der Kohlehydrate. II.
Zusummenfassendes Referat. Kerscliensteincr.
Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
Bd. V, Heft 5. 1901.
1) Rudolf Funke: Zur Behandlung des nervösen Hustens
mittels bahnender und hemmender Uebungstherapie. (Aus der
I. mediclnischen Klinik des Hofrath P r 1 b r a ui in Prag.)
Der nervöse Husten hat die Eigenthümlichkeit, fast jeder
bisher üblichen Therapie zu trotzen. Hinsichtlich der Sympto¬
matologie zeichnet er sich durch den vorwalteud negativen Be¬
fund au den Respirationsorganen, durch das Fehlen reichlichen
Auswurfs, durch die Klangfarbe, durcli das Sistiren desselben Im
Schlaf, sowie eventuell durch die Kombination mit anderen ner¬
vösen Stigmatas aus. Der Charakter desselben kann anfallsweise
als Hustenkrampf oder als kontinuirlicher rhythmischer Husten in
Erscheinung treten. Wichtig für die Therapie ist auch die Dif-
ferenziruug, ob es sich um einen von Irgend einer Körperstelle
ausgelösten Reflexhusten oder um einen centralen Husten, bedingt
durch psychische Alterationen, Hysterie oder Neurasthenie,
handelt. Auslösemles Moment für den nervösen Husten kann
ein ursprünglich auf anatomischen Veränderungen oder Infektion
(z. B. Keuchhusten) beruhender Husten sein, der die Bahnen des
Reflexes derartig ausschleift, dass nach Beseitigung desselben eine
auf minimale Reize reagirende reflektorische Uebererregbarkeit
zurückbleibt. Einen ähnlichen Symptomeukomplex, wie der ner¬
vöse Husten bieten die zuerst von F e r r 6 o 1 beschriebenen Crises
laryngdes et bronchiques bei Tabes, bedingt durch degeneratlve
I’rooesse der aufsteigenden Trigeminus-, Glossopharyngeus- und
Vagusfasern.
An der Hand einer Anzahl selbst beobachteter und behan¬
delter Fälle erörtert F. eine auf Uebungstherapie beruhende
Methodik, welche die Aufgabe verfolgt, sowohl bei nervösem
Reflex husten wie bei centralem Husten durch den Einfluss des
Willens in Form von systematischer Atmungsgymnastik die
reflexhemmeuden Bahnen In’s Uebergcwiclit zu bringen. Bei den
Athmungsübungen wird zugleich die bei nervösem Husten oft
pathoguomonische krampfhafte Art des Athmungstypus günstig be¬
einflusst. Die Athmungsübungen haben im Anfänge rhythmisch,
später arhytlimisch stets unter Kommando des Arztes zu er¬
folgen. Unterstützt werden dieselben durch mit dem Athrnon
synchrones Oeffnen und Sehliessen des Mundes mit oder ohne
gleichzeitigem Hervorstrecken der Zunge. Bei krampfhafter Mit¬
betheiligung der Hals- und Sehultermuspulatur an den Anfällen
des Hustens empfiehlt Verf., analog dem N a e g e 1 i’schen Hand¬
griff den Unterkiefer rasch und kräftig nach vorne zu ziehen.
2) C. C. Daniels- Amsterdam : Die Thennometrie am
Krankenbette. Historische Aufzeichnungen.
Hippokrates, Celsus und Galen haben zwar schon
die Temperaturerhöhung des Körpers bei Krankheiten gewürdigt,
jedoch begnügten sie sich mit einer Schätzung derselben dem Ge¬
fühle nach. Von der Nothwendigkeit einer objektiven Messungs-
methoue war erst Sanetorius überzeugt, der sich zu diesem
Zwecke ein Thermoskop konstruirt hat. Dasselbe war so ein¬
gerichtet, dass eine Luftsäule bei Erwärmung eine Wassersäule
durch Ausdehnung verdrängte. Boerhaave war der erste,
der sieh eines unserem heutigen Thermometer entsprechenden
Instrumentes mit einer Quecksilbersäule bedient hat. Jedoch
verhielten sich die Aerzte nach Boerhaave’s und seiner
Schüler Wirken der Thennometrie gegenüber wieder glelcligiltig.
bis Traube und gleichzeitig Wunderlich durch systema¬
tische Messungen und Aufstellung von Temperaturkurven bei den
einzelnen Krankheiten die klinische Bedeutung der Körperwärme¬
messung der wissenschaftlichen Welt offenbarten.
3) C. Acliert- Bad Nauheim: Tuberkulose und Herzkrank¬
heiten unter therapeutischen Gesichtspunkten.
Ausgehend von der bekannten Rokitausk y’schen Lehre,
dass Stauungszustände im kleinen Kreislauf gegen Tuberkulose
der Lunge eine Immunität verleihen, andererseits aller Hypoplasie
des Herzens und Phthise sehr häufig kombinirt sind, glaubt A.,
gerade bei Lungentuberkulose für eine die Herzaktiou stärkende
Balneotherapie, nämlich Anwendung kohlensäurereicher Stahl-
80 olthermen, eiutreten zu dürfen.
M. Wassermann - München.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 60. Bd., 5. u. 6. Heft.
Leipzig, Vogel, 190L
23) Merk Ons: Ueber die beim otitischen Abscess des
linken Schläfenlappens auftretenden Sprachstörungen. (Moabit,
Berlin.)
Verf. hat 25 genau beobachtete Fälle von Schläfenlappen-
absccss zusammengestellt. Er fand Wortstummheit (Störungen
des Ausdruckes der Worte) in 25, Worttaubheit (Störungen des
Wort Verständnisses) in 8, Störungen beim Nachsprechen in 2,
Schreibstörung in 7, Lesestörung in 9, Seelenblindheit in 4 Fällen.
Zur Erklärung der Sprachstörungen hat M. ein Schema zu¬
sammengestellt, das im Wesentlichen mit dem G r a s h e y'sohcn
übereinstimmt. Eine Wiedergabe der M.’schen Ausführungen Ist
ohne Beigabe der Schemata nicht möglich. Die Sprachstörungen
beruhen darnach in der Regel nicht auf einer Schädigung der
Sprachcentren selber, sondern auf einer solchen der Leltungs-
5 *
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
1758
lmlnien, hauptsächlich derjenigen, welche das Klangbildcentrum
mit dem Begriffscentrum verbinden, seltener derjenigen zwischen
Klangbildcentrum und Schriftbildcentrum
241 Orlow: Echinococcotomie nach Posadas-Bobrow.
Die I’osadas-Bobro w’sche Echinococcenoperation be¬
steht darin, dass man nach der Entfernung der Echinococcenblase
den Sack vollständig vernäht O. hat 5 Fälle nach dieser Methode
operirt und in allen einen günstigen Erfolg erzielt. Er hat aber
doch Bedenken gegen die weitere Ausübung des Verfahrens.
Erstens besteht die Möglichkeit, dass nach der Operation eine
übersehene Blase in die eröffnete Höhle sich entleeren kann,
zweitens kann der Inhalt septischer Natur sein und eine Peri¬
tonitis verursachen, drittens kann nachträglich ein Gallenausfluss
oiutreten.
Bei 134 veröffentlichten Eehinoeoccotomien mit Verschluss
des Sackes kamen 27 Fälle von Eiterung und 9 Todesfälle vor.
Verf. hält daher das Verfahren für unvollkommen und weiterer
Verbesserungen bedürftig.
25) T a v e 1 - Bern: Ueber Wunddiphtherie.
3 genau untersuchte Fälle, die klinisch nichts für Diphtherie
Charakteristisches boten: ein Paronychium mit starker Lymphangi-
tis nach Sektion eines Diphtheriekindes, ein periostaler Abscess am
Kücken, der zuerst als Senkungsabseess gedeutet wurde, eine ein¬
fache. mit zäher eitriger Flüssigkeit gefüllte Blase am Zeige¬
finger.
Im Gegensatz zu diesen klinisch nicht als Dlphtheritis auf¬
fallenden Fällen fand Verf. in solchen Fällen, die klinisch als
Wunddiphtherie hätten angesehen werden können, nie Diphtherie¬
bacillen.
20) Dohm: Zur pathologischen Anatomie des Frühtodes
nach Hautverbrennungen. (Stadtkrankcnhaus Chemnitz.)
Verf. berichtet über 17 Beobachtungen von schweren Ver¬
brennungen, von denen 9 zur Sektion kamen. Die Untersuchungen
lehrten ihn. dass es nicht angängig ist, den Frühtod nach Haut-
verbrennungen in einheitlicher Auffassung zu erklären. Vor
allen Dingen darf man nicht immer den Schock in den Vorder¬
grund stellen und die anatomischen Veränderungen als unwesent¬
lich bei Seite lassen. Bedeutungsvoll ist zunächst die Veränderung
der rothen Blutkörperchen, "die besteht in einer auffällig starken
Bildung von Stechapfelformen und in Zerfallserscheinungeu. Die
wcissen Blutkörperchen finden sich meistens vermehrt, Haemo-
globinurie und Mcthaemoglobinurie konnte nur 2 mal nachgewiesen
werden. Eine ausgedehnte Blutgerinnung in lebenswichtigen
Organen, wie sie so oft als Todesursache hingestellt wird, konnte
trotz sorgfältigster darauf gerichteter Untersuchungen nicht nach¬
gewiesen werden.
N’ierenerkrankungeu spielten in den sezirten Fällen keine
besonders grosse Rolle, unter den 9 Fällen fehlten sie 6 mal voll¬
ständig. Auffallend war dagegen ein in allen Fällen gefundenes,
mehr oder minder hochgradiges, entzündliches Ocdem im Gehirn.
Dasselbe gibt eine Erklärung für die häutig auftretenden ner¬
vösen Erscheinungen und muss wohl auf eine Vergiftung zurück-
geführt werden.
27) Jenckel: Beitrag zur Kenntniss der sogen, embryo¬
nalen Drüsengeschwülste der Nieren. (Chirurgische Klinik zu
Göttin gen.)
J. berichtet über den seltenen Fall einer embryonalen Misch-
gesclnvulst der Niere von gewaltigen Massen bei einer 43 jährigen
Frau, bei dem keine Spur einer malignen Degeneration anzu-
treffen war. Der Tumor trug auf seiner medialen Seite die Niere.
Das Stroma des Tumors bestand aus hochentwickeltem, kernarmen
Bindegewebe, m.vomatösem Gewebe, glatter Musculatur, Fett¬
gewebe. elastischen Fasern, drüsigen Elementen, letztere theils
als kleine büschelförmig verzweigte Hohlräume, theils als grosse
Cysten mit Uebergaugsformen vom einfach kubischen bis zum
hohen Cyllndorepitiiel und geschichteten Plattenepithel. Glomerult
wurden nirgends angetroffen.
Bezüglich der Genese des Tumors hält J. es nicht für nüthig.
eine Keimversprengung aus frühester Foetalperlode anzunehmen,
da sich aus der Nierenanlage selbst alle Theile der Mischgesehwulst
ableiten lassen. Nach J. ist ein Theil der foetaleu Niere vor der
Zelt der Glomerulusanlnge in embryonaler Form stehen geblieben
und erst später zu einer so grossen Geschwulst lierangewaehsen.
Verf. führt einen Fall von kongenitaler Nierenhypoplasie an, der
beweist, dass in der embryonalen Niere ganz gleiche Drüsen und
Cysten wie in der beschriebenen Geschwulst Vorkommen können.
Tn einem weiteren Falle von Nierenmissbildung konnte sogar in
dem Stroma eine schön geformte, grosse Hornkugel nachgewiesen
werden.
2 S| Eversmann: Ueber das Verhalten der Gelenkkapsel
und der abgesprengten Epitrochlea bei der Luxation im Ell¬
bogengelenk nach aussen mit Interposition. (Ilerzogl. Kranken¬
haus Braunschweig.)
2 Fälle, bei denen die Absprengung der Epitrochlea Anfangs
(von anderer Seite) übersehen war. Verf. weist darauf hin. dass
eine ausgesprochene Luxation nach aussen ohne Absprenguug der
Epitrochlea anatomisch gar nicht denkbar ist und dass man daher
bei diesen Luxationen immer an die Absprengung der Epitrochlea
denken soll. Die Röntgenuntersuchung wird heute immer den
sichereren Aufschluss geben. Die Verletzung kann in 2 Modalitäten
auftreten. indem das die Epitrochlea haltende Kapselband ent¬
weder eine nach innen oder eine nach aussen gerundete Falte
bildet. Bi'ide Patienten wurden durch blutige Reposition völlig
geheilt.
29) A u 1 e r: Ueber extrasynoviale Kapselplastik und andere
plastische Operationen am Kniegelenk. (P.ürgerspital Köln.)
Nach Barden heuer lassen sich am Kniegelenk eine ganze
Reihe von Eingriffen extrakapsulär, d. h. ohne Eröffnung der
Syuovialkapsel ausführen.
Bei der Behandlung der habituell nach aussen luxirteu Patella
muss man suchen, die Patella nach innen zu verschieben, die
Kraftwirkung des Vastus internus zu vergrössern und der Ver¬
schiebung der Patella nach aussen während der Flexion, Aussen-
rotation und Abduktion des Unterschenkels wirkungsvoll ent-
gegeuzutreten. B. verkürzt dazu den inneren Rand von dessen
Sehne und des Llg. patellare. Er durchtrennt weiter höher oben
die Quadricepssehne von aussen beginnend bis zur Hälfte ihres
Querdurchmessers. Schliesslich excidirt er von der fibrösen Kapsel
au der Innenseite der Kniescheibe ein 2—3 cm breites Stück.
Ausserdem kann man noch die Ansatzstclle des Lig. patellare
nach innen verlagern. Zwei ln dieser Weise operirte Fälle hellten
ohne Störung. Eine Nachuntersuchung war leider nicht möglich.
Eine ähnliche Operation hat B. wiederholt gegen die l»el
Genu valgum vorkommende, auch nach der Operation oft zurück¬
bleibende Kapselerweiterung mit Erfolg vorgenommen: Ver¬
engerung der Kapsel an der Innenseite des Kniegelenks, Kürzung
des inneren Randes der Quadricepssehne und des Ligamentum
patellare, Verpflanzung der inneren Knlegclenksaponeurose in
der Richtung nach aussen, unten und vorn an den inneren Patellar-
rand und die Unterschenkelfascie.
Auch die hei chronischem Knlegelenkshydrops sich ein-
stellemle Kapselerschlaffung (Schlottergelenk) hat B. in dieser
Weise mit Erfolg ln Angriff genommen. Er suchte die Kraft des
Quadriceps zu steigern durch Exeision eines Stückes aus der
Quadricepssehne und dem Ligamentum patellare proprium und
gleichzeitig eine Verengerung der fibrösen Kapsel zu erzielen durch
extrasyuoviale Verkürzung desselben.
Aehnliche Versuche bei chronischem Gelenkrheumatismus
und Arthritis deformans blieben erfolglos, etwas besser ln einem
Falle von chronischem Folgezustand einer septischen Kniegelenks¬
entzündung.
In einem Falle von Exstirpation des luxirten Meniscus
extemus blieb starke seitliche Beweglichkeit lm Kniegelenk
zurück. Es gelang durch Verengerung der äusseren Kapsel, diese
Beweglehkeit völlig zu beseitigen.
30) N o r d m a n n - Basel: Zur Kasuistik der Lymphcysten
des Oberschenkels.
Verf. beschreibt genau den Fall einer wahrscheinlich nach
einem Trauma entstandenen grossen Cyste an der Iliuterselte des
Oberschenkels. Die völlig geschlossene Cyste halte sieh in der
Fasele entwickelt, nach ihrer Ausschälung lag die Musculatur
zu Tage.
31) Borcliard - Posen: Luxation und Torsion der Patella
nach aussen durch Muskelzug.
B. beschreibt den sehr seltenen Fall der Kombination einer
Luxation der Patella nach innen mit der vertikalen Luxation nach
aussen. Die Entstehungsweise der Verletzung wird sorgfältig
nnalyslrt. Die Diagnose war sehr schwer. In des Vcrf.’s Falle
war es nicht möglich, den First an der Innenseite der Patella
zu fühlen. Von Bedeutung dürfte die als stark gespannter
Strang zu fühlende Gelenkkapsel sein, während die Quadriceps-
sehne und das Ligamentum patellare relativ erschlafft waren.
Bel der Einrichtung muss natürlich zuerst die Torsion beseitigt
werden.
32) v. M e e r: Ueber wiederholte Einklemmung im Foramen
obturatoiium sin. (Darmwandhernie) kombinirt mit Volvulus
ilei. (Kölner Bürgerspital.)
Beide Male wurde die Einklemmung vom Bauclisclinitt aus
entdeckt und behoben. Die Radikaloperation wurde ständig ver¬
weigert.
33) Rydygle r: Zur Geschichte der circularen Pylor-
ektomie.
R. vertheidigt gegenüber dem S t i e d a’sehen Widerspruch
wiederholt seine Rechte an der circularen Pylorektomle.
34) M a tt li I o 11 u s: Schädelschuss und Röntgenaufnahme.
2 Röntgenbilder Hessen Anfangs die Kugel im Schädel vor-
rautlien. Einfache Ueberlegungen führten aber zu der Annahme,
dass die Kugel den Schädelknochen gar nicht durchbohrt hatte,
und in der That wurde die Kugel durch einen einfachen Schnitt
freigelegt und entfernt. Kreck e.
Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P. v.Bruns.
Tübingen, Laupp. 31. Bd. 1. Heft.
Das 1. Heft des XXXI. Bandes der Beitr. z. klin. Chir. bringt
zunächst eine Arbeit aus der Strassburger Klinik von C. A d r i a n
über Neurofibromatose und ihre Komplikationen, worin A. die
bisherigen Anschauungen über diese Erkrankung (v. Reckling¬
hausen ete.) nach ihren Kardinalsymptomen und sozusagen
Symptomen 2. Ordnung (abnorme Behaarung, Haemotangiome,
Lymphangiome, Kombination mit Lipomen etc.) bespricht und be¬
sonders auch den Einfluss äusserer Einwirkungen (Gravidität.
Traumen, Infektionskrankheiten) betrachtet, sowie die eigentlichen
Komplikationen der Neurofibromatose (maligne Degeneration,
psychische Störungen, Exostosen etc.). Am häufigsten sind die
Spinalnerven und zwar vorzugsweise die Hautiiste derselben, dann
die Hlmnerven und der Sympathieus von der Neurofibromatose
befallen, zuweilen kommt es auch zu extraduralen, seltener zu
intraduralen Neurofibromen. A. theilt u. a. 12 eigene Beobach¬
tungen mit, davon 2 mit maligner Degeneration und Metastasen,
ln einem Falle handelte es sich bol 9jäbr. Pat. um eine auf dein
Boden einer Mcningocele langsam gewachsene Geschwulst des
Hinterhaupts, die dann plötzlich wuchs, zu Erblindung, Iutellekt-
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20. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1759
schwächt* und Sarknimnotastason in Lunge und Zwerchfell führte,
in einem 2. Falle mit ausgedehnten Neurofibromen der Haut und
plexiformem Neurom des Iscliiadicus bei congenitalem Fibula¬
defekt erfolgte der letale Ausgang an Sarkom des Linsenkernes.
Aus der Prager cliir. Klinik schreibt Fel. S m o 1 e r über
einen 27 Jahre lang beobachteten Fall von Cystadenoma papil¬
läre der Schilddrüse und schildert unter Besprechung der in der
Literatur mitgetheilt.cn Fälle klinischen Verlauf und Erschei¬
nungen der Cystadenome der Schilddrüse, die auch in Nebenschild¬
drüsen beobachtet wurden und deren Prognose, zumal bei ent¬
sprechender Therapie (radikaler Exeislon in gesundem Gewebe),
eine günstige ist.
Aus der Tübinger Klinik gibt B. Ilon seil einen Beitrag
zur Kenntniss der sog. primären Myositis purulenta und be¬
schreibt n. a. 9 Fälle der v. Brun s’sclien Klinik, die in den
3 letzten Jahren beobachtet wurden, in denen sämmtlich Staphylo-
coccus pyogenes aureus als alleiniger Erreger nachgewiesen wurde.
H. schildert Symptome. Verlauf und Prognose dieser Erkrankung,
sowie die in breiter Ineision bestehende Therapie; nach den Er¬
fahrungen der betreffenden Klinik zeigt die akute purulente Myo¬
sitis auch in den Fällen, wo sie akut mit osteomyelitischen Er¬
scheinungen beginnt, häufiger, als bisher angenommen, guten Ver¬
lauf.
Aus der gleichen Klinik berichtet Ernst II a a s über die
Osteome der Nasenhöhle und gibt Im Anschluss an einen von
v. Bruns operirten Fall eine Zusammenstellung der bisher be¬
obachteten Fälle (18. die <*r bestimmt als Osteome der Nasenhöhle
ansprechen möchte; C Osteome der Nebenhöhlen der Nase);
unter den klinischen Erscheinungen werden besonders die Obstruk¬
tion der Nase. Polypen dabei, Blutungen. Thränenträufeln etc. be¬
sprochen, zur Beseitigung muss eventuell die äussere Nase, wenn
nötliig, gespalten werden.
Aus dem Diakonissenliaus zu Freiburg 1. B. gibt E. Gold¬
man n einen Beitrag zur Behandlung der Prostatahypertrophie,
wobei er anatomisch und klinisch die Beschwerden der Prostatiker
stmlirt, die er in mechanische und septische Prostatiker mit
Poncet eintlieilt; G. schreibt den günstigen Erfolg der Poli¬
ce t’sehen Operation der günstigen Einwirkung der Ventrofixation
der Blase auf die Konfiguration der inneren Ilarnröhrenmündung
mul auf die Riehtungsliuie der Blase zu und empfiehlt bei mecha¬
nischen Prostatikern, die das 2. Stadium nach Guyon nicht über¬
schritten haben, eine Anheftung der Blase an die vordere Bauch-
wund derart auszuführen, dass eine vom Peritoneum freie Stelle
der vorderen Blasenwand (bei cinporgedriingter Blase) möglichst
hoch an die Bauchwand tixirt wird, während man nach der An-
nühung mittels durch die Museularis der Blase gelegter Nähte die
kleine Wunde der Heilung per seeundam überlässt. Der kleine
Eingriff kann in Infiltrationsanaesthesie ausgeführt werden.
Max Roher berichtet aus der Baseler Klinik über eine bis¬
her nicht beschriebene Form von Rectalstrikturen und eine
neue Behandlung derselben, im Anschluss an 2 bei weiblichen
Individuen im Anschluss an Myomoperationen 9 cm über dem Anus
aufgetretene Strlkturfälle (derber Membran). R. ist der Meinung,
dass eventuell Zerrung von Gefässen (wie der Haom. sup. bei An¬
spannung der 1) o u g 1 a s’sclien Falten behufs Naht des Peri¬
toneum nach derartigen Operationen) eine Lumenveränderung und
Ernährungsstörung der Schleimhaut bewirken kann, eine Ansicht,
die noch durch Abgang von abgestossenen (Schleimhaut-) Theilen
in 2 Fällen unterstützt wird. Blosse Dilatation führt nicht immer
zum Ziel und viele Autoren sind desslialb, wie Schede und
It i e d e r, Anhänger der Radikaloperation, die nach S e h u 1 z
75 Proc. Dauerheilungpu ergibt. Hildebrand hat in 3 Fällen
ein neues Verfahren bewährt gefunden, das in Blosslegung des
Reetums von hinterem Längsschnitt aus und Entfernung des
Steissbeins und eines Tlieils des Kreuzbeins, Längsschnitt durch
die hintere Rectalwand, circuläror Ablösung der Striktur mit Er¬
haltung des Peritoneums und querer Vereinigung dos oberen und
unteren Wundrandes durch Naht (Vereinigung des Längsschnittes
der hinteren Rectalwand in querer Richtung), Tamponade der
äusseren Wunde besteht.
Aus dem städtischen Krankenlmuse zu Altona beschreibt
H. Wichman n einen Fall von isolirtem Carcinom der TJrethra
bei 43 jähriger Frau, das primär bei Intaktsein der Nachbarorgane
aufgetreten, zu Leistondriisoutunioron geführt hatte. Das Carcl-
iioiu wurde Umschnitten und froipräpnrirt, Dis es wie ein Stiel an
dem oberen gesunden Theil der Urethra hing, und die letztere
1 cm vom Carcinom quer abgetragen, die Entfernung der Leisten-
drüseupackete war nicht, ganz leicht. Glatte Heilung, Incontinenz
bestand nur 20 Tage.
Aus der Züricher Klinik gibt G. H a e m i g Beobachtungen
über Perityphlitis an der Züricher chirurgischen Klinik während
der 2 Dezennien 1881—1901 und zeigt darin den Standpunkt der
betreffenden Klinik, die in der Perityphlitis ein chirurgisches
Leiden sieht, hei dem dem Chirurgen ln weitgehendstem Maasse
Gelegenheit gegeben werden soll, den Krankeu zu beobachten und
Indikation und beste Zeit zur Vornahme der Operation festzu-
stelien; während issi — 90 nur 10 Kranke mit perityphlitischen
Aflfektionen aufgeiiommen wurden, steigt die Zahl von Jahr zu
Jahr (1900: .54 Fülle). 1890 übertrifft, die Zahl der auf der eliirur-
gisehen Klinik aufgenommenen Fälle zum erstell Mal die der in¬
ternen Klinik. Die überwiegende Mehrzahl geht jetzt direkt, von
den praktischen Aerzten der chirurgischen Klinik zugewleson, zu
(nur 19 wurden von der medieinisehen Klinik zur chirurgischen
verlegt). 65 Proc. der Fälle betrafen das 2—3 Lcbeusdezennium,
70 Proc. Männer, 30 Proc. weibliche Individuen. H. schildert die
an dem reichen Material gewonnenen Erfahrungen. Nach Krön¬
lein Ist lm akuten perityphlitischen Anfall sofort zu operiren,
wenn Grund zu der Annahme vorhanden ist, dass eine allgemeine
Peritonitis droht oder schon vorhanden ist, eventuell nach Verfluss
der ersten paar Tage ist zu operiren, wenn die schweren Anfaugs-
symptome (Erbrechen, hoher Puls uud Fieber, schwere Allgemein¬
störung) nicht nach 3—5 Tagen zurückgehen, beunruhigende Er¬
scheinungen (Pulszunahme, Erbrechen, Collaps) sich einstellen oder
mehren, oder die Existenz eines Absccsses sicher festgestellt wer¬
den kann. Bei 29 Fällen mit diffuser Peritonitis wurden nur 7
durch die Operation gerettet, von den im Anfall operirten Fällen
starben von 61 Fällen 5 (46 Fälle wurden nur mit Eröffnung des
Absoesses behandelt, bei 9 Fällen handelte es sich um Perityphlitis
lm Bruchsack), von den Resektionen des Proc. vermiformis im
freien Intervall oder im chronischen Stadium der Krankheit wurde
iu 112 Fällen kein Todesfall notirt. II. schildert die von Krün-
1 e i n geübte Operationsweise, die mit einem Schnitt wie zur Unter¬
bindung der Iliaca coinmun. beginnt. Kr. lässt die Patienten
20 Tage im Bett liegen, alle betreffenden Patienten wurden mit
solider Narbe aus der Behandlung entlassen.
Aus der Strassburger Klinik beschreibt Fr. Schaefer —
ungewöhnliche Grösse einer carttlaginären Exostose — einen
Fall von über kindskopfgrosser, von der Fibula ausgehender carti-
laginiirer Exostose, die nach längerem Bestand plötzlich rasch
herangewachsen war und bei dem 11 Jährigen Patienten sehr hef¬
tige Schmerzen veranlasste. Da der N. tibiniis zum Theil ln die
Geschwulst lierei»bezogen war, wurde am'putirt und das Präparat,
das im Innern grosse Erweichungscysten enthielt, wird niilu-r be¬
schrieben und abgebildet.
Aus dem Krankenhauso Friedricbstadt zu Dresden berichtet
Willi. Weber über Misserfolge nach Gastroenterostomie wegen
Stenose und ihre Verhütung; er analysirt die bisher erreichten
Fortschritte in den Erfolgen der betreffenden Operation und die
zur Vermeidung der Funktionsstörungen der Fistel selbst (Magen-
Heus) gemachten Vorschläge, er sieht erst iu dem Vorschlag von
Lauenstein, die Anbringung einer Enteroanastomose zwischen
zu- und abführendem Schenkel, den Weg, der im Verlauf all¬
mählicher Vervollkommnung zu einer gewissen Sicherheit führte,
und theilt die Erfahrungen Lludner’s mit, der jetzt grund¬
sätzlich die vordere Gastroenterostomie nach W ö 1 f 1 e r im Sinne
gleichgerichteter Peristaltik mit. gleichzeitig Brau n’scher Entero¬
anastomose etwa 10 bis 15 cm oberhall) der Magendarmfistel (beide
mit Seidenknopfnähten) ausführt, im Allgemeinen dem Murphy¬
knopf keinen Vortheil zuerkennt. Bei 40 Fällen (mit 15 Proc*.
Mortalität) hatte L. keinen Todesfall an Circulationsstörung, da¬
gegen einen an Aoliseudrehung der Darmschlinge. Auch W.
schreibt der Magenatonie nach Gastroenterostomie eine relativ
grosse Rolle zu und schildert die diesbezüglich zu treffenden
Maassxmhmen (eventuell Ausheberung, baldige Steigerung des
Speisezettels im Sinne der Konsistenz). Die postoperative Haemor-
rhagie trat besonders in Fällen von Ulcus mit Verwachsungen
und Betheiligung gefässreicher Nachbarorgane auf, das unum¬
gängliche Vorziehen des Magens bei der Operation ist wohl der
nicht zu vermeldende Grund. Sehr.
Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 41.
No. 41. Carl L a n e n s t e i n - Hamburg: Das Vorziehen der
Sehnen vor ihrer Abtragung, eine gelegentliche Ursache der
Sehnenscheidenphlegmone bei Fingeramputationen wegen Ver¬
letzung.
Lauen stein weist auf diesen Infektionsmodus bin und
empfiehlt, das Verziehen der Sehnen vor ihrer Abtragung als un-
nüthlg und gefährlich zu unterlassen, da sonst, die sieh zurück-
zielieuden Sohnenstümpfe Eiterung der Sehnenscheide veranlassen,
wie er es an den Beugesehnen wiederholt gesehen hat.
C. M a r i a n i - Massa Maritima: Fernere Ergebnisse der
beiderseitigen Resektion des Halssympathicus bei 9 Kranken
mit gewöhnlicher Epilepsie.
Von den 9 Patienten ist keiner von seiner Epilepsie befreit,
einer sogar später in einem epileptischen Anfall gestorben: bei
den meisten haben Id den ersten Monaten nach der Operation die
Anfälle an Häufigkeit nachgelassen. Einmal wurde der Eingriff
durch Zerreissung der Vena jugularis komplizlrt, die aber sofort
unterbunden wurde und ohne Störung verlief. M. bezeichnet da¬
nach (wie auch die Erfahrungen Postcmpsk i’s, Schi a s s i's
und Braun's ergeben) die Resektion des Halssympathicus bei
Epilepsia vulgaris als eine unnütze Operation.
Schreiber.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd.
5. Heft.
D F. M o r n 11 e r - Berlin: Ueber einen Fall von Wandungs-
snrkom des Uterus (plexiformes Angiosarkom).
Der npfelgrosse. weiche, runde Tumor an der hinteren Wand
des Uterus machte den Eindruck eines cystischeu Myoms und
wurde keilförmig exeidirt. nachdem der Versuch, den Tumor nus-
zusehälen. vergeblich war. Die Untersuchung des Präparates er¬
gab kleinzelliges Rundzellensarkom der Uteruswandung mit aus¬
gedehnter Betheiligung der Gefässe. Totalexstirpation des Uterus.
In einer neben der Uterusnarbe liegenden peritonitiseilen Ad-
luiesion eingebettet, fand sich ein sterknadelkopfgrosses rundes
Knötchen (Impfrceidiv). Eine genauere Untersuchung des Tumors
ergab mit Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein vou den Gefiiss-
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17G0 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 44.
wänden, speziell der Adventitia, ausgegangenes plexiformes Angio-
sarkom handelte.
Pat. ist 1% Jahre nach der Operation recidivfrei.
2) R. Gradeuwitz - Breslau: Dauerresultate der Alquifi-
A lex and er’sehen Operation.
Von 66 im Allerheiligenhospital nach dieser Methode Ope-
rlrten kamen nach y s bis über 2 Jahren post op. 46 zur Unter¬
suchung. 39 von diesen Frauen waren ohne jede Einschränkung
als geheilt zu bezeichnen. Unter den Uebrigen waren 2 Miss¬
erfolge. 12 Frauen hatten inzwischen wieder geboren; davon
kamen 9 zur Untersuchung und zeigten ein in jeder Hinsicht un¬
gestörtes Heilresultat. Ebenso zeigten die Fülle Dauerresultate,
in denen die Kolpotomia posterior zwecks Lösung von Adhnesionen
der A 1 q u 1 6-A 1 e x a n d e r’schen Operation vorausging; Hernien
wurden ln keinem Falle beobachtet. Die Misserfolge bilden, die
Resultate weiterer 33 Operationen dieser Art eingerechnet, Proe.
3) G. H a g e r-Stettin: Ueber eine Mischinfektion der Tube
und peritoneale Sepsis.
Bei der durch Laparotomie vorgenommenen Entfernung
doppelseitiger fluktuirender verwachsener Adnextumoren entleerte
sich etwas Eiter in der Tiefe des D o u g 1 a s’sehen Raumes. Tam¬
ponade. Am 3 Tag post op. kollabirte Pat. unmittelbar auf eine
Stuhlentleerung nach Klysma und starb. Die Sektion ergab
eiterige Peritonitis und eine erbsengrosse Perforationsöffnung in
der Fiexur.
Im Eiter der linken Tube befanden sieh massenhaft Strepto¬
coccen und Bact. coli, das mikroskopische Bild eines Schnitt¬
präparates durch diese Tube zeigte Tuberkel und Tuberkelbacillen.
In der rechten Tube fanden sich nur Tuberkel.
Die Mischinfektion der linken Tube ist dadurch zu Stande
gekommen, dass die ursprünglich reine primäre Tubentuberkulose
in den Darm perforlrte, aus dem Darm daun Streptococcen und
Bact. coli eiuwanderten und bei Bildung eines neuen Eitersackes
die Verklebung der Perforationsöffnung verursachten. Das bei
der stumpfen Lösung dieser Verwachsung während der Operation
entstandene Loch im Darm wurde wahrscheinlich durch das
Klysma auseiuandergedrängt.
Die plötzliche Intoxikationserscheinung am 3. Tage nach der
Operation bei schon bestehender Peritonitis wurde jedenfalls durch
den Austritt von Ivoth ln die Bauchhöhle lierbeigefiihrt.
4) W. S t r o g a n o f f - St. Petersburg: Weitere Untersuch¬
ungen über die Pathogenese der Eklampsie.
Die Eklampsie ist eine allgemeine, keine örtliche Erkrankung
und unstreitbar eine akute Fieberkrankheit „mit raschem Anfang,
kurzem Verlauf und raschem Ende". Es ist wahrscheinlich, dass
die Infektion durch ein flüchtiges Kontagium verursacht wird,
das auf dem Wege der Lungen in den Organismus der Frau ein¬
dringt. Die Keime besitzen schwache Virulenz und finden bei
einigen Frauen während der Schwangerschaft, Geburt und im
Wochenbett günstige Bedingungen zu ihrer Entwicklung. Sie
können auch auf den Fötus übergehen. Der Krankheitskeim be¬
sitzt grosse Widerstandsfähigkeit und behält seine Virulenz In
Krankenhäusern ca. 3 Wochen. Die Inkubationszeit beträgt 5 bis
20 Stunden. Frauen, die während der Schwangerschaft die E.
durchgemacht haben, gebären gewöhnlich glücklich. Die Er¬
krankung zeigt in ihrer Heftigkeit von einem Jahr zum anderen
Unterschiede; ihr Auftreten nimmt durch Ueberfiillung der Ge¬
burtshäuser zu. Ferner spricht für eine Infektion die E. der
Neugeborenen, die mit derselben Erkrankung der Kreissenden
und Wöchnerinnen im Zusammenhang steht.
Verf. sah, seitdem die E. als Infektionskrankheit an seinem
Institut anerkannt worden, ein selteneres und schwächeres Auf¬
treten der E. und hat bei abgeänderter Therapie den Erfolg, von
43 Fällen nicht einen mit tödtlichem Ausgang zu haben.
3) Hucklenbroich - Düsseldorf: Spontane Uterusruptur.
Kurze Mittheilung zweier Fälle; in beiden handelt es sich
um V. Para, die unter der Geburt kollabirten. Im einen Fall
wurde ein Riss im rechten Seheideugewölbe festgestellt; der Kopf
war abgewichen. Wendung. Extraktion eines starken Knaben.
Tamponade. Heilung.
Die andere Frau starb iin Kollaps. Unmittelbar nach dem
Tode wurde die Bauchhöhle eröffnet. In der freien Höhle liegen
in den unversehrten Eihäuten zwei frischtodte stark entwickelte
Knaben. Angnben über den Riss fehlen.
6) A. Hahn- Breslau: Apnoe der Kinder bei Sectio caesarea.
Verf. ist der Ansicht, dass die Kinder beim Kaiserschnitt im
Allgemeinen nicht gefährdet sind. Eine leichte Asphyxie nach der
Extraktion wird wohl vielfach angenommen, wenn das Kind nicht
gleich anfüngt zu schreien und dann Reize ln Anwendung gebracht
werden.
In den meisten Fällen befindet sich das Kind in einem Zu¬
stand von Apnoe.
7) B a r a b o - Nürnberg: Ueber einen Fall von ausgedehnter
Verwachsung der Placenta mit dem Schädel bei gleichzeitiger
Exencephalie.
Das Kind wurde von einer I. Para ausgetragen und lobte
nach der Geburt noch 11 Stunden. Kurze Beschreibung des inter¬
essanten Präparates, dessen Hauptsachen in der Uebersehrift an¬
geführt sind.
8) W. R U h 1 e - Elberfeld: Ueber Ikterus gravis Neuge¬
borener.
Nach Besprechung des Ikterus neonatorum und des im An¬
schluss an schwere Allgemeinerkrankungen und Leberkrankheiten
auftretendeu Ikterus thcilt Verf. einen Fall von schwerem Ikterus
eines Knaben mit. der einen Tag nach der Geburt desselben be¬
gann. Zwei Kinder derselben Familie waren kurz nach der Ge¬
burt in ähnlicher Weise erkrankt, eins davon gestorben. In diesem
Falle war die Leiter stark geschwollen. Es stellte sich mehrtägige
stark verlangsamte Athmung und Somnolenz ein. Temperatur nur
im Anfang erhöht. Blutung aus dem Granulatiousstumpf des
Nabelringes. Auf fortgesetzte Kalomelgabeu bildet sich die Leiter
zurück. Genesung.
Verf. glaubt, trotzdem Anhaltspunkte von Selten der Eltern
fehlen, dass es sich um Lues handelte und zwar um eine circum-
scrlpte kleinzellige Infiltration in der Umgebung des Ductus
liepaticus, die durch die Kalomeltherapie zur Ausheilung ge¬
kommen ist,
9) G. S t r u b e - Bremen: Die neueren Ergebnisse der Schild¬
drüsenforschung. (Sammelberieht.)
Weinbrenner - Erlnngen.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 54. Bd. Heft 3 u. 4.
Dem 3. Heft voraus geht ein Nachruf aus Heubner’«
Feder und ein Gedenkblatt von A. Steffen für Dr. Her¬
mann v. W i d e r li o f e r, den Mitbegründer der Gesellschaft für
Kinderheilkunde, den Mitredakteur des Jahrbuchs seit 3863.
Escherich - Graz ist an seiner Stelle in die Redaktion ein¬
getreten.
7) M. Pfaundler: Ueber Stoffwechselstörungen bei
magendarmkranken Säuglingen. Mit besonderer Bezugnahme
auf die Czerny-Kelle r’sche Säurevergiftungshypothese.
(Aus der Grazer Universitäts-Kinderklinik.)
Die 90 Seiten umfassende Arbeit berührt so wichtige, noch
ganz unaufgeklärte Fragen, und bekämpft die momentan viel ver¬
breitete Säurevergiftungslohro mit so interessanten Argumenten
— die ihrerseits vorläufig noch Hypothesen bleiben —. dass eine
gesonderte Besprechung in dieser Wochenschrift ln nächster Zelt
erfolgen soll.
8) Th. Froelich: Zur Aetiologie der Chorea minor. (Aus
der Universitäts-Kinderklinik in Christiania.)
Verfasser sehliesst sich den seit Germaln See erkannten That-
saelien betreffs der Chorea als rheumatischem Aequlvalent au. Die
Ursachen der rheumatischen Trias: Arthritis akuta, Endokarditis,
Choren, sind vielfache Infektionsträger, immer aber handelt es sich
um eine eolite, akute Infektionskrankheit.
9) J. A. Sebnbnd: Die klinische Bakteriologie der Diph¬
therie. Beitrag zur Differentialdiagnose des Diphtherie- und
Pseudodiphtheriebacillus. (Aus dem Peter-Paul-Hospita.1 in
St. Petersburg.)
Die 130 Seiten einnehmende Arbeit kommt auf Grund einer
kritischen Studie der umfangreichen Literatur und eigener klinisch-
bakteriologisclier Untersuchungen zu folgenden, mit Behrlng’s
neuesten Anschauungen unvereinbaren Schlüssen: Diphtherie- und
Pseudodiphtlieriebncillen sind 2 verschiedene Arten und zwar be¬
stehen fundamentale Unterschiede des Waehsthums auf Agar und
in Ascitesttüssigkeit, der Reaktion der Bouiilonkultur — starke
Säurcentwlcklung —, der Neisse r’schen Färbung und der Patho¬
genität für Tliiere. N e i s s e r’sche Färbung und Säurebildung
sind die charakteristischsten Eigenschaften. Die Verwechselung
von avlruleuten Diphtheriebacillen mit Pseudodiphtheriebaeillen
ist immer zu vermeiden, allerdings nicht mit der S p r o n c k’schen
Methode. Bcltrln g's nach Verf. falsche Anschauung beruht
auf der Verwendung sehr stark alkalischer Bouillon und eines un¬
geeigneten Indikators, des Lacmus statt des Phenolphthaleins.
10) Ilagenbnch-Burekhardt: Ueber Sauerstoff-
inhalationen bei Kindern.
Auf Grund von 20 eigenen Beobachtungen muss H.-B. die¬
selben bei Stenosen der Luftwege, ganz speciell l>ei Larynxdiph-
therle warm empfehlen, wo sie direkt lebensrettend wirken können.
Auch bol zur Cyanose führenden Pneumonien Ist der Erfolg oft
überraschend gut.
13) Kassowltz: Alkoholismus im Kindesalter.
K. bringt zunächst eine Reihe von recht interessanten Er¬
fahrungen der akuten, wie chronischen Alkoholvergiftung von
Kindern, selbst Säuglingen, mit schwersten psychischen und orga¬
nischen Schädigungen (hochgradigste Leborclrrhosen, Nephritiden
etc.), sodann geht er mit Denen in's Gericht, die principiell oder
fakultativ den Alkohol beim gesunden wie kranken Kind in irgend
welcher Art oder Menge empfehlen oder erlauben. Im weiteren
kritisirt K. die Autoren, welche im Alkohol ein Nähr- und Spar¬
mittel, ein Stomaclileum, ein Autipvretlcum, ein Tonicuin oder
Excitans, ein Asoptieura oder schliesslich ein Anregungsmittel
für die geistige Thätigkeit sehen wollen.
Alle Ausführungen, in der K. eigonen, pointirenden, didak¬
tischen Weise geschrieben, verdienen eine ernste Berücksichtigung
seitens der Aorztewelt im Allgemeinen und der Kinderärzte im
Speeiellen.
Dass absolute Enthaltsamkeit des Alkohols für den wachsen¬
den Organismus Im Allgemeinen durchaus zu verlangen sei, und
dass durch ärztliche Empfehlung des Alkohols beim kranken
Kinde, ohne die nötliige Belehrung der Eltern, gänzlich falsche
Vorstellungen über Nutzen und Schaden desselben verbreitet wer¬
den. wird K. allgemein zugegeben werden müssen. Möchte sein
Aufsatz viele Leser linden und alle zu „offenen, konsequenten und
entschiedenen Gegnern“ des Alkohols für das Kind machen.
S i e g e r t - Strassburg.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenknnde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 12, 1901.
3) F 1 e x n e r - Pennsylvania: A comparative study of dysen-
teric bacilli.
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29. Oktober 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1761
2) Theodor Müller- Graz: Vergleichende Untersuchungen
über die desinflzirende Wirkung und die räumliche Vertheilung
des Formaldehyds bei dem Versprayungs- und Verdampfungs¬
verfahren. (Schluss folgt.) R. O. Neumnnn - Kiel.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 42 .
1» F. L o e f f 1 c r - Greifswald: Eine neue Behandlungs¬
methode des Carcinoms.
Versuche, das (’arcinom durch Einimpfung von infektiösen
Organismen zu heilen, sind bekanntlich schon mehrfach unter¬
nommen worden (Fehleisen: Erysipelimpfung, v. Baum-
garteu: Impfung mit Tuberkelbacillen). Bei der Gefährlichkeit
der zur Infektion verwendeten Organismen jedoch ist eine all¬
gemeine Anwendung dieser Methode von vornherein ausgeschlossen.
Nun macht L. auf die Thatsaclie aufmerksam, dass in Malaria¬
gegenden und weiter ln den Tropen überhaupt das Careinom zu
den grössten Seltenheiten gehört und fordert zu ausgedehnten
statistischen Erhebungen ln dieser Hinsicht auf mit dem Hinter¬
gedanken, dass vielleicht das durch die Koch'sche Methode leicht
zu beherrschende Malariagift als Careinomgegengift angeweudet
werden könnte.
2) Ernst B e c k e r - Berlin: Ein Beitrag zur Lehre von den
Lymphomen. (Schluss folgt.)
3) E. S c h w a r z k o p f - Marburg: Ein Fall von Parotitis
epidemica mit besonders schweren Erscheinungen.
Kasuistische Mittheilung.
4) A. M a r t i n - Greifswald: Symphyseotomie und Kaiser¬
schnitt. (Nach einer Demonstration Im Greifswalder medicln.
Verein am <». Juli 1901. Referat siehe diese Wochenschrift No. 40.
pag. 1589.)
5) Ernst Z i e m k e - Halle: Weitere Mittheilungen über die
Unterscheidung von Menschen- und Thierblut mit Hilfe eines
spezifischen Serums.
Z. hat das U h 1 o n h u t li’sche Verfahren weiter ausgearbeitet
und gelang es ihm mit seiner Methode, auch in Cyankaliumaus-
zügen alter. In anderen Lösungsmitteln unlösbar gewordener
Blutspuren die Serumreaktion zu erzielen.
0) Aus Egyptens Krankenstationen.
Interessantes Feuilleton.
7) Georg H e 1 m a n u - Berlin: Die Sterblichkeit an infek¬
tiösen Kinderkrankheiten in Preussen.
Ein Beitrag zur sozialen Medicln und Statistik.
S) E. D o e 111 o f f - Berlin: Bruchbandpelotten.
F. L a c her- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg.No.20.
Zum 20. Oktober (üerbstVersammlung des ärztliche»
Central Vereins ln Olten, wobei zum Projekt der Zulassung des
Realabiturienten zum medieinischen Studium Stellung genommen
werden soll).
E. Tavel: Durchwanderungs-Peritonitis.
7 klinisch uud bakteriologisch gewürdigte Fälle dienen zur
Darlegung der Bedingungen und des verschiedenartigen Verlaufs
der Bnkteriendurchwachsung vom Darm aus (speziell hei Circu-
lationsstörungen, Stagnation, Sehleinihautlaesion). Bei Opera¬
tionen am Peritoneum ist die „feuchte Asepsis“ (Koehsalzsoda-
lösung) am Platz.
W. H a g e n - Adelboden: Zur Epidemiologie der Masern.
Ein Knabe, der vor 10 Jahren die Masern durchgemacht bat,
acquirirt sie von seiner Schwester abermals und steckt 12 Be¬
wohner desselben Hotels an (Inkubationszeit bis 1(5 Tage, thell-
weise Uebergünge zu Röteln).
P1 s c h 1 u g e r.
K
Oesterreiohische Literatur.
Wiener klinische Rundschau.
No. 35. L. Kürt- Wien: Zur nasalen Therapie von Neurosen.
Die Möglichkeit, gewisse Neurosen von der Nase aus zu be¬
kämpfen, muss heutzutage wohl anerkannt werden. Das Wirk¬
same Ist die Reizung des Trigeminus. Diese lässt sich ln vielen
Fällen zweckmässig erzielen durch Schnupfpulver, z. B. ein Ge¬
menge von Chinin und Zucker, oder Nieswurz (Rliizomat. veratr.
alb. 0,1—1.0 [je nach dem Alter], Tale, venot., P. Iroos floent.
aa 10.0). Bei Kindern wirken auch Wattepfröpfe mit Präclpitat-
snlbe (Merc. praecip. flav. 0,30, Vaselin 15.0) sehr günstig.
Verf. berichtet günstige Fälle von Laryngospnsmus, Blepharo¬
spasmus, Enurese, Tic convulslf, Gühnkrnmpf, Hyperemesls gravi¬
darum.
Auf dieser antispastischen Wirkung der Trigeminusreizung
beruhen wohl auch die Erfolge von F 11 e s s und Schiff.
No. 37. L. Hulsmans - Köln: Ein Beitrag zur Kasuistik
der mediastinalen Erkrankungen.
I. Rundzelleusarkom wahrscheinlich von den retrobronehlalen
Lymphdrüsen ausgehend, war nach vorn auf das Perikard über-
gewuehert. Versuch der Operation musste auf die Ineisiou in
das Perikard beschränkt bleiben.
II. Beiderseitige Spitzentuberkulose, linksseitige Pleuritis, von
den retrobronehlalen Lymphdrüsen ausgehender Senkungsahscess
bis In die Gegend des III. Lendenwirbels.
III. Gangraeneseirender Absccss der Lungenspitze, wohl aus¬
gehend von einer centralen Pneumonie. Abscess des ganzen Media¬
stinums. Eröffnung der Abscess höhle nach theilweiser Resektion
der II. Rippe uud des Mauubrium sterni konnte den Exitus nicht
abweuden.
No. 38 u. 39. .7. D e y 1: Die allgemein-diagnostische Bedeu¬
tung der Neuritis retrobulbaris und ein interessanter Fall
dieser Krankheit.
Von besonderer Wichtigkeit Ist das Symptom des centralen
negativen Skotoms, dabei ist oft. zu erulreu, dass die Kranken
in der Dämmerung besser sehen als bei guter Tagesbeleuchtung.
Mehr beiläulig erwähnt D., dass er bei 7 Kranken, welche
relativ frühzeitig, vor oder um das 50. Lebensjahr, Dupuytren-
sche Schrumpfungen der Aponeurosis palmaris hatten, alle einen
zuckerhaltigen Harn, 5 ein centrales negatives Skotom auf wiesen.
Entgegen anderen Autoren hat 1). bei Hysterischen niemals
ein centrales negatives Skotom beobachtet.
Dagegen ist es bisweilen ein Aufangssymptom der multiplen
Neuritis, öfter stellt es sieb Im Verlauf des Leidens ein. Nicht
selten handelt es sieh auch um centrale Störungen, um Erschei¬
nungen der Polyneurltis Korsakov.
Ausführlich wird ein Fall von Neuritis retrobulbaris bei einem
Mann mit Carcinom des Rectums behandelt und werden zum Ver¬
gleich Fälle von Deutsch mann, Miura und L o r e j s heran-
gezogen, bei welchen beiden letzten jedoch ausser einem Magen-
carciuom noch die Erscheinungen der Polyueuritis bestanden.
No. 40. M a n k 1 e w 1 c z - Berlin: Zur Asepsis des Kathe¬
terismus.
Keimfreiheit des Ilarns, der Harnwege, der Instrumente und
der Einfettungssubstanzen sind die vier Hauptforderungen. Der
ersten zu genügen, fehlt es gewöhnlich an der Zeit. Es wären hier
Salol oder Urotropin die geeignetsten Mittel. Die Reinigung der
äusseren Urethralmündung geschieht besser mit Benzin als mit
Aether oder Alkohol, welche ein brennendes Schmerzgefühl ver¬
ursachen. Die Harnröhre wird am besten mit 0,7 proc. Kochsalz¬
lösung ausgespritzt. Die gesunde Blase bedarf keiner Desinfek¬
tion. für die erkrankte empfehlen sich noch immer am besten
schwache Lösungen des Arg. nitr. und verwandter Silbersalze.
Die sicherste Methode für Reinhaltung der Instrumente, metallische
wie elastische, ist die von KU in mell angegebene Auskochung
mit einer wässerigen (3:5) Lösung von neutralem schwefelsaurem
Ammonium durch 5 Minuten.
Längeres Kochen und stärkere Konzentration der Lösung sind
gleieligiltig. Für die Aufbewahrung und Applikation der Ein-
lettungssubstauzen gibt M. ein eigens geformtes kannenülinliches
Gefüss au.
\ •
Wiener medicinische Presse.
No. 42. J. E 1 s e n b e r g - Wien: Ueber methodische An¬
wendung heisser Scheiden-Irrigationen (Innendouchen) hei
Frauenleiden.
Wenn (las so oft gerühmte und viel ordinirto Verfahren doch
in der Praxis oft gar nicht zum Ziele führt, so beruht das zum
grössteu Theil auf den Schwierigkeiten, denen die wirklich zweck¬
mässige Ausführung zu Hause begegnet Verf. hat daher ein
kleines Institut geschaffen, wo unter seiner Aufsicht durch ge¬
schultes Personal das Verfahren genau den F r i t s c h'scheu
Regeln entsprechend zur Anwendung gelangt. Bei genügendem
Schutz der äusseren Tlielle werden Temperaturen bis zu 50° sehr
gut vertragen. Die Erfolge — bei bekannter Indikationsstellung —
sind gegen früher viel bessere geworden. Speziell zu rühmen ist.
die gute vorbereitende Wirkung für die Massage und für die Vor¬
nahme von Operationen an verwachsenen Adnoxtumoren.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 42. J. Hamburger-Lemberg: Heilung des Pannus
mit dem Paquelin.
In 5 Fällen von Hornhautgeschwür mit Pannus ist H. erfolg¬
reich so vorgegaugen, dass er den weissgUiheudeu Paquelin über
das Geschwür und seine Umgebung wegführte ohne direkte Be¬
rührung, so dass nur die heisse Luft zur Wirkung kam; schliess¬
lich wurden am Llmbus die Gefässe des Pannus berührt und ab¬
geschnitten. Einstauben von Jodoform. Atropiueinträufelungen.
B e r g e a t - München.
Rumänische Literatur.
J. Constantlnescu: Ueher einen durch Pilocarpin ge¬
heilten Fall von Tetanus. (Spitalul, 15.—31. Milrz 1901.)
Verfasser beschreibt einen Fall von Tetanus, bei welchem
verschiedene Behandlungsmethoden versucht wurden, ohne den
Zustand erheblich zu bessern und wo schliesslich durch subkutane
Piloearpininjektionen Besserung und endlich Heilung erzielt
wurde. Durch Chloralhydrat ln Dosen von 12 g täglich in Ver¬
bindung mit Morphium, 1—2 cg in subkutanen Einspritzungen,
wurde zwar ein zeitweiliges Nachlassen der tetanischen Anfälle
und der Muskelrigidität erzielt, aber beim Aussetzen dieser Mittel
kehrte der alte Zustand wieder zurück. Künstliches uud nuti-
tetanisches Serum waren erfolglos, resp. verschlimmerten den Zu¬
stand. Endlich wurde Pilocarpin subkutan, anfangs in Dosen von
2mal täglich i/ 2 cg und später von 2mal täglich 1 cg, in Verbindung
mit lauen Bädern ln Anwendung gezogen und so ein Nachlassen
der krankhaften Symptome erzielt. Diese Behandlung wurde
19 Tage fortgesetzt und konnte dann der Kranke gehellt entlassen
werden.
A. B a b e s: Die Behandlung der neuralgischen Schmerzen
der cephalischen Region durch Pinselungen der Nasenschleim¬
haut mit Cocain. (Ibidem.)
B. hat in den Pinselungen der Naseuschleimhaut mit 5 bis
10 proc. Cocalnlösuug ein souveränes Mittel gegen die ver-
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1762
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
schledeneu neuralgischen Schmerzen der Kopfregion, wie Trige¬
minusneuralgie, Hemikranie, ophtbalmlsche Migraine, Ceplmlalgie
etc. gefunden. Bei unilateralen Schmerzen wird nur die Naseu-
.schleimlmut der betreffenden Seite gepinselt. Diese Pinselungen
werden sowohl auf den respiratorischen, als aueh auf den olfak¬
torischen Theil ausgeführt und namentlich die hinteren Partien der
Nasengänge gründlich eiugepinselt. Hier kann auch ein mit Cocain
getränkter Tampon liegen gelassen werden.
Verfasser erklärt die Wirkung dieser Pinselungen durch Be¬
einflussung der Enden des Sympathieus, wodurch auf reflek¬
torischem Wege eine Irradiation auf die sensiblen Aeste des Tri¬
geminus ausgeiibt wird.
K oliu: Die Operation von Kroenlein bei den Orbital¬
erkrankungen. (Uevista de Chirurgie, April 1901.)
K. beschreibt 4 auf der Klinik von Th. Jonnescu nach der
Iv r ö n 1 e i u’sclien Methode opcrirte Fälle von ltetrobulbür-
tumoren und gelangt zum Schlüsse, dass dieser Operationsinodus
die besten Resultate sowohl für die Erhaltung der Sehkraft, als
auch, für den Fall, dass der Opticus mit resecirt werden muss,
in aesthetischer Hinsicht gibt, da auf diese Weise der Bulbus er¬
halten bleibt.
J. Dona: lieber einen Fall von Influenza mit typho-
exanthematischer Form. (Spitalul, 1.—15. April 1901.)
I). erwähnt einen Fall von Influenza, welcher sich unter dem
Bilde eines schweren Typhus exanthematicus darstellte, und bei
welchem konstant im Auswurfe der P f e i f f e r’sche Bacillus ge¬
funden wurde.
C. Bacaloglu: Durch Staphylococcus hervorgerufene
postabortive Septico-Pyohaemie. (Ibidem, 1.—15. Mai 1901.)
In den meisten Fällen von Septikuemie und Pyaemie nach
Geburt und Alwrtus wird als provoclrendes Agens der Strepto¬
coccus gefunden, seltener der Colibacillus oder Gonoeoecus. B.
hat die Sektion einer nach Abortus verstorbenen Frau gemacht
und zahlreiche kleine submaxlllare, pulmonale und renale Abscesse
gefunden, aus welchen allen, sowie auch aus dem Uterus, fast ex¬
clusiv Staphylococcus aureus gezüchtet wurde. Ausser¬
dem wurde eine Thrombophlebitis dev rechten Nierenvene ge¬
funden, welche sich bis in die Cava inferior fortsetzte und auch
aus diesem Medium wurden reichliche StaphylococFenkulturen an¬
gelegt. Nichtsdestoweniger bot die Insertionsstelle der Placenta
und die Uterusschleimhaut keine evidente Eiterung.
Elena Manicatide: Ueber die haemorrhagische Form
der Scarlatina. (Ibidem, 15—31. Mal 1901.)
Die haemorrhagischen Formen des Scharlachs sind ziemlich
selten. M. hatte Gelegenheit im Krankenhause 2 Fälle zu be¬
obachten und hebt die besondere Schwere dieser Komplikation her¬
vor; beide Kinder starben. In dem einen Falle stellten sich
während der Dcsquamationsperlode reichliche Blutungen aus
Nase. Zahnfleisch, Conjunctiva, Magen und Darin ein. Der Harn
enthielt rothe Blutkörperchen und auf der ganzen Ivörperober-
fliiehe waren zahlreiche Petechien zu bemerken. Aehnliehe Blut¬
flecken wurden bei der Sektion auch auf Pleura und Perikard ge¬
funden. Bakteriologisch wurden in den Organen Streptococcen,
Staphylococcus albus und aureus gefunden.
In dem anderen Falle boten die Blutungen das Bild einer Pur¬
pura haemorrhagica und einer haemorrhagischen Nephritis dar.
M. betrachtet diese Blutungen als eine sekundäre i n -
f e k t i ö s e Komplikation des Scharlachs und ist der Ansicht, dass
die betreffenden Keime von aussen durch die diphtherischen und
ulcerativen Substanzverluste eindringen. Diese Annahme wird
dadurch erhärtet, dass die erwähnten 2 Fälle ln sehr kurzen
Zwischenräumen und im selben Krankensaale auftraten.
.7. An ton ln: Multiple Abscesse der Leber und linken
Lunge in Folge von Appendicitis. (Ibidem.)
Es handelt sich tun einen Fall von eiteriger Appendicitis.
komplizirt mit eiterigen Metastasen in Lunge und Leiter; der
bakteriologisch untersuchte Eiter wurde steril gefunden. Die Dia¬
gnose konnte am Lebenden gestellt werden und verhalt hierzu
ausser der Anamnese und sonstigen Krankengeschichte, haupt¬
sächlich das Auftiudeu des schmerzhaften Punktes von Mac
B u r n e y.
P. Bothezat: Appendicitis oder torsionirte Dermoid¬
cyste des rechten OvariumsP (Kevista de Chirurgie, Juni—Juli
1901.)
B. bespricht die verschiedenen krankhaften Zustände, welche
mit Appendicitis verwechselt wurden, wie namentlich lokalisirte
Bauchfellentzündungen, periappendiculäre Adenitiden, Epiploitis
der Coecalrcgion, verschiedene Entzündungen der Adnexen etc.
In dem selbst beobachteten Falle handelte es sich, wie die Autopsie
erwies, um eine Periappendicitis, hervorgerufeu durch Stiehlrehuug
einer Dcrmoidcyste des rechten Ovariums. Es werden aus der
Literatur noch zwei ähnliche Fälle eitirt, welche mit gutem Er¬
folge operirt wurden. Auch hier war ursprünglich die Diagnose
Appendicitis gestellt worden.
Verf. gelangt zum Schlüsse, dass ein sicheres diagnostisches
Zeichen in allen diesen Fällen nicht aufzufluden sei, dass aber
die Anamnese, die Eigenschaften und Entwicklung der Geschwulst,
die Rectal- und Vaginaluntersuchung wenigstens die Aufmerksam¬
keit dahin lenken sollten, dass es sich nicht um eine einfache Ent¬
zündung des Wurmfortsatzes handle.
Jedenfalls soll frühzeitig die Laparotomie ausgeführt werden,
von welcher allein eine Heilung des Leidens zu erwarten sei.
J. N. Dona: Das K e r,n i g’sche Zeichen im Verhältniss
zur Cytodiagnose bei Meningitis cerebrospinalis. (Spitalul
1. Juli 1901.)
I). bespricht die diagnostischen Hilfsmittel über welche die
Klinik derzeit bei Cerebrospinalmeningitis verfügt. Er gelangt
zum Schlüsse, dass diesbezüglich das Keruig'sche Symptom,
bestehend im Unvermögen dieser Kranken mit wagrecht aus¬
gestreckten Beinen zu sitzen, die Lumbalpunktion und
die Cytodiagnose von höchster, geradezu ausschlaggebender
Wichtigkeit sind. Trotzdem hatte D. Gelegenheit, einen Fall zu
beobachten, wo das Kerni g’sclie Symptom bei Jeder Unter¬
suchung in grösster Deutlichkeit vorzuflnden war, hingegen die
Lumbalpunktion und die mikroskopische Untersuchung der centri-
fugirton Cerebrosplnalflüssigkeit vollkommen negative Resultate
ergeben haben. Kr Ist der Ansicht, dass cs sich wahrscheinlich
um ein grippales Delirium auf alkoliolisirtem und durch Pellagra
geschwächten Boden, und nicht um eigentliche Meningitis cerebro¬
spinalis gehandelt habe.
St. G e o r g e s c u-M a n g i u r e a: Die spontane Elimination
der Milz durch die Oeffnung einer Nabelhernie. — Heilung.
(Ibidem, 15. Juli 1901.)
Der 9 jährige Patient hatte viel an Wechselfieber gelitten.
Seit einem Monat bemerkten seine Eltern eine Nabelgesehwulst,
welche ln letzter Zeit exulcerirte. Bei der Aufnahme iu's Kranken¬
haus bot der Kranke folgendes Bild dar: Der Nabel war der
Sitz einer hühnereigrossen in Ihrer ganzen Ausdehnung exulee-
rirten Geschwulst. Die Milzdütnpfung vergrüssert. dehnte sieh
bis zum Nabel aus. Nach einigen Tagen bildete sich um die
Nabelgeschwulst eine rothe Demarkationslinie, die Geschwulst
löste sieh im weiteren Verlaufe von der Umgebung ab uml wurde
eines Tages summt dem im Bauchraume befindlichen Theile frei
im Verbände liegend gefunden. Die Bauchöffnung schloss sich
und heilte im weiteren Verlaufe vollständig zu. Der von Prof.
Babe s untersuchte Tumor erwies sich als die nekrotislrte Milz,
welche der Sitz einer sklerosirenden Arteriitis war.
A. K o s 1 i n 8 k y: Das Glutol. Ein neues Antisepticum.
Klinische und experimentelle Studie. (Itevista de Chirurgie.
August 1901.)
K. hat das Glutol als Verbandpulver mehrfach angewendet
und Ist mit den Erfolgen sehr zufrieden. Er lobt die Geruch¬
losigkeit, Reizlosigkeit und Ungiftigkeit, indem er hervorhebt, dass
die antiseptische Kraft desselben eine grössere und dauerhaftere
sei, als die anderer, ähnlicher Antlseptica.
A. Motz ulescu: Die Behandlung der Schlangenbisse.
(Spitalul, August 1901.)
Verf. hatte öfter Gelegenheit, ln seiner Abtheilung Schlangen¬
bisse, meistens von Vipera aspis herrührend, zu behandeln und
empfiehlt seihst für den Fall, dass die krankhaften Veränderung« u
bereits weit vorgeschritten seien, subkutane Injektionen von Kali
liyperinnnganieum 1:100, sowohl an der Bissstelle als auch central-
wiirts an mehreren Stellen, rund um die Peripherie des gebissenen
Gliedes. Er nimmt an, dass das Kali hypenuanganicum als
Antidot des Viperugiftes wirke, indem es Sauerstoff an das Blut
abgebe und so der aspliyktlschen Wirkung des Schlangengiftes
entgegenarbeite. Dr. E. T o f f - Braila.
Holländische Literatur.
J. D. van der Plaats und II. Off erb aus: Die
Typhusepidemie zu Utrecht, August bis Dezember 1900.
(Weekblad van liet Nederl. Tydschr. voor Geneeskunde, No. 4.)
Der weitaus grösste Theil der Erkrankungen war auf Infek¬
tion durch Milch und Buttermilch zurückzufUhren, welche aus
einer nahebei gelegenen Molkerei stammten. In diese hatte ein
Bauer Milch geliefert, dessen 8 Kinder an Typhus erkrankt waren.
Zudem waren die Exkremente auf Grundstücke verführt worden,
welche an die zur Molkerei gehörigen Wasseranlage grenzten.
Auch waren unter dem Personal der Molkerei selbst verschiedene
Typhusfälle vorgekommen.
J. W. van Kentere r: Behandlung des rupturirten extra¬
uterinen Fruchtsackes. (Ibidem No. 5.)
Enthält eine in ganz Holland gesammelte Statistik über
331 Fälle von Extrauteringravidität. Davon verliefen letal 42
= 12,0 Proc. Die Conelusionen sind folgende: Die grosse Mehr¬
zahl rupturirt in den ersten Monaten unter wenig ernsten Er¬
scheinungen und wird vielfach misskannt. Jeder sicher kon-
statirte extrauterine Fruehtsaek muss so schnell als möglich
operativ entfernt worden, ehe Ruptur eintritt. Die Behandlung
der eingetretenen Ruptur mit Ruhe, Eis, Opium, Exeitantien und
Salzwasserirrigationen ist dagegen dem operativen Eingriff vor¬
zuziehen. Uebersteht eine Patientin den ln Folge Ruptur eiu-
tretenden Collaps 24 Stunden laug, so ist die Proguose ohne Ope¬
ration günstig, weniger günstig dagegen, wenn eine langsam
zunehmende Anaemie mit Collapserscheinuugen einhergeht, oder
wenn sich ohne bekannte Ursache die Blutung wiederholt, in
welchem Falle operatives Eingreifen vielleicht geboten ist
J.vanderHoe v e: Schädliche Wirkung von ß -Naphthol
in therapeutischer Dosis auf die Retina. (Aus der Augenklinik
von Prof. Koster, Leyden.) (Ibidem.)
Ein 40 jähriger Patient mit Katarakt auf beiden Augen war
ein halbes Jahr vorher wegen Ekzem des Gesichts 2 Wochen
lang mit 2 proc. ß -Naphtholsalbe behandelt worden, worauf Augen-
entzündung eintrat. Dies veranlasste Verf. zu Thierversuchen
uml ergaben sich bei NaphtholanWendung nicht nur in toxischer
Dosis, sondern schon bei Verwendung kleinerer Quantitäten — sub-
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1763
kutan, ln Salbenform, innerlich und bei lokaler Applikation ln
den Conjunctivalsack, schwere Augenaffektionen, nämlich Retinitis
und Katarakt.
C. II. Stratz: Ein Fall von Sectio caesarea mit Ovario-
tomie intra partum. (Ibidem, No. 6.)
24 jährige, anaemlsche, seit 4 Tagen kreissende Primipava,
bei welcher die Diagnose lautete: Erste Schädellage. Lebendes
Kind. Tumor ovaril sinistri. Peritonitis adhaesivn. Status
gastricus. Ruptura uterl imminens.
Operation: Schnitt in der Linea alba links vom Nabel bis
zur Symphyse. Eventration des leichte, nicht blutende Adhae-
slonen zeigenden Uterus, elastische Ligatur. Schnitt in der
Medianlinie trifft die Placenta am linken Rande; Extraktion des
asphyktischen Kindes, Unterbindung und Durchschneidung des
Nabelstrangs. Reinigung des Uterus mit Gaze. Geringe Blutung.
Der sich gut kontrabirende Uterus wird mit 8 Seidenligaturen ge¬
schlossen und reponlrt. Hierauf wird der Ovarialtumor nach
Lösung der Adhaesionen eventrirt, der oberste Theil der Rauch¬
wand durch Seidennähte geschlossen und der breite Stiel des Tu¬
mors mit 6 Ligaturen en masse versorgt, sodann der stark intra¬
ligamentär entwickelte Tumor enucleirt und entfernt, der Stiel im
untersten Wundwinkel fixirt und die Bauchhöhle geschlossen. —
Normaler, günstiger Verlauf für Mutter und Kind. Der Tumor
war eine Dermoidcyste.
Neben den beiden Fällen von Bo x all (Brit Med. Journ.
1898) und Staude (Monatsschr. f. Gyuiikol. 1895) ist dies der
dritte in der Literatur bekannte von Sectio caesarea -{- Ovarlo-
tomie intra partum. In allen dreien blieben Mutter und Kind
am Leben.
W. van Yzercn, Assistenzarzt der medio. Poliklinik zu
Utrecht: Die Pathogenese des chronischen Magengeschwürs.
(Ibidem, No. 9.)
Y. schnitt bei Kaninchen die Nervi vagi unter dem Dia¬
phragma durch und erzielte in der Hälfte der Fälle ein typisches
rundes Magengeschwür. Das Ulcus zeigte keim» Tendenz zur
Heilung, ist solitär und es geht dem Entstehen desselben eine
Nekrose der Mucosa voraus. Mucosa und Muskel in der Um¬
gebung bleiben intakt. Die Vagotomle erhöht die MagenRaft-
sekretion nur wenig. Gastro-Enterostomie und Längsspaltung des
Muskels der Regio pyloriea verhindern in der Regel die Geschwürs¬
bildung. Einige Tage nach der Operation wird der Magen härter,
d. h. es entsteht Magenkrampf. Dieser bleibt aus nach Gastro-
Enterostomie und Durchtrennung des Muskels. Nach des Verf.
Ansicht ist dieser nach Vagotomie auft.ret.ende Magenkrampf die
Ursache der GescliwUrsbildung. Durch die kräftige Zusammen¬
ziehung des Muskels nämlich, der bekanntlich in der Regio pyloriea
am dicksten ist, entsteht Anaemie der Mucosa, Nekrose derselben
und sodann das Ulcus, dessen Nichtheilen das Fortbestehen d<*s
Krampfes zur Ursache hat. Da nämlich nach Durchtrennung des
Muskels kein Krampf entsteht, bildet sich auch kein Geschwür.
Die ungeheure Aelmlielikeit, die das hier künstlich bei Ka¬
ninchen erzeugte Ulcus mit dem des Menschen hat, lässt mit
Wahrscheinlichkeit auf die gleiche Ursache sohliessen: Krampf
der Portio pyloriea, wie dies schon 1888 von Prof. Talma als
wahrscheinlich angenommen worden ist.
,T. A. Roorda S m i t: Aufgehen und Offenbleiben des
Urachus. (Ibidem, No. 12.)
Der erste Fall l>otraf einen 52 jährigen Herrn mit Retentlo
urinae wegen inoperabler Strlktur. Die Nabelgegend des Patienten
roch nach Urin und die Untersuchung der aus dem Nahei dringen¬
den Flüssigkeit erwies sich als solcher. Es hatte sich alRo hier
der Urachus durch den hohen Blasendruck wieder geöffuet. Nach
innerer Urethrotomie verschwand die Erscheinung.
Im zweiten Falle handelte es sich um ein 17 jähriges ge¬
sundes Mädchen, das fortwährend in sehr geringen Mengen Urin
durch den Nabel absonderte, eltenso verlor dasselbe bei jeder Men¬
struation Blut durch den Nabel. Die hier vorliegende con¬
genitale Fistula vesico-umbilicalis wurde operativ durch Spal¬
tung und Naht des Kanals beseitigt.
Der dritte Fall betraf einen ly 8 Jahre alten Knaben mit nach
Urin stinkendem Nabelekzem in Folge Fistula vesico-umbilicalis.
Die Blase reichte bis zum Nabel und hatte die Musculi recti abdom.
außeinandergedningt. Es bestand hochgradige Phimosis, die operirt
wurde. Da trotzdem die Fistel fortbestand, wurde der Nabel ex-
cidirt und der Urachus mittels Tabaksbeutelnaht geschlossen,
worauf Heilung eintrat. Hier hatte sich also in Folge congenitaler
Phimose und Harnstauung der Urachus wahrscheinlich schon vor
der Geburt wieder geöffnet.
Dr. S c h 1 o t h - Bad Brückenau.
Inaugnral-Dusertationea.
Universität Greifswald. September 1901.
27. Amelohr Otto: Ueber 2 Fälle von Chorea chronica pro¬
gressiva.
28. Mutke Emil: Ein Fall von Hemiplegie und Aphasie nach
Ligatur der Arteria carotis communis sinistrn.
29. Radefeld Fritz: Ein Fall von Fraktur der Halswirbelsäule
und Hernla duodenojejunalis.
30. W e h o w s k 1 Robert: Ueber Faltungstrübngen der Hornhaut
Vereins- und Congressberichte.
73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901.
Die Sitzungen der Tuberkulosekommission
am 26. September 1901.
Eigener Bericht von Dr. Grassmann in München.
Die 2 von der Tuberkulosekommission abgehaltenen Sitz¬
ungen fanden unter dem Vorsitze von Prof. Iluoppe-Prag
statt, der in seinen einleitenden Worten sieh mit der aetio-
logisehen Forschung über die Tuberkulose beschäftigte. An¬
knüpfend an die bekannten Aeusserungen R. Koc h’s über die
selten stattfindende Uebertragung der Rindertuberkulose auf den
Menschen, sowie einen der Beschlüsse des Londoner Tuberkulose¬
kongresses, die Frage der Konstitution als aetiologisehen Momen¬
tes für das Auftreten der Tuberkulose zum Gegenstand« ganz
specieller Untersuchungen zu machen, führt« 1 T Ln *■ ()J.e aus, dass
unter den für die Aetiologie der Tubcrkulo&TnT'Br&Pwffft kom¬
menden Faktoren bisher von der Forschung keiner so gründ¬
lich vernachlässigt worden sei, wie die Erblichkeit. Was die
inedieinisclie Literatur darüber auch aus den letztoTTTfirhrzehnten
aufzuweisen habe, ist, wie Redner^ unter theil weisem Wider¬
spruche seiner Zuhörer, aussprach, „unbnTüötTbnres~Zeüg"7 NacTi f
seiner-Anschauung ist die aetiologische’HeLcüUlilg der Erblich- i
keit für die Tuberkulose eine so unzwei fei ha ft bestehende und
durch tausendfältige Beobachtung erwiesene, dass einige Ver¬
suche, welche dieser Thatsaehe zu widersprechen scheinen, als
belang- und werthlos bezeichnet werden müssen. Es hat bisher
durchaus an einer richtigen, wissenschaftlich formulirton Frage¬
stellung über das Wesen der Erblichkeit gefehlt; unsere Aufgabe
ist es, zu erforschen, was sich denn eigentlich hinter dem mysti¬
schen Begriffe der Erblichkeit verbirgt. Der Weg wird darin be¬
stehen, dass wir die einzelnen Gewel>e des Körpers zum Gegen¬
stände der Untersuchung mnehen. um die Grundlagen der Erb¬
lichkeit herauszufinden, statt Dinge vorauszusetzen, von denen
wir gar nichts wissen. Eine „Gewebsschwiiehe“ spielt hier eine
Rolle. Es ist aber festzuhalten, dass diese Gewebsschwäche sich
zwar bei den Kindern in der nämlichen Weis«» iiussern kann, wie
Ix! den Eltern, aber nn«»h Anschauung des Redners auch in ganz
an<lor<»n Erscheinungen si«ii zu manifestiren vermag. So ist
daran zu erinnern, dass zwischen der Tuberkulose und Masern,
Scharla«-h, Keuchhusten, sowie andcn»n Infektionskrankheiten,
gewisse B«*zi«»hungen l>estehon, die wir in F«>lge uns«».rer bisherigen
einseitigen Auffassung bislang für die Frage der Erblüh keit.
noch nicht verwerthet habc.ii. Einseitig war unsere Auffassung
bisher in dom Sinne, dass wir schlossen, dass die obigen Krank¬
heiten nosoparasitär mit Tuberkulös«! auf treten, während sie
auch vikariirond dafür auftreten können. Tn web her Weis«! die
Auslösung der durch dio Erblichkeit g»*sotzt«»n Disposition
schlicsslhjh stattfindet, das hängt von verschiedenen, der Er¬
forschung zugänglichen Umständen ah. Aber dies«»* angeführt«:
Verhiiltniss der Kranklunten zu einamler muss gerade auch für
die praktische Seite «1er Forschung berücksichtigt werden. Die
Versuche, welche gezeigt zu haU»n scheinen, dass beim Rind die
menschliche Tuberkulose schwer haftet, müssen mit grösster Vor¬
sicht aufgenommen werden. Die Virulenz des Giftes ist, was
den Bakteriologen gegenüber immer wieder zu betonen ist, nicht
das allein Maassgebende. Hinsichtlich der Aeusserungen K oc h’s
ist II. der Ansicht, dass thatsächlieh oben doch recht häufig
eine infizirte Nahrung, speciell die Milch, eine Quelle tuberku¬
löser Infektion sein kann. Es ist festzuhalten, dass bei dem Be¬
funde einer Lungentuberkulose der primäre Krankheitsherd auch
ganz wo anders als in den Lungen seinen Sitz gehabt haben
kann, z. B. im Darm, in den Lymphdrüsen. Wie einer der
später Vortragenden ausführen werde, ist die U«'.bortragung der
Perlsucht vom Rinde auf den Affen gelungen. Die Anschau¬
ungen R. Koc h’s, wie sie dieser auf dem Tuberkulosekongress
in London ausgesprochen hat, kann Redner daher durchaus nicht
theilcn. Dio Tuberkulosekommission hat nach wie vor für dio
Erforschung der grossen Volksseuche wichtige Aufgaben vor
si«!h, und sie ist, wie Hueppe schloss, sehr wohl im Stande,
durch ihre Arbeiten eine grosse Lücke auszufüllen.
Es sprach nun zuerst M a r t i u 8 - Rostock über die Ver- ^
erbbarkeit des konstitutionellen Faktors der Tuberkulose, in-
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1764
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
dem er ausfilhrte: Der internationale Tuberkulosekongress in
London hat beschlossen, das Problem der Konstitution bei Tuber¬
kulose als Hauptgegenstand auf die nächste Tagesordnung zu
setzen. 20 Jahre lang hat man nicht viel an diese Frage gedacht.
Den Aerzten war die „tuberkulöse Konstitution“ längst eine ge¬
wohnte Beobachtung, aber in der Laboratoriumsmedicin hatte sie
keinen Platz. Allein Einseitigkeit war zunächst nothwendig;
jetzt kommt die Reaktion. Der materialistische Dogmatismus
ist wieder einmal vorüber. Der Entwicklungsgang kehrt aber
nicht einfach zum Ausgangspunkt zurück, sondern ein Fort¬
schritt der Erkenntniss ist erreicht worden. Jetzt ist vor Allem
die Fragestellung darauf zu richten, was „individuelle Disposi¬
tion“ ist. Wir sehen, dass das eine Individuum unter scheinbar
gleichen Bedingungen eher erkrankt, als das andere: das hat zum
Schlüsse geführt, dass diese beiden Individuen nicht gleich¬
wertig sind. Zu beachten ist zunächst, wie gross die indivi¬
duellen Abweichungen vom Mittelmaass nach oben und unten
schon in der Norm sind, wie sehr die Reaktionsfähigkeit auf
krankmachende Reize schon an sich schwankt. Beispiele hiefür
sind gegeben in den sog. Idiosynkrasien, z. B. gegen Antipyrin,
Chinin, Arsen. Die Immunisirungslehre basirt auf diesen Er¬
wägungen. Ob die Theorie von Ehrlich den materiellen Vor¬
gängen bei der aktiven Immunisirung entspricht, möchte Red¬
ner nicht entscheiden. Nachdem nun eine Steigerung der Em¬
pfänglichkeit gegenüber krankmachenden Reizen eintreten kann,
warum sollte nicht auch eine Herabsetzung derselben Platz
greifen können? Die Vernachlässigung des Faktors der Dis¬
position erklärt sich aus der Laboratoriumsmedicin. Jode in¬
dividuelle Disposition muss in der Anlage der Zellen begründet,
muss „konstitutionell* sein. Für den Menschen in seinem Ver¬
halten gegenüber einem krankmachenden Reiz tritt als weiterer
Faktor noch der psychische Zustand hinzu. Das kranke Indivi¬
duum ist Gegenstand der aetiologisehen Forschung, nicht jeder
mit Tuberkelbacillen infizirte Mensch. Die individuelle Dis¬
position ist besonders gegenüber der modernen Bacillenfurcht zu
betonen. Wer wird krank? Welches sind die inneren und
äusseren Bedingungen für die Entstehung der Tuberkulose bei
dem einzelnen Menschen? Von Diesem hängt das Schicksal des
Einzelnen und der Rasse ab, davon die Erfolge von Hygieno
und Gesetzgebung, der jetzigen Heilstättenbewegung. Wir
dürfen nicht von der Polizei alles hygienische Heil erwarten,
sondern unsere erste Aufgabe muss bleiben, die individuelle An¬
lage zu bekämpfen. Aber wie? Für die Lösung des Problems
der individuellen Veranlagung ist bei dem landläufigen Begriff
des Habitus phthisicus nichts anzufangen; auch die vor¬
genommenen Organmessungen sind ein unfruchtbares Mittel ge¬
blieben. Den Ausschlag geben schliesslich vitale Kräfte. Es
wird wohl noch möglich werden, ähnlich wie die individuelle
Fähigkeit, Zucker zu verbrennen, für den Einzelnen berechnet
werden kann, auch eine Messung der Widerstandsfähigkeit des
Einzelnen vorzunehmen.
Solange nun die Thatsache einer individuellen Disposition
noch bestritten wird, müssen wir erst ihre Existenz beweisen.
Der Streit setzt da ein, wo von den scheinbar gleichen Be¬
dingungen gesprochen wird, unter denen das eine Individuum
erkrankt, das zweite nicht. Eine direkte experimentelle Unter¬
suchung am Menschen ist ausgeschlossen. Mit statistischen
Aufstellungen wird nichts Sicheres mit der Frage der individu¬
ellen Disposition erreicht, die Resultate der Statistik sind hier
— woraus ihr kein Vorwurf zu machen ist — mangelhaft. Die
numerische Methode ist eben überhaupt ausser Stande, die Ur¬
sache einer Erscheinung nachzuweisen.
Was versteht man unter erblicher Belastung? Diese Frage
wird in sehr verschiedenem SiimoTk^rnwortet. Auch das drückt
sich nur zu deutlich in den Ergebnissen der statistischen Me¬
thode aus, dio freilich für den Zweck einer vorläufigen Orien-
tirung nicht entbehrt werden kann. Die Statistik sollte bei
ihren Aufstellungen aber vor Allem „erworbene“ und „ange¬
borene“ Disposition wohl auseinander halten. Auch „angeboren“
und „vererbt“ muss unterschieden werden. Der Vorgang einer
Krankheit kann überhaupt nicht vererbt werden. Allerdings
kann der Tuberkelbacillus direkt erblich übertragen werden,
doch kommt dies sehr selten vor. Ebenso ist intrauterine In¬
fektion ein seltenes Ereigniss. Es muss das Problem der kon¬
genitalen Tuberkulose von jenem der tuberkulösen Belastung
strenge geschieden werden. Entgegen den K o c h’schen
Aeusserungen spielt in der Aetiologie der Tuberkulose dennoch
die Erblichkeit eine grosse Rolle. Nirgends thut mehr eine rich¬
tige Fragestellung noth, wie hier. Festzuhalten ist, dass „ver¬
erbt“ diejenigen Eigenschaften sind, welche nachgewiesener-
maassen direkt im Keimplasma übertragen werden. Das kon¬
stitutionelle Moment muss in den Kernen der beiden Geschlechts¬
zellen zu suchen sein, in der Erbmasse. Eine Methode k ann
zur Aufstellung des Verorbungsproblems weiter helfen: es ist
die wissenschaftliche Genealogie nach Lorenz. Die Be¬
schaffung eines verlässigen Thatsachenmaterials hat freilich ihre
Schwierigkeiten, doch kann ein solches aus den Zusammen¬
stellungen Riffel’s gewonnen werden, der mit Unrecht als
unzuverlässig kritisirt worden ist. Redner demonstrirt zwei
nach Riffel angelegte Ahnentafeln, aus denen die durch die
Familien hindurchgehenden, die Tuberkulose betreffenden Ver¬
erbungserscheinungen ersehen werden können. In der wissen¬
schaftlichen Genealogie liegt nach Ansicht des Redners be¬
weisende Kraft.
Es muss nicht jeder belastete Mensch erkranken, doch ist
ein solcher immer mehr gefährdet als ein erblich nicht belasteter.
Allein auch der nicht specifisch disponirto Organismus kann der
Infektion erliegen; aber im Allgemeinen sind seine Lebens¬
chancen bessere.
Heller- Kiel brachte, ohne weitere epikritische Erörte¬
rungen an seine Mittheilung zu knüpfen, wie sie mit Rücksicht
auf die jüngsten Koch’schen Aufstellungen sehr nahe gelegen
hätten, folgende drei interessante Beobachtungen zur Kenntniss:
Eine 14 jähriger Knabe hatte sich eine Tätowirung an einem
Vorderarm anbringen lassen; diese wünschte er wieder los zu
werden und impfte, einer volkstümlichen Sitte folgend, dio
tätowirten Stellen mit Kuhmilch nach, welche er immer von der
nämlichen Kuh bezog. An der tätowirten Stelle zeigte sich nach
einiger Zeit ein typischer Lupus, in dessen Gewebe Riesenzellen,
aber keine Tuberkelbacillen gefunden wurden. Es hat also hier
eine Uebertragung der Tuberkulose von der Kuh auf den
Menschen stattgefunden.
Betreffs der Häufigkeit der Darmtuberkulose hat R. Koch
bekanntlich jüngst erklärt, dass primäre Darmtuberkulose selten
sei. Heller hält das für unzutreffend. Vor Allem muss die
Darmtuberkulose der Erwachsenen von jener der Kinder getrennt
gehalten werden. Bei ersteren fand Redner allerdings nur
2 Proc. Dagegen hat II. von 714 an Diphtherie verstorbenen
Kindern bei 140 Spuren von Tuberkulose gefunden. Von diesen
140 Fällen zeigten 43, d. i. 30 Proc. reine, primäre Darmtubor-
kulose. In einer weiteren Anzahl dieser Fälle fanden sich die
Mesenterial- und Bronchialdrüsen erkrankt.
Als 3. Beobachtung führt H. folgende an, welche das Ein¬
wirken von Hilfsursachen beim Entstehen der Tuberkulose
illustrirt: Redner hat eine grosso Zucht von Meerschweinchen
(ca. 10 000 Stück) angelegt, welche ausschliesslich von tuber¬
kulösen Eltern abstammen. Keines dieser Thiere ist tuberkulös
geworden, so lange sie unter sehr günstigen Verhältnissen ge¬
halten wurden. Vor einiger Zeit trat plötzlich unter diesen
Thieren, sowie unter den Kontrolthieren eine auffallende Sterb¬
lichkeit an Tuberkulose auf. H. untersuchte eingehend und fand,
dass die Thiere schlechtes Heu erhalten hatten. Nach Beseiti¬
gung dieses Missstandes blieben die Thiere wieder gesund. Nach
einem Jahre wiederholte sich dieser Vorgang in der nämlichen
Weise. Redner unterlässt es absichtlich, eine Erklärung dieses
bemerkenswerthen Verhaltens versuchen zu wollen.
An 4. Stelle sprach nunmehr Sprengel - Braunschweig
über das Thema: Welche Fälle von sogen, chirurgischer Tu¬
berkulose eignen sich für die Behandlung in Heilstätten?
Die chirurgische Tuberkulose ist auf dem Gebiete der Heil¬
stättenbewegung bisher im Allgemeinen zu wenig berücksichtigt
worden, wenn auch eine Anzahl von solchen Fällen auch jetzt
schon zur Behandlung in den betreffenden Anstalten gelangt.
Auf eine genauere Entscheidung darüber, welche Fälle chirur¬
gischer Tuberkulose für die Heilstättenpflege sich eignen, ist
man hinsichtlich der Erwachsenen schon aus dem Grunde
nicht hingedrängt worden, als es sich bei der chirurgischen
Tuberkulose der Erwachsenen ohnehin meist um eine
Komplikation mit Lungentuberkulose handelt. Die chir¬
urgische Tuberkulose der Kinder in ihren verschiedenen
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
29. Oktober 1901.
1765
Formen (Drüsen-, Knochen-, Gelenktuberkulose) war natür¬
lich längst Gegenstand der Heilstättenbehandlung. Sie ist
relativ gutartig, begrenzt und in der Mehrzahl der Fälle heil¬
bar. Allein für die Heilung möglichst vieler Fälle sind zwei
Faktoren vor Allem maassgebend: eine genügend lange Dauer
der Behandlung und die richtige Auswahl der zu behandelnden
Fälle. In Deutschland ist die Behandlungsdauer in den Heil¬
stätten eine meist auf 6 Wochen beschränkte, wirkliche Heilungen
daher selten, während in Frankreich bei unbeschränkter Behand¬
lungszeit ca. 70 Proc. Heilungen bei der chirurgischen Tuber¬
kulose der Kinder erzielt werden können. Wird bei unserer
kurzen Behandluugszeit in der Statistik von einer „Besserung“
gesprochen, so können diese Fälle ruhig zu den Nichtgehcilten
gezählt werden. Berücksichtigt man dies, so müssen im All¬
gemeinen für uns in Deutschland die Ergebnisse der Heilstätten¬
behandlung chirurgischer Tuberkulose der Kinder als sehr un¬
befriedigende bezeichnet werden. So waren von 263 Fällen
chirurgischer Tuberkuloso von Kindern, welche im See-IIospiz
auf Norderney sich befunden hatten, 142 ohne Erfolg wieder
zurückgekehrt — bei einer Behandlungsdauer von 6 Wochen.
Wie die Praxis jetzt gehandhabt wird, kann der Satz aus¬
gesprochen werden: In die deutschen Heilstätten werden alle
Fälle chirurgischer Tuberkulose aufgenommen, aber mit ausser¬
ordentlich mangelhaften Resultaten behandelt.
Um diese Misserfolge zu bessern, muss 1. die Behandlungs¬
zeit verlängert werden, 2. die Auswahl der Fälle geändert werden.
Zu berücksichtigen ist, dass die chirurgische Tuberkulose ein
lokaler Krankheitsprocess ist, der zunächst chirurgisch in An¬
griff genommen und, wie die statistische Zusammenstellung der
Heilerfolge für die verschiedenen Formen chirurgisch behandelter
Tuberkulose aufweist, in vielen Fällen der Heilung zugeführt
werden kann. Da die Statistik zeigt, dass die Erfolge der rein
chirurgischen Behandlung dieser Formen von Tuberkulose fast
allenthalben bessere sind, als jene durch die klimatische Therapie,
so ist kein Grund vorhanden, diese Fälle in die Seebäder zu
schicken. Anzustreben ist die Kombination der chirurgischen
Behandlung mit der klimatischen, da durch letztere besonders
das Allgemeinbefinden gebessert werden kann. Freilich werden
die Erfolge der Soole- und Seebäder auch in dieser Hinsicht oft
überschätzt. Für den Grad der Aufnahmefähigkeit der Patienten
mit chirurgischer Tuberkulose in die Heilstätten und Seehospize
gibt S. ein Schema an, das die prognostische Werthigkeit aller
hier einschlägigen Formen berücksichtigt und besonders den
Unterschied zwischen offener und geschlossener Tuberkulose in
dieser Hinsicht betont. Bei ersterer muss die chirurgische Be¬
handlung der klimatischen vorausgehen. Hinsichtlich der
operativen Behandlung des Gibbus räth S. dringend von der¬
selben abzustehen und sich auf die Allgemeinbehandlung zu be¬
schränken. Die nur 6 wöchentliche Dauer der Behandlung in
den See- und Soolbädem muss auch bei uns in Deutschland
fallen. Man muss die Fälle chirurgischer Tuberkulose entweder
ausschlicssen oder nach anderen Grundsätzen behandeln. Die
Aufnahme der Kinder soll durch eine aus Chirurgen und Inter¬
nisten zusammengestellte Kommission stattfinden, ungeeignete
Fälle müssen abgelehnt und die Dauer der Behandlungszeit vom
Arzte bestimmt werden. Zwar soll nicht etwa die operative
Behandlung principiell in die Bäder und an die See verlegt
werden, aber die chirurgische Behandlung soll, wie erwähnt, der
klimatischen vorausgehen. Die vorhandenen Anstalten müssen
besser ausgenutzt, oder es müssen neue gebaut werden. Wenn
die Kapitalkraft grosser Gemeinwesen sich dieser Sache an¬
nähme, könnten sich bei uns in Deutschland ebenso gesunde und
dauernde Verhältnisse entwickeln, wie in Frankreich. Die
meisten Anstalten halten mit der Bekanntgabe ihrer Resultate
zurück. Die Kinder mit chirurgischer Tuberkulose können
auch in ihren Heimathgegenden mit Erfolg behandelt und müssen
nicht unbedingt in Sec- und Soolbäder geschickt werden, die
heute in dieser Hinsicht oft nicht mehr darstellen, als kostspielige
Sommerfrischen. Der alte Kampf gegen die Tuberkulose muss
auch auf diesem Gebiete, dem der chirurgischen Tuberkulose,
nach einheitlichen Gesichtspunkten geleitet werden!
(Schluss der Vormittagsitzung.)
Nachmittagssitzung vom 26. September 1901.
Herr Grünbaum- Liverpool: TTebertragbarkeit der
Rindertuberkulose.
G. hat Chimpansen, also Affen, welche in ihrer Organisation
dem Menschen nahe stehen, mit Rindertuberkulose geimpft. Es
traten geschwürige Processe an den Impfstellen auf; nach
1 Monat wurden die Thiere getödtet und es fanden sich die Leber
und Milz voll Tuberkeln, Tuberkelbacillen in der Absonderung
der Geschwüre, wie sie in dieser Menge in der eingeimpften
Aufschwemmung nicht vorhanden gewesen waren. Eine Auf¬
schwemmung der Organe der Affen wurde mit Erfolg auf Meer¬
schweinchen übertragen. Auch auf Kühe gelang später die Ueber-
tragung von den Chimpansen aus. Da letztere dem Menschen
ziemlich nahe stehen und z. B. auch mit Typhus infizirt werden
können, kann ein gewisser Rückschluss bezüglich der Uebertrag-
barkeit der Rinder tuberkulöse auf den Menschen gemacht
werden.
In der Uber die vorausgegangenen Vorträge eröffneten Dis-
cussiou bemerkt Herr Michaelis, dass er dem Faktor der
Erblichkeit schon längst seine specielle Aufmerksamkeit zuge¬
wendet habe. Er verfüge in dieser Hinsicht über Beobachtungen
an der nämlichen Bevölkerung, welche sich über 35 Jahre er¬
strecken. Unzweifelhaft spiele aber in der Aetiologie der Tuber¬
kulose die gewerbliche Thätigkeit der Betreffenden eine grosse
Rolle. Von 100 Steinhauern starben 58, davon 54 an Tuberkulose;
bei Kohlenbergwerkarbeitern dagegen ist innerhalb grosser Fa¬
milien seit 20 Jahren kein Fall von Tuberkulose vorgekommen. Er
habe daher versucht, für Steinhauer eine Maske zu konstruiren,
durch welche sie einathmen sollen. Vor Allem sei nöthlg, dass die
Einathmungsluft aus weiter Entfernung herbeigeholt werde.
Herr Friedmann - Berlin hat Kaninchenweibchen kurz
vor der Begattung Tuberkelbacillen ln die Scheide gebracht und
nun die Embryonen ln Serienschnitten untersucht. In allen Fällen,
ausser in der Uterusschleimhaut der Weibchen konnte er Tuberkel¬
bacillen in den Embryonen nachweisen, woraus folgt, dass mit
dem Sperma eingeführte Tuberkelbacillen auf die Frucht über¬
tragen werden können, ohne die Mutter zu infleiren. Der direkte
Ucbergang von Tuberkelbacillen auf die Frucht gehört also, im
Gegensatz zu den Ausführungen von Martius, durchaus nicht
zu den Seltenheiten.
Herr Sommerfeld betont ebenfalls den wichtigen Ein¬
fluss der Wohnungsverhältnisse und der gewerblichen Schädi¬
gungen. Nach seinen Untersuchungen leiden von allen lebenden
Steinhauern über 25 Proc. an Tuberkulose und fast alle Steinhauer
sterben an dieser Krankheit Die Masken hält er für nutzlos; die
Hauptsache ist die Anfeuchtung des Materials, um die Verstäubng
zu verhüten.
Herr L e n h o f f - Berlin spricht über die günstigen Er¬
fahrungen mit den Erholungsstätten bei Berlin, deren Ein¬
richtungen er näher schildert Mit 4—5000 M. können Ein¬
richtungen für ca. 150 Kranke getroffen werden. Die Leute
halten sich nur bei Tag dort auf; die täglichen Kosten betragen
70—90 Pf. pro Person. Mit den Erfolgen ist L. sehr zufrieden;
namentlich können solche Patienten aufgenommen werden, welche
auf die Aufnahme in die Volksheilstätten warten müssen, aber
auch solche, welche dort überhaupt nicht mehr aufgenommen
werden können. Diese Erholungsstätten sollen besonders im An¬
schluss an Krankenhäuser aufgemacht werden.
Herr Ivobert berichtet Uber 2 Fälle, in denen Fleischer¬
gesellen sich beim Schlachten tuberkulöser Kühe mit Tuberkulose
inflzirten.
Herr Martius erklärt, dass er die Möglichkeit der Uel>er-
tragung von Tuberkelbacillen durchaus nicht in Abrede stelle.
Bezugnehmend auf den Vortrag Sprengel (Vormittagssitzung)
bespricht er die für die Auswahl der Kinder für die Bäder und
Seehospize muassgebenden Grundsätze und vertritt die Ansicht,
dass die Hauptsache nach wie vor die Prophylaxe bleibe und auch
die Seehospize die schweren Fälle nicht heilen könnten. Immerhin
seien sie etwas Anderes als kostspielige Sommerfrischen, wie
Sprengel meine.
S. B a n g - Kopenhagen spricht: lieber Lichttherapie.
Dio durch die Arbeiten Vi dmaPs in Stockholm als thera¬
peutisch wirksam befundenen ultravioletten Strahlen bewirken
eine nach einiger Zeit auftretende Röthe und hinterlassen eine
bleibende Pigmentirifhg. Der histologische Vorgang bei der
Liclitentzündung ist jetzt bekannt find besteht im Wesentlichen
in einer Gefässerweitorung und ersetzender llyperleukocytose.
Die allgemeine Wirkung des Lichtes ist noch nicht genau be¬
kannt. Engelmann hat gewisse Einflüsse dos Lichtes auf
Amoeben nachgewiesen. Man sieht, dass isolirte Flimmerzelleu
sich auf Lichtreiz kontrahireu. Auch besteht ein Einfluss des
Lichtes auf Stoffwechselvorgänge. F i n s e n hat nachgewiesen,
dass Lichtstrahlen eine reizende Wirkung auf Embryonen aus¬
üben; auch wird durch Lichteinwirkung eine Vermehrung der
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1766
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Kohlensäureausschcidung bewirkt, doch spielen hier auch die
vermehrten Muskelbewogungen mit. Die bakterientödtende Kraft
des Lichtes ist besser bekannt; auch diese ist besonders den
ultravioletten Strahlen zuzuschreiben. Die Bakteriologen,
welche sieh mit dieser Frage, beschäftigen, haben vielfach das
benützte Licht zu wenig umgrenzt. Bang hat gefunden, dass
Licht, welches durch Bouillon gegangen ist, Bakterien erst in
längerer Zeit tödtet, als solches, welches nur destillirtes Wasser
passirt hat.
Bei der therapeutischen Verwerthung des Lichtes hat man
zunächst gewisse Strahlen abgehalten. F inson hat z. B.
Variolakranke nur unter rothem Licht gehalten. Die Methode
gibt auffallend gute Resultate, indem die Pustelbildung bei
diesen Kranken ausbleibt. Für die positive Lichttherapie ent¬
behren wir des physiologischen Fundaments aus dem Grunde,
da es bisher nicht möglich war, die Wärmewirkung völlig aus¬
zuschalten. Die Glühlichtbäder können nicht mit den elek¬
trischen Bogenlichtbädern in eine Kategorie gerechnet werden,
denn ihre Wirkung beruht ganz besonders auf der Wärme¬
strahlung. Die Glühlichtbäder sind eine Form von Schwitzbädern,
aber nicht von Lichtbädern. Die lokale Lichttherapie ist durch
Einsen eingeführt. Er nimmt ein sehr starkes Licht (Bogen¬
lieht), lässt es durch Quarzlinsen konzentriren und durch Wusser-
sehichten filtriren. Wichtig ist für die Wirkung, dass eine Kom¬
pression auf die belichteten Gewebe ausgeübt wird, um die Ge-
websdicke zu vermindern und das Blut zu verdrängen, das einen
grösseren Theil der wirksamen Strahlen absorbirt. Man kann
auch Leiden mit Erfolg behandeln, welche nicht bakteriell sind,
z. B. angeborene Angiome. Bei Lupus vulgär, hat die Finsen-
Behandlung eine Art spezifische Wirkung. Von einer Aetz-
wirkung, wie Bergmann meint, kann nicht gesprochen
werden. Die Knötchen werden flacher und verschwinden, ohne
dass das gesunde Gewebe leidet. Daher werden so schöne Re¬
sultate erzielt. 640 Lupusfälle wurden bisher der F i n s e n -
Behandlung unterzogen, darunter ist keiner, in welchem das Licht
nicht einen günstigen Einfluss ausgeübt hat, nur in 11 Fällen
war die Wirkung nicht gross. Von 140 Füllen sind 130 bereits
ein Jahr in Beobachtung gestanden, ohne dass ein Recidiv ge¬
sehen wurde. Ausser Lupus wurden Angiome, Alopecia areata,
Akne vulgaris und beginnende Hautcarcinome behandelt.
Die Zukunft der Lichttherapie hat eine sichere Position.
Die Behandlung ist eine sichere, schmerzlose, die bleibende
Narbe schön; ein Nachtheil liegt in der langen Dauer der Be¬
handlung und daher in den Kosten. Technische Fortschritte
sind möglich. Strebei hat daran gearbeitet, das Funkenlicht
zu verwenden, doch sind die Apparate komplizirt und tlieuer.
Es ist dem Redner nun gelungen, eine Lampe zu konstruiren,
welche fast nur ultraviolettes Licht gibt und fast keine Wärme
entwickelt. Statt der Kohlenelektroden, an denen stets die
Kraterbildung ungünstig wirkte, nimmt B. Eisenelektroden und
schaltet noch eine Abkühlung durch Wasser ein. Es entsteht
sodann ein kaltes sehr helles Licht, dessen bakterientödtende
Wirkung eine ganz unerwartet grosse ist. Die Schnelligkeit, mit
welcher durch die neue Lampe die Bakterien abgetödtet werden,
ist 60 mal grösser, als mit den bisherigen Methoden. Der Strom¬
verbrauch mit der kleinen Lampe ist 56 mal geringer als beim
F i n s e n’schen Bogenlicht. Es kann schon mit 5 Ampere ge¬
arbeitet werden. Es ist möglich, die Lampe an die elektrische
Hausleitung anzuschliessen. In 5 Minuten kann dieselbe Wir¬
kung erzielt werden, wie früher in 114 Stunden. Die Reaktion
ist so stark wie bei den grossen Finsen-Apparaten. Die einzelne
Sitzung dauert nur einige Minuten, nur in wenigen Fällen bis
10 Minuten.
Am Schlüsse des hochinteressanten Vortrags demonstrirte
Herr Bang die neue, sehr niedliche Lampe, welche ein höchst
intensives Licht ausstrahlt, das jedoch eine fühlbare Wärmewir-
kung nicht entfaltet, wahrlich ein höchst überraschender Anblick!
Rief schon die praktische Vorführung der Bau g’sdien Lampe,
welche die Lichttherapie des Lupus zu einer viel allgemeineren
zu machen berufen sein wird, das grosse Erstaunen der Zuhörer
hervor, so steigerte sich dasselbe zu lauten Ausdrücken der Ueber-
raschung und Kundgebungen uneingeschränkten Beifalls, als
Bang nun in vorzüglichen Lichtbildern die Erfolge der Einsen-
scheu Lupusbehandlung an einer langen Reihe von Patienten vor¬
zuführen begann. Die erzielten Resultate müssen für viele Fälle
als verblüffende bezeichnet werden und stellen in einer grösseren
Anzahl der Fälle einen Idealerfolg therapeutischer Bestrebungen
dar. Die tiefgreifenden Entstellungen des Gesichtes ln Folge aus¬
gedehnter Geschwürsbildungen sind durch die Llchttheraple noch
No. 44.
einer ausserordentlichen Besserung fähig. Die Narben erscheinen
als glatt und sind bei den leichteren Fällen kaum zu sehen. Nach¬
dem der reiche Beifall sich beruhigt hatte, erklärte B. auf Anfrage,
dass die lupöseu Schleimhuutleiden bisher nicht behandelt werden
können, sondern nach wie vor mit Cauterlen behandelt werden.
Die Lichtbehandlung der äusseren Haut hat auf die Schleimhaut-
erkrnukungen keinen Einfluss. Auch Leprafälle wurden bisher
nicht behandelt Auf eine Anfrage durch K o b e r t bemerkt B.,
dass eine Behandlung tuberkulöser innerer Organe keine Aussicht
auf Erfolg biete, da die nöthige Kompression bei diesen Organen
nicht angewendet werden könne. Das Blut aber absorbirt, wie
K o b e r t gefunden hat, durch seinen Blutfarbstoff die wirksamen
ultravioletten Strahlen.
Herr Friedeberg; -Wiesbaden: Moderne Forderungen
der Familienfürsorge.
Redner bespricht die Fürsorge für die Familien jener, deren
Angehörige zur Behandlung in Volksheilstätten kommen. Er
ist der Anschauung, dass man sich hiebei nicht auf Wohlthätig-
keit durch Private verlassen dürfe, sondern diese ganze Sache
auf gesetzlichen Boden gestellt werden müsse. Das Volk müsse
von dem Drucke befreit werden, als ob es Wohlthaten zu em¬
pfangen hätte! Schon auf Grund des früheren Invaliditätsge¬
setzes wurde da und dort für die betreffenden Familien etwas
gesorgt, wie von den hanseatischen Versicherungsanstalten. Der
§ 40 des neuen Invaliditätsgesetzes erleichtert in mancher Hin¬
sicht die angeregte Unterstützung der Familien. Redner stellt
die Forderung auf, dass die Versicherungsanstalten sich ver¬
pflichten müssen, den Familien der in die Heilstätten Aufge¬
nommenen das ganze Krankengeld zu gewähren, das letztere zu
beziehen berechtigt wären. Die Inval.-Anstalten sind dazu
in der Lage. Auch die Krankenkassen müssen herangezogen
werden und zwar sollen diese das halbe Krankengeld, das für
den betr. Aufgenommenen anfiele, bezahlen müssen.
Redner verbreitet sich nun über die Mittel zur Verbesserung
der wirtschaftlichen Lage der deutschen Krankenkassen und
wünscht vor Allem eine Centralisirung derselben. Die Berech¬
nung des sogen, ortsüblichen Taglohns ist vielfach eine unge¬
rechte und muss aus den Händen der Unternehmer genommen
werden. Den Krankenkassen soll die Leistung der Kosten für
die ersten 13 Wochen der Krankheit nach Unfällen abgenommen
werden. Das bisher gezahlte Krankengeld ist zu gering, die Ver¬
sicherten sollen mehr leisten, um später mehr zu bekommen.
Die Unternehmer sollen nicht das ausschlaggebende Wort haben.
Es sollen Gefahrenklassen für die Versicherten eingeführt werden,
deren höhere Beiträge von dem Unternehmer zu leisten sind.
Die Reservefonds müssen verringert werden. Mit dem Satze:
„Das deutsche Volk ist nicht zu arm, dass nicht der Born der
Genesung für Alle fliesse“ schloss Fr. seine manchen Wider¬
spruch erweckenden Ausführungen.
Hierauf spricht Herr Qebhard- Lübeck: lieber Haass-
nahmen zur Ergänzung der dnreb Unterbringung in Heil¬
stätten geübten Fürsorge mit besonderer Berücksichtigung
der Familienangehörigen der an Tuberkulose erkrankten Per¬
sonen.
Vorläufig können in Deutschland 20 000 Personen der Heil-
stättenfürsorge zugeführt werden. Hauptstützen hiefür sind die
Invaliditäts-Versicherungsanstalten. G. erklärt es als nicht er-
strebenswerth, dahin zu gelangen, dass diese Anstalten Alles
thun. Nach dem Gesetz kann nun allerdings nur für die Ver¬
sicherten ei »geschritten werden, was aber nach dem Wesen der
Tuberkulose nicht genügen kann. Wenn der Versicherte wieder
in seine tuberkulöse Familie heimkommt, besteht sofort wieder
die Gefahr der Ansteckung. Es müssen also ergänzende Maass¬
nahmen eintreten. Es empfiehlt sich, dass die Versicherungs¬
anstalten von dem ihnen im Gesetze zugebilligten Rechte Ge¬
brauch machen, von etwaigen Ueberschüssen auch die Ange¬
hörigen der Rentenempfänger und Versicherten zu unterstützen.
Auch diese können auf diesem Wege den Heilstätten zugeführt
werden. Was die Ausführungen des Vorredners über die Finanz¬
lage der Versicherungsanstalten betrifft, so soll nach den aufge¬
stellten Berechnungen keine derselben in der Lage sein, Ueber-
schüsse zu machen. Von Ueberschüssen ist gegenwärtig faktisch
nicht die Rede. Die Fried eher g’sehe Berechnung ist nicht
zutreffend. Auf Wohlthaten kann nicht verzichtet werden, man
müsse im Gegentheil die Neigung, Wohlthaten zu erweisen,
unterstützen. Es sind Maassregeln zu treffen, welche dazu führen
können, den Quell der tuberkulösen Erkrankungen zu verstopfen.
In Betracht kommen da die Behandlung der Familienangehörigen,
die Reinigung und Desinfektion der Wohnungen der Erkrankten.
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29. Oktober 1901; ktUEticHENEk MfcDlClNISCÖE WOCÖENSCHRllFT.
1767
Man muss dem einzelnen Falle näher treten und Vorkehrungen
treffen, dass der Erkrankte von den anderen Bewohnern der
Wohnung möglichst abgesondert werde. Hier kann die Vereins-
thätigkeit ein reiches Feld finden. Man muss den Leuten, welche
in Gefahr sind, infizirt zu werden, praktisch zeigen, wie sie
sich vor der Ansteckung schützen können.
Herr Blasius betont, dass die Hygieniker seit Langem
die allgemeine Anzeigepflicht der Aerzte gegenüber der Tuber¬
kulose fordern, ohne welche nicht viel auszurichten sei.
Zu den Ausführungen F r i e d e b e r g's bemerkt Herr
rnnnwi t z, dass die staatliche Fürsorge die private Wohl-
thiltlgkelt niemals entbehren könne: dieselbe müsse aber in ge¬
wissem Sinne organisiit werden. Auch er befürwortet die all¬
gemeine Anzeigepflicht bei der Tuberkulose, doch erfüllt dieselbe
ohne Isolirung nicht den gewollten Zweck. Die Heilstätten wirken
vorläufig als eine gewisse theilweise Isolirung. Vor allen
outrlrten Forderungen in diesen Fragen müsse übrigens gewarnt
werden.
Herr 0. Brunslow - Rostock: Ein Fall von Kniegelenks-
r/" tuberkulöse und seine Behandlung mit K o c h’schem Tuber-
X kulin neuer Art.
B. gibt die ausführliche Krankengeschichte des Falles, bei
welchem seit der letzten Einspritzung IVa Jahre verstrichen sind,
ohne dass ein Rückfall eintrat. Sicher ist bei dem schweren
Falle ein Stillstand zu verzeichnen. Ueber die Behandlung der
Knochentuberkulose mit dem Tuberkulin liegen sehr wenige Mit¬
theilungen vor. Auf Grund seines Falles (14 jähriger Knabe)
räth B. starke Reaktionen zu vermeiden und jedenfalls keine
neue Einspritzung zu machen, bevor nicht eine etwaige Reaktion
ganz abgelaufen ist. Im Ganzen hat B. bei seinem Kranken
4 Injektionskuren durchgeführt, da immer wieder eine Ver¬
schlimmerung des Zustandes eintrat.
J Herr W e i c k e r berichtet über: Bisherige Dauererfolge
/ der Heilstättenbehandlung.
\ Im Allgemeinen lässt sich für ungefähr 40 Proc. der in
Heilstätten Behandelten der Nachweis erbringen, dass sie nach
2 Jahren noch anhaltend arbeitsfähig sind. Die Erfolge, welche
Redner selbst erzielte, sind ähnlich. Zahlenmässig können die
Erfolge der im Betrieb stehenden 59 Heilstätten Deutschlands
überhaupt nur schwer festgestellt werden, sicher werden nur
20 Proc. der in den Heilstätten Behandelten aus denselben ohne
Tuberkelbacillen entlassen. W. nennt seine Entlassenen niemals
gesund. Redner kommt zu dem Schlüsse, dass die Heilanstalten
die Aufgabe haben, die für die Tuberkulinkur geeigneten Per¬
sonen für die Kur vorzubereiten. Die bisherigen Dauererfolge
sind nicht als Dauerheilungen zu bezeichnen, sie bedeuten nur
ein Hinausschieben der Todesfälle.
Aus dem von Herrn Petruschky angekündigten Vor-
jrag: Ueber den gegenwärtigen Stand der diagnostischen und
/therapeutischen Tuberkulinbehandlung liest der Autor in Folge
(der sehr kurz zubemessenen Zeit nur einige Thesen vor.
Die Erfahrungen über die Verwendbarkeit des Tuberkulins
sind darnach nun soweit geklärt, dass Missgriffe bei der An¬
wendung mit Sicherheit vermieden werden können. Am meisten
empfiehlt sich eine Kombination der etappenweisen Tuberkulin¬
behandlung mit der klimatischen. Die Frühdiagnose mittels
Tuberkulin ist in weitestem Umfange anzustreben, eigene Unter¬
suchungsanstalten für Tuberkulose-Verdächtige sind zu schaffen.
Auch sind Heilstätten für Tuberkulose-Invaliden nöthig.
Herr 0 11 - Odersberg: Sind die bei Tuberkulösen nach
leichten Körperübungen auftretenden Temperatursteige¬
rungen als Fieber anzusehen?
(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochenschrift.)
Um Val Uhr Abends wird die Sitzung vom Vorsitzenden
geschlossen.
Abtheilung für innere Medioin.
Referent: A1 b u - Berlin.
V. Sitzung.
1. Herr E d e 1 - Würzburg: Heue Gesichtspunkte für die
Bekämpfung von Albuminurien. (Der Vortrag erscheint in
extenso in dieser Wochenschrift.)
2. Herr v. P o e h 1 - Petersburg: Die Nervenüberreizungen
als Ursache von Autointoxikationen.
Man hat es bei Uebermüdungen mit Autointoxikationen
in Folge herabgesetzter Gewebsathmung resp. Blutalkalescenz
zu thun.
3. Herr Eulenburg - Berlin: Gehirnerkrankungen nach
elektrischem Trauma.
Vortr. lenkt die Aufmerksamkeit auf die Nervenerkrankungen
als Folge der elektrischen Strassenbahnunfälle durch Reissen
und Ifernbfallen der Oberleitungsdrühte. Diese Erkrankungen
kommen in sehr wechselnder Intensität zur Beobachtung vom
leichten, rasch vorübergehenden Schock bis zum tödtlichen Aus¬
gang. In ganz seltenen Fällen entwickelt sich erst allmählich
ein Krankheitsbild als Folge chronischer Veränderungen im
Centralnervensystem. Vortr. berichtet einen Fall, über den er
ein gerichtliches Obergutachten zu erstatten hatte. Ein 48jähr.
vorher gesunder Mann brach beim Unfall ohnmächtig zusammen
und klagte nach dem Erwachen bald über Kopfschmerzen und
hatte einen taumeligen Gang. In den nächsten Stunden nahmen
die Beschwerden noch zu, es stellten sich epileptische Krämpfe
im rechten Arm und Bein ein, die dann gelähmt wurden, dazu
gesellte sich linksseitige Erblindung und rechts Herabsetzung
des Sehvermögens. Die Zuckungen traten in den nächsten Tagen
atich an den linksseitigen Extremitäten auf und führten zur
Lähmung derselben. Allmählich waren sämmtliche Sinnesorgane
ausser Funktion gesetzt, es trat eine sichtliche Verblödung ein.
Vortr. berichtet noch eine zweite, aber weniger intensive und
ausgebreitete Erkrankung gleichen Ursprungs. Die Wirkungen
des Hochspannungsstromes sind im Wesentlichen mechanische
Momente; Lockerung dos Zusammenhanges der Nervenfasern
ohne nachweisbare anatomische Veränderungen, wie Blutungen
u. dergl., aber auch schwere Reizung des Nervensystems und
Wärmeerzeugung innerhalb der Schädelhöhle kommen in Be¬
tracht.
4. Herr Gumprecht- Weimar: Ein Handgriff znr Mast¬
darmbehandlung.
Im Anschluss an die jüngste Publikation von Ebstein
über Mastdarmpalpation und -Massage empfiehlt Vortr. eine Art
„Dammschutz“ zur Erleichterung der Dcfaecation bei Haemor-
rhoidariern u. dergl. Wenn das Rectum mit der linken Hand
vom Steissbein weg in die Höhe gedrückt wird, tritt der Koth
leichter aus.
5. Herr B i a 1 - Kissingcn: Versuche zum Mechanismus der
antiseptischen Wirkung.
Für die bekannte Thatsaehe, dass die Magensalzsäure ihre
antiseptische Wirkung dem Hefepilz gegenüber nicht zur Geltung
zu bringen vermag, fehlte es bisher an einer plausiblen Erklärung.
Dieselbe wird jetzt anscheinend durch die Ionentheorie geliefert,
welche nachgewiesen hat, dass die chemischen Wirkungen der
Säuren auf ihren Gehalt an freien H-Ionen beruhen, nicht auf
den unzerspaltenenMolekülen. Diese freien Ionen muss man dess-
halb wegschaffen, wenn man der Salzsäure die fäulnisshemmende
Eigenschaft nehmen will: durch Zusatz von Kochsalz gelingt es
in der That, den Gehalt an freien H-Ionen herabzudrücken, die
aus der Salzsäure entstehen. So erklärt sich die schon lange
bekannte Wechselbeziehung zwischen Salzsäure und Kochsalz.
Ein Uebermaass des letzteren beeinträchtigt allerdings nicht nur
nicht die gährungswidrige Eigenschaft der Salzsäure, sondern
verstärkt sie sogar, wofür es bisher uns noch an Verständniss
mangelt. Essigsäure, Ameisensäure u. a. erzeugen wenige freio
H-Ione, haben daher nur geringe desinfizirende Kraft. Im
menschlichen Magen handelt es sich um verdünnte Lösungen,
auf welche die obigen Gesetze auch vollkommen zutreffen. Auch
hier verhindert das Kochsalz die Zahl der freien H-Ione in der
Salzsäure.
6. Herr B u r wi n k e 1 - Nauheim: Zur therapeutischen
Verwendung des Aderlasses.
Vortr. hält die praktisch erprobte günstige Wirkung der
Venaesektion bei chronischen Herzleiden und Zirkulations¬
störungen für physiologisch begründet.
7. Herr Kuet - Wien: Ueber eine natürliche Schutemittel¬
therapie bei zwei Infektionskrankheiten.
Die Anregung der Speichelsekretion durch Kauen, Schlucken
und Saugen stelle eine praktische Ausnutzung der Chemotaxis
dar, die sich dem Vortr. bei Diphtherie und Scarlatina be¬
währt hat.
8. Herr L e n n h o f f - Berlin: Die öffentlichen Vorträge
der Zentralkommission der Krankenkassen in Berlin.
Die hygienische Erziehung des Volkes ist eine der vor¬
nehmsten Aufgaben der Aerzte. Hygienische Maassregeln sind
nur wirksam, wenn das Volk von ihrer Nothwendigkeit überzeugt
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1768
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
ist. Zur Vermittelung der Erziehung sind die Krankenkassen,
als intercssirt, von grosser Bedeutung. Die Zentralkommission
der Krankenkassen in Berlin hat dort in den letzten 2 Jahren
hygienische Kurse für Arbeiter eingerichtet. Alle Aerzte waren
zur Theilnahme aufgefordert. Anfang 1900 wurden 7 Kurse
zu je 8, Anfang 1901 10 zu je 8 Vorträgen abgehaltcn. Der letzte
Cyklus, 80 Vorträge mit 14 verschiedenen Thematen, war von
über 10,000 Personen besucht. Auch Beamte der Gewerbeaufsicht
botheiligten sich als Vortragende.
9. Herr Alexander K a t z - Hamburg: Der gegenwärtige
Stand der Krebsfrage.
Vortragender bespricht im Anfang seiner Rede die grosse
Wichtigkeit der Frage nach der Ursache des Krebses. Nachdem
er auf die bisher in Anwendung gekommenen Forschungswege
zur Lösung der Krebsfrage hingewiesen hat, wendet er sich zur
Erörterung der muthmasslichen Ursachen der Krebskrankheit.
Dieselben lassen sich in entogene und ektogene cintheilen. Unter
entogenen Ursachen der Krebskrankheit werden alle die ver¬
standen, welche in spontanen Veränderungen und Anomalien
des Körpers selbst beruhen, unter ektogonen solche Ursachen,
welche durch Einwirkung von aussen zur Krebsbildung Ver¬
anlassung geben. Die meisten Theorien sind entogener Natur.
Es werden in kritischer Weise die bekanntesten Theorien von
Cohnheim, Thiersch, Ribbbert u. A. besprochen
und ihre Unabhängigkeit dargelegt. Der vorgerückten Zeit
wegen wird auf die Erörterung über die Erblichkeit des Krebses
verzichtet. Die ektogenen Ursachen bestehen, wie die klinische
Erfahrung gelehrt hat, in Reizen aller Art. Es werden unter¬
schieden einmalige und lang dauernde Reize. Erstere kommen
verhältnissmässig weniger für die Aetiologio des Carcinoms in
Betracht, viel verhängnissvoller sind die Reize chronischer Art,
wie die Krebsfälle bei Theer- und Paraffinarbeitern, bei Schnaps-
trinkem und im Gefolge von Gallensteinen beweisen. In ein¬
gehender Weise wird die Frage nach der parasitären Ursache
des Krebses besprochen. Es lässt sich konstatiren, dass trotz
mancher in’s Feld geführten Wahrscheinlichkeitsgründe ein
Gegenbeweis der parasitären Ursache des Krebses nicht erbracht
ist. Viele Gründe aber sprechen dafür, vor Allem die als sicher
überall nachgewiesene, gleichmässig stetige Zunahme der Krebs¬
erkrankungen, das Vorkommen von Krebsendemien, Krebs¬
häusern, von Infektion des Krebses bei Personen, welche in Ge¬
meinschaft leben. Dafür spricht weiter die Analogie des mensch¬
lichen Krebses mit krebsartigen, parasitären Erkrankungen der
Pflanzen, mit Infektionsgeschwülsten bei niederen Thieren. Nach
eingehender kritischer Würdigung der Literatur über Krebs¬
parasiten, auch der jüngsten Entdeckungen, macht Redner auf
die Bestrebungen des Comites für Krebsforschung aufmerksam,
welches es sich zur Aufgabe gestellt hat, die Arbeiten auf diesem
Gebiete zu konzentriren und in gemeinsame und einheitliche
Bahnen zu lenken.
Abtheilung für Chirurgie.
Referent: Wohlgemuth -Berlin.
6. Sitzung.
Vorsitzender: Herr Kümmell - Hamburg.
Vor der Tagesordnung demonstrirt: 1. Herr L e w i n - Berlin:
Imstrumente zur endovesicalen Behandlung.
2. Herr F u h r - Niederzwehren: Automatische Wundhaken
und Klemmen als Ersatz von Assistenz bei Operationen, die
durch Gewichtszug gehalten werden.
Die Tagesordnung wird eingeleitet durch
1. Herrn S t r a u s s - Frankfurt a. M. : Zur funktionellen
Nierendiagnostik.
Nach Casper und Richter scheiden normale Nieren
meistens in gleichen Zeiten gleiche Mengen N und CI, sowie
gleiche Mengen Zuckers nach Phloridzininjektion aus und die
molekulare Dichte des aus jeder dieser Nieren gleichzeitig ab¬
gesonderten Urins ist gleich. Chirurgisch erkrankte Nieren
weichen von diesem normalen Typus in der Weise ab, dass die
kranke Niere schlechter arbeitet, als die gesunde, was sich in
einer verminderten Ausscheidung von N, CI und Zucker (S) nach
Phloridzininjektion und in einer geringeren molekularen Dichte
(M. D.) des gleichzeitig abgesonderten Urins manifestirt.
C a 8 p e r und Richter stellten ihre Untersuchungen in der
Weise an, dass sie jeweils in einem Fall einmal dasjenige Nieren¬
sekret analysirten, das sie während einer bestimmten Zeit er¬
hielten. S t r a u 8 s hatte sich nun die Aufgabe geetellt, zu unter¬
suchen, wie unter normalen Verhältnissen sowohl, als auch unter
pathologischen, erstens die Funktion jeder Niere sich verhält
bei wechselseitiger Vergleichung mit einander im gleichen Zeit¬
abschnitt, aber in verschiedenen, auseinander liegenden Zeit¬
folgen, und wie zweitens ein und dieselbe Niere einer jeden
Seite a)für sich allein sowohl, als auch b) im Vergleich zuranderen
Niere betrachtet, arbeitet 1. in verschiedenen, aber sich unmittel¬
bar folgenden Zeiten, 2. in einem gegebenen Zeitpunkt, ver¬
glichen mit der Funktion während eines voraufgegangenen oder
folgenden Zeitabschnittes.
Es ergab sich aus 39 Einzeluntersuchungen bei normalen
und chirurgisch erkrankten Nieren die physiologisch wie patho¬
logisch interessante Thatsache, dass die Werthe für M. D. für
Ur-Phosphorsäure, für CI der zeitlich, mittelbar oder unmittelbar
nacheinander abgesonderten Sekrete in gleichen Zeiteinheiten
für beide Nieren normaliter gleich sind, dass sie aber wechselnde
sind für ein und dieselbe Niere in eben dieser Zeit und zwar
gleichsinnig wechselnde für jede Niere physiologisch sowohl wie
pathologisch. Es lässt sich demnach zur Lehre von der Physio¬
logie der Funktion der Niere der Satz auf stellen, dass die
Funktion physiologisch arbeitender Nieren in gleichen Zeiten
die gleiche ist, verglichen linke mit rechter Niere, dass aber diese
Funktion eine wechselnde ist, und zwar eine in jedem Augen¬
blicke wechselnde, in einer und derselben Niere. Zur Lehre von
der Puthologie der Nierenfunktion (Nephritis, Nephralgie, Pyo-
nephrose, Tumor): Es weist die Funktion, verglichen links und
rechts, gleichzeitig stets analoge Differenzen auf und ist in ein
und derselben Niere in jedem Augenblicke eine wechselnde, nie¬
mals eine konstante. M. D., CI, Ur-Phosphorsäuregehalt im
Sekret der gleichen Niere wechseln also von Augenblick zu
Augenblick, physiologisch wie pathologisch, sind aber physio¬
logisch jederzeit gleichwerthig dem korrespondirenden Sekret der
korrespondirenden Niere. Diesen Wechsel der Concentration
fand Strauss im direkten Verhältniss stehend zum Ver-
dauungs- resp. Resorptionsprocess. M. D., CI, Ur-Ph. sinken
mit Abklingen der Resorption, der Höhe der Resorption ent¬
sprechen die höchsten, dem Ende die niedrigsten Werthe. Bei
Blut-M.D.-Bestimmung darf die Abegg-Nernst’sche Vorschrift
und Correction nicht vernachlässigt werden. Auf Cl-Bestim-
mung, die exakte Werthe liefert, sollte nicht verzichtet werden.
Alle Untersuchungen, in denen eine bestimmte Grenze der M. D.
im Gesammturin aufgestellt wurde, und wo man glaubte, aus
einem diesseits oder jenseits dieser Grenze liegenden M. D. dia¬
gnostische Schlüsse auf pathologische Zustände schliessen zu
können, sind werthlos ohne Angabe der aufgenommenen und
ausgeschiedenen Flüssigkeitsmenge und ohne den dazu gehörigen
S toff wechselvers uch.
Dabei wurde Folgendes fest gestellt: In einem Fall von
paroxysmaler Nephralgie wurden Cylinder im Urin der schmer¬
zenden Niere gefunden und es bestand darnach eine erhebliche
funktionelle Beeinträchtigung der schmerzenden Niere. Dies
konnte nur durch Reihenuntersuchung, wie sie Strauss an¬
wandte, konstatirt werden, und der Fall zeigt zum ersten Mal
ohne autoptische Einsichtnahme in den Zustand der lebenden
oder todten Niere einzig durch Analyse des gesondert auf¬
gefangenen Harnes, dass einer einseitigen Nephralgie eine ein¬
seitige Nephritis zu Grunde liegt. — Funktionelle Prüfung bei
Pyonephrosis dextr. ergab % ccm Eiter der rechten auf 65 ccm
normalen Urin der linken Niere. Noch vorhandener Zuckergehalt
im Eiter (0,4 Proc.) bewies noch erhaltenes secemirendes Nieren¬
parenchym, was Strauss durch Nephrektomie bestätigt fand.
M. D. des Blutes war 0,59 .... Ueber kindskopfgrosser Tumor
der rechten Niere: Es ist nur noch wenig secemirendes Parenchym
erhalten, die erkrankte Seite scheidet 20 mal weniger Zucker
aus, als die gesunde .... In einem Fall, wo vor 7Va Jahren
Nierentuberkulose links durch gelegentlich einer Nephropexie
konstatirte Riesenzellen festgestellt war, fand sich völlig normale
Funktion. Blut M. D. normal. Von vorgeschlagener Nephrek¬
tomie wurde daher Abstand genommen. Es existirt bislang keine
Beobachtung, wo bei tub. Niere die Zahlen beiderseits gleich
waren. Es wäre möglich, dass dies dennoch der Fall wäre, aber
auch andere Möglichkeit ist zu erwägen; die Patientin ist gesund,
ihre Nierentuberkulose ist geheilt. Doch möchte sich Strauss die
Reserve auferlegen, die ihm nöthig erscheint, solange bis weitere
Beobachtungen nach dieser Richtung hin vorliegen. Denn nach
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29. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. -
1769
dem Vorgang der Heilung von tub. Meningitis, Lungentuber¬
kulose und Tuberkel des Gehirns scheint auch die Heilung einer
lokalisirten Nierentuberkulose sehr wohl möglich.
Di sc us sion: Herr K ü m m e 11 - Hamburg: Seine Unter¬
suchungen der Gefrlerpunktsbestirainung in allen weiteren zahl¬
reichen Versuchen haben Uber die Frage der funktionellen Nieren¬
diagnostik niemals im Stich gelassen. Natürlich muss man zur
absoluten Sicherheit den Urin jeder Niere gesondert auf fangen
und seinen Gefrierpunkt bestimmen. Nur in dem Falle eines ein¬
fachen primären Nierensteines würde der Katheterismus der Niere
nicht viel Aufschluss geben. Die Beobachtung von S t r a u s s
über Nephralgie als Einleitung einer einfachen Nephritis hat K.
mehrmals gemacht. Er hat dabei gefunden, dass die Nephritis
einseitig anfängt, und das könnte wohl Fingerzeige für die opera¬
tive Behandlung der Nephritis durch Kapselspaltung und Ent¬
lastung der Niere geben.
2. Herr Schultze - Duisburg berichtet Uber einen Fall von
typischer Appendlcitis in einem Bruchsack und zeigt einen ortho¬
pädischen Redressionstisch.
Discussion: Herr Ringel- Hamburg hat in letzter Zeit
2 Fülle von Perityphlitis im Bruchsack operirt. In einem Fall war
in einer lncarcerirten Hernie Coecura, Appendix und ein Thell des
Dünndarms enthalten. Der Processus war gangraenös. Es war
also keine eigentliche Appendicitis. Der zweite Fall war aber mit
einer rechten Perityphlitis mit grosser Eitermenge. Hier bestand,
trotzdem der Eiter die ganze Bauchhöhle inüzirt hatte, kein Fieber
und keine Peritonitis.
Herr Schultze: In seinem Fall war der Wurmfortsatz
ganz normal. (Also keine Perityphlitis. Ref.)
3. Herr G r a f f - Bonn: Geber die Spontanluxation des
Hüftgelenks im Verlauf von akuten Infektionskrankheiten.
Redner beleuchtet die Annahme der verschiedenen Autoren,
die die Luxation durch Hydrops (P e t i t), durch Abschleifung
der Knorpelflächen (Roser) oder als sogenannte paralytische
Luxation (V erneuil) entstanden wissen wollen, und berichtet
dann über einen Fall, wo die Luxation nach Typhus bei einem
jungen Mädchen auftrat und zwar auf beiden Seiten, auf der
einen als Luxatio iliaca, auf der anderen als Luxatio ischiadica
und zeigt die Photographien. Versuche, die Lordose und Luxa¬
tion durch Extension zu redressiren, scheiterten an der gewal¬
tigen Muskelverkürzung und Schede entschloss sich zur
blutigen Reposition. Die Operation zeigte, dass keine Pfannen
mehr vorhanden waren, sie waren durch starkes Bindegewebe
ausgefüllt und mussten erst künstlich wieder geschaffen werden.
Auch die Schenkelköpfe waren stark verändert. Auf einer Seite
bildete sich nach 6 Wochen ein Abscess und man fand in dem
Eiter (IV 2 Jahre nach der Krankheit) lebensfähige Typhus¬
bacillen.
In einem zweiten Fall von puerperaler Sepsis traten nach den
ersten Gehversuchen Schmerzen im Hüftgelenk auf. Es wurde
eine Coxitis angenommen und Gipsverband gemacht. Nach
Abnahme des Verbandes stellte sich die Luxation heraus. Bei
einem dritten Fall handelte es sich um eine Osteomyelitis der
anderen Hälfte. In beiden Fällen waren Pfanne und Kopf wie
bei Congenitalluxation stark deformirt. Besonders war ein
Schwund de« oberen Pfannendaches auffallend. G. glaubt, dass
durch ein entzündliches Exsudat ein Druckschwund des oberen
Pfannenrandes cintritt und so eine Luxation zu Stande kommt.
Es wäre noch die Möglichkeit einer congenitalen Anlage vor¬
handen, doch glaubt er nicht recht an diese Prädisposition. Quoad
thorapiam wird man in frischen Fällen mit Streckverband nach
unblutiger Reposition, in alten wohl nur mit blutiger Reposition,
Bildung einer neuen Pfanne, eventuell Resektion, auskoinmen.
Vorsitzender: Herr v. M i k u 1 i c z - Breslau.
4. Herr Eiimmell - Hamburg stellt einen Fall von
Hlrschsprun g’scher BLrankheit vor, eine im Kindesalter
auftretende chronische Obstipation, die durch zu langes S roma-
num auftreten soll, i^s handelte sich um einen kleinen Knaben,
dessen Obstipation fast bis zum Ileus sich steigerte. Die Ope¬
ration zeigte ein enonn ausgedehntes Ivolou dcscendens mit
Wucherungen bedeckt, aber ohne irgend ein mechanisches Hinder-
niss. Die Bauchhöhle wurde ohne weiteren Eingriff geschlossen
und es Ist langsam Heilung eingetreten.
In einem zweiten Fall war auch ein Error diagnostious Ur¬
sache zum operativen Eingriff gewesen. Bel einem 10 jährigen
Mädchen war ein Riesentumor zu fühlen, Ueuserschelnungen. Die
Laparotomie zeigte ein sackförmiges, mit Kothmassen gefülltes
Colon descendens. Die Operation war ohne Erfolg. Die Faeces
klebten fest an der Schleimhaut des Darmes.
Discussion: Herr R e h n - Frankfurt a. M. hat auch ln
2 Fällen bei der Operation nichts gefunden, als die kolossal aus¬
gedehnten Darmschlingen, und hat schliesslich durch hohes Ein¬
legen eines Darmrohres Heilung erzielt.
5. Herr Brösicke - Berlin demonstrlrt eine Collection von
Bänder- und Schleimbeutelmodellen, mit denen er zeigt, dass es
eine ganze Anzahl von Schlelmbeutelu mehr gibt, als man gewöhn¬
lich anzunehmen pflegt.
0. Herr Kuhn- Kassel 1. Tetanus nach Gelatineinjektion.
Bel einem Knaben, der als Bluter galt, wurden adenoide
Wucherungen ln» Rachen entfernt. Als am Abend die Blutung
nicht stand, wurde in der Apotheke sterilisirte Gelatineinjektion
gemacht. Bald wurde die Einstichstelle gangraenös. am anderen
Morgen trat Trismus, am Nachmittag allgemeiner Tetanus auf.
dem der Exitus folgte. Die Kaninchenversuche ergaben zweifel¬
los, dass die Iujektionsstelle die Eintrittspforte des Tetanus war.
2. Zur Frage der Transplantation zeigt K. einen Tüllstoff, den
er schon Im Centralblatt beschrieben hat, der die Läppchen in
Ihrer Lage hält.
Disctission: Herr V o g e 1 - Eisleben empfiehlt die An¬
wendung von Schleiertüll zum Festhalten der Läppchen, der es
ermöglicht, früher und unter weniger ungünstigen Umständen zu
operiren.
7. Herr H e i 1 e - Breslau: Experimentelles zur Frage der
Operationshandschuhe, nebst Beiträgen zur Bedeutung der Luft¬
infektion.
Seine Versuche an Kaninchen resultirten zu Gunsten der
Operationshandschuhe. Demonstration verbesserter Handschuhe.
Seine ferneren Untersuchungen über den Keimgehalt der Luft
ergaben, dass fast alle Keime erst durch die in den Operationssaal
hineinkommenden Zuschauer aufgewirbelt resp. hineingebracht
werden. Bel eitrigen Operationen soll man prophylaktisch Gummi¬
handschuhe anzlehen. An seinen Händen konnte er noch nach
3 Tagen nach vielfacher Desinfektion Bacillus prodigiosus naeh-
weisen.
8. Herr Jerusalem - Wien: Zur Aetiologie und Therapie
des Erysipels.
Bei dem Studium von 1000 Erysipelfällen. 500—0000. die .1.
ln diesem Jahre im Wiener Franz-Joseph-Spital beobachtet hat.
ist ihm aufgefallen, dass in 28 Fällen bei Frauen, die häufig Re-
cidive bekamen, diese stets zugleich mit der Menstruation auf¬
traten. Darauf hat er nun vielfach Untersuchungen gemacht, wo
auch bei Amenorrhoe Gesichtserysipel auftrat, und fand In allen
Fällen bei Besichtigung der Nasenhöhle den Fliess’sclien Geuital-
punkt an der unteren Muschel und schloss daraus, dass auch hier
das Erysipel im Zusammenhang mit der Zelt der Menstruation
stand. Aber auch bei Männern fand er den Flies s'schen Typus,
wo er das recidivirende Erysipel nach 23 Tagen hier F 1 i e s s
sehen hypothetischen Periode der Männer) auftreten sah. Die
Behandlung bestand ln Thermophor-Kompressen, die besonders
die Schmerzen schnell stillten und, wie er glaubt, beim Extremi-
täten-Erysipel Phlegmonenbildung verhüteten.
9. Herr Bade- Hannover: Ueber das modellirende Redresse¬
ment schwerer Skoliosen.
B. gipst ln den Verband eine Pelotte mit ein zum besseren
Redressement des Buckels. Zur Nachbehandlung empfiehlt er das
Schede'sche Aluminlumkorset.
Abtheilung für Geburtshille und Gynäkologie.
Referent: Edmund Falk-Berlin.
Gemeinsame Sitzung mit der Abt Heilung für
Anthropologie und Ethnologie.
Herr Schatz- Rostock : Geber die Gtemsformen bei den
Affen.
Die Kopflage ist nur l>ei denjenigen eingebärenden Thic.rcn
welche eine dauernd horizontale Körperhaltung haben, durcli die
Schwere bedingt.
Die Natur musste, sobald sie den Menschen aufrecht stellte,
ihren Zweck, das Kind mit dein Kopfe nach dem Muttermund
hin zu stellen, zu erreichen suchen durch eine bestimmte. Form
des Uterus, die Dreieckform oder noch besser die Trichterform,
welche bestimmten Bewegungen des Kindes gestattet, überhaupt
die Lage des Kindes zu verändern und insbesondere auch die
Kopflage zu erzeugen und theilweise auch zu erhalten. Diese
Form des Uterus ist erreicht worden durch die Vereinigung der
bei den niederen Thierarten noch doppelt vorhandenen Uterus-
schlüuche in der Weise, dass trotz der Vereinigung die Tuben-
ecken des Uterus ziemlich weit von einander stellen bleiben,
während am inneren Muttermund eine vollständige Vereinigung
statthat. Die dadurch gebildete Trichterform des Uterus ist zwar
nicht starr, wie es zu solchem Zwecke nöthig erscheinen könnte,
sondern gibt gegenüber der Strackbewegung des Kindes reich¬
lich nach, und die schwangeren Frauen empfinden die durch die
Streckbewegungen des Kindes erzeugten partiellen Ausbuch¬
tungen des Uterus oft recht .schmerzlich; aber diese Ausbuch¬
tungen stellen, wenn die dehnende Kraft des sich rockenden
Kindes als immer gleich stark und allseitig wirkend, oder als rings
immer fortschreitend gedacht wird, auch wieder eine Trichter¬
form dar, die zwar grösser ist als die wirkliche, die al>cr im
Uebrigen dieselben Eigenschaften hat, wie der nicht gedelinte
Uterus. Schatz nennt sie dynamische Uterusform, ln dieser
l Weise kann eine einzige, genügend laug duuernde Streckbcwe-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
gung des Kindes dasselbe aus Schräglage mit tiefer liegendem
Steiss in eine Schräglage mit tiefer liegendem Kopfe stellen. Die
sehliessliehe Schräglage mit dem Kopfe tiefer wird sehr leicht
fcur reinen Kopflage dadurch, dass bei vorhandener starker Wöl¬
bung des Uterusgrundes die Hacken des Kindes während der
Reckung weiter in den Grund selber fortrutschen und damit auch
den Kopf mehr in die Achse des Uterus stossen. Noch häufiger
vielleicht wird diese sehliessliehe Geradstellung des Kindes zu
Kopflage durch die Wehe erzeugt.
Schatz bittet die versammelten Zoologen, bei allen im
schwangeren Zustand getödteten oder gestorbenen Affenweibchen
aller, und besonders auch der niederen Arten, nicht einfach die
Sektion zu machen und sie einfach zu beschreiben, sondern den
Uterus mit Inhalt möglichst in situ zu härten und nach exakten
Durchschnitten genaue Abbildungen zu geben, wie dies
Selen ka gethan hat. Es wird si<di dann zeigen, ob die Natur
etwa ausser dem geschilderten Mechanismus noch weitere Mittel
benutzt hat, um ihren Zweck, die Kopflage des Jungen, zu er¬
reichen.
Herr Sellheim - Freiburg i. B. : Bildungsfehler beim
weiblichen Geschlecht.
Sellheim gibt zuerst einen kurzen Hinweis auf mehr¬
fache Arbeiten aus der Hegarschen und Freund’schon
Klinik, welche das nicht seltene Vorkommen einer mangelhaften
Ausbildung des weiblichen Organismus betonen und führt seine
diesbezüglichen letzten Arbeiten an. (Unvollkommener Descensus
ovariorum und rudimentäre Ausbildung des Dammes.)
Um im Allgemeinen dieHäufigkcit von Bil-
dungsf ehlcrn beim weiblichen Geschlecht zu
beweisen und um zu zeigen, in welcher Weise
sich die verschiedenen Stigmata einer man-
g e 1 h a f r e n Entwicklung miteinander kombi-
«iren. wurde das gesammte Kranken material
der Freiburger Frauenklinik aus den letzten
5 '/■> Jahren bearbeitet.
Unter 2200 genau untersuchten Personen wurden nicht
weniger als 109 Fälle herausgefunden, in denen immer
mehrere eklatante Zeichen einer mangel¬
haften Körperausbild urig vereinigt waren, also circa
5 P r o c. Es wurden fast nur nullipare Personen, meist zwischen
20 und 30 Jahren, die ausser den Entwicklungsfehlern keine oder
nur ganz geringfügige gynäkologische Leiden hatten, ausgewählt.
Die Explorationen wurden in Narkose per vaginam
und per rectum, in jeder Beckenhälfte mit der gleichseitigen
Hand, fast immer von dem Chef der Klinik, Herrn Geh.-Rath
II e g a r selbst vorgenommen und gewöhnlich durch einen ge¬
übten Assistenzarzt kontrolirt.
Die Periode war bei diesen, mit gehäuften Entwicklungs-
Störungen behafteten Personen fast immer verspätet, manchmal
noch gar nicht eingetreten.
Aus der Anamnese ergaben sich vielfach
Momente, d i o man mit der mangelhaften Kör¬
perausbildung in aetiologischen Zusammen¬
hang bringen kann (Tuberkulose, Skrophulose, lang-
dauernde und wiederholte Infektionskrankheiten, Bleichsucht).
Bei den Untersuchungen stellten sich häufig Unter-
m i 11 e 1 g r ö s s e, graci 1er Knochenbau und man-
ehcrlei Verbildungen am Skelet heraus. Der
Gaumen war oft sehr eng und hoch, die Zähne waren oft
klein, wie Milchzähne (Demonstration von Abdrücken
solcher Gebisse), frühzeitig abgenutzt und unregelmässig ge¬
stellt ; Brustdrüsen und Brustwarzen fanden sich
fast immer sehr schlecht entwickelt. Neben
häufigen Hohlwarzen sah man einige Male überzählige
Mammillae.
Dürftige Ausbildung der äusseren Geni¬
talien, besonders rudimentäre Bildung des
D a m m e s (Erläuterung durch Demonstration von natur¬
getreuen Abgüssen normaler und rudimentär gebildeter Dämme
von Patientinnen), trichterförmige Gestaltung und
bedeutende Tiefe der Vulva (Demonstration von Ab¬
guss). an den Foetalzustand erinnernde, starke Falten¬
bildung in der Vagina (Demonstration von Abgüssen,
die im S i m s’schen Speculum gewonnen wurden), abnorme
BehaarungdesKörpers, Zeichen mangelhafter
Ausbildung des Circulatiousap parates kommen
mehrfach vor. Fast regelmässig fand sieh ein f oetaler oder
infantiler Uterus, einige Male waren Doppelmiss¬
bildungen der Gebärmutter vorhanden.
Die häufigen Rückwärts lag erun gen des Uterus
werden durch den damit fast immer kombinirten mangelhaften
Descensus ovariorum (Ovarien im grossen Becken
manchmal bis zum 5. Lendenwirbel) erklärt. Ausser dem mangel¬
haften Descensus werden noch andere Zeichen eines infantilen
Charakters der Ovarien beschrieben.
Das knöcherne Becken hatte in der Hälfte
der Fülle deutlich ausgesprochenen infan¬
tilen Charakter, manchmal mit starker, räumlicher Be¬
sch ränkung.
Einige Male waren ausser diesen somatischen Entwicklungs¬
störungen psychische Störungen vorhanden, die
sieh auf angeborenen Schwachsinn und man¬
gelhafte Ausbildung des Gehirns zurück¬
führen Hessen.
Bestätigung dieser langjährigen kli¬
nische n E r f a h r u n g e n durch die Demonstra¬
tion von Präparaten und Schnitten von
Organen solcher mit zahlreichen Entwick¬
ln n g s s t ö r u n g e n behafteten Mädchen, im Alter
von 21 —23 J ahren, die an Tuberkulose gestorben
wäre n.
Die Präparate zeigen ausser all’ den klinisch festgestellten
Bildungsfehlern noch abnorm tiefen Douglas, stark g e -
schlängi'l te Tuben u. s. w. Tn einem Fall war das Becken¬
bauchfell mit zahlreichen kleinen Tuberkelknötchen besät, die das
beste* palpatorische Erkennungsmittel der BauchfelltuberkuU>se
darstellen. Genaue mikroskopische Untersuchung der Ovarien.
Am Schlüsse des klinischen und anatomischen Beweis¬
materials wird die vielseitige, stets wachsende
praktische Bedeutung dieser Bi1d u n g s f e h1e r
und ihre richtige Erken ntn iss betont und
ihre Wichtigkeit' für den Geburtshelfer,
G y n ü k o logen, Chirurgen, inneren Mediciner
und Psychiater im Einzelnen angedeutet. Daran
schliesst sich die Mahnung, sich nicht mit allen möglichen ver¬
geblichen Kuren abzumiihen, solchen unentwickelten Geschöpfen
zu helfen, sondern sie vor einer unnützen Behand¬
lung zu b e wahr e n, da es ja doch auf der Hand liegt, dass
wir einen einmal schlecht ausgebildeten Organismus nicht mehr
vervollkommnen können.
Als besonders bedeutsam wird der Zusammenhang
mit Tuberkulose, Chlorose, bösartigen Ge¬
schwülsten etc. hervorgehoben und noch auf
die geringere Leistungsfähigkeit solcher un¬
fertiger Menschen und auf ihre mindere Taug¬
lichkeit für die Fortpflanzung hingewiesen.
Für den Anthropologen ißt eine derartige Sichtung
und Feststellung der Entwicklungsfehler nicht ohne Bedeutung,
weil einzelne Bildungen gelegentlich als Rasseneigenthümlich-
keiten beschrieben wurden, die man sich jedenfalls, so lange es
sich um einzelne Beobachtungen handelt, besser als Bildungs¬
fehler erklären wird. (Sehr flache Brustwarzen, auffalleud kurzer
Damm.)
Abtheilung für Kinderheilkunde.
3. S i t z u n g s t a g, Mittwoch den 25. September.
(Schluss.)
4. Herr Moro-Graz: Biologisohe Beziehungen zwischen
Milch und Serum.
Die Untersuchungen zerfallen in 2 Abschnitte. Der 1. Theil
beschäftigt sich mit der Frage nach den Al ex in stoffen
in der Milch und im kindlichen Blutserum.
Die Redensart von bakterienvernichtenden Substanzen in
der rohen Milch, insbesondere in der Menschemnilch, ist, trotz¬
dem einschlägige Untersuchungen fehlen, eine sehr allgemeine
geworden. Da die Feststellung dieser angenommenen Thatsache
für die künstliche E mäh rungsfrage von grosser Bedeutung ist,
wurden zuerst Kuhmilch und Menschenmilch einer Prüfung in
diesem Sinne unterzogen. Das Ergebuise war ein vollständig
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29. Oktober 1901.
MUENCJHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1771
negatives: We der die K uh in i 1 eh n o cli die M e n s eh e n-
mileli besitzt nachweisbare bakterieide Sub¬
stanze n. Von der Ueberlegung geleitet, dass, falls die Frauen¬
milch Alexine enthält, das Brustkinderserum vermöge der un¬
ausgesetzt mit der Nahrung zugeführten Stoffe eine Steigerung
der ursprünglichen baktericiden Kraft erfahren muss, was bei
den Flaschenkindern in Wegfall käme, da diese eine Milch er¬
halten, deren event. Alexine vorher durch die Hitze zerstört
worden sind, wurde folgende Frage gestellt: Wirkt das Serum
der Brustkinder unter gleichen Verhältnissen stärker baktericid
als das Serum künstlich ernährter Säuglinge oder nicht? —
Die in reicher Zahl und nach verschiedenen Methoden aus¬
geführten Versuche ergaben nun sämmtlich: Das Blut¬
serum der Brustkinder besitzt eine bedeutend
grössere bakterieide Kraft als das Serum
künstlich ernährter Säuglinge. Auch wurde an
ein und demselben Fall gezeigt: Dass die bakterieide
Kraft des Blutserums grösser ist, so lange
der Säugling an der Brust trinkt, als nach
Einleitung der künstlichen Ernährung.
Diesen Experimenten schlossen sich haemolytische Versuche
an, welche übereinstimmend ergaben: Das Serum der
Brustkinder wirkt stärker haemoly tisch als
das Serum künstlich ernährter Säuglinge.
Die gesteigerte Kraft der Serumalexine bei den Brust¬
kindern ist, wie einschlägige Versuche zeigten, keineswegs etwa
nur ein Ausdruck des meist besseren Gedeihens dieser Säug¬
linge, sondern die Quelle dafür muss zweifelsohne die Menschen¬
milch selbst sein. Der Umstand, dass die Alexine als solche in
der Milch nicht nachweisbar sind, beweist gar nicht, dass diese
Stoffe in der Milch nicht vorhanden sind. Sie können in der
Milch in einem cigenthümlichen Bindungsverhältniss mit dem
Caseinmolekül stehen und es ist anzunehmen, dass diese Sub¬
stanzen, sowie andere Imponderabilien der Milch erst auf dem
Wege der Verdauung frei gemacht, leicht resorbirt werden und
in die Blutbahn gelangen. Die Dazwischenhaltung des Organis¬
mus würde somit diese „alexogenen“ Substanzen aus der
unwirksamen in die wirksame Modifikation überführen. Es ist
sehr wahrscheinlich, dass die alexogenen Substanzen der
Menschenmilch Abkömmlinge des mütterlichen Blutserums sind
und wir können uns verstellen, dass die Bindung der normalen
Blutalexine an das Blutcasein eine Funktion der Brustdrüsen¬
zelle selbst ist.
Die vorliegenden Untersuchungen zeigen uns einen bisher
nicht bekannten und praktisch wichtigen Unterschied zwischen
der natürlichen und der künstlichen Ernährung und sind ein
neuerlicher Hinweis auf die grosse Bedeutung der natürlichen Er¬
nährung.
Der 2. Theil der Untersuchungen befasst sich mit dem
Lactoserum von Bord e t. 1 njizirt man einem Kanin¬
chen mehrmals subkutan Milch, so gewinnt das Serum dieses
Thieres bekanntlich die Eigenschaft, die Milch zu füllen. Ein
derartig aktivirtes Serum nennen wir ein Lactoserum. Das
Luctoserum vermag aber nur jene Milchart zu fällen, welche
zu seiner Darstellung verwendet wurde. Kuhlactoseruin fällt
nur Kuhmilch, nicht aber Frauen- oder Ziegenmilch u. s. f. Auf
diesem Wege wurde der unzweideutige Beweis von «ler spezi¬
fischen Verschiedenheit des Eiwcisses verschiedener Milcharten
erbracht (Wassermann und Schütze). Nach einigen
Details, die Reaktion selbst betreffend, wendet sich V. der Frage
nach den individuellen Verschiedenheiten des Mileh-
eiweisses verschiedener Vertreter derselben Speeics, z. B. ver¬
schiedener Ammen, zu, in der Hoffnung, der Beantwortung dieser
interessanten Frage nach dieser biologischen Methode näher
rücken zu können. Dies gelang in der That insofern, als zahl¬
reichen Versuchen zufolge ein und dasselbe Mcnschenlactoserum
gegenüber der Milch verschiedener Ammen sehr verschieden
wirkte. Der Unterschied lag in der Fällungsgrenze. Die
Fällungsgrenze erreichte stets den höchsten Worth, wenn das
Mcnschenlactoserum mit derMilch jenes Individuums in Reaktion
gebracht wurde, mit welcher das Lactoserum dargestellt wurde.
(Der Vortrag wurde durch die Demonstration der Hauptversuche
und einiger graphischer Darstellungen erläutert.)
I) 18 c u h h 1 o n. Herr S c h 1 o s s m a n n - Dresden: Wenn
Herr M o r o ln der rohen Milch bakterieide Eigenschaften ver¬
misst, so beruht dies vielleicht auf Versuchsfehlern: jedenfalls hat
Hesse, der allerdings mit grossen Mengen Milch gearladtet lmt,
diese Eigenschaft nach weisen können. Ganz stimmt S. dem zu,
dass die Borde t’sehe Fällung am liesten und vollkommensten
gelingt, wenn man zum Serum des kindlichen Blutes Milch der
eigenen Mutter hinzusetzt. Hier zeigt sich deutlich das enge Band,
das zwischen den Bluteigenschaften von Mutter und Kind besteht.
S. benützt für seine Demonstrationen Hydrocelentiiissigkeit, ein
Verfahren, das er allgemein empfehlen möchte.
Herr M o r o (Schlusswort) entgegnet Herrn S e h 1 o s s m a n n,
dass «lie Hess e’sclien Versuche bei Beibehaltung der Versuchs¬
anordnung schon von B n s e u n n bestritten wonleu sind. Im
Uebrigen wäre kaum einzuseheu, wenn die Milch baktericid wirkt«*,
warum es so schwer sei. Menschenmilch steril zu sammeln.
(C oho und N e u in a n u, bestätigt von Moro selbst.) Ferner
kam bei M.’s Versuchen nicht nur der Staphyloooccus, sondern auch
Cholera, Typhus, Coli, Pyocyaneus und Prodigiosus zur An¬
wendung.
5. Herr W. Freund- Breslau: Zur Kenntniss der Oxy¬
dationsvorgänge im Säuglingsorganismus.
Die Vorstellungen Keller’s über «las Zustandekommen
einer Acidose bei Säuglingen gipfeln, so wie er sie in seiner
Arbeit „Malzsuppe, eine Nahrung für magendarinkrankt* Säug¬
linge“ zusammenfasst, in der Annahme, dass bei schweren Er¬
nährungsstörungen von Säuglingen die geschädigte Oxydations¬
kraft des Organismus eine wesentliche Rolle spielt. Ich habe
seither auf verschiedenen Wegen versucht, einen präzisen Aus¬
druck für diese Annahme zu finden, zunächst durch Untersuch¬
ungen über das Verhältnis der Ausscheidung des oxydirt.cn
zum uuoxydirten Schwefel im Harn von gesunden und kranken
Säuglingen (Zeitschr. f. physiolog. Chemie, Januar 1900). Dies«»
Untersuchungen führten nicht zum Ziele, da der genannte
Quotient sich als Maassstab der Oxydationen unbrauchbar er¬
wies. Von therapeutischen Bemühungen mit Benzol bei chro¬
nischem Erbrechen ausgehend, versuchte ich «lie Anwendung
der N e n e k i’schen Benzolmethode hei Säuglingen, nach der in
den auf bestimmte Mengen einverleibten Be nzols ausg«*schiedenen
Phenolinengen ein Maassstab für die Oxydationen im Organis¬
mus zu erblicken ist. Durch eine. Reihe von Versuchen an g<>-
sunden und atrophischen Säuglingen konnte ich naehweisen,
dass die letzteren aus gleichen Mengen Benzol ganz erheblich
weniger Phenol zu bilden im Stande sind, als die gesunden. Wir
stehen somit zum ersten Male vor dem direkten Nachweise
eines gestörten Oxydationsvorganges bei Säuglingen mit schweren
Ernährungsstörungen.
I)a das Benzol zu den sogenannten im Körjier sekundär
oxydablen Stoffen gehört, so dürfen wir aus dem beobachteten
Verhalten kranker Säugling«* schliess«*n, «lass bei ihnen auch
irgendwelche Störung«*» primärer Oxydationen bestell«*». In F«ilgc
dessen seheint mir ein weiterer Schritt in «ler Deutung der er¬
höhten Ainmoniakausscheidung bei Säuglingen gethan. Oh aber
di«*selbe durch «lit* Vermeidung der Oxydationsvorgfinge «lerart
h«*einflus.st wird, wie Keller annimmt, dass nämlich saure
Stoffwechsclproduktc nicht weiter oxydirt werden und Ammoniak
mit sich reissen, «xler oh <*s richtig, was Pfaundler kürzlich
wahrscheinlich zu machtm versuchte, dass eine Ainmoniakstauung
eint ritt, weil die oxydative Synthese zu Harnstoff unterbleibt,
muss vorläufig noch unentschieden bleiben.
I) Isen ss Ion. Herr I* f a u ml 1 «* r - Graz: Es ist «>rfr«*u-
li«*li. «lass «lit* Versuch«* von Fr«*un«l «li«> V<*rw«*iulbark«*lt eln«*r
n«*u«*n liaiHllichcn Methode zur G«*win»ung eines «pinntltativen
Maassstabes der oxydativen Ixdstuiig «les kindlich«*» Organismus
ergeben hals*». Doch Ist «*s ni«*ht richtig, «lass die F r t* u n d’selie
M(*thod(> «lie erst.«* ist. welch«* «licscni Zweck«* «li«*nt. da
P f n u » «11 «* r s«»lli8t b«*r«*its im Vorjahre über Versnobe b«*riehten
könnt«*, das oxydative Ferment «l«*s filierhdienden Ia*lierg«»w«*lM*s
aus SäuglingHl«»lchi*n zu xol«*hen Bestimmung«*!! zu verwemlen.
Sehr l>«‘in<*rk<*nswt*rth erscheint, dass die Ergebnisse der beiden,
so v«*rs«-hied<*nei» Midhoden analoge sind. Beim au«*li Pf. hat die
oxydative Energie im Organismus kranker uu«1 atrophischer Kinder
wesentlich gegen die Norm vermindert. Die von Czerny-
Keller nusgeworfen«* Frag«* <l«*r Süurev«*rgiftung b«*l chrouisch-
mngendarmkrank«*» Kindern kann die Unt«*rsuehung auf die oxy¬
dative Energie des Organismus, wie schon Freund hervorhol»,
an sieh allerdings nicht entscheiden.
H«*rr Camerer - Stuttgart glaubt, dass von Keller der
Einfluss «les Hungers auf «lie Animonlakausscheidung nicht lw*rüek-
si«*htigt worden ist, und die magendarmkranken Kinder befinden
sich doch alle mehr «xler weniger im Ilungerzustande. Und zwar
steigt «11«* NH,-Ausscheidung schon wi«*dt*r weuige Stunden nach
auf genommener Mahlzeit an. Ferner hat (’. g«*z«*igt. dass <*rhüht<*
relative NH,-Ausscheidu»g eine charakterist Ische Eig«*ns«*haft des
kindlichen und Jugendlichen Körpers ist. C. ist g«*n«*igt. diese Er¬
scheinung auf Retention von Alkali zum Zweck der Knochenbihlung
zurückzuführen.
Herr F r e u n d - Bros]an (Schlusswort) erwidert, dass die von
ihm angewemlete Metlio«le der P f a u u d I e r*sehen darum iib«*r-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
legen sei, weil sie durch die Verhältnisse des lebenden Organismus
gegeben sei. Ausserdem erscheinen die Ergebnisse Pfaundler's
nach bisher noch nicht veröffentlichten Untersuchungen von
Bartenstein an der Breslauer Klinik anfechtbar.
6. Herr v. Starck: Heber Skorbutes infantum.
v. St. empfiehlt die Bezeichnung Skorbutes infantum statt
B a r 1 o w’scher Krankheit, da es aus praktischen Gründen
wünsclienswerth ist, das Krankheitsbild einer bestimmten Gruppe
anzugliedern und die B.-K. dem Skorbut jedenfalls am nächsten
steht. Genauere Kennt niss des Skorbut überhaupt haben uns
die letzten Jahre nicht gebracht, dagegen hat sich die Auf¬
fassung, dass cs sich bei dem infantilen Skorbut um eine Er¬
nährungskrankheit handle, und auch die Aufforderung, bei
künstlich genährten Kindern auf den Eintritt stärkerer Anaemie
zu achten und eine rechtzeitige Aenderung der Ernährung vor¬
zunehmen, als berechtigt und fruchtbringend erwiesen.
Wenigstens hat eine Umfrage bei den Aerzton in Schleswig-
Holstein über das Vorkommen des infantilen Skorbut während
der letzten 3 Jahre eine deutliche Abnahme gegen früher er¬
gehen. Von 300 Aerzten, welche die Anfrage beantworteten,
hatten nur 14 im Ganzen 77 Fülle beobachtet. Die Ernährung
war in allen Fällen künstlich gewesen (4 mal mit Gärtner-
scher Fettmileh, 1 mal mit V o 11 m e Fs Muttermilch, 4 mal
mit Soxhlotmilch, 1 mal mit anderweit sterilisirter Milch, 4 mal
ausschliesslich mit. Haferschleim, 2 mal mit Haferschleim und
Milch, 2 mal mit Griessuppe, 2 mal mit Kindermehl resp. Rahm¬
gemenge, 7 mal mit gewöhnlich gekochter Kuhmilch).
Die Gründe für dio Abnahme des infantilen Skorbut sind
darin zu sehen, dass die Kenntniss der Krankheit und die Mittel
der Behandlung allgemeiner bekannt geworden sind, sodann in
dem verminderten Gebrauch sterilisirter Dauermilch und in der
Verbesserung der Milchbeschaffenheit.
Oiscnsslon. Dieselbe ist eine lebhafte und betlieüigen
sich an derselben die Herren Soltnui n n. Oalien-Brach, S i e-
g e r t. Falkenhel m, L e v y. T li o m a s. S e t t e i\ Tclxeirn
de Mat tos, Hecker): ohne dass durch die Aussprache die
Pathogenese resp. die Aetlologie der Erkrankung wesentlich ge¬
fördert worden wäre. Hervorzuhobon ist Snltman n’s Stand¬
punkt. dass der infantile Skorbut entschieden zu trennen sei von
»lein Morbus I’.arlowii und dass letzterer Name am besten bei-
behnlten werde für ein so wohl eharakterislrtes Krankheitsbjld
bis zu dem Moment, wo man vielleicht durch weitere Biutunter-
suehungon genau wisse, um was es sieh hierbei bandle. S. weist
auf das Auftreten von Skorbut nach Infekt ionskrankbeiten hin
(II ü t teil bre n n e r) und erwähnt die Beobachtung K ii h n e’s
einer direkten Uebertragung. S. selbst hat 1880 bereits eine kleine
Skorbutepidemie nach Masern gesehen und beschrieben.
Herr S leger t- Strassburg zieht die Möglichkeit gewisser lokaler
Verhältnisse für die Entstehung der Erkrankung hieraus, da es
auffallend ist. dass in einzelnen Gegenden zahlreich Morbus Bar-
lowii (Dresden. Kiel), in anderen sehr wenig (Elsass-Lothriugen
oder Schweiz) beobachtet werde.
Auch JTerr S o 11 o r - Worms betont die WitteriiiigsverhRlt-
nisso (gross«» und langdauernde Kälte) als event. aetiologisches
Moment. Eine Einigung, ob mizweckmässige Nahrung (Somatose,
Gaben - Brach; zu lang sterillslrte Milch, Tho m a s) oder eine
gewisse Monotonie dersellien (II e c k e r) die Ursache des Morbus
Barlowii abgebe, konnte nieht erzielt werden, da die überwiegende
Meinung (S i e g e r t. Falkenheim u. A.) sich nieht für dieses
Moment entscheiden mochte. Therapeutisch wurde von Einigen
die prompte Heilung durch Citronensäure u. a. erwähnt (Tel-
x e 1 r a d o M a 11 o s. v. Starck) von Anderen mehr oder weniger
lH»sprltten (S o 11 m a n n).
Herr v. Starck betont in seinem Schlusswort, dass er die Be¬
zeichnung ..infantiler Skorbut“ mehr aus praktischen Gründen
gewählt habe, um dem praktischen Arzte einen Fingerzeig zu
geben, wobei er diese Erkrankung zu rubriciren habe. Auch im
Auslande werde dieser Ausdruck allgemein gebraucht. Den Zu¬
sammenhang mit Rachitis halte er gleichfalls für sehr lose im
Einverständniss mit Allen, die sieh darüber geäussert. Die
unzweckmässig sterilisirte Milch beschuldigt er nicht mehr so wie
früher, in der Monotonie liege vielleicht ein disponirendes Moment
für die Entstehung.
Tritt indessen für die Diätändorung als therapeutischen
Faktor ein.
Verein fUr innere Medicin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 21. Okto 1) e r 1901.
Herr v. Leyden gedenkt der verstorbenen Ehrenmitglieder
des Vereins Minister Bosse und Generalstabsarzt v. C o 1 e r,
ferner des verstorbenen Nene kl und gibt endlich einen kurzen
Rückblick auf die Virchow - Feier.
Demonstrationen:
Herr Zuelzer: 24,»ihr. Schriftsetzer aus gesunder Familie
und selbst bis vor 2 Jahren gesund; vielleicht cpiieptifonuc An¬
fälle vorangegangen. Damals E k z e m der Beine und seitdem
gewisse Steifigkeit in denselben, namentlich nach längerem
Stehen bei der Arbeit. Ebenso Steifigkeit in deu
Händen. Die willkürliche Bewegung ist also durch eine
Steifigkeit gehemmt; die sensiblen Funktionen normal. Das
Bild erinnert an die Thomsen’sche Krankheit, bietet jedoch
keine myotonische Reaktion hei der elektrischen Untersuchung; doch
besteht bei letzterer eine andere Elgenthümlichkeit: wenn man
einen beliebigen Muskel reizt, so tritt eine tetanische Starre
ganzer Muskelgmppon ein, auch solcher, die nicht die gleiche
Innervation haben.
Auf Anregung von Eulenburg machte er einen Stoff-
weehselvcrsuch, da bei der Tliomse n’schen Krank¬
heit von Bechterew vermehrte Kreatininausscheiduug ge¬
funden wurde. Er fand zwar keine Vermehrung der Kreatiniu-
aussclieidung, dagegen erreichte die Harnsäure- Ausscheidung
den ganz abnormen W r erth von pro Tag 2.8 gr. In einem ex-
eidirten Muskelstüokchcn fand sich nichts Besonderes.
Herr De la Camp: Kurze Mittheilung, betr. Röntgenunter¬
suchungen über die Athmungsmechanik, aus dem Laboratorium
der G e r h a r d t’schen Klinik.
Herr Eulenburg: Junges Mädchen mit myogener De¬
viation der Scapula. Vielleicht ein vorausgegangener Gelenk¬
rheumatismus von ursächlicher Bedeutung gewesen.
Tagesordnung:
Herr A. Fraenkel: Heber Bronchiolitis fibrosa ob-
literans.
Es handelt sich um eine in subakutcr Weise erfolgende
Bin dogewebsent wieklung innerhalb der Bron¬
chiole n, welche in kurzer Zeit und bei mässiger Ausdehnung
zum Tode führt. Man kannte bisher diesen Proecss nur als
Begleiterscheinung der indurirenden Lungenentzündung; dass er
jedoch auch in selbständiger Weise, auf die Bronchiolen be¬
schränkt, Vorkommen kann, ist vor Kurzem von Lange an
zwei Sektionsbefunden fostgwtellt worden. Doch sind diese
Mitthoilungon fragmentarisch geblichen. A. Fraenkel konnte,
angeregt durch die L a n g o’sche Publikation, in einem Falle auch
schon i n t r a vi tarn dio Diagnose stellen und auch die
Aetiologie klarlegen.
25 jiilir. Gelbgicsser wurde am 20. Juni in’s Krankenhaus
am Urban aufgenoinmen. nachdem er Tags zuvor beim Beizen
von Messingguss Säuredämpfo eingeathmet hatte. Er hatte
sofort heftige Beklemmung verspürt. Am folgenden Tag. nach
der Aufnahme, fand sich Dyspnoe, Volumen pulmonum
auktum; keine Dämpfung, nur geringe Absehwächung
über den beiden Unterlappon; ferner kiel »blasiges
Rasseln über der ganzen Lunge. Kein Fieber. Herzschwäche.
Wegen letzterer wurde Digitalis in kleinen Dosen gegeben und
diese Medikation nach eingetretenem Erfolg nach 3 Tagen aus-
gcselzt.
Pat. wurde vom Vortr. damals Im Aerztekurse als Fall von
akuter Ilyporaeinie der Lunge vorgestellt, jener nach
seiner Meinung lx»i uns in Deutschland zu wenig Pachteten
Krankheit, die er selbst häufiger zu sehen l»ekonimt, z. B. bei
Potatoren, die sieh einer plötzlichen starken Abkühlung aus¬
setzen. oder beim Typhus abdominalis. Vortr. weist auch auf das
akute Lungenoedom hin. welches z. B. »‘intreten kann, wenn stark
erhitzte Personen einen kalten Trunk zu sich nehmen. — Bei
seinem Patienten trat nach 3 Tagen ein wenig rosafarbenes
Sputum auf und zwar bei aulialtender Fieberloslgkoit: die Sym¬
ptome bcsst»rten sich nb»»r anhaltend (Unterbrechung durch ein
nicht ganz aufgeklärtes, vielleicht durch Schröpf köpfe verursachtes
Hautonipliysem) und am 10. Tage waren Dyspnoe. Rasselgeräusche
und Lungenblähung verschwunden. Aber nach weiteren 4 Tagen
(raten sie von Neuem und stärker auf. Damals kam dem Vortr.
die Publikation Lange’s zu Gesi»-lit und er erkannte sofort den
Zusammenhang seines Falles mit jenen beiden Lange’». Am
21. Krankheitstage erfolgte der Tod. Die Sektion ergab den
gleichen Befund, wie in den L a n g e’schon Fällen. Die Lunge bot
makroskopisch das Bild einer akuten Miliartuberkulose bezw.
einer tuberkulösen Peribronchitis. Die mikroskopische Untersuch¬
ung hingegen ergab, dass es sich um Binde gewebswuche-
r u n g in deu Bronchiolen hand»‘lt. ausgehend von der Wand der
letzteren und sich ln d»»n Alveolargängen und theilweise auch in
den Alveolen verbreitend. Das (’yllnderepithel der Bronchiolen
war vielfach ahgestossen. es bestand also ein starker D e s -
q u a m a t i v k a t a r r h. ln den höher gelegenen Theilen der
Bronchiolen fanden si»»h die abgestossenen Epithelien und allni-
minoide Massen, ln den unteren Junges Bindegewebe.
Vortragender erinnert an die 3 Bronchialaffektionen, welche
mit Epithelabstossung einhergehen: das Asthma bronchiale, bei
welchem, wie er selbst nachgewiesen, eine starke Desquamation
besteht, die fibröse Bronchitis und endlich die oben beschriebene
obliterirende Bronchitis, der eine nekrotisirendo Entzündung
vorangeht.
Oh in netiologischer Hinsicht für letztgenannte Affektion
neben der Säureätzung (über die Natur der Säuren konnte von
»ler Fabrik nichts Näheres ermittelt werden, wahrscheinlich
Schwefel- und Salpetersäuregeincnge) auch andere Noxen in
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Frage kommen, ist vorläufig unentschieden; er glaubt, das« auch
bakterielle Infektion eine solche Rolle spielen könne.
Hans K o h n.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 20. April 1901.
Vor Eintritt ln die Tagesordnung macht Herr Walther Hesse
kurze Mittheilungen Uber den Fortschritt seiner Versuche zur
Händedesinfektion.
Tagesordnung:
1. Antrag des Vorstandes:
Herrn Geheimen Rath Prof. Fiedler, dessen Verdienste
um die Gesellschaft vom Vorsitzenden mit warmen Worten
hervorgelioben werden, bei seinem Ausscheiden aus der Leitung
des städtischen Krankenhauses zum Ehrenvorsitzenden
der Gesellschaft zu wählen.
Wird einstimmig angenommen.
Es soll dem Erwählten eine Urkunde zu dem betreffenden
Termin durch den Gesammtvorstand überreicht werden.
2. Herr Kurt Wolf: Bericht des zur Erörterung der
Frage der Verunreinigung des Dresdener Wasserwerkes an
der Saloppe durch Hochiluthen der Elbe eingesetzten Aus¬
schusses.
2. Herr Lange, Assistent des pathologischen Instituts des
Stadtkrankenhauses (als Gast): Ueber seltene Knochenerkrank¬
ungen. (Mit Demonstrationen.)
I. Osteogenesis Imperfecta. Unreifes männliches
Kind einer körperlich wohlgebildeten Primipara. Gutes Fettpolster.
Hochgradige Quantitativ mangelhafte Ausbildung des gesammten
Skelets, qualitativ normale Knochenbllduug. (Mikroskopisch keiue
Abweichung lm Verlauf der endochondralen Ossihcation.) -
Knöchernes Schädeldach ist makroskopisch nicht nachzuweiseu.
Massenhafte Frakturen der Kippen und Extremitäten, die zum
Theil mit verhältnissinässlg überaus reichlicher Callusbildung ge¬
heilt sind; ln Folge der Frakturen und Infraktioueu besonders
auffällige Verkürzungen und Deformitäten der unteren Ex¬
tremitäten.
II. Senile Osteomalacie. A. Sch., Arbeitersehefrau,
7 (j Jahre, am 24. VII. 00 in’s Siechenhaus wegen rheumatischer
Schmerzen ln Armen und Beinen und allgemeinem Marasmus
aufgeuommmen. Als Kind Rachitis, 13 Geburten. Tod am
8. III. 01 unter den Erscheinungen des allgemeinen Marasmus.
Sektionsbefund: Braune Atrophie der Herzens, chronische Bron¬
chitis, Lungenoedem. Atrophie der Bauchorgane. Osteomalacie
des gesammten Skeletts: Mikroskopisch breite, ostelde Säume,
makroskopisch allgemeine Atrophie und abnorme Weichheit der
Knochen. Wirbelsäule: Kyphoskoliose nach rechts lm dorsalen,
kompensatorische nach links und Lordose lm lumbalen Theile.
Thorax: Unregelmässig gestaltet in Folge zahlreicher Infraktioneu
der Kippen. Becken: Kartenherzform, Kreuzbein rechtwinklig ge¬
knickt, Acetabula nach vorn sehend, Darmbeinschaufei nach aussen
Uberhängend. Im Hüft- und Schultergelenk Arthritis deformans
mit reichlichen weichen, höekrigen Kuochenwucherungeu in der
Umgebung der Gelenke. Ausserdem vereinzelte, geringfügige
Knocheuneubildung an den Wirbelkörpem und Malleolen.
III. Ostitis deformans. E. Sch., U8 Jahre, Maurers-
wittwe, ln Dresden geboren und aufgewachsen. Am 2t). XI. 9t)
iu’s Siechenhaus unter der Diagnose „Geistesstörung bei multipler
Alkoholneuritis“ aufgenommen.
Anamnese: 3 Kinder, mehrere Fehlgeburten. Seit Jahren ge¬
schwollene Füsse und Keissen in den Gliedern.
Status: Fett, schlaffe Muskulatur, Tibien säbelförmig, Stirn
breit, eckig. Bewegungsfähigkeit sehr beschränkt, Schmerz-
empflndlichkeit in unregelmässiger Weise herabgesetzt.
Unter den Erscheinungen von zunehmender Herzschwäche mit
sehr starken Oedemen Tod am 18. IX. 00. ln der Zwischenzeit
nichts Besonderes; vor dem Tod war das allmählich stärkere Her-
vnrtreten der Stirn aufgefallen.
Seklionsbefund: Atrophie des Gehirns, muskuläre Degenera¬
tion des Herzens, allgemeine Arteriosklerose, Tracheltis, Bronchitis,
»Stauungsmilz, -Leber und -Nieren. Magendarmkatarrh. Leber-
gummanarben. Duodenalgeschwüre. Ostitis deformans des ge¬
summten Skelets.
Schädel: von unglelchmäsaiger Dicke, im r. Stirntlieil uud
am Hinterhaupt bis zu 2 cm dick, besteht durchaus aus fein-
iwriger, ziemlich weicher Knocheusubstanz. Sehiidelgrubeu sein*
tiach. Gesichtstheil nicht verändert.
Wirbelsäule: Besonders die unteren Brust- und die
Lendenwirbel bestehen aus feinporiger, weicher Substanz, ebenso
das Sternum.
Rechter Humerus: Im oberen Drittel verbogen; zeigt
an dieser Stelle eine auffällige Verengerung der Markhöhle durch
Anlagerung von feinporiger Knochensustanz an die Compacta, auch
am übrigen Schafte stellenweise Knocheuneubildung.
Becken: Ueberaus schwer und plump, wenn auch ln der
Form fast unverändert; nur eine leichte Andeutung von Karteu-
1773
herzform. Besonders die Darmbeinschaufeln und Schambeine sind
stark verdickt, ihre Schnittfläche zeigt dasselbe Gefüge wie die
Wirbelkörper.
F e m o r a: Handbreit unter dem Trochanter major nach vorn
gekrümmt und verdickt; auf der Sägefläche eine verbreiterte, durch
feinporiges GeAvebe ersetzte Substantia compacta. Markhöhle ver¬
engt.
Tibi a: Nach vorn gekrümmt, sehr stark unregelmässig ver¬
dickt; auf der Sägefläche ebenfalls die Subst. comp, sehr breit,
aus feinporigem Gewebe bestehend, die Markhöhle verengt.
IV. Osteoplastische Carcluose nach prim.
Prostatacarcinom. K. C., 02 Jahre, Gelegenheitsarbeiter.
Aus dem Stadtkrankenhause am 1. II. 1000 wegen chronischem
Rheumatismus in’s Siechenhaus verlegt.
Anamnese: Nie ernstlich krank; seit 1899 Rheumatismus zu¬
erst im linken, dann im rechten Bein, schliesslich im Kreuz.
Status: Mittelgross, leidlich genährt, Knochen kräftig,
Muskulatur schwächlich; Tod am 23. VI. 1900 unter marantischen
Erscheinungen; A'or dem Tode wenig Schmerzen.
Sektionsbefund: Braune Atrophie des Herzens; allgemeine
Arteriosklerose. Hydrothorax beiderseits; Kompresslousatelekta.se
der unteren Lungeupartieu. Atrophie von Milz, Leber, Niereu.
Nebennierentumor am oberen Pol der linken Niere. Prostata-
carcinom; osteoplastische Carclnose des gesammten Skelets.
Prostata: Nur wenig vergrössert, gespannt, etwas unregel¬
mässig gestaltet, gegen das umgebende Gewebe nicht scharf ab¬
zugrenzen. Schnittfläche grauweiss, homogen, von einigen etwas
helleren Knoten unterbrochen. Mikroskopisch: kleinzelliges, in-
flltrirendes Carciuom.
Schädeldach: Asymmetrisch, von ungleichmüsslger
Dicke, schwer. Auf den beiden Stirnbeinen, auf der Höhe des
Scheitels, auf dem 1. Schläfenbein und in der Hinterhauptsschuppe
deutlich abgesetzte, graugelbe, flache Knocheuueubilduugeu, die
zum Theil die ganze Dicke des Schädeldaches durchsetzen und auch
an der Innenseite sich als bald mehr diffuse, bald mehr um¬
schriebene Auflagerungen kenntlich machen.
Rippen uud Sternum:. Erheblich dicker und schwerer;
ihre normale Spongiosa und Compacta ist durch ein sehr fein¬
poriges, ziemlich festes, grauweisscs, neugebildetes Knocheu-
gewebe ersetzt.
Wirbelsäule: Sehr schwer, die Form der Wirbel voll¬
kommen die normale; aber das normale Gewebe durch eine dichte,
stellenweise elfenbeinartig feste, grauweisse Knochensubstanz er¬
setzt.
Becken: Form im Allgemeinen erhalten, nur sind die
Knochen überall diffus und knotenförmig verdickt, besonders die
Daraibeinscbaufelu und die absteigenden Schambeinäste. Die Ver¬
dickungen bestehen hier zum Theil aus grauweissen, derben
Tumormassen, zum Theil aus neugebildeter Knochensubstanz.
Femora: Gewicht vermehrt; im oberen Theil des Halses
und unter dem Trochanter major fingerdicke Ausbildung von
junger, feinporiger Knochensubstanz. Im oberen Theile des
Schaftes beiderseits ln Mitten von rothem Mark grauweisse, hasel¬
nussgrosse, Aveiche Tumoren, in den unteren Partien Fettmark.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 15. Oktober 1901.
Vorsitzender: Herr K ü m m e 11.
I. Demonstrationen:
1. Herr Lehr demonstrirt a) ein 15 jähriges Mädchen mit
einer Trache&lfistel. Vor 10 Jahren Avegen Kehlkopfpapillomen
operirt, seitdem, besonders bei Erkältungen, Athemnoth. Die
Hauptathmung findet durch die Fistel statt. — Derselbe berichtet
ferner über einen Fall, in dem er aus der Pulsation der einen
oralen Pharyuxhälfte die Diaguose auf ein Aneurysma der
Art. pharyngea stellen konnte; Aveiter über 2 Fälle von Larynx-
und Rachen tuberkulöse (Tonsillen) bei Schwangere n.
Der tuberkulöse Process wurde durch die Gravidität entschieden
ungünstig beeinflusst uud führte filK*rraschend schnell zum plötz¬
lichen Exitus durch Erstickung.
2. Herr W a i t z demonstrirt ein junges Mädchen, bei dem er
nach Heilung eines sehr ausgedehnten Lupus, der die ganze häutige
Nase zerstört hatte uud durch Excochleation uud Röntgen¬
bestrahlungen geheilt Avar, eine Rhinoplastik aus dein Arme ge
macht hat. Der kosmetische Effekt isl vorzüglich.
11. Vortrag des Herrn Embden: Zur Kenntniss
der metallischen Nervengifte mit Demonstration von
Patienten.
Den bekannten chronischen Metall-Gewerbevergiftungen mit
Blei, Quecksilber und Arsen möchte Vortragender eine neue,
bisher fast unbekannt gebliebene Metallvergiftung anreihen.
Es handelt sich um ein Krankheitsbild, das bei Arbeitern auf-
tritt, die in Braunste!nmühlen beschäftigt sind. Die Schädig¬
ungen durch Mangnnsuperoxyd sind so wenig bekannt, dass die
einzige in der Literatur darüber vorhandene Beobachtung aus
dem Jahre 1837 von Coup er in den toxikologischen .Hand¬
büchern Anfangs als bestätigungsbedürftig bezeichnet, dann
gänzlich in Vergessenheit geratheu ist. Embde n’s Verdienst
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1774
MÜENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
ist es, auf dieses Krankheitsbild von Neuem aufmerksam gemacht
zu haben.
ln den Gewerbebetrieben, in denen Braunstein zu einem
feinen Pulver zermahlen wird, herrscht ein dicker schwarzer
Rauch; die Arbeiter sind mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
In einer hiesigen Mühle fand E. 3 erkrankte Arbeiter. Auf
einer Reise durch Thüringen; wo sieh eine grössere Zahl kleinerer
Braunsteinmühlen finden, wurden 2 Arbeiter eruirt, die das
gleiche Symptomenbild boten. Die 3 hiesigen Fälle stellt E.
vor und demonstrirt an ihnen die Symptome.
Dio motorischen Störungen bestehen in einer allgemeinen
Muskelsch wache (Paresen) und zwar in einer Parese
einzelner Muskelgruppen. Im Gesicht ist der Facialis dauernd
mangelhaft innervirt, dadurch wird das Aussehen maskeuartig;
der Augenschluss ist schwach; alle willkürlichen Innervationen
sehr beeinträchtigt. Die Extremitütenmusculatur ist gruppen\
weise geschwächt, die Riickenmuseulatur desgleichen. Dabei
keine Atrophien, kein fibrilläres Zucken. Es bestehen Span-
n ungen, insbesondere im Beginne der Bewegungen, bei einem
Patienten auch Kontraktur der Armbeugemusculatur. Der
Gang ist entsprechend bald steif und schwankend, bald steif
und hüpfend, etwas spastisch und schwerfällig (so charakte¬
ristisch, dass E. einem Arbeiter in Thüringen auf den Kopf zu¬
sagte, er sei in einer Braunsteinmühle beschäftigt). Bei allen
Patienten besteht Rctropulsion, bei einzelnen hochgradig (mit
Rückwärtstaumeln und Ilintenüberfallcn). Treppensteigen, be¬
sonders abwärts, sehr erschwert. Ein Patient überstürzt sieh,
nimmt mehrere Stufen auf einmal, läuft Gefahr, zu fallen. Kein
Romberg. Wendungen oculis clausis sind ebenso gut bezw. steif
möglich wie mit offenen Augen. Die tiefen Reflexe, be¬
sonders an den unteren Extremitäten, sind lebhaft gesteigert.
In einem Falle bestand B a b i n s k y’scher Zehenreflex, keine
Ataxie, kein eigentlicher Intentionstremor. Es besteht bei
einigen Kranken in der Ruhe ein langsamer Tremor und
ausserdem ein „A k t i o n s t r e m o r“, d. h. der betr. Kranke
kann nicht zugleich zielen und Kraft anwenden; so vermögen
z. B. 2 Kranke nicht, ein Streichholz an einer Schachtel anzu¬
streichen, sondern können es nur langsam an der Reibfläche hin-
und herreiben. Ebenso ist kräftiges Stiefelputzen nicht mög¬
lich u. s. w. Diese Coordinationsstörung bedingt eine sehr aus¬
gesprochene Schrift Störung: Die Schrift ist steif, wird
immer schlechter, kritzelnd, unsicher, geht endlich gar nicht
mehr. Demonstration von Schriftproben. Die Sprach¬
störung betrifft sowohl die Phonation wie die Articulation.
Dadurch wird die Sprache leise (Dysphonie) und stammelnd und
stotternd. Bei einem Patienten ist das Sprechen ungestört, doch
besteht angeblich Neigung zu Paraphasie. Es besteht ferner
Zwangslachen. Keine oculopupillüren Symptome, kein
Nystagmus. Das elektrische Verhalten ist normal. Es besteht
ferner eine geringe Insuffieienz der Sphinkteren. Zu Beginn
der Krankheit besteht Speichelfluss. Die subjektiven Be¬
schwerden (Paraost hesien und Schmerzen) sind
gering.
Die Inkubation, d. h. die Zeit, nach welcher die in den
Mühlenbotrieb eingestellten Arbeiter an diesen nervösen Stö¬
rungen erkranken, ist. verschieden, hängt wohl auch von indivi¬
dueller Disposition ab. Die Kranken gaben das Auftreten der
Symptome auf ’/a —% Jahr nach Beginn ihrer Arbeit an. Den Be¬
ginn des Leidens zeigten renale Symptome in Form von Oedemen,
Auftreten von Eiweiss und Cylindern im Urin, Mattigkeit und
Schwäche in den Beinen an. Meist war dann nach weiteren
3 Monaten der oben geschilderte Symptomenkomplex vorhanden;
bald priivalirtc das eine, bald das andere Symptom.
Mehrere der in dem hiesigen Betriebe thiitigen Arbeiter sind
bisher gesund geblieben. In dem Urin eines gesunden Arbeiters
gelang der Nachweis im II a r n, während die auf Mangan-
nusscheidung durch die Nieren gerichteten Untersuchungen bei
den Erkrankten negative Resultate ergaben.
Dass cs sich wirklich um eine Manganintoxikation handelt,
geht aus 3 Punkten hervor: 1. war keine andere Schädlichkeit
zu erweisen, 2. spricht der Beginn des Leidens mit renalen Sym¬
ptomen dafür (Mangen, in den Kreislauf gebracht, wirkt exquisit
giftig und schädigt das Nierenparenchym, was auch durch Thier¬
versuche bestätigt wird), 3. ist der Nachweis im Harn als
stringentester Beweis anzuführeu.
Vortr. betont die Aehnlichkeit der Symptome mit den bei
anderen Metall Vergiftungen vorkommenden Erscheinungen und
erörtert die Differentialdiagnose gegenüber der multiplen
Sklerose.
Da die Vergiftung wohl per inlialationem zu
Stande kommt, so hat die Prophylaxe in einer ausgiebigen Ven¬
tilation der Fabrikräume, in Beseitigung des Staubes durch
Exhaustoren etc. zu geschehen. Dio persönliche Prophylaxe
gipfelt im Tragen von Respiratoren. Ausserdem ist cs rathsam,
Arlteiter, sobald sie sich auch nur leicht unwohl befinden, sofort
aus dem Betriebe zu entfernen.
I» I s e u s s I » u: Herren Abel und E m b <1 e n.
Werner.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitzung vom 18. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr Carl Koch.
1. Herr Neuberger demonstrirt:
n) einen Mann mit einem lymphangiektatlsclien Tumor der
Wang<v
1>) einen Patienten mit universeller Folliculitis.
2. Herr Wilhelm Merkel demonstrirt 2 Präparate, die
er durch Operation in seiner Privatfrauenklinik gewonnen hat:
a) Ein 2 faustgrosses knolliges Myom der linken Schamlippe
eines 20 jährigen Mädchens, welches sich langsam ln den letzten
10 Jahren entwickelte und schliesslich wie gestielt längs des oberen
Drittels des Oberschenkels herabhing; ein deutlich nachweisbarer
Hindegewebsstrang zog sich von der Geschwulst gegen den linken
Leistenriug hin und vermittelte auch die Gefüssversorgung von
dieser Richtung her; der Ausgangspunkt der Geschwulst ist dem¬
nach wohl, wie auch Sänger seiner Zeit beschrieb, im Ligamentum
rotundum zu suchen.
b) Die gut hühnereigrosse, in toto ausgeschälte Retentions-
cyste der linken Bartholi n’schen Drüse einer 41 jährigen
Frau. Patientin erlitt vor 20 Jahren durch Fall auf einen dürren
Ast eine Verletzung der linken Schamtlieile, von welcher jetzt
noch eine strahlige Narbe in der leicht verschiebbaren Schleimhaut
über der Cyste zu sehen ist. Ein Ausführungsgang der Drüse links
ist nicht zu finden, der rechterseits nicht geröthet. Gonorrhoe
sicher nuszuschliessen. Der Inhalt der Cyste war dicklich, weiss¬
gelblich schleimig; die Wandung glatt.
3. Herr v. Rad berichtet über Versuche mit dem neuen Schlaf¬
mittel Hedonal (BayerA Cie), die an 40 Patienten angestellt
wurden. Uebereinstimmend mit den bisher veröffentlichten Be¬
richten wurden die besten Resultate erzielt bei Fällen von un-
komplizirter nervöser Schlaflosigkeit. Wechselnd war der Erfolg
bei melancholischen Kranken und Alkoholikern. Völlig versagt
hat das Mittel auch in höheren Dosen bei psychischen Auf regungs-
zuständen.
Die durchschnittlich angewandte Dosis betrug 1,5 g. Un¬
angenehme Nebenwirkungen wurden auch bei länger fortgesetzter
Darreichung des Mittels nicht beobachtet.
4. Herr Neuburger bespricht einen Fall von plötzlich
erworlnmer Kurzsichtigkeit in Folge von Diabetes mellitus.
Die . r >0 jährige bisher gesunde Frau hatte vor 4 Wochen wegen
Presbyopie eine Lesebrille (-|- 2,0 D) bekommen. Damals bestand
Emmetropie und normale Sehschärfe für Fern und Nah. Nur
war eine leichte Accommodationsschwäche notlrt worden. Jetzt
erscheint sie wieder mit der Klage, dass ihr seit 10 Tagen beim
Blick in die Ferne alles verschleiert erscheine, dagegen könne sie
wieder ohne Brille lesen; auch sei sie manchmal schwindelig. Die
Untersuchung ergibt normalen Augengrund, klare brechende
Medien, auch mit Loupenspiegel. aber eine Myopie von —2,01).
Damit ist die Sehschärfe in die Ferne = 1, feinste Schrift (Sn D/.t
wird erst mit -}-1,0 D gelesen. Also besteht noch leichte Accomuio-
dationsschwäche. Auf näheres Befragen wird vermehrter Durst
und häufiges Urinlren, sowie allgemeine Schwäche angegeben.
Der Urin (mehr als G Liter pro die) hat 3,5 Proc. Zuckergehalt
(Giihruug8probe). Interessant ist der Fall insbesondere dadurch,
dass der Diabetes durch die Kurzsichtigkeit entdeckt wurde. Fälle
von diabetischer Kurzsichtigkeit sind in letzter Zeit häufiger 1 h*-
sehriebeu worden, der erste wurde von Hirschberg (CentralbL
f. Augeuheilk. 1890, Jan.) veröffentlicht.
32. Versammlung der südwestdeutschen Irrenärzte
am 2. und 3. Novemlter in Karlsruhe (Hötel Germania).
Die erste Sitzung findet Samstag, den 2. November, Nach¬
mittags 2y 2 Uhr statt, die zweite Sonntag, den 3. November, Vor¬
mittags 9 Uhr. Auf die erste Sitzung folgt Nachmittags G Uhr
ein gemeinschaftliches Essen im Hötel Germania. Die Unter¬
zeichneten Geschäftsführer laden hiermit zum Besuche der Ver¬
sammlung ergebenst ein und bitten diejenigen Herren, welche an
dem gemeinsamen Essen theilznuehmen beabsichtigen, um eine
lM*trctr«mde bnldgofiillige Mittheilung.
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1775
Tagesordnung.
I. Referat c: 1. Direktor Dr. Kreuser - Sekussenried: Der
Werth der pharmazeutischen Beruhigungsmittel. 2. Prlvatdocent
Dr. G a u p p - Heidelberg: Die Dipsomanie. Das erste Referat wird
in der ersten, das zweite in der zweiten Sitzung erstattet werden.
II. Vorträge: 1. Professor Iv r a e p e 1 i n - Heidelberg:
lieber die Waohabtheihmg der Heidelberger Irrenklinik. — 2. Medi-
einalrath Dr. Haardt- Emmendingen: Die neuen Aufnahme- und
Ueberwaehungsabtheilungen der Heil- und Pflegeanstalt bei Em-
mendingeu. — 3. Dr. Neu mann - Karlsruhe: Volksheilstil tten für
Nervenkranke. — 4. Dr. F r i e d m a n n - Mannheim: lieber
Zwangvorstellungen und fixe Ideen. — 5. Professor N I s s 1 - Heidel¬
berg: Hysterische Symptome bei einfachen Seelenstörungen. —
<!. Direktor Dr. E rank- Münsterlingen: Strafrechtspflege und
Psychiatrie. — 7. Dr. A 1 z h e i m e r - Frankfurt a. M.: Ueber
atypische Paralysen. — 8. Dr. W e y g a n d t - Würzburg: Eine
psychische Epidemie. — 9. Dr. S a n d e r - Frankfurt a. RI.: Zur
Behandlung der akuten Erregungszustände. — 10. Dr. Bartels-
Slrassburg: Heber endopklebitische Wucherungen im Central¬
nervensystem und seinen Häuten. — 11. Dr. Arndt- Heidelberg:
Zur Geschichte der Katatonie.
Die Geschäftsführer:
V o r s t e r - Stephansfeld. Haardt- Emmendingen.
Auswärtige Briefe.
Briefe aus Ostasien.
Von Oberarzt Dr. Mayer.
5. Brief.
Das Arbeitsfeld, welches in Peking meiner Station zufiel,
umfasste vor Allem die Regelung der Wasserfrage, dann die
Untersuchungen für die 3 dortigen Lazaretho und die verschie¬
denen Tnippentheile, ferner für die Rossärzte, die Fleischbeschau
der von den Truppen angekauften Thiere, Kontrole von Nah-
rungs- und Genussmitteln; ein sehr interessantes Material lieferte
die von Herrn Privatdocent- I)r. Perthes aus Leipzig (Ober¬
arzt im 6. Feldlazareth) übernommene Chinesen-Poliklinik der
London Mission. Im Folgenden sei in gedrängter Kürze das
Wesentlichste vorgeführt:
Es wurden 117 Brunnen (und Wasserläufe) in den verschie¬
densten Stadttheilen Pekings, die meisten wiederholt, bakterio¬
logisch und chemisch untersucht, ferner 42 Brunnen, Quellen,
Flussläufe westlich und nördlich von Peking bis auf die Höhe
des Gebirgskamincs. Ausserdem waren 2 chinesische Schacht¬
brunnen und 7 abessinische Röhrenbrunnen angelegt, letztere
zum Theil bis auf IG m Tiefe getrieben. — Nur die bei Ba da
tsliu, Dung slian, Dslni yung yuan und nahe dem Thore Ba da
ling («1er grossen Mauer) Vorgefundenen, direkt dem Felsen ent¬
springenden Quellen hatten chemisch und bakteriologisch cdn-
wandloses Wasser; ein 18 m tiefer Felsenbrunnen bei Men tou
tsun enthielt Salpetersäure und 176 Keime, die Quelle von Yü
tshiian shan (oberhalb deren eine grössere Tempelanlage liegt)
war ebenfalls durch Salpetersäure und 198 Keime verunreinigt;
von dieser Quelle bezog früher der kaiserliche Hof sein Trink¬
wasser. Sämmtlichc übrigen Wässer waren in zum Theil un¬
glaublicher Weise verunreinigt, namentlich innerhalb Pekings,
aber auch auf dom offenen Lande. Ammoniak, salpetrige Säure,
Salpetersäure in reichliehen Mengen, organische Substanz bis
3,79 auf 100 000 Theile, Chlor bis 1,09 im Liter, deutsche Härte¬
grade bis 120, Abdampf rückst ände bis 5,32 vom Liter; in 1 ccm
Wnssertliierchen (Amoeben etc.) bis 175, Gesammtkeimzahl bis
52 930, darunter Bact. coli-ähnliche Keime bis 651, Komma-
Kolonien bis 324; so beschaffen war Das, was wir in Peking
und Umgebung als Trinkwasser vorfanden. (Ich bemerke, dass
die Agar-Platten an Ort und Stelle gegossen wurden!) — Man
hörte nun vielfach die Ansicht, die schlechte Beschaffenheit des
Brunnenwassers sei auf Verunreinigung von oben zurückzu¬
führen, man könne durch Ausschöpfen die Brunnen reinigen,
mau würde in grösseren Tiefen, namentlich unter event. Thon¬
schichten, gutes Wasser treffen. Dass dies unrichtig, bewiesen
die von mir angelegten Brunnen: Bei 7 derselben traf man über¬
haupt keinen Lehm oder Thon, sondern richtigen Füllboden:
Mürtclstücko, Ziegelsteine, thierisehe und menschliche Knochen,
ganze Mault hierköpfe, zum Theil direkt versteinert, Kohlen-
aschcnmengeu, Porzellanseherben, Eisen-, Kupfer-, Broncestücke
in allen Tiefen; einmal, auf dem Gelände der deutschen Schutz-
wache, in 8/4 m beginnend, ein alter, chinesischer Schacht¬
brunnen; die gewöhnlich in 7—8 m Vorgefundene erste wasser¬
führende Schicht schwärzlich-grünlich, schlammig, übelriechend,
von 10—11 m an ein bräunlich-röthlieher, lehmiger Sand, in 13
bis 14 m eine zweite unbrauchbare Wasserschicht. Bei den zwei
anderen Brunnen erschien von 1 bezw. IVa m an harter, gelb¬
grauer, trockener Thon, in 9 m eine Wasserschicht, dann wieder
Thon und in 15 m einer weitere wasserführende Kiesschicht:
beide Grundwässer gänzlich unbrauchbar. Die erstangeführten
Befunde beweisen zur Genüge, dass in Peking mehrere Städte
übereinander gebaut sind. Die Wasserkalamität war nun dadurch
noch erhöht, dass einerseits wegen des starken Salzgehaltes das
Wasser der meisten Brunnen, auch gekocht, nicht zum Genuss
zu gebrauchen war, z. B. Theo und Kaffee durch den abscheu¬
lichen Geschmack kaum zu geniessen waren, andererseits wegen
des hohen Kalkgehaltes das Waschen sehr erschwert wurde. Dom
wurde abgeholfen, indem einerseits die Heranschaffung von
Wasser aus Brunnen in der fast unbewohnten Südwestecke der
Chinesenstadt (welches sich durch sehr geringen Salzgehalt und
niedrige Härte auszeichnete), um erhebliche Kosten durch chi¬
nesische Unternehmer ermöglicht, andererseits den Truppen-
theilen und Lazaretheu aus Zinkblech hergestellte Deetillir-
apparate überwiesen wurden. Für die beiden, Anfangs besonders
von Typhus und Ruhr ergriffenen Seebataillone wurde nach
meinen Angaben eine besondere Wassercentrale gebaut. Aus
einem neuangelegten und einem mehrmals ausgeschöpften
Brunnen wurde hier das ganze Gebrauchswasser, 10—12 000 Liter,
täglich durch Berkefeldfilter getrieben, dann Va Stunde gekocht,
und von den Kompagnien iu eigenen Wasserwägen abgefahren,
die Brunnen in den Quartieren geschlossen. Eine ähnliche An¬
lage befand sich beim 6. Feldlazareth. Für die Gesandtschafts¬
wache ist ein grosser Dampfdestillationsapparat aufgestellt
worden.
Für die Lazarethe wurden vom 15. Dezember bis 11. Juni
im Ganzen 441 Untersuchungen ausgeführt, darunter 111 mal
die Widal’sche Reaktion, 57mal positiv; sie trat nicht vor
Ende der 1. Krankheitswoche auf, mehrmals erst in der 2. und 3.,
wurde noch nach Wochen im lteconvalescenzstadium gefunden,
jedesmal bei Typhus, nur einmal in einem Falle, wo die Sektion
diphtheritische Ruhr und Leberabscess ergab, ohne dass jedoch
ein früherer leichter Typhus ganz auszuschliessen war. Rasch¬
heit und Stärke der Reaktion gingen nicht parallel der Schwere
der Erkrankung; gerade sehr heftige Typhen hatten eine eben
positive, ganz leichte eine ganz hochgradige, bis 1:100. Im An¬
schluss sei die 27 mal ausgeführte Diazoreaktion bemerkt, davon
12 mal positiver Ausfall 3 mal Influenza, 9 mal Typhus betraf;
sie wurde nur bei bestehendem Fieber gefunden.
Auf Tubcrkulose^wurden 58 Fälle wiederholt untersucht, je¬
doch nur 2 mal konnte emwandlos, auch durch Kultur aus dom
Sputum, Tuberkulose erwiesen'werden. Bei 10 Fällen da¬
gegen fand sich im Sputum ein säure- und .massig
alkohol festes Stäbe lieh, thells in (auch in der Kultur)
richtig verzweigten, oft ziemlich langen Fäden, also eine Strepto-
tlirix, theils auch in kurzen, oft in Grösse und Gestalt dem Tu¬
berkelbacillus gleichend, meist jedoch längeren und etwas
dickeren Einzelstäbchen. Die Stäbchen konnten leicht im Sputum
erwiesen werden, da sie stets in gelblichen Bröckeln sich fanden,
zugleich zeigte dos Sputum als Zeichen von Lungenzerfall
elastische Fasern, Alveolenstückchen, Blut. Ein zur Sektion ge¬
kommener Fall hatte als Hauptbefund abgekapselte
Gangraenherde im rechten Oberlappen der
sonst normalen Lunge. Aus dem pleuritischen Exsudat
des Kranken konnte das gleiche Stäbchen isolirt werden, wie cs
sich auch in den Ausstrichen und den Mikrotomschnitten der
Gangraenherde fand. Es wuchs (auch aus dem Sputum ver¬
schiedener anderer Fälle gezüchtet) als weisser, später leicht ge¬
falteter Agarbelag schon bei Zimmertemperatur, war subkutan
und intraperitoneal für Mäuse und Kaninchen nicht pathogen.
Dieselbe Art fand sich später in dem Beckenabsoeeseiter eines
Chinesen. Die obigen Erkrankungen erschienen zur Zeit der
Sandstünne. Ein Fall (Musketier Fr.) bot schwerste Kavemon-
symptome mit reichlichen säurefes ten Stäbchen, er genas unter
Seilwinden aller Symptome"! Der letal" verlaufene Fall war das
ausgesprochene Bild einer subakuten Phthise, auch die anderen
Fälle zeigten Reizerscheinungen der Pleura bezw. tuberkulose-
verdäehtige Symptome, wurden jedoch sämmtlich völlig bor-
gestellt. Ich glaube, annehmen zu müssen, dass es sieh hier um
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1776
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
die gleiche Stäbchenart handelt, die Fränkel, Pappen¬
heim, Rabino witsch und neuerdings Aoyama und
Miyamoto bei Fällen von Lungengangracn fanden. Es ist
wohl nicht auszuschliessen, das« hier eventuell das Bild einer
„primären Lunge ngangraen“ durch obige
säurefeste Streptothrix vorliegt.
Influenzabacillen konnten in den charakteristischen, unge¬
heueren Mengen im Sputum von 6 Kranken nachgewiesen
werden, einer starb nach kurzem, äusserst schwerem Krankheits¬
verlauf. Diese und mehrere verdächtige Fälle fielen in die Zeit
vom 27. Januar bis 13. Februar. Diphthericbacillen fanden sich
in 2 vereinzelt gebliebenen Fällen, beidemal kulturell erwiesen,
der 2. Fall erschien unter dem Bilde einer eigenthümlichen sep¬
tischen Gangraen des weichen Gaumens. Malariaparasiten
wurden in 14 Fällen konstatirt, 11 mal Tertiana, 3 mal Tropica;
letztere waren augenscheinliche Reeidive einer nicht in Peking
und Umgebung erfolgten Infektion. Von den frischen Fällen er¬
schien der erste nachgewiesene am 13. März, die Mehrzahl aber
erst von Mitte Mai an. Im Mai wurde sowohl innerhalb der
Lazarethgebäude, wie an anderen Orten Pekings Anopheles
claviger gefunden, jedoch ohne Speieheldrüsenkörperchen.
Mehrere der Tertianafälle waren in Tung-dshou inficirt worden,
wo die Truppen dicht an dem sumpfigen Shahoufer untergebracht
werden mussten. Typhusbacillen wurden, ausser aus der Milz
von Leichen, einmal in einem posttyphösen, durch Operation
eröffneten Leberabseoss. zugleich mit äusserst kleinen Coccen
kulturell gefunden. Gonococcen erschienen in Reinkultur in
einem postgonorrhoischen Prostataabscess, niemals aber in ana¬
logen, vereiterten Bubonen. Milzbrand wurde einmal aus dem Blute
einer Leiche gezüchtet, eine ganz kurze, schwere septikaemische
Erkrankung des im Traindepot mit der Pflege von Pferden be¬
trauten Mannes ging vorher; merkwürdig war ein einseitiger
schwerer Bindehautkatarrh desselben. (Bei einigen wegen Milz¬
brandverdachtes dort getödteten Thieren fand sich übrigens
nichts.) Von Bandwürmern kamen 9 Exemplare der Taenia
saginata zur Beobachtung. Von den Sektionen ist ausserdem zu
erwähnen eine Komplikation von Typhus und Ruhr, eine akute
gelbe. Ieberatrophie, ein augenscheinlich durch das Klima be¬
schleunigter Fall von tertiärer Syphilis, ein akuter Herztod mit
capillaren Blutungen in die Herzmuskelfibrillen, 2 Septico-
pyaemien und ein typischer Fall von Lyssa, die auch durch intra¬
kranielle Impfung auf Kaninchen erwiesen wurde.
(Schluss folgt)
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht)
Wien, 26. Oktober 1901.
Verein der Hilfsärzte an den Wiener Krankenanstalten.
— Zahnärzte und Zahntechniker. — Verkauf der Privat¬
praxis.
Letzthin fand dio konstituirende Versammlung eines Ver¬
eines der Hilfsärzte an den Krankenanstalten statt. Auch die
„Jungen“ sehen den Werth einer Organisation ein und fühlen,
dass zur Erörterung ihrer gemeinsamen Interessen ein ständiger
Vertretungskörper unerlässlich sei. Derzeit streben die llilfs-
ärzte eine Erhöhung ihrer Bezüge, und eine Vermehrung der be¬
zahlten Stellen an. Beiden Forderungen soll von Neujahr ab
entsprochen werden, jedoeh — wie von maassgebender Seite er¬
öffnet wurde — keineswegs in einer die Hilfsärzte vollkommen
befriedigenden Weise. Die Vereinsgründung hat also den Zweck,
diesen Forderungen stärkeren Nachdruck geben zu können, so¬
dann an die Organisation der Spitalärzte aller Provinzstädte zu
schreiten, in absehbarer Zeit einen Hilfsärztetag nach Wien ein-
zuberufen, den Aspiranten eine kleine Besoldung zu ver¬
schaffen etc. Der neue Verein will auch den Anschluss an sämmt-
liehe ärztliche Vertretungskürper in Form von Entsendung von
Delegirten in diese Körporschaften anstreben •— ein, wie uns
scheint, zu weit gehendes Ziel, da ja die Mitgliedschaft zu diesem
Vereine einen überaus fluktuirenden Charakter hat. Die Aerzte-
kammern werden sicherlich dio Interessen der Hilfsärzte jeder¬
zeit wahren und fördern.
Seit Jahrzehnten führen die Zahnärzte Wiens mit den Zahn-
technikcrn einen erbitterten Kampf um die Existenz. Vor einigen
Tagen meldeten die Blätter, dass der Vorstand der Zahn¬
techniker-Genossenschaft von einem Zahnarzte wegen Kur¬
pfuscherei angezeigt wurde, weil derselbe unter Anwendung von
Cocaininjektionen einen Zahn extrahirt und damit aeine Befug¬
nisse überschritten luibe. Dieser Vorstand ist ein Zahntechniker,
dessen Ooncession behördlicherseits „erweitert“ wurde, der zur
mechanischen Entfernung von Zahn- und Zahnsteinfragmenten
berechtigt, aber nicht zur Extraktion ganzer Zähne oder gar zur
Verwendung von Medieamenten autorisirt war. Die bezügliche
Gerichtsverhandlung wurde behufs Einvernahme von Sachver¬
ständigen vertagt.
Nun haben aber die Zahntechniker den Spiess umgekehrt.
Sie üben ein concessionirtes Gewerbe aus und behaupten, dass
die Zahnärzte nur widerrechtlich dieses Gewerbe an sich gerissen
hätten. Die Genossenschaft der Zahntechniker ging also hin und
klagte einen Wiener Zahnarzt an, dass er widerrechtlich das con-
cessionirte Gewerbe der Zahntechnik ausübc. Die Verwaltungs¬
instanzen (Magistrat, Stntthalterei, Ministerium des Innern) er¬
klärten übereinstimmend, dass die Ausübung der Heilkunde von
der Gewerbeordnung ausgenommen sei, und dass die von einem
Zahnarzte selbst oder seinen Patienten gegenüber angewendete
zahntechnische Kunst einen Bestandtheil der Zahnheilkupide
bilde. Nun kam die Angelegenheit noch an den Verwaltungs¬
gerichtshof, woselbst der Vertreter der Zahntechniker hervorhob,
dass ihr Gewerbe ein concessionirtes sei, also von Niemanden,
auch nicht von Zahnärzten, als ein freies Gewerbe betrachtet
und ausgeübt werden dürfe. Und thatsächlich stellte sich der
Verwaltungsgerichtshof zum T h e i 1 e auch auf diesen Stand¬
punkt. Er entschied, dass die angezogene MinisterialVerordnung
vom Jahre 1892 nur bestimme, dass Nicht Zahnärzte zur Aus¬
übung der Zahntechnik an eine Conccssion (der Gewerbebehörde)
gebunden seien, während eine positive Norm bezüglich der Zahn¬
ärzte nicht getroffen sei. Dagegen seien die Administrativ-
instanzen von der Anschauung ausgegangen, dass die Zahn-
technik als Bestandtheil der Zahnheilkunde aufzufassen sei.
und desshalb für Zahnärzte nicht den gewerberecht liehen Be¬
stimmungen unterliege. Diese Ansicht sei unrichtig.
Der Zahnarzt, braucht zwar die Concession als Zahntechniker
nicht zu erwerben, muss aber die Ausübung derselben als freit«
Gewerbe anmelden und einen Gewerbeschein lösen. Da der be¬
klagte Zahnarzt einen solchen nicht, besitzt, war der Beschwerde
stattzugeben.
ln der Wiener Aerztekammer kam jüngst die Eingabe eines
Arztes zur Verhandlung, in welcher die Kammer gefragt wird,
ob es standeswidrig sei oder nicht, wenn ein Arzt seinen Nach¬
folger in eine fest, begründete, einträgliche Privatpraxis gegen
Entgelt einführt und ihm auch private Praxis (Eisenbahn-, In¬
stituts- und Kassenarztenstelien) gegen bare Entschädigung
übergibt. Der Referent (Dr. G russ) stellte nach ausführlicher
Begründung folgenden Antrag: „Die Aerztekammer erklärt, dass
entgeltliehe Einführung eines Nachfolgers in eine Privatpraxis,
sowie die entgeltliche Uebcrlassung von privaten fixen Anstel¬
lungen im Allgemeinen nicht .standeswidrig sein muss, dass jedoch
die Benrtheilung, ob in der entgeltlichen Uebertragung der Praxis
an einen Nachfolger etwas Standeswidriges liege oder nicht,
jedesmal nach den im conereten Falle obwaltenden Umständen
beurtheilt werden muss. Im Wesentlichen docken sieh die bei
Benrtheilung jede« Einzelfalles zu l>caehtenden Gesichtspunkte
mit den Bestimmungen des § 878 des bürgerlichen Gesetzbuches.“
Dieser Antrag wurde angenommen.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
ln dem Etat des k. Wantsministeriums des Innern für Kirchen-
und Sehulangelegenheiten sind fiir die II e b n m m e n s c li u 1 e n
au persönlichen und sächlichen Ausgaben jährlich 51556 M. t
ea. 10 000 M. mehr als in der vomusgegangenen Finanzperiode au-
gosetzt. Fiir die Münchener Hehammenschule ist ein Repetitor
mehr postulirt mit Rücksicht auf die beabsichtigte Verlängerung
der Hebaminenkurse von 4 auf 5 Monate und die Einführung von
Repetitionskursen für die prakticirenden Hebammen.
Auch die Beiträge an T a ubstu m men-. Blinden- eie.
1 n s t i t u t e sollen erhöht werden. Für die Förderung des
Unterrichts und der Erziehung der Taubstummen im Allgemeinen,
insbesondere zur Bestreitung der Kosten von Anstaltsvisitationen
und von kurzen Informationskursen für Specialärzte und Taub-
stmn meide hi er, dann zur Gewährung von Stipendien zum Besuche
auswärtiger Anstalten und von Zuschüssen an Taubstummen¬
anstalten in besonderen Fällen sind jährlich 5000 M. in den Etat
eingesetzt.
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29. Oktober 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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Aus dem Neubauetat des Cultuswiulsterlums sind folgende
Posten zu erwähnen: zunächst 82000 M. für Erweiterung des
chemischen Laboratoriums In München einschliesslich
innerer Einrichtung. Die neue ärztliche Prüfungsordnung verlaugt
für die Zulassung zur ärztlicheu Vorprüfung den Nachweis, dass
der Studireiulc ein Semester an einem chemischen Prakticum tlieil-
genommen hat. Es ergibt sich hieraus die Nothwendigkeit, den
Studirenden der Mcdiciu Gelegenheit zur Ableistung dieses Prakti-
cutns zu beschaffen. Bisher haben, da ein solches Prakticum nicht
vorgeschrieben war, nur Einzelne im chemischen Iaiboratorium
praktlclrt; für die Folge muss nach der dermaligen Frequenz der
mediciniseheu Fakultät damit gerechnet werden, dass alljährlich
150—100 Studiremle das chemische Prakticum besuchen. Dazu
kommt, dass die Studirenden der Medlcln nach dem mediciniseheu
Studienplane und, da das Prakticum zweckmässig, erst nach
Hörung der im Wintersemester stattfindenden Vorlesung über
anorganische Chemie stattfindet, das Prakticum in der Kegel nur
im Sommersemester erledigen können, und daher auf ein Semester
sich zusammendrängeil werden. Für einen so starken Zugang
von Praktikanten ist in den dermaligen Räumen des chemischen
Laboratoriums kein Platz vorhanden oder zu beschaffen; es kann
nur durch eine Erweiterung des Laboratoriums Abhilfe 'getroffen
werden, die auch um desswillen als nothwendig sich erweist, weil
der Unterricht für Chemiker und Mediciner nach verschiedenen
Methoden erfolgt und daher eine Vereinigung beider in einem
und demselben Arbeitsraume nicht thuulicli ist. (Es wird dann
wohl auch eine eigene Professur für medicinische Chemie noth¬
wendig werden, lief.) — ln der Münchener Anatomie soll
ein elektrischer Lelchennufzug um 0500 M. hergestellt werden, für
Reparaturen an der U n 1 v e r s i t ä t s f r a u e n k 1 i n i k sind
18 IKK) M., für Umbauten an der Kinderklinik 23 500 M. noth¬
wendig. Die frei werdenden Räume der bisherigen Centrallmpf-
anstalt auf dem Areale des v. II a u n e r'schen Kinderspitals sollen
der Kinderklinik zugewlesen werden und für die Dampfwäscherei
adaptirt werden; das bisher im Hauptgebäude der Klinik abge-
haltene Ambulatorium soll aus hygienischen Gründen, um An¬
steckungen im Hause zu vermeiden, in das Nelrengebäude verlegt
werden. Für Umbau und Instandsetzungsarbeiteu am Münchener
physiologischen Institut sind 13 500 M. postulirt.
Der Wohnungshygiene wird seitens der bayerischen Staats¬
regierung grosse Aufmerksamkeit zugewendet. Zunächst ist für
Förderung der W o li u u n g s p f 1 e g e ein ausserordentliches
Postulat von 300 WO M. ln den Etat eingesetzt. Auf Grund der
im vorigen Jahre vorgenommenen Ergänzung des Polizeistraf¬
gesetzbuches wurden mit Allerh. Verordnung vom 10. Februar 1901
(Münch, med. Woehensehr. 1901, 8. 327) nähere Bestimmungen
erlassen, noch denen die Beaufsichtigung des Wohnungs- und
Schlafstellenwesens einzurichten und eine Beseitigung der wahr¬
genommenen Missstände herl>elzuführen sei. Die Handhabung
dieser Bestimmungen kommt zwar in erster Linie den Gemeinden
und der Ortpolizei zu; es wird jedoch dringend geboten sein, dass
die Bestrebungen zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse und
zur Beschaffung ausreichender und entsprechender Kleinwoh¬
nungen für Arbeiter und Minderbemittelte so viel als möglich
durch Beihilfen des Staates unterstützt werden. Die Durchführung
der Wohnungsaufsicht und insbesondere die Veranstaltung um¬
fassender Wohnungserhebungen wird namentlich in den grösseren
Städten beträchtliche Kosten verursachen; hei der weittragenden
Bedeutung, welche diese Maassnahinen für das öffentliche Leben
haben, wird einzelnen Gemeinden, soweit veranlasst, eine pekuniäre
Hilfe seitens dos Staates zu gewähren sein. Den Vereinen und
Genossenschaften, welche sich die Sorge für Wohnungen zur be¬
sonderen Aufgabe machen, werden zwar staatliche Zuwendungen
für ihre Bautluitigkelt nicht gewährt werden können; es erwachsen
jedoch auf die Begründung, Befestigung und Ausgestaltung solcher
Vereinigungen verschiedene nicht unerhebliche Ausgaben, die es
gerechtfertigt erscheinen lassen, diesem gemeinnützigen Wirken
mit Zuschüssen des Staates thunliehst entgegen zu kommeu und
Vorschub zu leisten.
Ausserdem ist der Abgeordnetenkammer ein Gesetzentwurf
zugegangen, nach welchem der k. Staatsregierung ein Betrag von
4 500 000 M. zur Verfügung gestellt werden soll zur Ver¬
besserung der Wohnungsverhältnisse der Be¬
amten, Bediensteten und Arbeiter der Staats-
elsenbahnver waltu ng durch Herstellung von Wohn¬
gebäuden und Gewährung von Baudarlelien.
Im k. Stnatsministerium dos Innern soll ein Central-
Inspektor f ii r Fabriken u n d G e w erbe mit Titel,
Rang und Gehalt eines Regierungsrathes aufgestellt werden.
Hierdurch soll die einheitliche und planmässige Durchführung der
Gewerbeaufsicht, sowie die Förderung des berechtigten Arbeiter¬
schutzes nach allen Richtungen erzielt werden, entsprechend den
auch bei den letzten Lamltagsverlmudlungen geilusserteu Wün¬
schen, da die bisherigen Wahrnehmungen ergehen haben, dass die
dem Ontraliuspektor obliegende Aufgabe denselben vollständig
beschäftigt. Da seine Thätigkeit erheischt, dass derselbe von den
Verhältnissen öfters an Ort und Stelle Einsicht nimmt und mit
den äusseren Aufsichtsbeamteu vielfach in mündlichen Verkehr
tritt, sind an hiefilr nothwemligen Diäten 2500 M. pro Jahr
postulirt.
Für den Bereleh der Post- nnd Telegraphen Verwaltung soll
im Laufe der nächsten Finnnzperiode eine besondere Betriebs¬
krankenkasse errichtet werden; bisher waren die Arbeiter lokalen
Krankenkassen zugetheilt. I)r. Becker- München.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 118. und 119. Blatt der Galerie bei;
(!arl v. Volt und Georg Friedrich Louis Thomas.
Text hiezu siehe Seite 2751 uud 1754.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ü nchon, 20. Oktober 1901.*)
— Der Kammer-Ausschuss zur Berutliung der Standes-
und K h r e u g e r i e li t s o r d n u n g für die Aerzte Bayerns
hat in seiner zweiten Sitzung die Generaldiscussion geschlossen,
nachdem der ärztliche Korreferent, Herr Dr. II au her, nochmals
mit warmen Worten für den Entwurf eingetreten war und auch
der Referent, Herr v. Land mann, in seinem Schlusswort nicht
mehr den schroff ablehnenden Standpunkt dnzunelimen sdileu,
wie in seinem Referat. Es wurde sodann in die Spezialdiseussiou
eingetreten und Lit. A Zlff. 1 in folgender Fassung ange¬
nommen: ,.A. Allgemeines. 1. Der Arzt ist verpfllebtet, seine
Berufst liätigkeit gewissenhaft auszuüben uud durch sein Verhalten
in Ausübung des Berufes, sowie ausserhalb dessellien sich der
Aehtung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert. Politische,
wissenschaftliche und religiöse Ansichten oder Hand¬
lungen eines Arztes als solche können niemals Gegenstand eines
ehrengerichtlichen Verfahrens bilden.“ Hier Ist auf Antrag
v. Landmnnn’s das Wort „wissenschaftliche“ nach „politische“
eingeschaltet. Die logische Folge dieser Aenderung der Ziffer 1
wäre nun die Streichung der Ziffer 2: „Der Arzt muss auf dem
Boden der wesentlichen Grundlagen der Heilkunde stehen, wie
sie auf unseren Hochschulen gelehrt wird, und darf abweichende
Ansichten nicht zu Reklatnezweckeu lienützen.“ Herr Korreferent
H a u 1) e r hat diese Konsequenz nicht gezogen uud hielt (in der
3. Ausschusssitzung) an seinem Anträge („Der Arzt muss auf dem
Boden der wissenschaftlichen Heilkunde stehen und darf ab¬
weichende Ansichten nicht zu Reklamczweckeu benützen“) fest.
Es liegt darin nach unserer Ansicht ein Widerspruch zu der vor¬
her angenommenen Ziffer 1. Herr v. Laudmauu wüuseht die
Streichung der Ziff. 2 im Wortlaut des Entwurfs. Bis hierher
werden zum Mindesten die Münchener Aerzte mit seinen Abäude-
ningsantriigeu sehr einverstanden sein, denn sie entsprechen durch¬
aus den Beschlüssen, die der ärztliche Bezirksvereiu München in
seiner Sitzung vom 15. Oktober 1898 (d. Wochenschr. 1898, S. 1303)
gefasst hatte, denen dann allerdings die oberbayerische Aorzto-
kauimer nicht beitrat. Wir sind damals heftig angegriffen worden,
weil wir uns erlaubt hatten (d. Wochenschr. 1898, S. 1007) unser
Befremden darüber auszusprechen, dass die Aerztekammer die
wichtigen Anträge des Münchener Vereins ablehnte, ohne sie auch
nur einer ernsthaften Discussion zu würdigen. I)le jetzigen Er¬
eignisse zeigen, wie berechtigt die Münclieiier Anträge waren. Denn
alle Angriffe, die in der jüngsten Zeit in der Kammer und ausser¬
halb derselben gegen die Standesordnung gemacht wurden, richten
sich in erster Linie gegen die Forderung, dass der Arzt auf dem
Boden der wissenschaftlichen Mediciu stehen müsse. Mau be¬
fürchtet, wie vornuszuseheu war, von dieser Bestimmung, dass
sie zur Knebelung jeder freien wissenschaftlichen Regung führeu
werde. Man hätte vielen Schwierigkeiten, mit denen der Entwurf
jetzt zu kilmpfeu hat, vorgebeugt, wenn man sich zur Streichung
dieser undurchführbaren Bestimmung uud zur Annahme der Mün¬
chener Fassung der Ziffer 1, wie sie jetzt auch vom Kainmer-
Ausscliuss gewählt wurde, entschlossen hätte. Wenn wir soweit,
eigentlich gegen unser Erwarten, uns mit den Anträgen des Herrn
Referenten in Uebereinstlmmung befinden, so erscheint uns da¬
gegen höchst bedenklich der von ihm der Ziffer 2 gegebene, ln’s
andere Extrem gehende Wortlaut, der schliesslich auch zum Be¬
schluss erhoben wurde: „Die Heilmethode ist dem Ermessen des
Arztes überlassen und kann nie den Gegenstand eines ehren¬
gerichtlichen Verfahrens bilden“. Was kann nicht Alles unter
der Flagge einer Heilmethode segeln! Unter dem Schutze dieser
Bestimmung könnten die bedenklichsten Experimente an Kranken
ausgeführt werden, wenn dies nur unter der Form einer Heil¬
methode geschieht. Wir meinen, dass es auch für den Standpunkt
»los Herrn Referenten genügt hätte, dass durch Ziffer 1 dem Arzte
die unbedingte Freiheit seiner wissenschaftlichen Stellung ge¬
sichert ist.
— 1 He neue bayerische Gebührenordnung f ü r ärzt¬
liche Dienstleistungen In der Prlvntprnxls ist
nunmehr erschienen. Wir werden den Wortlaut der Verordnung
in der nächsten Nummer bekannt gelten.
— Der Stadt Frankfurt a. M. ist der Deutsch, med. Wochen¬
schrift zu Folge eine Stiftung zugefallen, die zur Förde¬
rung von Forschungen über die Ursache der
Krebskrankheit bestimmt ist. Der Stiftungsbetrag beläuft
sich auf 500 (HK) M. Namens der Pflegschaft der Stiftung ist Prof.
Ehrlich, der Direktor des Instituts für experimentelle Patho¬
logie damit betraut worden, die Anstellung von Studien Uber den
Krebs In die Wege zu leiten. Zu diesem Zweck ist Iteim Institut
für experimentelle Patholögie eine ueue Asslstehteustelle einge¬
richtet worden, die Dr. Weiden re ich, dem bisherigen Assi¬
stenten an der anatomischen Universitätsanstalt in Stmssburg.
übertragen worden ist. (Herr Dr. W. theilt uns mit, dass er nicht
*) Die Kedaction der vorliegenden Nummer musste wegen
eines sächsischen Feiertages im Interesse der onlnuugsinässigeii
Bestellung der über Leipzig expedirten Bucbhändler-Auflnge schon
heute geschlossen werden.
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MXJENCKENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 44.
auf die Venia legendi verzichten, wie in voriger Nummer gemeldet
war, sondern sich nur beurlauben lassen wird.)
— Die Deutsche Gesellschaft für Geschichte
der Medlcin und der Naturwissenschaften,
deren Gründung auf der Naturforscherversammlung ln Ham¬
burg vollzogen wurde, hat ihren Jahresbeitrag auf 10 Mark
festgesetzt und als einmalige Einkaufssumme (statt des Jährlichen
Beitrags) den Betrag von 150 M. bestimmt. Bei der Gründung der
Gesellschaft sind ihr sofort 00 Herren aus Deutschland, Oester¬
reich-Ungarn und der Schweiz beigetreten, doch ist der baldige
Eintritt Aller, welche sich für das Forschungsgebiet der Gesell¬
schaft interessiren, auch weiterhin dringend erwünscht. Auch
körperschaftliche Mitglieder sind vorgesehen: naturwissenschaft¬
liche und medicinische Institute, Vereine und Bibliotheken, sowie
industrielle Werke sind als solche besonders willkommen. Als
unentbehrliches Erforderniss der historischen Forschung hat die
Gesellschaft zunächst ein fortlaufendes Referat über alle Ver¬
öffentlichungen zur Geschichte der reinen und angewandten Natur¬
wissenschaften und der Medlcin in Angriff genommen. Das erste
Heft dieses periodischen Organs soll zu Beginn des Jahres 1902
erscheinen. — Als Schatzmeister der Gesellschaft funglrt Herr
Dr. Emil W o h 1 w i 11 in Hamburg (Johnsallee 14), doch sind auch
die anderen Herren des Vorstandes: Prof. Dr. Georg Kahl¬
baum in Basel (Stelnenvoretadt 4), Docent Dr. Max Neu¬
burger ln Wien (VI, Kollergerngasse 3), Dr. H. A. Peypers
in Amsterdam (Parkweg 212), sowie der Vorsitzende, Sanitätsrath
I)r. Karl Sudhoff in Hochdahl bei Düsseldorf zur Annahme der
Beitrittserklärungen und der Mitglledsbeiträge, sowie zu jeder
weiteren Auskunft bereit.
— Das Orgnnisatlonscomltö für den 14. internationalen
medieinisclien Kongress (Madrid 1903) hat beschlossen
die Sektion für Otologie, Rhiuologie und Laryugologie in zwei
Sektionen, fiir Otologie und für Rhinolaryngologie, zu theilen.
— Pest. Italien. In Neapel ist zu Folge amtlicher Mit¬
theilung vom 12. Oktober seit dem 1. desselben Monats eine Neu-
erkrankuug mit tüdtliebem Ausgange bei einer am Hafen herum¬
ziehenden Verkäuferin festgestellt worden. Von den bisherigen
Pestkranken ist einer am 9. Oktober gestorben. Die Zahl der
bakteriologisch festgestellten Pesterkrankungen seit Ausbruch der
Epidemie wird auf 15 angegeben, daninter 8 Todesfälle; bei den
übrigen Erkrankungen hat sich der Verdacht auf Pest nicht be¬
stätigt. — Aegypten. In der Zeit vom 4. bis 11. Oktober wurden
insgesammt 5 Erkrankungen (4 Todesfälle) an der Pest gemeldet,
davon 1 (2) in Alexandrien, 3 (1) in Mit Gamr, 1 (1) in Ziftah. —
Britisch-Ostindien. In der Präsidentschaft Bombay sind in der
am 2t». September abgelaufenen Woche 7144 Erkrankungen und
5207 Todesfälle an »1er Pest festgestellt worden, d. h. 1111 bezw.
<538 weniger als ln der Vorwoche. In der Stadt Bombay wurden
in der am 21. S»*ptember endenden Woche 202 Erkrankungen und
244 Todesfälle an der Pest, ermittelt; die Zahl der pestverdächtigen
Sterbefälle betrug 149, die Gesammtzahl der Sterbefälle 914 gegen
9(55 ln der Vorwoche. — Mauritius. In der Zelt vom 9. August
bis 5. September wurden auf der Insel 11 Erkrankungen und
8 Todesfälle an der Pest festgestellt. — Kapland. Nach amtlichen
Ausweisen ist. in der Zeit vom 8. bis 21. September auf der Kap-
halbinsel kein neuer Pestfall festgestellt worden. In Port Eliza¬
beth dagegen sind in der am 14. September abgelaufenen Woche
11 neue Pestfälle, darunter 1 mit tödtlichem Verlaufe, ermittelt,
und 3 verdächtig Erkrankte unter Beobachtung gestellt worden;
ferner fand man am 18. September die Leiche eines an Pest ver¬
storbenen Eingeborenen. — Brasilien. In Rio de Janeiro ist einer
Mittheilung in der dortigen Tagespresse vom 6. September zu Folge
das Gebäude einer Zeitungsgeschäftsstelle behördlich geschlossen
worden, weil mehrere Angestellte derselben an Pest erkrankt
sind. — Queensland. Den amtlichen Ausweisen zu Folge ist ln
der am 17. August abgelaufenen Woche 1 Pesttodesfall, ln der
Woche darauf weder eine Erkrankung noch ein Todesfall fest¬
gestellt worden. Laut Mittheilung vom 7. September sollen seit
dem 13. August neue Pestfälle nicht mehr angezeigt sein.
— In der 41. Jahreswoche, vom 6. bis 12. Oktober 1901, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Posen mit 26,4, die geringste Kaiserslautern mit 6,4 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, Flensburg, Gera, Halle;
an Masern in Altona; an Diphtherie und Croup in Borbeck, Erfurt;
an Unterleibstyphus in Bochum, Gleiwitz.
— Im Verlag von Otto Erler in Berlin erschien ein „Kunst¬
blatt“ unter dem Titel: Berlins berühmte Professoren
der Medlcin. Das Blatt enthält 36 Medaillon-Portraits in
Autotypie, auf Kreidepapier gedruckt. Das Format ist 50:65 cm,
der Preis 2 M., angesichts der recht dürftigen Ausführung un»l
Ausstattung nicht eben billig.
(II ochsch ulnachrichten.)
Breslau. Die neuen medieinischen Institute der hiesigen
Universität sind nunmehr völlig fertiggestellt und haben einen
Kostenaufwand von 393 000 M. erfordert, von denen auf »las hy¬
gienische Institut 110 000 M., auf das pharmakologische Institut
100 000 M. und auf das physiologische Institut 177 000 M. eut-
f allen.
F r e i b u r g 1. B. Der ausserordentliche Professor in der
medieinischen Fakultät der hiesigen Universität, Dr. Knies,
hat auf die venia legendi verzichtet und wird sich künftig allein
»ler Praxis als Augenarzt widmen.
Heidelberg. Sonntag den 20. Oktober wurde im Audi¬
torium des physiolog. Instituts die Gedenktafel an W. Kühne
mit Medaillon in Bronce vor einem Kreis von Freunden, Kollegen
und Schülern des Verstorbenen enthüllt.
Moskau. Der Privatdocent und ausseretatmässlge Assistent
Dr. Lindemann ist zum ausseronlentlic-hen Professor der all¬
gemeinen Pathologie an der Kiewer Universität ernannt worden.
Tomsk. Zum ausserordentlichen Professor der theoretischen
Chirurgie ist der jüngere Arzt des Kalugaschen Milltärlazareths.
K»>llogienussessor Dr A. M y 8 c h ernannt.
(Todesfälle.)
Die Aerzte Münchens haben einen schweren Verlust zu be¬
klagen: Einer ihrer besten und edelsten Kollegen, Herr Hof rat h
Dr. Georg Näher, ist am 24. ds. in Folge einer Herzlühmuug
plötzlich verschieden. Mit Näher geht eine markante Erschei¬
nung unter den Münchener Aerzten aus dem Leben, ein Mann,
der in seltenem Maasse die Eigenschaften in sich vereinigte, die
einem Arzte zur Zierde gereichen: Tüchtige Kenntnisse, ein für
alles Gute und Edle begeistert schlagendes Herz, lebhaftes Inter¬
esse für alle öffentlichen Angelegenheiten, Arbeitsfreudigkeit und
Aufopferungsfähigkeit im Dienste der Allgemeinheit, Energie und
Initiative in der Behandlung übernommener Aufgaben, ein freier
Sinn und ein festes Rückgrat. Liebenswürdigkeit im Umgang, ab¬
solute Zuverlässigkeit gegenüber seinen Freunden, strenges Recht-
lichkeitsgcfühl und nie versagende Menschenfreundlichkeit; «lazu
eine kraftvolle männliche Erscheinung, mit energischen und «loch
so freundlichen Zügen, das mächtige Haupt von wallendem Haar
umrahmt — das war Näher, so wird er In uns»‘rer Erinnerung
fortlelM*n, ein leuchtendes Vorbild eines guten Arztes und
Menschen. Die eingehende Würdigung der Thätigkeit X ä li »* r's
einer späteren Schilderung überlassend, sei hier nur in Dankbar¬
keit au die Verdienste erinnert, die Näher sich in »len letzten
Jahren, wohl unter allzu rücksichtsloser Anspannung seiner Kräfte,
um die Aerztescliaft Münchens erworben hat. Nach dem To»le
A u b’s zum Vorsitzenden des ärztlichen Bezirksvereins gewählt,
wusste er alsbald das etwas erlahmte Interesse an den Arbeiten
des Vereins auf eine bis dahin nicht gekannte Höhe zu bringen
und vor Allem, er gewann d«*m Verein, worauf er bis dahin fast
immer hatte verzichten müssen, praktische Erfolge.
N ä h e r brachte »las Kunststück fertig, die gesummte Münchener
Aer/.tescliaft unter einen Hut zu bringen uu«l erzielte dadurch in
der Frage der Ilonorlrung der Atteste der Invalidität«- und Alters¬
versicherung, wie in dem Streite mit der Ortskrankeukusse IV
Erfolge, die den Aerzten Münchens zur Ehre und zum grossen
Nutzen gereichen. Weitere wichtige Aufgaben standen ihm in Aus¬
sicht. denen der Tod ihn nun entrissen hat. Ein unersetzlicher
Verlust! Wir hoffen aber, dass der Geist des kollegialen Zusammen¬
halten«, den Näher unter die Münchener Aerzte getragen hat,
ihn überdauern und die Lösung der von ihm no»*li angebahnten
Aufgaben erleichtern wird. Das wäre der schönste Dank, »len wir
unserem verstorbenen Führer für seine Treue erstatten können.
Dr. T. Yanez y Font, Professor der geriehtl. Medlcin
in Madrid.
Dr. J. II. Ohievltz, Professor der Anatomie in Kopen
liagen.
Dr. Samuel J. Jones. Professor der Ophthalmologie und
Otiutrie um Chicago medical College.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Verzogen: Dr. Ludwig Morgenthau von Ilollfeld nach
Coburg.
Gestorben: Dr. L. T. Hauer, Oberstabsarzt z. I». in
Augsburg.
Briefkasten.
Von verschiedenen Seiten geht uns naehstelmüdes Inserat
aus No. 492 der Münch. N. N. zu: „Aerzte! Ab Standesordnung
Studie Aerzte v»*rsehiedener Branchen für Korrespondenz mul
Reisen. Verzicht auf Approbation und Doktortitel Bedingung.
Uebutig in brieflicher Behandlung erwünscht. Salair monatlich
bis 1 00 M., Anfänger event. 30 M. Direktor J. Rottel. München.
Sopliieustrasse la." Es handelt sich offenbar um einen, aller¬
dings recht übel angebrachten. Witz. Sophienstrasse la wohnte
unser verehrter Kollege N ä h e r; »ler Name J. Rottel findet sich im
Münchener Adressbuch überhaupt nicht. Damit entfallen alle au
das Inserat geknüpften Folgerungen.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 42. Jahreswoche vom 13. biB 19. Oktober 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 1 (—*), Scharlach 1 (—), Diphtherie
und Croup — (1), Rothlanf 1 (2), Kindbettfieber — (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 4 (2), Brechdurchfall 8 (11), Unterleibtyphus
— (—), Keuchhusten 1 (1), Croupöse Lungenentzündung — (2),
Tuberkulose a) »1er Lungen 12 (24) b) der übrigen Organe 10 (2),
Akuter Gelenkrheumatismus 1 (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 3 (4), Unglücksfälle 3 (—), Selbstmord 1 (1), Tod durch
fremde Hand — (—).
Die Gesammtzahl der Ster jefälle 186 (181), Verhältn iss zahl auf
dm» Jahr und lJ.'U Einwohner im Allgemeinen 19,3 (18,8), für die
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,5 (10,0).
•) Die a! ng eklam merten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verl»ig von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerei A,U-, München.
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Dl« Münch. Med. Woehenwhr. eraehelnt wftchentl.
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MÜNCHENER
Zusendungen sind su adroartren: Tür die Bednotloil
Ottostrasse t. — Kür Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Henstraxse 20. — Kür Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplats 16.
EDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Ch. Binlir, 0. Bolünger, H. CerschBinn,
Treib «r* I. B. München. Lei pst*.
Herausgegeben von
C. 6erhirdt, 6. Mtrkil, J.!. Michel, H. v. Rilke, F. i. Wiickil, H. i Zlnssii,
Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. München.
No. 45.
5. November 1901.
Redaction: Dr. B. Spats, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Henstrasse 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der k. dermatologischen Klinik des Herrn Prof. Dr. Posselt
zu München.
Zur Protargolbebandlung der Gonorrhoe.
Von Privatdoeent Dr. .T e s i o n e k, Assistent der Klinik.
Im Anschlüsse an N e i s s e r’s erste Mittheilung über das
Protargol und die mit don Lösungen dieses Silbereiweisspräpa¬
rates ausgeführten prolongirten Injektionen ist auch auf der Ab¬
theilung für Geschlechtskranke im Krankenhause 1/1. dieses neue
Silbersalz bei der Behandlung der Gonorrhoe in Anwendung ge¬
zogen worden. Die Resultate, welche wir erzielt haben — in der
ersten Zeit hauptsächlich bei der Behandlung der gonorrhoischen
Urethritis des Mannes — sind üusseret befriedigende gewesen.
Vor Allem waren wir erfreut zu sehen, wie rasch die Gouocoocen
aus dem Sekrete verschwanden, wie rasch dasselbe an Quantität
und Qualität sich zum Besseren wendete. Die sich allmählich
erstellenden und bald sich häufenden ungünstigen Berichte in
der Fachpresse blieben uns in Anbetracht unserer Erfolge längere
Zeit unverständlich; wir thcilten vollkommen die Freude aller
Derer, welche an einem grösseren oder kleineren Materiale das
neue Mittel als gut befunden hatten und cs als eine bedeutsame
Errungenschaft in der Therapie des blennorrhoischen Proeessee
priesen.
Indessen im Laufe der Zeit ergaben sich auch uns in nicht
unbeträchtlicher Anzahl Beobachtungen, welche uns an der Vor¬
trefflichkeit der neuen Silberei Weissverbindung Zweifel zu er¬
wecken geeignet waren. Wir hatten Gelegenheit eine Reihe von
Fällen zu verzeichnen, in welchen die Gonococcen durch das in
Anwendung gebrachte Protargol wenig oder gar nicht beeinflusst
worden sind. Dass der eine oder der andere Fall sich refraktär
verhalten hätte, wäre ohne grosse Bedeutung gewesen; aber die
ungünstigen Wahrnehmungen mehrten sieh in der Klinik sowohl,
wie an Patienten, welche ambulant in unserer Behandlung stan¬
den'. Geradezu schlecht wnren die Erfolge, die wir bei der Be¬
handlung von gonorrhoischen oder anderweitig infektiösen
Blasenkatarrhen oder von hartnäckigeren Erkrankungen der
Urethra posterior erhielten. Wir hatten Ausspülungen der er¬
krankten Organe mit % bis 2 proc. Lösungen des Protai*gol ge¬
macht, ganz in der nämlichen Weise, wie wir früher mit den
anderen antigonorrhoischen und desinfizirenden Mitteln vor¬
gegangen waren. Auf die Methode konnten unsere Miss¬
erfolge nicht zurückgeführt werden; cs erschien uns zweifellos,
dass es das neue Mittel selbst war, welches uns da bei einer Reihe
von Fällen im Stiche gelassen hat.
Eines fiel uns auf. Die Spülflüssigkeiten, die wir, wie ge¬
wöhnlich bei der Applikation auf die inneren, Organe, erwärmt
hatten, waren von sehr dunklem, oft bierähnlichem Aussehen.
Der Konzentrationsgrad der Lösungen schien auf die Farbe nicht
von ausschlaggebender Bedeutung zu sein. Bald überzeugten wir
uns, dass die Farbe des Protargol selbst eine sehr variable war,
bald war sie heller, bald dunkler. Wir waren geneigt, im An¬
schluss an die verschiedene Farbe des Protargol in Substanz, der
Lösungen, im Anschluss an therapeutische Misserfolge, im An-
schluss auch an literarische diesbezügliche Mittheilungen anzu¬
nehmen, dass es sich um ein Präparat handle, welches ab und zu
in minderwerthiger Beschaffenheit auf den Markt gelange oder
No. 46.
wenigstens ungleichmässig in seiner Zusammensetzung, in¬
konstant in seinem therapeutischen Werthe sei. Erst allmählich
wurde uns die Aufklärung. Wir erkannten, dass Blasen¬
spülungen, welche mit erwärmten Lösungen vorge¬
nommen wurden, nicht immer, aber recht häufig einen negativen
Effekt ergaben im Gegensatz zu Spülungen, bei welchen die
Flüssigkeit nicht erwärmt worden war. Als Hauptquelle aller
unserer therapeutischen Misserfolge hatten wir bald die von uns
vorgenommene Erwärmung der zu den Spülungen, Injek¬
tionen und Instillationen verwendeten Lösungen kennen gelernt.
Wir gebrauchten seither ausschliesslich Lösungen von gewöhn¬
licher, nicht auf Körperwärme erhöhter Temperatur.
Noch wichtiger aber für den therapeutischen Erfolg als das
Erwärmen, resp. Nichterwännen der bereiteten Lösungen un¬
mittelbar vor der Applikation ist ein zweiter Punkt: Die
Lösungen selbst müssen in der Kälte herge¬
stellt werden.
In der letzten Zeit ist von verschiedener Seite darauf hin¬
gewiesen worden, welch’ grosse Bedeutung der richtigen Zu¬
bereitung der Lösungen des Protargol zukomrat. Es ist zu ver-
muthen, dass den immer noch so sehr divergenten Urtheilen über
den therapeutischen Werth des Protargol die verschiedene Art
und Weise der Bereitung der Lösungen zu Grunde liegt, dass es
Aerzten und Apothekern noch nicht genügend bekannt ist, dass
bei der warmen Zubereitung der Protargollösungen und beim
Kochen derselben eine Zersetzung des Protargol, eine Abspaltung
des Silbers stattfindet. Die Flüssigkeit ist alsdann einerseits
vollkommen wirkungslos, andererseits geeignet, Reizzustiinde am
Orte der Applikation hervorzurufen. Von ophthalinologischer
Seite hat letzthin Engel mann 1 ) darauf hingewiesen, dass
dio ungemein verschiedenartige Bcurtheilung, welche dem Pro¬
targol seitens der Augenärzte zu Thcil geworden ist, wie das aus
v. S i c h e r c r’s : ) Sammelreferat so deutlich zu ersehen ist, in
erster Linie in der Ungleichmäßigkeit der Zubereitung der
Lösungen begründet sein dürfte. Was F. Goldmann“) der
Deutschen pharmazeutischen Gesellschaft in der Sitzung vom
7. März d. J. vorgetragen hat, verdient allgemeinere Kenntniss-
nahmc und Würdigung:
„Der Ausführung von Protargolverordnuugon Ist eine be¬
sondere Sorgfalt zuzuwenden, da nicht sachgemäß hergestellte
Lösungen nicht nur dem Patienten Nachthell bringen können, son¬
dern auch geeignet sind, Differenzen zwischen Apotheker und
Publikum, sowie Apotheker und Arzt herbeizuführen. Die Her¬
stellung der Lösung soll niemals unter Benützung von warmem
Wasser erfolgen. Bel höheren Konzentrationen kann eine Zer¬
setzung elntreten, welche als Trübung oder Niederschlag in Er¬
scheinung tritt. Eine solche objektiv erkennbare Veränderung
kann Indessen auch fehlen, und so Ist es fast ausnahmslos bol
Lösungen, wie sie für die Injektionen gegen die Gonocoecen-
lnvaslon gebräuchlich sind. Wenn wir auch heute noch nicht mit
Bestimmtheit In einer durch Erwärmen hergestellten Lösung eine
Aenderung im chemischen Sinne uachwelseu können, so lässt sich
ein Einfluss der Erwärmung doch nach anderer Richtung hin fest¬
stellen. Eine durch warmes Wasser erzielte Protargollösung
sicht zunächst dunkler ln der Färbung aus, als eine kalt bereitete.
Es handelt sich hierbei allem Anschein nach um eine Oxydation
der im Protargol enthaltenen Proteinkörper. Eine warm bereitete
Lösung als Injektionsflüsslgkeit benützt, reizt nicht selten,
während die gleiche Lösung kalt bereitet und bei dem gleichen
') Centralbl. f. Gyn. 1001, 1.
*) Zeltschr. f. Augenheilk. 1900, Bd. IV.
*) Berichte der D. pharm. Ges. 1901, XI. Jahrg., H. 3.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1780
No. 45.
Patienten applizirt, reaktiouslos vertragen wird. Hieraus ergibt
sieh ohne Weiteres, dass die Benützung von warmem Wasser zum
Zwecke des Auflösens von* Protargol unstatthaft ist.“
Nichts ist einfacher und leichter, als sich von der Richtigkeit
vorstehender Ausführungen zu überzeugen.
Wir haben bei einer nicht geringen Anzahl von Patienten
(Jelegenlieit gehabt, zu sehen, dass die von ihnen in richtiger
Weise ausgeführten Injektionen von Protargollösungen die Gono-
coceen nicht abzutödten vermocht hatten, dass das Sekret selbst
nach bereits längerem Gebrauch des Protargol sich, diokrahmig,
stark eitrig erhalten hatte, dass die akut entzündlichen Erschei¬
nungen an der Urethra noch sehr beträchtliche waren, da§s aber
alle diese Erscheinungen sich besserten, dass Röthung und
Schwellung des Orificium zurückgingen, dass das Sekret spär¬
lich, milchig, reicher an Epithelien wurde, dass die Gonococcen
alsbald verschwanden, wenn wir die von uns selbst kalt her¬
gestellten Lösungen in Gebrauch nehmen Hessen. Wir mussten
uns überzeugen, dass nichts anderes als die verschiedene Her¬
stellungsart die verschiedene Wirkung zu erklären vermochte.
Zu dem Zwecke der Herstellung der Lösungen sind 2 Metho¬
den angegeben worden. Bei der ersten wird das Protargol mit
Glycerin und Wasser in der Porzellanschale in bestimmtem Ver¬
hältnisse verrieben, worauf durch Aufgiessen von Wasser die
gewünschte Konzentration erzielt wird. Es ist gegen diese
Methode in erster Linie einzuwenden, dass schlechterdings nicht
zu ersehen ist, aus welchem Grunde Glycerin zur Herstellung der
Lösung in Anwendung gebracht wird, wenn es sich um die Aus¬
führung einer Rezeptur handelt, in welcher ausschliesslich Pro¬
targol und Wasser verordnet ist. Andererseits ist nicht in Ab¬
rede zu stellen, dass bei einer nicht kleinen Anzahl von Fällen
das Glycerin, auf die Schleimhaut applizirt, eine Reizwirkung
zu entfalten vermag. Ich habe mich davon durch eine an männ¬
lichen und weiblichen Urethren angestellte Untersuchung über¬
zeugt, dass das 20 p r o c. Protargolglycerin, das als Prophylak-
tikum vielfach empfohlen wird, viel häufiger und in viel inten¬
siverem Grade eine Reaktion am Orificium urethrae veranlassen
kann, als dies eine 20 proc. wässerige Lösung zu bewirken im
Stande ist. Ich habe bis jetzt fünfmal Gelegenheit gehabt,
Studirende zu untersuchen, welche das genannte Prophylaktikum
nach der suspekten Kohabitation in Anwendung gezogen hatten.
Drei davon zeigten, je zwei am vierten, der eine am fünften Tage,
lebhafte entzündliche Symptome am Orificium, mit Gonococcen
im dick-purulenten Sekret. Von den zwei anderen Studirenden
aber kam der eine schon am ersten Tage, der andere am zweiten
Tage post coitum in Behandlung mit Erscheinungen, die im
ersten Momente gleichfalls daran denken Hessen, dass es sich
um eine reeente gonorrhoische Infektion handle. Erst der nega¬
tive Ausfall der mikroskopischen Untersuchung und der weitere
Verlauf der Affektion sicherte die Diagnose einer einfachen,
nicht gonorrhoischen Entzündung. Mangels anderweitiger
anamnestischer Anhaltspunkte bin ich geneigt, diese zwei
Urethritiden auf die Einwirkung des Protargolglycerin zurück¬
zuführen, oder vielmehr im Wesentlichen auf das Glycerin allein;
denn bei meinen Untersuchungen mit der 20 proc. wässerigen
Lösung habe ich derartige heftige Reaktionserscheinungen an
der Harnröhre nicht wahrgenommen, wie das bei jenen zwei
Studirenden der Fall gewesen war.
Brachte ich Glycerin tropfenweise in die vorderste Partie
der Urethra von männlichen oder weiblichen Individuen, so
konnte ich bei einem Drittel der also behandelten Fälle entzünd¬
liche Reizerscheinungen feststeUen. Es erscheint mir zweifellos,
dass das Glycerin bei einer Reihe von Menschen auf die Schleim¬
haut ungünstig einwirkt. Im Uebrigen steht das Verhalten der
Haut dem Glycerin gegenüber hierzu in Analogie. Das Ein¬
fetten der „gesprungenen“ Hände mit Glycerin wird häufig ge¬
übt und auch vielfach nicht schlecht ertragen. Daneben sind
aber Beobachtungen vom Gegentheil, von Reizerscheinungen an
der mehr oder weniger intensiv ekzematös erkrankten Haut nicht
gerade selten zu machen.
Mit Rücksicht auf diese Erwägungen halte ich die Her¬
stellung von Protargollösungen unter Glycerinzusatz für nicht
zweckmässig. Ein zwingender Grund, Glycerin zuzusetzen, liegt
überhaupt nicht vor.
Protargol löst sich in kaltem Wasser bis zu einem Procent¬
satz, welcher für die Behandlung der Gonorrhoe gar rdeht mehr
in Betracht kommt, bis zu. 50 Proc., und ausserdem ist die zweite
Methode so einfach, dass nicht zu ersehen ist, warum ihr nicht
vor der ersten der Vorzug eingeräumt werden sollte. Sic besteht
darin, dass man das Protargol, ein pulvcrförttiiges^Präparat, apf
der Oberfläche der Waasermengo in einem möglichst flächen,
sc.halonartigen Gefässo durch Aufpudern möglichst fein vertl^ejt,
so dass der Wasserspiegel wie mit einem staub- oder 1 pilzraseit-
artigen Uoberzug bedeckt erscheint. Man lässt das Gefäss ruhig
stehen, rührt nicht um; nach der vollkommenen Lösung, welche
unter, Verfärbung, dejr Flüssigkeit eiphefgeht, bewirkt man den
gewünschten Konzcntrattonsgrad- durch Zugieasen von Wasser.
Bringt man bei Zimmertemperatur auf die Oberfläche des
Wassers in einem gewöhnlichen Schoppenglas mit etwa 7 cm
Weite 1,0 Protargol in der geschilderten Weise,, sq, hat. man
nach 30—12 Minuten eine richtig hergestellte 0,4 proc, Losung
von klarer hellbrauner Farbe. Lässt man nun diese läisung
Licht und -Luft ausgesetzt stehen, bemerkt man, bereit^ nach
12 Stunden, dass die Farbe der Flüssigkeit eine wesentlich
dunklere geworden ist. Eine derartige, augenfällig^. Farhpr)-
veränderung macht sich übrigens auch bei nur einigermaassen
stärkeren Lösungen, die in dunklen verschlossenen Flaschen auf¬
bewahrt werden, gleichfalls nach nicht zu langer Zeit geltend.
An 10 proc. Lösungen, welche wir bei der Behandlung der
Cerviealgonorrhoe in Gebrauch nehmen, habe ich beobachtet,
dass sie nach längerem Stehen nicht nur .sehr.dunkel, sondern
auch sehr trübe werden. Es soll die allmählich sich geltend
machende dunkle Farbe auf Oxydationsvorgängen der Eiweiss¬
körper beruhen, ohne, bei nicht zu hohen Konzentratioiisgradeu
der Lösung, eine Zersetzung derselben anzudeuten. Es ist immer
eine missliche Sache, bei Silberlösungen Farbeveränderungen
wahrzunehmen; man ist gerne geneigt, ihrer therapeutischen
Wirksamkeit gegenüber misstrauisch zu werden. Ich sehliesse
mich vollkommen der Ansicht Goldman n’s an, welcher sich
dahin ausspricht, duss die in manchen Apotheken scheinbar
herrschende Gepflogenheit, konzentrirte Lösungen herzustelleu
und von solchen mehr weniger lange Zeit aufbewahrtop Stamm¬
lösungen die in den Ordinationen gewünschten Verdünnungen
zu bereiten, zu verwerfen sei, und dass es für den Arzt äüsserst
zweckmässig sein dürfte, der Protargolordination beizufügen,
dass die Lösung in der Kälte und frisch herzustellen sei.
Achtet man darauf, dass die Lösungen in richtiger Weise
zubereitet werden, dass dieselben vor ihrer Applikation auf,die
Schleimhäute nicht erwärmt werden, dass nur frische. Lösungen
stets in Anwendung gebracht werden, so wird man den von uns
an einein sehr grossen klinischen Materiale gemachten Wahr¬
nehmungen nach die Vorzüge des Protargol erkennen und wohl
nicht in Abrede stellen, dass seine Einführung in die Gonorrhoe-
behandlung einen ganz wesentlichen therapeutischen Fortschritt
bedeutet. •
Aus der Menge der auf unserer Klinik mit Protargol. be¬
handelten Fälle von Urethritis gonorrhoica des Mannes sind im
Laufe der letzten Jahre in ziemlich beträchtliche!; AnzahL solche
Fälle herausgegriffen und zur Aufstellung einer Statistik-yer.-
wendet worden, bei welchen hinsichtlich der Protargollösungen
die oben besprochenen Verhältnisse in Berücksichtigung gezogen
worden waren und welche von vorneherein längere Zeit hindurch
in unserer Beobachtung zu bleiben versprachen. Es hat. sich
dieses letztere, zum Zwecke einer möglichst exakten Beurtheilung
des Heilwerthes unerlässliche Postulat, natürlich nur in. be¬
schränktem Maasse erfüllt. Immerhin verfügen wir über eine
Statistik von 387 Fällen, welche nur insofeme als ausge-
wählte bezeichnet worden dürfen, als sie mindestens .drei
Wochen in unserer Beobachtung gestanden sind, und als ihnen
eine genaueste protokollarische Würdigung der jeweiligen klini¬
schen Wahrnehmungen zu Theil geworden ist. Dass vor» Ein¬
leitung der Behandlung-in jedem einzelnen Falle der positive
mikroskopische Nachweis von Gonococcen im UrethraUekrete er¬
bracht worden ist, ist selbstverständlich. ... :
Bezüglich der im Allgemeinen zur Durchführung gebrachten
Methodik der Behandlung muss vorausgeschickt werdeu, dass
für dieselbe die Angaben N e i s s e Fs in seiner ersten Veröffent¬
lichung maassgebend gewesen sind. Da eine rationelle Tbeiapib
der Gonorrhoe des Mannes in ganz hervorragendem Maosse den
individuellen Verhältnissen Rechnung tragen muss, ist es ganz
unmöglich, von vorneherein ein bestimmtes Sßhenja festzusteUen,
oder, mit anderen Worten, an dieser [Stelle auseinandfirzusetaen.
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5. November 1901.
MUENCHENEß MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1781
welche einzelnen Modifikationen die therapeutischen Maass¬
nahmen bei den einzelnen Fällen erlitten haben, welche ver¬
schiedenartige Berücksichtigung den verschiedenen anatomischen
und physiologischen in Betracht zu ziehenden Eigentümlich¬
keiten, den pathologischen komplikatorischen Zuständen zu Thoil
geworden ist. Es können nur die allgemeinen, bei der Behand¬
lung der Gonorrhoe mit Protargol für uns maassgebeuden und
in der praktischen Ausübung derselben betätigten Gesichts¬
punkte hier ihre Erwähnung finden.
" 'Wir beginnen die Injektionsbehandlung s o f o r t nach der
Erledigung der verschiedenen Voruntersuchungen, unter der Be¬
dingung, dass nicht zu heftige Reizerscheinungen, Kompli¬
kationen mit akutem Charakter vorhanden sind. Solche ver¬
suchen wir zuerst durch, antiphlogistische Maassnahmen zu be¬
einflussen. Durch Bettruhe, kühlende Uebcrschläge, Eisblase,
prolpngirte Sitz- und Vollbäder, Regelung der Diät und der
Darmthätigkeit, durch Suppositorieu u. s. w. streben wir darnach
auch im weiteren Gange der Behandlung jede
Reizung zu mildem und hintanzuhalten.
Durch möglichst häufige und möglichst prolongirte Injek¬
tionen sueheil wir das Mittel möglichst lange auf die Schleim¬
haut einwirken zu lassen. Die Kranken werden geradezu unter¬
richtet, wie die Einspritzungen zu machen sind. Nach Mög¬
lichkeit werden dieselben, vom Arzte oder von geschultem Wärter¬
personale kontrolirt.
Wie lange wir die prolongirten Injektionen in möglichster
Häufigkeit vornehmen lassen, machen wir abhängig einerseits von
den Reizerscheinungen, vor Allem von- der Beschaffenheit und
Menge des Sekretes, andererseits von dem Verhalten der Gono-
coccen. Sind diese aus den mikroskopischen Präparaten ver¬
schwunden, besteht dabpi das Sekret zum grösseren Theile aus
Epithelien und Schleim,' so lassen wir bald nur dreimal des Tages,
bei Fortdauer des günstigen Ablaufes schliesslich nur einmal
des Tages eine prolongirte Injektion ausführen.
Gerade bei der Verwendung des Protargols in der Tripper¬
behandlung muss der Gedanke beim Arzt wie beim Kranken
immer mehr sich Bahn brechen, dass bei Beginn der Therapie
gar nicht oft genug, soweit die entzündlichen Zustände der
Schleimhaut dies nur einige rmaassen gestatten, und beim Ab¬
schluss der Therapie gar nicht lang genug „gespritzt“ werden
kann. Bei der Behandlung der Ophthalmoblennorrhoe tritt es
ganz besonders klar zu Tage, wenn man über ein grösseres Be¬
obachtungsmaterial zu verfügen Gelegenheit hat, dass es für den
therapeutischen Effekt weniger in Betracht kommt, welches der
nntigonorrhoiachon Mittel man in Verwendung zieht, als dass
man möglichst häufig und damit möglichst gründlich den Con-
junctivalsack von den der Schleimhaut auflagernden Sekret-
massen mechanisch befreit. Ob man hiezu Borwasser, dünne
Argentumlösungen, Argoniu, Largin oder Protargol verwendet,
beeinflusst die vergleichende Statistik des Ileileffektes, nach
unseren Erfahrungen, so gut wie gar nicht. Es liegt auf der
Hand, dass die Urethralsehleimhaut es ebenso angenehm und
vortheilhaft empfinden wird, häufig und gründlich von Schleim
und Eiter und Pilzen gereinigt zu werden, wie das bei der Binde¬
haut der Fall ist, natürlich immer vorausgesetzt, dass die vor¬
handene Entzündung dabei nicht gesteigert wird, dass Mittel in
Anwendung gezogen werden, welche neben einer spezifischen Wir¬
kung auf die Krankheitserreger die erkrankte Schleimhaut selbst
günstig beeinflussen. Geeignete Protargollösungen können und
müssen aber nicht nur bei Beginn der Behandlung oft und
reichlich mit der Schleimhaut in Berührung gebracht werden;
es ist unumgänglich nothwendig, wenn nicht nur scheinbare,
vorübergehende Erfolge erzielt werden sollen, die Behand¬
lung lange fortzusetzen. Damit berühre ich einen
Punkt, der vielfach nicht genügend berichtigt worden ist, und
dessen Ausserachtlassung zu einer ungünstigen Beurtheilung des
Protargol geführt hat, auf einen Nachtheil, der dem Protargol
zum Vorwurf gemacht worden ist, der darin bestehe, dass die
Protargolbehandlung der Verschleppung der Tripperkrankheit
Vorschub leiste.
Gewiss, es ist etwas Wahres in einer solchen Behauptung
gelegen, aber der Vorwurf trifft nicht das Mittel selbst. Das
Protargol vermag sehr rasch die Masse des Sekretes zu
verringern, seine Qualität zu bessern, die Gonococcen im Gewebo
abzutödten. Es ist absolut nichts Ungewöhnliches, dass wir be¬
reits 24 oder 48 Stunden nach Beginn der Behandlung keine
Gonococcen mehr im Sekret oder in den Filamenten nachweisen
können, dass wir höchstens noch vereinzelten, zerstreut liegenden
Diplococcenpaaren von verschiedenen Grössenverhältnissen be¬
gegnen, deren Identifizirung gegenüber auch die G r a m’sclie
Färbung uns oft genug im Stiche lässt. Die Erfahrung hat aber
gelehrt, dass nichts in der modernen Trippertherapie einen ver-
hängnissvolleren Irrthum darslellt, als wenn Arzt oder Patient
sich verleiten lassen, im Anschluss an die günstigen Wahrnehm¬
ungen von definitiver Heilung zu sprechen und die Behandlung
abzubreehen. Fast täglich haben wir Gelegenheit, uns zu über¬
zeugen, dass wenn wir schon 5 oder 8 Tage bei eingehenden zahl¬
reichen Untersuchungen das Sekret pilzfrei gefunden haben, nach
dem Aussetzen der Injektionen die Gonoccccen wieder zum Vor¬
schein kommen können. Bevor nicht mindestens 10 Tage hin¬
durch die mikroskopische Untersuchung zahlreicher Präparate,
oder mit Rücksicht auf die oft geringe Menge des Sekretes,
möglichst zahlreicher Präparate, ein negatives Resultat er¬
geben hat, wagen wir es nicht, von wirklicher Heilung zu
sprechen. Prostatamassage, Untersuchung, d. h. mechanische
Reizung des Hamröhrenlumen mit der Knopfsonde, die Auf¬
nahme der gewöhnlichen Kost, von Bier, müssen zuerst reaktions¬
los vertragen worden sein. In unserer Statistik sind nur die¬
jenigen Fälle als „absolut“ geheilt aufgeführt, bei welchen diese
Forderungen erfüllt sind.
Dio Kranken können gar nicht ernst genug darauf auf¬
merksam gemacht werden, wie sehr es in ihrem Interesse gelegen
ist, auch nach dem Verschwinden aller Symptome noch mög¬
lichst lange die Injektionskur fortzusetzen, indem sie wenigstens
einmal des Tages eine prolongirte Einspritzung vornehmen. Von
einer Abkürzung der Behandlung der Gonorrhoe durch das Pro¬
targol kann nicht die Rede sein.
Was den Konzentrationsgrad der Lösungen betrifft, so be¬
ginnen wir beinahe bei jedem Falle mit V* proc. Lösungen. Es
ist dies derjenige Procentgehalt, welchen wir auch während des
weiteren Verlaufes der Behandlung, wenigstens bei frischen
Fällen am meisten bevorzugen. Es kommt ihm die geringste Reiz¬
wirkung zu, und es hat den Anschein, als ob die Tiefenwirkung
des Protargol in umgekehrtem Verhältniss zur Konzentration
seiner Lösung stünde. Andererseits scheinen Lösungen von
% bis 2 Proc. bei den verschiedenen Graden der Entzündungs¬
zustände älterer Infektionen sich so lange günstig zu erweisen,
als eine gewisse, relativ graduirte Reizwirkung an und für sich
indizirt erscheint.
Ich berühre damit eine Eigenschaft des Protargol, hinsicht¬
liche deren in der mir vorliegenden Literatur im Grossen und
Ganzen ein Standpunkt eingenommen wird, auf welchen ich mich
auf Grund meiner Beobachtungen, wie sich aus den unten folgen¬
den Ausführungen noch des Weiteren ergeben wird, nicht zu
stellen vermag. So absolut reizlos, wie im Allgemeinen das
Protargol in seiner Einwirkung auf die Schleimhäute geschildert
wird, habe ich es nicht gefunden. Eine oft nur sehr geringe
Menge einer % proc. I-ösung in eine gesunde Urethra gebracht,
vermag eine Reaktion hervorzurufen, welche an und für sich
gerade nicht hochgradig ist, aber wohl kaum auf den mecha¬
nischen Insult der Schleimhaut allein zurückgeführt werden
kann. Vergleiche mit der Reaktion der Schleimhaut auf unter
den gleichen -Kautelen vorgenommene Injektionen von Bor¬
wasser oder physiologischer Kochsalzlösung vermögen das an
einer Reihe von Individuen zu beweisen. Und je höher der Kon¬
zentrationsgrad, um so intensiver — ich gebe allerdings zu,
nahezu immer innerhalb mässiger Grenzen sich haltend — sind
die reaktiven Erscheinungen. Da nun aber eine auch nur gering¬
gradige entzündliche Reizung keineswegs während des ganzen
Verlaufes der Behandlung am Platze sein dürfte, kehren wir
nach dem vorübergehenden Gebrauche von Väs bis 2 proc. Lösungen
immer wieder gerne zu den am wenigsten irritirenden !4 proc.
Lösungen zurück.
Eine exakte Angabe, wann die Behandlung mit adstringiren-
den Mitteln sich den Protargolinjektionen anreihen soll, ist
schwer zu machen. Auch hier sind individuelle Verhältnisse in
hervorragendem Grade zu berücksichtigen. Fis kann durch eine
zu frühzeitige Anwendung der bei uns gebräuchlichen Lösungen
von Zinc. sozojodol. ebenso sehr geschadet werden, wie durch die
gerade zur richtigen Zeit cinsctzcnde Unterstützung der anti-
1 *
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1782
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
bakteriellen Therapie der rasche und gründliche Ablauf der
Affektion gefördert, wird. Im Allgemeinen ziehen wir das ge¬
nannte Adstringens in einer Lösung von Vz —1 Proc. dann in
Gebrauch, wenn das Sekret vorwiegend epithelialen Charakter
angenommen hat, die Gonococcen verschwunden sind, anderer¬
seits aber auch, wenn, ohne dass beträchtlichere Hyperaemie
oder Schwellung an der Harnröhrenmündung oder sonst irgend
wo sich nachweisen lassen, die purulente Sekretion, wie das ab
und zu vorkommt, sich sehr hartnäckig erhält, auch wenn die
Krankheitserreger selbst ganz oder theilweise aus den Präparaten
sich verloren haben. Die Nothwendigkeit, ein Adstringens in
die Behandlung neben das Protargol einzuführen, halten wir fast
stets für gegeben.
Bei der Erkrankung der Pars posterior greifen wir zur
lokalen Therapie derselben erst dann, wenn sie gar keine Tendenz
zur Besserung verräth, sei es, dass eine solche spontan zu Stande
kommt oder unter dem Einflüsse der bei deii prolongirten eopi-
ösen Injektionen durch den Sphinkter in die rückwärtigen
Partien abfliessenden Protargollösung. Natürlich muss die Vor¬
bedingung gegeben sein, dass die Betheiligung seitens der Organe
der Pars posterior jeglichen akuten Charakter verloren hat.
Sehr gerne verwenden wir die Einführung von „armirten Bou¬
gies“, geknöpften elastischen französischen Bougies, welche mit
10 proc. Protargol-Cacaobutter von unserer Apotheke in vor¬
züglicher Weise stets frisch überzogen werden. Durch die den
jeweiligen Verhältnissen Rechnung tragende Auswalil unter den
Nummern der C h a r r i e r e’sehen Skala bewirken wir neben der
lokalen Applikation des specifischen Mittels eine graduell diffc-
rencirte Dehnung der Schleimhaut, Ausgleichung ihrer Falten,
mechanische Beeinflussung der entzündlichen Infiltrate. Diese
Bougies werden innerhalb 24 Stunden nicht öfter als einmal vom
Arzte gelegentlich der Morgenvisite eingeführt, verbleiben 10 bis
20 (bis 30) Minuten in der Harnröhre. Der Kranke wird gelehrt,
wie er durch zweckmässiges Festhalten des Bougies und des
Penis dafür zu sorgen hat, dass nicht eine Reizung des Sphinkter
zu Stande kommt, dass die unter dem Einflüsse der Körperwärme
abschmelzende Masse nicht zu rasch aus der Urethra ausfliesst.
Während des Verlaufes dos Tages werden daneben in vorsichtiger
Weise die gewöhnlichen Injektionen fortgesetzt. Es Ist dies die¬
jenige Form der Posteriorbehandlung, welche uns — um dies
gleich an dieser Stelle zu sagen — immer noch die besten Re¬
sultate ergeben hat, welche wir wegen ihrer Einfachheit, ihrer
relativen Reizlosigkeit, ihres lokalen Effektes für gewöhnlich den
anderen Methoden vorziehen. Wie oft die Bougies in die Urethra
eingeführt werden, ob eine Zeit lang jeden Tag oder jeden
zweiten Tag, hängt von dem weiteren Verlaufe der Erkrankung
der hinteren Partie ab. Im Allgemeinen genügen nach unseren
Erfahrungen einige wenige solcher Applikationen. Es sind Aus¬
nahmefälle, inveterirte, mit Strikturbildung, chronischen Pro¬
stataerkrankungen einhergehende Posteriores, bei welchen wir
in regelmässigen, 1—2 tägigen Intervallen mehr denn 6 oder
8 mal armirte Bougies eingeführt haben.
Nach einer zweiten Methode behandeln wir die Erkrankung
der Posterior in der Weise, dass wir Spülungen mit Vz —2 proc.
Protargollösungen vornehmen mittelsNelatonkathetern von meist
mittlerem Kaliber, die bis hinter den Bulbus, oder die Blase
selbst eingeführt werden. In letzterem Falle legen wir ein grosses
Gewicht darauf, unter möglichster Schonung der subjektiven
Empfindung des Kranken eine reichliche Füllung der Blase zu
erzielen, um auf diese Weise eine maximale Erweiterung des
hinteren, in die Blase sich einbeziehenden Harnröhrenabschnittes
zu erreichen, einen richtigen „Blasenhals“ zu schaffen. Für die
eigentliche Urethrocystitis scheinen uns derartige Spülungen des
Harnröhren-Blasentraktus am zweckdienlichsten zu sein.
Es bedarf kaum der Erwähnung, dass bei der Spülmethode
und bei der Bougiemethode der Betheiligung der Prostata an
dem entzündlichen Processo stets die grösste Aufmerksamkeit
zugewendet wird, ganz besonders dann, wenn die Erscheinungen
der Urethritis posterior nach dem Ablauf der akuten Symptome
sich in die Länge zu ziehen drohen. Prostatamassago in mehr
oder weniger grossem Umfange, je nach der objektiven Nachweis¬
barkeit der Betheiligung dos Organes an dem Processc hat bei
den in Rede stehenden Fällen nahezu bei jeder Posterior statt¬
gefunden, bevor eine lokale Applikation erfolgt ist.
Die Resultate, welche unsere von vorstehenden Gesichts¬
punkten geleitete Behandlung erzielt hat, sind am besten über¬
sichtlich zu ersehen aus den beigegebenen statistischen Tafeln,
zu deren Erklärung ich nur noch wenige Worte anzufügen habe.
Tafel I.
Es sind zur Beobachtung ge¬
kommen :
U.
anterior.
ü.
posterior.
In
Summa
113
274
887
Davon sind abgeheilt, insoferne
eine noch mindestens 10 Tage
fortgesetzte Beobachtung dasFern-
bleiben von Gonococcen ergeben
hat, nach dem 2. Tage.
w „ 7. „ .
59 = 52°/o
94 = 83°/o
96 = 85®/o
99 = 87°/o
0
77
= 0°/o
= 28°/s
= 31°/©
59 = 15»/©
171=44®/©
181 — 46»/o
„14.
85
-.21. „ .
85
184 = 47%
Relativ gehei t, d. h. *im Re¬
sultat unsicher geblieben, dadurch
dass die Beobachtung nicht min¬
destens 10 Tage nach dem Ver¬
schwinden der Gonococcen fort¬
gesetzt werden konnte, waren...
0
108
i- & !
® a .©
C is
nU
103 = 27%
Nicht geheilt waren nach der
III. Woche . 1
14 =_• l3°/o
86
- 3z°/o
100 = 26%
Tafel II
Es wurden entlassen:
Ohne Gonococcen
mit massigem Tagessekret.
mit spärlichem Tagessekret, regelmässigem
Morgentropfen und Filamenten .
mit Filamenten.
ohne Filamente...
Mit Gonococcen
mit reichlichem Tagessekret.
mit Morgentropfen und Filamenten . .
mit Filamenten.
12
101
172
2
34
54
12
287
99 anterior.
188 posterior.
) l0 °{
14 anterior.
86 posterior.
Tafel III.
Von den 287 Kranken, welche ohne Gonococcen die Behand¬
lung verliesseu, waren die Gonococcen verschwunden, d. h. für
Immer oder wenigstens fiir die Zeit der weiteren 15. obaelitung, die
al>er zu kurz war, um ein definitives Resultat erkennen zu lassen.
Nach der
Davon bleiben minde¬
stem 10 Tage frei
i 2. Tage der Behandlung bei
59
3- n n
t.
»
81
4- » „
b- n »
n
n
0
17
171
6. . „
n
ff
4
7 . n ii
n
n
10
II. Woche H
n
83
10
III. „ n
tt
»
20
8
IV. “ „
i»
13
0
287
184
Wenig über zwei Drittel der Fälle schied mit dem Verlassen
des Krankenhauses, d. i. nach mindestens 21 tägigem Aufent¬
halte, aus meiner Beobachtung; ungefähr ein Viertel der Ge-
samintsumme stand nach mindestens 3 wöchentlichem Aufent¬
halte auf der Abtheilung noch längere Zeit hernach in meiner
Beobachtung, so dass ich berechtigt bin, über den weiteren Ab¬
lauf der Erkrankung bei diesen Fällen ein positives Urtheil, wie
es in den Tabellen zum Ausdruck gekommen ist, abzugeben. Ich
habe in die Zahl der statistisch verwendeten Patienten eine kleine
Reihe von Gonorrhoekranken aufgenommen, welche nicht im
Krnnkenhause, sondern in meiner privaten Behandlung gestanden
sirid, welche aber nach den nämlichen Principien behandelt
worden und hinsichtlich der Forderungen der Statistik den
anderen Fällen analog zu stellen sind. Ich habe geglaubt, diese
31 Patienten hier anreihen zu müssen, weil gerade sie hinsicht¬
lich mancher in dieser Betrachtung berührten Punkte mir in¬
struktive Verhältnisse zu beobachten Gelegenheit gegeben haben.
Was in den gegebenen Zusammenstellungen der verschie¬
denen Zahlen mir am auffallendsten erscheint, das ist die voll¬
kommene Regellosigkeit oder, um mich anders auszudrücken, der
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5. November 19Ö1. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1783
Umstand, dass die Zahlenwerthe in ihren relativen Beziehungen
in gar keinem bestimmten logischen Verhältnisse zu einander
stehen. Man vergleiche z. B. nur die Zahlen der Tafel III:
59, 81, 0, 17, 4, 10. Für die geradezu verblüffende Unregel¬
mässigkeit in der Reihenfolge der zahlenmiissig festgelegten
Thntsachen ist eine Erklärung nicht zu finden. Es dürfte sich
auch dieser Statistik gegenüber empfehlen, mit weitgehenden
Schlüssen vorsichtig zu seiu.
Was das Gesammtreeultat unserer therapeutischen Bestre¬
bungen betrifft, so können wir damit nicht unzufrieden sein, da
74 Proc. der Patienten gonococcenfrei unsere Behandlung ver¬
lassen haben. Andererseits aber ist es nach meinem Dafürhalten
gerade keine hervorragende Errungenschaft, wenn wir ver¬
zeichnen, dass von 387 Fällen nach einer Behandlungsdauer
von 21 Tagen 47 Proc. absolut geheilt gewesen sind. Die Vor¬
züge einer rationellen Protargolbehandlung liegen einzig und
allein darin, dass es bei einer grossen Anzahl von Kranken
gelingt, in kurzer und sehr kurzer Zeit die specifischen Krank¬
heitserreger zu vernichten, dieselben dauernd fern zu halten
und damit eine rasche Heilung des Krankheitsprocesaes ein¬
zuleiten. Es ist als ein erfreulicher Erfolg in unserer Zusammen¬
stellung anzusprechen, dass von 113 Fällen von uukomplizirter
Urethritis anterior 52 Proc. bereits nach dem zweiten Tage,
83 Proc. nach dem siebenten Tage dauernd von Gonococcen frei
geblieben sind, dass aus der Gesammtsummo unseres Materiales
46 Proc. nach der zweiten Woche geheilt gewesen sind.
Tafel I und III zeigen, dass die günstigen Resultate in den
ersten Tagen der Behandlung zu verzeichnen sind, dass wenn
nicht sehr rasch und bald die Abtödtung der Gonococcen er¬
reicht worden ist, die Zahlenverhültnisse sieh ungünstig ge¬
stalten. Der Umstand, dass innerhalb der dritten Woche die
Zahl der zur absoluten Abheilung gelangten Kranken sich nur
um 1 Proc. erhöht hat, ist geeignet, die Beurtheilung der Pro-
targoltherupie in gewisser Hinsicht ungünstig zu beeinflussen.
Bei Betrachtung unserer Zahlen kann man sich des Eindruckes
nicht erwehren, als ob, wenn die Protargolbehandlung nicht schon
in der ersten Zeit ein positives Resultat ergeben hat, die Aus¬
sicht, günstige Erfolge, eine definitive Heilung zu erzielen, eine
geringe würde. Es ist schwer, in diesem Sinne eine Klärung
der Sachlage herbeizuführen; mit unserem klinischen Materiale
erscheint, mir dies unmöglich. Verschiedene und verschieden¬
artige Verhälnisse bringen es mit sich, dass geschlechtskranke
Männer nur relativ kurze Zeit in Krankenhausbehandlung ver¬
bleiben, so dass wir wohl kaum in der Lago sein dürften, an
erschöpfendem Materiale den Beweis zu erbringen, dass auch
nach 4—5 wöchentlicher Anwesenheit von Gonococcen im Se¬
krete eine fortgesetzte Protargolbehandlung den Process zu
Ende führen kann. Wir dürfen dabei nicht ausser Acht lassen,
dass einerseits ein Zeitraum von 4 und 5 Wochen zum spon¬
tanen Ablauf der Trippererkrankung genügen kann, dass anderer¬
seits eine Reihe von Mitteln und Methoden uns bekannt ist,
welche in der genannten Zeit die gonorrhoische Urethritis im
günstigsten Sinne zu beeinflussen vermögen. Der Umstand, da<s
bei 52 Proc. der Fälle von Urethritis anterior die Gonococcen
nach 2 tägiger Protargoleinwirkung verschwunden sind, bei
13 Proc. aber nach 3 wöchentlicher Behandlung, die unter den
gleichen Verhältnissen in absolut analoger Weise durchgeführt
worden ist, die Gonococcen immer und immer noch nachgewiesen
werden konnten, zeigt eben, dass das Protargol so wenig uls alle,
anderen bisherigen Mittel ein Specificum gegen die Gonococcen
darstellt.
Von einer Einthoilung des Materials in akute und chronische
Fälle habe ich abgesehen. Eine solche hat meines Erachtens für
die an dieser Stelle in Betracht kommenden Momente keine
praktische, Bedeutung. Vielfach beruht die Unterscheidung
zwischcr akuter und chronischer Gonorrhoe ausschliesslich auf
den Angaben der Patienten. Und diesen irgendwelche weiter¬
gehende Beachtung zu schenken, ist nach den Erfahrungen,
welche wir an der Klinik zu machen Gelegenheit haben,
unstatthaft. Für die Zwecke der Therapio ist es wichtig zu
konstatiren, ob in dem jeweiligen Falle akut entzündliche
Keizungscrscliein ungen vorhanden sind oder nicht, und auf
diesen Punkt muss, wie aus meinen Ausführungen ersichtlich
ist, jederzeit Rücksicht genommen werden. Die Frage, wie
das Protargol auf akute, wie auf chronische Gonorrhoe
eiuwirkc, findet hierin ihre Erledigung. Wenn mangels
No. 45.
sicherer objektiver Anhaltspunkte über die Akuität der
Erkrankung auf Grund subjektiver Anschauungen ein Urthcil
zu dieser Frage gestattet ist, so kann ein solches ganz allgemein
dahin ausgesprochen werden, dass es den Anschein hat, als ob
frischere Infektionen in günstigerem Sinne beeinflusst worden
wären als ältere.
Hinsichtlich der Lokalisation des entzündlichen Processus
in den verschiedenen Abschnitten der Harnröhrenschleimhaut
habe ich hervorzuheben, dass es nur 252 Kranke waren, welche
von Anfang an, gleich bei ihrem Eintritt in die Behandlung die
Erscheinungen der Posterior aufgewiesen haben. Bei 22 Patienten
ist die Komplikation von Seiten der hinteren Partien erst im
Laufe der Behandlung hinzugetreten. Es ist möglich, dass diese
selbst die nächste Veranlassung gebildet hat, insofern sie viel¬
leicht zu frühe begonnen, zu energisch durehgeführt worden ist.
Jedenfalls kann für 12 dieser 22 Kranken mit Bestimmtheit
auch noch unzweckmässiges Verhalten der Patienten selbst ver¬
antwortlich gemacht werden. Die geringe Anzahl der un-
komplizirten Fälle von Urethritis anterior ist ohne Weiteres
darauf zurüekzuführeu, dass Tripperkranke für gewöhnlich
Krankenhausbehandlung erst dann aufsucheu, wenn Kompli¬
kationen sich geltend machen. Bezeichnend ist, dass von den
31 zur Statistik beigezogenen Privatpatienten 21 mit Gonorrhoe
der vorderen Harnröhre in Beobachtung getreten, also nur 35Proc.
mit Komplikationen zur Behandlung gekommen sind, während
von den 356 Krankenhauspatienten 242 = 68 Proc. von vornc-
herein an Posterior gelitten haben. Auf die weiteren Kompli¬
kationen (Epididymitis, Prostatitis u. s. w.) brauche ich mich
nicht des Näheren einzulassen, da ja die Behandlung der Ure¬
thritis erst dann in Angriff genommen worden ist, wenn von
Seiten der sekundären Erkrankungen Reizerscheinungen nicht
mehr Vorlagen.
Aus der Behandlung gingen
U. ant. U. post.
ohne Gonococcen ... 99 = 87 Proc. 188 = 68 Proc.
mit „ ... 14 = 13 „ 86 = 32 n
Hierzu ist zu bemerken, dass von den Posteriores diejenigen,
welche ohne Gonococcen aus der Behandlung schieden, sämmt-
liche, also auch alle als relativ geheilt inTafell bezeichnetenFälle,
hinsichtlich der Erkrankung der hinteren llamrohrenschleim-
haut und ihrer Adnexe als geheilt zu betrachten waren, insoferne
mehr oder weniger lange Zeit hindurch die Gläserprobo sowohl
wie die digitale und inst rum ent eile Untersuchung Pars mera-
branacea und prostatica, die Prostata selbst frei von objektiv
nachweisbaren Veränderungen ergeben hatten; sexuelle Neur¬
astheniker mit lokalisirten subjektiven Beschwerden befanden
sich darunter 8. Dagegen bestanden Sekretion oder min¬
destens Filamente aus der Pars anterior noch bei allen mit Aus¬
nahme eines einzigen Kranken, der wegen luetischer Mund- und
Rachencrkrankung lange Zeit in Beobachtung geblieben war.
Von den mit Gonococcen die Behandlung verlassenden
Posteriores zeigten noch 15 Kranke bei der Entlassung einwand¬
freie objektive Erscheinungen seitens der hinteren Harnröhre,
während bei den übrigen 71 diese vollkommen und zwar min¬
destens die 3 letzten Tage hindurch frei geblieben war.
Gerade die günstigen Resultate hinsichtlich der Urethritis
posterior sind wohl in erster Linie auf den Umstand zurüek-
zuführen, dass es sich dabei fast ausschliesslich um Kranke ge¬
handelt hat, welchen die Vortheile einer geregelten Anstalts-
behundlung zu Theil geworden sind, so dass, wenn wir die vor¬
liegenden Resultate mit denen früher zur Verwendung gebrachten
Antigonorrhoica hier in Vergleichung ziehen, dem Protargol nur
ein bescheidene» Verdienst zugewiesen werden darf. Die Ure¬
thritis posterior hat nach unseren klinischen Erfahrungen bei
entsprechend frühzeitiger Rücksichtnahme auf die Prostata
keineswegs eine so schlechte Prognose, als vielfach angenommen
zu werden scheint. Lokalisirte Processe in der Pars bulbosa, Er¬
krankungen der Anterior, die mit periurethralen Erscheinungen,
mit ausgesprochener Betheiliguug seitens der Schleimhautdrüseu
verlaufen, -stellen von unserem klinischen Materiale wenigstens
ein grösseres Kontingent zu den ungünstig verlaufenen Fällen
von Gonorrhoe.
Auf Tafel II sind es zwei Fälle, welche besonders in die
Augen fallen, jene beiden einzigen Kranken, die ohne Filamente,
gewissermaassen ideal geheilt aus der Behandlung getreten sind.
Bei dem einen hatte es sich um Urethritis anterior, bei d< m
o
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1784
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
anderen um posterior gehandelt. Der Erstere kam am vierten
Tage nach der Infektion zur Behandlung, war zwei Tage nach
dem Beginn der Protargolkur von Gonococcen befreit, setzte die
Injektionen in stetig sich vermindernder Häufigkeit drei Wochen
hindurch fort, neben fleissigem Gebrauche der 1 proc. Lösung
von Zinc. sozojod.; von der fünften Woche an war der Morgen¬
urin, wie die unter Tags entleerte Menge frei von jeglichen
Flöckchen und Fädclien. Bei dem zweiten hatte der Tripper
bereits fünf Wochen bestanden, als er mit den Erscheinungen
der Posterior und mit linksseitiger akuter Epididymitis in’s
Krankenhaus eintrat. Die Urethra posterior wurde lokal nicht
behandelt, da die objektiven Symptome mit der Rückbildung
der akut entzündlichen Reizerscheinungen an den Nebenhoden
spontan sich involvirt hatten. Fünf Tage nach Einleitung der
Injektionskur war das Sekret fast ausschliesslich aus epithelialen
Zellen und Schleim gebildet. Vom 19. Tage der Behandlung an
sind niemals mehr Verunreinigungen des Urins bei sorgfältigster
Prüfung zur Wahrnehmung gekommen.
Es ist erstaunlich, zu sehen, wie klein der Procentsatz der¬
jenigen geheilten Gonorrhoen sich erweist, die gar keine Spur
von Residuen hinterlassen. Nahezu immer ist mau in der Lage
im Urin früherer Gonorrhoiker mehr oder weniger Filamente
nachzuweisen. Aber erst die mikroskopische, häufig wiederholte
Untersuchung vermag zu entscheiden, ob denselben eine Be¬
deutung zukommt oder nicht. Therapeutisch zu beeinflussen sind
derartige circumscripte postgonorrhoische Proccsse desquama¬
tiven Charakters nur in sehr geringem Grade. Das Protargol
selbst ist ihnen gegenüber machtlos, eher geeignet die Katarrhe
zu unterhalten. Wir beobachten nicht selten, dass Injektionen
von Protargol, wenn der Urin schon längere Zeit absolut klar
gewesen war, und sich in ihm nur die verschiedenen Formen
gonococcenfreier Filamente dargeboten hatten, neuerdings eine
diffuse Trübung der ersten Portion, „eine Verschlechterung des
Grins“ herbeizuführen vermögen. Es kommt eben dem Protargol
auch in schwächeren Konzentrationen, zweifellos eine gewisse
reizende Wirkung zu. Dass wir oft noch lange nach dem Ver¬
schwinden der eigentlichen Entzündungserreger, wirkliches
»Sekret noch beobachten, das spontan oder auf Druck aus der
Urethra austritt, dass wir nahezu immer, so lauge die Injektions-
therapie fortgesetzt wird, einen Morgentropfen und Filamente
im Tagesharu zu verzeichnen haben, ist zum grossen Theile auf
die irritirende Wirkung des Protargol zurückzuführen. Unsere
Zahlen sind in dieser Beziehung sehr instruktiv. Andererseits
aber erhellt aus ihnen wiederum die Thatsache, dass die prak¬
tische Bedeutung, welche den Filamenten im Urine zukommt,
eine geringe ist. Hat eine eingehende sorgfältig durch längere
Zeit hindurch gehende Untersuchung ergeben, dass sie keine
Gonococcen enthalten, dass sie ausschliesslich oder fast aus¬
schliesslich aus Epithelien und Schleim bestehen, so sind wir
berechtigt und verpflichtet, die Gonorrhoe als geheilt zu be¬
trachten, den Kranken darauf aufmerksam zu machen, dass die
„Tripperfäden“ in seinem Urin ihn in keiner Weise beunruhigen
dürfen.
Der Zweck vorstehender Auseinandersetzungen konnte es
nicht sein, wesentlich Neues zur Frage von der Gonorrhoe¬
behandlung beizusteuern; es hat sich mir darum gehandelt, an
der Hand eigener Erfahrungen die Fehlerquellen einer oft recht
ungünstigen Beurtheilung des Protargol aufzudecken, darauf
hinzuweisen, wie wichtig für den praktischen Erfolg es ist, dass
Arzt und Apotheker dafür Sorge tragen, dass stets nur frische
und richtig zubereitete Lösungen zur Verwendung gelangen,
dass die Resultate, welche man unter dieser wichtigen Voraus¬
setzung mit Protargol in der Therapie der Gonorrhoe des
Mannes zu erzielen vermag, recht günstige sind, günstiger, als
jede andere Medikation bis jetzt sieh uns erwiesen hat.
Eine rationelle Therapie ist immer noch das beste Propliy-
laktikum im Kampfe gegen die venerischen Krankheiten, und
desshalb verdient meines Erachtens das Protargol die ausge¬
dehnteste Verwendung in der Behandlung der Gonorrhoe. In¬
dessen haftet auch dem Protargol noch eine Reihe von Mängeln
an. welche das Suchen nach einem vollkommeneren, besseren
Mittel gerecht fertigt und geboten erscheinen lassen.
Aus der kgl. Universitäts-Kinderklinik München (Direktor:
H. v. Ranke).
Ein Fall von Spät-Meningitis nach Schädelverletzung.
Von Dr. Kokko Fujisawa aus Tokio.
Chirurgische und medicinisclie Erfahrungen lehren, dass
die Erkrankung des Stirnlappens, besonders traumatische Ver¬
letzungen, von verhältnissmässig günstigerer Prognose sind, als
die anderer Gehirnpartien, weil in diesem Gehimtheile keine
lebenswichtigen Centrcn vorhanden sind. Im Stirnlappen soll
nach der Meinung der Mehrzahl der Autoren (Ferrier,
Allen- Starr, Knapp u. A.) ein Centrum für die höheren
seelischen Funktionen vorhanden sein. Jedoch ist die Frage un¬
klar, ob die psychischen Anomalien bei Erkrankung beider Stiru-
lappcn sich in gleicher Weise entwickeln. Nach Oppen¬
heim e r’s Beobachtung treten sie mehr bei den Affektionen der
rechten Seite hervor, weil sie bei denen der linken durch die
meistens bestehende Aphasie verdeckt und verwischt werden.
Ebenso ist noch festzustellen, ob vornehmlich die Läsion der Kon¬
vexität oder die der medialen und basalen Windung des Stirn-
lappens die psychische Alteration veranlasst. Starr sowie
G r i f f i t h und Sehldona haben der Konvexität die Eigen¬
schaft zugeschricben, indess sind bei den Neubildungen des basal-
modinlen Bezirkes dieselben Störungen beobachtet worden. Da¬
gegen ist, cs klar, dass das motorische Sprachencentrum im hin¬
teren Bezirke der dritten Frontalwindung nicht allzuweit von der
B r o c a’schen Windung und zwar in der Regel links, bei links¬
händigen Menschen rechts, gelegen ist. Ein Schreibcentrum soll
nach Chnrcot und in neuerer Zeit auch nach P i t r e s am
Fuss der zweiten Stimwindung liegen, doch stimmen andere
Autoren nicht damit überein. Jedenfalls sind die Unter¬
suchungen darüber noch nicht abgeschlossen. Entsprechen nun
<!!<• klinischen Erscheinungen immer dem pathologischen Befund ?
Nach den Beobachtungen verschiedener Kliniker ist die
Thatsache, dass die klinischen Erscheinungen ganz fehlen,
während die Sektion deutliche Veränderung zeigt, nicht selten
konstatirt worden. (So bei Blutungen, Abscessen, Erweichungen
u. a.) So bleiben Blutungen im vorderen Gebiet des Stirnlappens,
die ohne Insult eingetroten sind, gewöhnlich überhaupt sym¬
ptomlos.
P i t r e s veröffentlicht einen Fall, bei dem die Sektion unter
dem vorderen Ende der mittleren rechten Frontalwindung einen
nussgrossen, etwa 2—3 Wochen alten haemorrhagischeu Herd
und punktförmige Haemorrhagien der bedeckenden Cortieal-
substanz ergab, obgleich die 60 Jahre alte Patientin weder einen
Insult erlitten, noch Spuren von Hemiplegie aufgewieeen hatte.
Sie war wegen permanenter Kontraktur der Unterextremitäten
aufgenommen worden (ein entsprechender Befund fand sich im
Rückenmark vor) und 8 Wochen später in Folge einer Indigestion
nach heftigem Erbrechen gestorben.
Ebenso können Abscesse sich in der Schädelhöhle entwickeln
ohne irgend welche oder mit nur geringen klinischen Erschei¬
nungen, die aber auch nach Monaten oder Jahren, nachdem die
Kranken bis dahin ganz gesund erschienen, plötzlich die hef¬
tigsten Symptome auslösen können.
Bergmann’s interessanter Fall ist in Bruns’ Hand¬
buch der speciellen Pathologie 57. Bd., S. 974, von S t ü v e be¬
schrieben.
Auch Erweichungen im vorderen Gebiete des Stirnlappens
pflegen nach W ernike vollständig latent zu bleiben, wenn sie
sich chronisch oder ohne allgemeine Erscheinungen entwickeln.
Als Beispiel führt dieser einen Fall von A n d r a 1 an.
Ein Greis von 81 Jahren, magenleidend, war an allgemeiner
Schwäche gestorben. Im Leben traten keine Gehirnerscheinungen
auf, Bewegung und Sensibilität waren intakt. Keine Kopf¬
schmerzen, kein Erbrechen, nur die Intelligenz war etwas ab¬
gestumpft.
Sektion: Die Arachnoidea war auf der Convexität der
Gehirnhemisphäre durch eine kleine Quantität Serum abgehobeu.
von dem sich auch 2—3 Kaffeelöffel in den Seiten Ventrikeln be¬
fanden, nur ln dem Theile der linken Hemisphäre, welche über
der Augenhöhle liegt, war die Gehirnmasse ungefähr hühnereigross
in einen schmutzig-welssen Brei verwandelt, in welchem keine
Gefässe oder auch nur ein Tropfen Blut entdeckt wurden. Weiter¬
hin hatte das Gehirn anaemlsche Farbe. Alles Uebrige war ge¬
sund. Auch zeigten die Meningen in der Nachbarschaft jener
erweichten Stellen keine krankhaften Veränderungen.
Der Verlauf der komplizirten Schädelfrakturen ist ver¬
schieden, je nachdem es sieh um aseptische oder septische Wunde
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5. Novem ber 1901. MÜENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1785
handelt. Nach Hayem’s, Ziegler und Friedmann’s
einschlägigen Untersuchungen ist festgestellt worden, dass eine
Verletzung des Gehirns, die den Mikroorganismen keinen Zutritt
zu diesem Organe verschafft, zu einer Encephalitis non purulenta
führen kann. Die Erfahrungen der Chirurgen lehren, dass in’s
Gehirn eindringende Fremdkörper nicht zur Eiterung zu führen
brauchen, wenn sie nicht gleichzeitig das Gehirn infiziren. Unter
diesen Bedingungen sieht man in der Umgebung des Fremd¬
körpers einen Process sich entwickeln, der die Charaktereigen¬
schaften der nicht eitrigen Encephalitis besitzt, wenn er auch
nicht mit der akuten, haemorrhagischen Form identificirt werden
kann.
So bespricht Huguenin den Ausgang von Quetschwunden
des Gehirns in gelbe Erweichung und Ziegler sagte: „Treten
zu traumatischen Himerweichungen keine Infektionen hinzu, 60
verlaufen sie im Allgemeinen wie ischaemische und haemor-
rhagische Erweichungen.“ Mikroskopisch findet man in diesen
Fällen Zerfall und Degeneration der Ganglienzellen und Nerven¬
fasern, mitunter auch Fett- oder Kalkdegeneration.
Der weitere Ausgang der nicht eitrigen Encephalitis ist
Cystenbildung, in Folge von Resorption der verflüssigten Him-
bestandtheile, oder Sklerose in Folge Wucherung der Stützsub¬
stanz. Bei infizirten Gehimverletzungen entwickelt sich natür¬
lich eine eitrige Meningitis oder ein Abscess. Die eitrige
Meningitis — die primäre sowohl wie die sekundäre — kann nun
verschieden spät nach dem Trauma auftreten. Gewöhnlich
kommt die primäre eitrige Meningitis sehr bald nach der Ver¬
letzung zum Ausbruche, häufig schon am 2.—3. oder spätestens
am 5.—8. Tage. Sekundär kann die eitrige Meningitis, welche
sich meist in umschriebener Form z. B. um Knochennekrosen
oder abgestossene Knochensplitter herum entwickelt, auch später
eintreten (Tillmanns). Huguenin beobachtete einen Fall
von sogen. Spätmeningitis, bei dem sich eine sekundäre Menin¬
gitis noch in der 12. Woche nach der Verletzung (Perforation des
Schädels durch ein Stück Holz) entwickelte. Tillmanns
hat auch betont: „In schweren Fällen von Commotio cerebri er¬
holen sich die Kranken, um dann später doch noch an eitriger
Meningitis oder Encephalitis zuGrunde zugehen. In solchenFällen
findet man dann bei der Sektion meist eine Schädelbasisfraktur,
durch die Eitercoccen von der Nasenrachenhöhle, Stirnhöhle, Keil¬
beinhöhle oder vom Ohr aus in die Schädelhöhle gelangt sind und
zur eitrigen Meningitis oder zum Gehirnabscess geführt haben.
(Tillmanns I, pag. 90.) Er gibt aber nicht an, wie spät nach
der Verletzung noch eine eitrige Meningitis auftreten kann.
An dieser Stelle sei es mir gestattet, einen Fall anzuführen, bei
dem eine vor einem Jahre verursachte traumatische Erweichung
im Stirnlappen ganz symptomlos verlaufen ist und der plötzlich
an eitriger Meningitis ad exitjim kam, verursacht durch eiter-
erregende Mikroorganismen, die durch die vor 1 Jahre ent¬
standene alte Schädelbasisfissur vom Nasen-Rachenraum aus in
die Schädelhöhle gelangten.
G. Crescenz, 10 Jahre alt, Ist am 15. Juni von einem Arzte
zur k. Universitäts-Kinderklinik mit der Diagnose Gehirnabscess
geschickt worden.
Anamnese: Seit vorgestern Abend ist das Kind plötzlich
erkrankt mit heftigem Erbrechen, Hitzegefühl, Bewusstlosigkeit
und starken Krämpfen, so dass der Vater das Kind an’s Bett
binden musste.
Am 24. März 1900 war das Kind vom 2. Stock herab auf die
Holzstiege und Uber letztere herunter gefallen. Das Kind hatte
sich dabei eine Schädelverletzung au der linken Stirnseite mit
Depression zugezogen, auch sollen Theile der Gehirnsubstanz aus
der Wunde ausgeflossen sein; gleichzeitig entleerte sich Blut aus
der Nase und dem Munde. Ob aus den Ohren auch Blut floss,
kann der Vater nicht angeben. Nach Ausstossung eines Knochen¬
stückchens kam Heilung zu Stande. Nach 2 Wochen erlangte Pat.
wieder das Bewusstsein. Nach 2 Monate dauernder ärztlicher Be¬
handlung llessen das Anfangs bestehende Erbrechen, das Fieber
und die Krämpfe nach, so dass das Kind wieder ln die Schule
gehen konnte. Ein Defekt ln körperlicher oder geistiger Beziehung
blieb damals nicht zurück; die Sprache war ganz normal, ebenso
das Gehör und die Funktion der Extremitäten, Krämpfe stellten
sich nie wieder ein. In der Schule hat eB immer sehr gut gelernt.
Ausserhalb derselben spielte es mit den übrigen Kindern, war
lustig und zeigte niemals irgend eine psychische Depression; zu
Hause war es recht folgsam.
Vor dem Sturze hat das Kind keine Krankheit durchgemacht,
die anderen 7 Geschwister sind gesund, die Mutter ln puerperio
gestorben, angeblich an Wochenbettfleber.
Vater gesund.
Status praesens: Gut entwickeltes Mädchen in ziem¬
lich gutem Ernährungszustände. Temperatur 40,0. Pat wird in
völlig bewusstlosem Zustande von der Sanitätskolonne eingeliefert.
Die linke Seite ist vollständig gelähmt auch der linke Facialis
ist paretisch; der Mund nach rechts hinübergezogen, der linke
Mundwinkel steht tiefer als der rechte. Die Nasolabialfalte ist
linkerseits sehr flach, rechts deutlich ausgesprochen. Die ganze
linke Körperseite fühlt sich wesentlich kühler an als die rechte.
Mit den rechten Ober- und Unterextremitäten macht das Kind
excesslve choreaähnliche Bewegungen, die ununterbrochen fort-
dauern.
Die tiefen Reflexe sind auf der linken Seite ein wenig ge¬
steigert, die hohen erloschen, auf der rechten Seite verhalten sich
die Reflexe normal.
Die Pupillen sind von gleicher Weite und reagiren gut auf
Lichteinfall.
Nackenstarre angedeutet vorhanden.
Lungeuschall nirgends intensiv gedämpft, überall Veslculär-
athmen und diffuse Rasselgeräusche über beiden Lungen.
Herzflgur normal. Töne rein, Puls beschleunigt, 104. Ab¬
dominalorgane ohne pathologischen Befund.
Im Urin kein Eiweiss, kein Zucker.
Diagnose: Leptomeningitls acuta?
Therapie: Eisblase, Kampherinjektion.
Der Puls war bei der Einlieferung sehr frequent und schwach,
Abends wird er noch schlechter. Mehrmals Kampherinjektion.
Das Krankheitsbild bleibt sich sonst ganz gleich.
16. VI. 1V4 Uhr. Exitus letalis.
Sektionsbefund: Gracil gebaute, magere, weibliche
Leiche, Todtenstarre gelöst, Pupillen gleichmässlg erweitert. In
der linken Stirnhöckergegeud eine 1 cm breite und 3 cm lange
weissliche Narbe.
Nervensystem: Schädeldach mit Dura innig verwachsen. Nach
Herausnahme des Gehirns zeigen sich die welchen Häute der
Basis, hauptsächlich in der Gegend der Medulla oblongata, des
Kleinhirns und der Pons mit einer ziemlich dicken Schicht eitrigen
Exsudats bedeckt, hinaufreichend bis zu den Stirnlappen.
Die Dura ziemlich glatt, von geringem Blutgehalt, etwas ver¬
dickt, wenig durchsichtig. An der Convexität zeigen die weichen
Hirnhäute ein Exsudat, das sich hauptsächlich zwischen den
Windungen befindet, hier aber weniger dick ist als an der Basis.
Nirgends befinden sich Knötchen. Die Gefässe sind ziemlich ge¬
füllt, Capillaren wie Venen. Die Seitenventrikel sind ohne be¬
sonderen Inhalt. An dem Ursprung des Kleinhirns ln der Gegend
des Hirnstammes zeigt sich an der Oberfläche des Hirnstammes
ein grünlich-gelbliches, scheinbar eitriges Exsudat.
IV. Ventrikel, sowie Kleinhirn und Nucleus cuneatus ohne
Besonderheit.
Die Centralganglien zeigen keine Einlagerung. Die Substanz
des Centrum semiovale von mässlgem Blutgehalt. Eiterungsherde
von umschriebener Art können nicht nachgewiesen werden.
Querschnitt der Pons und Medulla oblongata von negativem
Befund, die Gefässe der S y 1 v i u s'schen Grube ziemlich zart-
wandig.
Dura mit Ausnahme des Chlasmas spiegelnd glatt An der
Basis des linken Frontallappens ein alter gelblicher Erweichungs¬
herd, derselbe nimmt ln einer Ausdehnung von circa 2 cm Länge
eine sehr stark verschmälerte Hirnwindung ein und ist durch
bräunlich gelbe Pigmenteinlagerung von seiner Umgebung deut¬
lich unterscheidbar. In der Pars frontalis des Stirnbeins linker¬
seits befindet sich eine kleine dunkle Fissur, welche sich in der
Medianlinie bis in die Lamina cribrosa des Siebbeines hlnelnzieht.
Rechte Lunge ziemlich voluminös.
Pleura getrübt. Man fühlt durch die Pleura Knötchen. Das
Gewebe schneidet sich knisternd; es zeigen sich kirschkerngrosse
käsige Herde und diffus eingestreut eine grosse Zahl frischer
miliarer Knötchen. Gewebe saft-, blut- und lufthaltig.
Die Drüsen des Hilus zeigen florlde Verkäsung und bilden
Konglomerate. Die Unterfläche des Zwerchfelles bedeckt eine
grosse Zahl miliarer gelblicher Knötchen.
I,eber: ziemlich gross, Querdurchmesser 30 cm, Kapsel durch¬
sichtig, zeigt gelblich-graue Knötchen. An der Schnittfläche
Aclnuszeichnung verwaschen, Blutgehalt gering, Konsistenz ver¬
mehrt, kautschukartig, schneidet sich knirschend, lm Ganzen ge¬
quollen.
Gallenblase entleert 1 Esslöffel dicker grünlicher Galle. In
der Leber keine Knötchen.
Alle übrigen Organe ergaben negativen Befund.
Anatomische Diagnose: Akute eiterige Leptomeniu-
gitls, gelber Erweichungsherd an der Basis des linken Stirn¬
lappens.
Tuberkulose der perlbronchialen Lymphdrüsen. Beginnende
Tuberkulose im rechten Unterlappen, Tuberkulose des Zwerch¬
felles.
Mikroskopische Untersuchung: In Paraffin ge¬
härtetes, mit Haematoxylin und Eosin gefärbtes Präparat.
Die Grenze zwischen den Markleisten und der Hirnrinde ist
deutlich erkennbar.
In der Pia mater finden sich ziemlich viele Gefässe, deren
Wände etwas verdickt und mit kleinen Rundzellen lnflltrirt sind.
£>le graue Substanz ist arm an Zellen, sehr gelockert und zeigt
ein feines Filzwerk, durchsetzt von verschieden grossen Hohl¬
räumen, die grossentheils ln der Mitte oder am Rande 1 oder 2
Kerne enthalten und herzförmige, rundliche, unregelmässige oder
spaltenförmige Gestalt annehmen.
Die Ganglienzellen sind ganz unregelmässig angeordnet, Ihre
Zahl ist sehr vermindert; normale sternförmige Zellen sind nicht
mehr erkennbar.
Ein Theil zeigt der Kalkdegeneration ähnliche Erscheinungen.
Es sind kernlose polygonale geschrumpfte Zellen mit oder ohne
2 *
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1786
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
zerklüfteten Fortsatz, oder unregelmässige, höckerige, sediment¬
artige Körner, oder jetzt in Zerfall begriffene sternförmige Zellen
(Ganglienzellen) oder ganz isolirte gekrümmte, verschieden lange,
zuweilen unterbrochene Stäbchen (Achsencylinder-Fortsätze).
An anderen Stellen zeigen sich verschieden veränderte
Ganglienzellen: nämlich entweder sehr gequollene plattenepithelien-
ähnliehe Zellen, jedoch mit granulirtem grossen Kern und mit zu¬
weilen noch erkennbaren kleinen Kernkörperchen oder schmale,
keilförmige Zellen mit ziemlich grossen, unregelmässigen Kernen.
Ausserdem sieht man in der grauen Substanz noch hie und
da fein oder grob granullrte gequollene, zum Thell schon im Zer¬
fall begriffene, ziemlich grosse Rundzellen, oder kleine, deutlich
gefärbte Körnerzellen oder spindelförmige Bindegewebszellen (viel¬
leicht von Gefässwänden herstammend). Ausserdem kommen
eigentümliche kontraktile Zellen (wie v. Recklinghausen
sie nennt) vor, grosse plasmareiche runde Zellen, die 1—2 dunkle
granullrte Kerne und daneben häufig Yacuolen und manche auch
Pigmentkörnchen enthalten.
Sonst sind noch junge feine zahlreiche Gefässe und ganz
feine Pigmentkörnchen erkennbar.
Die Markleiste ist auch etwas gelockert, zellreich, besteht
hauptsächlich aus den oben erwähnten kleinen deutlich gefärbten
Körnerzellen (Neurogliazellen).
Sonst sind noch wenig andere Zellen, gequollene, aber im
Einzelnen in Zerfall begriffene granullrte rundliche Zellen
(Wanderzellen) oder mit gequollenem Kern unregelmässige Epl-
theloidzellen oder spindelförmige Bindegewebezellen erkennbar.
Hier ist sehr bemerkenswert, dass in der Markleiste ein ganz
kleines Knochenstückchen, welches Knochenkörper¬
chen und Lamellenstruktur zeigt, vorhanden Ist.
Die Gefiisse jung, fein, dünnwandig, sind dort etwas zahl¬
reicher als in der Rindeusubstanz, aber an einigen Stellen etwas
verdickt mit durch kleine rundliche Zellen inflltrirten Wänden
(besonders in der Umgebung des Knochenstückchens). Pigmeut-
körnchen wie in der grauen Substanz.
Dieser mikroskopische Befund scheint mir ein komhinirtes
Bild, Degeneration, Zerfall und gelbe Erweichung (Ziegler
u. A.) in Folge von Blutung oder Zertrümmerung oder Gefäss¬
verschluss aufzuweisen. Die Kalkdegeneration, welche dem in
Z i e g 1 e r’s pathologischer Anatomie 1895, pag. 342 gezeigten
Bilde ähnlich ist, ist in diesem Falle vorhanden. Die Ganglien¬
zellen, sowie die grossen und kleinen Rundzellen, sind
zum Theil zerfallen (s. oben). Die Fettdegeneration ist
auch wahrscheinlich eingetreten, obwohl in diesem Präparat
durch Alkoholbehandlung die ganze Fettsubstanz entfernt ist,
weil die Vacuolen in den Zellen, sowie die kontraktilen Zellen
von v. Recklinghausen erkennbar sind, welche eigentlich
einen ausgesprochenen phagocytären Charakter zeigen, und zu¬
weilen mit Pigment oder manchmal mit Fettkörperchen, sogen.
Fettkömchenzellen, gefüllt sein sollen. Diese Zellen beherrschen
lange Zeit hinaus das mikroskopische Bild und sind charakte¬
ristisch für jeden Zerfall und jede Degeneration des Central¬
nervensystems (D ü r c k: Spec. patholog. Histologie II).
Aus dem Vorhandensein von Pigmentkörnern oder Pigment¬
zellen muss man natürlich annehmen, dass in früherer Zeit Blu¬
tung vorhanden war. In den oben erwähnten verschiedenen
Räumen war wahrscheinlich Serum enthalten. Junge, zahlreiche
feine Gefüssvermehrung und Gefässverdickung sind wahrschein¬
lich durch chronische Reizung des in der Markleistensubstanz
gebliebenen Knochenstückchen verursacht worden.
Im Ganzen ist es das Bild einer alten encephalitischen gelben
Erweichung mit Knochenstückchen. In diesem Falle kann man
nnnghmen, dass die Erscheinungen (Krämpfe, Erbrechen, Be¬
wusstlosigkeit), welche bei der vor 1 Jahre stattgefundenen
Schädelverletzung aufgetreten waren, von der durch intrakranielle
Blutungen und Depression des Stirnbeins bedingten Commotio
eerebri verursacht worden waren, die Heilung durch die Entfer¬
nung des Knochenstückchens zu Stande gekommen, und dass
diese Verletzung glücklicher Weise aseptisch verlaufen ist, ob¬
wohl im Gehirn ein Knochenstückchen geblieben war, und zur
chronischen gelben Erweichung geführt hatte ( 9 . o. Ziegler
u. A.). Diese Erweichungsstellc in der linken Stimlappenbasis
verlief über 1 Jahr lang ganz symptomlos ohne Sprachstörungen
und ohne psychische Störungen, und plötzlich entwickelte sich
eine eitrige Meningitis in Folge von Mikroorganismeninfektion
durch die vor 1 Jahre entstandene Schödelbasisfissur hindurch.
Die Verletzung im Stirnbein, die damals zur Commotio eerebri
geführt hatte, war vollständig geheilt.
Der Fall beweist, dass noch nach über 1 Jahr nach einem
Trauma eine akute, eitrige Meningitis eintreten kann, wenn in
der Basis eine Fissur noch vorhanden, die mit der Luft in Ver¬
bindung stellt. Der Infektionsmodus ist hier wahrscheinlich
so zu denken, dass die eitererregenden Mikroorganismen von der
Nasenhölde her cindrangen und durch die vorletzte Siebbein¬
platte hindurch allmählich ihren Zugang zu den weichen Hirn¬
häuten fanden.
Mit der Miliartuberkulose, die die r. Lunge und das
Zwerchfell ergriffen hatte, steht die eitrige Meningitis in gar
keinem Zusammenhang, da, wie der Sektionsbericht ergibt, keine
Tuberkelknötchen in den Hirnhäuten aufzufinden waren. In
solchem Falle ist die Diagnose vorsichtig zu stellen und immer
auf frühere Traumen zu achten, wenn eine andere Ursache nicht
nachweisbar ist (Ohren-, Augen-, Nasen-, Rachenleiden, Kopf-
oder Gesichtserysipelas, Cariee in Kopf oder der Halswirbel.
Cerebrospinalmeningitis. Pyaemie, Lungenentzündung, Endo¬
karditis, Keuchhusten u. a.).
Natürlich ist es in solchen Fällen klinisch schwer, zu unter¬
scheiden, ob diese plötzlich eintretende eitrige Meningitis aus
einem lange latent verlaufenden Hirnabscess, oder durch eine alte
Schädelfissur, welche noch mit der Aussenwelt in Verbindung
steht, entstanden ist. Nur durch hin und wieder vorkommende
Gehirnerscheinungen: Kopfschmerz, Schwindel, Schlaflosigkeit,
u. s. w., kann man vermuthen, dass wahrscheinlich ein Hirn-
abscess vorhanden sei.
Auch muss man daran denken, da98 auch ohne Fraktur die
sekundäre eitrige Meningitis durch einfaches Fortschreiten eines
Nasenkatarrhs durch die Lamina cribrosa auf die Meninigen her¬
vorgerufen werden kann, wie diese Fälle von Seiten der Pharyngo-
laryngologen oft beobachtet sind.
Am Schlüsse meiner Arbeit ist es mir eine angenehme Pflicht,
Herrn Direktor Ilofrath Professor v. Ranke für die gütige
Uebcrweisung des Themas, sowie für das Interesse, das er der
Arbeit entgegongebracht hat, und Herrn Privatdocent Dr.
Dürck für die freundliche Unterstützung bei den patho¬
logischen Untersuchungen meinen Dank auszusprechen.
Ueber die Bedeutung der Individualstatistik bei
der Erblichkeitsfrage in der Neuro- und Psycho¬
pathologie.*)
Von Dr. Wilhelm Strohmayer, Hausarzt der Privat-
nervenklinik (Prof. Binswanger) in Jena.
I.
In keinem Zweige unserer Wissenschaft spielt — wenn wir
von der Syphilis und der Tuberkulose absehen — die Erblichkeits¬
frage eine so grosse Rolle, wie gerade in der Neuro- und Psycho¬
pathologie. Ganz abgesehen von ihrer Würdigung in Fach¬
kreisen, die in den umfangreichsten Statistiken zum Aus¬
druck kommt, auch in das Laienpublikum ist Dank der
Masse populär-medicinischer Abhandlungen die Kunde von der
unheilvollen Thatsache gedrungen, dass sich Nerven- und Geistes¬
krankheiten von den Vorfahren auf die Nachkommen vererben
können. Es ist so viel von berufener und ühberufener Hand über
Erblichkeit geschrieben worden, dass in den Autoanamnesen ge¬
bildeter Laien die spontane Angabe der erblichen Belastung mit
erschreckender Häufigkeit wiederkehrt, und nicht selten dem
Facharzte, namentlich bei geplanten Eheschliessungen — sei cs
auch nur zur formellen Gewissensberuhigung — die schwierigsten
Fragen zum Entscheid von Laien vorgelegt werden. Wenn cs
auch immer noch glücklicher Weise zu den Seltenheiten gehört,
dass zweifelhafte Individuen, die in irgend einer Weise in den
von unserer Gesellschaftsordnung gezogenen Grenzen anstossen
oder mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt gerathen, ihre „erb¬
liche Belastung“ als Freibrief für ihre Handlungen benützen
wollen, so ist doch nicht zu leugnen, dass das Schreckgespenst der
Erblichkeit in den Köpfen gebildeter und ungebildeter Laien
eine unheilvolle Verwirrung angerichtet hat.
Die Hochfluth der literarischen Produktion bezüglich der
Erblichkeit hat seit einigen Jahren einer wohlthuenden Ebbe
Platz gemacht ’). Dass die Erblichkeitsfrage, soweit es sich
*) Nach einem Vortrag für die VII. Versammlung mittel¬
deutscher Psychiater und Neurologen ln Jena am 20. X. 1901.
’) Einen ganz vorzüglichen Ueberblick über die verwickelten
Vererbungsfragen gibt die zusammenfassende Arbeit von R 0 h d e:
Ueber den gegenwärtigen Stand der Frage nach der Entstehung
und Vererbung individueller Eigenschaften und Krankheiten.
Jena 1895, Gustav Fischer. — VgL auch Grassmann: Kritischer
Ueberblick über die gegenwärtige Lehre von der Erblichkeit der
Psychosen, Allg. Zeitschr. f. Psych. 1896, pag. 900 ff., und Watdn:
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
178'
wenigstens um praktisch verwerthbare Ergebnisse handelt,
auf positiven Boden gestellt wurde, kann man trotz der
geistreichsten und detaillirtesten Hypothesen, welche . uns
die biologischen Wissenschaften zeitigten, leider nicht be¬
haupten. Die Theorie lässt in der Praxis so häufig im Stich, und
wenn man ehrlich ist, so muss man gestehen, dass bisher nur
die Erfahrungsthatsaclie feetsteht, dass in bestimmten
Familien, in denen auf irgend eine Weise Ner¬
ven- oder Geisteskrankheiten heimisch ge¬
worden sind, mehr als in anderen die Neigung
herrscht, dieselben in mehr oder weniger prä¬
gnanter Form auf die Nachkommenschaft zu
vererben. In welchem Umfange sich dieses „Gesetz“ bewahr¬
heitet, darüber gehen, wenn wir die procentuarischen Angaben
der Vertreter unserer Wissenschaft einander gegenüberstellen, die
Ansichten offenbar weit auseinander. Die Zahlen differiren in
verwirrender Weise zwischen 4—90 Proc. 1 2 )
Es ist dies auch gar nicht verwunderlich, wenn man sich
einen Augenblick klar macht, wie schwer eine gewissenhafte
Statistik in der Neuro- und Psychopathologie ist. Ueber den
statistischen Schlendrian, der sofort „erbliche Belastung“ notirt,
wenn irgend ein Mitglied der Familie des in Frage stehenden
Patienten einmal psychisch krank gewesen war, brauche ich kein
Wort zu verlieren, obwohl er thatsächlich existirt. Auch für den
gewissenhaften Untersuclier ist es in vielen Fällen schwer, die
Mitwirkung des Erblichkeitsfaktors beim Zustandekommen eines
psychischen Krankheitsbildes mit Sicherheit anzunehmen oder
auszuschliessen. Die Entscheidung, mit welchem Gliede eine
Familie von der Norm abzuweichen begann, w o die noch in die
physiologische Breite gehörige Spielart der die Persönlichkeit
ausmachenden Charaktere in die pathologische Varietät über¬
ging, ist der Willkür und der Fachkenntniss des Einzelnen
überlassen. Ferner ist auch bei genauester Prüfung der Sach¬
lage oft unmöglich, auszusagen, ob die bei einem Individuum
festgestellte pathologische Funktion des Centralnervensystems
eine schon ererbte, d. h. von den Erzeugern überkommene
oder eine im Individualleben erworbene Eigen¬
schaft ist, mit anderen Worten, mit welchem Punkte, unseren
heutigen Vererbungsanschauungen entsprechend, dieselbe in
Kraft zu treten beginnt.
Aber selbst eine gewissenhafte Statistik vorausgesetzt,
was besagen die so fleisaig zusammengestellten Zahlen¬
angaben? Doch nichts anderes, als bei wieviel Procent
der zur Beobachtung gelangten Nerven- resp. Geistes¬
kranken ähnliche Krankheiten in der Ascendenz ana¬
mnestisch festgestellt wurden. So hoch sich auch
dieses P r o c e n t v e r h ä 11 n i s s stellen mag, aus
demselben einen Schluss auf die mehr oder
minder grosse Vererbungstendenz der Neuro¬
sen und Psychosen ziehen zu wollen, wäre
grundfalsch. Bei einer richtigen Betrachtungsweise ist es
geboten, sich auch der gesund gebliebenen Glieder einer
erblich belasteten Familie zu erinnern, wenn man Statistik macht.
Sonst bekommt man eine falsche Ansicht von der Macht der Ver¬
erbung, sonst wird die zutreffende Annahme, dass die Nach¬
kommen geistee- oder nervenkranker Eltern in ähnlicher Weise
erkranken können, zu der vollkommen irrigen, dass sie es
müssen. Die allgemein übliche Massenstatistik be¬
sagt nur, dass in der Ascendenz kranker Individuen patho¬
logische Zweige nicht selten sind; wie viele Mitglieder
derselben Familie aber gesund geblieben sind
und als der Ausgangspunkt lebensfähiger und
1 e b e n s f r i s ch e r Generationen unserer Be¬
obachtung entgehen, verschweigt sie. Deashalb
ist die Forderung gerechtfertigt, dass man Individual-
stammbäumc') studiren muss, wenn man sich von der Trag¬
weite und der angeblich destruirenden Wirkung der Vererbung
ein richtiges Bild machen wilL Dieser Gedankengang — von
Die Beziehungen der Heredität zur Pathologie des Nervensystems,
Sammelreferat über die Literatur der Jahre 1894—1807, Monats¬
schrift f. Psych. und Neurol. 1898, pag. 388.
*) Vgl. G r a s s m a n n: 1. c., pag. 1006 ff.
*) Vgl. Bohde: 1. c., pag. IX u. 148. — S 1 o 11: Arch. f. Psych.,
Bd. 16. — Möbius: Allg. Zeltschr. f. Psych., Bd. 40. — Blns-
wanger: Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie. Jena
189b, pag. 29 ff.
Ko 45
Binswanger seit Jahren betont und gelehrt — war es
zunächst, der mich dazu führte, besonders instruktive, schwer-
durchseuchte Stammbäume von Patienten unserer klinischen
und privaten Praxis zu sammeln und zu prüfen.
Ein weiterer Grund, an der Hand einer geringen Zahl
weitverzweigter Individualstammbäume die alte Erblichkeitsfrage
wieder anzuschneiden, lag für mich in der Ueberlegung, dass sich
die bei Massenstatistiken ergebenden Fehlerquellen hiebei
weniger geltend machen und dass eine vorsichtige Betrachtung
eines leichter übersehbaren Gebietes von grösserem Wecrthe und
Nutzen ist, als die sich jeder Beurtheilung entziehende Massen¬
statistik. Zahlen reden wohl, aber nicht immer richtig, zumal
wenn sich mit den wachsenden Zahlen auch die Irrthümer multi-
pliciren. Individualstatistik ist eine noth-
wendige Korrektur der Massenstatistik, und ich
glaube, dass in unserer Wissenschaft der schon seit Langem
von M ö b i u 8 und S i o 1 i angedeutete Weg noch bei Weitem
nicht genug begangen ist. Auf jeden Fall halte ich es für ratio¬
neller, in den kurzen, von der Wirklichkeit geschriebenen That-
sachen zu lesen und aus denselben für die Praxis zu lernen, als
sich immer wieder von Neuem in den spitzfindigsten Vererbungs¬
hypothesen zu erschöpfen. Der Endzweck des medicinisohen
Vererbungsproblems soll die Entscheidung der Frage bleiben,
ob und welche schädliche Artabweichungen
vererbbar sind. Das biologische Problem der Ver¬
erbung, wie und wodurch die Hervorbringung gleich¬
gestalteter und gleichgearteter Nachkommen
gewährleistet wird, soll Sache der Biologen sein *).
Ich habe aus der Fülle unseres Krankenmaterials nur solche
Stammbäume verwandt, welche mindestens 3 Generationen mit
einer grösseren Anzahl von Mitgliedern umfassen. Bei einer nicht
geringen Zahl derselben war es mir möglich, aus den Angaben ver¬
schiedener in unserer Behandlung gewesener Mitglieder ein und
desselben Namens zu kombiniren. Es ist gar nicht so leicht, wie
es auf den ersten Blick scheinen mag, Stammbäume zu be¬
kommen, deren Sammlung und kritische Sichtung lohnt. Wenn
es auch in den meisten Fällen gelingt, bei der Anamnese die
direkte väterliche und mütterliche Ascendenz zu eruiren, so stösst
die Erforschung der Verhältnisse schon in der 3. Generation
aufwärts auf Schwierigkeiten. Ganz leer geht man häufig be¬
züglich der Nebenlinien aus. Und wie selten bekommt man in
der Anamnese eine prägnante Charakteristik des Geisteszustandes
derjenigen Individuen, die auf der Grenzscheide zwischen normal
und pathologisch stehen und entweder „leicht erregbare“, .jäh¬
zornige“, „heftige Naturen“ benannt werden oder unter dem dehn¬
baren Sammelbegriff „nervös“ figuriren! Oft birgt sich sicher
unter der euphemistischen Bezeichnung „Nervosität“ schon ein
schwererer Zustand, z. B. eine Hysterie oder eine leichte mania-
kalische Exaltation. Gar mancher schwere Psychopath segelt
unter der Flagge gesund und mancher Sonderling wird von
Laien mit der gravirenden Diagnose „Hypochonder“ belegt.
Wie vorsichtig man bei allen zahlenmässigen Angaben von
Vererbung bei Nerven- und Geisteskrankheiten sein muss, er¬
gibt sich endlich auch aus folgender Erwägung: Jedes erb¬
lich belastete Individuum besitzt die Mög¬
lichkeit, genau wie ein nicht belastetes, psy¬
chisch zu erkranken, wenn die äusseren Ur¬
sachen, die erfahrungsgemäss in der Aetio-
logie der Nerven- und Geisteskrankheiten
eine Rolle spielen, in seinem Individualleben
zutreffen; da ist es recht schwer zu unterscheiden, wie viel
bei einer eintretenden Erkrankung auf Rechnung der vererbten
Anlage und wie viel auf „exogene“ Ursachen zurückzuführen ist.
Erkrankt der nicht Belastete unter dem Einflüsse äusserer Um¬
stände, so hat er seine Krankheit erworben, beim „erblich
Prädisponirten“ ist man ceteris paribus sofort geneigt, die ein¬
getretene Erkrankung als schlagenden Beweis von der Vor-
erbungstendenz der Neurosen und Psychosen anzusehen.
Ist überhaupt die Individualstatistik, wie wir sie in psychia¬
trischen Kreisen betreiben, etwas werth, und halten die aus ihr
gezogenen Schlüsse einer ernsten Kritik Stand? In neuester
Zeit hat M a r t i u s ‘) darauf aufmerksam gemacht, dass unsero
4 ) Vgl. Martin 8: BerL klln. Wochenschr. 1901, pag. 814.
*) Martlus: Das Vererbungsproblem in der Pathologie.
BerL klln. Wochenschr. 1901, No. 30 u. 31. Vgl. auch Kirr h-
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1788
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Methodik der Stammbäume eine ungenügende sei und daaa
wir Mediciner viel zu wenig die Lehren beherzigen, welche uns
Lorenz*) als Historiker und Genealoge an die Hand gebe.
Eine« muss ich Martius unbedingt zugeben, dass der
Psychiater von einem Mann wie Lorenz nur lernen kann, und
dass von der hohen Warte der Geschichte aus unsere medicinische
Stnmmbaumstatistik, die sieh auf höchstens einige Menschen¬
alter stützt, fast „naiv“ erscheinen mag. Die Skepsis, welche
Lorenz der Vererbung pathologischer Eigenschaften überhaupt
entgegen bringt, gründet sich auf das Studium sogen. Ahnen¬
tafeln, wie sie dem Historiker eher zu Gebote stellen, als dem
Mediciner. Er betont, dass eine einzelne Familie weder dem
Physiologen, noch dem Psychologen eine Auskunft über die nor¬
mal vor sich gehende Vererbung, noch dem Pathologen eine Auf¬
klärung über die sogen, erbliche Belastung zu geben im Stande
sei, weil dio Vererbung — als von Vater und Mutter herstam¬
mend — eine Gesammtheit von Familienzuständen voraussetzt,
weil jede Vererbung ihren Ursprung von unendlichen Mengen von
Vätern und Müttern genommen hat. Auf Grund seiner Ahnen¬
tafelbetrachtung kommt er zu der Annahme, dass es am Platze
wäre, mit Rücksicht darauf Stammbäume mehr vom Standpunkte
der Asttendenz als der Descendenz zu betrachten und verlangt,
dass man in Anstalten, wo Erblichkeitstafeln angefertigt werden,
vorgedruckte Formulare mit Berücksichtigung von mindestens
S Ahnen benützen solle. Unsere officiellen Zählkarten erfüllen
(liest« Postulat leider nicht; ich habe aber schon oben angedeutet,
aus welchen Gründen dio Forderung von Lorenz eine ideale
bleiben wird.
Sicherlich sind „Stammbaum“ und „Ahnentafel“
zwei grundverschiedene Dinge ’), und es leuchtet aus den Dar¬
legungen von Lorenz ohne Weiteres ein, dass sich „aus der
richtigen Aufstellung von Ahnenproben ganz andere Vererbungs--
bilder ergeben, als diejenigen zu sein pflegen, die man gemeinig¬
lich durch die Aufstellung einiger oberflächlich konstruirter Dee-
cendentenreihen erhält (L c. pag. 437). Es will mir nur frag¬
lich erscheinen, ob gerade die aus den Ahnentafeln gewonnenen
Vererbungsbilder die richtigen sind*). Wie verschieden die Auf¬
fassung über die Vererbung krankhafter Eigenschaften beim
Historiker und Neuropathologen ist, geht aus der scharfen Kritik
hervor, welche Lorenz Dejerine*) zu Theil werden lässt.
Der Historiker sagt: „Wenn man die in den Anstalten
eigens für den Zweck der Erbliclikoitsdarstellung angefertigten
Tabellen ansieht, so bekommt man leicht ein anderes Bild (sc.
als der Genealoge), aber man darf nicht vergessen, dass, wenn
man die hier so dicht neben einander stehenden schwarzen Punkte
auf den betreffenden vollständig durchgeführten Familienstamm¬
tafeln eingezeichnet hätte, diese doch oft nur wie vereinzelte
Perlen im Meeressand erscheinen müssten“ (1. c. pag. 446). Ohne
Zweifel trifft diese Argumentation zu, berührt aber den
Psychiater wenig. Die Thatsache lässt sich nun ein für allemal
nicht aus der Welt schaffen, dass in gewissen Familien die zur
Betrachtung kommenden Generationen mehr schwarze Punkte
aufweisen, als in anderen, dass diese schwarzen Punkte in einem
hoff: Fragen aus dem Gebiete der Erblichkeit. Zeitschr. f.
l’sych. Bd. 50, pag. 871.
*) Lorenz: Lehrbuch der gesummten wissenschaftlichen
Genealogie. Berlin 1888. Wilhelm Hertz.
') „Ahnentafel“ wird Jene Betrachtungsweise genannt,
welche von dem Individuum aufwärts steigend, die sich ver¬
doppelnden Elternpaare aufsucht, während die Nachweisuug der
von einem Elternpaare abstaininenden Nachkommenschaft den
Namen „Stammtafel" trägt (Lorenz: 1. c., pag. 78).
') Man darf nicht vergessen, dass wir Aerzte einem Kranken
gegenüber eine ganz andere Betrachtungsweise walten lassen, als
der Genealoge bei einer Ahneuprobe behufs Aufnahme in einen
Kitterorden. Die dichotomisch fortgesetzte Gabelung der Ahnen¬
tafel schliesst die Nebenlinien von der Betrachtung aus. Oft aber
können wir nur auf dem Umwege der Nebenlinien zur richtigen kli¬
nischen Würdigung eines Falles bezüglich seiner erblichen Be¬
lastung gelangen. Das Bestreben, dem auch Lorenz unterliegt,
rechnerisch zu bestimmen, wie viel von der pathologischen
Erbmasse als Piiichttheil bei der Familienauftheilung auf ein In¬
dividuum kommen darf, etwa ’/• oder */>• oder f?ar V«. Je nachdem
es auf der Ahnentafel von dem pathologischen Erblasser entfernt
ist müssen wir zurückweisen. Der Schluss: der vor uns stehende
Kranke hat aus der pathologischen Erbmasse der Ascendenz nur
einen minimalen Bruchtheil abbekommen, ergo kann seine Krank¬
heit nicht ererbt sein, entbehrt der Begründung.
') D6J6rine: L’h6r6dlt6 dans les maladies du systöme
nerveux. Paris 1886.
gewissen causalen Zusammenhang zu einander stehen und von ge¬
wissen äusseren Verhältnissen unabhängig zu sein scheinen. Wie
sie sich im Verhältniss zu der vollständigen Ahnentafel aus-
nehmen würden, kann uns gleichgiltig sein. In praxi liegt
für uns die Macht der Vererbung in der Patho¬
logie nach wie vor fest. Und wenn wir auch weit ent¬
fernt sind, bühnenhafte Vererbungsbegriffe anzuerkennen und
gegen den Einfluss der Vererbung mit Gesetzesmaassregeln ein-
schreiten zu wollen, so sehen wir doch — donec contrarium pro-
betur — unsere humane Aufgabe darin, mit unseren empirisch
gewonnenen Grundsätzen zu rathen und wenn möglich zu helfen.
n.
Versuchen wir nun, an der Hand unserer medioinischen
„Stammbäume“ zu eruiren, ob und was wir aus der In¬
dividualstatistik lernen können. Ich habe die
Stammbäume von 56 Familien mit insgesammt 1338 feststell¬
baren Mitgliedern gesammelt. Dieselben gehören den ver¬
schiedensten Ständen und socialen Verhältnissen an, so dass eine
Einseitigkeit den statistischen Angaben nicht zum Vorwurf ge¬
macht werden kann. Ich legte gleiches Gewicht auf die väter¬
liche, wie mütterliche Linie und zählte auch die in einen Stamm
oingeheiratheteu Frauen mit ihren Ahnen mit.
Was zunächst die allgemeinsten Procentverrhältnisse betrifft,
so ergaben sich folgende Zahlen:
1. geistes- resp. nervenkrank . . 413 = 30 Proc.
2. neuro- resp. psychopathisch . 251 = 18,6 „
3 gesund . 595 = 44,5 „
4. nicht lebensfähige Kinder . . 42 = 3 „
5. Selbstmorde. 55 = 4 „
Bezüglich der gesunden Mitglieder schwankte das Verhältniss
in den einzelnen Familien zwischen 0—87 Proc. Die nachstehende
Gruppirung:
0—10 Proc. in 3 Familien.
11-20
ft
„ 4
ff
21—30
»t
„ 8
ft
31—40
ft
„ 9
ff
41-50
ft
„ 22
ff
51—60
ft
„ 2
ff
61-70
99
&
ft
71-80
ff
1
fl
81—87
ff
„ 2
ft
lässt erkennen, dass sich in den meisten Familien das Verhältniss
der Gesunden zwischen 41—50 Proc. bewegt. Nun bin ich mir
aber wohl bewusst, dass die Zahleuangaben der „Gesund-
gcbliebenen“ nur einen sehr relativen Werth besitzen, da sie nur
für den jeweiligen Zeitpunkt der Erhebung der Anamnese Gel¬
tung haben, und manche der als gesund Verzeichneten — wie
mich öfter die Erfahrung lehrte — späterhin noch erkranken
können. In ganz besonderem Maasse gilt dies von den im Kindes¬
alter stehenden Familienmitgliedern.
Um diese Fehlerquelle zu eliminiren, bestimmte ich nun die
Zahl der „gesund Gestorbenen“ (s. v. v. 1), sowie der im reifen
Alter, zum Theil schon in oder vor dem Senium stehenden gesund-
gebliebenen Mitglieder, unter Nichtbeachtung der jüngsten Gene¬
ration meiner Stammbäume. Ich fand 392, d. h. rund
30 Proc. Von diesem Procentsatz kann man an¬
nehmen, dass er trotz erblicher Belastung und
trotz der mannigfachen Schädlichkeiten des
Individuallebens gesund geblieben ist. Selbst
unter diesen C'autelen ist noch möglich, dass uns einzelne Mit¬
glieder für dio Rubrik „krank“ entgangen sind, so dass an¬
scheinend der Einfluss der erblichen Belastung noch etwas höher
taxirt werden müsste. Dieser etwaige Fehler wird ausgeglichen
durch die einfacho Erwägung, dass mindestens ebenso viele In¬
dividuen, als uns für die Rubrik „krank“ durch mangel¬
hafte Anamnese entgangen sind, unter der letzteren, als Produkt
der erblichen Belastung betrachtet, stehen, während sie, wie jeder
nicht Belastete, ihre Geistes- resp. Nervenkrankheit erworben
halien.
Bei all’ diesen Zahlen ist nicht zu vergessen, dass ich meiner
Berechnung die schwerstdurchseuchten Stammbäume
unseres Materials zu Grunde gelegt habe. Ich brauche kaum zu
erwähnen, dass in zahllosen Familien 1—2 mal oder auch einige-
male Nerven- resp. Geisteskrankheiten plötzlich auftauchten und
ebenso wieder verschwanden, ohne dass der jeweilig Betroffene
— soweit ersichtlich — der Ausgangspunkt erblicher Weiterver-
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1789
Pflanzung geworden wäre. Dies zur Beruhigung vererbungs-
scheuer Gemüther!
Den Versuch, bestimmte Schlüsse auf die Stärke der
V erorbungstondenz der väterlichen oder mütterlichen
Ascendenz zu ziehen, muss ich als misslungen bezeichnen. Ich
habe mich nach meinen Zusammenstellungen nicht davon über¬
zeugen können, dass die erbliche Belastung von der Vaterseite
her mehr zu Erkrankungen des Nervensystems disponire, als die
von der Mutterseite her, oder umgekehrt, bald traf die eine, bald
die andere Thatsache zu. örchansky 10 ) glaubt das Gesetz
nufstellen zu können, dass wenn der Vater krank sei, die Zahl der
gesunden Kinder gleich der der kranken sei. Im Erkrankungs-
fallo der Mutter überwiege die Zahl der gesunden. Seien beide
Eltern krank, so finde man mehr kranke Mitglieder als gesunde;
bei Krankheit beider Eltern ein starkes Uebcrwiegen der kranken
Knaben. Von all’ diesen „Gesetzen“ bestätigte
sich mir nur die eine verständliche Thatsache
der stärkeren Vererbungstendenz im Erkran¬
kungsfalle des väterlichen und mütterlichen
Elters. Auch die vielfach citirte Annahme einer Neigung zur
gekreuzten Vererbung erwies sich mir nicht stichhaltig. Die
weitero Behauptung Orchansky’s, dass der mit einer orga¬
nischen Erkrankung des Nervensystems behaftete Vater ihren
Typus und ihr Geschlecht auf die Naclikommen übertrage und
dass ein ähnliches Verhältniss bei den mit funktionellen Nerven¬
erkrankungen behafteten Müttern obwalte, scheint mir nur in be¬
schränktem Maassc zutreffend. Nach meinen Beobachtungen
stimmte diese Schlussfolgerung nur für die arteriosklero¬
tischen Erkrankungen des Gehirns mit ihren
Folgezuständen (Apoplexie, arteriosklerotische Hirndegeneration,
]x>stapoplektische Demenz) und zwar war in den meisten Fällen
das Bindeglied der naturgemäss im männlichen Gcsehlochte stär¬
ker und häufiger vertretene Alkoholismus. Auch die einfache
senile Demenz prävalirtc bei der Vererbung im Mannes¬
stamme, von den sog. funktionellen Psychosen in auffallender
Weise dio Hypochondrie mit ihren Spielarten, der hypo¬
chondrischen Neurasthenie und hypochondrischen Paranoia. Dass
sieh in der weiblichen Linie besonders habitueller Kopf¬
schmerz, Migräne und Hysterie nicht selten mit hart¬
näckiger Konstanz durch mehrere Generationen vererbt, fand ich
in vielen Familien bestätigt.
Bezüglich des Vererbung«!» odus im Allgemeinen
muss ich gestehen, dass mir auf Schritt und Tritt die
Thatsache des Polymorphismus der Vererbung
begognote. In buntem Wechsel tauchen auf der grossen
Basis der neuro- resp. psychopathischen Disposition die ver¬
schiedensten Krankheitsbilder auf, um so bunter und regelloser,
je schwerer die erbliche Belastung Ist. Schwere und leichte Er¬
krankungsformen kommen und gehen. In einer Generation
schwillt die Erkrankungswellc zu einer erschreckenden Höhe an,
um in der nächsten ohne weiteren ersichtlichen Grund wieder zu
verebben und nur noch in einigen leichten Bewegungen naclizu-
zittern. Wer kennt auch die vielen exogenem und endogenen
Ursachen ausser der Erblichkeit, welche das Individuum von
der Konstanz der Art abbringen ? Nur eines war mir auf¬
fällig, dass in geradezu frappanter Weise die
intellektuellen und affektiven Psychosen
sich gegenseitig auszuschliessen schienen.
Wenn auch der Polymorphismus als Hauptgesetz in dem Ver¬
erbungsmodus gelten darf, so zeigte mir doch die genaue Betrach¬
tung meiner Stammbäume für viele Neurosen und
Psychosen auch die Thatsachcexquisit. gleich¬
artiger Vererbungstendenz "), namentlich in Fällen
einfacher Vererbung. Obenan steht in dieser Beziehung die
Melancholie 12 ), welche sich mit grosser Konstanz und wech¬
selnder Ausdehnung in 5 meiner Familien vererbte (unter 164
Familienmitgliedern 30 Melancholien). Eine ähnliche Neigung
zeigte, wenn auch entsprechend ihrer absoluten Seltenheit sel-
,# ) Vgl. W a r d a: 1. c.
,l ) Vgl. Lund borg: Ueber Degeneration und degenerlrte
Geschlechter ln Schweden. Klinische Studien und Erfahrungen
hinsichtlich der familiären Myoklonie und damit verwandter
Krankheiten. Stockholm 1901.
“) Die Melancholie Ist ln unserem Krankenmaterial, das ln
der Hauptsache aus Thüringen und der angrenzenden Provinz
Sachsen stammt überhaupt sehr häufig.
tener, die Manie und ihre leichtere Form, die mania-
kalischo Exaltation (in einer Familie 6 maniakalische
Erkrankungen), sowie die Hypochondrie. In nicht wenigen
Familien ist die Epilepsie gowissermaasaen endemisch — ich
zählte in einer Familie 7, in einer andereu 12 Epileptiker — in
anderen der habituelle Kopfschmerz und dio M i -
graue. Die Chorea fand ich in einer Familie bei Vater,
Onkel und 3 Söhnen. In grosser Zahl tritt nicht selten die
Hysterie in ein und demselben Stammbaum auf. Trinker¬
familien sind seit Langem bekannt, und ich brauche kaum zu
erwähnen, dass unter meinen 56 Familien sich in 4 derselben der
chronische Alkoholismus mit und ohne psychische Kompli¬
kationen durch 4 Generationen hindurch an der Degeneration
und endlichen Ausmerzung des Stammes bethätigte ”). Was beim
Alkoholismus die Vererbung ausmacht, und was auf Rechnung
des bösen Beispiels zu setzen ist, will ich nicht entscheiden. In
6 Familien stiess ich in jeder Generation auf apoplektische
Insulte, ein trauriger Beweis für die häufige Uebertragung der
apoplektischen Disposition auf dem Boden des Alkoholismus und
der Arteriosklerose. Nicht unerwähnt will ich lassen, dass auch
körperliche Degenerationszeichen sich leicht ver¬
erben. Ein seltenes Beispiel dieser Art ist die gehäufte Ver¬
erbung von Aniridie. Die Familie, um welche es sich handelt,
liegt in 5 Generationen mit 23 Mitgliedern vor mir. Sie ent¬
stammt. einem thüringer Walddorfe und ist wegen der beschränk¬
ten örtlichen Verhältnisse leicht zu übersehen. 15 Mitglieder,
6 männliche und 9 weibliche, zeigen vollkommenen Irismangel,
ln der vierten Generation treten bei 3 Mädchen schwere psych¬
ische Entartungszustände auf (Epilepsie, Imbecillität und
Idiotie).
Besonders charakteristische Züge erhält die Vererbung, so¬
bald sie, meist durch Oumulation von Väter- und Mütterseite,
eine d e g e n e r a t i v e. wird. Wie man sich bereits an dio kli¬
nische Erfahrung gewöhnt, hat. dass die sogen, degenerativen
Psychosen sich durch auffallend plötzlichen Ausbruch, raschen
Wechsel der Symptome, Unreinheit und Unfertigkeit der Zu¬
standsbilder etc. auszeichnen “), so führten mir alle meine
Stammbäume als Endprodukt der Degeneration immer wieder
dieselben Bilder vor Augen. Die Paranoiagruppe, vor
allen Dingen die originäre Paranoia, die do-
generative Hysterie, zumal die Hystero-Epi-
lepsie, das Irresein aus Zwangsvorstellungen,
das Jugondirrcsein, die periodischen und die
cirkulären Formen, der Schwachsinn, Miss¬
bildungen und Lebens Unfähigkeit bildeten
den Schlussakt der de generativen Vererbung s-
t. r a g ö d i e.
(Schluss folgt)
Beschäftigungsneuritis im Gebiete des Plexus
brachialis.
Von Dr. L. II o e f 1 m a y r, Nervenarzt in München.
Tin Laufe der letzten Jahre ist eine Anzahl von Kranken
von mir beobachtet worden, die eine ganz gleiehmässige Er¬
krankung im Bereich des Plexus brachialis zeigten. Auf die
Frage, was ihnen fehle, gaben sie zur Antwort, sie hätten Rheu¬
matismus in der Schulter und seien durch heftigste Schmerzen
verhindert, ihrer Arbeit nachzugehen. Bei ganz bestimmten Be¬
wegungen, besonders aber Nachts im Bett, hätten sie so starke
Schmerzen, dass sie es „bald nicht mehr aushalten könnten“. Die
verschiedensten Mittel, die bei Rheumatismus sonst helfen, seien
von ihnen ohne jeden Erfolg angewandt worden, so dass ihr bis-
'*) Interessant sind die entgegengesetzten Deduktionen vou
Lorenz. Er sagt: Man scheint Angesichts genealogischer Ver¬
hältnisse zu dem Schluss zu gelangen, dass im Gegensatz zu den
Ansichten medicinischer Autoritäten Trunksucht entweder über¬
haupt nichts schadet oder Ihre Schädlichkeit gar nicht oder
nur theilwei8e und unter erst noch zu erforschenden Umständen
in vererbten Eigenschaften zum Ausdruck kommt (1. c., pag. 387 IT.».
— Vergl. dagegen Legrain: HßrOditC* et Alcoolisme, 6tude
psyehologique et clinique sur les dögönflrös buveurs et les familles
d’lvrogues, und Hoppe: Die Thatsachen Uber den Alkohol,
2. Aufl., Berlin 1901, pag. 254 ff.
**) Vgl. Adler: Ueber die verschiedenen Formen der ..erb¬
lichen Entartung“ nach klinischen und biologischen Gesichts¬
punkten, Münch, med. Wocbenschr. 1901, No. 21, pag. K34.
3*
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MUENCI1ENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
heriger Arzt zuletzt selbst ganz verzweifelt sei und gemeint habe,
sie möchten nun doch einmal einen Nervenarzt fragen.
Ihrem Gewerbe nach waren diese Leute Schreiner, Weiss-
gcrber und ein Uhrmacher, meist in einem Alter von über
40 Jahren. Sie zeigten im Aeusseren nichts Krankhaftes, hatten,
darnach befragt, nicht über Fieber oder Frost, nicht über Appetit¬
mangel, nur über Schmerzen und dadurch bedingte Schlafstör¬
ungen und über Behinderung in der Bewegung des rechten
Armes (denn diesen betraf fast ausschliesslich die Erkrankung)
zu klagen. Irgend welches Trauma oder sonstige äussere Ver¬
anlassung war nicht Schuld an der Erkrankung, auch war keiner
der Patienten mit einer chronischen Krankheit behaftet, keiner
war früher luetisch gewesen, nie war Rheumatismus vorherge¬
gangen, jede chronische Intoxikation mit Alkohol, Nikotin, Blei
etc. war auszuschliessen. Die Erkrankung war nicht plötzlich
aufgetreten, sie war nicht durch eine Erkältung oder dergl. ver¬
ursacht, sondern schon längere Zeit wollte der Arm nicht mehr
so „mitthun“, wie sie es gewöhnt waren und nöthig gehabt
hätten, sie glaubten, der Schmerz würde schon wieder vergehen,
aber er wurde immer stärker und schliesslich ging es eben gar
nicht mehr.
Wenn ich nach dieser Anamnese den Kranken aufforderte,
sich auszukleiden, um die genaue Untersuchung vornehmen zu
können, dann kam stets die Bitte, ihm beim Ausziehen zu helfen,
da er sonst den Rock und die Weste nicht vom Arm abstreifen,
besonders aber nicht über die Schulterwölbung herunterbringen
könne. Eine Bewegung aber ging nie, selbst wenn das vorher
Beschriebene mit zusammengebissenen Lippen unter Missachtung
des Schmerzes gelungen war; den Hosenträger konnte keiner
rückwärts oder seitwärts abknöpfen. Es fehlten also stets die
beiden Möglichkeiten, den Arm einwärts zu rollen und auf den
Rücken zu bringen oder seitwärts so hoch zu heben, um an die
vorderen Hosenknöpfe zu gelangen.
Die Untersuchung ergab auch stets, dass diese beiden Be¬
wegungen absolut unausführbar waren — auch passiv nicht —;
schon der Versuch rief laute Schmerzrufe hervor. Nur der hef¬
tige Schmerz hinderte daran, die Bewegungen auszuführen,
sonstige Hindernisse lagen weder im Schultergelenk noch in der
Museulatur, noch von Seite der centralen Erregung vor.
Die beiden in Frage kommenden Bewegungen werden vom
Gesunden ausgeführt mit dem Muse, latissimus dorsi, der von
einem der Nerv, subscapulares, und dem deltoides, der vom Nerv,
axillaris innervirt wird. Der Theil des Muse, trapezius, der bei
der Seitwärtshebung des Armes auch mit thätig ist, kommt
nach der Aetiologie meiner Fälle und als reiner Hilfsmuskel
weniger in Betracht.
Alle Bewegungen, bei denen keiner der vorstehenden Muskel
betheiligt war, konnten ohne Schmerz ausgeführt werden, nur
war der Patient mit Rücksicht auf seine Erkrankung überhaupt
stets etwas vorsichtiger beim Bewegen des Armes.
Betrachten wir die Kranken vom aetiologischen Standpunkt,
so finden wir, dass bei allen Kranken, ausser bei dem Uhrmacher,
die tägliche Arbeit eine stets gleichmässige, von denselben
Muskeln ausgeführte und sehr anstrengende war. Bei den
Sehreinern war es das stete, Tage lang dauernde Poliren, bei
den Weissgerbern das Ausziehen von Fellen über Halbkugeln,
Arbeiten, welche stets mit gestrecktem Arm in der Art aus¬
geführt werden, dass die Hauptbewegung nach vorne und der
nöthige Druck mit der ganzen Schulter, die Rückwärts- und
Zugbewegung mit demselben Theil, aber natürlich entgegengesetzt
stattfindet. Es scheint nun bei diesen äusserst anstrengenden,
stete Muskelkontraktion ohne genügende Entspannung be¬
dingenden Arbeiten eine dauernde Innervation der oben ge¬
nannten Muskeln und dadurch eine Ueberreizung der zu¬
gehörigen Nerven Ursache der äusserst schmerzhaften Entzünd¬
ung zu sein.
Dass es sich um eine Neuritis und nicht um eine Myositis
handelt, geht aus verschiedenen Gründen hervor. Es fehlen die
Zeichen der Muskelentzündung, Röthe und Hitze, der Muskel
ist bei Druck zwischen den Fingern nicht schmerzhaft und auch
die Bewegungen des Armes bewirken in demselben keine
Schmerzen. Dagegen finden sich Druckpunkte an Stellen, an
denen die betheiligten Nerven zu erreichen sind, z. B. an der
Stelle unter dem Deltoides, wo der Axillaris auf den Humerus
gedrückt werden kann, meist auch in der Supraclaviculargrube,
an dem von Ziemssen in seinem Schema angegebenen
Punkt, und für den entsprechenden Subscapularis an dem seit¬
lichen Rand des Latissimus in der hinteren Achselhöhlen¬
begrenzung. Auch die bei vollständiger Entspannung und In¬
aktivität der Muskeln spontan auftretenden Schmerzen werden
von den Patienten fast immer an diesen Punkten lokalisirt,
nebenbei ebenfalls ein Symptom, das gegen eine Entzündung
des Muskels selbst spricht. Diese Nervenschmerzen strahlen
häufig auch in den Radialis aus, auch ist dieser Nerv oft an
der spezifischen Stelle, ungefähr in der Mitte der äusseren Kante
des Oberarmknochens, auf Druck schmerzhaft. Die anderen
Aeste des Plexus brachialis sind unbetheiligt und die von ihnen
innervirten Muskeln können, wie schon gesagt, ohne Schmerz
ungehindert bewegt werden. Sensibilitätsstörungen in der Haut
fehlen ebenfalls vollständig, auch die Gefässnerven sind frei von
Reizerscheinungen. Wie die Patienten selbst adgeben, ist das
Allgemeinbefinden in keiner Weise gestört. Auch die Urin¬
untersuchung war stets negativ, was wegen der Möglichkeit
diabetischer Neuritiden zu betonen ist.
Wir hatten es daher stets mit einer isolirten Neuritis in den
beiden obengenannten Muskelästen des Plexus brachialis zu thun.
Hätte es sich um eine einfache sogenannte Beschäftigungs-
n e u r o 8 e gehandelt, dann hätten vor Allem nie die wirklich
äusserst quälenden spontanen Schmerzen bestanden, es würden
eolche höchstens bei der die Erkrankung verursachenden speziellen
Bewegung und dabei weit gelinder auf getreten sein. Wir sehen
dies ja häufig beim Schreibkrampf, Klavierspieler- und Weber¬
krampf. Auch die Therapie lässt einen deutlichen Unterschied
zwischen Beschäftigungsneuritis und Beschäftigungsneurose er¬
kennen. Während bei letzterer die Gymnastik, in Anwesenheit
und unter Leitung des Arztes angewandt, ein unentbehrliches,
vorzügliches Heilmittel ist, muss man jeden diesbezüglichen Ver¬
such bei ersterer unterlassen, da sonst stundenlang die heftigsten
Schmerzen verursacht und die schon eingetretene Besserung auf¬
gehoben wird. Auch die Massage kann nur in wenigen Fällen
nach Aufhören der spontanen Schmerzen mit grosser Vorsicht
angewendet werden. So haben wir in der Therapie gewisser-
maassen die Gegensätze: Neurose — Bewegung, Neuritis—Ruhe.
Auch aetiologisch finden wir einen gewissen Unterschied zwischen
den beiden Formen. Während von der Neurose fast ausschliess¬
lich Personen befallen werden, die eine nervöse oder gichtische
Disposition besitzen, trifft die hier beschriebene Neuritis,
wenigstens in meinen Fällen, sonst vollkommen gesunde Leute,
die sogar grosse Widerstandskraft gegen nervöse Erkrankungen
besitzen.
Trophische Störungen irgend welcher Art waren nicht zu
bemerken, wenn man von der bei längerer Dauer der Erkrankung
auf tretenden Inaktivitätsatrophie der Muskeln, die selbstver¬
ständlich ist, absieht. Auftreibungen an den betroffenen Nerven
konnte ich nicht konstatiren, es dürfte dies auch bei der etwas
versteckten Lage derselben sehr schwer sein.
Die elektrische Untersuchung, die übrigens im Reizzustand
der Nerven auch mit Vorsicht vorzunehmen ist, ergab nur ge¬
steigerte Erregbarkeit des Nerven für den faradischen Strom.
Die Behandlung geschah mit Erfolg, wie bei jeder anderen
Neuritis. Ruhe und Wärme und der galvanische Strom in An¬
fangs schwachen, später stärkeren (5—7 MA) Strömen, Anode
auf die Schmerzpunkte und labil, leisteten gute Dienste. Nach
Aufhören derSchmerzen zur Bekämpfung derlnaktivitätsatrophie
der Muskeln auch schwache faradische Reizungen. Die Wärme
wurde am besten vertragen in Form von Brodkataplasmen und
Moorbädern mit steigenden Wärmegraden. Letztere dürfen
natürlich nicht zu häufig aufeinander folgen, da die so wie so
durch die Schmerzen und schlaflosen Nächte angegriffenen Pa¬
tienten sonst sehr geschwächt werden.
Auch Blutentziehungen durch Blutegel, in derNäho der Druck¬
punkte angesetzt, versprechen im frischen Entzündungszustande
Erfolg. Von dem von Oppenheim bei Neuritis gelobten Natr.
salicyl. konnte ich keinerlei Erfolg wahrnehmen, dagegen be¬
währte sich gegen die nächtlichen Schmerzen eine Mischung
von Chin. rauriat. und Phenacetin, in mittleren Dosen öfters
genommen. Morphium konnte ich dadurch stets entbehren.
Von der Anwendung des blauen Lichtes, als eines schmerz¬
stillenden Mittels, habe ich bei dieser Erkrankung keinen Erfolg
gesehen.
Die Dauer dieser umschriebenen Neuritis ist meist eine
lange. 8—9 Wochen brauchten meine Fälle zur Heilung.
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1791
Bei konsequenter Behandlung sind die Aussichten auf
Heilung und Wiedergewinnung der Arbeitsfähigkeit günstige.
Doch ist es nothwendig, dem Patienten auf Va —-1 Jahr eine
andere Arbeit als vor der Erkrankung vorzuschreiben, die er in
seinem Geschäft meistens ohne Schwierigkeit finden kann.
Ein Fall rheumatischer Erkrankung eines Kiefer¬
gelenks.
Von Dr. Hamm, Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Hals¬
krankheiten in Braunschweig.
Das Kiefergelenk wird im Allgemeinen bei akutem Gelenk¬
rheumatismus nicht oft befallen; dagegen ist die isolirte rheu-
matisclio Erkrankung, noch dazu nur einer Seite, ein so seltenes
Ereigniss, dass eine kurze Veröffentlichung wohl angebracht er¬
scheint, besonders da bei einer derartigen Affektion sehr leicht
Verwechslung mit Ohrerkrankung vorkommt. Im vorliegenden
Falle war zumal der äussere Gehörgang betheiligt.
Herr E. S., Buchhalter, 45 Jahr alt, ein lm Uebrlgen gesunder
Herr, klagt bei der ersten Konsultation über heftige Schmerzen
lm rechten Ohr, die seit etwa einer Woche bestehen. Auch können
die Zähne auf der rechten Seite wegen Schmerzhaftigkeit nicht
aufeinandergepresst werden, so dass das Kauen erschwert ist.
Die Untersuchung des Ohres ergibt, dass das Trommelfell in seiner
oberen Hälfte normal ist, während die untere Hälfte durch eine
bläulich-schwärzliche Masse verdeckt wird; dieselbe gibt beim
Sondlren das Gefühl der Fluktuation. Eine Incision ergibt die
Anwesenheit von flüssigem Blut; dieses wird vollständig entleert
und die Hautränder abgetragen, auf die Wundfläche kommt Bor¬
vaseline. Die untere Trommelfellhälfte, die nach Entleerung der
Blutblase sichtbar wird, ist ebenso wie die obere normal. Uuter
der Borsalbe heilt die Wunde in etwa einer Woche, ohne dass
indess die Ohrschmerzen im Geringsten abnehmen; auch können
Oberkiefer und Unterkiefer der rechten Seite noch immer nicht
aufeinander gepresst werden. Bel der zweiten Konsultation,
3 Tage nach der ersten, findet sich auf der Schleimhaut der Mund¬
höhle am auf steigenden Unterkieferaste der rechten Seite eine
linsengrosse blutige Stelle, die im Laufe der Beobachtung ohne
Behandlung verschwand. Als nach Heilung der Wunde im äusseren
Gehörgang die Ohrenschmerzen und die Störung beim Essen un¬
verändert fortbestanden, untersuchte ich mit dem in den äusseren
Gehörgang eingeführten Finger das Kiefergelenk der rechten und
zum Vergleich auch der linken Seite, doch war eine Erkrankung
nicht festzustellen, vielmehr erschien das linke Gelenk, das der
gesunden Seite, dicker als das der rechten. Trotz des Mangels an
Befund verordnete ich zweistündlich 0,5 Natr. sallcyl., mit dem
Resultat, dass nach im Ganzen 2 g Sallcyl die Ohrenschmerzen
verschwunden waren, und der Unterkiefer nun ohne Schmerzen
gegen den Oberkiefer gepresst werden konnte. Ein Recidiv ist
bisher nicht eingetreten.
Beim Mangel aller objektiven Zeichen am Gelenk selbst,
spricht wohl der Erfolg der Salicylmedikation neben der Un¬
möglichkeit eines festen Gebissschlusses am besten für die Dia¬
gnose. Einen Morbus maculosus Werlhofii anzunehmen, lag
keine Veranlassung vor, da ausser der Blutblase im Ohr und der
Schleimhautblutung im Munde weiter keine Blutung am ganzen
Körper vorhanden war, und auch das Allgemeinbefinden nicht
gelitten hatte. Für die Richtigkeit der Diagnose spricht weiter
der Umstand, dass Pat. etwa 2 Monate nach Heilung dieses
Leidens an Schmerzhaftigkeit einzelner Fingergelenke litt, die
gleichfalls auf Gebrauch von Salicyl verschwand.
Es ist wohl nicht unangebracht, zum Schlüsse nochmals da¬
rauf hinzuweisen, dass die immerhin seltenen Kiefergelenks-
erkrankungen sehr leicht mit Ohrerkrankungen verwechselt
werden, dass man das angeblich kranke Ohr, natürlich
ohne Erfolg, behandelt und an das Kiefergelenk gar
nicht denkt. In allen Fällen, in denen über Ohren¬
sehmerzen oder Ohrengeräusche geklagt wird, sollte man
bei normalem Trommelfell und Gehör, sowie gesunden
Zähnen niemals verabsäumen, an das Kiefergelenk zu denken,
und dasselbe mit dem in den Gehörgang eingeführten Finger
untersuchen, man wird dann manchmal eine Erklärung für
eigenartige Ohrgeräusche oder Ohrschmerzen finden, die sonst
für nervös oder aetiologisch dunkel gehalten werden.
No. 45.
Zwei Fälle von Fremdkörpern in Nasennebenhöhlen.
Von Dr. Löhnberg,
Specialarzt für Ohren-, Nasen- und Halskranke in Hamm i. W.
Fremdkörper in Nasennebenhöhlen scheinen selten vorzu¬
kommen. Die Lehrbücher enthalten darüber zum Theil gar
keine, zura Theil nur unbestimmte Angaben, welche ausschliess¬
lich die Oberkieferhöhle betreffen. Die übrige rhinologische
Literatur weist, soweit sie mir zu Gebote steht, im Ganzen
4 einschlägige Beobachtungen auf. 3 davon betreffen das Antrum
Highmori, einer das Antrum sphenoidale.
Von den ersteren ist allgemein bekannt der sensationelle, den
Autor selbst betreffende und von diesem wiederholt berichtete
Fall von Ziem’), der sich bei der Selbstoperation seiner Kiefer¬
höhle im Jahre 18S3 ein Stück vom scharfen Löffel so unglücklich
abbrach, dass dasselbe in den Sinus gelangte und eine mit
schweren psychischen Störungen einhergehende und zu einer zeit¬
weiligen Internirung des Arztes ln einer Irrenanstalt führende
Entzündung hervorrief.
Auf ganz ähnliche Weise kam es ln E u 1 e n s t e i n’s ? )
„Merkwürdigem Fall von einem Fremdkörper in der Kieferhöhle“
zu einer Fremdkörperinvasion In das Antrum maxillare. Dem
Operateur brach die Spitze des Trolkarts ab. nachdem dieselbe
die Knochenplatte des Proc. alveol. schon perforlrt hatte und ge¬
langte beim nachfolgenden Sondiren vollends in die Höhle.
Einen dritten Fall tlieilte Combe 1 ) im Jahre 1894 auf dem
Kongress der französischen Gesellschaft für Otologle etc. mit.
Dem Patienten war zur Behandlung seines Kieferhöhlenempyems
von seinem Arzte eine zinnerne Kanüle in die alveoläre Per-
forationsöffnung eingelegt. Der Kranke brach sich den unteren
Theil des Röhrchens ab und der obere verschwand ln der Höhle.
In allen drei Fällen drang also das Corpus alienum auf
künstlichem, nämlich auf dem operativen Wege In die an sich
kranke Höhle ein: die Beseitigung erfolgte in dem Z 1 e m’schen
durch operative Extraktion, in den beiden anderen durch spontane
Ausstossung durch das natürliche Ostium, bei En lenstein
nach ungefähr 4 Monaten, bei Combe nach mehr als 4 Jahren.
Im Cavum sphenoidale beobachtete Betz 4 ) einen Fremd¬
körper. Einem Offizier war — muthmassllch beim Reiten — ein
2 cm langer, dünner Strohhalm in die Keilbeiuhöhle geflogen und
hatte eine foetide Eiterung derselben hervorgerufen. Extraktion
und Heilung nach längerer Trockenbehandlung.
Rieht man von den häufigeren Fällen ab, in denen corpus-
culäre Theile aus dem Digcstionstraktus, wie Mageninhalt
[II a r k e r ), H a j e k °), W e r t h e i m ')] und Eingeweidewürmer
[Bordenave und Fortassin*)] oder aus dem Respira-
tionstraktus (Schleim- und Eiterpartikel) per via9 naturales in
die Kieferhöhle eindringen, so rechnen noch die aus der chirur¬
gischen Literatur von Eulenstein') angeführten Fälle von
K ö n i g und Albert hierher.
Ersterer berichtet, „dass ein Mann 42 Jahre lang eine 4 cm
lange Meserklinge, die nur eine zeitweise Entleerung von Blut
und Eiter bedingte, in einer Kieferhöhle trug, und welche sich
nach dieser Zelt durch die Nasenhöhle entleerte“. — Albert
erzählt von einem Fall, in dem eine Kugel in der Kieferhöhle lag,
die man bei Bewegungen des Kopfes deutlich sich bewegen hörte,
ohne dass sie dem Patienten Beschwerden verursacht hätte“.
Der Umstand, dass über Fremdkörper in den übrigen pneu¬
matischen Nebenräumen der Nasenhöhle bislang nur ganz spär¬
liche Beobachtungen vorliegen, rechtfertigt es wohl, dass ich über
2 solche Fälle hier berichte.
Der eine betrifft die Cavitüten des Siebbeins und entstammt
der Praxis meines verehrten Lehrers Herrn Dr. Noebel in
Zittau, dessen Liebenswürdigkeit ich auch die Krankengeschichte
verdanke.
Herr A., 40 Jahre alt, aus Bischofswerda, trat Im Jahre 188G
in Behandlung mit der Klage über völlige Verstopfung der rechten
Nasenhöhle. Die Untersuchung derselben ergab eine enorme Ent¬
wicklung von Polypen. Dieselben hingen vorn zum Introitus nasi
heraus und füllten hinten den Nasenrachenraum zum grössten
Theile aus. Nach Extraktion einer grossen Menge wurde in der
regend der vorderen Siebbeinzellen ein harter Körper sondlrbar,
welcher sich schwer beweglich, aber immerhin verschieblich er-
w'ies. Derselbe überragte anscheinend nur mit einem kleinen
Theil seines Umfangs das Niveau der inneren Siebbeinlamelle
und sas8 mit dem grösseren in der Richtung von rechts vorn nach
links hinten iu den zelligeu Hohlräumen des Siebbeinlabyrinthes
eingekeilt. Unter hebelnden Bewegungen gelang es mit der Zange
den Körper aus seiner knöchernen Umfassung zu entbinden. Der-
b Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1890, p. 13 ff., 1897, p. 482 ff. etc.
5 ) 1. c. 1893, p. 187 ff.
*) Nach Ziem, Monatsschr. f. Ohrenheilkunde 1890, p. 14.
4 ) Diese Wochenschrift 1894, No. 24, p. 481 f.
') Pathologie u. Therapie der oberen Luftwege. Wiesbaden,
Bergmann.
4 ) Die entzündlichen Erkrankungen der Nasennebenhöhlen.
*) Beiträge z. Pathologie u. Klinik der Erkrankungen der
Nasennebenhöhlen. Archiv f. Laryngologie, 11. Bd., 2. Heft. S.A.
*) 1. c.
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MUENCHENER MEDICENISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
selbe präsentirte sieh als ungefähr 2 qcjn grosses, krumm ge¬
bogenes Stück einer 2 mm dicken Eiseuplatte. Nunmehr
erklärte der Patient auf Befragen, dass ihm vor 20 Jahren
(1860) auf der Jagd sein Gewehr gesprungen wäre; ein Stück von
nein Lauf hätte Ihm hierbei das rechte Auge ausgeschlagen.
(Damals gab .es noch die alten Gewehrläufe aus Eisen.) In der
That trug der Mann rechts ein Glasauge, und nun konnte über die
Herkunrt des Fremdkörpers kein Zweifel mehr bestehen. Das
Elsenstück hatte den Bulbus zertrümmert, die Papierplatte des
Siebbeins durchschlagen und in dem Mascheuwerk des Siebbein-
gehiiuses einen Widerstand gefunden, der es zur Ruhe brachte.
Es war dann eingehellt und hatte — offenbar durch Geivebs-
reizung — zu der massenhaften Wucherung von Polypen geführt,
welche nach 20 Jahren den ahnungslosen Träger zum Arzte trieb.
Den zweiten Fall, in welchem es sich um einen Fremdkörper
in der Stirnhöhle handelte, hatte ich selbst zu beobachten Ge¬
legenheit.
Am 6. Mai 1901 erschien bei mir der Klempner R., 32 Jahre
alt, ans A. mit der Angabe, er sei vor 7 Wochen gelegentlich
einer Rauferei mit einem Schraubenschlüssel von vorn gegen den
Kopf geschlagen worden. Er habe dabei eine stark blutende
Wunde au der Stirn erlitten und dieselbe schleunigst vom Arzte
verbinden lassen. Es sei aber später noch Blut zur Nase und zum
Munde herausgcfiossen. In den nächsten Tagen habe er an Stirn¬
kopfschmerzen gelitten und es hätte sich stinkende „Materie“ aus
Nase und Mund entleert. Als der Arzt beim Verbandwechsel die
Wunde ausgespült hätte, sei das Spülwasser aus der Nase ab-
geflössen; auch hätte er die Sonde, mit welcher der Arzt die Wunde
umersucht hätte, in der Nase gefühlt. Weil nun die Wunde gar
nicht heilen wolle, die Kopfschmerzen und der übelriechende Aus¬
fluss aus Nase und Mund aber zunähmen, so halte er, Patient,
eine Operation für nothwendig.
Stat praes.: Gesichtsfarbe des ziemlich schwächlich ge¬
bauten Mannes blass. Puls 86, Temp. 37,1. Im Urin weder Eiweiss
noch Zucker. lieber dem rechten inneren Augenwinkel, etwas
unterhalb der Glabella, eine in senkrechter Richtung verlaufende,
1 Vs cm lange, 0,5 cm breite, stark granulirende. etwas missfarben
aussehende Wunde. Die Sonde dringt zwischen den Granulationen
in der Richtung des Ductus nasofrontalis ungehemmt in die Tiefe
und wird vom Pat. in der Nase gefühlt. Bei der rldnoskopisehen
Untersuchung zeigt sich eine Eiterstrasse um den Kopf der mitt¬
leren Muschel: man sieht deutlich den Eiter neben der in der
Wunde steckenden Sonde hervorquellen. Auch im mittleren Nasen¬
gang, sowie am Dach des Epipharynx rahmiger, foetider Eiter.
— Perkussion der rechten Stirnbeinhälfte schmerzhaft.
Diagnose: Traumatisches, subakutes Empyem des rechten
Sinus froutalis; wahrscheinlich Knochensplitter.
Operation (in Chloroformnarkose): Ilautschnitt in der
Mittellinie an der Sutura naso-frontalis beginnend und auf dem
Margo supraorbitalis temporalwärts geführt: senkrecht auf diesem
durch die Wunde hindurch ein zweiter Schnitt. Blutstillung und
Zurückschieben der Weichtheile nach der Basis des dreieckigen
Lappens hin; Erweiterung der Knoclienlistel, bis der Sinus für
den palpirenden Finger zugänglich wird. Die äussere Stirnbein¬
tafel von mittlerer Dicke, die Höhle selbst sehr geräumig.
Schleimhautauskleidung milssig geschwellt, sonst ohne Besonder¬
heiten. Nur um das Ostium frontale des Infundibulums ist die
Schleimhaut stärker geschwellt und granulös entartet. Bei der
genaueren Inspektion und Austastung dieser Stelle findet sich ein
ca. bohneugrosser, weicher, schwarzer Körper, welcher extrahirt
wird. Derselbe entpuppt sich als ein 1.9 cm langes, 0,9 cm breites
und 9 3 cm dickes Stück schwarzer Filz. Wie Patient nachher
angab, war bei der Keilerei aus seiner Hutkrempe ein Stück von
genau entsprechender Grösse herausgesclilageu gewesen; dasselbe
war also mit einem Hieb durch die Tabula externa des Stirnbeins
tief in den Sinus hineingetrieben worden. Nach Entfernung der
granulösen Wucherungen, in welchen der Körper eingebettet ge¬
legen hatte, wird ein Drainrohr in den Stiru-Nasengang eingelegt
und die Wunde bis auf die Einführungsstelle desselben durch Naht
geschlossen. — Schon beim ersten Verbandwechsel nach 3 Tagen
war die Spülflüssigkeit klar und wurde daher das Drainrohr durch
einen Jodoform gazestreifen ersetzt. 14 Tage p. o. glatte Heilung.
Sämmtliche Beschwerden blieben dauernd verschwunden; das
kosmetische Resultat ist ausgezeichnet.
Eine gewisse Aehnlichkeit hat der berichtete Fall mit folgen¬
dem von König“) beobachteten: „Ich fand in einem derartigen
(sc. die Stirnhöhle treffenden) Verletzungsfall einige Tage nach
der Verletzung Thcile der Kopfbedeckung des Kranken in der
Nase n höhle“. König sah auch „Fremdkörper, welche in die
Stirnhöhle eindrangen, zumal Kugeln, — Jahre lang in der¬
selben Zurückbleiben und sich noch nach vielen Jahren durch
die Nase und den Radien entleeren“. Mit Recht erhebt er dess-
halb die Forderung: „Bei Verletzungen, welche die Stirnhöhle
treffen, sei man aufmerksam auf etwaige in die Nase eindringende
l' remdkörper“. Derselbe Autor erinnert auch au das in seltenen
1‘iillen (beim Menschen) beobachtete Vorkommen von Insekten¬
larven in den Stirnhöhlen 10 ).
*) Lehrbuch der speziellen Chirurgie.
,0 j Tiedemann: Von lebenden Würmern uud Insekten in
den Geruchsorganen. Mannheim 1844.
Die kombinirten Sitzungen der medicin. Hauptgruppe
und die 20. Abtheilung (Hals-, Nasen- u. Ohrenkrank¬
heiten) auf der diesjähr. Naturforscherversammlung.
Von Dr. Ernst W ine kl er in Bremen.
Zum ersten Mal sollte in Hamburg eine grössere Konzentration
der wissenschaftlichen Arbeiten ln kombinirten Sitzungen vor¬
genommen werden. Um der Zersplitterung Einhnlt zu tliun, Avar
auf vielseitigen Wunsch wieder einmal der Versuch gemacht
Avorden, die Sektionen für Ohrenheilkunde, soivle die für Laryugo-
logie und Rhinologie in einer gemeinsamen Abtheiluug zu ver¬
einigen. Die Leitung dieser grossen Abtheiluug hatten die Kol¬
legen ThoHt, L u d e av i g und Zarnlko mit vielen Opfern
an Zeit uud Mühe übernommen. Die Geschicklichkeit und Energie,
mit denen die Hamburger Kollegen das von allen Seiten zusammeu-
getrageue Riesenmaterial bewältigten, haben bei allen Mitgliedern
der 20. Abtheilung Bewunderung und aufrichtige Anerkennung
hinterlassen. Wir Aerzte pflegen jedoch nach i'ollbracliter Arbeit
und gesehener Dankesleistung nicht zu ruhen, vielmehr erwägen
wir nach jeder Arbeit, welcher Nutzen uns und denen, für die
diese Arbeit geschah, erwachsen ist. Eine solche Betrachtung
sei mir auch über die Arbeit der 20. Abtheilung gestattet auf
Grund der frischen, in Hamburg gewonnenen Eindrücke.
Mit grosser Spannung und Erwartung sahen Avir zunächst
der gemeinsamen Sitzung mit den Internen. Chirurgen, Neuro¬
logen und Ophthalmologen entgegen und Mancher von uns ist
nur desshnlh nach Hamburg gekommen, um der für Dienstag,
den 24. September. Vormittags, angekündigten Discussion bei¬
zuwohnen, zu der das praktisch so Avielitige Thema „Schwindel“
in Aussicht genommen Avar. Das einleitende Referat hatte Pause
übernommen und Avar derselbe nur zu der angekündigten Sitzung
unter grossen Schwierigkeiten, zwei Nächte hindurch reisend,
nach Hamburg herübergekommen. Unsere Geschäftsführer
hatten Alles in die Wege geleitet uud die Sitzung auf 10 Uhr am
Dienstag mit den genannten Abtheilungen vereinbart. Wir waren
pünktlich zur Stelle. Was geschah? Die Chirurgen und Internen
Hessen uns an ihrer Discussion über Lungenchirurgie Theil
nehmen, die geiviss auch für uns höchst interessant gewesen
Aväre, Avenn Avir die Redner \ - ou den für uns im Konzerthaussaal
übrig gebliebenen Plätzen hätten vernehmen können. Wir mussten
Avarten und wieder Avarteu. bis schliesslich jede Aussicht. Pause's
Referat noch am Vormittag zu erledigen, genommen Avar. Die
20. Abtheilung zerstreute sich, für sie war der Vormittag am
Dienstag verloren.
Als Panse’s Referat nun Nachmittags stattfaud, fehlte eine
nennenswert he Theilnahme der obengenannten Abtheilungen. Die
schwachen Versuche einer Discussion konnten daher zu keinem
befriedigenden Abschluss gelangen Dies hat mit uns Allen nament¬
lich Lucae empfunden, Aveleher Panse’s Referat durch wich¬
tige klinische Mittheilungen aus unserem Spezialgebiet ergänzte.
Die Hoffnungen, Avelehe Avir uns von der kombinirten Sitzung ge¬
macht hatten, sind als gescheitert zu betrachten. Die gemeinsamen
Sitzungen sind ja nun eine neue Einrichtung und bei gutem Willen
lassen sich diese Bestrebungen sicher zur Zufriedenheit aller Theil-
nehrner durchführen.
Was nun die diesmal Avieder erfolgte Vereinigung der Rliino-
logen und Laryugologen mit den Otologen anbetrifft, so ist von
beiden Seiten über die Vereinigung und Trennung der Sektionen
schon A’iel geschrieben Avorden. Sicher ist. dass die Trennung vom
rein spezialistischen Standpunkt aus nur wieder gewünscht werden
kann. Iiuless soll ja die Naturforscherversammlnng nicht allein
der Erledigung von Spezialfragen in dem einzelnen Fache dienen.
Aveil dazu die Spezialkongresse vorhanden sind. Daun aber muss
sich jedenfalls noch Vieles ändern, damit die Arbeit ln der 20. Ab¬
theilung einen Avirkllchen GeAvinn bringt.
Ich kann es hier nicht unterlassen, auf einen Protest kurz
einzugeheu, Avelchen Schwartze gegen die 20. Abtheiluug vor
Beginn der Arbeiten eingelegt hat.
Derselbe erinnerte die Versammlung daran, welche Sclnvierig-
keiten seiner Zeit UberAvumlen Averden mussten, um nach langen
Kämpfen den Vertretern der Ohrenheilkunde eine selbständige
Sektion auf der Naturforscherversammlung einzuräumen. Es Avar
daher erklärlich, dass aus seiner Verwahrung gegen die dies¬
jährige Kombination von Otologie, Laryngologie und Rhinologie
eine geAvisse Bitterkeit herausklang. Ich fand dies von seinem
Standpunkte aus vollkommen begründet, und so Averden Avohl
S e h av a r t z e Avie Lucae mit denen Avir die Ehre hatten, ge¬
meinsam zu arbeiten, wenig erbaut über die Konfusion der ge¬
nannten Abtheilungen, von uns Jüngeren mit dem Vonvurf der
Undankbarkeit geschieden sein, dass Avir die Selbständigkeit der
Otologie nicht geAvahrt haben. Nun ich meine, dass wir bei aller
Hochachtung. Verehrung und Dankbarkeit, die wir unseren
deutschen Altmeistern schulden, diesen Vorwurf nicht verdienen.
Das Gebiet der Otologie ist mit der Zeit ein so grosses geAVorden,
dass auf der Naturforscherversammlung. Avelehe ja die ver¬
schiedenartigsten Interessenten vereinigen soll, die Verschmelzung
der Ohrenheilkunde mit noch Aveiteren Gruppen sehr förderlich
sein Aviirde. Durch gemeinsame Sitzungen mit den Internen,
Chirurgen, Neurologen und Ophthalmologen könnte der grösste
Nutzen erAvachsen, wenn Fragen zur Discussion gebracht würden,
die alle Betheiligten interessiren. Derartige Fragen behandelten
z. B. die beiden Vorträge von Schwartze: 1. über die Lumbal¬
punktion und 2. den ophthalmoskopischen Befund bei otitischeu
Hirnerkrankungen, speziell der Meningitis ln den Anfangsstadien
— Themata, die für alle oben angeführten Sektionen A - on hoher
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5. November 1901.
1793
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
praktischer Bedeutung waren und die in so grossem Kreis sicher
durch die DIscussIon zu einem wesentlichen Fortschritt gebracht
wären. Leider blichen die erwarteten (lüste auf die zum 2. Vor¬
träge ergangenen Einladungen vollständig ans. Ich meine daher,
dass die Otologen eine weitere Konzentration der Abtheilungen auf
d«r Naturforsclierversammlung durchaus anstreben müssten.
Falls nun die 20. Abtheilung (Ohren-, Hals- und Nasenkrank-
heiten) in Zukunft weiter bestehen soll, so muss sie sich bald
darüber schlüssig werden, wie die kurze Spanne Zeit während
der Naturforsclierversammlung am besten auszunützen Ist. Ich
würde vorschlagen, 2 Referate auf die Tagesordnung zu setzen
und zur Iliscussion zu bringen, welche doch die Hauptsache bleibt,
und alle Vorträge, sowie Demonstrationen, welche nicht zu den
festgesetzten Referaten gehören, einfach fallen zu lass n. Dann
bliebe den arbeitslustigen Theilnelimern Zeit, sich um allgemein
interessante Vorträge aus den grossen Kapiteln der Mediein, sowie
um Alles das. was die Naturforscherversammlung zur allgemeinen
Belehrung bietet, genügend zu kümmern.
Eine derartige Kraftvergeudung, wie die Hamburger Tage
sie von der 20. Abtheilung durch vollständige Abwicklung aller
Vorträge forderten, ist für die Dauer nicht zu ertragen. Sie führt
nothweiulig dahin, dass die Arbeitslust der Kollegen erlahmt und
alle mit (Jrauscn der Naturforsclierversammlung den Rücken
kehren. Wird hier kein Wandel geschaffen, so wird das Interesse
an der Sektion sehr bald schwinden und man erscheint dann lieber
als Festbummler, alte Bekannte und gute Freunde begrüssend,
ehe inan sich den Kopf in den ä Tagen mit Dingen aufüllen lässt,
die für längere Zeit nur wegen ihrer Unverdaulichkeit einen Kater
hinterlassen.
Das aber ist gewiss nicht der Zweck der wichtigen und so
angesehenen Naturforscherversammlung.
Die Thätigkeit des Arztes bei der Invalidenver¬
sicherung.*)
Von Dr. «T. Scndtnor - München.
Bei der Durchführung des Invalidenverslcheruugsgesetzes
ybildet das ärztliche Gutachten eine wichtige Grundlage. Einige
Versicherungsanstalten haben die Abgabe dieser Gutachten be¬
stimmten Vertrauensärzten übertragen, während andere An¬
stalten es dem Rentenhewerber überlassen, ein Zeugulss von dem
Arzte seiner Wahl beizubringen, ln der Regel wird der be¬
ll a n il e Indo Arzt um die Abgabe des Zeugnisses angegangen,
der durch die vorhergehende Beobachtung des Kranken am besten
über dessen Erwerbsfähigkeit zu urtheileu vermag. Auch die Ver¬
sicherungsanstalt von Oberbayern huldigt auf diesem Gebiete der
frei e n A r z t w n h 1. Um jedoch eine einheitliche ärztliche Be-
urlhoilung im Sinne «lcs Gesetzes herbeizuführen, wurde hier ein
Anstaltsarzt aufgestellt, dem fast süiumtliche Anträge
saiiimt dem ärztlichen Zeugniss zur nochmaligen Prüfung unter¬
breitet werden, ln zweifelhaften Fällen wird der Austaltsarzt ver¬
anlasst. auf Grund persönlicher Untersuchung ein Obergutachten
abzugi ben. Als Stellvertreter des Anstaltsarztes habe ich mich
seit mehreren Jahren eingehend mit dieser Arbeit zu beschäftigen,
so dass mir alljährlich einige 1000 Anträge und ärztliche^ Zeugnisse
durch die Hand gehen. Ich habe hiebei nicht selten Klagen von
Seite der Versicherungsanstalt gehört, dass die vorliegenden ärzt¬
lichen Gutachten keine genügende Grundlage für die Verbeschel-
dung der Anträge bilden. Wenn ich auch den Eindruck habe,
dass die Kenntulss des verhältnissnnisslg neuen Invnlidenversiclie-
rungsgesetzes mein - und mehr in die ärztlichen Kreise eindringt
mul damit die ärztlichen Zeugnisse den Absichten des Gesetzes
entsprechender werden, so lässt sieh doch nicht verkennen, dass
manche Gutachten in Vorlage kommen, mit denen der Sache nicht
viel gedient ist.
Es dürfte daher eine kurze Besprechung der ärztlichen Thätig¬
keit im Dienste des Invalidenversicherungsgesetzes nicht über¬
flüssig sein, umsoweniger, als dieses Thema liier in München über¬
haupt noch nicht bospnxdion worden ist.
Der Kernpunkt der ärztlichen Begutachtung ist hier die Fest¬
stellung der Invalidität oder vielmehr, da dieser Ausdruck
dem < Jesetze fremd, der Erwerbsunfähigkeit im Sinne
des InvalidenversieherungsgoKotzes. E r w erbsunfilhig im
Sinne des § .% dieses Gesetzes sind diejenigen Personen, deren Er¬
werbsfähigkeit in Folge von Alter, Krankheit oder anderen Ge¬
brechen dauernd auf weniger als ein Drittel herabgesetzt ist Dies ist
dann anzunehmen, wenn sie nicht mehr im Stande sind, durch eine
ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechende Thätigkeit, die ihnen
unter billiger Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres bis¬
herigen Berufes zugemuthet werden kann, ein Drittel desjenigen
zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen der¬
selben Art, mit ähnlicher Ausbildung, ln derselben Gegend durch
Arbeit zu verdienen pflegen.
Nach dem neuen Gesetz vom 12 Juli 1809 ist es zwar nicht
mehr erforderlich, dass der Arzt an dieser Stelle einen bestimmten
Geldbetrag einsetzt, welchen nach seiner Schätzung sich der
Rentenhewerber noch zu verdienen vermag. Immerhin ist eine
derartige Angabe erwünscht, weil sie die Richtigkeit der vor-
geschricbenen Beantwortung bestätigt. Als Anhaltspunkt für die
Beurtheilung dieser Frage können uns die ortsüblichen Taglöhne
dienen, welche im oberhayerlschen Kreisnmtsblatt veröffentlicht
werden. Für München sind diese für erwachsene männliche Tag-
•) Nach einem in der Abtheilung für freie Arztwahl des ärzt¬
lichen Boz.irksvereins München gehaltenen Vortrage.
löhner auf 2, für weibliche auf 2 M. festgesetzt Ein Handwerker
mit spccieller Berufsausbildung, ein Monteur z. B., Ist natürlich
nicht nach diesem niederen Maass zu messen, dagegen sind die
Arbeitslöhne unter ländlichen Verhältnissen geringere. Eine Be¬
zeichnung in Procenten der Erwerbsfähigkeit genügt dem Zweck
vollständig. Die Grenze der Invalidität Ist somit 32% Proc.
Man könnte nun vielleicht daran denken, die einzelnen Krank¬
heiten als Ursachen der Invalidität zu besprechen, gewisser-
maassen ein einheitliches Schema für die Invalidität und Ihre
Ursachen aufzustcllen, wie wir es für die Unfallschäden haben.
Das ist nicht möglich. Man kann z. B. nicht sagen, ein bestimm¬
ter Herzklappenfehler beeinträchtigt die Erwerbsfähigkeit um so
und so viel Procent. Es liegt mir eine Arbeit vor von Stempel,
die Untersuchung und Begutachtung der Invalidenrentenanwärter,
ein Buch von über 170 Seiten, welches sich hauptsächlich mit den
einzelnen Krankheiten als Ursache der Invalidität beschäftigt.
Ich halte dieses Bemühen für fruchtlos, da wir es bei der Unter¬
suchung auf Invalidität nicht mit einzelnen Krankheiten zu thun
haben, sondern mit einer Summe von Faktoren, Alter, Ernährungs¬
zustand, Verhalten der verschiedenen Organe etc. ln ihrer Ge-
sammtwirkung auf die Leistungsfähigkeit des Organismus. Man
kann wohl eine Reihe von Krankheltszustiinden anführen, welche
an und für sich die Invalidität begründen. Das Ist natürlich der
Fall l>ei vorgeschrittenen Carcinomen, bei Tabes im ataktischen
Stadium, bei Paralyse etc. Darüber wird Niemand im Zweifel sein.
Bel Epilepsie werden, wenn die Anfälle häutig, sagen wir alle
8—14 Tage, sich wiederholen, die Voraussetzungen der Invalidität
gegeben sein. Wenn jedoch der Arzt nicht selbst einen Anfall
beobachtet hat, so wird hier eine Feststellung der Anfälle durch
einwandsfreie Zeugen oder besser durch Krankenhausbeobachtung
uothwendlg sein. Einer sehr häuflg vorkommenden Invaliditäts-
ursache möchte Ich aber mit einigen Worten gedenken, nämlich
der Hernien. Dabei ist Verschiedenes zu berücksichtigen, die Art,
Grösse und der Umstand, ob der Bruch reponibel Ist oder nicht.
Ein gewöhnlicher Lelsteubruch, der reponibel und dann wohl
immer durch ein passendes Bruchband zurückzuhalten Ist, wenn
es uns die Leute auch oft anders glauben machen möchten, wird,
wie Sie wissen, in der Unfallpraxis als 10 proc. Beschränkung der
Erwerbsfähigkeit betrachtet, kann also an und für sich die In¬
validität, welche eine GO proc. Erwerhsbeschränkthelt voraussetzt,
nicht begründen. Andere sind natürlich verwachsene
Brüche oder sehr grosse Brüche, Eventrationen, wie sie bei
Nabelbrüchen sich finden, zu beurtheilen. Was die Erkrankungen
der Sinnesorgane betrifft, so kunn Ich hochgradige Schwer¬
hörigkeit, selbst Taubheit, bei einem landwirthschaftlicheu Ar¬
beiter, Taglöhner oder Dienstboten nicht uls hinreichenden Grund
anerkennen, um die Invalidität als gegeben anzunehmen. Das
Gleiche gilt von einseitiger Blindheit, während doppelseitige
Blindheit den Träger zweifellos invalid macht. Bei den Störungen
des Sehvermögens ist selbstverständlich auch eine eventuelle Ite-
frnktlonsnnonuilie zu berücksichtigen und muss auch diesen bei
Prüfung und Angabe der Sehschärfe Rechnung getragen werden.
Was die Störungen des Bewegungsapparates betrifft, so dürfte
der Grundsatz gelten, dass völlige Gebrauchsunfähigkeit der
unteren Extremitäten, also ausschliessliche Befähigung zu sitzen¬
der Beschäftigung, hinreicht, um sich für die Invalidität auszu¬
sprechen. Wenn dagegen nur die Unfähigkeit zu andauern-
d e m Gehen vorliegt und daher die Nothwendigkeit, vorwiegend
im Sitzen zu arbeiten, so ist die Frage der Invalidität nicht iin
Allgemeinen zu entscheiden, sondern nach Lage des Falles zu
prüfen.
Die grössten Schwierigkeiten für die Beurtheilung. namentlich
bei einmaliger Untersuchung, bieten natürlich die funktionellen Er¬
krankungen des Nervensystems, bei denen der objektive Befund
sehr gering oder negativ sein kann. In Zweifelsfällen bleibt als
Auskunftsmittel die Unterbringung und Beobachtung in einem
Krankenhaus.
Eine weitere Frage, welche dem Arzt vorgelegt werden muss,
Ist die nnch dem Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbs¬
unfähigkeit im Sinne des Gesetzes. Die Frage Ist unter Um¬
ständen für den Arzt, der den Antragsteller nicht durch längere
Beobachtung kennt, schwer zu beantworten, aber für die Durch¬
führung des Gesetzes insoferne von Bedeutung, als es sich um
Feststellung des Zeitpunktes handelt, von welchem ab die Rente
zu gewähren ist; aber auch um Prüfung der Frage, ob der Be¬
werber zu einem gewissen Zeitpunkt noch versicherungspflichtig
und berechtigt war, Marken eiuzukleben, mit anderen Worten, ob
die gesetzliche Wartezeit erfüllt ist.
Unter Umständen kann ein Gutachten, welches es recht
gut meint und den Eintritt der Invalidität auf einige Jahre zurück-
vorlegt, dadurch das Gegentheil des Gewollten bewirken, nämlich,
dass der Antragsteller mangels Erfüllung der Wartezeit keine
Rente erhält. Die Feststellung der erfüllten Wartezeit Ist überhaupt
nicht Sache des Arztes, sondern der Versicherungsanstalt. Das
ärztliche Urthell darf aber nicht von Beweggründen mensch¬
licher Milde, sondern einzig und allein von seiner ärzt¬
lichen Ueberzeuguug geleitet werden.
Ebenso wichtig für den Vollzug des Gesetzes ist die Beant¬
wortung der Frage, ob die Invalidität ganz oder thellweise durch
einen Betriebsunfall bedingt ist. Je nach Benntwortum;
dieser Frage wird an Stelle der Invalidität» - Fürsorge die
des U n f a 11 - Versicherungs-Gesetzes treten. Jedoch kann auch
neben der Unfnllrente die Invalidenrente gewährt werden, und
zwar insoweit als die zu gewährende Invalidenrente die gewährte
Unfnllrente übersteigt. Das gegenseitige Uebergreifeu der Invali-
ditiits- und Unfallversicherung ist durch das (Jesetz in kompli-
4 *
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i?94
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
zirter Weise geregelt, auf die ich hier nicht einzugehen brauche.
Ich will nur betonen, dass es Aufgabe des Arztes ist. darauf hin-
üuwelsen, wenn Untersuchung und Anamnese ihm Grund zu
der Annahme geben, dass ein Betriebsunfall vorliegt. Ein
derartiger Hinweis genügt, w r eun auch die bestimmte Beant¬
wortung der Frage nicht ohne Kenntuiss der Unfallakten mög¬
lich ist.
Unter Unfall Ist nach der Rechtsprechung des Reichs-
Versicheruugs-Amtes Jede dem Körper schädliche und plötz¬
liche Einwirkung eines äusseren Vorganges auf den mensch¬
lichen Körper zu verstehen. Es gehören also nicht liieher die
sogen. Gewerbekrank li eiten, welche als Endergebniss
der andauernden schädlichen Einwirkungen gewisser Berufs-
tliätigkeiten auftreteu, z. B. Bleivergiftungen.
Man sollte annehmeu, dass diese Begriffe allen Aerzten ge¬
läufig seien; es scheint dies aber doch nicht immer der Fall zu
sein; sonst könnte es nicht Vorkommen, dass ein offenbar sehr
wissenschaftlicher Kollege unter dieser Rubrik sich eingehend
über die Aetiologle einer Metritis, Oophoritis und Salpingitis
äussert und die Frage erörtert, ob die Ursache derselben eine Ge¬
burt oder der Gonococcus oder ein anderer Coccus sei.
Ist die Erwerbsunfähigkeit festgestellt, so tritt die Fmge an
uns heran, ob der Zustand als dauernd zu erachten ist oder
nicht. Denn Invalidenrente erhält nur Derjenige, welcher entweder
dauernd erwerbsunfähig ist oder bei vorübergehender Erwerbs¬
unfähigkeit, wenn diese bereits 20 Wochen andauert, für die
fernere Dauer des Zustandes. In letzterem Falle ist eine Aeusse-
rung über die fernere Dauer wünschenswerth.
Es liegt in der Natur der Sache, dass hierüber nicht immer
mit voller Sicherheit sich ausgesprochen werden kann. Unsere
medicinische Voraussage beruht ja auf Wahrscheinlichkeitsberech-
uung. Es kann sehr schwierig sein, bei einen) Fall von schwerer
Hysterie zu sagen, ob überhaupt und bis wann Heilung zu er¬
warten ist. Hier genügt es, wenn unsere Antwort lautet: voraus¬
sichtlich oder wahrscheinlich dauernd; oder wesentliche Besserung
und Aufhebung der Invalidität nicht ausgeschlossen, jedoch nicht
vor Ablauf eines halben oder eines Jahres zu erwarten.
Dauernde Erwerbsunfähigkeit besteht erst von
dem Zeitpunkte ab, wo nach menschlichem bezw. ärztlichem Er¬
messen die Aussicht auf Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit
geschwunden ist. „Dauernd“ ist daher hier nicht dasselbe wie
„ununterbrochen andauernd“, sondern es ist etwa gleichbedeutend
mit „für immer erwerbsunfähig“ oder „unheilbar erwerbsunfähig“.
Die Auffassung des Reichs-Verslcherungs-Amtes wird durch
einige Entscheidungen erläutert: War eine Person vom 1. Januar
1899 ab bis zu ihrem am 1. Oktober 1901 erfolgten Tode ununter¬
brochen krank und erwerbsunfähig, bestand aber bis 1. April 1901
noch Aussicht auf Heilung, so ist der Eintritt der dauernden Er¬
werbsunfähigkeit erst ab 1. April 1901 zu datiren.
Dauernde Erwerbsunfähigkeit liegt ferner nicht nur dann vor,
wenn die Möglichkeit der Heilung unbedingt und zweifei-
1 o s ausgeschlossen ist, sondern schon dann, wenn nach ärztlichem
Ermessen die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit unwahr¬
scheinlich ist.
Dauernde Erwerbsunfähigkeit liegt auch dann vor, wenn die
Hebung der Erwerbsunfähigkeit nur durch eine Operation erreich¬
bar sein würde, welcher sich zu unterwerfen der Kranke ablehnt.
Wenn nicht ein früherer Zeitpunkt für Eintritt wesentlicher
Besserung in Aussicht gestellt ist, so ptlegt unsere Versicherungs-
Anstalt eine Kontroluntersuchung nach 2—3 Jahren zu veranlassen.
Eine Rentenentziehung kann nur dann eintreten, wenn
in den Verhältnissen des Rentenempfängers eine Veränderung ein-
trltt, welche ihn nicht mehr als erwerbsunfähig erscheinen lässt.
Die Veränderung muss eine thatsächliclie und wesentliche sein;
eine veränderte Beurtheilung der Sachlage seitens des Begut¬
achters würde nicht genügen, um die Entziehung der
Rente zu rechtfertigen. Es ergibt sich schon hieraus die
Nothwendigkeit, den objektiven Befund in dem ersten ärztlichen
Zeugnisse nicht allzu knapp darzustellen, um einen Vergleich mit
dem später zu erhebenden Befund zu ermöglichen.
Der Fall der vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit führt uns
auf eine andere wichtige Frage, welche hier zu erwägen ist, die
Einleitung eines Heilverfahrens. Die einschlägigen gesetz¬
lichen Bestimmungen sind § 18, welcher lautet:
„Ist ein Versicherter dergestalt erkrankt, dass als Folge der
Krankheit Erwerbsunfähigkeit zu besorgen ist, welche einen An¬
spruch auf Invalidenrente begründet, so ist die Versicherungs-
Anstalt befugt, zur Abwendung dieses Nachtheils ein Heilver¬
fahren in dem ihr geeignet erscheinenden Umfang eintreten zu
lassen.
Die Versicherungs-Anstalt kann das Heilverfahren durch
Unterbringung des Erkrankten in einem Krankenhaus oder in
einer Anstalt für Genesende gewähren.'.“
Ferner § 47, Abs. II:
..Ist begründete Annahme vorhanden, dass der Empfänger
einer Invalidenrente bei Durchführung eines Heilverfahrens die
Erworbsfähigkcit wieder erlangen werde, so kann die Versiche¬
rungsanstalt zu diesem Zwecke ein Heilverfahren eintreten
lassen....“
Aus dein Erwähnten geht hervor, dass die Versicherungs¬
anstalt die B e f u g n i s s. aber nicht die Verpflichtung
zur Anwendung eines Heilverfahrens hat und zwar nur in den
2 Fällen, wenn es sich um die Verhinderung der drohen-
d e n oder die Beseitig u n g der bestehenden Invalidität
handelt. Diese beiden Gesichtspunkte werden in den ärztlicheu
Anträgen auf Ueberuahiue des Heilverfahrens nicht immer ge¬
nügend festgehalten. Einzelne Aerzte stellen sich da auf den
Standpunkt der Humanität und begutachten ein Heilverfahren,
auch wenn sie dasselbe als aussichtslos bezeichnen müssen.
Andere scheinen von der irrigen Voraussetzung auszugehen,
dass das Heilverfahren den U ebergang von der Fürsorge der
Krankenversicherung zur Gewährung der Invalidenrente bilden
müsse.
Für die Zwecke der Heilbehandlung werden seitens der Ver¬
sicherungsanstalten sehr erhebliche Aufwendungen gemacht.
Im Jahre 1899 sind insgesammt 20 039 Personen mit einem Kosten-
aufwände von 4 050975 M. seitens der deutschen Versicherungs¬
anstalten in Heilbehandlung genommen worden. Was die Heil¬
erfolge betrifft, so entnehme ich einem Vortrag von Posner
über die ärztliche Tliätigkeit auf dem Gebiete der Iuvallden-
versh 1 erung, dass gegen JX) Proc. als erwerbsfähig aus der Be¬
handlung entlassen wurden. Eine andere Frage ist es freilich,
ob diese Erfolge dauernde sind. Gerade bei Lungenkranken wird
es nicht selten Vorkommen, dass sie die günstigen Verhältnisse
des Sanatoriums anscheinend geheilt verlassen, aber, wenn sie
wieder in die frühere Misere des Lebens, in den Kampf um’s
Dasein zurückkehren, alsbald rückfällig und reif für die Invaliden¬
rente werden. So mussten auch von 080 Männern, welche auf
Kosten der Berliner Versicherungsanstalt ln Lungenheilstätten
behandelt worden waren, 70 als rückfällig und rentebedürftig be¬
zeichn« t werden. Von 235 als erwerbsfähig entlassenen Frauen
beziehen jetzt bereits 47 die Rente.
Die Versicherungsanstalt von Oberbayern macht von
ihrer gesetzlichen Befugniss, in geeigneten Fällen ein Heil¬
verfahren eintreten zu lassen, ausgedehnten Gebrauch. Ich ent¬
nehme dem Verwaltuugsbericht des Vorstandes dieser Anstalt
über das Geschäftsjahr 1900 nachstehende Daten.
Es wurden in diesem Jahre 1108 Anträge auf Heilverfahren
gestellt, von denen 899 durchgeführt wurden. 209 kameu nicht
zur Durchführung, und von diesen 95. also fast die Hälfte wegen
Ablehnung des Heilverfahrens durch die Versicherten. Von
den 899 Behandelten wurden 645 mit Erfolg behandelt, von
denen jedoch schon nach den ersten Ermittelungen aus dem Be-
triebsjahre 51 Personen Invalidenrente erhielten. Die bis¬
herigen Erfahrungen reichen noch nicht aus, um den eigentlichen
Dauererfolg zahlenmässig nachzuweisen. Nach dem Bis¬
herigen wurde also im Berichtsjahre ln etwa 06 Proc. ein Heil¬
erfolg erzielt, der jedoch noch nicht als das dauernde Ergebniss
anzusehen ist. Von den einzelnen Krankheiten, welche zur Be¬
handlung kamen, stellten das grösste Kontingent Erkrankungen
der Lunge, von denen auf Kosten der Versicherungsanstalt
440 behandelt wurden. Von 296 in der Volksheilstätte bei Planegg
behandelten tuberkulösen Männern wurden 182 mit dem Erfolg
der wiedererlaugten Erwerbsfähigkeit entlassen, von denen aber
schon im Berichtsjahre 13 die Rente gewährt werden musste,
denen jedenfalls noch weitere Rückfälle nachfolgen werden, so
dass das Ergebniss der dauernd oder wenigstens für längere
Zeit Geheilten und Arbeitsfähigen sich im günstigsten Falle wohl
auf die Hälfte beschränken wird.
Bessere Erfolge verspricht nach den bisherigen Er¬
fahrungen die Behandlung anderer Krankheiten, wie der
Chlorose, der Gicht und die Anwendung der schwedischen Heil¬
gymnastik.
In diesem einen Jahre betrug der Gesammtaufwand für
die Durchführung des Heilverfahrens 191577 M., wozu noch die
Kosten für Familieuunterstützung kommen. Der Durchschnitts¬
aufwand für den Kopf der Behandelten bezifferte sich auf 202 M,
08 Pf. Ich erwähne hier nur noch die Kosten, welche seit 1900
für künstlichen Zahnersatz übernommen wurden und
schon in diesem ersten Jahre die Summe von 5000 M. überschritten.
Diese Zahlen geben einen Begriff von den Leistungen der Ver¬
sicherungsanstalt auf dem Gebiet des Heilverfahrens; sie fordern
aber auch uns Aerzte zu strengster Prüfung der Auträge auf.
Die Versicherungsanstalt ist keine Versorgungsanstalt
für arme Kranke, sondern sie bezweckt mit dem Heilverfahren
lediglich die Beseitigung oder Verhinderung der .Invalidität.
Besondere Vorsicht erheischt die Efilplenjüng e1ne& v Heil¬
verfahrens bei L ungentu b e r kn 1 ose. 'ÄTictl P osnTT“
weist ln der erwtnn)tt^'Arbeit^araiiT~hln, indem er betont, dass
der Versuch eines Heilverfahrens principiell um so mehr gerecht¬
fertigt ist, je geringer die Mortalität einer Krankheit ist, um so
länger sich also der Renteubezug des Betreffenden hinzieht. Unter
den Invaliditätsursachen sind die Krankheiten des Bewegungs¬
apparates diejenigen, welche die höchste Rentenbezugsdauer und
die geringste Sterblichkeit bedingen. Das Gegenbild ist die Tuber¬
kulose mit kürzester Rentenbezugsdauer und grösster Sterblichkeit.
Es ist einleuchtend, dass das Heilverfahren hier ein schlechtes
Geschäft ist, wenn man so sagen darf. Wenn einmal die Lungen¬
erkrankung in das Stadium des Zerfalles, der Höhlenbildung ge¬
treten ist, so sind die Aussichten auf Genesung so gering, dass
wir der VersichernngB-Anstalt die Uebernahme des Heilverfahrens
nicht mehr zumuthen können.
Die Grenze, welche die Heilstätte Planegg für die Aufnahme
der Tuberkulösen gesteckt hat, ist für die Versicherungs-Anstalt
die äusserste Grenze der Zulässigkeit eines Heilverfahrens. Akute
Miliartuberkulose ist natürlich kein Gegenstand des Heilverfahrens
für die Versicherungsanstalt.
Ueber die Art und Weise des Heilverfahrens behält sich die
Versicherungs-Anstalt mit Recht freie Bestimmung vor. Es Ist
ja oft unmöglich, die weit gehenden Wünsche der Bewerber, die
meist auf Geld, möglichst viel Geld gerichtet sind, zu befriedigen.
Man hat auch hier wie anderwärts mit der Behandlung ln der
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5. November 1901.
MüENCHENER MEDICtNISCHE WOCHENSCHRIFT.
1795
Familie schlimme Erfahrungen gemacht. Die Versicherungs-
Anstalt legt daher grossen Werth auf die strenge ärztliche Ueber-
wachung und geht von dem Princip der Austaltsbehandlung nur
in besonderen Ausnalunefüllen ab. Die Versicherungs-Anstalt hat
zu diesem Behufe mit verschiedenen Anstalten Uebereinkommen
bi-zügl. Verpflegung der Versicherten getroffen; hier sind zu
neunen die Anstalten in Planegg, Harlaching, Holzkirchen, War¬
tenberg, Oberülkofen, die hiesigen privaten und öffentlichen Heil¬
anstalten, Bad Aibling etc.; kurz es stehen so viele Heilstätten ln
der Nähe zur Verfügung, dass es nicht nöthig ist, nach der Ferne,
nach Karlsbad, Davos und Gastein zu greifen. Zum Punkt Heil¬
behandlung ist vielleicht daran zu erinnern, dass operative
Maassnahiuen, welche in den Bestand oder die Unversehrheit des
Körpers eingreifeu oder, wie jede die Chloroform irung er¬
heischende Operation, nicht ohne Lebensgefahr voi genommen
werden können, die Zustimmung der Versicherten zu diesen Ein¬
griffen voraussetzen.
Soviel in Kürze über das Heilverfahren und nun komme ich
zu dem Gutachten wie es sein soll und wie es nicht sein soll.
Was von den ärztlichen Gutachten im Allgemeinen gilt, gilt natür¬
lich auch hier. Nicht Humanität, Gefälligkeit oder gar ltücksicht
uuf unsere Klientele darf uns hierbei leiten, sondern strengste
Objektivität und Ueberzeugung. Die Legende, dass man ein ärzt¬
liches Zeuguiss für jeden Zweck haben kann, muss einmal gründ¬
lich zerstört werden. Es ist kein Zweifel, dass nichts das An¬
sehen unseres Standes mehr herabsetzen kann, als die Abgabe von
solchen Gefälligkeitszeugnissen. Es kommen da manchmal Zeug¬
nisse in Vorlage, welche den Eindruck machen, dass der Aussteller
sich nicht darüber klar war, dass sein Elaborat durch verschiedene
Hände gehen würde und dass es einen § 278 des Strafgesetzbuches
gibt, welcher Aerzte, die ein unrichtiges Zeuguiss über den Ge¬
sundheitszustand eines Menschen zum Gebrauche bei einer Be¬
hörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen aus¬
stellen, mit Gefäugnls88trafe von 1 Monat bis zu 2 Jahren bedroht.
Als im vorigen Jahre Verhandlungen zwischen dem Münchener
Bezirksverein und der oberbayerischen Versicherungsanstalt be¬
züglich der Honorirung der Gutachten gepflogen wurden, war es
nicht erfreulich für die Vertreter der Aerzte, hören zu müssen,
dass mitunter so mangelhafte Gutachten geliefert werden. Nach¬
dem diese Verhandlungen zu einem für die Aerzte befriedigenden
Krgebniss geführt haben, muss aber auch das Hecht der Ver¬
sicherungsanstalt gewahrt werden, dass sie für ihr Geld an¬
ständige Gutachten beansprucht. Wenn die ärztliche Begut¬
achtung der Renten- und Heilverfahrensanträge ihren Zweck er¬
füllen soll, so müssen die vorhin besprochenen Fragen vom Arzt
beantwortet werden. Da man aber nicht voraussetzen kann, dass
diese Fragen, auf die es ankommt, dem Gutachter jederzeit gegen¬
wärtig sind, so ergibt sich hieraus die Nothwendigkeit eines
Formulars für das Gutachten, wodurch andererseits die Be¬
gutachtung wesentlich erleichtert wird. Die Benützung dieses
Formulars setzt aber als selbstverständlich voraus, dass auf die
einzelnen Fragen eiugegangen werden muss.
Ich könnte Ihnen da Beispiele von Zeugnissen vorlegen, denen
man so recht die Unlust des Arztes über diese widerwärtige
Schreiberthätigkeit ausieht.
Wenn ein Arzt auf die Frage III: „Ist hlenach der Unter¬
suchte theilweise arbeitsfähig oder völlig arbeitsunfähig?“ und
auf Frage VI: „Ist die Erwerbsunfähigkeit eine dauernde oder
wird der Krankheitszustand beseitigt oder gebessert werden
können?“ mit „Ja“ antwortet, so ist das eine ebenso leichtfertige
als unlogische Antwort. Die Folge davon Ist, dass das Zeugniss
zur Ergänzung zuriiekgegeben werden muss, was für beide Theile
peinlich ist. Eine Forderung, die uns schon in den Lehrjahren
eingeprägt wurde, ist, dass in den Zeugnissen die Angaben
des Untersuchten und der objektive Befund scharf auseinander¬
gehalten werden. Ich kann Ihnen hier einige Beispiele vorlegen;
meistens sind es Auszüge aus Gutachten eines und desselben
Arztes — und zwar ist es kein Münchener —, die sich dadurch
kennzeichnen, dass das ganze Gutachten auf den Angaben des
Untersuchten beruht, die zum Tlieil wörtlich ln Gäusefüsschen
angeführt werden. „Ich kann mir nichts mehr verdienen." „An¬
geblich“ dauernde Erwerbsunfähigkeit. Unter der Rubrik: Ergeb¬
nisse der Untersuchung und Diagnose, findet mau bisweilen merk¬
würdige Dinge: „Hat schwache, verdorbene Augen.“ „Beginnende
Altersschwäche, spec. au den Augen.“ „Angebliche Kraftlosig¬
keit des linken Armes." „Schmerzen am Itippenraud durch eine
alte Rippen fraktur, Schwindel, Uebelkeit, Ohnmachtsaufälle.“
Ein anderer Fall: Ergebnisse der Untersuchung: „Herzklopfen,
Schmerzen am Arm.“ Diagnose: „Gicht.“
Ein Arzt empfiehlt bei einem Sarkom des Oberarmes —
.,2 Kilo gross“, wie er sich ausdrückt — ein Heilverfahren und
zwar, da hier die üblichen ärztlichen Behandlungs¬
methoden doch nichts nützen, die Anwendung von Kräuter-
t h e e. S o u u e n b ä d e r n und Homöopathie. Ich brauche
Ihnen wohl den Namen des Arztes nicht zu nennen, der sich
dieses geleistet hat.
Ich gebe zu, dass diese Beispiele ausgesuchte, krasse Fälle
sind; allein sie bestätigen eben doch, dnss die Klagen der Ver¬
sicherungs-Anstalt zum Thell nicht unbegründet sind. Solche
Gutachten sollten nach meiner Meinung überhaupt nicht Vor¬
kommen; sie nützen der Versicherungs-Anstalt nichts und schaden
dem Ansehen des ärztlichen Standes.
Was die Honorirung der Gutachten anbelangt, so erlaulie
ich mir, auf die Vereinbarung vom 18. April ds. Bezug zu nehmen.
No. 4f\
Die Aerzte des Münchener Bezirksvereins sind darnach berechtigt,
gegenüber der VersIcherungs-ADstalt für das Gutachten zu llqui-
diren, wenn sie den Rentenbewerber vorerst auf die ihm zunächst
obliegende Verpachtung zur Zahlung aufmerksam gemacht, aber
von demselben eine Zahlung nicht erhalten haben. Für die ge¬
wöhnlichen Fälle ist bekanntlich ein Satz von 3 M., für besonders
schwierige und ausführliche Gutachten ein Höchstsatz von
5 M. vereinbart. Es widerspricht also dieser Vereinbarung, wenn
ein Arzt erklärt, wie es vorgekommen ist, für Jedes Gutachten
grundsätzlich 5 M. zu beanspruchen. Voraussetzung für die Be¬
zahlung ist, dass der Arzt auch 1 i q u 1 d 1 r t, was bei dem neuen
Formular bereits vorgesehen Ist, und — dass man die Unter¬
schrift des Arztes lesen kann, was bekanntlich nicht immer
so leicht ist.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Zum Versicherungswesen der deutschen Aerzte.
Trlesdorf, 28. Oktober 1901.
Gutta cavat lapidem, non vi, sed saepe cadendo! Also schliesst
ein Artikel des Herrn Bezirksarztes Dr. Spät in No. 40 der
Münch, med. Woclienschr., welchen wir deutschen Aerzte neben
der allerdings nicht sehr feuerigeu Erklärung des letzten Aerzte-
tages, dass man nach Mitteln und Wegen suchen wolle, der Noth¬
inge des Standes entgegen zu wirken etc., als eine hochbedeutsame
Kundgabe dafür, dass man praktische Beschlüsse und endlich ein¬
mal eine Umsetzung in die Timt erwarten darf, freudigst begrüssen
müssen.
Ja, steter Tropfen höhlt den Stein, aber von riesiger Dimension
und diamantener Härte muss der Felsblock sein, welcher sich der
Besserung unserer materiellen Lage bisher entgegenthünnte, und
wenn die längst gefühlte Nothlage des Standes so wenig prak¬
tisches Verstäudnis8 zeitigte, diesen Stein zu höhlen oder zu be¬
seitigen durch freie Selbsthilfe, nicht aber durch Gnadenmittel
des Reiches und der Einzelpariamente. Es ist daher wahrhaft
traurig und völlig unverständlich, dass bisher Uber 97 Proc. der
deutschen Aerzte Einrichtungen ferngeblieben sind, welche durch¬
aus in der Lage sind, der Nothlage und Sorge, besondere der nicht
beamteten Aerzte, ln ihrem Alter entgegen zu wirken und den
jetzt schon so fühlbaren wirtschaftlichen Nothstand der Aerzte-
scliaft wirksam zu bekämpfen. Gottlob bricht sich nunmehr in
Folge des durch wachsende Concurrenz seitens der Ueberzahl der
Aerzte selbst, wie seitens der unberufenen Diener Aeskulaps,
hervorgerufeneu materiellen wie ethischen Notstandes, in Folge
der Verkennung und Missachtung des ärztlichen Standes seitens
derjenigen Kreise, welche eigentlich das höchste Interesse hätten
und Yerstüudniss dafür haben sollten, den ärztlichen Stand zu
unterstützen und zu fördern, und in Folge der immer höher sich
stellenden Preise für die Ia*beushaltuug, das Studium und die
Fortbildung, allmählich die Ueberzeugung durch, dass etwas Ernst¬
liches von Seiten der berufenen Vertreter der Aerzteschaft und der
Vereine und eventuell unter Mitwirkung seitens des Reiches resp.
der Einzelstaaten geschehen müsse. Schon hier möchte ich zum
Ausdruck bringen, dass ich ein Vertreter der freien Selbsthilfe bin
und die von den Tischen der Parlamente fallenden Brocken, welche
den Staaten nur ein Recht der Einmischung und Bevormundung
sichern, herzlich gering anschlage. Wir können uns selbst helfen:
Der Anfang zu dieser Selbsthilfe sind die verschiedenen Versiche¬
rungszweige für Alter, Krankheit, Invalidität, Unfall, Credit,
Wlttwen und Waisen, für die Durchführung von Lohn- jjuü
S tellungskämpfen gegenüber den Behörden, Kassen und Ge¬
nossenschaften irr rein berufsgeuossenschaftlicher Form durch ein
einziges ganz Deutschland umfassendes Institut, welchem womög¬
lich alle Kollegen angeboren sollten und welches dann auch im
Stande wäre, lür den Einzelnen, wie für den ganzen Stand von
anderen Instituten, Genossenschaften, Gemeinwesen, sei es auf
dem Wege des Vertrages oder des Kampfes, Vortlieile zu erreichen,
welche sonst unerreichbar sind. Während wir uns nun nicht in
erheblicher Unklarheit über das Warum und das Was befinden,
macht das Wie, d. li. die Art des Ausbaues eines grossartigeu
alldeutschen berufsgenossenschaftlichen Institutes noch recht viel
Kopfzerbrechen und muss recht wohl erwogen werden. Bis
soweit decken sich meine Anschauungen mit denjenigen S p ä t's
und I) ö r f 1 e r’s resp. des Aerztetages vollkommen. Aber Beide
rechnen mit Sicherheit darauf, dass nur bundesstaatliche Organi¬
sation durch Zwangsbeitritt zu neu zu gründenden Versiche¬
rungskassen es ermögliche, den Hebel am rechten Orte ein¬
zusetzen. Nur durch den Ausbau der bundesstuatliclien Kassen
zu allgemeinen (?) Ililfskassen mit gesicherten Rechtsansprüchen
auf Grund der gegebenen historischen Verhältnisse, und da eine
allgemeine deutsche Aerzteordnung unerreichbar sei, wäre Abhilfe
denkbar; andernfalls würden auch staatliche Subventionen weg¬
fallen; auch wären die Eiuzelstaaten eher zum gesetzlichen Ausbau
des ärztlichen Vereinswesens und des damit verbundenen Versiche¬
rungswesens zq haben etc. Diese Art, unsere Bresteu zu heilen
und wieder bessere Zeiten für den Aerztestand herbeizuführen,
entsprach nicht gerade gesunden liberalen Anschauungen und
sollte nur als ein Ultimum refugium versucht werden. Bei den¬
jenigen Aerzten, welche schon früher daran waren mit der Er¬
kenntnis der Gefahren Ihrer Stellung und Zukunft (ihrer selbst
wie ihrer Angehörigen), welche bereits also anderweitig Deckung
gesucht haben, würden überdies riesige Uebevgnn :vs hw erigk.-it. u
f*
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1796
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
hervortreten und beständige Gefahr, dass schliesslich ihre Küssen
und Stiftungen dem Fiskus in den Schoss fallen. Des Ferneren
bin Ich nicht so optimistisch, zu glauben, dass die einzelstaatlichen
Parlamente und ltegierungen sehr entgegenkommend sein werden
und halte auch die Buutscheckigkeit der resultirenden Stuudes-
ordnungen und Kassen für nicht wtluschenswerth, sondern für
eine Schwächung des Standesbewusstseins, ja bei den vielen
kleinen Staaten könnte ja häutig gar keine leistungsfähige Unter-
stützuugska8se gebildet werden. Die Erfahrungen mit der säch¬
sischen Standesordnung beim Aerztestreik in Leipzig sollten uns
zu denken geben und die Gefahr erkennen lassen, dass wir uns
z. B. bei Lohukümpfeu trotz oder gar wegen der vom Beamten
ungünstig ausgelegten Standesordnung nicht helfen können.
Die durch Staatsaufsicht bedingte Unterwerfung unter das Ur-
thell von uns übelwollenden oder verkennenden Verwaltungs¬
beamten benimmt uns auch wahrscheinlich in versicherungs¬
technischer Hinsicht die notliwendige Freiheit und Beweglichkeit.
Der andere von mir als freie Selbsthilfe bezeichnete Weg, welcher
mir sympathischer und.edler erscheint, kann aber heute schon ein¬
geschlagen werden, ohne dass noch viel weitere kostbare Zelt, zu
helfen, verloren geht. Wir könnten ganz gut auf der Basis der
jetzt gegebenen Verhältnisse durch den Beitritt aller Bezirks¬
vereine zu einem lmponirenden Verband uns zusammen schliesseu,
welcher ganz Deutschland umfasst, keine blau-, grün- oder
scliwarzwelssen Grenzpfähle kennt, staatliche Bevormundung ver¬
meldet und nicht nöthig hat, sondern auf Subventionen verzichten
kann. Im Laufe der Zeit werden dann sicher auch die nicht
organisirten Aerzte nicht länger zögern, einer solchen Kasse resp.
Vereinigung beizutreten, welche Gewähr für die Zukunft bietet.
Durch solche grossen Vortheile würden daun auch immer mehr
Mitglieder für die Vereine gewonnen werden. Das ganze Unter¬
stützungsunternehmen beruhte auf eigener Kraft, ohne dass es mit
staatlichen Instituten verquickt und durch diese ln seiner Aktions¬
freiheit gelähmt werden könnte. Im Uebrigen wären die staat¬
lichen Subventionen gar nicht unmöglich; es mag den einzelnen
Kammern unbenommen bleiben, etwas beizusteuern und vor Allem
könnte der Reichstag ein Uebriges leisten, nicht als Almosen,
sondern als Entgeld an den ärztlichen Stand für dessen wichtige
Tliütigkeit auf dem Gebiete der Hygiene, der Versicherungsgesetze
etc., für die Millionen, welche dem Stande entzogen werden durch
Insolvenz und Nothlage der Kranken, durch Verteuerung der
standesgemässen Lebenshaltung (Brodwuelierb u. s. w., durch
Freigabe und nachsichtige Schonung und Ilegung der Kur¬
pfuscherei, durch Ausbeutung der Aerzte bei der kasseuärztlichen
Tliütigkeit u. s. f.
Die in den einzelnen Staaten bestehenden Unterstützungs¬
kassen brauchten übrigens gar nicht gleich zu verschwinden; sie
könnten ihre Subventionen weiterbeziehen bis nach dem Erlöschen
der alten Anwartschaften solcher, welche keinem neuen Verein
mehr beitreten wollen oder können, ihre Existenz überflüssig wird.
Dieser von mir angeregte Anschluss aller Bezirksvereine an eine
allgemeine deutsche Kasse ist nun um so leichter durchzufUhren,
als man nicht mehr einen Sprung in das Dunkle zu machen
hat, da eine derartige Kasse schon seit Jahren gegründet und aus¬
gebaut ist. Das Gebäude steht bereits stattlich da und jeder Arzt
kann sich heute schon bei einer berufsgenossenschaftlichen Kasse
gegen alle Eventualitäten zu entsprechenden, massigen Preisen ver¬
sichern: ich meine die Versicherungskasse für die
Aerzte Deutschlands, früher Centralhilfskasse.
Also kommt, es ist Alles bereit! Es ist Sache und Pflicht aller
Vereine, den Anschluss an diese ernstlich zu erwägen ohne Raum¬
gewährung für lokalpatriotische Erwägungen, sei es weil da oder
dort schon eine einzelstaatliche Organisation des Standes bestehe
oder in Erwägung gezogen würde. Denn auch bei staatlicher
Organisation ist ein Anschluss an die (’entralhilfskasse sehr wold
durchführbar. Den ethischen Antlieil au der Besserung des
Standes resp. der Mitglieder besorgt dann die betreffende Standes¬
ordnung. den materiellen die Centralkasse. Wenn bisher nicht
mehr Anschlüsse an diese erfolgten, so war daran vielleicht nicht
lediglich die Indolenz der Aerzte schuld oder die Furcht, dass die
Kasse zu schwach sei oder zu hohe Beiträge erheische — beide
Vorwürfe wären, nelienbei bemerkt, ganz unbegründet — sondern
die Ungewissheit über die Staudesorganisation und deren Initiative
bei den Versicherungsfragen in den Einzelstaaten.
Ich halte es für unuöthig, hier des Näheren auf die Organi¬
sation der Central hilf skasse einzugeheu, da jeder denkende Arzt
diese auch als Nichtmitglied studirt haben sollte, als diejenige
der einzigartig ausgebauten und einzigen berufsgenossenschaft-
licheu Versicherungskasse, welche keine Tantiemen für die Ver¬
waltung kennt sondern von Kollegen ehrenamtlich geführt wird,
in vielen Stücken mehr leistet als jede andere Kasse, in den
anderen jüngeren Sparten nicht tlieuerer ist als die staatlichen
Unterstützungskassen der Beamten.
Es wäre zu begrilssen und dem wackeren Vorkämpfer der
Versicherungskasse, Kollegen Bensch In Berlin, nls endliche
Anerkennung seiner selbstlosen Tliütigkeit zu gönnen, wenn im
Laufe der nächsten Monate die Vereine mehr als bisher den wirtli-
schaftiichen Bedürfnissen und Schäden des Standes nachgingen
und endlich positive Entschlüsse fassen und ausführen würden in
«lern von mir angedeuteten Sinne, da Gefahr auf Verzug besteht
Wir könnten sonst bereits in 10 Jahren Zustände erleben, welche
nicht mehr besserungsfähig sind und Erscheinungen zeitigen
würden, welche keine staatliche (ehrengerichtliche) Organisation
mehr aufliiilt. Ich hoffe zuversichtlich, dass in Bälde dem
Aschenbrödel der deutschen Aerzteschaft, der Verslcherungka s s ■
für die Aerzte Deutschlands, die Stellung und Wichtigkeit ein¬
geräumt wird, welche ihr seit langer Zeit gebührt und zu einer
Gesundung unserer wirtlischaftlichen Lage führen wird. Die uner¬
freulichen Erscheinungen auf ethischem Gebiete werden dann von
selbst zurückgehen, so dass für die noch zu fassende Standes¬
gesetzgebung, den 2. Heilfaktor der jetzigen schlimmen Lage,
nicht mehr viel Anlass zum Einschreiten gegeben sein wird.
Durch Besserung der materiellen Verhältnisse wird naturuotb-
wendiger Weise eine Hebung des Standes in sittlicher Beziehung
erzielt worden können. Also steuere man erst der Alltagsnoth
und löse die Magenfragen, dann widme man sich den höheren
Dingen. Per aspera ad astra! Dr. W. Heckei.
Ueber die rechtliche Stellung der ärztlichen Standes¬
vertretungen gegenüber den Standesgenossen, den
Krankenkassen und den staatlichen Aufsichtsbehörden.
In mehreren deutschen Bundesstaaten wurden in den 1 tztrn
Jahren Standes- und Ehrengerichtsordnungen erlassen. Zu dem
Gefühl der Freude, nun das ersehnte Mittel an der Hand zu haben,
um dem ärztlichen Stande nach innen und aussen aufhelfen zu
können, mischte sich nur zu bald die unangenehme Erfahrung,
dass die unvollständige und unklare Fassung des Gesetzes zu vielen
Meinungsverschiedenheiten und Zwistigkeiten führte, allerlei
Interpretationen erforderte und dass die Staatsbehörden dem Vor¬
gehen der Standesvereine gegenüber den Krankenkassen die
grössten Schwierigkeiten bereiteten. Es ist daher schon von ver¬
schiedenen Seiten offen ausgesprochen worden, dass die wirth-
scliaftliche Lage der Aerzte auch durch eine Standesordnung nicht
zu bessern sei und hier nur eine thatkräftige Selbsthilfe Wandel
schaffen könne. Da ln anderen Bundesstaaten der Erlass einer
Standesordnung bevorsteht, ist es wichtig, von den Erfahrungen,
speziell in Sachsen. Kenntuiss zu nehmen; zwei Vortrüge, die
Dr. Jur. Schanz e, Kaiserl. Regieruugsrath a. D. in Dresden, im
ärztlichen Bozirksvereine Dresden-Stadt über das obengenannte
Thema hielt*), verdienen daher ein allgemeineres Interesse.
Die Grundlage der Ausführungen bildet der § 15 der sächsi¬
schen Standesordnuug: „Verträge mit öffentlichen Korporationen,
insbesondere mit Versicherungsgesellschaften und -Anstalten, so
wie mit Kranken-, Unfall-, Invallditüts- und sonstigen Kassen
sind dem Bezirksvereine vor ihrem endgiltigen Abschlüsse zur
Genehmigung vorzulegen, falls ein Fixum oder ein nach der Mit¬
gliederzahl der Kasse, beziehentlich nach der Zahl der vorkommen¬
den Erkrankungsfälle zu bestimmender Honorarsatz vereinbart
werden soll, oder wenn bei Honorlrung nach Einzelleistungen die
zu vereinbarenden Liquidationsbetrüge unter die Mindestsätze der
ärztlichen Gebührentaxe hinabgehen.“
Der Sinn dieser Bestimmung war jedenfalls der, dass der
Vertrag eines Arztes mit einer Krankenkasse nur dann über alle
Anfechtungen erhaben ist, wenn die vereinbarte Bezahlung nach
der Einzelleistung und mindestens nach der Minimaltaxe erfolgt,
dass aber jeder andere Vertrag unter Umständen gegen Ehre und
Ansehen des ärztlichen Standes verstossen kann und desshalb die
Prävcntiviuaassregel uothwendlg ist, dass jeder derartige Ver¬
trag vor dem endgiltigen Abschlüsse dem Bezirksvereine zur Ge¬
nehmigung vorzulegeu sei.
In der Versagung dieser Genehmigung glaubten einzelne Be¬
zirksvereine ein wirksames Mittel zur Erzielung einer standes¬
würdigen Honorlrung der Kassenärzte zu haben. Sie konnten sich
dieser Auffassung um so mehr hingeben, als in der Begründung
des Gesetzentwurfes auf die schweren Schädigungen hingewiesen
war, die der ärztliche Stand erfahren habe, seitdem die Organi¬
sation eines grossen Tlielles des Publikums ln Krankenkassen, die
als mächtige Verbünde den einzelnen Aerzten gegenüber ein un¬
heilvolles Uebergewicht besässen, unter den Letzteren eine wilde
Konkurrenz entfesselt, die Erwerbsverhältnisse ln unwürdiger
Weise gedrückt habe und in der Lage sei, ihren Aerzten unwürdige
Bedingungen nufzuerlegen.
Aller als die Bezirksvereine die schönen Worte ln die That
umsetzeu wollten, trat sofort das Ministerium entgegen; cs be¬
zeichnete als Zweck des § 15 der Standesordnung lediglich den.
zu verhindern, dass einzelne Aerzte Vereinbarungen eingehen,
welche der Stellung eines Arztes unwürdig sind bezw. die Standes¬
ehre verletzen; keineswegs nber habe den Bezirksvereinen au sich
eine Einflussnahme auf die Höhe der Gebühren eingeräumt werden
sollen; es müsse seitens der Bezirksvereine Alles vermieden
werden, was den Anschein erwecken könnte, als ob der ihnen
durch das Gesetz vom 23. März 1896 gebotene Einfluss auf ihre
Mitglieder benützt werde, um auf andere Kreise, namentlich
Krankenkassen, einen Druck nuszuüben; Bestrebungen dieser Art
würde seitens der Aufsichtsbehörde entgegenzutreten sein. Weiter¬
hin versagte das Ministerium Vereinsbeschlüssen, welche eine
Normaltaxe oder Grundsätze für die Beurtheilung der nach § lo
1. c. vorzulegenden Verträge nufstellten, die Genehmigung, da bei
der Mannigfaltigkeit der in Betracht kommenden Verhältnisse
der zur Entscheidung von Differenzen zuständigen Behörde thun-
1 lohst freie Hand gelassen werden müsse. In einer späteren Ver¬
ordnung machte das Ministerium darauf aufmerksam, dass nach
*) Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, \or-
waltung und Volkswirtschaft, 1901, No. 3 und 4. Preis beider
Hefte 3 M.
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6. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1797
der Tendenz des § 15 ein Heruntergehen unter die Mindestsätze
der ärztlichen Gebührentaxe an sich noch nicht als mit der ärzt¬
lichen Standesehre unvereinbar bezeichnet werden kann und dass
der Umstand, dass eine Krankenkasse mehr als die gesetzlichen
Mindestleistungen an ihre Mitglieder gewährt, allein einen Grund
zur Verweigerung der nach § 15 erforderlichen Genehmigung nicht
abzugeben vermag. In einer weiteren Verordnung wurde es noch¬
mals als unzulässig bezeichnet, dass ein Bezirksverein durch Auf¬
stellung bindender Vorschriften die Freiheit seiner Mitglieder be¬
schränke; der Verein habe abzuwarten, welche Verträge seine Mit¬
glieder abschliessen und habe sich dann darüber schlüssig zu
machen, ob denselben, weil sie mit der ärztlichen Standesordnung
unvereinbar seien, die Genehmigung versagt werden könne oder
nicht. Ein Antrag der Plenarversammlung des Landesmedlcinal-
kollegtums, welcher für die Bezirksvereine die Berechtigung er¬
strebte, „eine standeswürdige Honorirung der ärztlichen Leist¬
ungen innerhalb deT Grenzen der Mindestansätze der ärztlichen
Gebührentaxe vom 28. März 1889 seitens der Krankenkassen zu
verlangen, wobei Jedoch vorausgesetzt wird, dass sie auf die
Jeweilige wirtschaftliche Lage der Kassen ihres Bezirkes Bedacht
nehmen und mit einer allmählichen Aufbesserung der Honorirung
dort sich begnügen, wo die Kassen nach weisen können, dass sie
nicht im Stande sind, sofort eine standeswürdige Bezahlung der
Kassenärzte zu gewähren“, ward vom Ministerium abgelehnt mit
der Begründung, dass dieser Antrag auf eine Erweiterung der den
Bezirksvereinen durch das geltende Recht eingeräumten Befug¬
nisse hinausgehe, hiezu jedoch kein Bedürfnis vorliege.
Schanze erörtert nun vom Juristischen Standpunkte aus
nach Lage des geltenden Rechtes die beiden Fragen, welche
Maassnahmen die Bezirksvereine zu Gunsten der ärztlichen
Standesinteressen ergreifen dürfen und wie sich die Sachlage ge¬
staltet, wenn die von den Bezirks vereinen getroffenen Maass¬
nahmen keine Billigung finden.
Bel der Beantwortung der ersten Frage lässt Schanze die
Begründung des Gesetzes bei Seite, da diese niemals rechtsver¬
bindliche Kraft habe, und folgert aus den Normen des Gesetzes
selbst, dass der § 15 der Standesordnung den Bezirksvereinen wohl
eine Handhabe zur Wahrung von Ehre und Ansehen, nicht
aber darüber hinaus zur Förderung der wirthschaftllchen
Interessen biete; um den einzelnen Arzt zur Förderung der all¬
gemeinen Standesinteressen auf ökonomischem Gebiete anzuhalten,
stünden den Bezirksvereinen nur ethische, moralische Mittel, wie
Pflege des Gemeingeistes, Aufrechterhaltung und Stärkung der
Standesehre. Förderung des gedeihlichen kollegialen Verhältnisses,
zur Verfügung, aber keine dlsclpllnellen Ahndungen; mit Ililfe
des § 15 sei den eigenen Mitgliedern gegenüber der Kampf um
die Ehre, nicht aber den Krankenkassen gegenüber der Kampf
um die wirthschaftllchen Interessen zulässig. Nun ist schon von
anderer Seite mit Recht geltend gemacht worden, dass die
Schätzung der Standesehre und die Bewerthung der Gebühr für
die Standesarbeit in innerem Zusammenhang stehen und dass der
Kampf um die würdige Honorirung der Aerzte bei den Kranken¬
kassen nicht bloss ein Kampf urn’s tägliche Brod, sondern un¬
mittelbar auch ein Kampf um Ehre und Ansehen des Standes sei.
Wo die Grenze zu ziehen ist, kann Schanze auch mit allen
juristischen Deduktionen nicht angeben. Er gibt zu, dass es
auch eine wlrthschaftliche Bedrückung gibt, die zugleich einen An¬
griff auf Ehre und Ansehen enthält, nur meint er, die Verletzung
der wirthschaftllchen Interessen müsse eine besonders qualiflzirte
sein oder eine gewisse Intensität erreichen, wenn sie zugleich eine
Verletzung von Ehre und Ansehen mit der Maassgabe darstellen
soll, dass ein ehrengerichtliches Einschreiten geboten ist. Von
einem standeswürdigen, standesgemässen Honorar zu sprechen,
will Schanze vermieden wissen, da hiedurch der Unterschied
verdeckt werde, der zwischen den Anforderungen der Ehre und
den ökonomischen Interessen des ärztlichen Standes obwalte; dass
Vereinbarungen, welche dem sachlichen Wertlie der ärztlichen
Leistungen nicht entsprechen, ln gewissem Sinne der Stellung
eines Arztes „unwürdig“ sind, gibt Schanze selbst zu.
Wie gestaltet sich nun die Sachlage, wenn ein Bezirksverein
die nach § 15 erforderliche Genehmigung versagt, der betr. Arzt
aber hiebei sich nicht beruhigt? Das Ministerium hat in dieser
Frage entschieden, dass dann zunächst die Krelshauptmaun-
schaft zu entscheiden habe, ob die Genehmigung mit ausreichenden
Gründen verweigert worden sei; sei auf diese Weise festgestellt
worden, dass durch den in Rede stehen Vertrag die ärztliche
Standesehre nicht verletzt werde, so werde selbstverständlich
gegen den betreffenden Arzt wegen Abschluss des Vertrages nicht
noch auf ehrengerichtlichem Wege vorgegangen werden können,
vielmehr sei die behördliche Entscheidung für den Ehrenrath
bezw. Ehrengerichtshof insoweit bindend. Gegen diese Entschei¬
dung erhob sich natürlich ein lebhafter Protest aus ärztlichen
Kreisen; inan machte geltend, dass das Gesetz vom 23. März 1890
auf dem Principe der Selbstverwaltung, auf der Grundlage be¬
ruhe, dass über eine Verletzung der Standesehre nur Standes-
genosseu, nicht Behörden zu entscheiden hätten.
Die Frage, ob die vorerwähnte Ministerialverordnung mit
dem geltenden Rechte im Einklänge steht, beantwortet Schn n z e
mit einem bestimmten Nein. Er weist darauf hin, dass die Ent¬
scheidung darüber, ob das Verhalten eines Arztes gegen die
Standesordnung verstosse, in der Regel vor den Ehrenrath und
den Ehrengerichtshof gehöre, und daher auch die vom Ministerium
für den Fall des § 15 statuirte Ausnahme unzulässig sei. Die Er¬
klärung der Bezirksvereine repräsentirt nach Schanze gewisser-
maassen die öffentliche Meinung der Standesgenossen, die sicher
von Bedeutung, aber doch von schwankender und nicht immer
zuverlässiger Natur ist; sie bedarf einer sorgfältigen und ge¬
wissenhaften Nachprüfung und Kontrole; das ist die Aufgabe der
mit Entscheidungsgewalt ausgestatteten Ehrengerichte. Nach ver¬
gleichsweiser Heranziehung anderer Bestimmungen der Stamhs-
ordnung kommt Schanze zu dem Schlüsse, dass weder der
Bezirks verein, noch dessen Aufsichtsbehörde, noch das Mini¬
sterium des Innern über Ehrenfragen zu entscheiden haben, son¬
dern die Entscheidung der Ehrenfragen ausschliesslich dem Ehrcu-
rath und dem Ehrengerichtshof zustehen.
Ein Eingreifen der Staatsbehörde findet Schanze mit Rück¬
sicht auf das gefährdete Gemeinwohl angezeigt wenn der Kampf
zwischen Angebot und Nachfrage grössere Heftigkeit annimmt
und die ruhige Besonnenheit von der Leidenschaft verdrängt wird.
Die Staatsbehörden können dann, ausser der Verhinderung von
Ausschreitungen und Maasslosigkeiten, eine positive Vermltteiungs-
thätigkeit zur Herbeiführung eines für beide Parteien annehm¬
baren Friedensschlusses entwickeln; sie sind zu solch’ ehrlicher
Mnklerthütlgkeit besonders befähigt; „denn sie bringen beiden
Theileu das gleiche Wohlwollen entgegen, sie stehen den Tages¬
kämpfen, ohne an ihnen persönlich betheiligt zu sein, als ruhige
Beobachter gegenüber, sie vermögen die Verhältnisse mit Klar¬
heit und ohne Voreingenommenheit zu überschauen. Was sollte
somit die Staatsbehörden hindern, gerechte und praktische Rath-
Schläge für einen Ausgleich der widerstrebenden Interessen zu
ertheilen“. „Die Staatsbehörden sind“, so fährt Schanze unter
Betonung des juristischen Standpunktes fort, „im wirtschaft¬
lichen Kampfe zwischen Bezirksvereinen und Krankenkassen nur
Vermittler und Makler, Entscheidungsgewalt steht ihnen nicht zu.
Die Staatsbehörden können faktisch den ganzen Einfluss ihrer
Autorität geltend machen und die streitenden Thelle werden ge¬
wiss gut thun, sich diesem heilsamen Einflüsse nicht zu entziehen;
aber gleichwohl können die Staatsbehörden nicht mit rechtsver¬
bindlicher Kraft befehlen, dass unter den von ihnen gutgehelssencn
Bedingungen sich beide Parteien einigen.“ In ärztlichen Kreisen
war man stets und wird auch in Zukunft immer damit einver¬
standen sein, dass die Behörden bei erheblichen Differenzen
zwischen Bezirksvereinen und Krankenkassen vermittelnd eiu-
greifen, wenn es sich eben um eine objektive Makierthätigkeit
handelt, so wie sie Schanze vorschwebt
Für die Zukunft hegt Schanze gute Erwartungen, wenn
nicht die Bezirksvereine zu viel verlangen, die Krankenkassen zu
viel verweigern und die Behörden die den Aerzten eingeräumle
Selbstverwaltung zu sehr beschränken.
Dr. Carl Becker.
Referate und Bücheranzeigen.
Bericht des Wiener Stadtphyaikates über seine Amts¬
tätigkeit nnd über die Gesnndheitsverhältnisse der
k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien in den Jahren
1897 — 1899 . Wien 1901. Verlag des Wiener Magistrates.
Trotz aller Erschwerungen, welche der Ausgestaltung dieser
städtischen Centralstelle für die sanitären Angelegenheiten Wiens
seit der Gründung dieses Amtes hindernd entgegentraten, hat
sich das Stadtphysikat in überaus befriedigender Weise ent¬
wickelt. In 7 Bureauräumen, welche — wie uns dieser Bericht,
meldet — für den gesteigerten Geschäftsgang auch nicht mehr
ausreichen, walten ihres Amtes: 1 Ober-Stadtphysikus (in Folge
Ablebens des Reg.-Rath Dr. Kämmerer derzeit unbesetzt),
sodann 2 Stadtphysiker (die DDr. Gregor Schmid und Adolf
L Ö f f le r), 1 städtischer Oberbezirksarzt, 3 ärztliche Assistenten
und die dem Amte zugewiesenen 7 Kanzleibeamten und 2 Amts¬
diener. Dem Stadtphysikate obliegen die wichtigeren Sanitäts¬
agenden und die Leitung des gesummten Sanitätsdienstes der
Stadt und unterstehen ihm 25 städtische Bezirksärzte, die Fach¬
organe der magistratischen Bezirksämter, ferner 57 städtische
Aerzte, welche für alle sonstigen gemeindeärztlichen Aufgaben
(Todtenbeschau, Armenkrankenpflege etc.) aufzukommen haben,
endlich 8 k. k. Armenärzte, deren Stellen im Erledigungsfalle
durch städtische Aerzte besetzt werden. Rechnet man die im
Stadtphysikate amtirenden 7 Aerzte hinzu, so ergibt dies einen
Status von 97 Amtsärzten, welche insgesammt zur Zeit einer
Epidemiegefahr zur Bekämpfung derselben verwendet werden
können, in ruhigen Zeiten den lokalen Sanitätsdienst versehen.
Endlich ist zu erwähnen, dass die Universitätsprofessoren und
Chefs von Laboratorien: A. v. Vogl, Ludwig, Grub er
und Kratschmer das Stadtphysikat durch Ausführung
chemisch-mikroskopischer und bukteriologischer Untersuchungen
in seiner Begutachtung wichtiger Lebensmittelf ragen etc. wesent¬
lich unterstützten.
Der vorliegende Bericht über eine dreijährige Thütigkeit z' r-
fällt naturgemäss in zwei Hauptgruppen, deren erste sich be¬
titelt: „Hygienische und sanitiitspolizeiliclie Angelegenheiten.”
Für diese Gruppe wurden im Physikate alljährlich einige 3000 »
Geschäftsstücke in Behandlung genommen, welche sich auf die
Beseitigung sanitärer Uebelstände in den Strassen, Häusern, ge-
&•
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1798
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
werblichen Anlagen und Betrieben, sodann auf die Vornahme
zahlreicher chemischer und mikroskopischer Untersuchungen von
Wasser etc., Ueberwachung des Leichenwesens, des Giftverkehres
etc. etc. bezogen. Gewerbliche Neuheiten, wir erwähnen beispiels¬
halber die Accumulatoren - Erzeugung, die neue Acetylengas-
Beleuchtung, die Aufstellung von Speise- und Getränke-Auto-
maten u. dergl. m., machten ein eingehendes Studium, fort¬
laufende Beobachtung und sorgsame Berichterstattung noth-
wendig. In diesen Berichten müssen die Bedingungen für die
Zulassungen neuer gewerblicher Betriebsanlagen genau fixirt
werden, und der Fachmann weiss, wie hier die Wahrung der
sanitären Interessen gar oft in Kollision gerathen kann mit dem
Schutze merkantiler Interessen, indem zu weit gehende Präventiv¬
maassregeln, als zu kostspielig, nach Kräften (Rekurse) abgewehrt
werden. Hier thut Sachkenntniss noth, die bei neuen Betrieben
erst durch sorgsames Studium erworben wird. Und das Stadt-
physikat ist zumeist die erste Instanz, an welche behufs fach¬
männischer Begutachtung herangetreten wird.
Die zweite Hauptgruppe umfasst den ärztlichen und Sa¬
nitätsdienst, die Statistik, die Sanitätsanstalten, die Wohlfahrts¬
einrichtungen etc. Auf diesen Theil entfallen alljährlich im
Stadtphysikate 60—70 000 Geschäftsstücke.
Den städtischen Bezirksärzten sind 35 Sanitätsaufseher zur
Dienstleistung beigegeben, welche in eigenen Unterrichtskursen
für ihren Dienst ausgebildet, diesen nach einer besonderen „In¬
struktion“ in den 20 Bezirken verrichten. Sie erhalten ihre
Aufträge von dem Bezirksarzte resp. vom Stadtphysikate, wo
sic allwöchentlich zum Rapporte erscheinen und die erforder¬
lichen Direktiven bekommen. In erster Linie fällt ihnen die
Aufgabe zu, Erhebungen bei den Infektionskrankheiten zu pflegen
und über ihre Revisionen Berichte zu erstatten, welche sodann
ärztlich überprüft, event. nachkontrolirt werden. Sie überwachen
die Desinfektionen, helfen bei der Revision von Häusern, Schulen,
Herbergen, Massenquartieren und erstatten auch Anzeigen über
erhobene sanitäre Uebelstände. Ausserdem hat die Gemeinde
Wien für den Kranken- und Leichentransport 52 Sanitätsdiener
im Dienste; zur Unterstützung der Sanitätsaufseher verwendet
sie 40 Desinfektionsdiener (Taglöhner); endlich gibt es
30 Leichenwächter bei den Bezirks- und Friedhofs-Leichen¬
kammern.
„Aber auch die praktischen und Spitalsärzte betheiligen
sich am Sanitätsdienste der Stadt durch die Erstattung der An¬
zeigen von Infektionskranken und die Mitwirkung bei der Hand¬
habung der Prophylaxis und bei Veranlassung von Transporten
solcher Kranker in die Spitäler. Die Wichtigkeit dieser sani¬
tären Bethätigung der praktischen Aerzte ergibt sich aus der
grossen Anzahl der alljährlich zur Anzeige gelangenden In¬
fektionskranken, in den Jahren 1897—1899 : 27 434, 28 559 und
30 432.“
Die Evidenzhaltung der Sanitätspersonen von Wien und
die Ueberwachung derselben hinsichtlich der Ausübung ihrer
Praxis ist eine Aufgabe des Stadtphysikates. Zu Ende des
Jahres 1899 gab es in Wien 2301 Medicin-Doktoren, 34 Wund-
und Geburtsärzte resp. Magister (im Aussterben begriffen),
12 resp. 17 bloss zur zahnärztlichen Praxis Berechtigte, 107 Apo¬
theker, 147 Thierärzte, 5 Pferdeärzte, 10 Kurschmiedc und
1680 Hebammen.
Auf einen praktischen Arzt entfallen im Jahre 1897 noch
724,6 Einwohner, im Jahre 1898 schon 705,8 und im Jahre 1899
bloss 695,6 Einwohner, so dass, wie bei den Sanitätspersonen
im Allgemeinen, auch bei den praktischen Aerzten noch immer
eine fortschreitende Zunahme nicht nur in absoluter, sondern
auch in relativer Zahl (d. i. im Verhältniss zur Bevölkerungs¬
zahl) zu konstatiren ist. „Im Allgemeinen muss demnach die
Zahl der praktischen Aerzte in Wien als eine sehr bedeutende
bezeichnet werden und ist schon diese Thatsache als eine
Hauptursache der anerkannt ungünstigen sozialen Lage
vieler derselben anzusehen, wobei noch zahlreiche andere Mo¬
mente mitwirken, so insbesondere derUmstand, dass das Kranken¬
kassenwesen und die mit demselben verbundene Pausehalirung
des Honorars für die ärztlichen Leistungen immer mehr um
sich greift und sich nicht mehr auf die arme und
Arbeiterbevölkerung beschränk t.“ Ferner wirkte
auch die Zeitströmung (Verbreitung der Naturheilmethode)
schädigend auf den Erwerb der Aerzte, aber auch schädigend
auf die genaue Durchführung der Prophylaxis gegen übertrag¬
bare Krankheiten mit und auf letzteres Moment hat das
Stadtphysikat, wie schon früher, wieder 1898 hingewiesen und
die Schäden dieser Propaganda für die Kurpfuscherei den Be¬
hörden dargelegt.
Bezüglich der Stellungnahme der Wiener Aerztekammer
zur Frage der unentgeltlichen Behandlung Zahlungsfähiger
an den Ambulatorien und Polikliniken Wiens sagte das Stadt¬
physikat unter Anderem: „Es dürften sich kaum anderswo die
Existenzbedingungen der Aerzte derart verschlechtert haben,
wie hier in Wien in Folge der weitverbreiteten und durch ver¬
schiedene humanitäre Unternehmungen geförderten Anschauung,
dass sich Jedermann ärztliche Hilfe, im Gegen¬
satz zu anderen Lebensbedürfnissen, müsse gratis ver¬
schaffen können. Von dem gleichen Standpunkte aus
lassen sich auch die vor Jahren inaugurirten Kämpfe der Aerzte,
und zwar sowohl im Schoosse des Doktoren-Kollegiums, als auch
von Seite ärztlicher Vereine, gegen einige Humanitätsanstalten,
wie freiwillige Rettungsgesellschaft, Poliklinik und Ambula¬
torien, erklären, welche Institute, namentlich im Beginn ihrer
Thätigkeit, durch Spendung unentgeltlicher Hilfe an Personen
ohne Unterschied der Vermögens Verhältnisse dazu beigetragen
hatten, den Unwillen der Aerzte zu erregen, den Verdacht, eigen¬
nützige Zwecke zu verfolgen, auf ihre Mitglieder zu lenken, die
Anschauungen der Bevölkerung über die Noth Wendigkeit der
Honorirung ärztlicher Hilfeleistungen zu korrumpiren und die
Existenzbedingungen der praktischen Aerzte zu verschlechtern.
Seither ist es allerdings insoferne besser geworden, als die er¬
wähnten Institute in der Auswahl der Patienten rigoroser ge¬
worden und im Allgemeinen nun ebenfalls der Anschauung bei¬
getreten sind, dass sie zumeist zur Hilfeleistung für arme
bezw. unbemittelte Personen berufen sind . . . .“
Leider können wir nicht die weiteren interessanten Gut¬
achten des Physikates, so das über den ärztlichen Nachtdienst,
über das Verhältniss der Zahnärzte zum zahntechnischen Hilfs¬
personale, über die Regelung des Hebammendienstes in Wien,
Hausentbindungen, Amn.cn Vermittlungsinstitute u. dgl. mehr
auch nur andeutungsweise hier berühren. Noch weniger können
wir die zahllosen Berichte über die Sanitätsanstalten und Wohl¬
fahrtseinrichtungen, die mit einem kolossalen Ziffernmateriale
ausgestatteten Berichte über die Morbiditäts- und Mortalitäts¬
verhältnisse Wiens während der 3 Berichtsjahre auch nur aus¬
zugsweise anführen, da all’ dies zu viel Raum beanspruchen
würde und schliesslich doch nur für die Fachleute ein beson¬
deres Interesse hätte. Vielleicht ergibt sich noch die Gelegenheit,
auf Einzelnes zurückzukommen.
In einem besonderen Abschnitte wird über die Fortschritte
des Impfwesens in Wien, über die curativen und präventiven
Impfungen bei Diphtherie, über die Lyssa-Schutzimpfanstalt in
Wien, über prophylaktische Maassnahmen aller Art berichtet.
Das Resultat jahrelanger, ernster Arbeit ist in diesem
Physikatsberichte niedergelegt und dass diese Arbeit unserer
städtischen Aerzte das sanitäre Wohl unserer Bevölkerung in
überaus günstiger Weise beeinflusst hat, das wird hier ebenfalls
in klarer und überzeugender Weise dargethan: es starben in
den 3 Berichtsjahren von je 1000 der Bevölkerung Wiens incl.
der Ortsfremden 21,30, 20,35, 20,92 und auch die Zahl der In¬
fektionskrankheiten resp. der Todesfälle an diesen hat im Ver¬
laufe der letzten Jahre stetig abgenommen. Wir freuen uns ob
dieses schönen Ergebnisses und wünschen lebhaft, dass die Er¬
kenntnis hievon die leitenden Kreise zur stetigen weiteren Aus¬
gestaltung unseres städtischen Sanitätsdienstes veranlassen möge.
Dr. Emanuel F rank.
Dr. Carl E m m e r t, o. ö. Professor der Staatsmedicin an der
Universität Bern: Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. Mit
Berücksichtigung der deutschen, österreichischen und bernischen
Gesetzgebungen. Leipzig, G. Thieme, 1900. 539 Seiten.
Preis 14 M. t ' ;
E m m o r t bringt eine grosse, eigene Kasuistik und behandelt
einzelno Fragen von neuen Gesichtspunkten. Jedoch ist die
neuere Literatur mit wenigen Ausnahmen unberücksichtigt ge¬
blieben und die vom Verfasser entwickelten Anschauungen ent¬
sprechen vielfach nicht dem gegenwärtigen wissenschaftlichen
Standpunkt; auch die Diktion ist oft eine alterthümliche. Viele
wichtige Fragen sind uncrörtert geblieben, das in der goricht-
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1799
liehen Medicin bedeutungsvolle Kapitel der Schädelverletzungen
ist viel zu kurz behandelt, Abbildungen fehlen vollständig. Den
Anforderungen, die an ein modernes „Lehrbuch“ zu stellen sind,
ist nicht genügend entsprochen. Dr. Carl Becker.
Brnno Bosse: Leitfaden für den Unterricht in der Kran¬
ken- nnd Wochenpflege. Leipzig, S. H i r z e 1, 1901. M. 5.60.
Die Kranken- und Wochenpflege gemeinsam in einem
Lehrbuch zu behandeln, halte ich für eine dankenswerthe Aufgabe,
der sich Verf. mit gutem Erfolge unterzogen hat. In dem Be¬
streben, Alles kurz und prägnant zu geben, hat sich aber doch ein
gewisser Schematismus eingeschlichen, der das Verständ¬
nis« vielfach erschwert, z. B. das Kapitel über Fieber. Es
will mir auch scheinen, als niuthc der Verfasser seinen Schüle¬
rinnen zu viel zu. Ist es wirklich nüthig, dass eine Pflegerin
z. B. das Alles über Anatomie und Physiologie der weiblichen Ge¬
schlechtsorgane, über Zeugungslehre und Entwicklungsgeschichte,
über Schwangerschaft wissen muss? Ich bin doch der Ansicht,
dass dazu das Verständniss der Schülerinnen nieht ausreicht, zu¬
mal der Unterricht in diesen Dingen ja nur rein theoretisch sein
kann. Die bakteriologischen Erörterungen wären besser entweder
ganz weggeblieben oder hätten gekürzt vorgetragen werden
müssen. Sonst aber enthält das Büchlein, dem wir noch zahl¬
reiche Neuauflagen wünschen, viel Nützliches und Lesenswerthes.
Max Henkel- Berlin.
Neueste Jouraalliteratur.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 46. Band,
1. Heft. Stuttgart, F. Enke. 1901.
1) Paul B rö h e - Berlin: Zur Pathologie und Therapie der
Parametritie posterior.
Unter letzterem Namen hat B. S. Schultze schon 1876 eine
entzündliche Affektion lm Douglas beschrieben, deren Sitz die
Ligamenta sacrouterina sind. Die Krankheit entspricht auch der
ton W. A. Freund beschriebenen Paraproctitls atro¬
phicans. In Bezug auf die Aetiologle kommen puerperale und
andere, besonders gonorrhoische. Infektionen ln Betracht Ziegen-
speck stellte das Beckengewebe als Sitz der Erkrankung fest.
Küster hat dies neuerdings bezweifelt und behauptet, es handle
sich dabei um perltonltische Processe. Demgegenüber weist nun
B. auf Grund von 10 eigenen Beobachtungen nach, dass es sich
nicht um eine Erkrankung des Peritoneums, sondern des Binde-
gewel>es handelt. Dagegen kommt die P. p. oft zusammen mit
Erkrankungen des Peritoneums und der Adnexe vor. Zur Heilung
derselben Ist auch bei anteflektirtem Uterus die Ventrofixation
ein ausgezeichnetes Mittel. Auch für Fälle von Retroflexlo uteri,
welche durch parametritische Processe flxlrt oder mit chronischen
Parametriten kompllzirt sind, ist die Ventrofixation anderen Ope¬
ratonsmethoden der Retroflexlo vorzuziehen.
2) Robert M e y e r - Berlin: Ueber Drüsen der Vagina und
Vulva bei Foeten und Neugeborenen.
Eine Demonstration von Präparaten, die einem Material
von 60 Fällen aus der O 1 s h a u s e n’schen Klinik entstammen.
Zum Referat nicht geeignet
3) Otto v. F r a n q u 6 - Würzburg: Endarteriitis obliterans
der Placentarzotten bei lebendem Kind.
Durch eine neue Beobachtung will v. F. den Beweis erbringen,
dass bei einer lebend geborenen Frucht partielle Gefässobl Itera¬
tionen in den Placentarzotten Vorkommen können. Es handelte
sich um das reife Kind einer 28 jährigen I. Para, das noch 2 Tage
post partum lebte. Die Placeuta war in toto an der vorderen
Uteruswand adhaerent und musste stückweise entfernt werden.
Die Untersuchung derselben ergab Infarktbildung, fibrinöse De¬
generation der Decidua, alte Blutergüsse, daneben ln dem nicht
infarcirten Placentargewebe diffus ausgebreitete fibröse Hyper¬
trophie der Zotten mit Periarteriitis und Endarteriitis obliterans
derselben.
4) K r e v e t - Mühlhausen 1. Th.: Kastration bei . fehlender
Scheide und doppelter, vollständig getrennter Gebärmutter.
Der Fall betraf ein 24 jähriges Mädchen, das nie menstruirt,
aber stets dysmenorrhoische Beschwerden gehabt hatte. Bel der
Operation, die übrigens glatt verlief, fanden sich 2 vollständig ge¬
trennte abdominelle Gebärmutterherde (Uterus duplex separatus
8. didelphys), die jederseits an der vorderen Beckenwand inserirt
waren. Schelde fehlte: an ihrer Stelle eine selchte Grube mit
deflorirtem Hymen. Linkes Ovarlum normal, rechtes (in Folge
eines Traumas) blutig infiltrirt und entzündet.
5) E. S c h r o e d e r- Königsberg: Seltene Entstehungsursache
einer Clavicularfraktur in der Geburt nebst Bemerkungen über
die Zweckmässigkeit des Zuges am kindlichen Köpfe zur Ent¬
wickelung der Schultern.
Es handelte sich um eine Zwilliugsgeburt bei einer I. Para.
Das 1. Kind wurde mit Zange entbunden; bei dem 2. wurde wegen
Verzögerung der Austreibung des Rumpfes der Kopf lege artis
gefasst, zunächst nach abwärts gezogen, sodann angehoben. Hier¬
bei entstand eine Clavicularfraktur am hinteren Schlüsselbein.
Das Ereigniss ist sehr selten; trotzdem räth S., die Schultern durch
Zug am geborenen Kopf nicht herauszubefördern, da auch andere
Schädigungen, wie Plexuslähmungen u. dgl., danach beobachtet
No. 45
sind. Man solle dafür die Schultern durch Druck auf den Fundus
uteri zum Durchschneiden bringen.
6) Ernst L e v y - Stuttgart: Beiträge zum Mechanismus der
Placentarlösung.
Die Frage, ob der Schultz e’sche oder D u n c a u'sche
Modus der Placentarlösung der häufigere ist, ist noch immer nicht
endgiltig gelöst. L. prüfte daraufhin das Material der Stuttgarter
Landeshebammenschule, im Ganzen 624 Fälle. Die Naehgeburts-
periode wird dort stets nach einem modiflzirteu Credö'schen
Verfahren geleitet, iudem nach jeder Geburt, gleichviel ob es
blutet oder nicht, der Uterus gerieben und die Placeuta nach
30 Minuten exprimirt wird. Hierbei fand L., dass bei normalen
Geburten der Schultz e’sche Modus weitaus der häufigere ist,
bei engen Becken, pathologischen Lagen und operativ bedingter
Beendigung der Geburt der D u n c a n’sclie Mechanismus häufiger
auftritt. Letzterer überwiegt ebenfalls bei tiefem Sitz der Placenta
und Geburten nicht aitsgetmgener Früchte. Belm D u n c a n’schen
Modus komm es leichter zu Blutungen und zur Retention von Ei-
liäuten.
7) K. H e n s e-Königsberg: Der Einfluss von Schwanger¬
schaft und des Klimakterium auf die Dauerresultate der
Radikaloperation des Uteruscarcinoms.
Das Ergebnis« der statistischen Arbeit lässt sich kurz dahin
zusammenfassen, dass die Dauerheiluugen in Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett (24 Proc.) die schlechteste, diejenigen
lm Klimakterium (56,34 Proc.) die beste Prognose abgeben.
J a f f 6 - Hamburg.
Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 42.
1) O. A i c h e 1 - Erlangen: Ueber die sogen, physiologische
Pul »Verlangsamung im Wochenbett.
Dieselbe ist schon von Heil bestritten worden. A. prüfte
die Frage bei 79 Fällen, von denen 35 Erstgebärende und 44 Mehr-
gebäreude waren. Seine Resultate gehen ebenfalls dahin, dass
eine physiologische Pulsverlangsamung nicht existirt. In den
wenigen Fällen, wo sie vorkommt, erklärt sie sich durch die „tiefe
Ruhe der Seele und des Körpers im Wochenbett“ (F r i t s c h).
2) Arthur Mueller- München: Ueber die Mittelscheitellage
Kehrer’s Positio verticalis posterior.
M. ist mit K e h r e r der Ansicht, dass zwischen Vorderscheltel¬
und Hinterscheitellage noch eine 3. Schüdellage elnzureiheu ist,
die sog. Mittelscheitellage. Bei der Hiuterscheltellage steigt der
Scheitel von der Stirn nach hinten auf, bei der Mittelscheitellage
von vorn und hinten dachförmig nach seiner Mitte, bei der Vorder-
scheitellage von hinten nach vorn. Charakterlslrt ist die Mittel¬
scheitellage durch:
1. Ilypsicephalie (Verkürzung des geraden und Verlängerung
des mittleren vertikalen Kopfdurchmessers),
2. Gleichstand beider Fontanellen,
3. Ansteigen des Scheitels von vorn und hinten nach der Mitte.
4. Umhebelu um die Stirugegeud oberhalb der Arcus super¬
ciliares (Glabella).
Die 3 verschiedenen Mechanismen der Scheitellage entstehen
also dadurch, dass bei Schädellage der Rücken hinten steht und
nun entweder die kleine oder grosse Fontanelle tief steht oder
beide gleich hoch stehen. J a f f 6 - Hamburg.
Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. Bd. II,
Heft 6.
Schwabe-Hannover: Betrachtungen über die Beziehungen
der Tuberkulose des Menschen zu der des Rindes an der Han d
eines besonderen Falles.
Durch jahrelange Beobachtungen in einer Musterwirthschaft
kommt Schw. zu der sicheren Ueberzeugung, dass der dortige.
Anfangs vollständig tuberkulosefreie Rindviehbestaud durch einen
tul>erkulösen Schweizer angesteckt, nnd mit Tuberkulose durch¬
seucht wurde.
De Giovanni: Die zur Tuberkulose Disponirten.
Verf., Vorsitzender der Sektion I des Tuberkulosekongresses
zu Neapel (Aetiologle und Prophylaxe), setzt seine schon in
früheren italienischen Versammlungen ausgesprochenen Anschau¬
ungen über Disposition auseinander. Er unterscheidet 3 Haupt-
typen der Disposition:
1. Herzbasis dem Herzindex gleich oder nur wenig grösser
als derselbe; linker und rechter Ventrikel in guten Eutwiekelungs-
bedlnguugen, sowohl was ihr Verhültuiss Zu einander wie zur
Basis anbetrifft; Venen-Situgadersystein stark entwickelt.
2. Kleines Herz; die Herzbasis wenig geringer als der Herz-
Index oder auch demselben gleich; Ventrikel in Bezug auf ihr
gegenseitiges Verhältnis» und zur Herzbasis gut proimrtionirt;
Venen-Lymphsystem von zwar nicht excesslver, aber doch vorherr¬
schender Entwicklung; Arterlensystein weit, In allen seinen
Theilen wohl entwickelt.
3. Anormales Herz; übermässige Grösse der Basis, die auf eine
grössere Entwickelung des rechten Ventrikels gegenüber dem
linken zurückzuführen ist; das Venen-Lymphsystem in der Ilaut,
unter derselben und in den Inneren Organen stark entwickelt;
das Arteriensystem klein und in allen seinen Theilen mangelhaft,
wie man an den Arterien grossen und mittleren Kalibers deutlich
sehen kann. Die diesen einzelnen Arten angehörenden Individuen
werden ausführlich geschildert, zu 3 sogar ln 2 Unterarten.
De Giovanni kommt schliesslich zu folgenden Schlüssen:
1. Vom Klndesalter an hat die morphologische Prüfung des
Individuums zu beginnen, damit diejenigen Bildungsnnomnlion
entdeckt werden, die die Einleitung geeigneter prophylaktischer
Maassnahmcn erforderlich machen.
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isoö
MtJRNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
2. Letztere müssen den Zweck haben, die Entwickelung des
Körpers so zu lenken, dass Bildungsfehler sich ausgleichen können.
3. Diesem Ziele müssen die Aerzte zu entsprechen suchen,
indem sie sich zur morphologischen Beobachtung erziehen und
cs auf sich nehmen, in jedem Fall die erforderlichen prophylak¬
tischen Maassregeln anzurathen.
4. Auch das Publikum muss Uber die Wichtigkeit dieser Dinge
aufgekUlrt werden, dnmlt nicht, wie es allgemein geschieht, die
Initiative der Aerzte lahm gelegt wird durch Unwissenheit.
5. Die nationale Liga gegen die Tuberkulose muss dahin
wirken, dass auf der einen Seite es nicht an Initiative von Seiten
der Aerzte, auf der anderen aber auch nicht an sozialen Ein¬
richtungen fehle, um die von der Wissenschaft aufgestellten pro¬
phylaktischen Regeln In die Praxis umsetzen zu können.
Reiche- Hamburg: Zur Kritik der Erfolge der Heilstätten-
behandlung Lungenschwindsüchtiger.
Das Ergebniss dieser statistischen Arbeit hisst sich ln fol¬
genden Sätzen zusammenfassen:
Von den 1895 er Heilstätteupfleglingen lebten noch Ende 1899
80 Proc., von den 1895 er Krankenhauspatienten lebten 1899 noch
28 Proc., von den 1890 er: 85,9 Proc. gegenüber 38 Proc., von den
1S97 er: 92,6 Proc. gegenüber 55,1 Proc., von den 1898 er: 91,4 Proc.
gegenüber 77,5 Proc.
Axel Blad und Paul V i d e b e c k - Kopenhagen: Ueber die
Diazore&ktion, besonders ihr Auftreten bei der Lungentuber¬
kulose. (Schluss folgt)
G o 1 d s c h m i d t - Paris: Anstaltsbehandlung der Lungen¬
phthise.
Verf. geht von dem Satze aus: „Es ist die heutige Anstalts¬
behandlung die Behandlung der beginnenden Fälle geworden —
eine Taktik, die natürlich die erzielten Resultate in günstigstem
Lichte erscheinen lässt, die aber mit den berechtigten Anforder¬
ungen der Humanität und der öffentlichen Gesundheitspflege in
schreiendem Widerspruche steht.“ Er spricht vielmehr für freie
Behandlung auf der Insel Madeira oder ln anderen Orten mit
aseptischer Luft, die sich auf dem Erdbälle nur im Hochgebirge,
in der Wüste und auf dem Meere findet. Selbst die Waldluft
entspricht nicht seinen Anforderungen. Dass seine Erwägungen
zu dem Satze führen: „Das heutige Sanatorium bedeutet einen
Rückschritt der Phthisiotherapie“, zeigt, dass diese selbst einen
Rückschritt bedeuten.
A. Weber- Berlin: Zur Sputumdesinfektion.
Die chemischen Desinfektionsmittel sind zur Abtödtung der
im Lungenauswurfe vorhandenen Tuberkelbacillen unbrauchbar.
Die Desinfektion mit strömendem Wasserdampfe muss nach den
bisherigen Erfahrungen für Krankenanstalten als die beste Me¬
thode zur Unschädlichmachung des Lungennuswurfes der Phthi¬
siker bezeichnet werden.
M o e 11 e r - Belzig: Kurze Erwiderung auf den Artikel:
„Zur Sputumdesinfektion“ von Dr. A. Weber.
D w o r e t z k y - Riga: Neueres über Russlands Heilstätten¬
bewegung. Liebe- Waldhof Elgershausen.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenknnde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 13, 1901.
1) A. D i e u do n n 6 - Würzburg: Zur Bakteriologie der
Typhuspneumonie.
Ganz ähnlich, wie bereits Stählern 2 Fälle von Typhus¬
pneumonie beobachtet hat, bei der mit Sicherheit Typhusbakterien
nachgewiesen wurden, kann Verf. einen weiteren Fall hinzufügen.
Bei der ersten bakteriologischen Untersuchung wurden nur
l'ränkel’sche Diplococcen und ganz vereinzelte Stäb¬
chen gesehen, 8 Tage später Jedoch konnten die Stäbchen auf
den Kulturen gezüchtet und als Typhus erkannt werden. Die
Gruber-Wida l’sche Reaktion war 4 Wochen später positiv.
Roseolen traten auf. Mllzschweüung trat erst sehr spät ein. Dann¬
erscheinungen fehlten. Der ganze Typhus verlief unter dem Bilde
einer Pneumonie. Bemerkenswert ist ln diagnostischer Hin¬
sicht die haemorrhagische Beschaffenheit des Sputums und
andererseits die Thatsache, dass noch 7 Wochen na'ch der Auf¬
nahme des Kranken ln seinem Sputum Typhusbakterien nach¬
gewiesen werden konnten. Letztere Beobachtung zeigt, wie ge¬
fährlich derartige „Typhusgesunde“ noch für die Umgebung
werden können.
2) M. Neisser und R. Lubowski - Frankfurt: Lässt sich
durch Einspritzung von agglutinirten Typhusbacillen eine
Agglutininproduktion hervorrufenP
Die Untersuchungen lehrten, dass auf die Einspritzung von
nlchtagglutinirten Typhusbakterien stets eine Steigerung
dos Agglutinationswertlies, welche gewöhnlich sehr gross und
nur selten gering ist, eiutritt. Auf die Einspritzung aggluti-
uirter Typhusbakterien — sofern man nur für genügende Ab¬
sättigung mit Agglutination sorgt — erfolgt häufig gar keine
Reaktion, manchmal eine geringe, selten eine wesentliche Steige¬
rung des Agglutinationswerthes.
3) Hans Sachs- Frankfurt: Immunlsirungsversuche mit
immunkörperbeladenen Erythrocyten.
Die Versuche bestätigen die bei intraperitouealer Injektion
gemachte Beobachtung, dass mit Immunkörpern gesättigte Blut¬
körperchen nicht immer die Fähigkeit verloren haben, im Or¬
ganismus die Immunitätsreaktion bis zu einem gewissen Grade
auszulösen.
Die theoretischen Erwägungen über die Versuche, die als
Stütze der E h r 11 c h’schen Seitenkettentheorie angesehen werden
müssen, lassen sich in Kürze nicht wiedergeben.
4) P. Theodor Müller-Graz: Vergleichende Untersuchungen
über die desinfizirende Wirkung und die räumliche Vertheilung
des Formaldehyds bei dem Versprayungs- und Verdampfungs¬
verfahren. (Schluss.)
Müller findet, dass im Wesentlichen die vertheilende Kraft
des Versprayungsverfahrens und des Verdampf¬
ungsverfahrens so ziemlich die gleiche ist und dass Jeden¬
falls das Versprayungsverfahren dem letzteren nicht nachsteht.
Diese Ergebnisse stehen auch im Einklang mit den Resultaten
von K a u p und Reischauer.
5) R. Well- Hamburg: Künstliche Herstellung von Sporen¬
testmaterial von einem bestimmten Resistenzgrade gegen strö¬
menden Dampf zur einheitlichen Ermittelung von Desinfek-
tlonswerthen. (Schluss folgt.) R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 42 u. 43.
No. 42. 1) C. v. N o o r d e n - Frankfurt a. M.: Das Physo¬
stigmin gegen Erschlaffung des Darms.
In der Veterinärmedicin wird das Physostigmin seit lange in
der bezeichneten Richtung mit Erfolg verwendet. Verf. berichtet
nun über 5 Fälle, wo er bei Zuständen von Tympanie, die theils
durch primäre Darinparese, theils auch durch Typhus verursacht
war. das Medikament Innerlich in Dosen von etwa 3 mal täglich
1—2 mgr anwendete und zwar, wie aus den mitgetheilten Kranken¬
geschichten hervorgeht, mit dem augenscheinlichen Erfolg, dass
die Darmgase sich ln grossen Massen entleerten und die Auf¬
treibung des Bauches verschwand. N. ordinirt das Mittel in
Pulverform und zwar in Kombination mit Milchzucker.
2) C. A. Ewald- Berlin: Ueber subakute Herzschwäche Im
Verlaufe von Herzfehlern nebst Bemerkungen zur Therapie der
Herzkrankheiten.
E. hntte Gelegenheit, bei einem G2 jähr. Mann, der an Mltral-
insufücienz litt, folgenden seltenen Verlauf zu beobachten: Aus
relativem Wohlbefinden heraus entwickelte sich eine schwere
Herzschwäche mit schliesslich hochgradigen Oedemen, denen
gegenüber die gewöhnlichen Herzmittel wirkungslos waren. Auf
die subkutane Darreichung von Morphium zeigte sich entschiedene
Besserung des Allgemeinbefindens. Die stark geschwollenen Beine
wurden mit E.'sehen grossen Troikarts punktlrt und jetzt erwies
sich Digitalis mit Diuretin als sehr wirksam. % Jahr lang wurde
Morphium gegeben. Der Patieut erholte sich so gut, dass er
seinen Beruf wieder vollständig ausfüllen konnte. Verf. hält eine
Myokarditis für die Ursache der schweren interkurrenten Storung,
die zu dem alten Herzfehler hinzutrat. Morphium kann ln solchen
Fällen geradezu lebensrettend wirken (was Ref. aus seiner Er¬
fahrung nur bestätigen kann) und sollte also damit nicht so lange
gezögert werden, wie es meist geschieht. Den kontinuirlichen Ge¬
brauch der Digitalis kann E. nicht empfehlen. Die Wirkung des
Digitalin und Digitoxin Ist unsicher. In den Fällen, in welchen
eine Wirkung auf die peripheren Gefässe erzielt werden soll, ist
nicht Tinct. Stropli., sondern nur Digitalis zu gebrauchen.
3) Aufrecht - Magdeburg: Lungentuberkulose und Heil¬
stätten. (Schluss folgt.)
4) F. Schanz- Dresden: Ueber das Westphal - Pi 11 z -
sehe Pupillenphänomen.
Daa letztere besteht darin, dass bei starkem Zukneifen des
Auges eine Verengerung der Pupille beobachtet werden kann, und
zwar fand Westphal die Erscheinung in den allermeisten
Fällen reflektorischer Pupillenstarre, auch an llchststarren Pu¬
pillen, bei denen die Convergenzreaktlon noch erhalten war.
Piltz beobachtete das Phänomen zuerst bei einem Paralytiker.
Von neurologischer Seite wurde es auf eine Oculomotorluserregung
zurückgeführt. Sch. ist der Ansicht, dass es sich hiebei um eine
rein mechanisch zu erklärende Erscheinung handelt, die durch den
Druck auf den Bulbus und Stauuugsvorgänge in der Iris selbst
zu Stande kommt. Es Ist zu beobachten, dass das Phänomen
am atropinisirten Auge zu Stande kommt, allein, wie dem Verf.
eine Beobachtung zeigte, auch bei kompleterunheilbarerOphthalmo-
plegia interna. Damit ist bewiesen, dass irgend eine Nerven¬
erregung bei der Erscheinung nicht mitspielen kann.
No. 43. 1) S. S i in n i t z k y - Petersburg: Ueber den Einfluss
der Gallenretention auf die sekretorische Thätigkelt der Magen¬
drüsen.
Verfasser hat an 12 Personen, welche an Störungen der Gallen¬
sekretion litten, die Verhältnisse der Magensaftsekretion unter¬
sucht und fand konstant eine Hyperacidität, welche auf die freie
C1H und den Gesammtclilorgehalt zu beziehen war. Die Steige¬
rung der sekretorischen Vorgänge im Magen zeigte sich in Ab¬
hängigkeit von der Gallenreteution. Die erhaltenen Resultate
wurden durch Thierexperimente kontrolirt Die direkten Be¬
obachtungen an Hunden erwiesen, dass die Absonderung des
Magensaftes bei Gallenretention deutliche, mit letzterer parallel¬
gehende Störungen aufweist, besonders eine Zunahme der Saft¬
sekretion. Mit dem Fortfall der Behinderung des Gallenflusses
verschwinden die Störungen der Magensekretion, so dass ein Zu¬
sammenhang zwischen den beiden Vorgängen kaum zweifelhaft ist.
2) Jahrmärker - Marburg: Ein Fall von Zwangs¬
vorstellungen.
Die sehr interessante und ausführlich wiedergegebene Kran¬
kengeschichte der 27 jähr. Patientin eignet sich nicht zu kurzem
Auszug. Es handelt sich um eine eigenartig sich äussernde Form
von Grübel- und Zweifelsucht, wobei der Denkzwang die Kranke
zu höchst abstrusen Aeusseruugen führte, trotzdem die Intelligenz
sehr lange Zeit völlig intakt war.
3) M. Einhorn- New-York: Scheinbare Tumoren des
Abdomens.
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1801
Das Vorkommen derselben ist von verschiedenen, besonders
französischen Autoren beschrieben. Verfasser hat unter cn. 0000
Kranken ln 42 Fällen solche scheinbare Tumoren gesehen, häufiger
bei Frauen als bei Männern. Genauer gibt er die Kraukheits-
geschichte von 4 derartigen Fällen, wo die Tumoren alle ln der
obere!! Hälfte des Abdomens lagen. Mehrfach wurden sie fiir
Carcluome des Magens gehalten, doch sprach der Verlauf ganz
entschieden gegen diese Diagnose. B. bespricht eingehender die
Differentialdingnose gegenüber den verschiedenen in Betracht kom¬
menden reellen Tumoren. Der scheinbare Tumor selbst kann be¬
dingt sein durch einen prolabirten linken Leberlappen, durch Ver¬
dickung und Blossliegen der Abdominalaorta, durch Hypertrophie
einzelner Muskelpartieu der Bauchwand, durch Adbaesionen um
die kleine Kurvatur des Magens. Grössten Werth legt der Ver¬
fasser darauf, dass er seine Fälle zum Tlieil schon Jahre lang
kennt und in Folge dessen eine ziemliche Sicherheit über die Dia¬
gnose besteht.
4) Aufrecht - Magdeburg: Lungentuberkulose und Heil¬
stätten.
Gegenüber Koch ist A. der Ansicht, dass der Perlsucht¬
bacillus sehr wohl beim Menschen Tuberkulose erzeugen kann.
Ein Eindringen desselben in den kindlichen Organismus durch den
Darm ist nuch manchen Beobachtungen durchaus möglich und
zwar ohne dass der Darm Krankheitserscheinungen aufzuweisen
braucht. Nach den pathologisch-anatomischen Forschungen des
Verfassers gehen die den Anfang der Lungenschwindsucht dar¬
stellenden Veränderungen des Lungengewebes immer von kleinen
Gefüssen der Lungenarterie aus, von wo aus dann entzündliche
l’rocesse im Lungengewebe ihren Ausgang nehmen. In den vor
iiuderten Gefüssen können die Bacillen direkt nachgewieseu wer¬
den, wohin sie zuerst aus tuberkulös erkrankten Lymphdrtlsen ge¬
langen. In erster Linie kommen hier die mediastinnlen, in zweiter
die mesenterialen Drüsen in Betracht Die Infektion der Drüsen
selbst erfolgt am meisten von den Tonsillen aus. In den Lungen¬
spitzen können die eingedruugeneu Bacillen am schwersten wieder
unschädlich gemacht werden. Die tuberkulöse Disposition liegt
nun ganz l>esonders in der Neigung des Luugengewebes, sich im
Anschluss au die Gefüsserkrankung zu entzünden. Die Furcht vor
Ansteckung durch Einathmung hält A. für unbegründet. Hin¬
sichtlich der Frühdiagnose macht V. darauf aufmerksam, dass der
Husten nicht zu den ersten Erscheinungen der Erkrankung zu ge¬
hören braucht, das Wichtigste ist ausser der begleitenden Auaemie
der physikalische Befund. Die Erfolge der Heilstätten liegen
darin begründet, dass in ihnen eine völlige Heilung des pneu¬
monischen Processes erzielt werden kann, während die tuberku¬
lösen Herde sich sonst nur abkapseln. Grosser Werth ist auf die
Verhütung von Reeldiven der begleltendeu pneumonischen Kom¬
plikationen zu legen und müssen daher die aus den Anstalteu Ent¬
lassenen sorgfältig überwacht werden.
5) H. E 1 s n e r - Berlin: Plätschergeräusch und Atonie.
Gegenüber der gegentheillgen Ansicht S t i 11 e r’s setzt E.
nochmals die nach seinen Untersuchungen sehr gering anzu-
schlagende und besonders für die Aunalime einer Magenatonie un¬
zureichende Bedeutung des Plätschergeräusches auseinander. Die
von Stiller geübte Unterscheidung von Atonie und muskulärer
Iusufficienz kann in praxi nicht durchgeführt werden.
G) Volland - Davos-Dorf: Plätschergeräusch und Atonie.
V. ist auf Grund seiner Erfahrungen der Ansicht, dass ein
Plätschergeräusch im ganz gesunden Magen uicht hervorgerufen
werden kann, und dass es sich bei den Personen, wo es zur Be¬
obachtung kommt, sehr häufig um neurasthenische und sonst ner¬
vöse Individuen handelt, bei denen die normale Elasticität der
Magen- und Darmwände aufgehoben oder vermindert ist. Neur¬
asthenische Personen leiden überhaupt meist an Mageudarm-
katnrrlien mit oder ohne Erschlaffung dieser Organe.
7) O. I s ra e 1 - Berlin: Zur Konservirung von Sammlungs-
präparaten mit Erhaltung der natürlichen Farben.
Stellt fest, dass die von ihm kürzlich erwähnte Methode im
Wesentlichen von Kaiserling erfunden worden ist.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 48.
1) K. Shiga-Tokio: Studien über die epidemische Dys¬
enterie in Japan, unter besonderer Berücksichtigung des Bacillus
dysenteriae. (Fortsetzung folgt.)
2) August L a (i u e u r - Berlin: Zur Kenntnlss uraemischer
Zustände.
In der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin
angestellte Versuche an Uraemischeu bestätigen die Beobachtung
von E. N e 1 s 8 e r und D o e r i u g, dass bei uraemlschen Zuständen
das Inaktivirte, durch Erhitzen des thermolabilen Komplements
beraubte Blutserum die Eigenschaft gewinnt, die haemolytlscho
Wirkung des aktiven (unveränderten) Serums aufzuheben. Die
gleichzeitig bei diesen Fällen angestellten Messungen des Blut¬
drucks mit dem G ä r t u e r’sclien Tonometer ergaben ferner, dass
sich mit Hilfe dieses verlässigen und leicht zu handhabenden In¬
strumentes wichtige prognostische und diagnostische Schlüsse
ziehen lassen, ebenso wie sich auch für die Therapie gewisse An¬
haltspunkte ergeben.
3) Ernst B e n d 1 x - Göttingen: Zur Cytodiagnose der Menin¬
gitis.
Die Untersuchung der Cerebrospinalflüssigkeit bei 5 Fällen
tuberkulöser und 3 Fällen eitriger bezw. epidemischer Meningitis
ergab bei der ersteren in sämmtlichen 5 Fällen vorherrschend
Lymplioeyten, während der speclfische Krankheitserreger nur in
einem Falle uaebgewiesen werden konnte. Bei der eitrigen Menin¬
gitis dagegen finden sich fast nur Leukocyten, während Lympho-
cyten nur in chronischen Fällen vermehrt auftreten.
4) E. Rachlmann: Ueber Dakryocystitis trachomatosa
und über die Ursache der akuten Dakryocystitis.
Vortrag, gehalten in der ophthalmologlsclien Sektion der
73. Jahresversammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in
Hamburg.
5) Gumpreclit - Weimar: Ein äusserer Handgriff zur Er¬
leichterung der Defaecation („Hinterdammschutz“).
Nach einem, auf der Naturforscherversammlung zu Hamburg
gehaltenen Vortrag. Referat siehe diese Wochenschrift No. 44,
pag. 17G7.
G) Ernst B e c k e r - Berlin: Ein Beitrag zur Lehre von den
Lymphomen. (Schluss aus No. 42.)
Beschreibung eines Falles von Pseudoleukaemle mit daran
anschliessenden Betrachtungen über eine dlfferentialdiagnostische
Scheidung der unter diesem Namen zusammengefassten aetio-
logisch und pathologisch-anatomisch verschiedenen Krankheits-
formeu. F. L a e h e r - München.
Oesterreiohisohe Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 42. II. Virchow-Nummer. 1) R. P a 1 1 a u f:
Cellularpathologie und Immunität.
Verf. führt aus, dass ein Ueberblick über die Ideen der Im-
inuuitätslchre zeigt, dass die Vorgänge bei der Immunität schliess¬
lich doch auf die Cellularpatliologie zurückzuführen sind und
durchaus keinen Triumph der Humoralpathologie bedeuten.
2) R. Kraus und P. Clairmont - Wien: Ueber Bacterio-
lysine und Antihaemolysine.
3) Ph. E i 8 e n b e r g - Wien: Ueber Isoagglutinine und Iso-
lysine in menschlichen Serie.
Die beiden Artikel eignen sich nicht, zu auszugsweiser Mit¬
theilung.
4) A. S c li 1 a e f r 1 g: Ueber eine pathogene Sarcine.
Bei der bakteriologischen Untersuchung des Sekretes einer
Ozaena, die schon mehrere Jahre laug bestand, fand sich neben
anderen Mikroorganismen eine Sarcine-Art vor, welche Mäusen.
Meerschweinchen und Kaninchen gegenüber sich als ausgesprochen
pathogen erwies, indem die Thiere mit Pleura- oder Peritoneal -
exsudaten eingingen. De Pathogenität blieb erhalten, wenn man
die Kulturen von Zeit zu Zelt den Thierkörper passiren liess. Verf.
bespricht noch die morphologische Stellung des gefundenen Mikro¬
organismus.
5) B. K r e i 8 s 1: Zur Kasuistik des Lungenmilzbrandes.
Mittheilung des pathologisch - anatomischen Befundes bei
einem Kranken, der klinisch nicht längere Zeit beobachtet werden
konnte, aber im Allgemeinen die Anzeichen von Gehirnblutungen
darbot, die sich als embolischer Natur erwiesen.
G» E. Schwarz- Wien: Zur Cytogenese der Zellen des
Knochenmarks.
Auf Grund seiner eigenen Untersuchungen kommt Verf. zu
folgenden Feststellungen: Die Proliferation der Knochenmarks¬
eieinente geschieht auf dem Wege der Mitose. Jede Zellart nimmt,
an derselben ihren relativen Autheil. Jede Zellart des Markes
hat ihre eigene Generation. Es gibt im Knochenmnrk kein Nach¬
einander von Zellstadien, sondern nur ein Nebeneinander von Zell-
nrten. Eine Reifung von Lymphocyteu zu granulirten Zellen be¬
steht ebenso wenig, als eine Reifung von «-Zellen zu «-Zeilen.
Der Verf. hat bei seinen Untersuchungen das Knochenmark durch
Toxininjektionen zur Proliferation angeregt und zur Färbung
eine Modifikation der von D o m e n I c 1 angegebenen Methode ver¬
wendet.
7) R. P a 11 a u f - Wien: Dextrokardie und Dextroversio
cordis.
P. veröffentlicht den Sektionsbefund eines Falles, in welchem
vor Jahren von Bamberger die Diagnose auf Rechtslage des
Herzens ohne Transposition desselben oder der Gefässe gestellt
worden war. Die Autopsie bestätigte diese Diagnose vollkommen.
Er erörtert das Zustandekommen der Anomalie, die er als eine
erworbene für den betreffenden Fall auffasst und als Dextroversio
cordis bezeichnet.
8) R. Paltauf -Wien: Ueber das Vorkommen lateraler
Furchen am Bückenmark bei Porencephalie.
Die beschriebene Beobachtung wurde am Rückenmarke eines
% Jähr. Kindes gemacht. Auf den histologischen Befund und die
vom Verf. gegebene Deutung der Entstehung kann hier nicht ein¬
gegangen werden.
9) E. G. v. Tannenhain (f): Zur Kenntniss des Pseudo¬
xanthoma elastlcum (Darier).
v. Tannenhain gibt den eingehenden histologischen Be¬
fund eines Falles obiger Erkrankung, die an einer 74 jähr. Frau
zufällig bei der Sektion aufgefundeu wurde.
10) C. Sternberg -Wien: Ein Fall von eingeklemmter seit¬
licher Bauchwandhemie.
Kasuistische Mittheilung mit Obduktionsbefund, eine Gl jähr.
Frau betreffend.
11) Derselbe: Multiple Sarkome des Dünndarms.
Obduktionsbefund und histologische Elnzelnlieiten der an
einem 44 jähr. Tischlergehilfen beobachteten seltenen Erkrankung,
mit historischem Exkurs Uber letztere.
G*
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1S02
MITENCIIENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
No. 43. 1)0. Zuckerkandl- Wien: Ueber Blasenstein¬
operationen.
Cfr. Referat über die diesjährige Naturforseherversammluug
in Hamburg, pag. 1072 der Münch, med. Wochenschr. 1901.
2) G. Gabriel- Wien: Zur Diagnose des Aneurysma der
Arteria meseraica.
l>ie Affektion ist eine recht seltene, so dass Verfasser in der
Literatur nur 4 klinisch beobachtete Fülle auffinden konnte, denen
er eineu 5., an einem lOJiilirigen Knaben beobachteten, anreiht.
Die Aneurysmen der bezelchneten Lokalisation entstehen, wie es
scheint, hauptsächlich auf embollschem Wege im Anschluss an
eine Endokarditis, nach Ansicht anderer Autoren aber durch me¬
chanische Einflüsse, indem Kalkpartikelchen von den Herzklappen
abgerissen werden und eine Laesion der betreffenden Arterie be¬
wirken. welche dann Sitz des Aneurysmas wird, ln dem beschrie¬
benen Falle bestand eine frische bakteritische Endokarditis, im
Verlaufe trat eine auf dieselbe zurückzuführeude Hemiplegie auf,
sowie ein rasch wachsender Tumor Im Abdomen, der bald rechts,
bald links von der Medianlinie zu tasten war. Verfasser glaubt,
dass auf Gnmd des Zusammentreffens dieser Zeichen lu manchen
Füllen die Diagnose gestellt werden kann.
3) R. v. Baraez - Lemberg: Ein Beitrag zur Tracheoplastik.
Bei eluem 14 jährigen Knallen, der eine schwere Diphtherie
durchgemacht und durch jahrelanges Tragen einer Kanüle einen
Defekt au der vorderen Trachealwaud acquirirt hatte, benützte
Verfasser zur Deckung desselben die Dehnbarkeit der den Defekt
umgebenden Halshaut. Er hob letztere in einer grossen Falte auf.
frischte oberflächlich an und krempelte sie nach innen um, so dass
die vordere Wand des Kehlkopfes und der Luftröhre nur aus der
eingestülpten Halshaut gebildet ist. Das erzielte Resultat war ein
günstiges. B. bespricht noch die von anderen Autoren auge-
wemleten Methoden.
Im Feuilleton findet sich ein Artikel: Altes und Neues
von der Feuerbestattung. G rasmuann - München.
Italienische Literatur.
Caminiti: Ueber die Dura mater bei Heilungen von
Schädelverletzungen. (Experimentaluntersuchungen aus dem
patholog. Institut der Chirurg. Klinik zu Rom.)
Die Dura mater erzeugt bei Schädelverletzungen Knochen
gleich dem Periost und gleich dem Knochenmark aber in ge¬
ringerer Weise und durch einen verschiedenen histologischen Vor¬
gang.
Merkwürdig ist noch das Faktnru, dass bei allen Experi¬
menten, die unter gleichen Bedingungen angestellt wurden, das
sehr verdickte Periost resorbirt wurde, während dies bei der Dum
mater nie der Fall war.
B 1 a n c h i: Ueber die Quelle der Synovia. (Lo sperimentale,
fase. II, 1901.)
Ist die Synovialis mit einem eigentlichen Endothel bekleidet,
als dessen Produkt die Synovia aufzufassen? Gehört die Syn¬
ovialis zu den serösen Häuten? B. tritt dieser Ansicht auf Grund
seiner Experimentaluntersuchung entgegen. Er betrachtet die
Synovialis als gewöhnliches, nur etwas zellenreicheres Biude-
gewebc. Man könne nicht sprechen von einer serösen Höhle,
noch weniger von einer geschlossenen Drüse, vielmehr von einer
erweil erteil Blndegewebsliöhle. Die klebrige Substanz der Syn¬
ovia komme vom Knorpel durch Zerschmelzuug desselben. In
histochemischer Beziehung sei das aus der Synovia gewonnene
Syuovin mit dem aus dem Mantel des Knorpels gewonnenen
Schleim identisch.
11 a 1 i a: Die Bakterien bei der Gallensteinbildung. (Rif.
med. 1901. No. 143.)
I. prüfte die Rolle, welche die Bakterien bei der Entstehung
der Gallensteine spielen experimentell in der Klinik Roms unter
Du raute. Diese Prüfling erstreckte sich auf Collbacillus. den
Typlmslmcillus, den Streptococcus pyogenes, den Staphylococeus
aureus und den Bacillus subtilis, welche in frisch entnommener
filtrirter, steriiislrter Rlndergnlle gezüchtet wurden.
Der Coli-, wie der Eberth’sche Bacillus haben
die Eigen tliümlichkeit, das Cholestearln zu
fällen. Die Conditio sine qua non dieser Fällung ist die saure
Reaktion der Galle, welche sofort durch die Pilze liewirkt wird.
Sie sind demnach als die spezifischen Mikroorganis¬
men der C h ol e s t e a r i u - S t e i n b i 1 d u n g zu be¬
trachten.
Die Staphylococcen wie Streptococcen entwickeln sich in der
Galle schlecht: sie verändern niemals die Reaktion der Galle und
werden bald steril: sie fällen niemals das Cholestearln und könnten
also höchstens zu Kalkkoukrementen Veranlassung geben.
Bemerkenswerth ist die schnelle Sedimentbildung, wenn man
zu den genannten pyogenen Infektionsträgern Bacterium coli hin¬
zusetzt. Das Sediment enthält reichlich Gallenpigmente und
kohlensauren Kalk schon nach wenigen Tagen. Darauf nach 10
bis 15 Tagen Cliolestenrin.
Tralua: Ueber die Beaktion auf Gallensäuren von
Haycroft. (II polielinieo, No. 41. Juni 1901.)
Dieselbe besteht in einer bestimmten Fällung von Schwefel
aus Flüssigkeiten; sie soll sehr genau und noch bei einem Gehalt
von 1:5000 nachweisbar sein. Indessen hat man sich zu ver¬
gegenwärtigen dass gewisse medikamentöse Substanzen (so
Chinolin, Jalappe, Menthol, Karbolsäure, Chromsäure) denselben
Effekt haben, wie die verdünnten Gallensäuren.
Zenoni: Ein Beitrag zur experimentellen Amyloident¬
artung. (Riforma med. 1901, No. 134—138.)
Aus dem serumtberapeutlsclien Institut zu Mailand bringt Z.
eine Abhandlung Uber die Pathogenese der amyloiden Ent¬
artung mit Berücksichtigung der ganzen Literatur über dieses
Thema. Die Veranlassung zu dieser Untersuchung gaben dem
Autor die Befunde von Amyloid an einer Reihe
von Pferden, welche im Institut zur Gewinnung
von Diphtherieheilserum benutzt worden waren. In
dieseu Fällen war die Entstehung von Amyloid ohne
Frage nur auf die Einwirkung der Diphtheriebak¬
terie u toxi ne zurückzuführen, keine Mikroorganismen Irgend
welcher Art waren zu beschuldigen, da die Thiere nur mit sterilen
Kulturen immunisirt waren, ebenso wenig irgend ein Eiterungs-
process.
Diese durch Toxine entstandene Amyloideutartung der ver¬
schiedensten Organe ist nach Z. so nufziifassen, dass die Toxine
eine Störung im Leben der Zelle herbeiführen, welche der Grund
wird zur Absonderung einer toxischen Eiweisssubstanz, dem
Amyloidin. Diese Substanz dringe in die Lympligefässe und ver¬
mische sich dort mit dem zlrkulirenden Plasma und dlffundtrc
so in den Kreislauf und lu alle Organe. So sei dieser Process als
eine Art Autointoxikatiou aufzufassen.
In ähnlicher Art wie diese allgemeine Amyloidöntartuug
durch Bakterientoxin sei die örtliche, bei entzündlichen, eitrigen
Processen bei Tumoren u. s. w. in Beziehung zu setzen zu einer
örtlichen Störung des Zellprotoplasmas, welche ein in den Lymph-
strom eiudringemles Gift (Toxoalbumose) erzeuge.
Mori (Rif. med. 1.901, No. 118—120) theilt einen Fall von
intestinaler Occlusion durch bewegliche Milz mit, ein in malaria-
freien Ländern gewiss unerhörtes Faktum.
Der Autor benutzt diese Gelegenheit, die Literatur Uber Lien
mobile zusammen zu stellen, aus welcher hervorgeht, dass sie im
Ganzen nicht so selten Ist und namentlich durch Malariaerkrankung
veranlasst wird.
Die Lageveränderung der Milz, wie man sie bei GlGnard-
scher Enteroptose findet, lässt M. daliei ausser Betracht, weil er
die Enteroptose als ein besonderes Krankheitsbild betrachtet.
Meraiui: Als differential diagnostisches Mittel bei Magen¬
geschwüren soll sich nach M. das Orthoform bewähren. (Rif.
med. 1901, No. 112—116.)
1 g Orthoform als Schüttelmixtur in einem halben Glas Wasser
genommen lindert den Schmerz bei Magengeschwür binnen 20 Mi¬
nuten vollständig und diese schmerzstillende Wirkung hält 3 bis
4 Stunden an. Je nachdem die Wirkung des Mittels in der Rücken-,
Bauch- oder Seitenlage schneller und vollständiger eintritt, kann
man einen Schluss auf den Sitz des Ulcus machen.
Bei rein nervösen Magenschmerzen oder bei solchen, die durch
Gastritis, durcli Uebersehuss an Salzsäuregehalt bedingt sind, ver¬
sagt entweder die schmerzlindernde Wirkung des Ortboforms oder
ist eine mehr weniger geringe.
Ferrarini: Ueber Hyperthermie, bedingt durch Pepton-,
Injektionen, und von der antagonistischen Wirkung des Atropins
gegen Pepton. (II Morgagni 1901, Juli.)
Ueber fieberhafte Temperaturen, welche durch Peptoneinspritz¬
ungen bewirkt werden, hat F. eine Reihe von Untersuchungen
augestellt und durch Taliellen illustrirt.
Merkwürdig ist daliel die antagonistische Wirkung, mit
welcher Atropin diese Temperatur heruntersetzt.
Die Temperaturerhöhung fand F. für gewöhnlich proportional
der injizirteu Peptondosis bis zu einem Maximum von 2° C. Bei
derselben stellt sich, wie unter uonnalen Verhältnissen, die Teni-
paratur in der Leber immer um 0,5—1.5° C. höher als die Rectum-
temperatur. Durch kleine Dosen Atropin wird die Temperatur
leicht erhöht; durch grössere Dosen (bis 10 mg pro Kilogramm)
erniedrigt sie sich um 1—2°.
Die durch Peptoninjektioueu bewirkte Temperatursteigerung
kann durch eine entsprechende Atropininjektion stets prompt
zurfiekgehalten und gehindert werden und zwar sind 15 mg pro
Kilogramm Körpergewicht lieini Thier nöthlg. um die Wirkung
von 40 cg pro Kilogramm Pepton zu ueutralisiren.
Aller noch weiter scheint dieser Antagonismus zu gehen.
Vom Atropin ist n a ch g e w i e s e n. dass es hemmend
auf die Glykogenbildung in der Leber wirkt
und die Untersuchungsresultate F.’s machen es
wahrscheinlich, dass Pepton Injektionen die
umgekehrte Wirkung auf d i e Glykogenblldung
in der Leber haben.
De Lu ca: Ueber die Cardioptose, den Morbus Rummo der
Italiener (Rif. med. 1901, No. 157 u. 158), welcher in diesen Blättern
wiederholt von uns erwähnt ist veröffentlicht der obige Autor
durch Abbildungen illustrirte Studien, welche sich zu einer kurzen
Inhaltsangabe nicht eignen und auf welche wir sich Interesslrende
hierdurch verweisen.
Mariani: Heilung von Mal perforant des Fusses durch
Nervendehnung des Nervus plantaris. (Gazzetta degli osped.
1901, No. 81.)
Die Methode ist nicht neu; eine Reihe von glücklichen Hei¬
lungen sind bekannt, trotzdem droht sie, wie M. bemerkt, der
Vergessenheit, anheimzufalleu. Eine geeignete örtliche Behand¬
lung Ist selbstverständlich bei derselben nothwendig.
T o r e 1 11: Seltenen Fällen von Gonococcus - Lokalisation
(II Morgagni, Juli 1901) fügt T. einen neuen hinzu, in welchem
sich dieser Infektionsträger in einem Ekzem der Oberlippe befand,
dessen Hartnäckigkeit er bedingte.
8 e p p i 111 veröffentlicht seine Untersuchungen über Alko¬
holismus und progressive Paralyse. (Anuali di nevrologia, fascl-
colo II, 1901.)
Digitized by v^ooQie
5. November 1901.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1803
Unter 102 Füllen fand er IG mal, also ln 15 Proc., Al-
koliolisinus als einzige Ursache. In Bezug auf Sym¬
ptome wie Obduktionsbefund unterschieden sich diese Fälle iu
keiner Welse von den anderen. Neben der Lues ist also die Al-
koholiutoxikation als ein ursächliches Moment der progressiven
Paralyse aufzufasaen und S. neigt zu der Anschauung Kraepe-
1 i n’s. dass die progressive Paralyse eine besondere Intoxikation^-
form ist, welche zu schwerer Stoffwechselstöruug führt, und dass
die Syphilis und der Alkohol nur den Anstoss zur Bildung des
paralytischen Giftes geben.
Benvenutl: Zur Pathologie des Pons Varoli. (Annali di
nevrologia, fase. II, 1901.)
Eine Zusammenstellung unserer bisherigen
Kenntnisse Über die Affektionen des Pons
Varoli.
B. geht aus von einem Falle, welcher die klassischen Sym¬
ptome einer Laesion des Pons lx>t und bei welchem die Obduktion
einen haemorrhaglschen Herd des 4. Ventrikels ergab, welcher
die linke Hälfte des Pons ln Mitleidenschaft zog. Interessant ist
besonders der mikroskopische Nachweis der durch diesen Herd
gesetzten Veränderungen au den Kernen und Fasern des Pons und
der Vergleich dieser pathologisch-anatomischen Daten mit den
klinischen Resultaten.
T e d e s c h i: Beobachtungen über Haut- und Sehnenreflexe,
(Gazzetta degll osped. 125—128, 1901.)
In einer ausführlichen durch viele Beispiele erläuterten Ab¬
handlung kommt T. zu dem Schlüsse, dass bei der Differential¬
diagnose zwischen organischen und funktionellen
Nervenkrankheiten die Untersuchung der Haut¬
reflexe den grössten Werth hat.
Bel Epilepsien der motorischen Sphäre und bei manchen
Choreaformen ist ein Antagonismus zwischen Haut- und Sehuen-
reflexen häufig zu bemerken.
Den gleichen Antagonismus beobachtet mau bei Laesionen
der Pyramidenstränge; neben Erhöhung der Sehneureflexe
Schwäche oder Verschwinden der kutanen.
Das B a b 1 n s k y’sclie Phänomen Ist besonders wichtig für
Laesionen der Pyramklenbahuen; eine grosse Reihe von Autoreu
fanden es beständig bei organischen Veränderungen derselben.
Roth dagegen will es auch bei hysterischer Hemiplegie gefunden
haben. Crocy in zwei Fällen von alkoholischer Paraplegie.
Ein für gewöhnlich sicheres Zeichen von
Erkrankung der Pyramidenbahnen ist ver¬
stärkter Sehnenreflex bei geschwächten Haut¬
reflexen.
Das B a b i n s k y’sclie Symptom findet mau häufig modiflzirt
in dem Sinne, dass die Streckung der grossen Zehe begleitet ist
von mehr weniger deutlicher Flexion der anderen Zehen.
Die Unregelmässigkeit und Undeutlichkeit des Symptoms
scheint manchmal ln Verbindung zu stehen mit einem gewissen
Schwächezustand der Extensoren. Ermüdung der Extensoreu
durch längeres Faradisiren oder Schwächung derselben durch
künstliche Ischaemisiruug kann das Phänomen modlflzireu und
auch zum Verschwinden bringen dort, wo es vorhanden ist.
Trombetta e Ostuio; Die Sinne und ihre gegenseitige
Kompensation bei den Taubstummen und Blinden. (Archiv,
ital. dl otologla, No. 3, 1901.)
Das genannte Thema machten die Autoren zum Gegenstand
methodischer Untersuchungen. Sie fanden, dass die objektive
Orientirung bei den Taubstummen sich fast uormal verhält da¬
durch, dass 1. das Auge an Schärfe, an Beweglichkeit und au
peripherischem Sehen gewinnt und der Olfactorius erheblich
leistungsfähiger wird als iu der Norm, endlich der Gefühls- nml
Tastsinn weit entwickelter wird und eine sogen, Synaestliesie sich
entwickelt, wie sie den exodermischen Bildungen (Fühlern) der
niederen Thiere eigen ist, deren Adäquata beim normalen
Menschen verkümmert sind.
In gleicher Weise ist bei Blinden Zunalnne des Geruchssinnes,
vermehrte Schärfe des Gehörs und grössere Ausdehnung dieses
Sinnes vermöge vermehrter Beweglichkeit des Kopfes und sogar
der Ohrmuschel zu konstatiren. Die Lokalisation der Töne und
Geräusche wird eine vollkommene.
Auch hier wird der Tastsinn für Luftströmungen und Sen¬
sationen der verschiedensten Art ungemein viel empfindlicher und
geübt im Lokalislren der Quelle und Richtung dieser Strömungen.
Hager- Magdeburg-N.
Vereins- und Congressberichte.
73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901.
Abtheilung für Geburtshilfe nnd Gynäkologie.
Referent: Edmund Falk- Berlin.
IV. Sitzungstag vom 26. September 1901.
Herr Mackenrodt berichtet über seine weiteren Er¬
fahrungen, die er seit dem Giossener Kongress mit seiner Krebs-
operation gemacht hat. Er fordert für alle über das früheste
Stadium hinausgegangeuen Carcinonie des Uterus und für alle
Scheidencarcinome die abdominale Operation mit Ausräumung
des Beckens, einschliesslich der Beckendrüsen. Keine andere
Operation könnte dieses Ziel so vollständig erreichen und sei
so gefahrlos, wie die von ihm als Laparotomia hypogastrica be¬
schriebene Operation, welche bei geschlossener Bauchhöhle und
vom Beckenbindegewebe aus au die Organe herantrete. Uterus
und halbe Scheide müssen principiell entfernt werden, ohne die
Ureteren zu gefährden. Das ganze Parametrium und Para-
kolpium muss heraus. Die Drüsen werden aus der transperi¬
toneal eröffneten Beckengrube vollständig ausgeräumt. Durch
geeignete Wundversorgung wird die Wunde geschlossen. Die
Lebenssicherheit dieser Operation ist so gross, wie bei der vagi¬
nalen Totalexstirpation. Die Operation wird in 16 stereo¬
skopischen Bildern demonstrirt und darauf in der Klinik von
Prochownick ein Fall von Cervixearcinom operirt. Der Ver¬
lauf der Operation war glatt. Alle wichtigen Einzelheiten konn¬
ten den zahlreich erschienenen (52) Kollegen demonstrirt werden.
Die schwächliche Kranke hat die Operation gut vertragen.
Hierauf demonstrirte M. noch seine transperitoneale Ureter-
scheidenfisleloperatiou gleichfalls in der Prochownic k’scheai
Klinik au einem Fall von linksseitiger Ureterscheidenfistel, welche
nach einer vaginalen Totalexstirpation entstanden war. Die
Operation gelang trotz ausgedehnter Narbenbildung ganz glatt.
Herr Schröder - Bonn stellt vor:
1. Ein seröses Cystadenom des Ovarium. kombinirt mit einem
kiudskopfgrossen. die Hauptmasse des Tumors ausmacbendeu
Oberflüehenpapillom.
2. Eine doppelseitige tuberkulöse Hydrosalpinx: beide Tuben
sind in armdicke, wurstförmige, ungefähr 27 cm lange, prall-
gespannte Tumoren verwandelt und zwar nur au ihrem distalen
Ende: in ihrem übrigen medianen Verlauf sind die Tuben verdickt
und zeigen stellenweise knotige Auftreibungen. Auf der Serosa
der Tubeu sowohl wie des Uterus üudeu sich zahlreiche miliare
Knötcheu. Auf den Einwand hin, es könne sich nach dem makro¬
skopischen Aussehen auch um ein weiches Careinom der Tuben
handeln, wird einer der Hydrosalpinxsäcke aufgeschnitten und
der theilweise gewonnene Inhalt entleert; dabei wird die Diagnose
Tuberkulose bestätigt.
3 Schwangerschaft im 1. Mouat. kombinirt mit Myom; an
dem Präparat lässt sich deutlich erkennen, wie die mächtig ent¬
wickelte Corpusschleimhaut sich scharf am Orificium iuternum
von der Schleimhaut der Cervix abhebt. Auf der Kuppe der dem
Myom gegenüber liegenden Schleimhautseite ist das Ei ein- •
gebettet; seine Maasse sind 8,5 mm zu G,5 mm, demnach dürfte
das Ei wohl Ende der 2. Woche stehen.
Herr A. v. G u 6 r a r d - Düsseldorf: Zur instrumentellen
Zerreissung des Uterus.
Vortragender spricht über die Fälle instrumenteller Perfora¬
tion des Uterus, in welchen die Instrumente ganz ohne Gewalt
den Uterus durchbohren.
Klinisch ist das Bild ziemlich umschrieben. Es handelt sich
fast in allen Füllen um Erweichungen der Gebärmutter im An¬
schluss an verschleppte Aborte oder Geburten, bei denen die
Nachgeburtsperiode nicht glatt verlief. Fast immer (2 Aus¬
nahmen) handelt es sich Retroversioflexionen, ebenso in den
meisten Fällen um Mehr- oder Vielgebärende. Theoretisch ist
eine Erklärung also leicht gegeben: Endometritis, Metritis. Beide
werden durch die pathologische Lage unterhalten, welche eine
starke Stauung und Durchweichung bis zur Gänsefettweichheit
(Gläser) herbeiführt.
Eine anatomisch-pathologische Erklärung steht noch aus
und doch lassen sich mikroskopisch typische Veränderungen
nachweisen. Zur Untersuchung kamen zwei durch Exstirpation
gewonnene Uteri.
Fall 1. 35Jähr. Frau, 12 Partus. Bei der Abrasio zwei¬
fache Perforation des grossen uud dicken Uterus. Daher Total¬
exstirpation, ausgiebige Resektion der Ligamente. Einuähuug der
Stümpfe ln die Vagina. Gutes Resultat.
F a 11 2. 29 jähr. Frau, 9 Tartus. Zugesandt wegeu Ver¬
dachte auf Malignität. Beim Versuch der Prol>eauskratzimg
3 malige Perforation. Am 3. Tag darnach Totalexstirpation.
Deutlich sind die 3 Perforationsöffnungeil zu sehen, Es wurden
Stücke aus dem Fundus, aus der Nähe der Perforationsöffnungeu
und aus der Nähe der Cervix untersucht. Alle ergaben densellieu
Bel und, besonders gut die Schnitte aus deu Fuudusstücken und
zwar: die einzelnen Muskelbündel sind durch eigenthümliche
Zwischenräume getrennt Diese sind im 1. Stadium frei, im
2. sind sie mit einem sehr lockereu. feinmaschigen Gewebe aus-
gefhllt, das ziemlich kernreich ist; lm 3. Stadium sind sie mit
wohlentwickeltem jungen Bindegewebe ausgefUllt. Die Gefässe
sind sehr zahlreich, sie zeigen eine sehr deutliche Verdlekung der
Intima und zwar so sehr, dass der Durchschnitt bisweilen rosetten¬
artig uud sternförmig ist. Es handelt sich also der Hauptsuche
nach um eine schwere Myometritis.
Herr E b e r.h ar t * Köln: Zur Kasuistilr 4er Castration
bei Osteomalacie.
Vortragender bespricht die verschiedenen Ansichten über die
Aetiologie der Osteomalacie und erwähnt in erster Linie Ludwig
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1804
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Winckel, den Vater der Münchener Gynäkologen, der sich
um die Bekämpfung dieser Krankheit in seinem früheren Wir¬
kungskreise Gammersbach wohl ebenso viel Verdienst erworben
hat, als Fehling, der uns in der Castration ein Heilmittel
dieser Krankheit zeigte.
Zur Zeit haben wir für diese Erkrankung keine befriedi¬
gende Erklärung. Wir haben, wenn wir auch viele Uebereinstiin-
mung bei der mikroskopischen Untersuchung der Ovarien ge¬
funden haben, zur Zeit noch kein ausgesprochenes spccifisches
osteomalacischee Ovarium gefunden.
Dass ein Zusammenhang zwischen den erkrankten Ovarien
und der Knochenerkrankung besteht, ist im höchsten Grade wahr¬
scheinlich, welcher Art derselbe aber ist, ist zur Zeit noch un¬
bestimmt.
Wie schwierig sich die richtige Beantwortung zeigt, geht aus
einem Stoffweehselversuche von Senator (Berl. klin. Wochen-
schr. 1897, No. 6) hervor, wo in einem Falle von Osteomalacie
die Krankheit sich besserte und doch dabei die Kalkausfuhr nicht
abnahin. Diese Thntsacho macht die ganze Erkrankung noch
komplizirter.
Jedenfalls haben wir in der Castration, die nur von Feh¬
ling 1887 empfohlen wurde, ein glänzendes Heilmittel, das in
83,1 Proc. sich bewährt.
Vorher sollen wir jedoch eine Phosphorbehandlung versuchen,
und wenn diese nichts nützt, dann erst zur Castration unsere Zu¬
flucht nehmen, jedoch soll man damit nicht warten, bis die
Knoohendefonnität hochgradig geworden, da dieselbe trotz Hei¬
lung der Osteomalacie dann nicht verschwindet.
Vortragender erwähnt den einen Fall, den er am 24. IV.
ojierirt, nachdem eine Phosphorbehandlung erfolglos geblieben
und dabei noch einen Darmkatarrh hervorgerufen hatte. Es sind
aber auch Fälle vorhanden, wo eine Castration ohne Erfolg war
und eine spätere Phosphorbehandlung Erfolg liatte.
Wir müssen desshalb stets die Phosphorbehandlung vorher
versuchen und zwar am besten in Form des Phosphorleberthrans,
daneben Soolbäder etc. verordnen.
Jedenfalls müssen wir noch weiter über diese Krankheit for¬
schen, unser Augenmerk aber besonders darauf richten, dio Fälle
möglichst früh zu erkennen.
Nach Koppen haben wir in den eigenthümliehen Schmer¬
zen, dem Watschelgang und in der Schwäche der Ileopsoas ein
frühes Erkennungszeichen.
Discu8Sion: Herr O. Fal k-Hamburg: Dass die Retention
von PhoHphorsäure die Ursache der Osteomalacie sei, wie im
Jahre 1895 von italienischer Seite behauptet wurde, ist durch die
Untersuchungen F a 1 k’s widerlegt. Vor und nach der Kastration
besteht kein Unterschied in der Ausscheidung der Phosphorsäure.
Herr Zweifel berichtet über einen Fall, in dem die
Kastration keinen Dauererfolg gehabt hat. Ein Recidiv trat ein,
die Sektion ergab typische Osteomalacie.
Herr P. Müller berichtet über ähnliche Misserfolge, das
Recidiv trat in dem einen Falle nach 7 Jahren ein.
Herr Heydrich betont, dass iu einem Falle, in dem die
Kastration ohne Erfolg war, eine Phosphorsiiurebehandlung ein
gutes Resultat ergab.
Herr Zweifel: Bezüglich der Wirksamkeit der Phosphor¬
behandlung ist es von Wichtigkeit, ob und wie viel Phosphor in
wirksamer Form dem Organismus zugeführt wird. Bei der Dar¬
reichung in Lebertliran hängt dieses von der Möglichkeit des
Luftzutrittes ab; denn bei Luftzutritt oxydirt Phosphor sehr
schnell.
Schnell- Würzburg betont, dass zwischen dein nachweis¬
baren Grad der Erkrankung der Ovarien und dem Grade der vor¬
geschrittenen Osteomalncie ein deutlicher Zusammenhang bestehe.
Herr Semon - Danzig berichtet über ein Fall von Ge¬
burtshinderung durch einen Ovarialtumor.
Das kleine Becken war vollkommen durch den Tumor aus¬
gefüllt Der Muttermund lag hoch über der Symphyse, in dem
Muttermund war ein Fuss zu fühlen. Eine Reposition gelang
nicht; da ein dünnflüssiger Inhalt des Ovarialtumors nach dem
Palpationsbefund nicht vorhaqden zu sein schien, wurde die
Laparotomie ausgeführt; der Tumor war ein fester Ovarialtumor.
Das Kind konnte eine halbe Stunde später lebend extrnhlrt werden.
Die mikroskopische Untersuchung ergab ein grosszelliges Rund-
zellensurkom.
Im Anschluss betont Semon die Besserung in der Prognose,
welche die Ovkriotomle intra partum mit den Fortschritten der
Operationstechnik und der Asepsis ergibt.
Die Reposition beseitigt nur momentan im Falle des Gelingens
die Gefahr. Stieltorsion und nachfolgende Peritonitis können
auch in der Folge noch zu tödtlichem Ausgange führen. — Die
Punktion ergibt keineswegs immer eine genügende Verkleinerung
der Geschwulst. Eingreifende geburtshilfliche Operationen end¬
lich. ohne das Hinderniss vorher beseitigt zu haben, sind in
jedem Falle unzweckmässig. Die Prognose der Orariotomie
intra gravlditatem ist für die Mutter die gleiche, wie die
der einfachen Ovariotomie, die Prognose für das Kind hingegen
wesentlich ungünstiger; in einer Reihe von Fällen tritt eine Fehl¬
geburt ein. Es ist daher unter Umständen, wenn auf das kind¬
liche Leben besonderer Werth gelegt werden muss, ein Warten
bis zum Ende der Schwangerschaft bei gutartigem Ovarialtumor
gestattet
Herr Schatz betont die Zweckmässigkeit der Punktion bei
Parovarialcysten.
Herr Höhn- Kiel demonstrirt ein über mannskopfgrosses
Cystomyom des Uterus. Das Präparat zeigt ausgesprochenen
grossknolligen Bau, sämmtllche Cysten sind von hohem, cylinder-
förraigeu FlimmeTepithel ausgekleidet. Der Tumor ist gestielt.
Dickwandige Cysten, welche an der Innenfläche sulzlgweiche
Knoten zeigen, unterscheiden sich von dünnwandigen mit glatter
Innenfläche. Der Tumor zeigt eine peritoneale Hülle, ein fibro-
musculäres Bett und zahlreiche Flimmercysten. Der Stiel ist
musoulös und reich an Gefiissen, er ist an der Hinterwand des
Uterus aus dem Stratum vasculare des Uterus herausgewachsen.
Die Cysten stammen wahrscheinlich von einem Rest des W o 1 f f -
sehen Köreprs. Die Frau war stets regelmässig menstruirt und
hatte keine Beschwerden, ein Prolaps führte sie in ärztliche Be¬
handlung.
2. Demonstrirt er den Uterus einer 55 jährigen Nulllpara mit
Tuberkulose des Uterus und der Cervix. Der Uterus war ungleich-
massig vergrössert, rechts und hinten liesonders stark: die Ver-
grösserung wurde durch ein C y 11 n d e r z e 11 e n c a r c i u o in
verursacht. Die Tuberkulose erstreckte sich auch auf das Myo¬
metrium; die Kombination von Tuberkulose und Carciuom ist
sehr beachtenswertli.
Herr G 1 o e k n e r - Leipzig demonstrirt einen Uterus, dessen
Portio makroskopisch das Bild eines Carcinoma bot, es zeigte sich
jedoch bei der mikroskopischen Untersuchung, dass es sich um
Tubcrkuloe der Portio handelte. *
Herr Heydrich- Liegnltz demonstrirt eine Punktious-
nadol zur Punktion vaginaler Abscesse. welche unter Leitung der
Finger geschützt eingeführt werden kann, Nebenverletzungen aus-
schliesst und in sehr zweckmässiger Weise konstruirt ist.
Gemeinsame Sitzung mit der A b t h e i 1 u » g für
Neurologie und Psychiatrie.
Herr J o 11 y - Berlin: Die Indikation des künstlichen
Abortus bei der Behandlung von Neurosen und Psychosen.
Die Scheu, einer falschen Anschuldigung ausgesetzt zu wer¬
den, ist wohl der Grund, dass über die Unterbrechung der Schwan¬
gerschaft wegen Neurose so wenig Mittheilungen veröffentlicht
worden sind und doch bedingen die Neurosen nicht selten die
Einleitung des Abortes. Als wichtigste Erkrankung ist die
Chorea gravidarum zu nennen; viele Fällo derselben verlaufen
allerdings glücklich und können vor der Zeit zur Ausheilung
kommen, aber die Chorea der Erwachsenen ist prognostisch un¬
günstiger als die Chorea der Kinder. Dio Gefahren sind durch
Endokarditis und Albuminurie, welche als Begleiterscheinungen
der Infektion auftreten, bedingt. Ferner gesellen sich hallucina-
toxische Zustände, in denen die Kranken schwer zu ernähren sind,
hinzu, in Folge deren die Frauen marantisch zu Grunde gehen
können. Eine weitere Gefahr liegt in der Intensität der chorea¬
tischen Bewegungen, welche zu Verletzungen und allgemeinen
furunkulösen Abscessen führen können. Einen derartigen Fall,
in dem die Kranke an Sepsis starb, beobachtete J o 11 y. Es lässt
sich nun bestimmt versichern, dass man durch die Unterbrechung
der Schwangerschaft gewöhnlich eine rasche Abnahme der chorea¬
tischen Erkrankungen erzielen kann. Bisweilen stellt sich un¬
mittelbar nach der Entbindung eine vorübergehende Zunahme der
Bewegungen ein. Es ist nicht von vornherein bei Chorea noth-
wendig, die Schwangerschaft zu unterbrechen, man muss aber
darauf gefasst sein, bei Zunahme der Jactationen, bei Störung
der Ernährung, die Fehlgeburt einzuleiten. Weitere Neurosen,
welche in Frage kommen, sind die Epilepsie, bei ihr ist die
Unterbrechung der Schwangerschaft werthlos; auf die Eklampsie
geht J o 11 y nicht näher ein. Eher findet sich bei Hystcro-
Epilepsie die Indikation zur Unterbrechung der Gravidität.
Von den hysterischen Erscheinungen ist unstillbares Er¬
brechen zu erwähnen, wie weit dasselbe jedoch hysterischer Ur¬
sache ist, lässt sich nur von Fall zu Fall erörtern. Häufig ent¬
wickelt sich während der Schwangerschaft Melancholie, das
Gefühl der fehlenden Leistungsfälligkeit, Selbstanklagen, Angst¬
gefühl und Selbstmordideen sind nicht selten. Viele Fülle ge¬
nesen während der Gravidität, bei manchen jedoch finden sieh
Uebergänge in delirante Zustände, selbst Formen, welche zu
dauernden Psychosen führen können. Die Angst vor dem un¬
günstigen Verlauf der Schwangerschaft ist häufig. J o 11 y schil¬
dert Felle, in denen durch Unterbrechung der Schwangerschaft
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDiClNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
1805
sich sehr schnell das psychische Verhalten besserte. Es handelt
sich stets um psychopathische Personen; meist waren mehrere
Schwangerschaften gut verlaufen, aus irgend einer Ursache
glauben die Frauen, dass sie diese Schwangerschaften nicht über¬
stehen werden, und so entwickelt sich das Bild der Melancholie,
dieselbe war meist auf dem Höhepunkt angelangt, bei dem die
Ucberführung in die Anstaltsbehandlung geboten schien; aber
auch dann wäre es fraglich, ob die Patientin zu retten wäre, denn
Selbstmord oder fortschreitende Psychose sind selbst bei der An¬
staltsbehandlung wahrscheinlicher, als Heilung. Ist also ohne
Anstaltsbehandlung eine Rettung der Kranken nicht zu erwarten,
so ist die Indikation zur Einleitung der Fehlgeburt gegeben. Die
Aussicht, dass das kommende Kind psychopathisch belastet wäre,
darf hingegen nicht in Betracht gezogen werden. Zweckmässig
ist es, vor einem operativen Eingriff einen zweiten Arzt zu Rathe
zu ziehen.
Discussion: Herr Martin: Man muss unterscheiden ln
den einzelnen Fällen, in denen die Frauen unsere Hilfe aufsuchen,
oh die Frau am Ende der Gravidität sich befindet, hier ist ein Ab¬
warten möglich; hingegen ist die Verantwortung im Beginn der
Schwangerschaft wesentlich grösser. Schwere Fälle von Choren
führten hier wiederholt zur Unterbrechung der Gravidität, dieses
war bei Epilepsie niemals nöthig. In einem Fall von Melancholie
musste er gleichfalls den Abort einleiten; wir müssen uns jedoch
bemühen, die Indikationen zur Unterbrechung mit den äussersten
Vorsichtsmaassregeln zu umgeben. — Die Hyperemesis gravi¬
darum ist sicher In vielen Fällen eine Neurose, daher sah Martin
wenige Fälle, welche nicht in einfacher Weise durch Aenderung
der Ernährung sich bessern Hessen, nur 3 mal führte in seiner
Praxis diese Indikation zur Einleitung der Fehlgeburt.
Herr Zweifel sah verhältnissmässig viele Fälle von Chorea,
in denen er längere Zeit mit der Unterbrechung zögerte und die
Erfahrung machte, dass sie glücklich verliefen. Dann kamen
aber wiederum so schwere Fälle, die nach anfänglich günstigem
Verlauf unglücklich endeten. Er sieht daher jede Choreaerschei¬
nung in der Gravidität als strenge Indikation zur Unterbrechung
der Schwangerschaft an, da ohne dieselbe in fast 25 Proc. der
Fälle der Exitus eintritt. Anders verhält es sich bei der Melan¬
cholie. Melancholische Zustände sind sehr häufig, man soll sich
den Wünschen der Frau nach Unterbrechung der Schwangerschaft
streng entgegensetzen, man muss ihr zeigen, dass jede Angst vor
der Entbindung unnüthig ist. ln sehr schweren Fällen der Psy¬
chose kann dieselbe allerdings zur Unterbrechung zwingen.
Herr Lomcr knüpft an seine Arbeit über Unterbrechung
der Schwangerschaft an, in welcher er einen Fall beschreibt, in
dem er wegen Melancholie den Abort einleiten musste. Die Pat.
hatte 0 Kinder, trotzdem hatte sie nicht den Wunsch, zu abortiren.
später hat sie noch 2 mal geboren.
Herr Crohn berichtet gleichfalls Uber günstigen Erfolg bei
Einleitung der Frühgeburt wegen Melancholie.
Herr Blnswanger betont, dass auch epileptische Formen,
welche sich steigern und mit psychischen AflTektionen sich kom-
biniren können, zur Unterbrechung der Schwangerschaft zwingen.
Herr FI a t o w empfiehlt bei Hystero-Epllepsie die Sug¬
gestionstherapie zu verwenden.
Abtheilung für Kinderheilkunde.
Referent: B. B e n d i x - Berlin.
IV. Sitzung vom 26. September.
Herr W. Camerer jun.: Die chemische Zusammen¬
setzung des Neugeborenen.
Die Untersuchung, über welche C. schon 2 mal in der Gesell¬
schaft für Kinderheilkunde berichtet hat, ist nun zu Ende ge¬
führt. Konnte man früher das Bedenken haben, dass die be¬
arbeiteten 4 Körper bei unternormalem Geburtsgewicht der
untersuchten Kinder (im Mittel 2630 gr) etwas anders zusammen¬
gesetzt sein möchten, als die von Kindern mit normalem Ge¬
burtsgewicht, so ist dies Bedenken durch die Untersuchungen
von weiteren 2 Kindern, No. 5 und 6, hinfällig geworden. Denn
diese letzteren Kinder hatten ein Geburtsgewicht von 3048 gr
und 3348 gr nud die Befunde bei ihnen stehen in der Mitte
zwischen denen bei No. 1 und 2, den etwas fetteren Kindern,
und 3 und 4, den etwas mageren Kindern, ohne dass d i e U n t e r-
schiede unter allen Sechsen überhaupt von
grossem Belang wären. ,
Auch ein Unterschied der Geschlechter ist nicht
hervorgetreten — wir verfügen über 3 Knaben und 3 Mädchen.
Eine Aenderung der Mittelwerthe durch Hinzufügung neuer
Fälle (von normalen Neugeborenen) ist nach Allem nicht in
Aussicht zu nehmen. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen,
bezüglich deren ich auf die ausführliche, demnächst erscheinende
Veröffentlichung in der Zeitschrift für Biologie verweise, gebe
ich nur die Mittelwerthe und benütze dieselben sodann zu
einigen Folgerungen, die mir für die Kindsphysiologie und
Kinderheilkunde wichtig erscheinen.
Tabelle I.
2
o
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V
t?
0 )
ff
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1
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s
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U
5C
O
Absol mittlerer Werth
für 1 Klr.d . .
2880
*926
796
343
76
380
42
44*',6
67,16
66,3 :
147,46
Auf 100 g Leibessub-
stanz kommen
71,8
28,2
12,3
2,7
11,7
1,5
16,9
2,38
1,98
6,36
Auf 100 g Trockensub¬
stanz kommen
_
_ 1
_
43,8
9,4
41,6
6,3
66,6
8.4
7,0
187
l n 0 g Erwachsener nach
Volkmann .
-
66
34
-
4,7
-
-
18,6
2.8
2,6
6,6
Tabelle II.
Asche n Verhältnisse (im Mittel aller 6 Kinder).
O
N
be
O
£
CaO
C
s
O
£
S
c
*
B
a
B
CD
u
g
-C
Xi
<
I
Ü W
fl
Das Durchschnittskind
( 2820 ) enthält.
6,4
6,6
28,6
0.8
0,4
28,8
6.0
76,6
1.1
74,4
76
100 g Leibessubstanz ent¬
halten .
0,19
0,23
1,01
0,03
',016
1,02
0,1b
2,68
_
2,7
100 g Asche vom Kind ent¬
halten . .
7,1
8,6
37,6
1.0
0,6
38,2
6,6
_
_
100 g Asche von Frauen¬
milch enthalten , .
31,4
11,9
16,4
.»,6
0,16
13,6
20,0
-
-
—
-
Ausserdem fand sich, auf 100 g Leibessubstanz berechnet,
rund 45 mg Harnstoff, 7 mg Ammoniak und 0,6 g Lecithin
im Körper des Neugeborenen.
Unter Beützung anderer Arbeiten und auf Grund von Er¬
wägungen, welche ich hier übersehen kann, kam ich zu dem
sicheren Schluss, dass man keinen merklichen Fehler mit der
Annahme begeht, es sei der tägliche Anwuchs des Säuglings von
gleicher Zusammensetzung wie die Leibessubstanz des Neu¬
geborenen. Damit besitzt man nunmehr alle für die 24 stündige
Stoffwechselbilanz des Säuglings nothwendigen Mittelwerthe;
man kennt nämlich die Muttermilchmenge und deren
chemische Zusammensetzung (auch die Elementarzusammen-
setzung derselben), man kennt Grösse und Beschaffenheit von
Urin und K o t h. Daraus ergeben sich ohne Weiteres die
Zahlen für die direkt schwer zu beobachtenden Respirations¬
grössen.
Tabelle III.
24 stündige Bilanz eines Muttenuilchsäugllngs ln der 10. Woche,
Gewicht 5,00 kg, tägliche Zunahme 25 g, Muttermilch 700 g, Urin
520 g, Koth 20 g mit 20 Proc. Trockensubstanz.
a) Zufuhr.
e©
5
'S
Anwuchs
Bleibt für Ausscheidung
c
45,4
3,9
41,51
41,5
H
6,8
0,6
6,2
6,2
N
1,3
0,5
0,8
0,8
O
87,1
| 1,3
35,8
hierzu ans Atmosphäre 118,9 total
149,7
Asche
1,4
! 0,7
0,7
0,7
Wasser
708,0
18,0 690,0
690,0
Summa
800,0; 25,0 775,0 J
888,9
b) Ausfuhr.
Urin
Koth
Respi:
COa
ration
HiO
Summa
C
0,9 j
2,2
38.4
41,5
H
0.2
0,8
—
5,7
6,2
N
0,6 ,
0,2
—
Wasserbildung = 51,8
0,8
O
0,8
0,9
102,4
45,6
149,7
Asche
0,5
0,2
—
—
0,7
Wasser
517,0
16,2
—
166,8
690,0
Summa
520,0
20,2
140,8
208,1
888,9
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1806
MUENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Der respiratorische Quotient ist = 0,89.
Der Verlust beim gasförmigen Stoffwechsel 1 „jg q _ ..q q _ „oc _
(perspir. insensib). J * *
Calorienwerth der Zufuhr (Urin und Koth ab) ca. 480
„ des Anwuchses.. 60
Energieausgabe 430
Es werden also reichlich 50 Proc. der zugeführten Mineral-
bestandtheile und 40 Proc. des zugeführten Stickstoffs im Körper
angesetzt, dagegen nur etwa 10 Proc. des Kohlenstoffs und
Wasserstoffs. Pie Erfahrungstatsache, dass man einen Säug¬
ling auf sehr verschiedene Weise gross ziehen kann, wird durch
Tabelle III in helle Beleuchtung gesetzt. Wenn nur die Ver¬
dauungsorgane die dargebotene Kost ohne allzugrosse Verdauungs¬
arbeit bewältigen können, zum mindesten durch dieselbe nicht
beschädigt werden, wenn nur die kleine nothwendige Menge der¬
jenigen Stoffe resorbirt wird, die der Körper nicht selbst syn¬
thetisch aufbauen kann und zu seinem Wachsthum oder zu seiner
Erhaltung nöthig hat — es mag sich täglich um reichlich 10 g
meist stickstoffhaltiger organischer Bestandtheile und etwa 1,2 g
Mineralbestandtheile der Frauenmilch handeln — so scheint
schon beim Muttermilchkind, noch mehr beim künstlich Er¬
nährten, nicht viel darauf anzukommen, ob das Energiebedürfniss
des Körpers mehr mit Fett oder mehr mit Milchzucker gedeckt
wird, ob man (innerhalb gewisser Grenzen) überschüssiges Nah-
rungseiweiss (d. h. eine über die Zufuhr der Frauenmilch hinaus¬
gehende Menge) oder Milchzucker, Maltose, Dextrin als Energie¬
spender bevorzugt.
Noch möchte ich besonders darauf aufmerksam machen,
dass man die Zahlen der Tabelle III nicht als eine Schablone
zu betrachten hat, in welche alle Einzelfälle hineinzupressen
wären, sondern als diejenigen Grössen, in deren Nähe sich die
Vorgänge bei gesunden Kindern abspielen.
2. Herr S a 1 g e: TJeber Buttermilch als Säuglingsnahrung.
Der Vortragende theilt die Erfahrungen mit, welche mit der
„Buttermilch“ auf der Säuglingsstation der königlichen Charite
in Berlin gemacht wurden. Nach diesen Erfahrungen hält S.
die Buttermilch für gut geeignet 1. als erste Nahrung nach
akuten Verdauungsstörungen leichter und schwerer Art für Säug¬
linge jeden Alters, 2. verdient diese Nahrung bei Atrophie ver¬
sucht zu werden, und 3. leistet sie Gutes als Beigabe zur natür¬
lichen Nahrung beim sogen. Allaitement mixte, hier besonders
in einer Kombination mit Malzsuppe.
Die Buttermilch, wie sie in der Charite verwendet wird, wird
aus saurem Rahm gewonnen und enthält durchschnittlich 0,5 bis
1,0 Proc. Fett, 2,5—2,7 Proc. Eiweiss und 2,8—3 Proc. Zucker,
die Acidität beträgt 7. Der Nährwerth beträgt in Calorien aus¬
gedrückt (nach direkter Verbrennung durch Rüben) 714 Ca,
ist demnach ein ziemlich hoher, so dass schon mittlere Quanti¬
täten genügen, um den Energiebedarf eines Säuglings zu decken.
Ein wichtiges Postulat ist, dass die Buttermilch frisch ist,
sie darf bis zum Verbrauch nicht älter als höchstens 24 Stunden
nach dem Buttern sein.
Die Fäces der Säuglinge nach Buttermilchgenuss sind ge¬
bunden, beinahe normal, viel Buttersäurebakterien enthaltend.
Die Nahrung wird so zubereitet, dass zur Buttermilch noch
75 g Mehl und 60 g Rohrzucker zugesetzt werden, und das Ge¬
misch dann langsam bis zum 3 maligen Aufwallen erhitzt wird.
Durch allerdings noch nicht abgeschlossene Resorptions¬
versuche hat sich ergeben, dass das Fett der Buttermilch bis
auf 93 Proc. und das Eiweiss bis auf 89 Proc. vom Säugling
ausgenutzt wird. Ein grosser Vorzug der Buttermilch besteht in
ihrer Billigkeit, 1 Liter stellt sich auf 15 Pfennig.
Bisher wurden in der Säuglingsabtheilung 119 Fälle mit
Buttermilch behandelt, 85 mit gutem Erfolg.
Di8CU88lon: Herr Scblossmann - Dresden: S. hat
seit Mürz a. c. eine grosse Anzahl von Säuglingen (140—150) nach
der Angabe von T e 1 x e i r a de Mattos mit Buttermilch be¬
handelt, seine Befunde entsprechen denen von S a 1 g e in allen
Punkten. Wenn Gewichtszunahmen nach anfänglicher Zunahme
«puter ausbliebe», so hat S. noch Sahne zur Buttermilch zugesetzt
und weit bessere Resultate erhalten, wohlbemerkt, die Sahne
nur bei gesunden resp. genesenen Kindern. Auch die Resultate
Indra Allaitement sind glänzend. S. kennt keine künstliche Nah¬
rung, die in so vielen Fällen und zwar auch 1 h* 1 schwer kranken
Kindern so gute Erfolge gibt.
Herr Gernsheim-Worms drückt seine Verwunderung da¬
rüber aus, dass Kinder, die erheblich krank sind, so grosse Mengen
von Nühreinheiten, in einzelnen Fällen sicher mehr als 200 Ca
pro Kilo Körpergewicht vertrugen, ohne Schaden zu nehmen, und
dass Kinder von 3 Wochen die grossen Mengen von Stärke, ohne
Dyspepsien zu bekommen, zu sich nehmen. Es wäre interessant
zu erfahren, wie sich In diesen Fällen die Reaktion und der Stärke¬
gehalt der Stühle verhielten.
Herr Pfaundler-Graz: Bei den glänzenden Erfolgen, die
mit der Buttermilch zu verzeichnen sind, wäre es wichtig zu wissen,
welcher Faktor in derselben die günstigen Emährungsresultate
zu bewirken vermag. Der geringe Fettgehalt scheint es nicht zu
machen, da Schlossmann über glänzenden Erfolg bei Sahne¬
zusatz verfügt, der hohe Säuregehalt scheint es auch nicht zu sein,
da S a 1 g e in einzelnen Fällen alkalische Malzsuppen zusetzt.
Hingegen ist durchaus neu die Verabreichung einer bakteriell zer¬
setzten und einer trotz der stattgehabten Erhitzung noch eine
bestimmte und eigenartige Vegetation enthaltende Nahrung.
Pf. wird durch dieses Unternehmen an Versuche erinnert, welche
Escherlch seit Langem an seiner Klinik ausführt. Dort werden
Säuglinge, deren foetid riechende, schmierige und miss¬
farbige Stühle eine abnorme Fäulniss im Darme vermuthen lassen,
24stiindige Bouillonkulturen von Bact lactis aerogenes in die Mahl¬
zeiten gegeben, in der Absicht, damit die Entwicklung einer den
Filuluisserregern antagonistisch wirkenden Flora im Darme zu
begünstigen. In einigen Fällen waren die Resultate hiermit gute.
Da nun unter den Erregern der spontanen Milchsäure das B. lact.
aerogenes eine grosse Rolle spielt, so kann vielleicht das Ergebnis*
der Versuche Escherlch's mit den durch Buttermilchvernb-
relchuug erzielten günstigen Stuhlbefunden und Verdauungsver-
hiiltnisseu in Beziehung stehen.
Herr Teixeira de Mattos - Rotterdam weist auf seine
im Jahrbuch für Kinderheilkunde demnächst erscheinende aus¬
führliche Arbeit über den behandelten Gegenstand hin. Nur hält
er es für betonenswerth, dass es sich bei der Buttermilch um
eine Methode der Säuglingsernährung bandelt, die sich stützen darf
auf die Empirie eines ganzen Volkes (holländischen) und
seiner ganzen Aerzte, was weit mehr besagen will, als die Er¬
fahrung eines Einzelnen. Dazu kommt der geringe Preis der
Nahrung und die ausserordentlichen Erfolge, die auch bleibende
sind.
Herr H e u b n e r - Berlin warnt davor, bei kranken Kin¬
dern die Buttermilch mit Sahne zu geben. H e u b n e r*s Er¬
fahrungen stimmen darin ganz mit der Breslauer Schule überein,
dass magendarmkranken Kindern fettreiche Nahrung nicht
bekommt. Bei allen Paradoxen, die dieser Nahrung anzuhaften
scheinen, entspricht sie jedenfalls der Anforderung, auf die nach
Heubnefs Meinung zur Zeit das Hauptgewicht gelegt werden
muss, verböltnissinässig grosser Energiegehalt bei kleinen Vo¬
lumen und gute Bekömmlichkeit Dies letztere Moment ist es,
worüber nichts anderes entscheidet, als das empirische Verfahren,
völlig unbeeinflust von der Theorie.
Herr S o 11 m a n n - Breslau: Vor den theoretischen Erwäg¬
ungen ist zu warnen. Der empirische Standpunkt ist vorläufig
in vorliegender Frage sehr wichtig, denn wir wissen nicht die
Indikationen für oder gegen Fett, Casein, Zucker u. s. w. in der
Milch. S. hat gleichfalls brillante Erfolge mit Buttermilch, an¬
dererseits mit Magermilch, Molken (saurer oder Alaunmolken)
gehabt, ohne dass er für den einen oder den anderen Fall eine
bestimmte Indikation augebeu kann. Zweifellos sind wir in fort¬
schreitender Bewegung, indem wir künstliche Nährmittel per-
horresciren. dagegen ausschliesslich Milch in den verschiedensten
Präparationen anwenden. Buttermilchversuche sind aber nur mit
frischer, nicht gekaufter, sondern selbst dargestellter
Buttermilch anzustellen.
Herr Schlesinger - Breslau macht darauf aufmerksam,
dass alle Vorthelle der Buttermilch bei der Vollmilch vorhanden
sind und mit letzterer mindestens die gleichen Resultate erzielt
werden können als mit der Buttermilch.
Herr Falkenheim - Königsberg weist auf die feine Ver¬
keilung des Caseins ln der Buttermilch als ein bisher nicht er¬
wähntes Moment hin, welches für die gute Bekömmlichkeit der
Buttermilch von hervorragender Bedeutung ist und betont die
grossen Gefahren der gewöhnlichen käuflichen Buttermilch.
Herr Sa lge (Schlusswort): Der Zusatz von Fett zur Butter¬
milch ist bei kranken Kindern zu vermelden. Stärke lässt sich
in den Stühlen nicht nacliwelsen; ob die Bakterienflora für die
Erfolge ausschlaggebend ist, bleibt zu untersuchen. Die Eiweiss-
vertheiluug ist sehr fein. Mit Vollmilch hat S. ganz andere Er¬
fahrungen wie Schlesinger gemacht und kann er dieselbe
bei atrophischen Kindern absolut nicht empfehlen.
3. Herr Basch: Innervation der Milchdrüse.
Seitdem Goltz und Ewald beobachtet haben, daaä eine
Hündin mit verkürztem Rückenmark (Brust und Lendenabschnitt)
nicht nur lebende Jungen zur Welt brachte, sondern auch die
Jungen säugte, hat sich die Forderung ergeben, die Innervation
der Brustdrüse nicht ausschliesslich in den Bahnen der spinalen
Nerven zu suchen, sondern auch jenen Antheil zu ermitteln, den
das sympathische Nervensystem an der Erregung der Brustdrüse
haben kann.
Basch untersuchte nun die Veränderungen,- di© an der
Milchdrüse eintreten nach Unterbrechung des Sympathien* (Ex¬
stirpation des Gangl. coeliac.) nach Ausschneidung peripherer
Nerven (N. thorac. long., N. spermat. ext.) und nach Kombi¬
nation beider Eingriffe. Für die Erhebung der quantitativen.
Veränderung der Milchabsonderung verwendete-B a sch die Me?;
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5. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1807
thode der Wägung der Jungen, für die Feststellung der quali¬
tativen Veränderungen die mikroskopische Untersuchung der
Milch.
Es zeigte sich nun, dass nach den verschiedenen Eingriffen
am Nervensysteme die abgesonderte Milchmengo nicht vermin¬
dert war. Hingegen trut als Zeici en einer eingetretenen Inner¬
vationsschwankung in den entspreei enden Milchdrüsen Colostrum
auf in verschiedener Stärke und Dauer neben Veränderung der
Fetttröpfchen, während die Milch der Vergleichsdrüsen unver¬
ändert blieb.
Das Colostrum ist hiernach a ifzufassen als Ausdruck einer
unvollkommenen Thätigkeit der Milchdrüse, einer Innervations- 1
Störung derselben, und unter diesem Gesichtspunkte lässt sich
dann einheitlich die Abscheidung von Colostrum bei den ver¬
schiedenen Anlässen auffassen. Versuche am Gefässsystem der
Milchdrüse zeigten, dass auch durch Abklemmen der Venen
Colostrumabscheidung ausgelöst werden kann, während die
Unterbindung der Arterie keinen hemmenden Einfluss auf die
Abscheidung ausübt.
Basch kommt zu dem Schlüsse, dass die Milchdrüse in
gemischter Weise vom peripheren und vom sympathischen
Systeme innervirt wird und dass von vornherein an der Milch¬
drüse eine vielseitige, eine Art Luxusversorgung besteht, die es
mit sich bringt, dass auch bei Ausschaltung eines grossen Theiles
des nervösen Apparates die Thätigkeit der Milchdrüse weiter¬
geht und so der Eindruck entsteht, als ob die Thätigkeit der¬
selben jedem Nerveneinflusse entrückt wäre, während die betr.
Veränderungen der Milch eben qualitative sind und hauptsäch¬
lich ihre morphologische Beschaffenheit betreffen.
Dlscussion: Herr Soltmann - Leipzig erinnert au <lie
bereits über den Gegenstand vorhandenen Experimente von
B a r t 8 c h und Heidenhain und vermisst ein Eingehen des
Vortragenden auf die Colostrumabsouderung.
Basch (Schlusswort): Die Versuche von Bartsch und
Heiden ha in spielen nur eine kleine ltolle für die Frage der
Innervation der Milchdrüse. Die Colostrumabsonderung ist nicht
allein ein Zeichen von Stauung ln der Brustdrüse, sondern dafür,
dass die Milchdrüse nicht richtig funktionlrt, die Innervation der¬
selben „entgleist“ ist, somit auch praktisch verwerthbar in der
Ammenfrage.
4. Herr Schlossmann - Dresden: Phosphorstoffwechsel
des Säuglings.
Sch. hat in seinem Referate auf der Braunschweiger Sitzung
als einen Hauptunterschied zwischen Frauen- und Kuhmilch
nach den Untersuchungen von Siegfried und Stoklasa
die Differenz in Bezug auf die Bindung des Phosphors bezeichnet;
es soll der Phosphor nach diesen Autoren in der Frauenmilch
wesentlich organisch gebunden sein. Neue eigene Untersuch¬
ungen haben Sch. belehrt, dass dies ein Irrthum ist, besondevs
beruhen die Befunde Stoklasa’s auf analytischen Fehlern.
Auch die bisher verwandten Methoden zur Trennung des organi¬
schen Phosphors sind völlig mangelhaft, die erhaltenen Resultate
entsprechen nicht den wirklichen Thatsachen.
5. Herr Flachs- Berlin: Praktische Gesichtspunkte zur
Säuglingsernährung.
Verf. gibt auf Grund der Erfahrungen, die durch eine sach-
gemässe Bewirtschaftung mit Ammen im Säuglingsheim zu
Dresden gemacht worden sind, eine kurze Darstellung der er¬
zielten Resultate.
Die Ammen bringen ihre Kinder in die Anstalt mit, erhalten
freie Station und verpflichten sich damit, auch andere Kinder
anzulegen. Oft werden auch tüchtige Ammen an Familien abge¬
geben, wenn sie in der Anstalt entbehrlich sind. Ausführlichen
Erörterungen werden die Resultate in der Zeit vom 1. September
1900 bis 31. August dieses Jahres unterzogen. Auf einer ein¬
gehend bearbeiteten Tabelle sind die Milchmengen verzeichnet,
die von den einzelnen Ammen in jedem Monat geliefert wurden,
wieviel die Kinder der Ammen selbst verbraucht haben, und so¬
dann, welches Milchquantum den kranken Kindern zukam. Als
Durchschnittswerthc kommen bei 196 Verpflegtagen von Ammen
223 Liter auf den Monat. Trotz der reichlichen Sekretion der
Milch war bei keiner Amme eine etwaige Schwächung des Orga¬
nismus zu konstatiren, sie erfreuten sich im Gegentheil des
besten Wohlbefindens, ja es wurde in vielen Fällen eine körper¬
liche Zunahme festgestellt. Von den oben erwähnten 223 Litern
tranken die Ammenkinder 52 Liter monatlich, so dass für kranke
Kinder 170 Liter im Monat zur Verfügung standen. Von grossem
Interesse ist andererseits der Preis der gelieferten Ainmenmileh.
Set/.t inan die Verpilcgekosten der Amme mit 3 M. pro Tag an,
und die des Ammenkindes mit 1.50 M., Werthe, die sicher nicht
zu niedrig angenommen sind, so ergibt sich mit geringen Spesen
bei 196 Verpflegetagen von Ammen und 137 Verpflegetagen von
Ammenkindern im Durchschnitt ein Kostenaufwand von 870 M.
pro Monat. Entsprechend den oben angegebenen 223 bezw.
170 Litern, stellt sieh der Marktpreis der im Durchschnitt ge¬
lieferten Ammenmilch auf 3.93 M. pro Liter. Nach Abzug des
von den Ammenkindern verbrauchten Milchquantums, kostet der
Liter Muttermilch, welche den kranken Säuglingen zu Gute kam,
5.23 Mark.
Dlscussion: Herr S 1 e g e r t - Strassburg plaidlrt bei
Aufnahme von kranken Kindern ausschliesslich für Ammen-
ernährung.
Herr .Schlossmann - Dresden erklärt, dass ln seiner An¬
stalt für kranke Kinder das natürlich ernährte Kind nicht mehr
kostet, als in anderen Anstalten das künstlich ernährte. Er legt
Werth auf gute Ammenernährung, dann liefern dieselben auch
gute Milch und die Kinder gedeihen.
Herr Soltmann- Leipzig betont, dass durch das Heran¬
ziehen der Ammen zugleich ein Theil des Pflegepersonals erspart
würde. Wie Säuglingsheime einzurichten seien (allerdings für ge¬
sunde Kinderl, dafür habe S. zuerst Instruktionen und Einrich¬
tungen gegeben.
Herr B a r o n - Dresden rütli dringend davon ab, die Zahl der
Pflegerinnen für kranke Kinder zu verringern mit Rücksicht
darauf, dass die Aminen zu gewissen häuslichen Verrichtungen
herangezogen werden können. Das hlesse Ersparnisse an falscher
Stelle.
Herr I, e v y - Strassburg fragt au, ob die Ammen für die
Ernährung der in der Anstalt befindlichen Kinder bezahlt werden.
Herr F 1 a c h s - Dresden (Schlusswort): Die Kürze der Zelt
behindert F., auf wichtige Details näher einzugehen. So lange die
Ammen ihre eigenen Kinder ernähren, erhalten sie keine Be¬
zahlung. später bekommen sie Gehalt. Was die Pflege des Säug¬
lings anbetrifft, so glaubt F., dass man im Grunde nicht genug
Personal haben kflnn.
6. Herr 0. H e u b n e r - Berlin : Kurze Bemerkung über
die Kuhmilchfäces des Säuglings.
Bekanntlich macht man besonders beim Uebergang von
natürlicher Ernährung zur künstlichen häufig die Beobachtung,
dass der bis dahin normale Stuhl nun trocken, erdig wird, ein
grosses Volumen annimmt und schlecht riecht. Diese Verände¬
rung wird gewöhnlich auf grössere Mengen unverdauten Caseins
im Stuhl bezogen; dies stimmt indessen nicht, da nachgewiesener
Weise auch in den Säuglingsfäces die N-haltige Substanz eino
sehr geringe ist.
Eine Beobachtung, die H e u b n e r gelegentlich eines kleinen
Experiments während der Klinik immer wieder zu beobachten
Gelegenheit hatte, legten demselben den Gedanken nahe, dass
vielmehr anorganische Bestandtheile den voluminösen Koth bei
der künstlichen Ernährung bilden.
Verbrennt man nämlich kleine Stuhlmengen auf dem Platin¬
blech, so beobachtet man, dass beim Kuhmilchstuhl ein grosser
Ascherückstand übrig bleibt, dagegen beim Frauenmilchkoth ein
weit geringerer. Und in der That zeigen die spärlichen Unter¬
suchungen, die bisher Vorlagen (Uffelmann, Blauberg)
über Aschebestimmungen, dass Kuhmilchkoth viel mehr A ihe
besass als Muttermilchkoth. Weitere Untersuchungen, die Heub-
ner’s früherer Assistent.« B e n d i x , über diese Frage angestellt
hat, bestätigen dies. Derselbe fand im Frauenmilchstuhl circa
3—5—6 Proc. Ascherückstand, im Kuhmilchkoth dagegen 15 bi9
22 Proc. Der Hauptbestandteil der Asche ist Kalk. Für die
Ernährung liegt in der erhöhten Salzzufuhr bei künstlicher Er¬
nährung (trotz absolut grösserer Resorption) insofern eine ge¬
wisse Bedeutung, als für den Säugling eine Steigerung der Ver¬
dauungsarbeit damit verbunden ist.
Zum Schluss betont H e u b n e r, dass der Fäulnissgeruch
des Stuhls nicht von unverdautem Casein abhängig sein braucht,
da ja auch ei weisshaltige Bakterien in den Fäces vorhanden sind,
und das M i 11 o n’sehe Reagens gleichfalls keinen Beweis liefert
für die Anwesenheit von Casein in den Fäces.
Dlscussion: Herr B a g 1 n s k y - Berlin bemerkt, dass die
eigouthUmlicheu balligen Stühle, wie sie sich z. B. häufig bei
rachitischen Kindern finden, wie bereits Seemann naehwles, auf
grossem Kalkgehalt der Faeces beruhen. Ob der durch den Koth
ansgeschiedene Kalk allerdings für den Organismus werthlos war.
Ist desslinlb schwer zu entscheiden, weil ein Theil des resorblrteu
Kalkes auch wieder durch den Koth den Körper verlässt.
Herr Gernsheim - Worms: Der normale Kuhmilchstuhl Ist
glelchmässig lehmig, gelb, reagirt alkalisch, durch den hohen
Aschogehnlt. Der dyspeptlsche alkalisch reaglrende, der ein ge¬
hackt-s Au«srhen hat. liefert dies.» alkalische Reaktion wohl durch
die Anwesenheit jener weisseu Flöckchen, die ausgesprochene
e
1808
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Milionreaktion geben, die beim Fehlen jener Flöckchen nicht zu
erzielen ist.
Herr Seit m a n n - Leipzig: Mit M i 11 o n'schem Reagens er¬
zielt man Rotlifiirbung auch bei Gegenwart von Phenol.
7. Herr Stöltzner: Die Nebennierenbehandlung der
Rachitis.
Der Vortr. unterzieht die bisher über die Nebennieren-
behandlung der Rachitis vorliegende Literatur einer kritischen
Besprechung und kommt zu dem Resultat, dass in den bisherigen
Versuchen nur die Nebennierentabloids B. W. & Co. die Rachitis
günstig beeinflusst haben, das von Merck hergestellte Neben¬
nierenpräparat „Rachitol“ dagegen nicht. Es bestehen also nach
seinen Ausführungen Unterschiede in der Wirksamkeit der ver¬
schiedenen Nebcnnieronpräparate, was durch die Erfahrungen,
die man be i Erwachsenen mit der Nebonnierenbehundlung der
A d d i so n'schen Krankheit gemacht hat, bestätigt werde. Jeden¬
falls könne bei der Unzuverlässigkeit der Nebennierentabletten
die Behandlung der Rachitis mit ihnen für die Praxis nicht mehr
empfohlen werden.
Hierdurch werde jedoch die wissenschaftliche Bedeutung der
mit wirksamer Nebennierensubstanz bei der Rachitis erzielten
Erfolge nicht herabgesetzt, vielmehr seien diese Erfolge, sowie
namentlich die in mit Nebennierensubstanz behandelten Fällen
von Rachitis am Knoehengewebe gefundenen anatomischen Ver¬
änderungen für die Theorie der Rachitis von grösster Wichtig¬
keit. Bekanntlich hat der Vortr. in früheren Arbeiten die Ra¬
chitis in klinischer und anatomischer Beziehung zu dem Myx-
oedeni in Analogie gesetzt und daraufhin die Hypothese aufge¬
stellt, dass auch die Rachitis durch funktionelle Insufficienz
eines Organes mit innerer Sekretion entstehe. Die Thatsache,
dass in mit Nebennierensubstanz behandelten Fällen von Rachitis
das pathologische osteoide Gewebe in ein Gewebe umgewandelt
wird, welches farbenanalytisch die Reaktionen des fertigen ver¬
kalkten Knochengewebes gibt, spreche stark zu Gunsten der An¬
nahme, da<s die Nebenniere dieses von der Hypothese des Vor¬
tragenden verlangte Organ mit innerer Sekretion sei, durch
dessen funktionelle Insufficienz die Rachitis entstehe.
I) iscussio:: Herr B e n d i x - Berlin: Derselbe hat 17 Fälle
von Rachitis mit Nebennierensubstanz behandelt, und zwar hat er
für diesen Zweck sehr schwer rachitische Kinder, bei denen zum
Theil hochgradige Kraniotabes vorlag, ausgewühlt, um späterhin
einen objektiv leicht nachweisbaren Effekt der Behandlung an dem
Festwerden besonders des Hinterkopfes konstatiren zu können.
Nennonswerthe Erfolge hat B. von dem Mittel nicht sehen können.
Doch hat B. das Kaehitol (Merck) als Medikament verwerthet,
das Stöltzner zwar selbst für die Behandlung empfohlen hat,
von dem er aber heute zeigt, dass es vielleicht der nothwendigeu
wirksamen Substanz entbehrt.
Herr S 1 e g e r t - Strassburg: Langsteln’s Mittheilung ist
('ine durchaus brauchbare Vergleichsarbeit, da bei mehreren Kin¬
dern die Medikation S t ö 11 z n e r’s genau angewendet wurde und
zwar viel länger als St. brauchte, um einen Erfolg zu konstatiren.
Erst nach dem Fehlen jedes nachweisbaren Erfolges wurde die
Dosis zunehmend gesteigert. Der Unterschied beider besteht darin,
dass St. specitische Wirkung annimmt, wo Langstein eine
Besserung nur auf die appetiterregende Eigenschaft der Tabloids
zuriickfiihren zu müssen glaubt. Eine specitische Wirkung dürfte
auch durch die histologischen Untersuchungen Stöltzner's ein¬
wandsfrei kaum als erwiesen angesehen werden. Siege rt per¬
sönlich kann der Ansicht Längste! n’s nur belsthnmen.
Herr Stöltzner (Schlusswort): Es ist sehr unwahrschein¬
lich. dass bisher alle wirksamen Substanzen der Nebenniere be¬
kannt sind. Wenn L angstein auch in einigen Fällen eiuige
Wochen lang die S t ö 11 z n e r’sehen Dosen verabfolgt bat, so
stehen dem doch viel grössere Zahlen Stöltzner’s gegenüber.
Dass in L a n g s t e i n’s Fällen die grossen Dosen geradezu un¬
günstig gewirkt haben, wird dadurch wahrscheinlich, dass gerade
die statischen Funktionen sich besonders häufig während der Be¬
handlung verschlechterten, bozw. sofort nach Aussetzen der Be¬
handlung sich besserten. Es erinnert dies an den Thyreoldismus.
Dass trotzdem in manchen Fällen sehr grosse Dosen vertragen
werden, stimmt ebenfalls mit den Erfahrungen über das Thyreoi-
din überein.
8. Herr H e c k e r - München: Die Diagnose der foetalen
Syphilis.
Unter G2 Poeten, die Vortr. secirt und histologisch unter¬
sucht hat, waren nur 1<’> = 2(! Proc. sicher nicht syphilitisch und
33 — 53 Proc. botimmt luetisch. Die Diagnose Syphilis war
hei der Sektion nur in 15 Fällen == 24 Proc. bestimmt zu stellen,
in ebenso viel Fällen gelang dieselbe durch die mikroskopische
Untersuchung. Es gibt Fälle, die klinisch wie anatomisch ab¬
solut negativen Befund geben und doch, wie das Mikroskop lehrt,
exquisit luetisch sind.
Die Kenntniss der foetalen Syphilis ist für den Praktiker
nothwendig, da nach Konstatirung einer solchen durch ent¬
sprechende Maassnahmen die Eltern geheilt und die Erzeugung
gesunder Kinder ermöglicht wird. Vortr. gibt auf Grund eigener
und der Untersuchungen Anderer präzise Anhalts¬
punkte zur Erkennung der Syphilis todtge-
borener Früchte bei der Sektion und durch
das Mikroskop, indem er sichere, wahrscheinliche und un¬
sichere Erscheinungen unterscheidet.
Makroskopiseh sind am regelmässigsten befallen Milz und
Knochen. Mikroskopisch in erster Linie die N i e r e (in 90 Proc.
der untersuchten Fälle). Dabei ist pathognomonisch die zellige
Infiltration der kleinsten Rindenarterien, die als erste Stufe der
interstitiellen Entzündung aufzufassen ist. Die Niere ist auch
das dankbarste Organ zur Untersuchung, da sie der Maceration
am besten widersteht (gute Kernfärbung in 90 Proc. der unter¬
suchten Fälle, wogegen Leber nur 4 Proc.). Ein sicheres Sym¬
ptom, leicht zu erkennen und relativ häufig ist auch die Infil¬
tration grösserer Gefässe der Milz und die interstitielle Ent¬
zündung der Thymus. Die mikroskopische Untersuchung, wenig¬
stens von Niere, Milz und Thymus ist zur Sicherung der Dia¬
gnose in nicht ganz zweifellosen Fällen vorzunehmen.
Discnssion: Herr J. L e w i n - Berlin hatte Im letzten
Winter Gelegenheit, einen Neugeborenen mit zahlreichen Narben
vorstellen zu können. Narben, die besonders gross und deutlich
an beiden Knie- und Ellonbogeugelenken, in der Gegend der kleinen
Fontanelle der Nase und zu beiden Seiten des Nabels waren. L.
bezeiohnete den Fall damals als einen ln utero abgelaufenen lue¬
tischen Process und begründete diese Anschauung damit, dass
1. der Vater des Kindes Syphilis gehabt hat, 2. dass eine deutlich
vergrösserte Milz und lieber vorhanden war und 3. das Zwilliugs-
klnd in macerirtem Zustande zur Welt gekommen war.
Im Anschluss au die in No. 42 dieser Zeitschrift erfolgte Ver¬
öffentlichung des Briefes von Herrn Ilofrath G ruber ersucht
uns Herr Geheimrath Ehrlich, zur Klärung des Sachverhaltes
einen Brief zu publlziren, den er seinerseits als Antwort auf die
Ankündigung einer Stellungsänderung des Herrn Korreferenten
an diesen gerichtet hat.
Frankfurt a. M., den 13. September 1901.
Verehrter Herr Kollege!
Der Brief, den loh gestern von Ihuen empfangen habe, hat
mich sehr überrascht, da er ln letzter Stunde eine vollkommene
Veränderung des zwischen uns Abgemachten bedingt. Sie hatten
Ja auf meinen Brief vom 28. II. folgender Vertbeilung zu
gestimmt: Ich sollte den allgemeinen (cellularblologischen) Tbeil
im Sinne der Croouian-Lecture übernehmen, während Ihnen
der klinisch-praktische resp. therapeutische Theil zufallen sollte.
Hätten Sie mir damals Ihre Absichten mitgetheilt, so hätte loh
auf meine Betheiligung an der Versammlung Verzicht geleistet.
Schon bei der Neuronen-DIscusslon ist es vielfach Übel ver¬
merkt worden, dass die Referenten so unvermittelte Gegensätze
vertreten, derart, dass der Gesamrutelndruck der Discusslon ein
ganz unbefriedigender war. Gerade dieses wollte ich, als ich
die ehrenvolle Aufforderung erhielt, vermieden wissen und habe
icli auch in diesem Sinne mit Herrn Professor N a u n y n kor-
respondlrt. In diesem Sinne war es mir auch sehr sympathisch,
dass Sie das Korreferat Übernahmen, da ich auf Grund Ihrer
Publikationen eine weitgehende Ueberelnstimmung unserer An¬
sichten annahm — überdies war ja auch durch die zwischen
uns getroffene Vertbeilung des Gebietes eine heftige Polemik,
wie Sie sie jetzt ankündigen, ausgeschlossen.
Hätten Sie mir rechtzeitig, wenn auch nur vor ein oder
zwei Monaten von Ihrer polemischen Absicht Mittheilung ge¬
macht, so wäre ich bereitwilligst sogar zu Ihnen nach Wien ge¬
kommen, um die strittigen Punkte mit Ihnen ausführlich zu
besprechen. Ich bezweifle nicht, dass es uns gelungen wäre,
uns über viele Punkte der Theorie zu einigen und strittige Dinge
wenigstens so weit zu klären, dass eine allgemein verständliche
und das kleinliche experimentelle Detail vermeidende öffentliche
Discusslon möglich gewesen wäre. Es hätte sich bei einer
solchen Vorbesprechung auch Gelegenheit geboten, Missverständ¬
nisse meiner Anschauungen, wie sie jetzt häufig in gegnerischen
Publikationen Vorkommen, aufzuklären und Ihnen Hauptfragen
an der Hand neuer und nicht publizirter Versuche zu illustriren.
Ich hätte gern dem weiteren Publikum, das diese Vorträge
anliört und das nur zum geringsten Theil fachmännisch vor¬
gebildet Ist, das unerquickliche Schauspiel einer heftigen Debatte,
in welcher ich der schärfst Angegriffene bin, erspart Wissen¬
schaftliche Polemiken nn uud für sich, besonders mit kom¬
petenten Fachgenossen, habe ich niemals gescheut uud habe ich
auch jetzt nicht zu scheuen.
Sie wissen, dass ich meine Polemiken stets literarisch ge¬
führt habe. Ich timt (lies in der Ueberzeugung. dass diese kom-
plizirten und ein mannigfaltiges Material umfassenden Fragen
mündlich kaum erschöpfend und mit befriedigendem Ende dis-
cutirt werden können. Es liegt im Interesse der Sache und der
Hörer, wenn Ich Sie bitte, mir freundlichst mitzuthellen, welche
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B. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1800
Punkte Sie zu bestreiten gedenken, damit ich Ihrem wohl vor¬
bereiteten Angriff gegenüber auch meinerseits eine Replik vor¬
bereiten kann. Wenn Sie diesem Wunsche nicht nachzukommen
bereit sind und mich so in die äusserst schwierige Lage ver¬
setzen, während des Anhörens Ihres Vortrages die für die Dis-
cussion nötlilgen Argumente zusammen zu suchen und zu dis-
poniren, so bedeutet das eine derartig nachtheilige Veränderung
meiner Position als Referent, dass ich es ernsthaft erwägen
müsste, das Referat noch in letzter Stunde niederzulegen. Eine
solche Improvisation, wie sie mir dann zufallen würde, ent¬
spräche auch keineswegs der Würde und den Wünschen einer
so grossen Versammlung, welche ein Anrecht darauf hat, dass
ihr wohlvorbereitetes Material vorgelegt wird.
Indem ich Sie bitte, mir Ihre Antwort gütigst baldmöglichst
zugehen zu lassen, bin ich mit besten Empfehlungen
Ihr ganz ergebener
P. Ehrlich.
(Berliner medioinieche Gesellschaft siehe S. 1820.)
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Officlelles Protokoll.)
Sitzung vom 27. April 1901.
Tagesordnung:
Herr Bich&rd Klemm: Eselmilch in der Säuglings¬
praxis.
Der Vortrtigende weist die Angriffe zurück, welche Herr
SchloBsmann in Hoppe-Seyleris Zcitschr. für physiolog.
Chemie, Bd. XXIII, H. 3 vom 3. Juli 1897 und in der Sitzung
der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde vom 6. Oktober 1900
(vergl. den Bericht in No. 8 dieser Wochenschr. vom 29. Jan. 1901)
gegen ihn und gegen den von ihm geleiteten Hellerhof gerichtet
hat, und begründet folgende Sätze:
Die Eselmilch ist ein wichtiges Nahrungsmittel für gesunde
Säuglinge der ersten beiden Lebensmonate.
Die Eselsmilch ist ein hervorragendes Nahrungsmittel für
magendarmki-anke Säuglinge überhaupt.
Sie übertrifft als solches die Kuhmilch, weil sie ein zuver¬
lässiges, von der Natur selbst im Euter der Eselin keim- und
toxinfrei zusammengesetztes und erhaltenes Gemenge darstellt,
und weil sie — Musterwirthschaft, wie die des Hellerhofs, voraus¬
gesetzt — roh, als lebende Milch, unzersetzt, uncoagulirt ge¬
nossen werden kann.
Sie übertrifft hierin aber auch die Frauenmilch, weil sie
schneller als diese das Erbrechen beseitigt, schneller den Appetit,
den Kräftezustand, das Allgemeinbefinden lind das Körper¬
gewicht hebt und weil sich ihre Wirksamkeit als Diäteticum
nicht wie bei der Frauenmilch nur auf das erste Lebenshalbjahr,
sondern auf das ganze Säuglingsalter erstreckt.
Dlscussion: Herr Schlossmann erinnert daran, dass
er In seinem Vortrag den Namen des Herrn Klemm nicht er¬
wähnt, sondern rein objektiv seine gegnerische Ansicht dargestellt
habe. Redner geht dann auf eine Anzahl der erhobenen Vorwürfe
ein; seine Publikationen seien stets in wissenschaftlichen Zeit¬
schriften oder ln dieser Gesellschaft erfolgt, nichts sei von ihm in
die öffentliche Presse gebracht. Die von ihm untersuchte Esel-
milcli batte lm Durchschnitt 0,5 Proc. Fettgehalt, also weniger wie
die von Herrn Ellenberger, die wahrscheinlich nicht eine
Mischmilch, sondern eine Milch einer einzelnen Stute zur Unter¬
lage hatte. Die R a n k e’sehen Ergebnisse lassen keinen Schluss
auf die Bedeutung der Eselsmilch zu. Eine Mortalität von 58 Proc.
entspricht nichts Besonderem. Eine eingehende Besprechung wird
der Statistik, wie sie bisher vorliegt, und den vom Vortragenden
daraus gezogenen Schlussfolgerungen gewidmet Die Immunität
des Esels, die Herr Klemm annimmt, ist nach den Untersuch¬
ungen von Professor Johne, die auch Herrn Klemm bekannt
geworden sein dürften, absolut nicht vorhanden. Ein Abschnitt
aus der John e’schen Arbeit wird verlesen.
Herr Ellenberger bemerkt gegenüber den Ausführungen
des Herrn Schlossraann, dass in dem von ihm geleiteten
physiologischen Institute der thierärztlichen Hochschule die Milch
von verschiedenen und nicht nur, wie Herr Schlossmanu an¬
nahm, nur von einer Eselstute analyslrt worden sei. Die Unter¬
suchung der Eselinmilch auf Ihren Fettgehalt sei ln seinem In¬
stitute und unter seiner Leitung von den Chemikern des Instituts,
den DDr. K 11 m m e r und S e e 11 g e r ungefähr 400 mal und
zwar stets an einer anderen Milchprobe ansgeführt worden. Aus
diesen 400 Analysen habe sich bei allerdings sehr erhebliclieu
Schwankungen ein mittlerer Fettgehalt der Eseliumilch von
1,3 Proc. ergeben.
Bezüglich der von den Herren Klemm und Schloss-
m a n n angeregten Frage des Vorkommens der Tuberkulose bei
Eseln bemerkt Ellenberger, dass der Esel zwar nicht immun
gegen die Tuberkulose bezw. das Tuberkulosevlrus sei, dass die
natürliche Tuberkulose aber gegenwärtig beim Esel noch so un-
gemein selten vorkomme, dass die Hsellnmllch ohne jedes Be¬
denken im ungekochten Zustande vom Säugling genossen werden
könne, dass also eine Tuberkuloseinfektion der Kinder durch den
Genuss von Eselinmilch zur Zeit nicht zu befürchten sei. Die
Möglichkeit, dass in fernerer Zukunft in Folge irgend welcher Um¬
stände die Tuberkulose ebenso wie bei audereu Thiergattungeu
auch beim Esel häufiger auftreten werde, küune natürlich nicht
bestritten werden. Zur Zeit zeigten aber die Esel noch eine sehr
geringe Empfänglichkeit für, bezw. eine sehr grosse Widerstands¬
kraft gegen das Tuberkelvirus. Das gehe aus den von Chauveau,
Viquernt, Stock mann, G a 11 i n , A r 1 v i u g u. A. ge¬
machten Beobachtungen über Impftuberkulose bei Eseln hervor.
Es sei zwar dargethan, dass beim Esel cxperiiueutcll Tuberkulose
erzeugt werden könne, dieselbe habe aber eiuou milderen Verlauf
als bei anderen Thiereu und gehe nicht selten spontan in Heilung
über. Ganz anders lägen die Verhältnisse bei den fiir das Tuberkel¬
virus sehr empfänglieheu Milchkühen; bei dieseu komme dieTuber-
kulose so ausserordentlich häufig vor, dass mau zur Zeit keinem
Kinde ohne die Gefahr der Tuberkuloseinfektion Kuhmilch im uu-
gekochteu Zustande verabreichen könne.
Herr Flachs: Die Ernährung mit Muttermilch Ist Jeder
anderen vorzuziehen. Insbesondere bei mageudarinkranken Säug¬
lingen; für eine Säuglingsstation ist das Halten von Ammen un¬
erlässlich. Bel einem gut eingerichteten Betriebe sind die Kosten
dafür nicht grösser als für die Beschaffung von Eselmilch, lm
Säuglingsheim liefert im Durchschnitt jede Amme ca. 1700 g
Milch täglich, von denen ca. 000 g den kranken Kindern zur Ver¬
fügung stehen. Unterhaltung der Ammen täglich ca. 1.50 M.
Die Eselmilch ist als Medieaineut bei Magendarmerkrauk-
ungen auzuerkemion; ol) sie mehr als eine plaumässig durch¬
geführte Heilmethode mit anderen Mitteln leistet, ist abzuwarten;
die Muttermilch kann sie nicht ersetzen. Vor Allem aber ist ob
des hohen Preises die Eselmilch nur den begüterten Klassen zu¬
gänglich. Das Ziel „fiir die Gesammtheit des Volkes einen Ersatz
für die Frauenmilch zu liefern“, wie Herr Klemm meint, kann
ein Betrieb zur Gewinnung von Eselmilch nie erreichen, hat auch
der Hellerhof nicht erreicht. Wahrhaft nutzbringend für das
Wohl der Bevölkerung würde es sein, wenn das Kapital, welches
Im Hellerhof angelegt ist, und die grosse Mühe, welche es den
Leitern der Anstalt verursacht, darauf verwendet würden, Muster-
mllehwirthschaften mit Kühen und Ziegen eiuzurichten. Die
Thiere würden bei der ausgezeichneten Lage der Anstalt (Auf¬
enthalt und Bewegung im Freien) und bei der vortrefflichen Pflege
weniger leicht krank werden, als im Stall. Die Abgabe der so ge¬
wonnenen Milch, womöglich in fertigen Trinkportiouen, würde
am besten dazu geeignet sein, die Säuglingssterblichkeit herab-
zusetzeu, ein Ziel, welches wohl als eines der ersteu und vor¬
nehmsten der ganzen Paediatrie genannt zu werden verdient.
Herr Schlossmann bedauert, dass seiu Wunsch, die Esel¬
milch aus der Veterinärschule ihm zur Untersuchung zu überlassen,
nicht erfüllt wurde. Auch von Kühen sei tuberkulosefreie Mllcli
zu beschaffeu und besonders aus dem jetzt von Herrn E llen-
berger zu begründenden Stalle.
Herr Förster II erwidert Herrn Schloss mann: Wollte
man den Grundsatz gelten lassen, solange noch theoretische Be¬
denken sich gegen die Eselmilch erheben lassen, mit der Errichtung
einer Anstalt wie des Hellerhofes zu warten, so würde der Ge¬
danke nie eine Verwirklichung finden. Denn in letzter Instanz
entscheide die Praxis in allen Fragen der Siiuglingseruährung uud
werde auch über den Werth der Eselmilch entscheiden; der Heller¬
hof aber mache es möglich, hier Erfahrungen zu sammeln. Uud
so werde gerade erst durch die Errichtung des Hellerhofes eine
Lösung dieser wichtigen Frage in der Säugllugseruährung er¬
möglicht und die Dresdner Aerzte hätten uucli aus dem Grunde
alle Verpflichtung, zur Erhaltung der Anstalt das ihrige bean¬
tragen.
Herr Unruh weist darauf hin, dass die Säugliugsthorapie
nur durch sorgfältige Beobachtungen von Kranken gefördert
werden kann; dankbar sind die vom Herrn Vortragenden vor-
gebrachteu Ergebnisse zu begrüsseu, die auch vom Redner be¬
stätigt werden könnten, uud an denen jeder mitarboiteu sollte.
Herr Schlossmann betont nochmals seinen Standpunkt,
dass die Ammenbrust das einzig Richtige sei.
Herr Förster II hat in 10 Fällen Gelegenheit gehabt. Esel¬
milch bei Säuglingen anznweuden und erwähnt von diesen Beob¬
achtungen folgende:
Bei gesundem Säugling: Knabe 2575 g. erstes Kind, junge
Mutter. Selbststillen unmöglich. (> Wochon Kuhmilch; wegen dys-
peptischer Störungen und schlechter Zunahme Esolmilch von 7.
bis 13. Woche, dabei erst 200, dann 150 g wöchentliche Zunahme,
weiterhin bei Kuhmilch gut gediehen. Mit 1 Jahr .Si'.X) g.
Bei hartnäckigen Dyspepsien zweier Brustkinder Uebergang
zu Eselmilch mit 1 y s bezw. 2 Monaten; im ersten Falle rasch
Schwinden des Erbrechens, Steigen des Appetits, Gewlcht-
zunnhine, nach 1 Monat Kuhmilch; im 2. Fall vor Allem Nach¬
lassen der Koliken, bessere Stühle, nach Monat Kuhmilch. Bei
beiden weiterhin regelmässiges Gedeihen.
Bel einem 1 monatlichen, halb mit Brust-, halb mit Kuhmilch
ernährten kräftigen Kind wurde bei Auftreten eines akuten Entero-
katarrhs mit heftigen Koliken, abundanten, wasserreichen Stühlen
neben der Brust Eselmilch gereicht. Die Stühle erfolgteu zwar
noch häufiger als ln der Norm, aber die Koliken schwanden und
eine Gewichtsabnahme blieb ganz aus. Förster möchte diesen
günstigen Einfluss der Eselmilcli In einem Falle von akutem
Euterokatarrh desslialb als bemerkenswertli bezeichnen, weil ja
lm Allgemeinen bei Eselsmilch-Kindern eine Zunahme der Zahl
und des Wasserreichthums der Stühle zu beobachten ist.
Bel akuter fieberhafter (bis 39,6°) Euteritis follleul. bei vier¬
monatlichem Kind (8 Tage nach 8Jähriger Schwester erkrankt,
offenbar Uebertrngnng) nnfflnirllch nnr Weglnssen der Milch dafür
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1810
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Nestle, Thee, Ol. riclni ln emuls., rectale Behandlung mit Liqu.
alum. ac.; trotzdem Verfall, mehrtägiges Fieber, blutig schleimige
Stühle, nach 8 Tagen bereits 500 g Abnahme; nun Eselmilch,
keine Medikamente, rasche Wendung zum Besseren, nach 14 Tagen
Gewichtsverlust wieder eingeholt, nach 3 Wochen Kuhmilch. In
einem 2. Fall gleicher Erkrankung bei 7 monatlichem Kind sofort
Eselmilch, schon nach 4 Tagen fast alle Störungen gehoben.
In einem Fall einer schweren chronischen Enteritis mit
Atrophie, Anfangsgewicht 3050 g, mit 4 Monaten 3320 g, trat
bei 3 Wochen durchgeführter Eselmilchernührung noch Besserung
ein, Appetit steigend, Schwinden von Erbrechen und Obstipation,
mit 5 Monaten 3720 g. Nun Kuhmilch vertragen.
Förster glaubt nach dem, was er gesehen, dass Eselmilch
für den gesunden Säugling ein Ersatz der Brust ist während der
ersten Lebensmonate (bis etwa zum 3. Monat), für den kranken
Säugling aber noch gleich werthvoll jenseits des 6. Lebensmonats,
und anscheinend In erster Linie bei akuten Erkrankungen.
Förster betont, dass er den Werth seiner wenigen Beob¬
achtungen nicht überschätze, dass aber auch ein wesentlich
grösseres Material nichts allein durch sein statistisches Ergebniss
beweise. Der Werth solcher Beobachtungsreihen sei vielmehr in
erster Linie ein persönlicher. Die Statistik allein könne in solchen
Fragen nicht entscheiden. Es sei ihm ähnlich wie im Beginn der
Heilserumbehandlung der Diphtherie gegangen, er habe schon
nach Beobachtung weniger Fälle sich dem persönlichen Eindruck
nicht entziehen können, dass mit Eselmilchbeliaudlung günstigere
Bedingungen geschaffen seien, dass der Verlauf der Erkrankungen
nicht mit den Beobachtungen übereinstimme, die er bei An¬
wendung anderer Behandlungsmethoden in klinischer wie poli¬
klinischer Säuglingsbehandlung bisher gemacht habe, und die ihm
auch jetzt einen zuverlässigen Mnassstab gegeben haben für das
Im einzelnen Falle mit früheren Methoden therapeutisch Erreich¬
bare und mit Eselmilch Erreichten.
Förster erwähnt noch eine soeben erschienene Arbeit von
Heubner »Die Energiebilanz des Säuglings" (Zeitscbr. f. diätet.-
physlkal. Ther. V, 1), in der er Berechnungen aus den neuesten
Versuchen Rubner's anführt, die für Eselmilch (vom Hellerhof
bezogen) sogar einen Energiegehalt von 1 Kilo Milch = 502,5 Ka¬
lorien ergeben gegen 480 Kalorien, wie sie frühere Berechnungen
ergeben haben.
Herr R. Klemm: Wenn auch Herr Schlossmann Redner’s
Namen ln seinem letzten Vortrage nicht erwähnt und die Polemik
gegen die Eselmilch nicht in die Tages- sondern in die wissen¬
schaftliche Presse getragen habe, so sei doch Niemand darüber
Im Zweifel gewesen, dass die von Herrn Schlossmann in
diesem Saale gegen den Hellerhof und die Eselmilch vorgebrachten
Angriffe ihre Spitze gegen den Redner als den Begründer und
Leiter des Hellerhofes richteten, und überdies seien die gegen
Redner persönlich in II o p p e - S e y 1 e r’s Zeitschrift gerichteten
Angriffe von einer Schärfe gewesen, dass auch die schärfste Abwehr
dagegen nicht Wunder nehmen könne. Den Verzicht auf die Be¬
nutzung der Tagespresse habe Herr Schlossmann wett¬
gemacht durch Verächtlichmachung der Eselmilch In nichtärzt¬
lichen Kreisen. Hierfür stehen Beispiele zur Verfügung. — Der
niedrige Fettgehalt, welchen Herr Schlossmann an der Esel¬
milch bemängelt und welcher nach seinen Untersuchungen noch
geringer Ist, als nach den Ellenberge r’schen, bildet wie schon
hinreichend bekannt, gerade den Vorzug der Eselmilch als Diä-
tetlcum. Die Schlossman n’schen Untersuchungen beweisen
nur, dass die Eselmilch selbst bei so niedrigem Fettgehalt Vor¬
zügliches leistet.
Immunität des Esels gegen Tuberkulose Ist nicht behauptet
worden, wohl aber ausserordentlich grosse Widerstandsfähigkeit
dagegen; und diese ist erwiesen, wie Herr Ellenberger so¬
eben dargethan hat — Dass man mit verdünnter Kuhmilch bei
schweren Magendarmkrankheiten des Säuglings dasselbe erreichen
könne, wie mit Eselmilch, ist auch durch die Beobachtungen
Herrn Förster’s widerlegt. — Die Art der Kundschaft des
Hellerbofes widerspricht der Annahme des Herrn Flachs, dass
die Eselmilch ihres hohen Preises wegen nur den Bemittelten
zugute komme. Der dritte Theil der Abnehmer gehört den ärmeren
Bevölkerungsklassen an, welche, wie bekannt, einen Vorzugspreis
zahlen. — Die Eselmilch fängt an, populär zu werden. Im ersten
Jahre des Hellerhofes, 1895, wurde sie von 5, im letzten Jahre
1900, von 60 Aerzten verordnet. In demselben Jahre betrug die
Einnahme des Hellerhofes für Milch 9500 M. — Der Satz: »Die
Eselmilch soll für die Gesammtheit des Volkes ein Ersatz für die
Frauenmilch werden“, ist ln diesem Umfange nie aufgestellt
worden. Wohl aber habe Redner es als vortheilhaft bezeichnet
und thue es noch, Kinder ln den beiden ersten Lebensmonaten,
gleichviel ob schwächlich oder kräftig geboren, für welche Frauen¬
milch schlechterdings nicht zu beschaffen ist, besonders während
der heissen Monate mit Eselmilch zu nähren, ebenso magendarm¬
kranke Säuglinge Jeden Alters. — Besonders seit Wiederein¬
führung des Esels als Zugthier wird Eselmilch bald leichter zu be¬
schaffen sein, als Frauenmilch, die nur in grösseren Städten mit
Frauenkliniken auch für die ärmeren Klassen in grösserer Menge
zur Vc-ffigung gestellt werden kann.
i ' \
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in
München.
Sitzung vom 16. Juli 1901.
Herr H. v. Tappeiner: Ueber die Wirkung fluores-
cirender Stoffe. (Nach Untersuchungen von O.Raab, 1*. Daniel¬
sohn und R. J a k o b s o n.)
M. H.! ln einem früheren Berichte') über eine Arbeit von
O. Raab 2 ) wurde mitgetheilt, dass gewisse Stoffe (Acridin,
Phosphin, Eosin, Chinin) für Infusorien (Paramaccium cau-
datum) von ganz bedeutend grösserer Giftigkeit seien, wenn man
sie auf diese Organismen statt im Dunkeln im Tages- odtr
»Sonnenlichte, dessen Wärmestrahlen durch Vorlegung einer
Schichte Kupfervitriollösung beseitigt waren, einwirken liess.
Gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass diese auffällige Ver¬
schiedenheit der Wirkung sehr wahrscheinlich mit der allen
diesen Stoffen gemeinsamen Eigenschaft, Fluorescenz zu er¬
regen, in Zusammenhang stehe, ln welcher näheren Weise indess
durch die Fluorescenzerregung die Giftigkeit dieser Stoffe ge¬
steigert werde, ob z. B. durch Erhöhung ihrer chemischen Energie
(R a a b) oder durch Begünstigung ihrer Osmose (J a c o b s o n),
musste damals und muss auch jetzt vorläufig dahin gestellt
bleiben. Die Untersuchungen, über welche im Folgenden be¬
richtet werden soll, befassen sich nur mit der Frage, ob die Er¬
scheinung allen fluorescirenden Stoffen eigen ist und sich auch
auf andere Organismen und Zellenarten (Flimmerepithel und
Bacterien) erstreckt.
Zunächst fand P. D a n i e 1 s o h n ’), dass verschiedene Deri¬
vate des Acridins, welche Prof. Dr. Bernthsen dem Institute
zur Verfügung zu stellen die Güte hatte, um so stärker auf
Paramaeeien wirken, je grösser ihre Giftigkeit *) als solche (bei
Untersuchung in trübem Lichte) und je stärker ihre Fluorescenz
(bei Untersuchung in hellem Tageslichte). Die folgende Tabelle
enthält die wesentlichsten Ergebnisse, welche beim Versetzen
eines Tropfens Paramaecienkultur mit einem Tropfen der Lös¬
ungen der Chloride dieser Stoffe (1 Theil auf 20,000 Theile
Wasser) erhalten wurden.
Tod und Zerfall der Paramaeeien bewirkten:
bei hellem
bei
trübem
Tageslichte
Tageslichte
Acridin.
nach 30 Min.
nach
105 Min.
Phenylacridin.
„ 28 „
90 r
Rheonin.
90 „
(Tetramethyltriamidophenylacridin)
Acridinorange ..
» 15 „
75 „
(Tetrarnelhylphenyldiamidoacridin)
Methylacridin.
,, 20 „
45 .
Acridingelb .
„ io „
23 „
(Diamidodimethylacridin)
Benzofiavin.
„ 8 „
15 „
Diamidophenyldimethylacridin).
Eine Reihe von weiteren Stoffen hat sodann bezüglich ihrer
Wirkung auf Paramaeeien im Dunkeln und im Hellen
O. Raab“) eingehend untersucht. Eine erste Gruppe bildeten
organische Farbstoffe (Fuchsin, Krystallviolctt), welche nicht
fluoresciren, aber durch eine andere optische Eigenschaft (starke
') Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 1.
Wie mir nachträglich von competenter Seite mitgetheilt wird,
lässt die etwas knappe Fassung der einleitenden Sätze dieses Be¬
richtes die Auffassung zu, als ob dieselbeu gegen den von Binz 1867
nachdrücklich liervorgehobeneu Zusammenhang zwischen der von
ilnn entdeckten Wirkung des Chinins auf Infusorien und der da¬
mals noch gänzlich unbekannten Ursache der Malaria gerichtet
seien. Dies w r ar indess keineswegs beabsichtigt und schon darum
völlig ausgeschlossen, als die von Binz vorausgeahnte Beziehung
ja später durch die Entdeckung des Malariaparasiteu und den
Nachweis seiner grossen Empfindlichkeit gegen Chinin glänzende
Bestätigung fand und zur gesicherten Thatsache geworden ist.
Die genannten einleitenden Sätze sollten nur besagen, dass diese
Beziehung keine allgemeine, auf alle Infusoriengifte sich er¬
streckende Giltigkeit habe, in der Weise, dass man vom Auftreten
der einen Wirkung auf die andere schliessen könne, indem sie
selbst bei Substanzen, wie Plienylchluolin, Phosphin, deren che¬
mische Konstitution dem Chinin noch nach gewissen Richtungen
ähnlich ist, fast völlig vennisst wird.
’) Zeit8ciir. f. Biologie 39.
*i Ueber die Einwirkung verschiedener Acridinderivate auf
Infusorien, Iuaug.-I)iss., München 1899.
4 ) Wofür der Eintritt von ein oder mehreren an Kohlenstoff
gebundenen Methylgruppen bestimmend zu sein scheint.
6 ) Ausführliches wird in der Zeltschr. f. Biologie erfolgen.
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDlClNlSCÖE WOCHENSCHRIFT.
18Ü
Absorption) sich auszeichnen. Keiner dieser Stoffe zeigte die
in Rede stehende Erscheinung auch nur andeutungsweise.
Die Giftigkeit war völlig gleich bei Ausschluss wie bei Zulassung
des Lichtes. Krystallviolett 1: 25,000 tödtete die Para-
maecien in 1 Stunde, Fuchsin 1:20,000 nach 3 Stunden.
Eine zweite Gruppe waren fluorescirende StofFe. Zunächst wurde
Harmalin, das Alkaloid der Samen von Peganum Harmala
untersucht. Es fluorescirt ähnlich dem Acridin, hat aber zum
Unterschied von diesem kein auffallendes Absorptionsvermögen,
wenigstens ist im Spektrum seiner Lösung keine begrenztere Ver¬
dunklung zu sehen. Die Lösung seines salzsauren Salzes
1:60,000 bewirkte im durch Kupfervitriollösung gesiebten
Sonnenlichte Tod und Zerfall der Paramaecien in 50 Minuten.
Im Dunkeln hiegegen war noch nach 5 Stunden keine Schädigung
derrParamaecien zu bemerken und erfolgte deren Tod und Zerfall
erst nach 12 Stunden. Von ganz analoger Wirkung war das
Chinolinroth, ein Farbstoff mit lebhafter, feuergelber
Fluorescenz.
Der 3. untersuchte Körper war das Aesculin C ls H 10 O,
das Glykosid der Rosskastanienrinde, ausgezeichnet durch starke
blaue Fluorescenz. Diese Substanz erregte ganz besonderes
Interesse, denn sie zeigte sich selbst in konzentrirter wässeriger
Lösung für Paramaecien im Dunkeln als ungiftig und zeigte
ebenso wenig Wirkung bei Bestrahlung mit durch Kupfervitriol
gesiebtem Sonnenlichte. Diese Beobachtung ist von fundamen¬
taler Bedeutung, denn sie fordert die Annahme, dass ein Körper,
um die in Rede stehende Erscheinung zu bewirken, zwei Eigen¬
schaften besitzen muss: er muss fluoresciren und muss (auch im
Dunkeln) giftig sein. Aus den Befunden an den bisher fluores-
cirenden Körpern, welche alle giftig waren, konnte dieser Satz
noch nicht mit Sicherheit abgeleitet werden. Denn, wenn es
sich bei dem vorhin genannten Chinolinroth z. B. zeigte, dass
Paramaecien bei Zusatz einer Lösung von 1:50 000 im gesiebten
Lichte noch nach 4—5 Stunden abstarben, im Dunkeln hingegen
mehrere Tage anscheinend unverändert weiter lebten und erst
nachher früher oder später zu Grunde gingen, so blieb es zweifel¬
haft, ob solche Verdünnung noch als schädlich resp. Tod bringend
anzusehen war oder ob das schliessliche Absterben nach Tagen
nicht sonstigen zufälligen imgünstigen Kulturbedingungen in der
feuchten Kammer zugeschrieben werden musste.
Nach diesen Ergebnissen an Paramaecien wurde von
R. J acobson®) die Frage behandelt, ob auch Zellen anderer
Art durch fluorescirende Stoffe in dieser Weise beeinflusst werden.
Als geeignetes Objekt erwies sich das Flimmerepithel
des Frosches. Kleine in physiologische Kochsalzlösung ge¬
legte Stückchen der Rachenschleimhaut wurden im hängenden
Tropfen in feuchter Kammer auf dem Objektträger suspendirt.
Die Flimmerzellen halten sich darin im Dunkeln 3—5 Tage in
lebhafter Thätigkeit, ungefähr gleich lange Zeit auch im Lichte,
selbst im Sonnenlichte, wenn die Wärmewirkung durch vorge¬
legtes Kupfersulfat ausgeschlossen wird. Findet sich hingegen
in der Lösung ein fluoreecirender, giftiger Körper, so tritt das
Absterben regelmässig viel früher ein, wie aus folgender Tabelle
einer kleinen Auswahl von Versuchen unzweideutig hervorgeht.
Als Moment des eingetretenen Todes wurde die Zeit notirr,
wenn nicht bloss Stillstand der Flimmerbewegung einge¬
treten war, sondern diese auch nicht mehr durch mechanische
Reize (Erschütterung des Objektträgers) oder Wärmereiz (Ver¬
bringung des Objektträgers auf das Wärmeoptimum 40°) belebt
werden konnte.
Tod des Flimmerepithels bewirkten:
im Lichte
im Dunkeln
Eosin 1:500 .
nach 3 2 /s Standen
nach
27 Stunden
„ 1:1000 .
28 „
Harmalin 1:2000 .
5
25
„ 1:10000 .
„ 5'/2 „
10 „
Acridin 1: 5000 .
„ 2 h „
172 „
Chinolinroth 1:5000 ....
>. */s
6 7* „
Bei Aesculin 1:300 und Fuchsin 1:5000 liess sich analog
wie an den Paramaecien kein Unterschied in ihrer Wirkung
im Lichte und im Dunkeln erkennen.
In einer zweiten Versuchsreihe wurden Frösche mit 0,02 g
Eosin in physiologischer Kochsalzlösung injizirt, dann 24—48
Stunden im Dunkeln gehalten. Nach dieser Zeit wurde das
intensiv roth gefärbte Flimmerepithel des noch lebenden Frosches
*) Ausführlich ln der Zeltschr. f. Biologie.
herausgeschnitten und in physiologische Kochsalzlösung gebracht.
Im Hellen aufbewahrt, war die Flimmerbewegung nach wenigen
Stunden erloschen, im Dunkeln noch nach einem Tage erhalten.
Die Untersuchung der Wirkung fluorescirender
Stoffe auf Bakterien, welche bezüglich einer späteren
eventuellen therapeutischen Anwendung besonderes Interesse be¬
sitzt, hat O. Raab in Angriff genommen, aber noch nicht zum
Abschlüsse gebracht. Die vorliegenden Resultate machen es
wahrscheinlich, dass auch hier zwischen der Wirkung fluoros-
cirender Stoffe im Lichte und im Dunkeln Differenzen bestehen,
wenn auch nicht so bedeutende, wie bei Infusorien und Flimmor-
zellen. Die Versuchsanordnung war folgende: 3 Reagierröhren,
von denen die erste destillirtes Wasser, die zweite und dritte die
zu prüfende Substanz enthielt, wurden mit einer frischen Kultur
von Bacillus pyocyaneus geimpft. 1 und 2 wurden 3 Stunden mit
Kupfersulfatlösung gesiebtem Sonnenlichte ausgesetzt, während
das 3. im Dunkeln gehalten wurde. Hierauf wurde auf Agar-
Agar übertragen. 1 zeigte in allen Fällen gutes Wachsthum,
ebenso 3 bei passender (nicht zu giftiger) Konzentration des Ver¬
suchsstoffes im ursprünglichen Reagierrohr. Hingegen blieb in
2 bei Verwendung von salzsaurem Harmalin 1:1000 das Wachs¬
thum völlig aus und bei Verwendung von Chinolinroth 1:200
und Chinin 1:500 war in 2 gegenüber 3 eine erheblich ge¬
ringere Anzahl von Kulturen aufgegangen.
Ueber das V erhalten höherer Thiere (Frösche und
Mäuse), denen fluorescirende Stoffe einverleibt wurden und
welche dann zum Theile im Lichte und zum Theil im Dunkeln
gehalten wurden, haben J acobson und Raab Untersuch¬
ungen angestcllt, aber bisher keine unzweideutigen Ergebnisse
erhalten. Ich erwähne daher nur zwei ihrer Versuche, wonach
solche Fluorescenzwirkungen bei höheren Thieren immerhin im
Bereiche der Möglichkeit liegen. Füllte Jacobson den
ausgeräumten Schädel eines frisch getödteten Frosches mit einer
Mischung von Eosinlösung 1:1000 und Paramaecienkultur zu
gleichen Theilen und setzte denselben dem gesiebten Sonnenlichte
aus, so waren die Paramaecien in 1 Yi Stunden todt, wogegen sie
in einem analogen, aber im Dunkeln gehaltenen Präparate
4 Stunden und länger lebten. Dementsprechend fand Raab
die Paramaecien in Glasröhrchen, welche mit Eosin 1:4000 oder
Acridin 1:20 000 und Paramaecienkultur angefüllt und unter
die Haut lebender, der Sonne ausgesetzter Meerschweinchen ge¬
schoben waren, nach ca. 1 Stunde abgetödtet.
Licht vermag daher in genügender Weise die Haut und
selbst die Schädeldecke von Thieren zu durchdringen und in
darunter befindlichen Lösungen fluorescirender Stoffe Fluores¬
cenz zu erregen. Ein Resultat, das auch für eine event. spätere
therapeutische Verwerthung, z. B. bei parasitären Hautkrank¬
heiten, von Bedeutung ist.
III. Französischer Kongress für Gynäkologie, Geburts¬
hilfe und Kinderheilkunde
zu Nantes Im September 1901.
. Das erste Thema der Sektion, für Kinderheilkunde betraf den
Arthritismus der Kinder. C o m b y, der Referent, sieht dieses
Leiden als eine dauernde Ernährungsstörung an, welche meist auf
hereditärer Grundlage beruht; besonders häutig in civilisirten
Gegenden und bei der städtischen Bevölkerung, manifestirt sich
diese Diathese von der Geburt an. Man darf daher zur Behandlung
nicht die schweren Erscheinungen, wie Diabetes, Asthma, Gicht,
Migräne, Steiulelden, Fettsucht, abwarteu, sondern muss schon im
Kindesalter nach den ersten Anfängen fahnden. C o m b y unter¬
scheidet 2 Arten von Arthritismus: 1. die mit Polysareie und 2. die
mit Magerkeit verbundene lymphatisch-nervöse Art. Letztere ist
fast immer mit Anaemie verbunden, die körperliche Entwicklung
ist im Allgemeinen eine genügende, zuweilen unter dem Mittel.
Derartige Kinder sind intelligent, aber ungleichmässlg ln ihren
geistigen Fähigkeiten. Arthritismus und Anaemie (Lymphatis¬
mus) sind häuüg vergesellschaftet, ferner sind Störungen des Cir-
culations- und Athmungsapparates vorhanden:
Tachykardie, Arhythmie des Pulses, vasomotorische Störungen (ab¬
wechselnd Blässe und Röthe), grosse Neigung zu Schnupfen, sog.
spastischer Coryza, und Heufieber, periodischem Nasenbluten,
Kehlkopfkrampf u. s. w. Nicht weniger häutig sind Ver¬
dauungsstörungen: Anorexie und perverse Hungergefühle;
das häufigste Symptom ist periodisches Erbrechen, welches sich
in mehr oder weniger langen Intervallen wiederholt und durch
absolute Intoleranz dos Magens während 3, 5, 8 Tagen charakteri-
sirt. Auch der Urogenitalapparat zeigt Abnormitäten:
chemische Veränderungen des Urins, Polyurie, Pollakyurie, zu¬
weilen hartnäckige Vulvitis (ohne Gonococcen). Derartige Kinder
mit arthritischer Anlage sind nervös, leicht erregbar, ihre Haut
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MtJENCftENEU MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
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ist sehr reizbar, Dermatosen sind häufig bei ihnen, Ekzema tritt
zuweilen alternirend mit asthmatischen Anfällen auf. Ausser dein
gewöhnlichen Gelenkrheumatismus können andere locomoto-
rische AiTektionen, wie uraemischo Arthritis, Myalgien Vor¬
kommen, welche mehr Aehnliehkeit mit Gicht, wie mit Rheuma¬
tismus haben. Zuweilen kommt bei den arthritischen Kindern ein
Fieber anfall vor, welcher sich ähnlich wie bei der Malaria
wiederholt, aber auf Chinin nicht zurückgeht. Coraby sieht
dieses Fieber als eine Art larvirter Gicht, als uraemische Mani¬
festation an. Die Pathogenese des Arthritismus ist noch
dunkel, aber die hygienischen und therapeutischen Resultate lassen
keinen Zweifel, dass es sich dabei um eine Art Autointoxikation
handelt ln prophylaktischer Beziehung muss man mög¬
lichst Aufenthalt auf dem Lande empfehlen, sitzende Lebensweise,
Ueberemiihrung, Ueberanstrengung verbieten; keine alkoholischen
Getränke, kein Fleisch vor dem 3. Lebensjahre. Ist die Krankheit
zum Ausbruch gekommen, so sind alkalische Gewässer, Darmanti-
septica, alkalische Thermen, warme und kalte Kochsalzwässer
u. s. w. zu empfehlen; bei den akuten Anfällen absolute Bettruhe
und Diät wie überhaupt genaue hygienische Ueberwachung, um
regelmässige Funktion des Darmkanales, der Haut, Muskeln,
Lungen u. s. w. zu erzielen.
A u s s e t, ebenso wie Hallopoau und Sevestre
glauben, dass C. das Bild des Arthritismus zu sehr verallgemeinert
habe, Ersterer möchte den Typus der dicken, aufgetriebenen und
anaemischen Kinder häufiger zur Rachitis zählen. Letztere möchten
dem Arthritismus nicht die wichtige Rolle bei der Entstehung der
Dermatosen im Kindesalter zuschreiben; Mery hebt die Wich¬
tigkeit hervor, welche die chronische Obstipation bei der Patho¬
genese des periodischen Erbrechens hat.
Das zweite Ilaupttliema betraf die konservativen Behand¬
lungsmethoden bei der Behandlung der lokalen Tuberkulose im
Kindesalter. Der Referent F o i s s o n führt in erster Linie die
irrthilmliche Auffassung Derjenigen an, welche die lokale Tuber¬
kulose als fortschreitende Neubildung ansehen und daher die
blutige Behandlung empfehlen; denn bei den Kindern hat sie,
einige schwere Fälle mit multiplen Manifestationen ausgenommen,
die grösste Tendenz zu Spontanheilung. Die unblutige Behandlung
umfasst die Allgemeinbehandlung, die kontinuirliche Immobiii-
satiou und Extensiou, die Kompression, die modifizireuden In¬
jektionen und die Ignipunktur. Bezüglich der Allgemein-
behandlung, welche bei der Tuberkulose stets die erste Be¬
dingung ist, spricht P. dem Aufenthalt an der See, der nicht nur
Monate, sondern Jahre lang währen soll, eine ganz besondere Rolle
zu; durch denselben allein hellen leichte Fälle vollständig aus, bei
schweren ist der Aufenthalt an der See ein unentbehrliches Unter¬
stützungsmittel der lokalen Behandlung. Die Immobilisation
und kontinuirliche Extension geben gute Resultate,
erstere in allen Fällen von Osteoarthritis, ausser bei Coxalgie und
Malum Pottii, die kontinuirliche Extensiou ist ein vortreffliches
Mittel, um die manchmal schrecklichen Schmerzen der Hüft-
gelenkseutzündung zu beruhigen und die fehlerhafte Stellung zu
korrigiren; beim Malum Pottii, gleich von Anfang an vor jeder De¬
formation angewandt, kann die Immobilisation (Gipsverband)
Heilung bringen ohne sekundäre Lähmung, Verkrüm¬
mung oder Abscess. Die kontinuirliche Extension bringt hier
nur wenig Nutzen. Ausser dem Gipsverband ist die Bonne t’selie
Rinnschiene zur Immoblllsirung zu gebrauchen. Die Kom¬
pression wird sehr oft mit der Immobilisation zu deren Vervoll¬
ständigung verbunden; sie kann mit der elastischen Binde nach der
Methode von Bier ausgeführt werden und scheint vortreffliche
Resultate gegeben zu haben, wiewohl sie in Frankreich noch wenig
verbreitet ist. Von den topischen Mitteln verdienen die
Blasenpflaster und das Jod keine Erwähnung mehr; das Queck¬
silberpflaster, mit der Immobilisirung und Kompression ver¬
bunden ebenso das Unguent. neapolitanum, welches C h a-m -
plonniöre bei Tumor albus der Finger, bei Spina veutosa
des Fusses und der Hand ohne gleichzeitige Kompression anwendet,
und die Friktionen mit grüner Seife nach H o f f a (25—30 g 2 bis
3 mal pro Woche), welcher über 200 Fälle von Malum Pottii,
Coxalgie, Tumor albus, tuberkulösen Drüsenschwellungen damit
behandelte, scheinen von Erfolg zu sein. Von den m o d i fi¬
el r e n d e n Injektionen ist nach C o u d r a y die 10 proc.
Chlorzinklösung besonders augezeigt bei der Tuberkulose der
grossen, oberflächlichen Gelenke: Knie, Ellbogen, Hand- und
Fussgelenk; die Injektionen mit 5—10 proc. Jodoformäther haben
noch grössere Vorzüge und ein weiteres Anwendungsgebiet: von
den nicht eiternden Formen bei Halsdrüsen, beginnendem Tumor
albus, bei fungöser Synovitls der Sehnenscheiden, bei Spina ven-
tosa; bei den eitrigen Processen soll die Injektion von Jodoform-
äther einerseits die spontane Eröffnung des Eiterherdes verhüten,
anderseits denselben ausheilen, das modifleirende Mittel bis zum
Sitze der Initialaffektlon bringen und die Quelle der Eiterung ver¬
nichten. Chirurgische Eingriffe müssen jedoch oft noch mit diesen
Einspritzungen verbunden werden. Aelmlich wie Jodoformäther
wird Naphtholkampher angewandt, man muss jedoch mit diesem
Mittel vorsichtig sein, da es zuweilen allgemeine krampfartige Zu¬
stände erzeugt, und über 1 g bei Fungus oder Drüsen nicht hinaus¬
gehen oder wenigstens eine wässerige Lösung anwenden, z. B. die
Mischung nach B o u c li a rd, welche 5 g /S-Naphthol und Kampher
auf 100 g destillirten, alkoholisirten Wassers enthält. Die Igni¬
punktur ist, oberflächlich angewandt, nutzlos, jedoch, wenn ge¬
hörig in die Tiefe gehend, von Vortheil bei der Tuberkulose der
kleinen Gelenke. Ein chirurgischer Eingriff kann durchaus ge¬
boten sein bei Anwesenheit von Sequestern, fistulösen Abscessen,
bei Fiel>er u. s. w. Letzteres, in Gemeinschaft mit einem allge¬
mein septikaeniischen Zustand, sind für P. die einzigen Indika¬
tionen zu einem chirurgischen Eingriff beim Tumor albus des
Kindesalters. Die Resektion des Hüftgelenkes, die bei vorhandener
Eiterung immer ein schwerer Eingriff ist, soll nur als letztes Mittel
und wenn das I.elieu des Patienten in Gefahr ist, in Betracht
kommen; in diesen Fällen muss zu rasche Vereinigung der Wunde
vermieden werden.
C o u d r a y - Paris stimmt im Allgemeinen den Ausführungen
des Vorredners zu, insofern auch er die blutige Chirurgie bei der
Tuberkulose des Kindesalters auf ein Minimum beschränkt wissen
will. Den Einfluss der Meeresnähe hält er nicht für unabweisbar
nothwendig zum Ileileffekt; ausserordentlich nützlich bei appetit¬
losen Kindern ist die Seeluft, geradezu contraindicirt bei nervösen
Kindern. Was die topischen Mittel betrifft, so hat er bei Spina
ventosa zweifellos gute Resultate mit Queeksilberpfiaster (Empl.
Vigo in Streifen) erlebt. Die 9kierogene Methode hat ihm zahl¬
reiche Erfolge bei Arthritis und Osteoarthritis mit torpidem Ver¬
lauf gegeben. Zur Behandlung der tuberkulösen Abscesse wendet
C. seit 2 Jahren mit Vorliebe das Jodoformöl an, welches dem
Schmerzen verursachenden Jodoformäther vorzuziehen ist. Bei
schweren Eiterungen des Malum Pottii und der Coxalgie empfiehlt
er Drainage, die mit rigoroser Antisepsis auszuführen ist. und
Jodoformbestreuung vermittels eines speciellen Instrumentes
(Ipsilcurs nach G u i 1 m c t h).
Kirmisson empfiehlt, obwohl sehr konservativ, bei der
lokalen Tuberkulose die Ausschälung der isolirten Drüsen oder
Drüsenpackete ohne vorhandene IYriadenitis, wenn der spontane
Durchbruch droht.
G a s t o n empfiehlt zur Behandlung der Drüseu- und Haut¬
tuberkulose bei Kindern dreierlei Methoden: 1. jene von Besnier
(Cnrettage, dann Betupfen mit Höllenstein- oder Chlorzinkstift).
2. die hohen Wechselströme (nach O u d i n) und 3. die Plioto-
tlierapie.
Ilallopeau hat ebenso gute Erfolge, wie mit der Photo¬
therapie, mit den Skaritikationen und nachfolgender Behandlung
mit Kal. permangan. — entweder in 50 proc. Lösung oder als
Pulver — gehabt.
D’A s t r o s erläutert die Folgen der Osteomyelitis bei
Neugeborenen und deren Einwirkung auf die Blutzusammen¬
setzung — als Komplikationen langdauernder Knoeheueiterungen
der ersten Kindheit beobachtete er Rachitis und Spasmus glottidis.
Ein weiteres Verhandlungsthema des Kongresses war die
intermittirende Albuminurie im Kindesalter. Mery- Paris hebt
als Referent hervor, wie häufig im Kindesalter die akute Nephritis
ist, während die chronische Albuminurie eine Seltenheit sei; die
intermittirende Albuminurie hat Jedoch im Gegensatz hiezu das
Maximum ihrer Häufigkeit im Kindes- und Jugendalter. Bei dieser
chemischen intermlttirenden Albuminurie der Kinder muss man
die mit einer Niereuerkrankung verbundenen und die funktionellen
Formen, wo letztere nicht nachweisbar ist, unterscheiden. Für
erstere, die entweder ausheilen oder in die B r I g li t'sclie Krank¬
heit übergehen können, sind charakteristisch die nächtliche
Polyurie, die in 24 Stunden bedeutend grössere Harnmenge als bei
der funktionellen Albuminurie, die Niereninsufticienz bei der Ge-
frierprobo u. s. w., wenn auch beide Arten viel Aehnliehkeit haben.
Die funktionelle Form beobachtet man selten vor dem 7. Lebens¬
jahr, am häufigsten zwischen dem 10. und 17. Jahre und fällt
besondere mit den Entwicklungs- oder Pubertätszeiten zusammen.
Das wichtigste Merkmal des Urins ist, dass während der Nacht das
Eiweiss verschwindet, ebenso bei liegender Stellung. Das All¬
gemeinbefinden ist wenig verändert, daher bleibt das Leiden lange
unerkannt. Oft ist bei Tag Oligurie, bei Nacht Polyurie vor¬
handen; Cyllnder fehlen stets. Zuweilen bestehen als funktionelle
Störungen Kopfschmerz, allgemeine Müdigkeit, Unfähigkeit zu
jeder Arbeit, Schwindelanfälle, Anaemle, Cyanose, seltener Pal-
pitatlonen, Verdaungsstörungen, Magenerweiterung, neurastheni-
sche Erscheinungen. Als Varietäten werden unterschieden: 1. die
als Vorläufer der Gicht auftreteude (praegoutteuse) cykllsche Al¬
buminurie, welche die häufigste Form der intermittireuden Al¬
buminurie im Kindesalter ist und in ganz ausgeprägter Weise
den cykllsclien Typus zeigt: sie erscheint zwischen 12 und 1 Uhr,
um gegen 4 bis 5 Uhr abzunehmen und meist gegen Abend ganz zu
verschwinden; 2. die hepatogene Albuminurie ist gekenn¬
zeichnet durch die gelbe Hautfärbung an gewissen Körperetellen:
Stirne, Ohren, Hals, Vorderfläche von Brust und Bauch u. s. w.;
3. Albuminurie in Folge von Verdauungsstörungen,
meist verursacht durch Magenerweiterung; 4. orthostatische
Albuminurie; im Gegensatz zu deu 3 vorigen, die auf dyskrasischer
Basis beruhen, ist sie mechanischen Ursprungs und zwar
grösstentheils mit nervöser Grundlage; das Eiweiss tritt un¬
mittel- und unfehlbar nach längerem Stehen des Patienten auf.
verschwindet jedoch beinahe stets gegen Abend, und zwar dann,
wenn auch stehende Körperhaltung beibehalten wird. 5. JMe
praetu berkul ii ti e—Albuminurie i°t y.war in4 n rnii tH, ’“ T “ 1 aber
von unregelmassigem Typus; das Max imum der Elwelss äUMMt'lnM"
düng findeTMorgens sTätTTd^ÜHlTF'! blimsi reich nn ■PiiUMjThaten;
Teissier hat alternirend mit Perioden von Albuminurie solche
von Lungenkongestionen und andererseits das Verschwinden der
Albuminurie beim Auftreten der Tuberkulose beobachtet- Die
Prognose der funktionellen Albuminurie scheint viel günstiger
zu sein als bei der auf Nierenerkrankung beruhenden; in 78 Proc.
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1813
der Fülle wurde Heilung beobachtet, das Eiweiss ist im Verlaufe
von 2—3 Jahren verschwunden. Im Allgemeinen scheint die Pro¬
gnose der auf Verdauungsstörung beruhenden Albuminurie weniger
günstig wie die der übrigeu Formen zu sein. Die Gefahr bei
späterer Schwangerschaft ist hier bezüglich des Wiederauftretens
der Albuminurie eine sehr geringe. Die Behandlung bestehe
nicht in Milchdiät, sondern in Milch- gemischt mit vegetarischer
Kost und etwas weissem Fleisch, massigen Körperbewegungen,
Massage, kalten Waschungen; bei manchen anaemischen Kindern
Injektion von Natr. cacodyl., ausserdem Mineralwasser (alkalische
wie Vichy, Chfltel-Guyou, St.-Nectaire).
G a s t o u berichtet, in Uebereinstimmung mit dem Vorredner,
Uber mehrere Fälle von intermittirender, familiärer Albuminurie.
Zur Behandlung der essentiellen Skoliose empfiehlt der
Berichterstatter Saquet die schwedische Bewegungstherapie;
die französische oder deutsche Gymnastik wirkt eher deformirend,
die Zimmerapparate sind ungenügend und eher schädlich, ebenso
ist das beste Korset wertlilos. S. ist überzeugt, dass die Skoliose,
wenn vor der Periode der Kompeusntionsdeforination in richtige
Behandlung genommen, nusheilt, später kann mau eine Ver¬
schlimmerung des Leidens verhüten, (len Kranken zwingen, gerade
zu wachsen.
B i 1 h a u t hingegen hält noch immer für das beste Verfahren
die Streckung der Wirbelsäule und die Fixation ln einem unbeweg¬
lichen Gipskorset. welches alle 0 Wochen zu erneuern ist, wenig¬
stens bei nicht sehr ausgesprochener Skoliose. Ist die Richtung
der Wirbelsäule rektificirt, so ist das Gipskorset durch ein un¬
bewegliches IIolz- oder Lederkorset zu ersetzen und dann Massage
und Gymnastik anzuwenden.
Auf Veranlassung von K i r m i s s o u hat Delsmitt Unter¬
suchungen über den Zusammenhang zwischen Appendicltis und
Eingeweidewürmern ausgeführt, den Stuhl von 21 mit Appendi-
citis behafteten Kindern untersucht und bei 18 derselben Eier von
Trichokephalus oder Ascariden gefunden.
R a p p i n bekundetete die Anwesenheit von Tuberkelbacillen
in manchen Fällen, wo keine Eier von Eingeweidewürmern ge¬
funden wurden.
Tr ei Ile bemerkt, dass bei den Arabern von Algier, wo Ein¬
geweidewürmer so häufig sind, die Appendicltis eine seltene Affek¬
tion ist.
Broca, Sevestre und Le Gen dre machen gegenüber
dieser angenommenen Coincldenz verschiedene Einwände und
halten dieselbe für noch unerwiesen.
A u s s e t referirt über die Schilddrüsenbehandlung in der
Pathologie des Kindesalters und speciell bei der mangelhaften
Entwicklung. Die Schilddrüse besitzt einen sehr erheblichen Ein¬
fluss auf die Ernährung, sie regt den Stoffwechsel an und darauf
hat man die Behandlung mancher Zustände begründet, bei welchen
die organischen Proeesse verlangsamt sind oder stille stehen.
Ausser der Wirksamkeit des Schilddrüsensaftes beim ausge¬
sprochenen und beim mehr latenten (fruste) Myxoedem, welche
Fälle auf mangelhafter Funktion der Schilddrüse zu beruhen
scheinen, gibt die Schilddrüsentherapie die besten Resultate beim
sog. Infantilismus. Ausser den Fällen von mangelhafter Entwick¬
lung, wo die Schilddrüse zweifellos die Hauptrolle spielt, gibt cs
solche, die scheinbar auf Rachitis. Tuberkulose, Syphilis beruhen,
wo aber die Wachsthums- und Entwicklungsstörungen mit einer
Behinderung der Schilddriisenfunktion Zusammenhängen. Ausset
ist daher der Ansicht, dass man in allen Fällen von mangelhafter
Entwicklung im Kindesalter, welches auch die scheinbare Ur¬
sache sei, die Schilddrüsentherapie versuchen müsse. Die künst¬
liche Erzeugung von foetaler Rachitis, wenn man die weiblichen
Versuchsthiere der Schilddrüsen beraubt, die günstige Einwirkung
der Schilddrüsentherapio auf die Rachitis beweisen, (lass diese
Drüse eine bedeutende Rolle bei der Produktion des rachitischen
Krankheitsprocesses spielt. Der Erfolg der Phosphate, (1er seit
langer Zeit gegen die Rachitis schon bekannt ist, könnte zum Theile
daher kommen, dass (Me au Phosphaten sehr reiche Schilddrüse
so wieder diese organischen Substanzen gewänne, welche sie durch
die primäre Krankheitsstöruug verloren hat. Die Schilddriiseu-
therapie muss bei (len Kindern, die dafür besonders empfänglich
sind, mit grösster Sorgfalt gehandhabt werden, Herz und Nieren
sind genauestens zu überwachen und bei dem geringsten Zeichen
von Schilddrüsenintoxikation muss die Behandlung ausgesetzt oder
die Dosis vermindert werden. Man darf nur mit ganz geringen
Mengen beginnen, um die Empfänglichkeit des Individuums zu
prüfen, mir langsam mit den Dosen steigen und von Zeit zu Zeit
aussetzen; die komprimirteu Tabletten und Pastillen sind für
Kinder die geeignetsten Formen und bei deren Fabrikation sollte
mit grösster Sorgfalt verfahren werden (Sterilisation).
Gustave Bureau und Fortineau haben bakterio¬
logische Untersuchungen über den Keuchhusten angestellt und
fanden in allen Fällen (10 mit 38 Untersuchungen) den Strepto¬
coccus als pathogenes Agens des Keuchhustens. Die (liver-
girenden Resultate der verschiedenen Forscher seien wahrschein¬
lich die Folge verschiedener Untersuchungsmethoden; wenn man
sich in Zukunft speeieller Nährböden (Bouillonkultur nach
Sabouraud) bediene, so würde sehr wahrscheinlich allgemein
der Streptococcus als Ursache des Keuchhustens gefunden werden.
In den vereinigten Sektionen für Gynäkologie und
Geburtshilfe referirte B a u d r o n über die angeborene Ante-
flexion im Zusammenhang mit der Sterilität und deren Behand¬
lung. Die Behandlung, wie sie Pin ard empfiehlt, muss 2 bis
3 Tage nach der Beendigung der Menses beginnen und besteht in
2 Phasen: 1. Dilatation und Aufrichtung des Uterus mit Larni-
* nariabougles und 2. wiederholte Dilatation mit (len (H e g a rischen)
Bougies. Erstere Fhnse dauert im Mittel 8 Tage, da man eine
ausgiebige Erweiterung erzielen muss; die Kranken müssen
während dieser Zeit Bettruhe l>ewahreu, um die Lamluaria nicht
zu verschieben und keine entzündlichen Erscheinungen hervor-
zurufeu. Ist die letzte Laminaria entfernt, so ersetzt man sie durch
einen .Toilofomigazestreifen, welcher 24 Stunden liegen bleibt.
Dann beginnt die Dilatation mit den Metallbougies und zwar sind
hiezu die II e g a rischen weniger geeignet — da sie zwischen 2 auf¬
einanderfolgenden Nummern einen zu grossen Abstand haben —
als die von Segond. mit welchen mau allmählich bis auf Grösse
40—50 gelangen kann. Sind die Menses eingetreten, meist einige
Tage zu früh, seltener zu spät, so hört jede Behandlung auf; Je
nach der Blutung wird Bettruhe empfohlen. Von 23 auf diese
Weise behandelten Patientinnen waren 15 dysmenorrholsch und
steril gewesen, 13 davon heilten vollständig und 2 unvollständig,
4 wurden schwanger. 8 behielten als einziges Symptom noch die
Sterilität. In Uebereinstimmung mit Plnard ist B. der Ansicht,
dass die kongenitale Anteflexion die häufigste Ursache der Sterili¬
tät ist: die Stenose des Uterus und speciell des Oriflelum internum
am Knickungswinkel ist das Hinderniss zur Befruchtung und die
Ursache der Dysmenorrhoe. Die beschriebene langsame und all¬
mählich vorgenommene Dehnung ist die vollständigste, wirksamste
und am wenigsten gefährliche Behandlung der angeborenen Ante¬
flexion. Die blutigen Operationen habeu ihre speciellen In¬
dikationen, selbst nach völliger Erfolglosigkeit der Dilatation; ist
die Anteflexion mit Metritis oder Annexitis komplizlrt, so wird die
Therapie jene der entzündlichen Komplikation.
V a r n i e r berichtet über die Behandlung der Uterus-
rupturen. Gestützt auf 23 Fälle, wovon die eine Gruppe exspecta-
tiv, die andere operntiv behandelt wurde, erklärt er für die beste
Behandlungsmethode unmittelbar folgende Laparotomie und Opera¬
tion (subtotale Hysterektomie. Naht des Stumpfes, der peritonealen
Risse und Jodoformgazedrainage).
Pinard ist ebenfalls Anhänger der Explorations- und Hei¬
lungs-Laparotomie.
Sedan- Marseille empfiehlt warm (bis Aniodol in der
Geburtshilfe. Nach seinen und anderer Geburtshelfer Er¬
fahrungen. wovon er einige frappante Beispiele anführt, zeichnet
sich dasselbe durch seine sterilisirende Wirkung, absolute Un¬
schädlichkeit. Geruchlosigkeit. Leichtigkeit, der Anwendung (in
0.25 bis 0.5 proc. Lösung) und Konstanz des Erfolges aus und
es wird so zu einem werthvollen Bestaudtheil in der gynäko¬
logischen und geburtshilflichen Therapie, ebenso wie als Prophy-
laktieum bei der Ophthalmie der Neugeborenen.
O u i referirt über die Inversio uteri und deren Behandlung.
Er unterscheidet hiebei dreierlei Arten: 1. die Inversion frischen
puerperalen Ursprungs. 2. die alten und 3. jene polypösen Ur¬
sprungs. Bei der ersten Art muss man die Placenta ablösen und
die Gebärmutterhautschleimlmut deslnfiziren. den Uterus in die
Vagina zurückbringen und denselben schliesslich von unten nach
oben völlig reduclren, indem man die Hand in die Scheide ein¬
führt und in den Kontraktionspausen mit Hilfe der Finger ent¬
gegendrückt. Es kann jedoch, und zwar liesonders während des
Involutionsstadiums die manuelle Reduktion unmöglich sein und
muss dann die Taxis unter Chloroformnarkose und eventueller Zu¬
hilfenahme eines elastischen Pessariums oder Ballons (Cham-
p e t i e r) ausgeführt werden. Gegen die Blutung wird man In
hohem Grade durch die Laktation unterstützt, welche beinahe
jeden blutigen Ausfluss aus der Gebärmutter unterdrückt. Auch
bei der zweiten Art, der puerperalen Inversion älteren Ursprungs,
muss man in erster Linie die manuelle Taxis, welche auch hier
oft noch gelingt, dann unter Narkose die instrumenteile Reposition
versuchen und ei*st wenn dies Alles fruchtlos war. die Kolpo-
hysterotomie und zwar am besten die vordere anwenden: die vagi¬
nale Hysterektomie ist in Fällen von Iufektiou oder Gangraen
augezeigt, ebenso bei reeldivireuder Inversion, wo die Hystero-
pexie ohne Erfolg gewesen ist Bei der polypösen Inversion ist
der erste Akt natürlich Entfernung der Polypen, wonach oft der
Uterus spontan zurückgeht in anderen Fällen muss die Taxis
sachte iu obenerwähnter Reihenfolge ausgeführt werden.
Boursier berichtet über die operativen Eingriffe bei
Geburtshinderniss (Dystokie) in Folge von Fibromen; die meist
zu wählende Operation, welche ein wirklich radikales Heilmittel
darstellt, ist die totale abdominale Hysterektomie.
DelageniSre - Mans bespricht die operativen In¬
dikationen bei Uterusmyomen während der Schwangerschaft.
H u g 6 referirt über Ursachen und Behandlung des unstill¬
baren Erbrechens während der Schwangerschaft. Nach seiner
Ansicht handelt es sich dabei meist um eine Autointoxikation,
sei es, dass die Organe (Leber, Nieren, Magen u. s. w.) schon vor¬
her nicht gesund waren oder dieselben nicht mehr im Stande sind,
die durch die Schwangerschaft erforderliche Mehrarbeit zu leisten.
In anderen Fällen spielt jedoch auch das Nervensystem eine grosse
Rolle bei der Entstehung dieses Erbrechens. Bel letzteren muss
man die Hydrotherapie, Elektrisiren, sedative Mittel. Zerstreuung.
Suggestion u. s. w. anwenden. Tn ersteren Fällen ist die Diät sehr
wichtig, als Getränke sind Milch. Ivephir, Kumys vorzuschreiben,
ferner vegetarianische Diät; die Aetherbesprengungcn von Wirbel¬
säule und Epigastrium sind zu versuchen. Als Medikamente hat
man Chloroformwasser, Opiate. Cocain, Na bicarb. in hohen Dosen.
Orexin u. s. w. empfohlen; gute Resultate wurden mit Sauerstoff-
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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
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Inhalationen, mit Magenspülung erzielt. Gegen die Intoxikation
Darmantlseptica, Bäder, Injektionen künstlichen Serums, wenn
nöthig, Nährklystlere. Besteht eine Anomalie von Seite der Ge¬
bärmutter (Cervixgeschwüre, Verlagerungen, fehlerhafte Lagen), so
Ist sie zu behandeln. Der Gebrauch einer Leibbinde, Bauch¬
massage, Cocnlnbepinseluug des Collum haben das Erbrechen
während der Schwangerschaft schon zum Stillstand gebracht. In
letzter Linie muss mau an die künstliche Entleerung der Gebär¬
mutter denken; der Zeitpunkt derselben muss je nach den Um¬
ständen wechseln und es ist schwer, hlefür allgemeine Regeln zu
geben.
G u 111 e m e t - Nantes ebenso wie P 1 n a r d heben die Tox-
aemie als Ursache des Erbrechens hervor, welche, gleich wie die
Eklampsie, eine Folge der Schwangerschaftsblutintoxikatlon ist.
In den vereinigten 3 Sektionen wurde eingehend der Kinder¬
schutz (Puöriculture) besprochen, ein Thema, das für Frankreich
bei der geringen Bevölkerungszunahtne von besonderer Bedeutung
ist. Die beiden Hauptreferenten 011 i v e und Schmitt
theilen diesen Schutz ein in 1. jenen vor der Erzeugung —
strengere Reglementimng der Prostitution und T'eberwacliung der
syphiliskranken Soldaten, Bekämpfung des Alkoholismus u. s. w.;
2. während der Schwangerschaft und bis zur Ge¬
burt — geeignete Fürsorge für die unbemittelten Frauen. Grün¬
dung von geheimen Asylen für die schwangeren Mädchen: 3. nach
der Geburt —- genügende Sorge für ärztliche Hilfe, Selbst¬
stillen der Mütter, in zweiter Linie Gratisvertheiluug von sterili-
slrter Milch, Errichtung von Kiuderasylen u. s. f.
P I n a r d geht so weit, während der letzten 3 Sehwanger-
sehaftsmonate absolute Ruhe obligatorisch machen zu wollen: die
Kosten, welche dadurch verursacht würden, seien in Wirklichkeit
nur eine Ersparuiss, wenn man bedenkt, was diese Auswürfe der
Gesellschaft kosten, und dass die Zahl der Geburten, was für
Frankreich so wichtig sei, bedeutend vermehrt würden. P. ist
ferner Feind aller Krippenanstalten und hält für das oberste
Prineip des Kiuderschutzes, das Kind durchaus nicht von der
Mutter zu trennen.
Die Rolle des Arztes bei der Erziehung der Kinder und
bakteriologische Untersuchungen über die Kindermilch zu Nantes
waren noch weiters Verhandlungsthemata.
Schliesslich wurde von dem Kongress folgendes Votum ein¬
stimmig angenommen: ...Tode schwangere Frau hat Anspruch auf
öffentliche Unterstützung, um sich in denjenigen hygienischen
Bedingungen zu befinden, welche für sie und das Kind in den
letzten drei Monaten der Schwangerschaft und im ersten nach
der Geburt unbedingt nothwendig sind. Der Kongress fordert die
öffentlichen Behörden auf, die zur Ausführung dieser Maassregel
nothwendigeu Verfügungen zu treffen.“ Stern.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Acadlmie des Sciences.
Sitzung vom 19. August 1901.
Die Beziehungen der Psoriasis zu der Neurasthenie.
Nach B o u f f 6 ist die Psoriasis eine Trophoneurose. welche
ihren Sitz in den Nervencentren und speciell im Sympathicus hat.
Die Psoriasis bietet in ihrem Ursprung grosse Analogie mit der
Neurasthenie, die vor Allem aus Störungen des cerebrospinalen
Nervensystems resultlrt. Bei Psoriasis, gleicher Welse wie bet
Neurasthenie, ist konstant eine Verminderung der Nerventhätig-
keit vorhanden, welche durch Herabgehen des Gehaltes an Phos¬
phorsäure im Urin (auf 15. 14. ja 12 Proc.) charakterisirt ist; die
Psoriasis ist eine eosinophile Krankheit. Die Hauptbehandlung,
wie sich aus der Beobachtung der Neurasthenie und Psoriasis er¬
gibt, sollte daher in Kräftigung des Nervensystems ohne direkte
Stimulation bestehen, dazu hält B. das O r c h i t i n, welches so¬
wohl auf das cerebrospluale Nervensystem, wie auf den Sym¬
pathicus elektivc Wirkung habe, für besonders geeignet. Die
Dosis des Mittels für Injektionen betrage 10—12 ccm, 3 mal per
Woche, kann unter Umständen auch erhöht werden. Die Dauer
der Behandlung wechselt zwischen 3, 5—G Monaten, je nach dem
Alter des Falles, dem Zustand des Kranken und seiner hereditären
Belastung.
Flammarion machte an Seidenwürmern Untersuchungen
über den Einfluss des Lichtes auf die Entstehung der Ge¬
schlechter.
Er fand bei freier Luft und fnrblosem Glas das gleiche Ver-
liältniss von 50 Proc.. ebenso bei Hellroth und Hellgrün: je dunkler
jedoch die Farben, desto mehr überwiegt das männliche Geschlecht
(Dunkelroth 08 männliche und 32 weibliche Individuen). Die Ver¬
suche mit der Art der Ernährung ergaben kein Resultat, bei
mangelhafter Nahrung aber war ausgesprochenes Ueber-
wiegen des männlichen Geschlechtes zu konstatiren; das alte
Problem der Erzeugung der Geschlechter würde hier eine Auf¬
klärung finden. Die Statistik lehrt auch, dass nach Kriegsjahren
und Jahren der Entbehrung, ebenso wie in den ganz armen
Ländern der Geburtsiiberschuss an Knaben ein bedeutender ist
Sitzung vom 9. September 1901.
Bill et berichtet über das gleichzeitige Erscheinen der
Moskitos (Anopheles) und der ersten Fälle von Malaria in der
Umgebung von Constantine.
L a v e r a n hat seit Langem schon beobachtet, dass in Algier
und der Umgebung von Constantine die ersten Fälle von Malaria
stets in den letzten Junitagen sich einstellen und B. konnte sich
überzeugen, dass damit die Anopheles, welche als die Hauptträger
der Malariaplasmodien angesehen werden, auftraten. Die ver¬
schiedenen angeführten Fälle waren ausnahmslos ganz frisch ent¬
standen, welche junge, aus Frankreich gekommene Soldaten, die
noch nie Malaria hatten, betrafen; bei allen hat übrigens die Blut¬
untersuchung das Vorhandensein der für die erste Invasion cha¬
rakteristischen Plasmodien (kleine, annuläre Form und im Wachs¬
thum begriffen) ergeben. Mit diesen Untersuchungen Ist somit ein
neues beweiskräftiges Beispiel für das fast gleichzeitige Auftreten
der spec. Moskitos (Anopheles) und der ersten Malariafälle (in
Constantine) gegeben. Als weiterer, dabei vorgekommener Be¬
fund von besonderem Interesse ist noch das Vorhandensein der
Malariasporozoen in der Magemvnnd der Anopheles angeführt.
AcadSmie de mSdecine.
Sitzung vom 1. Oktober 1901.
Die Vertheilung und Lokalisation des Antimons im Thierkörper.
Die Untersuchungen, welche Pouchet an Kaninchen und
Hunden vornahm, führten zu folgenden Resultaten: 1. Die
toxische Wirkung ebenso wie die Lokalisation des Antimons treten
erst bei einer Dosis, welche viel höher als die entsprechende Dosis
Arseniks ist, auf. 2. Die Lokalisation des Antimons ist ganz anders
wie die des Arseniks; ersteres setzt sich besonders im Darmkanal
fest, letzterer in den Organen der Epidermis und im Nervensystem.
3. Bei einer Mischung von Antimon und Arsenik scheint ersteres
keineswegs die Giftwirkung des Arseniks zu vermindern, vielmehr
sogar zu unterhalten und zu vermehren. Der Zusatz einer geringen
Menge Arseniks zum Antimon lässt die Haut- und Nervenerschei-
nungeu früher auftreten und bewirkt auch Magen-Darm-
stürungen; die Lokalisation und Vertheilung des Antimons wird
nicht modificirt — Gehirn und Rückenmark, Muskeln und Leber
enthalten Arsenik und kein Antimon; die Knochen enthalten
Arsenik und eine Spur Antimons; der Darmkanal schliesst die
grösste Menge des Antimons und nur ein wenig Arsenik ein. Die
gleichzeitige Darreichung einer anderen medikamentösen Substanz,
wie des BromknlU scheint ln sehr beträchtlicher Welse einerseits
die Symptome der Vergiftung, andererseits die Vertheilung der
toxischen Substanzen zu modiflziren. Aus letzterer Thtasache
geht hervor, dass die zusammengesetzten Arzneiformeln und die
Associationen der Medikamente, welche oft von den Anhängern
einfacher Formeln kritisirt werden, gerechtfertigt sind.
Aus italienischen medicinischen Gesellschaften.
Königl. Akademie zu Turm.
Aus der Sitzung vom 17. Mai 1901 erwähnen wir die Mit-
tlieilung Mattirolo’s über die Anwendung von Erytroltetra-
nitrat gegen Bleikolik. Das Erytroltetranitrat soll ähnlich
wie Amyl nitrat ein Präparat von prompt vaso-
dilatatorischer Wirkung sein und zwar von langsamer
und dauernder. Bel einem klassischen Falle von Bleiintoxikatiou
trat schon nach einer Stunde die Wirkung ein, und zwar nach einer
Dosis von 3 cg ln Form von M e r c k’scheu Tabletten.
Die Wirkung auf den arteriellen Blutdruck wurde durch das
Sphygmomanometer Riva Rocei nachgewiesen und die Verminde¬
rung war eine prompte.
H u c h a r d hat neuerdings ähnliche Resultate mit dem
gleichen Mittel erzielt und veröffentlicht.
Aus der Sitzung vom 28. Juni c. erwähnen wir die Erörterung
von M 1 c h e 1 i über 2 Fälle von Albuminuria orthostatica. Be¬
sonders der zweite Fall gehört zu den stringentesten, welche je
beschrieben sind. Die Albuminurie dieses Kranken, bei welcher
cs sich allein um Scrumalbumin handelte, war nur durch eine
einzige Bedingung hervorgerufen, durch die aufrechte Stellung,
welche schon nach einer Viertelstunde wirkte. Mit derselben
Schnelligkeit verschwand das Albumin, sobald der Patient die
sitzende oder liegende Stellung einnahm: kein anderes Moment
war im Stande die Albuminurie hervorzurufen noch auch zu be¬
einflussen, nicht die Digestiousperiode, nicht Milchdiät, nicht An¬
strengung, nicht Kälte. Monatelang fortgesetzte Urinunter¬
suchungen sprachen für eine vollkommen normale Nierenfunktiou.
M. bespricht dann die Beziehungen zwischen dieser Form von
Albuminurie und der Albuminuria cyclica Pavy’s,
welche einige Axitoren, wie T e i s s i e r, von der Albuminuria
orthostatica scharf trennen möchten. Beide Formen sind nahe ver¬
wandt. Bei der cyclischen Form sind es ausser der aufrechten
Körperposition noch eine Reihe anderer Momente, wie Ermüdung,
Verdauung u. s. w., welche den Eintritt der Albuminurie ver¬
anlassen. z. Th. auch noch unbekannte Momente.
Bezüglich der Pathogenese ist eine Circulationsstörung der
Nieren durch Stase oder durch veränderte vasomotorische Inner¬
vation der Nieren anzunehmen: Momente, welche ihren Einfluss
iiussern auf von Hause aus empfindliche Nieren oder solche, welche
durch vorhergegangene Infektionen bei nervöser oder arthritlscher
Heredität empfindlich geworden sind.
Aus der Sitzung vom 5. Juli erwähnen wir eine Mittheilung
F o fi’s über freie Körper in der Bauchhöhle und den Ursprung
derselben. Es handelt sich um Substanzen, welche Fibrin fällen,
Leukocyten anziehen und einen klebrigen Körper bilden, der sich
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1815
später langsam organlsirt, oft ln Form eines aufsitzenden Polypen.
Ferner bei lokalen tuberkulösen Processen an den Tuben oder
bei Appendlcltls gerlith käsige Substanz ln das Abdomen, welche
mit Fibrin und Leukocyteu gemischt sich auf der Serosa ansetzt,
hier ein Granulationsgewebe mit Riesenzellen bildet und einen
Polypen darstellt. F. gelang es im pathologischen Institut an
Kaninchen solche Körper zu erzeugen, indem er ihnen Kulturen
vou virulentem Bacillus coli einspritzte, nachdem sie vorher im-
munisirt waren.
Medicinisch - chirurgische Gesellschaft zu Bologna.
In der Sitzung vom 30. Juni berichtet P u g 1 i e s e Uber seine
Versuche an entmilzten Hunden. Dieselben sollen eine Galle
entleeren, welche bedeutend jirmer an G a 11 e u p i g m e n t
ist, während der Procentgehalt an Gallens iiuren
der gleiche bleibt. P. erklärt dies so, dass, wenn die Milz
fehle, die Detritusmengen der rothen Blutkörperchen sich in»
Knochenmark ablagern und später und in geringerer Zahl zur
Leber gelangen, desshalb sei die Sekretion des Pigments eine
spärlichere. Hager- Magdeburg-N.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Oberfränkischer Aerztetag.
Die oberfränkischen Aerzte hielten am 24. Oktober d. J. in
Kulmbach ihren, aus allen Theilen Oberfrankens zahlreich be¬
suchten Aerztetag ab.
Kgl. Kreismedicinalrath Dr. I'ürckhauer - Bayreuth er-
öffnete um 2 Uhr die Sitzung, begrüsste die Versammlung auf’s
Herzlichste und wünschte den Berathungen ein „gut’ Gedeihen!“
Hierauf wurde per Acclamation die bewährte Vorstandschaft:
Herr kgl. Kreismedicinalrath Dr. PUrckhauer als Vorsitzen¬
der, Herr kgl. Bezirksarzt Dr. S o 1 b r 1 g - Bayreuth als Schrift¬
führer, wiedergewählt; die Präsenzliste ergab 44 Theilnehmer, eine
Zahl, wie sie seit Jahren nicht zu notiren war.
Nach Bildung des Bureaus referirte Herr Oberarzt Dr. Jung-
e n g e 1 - Bamberg, nach Vorstellung eines frischen Falles von
Aktinomykose als einer für Oberfranken seltenen Erkrankung, über
eine Schussverletzung im Unterleib bei einem 17 jährigen Jungen,
welchem der Darm an 7 Stellen durchschossen war — Laparotomie
— glatte Heilung.
Sodann führte Jungengel einen GIps-Extensionsverband
vor, anwendbar bei Schrägbrüchen am Unterschenkel, angegeben
von Kefer in Odessa. Jungengel thellt 3 Fälle schwerer
Unterschenkelfrakturen mit, in welchen der Apparat Anwendung
gefunden habe; dieselben seien glatt geheilt, ohne Spur eines De¬
cubitus, und mit minimaler Verkürzung.
Bezlrksarzt Dr. Hess- Wunsiedel referirte sodann über die
erste ärztliche Studienreise, welche er mit etwa 350 Kollegen
diesen Herbst von Hamburg aus, gelegentlich der diesjährigen
Versammlung deutscher Aerzte und Naturforscher, machte, und
welche die Orte Helgoland, Sylt (Westerland), Wyk, Amrum, Föhr,
Cuxhaven, Norderney, Juist, Borkura, Wilhelmshafen berührte.
Ungemein befriedigt von dem Erfolge des von selten schönem
Wetter begünstigten Unternehmens theilte Hess seine Be¬
obachtungen über Land und Leute mit Uber die Beschaffenheit des
Strandes, des Wellenschlages der Badeeinrichtungen, der übrigen
Wohlfahrtseinrichtungen, machte kritische Betrachtungen über das
Seeklima, die Seebäder, deren Einwirkung auf den gesunden und
kranken Organismus, deren Indikation überhaupt Der % ständige
Vortrag fand allseitig lauten Beifall.
Augenarzt Dr. Miller- Bayreuth hielt hierauf einen äusserst
instruktiven Vortrag Uber die Mitwirkung der Aerzte bei Bethätl-
gung der socialen Rechtspflege.
Der Vorsitzende dankte den Rednern und ertheilte Oberarzt
Dr. Jungengel das Wort: Zur Stellungnahme der
Aerzte zum v. Landmann’schen Referat betreffs
Erlass einer ärztlichen Standes- und Ehren¬
gerichtsordnung.
Oberarzt Jungengel hält es für die Pflicht des ober-
frilnkischen Aerztetages, dass derselbe in der Sache das Wort
nehme, da die Erregung, welche die ärztlichen Kreise Bayerns
zur Zelt beherrsche, eine grosse und berechtigte sei gegenüber dem
Standpunkte, welchen der Referent v. Land mann im Ausschüsse
für die ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung einzunehmen
beliebe. Einen klaren Ueberbllck gebend über die Entstehung
und den derzeitigen Stand der Vorlage verwahrt sich Jung¬
engel entschieden gegen den Standpunkt v. Landman n’s, den¬
selben lebhaft bedauernd, da, im Falle die Landman n’schen
Ideen Gesetz werden sollten, die ärztlichen Bezirksvereine ge¬
zwungen wären, sich aufzulösen. Er schlägt desshalb folgende
Resolution vor:
Der heute In Kulmbach versammelte „Oberfränkische
Aerztetag“ bedauert das für die Aerzte unannehmbare Re¬
ferat de§ Landtagsabgeordneten v. L a n d m a n n in
Sachen der ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnung und
würde die Erhebung seiner Vorschläge zur Gesetzeskraft
für alle Betheiligten gleich bedenklich, wie für das öffent¬
liche Wohl gefährlich halten. Als einzig erspriesslich er¬
achtet der Oberfränkische Aerztetag die unverkürzte An¬
nahme des Regierungsentwurfes; denn reiflich berathen von
den berufensten und sachkundigsten Faktoren, getragen von
der gesammten Aerzteschaft will derselbe nur jene Prln-
cipien festlegen, die bislang die gute Tradition des ärztlichen
Standes ausmachten.
Die Resolution wurde einstimmig angenommen unter reichem
Beifall für die entschiedenen Worte des Referenten.
Zum Schlüsse der Verhandlungen wurde das Thema: Verhält¬
nis der Aerzte zur Invalldltätsverslcherung besprochen, worauf
die sämmtlichen Theilnehmer des Aerztetags ein Diner mit nach¬
folgendem gemllthlichen Beisammensein bei einem Schoppen aus¬
gezeichneten lichten Kulmbacher Bieres vereinte.
Der ärztliche Bezirksverein Bamberg ist in
seiner Versammlung vom 25. Oktober einstimmig der obigen Re¬
solution des oberfränkischen Aerztetages beigetreten.
Auswärtige Briefe.
Eine ärztliche Studienreise in die deutschen Nord¬
seebäder.
Vom 28. September bis 7. Oktober 1901.
Sehr verehrter Herr Kollege!
Als Einer von Denen, die nicht dabei gewesen sind, wünschen
Sie durch mich zu erfahren, wie die erste deutsche ärztliche
Studienreise ausgefallen ist? Ob es denn der Mühe und See¬
krankheit werth war, an diesem Kreuz- und Querzug nach den
Sandinseln in der Nordsee theilzunehmen ? Was es denn da für
einen Arzt, und noch dazu einen süddeutschen, zu sehen und zu
lernen gäbe? Ob mir vielleicht der Bäderalmanach nicht mehr
genüge? Ob-doch ich will Ihre Fragen nicht alle wieder¬
holen, sondern mir Mühe geben, aus der Erinnerung Ihnen meine
Reiseeindrücke in Kürze zu schildern, um Ihre Neugier so viel
als möglich zu befriedigen. Ich werde Ihnen keine Abhandlung
über die Nordseebäder schreiben und auch die physiologische
Wirkung der Seeluft und des Meerwassers nicht in gemächlicher
Breite Ihnen vor Augen führen, aber ich hoffe doch es so weit
zu bringen, dass Ihnen ein leises Bedauern darüber aufsteigt.,
nicht einen Theil Ihrer Sommerferien zu der Fahrt auf unserem
schönen Salon-Schnelldampfer „Prinzessin Heinrich“ verwendet
zu haben.
Sie wissen bereits, dass sich die erste ärztliche Badereise an
die 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in
Hamburg anschloes. Die für die Reise gewählte Zeit hatte, wie
die meisten Dinge, ihre zwei Seiten, von denen die guten meiner
Ansicht nach überwiegend waren. Es ist richtig, der eigentliche
Trubel der hohen Badesaison ist Ende September vorüber und
wir sahen die Tausende von Strandkörben ohne Insassen im Sande
stehen und die Promenaden verödet. Allein vergessen Sie ge¬
fälligst nicht, dass vorläufig unsere Aerzteschaft immer noch
zum Haupttheil aus Männern besteht und für diese das Studium
der Damentoiletten in den Bädern nicht die Hauptsache bildet.
In 20—30 Jahren würde es freilich kein Komite gewagt haben,
für eine Fahrt in die Bäder der Nordsee die toilettenlose, die
schreckliche Zeit zu wählen. Sie wissen ja, das Frauen¬
studium -! Unsere Studienobjekte, daa Meer mit seinem
Wellenschlag, die Inseln mit ihren Dünen und Strandpartien,
die von den strebsamen deutschen Badeverwaltungen geschaffenen
sanitären Einrichtungen hinsichtlich der Badekuren, der Wasser¬
versorgung und Entwässerung, die Seehospize und Genesungs¬
heime am Meer und vieles andere sind auch im Herbst zu sehen,
und gewiss hätte auch die Unterbringung und die sachgemässe
Führung der über 350 Köpfe starken Reisegesellschaft der Aerzte
im Hochsommer viel grössere Schwierigkeiten bereitet. Ob
auch die deutsche Seewarte in Hamburg um Rath angegangen
worden ist, ob gerade in der geplanten Zeit das Meer am brävsten
sich zu geberden pflege und auch aus nautischen Gründen die
Inseln um diese Zeit am leichtesten zu erreichen seien, das kann
ich Ihnen nicht sagen. Jedenfalls hatten wir mit dem Wetter und
den Windverhältnissen den grössten Theil der Reise ein un¬
erhörtes Glück, und jener biedere Cuxhavener Bürger, der mir
sagte, wir Aerzte hätten wohl insgeheim mit Geheimrath Nou-
m a y o r, dem Direktor der Hamburger Seewarte paktirt, wird
schon Recht gehabt haben.
Ueber die Vorgeschichte der ärztlichen Studienreise muss ich
Ihnen auch noch einige Worte sagen; denn Sie fragen mich mit
Recht: Wer hat denn die ganze Unternehmung eigentlich er¬
funden? Die Idee, den balneologischen Unterricht dadurch zu
erweitern, dass man die Aerzte in die Bäder führen und sie
Alles aus eigener Anschauung beurtheilen lassen müsse, die all-
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1816
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
gemeine Wirkung des betreffenden Bades und seinen speciellen
Charakter, ist nicht auf deutschem Boden gewachsen. Wir ent¬
lohnen sie unseren westlichen Nachbarn, den Franzosen, welche
ähnliche Studienreisen schon seit mehreren Jahren mit Erfolg
veranstalten, wie die officiellen Berichte darüber erkennen lassen.
Kollege Gilbert in Baden-Baden nahm nun diese Suche ge¬
legentlich des internationalen Kongresses in Paris mit grossem
Enthusiasmus auf und, durchdrungen von der Fruchtbarkeit des
Gedankens, ging er daran, ein ähnliches Unternehmen auch für
die deutschen Acrzte in’s Leben zu rufen. Es wäre ein eigenes,
langes Kapitel für sich, die mühevollen Arbeiten des vorbereiten¬
den Komites, dem zunächst ausser Dr. Gilbert, Dr. Meiss¬
ner- Berlin als Organisator und Dr. Oliven als Schatz¬
meister beitraten, während als Spitzen desselben v. Leyden
und Liebreich gewonnen wurden, in seinen Einzelheiten aus¬
einanderzusetzen — es soll dies übrigens in einem eigenen
Komitebericht später geschehen —, hier genügt es zu sagen, dass
für das neue Unternehmen der Boden erst in grösstem Stil vor¬
bereitet werden musste. Die Regierungen der Bundesstaaten, die
einschlägigen Ministerien mussten interessirt, dio medicinischcn
Fakultäten aller deutschen Universitäten instruirt, die ärztlichen
Korporationen und die einzelnen Aerzte mussten von dem Plan
benachrichtigt und dann, als man eine ungefähre Uobersicht über
die Aufnahme des Projekts gewonnen hatte, begannen erst, dio bis
in’s Kleinste gellenden Verhandlungen mit den Badeverwaltungen
und den Gemeinden der Bäder, mit den Rhedoreien der Dampf¬
schifflinien etc. Kreuz und quer reisten die Komitemitglioder, in
erster Linie Gilb c r t und Meissner durch Deutschland,
sich vorstellend und überall Aufschlüsse gebend, mit dem Cylinder
in der Hand antiehambrirend, unzählige Briefe diktirend, die
Tolegraphenvcrwaltungcn mit massenhaften Telegrammen be¬
reichernd. Ein Vergnügen muss es nicht sein. «1er Vater solcher
Unternehmungen zu werden. Und dann die Hunderte von An¬
fragen durch die Theilnehmor! Gilbert schwört es Ihnen
auf Verlangen, dass Einer angefragt habe, wo auf der Reise
am besten Stiefel zu kaufen wären, ein Anderer, ob der Reiso-
lieitrag von 100 M. auch den Aufenthalt in Hamburg bei der
Nnturfarsohorversammlung mit einsehliesse — decken wir den
Schleier christlicher Liebe darüber! Ein gross«« Tagewerk lag
schon hinter dem vielgeplagten Oomite bis zu jenem nebligen
Morgen des 28. September, als Morgens 7 Uhr in hellen Haufen
die kühnen Seefahrer in Hamburg zum St. Pauli-Landungssteg
gezogen kamen und endlich beim Scheine der Morgonsonne um
8 Uhr das schöne Schiff sich in Bewegung setzte.
Wenn ein Dampfer beseelt wäre, der unsere wäre sicher
stolzer gewesen wie ein indischer Elephant, der auf purpurner
Schabracke einen Fürsten zum F«;ste trägt! Ueber 350 deutsche
Aerzte. auf seinen geräumigen Verdecken zu tragen oder in seinen
prächtigen Salons zu vereinigen, eine solche Ehre widerfährt
selten einem Snlondampfer und wäre er der vornehmste der Welt.
Hier sah man das unerhörte Schauspiel: 350 Aerzte waren unter
seinen Hut gebracht. Allerdings hatte das Comite dio Einzel-
porsönlichkeit ein klein wenig abgeschwäcbt, indem wir gewisser-
mnassen als Nummern reisten. Als Nummern spazierten wir in
unsere Quartiere, als Nummern werden wir gelegentlich später
auf mehrere Schiffe vertheilt, als Nummern erhielten wir Tag
für Tag unser Gepäck zugestellt, um das wir uns eigentlich hoch¬
erfreulich wenig zu kümmern hatten — kurz, die Organisation'
war im Ganzen unbestritten eine sehr praktische. Aus der
Passagierliste der „Prinzessin Heinrich“, die uns gleich nach der
Abfahrt ausgehändigt wurde, war zu ersehen, wie unsere ganze
Reisegesellschaft zusammengesetzt war. Das Gros hatte natur-
gemäss Norddeutsehland gestellt, in erster Linie stand Berlin
mit seinen 24 Theilnehmorn, allein auch der deutsche Süden
war erfreulich vertreten — konstatirten wir «loch bald, dass 25
in Bayern domicilirende Aerzte auf dem Schiff waren (München
war nur mit 3 Thoilnehmern vertreten), auch die Schweiz, Russ¬
land und Oesterreich hatten ihr Contingent gestellt. Dieser
Mikrokosmus schwamm nun also die gelben Fluthen der Elbe
hinab, Helgoland entgegen, das unseres ersten Reisetages
Ziel war. Vorläufig war natürlich von ärztlichen Studien nichts
zu bemerken, wenn Sie nicht dazu rechnen wollen, dass der
grösste Theil der Herren Aerzte sich gar bald in den geräumigen
Salons den Genüssen d«« ersten opulenten Frühstücks ergab,
di«* Magcnleistungj-fiihigkeit auf die erste Probe stellend. Do«h
sehr bald kam die wissenschaftliche Seite zur Geltung. Auf
dem Achterdeck sammelte Dr. Lindemann, früher Badearzt
auf Helgoland eine grössere Corona um sich und entwickelte im
angenehmsten Parlando eine Skizze über die Bedeutung der Insel
als Badeort. Sie werden mir verzeihen, Herr Kollege, wenn ich
«'s unt«'rlasse, eingehender die speciellen Indikationen jedes ein¬
zelnen Badeorts und die dort zur Verfügung stehenden Heilfak¬
toren zu erörtern. Ich müsste Ihnen sonst umfängliche Aus¬
führungen bringtm übe.r dio Windrichtungen und Windstärken,
über Ebbe und Flut, über den Salz- und Ozongehalt der Luft,
über die Wasserwärme in den einzelnen Monaten dos Jahres,
über die Feuchtigkeit der Luft, über die mittlere Temperatur
derselben in den einzelnen Jahreszeiten vl A. Sie finden aber
das Alles in den von den Badeärzten herausgegebenen Schriften
mit aller wiinschenswerthen Genauigkeit geschildert.
Vorüber an den schön bewaldeten Hügeln auf dem nörd¬
lichen Elbeufer, an dem Marschland auf dem südlichen, später
an d«*r Mündung «les Nonl-Ostsee-Kanales bei Brunsbüttel, an
dem Cuxhavener Leuchtthurm „zur alten Liebe“ ging die Fahrt
hinaus in’s offene Meer, für viele der Reisegnosson wohl zum
erst«'nmale. Die Sonne schien herrlich, es wehte eine angenehme
Brise, die Stimmung war eine ausgezeichnete. Nach 7 stün-
diger Fahrt — Helgoland liegt von Hamburg 180 km entfernt —
tauchte der rothe Felwnblock «h*s merkwürdigen Eilandes vor
unseren suchenden Blicken aus den grau-grünen Fluten. Leider
war dies für Ihren Briefschreilx'r auch der Moment, wo er sein«.-
klinischen K«*nntnisse hinsichtlich einer Erkrankung b«*reichem
musste, die Sie wenigstens in meiner Strümpell-Ausgabe
vergt'bens suchen werden. Rauchen Sie einmal nach einer dem
Bacehusgotte geweihten Nacht mehrere recht kräftige Havana-
cigarren, nüchtern, fahren Sie dann eine Stunde Caroussel und
drehen Sie sieh noch 200 mal im Kreise herum — dann btdtommen
Sie ein Verständniss, warum die Seereisen für aussehlitsslicdi
gesundheitliche Zwcjcke nicht in Flor kommen. Schicken Sie
niemals ein«‘U Patienten, der für «lies«' herrlichste alh'r akuten
Gefässneurosen als Opferlamm eingerichtet ist, zur Erholung
auf’s Schiff! Glaul>on Sic mir, oder Sie verlieren ihre Haus¬
arzt stelle!
Das n<‘lg«diind<*r Oberland lx-sit-zt jcxlenfulls die herrliclist«-
S««*luft v«*n der Welt, wie uns ein Abendspaziergang hinauf auf
das mit dünnem Gras und Kartoffelfeldern bedeckte Plateau noch
heh-hrte, während man beim ersten Schritt auf das von den
Wellen bespülte Unterland durch den üblen Geruch des Seetangs
belästigt wird. Die Luft ist sehr feucht und ich bemerkte, dass
«lie Blechinstrumente der uns am nächsten Morgen festlich bc-
griissenden Musikkapelle alle grün angelaufen waren. Was den
vielangeführten Salzgehalt der Luft angeht, so haben ver¬
schiedene Untersucher nachgewiesen, dass schon in sehr geringer
Entfernung vom Strande die Luft eines Salzgi'haltes überhaupt
entbehrt und ihre unbestreitbar günstige Wirkung also auf andere
Faktoren, besonders ihre Reinheit von schädlichen Beimengungen,
ihre Bewegung und gleichmässige Temperatur zurüekzuführen
ist. Gerade letztere ist auf Helgoland von einer sehr grossen
Stetigkeit, nach den Zusammenstellungen von L i n «1 e m a n u
überhaupt am gleichmäßigsten von allen Orten in Centraleuropa.
Die Frequenz des Bade» hat sieh ausserordentlich gehoben, ge¬
rade au«di seit 1890, von wann an die Insel unter deutschen Be¬
sitz kam. 1886 wurden 8300 Gäste gezählt, 1899 schon fast
20 000. Gebadet wird nicht auf der Insel selbst, sondern auf
der 1720 durch das Meer von ihr losgerissenen Düne. Am
nächsten Morgen — wer von den Reisegenoss<'n könnte die herr-
licho Vollmondnacht vergessen, die dazwischen lag? — fuhren
wir zum Badestrand hinüber und war die erste Gelegenheit ge¬
kommen, die physiologische Wirkung des Seebades am eigenen
Körper zu erproben. Für den binnenländischen Arzt, der noch
nie dieses genussvollste aller Experimente an sich selbst vornalnn,
entsteht leicht ein geheimer Zweifel, ob nicht die so häufig ge¬
schilderte mächtige Wirkung des Seebades, besonders des mit
kräftigem Wellenschlag verbundenen, im Enthusiasmus über das
Meer mit zu lebhaften Farben gemalt werde; allein auch hier geht
Probiren über Studiren. Wie des Witzes, ist Kürze auch des
Seebades Seele. Herrlich ist das Wohlbefinden nach mit Maass
genommenem Bade; dass ein zu langes Ausdehnen des voll¬
kommenen Genusses, vom Rücken her die daherrauschende Welle
über sich zusammenschlagen zu lassen, nicht das Gefühl der er-
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1817
höhten Spannkraft und Frische, sondern das Gegentheil hinter¬
lässt, darüber konnten einzelne der übereifrigen Kollegen schon
liier die nützlichsten Erfahrungen sammeln. Schwächliche
Patienten wird man nicht anweisen, sich einem kräftigen Wellen¬
schläge, wie ihn besonders die Sylter Bäder, Norderney, Borkum
u. a. aufzuweisen haben, ohne richtige Vorbereitung auszusetzen.
Für letztere eignen sich nun ganz besonders die von wohl allen
Nordseebädern eingerichteten Warmwasser-Badeanstalten, in
welchen überall die 3—3'/;> proc. Soole des Meerwassers zu den
Bädern verwendet wird. Helgoland hat sich sogar ein grosses
Schwimmbassin in seiner mit hohen Kosten geschaffenen Anstalt
geleistet. Der Umstand, dass Helgoland von allen Seiten vom
Festland weit entfernt liegt, hat für eine gewisse Kategorie seiner
Gäste eine ganz besonders merkwürdige Wirkung, nämlich die
Immunität gegenüber Heufieber, so dass liier ein Bund von Heu¬
asthmatikern in Blüthe stehen soll. Eine Sehenswürdigkeit von
naturwissenschaftlichem Interesse ist auf Helgoland auch das
Nordseemuseum, das eine sehr vollständige Sammlung der auf
Helgoland vorkommenden Vögel enthält, sowie sehr schöne Prä¬
parate über die Entwicklung und Regenerationserscheinungen bei
Krebsen, über die Entwicklung des Haies, der Quallen etc. Die
preussische Regierung unterhält auf der Insel eine biologische
Station. Ich darf nicht vergessen. Ihnen zu berichten, ein wie
festlicher Empfang uns Aerzten von der Badeverwaltung bereitet
worden ist und wie Abends beim festlichen Mahle die lange Kette
der Toaste begann, die während der ganzen Reise auf uns warten
sollten.
In wundervollem Blau-Grün ruhte das Meer, als wir am
29. September, Nachmittags, wieder in See gingen. Bald ent¬
schwand das romantische Eiland unseren Blicken, wie im Mär¬
chen zog ein duftiger Schleier über den rothen Fels der starr¬
aufragenden Küste, wie sie langsam in den Wellen zu versinken
schien. Ein anderes Bild taucht bald zur Rechten auf: die zart¬
gezeichneten Umrisse der Insel Amrum, die wir aber heute, wo
unser Kurs auf S y 11 zu gerichtet war, noch nicht anliefen. Bald
hoben sich denn auch die Dünenhügel von Sylt am Horizonte ab,
und die frohgestimmte Schaar der Passagiere eilte von der Lan¬
dungsbrücke zu den bereitstehenden 2 Extrazügen. Die Land¬
schaft, welche die ganz auf Sand errichtete Eisenbahn 18 km weit
durcheilt, ist von ganz eigenthümlichem Reiz durch die wechsel¬
reiche Formation der Dünenberge und -Thäler, welche unser
Hochgebirge in der gelungensten Weise nacküfft und doch sind
die höchsten Spitzen nicht höher als 50 m und liegt in den Thälem
nichts als loser, ungemein gleichmässiger Sand, stellenweise be¬
wachsen mit Haidekraut und Sandhafer. Die Insel hat ungefähr
4000 Bewohner, wovon 1600 auf das seit einem Dezennium mäch¬
tig emporblühende Westerland kommen, das im letzten Jahre be¬
reits 16 000 Badegäste an seinem Strande sali. Dieser Strand
sucht allerdings auch seinesgleichen auf dem Erdenrund. Die
weit nach Westen in den Ocean hinaus vorgeschobene Lage der
Insel, die Formation der Küste, welche an dieser Seite in fast ge¬
rader Linie 35 km weit hinläuft und den schönsten tang- und
steinfreien Badestrand bildet, bietet dem Badegast hier den ganz
vollkommenen Genuss eines ungemein kräftigen Wellenschlages,
der nach dem Ausspruch eines so weitgereisten Mannes, wie
Geh. Rath v. W i n c k e 1, nur an Biarritz einen Rivalen hat. Zu
den natürlichen Bedingungen, welche einen Badeort zu einem
blühenden zu machen vermögen, muss jedoch immer auch eine
vor keiner Schwierigkeit und keinem Opfer zurückschreckende
Unternehmungslust der betreffenden Bevölkerung lind der Be¬
hörden kommen. Das ist bei Westerland gewiss in hohem Maasse
der Fall, wie überhaupt Niemand von unseren deutschen Nordsee¬
bädern heimkommen wird, dem nicht die ausserordentliche
Energie, mit welcher von deutscher Seite die Konkurrenz mit den
fremdländischen Badeorten in letzter Zeit aufgeuommen wurde,
unbegrenzte Iloeliachtuug abgenöthigt hätte. Für Westerland,
wie für die meisten anderen unserer Nordseebäder, die wir be¬
suchten, muss ganz besonders gerühmt worden, dass auf die
Schaffung so allgemein wichtiger hygienischer Einrichtungen, wie
der Ilerbeischaffung eines guten Trinkwassers, der Entfernung
der Abwässer, der Kanalisation aller Wohnungen die grösste Sorg¬
falt verwendet wird. Welch’ herrliches Wasser tranken wir nur
z. B. in Wennigstedt, einem bescheidenen kleinen Badeorte kaum
eine Stunde von Westerlandl Süsswasser liefern die Brunnen
schon ganz nahe der Küste. Westerland, wie auch Norderney,
besitzen Rieselfelder, weit von den Behausungen und dem Bade¬
strande entfernt angelegt. Es ist überraschend, wie schnell da¬
durch der dürre Sand in Humus übergeführt werden kann. Das
Trinkwasser wird aus der Haide, aus einer Tiefe von 35 m ge¬
hoben. Die Insel bietet für den Spaziergänger Gelegenheit zu den
schönsten Ausflügen. Er kann sich im hohen Haidekraut er¬
gehen, und wird an manchem Abend wundervolle Beleuchtungen
bewundern können, er kann in die aus der Ferne wie Seganti-
nisehc Landschaften sich darstellenden Dünengebirge eindringen
— warum lächeln Sie, verehrter Kollege? Sie müssen erst solche
Formen gesehen und den merkwürdigen Zauber dieser Miniatur-
alpen gefühlt haben-er kann stundenlang am Strande prome-
niren, dem ewigen Kommen und Gehen der Wellen zuschauend.
Schicken Sie nur einmal einen von aufreibendem Berufe Er¬
schöpften hieher. Sie werden sehen, dass die Reizbarkeit seines
Nervensystems nach einigen Wochen eine bedeutende Besserung
erfahren haben wird. Eine Sommerhitze ist hier so wenig wie in
den anderen Bädern der Nordsee bekannt, auf Sylt z. B. beträgt
die mittlere Lufttemperatur in den Sommermonaten 14—16 ü C.
Westerland selbst, mit seinen hübschen und reinlichen, zum Thoil
recht opulent ausgestatteten Häusern und dem sehr geschmackvoll
gebauten und eingerichteten Kurhause liegt hinter der Dünen¬
kette relativ geschützt vor starken Winden. Hier harrte unserer
ein geradezu l>egeisterter Empfang und eine ausserordentlich
herzliche Aufnahme. Ueberhaupt haben die Badeverwaltungen
an Gastfreundschaft sehr viel, fast zuviel geboten. Ueberall
wehten Wimpel, in Schaaren war die Bevölkerung allerorten an
den Strand geeilt, wenn unser prächtiges Schiff, für dessen Bereit¬
stellung der Hamburger Nordseelinie mit Recht der wärmste
Dank zu zollen ist, sichtbar wurde, dann gab es ein Tücher-
schwenken und Iiurrahrufen, ein Böllerschiessen, dann feierliche
Begrüssung mit und ohne reizende Festjungfrauen, Anreden
durch die Gemeindevertretungen, Einzug durch blumen-
goschmiickte Thore und Triumphbögen — kurz wenn unter uns
Aerzten Einer war, dem der Katzenjammer über die Misere
unserer heutigen Verhältnisse und über das sinkende Ansehen des
ärztlichen Standes so rocht tief in den Gliedern lag, so konnte er
sich ganz auf den Inseln der Seligen träumen! Z u L a n d i s t’s
anders! Wenn ich eben von fast zu reich gewährter Gast¬
freundschaft sprach, so denke ich in erster Linie an den Stoff-
wt Achsel versuch, der von den wohlwollenden Badeverwaltungen
in kolossalen Dimensionen an uns Aerzten angestellt wurde,
leider wurde seine Bilanz nicht gezogen. Lang sich hinziehendc
Frühstücke wechselten mit recht opulenten Diners und trugen
dem durch die Seeluft geweckten Appetit mehr als genügend
Rechnung. Bei diesen Gelegenheiten pflegte denn auch ein Toast
dem anderen zu folgen, und Kollege Meissner, in erster Linie
aber Gcheimrath Liebreich, auf dessen Schultern, in Folge
der in letzter Stunde erfolgten Absage v. Leydcn’s die ganze
grosse Last der Repräsentation lag, hatten fortgesetzt zu thun,
alle gebotene Liebenswürdigkeit zu erwidern. Jeder der Theil-
nehmer wird freudig zugestehen, dass die Herren des Komite’s,
insbesondere der 1. Vorsitzende, diese sich imm er wiederholenden
Aufgaben mit vollstem Geschick und Takt lösten, wie sie auch
sonst unermüdlich darin waren, auf alle Fragen in freundlicher
Geduld zu antworten. Das ist wenigstens meine persönliche Er¬
fahrung. (Schluss folgt.)
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Wien, 2. November 1901.
Frequenzabnahme an der Wiener medicinischen Fakultät.
— Die Zahnärzte gegen den Verwaltungsgerichtshof. — Ver¬
besserung der Lage der Hilfsärzte. — Ein Fall sog. Psoro-
spermosis follicularis (Darier). — Ruptur des Uterus wäh¬
rend der Schwangerschaft. — Einfluss der B i e r’schen Stau¬
ung auf die Entwicklung des Enochencallus.
Von officieller Seite wird ein starker Rückgang der Frequenz
an der Wiener medicinischen Fakultät konstatirt. Einmal hat
bei der Rektors-Inauguration an der Wiener Universität der ab¬
tretende Rektor in seinem Berichte mitgetheilt, dass an der Uni¬
versität im vergangenen Studienjahre 578 Doktorgrade verliehen
wurden, um 57 weniger als im Vorjahre, wobei die Zahl der
Promotionen an der medicinischen Fakultät eine A b -
nähme von 102 aufweise (die philosophischen und juristischen
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1818
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
Promotionen haben um 18 resp. 41 zugenommen). Sodann wurde
in der Wiener Aerztekammer mitgetheilt, dass im heurigen
Wintersemester sich bloss die Hälfte jener Zahl von Medi-
cinern habe inskribiren lassen, als dies in den Vorjahren der Fall
war, so dass auch hierin ein starker Rückgang sich bemerkbar
mache. Die Ursache für diese Abnahme an Medicinern ist in
erster Linie in den traurigen Erwerbsverhältnissen der prak¬
tischen Aerzte Oesterreichs zu suchen, sodann (speziell für die
Wiener medicinische Fakultät) in der vom 1. Januar 1899 in
Geltung getretenen Verordnung, dass die von österreichisch¬
ungarischen Aerzten und Hebammen erworbenen Diplome nur
für jenen Staatstheil (Oesterreich oder Ungarn), wo sie er¬
worben wurden, Geltung erhalten. Die zahlreichen Angehörigen
der ungarischen Nationalität bleiben jetzt zuhause, um mit dem
ungarischen Diplom auch die Praxisberechtigung in ihrer Hei-
math zu erwerben.
Im letzten Briefe haben wir berichtet, dass der Verwaltungs¬
gerichtshof jüngst die Entscheidung gefällt habe, dass der Zahn¬
arzt verpflichtet sei, einen Gewerbeschein zu lösen, um die Zahn¬
heilkunde als freies Gewerbe ausüben zu können. Vor einigen
Tagen fand nun eine Protestversammlung der Zahnärzte Wiens
statt, bei welcher die Stellungnahme der österreichischen Zahn¬
ärzte zu dieser Entscheidung berathen wurde. Nach einer leb¬
haften Debatte wurde eine Resolution angenommen, in welcher
die Regiernug ersucht wird, im Gesetzeswege Vorkehrungen zu
treffen, damit in Oesterreich, der Natur der Sache entsprechend,
der Arzt nicht genöthigt werde, sich, um einen Theil seines Heil-
borufes ausüben zu dürfen, nach gewerblichen Befugnissen Um¬
sehen zu müssen. Das Exekutivcomite der Zahnärzte wurde er¬
mächtigt, die Eingaben an die medicinische Fakultät, das Mini¬
sterium des Innern, den Obersten Sanitätsrath, den Verband
der Aerzte und an die in Betracht kommenden Gewerbebehörden,
event. unter Beiziehung eines Rechtsbeistandes, zu verfassen und
dort, wo es nothwendig ist, persönlich vorzusprechen.
Ein officielles Communique lautet: Mit 1. Januar 1902
wurden die Adjuten der Abtheilungsassistenten in den Wiener
Krankenanstalten von 1400 auf 1800, der Sekundärärzte von
1000 auf 1400 Kronen erhöht. Die Prosektursadjunkten und
Laboratoriumsassistenten nehmen an dieser Erhöhung Theil, je
nachdem sie der ersten oder der zweiten Kategorie von Hilfs¬
ärzten gleichgestellt sind. Es wurde ferner die Verfügung ge¬
troffen, dass die den Hilfsärzten hinsichtlich der Beköstigung
und Beleuchtung zugedachten Begünstigungen, je nach den Ver¬
hältnissen in den einzelnen Anstalten, womöglich noch vor dem
1. Januar 1902 durchgeführt werden. Schliesslich wurden 16 Se-
kundärarztensstellen ganz neu systemisirt und wurde die Ver¬
anlassung getroffen, dass diese Stellen — insofern nicht in einer
oder der anderen Anstalt wegen Mangel an Wohnungen ein
Hinderniss obwaltet — noch im Laufe des Jahres besetzt werden.
Anlässlich der Eröffnung des Betriebes der nächst dem Wilhel-
minenspital befindlichen zwei Kinderspitäler wird eine
weitere Vermehrung der hilfsärztlichen Stellen erfolgen. Die
gesammten dauernden Mehrauslagen, die sich aus den vor¬
erwähnten Maassregeln für den Wiener Krankenanstaltsfonds
ergeben, betragen rund 122 000 Kronen.
Die k. k. Gesellschaft der Aerzte hielt letzten Freitag unter
Vorsitz ihres Präsidenten, Hofrath Prof. R. Chrobak, ihre
erste Sitzung in dieser Saison ab. Prof. Dr. S. Ehrmann
stellte einen Fall von Psorospermose der Haut vor und besprach
das Wesen dieser seltenen Erkrankung. Der Fall ist auch dosa-
hnll> interessant, weil er der zweite bisher sicher nachgowiesene
ist, in welchem die Krankheitsform in der zweiten Generation
(Vater und Sohn) auftritt. Der 30 Jahre alte Patient steht seit
1896 in Ehrmann’s Beobachtung. In der Rückenfurche, im
Xacken und in der Lendengegend sieht man stecknadelkopf- bis
Hirsekorn grosso, dunkelroth bis blauroth gefärbte, derbe Knöt¬
chen, von gelblich- bis ganz dunkelbraunen, leicht zerreiblichen
llornmassen bedeckt, die zum Theile zu drüsigen und warzigen
Flächen eonfluiren. Die Erscheinungen schwanden öfters, um
«•phelidenartigen Pigmentirungen Platz zu machen, kehrten aber
wieder. Auf der Kopfhaut waren gelblich-grüne, dicke Krusten,
welche denen der Seborrhoe ähnlich waren. Skrophulöse Lympli-
drüsen am Halse. Die Krankheit wurde oft für Lichen skrophulo-
sorum gehalten. Darier hat sie als Erster erkannt und als
«•ine eigene Krankheitsform, sogen. Psorospermosis follicularis
beschrieben. Die histologische Untersuchung eines Knötchens
zeigt, dass man es hier lediglich mit Hügelchen von Hornsub-
stanz zu thun habe, die in die umgebende Epidermis eingefalzt
sind, unter denen eine gewucherte M a 1 p i g h i’sche Schichte
mit vergrösserten Zapfen sich findet; keine Riesenzellen, keine
Tubcrkelbacillen, aber auch keine Psorospermien, Mikroorganis¬
men aus der Gruppe der Protozoen, wie Darier die kugeligen
Gebilde mit einem homogenen Kern im Innern der Knötchen ge¬
deutet hatte. Im Weiteren differenzirt E. diese Affektion noch
vom Lichen skrophulosorum und bespricht die Frage der Ver¬
erbung. In therapeutischer Hinsicht wendete Ehrlich mit
Erfolg intern den Leberthran an.
Prof. Karl August Herzfeld besprach den Fall einer
Ruptur des Uterus während der Schwangerschaft und demon-
strirte die bezüglichen Präparate. Eine 34 jährige Frau, im
10. Monat ihrer 7. Schwangerschaft, war mit Teppichklopfen be¬
schäftigt, als sie plötzlich einen stechenden Schmerz in der
Bauchhöhle fühlte. Allmählich traten Meteorimus, starkes Er¬
brechen auf. Bettruhe, Eisüberschläge. In den nächsten Tagen
Ileus mit faeculentem Erbrechen. Ueber Darmirrigationen er¬
folgte Abgang von Gasen, Abnahme des Meteorismus. Bei der
inneren Untersuchung fand man den kindlichen Kopf innerhalb
der Uterushöhle, etwas gegen den linken Darmbeinteller abge¬
wichen. Vier Tage später Blasensprung und Eintritt von Wehen.
Die Untersuchung in der Narkose ergab, was man schon ver-
muthet hatte, dass an der vorderen Wand des Uterus sich ein
ausgedehnter Riss befinde, durch den die Frucht zum grössten
Theile ausgetreten war. Laparotomie, Extraktion des todten
(macerirten) Kindes, Entfernung der Placenta, Totalexstirpation
des Uterus, Naht, Drainage etc. Es macht den Eindruck, als ob
der Riss des Uterus an der Stelle einer alten Narbe stattgefunden
hätte, welche (in Folge einer früheren Excochleation ?) sich hier
befand. Die Frau verschied einige Stunden nach dem Eingriffe.
Der Fall mahnt zur grössten Vorsicht bei der Vornahme intra¬
uteriner Eingriffe während und ausserhalb einer Schwanger¬
schaft, da es bekannt ist, dass am Uterusinnem entstandene Ver¬
letzungen, die oft genug im Momente ihres Entstehens gar nicht
beachtet werden, bei einer nächsten Schwangerschaft verderblich
werden können.
Zum Schlüsse hielt Prof. Pal seinen angekündigten Vor¬
trag: Ueber Beziehungen zwischen Circulation, Motilität und
Tonus des Darmes.
Dr. Anton Bum machte eine vorläufige Mittheilung über
„Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss der Bier-
sehen Stauung auf die Entwickelung des Knochencallus“. Der
Vortragende berichtete über die Ergebnisse der ersten Serie
seiner im Institute für experimentelle Pathologie der Wiener
Universität (Prof. R. Pal tauf) mit Unterstützung des Prof.
B i e d 1 unternommenen Thierversuche, zu welchen ihn die Ar¬
beiten Bier’s über den Einfluss venöser Stauung („Stauungs-
hyperaemie“) auf Lokal tuberkulöse angeregt hatten. Die An¬
schauungen über die Wirkungsart der Stauung sind Angesichts
der komplizirten biologischen Vorgänge bei derselben wohl noch
nicht vollständig geklärt, doch scheint das Wesentliche dieser
Wirkung in ihrem antiparasitären Einflüsse und in der Anregung
von Gewebswucherung und Vernarbung (Bier) im Wege der
Erzeugung aseptischer Entzündung zu liegen. Es erschien nun
naheliegend, den Einfluss dieses Verfahrens auf eine physio¬
logische, in ihren einzelnen Stadien wohlstudirte Narbenbildung
durch Knorpel- und Knochenproliferation, auf die Callusbildung
nach subkutanen Frakturen von Röhrenknochen, zu erforschen.
Schon Dumreicher hat auf empirischem Wege Pseudarthrosen
durch eine Art Stauverband zu konsolidiren versucht und
N i c o 1 a d o n i hat die Wirkung dieser Methode auf nutritive
Reizung der Gewebe zurückgeführt, welche im hyperaemischen
Zustande zur Aufnahme des im Ueberflusse gebotenen Materiales
tauglicher sind. Die klinischen Erscheinungen, welche der
mehrere Tage währenden Applikation des Verbandes folgten,
waren die der Entzündung. Die Versuche des Vortragenden
wurden zunächst an Kaninchen, die sich indess hiezu als un¬
geeignet erwiesen, später an jungen Hunden vorgenommen. Den¬
selben wurden beide Tibien möglichst, symmetrisch und glatt
diaphysal frakturirt, Gipsverbände angelegt und die rechte Unter¬
extremität durch täglich 1—2 Stunden oberhalb des Kniegelenkes
gestaut. Die Obduktion der theils etappenmässig getödteten,
theils spontan eingegangenen Thiere zeigte in allen Fällen auf¬
fallenden Blutreichthum der Weichtheile der gestauten Seite,
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5. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1819
ferner seröse Imbibition des subkutanen und intermuskulären
Bindegewebes an den peripheren Partien der gestauten Ex¬
tremität. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle konnte
schon makroskopisch mächtigere Callusbildung und grössere
Festigkeit der Knochennarbe an der gestauten Seite konstatirt
werden. Die Schnitte zeigten ausnahmslos vorgeschrit¬
tene Verkalkung und Ossifikation des peri¬
ostalen Gallus der gestauten Seite. Die erhal¬
tenen Präparate (Demonstration) scheinen daher für die gestaute
Seite den Callus in einem vorgeschritteneren Stadium zu zeigen,
als für die nicht gestaute Extremität. Der Fortschritt betraf
aber fast ausschliesslich den periostalen Callus, dessen Be¬
deutung für die Frakturheilung P. Ziegler erst jüngst wieder
dargethan hat. Ein abschliessendes Urtheil gestattet die erste
Serie der B.’schen Versuche nicht; weitere Thierversuche sollen
bezüglich des Einflusses der Stauung auf die Entwickelung
des myelogenen und intermediären Callus Aufschluss geben.
Briefe aus Ostasien.
Von Oberarzt Dr. Mayer.
(Schluss.)
Unter den Reit- und Zugthieren des Traindepots herrschte
eine Seuche von rotzartigem Charakter; da die Untersuchungen
erpt bei Beginn der wärmeren Jahreszeit in grösserem Maass¬
stab wieder aufgenommen werden konnten, wo die Kadaver sich
sehr rasch zersetzten, so gelang es nur in 10 Fällen, aus der Milz
einwandslose Reinkulturen zu erhalten, nämlich bei 2 austra¬
lischen Pferden, 4 mongolischen Ponys, 4 chinesischen Maul-
thieren. Pathologisch-anatomisch und histologisch waren die Vor¬
gefundenen Veränderungen einander sehr ähnlich; es war das
bekannte Bild einer allgemeinen Rotzinfektion, auch die Knöt¬
chen waren vom Bau der Rotzknötohen. Bei 3 Thieren nun,
den 2 Pferden und einem Pony, wuchs direkt aus Milz nur bei
37®, aber auf gewöhnlichem Agar ein fein graudurchsichtiger
oder in feinerem Ausstrich aus einzelnen, feinsten thautröpfchen-
artigen Kolonien zusammengesetzter Rasen, gebildet von einem
feinen, nach Gram sich entfärbenden Stäbchen, absolut
unbeweglich, das bei Uebertragungen dann auch bei
Zimmertemperatur kümmerlich wuchs. Bei den 7 anderen
Thieren aber wuchs schon bei Zimmertemperatur ein üppiger,
grauweisslicher Rasen, gebildet von ebenfalls feinen, doch deut¬
lich etwas grösseren Stäbchen, die bei Zimmertemperatur leb¬
haft beweglich, bei 37® unbeweglich waren. Beide Stäb¬
chenarten bildeten auf Kartoffeln gelbliche bis bräunliche, etwas
saftige Rasen, verflüssigten Gelatine nicht, auf der die beweg¬
lichen im Stich an der Oberfläche und ebenso im Ausstrich
dichte, strahlige, grauweiseliche Ausläufer federbartartig aus¬
sandten , während die unbeweglichen gerades Wachsthum
zeigten. Weisse Mäuse und die gelbgraue chinesische Haus¬
maus gingen nach Impfung in den Conjunotivalsack in 3 bis
6 Tagen an einer septikaemischen Erkrankung ein, aus dem
Blute wurden wieder die zwei obigen Arten erhalten. Interessant
war nun das Verhalten beider Kulturen bei einer kleinen, bräun¬
lichen, sehr zahmen Ratte, die hier auf dem Markte zu kaufen
war (ebenso wie weisse Mäuse und Kaninchen): Die Impfung in
den Conjunctivalsock hatte mit der beweglichen Kultur eine
subakute, letale Erkrankung von 9—11 Tagen zur Folge, Kehl¬
gang- und Unterkieferdrüsen waren zu breiig-gelblichen Packeten
eingeschmolzen; Lunge, Leber, Milz, Nieren, Peritoneum mit
miliaren grauweiselichen bis gelblichen Knötchen durchsetzt,
histologisch vom Bau der Rotzknötchen. Die mit der unbeweg¬
lichen Kultur infizirten gingen dagegen erst nach einer chro¬
nischen Erkrankung von 4—5 Wochen unter zuletzt rapider Ab¬
magerung ein und boten dann das gleiche Sektionsbild, nur fiel
hier die starke Geschwürsbildung der Nasenschpidewand und
die jedesmalige hochgradige Betheiligung der Geschlechtsorgane
auf. Aus Herzblut und Milz konnten wieder die 2 verschiedenen
Stämme gezüchtet werden. Es handelte sich demnach bei der un¬
beweglichen Kultur um Rotz, bei der beweglichen
um Pseudorotz, wie er ja schon mehrmals beschrieben ist.
Zu erwähnen wäre noch, dass bei den Thieren dee Traindepots
Unterschiede im klinischen Bilde bestanden, indem ein Theil der
Erkrankungen entschieden viel gutartiger verlief, nur geringe
Nasenhöhlen- und Hautaffektionen zeigte, der Prooees direkt zum
Sistiren kam, die Thiere sich wieder gut fütterten. Mit der¬
artigen, weniger heftigen Erkrankungen waren nun die oben
erwähnten (wegen Rotzverdacht getödteten) Thiere behaftet, aus
denen die beweglichen Bakterien gezüchtet wurden. Eine
weitere, auch in Europa gewöhnliche Erkrankung, die Druse,
konnte kulturell durch Züchtung dee bekannten Diplostrepto-
coccu8 erwiesen werden bei australischen Pferden.
Die Fleischbeschau ergab unter 487 schwarzen Schweinen
32 mal Leberdistomen, 22 mal Trichinose, 3 mal Rothlauf,
1 mal Ecchinocoecus-, 9 mal Taenia solium-Cysten. Hier ist nun
hervorzuheben, dass vom 19. Januar bis 28. Februar unter
181 Schweinen 18 mal, von da an unter den übrigen nur 4 mal
Trichinen gefunden wurden; ebenso fielen die 3 Rothlauf thiere,
ö mit Taenia solium-Cysten und 17 mit Distomen in die erste
Zeit: Diese Thiere stammten alle aus Peking, wo sie auf
den Düngerhaufen und Aehnlichem ihre Nahrung suchten; die
übrigen waren aus der Provinz zugetriebene Weidethiere, deren
Ankauf von mir angerathen wurde. 110 Hammel und Schafe
wurden gesund befunden. Unter 34 chinesischen Rindern (nicht
Wasserbüffel) fanden sich 3 mal Taenia saginata-Cysten, 1 mal
als einziger Befund ausgebreitete Abscesse der linken Lunge.
1 mal tuberkulöse Perlsucht, 1 mal tuberkulöse, käsige Pneu¬
monie und Pleuritis. Von 18 Kälbern hatten 2 Brustseuche.
Bei Hühnern fand sich mehrmals eine eigenthümliche einseitige
Augenaffektion, bestehend in Einschmelzung des Bulbus zu
einem gelblich-schmierigen, bröckeligen Brei; die Kultur ergab
Ilühnerohlorea in Reinkultur. Bei Tauben, Enten, Gänsen
wurden keine Infektionskrankheiten gefunden.
Für die Lieferung des Fleisches vom Proviantamt wurden
bei Beginn der wärmeren Jahreszeit Vorschriften ausgearbeitet
über Schlachtung, Aufbewahrung, Abgabe, als deren wesent¬
lichste anzuführen wären: die Einführung der Schlachtung nach
der Methode Emmerich (mit sorgfältiger Schonung der
Fascie etc.), Schlachtung von nur so viel Vieh, als den Tages¬
bedarf unbedingt deckte, für die einzelnen Truppentheile An¬
fertigung von mit Blech ausgeschlagenen, täglich durch heisses
Wasser zu reinigenden Fleisch wägen, mit dicht schlies9enden
Deckeln, um beim Transport den Strassenschmutz fernzuhalten.
So wurde es ermöglicht, den Truppen nur einwandsloses Fleisch
zukommen zu lassen.
Eine „Selterswasserfabrik“ lieferte zu auffallend billigen
Preisen. Die chemische und speciell die bakteriologische Unter¬
suchung mit einem Resultat von 10—12000 Keimen im Cubik-
centimeter bewies, dass nicht vorbehandeltes Pekinger Brunnen¬
wasser benutzt wurde, wie auch der Fabrikant dann zugab. Da¬
her wurde ein Verbot gegen den Ankauf erlassen und der
„Fabrik“ ein grosses Wamungaschild vor die Thüre gesetzt.
Nachdem sich der Besitzer eine genügende Koch- und Filtrir-
einrichtung angeechafft, wurde der Betrieb unter meiner Auf¬
sicht wieder freigegeben. Gelungen war nur, dass ein ebenfalls
Sodawasser fabricirender Japaner sich schleunigst eine gleiche
Einrichtung angeschafft hatte, als ich mir seinen Betrieb ge¬
nauer ansehen wollte.
Die von Dr. Perthes bei Chinesen operirten und mir
freundlichst überlassenen Tumoren bestanden in kleinzelligem
Rundzellensarkom, Spindelzellensarkom, Osteosarkom, Carci-
nomeu, Adenom der Unterlippe, Nebenhodentuberkulose, tuber¬
kulöser Caries des Ellenbogengelenkes, gleicher am Becken.
Sehr interessant waren folgende Befunde: Bei 7 Chinesen¬
kindern unter 3 Jahren konstatirten wir Tertianaparasiten im
Blute, 4 davon hatten zugleich Noma, eine Erkrankung, die
ziemlich häufig in Peking bei Kindern und so oft mit Malaria
zusammen vorkommt, dass eine englische Aerztin erklärte, wenn
sie ein Kind mit Noma sähe, so wisse sie, dass dasselbe auch
eine grosse Milz habe.
In den excidirten Stückchen fand sich nun stets das
gleiche Kleinwesen, das Perthes schon in
Deutschland bei Noma gefunden und be¬
schrieben hatte. An der Grenze des gesunden Gewebes
und inseiförmig in dasselbe sich vorschiebend, lagen, mit
Fuchsin und auch nach Gram gut, mit Methylenblau sich
schwach färbende Züge von äuasorst feinen, wirren Faden¬
haufen, sowohl im Ausstrich, wie Mikrotomschnitt scharf sieb
ausprägend als Faden mit deutlicher Verzweigung und dicken,
endständigen Keulen. Viele der Fäden zeigten hellere und dunk¬
lere Stellen im Inneren, oder bei schwacher Färbung scheinbare
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1820
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 45.
Lücken. Eine Sporenfärbung gelang nicht. Mit Romanowski
erschienen die Gebilde gleichmässig roth. Die künstliche Züch¬
tung gelang uns insoferne, als bei 37“ in hoher Traubenzucker-
agarschicht bei SauerstofFausschluss von einigen der implantirten
Stückchen allerfeinstc federbart- oder wolkenartige Ausläufer
wuchsen, die Impfung von diesen Ausläufern in Traubenzucker¬
agar und analoge Züchtung liess in einigen Röhrchen vom Stich
wieder feinste, kurze, federige Ausläufer ausgehen, die davon ge¬
machten Ausstriche zeigten hauptsächlich einzelne sehr feine
Stäbchen, daneben aber kurze, verzweigte Fäden und ganz ein¬
zelne schwache Keulen. Im Kaninchenperitoneum riefen im-
plantirte Stückchen nur örtlich begrenzte Entzündung hervor,
ein Thier starb an allgemeiner Peritonitis, die aber durch die dem
Stückchen anhaftenden anderen Keime bewirkt erschien. Leider
war es uns zunächst nicht möglich, die Versuche fortzusetzen.
Ich habe nun weiter bei 19 Chinesenjungen zwischen 9 und
16 Jahren in Peking, und dann im Juni und Juli bei 23 gleich¬
altrigen Jungen in Shanghai mehrmalige Blutuntersuchungen
auf Malaria gemacht, ohne jedes Resultat. Anders aber verhielt
sich die bei den gleichen Jungen vorgenommene Widal’sche
Reaktion: 2mal, bei einem 13jährigen und einem 11 jährigen,
fand ich dieselbe positiv in Peking in Verdünnung 1:40; 1 mal
in Shanghai bei einem 9 jährigen schwächlichen Knaben. Die
3 gaben dem Dolmetscher an, zugleich mit ihren Geschwistern im
Winter lange krank gewesen zu sein, einige seien gestorben. Von
den Geschwistern konnte ich keines zur Untersuchung be¬
kommen, es müssen kleine Kinder oder Mädchen gewesen sein,
den jeder Knabe über 6 Jahren ist um 10 Cent zu haben. An
meinem neuen Posten Shanghai werde ich der Frage wieder näher
treten.
Nun noch etwas vom „chinesischen Wein“, besser Schnaps,.
Die Proben, die ich mir in Tshili verschaffen konnte, stellten alle
ein ungenügend gereinigtes Destillationsprodukt von Kauliang,
Hirse, Mais, Reis, Trauben dar. Es fand sich ein Fuselölgehalt
von 0,2 bis zu 1,8 Proc., namentlich des Kauliangweines, Alkohol
15—45 Proc., Säure 0,3—3,0 Proc. Der Verkauf und Ankauf
dieses Getränkes wurde daher den deutschen Truppen unter¬
sagt. — Einige kleinere Brennereien in der Chinesenstadt
Pekings, dann eine grosse in Dung pu tou, bei deren Besitzer
wir uns zu Gaste geladen hatten, und der sich befliss, mir sein
Etablissement vorzuführen, ermöglichten mir einen Einblick in
die Darstellung. (In anderen Gegenden, z. B. in Shantung, soll
die Darstellung wieder ganz anders sein.) In Dung pu tou wurde
von den 5 obigen Früchten Wein gemacht von verschiedener
Güte. Die Trauben kamen getrocknet, in Beeren gepflückt, zur
Verwendung, die übrigen Körner in der Maulthiormühle ge¬
mahlen. Sie wurden zusammengerührt mit einer jeweils gleichen,
noch feuchten, schon einmal gebrauchten Fruchtmasse und ausser¬
dem mit Stückchen eines getrockneten Teiges, der, aus Hafer
und bunten Bohnen gewonnen, mit etwas Wasser verrührt und
in geheiztem Raume 20 Tage sich selbst überlassen wird, wobei
die Masse erhärtet. Diese Mischung kommt mit wenig Wasser
in viereckige Erdgruben und bleibt hier, mit Hirseschalcn oder
Aehnlichem zugedeckt, 7 Tage. Nim wird sie herausgenommen,
auf einem Brett durchgeschaufelt und in den Apparat verbracht.
.Derselbe besteht aus einem flachen, eisernen Kochkessel zur
Wasseraufnahme, auf den ein Holzbottich aufgesetzt wird, dessen
Boden ein Schilfgeflechteinsatz ist; hierauf wird obige Masse
locker geschüttet und vou den Wasserdämpfen durchströmt.
Der Bottich ist durch einen Blechaufsatz geschlossen, in den
ein spitz nach unten laufendes, trichterförmiges Gefäss einge-
löthet ist, das fortwährend mit kaltem Wasser beschickt wird.
An der Unterfläche des Gefässes kühlen sich die Dämpfe ab und
gelangen über eine Rinne durch ein dünnes Blechrohr in das
Auffanggefäss als fertiger „Rohwein“. Zur Herstellung feinerer
Sorten wird dieser in einem ganz ähnlichen Apparat, dem nur
der Sehilfeinsatz fehlt, nochmals abgedampft bis auf ein Fünftel
oder mehr der Flüssigkeitsmenge, der Rest wird als „Arznei“
verkauft; die verschiedenen Schnäpse werden zum Genuss noch
theilweise mit gekochtem Wasser verdünnt, oder mit Frucht¬
säften versetzt, in den Handel gebracht.
Berliner medicinische Gesellschaft
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 30. Oktober 1901.
Herr v. Bergmann begrüsst den Ehrenpräsidenten, Herrn
V i r c h o w, in der ersten Sitzung, welche dieser nach seinem
80. Geburtstage leitet, mit einer meisterhaften Ansprache; Herr
V i r c h o w dankt dem Redner und der Gesellschaft.
Tagesordnung:
Herr v. Bergmann: Ueber Amputation bei Phlegmone.
Entgegen der von V i r c h o w vertretenen Ansicht, dass das
Blut kaum dauernd der Träger von Krankheitsstoffen sei, ist
man heutzutage vielfach geneigt, bei Einwanderung von
Bakterien indasBlutzu glauben, dass dieselben im Blute
unter allen Umständen weiter vegetiren; und man halte sich beim
Nachweis von Bakterien im Blute schon für berechtigt, die aller-
traurigste Prognose zu stellen.
Die guten Erfolge, die auch in solchen Fällen von Blut¬
infektion im Anschlüsse an Phlegmonen noch zu erzielen
sind, habe er kürzlich in einer Festschrift zum 70. Geburtstagt;
v. C o 1 e r’s geschildert.
Die dabei angewendete Methode war die der grossen
Incisionen.
Zuweilen aber führen diese grossen Schnitte nicht zum
Ziele und dann wird nur ein noch radikaleres Vorgehen, das
der Absetzung des Gliedes helfen können. Man habe
nun freilich gemeint., dass man bei positivem Blutbefund (d. h.
die gleichen Bakterien im Blut, wie in der Phlegmone) nicht,
mehr eingreifen dürfe; so habe namentlich vor Kurzem Dörfler
in Regensburg in der Münch, med. Wocheuschr. sich in der
heutzutage beliebten scharfen Weise gegen die Amputation bei
positivem bakteriologischen Blutbefunde ausgesprochen. Es sei
heutzutage Sitte geworden, in solchen ärztlichen Dingen über
anders Denkende und Handelnde immer gleich so abzuurtheilen,
als ob eine vor den Staatsanwalt gehörige That vorläge.
Um so entschiedener müsse er daher in der
vorliegenden Frage für die entgegengesetzte
Meinung eintreten und erklären, dass, wenn eine Phleg¬
mone trotz der grossen Incisionen sich immer weiter auszubreiten
die Neigung zeige, dass dann die Zeit zur Absetzung des Gliedes
gekommen sei, und zwar auch dann, wenn das Blut bereits die¬
selben Bakterien enthält, wie das phlegmonöse Gewebe.
Er habe kürzlich die einschlägigen Fälle von einem seiner
Assistenten bearbeiten lassen. (Die Arbeit erscheint demnächst
in dieser Wochenschrift.) In 6 Fällen wurden 5 mal im
Blute durch Kultur die gleichen Bakterien, wie in der Phleg¬
mone gefunden und doch noch ein gutes Resultat erzielt.
Folgenden derartigen sehr instruktiven Fall habe er noch
in den letzten Wochen behandelt:
Ein 20 jähriger Student kam am 27. September beim Ab¬
springen von der Pferdebahn mit der Hgnd unter einen vorüber
fahrenden Bierwageu. Sofortige Einlieferung in die Klinik. Am
29. musste der Finger amputirt werden; trotzdem ging die Phleg¬
mone schnell weiter. Blutuntersuchung positiv — Streptococcen,
und zwar wurde das Blut selbstverständlich einer Vene der an¬
deren Seite entnommen. Grosse Schnitte, die nunmehr vor-
geuommen wurden; hatten keinen Einfluss auf den schweren
klinischen Verlauf und den wiederholten Blutbefund und darum
wurde noch am selben Abend die Amputation des Arms vor-
gonommeu. Es folgte schnell Besserung und Heilung. Es war
nun Interessant, durch zweimalige tägliche Blutuntersuchung die
allmähliche Abnahme der Bakterien im Blute zu verfolgen; doch
waren sie noch ziemlich lange zu konstatiren und erst am 11. Ok¬
tober völlig verschwunden; an diesem Tage waren aber im Eiter
der Wunde noch feste Reinkulturen zu finden. Jetzt völlige Hei¬
lung. Dies zur Ehrenrettung der Amputation.
Herr Senator: Ueber die Bant i’sche Krankheit.
Im Jahre 1895 habe B a n t i ein Krankheitsbild geschildert,
das in Anaemie mit sehr grosser Milzschwellung, später auf¬
tretendem Lebertumor und Ascites besteht, und das in Italien
unter dem Namen der Bant i’schen Krankheit bekannt geworden
ist. Die deutsche Literatur habe davon gar keine Notiz ge¬
nommen.
Es handle sich allerdings nicht um eine neue Krankheit,
sondern um verschiedene, bis dahin unter verschiedenen Namen
bekannt gewesene Zustände, welche zu einem Ejankheitsbilde
zusammengefasst zu haben, Banti das Verdienst habe.
B a n t i unterscheidet 3 Stadien: 1. Anaemie fnit voran¬
gehender Milzschwellung; Dauer 3 bis 5 Jahre; 2. Ueber-
gangsstadium: Harn wird spärlicher, enthält reichlich Urate,
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5. November 1901.
1821
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Urobilin uud zuweilen Gallenfarbstoffe; Dauer einige Monate;
3. Ascites und Leberschwellung, Verschlimmerung der Anaemie,
leichte Vermehrung der weissen Blutkörperchen. Tod nach 5 bis
12 Monaten. Ganze Dauer ca. 6 Jahre; selten bis zu 12.
Das erste Stadium bildet also das, was man früher unter
dem Namen primärer idiopathischer Milztumor oder jetzt
Splenomegalie bezeichnete. Auch andere Namen wurden ihm
gegeben: Pseudoleukaemie (Cohnhei m), Auaemia spleniea
(Griesinger). Die späteren Stadien seien wohl immer als
Lebercirrhose mit Ascites beschrieben worden, doch sei immer
aufgefallen, dass dabei etwas besonderes vorlag.
B a n t i betrachtet die Milz als den primären Sitz
der Erkrankung und den Lebertumor, der auch meist kleiner
sei, als die Milz, als das Sekundäre; für seine Auffassung ver-
werthete er ausser dem klinischen Bilde noch den anatomischen
Befund von hochgradiger Atheromatose der Milzvene und den
therapeutischen Erfolg.
Diese Ansicht von der primären Erkrankung der Milz sei
zuzugeben. Den Ausgangspunkt der ganzen Affektion dürfe man
wohl in den Darmkanal verlegen (Infektion oder Intoxikation).
Der Ascites sei nicht Folge der Lebercirrhose, die meist zu
unbedeutend sei und da der Ascites trotz Fortschrei teils des
Leidens spontan oder in Folge der Behandlung schwände.
Im dritten Stadium sind heftige Blutungen aus Nase und
Darmkanal charakteristisch. In diesem Stadium habe Banti
im Blute nur Zeichen einer einfachen Anaemie gefunden; Vortr.
konnte aller eine unverhältnissmässig grosse Abnahme
des Haemoglobins und in 3 Fällen eine auffallende Abnahme
der Leukocyten, also eine Leukopenie finden, vielleicht
sei dies etwas für die Bant i’sche Krankheit Charakteristisches.
Im Knochenmark fanden sich die sonstigen Zeichen der schweren
Anaemie.
Vortr. bespricht dann kurz die Unterscheidung dieser Affek¬
tion von der Pseudoleukaemie (Zunahme der Lymphocyten),
der Malaria (Plasmodien), Lebercirrhose u. s. w. Er hält es nicht
für unmöglich, dass diese Affektion ein Zwischenglied zwischen
der Anaemie uud Leukaemie bildet.
Die Prognose wäre eine ungünstige, wenn nicht schon
Banti selbst ein Heilmittel angegeben hätte, die Exstir¬
pation der Milz. Von 11 operirten Fällen, über die
Maragliano berichtet, wurden 9 gerettet; 2 starben an Ver¬
blutung.
Es sei wünschenswerth, durch weitere Kasuistik zur Klar¬
stellung des Krankheitsbildes beizutrageu. Vortr. demonstrirt
zum Schlüsse einen jungen Mann mit sehr grossem Milztumor,
Anaemie und frülier vorhandenem Ascites; er stelle dio Diagnose
auf Bant i’sche Krankheit.
Discusslon: Herr Litten: Das Krankheitsbild sei
schon bekannt, und er habe es in seinem Buche, iu N o t li n a g e l's
Handbuch, geschildert; bespricht kurz 4 von ihm beobachtete Fülle.
Die Blutungen erfolgen sehr häufig, wie bei der gewöhnlichen
Lebercirrhose aus erweiterten Venen.
Herr Lennhoff berichtet ebenfalls über einen Fall.
Herr Senator: Herr Litten habe allerdings über ähn¬
liche Krankheitsbilder geschrieben, den Namen Baut! aber
nirgends gebraucht. Hans K o h n.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Der besondere Ausschuss der bayerischen Abgeord¬
netenkammer zur Yorberatliung des Gesetzentwurfes über
die ärztliche Standes- und Khrengerichtsorduung hat nach
der anfänglichen Weitschweifigkeit seine Berathungen ver¬
kürzt uud beschleunigt und zunächst die Durchberatlmng
der Standesorduuug bis auf die beiden letzten Abschnitte
vom ärztlichen Honorar und von der Vertretung erledigt.
Vielleicht hat hiezu die Erklärung des k. Staatsministers
beigetragen, dass die Standesorduuug in das Gesetz selbst nicht
Aufnahme finde; die Beschlüsse des Ausschusses und des Land¬
tages werde er als Wünsche dieser Körperschaften vorbehaltlich
näherer Prüfung thunlichst berücksichtigen.
Dem allgemeinen T h e i 1 e der Standesordnung gab der
Ausschuss folgende Fassung:
„1. Der Arzt ist verpflichtet, seine Berufsthätigkeit gewissen¬
haft auszuüben und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufes
sowie ausserhalb desselben sieh der Achtung würdig zu zeigen,
die sein Beruf erfordert. Politische, wissenschaftliche und religiöse
Ansichten od#r Handlungen eines Arztes als solche können niemals
Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden.
2. Die Heilmethode ist dem Ermessen des Arztes zu überlassen j
und kann nie Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens
bilden.
3. Die öffentliche Gesundheitspflege soll jeder Arzt nach Kräf¬
ten zu fördern trachten.
4. Verwendung und Abgabe vou Geheimmitteln ist dem Arzte
nicht verboten. Der Arzt darf Kurpfuscherei nicht unterstützen.
Kurpfuscherei ist die Ausübung der Heilkunde durch unfähige
Personen.“
In Ziffer 3 sieht Abg. Dr. v. Haller nur ein Dekoratious-
iKÜwerk, Dr. G ä c h medieinlschen Bureaukratismus und die Mög¬
lichkeit der Chikaniruug praktischer Aerzte. Bei Berathuug der
Ziff. 4 motlvirte Dr. H a u b e r das Weglasscu de» Passus bezüg¬
lich des Geheimmittelunweseus und der Kurpfuscherei iu seinem
Correferate damit, dass die Unterstützung des Geheimmittel¬
unwesens für einen Arzt unehrlich sei, dies aber gegen die in Ziff. 1
erforderte gewissenhafte Ausübung dos Berufes verstosse. Der
Ausschuss stempelt auch „unfähige" Aerzte zu Kurpfuschern, trotz
der Erklärung des k. Staatsministers, dass nur ein Nichtnrzt Kur¬
pfuscher sein könne.
In dem speziellen Theile handeln die Ziffern 5—19 von
der ärztlichen Praxis; dieselben wurden iu folgender
Fassung vom Ausschüsse angenommen:
5. Praxiseröß'nung, Wohnungswechsel und vorübergehende Ab¬
wesenheit darf nur in einer der Würde des Standes angemessenen
(ortsüblichen) Weise angezeigt werden.
(Das Wort „ortsüblichen“ wurde gestrichen.)
6. Ausschreiben unentgeltlicher Behandlung ist verboten, aus¬
genommen vou staatlichen Anstalten zu akademischen Lelir-
zwecken.
7. Das öffentliche Anbieten brieflicher Behandlung ist dem
Arzte verboten.
(Der zweite Theil des Satzes, dass auch das Abhalteu von
Sprechstunden ausserhalb seines gewöhnlichen Praxisgebietes dem
Arzte verboten sei, wurde nicht angenommen.)
8. Die Bezeichnung „Specialist“ ist ohne den Besitz der
nötliigcii Vorbildung unstatthaft.
(Die Fassung der Grundzüge lautete: „Ohne den Nachweis ls*-
souderer Vorbildung“. Herr Obermedicinalrath Dr. v. G rasbey
hob als Zweck dieser Bestimmung hervor, den Missbrauch mit dem
Titel „Specialist“ hintanzuhalten uud du» Publikum vor Täu¬
schungen zu schützen. Wie der Nachweis der besonderen Vor¬
bildung zu erbringen sei, sei eine Ermessensfrage; auch durch
eigenes Studium uud praktische Erfahrungen könne ein Arzt
Specialist werden.)
9. Die Bezeichnung Klinik und Poliklinik gebührt nur staat¬
lichen Lehranstalten und den von den Speclalisten geleiteten Heil¬
anstalten.
(Die Heilanstalten wurden auf Antrag des Correfereuten hier
initaufgenonimen.)
10. Geschäftsmässiger Verkauf von Apparaten und Heilmitteln
jeder Art. sowie dessen gesehäftsmässige Vermittlung ist dem
Arzte verboten.
11. Kauf oder Verkauf der är/.tlieheu Praxis, sowie das ge¬
werbsmässige Vermitteln solcher Geschäfte Ist unstatthaft.
12. Es ist eines Arztes unwürdig, seine Hilfe aufzudringen, sei
es persönlich oder durch Andere.
13. Die Erwerbung von Kranken gegen Entgelt (durch Heb¬
ammen, Bader u. dgl.) ist als unwürdig verboten.
14. Das Austellen von Zeugnissen für Reklamezwecke ist ver¬
boten.
(Einer Verunglimpfung der bayerischen Amtsärzte, vou deren
Reite mit solchen Zeugnissen Missbrauch getrieben werde, treten
der Vorsitzende Dr. Casselmann und der k. Staatsminister
Frhr. v. F e i 111 z s c h entgegen. Auf Anfrage erklärt Letzterer,
dass auch die Universitätsprofessoren unter die Standesordnung
fallen und dass nur die Handhabung der letzteren gegenüber den
Universitätsprofessoren und amtlichen Aerzten durch die Vor¬
gesetzten Dienstesstellen bethätigt werde.)
15. (Geheimmittel und Reklamemittel darf kein Arzt ver¬
ordnen. — Diese Ziffer gilt nach dem Beschlüsse zu Ziffer 4 als
nbgelehnt.)
16. Krankengeschichten, ärztliche Berichte etc. dürfen nur in
ärztlichen Fachblätteni veröffentlicht werden.
17. Oeffentliclie Danksagungen aller Art sind hlutanzuhalten.
18. Ein Arzt darf nicht mit seinem Namen therapeutische
Mnassnahmen von Nichtärzten decken.
(Der Correferent, der seinerzeit diese Ziffer nicht aufgenommo»
hatte, beantragte die Zustimmung liiezu.)
19. Laien dürfen zu Operationen nicht eingeladen werden.
Insbesondere für Reklame- und Sensntionszwecke Stäche und
namentlich Zeitungsreporter zu Operationen und Demonstrationen
nicht zugelassen werden.
Bei der weiteren Berathung beantragte der Referent v. L a n d-
manu, die Ziffern 21—35. welche den Verkehr mit den Patienten
anderer Aerzte uud die Consilien betreffen, ganz zu streichen und
dafür die generelle Vorschrift aufzustelleu, dass ln diesen Be¬
ziehungen keine Bestimmung getroffen werdeu dürfe, welche das
Recht des Patienten, die Aerzte zu wählen uud zu wechseln, iu
irgend einer Weise antastet. Der Correferent erklärte sich gegen
diese generelle Fassung sowohl im Interesse der Aerzte als d<- s
Publikums; der k. Staatsminister erklärt den Antrag für vollständig
überflüssig, da das Recht des Kranken, einen Arzt zu wählen oder
zu wechseln, ln den Grundzügen zur Stnndesordnung in gar keiner
Weise angegriffen sei; dieselben befassen sich lediglich damit, wie
sieh der Arzt gegenüber einem Kranken verhalten solle, der schon
einen Arzt habe. Obermedicinalrath Dr. v. G r u s li e y versichert.
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1822
dass es den Aerzten fern liege, das Recht der Patienten zu schmä¬
lern; hierauf zieht v. Landmann seinen Antrag zurück.
Ziffer 22: „In Nothfällen kann ein Rath auch den Kranken
anderer Aerzte nicht verweigert werden, doch ist der behandelnde
Arzt nachträglich davon zu verständigen“, sowie ein Abänderungs¬
antrag des Correferenten: „Der Arzt darf ohne genügenden Grund
die von ihm geforderte Hilfeleistung nicht verweigern. In Noth-
füllen darf die Hilfeleistung auch den von anderen Aerzten bereits
behandelten Kranken nicht verweigert werden; doch ist der be¬
handelnde Arzt nachträglich zu verständigen.“ werden abgelehnt.
Der k. Staatsminister erklärt sich mit der Tendenz des letzten An¬
trages vollständig einverstanden, allein § 144 Abs. 2 der Gewerbe
ordnung lassen einen Zwang zu ärztlicher Hilfe nicht zu.
Abschnitt II: „Verkehr mit Patienten anderer
A e r z t e“, wird in folgender Fassung genehmigt, wobei mehrfach
die Anträge des Correferenten berücksichtigt werden.
„20. Nichtärzten gegenüber ist jede leichtfertige oder rück¬
sichtslose Kritik verboten.
21. Das Benehmen eines Arztes, der einen Kranken übernimmt,
der schon in anderweitiger ärztlicher Behandlung steht, muss den
Rücksichten der Humanität und Kollegialität entsprechen.
22. (Fällt weg.)
23. Werden bei eiligen Fällen mehrere Aerzte gerufen, so be¬
hält der Hausarzt den Kranken, wenn nicht eine andere Willens-
üusseruug des Kranken oder dessen Angehörigen vorliegt.
24. Koutrolbesuche im Aufträge von Berufsgenossenschaften.
Versicherungsgesellschaften, Kassen u. s. w. dürfen nur im Be¬
nehmen mit dem behandelnden Arzte stattflnden. Dauernde Kon-
trolthätigkeit für solche Anstalten bedarf der vorherigen Genehmi¬
gung des für den in Aussicht genommenen Arzt zuständigen Be¬
zirksvereines.
(In der Möglichkeit, dass der ärztliche Bezirksverein In der
Lage sei, einem einzelnen Arzte etwas hineinzureden, liegt nach
Dr. v. II aller eine Knebelung der Aerzte, man gebe damit dem
Bezirksverein eine Peitsche in die Hand. Vom Rechtsstaudpuukte
hat Miuisterialrath v. Hörmann nichts gegen den zweiten Satz
einzuwenden).
Bei Abschnitt III „Consilien“ werden abgelehnt
die Ziffern:
25. Als Consiliarius Ist jeder Arzt zuzulassen, welchem die Be¬
rechtigung hiezu nicht durch ehrengerichtlichen Spruch aberkannt
ist. (Der Gesetzentwurf, der erst später als diese Grundztige zu
einer Standesordnung abgefasst wurde, kennt als ehrengerichtliche
Strafe die Aberkennung der Berechtigung, als Consiliarius zu fun-
giren. nicht.)
29. Der Consiliarius soll jeden Schein der Ueberlegenheit, so¬
wie jede Kritik der bisherigen Behandlung vor dem Kranken und
seinen Angehörigen vermeiden.
34. Consilien können sowohl vom Hausarzte als von dem zum
Consilium vorgeschlagenen Arzt abgelehnt werden.
Die übrigen ZifTem werden in folgender, theilwelse abgeänderter
Fassung angenommen.
2G. .Bei Consilien ist pünktliches Erscheinen nöthig. Der Erst-
augekommene hat gegebenen Falles eine Viertelstunde zu warten,
bei weiteren Entfernungen entsprechend länger. Nur ganz
dringende, nachträglich klar zu legende Fälle entschuldigen das
Fernbleiben.
27. Ist der behandelnde Arzt im Consilium nur allein er¬
schienen, so verordnet er nach seinem Gutdünken. Ist der in’s
Consilium gezogene Arzt nur allein erschienen, so hat er die ihm
zweckmässig dünkenden Maassnahmen sofort zu treffen und den
behandelnden Arzt hievon zu verständigen. Verzichten die An¬
gehörigen oder der Kranke selbst auf die Hilfe des erstbehandelu-
den Arztes, so ist derselbe sofort hievon zu benachrichtigen.
28. Der Meinungsaustausch der berathenden Aerzte soll Ln der
Regel ohne Zeugen geschehen.
30. Bei Uneinigkeit der berathenden Aerzte muss einem allen-
fallsigen Verlangen des Kranken nach Zuziehung eines dritten
Arztes entsprochen werden. Wird auch dabei eine Einigung nicht
erzielt, so steht die Entscheidung beim Kranken oder seinen An¬
gehörigen. Jedenfalls steht es dem Consiliarius frei, sieh unter
Angabe seiner Gründe zurückzuziehen.
31. Die Familie des Kranken hat ein Recht, das Ergebnlss des
Consiliums unverfälscht berichtet zu erhalten.
32. Von dem im Consilium beschlossenen Verfahren soll nur
im Nothfalie vom lx-handelnden Arzt abgegangeu werden.
33. Die Initiative zu Wiederholungen des Consils steht sowohl
dem Ilnusnrzte als der Familie zu.
Dr. Becker- München.
Therapeutische Notizen.
Zur Therapie des Carbunkels. Es gibt viele
Patienten, die nicht schneiden lassen wollen, und manche Aerzte,
die nicht gerne schneiden. Diesen kann ich nachstehende, von
mir erprobte Behandlung empfehlen. Man legt auf den noch ge-
schlusscnen Carlmnkel folgende Salbe:
Acid. salicylic.
2,0
Mellis crud.
20,0
Extract. amic. flor.
10,0
Farin, tritic.
qu. s.
ut fiat unguent. molle.
S. äusserlich.
No. 45.
Diese Salbe, welche die umfangreiche Entzündung in ein
paar Tagen auf eine ziemlich kleine Stelle einschränkt und zu¬
gleich die Erweichung beschleunigt, wird messerrückendiek (ja
nicht sparsam!) auf Borlint gestrichen und breit aufgelegt, wo¬
rüber dann fingerdick Brun s’sche Watte und Guttaperehapapier
kommt. Die Salbe wird alle 24 Stunden frisch auf neuen Borlint
gestrichen und mit diesem Verbände fortgemacht, bis der Car-
bunkel au einer oder, wie in der Regel, an mehreren Stellen (siel>-
förinig) aufbricht
Nun wird täglich nach jedesmaligem, möglichst ergiebigem
Ausdrücken des Carbunkels und nach Reinigen mit 3proc. Karbol¬
wasser auf die offenen Stellen ein kleines Stück Borlint, mit 3 proe.
Karbolwasser durehtrüukt, aufgelegt, worüber dann noch immer
breit die Salbe mit gehörig Watte und Guttaperchapapier kommt.
Die Salbe wird erst entbehrlich, wenn der eiterige Zellgewebs-
pfropf offen zu Tage liegt, worauf dann nur noch täglich mit
Borlint, in Karbolwasser getaucht, Brun s’scber Watte und
Guttaperchapapier verbunden wird.
Hat sich daun auch der Eiterpfropf abgestossen, so wird nun¬
mehr trocken verbunden, indem ln die reine Höhlung Jodofonn-
gaze kommt und darüber noch Watte.
Sind endlich die Granulationen bis zum Niveau der Haut
heraufgewachsen, so legt man täglich 10 Proe. Xeroform-Lanolin
mit 5 Proe. Glyceriu, auf gewöhnlichen Lint gestricheu, über die
Wunde, wodurch bald eine glatte und weiche Vernarbung erzielt
wird. Dr. S t r ö 11 - München.
Eine Inunctionskur der Skrophulose und
Tuberkulose lässt sich, wie Rohden- Lippsprlnge mittheilt,
mittels eines Lcberthranseifenpräparates sehr gut
durchführen (Tlierap. Monatshefte 1901, 8). Dasselbe wird unter
, dein Namen Dermosapol von der Engelapotheke In Mülheim
, dargestellt und enthält neben völlig desodorirtem la>berthran
, Perubalsam und aetherlsclie Oele (01. clunamomi. citri, thymii.
I Die Einreibung des Dermosupols wird 2—3 mal täglich an ver-
■ schiedeuen Körpers teilen vorgenommen, nachdem die Haut vorher
1 mit Franzbranntwein und dann mit Wasser gut abgerieben ist
‘ 100 g sind auf 10—12 Tage berechnet. Das Dermosapol bewirkt
I allmählich eine „Leberthrandurchseifung des ganzen Lyinpli-
| apparates“.
| Die Wirkung des Dermosapols kann noch durch 5 Proe. Jod-
i kali oder 5 Proe. Formalin erhöht werden.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 5. November 1901.
— Der Ausschuss zur Vorberathung der bayerischen
■ Standes- und Ehrengerichtsordnung hat in der
I vergangenen Woche etwas rascher gearbeitet als bisher und
I den Entwurf bis zur Ziffer 34 erledigt. Was dabei heraus-
I gekommen ist, finden unsere Leser auf Seite 1821 dieser
, Nummer zusammengestellt. Im Ganzen bieten die Verhand-
lungen ein unerfreuliches Bild; Vorurtheile gegen den ärzt¬
lichen Stand und bedauerlicher Mangel an Verständniss für
1 die Bedürfnisse desselben herrschen vor. Einen Lichtblick in den
Verhandlungen bildet nur die Erklärung des Herrn Ministers
v. Feilitzsch, dass die Standesordnung nleht in das Gesetz
aufgenommen werden solle, und dass die Beschlüsse des Aus-
1 schusses nur als Wünsche zu betrachten seien. So können wir
' hoffen, dass wir wenigstens vor Schaden bewahrt bleiben. Die
in der vorigen Woche versammelten Aerztekammern haben keinen
Zweifel darüber gelassen, dass die bayerischen Aerzte lieber gar
keine als eine vom Entwürfe des Obermedicinalausschusscs in
wesentlichen Punkten abweichende Standesordnung wünschen.
— Für das Virchow-Haus hat als ersten Beitrag Prof.
Lassar der Berliner medlclnischen Gesellschaft den Betrag von
1000 M. überwiesen. — Und das Pettenkofer-Haus? Man
hört nichts von demselben und doch verlangt die Dankbarkeit, die
München dem grosseu Meister der Hygiene schuldet, dringend,
dass endlich die Durchführung dieses schönen Gedankens, der
allein ein würdiges Denkmal dieses Wohlthäters unserer Stadt
sichern würde, in die Wege geleitet würde. Oder sollte München
hinter Berlin in der Ehrung seiner grosseu Männer zurückstehen?
— Eine neue Dienstanweisung für den bahn¬
ärztlichen Dienst wurde soeben von der Generaldirektion
der kgl. bayer. Staatsbahnen nusgegeben. Sie gliedert sich ln die
Organisation und die Aufgaben des bahnärztlleben Dienstes, die
bahnärztlioheu Gutachten, die Feststellung der körperlichen Taug¬
lichkeit, die Bestimmungen für den Fall der Erkrankung des zur
freien bahnärztlichen Behandlung berechtigten Personals, die bahn-
ärztlieheu Gutachten in Pensionssachen, zum Zweck der Unter¬
stützung u. s. w. und endlich in die besonderen Vorschriften für
Unfälle und Verletzungen von Personen Im Bereich der Staats¬
bahnverwaltung.
— Der preuss. Minister der öffentlichen Arbeiten hat eine
Verfügung erlassen, in welcher es als keinem Bedenken unter¬
liegend bezeichnet wird, Aerzten, Thierärzten und Hebanuneu
unter gewissen, früher festgesteilten Voraussetzungen die Be¬
nutzung von Gtiterzügeu auch bei Lösung von Rückfahrkarten
zu gestatten. *
— Regierungs- und Medieinalratli Dr. Dietrich ist zum
Geheimen Mediciunlrath und Vortragenden Rath im preussischen
Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegen-
heiten ernannt worden.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT,
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5. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
— Die beiden ersten ln Deutschland approbirten AerzUuuen,
Frl. Dr. Klausner und Frl. v. d. Leyde n, haben sich in
Berlin niedergelassen.
— Die Ärztlichen Vereine der Provinz Pommern haben in
ihrer gemeinsamen Sitzung am 16. Juni d. J. dem Beschluss der
pommerschen Aerztekammer auf Gründung einer Unter-
stützungskasse für nothleldende Aerzte und für die Hinter¬
bliebenen von Aerzten zugestimmt. Im Anschluss an dieses Votum
hat ein menschenfreundlicher Kollege die Summe von 50 000 M.
für die zu begründende Kasse zugesichert.
— In der Zeit vom 2.—12. Januar 1902 (20_30. Dezember 1901
n. St.) wird in St. Petersburg die XI. Versammlung russischer
Naturforscher und Aerzte stattfinden. Theilnelimer au der Ver¬
sammlung werden ersucht, womöglich vor dem 15. Dezember 1901
dem Comitß der Versammlung russischer Naturforscher und Aerzte
(St. Peterburg, Universität) ihre genauen Adressen und den Mit¬
gliedsbeltrag (3 Rubel) einzusenden und anzugeben, welcher Sektion
sie bdzutreteu wünschen.
— Pest. Italien. Einer Mittheilung vom 18. Oktober zu
Folge ist in Neapel die letzte Pesterkrankung am 6., der letzte
Pesttodesfall am 9. Oktober festgestellt worden. — Türkei. Einer
Mittheilung vom 19. Oktober zu Folge sind in einem von etwa
20 Personen der niedersten Volksklasse bewohnten Hause der Vor¬
stadt Galata in Kopstantinopel 5 Pesterkrankungen, darunter eine
mit tödtlichem Ausgange festgestellt worden. In Samsun sind
einem Berichte vom 2. Oktober zu Folge 3 weitere Pestfälle, da¬
runter 1 Pesttodesfnil, festgestellt worden. — Aegypten. In der
Zeit vom 11. bis 18. Oktober sind iusgesammt 4 Erkrankungen
(1 Todesfall) an der Pest gemeldet worden, davon 3 (1) in Alexan¬
drien, 1 (—) in Mit Gamr. — Britisch-Ostindieu. In der Präsident¬
schaft Bombay sind in der am 27. September abgelaufenen Woche
9342 Erkrankungen und 6653 Todesfälle an der Pest festgestellt
worden, d. h. 2198 und 1440 mehr als ln der Vorwoche. In der
Stadt Bombay wurden in der am 28. September endenden Woche
205 Erkrankungen und 224 Todesfälle au der Pest angezeigt; die
Zahl der pestverdächtigen Sterbefälle betrug 183, die Gesammtzahl
der Sterbefälle 912 gegen 914 in der Vorwoche. Iu Surat, einem
Hafen in der Präsidentschaft Bombay, sind am 23. September
2 Pestfälle mit tödtlichem Ausgange gemeldet worden. — Kap-
land. Einem amtlichen Ausweise zu Folge ist In der Woche vom
22. bis 28. September ln Port Elizabeth ein Eingeborener an der
Pest erkrankt und ein anderer als Leiche, unter Feststellung der
Pest als Todesursache, aufgefunden worden. — Argentinien. In
Buenos Aires ist einer Mittheilung vom 20. Oktober zu Folge auf
einem Dampfer aus Asuncion ein Pestfall festgestellt worden. —
Neu-Kaledonien. Vom 2. bis 7. Oktober ist in Numea eine tödtlich
verlaufene Pesterkrankung bei einem Eingeborenen festgestellt
worden. V. d. K. G.
— In der 42. Jahreswoche, vom 13. bis 19. Oktober 1901, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Liegnitz mit 32,0, die geringste Koblenz und Schöueberg
mit 3« 6.8 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als
ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen,
Halle a. S., Solingen; an Masern in Fürth; an Diphtherie und
Group in Bamberg, Erfurt.
— Das College of Physicians iu Philadelphia schreibt den
Alvarenga -Preis für 1902 (180 Dollars) aus. Die Prels-
arbeiten können irgend eine medicinische Frage 1 Hitreffen, dürfen
aller noch nicht publizirt selu. Näheres durch den Sekretär des
College, Thomas R. N e i 1 8 o u.
— Das Sanatorium Dr. Ebers am Annaberg in Baden-Baden
ist durch Kauf in den Besitz des seitherigen Pächters. Herrn Dr.
I’aul Ebers übergegangen.
(Hochschulnachrichten.)
Breslau. Der erste Assistent an der hiesigen Universitäts-
Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohreukrankheiten, Dr. med. Victor
II insberg, hat sich in der medlciuischen Fakultät als Privat-
doceut für Otologie, Rliinologie Und Lar.vngologie liabilitirt.
Giessen. Der Privatdocent l)r. E. Leutert in Königs-
ln?rg ist als ausserordentlicher Professor für Ohrenheilkunde und
als Direktor der Ohrenklinik an die hiesige Universität berufen
worden.
G ö 111 n g e n. Dr. W a 1 d v o g e 1 und Dr. Bickel haben
sieh für innere Medicln liabilitirt. — Am 18. d. Mts. wurde die
neubegründete Poliklinik für psychis.che und Nervenkranke, welche
unter Leitung von Prof. C r a m e r steht, eröffnet.
Königsberg. Die ordentlichen Professoren I)r. Ludwig
Stleda (Anatomie), Dr. Wilhelm Lossen (Chemie) und Dr.
Karl Pape (Physik) haben ihre Vorlesungen weiblichen Studiron-
den verschlossen. In Folge dessen Ist Frauen ein ordnungsmässiges
Studium der Medicln in Königslierg unmöglich. I>r. W. Scholtz,
ein Schüler von Neisser in Breslau, hat sieh für Dermatologie
hier liabilitirt.
München. Die Privatdwenten an der kgl. Universität:
Professor an der Hebnmmensehule Dr. Max Stil m p f und kgl.
Olieretabsarzt Dr. Karl Seydel wurden zu Honorarprofessoren
in der mediclnischeu Fakultät der kgl. Universlät München er¬
nannt und den Prlvatdocenten an der Universität München: Dr.
Gustav Klein und Dr. Richard Barlow der Titel und Rang
eines ausserordentlichen Professors verliehen.
Rostock. Geh. Obermedlcinnlmth Prof. Dr. Thier¬
felder ist ln den Ruhestand getreten. Als sein Nachfolger
hat Prof. Dr. Martlus die Leitung der hiesigen medicinlschen
Universitätsklinik übernommen.
1823
Christian! a. Dr. H. A. S c h i ö t z wurde zum Professor
der Augenheilkunde ernannt.
Gent. Dr. v a n I) u y s e und Dr. G i 1 s o n zu o. Professoren,
Dr. Vau der Schriebt zum a. o. Professor ernannt.
Lüttich. Dr. P. Snyers zum o. Professor der inneren
Medicln ernannt
(Todesfälle.)
Prof. Dr. Arthur lv o e n i g . Abtliellungsvorstand am physio¬
logischen Institut der Universität Berlin, ist, erst 46 Jahre
alt, verstorben. Sein Arbeits- und Forschungsgebiet lH*trnf vor¬
wiegend die physikalische Physiologie, insbesondere die physio¬
logische Optik.
In Prenzlau starb am 25. ds. Snnitütsiutli Dr. Julius Grosser,
der Begründer und Herausgeber der „Deutschen Medicinalzeitung“.
In Stettin starb Prof. Dr. Carl Schuchardt, der Direktor
der chirurgischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses, an
einer Blutvergiftung, die er sich bei einer Operation zugezogen
hatte. Scli., ein Schüler Volkmann’s, wurde 1889 von Halle
nach Stettin berufen.
In Petersburg starb, 55 Jahre alt, Prof. Marcel Nencki,
einer der hervorragendsten Vertreter der physiologischen Chemie.
Ein Schüler B a e y e r's und Frerichs' kam er 1872 nach Bern,
wo er bald zum Professor für medicinische Chemie ernannt wurde.
1891 wurde er an das neubegründete Institut für experimentelle
Medicln in Petersburg berufen. Von besonderer Wichtigkeit sind
N.’s Forschungen zur Chemie der Fäulniss.
Iu London starb der Hygieniker Dr. T h u d i c h u m.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassungen: Gustav Baer in Brand, Bez.-A. Wunsicdcl.
Dr. Adolf Dehler zu Kaiserslautern. Dr. Julius It u d o 1 p Ii
zu Breitenbach Dr. Felix Kamm zu Zweibrücken. Dr. Josef
Osch manu, approl». 1901, zu Hammelburg. Dr. Heinrich
Marsgraf f, approb. 1901, zu Gnodstadt, Bez.-A. Ocliseufurt.
Dr. Karl Boenitscli, approb. 1901, in Schwarzeubach a. W.,
Bez.-A. Naila. Dr. Peter Ketterl, approb. 1895. in Cham.
Verzogen: Dr. Ludwig Petz old von Gräfenberg nach
Erlangen. Dr. Hell w 1 g von Breitenbach. Dr. L e 1 m von
Grossiangheim nach Obereisenheim. Bez.-A. Gerolzhofen. Dr. Alfred
Krempl von Schwarzenbach a. W., unlickannt wohin?
Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse Dr. Joseph Spaeth ln
Deggendorf, seiner Bitte entsprechend, nach Landshut.
Erledigt: Die Bozirksarztstelle I. Klasse iu Deggendorf. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 14. November 1. Js. einzureichen.
Auszeichnungen: Das Ivomthurkreuz des Verdienst¬
ordens der Bayerischen Krone: Dem ordentlichen Professor
an der kgl. Universität München, Geheimen Rath und Ober-
mediciualrath Dr. Karl v. Volt. Der Verdienstorden vom
Heiligen Michael 4. Klasse: Dem Assistenzarzt Im stiidt.
Krnnkeuhause 1. d. 1. Dr. med. Theodor S t r u p p 1 e r.
Ernannt: Der praktische Arzt Dr. Peter P r e i s e n d ö r f e r
in Lohr zum Bezirksarzt I. Klasse «lortsolbst. Der prakt. Arzt
Dr. Bernhard B a y e r 1 In Cham zum Landgerichtsarzt in Deggen¬
dorf. Der prakt. Arzt Dr. Alois Seelos iu Ottobeuren zum Be¬
zirksarzt I. Klasse in Wertingen.
Sellens des Generalstabsarztes der Armee wurde der einjährig
freiwillige Arzt Hugo Walter des 14. Inf.-Reg. zum Unterarzt
im 2. Jäger-Bat. ernannt und mit Wahrnehmung einer offenen Assi¬
stenzarztstelle beauftragt.
Briefkasten.
Ende dieser Woche erscheint, gelegentlich des (‘>8. Stiftungs¬
festes des Aerztllclien Vereines München, die „V. Scherznummer“
der Münch, med. Wochen sehr. Wie die früheren, so stellen wir
auch diese unseren Abonnenten, soweit dieselben Aerzte sind,
cnler es demnächst zu werden hoffen, zur Verfügung. Da die
Seherznummcr der Gesanimtaufläge nicht bdgelcgt werden kann,
so wollen diejenigen Kollegen, welche dieselbe zu erhalten
wünschen, ihre Adresse unserem Verlag baldigst mittheilen.
Käuflich oder durch «len Buch li a n d e 1 ist dl e
S c h c r z u u m m e r nicht e r h ä 111 i <• h.
Amtlicher Erlass.
(Bayern.)
No. 23146.
Kgl. Aller li. Verordnung vom 17. Oktober 1991,
ärztliche Gebühren betreffend.
Im Namen Seiner Majestät des Königs.
Luitpold,
von Gottes Gnaden Königlicher Prinz von Bayern, Regent.
W i r haben Uns bewogen gefunden, die Bestimmungen der
Verordnung vom IS. Dezember 1875, die Gebühren für ärztliche
Dienstleistungen in der Privatpraxis betreffend, Gesetz- und Ver¬
ordnungsblatt Seite 816 ff., einer Revision unterstellen zu lassen,
und verordnen hieuach auf Grund des § 29 Abs. 1 und § SO Abs. 2
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No. 45.
1824
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
der Gewerbe-Ordnung für das Deutsche Reich in der Fassung vom
20. Juli 1900, Reiehsgesetz-Blatt Seite 904, was folgt:
§ 1. Die Bestimmung der Vergütung für Dienstleistungen der
nach § 29 der Keichsgewerbe-Ordnung approbirten Aerzte und
Zahnärzte ln der Privatpruxis ist zunächst dem Uebereinkommen
der Betheiligton überlassen. In Ermangelung einer solchen Verein¬
barung Ist für streitige Fälle die gegenwärtige Verordnung und
die dazu nngefügte Gebührenordnung maassgebend.
Aerztliche Verrichtungen, für welche die Gebührenordnung
keinen Ansatz enthält, sind unter Zugrundelegung derjenigen
Sätze, welche für ähnliche Verrichtungen gewährt werden, zu
vergüten.
§ 2. Soweit die Gebührenordnung einen Spielraum zwischen
niedrigsten und höchsten Ansätzen gestattet, ist die Höhe der fest¬
zusetzenden Gebühr nach den besonderen Umstliuden des Einzel¬
falles und namentlich nach den örtlichen Verhältnissen, der Ver¬
mögenslage des Zahlungspflichtigen, sowie der Mühewaltung und
dein Zeltaufwande zu bemessen.
Wenn die Zahlung der Gebühr aus Kassen des Staates, der
Gemeinden oder Wohlthütigkeitsstiftungen. aus Arbeitorkrauken¬
kassen oder von nachweisbar Unbemittelten zu leisten Ist, kommt
der niedrigste Satz zur Anwendung, soweit nicht In besonderen
Fällen wegen Schwierigkeit der ärztlichen Leistung oder nach
dem Maasse des Zeitaufwandes ein höherer Satz gerechtfertigt
erscheint.
§ 3. Bel der Vergütung für ärztliche Dienstleistungen
kommen nach Maassgabe der weiteren Bestimmungen darüber
ln Betracht der Besuch oder die Berathung. die besondere ärztliche
Verrichtung, der Zeitaufwand, die Fahrtkosten und besondere
Auslagen.
§ 4. Werden bei Besuchen oder Berathungen ärztliche Ver¬
richtungen vorgenommen, für welche ein Mindestansatz von 10 M.
in der Gebührenordnung vorgesehen ist, oder eine Gebühr von
mehr als 10 M. angesetzt wird, so darf eine Gebühr für den Be¬
such oder die Berathung bei Tage nicht berechnet werden
§ S. Bel ärztlichen Dienstleistungen innerhalb des Wohn¬
ortes des Arztes steht diesem neben der Gebühr für den Besuch
oder die Verrichtung eine besondere Entschädigung für Fahrt¬
kosten und für den durch den Hin- und Rückweg verursachten
Zeitaufwand nicht zu.
Jedoch kann auch innerhalb des Wohnortes des Arztes, weun
die Wohnung des Kranken nicht unter 2 Kilometer von der des
Arztes entfernt ist, für Besuche bei Nacht, für mündliche Berath-
schlagungen zweier oder mehrerer Aerzte bei Tag oder bei Nacht,
für Besuche, welche am Tage auf Verlangen sofort oder zu einer
liestimmten Stunde gemacht werden, sowie für Beistandleistung
eines Arztes bei einer ärztlichen Verrichtung bei Tag oder bei
Nacht neben der Gebühr für den Besuch eine Entschädigung für
Zeitaufwand ln der Höhe von 1,50 M. bis 3 M. auf jede ange¬
fangene halbe Stunde und Ersatz der Fahrtkosten berechnet
werden.
§ 0. Befindet sich der Kranke ausserhalb des Wohnortes des
Arztes und zwar nicht unter 1 Kilometer von der Grenze desselben
und nicht unter 2 Kilometern von der Wohnung des Arztes ent¬
fernt, so erhält der Arzt neben der Gebühr für den Besuch eine
Entschädigung für den durch den Hin- und Rückweg verursachten
Zeitaufwand und zwar 1.50 M. bis 3 M. für jede angefangene
halbe Stunde, wobei die etwa nothwendlge Wartezeit bis zum
Abgänge der Eisenbahn, des Dampfschiffes oder Fuhrwerkes ein¬
gerechnet wird. Hiezu kommt noch eine Entschädigung der Reise¬
kosten; dieselbe besteht in einer Vergütung der gehabten Auslagen
für Benützung der Eisenbahn, des Dampfschiffes, der Post, eines
Gefährtes oder sonstigen BeförderungsmIttels. Bei Benützung
eigenen Fuhrwerkes oder Beförderungsmittels ist die Entschä¬
digung nach den ortsüblichen Preisen zu berechnen. Ist der Ort
der Dienstleistung zwar zwei Kilometer von der Wohnung des
Arztes, aber unter einem Kilometer von der Grenze entfernt, so
findet die Bestimmung des § 5 Abs. 2 dieser Verordnung unter den
dortselbst angeführten Voraussetzungen Anwendung.
Dem K. Staatsministerium des Innern ist Vorbehalten, über
die Entschädigung bei Benützung eigenen Fahrrades oder Motors
besondere Bestimmung zu treffen.
§ 7. Besorgt der Arzt auf demselben Wege mehrere Dienst¬
leistungen an verschiedenen Stellen, so darf er die nach dem
§ 5 Abs. 2 und § 6 ihm zustehende Entschädigung für Zeitaufwand
imd Fahrt- oder Reisekosten nur einfach in Aufrechnung brlngeu.
Die Entschädigung ist entsprechend zu vertheilen.
§ 8. Sind in derselben Wohnung gleichzeitig mehrere Ange¬
hörige der gleichen Familie zu behandeln, so kommt für die zweite
und die folgenden Personen je die Hälfte der Gebühr in Ansatz.
§ 9. Bei öfteren Wiederholungen einer und derselben mecha¬
nischen Hilfeleistung (Anlegung des Katheters, der Bougies, Ein¬
spritzungen oder ähnlicher Verrichtungen) kann für die drei ersten
Male die volle Gebühr, für die folgenden dagegen nur die Hälfte
derselben berechnet werden.
§ 10. Mehr als zwei Besuche an einem Tage können nur dann
berechnet werden, wenn dieselben im Einverständnis» mit dem
Kranken oder dessen Angehörigen erstattet werden oder nach der
Beschaffenheit des Falles geboten sind.
§ 11. Die Kosten für die vom Arzte beschafften Medikamente
und ‘Verbandmittel, ferner Kosten für Neubeschaffung oder Re¬
paratur von Instrumenten, welche in Folge der Benützung im
einzelnen Falle unbrauchbar werden oder aus besonderen Gründen
(■/.. B. Ansteckungsgefahr) vernichtet werden müssen, oder welche
der Kranke zu fernerer Verwendung für sich behält, sind dem
Arzte zu vergüten. Für die gewöhnliche Abnützung von Instru¬
menten und Apparaten wird eine besondere Entschädigung nicht
gewährt.
§ 12. Gegenwärtige Verordnung, durch welche alle entgegen-
stehenden Bestimmungen und namentlich die Verordnung vom
18. Dezember 1875, die Gebühren für ärztliche Dienstleistungen
in der Privatpraxis betreffend, aufgehoben werden, tritt mit dem
1. November 1901 für den ganzen Umfang des Königreiches in
Kraft.
Insoweit die Verordnung vom 20. Dezember 1875. die Ver¬
gütung für ärztliche Amtsgeschäfte betreffend, auf Bestimmungen
der Verordnung vom 18. Dezember 1875 Bezug nimmt, bleiben
dieselben bis auf Weiteres noch in Geltung.
Hintersee, den 17. Oktober 1901.
Luitpold,
Prinz von Bayern, des Königreichs Bayern Verweser.
Dr. Frhr. v. F c i 1 i t z s c h.
Auf Allerhöchsten Befehl:
Der Generalsecretär:
Ministerialrath v. Kopplstätter.
Anlage zu § 1 der Verordnung.
Gebührenordnung für ärztliche Dienstleistungen in der
Privatpraxis.
A. Gebühren für Besuche und Berathungen (Zeugnisse, Berichte,
Gutachten, Briefe).
1. Besuch in der Wohnung des Kranken: a) für den ersten
Besuch bei Tag 2—10 M., b) für jeden folgenden Besuch bei Tag
im Verlaufe derselben Krankheit 1—G M., e) für Besuche bei Tag,
welche auf Verlangen des Kranken oder seiner Angehörigen sofort
oder zu einer bestimmten Stunde gemacht werden, und zwar für
den ersten 4—20 M., für jeden folgenden 2—12 M., d) für jeden
Besuch bei Nacht (von 9 Uhr Abends bis 7 Uhr Morgens) 4—20 M.
2. Berathung eines Kranken ln der Wohnung des Arztes,
sowie auch telephonische Berathung: a) für erste Berathung bei
Tag 1—0 M., ’b) für jede folgende Berathung bei Tag im Verlaufe
derselben Krankheit 1—3 M., c) für Jede Berathung bei Nacht
2—20 M.
3. Die Gebühr für den Besuch und die Berathung scbliesst
die Untersuchung des Kranken und die Verordnung mit ein.
Für eine besonders zeitraubende Untersuchung unter An¬
wendung des Augen-, Ohren-, Kehlkopf-, Scheidenspiegels oder des
Mikroskopes kann eine Gebühr von 2—5 M. besonders berechnet
werden.
4. Muss der Arzt nach der Beschaffenheit des Falles oder auf
Verlangen des Kranken oder seiner Angehörigen länger als eine
halbe Stunde verweilen, so stehen ihm für jede weitere ange¬
fangene halbe Stunde 1,50—3 M., bei Nacht das Doppelte zu. Die
uütliige Zeit zur Vorbereitung des Geschäftes, zur Erholung, zum
Mittagessen, zum Uebemachten kann eingerechnet werden.
5. Mündliche Berathung zweier oder mehrerer Aerzte jedem
derselben (einschliesslich des Besuches): a) für erste bei Tag
5—25 M., b) für jede folgende bei Tag während derselben Krank¬
heit 3—15 M.. c) zur Nachtzeit das Doppelte.
G. Schriftliche Berathung (Zeugnisse, Berichte, Gutachten
Briefe): a) für eine kurze Bescheinigung, worunter auch ganz
einfache Berichte oder Gutachten fallen, über Gesundheit oder
Krankheit eines Menschen 1—5 M. (die einfache Unterschrift unter
dem gewöhnlichen Scheine einer Krankenkasse gilt nicht als ärzt¬
liches Zeugniss). b) für ausführlichen Krankenbericht 3—10 M..
e) für begründetes Gutachten 9—30 M., d) für einen Brief im
Interesse des Kranken 2—10 M., e) für schriftlichen Sektions¬
bericht 3—10 M.
B. Gebühren für ärztliche Verrichtungen.
I. Allgemeine Verrichtungen.
1. Durchleuchtung mittels Röntgenstrahlen 10—30 M.
2. Photographie mittels Röntgenstrahlen je nach der Grösse
20—50 M.
3. Mikroskopische, chemische oder bakteriologische Unter¬
suchung von Sekreten, Exkreten: a) einfache 2—5 M., 1>) zeit¬
raubende 3--20 M.
4. Beistand bei einer ärztlichen Verrichtung (Operation) für
joden liiczu belgezogeneu Arzt 5—20 M., l>ei Nacht 10—40 M.
5. Ausführung einer Narkose 5—15 M., welche Gebühr in
Wegfall kommt, wenn der die Narkose ausführende Arzt für die
Operation selbst nicht unter 10 M. beanspruchen kann.
6. Anwendung der lnflltratiousanaesthesie 3—10 M.
7. Wiederbelebungsversuche bei Verunglückten oder Schein¬
tod ton 4—20 M.
8. Besichtigung oder äussere Untersuchung einer Leiche mit
Ausstellung einer kurzen Bescheinigung 3—G M.
9. Vornahme einer Leichenöffnung mit Ausstellung einer
kurzen Bescheinigung 10—30 M.
10. Assistenz bei Vornahme einer Leichenöffnung 5—20 M.
11. Verlangte Anwesenheit bei Vornahme einer Leieben-
öffnung 5—15 M.
12. Eine Bluttransfusion 20—50 M.
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5.'November 1901.
MÜENCHENRR MEDICINISOIIE WOCHENSCHRIFT.
1825
13. Eine subkutane oder venöse Infusion 10—30 M.
14. Impfung der Schutzpocken einsehl. der Nachschau und
der Ausstellung des Impfscheines 3—G M.
15. Leitung eines Bades 2—10 M.
IG. Eine hydrotherapeutische Einwicklung 2—5 M.
17. Massage 2—5 M.
18. Anwendung der Elektrizität zu Heilzwecken 2—10 M.
19. Eine subkutane Einspritzung 1—3 M.
. 20. Einspritzung in die Harnröhre oder den Mastdarm 2—5 M.
21. Einführung des Katheters, einer Bougie, eines Mastdarm¬
rohres (mit oder ohne Einglessung), Anwendung der Magensonde
oder des Sclilundrohres, Magenausspülung 3—10 M.
22. Ein Aderlass, Setzen von Schröpf köpfen, Ansetzen meh¬
rerer Blutegel, ausser dem Betrage derselben, 2—6 M.
II. Wundärztliche Verrichtungen.
1. Eröffnung eines oberflächlichen Abscesses oder Erweiterung
einer Wunde einschliesslich des ersten Verbandes 2—10 M.
2. Eröffnung eine tiefliegenden Abscesses 10—50 M.
3. Anwendung des scharfen Löffels 2—10 M.
4. Anwendung des Thermokauters oder der Galvanokaustik
3— 20 M.
5. Erster Verband einer kleinen Wunde mit oder ohne Naht
2— 10 M., jeder folgende 1—5 M.
G. Erster Verband einer grösseren Wunde mit oder ohne Naht
10—30 M., jeder folgend^ 5—15 M.
7. Ueberpflanzung von Hautstücken 3—30 M.
8. Anlegung eines grösseren festen oder Streckverbandes
jedesmal 5—20 M.
9. Entfernung eines solchen Verbandes 2—G M.
10. Sehnendurchschneidung 10—30 M.
11. Sehnennaht 10—50 M.
12. Isolirung oder Dehnung oder Durclischneidung oder Naht
eines Nerven 10—50 M.
13. Entfernung kleiner Geschwülste an äusseren Körpertlieileu
3- 15 M.
14. Entfernung grosser komplizirter Geschwülste 20—200 M.
15. Entfernung einer Mandel 3—15 M.
IG. Entfernung fremder Körper aus leicht zugänglichen
Körpertheilen 2—10 M.
17. Entfernung von fremden Körpern oder Knochensplittern
aus Schusswunden und anderen Wunden 5—15 M.
18. Entfernung von Flüssigkeiten durch Einstich: a) aus der
Brusthöhle 10—30 M., b) aus der Bauchhöhle 10—30 M., c) aus der
Blase 10—30 M., d) aus dem Wasserbruch 5—10 M.
19. Zurückbringung eines beweglichen Bruches oder Mast-
dormvorfalles 3—10 M.
20. Zurückbringung eines eingeklemmten Bruches 10—50 M.
21. Operation des eingeklemmten Bruches oder Radikal-
operation eines Bruches 30— 200 M.
22. Ausspülung der Blase als selbständige Operation 2—5 M.
23. Erweiterung der weiblichen Harnröhre 3—20 M.
24. Einrichtung und erster Verband gebrochener Knochen:
a) kleiner Röhrenknochen oder flacher Knochen 5—30 M., jeder
weitere Verband 3—15 M., b) grösserer Knochen 10—50 M., jeder
weitere Verband 5—25 M.
25 KnQchennaht bei Frakturen 20—100 M.
2(5. Einrichtung und Verband gebrochener Knochen mit Durch-
Iwhrung der Haut 15—100 M., jeder weitere Verband 10—50 M.
27. Einrichtung und erster Verband verrenkter Glieder: a) des
Unterkiefers 10—20 M., b) des Oberarmes 10—30 M., c) des Ober¬
schenkels 30—00 M., d) des Vorderarmes, Fuss- oder Handgelenkes
10—30 M., e) von Fingern oder Zehen 2—10 M., f) der Wirbelsäule
10—25 M. Bei veralteten Verrenkungen das Doppelte der vor¬
stehenden Sätze unter a bis f.
28. Amputation oder Exartikulation von Gliedern: a) des
Oberarmes, Vorderarmes, des Ober- und Unterschenkels 30 bis
200 M„ b) eines Fusses oder einer Hand 20—150 M., c) eines
Fingers, einer Zehe oder einzelner Glieder derselben 10—30 M.
29. Entfernung eines Finger- oder Zehennagels 3—10 M.
30. Trennung verwachsener Finger oder Zehen 5—30 M.
31. Resektion eines Knochens der Gliedmaassen in der Kon¬
tinuität 30—150 M.
32. Gelenkresektion oder Resektion des Ober- und Unter¬
kiefers 80—300 M.
33. Resektion einer Rippe 20—150 M.
34. Osteotomie 15—100 M., an der Hüfte 30—200 M.
35. Knochenaufmeisselung 20—100 M.
3G. Blutige Operation des Klumpfusses oder Plattfusses 30 bis
100 M.
37. Unblutige Korrektur von Difformitäten 10—30 M.
38. Anfertigung eines Gips- oder Filzkorsetts u. dgl. 10—30 M.
39. Anfertigung eines Gipsabgusses 5—30 M.
. 40. Gewaltsames Strecken oder Wiederzerbrechen eines fehler¬
haft geheilten Knochenbruches 10—50 M.
41. Eröffnung eines Gelenkes: a) durch Punktion 5—30 M.,
b) durch Incisiop 10—100 M. .
• 42. Exstirpation der Gelenkkapsel 30—300 M.
' 43. Eröffnung der Oberldeferhöhte 5—30 M.
44. Eröffnung der Stirnhöhle 20—100 M.
45. Eröffnung der Schädelhöhle 30—200 M.
46. Punktion des Wirbelkanales 10—50 M.
’ 47. Unterbindung eines grösseren Gefässes in der-Kontinuität
•öder Operation einer PulsadeTgeschwulst 20—100 M.
48. Grössere plastische Operationen an (Jen Augenlidern, der
Nase oder den Lippen, Gaumenbildung, Operation der kompllairten
.yaaefifwbarte, gehnenpiastik etc. 20—200 M. . . : ’
49. Neurelctomle oder Neurexeilese eines Gesichtsnerven 20 bis
200 M.
50. Operation der einfachen Hasenscharte 10—100 M.
51. Entfernung eines Theils der Zunge oder der ganzen Zunge
20--300 M.
52. Eröffnung des Kehlkopfes oder der Luftröhre 20—200 M.
53. Spaltung mit theilweiser oder gänzlicher Entfernung des
Kehlkopfs 30—500 M.
54. Eröffnung des Schlundes oder der Speiseröhre 30—200 M.
55. Entfernung des Kropfes 50—300 M.
56. Eröffnung von Kropfcysten: a) durch Stich 5—30 M.,
b) durch Schnitt 10—50 M.
57. Absetzung einer Brustdrüse 30—200 M., mit Ausräumung
der Achselhöhle 30—300 M.
58. Entfernung entarteter Lymphdrüsen 15—100 M.
59. Eröffnung des Empyems durch Schnitt mit oder ohne
Rippeuresektlon 20—150 M.
G0. Operation an Organen der Bauchhöhle 50—500 M..
Gl. Eröffnung der Bauchhöhle durch Schnitt 50—100 M.
62. Operation au der Niere oder Exstirpation derselben 50 bis
öoO M.
03. Eröffnung oberflächlicher Verschlüsse des Afters, der
Harnröhre oder Schamspalte 5—20 M.
04. Eröffnung tiefer Verschlüsse des Afters, der Schelde oder
Gebärmutter 15—100 M.
65. Anlegung des künstlichen Afters 30—200 M.
00. Operation der Mastdarmfistel, des Mastdarmvorfalles oder
von Haemorrlioidalknoten 10—100 M.
07. Exstirpation des Mastdarms 50—300 M.
68. Operation der Phimose oder Parapliimose 0—20 M.
09. Zurückbringung der Paraphlmose 2—10 M.
70. Harnröhrenschnitt 10—100 M.
71. Entfernung fremder Körper aus der Harnröhre 2—10 M.
72. Operation der Harnröhrenfistel 20—100 M.
73. Amputation des Penis 15—50 M.
74. Spiegelung der Blase als selbständige Operation 5—20 M.
75. Steinschnitt oder Steinzertrümmeruug 30—500 M.
76. Operation der Varicoeele 10—30 M.
77. Schnittoperation der Hydrocele 20—100 M.
7S. Entfernung eines Jlodens oder beider Hoden 30—100 M.
79. Resektion des Samenleiters 20—50 M.
80. Grössere Operation an der Vorsteherdrüse 30—200 M.
III. Geburtshilfliche und gynäkologische Ver¬
richtungen.
1. Untersuchung auf Schwangerschaft, erfolgte Geburt oder
Krankheit der Geschlechtsorgane 2—10 M., In Narkose 5—30 M.
2. Untersuchung einer Amme 3—10 M.
3. Beistand bei einer natürlichen Entbindung 10—40 M., bei
Zwillingsgeburt 15—50 M., bei mehr als 4 Stunden Dauer für jede
weitere halbe Stunde 2—5 M.
4. Künstliche Entbindung: a) durch Manualextraktion 15 bis
50 M., b) durch Wendung oder durch Zange 15—100 M., c) Per¬
foration mit oder ohne Kephalotripsie bezw. Kranioklasie mit
Aus/.iehung des angebohrten Schädels oder Zerstückelung der
Frucht mit Ausziehen derselben 30—120 M. *
f-. Gewaltsame Erweiterung des Muttermundes mit nach¬
folgender künstlicher Entbindung 15—100 M.
6. Künstliche Entbindung bei vorliegendem Mutterkuchen
20-200 M,
7. Beistand bei einer Fehlgeburt 6—50 M.
8. Einleitung der künstlichen Frühgeburt oder des Abortus
10—50 M.
9. Ausstopfung der Scheide 3—10 M.
10. Kaiserschnitt bei einer Lebenden 50—500 M., bei einer
Verstorbenen 20—40 M.
11. Reehtlngerung der nach rückwärts gebeugten schwangeren
Gebärmutter 10—50 M.
12. Entfernung der Nachgeburt 10—20 M.
13. Behandlung einer Blutung nach der Geburt ohne Ent¬
bindung Inei. Entfernung der Nachgeburtsreste 10—100 M.
14. Wiederbelebungsversuche bei scheintodtem Kinde 3 bis
20 M.
15. Naht eines frischen Dammrisses und Scheidenrisses 5 bis
20 M.
16. Operation veralteter Dammrisse 20—100 M.
17. Operation in den Darm durchgehender Dammrisse 30 bis
300 M.
18. Operation der Mastdarm-Scheidenflstel, Blasen-Scheiden-
fistel oder Hamleiter-Scheidenflstel 30—500 M.
19. Abtragung von Geschwülsten der äusseren Genitalien
(Elephantiasis, Lipom, Sarkom, Carcinom) 20—100 M.
20. Einlegen von Arzneistiften in die Gebärmutter 3—10 M.
21. Ausspülung der Gebärmutter 3—10 M.
22. Aetzung des Gebärmutterhalses oder der Gebärmutter¬
höhle 3—10 M.
23. Reposition der umgestülpten Gebärmutter 10—100 M.
24. Einlegung des Mutterkranzes eventuell mit Lageverbesse-
rung der Gebärmutter 2—20 M.
25. Eröffnung der Bauchhöhle: a) zur Annähung der Gebär¬
mutter an die Bauchwand 50—500 M., b) zur Verkürzung der
runden und Kreuz-Gebärmutterbänder 50—500 M., c) Veruiihung
von puerperaler Gebärmutterzerreissung 50—500 M.
26. Unblutige Erweiterung des Muttermundes oder Mutter¬
halses 3—20 M.
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1826
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 45.
27. Blutige Erweiterung des Muttenuundes 5-50 M.
28. Dilatation der ganzen Gebärmutterhöhle 10—50 M.
2t). Naht alter Mutterhalsrisse 20—50 M.
30. Ausschabung der Gebärmutterhöhle 10—100 M.
31. Auslöffelung eines Carcinoms der Scheide oder der Gebär¬
mutter 10—50 M.
32. Theilweise Entfernung der Gebärmutter 20—100 M.
33. Gänzliche Entfernung der Gebärmutter 50—500 M.
iH. Entfernung von Polypen der Gebärmutter 10—50 M.
35. Entfernung grösserer Geschwülste der Gebärmutter oder
des Eierstockes 50—500 M.
30. Nnrbenexcision und vordere oder hintere- Scheidennaht
bei Uterusvorfall und Enterocele, Verkürzung der runden Mutter-
biinder vom Leistenkanal aus zur Heilung der Rückwärtslagerung
und des Vorfalles der Gebärmutter 50—500 M.
IV. Au gen ärztliche Verrichtungen.
1. Untersuchung der Sehkraft oder auf Farbenblindheit oder
der Gesichtsfeldeinschrünkung 3—15 M.
2. Galvanokaustische Aetzung der Bindehaut 3—20 M.
3. Operation der verengten Lidspalte 5—30 M.
4. Operation der krankhaft erweiterten Lidspalte 5—30 M.
5. Operation des Entropium 10—100 M.
0. Operation des Ektropium 10—50 M.
7. Pto8is-Operation 10—100 M.
8. Blephuroplastik 20—150 M.
9. Sondirung der Tliränenwege, Katheterlsmus der Thräuen-
wege 2—20 M. Bei den ersten 3 Wiederholungen der volle Satz,
bei weiteren die Hälfte.
10. Operation am Thränensack oder der Thränensackflstel oder
der Thriinendrüsenflstel 10—50 M.
11. Entfernung der Tkräuendrüse 20—80 M.
12. Operation der Verwachsung des Augenlides mit dem Aug¬
apfel 20—100 M.
13. Operation des Pterygium 10—50 M.
14. Entfernung fremder Körper: a) aus der Bindehaut 2 bis
10 M., b) aus der Hornhaut 3—20 M., c) aus der Augenhöhle
5—50 M.
15. Entfernung fremder Körper und von Parasiten aus dem
Innern des Augapfels 20—150 M.
10. Tiitowirung der Hornhaut 20—50 M.
17. Schieioperation 15—150 M.
18. Eröffnung der vorderen Augeukammcr durch Schnitt 10
bis 50 M.
19. Iridektomie 20—150 M.
20. Disclssion des Stnares 30—150 M.
21. Extraktion des Staares 50—300 M.
22. Naclistaardiscission 30—150 M.
23. Operation des Glaukoms 50—300 M.
24. Enukleation oder Exeuteration des Bulbus 30—150 M.
25. Exenteration der OrbitA 50—200 M.
V. Ae rz tli che Verrichtungen bei Nasen-, Rachen-,
Kehlkopf- und Ohren -Kranken.
1. Tamponade der Nase 2—10 M.
2. Entfernung fremder Körper aus der Nase 2—15 M.
3. Operationen in der Nase mit dem Galvanokauter oder der
Schlinge oder dem scharfen Löffel etc. 3—30 M.
4. Entfernung von Geschwülsten und Wucherungen aus dem
Nasen-Rachenraum 10—50 M.
5. Kleinere Operationen Innerhalb dos Kehlkopfes einschl.
der Einbringung von Medikamenten 2—10 M.
0. Entfernung von Polypen und andere grössere Operationen
innerhalb des Kehlkopfes 20—300 M.
7. Entfernung fremder Körper aus dem Kehlkopf 5—50 M.
S. Kleinere Operationen lin äusseren Gehörgang 2—10 M.
9. Entfernung von Fremdkörpern aus dem Ohre 2—10 M.;
in veralteten Fällen mit Abtragung der Ohrmuschel 20—50 M.
10. Durchbohrung und Ausschneidung des Trommelfelles
3-15 M.
11. Schwierigere Operationen am Mittelohr vom Gehörgang
aus 15—30 M.
12. Anwendung des scharfen Löffels in der Paukenhöhle
3—10 M.
13. Anwendung des Ohrkatheters oder Politzer’schen Ver¬
fahrens 2—G M.; mit Ausspülung des Mittelohres durch deu
Katheter 3—G M.
14. Operationen am Warzenfortsatz: a) einfache Eröffnung
15—100 M., b) Radikaloperation an den Mittelohrräumen 30
bis 200 M.
VI. Zahnärztliche Verrichtungen.
1. Reinigung sämmtlicher Zähne 5—10 M.
2. Ausziehen eines Zahnes oder einer Zahnwurzel 1—5 M.;
bei mehreren die folgenden je 1—3 M.
3. Narkose behufs Zahnextraktion incl. kleinerer operativer
Eingriffe 3—10 M.
Die Extraktionen, sowie das Honorar eines eventuell zuge¬
zogenen Arztes werden eigens verrechnet.
4. Lokale Betäubung behufs Zahnextraktion 2—5 M.
5. Stumpffeilen der rauhen Ränder eines Zahnes, Verteilen
oberflächlicher Caries für jeden Zahn, sowie Separiren eng-
stehender Zähne durch Feilen oder Schleifen für jeden Zwischen¬
raum 1—3 M.
G. Abtragen einer Zahnkrone 1—5 M.
7. Aufbohren eines gangränösen Zahnes 2—10 M.
8. Plastische Füllungen (Cement, Amalgam, Guttapercha etc.),
kombinirte und doubllrte Füllungen 3—10 M.
9. Goldfüllung 10—30 M.
10. Zinn- und ZinngoldfUUungeu 5—15 M.
11. Wurzelfüllung eines Zahnes 2—10 M.
12. Einlagen und Verbände bei Behandlung wurzel- oder
pulpeukranker Zähne für die Sitzung 1—5 M.
13. Kauterisation und Ueberkappung der Pulpa 2—4 M.
14. Kleinere Operationen am Zahnfleisch, Eröffnung von Al»-
scessen, Einspritzen von Arzneimitteln 2—5 M.
15. Stillung einer übermässigen Blutung nach einer Zahu-
operation 2—4 M. Etwa nothwendige Schienen werden eigens
berechnet.
IG. Eröffnung der Highmors-Höhle von der Alveole aus
5—20 M.
17. Behandlung bei Regulirung der Zähne für die Sitzung
2— 5 M.
18. Entfernung eines abgebrochenen Stlftzahnes aus der
Wurzel 3—10 M.
19. Wiederbefestigung eines ausgefallenen Stlftzahnes 2—10 M.
20. Herrichtung einer Wurzel zur Aufnahme einer künst¬
lichen Krone 5—20 M.
21. Anfertigung einer Platte aus Kautschuk für künstlichen
Zahnersatz 5—10 M. -Jeder daran befestigte Zahn 5—10 M. Zähne
mit Metallschutzplatten für jeden Zahn 10—15 M.
22. Obergebiss oder Untergebiss in Kautschuk G0—150 M.
23. Obergebiss und Untergebiss In Kautschuk 100—250 M.
Mit Zahnfleisehzühnen 200—300 M. Für Goldfederverbindung
weitere 25—50 M.
24. Ersatz einzelner Theile der Federverbindung incl. Be¬
festigung: a) Goldspiralfeder das Stück 5—10 M.. b) Goklfeder-
triigor das Stück 3—5 M., c) Goldschraube das Stück 3—5 M.
25. ' Klammern oder Einlagen aus Edelmetall zur Befestigung
oder Verstärkung einer Kautschukplatte 5—10 M.
2G. Eine Kautschukreparatur 5—10 M.
27. Ansetzen oder Ersetzen eines neuen Kautsehnkznhnes
0—10 M.
28. Reinigen und Poliren eines getragenen Ersatzstücke*
3— 10 M.
29. Ein Emailzahn mit Platinunterlage 30—50 M., zwei der¬
gleichen 50—G0 M.
30. Ein Email-Ober- und Uutergebiss 300—500 M.
31. Anfertigung einer Platte aus Gold excl. Metallwerth 20 bis
30 M., jeder daran befestigte Zahn 10—15 M.
32. Goldgebissreparatur oder Ansetzen eines neuen Zahnes
15—30 M.
33. Obergebiss und Uutergebiss in Gold mit Zähnen ln Kaut¬
schuk 250—350 M. Für Zahnfleischzilhne mehr 50—100 M.
34. Obergebiss und Untergebiss In Gold mit Goldspiralfedern
500-000 M.
35. Einsetzen eines Stiftzahnes 10—20 M.
36. Einsetzen eines Stiftzahnes mit Wurzelring 30—50 M.
37. Brückenarbeiten für jeden Zahn 20—50 M.
38. Regulirungsapparat in Kautschuk oder in Aluminium¬
bronze 20—100 M., ln Gold 50—300 M.
39. Obturator in Kautschuk 30—200 M.
40. Ersatz von Kieferdefekten aus Kautschuk einschl. der
Zähne 30—200 M.
41. Apparat zur Feststellung von Kieferbrüchen 30—200 M.
42. Bei Anfertigung von Gebissen oder deren Theilen aus uu-
edlen Metallen verringert sich der Preis um die Differenz des
Metallwerthes.
Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankh eiten für Mönchen
in der 43 Jahreawoche vom 20. bis 26. Oktober 1901.
Betheiligte Aerzte 203. — Brechdurchfall 12 (10*), Diphtherie,
Croup 15 (12), Erysipelas 8 (13), Intermittens, Neuralgia interm.
2 (2), Kindbettfleber 2 (1), Meningitis cerebrospin. 1 (—),
Morbilli 23 (21), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 1 (9), Parotitis
epidem. 3 (3), Pneumonia crouposa 10 (16), Pyaemie, Septikaemie
— (1), Rheumatismus art. ac. 17 (14), Ruhr (dysenteria) — (—\
Scailatina 7 (11), Tussis convulsiva 21 (9), Typhus abdominalis
6 (4), Varicellen 16(10), Variola, Variolois — (—), Influenza 3 (3),
Summa 144 (136). Kgl. Bezirksamt Dr. Maller.
Uebersicht der Sterbefälle in Manchen
wahrend der 43. Jahreswoche vom 20. bis 26. Oktober 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 1 (l*), Scharlach — (IX Diphtherie
und Croup 1 (—), Rothlauf 1 (1), Kindbettfleber — (—X
Vergiftung (Pyaemie) 1 (4), Brechdurchfall 11 (8), Unterleibtyphus
l (—), Keuchhusten — (1), Croupöse Lungenentzündung 3 (—X
Tuberkulose a) der Langen 17 (12) b) der flhrigen Organe 11 (10),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere abertragbare Krank¬
heiten 3 (3), Unglücksfftlle 4 (3X Selbstmord 3 (1), Tod durch
fremde Hand — (—).
Die Gesamratzahl der Sterbefalle 192 (186X VerhOltnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,0 (19.3X für die
aber dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,2 (10,5).
•) Dl« eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthalcr's Buch- und Kunstdruckerei A.G„ München.
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Die Manch. Med. Wochenachr. erscheint wöchentl.
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen.
Preis ln Deutschi. u. Oest.-Üngam vlerteljahrl. 6 Jt,
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MÜNCHENER
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Ottostraase 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudoll Mosse, Promenadeplats 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Cd. Biialir, 0. Bolllngir, H. Curscbamn,
Freiburg I. R München Leipzig
No. 46. 12. November 1901.
Herausgegeben von
C. Girbirdt, 6. Merkil, J. t. Mlcbil,
Berlin. Nürnberg. Berlin.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasae 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Henstrasse 20.
H. v. Buke,
München.
F. f. Wliekil, H. i. ZIirssii,
Münehen. München.
48. Jahrgang.
Originalien.
Zur Theorie der Antikörper.
I. Ueber die Antitoxin-Immunität.*)
Von Max Gruber in Wien.
Als v. Behring vor bald 11 Jahren mit K i t a s a t o
seine Entdeckung der antitoxischen Wirkung des Serums der
gegen Diphtherie- und Tetanusgift immunisirten Thiere ver¬
öffentlichte, erkannte man sofort die ungeheuere Wichtigkeit
derselben für die ganze Lehre von der Immunität. Die Her¬
stellung antitoxischer Sera gegen zahlreiche andere Bakterien¬
gifte, gegen Schlangen-, Skorpionen-, Aal-Gift und gegen ge¬
wisse Pflanzengifte, wie Abrin, Riein, Crotin, die Entdeckung
specifisch baktericider Sera, die der specifischen Agglutination,
die Entdeckung der specifischen Präcipitation durch Herrn Kol¬
legen Kraus bestätigten die Richtigkeit dieses Urtheils. Aber
nur allmählich reifte die Erkenntniss, dass man es hier nicht
bloss mit Immunisirungsvorgängen, Reaktionen gegen Schäd¬
lichkeiten zu thun hatte, sondern dass es sich dabei um eine viel
umfassendere Gesetzmässigkeit, um die Reaktion des Organismus
gegen Einführung gewisser fremdartiger StofFe überhaupt handle.
Der Erste, der die volle Auffassung von dem Umfang des hier
vorliegenden biologischen Problems gewonnen hat, scheint mir
Herr Kollege Landsteiner zu sein, der aus der Thatsache,
dass es mir gelungen war, auch durch Einverleibung völlig harm¬
loser Saprophyten specifisch hakterieide und agglutinirende Sera
zu gewinnen, den richtigen Schluss zog, dass es sich hier nicht
um eine Schutzmaassregel gegen Infektionsgefahr, nicht um
Reaktionsprodukte des kranken Organismus handeln könne, uni'
daraufhin mit bisher dabei noch nicht verwendeten Stoffen Anti¬
sera zu erzeugen versuchte. .)•
Mit der Veröffentlichung der Herstellbarkeit sppeifisch blut¬
körperchenlösender (globulicider, haemolytischef) Sera ist ihm
Bordet zuvorgekommen, aber er erweiterte den Horizont so¬
fort. in ausserordentlichem Maasse dadurch, dass es ihm gelang,
durch Injektion von Spermatozoen ein specifisch spermatocides
Serum zu erzeugen.
Heute können wir sagen, dass die Zahl der specifisch wirken¬
den Antisera, die durch Einverleibung fremdartiger chemischer
Verbindungen oder fremdartiger Zellen erzeugt werden können,
Legion ist. Wenn wir wollen, können wir Hunderte und
Tausende von derartigen Seris herstellen. Wir kennen heute
schon ausser den Seris, welche die Bakteriengifte, gewisse Thier¬
gifte und Pflanzengifte unschädlich machen, ausser den zahl¬
losen, die Blutkörperchen agglutinirenden und lösenden, haemo-
lytischen Seris, ausser den ebenso zahllosen, die Bakterien agglu¬
tinirenden und lösenden, bakteriolytischen Seris, Sera, welche die
Wirkung der Enzyme hindern; so Antiemulsinserum, Antiserum
gegen die tryptischen Enzyme der Bakterien, Antilabserum, Anti-
fibrinfermentserum. Durch Einspritzung von Milch, von Eier-
eiweiss, von normalem Blutserum erhalten wir Sera, welche
Milch, Eiereiweiss, die Eiweisskörper dieser fremden Sera zur
Gerinnung bringen bezw. fällen. Einspritzung specifisch haemo-
lytischer Sera führt zur Bildung von Seris, welche Antagonisten
der ersten sind. Wie man durch Injektion von Spermatozoen
*) Vortrag, gehalten in der k. k. fJesellsolmft der Aerzte in
Wien am 2ö. Oktober 11)01.
No. 46
spermatocides Serum gewinnt, so durch die von Flimmerepithel
Serum, welches dieses Epithel tödtet und analog Serum, das
weisse Blutkörperchen, Nierenepithel, Leberepithel, Nervenzellen
tödtet. Von diesen haemolytischen oder zelltödtenden Seris gibt
es anscheinend ebenso viele als es Thierspecies gibt, die mit den
betreffenden Organen und Zellen versehen sind. Ja, noch un¬
endlich viel mehr, denn Ehrlich und Morgenrot h und
Anderen nach ihnen ist es gelungen, sogen, i s o lytische und
i s o agglutinirende Sera darzustellen, d. h. durch Injektion des
Blutes von einem Thiere in ein zweites Thier derselben Art
Sera zu gewinnen, die für die Blutkörperchen anderer Individuen
der gleichen Art schädlich sind; anscheinend ein höchst bedeu¬
tungsvoller Beweis für die Verschiedenheit des chemischen Auf¬
baues jedes einzelnen Individuums.
Diese Studien haben uns also physiologisch-chemische Pro-
cesse enthüllt, von denen wir bisher keine Ahnung hatten und
deren volle Bedeutung für den tliierischen Stoffwechsel wir auch
jetzt noch wohl kaum zu errathen begonnen haben.
Eine Fülle von Fragen drängt sich uns daher auf. E i n
Problem war es vor Allem, welches von Anfang an die Forscher
im höchsten Maasse beschäftigte: Wie kommt diese unerhörte
Veränderung des Stoffwechsels zu Stande, dass der Organismus
in Folge der Einverleibung der fremden Stoffe anscheinend ganz
neue Substanzen zu bilden beginnt?
Woher diese erstaunliche Zweckmässigkeit, diese „prästabi-
lirte Harmonie“, dass der Organismus gerade immer solche Stoffe
erzeugt, welche die eingedrungene Schädlichkeit, Gifte, Bakterien
u. "s. w. zu tilgen geeignet sind; diese specifische Anpassung von
Stoff und Gegenstoff, die man von vomeherein für ganz un¬
möglich halten würde?!
Wir stehen so sehr in den Anfängen der Kenntniss dieser
Vorgänge, dass es von vomeherein für höchst unwahrscheinlich
gehalten werden muss, dass wir schon zur Lösung dieser schwie¬
rigen Fragen befähigt sein sollten. Sie wissen aber, dass einer
der hervorragendsten Forscher auf dem Gebiete der Physiologie
und Bakteriologie des Blutes und auf dem der Immunität, Paul
Ehrlich, in seiner Seitenkettentheorie bereits den Schlüssel
zur Oeffnung dieses Räthselschreines gefunden zu haben glaubt.
Nach seiner Auffassung sind die verschiedenen Antikörper,
deren Vorhandensein wir die Wirkung der Antisera zuschreiben
müssen, chemische Verbindungen, welche auch schon im nor¬
malen Organismus, wenn auch in viel geringerer Menge als im
vorbehandelten, vorhanden sind. Während sie in jenem Orga¬
nismus, der die specifische Vorbehandlung erfahren hat, reichlich
gelöst im Blute circuliren, sind sie im normalen Organismus nicht
oder nur zum kleinsten Tlieile Bestandtheile des Blutes, sondern
sollen sie Bestandtheile „gewisser Zellarten“, chemische An¬
hängsel, „Seitenketten“, wie der Chemiker sagt, des grossen leben¬
digen Protoplasmamoleküls sein, die mit diesem in ähnlichen Be¬
ziehungen stehen, wie die Seitenketten (Sulfogruppe, Nitro-
gruppe, Fettsäureester u. s. w.) zum Benzolkern der aromatischen
Verbindungen. Auf ihrer chemischen Verwandtschaft mit dem
fremdartigen Stoffe, dem Bakterientoxin z. B., beruht ebenso die
Giftwirkung wie die Schutzwirkung.
Sitzt die Seitenkette am Protoplasma, so bringt sie durch
die chemische Bindung des Giftes dieses in Wirkungsnähe an
das Protoplasma heran, so dass dieses nun in seiner Lebeus-
thütigkeit gestört wird, erkrankt.
1
Digitized by
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1828
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Circuliren aber Seitenketten frei im Blute, so binden sie
sofort das neueindringende Toxin, bevor dieses noch an die
Seitenketten des Protoplasmas herankommen konnte. Da die
frei eirculirenden Seitenketten selbst keine physiologische Auf¬
gabe zu erfüllen haben, bringt ihre Verbindung mit dem Toxin
keinen Schaden und das geschützte Thier bleibt gesund.
Es war ein genialer Einfall, dass dieselbe Substanz durch
ihre chemische Affinität schädlich oder nützlich werden könne,
je nachdem sie sich in den Zellen oder in den Säften befindet und
es verdient bemerkt zu werden, dass Derartiges wirklich vor¬
kommt. Ransom, der Mitarbeiter v. Behring’s und Hans
M e y e ris, dem wir eine Reihe der exaktesten Arbeiten auf dem
Gebiete der Immunität verdanken, hat vor Kurzem bewiesen,
dass die haemolytische Wirkung des Saponins darauf beruht,
dass es sich mit dem Cholesterin der Erythrocyten verbindet und
dass ebenso der Schutz gegen das Saponin, den die Erythro¬
cyten durch Zusatz von Blutserum erfahren, darauf beruht, dass
auch die Blutsera Cholesterin enthalten, und dass dieses Serum¬
cholesterin das Saponin bindet, bevor es vom Erythrocyten-
cholesterin aufgenommen werden kann.
Wie kommen aber die Seitenketten in Folge der Vorbehand¬
lung in’s Blut? Nach der Annahme Ehrlich’» durch TJeber-
produktion. Die chemische Affinität der Seitenkette am Proto¬
plasma, durch welche gegebenen Falls das Toxin gebunden wird,
ist nach ihm ein nothwendiges Glied im normalen Stoffwechsel
des Protoplasmas, indem sie gewisse Nahrungsmoleküle bindet,
und dadurch in den Wirkungsbereich des Protoplasmas bringt.
Wird eine solche Seitenkette durch Toxin gebunden und ausser
Funktion gesetzt, so leidet darunter das Protoplasma. Es
trachtet, den Defekt zu ersetzen und producirt daher neue
Seitenketten derselben Art. Diese Reproduktion hält sich aber,
wie We i g e r t für die Gewebsneubildungen nach Defekten ge¬
zeigt hat, niemals in den Grenzen des einfachen Ersatzes, son¬
dern erfolgt im Uebermaass. Es werden mehr Seitenketten
gebildet als der Protoplasmakem festzuhnlten vermag, der TJeber-
schuss wird abgestoosen und gelangt in’s Blut.
Diese Hypothesen Ehrlich’s sind desshalb so bestechend,
weil sie uns auf einen Schlag Giftwirkung und Schutzwirkung
zu erklären und das Räthsel der Speeifität der Antikörper zu
enthüllen scheinen. Am Protoplasma sitzen normaler Weise
vielerlei Seitenketten, jedesmal wird bei der Tmmunisirung gerade
nur jene im TTobermanss producirt, zu welcher das betreffende
Toxin zufällig Affinität hat.
Auf diese Grundhypothesen hat nun Ehrlich im Laufe
der letzten Jahre Hypothese auf Hypothese gebaut und es ge¬
währt unzweifelhaft Genuss, dem geistvollen Manne atif dem
kühnen Fluge seiner Phantasie zu folgen.
Aber die Naturforschung will mehr sein als ein Spiel de«
Geistes, sie will ein richtiges Weltbild entwerfen und ist durch
die Erfahrung von Jahrhunderten allmählich ängstlich geworden
gegenüber allen weitgTeifenden Generalisirungen, gegenüber allen
Apercus und wären sie noch so geistreich. Am Ende hat sich
nämlich die Natur immer als noch geistreicher, als noch phan¬
tasievoller erwiesen als das geistvollste menschliche Hirn.
Der Naturforscher steht ja überhaupt der Hypothese, der
Theorie viel nüchterner gegenüber als der Laie. Er fragt nicht
um ihre Schönheit, um ihren Glanz, um ihre grössere oder
kleinere Kühnheit und Originalität: denn die Hypothese und
selbst die Theorie ist ihm zunächst nur Mittel, neue Wege in’s
unbekannte Tbatsaehenland zu finden. Jede Hypothese hat für
ihn nur heuristischen Werth. Auch wenn sie falsch ist, kann sie
nützlich sein, indem sie neue Thatsachen finden lehrt; schädlich
wird sie erst dann, wenn sie uns mit Worten betäubt, so dass wir
die Lücken unseres Wissens übersehen, auf das Schauen und
Suchen vergessen, wenn sie uns durch falsche Gruppirung der
Thatsachen die Wege zum weiteren Vordringen verrammelt.
Die Eh rl i e h’sche Theorie wirkt nun nach meinem Dafür¬
halten überwiegend schädlich. Mein heutiger Vortrag hat den
Zweck, Gemeinsam mit. Ihnen die Grundlagen zu prüfen, auf
welche Ehrlich seine Theorie zu bauen versucht hat. Ich
hoffe Ihnen zeigen zu können, dass sie einer ernsthaften Kritik
nicht. Stand zu halten vermag und mit. wichtigen Thaisachen in
unvereinbarem Widerspruche steht. Ich gehe aber mit einigem
Bangen an meine Aufgabe, denn der Weg, den wir zu gehen
haben, ist ein so verschlungener und dunkler, dass wir nur Schritt
No. 40.
für Schritt mit gespannter Aufmerksamkeit tastend auf i hm
vorwärts kommen können. Wir werden vorwiegend bereits be¬
kannte Thatsachen nach allen Seiten wenden und drehen müssen,
um einigermaassen erkennen zu können, was sie zu bedeuten
haben. Eine langweilige Arbeit! Wir Heutigen wollen vor Allan
Neues. Neue Thatsachen habe ich aber heute nicht vorzubringen.
Wenn ich das überblicke, womit ich es heute zu thun habe,
so finde ich, dass es im Wesentlichen Grübeleien sind; querelles
allemandes, wenn Sie wollen, denn auch hier zeigt es sich, dass
der speculative Teufel uns Deutschen noch immer im Nacken
sitzt. Ich warne Sie daher: Rette sich, wer an solchen Dingen
kein Vergnügen findet, bei Zeiten!
Die E h r 1 i c h’sche Lehre hat ihren Ausgang genommen
von den Beziehungen des Toxins zum Antitoxin und stützt sich
wesentlich auf die Feststellungen, die darüber beim Tetanus- und
Diphtheriegifte gemacht worden sind. Man war lange darüber
uneinig, wie denn die Wirkung des Antitoxins zu Stande komme,
v. Behring hatte ursprünglich die näclistliegende Annahme
gemacht, dass das Antitoxin das Toxin geradezu zerstöre. Diese
Annahme erwies sich aber bald als unzutreffend, denn C a 1 -
mette. Phy salix und Bertrand zeigten, dass das
den Bakterientoxinen nahe verwandte Schlangengift wieder un¬
verändert zum Vorscheine kommt, wenn man ein vollkommen
wirkungsloses Gemisch der Toxin- mit der Antitoxinlösung
längere Zeit auf 68° erhitzt. Diese Temperatur zerstört das
Ant itoxin,aber nichtdas Toxin. Ganz ähnlich verhalten sich dieGe-
mischc des Abrin, des Riein, des Toxins des Bact. pyoeyaneum mit
ihren Antitoxinen. Ohne Zweifel ist also das Toxin oder wenig¬
stens seine konstituirende Atomgruppirung im Gemische noch
vorhanden und kommt nur nicht zur Wirkung. Einige Forscher
nahmen nun an, dass das Antitoxin gar nicht direkt auf das
Toxin, sondern als eine Art Entzündungsreiz auf die lebendigen
Zellen wirke, wodurch diese gegen das Gift widerstandsfähiger
werden sollten. Allein auch diese Annahme ist unhaltbar. Es
widerspricht ihr der Umstand, dass neutrale Gemische von Toxin-
und Antitoxinlösung vom ersten Augenblicke nach der Injektion
an nicht die geringste Giftwirkung hervorbringen, während
nach allen unseren Erfahrungen eine gewisse Zeit vergeht, bis
auf den Entzündungsreiz die Reaktion des Organismus folgt.
Es widerspricht ihr, dass jene Menge Antitoxinlösung, welche
zusammen mit der Toxinlösung injizirt, diese völlig unwirksam
macht, um Vieles schwächer wirkt, wenn sie vor der Toxin¬
lösung eingespritzt wird, während man das Umgekehrte erwarten
müsste, wenn sie modifizirend auf den Organismus wirken würde.
Endlich wird diese Annahme durch die Thatsache widerlegt,
dass in vielen Fällen aktiv immunisirte Thiere, z. B. mit Di¬
phtherielösung behandelte Pferde, durchaus keine verminderte,
sondern eine erhöhte Empfindlichkeit gegen das Gift zeigen, ob¬
wohl ihr Blutserum stärkste antitoxische Wirkung besitzt. Wir
kommen auf diese letztere Thatsache, welche eine fundamentale
Bedeutung für die Theorie der Antitoxinimmunität besitzt, sehr
bald zurück.
Man könnte noch daran denken, dass das Antitoxin, ohne
das Toxin anzugreifen und ohne das Leben der empfindlichen
Zellen im Ganzen zu beeinflussen, irgendwie auf rein chemischem
Wege die Bindung und damit die Wirkung des Toxins hemme.
Solche Hemmungen der Giftwirkungen kommen ohne Zweifel
vor und müssen in der Theorie der Giftimmunität auf’s Emst-
lichste in Betracht, gezogen werden, aber in unserem Falle scheinen
sie nicht im Spiele zu sein. Heute dürften so ziemlich alle
Forscher darüber einig sein, dass das Antitoxin das Toxin da¬
durch unwirksam macht-, dass es sich mit ihm chemisch verbindet.
Dabei wird der giftige Atomkomplex des Toxins nur nicht zer¬
stört. so dass die Giftwirkung wieder zum Vorscheine kommt,
wenn das Antitoxin aus der Verbindung abgetrennt oder zer¬
stört. wird. Wir können diese fundamentale Auffassung, die von
E h r 1 i e h ausging und der er hauptsächlich zum Siege ver-
holfen hat, als vollkommen gesichert betrachten. Ihre Richtig¬
keit. z. B. wird dadurch bewiesen, dass sich Toxin- und Anti-
toxinlösungen nach dem Gesetze der Multipla neutralisiren, so
dass, wenn 1 ccm Antiserum 50 tödtliche Dosen Giftlösung un¬
wirksam macht. 2 ccm 100. 3 ccm 150 neutralisiren u. s. f.; dass
das Unwirksamwerden der Gemische von Toxinlösung und Anti¬
serum in vitro gerade so pine Funktion der Zeit, der Konzen¬
tration. der Temperatur ist, wie wir dies beim Ablaufe chemischer
Reaktionen zu beobachten gewöhnt sind, u. a. m. Völlig ent-
Digitized by kjOOQie
12. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCH RIFT.
1829
scheidend für die chemische Verbindung des Toxins mit dem
Antitoxin scheint mir die Beobachtung von Martin und
Cherry zu sprechen, dass das Toxin aus der bis zur völligen
Unwirksamkeit mit Antiserum versetzten Toxinlösung nicht
mehr herausdiffundirt, während das freie Toxin durch dasselbe
Diaphragma, ein dünnes Gelatinehäutchen, sehr rasch hindurch-
kommt.
Nachdem die Frage der Wirkung des Antitoxins in
seinem Sinne entschieden war, hat sich Ehrlich daran ge¬
macht, die Verhältnisse der Neutralisirung der Giftwirkung des
Toxins durch das Antitoxin -genauer zu studiren. Er hat eine
ungeheuere Summe von Zeit und Arbeit darauf verwendet, in
der Hoffnung, auf diesem Wege Aufschlüsse über die Kon¬
stitution der Giftlösung und des Giftes zu erhalten, die in an¬
derer Weise nicht zu erlangen sind, so lange wir nicht im Stande
sind, das Gift oder die Gifte in chemisch reinem Zustande zu
isoliren und durch chemische Reaktionen zu charakterisiren.
Es würde uns viel zu weit führen, wenn ich alle Ergebnisse
dieser Versuche, die zuerst mit Diphtheriegift und -Gegengift
angestellt worden sind, schildern und die Deutung, die Ehrlich
ihnen gibt, ausführlich darlegen wollte. Es sei also zunächst
nur folgende wichtige Thatsache angeführt. Die Giftwirkung
der Diphtherietoxinlösungen (filtrirte Bouillonkulturen) und
anderer Toxinlösungen nimmt bei der Aufbewahrung insofeme
ab, als immer grössere Mengen von ihnen erforderlich sind, uni
den Tod der Versuchstiere herbeizuführen oder, anders aus-
gedrückt, die Zahl der tödtlichen Giftdosen 1 ) in der Volumen¬
einheit wird immer kleiner. Trotzdem bringen selbst kleine
Mengen dieser weniger tödtlich gewordenen Flüssigkeit noch
Krankheitserscheinungen, Oedeme und nach langer Latenzzeit
auftretende Paresen hervor. Um das Auftreten dieser Erschei¬
nungen vollständig zu verhindern, muss man der Giftlösung
eine gewisse Menge Antiserum hinzufügen. Misst man nun,
wieviel das ist, so stellt sich heraus, dass diese Menge genau
ebenso gross ist, wie die, die man zur Aufhebung jeder Gift¬
wirkung der Giftlösung gebraucht hat, als sie noch ihre volle
tödtliche Wirksamkeit hatte. Die Neutralisations¬
relation zwischen Gift - und Gegengiftlösung
in Bezug auf völlige Entgiftung ist also un
verändert geblieben, obwohl die Tödtlich-
keit der Giftlösung inzwischen auf die Hälfte,
auf ein Drittel, ein Zehntel gesunken ist.
Daraus zieht Ehrlich den Schluss, dass jener Atomkomplex
im Toxin, der dessen Affinität zum Antitoxin bedingt, ein ganz
anderer sei, als derjenige, von welchem die Giftwirkung des
Toxins ausgeht. Er nennt den ersteren die haptophore, den
letzteren die toxophore Gruppe des Toxins. Er nimmt weiter
an, dass beim Stehen der Toxinlösung die Toxinmolecule nach
und nach ihre toxophoren Gruppen einbüssen, während die
haptophoren erhalten bleiben und nennt das Toxin, welches seine
toxophore Gruppe verloren hat, aber die haptophore noch be¬
sitzt, Toxoid.
Beim Stehen soll also die Zahl der Toxinmoleküle ab, die
der Toxoidmoleküle zunehmen; da aber Toxin- und Toxoid-
molekul gleichviel Antitoxin binden, bleibt die Neutralisations-
verhältniss zwischen Toxinlösung und Antiserum unverändert.
Woher kommt aber die unveränderte Fähigkeit der Gift¬
lösung, Oedeme und Paresen hervorzurufen, trotzdem die Zahl
der Toxinmoleküle abgenommen hat? Um dies zu erklären, mus3
Ehrlich die weitere Hypothese machen, dass in der Giftlösung
von Anfang an neben dem tödtlich wirkenden labilen Toxin
noch ein zweites, Oedem und Paresen erzeugendes Gift, das er
„Toxon“ nennt, vorhanden sei, ein Gift, dessen Molekül ebenso
viel Antitoxin bindet und dieselbe haptophore Gruppe besitzt,
wie das Toxininolekul, das aber geringere Affinität zum Anti¬
toxin besitzt wie Toxin und Toxoid und daher erst dann vom
Antitoxin gebunden wird, wenn die beiden ersteren damit ge¬
sättigt sind.
Man muss sagen, dass es von vorneherein viel Wahrschein¬
lichkeit für sich hat, dass es andere Atomgruppen sind, welche
das Antitoxin binden und andere, welche die Giftwirkung auf
das Protoplasma ausüben. Es ist ja eine ganz allgemeine
chemische Erfahrung bei komplizirt gebauten, grossen Molekülen,
dass bei jeder verschiedenen Reaktion andere Atomgruppen in
Wirksamkeit treten und die früher erwähnte Thatsache, dass
durch Erwärmen auf 68° das Toxin aus seiner Verbindung mit
dem Antitoxin unversehrt regencrirt werden kann, scheint sehr
im Sinne E h r 1 i c h’s zu sprechen; in viel höherem Maasse
deuten noch andere Thatsachen darauf hin, auf welche ich später
zu sprechen kommen werde.
Ich möchte auch nicht leugnen, dass es möglich ist, dass
Ehrlich mit der Annahme Recht hat, dass das Diphtherie¬
bakterium zweierlei Gifte, Toxine und Toxone, bilde und dass
die Toxine in Toxoide übergehen. Ich bestreite aber, dass Ehr¬
lich dies zu beweisen vermag. Und noch viel weniger bewiesen
ist der übrige Weichselzopf von Hypothesen, welche Ehrlich
auf seine Experimente über fraktionirte Neutralisation der Toxin¬
lösungen durch Antiserum gegründet hat; seine Proto- und Syn-
und Epitoxoide, seine Proto-, Deutcro-, Tritotoxine, sein Gift¬
spektrum u. s. w.
Angesichts der riesigen Arbeit, die Ehrlich und seine
Mitarbeiter und Nachfolger diesen Versuchen gewidmet haben,
thut es mir leid, trocken sagen zu müssen, dass sich Ehrlich
hier auf einem Irrwege befindet. Physiologische Versuche über
Giftwirkungen von höchst komplizirt zusammengesetzten Flüssig¬
keiten, wieBakterionkulturlösungen und Sera, sind allzu vieldeutig,
als dass sie als Ersatz für chemische und physikalische Reaktionen
dienen und für sich allein sichere Analysen derartiger Flüssig¬
keiten ermöglichen könnten. Ich stehe mit diesem harten Ur-
theile nicht allein, v. Behring spricht in seinem neuen Buche
über die Diphtherie auf S. 91 dasselbe aus und erklärt, dass er
selbst derartige Versuche nach jahrelangen Bemühungen als völlig
aussichtslos aufgegeben habe.
Ich will es aber nicht bei dieser allgemeinen Behauptung
bewenden lassen, sondern an einigen Beispielen zeigen, dass es
in der That unmöglich ist, diesen E h r 1 i c h’schen Versuchen
den Charakter von in seinem Sinne beweisenden chemischen
Reaktionen beizulegen.
Ehrlich glaubt, durch abgestuften Zusatz von Antiserum,
Toxine und Toxoide völlig wegneutralisiren zu können, so dass
nur mehr die Toxone ungebunden bleiben und zur Wirkung
kommen, die, wie Sie sich erinnern, nicht tödten, sondern nur
Paresen hervorrufen. In der That haben er selbst und Andere
gefunden, dass es für jede Giftlösung einen gewissen Zusatz von
Antiserum gibt, nach dem bei einer bestimmten Thierart nur
mehr Parese, also „typische Toxonwirkung“ sich einstellt. Wie
wenig aber dadurch bewiesen ist, dass hier nur freies Toxon und
kein freies wirksames Toxin mehr vorhanden ist, lehren neueste
Mittheilungen von I) reye r und M a d s c n, zweier überzeugter
Anhänger Ehrlich’s. So geben sie an, durch Zusatz einer
gewissen Antitoxinmenge zu einem ihrer Diphtheriegifte (E) ein
Gemisch erhalten zu haben, welches beim Kaninchen typische
Toxonwirkung hervorbrachte und nach dem E h r 1 i c h’schen
Maasssystem gcaicht 40 freie Toxonaequivalente enthielt. Das¬
selbe Gemisch rief aber bei dem für Toxon empfindlichen Meer¬
schweine nicht die geringste Wirkung hervor, enthielt also am
Meerschwein geprüft, kein freies Toxon.
Ein anderes Gemisch wirkte beim Meerschwein rein als
„Toxon“ und enthielt an diesem Thiere ausprobirt 33 freie
Toxon- und 0 freie Toxinaequivalente, beim Kaninchen aber
machte es typische „Toxin“wirkung und an dieser Species titrirt
enthielt es neben 40 freien Toxon- noch 33 freie Toxinaequi¬
valente! Nun, das kann nicht Beides zu gleicher Zeit wahr
sein; entweder — oder; entweder ist das Toxin gebunden, dann
kann es nicht wirken, weder bei Kaninchen noch beim Meer¬
schwein oder es ist frei, dann muss es Meerschwein wie Kanin¬
chen tödten, wenn die Giftwirkung allein von dem Vorhanden¬
sein ungebundener Giftmoleküle abhängt.
Man braucht aber gar nicht nach so subtilen Versuchen zu
greifen. Das Urtheil über E h r 1 i c h’s Bestrebungen in dieser
Richtung ist gesprochen, wenn wir durch v. Behring er¬
fahren, dass zwei Diphtheriegiftlösungen, die in der Volumeinheit
genau gleichviel -f- Ms enthalten, d. h. deren Volumeinheit genau
gleichviel Gramme Maus binnen 4 Tagen tödtet, durchaus ver¬
schiedene Gehalte an + K, -f- T, + Z, -f Pf*) besitzen können.
Dies zeigt uns unwiderleglich, dass die Wirkung der Diph¬
theriegiftlösung durchaus nicht allein abhängig ist von der Zahl
der freien Toxinmoleküle in ihr, sondern dass sie auch abhängt von
anderen unbekannten Stoffen in ihr, die die Giftwirkung hemmen
oder fördern, beim einen Thiere so, beim anderen anders wirken.
*) Dosis letalis Ist die kleinste Menge Giftlösung, die ein
Meerschwein von 250 g binnen 4 Tagen sicher zu t¥dten vermag.
*)
Fferd.
Tödtliche Dosis für 1 Gramm Kaninchen. Taube. Ziege,
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1830
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Wer widerlegt uns, wenn wir behaupten, die Abnahme der
Letalität der Giftlösungen beruhe nicht auf einer Veränderung
der Toxinmoleküle, ihrer Umwandlung in Toxoide, sondern auf
ganz anderen chemischen Vorgängen in der Flüssigkeit durch
welche Verbindungen entstehen oder vermehrt werden, welche die
Giftwirkung der intakten Toxinmoleküle schwächen und modi-
fiziren.
Es ist ein verhängnissvoller Irrthum, dem wir noch wieder¬
holt begegnen werden, anzunehmen, dass das ungebundene Gift
unter allen Umständen seine Wirkung entfalten müsse, dass
daher dort, wo keine Wirkung wahrzunehnieu ist, auch kein freies
Gift mehr vorhanden sei u.s.w. Der Laboratoriumsjargon, der Be¬
quemlichkeit halber statt Giftlösung „Toxin“, statt antitoxischem
Serum „Antitoxin“, statt agglutinirendem „Agglutinin“, statt
haemolytischem „Haemolysin“ zu sagen u. s. w. richtet ausser¬
ordentliches Unheil in den Köpfen an, indem er uns allmählich
um das Bewusstsein bringt, dass wir alle diese Stoffe gar nicht
kennen, dass wir sie gar nicht isolirt besitzen, dass wir nicht
mit ihnen, sondern mit Gemischen arbeiten, von denen sie viel¬
leicht nicht den millionsten Theil ausmachen und deren wech¬
selnde Beschaffenheit möglicherweise in völlig ausschlaggebender
Weise die Wirkung der von uns untersuchten Stoffe beeinflussen
kann. Wir kennen bereits einzelne Stoffe, die so modifizirend
wirken. Nach Studensky heben 0,5 g. Carmin in 10 ccm
physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt die Wirkung von
100 tödtlichen Dosen Tetanustoxin (und Diphtherietoxin) auf,
obwohl der Carmin das Toxin nur absorbirt und dasselbe an
Wasser wieder allmählich abgibt. Nach v. Behring setzt
Speichel den toxischen Effekt einer Tetanusgiftlösung herab,
ohne dass dadurch der Antitoxinbedarf zur Herbeiführung voll¬
ständiger Neutralisation der Giftwirkung verringert wird. Auf
ein anderes noch viel bösartigeres Beispiel komme ich zurück.
Wenn ich die Mittheilungen über die Abnahme der Letalität
der Toxinlösungen richtig verstehe — ich selbst habe darüber
keine Erfahrungen — dann geht auch aus ihnen mit Nothwendig-
keit hervor, dass diese Abnahme nicht einfach auf allmählicher
Umwandlung von Toxin in Toxid beruhen kann. Nach den vor¬
liegenden Mittheilungen scheint es, als ob sich die Letalität, ge¬
messen an der Zahl der tödtenden Dosen in der Volumeinheit,
nicht stetig, sondern sprungweise und zwar in einfachen Pro¬
portionen, ändern würde. Eine Giftlösung, die heute die Giftig¬
keit 1 hat, zeigt nach einiger Zeit die Giftigkeit %, V 2 , 14.
Nirgends findet man wenigstens Angaben, welche auf eine all¬
mähliche, stetige Abnahme der Giftigkeit hinweisen würden.
Nun, wenn dies so ist, dann fehlt ein Mittelglied, das nur in
chemischen Processen gesucht werden kann, an denen das Toxiu
keinen Antheil hat, die stetig fortschreiten und dabei zu plötz¬
lichen Veränderungen des Giftes oder der Giftwirkung führen,
denn es ist unmöglich, dass stetige Einflüsse, wie sie sich
bei dem allgemein üblichen Aufbewahren der Giftlösungen an
dunkeln, gleichmässig temperirten Orten unter auch sonst so
viel als möglich konstanten Bedingungen geltend machen, für
sich allein zu sprungweise verlaufender Umwandlung des Giftes
Anlass geben könnten.“)
Fassen wir unsere Betrachtungen über diesen Abschnitt der
E h r 1 i c h’sehen Untersuchungen und Theorien zusammen, so
kommen wir also zu dem Ergebnisse, dass seine Methode un¬
geeignet ist, entscheidende Aufschlüsse zu geben, dass es nicht
unmöglich ist, dass er im Grossen und Ganzen richtig errathen
hat, dass es aber ebenso gut möglich ist, dass die richtige Deutung
ganz anders lautet. Das ist sehr wahrscheinlich, dass die Toxi-
cität des Toxins und die Affinität des Toxins zum Antitoxin
auf dem Vorhandensein ganz verschiedener, von einander ziem¬
lich abhängiger Alomkomplexe im Toxinmoleküle beruhen.
Es ist ein harmloses Vergnügen, wenn man nun die eine Gruppe
die haptophore, die andere die toxophore nennen will.
(Schluss folgt)
*) In einer Phosphorsäure enthaltenden Lösung wird, falls
sich darin stetig fortschreitend Alkali bildet, Molekül für Molekül
freie Säure in saures Salz umgewandelt, dann Molekül für Mole¬
kül saures Salz in Dipliosphat, endlich ein Molekül Diphospliat
nach dem anderen in Triphosphat. Trotz dieser stetig verlaufen¬
den Umwandlung tritt plötzlich Umschlag der Reaktion gegen
riienolphthalein ein, sobald das letzte Molekül Monophosphat
verschwunden, das erste Molekül Triphosphat gebildet ist und
dieser Umschlag der Reaktion kann nun den Ablauf verschiedener
anderer, in der Flüssigkeit ablaufender Processe wesentlich be¬
einflussen. Dies nur als Beispiel.
Aus der mcdicinischcn Klinik zu Jena.
Ueber Neuritis und Polyneuritis/)
Von Prof. Dr. R. Stintzingin Jena.
Wenn man die Geschichte der Neuritis und Polyneuritis auf
ein Menschenalter zurück verfolgt, so begegnet man einer inter¬
essanten Wandlung der Grundanschauungen. So war in den
70 er Jahren die Lehre von der Poliomyelitis oder der atro¬
phischen Spinallähmung die herrschende. Man war geneigt, alle
ausgedehnteren, insbesondere symmetrischen Lähmungen mit
Atrophie auf eine Kernerkrankung des Rückenmarks zurück¬
zuführen. Mau ging darin schliesslich soweit, dass man da, wo
sich anatomisch keine oder nur geringe Ganglienzellenatrophie
in den Vorderhörnern fand, den Thatsachen Zwang anthat und
das Fehlen der Kernatrophie durch ungenügende U ntersuchungs-
methoden zu erklären versuchte. Da trat mit dem Jahre
1879/80 unter dem Einflüsse v. Leyden’s ein überaus
befruchtender Umschwung in der Auffassung von den atro¬
phischen Lähmungen ein. Insbesondere hat v. Leyden das
Verdienst, die Schwächen der Poliomyelitislehre auf gedeckt und
nachgewiesen zu haben, dass ein grosser Theil atrophischer Läh¬
mungen nicht centralen, sondern peripherischen Ursprunges sei.
Unter Bezugnahme auf einige nicht genügend gewürdigte Fälle
aus der Literatur (Eichhorst, Dejerine, Eisenlohr)
beschrieb Leyden 2 eigene Beobachtungen von ausgebreiteter
atrophischer Lälunung, bei denen sich in bilateral-symmetrischer
Ausdehnung entzündlich-degenerative Veränderungen peripheri¬
scher Nerven bei völliger Intaktheit, bezw. im wesentlichen Be¬
funden des Rückenmarks nachweisen liessen. Im Anschluss an
diese Befunde entwarf v. Leyden ein noch heute mustergiltiges
Bild der von ihm so genannten „multiplen degenerativen
Neuritis“. Während man bis dahin bei atrophischen Lähmungen
vorwiegend oder ausschliesslich das Rückenmark anatomisch
untersucht hatte, in der vorgefassten Meinung, dass nothwendig
eine spinale Ursache zu Grunde liegen müsse, berücksichtigte
man in der Folge wieder mehr den Befund an den peripherischen
Nerven. Und so brachten die nächsten Jahre von vielen Seiten
Bestätigungen der Leyden’schen Voraussetzung. Es zeigte
sich, dass die Mehrzahl der bisher als atrophische Spinallähmung
oder Poliomyelitis aufgefassten Fälle zur multiplen Neuritis zu
rechnen sei. Die Lehre von der Poliomyelitis wurde dadurch zwar
nicht umgeworfen, aber doch auf ein wesentlich kleineres Gebiet
beschränkt.
In den beiden von v. Leyden beschriebenen Beobach¬
tungen handelte es sich in der That um einen akuten oder sub¬
akuten entzündlichen Process, für den die Bezeichnung multiple
„Neuritis“ durchaus zutreffend ist. Mit der Zeit wurde diese
oder die Bezeichnung Polyueuritis (Pierson) verallgemeinert.
In unseren heutigen Lehrbüchern (Gowers, v. Strüm¬
pell, F. Schultz e, O p p e n h e i m), sowie in der aus¬
gezeichneten grundlegenden Monographie von E. R e m a k über
Neuritis und Polyneuritis, wird sie ausgedehnt auf mehr oder
weniger alle multiplen Erkrankungen der peripherischen Nerven.
Man spricht schlechtweg von Polyneuritis saturaina, alcoholica,
diphtherica, typhosa, puerperalis, ohne Rücksicht darauf, dass
bei vielen dieser Erkrankungen, vielleicht in ihrer Mehrzahl, gar
keine Entzündung, sondern eine nicht entzündliche Degeneration
zu Grunde liegt. Freilich ist man sich dieses wesentlichen Unter¬
schiedes von echter Neuritis und degenerativer Atrophie der
Nerven wohl bewusst gewesen. Das zeigen die von manchen
Autoren gebrauchten Bezeichnungen: einerseits Neuritis inter-
stitialis, andererseits parenchymatöse Neuritis (Joffroy), de-
generative Neuritis (v. Leyde n). Andere, wie v. Strümpell,
Fr. Schultze erklären, eine scharfe Tr ennung sei überhaupt
weder möglich, noch nothwendig.
Dem glaube ich widersprechen zu sollen. Ich halte bei dem
heutigen Stande unseres Wissens die Abgrenzung der echten
Neuritis von der Nervendegeneration in der Mehrzahl der Fälle
für durchführbar, ich halte sie auch für nützlich und nothwendig
im Interesse einer wohl gegliederten Systematik wie des Unter¬
richtes. Gerade im klinischen Unterrichte habe ich das Bedürf-
niss einer möglichst scharfen Trennung lebhaft empfunden. Der
zunächst mit dem Gedäclitnise arbeitende Anfänger klammert
sich mit seinen Vorstellungen an unsere Terminologie; diese muss
*) Vortrag, gehalten auf der 73. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte ln Hamburg.
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12. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
sich daher mit den Begriffen, mit den wesentlichen Krankheits¬
erscheinungen nach dem Grundsatz „a potiori fit denominatio“
so viel wie möglich decken. Muss es aber nicht verwirrend auf
den Lernenden wirken, wenn wir mit „Neuritis“, also „Nerven¬
entzündung“, Zustände bezeichnen, in denen von einer Entzün¬
dung gar nicht die Rede ist? Ebenso wie wir in der Nomenklatur
der Gehirn- und Rückenmarkskrankheilen die Entzündungen und
Degenerationszustände, die diffusen und systematischen Erkran¬
kungen auseinander halten, so sollen wir auch bestrebt sein, das¬
selbe bei den peripherischen Nervenerkrankungen zu thun.
Es ist daher meine Absicht, zu untersuchen, ob und inwie¬
weit es möglich ist, die Bezeichnung Neuritis bezw. Polyneuritis
auf das ihr zukommende Gebiet zu beschränken und die nicht
entzündlichen Processe abzugliedern. Im Anschlüsse hieran wird
die auch schon von anderer Seite (Goldscheider) auf¬
geworfene Frage von Neuem erörtert werden müssen, ob die in’s
Schwanken gerathene Neuronlelire unsere Systematik beein¬
flussen kann und darf.
Von einer Neuritis im anatomischen Sinne kann
man nur dann sprechen, wenn sich im Bindegewebe des Nerven
echte entzündliche Vorgänge entwickelt haben, wie Erweiterung
der Gefässe, entzündliche Infiltration, bezw. Exsudation. Die
entzündungserregende Ursache kann Erkältung, Trauma, ein
chemisches Gift oder ein Mikroorganismus sein. Diese Ursachen
sind wirksam von den Gefässen aus, schädigen zunächst diese
selbst und das Bindegewebe, sekundär erst die Nervenfaser. Die
echte Neuritis ist somit eine akute Neuritis intersti-
t i a 1 i s. Makroskopisch sieht in solchen Fällen der Nerv ge¬
schwollen und geröthet aus, lässt auch bisweilen kleinere Blu¬
tungen, selten (bei grosser Virulenz) kleine Eiterherde erkennen.
Mikroskopisch sieht man die erwähnten Entzündungserschei¬
nungen. Die Entzündung kann auch von der Nachbarschaft auf
den Nerven übergreifen; dann wird zunächst das Peri- und Epi-
neurium infiltrirt. Wirkt das Virus von den dem Nerven zu¬
gehörigen Blutbahnen aus, so vertheilt sich die Entzündung'
gleichmässdg auf das Endo-, Peri- und Epineurium. Anfangs
schwerer erkennbar, entwickeln sich bald auch Zerfallserschei¬
nungen in den Nervenfasern selbst.
In der Natur des entzündlichen Vorganges liegt es begründet,
dass derselbe sich ohne Wahl mehr weniger über den ganzen Quer¬
schnitt des Nervenstranges, also diffus, und in wechselnder
Längsausdehnung verbreitet. Die Entzündung wird daher nie¬
mals elektivc oder systematische Erkrankungen der
Nerven, also Degeneration einzelner, funktionell verschiedener
Fasersysteme verursachen.
Die interstitielle Neuritis kann auch einen chronischen Ver¬
lauf nehmen. Dann treten die geschilderten Erscheinungen mehr
und mehr zurück, und es kommt in der bekannten Weise zu einer
Neubildung des Bindegewebes mit Verdickung und Verhärtung
des Nerven an den erkrankten Stellen. Zwischen die Nerven¬
bündel, ja in diese hinein zwischen die Nervenfasern erstrocken
• sich dickere oder dünnere Bindegewebsstränge und führen zur
Atrophie der Nervensubstanz (sekundäre dcgenerativc Atrophie).
Wirken Noxen, die auf dem Wege der Blut- oder Lymph-
bahnen den Nerven zugeführt werden, unter Verschonung der Ge¬
fässe und des Bindegewebes unmittelbar schädigend auf das
Nervenparenchym ein, so entstehen primär die bekannten Er¬
scheinungen der degenerativen Atrophie, parenchy¬
matösen Neuritis (J off roy), degenerativen Neuritis (v. Ley¬
den): Zerfall der Markscheide, Quellung und Zerfall des Achsen-
cylinders, Vermehrung und Vergrösserung der Kerne der
Schwan n’schen Scheide, Auftreten von Fettkömchen zellen.
Tritt nicht bald Regeneration ein, so entwickelt sich an Stelle des
untergegnngenen Parenchyms Bindegewebe. In diesem Falle
kann der Nerv verdickt erscheinen und fühlt sich derber an,
oder er erscheint von Anfang an verdünnt. Mikroskopisch sind
die noch erhaltenen Nervenfasern durch mehr weniger massen¬
haftes interstitielles Bindegewebe von einander getrennt.
Es muss zugegeben werden, dass das zuletzt geschilderte Bild
sich histologisch von den Folgezuständen der chronischen inter¬
stitiellen Neuritis nicht \mterscheiden lässt. Das Endergebnis«
der chronischen Entzündung wie der primären Degeneration ist
das gleiche: Schwund der Nervenfasern und Schwielenbildung
an ihrer Stelle. Lässt hier also die anatomische Untersuchung
No. 46.
1831
im Stiche, so müssen die Anamnese und die klinische Beobach¬
tung helfend einspringen.
Beantworten wir nun die aufgeworfene Frage weiter vom
Standpunkte der Aetiologie und der Pathogenese.
Ueber die umschriebene Neuritis (Mononeuritis) be¬
darf es keiner längeren Auseinandersetzung. Hier sind wir ge¬
wöhnt streng zu sondern. Kennen wir den anatomischen Process
nicht sicher, so gebrauchen wir funktionelle Bezeichnungen, wir
sprechen von Facialislähmung, von Ischias oder anderen periphe¬
rischen Lähmungen oder Neuralgrien. Oertliche Neuritis nehmen
wir nur dann an, wenn notorische örtliche Ursachen, wie Ver¬
wundungen, den Nerven unmittelbar getroffen, oder Entzün¬
dungen von der Umgebung auf ihn übergegriffen haben. Dass
auch Erkältung gelegentlich eine echte umschriebene Nerven¬
entzündung verursachen kann, ist wahrscheinlich. Für alle diese
Fälle ist der Ausdruck Neuritis passend gewählt und daher bei¬
zubehalten.
Anders steht es mit mancher sog. multiplen Neuritis.
Die Ursachen ihrer verschiedenen Formen sind uns ebenso wie
ihr anatomisches und klinisches Verhalten grösstentheils ziemlich
gut bekannt. Wir kennen, wie bereits erwähnt, einerseits Schäd¬
lichkeiten, die unmittelbar oder von den Gefässen aus auf eine
grössere Anzahl von Nerven entzündungserregend wirken,
andererseits solche, welche das Parenchym als solches schädigen.
Zu den ersteren gehört vor Allem die Lepra, die häufig das
klinische Bild der Polyneuritis verursacht. Hier findet man
über den Nervenquerschnitt zerstreut die specifischen Bacillen
und im Epi-, Peri- und Endoneurium, um die Gefässe herum,
Herde von kleinzelliger Infiltration.
Eine zweite Infektionskrankheit, die vorwiegend das peri¬
pherische Nervensystem ergreift, ist die Beri-Beri oder
K a k k e. Mit Recht hat man sie zur multiplen Neuritis ge¬
rechnet. In tödtlich verlaufenen Fällen fand man eine erheb¬
liche Vermehrung des Nervenbindegewebes, besonders des Endo-
ncurium und Verdickung der Gefässwandungen als Ausdruck
einer chronischen Entzündung. (Scheube, Pekelharing
und Winkler.)
Dunkler in actiologischer Beziehung ist die idiopathische
Polyneuritis, der man vielfach das Beiwort „rheumatica“ gegeben
hat. Sie stellt gewöhnlich, wie z. B. die beiden Fülle v. Leyden’s,
eine echte multiple Nervenentzündung dar. Anzunehmen ist,
dass es sich hier um eine noch unbekannte Infektion handelt.
Es gibt somit mindestens 3 Formen der multiplen Neuritis,
bei denen in Folge direkter oder indirekter (Toxin-) Bakterien¬
wirkung zunächst ein interstitiell-entzündlicher Process sich ent¬
wickelt. Für diese ist die Bezeichnung Neuritis die gegebene. Es
versteht sich, dass in allen solchen Fällen auch die Nervenfasern,
sei cs durch den Druck des entzündlichen Exsudates, sei es in
Folge mangelhafter Blutzufuhr oder örtlicher Bildung toxischer
Produkte, in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber die in ihnen
eintretende Degeneration ist sekundär.
Eine weit grössere Gruppe bilden die primären mul¬
tiplen Nerven degenerationen. Sie werden verursacht
durch Gifte, die entweder in den Körper von aussen aufge¬
nommen oder in demselben gebildet werden und die eine besondere
Affinität zu dem peripherischen Nervensystem besitzen. Die von
aussen in den Körper gelangenden Gifte sind uns bekannt, die
in ihm entstehenden sind hypothetisch.
Zu den ersteren gehört vor Allem der Alkohol. Die Al¬
koholneuritis (Alkohollähmung, Pseudotabes der Alko¬
holiker) ist weitaus die häufigste Form der sogen. Polyneuritis.
Der anatomische Befund entspricht der degenerativen Atrophie
ohne primäre Betheiligung des Bindegewebes. Dass der Alkohol
gleichzeitig auch auf andere Gewebe schädigend einwirkt, ins¬
besondere auf die Gefässe, ist bekannt und beweist der von
einigen Autoren (Lorenz, Minkowski) bei Polyneuitis
erhobene Befund einer Verdickung sämmtlieher oder einzelner
Schichten der Gefässwandungen und kleinzelliger Infiltration
um die Gefässe herum. Diese Gefüsserkrankung ist aber gewiss
nur als koordinirte Erscheinung, nicht als Ursache der Nerven¬
degeneration anzusehen, da sie nicht konstant ist.
Bei der Bleilähmung, die von Manchen unter die
Polyneuritis subsumirt wird, steht ebenfalls die Entartung des
Achsencylinders und der Markscheide mit Kernvermehrung im
Vordergrund, und erst sekundär schliesst sich daran an die Ver-
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1832
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
dickung des Bindegewebes. Die Blcilähmung nimmt unter den
Degenerationen der peripherischen Nerven insoferne eine Sonder¬
stellung ein, als sie das typische Beispiel einer System¬
erkrankung derselben darstellt. Wie die klinischen Er¬
scheinungen zeigen, werden fast ausschliesslich die motorischen
Bahnen ergriffen. Eine derartig elektive Erkrankung wäre bei
einer Entzündung, wie bereits erörtert wurde, undenkbar. Sie
erklärt sieh nur durch elektive Giftwirkung.
Aehnliches wie von der Bleilähmung gilt in anatomischer Be¬
ziehung von der Arseniklähmung, nur mit dem Unter¬
schiede, dass bei dieser auch die Sensibilität wesentlich be¬
theiligt ist, sowie wahrscheinlich von der sogen. Poly-
neuritis mercurialis, die sich in Tremor, An- und
Paraesthesien, ausnahmsweise auch in Lähmungen äussert. Bei
letzterer fehlen bisher autoptische Befunde, aber die experimen¬
telle Vergiftung lässt Veränderungen des Nervenmarks und der
Achsencylinder erkennen (Letulle, Spillmann und
Etieun c).
Ich komme nun zu den multiplen Nervenerkrankungen, die
sieh nach unserer heutigen Anschauung durch Entstehung von
eudogeuen Giften im Körper entwickeln und zwar unter dem
Einfluss vor auf gehender Infektionskrankheiten.
Die häufigste Form ist die postdiphtherische.
Hier scheint nach den anatomischen Befunden das hypo¬
thetische Gift (Toxine des Diphtheriebacillus) ebensowohl auf
das interstitielle Gewebe wie auf die Nervenfasern, gleichzeitig
auch auf die Muskeln (Hochhaus) einzuwirken. Wir hätten
hier also das Beispiel einer gleichzeitig entzündlichen und de-
genera t ivon Nervena ffektion.
Für die posttyphösen Lähmungen fehlen noch be¬
weisende anatomische Untersuchungen, doch fanden Pitres
und V a i 11 a r d in Fällen von Typhus, die bei Lebzeiten keine
Nervenerscheinungen dargeboten hatten, in den peripherischen
Nerven dogeuerative Veränderungen.
Vorwiegend parenchymatösen Degenerationen begegnen wir
ferner nach Variola (J o f f r o y), bei der sogen. Neuritis
puerperalis (Korsakoff und S e r b s k i), sowie bei den
neuritischen Erscheinungen im Verlaufe der Syphilis, Tu¬
berkulose und des chronischen Rheumatismus
(Pitres und V a i 11 a r d).
Zu erwähnen sind noch die von v. Leyden sogen.«dys-
krasisch-kachcktischon Formen der Polyneuritis. Für
die Polyneuritis nach Diabetes ist von E i c h h o r s t ein¬
fache Degeneration peripherischer Nerven nachgewiesen worden,
ln den seltenen Fällen von multiplen Nervenerkrankungen nach
Gicht, C a r c i n o m, schwerer Anaemie, sowie im Senium
und bei Marasmus wird man sich, soweit nicht Gefäßerkran¬
kungen (Arteriosklerose) hineinspielen, die Entstehung ähnlich
wie bei Diabetes durch toxaemische Einwirkungen erklären
müssen.
Bekanntlich wird auch ein Theil der Fälle von akuter auf¬
steigender Landry’seher Lähmung auf multiple Neuritis
oder doch auf eine Erkrankung des peripherischen Neuron zu¬
rückgeführt. Die anatomischen Veränderungen sind thcils inter¬
stitielle, theils parenchymatöse. Nach N a u w er k und Barth
sind die letzteren sekundär. Unter dieser Voraussetzung würde
also diese Kategorie zur echten Polyneuritis gezählt werden
können; doch ist es wohl vorsichtiger, sie einstweilen mit
Eisenlohr zu den entzündlich-dcgenerativen zu rechnen.
Und nun sei noch eine andere Frage, die bei der Durch¬
musterung der anatomischen Befunde multipler peripherischer
Nervenkrankheiten sich aufdrängt, kurz berührt. In einem
.grossen Thcilc, wohl bei der Mehrzahl, haben die Beobachter nicht
nur die peripherischen Nerven, sondern auch die zu ihnen ge¬
hörigen Abschnitte des Rückenmarks verändert gefunden, und
zwar fast ausschliesslich diejenigen Theile, die wir bis vor Kurzem
mit ungestörtem Beilagen uls zu den motorischen oder sensiblen
Neuronen erster Ordnung rechnen durften. Die letzten Jahre
haben uns aus dieser Ruhe leider auf gescheucht. Ich will nicht
den Streit über die Berechtigung der Neuronlehre herauf¬
beschwören; er kann ja doch in unserem Kreise nicht ausge-
fochten werden. Wenn sieh die neueren Untersuchungen, nament¬
lich diejenigen B e t h e's bestätigen, so dürfte in der That der
bisherige Begriff der Nerveneinheit unhaltbar sein. Aber es ist
doch eine sehr auffallende Thatsache, dass es pathologische Pro-
ecsse gibt — und dazu gehört die sog. Polyneuritis —, die sich
auf dem Territorium des sog. peripherischen Neurons abspielen
und dieses nur ganz ausnahmsweise überschreiten. Lassen wir die
aufgeführten multiplen Nervenerkrankungen noch einmal Revue
passiren, so finden sich neben den Veränderungen der peri¬
pherischen Bahnen mit wechselnder Stärke und Regelmässigkeit
auch histologische Alterationen im Rückenmarke verzeichnet:
bei Beribcri (Scheube, Pekelharing und W i n k 1 e r),
Alkoholneuritis, Bleilähmung (Oe 11 er, Oppenheim), Ar¬
seniklähmung (Henschen und IIildebrand),postdiphtherischer
Lähmung (Dejerine). Nach unserer Auffassung von dem
innigen Zusammenhang der peripherischen Nerven mit Theilen
des Rückenmarks, sowie der trophischen und funktionellen Be-.
Ziehungen zwischen beiden kann diese Thatsache nicht Wunder
nehmen. Denn offenbar gibt es einerseits Schädlichkeiten, welche
das hypothetische Teleneuron in seiner Gesammtheit betreffen,
andererseits aber Noxen, die ihren Angriffspunkt in einzelnen
Abschnitten: in den Ganglienzellen, Wurzeln oder peripherischen
Strängen, ja sogar nur in funktionell abgegrenzten Faser-
systemen haben. In letzteren Fällen breitet sich aber die Stö¬
rung mit der Zeit, sei es in ccntripetaler Richtung (retrograde
Degeneration) oder in ccntrifugaler Richtung (W alle r’sche
Degeneration) aus. Dieser Thatsache war in höchst ansprechen¬
der Weise die Neuronlehre gerecht geworden. Soll diese jetzt
fallen, so muss die anatomische Forschung den Erkenntnissen
der Pathologie eine neue Grundlage schaffen. Aber auch ohne
diese müssen wir einstweilen an der Existenz einer funktionell
abgegliederten Nerveneinheit vom klinisch-pathologischen Stand¬
punkt aus festhalten. Nehmen wir in diesem Sinne ein „Tele¬
neuron“ als bestehend an, so müssen wir auch den Begriff der
„peripherischen“ Nervenkrankheiten für viele Fälle fallen lassen
und nur für ausschliesslich peripherische Läsionen reserviren.
Für diejenigen Erkrankungen aber, bei denen zwar der primäre
anatomische Sitz mit Wahrscheinlichkeit in der Peripherie zu
suchen ist, bei denen aber auch Wurzeln und spinale Theile
meist miterkranken, empfieldt sich die neutralere Bezeichnung
multiple „Tcleneurosc“ und multiple „T e 1 e n e u r i t i s“.
Nicht zu diesen Formen zu rechnen wären andere, auf die
motorischen oder sensiblen Teleneurone mehr weniger be¬
schränkten Erkrankungen, wie die Poliomyelitis, die spinale Form
der progressiven Muskelatrophie und die Tabes. Bei der Polio¬
myelitis ist der spinale Beginn sicher gestellt, und bei der pro¬
gressiven Muskelatrophie wie bei der Tabes ist der Befund im
Rückenmark und dementsprechend der klinische Verlauf so
schwer, dass wir gut thun dieselben einstweilen zu den primären
Rückenmarkskrankheiten zu rechnen und den altbewährten
Sprachgebrauch beizubehalten.
Für die sog. multiple Neuritis aber möchte ich folgende
Nomendatur und Eintheilung Vorschlägen:
I. Die echte multiple Nervenentzündung — Tele-
neuritis multiplex; dazu gehören die Nervenentzün¬
dungen
1. bei Lepra — Tcleneuritis mult. leprosa,
2. bei Beriberi (Kakke) — Teleneuritis mult. indica
(japanica),
3. einzelne primäre Formen mit unbekannter (rheuma¬
tischer?) Ursache — Teleneuritis multipL idiopathica.
II. Die multiple degenerative Atrophie der Nerven —
Telencurosis multiplex (degenerativa); dazu gehören:
A. diffuse Teleneurosen:
a) toxischen Ursprungs:
1. nach Alkoholvergiftung,
2. nach Arsenikvergiftung,
3. nach Quecksilbervergiftung,
b) infektiösen Ursprungs:
4- nach Typhus,
5. nach Variola und anderen akuten Infektionskrankheiten,
6. im Puerperium,
7. nach Tuberkulose,
8. nach Syphilis,
c) konstitutionellen Ursprungs:
9. bei Diabetes,
10. bei Carcinom, schwerer Anaemie (kachektische Form),
11. bei Marasmus (senile Form);
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12. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1833
B. systematische (motorische) Teleneurosen:
12. nach Bleivergiftung,
III. Die multiplen entzündlich-degenerativen Formen —
Teleneuritis multiplex degenerativa; dazu ge¬
hören :
1. die Teleneuritis postdiphtherica,
2. ein Theil der primären Formen mit unbekannter Ursache,
einschliesslich der teleneuritischen Form der sog. L a n d r y’schen
Paralyse.
Literatur:
J. Döjßrlne: Recherche« sur les teslons du Systeme m*r-
veux daii8 la paralysie diplitlifritique. Archive« de ph.vsiol. norm,
et pathol. 1878, S. 107. — H. E 1 c li li o r s t: Neuritis diabetica und
ihre Beziehungen zum fehlenden Patellarreflex. Virchows Archiv,
Bd. 127, S. 1. 1802. — O. E i s e n 1 o li r: lieber Landry’sche
Paralyse. Deutsche med. Wochenschr., 1900, S. 841. — A. Gold¬
scheider: Zur allgemeinen Pathologie des Nervensystems.
II. Heber Neuron-Erkrankungen. Berl. kliu. Wochenschr. 1804.
S. 4-44. — S. E. Henschen und A. Hildebrand: Ein Fall
von Arsenikliilimung mit Haematomyeile und Polyneuritis. lief.
Centralbl. f. Nerveulieilk. 1894. — H. Hocliha u s: lieber diph¬
therische Lähmungen. Virchow’s Archiv, Bd. 124, S. 226. 1801. —
A. Joffroy: De la nörvite parenchymateuse spontanee, g£n6ra-
lls£e ou partielle. Archive« de physlol. 1870, S. 172. — S. Kor-
s a k o w und W. Serbski: Ein Fall von polyneuritischer Psy¬
chose mit Autopsie. Arch. f. Psycli. etc., Bd. 23, S. 112. 1892. —
M. Le tu Ile: Itecherches cliniques et experimentales sur les
paralysies mercuriclles. Archives de physlol. 1887. I, S. 301 und
437. — E. v. Leyden: Heber Poliomyelitis und Neuritis. Zeit¬
schrift f. klin. Med., Bd. I. 1880. S.-A. — H. Lorenz: Beitrag
zur Ivenntniss der multiplen degeuerntlven Neuritis. Zeitsehr.
f. klin. Med., Bd. 18. 1801, — C. Nauwerck u. W. Barth:
Zur pathologischen Anatomie der Landr y’schen Lähmung.
Ziegler’s Beitr. z. path. Anat. etc., Bd. 5. 1880. — .T. N. O e 11 e r:
Zur pathologischen Anatomie der Biellähmung. München 1883. —
H. Oppenheim: Zur pathologischen Anatomie der Bleiliihmuug.
Arch. f. Psycli. etc., Bd. XVI, S. 476.. 1885. — C. A. Pekel-
haring und C. Winkler: Mittheilung über die Beri-Beri.
Deutsch, med. Wochenschr. 1887, S. 845. — A. P i t r e s et L. V a i 1-
lard: Contribution ä l’ßtudc des nßvrites p6riph6riques survenaut
daus le cours ou la convalescence de la fiövre typholde. Revue
de mtklecine V. 1885. S. 085. — Dieselben: Nßvrites p6ri-
pliöriques daus le rliumatisme chronique. Ibid. VII. 1887. S. 456.
— E. Iiemak u. E. Fla tau: Neuritis und Polyueuritis. Spec.
Pathol. u. Tliernp., herausgegeben von H. Nothnagel. Bd. XI,
3. Th. 1809—1900. — B. Sclieube: Die japanische Kakke (Beri-
Beri). Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXI, S. 141. 307 und
Bd. XXXII, S. 83. 1882. — P. Spill manu et G. Etienne:
Polyußvrltes dans l’intoxicatlon hydrargyrique aigue et subaiguc.
Revue de m6decine XV. 1895. S. 1009.
Aus dem Laboratorium der mcdicinischen Universitätsklinik in
W iirzburg.
„Cyklische“ Albuminurie und neue Gesichtspunkte
für die Bekämpfung von Albuminurien.
Von Dr. Paul Edel, Assistenten der Klinik.
In dem Bestreben, die Pathologie und insbesondere die
Therapie deT chronischen Nephritiden zu fönlern, glaubte ich
von dem Studium der cyklischen Albuminurie ausgehen zu
müssen, weil bei ihr unmittelbar und unzweideutig durch nor¬
malen oder pathologischen Harn erkennbar ist, ob günstige oder!
ungünstige Bedingungen zur Zeit in ihr zur Geltung gekommen
sind.
Ueber das eigentliche Wesen der cyklischen Albuminurie
herrscht bisher völliges Dunkel.
Das Verhalten der Eiweissausscheidung bei der cyklischen
Albuminurie ist bekanntlich charakterisirt dadurch, dass das Ei-
weiss bei Uebergang in die Horizontallago völlig schwindet und
bei aufrechter Körperstellung bisher unerklärte Schwankungen
von relativ starkem Eiweissgehalt bis gänzlichem Fehlen des¬
selben zu beobachten sind.
Da ich vermuthete, dass die Ursache de» Cyklus, auch am
Tage, irgendwie durch die Lebensweise begründet ist, war ich
der Ueberzeugung, dass nicht Massenuntersuchungen, sondern
allein das detaillirteste Eingehen auf das Verhalten des Einzelnen
hier zum Ziele führen kann. In Folge dieser Ucberlegung wählte
ich zwei besonders geeignete typische Fälle zu meinem Studium
aus und revidirte die Resultate späterhin noch durch Versuche
an einem dritten Falle. '
Die erste Versuchsperson war ein 28 .Talire alter Chemiker,
die zweite ein 25 jähriger Arzt und die dritte ein 30 jähriger Kauf¬
mann. Diese Patienten besessen alle typischen Züge des so gleich¬
artigen Syinptomenbildes dbr cyklischen Albuminurie. (Relativ-
geringe Albuminurie, Abhängigkeit des Auftretens von Eivveiss
von der Körperstellung, Maximum der Eiweissausscheidung meist
Vormittags, Fehlen jeder mit Bestehen einer manifesten Nephritis
häufig eiuhergehenden Organerkrankung, „nervöser“, schwäch¬
licher, wenig widerstandsfähiger Organismus.)
Genaue Krankengeschichten finden sich in der ausführlichen
Publikation. ...
Ich bediente mich; der Essigsäure — Ferrocyankaliüni —
und zugleich der Kochprobe.
Zur Erkennung des Gesetzes, welches die Niere bei den
Trägern der cyklischen Albuminurie in einer Stunde normal, in
der nächsten wie eine nephritische Niere funktioniren lässt,
wandte ich mich zunächst den am Tage bei aufrechter Körper-
stellung. zu beobachtenden Schwankungen zu und fasste von
diesen naturgemäss die grösste in’s Auge, nämlich die von
v. N o o r d e n erkannte Eigenthiimlichkeit, dass der Ham in der
Mehrzahl der Fälle am Vormittag vorzugsweise reich an Albuinen,
am Nachmittage dagegen wenig oder kein Eiweiss enthält. Diese
auffallendste und regelmässigste Schwankung eignete sich um
so mehr als Ausgangspunkt, weil bei den mir zur Verfügung
stehenden Fällen diese genannte Eigentümlichkeit prägnant
zum Ausdruck kam.
Wie viele der früher auf diesem Gebiete thätigen Unter¬
sucher suchte auch ich in der jeweiligen Zusammensetzung des
Harnes einen Anhaltspunkt zu finden.
Bei der ersten Versuchsperson war gewöhnlich am Nach¬
mittage der Harn in dem Intervalle zwischen 3 und 6 Uhr kürzere
oder längere Zeit eiweissfrei. Der in dieser Zeit entleerte Ham
unterschied sich von ei weissreichen Portionen, z. B. am Vor¬
mittage, in der Regel dadurch, dass er heller, von niedrigerem
spocifischem Gewicht und von grösserer Menge war. Dieses Ver¬
halten des Harnes war die Folge der zwischen 1 und 2 Uhr er¬
folgenden Aufnahme des Mittagessens.
Wenn der genannte Einfluss des Mittagessens auf die Be¬
schaffenheit des Harnes nicht zura Ausdruck kam, pflegte auch
dio eiweissfreie Periode auszubleiben. Hauptsächlich aus diesem
Grunde kam ich auf die Vermuthung, dass die Aufnahme der
Mittagsmahlzeit in irgend einer Weise das Zustandekommen der
eiweissfreien Nachmittagspe.riode vermittle.
Der häufig ausgesprochene Satz, dass Nahrungsaufnahme
resp. Verdauung einen schädlichen Einfluss ausüben, hält An¬
gesichts der Thatsache, dass gerade der’Nachmittag eine gewisse
Immunität aufweist, einer unvoreingenommenen Kritik nicht
Stand, denn gerade auf den Nachmittag fällt die Hauptverdau¬
ungsperiode.
Wenn das Mittagessen die grosse Bedeutung hatte, die ich
ihm zuschrieb, dann musste eine Verschiebung des Mittagessens
auf eine frühere oder spätere Zeit eine entsprechende Verschie¬
bung der eiweissfreien Nachmittagsperiodo herbeiführen. Ins¬
besondere aber musste erwartet werden, dass bei Aussetzen des
Mittagessens auch ein Ausbleiben der eiweissfreien Epoche kon-
statirbar ist, der Nachmittag seine Resistenz verliert und hin¬
sichtlich der Eiweissausscheidung dem Vormittage gleiehwerthig
wird.
Eine Durchsicht der folgenden Tabelle wird über den Aus¬
fall dieser Experimente belehren. Sie führen zu dem ersten
wichtigen Resultate, das den Ausgangspunkt weiterer, praktisch
wichtiger Ergebnisse bildet:
Dio deutliche Abnahme resp. das Schwin¬
den de-s Eiweisses ain Nachmittag wird durch
die Aufnahme des Mittagessons veranlasst.
Erklärung der für die,Tabellen gebrauchten Zeichen:
Eiweissreaktionen beurtheilt nach Dichte der Trübung (n
Zusatz von Essigsäure — Ferrocyankalium):
+
t
0: kein Eiweiss.
Trübung.
doppelt so starke Trübung.
-: 3mal so starke Trübung wie einzelnes -j- u. s. f.
ca. 0,4 Prom. Eiweiss.)
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1834
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Tabelle L
Verschiebung des Mittagessens.
’S
tsa
EiweiBS-Reaktionen
Ausschal¬
tung des
Mittag¬
essens
11
i i i
+4-
4-
1 44
++ +
+f+
4-4- +
1 1 t
III
TTT*
■M* +
12
+4-
+4-
++ +
4-4-4-
4-4-4-
1 1 1
1
+++
*!•«*++
_i _i_ i
1 1 1
4-4-4-
1 1 r
TTT
1 i 1
2
*itt»;++
lHUg+4-
o
0—+ j
■ «•»+ +
4-4-4-
3
o
o
0
0
O — +
o
4-4-4-
4
0
0
4*
0
o- +
0
4-4-4-
5
o
0 —+
0
0- +
0
0
4-4-4-
Die horizontal gestellte o entspricht dem eiweissfreien Ilam
während der Mittagsruhe.
nicht beobachtet, bezweifle ihn jedoch nicht, wie aus dem im
zweiten Theil Dargelegten hervorgehen wird.
Nachdem durch die beschriebenen Versuche gezeigt ist, dass
die Aufnahme des Mittagessens in den untersuchten Fällen die
grösste und regelmassigste Tagesschwankung veranlasst, ist die
nächste vorwärtsführende Frage naturgemäss nunmehr die, in
welcher Weise durch das Mittagessen die günstige Beeinflussung
der Niere zu Stande kommt.
Indem ich wieder auf die schon genannten augenfälligen
Unterscheidungsmerkmale zwischen eiweissfreien Nachmittags¬
und den eiweissreichen Vormittagsportionen des Harnes mein
Augenmerk richtete, überzeugte ich mich, wie viele Untersucher
vor mir, dass specifisches Gewicht, Reaktion, Farbstoffgehalt
ohne Einfluss auf die Eiweissausscheidung sind. Dagegen ge¬
wann ich durch Berücksichtigung des einen Unterscheidungs¬
merkmales, nämlich der Hammenge, einen wichtigen Anhalts¬
punkt. Je länger und eingehender ich untersuchte, je kürzer
ich die Intervalle zwischen den einzelnen Harnentleerungen
Tabelle II.
Ausschaltung des Mittagessens.
I. Versuchsperson.
Normaltag 21.1 01
y .. Eiweiss- : Harn- j
1 j Reaetion imenge
Zeit
I. Versuchsperson
H u n g e r t a g 22.1. 01
Eiweiss- ! Harn-
Reaction menge
I. Versuchsperson
Normaltag 24 1.01
Zeit
Eiweiss-
Reaction
Ham¬
menge
'Nachth.
7,50-8,301
0
++
I. F. 8,15
9,10
10
11,5
12
12,45
1,15
Mittag 1,15
0
0
4-4-4-
+++
+++
+++
2,15
8
4
5
6
7
4 "
0
0
0
-+4-
36,5
22
32,5
57
38
29
19
37
41
60
67
53
54
Sltxen.
Aufrechte Körper-
atellung.
(Stehen u.Bewegung
im Zimmer.)
Aufrechte Körper-
Stellung.
(Stehen u Bewegung
lm Zimmer.)
Nachth.
7,50-8,30|
0
4-4-
I. F. 8,20
9,15
10
11
12
1
4-4-+
nt
t
-+
-+
+4-
4-4-4-+
44-4-
+ -H-+
4-4-4-
24
18
26
40
26
28
32
30
26
24
22
19
18
8itsen.
Aufrechte Körper¬
stellung.
(Sieben u.Bewegung
im Zimmer.)
Nachth.
7,55-8,35
0
+
I. F. 8,20
9,10 I 0
10 0 — 4 -
10,55 | ++++
12 i 4-f+
1 ! + 4 - 4 -
Mittag 1
V
o
0
+ +
++
37
15
31
35
40
38
50
70
78
106
66
45
Sltxen.
Aufrechte Körper¬
stellung
(Stehen u. Bewegung
im Zimmer.)
Aufrechte Körper¬
teilung.
(Stehen u. Bewegung
lm Zimmer)
In jeder, auch den folgenden, Tabellen ist nur e i n
Beispiel aufgeführt. Eine grössere Zahl findet sich in der aus¬
führlichen Publikation.
Bemerkungen zu Tabelle I:
Die Tabelle demonstrlrt unverkennbar, wie der Beginn der
nachmittäglichen Abnahme der Albuminurie — genau nach Lage¬
rung des Mittagessens — auf eine frühere Zeit zu verlegen ist.
Am letzten Versuchstag wurde das Mittagessen nicht aufge¬
nommen; hier fehlt die eiweissarme Periode ganz.
Dass die nach dem Mittagessen — entsprechend der Gewohn¬
heit des Patienten — eingehaltene Horizontallage keinen Anstoss
zum Zustandekommen der eiweissfreien Periode gibt, wurde durch
Kontrolversuche festgestellt.
Hierüber, und ferner warum bei sehr spät aufgenommenem
Mittagessen die Abnahme der Albuminurie relativ später beginnt,
siehe ausführliche Publikation.
Bemerkungen zu Tabelle II:
„Normaltag“ = Tag mit gewöhnlich zu beobachtendem
„Cyklus“ bei denselben täglichen Anforderungen. ..Hunger¬
tag" = Tag, an welchem kein Mittagessen aufgenoimnen wurde
(nur Früh ein I. F.) I. F. = erstes Frühstück (etwas Thee und
Weissbrod). „Nachth.“ = Nnchtbaru.
Als Prüfstein für die Resistenz der zu prüfenden Zeit wurde
Haut Iren und Bewegung im Zimmer in meist stehender — ge¬
legentlich durch Sitzen unterbrochener — Haltung gewählt.
Der eiweissfreie Harn nach dem I. F. kann nicht als Beweis
für den günstigen Einfluss des I. F. herangezogen werden, weil
in dieser Zeit (bis 10 Uhr) die im Sitzen zur Geltung kommenden
günstigen Bedingungen eingewirkt.
Der 24. I. und nicht der 23. I. wurde als zweiter Vergleichs¬
tag gewählt, weil nach einem „Hungertag" gewöhnlich sich Er¬
schöpfung geltend machte. S. II. Theil der Abhandlung.
Den gelegentlichen schädlichen Einfluss einer das physio¬
logische Maass überschreitenden Nahrungsaufnahme habe ich
nahm, um so mehr kam ich zu der Ueberzeugung, dass zwischen
Eiweissmenge und Harnmenge eine Beziehung besteht, ohne
dass dem specifisohen Gewicht eine Bedeutung zukommt; d. h.
wenn beispielsweise unmittelbar nach dem Auf stehen Früh das eine
Mal ein spärlicher und dunkler Harn entleert wurde, so pflegte
sich in ihm ein grosser Eiweissgehalt zu finden; wurde dagegen
Früh bei genau den gleichen Bedingungen ein reichlicherer und
hellerer Harn abgeschieden, so enthielt derselbe in der Regel
absolut weniger oder kein Eiweiss u. s. f. Einschaltcnd bemerke
ich schon hier, dass cs sich bei dieser Wahrnehmung nicht um
Täuschung in Folge zunehmender Verdünnung handelt. Denn
bei gewöhnlichem Verhalten kommt es fast nie zu Haruver-
verdünnungen, die im Stande wären, einen deutlichen Eiweiss¬
gehalt zu verdecken. Natürlich ist diese Beziehung zwischen
Hnmmengo und Eiweissgehalt keine absolute, was aus dem
II. Theile hervorgehen wird und in meiner ausführlichen Ab¬
handlung eingehend dargclegt werden wird. Erwähnt sei hier
nur: Wie ich durch das Beispiel angedeutet, müssen gleiche
Zeiten, die unter gleichen Bedingungen stehen, mit einander
verglichen werden. Kurz nach der Nahrungsaufnahme wird ge¬
wöhnlich wenig Harn producirt; dann kommt wieder die Periode
der gesteigerten Diurese u. s. f. Solche Perioden müssen bei dem¬
selben Individuum und gleicher Nahrungsaufnahme mit einander
verglichen werden.
Die Beobachtung über die enge Beziehung zwischen Harn¬
menge und Eiweissgehalt und ferner die erwähnte Thatsaehe,
dass bei gelegentlichem Ausbleiben der nachmittäglichen Albu¬
minurie auch die Steigerung der Diurese am Nachmittage
nicht erkennbar war, liess mich vermuthen, dass der günstige
Einfluss des Mittagessens mit der Steigerung der Diurese im
Zusammenhang steht. Um dies in nicht misszuverstehender
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1835
Weise zu entscheiden, versuchte ich, auf anderem Wege als durch
das Mittagessen eine Steigerung der Diurese herbei zu führen.
Ich lie.ss wiederum das Mittagessen aus und ersetzte es gewisser-
maassen durch ein Diureticum.
Feber den Ausfall dieses Experimentes belehrt ein Blick auf
das untenstehende Beispiel.
Tabelle III.
Diureticum am Hungertage.
Zeit
Eiweiss-
Reaction
Harnmenge
Li q. Kal.
Nacht h.
1 o
auf
ace t.
I.
F 8,40
1 Minute
(25:200)
9-11
1 o
berechnet
Sitzen.
11-1
++4-
1,40
-M-+
19
2,20
+++
22
3
++j
-
21
12
4
+-H
-
12
4,15
+ +H
-
7
0,47
4,25
++H
4-4—1
_
3
0,3
Aufrechte
4,45
0,3
Körper-
1 Essl. 4,36
4,46
r. „ 5,10
i 1 1
Stellung
(Stehen
und Be¬
wegung im
I 5
(+- 0 )
7
0.47 |
Zimmer.)
■ 5,20
( 4 — 0 )
9
0,45 1
lalkal. Harn
U
0
22,5
0,56 1
! sa u r. Harn
6,45
-
19
0,42
saur. Harn
7,30
h
14
0.31
Boi ungünstigsten Bedingungen für die
Niere, die sich vorher durch maximale Ei¬
weissausscheidung kundgibt, erzielt das Kali
aceticum bei der cyklischen Albuminurie
einen völlig eiweissfreien Harn, während es
zur Wirkung gelangt.
Bemerkungen zu Tabelle III:
Am ,.Hungertag“ wie oben kein Mittag, nur I. F. Aus
den auf 1 Minute berechneten Harnmengen wird ersichtlich,
dass sich die Zeit der Steigerung der Harn menge
mit der, in welcher die Abnahme resp. das
Schwinden des Eiweisses stattfand, deckt. D;i
das Kali acctic. den Harn alkalisch machte, so lässt sich beur-
thoilen, bis zu welchem Zeitpunkte die Ausscheidung dui'ch die
Niere anhielt.
Besonders einwandsfrei werden diejenigen Versuche er¬
scheinen müssen, welche in der Hungerperiode gewonnen 9ind,
weil ich durch sie — bei genau geregeltem bezw. genau gleichem
Verhalten wie in der ei weissreichen Vormittagszeit künstlich eine
Periode herbeizuführen im Stande war, in der ich mit Bestimmt¬
heit Stunde für Stunde fast gleich grosser maximaler Eiweiss¬
ausscheidung sicher war. Erst hierdurch ist die Möglichkeit zu
eimvandsfreiem Prüfen von Mitteln auf ihren etwaigen günstigen
Einfluss auf die Eiweissausscheidung geschaffen.
In den von mir gewählten Dosen verabreicht, vermag das
Kali aceticum die ohne dasselbe sicher zu erwartende starke Aus¬
scheidung von Albumen völlig zu verhindern oder auf Spuren
herabzuselzen, zugleich mit Steigerung der Diurese. Die Be¬
deutung des Kali aceticum und wahrschein¬
lich auch der m o i s tj c Jn anderen Diuiretjica ist
also eine viel grössere als das bisher angenommen wurde. Ihre
II a u p t w i r k u n g müssen wir in der unmittel¬
baren Herabsetzung dos Eiweissgchaltes
s u e h e n.
Bei 14 Versuchen mit Kali aceticum blieb die genannte
Wirkung auf die Eiweissausscheidung nur einmal aus. Nur
dieses eine Mal fohlte auch zugleich die erwartete Steigerung
der Diurese. Analoge Resultate ergaben die Versuche mit einem
anderen Diureticum, dem Harnstoff.
Mit Hinweis auf die Tabelle, die sich auf das Beispiel
über die Wirkung de» Kali aceticum im Hungerzustande l>e-
zieht, komme ich nochmals auf den möglichen Ein-
w a n d zu sprechen, dass die Vermehrung der
11 a r n m e n g e eine Abnahme des E i w e i s s g e li a 1 -
No. 46
tes Vortäuschen könnte. An den Hungertagen ist in
Folge der Ausdürstung des Körpers die durch die Diuretica
zu erzielende Steigerung der Diurese zwar unverkennbar, aber
doch so gering, dass die al>solute Monge des Harnes auf die
Minute berechnet noch erheblich hinter der am Tage als
Durchschnitt geltenden Ilarnmcnge zurück bleibt. Da es bei
diesen absolut noch zu geringen Harumcngcu
zu einem völligen Schwinden des Eiweisses
kommt, kann von einer Vortäuschung durch
zu grosse Verdünnung nicht die Rede sein.
Die bisher geschilderten und die folgenden Beobachtungen
über die Beziehungen der Uarnuienge zur Eiweissausscheidung
bei der cyklischen Albuminurie müssen auf den bekannten Satz
Iieidenhai n’s führen, den ich der schnelleren Verständigung
halber schon jetzt vorwegnehme: Die Stromgeschwin¬
digkeit des Blutes in der Niere ist maass¬
gebend für die Absonderungsgeschwindig¬
keit des Ilarnes und für die Menge von Ei¬
weis s, die in den Harn übergeht.
Ich wende mich nun zu meinen Versuchen über den Ein¬
fluss von warmen resp. heissen Bädern auf die
Ei weissausscheidung.
Ich experimentirte aus genannten Gründen wieder meistens
im Hungerzustande. Sie ersehen auch hier aus den Aufzeich¬
nungen den direkten Einfluss dieser therapeutischen Maass-
nalmie auf die Eiweissausscheidung.
Vom Momente der Einwirkung des heissen Bades wird der
Harn reichlicher, heller und beträchtlich eiweisssirmer. Die Haut
war gcrüthet. der Puls wurde merklich voller und frequenter.
Es seheint mir, dass bei dieser momentan eintretenden
günstigen Einwirkung, die durch den Hautreiz bedingte Erregung
der llorzthiitigkcit eine Rolle gespielt hat.
Tabelle IV.
Helsses Bad am Hungertag (kein Mittagessen).
Zeit
Eiweiss-
Reaction
Hammenge
Xiichth.
7,32-8,15
0
4-4-+
26,5
auf
1 Minute
berechnet
I. F. 8
8,40
9,5
9,5-1
+
0
0
14
12,5
368
8itzen.
Horizontallage.
dunkler Harn
1,33
2,30
3
l+,+l + l
27,5
1 Aufrechte
tut
r (Stehen u. Be-
>» » t)
4,10
++lt
24
0,34
wegung im
) Zimmer)
H e i s 8 e s Wannenbad 33 0 R.
4 Uhr 5—4 Uhr 30
heller Harn . . .
1 4,22
| 4,30
(®—+)
10
4
0,83 §
0,5 |
Helsses Bad
(bei aufrechtem
Oberkörper).
sehrdunkl. Harn
5,5
++++
9,5
0,27
Bewegung Im
Zimmer.
(Ankleiden cto.)
Es zeigte sich hier also das analoge Verhalten
wie bei Anwendung der Diuretica: Vermehr¬
ung und entsprechendes Heller werden des
Harnes, verbunden mit einer Abnahme des
E i w e i s s g e h a 11 e s.
Die Tabelle mit den heissen Bädern ist mit so ausführlichen
Bemerkungen versehen, dass eine weitere Erklärung über¬
flüssig ist.
Die n o r i z o n tallag e: Bei dom einen Patienten machte
ich die Wahrnehmung, dass von einer bestimmten Zeit an der
bisher Vormittags zwischen 10 und 11 ziemlich regelmässig
eiweissfreie Harn eiweisshaltig wurde. Zugleich mit dom Auf¬
treten von Eiweiss nahm auch die Ilarnmcnge ab. Wie midi
weiten» Prüfungen lehrten, waren Auftreten des Eiweisses und
Abnahme der Harnmenge in gleicher Weise auf den Umstand
zurückzuführen, dass statt der früher vorzugsweise sitzenden
Position zwischen 10 und 11 Uhr nunmehr der Patient diese
Zeit hauptsächlich stehend zubraehte. Schon beim Ucbcrgang
3
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
1836
vom Stehen zum Sitzen sah ich also, das9 zugleich mit der Ab¬
nahme des Ei weissgeh alt es eine Vermehrung der Harnmenge ein¬
trat. Beim I T obergang in die Horizontallage kam es stets zu
erheblicher Steigerung der Diurese.
Ich wurde so auf eine Thatsaehe aufmerksam, die mir un¬
bekannt war und bisher, obwohl von verschiedenen Seiten be¬
arbeitet. überhaupt nicht sehr bekannt geworden ist, weil sie bis¬
lang zur Pathologie dev Niere nicht in Beziehung gebracht wor¬
den ist.
Den eben gekennzeichneten Einfluss der Körperstellung auf
die Harnmenge haben E. Wend t, Q uincke, Laehr') u. A.
festgestellt. Es geht also auch in der Horizontal¬
lage der günstige Einfluss auf die Eiweiss¬
au s s e h e i d u n g mit einer V ermchrung der llarn-
m enge ei n h e r! Es wirkt die Horizontallage, wenn
sie bestimmte Zeit hindurch eingehalten wird, gleichsam und zwar
energisch d iuretisch.
Von dem Gesichtspunkte, dass Harnmenge und Eiweissgehalt
in enger Beziehung zu einander stehen, sind die folgenden Zahlen
1. a e h r’s von Interesse: Laehr (citirt nach Quincke) theilte
Tag und Nacht in 3 achtstündige Perioden und nahm im Beginn
jeder derselben die gleiche, genau abgemessene Nahrung und
Flüssigkeit auf. Während der nächtlichen 8 stiindigen Periode
schlief L a e h r. während der anderen arbeitete er im Labora¬
torium »slcr am Schreibtisch. Er erhielt im Mittel aus 15 tägiger
Beobachtung:
Vormittags Nachmittags Nachts
463 552 610
Berücksichtigt man die von mir so oft erwähnte Beziehung
zwischen Harnmenge und Eiweissgehalt, dann spiegeln die obigen
Zahlen L a e h r's gewissermaassen den ganzen Cyklus bei unserer
Albuminurie wieder: Die geringste Harnmenge Vormittags, er¬
hebliche Steigerung am Nachmittage, grösste Menge Nachts.
Steigerung der Diurese und Abnahme des Eiweisses werden
wir auch bei der Horizontallage auf günstigere. Circulations-
l>edingungcn zu beziehen haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach,
werden wir in der physiologischen Thatsaehe eine Erklärung
finden, dass bei Horizontallage der Gcsammtblutdruck erheblich
grösser ist. als lx-i aufrechter ruhiger Körperstellung.
Zum Schlüsse der ersten Ilälfte dieser Abhandlung erinnere
ich daran, dass auch unsere diätetische Behandlung
<1 er N i e r e n k rank e n eine Steigerung der Diurese ver¬
anlasst.
Man wird wahrscheinlich nicht fehl gehen, den günstigen
Einfluss der Milch, der Vegetabilien mit ihrem hohen Kaligehalte,
der alkalischen Wässer in Folge ihres Reichthums an Wasser
und an Kalisalzen etc. in ähnlichem Sinne, wie die Wirkung der
Diuretica zu deuten.
Es hat sich also bei sämmtlichen Maassnahmcn,
die bisher in der Therapie der Nierenkrank¬
heit e n zur Anwendung kamen, der Parallelismus
zwischen Steigerung der Ilarn menge und dem
günstigen Einfluss auf die Albuminurie dar-
th u n lassen.
(Schluss folgt.)
Aus dem hygienischen Institut der Universität München.
Einwirkung steriler Dauerhefe auf Bakterien.
Von L. G e r c t.
In einer vorläufigen Mittheilung (Centralbl. f. Gynäk. 1901,
No. 17) hat W. Albert über sehr günstige Resultate einiger
Versuche berichtet, welche sich auf die Verwendbarkeit der sog.
sterilen Dauerhefe als Desinficiens bei vaginalen Erkrankungen
bezogen. Die Dauerhefe ist bekanntlich eine, nach R. Albert
durch geeignete Behandlung mit Alkohol und Aether abgetödtete
und entwässerte reino Bierhefe')• Diese Abtödtung erstreckt
sich nur auf die Vernichtung der Wachsthums- und der Fort¬
pflanzungsfähigkeit ; das bei der Hefe uns besonders interessirende
Oährungsvermögen, beruhend auf ihrem Gehalt an Zymase, bleibt
ebenso erhalten wie die übrigen an das Vorhandensein von En¬
zymen gebundenen (proteolytischen, invertirenden etc.) Eigcn-
') Xämmtliehe Quellen-Angaben ln der später erfolgenden aus-
1 'ilirlichen Publikation.
') Ber. d. D. Cheui. Ges. 33, 3775.
schäften. Die Dauerhefe stellt ein leichtes, staubtrockenes
gelblich-weisses Pulver dar.
W. Albert hat nun dieses mit Ausnahme einiger beim
Trocknen eventuell hineingerathenen Luftkeime sterile Präparat
verwendet zur Wiederholung und bedeutenden Verbesserung der
mit lebenden Hefekulturen schon 1899 von Th. Landau
versuchten und vielversprechenden Behandlung des Fluor albus.
Der Erfolg der Versuche war ein überraschend günstiger.
Hatte Landau noch unentschieden lassen müssen, ob die
vernichtende Einwirkung der lebenden Hefezellen auf das
Bakterienwachsthum der Scheide durch das einfache Ueber-
wuchern der Bakterien und weiterhin durch die Entziehung des
Nährbodens etc. verursacht werde, oder durch die Einwirkung
von Stoffwechselprodukten u. s. w. der Hefezellen, so war diese
Frage in der Arbeit A 1 b e r t’s schon auf die letzterwähnte Mög¬
lichkeit beschränkt: es war klar geworden, dass der
beträchtliche baktericide Effekt bei den Ver¬
suchen nur gewissen Produkten der Hefe zu¬
geschrieben werden kann. Albert liess dagegen
noch die Frage offen, ob die während der Gährung durch Ein¬
wirkung der Zymase entstehenden Produkte, Alkohol und
Kohlensäure, oder ob das proteolytische Enzym der Hefe die
baktericide Wirkung bedingt ?
Um diese Frage der Lösung näher zu bringen und vor Allem,
um die an sich so interessante und auffallende Thatsaehe weiter
zu prüfen, unternahm ich, einer Aufforderung des Herrn Prof.
11. Büchner folgend, eine Reihe von Versuchen.
Es wurde dabei die Einwirkung gährender Dauerhefe auf
verschiedene Bakterien in vitro durch das Plattenkultur¬
verfahren in allen Stadien verfolgt und ausserdem die Versuchs¬
anordnung in mannigfacher Weise variirt. Die Dauerhefe stellte
ich mir zum grossen Theil selbst her, zum Theil bezog ich sie von
Herrn Presshefe-Fabrikanten A. Schröder in München, welchem
die Herstellung der Dauerhefe übertragen ist. Als zu vergährende
Substanz nahm ich Rohrzucker. Das Verhältniss von Dauerhefe
zu Zucker und Lösungsflüssigkeit wurde stets wie bei W. Albert
1:1:5 angenommen, da auch ich bei diesem Verhältniss die
geeignetste Gährungsintensität konstatiren konnte. Als Kon-
trole benützte ich meist die gleiche Mischung (5 Theile Flüssig¬
keit und 1 Theil Zucker) jedoch mit 1 Theil eines unwirksamen
Präparates von Dauerhefe, welches durch einen kleinen Fehler
bei der Herstellung sein Gährungsvermögen verloren hatte.
Die mit Bakterien geimpften Röhrchen wurden stets bei
37° aufgestellt, bei mehreren Versuchen ausserdem im Be¬
wegungsapparat gehalten, der eine stete Mischung der Flüssig¬
keit bewirkte.
Versuch 1.
Die GährflUssigkeit, bestehend aus 1 g Zucker, gelöst in
2,5 ccm dest. Wasser und 2,5 ccm Peptonboulllon.
Röhrchen No. 1 a und b erhielten 5 ccm GährflUssigkeit -(-lg
Dauerhefe, kräftig gährend J ),
Röhrchen No. 2 a und b erhielten 5 ccm GährflUssigkeit -f- 1 g
Dauerhefe, fast unwirksam ’),
Röhrchen No. 3 a und b erhielten 5 ccm GährflUssigkeit -(- keine
Dauerhefe.
Die Röhrchen erhielten je 1 Tropfen einer Typhusbacilleu-
emulslon als Aussaat. Nach 0,5 und 16 Stunden wurde je 1 Platin¬
öse des Röhrcheninhalts in der Üblichen Weise zu Platteukultureu
verwendet.
Kolonienzahlen.
Sogleich
nach Aussaat
nach
5 Stunden
nach
16 Stunden
1 a
5400
1350
0
1 b
6400
5400
0
2 a
5400
4500
verflüssigt
2 b
3600
4050
122400
3a
4500
158400
cs-.
3b
6300
248400
cr>
Der Versuch zeigt also auch in vitro eine beträchtliche
baktericide Wirkung der gährenden Dauerhefe;
er bewies zugleich, dass die blosse Konzentration der Zucker¬
lösung (20 Proc.) die Vermehrung der Typhusbacillen nicht hin-
3 ) 0,43 g CO, in 16 Stunden.
“) 0,05 g CO, ln 16 Stunden.
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12. November 1901. MUENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1837
dort; dagegen ist auch bei dem in Bezug auf Gährvermögen prak¬
tisch .fast unwirksamen Präparat anfänglich eine schwache
Hemmung der Vermehrung der Typhusbacillen zu erkennen
(2a und 2b).
In den Röhrchen 1 war nach Ablauf der Gährung eine ziem¬
lich stark saure Reaktion zu konstatircn, hervorgerufen sowohl
durch Gährungsprodukte (CO, u. 8. w.) als auch besonders
durch Produkte des proteolytischen Enzyms der Hefe (Amido-
säuren etc.). Es war nun der Zweck der nächsten Versuchs¬
reihen, diese an sich bakterienfeindlich wirkenden Säuren bis
auf die Kohlensäure auszuschalten.
Versuch II .
Röhrchen 4. lg Dauerhefe giihrkräftig, 2,5 ccm Bouillon.
2,5 ccm 40 proc. Zuckerlösung.
Röhrchen 5. Zusammensetzung wie 4, aber nach je 3 Stunden
mit Natronlauge schwach alkalisirt.
Röhrchen 6. 1 g Dauerhefe giihrkriiftig, 2,5 ccm Bouillon.
2,5 ccm physiolog. Kochsalzlösung.
Zu jedem Röhrchen Zusatz von 1 gtt. einer 12 st Und. Typhus¬
kultur.
Iv o 1 o n 1 e n z a h 1 e u.
Riilinh.
| Sogleich
uach
! Anssaat
nach
5 8tdn.
mch
1 20 Stdn.
1
I nach
i 26 Stdn
Bemerkungen
4
16200
7200
1
0
Kontrole, nach 26 Stdn. in
Bouillon geimpft, steril
5
19800
18000
1620
630 I
Kontrole, wie 4, ergibt
Wachsthum
6 1
21600
111600
CO
co
—
Die baktericide Wirkung der öfter neutralisirten Probe (5)
ist immer noch unverkennbar, wenn auch nicht so prompt wie
in Probe 4. Dass die Acidität für die Erklärung der bakteri-
ciden Wirkung der Dauerhefe gar nicht oder sicher nur un¬
wesentlich in Betracht kommen kann, tritt noch klarer in den
folgenden 3 Versuchsreihen hervor, in denen zur Bindung der
gebildeten organischen Säuren doppelkohlensaurer Kalk im
Ueberschuss zugegeben wurde, welcher Zusatz nach Kontrol-
versuchen für die Intensität der Gährung ohne Einfluss ist. Auf
die Schlüsse, welche aus dem Verhalten der Kontroleprobe 6 zu
ziehen sind, werde ich später zu sprechen kommen. Ausserdem
sei hier schon auf den später anzuführenden Versuch mit Bac.
lactis aerogenes hingewiesen, der als Milchsiiurebildner wenig
empfindlich für organische Säuren sein dürfte, während er
dennoch in giihrender Hefe rasch abgetödtet wird.
Versuch III.
Je 1 g Dauerhefe und 5 ccm 20 proc. Zuckerbouillon.
Röhrchen 7 ohne weiteren Zusatz,
„ 8 -4- 1 g CaCOs,
„ 9 4- 0,5 g CaCOs,
„ 10 -j- NaOH alle 3 Stunden neutralisirt,
„ 11 Kontrole wie 7, nur mit nicht gährender Hefe
angesetzt
Aussaat je 1 gtt Typhusbouillonkultur
Kolonienzahlen.
Röhrchen j
i
l Sogleich j
| nachAussaat 1
nach
6 Stunden
nach
24 Stdn.
nach
48 Stdn. (
nach
3 Tagen
7
1726
488
6
0*)
0
8 i
3125
1197
12
0
0
9 II
3906 1
1210
7
0*)
0
10
2526
661
17
0
—
li >;
2010 1
180650
CO
CO
—
*) steril nach Aussaat in Bouillon.
Im folgenden Versuch IV war:
Röhrchen 12, 15, 18, 21 ohne Zusatz,
„ 13, 16, 10, 22 mit 0,5 g CaCOs versetzt,
„ 14, 17, 20, 23 mit nicht gährender Hefe als Kontrole
angesetzt:
K o 1 o n 1 e n z a h 1 e n.
Röhrchen
1 1
Sogleich
nach
Aussaat
nach
3 Stdn.
; nach
112 Stdn
i _
1 nach
'24 Stdn.
nach ,
45 Stdn.
nach
3 Tagen
12
«J 1
g |
r 1
2013
590
0
3
0
0*)
13
i 3473
1308 '
6
2
0
0*;
14
ll
|
2318
1460
3192
4826
11490
152
15
2 1
1 952
18
0
0
0
0*)
16
O
1492 i
23
0
0
0
0 *,
17
C3
>•'
1276 ,
102
4
106
—
0
18 '1
•J c
2350
2413
648
150
11 1
0*;
19
2413
1587
952
349
118
0
20
a £
1460
2032
58500
171000
260000
CO
21
=> _
6032
1689 |
1041
394
116
0
22
n. -
7810
1670
825
698
230
0
23
5 ü
-ß
4190
1473
10223 i
CO
CO
CO
*} Röhrchen 12, 13, 15, 16 u. 18 wurden nach 3 Tagen bei
Aussaat in Bouillon steril gefunden.
In Röhrchen 14 und namentlich 17 hatte die minimale
Gährung der Kontrolhefe (siehe Tabelle I) und bei 17 wohl noch
mehr die saure Reaktion derselben genügt, um eine schädigende
Wirkung erkennen zu lassen. Im folgenden Versuch V war
bei sonst gleicher Anordnung eine völlig unwirksame Kontrol-
Dauerhefe verwendet worden.
V e r s u c h V.
K o 1 o n i c n z a h 1 e n.
|j Röhrchen
Sogleich
nach
1 Aussaat !
nach
3 Stdn.
i nach
, 18 Stunden
nach
40 Stunden
| 24
130
512
0
0
ä cu
25 1
205
960
3
0
Cfl >»
E-
26
128
1
1184
189000
162000
0)
ß
1 27
326
44
0
0
>'•3
; 28
1 307
273
, 2
0
M 1
i 29
307 1
647
90900 1
5461
Ein weiterer Versuch wurde mit einer durch Dauerhofe be¬
reits vergohrenen und dann filtrirten Bouillon-Zuckerlösung an¬
gestellt, um zu sehen, ob die baktericide Wirkung nur während
der Gährung eintrete, oder ob durch die Gährung gebildete bak¬
tericide Stoffe auch nachher in der Flüssigkeit gelöst bleiben
und zur Wirkung gelangen können? Das Ergebniss ist nicht
ganz klar, spricht aber eher für die letztere Annahme.
V e r s u c li VI.
Es wurden 4 g Dauerhefe und 20 ccm 40 proc. Zuckerbouillon
5 Tage bei 37° vergähren lassen, und danach die braune Flüssigkeit
abfiltrirt. Die Röhrchen wurden in folgender Welse beschickt:
30. 2,5 ccm Bouillon -f- 2,5 ccm Filtrat (sauer).
31. 2,5 „ „ -f-2,5 „ „ neutralisirt.
32. 2,5 „ „ 4-5,0 „ „ neutralisirt.
Aussaat je 1 gtt Typhusbouillonkultur.
K o 1 o n i e n z a h 1 e n.
Röhrchen
nach
l 8tde.
nach
10 Stdn.
nach
1 24 Stdn.
Aussaat in Bouillon
nach 48 Stdn.
nach 5 Tagen
80
889
t 783
1498
Wachsthum
steril
31
1143
' 6750
851
Wachsthum
Wachsthum
82
1016
360
413
Wachsthuui
Wachsthum
Oben bei Versuch II war die Kontrolprobe (6.) in der Weise
angesetzt, dass die Aussaat der Typhusbacillen in ein Röhrchen
mit gährender Dauerhefe erfolgte, die aber ohne Zucker,
nur mit physiologischer Kochsalzlösung und Bouillon versetzt
war. Die Bakterien konnten sich in diesem Röhrchen ungehindert
vermehren, trotzdem die Dauerhefe gute Gährkraft und bei
Ueberschichtung auf Thymolgelatine deutlich nachzuweisendes
proteolytisches Enzym besass, also ein für die baktericiden Ver¬
suche (s. Röhrchen 4) vollkommen entsprechendes Präparat dar-
st eilte.
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3*
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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
183S
No. 46.
Dadurch, dass die baktericide Wirkung durch alleinige Weg¬
lassung des zu vergiihrenden Zuckers ausblieb, ist festgestellt,
dass dem proteolytischen Enzym keine nennenswerthe Wirkung
zuzuschreiben ist, und anderseits, dass das bakteri-
cide Agens ein durch Einwirkung der Zymase
auf eine verg äh rungsfähige Substanz ent¬
standenes Produkt sein muss.
Der Versuch, welcher zu diesem Schlüsse führte, wurde noch
einige Male wiederholt und auch auf andere Bakterienarten aus¬
gedehnt, stets mit dem gleichen Resultat, wie folgende Tabellen
zeigen:
Versuc li VII.
Röhrchen 33 und 3-4. 1 g Hefe -|- 2,5 ccm Bouillon -(- 2,5 ccm
40 proc. Zuckerlösung.
Röhrchen 35. 1 g Hefe -f 2,5 ccm Bouillon -f- 2,5 ccm
pliys. Na CI.
Aussaat: Staphylococcus pyogenes aureus.
Kolon! e n z a li 1 e n.
Röhrchen
Sogleich
nach
Aussaat
nach
10 Stdn. ;
nach
24 Stdn.
nach
48 Stdn.
Aussaat in
j Bouillon
nach 5 Tagen
33
8100
63
30
16
steril
34 !
1 9000
63
68 :
2
—
35 !
1260
18900 |
48600 '
evo
Wachsthum
Versuch VIII.
Röhrchen 30 und 37. lg Hefe -(- 2,5 ccm Bouillon 2.5 ccm
4o proc. Zuckerlösung.
Röhrchen 3.8. 1 g Hefe 2,5 ccm Bouillon -f 2.5 ccm
pliys. Na Cl-Lösung.
Aussaat: Bae. lactis aerogenes.
I\ o 1 o n 1 e li z a li 1 e n.
Röhrchen
1
Sogleich 1
nach [
Aussaat '
nach
nach
nach
Aussaat in Bouillon
10 Std.24 Std.
48 Std.
nach 48 Stdn.
nach 5 Tagen
f 1
36
14400
5400'
1080
1
Wachsthum
steril
37
12600
— !
1800
0
1 Wachsthum
steril
38
13500
450000
cs)
CS)
—
i Wachsthum
Versuch IX.
Röhrchen 39 und 40. 1 g Hefe -f 2,5 ccm Bouillon + 2,5 ccm
40 proc. Zuckerlösung.
Röhrchen 41 und 42. 1 g Hefe -f- 2,5 ccm Bouillon -f- 2,5 ccm
pliys. Na Cl-Lösung.
Röhrchen 43 und 44. Keine Hefe, 2,5 ccm Bouillon -f- 2,5 ccm
40 proc. Zuckerlösung.
Röhrchen 45 und 40. Keine Hefe, 5,0 ccm Bouillon allein.
In 39, 41, 43 und 45. Aussaat: Typhusbakterien.
In 40, 42, 44 und 46. Aussaat: Cholerabakterien.
Kolonlenzahlen.
II Sogleich
Röhrchen nach
1 Aussaat
nach
3 Stunden |
nach
15 Stdn.
nach |
24 Stdn. ;
nach
4 Tagen
39
3136
960
6
0
0*)
40
36000
512
0
0
0*)
41
2680
6144
468000
CS)
120000
42
, 40500
19700
170000
102000
112000
43 ;
2432
6400
1080000
CS)
CS)
44 |
27600
verflüssigt
tS)
CS)
cs>
45 ■
2^80
41400
CS)
CS)
CS)
46
36900
verflüssigt
CS)
CS)
CS)
*) Röhrchen 39 und 40 nach 4 Tagen steril gefunden.
Die bisherigen Versuchsreihen haben übereinstimmend be¬
wiesen, dass für die baktericide Anwendung der Dauerhefe un¬
bedingt nöthig ist:
1. ein gewisser Gehalt on wirksamer Zymase, d. h. eine gähr-
kriiftige Dauerhefe,
2. die Gegenwart vergährungsfähigen Zuckers.
Aus diesem Ergebniss muss wiederum geschlossen werden,
dass Giihrungsprodukte das baktericide Agens darstellen. Unter
den, durch Ilefcgiihrung aus den Zuckerarten entstandenen Pro¬
dukte n nehmen Kohlensäure und Alkohol die erste Stelle ein,
da 94—95 Proc. des Zuckers in diese Verbindungen übergehen.
Ständige Nebenprodukte der Hefegährung des Zuckers sind noch
Glycerin (2,5—3,5 Proc.) und Bernsteinsäure (0,4—0,7 Proc.),
doch kommen diese hier nicht in Betracht, da sie nach Unter¬
suchungen von E. Büchner und R. Rapp bei der reinen
Z y m a s e gährung der Dauerhefe nicht zu finden sind, sondern
nur Stoffwechsclprodukte lebender Ilefezellen darstelleu.
Es galt, daher, den Einfluss der Kohlensäure und des Alko¬
hols auf Bakterien zu studiren. Dass Kohlensäure keine nennens¬
werthe Schädigung derselben bewirken kann, war nach Allem,
was wir über Gährungsvorgiinge und das gleichzeitige Wachs¬
thum der Bakterien wissen, von vorneherein zu erwarten. Den¬
noch wurde ein Versuch in folgender Weise angestcllt: Ich
machte zu dieser Zeit Studien über die Diffusionsfähigkeit von
llühncrciweiss in wasserhaltiger Gelatine und dehnte diese, als
sie positiv ausfielen, auf Rath des Herrn Prof. H. Büchner
auch auf die baktericiden und globuliciden Stoffe des Serums
aus, ebenfalls mit positivem Ergebniss. Nun stellte ich Ver¬
suche in dieser Richtung auch mit gährender Dauerhefe an:
B. typhi und V. cholerae wurden in verflüssigter Nährgelatine
gut vertheilt und diese in den Röhren erstarren gelassen. Darüber
wurde das baktericide Agens, das Gemisch von Dauerhefe und
Zuckt rlösung geschichtet und die Röhrchen bei 22" C. aufge¬
stellt. Nach 1—2 Tagen war dann deutlich sichtbar, wie die
Bakterien in der Tiefe der Gelatine sich zu unzähligen Kolonien
entwickelt hatten, während die an das Gährgemisch grenzende
Schichte in einer Dicke von ca. 4—6 mm steril blieb und bis
ca. 12 mm ein spärliches Wachsthum aufwies. Es war damit
angezeigt, dass auch die, bei der Dauerhefegährung erzeugten
baktericiden Stoffe in die Gelatine diffundirten. Ein Versuch
mit Gelatine, welche durch Lackmus gefärbt war, liess erkennen,
dass bis in die von den baktericiden Stoffen erreichte Tiefe auch
saure Reaktion durch Röthuug sich anzeigte. Zur Kontrole ver¬
schloss ich nun mit Typhusbacillen und Choleravibrionen ge¬
impfte und mit Lackmus tingirte Gelatineröhrchen mit doppelt¬
durchbohrtem Gummistopfen, leitete Kohlensäure längere Zeit
durch die eingeführten Glasröhren ein und schmolz dann die
zu- und abführenden Glasröhren ab. Auch hier machte sich
das Eindringen der CO, in grössere Tiefe rasch bemerkbar, aber
die Bakterien der oberen Schichten vermehrten sich ebenso
schnell und ungehindert, wie in den unteren Schichten und wie
in den Kontrolröhrchen. Es geht also auch aus diesem Versuch
zunächst die bekannte Erscheinung hervor, dass in Gelatine
diffundirende gasförmige Kohlensäure an und für sich das
Wachsthum der meisten Bakterien nicht wesentlich beein¬
trächtigt.
Nun blieb noch die Einwirkung von Alkohol in der hier in
Betracht kommenden Konzentration zu untersuchen. Nach vor¬
herigen Bestimmungen entwickelt 1 g Dauerhefe aus 1 g Rohr¬
zucker durchschnittlich 0,35—0,4 g Kohlensäure'), also auch
ebensoviel Alkohol, so dass bei der Flüssigkeitsmenge von 5 ccm
ein Gehalt von 7—8 Proc. erreicht wird. Ich stellte die Ver¬
suche daher in folgender Weise an:
Zu Röhrchen, die das gewöhnlich gebrauchte Giihrungs-
gemisch, jedoch mit unwirksamer Dauerhefe (1 g unwirksame
Dauerhefe, 1 g Zucker, 2,5 ccm Aq. d. und 2,5 ccm Bouillon)
enthielten, gab ich sogleich 0,15 ccm Alkohol, nach 3 Stunden
wieder 0,15 ccm und weiteren 12 Stunden nochmals 0,1 ccm,
so dass im Ganzen 0,4 ccm Alkohol zugesetzt waren.
Versuch X.
Röhrchen 47 und 48. 1 g unwirksame Hefe -f lg Zucker
-f- 5 ccm Bouillon.
Röhrchen 49 und 50. 1 g unwirksame Hefe -f- 1 g Zucker
-)- 5 ccm Bouillon -f- Alkohol.
Röhrchen 51 und 52. 1 g Zucker 5 ccm Bouillon -j- Alkohol.
Röhrchen 47. 49 und 51 mit B. typhi geimpft.
Röhrchen 48, 50 und 52 mit V. cholerae geimpft.
Kolonlenzahlen.
Röhrchen
Sogleich
nach
Aussaat
nach
3 Stdn. |
nach
15 Stdn. j
nach
24 Stdn.
nach
3 Tage i
47
4500
4544
56450
180000
verflüssigt
48 ||
45000
12800
832
704
990000
49
3840
832
5
0
0*)
50
22000
397
76
12
o*)
51 il
2624
_
3968
1984
133
52
26000
129600
21600
—
verunreinigt
*) Steril, nach l'eberimpfung in Bouillon.
*) Circa 0.3 g CO, werden hievon schon in den ersten 3 Stunden
entwickelt, wenn die Giihrung bei 37° vor sich geht.
e
12. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1839
V e r s u e h XI.
Kührehen Kl, 54, 55 und 56. lg unwirksame Hefe -f- 5eem
40 proc. Zuckerlxmlllon.
Kührehen 57, 58. 51) und 00. 1 g unwirksame Hefe -f- 5 een»
40 proc. Zuekerlösung Alkohol.
Kührelien 01, 02, 03 und 04 nur 5 ccm 40 proc. Zuokerbouillon
-(- Alkohol.
KOhrohen 05, 00, 07 und 08 nur 5 ccm Bouillon -)- Alkohol.
Kührelien 53, 57. 01 und 05. Aussaat: B. lact. aerogenes (A).
Kührchen 54, 58. 02 und 00. Aussaat: B. coli (CT).
Kührelien 55, 51), (Kl und 07. Aussaat: Staphyloeoceus pyog.
aur. (Kt.
Kührelien 50, 00, 04 und 08. Aussaat: 11. typhi <T>.
K o 1 o u 1 e n z a h I e n.
Röhrchen
Sogleich
nach
Aussaat
nach
6 Stdn.
nach
80 Stdn.
nach
5 Tagen
Aussaat in
Bouillon
nach 5 Tagen
53 A
4928
87300
c r>
54 C
23420
1)4000
C/3
cr>
55 S
13440
8000
verflüssigt
verflüssigt
56 T
6848
48600
130000
C/J
57 A
6208
3968
704
0
steril
58 C
22144
11712
4160
35
Wachsthum *)
59 S
11840
704
2112
verflüssigt
Wachsthum
60 T
6976
768
25
0
steril
61 A
4416
33300
95400
27000
62 C
16400
91800
75600
ts->
63 8
6500
verflüssigt
verflüssigt
verflüssigt
64 T
6880
10240
1790
115
65 A
3764
68400
66600
cn
66 C
14336
284400
84600
67 8
9600
verflüssigt
verflüssigt
verflüssigt
68 T
4864
12990
4280
29700
*) B. coli wird auch in giiliremler Dauerhefe t-f- Zucken noch
3 Tagen nicht vülllg abgetüdtet, es ist, wie Ktaphylococc. pyog. aur.,
widerstandsfähiger.
Aus den Versuchen X u. XI geht hervor, dass Alkohol¬
zusatz bei Zuckerbouillon und nicht führender l) a u e r-
liefe thatsiichlieh eine beträchtliche baktericide Wirkung zeigt.
Diese Wirkung tritt aber bei Zusatz des Alkohols zu blosser
Zuckerbouillon oder einfacher Bouillon (ohne Dauerhefe)
nicht ein. Eine Erklärung dafür ist zur Zeit nicht möglich.
Dennoch muss man annehmen, dass dem bei der Gährung auf¬
tretenden Alkohol der Hauptantheil an der baktericiden Wir¬
kung der Dauerhefe zuzuschreiben ist. Weiter besteht die Mög¬
lichkeit, dass dieses baktericide Vermögen des Alkohols in
statu nascendi in erhöhtem Maasse zur Geltung kommt, worauf
schon W. Albert (1. c.) hinwies.
Auch die Zuckerkonzentration und die durch Kohlensäure
und organische Säuren entstandene saure Reaktion werden un¬
günstige Lebensbedingungen für die Bakterien erzeugen und
dadurch die Wirkung des oben genannten Gährungsproduktes
unterstützen.
Die Resultate der vorliegenden Untersuchungen lassen
sich in folgender Weise zusammetifasscn:
1. Die gährkräftige Dauerhefe äussert bei Zuckerzusatz auch
in vitro eine baktericide Wirkung;
2. gährunwirksame Dauerhefe oder gährwirksame ohne
Zuckergegenwart äussem viel geringere Wirkung;
3. die eigentliche Ursache dieser Wirkungen ist nicht völlig
klargestellt. Vielleicht handelt es sich um einen kombinirten
Einfluss der Zymase, der proteolytischen Enzyme, des entstehen¬
den Alkohols, der Kohlensäure und der konzentrirten Zucker¬
lösung. Vielleicht, spielen auch die bei der Gährwirkung ein¬
tretenden DifTusionsvorgänge eine wichtige Rolle.
Obwohl somit in theoretischer Hinsicht die Frage noch
nicht geklärt ist, so sprechen doch auch die vorliegenden Ver¬
suche entschieden dafür, dass Dauerhefe mit Zuckerlösung zur
Bekämpfung von bakteriellen Processen an zugänglichen Kürper¬
oberflächen mit Nutzen angewendet werden kann. 1 )
5 ) Zur Herstellung der Dauerhefe für medicinische Zwecke ist
autorisirt Herr Presshefefabriknut A. Schröder, München,
Landwehrstrasse 45, von dem dieselbe jederzeit bezogen werden
kann.
No. 46.
Bemerkungen zur Therapie der Seekrankheit.
Von O. Rosenbach in Berlin.
Es ist eine auffallende, aber nach meinen sonstigen Erfah¬
rungen nicht unerklärliche, Thatsache, dass in den zahlreichen
Veröffentlichungen zur Theorie und Therapie der Seekrankheit
meine Untersuchungen so gut wie nie Erwähnung finden. Und
doch glaube ich, ohne den Verdiensten der Autoren, die vor mir
mit der Frage sich beschäftigt haben, namentlich Kies c's, zu
nahe zu treten, dass auch das therapeutische Problem nirgend
so eingehend, unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, er¬
örtert worden ist, als in meiner Monographie: „Die Seekrankheit
als Typus der Kinetosen. (Versuch einer Mechanik des psycho¬
somatischen Betriebes), von der ein Auszug in Nothnagel’s
spezieller Pathologie und Therapie veröffentlicht ist.
So habe ich auch (S. 42) die Wirkung periodischer, tieferer
Athmungen, die II e i n z ‘) als Hilfsmittel gegen die Seekrank¬
heit empfiehlt, mit folgenden Worten erwähnt: „Auch periodische,
massig tiefe, Einathinungeu sind vorlheilliaft; es ist ja doch
diese Wirkung tiefer Einathmungen bei Neigung zum Erbrechen
im Allgemeinen bekannt. Sie dürfen aber nicht zu excessiv
werden, da sie sonst durch mechanische Expression das Erbrechen
geradezu begünstigen.“
Dass excessivc Einathmungen nicht vortheilhaft sind, be¬
weist ja wohl die Thatsache, dass gerade vor dem erfolgreichen,
durch beliebige Zustände ausgelösten, Brechaktc l>esonders tiefe,
schluchzende Inspirationen auftreten; sie sind als Ausdruck
stärkster Betlnitigung des Zwerchfells meines Erachtens eine
der wichtigsten mechanischen Ursachen für das Zustandekommen
der krampfhaften Entleerung des Magens, wie ich an anderer
Stelle ausführlich dargelegt habe 2 ). Ob es, namentlich unter
den abnormen Verhältnissen auf dem schwankenden Schiffe, mög¬
lich ist, durch willkürliche, abnorm tiefe Inspirationen Apnoe
zu erzielen, die im Experimente allerdings eine wesentliche De¬
pression aller Reflexe, herbei führt, möchte ich hier nicht aus¬
führlich erörtern. Ich zweifle daran; alx*r ich bin überzeugt,
dass — selbst den unwahrscheinlichen Fall einer wirklichen
Apnoe vorausgesetzt — damit, für den au der Seekrankheit
IAddenden kein Vortheil verbunden sein kann, da, ganz abge¬
sehen von dem bereits erwähnten, den Brechakt begünstigenden,
Einflüsse tiefster Athmungen, die zu starke Beanspruchung des
Willens sich, bei längerer Dauer der abnormen Verhältnisse und
sicher bei einer Steigerung des abnormen Einflusses, durch um so
grössere Widerstandslosigkeit gegen die Impulse des Schiffes
zu rächen pflegt, wie ich in dem Kapitel üIht die psychische
Therapie der Seekrankheit nusgeführt habe, und da erfahrungs-
gemäss die 1/dden der Kranken hoi miissig gefülltem Magen
wesentlich geringer sind, als wenn bei leerem Magen vorg e b -
liehe Würg- resp. Brechbewegungen stnttflnden. Nach dem
Erbrechen von Speisen pflegt übrigens bei den Meisten (»ine
relative Euphorie einzutreten.
Ich leugne nicht, dass im Thierexperimont Apnoe den Ein¬
tritt des Brechakte« verhindert; aber die künstliche Lüftung
der Lunge — wohl die stärkste, mechanische Einwirkung
auf den Athmungsapparat resp. das System des Vagus — lässt
sich mit der natürlichen, wenn auch forcirten, Inspiration so
wenig vergleichen, wie der durch Tetanisirung des Rückenmarkes
erzielte Krampf einer Extremität mit der willkürlichen tonischen
Muskelkontraktion.
Endlich ist es sehr fraglich, ob die tiefen Einathmungen
wirklich als solche, d. h. als Faktoren d c r A t h m u n g
im weitesten Sinne, wirken. Auf Grund meiner Erfahrungen
halte ich, wie Jeder, der sich dafür interessirt, in meiner Mono¬
graphie nachlesen mag, die grosse Reihe der scheinbar erfolg¬
reichen Maassnahmen und namentlich die durch den Willensakt
bewirkten innerhalb sehr weiter Grenzen nicht für kausale
(physische) Einwirkungen, sondern im Allgemeinen nur für
Mittel, die auf p s y c h i s c h e m Wege wirken, weil sie geeignet
sind, die Aufmerksamkeit ahzulcnken resp. die Vorstellung von
dem abnormen Zustande abzusehwiiehen. Das Bewusstsein re-p.
die Vorstellung von den Veränderungen des Gleichgewichte« hat
') MUneli. med. Wochensohr. 1901, No. 38.
J ) O. Kosen buch: Feber hysterisches l.urtsehliiekeu.
Külpsen und respiratorisches Plätschern Im Mauen. Wien. nie«!.
Presse 1889, No. 14/15. Nervöse Zustände und ihre psychische Be¬
handlung, Berlin 1897, 8. 45 ff.
4
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
IS40
aber, wie ich mich zu beweisen bemüht habe, am Entstehen der
eigentlichen Seekrankheit, <1. h. einer somatischen Störung,
nur einen relativ geringen Antheil; die hauptsächliche Ursache
ist nach meinen Ausführungen die Ausbildung einer K i n e t o s c,
der leichtesten Form der traumatischen Störung, deren Wesen
die durch abnorme B e w e g u n g s impulse bewirkten Vcrände-
rungen der normalen Beziehungen der kleinsten Gewebselemcnte
untereinander, d. h. des vitalen Tonus, ist. Die psychische Form
der Seekrankheit verhält sich zu der p s y <• h i s c h bedingten, der
Kinetose. wie Schwindel und Nausea gewisser Personen beim
1 rerabschnucn von einem hohen Thurine zu dem durch Schock
der Abdomiualorgane resp. des Gehirns bei geringem Trauma
bewirkten Zustande.
Dass die Wirksamkeit gewisser Mittel nur von ihrem psy¬
chischen Einflüsse 1 abhiingen kann, lehrt die Erfahrung. K->
ist Thatsaehe, dass dort, wo nur die Angst vor der Seekrankheit
und die Hingabe an den Gedanken, dass man nun hilflos dem
Schwanken des Schiffes nusgesetzt ist. den Eintritt von krank¬
haften Erscheinungen begünstigen, die entgegengesetz¬
ten Maas-nahmen dieselbe günstige Wirkung entfalten, d. h.
man kann in solchen leichten Fällen ebenso durch die kräftige
Spannung der Bauchmuskeln, also eine exspiratorisclieThätigkeit,
wie durch die Inspiration oder durch jede Form der Bethätigung,
die bei der Ausführung eine besondere Richtung d er Auf-
m e r k s a m k c i t resp. bestimmte W i 1 1 e n s a k t o erfordert,
einen Erfolg erzielen. Auch die von Vielen empfohlene genaue
Anpassung des Körpers an die Bewegungen des Schiffes fällt in
diese Rubrik; denn es handelt sieh hier meistens um eine Art
von Inspiration beim Absinken des Schiffes oder, richtiger, um
einen Stillstand in der Inspirationsstellung, und um eine Ex¬
spiration. richtiger, um Stillstand in der Exspirationsstellung
beim Aufsteigen, also um eine reflektorische oder gewollte An¬
passung der grossen Körperhöhlen resp. des Zwerchfells an die
neue Gleichgewichtslage. (Vergleiche auch das Verhalten im
Lift.)
Die Analyse der Wirkungsmögliehkeit der Legion von
Mitteln, die namentlich auf Grund der Erfahrungen einer
kurzen und relativ günstigen Seereise empfohlen werden, ergibt,
wie ich auf Grund reichhaltiger Beobachtung ausgeführt habe,
mit Sicherheit nur den Schluss, dass bei Willensschwächen, er¬
regbaren oder psychisch leicht zu aflizirenden Personen besser
als irgend eine rein suggestive medikamentöse Maassnahme eine
Verordnung wirkt, die an die W i 11 e n s t h ii t, i g k e i t An¬
ford e r u n g e n stellt; auf diese Weise kann eine k u r z o
und nicht allzu s e h 1 i m in e Passage wesentlich erleichtert
werden. Schon die Verordnung, die Augen geschlossen zu halten
oder den Blick fest auf die Küsse zu richten, wirkt günstig;
aber bei K i n <1 e r u oder bei T h i e re n , die man im Dunkeln
hält, kann man di: sen Erfolg nicht erzielen, auch wenn man ihnen
die Augen verbindet, wohl der beste Beweis für den auto-
siiggestiven Eintlu-s resp. die Ausschaltung von unangenehmen
Vorstellungen durch bewusste Willensakte. Aber leider
ist auch die -tärk-te Suggestion und die grösste Willenskraft
ohnmächtig gegenüber den kinetischen Einflüssen der
Sehiff.'hewcL'liegen bei starkem Wellengänge. Es kann nicht ge¬
nügend hcnorirclioben werden, dass, energet iscli betrachtet,
die Kräfte, die auch dem stärksten Willen zur Verfügung stehen,
namentlich wenn der Einfluss der Uebung und Gewöhnung nicht
in Befracht kommt, überaus klein sind gegenüber den mächtigen
phy.-i-eben Einflüssen der Aussenwelt, denen das einzelne Indi¬
viduum und die Allgemeinheit in personellen resp. endemischen
Krankheiten erliegt. Das ist von grosser Bedeutung, weil immer
wieder der, e n e r g e t i s e h aussiehtsl o s e. Versuch ge¬
macht wird, die siegreiche Macht- des Wortes (der Suggestion)
oder des blinden Glaubens zu übertreiben "), resp. das Ueber-
gi wb-bt dieser, sonst nicht zu unterschätzenden, Imponderabilien
über die Gewalt der physischen Mächte, die das Individuum be¬
drohen, hervorzuhehen. Um einen möglichst- einfachen Ver¬
gleich heranzuziehen: Man kann durch den Willen wohl die
durch I nlustemplindungeii und unangenehme Vorstellungen, also
■i (). IJii senh:ieIi: Telier psychische Therapie innerer Krank-
1 ii* i 11 'ii. Iteii. Klinik ison. II. 'J'>. Vergl. auch: Nervöse Zustände
mul ihn- psychische Behandlung. Berlin 18',»7. S. 30. Bemerkungen
iilier psychisch«» Therapie, mit besonderer Berücksichtigung der
I iiTzkrankluäti'ii, Therapie d. Gcgemv. lOOn. S. 145. Bemerkungen
/nr I.i-bre vmi der Hypnose, ibid. I'.ioo, Mailiett.
psyehsieh, auslösbare motorische Reaktion in weitem Umfange
unterdrücken; aber ich glaube nicht, dass Jemand die Wirkung
der ersten Cigarre oder eines Laxans durch Willensanstrengung
paralysiron kann.
Beiläufig sei zur Charakterisiruug der besonderen Kautelen,
die hei der Beurtheilung eines gegen die Seekrankheit em¬
pfohlenen Mittels nothwendig sind, erwähnt, dass es sehr schwer
ist, den Einfluss der äusseren Verhältnisse resp. die Grösse und
Art der Seekrankheit hervorrufenden Faktoren bei verschiedenen
Passagen ohne Weiteres richtig abzuschützen. Bei scheinbar
höherem Wellengänge liegen die Bedingungen für die Erhaltung
des normalen Befindens oft wesentlich günstiger, als bei
niedrigem, und umgekehrt. Abgesehen von gewissen Imponde¬
rabilien, spielen eine bedeutende Rolle: die Richtung und Art
des Windes, das Wetter, die Tageszeit, die Zeit und Art. der
vorausgegangenen Mahlzeit und des Schlafes, die- besonderen
Eigenschaften des Schiffes, und natürlich nicht zum Wenigsten
die Richtung und Beschaffenheit der Strömung oder Dünung,
die durchaus nicht mit der dem Laien am meisten imponirenden
Grös-o der Wellen identisch ist. So kann eben eine Seefahrt
bei anscheinend stärker bewegter See besser ertragen werden,
als bei geringer Wellenbildung, ohne dass irgend ein zufällig
gebrauchtes Mittel daran den geringsten Antheil hat.
Aus dem Bürgerhospital in Stuttgart.
Ueber einen Fall von Osteomalacie mit Geschwulst¬
bildung.*)
Von Dr. G u s t a v E e 1 d in n n n, prakt. Arzt, vormals Assistenz¬
arzt am Bürgerhospital.
Bei der puerperalen Osteomalacie oder, wie man richtiger
sagt, hei der Knochenerweichung der Schwangeren und Wöch¬
nerinnen sind schon wiederholt Höhlenbildungen im Knochen¬
mark beschrieben und von einigen Autoren als Heilungsvorgang
gedeutet worden.
Bedeutend seltener schon sind alle Formen der nicht puerpe¬
ralen Osteomalacie und zu den seltensten gehören jene eigen-
thümliclun Krankheitsbilder, wo an einer Person neben allge¬
meiner Knochenerweichung fibröse Herde und Höhlenbildungen
im Knochenmark zugleich mit typischen Knochensarkomen äu¬
get rollen werden.
Fibröse und sarkomatöso Metaplasie des Knochens hat
Ziegler') bereits in einer 1878 erschienenen Abhandlung be¬
schrieben; den Zusammenhang zwischen Osteomalacie. Fibromen
und Sarkomen hat meines Wissens v. Recklinghausen')
als Erster im Jahre JSOI in einer sehr ausführlichen Darstellung
auf’s Genaueste untersucht, wesshalb Sehuchardt 3 ) diese
Fälle als „v. R e e k 1 i n g h a u s e n’s Knoehenkrankheit“ be¬
zeichnet.
Wer sieh für die pathologisch-histologischen Einzelheiten
dieser Erkrankung interessirt, muss auf die Originalabhand-
liuigeii der ehenerwähnten Schriftsteller verwiese» werden.
Mir sei es in Folgendem gestattet, die klinische Beschreibung
eines Falles dieser merkwürdigen Krankheit zu geben:
Karl II. wurde am 17. IX. 1872 in Heilbronn als Sohn eines
Klaviormnehers geboren. Die Eltern des Patienten leben und sind
gesund, ebenso 4 von ursprünglich G Geschwistern. Die Gross¬
en! er beiderseits sollen nierenkrank gewesen sein, ein Vaters-
brnder soll in der Jugend X-Beiue gehabt haben.
II. bat bis zum Alter von 4 Jahren in Heilbronn, hernach in
Stu'(gart gewohnt, meist 4 Treppen hoch, nur einmal vom 8. bis
14. Jahr in einer feuchten Parterrewohnung. Als Kind hat er
Masern. Wasserpocken und Keuchhusten durehgemacht, war im
Peinigen gesund: er war ein munteres Kind, wurde aber beim
Spielen schneller müde als die andern.
Mil G Jahren kam er in die Volksschule, machte sehr gute,
später gute Fortschritte. Mit 14 Jahren kam er in die Lehre zu
einem Buchdrucker, wo er 4 Jahre, davon 3 Jahre ohne Be¬
schwerde, lernte. Im 3. Jahre kam er an eine Tiegeldruckpresse,
die er mit dem Fuss, besonders" mit dem rechten, treten musste,
wodurch allmählich eine X Stellung des rechten Unterschenkels
eintrat.
*■) Vortrag, gehalten im Stuttgarter ärztlichen Verein.
') E. Ziegler: Ueber Proliferation, Metaplasie und Re¬
sorption des Knochengewebes in Vivchow's Archiv. Bd. 73, 1878.
*) F. v. Recklinghausen: Die fibröse oder deformireude
Ostitis, die Osteomalacie und die osteoplastische Carcinose- in
ihren gegenseitigen Beziehungen in „Festschrift, Rudolf Vircliow
zu seinem 71. Geburtstage gewidmet", Berlin 1801.
3 ) K. Sehuchardt: Die Krankheiten der Knochen und
Gelenke in Deutsche Chirurgie, Lief. 2X, Stuttgart 1890.
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1841
12. November 1901. MUKNCHKNER MEDICINfSCIIE WOCHENSCilKU T.
Patient wurde desshalb am 30. VI. l.s'.K) in ein hiesiges 1
Krankenhaus aufgeuomnu-n und am 2. VII. 1890 opcrirt tOstcn- I
tomle?); nachdem er 4 und dann .'5 Wochen im Gips verband ge- |
legen hatte, hatte er ein O-Bein, welches seitdem schwach blich; |
L\ musste von da ab mit einem Stock laufen, konnte aber wieder i
arbeiten. Itn Mai 185)1 hatte er ausgelornt, arbeitete l>is Ende 1891
als Gehilfe, konnte aber lieim Heben der schweren Formen mul
Pupicrhullcn nicht melir stellen, wcsshalb er von 1 st*2 ab in ein«*r
Klaviermechanikfabrik sitzend arbeitete. Ende Dezember 1X92
fiel er auf der Strasse und zog sich hiedurch eine „Kimchcnwirbel-
cntzündmig'* zu, derentlialben er 4 Wochen zu Ilatise und OWoelu n
im Krankenhaus las, wo er 3 Wochen lang ein Gipskorsett trug.
Die Folgezeit verbrachte er zu Hause, meistens liegend; ein
5 wöchentlicher Aufenthalt im Soolbad Hall ermöglicht«- ihm, von
Mitte Oktober 1893 at> ca. 7 Wochen lang gut und dann mit
grossen, Beschwerden in der KhivicnncchniiiKfahrik zu arbeiten,
bis er Anfangs 189-1 total erwerbsunfiihig wurde. Audi das linke
Bein wurde allmählich schwächer.
A m 2. April 1895 stürzte e r, als e r a u s d e tu Bett
heraus einige Schritte i n's Z i m m e r in achte, p 1 ö t z-
I ich zusammen. Der herbeigerufene Arzt konstatirte einen
doppelten Knochenbruch an jedem Oberschenkel, legte sofort
beiderseits Gipsverbiinde an und stellte am nächsten Tag noch
einen Bruch des rechten Schenkelhalses fest; am dritten Tag
wurde der Gipsverband beiderseits bis über das Becken hinauf
verlängert.
l>ü. Gipsverbiinde wurden im Verlauf eines Jahres S -9 mal
gewechselt, doch erfolgte ,.k eine h a r t e Ve reinig u n g“ der
Brüche, Druck auf die Knochen war sehr schmerzhaft. Während
des Id e g e n s entstand all m ä h 1 i e h d i e h o he Brus t.
Ende 1890 bekam I’at. etwa io -12 Wochen lang dauernde
Nien iischnierzen; im Verlauf von 3—4 Wochen gingen 14 erbsen¬
grosse Steine und viel Sand, theilweise mit blutigem l : riu ab,
dann hörten die Schmerzen auf.
Im Oktober 1890 erfolgte anlässlich des Transportes des II.
in eine andere Wohnung ein weiterer Knoeheubrueh unterhalb
des rechten Knieos.
Im Jahr 1895 hatte Patient einen Zahn des rechten T'iitcr-
kiefers (den dritten von hinten) nassen lassen; angeblich an der
gleichen Stelle begann Ende 1897 die Bildung der grossen Ge¬
schwulst. die im ersten Jahr langsam, dann schneller wuchs. Seit
Mitte des Jahres 1898 kann Pat. auch links nicht mehr heissen.
Ende des Jahres 1898 bekam II. Schmerzen in der linken
Schulter, Im linken Ellbogen und im linken Oberarm, den er etwa
Vs Jahr lang nicht mehr bewegen konnte. Es bildete sich all¬
mählich die Geschwulst am linken Oberarm, die bis Mitte 1899
zuiinhm. Dann hörten die Schmerzen und die Zunahme der Ge¬
schwulst auf, die Gebrauchsfähigkoit des Armes kehrte wieder.
Seit dem 20. Oktober 1900 befindet sich II. im Bürgerhospital,
wo am 5. Juni .1901 die hier wiedergegebene Photographie auf-
genonimcn wurde.
Der körperliche Befund im November 1900 war folgender:
Auf einem unförmlichen ltumpf sitzt ein Kopf von normaler
Grösse, der durch eine vom rechten Unterkiefer ausgehende, kinds¬
kopfgrosse Geschwulst stark verunstaltet wird.
. Di<* unteren Extremitäten sind ganz atrophisch, die Ober¬
schenkel zwerghaft, so dass die ebenfalls verkürzten oberen
Extremitäten bis an die Mitte der Unterschenkel reichen. Alle Ex¬
tremitäten weisen Form- nnd Stellungsanomalien auf. Die Körper-
niaassc sind folgende:
Gesamlutlänge 118 cm, Kopflänge 20 cm. Rumpflängi*
35 cm (Incisura semilunaris Storni — Symphysis oss. pub.i.
rechte untere Extremität 03 cm (Spina oss. iloi ant. — Fersen-
ebeiiol, linke untere Extrcmjtät 04 cm (Spina oss. iloi ant. — Ferse n-
ebciio. rechte obere Extremität 04 cm (Acromion — Mlttelliuger-
spitze», linke obere Extremität 58 cm (Acromion - - Mitteltinger-
spitzer. • ' , •
Alle diese Mnnsse sind Projektionsmaasse, d. li. sic geben ohne
Itücksieht auf die bestellenden Verkrümmungen die gerade Ent¬
fernung der angeführten Endpunkte an.
Füsse: Beide Fiisse liegen nach aussen rotirt, besonders der
rechte. Das Fussgewölbe ist bei beiden sehr hoch und verkrümmt, i
die Zellen normal, doch ist bei den grossen Zellen und bei der
zweiten Zehe beiderseits das Endglied in Flexionsstellung ver¬
steift. Die Fuss- und Zehengelenke letztere mit Ausnahme der
versteiften — sind beiderseits frei beweglich, das Fussgelenk nach
allen Richtungen, links etwas weniger als rechts. Die Verunstal¬
tung des Fussgcwölhcs beruht offenbar auf Schrumpfung der 1
Plantarfasde.
Unterschenkel: Haut mul Musciilatur an beiden Unter¬
schenkeln ist atrophisch, das Fettpolster fehlt: die Wadcu-
inuseulatur links ist noch schwächer als rechts. Der rechte Uon-
ilylus tibiae ist verbreitert und nach vorn aufgetrieben.
Knie p: Beide Kniegelenke sind verbreitert und in Streck¬
stellung 11 xirt, eine minimale, nicht messbare Beugung (2 bis |
3 Winkelgrade) ist beiderseits möglich.
Die Kniegelenkspalte rechts ist etwa cm breit und verläuft
stark gekrümmt; die rechte Kniescheibe sitzt direkt oberhalb der j
selben an der Ausseiiscite des Oberschenkels und ist nach allen
Seiten um wenige Millimeter verschieblich.
Die linke Kniegeienkspnlte ist ebenfalls stark verbreitert und ,
verkrümmt, die linke Kniescheibe sitzt oberhalb derselben an der
Außenseite des Olierschenkels, sie ist schwer und ganz wenig
verschieblich.
Oberschenkel: Beide Oberschenkel sind verbreitert, ub-
getlaelit, im oln-ren Drittel nach aussen gekrümmt und in der
Mitte mit einem nach vo.ne olTcncu Winkel geknickt. Die Grenz
liilicli der Knochen sind ganz unregelmässig. Beide Oberschenkel
können aktiv ein wenig nach innen, gar nicht, nach aussen rotirt
und gar nicht gebeugt werden. Passiv ist eine geringe Flexion
und Abduktion möglich, links etwas mehr als rechts, beiderseits
aber schmerzhaft.
Becken: Das Becken ist stark abgcthieht. die Becken-
scbniifcln ganz niedrig, die Schambeine anscheinend verdickt
(Palpation etwas schmerzhaft».
Brustkorb: Del- Brustkorb ist vorn unten und seitlich
unten stark aufgetrieben. Der Rippenbogen stellt rechts 1 cm.
links 2 cm über der Reckenschaufel. Das Brustbein ist ent¬
sprechend der Insertion der 3. Rippe fast winklig geknickt, Im
Ganzen stark nach vorn gewölbt, der schwertförmige Fortsatz
ganz weich und biegsam. Die oberen Kippen sind iu der Mammillar-
Jinie eingedrückt, die unteren vorgewölbt; die unteren Rippen
von der (5. abwärts sind mehrfach geknickt. Die beiden Schlüssel¬
beine sind auch mehrfach geknickt, das linke war am sternalen
Ende offenbar gebrochen.
Wirbelsäule: Die Wirbelsäule ist im I/endcntheil nach
links, Im Brustthei! nach rechts und im IIsi Ist heil nach vorn ge¬
krümmt.
Obere Extremitäten: Beide Schulterblätter sind in
der Längs- und Querrichtung geknickt und verbogen, so dass ihre
Breite auf die Hälfte reduzirt ist. Beide Oberarme sind im
Schultergelenk theilweise nnkylosirt und können ohne das Schulter¬
blatt rechts nur um ca. 00®, links um 90“ vom Brustkorb entfernt
weiden. Die Gesainiutahdiiktion — mit Hilfe des Schulterblattes
geht rechts und links bis zur Horizontalen, die Erhellung nach
vorn nicht einmal so weit; höher können die Arme nicht ge¬
bracht: werden.
Der Uondylus internus des rechten Oberarmes ist verbreitet,
er war jedenfalls gebrochen. Beide rechten Vorderarniknochen sind
gekrümmt, der Unterarm kann nicht ganz supiuirt werden.
Das rechte Handgelenk Ist frei, die Endphalangen aller
Finger sind stark troimnelschlegelfürniig aufget rieben.
Der linke Oberarm ist nach aussen gekrümmt und zeigt in
seiner Mitte eine spindelförmige Auftreibung mit
glatter, unregelmässig gestalteter Oberfläche.
Am linken Ellenbogen tritt ebenfalls der Uondylus internus
hervor, die Supination des Unterarms ist unvollkommen. Das linke
Handgelenk ist frei, die Fingerendon sind ebenso wie rechts
knollig verdickt.
Die Einzelmaasse der obereu Extremitäten betragen: rechter
Oberarm 27 cm, rechter Unterarm 24 cm. linker Oberarm 23 cm.
linker Unterarm 24 cm. Auch liier ist die gerade Entfernung
der Endpunkte gemessen.
Kopf: Die Entfernung vom rechten zum linken Kiefer¬
gelenk über die Höhe der Geschwulst gemessen beträgt 38 ein,
vom rechten Unterlid bis zum Zungenbein (vertikal über die Ge¬
schwulst) 25,5 cm.
Der rechte Unterkieferast ist in eine enorme Knochen-
geschwulst verwandelt; dieselbe besitzt eine ganz ll.-u-lte Basis,
deren Hautbedeckung stark erweiterte Venen auf weist. Die
Vorderseite der Geschwulst ist ziemlich gleiclunässig konvex, die
obere Grenze unregelmässig. Das rechte Kiefergelenk ist derart
deformirt. dass sieh die hintere Geh-nkgruho etwas höher als die
Mitte des rechten Ohres vor diesem findet und die Grenze des
vorderen Gelenkfortsatzes in der Höhe des rechten Augciibrauen-
hogens gefühlt wird.
1 in Munde hat die Geschwulst die Zunge ganz nach links
hinten gedrängt, die Mundspalte ist weit geöffnet (Breite 8 cm,
Ili'.lic t! cm), in ihr liegt eine konvexe, mit crodirtcr Schleimhaut
überzogene Geschwulst, aus der die Zähne des Unterkiefers
hervorragen.
Die unter«» Zahnreihe ist so verschoben. «lass die «Irci linken
Maldziiime (erster sehr schlecht) und die zwei linken Backenzähne
etwa an normaler Stelle stehen, dann folgen in grösseren, nach
rechts zunehmenden Abständen «li«* ührigi-u Zähne derart., dass
die heulen rechten Schneidezähne noch ganz nach «l«»r linken Kopf-
hiilfte verschob«-» sind und der 1 1 «in davon abg«-rückt«- rechte
Eckzahn genau vertikal unter der Nasi-nseheidewaml liegt.
Die beiden Zähne, welche neben einander auf der Höhe der
Mundspaltengescliwulsl vorrageii. sind di<- Ix-üleii rechten Backen¬
zähne. Von den rechten Mahlzähin-n fühlt man nur noch einen
hinten rechts in «I«*r Unterkleferg«-schwillst gegen die Wange
gekehrt.
D«*r Oberkiefer scheint nicht deformirt ts w. u.b, der Zalin-
Img« li ist regelmässig; derselbe lmt zwei tiefe und breite Furchen
in «li«- Unterkiefergeschwulst eingegraben. Die Zähne sind mit
Zahnstein he«leckt.
1 ii«* vonlereu Xaseinüffiuingeii siml erweitert.
I 'elier «len B e f u n «1 an den W e 1 c h t h e 11 e n , wie er
sich im Nov«-mlier 15 hh) «larstellt« 1 . ist F«dgendes zu bemerken:
Die Lungen weis«-n LIIU Dämpfung und Knisterrasseln,
RHU etwas Knisterrasseln auf.
Eine Herzdämpfuiig ist kaum vorhanden. Deutliche Pulsatio
«•pignstrica. Der im 5. Intorkostalrnuni siehtliar«- Herzstoss hebt
ziiw« ih-n «li«* 5. Itipp«* mit. Die Herztön«* sind iilu-rall laut und
r«*i 11 . - Der Puls beträgt b«*i«l« iscits so in «ler Minute, ist voll,
lii« In hart.
l‘« idi- Nicn-u sind deutlich fühlbar, liesonders aber die linke,
\\' !<ln* ihrem halben Umfang inu-b gefühlt wenien kann; «li«-
L’alpatlon derselben isi etwas schuu-rzliaft. Die re«-htc Nien* ist
sehr beweglich.
In den Leisten sind zahlreiche kleine Drüsen fühlbar.
4*
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1842
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Die Urinuntersuchung ergibt wenig Eiwelss, Muclu, keinen
Zucker. Das spärliche Sediment enthält rotlie und weisse Blut¬
körperchen.
I >ie einen Monat lang fortgesetzte tägliche Messung der
Körperwärme lässt den Kranken fieberfrei erscheinen.
ln Befinden II.'s sind im Verlauf von U Monaten einige Male
kleine Verschlimmerungen auf getreten. Ende Mai 11HI1 hat er eine
leichte Bronchopneumonie diirehgemaeht. Im Urin wurden wieder¬
holt granulirte C.vlinder gefunden.
Im September lbOl bekam Patient Schmerzen in der Nieren¬
gegend. rechts stärker als links. Dieselben steigerten sich einmal
zu einer ausgesprochenen Nierenkolik und strahlten daun in die
Blase aus. II. konpte in Rückenlage nicht mehr uriniren, eines
Tages gingen 7 kleine Konkremente, das grösste etwas über linsen¬
gross. al*. Trotzdem hörten die Schmerzen in der Blasengegend
nicht auf und in der zweiten Hälfte des Oktober machten sich
auch wieder Schmerzen an der rechten Niere geltend. Der Urin
kann auch jetzt nur in Seitenlage entleert werden.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass sich in der Blase ein
Stein befindet, obwohl derselbe durch die Sonde nicht nachge¬
wiesen wurde, und dass die Konkrementbildung in der Niere
immer r.oeh andauert.
Eine vorläufige Untersuchung der bisher abgegangenen
Steinehcn liess sie ans harn- und oxalsauren Salzen zusammen¬
gesetzt erscheinen.
Seit Juni ds. Js. wird eine schnell zunehmende Oeschwulst-
bildung des linken Oberkiefers bemerkt, die auf der Photographie
bereits sichtbar ist.
Die ljcigegclieiio Abbildung zeigt besser, als es Worte ver¬
mögen, welches Zerrbild eines -Menschen Osteomalaeie und Sar¬
kom iin Verein mit Arthritis deformans aus einem vormals wohl¬
gestalteten Körper zu machen vermögen.
Wir sehen die Verunstaltung des Fussgewölbes und der
(irosszehengelenke, die Atrophie der Unterschenkel und die un¬
förmigen Kniegelenke.
Wir sehen die verkürzten, eingeknickten und verkrümmten
Oberschenkel, den Schwund der Beckenknochen und den wunder¬
lich missgestalteten Brustkorb. Die Verunstaltung der Wirbel¬
säule und der Schulterblätter kommen auf der Photographie nicht
zum Ausdruck. Dagegen sieht man vorzüglich das Missverhält¬
nis der Arme unter sieh und zu den Beinen, die Geschwulst¬
bildung des linken Oberarms und die kolbige Auftreibung der
Fingerenden.
Die auf dem Bild auffallende Vergrösserung der linken
lland ist nur eine scheinbare und beruht darauf, dass die
photographische Aufnahme von links erfolgte.
Sehr gut wiedergegeben sind die Grössenverhältnisse der
Unterkiefergeschwulst, die unförmliche Mundspalte und die
weiten Nasenlöeher.
Als der wichtigste Punkt in der Krankengeschichte des H.
erscheint mir der. dass er vom 8. bis 14. Jahr in einer feuchten
Parterrewohnung gelebt hat; das ist ein Umstand, der erfahrungs-
gemiiss die Entstehung der Knochenerweichung begünstigt.
Auffallend ist allerdings, dass erst 4 Jahre nach dem Verlassen
dieser Wohnung die Erkrankung des Knochensystems auftritt,
und dass dieser Erkrankung eine liingerdauemde, durch den
Beruf bedingte Ueheranstrengung des erkrankten Beines voraus¬
geht. Die schnelle Ermüdbarkeit beim Spielen als Kind ist H.,
wie er selbst zugibt, erst, später im Verlauf seiner Krankheit
aufgefallen.
Der schleichende Verlauf der Krankheit mit zeitweiser Besse¬
rung und die nach einem kleinen Trauma plötzlich auftretende
hochgradige Verschlimmerung sind nichts Ungewöhnliches;
ebenso ist die Bildung von Nierensteinen bei der Osteomalaeie
bekannt.
Wie aber verhält es sieh mit der Geschwulstbildung im
Unterkicf* r und am Arm?
H. erzählt, die Unterkiefergeschwulst sei im Jahr 1897 genau
an der Stelle aufgetreten, wo er sich 2 Jahre vorher einen Zahn
ziehen liess. Nun werden grössere oder kleinere Traumen ja
sehr häufig für die Entstellung von Geschwülsten verantwort¬
lich gemacht, es ist aber doch nicht wohl anzunehmen, dass ein
derart hervorgerufenes .Sarkom erst 2 Jahre nach der beschul¬
digten Verletzung auf treten soll.
Sind die Geschwülste des II. überhaupt Sarkome oder sind
es Knochencysten, wie solche bei der Osteomalaeie häufiger auf¬
treteil ?
Die Entscheidung scheint mir einfach, obwohl keine ana¬
tomische Untersuchung vorliegt. Gegen Knochencysten spricht
die Grösse der Gesehwulstbildungen und die das Wachstlium be¬
gleitenden Schmerzen, für Sarkome die Schnelligkeit des
Wachsthums und vor Allem die Gleichheit mit den von
v. Recklinghausen beschriebenen und durch histo¬
logische Untersuchung als Riosenzellensarkome erwiesenen Fällen.
Insbesondere der von v. Recklinghausen beschriebene Fall
Bl. gleicht dem des II. in seinem Verlauf ungemein.
Die Lokalisation der Geschwülste entspricht dem v. Reck-
1 i » g h a u s e n’schen Gesetz, wonach von der Geschwulstbildung
„vorwiegend diejenigen Ab¬
schnitte der Röhrenknochen
und diejenigen kurzen,
spongiösen Knochen be¬
troffen werden, welche am
meisten zu tragen haben,
diejenigen Stellen der ein¬
zelnen Skelettheile, an wel¬
chen die Zug- und Druck¬
kräfte die Knoehenmasso
am stärksten angreifen,
also da, wo die Compacta
beim ausgewachsenen, nor¬
malen Röhrenknochen die
grösste Dicke erreicht.“
In den zuerst befallenen Knochen scheint das Wachsthum
der Sarkome einen vorläufigen Abschluss gefunden zu haben.
Dagegen bemerkt man, wie bereits erwähnt, zur Zeit ein neues
Sarkom im Oberkiefer, das bei fortschreitendem Wachsthum die
Ernährung des Kranken noch schwieriger gestalten wird, als
bisher und sie schliesslich unmöglich machen wird, wenn nicht
vorher Metastasen in den inneren Organen dem Leben ein Ziel
setzen.
Ich erfülle zum Schluss die angenehme Pflicht, Herrn Sani¬
tätsrath Dr. F a u s e r, dem Oberarzt des Bürgerhospitals, für
die liebenswürdige Erlaubnis zur Untersuchung und Veröffent¬
lichung dieses Falles den verbindlichsten Dank abzustatten.
Ueber die Bedeutung der Individualstatistik bei
der Erblichkeitsfrage in der Neuro- und Psycho¬
pathologie.
Von Dr. Wilhelm Strohmayer, Hausarzt der Privat-
nervenklinik (Prof. Binswanger) in Jena.
(Schluss.)
Aus dem Vorhandensein der genannten Erkrankungsformen
in einem Stammbaume kann man mit 'ziemlicher Sicherheit auf
den hohen Grad der erblichen Belastung im Sinne einer bereit 4
stattfindenden Degeneration schliessen, und für den Eingeweihten
wirft das Vorkommen degenerativer Formen in einer Familie
helle Streiflichter rückwärts auf die Dignität des Stammes.
Prägnante Stigmata degenerationis sollten bei beabsichtigten
Verbindungen ein Warnungszeichen von grösster Bedeutung sein.
Schon aus praktischen Gründen allein erachte ich es für zweck¬
mässig, an dem Begriffe der Degeneration festzuhalten.
Schon Morel hat bekanntlich eine Degenerations¬
skala aufgestellt, die sich aus folgenden Stufen zusammen¬
setzen soll:
1. nervöses Temperament, sittliche Depravation, Excesse;
2. Neigung zu Apoplexien und schwere Nervosität;
3. psychische Störungen, Selbstmorde, intellektuelle Un¬
fähigkeit;
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12. November 1901.
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1843
4. angeborener Blödsinn, Missbildungen, Entwicklungs¬
hemmungen ;
6. Verschwinden der Familien.
Sicherlich ist in der Kegel der Weg der Degeneration so, wie
ihn Morel in seinen grossen Etappen gezeichnet hat. Aber es
bestehen doch auch recht markante Ausnahmen. Man stösst bei
der Individualstatistik nicht selten auf „Psychopathen¬
familie n“, in denen es kaum ein normales Menschenkind
gibt; in denen wir aber auch durch Generationen hindurch kaum
eine ausgeprägtere Nerven- oder Geisteskrankheit finden. Das
sind die Familien der „sonderbaren Käuze“, der „Erfinder“, der
in „Amerika Verschollenen“, der nervös erregbaren, hitzigen,
heftigen, jähzornigen oder verschrobenen Naturen und des un-
motivirten, gehäuften Selbstmords. Ab und an taucht ein
Potator auf oder die Neigung zu sexuellen Excessen. Eigent¬
liche Psychosen vermissen wir, auch die Neigung zur Degenera¬
tion verzögert sich auffallend lange, um aber um so rapider fort¬
zuschreiten, wenn es zu einer Vereinigung derartiger Psycho¬
pathenfamilien kommt. Gerade an solchen Ehen fand ich den
verhängnisvollen Einfluss der cumulativen Vererbung ausser¬
ordentlich deutlich in die Augen springend.
Noch einer weiteren Ausnahme vom More l’schen Gesetze
bin ich mehrmals begegnet. Während in den ersten Generationen
wohlausgeprägte Neurosen und Psychosen einfacher und de-
generativer Art vorkamen, nahm die Degeneration in der Des-
cendenz nicht zu, sondern ohne erkennbare äussere Ursache
a b oder sprang auf die ethische Seite des psychischen Lebens
über und zeitigte Defektmenschen, die entweder als Ver¬
schwender endigten oder durch betrügerische Handlungen,
Diebstähle, Sittlichkeitsverbrechen, Vagabondage mit se¬
kundärem Alkoholismus etc. auffällig wurden. Gerade in
dieser Kategorie fand ich Genie und Entartung häufig
neben einander. Auch eine vollständige „Er¬
schöpfung“ der erblichen Belastung kommt
vor, ohne dass eine Kreuzung mit Vollblut
oder sonstige a r t a u f b e s s e r n d e Maassnahmen
ersichtlich waren. In solchen Fällen hat man sich ge¬
wöhnt zu sagen: die Vererbung wird „latent“. Bei ruhiger Be¬
trachtung will dies nichts anderes bedeuten, als dass wir eben
noch weit von dem Standpunkte entfernt sind, bestimmte Ver-
erbungs gesetze aufstellen zu können.
Lässt sich für die Thatsache der Tendenz der
Artaufbesserung oft keine Erklärung finden, so dass
man mit Lorenz zu der Ueberzeugung kommt, als stehe im
Princip der „individuell entwickelten Impotenz die Totalität der
vererbbaren Eigenschaften des Durchschnittes zur Seite, welcher
das Fortleben der Gattung sichert“ (L c., pag. 488), so fällt es
um so leichter, aus dem empirischen, klinischen Material die¬
jenigen Momente zu eikennen, welche an der Ver¬
schlechterung und der Degeneration der Art
mitwirken. Schon dieser eine Vortheil aetiologisch-klinischer
Betrachtungsweise rechtfertigt das Studium von Individual-
stammbäumen, weil wir auf diese Weise eine vemunftgemässe
Prophylaxe lernen. In dieser Beziehung reden nach mancher
Richtung hin viele Familiengeschichten eine deutliche Sprache.
Obenan steht als hauptsächlichster degenerativer Faktor der
Alkoholismus, und zwar muss ich gestehen, dass meine
diesbezüglichen Befunde alle meine Erwartungen hinter sich
Hessen. Auf Schritt und Tritt begegnete ich den Verheerungen
des Alkohols. In nicht weniger als 16 FamiHen von meinen
56 waren der Stammvater oder die Stammmutter (<L h. das erste
Glied, das uns von der Familie zur Kenntniss kam) Potatoren,
und in 17 Fällen konnte ich konstatiren, dass der Alkoholismus
als solcher sich von den Eltern auf das Kind übertrug. Es Hess
sich natürlich nicht immer entscheiden, ob es sich dabei schon
um die Vererbung einer eigentlichen Psychose handelte, auf
deren Basis sich der Alkoholismus, etwa in der Form einer
periodischen Dipsomanie, breit machte, oder ob nur eine gewisse
Resistenzlosigkeit gegen Alkohol sich forterbte, so dass das böse
Beispiel der Eltern bei den Kindern auf fruchtbaren Boden fiel.
Gerade der Umstand, dass die Trunksucht der Eltern zu den
verschiedenartigsten Psychosen und Neurosen u ) disponirt, macht
die Annahme erklärlich, dass der Alkohol direkt
“) Vgl. Kind: lieber den Einfluss der Trunksucht auf die
Entstehung der Idiotie, Allg. Zeitscbr. f. Psych., Bd. 40, pag. 504.
No. 46.
toxisch auf die Keimzellen der Erzeuger
wirkt. Auf die häufige Thatsache, dass der Alkohol für Er¬
krankungen des Centralnervensystems organischer Natur durch
die Vermittlung der Arteriosklerose und Apoplexie die Wege
ebnet, habe ich schon oben hingewiesen. Ob es nur ein Zufall
ist, dass ich Potatorenehen öfter als kinderlos verzeichnet fand,
möchte ich dahingesteUt sein lassen.
Was die Syphilis als prädisponirendes Moment betrifft,
so war meine Ausbeute recht spärlich. Sie war in der Anamnese
der Paralytiker nie zu vermissen, und dass Mitgheder einer
neuropathisch belasteten FamiHe auch an Himlues erkrankten,
war nur verständlich. Einen allgemeinen, weittragenden Ein¬
fluss der väterlichen Lues auf die Desoendenz habe ich nur in
einer einzigen FamiHe bemerkt. Der Vater, der seinerseits nur
rnässig belastet war (der Grossvater wird als lebhaft excentrisch
bezeichnet), infizirte die gesunde Mutter, die an einer syplii-
Htisehen Hemiplegie in jungen Jahren erkrankt. Von den
7 Kindern dieser Ehe endigte ein Sohn mit 16 Jahren durch
Suicid, ein zweiter, körperHch und geistig zurückgebHeben, im
zweiten Lebensjahre; ein dritter, Potator, mit mehrfachem De¬
hn um tremens, ist in Amerika verschollen, ein vierter neigt zur
Einsamkeit; eine Schwester war neurasthenisch, eine zweite
periodisch paranoisch und nur eine einzige gesund.
Eine ganz merkwürdige Ansicht vertritt Orchansky“),
dem zu Folge die erbHche Disposition die schädHche Wirkung der
SyphiHs auf das Nervensystem verringere. Viel einleuchtender
ist wohl die Ansicht, dass die Syphilis als keim¬
schädigendes Moment kraft ihrer Eigenschaft
als Infektion, ähnlich wie der Alkoholismus als Intoxi¬
kation, prädisponirend wirke. Im Uebrigen scheint
es mir nicht unwichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht alle Er¬
krankungen des Centralnervensystems im Gefolge von Lues als
erblich belastend gleich schwer in’s Gewicht fallen. Immer noch
ist man geneigt, die progressive Paralyse, ja sogar die echte
Himlues in neuropathologischer Hinsicht als erbliche Be¬
lastung zu betrachten, insofern es sich um Krankheiten handelt,
die mit psychischen, resp. nervösen Störungen verknüpft sind.
Belastend an derartigen Fällen ist wohl nur die Thatsache der
schon bestellenden syphilitischen Durchseuchung des Elters zur
Zeit der Zeugung. Die specielle Lokalisation im Centralnerven¬
system hat sonst nichts vor anderen Lokalisationen voraus.
Ganz anders zu bewerthen sind die „dyskrasischen“ Allgemein¬
erkrankungen des Centraluervensystems funktioneller Natur auf
dem Boden der syphilitischen Infektion (SyphiHsneurasthenie,
SyphiHshypoohondrie etc.), wo aber die Lues jeder anderen
causa externa aetiologisch gleich zu steHen ist.
Die übrigen körperlichen Erkrankungen, vor AHem die
Tuberkulose, als aetiologische Faktoren zu betrachten, hat
3eine Schwierigkeiten. Handelt es sich doch dabei um Erschei¬
nungen, die überall einmal Vorkommen können, also auch in
FamiHen, in denen Nerven- und Geisteskrankheiten heimisch
sind. In sechs FamiHen schien mir jedoch gerade die Phthise
eine mehr als nebensächliche Bedeutung in der Morbiditätsskala
zu besitzen, indem eine einseitige oder gar doppelseitige Mit¬
wirkung derselben rapid zur Degeneration des Stammes führte,
ohne dass anderweitige, äussere Ursachen dafür hätten verant¬
wortlich gemacht werden können.
Vor nicht gar langer Zeit hat Crocq 1 ') eine umfassende
Diathesenlehre aufgeatellt. Die Diathese im weitesten
Sinne — und es gibt nur eine Diathese — ist ein durch
die Störung der nutritiven Vorgänge oha-
rakterisi rter Krankheitszustand, ein Ent¬
artungszustand, angeboren oder erworben,
welcher zahlreiche „diathetische“ Erkran¬
kungen und besonders die Psychopathien er¬
zeugt. Geisteskrankheiten entwickeln sich nach Crocq
ausserordentlich häufig aus einer anderen Form der Diathese
der Ascendenz und können ihrerseits zu allen Formen der Dia¬
these bei der Deacendenz führen. Zu den diathetischen Er¬
krankungen rechnet er unglaublich viel: Rachitis, Osteomalacie,
Gallen- und Blasensteine, Gicht, Rheumatismus, Obesitas, Dia¬
betes, Asthma, Migräne, Haemophilie, Varicen, Aneurysmen.
- f*l«R
“) Orchansky: VgL Neurol. Centralbl. 1897. pag. 918.
,r ) Orocq: L’hßrßdltö en psyehopathologle, Progr. mM. 185»«'..
II, pag. 249.
b
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1844 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 4(1.
Skropliulose, Tuberkulose, maligne Geschwülste, Herz-, Nervcn-
und Geisteskranklxeiten — Alles ist und bewirkt die Diathese.
Eine derartige Verallgemeinerung führt nur zu Unklarheiten, da
doch Dinge unter einem Hut zusammen gefasst werden, welche
pathogenetisch recht verschieden gewürdigt zu werden verdienen.
Am glaubwürdigsten erscheint mir an der Diathesenlehre nur ein,
wenn auch lockerer Zusammenhang der sogen. Constitutions¬
krankheiten, vor Allem der Gicht, des Diabetes und der Fett¬
sucht, mit Erkrankungen des Centralnervensystemes, wie es denn
auch nicht schwer fällt, in neuro- resp. psychopathischen
Familien einige solche „diathetisehe“ Mitglieder zu finden. Dass
vielleicht für die Gicht etc. wiederum der Alkoholismus eine
entscheidende Rolle spielt, darf nicht vergessen werden. Oft ist
er allein die „Diathese“, auf der Gicht, Asthma, Nerven- und
Geisteskranklieiten erwachsen.
Wenn ich zum Schlüsse noch den Einfluss von Ver¬
wandtenehen auf die Gestaltung der Vererbung erwähnen
darf, so ist es Folgendes. In den von mir studirten Familien
kamen Verwandtenheirathen nur 7 mal vor. In einem Falle
heiratheto die Mutter des Patienten — mit geringer erblicher
Belastung — ihren Onkel, der aus einer apoplektischen Familie
stammte. Ein schädlicher Einlluss liess sich bei den Nach¬
kommen nicht erkennen. In dem zweiten Falle waren die
Urgrossmütter väterlicherseits Schwestern; die eine war geistes¬
krank gewesen und hatte durch Suicid geendet — schon in dem
nächstfolgenden Geschlechte begann die Degeneration; ob post
oder propter hoc, will ich nicht entscheiden. In einem dritten
Stammbaume heiratheten zwei erblich belastete Schwestern A.
und B. zwei Brüder R. und F. belasteter Abkunft, von denen R.
geisteskrank wurde und durch Suicid endigte. Von den zwei
Söhnen der Ehe A. und R. war der Eine Epileptiker, der Andere
Potator. Von den vier Kindern aus der Ehe B. und F. war eine
Tochter nervös, eine andere hysterisch, eine dritte litt an Irresein
aus Zwangsvorstellungen, ein Sohn blieb gesund. In einer
weiteren Familie mit cumulativer erblicher Belastung väter¬
licherseits heiratliete ein Psychopath eine mit ihm im 2. Gliede
verwandte Frau. Fünf ihrer Kinder starben klein an Krämpfen,
zwei Töchter leben als schwere Hystericae. Am krassesten doku-
mentirt sich der degenerirende Einfluss der Ehe zweier belasteter
naher Blutsverwandten. Der geisteskranke N. Fl. hat einen
ehelichen Sohn A. Fl. Die Frau desselben, E. geb. K., (Zucht¬
häuslerin und Prostituirte), ist ein uneheliches Kind der M. K.
mit dem genannten N. Fl. Aus dieser Geschwisterehe entspringt
ein Sohn, der chronisch geisteskrank ist, und eine epileptische
Tochter, welche durch Suicid endigt. Der Stamm erlischt.
Im Uebrigen gilt es, bei diesem Punkte nachdrücklichst
gegen Irrthümer Front zu machen, welche als gemünzte Waare
von Hand zu Hand gehen, gegen die übertriebene Anschauung
von der Schädlichkeit der Inzucht und der Verwandtenellen.
Man sollte meinen, historische Belege, wie sie uns Lorenz von
den Lagiden, den Habsburgern, dem russischen Herrscherhause
u. s. w. gibt, sollten in dieser Beziehung aufklärend wirken.
Unsere praktischen Beispiele haben uns nur
die verständliche Thatsache kennen gelehrt,
dass Verwandtenehen dann verhäng n i ssvo 11
werden, wenn sich 2 belastete Familien copu-
1 i r e n.
Schlagende Beispiele nach der entgegengesetzten Richtung,
von der Artaufbesserung durch „K reuzung mit
Y o 11 b 1 u t“, vermag ich nicht beizubringen. Die Ehen zwiselien
einem gesunden und einem kranken Elter zeigten durchaus kein
gesetzmässiges Verhalten, selbst das Produkt aus der Vereinigung
eines aus belastetem mit einem aus gesundem Stamme hervor¬
gegangenen Individuum war variabel. Kein Mensch weiss auch
genau zu bestimmen, was ein anscheinend gesundes Mitglied von
seinen Ahnen „latent“ mitbekommen hat. Tauchen plötzlich in
einer gesunden, nicht belasteten Generation schwere Abweich¬
ungen vom Typus auf, auch bei der Kreuzung gesunder Stämme,
so muss man immer an zwei Möglichkeiten denken, einmal an
die bekannte Erscheinung des Atavismus, dem gerade
Lorenz ein grosses Gewicht beilegt, und zweitens an die von
Möbius “) betonte, hypothetische „K eimfeindschaf t“.
Es leuchtet auch ohne Weiteres ein, dass bei der Vereinigung
M ö t) i u s: Feber Entartung, Grenzfragen des Nerven- und
Seelenlebens. 111. Wiesbaden, Bergmann 1900.
zweier nicht passender, im Uebrigen aber gesunder Keime etwas
Abnormes („Entartetes“) zu Stande kommen k ann (1. c. pag. 100).
Leider war ein wichtiges Resultat, welches sich im Laufe
der vorstehenden Arbeit für mich ergab, ein negatives. Es
war die Ueberzeugung, dass die Frage, ob er¬
worbene Charaktere jemals in irgend einem
Grade vererbt werden können, durch eine
medicinische Individualstatistik ihrer Ent¬
scheidung kaum näher gerückt wird. Gerade
je gewissenhafter man Individualstatistik betreibt, um so
grösser werden die Schwierigkeiten bei der Beurtheilung, wie
viel von einem Individualcharaktcr erworben und wie viel er¬
erbt ist. Je mehr man sich in Genealogien vertieft, um 60
mächtiger wild der Zweifel, ob nicht schon das scheinbar erste
Leiden einer Generation kein rein erworbenes war. Ich fürchte,
die aetiologisch - klinische Forschung in der
Neuro- und Psychopathologie wird das entscheidende Wort in dem
Streite, ob nur ererbte oder auch erworbene Charaktere
vererbbar sind, nicht sprechen, weil sie auf dem ihr vorgezeich¬
neten mühevollen Wege an den Hemmnissen räumlicher und
zeitlicher Beschränkung, absichtlicher Täuschung und mensch¬
lichen Irrthums erlahmen muss. Es will mir scheinen, dass unsere
Stammbäume nicht dazu geeignet sind, V ererbungs-
g e 8 e t z e aufzustellen. Wie könnte auch die Betrachtung einer
geringen Zahl von Generationen eines Stammes die Grundlage
von „Gesetzen“ werden! Vielleicht eröffnet das Studium
von Ahnentafeln weitere Gesichtspunkte. Sehr ermuthigend
sind allerdings die Aussichten nach den Darlegungen von
Lorenz nicht, welcher der Annahme zuneigt, dass das genea¬
logische Studium die ganze Erbliclikeitslehre wahrscheinlich er¬
heblich erschüttern würde ’*).
Alle diese Spekulationen zwingen uns vor der Hand aber
keineswegs, die Erbliclikeit als aetiologischen Faktor zu streichen.
Unsere praktische Medicin hat uns manche therapeutische Maass¬
nahmen empirisch an die Iland gegeben, deren wissen¬
schaftliche Begründung uns noch vollkommen abgeht. Wir wen¬
den sie an, und überlassen die Probe auf das Exempel getrost
der Zukunft. Hat uns die Praxis, selbst nur bei der mit der
Wirkung einer Sammellinse vergleichbaren Betrachtungsweise
des Psychiaters die Begriffe der erblichen Belastung, der ncuro-
und psychopathischen Prädisposition, der cumulativen Vererbung
und der Degeneration kennen und fürchten gelehrt, so liegen
die praktischen Konsequenzen, welche wir
Aerzte aus der Individualstatistik für eine
Vernunft- und sachgemässe Berathung der
gegenwärtigen und zukünftigen Generation
ziehen können, klarer vor uns und ergeben sich aus den
vorstehenden Erörterungen von selbst. Ist es auch oft Irrthum,
was uns leitet, das Bewusstsein, trotzdem manchen Segen zu
stiften, mag uns darüber trösten.
Bemerkungen zu dem Artikel des Herrn Prof Dr.
Cramer: „Bacillol 'und Lysoform. zwei neuere
Desinfektionsmittel.“
Von Dr. Vertun in Berlin.
Herr Prof. Dr. Cramer aus Aachen vergleicht ein neues
Cresolseifenpräparat mit dem Formaldehydseifenpräparat „Lyso-
form‘‘ hinsichtlich der Wirkung auf nicht Sporen bildende Bak¬
terien und kommt zu dem Schlüsse, dass das Lysoform dem
Cresolpräparat an Desinfektionskraft nachstehe und nur als
Desodorans und Kosmeticum zu empfehlen sei. Herr Cramer
Übersieht bei den Reagensglasversuchen die Erfordernisse der
ärztlichen Praxis. Da aber das Lysoform gerade diesen ge¬
recht wird, halte ich es für angebracht, hier entgegen den Schluss¬
folgerungen des Herrn Cramer auf die Bedeutung des Lyso-
forms für die Praxis kurz hinzuweisen.
Nur zwei Ansprüche stellt Herr Cramer an ein praktisches
Antisepticum, nämlich dass es höchste Desinfektionskraft besitze
und billig sei. Konsequenter Weise hätte Herr Cr. nun das
Sublimat allein empfehlen müssen, denn diesem wohnt bei sehr
billigem Preise eine weit höhere Desinfektionskraft inne, als den
C resol p rä paraten.
Der Praktiker wird ein minder heroisches Antisepticum für
viele Zwecke bevorzugen, wenn dasselbe minder giftig oder un¬
giftig ist
Die Cresolpräparate, auch das neue, wie Herr Cr. zugibt
sind Antiseptica von starker Giftigkeit Erst vor einigen Wochen
'*) Vgl. Lorenz, 1. c. pag. 377 ff. und 463, Anmerk. 1.
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12. November 1901. MUENCHENER MEDICIN1SCJHE WOCHENSCHRIFT. 1845
stellte Burgl 1 ) an dieser Stelle 18 publizirte Fülle von zum Theil
tüdtllchen CresolVergiftungen zusammen.
Dahingegen ist nach Versuchen von Symanski’) sowohl
(die vor 2 Monaten erschienene Arbeit ist Herrn C r a m e r nicht
bekannt), wie nach den meinlgen Lysoform relativ ungiftig und
trotzdem, wenn auch nicht zu den heroischen, so doch zu den
stärkeren Desinfektionsmitteln zu. zählen. Lysoform wirkt auch
auf die sporenbildenden Bakterien ein. So wurden Milzbrandsporen
nach S y m a u s k i ln einer 3 proc. Lysoformlösung in der un¬
gemein geringen Zeitdauer von 8 Stunden abgetödtet.
Da Lysoform zudem nacli der Anwendung keinen Geruch
hluterliisst, so wird es für Scheiden-, Mund-, Blasenspülungen,
zur Benetzung der Hände während der Operation etc., besonders
auch als Antisepticum für Kinder mit Recht bevorzugt
Meine Versuche werde ich an anderer Stelle publlziren, da
der Raum hier Ausführlicheres nicht gestattet.
Referate und Bücheranzeigen.
Dr. Earl v. Bardeleben, Professor an der Universität
Jena und Prof. Dr. Heinrich Hackel, Chefarzt des Kranken¬
hauses Bethanien in Stettin: Atlas der topographischen Ana¬
tomie des Menschen. Für Studirende und Aerzto.
Zweite völlig umgearbeitete und vermehrte Auflage. Enthaltend
176 grösstentheils mehrfarbige Holzschnitte, 1 lithographirte
Doppeltafel und erläuternden Text. Herausgegeben unter Mit¬
wirkung von Dr. Fritz Frohse, Volontär-Assistent an der
anatomischen Anstalt in Berlin. Mit Beiträgen von Prof. Dr.
Theodor Ziehen. Fünftes bis siebentes Tausend. Jena, Ver¬
lag von Gustav Fischer.
Dieser Atlas erscheint in fast vollständig neuem Gewände.
Nachdem die erste Auflage von 4000 Exemplaren (!) abgesetzt
worden war, haben sich die Verfasser entschlossen, ihrem Werke
eine energische Verjüngung angedeihen zu lassen. Die Zahl der
Abbildungen wurde um 42 vermehrt und von den alten wurden
55 durch ganz neue Bilder ersetzt. Was dies besagen will, erhellt
leicht, wenn in Rechnung gezogen wird, dass die Gesammtzahl
der Figuren nicht mehr als 171 (ein Druckfehler auf dem Titel
macht daraus 176) beträgt, eine Beschränkung des Stoffes, die
der besonderen Hervorhebung der praktisch wirklich wichtigen
topographisch-anatomischen Daten dienen soll. In diesem Sinne,
d. h. in Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse des Arztes
werden auch solche Materien illustrirt, welche der Regel nach
anderwärts weniger Berücksichtigung finden, wie z. B. Sehnen¬
scheiden, Schleimbeutel, Lymphdriisen. Die neu eingefügten
Bilder betreffen unter anderem auch die Gelenke, die Projektion
innerer Organe, den Verlauf der Fascien; ferner sind die ab¬
weichenden Verhältnisse des kindlichen Körpers theilweise, näm¬
lich durch Einschiebung neuer Bilder bei Gehirn, Nasenhöhle,
Brust, Herz und Situs viscerum, zur Darstellung gekommen.
Schliesslich wurde darauf Bedacht genommen, solche Organe,
deren klinische Behandlung auf dem Grenzgebiete der inneren
Medicin und der Chirurgie liegt, welche also zur Zeit ein Gegen¬
stand des speciellen Interesses der Aerzte sind, durch zweckmässig
ausgewählte Abbildungen zur Anschauung zu bringen.
Die meisten Bilder dieses Atlas sind, was die Zeichnung
und den Holzschnitt anbetrifft, ganz ausgezeichnet gelungen.
Das Werk ist zudem vorzüglich gedruckt. Ich kann ohne Ueber-
treibung sagen, dass die Uebersichtlichkeit, Klarheit, Einfach¬
heit und ästhetische Schönheit vieler Abbildungen bewunderungs¬
würdig ist. Wir glauben, dass dieser Atlas in den weitesten
Kreisen der Aerzte mit Freuden begrüsst und sehr viel benützt
werden wird. Martin Heidenhain.
Dr. Ludwig S t i e d a , o. ö. Professor der Anatomie an der
Universität Königsberg i. Pr.: Grundriss der Anatomie des
Menschen. Vierte mit Berücksichtigung der neuen anatomischen
Nomenklatur bearbeitete Auflage des Grundrisses der Anatomie
von A. Panse li. Mit 446 zum Theil farbigen Holzschnitten
im Text und 57 Abbildungen auf 10 Tafeln. Braunschweig,
Verlag von Gebrüder Jännecke, 1900. 573 Seiten.
Dieser Grundriss der Anatomie ist ein allgemein als tüchtig
anerkanntes Buch. Der Verfasser gibt die systematische und
topographische Anatomie etwa in dem Umfange, wie sie der Stu-
l ) Burgl: „2 Fälle von tödtlicher Innerer Lysol Vergiftung
mit Betrachtungen über Lysolwirkung“. No. 39, 1901, dieser
Wochenschrift.
*) Symanskl (aus dem hygienischen Institut der Universität
Königsberg I. Pr.): „Einige Desinfektionsversuche mit einem neuen
Deslnflcleus „Lysoform“. Zeltschr. f. Hyg. u. Infektlonskrankh..
37. Bd„ 1901, 8. 393.
dirende braucht. Die Ueberladung mit Einzelheiten ist absicht¬
lich vermieden; der Hauptwerth wurde auf eine klare und prä¬
zise Schilderung der wesentlichen anatomischen Daten gelegt.
Histologie und Embryologie werden nur gelegentlich zur Er¬
gänzung mit herangezogen. Den Text begleiten eine sehr grosse
Reihe von Abbildungen, welche bei der Lektüre zur ersten Orien-
tirung dienen, freilich den modernen viel gebrauchten Hand¬
atlanten keine Konkurrenz machen können.
Von Einzelheiten möchten wir hervorheben, dass das Buch
eine zwar kurze, aber recht gute Darstellung der Morphologie
des Gehirns enthält. Wir haben in dem Herrn Verfasser endlich
einmal einen Anatomen gefunden, der es abgelehnt hat, das im
Unterricht unbrauchbare Eintheilungs- und Nomenklaturschema
des Gehirns von H i s, welches in der Basler Nomenklatur „offi¬
ziell“ geworden ist, in Anwendung zu bringen. Es kann nur mit
Freuden begrüsst werden, wenn die anatomischen Schriftsteller
sich nicht blindlings in allen Stücken dem in der Basler Nomen¬
klatur gegebenen Kanon der Anatomie unterwerfen.
Das Buch eignet sich zum Gebrauch vom Beginn des medi-
einischen Studiums an und wird von unseren Studirenden ge¬
wiss gerne benutzt werden.
Martin Heidenhain.
Hermann Fehling: Lehrbuch der Frauenkrankheiten.
Mit 223 in den Text gedruckten Abbildungen. 2. neu bearbeitete
Auflage. Stuttgart, Ferd. Enke, 1900.
Das Werk gehört zu der von Enke herausgegebenen „Biblio¬
thek des Arztes“, welche sich „eine Sammlung medicinischer
Lehrbücher für Studirende und Praktiker“ nennt. F e h 1 i n g’s
Buch bietet aber viel mehr, als dieser Sammeltitd besagt; es
ist nicht nur ein ganz ausgezeichnetes Werk für „Studirende
und Praktiker“, sondern auch jeder Gynäkologe wird es mit
grösstem Interesse und Nutzen immer wieder zur Hand nehmen.
F e h 1 i n g’s anregende Schreibweise ist bekannt — sie wirkt wie
ein lebhafter, packender Vortrag. Dabei fehlt es nirgends an
offener, wo nöthig selbst scharfer Kritik: „Während im Beginn
der neuen operativen Aera (bei Retroflexio uteri) ein wüstes,
indikationsloses Operiren statthatte, ist jetzt mehr Ruhe und
Kritik vorhanden“ (S. 229). Das Werk ist reich illustrirt,
meist mit guten Holzschnitten; nur einzelne Cliches (nach Blei¬
stiftzeichnungen?) wirken zu wenig scharf, so die Abb. 175, 176;
diese und einige andere Bilder (94, 195) lassen sich in den
nächsten Auflagen leicht durch neue ersetzen.
Die 1. Auflage ist 1893 erschienen; in den 7 Jahren bis zum
Erscheinen der 2. Auflage hat besonders die operative Gynäko¬
logie wichtige Wandlungen durchgemacht. In unübertrefflicher
Weise beschreibt F. z. B. die Sturm- und Drangperiodo der
operativen Uterusfixation: „Schon die Auswahl und die Tn-
dikationsstellung war vielfach nicht richtig, die letztere wurde
vor Allem zu weit ausgedehnt. Die Erfolge waren nur theil¬
weise befriedigend: neben Misserfolgen ergab sich so schwere
Verwachsung des Uterus mit der Scheide (nach Vaginaefixation).
dass erhebliche Schwangerschafts- und Geburtsstörungen ein
traten, so dass Perforation und Kaiserschnitt nöthig waren.“
F. selbst hält die kritische Mitte zwischen diesem Uebersehwang
und operativem Nihilismus. „Ich habe wegen Retroflexio. theils
mobiler, theils leicht fixirter. 95 mal operirt (vaginale Vesico-
fixatio). Von diesen haben 18 Frauen 23 mal geboren, und nur
1 mal war die Geburt schwer und Perforation nöthig; auffallend
ist, dass auf 13 Schädellagen 8 Querlagen kamen, nur 1 mal
fand Abort statt.“ Ueber die Indikation zur operativen Fixation
des Uterus bei Retroflexio schreibt. F.: „Operirt soll nur werden,
wenn alle mechanische Therapie genügend lang, aber erfolglos
ausgeübt wurde.-Die mobile Retroflexion dürfte bei Uebung
in der Pessartherapie ein weit geringeres Kontingent zur Opera¬
tion stellen.“ Demgemäss beschreibt F. die Pessartherapie in
der sorgfältigsten Weise; dieses und alle anderen für den prak¬
tischen Arzt so wichtigen Kapitel, wie Behandlung der chro¬
nischen Endometritis, der chronischen Adnexentzündung u. s. w.
sind mit einer Fülle praktischer Winke versehen, welche nur
durch ausgedehnte Erfahrung gewonnen werden. Dabei be¬
handelt F. nie allein das Genitale, sondern das Weib. Wie viele
der modernen jüngeren „Operateure, Laparotomisten“. wie sie sich
gerne nennen hören, sind statt Frauenärzten mir Frauengenital¬
ärzte! Man lese im Gegensätze dazu F.’s Abhandlung über
„Diätetik der Menstruation, Badekuren bei Frauenkrankheiten“
S*
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1846
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
u. s. w. Trotz oder besser in Folge scharfer Kritik an manchen
wissenschaftlich nicht geklärten Wirkungen der Badekuren geht
F. sorgfältig darauf ein.
Von besonderem Interesse sind in der 2. Auflage auch die
Beschreibungen der neuen vaginalen Operationsmethoden bei
Uterusmyom, Carcinom und Adnexentzündung. Die Ver¬
gleichung der Ergebnisse einzelner Operateure unter sich, als
auch deT vaginalen gegenüber den abdominalen Methoden ge¬
währen ein anschauliches Bild der erstaunlichen operativen
Fortschritte in der Gynäkologie des letzten Jahrzehnts. Werden
die Auswüchse der operativen Gynäkologie einerseits gegeisselt,
so müssen doch andererseits auch ihre glänzenden Erfolge selbst
ängstliche Praktiker ermuthigon, welche dem Operiren und
Operirenlassen allzu abgeneigt sind. Für die vaginale Total-
exstirpation der krebsigen Gebärmutter berechnet F. auf 1727
Fälle 6,7 Proc. Mortalität, darunter hatte z. B. Olshausen
auf 100 Fälle einen Todesfall, Fehling beim ersten Hundert
2 Todesfälle. Bei Collumearcinom waren nach Krukenberg
(Berliner Klinik) nach 5 Jahren 17,6 Proc., bei Corpuscarcinom
66,7 Proc. recidivfrei, nach der Zusammenstellung von Hae-
nisch unter 668 Fällen nach 5 Jahren 21,7 Proc. recidivfrei.
Nach dem 5. Jahre wurde kein Recidiv mehr beobachtet. Das
sind gewiss auch für den grössten Skeptiker — und deren gibt es
leider unter den praktischen Aerzten noch zu viele! — sprechende
Zahlen bei einem Leiden, das ohne Operation sicher zum
Tode führt. Es ist kein Zweifel, dass durch frühzeitige Diagnose
und frühzeitiges Operiren diese Erfolge noch erheblich zu bessern
sind.
Möchten* doch gerade die praktischen Aerzte durch das
Studium so ausgezeichneter Bücher, wie des F e h 1 i n g’sehen,
welches höchste wissenschaftliche Bedeutung mit scharfer Kritik
und glänzender Darstellungsweise verbindet, auch ihrerseits bei¬
tragen zu allgemeiner Verbreitung der segensreichen Fortschritte
unserer heutigen Gynäkologie! Gustav Klein- München.
Stilling: Psychologie der Gesichtsvorstelhmg nach
Kant’s Theorie der Erfahrung. Berlin und Wien 1901.
Urban & Schwarzenberg.
Verfasser versucht die Nothwendigkeit einer selbständigen
psychologischen Erforschung unserer Gesichtsvorstellungen nach¬
zuweisen, wie er überhaupt die Nothwendigkeit einer Psychologie
als Wissenschaft für unleugbar gegeben erachtet. Man lasse
sich vom Studium dieses hochinteressanten und geistreichen
Essays nicht abschrecken, wenn man auch die Kenntnis» der
Philosophie Kanfs und Schoppenhaueris, wie sie vom
Verfasser im Vorwort als nothwendig vorausgesetzt wird, nicht
besitzt. Auch ohne deren genaueres Verständnis» wird man
viel Anregung und Wissenswerthes finden, aber auch mit Kennt¬
nis» derselben gegen die Relationstabellen und manche Schluss¬
folgerungen wenigstens bedingten Widerspruch erheben, sicher¬
lich gegen das Leitmotiv, dass die Physiologie ihre Anweisungen 1
auf die Forschung von der Psychologie zu empfangen habe, nicht ;
aber diese von jener. Seggel.
Heber die Bedeutung der chemischen Strahlen des Lichtes
für Medicin und Biologie. 3 Abhandlungen von Prof. Niels
R. F i n s e n in Kopenhagen. Mit 6 Abbildungen und 6 Tafeln.
Leipzig. Verlag von F. P. W. V o g e 1. 1899. Preis 2.50 M.
Ohne auf den höchst interessanten Inhalt der 3 Abhand¬
lungen. welche in fremder Sprache alle schon früher veröffentlicht
worden sind, einzugehen, möchten wir nur die deutsche ärztliehp
Leserwelt auf diese epochalen Publikationen F i n s e n’s. die seit¬
her durch praktische Anwendung der anfänglich mit begreif¬
licher Skepsis aufgenommenen Beobachtungen des Autors eine
so glänzende Bestätigung erfahren haben, ganz besonders drin¬
gend aufmerksam machen. Die Behandlung des Lupus mittels
der chemischen Strahlen des Sonnenlichts hat ja die Finsen’-
sche Methode unterdess längst populär gemacht, allein diese hie-
mit. dem deutschen Publikum zugänglich gemachten Arbeiten,
durch welche Finsen ..die Aufmerksamkeit, der Aerzte auf die
Bedeutung des Lichtes und namentlich der chemischen Strahlen
für die Biologie und Mcdicin hinzulenken“ beabsichtigt, enthalten
die wichtigen theoretischen Grundlagen für die wissenschaftliche ■
Auffassung der bekannten, höchst überraschenden praktischen
Frfolgo. Für letztere enthalten die vorliegenden Abhandlungen
No. 46.
eine Anzahl von Belegen in der Wiedergabe von Photographien
Behandelter vor und nach der Durchführung der Liohttherapie.
Die 3 Abhandlungen sind: Behandlung der Blattern durch Aus¬
schluss der chemischen Strahlen des Tageslichtes; das Licht als
Tncitamcnt: Behandlung von Lupus mit konzentrirten chemischen
Strahlen. Grassmann - München.
Mittheilungen aus F i n s e n’s medicinischem Lichtinstitut
in Kopenhagen. (2.) Herausgeg. von Prof. Niels R. Finsen.
Die deutsche Ausgabe herausgegeben von Dr. W. B i e, Labora¬
toriumsassistent am Institute. Leipzig, Veriag von F. C. W.
V o g e 1, 1901. Preis 3 M.
Das zweite Heft — über das erste wurde schon an dieser
Stelle berichtet — enthält folgende Abhandlungen: 1. Die Wir¬
kungen des Lichtes auf Mikroorganismen von S. Bang; 2. das
Aktinoskop von A. Larsen; 3. ein Photometer von A. Lar-
sen; 4. die Abhängigkeit des elektrischen Bogenlichts von der
Stromstärke und der Spannung von A. Larsen; 5. Bericht aus
F i n s e n’s medicinischem Lichtinstitut von Prof. Dr. N. Fin¬
sen; 6. Untersuchungen über das Häufigkeitsverhältniss von
Lupus vulgaris in Dänemark; 7. Behandlung von Masern und
Scharlach mit Ausschlieesung der sogen, chemischen Licht¬
strahlen, Uebersichtsartikel von Dr. W. B i e.
Grassmann - München.
Dr. med. Fr. Scholz- Bremen: Von Aerzten und Pa¬
tienten. Lustige und unlustige Plaudereien. 2. verbesserte Auf¬
lage. München 1900. Verlag von Seitz & Schauer.
Es ist sehr erfreulich, das Erscheinen der zweiten Auflage
des an dieser Stelle schon eingehend gewürdigten prächtigen
Buches anzeigen zu können. Schon aus dem Grunde ist es er¬
freulich, weil gewiss nicht angenommen werden kann, die so
rasch vergriffene erste Auflage hätte ihre Leser nur in ärztlichen
Kreisen gefunden: Sicher ist dieser tragi-komische, reizende
Struwelpeter für Aerzte und Patienten — der Verfaasor möge
mir diesen gut gemeinten Vergleich verzeihen — auch reichlichst
in die Kreise des Publikums gedrungen und muss dort Gutes
gestiftet haben, wenigstens gute Vorsätze. Am Inhalt hat sich
nichts Wesentliches geändert, nur das Gewand dieser 2. Auflage
ist prächtiger geworden. Gute Reise!
Grassmann - München.
Zwischen Aerzten und Klienten. Erinnerungen eines alten
Arztes, geordnet und herausgegeben von Prof. J. B. II g h e 11 i.
Deutsch von Dt. Giovanni G a 11 i. Mit einem offenen Briefe
von Prof. Mantegazza. Wilhelm Braumüller, Wien
und Leipzig, 1900. Zweite Auflage.
Auch dieses Buch hat rasch nach der ersten seine zweite
Auflage erlebt — bekanntlich blühet dieses Schicksal gerade
guten Büchern nicht immer. Und U g h e 11 i’s an tiefer
Tyohcnsphilosophie so reiches Werk ist ein vortreffliches. Wir
haben auf den Reiz der Darstellung und den echten Goldgehalt
dieser Schrift schon bei Besprechung der ersten Auflage hin¬
gewiesen und können beim Wiederanblick desselben nur sagen,
dass sie zu jenen gehört, die man als klassische immer mit
gleichem Genüsse zur Hand nimmt.
Orassmann - München-
Neueste J ouraalliteratur.
Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 43 u. 44.
No. 43. C. Deutachländer: Perimetrische Buckel-
messnng.
Nachdem die bisherigen (über 30) Methoden zur objektiven
Beurtheilung der Form- und Gestaltsveränderungen der Wirbel¬
säule und des Thorax theils zu komplizirt, theils wegen des
theuren Preises exakter Messapparate (Schnlthess, Zander,
v. H e I n 1 e t h) nicht Jedermann zugänglich sind, empfiehlt D.
ein einfaches Mittel zur Beurtheilung von Niveaudifferenzen am
Rücken, indem er an dem in Bauchlage und mit rechtwinkelig
abducirten Armen auf flachem Tisch liegenden Patienten mittels
einer oder zweier Gipsbinden einen genauen Rückenabdrucfe her¬
stellt und diesen nach dem Erhärten als Buckelmesser benützt
Will man nach einiger Zeit feststellen, ob Veränderungen am
Skelett eingetreten sind, so wird nämlich der Gipsabdrnck auf
seiner Innenfläche eingerusst und in der gleichen Lage des Pat.
diesem angelegt. Hat eine Abflachung stattgefunden, so wird an
der betr. Stelle die Schale nicht mehr anliegen resp. keine Russ-
färbung stattflnden.
Man kann die Russzeichnung deR Gipsnlwlruokes selbst mit
Schellacklösung fixlren, oder das Russblld des Rückens auf einem
weissen Bogen Papier abdrucken und fixlren, oder auch, da durch
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12. November 1901. MUENCHENER MEDIC1N1SCIIE WOCHENSCHRIFT. 1347
ein auf die Höhe der Konvexität gebohrtes Loch ein Blaustift oder
marklrender Gegenstand eiugeführt werden kann, direkt die
Grenzen, bis zu denen eine Berührung stattgefunden hat, messen
und in ein perhnetrlsches Schema eintrageu.
No. 44. I^eop. Casper: DieVerwerthung der funktionellen
Nierenuntersuchung für die Diagnostik der Nieren- und Bauch¬
chirurgie.
C. hat mit Paul Fr. Richter die Methode angegeben, den
Harn beider Nieren gleichzeitig getrennt aufzufangen und die
funktionelle Kraft einer Jeden der beiden Nieren aus der zu ver¬
gleichenden Menge des im Harn ausgeschiedenen N, des durch
Phloridzin-Injektion künstlich produzirten Zuckers und der Ge¬
frierpunktserniedrigung des Harns (Wertlie, die bei gesunden
Nieren beiderseits gleich, bei einseitiger Erkrankung stets auf der
kranken Seite niedriger sind) zu messen. C. zeigt nun an einigen
typischen Beispielen (Feststellung der Seite der Erkrankung bei
einem Nierenstein, Vortäuschung einer Nierengeschwulst durch
einen perityphlitischen Abseess, DiiTerentinldingnose zwischen
Nierenstein- und Gnllensteinkolik, Fälle von Nephralgie, in denen
durch die Methode das Vorhandensein eines Nierensteins trotz
diesbezügl. Symptome von der Hand zu weisen war etc.) die Be¬
deutung der Methode als eine Ergänzung der früheren Verfahren,
die sie übrigens nicht ersetzen soll.
Bayer- Prag: Ergänzung zu der Mittheilung von Prof.
Witzei in No. 40 d. Centralbl.
B. erwähnt, dass dem Witze l’schen Verfahren eine Idee
zu Grunde liegt, die Gusseubauer noch in Prag ausführte,
indem er nach blutiger Ilerabholung des Schenkelkopfes zur Er¬
haltung der Reposition und Erzielung periostltischer Neubildung
Stahlnügel über dem Femurkopf einschlug — ein Verfahren,
das B. im Prager Kinderspital wiederholte (wobei er durch ein
halbmondförmiges mit Löchern versehenes Stahlstück die Nägel
ln der richtigen Stellung erhielt), aber wieder verlies«, da er keine
ideale Heilung des Leidens erzielen konnte. Sehr.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd
6. Heft.
1) O. Th. L i n d e n t h a 1 - Wien: Treber Decidua ovarii und
ihre Beziehungen zu gewissen Veränderungen am Ovarium.
L. weist an Präparaten von Ovarien aus verschiedenen Stadien
der intra- und extrauterinen Schwangerschaft nach, in welcher
Weise die Bildung und Rückbildung von Decidua ovarii erfolgt.
Der Declduabildung geht eine Auflockerung und oedematöse
Durchtränkung der betreffenden Partien der Albuginea voraus;
die Decidunzellen selbst entstehen durch Umwandlung von Binde¬
gewebszellen der Albuginea und wahrscheinlich auch durch Tiici-
lung aus schon vorhandenen Deeiduazellen. Ein Tlieil dieser Zellen
verfällt nach Ablauf der Schwangerschaft der hyalinen, der andere
und grössere Theil der „hydropischen“ Degeneration. Diese
Stellen des Gewebes lassen sich dann noch lange Zeit nach der
Schwangerschaft als Rest einer ehemaligen Declduabildung er¬
kennen.
2) M. S t o 1 z - Graz: Zur Kenntniss der Influenza Im Wochen¬
bette und Ihrer Differentialdiagnose gegenüber puerperalen
Infektionen auf Grund klinischer Beobachtungen.
Die Erkrankung tritt meist ln leichter Form auf und macht
sich am häufigsten am 3. oder 4. Tag nach der vermuthlichen In¬
fektion bemerkbar, zuweilen auch später bis zum 9. Tage. Dem
Verlauf nach kann man 3 Fiebertypen unterscheiden: leichte,
mittlere, schwere. Alle diese Typen haben besonders im Wochen¬
bett die Neigung zu zwei- und mehrfachen Recidiven. Die Fre¬
quenz des Pulses steigt entsprechend der Temperatur, erreicht
ledoeh nur in den Fällen schwerer LungennfTektlonen abnorme
Höhe. Sind lokale Erscheinungen nicht ausgesprochen, so ist eine
Verwechslung namentlich in milden Formen mit Wochenbettfieber
leicht möglich. Relative Langsamkeit des Pulses und das Ein¬
treten eines Recidives sind in der Unterseheidnngsdiagnosp zu ver-
werthen: übelriechende Lochien, mangelhafte Involution. Druck-
empfindlichkeit kommen häufig bei Influenza vor und kommen dess-
halb differentialdlagnostisch nicht in Betracht. Werden keine
Knlturversuehe gemacht, dann ist zur Entscheidung der Diagnose
oft. die Kenntniss einer herrschenden Epl- oder Pandemie unent¬
behrlich.
3) O. P o 1 a n o - Greifswald: Zur Lehre vom sog. Pseudo-
myxoma neritonei.
E'-stlrpatlon eines Cvstadenomn psendomuelnosum slnlstr.
einer ßfl Jährigen Frau. Gallertmassen ln der Bauchhöhle. 2 Jahre
lang Wohlbefinden. Darnach Bildung eines gleichen Tumors an
dem zurückgelassenen rechten Ovarium. Nach einem Tnsnlt scheint
dieser geplatzt zu sein. Seitdem rascher Verfall der Patientin.
Ascites. Entfernung des rechten Ovarialtumors, an dessen Ober¬
fläche überall gallertartige Massen nufsitzen. An der Scrosa der
Därme befinden sich nur hier und da kleine Knötchen, während
auf dem Beckenperitoneum, der unteren Leberfläche und in den
breiten Mntterbändem gallertartige Massen liegen. Patientin
starb an Ileus.
An dem Tumor ist besonders sein Verhalten zur Leber von
Interesse. Makroskopisch war zu sehen, dass die glasigen Tumor¬
massen als begleitende TTÜlle der Vena port. und ihrer Aeste weit
in die Leber sich forlsetzten. mikroskopisch, dass die Geschwulst
an einzelnen Stellen durch aktive Wucherungen der Tumor-
epithelien die Bindegewebskapsel durchbrochen und in das Leber-
parenchym hineingewuchert war.
Die Geschwulst bildet eine besondere Art der linphuitations-
tumorcu beim Cystadenoma psoudomucinosum, die dem Carclnom
sehr nahe steht.
4) K. Schuchardt - Stettin: lieber die para vaginale
Methode der Exstirpatio uteri und ihre Enderfolge beim TJterus-
krebs.
Vortrag, gehalten auf dem XXX. Kongress der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie in Berlin. Referat siehe diese Zeit¬
schrift. Jahrgang 48. No. 18.
ö) O. Busse: Verlagerung von Tube und Ovarium in Folge
Ausbleibens des Descensus.
Das Präparat stammt von einem IS jährigen nn Sepsis im
Anschluss nn eine Kniegclenkstubcrkulose verstorbenen Mädchen.
Uterus. Scheide und die rechten Anhänge sind normal, die links¬
seitigen Adnexe liegen ausserhalb des kleinen Beckens und ziehen
sich vom Fundus des etwas nach links verlagerten Uterus über die
Fossa ilinca. lateral der Lendcnwirbelsäule. ventral vom Muse,
psoas, bis in die Nähe der Nierengegend in die Höhe.
Diese weitgehende Verlagerung der linksseitigen Adnexe ist
bedingt durch das Ausbleiben des Descensus ovarii; die Hem¬
mung bat ihre Ursache in einer in der ersten Hälfte des 3. Monats
sich abspielenden foetalen Peritonitis, auf die eine Verdickung und
Vernarbung des Peritoneums in der linken Lumbnlgogend hinweist.
Das Präparat gestattet wertbvolie Schlüsse auf die Entstehung
des Kierstoekbandappnrates und zeigt, dass das Ligamentum Sus¬
pensorium ein in früher Embrvonalperiode prilformirtes Band,
nämlich einen Theil des Zwerchfell-Umieren-Leistenbnndes, dar¬
stellt.
6) M. de M o u c h y - Leiden: Die gynäkologische Literatur
in Holland 1900.
Rnmmelborleht. Weinbrenner - Erlangen.
Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 43 u. 44.
Nicolai Wolko witsch - Kiew: Eine plastische Methode,
schwer operable vesico-vaginale Fisteln durch den TJterus zu
verschliessen.
Das bis jetzt in 8 Fällen erprobte Verfahren besteht einerseits
in Anfrischung des Uterus rosp. der Cervix und der Fistel, anderer¬
seits in Flxirung dos Uterus in der neuen Lage. W. beginnt die
Operation mit Durcbschneidumr des Narbenrings: dann folgte Be¬
freiung der Cervix aus dem sie umgebenden Nnrbengewebe. wo¬
möglich ohne Verletzung des Peritoneums, und Herabziehung des
Uterus bis zur Urethra. Die Fistel wird so weit angefrlsebt. dass
ihre Ränder ihren narbigen Charakter verlieren: eine Naht der
Schleimhaut™ ndor ln der Blase ist meist unnötliig. Den Schluss¬
akt bildet die Fixation des deseondirton Uterus nn die Fistel¬
öffnung. was mit 3 -4 Nähten gelingt. Um den Harn von der
Plastik fernzulmlten. macht W. nnmlttcllmr vor der Flstcloperation
eine Sectio nltn. legt ein Drain ein und leitet durch einen Schlauch
den TTrin in ein am Boden befindliches Gefiiss. Von den 8 Fällen
sind 5 vollständig gehellt. 3 noch theil weise in Behandlung. Die
Kontinenz der Blase war völlig ausreichend.
No. 44. 11 Otto K ü s t n e r - Breslau: Das Prinzip der
medianen Uterusspaltung, seine weitere Verwendung im Dienste
operativer Maassnahmen.
Bisher wurde die mediane Utorussnnltung empfohlen hei vagi¬
naler Totnlexstirpntion bei der abdominalen Myomotomio und bei
den sogen, konservlrcndon Invorsionsoperationen. K. erweitert die
Indikationen dieser Operation bei Laparomvomotomien und bei
der vaginalen Uterusfixation. Einzelheiten müssen im Original
nachgesehen werden.
2) K. A. H e r z f e 1 d - Wien : Ruptur des schwangeren
Uterus.
Eine 34 jühr. VII. Para bekam im 10. Scliwangerschaftsmonat
nach Auslfiftcn eines schweren Tenpichs plötzlich heftige
Schmerzen im Leibe. Wehen traten nicht auf. In den folgenden
Tagen stellte sicli Meteorismus und fnekulentes Erbrechen ein.
Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose lautete auf Ruptur des Fundus
uteri. Bei der Laparotomie fand sieb die abgestorbene Fracht
ln toto in der Bauchhöhle, ebenso die Placenta. Beide wurden
exlrahirt. der Uterus durch Totaloxstirpntion entfernt. Pat. starb
am nächsten Tage im Collaps.
Am exstirpirten Uterus fand sieh ein grosser Riss der vor¬
deren Wand. Im Bereich des Risses war das Netz mit der Serosa
uteri innig verwachsen. H. glaubt, dass hier früher eine Ver¬
letzung (Perforation) stattgefunden hatte, die veTheilt wnr. aber
einen Locus mlnorfs resistentiae für den Uterus abgegeben.
H. warnt vor allen unnützen intrauterinen Eingriffen, die ln un¬
geübter Hand leicht zu Perforationen führen.
3) Sigm. Mlrabenn - München: Bemerkungen zu Dr. W.
Stoeckel’s „Beitrag zur Diagnose der Tuberkulose in der
weiblichen Blase“. (Centralbl. f. Gyn. ä901. No. 40.)
M. deutet im 1. Falle St.’s (cf. das Referat ln dieser Wochen¬
schrift. No. 43. pag. 1710) die polypösen Erkrankungen an der
narnleitermündung als Prolaps der tuberkulös veränderten Ure-
tcrensehlelmhnut und erklärt das ..olrcumskriptc bullöse Oedem“
St.’s für sekundär. Im Uebrigen bestätigt M. die Befunde St.’s
auf Grand von 12 eigenen Beobachtungen und betont ebenfalls
dir Wohlthiitigkeit der Endoskopie zur Erkennung der Blasen¬
tuberkulose. J a f f ö - Hamburg.
Archiv für Hygiene. 41. Bd. 1. Heft. 1901.
11 R. O. N e u m n n n - Kiel: Beitrag zur Präge der Resorption
und Assimilation des Plasmons, im Vergleich zum Tropon, Soson
und zur Nutrose.
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1848
Wie durch die Stoffwechselversuche von Caspari, Albu,
P r a u 8 n 11 z, Wintgen, Bloch. Müller und durch einen
Versuch des Verfassers an sich selbst erwiesen wurde,
wird das Plasmon so gut wie Fleisch ausgeniitzt. Nichts desto-
weniger weist die Stickstoffbilanz bei den Versuchen ein
Minus auf, welches durch ein vermehrte N-Ausscheidung
im Harn bedingt wird. Diese Tliatsaehe lässt sich fast in allen
Arbeiten deutlich naehweisen und liesse sich am besten wohl so
erklären, dass man im Tlasm o n resp. im Casein Stiekstotl'-
gruppen annimmt, die im Organismus nicht wie die Stickstoff-
gruppen des Fleischei weiss verwendet werden.
Die weiteren Beobachtungen des Verfassers zeigen, «lass in
reinen oder fast reinen F 1 e i s c li e i w e i s s p r ä pa¬
rat e n, wie Tropnn und Roson im Harn keine Mehrausschei¬
dung von Stickstoff stattfindet, dagegen ist aber die Resorption
eine schlechtere, d. h. es findet eine Mehrausscheidung von Stick¬
stoff im Koth statt. Eine Erklärung würde sich finden lassen
entweder in einem ungenügenden „Aufschluss“ des ..Fleisch¬
pulvers“ im Magen oder Darm oder in einer durch das Mittel
bedingten grösseren Abscheidung von Parmsiiften. die eine ver¬
mehrte N-Ausfuhr bedingen.
21 St. Ruzcicka - Prag: Systematische Untersuchungen
Uber die Angreifbarkeit des Bleies durch das Wasser.
Die Untersuchungen erstreckten sich auf den Einfluss des
Wassei-s resp. der in dem Wasser enthaltenen Carbon ate,
Nitrate und Sulfate des C a 1 c i u m s und Natriums,
der freien Kohlensäure, der atmosphärischen Luft
und organischen Substanzen auf Bleiröhren, welche
24 Stunden in der betreffenden Flüssigkeit aufbewahrt wurden.
Zunächst wurde die bekannte Thatsache wiederum ermittelt,
dass bei Luftzutritt der Bleiangriff erhöht wird. Dagegen
findet Verfasser — entgegen der allgemeinen Anschauung —. dass
freie Kohlensäure im Wasser eine recht bedeutende Ver¬
minderung des Bleiangriff«>s bewirkt.
Der Einfluss auf die Löslichkeit des Bleies wird ln erster Linie
durch die Säure des betreffenden, in Wasser gelöst«'n Salzes
b«'dlngt. während die Basen ziemlich irrelevant sind. Bei com-
binirten Salzlösungen verhält cs sich so, dass am meisten
Nitrate, dann Chloride. Sulfate und am wenigsten
Carbonate einen lösenden Einfluss ausüben. Organische
Substanzen erhöhen im Allgemeinen den Bleiangriff nicht.
3) C. T o n z i g - Padua: Ueber den Antheil, den die Milch
an der Verbreitung der Tuberkulose nimmt, mit besonderen
Untersuchungen über die Milch des Paduaner Marktes.
Verfasser zeigt durch bakteriologische Untersuchungen, ver¬
bunden mit Thierexperiment, dass in der Marktmilch von Pa «1 u a
unter 74 Proben keine Tuberkulose gefunden werden
konnte. Andererseits ist auf Orund der Statistiken des Gemeinde-
schlachthofes naehgewiesen. dass Tuberkulose in der Milch über¬
haupt in Padua Husserst selten ist.
Es konnte sogar nachgewiesen werden, dass mesenterlsche
Tuberkulose in den Provinzen, wo keine Kuhmilch, sondern
Ziegenmilch*) getrunken wurde, viel häufiger vorkomme, als da.
wo man sich ausschliesslich der Kuhmilch bediente. Da nun auch
an solchen Orten, wie z. B. in Rom. wo durch Tuberkulin
Impfungen eine tuberkulosefreie Milch garantirt war. der Pro-
oontsntz der Tuberkulosesterblichkeit keine Aenderung erlitt, so
sehllesst der Verf., dass die Gefahr der Uebortragung der Thier¬
tuberkulose auf den Menschen keine allzugrosse sein könne. Selbst¬
verständlich will aber T o n z i g die bisher bestehenden Maass-
rcgeln gegen Ausbreitung d«'r Tuberkulose trotzdem gewahrt
wissen.
41 v. Wasielewski - Berlin: Ueber die Verbreitung und
künstliche Uebertragung der Vogelmalaria.
Die von Frosch und Rüge im Blut der Sperlinge ge¬
fundenen malaria ähnlichen Parasiten, welche zur
Gattung Proteosoma gehören, wurden auch vom Verfasser bei
Finken. Grünlingen. Goldammern und Ohreulen
entdeckt, möglicherweise sind auch noch andere deutsche Vogel-
arten damit belastet. Die Uebertragung gelingt durch Einspritzung
geringer Mengen parnsitenhaltlgen Blutes (ca. 0.01 com) In den
Brustmuskel. Besonders empfänglich sind Kanarienv«">gel. Der
Nachweis der Organismen kann vom 4. Tage ab im Blut geführt
werden. Die Infektion von Finken und Kanarienvögeln
führte nach einem akuten Stadium fast stets zu sehr chronisch ver¬
laufender Tnfeklion. Bel diesen Thieren trat bei einer Nach¬
impfung eine neuerliche TJeberschwemmung des Blutes mit Para¬
siten ein. R. O. Ncnmann - Kiel.
Centr&lblstt für Bakteriologie, Parasitenkunde und
Infektionskrankheiten. Bd. 30. No. 14. 1901.
1) A. M o e 11 e r - Belzie: Die Beziehungen des Tuberkel¬
bacillus zu den anderen säurefesten Bakterien und zu den
Strahlenpilzen.
Verfasser gibt ein Resumö über die beiden so nahe verwandten
Arten, den echten Tuberkuloseerreger und die tulx'r-
kuloseähnllchen Bakterien aus Mist, Gras, Milch und
Butter.
So schwer man die letztgenannten auch von der echten
Tuberkulose in morphologischer und zum Theil auch biologischer
Beziehung unterscheiden k«‘innte. so gebe cs doch einige charakte¬
ristische Eigenschaften, durch die sieh die echte Tuberkulose kenn-
*) Ziegen können aber auch tuberkulös sein, (Ref.)
No. 40.
zeichnet. Es ist u. a.: Das Wachsthum bei Brüttemperatur, das
langsame Wachsthum und die Pathogenität. Die echten Tuber¬
keln sind von derber, proliferirender Art, während die Knötchen
von tuherkuloseähnliclieu Organismen stammend, einen mehr ex¬
sudativen Charakter mit Neigung zur Aliscessbildung aufweisen.
2) Celli und Gasperini: Paludismus ohne Malaria.
In Tosknn a sind durch neuere Untersuchungen von Celli
mul Gasperini Orte gefunden worden, die alle für die
Malaria priidisponireuden Ursachen, wie Sümpfe,
stagnirende Kanäle, Maremmen, todte Ge¬
wässer. Reisfelder, Rotte gräben für Flachs, und
unzählige Stechmücken (Anopheles und Culex) auf weisen,
und doch kann man die Gegenden für malariafrei erklären. Noch
vor ca. 30 .Taliren herrschte auch hier Malaria, jetzt wurden nur
2 sporadische Fälle gefunden, trotzdem dass jedes Jahr neu«*
Malariafälle aus anderen Gegenden eingeschleppt werden. Wie
sich diese merkwürdige Thatsache des Verschwindens der Malaria
erklären lässt, ist vorläufig noch nicht zu ermitteln gewesen.
31 R. Weil- Hamburg: Künstliche Herstellung von Sporen¬
testmaterial von einem bestimmten Resistenzgrade gegen
strömenden Dampf, zur einheitlichen Ermittelung von Des-
infektionswerthen. (Schluss folgt.)
R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 44.
1) P. B a u m g a r t e n - Tübingen: Ueber die pathologisch¬
histologische Wirkung und Wirksamkeit des Tuberkelbacillus.
(Fortsetzung folgt.)
2» A. D u e h r s s e n - Berlin: Die Kolpocoeliotomia anterior
lateralis — ein neuer vaginaler Operationsweg in die Bauch¬
höhle.
Das Wesentliche des neuen Operationsweges besteht darin,
dass die vom Verf. schon vor Jahren angegebene Coelintnmia
anterior noch mit der völligen Durehtrennung eines Ligament
lntmn kouibinirt wird. D. hat die M«*thode schon bei einer grös¬
seren Anzahl von Fällen, deren Krankengeschichte er zum Theil
in s«*iuem Vortrage nnführte, nngewendet. Werden nur di** ersten
Stadien der Operation ausgeführt, so kann man parauietrane
Absccsse oder Eiteransammlungen in Tuben oder Ovarien extra¬
peritoneal eröffnen und unter Konservirnng der Adnexe zur Aus¬
heilung bringen. Die Operation gewährt einen so guten Zmraug
zu den Adnexen, wie die vaginale Totalexstirpation (cf. Abbild.!);
eitrig inültrirte Adn«‘.\stiele können gut extraperitoneal gelagert,
werden, ferner ist eine sehr gute Draininmg des Beckens möglich,
wie sich an mehreren schweren Fällen erwies. Die Blutstillung
kann unter den schwierigsten Verhältnissen durchgeführt werden.
Di«* Operation wird berufen sein, auch bei den Rupturen des hoch¬
schwangeren Uterus denselben zu erhalten und die Vernäbung
des Risses zu ermöglichen. Nachthelle besitzt die Durchtrennung
eines Lig. lat um nicht, insbesondere leidet die Ernährung des
Uterus nicht. Die entstehende Narbe ist schmerzlos und dislocirt
das Organ nicht.
3) B. B e 1 z e r - Baden-Baden: Ueber die Behandlung mit
Dr. Fre y’s Heissluftdouche.
An den Krankengeschichten von 15 Fällen weist Verf. nach,
dass sich mit Hilfe «ies Apparates, welcher an jeder beliebigen
Körperstelle eine aktive Hyperaemie der Haut hervorzurufen ge¬
stattet. sehr günstige Erfolge erzielen lassen, besonders bei Neur¬
algien in den verschiedensten Nervengebieten, daun bei Muskel-
rhoumntismen. bei Gelenkveränderungen In Folge von Giclit oder
Rheumatismus. Auch Fälle von Angina pectoris und Sklerodermie
wurden mit günstigem Erfolge behandelt. Einige Fälle von Neur¬
algien. besonders Ischias, blieben unbeeinflusst. Die Wärme¬
erzeugung des Apparates geschieht mittels Elektrizität. Die Hand¬
habung wird als bequemer und einfacher geschildert, als di«* der
ander<*n bekannten H«'issluftapparate. Eine Verbrennung der
Haut kann bei richtiger Handhabung des Apparates mit aller
Sicherheit vermieden werden. Verf. fordert zu zahlreichen Nach¬
untersuchungen auf.
4) P 1 a c z e k - Berlin: Zur pathologischen Anatomie der
spinalen Kinderlähmung.
Cfr. pag. 815 der Münch, med. Wochenschr. 1901.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 44.
1) H. St rau ss-Berlin: Zur Funktionsprüfung der Leber.
(Nach einem am 1. Juli d. Js. Im Verein für innere Mediein ge¬
haltenen Vortrage. (Schluss folgt.)
2) L. Michaelis- Berlin: Zur Theorie der Fettfärbung.
Veranlasst durch die Versuche von Herxhelmer und auf
Grund neuer Untersuchungen modifizlrt. M. seine These, wonach
nur den indifferent«*n Farbstoffen die Eigenschaft der Fettfärbung
zukommen soll, daliin. dass die indifferenten Farbstoffe allerdings
durchweg spezifische Farbstoffe sind, dass aber diese Eigenschaft
auch noch anderen Farbstoffen zukornmt und zwar so, dass Fett¬
löslichkeit und Wasserlöslichkeit in reciprokem Verhältnis stehen.
3) L. Lew in: Ueber einige biologische Eigenschaften des
Phenylhydrazins und einen grünen Blutfarbstoff. (Auszug aus
einer im Oktoberheft der Zeitschrift für Biologie [.Tubelband für
C. v. Volt] veröffentlichten Abhandlung.)
4) S c h ii d e r - Posen: Zur Ausscheidung der Typhusbacillen
durch den Harn.
Das Resultat von (171 Harnuntersuchungen bei 22 Typhus¬
fällen ergab in 5 (— 22.7 Proc.) Typhusfällen das Vorhandensein
von Typhusbaeillen im Harn, zum Theil ln ganz enormen Mengen.
Meist handelte es sich dabei um schwerere Fälle mit gleichzeitiger
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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12. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1849
Störung der Nierciitliatigkeit (Albuminurie), jedoch fanden sich
dieselben auch in leichteren Fällen ohne jede Eiweissausscheidung.
Das Auftreten der Bacillen im Urin wurde sowohl während der Er¬
krankung selbst, als namentlich auch in der Rekonvalescenz und
zwar noch wochenlang nach der Entfieberung beobachtet. Die
praktische Konsequenz dieser Befunde in Bezug auf Desinfektion
des Harns und des Badewassers der Typhuskrauken liegt auf
der Hand.
5) K. Sh iga- Tokio: Studien über die epidemische Dys¬
enterie in Japan, unter besonderer Berücksichtigung des Bacillus
dysenteriae. (Fortsetzung aus No. 43. Schluss folgt.)
(5) N e u m a n n - Mühlheim: Typhus, Keimzahl und Trink¬
wasser nach Erfahrungen aus dem Ruhrgebiet.
Interessante Beobachtungen über die Verbreitung und die
Kmnkheitsbewegung des Abdominaltyphus in dem seit Jahren
endemisch verseuchten Ruhrgebiet. Der Zusammenhang der
Epidemieausbrüche mit dem Wasserstandswechsel der Ruhr und
der negative Befund der bakteriologischen Trinkwasserunter¬
suchungen dürfte ein neues Argument für die Richtigkeit der
Pettenkofer’scheu Theorie ergeben.
7) S c h w i e n 1 u g - Berlin: Mittheilungen über die Ver¬
breitung von Volksseuchen. (Nach Veröffentlichungen des Kaiser¬
lichen Gesundheitsamtes.) Fr. Lacher- München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg.No.21.
J a d a s s o h n - Bern: Bemerkungen zur Syphilistherapie.
(Schluss folgt.)
Haus W i 1 d h o 1 z - Bern: Ein Beitrag zur Lehre der
Pneumaturie.
Ein Kranker mit Albuminurie (ohne Zucker) zeigte starke
Pneumaturie (kein Ammoniak), hervorgerufeu durch Bae. luetis
aerogenes, das sich experimentell als sehr pathogen für die
Kauineheublase erwies und aus eiweisshaltigen Urineu und Nähr¬
böden Gas erzeugte. Pischiuger.
Oesterreichisohe Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 44. 1) E. Moro-Graz: Biologische Beziehungen zwischen
Milch und Serum.
Cfr. Referat pag. 1770 der Münch, med. Wochenschr. 1901.
2) H. Sch mit-Wien: Ueber malignes Chorioepitheliom
der Scheide bei gesundem Uterus.
Bei einer 41Jähr. Frau, welche schon früher abortirt hatte,
traten 7 Wochen nach einem 2. Abortus Blutungen auf, als deren
Ursache sich in der vorderen Scheideuwand ein über haselnuss-
grosser Tumor von bläulicher Farbe vorfand, während der Uterus
mit den Adnexen sich als gesund darstellte. Letzterer Befund
wurde auch durch die Operation bestätigt. Der Tumor erwies sich
als ein Haematom, das im Centrum Chorionzotten und Geschwulst¬
gewebe von malignem Chorionepitheliom enthielt, das mit Be¬
stimmtheit von der ZotteuoberÜäche ausgiug. Verf. glaubt, dass
benigne Chorionzotten in die Gefässe der Scheide verschleppt
wurden und erst dort degenerirten. Der Vorgang für die Bildung
des begleitenden Haematoms wird eingehender erörtert. S. hält
es für möglich, dass unter günstigen Umständen einmal spontan
eine Heilung der Geschwulstbildung eintreteu könnte.
3) K. F r i e d J u n g - Wien: Einige Bemerkungen über die
Lumbalpunktion bei Meningitis tüberculosa.
Der Werth der Punktion ist fast ausschliesslich ein dia¬
gnostischer. Die Gewinnung einer ganz wasserklaren Flüssigkeit
spricht für Tuberkulose; die Gerinnungsfähigkeit ist ohne sichere
pathognomonische Bedeutung. Hinsichtlich der Auffindung von
Tuberkelbacillen ist festzuhalten, dass sie meist erst im späteren
Verlauf der Krankheit erscheinen und daher die Diagnose in
diesem Zeitpunkt sehr häufig ohnehin schon feststeht. Der nega¬
tive Ausfall der Untersuchung auf die Tuberkelbacillen kann nicht
ausschlaggebend sein. Verf. ist der Ansicht, dass man nicht be¬
rechtigt ist, die Lumbalpunktion bei allen Fällen der Meningitis
tuberculosa wahllos vorzunehmen, sondern nur, wenn es zur
Sicherung der Diagnose unerlässlich ist oder man sich im einzelnen
Falle einen therapeutischen Erfolg verspricht.
Im Feuilleton: Die Privatirrenanstalten und die pri¬
vate Irrenpflege.
Ferner: Die deutsche medicinische Prüfungsordnung.
Grassmann - München.
Wiener klinische Rundschau.
No. 41. Festnummer zum GO. Geburtstage Nothnage l’s,
enthält eine sehr stattliche Reihe von Originalabhandlungeu,
darunter:
E. v. Leyden: Einiges über den Tuberkulosekongress in
London.
Seinem Titel „for preventlon of consumption“ entsprechend,
hat der Kongress sich den mehr hygienischen Fragen der Prophy¬
laxe gewidmet, dagegen die Heilstätteufrage in den Hintergrund
treten lassen, welche den ärztlich humanen Bestrebungen, der Hei¬
lung Kranker, eigentlich doch näher steht. In Deutschland gibt
es 49 Volks- und 16 Privatheilstätten, die Eröffnung bezw. Er¬
richtung von weiteren 35 steht in Aussicht. Sie haben schon sehr
segensreich gewirkt, vor Allem aber den Beweis für die Heilbar¬
keit der Tuberkulose erbracht. Es ist daher nicht mehr inhuman,
dem Kranken die Diagnose zu sagen, sondern sogar eine Pflicht,
damit er für sich und seine Umgebung sich entsprechend verhalte.
L. erörtert weiter noch die Kinderheilstätten und die Zweck¬
mässigkeit eigener Krankenanstalten für vorgeschrittene Tuber¬
kulöse nicht nur zur Verhütung der Weiterverbreitung, sondern
besonders zum Zweck specieller möglichst guter Pflege. Auch
Bielefeld schlägt die Errichtung von lnvalidenhäuseru für
Unheilbare vor. Wichtig für den Erfolg der Heilstättenbehaudluug
ist, dass die Kranken nicht durch äussere Gründe gezwungen
werden, vor der völligen Heilung die Anstalt zu verlassen.
C. R o s e n b a c h - Berlin: Die Organisation als Trans¬
formator.
Zu kurzem Referat ungeeignet.
lt. v. J a k s c h - Prag: Ueber gehäufte diffuse Erkran¬
kungen des Gehirns und Rückenmarks, an den Typus der mul¬
tiplen Sklerose mahnend, welche durch eine besondere Aetiologie
gekennzeichnet sind.
Die drei Krankengeschichten stellen Fälle von multipler
Sklerose des Gehirns uud Rückenmarks dar, wenn sie auch in
einigen Punkten von dem typischen Bild abweichen. Besonderes
Interesse beansprucht die Aetiologie. Es waren Arbeiter in einer
Fabrik bei dem Trocknen von Manganhyperoxydschlamm beschäf¬
tigt, bei welchem Verfahren die unteren Extremitäten sehr hohen
Temperaturen ausgesetzt waren, der Oberkörper jedoch häufig
einer in dem Arbeitslokal herrschenden starken Zugluft. Diesen
andauernden Temperaturinsulten, nicht etwa chemischen Schäd¬
lichkeiten, spricht J a k s c h die Schuld an den Erkrankungen zu.
L. v. F r a n k 1 - H o c h w a r t und A. F r ö h 11 c h - Wien:
Ueber den Einfluss von Bewegungen höherer Darmabschnitte
auf den Mastdarmverschluss.
Das Gefühl des Stuhldranges ist wahrscheinlich bedingt durch
eine Fremdkürperempttndung und das Nachlassen des Spfiinkter-
touus. Bekanntlich kommt aber das Gefühl auch unter Um¬
ständen, z. B. bei heftigen Diarrhöen, akuten Enteritiden zu Stande
bei völlig leerem Rectum. Interessant sind nun die neuesten Ver¬
suche der Autoren, welche an Hunden mehrmals in eclatanter
Weise durch Constrlctiou eines oberen Darmabschnittes Relaxation
des Sphinkters hervorriefen, bei Erschlaffung der oberen Darm¬
partie eine Constriction des Sphinkters beobachteten.
A. H a m m e r s c h 1 a g - Wien: Pylorusstenose nach Ver¬
giftung mit Salzsäure.
Ein seltener Fall, wo eine Verätzung des Pylorus zu Staude
kam ohne Schädigung des Oesophagus. Vielleicht gibt bei
Rauchern uud Trinkern die vermehrte Sehleiinabsonderuug einen
gewissen Schutz. Der Magen war dilatirt, es bestand eine inten¬
sive Milchsäuregährung. Durch krampfartige, nicht peristaltische
Kontrakturen der gesammteu hypertrophischen Magenmuskulatur
(Gastrospasmus), wurde zeitweilig ein fester Tumor erzeugt, der
ein Neoplasma leicht hätte Vortäuschen können.
J. Sl a n n a b e r g - Wien: Ueber Haemolyse durch Wasser¬
resorption vom Magendarmtrakt aus.
Bei Thieren (Kaninchen, Hund), welche in Wasser ertränkt
werden, lassen sich regelmässig als eine Folge der Ueberschwem-
mung des Blutes mit der Ertränkungsflüssigkeit Zeichen der
llaemolyse nachweiseu, diese fehlen, wenn die Thiere in 0,6 proc.
Kochsalzlösung ertränkt werden. In weiteren Versuchen an Kanin¬
chen hat M. festgestellt, dass bei Wasserresorption vom Magen oder
Darm aus Haemolyse in wechselndem Grade auf tritt, bei Hunden
war das Resultat meist negativ oder sehr undeutlich. Wiederholt
liess sich im Pfortaderblut eine stärkere Haemolyse erkennen als
im Blute des rechten Herzens, es liesse dies auf eine Zurückhaltung
gelösten Blutfarbstoffes in der Leber schliessen.
It. Breuer-Wien: Bemerkungen zur Diagnose der tuber¬
kulösen Meningitis durch die Lumbalpunktion.
Der Nachweis von Tuberkelbacillen in der Punktlonstiüssig-
keit bildet ein sehr werthvolles Mittel für die Diagnose der oft
atypisch verlaufenden Krankheit. In 17, meist der Nothnagel-
schen Klinik angehörenden Fällen — ausschliesslich Kranke von
über 14 Jahren — wurden bei allen die Bacillen gefunden, später
die klinische Diagnose durch die Autopsie bestätigt. Für die
Untersuchungstechnik gibt Verfasser sehr eingehende Vorschriften.
Die Bacillen finden sich am sichersten in dem von Lichtbeim
beschriebenen „spinneuwebenartigen“ Gerinnsel, das unverletzt
nur bei völlig ruhigem Stehenlassen der Flüssigkeit erhalten bleibt.
Um die Präparate genügend durchsichtig zu machen, sollen sie
vor der Einbettung in Canadabalsam, Je 1—2 Minuten in absolutem
Alkohol und dann in Xylol gebracht werden.
J. Donath-Wien: Zur Serodiagnostik der Meningitis
tuberculosa.
In Uebereinstimmung mit A r 1 o 1 n g und Courmont
spricht sich Verfasser dahin aus, dass die agglutlnirende Wirkung
des Liquor cerebrospinalis des Tuberkelbacillus eine sehr geringe
und nicht konstante und für die Diagnostik nicht verwerthbare ist.
Bei seinen eigenen Untersuchungen an vier Erwachsenen fand er
zweimal negative, einmal eine partielle, einmal eine starke Reak¬
tion. Bel zwei Kindern fehlte dieselbe ebenfalls.
H. Lorenz-Wien: Ueber Zerfall und Wiederersatz der
Skeletmuskulatur in physiologischen und pathologischen Zu¬
ständen.
Zu kurzer Besprechung nicht geeignet
G. Holzknecht-Wien: Ueber die Behandlung der Alo¬
pecia areata mit Röntgenlicht, nebst Studien über das Wesen
der Röntgenwirkung.
Absehend von den zahlreichen klinischen und technischen
Einzelheiten der Arbeit, geben wir nur die zusammenfassende
Schlussfolgerung wieder. Die durch die Röntgendermatltis von der
Haut ausgestossenen Pilzmassen zeigen keine nierkllehe Wa< lis
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1S50 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 40.
Ihumsheiiummg auf Nährböden. I »it* baktcricide Dosis ist enorm
viel höher als die kurative; tlio bakterichlc Eigenschaft der Könt-
gcnstrnhlcn kann daher uieht die Ursache der Heilung infektiöser
i'roeesse au der Haut sein. Es macht deu Eindruck, als ob die
entzündliche Steigerung aller ihrer vitalen Eigenschaften die Haut
in den Stand setze, sieh von deu Eindringlingen zu befreien.
J. P. lvarplus: Polyneuritis nach medicinalen Dosen der
Solutio arsenicalis Fowleri.
Das Bemerkenswert he des Falles ist, dass die 23 jährige Pa¬
tientin, welche früher schon ohne Schaden Arsen genommen hatte,
nach 50 g Sol nt. Fowleri, welche in Tagesdosen bis zu 1,20 g. in
Einzelguben bis zu U,(>25 g eiuverleibt wurden, au zunehmend
schweren Vergiftungseiseheinungen erkrankte, welche von dem
Arzte unbeachtet bei einer Hesammtmenge von 05 g sieh bis zu
Paresen in deu Extremitäten, namentlich den unteren, Aufhebung
des Putellarreflexes, Paraesihesieu und Schmerzen au Armen und
1 leinen gesteigert halten. Allmähliche, schliesslich völlige Wieder¬
herstellung.
C. Kuun - Wien: Beitrag zur Lehre von der Ambiyopia
ex anopsia.
Eine Anzahl genauer beobachteter Fälle dient dem Verfasser
als Beweis dafür, dass selbst jahrelanger Nichtgebrauch eines
Auges dessen Sehschärfe uieht vermindern, andererseits ein solches
Auge, wenn es durch einen Zufall zu dauernder Fixirung ge¬
zwungen wird, nie eine bessere Sehschärfe erlangen kann, als es
vorher besessen hat.
W. Pauli und li. Kaufmann- Wien: Zur Symptomato¬
logie des stenokardischen Anfalles.
Bei drei Fällen, deren Krankengeschichten vorliegeu, wurde
neben anderen typischen stenokardischen Symptomen ein inter¬
essantes Zeichen beobachtet: Ein heftiger, krampfartiger Schmerz,
der dem Verlauf der Carotis folgte und in die Kiefer zahnschmerz-
ähnlich ausstrahlte. Derselbe begleitete theils die übrigen Erschei¬
nungen, theils trat er auch aufulisweise isolirt auf. Diese Schmer¬
zen konnten als rudimentäre steuokardisehe Anfälle gelten und er¬
wiesen sich denselben Mittelu zugänglich, wie die wahre Steno¬
kardie. Verfasser betrachten sic als echte Cefässschmerzen, Pareu-
ehymschmerzen der Gefässe im Sinne Nothnage l’s.
A. Pick- Wien: Zur Kenntniss der Herzneurosen.
Im Laufe eines Jahres hat Verfascr in seiner militärischen
Tliiitigkeit 41 kräftige junge Leute zu Gesicht bekommen, welche
alle folgende Symptome auf wiesen: Eine Struma mässigeu Grades,
gesteigerte Erregbarkeit, beschleunigte Thätigkeit des Herzens bei
geringen Anstrengungen, Dermographismus. Mehr oder weniger
häutig fand sich eine Herzhypertrophie, besonders des linken Ven¬
trikels, einseitige, meist rechtsseitige Pupilleuerweiterung, Steige¬
rung der Selmenreüexe, Anaesthesie der Kachenschleimhaut,
Hyperidrosi8 in der Achselhöhle, vereinzelt andere untergeordnete
Symptome. Exophthalmus, das G r ä f e’sche und Stell wag¬
sehe Zeichen fehlte stets.
Die Beschwerden pflegten nur bei grösseren Anstrengungen
aufzutreten, alle Erscheinungen hielten sich stabil und zeigten
keine Verschlimmerung. Es ist schwer, die Entscheidung zu trelfeu,
ob es sich um rudimentäre Formen der B a s e d o w’schen Krank¬
heit oder um das Symptomenbild des „Kropfherzens“ nach Kraus
handelt.
H. Schlesinger: Nephrolithiasis und Bückenmarks¬
erkrankungen.
Nierensteine sind bisher bei traumatischen KUckenmarks-
destruktiouen und Syringomyelie relativ häufig, bei Rückenmarks¬
tumoren viel seltener, einmal bei Eucephalomyelltis beobachtet
worden. Die Symptome der Nephrolithiasis folgen denen der
Spiualaffektion um Monate oder Jahre nach. Meist sind es Phos¬
phat-, viel seltener Uratsteine. Die Spinalaffektion scheint die
Nlerensteinbilduug direkt oder indirekt zu begünstigen. Vielleicht
bedarf es, besonders für Uratsteine, einer bestimmten Disposition.
J. Schnitzler - Wien: Ueber das Beeid! viren rheuma¬
tischer Gelenkschwellungen im Verlaufe akuter Eiterungs-
proceese.
S. führt drei Fälle an, die vor langen (15, 17, 20) Jahren einen
Gelenkrheumatismus hatten und bei denen Jetzt gelegentlich einer
lokalen Eiterung neuerdings Gelenkschwellungen eiusetzten, und
zwar bei zweien nur ln den auch früher erkrankt gewesenen Ge¬
lenken. Es steht nichts im Wege, hier von Recidiven des Gelenk¬
rheumatismus zu sprechen, wie ja bekanntlich öfters frische In¬
fektionen die Deposita längst abgelaufener Krankheiten wieder
zur Virulenz bringen können.
Zu der immer noch strittigen Aetiologle des Gelenkrheumatis¬
mus liegt hierin kein neuer Beitrag, dagegen ist es von praktischem
Weith, dass in solchen Fällen die anamnestische Feststellung die
beruhigende Deutung eines Rheumatismusrecidivs zulässt gegen¬
über der Annahme pyaemisolier Erscheinungen.
G. Singer: Ueber Störungen der Herz thätigkeit bei Er¬
krankungen des Magen- und Darmtraktes.
Bezüglich des Vorkommens von irregulärer Herzaktion bei
Darmatonie uud habitueller Obstipation hat S.
eine Anzahl eindeutiger Fälle beobachtet: 4 Männer und 3 Frauen,
lauter jugendliche Personen mit durchaus gesundem Gefässsy.stein.
Es handelte sich um periodische Irregularität oder um wahre Herz-
iutermittens die mit den ausgeprägtesten subjektiven Beschwerden
bestand, bis die Entleerung des Darmes erfolgte und mit der
Wiederkehr der Darmerscheinungen sich gleichfalls wieder ein¬
stellte. Viermal wurde intensive Indicanurie festgestellt. Wie
weit ln aetlologischer Beziehung Refiexvorgänge in den Nerven¬
bahnen oder eine luloxicaliou (Autuiutoxication) angenommen
werden müssen, ist vorerst noch nicht zu entscheiden.
W. Z w e i g - Wien: Beiträge zur funktionellen Diagnostik
der Darmkrankheiten.
Als ein wertlivolles diagnostisches Hilfsmittel bei Erkran¬
kungen des Magens und des Dünndarmes ist die Fleischprobe zu
empfehlen, in der Weise uusgeführt, dass 100 g ln Würfel ge¬
hacktes Bccfstcakfieisch mit etwas Salz gereicht und die beiden
nächsten Stühle mit Hilfe des Boa s’schen Stuhlsiebes untersucht
werden. Bei Gesunden linden sich keine makroskopisch nach¬
weisbare grösseren Reste von Bindegewebe oder Muskelfasern.
Eine starke Vermehrung der Bindegewebsmassen im Stuhl weist
auf eine Störung der Magen Verdauung mit wahrscheinlicher Herab¬
setzung des Peptonisatiousvermügens, eine schon makroskopisch
erkennbare Vermehrung der Muskelmassen ist das Zeichen einer
schweren chronischen Dünndarmaffektion, gewöhnlich des
chronischen Dünndarmkatarrhs. ln beiden Fällen muss die
Therapie darauf Bedacht nehmen, Fleisch nur ln ganz fein ver-
theiltem Zustand zu verabreichen. B e r g e a t- München.
Inaugur&l- Dissertationea.
Universität Bonn. September uud Oktober 1901.
37. Schmitz Matthias: Ueber Oberschenkelfrakturen auf Grund
von Röntgenaufnahmen.
38. v. Tiling Johannes: Ueber die mit Hilfe der Marchifärbung
nachweisbaren Veränderungen im Rückenmark von Säuglingen.
39. Dhein Josef: Zur Behandlung der Clavlcularfrakturen: eine
Modifikation des Sayre'scheu Heftpfiasterverbandes.
40. Kiel hör n Otto: Ueber die Prognose der Sehnennähte.
41. Berger Fritz: Ueber die Resultate der Gelenkresektioueu
bei Arthritis defommns.
Universität Breslau. Oktober 1901.
31. La nzer Paul: Erfolgreiche Exstirpation eines grossen Haem-
angioms der Leber.
32. M a s u g i Atsuhiko: Experimentelle Untersuchungen über deu
lleilungsvorgaug bei perforirenden und nicht perforirenden
lloruhautwuuden mit besonderer Berücksichtigung der Cocain¬
einwirkung.
33. M a r s c h k e Ernst: Beiträge zur pathologischen Anatomie der
Myopie des Hydrophthalmus.
Universität Erlangen. Oktober 1901.
23. Glanz Gustav Adolf: Ueber medico-mechanische Nachbehand¬
lung Unfallverletzter.
24. Klug e Arthur: Statistische Untersuchungen über die Häufig¬
keit von Fällen tödtlich verlaufender Gallensteinerkrankung
vor uud nach Einführung der Gallensteinoperation.
25. Model Robert: Der primäre Krebs der Gallenblase.
20. Zahn Hermann: Ueber Protoplasmagifte. (Aus dem pharma¬
kologisch-poliklinischen Institut der Universität Erlangen.)
27. Meixner Ernst: Ein Beitrag zur Kenntniss der Raupenhaar-
Ophthalmie.
28. S t o e s s Ludwig: Ein Fall von Cysticercus racemosus des
Gehirns.
29. Hart Carl: Ein Beitrag zur Struma sufTocatoria.
30. Scharf f Pius: Beiträge zur Frage der Ernährung des Neu¬
geborenen in den ersten Lebenslagen.
Universität Freiburg 1. Br. Oktober 1901.
30. Walch Rudolf: Favus sine scutulis mit Berücksichtigung der
Favusfrage.
37. Macken borg Clemens: Ueber Lymphangioma cysticum
colli cougenitum.
38. Sei 8 s Gustav: Ein Uterus gravldus mensis VI. Anatomisch
und physiologisch betrachtet.
39. Manss Theodor: Ueber Darmtuberkulose im Kiudesalter.
40. Schub mehl Friedrich: Ueber Dermoide des Muudbodens.
Universität Glessen. Oktober 1901.
40. B i s c h o f f Alexander: Beitrag zur Frage der Gastrostomie.
41. Brühl Alfons: Zur Kasuistik der Ektroplumoperatlonen.
42. Nieberle Carl: Ueber die Nierenpapillenuekrose bei Hydro-
nephrose.
43. U b b e 1 s Dirk Gerard: Vergleichende Untersuchungen von
mütterlichem Blute, foetalem Blute und Fruchtwasser. Ein
Beitrag zur Kenntniss des Stoffaustausches zwischen Mutter
und Frucht. *)
44. R ii ther R.: Davalnea mutabills. *)
Universität Heidelberg. Oktober 1901.
17. Beck Carl: Zur Sliuferleber im Kindesalter.
Universität München. Oktober 1901.
138. Ruppert Adolf v.: Die croupöse Pneumonie auf der I. me-
dicinlschen Klinik und Abtheilung des Herrn Geheimraths
v. Z 1 e m s s e n ln den Jahren 1896—1900 incl.
139. Lang Richard: Statistik des Rheumatismus articulorum
acutus in den Jahren 1892—1899 incl. auf der I. medlcin.
Abtheilung des Allgemeinen Krankenhauses 1. I. in München.
140. Müller August: 2 Fälle von Extrauterinschwangerschaft,
kombinirt mit Myoma Uteri.
141. Horn Theodor: Ein Beitrag zur Kenntniss der Klappenfehler
des rechten Herzens.
*) Ist veterinür-medicini8che Dissertation.
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12. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1851
142. Schindler Karl: Feber subphrenische Abscesse. (Aus der
k. Chirurg. Klinik zu München.)
143. Muggenthaler August: l’eber eineu Fall von Gallert¬
krebs der Manuna.
144. U li 11 g Arthur: Zur Kasuistik der Mediastinaltumoren. Ein
Fall von inetastatischem. malignem Adenom der Schilddrüse.
145. Schnitzler Franz: I'elK*r lelK»nde Fremdkörper im Olm*.
1415. Scliroef I August: Zur Kasuistik der Syringomyelie.
Universität Tübingen. Septeml>er und Oktober 1901.
33. (’ lass Hugo: 38 Fälle von I'lacenta praevia an der Tübinger
ITniversitäts-Augenklinik in den Jahren 1895—1SMU beobachtet.
34. Cäsar Franz: Udier Illesenzellenbildung bei Echinococcus
multilocularis und über Kombination von Tuberkulose mit
demselben.
35. Knebel Adolf: Ueber Keratomalacia infantum.
3(5. Knapp Albert: Ein pathologisch - anatomisch bemerkens-
wertlier Fall von Carcinoma ventriculi.
37. Lamparter Otto: I T eber Kombination maligner Ovarial¬
tumoren mit Magencarcinom.
38. Mainzer Julius: Beitrag zur Kenntniss der Aetiologie der
Keratitis pareucliymatosa.
39. W anner Ernst: Sulwonjuuctivale Injektionen bei infektiösen
Protressen nach Sbuiroperationell.
Vereins- und Congressberichte.
73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
in Hamburg, vom 22. bis 2S. September 1931.
Aus der Abtheilung für Laryngologie.
Herr Arthur Kuttner - Berlin: Larynxtuberkulose und
Gravidität. (Autoreferat.)
Der Einfluss, den die Gravidität auf die Larynxtuberkul >.-v
ausübt, ist bisher nirgends und niemals eingehend gewürdigt
worden. Es flinkn sich in der Literatur 7 Fälle, von 4 Autoren
mitgetheilt, die als kasuistische Beläge geeignet sin 1. das Kränk¬
ln itsbild, das mit dem Zusammentreffen von Schwanger-;.-halt
und Kehlkopf tuberkulöse rosultirt, zu ilUistriren; man lmt es
aixr bisher immer verabsäumt, aus einer Zusammenfassung und
kritischen Würdigung «l«*r versehieelenscitigcn Erfahrungen ein
Regulativ abzuloitcn, das. wenn auch nicht für jeden einzelnen
Fall, so dreh principiell gütige Vcrhaltungsmaassregcln an die
Hand geben kann. Zweck dieses Vortrages ist es. eine Anregung
zu bieten, wie diesem Uebolstande nach Thunlichkeit ahgclioltcn
werden kann.
Das Material, das Verfasser zusammenzutragen in der Lage
war, umfasst 15 gut beschriebene Fälle und ausserdem noch etwa
10—12 weitere Fälle, von denen sieh genauere Details nicht bei-
hringen Hessen.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren folgende:
Eine hereditäre Veranlagung lh-ss sieh durchaus nicht in
allen Fällen nachtreisen. Bei 3 Fällen war die wohl immer pri¬
märe Lungcnerkrankuug schon vor dem Beginn der Schwanger¬
schaft deutlich ausgesprochen; in den 12 anderen Fällen war
von Seiten der Lungen gar keine oder nur eine minimale Er¬
krankung nachweisbar. Die Kehlkopferkrankung bestand 1 mal
schon vor der C'onccptiou, 2 mal trat sie im 6. Monat auf, 12 mal
in der ersten Hälfte der Gravidität. Erst- und Mehrgebärende
sind der Erkrankung in gleicher Weise nusgrsetzt.
Ganz ausgetragen wurde mische inend kein Kind; 4 wurden
im 9., 8 im 8., 3 im 7. Monat geboren. Alle Kinder kamen
lebend zur Welt, bei 4 fehlt jede Nachricht über ihr weiteres
Schicksal; von 3 konnte Verfasser in Erfahrung bringen, dass
sie noch leben. 8 Kinder sind gestorben, zum Theil unmittelbar
nach der Geburt, spätestens 3 Wochen alt, das sind 72—73 Proe.
Dio 15 Frauen, über die genauere Berichte vorliegen, sind
alle ausnahmslos gestorben, zum Theil unmittelbar nach der Ent¬
bindung, spätestens 2 Monat nachher, obgleich Geburt bezw.
Wochenbett normal verliefen.
Die nicht genau registrirten Fälle zeigten fast durchgängig
dasselbe Krankheitsbild; eine oder die andere Frau soll mit dem
Leben davon gekommen sein, da aber präeise Angaben über
diesen günstigen Ausgang nickt zu erlangen waren, so ist die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass diese glückliche Resultat
nur durch eine vorschnelle Unterbrechung der Beobachtung be¬
dingt wurde. Es wird Sache einer späteren Forschung sein, ft“st-
zuatellen. wie groai die Zahl Derer ist, die die Fährnisse einer
durch Larynxtuberkulose komplizirten Schwangerschaft und
Entbindung überstellen:
Die sonst übliche Lokalbehandlung per vias naturales ist
durchaus erfolglos gewesen.
Aus den eben skizzirten Erfahrungen glaubt Verfasser fol¬
gende Schlussfolgerungen ablciten zu dürfen:
Bei Frauen, deren Befinden hoffnungslos ist, soll man die
Larynxtuberkulose nur in der üblichen Weise lokal behandeln,
event. bei ludicatio vitalis die Tracheotomie vornehmen.
Bei Frauen, deren Allgemeinbefinden günstig ist, darf man,
solange die Kehlkopfkrankheit ganz geringfügig ist, sieh ab¬
wartend verhalten. Sobald sieh Infiltrate bilden oder die Er¬
krankung sieh ansehickt, diffus zu werden, soll man so schnell
als möglich die Tracheotomie vornehmen und, wenn dies«* nicht
in wenigen Tagen günstig wirkt, den künstlichen Abort «‘in¬
leiten.
Je früher dio Schwangerschaft unterbrochen wird, desto
günstiger liegen tli<* Chancen für die Mutter, weil die An¬
strengung bei <l«*r Geburt, um so geringer ist, j<> kleiner «lic
Frucht ist.
Es ist rathsam, bei vorgeschrittener Kelilkopfcrkrankung vor
der Entbindung die Tracheotomie vorzunehmen «m1«*i* wenigst«*ns
zu ihrer Aasführung sieh immer bereit zu halten, um einer plötz¬
lichen Erstickung während d**s Gchurtsaktcs Vorbeugen zu
können.
Der Verfasser bittet behufs weiterer Klärung der angeregten
Frag«* diejenigen Herren Kollegen, die über ein einschlägiges
Beobacht uugsniutcrinl v«*rfiigen, ilnn ihr«* Fälle zur Veröfli-ut-
liehung gütigst überlassen zu wollen (A«lr«>sse Berlin \V.,
Liitzowplatz 6) «xl«*r selbst zu veröffentlichen.
Aus der Abtheilung für Dermatologie und Syphilis.
Herr A. S a c k- Heidelberg: Die Uebertragbarkeit der Spät¬
syphilis in der Ehe.
Die zeit liehe Abgivnzung der eontagiösen Periode «ler
Syphilis stellt mich nicht, absolut fest, trotz «l«*r herrschenden
Ansi«*ht, dass erst das sichtbar«* Auftreten des indurirU*n Prinnir-
afl’cktes der „Terminus a «pio“, und das Krlös«*hen «ler «•«»nd.vloma-
tös«*n Erscheinungen «ler „Terminus ad «pn m“ für die r«*b**rtrag-
barkeit «ler Syphilis p«*r coiitagionem sei. l)«*r Vortragende «*r-
örtert «lie Frage, ob ni«*ht auch schon in der «*rst«*n lneubathms-
periode die gelegentliche Lebertragung möglich sei, und bejaht
«liesi* Frage auf Grund theoretischer Erwägungen sowohl, wie
einer einschlägigen eigenen, lx*i einem Ehepaar gemachten B«*-
ohnehtung. Praktis«*h wichtiger erscheint die Frage, ob zer¬
fallende gummös«* Neubildungen, dio sehr spät nach «ler Infektion
(0 bis 20 Jahre) auftreten, noch «las Syphilisvirus — namentlich,
w« im sie auf «len Genitalien eines jung verheiratheten Mannes
auftreten — auf die Ehegattin zu übertragen vermögen. Der
Vortragende ist. in der Lag«*, neben einer stattlichen Reih«*
frennler, zumeist französischer Beobachtungen auch einen eige¬
nen, einwandsfreien und beweisenden Fall anzuführcu, wo
10 Jahre nach der Infektion die Contagionsquelle in der jungt*»
Ehe eine z«*rfallen«le gummöse Uloeratio» am Frcnulum «les
Mannes war. die in die Kategorie der „Pseudoehancre mlux‘*
gehörte und hei der jungen Frau an «ler eorrespomlirenden Stelle
(Commissura posterior) eine Sklerose erzeugte, der der ganz«*
Syniptomenktiinplex einer re«*euteu Syphilis folgte und mit Fehl¬
geburt im 6. Monat endete.
Für das Eintreffen so trauriger, nicht zur Regel gehörender
Vorkommnisse in einer jungen Ehe scheint das Zusammentreffen
von manchen Bedingungen niaassg«*lx*nd zu sein, wie da sin«!:
1. Einkapselung «l«*s primären aktiven Syphilisgiftes an der ur¬
sprünglichen Impfstelle unter Beibehaltung seiner Virulenz;
2. das Auftreten eines Gumma an der Stätte der Initialsklerose;
3. Zerfall des Gumma; 4. traumatische Reize (wie die jungchc-
liehen Excesse); 5. l)is]K)sition der Frau (Virgo intacta mit engen
Genitalien); 6. mangelhafte vorausgegangen«; Behandlung d«vt
Mannes. Doch genügen auch einzelne von diesen Bedingungen,
um unter Umständen die Infektion zu ermöglichen.
Der Vortrag»*»«!«* wäre den Kollegen für die Mittheilung
analoger Beobachtungen zu Danke verpflichtet, da er lx*absi«*htigt,
«liesos Kapitel ausführlicher zu bearbeiten.
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MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOOHENSCHRIET.
No. 46.
is;
VII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und
Neurologen
zu Jona am 20. Oktober 1001.
(Mlgener Bericht.)
1‘. Sitzung. Ilörsaal der Olirenklinik.
Vorsitzender: II i t z i *r - Halle.
Sc! i ritt füll rer: 1 lberg-Soniu-iisti in und St roh mayor-Jona.
1. H i t z i g - Italic: Aufklärung einiger Streitpunkte in i
der Lokalisationslehre.
1. Nach Oberlliielieiioptrationell an der Konvexität von
Hunden traten im Innern der Hemisphären, vor Allem auch
im l‘‘u.-sc des Stallkranzes Blutungen und Erweicliungsherde ein.
Es sind also die Erscheinungen nach Operationen nicht immer
mit der Obi-rllächc-nvcrlctzung in Zusammenhang zu bringen.
(Demonstration.)
2. An 24 1 liieren bat Yortr. l'ntersehueidungen einer oder
mehrerer Windungen in der Nähe des (iyrus sigmoides vorge¬
nommen. Hei 11 Eällen fehlten die motorischen Störungen an
den Extremitäten; bei 8 unter den 13 positiven Eällen fanden
sich die oben erwähnten Erweichungsherde, 2 mal waren benach¬
barte .Markstraldungin mit verletzt, nur 3 blieben bei Erontal-
schnilteii durch die Opera! ionsstelle unaufgeklärt. Der nega¬
tive Ausfall beweise, das- ein.ler mehrere Windungen von
ihn n Marklagern getrennt, werden können ohne Symptome au
den kontralateralen Extremitäten. Er könne al-o vorhiutig
H i a u c h i gegenüber daran feslhalten. dass die motorische
/.< ne stnng umgrenzt sei. (Demonstration.)
I> i se ii s s i o n: T s e li <• r ui a U - Halle bestätigt das aus
cig» n« r Erfahrung und hcriclitei. dass an anthropoiden Allen nur
di« vordere < 'ent rat Windung als motorische Region zu be-
Zeieliln II Sei.
II i t z i g: Nur der galvanische, nicht der faradisehe Strom
eigliell siell zu Keizvcrsueheii.
2. K ö s t e r - Leipzig: lieber den Ursprung des Nervus
depiesscr.
Mittels Durchtrennung des Depressor, der Yagu-wurzt 1, des
Laryngi tis superior und Virfolgung der Nervendegeneration
(Marc hi) resp. der Zollveränderuiig- (N i s s 1 - 11 e 1 d) stillte
Yortr. fest, dass das Jugularganglion die Ursprungsstiitte «Ics
Di pn ssor. sowie des sensiblen Vagus und Lar.vngcus superior
ist. Der Depressor nimmt den oberen Hol des (ianglious ein.
Der Depressor lässt sich bis zum Aortenbogen lind der Wurzel-
gi gend der Aorta verfolgen und endet mit vielen feinsten Nerveu-
ästeheii in der Adventitia resp. Mulia der Aorta. Wahrscheinlich
endet er marklos in der Intima, da Eiuspritzen einer physio¬
logischen warmen Kochsalzlösung eine Abnahme des Nerven- i
Stromes im Depressor hervorrief. Der Depressor Dt also nicht, j
der sensible oder Kdle.xnerv des Herzens, sondern der Aorta.
(Demonstration.)
IM s cu s s I o n: T sc Iie rm a k: Nach diesen Feststellungen !
kommt den Ilerzganglien nicht mehr eine selbstthätige. sondern
nur eine regulatorische Funktion zu.
3. Vogt- Döttingen: Ueber Neurofibrillen.
An Retinazellen bei Säuget liieren ergaben Untersuchungen '
mit der B e t h ersehen, der Methylenblau- und der II o 1 m g r e n-
scIk-iiE isenliaematoxylinfiirbung dt n fibrillären Hau derGanglien- !
Zillen und ihrer Eortsiitze mit Durchtreten durch den Zellleib. ;
Tm Achscneylinder liegen die Eibrillen am diehtesten. fahren im j
Zellleib pinselförmig auseinander. Einzelne Eihrillen bleiben i
ganz peripher und verlassen mit dem nächsten Fortsätze die Zelle.
Daraus ergibt sich eine ungemein grosse Mannigfaltigkeit der [
Heizleitung. In den Zellen verlaufen die Eibrillen bald mehr i
bündelartig, bald mehr netzartig. Ein Hof von Hrotopla-ma
bleibt stets von Eibrillen frei.
Ana c tomosen treten als breite Hrotoplasmabriiekeii und als I
Verbindung f« iner Primitivlibrillen auf; das pericelluläre Nerven- |
netz steht in Zusammenhang mit dem intracellulären.
Die anatomische Thatsaohe der Eibrillen und ihrer Kon¬
tinuität steht fest. Gleichwohl bedarf es noch weiterer, beson¬
ders biologischer Untersuchungen, um den Begriff des Neurons
ganz entbehrlich zu machen und die <langlii nz.elle ihrer Bedeu¬
tung für das nervöse Leben zu entkleiden. (Demonstration.)
Di seu ss Ion: K m d c n - Hamburg macht darauf aufmerk¬
sam. wie stark erschüttert die Neuroneiilehre durch B e t li e's
Emula mental versuch geworden sei; auch die trophische Funktion
der Nervenzelle sei durch B e t li e in Frage gestellt.
Vogt glaubt, die Reste von Protoplasma erklärten Ihm
Bethe's Experimenten das Bestehen der Erregbarkeit für kurze
Zeit.
4. 11 b e r g - SounoiHtoin: Das Centralnervensystem eines
Hemicephalus.
Hei einem lVs Tage alt gewordenen lleinieephalus, der
Pupillenstarre und Dyspnoe gezeigt hatte, fand sieh eine starke
\ ergrösserung der Schilddrüse und Verkleinerung der Neben¬
niere.
Die Pyramidenseitenstrangbahnen marklos. (} o w e r s’sebes
Bündel markschwach, ebenso die äusserste Randzone der Hinter¬
st ränge.
Jm Xaehhirn Pyramidenkreuzung kaum angedeutet. Schleife*
klein. aber markhaltig. Pyramiden und Oliven fehlen fast voll¬
ständig. {). —12. Hirnnerv vorhanden, (’entralkanal nur kurz-
Strecke vorhanden in der Gegend des 4. Ventrikels.
Im Hintcrhirn fehlen Brücke. Brüekcnarme. Pyramiden-
biimlil und Kleinhirn. Trapczfaseru und Raphe vorhanden.
('orjiora restiformia, aufsteigende V-Wurzeln.VIT-Kern.Vl-Wur-
zi'ln und gekreuzte V-Easern markhaltig. Auf der einen Seite
i-t. der VIII nur schwach entwickelt. Schleife klein, aber er¬
kennbar. Hinteres Liingsbündel vorhanden.
Statt Zwischenhirn und GrosMiirn eine marklose, durch
Blutungen und Cysten zerklüftete Masse. Auch sonst zahl¬
reiche kleine und grössere Blutungen. (Demonstration.)
IMsfitssion: Hins w a n g e r weist darauf hin. dass
trotz des Fehlens der l*yraniideiiliahneii Krämpfe aufgctretcu
seien.
Ilberg: Krämpfe traten nur bei der Athnumg auf. nicht
aber universelle.
r». Webe r- Göttingen: Hyaline Gefässerkrankung als
Ursache multipler miliarer Hirnblutung.
An mittleren und kleinsten Gefiissen tritt zuweilen, viel¬
leicht unter Mitwirkung von Blutsubstanzen, eine hyaline Ent¬
artung auf (Alzheimers hyaline Sklerose). Diese hyalin -
Substanz ist widerstandsfähig gegen Säuren und Alkalien, zeigt
keine Amyloid- und Eibrinrcaktion und färbt sich mit Ilaema-
toxylin violett, mit Pikroearmin gelb, nach va n G ieson leucli-
tciid roth. Allmählieh fasert die Gefiisswand auf und es kommt
zu Blutungen; oft obliterirt das Gefäss.
Die hyalin degenerirten Gefässwäude nehmen BlutfarbstotT
auf und zwar einen eisenfreien und einen eisenhaltigen.
In der Nähe der Gofässe enthält das aufgeloekerte Hirn-,
geweht: frisch gebildete Gliazellen.
Der Proeess findet sich selten bei Paralyse, meist nach
Potatorium.
Klinisch ist der Fall Wcbi'r’s als arteriosklerotische De¬
menz aufzufassen. (Demonstration.)
Itisi! ussion: Auf eine Anfrage Säug e r‘s bemerkt
Weber, dass die Entartung nur streckenweise, dann aber ring¬
förmig auftrete.
b. S i e f e r t - Italic: Ueber das Carcinom der weichen
Häute des Centralnervensystems.
4 Fälle von multipler Gareinomatose des (Yntralncrveii-
systems verliefen stets in der Weise: Durchbruch zahlreicher
sekundärer Ilirnmetastascn, Verbreitung von den Meningen und
den pcrieeri braleii und pcrispiunlcn Räumen aus, tertiäre Zer¬
störung der Nervensubstauz durch die Tumoren. Einmal fand
sieh dazu eine ziemlich schwere Meningitis. Auch das klinische
Bild der meist makroskopisch nicht völlig sicherzustellenden Er¬
krankung war ein ganz charakteristisches. (Demonstration.)
bisoussion: Sänger- Hamburg bespricht einen eigenen,
ülmlichcu Fall. Der Nachweis, dass bestimmte Stellen organisch
erkrankt seien, mache die Hypothese des toxischen Ursprungs,
besonders bei lokalisirteu Störungen, iiliertiüssig.
Sief er t: Zuweilen sei doch die Zurückführung von Stör¬
ungen auf Toxine nicht abzuweisen.
2. Sitzung. Psychiatrische Klinik. .
Vorsitzender: Ganser- Dresden.
7. Embde n- Italic: Ueber eine Nervenkrankheit nach
Manganvergiftung.
Vortragender hat 4 Fälle einer chronischen Vergiftung durch
Mangan in Folge Einathmung in Braunsteinmühlen beobachtet.
Der Syrnptomenkomplex ist ganz eigenthümlich und trotz der
Achnlichkeit. mit multipler Sklerose von ihr verschieden. Sehnen-
reflexe gerathen beim Beklopfen in einen langsam schwingenden
Klonus. Bei Bewegungen keine Ataxie und kein Zittern; wird
die Bewegung mit einer selbst geringfügigen Anstrengung ver-
Digitized by UjOOQie
12. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1853
1 »uiiden, so tritt ein dem Intentionstremor ähnliches Zittern auf !
(Aktionstremor). Bei Schreibversuchen wird die Schrift immer
kleiner und unleserlicher. Retropulsion. Zwangslachen. Keine :
psychischen Veränderungen. Die Sprache zeigt wie die Sehnen-
reflexe und der Aktionstremor eine charakteristische Störung:
die Silben werden endlos wiederholt. (Die Erscheinungen werd* n
an 2 Kranken demonstrirt.)
Die Behandlung schien nicht viel Erfolg zu versprechen, j
Vortragender glaubt, dass die eigenartige Krankheit sehr selten
und bei entsprechenden prophylaktischen Maassnahinen in
Braunsteinmühlen wohl gänzlich zu verhindern sei.
8. Möbius- Leipzig: Serumbehandlung der Basedow¬
schen Krankheit.
Vortragender bespricht die Versuche, die er mit dem Serum
von sehilddriiseidosen Thieren gemacht habe und die in 3 Fällen
eine deutliche Besserung gebracht hätten. Vielleicht genüge
schon das Fleisch solcher Thiere, da es ja Blut genügend ent¬
halte» Bei der Aussichtslosigkeit aller sonstigen therapeutischen
Bestrebungen dürfe man kein Mittel unversucht lassen.
Discussion: Sänger ivnrnt vor der chirurgischen Be¬
handlung.
Möbius hat. wie er auf eine Anfrag.* von Matlies-Jena
erwidert, keine Albuminurie beobachtet.
9. Aschaffenburg - Halle: Berufsgeheimniss (§ 300
St.fr.B.) und Psychiatrie.
Der § 300 St.G.B. bestraft das unbefugte Offenbaren von
Privatgeheimnissen, die der Arzt kraft seines Berufes wahr¬
nimmt. Die Ansichten der Juristen über den Begriff des Privat-
geheinmisses gehen ebenso sehr auseinander, wie die über den Begriff
des „unbefugten Offenbaren*“. Verpflichtet zur Offenbarung sind wir
nach dem Strafgesetzbuch nur bei Vorbeugung von Verbrechen
(§ 139); wir sind berechtigt, sowohl im Straf-, als im Civilproce-s
unser Zeugnis* zu verweigern. Dieser hohen Auffassung des Be¬
rufsgeheimnisses widerspricht das Verfahren bei der Aufnahme
von Geisteskranken, von der alle Arten Behörden in Kenntnis*
gesetzt werden müssen.
Vortragender bespricht dann noch die Schwierigkeiten, die
«las Berufsgeheimniss in der Psychiatrie besonders bei Ver¬
la irathungen mit sich bringt, die Berechtigung zur Begutachtung
Verstorbener, klinischer Demonstrationen und der Veröffent¬
lichung von Abbildungen Geisteskranker.
Discussion: Hitzig glaubt, die Befahren seien nicht s >
gross. Wo der Dolus einer Schädigung des Kranken fehle, werde
wohl kaum eine Verurt hei hing erfolgen.
Aschaffe nb u r g: Zum Dolus genüge der Wille, gegen den
Gosetzespnragraphen zu verstossen. gloieligiltig. ob dadurch der
Kranke geschädigt werde.
10. S c h ä f e r - Blankenhain: Ueber das Verhalten der
Cerebrospinalflüssigkeit bei gewissen Geisteskranken.
Bei Dementia paralytica war fast ausnahmslos eine Druck-
Steigerung des Liquor cerebrospinalis zu beobachten, im Durch¬
schnitt 182 mm; gleichzeitig war der Eiweissgehalt erhöht, durch¬
schnittlich 1,23 Prom. (normal 0,2—0,5 Prom.). Bei Demenz
nach Apoplexie, Epilepsie, angeborener und sekundärer Demenz
war der Druck ebenfalls erhöht, der Eiweissgehalt dagegen nicht.
Vortragender führt die Fliissigkeitsvermehrung auf einen Ilvdro-
eephnlus ex vaeuo, die Eiweisszunahme auf die entzündlichen
Proeesse au den Meningen zurück. Ausser an Eiweiss gebunden
wurde kein Stickstoff ausgeschieden.
Discussion: Auf eine Anfrage Hins w a n g e r’s stellt
Schäfer fest, dass mit ein oder zwei Ausnahmen seine Fülle
von Paralyse alle ältere waren.
11. Sänger- Hamburg: Ueber das intermittirende
Hinken.
In 3 Fällen von Claudieation intermitteilte (Charcot)
stellte Vortragender durch Röntgenaufnahmen Verkalkung der
Gcfässe an den unteren Extremitäten fest. Aetiologiseh glaubt
er Feberanstrengung der Beine feststellen zu können. Eine
ncuropathiselie Diathcse sei nicht erforderlich. Der Unterschied
zwischen Arteriosklerose (Erkrankung der Intima) um! Arterien¬
verkalkung. die in der Media lokalisirt sei, ist therapeutisch
wichtig, da die letzte Affektion jeder Behandlung spottet. Zur
Differentialdiagnose empfiehlt er die Anwendung von Ivönlgen-
hildern. (Demonstration.)
Discussion: W i n d s e li e I d - Leipzig warnt auch vor
dem Zusa men werfen der Arteriosklerose mit der Verkalkung. Bei
Fehlen von Gefüsserkrankungen konnte er mehrfach Sehwielcn-
blklungen an der Planta feststellen, die eine Neuralgie wachriefcn.
R e h m - Blankenburg hat zwei Fälle bei Nervösen (Hysterie*
gesehen.
G ii n z - Erfurt: In einem nach Trauma entstandenen Falle
führte die schwere Artcrienveründenmg schliesslich zum Tode.
Sänge r: Bei Arteriosklerose bewährte sieh das Jod, bei Ver¬
kalkung nicht.
13. W i n d s c h e i d - Leipzig: Ueber die durch Arterio¬
sklerose bedingten Nervenkrankheiten.
Die Verkalkung, Schlängelung oder Verdickung der peri-
ph ereil Gcfässe lässt keinen Rückschluss auf die Gefiisse des
Gehirns zu. Arteriosklcrosis cerebri zeigt sieh bei geistig ar¬
beitenden Leuten in einer geistigen Sterilität. Verminderte
Conceptiousmögliehkeit. Später treten dazu Ermüdbarkeit.
Schwindel, Kopfschmerz und GedüchnisssehwHehe, meist auch
Alkohol int oieranz. Der Kopfschmerz sitzt vorwiegend in der
Stirne, dauerndes Druckgefühl.
Bei jungen Leuten bildet, sieh nach Sehädeltrauma oft
Arteriosklerose der Extremitiilenarterien. Der Grund liegt in
der körperlichen Arbeit, oft auch in Kombination mit Lues und
Alkohol. Mit solchen Störungen, die zum Tlieil durch Hyper¬
trophie des linken Ventrikels ausgeglichen werden, können sie
jahrelang ungestört arbeiten, bis ein Ereigniss, das Alter oder
das Trauma die Regulirungsvorrichlungen stört; dann treten die
schweren Erscheinungen zu Tage.
Diesen arteriosklerotischen Symptomen müsse man nach Un¬
fall mehr Aufmerksamkeit schenken.
Discussion: Köster- Leipzig: Alte Leute können trotz
Arteriosklerose lange Jahre gesund bleiben, bis ein körperliches
oder seelisches Trauma die Störungen plötzlich waehmfe. Für
.lim ge Leute gelte Ed in ge r’s Hypothese der grösseren Empfind¬
lichkeit vielgebrauchter Organe.
B i ii s w a n ge r bestätigt, dass Körper- und Gehirnarterien
sich oft ganz verschieden verhalten. Höchstens in der Hälfte aller
Fälle stimme die Erkrankung beider überein.
Säuger: Die pathologisch-anatomische Trennung der End-
arterlitis und Verkalkung sei oft recht schwer, müsse aber stets
versucht werden.
W i n <1 s e li e i d: K ding e r’s Anschauung sei wohl nur für
die oberen Extremitäten haltbar.
Zum Orte der nächstjährigen Versammlung wurde Dresden
gewählt, als Einführender G a n s e r - Dresden und Pierson-
Lindenhof. * Asehaffcnburg.
Berliner medicinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o m 6. N o v e m b e r 1901.
Vor der Tagesordnung:
Herr Litten demonstrirt Milzpräparate von mehreren
Krankheiten zum Vergleich einerseits der Grössen Verhältnisse
(Banti’sche Krankheit, Leukaemie, Sepsis, Typhus in absteigen¬
der Beihenfolgc) und andererseits der mikroskopischen Verände¬
rungen bei der Bant i'schen Krankheit.
Discussion: Herren Senator, Ewald, Litten.
Letzterer weist darauf hin. dass die von Banti beschriebene
und von diesem und Senator als wichtig betrachtete Sklerose
der Milzvene schon lange von Virehow bei der gewöhnlichen
Lebereirrhose beobachtet worden ist.
Herr Adler: Zwei junge Männer mit Elephantiasis penis
und Lymphorrhoe.
Tagesordnung:
Herr M. G. Borchardt: Operation der Halsrippe.
Vortragender bespricht zunächst die Entwicklungsgeschichte
und Anatomie der Ilalsrippc. Dieselbe macht in der über¬
wiegenden Zahl keine Beschwerden. Bis zum Jahre 1898 waren
nur 28 intra vitam diagnosticirtc bekannt; davon machte nur die
Hälfte Beschwerden. Etwa ICH) weitere Fälle waren Sektion*-
bef unde.
Die eventuellen Symptome sind sehr charakteristisch:
a) eigciilhiimlieher Befund am Halse. 1>) bestimmte (’irculation —
Störungen, <*) cigenthümliehe nervöse Erseheinungen.
Die Fossa supraelavieularis der kranken Seite ist abnorm
ausgebildet. Gewöhnlich sieht man auffallend starke Pulsation
der Subclavia und fühlt eine knöcherne Resistenz, welche durch
Röntgenbild als Halsrippe aufgeklärt wird.
Die t’ireulaf iousstörungi n mach» u sieh in Thrombosen- und
Aneurysmenbildung in der Subclavia hemerklich und in Blii-sc
und Kälte der peripheren Theilc. Besonders lästig sind die ner¬
vösen Störungen: Heftige neuralgische Schmerzen ui: 1 Par-
aesthesieti (nach Bernhardt: Neuritis), die bald allmählich,
bald plötzlich zur Entwicklung kommen und zwar zumeist nach
< ineni Trauma.
Die Prognose quoad vitam günstig; Todesfälle sind nicht be¬
kannt.
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1854
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Behandlung zunächst mit. Wärme und Elektricität; wenn
dies erfolglos: Entfernung der llalsrippe, womit man nicht zu
lange warten soll.
Bis jetzt sind nur 15 operirtc Fälle bekannt, davon 4 aus der
R c r jr m n n n'sehen Klinik; 3 davon werden vom Vortragenden
denmnstrirt.
Im 1. waivu bei einer Hebamme 2 Jahre lang heftige neural¬
gische Schmerzen vorhanden gewesen. Operation durch Nass e.
Nach 4 Wochen Heilung. Im 2. von Bergmann operirteu
ebenfalls Heilung. Im 3. blieb nach der Operation eine gewisse
Schwäche zurück, so dass kein wesentlicher Vortheil erreicht
wurde. Im 4. von Borchardt operirteu wurde ebenfalls nur
wenig erreicht, was jedoch in der Natur des Syinptomenkomplexes
gelegen ist. der sich aus Folgen der Halsrippe und einer h alb-
s e i 1 1 g e n (! 11 o s e des lt ü c k e n m a rks zusammensetzte.
So deutet wenigstens O p p e n h e i m den Befund: 35 jährige Frau,
bis vor einem Jahr gesund, seitdem I’araesthesien. seit >/ 4 Jahre
Heiserkeit und lästiges Druckgefühl im Halse. Ursache der
Heiserkeit rechtsseitige Becurrensliihmung. Oppenheim fand
dann ausserdem noch Ilypaesthesie in der ganzen rechten Seite
des Iiumpfes. der rechtsseitigen Extremitäten und des Gesicht«»».
Arreflexie der r. Cornea und des Caumeusegels.
Der Nervenarzt war gegen die Operation, doch meinte Vortr..
dass mit Elektrizität sicherlich nicht zu helfen sei und operirte
desshalb mit dem erwähnten Erfolg.
Zum Schlüsse B«*spre«*lnmg der Methode. Nass e hatte sub-
pcriostal operirt, die übrigen 3 Fälle mit Wegnalnne des Periosts.
Discussio n: Herr .1. I s r a e I hatte in einem Falle* operirt.
der Erfolg war schlecht, denn zu den bisherigen neuralgischen
Symptomen war noch eine Lähmung des Serratus hinzugekommen.
Der Fall ist interessant, da er familiär war. 2 Schwestern hatten
die gleiche AtTektion. Er rathe zur subperiostalen Methode, um
die Pleura zu schonen.
Herr Oppenheim: Er vermisste die Erklärung des Zu¬
sammenhangs von Halsrippe und Oliose. Beide sind eben an¬
geborene Anomalien; man solle darum bei Halsrippen mehr
nach anderen Zeichen von angeborenen Fehlern fahnden. Er habe
noch einen 2. Fall gesehen, in welchem er Oliose neben der llals¬
rippe annehmeu musste. In einem 3. musste er die - nervösen
Storungen nicht auf die Halsrippe, sondern auf eine gleichzeitige
Neurohysterie zurückführen. Er frage, wie B e r n h a r d t darüber
denke.
Herr Bernhardt: Er habe nicht die ihm von O. zuge-
sprochene besonder«* Erfahrung über Halsrippen, «1a «*r nur «len
«■inen von ihm publizirten Fall beobachtet halt«*. Im Uebrlgen si*i
er der Meinung Oppenheim'».
Herr Landau fragt, ob mehr Männer oder Frauen dies«*
Aficktion aufweisen.
Herr B <> r «• h a r «11: Unter den (! B «* r g m a u n'sclu*n Fällen
seien 4 Frauen; bei anderen Autoren sei das Verhältniss umge¬
kehrt.
I lerr L e x e r; Bauchverletzungen.
Die Frage. wi«> man sich bei Bnuchvcrlctzungen zu verhalten
habe, sei in der letzten Z«*it soweit geklärt, «lass man einen früh¬
zeitigen Eingriff für «las richtige Vorgehen halte. Die Er¬
fahrungen auf dem Kriegsschauplatz der letzten Jahre könnt«*n
daran nichts ändern, da «lort ein Eingriff nicht frühzeitig genug
und unter zu ungünstigen Verhältnissen ausgeführt wird.
Vortragender domonstrirt mehrere Fälle.
Im ersten: Xehussvcrletzung, 5 Verletzungen «l«*s Dünndarms.
Laparotomie: Naht «ler Löcher und Unterbimlung m«*hrer«*r Ge-
l'ässt*. Kugel nicht g«*funden. Heilung.
Auch hei Verletzung mit stumpfer Oewalt ist mau «»ft zum
Eingriff gezwungen; «lie Diagnose und Indikation ist dabei nur
vi»*l s«*hwieriger, <la man nicht immer weiss, <»1> eine Ruptur «*in«*s
Eingeweides entstanden ist und inwieweit «las schwer«* Bild durch
«len Schock bewirkt wird. Auch hier möglichst frühzeitig operireu.
19 jähriger junger Mann schlägt ln*im Turnen (Bauehwellei
Heftig g«*g«*u die Reckstange; er gellt unter Schmerzen zu Fuss
nach Haus«*. (legen Mitternacht musste ein Arzt geholt w«*rd«*n.
der in richtiger Erkcnutniss die Uebert'iihrung in die Klinik sofort
veranlasst. Dort (,'ollaps. Erbrechen galliger Mass«*n. Man nahm
S«*ho«-kwirkung an und wartet. die Nacht ab, obwohl gering«*
Spannung der Bnn«*h<h*ck«*n, lu*ral»g«*s«*tzte Darmbewegung und
Erbrechen für Darm Verletzung sprachen. Am nächsten Morgen
zunächst Besserung. Dann alnu* Bauch aufgetri«*l>en. Puls be-
sehleunigt utnl Temperatur 3X. Daher trotz Besserung «l«*s (!«*-
samintbelimUms Operation in der Annahme einer Perforation»-
Peritonitis. Bestätigung. Im Abdomen trüb-s«*r<"»s«* Fliissigk«*it.
Ser«»sä be|«*gt. im Mesokolon und Paukreaskopf Qu«*ts«-hmig und
an «ler Maccnhimerwaml kleiner Riss. \V«*g<*n Peritonitis wurd«*
die Bauebwunde offen gelassen und «las Abdomen tampouirt.
Heilung mit. breiter Narbe.
ln 2 weiteren Fällen (Hufschlag bezw. V«*rl«*tzung beim
Turnen) wurde «*b«*nfalls operirt und g«*h«*ilt. Ohne Operation be¬
trägt die Mortalität immer S0--90 Pr«*«*, und nu«*h von den olum
Operation Geheilten sind manche späterhin Gefahren unterworfen
durch Narbenstenose, ('ysteiibildnng. Abscess. Und auch ohne
eigeiitliehe P«*rforsition «les Darms kann Peritonitis eintret«*n, wie
in folgendem Fall:
No. 4G.
10 Jähriger Sohn eines Kollegen. Stoss gegen eine Deichsel.
0 Stunden darnach peritouitlsche Erscheinungen. Openitiou. Keim*
Perforation, aber ge«pietschte und gangraeuesclrende Stelle um
Darin; Tamponade. Heilung.
In einem anderen Fall Stoss beim Turnen: 2 Wochen darauf
grosser Kotliabscess über «ler Symphyse. Operation. Heilung.
ln einem weiteren hatte sich «»ine grosse Mesenterialcyste ent¬
wickelt; solche können zuweilen im Anschlüsse an verhültuiss-
miisslg geringfügige Traumen entstehen.
Haus Kohu.
Verein für innere Medicin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o m 4. X o v e m b e r 1901.
Vor «ler Tagesordnung «leiuonstrirt Herr Senator ein Blut¬
präparat mit Recurrenssplrlllen; Herr L. Michaelis Deckglas-
j*riii»arate mit Degeneratiousfurmeu von Pneumococcen aus plen-
ritischen Exsudaten.
Tagesordnung:
1. Herr H. Brat: Ueber die Bedeutung des Leims als
Nährmittel und ein neues Nährpräparat „Gluton“.
Nach einer historischen 1 'ebersicht über die Schicksal«*,
welche «ler Leim in «ler Beurthciluug erfahren hat, glaubt Vor-
trageiuler, dass der Leim gegenüber den modernen Nährpräpa-
raten allzuseltr in Vergessenheit geratlic-n ist. Eine. Schwierig¬
keit sei, grössere Mengen Gelatine in Gelees oder
Supp«*n zu verabfolgen. B. hat eine Form der Gelatose nach
einem besonderen Verfahren «largestellt, „Gluton“, ein Präparat,
w«*lches nicht, mehr gelatinirt. Dasselbe lässt sich in kalter
Iliissiger Konti mit Fruchtsäften, (’itronensaft, Zucker oder
Saccharin g« messen. Als Voraussetzung für die vorgenommeneu
St off Wechsel versuche stellt Vortragender fest, dass in allen Stoff -
weclts«*lversuehen mit modernen Nährpräparaten erhebliche Men¬
gen Nahrungseiweiss gegeben wurde; er weist auf eine von
Prausnitz (Münch, med. Woehenschr. 1899) aufgestellte
Tabelle hin. Durchschnittlich betrage die Zahl «les ersetzten
natürlichen Nahrungseiweisses nur 50 Proc.. In der Praxis
kämen bei 100—150 g Nahrungsei weiss 40—50 g Nährpräparat
in Betracht.
Vortragender geht nun zur Besprechung einiger Stoffweoliscl-
versuelte über, aus welchen Folgendes resultirte.
Die Aetherschwof eisäuren und Fettsäur «• n
werden durch Gluton nicht vermehrt; demnach werde durch
Gluton keine Dartnfäulniss bewirkt. Im Stick-
stoffh aushalt leiste das Gluton bei gleichzeitiger
Verabreichung von Nalirungseiweiss dasselbe wie di«:
E i w eiss nähr präparate; besonders trete die Wirkung
des Glutens in den Fällen hervor, in welchen ausser einem Theil
des Nabrungseiweisses noch ein Theil der Kohlehydrate
durch ihr calorimetrisches Ae«iuivalent an Gluton ersetzt, werde,
liier s«»i der erzielte Stickstoff Umsatz ganz bedeutend. Aas
einem Versuche ergebe sich ein Resultat von allgemeiner B«*-
d«*utung. Nach V o i t sei «lie Grösse des täglich verlustig
gehenden Organeiweisses auf 16 g zu veranschlagen, eine Grösse,
welche durch Vergleiehsversuche mit Leim gefunden sei. Vor¬
tragender folgert aus dem Umstande, dass nach den Zahlen eines
Versuches, in welchem allerdings in der Reconvalescenz nach
einer Krankheit innerhalb 4 Tagen gar kein Organeiweiss ein-
gebüsst wurde, dass diese Zahl jedenfalls beträchtlich niedriger
sein kann. Es wäre diese Thatsache ein Gegenstück zu der
Herabsetzung des von Voit zuerst aufgestellten Eiweissmini¬
mums. Schliesslich weist B. auf die Ausnützungszahlen hin,
welche grösser sind, als bei allen Eiweissnährpräparaten, da das
Gluton ebenfalls wie die Gelatine im Organismus völlig ver¬
brannt wird.
Vortragender stellt dann eine Reihe von Krankheiten
auf, in welchen das Gluton besonders indicirt ist. Vor allen
Dingen kämen in Betracht Krankheitszustände, in welchen die
Zufuhr von Kohlehydraten mit oder ohne Einschränkung «ler
Eiweisszufuhr contraindieirt ist: die Fettsucht uud «ler
1) i a b «* t «* s. ln seinen Versuchen sei auch die Harnsäure-
m o n ge im Vergleich zu anderen Nährpräparaten, von denen die
Somatose besonders schlecht, ausgenutzt sei,
herabgesetzt gewesen. Ferner weist B. auf die Möglichkeit der
Anwendung bei Blutungen hin. Schliesslich erwähnt Vor¬
tragender die Arbeit Senator’» aus dem Jahre 1873, in welcher
derselbe die Gelatine besonders im Fieber empfiehlt. Auch das
Gluton werde sieli im Fieber in besonders grossen Dosen und in
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MUENCIIENER MED1CINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
385
12. November 1901.
angenehmster Form, z. H. kalten Limonaden, verabreichen
lassen. Volkswirtschaftliche Hoffnungen, wie man dieselben
an Nährpräparate geknüpft hat, hegt Verfasser bezüglich des
Gluton nicht; al>er die Hoffnung, dass das Gluton ein sehr 1
brauchbares „Diätetieum“ sein wird, spricht Vortragender zu¬
versichtlich aus.
An der Discusslon lietheiiigten sich die Herren Scna
t o r, Iv 1 e m perer, B 1 u m eutli a 1, K w a 1 d, Kürbrluge r.
A 11) u.
Herr Senator betonte, dass der Leim in der Ernähruiigs-
therapie viel zu wenig berücksichtigt werde; er habe den Leiin
schon seit 30 Jahren fiir Diabetiker empfohlen und verwende ihn
Immer gelegentlich in Form von Gelatine, Jus u. dergl. Sonst
ging aus den geschehenen Bemerkungen hervor, dass sieh das Prä¬
parat in kalter Form, nach Zusatz von Frucht- oder (’itronen-
saft etc. \Limonadenform) für die Krankendiät eignet. Dagegen
wurde die Verabreichung in warmer Form, z. B. in Suppen, von
den meisten Rednern verworfen, da sich dann ein u n a n g e
n eh liier Lelmgeruch bemerklich machte. Das Präparat
wird von der Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation in den
Handel gebracht.
2. Herr Litten; Ueber zwei neue Arzneimittel.
Das eine ist ein neues Theobrominpräparat, eine Mischung
von Theobromiimatrium mit essigsaurem Natron, Agurin ge¬
nannt; es wirkt in der gleich guten Weise, wie es vom Theobrom,
natriosalicylicum, dein Diuretin, bekannt ist. Das andere ist
das von Over lach neuerdings empfohlene Salochinin und
das diesem nahestehende Rheumatin (Verbindungen der Snlieyl-
säure und des (’hinins); liier ist L i 11 e n nicht in der Lage, den
Lobspriichen O verlach’» beizutreten; im Gegentheil seien
Wirkung und Nebenwirkung durchaus schlechte.
Hans K o h n.
Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 31. Oktober 1901.
1. Herr Strauss: Vorstellung eines Palles von Banti¬
scher Krankheit. Der 35 jährige Manu war bereits 1S0<» in kli¬
nischer Beobachtung, damals mit der Diagnose: Auaemin splenica.
In dem derzeitigen Stadium der Erkrankung ist die Diagnose nicht
schwierig. Es findet sieh ein die ganze linke Bauehhälfte aus¬
fallender M 11 z t u m o v bei normalem Blutbefund und dem Fehlen
nachweisbarer Leberveränderuugen oder sonstiger Organerkrank-
uugen.
2. Herr Gerhardt: Kranken Vorstellungen:
a) Eines 40 jährigen Mannes mit Lues spinalis. Spastische
Lähmung der unteren Extremitäten mit Herabsetzung des Ge¬
fühles für Berührung und Schmerz daselbst. Anaestliesie am
Damm, Blasen- und Mastdarmstörung. Besserung nach Einleiten
der Schmierkur.
b) Einer 50 jährigen Frau mit Tabes dorsalis, Amaurose und
Augenmuskellähmungen. Boinerkenswerth ist der langsame Ver¬
lauf der Krankheit wie meist bei den Fällen mit Sehnerven¬
atrophie und stärkeres Schwanken des Oberkörpers, wenn die Im
Bett sitzende blinde Patientin die Augen scliliesst.
e) Eines 17 jährigen jungen Mannes mit angeborenem Herz¬
fehler. Kleinheit des Pulses, starkes systolisches Geräusch und
fühlbares, transversal verlaufendes Schwirren, am lauteten im
2. linken Zwischenrippenraum, rechtfertigen die Annahme eines
Defektes lm Septum ventrlculorum mit fehler¬
haftem Abgang und Engigkeit des Aorten-
Ursprungs.
d) Einer 52 jährigen Frau mit Cholelithiasis. Plötzlicher
Ikterus mit Frost, Fieber und Abgang eines grossen Steines mit
dem Stuhlgang. Bemerkenswertli war die Lokalisation der
krampfartigen Schmerzen in der linken Bauch¬
seite, die auf einen Zusammenhang mit der linksseitigen
Wanderniere bei der Frau hinführten. Vortr. berichtet Uber
einen anderen, früher von ihm beobachteten Fall von linksseitigen
Schmerzen hei Gallenstelukolik ln Folge von Schwellung einer
linksseitigen Wanderniere. Während des Kolikanfalls war ferner
bei der vorgestellten Kranken eine zosterähnliche haemorrhagische
Bläscheneruption an Rumpf und linkem Arm aufgetreten.
3. Herr Dorendorf: Demonstration von Blutplättchen¬
präparaten, die nach der Methode von Deetjen angefertigt
sind. Die in Gemeinschaft mit Herrn Hamei angefertigten
Präparate beweisen nach Ansicht des Vortragenden vollständig
die Ansicht von Deetjen, dass die Blutplättchen selbständige
zellige Gebilde sind mit einem Protoplasmaleih, der nmoebolder
Bewegung fähig ist und einem Kern mit deutlich differenzirtein
Gerüst. Auf dem D e e t j e n'sohen Nährboden lassen sich die
Bewegungen der Blutplättchen hei erwärmtem Objekttisch demon-
striren und mit Osmiumsäure fixiren.
Discusslon: Herr Becker bezweifelt, dass die Blut¬
plättchen selbständige Zellen sind.
4. Herr Hoffman n: Vorstellung zweier männlicher
Kranker mit einem syphilitischen Primäraffekt an der Unter¬
lippe und starken Lymphdrüsenschwellungen am Unterkiefer.
K. Brandenburg - Berlin.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o ni 29. O k l o b c r 1901.
Vorsitzender: Herr lv ii m in e 1 1.
I. Demonstrationen:
1. Herr K o e n i g - Altona dcumnstrirt eine 70 jährige Frau,
die mit den Zeichen einer Perforationsperitonitis in's Krankenhaus
kam. Bei der Laparotomie fand man ein haeinoiTlmgiselies Ex¬
sudat. das die Tupfer gallig färbte. Die hieraus gestellte Diagnose
auf Gallenblasenperforation fand sieh bestätigt. Die Gallenblase,
an der I'iiiertläche des Kolon transversum verwachsen, war in die
Länge gezogen und hot au der Kuppe eine fingerdicke Durchbrileh-
stelle. aus der ein grosser Gallenstein hervorragte. l>a die intra-
hepatischen Gallemvegc sich als frei erwiesen, wurde die Gallen¬
blase exstirpirt. ein Verfahren, dessen Empfehlung der Vortr.
nach den bisher vorliegenden Erfahrungen mm 7 Fällen wurden
5 geheilt) sieh anselilicsst.
2. Herr C. Lauenstein denioustrirt 2 Arbeiter mit. den
Folgen eines Unfalls. Einem 34 jährigen Arbeiter fiel Dezember
INO!) ein 200 Pfd. schwerer Sack auf «len Kopf. Bei ihm entwickelt«*
sich ganz langsam eine Steifigkeit der Wirbelsäule. Das Sym-
ptoiueiihild entspricht weder genau dem B e e li t e r e w'sehon
Krankheitshildc, noch der M a r i e - S t r ü m p e 11‘schen Form.
Kadiographisch liessen sieh in den Ligamenta, interspinosa. im
IVriost und im übrigen Bandapparat der Wirbelsäule Knochen-
lietihildmigeu und Synostosen erkennen. Dabei ist di«* Form der
Wirbelsäule durchaus normal.
Im zweiten Falle handelt es sich tun eine Verlagerung der
Nägel volarwärts nach Amputation der Endphalanx. Die Be¬
schwerden. die die klaiieiiartig wuchernden Nägel heim Gebrauche
der Hand machen, mahnen zu einem weniger konservativen Vor¬
gehen in ähnlichen Fällen, da die Kranken später durch diesen Zu¬
stand belästigt werden und nicht leicht in eine sekundäre Ampu¬
tation der vorderen Fingerglieder einwilligeu.
3. Herr Wiesinger stellt einen Fall von Magenperforation
mit allgemeiner jauchiger Peritonitis vor. welcher 4 Tage nach
nach der Perforation operirt und trotz mehrfacher gefährlicher
Komplikationen der Wundlieilung vollständig geheilt ist. Die
l’erforntionsstelle lag an der kleinen Curvatur. die Umgehung war
in tlialergrosser Ausdehnung brüchig und hart durch ein Ulcus
ventrienli. so dass die gesunden Magenwiiude von weiter her über
der Perforationsstelle zusammeiigeuäht werden mussten. Zunächst
trat einige Tage nach der Operation eine C o 1 i p h I e g tu o n e der
Bauchwunde ein, welche die Entfernung der Nähte uötliig machte,
wodurch die Därme in de? Bauehwunde in der Ausdehnung von
25:15 cm freilagen. 14 Tage später beim Pressen entstand aus¬
gedehnter I’rolaps der Därme, die in Narkose reponirt
wurden. 3 Tage später Ileus, bedingt durch grossen intra-
nhdoniinellen Absoess. Nach dessen Entleerung verschwinden
diese Erscheinungen. Endlich subphrenischer Ahscess
reellterseits mit 1 Liter stinkendem Eiteriulialt, durch Resektion
der 9. Rippe entleert, nachdem vorher ein Tlieil des stinkenden
Inhalts durch Perforation eines Bronchus ausgehustet. Von da
an ungestörte Rekouvalescenz bis zur Heilung. Gewichtszunahme
24 Kilo.
2. Fall. 40 jährige Frau. Nach Haematemesis Perforations¬
erscheinungen von Seiten des Magens mit nachfolgender all¬
gemeiner Peritonitis. Operation verweigert. Peritonitis dauert
die folgenden 0 Wochen fort. Aeusserst elender Zustand. Zum
Skelet nbgemngert. Ballonnrtige Auftreibung des Leibes. Puls 120
bis 130. Temperatur 3S—39“. Tympanie über deu ganzen Leih.
Leberdiimpfung verschwunden. Scharfer Leberrnnd rechts unten
in der Gegend der Spina illaca deutlich zu fühlen. Eröffnung
eines enormen gas- und jaucliehaltigeu Ahscesses mit 4 Litern
Inhalt durch Schnitt vom Epigastrium bis zur Symphyse. Tam¬
ponade der Höhle. Drainage durch die unteren Rippen rechts.
Heilung per granulationem. Völlige Wiederherstellung.
4. Herr Lehr denioustrirt einen Tumor des Nasenrachen¬
raums bei einer 17 jährigen Patientin.
5. Herr Trömner bespricht die Differentialdiaguosc
zwischen Neuritis nodosa und Neurom, die hei solitärem Auf¬
treten ungemein schwierig sein kann. Bel dem vorgestellten
Knnlien fand sich Im Verlaufe des Nervus peroneus superficialis
eine dnttelkerngrosse Ansehwellung. Das Vorhandensein von
Paresen In der Peronealmuskulntur, Entartungsreaktion und der
Erfolg einer galvanischen Behandlung sprachen für Neuritis.
0. Herr Bertelsmann zeigt eine von ihm angegebene
Alkohol- und Aetherflasche mit Tretvorrichtung zum Gebrauch
im Operntionszinnner. Die Unzweekmiissigkeit der Aufbewahrung
und Verwendung von Alkohol und Aether in offenen Schalen ist
evident. Die Flaschen haben ausser einem nur durch einen Tritt
zu öffnenden Abzugshnhn auch noch eine Oeffnung. durch welche
soviel Volumen Luft Zuströmen kann, als Flüssigkeit entweicht.
Die Luftzuleitungsöffnung ist mit einem Rohr und einem Hahn
versehen. Der Luflhnhn wird durch den gleichen Tritt zur gleichen
Zeit geöffnet, wie der Alkohol- oder Aetherhahn. Durch eine Feder
werden hehle Hähne wieder zugezogen. Es wird hierdurch jede
Verdunstung vermieden, da die Luft innerhalb der Flasche Immer
stark mit Aether- oder Alkoholdunst erfüllt sein wird. Der Appa¬
rat vereinigt also die Vorzüge einer geschlossenen Flasche und
einer offenen Schale. Angefertigt von Leonhard Schmidt-
Harahurg. Preis 120 M.
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IS 56
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
7. Herr Keye den-.onstrirt mehrere Herzen mit Arterio¬
sklerose (1er auf steifenden Aorta und hochgradiger Verengerung
des Coronararterienlumens. ln beiden Krankengeschichten ligu-
riren Anfälle von Herzklopfen. Athemuoth und Schmerzen. Plütz-
liclier Exitus, nachdem noch bis vor Kurzem normale Arbeit ge¬
leistet war.
II. V o r t. r a g des Herrn Nonne: Ueber diffuse Sarkoma-
tose der weichen Häute des Centralnervensystems (mit Skiopti-
knu Vorführungen).
N. berichtet über einen der seltenen Fälle, der folgenden Ver¬
lauf nahm:
Ein 16 jähriges Mädchen erkrankt mit anfallsweisen Kopf¬
schmerzen. Seil- und (»elistörungen. Iler Wechsel der Symptome,
von denen bald das eine, bald das andere vorherrschte, sowie die
Beobachtung von gelegentlichen Jlemikomulsionen hatte vorher
die Diagnose „Hysterie“ bedingt. Nach 4 Monaten fanden sich
wechselnde Astasie und Abasie, Fehlen der Patellarreflexe, sub-
soinuolentes Benehmen, weite, reaktionslose Pupillen, hochgradige
Blässe der Optici (Anaemie oder Atrophie?). Auch jetzt waren die
Symptome noch in ihrer Intensität sehr wechselnd, besonders die
Weite und Reaktion der Pupillen und die Lähmungserscheinungen
in den exterioren Augenmuskeln. Konstant war nur das Fehlen
der Patella rreflexe. Nach weiteren 4 Wochen nahm die Benommen¬
heit zu. es kamen zu den jetzt konstant bleibenden Augenmuskel-
lühmungen Vagnssyinptoine hinzu; dann traten meuingitische Er¬
scheinungen und Delirien auf und nach 7 Monate langem Ivrank-
heitsverlauf trat der Exitus unter Bulbärerscheinungeu ein. .
Die Diagnose war auf eine maligne Neubildung in der
(legend der Vierbügel mit Metastase im Rückenmark gestellt,
unter Ausschluss von Syphilis cerebrospinalis und disseininirter
Tuberkulose. Ilei der Sektion fand sich, abgesehen von ein¬
zelnen zarten Piatrübungen am Plexus chorioideus und am
('hiasma makroskopisch nichts Abnormes.
Aufschluss ergab erst die mikroskopische Unter¬
suchung, die zur Feststellung einer diffusen Sarkomatose führte.
Und zwar erwiesen sich die Neubildungen als dem Gefässverlauf
folgend und in Begleitung der Piamaschen in das Nervengewebe
hineingewuchert. Die Pia ist an einzelnen Stellen zu mächtigen
Balken verdickt, die sich fingerförmig zwischen die Gehirnfurchen
und in’s Rückenmark vorstrecken. Die Nervenplexus an den hin¬
teren Wurzeln sind von der Neubildung umklammert. Am Opti¬
cus, Oeulomotorius und Abducens folgt die Neubildung den Inter¬
stitiell, während die Fasern selbst intakt sind. Histogenetisch
betrachtet handelt es sich um ein Peritheliom.
Hervorzuheben sind 2 Punkte: Erstens die Zartheit der Pia-
infiltration, die makroskopisch den Fall als „negativ“ ansehen
li<ss, zweitens das Uebergreifen der Neubildung von den weichen
Häuten des Rückenmarks auf die Rückenmarkssubstanz selbst,
während das Parenchym des Gehirns frei geblieben war.
Die klinischen Symptome, vor Allem das Fluktuiren der
Symptome ist durch die Bedeutung, die die Gefässe in diesem
Falle bezüglich der Tumorentstehung haben, genügend erklärt.
Uebrigens war die klinische Symptomatologie der 3 ähnlichen in
der Literatur vorhandenen Beobachtungen eine ähnliche.
W erner.
Medicinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 30. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr Cursclimann.
Schriftführer: Herr W i n d s c h e i d.
Herr Harchand ilemonstrirt:
1. Präparate von dem Fall von Hautcarcinom, der von
Herrn Riehl in der Sitzung vom 18. Juni d. J. vorgestellt
worden war.
2. Eine aussergewülmlich grosse Hydronephrose unter Dar¬
stellung des pathologisch-anatomischen Bildes dieser Krankheit.
Herr W. Müller demoustrirt mikroskopische Präparate
vom Zahnfleisch und Muskel eines chronisch verlaufenen Skorbut¬
falles.
Bei drei Skorbutfällen wurde der Urin bakteriologisch unter¬
sucht. Er wurde dazu unter den üblichen Vorsichtsmaassregeln
mit dem Katheter entnommen und mehrere Kubikcentimeter zur
Vorkultur in Bouillonrührehen gebracht. Nach 24 Stunden bei
37 0 war noch kein Wachsthum sichtbar. Erst nach 48 Stunden
trat eine sehr leichte Trübung der Bouillon ein mit Ausbildung
eines geringen Bodensatzes, entsprechend dem Wachsthum einiger
Streptocoeeenstämme.
Der in 2 Fällen gewachsene Organismus war ein sehr kleines,
meist zu 2 angeordnetes Stäbeheu von der Grösse des Iufluenza-
baclllus. Er wächst auf Bouillon unter Ausbildung kleiner Schüpp¬
chen, vereinzelte Exemplare weisen eine sehr geringfügige „rnole-
culare“ Bewegung auf. Erst nach 2 Tagen bei 37° erfolgt leichte
Trübung und Ausbildung von Bodensatz. Auf Hammelblutserum
wächst er gut und lässt sich hier von mitgewachsenen Strepto
cocccn durch seine runde, bräunliche Koloniebildung unterscheidet).
Von Bouillon auf Olyeerinagar übertragen, ging er nie an.
auf Gelatine bei 22° in sehr spärlichem, nur mit der Lupe
erkennbarem Wachsthum. Bei der Uebertraguug grösserer Mengen
von der Serumkultur auf die Glycerinagaroberfläche wachsen nur
sehr dürftige kleine Kolonien aus, Gelatinestich entwickelt sich,
ebenfalls spärlich, aber weit besser als bei Uebertragung von
Bouillonkultur auf Gelatine. Bel Uebertragung von Serum auf
Traubenzuckeragar entstehen kleine Kolonien, ln einem Bezirk
bis 2 cm unterhalb der Oberfläche, ohne Gasbildung. Petruschky-
sebe Lnckmusmolke erfährt keine Farbenäuderung, der Organismus
wächst unter Ausbildung eines massigen Bodensatzes. Milch er¬
fährt keine Veränderung, doch findet ln der Milch Waehstbui;>
statt. Subkutane Uebertragung einer 5 tägigen Bouillonkultur auf
Kaninchen blieb ln der Menge von y 2 und 1 ccm ohne sichtbar
krankmachende Wirkung.
Ein Organismus mit solchen Eigenschaften Ist als Saprophyt
der Harnwege nicht bekannt. In manchen Eigentümlichkeiten
stimmt er mit (lern von Babes 1893 aus dem Zahnfleisch gezüch¬
teten Bacillus überein. Ob ihm für den Skorbut eine aetiologiselu-
Bedeutung zukommt, ist vorläufig gar nicht zu sagen.
In einem Falle von „Cholera nostras“ züchtete der Vortr.
durch Aufstrich auf Glyeerinagarplatten zwei Collstämme. Diese
entsprechen 2 auf der Agarplatte gewachsenen, deutlich verschied , n
gefärbten runden Kolonien. Die hellere war weit beweglicher und
unterschied sich von den Bakterien der dunkleren Kolonie durch
weniger energische Säurebildung auf Petruschky’scher Lackmus-
mölke und geringere Gasbildung ln Traubenzuekemgar-Schüttei
kultur. Der Träger der Bakterien agglutinirte beide Stämme 1:00
in 20 Minuten. Ein zweiter Fall agglutinirte von beiden Stämmen
nur die der dunkleren Kolonie entsprechenden Bakterien l:3o.
während die lebhaft bewegliche Kultur nicht agglutinirt wurde.
Dasselbe Hess sich für einen Fall von Perittyphlitis nachweisen. —
Die Kolonie von Bact. coli auf der Agaroberfläche ist an sich un-
charakteristisch. Nach diesen Resultaten scheinen der verschie¬
denen Färbung der Coli-Kolonien bei durchfallendem Licht auf
der Agnrplntte andere Differenzen parallel zu gehen, welche die
Agaroberfliichenkultur als Difforenzirungsmittel verschiedener Coli-
stiimme wirkungsvoll erscheinen lässt.
Herr Petz old: Zur Aetiologie des Skorbut.
Im Mai dieses Jahres kam im Krankenhaus St. Jakob eine
auffällig hohe Zahl von Skorbutfällen zur Behandlung. Eine
genaue, Prüfung der Anamnesen der Erkrankten hat bezüglich
der Aetiologie des Skorbut mehrere nicht uninteressante Beobach¬
tungen ergeben.
Es ist bekannt, dass man früher als Ursache des Skorbut
in der Hauptsache eine mangelhafte Ernährung anschuldigte. So
sprach man von einer einseitigen Fleischnahrung, von einem
Mangel an Pflanzensäuren, von Mangel an Fett, von Mangel an
Kalisalzen (G a r r o d’s Theorie) und von einer zu reichlichen
Kochsalzzufuhr.
Dass die Verhältnisse nicht so einfach liegen, geht schon
daraus hervor, dass es bisher noch nicht gelungen ist, durch
mangelhafte Fütterung bei Thieren eine haemorrhagische Dia-
these zu erzeugen.
Auch die im Mai hier beobachteten Fälle von Skorbut sind
zum Tlieil geeignet, diese Theorie der einseitigen mangelhaften
Ernährung als Hauptursache des Skorbut von der Hand zu
weisen.
Es handelt sieh im Ganzen um S Fälle, sämmtlich männ¬
lichen Geschlechts, in mittleren Jahren, aus ganz verschiedenen
Berufsklassen. Die Erkrankungen sind alle sporadisch auf¬
getreten und alle sind zum ersten Mal erkrankt. Der Zustand
des Gebisses zeigte bei 6 der Erkrankten sehr defekte Zähne, 2 der
Erkrankten waren Rheumatiker.
Dass mehrere der Patienten sehr wohl in der Lage waren,
sieh genügend zu ernähren, zeigt ihr durchschnittlich berechneter
Tagesverdienst von 3.50 M., 3 M„ 2.80 M., und 2.50 M. etc.
Betreffs der Wohnung ist bemerkenswerth, dass 6 der Er¬
krankten in neuen Häusern wohnten, 2 davon bezeichneten ihre
Wohnungen direkt als feucht. Im Erdgeschoss wohnten
4 Patienten, im 1. Stockwerk 3 und im 3. Stockwerk 1. Die
Lage der Wohnung nach der Besonnung ergab bei 5 Erkrankten
eine nach Norden gelegene Front, bei 2 eine nach Osten und bei
1 eine nach Süden.
Was endlich die Ernährung betrifft, so ist nur bemerkens-
werth, dass 7 der Erkrankten angaben, fast nur kalt gegessen zu
haben; frisches Gemüse fehlte mehr oder weniger bei fast Allen.
Ein stärkerer Abusus von Alkohol oder Tabak ist bei Keinem mit
Sicherheit zu konstatiren gewesen.
Ich glaube hiernach behaupten zu können, dass bei vielen
der Erkrankten eine impassende Ernährung als Ursache ihres
Skorbuts nicht in Frage kommt.
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12. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1857
Denn es ist nicht anzunehmen, dass Leute mit derartig hohem
Tag«*sverdienst, wie ihn einige, der Kranken aufweisen, ohne
Weiteres unter ungünstigen Krn;ihrungsl>«*<liiigungo.ii gestunden
haben.
Für dies«; Leute muss <*l>eu in anderen Schädlichkeiten, sei
es nun infektiöser oder miasmatischer Art. eine Ursache zur Er¬
werbung der haemorrhagisehen Dia diese gesucht werden.
Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine
mangelhafte oder einseitige Nahrung Schädigungen des Darmes
erzeugen kann, so dass dann Gifte in den Körper einzudringen
Gelegenheit finden, vor denen ein gesunder Organismus sich zu
schützen vermag..
Herr Curichmann demonstrlrt:
1. drei Fälle von sogenannter atypischer Tabes;
2. einen Fall von Hemiatrophie der rechten Körperhälfte
und zeigt im Anschluss daran Abgüsse eines Falles von Arthro-
megalie;
3. einen Fall von R a y n a u d’scher Krankheit;
4. einen Fall einer eigentümlichen Beschäftigungsneurose
1 h* 1 einem Schlosser.
Herr Vi ereck demonstrlrt:
a) zwei gö-lTfflbg Eiille vo n_Larynxtube rkulose: im ersten Falle
ist ein Geschwür der Hinterwaml kmettTlT~fin<l mit konzoutrirtor
Milchsäure behandelt worden: im zweiten Falle, wo ein tuber¬
kulöses Infiltrat des linken Taselienbnndes vorlag. das Taschen¬
band mit der Doppelkurette exstlrplrt und der Grund der Wuml-
fliiehe wiederholt knuterisirt worden:
b) einen operativ geheilten Fall von otitischem Schlnfen-
lappenabscess, der nicht, wie gewöhnlich, von einer Erkrankung
des Tegmen, sondern einer vereiterten Knoehenzelle in «1er Wurzel
des Jochfortsatz«'8 an der Umbiegungsstelle der Schläfenbein-
s«-huppe in die obere Felseubelnflilche ausgegangen war:
c) drei geheilte Fälle von otitischer Sinusthrombose, welche
mit Ausräumung des thrombosirten Sinus und Unterbindung «1er
Jugularis behandelt worden sind. Von 16 in den letzten 2>/ a Jahren
in dieser Weise behandelten Fällen der Universitilts-Ohrenklinik
slnd 10 gehellt. In 8 von diesen Fällen erfolgte die Heilung nach
der Operation ohne jede Tomperatursteigerung. in den beiden
anderen Fällen bestand kurze Zeit noch Fieber fort, von nicht
pyaemisclien Charakter, bedingt durch schon von der Operation
ausgesäte Metastasen. Unter den 6 letal verlaufenen Fällen be¬
stand 4 mal schon vor der Operation ausgedehnte Metastasen¬
bildung. einmal hatte sich die Thrombophlebitis auf den Plexus
vertebralis durch das Foramen cond.vloideum post, fortgesetzt:
d) mit dem Epidiaskop an einer Reihe von Radiogrammen,
mit dem Itöntgenapparat der chirurgischen Universitätsklinik von
Herrn Dr. Mertens aufgenommen, die Möglichkeit, die richtige
Lage von in die Keilbein- und Stirnhöhle eingeführten Sonden im
Röntgenbilde zu kontrolireu. In einem Falle war die Lage der
Sonde in einer frontalen Siebbeinzelle erkennbar: zwei Aufuahnum.
welche vor und nach Ablassung eines Empyems der Stirnhöhle an¬
gefertigt sind, zeigen einen deutlichen Unterschied in der Schärfe
der Contouren der Stirnhöhle
Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offlcielle8 Protokoll.)
Sitzung vom 10. Oktober 1901.
Vortrag des Herrn Geheim. Medlcinalrath Professor Dr.
P. M e r k e 1 - Güttingen (Ehrenmitglied der Gesellschaft): Ueber
anatomische Verhältnisse des Mastdarmes.
Die übliche Beschreibung des Itectums, welche auf Sans o n
(1817) zurückgeht, unterscheidet drei Theile: der oberste Tlieii
beginnt an der Syuchondrosis sacrolliaca und besitzt ein Meso-
rectum, der zweite geht bis zur Spitze des Steissbeines. der dritte
von da bis zum After. Wie Treves, Jonnesco, Wa 1 d e y e r
sehr richtig sagen, gehört der erste Theil noch zum Colon sig-
moideum, der zweite (Ampulla) ist eine Kothblas«* mit allen Attri¬
buten eines Blasenbehälters, der dritte (Pars analis» ist Aus¬
führungsgang (S y m I n g t o n), welcher, abgesehen vom Stuhlgang,
stets leer ist.
Houston beschrieb zuerst in das Innere des Itectums vor-
sprlngeudc Falten. Neinton einen Sphincter tertius o«l«*r
superior. Falten und Sphincter wurden in der Folge in verwir¬
render Weise zusammengeworfen. Der Vortragend«* scliliesst sich
«lenjenigen Untersuchern an, welche einen Sphincter t«*rtius ganz
in Abrede stellen. Was die Falten anlangt, so sind «Irei unv«*r-
streichbnre als konstant anzusehen, eine grössere rechts, etwa
6 cm über der AfteröfTnung (Plica transv«*rsalis). ein«* klidnere
links h<’>her oben und eine ebensolche tiefer unten. Den Falten
entsprechen jedesmal auf d»»r gegenüberliegenden Seite des Darm¬
rohres Ausbuchtungen (Snceuli). Die unterste steht unterball) der
letzten Fnlte links und ist bei starker Füllung d«*s Darmes von
aussen neben der Afteröffnung links fühlbar (Ebstein). — Bei
starker Füllung «*rloidet «1er Darm am Beginne der Ampull«* oft.
aber nicht immer, eine starke Knickung durch Hembsiukcn «l«*s
nicht fixirten Colon sigmoldenm. Dieselbe dürfte praktisch nicht
unwichtig sein.
Nach einer Besprechung d«*r Muskel- und Gefässverhältnisse
des Rectums bihlen Bemerkungen über die Peritonealbedeckung
desselben den Schluss. Der tiefste Punkt des D o u g 1 a s’schen
Raumes ist gewöhnlich, aber nicht immer, in der Höhe der Plica
transversalis zu finden. Der Behauptung von Garson, dass der
Höchstem! der Umschlagsfalt«* «l«*s Bauchfelles mit dem Füllungs
gra«l des Mastdarm« s wechsele, siml «lii* Untersuchungen des Vor-
trag«*nd«*n an männlichen Leichen günstig, an weii)li«*lien aber
durchaus ni«*ht. Die gross«*n Verschiedi*nlieit«*n Im Hochstand der
Umschlagsfalt«' sind vielleicht durch die Entwickelung erklärlich.
Bei Kindern steht sie Immer sehr tief und verflacht sich im Lauf
des weiteren Körperwachsthums durch Verwachsung der einander
berührenden Oberflächen des Bauchfelles in vorschle<lenem Grad.
(Selbstbericht.i
Das Vorgetragene wurde durch Zeichnuugen und eine Reihe
von Photographien nach Präparaten erläutert.
Französischer Chirurgencongress
in Paris vom 21. bis 26. Oktober 1901.
(Eigener Bericht.)
T>«*r 14. Kongress der französischen Chirurgen wurde in Paris
in «l«*r Zeit vom 21.—26. Oktober unter «lern Präsidium des all-
gemein bekannten Promotors der radikalen Operation d«*r Brüche,
Herrn Dr. Just Lucas-Chii in|)ioniiiöre, abgehalten.
Zahlreiche Fachmänner Frankreichs, besonders au«*h d«*r Provinz.
betheiligt«*n sich an dieser Versammlung. Fremd«* sali man nur
wenig«*, was wegen des auss«*hliesslich nationalen Charakters «l«*s
Kongresses begreiflich ist. Zu gleicher Zeit tagte auch, ganz
»«-parat, der Ürologenkougress, von dem wir nächstens berichten
werden.
„Die neue Chirurgie; die antiseptische Methode in Ver¬
gangenheit, Gegenwart und Zukunft“ war «las Thema der Kr-
öffnungsr«'«le des Vorsitzenden, welche als das interessanteste Er¬
eigniss des Kongresses b«*trnchtet werden kann. l)i«*ser Vortrag
- eine unb«Hlingte Huldigung d«*r List e r’s«*h«*n Metlmdc — wird
gewiss jenseits der La Manche gross«*n Beifall erregen, auf dem
Contimmt aber auf manclien Widerspruch von Seite der Anliäiig«*r
«l«*r reinen Aseptik stossen. Nach H«*rrn L u c a s - C h n m p i o u-
n i «'* re ist eben die Aseptik nichts anderes, als <*ine abgeschwacht«*
und folglich weniger leistungsfähige Antiseptik. Ilm* Resultat«*
können gewiss im Vergleich mit denen der alten, septischen Chir¬
urgie als brillant bezeichnet werden, aller man erreicht si»* nur
unter peinlichster, zeitrauliender mul «len Operateur in seinen
Handlungen störender Beobachtung von Vorsiohtsmaassivgeln. die
mit «1er Zeit si«*h immer koniplizirt«*r gestalten (Mask«*n. Ilninl-
schuhe ete.i — in kostspielig eingerleliteten Sälen, welche „Opera¬
tionslaboratorien“ g«*nannt werd«*n dürften. Und daliei ist man
«l«>eh nicht immer im Stande. s«>kuiulären Eiterungspvoeessen zu
eutgelien. Dann und wann erlebt inan auch schlimmere, durch
irg«*nd einen Fehler in der As«*ptik hervorgerufene Komplikationen.
Die antiseptische Methode leistet <*hen so viel und sogar mehr als
die reine Aseptik und zwar mit Hilf«* einfacher Mittel und in v«*r-
sehi«*d«‘iien äusseren Verhältniss«*n. Für sie ist die Errichtung
luxuriöser Heilstätten Nel>«*nsach«>: sie bewährt sieh in allen
M«*tli«»n. Mit ihr hat Herr L u e a s - C li a m p i o n n i «^ r «* bei
1030 Radikaloperationen von IIenden nur ein«* Mortalität von
i Proc. verzeichnet mul keinen «*inzigen von den 110 Kranken,
i bei denen er das Kniegelenk res«*zirt. verloren.
Was der Antiseptik geschadet, war einerseits die unvoll¬
kommene Art, in der sie von manchen Chirurgen angewandt wurde,
und andererseits die Uebertreibungen, vor welchen der geniale Be¬
gründer der Methode selbst gewarnt lmt. Wie bekannt, war
Li ster «1er eventuell scliii dl leben Wirkung der antiseptischen
Substnnztm wohl bewusst, empfahl Vorsicht In ihrer Anwendung
und schützte vor ihnen die Wunde durch Protektiv«*. Die Zukunft
«ler operativen Chirurgie liegt, nach L u c a s - C h a m p iou-
n i «^ r «*. ln der Befolgung «ler allgemeinen Prinzipien «i«»r Lister-
schen Methode, da nur die Anwendung kelintödtender Substanzen
eine absolut«* Garantie gegen Wiimlinfektionen zu gewähren im
Stande ist. In der Bauchehirurgle (Magen. Darm. Leber), wo die
Antiseptik weniger nützlich und zu gleicher Zeit schädlicher als
bei anderen Operationen ist. möge man die chemische Desinfektion
in beschränktem Maasse üben, aller sobald bei einer Laparotomie
Chancen für septische Infektionen in Aussicht stellen, muss un-
bedingt zur Antiseptik gegriffen werden. Für alle ausserhalb der
Bauchhöhle auszufülircmlen Operationen bleibt «11«* Antis«*ptik «li«*
beste und die einfachste Methode und sie ist «li«* allein sichere
Wundbehandlung in «l«*r Spitalpraxis. Was die Wahl des Anti-
scpticums betrifft, so bleibt «lie Karbolsäure noch das bestmögliche
Mitt«*l. welch«*» «l«*m Sublimat weit überleg«*n ist. Man kann ihr
«las Wasserstoffh.vperoxyd und auch «l«*n selir inässig«*n G«*bmn«-h
von Jniloform anrellu*n. Einfach sterilisirte V«*rb:in<ist<ifl'«> müssen
natürlieli Inrga manu angewandt werden. Die L i s t «* r’s«*lu*
M«*tho«ii* gilit auch die best«* IJisung d«*r gegenwärtig so viel veii-
tilirten Frage d«*s ..as«*ptiseli«*n Fa«U*ns“ für Nähte. Redner be¬
dient sich Immer dazu des nach <l«*m Verfalmm von 1, i s t «* r vor-
liereit«*(en Catguts, «las <*r noeli eine Zeit lang in Oleum tliere-
liintlünae verweil«*n lässt, ohnt* es nachher noch aiul«*ren Sterili-
sntlonsv«*rfahr«*n ausznsetzen. Das so b«*lian«lelte Catgut hat in
«ler Praxis des Vortragenden noch nie zur Elimination von Sutur-
o«l«*r Ligatnrfäden V«*ranl:issung gegeben.
Nach Schluss «ler Erütfnmtgsre<l«* begann«*n «li«* eigentlich«*!!
Verhandlungen, die. ausser «len zwei grossen R«*f<*rat«*n F «* v r i »* r-
Naney „U«*lier Milz«*hinirgi«*“ und Broca- Paris „Ueber «li«* B<*-
haiidltlug tub«*rkul«is<*r Lyinph«lrii»en“, si«-h auf mehr als löo ein¬
zelne Mittheilungen bezogen. Eine Wi«Hlergab«*. selbst im kiir-
z«*st«*n Rcsvunö, aller iliesor Vorträge wäre, wie leicht eiuzus«*hcu,
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1858
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 40.
unmöglich. Sie ist aber auch nicht wüuschenswertli. Wie es bei
solchen Kongressen die Kegel ist. betrafen die weitmeisten Mit-
theilungeu persönliche Operationsstatistiken, kasuistische Einzel¬
heiten. kleine Abänderungen bekannter Operationsverfahren oder
von den Kellnern schon früher veröffentlichte Arbeiten u. dergl.
mehr, also Dinge, die in Kongressprotokollen und Kpezialabliaud-
lungeu wohl ihren Platz bewähren mögen, einer mehr allgemeinen
Kedeutung oder des Charakters einer Novität jedoch gänzlich ent¬
behren. Wir werden uns desshall» hier mit wenigen von ihnen,
mit denen, welche etwas Neues und wirklich Interessantes bringen,
begnügen können.
Was die vorzüglich abgefassten Keferate von Fevrier und
Itroca anbetrifft, so sind sie natürlicher Weise nur eine syste¬
matische Darstellung der gegenwärtigen Lage der betreffenden
Fragen. Im Original gele^m. kann man ihnen eine didaktische
Kedeutung nicht absprechen, sie zu resutniren liiesse aber schon
Kekanntes wiedergeben. Einige Bemerkungen wollen wir uns
doch zum Keferat über die Therapie tuberkulöser Lymphdrüsen
erlauben, dessen Verfasser, in eklektischer Weise alle Behand¬
lungsmethoden dieses Leidens würdigend, ihre einzelnen In¬
dikationen bespricht. Man müsse mit der allgemeinen Behand¬
lung (Arsenik, Leberthran. Luft- und Sinekuren) anfangen und
erst wenn diese fehlgeschlagen, zu chirurgischen Mitteln greifen.
Monoganglionäre. noch nicht vereiterte oder schon in Vereiterung
begriffene Geschwülste behandle man mit modiliziremlen Ein¬
spritzungen. Offene, käsig entartete Abscesse und ausgedehnte
Driisenpaquete, sogen, multiple Lymphome, erheischen die radikale
Exstirpation mit dem Messer. Die Ausschabung ist eine minder-
werthige Operation, die nur da in Frage kommt, wo die Exstir¬
pation aus irgend einem Grunde nicht ausführbar ist. Für die
Injektionsbehandlung der tuberkulösen Drüsen empfiehlt Broca
das Naphtolum eamphoratum und eine 10 proc. Lösung von Jodo¬
form in Aether sulf. — die zu diesem Zwecke in Frankreich fast
ausschliesslich gebrauchten Mittel. Beide stellen aber der in
Deutschland zu solchen Einspritzungen üblichen Suspension von
Jodoform in Glycerin bedeutend nach. Die aetlierische Jodoform-
lüsung verursacht starke Schmerzen, manchmal auch ausgedehnte
Emphyseme des Fnterlmutzellgewebes, sogar Gewebsnekrosen und
das Naphtolum eamphoratum ruft unter Umstünden bedrohliche
Vi rgiftungserscheinungen hervor, wie es von mehreren au der
Debatte sich betheiligenden Rednern anerkannt wurde. Herr
Lucas-C h a m pionui e r e hatte tlalier vollkommen Recht, am
Schlüsse der Diskussion hervorzuheben, dass er für die Injektions¬
behandlung der Drüsengeschwülste die Jodoformglycerinemulsion,
deren er sich mit Erfolg bedient, den Vorzug vor anderen Mitteln
verdient. Auch machte er darauf aufmerksam, dass mau gegen¬
wärtig die vorzügliche Wirkung des Unguentum nenpolitanum in
Fällen von Lymphdriisongeschwülsten zu vergessen scheint. Der
Vorsitzende hat in seiner Praxis manchen eklatanten Erfolg von
einer konsequent und energisch durchgeführten Anwendung der
grauen Salbe gegen voluminöse Ilals- und Leistenlymphome ge¬
sehen.
Wir gehen jetzt zu den einzelnen Mittheilungen Uber und
fangen mit denjenigen an. welche allgemeine Erkrankungen oder
allgemeine chirurgisch-therapeutische Methoden betreffen.
M o t y - Paris sprach „Ueber abgeschwächte purulente In¬
fektion oder subakute Staphylaemie“. Redner hat Fälle beob¬
achtet, wo furunkulüso I’rocesse. die. wie bekannt, zu Osteo¬
myelitiden unter Umständen Veranlassung geben, eine subakute,
allgemeine, durch multiple Muskelabscesse sich kundgebende
Staphylococceninfektion hervorgerufen hatten. Solche Erkrank¬
ungen sind oft recht schwer zu diaguostiziren und können leicht
mit neuralgischen oder rheumatischen Beschwerden verwechselt
werden, da der allgemeine Zustand dabei unverändert bleiben
kann (kein Fieber) und die Patienten nur an Schmerzen klagen,
deren Lokalisation dem Sitze der Abscesse entspricht, diese letz¬
teren aber einer oberflächlichen Untersuchung leicht entgehen.
Di<* Abscesse entwickeln sich schleichend am Thorax, in den
Lenden, an den Schenkeln, manchmal in der Nähe eines Gelenkes.
Die Haut über ihnen ist nicht geröthet. nicht heiss anzufühlen
und nur eine sorgfältig geübte Palpation ergibt das Vorhandensein
an diesen Stellen von mehr oder weniger tief gelegenen entzünd¬
lichen Infiltrationen. Bei der Punktion, welche sofort die Schmerzen
ln seitigt, entleert sich nur eine geringe Quantität stapliyloeocceu-
haltigen Eiters.
Latoux -Vannes Iwrichtete über 4 konsekutive Fälle von
Tetanus traumaticus, die alle unter Anwendung des autitetani-
schcii Serums zur Heilung kamen. Die Injektionen wurden intra¬
kraniell gemacht; die eingespritzten Quantitäten des Serums
schwankten zwischen Io und 14 ccm. Diese vier nach einander
folgenden Triumphe der antitetanischen Serumtherapie sind, wie
Luc a s - C h a m p i o n n i e r e hervorgehoben . bemerkenswertli
und müssen den von Latoux angewendeten hohen Dosen des
Serums zugeschrieben werden.
6 u i n a r d - Paris beschrieb „Eine rationelle Technik der
Cocninisation des Rückenmarks“. Redner hat oft bei raehieocaini-
sirien Patienten, um ihre Kopfschmerzen zu lindern, eine nach¬
trägliche Punktion des Wirbelkanals gemacht und bei dieser Ge¬
legenheit gefunden, dass die Punkt ionsHüssigkcit immer viel
I ymphocyten enthält, deren Zahl später im strengen Parallelismus
mit der Gcphalalgie abnimmt. Die Kopfschmerzen nach der
Riickenmarkscocainisation erklären sich somit durch eine Art
aseptischer Meningitis bedingt. Was provozirt diese Meningitis:
•las Coo.iin oder das zu seiner Lösung gebrauchte Wasser? Die
Schuld ist an letzterem, da Einspritzungen von reinem Wasser
unter die Araclmoidea des Rückenmarks, wie Versuche Redners
am Menschen gezeigt haben, dieselben Kopfschmerzen hervorrufen,
wie die Cocainlösungen. In Folge dessen hat Gulnard eine
neue Technik der Rückenmarkscocainisatiou ersonnen, welche ihm
die besten Resultate ergeben hat. Er punktirt den Wirbelkanal
mit der Kanüle von T u f f i e r, lässt ein gewisses Quantum von
Liquor cerebrospinalis hcraustlicssen. schliesst dann die Kanüle
mit einem Mandrin, nimmt 3 ccm der extrahirten Flüssigkeit,
giesst dazu t> Tropfen einer konzentrirten Lösung von Cocaluum
hydrochloricum, welche genau Ü,03 des Salzes entsprechen und
injizirt nun diese Mischung in den Wirbelkanal. Nach einer so
nusgeführten subduraleu Injektion hat Redner nie mehr Kopf¬
schmerzen oder etwaige andere Störungen des Allgemeinbefindens
beobachtet. Zu dieser Mittheiluug bemerkte T u f f i e r, dass man
in einfacherer Weise die von Gulnard empfohlene Abänderung
der Riickenmarkscocainisation ausführen könne: man bringt in
die leere Injektionsspritze einige Tropfen der konzentrirten Cocaiu-
lösung, setzt die Spritze an die in den Wirbelkanal schon einge-
fidirte Kanüle an. aspirirt die CerebrospinaJÜÜssigkeit, welche
sich mit dem Cocain sogleich mischt und injizirt daun wieder die
Mischung subdural.
A. Malherbe - Paris bedient sich mit Erfolg des Chlor-
aethyls für die allgemeine chirurgische Anaesthesie. Mau giesst
2—4 g dieser Flüssigkeit auf eine einfache ln der Hohlhand ge¬
haltene Kompresse, die man hennetisch auf den Mund und die
Nase des Patienten npplizlrt, so dass derselbe keine Luft zu
atlimen bekommt. Die Anaesthesie zeigt sich nach 20—40 Se¬
kunden. ohne Aufregung, und dauert 3—4 Minuten an. Man kann
sie durch neue Dosen des Chloraethyls bis zu 15 oder 20 Minuten
verlängern. Für länger dauernde Operationen gibt man zuerst
das Oidoraetliyl und lässt dann Chloroform iuhaliren.
Die folgenden zwei Vorträge betrafen Operationen an den
Luftwegen:
M o u r e - Bordeaux machte eine Mittheilung: „Ueber so¬
fortige Sutur der Trachea bei der Tracheotomie“. Redner ein-
pliehlt. bei Tracheotomien zur Extraktion von Fremdkörpern, die
Traclicalwunde sowie die durchschnittenen Muskeln sogleich mit
feinem Catgut zu vernähen und die Hautincision mit Rosshaar-
fiiden zu schliessen. Wenn nöthig. kann man eine kleine Oeffnung
in der Nähe der Trachenlwumle bestehen lassen, um einem
etwaigen Hautemphysem vorzubeugen. Die sofortige Naht der
Trachea beschleunigt die Heilung und gewährt einen Schutz gegen
die infektiöse Bronchopneumonie. Diese Sutur ist auch ange¬
zeigt nach den Traclieothyreotomien zur Exstirpation von Kehl¬
kopfgeschwülsten (diffuse Papillome, Epitheliome etc.).
H. DelagSniere - Maus: „Ueber den Nutzen des künst¬
lich hervorgerufenen Pneumothorax in der Lungenchirurgie“.
Man hat Unrecht gehabt, den zufälligen Pneumothorax bei
I.ungenoperationen als eine ernste Komplikation zu betrachten.
Er kann ernste Folgen nach sich ziehen nur bei brüsquer Ent¬
stehung. Wenn man ihn aber allmählich provozirt. so ist er ge-,
fahrlos und kann nach Belieben in seiner Fortentwickelung durch
Annähen der Lunge an die Pleuralöffnung aufgehalten werden.
Der langsam herbeigeführte Pneumothorax ist ein schätzbares
Mittel gegen traumatische Pleuralhaemorrhagieu, wie Redner sich
davon in einem Falle von Schusswunde der Lunge zu überzeugen
Gelegenheit hatte. Hier wurde, wahrscheinlich, das blutende Ge-
fäss durch die Gewebe der unter dem Einfluss des künstlichen
Pneumothorax kollabirten Lunge kompriiuirt. Der künstliche
Pneumothorax ist nicht nur von keiner schlimmen Bedeutung
während der Operation, sondern er zieht auch keine weiteren
Folgen nach sich, wenn man die in den Pleuralraum gelaugte
Luft nachträglich mit dem P o t a 1 n’schen Aspirateur wieder ent¬
fernt. Delagönifre emptieldt den künstlichen Pneumothorax
zu diagnostischen Zwecken in fraglichen Fällen von Lungen¬
chirurgie bei Patienten, deren Pleura intakt ist. Man lasse die
Luft recht langsam eindringen. darauf öffne man die Pleurahöhle
und gehe mit der Hand ein. um das Lungenfell und die Lunge
selbst zu betasten. Findet man einen Krankheitsherd, so ist der¬
selbe leicht zu exteriorisiren. indem man den betreffenden Theil
der Lunge au die Thoraxwunde anzieht und hier annäht. Darauf
schliesst man hermetisch die Pleurawunde durch Suturen. saugt
mit dem Aspirateur die Luft aus dem Oavum pleurae aus. inciilirt.
reinigt und drainirt den exteriorisirteu Krankheitsherd der Lunge
und schliesst endlich die Hautwunde durch Nähte. Redner hat
diese Operation mit bestem Erfolg in einem Fall von central ge¬
legenem Luugenabseess ausgeführt.
Aus dem Gebiete der Bauchchirurgie sind die Beobachtungen
von Thifiry - Paris „Ueber eine partielle Resektion des Wurm¬
fortsatzes“ und von Le gueu-Paris „Ueber zwei Exstir¬
pationen von Syphilomen der Leber“ erwähnenswertli. Tliiery
operirte einen Mann, der mehrere Anfälle akuter Appendicitis
durchgemacht hatte, und fand einen etwa 15 cm langen Wurm¬
fortsatz. der theil weise sich unter der Leiter verbarg und mit der
unteren Fläche dieses Organs verwachsen war. Redner resecirte
den proximalen Theil der Appendix, deren distalen Abschnitt
er mit dem ileocoecalen Stumpfe vernähte. Das persistirende
Segment des Wurmfortsatzes wurde in dieser Weise in ein her¬
metisch abgeschlossenes Uavum umgewandelt. 2 Monate später
brach die Operationsnarbe an einer kleinen Stelle auf. wobei sich
eine ei weisshaltige und vollkommen sterile Flüssigkeit entleerte.
Patient genas von seinen Apponillcitiskriseu. Das Verblei 1 h*ii in
der Bauchhöhle eines durch Nähte vollkommen abgeschlossenen
Segments des Wurmfortsatzes gibt folglich keinen Anlass zu
neuen Infektionsprocessen und so kann die partielle Resektion der
Appendix für die Fälle empfohlen werden, wo die völlige Exstir¬
pation dieses Organs schwierig oder unausführbar ist. — Legueu
ist in zwei Fällen von umfangreichen Lebertumoren, die als
maligne Geschwülste imponirten, zu einer probatorischeu Laparo-
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12. November 1901.
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1859
tomle geschritten und derbe, mehr oder weniger gut begrenzte
Neoplasmen gefunden, die er excldlrte. Die Haemostase während
der Operation wurde ln der Art einer Ligature en masse durch
Zusammenschnüren mit durch die Lebersubstanz durchgezogenen
Fildeu erreicht. Die beiden Operirten genasen. Die histologische
Untersuchung derTumormasseu ergab einen Befund, der für Syphilis
oder Tuberkulose sprach und nachträglich wurde festgestellt, dass
die Patienten an syphilitischen Symptomen früher gelitten hatten.
Redner ist der Meinung, dass in diesen zwei Fällen die anti-
syphilitische Behandlung nicht im Stande gewesen wäre, die fort¬
geschrittenen und inveterirten Leberlaesioneu zu heilen und glaubt,
dass bei syphilitischen Lebertumoren, die der spezifischen Therapie
trotzten und bei der probatorischen Laparotomie sich dem Messer
zugänglich erweisen, die Exstirpation ihre Anzeige finden kann.
Folgen jetzt die dem Gebiete der Urologie ungehörigen Mit¬
thellungen von Röchet- Lyon „Ueber radikale Cutanoplastik
von. Harnröhrenverengerungen“ und von Lavaux-Paris „Ueber
eine weitere Einschränkung im Gebrauche der Sonde bei Prosta¬
tikern“. In mehreren Fällen von Urethralstenose, wo alle Diln-
tirungsver8uehe und sogar die Urethrotomia interna gescheitert
waren, erzielte Röchet eine vollständige und dauernde Heilung
durch Excislon eines Theiles der Wand der Striktur und Annähen
eines dem Perineum entnommenen Hautlappens. — Laraux
machte darauf aufmerksam, dass die Prostatiker, die schon eine
partielle Retention des Urins aufweisen, nicht sondirt zu werden
brauchen, so lange die Blasenmuskulatur bei ihnen noch sufficient
bleibt. Diese partielle Retention kann lange bestehen, ohne die
höher gelegenen Harnwege zu beschädigen. Man greife zur Sonde
nur, wenn der Blasenmuskel insufficient geworden oder bei plötz¬
lichen Harnverhaltungen, welche sich in Folge eines Anfalls von
„prostatischer Polyurie“ (deren Genese noch dunkel ist) ereignen.
Solche Anfälle kommen gewöhnlich Nachts vor. Der Kranke er¬
wacht nicht zeitlich genug, um zu uriniren; seine Blase wird über¬
füllt und gelähmt. In diesem Fall genügt eine einmalige Katlie-
terisation, um die Miction wieder herzustellen und weiter soll nicht
sondirt werden.
Eine etwa vorhandene Cystltls bei Prostatikern mit nur par¬
tieller Urinretention ohne Abschwächung der Blasenmuskulatur,
behandle man mit intra-vesicalen Cocaiuinstillationeu oder man
wasche die Blase aus, aber mit Hilfe des Siphonapparates, nie mit
der Sonde.
Zum Schlüsse wollen wir noch zwei Mtttheiluugen aus dem
Gebiete der Chirurgie der Extremitäten anfüliren:
Guermonprez - Lille sprach „Ueber die unblutige Be¬
handlung der Coxa vara“. Redner bezeichnet diese Erkrankung
mit der etwas langen, aber charakteristischen Benennung der
„Coxopathie par ostSite söche douloureuse des jeunes campagnards“
und empfiehlt gegen sie eine unblutige Behandlungsmethode, die
freilich nur im Anfangsstudium des Krankheitsprocesscs ausführ¬
bar ist, dass heisst ln den zwei ersten Monaten, wo noch kein
Ueberkreuzen der Kniee besteht, die Patienten nur an Schmerzen
leiden und der noch weiche Femurhals einem manuellen Redresse¬
ment zugänglich erscheint. Das Redressement wird in der Rücken¬
lage des Patienten ausgeführt.. Man extendirt den Schenkel,
während die Contraextension von Assistenten ausgeübt wird, und
mit einem brüsquen und gewaltigen Ruck macht man die forcirte
Abduktion. Der Kranke empfindet einen heftigen Schmerz, aber
man hört dabei kein Knarren. Nach einigen leichten Clrcum-
ductionsbewegungen wird Patient im Bette, aber ohne Apparate,
immobillsirt. Nöthigenfalls wird das Redressement manuell
wiederholt.
L a r g e r - Maisons-Laffitte machte an sich selbst eine Be¬
obachtung, die im Stande ist, ein Streiflicht auf die noch so dunkle
Pathogenie des schnellenden Fingers zu werfen. Redner fiel bei
einer Radfahrt auf den linken Arm und zog sich eine ganz kleine
Erosion an der Grenze zwischen der ersten und zweiten Plialange
des kleinen Fingers zu. Jedoch empfand er starke Schmerzen in
der Hand und am Vorderarm, im Gebiete des N. cubltalis. Die
Erosion wandelte sich bald in eine kleine kraterförmige Wunde,
in ein wahres Mal perforant um und zu gleicher Zeit stellten sich
am kleinen Finger die charakteristischen Erscheinungen des dolgt
a ressort ein. Beide bestanden sechs Monate lang unverändert
und nur als später das trophoneurotische Geschwür (denn mit
einem solchen hatte man gewiss zu thun) anflng, zu heilen, Hessen
auch die schnellenden Bewegungen des Fingers nach, um nach
Abheilung des Geschwürs vollständig zu verschwinden. Der
Parallelismus zwischen der Trophoneurose und dem doigt ü ressort
war hier auf’s Deutlichste ausgesprochen.
Dr. W. v. Holstein.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Soci6t6 de Pädiatrie.
Sitzung vom 8. Oktober 1901.
Die medikamentöse Behandlung der adenoiden Vegetationen.
L a p e y r e - Fontainebleau erlebte bei Innerer Jodtherapie
stets Verschwinden selbst voluminöser Vegetationen und konnte
so seinen kleinen Patienten chirurgische Eingriffe sparen, die weit
entfernt sind, ganz ohne Nachtheile zu sein. L. gibt die Jodtinktur
in zunehmenden Dosen, beginnend mit 6 Tropfen 3 mal täglich
für Kinder von 5—9 Jahren und rusch bis auf 60 Tropfen steigend.
Diese hohe Dosis von 180 gtt pro Tag wird Im Allgemeinen voll¬
kommen gut ertragen; nur in 4 Proc. der Fälle wurden geringe
Magenbeschwerden beobachtet, niemals ernste Zufälle. Das Jod
findet man wieder im Urin durch die geeigneten Reagentien.
Sevestre hatte vorzügliche Resultate mit der Anwendung
von Jodwein und Instillationen von Mentholöl in die Nasenhöhlen.
Var io t erwähnt, dass Par rot schon die adenoiden Vege¬
tationen mit Jodtinktur, zu Gentianasyrup zugesetzt, in der Dosis
von 6 g Tinct. jodi und 6 g Jodkall pro Liter Wein behandelte;
die Dosen von Lapeyre seien allerdings viel höher.
Lesni! und Prosper M e r k 1 e n heben die Vorzüge der
Reaktionen von Salkowski und Haycraft bei nor¬
malen Säuglingen und im Verlaufe der Gastroenteritis hervor.
Aus früheren Arbeiten war zu konstatiren, dass nach der G m e -
1 i n’schen Reaktion und dem spektroskopischen Befunde bei der
Gastroenteritis der Säuglinge die normalen Gallenfarbstoffe im
Urin meist (unter 49 Fällen 47 mal) fehlen; das steht aber nicht im
Einklang mit den anderen Symptomen, welche, bei den akuten
Formen wenigstens, eine funktionelle Hyperaktivität der Leber,
bekunden. Die oben genannten Reaktionen ergaben nun viel
häufiger die Anwesenheit vou Gnllenfarbstoff im Urin; Verfasser
schliessen daraus nicht nur, dass Gallenfarbstoffe und -Säuren
im Verlaufe der Gastroenteritis in den Urin übergehen, sondern
dass die Gmeli u’sclie Reaktion im Allgemeinen ungenügend
und zur Untersuchung auf Galleufarbstoffe feinere Reaktionen
nothwendig sind.
Sociätä de Thärapeutique.
Sitzung vom 9. Oktober 1901.
Behandlung des Pruritus ani und vulvae mit hohen Wechsel¬
strömen.
L e r e d d e hatte ln Füllen vou rein lokalem Pruritus
ani und vulvae, welche allen anderen Mitteln getrotzt, 3—12 Jahre
bestanden hatten und nicht von allgemeinem Lichen begleitet
waren, ausgezeichneten Erfolg mit den hohen Wechselströmen;
in allen (4) Fällen trat nach 6—13 Sitzungen, welche 2—3 mal
in der Woche wiederholt und allmählich bis auf die Dauer von
15 Minuten ausgedehnt wurden, völlige Heilung ein.
B a r d e t erwähnt, dass bei Vorhandensein einer tiefen Anal-
flssur der Pruritus durch die elektrische Behandlung nur vorüber¬
gehende Besserung, aber keine dauernde Heilung bringt, wie ihn
ein seit 1 Jahr damit behandelter Fall lehrt
R o b i n ist völlig der Ansicht, dass man bei Fällen von
Pruritus ani unterscheiden muss, ob sie einer medikamentösen
Behandlung oder der elektrischen mit den häufigen Wechsel¬
strömen zu unterziehen sind. Er konnte sich überzeugen, dass
man bei Magenkranken mit Hypersthenie und Hyperacidität hef¬
tiges Jucken, auf den Anus beschränkt, findet und dasselbe völlig
durch entsprechende Behandlung des Magenleidens heilt. Ausser
der Diät (nur völlig ausgekochte Speisen) empfiehlt R. hier speciell
das Fluorammonium als Darmantisepticum und nach jeder Mahl¬
zeit eine Mischung von Ca earbon., Magnes. carbon. und ge¬
pulverten Krebsaugen (sic!); dieses letztere organische Präparat
passirt den Magen, ohne sich zu zersetzen und kann auf diese
Weise die Acidität des Darminhaltes ueutrnlisiren, während au den
gleichzeitig gegebenen anorganischen Salzen sich die Wirkung der
Magensalzsäure erschöpft. Stern.
Aerztliche Standesangelegenheiten.
„Hildesheimer Aerztetag“ und „Wirtschaftlicher
Verband“.*)
Von Dr. Scherer in Ludwigshafen.
M. II.! Veranlasst durch die Schilderungen unseres hoch¬
verehrten Vorsitzenden und langjährigen Deleglrten zum Aerzte¬
tag. Med.-Rath Dr. Demutl», zog ich aus nach Hildesheim mit
hohen Erwartungen — um eigentlich recht enttäuscht zurüekzu-
kehreu. Ich hatte gehofft, zum Mindesten den guten Willen dort
zu finden, der N'othlage unseres Standes abzuhelfen, aber ausser
schönen, salbungsvollen Worten war davon nichts zu merken, im
Gegentheil, mau hat sogar (lenen, die mit frischem Mutli etwas
Derartiges wagen wollten. Prügel zwischen die Beine zu werfen
versucht, wo es ging. Ehe ich jedoch darauf näher eingehe,
möchte ich noch einen anderen Punkt hervorheben. Gelegentlich
einer Abstimmung ergab sich das Verlniltulss vou 74 Deleglrten
mit „Nein“ und 85 Delegirten mit „Ja“. Bei der nun auf Antrag
vorgenommenen schriftlichen Abstimmung ergab das Resultat
4500 Stimmen „Nein“ und 9000 Stimmen „Ja“. Dieses Missverhält¬
nis ist auch anderweitig aufgefallen und Herr Bezirksarzt Will e
schreibt darüber in seinem Referat: „Meiner Ansicht nach liegt
der Grund einer so augenfälligen Differenz in dem Um-, um nicht
zu sagen Missstande, dass einzelne Delegirte die Vertretung vieler
Hunderte von Stimmen in ihrer Person vereinigen. Wie ich hörte,
sollen auch Kollegen des Geschäftsausschusses mit der Ehre einer
doiuinirenden Wühlervertretung betraut sein. So verdient dies
Vertrauen und die daraus entspringende Machtvollkommenheit
auch sein mag, so widerspricht doch eine so grosse Präponderanz
Einzelner den freiheitlichen Prinzipien unseres Standes und birgt
gegebenen Falls die standesunwürdigen Fesseln einer Oligarchie.
*) Referat, erstattet auf der Generalversammlung des Vereins
Tfälzer Aerzte am 17. Oktober 1901 in Neustadt a. U.
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1860
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
Dabei lehrt die Erfahrung, dass gerade die eifrigsten ärztlichen
Vereine es sich nicht nehmen lassen, durch eigene Delegirte Ihren
Anschauungen und Beschlüssen Ausdruck und Gewicht zu ver¬
leihen, während der Indolenz nicht selten eine bloss nominelle
Repräsentation genügt.“ Das kann ich nur unterschreiben, vom
ersten bis zum letzten Buchstaben, und bin der Ansicht, dass der
gerügte Missstand sich auch bei der Neuwahl des Geschäfts¬
ausschusses ln der Weise geltend machte, dass der Ausschuss
nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit vor Allem seine eigene
Wiederwahl sicherte. Uebrigens hat auch der neugewählte —
alte — Ausschuss sofort dargethan, wie sehr er Rücksicht auf die
Wünsche der Delegirteu zu nehmen gewohnt ist. Nach den Ge¬
wählten kam als an Stimmenzahl Zweiter mit. über 6000 Stimmen
Hart man n- Leipzig, so dass mau eigentlich erwarten durfte,
der G.-A. würde diesen eooptlren. Das that. er aber nicht, sondern
cooptirte u. A. den Kollegen, der als Einziger nicht die noth-
wendige "Unterstützung von 10 Delegirten gefunden hatte, um auf
den Wahlvorschlag zu kommen. Gewiss eine zarte Rücksicht¬
nahme.
Suchen Sie nun zu ergründen, was an positiver Arbeit für ein
Jahr seitens des A.V.B. geleistet wurde, so Huden Sie recht, recht
wenig. Die Lebensversicheruugskominisslon lmt überhaupt keine
Sitzung abgehalteu. über die eine Sitzung der Unfallversicherungs¬
kommission erfuhr man nur ein paar trockene Zahlen und die
Kommission für Krankenversicherung musste sich sagen lassen,
dass das, was sie geleistet, die Zusammenstellung von Material,
voller schwerer Fehler sei, worauf das heitere Geständniss kam.
dass die Kommission die ganze Zusammenstellung von einem
jungen Mediciner in Berlin hatte anfertigen lassen und, nun die¬
selbe unrichtig befunden wurde, eigentlich die Verantwortung
dafür ablehnte. Für den Scherz sollen lö00 M. bezahlt worden
sein — ob dem wirklich so ist. war nicht mit Sicherheit zu er¬
fahren. Der Referent der Kurpfuschereikommission erschien über¬
haupt nicht und sein Referat, das gedruckt vorlag, wurde vom
G.-A. selbst als vielfach unrichtig bezeichnet. — Ziehen Sie aus
alle dem das Fneit. so werden Sie unendlich wenig heraus¬
bekommen, meine Enttäuschung begreifen, vielleicht auch be¬
greiflich finden, dass ich der Ansicht bin, wenn der wirthsehaft-
lielie Verband noch nicht, existirt hätte, hätte er nach diesem
Aerztetag gegründet werden müssen.
Wenn ich damit zum Hauptthema meines Referates über¬
gehe, muss ich Ihnen gestehen, dass der Aerztetag, noch bevor er
begann, mir eine Ueberraschung brachte. Als wir 5 Pfälzer am
Abend der Ankunft unsere Stimmkarten abholten, trat ein Mit¬
glied des G.-A. auf mich zu und thellte mir etwa Folgendes mit:
„Es hnt eine Sitzung des G.-A. stattgefunden, deren Resultat Sie
iu dem Antrag der Tagesordnung finden, einen Delegirten zur Ver¬
waltung der Kasse des W. V. abzuordnen. Es wird von Seiten
des G.-A. sehr friedlich vorgegangen werden und wenn die Ver¬
treter des Verbandes nicht scharfe Worte gebrauchen, wird der
Friede sicher nicht gestört, sondern noch mehr befestigt werden.“
Das war angenehme Musik und ich säumte nicht dieselbe
sobald als möglich auch zu Ohren der Vertreter des Verbandes
zu bringen, die nach dem Vorausgegangeuen ebenso angenehm
überrascht waren, wie ich. Ein Nachtheil für die Verbandsleute
war es, dass ihnen die Stellungnahme des G.-A. erst im letzten
Augenblick bekannt wurde, so dass sie nicht in der Lage waren,
dem meisterhaften Referat Windeis’ etwas Aehnliches ent¬
gegenzusetzen, einem Referat, das, wie Bez.-Arzt Wille schreibt,
„allerdings nicht geeignet schien, Spaltungen zu verhüten; denn
aus den heftigen Anklagen und Vorwürfen desselben, die freilich
nichts Neues boten, konnte wohl Niemand entnehmen, dass dies
die Begründung des Antrags des G.-A., sondern eher befürchten,
dass es wiederum die Motivirung einer plötzlichen gegenteiligen
Stellungnahme sein sollte“. Ich halte es nicht für ausgeschlossen,
dass dies Referat ursprünglich einen ganz anderen Schluss hatte.
Wir Mitglieder des Verbandes waren besonders schmerzlich be¬
rührt durch die ungerechtfertigten Angriffe auf einen Manu wie
Geli.-Rath Pfeiffer, der als Ehrenmann die Konsequenzen aus
den Erklärungen, die er und San.-Rath H e i n z e gelegentlich der
Versammlung ln Leipzig am 31. III. abgegeben hatten, gezogen
hnt, und da er das dort Versprochene nicht erfüllen konnte, aus
dem G.-A. austrat, und ich halte es mit vielen Anderen für einen
dunklen Punkt des Hildesheimer Aerztetags, dass dieser Veteran
im Kampf um ärztliche Staudesfragen schmählich aus dem G.-A.
herausgewählt wurde.
Von ungünstigem Einfluss für die Vertreter des Verbandes
war es ferner, dass nach dem Referat. Windeis' der Antrag
Südfranken, betr. Gründung einer ärztl. Invaliditäts-, Wittweu-
uiul Waisenkasse zur Verhandlung kam. ein Vorgeben, gegen das
nicht nur der Referent Dörfler ausdrücklich protostirte, soli¬
dem das auch die Delegirteu unzweideutig durch häufige Schluss¬
rufe verurtheilten, so dass Referent zum Abbruch seines Re¬
ferats veranlasst wurde. Nichtsdestoweniger ertheilte der Vor¬
sitzende darauf dem Vertreter der Centraihilfskasse Berlin das
Wort, der in unendlich langen Ausführungen die Vorzüge dieser
Kasse erörterte und nur durch tumultuarisehe Schlussrufe veran¬
lasst werden konnte, sein Referat zu beenden. Es war das
absolut nicht gegen die C.H.K. gerichtet, deren segensreiches
Wirken allseitig anerkannt wird, aber hier war nicht der Platz
für ein derartiges Referat und die allgemeine Stimmung war durch
diese Vorkommnisse gründlich verdorben.
Nun kamen endlich auch Vertreter des Verbandes zum Wort,
alter nach dem überraschenden Antrag des G.-A. blieb ihnen
eigentlich nicht viel zu sagen übrig, da derselbe ja eigentlich viel
mehr gewährte, als der Verband zu verlangen gewagt hatte.
Dieser Antrag wurde denn auch zum Schluss mit einer erdrücken¬
den Majorität — gegen 3 Stimmen — angenommen. Nun wäre
es konsequent gewesen, wenn der Aerztetag, wie das ein Antrag
Gütz wollte, seinen Mitgliedern den Beitritt zum Verband au-
empfohlen hätte, während dieser Antrag, allerdings nur mit einer
geringen Majorität, abgelehnt wurde. Das hatte aber wieder eine
besondere Ursache, indem bei der Wahl des zukünftigen Wohn¬
ortes des Geschäftsführers des A.V.B. ein heftiger Streit um
Berlin oder Leipzig entbrannte und die scharfen Worte, die da
fielen, dem Leipziger Verband in die Schuhe geschoben wurden,
während es sich doch nur darum handelte, dem aussichtsreichsten
Bewerber um die Stelle des Geschäftsführers seinen Wohnsitz
auch ferner in Leipzig zu garantireu. Das ist nicht gelungen
und e r ist auch so zufrieden und zieht nach Berlin, während durch
diesen Vorfall Viele veranlasst wurden, gegen den Verband zu
stimmen.
Nicht unterlassen kann Ich es auch, auf eine weitere In¬
konsequenz des Aerztetages gegen den W. V. hinzuweisen. Wäh¬
rend bei den Berathungen betr. die Kurpfuscherei mit grosser
Mehrheit der Antrag angenommen wurde: „Der Aerztetag em¬
pfiehlt den Aerztekammern, ärztlichen Vereinsgruppen und ärzt¬
lichen Vereinen die Einsetzung von Kommissionen zur Bekämpf¬
ung der Kurpfuscherei“, wurde der W. V. gezwungen, § 2 f. seiner
Statuten fallen zu lassen, ln welchem er als weiteren Zweck aus¬
sprach: „die berechtigten Bestrebungen der Aerzte zur Bekämpfung
des Kurpfuscherthums zu unterstützen“. — Dies Verfahren kann
doch kein Mensch objektiv und konsequent nennen.
Nun, trotz aller Differenzpunkte, kam eine Einigung, wie
schon erwähnt, zu Stande, eine Einigung, die hoffentlich von
Dauer ist. wenngleich es für mich eine eigentümliche Bestätigung
des bereits ln Hildesheim verbreiteten Gerüchtes ist. der G.-A.
wolle, um die vielen lästigen süddeutschen Anhänger des Vor¬
bandes nächstes Jahr zu beseitigen, den Aerztetag hoch in deu
Norden verlegen, dass nun tatsächlich Königsberg als Ort der
nächstjährigen Tagung festgesetzt wurde.
Nachdem aber in Hildesheim Differenzen nicht mehr ge¬
blieben sind und auch die Gegner des Verbandes meist ihren
Frieden mit demselben gemacht haben, hoffe ich, dass der Verband
auch im Osten. Westen, Süden und Norden immer mehr Fuss fassen
wird und der nächste Aerztetag noch mehr Anhänger dort sieht, wie
der diesjährige. Der Bann ist von dem Verband genommen, er ist
Öffentlich sanktionirt und ln dieser Thatsache liegt ein trotz Allem
erfreuliches Resultat der Hildesheimer Verhandlungen, das wir
dankbar anerkeunen. Und nachdem nun beide Organisationen
als nebeneinander berechtigt anerkannt sind, bitte ich Sie, den
Wirtschaftlichen Verband auch moralisch zu unterstützen, Indem
Sie ebenso wie der Bezirksverein Allgäu den Mitgliedern des Ver¬
eins Pfälzer Aerzte den zahlreichen Beitritt zum Verband nach¬
drücklich anempfehlen.
Eine Weihnachtsgabe an unsere Frauen.
Seit Jahren benützt eine weitverbreitete ärztliche Zeitschrift
die weihnachtliche Feststimmung der Kollegen, um für die ln Noth
geratheuen Wlttwen unserer Standesgenossen ein Scherflein zu
sammeln. Wir beglückwünschen den verdienstvollen Herausgel>er
zu diesem Werke hochherziger Kollegialität und wünschen der
Wittwenkasse des Hamburger Centralanzeigers, auch in diesem
Jahre für ihre Weihnachtszwecke viele neue Freunde und weiteren
vollen lind ganzen Erfolg.
Dies der eine Zweck dieser Zeilen, aber der zweite liegt uns
nicht weniger am Herzen. Deun wichtiger noch als die Noth lin¬
dern. ist dies: Noth verhüten, und wer möchte bestreiten, dass es
unter den deutschen Kollegen Tausende gibt, die im Falle eines
unvorhergesehenen Todes die Ihrigen in Noth und schwerster
Sorge zurücklassen und der Fürsorge mlldthätiger Menschen¬
freunde überliefern würden. Hieran werden auch die neuen
Unterstiitzungsknssen der Kammern nicht viel ändern; denn auch
sie sind nur für offenkundige Verarmung oder nachzuweisende
Noth geschaffen. Soll das so bleiben? Warum darauf warten
und nicht lieber heute, wo es noch möglich ist, eine vorbeugende
Fürsorge treffen und statt anderer weniger wichtiger Geschenke
der geliebten Frau eine ItenteuanWeisung auf den Weihnachts¬
tisch legen! Man sage nicht, es sei zu theuer, es kommt doch nur
darauf an, wieviel man anlegeu will. Und wenn mau sich dabei
nach seinen Mitteln elnschränkeu muss, so Ist dasselbe doch auch
bei jedem anderen Geschenk nöthig. Aber warum gerade eine
Rentenanweisung und nicht lieber eine Lebensversicherung? Wir
sagen, das eine tbun und das andere nicht lassen; aber die
Witwenrente ist billiger (siehe die Beilage). Sie ist ebenso wie die
Lebensversicherung mit ihren Prämien bei der Selbsteinschätzung
in Preussen abzugsfähig. Sie Ist sicherer, denn nicht jede Frau
weiss mit Geld umzugehen. Sie ist ebenso unverlierbar, denn
durch einen kleinen Zuschlag (siehe die Beilage) kann die Rück¬
gewähr aller Einzahlungen im Falle des vorzeitigen Todes der
Frau mitversichert werden.
Der zweite Zweck also dieser Zeilen ist der, den Herren
Kollegen als Weihnachtsgeschenk eine Wittwenversicherung zu
empfehlen, und wenn wir dabei bereits oben die Versicberungs-
kasse für die Aerzte Deutschlands nannten, so geschah es nicht,
weil wir gerade diese Kasse verwalten, sondern weil dieselbe bei
sonst gleicher Sicherheit unter allen in Betracht kommenden In¬
stituten die unseren Standesverhältnissen am besten angepasste
und noch neuerdings auf dem diesjährigen Aerztetage zu Hildes-
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12. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
heim als geeignetste Versicherungsanstalt dem Herren Kollegen
durch besonderen Beschluss ausdrücklich anenipfohlen worden Ist.
Berlin, den 27. Oktober 11K)1.
Landsberger-Platz 3.
Das Direktorium der Versicherungskasse für
die Aerzte Deutschlands.
Dr. Bensch, Obmann.
Eine
Wittwenrente von jährlich 600 Mark kostet an
Viert eljahresprämien
bei der Versicberungskasoe für die
Aerzte Deutschlands, lm Falle des
vorzeitigen Todes der versicherten
Frau
ohne Rückgewähr, mit Rückgewfihr
aller Einzahlungen
bei dem preusslschen
Beamtenverein In einer
Höhe von 16000 Mark
Lebens Versicherung,
was, bei 4 Proc. Zinsen,
den gleichen Renten¬
genuss ergeben würde
für den 25 Jährigen X 32.—
X 4L—
X
73.50
„ . 30
n
X 34.50
X 44.50
X
85.50
„ n »5
n
X 37.—
X 49.—
X
99 —
. „ 40
n
X 4L—
JC 55.—
X
117.—
„ „ 45
0
X 46.50
X 63.50
X
139.50
„ n 50
w
X 53.50
X 74.—
X
171.—
Auswärtige Briefe.
Eine ärztliche Studienreise in die deutschen Nord¬
seebäder.
Vom 28. September bis 7. Oktober 1901.
(Schluss.)
Der Vormittag des 30. September war zunächst der Besichti¬
gung des Strandes und dem sich anschliessenden Seebade ge¬
widmet, dann vereinigte die meisten der Theilnehmer ein von
Liebreich im grossen Kursaale abgehaltener Vortrag: Ueber
die therapeutische Anwendung von Seebädern, dem ein zweiter
von Dr. Nicolas- Sylt über die speciell Sylt betreffenden Ver¬
hältnisse folgte. Der übrige Tlieil des wundervollen Herbsttages
galt der Besichtigung des Krankenhauses und Genesungsheimes,
der Kanalisations- und Wasseranlagen, die erst im Mai dieses
Jahres zu Ende geführt worden sind und der Gemeinde 600 000 M.
gekostet haben. Sylt besitzt 2 Kinderheilstätten für etwa 190
Pfleglinge, die zur Hälfte Freiplätze haben. Ich kann auch an
dieser Stelle nur den Ruf wiederholen, den kürzlich Kollege
K r e c ke- München in so beredten Worten aussprach: Schaffen
wir doch für unsere kranken und schwächlichen Kinder auch bei
uns im Süden, in den Alpen und im Vorland, im grösseren Maass¬
stab Erholungs- und Genesungsstätten, schaffen wir ihnen wenig¬
stens Spielplätze! So herrliche Spielgelegenheiten, wie in dem
fusshohen, ganz trockenen Sande am Strande des Meeres, können
wir ihnen freilich nicht schaffen, aber unsere auf dem Asphalt¬
pflaster und in engen nöfen spielenden Kinder sind nicht an¬
spruchsvoll !
An dem nebligen Morgen des 1. Oktober zogen wir Alle schon
frühe hinaus zur Düne, um dort einer Uebung des freiwilligen
Rettungskorps beizuwohnen. Bei Sylt ist schon manches gute
Schiff auf den Sand gelaufen und gestrandet. Die 63 Gräber im
Friedhof der Heimathlosen, der alle angeschwemmten Leichen
aufnimmt, spricht eine beredte Sprache. Bei diesen Katastrophen
übt das Rettungskorps sein schweres, gefahrvolles Amt, wo es an¬
geht mit dem Raketenapparat, dessen Gebrauch uns vorgeführt
wurde. Mancher, der das höchst interessante Schauspiel mit¬
angesehen, wird daraus Veranlassung schöpfen, der deutschen
Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sein lebhaftes Wohl¬
wollen zuzuwenden.
Nach einem geradezu rührenden Abschied von der Bevölke¬
rung Westerlands nahmen uns um 1 Uhr 2 kleinere Dampfer auf,
auf denen die genussreiche Fahrt hinüber nach der Insel
Amrum wieder bei prächtigem Wetter sich vollzog. Eine
Schaar Seehunde that uns den Gefallen, sich zu zeigen, die
grossen Spass erregten. Von einer Ehreneskorte Amrumer Fest¬
jungfrauen geleitet, die in der kleidsamen friesischen Tracht
reizend aussahen und sich manches leicht entflammbare medi-
cinische Herz im Sturme eroberten, und geführt von Mitgliedern
der Gemeinde wurde auf der 3000 m langen Holzpromenade, die
am Badestrande entlang führt, der Marsch zum sog. Kniepsand
angetreten. Hier ist die Küste ausserordentlich flach, sehr weit
zieht sich das Meer zur Zeit der Ebbe zurück, Tausende von
kleinen Muscheln zurücklassend. Der Wellenschlag ist am Ge¬
stade der Insel in allen möglichen Abstufungen zu haben, bei
ruhigem Wetter, wie wir es hatten, liegt das Meer in Folge vor¬
1861
liegender Sandbänke an dem einen Tlieil des Strandes so ruhig
und glatt da wie ein Binnensee und lädt zur ungefährlichen
Kahnfahrt ein. Amrum zählt ungefähr 800 Einwohner. Es ist
erstaunlich, was diese Leute in kurzer Zeit aus dem reichlichen
Sand ihrer Heimath zu machen verstanden. Seit Kurzem er¬
standen 7 grosse Hotels am Südende der Insel, nicht so grossartig
wie jene in Norderney oder auf Borkum, aber behaglich und gut
eingerichtet. Die Insel besitzt vorzügliches Trinkwasser und hat
eine gute Kanalisation. Im nördlichen Thoil der Insel, den wir
der Kürze der Zeit wegen nicht besuchten, liegen 3 grosse See¬
hospize; hier gibt es auch Wiesen und Bäume, deren die Gegend
von Wittduen, wo sich das Badeleben konzentrirt, ermangelt. Der
südliche Theil der Insel, sowie die Südwestküste trägt hohe
Dünen, wieder mit den merkwürdigen Formen, wie auf Sylt.
Südöstlich von Amrum, im Wattenmeer, liegen die aus Bier-
natzki’s meisterhaften Schilderungen bekannten Halligen,
spärliche Ueberreste des Raubes, den das gefrässige Meer im
Laufe von Jahrhunderten an einer früher reich bevölkerten und
fruchtbaren Gegend stündlich übt. .Hinsichtlich der Heilfaktoren
erfreut sich Amrum, ähnlich wie Föhr, eines sehr gleichmässigen,
mildeu Klimas — kommen doch hier wie dort Trauben zur Reife
— und bietet seinen schon vor 2 Jahren auf ca. 8000 an Zahl
angewachsenen Badegästen einen ruhigen, allen schädlichen Bei¬
mischungen fashionablen Badetreibens abholden Aufenthalt.
Die Insel Föhr, wohin uns am näclisten Morgen unsere
kleinen Wattendampfer trugen, hat unstreitig die schönste Vege¬
tation von allen bisher berührten Nordseebädern und mit ge¬
rechtem Stolz führt der Wyker seine Badegäste durch die Allee
alter Bäume oder in den neu angelegten Lembkehain, die einen
prächtigen Schmuck des sauberen friesischen Städtchens bilden.
Schmunzelnd reichte mir ein alter Mann eine hier gewachsene
Traube zum Verkosten, und die hübschen Bürgermädchen, welche
an der Landungsbrücke uns in ihrer Nationaltracht begrüssten,
waren nicht kärglich mit der Darreichung der auf der Insel in
ungewohnter Fülle blühenden Blumen. Das Klima ist hier weich
und mild, wieder sehr gleichmässig, so dass die Tag- und Nacht¬
differenzen recht unbedeutend sich gestalten. Dies und der Um¬
stand, dass das Meer am Wyker Strand fast immer ruhig und
sanft ist — es ist Wattenmeer — hat dem Bad den speciellen Ruf
eines Kinderbades verschafft. Der Verein für Kinderheilstättcn
an den deutschen Nordseeküsten hat seit 1883 in Wyk ein schön
eingerichtetes Seehospiz in Betrieb und werden hinsichtlich der
2 hauptsächlichsten Kinderkrankheiten, der Tuberkulose und
Skrophulose sehr günstige Erfolge berieiltet. Auch nervöse
Leiden finden auf Föhr oft sehr rasche Besserung, ebenso Zu¬
stände von Blutarmuth, chronische Katarrhe und rheumatische
Erkrankungen. Unter Führung Einheimischer besichtigten wir
das Seehospiz und den weit und flach sich hinziehenden Strand
mit dem Warmbadehaus und fanden vor dem Frühstück eben
noch Zeit, dem friosischen alten Dorfe Boldixum einen kurzen
Besuch abzustatten, das zwar keine medicinischen aber andere
Sehenswürdigkeiten kulturhistorischer Art darbot. Der Empfang
der Aerzte war gerade auch in Wyk ein ganz besonders herzlicher
und die hochgowaehsenen, hübschen und gewandten Bürgers¬
töchter erwiesen uns die Ehre, selbst den hungerigen Reisenden
Imbiss und Wein aufzuwarten. Kein Wunder, dass Viele sich
von der Insel mit ihren liebenswürdigen Bewohnern fast nicht
trennen mochten. Wie manche biedere Doctorsfrau wird sich ver¬
wundern, wenn sie auf einer der zahlreich gerade an diesem Tage
aufgenommenen Photographien ihren auf einer „ärztlichen
Studienreise“ begriffenen Eheherrn Arm in Arm mit einer
hübschen Wykerin zum Dampfer hinunter wandern sieht! Die
„Woche“ bringt es an den Tag: denn ihr Photograph be¬
gleitete uns sorglich auf allen unseren Wegen.
Es war ein ziemlich frischer Wind aufgesprungen, als wir
am Nachmittag dieses 2. Oktobers im tiefen Fahrwasser draussen
von den kleinen Watte-Dampfern wieder auf das Deck unserer
„Prinzessin Heinrich“ hinüberklettern und Meissner
prophezeite wieder stürmische Fahrt. Es war aber heute noch
nichts damit. Der Kure war südlich nach Cuxhaven ge¬
richtet. Mit fast 2 stündiger Verspätung, deren Ursache weniger
in „nautischen Gründen“, als an dem schweren Abschied von
Wyk lag, trafen wir bei Dunkelheit an unserem Ziele wolil-
behalten ein. Das letztere, Herr Kollege, bezieht sich ganz
speciell auf mich, aber ich sah auch an diesem Tage einige Opfer
der See in aschgrauem Elend unten auf den Polstern der Salons
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1862
MIXENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
liegen. Schon VA Stunden vor unserer verspäteten Ankunft war
unser Schiff mittels der Marconi-Brau n’schen drahtlosen
Telegraphie vom ersten Elbefeuerschiff aus nach Cuxhaven ge¬
meldet worden. Die Funkentelegraphie funktionirt zwischen
letzterem und Helgoland mit grösster Sicherheit und erst in
jüngster Zeit wurde berichtet, dass sogar nach Borkum mittels
der Apparate Nachrichten gegeben werden konnten, also auf ca.
180 km. Die von der Gemeinde Cuxhaven vorbereiteten Em¬
pfangsfeierlichkeiten kamen in Folge unserer späten Ankunft
nicht mehr vollkommen zur Geltung, sondern Alles eilte in die
Quartiere und dann an die wieder reich besetzten Tafeln, wo
manch feierlicher Toast den Aerzten wieder einmal vor Augen
führte, mit welchen praktischen und ideellen Hoffnungen die
Verwaltungen der Nordseebäder den Besuch so vieler Aerzte aus
allen Theilen des Vaterlandes begleiteten. Nochmal hob sich
am 3. Oktober ein schöner Morgen aus dem Meer; man hatte
Recht, ein unglaubliches Wetterglück war mit uns. Die Besichti¬
gung von Cuxhaven zeigte den Doppelcharakter der aufstreben¬
den, zum Hamburger Gebiet gehörenden Stadt. Da sie im letzten
Jahr fast 10 000 Badegäste gehabt hat, und zugleich durch ihre
günstige Lage an der Elbemündung mit deren riesigem Schiff¬
fahrtsverkehr die bestimmte Anwartschaft auf die grösste com-
mercielle Bedeutung besitzt, können die Cuxhavener Stadtväter
über das Schicksal ihrer Stadt beruhigt sein. Der eine Theil
unserer Reisegenossen besichtigte die grossen Kinderhospize, von
denen das Hamburger, einer Stiftung entstammend, 120 Kinder
aufnehmen kann, ein anderer wandte sich nach den neuen sehr
grossartigen Hafenanlagen, sowie nach der im Bau befindlichen
Quarantaine- und der Desinfektionsanstalt. Die Wichtigkeit der¬
selben für die Gesundheit von Hamburg und damit ganz Deutsch¬
land liegt auf der Hand. Interessant war der Besuch des Leueht-
thurmes, für Andere die zufällig mögliche Besichtigung eines
aufilaufonden Auswanderersdiiffes, dann ein Blick in die Mar-
eoni-Telegraphenstation. Doch wieder einmal drängten die
nautischen Gründe zur Abreise und um 1 Uhr glitt unter
schmetterndem Fanfarenschall unser Schiff die Elbe hinunter,
diesmal den Kiel nach Westen richtend.
Von den an der ostfriesischen Küste gelegenen Bädern war
zunächst Norderney, an Frequenz, Comfort und Voll¬
kommenheit der hygienischen Einrichtungen die Königin der¬
selben, unser Ziel. 29 000 Kurgäste hat das Bad heuer in seinen
schmucken Privatbauten und seinen grossartigen Hotels beher¬
bergt, ein glänzender Beweis, wie reiche Frucht die von der pr.
Regierung und von der Bevölkerung im gleichen Maasse auf die
Entwicklung des Bades verwendete Sorgfalt einträgt. Norderney
ist das vornehmste deutsche Seebad und berufen, die benachbarten
belgischen Seebäder allmählich aus der Rolle zu verdrängen,
welche sie heute noch für einen Theil des deutschen Badepubli¬
kums spielen. Die „Prinzessin Heinrich“ wurde von einer grossen
Menge am Landungssteg erwartet, und die freudigen Gesichter,
die uns bei der Wagenfahrt durch den Ort an allen Ecken be-
grüssten, zeigten uns gleich, dass wir auch hier willkommene
Gäste waren. Der Strand mit einer breiten gemauerten Pro¬
menade versehen, elektrisch beleuchtet, durch eine gewaltige
Steinmauer gegen die zerstörende Wuth der Wogen geschützt,
hat kräftigen, an jenen von Sylt erinnernden Wellenschlag,
sehönen, reinen Sandgrund und mag, im Sommer von Tausenden
bevölkert, dann einen grossartigen Anblick gewähren. Nachdem
wir in dem geschmackvoll dekorirten Saale des Kurhauses
während des Abendessens durch einen Vortrag eines der Herren
Kollegen au9 Norderney über die Studienobjekte vorbereitet
worden waren, begann am 4. Oktober die Studienreise durch die
Insel. Das Trinkwasser wird mittels 6 grosser Brunnen etwa
45 m aus dem Sandboden der Insel gehoben, dann wegen des sehr
intensiven Geruches nach SIL in einem Lüftungsthurm „ent¬
lüftet“ — ohne dadurch zu einem Musterwasser zu werden. Die
aus der obligat eingeführten Schwemmkanalisation herstammen-
den Abwässer werden Rieselfeldern zugeführt, wo inmitten des
kahlen sandigen Dünenthaies plötzlich ein üppig gedeihendes
Gemüsefeld sich dem Blicke darbietet. Eines lebhaften Inter¬
esses der Besucher erfreute sich das grosse Kaiserin-Friedrich-
Seehospiz, das 264 Kindern den auch über den Winter sich er¬
streckenden Aufenthalt an der See bietet. Die Anstalt, nach
Beneke’s Angaben musterhaft eingerichtet, besitzt 8 grosse
luftige Pavillons mit einem Spielraum für die kleinen Pfleg¬
linge, die hier, den ganzen Tag in der Seeluft sich tummelnd,
die besten Bedingungen für ihre Besserung oder Heilung finden
können, wenn der Aufenthalt lange genug ausgedehnt werden
kunn. Von den öffentlichen Einrichtungen Norderneys verdient
noch die grosse Warmbadennstalt besonders hervorgehoben zu
werden.
Der Nachmittag des Tages war einem Ausflug nach der
Insel Juist gewidmet. Auch dieses Bad, dessen schöner breiter
Strand allgemein gefiel, arbeitet mit aller Energie an der weiteren
Entwicklung seiner hygienischen und sonst den Badezwecken
dienenden Einrichtungen. Die Gemeinde strebt vor Allem dar¬
nach, Juist den Charakter eines billigen Familienbades zu er¬
halten. Mit bedeutendem Aufwand wurde ein Isolierhaus für
akut infektiös Erkrankte erbaut, sowie eine komfortable Warm-
wasserbadanstalt eingerichtet.
Das grosse Festessen, das Abends in Norderney stattfand,
brachte in Folge der Anwesenheit des Herrn Regierungsprä¬
sidenten und anderer offieieller Personen unseren vielgeplagten
Comitemitgliedern wieder einmal zahlreiche Repräsentations¬
pflichten, denen besonders Liebreich und Meissner in
glücklichster Weise gerecht wurden.
Sie sehen, Verehrtester, dass die Studienreise für uns Alle
keine eigentliche Erholungsreise darstellte. Fast auf jeden Tag
traf ein neues Bad, ein neues Bett und eine neue Insel. An
einer Insel aber war das Comite bei dieser Rechnung ganz
unschuldig. Das ist eine Geschichte für sich, die nicht zu den
erfreulichen Kapiteln den - diesjährigen Studienreise gezählt
werden kann. Die Sache hat schon ihren Weg in die Presse ge¬
funden, darum sei auch hier davon gesprochen. Ich als un¬
schuldiger süddeutscher Doktor hatte bisher kaum davon wispern
gehört, dass das Meer bei Borkum und ein Theil seiner
Schwimmgäste antisemitisch gefärbt sei. Nun war der Besuch
der Insel sowohl auf dem ersten Reiseprogramme des Komitee
gestanden, als auch noch auf der Quittung über den für die
Reise eingesandten Betrag namentlich aufgeführt. Das definitive
Programm hatte den Namen Borkum ausgemerzt. Bald wurden
Stimmen laut, welche Borkum wieder auf den Reiseplan ge¬
setzt wünschten, sie konnten aber den Beschluss des Komites nicht
ändern. Die Berliner Aerzte-Corr., welche die Angelegenheit in
No. 42 bespricht, erkennt an, dass der Wunsch, Borkum zu be¬
suchen, objektiv betrachtet, ein ganz berechtigter war. Wenn
Herr C o h n, der Verfasser des eben angeführten Artikels, dann
weiter fährt, dass die wegen des Borkumer Besuches eingeleitete
Agitation „schnell einen durchaus antisemitischen Charakter an¬
genommen“ hätte, so thut er mit dieser Behauptung entschieden
einem grossen Theile jener Herren Unrecht, welche Borkum
aus Interesse wissenschaftlicher Art zu be¬
suchen wünschten und die Verquickung mit antisemitischen Strö¬
mungen unter den Reisegenossen als eine durchaus nicht ange¬
nehme Beigabe empfanden. Es war doch nicht möglich, noch
eine 3. Gruppe aus der Reisegesellschaft abzuspalten, welche
auc h, aber ohne Antisemitismus, Borkum sehen wollte. Dann
wäre man, wahrscheinlich mangels so vieler verfügbarer Dampfer,
wirklich aus nautischen Gründen, nicht nach Borkum gekommen!
Es wurde also eine Sonderstudienreise nach Borkum inscenirt.
Die Anti-Borkumer blieben eben am 5. Oktober auf Norderney,
die Philo-Borkumer mussten aus nautischen Gründen an diesem
Tage zur Strafe um V*4 Uhr aufstehen, erblickten aber dann
ihr geliebtes Eiland schon Morgens um Vz9 Uhr.
Wer eine Studienreise in die deutschen Nordseebäder unter¬
nimmt, muss in der That Borkum gesehen haben. Seit dem Jahre
1890, wo schon über 6000 Kurgäste den schönen Strand der
Insel besuchten, ist ihre Zahl um weitere 10 000 gestiegen, und
damit Borkum in die Reihe der Badeorte grossen Stils ein¬
gerückt, dessen Verwaltung mit dem oben gekennzeichneten Er¬
folge bestrebt ist, die Einrichtungen des Bades auf eine seiner
Frequenz entsprechende Höhe zu heben. Wie in Norderney ist
der Strand durch eine mächtige Mauer vor der zu grossen Gewalt
der Wellen geschützt und mit ausgedehnten vortrefflichen Pro¬
menaden versehen, auf dem Ufer erheben sich wohlausgestattete,
Hötelhauten, hübsche Villen nehmen die fremden Besucher auf.
Im vorigen Jahr hat die Gemeinde zur Gewinnung eines ein¬
wandfreien Trinkwasser eine Wasserleitung einrichten lassen, die
ebenso wie die Schwemmkanalisation für alle Häuser obligat ist.
Borkum führt den Beinamen „Grüne Insel“ und einRundgang auf
ihren schönen Wiesen belehrte uns, das9 sie ihn mit Recht trägt.
An einer hinter der hohen Dünenkette liegenden geschützten
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12. November 1901. MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 1863
Stelle liegt das Kinderheim, durch dessen Räumt? sieh bald unsere
Schaaren — 256 waren mit von Norderney herübergefahren —■
kritisch musternd ergossen. Hann ging der Marsch hinaus zum
Badestrand und sie werden sehr erstaunt sein, es zu hören:
eine Anzahl der Herren konnte sich das Vergnügen eines See¬
bades am 5. Oktober nicht versagen und kamen davon schwär¬
mend zum Frühstück. Wir Anderen hatten es vorgezogen, die
grossartige Wannwasseranstalt zu besichtigen und dort die
Glieder in dem auf 24 Grad angewärmten Meerwasser zu strecken,
das in den Holzwannen von seinem poetischen Blaugrün sehr ver¬
liert und sich als bräunliche, die Schleimhäute durch den
3Va proc. Salzgehalt merklich reizende Flüssigkeit darstellt.
Daa Meer aus seiner bisherigen Ruhe durch einen steifen
Südwest aufgejagt und den bei der Tafel Säumenden mit
schwieriger Heimfahrt durch die Watten bei eiutretender Ebbe
drohend, hatte die Güte, die Fortsetzung einiger Tischreden hint¬
anzuhalten, die, aus der oben kurz berührten Vorgeschichte des
Borkumer Besuches herausgewachsen, einen erfreulichen Ein¬
druck nicht hinterlassen konnten. So ging ee schliesslich in Eile
zur Bahn und hinein in den Dampfer, der unter sicherer Führung
die „Borkumer“ bei strömendem Regen und sausendem Wind
wieder an das Gestade Nordemey’s brachte, das eben im Scheine
elektrischer Beleuchtungsapparate erglänzte, welche den auf
Norderney Zurückgebliebenen bei einfallender Nacht vorgeführt
wurden. In der Nacht auf den 6. Oktober hob sich der Wind
zum Sturm, warf schäumende Wellen zum Strand und heulte und
pfiff sein gewaltiges Lied mit voller Macht gegen die uns bergen¬
den Mauern. „Morgen gibt es schlimme Fahrt“, sagte Meiss-
n e r. Diesmal hatte er Recht.
+
Am Himmel hingen schwarze, wild zerrissene Wolken, als
wir mit grauendem Tag auf das Verdeck unserer „Prinzessin
Heinrich“ stiegen. Die Plätze mittschiffs waren sehr begehrt,
nur die erfahrenen Seelöwen verachteten das und kletterten stolz
auf den Stern, ganz vorne, wo es am lieblichsten schwankt. Sie
werden es begreifen, Herr Kollege, dass meine Wenigkeit nicht
vorn, nicht hinten, sondern in der Mitte sein Stiihlchen suchte.
Als unser Schiff die ungestüm wogende See zu durchfurchen
begann und vom Strande der Insel her Böllerschüsse, deren Schall
der Sturm fast ganz verschlang, ihren Qualm erkennen Hessen,
sollen schon die poseidonisehen Opfer begonnen haben. Ich
selbst, um es Ihnen heimlich zu sagen, machte nach Heinz
die tiefsten Inspirationen, ohne das betreffende Centrum auf
die Dauer begütigen zu können. Auf Deck war und blieb die
Stimmung aber gut und als wir später in etwas ruhigeres Wasser
kamen und nicht alle paar Minuten durch grosse Gleichgewichts¬
störungen unserer Stiihlchen fast beraubt wurden, hätten Sie
trotz des sturmgepeitschten Regens manch’ fröhliches Lied aus
unserer Runde vernehmen können. Mit bedeutender Verspätung
liefen wir Wilhelmshaven an, wo die Sturmwarnungssignale aus¬
gesteckt waren und die Führer der im Wimpelschmucke da¬
liegenden Lloyddampfer erklärten, nicht mit Sicherheit die Rei¬
senden nach dem Bade Wangerooge, dessen Besuoh für den
Nachmittag geplant war, bringen zu können. Es war gewiss
schade, dass die Fahrt nach dem aufstrebenden Kurorte unter¬
bleiben musste, der seine Gäste ebenso gerne wie die anderen
Bäder an seinem Strande gesehen hätte.
Hier endet meine Studienreise. Die „Prinzessin Heinrich“
lief am nächsten Tage, dem 7. Oktober, unter sehr heftigem
Sturm und gewaltig bewegter See direkt, da Helgoland in Folge
der Wetterungunst nicht mehr angelaufen werden konnte, nach
Hamburg zurück, das sie erst am späten Abend erreichte. Das
Gros der Theilnehmer hatte es vorgezogen, keine weitere Probe
von Seefestigkeit auszufechten und ging in Wilhelmshaven an
Land, hier sich mit den Ausdrücken warmen Dankes von deu
Comitemitgliedern trennend, die ihn wohl verdient hatten. Wir
sprechen die Hoffnung aus, dass die Borkumer Episode keine
solche Verstimmung bei den so thatkräftigen Organisatoren der
heurigen Studienreise hinterlassen haben möge, dass sie nächstes
Jahr zu einer zweiten ihre bewährte Erfahrung und Energie
in den Dienst der Allgemeinheit der deutschen Aerzte zu stellen
unterlassen. Das Comite, die Badeverwaltungen, die Nordsee¬
linie, die Gemeinden und noch manche andere Mitwirkende
haben sich die dankbare Anerkennung der Theilnehmer der
ersten ärztlichen Studienreise verdient und die soll ihnen aus¬
gesprochen werden!
Wenn Sie also das Resultat der Studienreise übersehen,
Herr Kollege, so ist es gewiss ein zu weiteren Unternehmungen
dieser Art sehr ermunterndes. Wie Liebreich in einer
seiner Ansprachen mit Recht betonte, stellt die Reise eine Er¬
gänzung der Lehrmittel der Universität hinsichtlich des balneo-
logischen Unterrichts durch die Natur dar. Aus der persön¬
lichen Anschauung haben wir reiche Anregung schöpfen und
da und und dort uns Begriffe bilden können, wo vorher nur
ein geschriebenes Wort stand; wir haben der guten Sache der
deutschen Seebäder nützen können und, das dürfen wir nicht
vergessen, unserer Suprema lex, dem Wohle der Kranken, die
wir in manchen Stücken nun besser berathen werden.
Wären Sie nur schon heuer mitgegangen! Sicher hätten
Sie den Anfang damit gemacht, in den herrlichen Mondnächten
von der Düne herab das glitzernde Meer zu bewundern, statt im
Kurhaussaale Hummer und Krickenten zu speisen!
Ihr balneologisch Ihnen jetzt überlegener Kollege
Grassmann - München.
Briefe aus Italien.
(Eigener Bericht.)
B e 11 a n o (Comersee), 15. Oktober 1901.
Pathologie des Sympathicus und Morphologie des mensch¬
lichen Körpers von Prof. De Giovanni. — Die Quelle
Boncegnos und ihre Eigenschaften.
Die schöne Ferienzeit, die ich heuer wieder in Deutschland
zubrachte, geht zu Ende und ich muss nach Rom zurückkehren,
um meine Thätigkeit in B a c c e 11 i’s Klinik wieder auf¬
zunehmen. Bevor ich aber meine „römischen Briefe“, deren
erste Serie ich im Juli beschloss, wieder beginne, möchte ich allen
jenen verehrten Kollegen, die an diesen Briefen Gefallen fanden
und dies mir in liebenswürdigen Zuschriften mittheilten, hier
meinen herzlichsten Dank für ihre Freundlichkeit aussprechen
und sie um ihr ferneres Wohlwollen bitten.
Bei meiner Rückreise durch Südtyrol wollte ich diesmal die
Gelegenheit benützen, Herrn Prof. De Giovanni von der
Universität Pudua und das berühmte Bad Roncegno, wo er als
Consulent weilt, kennen zu lernen. Ich hatte schon verschiedene
Werke des gelehrten italienischen Klinikers gelesen und gewährte
es mir desshalb doppelte Geuugthuung, mit dem liebenswürdigen
Autor persönlich bekannt zu werden. Die Pathologie des Sym¬
pathicus und die Morphologie des menschlichen Körpers sind
jene Werke De G i o v a n n i’s, die mir den grössten Eindruck
machten. Bekanntlich bilden die Krankheiten des Sympathicus
ein noch ziemlich dunkles Gebiet und sehr bunt, und von den ver¬
schiedenen Autoren verschieden gedeutet und erklärt sind die
Krankheitsbilder, die durch die funktionellen und anatomischen
Alterationen des Sympathicus hervorgerufen werden. Ich halte
die Pathologie des Sympathicus von De Gio¬
vanni für eine der besten bis jetzt über dieses Argument ver¬
öffentlichten Arbeiten, die auch verdiente, im Auslande ihren
Leserkreis zu finden.
Sehr interessant und zu ernsten, nutzbringenden Gedanken
anregend ist auch die Morphologie des menschlichen
Körpers, ein Buch voll origineller Gedanken und gesunder
Urtheile über den Zweck der Medicin, sowie über die Art, den
Kranken gut zu untersuchen und zu behandeln. Des Weiteren
wird durch dieses Werk eine neue Methode in der Klinik ein¬
zuführen gesucht, d. h. die genaue Messung der verschiedenen
Theile des menschlichen Körpers, durch die man beurtheilen
kann, welches der Organe am schwächsten entwickelt ist und
daher den Locus minoris resistentiae bildet. In der
weiteren Folge könnte man dann eine Art von vorbeugender
Therapie ausüben, indem man das schlecht entwickelte (und
daher früher oder später erkrankende) Organ durch geeignete
Methoden zu stärken und 9eine, im Vergleich mit den übrigen
Organen schwächliche Funktion zu heben sucht. De Gio¬
vanni stellt als „hauptsächliche, morphologische
Type n“ drei Gruppen auf, welche wirklich gewöhnlich in der
Praxis zu finden sind und in die jeder gesunde oder kranke
Mensch auf genommen werden kann. Das Werk und das System,
das der langjährigen Praxis des ebenso gelehrten, als bescheidenen
Kliniker entspringt, verdient gewiss die weiteste Beachtung.
Ich muss mir leider versagen, hier noch näher darauf einzugehen,
aber ich kann nicht umhin, den Wunsch auszusprechen, dass
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1S64 MlJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 46.
diese Werke De G i <» v a n n i's eiyen guten Uebersct.zer finden
möchten, damit auch die deutschen Kollegen mit ihnen bekannt
werden.
Wie schon gesagt, war der Zweck meines Besuches in Rou-
cegno, auch das Bad und dessen Wirkungen aus persönlicher
Anschauung kennen zu lernen. Ich muss es mir leider versagen,
hier näher auf die entzückende Lage des ausgedehnten Eta¬
blissements und dessen comfortable Einrichtungen einzugehen.;
ich will auch nicht von der glänzenden, internationalen Gesell¬
schaft sprechen, die aus allen Theilen der Welt hier zusammen¬
strömt, um Stärkung und Gesundheit zu suchen, sondern will
mich darauf beschränken, über die Wirkungen der Quelle Ron-
cegnos das zu berichten, was ich gesehen habe und was auch die
verehrten Leser dieser Zeitschrift interessiren kann. Das als
Iiaupttheile Arsen und Eisen, als Nebentheile Kobalt und Nickel
enthaltende Wasser sprudelt durch Schachte, die in die Berge
gegraben wurden, reichlich hervor. Von den Austrittsstellen
wird es in Röhren in grosse Reservoirs geleitet und aus diesen
in die bekannten Flaschen gefüllt oder zu Badezwecken direkt
in die Anstalt wcitergeleitet. Das Wasser wird sowohl innerlich
als äusserlich angewendet. Für innerlichen Gebrauch beginnt
man mit einem Esslöffel voll und steigt bis auf 3—4 täglich.
D e G i o v a n n i hat aber auch in einigen Ausnalunefällen —
Neurose, verbunden mit schweren Blutdyskrasieu — bis zu einer
Flasche (250 g) und mehr pro Tag mit bestem Erfolg verordnet.
Kindern wird natürlich nur ein Theelöffeichen voll gereicht und
in einzelnen Fällen ist es nöthig sogar tropfenweise anzufangen
und die Dosis ganz langsam zu vergrössern. Als Bad wird das
Wasser verwendet, indem man ilun so viel kochendes Wasser bei¬
mengt, dass man es auf eine Temperatur von 26—29 0 bringt.
Die Dauer des Bades variirt von 10—40 Minuten. -Auch der
Niederschlag des Wassers iu den Leitungen, bezw. Reservoirs
kommt als Fango auf dein ganzen Körper oder auch nur auf be¬
stimmten Theilen bei gewissen Neuralgien, bei Rheumatismus,
chronischen Entzündungen in Anwendung. Bei allen Krank¬
heiten, bei denen die Zusammensetzung des Blutes alterirt ist,
bringt das Wasser Roneegnos den grössten Nutzen. Ich habe
selbst viele Badegäste, besonders Mädchen gesprochen, die blass,
kraftlos, mit andauerndem Kopfweh und schwachen Nerven
nach Roncegno gekommen und hier hergestellt worden waren.
Also die verschiedenen Anaemien finden hier die beste Kur¬
methode. Auch die Folgen der Malaria werden in Roncegno
rasch beseitigt und war es eine grosse Freude für mich, liier
viele Römer zu finden. Für die Pellagra ist das Wassor Ron¬
eegnos meiner Ansicht nach ein specifisches Heilmittel; ich be¬
schäftigte mich vor einigen Jahren viel mit dieser Krankheit
und - kann desshalb aus Erfahrung behaupten, dass Eisen mit
Arsenik die beste Wirkung hat Herr Dr. Gazzoletti, Arzt
im Dorfe Roncegno, kam mir auf’s Liebenswürdigste entgegen,
gab mir alle möglichen Erklärungen und zeigte mir auch seine
Pellagrakranken, die eine Art von Kolonie in Roncegno bilden.
Auch er rühmte die ausgezeichneten Erfolge, die er mit dem
Wasser bei den Pellagrosen erzielt. Bei Neurasthenie, Hysteris¬
mus, bei Morbus Basedow und A d d i s o n’scher Krankheit, bei
Gebärmutter- und Hautkrankheiten sind zahlreiche Erfolge in
der medicinischen Literatur von Berühmtheiten, wie Bene¬
dikt, Braun, Hebra, Ewald, Nothnagel etc. ver¬
zeichnet.
Nur Eines fehlt dem schönen, so heilkräftigen Bade und
ich, als Italiener, bedauerte dies doppelt, das heisst eine direkte
Bahnverbindung zwischen Roncegno und Venetien. Von Deutsch¬
land fährt man bequem über Innsbruck und Trient; ein grosser
Theil der italienischen Gäste aber muss entweder einen grossen
Hinweg mit der Bahn machen oder die Strecke von Bassano
nach Roncegno zu Wagen zurücklegen. Ich halte es für einen
grossen Fehler der italienischen Regierung, diese Strecke nicht
auszubauen und dadurch diesen Theil Südtyrols, der durch Sitte,
Sprache und Gesinnung italienisch ist, mit dem Mutterlande in
direkte Verbindung zu bringen. Hoffentlich wird dieses Ver-
säumniss bald nachgeholt, zu Nutz und Frommen der italie¬
nischen Besucher Roneegnos, zum Wohl des schönen Bades, so¬
wie zur Freude des ganzen Thaies! Dr. Giov. Galli.
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Der ärztlichen Standes- und Ehrengerichts-
o r d u u n g widmete der vorberathende Ausschuss der bayer.
Abgeordnetenkammer zwei weitere Sitzungen, in denen die beiden
letzten Abschnitte der Standesordnuug erledigt wurden und die
4 ersten Artikel der Ehrengerichtsordnung zur Besprechung
kamen.
Die von den Aerztekammern und dem Obermedicinal-
ausscliusse entworfenen Grundzüge einer Standesordnung lauteten
iu Abschnitt
IV. Vom ärztlichen Honorar:
„35. Die ärztlichen Bezirksvereine sollen bindende Ortstaxen
aufstellen. Diese Taxen mögen dem Bedürfniss entsprechend für
Private lind für Kassen verschieden gehalten werden. Ein
grösserer Ort oder ein abgegrenzter kleinerer Bezirk mag auch
für sich Ortstaxen aufstelleu, die vom Bezirksverein zu ge¬
nehmigen sind.
36. Verträge einzelner Aerzte mit öffentlichen oder privaten
Korporationen, insbesondere mit Versicherungsgesellschaften und
Anstalten, mit Kranken-, Unfall-, Iuvaliditäts- und sonstigen
Kassen sind von diesen und den vom Bezirksverein dazu auge¬
stellten Kommissionen abzuscliliessen.
37. Jeder Arzt ist ausserdem verpflichtet, nicht unter die auf-
gestellten Staats- bezw. Ortstaxen herabzugehen.
38. Unbemittelten kann das Honorar geschenkt werden. Nach¬
lässe am Honorar sollen nicht stillschweigend geschehen, sondern
bei der Rechnungsstellung bemerkt werden.
39. Jeder Arzt ist verpflichtet, zahlungsfähige Kranke in der
Regel nicht unentgeltlich zu behandeln.
40. Bei Bewerbung um öffentliche oder private ärztliche
Stellen aller Art darf kein Unterbieten der bestehenden Taxen
statt linden, seien sie von ärztlicher oder anderer Seite festgesetzt.
41. Bei Bewerbung imu solche Stellen ist jede Aufdringlichkeit
bei den vergebenden Verwaltungen, sowie jedes Herabsetzen der
Eigenschaften von Konkurrenten streng zu melden.“
Keinem Abschnitte der Standesordnung ging es so schlecht
wie diesem; Widerspruch mit der Gewerbeordnung! Zuchthaus¬
paragraph! so ähnliche Bemerkungen vermerken die Berichte der
Tagespresse. So oft ein neuer Paragraph zur Berathung kam,
beantragte der Referent mit automatischer Sicherheit die Ab¬
lehnung desselben; sie fielen auch alle in der mörderischen Rede¬
schlacht mit alleiniger Ausnahme des letzten, der gegen drei
Stimmen (v. Landmann, Dr. G ä c h, Dr. v. Haller) an¬
genommen wurde. Dagegen wurde auf Antrag des Referenten,
der nach seiner Aeusserung nicht bloss streichen, sondern auch
eine positive Bestimmung treffen wollte, folgender Beschluss, aller¬
dings nicht ohne Widerspruch, gefasst:
„Die Bezahlung der approbirten Aerzte ist der Vereinbarung
überlassen; die Standesordnung darf keine Vorschriften ent¬
halten. welche dieser grundsätzlichen Bestimmung in irgend
einer Weise widerspricht. Streiks mit Hilfeverweigeruug wider¬
sprechen der Würde des ärztlichen Standes.“
Vom Standpunkte des Gewerberechtes für heute nur einige
kurze Notizen: Absatz 1 steht in der Gewerbeordnung, ist also
überflüssig, Absatz 3 widerspricht derselben, da jeder Arzt zur
Verweigerung der Hilfe, wenigstens nach der Gewerbeordnung,
bereehtigt ist, ist also ungesetzlich und zu Absatz 2 ist zu be¬
denken, dass bei einer Vereinbarung die Aerzte selbst doch auch
mitreden und durch kollegialen Zusammenschluss sich vor standes¬
unwürdiger Honorirung schützen dürfen. Der ganze Antrag Ist
nur darauf berechnet, die Aerzte den Krankenkassen und sonstigen
„Arbeitgebern“ bedingungslos auszuliefern.
Da in der Ausschusssitzung auch über Aerztestrelks ge¬
sprochen wurde, nimmt Herr v. Landmann vielleicht Anlass,
auch eine Standesordnung für Krankenkassen und untere Ver¬
waltungsbehörden mit „positiven“ Bestimmungen anzuregen.
Nun zu Abschnitt
V. Vertretung:
42. Bei vorübergehender Erkrankung oder beruflicher Ab¬
wesenheit soll einem Kollegen unentgeltliche Aushilfe geleistet
werden.
43. Bei längerer Abwesenheit oder Erkrankung bleibt die
Regelung einer Entschädigung dem Uebereinkommen überlassen.
Wurden bei Verhinderung des Hausarztes andere Aerzte zuge¬
zogen, so müssen sie die hausärztliche Stellung respektiren.
44. Unentgeltliche Aushilfe erstreckt sich nicht auf grössere
chirurgische und geburtshilfliche Leistungen.
45. Aerztliehe Hilfe bei einem Kollegen und dessen engerer
Familie soll unentgeltlich geleistet werden.
Diese vier Ziffern werden ohne besondere Debatte ange¬
nommen.
Ueber die Berathung der Ehrengerichtsordnung
soll das nächste Mal, wenn die Berathung darüber weiter vor¬
geschritten ist. im Zusammenhang berichtet werden.
Dr. Becker- München.
Therapeutische Hotisen.
Ueber die innere Behandlung der Perityphlitis
verbreitet sich in einem lesenswerthen Artikel Bourget - Lau¬
sanne (Therap. Monatsh. 7, 1901). Zu Anfang desselben wird zu-
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12. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1865
nächst den Chirurgen gehörig der Text gelesen. Die bösen Chir¬
urgen. was haben sie Alles auf dem Gewissen! Seit 1885 haben
sie die Interne Behandlung der Perityphlitis völlig aufgehoben,
sie haben den Eltern bei ihren Sprösslingen die Präventivoperatiou
des Wurmfortsatzes vorgesehlagen, sie haben auch die innere
Behandlung verdorben, indem sie nur Eis und Opium empfahlen
und Abführmittel und Lavements verboten. Und dabei haben sie
die Pathogenese in keiner Weise gefördert!
Es würde hier zu weit führen, diese schweren Vorwürfe zu
entkräften. Man kann cs ja verstehen, dass B. im Eifer für seine
gute Sache sich zu einigen Ucbertreibungen hinreissen lässt. Aber
es muss hier doch festgestellt werden, dass gerade unter den
deutschen Chirurgen von Anfang an die Frage der Indikation
zur Operation sehr genau erörtert worden ist und dass immer,
wenn naturgemiiss auch Einzelne über das Ziel hinaus¬
geschossen haben, doch ein gutes Einvernehmen mit der internen
Medlcin gewahrt geblieben Ist. Man hört das aus B.'s Aus¬
führungen ja auch schon theilweise heraus, wenn er sagt, dass die
Chirurgen einerseits Alles operirt haben, andererseits die innere
Behandlung verdorben haben. Beides zusammen können sie doch
wohl nicht gethan haben.
Tm Uebrigeu müssen wir B. für die Schilderung seiner Be¬
handlung, die sich ln der Tliat nicht unwesentlich von der landes¬
üblichen unterscheidet, dankbar sein. Verf. weist darauf hin,
dass dem eigentlichen Perityphlitisanfall Monate- und Jahre lang
Magen- und Darmstörungen vorausgehen. Deren Bekämpfung ist
bei der prophylaktischen Behandlung sehr wichtig: Regelung der
Diät (gemischte Kost mit wenig Fleisch, viel Gemüse, guten ge¬
kochten Früchten und viel Mehlspeisen). Sorge für Darmentleerung
(Karlsbader Salz, Ricinusöl).
Die Behandlung des eigentlichen Anfalles soll zum Zweck
haben eine Desinfektion des Magens und Dünndarms und Aus¬
spülung des Dickdarms. Der Patient bekommt täglich 20.0 Ri¬
cinusöl, das 1 g Salacetol gelöst enthält. Zu den Darmspülungen
nimmt man 1 Liter Wasser mit 4 g Ichthyol, nachdem man vorher
eine kleine Menge Olivenöl mit etwas Menthol oder Thymol ein¬
geführt hat. Die Spülung wird Morgens und Abends gemacht,
in der Zwischenzeit werden heisse Cataplasmen oder Blutegel an¬
gewendet. Vom 3. Tage ab bekommt der Kranke anstatt des
Rlclnusöls folgendes Abführmittel:
Rp.: Natrii bicarbonici’pur.
Natr. phosnhor. exsicc.
Natr. sulfur. sicc. äa 5,0
Aq. ad 1000,0
MDS. 3 bis 4mal täglich 150,0 zu nehmen.
Mit dieser Behandlung scheint B. in allen Fällen völligen Er¬
folg gehabt zu haben. Krankengeschichten liegen nicht vor. Int
anfallsfreien Stadium lässt er für geeignete Fälle die Operation
gelten. K r e c k e - München.
Ueber die Lichttber a p i e sprach Dr. L i n d e tu a n n -
Berlin auf der Jüngsten Versammlung der balneologischen Gesell¬
schaft zu Berlin. Die Ilauptmomente seiner Ausführungen sind
folgende: Die Glüh- und Bogenlichtbäder bewirken eine Anregung
der Clrculation, des Stoffwechsels und besonders der Sehweiss¬
sekretion, und zwar wirken die Glühlichtbäder mehr erregend
als die Bogenlichtbäder. Dieselben erweisen sich heilkräftig vor
Allem bei Blutarmuth. chronischem Gelenkrheumatismus. Gicht.
Ischias, sowie zur Unterstützung der Entfettungskur, endlich pro¬
phylaktisch anstatt der Dampfbäder, deren unerwünschte Neben¬
wirkungen (Kopfkongestion etc.» ihnen nicht anhaften. Die Be-
strahlungsappHrate, in denen Bogenlicht von 15 bis 20 Ampöre
Stärke auf die Haut reflektirt wird, wirken als: a) intensiver
Hautreiz durch Konzentration der strahlenden Wärme auf die
Haut (aktive nauthypememie). sowie korrosiv; l») haben sie eine
unmittelbar bakterientödtende Wirkung, welche sich therapeutisch
mit Erfolg verwerthen lässt zur Heilung schlaffer, atonischer
Geschwüre. Aknepusteln, Furunkeln etc. Intensiver baktericld
wirkt, zumal bei Lupus, das Finsenllclit. bei welchem ein Bogen¬
licht von 40—80Ampöre Stärke zur Verwendung kommt. (Deutsche
Med.-Ztg. 1901, No. 34.) P. H.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 12. November 1901.
— Die Standesordnung für die bayerischen Aerzte.
In welcher die den Aerzten obliegenden Pflichten bei Ausübung
ihres Berufes und zur Wahrung der Standesehre festgestellt wor¬
den. sollte nach dem Gesetzentwürfe nach Einvernahme der
Aerztekammem und des Obermedicinalausschusses durch das
Staatsininisterium des Innern erlassen werden. In dem vor-
berathenden Ausschüsse der Abgeordnetenkammer wurde von
Seiten des Referenten Abg. v. Landmann das Verlangen ge¬
stellt. die wichtigsten Bestimmungen der Standi^sordnung in das
Gesetz selbst aufzunehmen, und es wurde zunächst beschlossen,
dass der Referent und der Correferent im Benehmen mit dom
Ministerialreferonten Vorschläge darüber machen sollten, welche
Bestimmungen der l»ereits durchbernthenen Standesordnung in das
Gesetz selbst mltaufgenommen werden sollten.
Aus Anlass dieses Beschlusses sind der ständige Aus¬
schuss der oberbayerischen Aorztekammcr und
der stellvertretende Vorsitzende des ärztlichen Be¬
zirksvereines München beim k. Staatsministerium des
Innern in einer gewährten Audienz persönlich dahin vorstellig ge¬
worden. dass die Standesordnung nach der im Gesetzentwurf vor¬
gesehenen Weise durch das k. Stantsminlsterhim des Innern er¬
lassen werden und dass, wenn überhaupt, möglichst wenig Be¬
stimmungen aus derselben in das Gesetz herübergenommen werden
mögen, und zwar nur diejenigen, welche die allgemeinere Ver¬
pflichtung des Arztes zu gewissenhafter Ausübung seines Berufes
und zu einem standeswürdigen Verhalten in und ausser der Be-
rufstlüitigkeit, sowie die Nichtunterstellnng der politischen, reli-
.giösen oder wissenschaftlichen Ansichten oder Handlungen unter
das ehrengerichtliche Verfahren enthalten.
— Um der in den Ausschussverhandluugen betr. der ii rzt-
liehen Standes- und Ehreugerichtsordnung
wiederholt nufgestellten Behauptung, als stünde hinter den Befür¬
wortern dieser Ministerialvorlage nicht die Mehrzahl der prak¬
tischen Aerzte. ein für allemal die Spitze nbznbreehen, hat die
mittelfränkische Aerztekammer bei ihrer letzten Tagung be¬
schlossen, eine Sammelforschung bei sämmtliehen Aerzten Mittel¬
fraukens zu veranstalten. Das Ergebnis* dieser EnqutHe ist fol¬
gendes: In Mlttelfrnnken beträgt die Zahl der praktischen Aerzte
zur Zeit 365. Keine Auskunft konnte erhalten werden von
27 Aerzten. von denen etwa 18 verreist waren: von den iibrlg-
bleilK*nden 338 haben 329 mit. J a gestimmt.
— Bei den preussischon Aerzten erregt ber«*ehtigtes Aufsehen
der Versuch des Medicinalministers. den Medieinnll>enmton. die
schon dev Judieatur der staatlichen Ehrengerichte entzogen sind,
auch den Ehrengerichten der privaten Standes¬
vereine gegenüber eine Ausnahmestellung zu geben. In einem
Erlasse erklärt es der Minister für empfehlenswerth. dass die ärzt¬
lichen Standes vereine diejenigen Bestimmungen in ihren Satzungen
streichen, nach denen sich die Vereinsohrengeriehtsbarkeit auch
auf die beamteten Aerzte erstreckt. Es ist erfreulich, dass zu¬
nächst die Berliner Aerzte diesen Versuch der Einmischung des
Ministers in rein private Angelegenheiten der Aerzte zurückgewiesen
haben. Der Geschäftsausschuss der Berliner ärztlichen Standes¬
vereine hat folgende Beschlüsse gefasst: 1. Die Beibehaltung der
Elirepgerielitsbarkeit der Vereine ist dringend erforderlich: 2. die
Unterstellung der Medicinalbenmten unter die Ehrengerichtsbarkeit
der Vereine ist nach wie vor geboten: 3. eine behördliche Ein¬
wirkung auf die Verelnssntzungen ist zurtickzuweisen. Auch das
Aerztliche Vereinshlntt verhält sich der Anregung des Ministers
gegenüber entschieden ablehnend. Mit Recht wird dort darauf hin-
gewiesen, welch’ schwere Schädigung cs für beide Tlieile sein
würde, wenn die beamteten Aerzte der Theiinalime am ärztlichen
Vereinsleben entzogen würden.
— In Wien hat sich am 7. November 1. .Ts. eine ärztliche Ver¬
einigung als ..Gesellschaft für innere Med lein“ neu
konstituirt. Hofrath Dr. Nothnagel führte als Präsident der
Gesellschaft, in längerer Rede die Xothwendlgkelt dieser Gründung
aus. Zu Vloepräsidenten wurden die nofrätho Neusser und
v. Sehr ö t t e r. zu Sekretären die Dozenten Herz und Schle¬
singer gewählt. Die neue Gesellschaft hat sich auf der Grund¬
lage des früher bestandenen . Mediciniechcn Club“ gebildet.
- Ein Institut für Lichtthernnie wird in Wien
gegründet werden, ln der letzten Sitzung der Gesellschaft der
Aerzte theilte Prof. T, n n g mit. dass er ln Verbindung mit
mehreren anderen Aerzten und Menschenfreunden nach dem Vor
bilde des F i n s e n’sehen Institutes ln Kopenhagen auch in Wien
ein Institut, für TJchttheranie errichten werde. In erster Linie
sollen hier Lupöse behandelt werden. Das Institut werde nach
seiner Fertigstellung der staatlichen Oberleitung eewissermänssen
als Stiftung übergeben werden. Unter den Stiftern befinde sich
schon der Kaiser, welcher dem Institute 10 000 Kronen ge¬
widmet habe. Diese Mittheilung Prof. L a n g’s wurde sehr bei¬
fällig aufgenommen.
— Aus Anlass des n.merdings erfolgten Auftretens des bös¬
artigen Maul- und Klauenseuche ln einigen Bezirken
Bayerns hat das kgl. Staatsministerium des Innern angeordnet,
dass von dem B a c c e 11 i'sehen Heilverfahren (Infektion eine
Sublimntlösung in die Halsvenel in einzelnen von der bösartigen
Form der Seuche betroffenen Orten, zunächst des Regierungs¬
bezirkes Mlttelfrnnken. mit thunllchster Beschleunigung Gebrauch
gemacht werde.
— Pest. Grossbrttnnnien. Einer Mittheilun<r vom 20. Okt.
zu Folge sind ln Liverpool wegen Pestverdachts 2 Kranke In das
nosnital nuftronommen worden. Tn Glasgow sind zu Folge einer
Mittbellnnr' vom 1. Nov. neuerdings 4 Pesterkrnnkungen. darunter
1 mit tödtltchein Ausgange, festgostellt worden. — Russland. In
Batum sind zu Folge einer Mittheilnng vom 30. Okt. Pesterkrank-
nngon festgestellt worden. — Aegypten. Tn der Zelt vom 18. bis
25. Okt. sind Insgesammt 3 Erkrankungen (1 Todesfall) an der
Pest festgostellt worden, davon 1 (—) In Alexandrien. 1 (1) in
Mit Oamr. 1 (—) in Ziftah. - Britisoh-Ostind'en. In der Präsident¬
schaft Bombay sind in <b>r am 4. Okt. abgelaufenen Woche 9470
Erkrankungen und 0532 Todesfälle an der Pest festgestellt worden,
d. h. 134 mehr bozw. 121 weniger als in der Vorwoche. In der
Stadt Bombay wurden in der am 5. Okt. endenden Woche 187 Er¬
krankungen und 177 Todesfälle an der Pest angezeigt: die Zahl der
pestverdächtigen Sterbefälle betrug 175. die Gesnmmtzahl der
Sterbefälle 875 gegen 912 in der Vorwoche. — Knpland. In der
Woche vom 29. Sept. bis 5. Okt. sind auf der Kaplialbinsel 3
(darunter 1 mit töiltliehem Ausgange) und in Port Elizabeth 4 (3i
frische Pestfälie angezeigt worden: zu den Neuerkrnnkten an letz¬
terem Orte gehört auch die Oberin dos Pesthospitnis. — Queens¬
land. Einer Mittheilung vom 1. Nov. zu Folge ist das Land für
post frei erklärt worden.
— In der 43. Jahreswoclie. vom 20. bis 20. Oktober 1901.
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Digitized by ^.ooQie
1.W; MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 4«.
Sterblichkeit Beim mit 29,3 die* geringste Dessau und Kottbus
mit je 9,0 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als
ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen:
an Masern in Essen; an Diphtherie und Croup in Beuthen. Brom
borg. Königshütte; an Unterleibstyphus in Arnsberg. Düsseldorf.
— In San Beim» wurde am 1. ds. das neu erbaute, unter Lei¬
tung von Dr. Curl Stern stehende Sanatorium ,.Riviera“ eröffnet;
(Hochschulnachrichten.)
Breslau. Das im Staatshaushaltsetat 1901/02 neu¬
geschaffene Extraordiuariat für innere Medicin an der hiesigen
Universität ist dem ausserordentlichen Professor in der medi-
einischen Fakultät Dr. med. Richard Stern übertragen worden,
mit der Maassgabe, die Funktionen eines Direktors der zu er¬
richtenden selbständigen medicinlsehen Poliklinik auszuüben.
Frei bürg i. B. Prof. Willibald Nagel erhielt einen Ruf
nach Berlin als Vorsteher der physikalischen Abtheilung des physio¬
logischen Instituts der Universität, an Stelle des jüngst ver¬
storbenen Professors Arthur K ö n i g.
Halle a. S. Zum a. o. Professor für gerichtliche Medicin
wurde Dr. Z i e m k e - Berlin ernannt.
Kiel. Die an hiesiger Universität neu errichtete Irren¬
anstalt wurde Anfang dieses Semesters ihrer Bestimmung über¬
geben und unter Leitung des Prof. Dr. S i e ra e r 1 i n g der
klinische und poliklinische Unterricht begonnen.
T ii b i n g e n. Prof. Dr. v. Bruns wurde von der Russischen
chirurgischen Gesellschaft Plrogow's zum Ehrenmitgliede ge¬
wählt.
Graz. Der ausserordentliche Professor der Histologie und
Entwicklungslehre an der hiesigen Universität. Dr. Otto D rasch.
Ist zum ordentlichen Professor befördert worden.
Krakau. Habilitlrt: Dr. A. Roche nek für Anatomie:
Dr. F. K r y s t a 1 o w i t s c h für Dermatologie und Syphilis.
Wien. Prof. Englisch. Primararzt der chirurgischen
Abtheilung an der k. k. Rudolfstiftung und a. o. Professor der
Chirurgie, ist in den Ruhestand getreten.
(Todesfälle.)
Dr. A. V 111 a r d , Professor der medic. Klinik an der medi-
cinisclien Schule zu Marseille.
I>r. J. Magaz y Jai me. früher Professor der Physiologie
an der med. Fakultät zu Madrid.
(Berichtigung.) Herr Dr. Feld mann wünscht seiner
auf S. 1ST0 dieser Nummer abgedruckteu Arbeit über einen Fall
von Osteomalacie mit Geschwulstbildung noch beizufügen, dass
einen weiteren, mikroskopisch sehr genau untersuchten Fall der
beschriebenen Art W. S e h ü n e n b e r g e r im 1»>5. Baud von
Virchow’s Arc.iiv publizirt hat.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Johannes Reitz, approb. 1901, in Bogen.
Dr. Max Borgenthal in Miltenberg (Unterfrauken).
Gestorben: Dr. Eduard Reinhard, k. Hofrath, ln Weiden.
Dr. Bernhard Dorsch in Mühlhof, 37 Jahre alt.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheitenfür Mönchen
in der 44. Jahreswoche vom 27. Oktober bis 2. November 1901.
Betheiligte Aerzte 19G. — Brechdurchfall 12 (12*), Diphtherie,
Croup 18 (15), Erysipelas 16 (8), Intermittens, Neuralgia intern.
1 — (2), Kindbettfleber 2 (2), Meningitis cerebrospin. — (1),
i Morbilli 25 (23), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 5 (1), Parotitis
epidem. 4 (3), Pneumonia crouposa 9 (10), Pyaemie, Septikaemie
— (—), Rheumatismus art. ac. 18 (17), Ruhr (dysenteria) — (—),
Scailatina 7 (7), Tussis convulsiva 15 (21), Typhus abdominalis
6 (6), Varicellen 13 (16), Variola, Variolois — (—), Influenza — (3),
Summa 151 (144). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern: August 1 ) und September 1901.
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Bevölkerungsziffem*): Oberbayem l'823,888, Nlederbayera 678’192
Pfalz 831,678, Oberpfalz 663,841, Oberfranken 608,116. Mlttelfranken 816,895, Unter¬
franken 660,766, Schwaben 713,681. — Augsburg 89,170, Bamberg 41,823, Hof 32,781,
Kaizenlautem 48,310, Ludwigshafen 61,914, München 499,932, Nürnberg 261,081,
Pinnasena 30,196, Regensburg 45,429, Würzburg 76,499.
Einsendungen fehlen aus den Aemtem Kötzting, Neustadt a./II., Teusclmitz,
Gunzenhausen, Neustadt a./A., Nürnberg, Hofheim, Königshofen, Würzburg und
Wertingen.
Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet
aus folgenden Aemtem bezw. Orten:
Brechdurchfall: Stadt- und Landbezirke Preising 39, Landsberg 41,
Aemter Mimchen II 39, Altotting 34, Burglengenfeld 33 (hievon ärztl. Bezirk
Schwandorf 29), Augsburg 40 beh. Fälle.
Diphtherie, Croup: Stadt-und Landbezirke Bayreuth 16, Forchheim 14,
ärztl. Bezirke Lenggries (Tölz) 14, Egling (Landsberg) 7 beh. Fälle.
Influenza: Städte Augsburg, München, Nürnberg, Regensburg33, 60sonstige
Bezirke 202 gemeldete Fälle
Kindbettfleber: Bez.-Amt Zusmarshausen und ärztl. Bezirk Kallmünz
(Burglengenfeld) je 3 beh. Fälle.
Morbilli: Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern Wegseheid (in 6 Ge¬
meinden). Germersheim (in Bellbelm, 41 beh. Fälle) und Kothenburga /T (Abnahme
in Sehillingsfürst); ausgebreltcte Epidemie in der Stadt Nördlltigen, 146 beh. Fälle ;
Epidemie ferner in Ochsenflirt, leicht, in Duehatt und in Oberkotzau (Hof).
Stadt- und Laudbezirk Kaufbeuren 32, Bez.-Amt Hersbruck 27 beh. Fälle.
Ruhr, dysenteria: 8 Fälle Im ärztl. Bezirke lfolzkircben (Miesbach).
Searlatina: Stadt Erlangen 19 beh. Fälle, häutiges Vorkommen ln Neu¬
hofen und Rheingönheim (I.udwigshnfen).
Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemien in den Bezirken Alt-
ötting (noch 20 beh Fälle). Laufen (Schulschluss in den Sprengeln Aiehthal und
Neukirchen, in einer Familie ausser den Kindern die beiden Eltern stark befallen),
Mühldorf (noch in 4 Grenzgemeinden), Pfaffenhofen (Rückgang in Pfaffenhofen
und Umgebung), Straubing (im ärztl. Bezirke Sira«skireben), Rothenburg a./T
(Abnahme in Schlllingsfnrst), Donauwörth (beginnende Epidemie in Donauwörth
und Rämnenheim), Memmingen (in Boos, Heimertingen und I.egau nach Masern),
Zusmarshausen (Schulschluss in Streitheim und bayershofen, ferner Epidemie ln
den Schulsprengeln Zusmarshausen und Wollbacb). Epidemisches Auftreten ausser¬
dem in den Aemtern Kbersberg iin Kirchseeon, leicht), München II (ini ärz •
Bezirke Sauerlach), Kusel (in Diedelkopf), Nabburg (Verlegen des Schulbeginn!»
in Sehwarzaeh und Altfalter, ca »/„ der Schulkinder krank), Marktheidenfeld
Mariabrunn): gehäufte Fälle endlich ln Neuburg a./D.; Stadt- und Landbezirze
Freising 21, Bayreuth 89, Amt Zweibrücken 21 beh. Fälle.
Typhus abdominalis: Fortsetzung der Epidemien ln den AMiiero
Kempten (Höhe mit 11 beh. Fällen ln Dletmannsried) und Oberdorf (in wuio
noch 2, im Vormonate 10 beh. Fälle); epidemisches Auftreten ferner ln den
Aemtem Vilshofen (Hansepldemie ln Osterhofen, 7 Fälle), Neuuburg a/W. (6 w
Baue einer Stallung in Thanstein aufgetretene Fälle) und Marktheidenfeld (11 *ä
ln Stadtprozelten). Aemter Naila 6, Zweibrücken 6, Landau i. Pf., Neustaat a<
und Wunsicdel je 4 beh. Fälle.
Varicellen: Häutig ln Pfaffenhofen neben Tussis.
Ferner wird ein Fall von Fleischvergiftung aus Rodalben (Pirmasens)
in Folge Genusses von Fleisch eines kranken Kalbes gemeldet.
Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird am
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehlanzeig
ersucht, wobei anmerkungsweise Mittheilungen über Epidemien erwünscht st ■
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswert!»i, dassi rau
aus der sog Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen ore -
amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern
gezeigt werden.
Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen zu portofreier Mn*®*
düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k.
zti erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. 8 am m e 1 k a r t e n a»
Einzelneinsendungen der Amts- und praktischen Aerzte, welche in
terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle, zusamm engest eu
Je 1 Karte pro Monat nebst allenf&llslgen Bemerkungen über Epidemien ewx
Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht, von Einsendung sog. *a
blättcheu oder Sammelbogen absnsehen. Allenfalls in Händeni
liehe sog. Postkarten wollen aufgebraucht, Jedoch .durch Angabe aer
der behandelten Influenzafälle ergänzt and unter Umschlag «ingesandt wem
•) Definitives Ergebniss der Zählnng vom 1. Dezember 1900. — ») Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 41, 1901) eingelaufener
Nachträge. — *) Im Monat August 1901 einschliesslich der Nachträge 1208. — *) 32. mit 36. besw. 36. mit 39. Jahreswoche.
Verlag von J. F. Le lim am» in München. — Druck von E. Mühllhaler's Buch- und Kimsldruckcrei A.G., München.
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Die Münch. Med. Wochenschr. erscheint wfichentl.
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen.
Preis ln Deutschi. u. Oest.-Uugam vlertelj&brl. 6 JC,
ins Ausland 7.60 Jt~ Einzelne No. 80 -4-
MÜNCHENER
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Ottoatrasse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Cb. Bännler, 0. Bolllnger, H. Curschnann,
Freiburg 1. B. München Leipzig.
No. 47. 19. November 1901.
Herausgegeben von
C. 6erhirtft, 6. Merkel, J. i. Michel, H. i. Rilke,
Berlin. Nürnberg. Berlin. München.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasee 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
F. v. Wlickel, H. i. Zlenssen,
München. München.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der medicinischen Klinik zu Leipzig.
Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre vom
sogen. Fettherzen. 1 )
Von Privatdocent Dr. Carl Hirsch,
v. Assistenten der Klinik.
Wir alle begegnen im täglichen Verkehr sowohl, wie am
Krankenbette einer grossen Anzahl fettleibiger Individuen. Wir
beobachten Fettleibige mit und ohne Herzbeschwerden und wir
sehen, dass körperliche Anstrengungen, akute Erkrankungen bei
Leuten von fetter Konstitution das Herz in verschiedener
Weise beeinflussen. Schon der rein empirisch urtheilende Laie
traut dem Fettleibigen hinsichtlich seines Kreislaufmotors eine
geringere Leistungsfähigkeit zu und betrachtet ihn bei akuten
Erkrankungen für gefährdeter, als den normalen Durchschnitts¬
menschen.
Wenn wir die Herzbeschwerden ins Auge fassen, die den
Fettleibigen zum Arzte führen, so muss der gute Beobachter
ohne Weiteres zugeben, dass dieselben bei verschiedenen Indivi¬
duen — mag der Grad der Fettleibigkeit auch der gleiche sein —
oft wesentlich differiren. Andererseits sehen wir Fettleibige
ohne wesentliche Störungen von Seiten ihres Circulatious-
apparates einem körperlich und geistig anstrengenden Berufe
nachgelien, tanzen, radeln u. s. w.
Am häufigsten kommen Fettleibige zu uns mit Klagen, die
auf eine herabgesetzte Leistungsfähigkeit ihres Herzmuskels
hinweisen. Sie bekommen bei verhältnissmässig geringen An¬
strengungen, beim Treppensteigen z. B., Herzklopfen, Athemnoth
und leichte Schwindelanfälle. Oft hört man die keuchend
hervorgebrachte Klage: „Ach, Herr Doktor, mir vergeht so bald
die Luft.“
Weiterhin beobachten wir Fälle, die wesentlich andere
Klagen haben: Angstgefühle, stenocardiselie Anfälle in den ver¬
schiedenartigsten Schattirungen von den Herzschmerzen bis zur
wahren Herzangst der Angina pectoris, variirend, beherrschen
das Krankheitsbild. Störungen in der Sehlagfolge, in manchen
Fällen schwerste Insufficienzerscheinungen mit Stauung gesellen
sich hinzu.
. In einem kleineren Theile der Fälle treten schwere Ohn¬
machtsanfälle auf, die im ersten Momente manchmal schwer
von apoplektischen Insulten zu unterscheiden sind. Schon der
erfahrene Stokes') hat auf diese Anfälle von Ohnmächten
ohne Lähmungen bei Fettleibigen aufmerksam gemacht, die sich
mit Cheyne-Stokes’schem Athmen und hochgradiger Puls¬
verlangsamung kombiniren können.
Und schliesslich werden wir an das Krankenbett Fettleibiger
gerufen, die das Bild der schwersten Herzinsufficienz, der Ortho¬
pnoe und des allgemeinen Hydrops bieten.
Diese Verschiedenheit der Symptomen-
komplexe bei den Circulationsstörungen der
Fettleibigen weist eindringlich auf eine
Verschiedenheit der ihnen zu Grunde liegen-
') Nach einem ln der Mcdlciuischen Gesellschaft. zu Leipzig am
14. Mal gehaltenen Vortrag.
*) Stokes: Die Krankheiten des Herzens und der Aorta.
Hebers, von Lindwurm. WUrzburg 1853.
No. 47.
den anatomischen Veränderungen hin. So ein¬
fach und logisch dieser Schluss auch erscheint, so ist er leider
noch immer nicht Allgemeingut der Aerzte geworden. Nicht
allein viele ältere, sondern auch viele jüngere Beobachter
glaubten und glauben mit der alten generellen Diagnose des
„Fettherzen s“ alle Erscheinungen einheitlich erklärt.
Wie oft begegnen wir noch der Auffassung, dass mit der Fett¬
leibigkeit eine fettige Degeneration des Herzmuskels
einhergehe, die für die Störungen seitens des Herzens dann ver¬
antwortlich zu machen sei. Man hat für die Richtigkeit dieser
Auffassung häufig die. Autorität von Stokes angerufen. Wer
aber das S t o k e s’sche Buch im Original liest, wird erkennen,
dass Stokes niemals einen so einseitigen Standpunkt ver¬
treten hat und dass — wie wir schon werden — eine Reihe seiner
Fälle von sog. Herzverfettung heute dem Gebiete der Coronar-
sklerose mit Myomalacie zugereelmet werden müssen 3 ).
Mit der Annahme einer fettigen Degeneration des Herz¬
muskels bei Fettleibigen trat dann später in Konkurrenz die
F e t t u m 1 a g e r u n g und Fettdu roh wachs ung dos
Herzens, die schon Lacnncc von der erstcren getrennt wissen
wollte.
Vornehmlich die Arbeiten von Ivisch*) haben in neuester
Zeit die Meinung zu stützen versucht, dass das sogen. Fettherz
lediglich als ein fett-um- und durchwachsenes Herz anzusehen sei.
Es ist das Verdienst E. v. LeydenV'), diesen einseitigen
Erklärungsversuchen gegenüber die Verschiedenheit der
klinischen Erscheinungen eindringlich betont zu
haben. Das „Fettherz“ stellt keinen einheitlichen, präcisen
Begriff dar. Die Verschiedenheit der Symptome setzt auch
eine Verschiedenheit der ätiologischen und anatomischen Mo¬
mente voraus. Und so stellt die Forderung E. v. Leyden’«, den
Begriff des „Fettherzens“ weiter zu fassen, besser von Herz¬
beschwerden der Fettleibigen zu sprechen, einen
wesentlichen Fortschritt dar.
Fragen wir uns nun zunächst: Kann die fettige De¬
generation oder die Fe t t-Um- und D u r eh w a eh s u n g
des Herzens zur Erklärung der von uns skizzirten Symptoinen-
komplexe auch heute noch herangezogon werden?
Was die Kasuistik von Stokes betrifft, so kann sie —
wie bereits angedeutet — heute nicht mehr zur Bejahung dos
ersten Punktes dieser Frage herangezogon werden, da von den
S t o k e s’schen Fällen mit Herzverfettung mehrere als Myo¬
malacie bei Coronarsklerose zu erklären sind. Vor Allem gilt
dies für die Fälle von Herzruptur bei „fettiger Degeneration“.
Wir finden ausserdem die fettige Degeneration als sekundäre
Erscheinung bei den verschiedensten Herzkrankheiten, ferner
") Es gibt wohl kaum ein Buch, das bei seiner Fülle ausge¬
zeichneter Beobachtungen und Gedanken so „ausgeschrieben” wor¬
den Ist, wie die „Herzkrankheiten” von W. Stokes. Andererseits
werden manchmal „neue“ Ansichten mit seiner Autorität zu stützen
versucht, die er selbst niemals mit der Subjektivität und Einseitig¬
keit vertreten hat, wie seine sog. Nachfolger. T r a u b e ist es
übrigens ähnlich ergangen. Die Mahnung Krehl's. mich in
unserer Wissenschaft immer wieder die Quellen zu studiron. kann
daher von gewissenhaften Beobachtern gar nicht ernst genug ge¬
nommen werden.
*) Kisch: Petersburger med. Wocheusehr. 1N05. No. 21. --
Das Mast fett herz. Prag 181*4. — Die Fettleibigkeit. Stuttgart ISSN.
— Prager med. Wochenschr. 1880.
‘) v. Leyden: Zeitsehr. f. klin. Med. V.
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1868
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
nach Infektionen und Intoxikationen, bei perniciöser Anaemie.
Es bleibt das Verdienst Traube’s, darauf zuerst hingewiesen
zu haben. Andererseits hat v. Leyden mit Recht betont, dass
sich die fettige Degeneration in den Herzen Fettleibiger nicht
einmal besonders häufig finde.
Zeigt überhaupt die fettige Degeneration
klinisch charakteristische Symptome? Nach
den neueren anatomischen Untersuchungen dürfen wir diese
Frage verneinen. Die fettige Degeneration steht
in keiner festen Beziehung zu den Leistungen
des Herzens im Leben (Romberg).
Damit stimmt auch das Ergebniss der physiologischen Prü¬
fung der Frage überein. Hasenfeld und Fenyvcssy")
zeigten uns am phosphorvergifteten Thier, dass eine bedeutende
fettige Degeneration mit einer guten Leistung des Herzens sich
vereinigen lässt. Ich selbst habe seiner Zeit über hundert
Menschenherzen mittels der Osmium- und Sudanfärbung unter¬
sucht und dabei häufig höhere Grade fettiger Degeneration an
bis gegen Ende funktionstüchtigen Herzen nachweisen können.
Sümmtliche Fälle meines Materials waren klinisch genau be¬
obachtet T ).
Bei der Phosphorvergiftung, bei der perniciösen Anaemie
mit „Herzverfettung“ beobachten wir ferner auch nicht die
Herzerscheinungen, die uns bei Fettleibigen begegnen. Ferner
erscheint das Versagen des Herzens bei gewissen Infektions¬
krankheiten nach den Untersuchungen von Romberg und
Pässler') als die Folge einer Vasomotorenlähmung und nicht
durch die gleichzeitige fettige Degeneration bedingt.
Auf einen weiteren wichtigen Punkt, der die klinische Ver-
wertlibarkeit der anatomisch festgestellten Herzverfettung beein¬
trächtigt, weist Romberg“) hin: „Wir wissen, dass sich die
fettige Degeneration im Laufe weniger Stunden zu sehr hohen
Graden entwickeln kann und wir können ihr desshalb anatomisch
nicht ansehen, wie lange sie bereits besteht und für welche Er¬
scheinungen sie eventuell verantwortlich gemacht werden kann.“
Und mit Recht betont Krehl ’“), dass sie gerade in den
Fällen, bei denen das meiste von ihr erwartet wurde, oft nur
in geringer Ausdehnung zu finden sei. Ich erinnere nur an
den Chloroformtod.
Die Lehre von der fettigen Umwandlung ist noch lange
nicht abgeschlossen. Ist sie überhaupt ein Zeichen dos wirk¬
lichen Unterganges der Zelle?
Nach den neuesten Untersuchungen von Mi esc her, Hans
Meyer, Iloseufeld u. A. scheinen unsere gegenwärtigen
Anschauungen wesentlicher Modifikationen und Einschränkungen
bedürftig. So zeigt uns Miescher“). dass bei dem Itheinlachs
in der Zeit, wo sich die Geschlechtsorgane des Fisches entwickeln,
die Muskeln unter dem Bilde der fettigen Entartung schwinden,
um das Baumaterial für die Eierstöcke abzugeben. Es handelt
sich aber dabei keineswegs um einen vollständigen Zerfall der
Muskulatur. Mies c li e r glaubt vielmehr, dass keine einzige
Muskelfaser wirklich zu Grunde gehe. Die Muskelfaser verarmt
nur an Protoplasma und kann sich später wieder erholen.
Die fettige Degeneration erscheint also hier
nicht als ein Zeichen für den Untergang der
M u s k e 1 z e 11 e, sondern lediglich als eine F o 1 g e
der Störung der chemischen Funktion
Damit stimmen auch die interessanten Uutersuchungsergeb-
nisse von lt o s e n f e 1 d ’*) überein. Neben der lokalen Entstehung
von Fett aus dem Eiweiss der Zelle erscheint die Fetteinwanderung
in die Zelle aus den sogen. Fettdepöts, das Liegenbleiben unver¬
brannten Fettes von Bedeutung. Wenn die Muskelzelle des Herzens
in ihrer Funktion geschädigt ist, dann vermag sie das Fett nicht
mehr zu oxydireu, es kommt zu Fettauhiiufung, die dann mehr als
die Folge, denn als Ursache der Degeneration und Herzschwäche
erscheinen muss.
*) Hasenfeld und Fenyvessy: Berl. klin. Wochensclir.
1899.
’) Carl Hirsch: Ueber die Beziehungen zwischen dem Herz¬
muskel und der Körpermuskulatur u. s. w. Deutsch. Arch. f. klin.
Med. Bd. 04, p. 1(51.
*) Itomberg und Pässler: Deutsch. Arch. f. klin. Med.
Bd. 64.
’) Romberg: Herzkrankheiten in Ebstein und Schwalbe's
Handbuch.
Krehl: Nothuagel's Sammelwerk Bd. XV.
”) Miescher: Ilisto-ehem. u. physiol. Arbeiten. iAüpzig
1897.
“) Wer sich über diese und andere Fragen des Stoffwechsels
eine übersichtliche Darstellung wünscht, dem sei Fr. Mülle r's
klassische Abhandlung: „Einige Fragen des Stoffwechsels und der
Ernährung“ dringend empfohlen. Saminl. klin. Vorträge No. 272.
’*) Rosenfeld: Zeitschr. f. klin. Med. XXVIII und XXXVI.
Interessanter Weise liegen die Verhältnisse beim Rheinlachs
so, dass die Muskelfasern bei der fettigen Degeneration nicht zu
Grunde gehen, sondern dass die Fettanhäufung in den Zellen
verschwindet, sobald nach der Laichzeit eine kräftigere Bewegung
und dadurch eine bessere Durchblutung der Muskel statttindet
(Miescher).
Andererseits zeigt sich ln vollständig abgestorbenen Zellen
keine fettige Degeneration: in verkästen Tuberkellnfarkten ist
in den abgestorbenen Zellen kein Fett nachweisbar. Es findet
sich nur am Rand und in den wohl geschädigten, aber nicht ab¬
gestorbenen Zellen.
Auch wies Marchand gerade in der Fettleber nach Phos-
pliorvergiftung noch gute Kernfärbung nach. Es ist also auch
hier durchaus fraglich, ob die fettig degenerirten Leberzellen
wirklich zu Grunde gehen.
Wenn neuerdings Hasenfeld’ 4 ) gezeigt hat, dass bei hoch¬
gradiger Phosphorvergiftung die Herzkraft nachlässt, so bleibt die
Frage offen, ob daran die fettige Degeneration an sich oder die
von H. Meyer 11 ) dabei nachgewiesene Unfähigkeit der Zellen,
den für ihre Thätigkeit nothwendlgen Sauerstoff aufzunehmen,
Schuld ist.
Vielleicht lässt sich auch die herabgesetzte Leistungsfähigkeit
des verfetteten Herzens bei schweren Anaemien in Folge Sauer¬
stoffmangels des anaemischen Blutes erklären (Komberg '*).
Die fettige Degeneration kann also heute nicht mehr als
die Ursache des sogen. Fettherzens angesehen werden. Ihre Be¬
deutung ist überhaupt noch eine fragliche.
Wichtiger erscheint die Frage, ob nicht gewisse Verände¬
rungen des Stoffwechsels, die zur Verfettung führen, in anderer
Weise eine funktionelle Schädigung des Herzmuskels her-
beifiihrcn können.
So erscheint vielleicht die eigentümlich matschige Be¬
schaffenheit gewisser Herzen von Fettleibigen von Bedeutung.
Schon Stokes 11 ) hat darauf hingewiesen und über die inter¬
essanten Beobachtungen von 0 rmerod") berichtet. „Die
Fibrillen sind abnorm kurz und mürbe — eine Eigenschaft, die
vielleicht wichtiger ist, als die wirkliche fettige Degeneration“.
Diese Beobachtungen sind vielfach bestätigt worden; auch
ich habe mehrere solcher mürber, schlaffer Herzen gesehen.
Wir fragen nun weiter: Kann der eine oder andere Sym-
ptomenkomplex des sogen. Fettherzens erklärt werden durch die
sogen. Fett -Um- und Durchwachsung?
Ich habe schon auf die Arbeiten von Kisch hingewiesen,
die darzuthun versuchten, dass das fett-um- und durchwachsene
Mastfettherz das Fettherz kat’ exochen darstelle.
Dass diese Auffassung nicht richtig ist, habe ich in einer
früheren Arbeit ausführlich dargelegt “'). Die Fctt-Um- und
Durchwaclisung kann nicht die wichtigste Ursache der vermin¬
derten Leistung des Herzens sein, denn sie findet sich im
höchsten Maasse auch bei Menschen entwickelt, die nie Erschei¬
nungen von Herzschwäche gezeigt haben und sie kann bei Fett¬
leibigen fehlen, deren Herz insufficient war.
Ich habe 2 Fälle von vollständig fettdurchwachsenem rechten
Ventrikel beobachtet, ohne dass Im Leben eine Schwäche desselben
bestanden hätte. Bei entsprechender ruhiger Lebensweise hatte
die hochgradig reduclrte Muskulatur vollständig zur Aufrecht¬
erhaltung des Kreislaufes ausgereicht. Aehnliche Fälle haben
v. Leyden, Leube, R o m b e r g u. A. beobachtet.
Wir sehen ferner häufig eine ausserordentlich starke Fett¬
ablagerung am Herzen bei Carcinomatösen, kachektischen Per¬
sonen (bis zu 50 Proc. des Herzgewichtes!), ohne dass dieselben
ähnliche Herzerscheinungen bieten, wie Fettleibige.
K i s c h’s Lehre steht aber auch mit der Thatsache in Wider¬
spruch, dass die Fett-Um- und Durchwachsung meist vorwiegend
am rechten Ventrikel angetroffen wird, während klinisch bei Fett¬
leibigen gerade die Schwäche des linken Ventrikels in den
Vordergrund tritt. Der Fettleibige ist meist lange Zeit dys-
pnoisch gewesen, ehe sich Erscheinungen venöser Stauung
geltend machen.
Demnach kann uns auch die Fett-Um- und
Durchwachsung keine befriedigende Erklä¬
rung für die Herzerscheinungen bei Fett¬
leibigen geben.
’ 4 ) Ha senfe Id: Ueber die Leistungsfähigkeit des fettig
entarteten Aorteninsufficienzherzens. Berl. klin. Wochenschr.
1900, pag. 1158 ff.
ll ) H. Meyer: Arch. f. experliu. Pathologie XIV.
’°) R o m b e r g: 1. c.
”) Stokes: 1. c.
’*) Cit. bei Stokes.
’*) Hirsch: Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 64.
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1869
Die Erörterung der Adipositas eordis aber führt uns weiter
zu der wichtigen Frage, wie verhält sich die Masse
der Herzmuskulatur beim Fettleibigen?
Diese Frage hat 9ich schon der ausgezeichnete Stokes vor¬
gelegt und er vermuthete, dass das Herz vieler Fettleibiger ab¬
norm klein und schwach sein müsse.
Traube'*) unterschied dann auf Grund klinischer Er¬
fahrungen Fettleibige mit leistungsfähigem und solche mit
einem schwachentwickelten Herzmuskel: „es gibt zwei ganz ver¬
schiedene Arten von fetten Menschen, solche mit kräftiger Mus¬
kulatur, gesunder Hautfarbe und solche mit gedunsenem Gesicht,
schwacher Muskulatur, wie sie in der Volkssprache heissen:
„Aufgeschwemmte“.
Auf die Abhängigkeit des Herzmuskels von der verschiedenen
Entwicklung der Körpermuskulatur wiesen uns ferner die Ergeb¬
nisse der vergleichend-anatomischen Untersuchungen hin.
Schon Robinson J1 ) fand bei muskelstarken wilden
Thieren einen kräftigeren besser entwickelten Herzmuskel, als
bei muskelschwachen, fetten resp. gezähmten Thieren. Diese Be¬
funde R o b i n s o n’s fanden eine weitere Bestätigung durch aus i
der Schule Bollingcr’s hervorgegangene ausgezeichnete Ar¬
beiten von Bergmann") und P a r r o t**).
Bergmann fand bei fetten, gemästeten Thieren ein klei¬
neres Herz als bei frei lebenden. Auch bei Thieren derselben
Gattung zeigte sich die Masse des Herzmuskels abhängig von
der Muskelarbeit des Individuums resp. von der Entwicklung
seiner Körpermuskulatur.
Verhältnis« des Herzgewichts zum Körpergewicht (nach
Bergmann).
beim Menschen .1:170 Mann
1:183 Frau
,, Schwein.1 :220
„ Rind.1:193
„ „ kastrirt .... 1 :258
„ Hasen.1 : 132—140
„ Reh.1:86!
Parrot fand dann in gleicher Weise bei fetten Vögeln ein
muskclschwaches, bei mageren resp. muskelstarken ein muskel¬
starkes Herz.
Diese Unterschiede in der Massenentwicklung des Herz¬
muskels müssen sich auch in einer verschiedenen Leistungs¬
fähigkeit kundgeben. Wem wäre dieser Unterschied nicht auf
komische Weise klar geworden, wenn er z. B. einen dicken, fetten
Mops einem Jagdhund nachsetzen sah?
Ueber das Verhalten des Menschenherzens in dieser Hinsicht
habe ich in einer früheren Arbeit S4 ) ausführlich berichtet. Die
Herzwägungen beim Menschen ergaben eine prinzipielle Ueber-
einstimmung mit den Befunden am Thierherzen.
Dieser bestimmende Einfluss der körperlichen Arbeit auf die
Entwicklung der Ilerzmasse zeigt sich übrigens schon bei den
von W. M ü 11 e r ”) gewonnenen normalen Durchschnittswerthen.
Bei gleichem Körpergewicht hat der muskelkräftigere Mann
immer ein muskulöseres Herz als die muskelschwächere fettere
Frau.
Körpergewicht
in kg
Rechter 1
Ventrikel
Linker
Ventrikel
Septum
1. Män
n e r:
30 40
40,4
75,7
54,7
40-50
47,1
84,5
63,2
50- 60
55,6
103,4
73,9
60 -70 |
61,6
120,7
84,1
70-80 !
66,1
131,3
90,5
2. Woi
b er:
30—40
37,7
66,8
50,4
40-50
41,9
79,9
57,5
50-60
49,7
92,7
65,9
60-70
56,5
97,4
75,7
Traube: Die Symptome der Krankheiten des Kespira-
tions- und Oirculationsapparates. Berlin 1867.
=1 ) R o b i n s o n: A dissertation ou the food and discharges of
human bodies. London 1748.
--) Bergmann: lieber die Grösse des Herzens bei Menschen
und Thieren. I.-I».. München 1884.
“) Parrot: Ueber die Grössen Verhältnisse des Herzens bei
Vögeln. Zool. Jahrbücher, Abth. f. Systematik, Bd. VII, 1894,
p. 496 ff.
”) Hirsch: L c.
Nicht die Körpermasse als solche, sondern
die Entwicklung der K ö r p e r m u s k u 1 a t u r hat
einen bestimmenden Einfluss auf die Ent¬
wicklung des Herzmuskels.
Es ist ja ohne Weiteres klar, dass die Fettmasse des Körpers
nicht in der gleichen Weise die Herzarbeit erhöht, wie sie das
Körpergewicht des Individuums steigert. Dabei führt sie zum
Phlegma. Viele Fettleibige scheuen jede anstrengendere Be¬
wegung.
Bei Fettleibigen erreichten die von mir festgestellten Herz-
gewichte nur V. oder s / 4 des dem betreffenden Körpergewicht
zukommenden normalen Herzgewichtes.
Diese geringe Entwicklung des Herzmuskels, der seine Ab¬
magerung — nach dem treffenden Ausdruck des verstorbenen
August Schott — hinter seiner dicken Fetthülle verbirgt, ist
nun auch für die klinische Auffassung von dem sogen. Fett¬
herzen von ausschlaggebender Bedeutung.
Das muskelschwache Herz ist eben den Anforderungen des
täglichen Lehens weit weniger gewachsen. Der Kreislaufsmotor
des Fettleibigen arbeitet unter der steten Gefahr der Ueber-
lastung. Die abnorm grosse Körpermasse stellt besonders grosse
Anforderungen an seine Leistungsfähigkeit. Bedarf doch der
Fettleibige zu jeder Bewegung einer grösseren Anstrengung als
der normale Durchschnittsmensch.
Diese Abhängigkeit der Masse des Herzmuskels von der ver¬
schiedenen Entwicklung der Körpermuskulatur stimmt auch mit
der schon von T raube") hervorgehobenen Thatsache überein,
dass muskelstarke Fettleibige, die auch über ein kräftiges
Ilerz verfügen, das Gewicht ihres fetten Körpers mit weit ge¬
ringeren Beschwerden ertragen, als die muskelschwachen, auf-
geschwemmten Fettleibigen.
Die Ursache der Herzinsuff icienz muskel¬
schwacher Fettleibiger muss also vor Allem
in einem Miss Verhältnis« zwischen Herz¬
muskel und Körpermuskulatur gesucht werden.
Wird dagegen das Herz eines muskelstarken Fett¬
leibigen insufficirt, dann müssen wir an anatomische oder funk¬
tionelle, mit der Fettleibigkeit nicht unmittelbar zusammen¬
hängende Ursachen denken. Wir erinnern uns dann vor Allem,
dass der Fettleibige erfahrungsgemäss in her¬
vorragendem Maasse für die Coronarsklerose
disponirt erscheint.
Wir haben schon hervorgehoben, dass mehrere Fälle der
Kasuistik Stokes’ in diesem Sinne gedeutet werden müssen.
Wir werden daran erinnert werden, sobald Fettleibige über
subjektive Sensationen, Herzangst, stenocardische Anfälle klagen.
In einzelnen Fällen findet sich auch chronische Myo-
carditis an den Herzen Fettleibiger.
Dagegen weisen die seltenen Fälle von schweren Ohnmachts¬
anfällen, sog. Ohnmächten ohne Lähmungen, auf arterio¬
sklerotische Veränderungen der Ilimgefässe hin. Leich¬
tere Ohnmachtsanfälle beobachten wir aber auch bei anaemischen
Fettleibigen.
Das häufige Zusammentreffen von F ettleibigkeit und
Arteriosklerose bedarf keiner besonderen Begründung.
Für das Zustandekommen beider Zustände dürfen wohl häufig
die gleichen Ursachen verantwortlich gemacht werden: Alkoholis¬
mus und Schlemmerei. In diesem Sinne geben wir K r e h 1 :T )
Recht, wenn er die Arteriosklerose auch als eine Krankheit der
Kultur bezeichnet.
In neuester Zeit hat v. Noorden“) die Ansicht aus¬
gesprochen, dass gewisse Formen von Fettleibigkeit zur Herz-
hypertrophie führen können; er hat dabei speziell die plethorische
Form des muskelstarken Fettleibigen im Auge. Ich möchte dem
gegenüber betonen, dass die Fettleibigkeit als solche in keinem
Falle zur Herzhypertrophie führen kann. Das muskelstärkere
Herz des muskelstarken Fettleibigen mag auf den ersten Blick
im Vergleich mit dem schwachentwickelten Herzmuskel eines
muskelschwachen Fettleibigen hypertrophisch erscheinen. Die
genaue Wägung aber wird zeigen, dass jedes Herz der Ent-
■'-) W. Müller: Die Masseuverhältnisse des menschlichen
Herzens. Hamburg 1883.
Traube: 1. c. und Beiträge zur Pathologie und Physio¬
logie, Berlin.
JI ) Krehl ln v. Mering’s Lehrbuch der Inneren Medicln.
Jena 1891.
*•) v. Noorden: Fettsucht, in Nothnagel’s Sammelwerk.
1 *
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1870 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47.
wicklung der Körperrnusculatur des betreffenden Individuums
entspricht.
Finden wir aber bei einem robusten, muskelstarken Fett¬
leibigen ein durch die Wägung sichergestelltes hypertrophisches
Herz, dann dürfen wir die Ursache nicht in der Fettleibigkeit,
sondern in Komplikationen suchen. Dass wir die sog. Plethora,
deren Existenz ich durchaus nicht leugnen will, nicht ohne
Weiteres als Ursache einer Herzhypertrophie anerkennen können,
habe ich bereits früher nachgewiesen.
Die Ursache der Herzhypertrophie bei Fett¬
leibigen muss entweder in einer gleichzeitig bestehenden
Arteriosklerose oder insbesondere bei fetten Bier-
siiufern in Nierenveränderungen gesucht werden.
Speziell die Annahme einer Arteriosklerose der Splanch-
n i c u s g e f ä s s e kommt hier in Betracht. Die Anamnese
eines fetten Schlemmers weist ja besonders dringlich auf eine
Plethora abdominalis, d. h. auf eine häufige Ueberladung der
Bauchgefässe hin.
Nur die genaueste Analyse des einzelnen Falles kann die
vielfach noch so verworrenen Vorstellungen von dem sog. Fett¬
herzen klären.
Hinsichtlich der Symptomatologie und kli¬
nischen Diagnose möchte ich noch einige Punkte
hervorheben.
Es ist vor Allem auf eine sorgfältige Anamnese zu achten.
Wir fragen den Patienten: Sind Ihre Herzbeschwerden all¬
mählich bei gewohnter Lebensweise oder mehr plötzlich nach
aussorgewöhnliehen Anstrengungen aufgetreten? Das Moment
der funktionellen Schädigung des Herzmuskels durch Ucber-
anstrengung spielt hier bei dem so schwach entwickelten Herzen
des muskelsctiwaehen Fettleibigen eine grosse Rolle. So be¬
richtet Oertel uns von 2 fetten Damen, die durch Aufsteigen
auf das hohe Trittbrett des Eisenbahnwagens eine vorüber¬
gehende Herzschwäche acquirirten. Nächst der Ueberan-
strengung erscheinen weiterhin als schwächende Momente
Ernährungsstörungen von Bedeutung (Magendarm¬
katarrhe, unzweckmässige Diabetes- und Entfettungskuren, ab¬
gelaufene Infektionskrankheiten).
Die Mahnung Romberg’s, bei Fettleibigen stets folgende
Fragen zu entscheiden, kann nicht streng genug befolgt werden:
1. Sind die Beschwerden Folgen von Herz-
s e h w ii c h e ?
2. W e n n d i e s der Fall, b e r u h e n s i o n u r au f
dem Missverhältnis» zwischen Herz kraft und
Körpermasse oder zeigt das Herz auch Er¬
scheinungen einer anatomisch e n Erkrank¬
ung oder funktionellen Schädigung ?
Erst nach Beantwortung dieser Fragen kann der Kurplan
entworfen werden.
Bei beginnender Herzinsufficienz fallen uns Arbeitsdyspnoe
schon nach geringer körperlicher Anstrengung, leichter Schwindel
oder gar Ohmnachtsanfiille auf; der Puls ist meist sehr weich.
Insbesondere bei Ohnmachtsanfällen ist festzustellen, ob die¬
selben lediglich auf Herzschwäche bei einem anaemischen Fett¬
leibigen oder auf arteriosklerotische Veränderungen zurückzu¬
führen sind.
Fälle mit erhöhter arterieller Spannung erscheinen auf
Arteriosklerose oder Nephritis verdächtig. Fette Anae-
mische, Chlorotisehe und Neurastheniker
haben manchmal Klagen, die den soeben geschilderten ähnlich,
aber gewöhnlich leicht davon zu unterscheiden sind. Bekommen
derartige Leute aber starke Dyspnoe, kleinen Puls, dann muss
gleichfalls an beginnende Herzinsufficienz gedacht werden. Ins¬
besondere bei fetten Frauen und Neurasthenikern beobachtet man
manchmal vorübergehend aussetzenden Puls, ohne dass dabei
eine anatomische oder funktionelle Schädigung des Herzens
nachzuweisen Ft.
2 Fülle meiner Beobachtung gehören hierher:
30 jährige Frau, nach «lern dritten Puerperium sehr stark ge¬
worden. Anaemisch. Nach geistiger und körperlicher Anstrengung
leicht Dyspnoe uml geringer Schwindel. Puls aussetzend.
Ausser starker Anaemie nichts nachweisbar. Bei Eison-
therapie und vorsichtiger (iymnastik schwinden siimmtlieho Er¬
scheinungen.
3ü jähriger corpulenter Kaufmann. Starker Raucher. Neur¬
astheniker. ln letzter Zeit Opprcssionsgefühl. ..Herzschmerzen",
zeitweise Anfälle, die an steuokardische erinnern. Puls häutig
aussetzend.
Objektiv am Herzen nichts nachweisbar.
Nach Rauchverbot und vorsichtiger Behandlung der Neur¬
asthenie schwinden siimmtllehe Heizerscheinungen, auch die Un¬
regelmässigkeit des Pulses.
Hinsichtlich der Untersuchung des Herzens ist
hervorzuheben, dass die Perkussion bei dem Fettpolster
häufig sehr schwer ist und dass ihre Resultate nicht ohne Weiteres
verwerthbar sind.
Dio Herzdämpfung erscheint nämlich häufig verbreitert.
Diese Vergrösserung der Herzdämpfung kann aber lediglich
durch Fettablagerung (Mediastinum, Pericard, Bauch) und
durch Hochstand des Zwerchfells bedingt sein. Schon Traube ’)
hat dio Bedeutung dieser Momente hervorgehoben. Durch die
Entwicklung des Bauchfettes besonders wird das Zwerchfell in
die Höhe gedrängt und dadurch der Brustraum verengt. Die
Inspiration findet einen grösseren Widerstand in der Spannung
des Zwerchfells und der Bauchdecken. Der Fettleibige hat häutig
starken Meteorismus.
So erklärt es sich auch unschwer, warum bei manchen Fett¬
leibigen die Dyspnoe in der Nacht beim Liegen oder nach reich¬
licher Abendmahlzeit stärker wird.
Erscheint die Herzdämpfung betleutend nach rechts ver¬
breitert, dann dürfen wir mit Rücksicht auf die obengenannten
Verhältnisse nicht ohne Weiteres eine Herzschwäche des rechten
Herzens diagnostiziren. Die letztere ist erst sichergestellt, wenn
Stauung im venösen Körperkreislauf besteht. Es ist dabei
vor Allem auf Cyanose und auf Schwellung
der Leber zu achten.
Fassen wir nun nochmals die Leitsätze zusammen, die uns
bei der Beurtheilung der Herzbeschwerden Fettleibiger »mass¬
gebend sein sollen. Es sind folgende:
1. Ein Fettherz als Krankheit s u i gencris
gibt es nicht. Wir stimmen v. Ley d e n voll¬
ständig bei, wenn er die Bezeichnung „F c t t -
herz“ durch „H erzbesch werden Fettleibiger“
ersetzt wissen will.
2. Diese Herzbeschwerden sind verschie¬
dener Art und haben verschiedene Ursachen.
3. Treten bei einem jüngeren m u s köl¬
sch w a ch e n Fettleibigen (etwa unter 40 Jahren) E r-
schein ungen von Herzschwäche auf, so müssen
wir zunächst daran d e n k en, dass dieselbe
durch das Missverhältniss zwischen Körper-
müsse und Herzkraft bedingt sein kann.
Dabei muss aber insbesondere durch eine
genaue Anamnese festgestellt sein, dass keine
Anhaltspunkte für die Annahme einer Coro-
narsklerose oder einer schweren funktio¬
nellen Schädigung bestehen.
4. Bei muskelstarken Fettleibigen (auch
jüngeren Individuen) mit Herzinsufficienz
muss in erster Linie an das Vorhandensein
anatomischer oder schwerer funktioneller
Schädigungen gedacht werden.
Es sind vor Allem die Arteriosklerose,
insbesondere Coronarsklerose, Nieren Ver¬
änderungen, Arteriosklerose der Splanch-
nicusgefässe und chronische Myocarditis in
Betracht zu ziehen.
Unter diesen im Einzelfalle oft recht schwierigen und kom-
plizirten Verhältnissen wird die Prognose ein Prüfstein
sein für das diagnostische und therapeutische Können des Arztes.
Der Schematismus hat gerade bei der Behandlung des sog. Fett¬
herzens oft recht grossen Schaden angerichtet.
Beruht die Störung der Herztliätigkeit ausschliesslich auf
einem Missverhältnis» zwischen Körpermasse und Herzkraft,
dann wird in vielen Fällen bei geeigneter Behandlung eine
Heilung möglich sein. Schwerere Iusufficienzcrseheinuugen
müssen freilich auch hier mit grosser Reserve beurtlieilt werden.
Schwerere Anfälle von Angina pectoris geben bei Fett¬
leibigen im Allgemeinen eine sehr ernste Prognose.
Die Herzbeschwerden muskelstarker Fettleibiger müssen
nach den jeweiligen Komplikationen beurtlieilt werden. In man¬
chen Fällen von schwerer Herzinsufficienz ist eine genauere
- t j' r a u b e: 1. e.
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19. November 1901.
MUENOHENER MEDIOINI8CJHE WOCHENSCHRIFT.
1871
Diuguose anfangs nielit selten unmöglich. Diagnose und Pro¬
gnose werden dann erst an dem Erfolg oder Misserfolg einer
vorsichtig eingeleiteten Therapie gemacht werden können.
Ich komme zur Besprechung der Therapie. In dem
Glauben, dass das sog. Fettherz lediglich durch die Fettsucht
bedingt werde, sieht man vielfach in einer Entfettungskur die
Erfüllung der Indicatio causalis. Es kann gar nicht genug vor
einer derartigen schematischen Auffassung gewarnt werden.
Die Berechtigung dieser Warnung ergibt sich ohne Weiteres
aus meinen Ausführungen.
Wir müssen streng unterscheiden zwischen Fettleibigen mit
leistungsfähigem und solchen mit geschwächtem
Herzmuskel. Eingreifende Entfettungskuren eignen sich aus¬
schliesslich für die Ersteren. Bei beginnender Herzmuskel-
insufficienz ist daher zunächst vor Trinkkuren in Marienbad,
Taiasp, Karlsbad dringend abzurathen. Handelt es sich ledig¬
lich um eine Herzinsufficienz in Folge eines Missverhältnisses
zwischen Körpermasse und Herzmuskel, dann ist vor Allem eine
vorsichtig geleitete Uebungstherapie mit gewissen diä¬
tetischen Vorschriften angezeigt.
Wir suchen den weiteren Fettansatz zu verhüten und den
Herzmuskel systematisch durch körperliche Bewegung zu kräf¬
tigen. Man überhaste sich aber nicht bei der Therapie. Terrain¬
kuren/ Radfahren, die insbesondere bei Laien so hoch im Ansehen
stehen, sind bei der Herzschwäche Fettleibiger zu verbieten.
Dnreh derartige Kuren werden vielfach die grössten Verwüst¬
ungen angerichtet.
Das Prinzip der allmählichen Anpassung, der Uebung muss
bei 'der Herzgymnastik für uns leitend sein. Die Muskelübung
muss daher dosirbar, dem einzelnen Falle jeder Zeit angepasst
werden können. Für den Anfang der Behandlung erscheinen
kohlensäurehaltige (sogen. Nauheimer) Bäder angezeigt. Werden
dieselben gut vertragen, dann geht man zur Widerstands¬
gymnastik (am besten abstufbar in ihren Widerständen
sind die Z a n d e r’schen Apparate) über.
Digitalis, Strophanthus, die man auch in diesen Fällen noch
häufig verordnen sieht, haben keinen Zweck. Die häufige Wir¬
kungslosigkeit dieser Mittel bei muskelschwachen Fettleibigen
ist übrigens dem Erfahrenen bekannt.
Tritt eine Besserung der Herzkraft ein, dann kann mit der
Kräftigung des Herzmuskels durch die Gymnastik eine Ver¬
minderung des Körperfettes einhergehen. Dieselbe
ist ja heutzutage ohne wesentliche Störung des Eiweissbestandes
zu erreichen.
Gemilderte Karlsbader, Marienbader oder Tarasper und Hom-
1 Minier Kuren können dann angewandt werden. Bei jedem Ver¬
dacht auf eine anatomische oder fuuktionelle Schädigung des Herz¬
muskels sind jedoch auch diese leichten Kuren zu unterlassen.
Bei Fettleibigen, deren Fettansatz auf eine Anomalie
des Stoffwechsels zurückgeführt werden muss, sei man
mit Nahrungsbeschränkung ganz besonders vorsichtig. Von der
Anwendung von Schilddrüsenpräparaten bei Fettleibigen mit
Herzbeschwerden möchte ich abrathen. Zu verwerfen ist weiter¬
hin die seit O e r t e 1 so beliebte forcirte Beschränkung der
Flüssigkeitsaufnahme.
Wesentlich anders sind die therapeutischen Maassuahmen
bei muskelstarken Fettleibigen, deren Herz inmitten kör¬
perlicher Thätigkeit insufficient wird.
Hier tritt die Frage nach anatomischen oder funktionellen
Läsionen des Herzmuskels in den Vordergrund. Es erscheint
daher vor Allem eine Beschränkung der körperlichen Thätigkeit,
in schweren Fällen absolute Ruhe geboten. Das Gleiche gilt für
alle Fälle, in denen die Herzinsufficienz bei Coronarsklerose, nach
Ueberanstrengung, im Anschluss an Infektionskrankheiten auf-
tritt.
Es gilt hier vor Allem die Ursache der Herzinsufficienz zu
ergründen, um möglichst bald zur Erfüllung der Indicatio cau-
sulis zu gelangen. So kann man sich bei der Coronarsklerose
von einer konsequent durchgeführten Jodbehandlung in ein¬
zelnen Fällen Erfolg versprechen.
Einer besonderen Besprechung bedarf das Kontingent der
fetten Biersäufer. In der Mehrzahl der Fälle handelt
es sich um muskelschwache, aufgeschwemmte Individuen. Solche
Leute trinken viel, essen wenig und schlafen lange. Insbesondere
unter den Studenten begegnet man häufig diesem Typus.
Bei dem bequemen Leben kommt es zur Fettanhäufung und
schliesslich zur Ausbildung eines Missverhältnisses zwischen
Vo <7
Herzmuskel und Körpermasse. . Es gelten daher für sie im All¬
gemeinen die früher besprochenen Indikationen. Daneben ist
der Bierkonsum möglichst einzuschränken und bei der unzu¬
reichenden Ernährung für eine bessere regelmässigere Ernährung
zu sorgen. Schon Aug. Schott hat auf derartige Fälle auf¬
merksam gemacht, wo bei Fettleibigen der Herzmuskel leistungs¬
fähiger wurde, obgleich das Körpergewicht zunahm.
In einzelnen Fällen sieht man schon nach Einschiebung
eines reichlicheren Frühstückes eine Besserung des Befindens ein-
treten. Ich halte es für besonders wichtig, darauf hinzuweisen,
da wir gerade bei uns in Deutschland viele Menschen den ganzen
Vormittag thätig sehen, nachdem sie früh nur eine Tasse Kaffee
und ein Brödchen genossen haben.
Was die sogen, „plethorischen“ Fettleibigen be¬
trifft, die neben Arteriosklerose einen erhöhten Blut¬
druck haben, so ist bei denselben stets an die Möglichkeit
einer Splanchnicusarteriosklerose zu denken. Bei ihnen bewährt
sich neben der Einschränkung der Schlemmerei und des Alko¬
holismus oft (insbesondere bei abdomineller Stauung) eine sehr
vorsichtig geleitete Trinkkur in Karlsbad, Marienbad oder Tarasp.
Bei gleichzeitigen Magenstörungen wird Kissingen gut vertragen.
Es wäre wünschenswerth, wenn sich die Aerzte an diesen
Orten mehr noch als bisher mit fettleibigen Herzkranken be¬
fassten, denen jeglicher Schematismus von Schaden sein kann.
Ich würde es als einen grossen Fortschritt betrachten, wenn man
an diesen Kurorten auch einer sorgsam individualisirenden Be¬
handlung der Fettleibigen mit Herzbeschwerden sich zuwenden
würde, die ja naturgemäss eine ganz andere sein muss, als die
der gewöhnlichen Fettleibigen mit leistungsfähigem Herzmuskel.
Für Fettleibige mit Gicht und Diabetes kommt — falls
es der Zustand des Herzens erlaubt — in erster Linie Karlsbad
in Betracht.
Anaemische Fettleibige bedürfen zunächst der
Ruhe und der Eisentherapie, ehe ein eingreifenderes Verfahren
versucht wird.
Die Fettleibigen mit schweren Insufficienz-
erscheinungen sind selbstverständlich der Ruhe bedürftig.
Bei ihnen muss jeder Entfettungsversuch zunächst unterbleiben.
Digitalis kann versucht werden, versagt aber auch hier oft.
Handelt es sich um Biersäufer, dann ist der Bierkonsum ein¬
zuschränken. Bessert sich die Leistungsfähigkeit des Herz¬
muskels, dann kann später vorsichtig eine langsame Entfettung
eingeleitet werden. Nehmen aber die Insufficienzerscheinungen
zu, dann versuche man keine diätetische Kur mehr.
Ich bin am Schlüsse meiner Darstellung. Ohne mich der
Anführung eines Gemeinplatzes schuldig zu machen, darf ich
wohl sagen, dass das „qui bene diagnoscit, bene mede-
b i t u r!“ und das nil nocere ganz besonders bei der Be¬
handlung der Fettleibigen mit Herzbeschwerden dem Arzte
gegenwärtig sein muss.
Aus der medicinischen Klinik in Giessen
(Geheimrath Professor Riegel).
Ueber die Wirkung der Alkoholklysmen auf die
Magensaftsekretion beim Menschen.
Von Dr. Richard Spiro.
Metzger 1 ) hat bei im vorigen Jahre in hiesiger Klinik
angestellten Versuchen über den Einfluss von Nährklysmen auf
die Magensaftsekretion sowohl an Hunden mit P a w 1 o w’scher
Magenfistel, als auch an Menschen gefunden, dass Rothwein,
als Klysma verabfolgt, die Saftsekretion des Magens anregt.
Des Weiteren ergaben die Versuche von Radzikowsky 1 ) an
Hunden, sowohl bei Aufnahme des Alkohols per os als per rectum,
dass der Alkohol ein mächtiger safttreibender Stoff ohne Spur
von pepsinbildender Wirkung ist.
Metzger hat nur sehr wenige Versuche an Menschen
angestellt. Bei der Bedeutung dieser Frage bin ich gern der
Aufforderung meines Chefs, Herrn Geheimrath Riegel, ge¬
folgt, derartigo Versuche in grösserer Zahl an Menschen an¬
zustellen.
’) Metzger: Ueber den Einfluss von Nährklysmen auf die
Saftsekretion des Magens. Münch, med. Wochenscbr. 1900, No. 45.
*) Radzikowsky: Beiträge zur Physiologie der Verdau¬
ung. III. Ein rein safttreibender Stoff. PflUger’s Archiv f. Physio¬
logie Bd. 84.
9
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1872
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Bei meinen Versuchen kamen zur Verwendung:
Alkohol absolut., Cognac, Weisswein, Rothwein und Flaschen¬
bier. Die Versuchsflüssigkeit war in physiologischer Koch¬
salzlösung suspendirt.
Die Versuchsanordnung war folgendermaassen:
Reinigungsklysma — eine Stunde darauf rektale Applikation
der Versuchsfliissigkeit. Nach einer Stunde Ausheberung des
Magens und dann weitere 1—2 Ausheberungen in Vs stünd¬
lichen Intervallen.
Der Patient nahm während der Versuchszeit keine Nahrung
zu sich. Bei den meisten Versuchspersonen konnte schon vor
dem Alkoholklysma Magensaftsekretion nachgewiesen werden
und ich kam dadurch in die Lage, durch Vergleichung der
Säurewerthe vor und nach dem Versuche die Alkoholwirkung
um so deutlicher zu sehen.
M. A., 43 Jahre. Gastroptose.
2. VII. S Uhr Itelnigungsklysma; 9 Uhr 15 Min. Aush. 1 ccm
(Congo -}-); 9 Uhr 20 Min. Klysma von 10 ccm Alkohol absolut,
in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr 30 Min. Aush. 5,5 ccm (HCl 7,
Ges.-Acld. 12); 11 Uhr AuSh. 2 ccm (Congo schwach -{-).
4. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. beiläufig 1 ccm
(Congo schwach -f); 9 Uhr 5 Min. Klysma von 10 ccm Alkohol
absol. in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr Aush. 14 ccm (IIC1 10,
Ges.-Acld. 28); 10 Uhl’ 30 Min. Aush. 2 ccm (Congo deutlich -f).
8. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 7 ccm (Congo
schwach -f, Ges.-Acld. 13); 9 Uhr 5 Min. Klysma von 15 ccm
Cognac; 10 Uhr Aush. G ccm (Congo schwach -(-, Ges.-Acid. 7);
11 Uhr Aush. 8 ccm (Congo schwach -f-. Ges.-Acid. 18).
9. VII. 8 Ulli’ Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 3,0 ccm (Congo
schwach -{-, Ges.-Acid. 9); 9 Uhr 10 Min. Klysma mit 20 ccm
Cognac; 10 Uhr Aush. 6,4 ccm (Congo schwach -j-, Ges.-Acid. 4);
11 Uhr Aush. 7 ccm (Congo schwach Ges.-Aciu. 11).
11. VII. 8 Uhr Rehiigungsklysma; 9 Uhr Aush. 4 ccm
(Congo —, Ges.-Acid. 3); 9 Uhr 10 Min. Klysma mit 30 ccm Cognac;
10 Uhr Aush. 7 ccm (HCl 2, Ges.-Acid. 7); 10 Uhr 30 Min. Aush.
4,5 ccm (HCl 7, Ges.-Acid. 10); 11 Uhr Aush. 0 ccm (HCl 7, Ges.-
Acid. 10).
15. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 1,5 ccm (ohne
Congo-Reaktion); 9 Uhr 10 Min. Klysma mit 200 ccm Rothwein;
10 Uhr Aush. 15 ccm (ohne Congo-Reaktion); 10 Uhr 30 Min.
Aush. 2 ccm (Congo deutlich -}-); 11 Uhr 15 Min. Aush. 10 ccm
(Congo —).
19. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr 45 Min. Aush.
5 ccm (Congo —, Ges.-Acid. 5); 9 Uhr Klysma mit 300 ccm Bier;
9 Uhr 45 Min. Aush. 8 ccm (HCl 10, Ges.-Acid. 18); 10 Uhr 30 Min.
Aush. 2 ccm (Congo schwach -)-); 11 Uhr Aush. 8 ccm (Congo —,
Ges.-Acid. 6).
22. VII. 8 Uhr Rcinigungsklysma; 9 Uhr 15 Min. Aush. 1 ccm
(Congo —, Ges.-Acid. 2); 9 Uhr 30 Min. Klysma von 200 ccm Weiss¬
wein; 10 Uhr j^usli. 8 ccm (Congo schwach -f-, Ges.-Acid. 3); 10 Uhr
30 Min. Aush. 6,5 ccm (HCl 2, Ges.-Acld. 5).
M. M., 15 Jahre. Hysterie. I
16. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 4 ccm
(Congo —, Ges.-Acid. 7); 9 Uhr 10 Min. Klysma von 7 ccm Alkohol
absol.; 9 Uhr 45 Min. Aush. 3 ccm (Congo schwach -4-, Ges.-
Acid. 9).
18. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr 45 Min. Aush. 2 ccm
(HCl 6, Ges.-Acid. 8); 9 Uhr Klysma von 300 ccm Bier; 9 Uhr
45 Min. Aush. 3,5 ccm (HCl 8, Ges.-Acid. 10).
20. VII. 7 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr Aush. O; 8 Uhr 10 Min.
Klysma von 150 ccm Rothwein; 9 Uhr Aush. 38 ccm (11C1 35,
Ges.-Acid. 48); 10 Uhr 30 Min. Aush. 36 ccm (HCl 26, Ges.
Acid. 49).
22. VII. 7 Uhr Rcinigungsklysma; 7 Uhr 45 Min. Aush. 15 ccm
(Congo —, Ges.-Acid. 2); 8 Uhr Klysma von 15 ccm Cognac; 9 Uhr
Aush. 1,9 ccm (IICl 6, Ges.-Acid. 8); 10 Uhr 30 Min. Aush. 5 ccm
(Congo schwach -|-, Ges.-Acid. 3).
23. VII. 7 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr 40 Min. Aush. 1 ccm
(Congo schwach Ges.-Acid. 6); 9 Uhr Klysma von 100 ccui
Weissweiu; 9 Uhr 45 Min. Aush. 6 ccm (Congo deutlich -f-, Ges.-
Acid. 6); 10 Uhr 30 Min. Aush. 2,5 ccm (Congo deutlich 4-, Ges.-
Acid. 4).
.J. H., 29 Jahre. Atonia ventriculi und Gallen¬
rückfluss nach Gastroenterostomie.
5. VII. 7 Uhr Reiniguugsklysma; 8 Uhr Aush. 6 ccm (Congo
schwach -f-, Ges.-Acld. 17); 9 Uhr Klysma von 10 ccm Alkohol
absolut., in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr Aush. 7,5 ccm (HCl 14,
Ges.-Acid. 27); 11 Uhr Aush. 22 ccm (Congo schwach 4-, Ges.-
Acid. 8).
8. VII. 8 Uhr Reiniguugsklysma; 9 Uhr Aush. 25 ccm
(Congo —, Ges.-Acid. 13); 9 Uhr 5 Min. Klysma mit 20 ccm Alko¬
hol absol., in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr Aush. 57 ccm
(Congo Ges.-Acid. IS); 11 Uhr Aush. 30 ccm (Congo —, Ges.-
Acid. 11).
10. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 38 ccm
(Congo —, Ges.-Acld. 7); 9 Uhr 10 Min. Klysma mit 30 ccm Alko¬
hol absol., in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr Aush. 90 cciu
(Congo —, Ges.-Acid. 9); 11 Uhr Aush. 36 ccm (Congo —, Ges.-
Acld. 5).
No» 47.
12. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr 30 Mh). Aush. 12 ccm
Congo —, Ges.-Acid. 1); 9 Uhr 40 Min. Klysma mit 30 ccm Alko¬
hol. absolut., in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr 30 Min. Aush.
85 ccm (HCl 15, Ges.-Acld. 25); 11 Uhi 4 15 Min. Aush. 40 ccm
(HCl 3, Ges.-Acld. 17).
16. VII. 8 Uhr Reiniguugsklysma; 9 Uhr 45 Min. Aush. 30 ccm
(Congo —, Ges.-Acid. 10); 10 Uhr Klysma mit 150 ccm Rothwein;
10 Uhr 45 Min. Aush. 25 ccm (HCl 25, Ges.-Acid, 37); 11 Uhr
20 Min. Aush. 40 ccm (HCl 10, Ges.-Acid. 24).
18. VII. 8 Uhr Rcinigungsklysma; 8 Uhr 45 Min. Aush. 40 ccm
(Congo schwach -j-, Ges.-Acid. 19); 8 Uhr 50 Min. Klysma mit
500 ccm Bier; 9 Uhr 45 Min. Aush. 15 ccm (HCl 11, Gea-Acld. 20):
10 Uhr 20 Min. Aush. 8.5 ccm (HCl 22, Ges.-Acid. 41); 11 Uhr
Aush. 22 ccm (HCl 6, Ges.-Acld. 19).
23. VII. 7 Uhr Rcinigungsklysma; 8 Uhr 30 Min. Aush.
37 ccm (11C1 4. Ges.-Acid. 23); 8 Uhr 40 Min. Klysma mit 150 ccm
Weissweiu; 9 Uhr 30 Min. Aush. 14 ccm (HCl 11, Ges.-Acld. 17);
10 Uhr 80 Mlu. Aush. 15 ccm (HCl 20, Ges.-Acid. 43).
O. v. M., 22 Jahre. Gastroenteritis chronica.
20. VII. 7 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr Ansh. 15 ccm
(IICl 11, Ges.-Acid. 17); 8 Uhr 10 Min. Klysma mit. 10 ccm Alko¬
hol absolut., in 200 ccm Kochsalzlösung; 9 Uhr 15 Min. Aush.
82 ccm (IICl 40, Ges.-Acid. 48); 10 Uhr 30 Min. Aush. 25 cciu
(IICl 25, Ges.-Acid. 43).
Bei 2 Achylien und bei einer Hypochylie in Folge von
Carcinoma ventriculi konnte ich keinen Effekt erzielen. Bei
den beiden ersten Fällen blieben auch Pilocarpininjektionen
resultatlos.
Schlussfolgerungen.
1. Alkohol absolut, und alkoholhaltige Getränke wirken bei
rektaler Anwendung magensafttreibend.
2. Die Wirkung tritt meistens bereits nach Verabreichung
von 7—10 ccin Alkohol absolut, resp. nach alkoholischen Ge¬
tränken auf, die einem Alkoholgehalt von 7—10 Proc. ent¬
sprechen.
3. Die höchsten Säurewerthe sind beiläufig eine Stunde
nach den Klysmen zu bemerken; darnach nehmen sie gradatim
wieder ab.
4. Bei Achylien, sowie bei einem Falle von Car¬
cinoma ventriculi konnte nach Verabreichung von
Alkoholklysmen keine Wirkung bemerkt werden.
Am Schlüsse sage ich noch Herrn Geheimrath Riegel
für die Anregung, sowie für die gütige Ueberlassung des
Materials meinen verbindlichsten Dank.
Oie praktische Bedeutung der Lactationsatrephie
des Uterus. 1 )
Von W. T h o r n.
Unbestreitbar bringt die fortschreitende Kultur eine
Schwächung des Weibes in der Erfüllung seiner physiologischen
Aufgaben mit sich. So wird unter anderem die Zahl derjenigen
Frauen, welche das Säugen überhaupt und insbesondere eine
wünschenswerth lange Zeit ausüben können und wollen, in den
heutigen Kulturländern immer geringer, Ammenwesen und künst¬
liche Ernährung nehmen in wenig erfreulichem Maasse zu und
es scheint fast, als wenn wir neben F rankreich in dieser Be¬
ziehung an der Spitze marschirten. Es liegt mir hepte fern, auf
die Ursachen dieser wenig vortheilhaften Wirkungen der Kultur
einzugehen. Sind sic doch uralte Erfahrungstatsachen, die wir
schon aus den kulturell vorgeschritteneren Epochen der alten
Inder, Griechen, Römer etc. her kennen. Mit. dem Un¬
vermögen, überhaupt stillen zu können, geht Hand in Hand eine
geringere Widerstandsfähigkeit der Säugenden, die sich in all¬
gemeinen und lokalen Ernährungsstörungen äussert und vielfach
zu einer Verkürzung des Stillungsgeschäftes führt.
Die interessanteste und praktisch wichtigste unter den von
der Lactation abhängigen lokalen Ernährungsstörungen dürfte
die Uterusatrophie sein, seinerzeit von mir Lactationsatrqphie ge¬
tauft, weil sie in ihren reinen Formen ausschliesslich eine Folge¬
erscheinung der Lactation darstellt. Sie befällt keineswegs, wie
immer noch hier und da behauptet wird, etwa nur anaemischc,
schlecht genährte und in ungünstigen Verhältnissen lebende
Stillende, sondern kann so gut wie ausnahmslos auch bei allen
gesunden und wohllebenden nachgewiesen werden, sofern sie nur
längere Zeit während der Lactation amenor-
rlioisch sind. Diese Atrophie ist nicht zu allen Zeiten der
’) Nach einem auf der 73. Versammlung deutsche^ Natur¬
forscher und Aerzte zu Hamburg gehaltenen Vortrag.,
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICIM8CHE WOCHENSCHRIFT.
1878
Lactation gleich stark, sondern wechselt, wie auch die Stärke
der Miiöhsekretion und erreicht, gleich dieser im Allgemeinen
ihren Höhepunkt etwa im 4. Monat. Bei robusten Frauen macht
sie gewöhnlich keinerlei Symptome und hierin ist der Grund zu
su(dien, warum sie so lange der Erkenntnis» entging. Sie zeigt
liier durchaus einen physiologischen Charakter auch insofern, als
sie fast ausnahmslos spontan heilt, d. h. zu einer völligen Repara¬
tion des Uterus nach dem Absetzen des Kindes führt. Intensität
und Dauer der Atrophie hängen aber, wie nicht anders zu er¬
warten, innig von dem allgemeinen Kräftezustand und der socia¬
len Lage der Säugenden ab, dergestalt, dass sie bei primär anae-
mischen, schwächlichen, unter ungünstigen äusseren Bedingungen
lebenden, oder gar an einem sonstigen konsumirenden Leiden
kränkelnden Säugenden hier und da, zumal in ihren Begleit¬
erscheinungen einen pathologischen Charakter gewinnt. Doch
sind auch hier bleibende Atrophien Seltenheiten, sofern nur die
Schwächung des Gesammtorganismus und die komplizirende Er¬
krankung schwinden oder sich bessern. Diese schwereren Formen
der Lactationsatrophie machen naturgemäss Beschwerden, die
theils durch die Anaemie und den mangelhaften allgemeinen Er¬
nährungszustand, theils auch durch die Lockerung in der Befesti¬
gung des Genitalapparates und katarrhalische Erkrankungen des¬
selben ausgelöst werden und ein Krankheitsbild von wenig distinc-
ter Art bilden. Do das Absetzen de3 Kindes fast regelmässig von
einer baldigen Besserung resp. Heilung der Beschwerden gefolgt
ist, so kommen in die Hände des Gynäkologen im Allgemeinen nur
die schweren Fälle und darin ist der Grund zu suchen, warum
immer noch der physiologische Charakter der reinen Fälle ge¬
leugnet resp. angezweifelt und warum mir immer wieder der Vor¬
wurf gemacht wird, dass ich die Prognose der Lactationsatrophie
zu optimistisch beurtheilt hätte.
Eine falsche Bewerthung greift unter Umständen stark
in das Geschick von Kind und Mutter ein; wird viel¬
leicht zufällig im heissen Sommer bei der Säugenden eine
Atrophie de9 Uterus von 4,5 cm Cavumlänge konstatirt und das
sofortige Absetzen dekretirt, so kann das dem Kinde Krank¬
heit und Tod bringen; auf der anderen Seite kann die allzu
günstige Beurtheilung eines hoch pathologischen Falles vom
rechtzeitigen Absetzen abhalten und eine dauernde Funktions-
unfäbigkeit des Uterus mit verschulden. Es handelt sich dem¬
nach um eine Frage von allgemeiner Bedeutung, deren Erörte¬
rung wohl für jeden Arzt von Interesse sein dürfte.
Auf den ersten Blick erscheint eine richtige Beurtheilung
«Irr Lactationsatrophie schwierig, da die Grenzen zwischen physio¬
logischen und pathologischen Formen schwimmende sind und
der Symptomenkomplex ein so wenig charakteristisches Krank¬
heitsbild liefert; es gibt aber doch eine Anzahl Kriterien, die uns
unschwer in den Stand setzen, die Lactationsatrophie im kon¬
kreten Fall richtig zu bewerthen.
Zunächst sei es mir gestattet, einige Irrthümer, die auch
neueren Bearbeitern der Lactationsatrophie wieder unterliefen,
richtig Zu stellen, da sie für die Beurtheilung der ganzen
Frage von einschneidender Bedeutung sind. Im 62. Band des
Archivs für Gynäkologie berichtet L. Fraenkel über 95 Fälle
von Lactationsatrophie aus der G. F raenkel’schen Klinik und
Privätpraxte, auf Grund deTen er meiner Prognosenstellung im
AHgethbinen' bteipflichtet, aber sie dahin ergänzen will, dass viele
Fälle 'tiifcht erst nach dem Absetzen, sondern schon während
des Stillens heilten. Es ist das eine Thatsache, die schon allein
aus dem Umstand, dass amenorrhoische stillende Frauen con-
cipirdn köflnCn, klar hervorgeht und in meinerf Arbeiten genügend
gewürdigt worden ist. Dänn aber urgirt mir L. Fraenkel die
Behauptung: jede stilletide Frau bekomme eine Lactations-
atrojthie. Er vergibst „amenorrhoisch“ und zwar „während der
Lactation amenorrhoisch“ dazuzusetzen, und das ist ganz klar
die ; HäüptSftche.
Die AfnCnorriioo ist Während der Lactation die Regel, doch
mertstruirdn nach meinen Erfahrungen etwa 25 Proc. unregel-
niäfeäig, theist 1—^2 rtiäl, trtn dftnn amenorrhoisch zu werden, oder
in lftngfen Ptftfsen, etwa 15 Proc. haben regelmässig die Regel,
Wttd ^®Wa-90 , Pi*oc. cönoipiren während des Säugens, darunter auch
Arfifnorthoische. Diese Zahlen unterliegen naturgemäss mannig¬
fachen Aerfderungen, die von dem allgemeinen Kräftezustand
tflrd der sodiölen Lage der Bevölkerung abhängen. Bei den regel¬
mässig menstruirten, stillenden, gesunden Frauen zeigt der
Uterus im Allgemeinen normale Grösse, und Beschaffenheit.
Selten kommen bei ihnen geringe Grade der exoentriscljen Atro¬
phie vor. Häufiger tritt die letztere, zuweilen auch ein geringerer
Grad concentrischer Atrophie bei solchen Frauen ein, die selten
und in längeren Pausen menstruiren; natürlich kann auch eine
Anfangs regelmässig oder unregelmässig menstruirte, daun aber
lange Zeit amenorrhoische Säugende höhere Grade der Atrophie
aufweisen. Dagegen unterliegen alle dauernd während der Lac¬
tation Amenorrhoischen der Atrophie und zwar weisen sie zu¬
meist höhere Grade und die concentrisclie Form auf bis zu einer
Verkürzung der Cavumlänge auf 4,5 cm und Verringerung der
Wanddicke bis auf einige Millimeter. Dabei behält die Cervix
annähernd normale Grösse und Beschaffenheit, sodass die
Grössenverhältnisse zwischen Corpus und Cervix total verschoben
werden und ebenso zeigen die Ovarien normale Grösse. Das
Alles gilt nur für die völlig gesimde Frau, deren Uterusatrophie
ganz ausschliesslich von der Lactation abhängt. Diese Falle sipd
von jenen, wo es sich um primär schwächliche und kranke oder
im Verlauf der Lactation erkrankte Säugende handelt, streng
zu scheiden, was von manchen Autoren nicht in genügender
Weise geschehen ist. Darauf sind die Differenzen in den Er¬
gebnissen derselben im Wesentlichen zurückzuführen. Auch ist
das Material, das sie zu den Untersuchungen benutzten, kein
gleichwertiges gewesen. Das habe ich Engström gegenüber
schon betont; trotzdem unterliegt L. Fraenkel dem gleichen
Irrthum, wenn er meint: „es ist ein interessanter Zufall, dass der
eine Forscher (Thorn) wesentlich die physiologische, der
andere (F r o m m e 1) die pathologische Form der Lactations¬
atrophie an einem nahezu gleichen Material sah“ und an anderem
Orte: „somit stehen sich die Ansichten und Resultate von
F r o m m e 1 und Thorn ziemlich unvermittelt gegenüber. Der
Erstere sah unter 28 Fällen eine einzige Heilung, Thorn sah
25, zum Theil recht schwere Fälle, säramtlich vollkommen ge¬
nesen. Diese Divergenz erscheint um so unerklärlicher, weil das
Material beider Forscher grossstädtischen Polikliniken (Berlin
und Halle) entstammt, ja sogar Thorn die in Halle ge¬
wonnenen Resultate später an dem Berliner Materiale wieder
finden konnte.“
Das Material von F rommel und das meinige sind toto
coelo verschieden. F rommel sah unter 3000 poliklinischen
Kranken 28 mit TJterusatrophie behaftete, meist unter ärmlichen
Verhältnissen lebende, mangelhaft ernährte Frauen, die zwar
längere Zeit gestillt, aber bereits seit einer Reihe von Monaten
abgesetzt hatten; die Portio fand er klein, mitunter ganz ge¬
schwunden, die Ovarien verkleinert; von diesen 28 Atrophien
sah F rommel nur eine heilen. Ich will dahin gestellt sein
lassen, ob die Beobachtung9zeit eine genügend lange gewesen ist,
um die übrigen fiir dauernd unheilbar halten zu können; jeden¬
falls ist das Material Frommel’s ein hochpathologisches, bei
dem auch andere aetiologischc Faktoren, als nur die Lactation,
mitsprechen. Dagegen handelt es sich bei meinen 25 Fällen,
wio ich seinerzeit ausdrücklich betont habe, um völlig gesunde
Frauen, bei denen ausschliesslich die Lactation als ursächliches
Moment in Frage kam und die normale Cervix und normale
Ovarien aufwiesen. Leichte Grade der Anaemie, leichte Sen¬
kungen der Vagina, Deviationen des Uterus etc., wie sie viele
gesunde Stillende zeigen, .sind dabei ausser Acht gelassen; sie
sind hier Folgen der Lactation und Atrophie, nicht Ursachen.
An der Frauenklinik in Halle unter Olshausen bestand
zu meiner Zeit auch eine Poliklinik für Kinder des ersten
Lebensjahres. Säugende Mütter solcher Kinder und andererseits
Frauen, die ich in der geburtshilflichen Poliklinik entbunden
hatte, denen selbst nichts fehlte, die aber stillten und amenor¬
rhoisch waren, bilden das Gros jener 25 Fälle. Getrennt davon
habe ich streng alle Fälle, die irgend eine Erkrankung auf¬
wiesen, von der man hätte annehmen können, dass sie schwächend
auf den Organismus einwirkc, und weiter diejenigen, welche ich
nicht bis zur völligen Reparation des Uterus beobachten konnte.
Das Resultat meiner damaligen Untersuchungen habe ich so¬
wohl in B e r 1 i n, wie später in meinem Magdeburge-
Wirkungskreis bestätigt gefuiid«'n und ich bin der testen Uebcr-
zeugung, dass die Differenzen mit den Ergebnissen anderer
Autoren nur in der Qualität des Beobachtungsmateriales zu
suchen sind; das trifft nicht nur für das Material Frommcl’s
zu, sondern, wenn auch in geringerem Maasse, für das E n g -
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1874
MUENOHENER l f EDI01NIS(J] i K WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
81röm’s und L. Fraenkel’a Ich habe noch keinen Fall von
reiner Lactationsatrophie gesehen, der nicht geheilt wäre. Aber da
es keine Regel ohne Ausnahme gibt, so mag es bei übermässig
langem Stillen, ähnlich wie bei Galaktorrhoe, auch hier und da
einmal zu einer dauernden Atrophie kommen; an der Regel
ändert das nichts.
Die reine Form der Lactationsatrophie habe ich den reflek¬
torischen Trophoneurosen zugerechnet, in der Annahme, dass
die Atrophie des Corpus uteri — und um diese handelt es
sich nur, Cervix und Ovarien bleiben charakteristischer Weise
unbetheiligt — durch Kontraktionen, welche durch das Saugen
ausgelöst werden, eingeleitet wird. Der nervöse Zusammenhang
zwischen Mammae und Genitalien ist bekannt; das Saugen an
den Brüsten löst ebenso wollüstige Gefühle, wie fühlbare Kon¬
traktionen des Uterus beim Weibe aus und man hat diese Er¬
scheinung bekanntlich zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt
verwerthen wollen. Eine grosse Zahl Frauen empfindet während
des Stillens ein eigenthümliches Gefühl in der Sacralgegend und
im Becken, das sich bis zu ziehenden Schmerzen bisweilen
steigert, und nicht anders als durch Uteruskontraktionen her¬
vorgerufen gedeutet werden kann. Je weiter die Atrophie vor¬
schreitet, desto geringer wird, der Verringerung der kontraktilen
Substanz wegen, dieser Kontraktionen auslösende Einfluss des
Säugens sein. Dem Verlust an Nährmaterial durch die Milch¬
abgabe ist in zweiter Linie eine aetiologische Bedeutung für die
Atrophie beizumessen. Doch schätze ich sie für die erste Zeit
nicht so hoch ein, da unter normalen Verhältnissen der Verlust
durch eine geeignete Ueberemährung kompensirt zu werden
pflegt. Auch muss der Organismus schon sehr erheblich ge¬
schwächt werden, wenn allein daraus eine Atrophie des Uterus
zu Stande kommen soll; wir kennen diese Wirkung von akuten
und chronischen Infektionskrankheiten (Typhus, Pneumonie,
Tuberkulose etc.) und schweren organischen Störungen (Nephri¬
tis, Diabetes etc.) her, wissen aber auch, dass Amenorrhoe und
Atrophie des Uterus hier nur nach sehr schwerer Consumption
des Körpers oder durch eine Schädigung des Ovarialparenchyms
aufzutreten pflegen. Dagegen sehen wir, dass bei der Stillenden
schon geringe Störungen in der Ernährung des Körpers und
interkurrente, an sich nicht schwere Erkrankungen die Atrophie
des Uterus wesentlich begünstigen und hochgradig machen
können. Auch hier scheinen mir dennoch zunächst und in erster
Linie die vom Säugen ausgelösten Kontraktionen des Uterus die
Atrophisirung einzuleiten.
Mit dieser Annahme, dass am Zustande¬
kommen der Atrophie in erster Linie die Kon¬
traktionen des Uterus, in zweiter der Nähr¬
verlust durch die Milohabgabe betheiligt
sind, harmonirt auch die Thatsache, dass die
hohen Grade der Atrophie im Durchschnitt
bereits gegen den 4. Monat erreicht zu sein
pflegen, zur gleichen Zeit, wo auch die Milch¬
abgabe ihren Höhepunkt gewonnen hat. Für
die mit völliger Reparation des Uterus ausheilenden Atrophien,
also in erster Linie für die reine Lactationsatrophie, dürften die
Resultate der Untersuchungen M. Saenger’s, BroceFs,
D i 11 r i c h’s Geltung haben, dass lediglich die einzelne
Muskelfaser reducirt wird, nicht dass Fasern zu Grunde gehen.
Anders könnte der wunderbare Vorgang, dass ein so stark in allen
seinen Körpermaassen reducirter Uterus sich in so verhältniss-
mässig kurzer Zeit wieder zu einem funktions- und erneut
gestationsfähigen Organ auf baut, kaum zu verstehen sein. Mit dem
Beginn des Schwundes von Muskelfasern und weiter mit dem
Beginn der Schrumpfung der Cervix und der Ovarien gewinnt
allem Anschein nach die Atrophie den pathologischen Charakter,
der die Reparation in Frage stellt. Bei der Beurthei-
lung der Lactationsatrophie müssen wir uns
also besonders auf das Verhalten der Cervix
und der Ovarien stützen und dürfen auch in solchen
Fällen, wo das Stillen eine erhebliche Reduktion des Kräfte-
zustamlcs zu Wege bringt, bei normalem Verhalten jener ohne
Weiteres eine Regeneration des Uterus nach dem Absetzen er¬
warten. Demnach kann die Atrophie des Uterus an sich, mag
sie noch so hochgradig sein, niemals Anlass geben, das Stillen
sofort zu verbieten, wenn nicht eine hochgradige Ernährungs¬
störung des ganzen Körpers oder intercurrente Erkrankungen
gleichzeitig auftreten, die einer geeigneten Behandlung trotzen.
Damit soll aber in keiner Weise ein übermässig langes Stillen
Amenorrhoischer empfohlen werden. Als äusserster Zeitpunkt
dürfte ein Jahr anzusehen sein, in der Regel jedoch nimmt die
Milchabsonderung bereits vom 7. Monat an bald langsamer, bald
rascher dermaassen ab, dass das Absetzen vor Abfluss eines
Jahres bereits erzwungen wird. So wenig man Amenorrhoischo
übermässig lange säugen lassen soll, weil eine allzulange Ausser-
funktionssetzung des Uterus doch einmal schädliche Folgen
haben kann, so wenig kann das Eintreten der Menstruation Grund
zum Absetzen des Kindes geben. Es ist ja nicht zu leugnen, da-s
die Säuglinge während der Menstruation oft unruhig und dys¬
peptisch zu sein pflegen, weil zweifellos in den menstruellen
Togen die Muttermilch eine qualitative, oft auch quantitative
Aenderung erleidet, doch geht das Alles rasch und ohne ernst¬
hafte Störung vorüber. Dieser Einfluss der Menstruation auf
die Lactation wird vielfach überschätzt und bildet nicht so selten
Anlass, menstruirende Ammen abzulehnen, mit Unrecht; im All¬
gemeinen ist die regelmässige Menstruation während der Lac¬
tation nur ein Zeichen besonders günstiger Ernährungsverhält¬
nisse. Fälle, wo bei erheblich atrophischem Uterus menstruirt,
ja sogar profus menstruirt wurde, wie sie Gottschalck und
Kleinwächter berichtet haben, sah ich nie; ich nehme an,
dass es sich dabei um komplizirende Erkrankungen, speziell der
Ovarien gehandelt hat.
Das Wiederauftreten der Menstruation ist
in der Regel ein sicheres Zeichen der voll¬
lendeten Regeneration des Uterus, wenigstens der
Mucosa desselben, die an der Atrophie starken Antheil zu nehmen
pflegt; es erfolgt gewöhnlich etwa 4—6 Wochen nach dem Ab¬
setzen des Kindes. Ausnahmsweise tritt die Menstruation schon
während des Stillens wieder ein, sei es dass der Uterus bei ge¬
ringer Milchabgabe und besonders gutem allgemeinem Kräfte¬
zustand sich früher regenerirte, sei es, dass zunächst nur die
Mucosa wieder funktionsfähig wurde, während Muskulatur und
Bindegewebe noch nicht völlig zur Norm ausgebildet waren. Es
kann aber auch die Regeneration bereits soweit gediehen sein,
dass Conception erfolgt, bevor es überhaupt zu einer menstruellen
Blutung kam. Die nicht seltenen Conceptioncn
während der Lactation, das völlige Fehlen
aller Ausfallserscheinungen, die wir bei
solch’ jugendlichen Personen erwarten müss¬
ten, und zuletzt der Tastbefund, der unter nor¬
malen Verhältnissen keine Verkleinerung
der Ovarien ergibt, beweisen klar, dass die
Eierstöcke in Funktion bleiben. Trotzdem wir
also annehmen müssen, dass während der Lactation die Ovu¬
lation ungestört vor sich geht, oder höchstens nur verlangsamt
sein kann, hat der uralte Volksglauben, dass die Stillende vor
der neuerlichen Conception geschützt sei, doch in gewissen Gren¬
zen Rocht. Die Atrophie des Corpus, welche etwa
% aller Stillenden längere oder kürzere Zeit
auf weisen, istthatsächlich ein sicherer Schutz
gegen die erneute Empfängniss und verhin¬
dert so eine Erschöpfung der Kräfte weniger
widerstandsfähiger Frauen. Die Robusten, welche
regelmässig während der Lactation menstruiren und allenfalls
nur unbedeutende Atrophien des Uterus acquiriren, entbehren
dieses Schutzes, ebenso wie im Allgemeinen das auf niederer
Kulturstufe stehende und den physiologischen Anforderungen
ihres Geschlechtes besser gewachsene Weib, sofern es nicht die
dem Manne gebotene Abstinenz schützt. Während in den oberen
Schichten der Kulturvölker selten die Stillzeit 1 Jahr erreicht,
in den unteren allerhöchstens 2 Jahre, sehen wir bei den
Naturvölkern im Durchschnitt eine erheblich längere, die z. B.
bei den Eskimos bis 14 Jahre betragen soll, 60 dass unter
Umstünden 2, ja 3 verschieden alte Kinder gleichzeitigt gesäugt
werden. In der neuerlichen Conception findet man im All¬
gemeinen Grund, das Kind zu entwöhnen; ich habe oft beobachtet,
dass ohne Schaden woclicn- ja monatelang bei neuerlicher Gra¬
vidität weitergestillt wurde und bin daher der Meinung, das?
man das Absetzen nicht gebieten soll, falls für den Säugling di«'
Woiterernührung durch die Mutterbrust, etwa in der heissen
Jahreszeit oder bei akuten Erkrankungen, vorteilhaft erscheint;
dies Regel wird allerdings sein, dass man nach der Empfängnis-
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1875
absetzen lässt. Bei unseren Durehsehnittsfrauen bildet also ganz
entschieden die Corpusatrophic, nicht etwa die fehlende Ovula¬
tion, während der Lactation einen gewissen Regulator der Con-
eeption und es ist sehr zu bedauern, dass mit dem Vorschreiten
der Kultur dieses natürliche anticonceptionelle Mittel durch die
Einschränkung des Stillens eine immer grössere Beschränkung
erfährt und dass man einen sehr üblen Ersatz in allen möglichen,
zumeist schädlichen Mittel sucht.
Das Normale bei der stillenden Frau ist
also die Amenorrhoe, bewirkt durch eine Atro¬
phie des Körpers der Gebärmutter, keineswegs
durch ein Sistiren der Ovulation. Diese Atro¬
phie lässt unter normalen Verhältnissen Cer¬
vix und Ovarien intakt und heilt spontan,
manchmal schon während des Stillens, in dev
Regel aber 4—6 Wochen nach dem Absetzen des
Kindes aus. Diese Uterusatrophie der ge¬
sunden amenorrhoischen Stillenden ist ein
durch au« physiologischer Vorgang, der nur
durch U ehe rtreibu ngen im Stillen und durch
intercurrente organische oder Allgemein¬
er k r a n k u n g e n des Körpers einen patho¬
logischen Charakter gewinnt, aber auch dann
fast ausnahmslos nach dem Absetzen des Kin¬
des heilt, wenn nur d i o Komplikationen be¬
seitigt worden.
Hegt man auch hinfort noch Zweifel an dem physiologischen
Charakter der reinen Laetationsatrophic, so bedarf es nur der
exakten Beobachtung und Untersuchung eines Materiales gleicher
Qualität., wie es mir in den erwähnten 25 Fällen und später
noch in vielen anderen zu Gebote stand, um alle Betlenken zu
verscheuchen; das Material gynäkologischer Polikliniken ist im
Allgemeinen nicht dazu geeignet, weil es zuviel komplizirte Fälle
enthält, jedenfalls aber bedarf es einer entsprechenden Sichtung.
Jeder physiologische Vorgang zeigt innerhalb einer gewissen
Breite Schwankungen und Ucbergänge zum Pathologischen; so
auch die Laetationsatrophic. Handelt es sich in den
rein o n Fälle n i in W e s e n t 1 i c h e n nur u in e i n e
Atrophie des Corpus, so kann bei wenig wider¬
standsfähigen oder kranken Frauen die Er¬
nährungsstörung in geringerem oder höhere in
Grude auch den Handapparat, das Peritoneu m,
die. Par a in o t r i e n, die Vagina, die ä u s s e r e n
Genitalien, die ßauclidecken und zuletzt auch
d e n g a n z e n Körper in Mitleidenschaft z i e h e n.
Den längsten Widerstand leisten auch hier Cervix und Ovarien.
Die Grössenverhältnisse zwischen Cervix und Corpus Uteri wer¬
den, wie ich schon erwähnte, fast umgekehrt. Engst rüm
führte die relative Grösse der Cervix auf katarrhalische und
chronisch entzündliche Zustände derselben zurück. Das« die
Cervix gar nicht selten bei Laetationsatrophic diese Erkran¬
kungen aufweist, darauf habe ich selbst schon in meiner ersten
Arbeit hingewiesen; diese Fälle sind aber leicht von jenen —
und die bilden die Regel — auseinanderzuhalten, wo eine an¬
nähernd normal grosse und durchaus gesunde Cervix dem hoch¬
atrophischen Corpus ansitzt. Warum die Cervix nicht wesentlich
der Atrophie unterliegt, beruht wohl auf ihrer anatomischen Un¬
abhängigkeit und histologischen Verschiedenheit, zumal dem
Mangel kontraktiler Elemente. Wie die Cervix in der
Schwangerschaft neben Tuben und Ovarien
am Wenigsten liypert rophirt, so a t r o p h i r t sic
n eben den genannten Organen auch am Ge¬
ringsten bei der Lactation; beides entspricht ihrer
physiologischen Auf gälte. Die katarrhalischen und chronisch
entzündlichen Zustände der Cervix können natürlich schon vor
der Schwängerung bestanden halten oder mögen auf Verletzungen
und Infektionen bei der Geburt und iin Puerperium zurück¬
zuführen sein, oft stehen sie alter doch auch in aetiologischein
Zusammenhang mit der Laetationsatrophic. Nimmt der Band¬
apparat, die Parametrien, die Vagina, der Beckenboden an der
Atrophie Theil, so kommt es oft zu Deviationen dos Uterus und
der Vagina; der Descensus und Prolaps der vorderen Vagina und
die Retroversio kompliziren häufig die höheren Grade der Lac-
tationsatrophie, so dass auch die? Cervix allen von aussen ein¬
dringenden Schädlichkeiten in erhöhtem Maasse ausgesetzt wird.
No. 47
Mit diesem Uebergreifen auf die übrigen Theile des Genitalappa¬
rates und seine Umgebung gewinnt also sensu strictiori die Lae-
tationsatrophie einen pathologischen Charakter und die Krank-
heitssymptomo, welche die Katarrhe, Entzündungen und Sen¬
kungen hervorrufeu, führen zumeist erst die Stillende dem Arzte
zu. So sehr also das Stillen als das beste Hilfsmittel, die nor¬
male Rückbildung der Genitalien zu begünstigen, zu erachten ist,
so kann es doch durch die höheren Grade der Laetationsatrophic
bei wenig widerstandsfähigen und in ungünstigen socialen Ver¬
hältnissen lebenden Frauen zu erheblicheren Störungen und zur
Lockerung der Befestigung des Genitalapparates führen. Die
Bedeutung der Lactationsatrophie für die Aetiologie der Retro-
deviationen und des Prolapses wird entschieden noch unter¬
schätzt.
Oft bei der gesunden robusten, fast regelmässig bei der
schlecht genährten Stillenden liegt also der lactationsatrophisehe
Uterus retrovertirt-flektirt. wie wir das ja überhaupt vom atro¬
phischen, besonders dem senil-atrophischen her kennen. So selten
aber wie der senil-atrophische, so selten macht auch der lactations-
atrophische durch seine lietrodeviation Symptome. Man hüte
sich besonders, die von Stillenden oft. geklagten Kreuzschmerzen,
«las Drängen nach unten etc. ohne Weiteres auf die Retro-
deviation zurückzuführen und meide nach Möglichkeit, die Pessar¬
behandlung. Der erschlaffte Beckenboden ist wenig zur Stütze
geeignet, die Scheide ist allzu nachgiebig und die Reetifieation
der Lageanomalie bei dem atrophischen Uterus nicht leicht; es
werden daher gewöhnlich zu grosse Instrumente gewählt, die
mir zur weiteren Dehnung und Erschlaffung führen. Das Gleiche
gilt für den Descensus und Prolaps der Vagina; möglichst suche
man mit kleinen weichen Ringen und geeigneten Bandagen aus-
zukommen. Das Hauptaugenmerk ist auf die Kräftigung des
Allgemeinbefindens zu richten und erst wenn hier alb“ Mittel
versagen, kommt das Entwöhnen in Betracht. Die Ket ro¬
ll c v i a t i o ii des lact a t i onsa troph is c h e n Uterus
erfordert also so gut wie. nie eine orthopädische
Therapie, dagegen sollte man während der Regeneration,
spätestens nach dem Abschluss derselben eine Kontrolc nicht
unterlassen und Deviationen, die Symptome machen, jetzt korri-
giren. Bei gleich massiger Regeneration des Genitaltraktus und
seiner Umgebung verschwinden Verlagerungen und Senkungen
sehr häufig spontan, bei ungleichmiissiger Reparation und bei den
schwer arbeitenden Frauen dagegen werden sie nunmehr unter
dem schwereren Gewicht des Uterus stärker und bedürfen der
Therapie. Setzt sic rechtzeitig ein, so wird gar manch«' Operation
überflüssig gemacht.
Wird das Stillen bei hochgradiger Atrophie des Uterus und
seine Umgebung, zumal von schwächlichen Frauen übermässig
lango fortgesetzt., so können naturgemiiss die sonst so wider¬
standsfähigen Ovarien der Atrophie unterliegen und je nach dem
geringeren oder grösseren Verlust von Ovarialparenchym wird
die Atrophie der Ovarien eine dauernde und Hand in Hand damit
auch die Uterusatrophie eine bleibende werden. Immerhin sind
das sehr grosse Ausnahmen, weil in der Regel der allgemein
schlechte Ernährungszustand und das Versiechen der Milch¬
sekretion die Stillenden zuin Absetzen zwingen wird. So weist
z. B. das Material L. F r a e n k c l’s nur 3 einschlägige Fälle
auf; ich selbst verfüge über eine Anzahl solcher Fälle, finde aller,
dass man nicht skeptisch genug sowohl bezüglich der Aetiologie
„Lactation“, wie der Prognose „Unheilbarkeit“ sein kann. Zur
Bewerthung solcher Fälle ist es absolut erforderlich, durch ge¬
naueste Untersuchung und Beobachtung jede organische und
Allgemeinerkrankung auszuschl iessen: zumal ist auf Albu¬
minurie, Melliturie, Anaemie, Fettsucht und Tuberkulose zu
achten und die Anamnese muss besonders alle Störungen bei der
Geburt und im Wochenbett und alle akuten Erkrankungen
während der Lactation berücksichtigen, so unbedeutend sie auch
erscheinen mögen. Wie häufig die Uterusatrophio zu den Nach¬
krankheiten akuter Infektionskrankheiten gehört, hat ja beson¬
ders Gott schalk gezeigt. Eine so strenge Sichtung des
Materials ist. nicht leicht und gewöhnlich nur bei längerer Be¬
obachtung möglich, al>er sie ist geboten, will man nicht zu Un¬
recht die Lactation beschuldigen. Ich bin seinerzeit, etwas zu
weit gegangen, wenn ich meinte, man könne die Uteru«atrophie
als diagnostisches Hilfsmittel für die Tuberkulös«* verwerthen:
wahr ist aber, dass sie ungemein häufig im Prodromalstadium der
3
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1876
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
Phthise, wie auch der peritonealen Tuberkulose zur Beobachtung
kommt. Was die Fettsucht anbetrifft, so ist es oft schwer, zu
entscheiden, ob sie die Ursache oder Folge der Uterusatrophie
vorstellt; doch sind die Fälle, wo Wohlleben und Ueberernährung
neben mangelnder Bewegung die Fettsucht und wohl im Gefolge
davon die spärliche Menstruation oder die Amenorrhoe und weiter
die Uterusatrophie bei jugendlichen, sonst ganz gesunden
Frauen zu Wege bringen, nicht selten. Vereinigt sich das mit
der Lactation — und man sieht ja häutig Stillende, die sich durch
Ueberernährung ein mächtiges Fettpolster zulegen und auch nach
dem Absetzen konserviren — so hat das Beharren der Uterus¬
atrophie nichts so Auffallendes. Das gilt in weit höherem
Muasse für schwerere Störungen, wie Diabetes, Nephritis und
akute und chronische Infektionskrankheiten, wie Influenza, Pneu¬
monie, Typhus, Tuberkulose etc. Doch ist die Prognose solcher
Falle keineswegs ungünstig, wenn die komplizirende Erkrankung
heilbar ist und wenn eine entsprechende lokale Behandlung nicht,
zu spät einsetzt; noch nach 4 Jahren habe ich Reparation und
Neueoneeption in solchen Fällen gesehen. Alles hängt auch hier
wieder davon ab, ob die Ovarien intakt bleiben; findet man sie
in annähernd normaler Grösse, so gebe man die Hoffnung auf
eine Regeneration nicht auf und begünstige diese durch Diät¬
kuren, Bäder und lokale Behandlung des Uterus, wie Blutcnt-
zichungen an der Portio, Intrauterinstifte, heisse und abwechselnd
kalte Douchen, Massage, Elektrieität etc.
Es ist also in allen solchen Fällen, wo irgend eine Störung
bei der Geburt, im Wochenbett oder während der Lactation auf
die Stillende eingewirkt hat, schwer, den Antheil der Lactation
an der Uterusatrophie sicher zu bestimmen; schaltet man aber
diese gestörten Fälle als unrein aus, so schrumpft die
Zahl derjenigen Frauen, die allein durch die
Lactation eine dauernde Funktionslosigkeit
des 1' t e r u s acquiriren, auf ein Minimum zu¬
sammen. ln den Fällen, die ich gesehen habe, lagen stets
Kxees.se im Stillen vor, sei es durch übermässige Milchabgabe
bei gracilcn, schwächlichen Frauen, sei es durch allzulangcs
Stillen. Dagegen gebe ich zu, dass leichtere Grade der Atrophie
bei spärlicher oder seltener Menstruation, verbunden mit Sterili¬
tät, enteroptotisehen und nervösen Erscheinungen, hier und da
bei sonst gesunden, früher kräftigen und auch während der Lac¬
tation nicht kränkelnden Frauen Vorkommen, die bei langer
Dauer der Therapie trotzen. Die ich gesehen habe, hatten meist
über 1 Jahr gestillt und es erschien zweifelhaft, ob nicht das an¬
gebliche Wohlbefinden während des Stillens mehr durch die
Mutterliebe dictirt war. Manche Fälle geben uns in aetiologischer
Beziehung geradezu Räthsel auf, so der folgende. Eine 20 jähr.
gesunde, kräftige Frau stillt nach normalem Partus und Puer¬
perium 1*4 Jahr ohne alle Störung bei völliger Euphorie, bleibt
dabei 8 Monate amenorrhoisch in Folge Corpusatrophie, men-
struirt dann 7 Monate regelmässig bei annähernd normal grossem
Uterus, setzt darauf ab, bekommt nie wieder Menses und acquirirt
nunmehr eine totale Atrophie des Uterus und der Ovarien, die
aller Therapie trotzt. Man wird leicht geneigt sein, doch das
lange Stillen als Ursache zu beschuldigen, obgleich die Frau bei
annähernd normalem Uterus regelmässig menstruirt hatte; ich
kann den Grund der Atrophie dos Uterus nur in einer primären
idiopathischen Atrophie der Ovarien suchen, deren Ursache
allerdings völlig dunkel blieb. Man sieht aber auch hier und da
solches räthselhafte Sistiren der Menstruation mit consecutiver
Uterusatrophie ausserhalb der Lactation bei sonst ganz gesunden
Frauen, so dass nicht einmal diejenigen Fälle, wo sich bleibende
Amenorrhoe und Uterusatrophie an die Lactation knüpfen, und
bei denen einzig und allein die Lactation als Ursache in Frage
zu kommen scheint, völlig eindeutig sind.
Für die Praxis ergibt sich hieraus, dass die reine Lactations-
atrophie des Uterus, mag sie noch so hochgradig sein, an sich nie¬
mals Grund zum Absetzen des Kindes geben kann, weil sie ein
durchaus physiologischer Vorgang ist, der stets, spätestens
6 Wochen nach dem Absetzen, spontan mit völliger Regeneration
heilt. Amenorrhoisehe Stillende, die ein Vorschreiten der Atrophie
auf den übrigen Genitalapparat, seine nächste Umgebung, ja
den ganzen Körper zeigen, soll man nach Möglichkeit durch
Ueberernährung. Stillen in längeren Pausen und Interpoliren
der künstlichen Ernährung so zu kräftigen suchen, dass die Atro¬
phie in ihre physiologischen Grenzen zurückkehrt; gelingt das
nicht, so lasse man absetzen. Ergibt eine exakte Beobachtung und
Untersuchung von sachverständiger Hand, dass zweifellos auch
Cervix und Ovarien an der Atrophie Antheil zu nehmen be¬
ginnen, so ist sofort das Entwöhnen anzuordnen. Principiell ist
das Stillen über 1 Jahr allen Frauen zu verbieten, ganz besonders
aber den amenorrhoischen; im Durchschnitt sollen mittelkräftige
amenorrhoisehe Stillende mit Lactationsatrophie gegen den
8. Monat absetzen, wenn nicht triftige Gegengründe im Interesse
des Kindes (heisse Jahreszeit, akute Erkrankungen etc.) geltend
gemacht werden können. Die Lactationsatrophie des Uterus an
sich erfordert während des Stillens keine lokale, die mit ihr
sehr häufig vergesellschaftete Rctrodeviation keine orthopädische
Behandlung. Auch bei dem nicht seltenen Descensus der Vagina
sei man vorsichtig mit der Pessartherapie und suche sie, wenn
irgend möglich zu umgehen. Nach dem Absetzen hat eine Kon-
trole stattzufinden. Macht der regenerirte retrodeviirte Uterus
nunmehr Beschwerden, so ist mit der Pessartherapie zu beginnen,
womöglich aber erst nach dem Ablauf der ersten Menstruation.
Komplizirt die Lactation irgend eine Erkrankung, die einen con-
sumirenden Einfluss auf den Körper der Stillenden ausiibt und
somit im Stande ist. die Uterusatrophie zu verstärken, resp. eine
Atrophie der übrigen Geschlechtsorgane, speciell der Ovarien her-
beizuführei'., so hängt die Entscheidung, ob abgesetzt werden soll
oder nicht, von der Qualität und Prognose der Komplikation ab.
Da auch trotz intereurrenter Erkrankungen, wenn sie nicht allzu
sehr die Körperkräfte reduciren und nur das Ovarialparenchyn»
intakt lassen, die Lactationsatrophien in der Regel heilen, wenn
die komplizirenden Erkrankungen genügend gebessert oder geheilt
werden, so soll man auch hier der Befürchtung, die Uterus¬
atrophie möchte eine dauernde werden, nicht übertrieben Raum
gewähren, wenn das Interesse des Kindes die Fortsetzung des
Stillens verlangt. Die Qualität der Komplikation kommt in¬
sofern in Betracht, als die Prognose für die Mutter günstig und
eine Infektionsgefahr! für das Kind selbstverständlich ausge¬
schlossen sein muss. Rogenerirt sich der lactationsatrophisehc
Uterus nicht innerhalb 6 Wochen nach dem Absetzen, so hat
neben der allgemeinen roborirenden auch eine geeignete lokale
Therapie einzusetzen.
Was die Diagnose der Lactationsatrophie und speziell die
Beurthcilung der Grössenverhältnisse der Ovarien anbetrifft,
deren Verhalten neben demjenigen der Cervix von ausschlag¬
gebender Bedeutung ist, so mag auch dem weniger Geübten zur
Beruhigung dienen, dass die kombinirte Untersuchung gerade
hei dem atrophischen Zustand der Genitalien und ihrer Um¬
gehung ungemein leicht auszuführen ist. Sondenmessungen des
Uterus werden kaum nothwendig sein, da das kleine Corpus so
ungemein charakteristisch gegen die normale Cervix kontrastirt.
Glaubt man aber, ihrer nicht entrathen zu können, so ist äusserste
Vorsicht geboten, da die fast papierdünne und weiche Corpus-
wand allzuleicht vom Sondenknopf verletzt oder gar perforirt
werden kann.
Es war zu befürchten, dass mit dem Bekannterwerden der
Lactationsatrophie und auf Grund neuerer Bearbeitungen der¬
selben die Prognose dieses merkwürdigen Vorganges, des Gegen¬
satzes zu der Schwangerschaftshypertrophie, zu ungünstig bc-
urtheilt und die Zahl der stillenden Frauen noch mehr ein¬
geschränkt werden möchte; ich hoffe, man wird bei neuerlichen
Untersuchungen in der Auswahl und Sichtung des Materiales
meinen Anforderungen mehr nachkorrunen und meiner Auf¬
fassung immer mehr beipflichten.
Die Beurtheilung des Wochenbettes nach der Puls¬
zahl.*)
Von Dr. phil. et med. Otto Ai ehe 1, Privatdozent
in Erlangen.
Sind wir in der Lage, das gesunde und das krankhaft ver¬
laufende Wochenbett scharf zu scheiden? In erster Linie muss
zur Beantwortung dieser Frage die Körperwärme herangezogen
werden. Nach langjährigen Untersuchungen ist jetzt wohl ziem¬
lich allgemein eine Körperwärme von 38 0 C. als Grenze zwischen
gesundem und krankhaftem Wochenbett angenommen worden.
Auch die Beobachtung der Herzthätigkeit ist von Alters her
in ihrer Bedeutung für die Beurtheilung des Zustandes einer
*) Nach einem im Aerztlichen Bezirksverein Erlangen ge¬
haltenen Vortrage.
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19. November 1901. MÜENCHENER MEDICINISCltE WOCHENSCHRIFT. 187/
Wöchnerin hervorgehoben worden. Man hat sich daher bemüht,
aus einer Reihe von Massenbeobaehturigen auch eine Pulszahl
festzustellen, die die Grenze zwischen gesundem und krankhaftem
Wochenbett abgeben sollte. Mit der Zunahme der Anzahl der
Beobachtungen wuchs die Verschiedenheit der Angaben, so dass
öfters Stimmen laut wurden, die angestellten Beobachtungen
seien nicht genau oder noch immer nicht zahlreich genug.
Ich will daher die mitgetheilten Zahlenangaben kurz zu-
sammenfassen und auf Grund auch eigener Untersuchungen
folgende Fragen zu beantworten suchen.
I. Ist der bis jetzt eingeschlagene Weg, den Puls zur Bc-
urtheilung des Wochenbettes heranzuziehen, der richtige?
II. Können wir auf anderem Wege durch Beobachtung der
Pulszahlen ein besseres Urtheil über den Zustand einer Wöch¬
nerin erhalten, als es bisher der Fall war?
Um die abweichenden Angaben über die dem gesunden
Wochenbett zukommenden Pulszahlen zu zeigen, lusse ich eine
Zusammenstellung folgen.
Im gesunden Wochenbett findet
Blot.
.44—G0 Pnlsschlüge in
der
Kehrer ...
. . . 52-58
Fehling . . .
.40-60
,,
Olslimiseii . . .
.50-60
Kaltenbach
. 64
Crede . ....
.50—70
Schauta 1
v. \Vinekel | '
•»
Spiegelberg . .
.44—70
»>
Schröder |
Ahlfeld |
. . . gegen 60 oder 70 „ „
•i
Leopold . . .
.60-80
>»
Heil ...
.... 71-75
Hemey .
. 76
Zweifel.
.72 — 88
Minute
Heiney fand nur in 0 Proc. der Fülle CO Pulsschlüge und
darunter, Olsluiusen dagegen ln 63 Proc. seiner Fülle.
P r o 1» y n - W 1111 n m s und Leonhard C u 1 1 e r fanden nie
unter 72 Schlügen in der Minute.
T o r g g 1 e r betrachtet mehr als 80, Knapp mehr als
90 Schlüge in der Minute als krankhaft.
v. It o s t h o r n findet, dass 90 Schlüge zu hoch siud.
Weniger zahlreich sind die Angaben über das Verhiiltniss
der Pulszahlen zur Körperwärme im gesunden und krankhaften
Zustand der Wöchnerinnen.
Die hierüber vorhandenen Mittheilungen gaben ebenfalls
Durchschnittszahlen aus Massenbeobachtungen. Die angegebenen
Verhält nisszahlen weichen stark
sprechen einer Körperwärme von
von
37,5°
einander
ab. So ent-
hei Fehling.
72 Pulsschläge
in der Minute
„ Baumfelder . . .
78
n n
„ Ahlfeld.
82
„
„ „
„ Sopp .
88
n n »»
„ Schulze ..
100
n
•» r* »»
„ Leopold .
110
*
„ „ »
„ v. Rosthorn ...
110
„
>» n n
Die drei letztgenannten Zahlen entstammen Tabellen
Einer Körperwärme von 37,9 0 entsprechen
bei Koppehl.77 Pulsschläge in der Minute
„ Buumfelder .83 « « »
„ Fehling.83 „ ,, „ „
„ Ahlfeld.88 „ „ „
Vergleichen wir schliesslich die in den Schriften angegebenen
Zahlen über den Puls bei verschiedenen Erkrankungen der Wöch¬
nerinnen, so scheinen die Angaben der einzelnen Forscher nicht
so sehr abweichend, es liegt dies aber nur an dem grossen Spiel¬
raum, der den Zahlenangaben belassen wird.
Bei allgemeiner Peritonitis finden wir z. B. als Pulszahl an¬
gegeben
bei Kehrer. 120—140 Pulsschlftge in der Minute
„ Ahlfeld. 140-150 „ - „
„ Schröder.140 —IGO und darüber * „
„ Kaltenbach .... 140—1G0 „ „ » n
Ich will nicht fortfahren, für mehrere oder gar alle Krank¬
heitsbilder des Wochenbettes Beispiele dieser Art anzuführen, da
ein einziges dazu genügt, um daran zu erinnern, dass nahezu
durchweg in den Lehrbüchern bei der Besprechung der Krank¬
heitsbilder neben der durchschnittlich gefundenen Erhöhung der
Körperwärme auch die nackte Durchschnittszahl des Pulses an¬
geführt wird. Diese beruht zum Theil auf eigenen Berechnungen,
zum Theil ist sie abgeschrieben.
Ich möchte nicht unterlassen, hervorzuheben, dass in
manchen Lehrbüchern und Einzelarbeiten sehr dankenswerthe
Bemerkungen über den Puls gegeben werden, im Allgemeinen
kann man aber wohl sagen, dass man den Eindruck gewinnt, der
Vollständigkeit halber sei auch die Pulszahl nicht vergessen
worden.
Wir würden natürlich dasselbe erreichen, wenn wir an Stelle
von Zahlenangaben einfach sagen würden, der Puls ist wenig er¬
höht, erhöht oder stark erhöht.
Bei der Durchsicht aller statistischen Arbeiten über die
Zahlen Verhältnisse des Pulses überzeugt man sich, dass der Puls
der Wöchnerinnen ausserordentlich verschieden ist. Daher müssen
die einzelnen Untersucher bei der Berechnung der Pulsdurch¬
schnittszahlen für das gesunde und krankhafte Wochenbett stets
zu Ergebnissen gelangen, die von einander mehr oder weniger
abweichen. So erklären sich die verschiedenen Angaben über die
dem gesunden und krankhaften Wochenbett eigenthümlichen
Pulszahlen und der Unterschied in den Zahlenangaben für das
Verhältnis3 der Pulszahl zur Körperwärme.
Es wäre daher ein Unrecht, die Genauigkeit der von zahl¬
reichen Forschern angestellten Zählungen anzuzweifeln.
In dem Wechsel der Pulszahl beim einzelnen Menschen liegt
es daher begründet, dass wir nie in der Lage sein werden, den
einzelnen Fall nach einer Durchschnittszahl sicher beurtheilen
zu können, auch wenn wir aus Milliarden von Einzelzählungen
eine Durchschnittszahl berechnen.
Ausgeschlossen ist es auch, dass wir das Wochenbett nach
der Pulszahl in ein gesundes und krankhaftes scheiden, trotz der
Klage Torggler’s: „Auf alle Störungen im Wochenbett,
schwere wie leichte, antwortet am frühesten der Puls wie eine
empfindliche Quecksilbersäule. Seine Schwankungen verlangen
daher eine grössere Beachtung als die Temperatur, schrieb Leo¬
pold vor bereits mehr als 4 Jahren, und trotzdem wird die
Woehenbettstatistik in der Regel noch immer nach der Körper
wärme allein verfasst.“
Die Beurtheilung des Wochenbettes nach der Körperwärme,
d. h. die Annahme von 38° als Grenze zwischen gesundem und
krankhaftem Wochenbett ist gewiss nicht für alle Fälle zu¬
treffend, sondern nur ein nothwendiges Uebereinkommen, um in
der Lage zu sein, mit geringer Mühe festzustellen, ob unsere Er¬
gebnisse mit dem Wechsel der Behandlungsweise bessere geworden
sind. Der Zweck wird bei dieser Eintheilung gewiss erreicht.
Doch Jeder wird zugeben, dass unter seinen Wöchnerinnen, die
unter 38 0 geblieben sind, eine ganze Reihe krank waren. (Siehe
Knap p’s Tabelle der verstorbenen Wöchnerinnen, p. 234.)
Die Pulszahl nun ist bei gesunden wie bei kranken Wöchne¬
rinnen viel schwankender als die Körperwärme, die Verwerthung
von Pulsdurchschnittszahlen zur Beurtheilung einer Wöchnerin
muss daher als ganz ungeeignet gelten.
Der Versuch Torggler’s, das Wochenbett nach der Puls¬
zahl in ein subnormales (Puls unter 60), normales (Puls zwischen
60 und 80), subfebriles (Puls zwischen 80 und 100) und febriles
(Puls über 100) einzutheilen, erwarb sich keinen Freund.
Die zahlreichen berechneten Durchschnittszahlen für das ge¬
sunde Wochenbett werden in vielen Fällen gewiss zutreffen, wer
bürgt aber dafür, dass der Fall, der gerade in Behandlung steht,
eine Frau mit Durchschnittspuls betrifft?
Ich möchte daher die Pulszahl nicht mit dem Auge des
Statistikers betrachtet wissen. Die Anklammerung an statistisch
berechnete Zahlen für das gesunde und krankhafte Wochenbett
führt sogar zu einer falschen Beurtheilung mancher Wöchnerin!
Wir müssen jeden Fall für sich betrachten, dann werden wir
leichter vor Fehlern bewahrt bleiben, und sehen, dass die Puls¬
zahl uns zur Beurtheilung einer Wöchnerin dienlicher wird.
Wir müssen also den Puls der Wöchnerin in völlig gesundem Zu¬
stande kennen, dies erreichen wir nur durch Kenntniss des Pulses
der Frau vor Einsetzen der Geburt.
Ich habe bei über 130 Schwangeren den Puls gezählt, um
bei ihnen Vergleiche mit dem Puls während der Geburt und im
Wochenbett anzustellen. Es wurde hierbei so verfahren, dass der
Puls der Schwangeren — diese werden zum grössten Theil in
unserer Klinik 4—6 Wochen vor der Entbindung aufgenommen
— Morgens um 6 Uhr und Abends um 6 Uhr gezählt wurde.
Abends mussten sieh die Schwangeren um öVi Uhr zu Bette
legen und blieben bis zur Pulszählung unter Aufsicht, so dass
Morgens und Abends bei möglichst ausgeruhtem Körper die
3*
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1878 MUENCHENER MFDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47.
Zählungen vorgenommen werden konnten. Eh wurde jedesmal
eine ganze Ali nute lang gezählt.
An dieser Stelle will ich die Ergebnisse, lediglich so weit
sie für die Beurtheilung des gesunden und kranken Wochenbettes
in Betracht kommen, mittheilen.
Dass die Pulszahl während der Geburt steigt, ist eine all¬
gemein bekannte Thatsache. Die Ergebnisse über die Puls¬
beschleunigung in den einzelnen Abschnitten der Geburt aus¬
führlich zu besprechen, ist hier nicht der Ort. Hervorheben will
ich nur, dass wir bei Erstgebärenden eine stärkere Pulsbeschleu¬
nigung finden als bei Mehrgebärenden und dass nur in sehr ver¬
einzelten Fällen eine Pulsbeschleunigung während der Geburt
völlig vermisst wird.
Die Pulskurve kehrt im gesund verlaufenden Wochenbett
allmählich zur Höhe der Schwangerschaftskurve zurück, wir
können im Allgemeinen sagen, je eher im Wochenbett die Puls¬
zahl sinkt, desto grösser ist die Gewähr, dass wir eine gesunde
Wöchnerin vor uns haben.
Die Frage, ob es im Wochenbett eine physiologische Puls¬
verlangsamung gibt, ist immer noch nicht entschieden, wir wollen
von der Beantwortung dieser Frage hier Abstand nehmen, und
für das Wochenbett bei einer Frau die Pulszahl als physiologisch
betrachten, die bei der Frau in der Schwangerschaft gefunden
wurde.*)
Beobachten wir eine Frau erst von dem Beginn der Geburt
ab, so haben wir zu berücksichtigen, dass der Puls während und
nach der Geburt ein erhöhter ist. Nur in den Fällen, in denen
die Pulszahl in den ersten Wochenbettstagen einen sturken Ab¬
fall zeigt, sind wir in der Lage, zu sagen, dass dieses Zeichen
wahrscheinlich auf ein gesund verlaufendes Wochenbett hin-
deutet. Der Zusatz „wahrscheinlich“ ist aber auch für diese
Fälle? nothwendig, da im Wochenbett bekanntermaassen sehr
niedrige Pulszahlen Vorkommen — sie gaben Veranlassung zur
Annahme einer physiologischen Pulsverlangsamung im Wochen¬
bett. Der Puls Schwangerer ist nicht im gleichen Muasse
Gegenstand der Untersuchung gewesen wie der Wochenpuls.
Sicher ist, dass auch in der Schwangerschaft, wie überhaupt
beim Menschen, der länger liegt und dabei zufrieden lebt, nie¬
drigere Pulszahlen Vorkommen, als im Allgemeinen angenommen
wird.
So hatten z. B. unter den von mir beobachteten Fällen
8 Proc. einen Puls, der sich unter 60 Schlägen in der Minute
hielt. Steigt nun bei einer dieser Frauen der Puls während der
Geburt, und das ist das Gewöhnliche, auf 100 Schläge und da¬
rüber und wir beobachten die Frau erst von der Geburt ab, so
würden wir einen Abfall auf 80 Schläge in den ersten Wochen¬
bettstagen als durchaus der Regel entsprechend betrachten, wir
würden diesen Abfall fraglos als günstiges Zeichen begrüssen.
Ganz anders fällt unser Urtheil aus, sobald wir wissen, dass die
der Frau eigcnthümliche Pulszahl unter 60 Schlägen in der
Minute liegt.
Nun zeigt aber auch eine nicht ganz geringe Zahl
der Frauen einen verhältnissmässig hohen Puls. So
hatte ich unter der geringen Zahl der von mir
beobachteten Fälle 45 Proc., die eine Pulszahl von 80 Schlägen
in der Minute aufwiesen, 5 Proc. der Fälle hatten einen Puls,
der um 100 spielte. Ist bei diesen Frauen der Schwangerschafts¬
puls unbekannt, so wird jeder Arzt, der bei diesen Frauen im
Wochenbett dauernd einen Puls von 100 beobachtet, in der
Stellung der Voraussage sehr vorsichtig sein müssen. Haben
wir aber Kenntniss von der Thatsache, dass die Wöchnerin in
der Schwangerschaft eine Pulszahl von 100 hatte, so wird uns der
Puls von 100 im Wochenbett nicht beunruhigen. Es ist durchaus
nicht nothwendig, dass Wöchnerinnen mit einem Puls von 100
krank sind — ich erinnere hier an die Chlorose und an chronische
Herzfehler —; die von mir beobachteten 5 Proc. der Fälle, die
einen Puls von 100 in der Minute hatten, betrafen völlig ge¬
sunde Schwangere. Als Beispiel führe ich folgenden Fall an.
Ein den besseren Ständen angehöriger Mann bat um die Unter¬
suchung seiner in den Wochen befindlichen Frau, da sie stets
einen Puls von 100 Schlägen habe. Der Gatte habe gelesen,
dieses sei im Wochenbett das Zeichen einer vorliegenden Er¬
krankung. Die Frau hütete lange das Bett, gewiss nicht zu
•i Siehe hierüber: Ale hei: Ueber die sogen. Pulsverlang-
*amung im Wochenbett. Centralbl. f. GynUkol. 1901, No. 42.
ihrem Schaden, aber der Puls blieb immer in der Höhe von 100
Schlägen.
Fehlt also der Abfall der Pulszahl im Wochenbett, gegen¬
über der Pulszahl unter der Geburt, so haben wir ohne Weiteres
nicht die Berechtigung, auf eine Störung im Verlaufe des
Wochenbettes zu schliesseu.
Wir haben demgemäss nur dann aus der Beobachtung der
Pulszahl einer Wöchnerin ein sicheres Mittel zur Beurtheilung
ihres Zustandes, wenn wir ihre Pulszahl vor Beginn der Geburt
kennen. Ein hoher Puls im Wochenbett beweist im Allgemeinen
nicht das Vorhandensein einer Krankheit, eine geringe Pulszahl
schliesst sie nicht aus.
Dieso Beobachtungen gewinnen ausserordentlich an Werth,
sobald eine Wöchnerin fieberhaft erkrankt. Es ist ja richtig,
dass während der Dauer der Erkrankung nicht die Zahl der Puls-
Schläge für uns die grösste Bedeutung hat, wir beurtheilen viel¬
mehr die Kranke, besonders in schweren Fällen, nach der Grösse,
Spannung und Stärke des Pulsschlages. Dennoch darf die Zahl
der Pulsschläge nicht unberücksichtigt bleiben. Behandeln wir
z. B. eine Wöchnerin mit einer Körperwärme von 38,5“ und wir
finden bei ihr einen Puls von 100, so muss zugestandeu werden,
dass wir im Allgemeinen wenig mit dieser Zahl anfangen können,
ist uns aber die Pulszahl während der Schwangerschaft bekannt,
so wird in manchen Fällen bei geringer Körperwärmesteigerung
unser Urtheil lediglich von dieser Zahl abhängen. Es ist doch
nicht dasselbe, ob ein Puls von 100 im fieberhaften Wochenbett
bei einer Frau mit einem Puls von 50—60 Schlägen im gesunden
Zustand oder bei einer Frau mit einem ursprünglichen Puls von
300 gefunden wird. Aber auch in schweren Erkrankungsfällen
dürfte die Kenntniss der Pulszahl der in Behandlung stehenden
Frau im gesunden Zustande nicht unwichtig sein. Dieselbe Puls¬
zahl hat eben während des Fiebers eine ganz andere Bedeutung,
je nach der Zahl des Pulses im gesunden Zustande einer Frau.
Ganz besonders hervorheben möchte ich, dass wir bei einer
fieberhaft erkrankten Wöchrerin in der Zeit des Abfalles des
Fiebers und in der folgenden Zeit in der Pulszahl ein sehr gutes
Mittel zur Beurtheilung der Genesung einer Wöchnerin besitzen,
sobald wir die gewöhnliche Pulszahl der Kranken wissen. Ich
möchte dieses um so mehr betonen, als bisher hierauf von keiner
Seite aufmerksam gemacht wurde.
Geben wir zu, dass der Puls auf die geringste Erkrankung
durch Zahlvennehrung antwortet, und zwar zuverlässiger als die
Steigerung der Körperwärme, so müssen wir auch zugeben, dass
eine Wöchnerin, deren Pulszahl in der Schwangerschaft uns
bekannt war, nur dann als gesund zu betrachten ist, wenn in den
ersten Woehenbettstagen die Pulszahl auf die Zahl des Pulses jn
der Schwangerschaft sinkt. Ebenso, folgerichtig ist der Satz,
dass wir eine fieberhaft erkrankte Wöchnerin erst dann als gesund
ansehen dürfen, wenn neben der Körperwärme auch der Puls
zur ursprünglichen Zahl zurückgekehrt ist.
Ein Beispiel hierfür beweist das Gesagte zur Genüge. (Siehe
beigegebene Kurve.)
Eine 35 Jährige Zweitgeschwängerte zeigte 5 Woehen lang
vor der Entbindung einen Puls, der sich zwischen 42 und 60 Puls-
schliigeu hielt In den letzten 3 Tagen der Schwangerschaft zeigte
die Pulszahl eine ganz geringe Zunahme. Während der Geburt
stieg die Pulszahl auf 80.
Heim Durchschneiden des Kopfes entstand ein Dammriss
zweiten Grades, der sofort nach Ausstossung der Nachgeburt mit
Katgutknopfuiihten geschlossen wurde. Schon am Abend zeigte
die Wöchnerin eine Körperwärme von 38,3" C. I ei einem Puls von
88 Schlägen. Am zweiten Wochenbettstage zeigte das Theruio-
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1879
meter Abends 40 0 C., der Puls war aber ruhig (80 Schläge in der
Minute), erst am folgenden Morgen folgte die Höhe der Pulszahl
der Höhe der Warmesteigorung und zwar auf 110 Schläge ln der
Minute. Dem Abfall des Fiebers folgte ein Sinken der Pulszahl
und es hielt sich nun der Puls zwischen 80 und 90 Schlägen,
während die Körperwärme nach einem zweiten Anstieg am 4. und
5. Tage langsam bis zum 9. Tage auf 37° herunterging.
Erst vom 12. Tage ab sehen wir eine regelmässige Körper¬
wärmekurve auftreten, die sich zwischen 36,2 0 und 36,8 0 C.
hält. Dem Sinken der Körperwärme zur Norm folgt der Puls
erst am 14 Tage. Von da ab beobachten wir erst die Pulszahl,
welche wir bei der Wöchnerin in der Schwangerschaft kennen
gelernt hatten.
Nehmen wir an, wir hätten in diesem Falle nicht gewusst,
dass die Frau im gesunden Zustand eine Pulszahl unter
60 Schlägen in der Minute hatte, so würden wir fraglos einen
Puls von 80 Schlägen für sie als regelrecht angenommen haben.
Mit dem Abfall des Fiebers würden wir das Sinken der Pulszahl
von 116 auf 80 für eine Rückkehr der Pulszahl zur ursprüng¬
lichen Zalil angesehen haben und wir würden den Fall der Pulszahl
nach für günstig erachtet haben. Mit der Kenntniss aber,
dass die Frau im gesunden Zustand einen
Puls hat, der sich der Z a h 1 nach unter 60 li ä 11,
wissen wir, dass die Frau nicht als gesund zu
betrachten ist, obwohl die Körperwärme auf
37 0 C. herabgesunken war.
Ich beobachtete eine ganze Reihe entsprechender Fälle, in
denen an der Kranken oft nur übelriechender Wochenfluss fest-
gestellt wurde, der Puls hielt sich auch nach Abfall der Körper¬
wärme über der Schwangerschaftszahl, einmal fiel er erst am
18 Wochenbettstage auf die Sehwangerschaftszahl herab. Es
dürfte nicht bezweifelt werden, dass wir die Wöchnerinnen nur
dann als gesund anzusehen haben, wenn der Puls neben der
Körperwärme zur Sehwangerschaftszahl zurückgekehrt ist.
Sehr interessant waren mir Fälle, in denen nach einer
Fiobersteigerung völliger Abfall der Körperwärme eintrat,
während der Puls sich höher hielt als in der Schwangerschaft
und nach einer ganzen Reihe von Tagen plötz¬
lich eine erneute Steigerung der Körper¬
wärme auftrat.
Ebenso wichtig sind Fälle, in denen ich bei üblicher Körper¬
wärme der Wöchnerinnen einen höheren Puls fand als in der
Schwangerschaft, und erst am sechsten, siebenten
oder achten Tage durch Ansteigen der Kör¬
perwärme der Beweis für eine vorliegende Er¬
krankung erbracht wurde.
Ist demnach der Puls im Wochenbett der Zahl nach grösser
als in der Schwangerschaft, so müssen wir stets das Vorhanden¬
sein von Krankheitskeiraen vermuthen, auch wenn die Körper¬
wärme sich ordnungsgemäss verhält.
Wir kommen daher zu dem Ergebniss, dass ein hoher Puls
im Wochenbett durchaus nicht ein Zeichen einer Erkrankung
zu sein braucht, dass ferner ein verhältnissmässig niedriger Puls
kein Beweis für das Fehlen einer Erkrankung oder für die Ge¬
nesung einer Wöchnerin sein muss.
Ist eine Wöchnerin erkrankt, so haben wir in dem Vergleich
der Pulszahl der Schwangerschaft mit dem Puls der Wöchnerin
zur Beurtheilung der Krankheit selbst und vor Allem zur Fest¬
stellung der völligen Genesung der Kranken ein nicht zu unter¬
schätzendes Mittel. Zur Feststellung der völligen Genesung gibt
der Vergleich der Pulszahlen sogar eine feinere Probe ab, als der
Abfall der Körperwärme.
AVird dieses zugestanden, so müssen wir auch die Folge¬
rungen ziehen, d. h. wir sind verpflichtet, bei einer Schwangeren
im Hinblick auf das Wochenbett die Pulszahl festzustellen. Die
Möglichkeit hierzu ist in sehr vielen Fällen gegeben. Oft wird
der Arzt schon während der Schwangerschaft um Beistand ge¬
beten, die Hebamme wird meistens in der Schwangerschaft schon
zugezogen. Diese müssten verpflichtet werden, bei allen Frauen,
die sie in der Schwangerschaft schon zu Rathe ziehen, den Puls
zu zählen.
Es kommt nicht gar so selten vor, dass Frauen, die im
Wochenbett leicht gefiebert haben, und die nach einer Anzahl
fieberfreier Tage entlassen werden, in Kürze mit Exsudaten
wieder in Behandlung treten. Sollte es nicht möglich sein, die
Zahl dieser Fälle durch sorgfältige Beobachtung zu verringern,
d. h. durch Vergleich der Pulszahlen der Schwangerschaft und
No. 47.
des Wochenbettes? Nach meinen Auseinandersetzungen muss
dieses ohne Weiteres zugestanden werden.
Aber, wird mancher Leser einwenden, die Forderung, den
Puls in der Schwangerschaft zu zählen, ist zu umständlich. Da¬
gegen lässt sich sagen, dass es durchaus nicht nothwendig ist,
in der Weise bei der Pulszählung vorzugehen, wie ich es that,
um möglichst einwandsfreie Ergebnisse zu erhalten. Es genügt
vollständig, wenn wir oder die Hebammen bei Frauen, die unseren
Rath schon während der Schwangerschaft in Anspruch nehmen,
den Puls zählen, auch ohne dass wir sie zwingen, bestimmte Zeit,
vor der Zählung das Bett zu hüten. Wir müssen dann nur vor
Augen haben, dass der PuIr bei völliger Ruhe an Zahl kleiner
sein würde. Wir müssen im Wochenbett einen etwas geringeren
Puls bei gesundem Verlauf erlangen, als die in der Schwanger¬
schaft gefundene Zahl ergeben hatte. So werden uns die Frauen
nicht entgehen, die einen besonders hohen oder einen besonders
niedrigen Puls haben; dieses in der Schwangerschaft erkannt zu
haben, wird dem Arzte stets von Nutzen sein.
Kehren wir nun auf die Eingangs gestellten Fragen zurück,
so muss ich die erste dahin beantworten, dass der bis jetzt vor-
geschlagene Weg zur Beurtheilung des Wochenbettes nach der
Pulszahl — der Weg der Statistik — nicht der richtige ist.
Gleichgiltig, ob es sich um statistische Feststellung einer Durch¬
schnittszahl für den regelrechten Puls des Wochenbettes oder um
das Verhältmiss der Pulszahlen zur Körperwärme handelt.
Die zweite Frage beantwortet sich dahin, dass wir allerdings
in der Pulszahl ein vorzügliches Mittel zur Beurtheilung der
Wöchnerinnen besitzen, wir müssen aber die Schablone der
Statistik verlassen, und jeden Fall für sich betrachten. Sehen
wir bei einer Wöchnerin den Puls der Schwangerschaft neben
dem Puls im Wochenbett vor uns, dann sind wir in der Lage, ein
klares Bild über den Zustand der Wöchnerin zu erhalten. Manche
Frauen werden wir auf diesem Wege vor Späterkrankungen im
Wochenbett, vor Rückfällen und vor plötzlichem Tod (Lungen¬
embolie) schützen können.
Jeder Chirurg und jeder Gynäkologe beachtet den Vergleich
der Pulszahlen vor und nach einer Operation. Warum ist es in
der Geburtshilfe nicht ebenso?
Schriften verzeichniss.
1. Die Lehrbücher der Geburtshilfe. — 2. Baumfelder:
Inaug.-Dlse., Leipzig 3807. — 3. Blot: Arch. g£n6r. de raC*d., Paris
18G7. — 4. Braun: Bibi. d. ges. med. Wissensch., Bd. f. Geb.
u. Gyn. — 5. Cutler: Mon. f. Geb. u. Gyn. Bd. I, p. 652. —
6. F e li 1 i n g: Pliys. u. Path. d. Wochenbettes. Stuttgart 1897.
— 7. Fritsch: Arch. f. Gyn. Bd. VIII, p. 383, und Obi. d. med.
Wiss. 1875, p. 472. — 8. H e i 1: Arch. f. Gyn. Bd. 56. — 9. II e m e y:
Arch. gön£r. de m<kl., Paris 1868. — 10. Kehrer: Ueber die Puls¬
kurve im Puerperium. Heidelberg 1886. — 11. Knapp: Zeitschr.
f. Heilk. Bd. XIX, H. 2 u. 3. — 12. Koppehl: Diss., Halle 1893.
— 13. Leopold: Geburtsh. u. Gyn. 1895, Bd. II. — 14. Mont-
gomery: Dublin. Hosp. Gaz. 1887. — 15. Neu mann: Mon. f.
Geb. u. Gyn. Bd. II, II. 4. — 16. O 1 s h a u se n: Centralbl. f. Gyn.
1881, No. 3. — 17. Pastorello: Gaz. med. ital. prov. Venete,
Padova 1863. — 18. Probyn -Williams: Mon. f. Geb. u.
Gyn. Bd. I. — 19. Riegel: Zeitschr. f. klin. Med. Bd. XIII. —
20. v. R o s t h o r n: Mou. f. Geb. u. Gyn. Bd. V. — 21. S o p p:
Inaug.-Diss., Marburg 1898. — 22. Torggler: Münch, med.
Wochenschr. 1899, No. 21. — 23. V e j a s: Volkmann’s Samml. klin.
Vortr. No. 269.
Zur Behandlung des Milzbrandes mit intravenösen
Injektionen von löslichem Silber (Collargolum).
Von Militäroberarzt Dr. Fischer in Dresden.
Die Literatur über die Behandlung septischer Erkrankungen
mit Argentum colloidale ist bereits eine ziemlich umfassende.
Aus dem Bereiche anderer Infektionskrankheiten sind jedoch
noch wenig gut beobachtete Fälle veröffentlicht worden. Ich
halte mich desshalb für verpflichtet, einen Fall von Milzbrand
mitzutheilen. Die Darreichung des Argentum colloidale geschah
bis vor Kurzem fust allein in der Form der Silbersalbe (Unguen¬
tum Crede). Im Carolahause werden indess schon seit über
2 Jahren intravenöse Injektionen namentlich bei solchen Kran¬
ken nngewendet, bei welchen aus irgend einem Grunde die
Schmierkur als nicht geeignet oder für nicht energisch genug an¬
gesehen werden muss. Die Beobachtungen hierüber hat C re d e
in No. 21 und 22, 1901, der Mini. Woche und in der
BerL klin. Wochenschr. 1901, No. 37, mitgetheilt, soweit sie
sich auf Strcpto- und Staphylococcen beziehen. Da der Milzbrand
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1880
MUENCI1ENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
beim Menschen noch niemals in dieser Weise behandelt worden
ist, so gestatte ich mir in Folgendem diesen Fall mitzutheilen.
Am 19. Mal ds. Js. wurde der Schafinetster Adolf M. aus
Lolimen bei Pirna in das Carolahaus aufgenommen. Die Dia¬
gnose Milzbrand war vom behandelnden Arzt und vom Bezirks¬
arzt mikroskopisch festgestellt worden. Beide Herren hatten die
sofortige Vornahme eines operativen Eingriffes für ganz dringlich
erachtet.
Der 35 Jahre alte Patient war bisher nie krank gewesen.
Am 4. Mai half er eine Kuh, die seit wenigen Stunden Symptome
von Milzbrand zeigte und bereits dem Verenden nahe war, aus
dem Stalle schaffen. Patient kannte die Gefahr der Ansteckung,
hatte sich die Hände eingefettet und nachher mit Kalium per-
mauganicum desinfizirt. Kleine Hautverletzungen im Gesichte
oder an den Händen will er nicht gehabt haben. Nach 5 Tagen
spürte er Brennen auf der rechten Backe und allmählich bildete
sich dort ein etwa erbsengrosser, liochrother Fleck aus. Der
Appetit nahm ab, es stellten sich Schlingbeschwerden und Abge-
schlagenheit ein. Am 16. Mai. also 12 Tage nach der Infektion,
war die ganze rechte Backe hochrotli geschwollen und stark ge¬
spannt. lieber dem Jochbein hatte sich jetzt eine runde, etwa
markst Uckgrosse Blase gebildet. Trotz schlaffen Allgemein¬
befindens, unruhiger Nächte und Fröstelgefühl arbeitete Pat. noch
stundenweise. Vom 17. Mai Nachmittags ab traten wiederholt
Schüttelfröste auf. Patient hatte starke Schlingbeschwerden und
Schmerzen in der rechten Kopfseite, in die Schulter und den
Rücken ausstrahlend. Am 18. Mai erst ging er zum Arzt, der
zuerst Umschläge auf das stark, geschwollene Gesicht verordnete
und nach mikroskopischer Feststellung der Diagnose Milzbrand,
des sich rasch verschlimmernden Zustandes wegen, ihn am Nach¬
mittage des 19. Mai in das ('arolahaus überführen Hess. An
diesem Tage hatte Patient mehrere Schüttelfröste gehabt.
Der Aufnahmebefund Abends 6 Uhr ist folgender:
Mittelgrosser, kräftig gebauter, gut genährter Mann. Innere
Organe ohne nachweisbare Veränderungen. Au der rechten Wange,
dicht unterhalb des Jochbogens eine in der Mitte vertiefte, ring¬
förmige, sehwarzgrnue Blase von l'/ 3 cm Durchmesser. Die
nächste Umgebung der Pustel hart intiltrirt, die weitere bis zum
Halse hinab stark entzündlich geschwollen. Hals- und Clavicular-
drüsen sind vergrüssert und schmerzhaft. Patient ist sehr hin¬
fällig, leicht benommen, klagt über heftige Kopfschmerzen und
Brennen im Gesichte, fröstelt fortgesetzt, ist gänzlich appetitlos,
sieht blass und etwas verfallen aus. Temp. 38.8, Puls 9t), weich.
Da er von jetzt an unter steter Kontrole blieb und noch eine gute
llerzthiitigkeit hatte, wurde von der üblichen Behandlung mit
grossen Einschnitten u. s. w. zunächst abgesehen, um die Wirkung
des Argentum colloidale einwandfrei beobachten zu können. Er
erhielt 5 ccm einer lproc. Lösung direkt in die linke Vena eephaliea
injizirt. Die Gesichtshälfte wurde mit Borsalbe bisleckt. 8 Uhr
Abends Temp. 38,4, Puls 90, Resp. 24.
12 Uhr Abends. Temp. 39.0, Puls 92, Resp. 24. Intensiver
Schüttelfrost; von da au wurde er ruhiger.
20. Mai 1901, Früh 7 Uhr. Patient hat gegen Morgen stark
geschwitzt, von 4—5 Uhr spontan geschlafen, fühlt sich wesent¬
lich besser und nimmt mit leidlichem Appetit flüssige Nahrung
zu sich. Temp. 30.8, Puls 80. Resp. 10. Die entzündliche Infil¬
tration hat sich weiter nusgebreitet und ist im Bereich der Backe
noch fester geworden. Sie betrifft die ganze Halsseite, Hinter¬
kopf, die Stirne bis zur Mitte rechts. Die Augenlider sind so stark
gosenwollen, dass sie nicht mehr geöffnet werden können. Die
Pustel hat sich kaum verändert, die Umgebung ist blauroth ver¬
färbt und bis zum Kieferwinkel bretthart. Die Drüsen noch sehr
vergrüssert und druckempfindlich. Innere Organe ohne Befund.
Gegen Abend nehmen die lokalen Beschwerden weiter zu und
das Morgens deutlich viel bessere Allgemeinbefinden neigt zur Ver¬
schlimmerung.
Abends 0 Uhr. Temp. 38.0, Puls 88. kräftig, gleichmässig,
Resp. 18. Bei der Schwere der Infektion war durch eine einmalige
Injektion nur eine vorübergehende Hemmung in der Entwicklung
der Krankheitskeime zu erwarten. Da das Herz noch immer gut
arbeitete und die Schüttelfröste, vorher sehr häufig, seit beinahe
24 Stunden ausgesetzt hatten, glaubte man es rechtfertigen zu
können, mit ausgedehnten Incisioneu noch weiter zu warten, um
die Wirkung einer 2. Injektion, die nach Analogie der Einwirkung
bol rein septischen Processen in der Regel viel nachhaltiger sich
geltend macht, erst übersehen zu können. Injektion 0,30 N wie
früher.
10 Uhr Abends. Temp. 37,0, Puls 80. Resp. 18. Patient ruhig,
fühlt sich wohlor, Spannung im Gesichte bis Mitternacht unver¬
ändert
2t. Mai 1901. Allgemeinbefinden viel besser, gegen Morgen
2 Stunden Schlaf. Guter Appetit. Temp. 37,0, Puls 80. Resp. 18.
Das entzündliche Oedem ist nicht weiter gegangen, die Augen-
gogond lK‘roits freier. Im Laufe des Tages tritt die Rückbildung
des Infiltrates deutlich in Erscheinung. Das mit dem Blute durch
den ganzen Körper gebrachte lösliche Silber hat die Oberhand
über die Infektion gewonnen, das Allgemeinbefinden fast zu
einem normalen gemacht und die Aufsaugung der entzündlichen
Ausschwitzung eingeleitet. Obwohl anscheinend nicht mehr
nöthig, wurde der Sicherheit wegen um 0 Uhr 30 Min. Abends
eine 3. Injektion in gleicher Weise gegeben. Abends Temp. 37,0,
Puls SO, Resp. 18.
22. Mai 1901. Allgemeinbefinden sehr gut. Viel und ruhig
geschlafen. Periodisch noch leichte Kopfschmerzen, die früher
subjektiven Beschwerden alle verschwunden, ganz fieberfrei.
1 1 Ultra t sehr bedeutend zurückgegangen, an seiner Stelle die
Weiehtheile weich und unempfindlich, nur noch wenig Röthung.
Der ursprüngliche Herd bildet nur noch eine derbe, wallnussgrosse
Geschwulst, ohne Fluktuation, dereu Mitte von dem schwarzen,
etwas eingesunkenen Schorf eingenommen wird. Die Halsdriiseu
schmerzlos, wenig fühlbar.
23. Mal 1901. Anhaltend gutes, fieberfreies Befinden.
20. Mai 1901. Keine Klagen. Die Haut iin Gesichte hat wieder
normale Beschaffenheit. Der Schorf beginnt sich abzustossen. da¬
runter kein nekrotischer Propf. der Henl wird aufgesaugt.
30. Mai. Der Hautschorf hat sich nbgestosseu, an seiner Stelle
befinden sich gute Granulationen.
14. Juni. Geheilt, mit vernarbter Wunde entlassen.
Dieser Fall, der durch das klinische Bild und durch die
bakteriologische und mikroskopische Untersuchung als Milz¬
brand fcstgestellt war, muss jedenfalls für einen mindestens
mitielscbweren bezeichnet werden, dessen Prognose namentlich
bei der Nachbarschaft des Gehirns und dem stürmischen Verlauf
eine üussorst. schlechte war. Ausgedehnte Incisionen hätten
natürlich die Prognose gebessert, höchst zweifelhaft wäre sie. aber
auch dann noch geblieben und im besten Falle hätte dann die
Krankheit einen sehr viel längeren Verlauf genommen und be¬
trächtliche Entstellungen im Gesichte zurückgelassen. Durch
die antibakterielle Silberbehandlung dürfte einwandfrei eine so¬
fortige Besserung, eine sehr baldige Sistirung der Infektion, eine
kurze Genesungszeit und eine Abheilung mit Wiederherstellung
normaler örtlicher Verhältnisse erreicht worden sein. Eben¬
solche Beobachtungen liegen bei milzbrandkranken Thieren schon
vor. Zweckmässig wäre es vielleicht gewesen, wenn die zweite
Injektion schon am anderen Morgen gemacht, worden wäre, da
bei der grossen Virulenz der Infektion die Wirkung der ersten
nur in einer kurzdauernden Hemmung der Bakterienentwicklung
bestand und bestehen konnte. Die Verschlimmerung am 20. Mai.
Nachmittags, wäre dann nicht eingetreten. Wie in allen Fällen
interner Behandlung mit Argentum colloidale trat auch hier nach
einigen Stunden zunächst. Ruhe und spontaner Schlaf ein. dann
subjektives Bcsserbefindon und Schweiss, später erst der Rück¬
gang der örtlichen Entzündung. Nachtheile der intravenösen
Injektion sind auch in diesem Falle nicht beobachtet worden,
auch nicht ein Frost einige Zeit nach der Injektion (der Frost
nach der 1. Injektion muss wohl noch auf die Erkrankung ge¬
schoben werden). Es war aber auch sorgsam vermieden worden,
dass ungelöste oder ausgeschiedene Silberpartikelehon mit in¬
jizirt wurden. Ein Frost muss nach Ansicht, von Credo in der
Regel auf die Technik der Einspritzung zurückgeführt, werden,
und ist nicht als eine speeifisehe Wirkung des Mittels zu l>e-
t rächten.
Da diese Beobachtung bei Milzbrand sieh ganz analog ver¬
hält, wie diejenige bei anderen Infektionskrankheiten nicht rein
septischer Art, wie z. B. Rheumatismus acutus septieus, so hat
der beschriebene Fall auch eine typische Bedeutung über seine
speciello Infektionsart hinaus und mich dosshalb mit veranlasst,
ihn zu veröffentlichen.
Zur Theorie der Antikörper.
I. Ueber die Antitoxin-Immunität.
Von Max G r u b e r in Wien.
(Schluss.)
Wir wenden uns nun zu einer ganz anderen Reihe von
Beobachtungen, die mit den eben besprochenen in einem recht
losen Zusammenhang stehen.
Wie Ihnen Allen bekannt, ist, gibt es einzelne Bakterientoxine
von einer ganz furchtbaren Giftigkeit, mit der verglichen die
giftigsten Pflanzenalkaloide harmlose Substanzen sind. So würde
unter der Voraussetzung, dass der Mensch ebenso empfänglich
für das Tetanustoxin ist, wie die Maus, % mg des giftigsten
Tetanusgiftpräparates, das bis jetzt hergestellt worden ist, für
ihn die tüdtliche Dosis sein und in diesem Präparate bildet das
Toxin nur einen winzigen Bruchtheil. Dagegen sind ca. 70 mg
Strychnin, ca. 100 mg Blausäure zur Tödtung eines Menschen
erforderlich 1
Um so auffallender ist es, dass diese Toxine bei subkutaner
oder intravenöser Injektion niemals unmittelbar ihre Wirkung
ausüben. Immer, auch wenn man sehr grosse Dosen nimmt,
vergeht eine gewisse Inkubationszeit., eine Latenzfrist, bis die
Krankheitserscheinungen einsetzen; eine Frist, welche Stunden,
ja Tage und selbst Wochen betragen kann.
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
1881
Andererseits kann man sich davon überzeugen, dass das iu-
jizirte Toxin bei empfänglichen Thiereu rasch aus dem Blute
verschwindet. Knorr, der treffliche junge Forscher, der allzu¬
früh ein Opfer seines Berufes geworden ist, überzeugte sich da¬
von zuerst beim Kaninchen bezüglich des Tetanusgiftes. Anderer¬
seits fand er, dass bei dem sehr unempfindlichen Huhne, wenn
kleine Giftdosen injizirt werden, die keine nennenswerthen
Krankheitserscheinungen hervorrufen, fast alles Gift im Blute
zu finden ist, während Ihm grossen Dosen, die Tetanus erzeugen,
auch bei diesem Thiere ein grosser Theil des injizirten Giftes
im Blute nicht mehr aufgefunden werden kann. Dönitz hat
dann darüber höchst wichtige genauere Versuche angestellt.
Werden Tetanustoxin und Antiserum gleichzeitig eingespritzt,
so genügt jene Serummenge, die man in vitro der Toxinlösung
heimischen muss, um volle Unschädlichkeit zu erreichen, auch
im Thiere. Lässt man aber die Seruminjektion der Giftinjektiou
nachfolgen, so zeigt es sich, dass bereits bei einem Intervall von
7—8 Minuten die einfache neutralisirende Serumdosis nicht
mehr hinreicht, um das Thier vor dem Tode zu retten. Diese
Rettung ist zunächst noch möglich, wenn man das Mehrfache
dieser Dosis anwendet. Sind aber 15 Minuten verstrichen, dann
gelingt es auch mit den grössten Serumgaben nicht mehr, die
Krankheit aufzuhalten. Also bereits binnen 7 Minuten ist beim
empfänglichen Thiere die tödtliehe Dosis Tetanusgift aus dem
Blute, wo es vom Antitoxin erreicht und unschädlich gemacht
werden müsste, verschwunden und binnen 15 Minuten ist cs
bereits vor den Angriffen des Antitoxins völlig geschützt. Ganz
übereinstimmend damit hat Hcymans gefunden, dass ein
empfängliches Thier vom Tetanus nicht gerettet werden kann,
wenn man unmittelbar nach der intravenösen Injektion das Thier
nahezu vollständig verbluten lässt und durch Transfusion von
giftfreiem Blute am Leben zu erhalten trachtet.
Man hat nun gesucht, wohin denn das aus dem Blute ver¬
schwundene Toxin gelangt ist. Dieses Suchen kann natürlich
wieder nur mit Hilfe des physiologischen Experimentes ge¬
schehen. Man nimmt die Organe des vergifteten Thieres und
prüft sie oder ihre Extrakte auf ihre Giftigkeit gegenüber
neuen, empfänglichen Thiereu. Da stellte es sich nun z. B. bei
den Versuchen Ransom’s heraus, dass Tetanus durch alle
Organe der dem Tetanus erlegenen Taube hervorgerufen werden
kann, nur nicht durch das Centralnervensystem, durch Hirn und
Rückenmark; also gerade durch jene Organe nicht, welche offen¬
bar die allein spezifisch giftempfindlichen der Taube sind.
Diese Thatsachen glaubt man nun mit Ehrlich nicht
anders erklären zu können, als dass das Toxin in den gift¬
empfindlichen Organen sofort fest gebunden wird. Indem man
cs stillschweigend als selbstverständlich annahm, dass das Toxin
durch Blut und Lymphe gleiclnnässig in alle Organe des Körpers
gebracht werde, erblickte man in der Thatsache, dass es im gift-
emptindlichen Thiere alsbald aus dem Blute verschwindet, wäh¬
rend es sich im Blute des unempfindlichen Huhnes erhält, in der
Thatsache, dass es in den giftempfindlichen Organen nicht nach¬
weisbar ist, wohl aber in den für das Gift unempfindlichen, den
unumstössliehen Beweis dafür, dass die Toxine nur dann ihre
Giftwirkung entfalten können, wenn sie, vom Protoplasma der
giftempfindlichen Zellen gebunden, gewissennaassen assimilirt
werden. Die Inkubation aber glaubt Ehrlich so erklären zu
können, dass das Toxin zunächst durch besondere Affinität
— wieder durch eine haptophore Gruppe — an gewisse Theile
des Protoplamas, die nicht unentbehrlich lebenswichtig sind und
die er mit den Seitenketten der organischen Verbindungen in
Analogie setzt, verankert werde, dass dadurch der eigentlich«
Protoplasmakern, den er „Leistungskern“ nennt, zwar in die
Wirkungssphäre der toxophoren Gruppe gelangt, dass aber diese
toxophore Gruppe trotzdem nur ganz allmählich ihre zerstörenden
Wirkungen auf das Protoplasma entfalte, da sie viel geringere
Affinität zum Protoplasma habe, als die haptophore Gruppe zu
der betreffenden „Seitenkette“. Durch den Besitz dieser hapto-
phoren Gruppe, durch diese, Assimilationsfähigkeit seitens dos
Protoplasmas sollen sich nun nach E h r 1 i e h die Toxine durch¬
greifend von den meisten pharmakologischen Agcntien, von den Al¬
kaloiden, Antipyreticis und Antisepticis unterscheiden, welche vom
Protoplasma nicht fest gebunden werden, sondern mit ihm nur
salzähnliche. Verbindungen oder Verhältnisse wie sie der sogen,
„starren Lösung“ entsprechen, eingehen. Auf die lockere Bin¬
dung schliesst Ehrlich daraus, dass alle zuletzt genannten
Stoffe durch Extraktionsmittel aus den vergifteten Organen leicht
ausgezogen werden können, während die Toxine angeblich nicht
extrahirbar seien. Die Assimilirbarkeit durch das giftempfind¬
liche Protoplasma, behauptet Ehrlich weiter, sei Vorbedingung
für die Antitoxinbildung; nur assimilirbare Gifte können Anti¬
toxinproduktion provoziren. Und nun macht er den weiteren
verwegenen Hypothesensprung, zu behaupten, jene haptophore
Gruppe des Toxins, welche das Toxin an das Protoplasma fessle,
sei identisch mit der haptophoren Gruppe für das Antitoxin und
die Seitenkette des Protoplasmas, welche das Toxin verankert,
sei identisch mit dem Antitoxin selbst.
Es wird nützlich sein, hier wieder Halt zu machen und die
kritische Sonde anzulegen, bevor wir zum letzten Theile der
E h r 1 i e h’sehen Theorie übergehen. Aber ist es nothwe.ndig,
hier noch zu prüfen? Ist es nicht bereits experimentell bewiesen,
dass Ehrlich gerade mit diesem letzten kühnen Salto an’s
Ufer der Erkenntniss gelangt ist?
Es machte ungeheures Aufsehen, als — kurze Zeit, nachdem
E h r 1 i eh seine Seitenkettentheorie publizirt hatte — Wasser-
m a n n und bald nach ihm und unabhängig von ihm Kanso m
mit einem geistvoll ersonnenen Kxj>erimente hervortrat, das in
überraschendster Weise diese Lehre zu bestätigen schien.
W asber m a n n und R a n s o m sagten sich, wenn E h r -
lieh Recht hat, wenn das Centralnervcnsysteiu eine dem Te¬
tanusantitoxin identische Substanz enthält, dann muss Ilimbrei
eines giftempfindlieheu Thieres beigemischtes Toxin gerade so
unschädlich machen, wie das Antiserum selbst, indem es wie das
Antitoxin in diesem das Toxin bindet, seine haptophore Gruppe
sättigt und ihm dadurch den Ankorhaken raubt, mit dem es sich
an das lebendige Protoplasma heften konnte. Und siehe da!
Eine Mischung von Tetanustoxin mit dem frischen Brei von
Meerschweinchenhirn und -Rückenmark erweist sich bei einem
gewissen Mengenverhältnisse in der Tliat als vollkommen un¬
schädlich, während der Brei aller anderen Mcerschweinehen-
organe die Wirkung nicht hemmt. Ganz ähnlich wie das (’cntral-
nervonsystem des Meerschweines wirkt das der Taube, des Ka¬
ninchen, des Pferdes, des Menschen.
Wir müssen uns also vor Allem fragen, ob die Sache durch
dieses Experiment wirklich entschieden sei, wie so Viele an-
neluneii. Das ist nicht der Fall. Ich führe sitatt vieler Gründe
nur ein Experiment v. Behring’« an, das völlig eindeutig ist.
Falls llirnbrei identisch wäre mit dem Antitoxin, müsste
man weniger Antitoxin brauchen, um eine mit llirnbrei versetzte
und dadurch theilweise neutralisirte Menge Giftlösung unschäd¬
lich zu machen als für die gleiche Menge Giftlösung für sich
allein. Dies ist aber nicht der Fall: 0.008 ccm Tetaimsgiftlösung
No. 3 brauchten bei B e h r i n g’s Versuchen 0,001 ccm eines
Antiserum« zur völligen Neutralisation. Als er nun 0,008 com
Giftlösung zuerst mit 0,2 ccm Meerschweinhirnbrei, einer zur
Unschädlichmachung des Giftes unzulänglichen Menge, und dann
mit 0.001 ccm Antiserum versetzte und dann die Mischung an
Mäusen auf ihre Giftigkeit prüfte, zeigte es sich, dass sic nicht
etwa einen Antitoxinüberschuss enthielt, sondern freies Gift,
denn sie tödtete noch Mäuse, so dass also der llirnbrei die Neu¬
tralisation von Toxin und Antitoxin sogar gehindert, hatte! Das
todte Centralnervensystem wenigstens enthält somit keine Sub¬
stanzen, die wie das Antitoxin wirken und die Beobachtungen
von Wasser m a n n und Ransom sollten schon längst nicht
mehr als Beweise für die E h r 1 i c h’sehe Theorie citirt werden.
Im Gegentheile liefern sie einen weiteren im höchsten Maasse
beaehtenswerthen Beleg dafür, wie die Giftwirkung durch Stoffe,
die sich mit dem Gifte selbst nicht verbinden, aufgehoben werden
kann und wie unsicher daher die Deutung eines lediglich physio¬
logischen Experimentes sein muss.
Angesichts dieses v. B o h r i n g’sehen Exj>erimentes kann
z. B. keine Rede mehr davon sein, dass es durch die früher er¬
wähnten Versuche bewiesen sei. «lass das Tetanustoxiu durch
die giftempfindlichen Organe fest gebunden werde, denn die Un¬
möglichkeit des Nachweises de„s Giftes im Centralnervensystcm
findet eine ausreichende Erklärung in der Hemmung der Gift-
wirkung durch den Brei dieser Organe.
Jeder Schatten eines Beweises fehlt für die Behauptung,
dass die Toxine erst durch ihre haptophore Gruppe an das Proto¬
plasma gebunden, „assimilirt“ werden müssen, damit sie ihre
Giftwirkung entfalten können und dafür, dass sic sich dadurch
4*
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3882
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
fundamental von den bisher bekannten, chemisch definirten Gif¬
ten unterscheiden.
Selbst wenn wir zugeben wollten, dass es bewiesen sei, dass
das Toxin durch das Centralnervensystem fest gebunden werde,
so fehlt der Beweis, dass diese Bindung gerade in den gift-
emptlndlichen Ganglienzellen erfolgt; so fehlt der Beweis, dass
diese Bindung eine nothwendige Vorbedingung der Giftwirkung
sei. Im Gegentheile beweisen wichtige Thatsachen, dass dies
nicht der Fall ist. Courmont und Doyen haben gefunden,
dass das Centralnervensystem von Warmfröschen absolut nicht
geeignet ist, beim Mischversuche in vitro das Tetanusgift un-
sehiidlich zu machen, zu binden, obwohl diese Thiere gegen das
Gift enorm empfindlich sind. Dasselbe konstatirte Metsch-
n i k o f f bezüglich des Hirns der giftempfindlichen Kröten und
wenn das Rückenmark des Huhnes dieser Wirksamkeit entbehrt
und sein Hirn sie nur in geringem Grade besitzt, so spricht dies
auch entscheidend gegen E h r 1 i c h’s Hypothese, da das Huhn
bei intracerebraler i. e. subaraehnoidealer Injektion ungeheuer
empfindlich für das Tetanusgift ist. Wenn man die bekannten
Gifte aus den vergifteten Organen extrahiren kann, so darf man
nicht vergessen, dass wir sie isoliren und durch chemische Re-
agentien in den Extrakten sicher naehweisen können, die Toxine
aber wieder nur durch das unsichere physiologische Experiment.
Uebrigens ist es nicht einmal richtig, dass mau die Toxine
nicht extrahiren könne, denn Danysz hat gezeigt, dass man
das Tetanustoxin aus dem Gemische von Hirnbrei und Toxin
allmählich mit Wasser ausziehen könne, dass das, frisch bereitet
unschädliche Gemisch von Hirn und Toxin durch fünf¬
tägige Maeeration in physiologischer Kochsalzlösung wieder stark
giftig wird — nebenbei bemerkt, welche drastische Beweise dafür,
dass das Centralnervensystem keine mit dem Antitoxin identische
Substanz enthält.
Es ist auch von vornehercin gar nicht einzusehen, warum die
Toxine nur durch Vermittlung ihrer hypothetischen haptophoren
Gruppe zur Wirkung kommen sollten, da Ehrlich selbst an¬
nimmt, dass die Toxine bezüglich ihrer toxophoren Gruppe den
bekannten organischen Giften sich analog verhalten und da doch
diese letzteren ihre Giftwirkung ausüben, obwohl sie angeblich
einer haptophoren Gruppe entbehren? Warum soll die toxophore
Gruppe des Tetanustoxins, die doch ebenfalls eine gewisse che¬
mische Verwandtschaft zum Protoplasma besitzen muss, nicht
unmittelbar zur Wirkung kommen können, wohl aber die toxo¬
phore Gruppe des Strychnins, das Cyanradikal und andere
toxische Radikale. Uebrigens wissen wir heute auch in vielen
bekannten organischen Giften „lmptophore“ und „toxophore“
Gruppen zu unterscheiden und wissen, dass beide im Molekül
vorhanden sein müssen, damit ein Stoff als Gift wirken könne.
Ich verweise in di<wer Beziehung auf das neue vortreffliche Buch
unseres Kollegen Sigmund Fraenkel über Arzneimittel-
Synthese.
Die Thatsache der Ineubation darf da nicht als Gegenbeweis
angeführt werden, denn Ineubation findet sich auch bei manchen
bekannten Giften, wie heim Colehiein (Jacobj), bei Saponin
(R anso m) und vor Allem bei der chronischen Vergiftung mit
Blei; eine geringe Ueborlegung zeigt, dass sie durch die Ehr-
1 i e h’sche Hypothese gar keine befriedigende Erklärung findet..
Denn angenommen, das Toxin müsse erst mittels der hapto¬
phoren Gruppe iu den Reaktionsbereich des Protoplasmakerns ge¬
bracht werden, warum dauert cs aber dann, nachdem das Toxin
verankert ist, noch so lange, bis die toxophore Gruppe wirkt?
Gerade das genauere Studium der Ineubation bei den Toxinen
hat uns in neuester Zeit höchst wichtige Einblicke in die Vor¬
gänge bei der Toxinvergiftung verschafft und ich hoffe, dass diese
»Studien uns auf gesündere Bahnen lenken werden, als die Ehr-
1 i c h’schen Phantasien. Eine auffällig laugt'. Ineubation findet
sich nicht bei jeder Art der Einverleibung der Toxine, sondern
nur bei der sukutanen und intravenösen. R a n s o m hat ge¬
zeigt, dass sie sich manchmal nur nach Minuten bemisst,
wenn man das Gift intracerebral, d. h. subarachnoideal applicirt
(Tetanusgift beim Kaninchen). Wenn also das Gift von vorne-
herein in die Nähe der giftempfindlichen Zellen gebracht wird,
dann wirkt es auch sofort, wie andere Gifte!
Warum bei subkutaner und intravenöser Injektion die In-
cubation so lange dauert, das hat in jüngster Zeit Hans Meyer,
bekanntlich einer unserer hervorragendsten Experimental-
Pharmakologen, gemeinsam mit R a n s o m für das Tetanus¬
toxin entrathselt. Ihre Versuchsergebnisse sind, ganz abgesehen
von der Immunitätslehre, von höchstem physiologischen Interesse,
da sie uns eine bisher unbekannte Funktion des Achsencylinders
enthüllen. Es ist stets als eine der merkwürdigsten Thatsachen
angesehen worden, dass nach subkutaner Einverleibung des
Tetanustoxins meist nur lokaler Tetanus entsteht und zuerst und
am stärksten und vielleicht ausschliesslich jene Muskelgruppen
ergriffen werden, welche der Injektionsstelle benachbart sind.
Da der Tetanus ohne Zweifel eine centrale Erkrankung ist und
die Krämpfe von den erkrankten motorischen Zellen der Vorder-
hümer ausgelöst werden, und die Erkrankung ohne Zweifel nur
dann eintritt. wenn die Zellen selbst vom Gifte getroffen werden,
so blieb diese Lokalisation ganz unverständlich, solange man an¬
nahm, dass das Tetanusgift von den Säften aufgenommen und
durch Blut und Lymphe weiter verfrachtet werde. Man hat da¬
her schon lange die Vermuthung ausgesprochen, dass der Trans¬
port des Tetanustoxins auf dem Wege der Nerven erfolgen müsse.
Dies haben nun Hans M e y o r und R a n s o m bewiesen. »Sic
zeigten, dass nach subkutaner Injektion das Toxin in den benach¬
barten peripheren Nerven angehäuft wird; sie zeigten, dass der
Tetanus viel rascher eintritt, wenn man das Gift in den Nerven
selbst injizirt. als wenn subkutan; sie zeigten, dass man den Ein¬
tritt des lokalen Tetanus nach subkutaner Injektion vollkommen
verhindern kann, wenn man gleichzeitig oder innerhalb gewisser,
ziemlich langer Fristen nachträglich Antitoxin in den betreffen¬
den Nervenstamm centralwärts injizirt, dass dagegen, wenn ein¬
mal das Toxin von den peripheren Nerven aufgenommen worden
ist, die Injektion selbst sehr grosser Mengen von Antitoxin in’s
Blut die Krankheit nicht mehr aufzuhalten vermag, da das Anti¬
toxin (offenbar iu Folge mechanischer Hindernisse) aus der Blut¬
bahn nicht in das Nervensystem überzutreten vermag. Das in
die Säfte, gelangende Tetanustoxin wird also bei den empfäng¬
licheren Thieren rasch von den Nervenendigungen aufgenommen
und wandert nun langsam, von dem Antitoxin geschützt, in den
Achsencylindem der Nerven centralwärts. Erst wenn «* die
Ganglienzellen erreicht hat, bricht die Krankheit aus; daher die
Latonz]>eriode.
Wir kommen also, wenn wir das eben Besprochene ülx*r-
bliekcn, wieder zu dem »Schlüsse, dass nichts von dem, was Ehr-
1 i c h’s Theorie behauptet, erwiesen ist. Es ist nicht erwiesen,
dass die giftompHndlichcn Zellen das Toxin binden, assimiliren.
E« ist höchst unwahrscheinlich, dass das Gift nicht unmittelbar
durch eine toxophore Gruppe wirke. Das Verschwinden des Toxins
aus dem Blute und die Ineubation haben eine ganz andere Er¬
klärung gefunden. Es ist wenigstens für die todte Nervensustanz
erwiesen, dass in ihr kein dem Antitoxin gleicher Stoff enthalten
ist. Ich könnte eigentlich abbreehen; aber die E h r 1 i c h’schen
Anschauungen haben in vielen Köpfen bereite so feste Wurzeln
geschlagen, das« es nothwendig ist, ihre völlige Werthlosigkeit
in allen Stücken unerbittlich blosszulegeu.
Wir kommen zur Frage d<*s Ursprung«? de« Antitoxins iiu
Blute.
Ehrl ich sagt, jene Seitenketten des Protoplasmas, welche
unglücklicher Weist? Verwandtschaft, zum Toxin besitzen und da¬
durch dieses aus den Säften abfangen und verankern, müssen
noch anderen physiologischen Zwecken dienen. Er nimmt an,
dass sic dem normalen Stoffwechsel dienen, indem sie Nahrungs-
moleküle aus den Säften abfangen und so für die Zelle ausnützbar
machen. Das Verhalten solcher aufnahmsfähiger Seitenketten
ist daher für das Leben der Zelle nothwendig. Werden die Seiten¬
ketten durch das Toxin gesättigt, so erleidet die Zelle, ganz ab¬
gesehen von der späteren Wirkung der toxophoren Gruppe, einen
Defekt. Diesem Defekt trachtet sie daher zu ersetzen u. s. f.,
wie bereite besprochen.
Fragen wir uns nun, stimmen die Erscheinungen bei der
Antitoxinbildung mit der Auffassung überein, dass es sich um
den Ersatz eines Defekte« handle? Nun, ein Defekt, der zu einer
so übermässigen Reproduktion Anlass gibt, der müsste doch im
»Stande sein, an und für sich Leben und die Funktion der
Zelle ernsthaft zu stören; da müsste man doch etwas von Krank -
heitsorscheinungen wahniehmen. Es ist daher von Ehrlich’s
Theorie aus unannehmbar, wenn Morgenroth meint, dass
die Seitenketten der tetanusempfindlichen Zellen der Kaltfrösche
wochen- und monatelang mit dem Toxin beladen sein könnten,
ohne dass dies im Geringsten das ^Wohlbefinden der Frösche stört,
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19. November 1901
MüENCHENEIt MEDIC[NISCHE WOCHENSCHRIFT.
solange nur die Temperatur so niedrig bleibt, dass die toxopliore
Gruppe ihre Wirkung nicht entfalten kann. Wenn es sieh um
den Ersatz eines Defektes handeln würde, wäre es undenkbar, dass
das Huhn nach Gaben von 200 bis 200t) -j- Ms Tetanusantitoxin
bildet, ohne die geringste Gesundheitsstörung zu zeigen (Knorr),
dass der Alligator inissisipiensis. ohne im Geringsten krank zu
werden, reichlichst Tetanus- und Diphtherieantitoxin erzeugt
(M e t s e h n i k o f f).
Die Antitoxinproduktion hat im Gegentheile durchaus
den Charakter einer Sekretion. Im Verhält niss zum
eingespritzten Toxin ist die Antitoxinproduktion oft ganz
riesig, so bei einem der Pferde Knorr’s, wo 100 000 Anti¬
toxineinheiten durch 1 Toxineinln it gebildet wurden. Gleiche
Giftdosen rufen bei Thieren verschiedener Art ganz ungeheuer
verschieden grosse Antitoxinproduktion hervor, z. H. beim
Pferde eine 20 000 mal grössere als beim Huhne (K n o r r). Ein¬
mal in Gang gekommen, kann die Antitoxinbildung Wochen-,
monate-, ja jahrelang forlgehon, ohne dass sie durch neues Toxin
wieder angeregt zu werden braucht; nach starken Aderlässen
kommt die Tetanusantitoxinbildung in so reichlicher Weise zu
Stande, dass in kurzer Zeit nahezu die alte Höhe des Antitoxin¬
gehaltes im Blute wieder erreicht ist (Roux und Yaillard).
Bei fortgesetzten Toxininjekiioncn steigt rt sieh die Fähigkeit
der Antitoxinbildung. Pilocarpin fördert nach den interessanten
Versuchen von Salomonsen und Mndsen wie andere Se¬
kretionen, so auch die Antitoxinbildung.
Der Zusammenhang dieser Stkretion mit Erkrankung, Hei¬
lung und aktiver Immunisirung erscheint als ein äusserst loser,
so lose, dass uns auch dies wieder abhalt« n müsst.-, der Eh r-
1 i c Ir sehen Anschauung von dem Mechanismus der Toxinwirkung
beizupfliehten, wenn wir sonst noch dazu Lust hätten. Wie wir
eben besprochen haben, bildet der Alligator inissisipiensis bei
nahezu völliger, das Ilulm bei sehr hochgradiger Unempfindlich¬
keit- gegen Tetanusgift reichlichst Antitoxin, ebenso die gegen
Diphtheriegift unempfindlichen Ratten reichlichst Antitoxin
gegen dieses Gift (Klempercr. Aronson). Dagegen weisen
Meerschweine und Menschen, welche vom Tetanus genesen sind,
in ihrem Blute nicht die kleinste Menge Antitoxin auf (Kn o r r,
Vineenzi). Frösche können gegen Abrin immunisirt werden
ohne Spur einer Antitoxinbildung. Sie bleiben dann gesund,
auch wenn ihr Blut soviel Abrin enthält, dass normale Tliiere
durch die kleinste Menge davon gotödtet worden. Drevor und
M a d s e n berichten neuerdings von einem Kaninchen, das mit
Hilfe von Diphtherie-„Toxon“ so weit immunisirt wurde, dass
es die 2000 fache tödtliche Dosis ertragen konnte, ohne dass sein
Blut auch nur eine Spur von Antitoxin enthielt.
Und noch ganz andere Thatsachen liegen vor, welche un¬
widerleglich beweisen, dass «1 i e Antitoxinbildung an
e i n e m ganz anderen Orte im Organismus er¬
folgen muss, als die G i f t w i r k u n g.
Knorr hat schon in seiner von mir bereits oft citirten
Abhandlung, die zu dem Besten gehört, was über Immunität ge¬
schrieben worden ist, darauf liingewiesen, dass gewisse That¬
sachen sieh mit Khrlieh’s Theorie nicht vereinigen lassen,
und man hat sieh allzu leicht über seine Argumente hinweg-
gesetzt: Kaninchen können Antitoxin bilden, während gleich¬
zeitig ein gelinder Tetanus wochenlang gleiclunässig fortbesteht;
beim Huhne kann es nach etwas grösseren Dosen Toxin dahin
kommen, dass die telanischcn Erscheinungen sich steigern, trotz
reichlicher fortdauernder Antitoxinbildung. Ja, warum werden
denn, wenn die Antitoxinbildung im Centralnervensystem im
Gange ist, nicht die mit Toxin besetzten Seitenketten abge-
stossen und so unschädlich gemacht ? Man hat sieh darauf aus-
redon wollen, dass die Zellen, von denen die Tetanuserseheinungen
ausgehen, zu schwer geschädigt seien, um Antitoxin regetieriren
zu können, aber diese flaue Ausrede gilt nicht im folgenden Falle:
Aktiv immunisirte Tliiere, deren Blut reichlich Antiloxin ent¬
hält und welche daher subkutane und intravenöse Dosen d«.-s
Giftes gut vertragen, erliegen der intracerebralen Injektion. Be¬
trachten Sie genau den folgenden Fall, der von Roux und
Borrel berichtet worden ist: Activ immunisirte Kaninchen,
welche subkutan die 4—6 fache tödtliche Dosis vertrugen, erlagen
l>ei intracorebraler Injektion einem Zwanzigstel der tödtliehen
Dosis nach einer Krankheit von 17—20 Tagen. Hier war also
bereits vor der Vergiftung die Antitoxinbildung im Gang. Die
No. 47
1883
gesunden Zellen stiessen fortwährend die überschüssigen Seiten¬
ketten ah. Wie konnte denn da das Toxin am Protoplasma
haften bleiben?? Aber wir finden die >peeirisch empfindlichen
Zellen des aktiv immunisirton Tliiere» nicht allein sehr häufig
nicht besser geschützt gegen das Gift als die des normalen Thiercs,
sondern im Gegentheile nicht selten in ungeheurem Mansse
über e m p ti n d 1 i c h gegen dasselbe, v. I» e h ring hat dies
schon sehr frühe erkannt und berichtet, „dass er immunisirt«!
Pferde, Schafe, Ziegen besitze, die auf d« n tausendsten, ja auf
den millionsten Theil derjenigen Dosis stark reagircu, welche für
andere, nicht behandelte Tliiere derselben Gattung noch in¬
different ist. trotzdem sie zu gleicher Zeit massenhaft Antitoxin
in ihrem Blute besitzen. Wäre diese Erscheinung der UcIkt-
emplindliehkeit denkbar, wenn das O.-ntralnerven-ysteni oder,
allgemein gesagt, «las speeifiseli to.xinempfiudli«*he Gewelx; der
Ort der Antiloxinbildung wäre? Dagegen wird sie
auf Grund der Versuche von Meyer und Ransom
verständlich. Bei nicht genügend behutsamer limnuni-
sirung oder besonderen Eigenthüniliihkeitin der Thi«-iv
wer«len die giftcmpfiinlliehcn Zellen «lau<rn«l ge-ohädigt. und
bleiben geschädigt trotz Antitoxinbildung, so dass sie jetzt viel
weniger Toxin vertragen, als im normalen Zustande, und daher
schon durch solche Spuren Tetanustoxin krankgemaeht werden,
welche bei subkutaner Injektion dem Antitoxin der Säfte ent¬
wischen und in die peripheren Nerven gelangen. Sind diese
Toxinspnren einmal da, dann bcgi'gnet ihnen kein Antitoxin
mehr, der Weg zu den empfindlichen Zi llen stellt ihnen trotz
allem Blutantitoxin offen.
Es gibt, andere, dem eben B«-sprneh«-nen völlig entgegen¬
gesetzte merkwürdige Erfahrungen, welche eiten so deutlich
sprechen: Unter Umständen h«*sscrt sich und heilt die Krankheit
bei und durch fortgesetzte Giftzufuhr 1
So hat K n o r r beoba«-htet, dass sich «icr Tetanus von Kanin-
«•hen Ix'i fortgesetzter Giftzufuhr unter gleichzeitiger Steigerung
der Antitoxiiu rzetigung Ixssert; und höchst- wichtige einschlägige
Minlu'iluugen hat neu«'r«lings v. Behring gemacht. Er hat
gefundi ii, «lass tuberkulös«- Kinder durch vorsichtig fortgesetzte
Tuh« rkelgif tinjektiunen geheilt werden können und dass ihr Blut¬
serum dann antitoxiseh wirkt. Fis ist in diesen Fällen mein«-»
Fira«-hlens undenkbar, «lass «las schon erkrankte und durch das
Gilt sehiver geschädigte Geweht; durch noch vermehrte Giftzufuhr
gebessert und zur Gegengift Produktion angeregt wird. Dagegen
wird der Vorgang gerade lx_-i der Tuberkulose verstiimllieh, wenn
man anuimmt, dass der parasitirende Tub« rkelbacillus selbst zu
wenig Gift bildet, als «lass genügende Mengen davon in die unti-
toxin!>ild«-ndcn Organe gelangen würde, um hier die Antitoxin¬
bildung in Gang zu bringen; dass dies aber dann geschieht, wenn
von aussen grössere -Mengen von fertigem Gift in’s Blut gebracht
wer«len, worauf dann «las in «len antitoxinbildendcn Organen
erzeugte Gegengift dem erkrankten Gewebe zugeführt wird und
«las hier entstehende Gift bindet.
F’iir Denjenigen, welcher durch da- «-ben Vorgebraebte noch
nicht überzeugt ist. habe ich zum Schlüsse noch Thatsaolu-n auf-
bewahrt, welche mir ganz utiwid« rleglieh seheim.-n. Wie bereits
wiederholt erwähnt worden ist, ist das Huhn gegen das Tetanus-
toxin hei subkutaner und intravenöser Injektion äusserst un¬
empfindlich. Kleinere Dosen als 200 -f- Ms pro Gramm Körper¬
gewicht machen gar keine wahrnehmbar«* Veränderung. Erst
Dosen von 200+Ms bis 2000 + Ms fiihren reichliche Antitoxin-
hildung herbei, ohne dass aber dabei «las W «»h 11 >« -finden des Thieres
im Geringsten gcstörl wird. Erst Dosen von mehr als 2000 -f- Ms
rufen tetanisebe Erscheinungen herbei und erst ca. 15 000 +Ms
ist nach Knorr die tödtliche Minimaldosis. Bringen wir aber
dem normalen Huhne auch nur 5 + Ms pro Gramm intrneerebral
lx-i, so stirbt es, wie v. Behring aniribt. unfeldbar an Tetanus!
Also v o n d <; n 200 b i s 2000 + Ms k a n n nichts i ins
Centralnerven.sys t e m ko m in «• n und t r o t z «1«; m
b i 1 d o t d a s Huhn reichlich Antitoxin!
Ebenso entseheidcml spre«-hcn Thatsachen 1>« treffend die Ent¬
stehung der Antikörper «l«-r liaemolytisch« u und «•ytot«*xiscln-n
Sera gegen «leren Bildung in den empfindlichen Zellen.
Die E h r 1 i c h’sche Tlu-orie muss also aufg«-g«lx-n wenb-n,
und wir stehen neuerdings im Dunkeln, nachdem uns schon ein
helles Lieht aufgegnngen zu sein s«-hien.
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1884
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
Vielleicht tröstet es Sie in dieser Lage, wenn ich Ihnen sage,
dass der Lichtschein von vorneherein nur eine Sinnestäuschung
war. «lass die Theorie, auch ganz . abgesehen von den Wider¬
sprüchen mit den Thatsaehen, schon wegen ihrer inneren Un¬
möglichkeiten hätte aufgegeben werden müssen.
Wenn das Antitoxin identisch wäre mit jenem Theile des
Protoplasmas, mit welchem sich «bis Toxin verbindet, dann wäre
die Heilwirkung der Antisora unmöglich. Es bliebe
chemisch unverständlich, wie durch noch so gross«* Mengen Anti¬
toxin im eingespritzten Serum auch nur eine Seitenkette des
Protoplasmas vom Toxin befreit werden könnte. Aut i toxi n
und T oxiii bi n d e n «1 e o d e r in i t d e m T o xin re-
agirende A t o in g r u p p e n des Protoplasmas müssen
u n b e d i n g t v o n e i n a n d e r c h e m i s c h vors c h i e d e n
s e i n.
Ebenso unannehmbar ist von vom« lit rein die Hypothese, dass
ein Theil des Protoplasmas, der dadurch der Ernährung desselben
dient, «lass er gewisse Nahrungsstoffe an sich fesselt, bei Uober-
produktion in die Säfte abgesto>>«-n winl. Denn diese l’eber-
pr«Kluktion un«l Absto>sung würde. w«*nn sie möglich wäre, natür¬
lich nicht allein dann eiutr«*ten, wenn di«' Seitenkette «lureh Toxin
gesättigt wird, sondern auch dann, wenn sm durch Nahrungs-
inoleküle dauernd mit Beschlag belegt würde. Dies müsste häufig
Vorkommen, dem« wir wissi n ja. dass das Blut oft mit einzelnen
Xahrungs'totfen, z. B. mit Zucker «lerartig überschwemmt wird,
dass die Eebersehiiss«* ülx*r «las von den Zt*ll«*n Bindbar«* und Zcr-
s«*t/.hare in Form von Glykogen un«l Fett aufg»**pei<*h«*rt wer«len.
Wiinlen aber die Seitenketten, welche di«* Nährstoffe der Zellen
an sich ziehen, in’s Blut abgestossen werden —- und E h r 1 i e h
nimmt, an, «lass dies ganz regelmässig geschieht, und sieht daher
das Blut von solchen Seitenketten wimmeln —, dann würde er¬
sichtlich dadurch «las L« hi n «ler Zellen auf’s Ernstliehste ge¬
fährdet wcrd« n. Denn «liese Seitetiketn-n im Blute würden ja
geradeso wie gelegentlich «las Toxin so auch ili«* Nahrungs-
moh'kiile abfangeti und «len Zellen bliebe* das Nachsehen.
Eli« 11 i«*h ist es aber überhaupt nur der Schein einer
chemischen Erklärung, was Ehrlich gegiben hat. Den Laien
in der (’hemie blendet di«« Hypotl)«*.-«*, weil sie scheinbar die
dunkeln Vorgäng«* in d«*r lebenden Zelle auf bekannte chemische
Proeesse zurückführt. Die Sache beginnt ja ganz ordentlich mit
Kern und Seitenkette u. s. w. Dann alx*i* kommt auf einmal «lie
ganz unzulässige V«*rmengttng von Biologischem und rhe¬
inischem. Be<»ba«*htung«*n über Z« llprolifi-ration bei Gewebsncu-
bilduug ohne Weiteres auf das völlig anders geartete («ehiet «ler
chemisch«*n Vorgänge im Molekül zu ül>ertragcn, widcrstrcit«*t
den Regeln gesunder llypothcsenbilduiig. Denn, wo haln*n wir
eine eliemisehe Analogie «laiiir. «lass ein Molekül aus sich heraus
eitn-n. ihm verloren gegangenen Atomkomplex m it bildet, ihn
im U«*tx*rscluiss bildet und dann abstösst. l)i«*s Albs sind ehe¬
rn iseh ganz unmögliche Ding«*. Derartige Reaktion«*» gibt nur
«las Lebendige, voll dessen eheniBehem Verstiindniss wir leider
noch immer weltenweit entfernt sind, (icnnu beselun «*n«h*t also
«lie sogen, ehemiseh«* Erklärung E h r 1 i e h’s nirgends anders,
als wo alle pliy.-inlngi-.-hcii Erklärnngsreiheu an irgend einer
Stelle vorläufig enden müssen, heim Rütlis«-] des Reizes!
In die Reih«* der Reizerseheinungen gehört nun di«* Anti¬
toxinbildung unbedingt, was ich ja schon früher angediuitet hah«*.
indem ich ihr «hm ( harakter eines Sekretionsproee.sses zusehrieh.
Das zur Antitoxinhildung gereizt«* Organ ist aber nicht «las für
«las (Jift empfindlich«*. unter der Oiftwirkung erkrankende, son¬
dern ein gesund«*«. Nur « in solches Organ, seheint mir. ist zur
Antitoxinerzeugung befähigt, w« lclu*s für «lie toxophor«* Grupp«*
<l«*s Oift«*s uiiemptindlii-h ist und ich glaube, das* v. Behring «l:i-
Richtig«* getroffen hat. wenn er au*sprieht, dass nur spcci-
I i ' «* h e Z «• 1 1 g i f t <*. die ausschli«*s«lich bestimmte Zellkate-
gori« n seliiidigen. zur Antitoxiuproduktiou Anlass geben können;
Hum«) r a 1 g i f t e und a 1 1 g «■ m eine Z e 1 1 g i f t e aber
nicht.
Die erwähnten, für Sekretion spr<*<*hemlcn Eigenthümlieh-
keit« n der Antitoxinj)r«)«luktion machen es unmöglich. «l«*r An-
"ahme heizupfliehteii, welche anfänglich aufgetaueht ist und
w«*lch<* die Speeititiit der Antikörper in einfachster Weis«* er¬
klären wiird«*, «lass die Anl ik«"»rp<*r einfach die in den Körper¬
haften entgifteten m«>«litizirtim Oift<* seihst s«*i«*n. Trotz«lein halt«*
b*h «- mit B u <* h n «• r uml den Fors«*hern d«*s Instituts
Pasteur für «las weitaus Wahrsi-heinlichst«*. dass die Anti¬
körper (und dies gilt von allen) irgendwie von den Stoffen, wel¬
chen sie entgegenwirken, deriviren *). Je grösser «li«> Zahl der
Antikörper wird — und sie ist, wie wir besprochen haben, unab¬
sehbar —. um so weniger scheint es mir möglich zu sein, «lass alle
diese Stoffe normale Bestandteile des Blutes seien, die nur je
nach. Bedarf reichlicher produeirt worden. Ich werde vielleicht
bei späterer Gelegenheit auf diesen Punkt noch einmal zurück-
kommen und sagen, was sich darüber meines Erachtens aus den
vorliegenden Thatsaehen noch weiter folgern lässt. Es ist recht
wenig. Nur «las sorgfältigste Detailstudium kann uns in der Er¬
kenntnis* dieser so schwierig auzupaekenden Phänomene lang¬
sam vorwärts bringen. Dazu braucht’« Zeit. Jeder Versuch, «lie
fehlenden Thatsaehen durch Gedankengebihle zu ersetzen, muss
in der Naturfors«*hung scheitern. Naturwissenschaft ist «chliess-
li«*h nichts anderes als Beschreibung. Ehrlich’» Versuch ist ein«*
Verirrung. Trotzdem wäre «*s thörieht, von ihm gering zu «lenken.
Nur Leute, die Einfälle haben, können «lureh Einfälle auf Abwege
geführt wertlen. Ehrlich ist aber nicht allein ein Mann mit
Einfällen, sondern er ist- auch ein unermüdlicher Arbeiter, ein
unübertrefflicher Experimentator und Beobachter. Sein Name
wird s«*ine Theorie überleben und bleibt untrennl>ar mit der
Immunitiitslelm* verbunden, «lie er durch eine Fülle <l«-r. wich¬
tigsten Thatsaehen ber«*ieh«*rt hat.
Wenn Sie mir freundlich Gehör seh«*nk«*n wollen, werde ich
nii«*list«-ns «lie Lehre von der Bakt« l ieidie und Glohulicidie *'r-
örtern.
In <I«*r vor. Nummer ist auf S. 1s:»o. Sp. 1. Zell«* ö «l«*s Haupt
texles von unten zu lesen: ..unabhängiger", statt ..abhängiger".
„Cyklische“ Albuminurie und neue Gesichtspunkte
für die Bekämpfung von Albuminurien.
Von Dr. Paul Edel, As-istcnten der Klinik.
(Schluss.)
Der zweite T h «• i 1 dieser l'iitersuehungi n hat die Auf¬
gabe. diejenict ii Schwankung«*!! de« Kiwcissgchalles hei «1« r
cykii-ehin Albuminurie zu deuten, welche durch «Li- bisher Ge¬
sagte n«H*h keine Erklärung gefunden haben.
Warum tritt zu «lersclben Tug«*szeit und unter «1« n-elh.-n B«-
dingungeii heute Eiwciss in den Harn über und morgen nicht?
(/. B. kurz nach <l«*m Aufstehen.)
Warum gewährt am Vormittag die durch da- er-te Eriih-
stiiek bedingte Diurese keine au-reichende Resistmz. um s«*hii«l-
lieln* Moment«.*, wie St«*heii und Bewegung im Zimmer zu über¬
winden u. s. w. ?
Warum enthält «l«*r in der Regel eiweissfreie Naehtharn
ausnahmsweise «*twas Alhumen?
Bei «ler gros-en Summe von Untersuchungen, «lie ich un¬
unterbrochen Monate lang anstellen konnte, war ich mit «lein
Grad«* und Umfange «l<*r Schwankungen des Eiweissgchnltes ge-
nau vertraut. Solange die Patienten ihre ausserordentlich reg«*l-
mässige Lehen-weise einhielten, iilx-rschritt die Stärk«* «1« r Ei-
wei-sreaktum <*in«*r Prolx* nicht den mit 3 Pluszeichen (-r-t—W
g«*kt uuzi iehneten Grad («1. h. etwa 0.4 Prom.). Kamen Prolx*»
zur Beohaehtung. von denen auch nur einzelne dies gewöhnliche
Maximum überschritt«*», so liess sieh in der Regel naeh\veis«*n,
dass eine Unr«*gelmässigkeit in der vorsichtigen Lt*lx*nsweise der
s« hr wenig widerstandsfähigen Patienten schwächen«! cingewirkt
hatte. Gr«ös«ere, anstr«*ngemle Reisen, durchtanzte Nacht«-.
Alkohol« •xcesst* und «h«*ns<> intercurrente Erkrankungen, wie
Magcndarmkatiirrhe, hei «lenen nicht Ruhe eingehalten wurde,
führten zu einem leichten Ersehöpfungszustamle. der g«*kenn-
zeiehnet war durch Wrschleehterung <l«-s subj«*ktiveii Befinden-
uml gro.-vs«* Ermüdbarkeit, spärlichen dunklen Harn. Steigerung
der Albuminurie und — kleineren Puls. Erst wenn alle ge¬
nannten Symptome geschwunden, kam es wieder zu den stnti«»-
liän n Graden d«*r Albuminurie.
Ferner fi«-l«*n bei dem ersten Patienten gewöhnlich die
stärksten am lag«* zu beobachtenden Eiweissausscheidung«*» auf
die zweite Hälfte des Vormittags (10 resp. 11—1 Uhr).
"> Vi«*ll«*ielit darf man anueluneii. «lass die fremden Stolle
in «*iii«*ui blutldlden«!«*» oder in einem iniu*r«*r Sekretion «li«*m»iul**ii
Organe al»g«*lag«*rt und nufgesp«*i«*liert und liier uingewandelt «mI**v
mit normalen Sekretbestamltlieilen v«*rlnm«len wenieii und seldiess-
lieli mit den Sekr«*t«*n in's circullmide Blut g«*lang«*n. Alles, was
di«* Tliiitigkeit il«*s Organs beeinflusst, würde daun aueli die Anti
toxiubildung und Absond«*i*ung Ixoinflusseu.
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1883
In dieser Zeit war der Patient zugleich matt und weniger
arbeitsfähig und hatte bei bestimmten Anforderungen einen Puls,
der hinter dem am Nachmittage und Abend deutlich an Grösse
und Spannung zurückblieb. Mattigkeit und unzulänglicher Puls
waren, wie später die Therapie bestätigte, die Folge davon, dass
am ganzen arbeitsvollen Vormittag im Laboratorium nur ein
erstes Frühstück, bestehend aus etwas Thee und einem Brödchen,
aufgenommen wurde.
Die Richtung, welche die früher mitgetheilten Versuche
nahmen, brachten mir den Einfluss der Blutversorgung für die
Niere sehr bald zum Bewusstsein und veranlassten mich, dem
Pulse meiner Versuchspersonen die grösste Aufmerksamkeit zu
schenken.
In der Ilorizontallage, auch im Sitzen, am Nachmittage und
besonders auch am Abend, war der Puls von guter und gleich-
massiger Qualität, seine Grösse dem eines gesunden jungen
Mannes ebenbürtig. Es fiel mir nun auf, dass gewisse An¬
forderungen resp. Bewegungen zu verschie¬
denen Zeiten einen verschiedenartigen Ein¬
fluss auf das Verhalten des Pulses ausübten,
und dass diese Erscheinung in enger Beziehung
zu dem Ausbleiben oder Auftreten resp. Grade
<1 e r Eiweissausschoidung stand. Diese Be¬
obachtung drängte sich mir besonders l>ei dem Vergleich des
Pulses Morgens unmittelbar nach dem Aufstehen, Nachmittags
nach der gewohnten Mittagsruhe und Abends vor dem Schlafen¬
gehen auf. Sobald Morgen* nach dem Aufstehen die mit der
Toilette und dem Ankleiden zusammenhängenden Ilantiruugen
begannen, insbesondere deutlich während des Waschens, wurde
»ler Puls klein und oft für Momente kaum fühlbar. Die Fre-
»juenz verhielt sich etwas verschieden. Es war nun ausserordent¬
lich charakteristisch, dass dieselben Ilantiruugen besonders
Abends und meist auch Nachmittags den geschilderten Einfluss
auf den Puls nicht ausübten.
Am Abend und in der Regel auch nach dem Mittagssohlafe
blieb der Harn eiweissfrei und Morgens enthielt er Albumen
und war stark gelb und von geringer Menge. War das ge¬
schilderte unverkennbare Klein werden des Pulses am Morgen
einmal nicht zu beobachten, dann war gewöhnlich die Harn inenge
entsprechend grösser und vor Allem war der Ilarn eiweissfrei.
Der Puls zeigte hinsichtlich der Be¬
wahrung seiner Grösse zu verschiedenen
Zeiten denselben Anforderungen gegenüber
eine verschieden grosse Resistenz; und hier¬
von war der G r a <1 der Albuminurie abhängig.
Auf das Zutreffen dieses Satzes konnte bei dem Patienten durch¬
schnittlich durchaus gerechnet werden, wenn nicht etwa
bei kleinem Pulse, lokal in der Niere ein»*
Steigerung der Diurese vorher einge leitet
war. Sicher konnte gegen die. Albuminurie bei Andauern eines
unzureichenden Pulses nur durch Diuretica bei entsprechend
grossen Dosen angekämpft werden.
Entsprechend dem eben Dargelegten war das Verhalten des
Pulses an den Tagen leichter Erschöpfung (nach Reisen, Ver¬
dauungsstörungen etc.). Der Puls zeigt»» sich dann, und zwar
vorzugsweise Vormittags, ziemlich übereinstimmend mit dem sub¬
jektiven Ermüdungsgefühl weniger wi«Ierstan»lsfähig. Einen
Einfluss der Frequenz auf die Eiw»*issausscheidung sah ich bei
»ler c.vklischen Albuminurie nicht.
Hauptausschlaggclieud und unverkennbar ist der Einfluss «ler
(i rösse.
Die Sphygmographic konnte ich nicht zu Hilf«* nehmen, da
die geschilderten Veränderungen im Verhalt«*)! «l»*s Pulses von »l«*n
Bewegungen im Zimmer abhängig waren, und l>ei Ruhe (Sitzen)
rnseh Erholung eintrat, di»* zur Sekretion eines eiweissfreien
IIarn«*s für gewöhnlich auch an Tagen »ler Erschöpfung aus¬
reichte. Aus dem glci«*h«*n Grunde verzichtete ich auf die an
und für si»*h mit unseren hisherig<*n Methoden l>cim Mensehen
nicht sieh«*r«> Blutdruckmessung.
Ein objektiver l»ew«*is dafür, dass meine sich auf den Puls
beziehen«l»*n B«*obachtungen richtig, war auf anderem Wege mög¬
lich. Wenn das Herz in «l»*m dargidcgteu Sinne beim Zustande¬
kommen der Albuminurie mitwirkt, daun musste ich erwarten,
«lass eine z. B. am Vormittag mit unzulänglichem Pulst* <*inher-
gohende Albuminurie sich vermindern o«l«*r schwind»*» muss, so¬
bald die Herzthätigkeit verstärkende Maassnahmen zur Geltung
gebracht wer»len. Ein solches physiologisches Mittel erblickte
ich in Bewegungsformen, die eine Anregung un«l gleiehmässig«*
Verstärkung der Herzthätigkeit bewirken, ohne zur Ermüdung
zu führen. Meine Voraussetzung traf zu. Ein geordneter, m i t
einer gewissen soldatischen Strammheit a u s -
geführter Spaziergang, noch sicherer eine
Bergbesteigung') war im Stande, eine mit un¬
zulänglichem Pulse verbundene maximale
Albuminurie zu unterbrechen.
Wie bei allen früher beschriebenen, eine Abnahme des Ei-
weisses bewirkenden Maassnahmen. ging auch hier Ver¬
mehrung und Hellerwerden des Harnes mit
Schwinden des Albumens einher. Wie ich unlängst
aus der Literatur erfahren, haben Zuntz und Schum bürg
ebenfalls die Beobachtung gemacht, dass auf dem Marsche ein
wasserreicher Harn abgesondert wird, mul dass geringste Gra»le
von physiologischer Albuminurie nachher vermindert, waren.
Je stärker «lie Anregung der Herzthätigkeit war, je sicherer
sah ich einen vollständigen Erfolg. Am frappantesten Ist der
folgende Versuch: Nachdem ich selbst in diesem Jahre «len Titlis
(3289 m) hei Engelberg (Schweiz), hergebrachter Weise von
Trübsee (1790 m) aus bestiegen und bei mir Ausscheidung hellen
Harnes beobachtet hatte, veranlasste ich «len einen, zur Erholung
am Vierwaldstätter See weilenden Patienten, nachdem ent¬
sprechende Touren zur Hebung vorangegangen waren, ebenfalls
die Besteigung des Titlis zu unternehmen. Der während «les
Aufstiegs entleerte Harn, kam in 2 Proben von 2 getrennten
Portionen zur Untersuchung. Während der ganzen
vierstündigen Hoehtour, einer, für den bisher durch
das Schonungsprinzip geschwächten Patienten, grossen Kraft-
und Muskelleistung, wurde ein heller, völlig ei-
weissfreierHarn entleert! Der überraschende Erfolg
dieses Versuches ist »ler mächtigen Anregung der Herzthätig¬
keit und Athmung zuzuschrciben. Ich betone, dass die Tour
keine schlaffe Ermüdung zur Folgt*, hatte.
Der momentane Erfolg einer M u s k e 1 b e w e -
g u n g blieb aus, w e u n d er Patient, statt m i t
einer gewissen soldatischen Strammheit zu
marschiren. energielos dahin schleuderte.
Dann fehlte »lie Anregung d«*r Herzthätigkeit und Athmung mul
bestand der auch sonst Albuminuri»* erzeugende ungünstige Ein¬
fluss der aufrechten Kürperstcllung.
Einen ebenfalls negativen oder direkt, un¬
günstigen Effekt hat eine aus irgend einem
Grunde zur Er in ü d u u g f ii h rende M uskelan ■
s 1 1 * e n g u n g, entsprechend allen Einwirkungen,
«lie eine Erschöpfung zur Folge habe n.
Für die nach Muskelanstrengungen. Märschen etc. auf¬
tretende, physiologische Albuminurie bei Gesunden (v. LeuheJ
und sonstigen vorübcrgolu*n«len Eiwcissausscheidungen wird das
Gesagt« eltenso, wir für »lie eyklische Albuminurie, ein klares
Verstaiulniss vermitteln.
Es war eine seihst verständliche Conscqucnz, diese Erfahr¬
ungen für »lie Therapie zunächst der eykli sehen Albu¬
in i ii u r i «* zu verwerthen (die aus äusseren Griimlcn bislang nur
bei der ersten Versuchsperson dur»*hführbar war).
D»*r erst»* Theil »ler Behandlung bestand in der vorsichtigen,
systematischen Hebung «1 »• s H erzens; der zweite
galt, der d i ii t <* t i s e h e n S <* i t e. Die Symptome »ler Er¬
müdung und »ler gering»‘ren Leistungsfiihigki*it d»*s Herzens am
Ende «les Vormittags liesven mich v«‘rmutln*n, dass für «li«*se
sehr wenig widerstandsfähigen Patienten am V«irmittage ein»*
reiehli«*lier<* Nahrungsaufnahme nöthig ist. Die. Haupt versuch.--
person nahm bisher nur 3 mal täglich Nahrung auf: Morgens
8 Hhr erst»*s Früstüek (2 Tass»*n Thee, 1—2 Bröd»*h»*n mit Butt»*r>.
Mittag»*ss»*n l'/i Hhr, n*i«*hli«*h und gut, Al>»*ndt*ss»*n zwis»*h«*n
7 '/- mul 8'* Hhr, ausr(*i»*h<*inl. Indem i»*h mich vorzugsweis»*
gegen «Ii»* »lürftige Ernährung am Vormittag»* zu w»*n«l«*n halte,
traf ich folgend»* «*infaehe Wrtmlnung: Früh im Bett "i Stunden
vor dem Aufslehen: 2—3 Tassen Milch, Morgens 8 Hhr erst«-
Frühstück: Th»*e «»der Caeao mit kaltem Fleisch »nh-r Eii-ru.
M D»*n liervorragemlen Einfluss »l«»r Atlmning auf «li«* Albn
n.lnurie 1»»*i »len .Musk»*Ibew«*gung»*ii l»«*spr»*ch»* i< h in «l.*r ausfiihr-
Uelien Publikation.
5*
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1RS6
MUENCHENER MED1CINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
Xo. 47.
zweites Frühstück: Cneao oder dergl. wieder mit viel kaltem
Fleisch mul Bind, Mittag- und Abendessen wie gewöhnlich.
Zwischen lx*iden noch Einschaltung von Kaffee mit Zubiss.
Ich verzichtete hier bei der cyklisehen Albuminurie auf eine
die Diurese durchweg begünstigende Nahrung, weil bei ihr schon
die Verbesserung der llerzthiitigkeit allein genügt.
Die einfachen Vorschriften sind in Anbetracht der Anforde¬
rungen >les Vormittags dem specicllen Falle angepasst. Der an¬
fängliche Einfluss dev Aufnahme von Milch % Stunden vor dem
Aufstehen auf „Resistenz“ des Pulses und Albuminurie war sehr
ersichtlich.
I'm ein klares 1'rtheil über die Wirkung dieser Behandlung
zu gewinnen, licss ich den Patienten in seiner gewohnten Berufs¬
tätigkeit und gleichmiissigen Lebensweise. Jede — ausser
durch die Therapie Ix-dingte — Veränderung hätte Unsicherheit
der Deutung gebracht.
Nachdem ich lxä der ersten Versuchsperson 8 Monate hin¬
durch an keinem einzigen Tage die Ausscheidung von Eiweiss
vermisst hatte, trat sofort mit Beginn der Therapie eine rasche
Abnahme der Albuminurie ein. Nach 5 wöchentlicher, exakt
durchgefiihrter Behandlung in Wiirzburg und anschliessender
3 wöchentlicher planmiissiger Uebung in der Schweiz ist unter
denselben Lebciislx-di.igungeti wie früher in den stündlich ent¬
leerten I larnportionen mit den üblichen Methoden Eiweiss
nicht mehr nachweisbar. Zugleich habe ich keine
Harnporiion mehr zu Gesicht bekommen, die, wie das früher be¬
sonders Vormittags die Regel war. relativ sehr gering an Menge
und so stark dunkel wie früher war. Parallel mit Schwinden der
Albuminurie ging dio Veränderung des Verhaltens des Pulses.
Am Nachmittage blieb der Puls wie früher, aber am Vormittage
wurde seine Widerstandsfähigkeit der des Nachmittags ähnlich.
Besonders fiel in dieser Richtung das veränderte Verhalten Früh
nach dem Aufstchcn auf.
Es i-t selbstverständlich, das« die regelmässige und plan-
mässig Lehmig des Herzen-, auch jetzt, wo die Albuminurie nicht
mehr zu kmistatiren ist, mit gleicher Regelmässigkeit und Exakt¬
heit weitergeführt wird. Nur so kann auf dauernden Erfolg
durch dauernde Hebung der Widerstandsfähigkeit und Leistungs¬
fähigkeit des Herzens gerechnet werden. Energie und äussere
völlige Freiheit meines Patienten Hessen einen relativ raschen
Erfolg der Therapie schon im Voraus hoffen. Wo häufige Schädi¬
gungen einwirken oder mit geringerer Energie und Glciehinässig-
keit die Lehmig durchführbar ist, wird ein gleicher therapeu¬
tischer Erfolg entsprechend länger auf sieh warten lassen. Bei
meinem ersten Patienten war die Albuminurie verstärkt uml
gowissermaassen erzogen durch die dürftige Ernährung am Vor¬
mittag und eine Schonungstherapie. Hier Hess sieh rasch und
leicht der Erfolg erzielen. Bei der körperlich viel schwächeren,
heruntergekommenen zweiten Versuchsperson, die fortwährenden
Leberaustiviigmigcn ausgesetzt ist und hei der erst vor wenigen
Tagen sich eine Behandlung anbahnen licss, wird der Erfolg un-
gb ich längere Zeit in Anspruch nehmen und viel schwieriger zu
erreichen sein. Diese Lntersehiede sind bei Beurtheilung einer
Therapie zu berücksichtigen.
Sollten sich die an meinen 3 Fällen gemachten Erfahrungen
für alle intermittirenden resp. cyklisehen Albuminurien be¬
stätigen — was hei der grossen Gleichartigkeit dieser Fälle sehr
wahrscheinlich ist —, dann Indien die anscheinend so räthsel-
ha f teil klinischen E rseh e i n u n gen der c y k 1 i -
s c h e n A 1 b u in i n u r i c h i n r c i c h o n de Erklär u n g
gefunden, und auf der Erkenntnis^ der Entstehung dieser
Allmminuric fussend. hat die c y k 1 i s c h e A 1 b u m i n u r i e
eine die Heilung er in ö glich c u de Therapie e r -
h al t eil. Wie aus meinen Darlegungen hervorgehen muss, wird
die bisherige Therapie durch Bettruhe nur in den seltenen
Füllen dieser Albuminurie „Heilung“ versprochen, wo eine akute
Erschöpfung des Herzens vorliegt.
Die Gefahr des späteren Leherganges in eine eontinuirliehe
Albuminurie, also eine unzweifelhafte Nephritis, fordert auf¬
merksame Behandlung. Beaehtenswerth scheint mir ein Fall zu
sein, dessen Zuw< i-ting ich der gütigen Vermittlung des Herrn
Dr. Müller, hier, verdanke: Der Patient ist (‘in Kaufmann
von 42 Jahren: eine Erkrankung der inneren Organe, insbesondere
aiioh des Herzens, lässt sich nicht nachweisen. Vor ea. 10 Jahren
wurde von zw« i bekannten und renommirten Aerzten Wiirzburgs
eine interniittireiide Albuminurie festgestellt. Der Harn wurde
zeitweise ganz eiweissfrei gefunden. Obwohl die Eiweissmenge
einer Portion 0,5 Prom. nicht zu übersteigen pflegt, wird auch
in der Ilorizoutallage jetzt niemals mehr eiweissfreier Harn
produeirt.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei genauer Beobachtung
weiterer Falle von cyklischer Albuminurie sich ergeben wird,
dass die verschiedenstem Einflüsse eine zeitweilige Verminderung
der Herzkraft zur Folge haben und so eine wichtige Rolle bei
Herbeiführung der Schwankungen der Albuminurie spielen. Die»
wird bei allen thera]x*utischen Versuchen zu bedenken seiu.
Schliesslich will ich cs nicht unterlassen, auf einen Punkt
hinzuweisen, aus dem eine interessante Folgerung, vielleicht für
die Therapie auch anderer innerer Organe, abgeleitet, werden
kann: Aus meinen Untersuchungen geht hervor, dass — min¬
destens bei der cyklisehen Albuminurie — der momentane Effekt
der Schonung und Uebung aller Wahrscheinlichkeit
nach für die Niere in der gleichen Ursache gipfelt, näm¬
lich in der verbesserten Blut Versorgung.
In meinen letzten Versuchen habe ich mit der Prüfung be¬
gonnen, ob und inwieweit die für die cyklisehe Albuminurie ge¬
fundenen Thatsachen auf die chronische Nephritis übertragbar
sind. Ich habe zu meinen Versuchen 15 Nephritiker aasgewählt,
bei welchen nachweisbare Herzveränderungen nicht bestehen. Ich
spreche das Folgende mit. der Zurückhaltung aus,
z u w elchrr eine relativ kurze Beobacht u n g
n ö t h i g t:
Der Cyklus, welcher der sogen, cyklisehen Albuminurie
eigen ist, ist mehr oder weniger ausgeprägt auch bei der chro¬
nischen Nephritis erkennbar. Er wird um so deutlicher beim
Nephritiker, je mehr sein Allgemeinzustand dem eines Menschen
mit cyklischer Albuminurie ähnlich, d. h. je schwächlicher, ner¬
vöser. weniger widerstandsfähiger er resp. sein Herz ist. je
grösser die Anforderungen und je geringer die Nahrungsaufnahme
Vormittags ist. Je widerstandsfähiger und geschulter das Herz
des Xephritikers ist, je geringer sind die Schwankungen. Da
bei eoutinuirlieher Albuminurie niemals eiweissfreier Harn pro¬
dueirt werden kann, auch relativ die Schwankungen nicht so
gross sind, wie hoi der cyklisehen Albuminurie, so sind die
Schwankungen nie so augenfällig, wie bei letzterer. Ausschal¬
tung des Mittagessens, Diuretica, Bäder, Ilorizontallage wirken
auf Diurese und. soweit, qualitative Prüfungen auf Eiweiss ein
Lrtheil gestatten, in gleichem Sinne wie bei der cyklisehen Albu¬
minurie. Ein bindendes Urtheil hinsichtlich der Abnahme der
Albuminurie bei Nephritis, kann ich erst nach zahlreichen quanti¬
tativen Bestimmungen aus<prcehen, die bei eoutinuirlieher Albu¬
minurie nöthig für endgiltige Schlüsse sind.
Bei mehreren Fällen leichter Nephritis licss sich nach
Ilühcnbostciguug eine Abnahme der Albuminurie mit Heller¬
werden des Harnes erkennen. In der Horizontallage habe ich in
der Regel einen günstigen, nie bisher einen ungünstigen momen¬
tanen Effekt von einer Gymnastik gesehen, die, kombinirt mit
t i e f e r A t h m u n g. bei steter Kontrole des Pulses eine gleich-
miissige Anregung der Herzt hä tigkeit erstrebte. Die stehende
Haltung eignet sieh zur Erzielung momentan erkennbarer Effekt
auf die Albuminurie anscheinend nicht.
Nachdem es — dem im ersten Theile Dargelegten zu Folge —
durchaus wahrscheinlich geworden, dass die günstige Wirkung
aller bisher üblichen therapeutisch werthvollen Maassnahmen auf
Verliesserung der (’irculation resp. Steigerung der Strom-
gesehwindigkeit des Blutes in der Niere zu beziehen ist 3 ), und
ich durch einen bemerkenswerthen Erfolg an der cyklisehen
Albuminurie demonstriren konnte, in wie hohem Grade die
Muskelühutig durch platitnässige Kräftigung des Herzens für die
Therapie der schwachen resp. kranken Niere nutzbar zu machen
ist, halte ich mich fiir berechtigt, (‘ine vorsichtige und
zielbewusste Uebung des Herzens der Nieren-
k rank e n i n’s A u g e z u fassen, und zwar mit ähn¬
lichen E i n s e h r ii n k u n g e n wie bei den Herz¬
kranken. Durch letzteren Zusatz deute ich an, dass ich mir
der Grenzen, sowohl hinsichtlich des Erfolges als auch der Au—
dclmiing einer sulchen Debungstberapie bewusst bin. Achnlicii
Ä > Eine eingehende Begründung der Annahme, (lass alle günstig
auf die Albuminurie wirkenden Maassnahmen ihre Wirkung eitler
verbesserten <'ireulation in der Niere verdanken, ist in meiner
ausführlichen Publikation zu tindeu.
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19. November 1901.
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1887
wie bei den Herzkranken würden von ihr voraussichtlich die¬
jenigen Nierenkranken auf eine Besserung zu hoffen haben,
welche ein schwaches und ungeübtes Herz haben und dement¬
sprechend wie die Triiger der cyklischen Albuminurie, deutliche
und beeinflussbare Schwankungen der Eiweissausscheidung auf¬
weisen. Zwischen dem leistungsunfühigen Herzen der Schwäch¬
lichen, körperlich Ungeübten und dem kraftvollen, grossen An¬
forderungen gewachsenen Herzen des von Jugend auf geübten
Turners, Bergsteigers u. s. f. liegt ein weiter Weg. Ob und in¬
wieweit der Nephritiker auf diesen Weg zu führen ist, inwieweit
sich die oben genannten Hoffnungen verwirklichen lassen, muss
eingehende Untersuchung und ausgedehnt.* Erfahrung fest stellen.
Ein irgendwie abschliessendes Urtheil über Art und Ausdehnung
der Uebertragung dieser Uebungstherapic von meinen Er¬
fahrungen an der cyklischen Albuminurie auf die Nephritis, be¬
halte ich weiterer Arbeit vor.
F ii r etwaig e ii h n 1 i e h e U n ters u c h u n g e n v o n
anderer Seite mache ich auf Folgendes auf-
nx e r k s a in:
Unerlässliches Erforderniss zur Beurtheilung der Momente.
<lie ftir den Eiweissgehalt bestimmend sind, ist, in möglichst
k u r v. e n Int e r v a 11 e n . d e n H a r n entl e e r e n z u
lassen und die Intervalle je nach dein Eingriffe zu gruppiren
(a. Tabelle mit Prüfung der IHuretiea z. B.). Fängt man die ein¬
zelnen eiweissreichen und eiweissavineii Portionen nicht getrennt
\oii einander ab. so mischt sich der eiweissreiche Harn dem
ei weissfreien hei und es entgeht die Erkennung des günstigen
Momentes der Beobachtung. Soll beispielsweise geprüft werden,
welchen Einfluss eine Bergbesteigung ausiibt. so darf der Harn,
der auf dem Wege von der Wohnung des Patienten bis zum Kusse
des Berges und auch nicht der, welcher heim Abstieg produzier
wird, in der Blase mit dem Harne vermischt werden, den die Niere
beim Anstieg ausscheidet. Unmittelbar vor Beginn der Besteigung
und unmittelbar nach Erreichung der Höhe muss der Harn ent¬
leert werden. Eine Vernachlässigung dieser selbstverständlichen
('autele macht den Versuch unbrauchbar. Am deutlichsten wird
das. was ich meine, durch mein Vorgehen bei Prüfung «1er I»i-
uretiea demonstrirt: Nach Verabreichung des Diureticunis (ge¬
wöhnlich in den Versuchen in den leeren Mageni li«*ss ich erst
so viel Minuten verstreichen, wie nach meiner Erfahrung voraus¬
sichtlich bis zur Aufnahme resp. «1er Wirkling in der Ni«*re nöthig
war. Dann wurde der Harn entleert und dieses, trotzdem das
Mittel schon veraltreicht war. seil »st redend nicht auf das Dlure-
tienm bezogen. Erst die nächste Harnportion gehörte der Vor¬
suchsperiode an. denn erst in ihr konnte frühestens das Mittel
seine Wirkung in der Niere entfalten. Es wurde dann in mög¬
lichst kurzen Zwischenräumen der Harn entleert, um ahzugreiizeu,
wie lange die Wirkung des Mittels anhält. Weiterhin sind eine
Täuschung und sich widersprechend«? Resultate nur dann zu ver-
nieiden. w e n n d er l’ntersiichor sei n e u P a t i e n t e n
genau kennt. Er muss genau gelernt haben, unter welchen
Verhältnissen und Bedingungen auf starke Eiweissausscheidung
b« stimmt zu rechnen ist. Und wenn er diese B<‘dingungeu be¬
herrscht. so muss er absolut sicher sein, am besten durch an¬
dauernde persönliche Beobachtung, dass diese Bedingungen
während des ganzen Versuches in s«*in«*m Sinne ununterbrochen
eingehalten werden. So wusste ich beispielsweise bei der I. Ver-
s!tehsp«*rson (Chemiker», «lass hei der gewohuten Lebensweise
(früh 8 Uhr Theo und Brö«lcheu und dann bis Mittags 1 \U Ulir
keine Nahrungsaufnahme molm zwischen 10 resp. 11 — 1 mit
Sicherheit auf starke Albuminurie zu rechnen war. wenn der
Patient in stehender Position, auch mit kurzer Unterbrechung
shzend. in seinem Laboratorium resp. überhaupt im Zimmer
hantirte.
Prüfte i«*h später (siehe unten), oh die gewöhnlich zu beob¬
achtende grösser«* Resistenz «l«*s Nachmittags auch konstatirbar
war. wenn «las Mittagessen ausgtdassen wurde, so musste ich
dafür sorgen, dass in gleicher Weise als Prüfstein dieselben B<*-
dingungen oinwirkten. welche sich am Vormittag als schädlich
erwiesen, für gewöhnlich aber am Nachmittag ln Folge einer un¬
erklärten grösseren Widerstandsfähigkeit der Niere, keine oder
viel geringere Kiweissnusseht*i«lung zur Folge hatten. Setzte sich
«ler Patient oder begab sieb sogar in Horizontallage. in der zu
prüfenden Zeit, so konnte den gewonnenen Resultaten natürlich
keine* Bew«*iskraft zugosproelien w«*rden. Es muss ferner, wie
aus dem zw«*iteu Theil «li«*s«*r Abhandlung hervorgeht, sehr
<1 e m U ni stau <1 «* Ii «* c ii n u n g g «* t r a g e n w e r d e n . dass
sich nicht irgend «*twas in die V«*rsu«*hszeit einschleicht, was einen
Einfluss auf die II <* r z t h ii t i g k eit a u s ii b t u. s. f.
l)a demnächst über «las vorliegende Thema ausführliche Mit-
theilungcn von mir crs«*hciiien werden, so habt* ich eingangs
dieser Abhandlung von allen einl«‘iten<len Worten Abstand ge¬
nommen und verschiebe auf sic die Würdigung der vielen auf
diesem Gebiete «*rsehieiicii<*n vcnlicnstvollen Arbeiten und die
Ausfüllung «ler hier in Folg« 1 »1 «t Kürze entstandenen unvermeid¬
lichen Lücken.
| Referate und Bücheranzeigen.
Paul Jakob und Gotthold Pannwitz- Berlin: Ent¬
stehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose. Auf Grund
ihrer in den deutschen Lungenheilstätten angestellten Sammel-
forschung. I. Band. Leipzig, Georg Thieme, 1901. IX,
372 pagg. Preis geheftet 10 M.
Vor einem Jahr etwa wurden von Jakob und Pann¬
witz an alle deutschen Lungenlieilanstalten Fragebogen ver¬
sendet, die von den Kranken selbst auszufüllen waren und in
ihren sehr detaillirten Fragen di«? ganze Actiologie der Lungen-
| tuberkulöse umfassten. Nunmehr liegt der erste Band d«*s ge¬
nannten Werkes vor uns, gegründet auf die Ergebnisse di«?ser
Saminelforschung. Ein Riesenstoff; 3295 Fragebogen waren zu-
sammeugeströmt, dazu wurden noch 612 Fälle von Lungentuber-i
kulose aus 2 Lebensversichorungsgesellsohaftcn herangezogen;
i das Alles wurde mit grösster Sorgfalt kritisch gesichtet und korp-
hinirt.
i Doch die Verfasser Hessen cs si«;li mit der Verwerthung dieses
Materials nicht genügen. Wie sie selbst allerorts naehdrücklicli
aussprechen, kommt allen aimmnestischen Erhebungen nur ein
bedingter Werth zu (lief, möchte hier auf die kurze Arbeit hin-
weisen: l’eber die Verwerthung «ler Anamnese v«m A. Ham¬
me 1 ha c h e r und ll«?f.; 5. Bericht des Oberbayerischen Vereins
für Volksheilstütten für 1900). Die Subjektivität des Arztes war
durch die Fragehog«*n glücklich ausgesehaltet, nicht aller die¬
jenige des Kranken, und diese konnte auch durch nachträgliche
(theilweise) Revision des Arztes kaum verbessert werden. Mögen
; viele Kranke in diesen schriftlichen Antworten aufrichtiger un«l
1 unbefangener gewesen sein als hei der persönlichen Ausforschung
! durch den Arzt Aug’ in Auge, so können andererseits ihre Un¬
wissenheit, mangelnde Erinnerung, ungenügende Beobachtung,
unwillkürliche (der fast sprichwörtliche Optimismus der Phthi¬
siker) und, vielleicht am meisten, willkürliche Entstellungen
den Werth der Angaben erh«*hlich herabmindern; und «lie Ver¬
hältnisse wcnh'ix noch komplizirt durch alle möglichen Ten¬
denzen, Agitationen, einseitig «ungebildeten Aufklärungen unter
den Kranken, lief, glaubt nicht fehl zu gehen, wenn er die Wir¬
kung letzterer Faktoren, z. B. in «len bei verschiedneen Anstalten
so auffallend divergirendeu Verhältnisszahlen gewisser aetio-
logiseher Momente (Einathmung von Staub, Zusammenleben mit
Phthisikern, Militärdienst) vermuthet, wenn er darauf so manche
angeblich reine Berufskrankheit zurüekführt. Ein grosser Vor¬
zug des Materials ist dessen weitgehende Gleichartigkeit, so
speziell (wenn auch nicht absolut) hinsichtlich der Diagnose
Tuberkulose; «loch beeinträchtigt diese Gleichartigkeit vielfach
(z. B. in der Frage der Disposition) den Allgemeinwcrtli des
Materials, da in Heilstätten (in der Regel) nur Kranke im initi¬
ieren Lebensalter, deren Krankheitsbild einen Kurerfolg ver¬
sprüht, aufgenommen werden. Die Verfasser haben daher die aus
den Fragebogen gewonnenen Zahlen nur mit grosser Vorsicht
ausgenützt und die Bedeutung des Werkes wesentlich vertieft
dureli eine ausserordentlich gründliche literarhistorisch-kritische
Darstellung «ler Entstehung der Lungentuberkulose, wobei sie
überall zu «len vorliegenden Streitfragen in beachtenswert her
Weise Stellung nelniien und dieselben ihrer Entscheidung näher
bringen. Allenthalben wird, was «lie Phthiseotherapeuten den
Verfassern besonders danken werden, ein v«-rmitt«lnder Stand¬
punkt gefestigt und allen Extremen, so vor Allem der Lehre der
reinen Kontagionisten (doch hätte hier Ref. an einigen StelLii
«lic Konzessionen geringer ’ gewünscht) " entgegengetreten.
Andererseits wird immer wieder auTTTTe"zahlreichen Lücken der
a«-tiologisehen Erkenntniss und die Nothwendigkcit weiterer
Unt.ersu«*hungen hingewiesen.
Fs Kt unmöglich, auf den überaus reichen Inhalt des Werkes
im Speziellen einzugehen, nur die Disposition und die wichtigsten
Sätze können wiodergegeben werden. Nach den einzelnen
Tabellen der betheiligten (33) Lungenheilanstalten, der alle um¬
fassenden Generaltahelle und der Zusamni<*nstellung der Ver-
si«*herungskrank«*n (die später wcg«*n ihrer Unverlässigkeit nur
mehr wenig angezogen worden) wird der Stoff in 8 Kapitel «*in-
getheilt. Im 1. Kapitel „Heredität und Disposition in ihren B«>-
zichungcn zur Lungentuberkulose“ wird die germiuative und
phu*eutare Infektion als Ausnahme Is-trachtet. dagegen an d«*r <*r-
«•rhten Disposition fcstgclialtcn. Verfasser hatten in «len Frage¬
bogen genau unt«*r>chie«len. oh «lie Eltern <!«*•> G* fraut« n zur Zeit
Digitized by VjOOQie
1888
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
seiner Geburt krank gewesen seien oder nicht, und fanden ersteres
nur in 119 Fällen gegeben. Immerhin erscheint dieses schwierige
Gebiet noch nicht genügend aufgeklärt, und „auch die Theorie,
dass es eine kongenitale Disposition zur Tuberkulose gibt, ist
durch die nackte Statistik kaum zu beweisen“. Das folgende
Kapitel behandelt die „Beziehungen zwischen Skrophulose und
Lungentuberkulose“. Als allgemeine Skrophulose ist der charak¬
teristische Symptomenkomplex (abgesehen von Drüsenerkran¬
kungen) zu bezeichnen, welcher aus der ererbten oder post-
foetalen Anlage (oder beiden) rosultirt; Drüsenerkrankungen
machen die Skrophulose zu einer tuberkulösen oder pyo¬
genen. Zur Unterscheidung dieser Formen empfehlen
sich probatorische Tuberkulinimpfungen, falls (vom Ref.
betont) sie sich als unschädlich und diagnostisch
sicher erweisen. Der häufigste Infektionsweg der Tuberkulose
wird auch hier, wie. beim Erwachsenen, die Inhalation sein.
(V o 11 a n d’s Theorie wird abgelehnt.) In den Drüsen, können
die Bacillen (virulent) liegen bleiben und später bei entzündlichen
Vorgängen in den Lungen durch die Leukoeyten dorthin über¬
geführt werden: „Infektion von i n n e n h e r“. Die Sta¬
tistik ergibt, dass das weitaus wichtigste Moment für die Skrophu¬
lose die Abstammung bezw. das Zusammenleben mit tuberkulösen
Eltern ist. das zweite das Aufwachsen unter ungünstigen Verhält¬
nissen. Ueber „die Entstehung der Tuberkulose durch den Ge¬
nuss tuberkelbacillenhaltiger Nahrung“ urtheilen die Verfasser
nach genauer Zusammenstellung der vielverzweigten Literatur
dahin, dass die Möglichkeit einer tuberkulösen Infektion vom
Darm her, auch ohne specifischo Darinerkrankung, zu bejahen
ist (besonders für Kinder, doch — bei fortgesetzter Bacillenauf¬
nahme oder Darmalteration — auch für Erwachsene); es kommt
zunächst zu Drüsentuberkulose, dann zu „Infektion von innen
her“. Die Statistik ist hier nur wenig maassgebend, da die ein¬
gehenden Fragen über Milchgenuss vielfach an der (wohl sehr
allgemeinen) Unkenntniss der Patienten scheiterten. Im nächsten
Kapitel „Die Entstehung und l’ebertragung der Lungentuber¬
kulose in geschlossenen Räumlichkeiten“ wird gegenüber den
reinen Kontagionisten energisch die Bedeutung der erworbenen
Disposition gewahrt, für welche in erster Linie alle unhygie-
nischen Lebensverlnilfnisse und hier wieder zuerst unhygienische
geschlossene Räumlichkeiten in Betracht kommen, sei es, dass
nunmehr eine latente Tuberkulose ausbricht oder dass zugleich
oder später eine Infektion stattfindet. Hier wird vortrefflich die
Bemerkung angefügt, dass auch die ärmsten Bevölkerungskreise
nach vielen Richtungen hin eine zweckmässigen? Lebensweise
führen könnten, als dies vielfach geschieht. Auf Grund ihrer
eingehenden Darlegungen und der Statistik kommen die Ver¬
fasser zu dem wichtigen Resultat, dass alle übrigen Infektions¬
gefahren gering sind gegenüber denen, welche sich aus dem Zu¬
sammenleben tuberkulöser und gesunder Arbeiter in Werk¬
st ä 11 e n ergeben. Besonders hervorheben möchte Ref.
«las Kapitel: „Ehe. Schwangerschaft und Lungentuberkulose“.
Entgegen den unheimlich düsteren Darstellungen, welche
vielfach über die Bedeutung der Ehe eines Phthisikers
für die ganze Familie gegeben wurden, betonen die Ver¬
fasser eindringlich, dass zur Beurtheilung solcher Fragen
stets alle aetiologisehen Momente zu berücksichtigen sind,
un«l schliessen aus ihren mit grosser Kritik benützten Er¬
hebungen (die bezüglichen Krankengeschichten werd«*n siimmt-
lich wiedergegeben), dass zwar die Gefährdung der Frau durch
Sehwang«*rsohaft und Geburt sehr gross ist. dass aber im Uebrigon
«lie Gefahr der Ehe (besonders für den Mann) bei einseitiger Be¬
trachtung leicht überschätzt wird. „Die Beziehungen der
Lungentuberkulose zu anderen Krankheiten“ werden an der Iland
«ler Literatur «lurchgesprjx'hen. „Die Bedeutung d«*s Traumas
für «li«- Entstehung d«*r Lungentuberkulose“ — wobei einmalige
und fortg«s« tzte, lokale und allgemeine traumatische Einflüsse
und die Einwirkung verletzender Staubarten zusammen ge¬
nommen w«*r«len — wird dahin klargelegt, dass ein Trauma sowohl
bei schon vorhandenen Bacillen, als auch b«*i folgender Bacillen-
invasioii die Entstehung und Ausbreitung <l«*r Tuberkulose am
Lo« us minoris resistentiae befördern kann. Mit Recht wird eine
gross« re Beachtung traumatischer Einflüsse für die Aetiologie,
an«I«‘|s« its aber auch hiebei die grösste Vorsicht wegen der
mannigfach möglichen Entstellungen gefordert. Verhültniss-
mii'sig kurz Dt «las letzte Kapitel ..Andere Ursachen für die Ent-
t-t« Innig der Lungentuberkulose“ geratheu (Staub. Anstrengung,
Militärdienst, Alkohol, psychische Momente). Auch hier erfreut
die vermittelnde Stillung bei Ablehnung der strengen Alkohol-
abstinenz.
Das Werk gibt ein prächtig harmonisches, kritisch geklärtes
Bild der ganzen Aetiologie der Lungentuberkulose. Wir haben
allen Grund, auf den zweiten Theil, „Die Bekämpfung der
Lungentuberkulose“, gespannt zu sein; doch schon an sich ist
der vorliegende Band für jeden Phthiseologen unentbehrlich, für
jeden Arzt eine sehr cmpfehlenswerthe Anregung und Belehrung
über dieses so eminent aktuelle Gebiet.
O. Pis e hing e r.
L. M a d e r: Mikrophonische Stadien am schallleitenden
Apparat des menschlichen Gehörorgans. Sitzungsberichte der
kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. Mathematisch-
naturwissenschaftliche Klasse, Bd. CIX, Abth. 111, Februar 1900.
Mader beschreibt zunächst den von ihm „Otomikrophon“
benannten Apparat, mit Hilfe dessen durch Töne und Geräusche
erzeugte Bewegungserscheinungen, welche auf den Stift eines
Mikrophons übertragen werden, durch ein Abgabetelephon in
einem Nebenzimmer gemessen werden können.
Die Töne wurden durch Stimmgabeln. (Jeräusche durch «len
Fall einer Schrotkugel auf eine Marey’sche Trommel erzeugt;
die Fallhöhe konnte nach einem graduirten Stab bestimmt
werden.
Auf diese Weise untersuchte M. an Präparaten die Bewegungen
des Trommelfells, und kam zu dem Schlüsse, dass die mikro¬
phonische Wirksamkeit des hinteren unteren Quadranten am
grössten, die d«’s vorderen am geringsten ist. Die einzelnen
Theile des Trommelfelles betheiligen sich demnach verschieden
an den Massenschwingungen des Trommelfells. Das Maximum
«ler Wirkung tritt int inneren Drittel, in nächster Nähe des
Hammergriffes auf, während dieselbe im äussersten am ge¬
ringsten ist.
Durch «lie Prüfung der Wirkung der Gehörknöchelchen
glaubt M. den Beweis für die Richtigkeit der H e 1 m h o 11 z*-
schen Theorie über die Schallleitung durch Hammer und Ambos
experimentell erbracht zu haben. An der Steigbügelfussplattc
wur«le die grösste Wirkung in der Mitte festgestellt.
Weiters untersuchte M. die Knochenleitung und fand hie¬
bei. dass die Schädelknochen von relativ schwachen Schallwellen
der Luft in ziemlich erhebliche. Schwingungen versetzt werden
können, welche vom Knochen wieder mit ziemlicher Kraft ab¬
gegeben werden können. Von grossem Einfluss auf diese Ueber-
tragung ist die Struktur des Knochens; die Kraft der Uebcr-
tragung ist um so bedeutender, je kompakter die Knochenmas>e
i-*t. Auch die Frage, ob das Entstehen von Schwebungen cen¬
tralen Ursprungs ist oder nicht, hofft M. mit seiner Methode zu
entscheiden. Er ist der Meinung, dass die Schwebungen im
Knochen entstehen.
Hinsichtlich der Sehallleitung mit und ohne Trommelfell
kommt M. durch seine Versuche zu dem Schlüsse, dass die Steig-
bügelfussplatle und damit das Labyrinthwasser mit Hilfe de>
Trommelfells in stärkere Schwingung versetzt wird, als ohne das¬
selbe, ausserdem dass bei Fehlen des Trommelfells neben Herab¬
setzung der Leitung an der Steigbügelfussplatt«* gleichzeitig eine
Erhöhung derselben durch die Knochenleitung auftritt.
Bei «ler osteo-tvmpanalen Leitung soll nach M. lediglich der
Steigbügel in Betracht kommen, während die Ueberleitung vom
Knochen auf das Trommelfell ohne wesentlichen Einfluss ist.
W anner - München.
Prof. Dr. E. Zuckerkandl: Atlas der topographischen
Anatomie des Menschen. II. Heft: Brust; in 48 Figuren mit
erläuterndem T«*xt«*. III. Heft: Bauch; in 95 Figuren mit er¬
läuterndem Texte. Wien und Leipzig, Wilhelm B r u u m ii 11 e r.
1900 und 1901.
Wir haben die erste Lieferung dieses Werkes seinerzeit an¬
gezeigt und empfohlen. Die beiden inzwischen erschienenen
Lieferungen sind durchaus vorzüglich ausgefallen. Es lässt sich
nach den bereits vorlieg«*n«len Theilen des Zuckerkandl'-
schcn Atlas sagen, «lass dieses Werk mit zu dem Besten gehört,
was in dieser Art erschienen ist. Der Verfasser fährt fort, «lie
topographisch«* Anatomie in schönen Einzelausselmitten. also
durchaus regionär und dabei schichtenweis von der Oberfläche
nach «ler Tiefe v«mlriugcnd. vorzuführen. Die Bilder zeigen.
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.19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
18S9
dass der Verfasser eine gmsse Erfahrung hinsichtlieh der prak¬
tischen Bedürfnisse des Arztes hat und so finden sielt da vielerlei
Bilder, die man in anderen Büchern ähnlicher Art vergeblich
suchen würde. Ucberall haben wir den Eindruck der Originali¬
tät, der geistigen Frische und Regsamkeit, so dass die Dar¬
stellungen in entschiedene tu (irade anregend auf den Beschauer
einwirken. Wenn unsere Praktiker, besonders die Chirurgen, «las
Werk benützen wollten, so würden sie sicherlich vorzüglich be¬
rat hell sein. Martin II c i d e n h a i n.
Neueste Journalliteratur.
Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1901. 71. ßd.
2. u. 3. Heft,
l(n S c h ii 1 e - Freiburg i. 1!.: a) Inwieweit stimmen die Ex¬
perimente von P a w 1 o w am Hunde mit den Befunden am
normalen menschlichen Magen überein?
b) Ueber die Beeinflussung der Salzsäurekurve durch die
Qualität der Nahrung.
Die von I* a w I o w im Thiere.xperiuient gewonnenen Resul¬
tate, dass die Haupt Ursache für «Ile Mageiisaftsckretlon (1er Appe¬
tit sei. dass der ganze sekretorische Effekt nicht durch das mecha¬
nische Monn 11 t. das Kauen. arch n’elit durch den chemischen Reiz
der Nahrung, sondern nur durch das psychische Moment, durch
das Verlangen des Tlderes nach Nahrung bedingt s *i, sind nach
Schäle nicht ohne Weiteres auf den Menschen zu übertragen.
Beim gesunden Menschen bildet sich im ticgeiitlieil der „reine
Appetitsaft I’awlow's" selten oder gar nicht, vielmehr werden
die Mageiidrt'isen schon während des Aufenthaltes der Speisen im
Munde reflektorisch zur Sa Izsiiu ivp r o< hi k t i o n < j- Pepsini
angeregt und zwar sowohl durch Kauen, wie durch chemisch wirk¬
same Substanzen, besonders durch Nahrungsmittel mit ange¬
nehmem Geschmack. Diese sekretorischen Punktionen brauchen
zu ihrer Auslösung eint» gewisse Zeit: Lntoiizstadiuni. Die als¬
bald entstehenden Verdauungsprodukte werden theilweise resor-
birt lind unterhalten die einmal eingoleitete Absonderung des
Magensaftes; ein liiechanischer Heiz der Ingesta auf die Magen-
wund selbst kommt dultei nicht in Betracht. Die Verschiedcnlmit
der Ingesta ist nur von geringem Einfluss auf den procentualeu
Säuregrad. Keim CJesunden ist die Salzsäurekurve nach Probe-
frühstück und Probemalilzeit nahezu gleich, beim Kranken gii>t
die Proliemahlzeit genauere Resultate als das Probefrühstiick.
lli W 1 e b e - Dresden: Ueber hysterische Taubheit.
Nach kurzer Besprechung der Kraiiklieitserselieinungeii. di • «lii*
Hysterie am Gehörorgan liervorbringt, theilt W. ö Fälle schwerster
hysterischer Taubheit mit. wovon der erste Fall als idiopathische
Hysterie, die beiden anderen als traumatische Hysterie anzu-
spreehen sind. In einem Falle handelte es sich um eine nicht mit
anderen Olirkranklieitcn koinplizirte. rein hysterische Taubheit, die
beiden anderen hatten gleichzeitig chronische Mlttelobraffektionen.
12» F. R 1 u m - Frankfurt a. M.: Ueber Nebennierendiabetes.
Bei allen Säuget liieren entsteht nach subkutaner oder intra¬
venöser Einverleibung von Nebeiniierensaft Glykosurie (Dextrose»,
auch bei dauernd kohlchydratl'reier Ernährung, selbst nach vielen
Huugcrtageii. wenn längst alles Glykogen aus der Leiter ver¬
schwunden ist. Dabei ist es glcichgiltig. von welchem Säuget liiere
(auch vom Menschen» die Nebenniere stammt. Diese Glykosurie
ist bedingt durch toxische Einwirkung des Nebennierensaftes auf
ein oder mehrere dem Kohlchydmtstoffwechsel vorstehende Or¬
gane. Den Nebennieren kommt wohl, ähnlich wie der Thyreoi iea.
die Aufgabe zu. den Organismus von Stoffwechsclgiften zu be¬
freien. Von diesen» Gesichtspunkte aus kann man sich verstell« n.
dass bei dauernder Insufiieietiz derselben Addison. Kachexie, mich
Dialietes entsteht, z. B. der sogen. Broneediabetes. den Blum als
eine Nebeiinieronstörmig auffasst.
Ifl» Clemens: Zur E h r 1 i c h’schen Diniethylamidobenz-
aldehydreaktion. (Aus der liudicin. Klinik zu Frelimrg 1. B.»
Diese neue Ilarnrcaktion besitzt zur Zeit weder diagnostis -lu*
noch prognostisclie Bedeutung und bedarf noch d; r näheren Auf¬
klärung.
14» R. Link: Untersuchungen über die Entleerung de3
Magens bei verschiedenen Lagen des Körpers. (Aus d.*r medicin.
Klinik zu Freiburg i. B.»
Auf Gnnid seiner rntersucimugeu an einer Reihe von Magen¬
kranken. die au einer Herabsetzung der Motilität des Magens
litten lAtonie. Gastroptose. Dilatatio Veiitriculi etc.) empfiehlt L.
die auch in der Literatur mehrfach erwähnte Eimialime der
r e e Ii t e n S e i t e n 1 a g e n a <• li d e m E s s e ii. da die Ent¬
leerung des Magens sich in der Tliat 1 u-i dieser I.age schneller voll¬
zieht. Bei Kranken eingangs erwähnter Art erscheint also die
therapeutische Verwendung der rechten Seltenlage rationell (mit
Ausnahme von Ficus pylori».
lö» .T. Burke: Ueber angeborene Enge des Aortensystems.
(Aus der II. medicin. Klinik der i'niversitiit Wien: Direktor: Hof-
ratli Prof. Neusser.i
In dieser inteiessanteu Arl»eit t»esprielit B. naeli Definition der
Erkrankung und kurzem historischen Fcberbiiek die bisher er
schienen«“ Kasuistik (ca. Ion Fälle) in kritischer, erschöpfender
Weise unter Anfügung eigener einschlägiger Beobachtungen. Er
kommt zu dem Schlüsse, dass es eine Enge des Aortensystems als
Krankheitsursache zweifellos gibt, deren Folgeerscheinungen sieh
am Herzen in linksseitiger Herzhypertropliie mit Dilatation, später
aueli rechtsseitiger Herzdilat.ition und deren Folgen Hussein,
während in den Arterien sich Arteriosklerose bei jugendlichen
Individuen als Ausdruck eines längere Zeit erhöhten Blutdruckes
findet. Aetiologisch kommt sowohl angeltorcuo Hypoplasie als
Zurückbleiben des Gofässappurnlcs im Waehsthum In Betracht.
Eine besondere Bedeutung hat die Enge des Gefässsystetnes als
prädisponireude Ursache für Infektionskrankheiten, da sie sicher
zu einer Schwäche des behafteten Individuums führt. Die intru
vitam uiigeniein seiiwlerige Diagnose“ wird man stellen dürfen.
..wenn hei einem jungen, blassen, graeil gebauten Individuum,
bei dem Zeichen mangelhafter Entwicklung, wie Hypospadie, zu¬
rückgebliebene Genitalien etc. nachweisbar sind, sich nach ge¬
ringen Muskclnnstrcngutigcu oder psychischer Erregung Störungen
im Kreisläufe. Dyspnoe und Herzklopfen zeigen, während zugleich,
bei Ausschluss eines Klappenfehlers Herzhypertrophie bezw. Dila-
lation iles linken Vorli des und gespannter Puls bestehen, die
Pulsation im .luguliiiii fehlt und der 2. Pulmonalton aecentuirt er¬
scheint."
1*h Hamei: Klinische Beobachtungen über 2 Fälle von
Morbus Addisonii mit besonderer Berücksichtigung des Blut¬
befundes. (Aus der inneren Ahtheihmg des städt. Krankenhauses
zu < 'harlottenburg.»
11. untci-suehte besonders den Bluthcfund in 2 Fällen von
Addison, von denen d«ff eine sieh als eine typische Nobennieren-
tuberkulose erwies, bei sonst tuberkelfreien Organen, während
der andere gebessert entlassen wurde. Er betrachtet die Atmende
als ein wesentliches und untrennbares Symptom des Addison.
Wenn mich der einzelne Blutstropfen sieh bei der Untersuchung
morphologisch als normal erwies, so besteht «loch eine Oligaemie
des Gesainiutblutcs, bedingt durch die in den käsigen Neliennieren-
herden aiisgeseliirdenen Giftstoffe der Tuberkulose. Bei Careinom
der Nebennieren ist auch eine morphologische Schädigung des
Blutes zu erwarten.
17t Th. Struppier: Ueber alternirenden En- und Ex¬
ophthalmus. (Aus der H. medic. Klinik des Herrn Professor
v. Bauer in München.i (Mit 2 Abbildungen».
Mittlicilung eines interessanten Falles, der als Exophthalmus
in Folge varieöser Erweiterung der retrobulbären Venen toph-
i thalmoskopisch stark«* Venensehlängehmg» entstanden, im Laufe
einiger Jahre in Folg«* von ('ireuiationsstörung und dadurch be¬
dingter Ernährungsstörung allmählich einen Schwund des Orbital-
f«*ttos und damit «*iiicn Exophthalmus hcrbolgefiihrt hat. Durcli
Druck auf «li«* Ilnlsgel'ässc z. B. kann jederzeit aus diesem En-
oplitlialimis artetici«*il ein Exoplithalmus gemacht werden.
IS» A. Ott: Der zeitliche Verlauf der Glykogenablagerung
in der Kaninchenleber im Normalzustände und im Fieber. (Aus
«Um tned.-klin. Institut der Universität München.» (Mit 1 Kurv«*.)
In» Normalzustand«* envicht die Glykogeimnhäufung in der
Kaninchenleber ihr Maximum nach 12—lö Stunden, im Fieber
envicht <li«> Kurve Ihr Maximum etwas früher und fällt rascher
und eher ab. wahrscheinlich in Folge rascheren Glykogeiivcr-
hrauches.
l!»i Berichtigung B a in b <• r g e r - Krona eh.
I
i Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 44.
Ludwig B ni u n - Wien: Die Entstehung des ersten Tones an
der Herzbasis.
Die bisher geltende B a m b e r g «* r’sclte Theorie der Ent-
st« limiu von <» Herzb'hieii wurd«* erschüttert durch die Arbeit.
R. Geige l's. welcher mittels der Mnrkirmetliode von Martins
in «‘iiiwandsfivier Weise naeliwles. dass die lx*iden ersten Töne,
an der Spitze und an der Basis, gleichzeitig erschallen. Darin
liegt nun auch der Beweis dafür, dass die systolische Anspannung
der grossen Gefasst“ de norma als Ursache einer hörbaren Ton-
bildung nicht aii«‘i'knniit werden könne: die systolische An¬
spannung der Aorta und der Puhnonalis erfolgt ja erst in der
Austreibungszeit, eine messbare Zeit nach dem Erklingen des
ersten Tones. Es gibt also im ersten Schallmomento nicht
zweierlei Schnllerscheintingen. an der Herzspitze und an der Ilcrz-
basis. Der erste Ton wird vielmehr hier und dort durch «He plötz¬
lich«“ Zustandsändening der Ventrikelwand und durch die Schwing-
iiugeii «l»*r v«*i»ös«*n und der arteriellen Klappen erzeugt.
Für «li«* Richtigkeit dieser Lehre bringt Verfasser einen klini¬
schen Beitrag. Di«“ Beobachtung betrifft eine öd jährige Patientin
mit Perikarditis hei Arteriosklerose. Der Auskultatioiisbefund
«•in«“rs(*its. Herzpalpation un«l Untersuchung «1«*s Gefiisssystcms
andererseits waren in diesem Falle geeignet, als Bestätigung der
Annahme zu «Heuen, «lass der 1. Herzton an der Spitz«* und au
der Basis den gleiclien Ursprung, im Ventrikel, besitzt. Es gibt
demnach nicht <>. sondern bloss 4 IlerzKino. Di«“ Kranke hatte
einen Pulsus intennitteils irr«*gularis. Die Extrasystole erz«*ugte
n»«“ist keine Pulsclcvation in Aorta. Carotis. Rmlialis. Trotzdem
hört«* mail hei j«“«ier ExtrakaininerkonYraktion an der IIorzbasD
und an «l«*r H«*rzspltz«* einen ilistini-teii systolischen Ton. Von
einer systolischen Anspannung «I«*r Aortenklappen kann bei dein
fehlenden Pulse über d«*r Aorta nicht «He Rede sein. D«“r tmtz-
dein hörbare systolische Ton an «l«*r llerzhnsis wiihivnd d«*r Extra-
! systol«* muss (h-ninaeli ebenso wie «ler g«>uau gl«*i«-h kling«*nde
I systolisch«* Ton «ler Herzspitz«* als in «ler V«*iitrik«“lwand eiit-
I standen geflacht werden. W. Z i n n - B«*riin.
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1890
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47.
Archiv für klinische Chirurgie, öö. Bd., t.Heft. Berliü,
Hirschwald, 1901.
1i Jo a c h i in s t li a 1 - Berlin: Beiträge zum Verhalten des
Hüftgelenks bei der angeborenen Verrenkung.
1!) Gottstein: Die diagnostische Bedeutung der Probe-
excision auf oesophagoskopischem Wege. (Chirurgische Klinik
Breslau.)
5) B e s s e 1 - H a g e n - Charlottenluirg: Ueber plastische Ope¬
rationen bei vollkommenem Verlust der Hautbedeckungen am
Penis und Skrotum.
*;i Nils 8 j ö bring- Lund: Ueber Krebsparasiten.
Die Referate über vorstehende Arbeiten iirnlen sich in dem
Bericht über den JO. Chirurgenkongress. No. 10—19 dieser Wochen¬
schrift.
3i Koch: Zur Diagnose des akuten Rotzes beim Menschen.
(Chirurg. Abtheilung des St. Iledwig-Krankenhauses Berlin.)
Her Fall von akutem Rotz, den K. beobachten konnte, war
durch Inhalation einer verstäubten Rot/.kultur entstanden: er be¬
gann mit Lungenerscheinnngeu und endete am 12. Tage tödtlich.
Das Krankheitsbild «ler akuten Rotzinf« ktion schildert K. folgender*
maassen: Nacli einer Inkubationszeit von 3—ö Tag«*ii Beginn mit
heftigen Allgemeinerscheintingen und Fieber; die Diagnose ist in
diesem Studium nicht, zu stellen. .Meist treten dann lokalisirte
Rotzherde in Haut und Muskeln auf oder es stehen Gelenk¬
erkrankungen im Vordergrnn«! in Form von eitrigen Ergüssen
mit periartikuiären phlegmonösen Entzündungen, ln der Hälfte
der Fälle bildet sieh gegen Ende der Erkrankung der Nasenrotz
aus. der als orysipelatüse Schwellung des Nasenrückens atteh
äusserlieh sichtbar wird. 2—0 Tage vor dem Tode tritt das charak¬
teristische. zur Gcschwürsbihlung führende pustulöse Exanthem
auf. das die Verschleppung der Bacillen übet* den ganzen Körper
anzeigt. Tod nach 2—4 Wochen.
4 t (’») mers: Ueber plastische Operationen am Penis nach
Zerstörungen seiner Hautbedeckungen. (Chirurg. Abtheilung des
städi. Krankenhauses Charlollenburg.i
Auf Grund einer eigenen B«*obachtung und des Studiums der
Literatur kommt C. zu folg«*u«len Resultaten: Bei ausgedehnten
Verletzungen oder brandigen Zerstörungen der l’enishaut ist nie¬
mals die spontane Ausheilung abzuwnrten. sondern st«*ts der Ver¬
such einer plastis« hen Deckung des Defektes zu lunchet). Als
Material zur Deckung kommt in erster Linie «lio Skrotalhaut in
Betracht: weniger eignet sieh dazu die Bauehhaut. am wenigsten
<Ji<* Haut der Obi*rs<*h«*nk«*l. Es sind nur gestielte Lappen zu ver¬
wenden: oh eiufaeli oder dopp'di gestielt, hängt von «1er Lage <les
Defektes ab. Di«* Anwendung eines doppelt gestielten, briieken-
ftörmigen I.app«*ns biet«*t aber in d«*r Regel mehr Aussicht auf
Erfolg und muss daher, wenn möglich, vorgcz«ig«*n wcr«h*n.
7 1 Engländer: Ein Fall von uniloculärer Nierencyste.
(Chirurg. Abtheilung des St. Lnzarus-Spitales in Krakau.)
Kindskopfgrosse, uniloeuliire Cyste im unt«*reti Xicrciipnl.
durch Lnpnrotomi«* entfernt. Wand der Cyste aus Bindegewebe
mit Resten von Nierenparenchym Imstehend, mit einschichtigem
Epithel ausgeklehlet.
8i v. B r u n n: Veränderungen der Niere nach Bauchhöhlen¬
operationen. (Pathulog. Institut in Güttingen und Chirurg. Univers.-
Klinik in Berlin.i
Br. hatte Gel«*genheit. bei 21 Patienten, die nach Batn-hliöhlen-
operatioiicti gestorben waren, die Nieren mikroskopisch zu unter¬
suchen. Er fand meist starke Veränderungen, im Wesentlichen
in einer Nekrose des Xieivm-pithels bestehend. Boi fast allen
Fällen mit positivem Nieivnbi-fnnde hatte Peritonitis bestanden,
die v. Br. «iesshalh für die Xi«*r«*n Veränderungen verantwortlich
macht. Die letzteren können auch ohne Peritonitis eintreteu,
ähn«*ln aller im mikroskopischen Bilde stets der Nekrose des
Nier«*n«*pilln*ls. wie si«* durch schwere Intoxikationen nmlerer Art
hervorg«*ruf«‘n wird: die Art ihres Auftretens bei der Peritonitis,
sowohl der Schnelligkeit als der Intensität nach, zeigt, wenigstens
bezüglich des histologischen Bildes, eine grosse Verwandtschaft
mit den schwersten Vergiftungen arzneilicher oder anderer Art,
welche wir überhaupt kennen.
9t Biirkliarilt: Das Verhalten der A 1 t m a n n’schen
Granula in Zellen maligner Tumoren und ihre Bedeutung für
die Geschwulstlehre. (Chirurg. Universitätsklinik Würzburg.)
Zu kurzem Referat nicht geeignet.
Kn de Quervain- La Cliaux de Fotnls: Ueber den seit¬
lichen Bauchbruch.
Der 2 jährige Patient de Qu.’s zeigte eine angeblich seit dem
3. Monat bestehende, kinderfaustgrosse Hernie zwischen linkem
Rippenbogen und Darmbeinkamm. Bei der operativen Fndlegung
faml sich eine hochgradige Atrophie sämmtlicher Bauchmuskeln
im Bereich d«*r Hernie. D«*r als angeborene seitliche Bauch- oder
Lendcidu-rnie bezeichnet«* Symptonicnkomplcx kann demnach nicht
nur durch einen congenitalen Defekt der Bauchmuskulatur, son-
«lern auch dur« h scharf abgegrenzt«* Lähmung mul Atrophie der
seitlichen Baui-hmuskulatur entstehen. Die T'rsaclio dieser
Atro|«lii«* führt di* Qu. mit Wahrscheinlichkeit auf eine Erkrank¬
ung <l«*s versorgenden Nerven o«l«*r seiner Ursprungsst«*lle im
Riii-lo-nmark zurück tdttri-h Poliotuyelitis aut. o«l«*r Lu«*s». Das
klinische Bild dieser Lähmung ist dcmjeuigi*u eines ausg«*d«*hnten
Muskeldef« , kt«*s so ähnlich, «lass nur die anatomische l'nt«*rsuchuug
«•in«* sichere Diagnose gestattet
lll Dehler: Zur Heilung traumatischer Schädeldefekte
nach Müller-König. (Chirurg. Klinik Würzburg.)
D. beschri'ibt das Präparat eitles Schädels, bei d«*m vor
1" Jahren die Deikung eines grossen Kuocliciulcfckt.es im Stirn¬
bein durch Hautperiostkimchenlappen vorgenommen war. mit voll¬
kommenem Erfolge. D. zieht aus seinen Untersuchungen folgende
Schlüsse: Grosse traumatische Seliiidehlcfekte sind sekundär zu
Implantiren. weil die Asepsis sicher garantirt sein muss und weil
erst, wenn die Granulationen iu's Niveau der Umgebung empor-
gewuchert sind, eine einigermaassen genügend stützende Unter¬
lage für einen grösser«*n Knochen lappen g«*gel>en ist. Eine bereits
gebildete Narbe soll, wenn möglich, excidirt werden. Die Ivnocheu-
defektränder sollen ang«*frischt werden. Der Periostknochen-
lappen «lürfte etwas grösser, als der Defekt ist. zu nehmen sein,
damit seine Ränder die Defektränder völlig Uberdeckeu. Bei der
Fix innig «l«*s Lappens ist auf eventuelle Verschiebung durch
Narheiizug zu achten. Je grösser <l«*r zu trausplantiremle Haut-
periostknocheiilappeu, desto nothwendiger ist eine kräftige Arterie
in seinem Sti«*l. Dass auch ln dem Stiel d«*s Lappens eine dünne
Cortiealsehicht mit dein Periost ln Zusammenhang abgemeisselt
uiul mit verlagert werde, Ist nicht nötliig.
12) M aa s s - Xew-York: Die Tuberkulose des Sprunggelenks.
Nach Beobachtungen der Göttinger Klinik (1875—18921.
Sehr eingehende statistische Bearbeitung von 1(17 Tuber¬
kulosen d«*s Fussgeletiks. Bezüglich der Therapie ist hervorzu¬
heben. dass in jeder Beziehung die günstigsten Resultate mit «ler
K ö n i g'sehen Resektion von 2 vorderen Längsschnitten aus er¬
zielt wurd«*n. Genaueres muss im Original nachgelcsen werden.
13) EI gart: Ueber Indikation und Methodik der Darm-
wandexcision bei gangraenösen Hernien. (1. Chirurg. Abthellung
«lcr Land«*skrank«*nanstalt Briinn.)
E. plaidirt dafür, hei solchen Füllen von gangraenösen Brii-
elien, hei denen die Gangraen entwe«l«*r nur die Sehntirfurelie
oder nur di«* Kuppe der eingeklemmten Schlinge an umschriebener
Stell«* Ix-trilVt. die Darmwand«*xeisi«»n an Stelle der eireuläreii Re-
Sektion anszufiihren, weil bei letzterer die Stelle des Mesenterial-
ansatzes immer ein g«*fährlieher Punkt bleibt. Die Methode d«*r
Einstülpung und Uebernühung der Gangraen will E. auf ganz
klein«*, streifenförmige und gut deinarkirte Nekrosen beschränkt
wissen. II e i u e k e - Leipzig.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 14. B«l.
1. Heft,
1) E. K r a u s - Wien: Ueber das Zustandekommen der Krebs¬
metastasen im Ovarium bei primärem Krebs eines anderen
Bauchorgnns.
An 5 Fällen von primärem Krebs verschiedener Bauchorgane
(Magen. UiM'cutn. Gall«*ngang) mit Metastasen an den Ovarien
erklärt Verfasser den histologischen Vorgang hei «lcr Entstehung
; dieser Ei«*fst«>i-ksmctas1asen. Si«* kommen zu Stand«* durch 1m-
I plantatiou in der Bauchhöhle frei gewordener Kivbspartikel auf
! dem Epitlud des Ovariums.
Die Art des Eindringens der Geschwulstzellen in das Inner«*
der Ovarien von «l« r obcrilä«ln* her ist eine verschiedene. Sie
liegen entweder auf der Oht*rt1ä«*he der Ovarien fliiehenförmig
ausg«*lm»itet. oder sie hihlcn Häufelien. dip in den Lücken unil
Einscukung«*n eingebettet sind. Das Keimepithel ist oft unt« r
ihnen deutlich erhalten. Die Z«*llauflagernngen können in tot«»
in die. Ovarialsuhstanz hlneinwuchem oder auf präformlrten
Bahnen fortsehr«*iten. Dann kommt es auch vor. dass die auf-
lagernd«*n Krchsz<*llen ohne Veränd«*mng ihres Platzes eine binde¬
gewebig«.* Wucherung des unterliegenden Stromes hervorrufen und
ilann erst sekundär, meist auf dem Wege der Blut- und Lymph-
bahnen. wcibwwuchem.
Die begünstigende Bi'dingttng für die häufige Krebsein*
pllanzuug am Eierstock liegt w«>hl in der Natur «les Keimepithels.
Die Neigung der Metastasen am Ovarium zur Entwicklung von
grossen Tumoren gegenüber der Entwicklung der disseminlrten
Tumorpartikoh-hen am Peritoneum zu oberflächlichen Knötchen
hat ihren Grund in den histologischen und physiologischen Eigen¬
schaft« n der Ovarien, vor Allem in ihrem Lymphgefässreichthum.
2) A. A m a n n - München: Das polypöse Kystom des
Ovarium.
Diippcllmannskiipfgr«>s«er Tumor, aus einem Convolut von
«hünnwan<lig«*n. zum Theil gestielt mit einander verbundenen
Blasen besuchend, ähnlich einer Binsenmole von enormer Entwick¬
lung. Tube und Ovarium beiders«‘its erhalten.
Bei der Untersuchung täuschte die Lageverämlerung der
Blasen Ascites vor.
Die g«*st ielte traubige Form der Kystome führt A. auf Ent¬
stehung aus disseminlrten Ovarialanlagen zurück (Umwandlung
v<*rsehi«*«h*in*r von einander getrennter Coelomepithelpartien in
Keimdrüsensnbstanz), während die aus grösseren sogen, aecesso-
risclien Ovarien sich bildenden Cysten den Typus der gewöhn¬
lichen Ovarialkystome erhalten.
3.i A. R 1 e c k - Altona: Vaginiflxur und Geburt. (Schluss Im
nächsten Heft.)
1) S. Stolper- Wien: Ueber Entbindungslähmungen.
Nach einem Ueberbliek über die in der Literatur bekannten
Mittheilungen von Entbindungslähmungen theilt Verfasser einen
Fall mit. hei dem nach Extraktion durch die Zange die Mm. d«*l-
toides. biceps. brachialis internus, supinator lougus und infra-
spinatus eines 5*4 kg schweren Knaben gelähmt waren. Eine
Epiphysoiurennung oder Diaphysenbrueh des Oberarmes wurde
durch die Durchleuchtung ausgeschlossen.
Verfasser schliesst die Zang«* als Ursache der Lähmung aus
und kommt auf Grund von Experimenten an Leichen reifer Kinder
zu dem Ergebnis«, dass diese Lähmung nicht durch Zerreissung,
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCRE WOCHENSCHRIFT.
1891
sondern durch Zerrung und Spannung des 5. und zum Tlieil des
6. Cervlcalnerven in Folge starken Zuges bei Entwicklung der
Schultern entsteht.
5) L. Knapp- Prag: Beiträge zur Geschichte der Eklampsie.
6) S. N e u w a n u - Ofenpest: Sammelbericht über die im
Jahre 1899 in Ungarn erschienenen Arbeiten geburtshilflichen
und gynäkologischen Inhalts.
W e i n b r e u u e r - Erlangen.
Ceatr&lblatt für Gynäkologie. 1901. No. 45.
1) Georg Za nder- Mannheim: Ein Fall von Anus praeter¬
naturalis vestibularis.
Die genannte Missbildung, auch Atresla ani vestibularis oder
Anus vulvaris oder hymenalis genannt, fand sich zufällig bei einer
20 jährigen I. Para, die wegen Abort curettirt werden sollte. Die
Cloakenöffnung lag an der Oommissura posterior, darüber der In¬
troitus vaginae. An der Stelle des Anus war nichts zu entdecken.
Der Coitus muss durch die gemeinsame Oeffnung stattgefunden
haben. Pat. war übrigens für Stuhl und selbst Flatus kontinent.
2i II. A. v. G u 6 r a r d - Düsseldorf: Wahre Graviditas inter-
stitialis.
Dieselln» betraf eine 38 jährige Frau, die 2 Aborte und 4 nor¬
male Geburten gehabt, hatte. Im 3. Monat der 7. Gravidität traten
Erbrechen und plötzliche Ohnmächten auf. Diagnose: Extrauterin¬
schwangerschaft. Bel der Laparotomie fand sich die geplatzte Ei¬
höhle i u der Uterussubstanz. Die Höhle wurde von v. G. excidirt
und die Wundriinder vernäht. Heilung. Das Präparat zeigte, auch
mikroskopisch, deutlich, dass die Wand dos Sackes nur von IJterus-
muskulatur gebildet war, in die das Ei sich vollständig „einge¬
fressen“ hatte.
3) Otto G r ö n 6 - Lund: Ein neuer Fall von Facialisparese
nach spontaner Geburt.
Ein Analogon zu dem kürzlich von K ehre r in diesem Blatte
veröffentlichten Fall (ref. in No. 41, p. 18151. G.'s Fall wurde in
Gesichtslage geboren. Als Ursache fand G. hinter der Symphyse
eine Exostose, sonst keine Zeichen von Verengerung des Beckens.
Die Parese war nach 12 Tagen spurlos wieder verschwunden.
Jaf f 0 - Hamburg.
Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 30. Bd.
2. Heft. 1901.
8) F. Katsurada - Okayalila (Japan}: Zur Lehre von den
sogen. Dermoidoysteh oder Embryoihen des Eierstockes. (Aus
dem pathol. Institut zu Freiburg i. B.»
K. beschreibt eingehend 4 Fälle von Derulpidcysten des Ei«»r-
Ktocks mit derartigen Einschlüssen von Geweben und Organen,
dass hei der Entstellung derselben alle drei Keimblätter betlu'lligt
gewesen sein müssen („Embryoue“ nach Will m s). Bemerkens-
Werth ist der noch nie bisher erhobene Befund von Herz-
inuskelfasern im Fall 1. Hinsichtlich der Genese stellt sich
K. auf den jüngst von Bon net vertretenen Standpunkt.
7) G. Schmort uml Lossen: Zur pathologischen Ana¬
tomie der Barlo w’schen Krankheit nebst Beiträgen zur
Kenntniss der traumatischen Störungen der endochondralen
Ossiflcation. (Aus dem pathol. Institut des Dresdener Stadt¬
krankenhauses Frledrichstndt.)
Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob irgend
ein Zusammenhang zwischen Rachitis und Ba rlow’sclier Krank¬
heit besteht. Zu diesem Zweck beschreibt Sch. einen Fall von
reiner B.-Krankheit ohne Spuren von Rachitis mit genauem makro-
und mikroskopischem Befund: bespricht alsdann die für eine ein¬
wandfreie Diagnose der Rachitis nötIngen Kriterien, wobei er
hauptsächlich auf di»? an allen Skeh>ttheilcu mikroskopisch nach¬
weisbare Wucherung der osteoiden kalklos»»n Knoclmnsubstanz hin¬
weist (bei oft gänzlich fehlendem makroskopischem Befund!). Nach
diesen Kriteri«»ii werden dann die von »len früheren Autoren
angeführten Fälle von B.’s»-her Krankheit auf ihren Zusammenhang
mit Rachitis hin g»»prüft. l)i»* Thatsaehe. »lass in elnz»»lnen Fällen
von B.’scher Krankheit sonstige rachitische Veränderungen völlig
fehlen, dagegen Störungen d»*r eudochondnilen Ossiflcatlon vor¬
handen sind, wie sie wohl l»el leichten Raehitisfälleu »»lx»nfnlls
Vorkommen — diese Thatsaehe suchen Sch. u. L. auf experimen¬
tellem Wege zu erklären.
8) J. A. Grober: Die Resorptionskraft der Pleura. (Aus
der modle. Universitätsklinik zu Jena. Dir. Prof. Dr. Stintzing.)
G. veröffentlicht liier im Anschluss an seine interessante Ab¬
handlung über „Die Infektlouswege der Pleura“ (Aivh. f. klin.
Med. Bd. 08, S. 200) nunmehr seine umfassenden Untersuchungen
über den anatomischen Bau und über die Resorptiouskraft der
normalen wie der pathologisch veränderten Pleura. Seim» Ergeb¬
nisse fasst G. selbst zusammen in folgende Schlusssätze: 1. die
Pleurahöhle steht mit den Lymphgefiissen in direkter Verbindung
(Stomata); 2. die gesund«» Pleura resorblrt Fr»»m«lkörp»»r uml
Flüssigkeiten und zwar für Jedes Thier eine seiner GWisse ent¬
sprechende Menge in einer gewissen Zeit; 3. die Resorptiou wird
bewirkt sowohl »lurch Diffusion und Osmose als auch durch die
Athmungsbcwegungcn (s. Orig.!): 4. die Resorption der entzündeten
Pleura ist bedeutend verringert und 5. die gesunde Pleura kann
gewisse Mengen lebender Mlkroorganisim»n und deren Toxine, ohne
zu erkranken (!) so resorbiren, »lass dieselben im Körper unschäd¬
lich gemacht werden können. Der entzündeten Pleura f»»hlt »lies»»
Fähigkeit.
9) D. P. Kisch ensky: Primärer Plattenepithelkrebs der
Nierenkelche und Metaplasie des Epithels der Nierenkelche,
des Nierenbeckens und des Ureters. (Aus »lein pathol. Institut
der kaiserl. Universität zu Moskau.)
Kasuistische Mittheilung eines derartigen seltenen Falles; es
handelte sich um eine inültrirende Form »1er rechten Niere mit
ausgedehnter Verhornung und sekundärer Verkalkung der Horn-
perlen; daneben bestand ausgesprochene epidermisähnliche Meta¬
plasie der Schleimhaut des Nierenbeckens, der Kelche, sowie des
rechten Ureters; »lie Blase, sowie der linke ITreter zeigten
hochgradige Entzündung ohne Epithelmetaplasie. Iv. fügt die
ganze beziigl. Literatur ausführlich bei.
10) W. Türk: Untersuchungen zur Frage von der para¬
sitären Natur der myeloiden Leukaemie. (Aus der II. medi<».
Universitätsklinik zu Wien. Dir. Hofrath Prof. Neusser.)
Entgegnung auf die Monographie und die Streitschrift
Löwit's; auch in vorliegender Arbeit sucht T. den völligen Be-
weis dafür zu erbringen, dass die Haeinamoeben der Ltmkaemia
magna nur Kunstproduktc sind. Im 2. Theil berichtet T. über die
von ihm und l)r. v. Decastello ang«*st»*llten Uebertraguugs-
versuehe myeloider Leukaemie auf Kaninchen, die ganz analog
den Löwit’sclien Versuchen unternommen, sä mint lieh ne¬
gativ austielcn.
11) A. Dietrich: Bemerkungen zu der Arbeit von
K. Sudsukl: „Ueber die Pathogenese der diphtheritischen
Membranen“. (Aus dem pathol. Institut zu Tübingen.)
Erwiderung. H. Merkel- Erlangen.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 15, 1901.
1) Schilling- Kleinpopo (Togo): Bericht über die Surra-
Krankheit der Pferde.
Es handelt sich um 3 Fälle von Surrakranklieit hei Pferden.
Die charakteristischen Symptome: Abmagerung, Schwellung der
Testlkel. des Penis, der Fussgeleuke und eine strangförmige, an
der Hautfalte zwischen den Vorderbeinen bis in die Mittelbnucb-
gegeml sich hinziehend»» Schwellung zeigte sich bei allen Thieren;
he! einem Pony fiel ausserdem der schwankende Gang »les Thier*»«
auf. Merkwürdig ist die Fr«»sslust. die l>ei den Thieren trotz »ler
zunehmenden Abmagerung bis zum To»le anhält. Die Sektion
zweier Thier«» ergab ausser einer hochgradigen Anaemie nichts
Besonderes. Das Blut enthielt ziemlich viele 1 e 1» li a f t b e w e g-
liehe T r y p a li o s o m e n.
Impfversuche mit parasitcnhaltigem Blut wurden bei Pferden.
Esel. Rind, Hund und Schweinen angestellt. Schweine re-
nglrti»n nicht. Pferde waren am empfindlichsten; die Erschei¬
nungen nach der künstlichen Infektion waren aber ander»», wie l»ei
der natürlichen Infektion. Es fehlten namentlich die Oedeme,
so dass Verf. annimmt, dass die Parasiten, so wie si»» beim Tode
des l’f«*rd»»s gefunden werden, nicht auf dasselb»» übertragen
werden.
Als Ueherträgcr der Krankheit wird di»* Tsetsef 1 leg«» lx»-
schuldigt. Im Schutzgebiet Togo kommt sic im Ktistenstreifen
nicht vor, 3 km von der Küste entfernt jedoch häutig.
2» E m m e r i c li und L ö w: Ueber biochemischen Anta¬
gonismus.
Im Gegensatz zu Ehrlieh's Hypothese stellen die Verf. für
die theoretische Erklärung der Immunität eine neue Theorie auf.
welche mehr auf bekannten chemisch-physikalischen Thatsacheu
fasst. Es handelt sich im Prinzip darum, dass cs gewisse sog.
racemisehe, <1. h. optisch inaktive, Substanzen gibt, welche
unter lH?sonder«»n Bedingungen in die beld»»n optischen Antipoden
wieder zerlegt werden können, von denen dann die eine oder «li»»
ander»» Modifikation im Organismus besonders physiologisch ver-
werthet und ausgeiiützt würde. In Betreff der Einzelheiten muss
auf »las Original verwiesen werden.
3) A. Loos-Cairo: Notizen zur Helminthologie Egyptens. IV.
Ueber Trematoden aus Seeschildkröten der egyptischen Küsten.
(Schluss folgt.)
4) L. Hei m - Erlangen: Zum Nachweis der Choleravibrionen.
Um ein«» liessen» H ii u t c b e n b 11 d u n g und eine Intensivere
ludolreaktion bei CholeraVibrionen zu erzielen, stellte sieb
Verfasser eine B 1 u t a b k o «• li u n g dar, die entweder aus
fris«-hem Blut oder Bluteoagiilum bereitet werden kann. Die
II ii u t c h e n b 11 <1 u n g gelingt, wenn man zu 200 ccm Wasser,
welches rholeravlbrionen enthält, 4 g Pepton uml 2 g Kochsalz
und ca. 50 ccm Blutdeeoct hinzufügt Bel 37 0 erscheint nach
24 Stunden das Häutchen. Die I n d o 1 re a k t i »> n wird ebenfalls
in Blutdeeoct stärker. Auf Agar-Gehitine-Blutnährb»*den ged«‘ilieii
die Cholernkolonien üppiger, doch scheint die Lebensfähigkeit der¬
selben zu leiden. R. O. N e u m a u n - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 45.
1) F. Martins- Rostock: Die Vererbbarkeit des constitutio-
nellen Faktors der Tuberkulose.
Vergleiche das Referat pag. 1763 der Münch, med. Woeheu-
sclir. 1901.
2) A. W o 1 f f - Berlin: Untersuchungen über Pleuraergüsse.
In diesem 2. Theile seiner Publikation bespricht Verfasser
dl«» D»»g(‘ii«»i*at.ioiiserseheiiuing»»ii in den pleuritlsch»»n Exsudaleii
und kommt unter B«»rüeksichtigung der B«»funde einer grösseren
Reihe anderer Autoren zu folgenden Feststellungen: Die h»*rr-
scheude Lehre, dass die Exsudatzellen zu fettigem Detritus zer¬
fallen und dann resorblrt werden, entspricht nicht «len Tliat-
saclien. Das Fett In d»»n Leukocyten ist spärlich und mit keiner
bekannten Fettart zu Identificireu. Es zeigt besondere färberische
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1892
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
Eigenschaften. Das Fett in (len Pleuraergüssen verdankt, seine
Entstehung einem dcgenerativen Vorgang. Die glykogenlge Ent¬
artung ist häutig, sie kommt nur bei frischen, sonst noch wenig
veränderten Zeilen vor. Es scheint ein Gegensatz zwischen gly-
kogeulger und fettiger Entartung zu bestehen. Ein diagnostischer
Werth kommt nur der morphologischen rntersuclning zu, nicht
auch der der Degenerationszustiinde.
II) K. (I umbertz: Ueber doppeltes Bewusstsein.
Ufr. den Bericht der Münch, med. Woehensehr, über die
Sitzung der Herl. med. (Jesellsch. vom 20. März l'.HH, No. 13 der
Münch, med. Wochensehr.
4» I\ B a u m g a r t e n - Tübingen: Ueber die pathologisch¬
histologische Wirkung und Wirksamkeit des Tuberkelbacillus.
(Schluss folgt.» (J ra s s m a n n - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 45.
1) Carl B ec k - Xcw-York: Die Operation der Hypospadie.
ln genialer Weise löst B. das schwierige Problem der Schaffung
einer den normalen Verhältnissen entsprechenden Urei hm. welche
durch die bisherigen Methoden von I> n p u y t r e n bis T li i e r s c li
nur in seltenen Fällen in wirklich befriedigender Weise gelungen
war. Anstatt eine neue Harnröhre zu creiren. bedient er sich
unter Benützung der durch die Erektion bedingten Mobilisations¬
fälligkeit der Harnröhre, löst sie los und dislocirt sie nach vorn.
Dies das Prinzip der Methode: auf Details, die nach dem Grade
der Hypospadie wechselt), kann hier nicht näher eingegangen
werden, die Resultate sind selbst in hochgradigen Fällen sowohl
in kosmetischer wie in funktioneller Beziehung sein* gute.
21 Uli 1 e n h u t li - Greifswald : Die Unterscheidung des
Fleisches verschiedener Thiere mit Hilfe spezifischer Sera und
die praktische Anwendung der Methode in der Fleischbeschau.
In Verfolgung seiner bekannten Untersuchungen kommt I 7 .
zu dem Ergehniss, dass es durch Anwendung spezifischer, durch
Bluteinspritzungen hei Kaninchen erzeugter Antisera gelingt, auch
die betreffenden Fleischsorten zu erkennen, was bei der Prüfung
von Hack Heisch z. B. auf Beimengung niindenvcrthiger Flclsch-
sorten (Pferde-. Hunde- und Katzenfleiscli) von praktischer Wich¬
tigkeit ist. Bei gekochten Wurst waaren versagt die Methode, da
die reaktionsfähigen Eiweisskürpcr durch (len Koehproecss ver¬
ändert werden, bei Hauclierwaaren dagegen lässt sie sieh mit Er¬
folg verwenden.
3) L. J o res- Bonn: Ueber eine seltene Form der Leber-
cirrhose.
Krankengeschichte und Sektionsliefund eines Falles von ziem¬
lich akut verlaufener Lebereirrhose. deren Aetiologle unter Aus¬
schluss eines alkoholischen oder tuetiselien Ursprungs auf ein seit
längerer Zeit, liesteliendes Magen leiden zurückgeführt wird.
4) Iv. Sh iga-Tokio: Studien über die epidemische Dys¬
enterie in Japan unter besonderer Berücksichtigung des Bacillus
dysenteriae. (Schluss aus No. 43 u. 44.)
Vorliegende ausführliche, aus dem Institut für Infektions¬
krankheiten in Tokio hervorgehende Abhandlung gliedert, sieli in
14 Abschnitte, in welchen die Morphologie, das kulturelle Ver¬
halten. die Lebensfähigkeit, das Vorkommen der DysenteriebacIUen
beim Kranken und ihr Verhalten zum Blut der Ruhrkranken: die
Beziehung des Agglutinationsvermögens des Blutes zuin Krank-
lieltsproeesse der Dysenterie, ferner die bakteriologische Diagnose
und die Serumtherapie, sowie die Bedeutung dos Dysenterie-
baelllus als Erreger derselben mehr oder minder eingehend be¬
sprochen wird. Zum Schlüsse finden sieh noch statistische An¬
gaben ülK*r die Dysenterieepidemie in Japan, eine Ueberslcht über
Symptomatologie und Pathologie, Bemerkungen über die Diffe-
rentialdiagnose der epidemischen und der sogen. Amoebeudysen-
terle und Vergleichung des Krus e’schen. Simon F 1 e x n e r’selien
und S 1» i g a’sehen Dysenterielmeillas.
“») H. S trau ss-Berlin: Zur Funktionsprüfung der Leber.
(Schluss aus No. 44 der Deutsch, med. Wochensehr.)
Nach einem am 1. Juli 1901 im Verein für innere Medicin ge¬
haltenen Vortrage. Referat siehe diese Wochenschrift No. 28,
pag. 1156.
6) Durl a e her - Ettliugen (Baden): Ueber einen Fall von
Uterusruptur mit Durchtritt des abgeschnittenen Kopfes in die
Bauchhöhle, mit einigen epikritischen Bemerkungen.
Kasuistische Mittheilung. F. Lacher- München.
Oesterreiohisolie Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 45. 1) S. Klein-Wien: Ueber Cataracta diabetica.
Bel Diabetischen können zwar verschiedene Formen von
( utarnet Vorkommen, doch hat eine derselben eine gewisse patlio-
guomonische Bedeutung, wie sieh Verfasser an einer Anzahl von
Füllen Ultcrzcugen konnte. Es ist dies eine hintere Polar- und
(’ortiealentarnet, vollkommenster Ausbildung. Aelinllehes kommt
nur noch Ihm gleichzeitiger Retinitis pigmentosa vor. welche dann
im einzelnen Falle leicht ausztisehliessen ist. Eine ähnliche Ent¬
wicklungsart des grauen Stars ist auch lx*i der senilen Cataract
zu beobachten, doch beginnt hier die Entwicklung an der vor¬
deren C’ortiealis.
2) S. J e 11 i n e k - Wien: Elektricität und Chloroformnarkose.
Gelegentlich seiner Studien über die Wirkling hochgespannter
elektrischer Ströme auf den menschlichen Organismus konnte J.
beobachten, (lass Kaninehen, die er sehr tief ehloroformirte, so
dass sie dem Tode nahe waren, sieh unter Eintreten starker
Krämpfe wieder erholten, sobald er einen sehr starken Strom
durch ihren Körper leitete. Der hochgespannte Wechselstrom
erwies sieh als direkt lelH*nsrettend. Therapeutische Schlüsse
möchte Verfasser hieraus noch nicht ziehen.
3) J. Preindelsberger - Sarajevo: Zur operativen Be¬
handlung des Ileus.
Im ersten der mitgetheilten Fälle war die Incarceration durch
Stränge bedingt, deren Aetiologie auch durch die Sektion nicht
klnrgestellt wurde: der Kranke war ein 15 jähriger Kuala*. Im
zweiten Falle handelte es sieh tun eine Invaginatlon des (’oecunis
und Achsendrehung desselben; auch dieser Fall endete letal. Im
3. Falle bestand lad dem 65 jährigen, durch die Erkrankung und
den Transport, sehr heruntergekommenen Patienten eine Torsion
der Flexnr. Dieser Fall endete mit Heilung.
Im Anschluss an einen mit Erfolg operirten Fall la*sprielit der
Verfasser ferner eine Modifikation der Strumadislocation nach
Wölf ler. P. exstirpirte l>el der 23jälir. Kranken den rechten
Lappen der Struma, machte dann den linken nach Unterbindung
der Art. thyreoidea sup. aus seinem Bette ganz frei und dislocirte
denselben na eh vorne und median. Hier erfolgte ungestörte Elu-
heilung. Nach einiger Zeit liess sieli eine Schrumpfung des dis-
loeirten Lappens naehweiseu.
4) I\. Fürth-Wien: Akuter Jodismus unter dem Bilde
einer mumpsähnlichen Erkrankung.
Die 52 jährige Patientin hatte von einer Jodnatriumlösung
(5:130) einige Zeit ohne jede Nebenwirkung Gebrauch gemacht,
bekam aber später plötzlich Fieber. Herzklopfen und eine 1h*-
trüchtliehe Anschwellung der Speicheldrüsen; auch die Plicac
linguales waren angeschwollen. Nach 5 Tagen war die Affektiou
vorüber, deren Zusammenhang mit der Joddarreiehung späterhin
noch dadurch sichergestellt wurde, dass auf erneute Jodeinnalunc
der ganze Symptniucukomplcx nochmals, nur schwächer, wieder
eintrat. Diese Form des Jodismus gehört zu den Seltenheiten.
G r a s s m a n u - München.
, ' »r *
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 40 bis 42. ('. Paraseandolo und E. Marchese:
Das Curettement der Blase als Behandlungsmethode der Cystitis.
Nachdem sie sieli eingehend über Aetiologie und Therapie der
Cystitis verbreitet, besprechen die Autoren das Curettement. (las
('um bst on in 10 Fällen am Menschen mit gutem Erfolg vor-
geuommen hat. Sie haben es in analoger Welse an einer Anzahl von
Hunden, bei denen sie auf verschiedene Welse eine eitrige Cystitis
hervorgerufen, ausgeführt, und zwar, wie die Harnbefunde er¬
gaben. mit ebenfalls guter Wirkung.
No. 40 bis 42. J aoobi - Klausenburg: Ueber die Wirkung
des Heroins.
Das Heroinum purum ist ein vorzügliches hustenstilleudesMittel,
besonders bei den seit Monaten oder Jahren lK*steheuden, mit star¬
kem Husten verbundenen Erkrankungen, wo es öfters in halb so
grossen Dosen rascher wirkte, als das lange hindurch gegebene
Morphium. Eine gewisse Gewöhnung tritt auch bei dem Heroin
ein. doch erweisen sieh nach einigem Pauslren die früheren Dosen
wieder wirksam. Am meisten indleirf. dürfte es bei Tuberkulösen
sein. Auf die Ilerzthntigkeit scheint es keinen Einfluss zu haben.
Von Nebenwirkungen ist. es nicht frei, schon nach 0.005 sah J.
leichte Intoxikationscrseheintingen auftreten. Man beginnt daher
am besten mit 0,005 pro dosi und höchstens 0,02 pro die.
P. B a u m g a r t e u - Tübingen: Ueber experimentelle
Lungenphthise.
Man hat bisher geglaubt, dass auf exjieriinentellein Wege nur
das Bild der Miliartuberkulose, nicht das der Phthise erzeugt wer¬
den könne. Und doch hat B. neuerdings bei Einführung von
Tuberkelhacillen durch die unverletzte Harnröhre und Blase an
Versuclistliiereu Lungencavemen in typischer Welse in den
Lungenspitzen auftreten sehen. Die drei Haupttypen der Tuberku¬
lose, akute Miliartuberkulose, akute käsige Pneumonie und chro¬
nische nlceröse Tuberkulose (Phthise) sind ülierhaupt nicht ganz
scharf umschrieben, sondern gehen ln zahlreichen Kombinationen
in einander über. Für die herrschende Annahme, dass die Tnlier-
kulose durch Inhalation entstehe, sind sichere Beweise überhaupt
noch nicht erbracht, sie muss vielmehr als sehr zweifelhaft er¬
scheinen. Mehr und mehr wird eine liaematogcne Ent¬
stehung für die grosse Mehrzahl von Tuberkuloseerkrankungen
wahrscheinlich, wie dies jüngst auch Aufrecht für die Lungeu-
phthlse ausgesprochen hat.
v. Basch: Eine neue Modiflcation der Pelotte meines
Sphy gmomanometers.
v. B. hat der Pelotte mehr die Form des R I v a - R o c c i’schen
Ringes und der v. R e c k 1 i u g li a u s e n’schen Manschette ge¬
geben und findet, dass diese Modiflcation Aerzten wie Laien die
Ausführung von Blutdruckmessungen erleichtert.
Druse h e - Wien: Ueber Herzgeräusche.
Ein eigeuthümlich schwirrend-schnurrendes Geräusch au der
Herzspitze bei einem So jährigen marantischen Patienten fand
erst durch die Obduktion seine Erklärung. Es ist jedenfalls aus-
gegangen von zwei kurzen 4 bezw. 7 mm langen Strängen, welche
neben anderen perikarditischen Verwachsungen, welche frei von der
Herzspitze nach dem Perikard hiuübergespannt waren. Durch die
Systole wurden sie angespannt und in Schwingungen versetzt.
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19. November 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1893
Ferner beschreibt 1>. 3 Fälle von Aorteninsufficienz mit linisi
kalisehen Ilerzgerüuschen. Bei dem einen ist die Erklärung nicht
mit Sicherheit zu geben, bei den anderen zweien lag eine Kluppen¬
ruptur an der Aorta vor — bei dem einen durch die Obduktion er¬
wiesen, bei dem anderen nach den klinischen Erscheinungen an¬
genommen — und ist in dem Flottiren eines losgerisseuen Ivlappen-
fragmentes die Ursache des (Jeräusehes zu suchen. Schliesslich
gibt D. das Resultat chronoskopisclier Untersuchungen über Ilerz-
gerüusclie, die er vor langen Jahren ohne die modernen Hilfsmittel
augestellt hat. Er fand bei eiuom kräftigen Taglöhner ein dia¬
stolisches Aortengeräusch in der Dauer von 0,54 Sekunden, die
Länge der Systole 0,30 Sekunden. Die Resultate stimmen gut zu
deueu der modernen Untersuchungen von Krau s.
A. Steruthal - Braunschweig: Ueber eine neue Röntgen¬
röhre, nebst Bemerkungen über Radiumwirkungen.
Verfasser ist, wie er des Näheren darlegt, zu der Anschauung
gelangt, dass das Wesentliche der Röntgentherapie in einer elektro¬
chemischen bezw. elektrolytischen Wirkung besteht. Wie die An¬
wendung zu starker elektrischer Ströme ein Felder ist, ist dies
auch bezüglich der viel zu grossen, z. Zt. allgeniein gebräuchlichen
Röntgenröhren der Fall. Daher ihre unerwünschten starken,
zum Theil deletären Wirkungen auf die Oe webe. Er verwendet
desshalb eine näher beschriebene kleine Röhre, welche ohne schäd¬
liche Nebeueffekte und auf schärfer umschriebene kleine Gebiete,
freilich auch erst in längerer Zeit ihre Wirkung ausübt. Auf die
weiteren klinischen Details kann hier nicht eingegangen werden.
J. C o e r t - Haag: Die Unterleibsbrüche und die Unfall¬
versicherung.
Bei der grossen Schwierigkeit, einen traumatischen Bruch von
einem nicht traumatischen zu unterscheiden empfiehlt C., dass für
Brüche eine Spozialversiehorung, unabhängig von der Art ihrer
Entstehung, als Nachtrag zur allgemeinen Unfallversicherung ein¬
geführt werde.
H. B u r g e r - Amsterdam: Das Ohr und die Lebensversiche¬
rung.
Von der Versicherung ausgeschlossen sollen werden: 1. die
Fälle, die mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit als Atticus-
oder Antrumeiterungen zu deuten sind. 2. Die Tuberkulose und
«las Cholesteatom. 3. Fälle nachweisbarer oder vormuthlielicr
Carles oder Nekrose. 4. Facialisparalyse bei bestehender Eiterung.
5. Nicht gehellt«? Entzündung mit Schwindelanfälleu, wie«lerliolten
Ohrenschmerzen «xler erheblicher Verengerung des äusseren Ge-
hörgang«‘s. Ji*«le chronische Entzündung an»l«*r«*r Art soll nach
Gutachten eines Spocinliston mit ITneini«*nerhöhung angenommen
worden.
Bei den Folg«'ii chronischer Mittelohivntziindung, Schwerhörig¬
keit und Schwindel ist ebenso zu verfahr«*».
Wiener medicinische Presse.
No. 42 und 43. H. S t r c b e 1 - München: Die Brauchbarkeit
des Induktionsfunkenlichtes ln der Therapie.
Der Imluktionsfunkon ist eine ergiebige Quelle ultravioletten
Lichtes. Zur Verwemlung zieht St. die Leydeuerfiasche in Ver-
bimluug mit einem eigenen Knpselapparat heran oder «lie stillen
Entladungen der Hoehspnnnnngsstrüme «»der «l«*n Primärfunken, der
vom W a g n e r’sclieti Hammer geliefert wir«l. Das Wirksame ist
«lie bncterlcide Eigenschaft «1er Ultraviol«*ttstmhl«*n. Als Heilungen
führt St. an je einen Fall von Psoriasis, Sykosls, Herpes tonsurans.
nässendem Ekzem, Otorrhoe nach S«*harlach. Fluor albus und
Erosionen (Vagiualbestrnhhing), Metritls chronica (intrauterine Be¬
strahlung), luetische Rhagaden am Anus, zwei Fälle von «*liro-
nIsolier Gonorrhoe beim Manne. Sehr gute Wirkung sah er bei
Uuterschenkelgeseliwüren.
No. 43. L. G e i r i n g e r - Wien: Therapeutische Er¬
fahrungen mit Heroin.
Das Horoinum hydrochlorleuin wirkt, besonders mit C« Klein
verglichen, sehr gut zur Beseitigung von Husten und Athemuoth.
lwsitzt auch dem Morphin gegenüber Vorlheile, führt kaum zur
Angewöhnung und nur ausnahmsweise zu ungünstig«*!» Neben-
ci*sc)ieinungcn. B e r ge a t - München.
Englische Literatur.
RndclifTo Crocker und G. Pornet: Ueber einen Fall von
Epitheliom nach Arsenik-Keratosis. (Bilt. Med. Journ., 2K. Sept.
1901.)
Ein OOJiihr. Mann, d«»r seit langen Jahren an Psoriasis litt,
seit 38 Jahren aber kein Arsenik mehr genommen hatte, erkrankte
an einem Geschwür, das am Ulnarrande «1er rechten Hand sass;
in der Nähe befanden sich zwei kleinere Geschwüre und einig«*
warzige Gebilde, die Haut, im Allgemein«*» war verdickt. Di«*
Excision war von einem R«*ci«llv gefolgt, «las einen grösseren chir¬
urgischen Eingriff nöthig machte. Die mikroskopische Unter¬
suchung dos excidirten Hautstückes ergab Wucherung der Staeliel-
zellen und beginnende Einwanderung in «las Corium, ferner Kera-
tosis und Akanthosis mit epith«*llalen Wucherungen und klein¬
zelliger Infiltration der papillären und tieferen Schichten des
Corlums. Namentlich an den Sei»weissdrüsen fanden sich zahl¬
reiche Mastzellen. Die Verfasser sind davon überzeugt, dass sie
es mit einem der seltenen Fälle zu tlmu haben, in denen Keratosis
und Carcinombildung nach Arsenikgebrauch Auftreten. Merk¬
würdig ist das lange Zurückliegen des ArsenIkgebrauches.
Herbert S n o w: Die Behandlung weit vorgeschrittener
Lupusfälle. (Ibid.)
Während liel kleineren Flächen «lie Excision die beste Be¬
handlungsweise ist. muss man bei grösseren zur Auss«*habung
schreiten; zur nachfolgend«*» Aetzuug hat siel» «lern Verf. am
meisten ein Umschlag mit J«Hlliniinent bewährt, der ülH»r Nacht
liegen bleibt. Unter dieser Behandlung, der Sullien verbände
folgen, heilen auch «lie hartnäckigsten Lupusgesehwüre. selbst
solche, die oft vergeblich mit «lern Thermokauter behandelt wurden.
Bei gleichzeitigem Befallensein von Haut und Schleimhaut wird
letztere nach der Ausschabung mit Eiseuclilorid behandelt.
John M a c k i e: Chloraethyl als allgemeines Anaestheticum
bei Nasenoperationen. (Ibid.)
Verf. hat «las als „Kelene" bekannte Präparat 48 mul mit
bestem Erfolge angewendet. Die Maske muss dem Gesi«*ht luft¬
dicht unliegeu und das Kelene etwa eine Minute lang fortwäliretul
aufgespritzt werden. Operationen iu der Nase können dabei völlig
blutleer gemacht werden, nur müssen die Nasenh'icher nachher
fest tamponirt werden, du sonst lei«*ht heftig** Nachblutungen
uuftreten.
A. E. W r i g h t: Die Veränderungen der bactericiden Eigen¬
schaften des Blutes, welche durch antityphöse Impfungen er¬
zeugt werden. tLanc«*t, 14. Sept. 1901.)
Veif., der sich bekanntlich seit langer Zeit mit diesem G«*g«*n-
stande beschäftigt un«l nach «lesseti M«*tliode zahlrelclu* Soldaten
geimpft wurdtM», hat gefunden, «lass nach einer Im]>fung, welche
die bekannten, ziemlich schweren Störungen «l.*s Allgemeinbefindens
hervorruft, eine Periode der abgeschwächten hak (erleiden Eigen¬
schaften des Blutes folgt und eine dadurch bedingte grössere Dis¬
position zur Erkrankung. Nach etwa 3 Wochen folgt eine Ver-
mehrting «ler baktericiden Eigenschaften des Blut«*s und eine <la-
durch bedingt«* grössere Widerstandsfähigkeit gegen Typhus.
Nimmt man zur Impfung so viel Vaccine, dass sehr schwere all¬
gemeine Störungen auf treten, so folgt «ler Periode «ler Ahsrhwäch-
ung überhaupt keine Zeit der erhöhten baktericiden Eigenschaften.
Impft man dagegen mit so wenig Vaccine, dass Störungen des
Allgemeinbefindens gera«le vermietlen werden, so folgt sofort, meist
schon nach 24 Stunden, eine grössere Widerstandsfähigkeit gegen
Typhus. Praktisch folgert daraus, dass Impfungen mit grösseren
Dosen zu vermeiden sind und zwar ganz besonders während einer
Epidemie, <la sie die Disposition erhöhen. Es sind dagegen Impf¬
ungen mit geringen Mengen zu empfehlen, «lenen bald eine Impfung
mit grösser«*ii Mengen zu folgen hat. Findet mail bei <*lnem
Kranken, «ler Typbus Überstauden hat, l»ei Untersuchung «l«*s
Blut«»s eine «ler Norm nicht entsprechende bakterichle Eigenschaft,
so kann und soll inan dies«*lbe durch Impfung mit Antityphus-
Vaeclnc erhöhen, besonders hat «li«*s zu g«»s<*li«*lien, wenn <l«*r
Kranke einer n«*uen Ansteckung ausgesetzt ist. Hat «lugegen «las
Blut schon ülternormale baktericide Kig«*ns«*hnft<*n, so lassen sich
dieselben durch die l>eschriel)*>iu*n Impfungen ni<*ht mehr erhöhe».
(Im Anschluss an diese Arb«*it sei an die sehr verschiedenen An¬
sichten erinnert, «lie in Südafrika thätige Aerzte über «len Werth
der Schutzimpfungen geäussert haben. Manche erklären sie «llrekt
für schädlich und haben beobachtet. dass frisch geimpfte Soldaten
leichter inüzirt wurden, als andere, eine Bt*obaolituiig. «lie «lur«*l»
«las olH*n Gesagte verständlich wir«l. Refer.)
Wharton: Die Verwundungen der venösen Hirnsinuse.
(Annnls of Surgery, Juli 1901.)
(»«•stützt auf ein Material von 70 Fällen, das aus verschie¬
denen Quell«*» stammt (5 eigene Beobachtungen), kommt Verf. zu
folgenden Schlüssen: Di«* g«*naiiiiten Wrwundungen sind als sehr
schwere Verletzungen anzusehen, «In äussere od«*r innei-e Blu¬
tungen, sowie Sepsis häutig zum Tode führen. Bes«»nd«*rs sind
septische Thromliose mit nachfolgender Pyaemie zu fürchten: am
besteu wird die Blutung durch aseptische Tamponade gestillt; die
Unterbindung des Sinus ist schwierig und oft unausführbar, «la
«ler Zugang nicht gr«>ss genug ist. Seitliche Ligaturen «nl«*r di«*
Naht der Sinuswunde sind 1 k* 1 kleiner«*». l«*i«*ht zugänglichen
Wunden zu versuchen, tlic Dauerklemmen haben keinen Vorzug
vor der Tamponade.
Porter: Ein Fall von Sarkom der Bruatwand. Entfer¬
nung von 3 Bippen und einem Theile des Zwerchfells. (Ibid.,
August 1901.)
Verf. führte bei dem 41 jälir. Manne die präliminäre Trach«*«»-
tomie aus, um Im En lie des Collapses der Lunge dieselb«* sofort
aufblasen zu können. Der Tumor, der von der 7., 8. und 9. Ripp«*
ausging, erstreckte sich weit in den Pleuraraum hln«*in und hatt«*
auch «las Zwerchfell ergriffen. Das Zw«*rchf«*ll wurde il<‘sshalh
zum Theil entfernt und «las gross«* Loch, durch weleln*s sofort
Därme ln <l«*n Pl«*uraraum sich drängt«*», wurd«* durch Naht ge¬
schlossen. Der Tumor, ein Riescnzollensarkom. war nach 1(5 Mo¬
naten noch nicht reoldivirt.
Charl«*8 II. Garland: Die Post und «lie Verhütung der
Tuberkulose. (La licet, 14. Sept. 1901.)
Gestützt auf die 10 jährigen Beobachtungen einer lediglich
aus Postbeamte» bestehemlen Versicherungsgesellschaft von
19180 Mitglie«lern weist Verf. nach, dass die Sterblichkeit an
Tuberkulose unter den Angestellten der Post auffallend gross ist.
Während von 1000 Personen der allgemeinen Bevölkerung jähr¬
lich nur 1,3 an Phthise sterben, verliert die Post von 1000 ihrer
Angestellten 2.4. Von 100 Todosfäll«*»» unter Sortirern und T«*le-
graphisten sind 45.4 auf Phthise zurückzuführen. Diese Zahlen
werdeu dadurch noch be«leutsamor, dass die Beamten, ehe sie in
den Postdienst eintreten, sich einer ärztlichen Untersuchung unter¬
ziehen müss«*n; dass also die Loben eigentlich gegenüber «ler Ge-
samintbevölkerung auffallend gut sin«l. Verf. führt diese hohe
Krnnkheltsziffer einmal auf bestimmte ungesunde Bes«*häftigung«*u
lm Postdienst, dann aber auf das Fehlen aller Vorsichtsmaass-
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1894
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
regeln im Hauptpostgebäude zu London zurück. Kranke und
Gesunde leben zusammen in schlecht ventilirten Räumen, nirgends
wird vor Spucken gewarnt oder die Kranken sonst über ihr Leiden
aufgeklärt. Kranke und (Jesunde sollen über die (Jefahr des
Spuckens aufgeklärt werden und die Postverwaltung muss den
Kau von Sanatorien in die Hand nehmen, wie dies in Frankreich
bereits geschehen ist.
S. Snell: Cuprol in der Behandlung der Körnerkrankheit.
(Ibid.)
Cuprol. ein uucleinsaures Kupfersalz, wird als Pulver in den
Conjunctivalsack eingestäubt. Es wirkt nach Yerf.'s Erfahrungen
ebenso gut wie der Kupferstift, ohne dessen unangenehme Neben¬
wirkungen (Schmerzen) zu besitzen. Kranke, die mit beiden
Mitteln behandelt wurden, zogen das Cuprol bedeutend vor.
E. Mause! Sympson: Ein Fall von Tetanus, der durch
Antitoxin geheilt wurde. (Ibid.)
Ein 45 jähr. Mann verletzte sich am 28. März im (Jesicht, am
i». April erste Tetanussymptouie, am 14. Beginn der spezifischen
Behandlung mit Einspritzung von 10 ccm Serum unter die Haut,
dieselbe Menge wurde an den folgenden 4 Tagen eingespritzt.
Rasche und völlige Heilung, die sofort nach Beginn der Ein¬
spritzungen einsetzte.
W. S. P 1 a y f a i r: Chronisches Siechthum bei Frauen, seine
Ursachen und Heilung. (Ibid., 21. Sept. 1001.)
Hie „nervöse“, ewig leidende Frau findet sich fast ausschliess¬
lich in den besseren Ständen. Schon die Schuh 1 muss auf die Pro¬
phylaxe hinwirken und es ist grundfalsch, anzunehmen, dass
zwischen den beiden (Jeschlechtern kein Unterschied sei und den
Lehrplan demgemäss einzurichten. In England, wo die Mädchen
der oberen Klassen meist in Pensionen erzogen werden, über¬
sehen die Vorsteherinnen oft geflissentlich die in der Pubertäts¬
zeit auftretenden Störungen und legen so den ersten Keim zu spä¬
terem Siechthum. Es sind desshalb Amenorrhoen, Menorrhagien
etc. zu behandeln und zwar besonders durch Regelung der Diät
und Freiluftspiele, ln späteren Jahren ist besonders vor dem
allzueifrigen (Jynäkologen zu warnen, dessen Polypragmasie in
Aetzungen, Pessarbehandlung etc. nur durch seine Ferien unter¬
brochen wird. Behandelt werden derartige Kranke, die häufig
stark abgemagert sind, fortwährend liegen und nichts mehr essen
können, am besten durch eine Mast- und Ruhekur, die aber in
jedem Falle ausserhalb des eigenen Hauses durchzufiihreu Ist.
Von grosser Wichtigkeit ist eine Pflegerin, die sich ganz der
Kranken widmet und eine gute Masseuse, die mindestens 2Stunden
täglich alle Muskeln durchmassirt. 0 Wochen lang bleibt die
Kranke fest im Bett, nach dieser Zeit darf sie aufstehen und nach
und nach mit der Pflegerin ausgehen, schliesslich auch Theater
und Konzerte besuchen; ehe dies nicht erreicht ist und die Kranke
sich nicht irgend einem Sporte, sei es Reiten, Radfahren u. dergl.,
ergeben hat, darf sie nicht nach Hause entlassen werden. Die
lM'trüchtliehen Kosten einer solchen Behandlung machen sich da¬
durch bezahlt, dass fast in jedem Falle aus der chronisch Invaliden
eine gesunde Frau wird.
F. Parkes Webe r: Ueber die häufigste Ursache des blauen
oder grünen Harns. (Ibid.)
Diese eigentliümliche Verfärbung des Urins wird nach Weber
am häufigsten durch Methylenblau erzeugt, welches in England
nicht seiten zur Färbung billiger Zuckersachen verwendet wird.
Schluckt man Methylenblau, so wird schon nach einer Stunde
der Urin hellgrün, später dunkler und schliesslich blau; die Blau¬
färbung hält 3 oder 4 Tage an, wird daun intermittirend (Morgeu-
urin am stärksten gefärbt) und verschwindet schliesslich ganz.
Derartige Uriue färben weisses Fliess- oder Schreibpapier blau.
Kochen verstärkt ebenso wie Zusatz von Essigsäure gewöhnlich
die Farbe, während Filtriren ihn entfärbt. Fügt mau zu dem nicht
erwärmten Urin Kalilauge, so verschwindet die Farbe ebenso,
wie bei Kochen mit Salpeter oder Salzsäure. Beim Neutralisiren
tritt die Farbe wieder auf. Schüttelt man blauen Urin mit Aether,
so nimmt derselbe die Farbe nicht an, wohl aber Chloroform.
Im Spektralapparat zeigt der blaue Urin zuweilen einen Ab¬
sorptionsstreifen im Roth, ziemlich entfernt von der Fraunhofer-
schen Linie D. Lebende Organismen zerstören das Methylenblau,
so entfärbt sich der Urin bei der Faulniss, nur die oberste Schicht
bleibt in Folge der Sauerstoffwirkung der Luft gefärbt. Ausser
den blauen Uriuen findet man gelegentlich einen rosafarbigen, der
durch mit Eosin gefärbte Zuckersachen verursacht wird.
Harold J. Stiles: Die Radikalbehandlung des Leisten¬
bruches bei Hindern. (Brlt. Med. Journ., 7. Sept. 1901.)
(■Jestützt auf ein Material von 100 eigenen Operationen will
Verf. auch bei kleinen Kindern die Operation mehr in den Vorder¬
grund gerückt sehen. Die Behandlung mittels eines Bruchbandes
ist einmal unsicher, dann aber bei armen, weniger intelligenten
Leuten auch gar nicht durchführbar. Das jugendliche Alter ist
keine Gegenindikation, Kinder unter 1 Jahr bieten sogar für die
Nachbehandlung weniger Schwierigkeiten, als Kinder, die schon
gelaufen haben und schwer ruhig im Bett zu halten sind, ln
7 Fällen operirte Verf. wegen Einklemmung (Alter zwischen
2 Wochen und IS Monaten), 7 mal wurde das Coecum als Bruch¬
inhalt gefunden, wobei ein besonders langer Appendix stets ent¬
fernt wurde; 3 mal war der Bruchsack tuberkulös entartet, ohne
«lass vorher eine Bauchfelltuberkulose hätte diagnostizirt werden
können. Komplizirte Operationen, wie die von B a s s i n I, sind
nur ausnahmsweise nöthig. meist dann, wenn wegen Einklemmung
eine llernlo-Laparotomie gemacht werden musste. Meist genügt
es, den Sack möglichst hoch zu unterbinden und zu entfernen und
den Ring durch 1 bis 2 Nähte zu verkleinern. Verf. verlor 3 Fälle
von seinen 100. In einem hatte es sich um eine eingeklemmte
Hernie gehandelt, die aber kurz vor der Operation durch Taxis
reponirt wurde; das Kind starb bald nach der Operation. Bel der
Sektion fand sich schwere Quetschung der eingeklemmten Darm¬
schlinge und starke Blutung in das Mesenterium. Ein 18 Monate
altes Kind starb au unaufgeklärter Ursache 3G Stunden nach der
Operation (keine Sektion), das dritte starb au späterer Chloroform¬
wirkung in Folge von vorgeschrittener fettiger Leberentartung.
(Ref. kann auf Grund von etwa 30 Fällen bei Kindern unter
2 Jahren die Operation warm empfehlen; er hat 3 mal wegen Ein¬
klemmung operirt. einmal bei einem 12 Tage alten Kinde, einmal
fand er die tor<]uirte Tube sammt Ovarium als Inhalt eines schein¬
bar eingeklemmten Bruches; einen Todesfall hat Ref. noch nicht
beobachtet.)
Wm. Ewart und W. LeeDickinson: Zwei Fälle von
chronischem Hydrocephalus bei kleinen Kindern; Punktion und
Ersatz der Flüssigkeit durch sterile Luft. (Ibid.)
Um eine möglichst ausgiebige Entleerung desVentrikelhydrops
zu bewirken, führten die Verf. zwei Kanülen in den Ventrikel ein.
von denen die eine als Drain dient, die andere aber mit einer
Spritze in Verbindung steht, durch welche dann sterile Luft eiu-
gepumpt wird. Bei Ihrem ersten Falle punktirten sie innerhalb
von 0 Monaten 8 mal und sie entleerten jedes Mal zwischen 40
und 50 Unzen, im Ganzen aber 11 Pinten Flüssigkeit Der Ver¬
lauf war im Allgemeinen ein günstiger, wenn auch vorübergehend
Temperatursteigerungen, Facialislühmuug etc. lieobachtet wurden.
In einem zweiten Falle scheint die Operation einen dauernden
Erfolg gehabt zu haben, wenigstens hatte sich nach einigen Mo¬
naten die Flüssigkeit noch nicht wieder angesammelt. Es ist
günstig, wenn sich die Punktionsöffnuug nicht gleich schliesst.
sondern noch einige Tage lang Flüssigkeit aussickert.
11. T. Wi 11 i a ui s o n: Die Behandlung des Diabetes mellitus.
(Medical Chroniele, August 1901.)
Die genauen Diätvorschriften, die Verf. gibt, entsprechen
den auch in Deutschland üblichen, ebenso die Eintheilung der
Krankheit in eine milde, mittelschwere und schwere Form. Das
Trinken der heissen Wnsser in Karlsbad, Marlenbad und Neueu-
ahr hält er entschieden für nützlich. Von Arzneimitteln bevor¬
zugt er das salicylsaure Natron, das ihm in vielen mittelschweren
Füllen von entschiedenem Nutzen zu sein schien, ähnlich gute Er¬
folge sah er neuerdings von Aspirin. In ganz schweren Fällen
mit reichlicher Ausscheidung von Aceton hat er beträchtlichen
Nutzen von grossen Dosen von Natrium bicarbon. gesehen (30 g.
im Koma 00 g täglich); in diesen schweren Fällen gibt er aucli
Strychnin und Digitnlis, daneben hält er den Leib mit salinischen
Wässern offen.
F. M. C a i r d: Chirurgische Eingriffe bei Strikturen des
Dickdarms. (Scot. Med. and Surg. Journal, September 1901.)
Die sehr interessante Arbeit ist auf 20 eigene Operationen
begründet. 0 Resektionen wegen Ileoeoecalcarcinom mit sofortiger
Darmvereinigung; 5 geheilt, 1 gestorben. In einem 7. Falle konnte
die Operation nicht beendigt werden, es wurde ein Kuustafter au-
gelcgt, die Kranke starb. In einem 8. Falle wurde nach der Re¬
sektion das Ileum in das Kolon ascendens seitlich eingepflanzt,
die Operation war erfolgreich. 1 mal wurde wegen nicht maligner
Striktur reseclrt und circulür genäht, Heilung; 1 mal wurde re-
sccirt und sekundär genäht, ebenfalls Heilung. Von 3 Fällen von
Garcinom der Flexura sigmoidea, die resecirt und durch sofortige
circulare Darinnaht behandelt wurden, wurden 2 geheilt, 1 starb.
Von 6 mit. sekundärer Darmvereinigung Behandelten starben 2
und bei 1 blieb eine Darmfistel, 3 Fälle wurden geheilt In einem
weiteren Falle konnte die Operation nicht beendet werden, trotz
Anlegung eines Kunstafters starb die Kranke.
Besteht bei resp. vor der Operation kein Darmverschluss, so
Ist stets die sofortige Wiedervereinigung der resecirten Darmenden
vorzunehmen, bei Obstniktiouserschelnungeu jedoch sind diese
zuerst zu beseitigen, d. h. es wird ein künstlicher After angelegt,
wobei man womöglich die Geschwulst gleichzeitig vor die Wunde
lagert, nach einigen Tagen wird reseclrt und der Kunstafter später
operativ geschlossen.
John C. DaCosta und F. J. K a 11 e y e r: Die durch die
Aethernarkose hervorgerufenen Veränderungen des Blutes.
(Annals of Surgery, September 1901.)
Fast immer findet sich nach einer Narkose eine Polycythaemie.
dieselbe hängt ab einmal von den der Operation vorausgegangenen
Vorbereitungen, dann von der Narkose selbst und drittens vom Ver¬
lauf des postoperativen Stadiums. Das Blut wird durch Wasser¬
verlust konzeutrirter und zwar macht sich dies besonders sofort
nach Beendigung der Narkose bemerkbar. Die absolute Haemo-
globinmenge ist stets vermindert; die Aetherisation bewirkt ver¬
mehrte Hacmolyse; zwar ersetzt der Körper die verloren ge¬
gangenen rotlien Blutkörperchen sehr rasch, doch sind sie mit
einer unter der Norm befindlichen Menge von Haemoglobin ausge¬
stattet. Es Hess sich nicht sicher feststellen, ob die Dauer der
Narkose und die Menge des verbrauchten Aethers die Blut¬
zusammensetzung beeinflusste. In jedem Falle sollte kurz vor
der Operation das Blut mehrfach untersucht werden, findet sich
ein niedriger Haemoglobingehalt schon ehe die Vorbereitungen
zur Operation begonnen wurden, so kontraindizirt dies eine all¬
gemeine Narkose; niemals darf Aether oder Chloroform gegeben
werden, wenn der Haemoglobingehalt unter 50 Proc. herabge¬
sunken ist. Muss man bei niedrigem Haemoglobingehalt operlreu
und besteht neben Indicatio vitalis die absolute Nothwendigkeit
der allgemeinen Narkose, so müssen in der Vorbereitung zur
Operation alle Maassnahmen unterbleiben, die das Blut durch
Wasserverlust konzeutrirter machen. Eine Anzahl von Tabellen
zur Illustration des Gesagten sind der Arbeit beigefügt.
Richard C. C a b o t, John B. Blake und J. C. H u b b a r d:
Das Blut in Beziehung zur chirurgischen Diagnose. (Ibid.)
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10. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1895
Verfasser sind auf Grund zahlreicher in extenso beigefügter
Untersuchungen zu folgenden Schlüssen gekommen. Am Endo
einer allgemeinen Narkose besteht zuweilen eine geringe Ver¬
mehrung derLeukoeyten aber nur selten eine ausgesprochene Leuko-
cytose. Am Ende einer Operation besteht beträchtliche Leukocytose
in der Hälfte aller Fälle, diese Leukocytose ist stärker als die
etwa beim Ende der Narkose an demselben Kranken zur Beob¬
achtung gekommene. Einfache, unkomplizirte Knochenbrüche
erhöhen die Leukocytose nur selten in merklicher Weise. Nach
Operationen wegen maligner Geschwülste regenerirt das Blut sich
meistens ebenso rasch und .vollständig wie in der Norm. Es ist
nicht angängig, in der Diagnose von perforirten Darmgeschwüren
(Typhus) die Veränderungen in der stündlich untersuchten Leuko-
cytonmenge zu verwertlien, da solche Schwankungen bei vleleu
Krankheiten und auch bei ganz gesunden Leuten vorkommeu.
Sehr heftige körperliche Anstrengungen verändern die Leuko-
cytenmenge ganz beträchtlich.
John A. Wyeth: Das ILecidiviren der Sarkome. (Ibid.)
Auf Grund sehr ausgedehnter eigener Erfahrungen und gründ¬
licher Nachuntersuchungen von durch ihn und Anderen operirten
Fällen ist Verf. zu der Ueberzeugung gekommen, «lass das Sar¬
kom, ganz gleich welcher Art, äusserst leicht recidlvirt und dass
z. B. Kranke, denen wegen Sarkom des Beines die Exartikulation
im Hüftgelenke gemacht wurde, fast immer nach kurzer Zelt
sterben. Selbst nach 5 Jahren hat er Ileeidlve beobachtet. Lang¬
dauernde resp. völlige Heilungen scheinen nur bei solchen Fällen
vorzukommen, bei denen es während oder nach der Operation zur
Streptococceneiterung resp. zum Ausbruch eines Erysipels kam.
Er empfiehlt desshalb in jedem Falle, gleichviel, ob man operirt
hat oder ob der Fall nicht mehr operabel ist. die Wunde resp.
den Tumor mit Streptococcen zu infiziren. Es werden einige lange
beobachtete Fälle genauer beschrieben und au ihnen die Richtig-
keit des Gesagten nachzuweisen versucht.
George Heaton: Die Prognose und Behandlung der kind¬
lichen Hernien. (Quarterly Medical Journal, August 1901.)-
Verf., der sich auf ein sehr grosses eigenes Material stützt,
findet, dass Hernien am häufigsten im 1. Lebensjahre beobachtet
werden, von da an nehmen sie langsam ab, mit dem 13. oder 14.
Jahre beginnt wieder eine Zunahme. Kann man die Behandlung
ln den ersten Lebensmonaten beginnen, so ist eine Heilung durch
ein Bruchband sehr wahrscheinlich, wenn die Behandlung gnt
durchgeführt wird.
Nabelhernlen kleinerer Kinder heilen fast immer durch ein
Band; Schenkelhernien am wenigsten leicht. Eine grosse Holle
ln der Prognose spielt die Fürsorge und Intelligenz der Mutter,
da die Bandagenbehaudlung schwierig ist. Nie darf der Allge¬
meinzustand und etwaige disponiremle Ursachen (Rachitis mit
Verdauungsstörungen. Bronchitis. Würmer und Polypen im Rec¬
tum, Phimose und Hyperacidität des Urins) unberücksichtigt
bleiben. Behandelt man mit einem Bruchband, so muss dasselbe
Tug und Nacht getragen werden und darf nur zum Ausw’echseln
abgeuommen werden, selbst beim Wechseln muss die Mutter oder
Wärterin die Bruchpforte mit dem Finger verscliliessen. Für
kleine Kinder ist der amerikanische „skeln-wool truss“, den Jede
Mutter aus einer Docke Wolle selbst machen kann, der einfachste
und beste; sonst ist die Art des Bandes ziemlich einerlei, es darf
nur nicht drücken und reizen und muss sauber und billig sein.
Wird der Bruch nicht vor dem t>.—8. Lebensjahr gehellt, so
wird die Aussicht auf Heilung durch ein Baud sehr gering und
auch bei Kindern Intelligenter und sorgsamer Eltern tritt die
Operation in den Vordergrund. Bei kleineren Kindern räth Verf.
zur Operation, wenn die Hernie sehr gross und der Ring sehr weit
ist, ferner, wenn die Ilernie nicht zurückgebracht werden kann,
ferner bei Komplikation mit Nondescensus des Hodens (er ent¬
fernt hierbei gewöhnlich den Hoden, der doch atrophisch ist. eine
Erfahrung, die Ref. nicht bestätigen kann). Die Operation besteht
in der möglichst hohen Entfernung des Bruchsackes, womöglich
ohne Verletzung der Aponeurose des Obliqus externus.
Niemals wird drainlrt, sondern die Wunde ganz vernäht. Das
Kind muss 5 Wochen ruhig liegen (was nach des Refer. Erfahrung
überflüssig lang erscheint). Bei 114 Operationen hatte Verf. keinen
Todesfall, von Ö4 Inguinalhernien, die vor dem 12. Lebensjahre
operirt wurden, recidlvlrten 4 (Eiterung). 7 mal entfernte er den
im Leistenkanal liegenden Hoden, 2 mal fand sich Tuberkulose
des Sackes, in einem dieser Fälle verschwanden nach der Operation
alle Zeichen von Peritonitis tuberculosa.
Jonathan Hutchinson: Ueber durch Jod hervorgerufene
Sarkome. (Archlves of Surgery. Vol. XI, No. 42.)
Genau wie durch Arsenikgebrauch zuweilen multiple Epi¬
theliome hervorgerufen werden, so kommen nach Verf.’s Meinung
durch Jodkali und andere Jodsalze zuweilen multiple Sarkom-
bildungen vor. Er glaubt, dass viele Fälle von sogen, multiplen
Hautsarkomen, sporadischer Lepra und ähnlichen tuberösen und
ulcerativen Neubildungen der Haut thatsächlich auf den Gebrauch
von Jodsalzen zurückzuführen sind. Mit der Behauptung, dass
kein Jod genommen worden sei, muss man namentlich in Eng¬
land sehr vorsichtig sein, da viele weitverbreitete „Patentmedi-
ciuen“ Jodkali enthalten. Verf. beschreibt und bildet verschiedene
Fälle ab, die seiner Meinung nach als Jodsarkome aufzufassen sind.
Rayinund Crawfurd: Die Tuberkulose des Herzmuskels.
(Edinburgh Medical Journal, Septeml>er 1901.)
Gestützt auf 1 eigenen und 57 aus der Literatur gesammelten
Füllen glaubt Verf.. dass die Erkrankung niemals primär vor¬
kommt, meist kommt die Infektion durch direkten Kontakt (ver¬
wachsenes Pcrikardlum) mit tuberkulösen Tracheal- und Broncliial-
drüsen zu Stande, in anderen Fällen scheint es sich um eine Ver¬
schleppung durch deu Blutstrom zu handeln. Neben dem grossen
Solitärtuberkel findet man die miliare Erkrankung des Myokards
und schliesslich auch eine tuberkulöse Myokarditis, bei welcher
der Muskel von Bindegewebssträngen durchsetzt ist, die Tuberkel
und Tuberkelbacillen enthalten. Die Diagnose dieser seltenen Er¬
krankung zu machen, dürfte, wie Verf. sagt, auch dem „jüngsten“
Internisten schwer fallen.
J. P. zum Busch- London.
Otiatrie.
S c h w a b a c h - Berlin: Ueber den therapeutischen Werth
der Vibrationsmassage des Trommelfells. (Zeitschr. f. Obren-
hellk. 39. Bd., 2. Heft.)
An einer grossen Reihe (270) genau beobachteter Fälle kou-
statirt Schwabach, dass die Vibrationsmassage bezüglich
Besserung des Hörvermögens bei der Sklerosirung deH Schall-
leitungsapparates recht wenig leistet, bei chronischem Mittelohr¬
katarrh mit Trübung und Einseukung des Trommelfells dagegen,
sowie bei subakutem Mittelohrkatarrh, abgelaufenen akuten Mittel¬
ohrentzündungen und bei Residuen chronischer Mittelohreiterung
oft erheblichen Nutzen brachte. Besonders bei Residuen mit per-
slstirender Perforation erscheint das Resultat bemerkenswert!» da
hier die Luftdouche ohne Einfluss ist. Das günstige Resultat bei
den übrigen aufgezählten Affektionen dagegen kann den Referenten
nicht von der Ueberlegeuhelt der Massage über die Luftdouche
überzeugen, da die letztere meist weniger lauge angewandt wurde,
und das Urtheil über ihre Wirkung meist auf Angaben der Patien¬
ten basirte. Ueberdies sind die meisten dieser Affektionen auch
einer spontanen Besserung fähig.
Bei den Erkrankungen des Schallperceptionsapparates wurde
keinerlei Erfolg erreicht.
Bezüglich des Einflusses auf die subjektiven Geräusche wird
ein ähnlich günstiges Resultat gemeldet, wie es bisher von anderen
Uuter8uchem gefunden wurde, wenn auch die Besserung nur in
einem Theil der Fälle dauernd blieb.
Fritz Roh rer: Ueber ein Symptom der H&emoglobinurie:
Cyanose und Gangraen am äusseren Ohr. Mit 1 Tafel. (Ibid.)
Cyanose und Gangraen der Muschel hellten mit der Haemo-
globlnurie.
Kleinschmidt - Chemnitz: Ueber die Schallleitung zum
Labyrinthe durch die demselben vorgelagerte Luftkammer (ge¬
schlossene Paukenhöhle). Mit 2 Abbildungen. (Ibid. 3. u. 4. Heft.)
Kletnschmldt stellt die Theorie auf, dass die Ueber-
tragung des Schalles durch die allseitig abgeschlossene „Paukeu-
luftsäule“ auf die Membran des runden Fensters geschieht. Von
letzterer würden die tiefen Töne auf die Labyrinthflüssigkeit, die
hohen aber durch den Knochen auf die Nervenendigungen über¬
tragen. Die Gehörknöchelchenkette dagegen diene nur als
Dämpfungsapparat bei den stärkeren Schalleinwirkungen.
Die Experimente sind unter anderen als den natürlichen
Verhältnissen angestellt, indem bei der Nachahmung der Pauken¬
höhle die Membran des runden Fensters „aus praktischen Grün¬
den“ weggelassen wurde.
Daniel Kaufmann: Ueber doppelseitige Missbildungen
des Gehörorgans. Mit 13 Abbildungen. (Ibid. 3. Heft.)
Fall I: Os tympanicum, Gehörgang und Trommelfell fehlen.
Hammer und Amboss rudimentär, Antrum mast, nicht vorhanden,
dagegen ovales und rundes Fenster, sowie Labyrinth und Hörner
normal.
Fall II: Rechts fehlen Trommelfell und Paukenhöhle, links ist
der Gehörgang zum Theil von Knochenmasse ausgefüllt, Trommel¬
fell vorhanden, Paukenhöhle und Labyrinth kleiner als normal.
J. II e g e n e r: Theoretische und experimentelle Unter¬
suchungen der Massagewirkung auf den Schallleitungsapparat.
Mit 9 Abbildungen und 6 Kurventafeln. (Ibid. 4. Heft.)
Hegener legt die Wirkungsweise der Massageinstrumente
klar und bestimmt die Arbeitsleistung derselben am Schallleitungs-
apparate durch direkte Beobachtung und Messung. Er kommt zum
Theil zu anderen Resultaten als vor Ihm Ostmanu, welchem
er Fehlerquellen nachweist Die Druckschwankungen können und
sollen viel stärkere sein als Ostmann angibt und dürfen bei
unverändertem Trommelfell plus—minus 120 mm Hg betragen.
Da die Wirkung der Massagenpparate von dem Cylinderquer-
schnitt abhängt, derselbe aber bei verschiedenen Instrumenten
verschieden ist, schlägt er Normalmaasse vor. Um nur negative
Schwankungen zu erreichen," gibt er ein Ventil an.
Hegener macht ferner darauf aufmerksam, dass die Luft¬
druckschwankungen im Gehörgang auch auf die entferntest liegen¬
den pneumatischen Zellen einwirken.
Ausserdem wurde auch die Wirkung der Drucksonde auf den
Steigbügel festgestellt und im Gegensatz zu O s t m a n n sehr
energisch gefunden. Genaueres muss im Original nachgelesen
werden.
A. von zur Mühlen-Riga: Die Nachbehandlung der
Badikaloperation ohne Tamponade. (Ibid.)
Die Tamponade wird etwa vom 8. Tage an fortgelassen und
die Wundhöhle nur mehr ausgespritzt. Referent kann die gün¬
stigen Resultate dieser Nachbehandlungsmethode auf Grund jahre¬
langer Erfahrung bestätigen.
Karl L. S c h ä f e r - Berlin: Ueber die intrakranielle Fort¬
pflanzung der Töne, insbesondere der tiefen Töne, von Ohr
zu Ohr. (Arch. f. Ohrenheilk. 52. Bd., 3. u. 4. Heft.)
Wenn man eine Stimmgabel vor das eine Ohr und eine zweite,
deren Schwingungszahl nur wenig differirt, vor das andere Ohr
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1896
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
4 -
hält, hört man (diotische) Schwebungen. Schäfer findet, dass
diese Schwebungen deutlich sind bei Tönen von ca. 50 Schwing¬
ungen an aufwärts. Da die tiefen Töne nicht um den Kopf
herum gehört werden können, folgert Schäfer, „dass durch die
Luft dem einen Ohre zugeleitete Töne von ca. 50 Schwingungen
an sicher durch den Kopf hindurch auch das Ohr der anderen
Seite miterregen.“ Diese Schlussfolgerung ist aber nicht richtig
(Referent), wie jeder Fall von einseitiger Taubheit zeigt, denn die
tiefen Töne werden von der kranken Seite aus nie, auch nicht
durch die Kopfknochen hindurch, im gesunden Ohr gehört.
Gustav Alexander - Wien: Ein neues, zerlegbares Mittel¬
ohrmodell zu ■Unterrichtszwecken, (lbid.)
Das Modell stellt das Mittelohr mit Ausnahme der Innenwand
in 30 facher Vergrösserung dar und ist bei L e n o i r und Förster
in Wien zu beziehen.
Josef Sorgo: Zur Klinik der Tumoren des Nerv, acust.
nebst Bemerkungen zur Symptomatologie und Diagnose der
Kleinhirntumoren. Mit 1 Tafel. (Monatssehr. f. Ohrenheilk.
1901, No. 7.)
Mittheilung eines genau beobachteten Falles und Zusammen¬
stellung der Literatur. Die Tumoren stehen in innigem Zu¬
sammenhang mit dem Nerv, acust., gehen aber meist nicht von
ihm selbst aus. Sie können symptomlos verlaufen oder nur Taub¬
heit hervorrufen oder schwere Erscheinungen und in 1 y s —2 Jahren
den Tod verursachen. Einzelheiten sind im Original nachzulesen.
Erwin .1 U r g e n 8 - Warschau: Die diagnostische Bedeutung
der Rhodanreaktion des Mundspeichels bei Ohrenerkrankungen.
(Ibld. No. 8.)
Bei chronischer Mittelohreiterung fiel die Rhodanrenktion
negativ aus, bei akuter war der Ausfall verschieden. Bei Ver¬
schlimmerung oder Besserung der Ohreiterung kann die Reaktion
sich ändern. Jürgens gibt eine Methode an, den Speichel Jeder
Drüse gesondert zu untersuchen. Scheibe- München.
Inang^ural-Dinertationen.
Universität Greifswald. September 1901 (Nachtrag).
31. Rathert Carl: lieber 2 Fälle von Magenkrebs mit Metastasen
in den Ovarien.
Oktober 1901.
32. Tresp Aloysius: Zur Kasuistik des Empyems der Stirn¬
höhlen.
33. T r 1 e p c k e Oskar: Ueber Blutcysten in Nebennieren-
strumeu.
Universität Kiel. September und Oktober 1901.
80. Minssen Otto: Angina und Polyarthritis rheumaticu.
87. Mau August: Ueber primären lA*berkrebs.
88. Spiller Karl: Ueber Amaurose nach Blutungen.
89. Fleischmann Fritz: Ein Beitrag zur Therapie bei Placenta
praevia.
90. Richter Alexander: Zwei Fälle von Aktlnomykose als Bei¬
trag zur Kenntniss der Generalisation aktinomykotischer Er¬
krankungen.
91. Re venstorf Hermann: Ueber die Implantation der Ure-
teren in den Darm zur Heilung der Ektopia veslcae.
92. Kuntzsch Karl: Beitrag zur diagnostischen Bedeutung di¬
elektrischen Untersuchung des Gehörorgans.
93. Pernhorst Gustav: Ueber die Entstehung von peritouealen
Verwachsungen nach Laparotomie.
94. Glaubitt Otto: Ueber Magentuberkulose.
95. Lippe Alfred: Drei Fälle von Tetanus.
96. Pfannkuche Adolf: Zur Kenntniss der serösen Peritonitis
und der Perihepatitis im Zusammenhang mit Perikarditis und
Pleuritis.
Universität Königsberg. Oktober 1901.
23. L üben au Carl: Haemolytische Fähigkeit einzelner patho¬
gener Schizomyceten.
24. Dräer Richard: Ueber Lichen ruber pemphigoides.
Universität Strassburg. Oktober 1901.
Nichts erschienen.
Vereins- und Congressberichte.
/3. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte
in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901.
Abtheilung für Geschichte der Medicin.
(Eigener Bericht.)
Die historische Abtheilung tagte als Unterabtheilung der
Abtheilung 14 (Innere Medicin) in gesondertem Sitzungslokal
unter eigenem Einführenden und Schriftführer.
I. Sitzung vom 23. September, Nachmittags.
Der Einführende, Krankenhausdirektor Dr. Deneke, be-
griisst die Versammlung und betont, dass die Leitung der Natur-
forscherversammlung dem Wunsch der Historiker nach einer
eigenen Abtheilung, so weit es irgend noch möglich gewesen sei,
gern entsprochen habe. Die grosse Zahl der angemeldeten Vor¬
träge (25) habe die Berechtigung dieses Wunsches hinreichend dar-
gethan. Er stellt den Schriftführer, Herrn Kotelmann, vor, der
sich als Medicohistoriker schon einen Namen gemacht hat und
den langwierigen Verhandlungen der Sektion mit grosser Ge¬
wissenhaftigkeit und Treue bis an’s Ende gefolgt ist.
Als Vorsitzender wird Herr Prof. Rudolf Kobert
(Rostock) gewählt. Er ertheilt an erster Stelle das Wort dem
von der kgl. ungarischen Regierung zur historischen Sektion
und zur projektirten Gesellschaftsgründung ausgesandten jungen
Medicohistoriker Dr. Tiberius v. Györy aus Ofenpest und
betont gleichzeitig, dass demselben sein Vaterland eine voll¬
ständige „Bibliographia medica Hungariae“ verdanke; es wäre
zu wünschen, dass auch andere Nationen eine derart muster-
giltig zusammengestellte medicinische Bibliographie besässen.
1. Herr v. Györy- Ofenpest legte in erschöpfender Dar¬
stellung die Aetiologie des Morbus hungaricus dar. Seit die
Türken das Land betreten hatten, lag die Bodenkultur Ungarns
völlig brach. Die begonnenen Trockenlegungen des Bodens
stockten völlig. Die grosse ungarische Ebene war fast durchweg
Sumpfland, dessen Ausdünstungen die Luft verpesteten. Heisse
Tage, sehr kalte, feuchte Nächte, glühende Sommer, eisige
Winter waren die Folge der Entwaldung; namentlich den Fremden
waren diese schroffen Gegensätze verderblich. Auch die Fluss¬
läufe waren hochgradig verunreinigt; das oft stinkende Wasser
verursachte Affektionen des Darmtraktus. Reichlich, wenn auch
launisch spendete die Natur ihre Gaben; Jahre des Ueber-
fiusses wechselten mit Hungersnöthen. Getreide, Fische, Wasser¬
geflügel, Obst waren meist in Ueberfluss vorhanden und wurden
in Masse genossen und in Zeiten der Fülle vergeudet. Die
Truppenlagerplätze strotzten von Schmutz; in ihrer Nähe
faulten Thierkadaver und Menschenleichen. Die Insektenplage
stieg auf’s Höchste. Für die Verpflegung der Truppen waren
lächerlich geringe Summen ausgeworfen; so waren die deutschen
Heere auf Selbstverproviantirung angewiesen, was die Schädlich¬
keiten der veränderten Lebensverhältnisse iu’s Ungemessene
steigerte. — So wurde das Ungarland in der Welt berüchtigt.
Die in ungewohnten Genüssen schwelgenden deutschen Soldaten
fielen den verderblichen Einflüssen von Wasser, Boden und Klima
widerstandslos zum Opfer. Hundert tausende starben dahin, wo
Eingeborene kaum und auch die strenger lebenden Türken nur
wenig erkrankten. Dazu war der ärztliche Lagerdienst der
denkbar unzureichendste, wie die ganze Verpflegung. In diesem
Milieu schoss in üppigste Blüthe der ex anthematische
Typhus, der seit dem Einschleppungsjahr 1542 als „Morbus
hungaricus“ Ungarn zum „Grab der Deutschen“ machte.
In der angeregten Dlscusslon (Rüge, Scheube.
Györy, Neuburger, Sud hof f), welche dem Vortrag folgte,
wurde namentlich die Frage ventillrt, ob nicht eine Mischung ver¬
schiedener Krankheitsformen diesem Krankheitsbilde des „Morbus
hungaricus“ zu Grunde liegen möge (namentlich Malaria, Dys¬
enterie und andere Typliusfonnen), blieb v. Györy bei seiner
Aufstellung, dass es sich um wohlumschriebenen Flecktyphus
gehandelt habe, wie er das in seiner In den nächsten Tagen er¬
scheinenden Monographie (Morbus hungaricus. Eine medico-
historisclie Quellenstudie. Jena, Verlag von Gustav Fischer.
1901.) eingehend dargelegt habe, deren erstes Exemplar er der
Versammlung vorlegte, es gleichzeitig Herrn Sudhoff, dem
„Antüus der historischen Sektion" als Geschenk überreichend.
2. Herr Prof. Kahlbaum- Basel: Die Entdeckung des
Kollodiums.
Als Entdecker dieser auch heute in der Wundpflege noch
nicht antiquirten, in der photographischen Technik noch un¬
ersetzlichen. als „Celluloid“ hochmodernen Lösung von Schiess -
wolle in Alkoholäther gilt bis heute in den Encyklopädien
Maynard, doch mit vollem Unrecht: der Entdecker der Schiess¬
baumwolle Christian Friedrich Schönbein (1799—1868) ist
auch der Entdecker ihres Lösungsmittels und der medicinischen
Verwendung des Lösungsproduktes, des „Klebäthers“. Der Ameri¬
kaner Charles J. Jackson, der berühmte Entdecker der An-
aesthesie durch Chloroform, entdeckte allerdings selbständig ein
Lösungsmittel für sein Cellulosenitrat und gab Winke für seine
Verwendung (6. Jan. 1847); B i g e 1 o w und Maynard suchten
es dann als Firniss- und Wundheilmittel in Amerika zu frukti-
fiziren. Die Franzosen Flores D o m o n t e und Menard lösten
im März 1847 ein Cellulosenitrat zum Theil in Alkoholäther und
dachten gar nicht an Kollodium. Dagegen hat Schönheit!
bestimmt schon im November 1846 die Löslichkeitsverhältnisse
der Schiesswolle gekannt und ihre Verwendbarkeit in der Wund¬
pflege nicht nur durchschaut, sondern auch Fachmänner zu Ver
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1897
suchen angeregt. Im Februar 1847 war diese neue Wundbehand¬
lung nach S c h ö n b e i n’s Vorschlägen schon Stadtgespräch in
Genf und am 24. März1847 hielt der Prof, der Medicin Karl Gustav
Jung in der naturforschenden Gesellschaft zu Basel einen Vor¬
trag, in welchem er über eine grosse Zahl klinischer Fälle mit
Kollodiumbehandlung in Basel und in Bern (durch Professor
M i escher) berichtete.
Die Priorität S c h ö n b e i n’s ist gegen alle seine Neben¬
buhler einwandfrei gewahrt.
In der Dlscusslon weist Sudhoff darauf hin, wie ge¬
rade dieser Vortrag in seinem ständigen Uebergreifen von chirur¬
gischer Verwendung zu technischer Darstellung und umgekehrt,
die Nothwendigkeit des Zusammengehens der historischen For¬
schung in Naturwissenschaft und Medicin besonders einleuchtend
darthue.
(K a h 1 b a u m’s Vortrng ist imless in den Verhandlungen der
Naturf.-Gesellschaft in Basel, Bd. XIII, Heft 2, S. 33S-3G0 er¬
schienen.)
II. Sitzung am 24. September, Vormittags.
Vorsitzender: Herr S u d h o f f - Hochdahl.
3. Herr Julius Ephraim - Berlin ist am Erscheinen ver¬
hindert. Der Vorsitzende lässt einen der beiden angcrneldeten
Vorträge, der im Manuskript eingesandt war, vorlesen: Die Be¬
deutung der Geschichte für die Technik.
Dlscusslon: Sch eien z, Kobert, Sud hoff.
4. Herr Kotelmann- Hamburg: Luther und Leo X.
als Brillenträger.
Nach einer einleitenden Mittheilung über geschliffene Gläser
und Steine zu optischen Zwecken im Alterthum kommt K. zu
seinem Thema. Dass Luther eine Brille getragen hat, geht
aus einem auf der Hamburger Stadtbibliothek befindlichen Ori¬
ginalbrief desselben an seine Gattin hervor, datirt: Koburg, am
Pfingsttag 1530. Darin heisst es: „Sage meister Christanus,
das ich mein tage schendlicher Brillen nicht gesehen habe, denn
die mit seinem Briefe komen. Ich kund nicht ein stich dadurch
sehen.“ War dies nun eine Konkav- oder eine Konvexbrille, war
Luther weit- oder kurzsichtig? Gegen Myopie spricht, dass er
auf der Wartburg mit auf die Jagd ging und dort gern den
Krähenschwärmcn zusah; ein Konkavglas hat er als Junker in
Rittertracht wohl nicht getragen; auch hat er als Bauernsohn
Kurzsichtigkeit wohl kaum geerbt. Er hat also wohl ein Konvex¬
glas gebraucht, wie es Presbyopen zu benutzen pflegen. Dazu
stimmt auch, dass ihm die „schändliche Brille“ des Goldschmieds
Christian Döring in seinem 46. Lebensjahre zugesandt wurde.
War Luther weitsichtig, so litt sein Widersacher, Papst
Leo X., an Kurzsichtigkeit. Wir besitzen die bündigsten Zeug¬
nisse dafür. Zunächst war nach Burckhardt im Hause
Medici, dem L e o X. angehörte, die Kurzsichtigkeit erblich.
Weiter heisst es von ihm: „Seine Augen waren gross und standen
etwas zu weit hervor“, was auf Langbau derselben hinweist.
Endlich schreibt Roscoe geradezu, „der Papst habe entfernte
Gegenstände nur mit Hilfe eines Glases unterscheiden können“.
Namentlich auf der Jagd pflegte er einen konkaven Krystall zu
tragen, dessen Leistung Paulus J ovius mit folgenden Worten
hervorhebt: „admoto autem crystallo concavo oculorum aciem in
venationibus et aucupiis adeo late extendere solitus, ut non modo
spatiis et finibus, sed ipsa etiam discernendi facultatc cunctos
anteiret“. Aber auch für die Nähe benutzte Leo X. ein Konkav¬
glas. Mit einem solchen hat ihn Raffael auf seinem be¬
rühmten Gemälde im Palazzo Pitti vor einem Buche sitzend
dargestellt.
Die D i s c u s s 1 o n über diesen geistvollen Vortrag (S u d -
hoff, Peypers, Kobert. Kotelmann) drehte sich haupt¬
sächlich um das Alter der Augengläser und die Etymologie des
Wortes Brille (von Beryll).
5. Herr Max Neuburger - Wien: Die anti toxische
Therapie der akuten Infektionskrankheiten in der Ver¬
gangenheit.
Der Gedanke einer ätiologischen, direkt entgiftenden Be¬
handlung ist uralt, wenn auch die Ausführung der Gegen¬
wart gegenüber wenig besagen mag. Tm Heil- und Schutz-
verfahren gegen Schlangenbiss war das Immunisirungsprinzip bei
afrikanischen und amerikanischen Völkerschaften lange realisirt,
Inder und Chinesen kannten die Blattcrn-lnoeulation u. s. w.
Der Theriak des Mithridates und seine Abkömmlinge erstrebten
bewusst eine aktive Iminunisirung; Blut und andere Körper-
bestandtheilc giftfester Thiere innerlich und äusserlich ange¬
wandt zeigen das Prinzip passiver Immunisirung. Die akuten
Infektionskrankheiten imponirten als Vergiftungen und wurden
desshalb antitoxisch behandelt. An die älteste Form einer spezi¬
fischen Therapie, wie sie die Beschwörung der Krankheitsdämonen
darstellt, schlossen sich antitoxisch-prophylaktische Maass¬
nahmen, Räucherungen, Salbungen, Waschungen, desinfizirende
Einbalsamirungen der Leichen. Nach dem Theriak, dessen Im¬
munisirungsprinzip nicht mehr verstanden wurde, kamen die
Schwitzmittel, die auch entgiftend wirken sollten. Die Araber
führten allerhand Seltenheiten als Antitoxica ein: Edelsteine,
aromatische Pflanzen, Bestandteile unheimlicher Thiere und
namentlich den Bezoar. Es folgen die Quecksilber- und Arsen-
Amulette der Renaissance, die direkt ätiologische Therapie des
Paracelsus mit seinen Speeificis, die empirische Verwertung
des Quecksilbers gegen die Syphilis, weiter die Neutralisirungs-
gedanken der Chemiatriker und die „wurmtödtenden“ Mittel
der antiparasitären Schule mit ihrer Pathologia animata. Die
Chinarinde lieferte das erste wirkliche Specificum und ee begann
das Suchen nach ähnlichen Körpern für andere Infektionskrank¬
heiten, die man in Antimon, Quecksilber, Kampher zu finden
glaubte. Inoculation und Vaccination gegen Blattern brachten
den Immunisirungsgedanken wieder in die Erscheinung; man
suchte mittels abgeschwächter Krankheitsgifte Infektionskrank¬
heiten zu coupirei^. Chlor- und Essigwaschungen und Räuche¬
rungen führten zur desinfizirenden Richtung eines Eisen-
m a n n (1835), die bei den leitenden ärztlichen Kreisen keinen
Anklang fand. So lange ist die Reihe der Vorläufer unserer
modernsten Anschauungen in der Therapie der Infektionskrank¬
heiten. „Das Unzulängliche, hier wird’s Ereigniss.“
Die D 1 8 c u s 8 1 o n zu diesem bedeutenden Vortrage (der eben
bei Ferdinand Enke in Stuttgart separat erschienen ist) gab
dem Redner Gelegenheit, auf die „Cordialia“ des Mittelalters, auf
die Kainpherbehandlung der Pocken durch Ch. L. Hoffmann
und anderes näher einzugehen. (Sudhoff, Neuburger, Pey¬
pers, v. G y ö r y.)
6. Herr Reinhold Rüge- Kiel: Hygienische Zustände auf
Seeschiffen im 17. und 18. Jahrhundert.
Die alten Schiffe waren alle Segelschiffe und in Folge dessen
vollständig abhängig von Wind und Wetter. Sie mussten also
sehr viel an Ausrüstung und Proviant mitnehmen, weil sie nie
wussten, wie lange die Reise dauern würde; überdies konnten
sie sich nur an wenigen Plätzen des Auslandes neu ausrüsten.
Die Schiffe waren in Folge dessen stets sehr tief geladen. Es
kam vor, dass in % Jahren die Seitenfenster kaum ein paar Mal
geöffnet werden konnten: Licht und Luft fehlten daher unter
Deck. Da die Schiffe 3—4 mal so stark bemannt waren wie
heutzutage, waren sic mit Menschen geradezu vollgepfropft.
Schutz vor Nässe und Kälte gab es nicht.
Die Verpflegung war äusserst eintönig und nach kurzer Zeit
ungeniessbar. Das Wasser, das in Tonnen mitgeführt wurde,
war bald faul und faulte öfters nicht aus, sondern blieb dauernd
schlecht; dafür gab es aber an Bord der Kriegsschiffe täglich
Vt Liter Schnaps als offizielle Ration.
Zu Matrosen machte man Alles, was man bekommen konnte.
Man holte die Leute von der Strasse, aus den Hospitälern die
Genesenden, aus den Gefängnissen die Verbrecher, „die zur
Strafe zu Matrosen gemacht wurden!“ (Historisch.) Diese beiden
letzten Kategorien schleppten fortwährend Krankheiten ein. Die
Hauptkrankheiten an Bord der Kriegsschiffe waren Skorbut,
Dysenterie und „Fieber“ (Flecktyphus und. Abdominaltyphus).
Es kam wiederholt vor, dass ganze Schiffe daran ausstarben.
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts bemühten sich die Schiffs¬
ärzte vergeblich, die Lage der Mannschaften zu bessern.
Desaguli e r, II ales und S u 11 o n schufen ganz gute
Ventilationsvorrichtungen, sie kamen aber in Misskredit, weil
man durch frische Luft den Skorbut glaubte beseitigen zu
können, was natürlich nicht gelang; so liess man die Ventilation
wieder fallen. Auch wurden seit dem Ende des 16. Jahrhunderts
Versuche gemacht, aus Seewasser Süsswasser zu destilliren. Der-
Erste, der ein trinkbares Wasser in genügender Menge destillirte,
war Lind. P o i s s o n i e r verbesserte nachher diesen Apparut.
Warum er nicht eingeführt wurde, ist nicht festzustellen. Um
die Verbesserung der Verpflegung bemühten sich namentlich
Lind und Blanc, sic konnten aber auf die Dauer nichts
durchsetzen. Nur so lange als die Sicherheit des Staates auf den
Seeleuten beruhte, wurde etwas für sie gethan; dann trat der alte
Zustand wieder ein. Und doch hatte Lind schon in der Mitte
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1898
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
des 18. Jahrhunderts durch methodische Versuche bewiesen, dass
der Skorbut, der damals die Besatzungen der Schiffe furchtbar
dezimirte, durch Citronensaft geheilt werden könne.
Der Erste, der sich die Erfahrungen der Aerzte zu Nutze
machte, war Cook. Auf seiner berühmten Weltreise 1771 bis
1775 vorlor er nur einen Mann an Krankheit und zwar an
Schwindsucht, während 10 Jahre später die Sterblichkeit auf dem
englisch-westindischen Geschwader noch 12 Vi Proc. betrug.
Discussion: Kotelmann, Rüge.
7. Herr Hermann Schelenz- Kassel sprach über die
„Pestordnung; für Hamburg“ von Johannes B ö k e 1 i u s , ge¬
druckt 1597 bei J. Lucius daselbst. Erhebt sich das wohl nur
von Gernet erwähnte Werk auch kaum über die nicht eben
seltenen anderen Pestordnungen des Jahrhunderts, so ist es, ab¬
gesehen von seinem medicinischen Werth, kulturhistorisch be¬
sonders für die Stadt Hamburg interessant und regt zu Ver¬
gleichen zwischen damals und heute an. Bökel ist seiner Zeit
in manchen seiner Anschauungen voraus und, worauf Sch. be¬
sonders hinwies, im Grunde auch noch der Naturforscher¬
versammlung von 1830 in Hamburg. Diese weigerte sich näm¬
lich, wohl auf Grund des Eintretens eines Dr. Julius für die
Nichtansteckbarkeit der Cholera, auf den Antrag des Geheim¬
raths H a r 1 e s s aus Bonn und einen weiteren Antrag des russi¬
schen Konsulates einzugehen, welche dahin lauteten, „den Re¬
gierungen Mittel vorzuschlagen, durch welche dem weiteren Ver¬
breiten dieser gefährlichen Pest Grenzen gesetzt werden könnten“.
Discussion: Robert, Sud hoff, Schelenz.
III. Sitzung am 24. September, Nachmittags.
Vorsitzender: Herr P a g e 1 - Berlin.
8. Herr Prof. Julius P a g e 1 - Berlin: Die Analogie der
Gedanken in der medicinischen Geschichte.
Die Betrachtung der Analogien, d. h. der Aehnlichkeit und
Wiederholung mancher Gedanken und Vorgänge in der Entwick¬
lung der Medicin als Wissenschaft und Kunst fällt in das Ge¬
biet der Geschichtsphilosophie oder genauer genommen in das¬
jenige der Geschichtsmoral. Ihr Studium ist. von grossem Nutzen
und gestaltet die historische Betrachtung u. a. desshalb zu einer
besonders fruchtbaren, weil sie zugleich eine gewisse Unterlage
bildet zur Ermittelung desjenigen Gesetzes, das bei der Ver¬
kettung der historischen Thatsachen eine Rolle spielt. P a g e 1
erörtert zunächst den „Circulus therapiae“ (Peypers), der sich
nicht nur in der theoretischen und praktischen Rehabilitirung
alter therapeutischer Encheiresen zeigt, sondern auch darin, dass
in allen Perioden der Geschichte neben den wissenschaftlichen
Richtungen der Therapie solche unwissenschaftlicher Natur
Platz greifen, die auf mystischen, dynamischen, rein spekulativen
Vorstellungen beruhen und dem Aberglauben und Schwindel
Thür und Thor öffnen. Redner weist auf die einzelnen Beispiele
hin und geht dann zu den biologisch-pathologischen Doktrinen
über, wo das Spiel der Analogien nicht minder deutlich als in
der Therapie hervortritt. Als Beispiele hierfür erwähnt P. unter
Anderem die Aehnlichkeit der Lehren der Methodiker mit dem
System von Friedrich Hoffmann, den Zusammenhang in
den Grundgedanken der Humoral- und Solidarpathologien der
verschiedenen Zeitalter, der Vitalisten etc., die Verwandtschaft
der Lehre von den Organkonsensualitäten mit derjenigen der
Sympathien in Broussais’ physiologischer Medicin. — Auch
in Bezug auf die ärztliche Ethik, die Vorschriften sowohl wie
die Literatur, ergeben sich Analogien, die Redner im Einzelnen
darlegt.
In der Discussion (Neuburger. Pagel) weist S u d -
hoff darauf hin, dass die demnächst von hervorragenden Natur¬
forschern zu veröffentlichenden „Annalen der Naturphilosophie“
unverkennbar an eine Periode der Medicin und Naturforschung
wieder ankniipfen, an deren definitives Todtsein noch vor 5 Jahren
Jeder unerschütterlich geglaubt habe.
(Page l’s Vortrag erscheint in extenso Im Novemberheft der
Heilkunde in Wien.)
9. Herr C r ö n e r t - Bonn: Ueber eine Gesammtausgabe
des Galen.
Nach einem Ueberblick über die erhaltene medicinische
Literatur der Griechen legt Crönert dar, dass eine der wich¬
tigsten Vorarbeiten für die Erforschung der Geschichte der Heil-
wisscnschaft eine sorgfältige Bearbeitung des gewaltigen schrift¬
stellerischen Nachlasses des pergamenischen Arztes Galen sei.
Bis jetzt sei für diese Vorarbeit nur wenig geschehen; man
müsse überall von vorne anfangen. Zunächst seien sämmtliche
griechischen Handschriften des Galen ausfindig zu machen
und damit zugleich die zum Theil sehr werthvollen Ueber-
setzungen in’s Lateinische und in’s Arabische, dann sei mit
diesem Stoffe der Text, in der Hauptsache nach philologischen
Grundsätzen, festzustellen, weiter werde man eine wortgetreue
Uebersetzung beigeben müssen, endlich dürften aber auch ein¬
gehende, Sache und Form behandelnde Erklärungen nicht fehlen.
Eine längere Discussion (Robert, Crönert, v. G yöry,
Pagel, Sudhoff) zeigt das Interesse aller Anwesenden au
dem grossen Werke.
10. Herr Karl S u d h o f f - Hochdahl: Zur Geschichte der
Lehre von den kritischen Tagen.
Im orientalischen Alterthum sind Spuren einer Prognostik
des Fieberendes nach der Tagzahl nicht bekannt. Das älteste
Denkmal der Lehre von den kritischen Tagen im Krankheits-
verlauf bildet das „Corpus Hippocraticum“, in welchem sich
das Ganze dieser Lehre schon vorfindet, doch keine zusammen¬
hängende Entwickelung des Lehrgebäudes. Die Aerzte nach
Hippokrates nahmen die „kritischen Tage“ meist als fest¬
stehend an. C e 1 s u 8 spottet darüber. Einen methodischen
Ausbau hat erst G a 1 e n o s der Lehre von den Krisen und
kritischen Tagen gegeben und die Ursachen dieser scheinbaren
Gesetzmässigkeit im Mondeinfluss gesucht, allen astrologischen
Spielereien der späteren Jahrhunderte damit den Schein einer
schulmässigen Berechtigung verleihend. Was nach Galenof
dieser Lehre noch hinzugefügt wurde, waren Spitzfindigkeiten
und Detailarbeit. Der Ausbau in’s Astrologische begann in
Alexandrien und wurde von den Arabern weitergeführt, mehr
noch von den „Iatromathematikern“ des ausgehenden Mittel¬
alters, der Renaissance und des 16. Jahrhunderts. Im 15. bis
17. Jahrhundert fand die Sache selbst keine Widersacher, man
stritt nur um die Ursachen der anerkannten Gesetzmässig¬
keit. Die literarische Fehde der päpstlichen Leibärzte Fraca-
storo, Th urinus und B i o n d o ist hierfür besonders
charakteristisch. Amatus Lusitanus griff zur Erklärung
auf die Zahlenmystik der Pythagoräer zurück, Baptista
van Heimo nt wollte von der ganzen Lehre so recht nichts
wissen. Später verdrängte der Streit um das Wesen des
Fiebers die Frage nach den kritischen Tagen. Erst Ludwig
Traube (1818—1876) wandte der alten Lehre wieder lebhaftes
Interesse zu und glaubte sie durch exakte Temperaturbeob¬
achtungen bei Fiebernden in ihren Grundzügen bestätigen zu
können.
Discussion: Pagel, Sudhoff.
(Der Vortrag erscheint in der Wiener med. Wochenschr.)
IV. Sitzung am 25. September, Nachmittags.
Vorsitzender: Herr Kahlbaum -Basel.
11. Herr Crönert - Bonn theilt im Anschluss an seinen
Vortrag vom Tage vorher mit, dass ihm eben die Kunde zu¬
gekommen sei, wie die Berliner Akademie der Wissenschaften
im Verein mit der Kopenhagener Akademie ein „Corpus veterum
medicornm“ herzustellen sich entschlossen habe und zwar ganz
der Methode entsprechend, wie Redner sie dargelegt habe. Die
ersten Arbeiten, nämlich die Herbeischaffung des handschrift¬
lichen Stoffes, sollen bald in Angriff genommen werden. So
wird man denn in absehbarer Zeit eine neue, schöne Ausgabe
des Galen erhalten, eine Hoffnung, die dem Philologen und dem
Mediciner gleich werthvoll erscheint.
Discussion: Sudhoff, Robert, Stieda.
12. Herr Prof. Rudolf K o b e r t - Rostock: Welche dem
Menschen schädlichen Spinnen kannten die Alten?
In den Schriften der Griechen, Römer, Araber finden sich
viele auf Giftspinnen bezügliche Angaben, welche die heutige
Wissenschaft meist als Fabeln zu deuten geneigt ist. Eine Ant¬
wort auf die im Titel enthaltene Frage kann erst gegeben werden,
wenn vorher zwei Vorfragen beantwortet sind: 1. Welche Spinnen¬
arten kamen in Griechenland, Italien etc. vor? 2. Welche dem
Menschen schädlichen Spinnen kennt denn die heutige Wissen¬
schaft? Die zweite Frage ist eine offene. Der Vortragende hat
daher zunächst zu deren Beantwortung literarische und experi¬
mentelle Studien gemacht, deren Ergebniss er in einer 12 Bogen
umfassenden Monographie bei Enke in Stuttgart soeben er¬
scheinen lässt. Auf Grund dieser Untersuchung ist er jetzt im
Stande gewesen, auch die Angaben der Alten nachzuprüfen und
sie keineswegs für leere Fabeln zu erklären. Er glaubt vielmehr
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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1899
19. November 1901.
mit einiger Wahrscheinlichkeit nachweisen zu können, dass die
Alten 1. Solpugen, 2. Taranteln, 3. Lathrodektesarten gekannt
und namentlich den Biss der letzteren sehr gefürchtet haben.
Ob sie auch die zur Gruppe der Vogelspinnen gehörige Cteniza
gekannt haben, lässt sich nicht entscheiden.
Dlscussion: SchlmmelbuBch, Kotelmann,
Kalilbaum.
13. Herr Max Neuburger -Wien: Swedenborg’i
Beziehungen zur Gehimphysiologie.
In seiner naturwissenschaftlichen Epoche vor dem Jahre
1745 hat sich Emanuel Swedenborg auf’s Eifrigste selb¬
ständig mit Physiologie beschäftigt und die Ergebnisse seiner
Studien in der „Oeconomia animalis“ niedergelegt. Bezüglich
der Gehirnfunktionen lehrte er (1740) im Gegensätze zu allen
Zeitgenossen und in Vorahnung der jetzigen Resultate, dass die
Hirnrinde Sitz der höheren psychischen Funktionen ist und
den psychomotorischen Angriffspunkt, die Zentralquelle der
Muskelthätigkeit darstellt. Ja, er lehrt sogar, dass der Cortex
ccrebri in so viele Bezirke eingetheilt sei, als es Muskelgruppen
gäbe, und er forderte die Fachleute auf, durch Thierexperimente
(Reizung durch Stiche, Schnitte, künstliche Kompression) diese
Bezirke nachzuweisen. Bedenkt man, dass Sömmering
noch 1796 den Sitz der Seele in’s Gehirnwasser verlegte und
dass Gall’s Lokalisation der geistigen Funktionen in der Ge¬
hirnrinde bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ohne
Anerkennung blieb, so muss die Leistung Swedenborg’s Be¬
wunderung erregen.
Dlscussion: Schimmeibusch, Neuburger.
14. Herr Skevos Z e r v o s - Athen: lieber die Gynäkologie
des Aetios.
Vortragender schildert seine Beschäftigung mit den grie¬
chisch noch nicht edirten 7 Büchern des 16 theiligen medi-
cinischen Werkes des dem 6. Jahrhundert angehörigen Aetios
von Amida. Das 16. habe er kürzlich erscheinen lassen und
wolle, mit dem 9. beginnend, die übrigen bald nachfolgen lassen.
Auf die Bedeutung dieses kürzlich erschienenen 16. gynäkologi¬
schen Buches geht Z. dann näher ein.
In der Dlscussion geht Pagel, der eine Ausgabe des
nämlichen 16. Buches des Aetios zu Vlrcho w’s 80. Geburts¬
tage ln Gemeinschaft mit Wegscheider in Berlin vorbereitet
hatte, auf Zervos’ Ausgabe näher ein.
15. Herr Geheimrath Prof. Ludwig S t i e d a - Königsberg,
der das gleiche Thema schon am Montag (23.) in der anthropo¬
logischen Sektion behandelt hatte, spricht auf Wunsch der
historischen Sektion auch hier über die Sitte der Infibulation
bei Griechen und Römern.
Vortragender zeigt an Zeichnungen und Photographien
nach antiken Bildwerken die verschiedenen Methoden der Um¬
schnürung und des Verschlusses der Vorhaut bei Griechen und
Römern und sucht die Schamhaftigkeit als veranlassendes
Moment für diese Maassnahme klar zu legen. Es sollte die
Entblössung der Glans auch bei heftigen Körperbewegungen
dadurch verhindert werden.
Die daran sich anschliessende eifrige Dlscussion (Ro¬
bert, Stleda, Schelenz, Crönert, Pagel, Kahlbaum,
Kotelmann) bewies dem Vortragenden das Interesse der Sek¬
tion und die Dankbarkeit für sein liebenswürdiges Entgegen¬
kommen.
Es schloss sich an die konstituirende Versamm¬
lung der
„Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medicin und der
Naturwissenschaften“.
Auf Wunsch des provisorischen ComitSs (Prof. Kahl-
bäum, Prof. Pagel und Dr. S u d h o f f) übernahm den
Vorsitz: Geheimrath Prof. S t i ed a - Königsberg.
Er ertheilt zunächst das Wort Herrn P e y p e r s - Amster¬
dam über den schon in München (1899) von ihm vorgelegten
Plan einer „Soci6te internationale pour l’histoire et la geographie
m£dicales“.
Als zweiter Redner berichtet S u d h o f f über die Aachener
Verhandlungen, welche die Nothwendigkeit einer vorherigen
Gründung nationaler Gruppen ergeben hätten, deren späterer
Zusammenschluss zu einer internationalen Gesellschaft in Aus¬
sicht zu nehmen sei und sich vielleicht schon im kommenden
Frühjahr in Rom bewerkstelligen lasse. Er gibt dann eingehend
Mittheilung über die von dem deutschen provisorischen ComitS
seit Mai dieses Jahres geleistete Arbeit und über die Erwäg¬
ungen, welche für ein Abgehen von der Verquickung der Ge¬
schichte der Medicin mit der Tropenhygiene und der Pathologie
und Therapie der Tropenkrankheiten maassgebend gewesen
seien, wogegen ein Zusammengehen mit der allseitig in der
Forschung enge verbundenen Geschichte der reinen und an¬
gewandten Naturwissenschaften (nach dem Vorbild der Düssel¬
dorfer historischen Ausstellung, Sektion und Festschrift) sich
ganz von selbst ergebe. Für die Gründung einer deutschen
Gesellschaft dieses Forschungsgebietes seien heute alle Voraus¬
setzungen vorhanden, aber auch nur für diese. Jeder Chau¬
vinismus liege dieser Gründung völlig fern.
Einstimmig wurde darauf die Frage bejaht, dass man eine
„Gesellschaft für Geschichte der Medicin und der Naturwissen¬
schaften“ gründen wolle und nach längerer animirter Discussion
mit allen (20) gegen 5 Stimmen beschlossen, dass die neue Ge¬
sellschaft sich gleich allen anderen auf deutschem Boden ge¬
gründeten „deutsche“ Gesellschaft nennen solle, wobei noch
in die Waagschale fiel, dass die Geschäftsordnung der „Gesell¬
schaft deutscher Naturforscher und Aerzte“ als Vorbedingung
für jede selbständige Abtheilung auf den Versammlungen das
Bestehen ein&r „allgemeinen deutschen Spezialgesellschaft“ des
betreffenden Faches verlangt (§ 16). Die neue Gesellschaft soll
gemeinsam mit unseren Naturforscherversammlungen tagen,
deren ganzes Arbeitsgebiet historisch umfassen und als ihre
wissenschaftlichen Sitzungen die der „Abtheilung für Geschichte
der Medicin und der Naturwisenschaften“ anzusehen sein 1 —
durchaus analog dem Verhältnis der „Deutschen pathologischen
Gesellschaft“ zu den Naturforscherversammlungen im Allge¬
meinen und zu der Abtheilung für allgemeine Pathologie und
pathologische Anatomie im Besonderen.
Der Jahresbeitrag der Gesellschaft wurde auf zehn Mark
festgesetzt oder statt dessen eine einmalige Einkaufssummo
von 150 M. bestimmt. Zum Schluss wurde einstimmig Sud¬
hoff -Hochdahl als Vorsitzender gewählt und die weitere Ver¬
handlung auf Donnerstag vertagt.
V. Sitzung am 26. September, Nachmittags.
Vorsitzender: Herr Neuburger -Wien.
16. Herr Botho Scheube- Greiz: Die venerischen Krank*
heiten in den warmen Ländern.
Vortragender macht Mittheilung über die Ergebnisse einer
von ihm über Vorkommen und Verhalten der venerischen Krank¬
heiten in den warmen Ländern veranstalteten Fragebogen¬
forschung. Mit der Syphilis beginnend bespricht er Verbrei¬
tung, Art des Auftretens und endemische Formen derselben,
zu denen er auch die Framboesia tropica zu rechnen geneiert ist,
ferner den Einfluss von Klima, Malaria, Rasse und Alkoholismus
auf ihren Verlauf. Sodann behandelt er weichen Schanker und
Tripper und schliesst mit einigen historischen Bemerkungen
über den Ursprung der Syphilis. Auf Grund allgemein-patho¬
logischer Momente, die nach der Ansicht des Redners bei Ent¬
scheidung dieser Frage bisher nicht genügend berücksichtigt
worden sind, spricht er sich für die Theorie von der ameri¬
kanischen Abstammung dieser Krankheit aus, die noch eine
kräftige Stütze in dem Eingreifen der Spanier Oviedo und
Las Casas finde.
In der Dlscussion hält Sudhoff diese beiden Berichte
nicht für genügend, um die Lehre von der Alterthumssyphllls
umzustürzen und schlägt vor, die ganze Frage einmal als be¬
sonderen Verhandlungsgegenstand in einer künftigen Tagung zu
bestimmen.
P e y p e r 8 nimmt einen ähnlichen Standpunkt ein.
17. Herr Karl Sudhoff -Hochdahl: Heber Hohen*
heim’s chirurgische Schriften.
S. sucht zunächst die Ursachen auf, welche zu einer so ver¬
schiedenartigen Bewerthung der chirurgischen Lebensarbeit des
Paracelsus geführt haben und geht dann die chirurgischen
Schriften desselben in chronologisch sichtender Weise durch:
zunächst <jie beiden Baseler chirurgischen Vorlesungen, die uns
in je zwei Kollegienheften überliefert sind. Weiter die sog.
„Bertheonea“, den ersten Niederschlag seiner allgemein-patho¬
logischen Anschauungen über chirurgische Krankheiten — ein
vorläufiger Entwurf, dessen Text in den Kolmarer 7 Büchern
von offenen Schäden (1528) theilweise Verwendung fand. Nach
langen Jahren des Reifens fasst Hohenheim seine allgemein-
chirurgischen Ansichten in der „Grossen Wundarznei“ (1536 und
1537) endgiltig zusammen. Alles andere Chirurgische, was unter
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
5900
T F C o p h T a r t’s Namen gellt, sind Vorarbeiten oder Auszüge
Anderer aus seinen Schriften oder Kinder seiner Laune wie die
„sechs chirurgischen Büchlein“: Serogolia, Antimedicus, Apo-
ei'yplfus etc.
18. Herr Prof. K a h 1 b a u m - Basel : Zur Werthung
•Karl Gerhardt’s.
• Durch ein neuerdings erschienenes Werk über den hervor¬
ragenden deutsch - französischen Forscher, das den Sohn des¬
selben und Edouard G r i m a u x zu Verfassern hat und eine
Fülle von Quelleninatcrial beibringt, sah sich der Vortragende
veranlasst, an der Iland eben dieses Materials, das in entschuld¬
barer Weise, ist doch der Maler zugleich der Sohn, geschmeichelte
Porträt G e r h a r d t’s, in verschiedenen Zügen richtig zu stellen.
Von einer ganz wunderbaren Intuition, wenn man nicht
sagen will, von ganz wunderbarem Instinkt geleitet, ist G. aUer-
diugs in der Erkenntnis« des Aufbaus der organischen Stoffe
seiner Zeit gewaltig vorangeschritten und hat so ohne Zweifel
das, was uns heute als Wahrheit am nächsten kommend scheint,
zuerst deutlich und konsequent ausgespiochen und vertheidigt,
immer aber, ohne seine Meinung sachlich begründen zu können,
ja auch die schon vorhandenen Hilfstruppen kannte resp. ver-
wertheto er nicht. Diesem Mangel an Beweisen glaubte er durch
besonders starke Ausfälle und rücksichtslose Behandlung der
Gegner am besten abhelfen zu können, während er für sich selbst
doch zarteste Rücksichtnahme beanspruchte. Mit vollem Recht
wurde ihm diese Lebensart von den Fachgenossen verdacht. Und
wenn man sich ihn, wie sein Sohn mit Recht klagt, vom Leibe
hielt und seine Theorien nicht sofort aufnahm, so trifft ihn selbst
der grössere Theil der Schuld, nicht aber seine Zeitgenossen.
19. Herr Rom. Joh. Sohaef er - Remscheid: Die Stellung
des Dichters Jung-Stillingin der Augenheilkunde seiner
Zeit.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich die Augen¬
heilkunde aus dem traurigen Zustande zu erheben, in welchem
sic sich Jahrhunderte lang befunden. Bis dahin wurde sie fast
nur von landfahrenden Abenteurern ausgeübt. Noch 1750 finden
wir einen solchen, John Taylor, in Dresden, Karlsbad und
Leipzig. Die Zahl der Blinden war damals sehr gross; viele
litten an grauem Staar und anderen, der Operation zugänglichen
Augenleiden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts traten
auch in Deutschland Augenärzte hervor, welche die Anatomie
und Physiologie beherrschten, unter ihnen Joh. Heinrich Jung,
gen. Stilling, geh. am 12. September 1740 im Dörfchen Grund
l>ei Siegen, gestorben am 2. April 1817 zu Karlsruhe; 1772—1778
Arzt in Elberfeld. Redner geht auf seinen wechselvollen Lebens¬
gang näher ein.
Als medicinische8 Werk ist besonders seine „Methode, den
grauen Star auszuziehen“ (Marburg 1791) hervorzuheben, dessen
Bedeutung im Einzelnen skizzirt wird, namentlich die Verdienste
.1 u n g - S t i 11 i n g’s um die Zurückführung der verschiedenen
Krankheitsformen des Auges auf bestimmte anatomische Ver¬
änderungen, um die allgemeine Einführung der Extraktion des
grauen Staars gegenüber der Depressiousmethode und die Aus¬
bildung einer bis auf Graefe recht guten Operationsmethode.
J ung war ein Wohlthäter der Augenleidenden, trug viel dazu
bei, dass wissenschaftlich gebildete und geschickte Augenärzte
herangebildet wurden und gab vielfach Anregung zur Anlage
von Augenkliniken. Dadurch, dass er später als Lehrer der
Stäätswissenschaft weder von Arm noch Reich Bezahlung an¬
nahm, war sein Material ein enorm grosses.
DTscu'ssion: Schimmelbusch, Schilfer, Sud¬
hoff, Kotelmann.
20. Herr Walther Schimmelbusch- Hochdahl: Der
tttundirrthum in von Kr afft- Ebing’ s Psychopathia
Wxtmlis historisch nnd philosophisch betrachtet.
Der Vortragende beschränkt sich, da der Stoff in so kurz be¬
messener Zeit unmöglich zu erschöpfen, zudem die entsprechende
Monographie bereits in Druck gegeben sei, auf die Aufstehung
einer Reihe von Thesen, welche darin gipfelten, dass perverses
Sexualempfinden, welches der regsame Forscher Ulrichs
..I'mingthum“ genannt, nicht als angeboren, sondern als
durch Masturbation und sonstige Excesse erworben zu be¬
lichten sei. Beweis: Bernhard i’s auch von v. Krafft-
Ebing citirte, aber ungedeutete Lösung eines 2000jährigen
Räthsels, die nach richtigen Beobachtungen und Untersuchungen
nur leider in einen falschen Schluss entgleist sei; damit st imm e
denn auch der Heilerfolg v. Schrenck-Notzing’s bei
Homosexuellen, da wohl eine Trieb entartung wegzuaogge-
riren, nicht aber ein Geburts-Manko, das im letzten Grunde doch
ein organisches sei, durch Suggestion ausgeglichen werden könne.
Die praktische Konsequenz zog Sch. dahin: als erwotben sei der,
dennoch durch Willenskraft des psychisch Erkrankten allein nur
selten zu heilende Trieb bei richtiger Therapie zweifellos heilbar,
daher zwangsweise Verbringung des gemeingefährlich Erkrankten
in eine Heilanstalt die nothwendige Reform der zuständigen
Rechtspflege.
Die lebhafte Discusslon (Neuburger, Kahlbaum.
Schimmelbusch, Kotelmann, S c h e u b e) dreht sich
namentlich um die Zahl der Perversen und das Vorkommen dieser
psychischen Störung im Orient und Hinterasieu.
Es sehliesst sich an die
Sondersitzung der „Deutschen Gesellschaft fttr Ge¬
schichte der Medicin und der Naturwissenschaften“.
Vorsitzender: Herr S u d h o f f - Hochdahl.
Zunächst wird der Vorstand durch die Walil von vier Bei¬
sitzern vervollständigt. Es werden gewählt zwei Vertreter der
Naturwissenschaften: Herr Prof. Kahlbaum - Basel und Herr
Emil W o h 1 w i 11 - Hamburg und zwei Vertreter der Medicin:
Herr Neuburger - Wien und Herr Peypers - Amsterdam,
da Geheimrath S t i e d a - Königsberg und Prof. P a g e 1 - Berlin
ihre Wahl in den Vorstand abgelehnt hatten.
Darauf trat man in die erste Lesung der „Satzung“ der
neuen Gesellschaft ein, welche nach den Vorschlägen des provi¬
sorischen Comite’s mit einigen Aenderungen Annahme fand und
in der nächsten Tagung zu Karlsbad im September 1902 definitiv
genehmigt werden soll. Bis dahin gelten die Satzungen in der
in Hamburg genehmigten Gestalt. Die neue Gesellschaft ist also
in aller Form „konstituirt“. Möge sie reichen Zuspruch finden
und ihr ein gedeihlich Wirken beschieden sein, im Sinne des
ersten Paragraphen ihrer „Satzung“, der folgendermaassen
lautet:
Zweck und Ziele.
„Die Gesellschaft will alle Bestrebungen, welche der histo¬
rischen Forschung auf dem Gesammtgebiete der Medicin und
der reinen und angewandten Naturwissenschaften dienen, nach
Kräften fördern und unterstützen, die Erkenntnis« von der
Nothwendigkeit eines eindringenden Studiums der Geschichte
der genannten Disciplinen in weitere Kreise tragen, dieselben
von der Erspriesslichkeit der Erwerbung historischer Fach¬
kenntnisse für jeden Arzt, Naturforscher und Techniker über¬
zeugen, endlich die Ergebnisse der historischen Forschung der
Wissenschaft und Praxis zugänglich machen.“
Des walte ein gütiges Geschick!
Karl S u d h o f f.
Berliner medicinische Gesellschaft
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 13. November 1901.
Demonstrationen:
Herr Holländer: Demonstration eines durch Operation
(Castration) geheilten Falles von Osteomalacie.
Beginn des Leidens, wie häufig, mit rheumatischen Schmerzen.
Während O. sich meist bei Frauen im Auschluss an Gravidität
entwickelt, ist sie liier bei einer Virgo aufgetreteu, wie ja auch
Fülle bei Männern bekannt geworden sind.
Im Laufe der Zeit wurde Pat. immer kleiner, der Rumpf
sank zusammen, so dass die untersten Rippen in’s Becken hineln-
gesunken sind. Die Gehfnliigkeit war schliesslich nahezu voll¬
ständig aufgehoben.
Röntgendurchleuchtung ergab fast überall entkalkte Knochen.
Nach, vergeblichen Versuchen einer konservativen Therapie
nahm H. die Castration vor, welche in derselben unerklärten
und zauberhaften Weise, wie dies anderweitig berichtet wird, die
ganze Affektion besserte.
Am gleichen Tage scliwandeu die Schmerzen und sehr bald
stellte sich die Bewegungsfälligkeit wieder her, so dass Pat jetzt.
y 2 Jahr p. o. gut gehen kann, kiloraeterlange Strecken zurücklegt
und schon einen schwachen Versuch zu tanzen gemacht hat.
Discusslon: Herr Senator fragt, ob Albumose im Urin
gefunden wurde, was II. verneint.
Tagesordnung:
Herr E. Sani: Beitrage zur Morphologie des Typhhs-
bacillus nnd des Bact. coli comm.
Vortragender hatte vor ca. einem Jahr die interessante Mit¬
theilung gebracht, dass Staphylococeen sich unter gewissen Yer-
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19. November 1901. MTTENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
suchsbedingungen im Agar so entwickeln, dass bei genügend
laugftr D^per der Beobachtung (Wochen bis Monate) eine
Differenzirung der Individuen im Zellstaate der
Kolonie eintritt, und zwar dass sich die Kolonie nach dem
Schema makroskopischer Pflanzen mit Stamm, Aesten
und Laub entwickelt. Ganz das Gleiche konnte er späterhin
für den Typhus- und Colibacillus feststellen und dabei differen¬
tiell-diagnostische Unterschiede in der Entwicklung der Typhus-
und Coli-„Pflanze“ auffinden.
Demonstration der Präparate.
Herr Abel: Fall von Haematometra und Haematosalpinx
bei Uterus duplex bipartitus: Operative Heilung.
26 Jähriges junges Mädchen, vielfache Beschwerden bei der
Menstruation. Objektiver Befund: Kindskopfgrosse. Haemato¬
salpinx und Haematometra im einen Uterushorn. Operation
von der Vagina aus. Entfernung des kranken Uterushorns
und der zugehörigen Adnexe. Heilung.
Herr (J. Zuelzer: Zur Symptomatologie und Therapie
der,Lungenhlähnng (Vagusneurose).
Es ist für das Asthma bronchiale klinisch und experimentell
festgestellt,, dass ein Bronchialmuskelkrampf mit consecutiver
Lungenblähung durch Reizung des Vagus entstehen und durch
Atropin bekämpft werden kann. Audi das gleichzeitige Vor¬
kommen von Lungenblähung und Herzneurose wurde beschrieben,
wobei die Lungen äste gereizt, die Herzfasern gelähmt (Puls¬
beschleunigung) waren; diese Kombination konnte auch experi¬
mentell, erzeugt werden. Es lag nahe, auch eine gleichzeitige
Reizung der Her?- und Lungenvagusäste zu erwarten, und in der
Th&t konnte,Vortragender dieses klinische Bild — Lungen¬
blähung und Puleverlangsamung — in einer Reihe von Fällen
erkennen.
Hta Patienten, meist Männer, klagten über vage Be¬
klemmung auf der Brust, die sich bis zur Angst steigerte; dabei
zuweilen Brennen in der Brust; einige hatten Athemnoth und
glaubten deashalb lungenkrank zu sein. Herzklopfen war häufig.
Das, sind zwar Klagen, wie man sie vielfach von Nervösen
zu hören bekommt, doch wies die objektive Untersuchung ein
Volumen pulmonum acutum nach. Der Puls war verlangsamt,
43—60,
Das Herz war meist gesund, doch fanden sich auch einige
Heaekranke darunter. Das Abdomen war ohne Besonderheit.
Es liess sich nachweisen, dass der N. vagus am Halse einer- oder
beiderseits auffallend druckempfindlich war und eine Dosis
Atropin brachte prompte Hilfe. Die erste Dosis, 0,001, wurde
subkutan und dann nach ca. 8—10 Tagen innerlich ebensoviel ge¬
geben mit dauerndem Erfolg. Rückfälle bis jetzt nur in den mit
ILer,zkrankheit kombinirten Fällen. Für die Aetiologie kommen
Uejberanstrcngung und Aehnliches in Betracht.
Hans Kohn.
Modtokiische Gesellschaft in Chemnitz.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 16. Oktober 1901.
Herr Na,uwerck: Zur Pathologie des Darmkanals.
Redner wendet sich zunächst gegen die besonders von
manchen Chirurgen vertretene Anschauung, dass der Begriff der
Typhlitis stercoralis hinfällig geworden sei; er legt das
Präparat von einem 78 jährigen, dementen Manne vor, welcher
an chronischer Obstipation gelitten hatte und an Perforativ-
peritonitis gestorben war. Im Coecum fanden sich umschriebene,
diphtheritisch-ulceröse Zerstörungen vor, welche zu mehrfacher
Dtyr^ivlöch^rung der Darmwand geführt hatten und auf Kopro-
stasa bezogen werden mussten. — Weiter bespricht Redner die
falschen Divertikel des Darmkanals und zeigt u. a.
ein, 1,5 m langes Stück des Jejunums mit 66 Divertikeln vor;
er meint» dass ein Theil derselben entweder als solche oder in
ihrer Anlage angeboren sei. Gefässlücken scheinen regelmässig
die Bajm der Divertikel zu bilden. Als eine bisher nicht sicher
festg^tellte , Fundstätte falscher Divertikel ist der Wurm-
f o r ts a.t.z zu bezeichnen; Herr Mertens fand an 106 Leichen
des Chemnitzer Materials bei einem 75 jährigen Manne 3 hanf-
korngrosse, kolbenförmige, am Mesenterialansatz gelegene Diver¬
tikel, die dem Verlauf der die Muskulatur durchsetzenden Blut¬
gefässe folgten; ferner bei einer 75 jährigen Frau ein Divertikel,
welches die Kuppe des Processes vermiformis einnahra. Die
krankhaften Folgezustände betreffen bisher wesent-
1901
lieh die Divertikel der Flexura sigmoidea: Entzündung der
Schleimhaut, übergreifend auf Subserosa und Serosa (Graser);
allgemeine Peritonitis bei zahlreichen, kothhaltigen, stark ent¬
zündeten Divertikeln ohne Perforation (Looiüis); Druck-
gcschwüre in multipeln Divertikeln mit Durchbruch in das ipn-
gebende Gewebe des Mesokolon und der Appendices epiploiqae,
Eiterung, Bindegewebswucherung, narbiger Schrumpfung; Ver¬
dickungen und Verwachsungen am Peritoneum; Verzerrungen;
Stenosen des Darms (Graser), u. U. mit Bildung harter, buck¬
liger Tumoren (Gussenbauer); Verwachsung von Diver¬
tikeln mit Nachbarorganen, Perforation der ersteren in letztere;
Sidney-J ones sah eine in dieser Weise entstandene Fistel
zwischen der Flexura sigmoidea und der Harnblase. Ais eigene
Beobachtung berichtet Redner über einen 45 jährigen
Mann, der bei bestehender Obstipation nach starkem Pressen
während der Defaecation Schmerzen im ganzen Bauehe bekam
und rasch an Perforativperitonitis starb. Als .Ursache fand
sich ein, offenbar durch den mechanischen Insult an der Kuppe
eingerissenes Divertikel der Flexura sigmoidea, welches f rei! if
das Peritoneum mündete. Ein zweites Divertikel lag, nilt.
Koth gefüllt, einige Centimeter weiter oberhalb (Demonstration).
Endlich macht Redner darauf aufmerksam, dass Divertikel-
des Wurmfortsatzes für die Entstehung eitriger
Perityphlitis von Bedeutung werden können und theilt die
Geschichte eines 15 jährigen Jungen mit, welcher Wegen recidi-
vireuder eitriger Perityphlitis von Herrn Reichel 2ipal upe-
rirt wurde; Heilung; am resecirten Wurmfortsatz fanden sich 2
mit den Abscessen communicirende, von Schleimhaut ausge-
kleidete, neben dem Mesenteriolum gelegene, dünne Kanäle,
d. h. die engen, die Darmwand annähernd senkrecht durchsetzen¬
den Theile von Divertikeln, deren Kuppen ulcerirt und per-
forirt waren.
Herr Kleinschmidt spricht zur Differentialdiagnose
zwischen Otitis externa und Mastoiditis. Walther.
Aerztiicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 12. November 1901.
Vorsitzender: Herr Kümmell.
I. Demonstrationen:
1. Herr Hess bespricht einen Fall von Osteoarthropathie
hypertrophiante pneumique, jenem Krankheitsbilde, das 180Ü
Marie von der Akromegalie abtrennte. Die allmählich sich ent¬
wickelnde Anschwellung der Hände und Füsse entstand seit An-:
fang vorigen Jahres bei dem 34 jährigen Maurer unter ziehenden
Schmerzen. Von der hyperplastischen Ostitis werden Röntgen- •
bilder demonstrirt. Die Behandlung bestand bisher ln Colchiciu
und Jodothyrin.
2. Fall von B, a y n & u d’scher Krankheit bei einem Maurer,
in welchem die Aetiologie ln den andauernden Traumen bei der •
Arbeit gefunden werden kann. Der Fall ist ferner insofern be*
merkenswertb, als die Verfärbungen, der. Finger nur auf der einen
Seite auftreten, sehr wechselnd sind und es nicht zur Gangraen
gekommen ist. Die Verfärbung der Fingerglieder geht anfaUaweise
so vor sich, dass Anfangs die,Finger weis» werden, dann schwarz¬
blau und endlich wieder, roth erscheinen. Däbei.wlrd eine BlÄa--.>
chenbildung an den Fingerspitzen beobachtet; die Bläschen füllen
sich mit haemorrhagisebem Serum, platzen, hinteriasaen schwärz¬
liche Schorfe. In der Nähe der Bläschen wird vermehrte Schweiss-
sekretlon beobachtet
2. Herr Kümmell stellt eineu Fall von Lebercirrhose vor,
bei dem er durch Laparotomie den Ascites entfernt und Bach
Talma durch Netzfix. ation au der vorderen Bauch wand
neue Collateralen zwischen Pfertaderaystain und Vena enva in¬
ferior geschaffen hat. Die-bisher gewonnenen Erfolge ermuthigeu
zu weiteren Versuchen. K. selbst hat 6 derartige Fälle operirt
und Ist mit den Resultaten zufrieden. Von. den 1 & bisher ln der
Literatur bekannten Fällen Bind 5 gehellt 4 wesentlich, 2 etwas
gebessert Die übrigen starben, bezw. sind nicht lange genug
beobachtet
3. Herr S a e n g e r demonstrirt 3 Fälle aus der Hirpchinurgfe,
a) 2 jähriges Kind. Sturz aus dem Fenster 3 Etagen tief..
Bewusstlosigkeit. Rechtsseitige Lähmung. Blutig-seröser Aus¬
fluss aus dem linkeu Ohr. Depression des Scheitelbeins. Nach
2 Tagen Besserung; dann tiefe Benommenheit, erneute rechts-.
seitjge Lähmung mit rindenepiieptischen Zuckungen der rechten.
Seite. Zunehmender Collaps. Trepanation. Entfernung eines,
subduralen Haematoms über der Centralwindungi Vollk o mm e ne
Heilung bis auf leichte Schwäche im rechten Arm.
b) Wiedervorstellung eines 21 Jährigen Mnnqes, bei dem wegou.
Kleinhirntumor die palliativ«* Trepanation 1800 auegefüh*4
wurde. Die, doppelseitige Stauungspapille ,ging prompt wrtick,
ebenso wie die übrigen TumorerscheinUUgen, die in Pulsveriang-
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1902
MtJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
Nunnng, cerebellarein Gang, Kopfschmerz, Erbrechen bestanden.
Im Mürz dieses Jahres traten ähnliche Tumorerscheinungen 5 Tage
lang auf. Zur Zeit relatives Wohlbefinden. S. empfiehlt die pallia¬
tive Trepanation auch bei inoperablen Hirntumoren, zur Beseiti¬
gung der quälenden Hirndruckerscheinungen, insbesondere zur Ver¬
meidung völliger Erblindung; da die Stauungspapillen in 7 Fällen
nach Trepanation zurückgegangen sind.
c) 00 jähriger Mann, der vor 12 Jahren wegen eines
otitiEchen Hirnafcscesses im linken Schläfenlappeu operirt wurde.
Trepanation. lneisiou. Heilung. Damals bestand nel)en einer
alten Otitis sensorische Aphasie, vorübergehende Pulsverlang¬
samung, beginnende Stauungspapille liuks. Pat. ist jetzt noch
dauernd geheilt, bis auf gelegentliches Versprechen.
4. Herr Maes demonstrirt eine geplatzte Tubenschwanger-
schaft Im 1. Monat mit Deciduabilduug im Uterus und einen
graviden Uterus im 1. Monat; beide Präparate stammen von Sek¬
tionen plötzlich verstorbener Frauen.
5. Herr Michael demonstrirt das Centralnervensystem
eines 7 jährigen Kindes, das mit Oculomotorius- und Facialisparese,
Stauungspapille, Amaurose, anfallsweiser Benommenheit, Para¬
parese der Beine, Incontinenz, zeitweisem Erbrechen und anderen
Zeichen eines hochgradigen Hirndrucks in mehreren Monaten zu
Grunde ging. Es fand sich ,wie auch klinisch angenommen war,
ein kleiuapfelgrosses, weiches Gliosarkom, das auf den Boden des
IV. Ventrikels drückte und einige metastatische Rückenmarks-
tumoreu.
(3. Herr Mond berichtet unter Vorzeigung des frischen Präpa¬
rates über einen von ihm operirten Fall von Pseudomyxoma peri-
tonei. Die 50 jährige Kranke war rasch abgemagert, bot eine be¬
deutende Auftreibung des Leibes, in dem ein grosser Tumor zu
konstatlren war. Bei der Koeliotomie faud sich die Bauchhöhle
augefüllt mit einer gallertigen Masse, die einer geplatzten Eier-
stockscyste entstammte uu« von der mehr als 14 Pfd. entleert
wurden. Amputation des myomatösen Uterus. Die Darmschlingen
fanden sich vielfach untereinander verwachsen. Prognose un¬
günstig.
7. Herr S u d e c k bespricht die nach Traumen auftretenden
Muskelverknöcherungen.
Am bekanntesten sind die „Keitknoehen“ und „Exercier-
knochen“. Viel seltener sind die im Brachialis internus
auftretenden Verknöcherungen nach Luxation
des Ellenbogens nach hinten. Diese Verknöcherungen,
deren Entstehung auf die Muskelzerreissung oder Zertrümmerung
zu beziehen und die durch die Röntgenaufnahmen genau zu ver¬
folgen sind, bieten zum Thell ziemlich hochgradige Motilitäts¬
störung, vor Allem behindern sie die Beugung. S. demonstrirt
eiue Reihe derartiger Beobachtungen mittels Projektionsapparat
und bespricht die operativen Maassnahmen zur Beseitigung die.-er
Ossifikationen.
II. D i s c u s s i o n zu dem Vortrag des Herrn Nonne:
lieber diffuse Sarkomatose der weichen Häute des Central¬
nervensystems.
Die D i s c u s s i o u, an der sich die Herren Deutsch-
mann, Embden, Saenger, Boettiger, Buchholz,
Beselin und der Vortragende betheiligen, dreht sich haupt¬
sächlich um die Erklärung der Sehstörung, des Befundes am Ner¬
vus opticus; ferner um die Differentialdiagnose gegen Lues, end¬
lich. um den Befund bei anderen malignen Neubildungen: Carcinose
der Pia und Subarachnoidea. Werner.
Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik
(OffldeUea Protokoll.)
Sitzung vom 17. Oktober 1901.
Herr Emmerich demonstrirt ein 5monatliches Kind fnit
linksseitigem angeborenem Schiefhals, als dessen Ursache sich
eine fingerdicke, strangförmige Schwellung des ganzen Muscul.
sternocleidomastoideus vorflndet.
Ferner berichtet derselbe über einen jungen Mann mit fast
völligem angeborenen Defekt des r. Muse, pectoralis major.
Wie aus der vorgelegten Photographie zu ersehen ist, ist nur ein
kleiner, dem Deltamuskel zunächst liegender Muskelstrang vor¬
handen.
Herr Heinlein: Ueber Gelenkmäuse.
H. gibt unter Zugrundelegung zweier eigener Beobachtungen
eine eingehende Darstellung des heutigen Standes der Lehre von
der Aetiologie, der pathologischen Anatomie und den klinischen
Erscheinungen der als „Gelenkmäuse“ bezeichneten freien
Körper ln den Gelenken. Die von einzelnen Autoren erwähnte
Thatsache des bisweilen beobachteten Festwachsens der freien
Körper ln den Gelenken wurde durcli die einschlägige Beobachtung
eines eigenen Falles erhärtet, in welchem wiederholt und mit Be¬
stimmtheit ein fast erbsengrosser freier Körper in dem Ellbogen¬
gelenk nachgewiesen war; nach Eröffnung des Gelenkes gelang
nirgends der Nachweis des sicher darinnen befindlichen freien
Körpers, so lange auch nach demselbeu mit Schieihaken,
Aueurysmanadeln, gekrümmten Sonden, Gallensteinfüngern der
Gelenkraum durchforscht wurde.
Nach bald vollendeter Wundbehandlung kehrte ln Kurzem
die Gelenkfunktion völlig zur Norm zurück, so dass die Annahme
's Fest Wachsens des freien Körpers an einer Stelle, wo kein
direkter Kontakt gegenüberstehender Gelenkflächen stattflndet,
keinem Zweifel begegnen wird.
Durch die Wahrnehmung, dass beim Nachweis und der Fixation
einer Gelenkmaus der Patient nicht selten mehr Erfolg hat, als
der Arzt, wurde H. bestimmt, ln einem Falle von Kniegelenk maus
dieselbe therapeutisch nutzbar zu machen in der Welse, dass nach
der in Schleie li’s Iuflltrationsanaesthesle bethütigteu Arthro
tomie die sorgsam desinflzirten und mit Handschuheu beklei¬
deten Finger des Patienten den freien Körper aufsuchten und
denselben innerhalb weniger Augenblicke in den Gelenkwundspnlt
einstellen konnten, so dass die Extraktion mühelos gelang. Es
erfolgte, wie im ersten Falle, Heilung p. pr. int. mit völlig normaler
Geleukfuuktion. DeT fast haselnussgrosse knorpelig - knöcherne
freie Körper mit einigen kurzen fadenförmigen bindegewebigen
Anhängen wird vorgelegt.
Herr Flatau bespricht unter Vorlegung der einschlägigen
Präparate einige wichtigere Fälle aus den letzten Monaten seiner
operativen Thätigkeit.
1. Eine Dermoidcyste des rechten Eierstocks bei bestehender
3y z monatlicher Schwangerschaft.
Die Dame erkrankte plötzlich mit peritonitisclieu Erschei¬
nungen, Fieber und hohem Puls. Die Diagnose war erschwert
durch den Sitz der harten Geschwulst, die, scheinbar unbeweglich,
unter dem linken Kippeubogen sass; da Nieren-, Milz- und Netz¬
tumoren auszuscliliessen waren, lautete die Diagnose „Adnextumor
oder gestieltes Myom mit Stieldreliung“. Bei der Laparotomie
wurde das oben genannte Dermoid (kopfgross) entwickelt, der
Stiel war 3*4 mal um seine Achse gedreht; im Balg und im Innern
zahlreiche Blutgefässe, die Tube ist zu einer akut entstandenen
Haemotosalpinx umgewandelt Heilung ohne Beeinträchtigung
der Schwangerschaft
2. Das Präparat eines total cystisch degenerirtenmyomatösm
Uterus von Doppeltmannskopf grosse bei einer 29 jähr. Virgo.
Die Einschmelzung des festen Gewebes ist eine so vollstän¬
dige, dass nur ein ca. 2 mm dicker Balg übrig geblieben ist der
makroskopisch nicht von einem Cystenbalg zu unterscheiden ist.
Der Vortragende erinnert an die Demonstration eines analogen
Präparates vom 5. X. 1899 (s. diese Wochenschr. 1899, No. 50) und
au seinen Protest, ähnliche degenerirte Myome als „Uteruscysten"
anzusprechen. Was die Erklärung des Vorgangs der Einschmelz¬
ung des Flbromyomgewebes anbetrifft, so möchte sich F. dahiu
aussprechen, dass man es hier mit einer bestimmten regressiven
Metamorphose der Bindegewebszelle zu thun hat, mit einer che¬
mischen Veränderung biologischer Natur. Charakteristisch für die
cystisch degeuerirten Myome ist das rapide Wachsthum, wenn die
Einschmelzung grösseren Umfang angenommen hat. (Die Ope-
rirte ist geheilt.)
3. Die Demonstration dieses abdominal totalexstlrpirten
Uterusmybms und noch zweier anderer myomatöser Uteri be¬
nutzt F., um wieder einmal die von ihm seit 6 Jahren geübte
Methode der abdominellen Totalexstirpation in Erinnerung zu
bringen. Schon Jahre vor Bum m’s Aufsatz in den HegaFschen
Beiträgen hat F. so operirt, dass er die Ligamente von oben nach
unten mit Hilfe von etappeumässlg vorgeschobenen Klemmen
durchtrennte, während eiue grosse Klemme, längs der anderen
Uteruskante angelegt, den Blutzufluss aus den gegenüber gelegenen
Gefiissen abhlelt Die Portio wurde entweder erst vaginal aus¬
gelöst oder in den letzten 2 Jahren meistens von oben frclgelegt.
Nach Abtragung des Uterus mit seinen Geschwülsten werden die
einzelnen Klammern abgenommen; wo es blutet, wird eine Ligatur
angelegt und zuletzt mit einer fortlaufenden Naht der ganze Peri¬
tonealschlitz geschlossen. Dieses Vorgehen, dem F., durch aus¬
gezeichnete Erfolge bestärkt, treu geblieben ist, hat er schon im
Jahre 1897 in dieser Gesellschaft demonstrirt und in ihren Proto¬
kollen publizirt (s. diese Wochenschr. 1897, No. 36).
4. 6 Fälle von Pyosalpinx, alle geheilt. Von der erst geübten
sog. Stielung der Tubeneitersäcke und Ihrer Abbindung Ist F. bald
abgekommen und hat sich dann der vaginalen Radikaloperation
nach Doyen -Landau zugewandt. In den letzten Jahren hat
F. wieder die abdominale Exstirpation vorgezogen. Die beiden
grossen früheren Nachthelle dieses Verfahrens, nämlich die Ge¬
fahr des Platzens der meist fest adhaerenten Tumoren bei deu
Versuchen der Stielbildung und die lästigen und quälenden Stumpf¬
exsudate post operationein, glaubt er durch seine Technik ver¬
mieden zu linben. Ein Anhänger Rump f’s sieht F. von Jeder
Stielung ab, wo nicht die natürlichen Verhältnisse einen solcheu
darbieten, ebenso von jeder Massenligatur. Die Adhäsionen der
Tubensäcke werden vorsichtig mit Messer, Scheere und Pinzette,
ln situ, ohne Zerren und Ziehen am Tumor, getrennt und dann
der Tumor mit der Scheere direkt am Ligameutansatz so abge¬
schnitten, dass die ganze Tubenecke des Uterus in Gestalt einer
Pyramide raltexstirpirt wird. Es blutet nur unbedeutend, diese
2 oder 3 Stellen werden mit Schiebern gefasst und unterbunden
und dann wird der Uterusspalt und der Schlitz im Ligamentum
latum durch eiue sorgfältige, fortlaufende Naht so geschlossen,
dass Peritoneum an Peritoneum liegt. F. demonstrirt die Tuben¬
tumoren mit deu nocli daran hängenden Stücken der Uterustuben-
ecke. Da Jede unnatürliche Zerrung des Peritoneums bei diesem
Verfahren fortfällt, Ist auch die Schmerzhaftigkeit in den ersten
Tagen post operntionem eine sehr gemilderte. Als Unterbinduugs-
und Nahtmaterial In der Bauchhöhle dient seit Jahren das vor¬
treffliche Cuinolcatgut nach K r ö n i g.
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19. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1903
Rostocker Aerzteverein.
Sitzung vom 14. September 1901.
Herr Kühn: Beiträge zur Pathologie und Therapie des
Unterleibstyphus. (Bericht über die im Jahre 1900 in der mcd.
Klinik zu Rostock behandelten Typhusfälle.)
Der Vortrag wird in ausführlicher Bearbeitung demnächst
im Deutsch. Archiv für klin. Med. erscheinen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung ertheilte der Vorsitzende
Herrn Barfurth das Wort zu einer kurzen Mittheilung über
eine in seinem Institut gemachte interessante Beobachtung, hetr.
die Regeneration der Linse beim Hühnchen.
Vortragender demonstrirt und erläutert die Sehnittserie eines
Hühnerembryo, bei welchem am zweiten Bebrüt tu ngsta ge die Lin¬
senanlage mit heisser Nadel zerstört war und der am fünften Be-
briitungstage lebend konservirt wurde. Herr eand. med. O. Dra¬
ge n d o r f f. dem wir das Präparat verdanken, legte mir dasselbe
zur Aufklärung vor, da ihm die etwas schwierige Deutung nicht
gelang. Meine Untersuchung ergab, dass in dem verletzten rechten
Auge Regenerationserscheinungen eingetreten sind, die an anderer
Stelle besprochen worden sollen. liier genüge es. die wichtige
Thatsaclie hervorzuheben. dass sieh eint* neue Linse vom
I r i s r a n d e des sekundären Augenbechers aus ge¬
bildet hat. geradeso wie es bei den Augen der Tritonen und
Salamanderlarven nach Extraktion der Linse von C o 1 u c c i,
G. W o I f f. E. M ii 11 o r. W. K ochs u. A. beobachtet worden ist.
Die neugebildete Linse misst 0,100 mm im Durchmesser, hängt vorn
und hinten noch mit dem Augeiiheehcrrande zusammen, besitzt
eine sehr kleine Höhlung und weist im unteren Theil langgestreckte
Zellen auf, wie sie in der normalen Linse vor Bildung der Fasern
gefunden werden. Die normal entwickelte Linst* des nicht ope-
rirten linken Auges ist dagegen viel weiter entwickelt, hat im
Durchmesser 0.3. r >0 nun, zeigt schon gut entwickelte Linsenfasern,
eint* der Ausbildung nabe Kernzone und eine Reduktion der
Höhlung auf einen schmalen Spalt.
Dieser interessante Befund lehrt, dass auch die Vögel im
Embryonalstadium noch Regenorat ionsfähigkeit besitzen,während
sie den erwachsenen Vögeln fast gänzlich fehlt. Das gleiche Ver¬
halten habe ich seit Langem für Amphibien festgestellt.
Ferner.folgt aus der initgetheilten Thatsaclie. dass die Zellen
des Augenbecherrandos bei der regenerativen Entwicklung auch
Linserfasfirn zu bilden vermögen, während die normale
Linse sieh direkt aus dem Ektoderm entwickelt.
Zur Erläuterung des Vorgetragenen waren einige Präparate
unter dem Mikroskope aufgestellt worden.
Im Anschluss an die Statistik macht Herr Pfeiffer auf
die. verhältnissmässig grosse Anzahl von Erkrankungen an
Brechdurchfall aufmerksam und gab einen Theil der
Schuld den hierorts bestehenden ungünstigen Milchverhältnissen,
insofern die Kühe der hiesigen Gegend eine auffallend fettarme
Milch lieferten.
Herr G e f f c k e n a. G.: Grundzüge (Ziele und Aufgaben)
der modernen sozialen Gesetzgebung. (Erscheint in dieser
Wochenschrift.)
Phy8ikalisch-medicinische Gesellschaft zu WQrzöurg
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 29. Oktober 1901.
1. Herr J. Riedinger: Ueber eine Haltungsanomalie
bei Hysterie. (Der Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift.)
2. Herr Edel: Ueber cyklische Albuminurie, Nephritis
und deren Behandlung. (Der Vortrag ist ausführlich in No. 40
und 47 dieser Wochenschrift- abgedruckt.)
Verschiedenes.
Aus den Parlamenten.
Der besondere Ausschuss der bayerischen Abgeordneten¬
kammer zur Vorheratlimig des Gesetzentwurfes über die ärztliche
Standes- und Ehrengeriehtsordnung hat in den beiden letzten
Sitzungen von den 10 Artikeln der Elirengerii htsordnung die ersten
7 durehberatheu und damit, den materiell grösstem und wichtigsten
Theil derselben erledigt. Zum Glück ist die Abstimmung innerhalb
des Ausschusses noch nicht »massgebend für die Stellungnahme
dos Plenums; sonst müsste die vom Ausschüsse beschlossene
Fassung des Art. 2 die Prognose für das Zustandekommen des Ge¬
setzes trüben.
An Stelle des Art. 1: S ii m m 11 i e li e A urzt e. w e 1 e li o
in Bayern Praxis a u s ii b e n, u nterst <* li e n e i n o r
Standes- nn d E li r <* n g e r lebt s o r d n u n g" wollte der
Referent Abg. y. Land mann den § 1 der pivussischen Ehren¬
gericht.sordnung einsetzen: „Für den Bezirk einer jeden Aerzte-
kammer wird ein ärztliches Ehrengericht, für den Umfang des
Königreichs ein ärztlicher Elnvngerichtshof gebildet“. Der Re¬
ferent konstatirte als seine Meinung, dass unter den „Aerzteu“
sätnmtliehe approbirte Aerzto, also auch Zahnärzte und Aerztinnen
zu verstehen seien; bezüglich der Zahnärzte ist diese Meinung
nicht richtig: sie haben mit «hm Aerzteu zwar das Erfordernis»
einer Approbation gemein, wie auch die Thierärzte, gelten aber
sonst nicht als Aerzto sui generis, und waren auch bisher weder
in den ärztlichen Bezirksvereinen, noch iu den Aerztekammern ver¬
treten. Aerzto, welche keine Praxis ausüben, unterliegen nach der
Erklärung des k. Staatsministers der Standes- und Ehrengerichts-
ordnung nicht, sonst aber alle, welche Praxis ausüben; der Voll¬
zug gegenüber den Nachbarstaaten bleibt der Vereinbarung mit
denselben überlassen. Du «li«* Annahme des Art. 1 die Schaffung
einer Standesordnung prüjudiciren würde, wird zunächst provi¬
sorisch abgestimmt, wobei er angenommen wird.
„Art. 2. In der Stnndcsotdiiung werden die Pflichten fest-
gestellt. welche den Aerzteu in Ausübung ihres Berufes und zur
Wahrung der Standexelm* obliegen.
Die Staudesordnung wird nach Einvernahme der Aerzte¬
kammern uml des Oberuicdieimilausseliusses durch das Siaats-
miuisterium des Innern erlassen.
Die Ueberwaehung der Standesorduung erfolgt durch die
nach Verordnung gebildeten ärztlichen Bezirksvereine und
Aerztekammem.“
Eine lebhafte Discmssion war gerade hier zu erwarten. Der
Referent erklärte sich nicht damit einverstanden, dass die Pflichten
der Aerzto in der Standesorduung aufgeführt werden sollten und
verlangte, dass die wichtigsten Bestimmungen in das Gesetz auf-
zunelimen und nur minder bedeutende im Verordnungswege zu
regeln seieu; Absatz 3 müsse ganz gestrichelt werden. Der Cor-
referont bat um unveränderte Annahme des Regierungsentwurfes.
war aber auch «lafür. gewisse grundlegende Bestimmungen in das
Gesetz selbst mitaufzunehimm. Der k. Staatsminister erklärte,
die Regierung würde es vorzielieu, wenn im Allgemeinen die ganze
Regelung der Standesordnung den Aerztcn überlassen würde, alter
aus wichtigen Gründen habe sie das Odium auf sieh genommen,
eine Standesorduung zu erlassen; gegen die Aufnahme einzelner
wichtiger Punkte in das Gesetz habe er nichts. Bei dem Wider¬
streit der Meinungen ward die weitere Berathung vertagt; Referent
und Correferent sollten im Benehmen mit den Miulsterialreferenten
darüber Vorschläge machen, welche Bestimmungen der Standes-
ordmmg in das Gesetz aufzuneluneu seien. Auch diese wohl¬
gemeinte Absicht führte nicht zu einer Uebereinstimmung der
Anschauungen. In der folgenden Sitzung bracht«? der Referent
Abg. v. Land mann folgenden Antrag ein, der schön Positives
vom Negativen schied:
„Die Staudesordnung muss folgende Be¬
stimmungen enthalten: Der Arzt ist verpflichtet, seine
Berufsthätigkeit gewissenhaft auszuüben und durch sein Ver¬
halten in Ausübung des Berufs, sowie ausserhalb desselben sich
der Achtung würdig zu zeigen, die seiu Beruf erfordert. Poli¬
tische, wissenschaftliche und religiöse Ansichten oder Hand¬
lungen eines Arztes als solche können niemals Gegenstand eines
ehrengerichtlichen Verfahrens bilden. Streiks mit Ililfeverweige-
rung verstossen gegen «lie Würde des ärztlichen Standes.
Die Standesordnung darf keine Bestim-
m u n g e n t li a 11 e n : welch«* 1. dem Arzte die freie Wahl der
Heilmethode oder des Heilverfahrens; 2. die freie Verordnung
und Verwendung von Heilmitteln aller Art; 3. das Abhalten von
Sprechstunden ausserhalb seines gewöhnlichen Praxisgebietes;
4. das Halten von wissenschaftlichen Vorträgen; 5. die Bezeich¬
nung als Specinlist. wenn er im Besitz d«*r nütliigeii Vorbildung
ist; G. die Kritik ärztlicher Thätigkoit Nichtärzten gegenüber,
cs sei denn eine leichtfertige oder rücksichtslose; 7. die unent¬
geltliche Behandlung der Patienten: S. das Bekanntgeb«*n der
Praxiscröffming und <l«*s Wohnungswechsels, soferae es nicht in
einer «les Standes unwürdigen Form geschieht, verbietet. Durch
die Staudesordnung darf in keiner Weise 9. eine Bestimmung
über die Festsetzung des ärztlichen Honorars; 10. über den Ab¬
schluss von Verträgen mit öffentlichen und privaten Korpora¬
tionen: sowie 11. über «las Unterbieten bei Bewerbungen um
ärztliche Stellen getroffen werden. Es können auch jene Hnnd-
hingen «1er Aerzte, welche unter die unter Absatz 10 aufgeführten
Punkte fallen, nicht Gegenstand eines ehrengerichtlichen Ver¬
fahrens bilden.“
Wenn «las Alles künftig erlaubt sein sollte, was nach «les Re-
ft-renten Meinung nicht v«*rboten w«*r«l«*n darf, «lnnn würde» di«*
Aerzte auch, und gerade bei „gebildeten Nichtärzten“, nicht viel
Ehre mit einer Standesonlnung einleg«*n. Den Passus über Streiks
erklärte der Referent fallen zu lassen: obwohl «*r Jurist ist und
obwohl im Ausschuss«* schon so viel von d«*r Gewerbeordnung di'*
Rede war, bat er. scheint, es. «loch erst in letzter Stund«* sieh davon
überzeugt, «lass di«* Gewerbeordnung ihn auch liier im Stiche lass«-.
In einen erfreulichen <;«>gcnsatz stellt«* sieh «l«*r Korreferent
Dr. Hau her: «*r trat «len einzelnen Punkten des Ref«*raf«*s ent¬
gegen und beantragt«*, nur «lie beiden Bestimmungen, weielu* «li«*
allgemeinen Berufspüichten «l«*r Aerzte und «lie Niehtv«*rfolgbark«-it
politischer, religiöser und wiss«*nsehaftli« , her Ansichten uml Hand¬
lungen betreffen, in «las Gesetz aufzunchuieii: <*r wurde hiebei vom
Vorsitzenden Dr. Casselman n unterstützt, von I)r. Gäeli und
Dr. Frlir. v. llall <• r bekämpft. 1 >«*i* k. S t a a t s m i n i s t e r
erklärte sieh mit «lein Antrag«* «i(*s Korivfeivnien «unverstanden;
dagegen seien die Anträge des Referenten t h e i 1 s
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1904
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
überflüssig, theils gegen die Gewerbeordnung,
t h e i 1 8 sonst nicht acceptnbel.
Bei der Abstimmung wurden die Anträge des Referenten aus¬
schliesslich der Streitklausel mit 4 gegen 3 Stimmen (Dr. Cassel-
mann, Dr. II a über und Le hm ei er) angenommen und so¬
dann der ganze Art. 2 mit den Anträgen des Referenten zum Be¬
schluss des Ausschusses erhoben.
Bei der Beratliung des Art. 2 machte der k. Staatsminister
auch Mittheilung über die von der mittelfränkischen Aerztekammer
veranlasste Abstimmung der mittelfriiukisehen Aerzte, von denen
325) sich für und nur 5) gegen eine Standes- und Ehrengerichts¬
ordnung aussprechen. Dieser zum mindesten beachtenswerthen
Kundgebung legten Dr. Güoh und Dr. Erhr. v. Haller keine
Bedeutung bei. Letzterer äusserte sich in verletzender Weise, dass
die del minorum gentium sehr oft geneigt seien, dem Drucke der
Oberen nachzug<*ben. Der Vorsitzende Dr. Cassel mann wies
dies gebührend zurück: es wundere ihn. wenn gerade ein Sozial¬
demokrat einer solchen Abstimmung gebildeter Männer so wenig
Werth beilege, während er die Abstimmung selbst des letzten Ar¬
beiters so hoch halte. Der Referent äusserte sich anscheinend nicht
dazu: seine Gewährsmänner, auf die er sich wiederholt bei den
Ausschussberat hangen berufen hat. sind anonym, hier uIkt han¬
delt«* es sich um eine öffentliche und namentliche Abstimmung,
«*s wurden sogar die Stimmzettel der Abgeordnetenkammer cin-
geschh'kt.
„Art. 3. I)«*n ärztlichen Bezirksv«*reinen kommt «>s für den
Bezirk, auf welchen der Y«*rein sich «*rstreckt. zunächst zu.
die Einhaltung der Standesordnung seitens der Praxis ausüben¬
den Aerzte zu wahren. Die Vorstandschaft des Veivines ist
dabei — vorbehaltlich dessen, was unter Art. 4 Abs. 3 Iwstimmt
ist — befugt. Aerzte auf ein Verhalten, das mit der Standesord¬
nung nicht im Einklänge st«*hen«l eracht«*! wird, aufmerksam zu
machen, vertrauliche Mahnungen und Warnungen damit zu vor-
bimb n und die Einhütung des ehrengerichtlichen Verfahrens an¬
zudrohen.
Sollte für den einschlägigen Bezirk ein ärztlicher Bezirks¬
verein nicht iM'Stehcn, so hat die Vorstandschaft der Aerzte-
kammer die unter Abs. 1 bezeichnete Aufgabe einem benach¬
barten Bezirksvereine innerhalb des Aerztekammerbezirkes zu
übertragen.“
Der Referent erklärt, sich dagegen, da Art. 3 nicht in das Ge¬
setz. sondern in «lit* Vollzugsvorschriften gehöre und die Mitglieder
der Bezirksvereine immer Konkurrenten des Arztes seien: der Kor¬
referent ist für Art. 3, da an den Bezirksvereinen als erste Instanz
festzulialten sei: auch der k. Staatsminister hält diese Bestimmung
für absolut nothwendig.
Art. 3 wird mit 4 gegen 3 Stimmen (v. Landmann,
Dr. G ä c h und Dr. Frhr. v. Ilaller) angenommen.
„Art. 4. Im veranlassten Falle ist gegen den betreffenden
Arzt wegen Verletzung der Standesordnung durch di«* zuständige
Vorstandschaft des ärztlichen Bezirksvereines «las ehreng«*richt-
liclie Verfahren einzuleiten und zu diesem Zwecke für die ent¬
sprechende Feststellung <l»*s Thatbestandes. die Vernehmung des
Beschuldigten und die Erhebung «l«*r Beweise Sorge zu tragen.
B«*l diesen Verhandlungen kann, namentlich wenn eidliche
Vernehmungen nothwendig werden, die Mitwirkung der Distrikts-
poliz«*ibehörd«‘n in Anspruch g«»nommen werden. In Bezug auf
Z<*ug«*u und Sachverständige kommen bei den Distriktspoliz«*i-
behürden die Bestimmungen der Reichs-Strafprocessordnung in
entsprechender Weise zur Anwendung.
Richtet sich in den Fällen des Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1
die Beanstandung geg«*n «*inen im Staats- oder Militärdienste
stehenden Arzt, so ist die Ang«*leg«>nheit ohne weiter«*» Verfahren
an die demselben Vorgesetzte Behörde abzugeben.“
Es werden zunächst die beiden ersten Absätze zur Beratliung
gestellt; der Referent und Dr. v. Haller nehmen auch hier eine
ablehnende Stellung ein. doch werden die beiden ersten Absätze
gegen 3 Stimmen (wie oben) angenommen. Die Anfrage des Re-
ferenten, ob auch j«*«ler Dritte ohne vorherige Thätigkeit des Be¬
zirksvereins Klage bei der Aerztekamuier erheben könne, ward
vom k. Staatsminister bejaht.
Auch der letzte Absatz gelangte unverändert zur Annahme.
Es war ein schöner kollegialer Zug zahlreicher Amtsärzte, dass sie
selbst darum nachsuchten, in ihrer privatürztliehen Tliäitigk**it der
ärztlichen Ehreng«*richtsor«lnnng unt«*rstellt zu werden. aln*r es
ist auch verständlich, wenn die k. Staatsregierung nicht auf ihr
Disziplinarreeht g«'genül>or einem Theile ihrer Beamten verzichten
o«ler dieselben einer doppelten Abunheilung unterstellen wollte:
<i«*r k. Staatsminister erklärt«* ausdrücklich, «lass die Stnud«*s«»rd-
nung auf alle Amtsärzte Anwendung findet und dass nur di«* Ab
urtiuülung durch die Vorgesetzte Dicnstesbehörd«* erfolgt. Referent
und Korreferent erklärten sich mit Abs. 3 einverstand *n. Dr. G ä c h
möchte, «lass die Amtsärzte aus den Aerztekamtm-rn und dem Ober-
inedicinalausschiisse hiuauskämen, da «lie praktischen A«*rzte kein
Vertrauen zu ihn«*n hätten und Dr. v. Haller stellte den Antrag,
«lass di«* der Zuständigkeit des Ehrenrathes und des Ehrengerhüits-
bol'cs nicht uut<*rworfeneu Aerzte bei «len Wahlen hiezu wc«l«*r
aktives noch passives Wahlre<-ht hab«*n sollten. (In der prettssischen
Ehrengeri«*htsonlnung ist ein solcher Passus enlhalt«*n.) Der kgl.
Staatsminister b«*dauerl«* «li<* abfällig«* Kritik über die Amtsärzte,
die wohl von «len übrigen A«*rzten nicht allgemein gctheilt werde:
wenn man «lie Amtsärzte unter di«* Stamlcsordnting stelle, müsse
man ihnen auch das Recht lassen, in die Aerztekamtuern u. s. w.
gewählt zu werden. Auch der Vorsitzende Dr. Cassel mann
war der Ansicht, dass die Rechte der Amtsärzte bezüglich der
Wählbarkeit etc. nicht beschnitten werden sollten und dass man
nicht eine Animosität gegenüber dem ganzen Stande der Amts¬
arzt«* zum Ausdruck bringen solle. Der Antrag Dr. v. H a 11 e r's
ward abgelehnt, die Petition der Amtsärzte durch die Beschluss¬
fassung über Art. 4 Abs. 3 als erledigt erklärt.
„Art. 5. Zur ehrengerichtlichen Entscheidung in erster In-
stanz wird am Sitze jeder Aerztekammer ein Ehrenrath aus vier
Aerzten und einem Verwaltungsbeamten gebildet.
Die ärztlichen Mitglieder nebst zwei Ersatzmännnem werden
von der Aerztekammer auf je drei Jahre gewählt, der Verwal¬
tungsbonint«* und ein Ersatzmann für denselben werden von der
Regierung, Kammer des Innern, für den gleichen Zeitraum b«*-
stimmt.
Die Mitglieder des Ehrenratlies wählen unter sich einen Vor¬
sitzenden und Steilv«*rtroter.“
Der Art ~> wird, da sich der Referent dafür erklärte und nur
statt d«*s Wortes „Ehrenrath“ „Ehrengericht“ vorschlug, nur gegen
die Stimmen von Dr. Gäeli und Dr. v. Haller angenommen.
Der Erster«* war dagegen, weil die Amtsärzte nicht ausgeschlossen
sei«*n. der Letztere zog die Unabhängigkeit der Verwaltungsbeamten
in Zweifel und wollte oin«*n richterlichen Beamten. Der
Referent vertheidigte sein«* Kollegen, die Verwaltungsbeamten, der
k. Staatsminister erklärte, wenn man keine Venvaltungsbeamten
wolle, sei es «lern Ministerium sachlich gleich, irgend jemand
Anderen zu wählen, es handle sich unter anderem nur darum, dass
die Formalitäten g«*or<lnet werden: auch den Aerzten sei es wohl
gleich, ob ein Verwaltungsbeamter oder ein Richter genommen
würde. Dr. v. Haller, der «lie Thätigkeit der Bezirksvereine
auf ein Minimum beschränkt wissen will, stellte auch d«*n Antrag,
dass das Ehrengericht zugleich als Ehrenrath die Beilegung von
Streitigkeiten zu vermitteln habe, welche sieh aus dem ärztlichen
Berufsverhiiltniss zwischen Aerzten oder zwischen einem Arzte
und einer Person ergeben. Der Antrag wurde jedoch nicht ange¬
nommen.
„Art. 6. Die abgeschlossenen Vorerhebungen sind von dem
ärztlichen Bezirksvereine an d«*n Vorsitzenden des Ehrenrathes
einzusenden.
Soferne nicht etwa zu Ersetzungen in der Sache Anlass be¬
steht, wird von dem Vorsitzenden d«*s Ehrenrathes Termin zur
Verhandlung anberaumt, zu welchem siimmtliche Mitglieder des
Ehr«*nra1h<*s und der Ang«*schuldigte zu laden sind.
Dem Letzt«*r«*n steht, es frei, entw«*der persönlich zu er¬
scheinen oder sieh vertreten zu lassen.
Die Verhandlung ist nicht öffentlich: «len Mitgliedern d«*r
Aerzt«*kamm«*r ist jedoch der Zutritt gestattet, anderen Personen
nur nach «lern Ernmssen «l«*s Vorsitzenden."
Die beiden Referenten sind im Allgemeinen mit Art. 6 ein-
verstanden. der Refer«*nt wünschte den Zutritt für andere Personen
nur auf Antrag «les Ang«*schuldigt«*n. der Korrefer«*nt wünscht«*,
dass auch der Kläger anwohnen dürfe. Dr. Glich verlangte auch
Zutritt, für die Pr«*sse: man plane ja das reinste Vehmgericht mit
den Aerzten. Dr. Cassel mann und der k. Staatsminister
sprachen sich gegen eine solche Bestimmung aus; letzterer glaubte,
«lass <>s dem Kläger nii-ht angenehm sein dürfte, wenn verlangt
würd«*, «lass er erscheine; Imü der Oeff«*ntlichkeit könnte neben der
Straf«* auch <*in Verlust der ganz«*n Praxis eintreten. das grosse
Publikum und «li«* Presse sollten dosshalb ausser Spiel gelassen
werden. Dr. v .Haller schlug vor, dass wenigst«*ns alle Aerzte
Zutritt haben sollten. Der Referent beantragte hierauf folgende
Fassung des Abs. 4: „Die Verhandlung ist nicht öffentlich: den
Mitgliedern der Aerzteknnunern. sowie allen unmittelbar Betei¬
ligten ist j«*doch der Zutritt gestattet: anderen Personen nur nach
dem Ermessen des Vorsitzenden.“ Mit dieser Abänderung ward
Art. 0 angenommen.
„Art. 7. Itn Verhandlungstermine wird von einem Mitglieds
«l«*s Ehrenrathes der Sachverhalt nebst dem Beweismateriale dar-
gelegt und sodann der Ang«>s<*huldigte oder dessen Vertreter mit
seinem Vorbringen gehört,
Di<* Entscheidung «les Ehrenrathes, bei welcher die fünf
Mitglieder. b«*zl«*hungsweise Stellvertreter derselben mitzuwirken
haben, erfolgt in Abwesenheit des Angeschuldigten nach absoluter
Stimmenmehrheit.“
Die beiden Referenten b«*antragen die Annahme.
Dr. v. Ilaller. dass zu jeder dem Ang«*schuldigten
na«*htheilig«*n Entscheidung, welche die Schuldfrage be¬
trifft. «*ine Mehrheit von */, der Stimmen erforderlich
sei. wirtl hiebei von Dr. Glich unterstützt, drang aber damit
nicht durch. Dagegen wird sein Antrag auf Einfügung ein«*s der
preiissisclicn Eiirengeriehtsordnung entnommenen Zusatzes ange¬
nommen: „Die bei einer Ang«*legenhelt betheiligten oder für be-
fang«*n erklärten Mitglieder des Ehrenrathes sind bei einer Be¬
schlussfassung oiler Entscheidung über dieselbe ausgeschlossen
und werden durch St«*llvertr«*tor ersetzt. Der Ausschluss und die
Ersetzung durch Stellvertreter tritt ohne Weiteres ein. wenn die
betreffenden Mitgli«*d«*r des Ehrenrathes sieh selbst fiir betheiligt
oder befnngi'ii «>rkliiren: andernfalls entscheidet hierüber end¬
gilt ig der Ehrenrath.“ Mit. diesem Zusatze gelangte der ganze
Art. 7 zur Annahni«*.
Aus den bisherigen Verhandlungen «les Plenums der
b a y e r. Abgeordnetenkammer sind nachstehende Be¬
schlüsse auch für ärztliche Kreise von Interesse:
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19. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1905
Zunächst wurden die Gesetzentwürfe angenommen, wonach
die Kreisgemeiuden von Niederbayern und Oberfranken die Ge¬
nehmigung zur Aufnahme eines Aulehens von 14S0U0 bezw.
153 000 M. zur Deckung der Kosten für Erbauung eines Pavillons
fiir männliche unruhige Kranke bei der Kreisirrenanstalt
Deggendorf bezw. behufs Zurückzahlung der zur Deckung der
Kosten der Erweiterung, Verbesserung und Einrichtung der
Kreisirrenanstalt Bayreuth bei verschiedenen Kreis¬
fonds entnommenen Vorschüsse erhalten. Bei der Besprechung
nahm nur der Abg. G ä c h das Wort, um seine prinzipiellen Be¬
denken gegen die Uebernahme der Irrenanstalten auf die Kreise
auszusprechen; wenn der Staat das Recht habe, gewisse Geistes¬
kranke zwangsweise in das Irrenhaus einzuliefern, habe er auch
für den Bau und die Unterhaltung dieser Anstalten zu sorgen;
wenn dies in anderen Ländern, z. B. in Hessen, möglich sei, werde
es sich auch ln Bayern durchführen lassen. (Sten. Ber. No. 100.)
Nach den Vorschriften des bayer. Armengesetzes sind die
auf Verpflegung hilfsbedürftiger Geistes¬
kranker erwachsenden Kosten von der Heimathgemeiude
zu tragen. Aus unangebrachter Sparsamkeit wurden nun der¬
artige arme Kranke nicht in die Anstaltspttcge gegeben, sondern
in der Gemeinde in Privatpüege zwar billiger, aber auch schlechter
untergebracht oder die Kranken wurden nicht frühe genug in
die Anstalt gebracht und zu schnell wieder herausgenommen, was
nicht nur für die Heilung, sondern auch für die öffentliche Sicher¬
heit nachtheilige Folgen hatte. Um den einzelnen Gemeinden die
oft sehr drückende Irrenlast abzunehmen und auf breitere Schul¬
tern zu legen, war bereits in der vorigen Session ein Antrag von
mehreren Abgeordneten gestellt worden, die Kosten für Ausialts-
verpflegung von Irren und Kretineu auf die Kreiskassen zu über¬
bürden. Von diesem weitgehenden Anträge, sowie von dem An¬
träge des Referenten Abg. Stöcker, dass mangels anderweitiger
Alimentation je ‘/j dieser Kosten von der Gemeinde- und Distrikts¬
armenpflege und */, von der Kreisarmenpflege zu tragen seien,
kam man im Ausschüsse ab, da hiebei zwischen reichen und armen
Gemeinden kein Unterschied gemacht war, voraussichtlich ganz
ungemessene Ansprüche an den Staat herantreten würden, wenn
die Gemeinden nicht mehr selbst für die Irrenpflege aufzukommen
hätten, und die bestehenden Irrenanstalten nicht mehr ausreich¬
ten, wenn alle armen Irren und Kretineu von den Gemeinden den¬
selben zugewiesen würden; auch wollte man an dem prinzipiellen
Standpunkte fcsthalteu, dass die Armenpflege in erster Linie von
den politischen Gemeinden und dem Armenpflegschaftsrat he, in
zweiter Linie von den Distrikten und in dritter von den Kreisen
ausgeübt werde. Man einigte sich dann im Ausschüsse zu dem
auch vom Plenum angenommenen Anträge, dass den Distrikts¬
gemeinden, denen die Unterstützung der mit Armenlasten über¬
bürdeten Gemeinden obliegt, die hiedurch entstandenen Kosten
für Unterbringung von Irren und Blöden in Irren- und Blöden-
Anstalten zu zwei Dritttheilen aus Kreismitteln zu ersetzen
seien und bei den der Kreisregierung unmittelbar unter¬
geordneten Gemeinden bei Ueberbürdung mit Armenlasten zu drei
Viertheilen. Bei der Besprechung in der Abgeordnetenkammer
(Sten. Ber. No. 178) machte der k. Staatsminister eingehende sta¬
tistische Mittheilungen über die Höhe und Vertheilung der Kosten
für die Verpflegung und Unterbringung der Irren. Wie weit eine
Kreisgemeinde ihre Fürsorge ausdehneu kann, zeigte der Abg.
Conrad an den rühmeuswerthen Verhältnissen der Rheinpfalz.
Dem von einigen Rednern geiiusserten Wunsche, auch für die
Blinden und Tauben in ähnlicher Weise zu sorgen, wurde keine
Folge gegeben, da dieselben nur zu Bildungszwecken eines An¬
staltsaufenthaltes bedürfen, später in der Familie leicht Beschäf¬
tigung finden und im Gegensätze zu den Irren hannlos sind.
Dass hie und da Geisteskranke länger als nothwendig in Irren¬
anstalten zurückbehalten werden, wurde von zwei Rednern ge¬
rügt; der eine stützte sieh dabei auf die Angaben einer schwach¬
sinnigen Hausmagd. Im Anschlüsse hieran wies der k. Staats¬
minister auf die gesetzlichen Bestimmungen hin, wonach nur für
die Dauer der Gemeingefährlichkeit Geisteskranke gegen ihren
oder ihrer Angehörigen Willen in den Anstalten zurückbehalten
werden dürfen und mit Wegfall dieser Voraussetzung auf Ver¬
langen zu entlassen sind.
Auch möchten Nichtärzte immer bedenken, dass ebenso wie
bei körperlichen Krankheiten das Verhalten eines aus der Anstalt
entlassenen Geisteskranken keinen sicheren Rückschluss auf
seinen früheren Zustand gestattet. Die Anschauungen über uu-
nöthlge oder zu lange Verwahrung in den Irrenanstalten würden
sich gewiss ändern, wenn die betreffenden Herren nur ein Jahr
lang die Berichte über Selbstmorde und Verbrechen seitens solcher
Geisteskranker sammeln würden, welche aus Sparsamkeitsrück¬
sichten entweder gar nicht ln eine Anstalt verbracht oder gegen
den Rath der Aerzte zu früh wieder herausgenommen wurden.
Ganz mit den Anschauungen der Aerzte deckt sich der Be¬
schluss der Abgeordnetenkammer vom 10. Oktober (Sten. Ber.
No. 178), die k. Staatsregierung zu bitten, beim Bundesrathe dabin
zu wirken, dass bei der demnächst in Aussicht stehenden Revision
des Krankenversicherungsgesetzes die Helmathgemeinden auch
bei Krankheiten ln Folge geschlechtlicher Ausschwei¬
fung u. s. w. von allen Leistungen für Kur und Verpflegung
Innerhalb der ersten 13 Wochen der Krankheitsdauer frei bleiben.
Auch die Aerztekammern haben sich wiederholt dahin ausge¬
sprochen, dass diese Kosten von den Krankenkassen ganz zu über¬
nehmen seien. Die bayerische Staatsregierung hat nach der Mit¬
theilung des k. Staatsministers bereits eine Erklärung im Sinne
des vorstehenden Antrages an das Reichsamt des Innern ab¬
gegeben. Dr. Becker- München.
Das Automobil und der Arzt.
Wer als Arzt in einem ländlichen Bezirk auf das Halten von
Pferden angewiesen ist, lernt die Schattenseiten eines Pferde¬
fuhrwerks nur allzubald kennen. Bessere Erfahrungen habe ich
mit meinem Automobil, das ich nun seit über einem Jahre fahre,
gemacht und ich möchte diese meine Erfahrungen meinen Kollegen
nicht vorenthalten.
Ich wohne in einer sehr hügeligen Gegend mit Steigungen bis
zu 18 Proc. und mehr und ich nehme diese Steigungen spielend.
Durch die grössere Geschwindigkeit meines Vehikels spare ich
viel früher verlorene Zeit. Der letzte Winter war einer der schnee¬
reichsten und kältesten bei uns; trotzdem benützte ich mein leicht*
und doch zugleich massiv gebautes Automobil ununterbrochen
selbst bei Schneegestöber und bei beschotterten Strassen. Ich fahre
ein Motordreirad ohne Verdeck aus den Motorfahrzeugwerken von
Hei nie und Wegelin in Oberhausen bei Augsburg.
Vor der Kälte im Winter schützte mich ein Pelzmantel und
im Regen hält mich ein Gumtuianzug vollständig trocken. Von
einer Erkältung habe ich nie etwas beobachtet und meine frühere
Nervosität habe ich ziemlich verloren, vielleicht durch die fort¬
währenden leichten, aber nicht unangenehmen Erschütterungen
von Seiten des Motors, die einem Elektrisiren gleichkommen.
Ich halte ein Motordreirad für die ärztliche Praxis aus ver¬
schiedenen, hier nicht näher zu erörternden Gründen für am Vor-
theilhaftesten und ein Dach ist, wie oben flüchtig angedeutet, über¬
haupt nicht nothwendig. Dr. Erlanger- Stockach (Baden).
Therapeutische Notizen.
II y p e r h i d r o s i s. In vielen Fällen versucht man ver¬
geblich mit adstringirenden und spirituösen Waschungen oder
durch Streupulver, auch elektrische Bäder, hydriatrische Proce-
duren, intern mit Atropin und Antipyriu der überaus lästigen
und hartnäckigen Hyperhidrosis Herr zu werden. Es ist bekannt,
dass manche Kranke sogar zu einem Berufswechsel sich in Folge
der Hyperhydrosis, besonders wenn sie au den Händen lokulisirt
ist, entschliessen mussten. Mit einem sehr einfachen Mittel nun
habe ich viele Versuche unternommen und mich von der zu¬
verlässigen Wirkung sowohl bei lokalisirter Hyperhydrosis, als
auch bei NagiltadUKhisaea <1 “ 1 ’ EhlM siker überzeugt. Es ist das
2 proc. Lysoform-Dennosapol, welches als Natrüuseife hergestellt
isl (cfr. Therap. Monatsli., August 11)01). Den Schaum der Seife
lässt man 3—4 mal täglich eintrocknen in die Haut; derselbe hat.
die Eigenschaft, von den Poren der Haut ausserordentlich schnell
aufgenommen zu werden. Nach ungefähr 1—2 Stunden wäscht
man dann mit Spiritus rectif. oder Kau de Cologne ab, nöthig
ist letzteres iiuless nicht. Kurz nach der Schaumeiutrocknung
beobachtet man ein Kältegefühl, das aber nach kurzer Zeit zum
Schwinden kommt. Nach der Einseifung lasse ich bei Ilaud-
selnveiss keine Handschuhe tragen. Die Füsse bedecke ich mit
leinenem Lappen, ebenfalls die Achsel. Bei allgemeiner Hyper¬
hidrosis der Phthisiker z. B. empfiehlt sich eine schnelle Ein¬
seifung Abends von Brust, Bauch und Rücken, am besten sehllesst
sich dieselbe an eine Abwaschung mit Franzbranntwein oder For¬
malinspiritus an. Die Erfolge sind sehr zufriedenstellend. Die
Seife wird als „Hautschutzseife** — deren antiseptische Wirkung
durch den Lysoform-1 >ermosapolgehalt unverkennbar ist, und die
in Folge dessen auch in der Krankenpflege zum Schutz gegen In¬
fektion verwendet werden soll — in den Handel gebracht (Bezugs¬
quelle: Gustav Wegen er, Droguen en gros, Bad Lippspriuge).
Da sie reizlos und wohlriechend (Heliotrop) ist, ist ihre Anwendung
sehr angenehm. Dr. Beruh. Rohden- Lippspriuge.
Die Ozaena ist 3 nach Prof. Montoro de Francesco
zweifellos eine Infektionskrankheit, die auf die Nasenschleimhaut
beschränkt ist und durch den von Löwemberg gefumleneu
Coccus verursacht wird. Dieser Coceus muss, um sich vermehren
zu können, und um die Veränderungen hervorzurufen, die man bei
der Ozaena findet, die Schneide r'sche Schleimhaut bereits
krankhaft alterirt vorfindeu. Derartige Alterationen der Schleim¬
haut. einfache akute oder chronische Rhinitis, beruhen meistens
auf der in der Nase stets vorhandenen Flora von Bakterien, welche
dort so lauge in Symbiose oder autonom leben können, als nicht
irgend eine Gelegeuheitsursache das chemisch-dynamische Gleich¬
gewicht zwischen Schleimhaut und Bakterien stört; dann erst
werden sie pathogen. Wenn auf dem Boden einer einfachen
akuten oder chronischen Rhinitis bei zumeist durch fehlerhafte
organische Konstitution oder chronische Krankheit geschwächten
Personen zu den anderen Bakterien zufällig der Löwemberg'-
sche Coccus hinzutritt, dann entsteht die Ozaena. Dieser Coceus,
der die Schleimhaut und die zugehörigen Drüsen bis zur völligen
Atrophie schädigt und der den stärksten Antisepticis und der
energischsten Allgemeinbehaudlung widersteht, wird durch den
Streptococcus erysipelatis vernichtet. Die Heilung beruht viel¬
leicht auf der eintretenden Entzündung (entzündliche Leukocytose).
die der Streptococcus in den durch deu Löwemberg'schen
Coccus atrophisch gemachten Geweben hervorruft; gleichzeitig
auch darauf, dass der Erysipelstreptococcus durch seine löslichen
Stoffwechselprodukte die kranken Gewebe widerstandsfähiger
macht: indem er in ihnen eine chemisch-dynamische Veränderung
bewirkt, können sie schliesslich gegen den L ö w e m b e r g'schen
Coccus ankämpfen und Ihn vernichten. (Deutsche Medlciualztg.
1901, No. 61.) P. H.
Digitized by VjOOQie
1906
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 47.
Tagesgeschichtliche Notizen.
M ii n c h e n, 19. November 1901. 1
— Der Reichs« nzeiger veröffentlicht nachstehende vom
G. November datirte Rekaimtmacliung, betreffend die Zulassung !
v o u Reuig y m u a s i a 1 a b i t u r i e n t e u /. u den ä r z t - j
liehen I’rtifungeu: Der Bundesrath hat beschlossen, die
Zulassung derjenigen ltealgymnasialabiturienlen, welche ihr rnedi-
einisehes Studium vor dem 1. Oktober dieses Jahres begonnen
haben, zur Ablegung der ärztlichen Prüfungen nach den bisherigen
Vorschriften nicht von der Ergänzung des Reifezeugnisses durch
eine Nachprüfung im Lateinischen und Griechischen abhängig zu j
machen. Das bedeutet eine Vergünstigung für die Realgyninasial- !
abiturlenten, die das mediciniselie Studium schon vor dem 1. Ok¬
tober dieses Jahres begonnen haben.
— Durch Beschluss des Bundesraths vom 3. Oktober 1991 ist \
über die b e rufs g enossens c li a f t 1 i c h e Orgaul
s a t i o n der durch die §§ 1 und 2 des Gewerbeuufallversicherungs- ■
gesetzes vom 30. Juni 1900 in die Unfallversicherung neu ein- I
bezogenen Gewerbszweige Bestimmung getroffen worden. Da- j
nach wird für diese Gewerbszweige voraussichtlich mit dem Be- \
ginn des kommenden Jahres die Gesetzgebung in Kraft treten und
damit der sehr ausgedehnte Kreis der in den fraglichen Betrieben
beschäftigten Personen des Schutzes der Unfallversicherung theil-
haftig werden. Nach den bei den unteren Verwaltungsbehörden
eingegangenen Anmeldungen wird es sich um einen Zuwachs von
mindestens 87 000 Betrieben mit. annähernd 100 900 beschäftigten
Personen handeln. Daran ist von den bestehenden Berufsgenossen- j
schäften am stärksten betheiligt die Fleischereiberufsgenossen- ,
schalt, die eine Zunahme um mehr als 30 (>'>(i Betriebe mit etwa
43 WO Arbeitern erfährt: ferner werden zur Spedition»-. Speicherei- I
und Kellereiberufsgenossenschaft mindestens 7000 mir einem Man- ■
delsgewerbe verbundene Lagerung»- und Beförderungsbetricbc, zu |
den Eisen- und Stahlberufsgenossenschaften etwa 0000 Schlossereien,
ruz Brauerei- und MälzereilRunifsgenossenseluift etwa 40O0 klei¬
nere Brauerei bet riebe hinzutreten. Die einzige vom Bundesraih
beschlossene neue Berufsgenossenschaft ist die das ganze Reich !
umfassende Berufsgenossenschaft für Betriebe, welche sich auf die '
Ausführung von Schmiedearbeiten erstrecken, sie wird I
nahezu 40 OOO vcrsichorungsptiichtige Schmiedebetriebe mit etwa |
02(KM) beschäftigten Arbeitern umfassen. (1). med. W.)
— Zur Erinnerung an die vor jetzt 30 Jahren erfolgte Erlin- ;
düng des Augenspiegels ist in der k. Augenklinik der Charite in I
Berlin unter Leitung des Prof. <4 ree ff eine historische 1
S a m m lang v o n A n g e u s p i e g e I n aufgestellt worden. Die
Sammlung umfasst ca. 120 Stück und zeigt die Entwicklung des
Instruments in den verschiedenen Ländern.
— Pest. Aegypten. In der Zeit vom 23. Okt. bis 1. Nov.
ist nur in Ziftali eine Neuerkrankung und ein Todesfall an der
Pest festgestellt worden. — Brit iseh-Ostindion. In der Präsident- i
scliafl Bombay sind in der am 11. Oktober abgelaufenen Woche i
10 780 Erkrankungen und 7337 Todesfälle au der Pest fest gestellt
worden, d. h. 1310 und 1003 mehr als in der Vorwoche. In der
Stadt Bombay wurden in der am 12. Oktober endenden Woche
13G Erkrankungen und 189 Totles fülle an der Pest angezeigt; die ,
Zahl der pestverdächtigen Sterbefälle betrug 131, die Gesammt-
zalil der Sterbefälle 822 gegen 873 in der Vorwoche. — Kapland.
In der Woche vom 0. bis zum 12. Oktober sind auf der Kaphalb-
insel weder Erkrankungen noch Todesfälle an der Pest zur amt¬
lichen Kenntnis» gelaugt, in Port Elizabeth sind 4 Personen an j
der Seuche erkrankt und davon 1 gestorben. — Paraguay. Iu j
Asuncion sind neuerdings Pestfälle festgestellt worden.
— In der 44. Jahreswoche, vom 27. Okt bis 2. Nov. 1901,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste ;
Sterblichkeit Borbeck mit 2G.7, die geringste Linden und Potsdam
mit 7.0 Todesfällen pro Jahr uml 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen. Dort¬
mund: an Masern in Altona, Bromberg: an Diphtherie und Croup
in Pforzheim.
(Hochschulnachrichten.)
Leipzig. Prof. Dr. Willi. His jun. ist in Folge seiner Er¬
nennung zum Oberarzt des städtischen Krankenhauses in Dresden
von der Professur zurückgetreten.
Chicago. Dr. A. I’. Ohlmaehcr wurde zum Professor
der allgemeinen Pathologie ernannt.
Neapel. Ilabilitirr: Dr. C. Cucca für Geburtshilfe und
Gynäkologie; Dr. G.Martuscelli für Laryngologle; Dr. B. C i a- j
roll a für Otologie und Rhinologie.
R o m. Ilabilitirt: Dr. P. D o r c 11 o für Anatomie; Dr. V. 1) u c- j
c esc hi für experimentelle Physiologie; Dr. F. Schupfcr für
Neurologie; Dr. O. Casag randi für Experimentalhygiene und ,
Sanitätspolizei: Dr. C. Colombo für physikalische Therapie.
Turin. Ilabilitirt: Dr. A. Ceconi, bisher Privatdocent au |
der med. Fakultät zu Padua, für mediciniselie Pathologie.
Z ii r i c h. Dr. A. Prochaska hat sich für innere Medicin 1
Ilabilitirt.
Correspondenz.
Herr Hofrath Dr. Friedrich Haenel in Dresden schreibt uns
unterm 32. ds.: Im Begriffe ein Referat über den diesjährigen
Aerztetag in meinem Bezirksvereiu zu geben, lese ich den Bericht
in der Münch, med. Wocbenschr. No. 28 vom 9. Juli 1901 und finde,
dass meine Betheiligung an der Discusslon über den Leipziger
wirthschaftlichen Verband falsch dargestellt ist. Es ist eine Ver¬
wechslung von meinen Ausführungen mit denen des Herrn Bezirks¬
arzt Dr. Kindt iu Grimma vorgekommen. Ich habe iilter den
Leipziger Streik und die Entscheidung des Leipziger Ehrengerichts¬
hofes kein Wort gesprochen, sondern nur meine Zustimmung zu
dem Referat dos Herrn Windeis ansgedrückt, nachdem in den Ver¬
handlungen unseres Bezirksvereins derselbe Gesichtspunkt (vou
mir vertreten) anerkannt worden war. Ich habe meine kurzen Be¬
merkungen auf dem Aerztetag mit den mehrere Wochen vorher von
meinem Bezirksverein angenommenen Sätzen geschlossen:
„1. Der Aerztliehe Bezirksverein Dresden-Stadt hält es im
Interesse des ärztlichen Vereins für wünschenswerth,
a» dass der Leipziger Verband sich möglichst eng an den
Aorzlevereinsbund bezw. dessen Geschäftsausschuss angliedert.
b) dass die von ihm unter b—f genannten Aufgaben dem Ge-
sehäftsaussehuss des Aerztevereinsbundes oder bei Errichtung
eines Syndicatos des Aerztevereinsbundes diesem zufallen.
II. Der Aerztliche Bezirksverein Dresden-Stadt empfiehlt
seinen Mitgliedern den Beitritt zu dem Leipziger Verband unter der
Voraussetzung der eudgiltigen Beseitigung aller Gegensätze
zwischen Aorztevereinsbund und Verbandsleitung.“
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. E. August Herrich-Schaeffer.
appr. 1893, Dr. Eugen Gaek, appr. 1897, Dr. August Drum ui,
1878, säuuutliche in Regensburg; Dr. Fritz Reinhard, appr. 1900.
in Weiden.
Gestorben: Dr. Adam Ott, k. Bezirksarzt a. D. in Miesbacli.
im S9. Lebensjahr. Dr. Friedrich Lex, 47 Jahre alt, iu München.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat September 19 (| 1.
Iststärke des Heeres:
57 458 Mann, — Invaliden, 203 Kadetten, 146 Unteroff.-Vorschäler
Enter-
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Oflizier-
vor-
sehüler
1. Bestand waren am
31. August 1901:
1195
—
—
—
im Lazareth:
877
—
—
7
2. Zugang:
im Revier:
21 Hl
—
4
—
in Summa:
3058
—
4
(
Im Ganzen
sind behandelt:
4253
—
4
7
°/oo
der Iststärke :
74,0
—
19,7
47,9
dienstfähig:
337G
—
-_>
G
u /oo der Erkrankten:
793,8
—
500,0
857,1
gestorben:
5
—
—
—
3. Abgang:
u /oo der Erkrankten :
invalide :
1,2
25
z
z
dienstunbrauchbar :
12
—
—
—
anderweitig :
158
—
—
1
in Summa :
3576
—
2
7
4. Bestand
bleiben am
30.Sept.1901:
in Summa:
°/oo der Iststärke :
davon im Lazareth :
. davon im Revier:
677
11,8
485
192
—
2
9,8
2
—
Von den in Ziffer 3 aufgefiihrten Gestorbenen haben gelitten
an: Pyaemie (nach eiteriger Knochenmarksentzüudung de<
12. Brustwirbels) 1, akuter Miliartuberkulose 1, Lungentuberku¬
lose 2, eiteriger Blinddarmentzündung 1.
Ausserdem starben noch 3 Manu ausser militärärztlicher B.-
handlung: 1 Mann in Folge von Verblutung nach einer im Urlaub
gelegentlich eines Streites erlittenen Stieliverletzung des Unter¬
leibes. 1 Manu in Folge von Schiidolbruch, 1 Mann wurde während
der llerbstiibuugen durch einen umstürzenden Gepäckwagen er¬
drückt. 2 Mann endeten durch Selbstmord (1 durch Erschlossen.
1 durch Erhängen).
Der GesammtVerlust der Armee durch Tod lietrug demnach
im Monat September 10 Mann.
Uebersicht der Sterbefälle in München
wahrend der 45. Jahreswoche vom 3. bis 9 November 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 2 (l*), Scharlach — (—), Diphtherie
und Croup 2 (3), Rothlauf 1 (1), Kindbettfieber 1 (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 3 (2), Brechdurchfall 4 (6), Unterleibtyphus
3 (1), Keuchhusten — (3), Croupöse Lungenentzündung 3 (1 ,
Tuberkulose a) der Lungen 25 (21) b) der übrigen Organe 4 (5 ,
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 4 (2), Unglücksfälle 7 (2), Selbstmord 2 (3), Tod durch
fremde Hand 1 (1).
Die Gesammlzahl der Sterbefälle 193 (184), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 10 0 Einwohner im Allgemeinen 20,1 (19,1), für die
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,8 (10,4).
*) Dis eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Muhlthnler's Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München.
Digitized by vJv/vB
DIo UQneh. Med. Wochen««*hr. erachelnt wAchentl. T| *"rY'\T/"YrT liVVTTilT} Zusendungen rind «n igreMlren: Fflr die Bedactfon
ln Nummern yod durrh«chuittllch 6-6 Bogen. VI I I . |~fl H. \ h, K OMoatrame 1. — Für Abonnement an J. F. Leh-
Prela ln Dentuchl. n Oeat.-öiiK*rn Tlerteljfthrl. 6 Jt, JJ-l. V-/ VXXXJi. i J - i - LV mann, Heoatraue 20. - Für I nee rate und Beilagen
Ins Aasland 7.60 JL Einzelne No. 80 4. an Rndoll Moese, Promenadeplats 16.
MCINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Gb. Biuiler,
Freibarg 1. B.
Heraasgegeben von
0. Bollligtr, H. GarscbBui, C. Girbirdt, 6. Märtel, J. v. Michel,
München Leipzig Berlin Nürnberg Berlin
H. i. Baabe, F. i. Wiacbil.
München München
H. i, ZliasstR.
München
No. 48. 26. November 1901.
Redaction: Dt. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. P. Lehmann, Henstrasse WO.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der medicinischen Klinik in Leipzig.
Zur diagnostischen Beurtheilung der vom Blinddarm
und Wurmfortsatz ausgehenden entzündlichen Pro-
cesse.*)
Von H. Cursclimann.
Nach vielfachen, zum Theil mit grossem Eifer geführten,
literarischen Kämpfen, kann es heute als gesichert betrachtet
werden, dass wie überall in serösen Höhlen, so auch in der
Fossa iliaca dextra, die vorzugsweise mit Appendicitis zusammen¬
hängenden umschriebenen Entzündungen zu einfachen serös
fibrinösen Exsudaten führen können.
Unter den Chirurgen ist es namentlich Helferich ge¬
wesen, der gelegentlich seines glänzenden Referates auf dem
Kongress für innere Medicin in München**) für das nicht seltene
Vorkommen solcher Processe sich aussprach und sie auf „Ent¬
zündungen niederen Grades“ treffend zurückführte.
Wenn man solche Fälle in der rechten Fossa iliaca vom An¬
fang in ihrer Entwickelung und ihrem Fortschreiten zu beob¬
achten Gelegenheit hat, so sind sie oft unschwer zu erkennen.
Es handelt sich dann meist um das Zustandekommen kleinerer
entzündlicher Geschwülste, die keine völlige Dämpfung geben,
seltener von hoher Schmerzhaftigkeit sind und unter geringer,
ja selbst fehlender fieberhafter Steigerung der Körperwärme zu
verlaufen pflegen.
Wenn man in anderen Fällen den Process mit Frösteln oder
Schüttelfrost eintreten und unter hohen Temperaturen verlaufen
sieht, wenn die entzündliche Ausschwitzung über dem Pou-
p a r t’schen Bande unter lebhaften Schmerzen rasch zu grossen,
deutlich sich vorwölbenden Exsudaten führt, wohl noch unter
Verfärbung und Oedem der Haut, so ist die Diagnose der Abscess-
bildung fast selbstverständlich.
Die ersteren Fälle — sie bilden einen erheblichen Theil der
in der Privatpraxis zur Beobachtung kommenden — gehen meist
ohne zu abscediren zurück. Wenn manche Aerzte, besonders
jüngere eifrige Chirurgen, dies für selten hielten, ja Einzelne
die fraglichen Formen direkt leugnen wollten, so machten sie
sich arger Uebcrtreibungen schuldig, die in der Praxis dazu noch
zur grössten Schädigung der Kranken führen konnten.
Wie die neueren Verhandlungen in der einschlägigen Litera¬
tur und auf Fachkongressen zeigen, sind die erfahrenen und be¬
sonnenen Chirurgen heute in dieser Richtung vollkommen einer
Meinung mit den inneren Aerzten. Sie überlassen ihnen die
Anfangsbehandlung aller und die dauernde der erwähnten leich¬
teren Fälle. Die wenigen Chirurgen, die immer noch dafür
streiten, dass jede Appendicitis vom ersten Anfang an ihrem
Gebiet und der operativen Behandlung angehöre, finden heute
kein rechtes Gehör mehr.
Dagegen sind sich die inneren Aerzte weit mehr wie früher
der grossen Verantwortung bewusst, den richtigen Moment zum
*) Nach einem Vortrag, gehalten in der Sektion für Innere
Medicin der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu
Hamburg 1901.
**) Kongressber. Wiesbaden (Bergmann) 1895.
No. 48.
operativen Eingriff nicht zu übersehen oder unnöthig hinaus¬
zuschieben. Hier steht die Frage der Abscessbildung im Vorder¬
grund. So wie es feststeht oder nur wahrschein¬
lich ist, dass ein Exsudat eiterig geworden
ist, darf mit der Ueberweisung an den Chi¬
rurgen nicht gezögert werden. Auf Resorption oder
Eindickung mit Abkapselung selbst kleiner Abseesse kann nie
gerechnet werden, so wenig wie man sich auf den etwaigen
Durchbruch des Exsudats nach aussen oder nach inneren Hohl¬
organen, dem Darm, der Blase etc. verlassen darf.
Wie steht es aber mit der Diagnose der Abscessbildung l
Die extremsten typischen Fälle, die leichten mit serofibrinösem
Exsudat und die an der gewöhnlichen, leicht zugänglichen Stelle
rasch zu umfangreicher Eiterung oder Verjauchung führenden,
sind meist leicht auseinander zu halten. Betrachtet man aber die
grosse Reihe der in ihren Erscheinungen so überaus verschieden¬
artigen, zwischen diesen Extremen gelegenen Fälle, so zeigen sich
hier zahllose Schwierigkeiten, deren nähere Erörterung ausser¬
halb der Grenzen dieses Vortrags liegt. Nur das muss festgestellt
werden: Wo man nicht direkt Vonvölbung, elastische Span¬
nung und Fluktuation fühlt, oder durch Probepunktion die Eite¬
rung feststellen konnte, ist auf andere Zeichen nicht mit ge¬
nügender Sicherheit zu rechnen, weder auf den Schmerz, noch
auf das Verhalten der Körperwärme, auf das Manche besonderen
Werth legen wollen. Oft genug sieht man Fieber überhaupt aus-
bleiben oder anfangs bestehendes zurückgehen, während grosse
Abseesse zur Ausbildung kommen.
Dass das für so charakteristisch gehaltene Oedem und die
Verfärbung der Haut durchaus nicht allen eitrigen Fällen zu¬
kommen, braucht kaum erwähnt zu werden und dass man mit der
entscheidenden Anwendung der Probepunktion sehr vorsichtig
sein muss, und auch von ihr oft nichts Ausschlaggebendes zu er¬
warten hat, ist namentlich in jüngster Zeit mehr und mehr klar
geworden.
So sieht sich denn der gewissenhafte Beobachter oft genug
schweren Zweifeln oder unerwarteten Erlebnissen gegenüber
gestellt. Scheinbar leicht einsetzende, zunächst langsam und gut¬
artig verlaufende Fälle überraschen durch Perforation in die
freie Bauchhöhle mit allgemeiner Peritonitis und andere, heftig
einsetzende, werden, wenn man dadurch zu früh zum chirur¬
gischen Eingriff sieh drängen liess, ohne dass Eiter gefunden
wurde, eingeschnitten.
Unter solchen Umständen wird man förmlich dazu gedrängt,
nach weiteren und besseren diagnostischen Methoden zu suchen.
So wandten wir uns denn seit über 2 Jahren einer planmässigen
Untersuchung des Blutes, namentlich des Verhaltens der weissen
Blutkörperchen bei unseren Appendieitiskranken zu.
Schon seit Hayem 1 ) und Patrigcon 2 ) ist es be¬
kannt und durch neuere Forscher, besonders Rieder 11 , v. Lim-
’) Du sang et de ses altßrations anatomiques. Paris 1889. —
Derselbe: De la numerntion des globules du sang. Gaz. liebdom.,
Mai 1875.
’) liech, sur le nombre dos globules rouges et blaues du
sang etc. Tböse Paris 1877.
Beide Autoren gedenken schon der entzündlichen und der
durch Eiterbildung bedingten Leukoeytose.
*) Beiträge zur Kenntniss der Leukoeytose. Leipzig 1892.
1
Digitized by
Google
1908
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
beck*), Grawitz") und Ca bot') bestätigt, dass bei akut
entzündlichen Erkrankungen, besonders solchen mit um¬
schriebener Eiterung, die Zahl der weissen Blutkörperchen steigt,
während dies ja bei anderen infektiösen Processen nicht ganz
selten und bei manchen so konstant ausbleibt (Unterleibstyphus),
dass man darauf diagnostische Schlüsse bauen konnte.
Die Zahl der in der fraglichen Richtung während der letzten
2'/_■ Jahre in meiner Klinik eingehend untersuchten Fälle beträgt
60, eine Anzahl anderer ist nicht ununterbrochen oder so kurz
beobachtet, dass sie wohl zur Festigung unserer allgemeinen
Anschauungen, nicht aber als exakte Unterlagen dienen konnten.
Die hier verwerteten Fälle sind meist von der Aufnahme an
täglich ein-, häufig zweimal auf das Verhalten der weissen Blut¬
zellen untersucht *).
Ich kann gleich im Voraus sagen, dass unsere Unter¬
suchungen ein positives und, wie ich glaube, praktisch sehr
brauchbares Ergebniss gehabt haben.
Wenn wir für Erwachsene 8—10 000 weisse Blutzellen im
Kubikmillimeter, bei Kindern um ein geringes höhere Zahlen
als normal annehmen, so liess sich bei der grösseren
Mehrzahl aller Fälle von Perityphlitis gleich
im Anfang des Processes oder doch mit Beginn
der Exsudatbildung eine Vermehrung der
Leukocyten im Blute nachweisen **).
In diesem frühen Stadium der Krankheit ist aber zweifellos
die Leukocytenzahl zeitlich und individuell grossen Schwan¬
kungen unterworfen. Sicher spielt hier die Art der Fälle, viel¬
leicht die Art und Virulenz der pathogenen Mikroorganismen
eine grosse Rolle, abgesehen von anderen Umständen, die wir
noch weniger mit in Rechnung ziehen können oder überhaupt
nicht ahnen.
Während dieser Anfangszeit ist daher auf die absolute Höhe
der Leukocytenzahl nicht allzuviel zu geben, besonders nicht
nach oben hin, wenn auch einmalige Feststellungen von
20—25 000 Leukocyten im Kubikmillimeter zur Vorsicht auf¬
fordern.
Bleibt während der ersten Beobachtungs-
tage die Leukocytenzahl normal oder zeigt
sich nur geringere, vorübergehende Vermeh¬
rung, so kann man in den meisten Fällen
darauf rechnen, dass es nur zu kleineren,
nicht abscodirenden Exsudaten kommen und
auch im Uebrigen der Verlauf leicht und
relativ kurz sein wird.
Ich verfüge über eine Anzahl günstig verlaufener Fälle, wo
sehr früh, (2.—4. Tag) mit der Zählung begonnen werden konnte,
und die weissen Blutzellen dauernd überhaupt nicht oder nur
vorübergehend und geringfügig vermehrt gefunden wurden.
Diese Fälle sind nicht gerade häufig, aber von erheblicher prak¬
tischer Bedeutung. Wenn es hier auch fast immer bei kleineren,
höchstens mittelgrossen Exsudaten bleibt, und fieberhafte Tem¬
peratursteigerung nur ausnahmsweise und dann geringfügig und
vorübergehend beobachtet werden, so ist damit doch erfahrungs-
gemäss durchaus keine Sicherheit gegen den Uebergang in Ab-
scessbildung gegeben. Nur das Verhalten der weissen Blutzellen
gestattet eine solche mit Bestimmtheit auszuschliessen und die
Fälle, auch wenn sie sich länger hinziehen, ohne Bedenken einer
ausschliesslich inneren Behandlung zu unterwerfen.
*) Grundriss einer klinischen Pathologie des Blutes. II. Aufl.
Jena 1896.
J ) Klinische Pathologie des Blutes. Berliu 1896.
c ) A Guide to the elinieal oxamination of tlie blood etc.
Dieses ln Deutschland viel zu wenig gekannte, selbst in
grösseren Rpezialwerken nicht einmnl citirte ausgezeichnete Buch
erweitert die Angaben der früheren Autoren wesentlich und bringt
unter allen bisherigen die weitaus ausführlichsten Angaben.
O. betont nicht allein die Leukocytose bei den verschiedensten
Entzündungsvorgiingen, sondern gedenkt auch ihres Vorkommens
und ihrer Bedeutung bei Perityphlitis.
*) l'm die mühsamen Untersuchungen haben sich meine
Herren Assistenten sehr verdient gemacht. Herr Dr. Müller be¬
sonders noch um ihre Durchrechnung und Zusammenstellung.
**) Meine Angaben beziehen sich vorwiegend auf Unter¬
suchungen bei Erwachsenen. Individuen unter 14 Jahren wurden
nur ln geringer Zahl beobachtet, zeigen aber wahrscheinlich auch
keine anderen Verhältnisse wie jene. Die Zählungen wurden stets
lu bestimmten Morgenstunden ausgeführt, so dass eine Be-
einflussung unserer Ergebnisse durch die physiologische Ver-
•lauungsloukocytosc ausgeschlossen ist.
Einige. Beispiele mögen das Gesagte erhärten.
O. M., 33 jähriger Handarbeiter. Aufnahme am 1. VI. 1899
(6. Krankheitstag) mit derbem, emptindlichem. 3 Finger breit nach
oben vom Lig. Poup. dextr. sich erstreckendem Exsudat.
Tag
Zahl der Leukocyten '
Körperwärme
1. VI. ]
Morgens
9500 j
37,6
2. VI. |
f Morgens
8800
36,6
1 Abends
5000
37,0
8. VI. |
[ Morgens
7000
86,0
1 Abends
5700
36,2
4
VI.
8000
36,4
B. VI. |
( Morgens |
7200
36,2
I Abends 1
6700
36,3
6. VI. Morgens
8200
36,0
Das Exsudat ging stetig und rasch zurück. Am 6. nur noch
eine kleine, flache, druckempfindliche Härte in der Fossa illaca.
Am 13. VI. Ist auch sie völlig geschwunden, so dass Pat ge¬
heilt entlassen werden kann.
W. M., 17 Jahre. Knecht. Aufgenommen 3. I. 1900 (4. Krank¬
heitstag). ly 2 Finger breit oberhalb des Lig. Poup. in der Höhe
der Crist. oss. ilel eine fünfmarkstüekgrosse, derbe, druckempfind¬
liche Stelle.
Tag
Zahl der
Leukocyten
Tag
Zahl d.
Lenk.
8.1.
11600
8.1.
11000
(4. Krkhtag.)
9. L
12000
4.1.
8000
10.1.
9000
5.1.
7500
11. L
7500 bafatliebt mir uehifiikJ
6.1.
6500
12.1.
6500
7.1.
10000
30.1.
geheilt entlassen.
F. G., 15 Jahre, Kellnerlehrling. Aufgenommen 4. II. 1901
(2. Krankheitstag). Zum ersten Mal von Perityphlitis befallen.
Leib mlissig auf getrieben, gespannt und fast überall schmerzhaft
Rechte Ileocoecalgegend bis herauf zum Nabel stark resistent und
besonders druckempfindlich. Gedämpft-tympanitischer Per¬
kussionsschall.
Tag
Zahl der
Leukocyten
6. n.
12000
(4. Krkhtag )
>
7. n.
12000
10. u.
9600
13. n.
9700
15. II.
10200 Erbrechen, Herpes labialis.
19. n.
9800
22.11.
6500
26. II.
6800 Leib ganz schmerzfrei, Exsudat nicht
mehr nachweisbar.
27 . n.
6500 steht auf.
9. III. !
geheilt entlassen.
| Zu diasen von Anfang an und dauernd mit verhältnissmässig
! niedrigen Leukocytenzahlen verlaufenden Fällen ist noch beson-
| ders zu bemerken und aus ihnen zu ersehen, dass, abgesehen von
i den in der Methode gelegenen Fehlem, diese Zahlen in mässigeu
Grenzen zu schwanken pflegen. Ein Ansteigen von einem zum
anderen Tage von 7—8000 auf 10 bis 11, selbst 12 000 beweist,
I wenn es vorübergehend ist, nichts Besonderes.
Auch höhere Leukocytenwerthe bedeuten, wie schon erwähnt,
besonders im Anfang der Affektion und wenn
sie nur kurz dauern, nichts Schlimmes. Wir haben eine
! ganze Anzahl von Fällen gesehen, wo in den ersten Tagen ein¬
mal und selbst wiederholt 15—20000 weisse Blutzellen gezählt
wurden, und Verlauf und Ausgang, ohne dass es zum Abscess
; kam, glatt und günstig waren.
Beispiele dieser Art des Verlaufs bieten die folgenden Fälle:
E. Sch., 25 Jahre, Arbeiter. Aufgenommen am 11. V. 1901
j (3. Krankheitstag) mit mittelgrossem derbem Exsudat.
Tag
Zahl der
I Leukocyten
Tag
! Zahl der
I Leukocyten
11. V.
19200
16. V.
6200
12. V.
! 6000
17. V.
5500
13. V. .
8000
16. V.
4600
14. V.
! 7300
17. V.
5800
15. V.
i 5700
1
An diesem letzten Tage noch ganz geringe, thalergrosse, un¬
empfindliche Resistenz.
11. VI. Geheilt entlassen.
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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1909
A. I)., 25 Jahre, Dienstmann, Aufgenominen am 24. I. 1901
(4. Kraukheitstag) mit einem oberhall) des rechten Lig. Polin,
fühlbaren, hall* hühnerelgrossen, derben, sehr empfindlichen Tu¬
mor. Der übrige Leib massig aufgetrieben.
Tag
Zahl der
Leukocyten
24. I.
18600
(5. Krkhtag.)
26. I.
11200
27. L !
10400
28. I.
10400
29. L
8600
l. n.
8000 Tumor verschwunden.
10. IL
steht auf.
5. I£L
geheilt entlassen.
Besonders interessant, weil er vom 2. Krankheitstag an be¬
obachtet werden konnte, ist der Fall der 19 jährigen Arbeiterin
M. D., die am 20. III. 1900 auf die Abtheilung aufgenommen
wurde. Sie hatte schon am Aufnahmetag eine sehr schmerzhafte,
zunächst nicht scharf abgegrenzte Resistenz der rechten Fossa
iliaca, die nach innen bis zur Linea alba und nach oben in einer
Ausdehnung von 3 Fingerbreite sich erstreckte, um in den fol¬
genden Tagen zu einem deutlich abgreifbnren, fast hühnereigrossen
Tumor anzuwachsen. Leukocytenzahlen und Temperaturverlauf
waren folgende:
Tag
Zahl der
Körper-
Leukocyten
wärme
26 . m.
16600
38,6
27. III. |
20000
12400
37,8
37,6
28. m. |
10400
11400
37,2
37,4
29. in. |
12600
10800
36,6
37,2
30. III. |
7200
8800
36,8
37,4
3i. m.
6800
37,0
Schon vom 30. an begann das Exsudat stetig zurück^ugeheu;
am 5. IV. waren alle Beschwerden im Leib und die objektiven
Erscheinungen verschwunden.
Am 10. IV. konnte dem dringenden Wunsch nach Entlassung
entsprochen werden.
In diesem letzten Falle kam die hohe Zahl von 20 000 Leuko-
cyten zur Wahrnehmung. Darüber hinaus, bis 22 und
25000, gehen, soweit ich bis jetzt beobachten
könnt o, auch auf ein oder wenige Male die
Leukocytenzahlen nicht, wenn der Fall nach¬
her ohne Abscessbildung abläuft. Wo aber selbst
nur ein- oder zweimal 25—30000 erreicht oder
überschritten werden, kann man den Kranken
getrost der chirurgischen Behandlung über¬
lassen. Ich sah in keinem dieser Fälle einen vergeblichen
Eingriff, und pflege jetzt, nachdem ich grössere Erfahrung habe, ,
wenn die ominösen Zahlen festgestellt sind, ohne ganz besondere
Gründe die TTeberweisung nicht mehr durch Fortsetzung der
internen Beobachtung zu verzögern.
Dieses Leukocytenverhalten pflegt besonders mittelgrossen,
rasch sieh entwickelnden, derben, umschriebenen Exsudaten, die
oft unter ganz geringem Fieber oder fieberlos bestehen, zuzu¬
kommen. Es ist darum besonders bemerkenswerth, weil recht
häufig gleich beschaffene Ausschwitzungen, auch ohne eiterig zu
werden, glatt zurückgehen, und beide Formen oft nur
durch das Verhalten der Leukocyten von ein¬
ander zu unterscheiden sind.
Wie werthvoll die Blutkörperchenzählung aber auch bei sehr
grossen, unter lebhaften örtlichen und allgemeinen Störungen
rasch anwachsenden Exsudaten werden kann, bewiesen uns einige
derartige Fälle, bei denen wir früher die Abscessentwicklung für
unausbleiblich gehalten hätten. Allein die dauernd niedrigen
oder nur vorübergehend mässig steigenden Zahlen der weissen
Blutzellen hielten uns hier ab, chirurgisches Eingreifen zu ver¬
anlassen, und in der That sahen wir dann zu unserer Befriedi¬
gung die Rückbildung ungestört von Statten gehen.
Wollte man für solche Fälle annehmen, ee sei doch Eiter vor¬
handen gewesen,und nur eineWiederauf saugung oder Abkapselung
desselben erfolgt, so muss ich einwenden, dass meine Erfahrung,
besonders für grosso Herde, der Möglichkeit eines solchen Er¬
eignisses widerspricht. Gegen einen aus etwaigem Durchbruch
des Eiterherdes in den Darm oder andere Hohlorgane möglichen
Irrthum bewahrte uns die genaue Beobachtung der Fälle, ganz
abgesehen davon, dass, wie weiter unten gezeigt werden wird,
gerade zur Perforation gelangende peri typhlitische Abscesse sehr
eigenartige, leicht zu deutende Leukocytenkurven bieten.
Zwei Beispiele mögen das Gesagte erläutern:
E. F., 17 Jahre, Buchdrucker. Aufgenommeu am 4. Krank¬
heitstag mit äusserst schmerzhaftem, handtellergrossem, derbem
Exsudat. Die von ihm eingenommene Gegend ist kaum zu be¬
tasten und auch in weiterer Ausdehnung der Leib so empfindlich,
dass selbst der Druck der Bettdecke geuirt Schmerz¬
hafter Harndrang, mehrfach galliges Erbrechen. Dazu nicht un¬
bedeutende Temperatursteigeruug (39,9) am Abend des ersten Be¬
obachtungstages.
Bei der klinischen Vorstellung des Falles wurde aus dem
örtlichen und allgemeinen Bilde die Möglichkeit, ja Wahrschein¬
lichkeit des Ausganges in Abscessbildung erörtert, mit der Ueber-
weisung zur chirurgischen Behandlung aber darum gezögert, weil
in starkem Gegensatz zu den übrigen Erscheinungen an den
ersten Beobachtungstagen verhältnissmässig niedrige, in der Folge
nicht erheblich steigende Leukocytenzahlen sich ergeben. Der un¬
gestörte, bei interner Behandlung zur raschen Rückbildung der
Ausschwitzung führende Verlauf gab uns Recht.
Hier die Leukocytenzahlen:
4. Krankheitstag 15400 Leukoc. I 8 Krankheitatag 9300 I^ukoc.
12200
>»
9- „ „
9800
11400
n
io. „ „
10500
n
98u0
n
H-
9800
n
Sehr bemerkenswerth ist, der zweite Fall, der einen lang¬
samen. hartnäckigen, aber schliesslich gleichfalls günstigen Ver¬
lauf bot:
G. W., 18 jähr. Dienstmädchen. Zum ersten Male von Appen-
dicitis befallen. Sehr ausgedehnte, über hühnereigrosse Aus¬
schwitzung unmittelbar über dem rechten Lig. poupart. Derbe
Konsistenz, starke Dämpfung. Schwere Störung des Allgemein¬
befindens.
Verhalten der Leukocyten:
Tag
Zahl der
Leukocyten
Tag
Zahl der
Leukocyten
16. X. !
13000
24.X.
9000
(4 Krkhtag.)'
25.X.
10000
17.X.
19800
26.X.
9200
18. X.
14800
27.X.
12000
19. X.
18000
28.X.
11800
20. X.
10400
29 X.
9600
Der Tumor beginnt kleiner zu
30 X.
7600
werden.
31.X.
8800
21.X. I
20200
i n.
9800
22.X. |
9200
Jede Geschwulst verschwunden.
23.X. i
106« K)
23. II.
geheilt entlassen.
Ganz anders wie die bisher beschriebenen verhalten sich
die in Abscedirung ausgehenden Fälle.
Mögen die Exsudate klein oder gross, nur unvollkommen
fühlbar sein, kein Fluktuationsgefühl zur Wahrnehmung, kein
nennenswerthes Fieber zu Stande kommen lassen oder selbst ganz
fieberfrei verlaufen, fast immer ist das Verhalten der weissen
Blutzelleu so charakteristisch, dass es diagnostisch ausschlag¬
gebend und oft vor Feststellung anderer bezeichnender Erschei¬
nungen entscheidend für die Verweisung in chirurgische Be¬
handlung wird.
Dies Verhalten geht dahin, dass die Zahl
der weissen Blutzellen schon sehr bald nach
Beginn des entzündlichen Processes, vom 2.,
selbst 1., Tage an oder nach mehreren meist nur
wenigen Tagen zu sehr hohen Werthen sich er¬
hebt und, mit meist nur geringen Schwan-
ungen nach unten, auf der erlangten Höhe
bleibt oder noch weiter steigt.
Das Wesentliche ist hier nicht die absolute Grösse der Zahl,
wenn sie auch nicht ohne Bedeutung ist, sondern ihr Tage langes
Andauem und selbst Wachsen.
Kommen die Kranken, was im Hospital nicht gerade häufig,
schon vom 1. oder 2. Tage an zur Beobachtung, so können bei
erheblichem Fieber und wesentlichen örtlichen Beschwerden zu¬
nächst noch normale oder wenig gesteigerte Leukocytenzahlen
festgestellt werden. Steigen sie darnach aber und bleiben sie
dauernd hoch, so deutet dies mit Sicherheit auf eingetretene Ab-
8cediruug.
1 *
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1910
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Zuweilen, zweifellos in sehr akut sich entwickelnden und be¬
sonders rasch fortschreitenden Fällen findet man schon in sehr
früher Krankheitszeit, am 3., selbst 2. Tage, sehr erhebliche direkt
auf Abscessbildung hinweisende Leukocytenwerthe. Als charak¬
teristischen Beleg hiefür mögen die folgenden Fälle dienen:
B. M., 17 Jahre, Laufbursche, wird am 15. X. 1899. am Anfang
des 3. Krankheitstages, aufgenommen. Ueber dem rechten Lig.
Poup. eine handtellergrosse druckempfindliche, leicht gedämpfte,
wenig resistente Stelle. Ein umschriebener Tumor ist zunächst
nicht erweisbar. Zahl der weissen Blutzellen und Temperaturen:
Tag
Zahl der
Leukocyten
Körper¬
wärme
15. X. i
83 =.0
39,4
(3. Krkhtag.) 1
16 X.
10200
39,0
17.X.
26250
3h, 3
1 * X.
•-'90<>0
38,0
20 X
34000
38,2 Resistenz deutlicher.
21 X.
39=00
3h, 3 Verlegung zur rhir Abthei-
lang Incision. Entleerung mitu* grosser Menge stin-
kenden Eiters
und eines Kothsteines.
Eibrechen und Schmerz in der Ileoeoecalgegend erkrankt
Aufnahme am 11. IV. Gegend über dem rechten P o u p a r t’sehen
Baude aufgetrieben, sehr druckempfindlich, massig gedämpft.
A. Sch., löjiihr. Dienstmädchen, am 9. IV. 1900 Abends mit
Kein distinkter Tnmor fühlbar. Urinentleerung spontan un¬
möglich. Katheter.
Temp. M. 38,2. Ab. 39,1. Weisse Blutzellen 30 800. Am fol¬
genden Morgen bei 38.6 Temp. 28 800 Leukocyten. Trotz relativ
niedrigen Fieberstandes und nicht deutlicher örtlicher Veränder¬
ungen, besonders Fehlen von umschriebener Härte und Fluk¬
tuation, in Anbetracht der hohen Leukoc.vtose Verlegung zur
chirurgischen Abtheiluug, wo sofort operirt und eine mässige
Menge stinkenden Eiters entfernt wurde. Darnach glatte Heilung.
Entlassung am 22. V. 1900.
Treten die Patienten nach längerem Bestehen
der Krankheit in Behandlung und finden sich
dann sofort sehr hohe Leukocytenwerthe, so
spricht dies mit grosser Bestimmtheit dafür, dass bereits Abscess¬
bildung besteht, selbst dann — und das Untersuchungsergebniss
ist in solchen Fällen besonders werthvoll — wenn die örtlichen
Erscheinungen noch unsicher und wenig ausgesprochen sind. Wir
sind im Laufe der Zeit dazu gekommen, in solchen Fällen schon
nach ein- bis zweitägiger Beobachtung, bei besonders hohen
Zahlen sogar sofort nach der ersten Zählung zur Operation zu
rathen.
Beispiele:
E. D., 31 Jahre. Kutscher, aufgenommen am 12. VI. 1901, am
2. Krankheitstag, mit einem fast faustgrossen, im Wesentlichen
retroperitonealen entzündlichen Tumor. Ziemlich bedeutende
Schmerzhaftigkeit. Geringes Fieber Morgens 38.4, Abends 38,9.
Leukocyten 25 800, am folgenden Tag 26 600. Sofort zur chir¬
urgischen Abtheilung verlegt Incision. Entleerung von reichlich
y 2 Liter stinkendem Elter.
Tag
Zahl der
Körper-
Leukocyten
wärme
12. VI.
25800
38,4
13 VT /
VA ‘ \ Abends
26600
38 , 1 Incision. ’/* Liter Eiter.
21000
40,1
14. VI.
16400
36,9
15 VI.
8000
36,6
17. VI
92-0
36,3
Ich glaube, es ist kein Zufall — wenigstens sprechen unsere
bisherigen Beobachtungen dafür — dass auch bei den in Abscess¬
bildung ausgehenden Appendicitisfällen durchschnittlich nicht
allzu hohe Zahlen von weissen Blutkörperchen festgestellt werden,
nicht so hohe namentlich wie man sie bei manchen anderen
akuten infektiösen Processen, z. B. bei der fibrinösen Pneumonie,
zu treffen pflegt. Die Zahlen von 32—35 000 wurden nur in der
Minderzahl unserer Fälle überschritten. Durchschnittlich be¬
wegten sich die Leukocytenwerthe um 25—30 000. Bis zu
40 000 sah ich sie nur ganz vereinzelt steigen und nur einmal
darüber hinauskommen.
(Schluss folgt.)
Aus der I. chirurgischen Abtheilung dos Stadlkrankenhauses
Friedrichßtadt zu Dresden.
Beiträge zur Nierenchirurgie.
Von II. L i n d n e r.
I. Heber Verletzungen der Vena cava bei der Nephrektomie.
Am 3. VI. 1901 wurde auf meiner Abtheilung im Augusta-
hospital der 62jühr. Franz P. aufgenommeu wegen eines mauns-
kopfgrossen Tumors der rechten Niere, der als Carcinom an-
gesprochen wurde. Der grosse, von Hause aus recht kräftige
Mann war ln der letzten Zeit stark abgemagert, klagte über ausser¬
ordentlich heftige Schmerzen und verlangte dringend eine Ope¬
ration, trotzdem ihm gesagt worden war, dass er möglicher Weise
auf dem Operationstisch sterben würde. Was mich bestimmte,
schliesslich dem Drängen des Pat. nachzugeben, war der Umstand,
dass der Tumor trotz seiner Grösse doch den Eindruck ziemlich
freier Beweglichkeit machte und daher die Hoffnung, wenigstens
für einige Zelt dem Träger Linderung seiner hochgradigen Be¬
schwerden zu gewähren, nicht ganz ausgeschlossen erschien. Von
einem sehr grossen, von den Rückenstreckern bis beinahe zur
Mittellinie des Leibes reichenden Schrägschnitte aus liess sich
die Geschwulst in der That ohne allzu grosse Mühe und ohne allzu
starke Blutung frei machen, so dass sie bis auf einen nicht über¬
mässig dicken Stiel ln der Gefässgegend umgangen und vor¬
gezogen werden konnte. Ehe ich sie vor die Bauchdecken wälzte,
instruirte ich meinen ersten Assistenten, dass er sofort nach den
Gefässen greifen sollte, da ich auf eine heftige Blutung gefasst war,
sowie ich sie aber etwas anzog, fuhr sie plötzlich aus der Bauch¬
höhle heraus und aus der Tiefe ergoss sich ein enormer schwarzer
Blutstrom, so dass eine ausgedehnte Verletzung der Cava ange¬
nommen werden musste. Ich sah sogleich, dass diese zerrissen
war, es gelang mir aber a tempo, die beiden Enden mit laugen
Arterienzangen zu fassen und zu unterbinden. Das Bild, welches
das Operationsfeld darbot, wird wohl jedem der bei der Operation
Anwesenden unvergesslich sein: Wie zwei grosse blaue Würste
bäumten sich bei jedem Herzstoss die beiden unterbundenen Ge-
fässenden in der Tiefe des Abdomens auf. Leider hatte ich das
distale Ende zuerst gefasst und unmittelbar darauf ein deutliches
Schlürfen gehört, Pat. verfiel rapid und starb kurz nach Vollen¬
dung der Operation. Die Sektion ergab, dass die Cava in der
Länge von mehreren Centimetern vom Carcinom durchwaehseu
gewesen und dieses Stück beim Anziehen des Tumors aus dem
Gefäss ausgefallen war. Der Tod war durch Lufteintritt in’s Herz
verursacht; die Unterbindung war so rasch ausgeführt worden,
dass eine verhängnisvolle Anaemie nicht zu Stande gekommen
war. In der Umgebung der unterbundenen Venenstümpfe fanden
sich noch reichliche Carcinommassen.
Dieser Fall von Zerreissung und doppelter Unterbindung der
Cava dürfte wohl einzig in seiner Art dastehen, Bedeutung hatte
er damals, als er beobachtet wurde, nur als operationstechnisches
Curiosum, jetzt liegen die Verhältnisse insofern anders, als wir
inzwischen gelernt haben, die Verletzung auch der grössten Venen
mit anderen Augen anzusehen. Was die Cava betrifft, so hat
B o 1 1 i n i neuerdings in einem Falle von praevertebralem Drü¬
sentumor den zwischen 2. und 3. Lendenwirbel gelegenen Theil
derselben resezirt und den betreffenden Patienten 2 Jahre am
Leben bleiben sehen, Purpura (della legatura della vena cava
inferiore. Riform. med. 1899, No. 195) hat an Hunden Versuche
gemacht und gefunden, dass man das Leben sehr wohl erhalten
kann, wenn die Cava unterbunden wird zwischen Zusammen¬
fluss der Iliaca und der Leber, schwieriger, wenn die Unterbin¬
dung über den Venae renales erfolgt, leichter, wenn sie unmittel¬
bar unter denselben stattfindet; im letzteren Falle erfolgt der
Ausgleich der Circulation durch die Plexus spinales
anteriores, durch die linksseitigen Beokenvenen, in zweiter
Linie durch die Venen der Bauchwandungen und die Vena
mesaraica inferior, im ersteren Falle durch die Vasa pro-
pria der Vene, durch die Venen des Nierenparenchyms und der
Nierenkapsel, die Plexus spinales anteriores, die Venen der Bauch¬
wand und die Vena meseraica inferior. Es wird also hiernach
gestattet sein, in vorkommenden geeigneten Fällen die Vena cava
doppelt zu unterbinden. Ist eine vollständige Ausschaltung dieses
wichtigen Gefässes ohne direkte Gefährdung des Lebens möglich,
so wird um soviel mehr die Einengung seines Strombetts ohne
Gefahr ertragen, also die Entfernung eines Stücks seiner Wan¬
dung mit nachfolgender Naht ausgeführt werden können. Wenn
wir die bekannt gewordenen Fälle von Verletzung der Cava bei
Nierenexstirpation überblicken, so sind zunächst diejenigen —
das sind bis auf einen Fall alle — zu nennen, bei denen diese Ver¬
letzung unabsichtlich erfolgte. Die Zahl der so gesetzten Ver¬
letzungen in der Literatur ist keine grosse, ich habe nur 8 Fälle
auffinden können, möglich wäre es allerdings, dass ich einen oder
den anderen übersehen hätte, für die Zwecke dieser Arbeit sind
aber auch diese 8 hinreichend. Die eingreifendste Läsion der
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1911
26. November 1901.
Vena cava ereignete sich bei einer Nephrektomie wegen Pyelitis
calculosa dextr., die B i 11 r o t h ausführte (Brenner, Beitrag
zur Kasuistik der Nephrektomien. [Aus der B i 11 r o t h’schen
Klinik.] Wien. med. Woehensehr. 1885, No. 32—34). Mittels
Lumbalschnitts wurde die kindskopfgrosse Geschwulst freigelegt
und, nach Punktion und Entleerung von viel stinkendem Eiter,
die Auslösung derselben vorgenoramen. Als man in die Gegend
der Gefiisse kam, trat plötzlich eine heftige Blutung ein, die durch
Kompression gegen den vorderen Wundrand zunächst zum Still¬
stand kam. Da nach Auslösung der Niere und Abklemmung des
Stiels die Blutung sehr heftig sich erneuerte, musste der Opera¬
teur den Finger in ein weitklaffendes Venenlumen einführen und
unter vorsichtigem Zurüekziehen des Fingers das Gefäss durch
3 Seidenligaturen sehliessen. Pat. starb 1 Vs Stunden p. op.; die
Sektion ergab, dass nicht, wie angenommen worden war, die stark
erweiterte Vena renalis, sondern die V. cava unterbunden wor¬
den war.
Bei den übrigen Fällen handelte es sich um umschriebene
Verletzungen der Venenwand. Der älteste und bekannteste ist
der von Lücke (Deutsch. Zeitschr. f. Chirurg. XV, pag. 518.
1881).
Bel der Exstirpation eines rechtsseitigen Xierenearcinoms,
1. VIII. 80, mittels Laparotomie (Mediansehnitt) riss der Tumor
beim Herausheben plötzlich ab und fiel auf den Boden und im
Moment füllte ein schwarzer Blutstrom den Abdoininalrauiu. Es
wurden karbolisirte Schwämme und Karbolgaze in das Abdomen
gepackt und mit den HUmlen ein starker Druck ausgeübt. Puls
und Kespiration des Kranken blieben unverändert. Der Druck
wurde mehrere Minuten lang fortgesetzt, dann ein Stück Gaze,
ein Schwamm nach dem anderen fortgenommen; es wurde nun
ein mehrere Oentimeter langer Strang gefühlt, mit der Schiebor-
pincette gefasst und nebst noch mehreren anderen mit Catgut
unterbunden. Die Blutung trat nicht wieder auf. Es wurde nach
der Operation kein Urin abgesondert. Tod am 4. Tage p. op.
Bei der Sektion fand man die Cava mit ihrer vorderen Wand auf
einer Strecke von 7 cm in der Operationshöhle zu Tage liegen,
in ihr ein Schlitz von 15 mm Länge, keine Unterbindung an der¬
selben. Linke Niere hochgradig verändert, daher die den Tod
herbeiführende I'raemlc.
ln diesem Falle hatte eine kurzdauernde Kompression ge¬
nügt, die Blutung aus der verletzten grossen Vene zum Ver¬
schwinden zu bringen, dieselbe kehrte bis zum Tode nicht wieder,
so dass erst die Sektion die Verhältnisse aufklärte.
Diesem L ü e k c’schen Falle schliesst. sich ein solcher von
Sociu au (Bräuninger: Beiträge zur Nierenchirurgie.
Beitr. z. klin. Chirurg. XVtlI, pag. 486):
45jühr. Mann. Nephrektomie wegen rechtsseitiger l’yo-
nephrose am 13. II. 1896. Beim Versuche, die freigelegte Niere
auBzußehülen, erweist sich diese als sehr brüchig, reisst vielfach
ein. Heftige Blutungen aus den Adhaerenzen und Einrissen, die
nur schwer zu stillen sind. l)a auf diese Weise Stielbilduug un¬
möglich ist, sucht man intraperitoneal zum IIHus und den Ge-
fässen zu gelangen. Verlängerung des Schnittes nach vorn, breite
Eröffnung des Peritoneums. Abklemmung des Hilus summt Ge¬
wissen. Abtragung der Niere summt Kapsel vor der B i 11 r o t li -
sehen Klammer; plötzlich sehr heftige venöse Blutung aus der
Gegend der Vena cava (Riss?). Nach vielen vorgeblichen Ver¬
suchen. die Quellen der Blutung zu fassen, gelingt es endlich.
Tod 24 Stunden p. o. Sektion; ln der V. cava Inf.. 2 ein unterhalb
der Elnmündungs8telle der Vena renalis dextr. am vorderen rechten
Umfange ein linsengrosses Loch mit unregelmässigen, zerrissenen,
etwas gewulsteten Rändern.
Auch in diesem Falle wurde erst durch die Sektion die Ver¬
letzungsstelle genauer erkannt.
Hier schliesst sieh ein zweiter von mir beobachteter Fall an:
Bel dem 35 jähr. Arbeiter B. exstirplrte ich im Mai 1898 eine
rechtsseitige, stark vergrösserte tuberkulöse Niere, die besonders
ln ihrer oberen Hälfte sehr fest verwachsen war. Bel der Lösung
dieser Verwachsungen erfolgte plötzlich von der Gegend der Vena
cava her eine ganz enorme Blutung. Nach rascher Aushülxung
der Niere und Unterbindung des Stiels gelang es nicht, die Quelle
der fortdauernden heftigen Blutung zu Gesicht zu bekommen, die
Blutung stand nach vieler Mühe auf sehr fest»* Tamponade
mittels zahlreicher grosser Mullkompressen. Es trat eine reich¬
liche Eiterung ein. die lange Zeit s»*br übelriechend war. die aber
nach allmählicher Entfernung sämmtllcher Kompressen rasch ver¬
schwand. Pat. genas. — Di* ganz enorme Blutung Hess keine
andere Deutung zu, als dass eine Verletzung der Venenwand selbst
statt gefunden haben musste.
Die übrigen 4 Fälle haben »las Gemeinsame, dass schon wäh¬
rend der Operation die Verletzung «1er Vene mit Sicherheit fest-
gestellt und durch Naht resp. Abklemnuing geschlossen wurde,
indessen gelang es in keinem derselben, dadurch einen Dauer¬
erfolg zu erzielen, särnmtliche Patienten starben, wenn auch nicht
in Folge der Gcfiissvcrlctznng. Tn alphabetischer Reihenfolge
Mo, 48
nach den Namen der Autoren folgen die betreffenden Kranken¬
geschichten.
Busse (Virehow's Arch., Bd. 157, pag. 353): 57jähr. Frau.
Seit ungefähr 1 Jahre rasch zunehmende Geschwulst der rechten
Seite. Beschwerden gering. Urin vermehrt und hin und wieder
stark elweisshaltig. Brechreiz. Kolon nach der Medianlinie ver¬
schoben, vor dem Tumor gelegen. Kräft»*zustand befriedigend.
Diagnose: Carcinoma renls dextr. Nephrektomie (II e 1 f e r 1 c h)
3. XL 1895, in Chloroformnarkose. Vena cava aseendens ange¬
rissen, das Loch durch die Naht geschlossen. Seitdem mir noch
wenige Kubikcentiineter Uriu entleert. Exitus 2 Tage später.
Sektion ergab keine Metastasen in anderen Organen. Linke Niere
gesund.
G rohO (Deutsche Zeitschr. f. Clilr., Bd. 60, pag. 31): 60jähr.
Frau. Adenocarcimnna renls dextr. Nephrektomie (Riedel)
26. II. 1900. Schnitt längs des r. Muse, rectus. Darm liegt vor
dem Tumor, Gallenblase enthält zahlreiche Stein»*, Wurmfortsatz
nach oben verlagert. Duvchtrenuung dos hinteren Peritoneums.
Der Nierentumor wird unter ziemlichen Schwierigkeiten heraus
geschält. Unterbindung der Gefässe des Stiels einzeln, sie scheinen
in der Gegend des oberen Pols einzumiinden. Um die V. cava
herum ein grösseres Drüsenpnquet, das wich so fest an diese g«>-
lag»*rt hat, dass ein linsengrosser Defekt in ihrer Wand entst»»bt.
der sofort durch die Naht geschlossen wird. — Pat. bleibt dauernd
souuiolent, stirbt am 27. 11. Die seit der Operatioii gelassene
Urinmenge betrug ca. 200 ccm. Autopsie ergibt allgemeine Anaemie
und Marasmus.
Israel (Chirurg. Klinik der Nierenkrnnkheiteu. Berlin 1901,
pag. 506); Hypernephrom der Huken Niere. Nephrektomie 5. IX.
1899. Lmnbo-alxlominaler Querschnitt, auf den später ein ab¬
steigender Schenkel in der Richtung des Ureters gesetzt wird.
Niere subscapulär enucleirt. die sichtbaren Stielgefässe werden
nach Anlegung von Klemmzangen »lurchschnitten. Bel der Lu¬
xation der Niere flt‘1 es auf. dass sie durch einen daumendicken,
vom Hilus ausgehenden, nach den grossen Gefässen hin verlaufen¬
den Strang festgehalten wurde. Nach Abtragung der Niere sieht
inan in der Tiefe der Wundhöhlc ein stark t1ngerdlek**s. unregel¬
mässig walzenförmiges Gebilde, wel«-hes zunächst für eine ent¬
artete Lymphdrilse gehalten wird. Nach seiner im Wesentlichen
stumpfen Auslösung, die bei »1er Lage nabe »1er Wirbelsäule nur
unter Leitung »les Gefühls geschehen konnte, »luillt ein profuser
Strom schwarz«*» V«*nenbluts hervor, dessen Quelle die Vena cava
ist, an »leren linker Keitonwand ein Loch entdeckt wird. Dies«*s
wird durch zwei «lit* Defektränder fassende Klemmzangen ver¬
schlossen. Nun wird «lie mit »1er Proprla zu einer untrennbaren
Schwarte verbundene Adiposn exstirpirt. Die beiden wandstäudig
an der V. cava hängenden langen Kleinmznngeu werden aus der
Bauchwand herausgeleitet, Im Uehrigen wird diese, nach Tampo¬
nade der Höhle, durch Nähte g»*seblossen. Tod 11 Tage p. op. unter
Erscheinungen, »lie auf fortschreitende Thrombosirung der V. cava
deuten. Keine Sektion.
Schede (Arch. f. kli». Chirurg. XLI1I. pag. 338: Carcinoma
renis dextr. Nephrektomie 25. XI. 1892. Schnitt vom Rande des
Saero-lumbalis. 1 cm unterhalb der 12. Rippe und mit dieser
parallel etwa 20 cm lang nach vorne geführt. Bei der Grösse und
geringen Beweglichkeit des Tumors wurde dann noch die Re¬
sektion «1er 12. Rippe nothwendig. Bald zeigte sich, dass »li«*
Geschwulst in grosser Ausdehnung mit »lern Peritoneum ver¬
wachsen war. Dieses wurde daher eingeschnitten und mit der
in die Bauchlmhle «‘Ingoführten Hand die Geschwulst nach aussen
gedrängt und nllmählicli unter grossen Anstrengungen gelöst. Ein
etwa hamlgvosses Stück l'eritoueum musste mitentf«*rnt werden.
Schliesslich lag «He Geschwulst ringsum frei, aber der Stiel war
so auss«*rordentH»-li kurz, «lass eine isolirte Unterbindung «l«*r Hilus-
gefäss»* unmöglich war. er wunle <l»*sshalh mit einer elastischen
Ligatur uii)s«-lmürt und vor derselben nbgesehnltt»*n. Nach der
Naht d«*s Periton«*m»s zeigt sich, «lass die elastische Ligatur die
Waml der Cava mitgefasst hat: unter Kompression «1er Vena ölten
und unten Lösung »l**r Ligatur, und als eine sehr heftige Blutung
aus der linken Renalis eintritt. Ahklemmung mittels konvergirend
nugelcgter Arterienpinzetten. Es bleibt ein 2 ein langer Defekt
in d«*r Wand der Cava, der »Inreh fortlaufende Naht geschlossen
wird. Tod 18 Tag«* p. op. in Folge von akuter, hochgradiger,
fettiger D»*gcnerati«m «1er Leber, des Herzens und der linken Niere.
Die V. cava war mit flüssigem Blute g«*fiillt: keine Thromben-
bildung. die Wnmle «ler Intima verbellt, die Lumen des Gefiisses
entsprechend der Nahtstelle in merklicher Weise verengt.
Wie aus dieser Uebersicht hervorgeht, wurde nur in dem
I s r a e l’schen Falle hei linksseitiger, sonst in allen Fällen —
auch in dem letzten, unten zu referirendon Falle — bei rechts¬
seitiger Nephrektomie die Cavavcrletzung lxx>baehtct, eine Er¬
scheinung, die sich aus den anatomischen Verhältnissen leicht er¬
klärt. Das Studium der geschilderten Fälle ergibt das inter¬
essante Resultat, dass es stets gelungen ist, der Blutung aus der
vorletzten Ilnuptvene Herr zu werden, ein» die Anaemie einen be-
drohli«*hen Grad erreicht hatte, «lass die Blutung in keinem Falle
die Todesursache g«*bildet hat. und «lass überhaupt, mit Ausnahme
meines ersten Falles, in welchem Lufteintritt in’s Herz, und d«*s
Israelischen, in welchem fort schrei t«*i ule Thrombosirung der
Cava als Todesursache angenommen werden musste, die Folg«*»
der Gelass Verletzung für den Ausgang der Operation ohne Be¬
deutung geblieben sind, wir dürfen danach den Schluss machen.
a
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1912
MUENCJHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
dass wir berechtigt sind — besonders auch in Hinblick auf deu
Eingangs erwähnten Fall von B o 11 i n i —, die Cava in opera-
tiousteohnischer Beziehung den anderen grossen Körpervenen
gleichzustellen, bei denen wir, wenn es erforderlich ist, Resek¬
tionen aus der Kontinuität, wie von Theilen der Wandung, ohne
jedes Bedenken vorzunehmen gewöhnt sind. Diese Betrachtung
leite t uns über zu der zweiten Kategorie von Verletzungen der
Cava, nämlich zu den mit Absicht gesetzten, einer Kategorie, die
bisher in der Literatur unseres Wissens nur durch einen FaLl
vertreten ist, aber einen Fall, der geeignet ist, uns mit der
grössten Bewunderung für den Operateur zu erfüllen, wir meinen
den im Centralbl. f. Chirurg. 1899, pag. 7b3, veröffentlichten
von v. Zöge-Man teuffei:
Exstirpation eines Nieren carcinoins mit Re¬
sektion eines Careiuomknoteus aus der Wand
der V. cava. Heilung. 4!)jähriger Manu. Carcinoma reuis
dextr. Nephrektomie 17. 111. IS99. Niere haftet nach Enucleatiou
und Unterbindung der Nierengeiasse in der Gegend der Wirbel¬
säule fest, es wird datier Peritoneum und Kolon mediauwärts
abgehoben und das erstere eröffnet. Es findet sich Folgendes: Der
Tumor sitzt der V. cava mit einem (> cm breiten und 1 cm dicken
Stiel direkt auf, oder ist vielmehr in genannter Ausdehnung durch
die Venenwand hindurchgewachseu. Er bildet im Innern der
Vene einen weissschimmernden, ca. 10 cm laugen und reichlich
fingerdicken Fortsatz, von dem noch weitere astförmige Appeu-
dices im Strom des venösen Eluts aufwärts llotlireu. v. Z.-M.
legte nun, um das Eoslosen und Verschleppen von Bröckeln zu
verhüten, dicht unter dem Zwerchfell, 1 Zoll über dem letzten
liottireuden Fortsatz, eine weiehlcderude, mit Gummidraius über¬
zogene Magenklemme au die V. cava, dann trennte er den Haupt¬
tumor so ab, dass noch eiu guter Stiel au der Vene sitzen blieb,
ergriff diesen und Umschnitt mm, während der Assistent die Vene
unterhalb gegen die Wirbelsäule komprimirte, die earciuomatöse
Partie der Gefässwaud im Gesunden. Die etwa 0 cm lauge und
*J >/2 cm breite Oeffuung schloss der leicht abgezogene Tumor ab;
als aber der Tumor entfernt wurde, stürzte aus der V. renalis der
anderen Seite eiu Blutstrom heraus, v. Z. schloss durch Druck
mittels der äusseren Kaute der r. lland das blutende Gefäss und
nabte mit der linken Hand fortlaultud die Vene zu, legte daun
noch eine zweite Nahtliuie darüber und zog das anliegende Binde¬
gewebe mit einer Knopf naht herüber. Nach Entfernung des Kom-
pressoriums, das ca. 15 Minuten gelegen hatte, ging der venöse
Strom m dem auf die Hälfte seines eigentlichen Lumens reducirten
Gefitsse normal wieder vor sich. Der bis dahin schlecht und kaum
fühlbar gewesene Puls wurde nach 2 Minuten wieder gut und
voll. Der Pat. verliess am 20. Tage p. op. geheilt das Krankenhaus.
Der Werth der hier referirteu Fälle von Verletzung der Vena
cava bei Niercncxstirpatiou, besonders des v. Z.-Mäschen von ziel¬
bewusster Exstirpation eines Geschwulstzapfens, ist nicht nur der
von (Juriosis, für die Nierenehirurgie werden sie voraussichtlich,
wenn auch bei seltenen Gelegenheiten, Bedeutung gewinnen
können, und es dürfte von manchen derselben noch das Wort
gelten: Meminisse juvabit. J. Israel, einer unserer hervor¬
ragendsten Meister der Nierenchirurgie, hat uns soeben in seiner
vorzüglichen „Chirurgischen Klinik der Nierenkrankheiten“ ein
Bild von dem gegenwärtigen Stande dieses wichtigen Zweiges
der Chirurgie nach seinen ausgedehnten Erfahrungen gezeichnet;
nicht der geringste Vorzug dieses schönen Werkes ist die Mässi-
gung und Vorsicht in der Stellung der Indikationen, aber auf
der anderen Seite zeigt dasselbe auch wieder, wie schöne und
dankensweitlie Früchte ein kühnes und zielbewusstes Vorgehen
im geglichenen Falle zeitigt; wissen wir, dass uns durch die
Rücksicht auf die Integrität der V. cava keine Grenze gesteckt
ist, so dürfte es in so manchem Falle gelingen, bessere und
dauernde Erfolge, besonders auch bei bösartigen Tumoren und
ihren Metastasen, zu erzielen. Der v. Z.-M.’sehe Fall wird dafür
ein glanzendes Vorbild sein.
II. Ein seltener Fall von Nieren Verletzung.
Der nachfolgend referirte Fall von Nierenverletzung wird
jedenfalls zu den äusserst seltenen gehören und bietet nach so
mancherlei Seiten praktisches Interesse, dass sich seine Ver¬
öffentlichung rechtfertigen dürfte.
Ein 19 jähriges Hausmädchen wurde am 22. III. 1901 auf
meine Abtheiluug gebracht, nachdem es kurz vorher von einer
Leiter rücklings ca. 1 m hoch herab und auf die rechte Seite
gefallen war. l’at. hatte sofort Schmerzen in der linken Seite des
Unterleibes verspürt. Die mittelkriiftige. graeile, sehr blasse Pat.
zeigt ängstlichen Gosichtsausdruck, macht einen schwerkranken
Eindruck. Der Leib ist im Ganzen weich, etwas empfindlich, zwi¬
schen linkem Rippenbogen und Darmboinkamm eine nach vorn bis
zur Mamniillarliuie reichende Resistenz fühlbar, die bei Betastung
schmerzhaft Ist. bei leiser Perkussion gedämpft erscheint, keine
Fluktuation darbietet. Kein freier Erguss in abdomine. Uriu
ohne Abnormität, in specie ohne Blut. Diese Resistenz nahm
No. 48.
nicht wesentlich zu, dagegen wurden die Schmerzen heftiger, es
trat einmaliges Erbrechen auf, Pat fing an zu fiebern und machte
einen schlechten Gesammteinilruck. Urin normal. Die Wahrschein-
lichkeitsdiagnose lautete auf eine Verletzung des Tankreas. Am
25. III. erölTuete ich durch einen ca. 15 cm langen Schnitt vor der
Crista il. inf. die Bauchhöhle und kam sofort auf einen wallartigen
dunkelblauroth aussehenden, länglichen, sich etwas schräg von
oben hinten nach innen unten erstreckenden Tumor, den ich als
das auseinamlergetriebene Mesokolou descendens erkannte. Aus
der Bauchhöhle floss eine mässige Quantität duukleu Bluts. Ich
ineidirte das Mesokolou, dessen Blätter durch eine grosse Menge
thcils llüssigen, tlieils geronnenen Bluts stark auseinandergedrängt
erschienen, entleerte einen grossen Theil des Blutes und gelaugte
in eine sieli nach oben nach der Gegend der linken Niere hin er¬
streckende Ilöhle, konnte aber in derselben, die mit Gerinnseln
erfüllt war, etwas Genaueres nicht fest stellen. Da die Blutung
ziemlich stark war, tamponlrte ich die Höhle Im Meeokolon und
die Bauchhöhle rings um die Wunde im Mesokolon. Nach der
Operation fiel das Fieber zunächst, stieg aber dann wieder an,
ohne irgend hohe Grade zu erreichen, nach 14 Tagen trat für
längere Zeit Entfieberung ein. später kamen wieder Zeiten eines
massigen, remittireuden Fiebers, ohne dass sich jedesmal ein deut¬
licher Grund dafür auffinden liess. Vom 4. Tage p. op. trat eiu
reichlicher Urinabfluss aus der Höhle im Mesokolon auf und
(lauerte etwa 4 Wochen au, dann trat allmählich Schluss der
Fistel ein. Der Urin aus der Blase war dabei dauernd ohne jede
Abnormität. Später bildete sich noch eine kleine Kotlifistel iui
Kolon descendens aus. die schliesslich durch die Naht geschlossen
werden musste. Am 17. VIII. wurde Pat. geheilt und iu vor¬
züglichem Allgemeiuzi!8tande entlassen. Der Leib war ganz weich
und schmerzlos, eine nennenswerthe Resistenz in der linken Seite
nicht mehr vorhanden, von Seiten der Nieren bestanden keine
krankhaften Erscheinungen.
Die Erklärung für diese merkwürdige Beobachtung kann
wohl nur dahiu lauten, dass es sich um einen Einriss in den
unteren Pol der linken Niere gehandelt hat, der nur gerade das
Nierenbecken an einer kleinen Stelle eröffnete, so dasB kein Blut
in dasselbe hinein-, wohl aber Urin aus ihm herausgelangen
konnte. Immerhin ist es sehr merkwürdig, dass bei einer ver-
hältnissmiissig so geringen Verletzung eine so starke Blutung
auf trat und dass sie gerade den Weg nach unten in das Meso¬
kolon einschlug, während doch in den allermeisten Fällen von
Nierenverletzung sich das Blut in der Umgebung der Niere in
der Lumbalgegend anzusammeln pflegt, es kann dies nur dadurch
verstanden werden, dass der Riss auch in ausgedehnterem Maas?e
die Capsula adiposa betheiligte. Auch das Zustandekommen
einer derartigen Verletzung der linken Niere, zweifellos einer
„Abreissungsverletzung“, durch Fall auf die rechte Seite, dürfte
nicht häutig Vorkommen. Es ist mir nicht gelungen, in der
Literatur eine ähnliche Beobachtung aufzufinden.
Aus dem Allgem. Krankenhause Hamburg-Eppendorf. Chirur¬
gische Abtheilung von Dr. K ü m m e 11, I. chirurg. Oberarzt.
Zur Beeinflussung der Ausfallserscheinungen bei¬
derseitig kastrirter Frauen durch Ovarialpräparate.
Von Dr. A. F 1 o c k e m a n n, Assistenzarzt.
Die Bearbeitung von 135 Fällen, bei welchen Dr. Kümmell
bis Ende April 1901 wegen entzündlicher Adnexerkrankungen
die Laparotomie ausgeführt hat, gab mir auch Anlass, an diesem
Material die Wirksamkeit der Eierstockstherapie bei der opera¬
tiven Klimax aus eigener Anschauung kennen zu lernen.
Bekanntlich kommt es durch die vollständige Entfernung
beider Ovarien bei gcschlechtsreifen Frauen zum Auf hören der
Menses und meist auch zu Erscheinungen klimakterischer Natur,
die nach dem Vorgänge von Hegar, Glävecke, Schmal-
f u s s u. A. als Ausfallserscheinungen bezeichnet werden. Von
diesen sind bei weitem die wichtigsten, weil am regelmassigsten
vorhanden und am meisten belästigend, die vasomotorischen Stö¬
rungen. welche sich als Wallungen, Gefühl aufsteigender Hitze.
Blutandrang nach dem Kopf äussern und auch äusserlich durch
starke Röthung des Gesichts und Scliwcissausbrüche erkennbar
sind. Bei stärkerer Ausbildung sind Kopfschmerzen, Schwindel-
gefühl und an Bewusstlosigkeit grenzende Eingenommenheit zu
verzeichnen. Oft treten solche Anfälle in periodischer Wieder¬
kehr an Stelle der verschwundenen Menses auf, mauchmal aber
ganz regellos.
In manchen Fällen verschwindet die Libido, sehr selten sind
auch Depressionen zu beobachten und was sonst die zahlreichen
Einzelheiten sind, auf die hier nicht näher eingegangen werden
kann.
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MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1913
26. November 1901.
Die Belästigungen, die die Frauen durch diese Dinge zu er¬
leiden haben, können sehr schwerer Natur sein. Immerhin er¬
weckt es doch wohl falsche Vorstellungen, wenn man von einer
Kachexia ovarioprivn spricht, wie es Landau [0] tliut, oder
nach ihm Mond [15], der Kachexia ovaripriva sagt. Denn nach
unseren Erfahrungen an 97 nachuntersuchten Salpingooophor-
ektomirten, sowie den sonstigen Berichten fehlen die schweren
Veränderungen des Blutes und des Allgemeinstatus, die wir bei
den verschiedenen kachektischen Zuständen finden oder bei dem
durch natürlichen oder künstlichen Ausfall der Schilddrüsen¬
funktion hervorgerufenen, dem zu Liebe die Bezeichnung ge¬
braucht wurde. Das Tertium comparationis zwischen letzterem
und der Kastration besteht lediglich darin, dass nach Ausfall
eines bestimmten Organs bestimmte Veränderungen im Körper
und seinen Funktionen hervorgerufen werden.
Den Ausdruck Kachexie auf Kastrationswirkimgen anzu¬
wenden verbietet schon der Umstand, dass die Beschwerden der
künstlichen Klimax im Laufe von einigen Jahren von selbst ub-
klingen, um schliesslich dauernd zu verschwinde«.
Trotz dieses Trostes hat die Therapie schon immer versuchen
müssen, die Beschwerden zu lindern, jedoch ohne viel Erfolg.
Die geradezu verblüffenden Erfolge, die bei der Kachexia
strumipriva durch Fütterung mit Schilddrüsen oder Extrakten
daraus erzielt wurden, verlangten gleiche Versuche bei den durch
den Wegfall der Ovarialfunktion gesetzten Veränderungen.
Die erste Veröffentlichung über solche Bestrebungen stammt
von M a i ii z e r [10] aus der L a n d a u’schen Klinik: ein Fall,
der etwa im Februar 1896 mit frischer Ovariensubstanz erfolg¬
reich behandelt ist.
Schon am 21. VIII. 1895 hatte M o n d an der Wert h’schen
Klinik in Kiel Versuche mit Ovarialtabletten begonnen, die er
einige Wochen später publizirte [14], alsMainzer seinen Fall.
Ovarialtabletten sind bereits aufgeführt in Merck’s Jahres¬
bericht von 1895, der sie, nach Mond, auf Anregung von
Werth hergestellt hat.
Die Verabreichung von Ovarialsubstanz geschieht jetzt all¬
gemein in Form von Tabletten, zu denen der Trockenextrakt aus
ganz frischen und von allem sonstigen Gewebe befreiten Ovarien
von Kuh, Kalb, Schaf, Schwein verarbeitet wird. Die Merck-
schen Präparate werden, wie erwähnt, „Ovarialtabletten“, die von
T)r. F rcund in Berlin auf Anregung von Landau her¬
gestellten „Oophorintabletten“ genannt. Auch C h r o b a k [3] hat
ein Präparat herstellen lassen.
Die von den verschiedenen Autoren mit der Eierstocks¬
therapie beim Klimakterium praecox erzielten Erfolge gehen nun
ziemlich auseinander. Mond [14 u. 15] hat fast nur Erfolge
zu verzeichnen, ebenso Mainzer [12] (S. 497: „Durch Dar¬
reichung von Oophorintabletten Hessen die Symptome in allen
Fällen nach“ ist allerdings so zu verstehen, dass sie geheilt oder
gebessert wurden, wie man aus einer früheren Publikation
Mainzer'« [11] erkennt). Aehnlich spricht sich sein Chef
L. Landau [ 9 ] und Chrohak [ 3 ] nach seinen ersten Ver¬
suchen aus. Seeligmann [17] hat bei 3 Fällen künstlicher
Klimax mehr oder weniger ausgesprochene Besserung gesehen.
Jacobs [6] berichtet über grossartige Erfolge bei der post
operativen Menopause. Tn einem Falle von typischen Ausfalls¬
erscheinungen nach Kastration verschwanden bei B o d o n [2] die
Beschwerden. Dalche [5] erklärt als die beste Indikation
des Ovariins die Beschwerden der Menopause, sowohl der natür¬
lichen als auch der durch Kastration hervorgerufenen, und
J a y 1 e [7] erscheint es bei künstlicher, operativer Menopause
jeder anderen Medikation überlegen, da cs hauptsächlich im
günstigen Sinne gegen die kongestiven Zustände wirke. Tou-
venaint [19] sah bei 2 Fällen von doppelseitiger Abtragung
der Adnexe von Ovarialtherapie guten Nutzen.
AndercAutoren konnten weniger günstig berichten. A. M a r -
tin [13] sah Erfolg nur in der Hälfte der Fälle, Baruch [1]
hatte unter 12 Fällen nur 2 Erfolge (1 mal prompten Erfolg,
1 mal erhebliche Besserung) und Cohn [4] konnte bei einem
grösseren Material in einigen Fällen allerdings eine Abnahme
der Erscheinungen wahrnehmen, bei der Mehrzahl der Fälle aber
Hessen die Ovarialtabletten so gut wie ganz im Stich. Für
manche Fälle betont dies auch der oben erwähnte Javle [7].
Bei diesen beträchtlichen Verschiedenheiten der Erfolge sind
noch weitere einschlägige Versuche nothwendig und ich hnbe dess-
lialb diejenigen von den ovariotomirteu Frauen, welche noch Aus¬
fallserscheinungen darboten, mit Ovarialtabletten (M e r c k) ge¬
füttert. Auf die Fälle von natürlicher Menopause, Amenorrhoe
und anderen Beschwerden, welche von den meisten der genannten
Autoren auch noch der Ovarialbehandlung unterzogen werden,
hatte ich keine Veranlassung, meine Versuche zu erstrecken.
Es folgen hier kurze Angaben über doppelseitig kastrirte
Frauen, die zu Versuchen mit der Organotherapie geeignet
waren.
1. Voller Erfolg.
Fall 1. Hannchen D., 29 Jahre. Arbeiterin. 27. IX. 1900:
Abdominelle Exstirpation der Adnexe beider¬
seits wegen Pyosalpinx duplex. Kystoma ovarii
sin. 4. III. 1901: Alle 4 Wochen aufsteigende Hitze (an Stelle
der Menses, wie sie spontan angibt). Libido nicht erloschen. —
Soll 1 Woche vor dem nächsten zu erwartenden Anfall 3 mal täg¬
lich 1 Tablette nehmen. 15. V. 1901: Briefliche Auskunft: Keine
aufsteigende Hitze wieder, seitdem sie die Tabletten genommen.
Auch Regel sei wieder eingetroffen! aber gering.
Fall 2. Frau Hannchen Fr.. 48 Jahre, Restaurateursfrau.
Pyosalpinx duplex. Uterus myomatosus. 6. X.
1900: Totalexstirpation snmmt Adnexen durch
Laparotomie. 1. III. 1901: Aufsteigende Hitze mit dem ihr sehr
unangenehmen Gefühl des intensiven Erröthens. Starker feuchter
Schweiss. Zuerst vor einigen Tagen aufgetreten. Nimmt schon
wieder ab. Menses nie wieder. Soll in 3 Wochen (1 Woche vor
dem sonst zu erwartenden Unwohlsein. 3 mal täglich 1 Tablette
nehmen. 1. IV.: Bezeichnet die Wirkung als glänzend. Keine aur¬
steigende Hitze wieder. 15. V.: So geblieben. Dauerndes Wohl¬
befinden.
Fall 3. Frau Fanny K.. 34 Jahre. 13. I. 1890: Exstir¬
pation der Adnexe beiderseits durch Laparotomie
wegen Salpingitis duplex. 27. TTT. 1899: Hatte leicht auf-
steigende Ilitze seit der Operation, besonders lästig, wenn sie sich
körperlieh etwas angestrengt hatte, wonach sie leicht ein urti
cariaartiges Exanthem bekam. Ist dann eine zeitlang von anderer
Seite mit Ovarialtabletten (Merck) gefüttert worden, mit gutem
Erfolg.
F a 11 4. Frau O.. 39 Jahre. 14. VII. 1808: Exstirpation
der Adnexe beiderseits per lap. wegen Pyosalpinx
duplex. 20 . VI. 1899: Alle 1—2 Wochen für einige Tage leicht auf-
steigende Hitze. Bemerkt schon ein Längerwerden der Zwischen¬
räume. 4. V. 1901: Hat von ihrem Hausarzt Ovarialtabletten
bekommen, im Ganzen 150 Stück. Die Erscheinungen seien dar¬
nach geschwunden, die Beeinflussung sei unverkennbar gewesen.
Fall 5. Frau M., 27 Jahre. Schneidersfrau. 13. I. 1901:
Abdominelle Entfernung der Adnexe beider¬
seits wegen Salpingitis chron. lat. u t r 1 u s q u e.
8. V. 1901: Seit kurz nach der Operation alle 4 Wochen auf¬
steigende Hitze für 3—4 Tage, an Stelle des ausgebliebenen Un¬
wohlseins. Bekommt 42 Tabletten. Soll 1 Woche vor dem nächsten
zu erwartenden Anfall fetwa 22. V.) eine Woche lang 3 mal täg¬
lich 2 Tabletten nehmen. 5. VI.: Aufsteigende Ilitze nicht wieder¬
gekehrt.
Fall 0. Frau T.. 43 Jahre, t Mai 1900 Totalexstlr
p a t i o n des mvomatösen Uterus. 28. V. 1901: Seit der Operation
Anfälle von aufsteigender Hitze mit Schweissausbrm-h und Kopf¬
schmerzen. Namentlich Nachts. Die Anfälle wiederholen sieh
alle 4 Wochen, an Stelle der seit der Operation ausgebliebenen
Menses. Libido seitdem erloschen. 7. VI. 1901; Nimmt 1 Woche
vor dem nächsten zu erwartenden Anfall (15. VI.) 3 mal täglich
1 Tablette. 28. VI.: Keine Anfälle eingetreten. Doch klagt Pat.
dass sie seit der Operation oft traurig sei und weinen
müsse. Dabei habe sie in keiner Beziehung Grund zum Traurig¬
sein. Soll vor den nächsten zu erwartenden Anfällen 1 Woche
lang 2 mal täglich 1 Tablette nehmen. 1. VIII.: Pat. ist über¬
glücklich und fliesst über von Dankesbezeugungen (sie ist aller¬
dings etwas im Komperativ mit ihren Gefühlen). Sie habe keine
Ilitze mehr, ihre alte Fröhlichkeit sei wiedergekehrt.
2. Besserungen,
a) erhebliche.
Fall 7. Frau Christine Sch.. 39 Jahre. Brodhiindlersfrau.
25. VIII. 1899: Abdominale Exstirpation derbeider¬
seitigen Adnexe wegen Pyosalpinx duplex, Ky¬
stoma ovarii d e x t r. Seit v, Jahr nach der Operation be¬
kam Patientin aufsteigende Hitze und Küthe des Gesichtes, manch¬
mal so stark, dass sie schwindlig wird. Alle 4 Wochen steigern
sich diese Erscheinungen, so dass sie dann etwa 12 mal am Tage
auftreten. Nachts schläft sie durch. Libido und Voluptas wie
früher. 14. III. 1901: Soll 2 Wochen lang 3 mal täglich 1 Tablette
nehmen. 1. IV.: Keine nennenswerthe Wirkung. Wird wegen
Fadenlistel wieder aufgenonunen. Bekommt vom 1.—0. IV. täglich
3 Tabletten. Die Wallungen werden danach geringer, kommen
seit dein 18. IV. in stärkerem Grade wieder. Soll 1 Woche lang
3 mal täglich 1 Tablette nehmen. 7. VIII.: Schriftliche Antwort:
Die Hitzanfälle haben in den letzten Wochen bedeutend nach¬
gelassen und treten nur noch schwach und vereinzelt auf.
Fall 8. Wllhelmlne V., 41 Jahre, Arbeiterin. <1. X. 1900:
Exstirpation der Adnexe per lap. wegen Pyosal-
2 *
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1914 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48.
piux bilater. 7. 111. 1901: Aufsteigeude Hitze 10—20 mal
am Tage. Nachts wird sie dadurch am Schlafen gehindert. Libido
nicht vorhanden, aber auch vorher nicht. Menses nie wieder.
Soll 2 Wochen lang 3 mal täglich 1 Tablette nehmen. 3. V.:
Nach den Tabletten ist es etwas besser geworden mit der auf-
steigenden Hitze. Bittet um neue. Bekommt 42 Tabletten, soll
1 Woche lang 3 mal 2 täglich nehmen. 5. VII.: Briefliche Antwort:
Nach den Tabletten aufsteigende Hitze sehr viel weniger, ihr werde
aber noch immer ganz ohnmächtig zu Muthe, wonach ein tüchtiger
Scliweiss ausbricht.
Fall 9. Jenne B., 31 Jahre. Dienstmädchen. 5. IX. 1890.
Exstirpation der beiderseitigen A d n e x e wegen
Pyosalpinx b i 1 a t. 24. II. 1899: Manchmal Wallungen und
aufsteigende Ilitze. Bekommt 50 Ovarialtabletteu. August 1899:
Brief: Tlieilt spontan mit, dass nach den Tabletten Wallungen und
aufsteigende Hitze geschwunden waren, dann aber, nachdem sie
zu Ende gegangen, wiedergekehrt seien, wesslialb sie um das lte-
eept bittet. 20. IX. 1899: Brief: So oft sie das Ovarialpräparat
nimmt, welches ihr Arzt ihr auf unsere Bitte verschrieben hat,
verschwinden Blutandrang und Kopfschmerzen.
Fall 10. Johanna B„ 30 Jahre. 20. I. 1901: Total¬
exstirpation des myomatüsen Uterus s a m m t
Adnexen durch Laparotomie. 4. II. 1901: Briefliche Antwort:
Gefühl der aufsteigenden Hitze und Wallungen nach dem Kopf
9—11 mal am Tage, Angstgefühl. Nachts intensiver, es sei ihr
dann als müsse ihr Körper förmlich eine Gluth ausstrahlen.
22. V.: Brief: Hat 42 Tabletten genommen: Wallungen weniger
heftig und weniger häufig. Zustand schon ganz erträglich. Wenn
das Uebel auch keineswegs ganz geschwunden sei, so sei doch ein
Erfolg dagewesen. Bittet um Fortsetzung. 10. VI.: Nachdem
die Tabletten eine Zeit lang ausgegangen waren, erreichten die
Beschwerden wenn auch nicht ganz, so doch beinahe den alten
Grad, um dann nach Erneuerung der Medikation wieder fast gauz
zu verschwinden. Wenn der Zustand so bliebe, würde sie gauz
zufrieden sein.
b) geringgradige re.
Fall 11. Frau H., 35 Jahre, Expcdientensfrau. Ende 1899
Exstirpation der Adnexe beiderseits wegen Pyo-
salpinx duplex. Seit der Operation täglich aufsteigende
Hitze. Nachts mehr, erwacht davon. Menses nie wieder. 17. III.
1901: 42 Tabletten genommen. Die Beschwerden sind etwas
weniger, indem die Hitze nachts nicht mehr auftritt.
Fall 12. Frau Louise F., 37 Jahre. Buchhaltersfrau. 18. VIII.
1900: Exstirpation der Anhänge wegen beider¬
seitiger Pyosalpinx, 11. III. 1901: Seit 3 Monaten nach
der Operation alle paar Tage aufsteigende Hitze, wie wenn sie mit
heissem Wasser übergosseu würde. Der Scliweiss lief ihr dabei
vom Gesicht. 17. III.: 28 Tabletten genommen. Unverändert.
14. IV.: Nach Gebrauch von weiteren 42 Tabletten war die auf-
steigende Hitze geschwunden, kehrte dann aber wieder. 23. V.:
Hat Tabletten in wechselnder Menge weiter genommen. Die
Hitze sei noch nicht ganz geschwunden, aber eine Besserung sei
unverkennbar.
Fall 13. Frau F., 33 Jahre. Arbeitersfrau. 13. XI. 1900:
Exstirpation der Adnexe wegen Salpingitis
chronica dupl. 14. III. 1901: Aufsteigende Hitze, fast jeden
Tag 3—4 mal. Dabei Beklemmungsgefühl. Nachts schläft sie
gut. Menses nie wieder. 0. V.: 42 Tabletten genommen. Brief¬
liche Antwort: Aufsteigende Hitze nach den Tabletten ganz fort¬
geblieben. „Nachdem dieselbe leider schon lange alle sind“ be¬
kommt sie es leicht wieder.
F a 11 14. Frau Lina E.. 25 Jahre. Arheitsmannsfrau.
22. VII. 99. Salpingo-Oophorckto tu i e beiderseits wegen
Pyosalpinx. 22. III. 01: 3 Monat nach der Operation Menses ein¬
getreten und 3—4 mal wiedergekehrt, seitdem nicht mehr. Seit
August 1900 ansteigende Hitze, besonders Nachmittags, 5—6 mal.
Nachts uicht Bemerkt schon ein Nachlassen. — Libido fehlte
nm-h früher. 1. V. 1901: Nach 40 Tabletten, innerhalb von zwei
Wochen genommen, ist die aufsteigende Hitze bedeutend weniger
geworden, nur 2—3 mal in drei Wochen aufgetreten und dann
rascher vorübergegangen als vorher. Soll weiter nehmen.
Fall 15. Elsa G.. 25 Jahre, Verkäuferin. 18. IX. 1900: Ex¬
stirpation der Adnexe beiderseits wegen Pyosalpinx. 6. IV. 1901:
Aufsteigende Hitze 2—3 mal die Woche, zuerst 3—4 Monate nach
der Operation. Fühlt sich heiss im Gesicht und wird roth. Manch¬
mal auch schwindelig, so dass sie sich hinsetzen muss. Die Wall¬
ungen treten besonders Nachmittags und Abends auf. Nachts
schläft sie. Hat noch kein Abnehmen bemerkt. Menses nie wieder.
12. VII.: Innerhalb 2 Wochen 42 Tabletten genommen. Etwas
geholfen, aber zeitweise stellt sich die aufsteigende Ilitze noch ein.
Befinden soweit ganz gut. Am 1. Mal Menses, sehr schlimm,
10 Tage.
Fall IG. Frau S.. 21 Jahre. Destillateursfrau. 27. VIII. 1898:
Exstirpation beider Tu b e n und des r. O variums
wegen Pyosalpinx b i 1 a t. und I’arovarialcy st e
rechts. 20. VI. 1899: Hat nach der Operation alle paar Wochen
einige Tage lang Anfälle von Wallungen und aufsteigender Hitze.
Diese wurden weniger, seit Pat. Ovarialtabletteu bekommen hat.
Menses regelmässig.
Fall 17. Frau L.. 20 Jahre, Landwirthsfrau. 2(5. IX. 1899:
Exstirpation der Adnexe beiderseits wegen doppel¬
seitiger Intraligamentärer Parovarialcyste. 29. VI. 1901:
Briefliche Antwort: 2 Monate nach der Operation zuerst Auf¬
treten von Ausfallserscheinungen. Es überlaufe sie plötzlich sie¬
dend heiss, sie sehe in dem Augenblick glühend roth aus uud sei
wie in Scliweiss gebadet. Schwindel fühle sie dabei uicht. Zeit¬
weise, wenn sie Kopfschmerzen habe oder sich in trüber Stimmung
befinde, trete es alle Stunden auf. Ein Nachlassen der Erschei¬
nungen sei schon insofern bemerkbar, als sich die Hitze schneller
w ieder verliere. Menses nie wieder. 22. V.: Gebrauch von 42 Ta¬
bletten innerhalb 2 Wochen. In den ersten Tagen habe sich die
Ilitze ganz verloren, sei dann wieder aufgetreten, aber nicht mehr
so häutig am Tage uud nicht in so langer Dauer.
Fall 18. Frau L., 40 Jahre, Lehrersfrau. 2. V. 1896: E x -
stlrpation der Adnexe beiderseits wegen Pyosal¬
pinx. März 1899: Alle 4 Wochen Blutandrang nach dem Kopf.
Menses nie wieder. 1. V. 1901: Briefliche Mittheilung: noch alle
4 Wochen Blutandrang nach dem Kopfe, häufig so stark, dass sie
glaubt, wahnsinnig werden zu müssen. Zu bestimmten Zeiten
grosse Schlaflosigkeit. Schmerzen in der „Gallenröhre", die ihr
das Leben \erbittern und Alles in trübem Lichte erscheinen lassen.
24. V.: Persönliche Vorstellung. Hat 42 Tabletten genommen.
Etwas seien ihre Beschwerden gelindert. Sehr exaltirt, burschi¬
koses Wesen. Schriftstellerin!
Fall 19. Frau E., 32 Jahre, Schiffszimmermannsgattin.
4. VI. 1897: Supravaginale Amputatio Uteri sammt
Adnexen durch Laparotomie wegen Myoma uteri
submucos. 23. IV. 1901: Bald nach der Operation trat auf-
steigende Hitze auf, mehrmals am Tage, in der Regel ohne
Scliweiss. Kein Schwindel oder Kopfschmerz. Manchmal eine
bis einige Wochen Pausen dazwischen. In leichtem Maasse ist
schon ein Nachlassen der Erscheinungen bemerkbar. 3. VII. 1901:
42 Tabletten genommen. Hitze wurde danach weniger uud auch
nicht so häufig. Bittet um neue Tabletten. 10. VIII.: Nach wei¬
teren 25 Tabletten Beschwerden fast geschwunden.
3. Misserfolge.
Fall 20. Johanne D., 33 Jahre. 13. XII. 1900: Vaginale
Hysterektomie sammt Adnexen wegen Adenoiua
mallgnum uteri. G. V. 1901: Brief. Aufsteigende Hitze bei
jeder Anstrengung. Wird blauroth im Gesicht. Bestand aber
auch vor der Operation schon einige Jahre. 20. V.: 3 mal täglich
2 Tabletten genommen, im Ganzen 50 Stück. Eher schlimmer,
als besser. 5. VII.: Noch weitere 50 im Ganzeu genommen ge¬
nommen, 2 mal täglich 1. Unverändert.
Fall 21. Frau S. Caroline, 47 Jahre, Cigarrenhändlersfrau.
4. I. 1900: Exstirpation der Adnexe wegen Pyosalp.
dupl. 10. V. 1901: Seit der Operation kehren die vorher regel
mässigen Menses alle 2—3 Monat wieder. Wenn die Blutungen
ausbleiben, tritt — an ihrer Stelle, wie sie selbst meint — mehrmals
am Tage aufsteigende Hitze ein. Seit den letzten Menses
(Februar 1901) hat sie beständig aufsteigende Hitze gehabt, be¬
sonders Nachts, G-—7 mal. Wacht davon auf, am ganzen Körper
nass von Schweiss. 21 Tabletten, innerhalb einer Woche genommen,
sind ohne Einfluss geblieben. 7. VI.: Darauf 1 Woche lang 3 mal
täglich 2 Tabletten. Keinerlei Veränderung. Menses noch nicht
wieder auf getreten.
Fall 22. Frau N. Amanda, 27 Jahre, Bauaufsehersfrau.
22. XI. 1900: Exstirpation der Adnexe wegen Pyosal¬
pinx d u p I e x. G. III. 1901: Seit 6 Wochen aufsteigeude Hitze,
mehrmals täglich. Bis jetzt kein Nachlassen zu verzeichnen,
Libido unverändert. Nach 75 Tabletten, innerhalb 4 Wochen ge¬
nommen, keinerlei Beeinflussung.
Fall 23. Emilie K., 17 Jahre, Sängerin. 7. II. 1899: Ex¬
stirpation der Adnexe wegen Pyosalpinx duplex
6. IV.: Seit der Operation aufsteigeude Hitze, oft mehren» Male
am Tage. Es ist ihr, als solle ihr der Kopf zerspringen. Gleich¬
zeitig unklar im Kopf, weiss nicht, was sie thun soll u. s. w. Menses
nie wieder. Auf 24 Tabletten, innerhalb 8 Tagen genommen,
keinerlei Veränderung. 18. V.: Noch weitere 105 Tabletten ge¬
nommen. Keine Besserung.
Fall 24. Marie K., 33 Jahre. Köchin. Mai 1900: Exstir¬
pation der beiderseitigen Adnexe wegen car-
cinomatös degenerirter Ovarien. Seit einigen Wochen
nach der Operation aufsteigende Hitze mit starker Röthuug des
Gesichts alle 2—3 Stunden. Noch keine Abnahme bemerkt
11. III.: Wieder im Krankenhaus aufgeuommen, hat sie seit
5 Tagen 3 mal täglich 1 Tablette bekommen nebst kalten Ab¬
klatschungen. Danach seien die Beschwerden etwas geringer
geworden. 30. IV.: Hat noch weitere 50 Tabletten genommen,
die „leider gar nichts genützt haben“.
Fall 25. Frau L., 43 Jahre, Fischersfrau. 30. IX. 1898: E x -
stlrpation der Adnexe beiderseits wegen Pyosal¬
pinx d u p 1 e x. 20. VI. 1899: Alle 4 Wochen einige Tage lang
Wallungen, Schwindel und Kopfschmerzen. Herzklopfen, Menses
6 Monate post oporationem noch einmal spurweise, seitdem nicht
mehr. 16. IV. 1901: Hat schon einmal 50 Tabletten genommen
ohne Erfolg. Im Laufe der Zeit sind die Erscheinungen spontan
etwas geringer geworden. 30. V. 1901: Weitere Einnahme von
42 Tabletten ist ohne Wirkung auf die Häufigkeit oder die Stärke
der Anfälle geblieben.
Fall 2G. Frau A., 46 Jahre, Küfersfrau. 9. II. 1898: E x -
stirpation der Adnexe beiderseits wegen P y o s al¬
pin x d u p 1 e x. 9. VI. 1S99: Alle paar Wochen für einige Tage
leichte Wallungen uud aufsteigende Hitze. Die Anfälle werd n
anscheinend schon seltener. Blutungen spurweise alle 2 Monate
angedeutet. 24. IV. 1901: Hat die Anfälle noch mehrmals am
Tage. 12. VII.: Hat 84 Tabletten genommen im Laufe von
3 Wochen, ohue jede Wirkung, „eher schlimmer".
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1Ö1S
Fall 27. Frau S., 30 Jahre, Arl»eiter8frau. 29. IX. 1898:
Exstirpation der Adnexe beiderseits durch Laparo¬
tomie wegen Pyosalpinx. 21. VI. 1899: In mehrwöchent¬
lichen Pausen manchmal für einige Tage Wallungen. 19. IV. 1901:
Die aufsteigeude Hitze und Wallungen sind noch stärker ge¬
worden, fast Jeden Tag und mehrere Male. Sie weiss dann gar
nicht, was sie thut, wirft Alles hin u. s. w. Menses im Ganzen
noch 2--3mal nach der Operation aufgetreten; dann nie wieder.
5. VII.: Hat 42 Tabletten Innerhalb 1 Woche genommen. Die auf¬
steigende Hitze war nur für den Augenblick vorbei, wo sie die
Tabletten genommen hatte.
Fall 28. Frau H., 30 Jahre, Lackirersfrau. 18. VIII. 1899:
Exstirpation der Adnexe per laparotomiam wegen
doppelseitiger Corpus luteum-Cyste. 30. IV. 1901: Einige
Monate nach der Operation bekam sie oft aufsteigende Hitze,
wobei sie ganz roth im Gesicht wurde. Dann verlor sich das nach
einiger Zeit fast ganz wieder, um jetzt vor Kurzem wieder aufzu¬
treten. Menses noch einige Male spurweise; seit 1 Jahr ganz fort¬
geblieben. 20. V. 1901: Hat in 2 Wochen 42 Tabletten genommen.
Keine Veränderung.
Aus Vorstehendem ist ersichtlich, dass die gegebenen Mengen
bei uns im Allgemeinen begonnen wurden mit 3 mal täglich
1—2 Tabletten 1—2 Wochen lang. Die Frauen, bei welchen eine
periodische Wiederkehr der Erscheinungen zu erkennen war, be¬
kamen das Präparat eine Woche lang vor den zu erwartenden
Anfällen. Fall 16 gehört zu den seltenen Fällen, wo trotz
Zurücklassung eines Ovariums sich Ausfallserscheinungen ein¬
stellten. Fall 18 ist nur bedingt verwerthbar, weil die
Beschwerden noch 5 Jahre nach der Operation geklagt wurden
und es sich um eine psychisch nicht ganz normale Frau handelte.
Eine üble Wirkung von den Tabletten ist bei keiner unserer
Patientinnen aufgefallen, und übereinstimmend äussern sich alle
Autoren, auch die, welche weit höhere Dosen gaben. Mond [15],
dessen Dosis 2—4—10 Tabletten pro die betrug, hat bei allen
Frauen Herz, Urin, Temperatur, Puls, Allgemeinbefinden genau
beobachtet und das Fehlen jeglicher übler Erscheinungen fest¬
gestellt. Thumiir. [18] hat, wie Merck 1 ) angibt, im weiteren
Verfolg der Studien Richter’s — welche an ovariotomirten
Hündinnen angestellt waren — gefunden, dass beim Menschen
Zerfall stickstoffhaltigen Materials nicht bewirkt wird, also ihre
Verabreichung unbedenklich ist.
Häufig stellen sich in den günstig beeinflussten Fällen eine
gewisse Zeit nach dem Aussetzen der Präparate die Beschwerden
— wenn auch oft in geringerem Grade — wieder ein, so dass
neue Verabreichung nothwendig wird. Diese Erfahrung hat sich
bei allen Versuchen gezeigt, und wir können dieselbe nur be¬
stätigen (Fall 12, 13, 14, wo die Erscheinungen gänzlich ge¬
schwunden, Fall 7 und 10, wo sie gebessert waren).
Um bei der naheliegenden suggestiven Beeinflussbarkeit
dieser vorwiegend subjektiven Beschwerden nicht zu Trug¬
schlüssen zu kommen, muss man besonders sorgfältig bestrebt
sein, jede suggestive Wirkung auszuschalten. Das betonen u. A.
auch Mainzer [10], der Kontrolversuche mit Hysterischen
anstellte und Mond [14], der in noch zweckmässigerer Weise
„Pseudoovarialtabletten“ zwischendurch verabreichte, die nach
Angabe von W e r t h aus Kochsalz und einem geringen Fleisch-
extraktzusatz hergestellt waren. Die bei den wirklichen Tabletten
bei der gleichen Patientin erzielten Erfolge blieben aus.
Ich habe die Suggestion dadurch zu vermeiden gesucht, dass
ich den Frauen immer sagte, wir wollen diese Tabletten mal
versuchen. Manchmal bringen sie die Beschwerden zum Ver¬
schwinden, in anderen Fällen lindern sie sie, und manchmal ver¬
sagen sie.
Einen anderen Weg zur Einverleibung von Eierstocksgewebe
hat C h r o b a k [3] angebahnt, indem er Knauer veranlagte,
an Thieren (Kaninchen) Versuche von Ovarialtransplantationen
vorzunehmen. Knauer [8] hat gefunden, dass 1. beim Ka¬
ninchen die Ovarien auf andere von ihrem Standort entfernte
Stellen überpflanzbar sind, 2. dass sie sowohl am Peritoneum
als auch zwischen die Muskulatur eingclagert einheilen können,
3. dass sie nicht nur ernährt werden, sondern auch funktioniren,
d. h. Eierchen entwickeln, zur Reife bringen und unter Umständen
vielleicht auch zur Ausstossung bringen.
Dass von anderer Seite angeetellte derartige Versuche vor
ihm stets erfolglos waren, erklärt Knauer damit, dass vielleicht
die Aseptik nicht hinreichend gewahrt oder dass das Ovarium
verletzt oder festgenäht war. Knauer erwähnt bei dieser Ge¬
legenheit auch, dass erfolgreiche Transplantationen von Hoden
') M e r c k’s Jahresberichte.
No. 48.
bei Thieren von John Hunter, R. Wagner, Berthold Lode
berichtet sind, nach welchen in den Hoden nach der Trans¬
plantation die Spermazellen vollkommen unverändert erhalten
bleiben können.
Ich habe nichts darüber gefunden, ob diese Versuche von
Knauer oder Anderen auch auf Menschen übertragen sind.
Einfacher und sicherer ist es jedenfalls, wenn man schon
bei der Operation trachtet, Ovarialgewebe soweit als angängig
zu erhalten, und dadurch den Ausfallserscheinungen vorzubeugen.
C h r o b a k [3] berichtet 1896, dass er schon seit mehreren
Jahren aus diesen Erwägungen bei manchen Operationen, be¬
sonders bei Myomotomie, beide Eierstöcke zurückgelassen hat.
Eine üble Einwirkung davon hat er nie erlebt, und glaubt,
dass die Mehrzahl der so Operirten geringere Wechselerschei-
nungen hat, als jene Frauen, bei denen die Eierstöcke entfernt
wurden.
Wir haben in den letzten Jahren häufig ebenso verfahren und
gefunden, dass bei Zurücklassung eines oder beider Ovarien
Ausfallserscheinungen in den meisten Fällen nicht auftreten.
Zusammenfassung:
Die oft sehr lästigen Ausfallserscheinungen nach doppel¬
seitiger Oophorektomie werden durch Ovarialpräparate nicht
regelmässig, aber doch hinreichend häufig günstig beeinflusst, um
in jedem Falle einen Versuch damit anzustellen.
Die Ovarialpräparate sind unschädlich.
Bei der Operation soll man stets an den Versuch denken,
Ovarialgewebe zu erhalten, um Ausfallserscheinungen vorzu¬
beugen.
Literatur.
1. Barucli: Spiltresultate von doppelseitigen Adnexopera¬
tionen. Zeitsehr. f. Geburtsh. u. Gyn. 1900. Bd. 42. — 2. Bodon:
Geber 3 mit Ovariinura slceum (Merck) behandelte Fälle. Deutsch,
uied. Woclienschr. 1986, No. 45. — 3. Chrobuk: Ueber Einver¬
leibung von Eierstocksgewebe. Oentralbl. f. Gyn. 1890, No. 20. —
1. Cohn: Ueber die Dauererfolge nach vollständiger oder tlieli-
weiser Entfernung der Gebärmutteranhänge. Arch. f. Gyn., Bd. 59.
— 5. Da Ich 6: Bull. g6n6r. de thC*rapeut. 1898. Rer. von Hohl.
Centralbl. f. Gyn. 1898. — 0. J a c o 1) s: Eierstockstherapie. Poli-
elinique 1896. Ref. von Witt hau er. Centralblatt für Gynä¬
kologie 1890, S. 022. — 7. .Tayle: Zur Ovarienverabreichung be.
künstlicher (operativer) und natürlicher Menopause. Revue de
gyn. et de chir. abdom. 1898. Ref. von Büttner. Centralbl.
f. Gyn. 189S, S. 1327. — 8. Knauer: Einige Versuche über
Ovarialtransplantationen bei Kaninchen. Centralbl. f. Gyn. 1896.
No. 20. — 9. L. Landau: Zur Behandlung von Beschwerden der
natürlichen und antecipirten Klimax. Berl. klin. Wochensehr.
1890, No. 25. — 10. Mainzer: Deutsche med. Wochenschr. 1890.
No. 12. — 11. Derselbe: Ebenda, No. 25. — 12. Derselbe:
200 vaginale Radikaloperatiouen wegen chronisch-eiteriger und ent¬
zündlicher Adnexerkraukungen u. s. w. Arch. f. Gyn., Bd. 54. —
13. A. Martin: Zum Spätbefinden Ovariotomirter. Sammlung
klin. Vortr. N. F. No. 255. Ref. von Witthauer im Central¬
blatt f. Gyn. 1900, S. 685. — 14. Mond: Münch, med. Wochenschr.
sclirift 1896, No. 14. — 15. Derselbe: Ebenda, No. 36. —
10. Richter: Deutsche med. Wochenschr. 1899, No. 46, Vereins¬
beilage No. 44. — 17. Seellgmaun: Ueber die Resultate der
Oopliorinbehandlung bei gynäkol. Erkrankungen. Centralbl. f.
Gyn. 1900, S. 303. — 18. Thum im: Therapie der Gegenwart
1900, S. 451. — 19. Touvenalnt: Ueber Organotherapie mit
Eierstockssubstanz. Centralbl. f. Gyn. 1897, S. 198.
Aus der kgl. chirurgischen Universitätsklinik zu Berlin
(v. Bergmann).
Blutvergiftung und Amputation.*)
Von Dr. Heinrich W o 1 f f , Assistent der Klinik.
Doerfler hat am Schlüsse eines Aufsatzes gleichen
Titels seine Erfahrungen in Thesen niedergelegt, welche ihrem
Hauptinhalte nach sehr angreifbar sind.
Die apodiktische Art, in der D. seine Folgerungen vorbringt,
ist unseres Erachtens keineswegs gerechtfertigt durch die Beweis¬
kraft der theoretischen und praktischen Erwägungen, auf denen
jene aufgebaut werden.
Wir sind der Meinung, dass Lehren, welche in der hier ge¬
wählten allgemeinen und dabei so positiven Form aufgestellt
werden, eine geradezu verhängnissvolle Wirkung haben können,
zum wenigsten auf das Thun und Lassen derjenigen, welche nicht
in der Lage sind, auf Grund ausreichenden eigenen Beobachtungs-
*) Vergl. den gleichnamigen Aufsatz DoerfleFs in No. 17
und 18, 1901, der Münch, med. Wochenschr.
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1916
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 46.
materials sich ein selbständiges Urtheil zu bilden und die so
nothwendige Kritik zu üben.
Dies gibt uns Anlass, die an grossem klinischen Material
von uns gewonnenen Erfahrungen denen D.’s gegenüberzustcllen.
Wir werden uns dabei auf den Kernpunkt des Themas, die
Amputationsfrage beschränken; auf mehr abliegende
Gebiete, wie die Methode der Wundbehandlung u. a., lassen wir
uns hier nicht ein, ohne dass daraus hervorgehen soll, dass unsere
Grundsätze sich nach dieser Richtung mit denen D.’s decken.
Auf eine eingehende Darlegung des von uns in der Phleg¬
monenbehandlung vertretenen Standpunktes kann ich um so
eher verzichten, als dieses Thema erst vor Kurzem von der
Meisterhand v. Borg man n’s') einer Bearbeitung unterzogen
wurde.
Die Bezeichnung „Blutvergiftung“ haben wir der
Einfachheit wegen beibehalten und verstehen darunter d i e
mit mehr oder weniger ausgedehnten Allge¬
meinerscheinungen einhergehende progre¬
diente infektiöse Eiterung, einschliesslich
des malignen Oedems und der foudroyanten
Gangrae n.
„Die Amputation bei Blutvergiftung (progredienter, septi¬
scher Phlegmone, malignem Oedem, foudroyanter Gangraen) ist
vollständig zu verwerfen; sie ist ein Missgriff der ärztlichen
Kunst, eine Sünde gegen die Natur und ihre Gesetze, die sich
von selbst verbietet. Die unglückliche Lehre, dass in verzweifel¬
ten Fällen von progredienter Phlegmone ampjit-irt werden soll,
muss aus den klinischen Lehrbüchern der Chirurgie ver¬
schwinden.“
So lautet in der Hauptsache D.’s geharnischter Protest gegen
eine chirurgische Maassnahme, die sich bei den Aerzten vieler
Generationen bis heute eines unbestrittenen Ansehens erfreut.
Wir würden uns in vollem Einverständniss mit D. befinden,
wenn er, wie man nach den einleitenden Worten des genannten
Aufsatzes erwarten konnte, davor gewarnt hätte, ein Glied z u
frühzeitig abzusetzen, es zu opfern, bevor die mit vollem
Recht gerühmten grossen Einschnitte versucht wurden, in ihrer
Wirkung aber versagt hatten.
Einer solchen Warnung hätten wir uns um so lieber ange¬
schlossen, als auch wir, wie ich gleich hervorheben möchte, d i e
Amputation als die ultima ratio an sehen, als
die letzte Waffe, welche wir gegen den unheimlichen Siegeslauf
der progredienten Eiterung in’s Feld zu bringen vermögen.
1). denkt anders.
Unter keinen Umständen, bei keiner Form der fortschreiten¬
den Phlegmone will er dieses Kampfesmittel gelten lassen, er
verwirft es mit solcher Entschiedenheit, dass seine Anwendung
einem Kunstfehler gleich zu achten sein muss für Jeden, der
sich D.’s Anschauungen anschliesst.
Wir sind, wie gesagt, anderer Meinung. Wir halten
die Amputation bei bestimmten Fällen von
Blutvergiftung für die einzige Encheirese,
welche noch Rettung hingen kann, deren Vor¬
nahme desshalb nicht allein berechtigt, son¬
dern absolut geboten ist.
Bevor ich auf die Begründung dieses Standpunktes eingehe,
kann ich es mir nicht versagen, D. auf ein Gebiet zu folgen, auf
welchem er, allerdings nicht mit Glück, Stützen für seine Lehren
gesucht hat, ich meine die experimentellen Unter¬
suchungen über Infektion und Bakterien¬
resorption.
SehimrnolbuschV) klassische Impfversuche am Ratten¬
schwanz hatten ja zweifellos einen grundlegenden Einfluss auf
unsere Anschauungen über die Vorgänge bei der Blutvergiftung,
sicherlich hätte es ihr genialer Autor aber selbst am meisten
beklagt, wenn diese Experimente uns verführt haben würden,
unser Handeln ohne Weiteres durch Beobachtungen beeinflussen
zu lassen, welche uns zunächst nur das Princip der septischen
Infektion, nicht aber eine einseitige Methode ihrer Bekämpfung
lehren sollten.
’) Die Behandlung der akut progredienten Phlegmone, v. Berg¬
mann, Arbeiten aus der chirurgischen Klinik. XV. 1901.
J ) Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie,
und: Geber Desinfektion septisch inlizirter Wunden. Fortschritte
der Meülciu 1895, No. 1 u. 2.
Die einzige folgerichtige Uebertragung dieser experimen¬
tellen Erfahrungen auf die Praxis musste der Verzicht
auf dieprimäre Desinfektion der Wunden sein,
eine Konsequenz, welche Sch., wie aus seinen späteren Arbeiten
hervorgeht, schon selbst gezogen hat.
Von vornehercin standen nun die Ergebnisse des Experi¬
ments in gewissem Widerspruch zu den täglichen Erfahrungen,
welche wir schon lange bei ausgedehnten phlegmonösen Pro¬
cessen ohne nachweisbare Betheiligung des Gesammtorganismus
gemacht hatten.
Der Gegensatz musste um so grösser erscheinen als man
merkwürdiger Weise so häufig vergass, dass das bei den er¬
wähnten Versuchen verwendete Infektionsmaterial von dem bei
gewöhnlichen Infektionen vorkommenden durchaus verschie¬
den war.
Aufbauend auf Scliimmelbusch’s Lehren haben cs
dann neuere Autoren, unter ihnen besonders Friedrich und
N ö t z e 1, verstanden, diesen vermeintlichen Widerspruch zu
lösen und die Resultate der experimentellen Versuche in vollen
Einklang zu bringen mit den Verhältnissen, wie sie bei mensch¬
lichen Infektionen obwalten.
So konnte Friedrich 3 ) den Beweis erbringen, dass jede
natürliche, nicht mit Reinkulturen bewerkstelligte Infektion in
der weitaus grössten Zahl der Fälle bis mindestens zur 6. Stunde
oder dauernd einen örtlichen Charakter habe.
N ö t z e 1 *) kommt auf Grund seiner Versuche zu dem
Schlüsse, dass für den rein praktischen Standpunkt der Process
so lange als rein örtlicher anzusehen sei, als die Resistenz
des Thierkörpers den bereits resorbirten Keimen gewachsen ist.
In der Bakterienresorption darf man eines der Schutzmittel
erblicken, durch welche der Thierkörper sich gegen die in eine
Wunde oder in eine der Körperhöhlen hineiugerathenen Infek¬
tionserreger wehrt. Der Hauptkampf des Thierkörpers gegen
die Infektionserreger, welcher mit dem Siege eines Theiles enden
muss, spielt sich ohne Zweifel am Orte der Infektion selbst ab.
(N ö t z e 1.)
Diese für das Verständniss der Infektion beim Menschen
hochwichtigen Untersuchungen, welche von vielen Seiten be¬
stätigt wurden, sind der Beachtung D.’s entgangen.
Auf Grund der erwähnten Schimmelbusch’schen Ex¬
perimente und der C a n o n’schen Forschungen über Keimver¬
mehrung in der Wunde, wird der Satz aufgestellt, dass man
selbst mit einer nach den ersten Stunden der Infektion ausge¬
führten Amputation nichts nützen würde, da ja doch schon
Eitererreger im Blute kreisen. Wolle man amputiren, so müsse
dies bei den ersten Fiebererscheinungen geschehen, da dies für
den, der überhaupt an’s Amputiren denkt, noch der einiger-
maassen brauchbarste Moment sei.
Kein Arzt wird, glaube ich, in Fällen, in denen er die In¬
dikation zur Amputation gegeben sah, daran gezweifelt haben,
dass überhaupt Bakterien und Toxine in’s Blut aufgenommen
waren; am allerwenigsten wird dies Moment ihm bei der Indi¬
kationsstellung Schwierigkeiten bereitet haben, wohl aber die
Beurtheilung des Allgemeinzustandes; die
Frage, ob in Hinblick auf diesen noch Chancen bestünden, dass
der Organismus im Kampfe mit den Infektionsstoffen Sieger
bleiben könne.
So lange uns dabei nicht Mittel und Wege zu Hilfe kommen,
die Menge und den Virulenzgrad der den Körper überschwem¬
menden Bakterien und Toxine, sowie die Energie der im Organis¬
mus gebildeten Abwehrstoffe auf exakte Weise abzuschätzen, so
lange können uns die bisherigen experimentellen Untersuch¬
ungen über septische Allgemeininfektion keine brauchbaren Ar¬
gumente für oder gegen die Berechtigung der Amputation bei
progredienter Phlegmone liefern.
Von Fall zu Fall ist die Entscheidung zu treffen.
Die richtige Beurtheilung des Allgemeinzustandes, welche
nur möglich ist unter sorgfältigster Berücksichtigung des voran¬
gegangenen Verlaufs, der Fieberbewegungen und aller übrigen
Reaktionserscheinungen des Organismus, erfordert den er¬
fahrenen Blick des geschulten Arztes, leicht wird sie niemals
’) Die aseptische Versordung frischer Wunden. Langenbeck’s
Archiv f. klin. Chirurg. 1898. S. 288.
4 ) Weitere Untersuchungen über die Wege der Bakterien¬
resorption von frischen Wunden und die Bedeutung derselben.
Laugeubeck’s Arch. f. klin. Chirurg., Bd. 60, S. 25.
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1917
sein, Jeder muss sein Lehrgeld zahlen und wird selbst dann
noch manche Enttäuschung erleben.
Wenn wir nach dem Gesagten auch von vomeherein uns da¬
rüber klar sein müssen, dass die Indikationen zur Amputation
mit absoluter Schärfe nicht werden festgelegt werden können,
so möchten wir doch versuchen, die Verhältnisse zu skizziren,
unter welchen wir den Eingriff für berechtigt und geboten er¬
achten.
Wir führen bei progredienter Eiterung, malignem Oedem
und foudroyanter Gangraen die Absetzung der befallenen Ex¬
tremität aus:
1. Wenn trotz vorher gegangener breitester
Eröffnung des eiterig infizirten Gebietes die
akute Progredienz der Phlegmone fortbesteht
und dabei die Allgemeinerscheinungen der¬
artige sind, dass der Organismus zu unter¬
liegen droht.
2. Wenn die Phlegmone zwar zum Stillstand
gekommen zu sein scheint, aus den Allgemein¬
symptomen aber hervorgeht, dass trotz best¬
möglichen Abflusses der Wundprodukte durch
Resorption von Bakterien, Toxinen und pu¬
triden Stoffen das Leben gefährdet ist oder
wenn lang bestehende Eiterung trotz aller
den Abfluss sichernden Maassnahmen immer
wieder in Schüben exacerbirt und dabei das
Allgemeinbefinden sich mehr und mehr ver¬
schlechtert.
3. Wenn die Funktion der Extremität durch
schwere primäre Schädigung (ausgedehnte
Zertrümmerung von Knochen und Weich-
theilen) und daran sich anschliessende de¬
struktive Processe (Nekrosen von Muskeln
und Sehnen, Gelenkeiterung etc.) auch bei der
Möglichkeit der Erhaltung eine voraussicht¬
lich sehr g e r i n g w e r t h i g e sein wird und die
Absetzung des Gliedes dem Kranken ein
monatelanges, immerhin lebensgefährden¬
des Krankenlager erspart.
Dass besonders bei der letzten Indikation die Rücksicht auf
andere gleichzeitig bestehende Krankheiten, auf Alter und
soziale Verhältnisse der Patienten eine sehr beachtenswerthe
Rolle spielen wird, bedarf keiner weiteren Erörterung.
Bevor wir uns den aufgestellten Indikationen des Näheren
zuwenden, will ich Eines nochmals ausdrücklich hervorheben:
Wir vertreten ganz den gleichen Standpunkt wie Doerfler,
indem wir als eigentliche Behandlungsmethode der akut pro¬
gredienten Phlegmone die möglichst frühzeitige
Eröffnung des infizirten Gebietes durch aus¬
giebige, planvoll angelegte Incisionen ver¬
langen. Von diesen erwarten wir in der Mehrzahl der Fälle,
erfahrungsgemäss mit Recht, vollen Erfolg. Ich darf hier auf
den schon zitirten Aufsatz v. Bergman n’s und die darin
niedergelcgten Maximen verweisen: „Unsere zur rechten Zeit
und am rechten Orte angebrachten Schnitte sind allein im
Stande, die Zahl der Fälle, in welchen wegen des Fortschritts der
Phlegmone oder der von ihr angerichteten Zerstörungen die Ab¬
setzung eines Fingers oder Armee nothwendig wird, zu mindern“,
so schliesst v. Bergmann seine Ausführungen, andeutend,
dass wir mit der konservirenden Behandlung sehr Vieles, doch
nicht Alles erreichen können.
Es bleiben leider immer noch genug Fälle, in denen wir
den Rettungsversuch der Amputation machen müssen.
Ich gebe D. ruhig zu, dass es häufig nur ein letzter Versuch
ist, aber sollte dieser da nicht vollkommen gerechtfertigt sein,
wo alle anderen Hilfsmittel erschöpft und die Hoffnungen, das
Leben zu erhalten, nur noch geringe sind?
Hier ist es ein Fehler, den seelischen und körper¬
lichen Schock der Operation zu überschätzen, wie D. es
gethan hat.
Wenn wir sehen, wie Patienten empfänglich für unseren
mahnenden Rath sich zu dem Opfer eines Gliedes entschliessen,
dessen Entfernung vielleicht eine bösartige, aber völlig schmerz¬
los wachsende Geschwulst erheischt, so haben wir eine viel ge¬
ringere seelische Alteration zu erwarten bei einem Menschen,
welcher von den vorhergegangenen wirkungslosen Eingriffen ent¬
täuscht und ermattet, die Absetzung des Gliedes eher als eine
Erlösung empfindet, die ihm das Ende unsäglicher Qualen wohl
sicherer noch als uns verspricht.
So wenig wie der psychische kann in den allermeisten Fällen
der körperliche Schock in’s Gewicht fallen. Der rasch und unter
Vermeidung jeglichen Blutverlustes ausgeführte Eingriff ver¬
liert besonders dann noch an Gefahr, wenn die allgemeine Nar¬
kose vermieden werden kann.
Kehren wir zur Betrachtung der aufgestellten Indikationen
zurück. Wie wir oben schon andeuteten, werden wir meist da,
wo die Amputation für uns in Frage kommt, die Allgemein¬
erscheinungen der Blutvergiftung vorfinden. Hohes Fieber,
Schüttelfrost, Uebelkeit oder Erbrechen, kleiner fliegender Puls,
belegte trockene Zunge, Ikterus, Abgeschlagenheit oder völliger
Collaps, Benommenheit in ihren verschiedenen Graden, De¬
lirien, dies sind die Symptome, welche je nach ihrer
Intensität und ihrem mehr oder minder vollzähligen Zu¬
sammenwirken die Prognose des Falles sehr ernst oder absolut
infaust werden stellen lassen; abgesehen von letzteren Fällen aber
werden sie uns nie abhalten dürfen, einen Eingriff zu unter¬
nehmen, der nach unserer Erfahrung schon so häufig lebens-
rettend gewirkt hat.
Der Raum gestattet es leider nicht, aus der Fülle der uns
zu Gebote stehenden Beobachtungen mehr als einige wenige mar¬
kante Fälle herauszugreifen; doch können auch diese schon eine
Illustration zu den angeführten Indikationen bilden.
Der junge, kräftige Arbeiter A. hatte sich im März 1897 durch
eine Anfangs unbeobachtete Verletzung an der linken Hand eine
starke entzündliche Schwellung derselben zugezogen. Einige Tage
auswärts behandelt, ohne dass Besserung eintrat, suchte er die
Klinik auf.
Es fand sich eine von der Hand Uber den Vorderarm und das
Ellbogengelenk bis zur Mitte des Oberarms sich erstreckende
phlegmonöse Schwellung. Das Allgemeinbefinden war kein gutes.
Fieber bis 39.5°, verfallenes Aussehen, ikterische Verfärbung der
Haut, Erbrechen.
Sofort vorgenommeue, sehr ausgedehnte Incisionen, welche bis
nahe zum Schultergelenk reichten, Hessen erkennen, dass es sich uin
eine äusserst maligne Form des akut purulenten Oedems Plrogoff’s
handelte. Der Erfolg der sehr ausgiebigen Spaltungen war nicht
befriedigend. Die septischen Allgemeinerscheinungen nahmen zu,
die Phlegmone war am nächsten Tag in progredieutester Welse
über das Schultergelenk auf Brust und Rücken übergegangen;
dabei äusserster Collaps und Benommenheit des Patienten. Der
Fall schien aussichtslos. Ohne Zögern wurde jetzt die Exarti-
culation in der Schulter vorgenommen, obwohl auch sie eine
sichere Gewähr gegen das Fortschreiten des lokalen und allge¬
meinen septischen Processes nicht bieten konnte. Die Wirkung
des Eingriffes war frappant. Rückgang der Phlegmone am Rumpf
und Schwinden der septischen Allgemeinerscheinungen folgten un¬
mittelbar der Absetzung des Gliedes. Der Patient erholte sich
weiterhin schnell und konnte nach wenigen Wochen geheilt ent¬
lassen werden.
Wir sind nach dem klinischen Bilde des Falles der festen
Ueberzeugung, dass ohne den vorgenommenen Eingriff oder bei
Hinausschieben desselben der Kranke sicher verloren gewesen
wäre; dabei sind wir uns aber auch bewusst, dass auch die
Amputation vielleicht nicht mehr lebensrettend gewirkt hätte,
wenn die günstigen Konstitutionsverhältnisse des Kranken nicht
zu Hilfe gekommen wären.
Der 42 jährige Landwirth M. stürzte beim Mähen in eine
Sense, welche 1 '/ 2 cm oltcrhalb der Kniescheibe durch Haut.
Quadricepssehne bis in den oberen Recessus des Kniegelenkes
einschnitt.
Nach der noch an demselben Tage erfolgten Aufnahme ln die
Klinik wurde die Wunde erweitert und offen gehalten. Sehne und
Gelenkkapsel wurden mit einigen Nähten vereinigt, durch eine
aussen angebrachte Gegenöffnung das Gelenk dralnirt. Am Tage
nach der Verletzung Temperaturanstieg auf 38.9°, beginnende
phlegmonöse Schwellung der Gelenkgegeud. Sofortige Entfernung
der Sehnen und Gelenkkapselnähte. Weitere breite Contmaper-
turen an der Innenseite des Gelenks und ausgiebige Drainage aller
Wunden. Dennoch geht in den nächsten Tagen die Infiltration
nach oben weiter; trotz breitester Incisionen am Oberschenkel
hält sieh das Fieber um 39°. Patient ist unruhig, sehr aufgeregt,
schliesslich benommen. Die Eiterung kommt zum Stillstand. Tem¬
peratur bleibt jedoch hoch und nach kurzer Besserung tritt wieder
völliger Collaps und Benommenheit des Patienten ein. So ver¬
gehen unter Schwankungen im lokalen und allgemeinen Befinden
4 Wochen, nach deren Ablauf der Kräfteverfall rapid fortschreitet,
die Eiterung immer, wenn auch weder progressiv uocli sehr pro¬
fuse, besteht, aber jauchigen Charakter angenommen hat Fieber
beständig um 39°.
Die Widerstandsfähigkeit des zeitweise immer noch somno-
lenten Kranken geht zu Ende; da wird 6 Wochen nach der Ver¬
letzung zur hohen Amputation des Oberschenkels geschritten.
3*
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1918
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Der Schnitt trifft in der Tiefe der Muskulatur eitrig inflltrirtes
Gewebe und zwingt dadurch zur Exarticulation in der Hüfte.
Patient überstellt den Eingriff. Noch am Tage der Operation
füllt die Temperatur auf 87.8", bleibt am nächsten Tag 37,7° und
überschreitet von da ab nie mehr die Norm. Allgemeinbefinden
bessert sich rasch, Wundverlauf bleibt ungestört und Patient wird
nach t» Wochen geheilt entlassen.
Zu diesem kurz skizzirten Falle erscheint mir wie zu dem
vorigen ein Kommentar überflüssig.
Wie hier so war in allen wegen septischer progredienter
Phlegmone amputirten Fällen der Versuch voraufgegangen,
durch ausgiebige lncisionen, breite Gelenkeröffnung, sorgfältige
Drainage die Phlegmone und die septischen Allgemeinerschein¬
ungen zum Stillstand und Rückgang zu bringen, und erst wenn
diese Behandlungsmethode im Stiche liess, wurde zur Absetzung
geschritten.
W a n n der geeignete- Moment für diesen Eingriff gekommen
ist, lässt sich in allgemeinen Regeln nicht festsetzen.
Der Blick des erfahrenen Praktikers wird erkennen, wo er
zu warten und wo er vorzugehen hat.
Ich gebe D. zu, dass es Vorkommen mag, dass ein allzu
aggressiv veranlagter Kollege ohne strikte Indikation die Am¬
putation vornimmt, aber viel zahlreicher sind sicher die Fälle,
in denen Aengstliehkeit und Unentschlossenheit des zur Rettung
des Kranken Berufenen die Schuld tragen, dass erst der un¬
glückliche Ausgang das „Zu spät“ ihn einsehen lässt.
Die lebensbedrohende Bedeutung der septischen Allgemein¬
erkrankung kann durch Abstufungen in der Virulenz der Eiter¬
erreger und ihrer Toxine, durch grosse individuelle Schwank¬
ungen in der Widerstandsfähigkeit des Organismus und seiner
Abwehreinrichtungen so ausserordentlich verschieden sein, dass
auch in dieser Hinsicht jeder Fall für sich betrachtet und be¬
handelt sein will. Ueber all’ diese Schwierigkeiten kommt man
freilich am leichtesten hinweg, wenn man wie D. sagt: „Es gibt
überhaupt keinen richtigen Zeitpunkt für die Amputation und
desshalb ist sie in allen Fällen zu unterlassen“. Wenn man aber
für eine solche Behauptung keine weiteren Beweise erbringt,
als dass aus dem Vergleich der von verschiedenen Lehrbüchern
geholten einschlägigen Stellen Widersprüche in den Ansichten
der betreffenden Autoren herauskonstruirt werden, die in Wirk¬
lichkeit gar nicht existiren, so kann man keinen Anspruch auf
die Ueberzeugungsfähigkeit dieser Deductionen machen.
Wie in den oben geschilderten, so ist es uns in Dutzenden
von Fällen gelungen, den richtigen Zeitpunkt für die Amputation
zu finden. Wir haben nach den gegebenen Indikationen eine
Reihe von Patienten mit Glück amputirt, bei denen nicht
nur die klinischen Symptome der Allgemein -
infektion unverkennbar bestanden, sondern
auch durch Impfung aus dem Blute die Ueber-
schwemmung desselben mit Eitererregern
nachgewiesen war. Bei manchen der unter dem Bilde
allgemeiner Sepsis verlaufenden Fälle war die vor und nach der
Amputation wiederholt vorgenommene bakterielle Blutunter-
suehung negativ; hier handelte es sich um reine Toxinaemie;
diesen von der Wirkung der Toxine beherrschten Fällen gegen¬
über stellen diejenigen von Bakteriaemie, von denen
wiederum ein Theil, vielleicht die meisten, eine Kombinations¬
form von Toxinaemie und Bakteriaemie darstellt.
Auf Grund der Erfahrung und des Experiments sind wir
zu der Anschauung gekommen, dass sowohl die lokale als be¬
sonders die allgemeine Infektion mit Streptococcen derjenigen
mit Staphvlococcen an Malignität überlegen ist, selbstverständ¬
lich mit der Reserve, dass auch hier der Virulenzgrad eine be¬
deutsame Rolle spielt. Sehen wir nun, dass eine unter unseren
Augen sich rapide entwickelnde Infektion in kurzer Frist zur
Allgemeininfektion mit all’ ihren ominösen Erscheinungen führt
und zwar trotz aller von der ersten Stunde an ausgeführten
sachgemässen Maassnnhmen und gelingt es uns dann, den von
nachweisbar hoch virulenten Streptococcen überschwemmten
Organismus durch die Amputation noch zu retten, so dürften
wir eine solche Beobachtung schon als beweiskräftig genug in
Anspruch nehmen.
Vor Kurzem kam der 20 jährige Student W. M. in unsere Be¬
handlung. Derselbe war beim Abspringen vom Wagen auf der
Strasse gefallen und vom Pferde auf die linke lland getreten
worden. Sofort nach dein Unfall erfolgte die Aufnahme in die
Klinik.
Bei dem etwas nnncmischen. graeil gebauten jungen Mann
fanden sich zunächst ohcrllachlirhe Quetschwunden auf beiden
Seiten der 1. Mittelhand; eine tiefe Bisswunde zwischen 4. und
5. Metacarpus trennte den 5. Finger theilweise von der Hand,
im Uebrigen war dieser unverletzt und noch leidlich ernährt;
ferner bestand eine kompllzirte Fraktur des 4. Metacarpus.
In gewohnter Weise wurde die Umgebung der Wunden mit
Seifenwasser, Alkohol, Sublimat sorgfältig desinflzirt, aus der
Wunde grobe Verunreinigungen und Gewebsfetzen entfernt, locker
mit .lodoformgaze tamponirt und Suspensionsverband angelegt.
Da die Temperatur am zweiten Tage 38,4 0 betrug, ohne dass
Schmerzen vorhanden waren, wurde der Verband gewechselt.
Wunden sahen reaktionslos aus, keinerlei Schwellung der Um¬
gebung. Erneute Jodofomignzetamponade. Weitere 2 Tage später
Temperatur 37,8°; subjektives Befinden sehr gut, Wunden sehen
etwas belegt aus, sonstige beunruhigende Erscheinungen fehlen
vollkommen, ln der Nacht zum 0. Tag steigt unter ziemlich akut
einsetzenden Schmerzen die Temperatur auf 39,9°, im Laufe des
Tages stellt sich grosse Unruhe ein. das Allgemeinbefinden wird
schlecht. Ikterus. Die Wunden sehen stark belegt aus, der kleine
Finger ist im obersten Theil gangränös, an der Stelle der kom-
plicirten Metacarpusfraktur quillt etwas Eiter vor, beginnende
phlegmonöse Schwellung der Umgebung, auch der Gegend des
Handgelenks, Druckempflndlichkeit daselbst.
In Narkose wird mm der 5. Finger amputirt, der 4. Metacarpus
resecirt; die an der Volarseite des Vorderarms angelegte Iucision
ergibt keinen Eiter. Darauf lassen die Schmerzen nach. Tem¬
peratur sinkt auf 38,5°, Schwellung in der Handgelenksgegend geht
etwas zurück, dagegen zeigt sich eine Lymphangitis an der Beuge¬
seite des Vorderarms. Am nächsten, dem 8. Tage wird das All¬
gemeinbefinden viel schlechter, Puls klein und fliegend, Temperatur
39,2°, grosse Schwäche. Die Wunden werden sorgfältig revidirt.
die lncisionen am Vorderarm ausgiebig erweitert und aus der Tiefe
der Muskulatur reichlicher dicker Eiter entleert. Abendtempera¬
tur 41,3 °.
Die Jetzt aus der Ven. mediana des r. Arms entnommene
Blutimpfung ergibt Reinkultur von Strepto¬
coccen; aus der Wunde selbst waren schon vor einigen Tagen
Streptococcen, Stnphylococcen und Bac. pyocyaneus gewachsen.
Die Streptococcen werden auf Mäuse verimpft.
Am 9. Tage nach der Verletzung bleibt das Allgemeinbefinden
sehr schlecht. Puls 140, Temperatur 39,7 °. Lymphangitis ist ver¬
schwunden, dagegen die Handgeleuksgegend stärker geschwollen
und mehr druckempfindlich. Das Gelenk wird breit eröffnet und
ein trüb-seröser Erguss entleert, die Intercarpalgelenke sind ver¬
eitert und werden resecirt. Weitere breite lncisionen bis zum
Ellbogengelenk.
Im Laufe des Tages wird der Zustand äusserst bedrohlich.
Puls sehr frequent, kaum noch fühlbar trotz aller Excitantieu,
Ikterus hochgradig, am Herzen deutliches systolisches Geräusch.
Benommenheit verfallenes Aussehen.
Urin eiweissfrei, stark gallenfarbstoffhaltig. Es wird noch
am Abend die hohe Oberarmamputation unter Digitalkompression
der Arteria axillaris in Narkose ausgeftihrt.
Die Sektion des Arms ergibt eine eitrige Infiltration entlang
den Lymphbahnen und Muskellnterstitlen bis zum Ellbogengelenk,
entzündliches Oedem erstreckt sieh bis zur Amputationsstelle.
Am Tage nach der Amputation Ist das Allgemeinbefinden be¬
deutend gehoben, Temperatur bleibt noch auf 39,1°.
Die täglich vorgenommenen Blutimpfungen ergeben
regelmässig Streptococcen ln Reinkultur und
bleiben positiv bis zum 5. Tag nach der Amputation.
Die beim Manifestwerden der Infektion mit diesen Strepto¬
coccen geimpften Mäuse sterben, aus ihrem Herzblut wird der¬
selbe Eitererreger rein kultivlrt.
Der Kranke erholt sich nach der Amputation rasch, der Wund¬
verlauf ist ungestört und der baldigen Entlassung des Patienten
steht nichts lm Wege.
Ich glaubte den Verlauf dieses Falles eingehend schildern
zu müssen, weil mir solche Beobacht ungen von eminenterWichtig-
keit zu sein scheinen. Die denkbar bösartigste Infektion ent¬
wickelt sich vor unseren Augen, völlig machtlos müssen wir Zu¬
sehen, wie mit unheimlicher Schnelligkeit der Organismus von
dem eindringenden Virus niedergeworfen wird und trotz aller
Maassnahmen zu unterliegen droht. Gewiss nicht leichten Her¬
zens entschliessen wir uns, das Glied zu opfern und sehen unser
Vorgehen von Erfolg gekrönt.
Auch die akute infektiöse Osteomyelitis,
die meist unter dem Bilde der Staphylomykose verläuft,
kann weitere lehrreiche Exempel liefern. Die Knochenmark¬
phlegmone, als progrediente Eiterung sehr wohl in Parallele
mit jeder anderen Phlegmone zu stellen, überschwemmt oft den
Kreislauf in akutester Weise mit ihrem Erreger oder dessen
Toxinen.
Wie hier möglichst radikale Ausrottung des Giftherdes, unter
Umständen die Amputation des Gliedes, auch unter verzweifelt¬
sten Umständen noch Rettung bringen kann, mögen einige wei¬
tere Beobachtungen illustriren.
In dem einen, schon bei anderer Gelegenheit von Lexer 5 ) mit-
6 ) Sammlung klinischer Vorträge, v. Bergmann, Erb
und W 1 n c k e 1, No. 173.
Digitized by v^ooQie
26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1919
getheilten Falle handelte es sich um einen 14 jährigen Knaben,
der wegen einer seit 5 Tagen unter Fieber und Schüttelfrost auf¬
getretenen Schwellung des r. Oberarmes zur Klinik kam. Als
wahrseheiuliehe Eingangspforte ergab sich ein in Heilung be¬
griffenes kleines Panaritium am r. kleinen Finger. Der r. Humerus
wurde sofort im unteren und mittleren Drittel aufgemeisselt.
Knooheumnrkeiter und Blut aus der Yen. mediana des 1. Annes
ergaben den Staphylococcus albus, der intravenös jungen Kanin¬
chen verimpft auch in geringen Dosen schnell tödtlicli wirkte.
3 Tage später wuchsen noch massenhafte Kulturen aus dem Blute,
dabei blieb die Temj>enitur sehr hoch mit starken Morgen¬
remissionen.
Bei der Spaltung einer phlegmonösen Schwellung des r. Vorder¬
arms am dritten Tage fand sich die ganze Ulna von Eiter utn-
spiilt. von der Haudgelenkepiphys» gelöst, nur noch in lockerem
Zusammenhänge mit dem (»eleukknorpel und Kapseltheilen am
Kllbogengelenk, welches vereitert war.
Obwohl die Ulna völlig entfernt, das Gelenk weit geöffnet, der
Humerus bis zur oberen Epiphyse weiter aufgemeisselt wurde,
stieg die Temperatur alle Abend bis 40“ und die in regelmässigen
3—4 tägigen Intervallen vorgenommenen Blutuntersuchungen er¬
gaben immer noch sehr reichliche Kulturen des Staphylococcus
albus, das letzte Mal am 25. Krankheitstage. Nachdem noch eine
eitrige Epididyinitis und ein weiterer metastatischer Abscess in der
1. Tibia im Laufe der nächsten Zeit operirt werden musste, konnte
schliesslich 4 Monate nach seiner Aufnahme der Patient in Heilung
entlassen werden.
Kann es auch einmal, wie im vorliegenden Falle, gelingen,
eine so schwere, unter pyaemisehen Erscheinungen oinhergehende
Markphlegmone, deren Ausbreitung bestimmten Bahnen folgt,
auch ohne Amputation durch breiteste Aufmeisselung oder gänz¬
liche Entfernung eines Knochens zum Stillstand zu bringen, so
gibt es doch auch so schwere Formen, wo nur das Preisgeben
der Extremität den Organismus vor immer wieder sich erneuern¬
den pyaemisehen Sehüben schützen kann.
Bel dem 13 jährigen Schüler M. hatte sich im Anschluss au ein
geringfügiges Trauma unter Fielnjr, Appetitlosigkeit, Kopfschmerz
und Erbrechen eine sehr schmerzhafte Schwellung oberhalb des
1. Kniegelenks entwickelt. Nach 8 tägiger Behandlung mit Salben
und Umschlägen wurde Patient in die Klinik gebracht; es fand
sich das typische Bild der akuten Osteomyelitis am 1. Oberschenkel
mit Bildung eines grossen Alwesses, der bis unter die Haut durch¬
gebrochen war. Im Kniegelenk geringer Erguss. Allgemein¬
befinden schlecht, Tcmp. 39".
Es wurde sofort die breite Aufmeisselung der unteren % des
Femurschaftes vorgenonnnen, in deren Bereich die Markhöhle von
Eiter erfüllt war. Aus dem prall gefüllten oberen Itecessus ent¬
leerte sich eitrig-seröse Flüssigkeit. Nach Anlegung von Gegen-
incisionen auf der Beugeseite wurde die grosse Wunde durch aus¬
giebige Drainage offen gehalten. Das Fieber liel in den nächsten
Tagen etwas ab. das Allgemeinbefinden besserte sich nicht: obwohl
die Wundhöhlen breit offen gehalten wurden, eine Verhaltung
nirgends l>estehen konnte, stieg nach einigen Tagen die Temperatur
plötzlich auf 40°. Es trat von Neuem Erbrechen ein. Patient wurde
völlig benommen. Ueber dem Herzen war deutliches perikardi¬
tisches Reiben, über der Tricuspidalis systolisches Geräusch hör¬
bar. Puls klein und fliegend. Der Zustand schien hoffnungslos.
Es wurde die Abtragung des Beines beschlossen und da die
Erkrankung bis nahe zum Hüftgelenk reichte, die Exarticulatlon
in der Hüfte ausgeführt.
Die schweren Allgemeinerscheinungen gingen zurück. Patient
wird wieder klar. Fieber fällt ab. und S Wochen später wird der
Knabe geheilt entlassen.
Die auf der Höhe des septischen Zustandes wiederholt vor-
geuoinmenen Blut unters uc li ungen hatten negatives
Ergebnlss.
•Wir hatten es also hier unzweifelhaft mit einem Fall
reiner Toxinaemie zu thun, welche ihre deletäre Wir¬
kungskraft mit dem Augenblicke verlor, wo mit Entfernung des
Gliedes die ergiebige Giftquelle versiegen musste.
In dem zuvor mitgetheilten Falle war es gelungen, mit Um¬
gehung der Amputation durch totale Entfernung des die Mark¬
phlegmone beherbergenden Knochens die Allgemeininfektion zu
beherrschen, mit anderen Worten dem Organismus durch Aus¬
schaltung des vulkanartig thätigen Bakterienherdes so weit zu
Hilfe zu kommen, dass er der bereits eingedrungenen Bakterien¬
mengen Herr werden konnte. Solche noch relativ günstige Fälle
kommen glücklicher Weist? vor, aber nicht immer sind die Be¬
dingungen so günstig, dass wir darauf rechnen können, ohne
radikale Entfernung des lokalen Eiterherdes der bestehenden
Sepsis noch Einhalt zu thun. Den Beweis dafür liefern die ja
leider immer noch zahlreichen Fälle, in denen mit der Ampu¬
tation zu lange gewartet wurde und erst der eintretende mori¬
bunde Zustand den Entschluss zu dieser letzten Maassregel er¬
zwang. In solchen Fällen kann natürlich auch die Amputation
keine Hilfe mehr bringen und wird sie vorgenommen, so werden
die Misserfolge mit Unrecht auf ihr Konto gesetzt. Bei einer
N<>. 48.
statistischen Berechnung der Mortalität sind selbstverständlich
solche verlorene Fälle von vorneherein auszuscheiden.
Zur Entscheidung der Frage, ob der Eingriff überhaupt be¬
rechtigt ist, können wir einer eigentlichen Statistik eutratken.
wenn uns nur Fälle zur Verfügung stehen, deren glücklicher Ver¬
lauf nach streng objektiver Beurtheilung einzig
und allein der noch rechtzeitig ausgeführten Amputation anzu-
rechnen ist.
Eine weitere derartige, erst kürzlich von uns gemachte
Beobachtung will ich zum Schluss noch anreihen.
Der 27 jährige Schlächter W. machte vor 18 Jahren eine akute
eitrige Osteomyelitis am r. Oberschenkel durch; nach deren Heilung
blieb der sehr kräftig entwickelte Mann gesund bis Anfang Juli
3901; ohne äussere Veranlassung entstand nun an der Stelle der
früheren Erkrankung oberhalb des r. Kniegelenks eine recht
schmerzhafte Anschwellung unter Fieber bis 39“ und starker Be¬
einträchtigung des Allgemeinbefindens.
Bei der nach einigen Tagen erfolgten Aufnahme in die Klinik
findet sich das Bild eines akuten osteomyelitischen Processes am
r. Oberschenkel, ein Wiedernufflackcm der vor IS Jahren an¬
scheinend mit voller Heilung iiberstnndenen Erkrankung. Dab.'i
besteht Erguss im Kniegelenk. Temp. 39". Zunächst wurde der
serös-eitrige Erguss im Kniegelenk durch Punktion entleert, das
Gelenk ausgespült; daun folgte die Aufmeisselung des unteren
Femurdrittels mit Ausräumung des eitrig iufiltrirten Markes. Das
Fiel>er fiel nur wenig ab. die Wunde sah schmierig aus und zeigte
auch in den nächsten Tagen keine Tendenz zur Reinigung. Dabei
wurde das Allgemeinbefinden immer schlechter. Patient war leicht
ikterisch und machte den Eindruck der schwersten septischen All¬
gemeininfektion. Nun wurde zur Amputation des Oberschenkels
geschritten, zu welcher die Einwilligung ohne Zögern gegeben
wurde.
Obwohl im Gesunden amputirt wurde, im Amputationsstumpf
eine Sekret verhalt ung nicht vorhanden war. hielt sich das Fiel**r
unter grossen Morgenromissionen noch 8 Tage lang wenig unter
und iil>er 40 n : dal>ei blieb der Allgemeinzustand sehr schlecht und
erst nach 8 Tagen wichen mit dem Fieber Ikterus und Delirien:
der wieder völlig klare Patient erholte sich bei ungestörtem Wund¬
verlaufe weiterhin rasch.
Dass es sich hier um eine ausgesprochene Sepsis handelte,
unterlag nach den klinischen Erscheinungen keinem Zweifel.
Die Probe auf das Exempel lieferte aber auch h i e r w i e d c r
die Blutuntersuchung; noch in den ersten
8 Tagen nach der Amputation konnte durch Züch¬
tung aus dem der Vena mediana entnommenen Blute d e r
Staphylococcus pyogenes aureus in Rein¬
kultur nachgewiesen w’erden. So lange brauchte der Organis¬
mus, um mit den Eindringlingen fertig zu werden, aber er wurde
mit ihnen fertig, weil der Giftherd rechtzeitig entfernt und
damit die Quelle erneuter Nachschübe von Eitercoecen beseitigt
war. Wohl vermochten die bereits in den Kreislauf resorbirten
Keime auch nach der Amputation das Fieber noch eine Weih*
zu unterhalten und das Allgemeinbefinden zu schädigen, aber
sie mussten schliesslich im Kampfe mit den Abwehreinrichtungen
des Körpers unterliegen.
Solche für unseren Standpunkt entscheidende Beobach¬
tungen sind auch von anderer Seite schon berichtet worden, so
u. A. von Sonnenburg und C a n o n ')•
C a non amputirte noch mit Glück das Bein eines Kranken,
in dessen Blut nicht nur der Staphylococcus albus nachgewiesen,
bei dem auch durch Reinkultur desselben Erregers aus dem
Sputum ein Lungeninfarkt festgestellt war. Der Patient
genas.
Solche Beobachtungen müssen Doerfler unbekannt sein,
wenn er fragen kann: ,AVas soll uns die Amputation noch
nützen, da wir nicht wissen, ob nicht schon metnstatische Ab¬
lagerungen von Reinkulturen pathologischer Mikrobonkolonien
da und dort stattgefunden haben u. s. f. (“
Für uns hiesse dies wahrlich die Flinte in’s Korn werfen
vor einem Gegner, den wir durch zielbewussten Angriff schon so
oft niedergeworfen haben.
Den von uns mit Absicht so ausführlich geschilderten
Fällen gegenüber wird sich I). vielleicht ebenso stellen wie zu
einer von S c h r e i b e r : ) mitgetheilten Beobachtung, wo bei einer
schweren septischen Panphlegmone nach hoher Oberarmampu¬
tation Heilung eintrat. Für I). erledigt sich der Fall sehr ein¬
fach durch die Frage: „Kann der Gegenbeweis erbracht werden,
dass Schrei ber’s Patient ohne Amputation gestorben wäre?* 1
■‘t (entralbl. f. Chir. 189*. S. 1(5. Freie Vereinigung der Chi¬
rurgen Berlins.
*> Handbuch der praktischen Chirurgie, v. Bergmann.
v. Bruns, v. Mikulicz, lhl. IV. 1.
1
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Google
i92Ö
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Mit demselben Rechte könnte man D. entgegenhalten: „Kann
der Beweis erbräche werden, dass unter seinen von septischer
progredienter Phlegmone ohne Amputation Geheilten auch nur
einer war, bei dem nach Lage der Dinge ein Anhänger der
Amputation diese selbst für nöthig befunden hätte?“
Uns selbst erscheinen wenigstens die von D. aus Zeitungs¬
notizen entnommenen Fälle, in denen er durch nachträgliche
Erkundigungen „genau erfahren hat, wo Heilung eintrat und
wo Tod“, nicht so werthvoll hinsichtlich ihrer Verwerthbarkeit
für die Entscheidung der uns beschäftigenden Frage, als e i n
positiver Fall, welcher von Anfang an unter Beobachtung und
Behandlung eines zuverlässigen Chirurgen gestanden hat.
Wenn irgendwo, so muss hier die nackte Zahlenstatistik,
sofern sie nicht unter genauester Kritik der Einzelfälle auf¬
gestellt wird, zu Trugschlüssen führen.
Keineswegs aber kann auf solehe Weise ein chirurgischer
Eingriff abgethan werden, welcher, zur rechten Zeit und
am rechten Orte angewendet, auch für die
Zukunft seinen wohlberechtigten Platz in
der chirurgischen Praxis behaupten wird.
Aus dem städtischen Krankenhaus in Barmen.
Ein Fall von epidemischer Dysenterie beim Foetus.
Von Dr. Marckwald, Prosektor am stiidt. Krankenhaus
zu Barmen.
Während der diesjährigen Dysenterieepidemie in Barmen
wurde die 24 jährige M. L. am 9. VII1. 1901 mit den Symptomen
einer schweren akuten Dysenterie in das hiesige Krankenhaus
auf genommen. Sie war gravida, angeblich 6—7 Mens. Am
10. VIII. 1901: Beginn von Wehen, die am 11. Nachts, gegen
1 Uhr, zur spontanen Geburt eines tief asphyktischen, männ¬
lichen Kindes führten. Dasselbe wurde in Watte eingepackt, es
wurden Schultz e’sche Schwingungen gemacht.
Nach einiger Zeit begann das Kind zu schreien und regel¬
mässig zu athmen. Nach etwa 2 ständiger Lebensdauer erfolgte
der Exitus plötzlich und ohne bemerkenswertlie Erscheinungen
gegen 3 Uhr Nachts.
Am 11. VIII. 1901, 9 Uhr Morgens, eröffnete ich die Bauch¬
höhle des Kindes, welches eine Länge von 37 cm hatte und relativ
gut entwickelt war. Es entleerten sich ca. 60—70 ccm trüber
Flüssigkeit. Das Peritoneum war spiegelnd, i. G. blass; nur die
Serosa der unteren Theile des Dünndarms und des Dickdarms bis
zur Flexura lienalis war intensiv gerüthet. Die Darmtheile fühlten
sieh derber und dicker an als die übrigen. Die mesenterialen
Lymphknoten und die dem Diekdarm anliegenden waren ge¬
schwollen, bis linsengruss und intensiv gerüthet.
Dieser Befund erregte den Verdacht auf eine Uebertraguug
der dysenterischen Erkrankung der Mutter auf den Foetus. Da
die Umstände für Vornahme einer bakteriologisehen Unter¬
suchung günstig waren (6 Stunden post exitum, kühle Nacht-
resp. Morgentemperatur, Einpackung des Foetus in Watte und
dadurch vermiedene Berührung mit etwaigem infizirenden
Material etc.), eröffnete ich unter den üblichen Cautelen die
Brusthöhle und mit 2 glühenden Pincetten den rechten Ven¬
trikel des Herzens. Durch Ansaugen mittels steriler Pipette er¬
hielt ich etwa 6 ccm flüssigen Blutes und vertheilte dieses Quan¬
tum auf 5 Gelatineröhrchen, die ich sodann in Petrischalen aus¬
goss. Es entwickelten sich im Ganzen 4 Kolonien auf 3 Platten
mit allen Merkmalen des K r u s e’schen Dysenteriebacillus, der
auch in den Faeces der Mutter nachgewiesen werden konnte.
Sonst sind die Platten steril geblieben.
Makroskopisch zeigten die erkrankten Darmtheile Schwel¬
lung und Köthung der Schleimhaut, stellenweise kleienförmige,
streitige Beläge, nirgends au-gesprochene Geschwürsbildung.
Zur mikroskopischen Untersuchung kamen verschiedene
Theile des erkrankten Darms und einige der am stärksten ver-
grösserten Lymphknoten.
Der Befund am Dann entspricht frühen Stadien dys¬
enterischer Darmerkrankung: Infiltration der Darmwand mit
Hundzellen bis in die Serosa hinein, Erweiterung und starke
Füllung der Blutgefässe, Zerfall der Darmschleimhaut in ge¬
ringer Ausdehnung und Auflagerung von Exsudat an Stelle der
zerfallenen Sehieimhaulpartien und in deren Umgebung. Das
Exsudat ist stark mit Loukoeyten durchsetzt.
In mit Methylenblau gefärbten Schnitten waren Bacillen in
der Darmschleimhaut selbst ausserordentlich spärlich nachweis¬
bar, reichlich dagegen in den Exsudatmassen, wo sie auch intra¬
cellulär auf traten und im Meconium. In den Lymphknoten ist
es mir trotz Untersuchung einer grossen Anzahl von Schnitten
nicht gelungen, Bacillen nachzuweisen.
Die übrigen Organe des Foetus zeigten keine makroskopisch
erkennbaren Veränderungen.
Die Placenta stand mir zur Untersuchung leider nicht zur
Verfügung.
Die Diagnose „Dysenterie“ bei der Mutter fand ihre ana¬
tomische Bestätigung am 3. IX. 1901.
Ich glaube durch die mitgetheilte Beobachtung den Ueber-
gang der mütterlichen Dysenterie auf den Foetus einwandsfrei
nachgewiesen zu haben. In der mir zur Verfügung stehenden
Literatur habe ich einen gleichartigen Fall nicht auf Anden
können.
Aus dem hygienischen Institut in Bonn.
Krebs und Malaria.
Von Professor Kruse.
Die Krebsfrage ist von so gewaltiger Bedeutung, dass jeder
ernsthaft gemeinte Versuch, sie zu lösen, sorgfältige Berücksich¬
tigung verdient. Das gilt auch von dem Vorschlag Löffle rV),
den Krebs durch Einimpfung von Malaria zu behandeln. Löff¬
ler stützt sich dabei vornehmlich auf eine alte Beobachtung von
Trnka, die beweisen soll, dass ein Krebskranker durch Ueber-
stehen einer Malariainfektion von seiner Geschwulst befreit
worden sei. Die Entscheidung über die Brauchbarkeit des
Löffle r sehen Vorschlages wird natürlich die Beobachtung
am Kranken und das Experiment zu liefern haben. Bei dem
Mangel direkter Erfahrungen ist es aber inzwischen wohl an¬
gebracht, sich an der Hand der Thatsachen, die die Statistik be¬
züglich der Krebs- und Malariaverbreitung liefert, ein vorläufiges
Urtheil über die Aussichten des neuen Verfahrens zu bilden.
Ich muss offen gestehen, dass ich die Löffle Fsche Mit¬
theilung von vornherein mit grossen Zweifeln aufgenommen
habe. Von einem mehrjährigen Aufenthalt in Italien her war
mir der Umstand bekannt, dass dieses Land auch in den am
stärksten von Malaria heimgesuchten Gegenden eine stattliche
Anzahl tüchtiger Aerzte besitzt. Sollte diesen Kollegen der
günstige Einfluss einer Malariainfektion auf ein bestehendes
Krebsleiden, wenn ein solcher wirklich existirte, ganz entgangen
sein? Oder wenn ähnliche Erfahrungen gemacht worden sind,
warum ist dann nichts weiteren Kreisen bekannt geworden?
Beides wäre doch kaum zu glauben. Mag dem sein wie ihm wolle,
auch ohne die Aeusserungen der medicinisehen Welt Italiens über
den Löffle r’schen Vorschlag abzuwarten, haben wir in der
italienischen Statistik eine brauchbare Grundlage für die Bo-
urthcilung unserer Frage').
Beginnen wir mit einem internationalen Vergleich 5 ).
Tabelle I.
Es starben 1887—91 auf je 10,000 Einwohner:
in an Malaria an malignen Geschwülsten
Italien 5,81 4,28
Preussen — 4,20
Irland 0,03 4,42
Oesterreich — 4,98
Schottland 0,05 6,34
England 0,06 6,63
Holland 0,40 7,28
Es starben also in Preussen, Oesterreich und Irland verhält-
nissmässig ebensoviel Personen an Krebs wie in Italien, während
die Malaria nur in letzterem Lande eine häufige Ursache des;
Todes ist 4 )- Eine Malariasterblichkeit von 5,81 auf 10000 bedeutet,
dass mindestens 100—200 mal so viel Personen an Malaria er-
') Löffler: Deutsche med. Woelienschr. 1901, No. 42.
J ) Statistica Italiana. Cause di morte. Anno 1881—90. Roma
1882—97.
*) Ibid. Jahrg. 1891/92, S. LXII u. LXV.
*) Desswegen wird die Malaria in der preussischen Todes-
ursachenstatistik gar nicht aufgeführt. In den Krankenhäusern
Preussens starben 1S87—89 jährlich 6 Personen an Malaria, in
denen Italiens 1885 hundertmal so viel, nämlich 569!
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1921
kranken 6 ). Trotz dieser enormen Verbreitung
der Malaria ist der Krebs in Italien ebenso
häufig wie in Preussen, wo die Sumpffieber zu
den seltensten Krankheiten gehören!
Natürlich sind wir damit noch nicht am Ende unserer Be¬
weisführung angelangt. Da man ja von vornherein nicht das
Recht hat, anzunehmen, dass Krebs und Malaria gleiohmässig im
Lande verbreitet seien, bliebe die Möglichkeit offen, dass in dem
einen Theil des Landes der Krebs, in dem anderen die Malaria vor¬
herrschten, beide Erkrankungen sich also dennoch ausschlössen.
Es lässt sich nicht leugnen, «lass ein erster Blick auf Tabelle II 6 )
diese Vermuthung, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, zu
rechtfertigen scheint.
Tabelle II.
In den italienischen Landschaften starben 1887—89 auf je
10,000 Lebende:
in
an Malaria
an bösartigen
Geschwülsten
wegen zu kleiner
Statur wurden von
Je I t 8tellungspflieh-
tlgen ausgemustert
1. Piemont
1,3
3,5
6,3
2. Ligurien
0,3
5,1
5,2
3. der Lombardei
1,0
5,3
7,3
4. Venezien
1,5
4,3
3,3
5. der Emilia
LI
6,4
4,5
6. Toscana
1,3
6,8
4,0
7 den Marken
0,6
5,5
7,1
8. Umbrien
1,2
4,4
7,7
9. Latium
9,8
4,9
7,6
10. den Abruzzen
9,8
2,9
10,7
11. Campanien
6,1
3,2
10,6
12. Apulien
11,5
2,9
11,9
13. der Basilicata
17,5
2,2
18,7
14. Calabrien
15,3
13,8
2,3
18,6
15. Sicilien
3,0
12,2
16. Sardinien
29,6
1.7
20.9
irn Königreich Ital
ien 6,0
4,3
8,3
Im Ganzen kann man allerdings sagen, dass die italienischen
Landschaften, die eine hohe Krebssterblichkeit haben, von der
Malaria wenig heimgesucht sind und umgekehrt. Nur muss man
sich hüten, beide Erscheinungen in ursächlichen Zusammen¬
hang zu bringen. Schon die Ziffern aus Latium, also der Provinz
Rom, würden einen bösen Strich durch diese Rechnung machen.
Die römische Landschaft ist ebenso stark vom Krebs wie von
der Malaria heimgesucht. In ersterer Beziehung steht sie den
nördlichen Landestheilen, in letzterer den südlichen gleich. Auch
Piemont will sich nicht in das allgemeine Bild einfügen. Die
Krebssterblichkeit ist dort auch ziemlich niedrig, annähernd so
gross wie in Campanien und Sicilien, während die Malaria¬
infektion eine unvergleichlich geringere Rolle spielt als in beiden
südlichen Landschaften.
Vollends in die Brüche geht aber die Theorie einer Beziehung
zwischen Malaria und Krebs, wenn man die Landschaften weiter
in kleinere Bezirke (Provinzen) zerlegt.
Tabelle III.
ln den italienischen Provinzen starben 1896 von 10,000 Lebenden:
ln an
Malaria
an Krebs
in
an Malaria
an Krebs
Alexandria
0,1
4,5
Rovigo
3,7
4,9
Cuneo
0,2
3,8
Treviso
0,3
4,7
Novara
1,4
4,8
Udine
0,4
5,4
Torino
0,5
5,5
Venezia
3,1
6,1
Verona
0,7
4,8
Genova
0,2
6,6
Vicenza
0,3
4,5
Porto Matirizio
0,2
6,1
Bologna
0,4
8,2
Bergamo
0,4
5,6
Ferrara
4,2
4,7
Brescia
0,5
7,4
Forli
0,1
9,4
Como
0,1
5,7
Modena
0,3
5,7
Cremona
1.5
7,2
Parma
0,3
8,9
Mantova
0,7
6,4
Piacenza
0,3
6,5
Milano
0,8
6,5
Ravenna
1,9
12,0
Pa via
0,7
5,6
Reggio d'Emilia 0,5
7,2
Sondrio
0,4
5,3
Arezzo
0,6
7,4
Belltino
0,1
5,9
Firenze
0,1
9,9
Padova
0,8
5,4
Grosseto
8,6
5,8
3 ) 1883—85
starben
selbst ln
den Krankenhäusern
nur circa
1—2 Proc. der wegen Malaria Aufgenommenen (Movimento degli
Inferuii uegll ospedali clvlli. ISST»— S7.I
") Stat. ital. Cause di inorte 188!)/S)U. Die Durchschnitts
zahlen für die drei Jahre sind von mir berechnet.
ln an
; Malaria
an Krebs
ln
an Malaria
an Krebs
Livorno
0,2
9,2
Napoli
0,7
4,5
Lucca
0,1
5,8
Salerno
4,6
2,9
Massa-Carrara
0,4
5,7
Pisa
1,5
7,2
Bari
7,1
3,0
Siena
1,0
9,0
Foggia
26,7
2,4
Lecce
12,1
3,6
Ancona
0,4
6.9
Ascoli Piceno
0,5
4,4
Potenza
19,6
3,0
Macerata
0,5
6,3
Pesaro-Urbino
0,2
6,5
Catanzaro
10,2
2,7
Cosenza
10,0
3,1
Perugia
0,9
4', 7
Reggio di Calabria 9,4
2,6
Roma
6,6
5,5
Caltanisetta
13,2
3,0
Catania
9,1
3,5
Aquila
1,6
4,2
Girgenti
13,0
3,2
Campobasso
9,2
3,7
Messina
7,6
3,1
Chieti
7,2
3,7
Palermo
5,7
3,3
Teraino
6,0
3,1
Siracusa
18,1
3,3
Trapani
8,8
3,1
Avellino
13,4
3,0
Benevento
9,4
3,1
Cagliari
19,2
1,8
Caserta
6,5
3,1
8aesari
13,7
1,5
Aus Tabelle III T ) ersehen wir, dass es auch im Norden einige
schlimme Malariaherde gibt, so in Rovigo, Venedig, Ferrara und
vor allen Dingen in Grosseto. Man sollte im Sinne jener Theorie
denken, dass hier auch die Krebssterbeziffer hcrabgedrückt wäre.
Statt dessen finden wir nur Zahlen wie in der Nachbarschaft
auch. Andererseits kommen auch im Süden grosse Schwan¬
kungen in der Intensität der Malaria vor, ohne dass denselben
ähnliche Verschiedenheiten in der Krebssterblichkeit gegenüber¬
ständen.
Es bleibt uns danach nichts übrig, als nach anderen Gründen
für die Eigenthümlichkeiten der Verbreitung des Krebses in
Italien zu suchen.
Zunächst darf man nicht etwa glauben, dass ähnliche Diffe¬
renzen in der Krebssterblichkeit wie in Italien sonst nirgends
vorkämen. Einer auf meine Anregung entstandenen, eben er¬
schienenen Arbeit von Laspeyres") entnehme ich z. B. fol¬
gende Zahlen:
Es starben 1891—95 an Krebs auf je 10 000 männliche Per¬
sonen in den preussischen Regierungsbezirken:
1. Koblenz. 2,9
2. Marienwerder.3,0
3. Trier.3,0
4. Münster.3,2
5. Oppeln.3.4
30. Magdeburg.5,4
31. Stralsund .5,4
32. Köln.5,7
33. Stettin.5,7
34- Schleswig.6,6
Also auch in Preussen haben wir Schwankungen der Krebs¬
ziffer von 3—6V #I , wie in Italien, ohne dass dort von einem Ein¬
fluss der Malaria auch nur die Rede sein könnte.
Laspeyres führt den Nachweis, dass ein Theil der Unter¬
schiede verschwindet, wenn man die verschiedene Altersver¬
th o i lu n g in den Landestheilen berücksichtigt. Auch für
Italien wird dieses Moment hier und da in Betracht kommen, je¬
doch genügt cs nicht zur Erklärung der maassgebenden Diffe¬
renzen. Z. B. habe ich nach dem Census von 1871 berechnet,
dass der Anthcil der über 50 Jahre alten, also vornehmlich der
Krebserkrankung ausgesetzten Personen an der Gesammtbevölke-
rung in Ligurien und Cnlabrien ungefähr derselbe (ca. 16 Proc.)
ist. und doch in Ligurien mehr als doppelt so viel Menschen
an Krebs sterben als in Calabrien.
Viel bedeutsamer als die Altcrsvertheilung ist nach Las¬
peyres die Dichtigkeit der Bevölkerung oder genauer aus-
ged rückt die Anhäufung der Bevölkerung in
städtischen Ccntron. So ergab sieh, wenn man die
34 Regierungsbezirke Preussens nach der Zahl der Städter, die
auf den Quadratkilometer kommen, ordnete, folgende Scala:
Gruppe
1. (No. 1—10)
2. (No. 11—24)
3. (No. 25 -34)
Durchschn.-Zahl
der Städter pro
□ km
14
26
80
Zahl der Todesfälle an Krebs
(lm Alt«>r von
b d. Männern
14.1 Prom.
17.1 „
20.1 „
30 - 80 Jahren)
b. d. Weibern
13.3 Prom.
17.0 „
19.4 „
’) Für die Jahre ISS? /SS), die den vorhergehenden Tabellen zu
Grunde lagen, lassen sieh aus der italienischen Statistik nicht die
Zahlen für die einzelnen Provinzen ansziehen: loh musste ein
späteres Jahr wählen. Die Quotienten habe ich berechnet. Sie
beziehen sich auf genügend zahlreiche Sterbefälle. Für ein Kin¬
gehen auf noch kleinere Verwaltungsbezirke liefert die Statistik
leider nicht das Material.
V Ein Beitrag zur Krebsstatistik. Centralbl. f. allgeni. Ge-
sundsheitsptl. 1001, Heft 9/10.
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19*2 MUENCHENER MEDIOINTSCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48.
Für Italien, im Ganzen genommen, lässt uns auch dieses Er-
klärungxprinzip im Stich. Gerade der vom Krebs mehr ver¬
schonte Süden Italiens enthält besonders dicht bevölkerte und mit
Städten reich besetzte Provinzen, wie folgende lieber sicht zeigt.
Tabelle IV.
in
auf 1 □ km
lebten 1881
dav.i. Orten
von 8000 u
mehr Elnw.
, auf 1 □ km
,u lebten 1881
dav.i. Orten
von 60X) u.
mehr Elnw.
Piemont
104
25 Proc.
Latium
74
48 Proc.
Ligurien
165
37 „
Abruzzen
77
15 „
Lombardei 152
20 „
Campanien
175
41 „
Venezia
117
16 „
Apulien
77
69 „
Emilia
105
31 „
Basilicata
51
42 „
Toscana
92
29 „
Calabrien
84
21 „
Marken
95
21 „
Sicilien
113
73 „
Umbrien
60
26 .
Sardinien
29
19 „
Im
Einzelnen
freilich ist
der b«Tör<l«
'rüde Einfluss, den
die Zusammendrängung der Bevölkerung auf die Verbreitung des
Krebses ausübt, auch in Italien nicht zu verkennen, ln der
Liste der Provinzen (Tab. 111) mache ich besonders auf Neapel
aufmerksam, das «lie grösste Anzahl von Einwohnern auf den
Quadratkilometer (1276) und daher auch eine höhere Krebsziffer
als die Eingebung zeigt. Noch deutlicher spiegelt sieh dieser Ein¬
fluss in folgender Talielle V wieder.
Tabelle V.
In den italienischen Gressstädten starben 1885 auf 10,000 Lebende:
in
an Malaria
an Krebs
in an
Malaria an Krebs
Turin
0,4
8,5
Rom
13,4
7,0
Genua
0,1
8,6
Neapel
1,0
6,0
Mailand
0,6
10,7
Bari
4,3
5,4
Venedig
1,1
10,9
Catania
5,2
5,6
Bologna
0,1
15,5
Messina
1,4
3,9
Florenz
0,2
10,3
Palermo
2,6
4,4
Livorno
0,1
8,3
Allen
thalben ist
also in den Grossstädten
«lie
Krebsziffer
höher als in den angrenzenden Landschaften. Dennoch ist auch
hier das I’ebergewieht des Nordens über den Süden nicht zu ver¬
kennen. Die. südlichen Gressstädte haben kaum soviel Todes¬
fälle an Krebs wie die ganzen Landest heile im Norden (Tab. 11).
Enter diesen Emständeu scheint es fast am nächsten zu
liegen, «lie klimatisch e n Verhältnis» e für die wesent¬
lichen Differenzen im Auftreten des Krebses in Italien ver¬
antwortlich zu machen. Wir hätten danach im Krebs ein Gegen¬
stück zur Malaria. Wie wir schon lange wissen, dass «las südliche
Klima die Intensität der Malariainfektion steigert, so würden wir
jetzt «lie Erfahrung machen, «lass es die Ausbreitung des Krebses
erschwert. Gegen einen solchen Schluss lassen sich aber doch ge¬
wichtig«* Bedenken erheben. Zunächst steht Ligurien, wenn es
auch geographisch zum Norden gehört, klimatisch dem Süden
Italiens viel näher. Die Krebssterblichkeit daselbst ist trotzdem
ein«* hohe. Emgekehrt hat «las Klima der Abruzzen, obwohl sie
geographisch dem Süden benachbart sind, durchaus nicht den
südlichen Charakter 1 '). End doch haben wir hier eine niedrige
Krebszitfer. Auch «las Klima kann also nicht «1er manssgebende
Faktor für die Vcrthcilung des Krebses in Italien sein. Sollte
nicht vielleicht «lie Rasse nvers c h i e «1 e n heit den wahren
Erklärungsgrund abgeben *
Den Anthropologcu ist die Thalsache längst geläufig, dass die
Bevölkerung Kmlitaliens mit Einschluss «l«*r Inseln sieh durch
geringere Körpergrössc, schmalere Kopfform, stärkere Pigmcn-
tinnig von der des Nordens unterscheidet. Ich selbst bin bei
meinen Studien iib«*r Kckrutirungsstatistik auf diese und andere
Differenzen aufmerksam geworden. Es fragt sieh, wo man die
Gr«*nz«*n zwis«*hen beiden Rassen zu ziehen hat. Wählen wir zu¬
nächst als unterscheidendes Merkmal die Körpergrössc. Ich
hatte in «*in«*.r früheren Arbeit "') die Zahlen «1er h«*i «1er Rekru-
tirung von 1887—89 wegen Mindermaass Ausgemusterten für die
einzelnen Landschaften Italiens ausgerechnet und gebe sie hier
in «l«*r letzten Kolumne der Tabelle II wieder. Man vergleiche
jetzt diese Kolumne mit der vorhergehenden und man wird fol-
”) Man vergleiche das tredliche Werk ..Risultuti «leü’inchiesta
sulie cotidizioni igieuielii* e xanitaric nci coiimumi «lei regno. Uc-
laziotie generale. Roma isst». (Ilerausg. v«»n der Direzione
generale delln statistiea.)
10 ) Vergl. Tal». XXX in meiner Abhandlung über den Ein¬
fluss des städtischen Lebens auf die Volksgesnndhelt. (Centralbl.
f. allgem. Gesumllieitspfl. 1898, Heft 8/9.1
Antropometria militare. Roma 1898.
gendes überraschende Resultat erhalten: Krebsstcrblich-
keit und Körpergrösse stehen in einem ganz
bestimmten Verhältniss: je geringer die Zahl der
Mindermässigeti, d. h. je grösser die mittlere Statur der Be¬
völkerung, desto höher ist die Krebsziffer. Wenn wir von den
beiden Grenzprovinzen Piemont und Venezien absehen, können
wir uns kaum eine regelmässigere Stufenleiter denken. An der
Spitze stehen die Landschaften Toscana und Emilia mit der gröss¬
ten Krebssterblichkeit und den grössten Leuten, dann folgen
Ligurien, die Txmibardei, die Marken, Latium und Umbrien. Jetzt
kommt ein ziemlich plötzlicher Sprung zu den LandestheiLen mit
niedriger Krebsziffer und kleineren Leuten; aber auch hier bleibt
die Regelmässigkeit «1er Reihenfolge, die von den Abruzzen,
Apulien und Campunien über Sicilien zu Calabrien, der Basili-
eata und schliesslich Sardinien führt, ganz unverkennbar. Diese
Gesetzmässigkeit kann natürlich kein Zufall sein. Sie beweist
uns, dass die Krekskraukheit in Italien von
der Rasse seiner Bewohner abhängig ist. Denn
die Statur ist nur eines «ler zahlreichen anderen Rassemdiaraktere.
Es würde hier zu weit führen, darauf genauer einzugehen. Ich
verweise d«*sswegen auf das grundlegende Werk von L i v i ").
dem zahlreiche sehr instruktive Karten beigegeben sind. Auf
den ersten Blick sieht man da, dass die Vertheilung des brünetten
Typus, des schmalen Kopfes, der niedrigen Stirnen, der grossen
Mund form im Wesentlichen mit jener der kleinen Staturen über-
einstimmt. Auch andere krankhafte Anlagen ausser der Dis¬
position zum Krebs scheinen durch die Rasse gegeben zu sein. s<>
hat schon Sormani 15 ) gefunden, dass die Varicen sehr vi«*l
häufiger in den nördlichen als in den südlichen Theilen Italiens
Vorkommen. Für die geistige Verschiedenheit der beiden italie¬
nischen Rassen gibt t^s einen interessanten ziffernmässigen Be¬
weis — die Zahlen für Mord und Selbstmord. 1887—89 starben
in den 7 südlichen Landschaften — von den Abruzzen abwärts —
0,1—0,2 der Bevölkerung an Selbstmord, in den 9 nördlichen
0,5—0,9 Wir haben hier genau dieselbe Abgrenzung wie bei
«ler Krebssterbliebkeit. Umgekehrt fielen in den südlichen Land¬
schaften 0,5—1,0"/..,, durch fremde Hand, in den nördlichen nur
0,1—0,4 Die Grenze ist hier fast die gleiche, eine Ausnahme
bildet nur die römische Provinz, die bei weitem die meisten Morde
wie Selbstmorde liefert. Danach scheint die norditalienische
Rasse sieh eher am eigenen als am fremden Leibe zu vergreifen,
die süditalienische aber mehr das eigene Leben als das des
Nächsten zu r«*spektiren (Sorman i) ”).
Verlockend genug wärt* die Aufgabe, den Einfluss der Rasse
auf die Verbreitung des Krebses auch in anderen Ländern zu
studiren. Leider ist das Material dazu kaum irgendwo in solcher
Vollständigkeit gegeben oder wenigstens nirgends so durchsichtig,
wie in Italien. Ich beschränke mich hier auf einige Andeutungen.
DieMedieinalstatistik des Deutschen Reiches’*) und Oesterreichs **)
lehrt, dass der Krebs in den südlichen Theilen von Baden. Würt¬
temberg und Bayern, in Salzburg, Tirol, Steiermark, Ober- und
Niederösterreich eine maximale Ausbreitung besitzt. Ebenso
wie in Italien findet sieh also in Mittel¬
europa nach den Alpen zu eine Zunahme der
Iv rebserkrankungen.
Das stimmt ganz gut zu den anthropologischen Beobacht¬
ungen, die uns die Existenz einer von den Alpen als Centrum
aus nach Norditalien und Süddeutsehland vorgeschobenen Rasse
nahclegen. Derjenige Charakter, der diese „alpine“ Rasse von
ihren Nachbarn im Süden wie im Norden unterscheidet, ist die
ausgeprägte Kurzküpfigkeit. In Körpergrössc und Pigmentirung
nimmt sic dagegen eine mittlere Stellung ein: gegenüber «lern
Süditaliener erscheint der Alpenbewohner grösser und heller gt-
färbt, gegenüber «lern Norddeutschen kleiner und dunkler.
Eine genauere Darstellung dieser Verhältnisse, ebenso wie
derjenigen in anderen Ländern, insbesondere auch in den Tropen,
wäre sehr erwünscht.
Falls die Vcrmuthung Löffle r’s, dass der Krebs in den
Tropen viel weniger häufig sei, als sonst, sich bestätigte — wie
r -'> Sorman i: (»eografln nosologiea (lell* Itnlia, Anuali di
statistiea. 2. serie. Vol. 1881.
,r ') Vergl. die Karte, die der Arbeit von Ralits iMediciual-
statistisclie Mittheilungen aus dem Iv. Gesundheltsnuite. <>. Bd..
2. Heft) beigegeben ist.
'*) Oesterreichisehes statistisches Handbuch 1899. Aus den
hier gegebenen absoluten Zahlen sind die relativen leicht zu be¬
rechnen.
Digitized by VjOOQie
26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1923
es nach den Angaben Scheub e’s und Behl a’s fast zu er¬
warten steht — so würde man daraus nichtaufeine Wir¬
kung der Malaria, sondern auf eine angeborene
(relative) Immunität der tropischen Rassen
gegen den Krebs zu schlieseen haben.
Aua dem Elisabeth-Krankenhaus Kassel.
Tetanus nach Gelatineinjektion.*)
Von F. Kuhn.
Die folgenden Zeilen betreffen eine zur Zeit recht aktuelle
l'rage, nämlich die subkutane Einverleibung von Gelatine in den
menschlichen Körper zum Zwecke der Blutgerinnung und Blut¬
stillung.
Das Verfahren gründet sich auf einige physiologische Ex¬
perimente von französischen Forschern, über die Blutgerinnung
befördernden Eigenschaften von Gelatineeinspritzuugen (Dastre,
Floresco), die allerdings nicht ohne Widerspruch geblieben
sind (Laborde, Comus, G 1 ey).
Wiewohl also physiologisch noch nicht genügend fundirt,
fand das Verfahren alsbald Empfehlung in der klinischen Medi-
cin und zwar zunächst für eine Reihe unangenehmer Erkran¬
kungen, wobei eben der Wunsch zu helfen leitend war. Gemein¬
sam war allen Bestrebungen die Absicht, rasch eine intensive
Blutgerinnung herbeizuführen.
So wurden denn die Injektionen empfohlen:
. 1. Für Blutungen überhaupt, und von verschiedenen Seiten
mit mehr oder weniger Erfolg ausgeführt ’). In diesen Fällen
war die Anwendung subkutan.
Andere Autoren brachten die Gelatine auch direkt auf die
blutende Wunde.
2. Ein zweites grösseres Feld eröffnete Kehr, indem er die
Gelatineinjektionen für die unstillbaren cholaemischen Blu¬
tungen verwandte. In 3 Fällen will er guten Erfolg gesehen
haben.
3. Endlich fanden die Einspritzungen von G-latine warme
Empfehlung für die Aneurysmen, so von Lancereaux 1898,
gestützt auf seine mit Paulesko ausgeführten Versuche;
Fraenkel und Senator sahen gute Erfolge 1 ). Weniger
Erfolg sah Schrötter nach seinen Mittheilungen auf dem
inneren Kongress in Karlsbad.
Aueserdem bekam die anfängliche, namentlich von fran¬
zösischer Seite geäusserte Begeisterung im Laufe der Zeit einen
bedenklichen Stoss durch die Mittheilung einzelner Unglüeksfälle,
welche der Gelatine zur Last gelegt wurden. So theilte Scho¬
ber aus Paris einen Todesfall mit, und Unverricht be¬
richtete über einen Fall, der während der Injektionskur (ob
durch die Gelatine ist zweifelhaft) gestorben ist. Gleichzeitig
begannen auch die Franzosen zur Vorsicht zu mahnen, und
Gerhardt warnte entgegen Klemperer geradezu vor zu
grossem Enthusiasmus und vor voreiligen Versuchen an Kranken.
Der Warnungsruf Gerhardt’s scheint nur zu sehr berech¬
tigt: denn betrachtet man die angezogene Frage näher, so er¬
geben sich ausser den von anderer Seite berührten Bedenken be¬
züglich zu rascher Gerinnung des Blutes etc., noch eine Anzahl
weiterer wichtiger Einwände. Wir müssten nichts von Toxinen
wissen, um ein thierisches Präparat so zweifelhafter und
verschiedenartiger Herkunft, wie es die käuf¬
liche Gelatine ist, dem lebenden Körper ruhigen Ge¬
wissens zu injiziren. Wer jemals den Geruch in der Nähe von
Leimfabriken erlebt hat, kann sich eine Vorstellung von den
Zersetzungen machen, die in solchen Anstalten an den auf ge¬
stapelten Kadaverresten vor und während ihrer Verarbeitung vor
sich gehen.
Zugegeben, dass die lebenden Fäulnisskeime bei der weiteren
Verarbeitung wieder zu Grunde gehen, so trägt die Gelatine, bei
der Unsauberkeit der Räume und der gehäuften Gelegenheit
neuer Infektionen, doch den lebenden Schmutz mit sich heraus
in’s Leben. Und bietet'sich dann durch längeres Liegen auf ge¬
stapelter Massen, besonders in feuchten, schmutzigen Räumen,
Gelegenheit, so propagiren die Keime und bilden Fäulniss-
produkte in üppigster Weise. Der Verwendung am Kranken¬
bette geht wohl eine neue Sterilisirung voraus. Dadurch gehen
*) Nach einem auf der 78. Versammlung deutscher Natur¬
forscher und Ae rate ln Hamburg gehaltenen Vortrage.
*) Literatur siehe in dem Originalartikel ln den Verhandlungen
der 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.
No. 48.
bei guter Ausführung zwar die Keime zu Grunde, aber nicht die
Toxine. Aber auch lebende Keime können, wenn sie selbst oder
ihre Sporen recht widerstandsfähig sind, gelegentlich in die Blut¬
bahn kommen und nur ganz besondere Vorsicht und sachverstän¬
dige bakteriologische Accuratesso, die in der täglichen Praxis oft
nicht zureichend sein dürfte, kaim vor schweren Infektionen
schützen.
Dies soll der folgende unglückliche Fall von Wund¬
tetanus nach Gelatineinjektion illustriren:
Pat. Ist ein schwächlicher Junge von 12 Jahren, Bluter.
Wegen adenoider Vegetationen Im Rachen zu Rathe gezogen, hatte
ein Kollege die Operation abgelehnt, nachdem bei palpatoriscbev
Untersuchung diese Theile stark geblutet hatten. Ein Jahr später
liess er in Anbetracht des besseren Allgemeinbefindens sich doch
zur Operation bewegen. Die Blutung war sehr lebhaft trotz Eis¬
wasser und Kompression. Als sie bis zum Abend anhielt, lnjlzirte
der Arzt unter allen antiseptischen Kautelen 50 gr 2 proc. Gelatine,
die er sterlllsirt aus der Apotheke bezog. Die Injektion war recht
schmerzhaft; die Schmerzen, die von der Iujektionsstelle an der
Innenseite des linken Oberschenkels nach der Bauchhöhle aus¬
strahlten, dauerten die nächsten Tage an. Die Stelle verfärbte
sich und nahm gangraenösen Charakter an. So kam der kleine
Pat am 4. Tage nach der Einspritzung Mittags zur Aufnahme ln's
Krankenhaus.
Die örtliche Läsion bestand ln einer handtellergrossen gan¬
graenösen Partie am Oberschenkel: die Umgebung war livide.
oedeinatös, ln Gangraenesclrung begriffen, die todten Fetzen Hessen
sich stumpf ohne Blutung bis auf die Musculatur ablösen. Tam¬
ponade mit Jodoformgaze. Nach dem Becken breitete sich etwas
Oedem aus. Allgemeinbefinden leidlich.
Am nächsten Morgen bei der Visite deutlicher Trismus.
Im Laufe des Vormittags rasche Zunahme, Beine tetanlsch,
Mittags bereits Ophisthotonus mit starken Stössen. Zum
Glücke dauerte der furchtbare Zustand nicht lange. Bevor das
Tetanusserum, das inzwischen beschafft war, eingespritzt werden
konnte, war der Junge eine Leiche.
Nachdem der Tod des Kindes unter unzweifelhaften Sym¬
ptomen von Tetanus erfolgt war, bestand für mich naturgemäss
das höchste Interesse, den definitiven Beweis zu erbringen, dass
die Injektionsstelle die Eintrittsstelle des Giftes gewesen, be¬
ziehungsweise : dass die Gelatine die Trägerin des
Tetanusgiftes gewesen.
Es wurden daher nach dem Tode des Knaben Kaninchen mit
Kürpertheilen der Leiche in die Rückenhaut infizirt und zwar:
1. 2 Kaninchen mit Herzblut;
2. 2 Kaninchen mit Abstrichen von der Wunde;
3. 2 Kaninchen mit Gewebstheilen aus der Wunde, einem
grösseren und einem kleineren Stück.
Die Resultate der Versuche an den Thieren entsprachen ganz
den Erwartungen: die mit Blut und mit Gewebesaft infizirten
Thiere blieben ganz und dauernd gesund. Dagegen zeigte das mit
dem grösseren Gewebsstück beschickte Thier schon am dritten
Tage leichten Pleurosthotonus, am Abend desselben Tages Tris¬
mus; am nächsten Morgen liegt das Thier mit tetanischen Ex¬
tremitäten in einer Ecke des Käfigs, und geht in der folgenden
Nacht zu Grunde.
Das mit wenig Gewebe infizirte Thier zeigt nur leichte Ver¬
biegung der Wirbelsäule, am 5. Tage etwas Trismus, der eine
Reihe von Tagen dauert; dann erholt sich das Thier und wird
gesund.
Nach diesen meinen Versuchen war ohne Zweifel das Vor¬
handensein von übertragbare^ Tetanuskeimen in der Wunde des
Kindes bewiesen. Dieselben stammten ohne Zweifel aus der
eingespritzten Gelatine, deren Sterilisirung in der Apotheke sicht¬
lich zur Tödtung der Keime nicht ausgereicht hatte. Das Gela¬
tineblättchen war sichtlich Trägerin der Keime und stammte
wohl von tetanuskrankem Material, möglicher Weise von ge¬
fallenen Pferden.
Die praktische Tragweite unserer Versuche, die mein Assi¬
stent, Herr Dr. Krug, noch weiter verfolgt, ist von Bedeutung:
Im Angesichte des geschilderten Falles ist es doch im geringsten
Falle ein recht unheimlicher Gedanke, käufliche Gela¬
tine, wie seither, subkutan zu verwenden. Ich wenigstens
komme von dem Gedanken nicht frei, in ihr den direkten Träger
von Fäulniss und Infektion zu sehen. Bei der Widerstandsfähig¬
keit des Tetanusbacillus, der in 100 9 strömendem Wasserdampf
erst nach 8 Minuten 3 ) zu Grunde geht und 80° 1 Stunde lang
unbeschadet verträgt, und bei der Widerstandsfähigkeit anderer
Sporen, z. B. dee Milzbrandes, ist die Gefahr der Uebertragbarkeit
doch recht gross. Aber selbst zugegeben, dass eine intensive fach¬
gemäße Sterilisirung alle lebenden Keime tödtete, so bleibt es
*) Vergl. E. Rose: Deutsche Chirurgie.
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Lief. 8., pag. 289.
^odgle
1924
MTJENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
immer noch ein furchtbarer Gedanke, so gerade mit genauer
Noth an den schwersten Infektionen vorbeizukommen. Toxine
bekommt man daneben noch genug unter seine Haut.
Will man an den Einspritzungen von Gelatine festhalten, so
muss man die Forderung auf stellen, dass die zur subkutanen
Injektion zur Verwendung kommende Gela¬
tine frisch aus dem leimgebenden Gewebe ge¬
sunder Schlachtthiere hergestellt werde.
Ein Fall von Atropinvergiftung.
Von Dr. Max Selo, prakt. Arzt in Berlin.
Am 28. August Nachmittags zwischen 6—7 Uhr konsultirte
mich Frau Sch., indem sie die Fahne einer Arzneiflasche zu mir I
brachte und fragte, ob die hierauf vermerkte Medicln giftig sei.
Sie fügte gleichzeitig hinzu, ihr 11 jähriger Junge habe die Flasche
leer getrunken und liege in Krämpfen.
Auf der Fahne stand vermerkt:
Atropini sulf. 0,05. :
Aq. dest. ad 10,0.
Mds. 3 mal tägl. 1 Tropfen in's Auge zu träufeln.
Ich begab mich sofort mit einem Magenschlauch in die Woh¬
nung des Patienten und erfuhr hier, dass der Knabe schon vor
3 Stunden die noch nicht gebrauchte Medicin getrunken habe, bis
auf einen ganz kleinen Rest, den sein kleinerer Bruder zu sich
genommen habe. Der Mutter war in den 3 ersten Stunden nur
aufgefallen, dass der Knabe so häufig das Kloset aufsuchte und
sich so sehr unruhig zeigte. Diese Unruhe steigerte sich all¬
mählich bis zur Tobsucht, in der Ich den Knaben bei meinem Ein- i
treffen fand. Er warf sich mit einer Geschwindigkeit und einem
Kraftaufwand im Bette umher, dass es zwei kräftigen Personen
kaum möglich war, ihn zu halten. In der That staunenswerte
welche Kraftentfaltung das Atropin diesem sonst schwächlichen
Knaben geben konnte! Dabei schrie und redete er allerhand un¬
verständliche Worte vor sich hin und .reagirte auf mein Anrufen
nicht Seine Haut- und Gesichtsfarbe war bleich, der Puls klein
und von einer enormen Schnelligkeit. Die Pupillen waren ad
maximuni erweitert und reaktionslos. Es war deutlich wahr¬
zunehmen, wie bei der Prüfung durch stärkeren Lichtreiz die Tob¬
sucht sich steigerte.
Meinen ersten Gedanken, eine Magenausspülung vorzunehmen,
liess ich fallen, nachdem ich gehört hatte, dass bereits vor :
3 Stunden die Lösung getrunken war und ein Anfangs gemachter i
Versuch bei dem in seiner Raserei sich heftig wehrenden Knaben j
mir missglückte. Ich machte einen Essigwassereinlauf und gab
dann ein Klystier von Chloralhydrat 0,5, worauf die Tobsucht sich
legte und alsbald Schlaf eintrat. Beim nächsten Morgenbesuch
hörte ich, dass der Schlaf nur 2 Stunden angehalten habe, sodann
derselbe Aufregungszustand wieder eingetreten sei, der die ganze
Nacht hindurch angehalteu habe. Ich fand am Morgen den !
Knaben bedeutend ruhiger, er phantasirte zwar noch zeitweise, i
sah weisse Mäuse, suchte im Bette nach Geld, gab aber auf meine I
Fragen ganz vernünftige Antworten. Als ich nach 10 Tagen den
Knaben wiedersah, klagte er noch Uber zeitweise auftretendeu I
Kopfschmerz, Trockenheit im Halse und über Sehstörungen beim 1
Lesen kleiner Schrift.
Dieser Fall lehrt, wie verhältnissmüssig günstig eine Atropin- j
Vergiftung ausgehen kann. Es war fast das 50 fache der
Maximaldosis für Erwachsene von einem durchaus nicht kräftig
entwickelten Knaben aufgenommen worden, ohne dass es zu.
einem verhängnisvollen Ausgang gekommen ist.
Die Nadelzange, ein einfaches Instrument zur Naht
anlegung, Umstechung, Stielabbindung.
Von Dr. Edgar Kurz in Florenz.
Bekanntlich ist l>ei Operationen in Höhlen, zumal bei be¬
schränkten räumlichen Verhältnissen, die Anlegung der Nähte oft
schwierig und zeitraubend, da die Nadel oft nicht leicht in der
gewollten Direktion geführt und nicht leicht an der Spitze gefasst
und durchgezogen werden kann, besonders wenn die Spitze kaum
aus dem Gewebe hervorsteht oder durch Blut verdeckt ist.
Zur Vermeidung dieses Uebelstandes hatte Ich vor 8 Jahren
das „Nadelpistol“ konstruirt, mittels dessen die Nadel gewisser-
raassen abgodrückt oder abgeschossen und so durch die Gewebe
vorwärts getrieben wurde, so dass ein längerer Abschnitt der
Spitze aus dem Gewebe hervortrat und somit leichter zu fassen
war. Dieses Instrument (publiclrt lm Centralbl. f. Chirurgie 1893,
No. 13; hat sich mir auch, besonders bei schwierigen Gefässunter-
binduugen in der Continuität, sowie bei Stielbildungen, Abbindung
der Lig. lata ext nicht schlecht bewährt. Es blieb jedoch immer¬
hin noch der Nachthell, dass das Fassen der Nadelspitze doch
nicht immer ganz leicht und sicher ging, dass dieselbe auch
manchmal, schon gefasst, der Piucette oder den Fingern wieder
entglitt, auch das Durchziehen der gefassten Nadel, besonders bei
beschränktem Raum, nicht immer ganz anstandslos von Statten
ging und somit manche Nähte doch nicht mit der gewünschten
Schnelligkeit angelegt werden konnten. Auch waren, wie bei den
gewöhnlichen Nadeln, die Finger der Gefahr der Verletzung aus-
•-setzt.
Ich habe desshalb zur schnellen und sichern Nahtanlegung
bei Operationen In der Tiefe, wie Hysterektomien etc., ein neues,
auf ganz anderem Princip beruhendes Instrument ersonnen,
welches mir allen Anforderungen weit besser zu genügen scheint.
Mit demselben können z. B. die Lig. lata sehr bequem abgebunden,
ebenso Umstechungen blutender GefUsse, Stielabbindungen etc.
mit grösster Leichtigkeit vorgenommen werden.
Das Instrument, welches ich „Nadelzange“ genannt habe, ist
so einfach, dass es kaum einer Beschreibung bedarf. Die Abbil¬
dung stellt dasselbe in % natürlicher Grösse dar. In der einen
Branche der Zange steckt die kurze, leicht gekrümmte Nadel in
einem kleinen Kanal, der zu beiden Seiten einen Schlitz für den
Faden hat. Die Nadel besitzt auf ihrer konkaven Fläche, nahe der
Spitze, eine leichte Einkerbung. Die Zange wird, mit der Nadel
bewaffnet, unter Leitung des Auges oder des Fingers leicht ge¬
öffnet an Ort und Stelle gebracht. Durch Schluss der Zange wird
die Nadel durch das Gewebe gestossen; dabei schnappt ihre Ein¬
kerbung in das federnde Maul der anderen Brauche ein, wodurch
die Nadelspitze in dieser Branche fixirt ist. Man hat nun nichts
zu thun, als die Zange zu öffnen und zurückzuziehen. Damit ist
die Nadel sammt Faden an der gewollten Stelle durch das Ge¬
webe gezogen, indem das federnde Klemmmaul der zweiten
Branche sie dem Kanal der ersten Branche abgeuommen hat.
Durch eine halbe Umdrehung der Nadel (um ihre Kante) wird
dieselbe aus dem Klemmmaul befreit, und der Faden kann sofort
geknotet werden.
Es ist klar, dass auf diese Weise Nähte und besonders Ab¬
bindungen in der Tiefe an den schwierigsten Stellen mit grosser
Leichtigkeit, Sicherheit und Schnelligkeit ausgeführt werden
können, da Durchstechen, Fassen und Durchziehen der Nadel in
weniger als einer Sekunde bewerkstelligt wird. Die Folge davon
ist eine wesentliche Abkürzung der Operationsdauer. Ausserdem
habe ich es auch als Annehmlichkeit empfunden, keine Nadel¬
stiche in die Finger zu bekommen, wie dies bei der Versorgung
der Parametrien und Lig. lata mit anderen Nadeln, die man auf
den tastenden Finger durchstechen muss, so häufig nicht ver¬
mieden werden kann.
Seit 4 Jahren habe ich die Nadelzange bei einer Reihe von
Operationen verwendet. Besonders gute Dienste hat sie mir bei
zwei schwierigen vaginalen Exstirpationen sehr grosser carci-
nomatöser Uteri mit straffen, schwer zugänglichen Ligamentis
latis und alten perimetritischeu Verwachsungen geleistet. (Beide
Fälle waren, nebenbei gesagt, anderwärts für inoperabel erklärt
worden; die eine Patientin erlag nach iy 2 Jahren einem Recidiv.
die andere ist noch jetzt, nach 4 Jahren, vollständig gesund.)
Die assistirenden Kollegen waren beidemal erstaunt über die
exacte und rasche Nahtanlegung und über die dadurch bedingte
relativ kurze Dauer der Operation.
Ich hoffe, dass sich diese Nadelzange auch anderen Chirurgen
wegen ihrer Einfachheit und Handlichkeit als praktisches und
nützliches Instrument bewähren wird. Am besten hält man l>t“i
schwierigeren Operationen 2 Exemplare mit der nöthlgen Anzahl
Nadeln bereit, um jeden Zeitverlust zu vermeiden. Sobald der
Operateur die eine gebrauchte Zange abgibt, reicht ihm der
Assistent die andere, schon mit der Nadel armirte Zange.
Aus dem hygienischen Institut der Universität Wien.
Zur Theorie der Antikörper.
II. lieber Bakteriolyse und Haemolyse.*)
Von Max Gruber in Wien.
Im Jahre 1890 lieferten v. Behring und Nissen den
ersten schlagenden Beweis dafür, dass bei manchen Imrnuni-
sirungen das Blutserum specifisch baktericide Wirkung bekommt.
Während das Serum normaler Meerschweine den Vibrio
Metschnikovi nicht schädigt, fanden sie, dass das Serum der
gegen diesen Vibrio immunisirten Meerschweine ihn energisch
abtödtet. Es stellte sich dann bald heraus, dass insoferne eine
vollständige Analogie zwischen specifisch baktericiden und spe¬
cifisch antitoxischen Seris bestehe, als es. in beiden Fällen mög¬
lich ist, durch Injektion des specifischen Serums sofort normale
Thiere passiv zu immunisiren. Das Merkwürdigste, was Fraen-
k e 1 und Sobernheim bei diesen Versuchen passiver Im-
munisirung mit baktericiden Seris fanden, war, dass die Sera,
welche in frischem Zustande die betreffenden Bakterien in vitro
abtödteten, diese Fähigkeit spontan beim Stehen oder durch kurz-
*) Vortrag, gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte am
8. November 1901.
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1925
dauernde Erhitzung auf 60° einbüssten, trotzdem aber auch in
diesem inaktiven Zustande noch, einem normalen Thiere injizirt,
Immunität ertheilten und das Serum des Thieres specifisch bak-
tericid machten.
Man fand dann weiter, dass man den Process der Schädi¬
gung und Auflösung der Bakterien in der baktericiden Flüssig¬
keit mit dem Mikroskope verfolgen kann, wenn man die Bak¬
terien in die Bauchhöhle eines aktiv immunisirten Thieres oder
zusammen mit aktivem oder inaktivem Immunserum in die
Bauchhöhle eines normalen Thieres injizirt und von Zeit zu Zeit
durch Punktion Proben des Peritonealinhaltes entnimmt. Bei
genügend kräftiger Immunisirungswirkung sah man binnen
ganz kurzer Zeit die injizirten Bakterien aus der freien Flüssig¬
keit in der Bauchhöhle vollständig verschwinden. Man deutete
nun dieses Verschwinden als vollständige Auflösung der Bak¬
terien und zog, da man in vitro eine solche rapide Auflösung
niemals zu erzielen vermochte, den Schluss, dass das inaktive
Immunserum Vorstufen der auf lösenden Stoffe enthalte, die man
„Lysogene“ nannte, und die zu den Lysinen in ähnlichem Ver¬
hältnisse stehen sollten, wie die Zymogene zu den Enzymen.
Durch aktives Eingreifen der Körperzellen, also erst durch eine
Reaktion des Organismus, sollten sie in die Lysine umgewandelt
werden.
Es stellte sich aber bald heraus, dass diese Hypothese von
den Lysinen und ihrer reaktiven Entstehung aus lysogenen
Stoffen unhaltbar sei. Ich und D u r h a m zeigten, dass man den
Process der Auflösung der Bakterien in der Bauchhöhlenflüssig¬
keit quantitativ ungeheuer überschätzt hatte und dass der grösste
Theil der aus der freien Flüssigkeit verschwundenen Bakterien
noch nach langer Zeit in lebendem Zustande auf dem Mesen¬
terium und Omentum gefunden werden könne. Die Bakterien
verschwinden desshalb so rasch aus der Flüssigkeit, weil sie sich
unter dem Einflüsse des Immunserums zu grossen Flocken zu¬
sammenballen, die daun an der Mesenterialoberfläche kleben
bleiben. Insoferne es zu Gestaltveränderung (Kügelchenbildung),
Abtödtung und Auflösung der Bakterien kommt, geschieht dies
in vitro genau in demselben Umfange, wie in der Bauchhöhle.
Metschnikoff und Bordet und unabhängig von ihnen,
ich und Durham haben gefunden, dass diese Phänomene auch
ausserhalb des Thierkörpers auftreten, wenn man ganz frisches
Immunserum, ganz frische Peritoneallymphe eines aktiv immuni¬
sirten Thieres nimmt oder wenn man den inaktiv gewordenen
Immunflüssigkeiten ein wenig frisches Serum oder frische
Lymphe eines normalen Thieres zusetzt. Es bedarf keiner Re¬
aktion des Organismus, um die baktericide Wirkung des inaktiven
Immunserums wieder herzustellen; das normale Thier, dem
solches Serum injicirt wird, verhält sich vollständig passiv und
die baktericide Wirkung kommt einfach durch das Zusammen¬
treffen der zwei Flüssigkeiten, durch das Zusammentreffen von
zwei fertigen Stoffen zu Stande, von welchen der eine stabile und
hitzebeständige, beim Immunisirungsprocesse gebildet wird,
während der andere, hitzeunbeständige, labile, sich auch im nor¬
malen Serum vorfindet.
Während man bis dahin die specifische Wirkung der Immun¬
sera als durchaus von der schon lange bekannten baktericiden
Wirkung der frischen Normalsera verschieden betrachtet hatte,
wurde es jetzt klar, dass beide Erscheinungen im engsten Zu¬
sammenhänge miteinander stehen und sich nur durch ihre In¬
tensität und den Grad ihrer Specifität von einander unterscheiden.
Offenbar sind in beiden Fällen dieselben labilen Substanzen
im Spiele, die man als die Träger der baktericiden Wirkung be¬
trachtet und welche Büchner daher Alexine („Schutz¬
stoffe“) genannt hatte.
Da die Existenz dieser Alexine von einigen Forschern noch
immer bestritten und die baktericide Wirkung der Normalsera auf
Mangel an passenden Eiweissnährstoffen im aktiven Normal-
sormn und auf Plasmolyse in Folge schroffen Wechsels der Con-
centration der krystalloiden Stoffe bei Uebertragung der Bak¬
terien aus ihren gewöhnlichen Nährböden in das Serum bezogen
wird, muss darauf hingewiesen werden, dass diese von Baum-
garten und dem Botaniker A. Fischer hartnäckig ver¬
fochtene Ansicht als endgiltig widerlegt zu betrachten ist. Vor
Kurzem hat Hegel er, ein Schüler Büchner’«, die Ent¬
scheidung gebracht, indem er die Bakterien zunächst in inakti-
virtem Normalserum anwnehsen liess und dann eine kleine Menge
aktiven Serums desselben Thieres hinzufügte. Obwohl in diesem
Falle weder von Nahrungsmangel noch von Veränderung der
Salzconcentration gesprochen werden kann, stellte sich starke
Abtödtung ein. Dasselbe wie IlegelePs Versuch beweisen die
umfangreichen, ausserordentlich fleissigen und gründlichen
Untersuchungen v. L i n g el s h e i m’s, die in jüngster Zeit aus
dem F1 ü g g e’schen Laboratorium hervorgegangen sind.
Die Wirkung der bereits im normalen Serum vorhandenen
Alexine wird durch die hitzebeständigen specifischen Stoffe der
Immunsera nur verstärkt und in die bestimmte Richtung auf die
zur Immunisirung verwendeten Bakterien geleitet. Dass auch
noch im inaktiven Immunserum Stoffe vorhanden sind, die un¬
mittelbar auf die Bakterien wirken, ergibt sich au6 dem von mir
und Durham gemachten Funde der specifischen Agglutination;
ein Fund, der mit seiner Verwerthung zur Diagnose der Bak¬
terien (ich und Durham) und zur Diagnose der Krankheiten
(ich und Grünbaum) so grosses Gefallen erregt hat, dass man
von verschiedenen Seiten versucht hat, ihn nochmals zu machen.
Da die Herren wussten, wo sie zu suchen hatten, gelang ihnen
der „Fund“ natürlich auch ganz vortrefflich.
Ich habe dann mit Durham zuerst den wichtigen Nachweis
erbracht, dass die specifischen Immunstoffe — die Agglutinine wie
die übrigen Antikörper, wenn'solche noch neben den Agglutininen
im Immunserum enthalten sein sollten — von den betreffenden
Bakterien gebunden werden. Da auch diese, für das Verständniss
der specifisch baktericiden Wirkung grundlegende Entdeckung
in der Literatur ignorirt zu werden pflegt, sei es gestattet, den
betreffenden Absatz aus meinem im Jahre 1896 in der k. k. Ge¬
sellschaft der Aerzte gehaltenen Vorträge 1 ) hier wiederzugeben:
„Ich habe erst gestern und heute wieder den Versuch in fol¬
gender Welse wiederholt: Ich habe 00 mg hochwirksames V.
Elversserum genommen, eine Dosis, welche das Vielfache des¬
jenigen beträgt, was beim Thierversuche zur vollständigen Um¬
wandlung der Vibrionen in Kügelchen erforderlich ist; habe dazu
ca. 2,5 mg einer 18 stündigen Agarvegetation von Elversvibrio
ln 1 ccm Bouillon gegeben und habe das Gemisch 20 Stunden
lang lm Brutofen aufbewahrt. Am Morgen fand sich in dem Ge¬
mische neben den Ballen, die durch das Agglutinin erzeugt wor¬
den waren, eine Unzahl üppig wachsender und lebhaft sich be¬
wegender Vibrionen vor.
Ich habe nun das Gemisch durch eine Stunde auf 55 —60°
erwärmt, um die vielleicht an die Antikörper „gewöhnten“
Vibrionen zu tödten, dann neuerdings 2,5 mg vollvirulenter Kul¬
tur hinzugegeben und das Ganze einem 200 g schweren Meer¬
schweinchen injizirt. Der Erfolg war der erwartete. Die
P f e 1 f f e r’sche Reaktion blieb vollständig aus. In allen Proben
blieben stets lebhaft bewegliche Vibrionen ln grosser Zahl sicht¬
bar; auch noch nach einer und zwei Stunden und das Thier Ist
bereits der Infektion ln typischem Verlaufe erlegen.
Eine Kontrolprobe mit der gleichen Dosis desselben Serums
stellte neuerdings sicher, dass die specifische Serumwirkung durch
das Erhitzen auf 55—60 0 nicht beseitigt wird.
Aus diesen Beobachtungen ergibt sich mit Nothwendigkeit
die Folgerung: dass in dem injizirten Gemische die
Antikörper nicht mehr vorhanden waren, was ich
schon mit voller Sicherheit aus dem Ausbleiben der Agglomera¬
tion der neu zugesetzten Vibrionen erkannt hatte.
Das Resultat dieser Versuche Ist nun wieder von ausser¬
ordentlicher theoretischer Tragweite, da dadurch bewiesen wird,
dass die Agglutinine bei der Reaktion auf-
gebraucht werde n, wodurch sich in einfacher Weise er¬
klärt, warum die Wirkung der Immunsera streng den angewende¬
ten Mengen proportional ist.
Die Agglutinine gehen offenbar Irgend welche Verbindung
mit den Bakterien, beziehungsweise mit deren Membranbestand-
theilen ein."
Ich habe, au« unseren damaligen Beobachtungen den Schluss
gezogen, dass die Agglutination dadurch zu Stande komme, dass
sich die Agglutinine mit gewissen Membranbestandtheilen der
Bakterien verbinden und dadurch die Membranen klebrig machen;
eine Erklärung, welche nach meiner Meinung allein mit allen
Erscheinungen im Einklänge steht.
Ich habe dann weiter, die Agglutinine mit den die Bakteri-
eidie befördernden Antikörpern identifizirend, angenommen, dass
die specifischen Antikörper dadurch die Wirkung der Alexine
verstärken, dass sie durch ihre Verbindung mit gewissen Mem-
branbcstandtheilen die Membran der Bakterien für das Alexin
durchgängig machen. Diese Hypothese ist fast von allen Seiten
bestritten worden. Es würde heute zu weit führen, die Ein¬
wendungen zu discutiren. Ich behalte mir vor, dies ein anderes
Mal zu tlnin. Ich muss nachdrücklich darauf hinweisen, dass
dieser Versuch die Bindung des Immunkörpers be¬
weist, ganz gleichgiltig, ob der Immunkörper mit dem Agglutinin
identisch ist oder nicht.
') Wien. kliu. Wochenschr. 1890, No. 12.
5*
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1926
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Die typischen Sera gewannen ein gesteigertes Interesse, als
man entdeckte, dass man im Stande sei, in völliger Analogie zu
den bactericiden Scris specifisch globulicide, haemolytische Sera
durch Einverleibung von Blutkörperchen herzustellen. Man be¬
kam so ein ausserordentlich bequemes Untersuchungsmaterial, da
natürlich an den grossen Erythrocyten Dinge leicht zu sehen sind,
die man bei den Bakterien nicht wahmehmen kann und Lösung
des Blutfarbstoffs unendlich bequemer zu konstatiren ist, als Tod
der Bakterien. Büchner hatte schon lange vorher gezeigt,
dass die baktericiden Normalsera zugleich die Fähigkeit besitzen,
fremde Blutkörperchen zu lösen; dass beide Fähigkeiten auf’s
Engste miteinander Zusammenhängen, beim Stehen oder Erhitzt¬
werden des Serums zugleich verloren gehen und offenbar auf die
Wirkung derselben Stoffe, der Alexine zu beziehen seien. Bel -
f a n t i und Carbone zeigten jetzt, dass man diese haemo¬
ly tische Wirkung ungeheuer steigern und specifisch machen
könne. Sie erhielten ein intensiv kaninchenblutkörperchen¬
lösendes Pferdeserum, indem sie Pferden Kaninchenblut in-
jizirten. Bordet zeigte, dass, wie durch die baktericiden Sera
die bakteriolytische Wirkung, so durch die specifisch globuliciden
Sera die haemoly tische Wirkung von einem Thiere auf das andere
übertragen werden könne; dass die specifisch haemolytische Wir¬
kung wie die baklericide durch Erhitzen u. s. w. beseitigt, aber
durch Zusatz von frischem Normalserum sofort wieder hergestellt
wird. Die Agglutination spielt bei der specifischen Haemolyse
genau dieselbo Rolle wie bei der specifischen Bakteriolyse. Ehr¬
lich und Morgen r o t h bewiesen, dass ebenso wie die Ver¬
mittler der specifisch baktericiden Wirkung nach meinen und
Durham’s Versuchen durch die Bakterien gebunden werden,
ebenso die Vermittler der specifisch globuliciden Wirkung durch
die Blutkörperchen. Ihre elegante Versuchsanordnung war die
folgende: Sie hatten ermittelt, dass Haemolyse nur bei höherer
Temperatur stattfindet. Sie kühlten also inaktivirtes, für Schaf-
blutkörpercheu specifisehes Ziegenserum, normales Kaninchen¬
serum und Schafblutkörperchen, jedes für sich auf 0 0 ab, misch¬
ten sie zusammen und Hessen das Gemisch durch 2 Stunden in
der Kälte stehen; dann wurde rasch centrifugirt und so Flüssig¬
keit und Körperchen getrennt. Es zeigte sich nun, dass die
Körperchen den Antikörper absorbirt hatten, denn nach Zusatz
von an sich unwirksamem normalen Kaninchenserum lösten sie
sich sofort auf. Dagegen enthielt die Flüssigkeit den Antikörper
nicht mehr, da sie neu eiugebrachte Schafblutkörperchen nicht
mehr zu lösen vermochte; sie enthielt aber noch das nicht*
specifische Alexin, denn die Lösung der neuen Schafblut¬
körperchen erfolgte sofort, nachdem eine neue Portion inaktiven
specifischen Ziegenserums beigemischt worden war.
Aus dem Gesagten ergibt sich die wichtige Thatsache einer
ganz vollständigen Analogie zwischen Baktericidie und GlobuH-
cidio der Sera.
Ehrlich und Morgenrot h wiederholten denselben
Versuch, den sie mit dem specifisch haemoly tischen Serum ge¬
macht hatten, mit Normalserum. Normales Ziegenserum löst
Kaninchen- und Meerschweinblutkörperchen. Durch Abkühlung
wurde wieder der Eintritt der Haemolyse nach Vermischung der
Flüssigkeiten verhindert, dann centrifugirt und geprüft, ob die
Blutkörperchen einen die Haemolyse vermittelnden Stoff auf¬
genommen, die Flüssigkeit einen solchen an sie verloren hatte
oder nicht. Der Befund entsprach dem soeben berichteten. Die
abcentrifugirten Körperchen lösten sich leicht in frischem
Normalserum, während die abcentrifugirte Flüssigkeit neuen
Blutkörperchen derselben Art gegenüber kein Lösungsvermögen
mehr besass. Also auch im Falle des Normalserums waren
2 Substanzen, eine hitzebeständige, bei niederer Temperatur
durch die Blutkörperchen bindbare, und eine hitzeunbeständige,
l>ei niederer Temperatur nicht bindbare und unwirksame an der
haemoly tischen Wirkung betheiligt.
Und nun begann Ehrlich wieder seinen Hypothesenbau.
Er behauptete, dass s t e t s 2 Substanzen zur haemolytisehen wie
zur bakteriolytischcn Wirkung zusammentreten müssten. Das
sogen. Alexin für sich allein wirke niemals baktericid, sondern
immer nur durch Vermittlung einer zweiten Substanz, welche
einerseits das sogen. Alexin, andererseits das Bakterium oder
Blutköri>erchen an sich fesselt, also zwei „haptophore“ Gruppen
besitzt. Diese zweite Substanz wird von ihm daher
„Zwischenkörpc r“, neuerdings „Ambooeptor“ ge¬
nannt, während er das Alexin zu „Addiment“ Bpäter „Com-
plement“ umgetauft hat. Amboceptor und Complement ver¬
binden sich miteinander zum Lysin. Die Auflösung der frem¬
den Zellen kommt dadurch zu Stande, dass der Amboceptor die
Zellen in die Wirkungsnähe des Alexins bringt, welches ein
proteolytisches Enzym ist und als solches die Zellen verdaut und
löst. Die Amboceptoren sollen wieder normaler Weise als Seiten¬
ketten am Zellprotoplaama sitzen und dem Stoffwechsel dienen,
indem sie Nahrungsetoffe verankern und der Verdauung durch
die Complemente zuführen. Wieder wie bei der Antitoxinbildung
soll bei der Immunisirung die Anhäufung der Amboceptoren im
Blute dadurch stattfinden, dass die betreffenden Seitenketten
durch die eingeführten Bakterien oder Erythrocyten gebunden
und ausser Funktion gesetzt und dadurch die Zellen zu ihrer
Ueberproduktion angeregt werden. Da solche Ueberproduktion
zeitweise auch im normalem Stoffwechsel vorkomme, so fänden
sich im normalen Blute stets eine Menge der verschiedensten
Seitenketten in freiem Zustande vor, eben die Amboceptoren, und
ihrer Anwesenheit bezw. den von ihnen mit den Complementen
gebildeten Lysinen verdanke das normale Blut seine mannig¬
faltige nicht-specifische baktericide und globulicide Wirkung.
Auch die Complemente desselben Serums sollen verschieden¬
artig sein.
Bei der Immunisirung sind es also wieder nicht neuartige
Stoffe, die im Blute auftreten, sondern wie bei der Antitoxin¬
bildung handelt cs sich nur um einseitige übermässige Ver¬
mehrung eines bestimmten Ambooeptors.
Auch dieses Hypothesengebüude ist vollkommen unhaltbar.
Was zunächst den Versuch anbelangt, die lytischen Vorgänge mit
dem normalen Stoffwechsel in Zusammenhang zu bringen, so
muss betont werden, dass kein Schatten eines Beweises dafür vor¬
liegt, dass die Alexine proteolytische Enzyme sind. Von Enzymen
sind sie zunächst schon dadurch unterschieden, das6 sie beim
lytischen Procesße verbraucht werden und daher nur eine quanti¬
tativ eng begrenzte Wirkung ausüben. Die Veränderungen, die
sie sowohl an den Bakterien als an den Erythrocyten hervor-
rufen, haben keine äussere Aehnlichkeit mit Verdauuugs-
vorgängen. Darin hat Baumgarten durchaus Recht, dass
diese Veränderungen den Charakter von osmotischen, plasmo¬
lytischen Processen tragen, wenn er auch irriger Weise die Plas¬
molyse als eine Wirkung der Salze auf fasst. Speciell bei der
Haemolyse geschieht sicherlich nichts anderes, als dass das an
und für sich schon wasserlösliche Haemoglobin das Stroma der
Erythrocyten verlässt, während es aus der normalen Stromahülle
nicht herausdiffundiren kann. Das Stroma als solches bleibt er¬
halten und das gelöste Haemoglobin vöüig unverändert. Ich habe
mich durch einen besonderen Versuch davon überzeugt, dass in
einer Flüssigkeit, in welcher reichlich rothe Blutkörperchen der
Serumwirkung zum Opfer gefallen sind, keine Verdauungspro¬
dukte nachweisbar sind.
Indessen ist die Art und Weise der Alexinwirkung eine ver-
hültnissmässig untergeordnete Sache. Die E h r 1 i c h’sche Theorie
ließse sich wohl auch mit einer anderen Auffassung der Alexin¬
wirkung in Einklang bringen. Dagegen wird säe in’s Herz ge¬
troffen durch den Nachweis, dass der Hilfskörper (spe-
cifischo Antikörper) gar nicht als „Zwischen-
körper“ wirkt, gar keine Verwandtschaft zum Alexin besitzt,
mit diesem gar keine Verbindung eingeht.
Diesen Nachweis hat schon Bordet durch folgenden fein
ersonnenen Versuch erbracht. Bordet mischte zwei specifisch
wirkende Sera zusammen, z. B. Kaninchenblut lösendes Meer¬
schweinchenserum und Ilühnerblut lösendes Kan inchenserum.
Eines dieser Sera wurde im aktiven, das andere im inaktiven Zu¬
stande verwendet. Nun wurden zu dem Gemische Blutkörperchen
der einen empfindlichen Art zugesetzt, z. B. Kaninchenblutkörper¬
chen. Dieselben gingen alsbald in Lösung. Nach angemessener
Zeit fügte man Hühnerblutkörperchen hinzu. Diese Hieben un¬
gelöst. Es war also das ganze Alexin bereits bei der Lösung der
ersten Blutart aufgebraucht worden. Für diesen Erfolg war es
ganz gleichgiltig, ob man das Meerschweinchenserum oder das
Kaninchenserum in aktivem Zustande verwendet hatte. Ebenso
wurde das Alexin vollständig für die Lösung der ersten Blutart
aufgebraucht, wenn man zuerst Hühnerblutkörperchen und dann
Kaninchenblutkörperchen zusetzte. Dieses Ergebnißs ist voll¬
kommen verständlich, wenn das Alexin neben den beiden Anti-
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT.
1927
körpern in freiem Zustande im Gemische vorhanden ist, während
man, wenn Ehrlich Recht hätte, erwarten müsste, dass die
Bindung des Alexins an den einen oder an den anderen Hilfs¬
körper von Einfluss auf die Lösung der beiden Blutkörperehen¬
arten ist.
Man kann aber in noch viel einfacherer und absolut sicherer
Weise zeigen, dass Alexin und Hilfskörper keine Verbindung mit
einander eingehen. Es bedarf hierzu nur einer kleinen Modi¬
fikation des früher beschriebenen Ehrlich -Morgenrot h-
schen Versuches über die Bindung des Ililfskörpers. Ehrlich
und Morgen rot h mischten das inaktive Immunserum und
das frische Normalserum in abgekühltem Zustande zu¬
summen und konnten nun aas dem kalten Gemische den Hilfs¬
körper allein durch die Blutkörperchen absorbiren lassen, während
das Alexin in Lösung blieb. In diesem Falle konnte die Ver¬
bindung des Alexins mit dem Hilfskörper zum Lysin durch die
Kälte verhindert worden sein; dementsprechend trat ja auch in
der Kälte keine Haemolyse ein.
Wenn man aber inaktives Immunserum und aktives Normal¬
serum in der Wärme zusammenmischt, dann muss die Ver¬
bindung von Alexin und Hilfskörper eintreten, da ja ihre Ver¬
bindung zum Haemolysin nach Ehrlich Vorbedingung für die
Ilaemolyse ist und diese thatsächlich eintritt, wenn man die be¬
treffenden Blutkörperchen zu dem Gemische der beiden Flüssig¬
keiten bei erhöhter Temperatur zufügt. Ist aber einmal
diese Verbindung ein ge treten, dann muss sie
auch bei Abkühlung der Flüssigkeit bestehen
bleiben, den fl es gibt keine Dissociation durch
Kalt e.
Kühle ich also das Gemisch auf 0° ab und trage ich in das¬
selbe die empfindliche Erythroeytenart ein, so muss jetzt mit
dem Amboce.ptor auch das Complement, d. h. also das fertige
Lysin von den Blutkörperchen fixirt werden.
Es in ii s s e n also die abcentrifugirten Körperchen nach
dem Erwärmen sofort in Lösung gehen, wenn E h r 1 i c h's
Theorie richtig ist.
Ich nahm inaktives Ziegonserum, das specifiseh gegen
ilainmelblut wirkte, mischte es in passendem Verhältnisse mit
aktivem, normalem Kaninehenserum und hielt einen Theil des
Gemisches durch 2 Stunden bei Zimmertemperatur, den anderen
bei 37". Dann wurde abgekühlt und in die kalten Gemische ge¬
waschene liammelbhitkörperehen eingetragen. Nach mehrstün¬
digem Verweilen in der Kälte unter wiederholtem Umschütteln
wurde in der Kälte centrifugirt und die abcentrifugirten Körper¬
chen wiederholt mit eiskalter physiologischer Kochsalzlösung
gründlich gewaschen. Schliesslich wurden die Körperchen in
etwas Kochsalzlösung suspendirt auf 37° erwärmt. Es trat
a u c h n i e h t spur e n w eise Lösung des II a e m o -
g 1 o 1) i n s ein, während in der abgekühlten Flüssigkeit das
Alexin mit Dichtigkeit nachgewiesen werden konnte. Noch
schlagender vielleicht ist dieser Versuch mit der Modifikation,
«lass nicht zweierlei Sera, inaktives immun- und aktives Normal-
scrum, sondern unmittelbar aktives specifisches Serum angewendet
wird. In diesem muss unbedingt fertiges Lysin vorhanden sein,
vorausgesetzt, dass t*s ein solches überhaupt gibt. Als ich aber
aktives Antihammelblut - Ziegenserum abkühlte und Hammel¬
blutkörperchen eintrug, wurde wieder nur der specifische Anti¬
körper ohne die geringste Spur Alexin absorbirt.
Dieser Versuch lehrt also mit Nothwendigkeit, dass es gar
keineHaemolysine (und gewiss auch keine Bakteriolvsine)
im Sinne von selbständigen einheitlichen chemi¬
schen Verbindungen gibt, dass der Antikörper und das
Alexin gar nicht unmittelbar aufeinander rcagiren. Die spe-
«• ifisc h haemoly tische beruht wie die speei-
fische bakterioly tische Wirkung vielmehr
darauf, dass die betreffenden Zellen zu¬
nächst den Antikörper auf nehmen und da¬
durch d e in A 1 e x i n zugänglich werden, das von
ihnen irgendwie aufgenommen und gebunden wird und die Zer¬
setzung ihres Plasmas einleitet, wie dies von Metschnikoff
und Bordet, sowie von mir und Durham gelehrt worden ist.
Die ganze E h r 1 i c h’sche Nomenklatur muss, da sic auf
falschen Annahmen beruht, aufgegeben werden. Bordet nennt
den Antikörper „Substance senaibilisatritje“, Mötsch nikof £
„Fixateur“. Ich möchte vorschlagen, ihn vorläufig Präparator
No. 48.
zu nennen, da diese Bezeichnung am wenigsten über dieWirküngs-
weiso der Substanz präjudizirt.
(Schluss folgt)
Wesen und GrundzUge«der deutschen Arbeiter¬
versicherung.*)
Von Prof. Dr. Geffcken.
M. II.! Wenn «39 Ihre Absicht ist, sich während der nächsten
Versammlungen Ihres Vereins mit den Pflichten, Problemen und
Schwierigkeiten zu beschäftigen, welche dem einzelnen Arzte und
dem ärztlichen Berufsstande als solchem während der beiden letzt¬
vergangenen Jahrzehnte aus der sogenannten sozialpolitischen Ge¬
setzgebung des Deutschen Reiches erwachsen sind, so dürfte es
wohl die erste und nächstliegende Aufgabe dieses einleitenden
Vortrages sein, zu erörtern, was man eigentlich unter sozial¬
politischer Gesetzgebung zu verstehen hat. Besonders glüddich
— das wird von vornherein zugegeben werden müssen — ist der
Ausdruck nicht gewählt. Denn soziale Politik ist sinngemäss
jede Staatskunst, welche sich mit der Lösung von Problemen
befasst, die aus der gesellschaftlichen Gliederung des Volkes her¬
vorgehen, und jede legislatorische That, welche die gesellschaft¬
lichen Zustände innerhalb einer Rechtsgemeins<jhaft zu regeln
unternimmt, verdient daher an sich den Namen eines sozialen
oder sozialpolitischen Gesetzes. Nun sind aber die Faktoren der
gesellschaftlichen Gliederung und Abstufung auch heutzutage
noch der mannigfachsten Art. Freilich Stände im Rechtssinne
gibt es innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft unseres Zeitalters
nicht mehr: Adel, Bürger und Bauer leben wesentlich nach
gleichem Recht und sind längst aus ihrer früheren kastenartigen
Abgeschlossenheit herausgetreten. Dafür aber haben andere
soziale Kategorien ihren ehemaligen Einfluss auf die Gliederung
des Volkes theils erhalten, theils bedeutsam vermehrt: die Ab¬
hängigkeitsverhältnisse innerhalb der Familie, die traditionelle
Werthung dos Adels, die kräftige Entwicklung der Berufsehre, die
lieber- und Unterordnung innerhalb des Bcamtenthums, Bildung
und Besitz — all’ das sind Momente, durch welche in mannig¬
facher gegenseitiger Verschlingung die gesellschaftliche Rolle des
Einzelnen individuell bestimmt wörd. Und glaubt der Gesetz¬
geber in die «lamit gegebene soziale Schichtung des Volkes unter
dem einen o«ler dem anderen der genannten Gesichtspunkte ein-
greifen zu sollen, so entstehen nothwendiger Weise Rechtsnormen
von sozialem oder sozialpolitischem Charakter. In diesem, rein
logischen Sinne kann daher z. B. weder dem Familienrochte des
neuen bürgerlichen Gesetzbuches, noch den Nonnen, welche die
rechtliche Regelung des nationalen Bildungswesens bezwecken,
noch den ehrengerichtlichen Institutionen der Offiziere, der Be¬
amten, der Rechtsanwälte und der Aerzte die sozialpolitische
Natur abgesprochen werden.
Aber der Sinn, welchen wir für gewöhnlich mit der sozial¬
politischen Gesetzgebung verbinden, ist doch ein wesentlich
engerer. Denn so mannigfach auch die Elemente sein mögen,
«lie dein einzelnen Menschen seinen Platz im Bau dt» sozialen
Volkskörpers an weisen, so lässt sich doch nicht leugnen, dass es
heutzutage vor Allem und in erster Linie die wirthschaftlichen
Unterschiede, die Abstufungen und Gegensätze des materiellen
Besitzes sind, von denen die gesellschaftliche Klassifiziruug des
Individuums abhängt. Und da es, wie wir alle wissen, die
•Signatur «l«»r sieh selbst überlassenen modernen Wirthschafts-
entwicklung ist, den Gegensatz zwischen Arm und Reich zu ver¬
schärfen, grosse Vermögen in der Hand Weniger zu vereinigen
und dafür breite Bevölkerungsmassen zu prolctarisiren, so wird
als sozialpolitisch meist nur diejenige Gesetzgebung bezeichnet,
welche es sich zur besonderen Aufgabe macht, den gesellschaft¬
lichen Gefahren dieser neuzeitlichen Wirtlischaftsentwieklung
zu begegnen, ln den damit gegebenen engeren Rahmen der
sozialp«)litisehen Gesetzgebung gehören alle jene legislatorischen
.Maassnahmen, welche in irgend einer Weise die minder «xler gar
nicht. Begüterten in ihrem Kumpf um*s Dasein zu unterstützen
bezwecken. Hierher sind zu rechnen die Gesetze, welche auf
dem Weg«» «1er Wie«Ierbelebung des Innungswesens den Hand¬
werkerstand vor «1er Aufsaugung durch das industrielle Gewerbe
zu schützen suchen; hierher zählen ferner «lie gesetzlichen Be-
*) Vortrag, g« halten im Kostocker Aerzteverein am 12. Oktober
lt*bl. (Vergl. «lie di«*sb«»zilgl. Mttthotlung unter „Vers«»hledcncs"
in dieser Nummer.)
ft
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:
1928
MUENCHENER MEDICTNTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Schränkungen der Sonntags-, der Frauen- und der Kinderarbeit,
das Verbot des sogen. Trucksystems und die Vorschriften, welche
sich auf Fabrikhygiene und Unfallverhütung in gefährlichen Be¬
trieben beziehen, hierher gehören endlich und vor Allem auch die
sogen. Arbeiterversicherungsgesetze, d. h. jene umfangreichen
Gesetzeswerke, deren Zweck es ist, die wirtschaftlich Schwachen
vor den ökonomischen Nachtheilen zu schützen, welche ihnen aus
Krankheit, Unfällen, Invalidität und hohem Lebensalter er¬
wachsen.
Nur mit diesen letzteren, den Arbeiterversicherungsgesetzen,
werden sich meine weiteren Ausführungen näher zu beschäftigen
haben. Denn die übrigen sozialpolitischen Gesetze im engeren
Sinne sind mit wenigen Ausnahmen ohne unmittelbares Interesse
für den Arzt als solchen, gewerbliche Unfallverhütung und Fa¬
brikhygiene aber beschäftigen immerhin nur eine verhältniss-
mässig geringe Zahl medicinisch Sachverständiger. Die Arbeiter¬
versicherungsgesetze dagegen, und unter ihnen wieder am meisten
das Krankenversicherungsgesetz, ziehen einen grossen Procent¬
satz aller prakticirenden und amtirenden Aerzte und damit zu¬
gleich den gesammten ärztlichen Berufsstand in den Kreis ihres
Einflusses.
Fragen wir uns zunächst, wie es zu den sozialen Zuständen
gekommen ist, welche das Bedürfniss einer Arbeiterversicherung
im Deutschen Reiche je länger, desto unabweisbarer erscheinen
liessen, so wendet sich unser Blick rückwärts zu derjenigen
Wirthsehafts- und Gesellschaftsordnung, wie sie, als ein Erbtheil
des Mittelalters, noch dem 18. Jahrhundert eigentümlich war.
Die Signatur derselben ist, um es mit einem Worte zu sagen, Un¬
freiheit, Gebundenheit. Der absolute Staat hat den Adel und die
Städte unter seine politische Allgewalt gebeugt. Aber auf
sozialem Gebiet ist er mit diesen ständischen Mächten ein Kom¬
promiss eingegangen: er hat den Rittergutsbesitzern ihr altes
Herrschaftsrecht über die bäuerliche Bevölkerung belassen, er
hat den städtischen Gilden und Zünften ihre Privilegien be¬
stätigt.. Das Verhältniss des Unternehmers zum Arbeiter ist
daher in allen drei Produktionszweigen, in Landwirtschaft,
Handel und Gewerbe, dasjenige eines mit obrigkeitlichen Befug¬
nissen ausgestatteten Herrn zum Unterthanen, das Arbeits-
verhältniss beruht nicht auf einem privatrechtlichen Vertrag,
baut sich nicht auf dem Prinzipe der Rechtsgleichheit und der
individuellen Willensfreiheit auf, sondern unterwirft den Arbeiter
einer öffentlichrechtlichen Gewalt, die der Herr kraft staatlicher
Uebertragung über ihn ausübt. Diesem obrigkeitlichen Ilerr-
sehaftsrechte des Unternehmers aber entspricht andererseits seine
ebenfalls öffentlichrechtliche Pflicht, dem Arbeiter in allen Noth-
fällen des Lebens beizustehen: der grundhörige Bauer kann
sich auf die Unterstützung seines Herrn, des adeligen Guts¬
besitzers, verlassen, wenn er durch Krankheit, Viehsterben, Feuers¬
brünste oder anderes Missgeschick in Noth geräth, die städtischen
Handlungsgehilfen werden in Krankheitsfällen durch die Gilde,
die Handwerksgesellen aus der Zunftkasse unterstützt.
Dies gebundene Wirtschaftssystem beginnt nun aber um die
Wende des 18. und 19. Jahrhunderts einer vollständigen Um¬
wälzung unterzogen zu werden. Die Voraussetzungen seines Be¬
stehens waren eine verhältnissmässig wenig zahlreiche Bevölke¬
rung und die damit in unmittelbarem Zusammenhänge stehende
Geringfügigkeit der Produktion und des Umsatzes gewesen.
Mit dem nunmehr einsetzenden starken Anwachsen der Volks¬
ziffer muss der landwirtschaftliche Betrieb, um dem gesteigerten
Konsumptionsbedürfniss zu entsprechen, einen intensiveren Cha¬
rakter annehmen, und aus demselben Grunde muss auch die ge¬
werbliche Gütergestaltung gesteigerte Leistungen anstreben. Die
Notwendigkeit eines grösseren und schnelleren Güterumsatzes
lässt den menschlichen Geist auf Mittel zur Fortbildung das Ver¬
kehrs- und Transportwesens sinnen. Es beginnt ein Zeitalter der
Erfindungen, der Maschinen. Durch das Aufkommen der Ma¬
schinenarbeit aber wird allmählich das gesammte bisherige Wirt¬
schaftssystem von Grund aus umgewandelt. Die. Maschine
arbeitet schneller und billiger als die menschliche Hand. Wer
sich als Unternehmer die neu erfundenen Maschinen an-
sehaffon konnte, war in der Lage, seinen bisherigen Handwerks¬
betrieb in einen Fabrik- oder Grossbetrieb umzuwandeln. Da
nun aber ein solcher Betrieb innerhalb der altererbtcn Zunft-
verfassung, die jedem Zunftgenossen genau vorschrieb, was und
wie viel er produeiron dürfe, unmöglich war, so hat das Auf¬
kommen der Maschine dem Zunftwesen das Todesurteil ge¬
sprochen: die gebundene Konkurrenz des zunftmässigeu Be¬
triebes wich Schritt für Schritt vor der Gewerbefreiheit zurück.
Mächtige Hilfe fand diese Bewegung in den politischen Ideen der
Zeit. Das erstarkte Bürgerthum fordert mit wachsendem Un¬
gestüm die Beseitigung aller Privilegien und völlige Rechtsgleich¬
heit aller Untertanen, die bisherigen Zwischenbildungen öffent¬
licher Gewalt sollen verschwinden.
Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind diese
Ansprüche im Wesentlichen durchgesetzt worden. Damit ist die
Bahn für eine neue, die moderne Wirthschaftsordnung frei ge¬
worden. Das Arbeitsverhältniss ist nunmehr seines früheren
öffentlichrechtlichen Charakters entkleidet. Arbeitgeber und
Arbeitnehmer stehen sich jetzt als durchaus gleichberechtigte
Individuen gegenüber, die auf Grund eines beiderseits völlig
freien Willensentschlusses mit einander einen rein privatrecht¬
liehen Vertrag abschliessen, kraft dessen der Arbeiter die Arbeit,
der Unternehmer den Lohn verspricht. Jedo persönliche Ab¬
hängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber scheint beseitigt
zu sein. Dafür ist freilich auch jede Pflicht des letzteren ent¬
fallen, sich um den Arbeiter zu bekümmern, falls derselbe krank,
alt, invalide oder von einem sonstigen seine materielle Existenz
beeinflussenden Unfall betroffen wird.
Schlimm nur, dass diese rechtliche Neuordnung das eigen¬
artige Wesen des Arbeitsverhältnissee völlig verkannte. Indem
man den Arbeitsvertrag wie jeden anderen rein privatrechtlichen
Vertrag behandelte, setzte man die Arbeitsleistung einer ge¬
wöhnlichen Waare gleich, ohne zu bedenken, dass sie eine Waare
von ganz besonderer Art und von allen übrigen Waaren durch
ein nur ihr wesentliches Merkmal geschieden ist. Denn während
jede andere Waare unabhängig von ihrem jeweiligen Eigentümer
existirt, ist die Waare, welche der Arbeiter zu verkaufen hat.
seine Arbeitsleistung, unauflöslich an seine Person gebunden, sie
ruht zunächst nur als Potenz, als Fähigkeit in ihm und sie löst
sich erst von ihm, wenn er sie vollendet hat. Der Arbeiter ist
daher gezwungen, seiner Waare persönlich an den Ort zu folgen,
wo sie veräussert werden soll, und dort zu bleiben, bis das Ver-
äusserungsgeschäft von ihm in allen seinen Theilen erfüllt ist,
mit anderen Worten: er muss sich persönlich an den Ort der
Arbeitsleistung verfügen und unter den dort obwaltenden loka’en
Verhältnissen ausharren, bis er seinerseits den Arbeitsvertrag er¬
füllt hat.
Es leuchtet ein, dass zu Folge dieser Eigenart des Arbeits¬
vertrages die rechtliche Unabhängigkeit des Arbeitnehmers vom
Arbeitgeber, wie sie die moderne Wirthschaftsordnung pro-
klamirt hatte, eine thatsächliche Unmöglichkeit war und daher
illusorisch bleiben musste. In Wirklichkeit besteht vielmehr das
alte Ilerrsehaftsverhältniss fort, nur ist es weit drückender ge¬
worden als früher, w T eil der Staat, der es einst anerkannt und
seiner Oberaufsicht unterstellt hatte, es nunmehr als nicht vor¬
handen betrachtet, und weil das bisherige Aequivalent der Ab¬
hängigkeit, der Anspruch des Arbeiters auf Unterstützung durch
den Arbeitgeber in Fällen der Noth, fortgefallen ist. Dazu
kommt, dass je länger desto deutlicher die kapitalistische Ten¬
denz des neuen Wirtschaftssystems hervortritt. Ueberall. wo
ein Produktionszweig sich dem maschinellen Betriebe öffnet,
weicht der handwerksmässige Betrieb zurück, um endlich ganz
zu verschwinden. Dadurch wird der kleine Handwerker sammt
seiner Familie proletarisirt und gezwungen, im Heere der Fabrik¬
arbeiter Dienste zu nehmen. Dies Heer schwillt zu immer
grösseren Dimensionen an, das Arbeitsangebot übersteigt regel¬
mässig die Nachfrage, dadurch ist dem Unternehmer die Mög¬
lichkeit gegeben, die Löhne zu drücken, in Zeiten sinkender
wirtschaftlicher Konjunktur werden die überflüssigen Arbeits¬
kräfte ohne Weiteres entlassen und sind, da sie selten Ersparnisse
gemacht, der öffentlichen Armenpflege preisgegeben, ln der
Fabrik selbst ist der Arbeiter, ausser den allgemein menschlichen
Wechselfällen, häufig noch besonderen, durch den Betrieb ver-
anlassten Gefahren ausgesetzt, ohne dass der Herr doch für den
seinen Arbeiter auf diese Weise etwa treffenden ökonomischen
Schaden aufzukommen hätte.
Auf dem flachen Lande hat sich dieselbe Entwicklung, wenn
, auch langsamer, und nicht in ganz so schroffer Weise vollzogen.
Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit beraubt den Ritterguts¬
besitzer seiner bisherigen herrschaftlichem Stellung über die
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1929
Bauern, und ihrer bis dahin geschuldeten persönlichen Dienst¬
leistungen. Er muss sich nach anderen Arbeitskräften Umsehen
und gewinnt, ebenfalls durch rein privatrechtlichen Vertrag,
Tagelöhner, die oline Grundeigenthum lediglich auf den Erlös
ihrer Handarbeit angewiesen sind. Seitdem die Maschine auch
im landwirthschaftliehen Betriebe erobernd vordringt, erwächst
diesem ländlichen Proletariat ebenfalls eine gesteigerte Unfall¬
gefahr.
Diesen jo länger desto unleidlicher werdenden Zuständen
gegenüber ist der Staat sich allmählich seiner Pflicht zum ge¬
setzlichen Eingreifen bewusst geworden. Ansätze hierfür finden
sich bereits vor der politischen Einigung Deutschlands in der
partikularen Gesetzgebung, namentlich Preussens, die ein¬
schlägige Bundes- und Reiclisgesetzgebung von 1867—1881 ist
sogar vielfach nur Umwandlung preussisehen in deutsches Recht.
Von den sozialen Reformen, welche auf diese Weise angestrebt
wurden, kommen für uns hier als vorbereitende Schritte auf dem
Wege der Arbeiterversicherung die Gesetze über die Beschlag¬
nahme des Arbeits- und Dienstlohnes vom 21. Juni 1869, über
die Haftpflicht vom 7. Juni 1871 und über die eingeschriebenen
Hilfskassen vom 7. April 1876 in Betracht. Das erstgenannte
dieser Gesetze suchte durch entsprechende Bestimmungen zu
verhüten, dass der Lohn des verschuldeten Arbeiters von seinem
Gläubiger beschlagnahmt werde und ersterer somit zeitweilig der
öffentlichen Armenpflege anheimfalle. Das Ilaftpflichtgesetz war
der erste Versuch, den Arbeiter gegen die materiellen Nachtheile
zu schützen, welche ihm aus den besonderen Gefahren des neu¬
zeitlichen Transportwesens und Fabrikbetriebes erwachsen. Zu
diesem Zwecke muchte es den Unternehmer für alle Unfälle haft¬
bar, die durch seine oder seiner Vertreter Verschulden einen im
Betriebe beschäftigten Arbeiter treffen. Leider waren aber damit
die zahlreichen Fälle nicht mit betroffen, wo der Unfall überhaupt
nicht auf ein Verschulden zurückzuführen war, und auch in
anderen Fällen hielt es häufig schwer, den Nachweis des Ver¬
schuldens zu führen. Fast immer aber musste das Recht des
Arbeiters erst in einem Processe erstritten werden, während
dessen Dauer er ohne die gerade dann besonders dringende Hilfe
(Instand. Etwas wirkungsvoller erwies sich das Haftpflichtgesetz
allein auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens, weil hier die be¬
sondere Bestimmung galt, dass der Unternehmer für jeden Un¬
fall schadensersatzpflichtig sei, sofern er nicht nachweise, dass
der Unfall durch höhere Gewalt oder eigenes Verschulden des
Verletzten herbeigeführt sei.
Gewährte aber so das Haftpflichtgesetz im Allgemeinen dem
Arbeiter bei Unfällen nur eine sehr prekäre Hilfe, weil es noch
ganz in den Schranken des Privatrechts blieb und demgemäss an
dem unbedingten Zusammenhang zwischen Schadensorsatzpflicht
und \ erschuldung festhielt, so wurde 5 Jahre später auf dem Ge¬
biete, der Krankenfürsorge der erste Schritt gethan, um die
soziale Gesetzgebung von öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten
aus zu gestalten. Das ist die hauptsächlichste Bedeutung des
schon erwähnten Gesetzes vom 7. April 1876, durch welches das
gewerbliche Hilfskassenwesen neu geregelt wurde. Denn diese
Jlilfskassen, welche dio gegenseitige Unterstützung ihrer Mit¬
glieder in Krankheitsfällen bezweckten und welchen, falls sie
gewissen gesetzlich festgestellten Bedingungen genügten, von
der höheren Verwaltungsbehörde die Rechte eingeschriebener
Ililfskassen verliehen werden konnten, durften laut einer gleich¬
zeitig erlassenen Novelle zur Reichsgewerbeordnung im Bedürf-
nissfalle von den Gemeinden und grösseren Kommunalverbänden
für obligatorisch erklärt werden, d. h. es konnte durch Ortsstatut
der Beitritt zu einer solchen Kasse für die unselbständigen Ar¬
beiter -zu einer Zwangs Vorschrift erhoben werden. Gleichzeitig
wurde bestimmt, dass in solchem Falle die Gemeinde befugt sein
solle, den Arbeitgebern gewisse Leistungen aufzuerlegen, nament¬
lich sie zu Zuschüssen bis auf die Hälfte der Höhe der Arbeiter¬
beiträge zu verpflichten. Im Jahre 1881 sind dann für den Be¬
reich des Innungswesens analoge Bestimmungen getroffen worden,
indem auch hier die Möglichkeit der Bildung von IJntorstützungs-
knssen mit Beitrittszwang für Innungsmitglieder und gewerb¬
liches Hilfspersonal gegeben wurde.
Was sich aber in diesen letztbesprochenen Gesetzen immer¬
hin nur zaghaft und vorklausulirt an’s Tageslicht gewagt hatte,
das ist sodann seit 1883 in umfassendster und konsequentester
Weise in’s Werk gesetzt worden. Die berühmte kaiserliche Bot¬
schaft vom 17. November 1881 zeichnet bereits die Grundgedanken
dieser Gesetzgebung vor, indem sie die Schaffung einer Kranken-,
Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung als Ziel hinstellt.
Der äussere Gang dieses gewaltigen legislatorischen Werkes hat
sich dann in der Weise vollzogen, dass zunächst die Kranken¬
versicherung (durch Gesetz vom 15. Juni 1883) geregelt wurde.
Hierauf nahm man die Unfallversicherung in Angriff und brachte
sie zugleich mit Erweiterungsgesetzen zur Krankenversicherung
in den Jahren 1884—87 zum Abschluss, endlich folgte die
Invaliditäts- und Altersversicherung, welche die arbeitenden
Klassen im weitesten Sinne umfasst und durch das Gesetz vom
22. Juni 1889 verwirklicht wurde. Die neunziger Jahre des ver¬
gangenen Jahrhunderts sind dann der Revision aller drei Ge¬
setze gewidmet gewesen: die Krankenversicherung hat eine solche
im Jahre 1892 erlebt und sieht neuerdings weiterer Abänderung
entgegen, welche den Reichstag vielleicht schon in seiner nächsten
Tagung beschäftigen wird, die Alters- und Invaliditätsversiche¬
rung beruht heutzutage auf dem Invalidenversicherungsgesetz
vom 13. Juli 1899, und die geltende Form der Unfallversiche¬
rungsgesetze datirt vom 30. Juni 1900.
Zwei grosse Gedanken sind es, von denen diese umfassende,
und wir werden hinzufügen müssen, kühne Gesetzgebung ge¬
tragen wird. Einmal hat man eingesehen, dass es ein Irrthum
war, wenn dio moderne Wirtschaftsordnung in ihren Anfängen
die persönliche Arbeitsleistung des Arbeiters einer gewöhnlichen
Waare gleichsetzte. Man ist sich bewusst geworden, dass ein
Arbeiter, indem er sieh an den Ort der Arbeitsleistung begibt
und dort unter den obwaltenden lokalen Verhältnissen arbeitet,
ausser seiner Arbeit noch etwas anderes leistet: dass er sich
eines Theils seiner persönlichen Freiheit entäussert, dass er
unter Verhältnissen ausharren muss, die unter Umständen seiner
körperlichen Integrität schädlich werden und dass er, selbst wenn
dies letztere nicht der Fall sein sollte, doeh jedenfalls fort¬
dauernd in kleinen Quoten das einzige Kapital, welches er sein
eigen nennt., zusetzt, nämlich seine Arbeitskraft. Dies Plus aber,
dies Mehr an Leistungen, welches der Arbeiter nothwendiger
Weise dem Unternehmer ausser der Arbeit selbst prästirt, muss
ihm vergütet werden, er hat einen rechtlichen Anspruch an den
Unternehmer über den Lohn hinaus, der das Aequivalent allein
für den Arbeitserfolg darstellt.
Die Vergütung aber, welche somit der Unternehmer dem
Arbeiter für die Opfer schuldig ist, die Letzterer ihm an per¬
sönlicher Freiheit, an Sicherheit vor Unfällen und an Schonung
der Körperkräfte bringt, diese Vergütung kann niemals gerechter
Weise — und das ist der zweite grosse Gedanke unserer Ileichs-
versieherungsgesetze -— auf dem Boden des Privatrechts, im
Wege des privaten Vertrages realisirt werden. Der privaten
Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überlassen,
würde die Verwirklichung des arbeiterlichen Rechtsanspruclies
völlig illusorisch bleiben. Umgekehrt eignet er sich kraft seiner
allgemeinen Natur ausgezeichnet zur Verwirklichung auf dem
Gebiete des öffentlichen Rechts: denn da er ein Aequivalent sein
soll für das im Widerspruch zum individuellen Freiheitsrecht
bestehende thatsächlichc Herrschaf tsverhältni.ss des Unter¬
nehmers über den Arbeiter, so entspricht es nur seinem Wesen,
wenn er durch einen Zwang realisirt wird, den der Staat kraft
seines Herrschaftsrechtes auf den Arbeitgeber ausübt
Es bedeutet keine Verkümmerung dieser grossen Leitideen
unserer in Frage stehenden sozialpolitischen Gesetze, dass sie
insgesammt ihre arbeiterfreundlichen Zwecke in der dem Privat¬
recht entnommenen Form der Versicherung verfolgen und eben¬
sowenig spricht es gegen ihre soeben entwickelten Grund¬
gedanken, dass wenigstens das Kranken- und das Invaliditäts-
versicherungsgesetz aueh die Arbeiter mit Lohnabzügen zur
Schaffung der Fonds heranzieheu, durch welche die staatliche
Fürsorge im einzelnen Bediirfnissfulle ermöglicht werden soll.
Was zunächst diesen letzteren Punkt anbetrifft, so hat der Gesetz¬
geber eben bedacht, dass Krankheit, Invalidität und Alter
I/obcnserschcinungcn sind, welche den Mcnseheu auch unabhängig
von seinem Berufe treffen und demgemäss insofern zu seinem
individuellen Schicksal gehören, dessen Folgen er wolil oder übel
tragen muss. Bei der Unfallversicherung dagegen trifft diese Er¬
wägung nicht zu, der Betriebsunfall würde dem Arbeiter sicher¬
lich niemals zustossen, wenn er nicht eben in dem betreffenden
gefahrbringenden Betriebe beschäftigt wäre, und das Unfall-
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1930 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48.
Versicherungsgesetz hat daher durchaus folgerichtig die Unter¬
nehmer allein für verpflichtet erklärt, die finanziellen Mittel der
Versicherung aufzubringen. Umgekehrt ist eine bis zu hohem
Lebensalter oder bis zu sonst eingetretener Invalidität fort¬
gesetzte Arbeit von der Gesetzgebung als so wichtig und nutz¬
bringend für das soziale Leben des Staates und den Volkswohl¬
stand anerkannt worden, dass das Reich sich für jede Alters¬
und Invaliditätsrente zu einem jährlichen Zuschuss von 50 M.
verpflichtet hat.
Die Form, in welcher die öffentlichrechtliche Fürsorge des
Reiches für den Arbeiterstand auftritt, ist, wie schon betont, die¬
jenige der Versicherung. Der Grund, warum man gerade diese
Form wählte, liegt in Zweckmässigkeitsenvägungen, denn, wirth-
sehaftlich betrachtet, ist die Versicherung derjenige Weg der
Sorge für die ungewisse Zukunft des Menschen, welcher dem ein¬
zelnen Fürsorgeberechtigten die verhältnissmässig geringsten
Gegenleistungen auferlegt, während er andererseits auch die Für¬
sorgeverpflichteten vor einer ihre Kräfte übersteigenden In¬
anspruchnahme verhältnissmässig am besten schützt.
(Schluss folgt)
Aerztliche Standesangelegenheiten
Aerzte, Behörden und Gesetzgebung
In der glänzenden Begrttssuugsrede, mit welcher der Vor¬
sitzende des Aerztevereinsbundes den Hildesheimer Aerztetag er-
öffnete, und in welcher er denjenigen Kollegen, die im letzten Jahre
für die eigene Existenz sowohl, wie für die Ehre des ganzen Aerzte-
Standes schwere Kämpfe gegen Krankenkassenverwaltungen zu
führen hatten, hohe Anerkennung zollte, warf er die Frage auf,
ob nicht durch die Gesetzgebung die Errichtung von
Einigungsiimtern zu fordern sei. Es musste diese Forderung ge¬
rade an dieser Stelle der Rede um so mehr befremden, als im
Satze vorher Herr Löbker vor der ganzen Welt konstatirte,
dass nach den bisherigen Erfahrungen die berufenen Verwaltungs¬
organe bei der Schlichtung von Differenzen zwischen Aerzten und
Kassen Vorständen keineswegs eine Stellung eingenommen haben.
«eiche für einwandsfrei erklärt werden könne, ln der letzten
Sitzung des ärztlichen Kreisvereins iin Regierungsbezirk Leipzig,
einer vorberathenden Instanz für das Lundesmedicinalcollegium.
standen 3 Anträge zur Berathuug, welche sich ebenfalls — in Hin¬
sicht auf die Kassenstreitigkeiten der letzten Jahre — mit dieser
Materie beschäftigten. Diese Anträge forderten bei der bevor¬
stehenden Revision des Krankenversicherungsgesetzes im Wesent¬
lichen eine straffere Aufsicht der Behörden über die Kranken¬
kassen und eine Erweiterung dieses, bereits durch die §$ 44 und
45 des KVG gegebenen Rechtes, und vor allen Dingen zur Ver¬
hütung unliebsamer, folgenschwerer Zerwürfnisse und Streitig¬
keiten zwischen Aerzten und Kassen die Regelung der V e r -
trags Verhältnisse durch die königlichen Re¬
gierungsbehörden. Angesichts der Erfahrungen, welche
wir in Leipzig mit der k. Kreishauptmannschaft bei der Beilegung
des Leipziger Aerztestreiks gemacht hatten, konnte sich allerdings
gerade dieser Kreisverein von der Erweiterung der Befugnisse
der Aufsichtsbehörden keinen Vortheil für die Kassenärzte ver¬
sprechen. Er lehnte desshalb die Anträge ab. Trotzdem aber
wurde beschlossen, „zwecks Regelung der Verhältnisse zwischen
Aerzten und Krankenkassen in Bezug auf die Anstellung, Kündi¬
gung und Uebenvachung der Kassenärzte die gesetzliche
Einführung von Kontrolkommissiouen und Schiedsgerichten bei
der Revision des KVG zu fordern“.
Bekanntlich traten mit dem Inkrafttreten des Kranken-
knsseugesetzes sofort die Schäden zu Tage, welche entgegen all-
seitigem Erwarten dem Aerztestande daraus erwuchsen, und die
Aerzte und ihre Standesvertretung sind seitdem nicht müde ge¬
worden, Besserung durch die Gesetzgebung anzustreben. Zwar
erwartete mau noch nach dem Eisenacher Aerztetag von 18S4 er-
sprlessliehe Verhältnisse durch die Thiitigkeit derVereine und deren
Veberwaehung der abzuschliessenden Verträge; nach 4 jähriger
eifriger Kommissionsarbeit begann man aber, mit Forderungen
an den Gesetzgeber herauzugehen. So verlangte der Aerztetag
1887 und 1888. dass im Gesetz ausgesprochen werde, unter ärzt¬
licher Behandlung (§ 0) sei nur die eines npprobirten Arztes zu
verstellen; 1890, dass die Kurpfuscher von der Behandlung der
Kasseukrauken ausdrücklich auszuscldiessen seien, und eine offi-
ciclle Vertretung der Aerzte in den Kasseuverwaltungeu. Die¬
selben Forderungen wiederholte man 1801 in Weimar. Die Ge¬
setzgebung aber blieb taub, so dass Graf 1802 in Leipzig ver¬
anlasst war, lebhaft darüber zu klagen, „dass die wichtigsten,
unseren Stand berührenden Fragen ohne jede Mitwirkung der
Aerzte erledigt werden“. Nachdem man sich 1805 zu Eisenach im
I’rincip für das System der freien Aerztewahl ausgesprochen hatte,
und 1800 dagegen protestiren musste, dass der preusslsclie Haudels-
minister den Krankenkassen zu verbieten beliebte, Verträge mit
ärztlichen Organisationen zu schliessen, verlangte man 1807 nach¬
drücklich die Herausnahme der Heilkunde aus der Gewerbeord¬
nung. Den Schlussstein bildete die 1809 in Dresden in einer im¬
posanten Kundgebung auf gestellte Forderung der gesetz¬
lichen Einführung der freien Arztwahl. Und von allen
diesen Wünschen und Forderungen, w eich e d e r
Aerztetag seit Beginn der Arbeiterschutz¬
gesetzgebung zum Krankeuversicherungsgesetz
gestellt hat, ist auch nicht das kleinste Th e li¬
eh e n erfüllt w o r d e n; und nicht nur das. wiederholt sind
höhnische Worte und Spott im Reichstag dar(il>er verlnutbnrt. Und
so ging es nicht nur mit den wirtlischaftlichen Dingen, auch auf
anderen Gebieten war kein geneigtes Ohr zu linden. Man denke
nur an das Frauenstudium und die Zulassung der Realschul¬
abiturienten zum medicinischen Fach. Bei der Aufstellung dieser
Forderungen hatte allerdings dem Aerztetag eine glückliche Stunde
mit nlchten geschlagen; er hatte den Flügelschlag der Zeit zu
wenig verspürt, und kämpfte wie der brave Ritter von La Maucha
den aussichtsvollen Kampf gegen Windmühlen. Herr Löbker
hat in Hildeshelm mit Freuden feststellen können, dass in Bezug
auf die Bedenken, welche die Aerzte wegen der Zulassung der
Realschüler alleiifuud nur zur Medicin und nicht auch zur Juris
prudenz hegen, bei der maassgebenden Stelle volles Verständnis«
und Entgegenkommen zu finden war. Aber auf die Uebersetzuug
dieses Verständnisses in das Thatsächliche warten wir heute ver¬
gebens. Dagegen sind die Ausfiihruugsbestimmuugen des Buudi-s-
rathsbeschlusses, betreffend das Medieiustudium der Realschüler
bei allen Fakultäten der deutschen Hochschulen sehr prompt ein¬
gegangen.
Durch die gesammte Tagespresse ging vor Kurzem eine Notiz,
dass der neugewählte Geschäftsführer des Aerztevereinsbundes
seine Hauptaufgabe darin zu sehen habe, mit den manssgebenden
Stellen in der Verwaltung und den gesetzgebenden Körperschaften
in Fühlung zu treten. Nach den gemachten und oben geschil¬
derten Erfahrungen wahrlich eine wenig beneidenswerthe Auf¬
gabe! Und wenn das wirklich die Richtung ist. nach welcher sich
die Wirksamkeit des stets mobilen Generalstabes zu bewegen hat.
dann werden die Aerzte die Hoffnungen, welche sie an die Errich¬
tung des Syndikates knüpfen, wieder ein gutes Stück herabstlinmen
müssen.
Das fortwährende Verlangen nach Staatshilfe und das unauf¬
hörliche Anrufen des Gesetzgebers hat nun nicht allein nichts ge¬
nützt. cs ist. ganz zweifellos, dass daraus dem Stande grosser
Schaden erwachsen ist. Weil eben Aerzteverelusbund und Aerzte¬
tag eine Besserung der Zustände als allein durch die Gesetzgebung
möglich hinstellte, ist allen unseren Forderungen die agitatorische
Kraft bei den Kollegen genommen; in dumpfer Ergebenheit er¬
warten die deutschen Aerzte Alles und Alles vom Staat und nur
vom Staat. Das ist das Schlimme und Verhäugnissvolle, was di?
angeführten Beschlüsse der Aerztetage verschuldet haben. Unser
Vorgehen in allen Standesangelegenheiten zeigt eine lähmungs-
artige Schwäche, und nicht in letzter Linie ist der Indiffereutismus
und die Indolenz unter den deutschen Aerzten so gross geworden
in Folge der geringen Initiative, welche die Aerztetage in wir h
schaftliclien Dingen gezeigt haben. Warum hat der Hildesheimer
Aerztetag die Gelegenheit, welche die Aussprache über den Leip¬
ziger wirtlischaftlichen Verband darbot, nicht dazu benutzt, in
einem flammenden Protest gegen die Vergewaltigung des Standes
die Aerzte zum äussersten Widerstande gegen eine unseren be¬
rechtigten Interessen zuwiderlaufende und feindliche Gesetzgebung
aufzufordernV! So endete die grosse Sache — parturiuut montes --
in einem öden Kompeteuzstreit, auf den näher einzugehen sich
die Vertreter des Verbandes um so weniger veranlasst fühlen
mochten, als bereits durch die Annahme des Antrages S e n d 1 e r
betr. die Auskunftsstelle für überseeische Vakanzen und Schiffs¬
arztstellen das Prinzip der Einheitlichkeit des zu gründenden Syn¬
dikats durchbrochen war, mehr aber noch, weil die Anforde¬
rungen an den Verband nach Annahme des Antrages Becher,
welcher den Vereinsgruppen und Vereinen die Bekämpfung der
Kurpfuscherei dringend iiu's Herz legt. Anspruch auf Folgerichtig¬
keit kaum mehr erheben konnten. Ich kann es mir nicht versagen,
an dieser Stelle noch eines Kuriosums Erwähnung zu thun. Ge¬
rade in diesem Augenblicke, wo ich diese Zeilen schreibe, bringt
mir in meiner Eigenschaft als Vorsitzenden des Leipziger Ver¬
bandes der Briefträger einen Sonderalnlruck aus dem ärztlichen
Vereinsblatt: Mittheilung über Verurtheilung von Kurpfuschern
Der Briefumschlag trägt den Vordruck: Geschäftsausselmss
des Deutschen Aerztevereinsbundes, und darin finde ich die Auf¬
forderung, dafür besorgt zu sein, dass die betreffenden Mit-
theiluugeu in die Lokalpresse gelangen. Und in Illldesheim
nöthigte man uns. runkt F unseres Programms, „Unterstützung
der berechtigten Bestrebungen der Aerzte zur Bekämpfung der
Kurpfuscherei“, aufzugeben. Difficile est, satiram non scribere.
Welcher Grad von Verstämlniss für die Angelegenheiten der
Aerzte manchmal maassgebenden Personen und Abgeordneten
innewohnt, beleuchten neuerdings wieder recht grell die jüngsten
Beschlüsse des vorberathenden Ausschusses der bayerischen Ab¬
geordnetenkammer in Sachen der ärztlichen Standes- und Ehren¬
gericht sordnung. Dass eine in die Standesordnung aufgeuommene
Bestimmung „Streiks mit Hilfeverweigerung widersprechen der
Würde des ärztlichen Standes“ einen unerhörten Angriff auf die
Koalitionsfreiheit, die durcli die Gewerbeordnung gewährleistet
ist. bedeuten, scheint den Herren v. Landmann, G ä c h und
v. Haller nicht recht klar zu sein.
Die gesetzliche Einführung von Einigungsämtern, Kon-
tiolkommissioneu und Schiedsgerichten würde zur unerlässlichen
Vorbedingung haben einen weitgehenden Einfluss der Behörden
auf die Zusammensetzung solcher Körperschaften wie Innerhalb
dieser selbst. Das liegt in der Natur der Sache. Als die Leipziger
Bezirksvereine in die fatale Lage kamen, die Vermittelung der
Regierungsorgane in Anspruch zu nehmen, da dekretirte die Kreis-
hauptmannschaft über die Köpfe der Bezirksvereine hinweg.
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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
welche Persönlichkeiten das Einigungsamt bilden sollten. Hei
den sehr häufig sich wiederholenden Ilonorarstreitigkeiten zwischen
sächsischen Kassen und Aerzten im Laufe der letzten .Jahre haben
verschiedene Kreisliauptmannschaften einfach entschieden: so und
soviel ist standeswürdig und damit habt Ihr Kassenärzte euch zu¬
frieden zu geben.
Die schlechte Stellung der Aerzte zu den Kassen beruht in
erster Linie auf dem miserablen wirtschaftlichen Abhängigkeit»-
Verhältnis», erst auf dieser Basis leiden sekundär di»* ethischen
Interessen unseres Standes. Ist das richtig, so müssen wir zu¬
nächst die Besserung unserer wirtschaftlichen Lage in's Auge
fassen, und da muss man sich beim Verlangen nach Hilfe durch
Gesetzgebung und Behörden die Frage \orlegen, ob nach
Lage der Gesetzgebung auf diesem W «* g e ii b e r -
liaupt etwas erwartet worden kann. Diese Frage
muss entschieden verneint werden. Die da Ziffer <> des KVG.
welcher von den bestimmten Aerzten handelt und 4<» Ziffer 2,
welcher ermöglicht, dass die Orts- und Gemeindekrankenkassen
innerhalb eines Bezirks sich behufs Abseliliessung gemeinsamer
Verträge mit Aerzten u. s. w. zu Verbänden vereinigen, hat der
Gesetzgeber doch wohl nicht ohne ganz bestimmte Absicht so
gestaltet?! Eben dadurch wollte er ja den Kassen die Gelegenheit
geben, sich „billige“ Aerzte zu verschaffen. In diesen Tagen
ging folgende Nachricht durch die Zeitungen: „Eine beachtens-
wertlie Bewegung ist unter den Krankenkassen der Provinz
Sachsen eingeleitet. Vor einiger Zeit regte die Allgemeine Orts¬
krankenkasse zu Stendal ein»* Vereinigung siinuntlichcr altmärki¬
scher Krankenkassen an. Diesem Vorgehen haben sieh nun die
anderen Bezirke der Provinz Sachsen angeschlossen und es wird
nun ein Bund aller Krankenkassen der Provinz Sachsen in's Leben
gerufen werden. Der Bund verfolgt ln der Hauptsache folgende
Ziele: vorthellhafte Abschlüsse mit Gen»*sungsstiitten, Heil¬
anstalten, Apotheken etc.“. Wer unter dem „etc." zu ver¬
stehen ist, wird mau unschwer errathen. Die beiden ungezogenen
Paragraphen des KVG bilden denn auch in der That die Grund¬
lage für das Finanzgebahren aller Krankenkassen ohne Ausnahme;
es ist desshalb nicht zu begreifen, woher die Aerzte den Opti¬
mismus hernehmen, um auf eine Aendorung derselben zu hoffen.
Ist also die Hilfe des Staates weder so sehr begehrenswerth.
noch überhaupt leicht möglich, so scheint »*s mir überhaupt des
ärztlichen Standes wenig würdig, die Besserung der wirtschaft¬
lichen Erwerbsverhältnisse vom Staat zu verlangen und diesem
damit Gelegenheit und Veranlassung zu geben, in diese ureigensten
Privatangelegenheiten der Aerzte hitieinzurcdcu. Der ärztliche
Stand setzt sich zusammen aus lauter hochgebildeten Männern,
welche wahrlich zu stolz und zu vornehm sein müssen, die Ab¬
schätzung und Wertung ihrer Arbeit Dritten zu überlassen. Die
Honorirung der ärztlichen Dienste unterliegt der freien Verein¬
barung, so steht es im Gesetz, so muss cs werden und so muss
es bleiben immerdar. Wenn ich mir beim Schuhmacher ein Paar
Stiefel, beim Bäcker ein Brot und heim Schreiner einen Stuhl
kaufe, so werde ich mich mit diesen über den zu zahlenden Preis
einigen; wird ein Uebereinkomnien nicht erzielt, so wird sieh
das Geschäft zerschlagen. Nun habe ich schon oft die Schuh¬
macher über zu geringen Verdienst klagen hü reu, aber ich wüsste
nicht, dass sie schon jemals Staat und Behörden zu Hilfe gerufen
hätten. Nein, sie tliun si<*h zu Verbänden zusammen und ge¬
winnen so besseren Einfluss auf ihre Erwerbsverhältnisse. Ich
möchte nun fragen, hat denn das von verschiedenen grossen poli¬
tischen Gruppen beliebte Geschrei nach Staats- und Gesetzeshilfe
wirklich etwas so Schönes und Vornehmes, dass es für uns Aerzte
nnclmhmenswerth wäre?
Streiten sich zwei Parteien, die auf einander angewiesen sind,
und können sie allein zu einem Uebereinkomnien nicht gelangen,
so werden sie allerdings einen Dritten um seine Vermittelung an-
gehen müssen. Auch Aerzteorganisationen werden, wenn es mit
Krankenkassen Differenzen gibt, zuweilen der Anrufung eines
Einigungsamtes nicht entrathen können. Aber ein solcher Ver¬
mittelungsamt muss getragen sein vom Vertrauen beider Parteien,
d«-sshalb müssen auch beide Theile einen gleichen Einfluss auf
seine Zusammensetzung beanspruchen. Amtliche Personen mit
der Macht, diktatorisch aufzutreten, müssen unbedingt abgelehnt
werden, weil sie nach Lage der Gesetzgebung gar nicht anders
können, als im arztfeindlichen Sinne ihren Einlluss geltend zu
machen. Wie es bei Konflikten in Zukunft zu handhaben sein
wird, dafür haben kürzlich die Krimmitschauer Kollegen ein vor¬
bildliches Beispiel gegeben. Sie waren in einen schweren Streit
mit der Krankenkasse der Bauhütte gerat heu, und nur, weil
s i e j e d e Einmischungdcr Behörden f er u z u li a 11 e n
wussten (Säehs. Korr.-Bl. 1001, No. J>) wurde ein für die Aerzte
Schaft günstiges Ergebnis.» erzielt. Dort, wo die Behörden eine
Bolle spielen konnten, wie in Colmar und in Leipzig, wird man
von einem günstigen Ergebniss für die Aerzte wolil nicht zu reden
wagen.
Nach alle dem sage ich mit G r a f: wenn unseren Wünschen
von oben nicht allzuviel Rücksieht geschenkt wird, und. wie ich
hinzufügen muss, auch nicht geschenkt werden kann, so haben
wir um so dringenderen Grund, im Zusammenschluss die Selbst¬
hilfe zu suchen. Dass der Weg der Selbsthilfe, welcher einge¬
schlagen werden muss, um die Aerzte aus ihrer Nothlage zu be¬
freien, der vom Leipziger wirtschaftlichen Verband vorgezeichnete
ist, hat man in Hildeshoim dem Münchener Vertreter des Ver¬
bandes durch eine lebhafte Beifallskundgebung zugegeben. Und
»lie Morte des Herrn Windeis, dass dem wirtschaftlichen
Verband das Verdienst gebühre, eine neue, fruchtbringende Idee
nusgestaltet und praktisch in die Wege geleitet zu haben, wurden
1931
(laut Protokoll) ebenfalls von lebhaftem Beifall begleitet. Warum
konnte man sielt nun nicht dazu verstehen, den sieh daraus allein
ergebenden Schluss zu ziehen? Der Weg der Selbsthilfe ist nur
gangbar, wenn sich Keiner ausschliesst, auch dann nicht, wenn
er Gnuul zum Groll zu haben vermeint.
Leipzig-Connewitz, 14. November 1901.
Dr. Hart m a n n.
Referate und Bücheranzeigen.
Dr. Fr. Merkel, Professor der Anatomie in Göttingen;
J. Henle's Grundriss der Anatomie des Menschen. 4. Auf¬
lage. Mit zahlreichen, zum Thcil farbigen Abbildungen und
einem Atlas. Textband mit 802 Seiten, Atlas 498 Seiten. Braun-
sclnveig, Druck und Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn.
1901.
Dieses Buch hat einen anseheinen d geringen Umfang;
es umfasst nämlich der eigentliche Text ausschliesslich der An¬
hänge nur 647 Seiten. Und dennoch hat der Verfasser in dein
gegebenen Rahmen eine ausserordentliche. Menge anatomischen
Materiales untergebracht. Wir finden in dem Merk ersehen
Werke nicht nur eine Darstellung der systematischen Anatomie
in ziemlich weitem Umfang und die Hervorhebung der wich¬
tigsten topographischen Daten, sondern wir haben auch bei vielen
Kapiteln ontwicklungsgeschiehtliehe Einleitungen und als Zu¬
gabe am Schlüsse der Einzelabschnitte die Besprechung der wich¬
tigsten Varietäten. Das Buch-eignet sieh daher nicht nur für
Studirende zum Gebrauch neben dem Kolli*g, sondern*auch zum
Nachsehlagen für alle Mcdieiner und Aerzte.
Merkel hat die Baseler Nomenklatur in seinem Werke
durehgehends eingeführt, wie die Vorrede sagt : auch diejenigen
Bezeichnungen, welche durch bessere ersitzt werden konnten.
Dem Referenten scheint, dass Merkel vielleicht gerade der
Mann dazu gewesen wäre, der es sieh hätte herausnehmen dürfen,
diese uns offieicll auferlegte neue Namengebung mit einiger Frei¬
heit zu gebrauchen. Die Liste »1er neuen Namen ist. nicht so
unschuldig, wie es im Anfang d»-n Anschein hatte; sie übt viel¬
mehr auf den Einzelnen einen starken Zwang aus, da sie selbst
schon eine Art Kanon »ler Anatomie im Kleinen ist. Wir würden
es sehr nützlich finden, wenn die Schriftsteller gcgenüb»*r diesem
offieiellen Kanon sich ihre |>ersönli»*he Freiheit bewahren wollten.
Das Werk bringt im Anhang ein»*, kurze Präpariranlcitung
und eine ausführliche Liste der Synonyma, welche den Praktikern
der Mediein sehr dienlich sein wird.
Der Textband ist hinsichtlich der Darstellung mustergiltig;
die neuere Literatur wurde vollständig eingearbeitet. Der Atlas
bringt eine sehr grosse Anzahl von Abbildungen, grösstentheils
in guten Holzschnitten. Die älteren, die Muskellehre betreffend»*!!
Figuren wurden durch sehr hübsche buntfarbige Autotypien er¬
setzt. Das Werk ist auf gutem Papier sehr sauber und schön g»*-
druckt und kann, Alles in Allem genommen, allerbesten» em¬
pfohlen werden. Martin H e i d e n h a i n.
Dr. G. Sultan: Atlas und Grundriss der TTnterleibs-
brüche. Lehmann’» medicinische Handatlanten, Bd. 25.
München, J. F. Lehmanns Verlag. 1901. Preis M. 10.
Dieser neue Band »ler L e h m a n n’schen Atlanten ist von
grossem Werth»* für den praktischen Arzt. Er enthält in über¬
sichtlicher und klarer Darstellung »lie gesammte Lohre von den
Unterleihsbrüchen in anatomischer wie in klinischer Beziehung.
Schon »las Durchblättern des Buches und die Berichtigung »ler
lehrreichen Abbildungen ist ein Vergnügen und leitet zu ge¬
nauerem Studium auch des Textes. 36 farbige Tafeln und
83 schwarze Figuren erläutern anatomische und entwicklungs¬
geschieh tli che (Descensus testiculormn) Dt'.tails; die Erschei¬
nungsformen der gewöhnlichen, nicht komplieirten Brucharten
wie auch der selt»*ner»*n sind zur Darstellung gebracht: So
finden wir gute Abbildungen von eingeklemmten Brüchen, auch
der experimentell nachweisbaren Einklemmungsmechanismen,
von Seheinreduktion, von der llernia inguino-proporitonealis, dem
Nabelsehnurbruch, der llernia obturatoria ete. Mit gleicher Sorg¬
falt wird auch die Therapie behandelt, im Text wie in zahlreichen
Abbildungen, welche sowohl die Bruchbänder, wie auch die cin-
z»*lnen Operationsiucthodcn darstcllen. Auch statistische An¬
gaben über die Entstehung der Brüche und die sogen. Bruch¬
anlage, über die Erfolge der Therapie, besomlers der Ra»likal-
operation, sind vorhanden; ebenso wird die Begutachtung von
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
1932
Bruchleidenden, dio traumatische Ursache der Brüche im Zu¬
sammenhang mit erlittenen Unfällen, die militärische Dienst¬
tauglichkeit Bruchkranker nach den in Deutschland, Oesterreich
und der Schweiz geltenden Vorschriften besprochen. Kurz das
Buch ist in jeder Hinsicht sehr lehrreich und nützlich.
Helferich.
H. Kisch: Entfettungskuren. Berlin, Iloffmann,
1901. 140 p. Preis 3 Mark.
Die auch für Laien verständliche Arbeit von Kisch be¬
spricht in sehr übersichtlicher Weise früher und jetzt geübte
Methoden der Entfettung. Von den allgemeinen Rathschlägen,
welche Verf. gibt, seien besonders folgende hervorgehoben: Keine
Entfettung ohne ärztliche Kontrole, keine zu schnelle Entfettung,
daher regelmässige Wägungen; bei der plethorisehcn Form kann
inan mit Unterernährung und körperlicher Bewegung dreister
sein als bei der anaemischen Form.
Kisch bevorzugt ein Kostregime, bei welchem neben circa
100 g Eiweiss und 80 g Kohlehydraten nur 11 g Fett gegeben
werden, während die Flüssigkeitszufuhr im Allgemeinen nicht
beschränkt wird. Zur Unterstützung der Kur empfiehlt Iv. syste¬
matische Körperbewegung in Form von Terrain-Kuren und Gym¬
nastik (Radfahren nur in massigem Grad zu empfehlen) Herab¬
setzung der Dauer des Schlafes, Anregung des Stoffwechsels durch
Bäder, sowie kohlensäurehaltigc Thermolbiider, als Kaltwasser-
proceduren und Schwitzbäder (bei gesundem Herzmuskel). Als
wichtiges Hilfsmittel für eine Entfettung benützt K. den Ge¬
brauch der kalten kohlensäurereichen Glaubersalzwiisser, unter
denen die Marienbader Quellen (Kreuzbrunnen und Ferdinands¬
brunnen) an erster Stelle stehen.
Einige Krankengeschichten illustrircn die Erfolge der von
Kisch geübten Behandlung und wenn in 4—6 Wochen eine Ab¬
nahme von OG, 36, 32 und 22 Pfund erzielt wurde, so wird Jeder¬
mann die, glänzenden Resultate der Marienhader Kur anerkennen
und sich höchstens die Frago vorlegen, ob bei einer so rapiden
Fettabnalune auch das Postulat einer allmählichen Einschmelzung
des überschüssigen Fettes, das Verfasser für eine rationelle Ent¬
fettungsmethode stellt, genügend erfüllt wurde. K. verwirft die
Banting-Kur mit Recht als eine Hungerkur; wenn wir aber
die Kostordnung betrachten, welche Kisch als Beispiel für die
Diät plethoriseher Fettleibiger anführt, so ergibt sich, dass die¬
selbe bei einem Gesammtcaloriemverth von nur 1100 auch eine
Hungerkost darstellt.
Die modifizirtc Ebstein'sehe Eiweiss-Fettkost, wie Ref.
sie seit Jahren bei Fettleibigen erprobt hat, gibt einen wesentlich
höheren Cnlorienwerth und obwohl die Gesammtmenge von Nah¬
rungsmitteln, welche bei diesem Kostregime gegeben werden, die
von Kisch erlaubten Gewichtsmengen bei Weitem übertritft —
also auch das Hungergefühl viel weniger entstehen lässt — so
sind die Resultate dieser E b s t e i n’schen Methode doch sehr
erfreuliche. v. H o e s s 1 i n - Neuwittelsbach.
Dr. Ph. S c h e c h, Professor an der Universität München:
Die Krankheiten der Mundhöhle, des Rachens und der Nase.
Mit 45 Abbildungen. Sechste vollständig neu bearbeitete Auf¬
lage. Leipzig und Wien, Fr. Deuticke, 1902.
Eindringlicher als jede Kritik es vermöchte, spricht für
Werth und Bedeutung des angezeigten Buches die Anerkennung,
dio ihm seit Jahren in den weitesten ärztlichen Kreisen zu Theil
geworden und in den rasch auf einander folgenden Auflagen
deutlich genug zum Ausdruck gelangt ist. Dass dieser Erfolg
den Verfasser nur zu fortgesetzter Vervollkommnung seines
Werkes anspornte, geht auch aus der gegenwärtigen Ausgestal¬
tung demselben hervor. Die Neubearbeitung bezieht sich nicht
allein auf Veränderungen der formalen Anordnung des Stoffes,
auch manche Zusätze und Ergänzungen sind eingeschaltet
worden, so z. B. bei den „C'irculationsstörungen“ in den sämnit-
lichen drei Hauptabtheilungen; ausführlicher behandelt wurden
ferner die Abschnitte über den Zungenabscess, über die Neu¬
bildungen im Rachen u. s. w. Auch eine Anzahl neuer, sehr in¬
struktiver Abbildungen — hauptsächlich die Nase und ihre
Nebenhöhlen betreffend — ist hinzugefügt worden.
So stellt das Werk in klarer und conciser Fassung wieder den
vorgerücktesten Standpunkt dar, den Wissenschaft und Praxis
auf dem Gebiete der betreffenden Diseiplin bis heute erreicht
haben. Wcrtheirabor.
Stereoskopischer medicinischer Atlas, herausgegeben von
Neisser. 41. Lieferung. Gerichtliche Medicin, 6. Folge,
redigirt von besser. Leipzig, J. A. Barth. Preis 5 Mark.
Die vorliegenden 12 Tafeln illustriren Verletzungen einiger
Unterleibsorgane, sowie Schwangerschafts- und Wochenbetts¬
veränderungen der Gebärmutter: zunächst eine Leberzerreissung
durch Pferdetritt, die in einigen Minuten zum Tode führte, und
eine partielle demarkirte Lebernekrose ,die durch eine 4 Monate
vor dem Tode erlittene Quetschung durch Ueberfahrenwerden
entstand, dann einen Querriss der Harnröhre in der Pars mciu-
branaeea durch Beckenbruch in Folge Ueberfahrenwerdens nebst
einem falschen Wege in der Pars prostatica, sowie eine Beratung
der Harnblase durch Druck auf die Unterbauchgegend. Als nor¬
male Befunde sind eine Gebärmutter am Ende des zweiten
Schwangerschaftsmonats mit eröffneter Fruchtkapsel und
eine Gebärmutter ö'/x Wochen nach rechtzeitiger Ent¬
bindung und normalem Wochenbett dargestellt. Die
weiter abgebildeten Verletzungen sind theils durch instrumenteile
Fruchtabtreibung, theils durch Zange und Curettement, theils
durch den Kolpeurynther und in einem Falle bei präcipitirter
Geburt einer sechsmonatliehen Frucht entstanden; eine Tafel
bringt ein instruktives Bild einer Placenta praevia centralis,
mit Durchbohrung der über dem Muttermunde gelegenen Partie
zur Blasen Sprengung und ausgedehnter Ablösung der Placenta
von der Uteruswand durch Wehen.
Dr. Carl Becker.
J. Hirschberg: Katalog der Büchersammlung. Berlin
1901. 434 S. 8°.
Der als Augenarzt und Historiker rühmlich bekannte Ver¬
fasser gibt uns in diesem Katalog eine wahre Musterleistung.
Die lichtvolle reiche Gliederung des Stoffes, dio Beigabe von
Sach- und Personalregistern verdienen die grösste Anerkennung.
Die historische Partie ist auf S. 1—32 behandelt; besonders
reich sind die Abschnitte über alte Aerzto § 1—8 und die Ge¬
schichte der Augenheilkunde § 25—37, welch’ letztere noch nie
eine so vollständige bibliographische Darstellung gefunden hat.—
Die Literatur dieser Augenheilkunde nimmt 400 Seiten ein und
soll als Vorarbeit zu einer systematischen Bibliographie des Faches
angesehen werden, die Prof. Hirschberg zu publiziren ge¬
denkt.
Als Beispiel für die übersichtliche Darstellung wollen wir
nur dio Aufschriften des Abschnittes: Trauma oculi wieder¬
geben : Grössere Werke, Statistik und Kasuistik der Augenverletz¬
ungen im Allgemeinen, Verletzungen der Lider, V. der Hornhaut,
Verbrennung und Verätzung, durchbohrende V. der Horn- und
Lederhaut, V. durch Blendung, V. der Iris, V. der Linse, V. der
Netzhaut, des Sehnervs und des Augengrundes, V. der Orbita,
Enophthalmus, Fraktur des Schädels, Luxation und Evulsion des
Augapfels, Fremdkörper im Allgemeinen, Fremdkörper an der
Oberfläche des Augapfels, Fremdkörper der Iris, Linsen, Glas¬
körper, F. im Augengrund und in der Orbita, Verletzungen durch
Zündhütchen, Röntgen Untersuchung bei F., Sehussverletzung,
Verletzung durch Pulver und Dynamit, V. durch Blitzschlag.
Dio Ausstattung des Buches ist glänzend. — Dem Verfasser
und seiner „treuen Mitarbeiterin“ sei Lob und Dank gesagt.
J. Ch. Huber- Memmingen.
Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde. Medi-
cinisch-chirurgisches Handwörterbuch für praktische Aerztc.
Herausgegeben von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Albert Eulen-
bürg. 3. gänzlich umgearbeitete Auflage. 26. Band. Ver¬
stümmelung—Zyinose. General register. Berlin und Wien,
Urban & Schwarzenberg, 1901.
Der Abschluss einer neuen Auflage der Realencyclopädie
darf mit Recht als ein Ereigniss auf dem mediciuischen Bücher¬
märkte bezeichnet werden; denn es gibt wohl kein Werk, das
nach seinem äusseren Umfang und nach der Bedeutung, die es
als Fortbildungsmittel für die Aerzte gewonnen hat, sich ihr
vergleichen kann. Als die Realencyclopädie zum ersten Male er¬
schien (18S0—1883) verkörperte sie einen neuen Gedanken, dessen
Zweckmässigkeit und glückliche Durchführung ihr sofort zu
einem grossen Erfolge verhalf. Seitdem hat das Unternehmen
manche Nachaluuung und Konkurrenz erfahren, allein es hat
sich, Dank der unermüdlichen Anstrengungen des Herausgebers
und der Verlagsbuchhandlung, stets als Sieger erwiesen. Mit der
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Vollendung der neuen Auflage ist ihm der Vorrang wieder für
geraume Zeit gesichert. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen,
ein wie ungeheueres Maass von Arbeit die Vollendung eines
26 bändigen Riesenwerkes, wie die Realencyclopädie — die neue
Auflage kommt einer vollständigen Neubearbeitung gleich — er¬
fordert; zur erfolgreichen Bewältigung der Aufgabe nach sieben¬
jähriger Mühe und Last darf man die Leiter des Unternehmens
aufrichtig beglückwünschen. Dass der vorliegende Schlussband
seinen Vorgängern ebenbürtig ist, bedarf keiner weiteren Be¬
tonung, dagegen ist das dem Bande beigegebene ausführliche
Generalregister als eine wichtige, seine Benutzung
wesentlich erleichternde Bereicherung des Werkes hervor¬
zuheben. Für die wohl bald in Angriff zu nehmenden Vorarbeiten
für die 4. Auflage sei nur noch der Wunsch ausgesprochen, es
möchte den zahlreichen Verweisungen, die in der gegenwärtigen
Auflage häufig irreführen, grössere Aufmerksamkeit zugewendet
werden. So ist z. B. bei Carbunkel auf Karbunkel verwiesen;
dieser Artikel aber fehlt. Im Artikel Menstruation ist auf
Klimax, im Artikel Harn auf Titrirmcthoden verwiesen, beides
fehlt. Bezüglich des Nachweises von Zucker im Harn ist sowohl
im Artikel Diabetes mellitus wie bei Zucker auf Melliturie ver¬
wiesen. Dort ober finden wir wiederum lediglich den Vermerk:
siehe Diabetes mellitus. Wir unterlassen es, der Liste dieser ja
unwichtigen, aber doch für den Benützer des Werkes ärger¬
lichen Fehler zu vermehren und sprechen nur den Wunsch aus,
dass die Gelegenheit zu ihrer Verbesserung durch eine 4. Neu¬
auflage des sonst so vorzüglichen Werkes recht bald gegeben
sein möge.
Neueste Journalliteratur.
Zeitschrift für klinische Medicin. 1901. 44. Bd. Heft
1 und 2.
1) D. v. Hansemann: Ueber Nierengeschwülste.
Die Abhandlung gibt ln knapper, aber sehr anschaulicher Weise
ein Bild über den gegenwärtigen Stand der Lehre von den Nieren-
tumoren. Diese sind ein pathologisch - anatomisch sehr häufiger
Befund, wenn sie auch klinisch selten zur Erscheinung kommen.
Die makroskopische Untersuchung ist nicht immer zureichend,
oft können die Tumoren erst nach dem histologischen Befunde
diagnosticirt werden. Am häufigsten, wenn auch klinisch stets
symptomlos, sind die papillären Tumoren. Sie künuen rnnlign
werden und bilden dann als maligne papilläre Kystome in Nieren
wie Ovarien eine besondere, von Carcinom und Sarkom zu tren¬
nende Geschwulstgattung. Sehr selten sind im Gegensatz zu
früheren Anschauungen die Adenome. Anlässlich der inter¬
essanten und klinisch wichtigen Hypernephrome (G r a w i t z’sche
Tumoren) wird besonders die Differentialdiagnostik gegenüber den
Eudotheliomen besprochen. Die Hypernephrome entstehen wie
die ebenfalls nicht seltenen Teratome durch embryonale Vor¬
werfungen.
2) Lüthje: Beiträge zur Kenntniss des Eiweissstoff-
wechsels. (Aus der medicinisehen Klinik in Greifswald.)
Das Hauptresultat sorgfältiger Stoffwecliseluntersuchungen
am Menschen ist, dass sich durch sehr reichliche Ernährung mit
erheblicher Steigerung der Eiweisszufuhr eine sehr grosse und
lang andauernde Stickstoffretention erzielen lässt. Es erscheint
dabei ausgeschlossen, dass der zurückgehaltene Stickstoff ins-
gesammt als Fleisch zum Ansatz gekommen ist, oder auch nur in
Verbindung mit Wasser, in dem Verhältnis, wie beide in den Ge¬
weben enthalten sind.
Vergleichende Versuche au Hund und Mensch, die Ernährung
mit Nutrose und Fleisch betreffend, ergaben, dass das Milch¬
eiwehs sich sicher nicht besser zum Ansatz eignet als das
Muskelfleisch.
3) Reissner-Bad Nauheim: Ueber das Verhalten des
Chlors im Magen und die Ursache des Salzäuremangels heim
Magenkrebs.
Die Ursache des Salzsäuremangels bei Magencarcinom kann
begründet sein in Aufhebung der Salzsäuresekretion oder in Bin¬
dung der sezernirten Salzsäure. Handelt es sich um Verminderung
der Salzsäureabscheldung, so ist zu erwarten, dass nicht nur die
Salzsäure, sondern auch der Gesammtchlorgehalt verringert ist.
Um diese Frage zu entscheiden, wurde in 18 Carcinomfällen lind
bei 22 anderweitigen Magenerkrankungen der Gesammtchlorgehalt
bestimmt. Die Chloride fanden sich nun bei Carcinom nicht nur
nicht verringert, sondern vermehrt. Da ferner im nüchternen Magen
der Krebskranken sich ein Alkali nach weisen lässt, das nicht aus
der Nahrung stammen oder Ammoniak sein kann, liegt es nahe,
anzunehmen, dass die Geschwulst einen alkalischen Saft sezer-
nirt, welcher die Salzsäure ncutralisirt. So erklärt sich auch das
Fehlen der Salzsäure bei Oesophagus- und Duodenal krebsen, bei
völliger Intaktheit der Magenschleimhaut, das oft sehr rasche
Auftreten des Salzsäuremaugels und die relative Schonung der
Fermente, ferner die Wiederkehr der Salzsäuresekretion nach
glücklichen Operationen. Die alkalische Sekretion ist Folge der
Uloorntion des Tumors: diese braucht aber keine in die Augen
fallende Erweichung zu sein, sondern es genügt Verlust des ober-
1933
Sächlichen Epithels. Dass nebenbei eine Atrophie der Schleim¬
haut bestehen und die Salzsäureabscheldung eine verminderte
sein kann, wird nicht in Abrede gestellt, doch spielt dies bei der
Entstehung des Salzsäuremangels nur eine sekundäre Rolle.
4) Dünschmann - Wiesbaden: Einfluss des Salzgehaltes
der Trinkquellen auf die Blutbeschaffenheit. (Von der Hufe-
1 n n d’schen Gesellschaft gekrönte Preisschrift.)
Kaninchen wurde mittels Sehlundsonde und intraperitoueal
Homburger Elisnbetlibrunnen (Kochsalzwasser) einverleibt. Blut-
aualysen ergaben eine Zunahme des Wassergehaltes, Abnahme der
Trockensubstanz, Abnahme der stickstoffhaltigen Stoffe und er¬
hebliche Zunahme des osmotischen Druckes.
f>) Boekelmann: Untersuchungen zur pathologischen
Anatomie des menschlichen Magens in Fällen von Ulcus und
Carcinom bei bekannter chemischer und motorischer Funktion.
(Aus der medicinisehen Klinik zu Utrecht.)
Die untersuchten Schleiinhnutstiickehen wurden gelegentlich
von Gastroenterostomien gewonnen und stammten von Fällen mit
Magengeschwür (17), von Carcinomen post ulcus oder mit deut¬
licher Salzsäuresekretion (9) und von Carcinomen mit geringer
oder fehlender Salzsäuresekretion (IS Fälle). Bei Ulcus fanden
sich häutig kleinzellige Infiltrationen, viele Blutgefässe und Blu¬
tungen, Vermehrung der Belegzellen, stärkere Erkrankung der
Haupt- als der Belegzellen, keine Vermehrung des interstitiellen
Gewebes. Die Magenmukosa leidet bei Ulcus verhältnissmässig
wenig. Aehulich verhält sie sich bei Magencnrcinomen mit fort¬
bestehender Salzsäuresekretion. Bei den Fällen mit fehlender
Salzsäure findet sich dagegen das Drüsengewebe stark ergriffen,
die Zahl der Belegzellen ist verringert, das interstitielle Gewebe
ist vermehrt.
0) B e u d i x - Göttingen: Wirkt die Harnsäure antiseptischP
(Aus dom städtischen August«hospitale zu Köln, Prof. Min¬
kowski.)
Zusatz von Harnsäure oder harnsauren Salzen zu Nährböden
hat keinerlei Einfluss auf das Waclistlium von Bakterien.
7) S i n g e r-Elberfeld: Ueber den Einfluss des Aspirins auf
die Darmfäulniss.
Steigerung der Gallensekretion wirkt darmantiseptisch. Da
Salieylsäure und ihre Verbindungen cholagogiscb wirken, ist von
ihnen auch eine darmdeslnflzirende Wirkung zu erwarten. Ver¬
fasser untersuchte in dieser Richtung das Aspirin (AcetyUlerivat
der Salieylsäure) und zwar bestimmte er die indicanausseheidung
als Iudicator der Darmfäulnissprocesse. Am Hund und beim ge¬
sunden Menschen war sie thatsächlich nach Asplriugnbcu ver¬
mindert. Beim Kranken erwartet Verfasser noch eine deutlichere
Wirkung.
8) A. B e 1 s k i - Pskow: Ueber die an der A-V-Grenze
blockirten Systolen.
Mittheilung eines Falles, in dem sich Vorhofskontraktionen
bei längerem Ventrlkelstillstnnd durch Venenpuls hei gleichzeitig
fehlendem Arterienpuls und absoluter Stille über dem Herzen
bemerkbar machten. Solche bloekirto Systolen kommen wahr¬
scheinlich in der terminalen Periode verschiedener Herzkrank¬
heiten vor, sind aber nicht immer leicht zu konstatiren.
Korschcusteiuer.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 61. Bd., 1. u. 2. Heft.
Leipzig, V o g e 1, 1901.
- P Göbell: Zur Kenntniss der lateral-retroperitonealen
Tumoren. (Chirurgische Klinik Kiel.)
Unter lateralen retroperitonoalen Tumoren versteht mau die¬
jenigen Geschwülste, welche sich unabhängig von den Nieren und
Nebennieren im lateralen retroperitoncaleu Raum entwickeln.
Lateral retroperitoneal nennt man denjenigen Raum, welcher nach
oben vom Zwerchfellansatz, median von der Wirbelsäule, nach
unten von der Linea terminails (innomiuata) begrenzt wird.
Die Mehrzahl der hier beobachteten Geschwülste gehört den
Bindegewebsneubildungen an. In der chirurgischen Klinik Kiel
wurden 3 derartige Tumoren beobachtet. Bei dem ersten der¬
selben handelte es sich um einen sehr interessanten Tumor, der
vom Verf. auf Grund genauer Untersuchungen bezeichnet wird
als teratoide Geschwulst, iu welcher das Ektoderm in Form einer
vielkainmerigen Dermoidcyste auftritt, das mesodermale Gewebe
zum Theil sarkomatös ist, und vom Entoderm mit Cylindereplthel
ausgekleidete Hohlräume abzuleiten sind. Die letzteren sind
carcinomatös degenerirt und haben durch Metastasenbildung den
Tod der Patienten lierbelgefUhrt Die anderen beiden Tumoren
gingen von accessorlschen Nebennieren aus. Mikroskopisch ent¬
hielten die Tumoren zum Theil Zellen, denen der Nebennieren
gleichend, zum Theil grosse polygonale Zellen mit grossem Kern,
und kleinere cylinderförmige Zellen, oft in alveolärer Anordnung
mit centraler Riesenzelle.
Des Weiteren zählt Verfasser die sonst ln dieser Region vor-
kommenden Geschwülste auf und stellt die gesammte Kasuistik
in übersichtlichen Tabellen zusammen.
2) Canon-Berlin: Zur Aetiologie und Terminologie der
septischen Krankheiten, mit Berücksichtigung des Werthes
bakteriologischer Blutbefunde für die chirurgische Praxis.
('. gibt einen guten Ueberbliek über die Literatur des ge¬
nannten Themas. Darnach kommt die Allgemeininfektion bei den
sept(sehen Erkrankungen in folgender Weise zu Stande: zunächst
Vermehrung der Eiterooeeen im lokalen Herd mit Bildung von
Toxinen. Eindringen der Coccen in das Blut, die zunächst noch
durch die bakterieide Kraft des Blutes vernichtet werden, später
Vermehrung der Coeeen im BIul. Bildung von Metastasen, der
Organismus geht zu Grunde.
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1934
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Wie bei dem Milzbrand, so ist auch bei den septischen Krank¬
heiten die eigentliche Todesursache noch nicht hinreichend aufge¬
klärt; bei beiden finden sich verhältnissmilssig wenig Bakterien
im Blute, und bei beiden sind entweder keine oder nur geringe
Mengen von Toxinen nachweisbar.
Die Ausdrücke „Baktoriaemie“ und ..Toxinaemie“ für Sepsis
hält C. für unangebracht. Das Wort Toxinaemie ist höchstens
am Platze bei Vergiftungen durch Kothstauungen, bei Ileus, bei
Brucheinklemmung.
3) B o r c h a r d - Posen: Ueber luetische Gelenkentzün¬
dungen.
In einem vom Verfasser opcrirten Kniegelenk fand sich die
Synovialis sammetartig geschwollen und dicht besetzt mit kleinen
und grösseren, bis 2 cm langen und 1 cm breiten Zotten; im
oberen Kecessus ren. ein Polyp von Taubeneigrösse.
ln den mikroskopisch untersuchten Zotten konnte von Lü¬
bars eh deutlich gangraenöses Gewebe nachgewiesen werden.
B. unterscheidet die akute syphilitische Gelenkentzündung —
eine Begleiterscheinung der Allgemeininfektion — und die chro- !
irische syphilitische Gelenkentzündung, als Ausdruck eines lokalen
syphilitischen Produktes, eines Gumma. Die in diesen Fällen be¬
obachtete Zottenbildung ist bedingt durch die Bildung miliarer
Gummata in der Synovialis. Der akute Hydrops kann nicht ohne
Weiteres in die chronische Form übergehen.
4) Wodarz: Zur Kasuistik der traumatischen Luxationen
im Talonaviculargelenk. (Allerlieiligenhospital Breslau.)
Verfasser veröffentlicht einen Fall der genannten seltenen
Luxation. Die Diagnose wurde durch das Böntgenbild ermöglicht.
Der Fuss stand in starker Varusstellung. Der operative Eingriff,
bestehend in Resektion des luxirten Gelenkes, hatte einen guten
Erfolg.
5) Wiemuth: Die habituellen Verrenkungen der Knie¬
scheibe.
In dem ersten der vom Verfasser beschriebenen Fälle handelte
cs sich um einen 20jälirigen Grenadier, der seit seiner Geburt
eine intermittireiule Luxation der beiden Patellae mich aussen
hatte. Bei der Beugung glitt die Patella regelmässig an die
Aussenseite des Condylus externus, um bei der Streckung wieder
in ihre normale Lage zurückzukehren. Der Condylus externus
war auf beiden Seiten sehr mangelhaft entwickelt, die Grenze
zwischen Troclriea und Planum epicomlylicum externum sehr
wenig ausgesprochen, die Fovea supratrochlearis bildete eine nach
aussen abfallende schiefe Ebene.
Im zweiten Falle handelte es sich um eine habituelle Luxation
traumatischen Ursprungs (hoher Sprung: Zerreissung des Lig.
patellare und des Vastus internus» bei congenitaler Disposition
(geringe Breite des Condylus externus». Die Luxation war im
(tanzen etwa 25 mal eingetreten.
Aus der Literatur hat Verfasser 71 Fälle zusammengestellt.
Bei 5 derselben ist eine Luxation nach innen beschrieben. Von
den 06 Verrenkungen nach aussen waren 32 angeborene, 14 trau¬
matische, 20 pathologische Luxationen. Die Ursache der ange¬
borenen dürfte in einer mangelhaften Entwicklung des Condylus
«xternus zu suchen sein. Bei den traumatischen Luxatioueu liegt
die Schuld auf Seiten des ligamentüsen oder muskulösen (Jelenk¬
apparates: Zerreissuugen des medialen Theiles der Gelenkkapsel,
des Ligamentum patellae, des Vastus internus. Bei den patho¬
logischen Luxationen kommen vor allen Dingen Genu valgum
und Aussenrotation des Unterschenkels in Betracht ferner Läh¬
mungen, Hydrops, Haemarthros. Tuberkulose, Gonorrhoe, Lues,
Arthritis deformans und urica, Rachitis.
Die Behandlung wird in allen Fällen die Ursache zu beseitigen
haben. Ein grosser Theil der vorgeschlagenen Methoden bezweckt
eine Verkürzung der Gelenkbänder und der Kapsel an der Innen¬
seite. Vorbedingung ist, dass sich die Patella ohne alle Spannung
durch Zug und Druck leicht in der Troclriea zurückhalten lässt.
0) Fuchsig: Ueber die an der Klinik in den letzten
12 Jahren ausgeführten Darmresektionen. (A Iber t'sclie Klinik
Wien.)
Von den 48 ausgeführten Resektionen wurden 17 wegen Car-
cinom vorgenommen: 8 Heilungen, 9 Todesfälle. Von den ge¬
heilten Fällen war bei zweien ein Dauererfolg zu verzeichnen, der
eine Patient war nach 8 Jahren reeidivfrei, der andere starb nach
8 Jahren an unbekannter Krankheit.
Von 9 tuberkulösen Tumoren wurden 0 durch die Operation
geheilt, 3 starben.
Invaginationen kamen 3 zur Beobachtung, 2 Heilungen,
1 Todesfall.
Wegen Darmfisteln und Anus praeternaturalis wurden 7 Re¬
sektionen vorgenommen. 4 Patienten wurden geheilt, 3 starben
im Anschluss an die Operation.
Wegen Darm inen rceration wurde 12 mal operirt. der Erfolg
war: 4 Heilungen und 8 Todesfälle. 0 der Todesfälle erfolgten
au Peritonitis, die 3 mal in Folge Nahtinsufticienz entstanden war.
7.i Stieda: Noch einmal zur Geschichte der cirkulären
Pylorektomie.
R y d i g i e r: Antwort.
K 1 a p p: Eine einfache Lagerungsvorrichtung für die
untere Extremität. (Chirurgische Klinik Greifswald.)
Der Apparat bestellt aus einem bis über das Knie reichenden
Tricotsehlauch. welcher vermittels eines durchgestockten Stockes
lang arsgcbii ii.-t und an einer Rolle aufgehängt wird. Mit diesem
Trikoischlamh kann man auch eine Si reck vorrieht ung vereinigen.
K r e c k e.
Hegar’s Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie.
Bd. V, Heft 2. Leipzig, Arthur Georgi.
II. S e 11 h e i m - Freiburg i. B.: Ueber normale und unvoll¬
kommene Dammbildung. (Mit 4 Abb. und 1 Tafel.)
Der definitive Damm entsteht aus der Wucherung des meso¬
dermalen Gewebes in der Umgebung des Anus. Zu den seltenen
Missbildungen, die sich als reine Hemmuugsmissblldungen dar-
stellen, gehört auch die unvollkommene Bildung des definitiven
Dammes. Diese hat S. bei Personen, die auch sonst in der Ent¬
wicklung zurückgeblieben waren, öfter gesehen und er erklärt sie
damit, dass die Ränder der ektodermalen Kloake sich am Mast¬
darm nur in geringem Umfange geschlossen haben. In einer
Tabelle sind 22 Fälle zusammengestellt: „kurz“ nennt S. einen
Damm unter 2.5 cm. ..sehr kurz“ unter 1,5 cm. Oft war Tiefe und
trichterförmige Gestalt der Vulva, schlechte Entwicklung der
Brustdrüsen und des Mohr veneris, der Scheide, des Uterus und
infantiler Charakter des knöchernen Beckens zu finden; also
handelt es sich bei der Anomalie um eine Theilersclieinung einer
allgemeinen mangelhaften Ausbildung.
Derselbe: Unvollkommener Descensus ovariorum. (Mit
1 Tafel.)
Gleichfalls eine Arbeit über eine Eutwickelungsstörung beim
weiblichen Geschlecht, nämlich eine exquisite Hochlageruug der
Eierstöcke. Diese wird angenommen, wenn unter Ausschluss
sonstiger pathologischer Prozesse die Ovarien wenigstens theil-
weisc im grossen Becken liegen. Auch hier fanden sich oft noch
andere Entwickelungsstöirungen, sehr oft auch Rückwärtslagorung
des Uterus: bei 4 Personen war deutlich nachzuweiseu, dass die
IJingsach.se der Ovarien parallel der Körperlängsachse lief.
F. A. I\ e h r e r-Heidelberg: Ueber tubare Sterilisation.
Ueber diese Frage sind die Ansichten noch sehr getheilt.
K. führt 4 Fälle aus seiner Praxis an. iu 2 Fällen war die Be¬
rechtigung zur Operation gegeben durch „Erschöpfung“ der
Frauen, in 1 Falle durch rechlivirte Ilernia lin. alb., in 1 Fall
durch schwere Psychose. Naehherige Konzeption trat nie ein.
Von den verschiedenen Methoden ist am besten Resektion grösserer
Tlieile der lsthmi und Keilexcision der Tubeuecken. Bei der Iudi-
kationsstellung muss vorausgesetzt sein, dass andere antikonzep¬
tionelle Mittel versucht, lebende Kinder vorhanden und beide
Gatten einverstanden sind. In diesem Falle Ist die Sterilisation
angezeigt bei Beckenenge 2. und 3. Grades, bei ungünstigen kon¬
stitutionellen Zuständen, schweren chronischen Allgemein- und
Loknlkrankhoiten und als Gclegenheitsoperation bei Laparotomien
aus besonderen Gründen.
E. K n a uor - Wien: Die Erfolge der an der Klinik Chrob&k
wegen Gebärmutterkrebs ausgeführten vaginalen Totalexstir¬
pationen.
K. stellt, ein Material von 10 Jahren zur Verfügung. Die Ge*
sammtzahl der wegen Unreinem hilfesuchenden Kranken betrug
1374, d. i. 3.4 Proe. des (iesammtkrankcmnatorials. 236 dieser
Fälle wurden „radikal" operirt, 213 durch vaginale Totalexstir¬
pation, 23 auf andere Weise. Operirt wurde, so lange noch Aus¬
sicht. war. im Gesunden zu exstirpiren, also auch nach Ueber-
schroiton der Utcrusgronze durch das Carcinom. 21 Fälle, wo
wegen stark fortgeschrittener Erkrankung nur palliativ operirt
wurde, müssen hei der Berechnung des Erfolges abgezählt werden:
sie starben bald an Recidiv, also haben hier Pall lat ivexstirpationeu
zu unterbleiben, vielmehr ist die hohe Amputation zu machen. Bei
12 von den 213 bleiliondon vaginalen Totalexstirpationen trat im
Anschluss an die Operation der Tod ein. 6 andere starben an
Allgcineinlciden. 19 wurden nicht kontrollirt und somit bleilien
noch 176. Dauerheilungen — mindestens 5 Jahre Rectdivfreiheit —
kamen vor hierbei in 34.6 Proe., die Operabilität lag zwischen
15.0 Proe. und 29.2 Proe., d. h. von allen so operirten Uteniscarci-
liomcn wurden 7.7 Proe. geheilt. Das S c h u c h a r d t’sche Ver¬
fahren ist am besten mit der Igniexstirpation zu vereinigen.
S. O 1» e r n d o r f e r-Genf: Ein Fall von Chorioangiom.
(Mit 1 Fig.»
O. fügt den 40 bisher beschriebenen Placentatumoren einen
hinzu, der dicht neben der Nabelschuurinsertion sass, nur aus
einem mit dem Choriouiiberzug identischen Stroma und ungemein
zahlreich entwickelten Capillaren bestand.
R. F re u n d - Halle: Beiträge zum Ulcus rodens vulvae.
(Mit 1 Tafel.) , ^
Besprechung zweier Fälle und des Zusammenhanges zwischen
Ulcus rodens, Lues, Elephantiasis und Tuberkulose. F. hält seine
Beobachtung für primäre Vulvatuberkulose.
H. S c li tt h m a c h e r - Strassburg: Experimentelle Beiträge
zur Eklampsiefrage.
Eine sehr interessante, auf schönen Untersuchungen basirende
Arbeit. Die Versuche wurden an Kaninchen angestellt und zwar
uurde unter grössten Vorsichtsmaassregeln CINa-Lösung. Harn
und Serum von gesunden nicht schwangeren, schwangeren und
kranken schwangeren Frauen, wie auch Fruchtwasser in die Ju-
gularis oder Femoralis injizirt. Sie ergaben Folgendes: Boi ge¬
ringem Salzgehalt können von der CINa-Lösung bedeutende Mengen
ohne Schaden eingeführt, werden. Urin gesunder Nichtschwangerer
macht Krämpfe. Der Urin gesunder Schwangerer und Wöch¬
nerinnen hat bald höhere, bald niedrigere Toxlcität. kein Sinken
oder Steigen derselben je nach der Nähe der Entbindung; bei
den Puerpercu* ist keine Zunahme der Giftigkeit zu sehen: diese
hängt besonders ab vom spezifischen Gewicht. Bei den Versuchen
mit dem Harn von Kranken, die Nephritis gravidarum hatten,
zeigte es sich, dass dieser nicht giftiger war als der von gesunden
Schwangeren, dass der Albumingehalt einflusslos ist, dass aber
winler die Konzen' ••ation entscheidet. Der Urin Eklamptischer
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1935
l>esltzt zwar scheinbar bei deu Konvulsionen starke Giftigkeit, in¬
dessen beruht diese nur darauf, dass dieser Harn eine stark
konzentrirte CINa-Lösung darstellt. — Das Serum ist viel wirk¬
samer und jede intravenöse Injektion ist für das Thier lebens¬
gefährlich. Die Sera der verschiedenen Individuen sind sehr ähn¬
lich, das foetale Blut hat keinen hohen Toxingehalt; wie das
Serum verhält sich auch das Fruchtwasser.
W. Zangemeister - Leipzig: lieber Ammoniakgehalt
des Urins in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mit Be¬
rücksichtigung der Eklampsie.
Nach genauen Untersuchungen, die Z. an Gesunden und
Kranken anstellte, kommt er zu dem Resultat, dass der eklamp-
tische Urin auch bei stark darniederliegender Diurese einen relativ
geringen Ammoniakgehalt besitzt; zwar will Z. einen direkten
Zusammenhang mit der Eklampsie darin nicht erblicken, indess
Ist die eklampti8che Niere ln ihrem Durchlässigkeitsvermögen für
gewisse Salze gestört. Vogel- Würzburg.
Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 14. Bd.
2. Heft.
1) A. R 1 e c k - Altona: Vaginifixur und Geburt. (Schluss.)
Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein in Hamburg; Referat
s. d. Zeitschrift, Jahrgang 47, No. 41.
2) G. H a u f f e - Posen: Ein. Beitrag zur Wehenerregung
allein durch intrauterine, wenig nachgiebige Gummiblasen.
Der Ballon fand in 24 Fällen von Fehl-, Früh- und recht¬
zeitigen Geburten Anwendung. Er wurde zuerst von Zweifel
angegeben und besteht aus einem etwa kleinüugerdicken bieg¬
samen, mit Hahnverschluss versehenen Metallrohr, Uber dessen
Ende ein Saughütchen geschoben und mit einem Seideufaden be¬
festigt wird. Nach Einführung in den Uterus wird der Sauger
mittels Stempelspritze mit Lysollösuug auf 80—120 ccm ausge¬
dehnt. Die Methode ist billig und leicht anzuwenden und soll
den Vortheil haben, dass der überdehnte, nur wenig zusamineu-
drückbare Balleu mit Sicherheit den Muttermund so weit er¬
weitert, dass ein grösserer Ballon eingeführt oder zerstückelnde
Operationen vorgenommen werden können. Eine Belastung des
Ballons wurde gewöhnlich nicht angebracht.
(Die Ausführungen können in manchen Punkten nicht ohne
Einwand bleiben. Die Contraindikation der Wendung pag. 279
bezieht sich doch wohl nur auf Erstgebärende? D. Ref.)
3) A. S i p p e 1 - Frankfurt: Kaiserschnitt wegen Eklampsie.
Verf. vertritt die Ansicht, dass die Sectio caesarea bei
Eklampsie berechtigt ist, wenn die äusseren Bedingungen zur
Vornahme einer solchen Operation erfüllt sind und eiue schouendere
Entbindung für Mutter und Kind ausgeschlossen ist.
Mittheilung eines Falles.
4) R. Kossmann - Berlin: Zur Geschichte des Wortes
„Eklampsie“.
Forschungen Uber die Entstehung des Wortes „Eklampsie"
und seine Anwendung von der Zelt des Hippokrates an.
5) E. P e i s e r - Berlin: Zur Kenntniss der Implantations¬
geschwülste von Adenocystomen des Ovariums.
V/g Jahr nach Exstirpation einer in Folge nicht aseptischer
Punktion vereiterten allgemein verwachsenen glandulären Ovarial-
cyste fand sich eine Implantationsmetastase der Bauchwaud in
der Gegend der Punktionsstelle. Der Tumor ist faustgross, derb,
überragt die Oberfläche, ist von normaler Haut überzogen und
hat einige Fistelöffnungen, aus denen schleimig-eiterige Flüssig¬
keit sich entleert.
Entfernung der Geschwulst, die mit einem Convolut von
Darmschlingen verwachsen ist. An zwei Stellen hatte die Ge¬
schwulst den Darm durchbrochen und sich im Darmlumen weiter
entwickelt
Das Präparat besteht aus kleinen, miteinander zum Tlieil
kommunizirenden Cysten und zeigt mikroskopisch das Bild des
Cystoma proliferum glanduläre ovarii.
Verf. deutet den Fall so, dass durch die Punktion Zellen
der gutartigen Ovarialgeschwulst ln die Bauchwunde verpflanzt
wurden und sich dort zur Geschwulst entwickelten, dass also
derartige Zellen im Stande sind, ausserhalb der Peritonealhöhle
lebend zu bleiben und Tumoren zu bilden, die in ihrem Aufbau
dem Muttergewebe gleich sind.
Der Durchbruch der Geschwulst in den Darm beruht auf
Usur des vorher durch Entzündung an die Bauchwand flxirten
Darmes; das Wachsthum in deu Bauchdecken fand durch Ver¬
drängen der einzelnen Schichten statt, indem sieh die Geschwulst
von der Punktiouswunde aus entwickelte.
6) E. Lichtenstern - Prag: Beitrag zur Lehre vom
Adenomyoma uteri.
Halbfaustgrosser, nicht scharf abgegrenzter Tumor in «1er
Wand des rechten Uterushornes eines 22 jährigen Mädchens. Kx-
clsion des Tumors, der zum grössten Tlieil aus Muskelgewebe,
zum geringeren Theil aus Bindegewebe besteht. In seinem Innern
befinden sich mit Blut angefüllte Hohlräume bis zu Kirschengrösse,
die mit Epithel ausgekleidet sind und in der Wand reichliche
Drtiseneinlagerungen haben. In dem Myomgewebe finden sich
zahlreiche Tuberkel.
Die Geschwulst ist den kongenital angelegten „schleim-
häutigen“ Adenomyomen zuzurechnen. Die Wnudliekleiduug der
mit Blut angefüllten Hohlräume gibt ein typisches Bild der liieu-
struirenden Uterussehleimhaut. Die Ilolilräume stammen daher
sehr wahrscheinlich von embryonal verlagerter Uterusmucosa ab.
Die zur Zeit der Regel bei der Pat. auftretenden kolikartigen
Schmerzen, die mit der Entfernung des Tumors verschwanden,
finden eine Erklärung in der Betheillgung der Schleimhaut der
Ilohlräume an der Menstruation, die die Blutstauung in den
Cysten zur Folge hatte.
Eine entzündliche Ursache der Gesellwulstbilduug selillesst
Verf. aus und hält die tuberkulöse Affektion für das Sekundäre.
Weinbreuner - Erlangeu.
Archiv für Kinderheilkunde. 32. Bd., 3. u. 4. Heft.
Th. Hryntschak - Wien: Ueber Fhosphorleberthran und
Phosphortherapie.
Verfaser wendet sich gegeu K a s s o w 11 z und die von
diesem vertretene Phosphortherapie. Gleich M o n t i und
Zweifel weist H. nach, dass aus Flaschen mit Phosphorleber-
thrau, die länger im Gebrauch sind, der Phosphor verschwinde
und gibt als Beweis eine einfache, haudllche Methode zum Nach¬
weis von Phosphor an; ferner ist er gegen die Verwendung des
Leberthrans als Vehikel, welcher schwer zu nehmen und oft
schlecht vertragen werde. Die von Kassowitz früher ge¬
gebene Erklärung der Heilung der Rachitis hält Verfasser für
falsch und mit den physikalischen Gesetzen der Hydrodynamik
für unvereinbar, für gleich unrichtig die hellende Wirkungsweise
des P-Leberthrans. Ferner weist Hr. auf den mit und ohne Thera¬
pie langsamen Verlauf der Rachitis hin, betont die grosse Zahl
der Spontanheilungen und tadelt die allzu schematische Dia¬
gnostik und Therapie der Rachitis, wie sie von Kassowitz
geübt wird.
Jos. Esser- Bonn: Enteritis syphilitica unter dem Bilde
der Melaena neonatorum.
Ein Kind verstarb am 10. Lebenstage nach dem Auftreten von
Darmblutungen und Blutungen aus einer Schwellung des Hand¬
rückens. Die Obduktion zeigte, dass das Kind congenital luetisch
war, im Darm fanden sich, theils ulcerirte, Verdickungen als Quelle
der Blutuug; von den mikroskopischen Befunden sei nur hervor¬
gehoben die Verdickung der Media vieler Gefässe.
T. Luzattl und P. Sorgente: Heber einen Pall von
paroxysmaler Haemoglobinurie a frigore. Klinische Beobach¬
tungen und experimentelle Untersuchungen. (Aus der Universi¬
täts-Kinderklinik zu Rom, Prof. C a n c e 111.)
Ein 7 jähriges Mädchen litt au Haemoglobinurie, welche be¬
sonders im Winter auftrat und auch künstlich durch Abkühlung
hervorgerufen werden konnte. Die Verfasser waren in der Lage,
eine grosse Reihe von Versuchen und Beobachtungen darüber an-
zustcllen, bezüglich deren Details auf das Original verwiesen
wird.
O. C o z z o 1 i n o - Neapel: Ueber Säuerung von Kuh-,
Schaf-, Eselin- und Frauenmilch durch Bacterium coli commune.
Verfasser versetzte die verschiedenen Milcharten mit C'oli-
bacillen und bestimmte die unter verschiedenen Bedingungen er¬
haltenen Säuregrade; die Intensität der Milchacidität lässt auch
Schlüsse zu auf die Güte und Verdaulichkeit der Milch überhaupt,
und es zeigte sich bei den vielen Versuchen die Frauenmilch den
anderen Milcbarteu ül>erlegeu.
E. Neter: Die Beziehungen der congenitalen Anomalien
des S romanum zur habituellen Verstopf ring im Kindesalter
(zur Hirschsprun g’schen Krankheit) und zum Volvulus
flexurae sigmoideae der Erwachsenen. (Aus der Kinderpoliklinik
des Privatdoceuteu Dr. N e u m a n n ln Berlin.)
Verfasser erörtert die anatomischen, beim Kinde ln Frage
kommenden Verhältnisse: diese sind besonders eine relative
grössere Längenausdehnung des S romanum als beim Er¬
wachsenen; ferner hat es ein freies längeres Mesenterium, dessen
Endpunkte weiter von einander absteheu und einen stumpferen
Haftwinkel bilden als später: dazu kommt eine zahlreichere
Schlingeubildung. Diese Momente zusammen ermöglichen das
Zustandekommen der sogen. Hirschsprun g'uehen Krankheit
— exccssive chronische Obstipation, Dilatation und Hypertrophie
des Kolon und ihre meist deletären Folgezustände: die Krankheit
scheint aber auf Grund der prädispoidrenden anatomischen Ver¬
hältnisse erworben und nicht angeboren zu sein; wahrscheinlich
besteht auch ein Zusammenhang zwischen der Hirsch-
s p r u n g’schen Krankheit des Kindesalters und dem Volvulus
flexurae sigmoideae der Erwachsenen. Verfasser bringt auch zwei
eigene einschlägige Beobachtungen, von denen die eine den günsti¬
gen Erfolg der operativen Therapie, der In einer grossen Resektion
der Flexur bestand, illustrirt.
C. Stam in - Hamburg: Ueber Spasmus nut&ns der Kinder.
Erörterung über das Wesen dieser Affektion au der Hand von
8 eigenen Beobachtungen; diese mit Spasmus nutans behafteten
Kinder wiesen sämmtllch Rachitis und, bis auf eines, Nystagmus
auf; die drei Krankheitserscheinungen sind untereinander wohl
aetiologisch verknüpft
Vollmilch, Kuhmilchverbesserung und Muttermilch. Ein
Briefwechsel zwischen Prof. Biedert-Ilagenau und Dr. Oppen¬
heim er-München.
Eiue Kritik B i e d e r t's der früher erschienenen Arbeit
Oppenheimer*» über Saugllngsemährung mit Vollmilch;
daran anschliessender Meinungsaustausch lieider Autoren.
Referate. L 1 c li t e u s t e i n - München.
Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluss der
Stoffwechselpathologie und der Diätetik. Herausgegeben von
Dr. J. Boas- Berlin. Band VII. Heft 4 u. 5.
18) Hemmeter und Stokes- Baltimore: Chronische
hypertrophische Gastritis syphilitischen Ursprungs in Ver¬
bindung mit hyperplastischer Pylorusstenose.
Obiger Fall stellt ein Beispiel hypertrophischer Gastritis dar
in Verbindung mit Stenosirung des Pylorus, auf syphilitischer
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1936
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Grundlage entwickelt. Die eingehende Beschreibung sowohl ana¬
tomisch, wie klinisch und histologisch darf umsomehr allgemeines
Interesse beanspruchen, als ja die Syphilis des Magens durchaus
keine so seltene Krankheitsform darstellt, wie man früher all¬
gemein geneigt war anzunehmen.
19) Marischier - Lemberg: Ueber den Einfluss des Chlor-
natriums auf die Ausscheidung der kranken Niere. (Medicin.
Klinik Prof. G 1 u z i n s k i.)
Nach Untersuchungen von v. Limbeck und Dresser
(Areh. f. experim. Pathol. Bd. XXV. u. XXIX) wirkt das intern
eingeführte NaCl bei gesunden Nieren stark diuretisch durch
direkte Erregung des wassersekretorischen Apparates der Niere.
Bezüglich des entsprechenden Verhaltens bei Nephritis hat Ver¬
fasser bei einer Reihe von Nephritikem Stoffwechselversuche
unternommen und lautet das Ergebniss seiner Untersuchungen,
dass bei parenchymatöser Nephritis die wassersecernirende
Thütigkeit der Nieren darniederliegt im Gegensatz zu den inter¬
stitiellen Formen, in welchen sie ziemlich erhalten bleibt; die
Chloride selbst werden bei parenchymatöser Nephritis gleichzeitig
mit der Wasserretention zurückgehalten.
20) E 1 n h o r u - New-York: Ueber die idiopathische Oeso-
phagusdilatation.
Unter idiopathischer Oesophagusdilatation verstehen wir den¬
jenigen Zustand, in welchem eine Erweiterung der Speiseröhre
statthat, ohne dass irgend ein mechanisches Hinderniss inner¬
halb oder ausserhalb der Wand des Oesophagus oder der Kardia
vorhanden ist, d. h. die Differentialdiagnose muss maligne Ge¬
schwülste, Traktionsdivertikel oder Antrum der Kardia aus-
schliessen. So priizisirt Einhorn seine Ansicht über obiges
Kraukheitsbild, um dann nach einem zusammenfassenden Rück¬
blick über die von anderen Autoren bisher publizirten Oesophagus-
dilatationen seinerseits 10 neue Fälle zu veröffentlichen. Eine
out sprechende Diät. Uebungen zur Beförderung des Essens durch
Kompression des Brustkastens und abendliche Ausspülungen des
Oesophagus sind nach Einhorn die Hauptpunkte der Therapie.
21) S c h ü 1 e - Freiburg i. B.: Die diagnostische Bedeutung
des Magenplätscherns.
Wohl wenige Symptome werden in der Magenpathologie so
verschiedenartig bewerthet betreffs ihrer diagnostischen Bedeu¬
tung wie die sogen. Plätschergeräusche und doch liegt auch hier
wie bei so vielen anderen Erscheinungen die Wahrheit in der
Mitte. Auch bei völlig magengesunden Individuen ist dieses Phä¬
nomen auszulöseu. Allerdings sind hiezu ziemlich starke Er¬
schütterungen des Abdomens nöthlg (uud niemals tritt bei einem
gesunden Menschen während des Gehens oder bei leichter körper¬
licher Bewegung Magenplätschern auf). Hingegen ist das, wie
Sahli es benennt, oberflächliche Plätschergeräusch kein nor¬
males Phiinomen. Dasselbe spricht immer für einen Zustand
von Atonie der Magenwand (cf. No. 14: Zweig, Bd. VII, H. 3.
No. 35 Münch, med. Woclieuschr.), doch kann aus der Intensität
des Geräusches keinerlei Schluss auf den Grad der Atonie ge¬
zogen werden.
22) Stiller- Ofen-Pest: Die stigm&tische Bedeutung der
Costa decima fluctuans.
Die mobile 10. Rippe, sagt Stiller, ist ein Stigma der
Euteroptose, der Atonie, der Neurasthenie und der nervösen Dys¬
pepsie, d. li. diese vier Elemente bilden die Gruudzüge eines auf
eiuer augeborenen wahrscheinlich erblichen Anlage beruhenden
Krankheitsbildes, der Astkenia universalis congenita, deren Be¬
griffskreis Stiller zuerst ausgesteckt hat uud wofür er eben
die Costa decima fluctuans als Monostigma bezeichnet. Nach aus¬
führlicher Begründung dieser seiner Ansicht wendet sich Stiller
gegen Zwelg’s Arbeit im vorigen Hefte „die Bedeutung der Costa
fluctuans decima" und es gelingt ihm entschieden, Z w e l g's An¬
griffe, sowohl auf anatomischem wie klinischem Gebiete, ver¬
schiedentlich abzuseklugeu beziehungsweise zu entkräften. Was
S t i 11 e r’s Stellung zur Frage der atonisclien Ektasie anlaugt,
so hält er diese Form der Dilatation für die allerhäufigste, die
Zahl der obstruktiven Ektasien um Vielfaches übertreffend. Ich
für meine Person kann dem nur hinzufügen, dass ich trotz des
grossen mir bei Dr. Crämer zugänglichen Materials, einen wirk¬
lich einwandfreien Fall atonischer Ektasie noch nicht gesehen
Imlie.
23) R e n c k i - Lemberg: Die diagnostische Bedeutung der
mikroskopischen Blutuntersuchung bei Carcinoma und Ulcus
ventriculi rotundum mit besonderer Berücksichtigung der Ver-
dauungsleukocytose. (Med. Klinik Prof. G 1 u z i u s k 1.)
Die nicht unwesentlichen Abweichungen der bisherigen Be-
obachtungsresultate von einander lassen eine neuerliche Prüfung
obiger Fragen nur lebhaft begriissen. Die Blutveräuderuugeu,
die bei beiden Krankheiten oft angetroffen werden, beziehen sich
nt auf die rothen, b) auf die weissen Blutkörperchen und c) auf
die Verdau ungsletikoey tose. Zu a> lautet Rencki's Unter-
suchungsresultat, dass die rothen Blutkörperchen in Fällen von
Neubildungen und rundem Magengeschwür sowohl normale Ver¬
hältnisse als auch pathologische Veränderungen hinsichtlich Zahl,
Gestalt und Hglb-Gehalt aufweisen können, doch zeigen diese letz¬
teren keinerlei charakteristische Eigenthümliclikeiton für die zwei
so verschiedenen Krankhoitsproeosse. Weder das Sinken des Hglb-
Gchaltes unter «50 Prot*, ist diagnostisch verwerthbar für Carcinom,
noch ist die Gegenwart kernhaltiger rot her Blutkörperchen ein
Ausschliessungsgrund für Ulcus. Es lässt sich lediglich konsta-
tireii. dass Blutarmuth bei Neubildungen des Magens häutiger und
bedeutender ist als bei Magengeschwür. Bezüglich der weissen
Blutkörperchen fand Rencki: das Procentverhältniss derselben
liefert keine charakteristischen Merkmale, kann also diagnostisch
keine Bedeutung haben. Von dem Resultat der Versuche betreffs
Punkt c) erwähne ich folgende Schlüsse: Während der Verdauung
der Eiweisskörper ist in der Mehrzahl der Fälle Verdauungs-
leukocytose vorhanden uud ist ihr Auftreten au die normale
Funktion des Pylorus und Darmes gebunden. Vou krankhaften
Veränderungen dieser lieiden ist der Mangel au Verdauungsleuko-
cytose bei pathologischen Zuständen des Verdauungskanals ab¬
hängig. Der Mangel der Verdauungsleukocytose bei gesunden
Menschen ist auf eine Schwäche der Kontraktionsfähigkeit des
Pylorus zu beziehen, welche eine Insufflcienz zur Folge hat. Es
kann also auch die Verdauungsleukocytose. beziehungsweise ihr
Vorhandensein oder Fehlen nicht als differeutialdiaguostisches
Symptom in zweifelhaften Fällen einer Neubildung oder eines
Magengeschwürs angesehen werden, da sie von der Natur des
Leidens selbst unabhängig ist.
24) J. Boas-Berlin: Beiträge zur Kenntniss des Magen-
carcinoms.
An der Hand eines Materials von 141 Magencarcinomen, das
Boas in den letzten Jahren beobachtete und zum Thell auch
länger behandelte, theilt er uns in vorliegender Arbeit einige
seiner klinischen Erfahrungen beim Magenkrebs mit und zwar
erstreckt sich seine Besprechung auf Beginn, Verlauf und Kom¬
plikation des Mageucarcinoms, ferner das Verhalten des Darms
und Urins. Wegen des grossen Interesses, das diese Arbeit für
joden Arzt bietet, erlaube ich mir etwas ausführlicher auf die¬
selbe einzugehen. Der Beginn ist keineswegs immer ein schlei¬
chender, vielmehr oft ganz akut einsetzend oder sich mit einer
plötzlichen Blutung per os oder anum maulfestirend. Besonders
bei wiederholter Blutung ist die Unterscheidung, ob Ulcus,
Ulcuscarciuom oder primäres Carcinom, oft sehr schwer. Wenn
im Ganzen der Satz, dass bei Carcinom der Appetit meist stark
herabgesetzt ist, auch zu Recht besteht, so ersehen wir doch aus
den beigegebenen Krankengeschichten, dass das Verhalten des
Appetits in den verschiedensten Graden uud Nuancen wecliselu
kann, ebenso ist, wie auch schon andere Praktiker wiederholt
betQnt haben, vou einem erkennbaren Connex zwischen dem
schweren pathologischen Process des Magens und dem Verhalten
der Zunge gar keine Rede. Für den zeitlichen Verlauf des Car-
cinoms ist eutscheidend die Art des Tumors und sein Sitz, ob
am Pylorus oder Fundus, da im ersteren Falle die Stagnation doch
viel häutiger uud dadurch eben ein weiteres ungünstiges Moment
geschaffen wird, die Neigung zu ulcerativem Zerfall und kapil¬
lären Blutungen. Bestimmend sind natürlich für den Verlauf
ajuch Komplikationen von Seiten anderer Organe, am häufigsten
kommen wohl Störungen der Darmthätigkeit in Betracht. Im
Gegensatz zu Müller und T r i p i e r, die bei Magencarciuom
bis zu 50 Proc. Diarrhöen konstatirten, fand Boas diese nur
in etwa 4 Proc., während in der Mehrzahl der Fälle Obstipation
bestand. Vereinzelt kamen auch zur Beobachtung: Oedeme und
Ascites, epigastrische Hernien, Schwellung der Supraclavicular-
und UmbilicaldrÜ8en, sekundäre Nabelcarcinome, Lebermetastasen,
Neurasthenie. Albuminurie gehört nach Boas’ Erfahrung zu
den überaus seltenen Vorkommnissen, ebenso selten ist der Be¬
fund vou Zucker im Harn. Indican ist, wie besonders Senator
hervorgehoben hnt, eine häufige Komplikation jener Fälle mit
starker Pylorusstenose. Für die Frage der Häufigkeit des Zu¬
sammentreffens von Carcinom und Lungentuberkulose, welche
Thatsache ja heutigen Tages feststeht, hält Boas seine beob¬
achteten Fälle nur theilweise verwerthbar. Jedenfalls steht
Boas auf Grund seiner Wahrnehmungen auf dem Standpunkt,
die Lungenaffektiou als das den Widerstand des Organismus
gegenüber der zweiten Infektion herabmindernde, primäre Leiden
zu betrachten. A. J o r d a n - Müucheu.
Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 34. Bd.,
3. Heft. 1901.
M. Probst- Wien: Ueber den Bau des vollständig balken¬
losen Grosshiras, sowie über Mikrogyrie und Heterotopie der
grauen Substanz. (Mit 0 Tafeln.)
Der Verfasser gibt eine eingehende makroskopisch- und mikro¬
skopisch-anatomische Beschreibung des balkenlosen Gehirns eines
epileptisch - blödsinnigen Mädchens mit Beugekontrakturen. Au
Stelle dos Balkens tritt bei dem bisher fünfzehmnal am ausgo-
bildeten Gehirn beobachteten Balkenmangel ein im normalen Ge¬
hirn nicht vorkommendes „Balkenlängsbündel“. Der epileptische
Blödsinn steht in Beziehung zu der häutig gleichzeitig beob¬
achteten Mikrogyrie und Heterotopie der grauen Substanz.
II. Wachsmntli- Marburg: Cerebrale Kinderlähmung
und Idiotie. (Mit 2 Tafeln.) (Aus dem Landeshospital Merx¬
hausen.)
Unter 185 Idioten hatten 22 unzweifelhafte cerebrale Kinder¬
lähmung (11,89 Proc.). Für die Hälfte davon Hess sich erbliche
psychopathische Belastung nachweisen, besonders häufig Trunk¬
sucht des Vaters. Schwer belastet waren namentlich die Fälle
„kongenitaler“ cerebraler Kinderlähmung. Degeneratiouszeichen
fanden sich mehrfach. Bei anderen Fällen waren Infektionskrank¬
heiten die Ursache der Lähmung, niemals Syphilis. Epileptische
Krämpfe blieben in der Regel nicht nach dem 40—50. Lebens¬
jahr bestehen, in einem Falle hörten sie nach einem Typhus schon
früher für immer auf. Die psychische Schädigung (Idiotie) ent¬
spricht nicht immer dem Grade der Iäilnnung; eines kann auch
ohne das andere als Folge der gleichen Gehirnerkraukung Zurück¬
bleiben.
Irma K 1 a u s u e r - Halle: Ein Beitrag zur Aetiologie der
multiplen Sklerose.
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26. November 1901.
MTTENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT.
1937
Alle irgendwie für die Entstehung der multiplen Sklerose in
Betracht kommenden Momente sind aus einem Material von 12«!
Fällen statistisch verwertliet. Der daraus gezogene Schluss, dass
Infektionen und Intoxikationen entweder gar keine oder nur als
auslösende Faktoren eine Rolle spielen, führt zu der Annahme, dass
der multiplen Sklerose in der Hauptsache ein endogener Ur¬
sprung zukommt. Dafür spricht auch der relativ häutig geführte
Nnchweis nervös-erblicher Belastung, sowie das vereinzelt vor-
kommeude familiäre Auftreten der Krankheit. Dennoch wird die
Möglichkeit offen gelassen, dass die multiple Sklerose eine chro¬
nische Infektionskrankheit sui generis ist.
L. v. M u r a 11 - Burghölzli (Zürich): Ueber das Nerven¬
system eines Hemicephalen. (Mit einer Tafel.)
Die interessanten Ergebnisse dieser anatomischen Arbeit
lassen sich nicht in einem kurzen Referat Zusammenflüssen. Be¬
sonders bemerkenswerth ist das Erhaltenbleiben der Spinal¬
ganglien mit den Hintersträngen, des Sympathicus und der Brust-
markseitenhornzellen. sowie die Möglichkeit selbständiger Aus¬
bildung der Ilautsinuesorgane bei einer primären Bildungs-
hemmung des Medullarrolirs, die ihren höchsten Grad im Kopf¬
ende erreichte und von da caudalwärts abnahm.
Adolf Wallenberg - Danzig: Anatomischer Befund in
einem als „akute Bulbäraffektion (Embolie der Art. cerebellar.
post. inf. ainistr. P)“ beschriebenen Falle. (Mit 2 Tafeln.) Vergl.
Arch. f. Psych. Bd. XXVII, Heft 2, S. 504.
Die Sektion ergab einen Verschluss der genannten Arterie
durch einen Thrombus, der in Folge von Arteriosklerose ln loco
oder in der linken Vertebralis gebildet worden war. Der dadurch
entstandene Erweichungsherd lag in der linken Hälfte der Medulla
oblongata am Eingang zum Centralkanal und hatte dort eine
scharf umschriebene Quersclinittslaesion bewirkt. Bezüglich der
eingehenden Schilderung der anatomischen Einzelheiten und der
daraus für den klinischen Befund gewonnenen Ergebnisse muss
auf das Original verwiesen werden. Der Fall ist auch bemerkens¬
werth wegen der ausserdem beobachteten congenitalen Opticus¬
atrophie mit Cataract und Mikroeeplialus. die durch besonders
starke Entwicklung des Nervus coclilearls eompensirt waren.
A. F o r e 1 - Zürich: Selbstbiographie eines Falles von
Mania akuta.
Die selbstverfasste Krankengeschichte einer seit 10 Jahren
geheilt gebliebenen gebildeten Dame mit ausführlicher tabel¬
larischer Uebersicht aller während der Krankheit vermerkten
Sinnestäuschungen und Wahnideen gibt mit dem gleichfalls init-
getheilten Anstaltsbericht einen lehrreichen Beitrag zur Kenntniss
akuter Psychosen.
R. H e n n e b e r g - Berlin: Heber Spiritismus und Geistes¬
störung.
Die hier mltgetheilten Krankengeschichten lehren, dass so¬
wohl neuropathisch veranlagte wie nicht krankhaft disponirte
Personen in Folge intensiver Beschäftigung mit spiritistischen
Experimenten von tiefgreifenden, meist hysterischen Geistes¬
störungen befallen werden können. Besonders unheilvoll und
allein schon durch die Störung der Nachtruhe gefährlich scheint
die Ausübung des „Psychographismus“ zu sein, da sich die An¬
hänger des Spiritismus derselben zu jeder Zeit und auch allein,
oft in übertriebenster Weise, hingeben können. Es ist daher
Pflicht der Aerzte, namentlich nervöse Personen vor dem Besuch
spiritistischer Kreise zu warnen, in denen überdies vielfach dem
Kurpfuscherthum Vorschub geleitet wird.
26. Wanderversammlung der Südwestdeutschen Neurologen
und Irrenärzte ln Baden-Baden am 8. und 9. Juni 1901. Re-
ferirt in No. 25, 1901 dieser Wochenschrift.
Beferat. J a m i n - Erlangen.
4
\ Centralblatt für Baoteriologie, Paraaitenknnde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 16, 1901.
1) Lode und G r u b e r - Innsbruck: Bakteriologische
Studien über die Aetiologie einer epidemischen Erkrankung
der Hühner ln Tirol (1901).
Die Epidemie hatte sich von März bis .Tuli 1901 auf 121 Ge¬
meinden mit Uber 300 Gehöften erstreckt. Im Ganzen konnten
über 2000 Hühner als inflzirt beobachtet werden. Das auf¬
fallendste Merkmal war das B 1 a u w e r d e u des Kammes.
Die Thiere sträuben die Federn, lassen die Flügel hängen, worauf
sich bald ein somnolenzartiger Zustand herausbildet, in welchem
die Thiere allmählich zu Grunde gehen. Der Sektionsbefund war
so gut wie negativ. Bakteriologisch wurden, mit Ausnahme von
wenigen Malen, wo es sich um zufälligen Colibefund handelte,
sowohl im Ausstrich wie auf Plattenkulturen, ein negatives
Resultat erzielt. Nichtsdestoweniger konnte mit dem Blut der
eingegangenen Hühner eine neue Infektion erzielt werden, selbst
mit dem enorm verdünnten Filtrat aus Blutmischungen
starben dieThiere in derselben kurzen Zeit, als wenn sie mit reinem
Blut geimpft worden wären. Diese Thatsache legt den Gedanken
nahe, dass hier Organismen im Spiel sein könnten, die ähnlich
klein wie bei Maul- und Klauenseuche, die Berkefeldfllter passlrt
haben würden.
2) S. Goldberg - Petersburg: Die Agglutinationsreaktion
bei Infektionen verschiedenen Grades.
Bei tödtlicher Infektion verhält sich die Aggluti¬
nationsreaktion ebenso wie vor der Infektion. Bel nicht tödt¬
licher Dosis tritt eine Verstärkung der Agglutinatlonsfählg-
keit des Blutes ein. Sie ist jedoch bei verschiedenen Thieren ver¬
schieden. Die Reaktion wächst allmählich an Intensität an, er¬
reicht ein gewisses Maximum und kehrt dann allmählich zu ihrer
anfänglichen Norm zurück. Während der Immunlsation von
Thieren gegen Typhus- oder Pyocyane u s Infektion wächst
die Agglutinationsfähigkeit des Blutes, doch ist ihre Intensität
dem Grade der Immunität durchaus nicht proportional. Ein An¬
wachsen der Agglutinationsfähigkeit des Blutes ist als ein frühes
Merkmal des erfolgreichen Selbstschutzes des Organismus anzn-
sehen.
3) A. Loos-Cairo: Notizen zur Helminthologie Egyptens.
IV. Ueber Trematoden aus Seeschildkröten der egyptischen
Küsten. (Schluss.)
4) E. Coli n-Halle: Troikart zur sterilen Entnahme von
Gewebetheilen.
Dieses Instrument ist ähnlich so eingerichtet wie der von
C. Fraenkel angegebene Apparat zur Entnahme von Boden
aus tieferen Schichten. Oberhalb der Spitze befindet sich eine
seharfrandige Aushöhlung, die beim Einstechen in das Gewebe von
einer Hülse überdeckt ist. Beim Herauszieheu schneidet die
scharfe Hülse ein Stückchen Gewebe ab, welches In der Höhlung
liegen bleibt und unversehrt herausgenommen werden kann.
5) Michaelis- Berlin: Bemerkungen zu dem Aufsatz von
Karl Reuter.
Polemischer Natur. R. O. Nemuann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 46.
1) H. S e n u t o r - Berlin: Ueber Anaemia splenica mit
Ascites (Bant i’sche Krankheit).
Vergleiche das Referat der Münch, med. Woehenschr. 1901,
pag. 1820.
2) Römer- Marburg: Untersuchungen über die intra¬
uterine und extrauterine Antitoxinübertragung von der Mutter
auf ihre Descendenten.
Die rein theoretische Annahme, dass unter normalen Ver¬
hältnissen ein Uebertritt von Antitoxin auf den Foetus gar nicht
oder nur in sehr geringem Grade stattlinden kann, konnte Ver¬
fasser durch seine Versuche an Pferden bestätigen. Auch an
Kaninchen wurde ein gleiches Resultat gewonnen. Eine Reihe
anderer mitgetheilter Versuche zeigten, dass noch stomaehaler
Antitoxinaufuahme Im Darminhalt und iu den Exkrementen stets
Antitoxin auftritt, allerdings in geringer Menge im Verhältnis
zur eiugefülirten Quantität. Hinsichtlich des Genaueren, 1 h*-
soiulers der zahlreich mltgetheilten Protokolle der Versuche wird
auf das Original verwiesen.
3) M. Relmar - Görlitz: Ein Fall von Fremdkörperabscess
in der Ohrgegend.
Als Ursache deR Abscesses fand sich in dem beschriebenen
Falle ein Quarzstückchen, das 15 Jahre früher gelegentlich eines
Unfalles durch eine neben dem Ohr gelegene Wunde in die Haut
gekommen und bei der primären Naht zuriickgeblielHm war. Im
Laufe der Jahre war das Stückchen mindestens 3 cm weit ge¬
wandert. Mehrmals während der langen Zeit traten Entzün¬
dungen an der betreffenden Stelle auf und wiederholt wurde iu
dem betreffenden Falle geglaubt, dass die sich wiederholenden
Abscesse Ihren Ausgang vom Mittelohr nähmen. An anderen
Fällen erläutert Verfasser noch die Diagnose otogener Abscesse.
4) P. Asch- Strassburg: Ueber die frühzeitige Diagnose
der Blasentuberkulose.
In dem ersten der mltgetheilten Fälle litt der 22 Jährige
Patient seit 5 Jahren an Blasenbeschwerden, trotzdem der Urin
klar erschien. Mikroskopisch zeigten sich Blutkörperchen, wess-
lialb A. cystoskopirte. Dabei fand sich ein Geschwür an der Mün¬
dung des linken Ureters. Schliesslich gelang auch der Nachweis
der Bacillen, und wurde zudem noch durch Thierimpfuug der
tuberkulöse Charakter der Erkrankung festgestellt.
Im 2, Fall ergab die Cystoskopie bei dem 34 jährigen Kranken,
der aus gesunder Familie stammte und früher nur einen Tripper
durchgemacht hatte, Blutextravasate an verschiedenen Stellen und
stärkere Blutgefässentwicklung an denselben, ferner eine Ver¬
härtung im linken Prostatalappen. Auch hier gelang schliess¬
lich der Nachweis der Bacillen im Urin. Bel Blasentuberkulose
steht der cystoskopischen Untersuchung das Bedenken entgegen,
dass der tuberkulöse Process dadurch verschlechtert werden kann,
so dass die Untersuchung nur ausgeführt werden soll, wenn es zur
Feststellung der Diagnose wirklich nöthig ist.
5) P. B a u m g a r t e n - Tübingen: Ueber die pathologisch¬
histologische Wirkung und Wirksamkeit des Tuberkelbacillus.
Vortrag, gehalten in der Sitzung der deutschen pathologischen
Gesellschaft auf der heurigen Naturforscherversammlung in Ham¬
burg (24. September).
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 46.
1) F. P 1 e h n: Ueber die praktischen Ergebnisse der neueren
Malariaforschung und einige weitere Aufgaben derselben. (Fort¬
setzung folgt)
2) Heinrich E m b d c n - Hamburg: Zur Kenntniss der metal¬
lischen Nervengifte.
Ueber die chronische Manganvergiftung der Braunsteinmüller.
Vortrag, gehalten im Aerztlichen Verein zu Hamburg am 15. Okto¬
ber 1901; Referat siehe diese Wochenschrift No. 44, pag. 1773.
3) Alexander v. P o e h 1 - St. Petersburg: Die Nervenüber¬
reizungen als Ursache von Autointoxikationen.
Die Resultate der von P. angestellten Untersuchungen, durch
welche auch die Angaben von V erworn bestätigt werden,
lassen sich ln folgende Sätze znsammenfassen: Durch Ueber-
müdung wird die Alkalescenz der Gewebssäfte, sowie die Energie
der Oxydntionsprocesse herabgesetzt, dagegen der Gehalt an inter-
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193S
MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
mediärcn stickstoffhaltigen Stoffwechselprodukten in den Gewebs-
siiften erhöht. Ferner lüsst sich eine Abnahme der osmotischen
Spannung ln denselben, sowie eine Herabsetzung der Strömungs¬
geschwindigkeit des Harnkanäleheninhaltes, und endlich auch eine
solche des elektrischen Leitungsvermögeus der Gewebssäfte kon-
statiren.
4) A. Pappen heim - Hamburg: Eine panoptische Triazid¬
färbung.
Nach P. gibt eine Behandlung mit Metliylenazurblau-Eosin
eine differenzirte gleichzeitige Färbung der Kerne und Leiber der
Lymphocyten, polynukleären Leukocyten, xanthophilen und
orythrophilen Erythroblasten, sowie der Granula der neutrophilen
Zellen, der Mastzellen und der eosinophilen Zellen.
5) Ed. Ii e i c h m a n n - Berlin: Zur Grössenbestimmung
innerer Organe.
Veranlasst durch die ln No. 38 der Deutsch, med. Wochenschr.
veröffentlichte Arbeit von M. Buch über perkussorische Auskul¬
tation beschreibt R. in einer vorläufigen Mittheilung das von ihm
geübte Verfahren, welches eine Kombination der obigen Methode
mit dem Auf rech t’schen Friktionsstethoskop bildet und eine
scharfe Grenzbestimmung der Organe gegeneinander ermöglicht,
während Veränderungen innerhalb der einzelnen Organe nicht zum
Ausdruck kommen.
G) S. W a t e f f - Sofia: Ein Fall von Vergiftung mit
Oleandrin.
Beschreibung des klinischen Bildes einer Vergiftung durch
eine Abkochung von Oleanderblätteru. wie sie in Bulgarien viel¬
fach als Abortivmittel gebraucht wird.
7) Feuilleton: Ueber den Sitz der Damen zu Pferde.
8> Emanuel Fink- Hamburg: Eine neue Methode der Be¬
handlung des Heufiebers und verwandter Affektionen.
Nach den neueren Untersuchungen beruhen alle in der Form
einer Coryza nervosa auf tretenden Zustände auf einer Affektiou der
sekretorischen Fasern des Trigeminus und stammt, die Hydro-
rrhoea nasalis aus der Kiefer- oder Stirnhöhle, oder aus beiden.
Durch Einblasen von Aristolpulver nun in die Highmorshöhle ge¬
lang es F. in 11 Fällen jedesmul, in einem Falle sogar durch
eine einmalige Applikation das Leiden zu beseitigen.
F. Lacher- München.
Oesterreichuche Literatur.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 4G. 1) A. Pick- Prag: Ueber Symptomenkomplexe,
bedingt durch di» Kombination subcorticaler Herdaffektionen
mit seniler Hirnatrophie.
In früheren Publikationen hat P. schon darauf hingewiesen,
dass es in Folge einer, ein bestimmtes funktionelles Hirnrinden¬
gebiet stärker betreffenden senilen Hirnatrophie zu Herd¬
erscheinungen isolirter Art kommen kann. Er veröffentlicht liier
nun eine Krankengeschichte mit Sektiousbefund, eine 28 Jährige
Patientin betreffend, aus welcher hervorgeht, dass trotz der schein¬
bar zutreffenden klinischen Erscheinungen keine corticale Herd¬
affektion vorhanden zu sein braucht, sondern ein subcorticaler
Herd mit seniler Hirnriudenatrophie die Symptome bei der Sektion
erklärt. In dem mitgetheilten Falle, welcher rechtsseitige Hemi¬
plegie. Aphasie. Störungen des Lesens und Schreibens, endlich
partielle optische Asymbolie darbot. fanden sich ausser der Hirn¬
atrophie noch Herde im Nachhirn, deren histologische Einzelheiten
im Original ausführlich beschrieben werden.
2) H. Schloss: Ueber den Einfluss der Nahrung auf den
Verlauf der Epilepsie.
Bei 16 epileptischen Kranken, zum Tlieil Männern, zum Theil
Frauen, hat Verfasser periodenweise bald Fleischkost, bald Milch
und vegetabilische Kost gereicht. Er schliesst aus seinen Be¬
obachtungen, dass ausschliessliche Fleischkost die Anfälle eben¬
sowenig vermehrt, wie sie die andere Kostordnung vermindert.
Fleischnahrung braucht also Epileptischen nicht widerrathen zu
werden. Weitere Versuche ergaben, dass unter dem Einfluss
kochsalzarmer Nahrung bei gleichzeitiger Darreichung von Brom¬
salzen die Zahl der Anfälle reduzirt, das psychische Befinden nicht
verändert wird. Dagegen sinkt unter dem Einflüsse dieser Nahrung
das Körpergewicht und die Kraukeu werden schwach und hin¬
fällig. Fett- und säurereiche Kost hat keinen ersichtlichen Ein¬
fluss auf die Zahl der Anfälle; auch vermehren mässige Alkohol -
gaben die Anzahl der Anfälle nicht.
3) H. v. Halban-Wien: Weiterer Beitrag zur Xenntniss
der juvenilen Tabes.
Aus der Krankengeschichte der 23 Jährigen Kranken geht
hervor, dass sie Im Säuglingsalter durch eine Amme syphilitisch
iuflzlrt worden war. Trotz der schon früh eingeleiteten spezifischen
Behandlung bildeten sich allmählich die Erscheinungen der Tabes
aus, denen schon frühzeitig eine genuine Migräne vorausging,
welche nicht als Tabessymptom aufgefasst werden darf. Im
Uebrigen fehlten subjektive Symptome völlig. Bemerkenswerth
Ist der hier wieder nachgewiesene Zusammenhang mit acquirirter
Syphilis.
4) K. Landsteiner - Wien: Ueber Agglutinationserschei¬
nungen normalen menschlichen Blutes.
Der Artikel eignet sich nicht zum Auszug an dieser Stelle.
Grassmann - München.
Wiener klinische Rundsoh&n.
No. 40, 42—44. A. Lorenz-Wien: Ueber die Behandlung
der Knieankylosen mittels des modellirenden Redressements.
Je mehr sich die Orthopädie zu einem selbständigen Fache
der Chirurgie entwickelt, desto mehr werden die alten rigiden
Ankylosen des Kniegelenkes Gegenstand unblutiger Eingriffe
werden. Die blutige (Itesektions-) Behandlung ist eigentlich nur
für die absolut starren knöchernen Ankylosen angezeigt, welche
nicht mehr als 3—5 Proc. aller Fälle ausmachen. Das bekannte
Etappenredressement ohne Narkose kommt für die leichteren
Fälle in Betracht, wo voraussichtlich nur wenige Etappen erforder¬
lich sind, die älteren Fälle, gleichviel, ob mehr oder weniger
starr und ob mehr oder weniger flektirt, behandelt L. uublutig mit
dem sogen, modellirenden Redressement. Dasselbe wird auf eine
hier nicht näher zu beschreibende Art mit Hilfe eines Redresseur-
Osteoklnsten ausgeführt.
Mit aller Vorsicht wird in Narkose in 1—2 Stunden allmählich
die Streckung vorgenommen bis zu einer Ueberstreckung.
welche vor Allem den Zweck hat, durch Ueberdehnung die Elasti¬
zität der Weiehtheile möglichst herabzusetzen. Bel rechtwlnkeligeu
und spitzwinkeligen Ankylosen wird in gleicher Weise, nur noch
vorsichtiger vorgegangen. Die spitzwinkeligen Ankylosen sind
selten, die höchsten Grade niemals knöchern. Eine gewisse Ge¬
fahr besteht bezüglich der Ausbildung einer Peroneusparalyse.
Diese tritt jedoch nicht nach kurzem Redressement ein, sondern
bei längerer Fixirung des frisch redressirten Gliedes ln Ueber-
streckuug. Zu Fixirung in dieser Stellung soll daher nur langsam
übergegangen werden.
Eine Contraindikation bilden secernireude Fisteln; Fistel¬
narben ln der Kniekehle gebieten nur vermehrte Vorsicht. Die
Möglichkeit, das Grundleiden neu anzufachen, Ist auch bei den
operativen Methoden nie ganz ausgeschlossen.
Der Verband Ist monatelang nöthig, eventuell muss noch eine
Nachbehandlung mit Belastung durchgeführt werden. Das Ziel
des Verfahrens ist nicht eine Beweglichkeit des Kniegelenks,
sondern eine möglichst feste Ankylose.
No. 42—43. E. B 1 s c h o f f - Klosterneuburg : Ueber die
pathologisch-anatomische Grundlage der sensorischen Aphasie.
Nach kritischer Sichtung des vorliegenden Materiales fasst
B. die wenigen sichergestellteu Kenntnisse ungefähr so zusammen:
Die corticale sensorische Aphasie beruht auf einer Laesion der
akustischen und optischen Sinneseentren der linken Hemisphäre
(bei Rechtshändern) resp. der associatlven Verknüpfung der
Sinneseentren mit dem corticalen Sprachgebiet Laesion des
akustischen Sprachcentrums bewirkt Sprachtaubhelt Störung des
Nachsprechens und des Diktatschreibens. Laesion der Objekt-
bildcentren oder ihrer Associationsbahnen bewirkt amnestische
Aphasie, Alexie und Störung des Copirens. Inwieweit Laesion
des Klangbildcentrums Paraphasie, Lese- und Schreibstörung be¬
wirkt, ist nicht genau bekannt, sehr wahrscheinlich kommen ge¬
ringe Störungen dieser Funktionen bei corticaler Sprachtaubhelt
regelmässig vor. Die Sprnchcentren scheinen funktionell so eng
untereinander verknüpft, dass sie bei jeder sprachlichen Thätig-
keit alle Zusammenarbeiten und die Funktionsfähigkeit des einen
auch eine gewisse Behinderung in der anderen zur Folge hat
Völlige Intaktheit der Spontansprache kommt daher bei cor¬
ticaler sensorischer Aphasie nicht vor, wesshalb der Symptomen-
komplex der reinen Worttaubheit nicht auf Laesionen des Klang¬
bildcentrums bezw. der sensorischen Rindeufelder, sondern auf
eine Läsion der Projektionsbahn des Klangbildcentrums zurück-
zuführeu ist.
No. 44. Kesjakoff - Sofia: Das Protargol bei der Be¬
handlung der Gonorrhoe.
K.’s Erfahrungen an 53 Kranken sind sehr günstige gewesen.
Das Protargol verschlimmert die entzündlichen Erscheinungen nie.
sondern mildert sie, vernichtet die Gonoeoccen jedenfalls rascher
als die anderen bisherigen Mittel. Die Behandlung ist so lang.-
fortzusetzen, bis wiederholte mikroskopische Untersuchungen keine
Gonoeoccen mehr nachweisen. Adstringlrende Mittel wandte K.
nur bei wiederholten Infektionen an.
No. 40. A. Guttenberg -WUrzburg: Kasuistische Bei¬
träge zur Therapie der Erkrankungen im Bereiche des Plexus
sacralis.
Mit dem vorliegenden ergänzt Verf. seinen Aufsatz in No. 7.
1901 dieser Wochenschrift durch zwei Krankengeschichten. Die
schon dort empfohlene lokale Massage wird wesentlich erleichtert,
wenn etwa 1 Stunde vorher in das Rectum eine Lösung (40° C.)
von Antipyrin 2,0—2,5, Cocain mur. 0,025—0,05, Aq. 25,0 einge¬
führt wird. Be rgeat- München.
Französische Literatu.
Vaschide und Marchand: Athmungsstörungen im
Zusammenhang mit den verschiedenen Graden eines patho¬
logischen Erregungszustandes. (Revue de mßdecine, Sept 1901.)
Vorliegender Fall, einen 57 Jährig. Strassenarbeiter mit Melan¬
cholie, multiplen Hallucinationen, Verfolgungsideen u. s. w. be¬
treffend, liefert einen interessanten Beitrag zur physiologischen
Psychologie der Geistesstörungen und den Beziehungen derselben
zu den Veränderungen der peripheren Clrculation und der Respi¬
ration. Bei den akuten Anfällen (von Verfolgungswahn u. s. w.)
zeigte sich die Athmung bedeutend verlangsamt, bei solchen
äusserster Angst jedoch vermehrt; die Herzthätigkeit (Pulsscblag)
ist dabei ebenfalls sehr vermehrt, wie die aufgenommenen Kurven
lehren. Die Erklärungsversuche dieser Beziehungen, sowie die
näheren Einzelheiten, die bei diesen psycho-pathologischen Ver¬
suchen in Betracht kommen, sind im Original nachzulesen.
A. Thomas und Jean Ch. Roux: Ueber eine besondere
Form von Heredoataxie des Kleinhirns. (Ibid.)
Patientin wurde im Alter von 35 Jahren von der Krankheit,
welche noch 4 andere Glieder derselben Familie ln 2 Generationen
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26. November 1901.
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSC11K1 FT.
1939
betroffen hatte, lwfaJleu; Beginn und Verlauf war bei allen fünfen
der gleiche. Zuerst Schmerzen in einer unteren Extremität, dann
schwankender (Jang, spontanes Zittern der Muskelmassen der¬
selben. Schwierigkeit sich, sogar bei offenen Augen, aufrecht zu
halten. R o m b e r g'sches Zeichen. Patellamdlexe erhalten. Die
Kopfbewegungen langsam. Keslclit uul>eweglieh. Sprache ziehend
und weinerlich, ausserordentlich heftige Schmerzen in der Leudeu-
gegeud und den Weichen. Anaesthesie für Wann und Kalt
Pupillenreaktion gut. Erbrechen und l’cbelkeit nach dem Essen.
Am Ende des Lebens die Beine unlveweglich durch Selinen-
retraktiou, Kuss in Klum])fussstellung. Tod im Alter von öl .laliren.
Lungentulterkulose. Die Autopsie gestattete eine genaue histo-
logische Untersuchung, deren Einzelheiten nur durch die beige¬
gebenen 14 Zeichnungen verständlich sind. Im Allgemeinen han¬
delte es sich um partielle Degeneration des ganzen Vorder- und
Seitenbündels (des Rückenmarkes). um Veränderungen der grauen
Substanz (t heil weise Atrophie) und theilweise Degeneration der
Hinterstriinge: das Kleinhirn war im Ganzen, wie überhaupt die
Gehirnmasse, verkleinert. Verfasser führen aus der Literatur noch
einige analoge Fälle an und erklären diese Ileredo-ataxie als eine
Familieuerkrankung. yelche von einer Veränderung des Kleinhirns
variabler Natur (Kleinheit, degenerative Atrophie. Sklerose) oder
der zu- und abführenden Ncrventlieile herriihrt. Diese familiären
Erkrankungen, zu welchen auch wohl die Friedreicli'sche Fonn
der Taltes gehört, ähneln sich durch die allgemeine Kleinheit der
Xervennclise. die ihnen gemeinsam ist. aber sie sind von einander
verschieden entweder durch den Sitz «»der die Ausdehnung der
Erkrankung (Kleinhirn oder Medulla oblongata» oder durch ihre
Natur: wenn vom anatomischen Standpunkt aus die extremsten
Typen auch kaum mehr zu vergleichen sind, so gibt es andere,
welche unter sich zahlreiche Berührungspunkte haben und eine
Reihe von Zwisohenfomien bilden: dahin gehören die Beobacht¬
ungen von Klippel-Durnntc (Vin cent-Svitalski).
von Sänger. B r o w n u. A. ui.
Dopt er und Tan ton: 2 Fälle von Neuritis ischiadica
in Folge von intramuskulären Quecksilberinjektionen. (Ibid.)
Die 2 Fälle waren in Folge von Kalomel-, resjt. Jodquecksilber-
(Hg bijodat.)Injektionen in die Glutaealgegend bei Syphilitikern
entstanden. Bei dem ersten Kranken waren zwar die anfäng¬
lichen Erscheinungen sehr schmerzhaft, sie giugen Jedoch unter
dem Einfluss der Behandlung zurück und 4 Monate nach Beginn
bestand nur mehr Hypoaesthesie an «ler Planta pedis. welche den
Gang nicht mehr hinderte. Bei «lein zweiten Falle jedoch sind die
Störungen viel schwererer Natur, die Bewegungen und der Gang,
obwohl bedeutend gebessert, werden wahrscheinlich nicht mehr
zur Norm zurückkehren, da gewisse Muskelgruppen degenerirt
sind, und es ist zu fürchten, «lass die betreffende Unterextremitüt
für immer ihrer vollen funktionellen Thütigkeit beraubt ist. Die
an Meerschweinchen vorgenommenen Experimente lehrten nun,
dass eine ganz geringe Stenge von Quecksilbersalzen (Kalomel.
ITg bijodat.) genügt, um bei allen Thleren rasch hochgradige Er¬
scheinungen von Neuritis zu erzeugen: man muss als«» die Gefahr
kennen, welche diese Injektionen mit sich bringen, wenn «lie
Flüssigkeit in Berührung mit <l«*m Nervus ischiadicus kommt (bei
Injektionen von 8 u b 1 i m a t wurde diese Komplikation unter
Tausenden von Malen vom Referenten übrigens niemals beolv-
aclitet). Um diese Eventualität zu venuehlen, muss mau. wie
Verfasser schliesslich hervorheben, «lie sogen, gefährliche Zone bei
den intramuskulären Injektionen in die Glutaealgegend kennen
(Zeichnung).
Regnaul t: Zur Behandlung des Malariaanfalles. (Ibid.)
Während das Chinin nur vor dem eigentlichen Flelieranfnll
wirksam ist. empfiehlt It. als ein vortreffliches Medikament
während desselben folgend«* .1 o d niisc li u n g: Tinct. jodi,
Kal. jodat. äa 4.0. Aqu. «lest. 100.0 S. Einen Kaffeelöffel voll in
etwas Wasser währen«! des Anfall« 1 *, wenn nöthig. nach lö bis
20 Minuten einen zweiten Kaffeelöffel. Di«*s Mittel war schon
früher von Brl vet un«l Will e I» r a n d empfohlen worden, aber
in Vergessenheit geratlien. Diese Behandlung, welche sich It. in
zahlreichen Fällen Iküiu Militär bewährte, hindert nicht. Chinin
zu geben, um am folgenden oder die nächsten Tag«* dem Anfall
zuvorzukommen; nur muss man der Jodmischung genüg«*nde Zeit
lassen, um zum grossen Theile zu verschwinden, bevor man Chinin
gibt, um die chemische Unv«*reinbarkeit beider M«*dikamente zu
vermeiden. Die Jodmedikation ist daher als eine Vervollkommnung
«les Chinins oder Methylenblaus bei der Malnriabehaudlung anzu¬
sehen, keineswegs als Ersatz derselben.
Marfan: Die Cocainomanie als Ursache der Idiotie bei
Kindern. (Revue mensuellt* des maladies «le 1'enfance. Sept. 1901.)
Es handelte sich um 2 Kinder desselben Vaters. weleln*r wegen
einer Nasonaffoktion lange Zeit hindurch jed«*n Tag 3 g Cocain
durch «lie Nase genommen hatte: das eine der beiden Kinder,
t» .fahre alt, war vollständig idiotisch, das andere. 10 Monat alt.
hatte ebenfalls alle Zeichen der Idiotischen Mikrocephalie. Zwei
Kinder, welche vor dem Co«*nlu-Missl>raueli des Vaters zur Welt
gekommen waren (1.1 und 8 .Talire alt). waran wohl entwh-kelt
und geistig ganz normal.
Coucliet: Betrachtungen über die makroskopische Ana¬
tomie der Thymusdrüse beim Kinde. (Ibidtnn.)
Die an ö9 Fällen ausgeführten Untersuchungen beschäftig«*)!
sich mit Farbe, Konsistenz. Form (ausserordentlich variabel). Ge¬
wicht (von 3—5 g l>ei der Geburt bis 7—9 g mit 3—4 Jahren) und
Zusammensetzung d«*r Drüse. Im Allgemeinen kann man an Ihr
ein Corpus und zwei Ausläufer unterscheiden; ersteres bildet die
sogen. Pars thoracica, der obere Ausläufer bildet die sogen. Cornua
superiora (linkes und rechtes), der untere das Unterhorn, welches
oft fehlen, alH*r zuwiüien auch bis zum Zwerchfell herabgehen
kann. Die Einzelhtdten über den Zusammenhang dieser Theile mit
den Naehbarorgauen. dessen Beschreibung in «len Lehrbüchern
mich Verfassers Ansicht meist eine mangelhafte ist, sind genau
«•rörtert. Bezüglich der Arteri«*n, Venen, Lymphgefässe oder
Nerv«*n waren keine B«*sonderheit«*n zu konstatiren.
S p o I v e r i n i • Rom: Beitrag zum Studium der akuten,
infektiösen und toxischen Nephritis im Kindesalter. Aetiologle,
Pathogenese, B«*lmiullung. (Aunales «le medeciue et Chirurgie in¬
fantiles 1901. No. 17 und 18.)
Im I. Tlieih* di«*ser ausführlichen Arbeit werden ö Fälle von
akuter Nephritis bt*sehriel>en, welche nach Scharlach vorkamen,
ferner die nach Masern. Diphtherie, Impetigo (2 Fället verkommen¬
den Fälle dieser Art erörtert. Der II. Theil der Arbeit ist allge¬
meinen Betrachtungen (il>er diese, im Kindesalter gar ni«*ht selten«*,
Komplikation gewidmet und kommt zu folgenden Schlüssen: Alle
Fälle von akuter Nephritis, von welchen die Retle war. lassen sich
in zwei Kategorien gruppireii: 1. solche bakteriellen, 2. toxischen
Ursprungs. Zur erstereu gehören die nach Impetigo und Scharlach
uml zur zweiten die nach Diphtherie und Masern auf tretend ,*n Fälle
Die nach Impetigo vorkommende Nephritis beruht nicht auf einem
sp«‘citis<*lu*u Inf«*ktionskeim: das pathogene Element kann Je nach
«lein ursächlichen Keim «ler Iuipiüigo wechseln (Stapliylocbceus,
Strcpt«K«i<cus, Bacillus ]>yocyan«*usi: bei «ler post-scarlatiuöscn
Form hingegen hat Sp. fast immer einen einzigen und «leiiselbeu
(Streptococcus) Mikroorganismus gefunden. B«*i «ler Impetigo
stammt die Nephritis von der Septikaemie. «lie in «ler Hautaffektion
ihren Ausgangspunkt hat. beim Scharlach scheint derselbe im
Rachen «nler «l«*n sulunaxillärcn und Hals-Lymphdriiseu zu liegen.
Die toxische Nephritis entstellt durch die speciflsehen Gifte (Diph¬
therie. Masern), di«* bakteriologische Untersuchung hat hier immer
ein negatives Resultat gegeben. Nach den ferneren Untersuch¬
ungen «les Verfassers wäre «Ile Hauteruption von Maseru und
Scharlach unter der ausschliesslichen Abhängigkeit eines toxischen,
specilisclien Agens. Die bakteriologisch«* Nephritis (nach S«-harlach,
Impetigo) lokalisirt sich mit VorlielH* in den Glouu*rul!s und ist
in Folgt* dessen viel schwerer als die toxische Form, «lie meist und
mit Vorliebe tubulär ist: «*s gibt alter auch gemischte Formen.
Das Re n ad en Kuoll ist völlig unschädlich, es kann in Milch.
Suppe u. s. w. in der Dosis von 2—4 g pro Tag verabreicht wenleu
und ist «las beste, beinah«* speeiflsche Mittel bei der Nephritis der
Kinderjahre.
Eugen Schlesinger - Strassburg: Die Magenspülungen
bei der Gastroenteritis der Säuglinge. (Ibid. No. 18.)
Schl, hebt «li«* Wichtigkeit dieser therapeutischen Maassnahme.
besonders hei «ler Cholera nostras. hervor: sie ist weder irgendwie
schädlich noch gefährlich noch «lie Technik schwierig. Nur bei
den Fällen, die sich in «lie Längt* ziehen, versagt sic eltenso wie
alle anderen lleilmitt«*!. In der Hälfte aller Fälle hat die Magen¬
spülung. natürlich gleichzeitig mit «ler strengen Diät, vorzügliche
Erfolge gegeben: Das Erbrechen hat sofort aufgehört, die Diarrhoe
ziemlich bald, nach Wrlauf einiger Tage war die Krankheit geheilt;
ln einem weit «»reu Drittel «ler Füll«* wur«le b«*trü« - htHi - he Besserung
konstntirt. manchmal beendigte erst die zweite Spülung «las Er¬
brachen. Eine Kontnümlikatlon der Magenspülung ist vor¬
handen, nämlich Ix i bestehendem Kollaps.
O. Metschuikof f: Ueber den Einfluss der Bakterien bei
der Entwicklung der Kaulquappen. (Anuales de rinstitut
Pasteur, August 1901.)
Man hat sieh schon s«*it Langem gefragt, welches die Rolle
«lei 1 nicht pathogeueu Bakterien im Dannkauale ist: Pasteur
nahm an. dass sie zur vollständigen Verdauung der Nahrungsmittel
unentbehrlich sind. Es wurden nun zur Lösung dieser schwierigen
Frage Versuch«* dahin angestellt. «lass man die Entwicklung junger
Tliiere unter aseptischen Bedingungen anstrabte, die dabei er¬
zielten, völlig konträren, R«*sultat<* veranlassten Verfasserin neuer¬
dings zu Versuchen an jung«*n Fröschen. Es ergab sich, dass «1a,
wo «lie Ernährung absolut steril g«*halt«*n wurde, «lie Tliiere viel
schlechter sich entwickelten und ein viel g«*ringeres Gewicht an-
nalimeu als die unter gewöhnlicher Füttcnmg gehaltenen. Es
stellt daher für Verfasserin fest, «lass di«* Mikroorgauism«*n zum
Leln*n und zur Entwicklung «ler Kauli|iiappcn notliwendlg sind;
die Aufklärung ül»er den gauz«*n Mechauismus dieses bakteriellen
Einflusses will sie iu weiteren Versuchen bringt-n.
N i e o 11 e und A d i 1 - B e y: Studien über die Rinderpest.
(Ibidem. September 1901.)
In dieser, als Fortsetzung früherer Studien nusgefübrten, ex¬
perimentellen Arbeit werden Symptome und Erkruukuugsherde der
überimpften Krankheit, die expcrimeutiülen Untersuchungen, 1 h*-
somlers über die R«*sisteuz «l«*s Giftes (im Reagensglast* und bei
verschiedenen Tlii«*rani. «lie Impfungen mit «ler Galle und «lie
Senimtherapi«* (pruphylaklisch und kurativ» erörtert. Die Einzel¬
heiten sind nur bei der g«*uaueu Lektüre der Arlieit verständlich.
Henry It «• y u f* s - Marstülle: Die Enterocolitis mucomem-
branacea, ausgehend vom Uterus und dessen Adnexen. (Presse
tuöillcnle 1901, No. 49.)
U«*l»«*nünstlmmcnd mit anderen Autoren, welche die Iläuflg-
keit «li«*ser Affektion beim weiblichen Geschlecht«* konstntirt haben.
li«*l»t 11. «leran Auftraten im Anschlüsse an Entziimlungen «ler Gt‘-
liiirnmttcr und deren Umgebung hervor; bei dem physiologischen
Zusammenhang zwischen Dickdarm und w«*ibli«üu*n G«*schlechts-
organeii. welch«*! - unter patliologischeu Verhjiltniss«‘n (Verwachs-
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1940 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48.
unpron u. s. w.) noch vennehrt ist, kann diese Colneldenz nicht auf¬
fallen. Das klinische Bild ist entweder derartig, dass die Da rin -
aflfektion mit ihrer bekannten Abwechslung zwischen Diarrhoe und
Obstipation vorherrscht oder gegenüber der Affektion der Ge¬
schlechtsorgane in den Hintergrund tritt. Bezüglich der Therapie
ist es natürlich wichtig, ln erster Linie eine vorhandene Metritis,
Perimetritis. Entzündung der Adnexe u. s. w. zu behandeln: ab¬
undante Heisswasserinjektionen in die Vagina, streng diätetisches
Verhalten, warme Salzwasserlavements. wie überhaupt alb* Hilfs¬
mittel der H.vdrothermotherapie. sind von besonderer Wichtigkeit.
Alexander M a z e r a n: Die spastische Obstipation. (Ibidem
No. 50.)
Dieselbe steht im Gegensatz zur sog. atonischen Obstipation, ist
vorherrschend beim weiblichen Oeschlechte. eharnkterlsirt durch
plötzliches Auftreten, besonders in Folge eines psychischen Ein¬
flusses, durch die eigenthiimliche Art des Schmerzes, auf getriebenen
Leib und gleichzeitige spastische Erscheinungen benachbarter
Organe (Blase: Tenesmus. häufiger Harndrang). Der oft in der
rechten Fossa iliaca lokalisirte Schmerz macht die T’nterscheidung
von Appeudicitis zuweilen recht schwierig. Die antispasmodische
Behandlung, in erster Linie mit Belladonna, kann auf den richtigen
Weg führen: therapeutisch kommen ausserdem noch in Betracht
Asa foetida in Kamilleninfus. Opiumpräparate, leichte Laxantien,
ferner Hydro- und Mechanotherapie: heisse Sitzbäder. Bauch-
douche, Massage. Enteroklyse. Bezüglich der Diät sind zu kalte
und zu heisse Getränke, stark gewürzte Speisen. Alkohol, Theo.
Kaffii 1 absolut zu meiden. Die französischen Bäder ChAtol-Guyon
(leicht abführende Mineralwässer) und Plombü'res (tonisch-sedative
Wirkung) rühmt Verfasser als besonders erfolgreich bei dieser
Affoktion. Tabellarische Gegenüberstellung der Hauptmerkmale
der spastischen und atonischen Obstipation.
Pierre Merk len und Girard: Primäres Carcinom der
grossen Bronchien. (Presse mödlcale 1001. No. 52.)
Beschreibung eines solchen Falles bei einem 45 jährigen
Färber mit autoptischem Befund (sehr anschauliche Abbildung der
gerade von der Bifurkationsstelle ausgehenden, im rechten Haupt¬
bronchus sitzenden Geschwulst), welcher auch den Febergang des
Leidens auf die rechte Lunge nachwies — zahlreiche, in der histo¬
logischen Struktur obiger Neubildung entsprechende Knötchen.
A. Katz: Ein Fall von Myositis ossifleans im Bereiche
eines Amputationsstumpfes. (Progros medical 1001. No. 33.)
Diese ausserordentlich seltene Komplikation stellte sich bei
einem 38 jährigen Manne (Fuhrknecht) ein. bei welchem wegen
schwerer Verletzung am unteren Drittel des rechten Oberschenkels
Amputation mit zweimaliger Operation sich als nothwendig erwies.
Nach der zweiten Operation, welche wegen Eiterung am Knochen¬
stumpf angozeigt war. entwickelte sich an demselben eine Neu¬
bildung, welche allmählich den ganzen Stumpf umfasste und wegen
ihrer grossen Schmerzhaftigkeit resecirt werden musste. Die Folge
war die Bildung eines wohl brauchbaren, schmerzlosen Knochen¬
stumpfes. Bezüglich der Pathogenese solcher Fälle glaubt K.,
dass es sich um eine lokale ossificirende Muskelentzündung handle,
da diese Osteome nicht mit den benachbarten Knochen Zusammen¬
hängen. sondern mit der Muskulatur innig verwachsen sind.
L. M a r c h a n d: Die Neuroglia bei der allgemeinen Para¬
lyse. (Presse mödieale 1001, No. 65.)
M. kommt nach zahlreichen Untersuchungen an Schnittprä¬
paraten zu dem Schluss«, dass man bei der allgemeinen, pro¬
gressiven Paralyse am Beginn der Erkrankung immer eine Pro¬
liferation der Neuroglia an gewissen umschriebenen Stellen und
gleichzeitig die Infiltration der Gefässwand dureh eine grosse
Menge von Rundzellen findet. Die Ansicht, wonach die Nerven¬
zellen die zuerst ergriffenen seien, könne daher nicht mehr aufrecht
erhalten werden, zumal M.’s Untersuchungen mit den am besten
erprobten Fiirbemethoden (N i s s 1) ausgeführt worden sind. Wahr¬
scheinlich ist jedoch, dass Nerven- u n d Nenrogliagewebe gleich¬
zeitig bei der chronischen Encephalitis ergriffen werden und dass
diese Veränderungen durch Toxine oder einen bestimmten Gift¬
stoff hervorgerufen werden, welcher die Lebensfähigkeit der
Nervenzelle vermindert und die Reizung des Bindegewebes be¬
wirkt.
Le red de: Die Indikationen der Lichtbehandlung bei
Lupus und anderen circumscripten Dermatosen. (Ibid. No. 72.)
L. beschreibt die Apparate von F i n s e n. welcher eine Bogen¬
lampe von 00—R0 Ampore, jenen von hortet und G e n o ti d.
welcher nur eine Stärke von 10—20 AmpAre benöthigt. und deren
Anwcndungsart. Beim Lupus vtilg. ist die Lichtthernpie jeden¬
falls angezeigt, wenn alle anderen Mittel fehlgeschlagen haben,
ferner bei anderen Dermatosen des Gesichts, die der übrigen
Therapie trotzen, wi« Lupus e r y t h e m a t„ Naevus vaS-
c u 1 a r. planus: bei Rykosis. wenn sie sehr ausgedehnt und
vehon auf die* tieferen Schichten der Haut übergegangen ist.
scheint die Photnthorapie zur völligen Heilung zu führen, während
*1 ies b«i superliciellen Affektionen nicht der Fall ist.
Stern- München.
Italienische Literatur.
Rem-I’i cd: Ueber Albuminurien durch kalte Bäder.
(II polielinico 19ol, No. 53. August.)
Die Untersuchungen des Autors, Professor der chemischen
und mikroskopischen Klinik der Universität in Rom erstrecken
sieh auf 35 Individuen, die 115 kalte Bäder und kalte Douelien
nuhnicn und an denen 350 Frinaualysen vorgenommen wurden.
Das Phänomen der Albuminurie nach kalten
Bädern ist ein sehr regelmässig auftretendes,
indessen handelt es sich nur um einen leichten und vorübergehen¬
den Gehalt von Serumalbumin, welcher höchstens bis zu 0,25 Prom.
steigen kann. Sensible und gegen Kälte empfindliche Personen
zeigen das Symptom am ausgesprochensten: es tritt schon bald,
etwa i/i Viertelstunde nach dein Bade auf, kann einige Stunden
dauern, aber nicht über 24 Stunden. ,Te kälter das Bad, um so eher
tritt Albuminurie auf: bei einem Bade von 8—10° genügen schon
3 Minuten Dauer, ebenso bei kalten Douehen von derselben Tem¬
peratur. Bei 15—20° C. ist schon eine Dauer von 15 Min. erforder¬
lich: Ueber 20° C. hinaus kommt es auch bei langer Dauer nicht
zur Albuminurie. Eine Gewöhnung ändert an dem Zustande¬
kommen dieses Symptoms nichts. Von einem Zugrundegehen
rother Blutkörperchen rührt diese Erscheinung nicht her. Uro¬
bilin enthält der Urin nicht. Ebensowenig scheint es durch Blut¬
drucks Veränderungen bedingt, wie wohl häufig mit der Albumin¬
urie vermehrte Diurese verbunden ist. Auch durch vasomotorische
Einflüsse soll sich dasselbe nicht erklären. Rem-Plccl ent¬
scheidet sich für das Zustandekommen dieser Albuminurie durch
einen direkten Einfluss der Ncn'en, wie solcher vom
Nervus vagus auf die Niere durch Vannl nachgewiesen wurde.
Ricci: Ueber den Stoffwechsel der Nephritiker. (II poli-
clinico, fase. 9. 1901.)
R. kommt zu folgendem Resultat: Zu gewissen Zeiten be¬
obachtet und erzielt man in Fällen von chronischer parenchyma¬
töser Nephritis leicht eine positive N-Bilanz mit N-Retention,
welche mehr oder weniger erheblich ausfallen kann, je nachdem
man das nicht verarbeitete Elweiss im Urin mitrechnet oder von
ihm absieht
Ohne Zweifel stehen die Einfuhr und Verarbeitung des N ln
engster Beziehung zu einander.
Die Milch-, die Fleisch- oder die gemischte Diät hat keinen
besonderen Einfluss auf den Stoffwechsel und auf die Ausscheidung
des Stickstoffs: dieselbe bleibt sich in manchen Fällen gleich.
Eine N-Retention, sei es. dass man dieselbe bei Milch- oder
anderer Diät konstatirt, bedeutet nicht ohne Weiteres eine Nieren-
insufficienz, d. h. eine Retention toxischer Ausscheidungsstoffe: im
Gegeilt heil ist nnzunehmen. dass dieses N häufig zu Gunsten des
Organismus selbst abgelagert zuriickgehalten wird, im Sinne eines
Ersatzes für den beständigen eeilulären Eiweissverlust.
Desshalb muss in solchen Fällen die Ernährungstherapie, an¬
statt übermässig iiesehriinkt. eine reichliche sein, um das N-Gleich-
gewieht in eine leicht positive N-Bilanz umzuwandeln, aus¬
genommen in Fällen von bestimmter Contraindikatiou (TJraeinle.
Dyspepsie etc.!.
R. konstatirt. ferner, dass es eine deutliche alimentäre Albu¬
minurie gibt, welche am stärksten 3 Stunden nach der Mahlzeit ist.
Fiori: Experimentelle Beiträge zur Nierenexstirpation.
(Aus dein cliir. Institut zu Pisa.) (II polielinico 1901. Juli. Aug.)
Die Folgen der Nieronwegnahme üussern sich zunächst in einer
durch die llyperaemie und vermehrte Toxlnauscheidung durch das
zurückgebliebene Organ bewirkten Rindegowebswucherung, zu
welcher aber s>hr bald Veränderungen des Parenchyms der Niere
liinzut roten.
Die Gewichtszunahme einer Niere kann bis zu 60 Proc. be¬
tragen und ist vollendet gegen den 20. bis 25. Tag nach der Weg¬
nahme der anderen.
Die Proliferation epithelialer Elemente, welche von den Tubuli
aus erfolgt, und welche zur Anhäufung und zu Strängen von Epithel
im peritubulären Bindegewebe führt, ist die Grundlage der funktio¬
nell >n Hypertrophie: sie deutet eine Rückkehr zum embryonalen
Zustand der Niere an. Eine Neubildung von Tubuli ist
indessen nicht n a c h z u w o i s e n. Ebensowenig ist
bei den massenhaften E p i t h e 1 p r o 1 i f e r a t i o n e n.
welche sich nach Resektionen um die Narbe an-
häufen, eine Neubildung von eigentlichem spe-
elfischen Drlisengewebe zu konstatiren.
Immerhin aber muss der funktionelle Ersatz der durch diese
Epithelproliferationen bewirkt wird, ein sehr bedeutender sein,
da l>oi Thieren ausser der Wegnahme einer Niere auch noch Ent¬
fernung der zurückgebliebenen, sogar bis zu % sich mit dem
Leben vereinbar erwies: so dass nach F. bei Huuden die unerläss¬
lich zum Loben noGiwendige Gewichtssubstanz an Niere pro Kilo¬
gramm Thier nur 1.12 g betragen würde.
Setti: Ueber die diuretische Wirkung der Urea. (Gazzetta
degli osped. 1901. No. 93.)
Eine Reihe italienischer Autoren, so Ralmondl. Mos¬
en c c i. B e n s o - D e - S t e f a n 1 s aus der Klinik M a r a g 1 i a -
n o's haben ihre Erfahrungen über die diuretische Wirkung des
Harnstoffs bekannt gegeben. 4
Diese Wirkung ist unzweifelhaft vorhanden: sie übertrifft aber
nicht diejenige der bisher gebräuchlichen Mittel, namentlich nicht
die der Digitalis. Die Wirkung ist eine sehr schnell vorüber¬
gehende. selbst in Dosen von 20 g pro die: sie versagt in Füllen
von Ascites mit Lebercirrhose. weiche sich ln einem schon etwas
vorgerückten Stadium befinden.
Der durch den Magen eingeführte Harnstoff wird fast voll¬
ständig durch die Nieren entleert; er wird gut vertragen und gibt
zu keinerlei Intoxicationsersclieinungen irgend welcher Art Ver¬
anlassung.
J e m m a: Ueber das Sklerem der Neugeborenen. (Pamina
tone, anno V, mim. 1.)
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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1941
Dass diese Krankheit infektiösen Ursprungs ist, ist neuerdings
von den meisten Autoren, namentlich von M y a seit l.XlHj betont;
meist ist eine Nephritis im Anschluss au die Infektion noch vor¬
handen. B a g i n s k y betont noch eine Veränderung au den
kleinsten Gefüssen. J e m m a fand im Blute eines 6 tägigen
Kindes zahlreich den Diplococcus Fraenkel, aber nicht die von B.
betonten Veränderungen au den Uefässwändeu.
Er ist geneigt, ausser auf die Infektion und auf die Nephritis
das grösste Gewicht zur Erklärung der Entstehung dieser Krank¬
heit auf Schwäche des Herzens und deu niedrigen arteriellen Druck
zu legen, welchen mau ja normaler Weise beim Neugeborenen
findet.
J e m m a: Ueber die infantile Anaemia splenica. (La clinica
med. Italiuna 1901, No. 4.)
Die idiopathische Anaemia splenica der Kinder wird von den
Autoren immer noch verschieden gedeutet. Die meisten Italiener,
Ga rdairell i, F e d e, Grau tu reo, 1’iauese, ausserdem
Epstein, halten sie für eine primäre Infektionskrankheit mit
einein besonderen pathologischen Agens. L u z e t hält sie für
eine der Leukaemie nahe stehende Krankheitsform, Andere wie
Senator, Hausse, Fox, .Mont 1, \V e i s s sehen in ihr eine
Sekundüraffektiou der Rachitis, der Lues, der Malaria, während
Marfan und C o n c e 11 i sie von intestinalen Intoxicatiouen für
abhängig halten.
Einen neuen Beitrag zur Pathogenese liefert J e m m a. Er
führt den Beweis, dass es toxisch-infektiöse Substanzen sein
müssen, welche Milz und Knochenmark zu erhöhter Aktivität au-
regen. ln jedem Falle ist diese Krankheit immer auf eine
Infektion zurückzuführen, welche häufig eine
gastrointestinale sein kann.
Fiocca: Ueber einen Fall von gemischter Typhus- und
Mal&ri&infektion. (11 policlinico 1901, läse. 10.)
Der Patient stammte aus einem Dorie, in welchem zur Zeit
beide Infektionen herrschten. Beide Infektionen, die neben und
nacheinander verliefen, ohne sich zu beeinflussen, wurden durch
Blutuntersuchungen und durch VV i d a 1 sehe Reaktion konstatirt.
So lange der Typhusablauf dauerte, waren Malariaparasiten nicht
nachzuweisen, daun traten sie wochenlang im Blute auf. Es er¬
folgte ein Typhusrecidiv und wieder blieb die Untersuchung auf
Malariaparasiten negativ, um später wieder nach Ablauf des
Itecidivs positiv zu werden.
Der Fall soll nach Angabe des Autors der erste derartige in
Italien beobachtete sein.
Sanarelli: Ueber die Rolle, welche Insekten bei der
Uebertragung des gelben Fiebers spielen. (Gazzetta degli ospe-
dali 1901, No. 102.)
Dieser Uebertragungsmodus gehört, wie bei anderen Infek¬
tionskrankheiten, nicht mehr und nicht weniger, zu deu nicht ganz
von der Hand zu weisenden Möglichkeiten, aber er ist weit davon
entfernt, eine besondere Bedeutung beanspruchen zu köunen.
Namentlich aber spielen Insekten nicht wie bei der Malaria die
Rolle des Zwischenwirths. Der durch seine sorgfältigen Arbeiten
über deu bakteriologischen Träger der Gelbtieberiufektiou be¬
kannte und auch in diesen Blättern vielerwähnte Autor sieht sich
genöthigt, bei dieser Gelegenheit über viele oberflächliche bak¬
teriologische Mittheilungen, welche diesen Gegenstand und die
Ursache des gelben Fiebers überhaupt betreffen, ein herbes Urtheil
zu fällen. Dies gilt nicht nur von den Arbeiten amerikanischer
Aerzte, sondern auch von der aus der Schule für Tropenmedicin
inLiverpool hervorgegangenen Arbeit Durham's und W. Meyer'».
Beide seien, anstatt sich vorher mit dem seit 4 Jahren iso-
lirt gezüchteten und nach allen Regeln der Mikrobiologie von ihm
erforschten Bacillus ikteroides in Liverpool zu beschäftigen, un¬
genügend ausgerüstet nach Brasilien gezogen; beide seien von der
Krankheit befallen, Meyer sei derselben erlegen und ihre Ver¬
öffentlichungen über die Bakteriologie des gelben Fiebers seien das
Werthloseste, was auf diesem Gebiete seit einem halben Jahr¬
hundert zu Tage gefördert sei.
Monteverdi: Die M a r a g 1 i a n o’sche Serumtherapie.
(Gazzetta degli ospedali 1901, No. 90.)
Dieselbe erwies sich dem Autor, Arzt in Cremoun, in 3 Fällen
von Tuberkulose, welche er ausführlich beschreibt, von vorzüg¬
licher Wirkung. Wichtig erscheint ihm namentlich, dass man
das Präparat auch in vorgerückteren Fällen anwendeu kann und
dass dasselbe auf Fieber, Nachtseliweisse und Auswurf, so lange
es sich nicht um ausgesprochene Mischinfektion handelt, eine
sichtliche Wirkung auszuüben im Stand ist.
/ B a e r i: Tuberkulinanwendung in der Klinik Neapels.
(Nuova rivista elinico-terapeutiea 1901, No. 6.)
B. berichtet, dass in der Klinik De Renz i’s schon seit
längerer Zeit Tuberkulin aus dem Laboratorium von M a ra¬
gt iano zu diagnostischen Zwecken bei suspekter oder latenter
Tuberkulose angewandt wird, ln allen Formen von Lokalisation
der Tuberkulose fahre es fort, vorzügliche Dienste zu leisten:
keinerlei Inconvenienzen seien dabei vorgekomuien, und Täu¬
schungen seien, wie auch eine Reihe anderer Autoren bestätigt
hätten, sehr selten.
Spinell! beschäftigt sich im Areliivio ital. di Gineeologin
(1901, No. 6) mit der Spätsyphilis des Uterus.
Sie sei den Gynäkologen fast unbekannt und den Sypliilo-
graphen wenig bekannt. Er habe zwei Fälle beobachtet und halte
eine Differentialdiagnose zwischen gummöser, tuberkulöser und
carcinomatöser Fteruserkrankung für möglich.
Die Krankheit ist charakteristisch durch Metrorrhagien,
welche immer heftiger und reichlicher werden. Der Uterus ist
hypertrophisch, gleieluuässig vergrössert, die entfernte Mucosa
zeigt keine Veränderung, die Untersuchung der Adnexe bleibt
negativ. Die Auskratzung ergibt nur eine vorübergehende Besse¬
rung, oft stellt sich der Blutverlust unter abundanten Metror¬
rhagien wieder ein. Nichts hilft, nur eine specitische Behandlung
beseitigt die Metrorrhagien und regelt die Menstruation. Im
klimakterischen Alter äussert sich die Krankheit durch alarmirendc
Blutungen und Leukorrhöen, zu denen Schwäche und Kachexie
hinzutritt. Die Untersuchung ergibt senile Atrophie des Collum
und Corpus Uteri. Die Auskratzung ergibt nur Detritus atrophi¬
scher Mucosa.
Die Metrorrhagien, die jeder Behandlung widerstehen, sind
ein sicheres Kennzeichen der späten Uteruslues und sie sind nach
S. auf eine Endoarteriitis syphilitica zu beziehen.
Chile cotti: Ueber deciduaähnliche Zellwucherungen bei
Eklampsie. (11 policlinico, August 1901.)
Diese Proliferationen finden sich am peritonealen Ueberzug
des Uterus, der Ovarien, des Beckens und sind bereits von ver¬
schiedenen Autoren konstatirt. C. ist der Ansicht, dass sie aus
Epithelzellen, nicht aus Bindegewebe hervorgehen, dass sie ein
Produkt des eklamptischen Zustandes sind und sich um so mehr
entwickeln, je länger eine Eklampsie dauert. Er beschreibt deu
Befund, welchen er au zwei Leichen Eklamptischer erhoben hat.
Binettl: Ueber ein Athmungsgeräusch, synchronisch mit
jeder Herzsystole, welches als Exspirationsgeräusch auch von
ferne wahrzunehmen war und den Kranken belästigte, handelt
der obige Autor. (Gazzetta degli ospedali 1901, No. 90.)
Unter physiologischen Zuständen, so führt B. aus, ist im Be¬
ginne der Systole, ehe das Blut der Aorta den Thoraxraum ver¬
lassen hat, während das der Vena eava in die Vorkammer ein¬
strömt und der rechte Ventrikel sein Blut in die Pulmoualis sendet,
der Thorax mit Blut überfüllt. Diise Ueberfüllung ist grösser, als
dass sie durch Volumsverminderung der Ventrikel bei der Kon¬
traktion ausgeglichen werden könnte. Es tritt demnach eine ge¬
ringe Quantität Luit bei jeder Systole durch die Luftröhre aus der
Lunge und dem Thoraxraum hinaus. Dieses Quantum Luft ist
aber so gering, duss es nur mit den feinsten Instrumenten nach¬
gewiesen werden kann. Wenn aber verschiedene günstige Momente
zusammeutreteu, so Atelektase umfangreicher Lungeupartien,
Hpertrophie des rechten Ventrikels, so kann in seltenen Fällen
diese mit der Systole herausgestossene Luft zu einem systolischen
Athmungsgeräusch Veranlassung geben.
Einen derartigen Fall von eardiopulmonaler Respiration be¬
schreibt B.
Als ein Analogon zu demselben erwähnt er einen Fall, welchen
Herz (Wien. klin. Wochenschr. No. 11, 1891) unter dem Titel
Athempuls veröffentlichte.
Marian! beschreibt aus der Genueser Klinik einen Fall
von doppelseitigem pulsirenden Exophthalmus, den einzigen,
welcher bisher in der Literatur bekannt geworden sein soll. (II
policlinico 1901, fase. 30.)
Er war bei einem 00 Jährigen Manne entstanden durch Ruptur
der Carotis interna siuistra im linken Sinus cavernosus. Dilatation
des Sinus, der Orbitalvenen beiderseits, hatte das Phänomen zu
Stande gebracht. Das linke Auge war vollständig erblindet; das
rechte erkrankte sehr langsam einige Wochen später.
P i a n e 11 a: Ueber progressive Paralyse durch Pellagra,
(ltiv. di Pat. Nev. e Ment., fase. G, 1901.)
P. tritt auf Grund seiner Erfahrung und seiner pathologisch-
anatomischen Befunde dafür ein, dass die Pellagra so gut wie die
Lues und der Alkoholismus unter die ursächlichen Momente der
progressiven Paralyse zu rechnen sei. Es handle sich bei der
Pellagra zweifellos um eine Krankheit toxischen Ursprungs mit
einer Reihe psychischer und nervöser Störungen.
Lambranzi: Ueber Polyklonien bei progressiver Para¬
lyse. (Riv. di Pat. Nev. e Ment., fase. G. 1901.)
Polyklonien bei psychischen Krankheiten sind selten und noch
seltener bei paralytischer Demenz. L. berichtet über zwei Fälle
dieser Art. Er erweist sich als Anhänger der Anschauung
Schupfe r's, dass die Polyklonie nur als ein Symptom aufzu¬
fassen und dass dieselbe, wie M a s s i will, cortiealen Ursprungs ist.
Brindi: Ueber Ersatzmittel des Morphium. Eine experi¬
mentelle Studie aus dem pharmakologischen Institut zu Turin.
(Gazzetta degli ospedali 1901, No. 102.)
Die Wirkung auf die Respiration der Versuchsthiere ist zum
Ausgangspunkt der Untersuchungen genommen und zwar die Wir¬
kung auf die durch gesetzte Exsudate künstlich verkleinerte Ath-
inungsfläehe und auf die durch Nerveneinflüsse gestörte Re¬
spiration.
Die Versuche, deren Schilderung hier zu weit führen würde,
ergeben eine Reihe Interessanter Thatsachen, vor Allem die, dass
kleine Morphiumdosen am geeignetsten sind, die Respiration zu
beruhigen, ohne die Tiefe derselben erheblich zu beeinträchtigen.
Keines der Substitute kommt dem Morphium au Wirkung
gleich: am nächsten steht ihm das Dionin. Das Codein citr. wirkt
schwächer; darauf folgt Perouin und am unvollkommensten wirkt
das Heroin.
In Bezug auf den toxischen Einfluss gilt die umgekehrte
Reihenfolge: derselbe ist beim Heroin am grössten. l>eim Morphium
am geringsten. Hager- Magdeburg N.
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1942_ MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48.
L&ryngo-Rhinologie.
3) D e n k «* r - Hagen: Zur Technik der intranasalen Ope¬
rationen. (Zeitsclir. f. Ohrenhcilk. etc. B<1. 31). 11. 3.)
Zur Vermeidung stärkerer Blutung bei operativen intra-
nasalen Eingriffen, sowie zur prophylaktischen Kernhaltung
etwaiger Nachblutungen benutzt Denker, ähnlich wie Ost-
m a n u. vor Beginn der Operation den Galvanokauter. indem er
die zuführenden Gefässe bis auf den Knochen bezw. bis tief in
den Knorpel hinein mittels galvanokaustischer Aetzung zerstört.
Durch diesen präliminaren Eingriff wird ausserdem das öftere
Tninponlren zur Blutstillung vermieden, «las Operationsfeld bleibt
übersichtlich und die Dauer der einzelnen Operationen wird be¬
deutend abgekürzt.
2» H i n s b e r g - Breslau: Ueber Augenerkrankungen bei
Tuberkulose der Nasenschleimhaut und die Milchsäurebehand¬
lung der letzteren, tlldd.t
Enter 0 Patienten mit Tuberkulose der Nasenniucosa zeigten ö
Erkrankungen der Thriinenwege resp. des Auges und seiner Um¬
gebung: bei all* diesen ö liess sich ein ..kausaler Zusammenhang
zwischen der Erkrankung der Nase rnd der des Auges ziemlich
sicher feststellen, und zwar die letztere stets sekundär". Letzteres
konnte theils aus dem lokalen Befund, theils aus anamnestischen
Daten gefolgert werden, ln therapeutischer Hinsicht erzielte
Autor mit der Milchsäure die besten Erfolge. Er cmptichlt auf
(»rund seiner Erfahrungen eine durch längere Zeit hindurch fort¬
zusetzende tägliche Tamponade der erkrankten Nasengegend mit
Milclisäuretampons bis zu einer Dauer von 3 Stunden. Dabei
empfiehlt es sich, abwechselnd konzentrirte und verdünnte
Lösungen zu wählen, denen man zweckmässig einen Jodoformbrei
zusetzt. Auch bei dieser jeweilig langdauernden Tamponade
konnte II insberg die ..bekannte Beobachtung bestätigen, dass
die Milchsäure fast nur die erkrankten Schleimhaut- und
Ilnutpnrtien angreift, während die gesunde Umgebung wenig
verändert wird.“ 7 Krankengeschichten zur Illustration.
3t T h o 1 1 o n - Toulouse: Beitrag zum Studium des Pharynx -
Enanthems in der Sekundärperiode der Syphilis. (Revue heb
domadaire de laryngologie etc. ISHlL No. 33.i
Das von den Dermatologen meist bestrittene Vorkommen eines
Schleimhaut-Exanthems in Pharynx und Larynx in der Sekundiir-
Periode der Lues konnte Autor in 4 Fällen beobachten. Dieses
Exanthem bildet meist den Vorläufer der Plaques muqueuses und
der Roseola und zeichnet sich durch eine zinnoberrothe Verfärbung
und leichte sammtartige Schwellung der Schleimhaut aus. die —
ungefähr 1 % cm hinter dem freien Rande des Caumenscgcls scharf
absehneidend — sich auf alle (»ebilde der Pars oralis pharyngis
und auch auf die Schleimhaut des Larynx erstreckt. Mit dem
Erscheinen der Plaques verschwindet das Exanthem wieder, das
Autor als eine specitische. wohlchnrakterisirte Pharyngitis auf¬
fasst. die mit den übrigen luetischen Sckundärerscheinungeu wohl
gleichzeitig auf treten kann, meist aber als Vorläufer der Sekundär
Periode sich geltend macht. Die subjektiven Beschwerden «les
Patienten sind geringe: Mässlges Brennen und etwas erschwerte
Peglutition. Fieber besteht nie. Bezüglich weiterer Details muss
auf das Original und die demselben angefügten 4 kasuistischen
Fälle verwiesen werden.
4» L e f ra n <; o i s - Cherbourg: Können wir Varicen an der
Zungenbasis als ein Symptom eines bestehenden Oesophagus-
carcinoms ansprechenP ilbid.. No. 3i).i
Autor hatte (lelegenheit 3 Fälle zu beobachten, die theils
wegen dysphagischen Beschwerden, theils wegen Blutungen in
seine Behandlung kamen. Bei allen 3 wurde eine starke Vari-
cositas basis linguae festgestellt. Vnricositäten an anderen Köirper-
stellen bestanden nicht. Alle 3 starben im Verlauf eines Jahres
an Oesophaguskrebs. Lefraucois wirft die Frage auf. ob
zwischen dem ()«*sophaguscarcinom und diesen Zungenhasis-Vnricen
Beziehungen anzunehmen sind, ob das Careinom eventuell durch
Kompression oder anderweitige Störungen der venösen (»efäiss-
bahnen als Ursache der Varicen nnzusprechen ist. oder ob es sieh
vielleicht nur um eine zufällige Coincidenz handle.
öl L e r m o y e z und M a h n: Neue Untersuchungen über
die Wirkungsweise der heissen Luft auf die Schleimhaut der
oberen Luftwege. (Annales des maladies de l'oreille etc. IDOL
No. 7.)
Unter Bezugnahme auf ihre frühere Publikation <efr. diese
Wochenschr. ISMtO. No. 43. S. 1Ö0S. Referat No. öl und Ergänzung
der einschlägigen Literatur berichten Autoren über den weiteren
Verlauf der bisher mittels lleissluft erfolgreich behandelten Fälle.
Bei der überwiegenden Mehrheit war — auch nach Aussetzen der
Therapie — der Erfolg andauernd, so dass man von Dauerheilung
sprechen kann. Bei einer Reihe neuer Patienten, deren Kranken¬
geschichten in extenso beigefügt sind, wurde das gleich gute Re¬
sultat erzielt, bei einigen weiteren, bisher noch nicht mittels helsser
Luft behandelten Affektionen (akute Rhinitis. Heulicber. sowie
einige Formen von trophischen oder sensoriellen nervösen Stör¬
ungen etc.» war ein immerhin beachtenswert her Erfolg zu kon-
statiivn.
(!» I* o n t h i e r e - Charleroi: Eiterabfluss nach dem Munde
in Folge eines chronischen Highmors-Empyems. Einige Be¬
trachtungen über die Operationsmethode von Caldwell-
L u c. Mit 1 Abbildung, ilbid.. No. Si.i
Im Anschluss an einen in extenso mitgothoilton Fall tritt
Pont hie re für die Radikaloperation der Kieferhöhle nach
C a 1 d w e 1 1 - L u e ein <]»rimiirer Naht Verschluss der Operatious-
wiimle im Munde und Nachbehandlung von der Nase aus nach
Resektion eines Theiles der lateralen Wand des unteren Nasen
ganges ü fr. diese Wochenschr. IMIN. No. 27. S. Ndöi mit der Modi
flkation, dass Autor die nach energischem C’urettement der Höhle
vorgenommene Ausützuug mit Uhlorzink als schädigend verwirft
und die erste (»azetamponade der mit Jodofonn reichlich 1 k*-
streuten Höhle 14 Tage liegen lässt. Die Nachbehandlung soll
sich hierdurch einfacher gestalten und die Heilung rascher ein¬
tret eu.
7i Ambrosinl - Mailand: Heisslufttherapie bei Erkrank¬
ungen der oberen Luftwege. Vorläufige M i 1 1 h e 11 u u g
mit Abbildung des betreffenden Apparates,
ilbid.)
ln gleicher Weise wie Ler m o y e z und Mahu (cfr. Referat
No. öi hat A m brosinl die Heissluftbehaudlung bei einer Reihe
von nasalen Erkrankungen versucht und dieselben insbesondere
bei Sekretionsnnomalien und nervösen Störungen mit Erfolg ange¬
wandt. Zur Erzeugung der heissen Luft verwandte er eineu dein
H o 11 ä n d e r'sehen Helssluftgebliise ähnlichen, in Abbildung an-
gefiigten Apparat, der es ihm gleichzeitig ermöglichte, der heissen
Luft noch medikamentöse Beimischungen hiuzuzufügen. Bezug
licli Details muss auf das Original verwiesen werden.
Hecht- München.
Vereins- und Congressberichte.
Verein für innere Medicin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o in 18. X o v e m b e r 1901.
Demonstration vor der Tagesordnung:
Herr Cohnheim: 4 Fälle von Amoeben-Dysenterie; in
dreien fand sich das Megustomum entericum, in einem Tricho¬
monas intestinalis. Es handelte sich in diesen Fällen um lang-
dauernde Diarrhöen, dl«* aber den Ernährungszustand auffallend
wenig beeinträchtigten.
Ein zwingender Beweis für die netiologisehe Bedeutung dieser
Amoela-n ist ja bis auf den heutigen Tag nicht erbracht: Vortr.
schlosst sich jenen Autoren an. die dem genannten Parasiten die
Unterhaltung der Diarrhoe zuschreiheu. Unter «-iuer adstria-
gircmleu Behandlung trat Heilung ein.
Di sc u ss io n. Herr J a p li a hat einen glehlien Fall bri
einem russischen Kinde beolinehtet. «las jaimdang au Diarrhöen
litt. Die Stühle eigentliiimlieli kleisterartig und von auffallendem
Geruch. Unter Uliinin und Darmspiiliingen besserte sich der Zu¬
stand, ohne — wenigstens für di«* Zeit «ler Beobachtung — zur
völligen Heilung zu führen.
Tagesordnung:
1. Diseussion über Herrn L i 11 e n’s Vortrag: Ueber
Agurin und Rheumatin.
Es m«*ld«*te sich Ni«*mand zum Worte.
2. Herr Ernst Unger u. (».: Kurze Mittheilnng über
gonorrhoische Gelenkerkrankung mit Gonococcennachweis im
Flut.
Ein junger Mann er'.itt beim Turn« n einen Sturz auf «He Hilft *.
Unter ausserordentlich starken Schmerzen erfolgt.* ein«* Anschwel¬
lung des Ohcrsfhrnkcls. die au Osteomyelitis «>di*r Uoxltls denken
liess. Mein fache Pr«dt«*punktioucn ergalH*n keinen Eiter aus «l.*m
Periost. sondern nur blutige Flüssigkeit. Man fahndete auf
(Joimniuu*. aber vcrgebli«-li. Allinähliclie Rückbildung un«l nach
einiger Zeit plötzlicher Wicderanstieg «les Fiebers und multiple
Arthritis. In Narkose erneute Punkti«m«*u und hiebei entdeckt,
dass die an normaler St«*ll«> gelegene Hnrnröhr«‘tiöffnung blind
endete, und die <*ig« ntliehe Oeffnung «ler Urethra an «ler Unter-
t1ii«-he d«*s (Riedes g«*leg«*n war: in dieser konnte ein Tropf«*»
Eiter «mtb-ort und darin (ionoe«M‘een naeligewiesen wenlen. Nuu-
m«hr vorg«*mimin«*iie Aussaat aus «lein Blute auf Ascitesboulilo»
unter Entnahme grosser Bliitmengen ild ccm Blut» ergali in
d«*n mit viel Blut b«*s<-liickf«*n Riilirclien «lie Bildung einer Itahin-
liaut. welche Diplo<*cocen enthielt, «li«* si«-h als Gonococcen |ia«*h-
w«*is«*n liess«*n.
Der Nachweis von Gonocotven durch Kultur ist im Blute
scImhi wiederholt gelungen, «loch erst dann, als man vi«*l Blut uu«l
flüssige Nährböden anwamlte. Patient Ist langsam geneseu.
Disc ussio n. H«*rr M. M 1 «• li a e 11 s hat. wie früher mit-
g«*tlu*ilt. zwar ln «len II«*rzklapp;*nauflag«*ruugeu <ioiu>co<*«*eu g.*-
fttmlen. «lics«*lb(*n aber bisher nicht im Blute nacbwelsen könneii.
obwohl er sehr viele gonorrhoische Rheumatismen zu sehen 1 h*
kommt. Er ist der Meinung, dass auf «ler L e y d e n’scheu Klinik
wenigst«*ns mehr gom>rrh«>is«-he Arthritid«*n zur Behaudlung ge
langen, als Fälle von Polyarthritis rheumatica.
Herr Klein per«*r: Er sah «len Fall, wo bei einem Kinde
im Anschluss«* an Blennorrhoe der Augen sich dm* Polyarthritis
«*ntwick«*lt:* und dann ein Abscess am Rücken. In letzterem
komm u (iouo«*occeii naeligewiesen werden und er glaubt daraus
wold schlmssen zu dürfen, dass aiu-h di * Polynrthritis g.am.'-
rlmis«-lu*r Natur war.
Herr A. Fraenkel: Die Arthritis gonorrhoica sei viel
häutiger als man nimelim«*. do«*h sei si«* gewöhnlieh an der dg.*»
tlmmlichen Konti (meist mounrticiilär. Hartnäckigkeit. teigig«
Atis«-liwelbmgi l«*i«*ht zu «*rkennen. Man könne sie l«*icht mit der
(iieiit v« , rw«*chst*ln.
Herr Unger: Man müsse gi«*l«4i in «len «>rst«*n Tagen auf
(touo<*occeii unt«*rsu«*ln*n: «leim wie Bauer naeligewi«*s«*n. ver-
sdiwimlen sie schon midi ö Tagen aus «len (Jelcnken.
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26. November 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1943
3. Herr Karewski: Ueber Gallensteinileus.
Vortr. bespricht an der Hand mehrerer sehr instruktiver
Fälle diese Affektion, die sehr häufig der Diagnose grosse Schwie¬
rigkeit bietet, da sie unter wechselndem Bilde verlaufen kann:
chronische Obstipation, vollständiger Darmverschluss, Koth-
abscess u. dergl., und da sie sich zuweilen bei Leuten entwickeln
kann, die bis dahin von der Existenz eines Gallensteins in ihrem
Körper noch keine Empfindung gehabt haben.
Die Mechanik des Gallensteinilcus ist noch controvers;
jedenfalls spielen reflektorische Momente dabei eine bedeutende
Rolle, denn er kann auch eintreten, ohne dass der Stein
in den Darm selbst hineingelangt ist.
Discussion vertagt. Hans K o h u.
Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 14. November 1901.
1. Herr Greef: a) Historisches zur Entdeckung des
Augenspiegels.
Vortragender berichtet über seine Quellenforschungen zur
Entdeckung des Augenspiegels durch Helmholtz. Die gel¬
tende Annahme, dass die Entdeckung in das Jahr 1851 fällt, ist
falsch. Es wird ein Brief von Helmholtz an seinen Vater
verlesen, vom 17. Dezember 1850, in dem von dem Augenspiegel
erzählt wird. In der Sitzung der physikalischen Gesellschaft zu
Berlin vom 6. Dezember 1850 wurde nach dem aufgefundenen
Protokoll durch du Bois-Reymond eine Mittheilung von
Helmholtz über seinen Augenspiegel verlesen.
b) Besichtigung der historischen Sammlung von Augen¬
spiegeln (circa 100 Modelle).
c) Demonstration von Augenhinterbildern mit dem Epi¬
diaskop.
2. Herr Nicolai: Heber Affektionen des Sehorgans bei
Schläfenschüssen.
Vortragender zählte unter 159 Schussverletzungen bei Selbst¬
mordversuchen 112 Kopfschüsse, unter denen 85 Schläfenschüsse,
von welchen nur 9 linksseitige. Es handelte sich weniger um
direkte Verletzung des Augapfels, als um Schädigungen des Seh¬
nerven. Das Geschoss kam meist, in den Knochen der .Schädel¬
basis zur Ruhe. Vortragender demonstrirt Röntgenbilder mit
Projektil und mit Knochensplittern in den Orbitae und weist
darauf hin, dass um so mehr Muskeln verletzt sein werden, je
weiter nach hinten der Schusskanal in der Augenhöhle liegt.
Verletzung des Sehnerven und seiner Gefässe machte Amaurose,
Netzhautanaemie und Netzhautblutungen.
3. Jlerr Thorner: Ein neuer stereoskopischer Augen¬
spiegel.
Vortragender demonstrirt seinen neuen Apparat (siehe auch
Borl. klin. Wochenschr. No. 38, 1901), der aus dem monokularen
reflexlosen Augenspiegel des Verfassers entstanden ist. Bei dem
neuen Instrument ist das Beleucbtungsrohr nach oben verlegt,
so dass das Licht nur durch die obere Pupillenhillfte in das Auge
des Untersuchten eintritL Das aus der unteren Pupillenhälfte
austreteude Licht wird nun durch Spiegelung in 2 Prismenpanren
in 2 Hälften zerlegt, die in der Entfernung der Augendistanz des
Beobachters parallel zu einander verlaufen, und geht dann zum
Auge des Beobachters durch 2 gleichgebnute Rohre, an deren
Ende sich noch ein Umkelirungsprisma befindet, zur Vermeidung
pseudoskopisclier Wirkung. Vergrösserung ist 25 fach. Tiefen¬
wahrnehmung 18 mal so empfindlich wie bei dem Giraud-
T e u 1 o n’schen Spiegel.
4. Herr Hoffman n: Demonstrationen mikroskopischer Prä¬
parate von Molluscum contagiosum und einer Horncyste aus
der Bauchliaut des Menschen mit aufgerollteu Haaren.
K. Brandenburg - Berlin.
Verein der Aerzte in Halle a. S.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 17. Juli 1901.
Vorsitzender: Herr C. F r a e n k e 1.
1. Herr H e r s c h e 1: Ein seltener Fall von Trommelfell-
mptur.
Er betrifft ein f> jähriges Mädchen, das l>eitn Spielen auf der
Strasse von einem grossen Hunde umgerissen wurde und mit der
linken Kopfseite dermnassen unglücklich und mit solcher Gewalt
auf's Trottoir aufschiug, dass es fast besinnungslos liegen blieb.
Es wurde Blutausfluss aus dem linken Ohr koustatirt, der so reich¬
lich war, dass der Verband in Folge Durclitränkuug öftere er¬
neuert werden musste. Weitere Erscheinungen waren: Schmerzen
in der linken Ohrgegend, vor Allem aber häufiges Erbrechen und
starker Schwindel. Am 4. Tage nach dem Trauma kommt der Fall
erst zur genauen Beobachtung: Im linken Gehörgang nimmt ein
grösseres Blutgerinnsel die ganze hintere Gohörgangswaiul ein und
verdeckt fast den grössten Theil des sonst blass ausseheudeu
Trommelfells. Die Hörprüfung ergibt, dass das linke verletzte Ohr
nur ziemlich laute Sprache direkt am Ohr hört und für hohe Stimm¬
gabeltöne eine bedeutend herabgesetzte Perceptlon zeigt. Die
tiefe Stimmgabel vom Scheitel aus (sog. Weber’scher Versuch)
wird auf der rechten gesunden Seite wahrgenommen, ebenso das
Ticken der au den linken Proe. mastoid. angelegten Uhr. Im kran¬
ken Ohr ein beständiges brummendes Geräusch. Belm Stehen mit
geschlossenen Augen starkes Schwanken, ebenso beim Gehen, wo¬
bei das Kind auffallend nach der linken kranken Seite taumelt.
Im Urin weder Eiweiss noch Zucker.
Die Behandlung war eine sehr einfache: Verschluss des Ohres
durch eiuen leichten Occlusivverband und Bettruhe. Eine Unter¬
suchung nach 11/ 2 Wochen ergibt schon eine wesentliche Besse¬
rung nicht nur des Schwindels, sondern auch des Hörvermögens:
das kranke Ohr hört jetzt schon Flüstersprache ln einiger Ent¬
fernung, ebenso die Uhr vom Proc. mastoid. aus; auch wird die
tiefe Stimmgabel vom Scheitel aus jetzt lauter auf dem verletzten
Ohr gehört, also gerade umgekehrt, wie zu Anfang der Läsion. Die
Besserung schreitet fort, so dass man es bald mit einem völlig
normalen Gehör zu thun hat: auch der labyrinthäre Sehwindel
hat gänzlich anfgehört.
Nachdem jetzt das Coagulum im Gehörgang entfernt ist, wird
folgender Trommelfellbefund festgestellt: Das Trommelfell hatte
durch das Trauma an seiner ganzen hinterem oberen Umrandung
eine Ablösung erfahren, die sich auch durch stärkere Injektion
dokumentirte. Das Epithel ist hier nufgeloekert und lässt ent¬
sprechend dem narbigen Verschluss der Rupturstelle eine Anzahl
kleiner Reflexe sichtbar werden. In der hinteren Gehörgaugshaut
bemerkt man eine vernarbende Rissstelle; diese ist wohl auch als
Ausgangsstelle der stärkeren Blutung anzusehen, weniger die
Trommelfellruptur, da solche erfahrangsgemäss nur wenig blutet.
Eine Zerreissung des häutigen Gehörganges deutet meist noch auf
tiefere Verletzungen hin, auf eine Infraktiou des knöchernen Ge¬
hörganges. Dass eine schwerere Verletzung des Labyrinthes hier
stattgefunden hat, ist nicht anzunehmeu; die Erscheinungen —
Schwindel, Erbrechen. Schwerhörigkeit — lassen sich allein schon
durch eine stärkere C'ommotion des Labyrinthes erklären; an eine
solche braucht man gerade hier nur zu denken, da die Restitutio
ad integrum so vollkommen und in so kurzer Zeit eingetreten war.
Bei Besprechung der Therapie wird vor Allem die Warnung
wiederholt, bei frischer Trommelfcllrupt.ur nur ja nicht das Ohr
auszuspritzen; eine Eiterung wäre unweigerlich die Folge. Am
Besten unterbleibt jegliches Abtupfen oder sonstiges instrumen-
tclles Mauipuliren gänzlich. Unter einem aseptischen Occlussiv-
verband heilen die Rupturen in kurzer Zeit. Auch vor einer
kritiklosen Behandlung des Ohres mit Luftdouchc wird gewarnt.
Wenn die Schwerhörigkeit labyrinthürer Natur ist, würde die
Luftdouehe nicht nur keinen Zweck haben, sondern sogar den
Verlauf der Labyrinthaffektion ungünstig beeinflussen; ferner
wäre das Lufteinblasen im Stande, den Trommelfell riss stets von
Neuem wieder aufzureissen und die Verklebung seiner Ränder
zu verhindern; schliesslich könnte die Luftdouehe sogar einmal
infektiösen Schleim aus der Nase per tubain in’s Mittelohr
schleudern und dann auf diesem Wege dasselbe zur Eiterung
bringen. Aus diesem Grunde ist den Patienten vorsichtiges, ein¬
seitiges Schnauben der Nase anzuempfehleu.
Bestehen labyrinthäre Erscheinungen, so ist unbedingte Bett¬
ruhe am Platze, bis das Erbrechen und der Schwindel völlig
vorüber sind; vor Allem ist jede Kongestion nach dem Labyrinth
zu vermeiden, wesshalb dem Patienten der Genuss von Kaffee.
Theo, Alkohol gänzlich zu verbieten ist. Gegen laute Sehall-
eindrücke ist das Ohr durch Tragen eines Oeelusivverbandes resp.
einer gut anliegenden Ohrenklappe zu schützen; selbst Hör¬
prüfungen sind in der ersten Zeit zu unterlassen, um auch jede
Reizung des Ilömerven auszuschliessen.
2. Herr Frick erstattet Bericht über die Verhandlungen
des Aerztetages in Hildesheim. Er erörtert in zustimmeuder
Weise die Behandlung der Frage des Leipziger wirtschaftlichen
Verbandes. Es schllesst sich daran eine kurze B e s p r e e h u u g
einiger Einzelheiten. Namentlich wirft Herr Fries die Finge auf.
wesshalb sichder Aerztetag in so selirofferWeiso gegen die Zulassung
von Sludirenden mit d e r schweizer Maturität zu
den mediclnischen Prüfungen in Deutschland erklärt habe. Herr
Fraenkel erwidert, dass dieser Beschluss ohue Zweifel auf
mangelhafte Kenntniss der tatsächlichen Verhältnisse znrückzu-
fiihren sei. Die eigentliche Schweizer Gymnasialmaturität zeige
zwar in ihren Anforderungen gewisse kantonale Vereehiedenheiten.
stehe aber im Ganzen mindestens auf der Höhe der deutschen.
Daneben gebe es nun noch eine ..eidgenössische Maturität für Medi-
ciuer“, die von den ausserhalb der Gymnasien vorbereiteten Kandi¬
daten, männlichen wie weiblichen, bestanden werden könne und
zum ordnungsmässigen Studium der Medlein, sowie zu den späteren
Prüfungen berechtige. Diese Maturität, die an von Jahr zu Jahr
wechselnden Orten vor einer grossen staatlichen Kommission nb-
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1944
MUENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
gelegt werde, stelle gleichfalls ziemlich erhebliche Ansprüche, die
etwa denen unserer Realgymnasien gleichkämen. Endlich gebe es
in der Schweiz noch eine sog. Zulassungsprüfung, die viel leichter
sei und den Zugang zu manchen Studienfächern, aber nicht zu dem
der Medicin eröffne, und noch weniger zu den Staatsprüfungen
qualificire. Vielleicht hätten der Aerztetag und seine Bericht¬
erstatter nur von der letzteren gewusst und danach beschlossen;
es sei das aber eine ganz unbegründete Voraussetzung, und auch
die weitere Behauptung, dass die Zulassung der in der Schweiz
vorgebildeten Studireuden zu den deutschen Prüfungen ungesetz¬
lich sei, völlig haltlos, wie Pr. des Näheren darlegt. Der Bundes¬
rath habe sich durchaus im Recht befunden und nur einer loyalen
Auffassung gehuldigt, als er den relchsangehörigen weiblichen
Studirenden, die ihre medicinisclien Studien zu einer Zelt begonnen,
wo bei uns die Erwerbung der Maturität noch unmöglich, durch
eine Uebergangsbestimmung die Rückkehr in’s Vaterland und
auf unsere Universitäten habe erleichtern wollen. Im Ganzen handele
es sich übrigens nur um nicht ganz ly 2 Dutzend weiblicher Stu-
dirender; es erscheine dalier auch, abgesehen von allem Anderen,
in hohem Grade kleinlich und der deutschen Aerzteschaft un¬
würdig, wegen einer solchen Bagatelle ln die Lärmtrompete zu
stossen.
3. Herr Reineboth: Experimentelle Studien über
Brustkontusionen.
Dieselben sind im Deutschen Archiv für klinische Medicin,
Bd. 69, ausführlich niedergelegt; sie haben den Zweck, am Brust¬
korb des Kaninchens durch Einwirkung annähernd gleicher
Kräfte und annähernd gleicher Richtung der Gewalt Wirkung die
Gegenden des Thorax zu bestimmen, an denen die Folgen eines
Traumas für die Lunge in Gestalt von Kontusionen am ehesten
sich geltend machen. Steigern wir an j e d e r Stelle die Gewalt¬
wirkung bis zur Entstehung dieser dauernden und sichtbaren Ge¬
websschädigungen, so haben wir damit ein Vergleichsmaass für die
Grösse der Kraft, die in den einzelnen Thoraxpartien nöthig ist.,
um die genannten Folgen zu erzeugen.
Die Grösse der Kraft, wurde bestimmt durch aus gemessener
Hohe fallende Gewichte, ihre Richtung durch möglichst absolut
senkrechtes Aufschlagenlassen derselben. Die Gewichte wurden
innerhalb von Glasröhren fallen gelassen, deren Lumen etwas
weiter als der Umfang der ersteren war. So lange es sich um
kleine Gewichte handelte, wurden die einzelnen Intercostalräume
gesondert der Gewaltwirkung unterworfen, bei Anwendung
grösserer Gewichte grössere, immer wieder leicht bestimmbare
Thoraxpartien.
Ausschliesslich wurden Kaninchen verwendet.
Die Versuche sind im Einzelnen 1. c. nachzulesen und nicht
gut zu referiren: sie beschäftigen sich mit Einwirkung der Ge¬
walt auf die frei präparirte Pleura, auf einzelne frei gelegte
Rippen, mit Erschütterungen grösserer Partien der Thoraxwand,
der Wirbelsäule und Rückenfläche des Brustkorbes, mit Stoss
gegen die drei letzten beweglichen Rippen und das Epigastrium.
Aus den Versuchen geht hervor, dass am
frühesten, leichtesten und ausgedehntesten
der ventrale untere Lungeuran d, demnächst
die Spitze und weit schwerer die anderen oben
bezeichneten Thorax- resp. Lungenpartien su-
gillirt werden.
Als traumatische Sugillationen sind dabei solche aufzu¬
fassen :
1. die, an der Stelle der Gewaltwirkung gelegen, eine den
Verlauf von benachbarten Knochentheilen (Rippen) abzeichnende
Gestalt besassen;
2. die, an der Stelle der Gewaltwirkung gelegen eine unge¬
wöhnliche Grösse (0,5 cm) und unregelmässige Begrenzungen
(streifen- oder bandförmig) boten;
3. endlich solche, die, im Bereich der Gewaltwirkung gelegen,
nicht durch Form (rund) und Grösse, sondern durch ihr gehäuftes,
der Lunge ein buntgetigertes Aussehen gebendes Auftreten sich
auszeichneten, während die übrige Lunge nur mit vereinzelten
Sugillationen besetzt war.
Schwer gelang es, durch Stoss gegen die drei beweglichen
Rippen traumatische Sugillationen des unteren Lungenrandes zu
erzeugen; bei abgemessener Gewaltwirkung gegen die Wirbel¬
säule in der Höhe des 1.—4., de« 5.—8., des 9.—12. Wirbelfort¬
satzes glückte es nur einmal, und zwar auch nur wieder am
unteren Rand des Unterlappens, Kontusionen hervorzurufen;
es gelang nicht, selbst bei Anwendung erheblicher Gewalt, vom
Epigastrium aus traumatische Sugillationen zu erzielen.
Die gefundenen Resultate sind ohne Weiteres nicht in der
menschlichen Pathologie verwerthbar. Indes« können sie speziell
in der Unfallheilkunde künftighin bei klinisch oder pathologisch¬
anatomisch zur Beobachtung kommenden Fällen die Aufmerksam¬
keit mehr wie bisher auf den Ort der Gewaltwirkung und deren
Folgen im einzelnen Falle hinlenken. Der Vergleich wird dann
ermöglichen, für den Menschen dieselben Gesetze zu bestätigen
oder entsprechend zu korrigiren.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 22. Oktober 1901.
Vorsitzender: Herr C. Lauenstein.
Schriftführer: Herr H a f f n e r.
■ I. Demonstrationen:
1. Herr H&ffner stellt aus dem Hafenkrankenhaus 2 Fälle
von Schädelbasisfraktur vor, die beide in gleicher Weise (Schlag
gegen die eine Schläf engeg ?nd, Gegenschlagen der anderen
Schläfengegend gegen eine Wand) entstanden waren. Beide waren
kompllzirt durch eine einseitige Abducenslähmung, durch einseitige
motorische und sensible Trigeminusstörungen und durch eine
doppelseitige Facialislähmung, die bald nach der
Verletzung sich zeigte, in einigen Tagen komplet wurde und Jetzt
(7% bezw. 5'/ 2 Monate nach der Verletzung) zum grössten Theil
geschwunden war.
Der Verf. bespricht die durch die Diplegia facialis hervorge¬
rufenen Störungen, die für die Bearbeitung der Speisen in der
Mundhöhle und das Schlingen des Bissens sehr in’s Gewicht fallen,
und weist besonders auf den Funktionsausfall des M. stylohyoldeus
und M. biventer hin.
2. Herr Beinitz stellt einen 22jährigen Mann vor, der
sich am 17. September mit einem 7 mm - Revolver zweimal in die
rechte, einmal in die linke Schläfe geschossen hatte. Aus der
linken Einschussöffnung war Gehirnmasse ausgetreten.
Radiographisch Hess sich eine Kugel in der vorderen
Schädelgrube etwas links von der Crista Galli dicht über der Basis
nachweisen. Die zweite sitzt vermuthlich in der lateralen Wand
der rechten Orbita. Die dritte ist nicht zu sehen.
Wundbehandlung: Desinfektion, Freilegung der Knochen-
wunden, Excislon der Wundränder.
Wundheilung o. B., beendet IG. Oktober. Patient bietet Inter¬
esse, insofern bei ihm bis auf Anfangs heftige, z. Z. mässige Kopf¬
schmerzen und bis auf geringe Klopf- und Druckempflndlichkeit
des r. Proe. mastold. und der r. Hinterhauptsgegend objektive wie
subjektive Abweichungen von der Norm fehlen.
D 1 s e u s s i o n: Herr Bertelsmann erbittet sich Auf¬
klärung über die Art der Behandlung der erwähnten Schuss¬
wunden, da er nicht mit dem Vorredner darin übereinstimmen
kann, dass die gewählte Methode der Excislon der Wundränder
die allgemein übliche sei. Er selbst habe im Allgemeinen Kranken¬
hause St. Georg und im Südafrikanischen Feldzuge eine grosse An¬
zahl von Schusswunden nur mit Oberflächen-Desinfektlon und Ver¬
schluss durch Gaze und Pflaster mit bestem Erfolg behandelt
Dieses Verfahren erspare bei fast allen Schussverletzungen
die Narkose und gebe ideale Resultate.
Herr C. Lauenstein: Die Lage der einen Kugel, von
Herrn Dr. Albers-Schönberg mit dem Orthodiagraplien be¬
stimmt, war: 12,6 cm im Querdurchmesser von der Einschuss¬
öffnung entfernt. In der verschiedenartigen Behandlung der Ein¬
schussöffnung bei penetrirenden Schussverletzungen kann er keinen
prinzipiellen Unterschied erkennen.
Herr Wiesinger: Beide Verfahren geben gute Resultate.
Der Wegfall der Narkose sei aber ein Vortheil.
3. Herr Wiesinger demonstrirt zwei Speichelsteine,
welche beide aus der Drüse selbst, nicht aus dem Gang derselben,
stammen, fast die gleichen Erscheinungen gemacht haben und
gleichschwer siud (5.0 g).
Der eine wurde im Allgemeinen Krankenhause Hamburg-
St. Georg, der andere von Med.-Rath N 1 e p e r - Gosslar durch
Operation gewonnen und zwar beide durch Operation einer
Fistel auf der linken Halsseite unterhalb des Kehl¬
kopfs, welche nach Ineislon eines „Drüsenabscesses“ mehrere
Jahre bestanden hatte. Deutliche Erscheinungen, dass der Ab-
scess seinerzeit mit der Speicheldrüse im Zusammenhänge steht,
waren in beiden Fällen nicht vorhanden.
Di sc ns sion: Herr Alsberg hat einen gleichen Fall
operlrt. bei dem die Diagnose durch eine Röntgenaufnahme bei
Dr. Albers-Schönberg gesichert worden war.
4. Herr Bertelsmann demonstrirt eine Dermoidcyste,
welche er im St Georger Krankenhause vor ungefähr 14 Tagen
wegen Stieldrehung schleunigst exstirpiren musste.
Die Angaben der Tatientin machten es wahrscheinlich, dass
die entscheidende Drohung 4 Tage vor der Operation stattgefunden
hatte. Nach Eröffnung der Bauchhöhle sah man den Tumor
gangraenös, er war 2 y 2 mal um sich selbst gedreht die Blutzufuhr
völlig abgeschnitten. Ausserdem fand man in der Bauchhöhle
1 Liter blutig-seröser Flüssigkeit und einen Theil des Inhaltes des
Tumors. Es war nämlich 4 Stunden vor der Operation von anderer
Seite eiDe Punktion durch die Bauchdeeken gemacht worden und
man konnte jetzt ganz deutlich sehen, wie sich der atheromatöse
Inhalt der Cyste in Gestalt einer kleinen geringelten Wurst in die
Bauchhöhle hiueln ergoss. Tumorinhalt und Erguss erwiesen sieb
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26. November 1903.
MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
3945
bakteriologisch als mit Bakterium coli inficirt. Ein Erguss in die
Buuchhüble wird uun bei so lange bestehender Stieldrehung wohl
meist nicht fehlen. Auch kann man sich vorstellen, dass beide zu
gleicher Zeit mit Bakterium coli inficirt wurden. Ein Beweis, dass
durch die Punktion infektiöses Material in die freie Bauchhöhle ge¬
langte, hisst sich nicht erbringen. Dennoch glaubte ich diesen Fall
als einen Beleg beibriugen zu können, dass man bei Punktionen in
der Bauchhöhle manchmal unangenehme Ereignisse auslösen kann.
Ich rathe, in der Bauchhöhle nur im Notlifall zu punktiren und
den Zeitpunkt dazu so zu wählen, dass man bei positivem Befund
die Operation sofort ansehliessen kann.
Discussion: Herr Wiesinger: Die inneren Mediciner
haben sich daran gewöhnt, die Punktion als einen harmlosen Ein¬
griff zu betrachten. Er glaube, dass die Punktion oft Schaden
stifte, wenn nicht die Operation gleich angeschlossen werden
könne.
Herr Just fragt, ob die Punktion von der Vagina aus als
ebenso gefährlich zu betrachten sei und bittet um Auskunft, auf
Grund welcher Diagnose puuktirt worden war.
Herr W i e s i n g e r: Die Punktion von der Scheide aus halte
er für etwas weniger gefährlich, desswegen, well allenfalls aus¬
tretende infektiöse Flüssigkeit sich im Douglas ansammelu und
abkapseln könne. Es möchte vor der Punktion von Echinococcen
noch warnen. Aus der Punktionsöffnung können Blasen austreten
und zu einer Weiterverbreitung in der Bauchhöhle führen.
Herr Bertelsmann entgegnet Herrn Just, dass er Punk¬
tionen von der Scheide aus, wenn es sich um abgeschlossene In¬
fektionsherde -handle, die aber der Schelde nicht anlägen, und sich
in der freien Bauchhöhle befänden, also nach dem kleinen Becken
zu nicht durch Verwachsungen abgegrenzt seien, ebenfalls für be¬
denklich halte. Der punktlrende Arzt habe in der Annahme einer
Peritonitis punktirt.
5. Herr C. Lauenstein demonstrirt das bei der Sektion
gewonnene Präparat eines Carcinoma des Magens, der Leber, der
retroperitonealen Drüsen etc., das als Beispiel einer Carcinomform
gelten kann, die in der Regel so spät diagnosticirt wird, dass fast
ausnahmslos ein operativer Eingriff nicht mehr möglich ist. Der
Grund dafür liegt darin, dass in diesen Fällen das Careinom sich
weder au der Kardia, noch am Pylorus entwickelt, sondern in
anderen Gebieten des Magens, so dass charakteristische Symptome
von Seiten des Magens an Kardia und Pylorus nicht auftreten.
In der Regel gelangen in solchen Fällen die Allgemeinerschei¬
nungen, Abmagerung, KräfteverfaJl etc. früher zur Beobachtung
als lokale Erscheinungen. Klinisch geradezu pathoguomoniseh
ist das Erscheinen eines Tumors unter dem 1. Rippenbogen, der
meist bedingt ist durch sekundäre retroperitoneale Drüsenschwel¬
lungen.
In dem demonstrirten Präparat sitzt das Carcinom ebenfalls
lm mittleren Abschnitt des Magens und hat von da aus den grössten
Theil des Magens ergriffen. Kardia und Pylorus waren bis zuletzt
durchgängig, so dass PaL, der Ostern erkrankte, Mitte September
ln’s Hospital geschickt wurde und vor einigen Tagen verstarb,
nicht ein einziges Mal erbrochen hat. Die retroperitonealen Drüsen
waren enorm geschwellt, die Leber übersät mit Carclnoinknoten.
II. Vortrag des Herrn Professor Edlefsen: lieber
Nierenquetschung.
Der von Edlefsen besprochene Fall betraf einen Brauerei¬
arbeiter, dem ein 40—50 kg schweres Halbhektolitergebinde aus
einer gewissen Hohe gegen die Brust gefallen war, während er
ein anderes, welches er eben von dem Stapel herabgenommen
hatte, noch in den hoch über den Kopf erhobenen Händen trug.
Ein Ausweichen nach hinten wurde durch ein dort befindliches
eisernes Geländer verhindert. Es war streitig, ob das gleich nach
dem Unfall zu Tage getretene Nierenleiden spontan entstanden
oder durch den Unfall veranlasst sei. E. entschied sich nach
Abwägung aller dafür oder dagegen sprechenden Gründe für die
letztere Annahme. (Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser
Wochensehr.)
Di sc us sion: Herr C. Lauen stein ist überzeugt,
dass Herr Edlefsen sich in der richtigen Weise in
seinem Gutachten entschieden hat, indem er die Schädigung durch
das Trauma anerkannt hat. Die zweitägige, wenn auch leichte
Haematurie und das schliessliche Aufhören der Nierenaffektion
spricht durchaus zu Gunsten der schädlichen Einwirkung des
Traumas. Wenn auch dieser Fall keiner weiteren Klärung bedarf
durch eine Discussion, so schlägt L. doch vor, das Thema der
Nierenquetschung in der nächsten Sitzung zu discutiren.
Die weitere Discussion wird auf die nächste Sitzung vertagt.
Französischer Urologenkongress.
in Paris vom 24. bis 26. Oktober 1901.
(Eigener Bericht.)
Die V. Versammlung der französischen Urologen wurde am
24. Oktober im kleinen Amphitheater der Pariser medicinischen
Fakultät durch eine Antrittsrede ihres Vorsitzenden, Herrn Prof.
G u y o n , eröffnet.
Die zuerst zur Discussion gestellte Frage betraf die
Pathogenese der beweglichen Niere und die Indikationen für
operative Eingriffe bei derselben.
Ueber diesen Gegenstand lagen zwei umfassende Berichte
von G u i 11 e t - Caen und Chevalier- Paris vor, die nichts be¬
sonders Neues für die Aetiologie des Ren mobilis brachten und
sich ziemlich zurückhaltend in Bezug auf den Werth der Nieren¬
fixation ausspracheu. In der sich daran anknüpfenden Discussion
waren die meisten Redner der Meinung, dass die Nephropexie
überhaupt nur da am Platze ist, wo die orthopädische Behandlung
fehlgeschlagen und wenn heftige Schmerzen vorhanden sind.
PousBon - Bordeaux stellte die Frage auf, ob in Anbetracht
der zahlreichen Misserfolge der Nephropexie in den dyspeptischen
und ueuropathischen Formen der Wanderniere, es nicht angezeigt
wäre, während dieser Operation die Nerven des Plexus renalis
zu dehnen, um in dieser Weise einen sedativen Einfluss auf deu
Plexus solaris auszuüben. Hat doch der bekannte Lyoner Chirurg
Jaboulay bei heftigen Becken- und Bauchneuralgieu vorzüg¬
liche Resultate durch eine solche Einwirkung auf die sensitiven
Fasern des Nervus sympathicus erzielt. In derselben Discussion
berichtete D e 8 n o s - Paris über einen interessanten Misserfolg
der Nephropexie bei exquisit neuralgischer Form von Wander¬
niere. Es handelte sich um eine 25 jährige Frau, bei der Redner
die Nierenfixation ausübte. Die Schmerzen blieben nach der
Operation gelindert, so lange Patientin das Bett hütete, um nach¬
träglich heftiger als Je vorher zu werden. Als Desnos die
Kranke 8 Monate später untersuchte, schien ihm die operirte Niere
sehr vergrössert zu sein und er dachte, sie hätte sich wieder dis-
locirt, wobei eine Hydronephrose durch Abknicken des Harnleiters
entstanden wäre. Patientin wurde nochmals operirt. Die bei der
klinischen Untersuchung gefundene Geschwulst gehörte der herab¬
gesunkenen beweglichen Leber an, während die Niere an der
Stelle, wo sie angenäht worden war, festsass. Redner exstirpirte
diese Niere, worauf die neuralgischen Beschwerden verschwanden.
Von den einzelnen in den verschiedenen Sitzungen gemachten
Mittheilungen seien hier folgende erwähnt:
P o u s s o n - Bordeaux: Die Nephrotomie in Fällen von
Nephritis.
Der chirurgische Nierenschnitt übt, wie bekannt, indem er
die Gewebe der kranken Niere entlastet, eine dreifache Wirkung
auf die von diesem Organ ausgehenden Beschwerden aus: er
lindert die Schmerzen, hemmt die Blutungen und führt die Harn¬
sekretion auf ihre physiologische Norm zurück, in den Fällen
wenigstens, wo das secerniremle Nierenepithel noch funktionsfähig
ist. Von diesen Thatsachen ausgehend, hat Vortr. versucht, bei
Nephrltikeru, die Störungen der Urinsekretion, welche er einer
erhöhten Spannung des Nierengewebes zuschreibt, durch die ein¬
fache Nierenincision zu bekämpfen. Diese Operation wurde von
ihm bis Jetzt in 5 Fällen von Nephritis parenchymatosa, inter-
stitlalis und mixta ausgeführt, wobei er das Vorhandensein einer
wirklichen intrarenaleu Hypertension festzustellen in der Lage
war. Die kranke Niere wurde immer derb, geschwollen und ge-
röthet gefunden; nach Einschneiden der Kapsel prolabirte das
Parenchym und die Schnittoberfläche blutete reichlich. In den
erwähnten 5 Fällen hat Poussou nur einseitig operirt — auf
der Seite nämlich, wo die schmerzhaften Empfindungen oder die
Oedeme am stärksten ausgesprochen waren. Bel 2 Patienten war
die Nephritis wahrscheinlich nur auf eine Niere lokalisirt, wäh¬
rend bei den 3 übrigen der Krankheitsprocess sicherlich beide
Nieren betraf. Einer dieser letzteren verschied 2 Tage nach der
Operation, die zwei anderen aber blieben nicht nur am Leben,
sondern wurden auch gebessert: ihr Harn, der vor der Nephro¬
tomie hochgradige pathologische Veränderungen aufwies, wurde
nach der Operation quantitativ wie qualitativ normal. Dies schein¬
bar paradoxe Resultat findet seine Erklärung in der gegenseitigen
Reflex Wirkung beider Nieren (reno-renaler Reflex).
A 1 b a r r a n- Paris: Die perineale subtotale Prostatektomie.
Als Radikalbehandlung der Prostatahypertrophie empfiehlt
Vortr. die perineale subtotale Prostatektomie, welche er im Laufe
der letzten 6 Monate bei 14 Kranken Gelegenheit hatte auszu¬
führen, ohne einen einzigen von den Operirten zu verllereu. In allen
diesen Fällen war bereits Infektion der Harnwege vorhanden und
manchmal war der Allgemeinzustand ein schlechter. 11 Patienten,
bei denen die Behandlung schon abgeschlossen ist, sind gehellt.
Davon litten 4 an chronischer vollständiger Harnverhaltung, deren
Dauer von 8 Monaten bis 5 Jahre schwankte; 2 hatten seit etwa
2 Wochen eine recidivirende komplete Verhaltung und bei 5 be¬
stand eine chronische partielle Retention von 150 bis 500 Gramm,
welche die Kranken zwang, sich mehrmals täglich zu katheteri-
siren. Die übrigen 3 Patienten befinden sich noch ln Behandlung,
sind aber schon im Stande, spontan zu uriniren.
Was die Operationstechnik betrifft, so macht Vortr. eine prä¬
rektale, von einem Sitzbeinhöcker zum anderen geführte In¬
eision, sucht den Bulbus, die Pars membranacea der Urethrae und
deu Rand der Prostata auf, separirt das Rectum, welches durch
einen speziell dafür konstruirten löffelartigen Halter automatisch
geschützt und fixirt wird. Die Levatores ani, wenn sie den Ope¬
rateur stören, werden mit einer Sclieere abgelöst, was aber selten
nöthig ist. Jetzt wird die Prostatakapsel eingeschnitten und so
weit als möglich abgelöst. Die Enucleation der Vorsteherdrüse
muss eben subkapsulär nach dem Verfahren von N i c o 11 aus¬
geführt werden. Die extrakapsulären Exstirpationen seien viel
gefährlicher. Nach Ablösung der Kapsel macht A 1 b a r r a u eine
Hemisektion der Prostata durch die untere Wand der Harnröhre,
hinter dem Sphinkter der Pars membranacea, und führt den
Schnitt bis in die Nähe des Blasenhalses, aber ohne diesen zu
treffen. Dann löst er mit der Scheere die vorderen suburethralen
Theile der Prostata ab und exstirlprt Bie, führt den Zeigefinger ln
die Blase ein und entfernt die übrigen Partien der Drüse. Das
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lMf
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Ablösen der Prostatakapsol und das sorgfältige Betasten der Blase
mit dem Finger ermöglichen ein sicheres Vorgehen und bewahren
vor starken Blutungen. Nach geschehener Exstirpation vernäht
inan die Urethral wunde, deren Ränder man zuerst exeidirt, uni
diesen Theil der Harnröhre (der bei Prostatikern Immer erweitert
ist) zu verengern. Man hisst aber am vorderen Winkel der Wunde
eine kleine Oeffnung bestehen, durch welche ein Drain in die Blase
eiugeführt wird. Diese perineale Drainage in den ersten Tagen
nach der Operation ist nach Albarran von grosser Bedeutung.
Vortr. hält die perineale subtotale Prostatektomie bei allen Fällen
von Prostutah.vpertrophle indizirt, wo keine diffuse Vereiterungen
oder ernste Xiereuerkrankungen bestehen, der Allgemeinzustand
kein schlechter ist und der Katheterismus nicht vertragen wird.
Discussion: Herr P o u s s o u - Bordeaux: Die klinischen
Varietäten der Hypertrophie der Prostata sind so zahlreich, dass,
mit Ausnahme der Kastration und der Vasektomie, alle operativen
Verfahren, welche gegen diese Erkrankung empfohlen worden
sind (B o 111 n i’sche Operation, hypogastrische Prostatektomie)
ihre Indikationen linden können. Für Fälle, wo die Hypertrophie
hauptsächlich den mittleren Lappen der Vorsteherdrüse betrifft,
scheint die hypogastrische Prostatektomie mehr am Platze zu
sein, als die perineale Methode. Dessen ungeachtet glaubt Vortr.,
dass die perineale subtotale Prosta tektomie eine grosse Zukunft hat.
B r i n - Angers: Auswaschen der Harnröhre bei bestehender
Orchi-Epididymitis acuta.
In 11 Fällen von mit Hodenentzündung komplizirter Gonor¬
rhoe hat Vortr. die Harnröhre mit schwachen antiseptischen Lös¬
ungen vorsichtig ausgewaschen und dabei bei 10 Patienten eine
rasche Heilung erzielt. Der Hoden schwoll ab und wurde schmerz¬
los schon nach 2—3 Tagen. Nur bei einem Kranken rief das Aus-
spiilen der Urethra einen Fieberanfall hervor, so dass von weiteren
Auswaschungen Abstand genommen werden musste. Vortr. meint,
dass die Harnröbrenspülungeu eine Gegenanzeige nur bei akuter
Urethritis, Prostatitis und Cystitls, nicht aber bei Orchi-Epididy¬
mitis. finden.
B. Motz- Paris: Die Bedeutung der Palpation der Harn¬
röhre mit harten Sonden für Prognose und Therapie der chro¬
nischen Gonorrhoe.
Um das Vorhandensein von chronischen, der Behandlung
trotzenden gonorrhoischen Infiltrationen der Urethra festzustelleu,
empfiehlt Vortr. die Palpation der Harnröhre mit Hilfe einer
dicken Bougie BeniquG auszuüben. Solche Infiltrationen können
dann ganz deutlich als kleine, harte Knoten oder Plaques gefühlt
werden. Leider kann diese Untersuchungsmethode keine Auf¬
schlüsse über den Zustand der Urethra anterior geben, deren
oberster Theil nur hinter den Schwellkörpern mit der Sonde ab¬
tastbar ist. Sobald man sich von der Existenz chronischer In¬
filtrationen der Harnröhre überzeugt hat, soll man deren trübe
Prognose dem Kranken offen gestehen, da in solchen Fällen Aus¬
spülungen und Instillationen im Stiche lassen. Das einzige Mittel,
welches hier von Nutzen ist. besteht in Dilatiren der erkrankten
Stelle (während wenigstens 10 Minuten) mit dicken metallischen
Bougles und nachträglicher Massage auf der Sonde. Diese Be¬
handlung muss sehr lange fortgesetzt werden.
N o g u ft s - Paris: Ueber einen Fall von Urethrorrhagie
hepatischen Ursprungs.
Es handelte sich um einen 54 jährigen, an hypertrophischer
Lebercirrhose mit chronischem Ikterus leidenden Mann, welcher
plötzlich von starker Blutung der Harnröhre betroffen wurde. Die
Quelle der Haemorrhagie war die Pars anterior der Urethra, die
vorher nichts Krankhaftes aufgewiesen hatte. Die Blutung stand
unter Anwendung von Einspritzungen einer 3 proc. Antipyrin-
iüsuug. Deren Abhängigkeit von der Lebererkrnnkuug wurde
bald durch das Auftreten profuser Nasen-, Lungen- und Darm-
hacmorrhagien und von Purpura bewiesen. Der Kranke ging
3 Monate später zu Grunde.
Genouville - Paris: Ueber die galvanokaustische Meato-
tomie der Urethra.
ln Fällen von TJrethralstenosc, wo die Enge der Harnröhreu-
öffnung das Eiufiihren von dicken Sonden verhindert, führt Vortr.
die Meatotomie nicht mit dem Meatotom, sondern auf galvano-
kaustischem Wege aus. Nach sorgfältiger Reinigung und lokaler
Cocainanaestliesie des Operationsfeldes, während die Lippen der
Harnröhrenmündung mit dem Dilatator oder einer haemostatischen
Pinzette auseinander gehalten werden, schneidet man einfach mit
dem galvanokaustischen Messer ein. Als Verband genügt ein
aseptischer Wattebausch, den man unter die Vorhaut schiebt.
Diese kleine Operation ist wenig schmerzhaft, gibt fast zu keiner¬
lei Blutung Anlass und schafft eine Wunde, welche keine Tendenz
zur Infektion zeigt. Die so erzielte Vergrösserung der Uretliral-
öffnung ist eine bleibende. Bei seinen Patienten hat Vortr. die
grössten Sonden 9 Monate naeli der Operation ohne Schwierig¬
keit eiufiihren können.
Albarran und Cathelin: Behandlung der Incon¬
tinentia urinae mit epiduralen Injektionen von Cocain oder von
physiologischer Kochsalzlösung.
Die Vortr. haben in 15 Fällen von Incoutiuenz des Blasen-
sphinkters bei Kindern, Erwachsenen und Greisen ennuthlgende
Resultate durch epidurale Einspritzungen von 15—20 ccm einer
physiologischen Kochsalzlösung oder von 1 ccm einer 2proc.Cocain¬
lösung erhalten. Solche Einspritzungen wurden zuerst jeden
zweiten Tag. später in längeren Zwischenräumen wiederholt. Nur
bei 2 Kranken, die an Tuberkulose der Ilarnwege litten, blieb
diese Behandlung erfolglos. Alle anderen Patienten wurden von
ihrer Incontinenz dauernd geheilt oder bedeutend gebessert.
Dr. W. v. II o 1 s t e 1 n.
No. 4$.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein. München.
Sitzung vom 20. November 1901.
Im Mittelpunkte der Sitzung des Bezirks Vereines, welcher zum
ersten Male seit dem Tode seines I. Vorstandes, Hofrath Dr.
N ä li e r, sich versammelt hatte, stand die an Inhalt und Form
gleich hervorragende Rede, welche Kollege K r e c k e als der
zeitiger stellvertretender Vorstand unserem hochverdienten Führer
zum ehrenden Gediichtniss hielt. Da der Wortlaut derselben ln
dieser Wochenschrift veröffentlicht wird, begnügen wir uns mit
der Ivoustatirung, dass die prächtigen, von hoher Werthschätzung
und Verehrung für den Verstorbenen dureliglühten Worte dt*
Redners offensichtlich in den Herzen aller Anwesenden einen
tiefen Eindruck hinterliessen, von dem wir nur wünschen, dass
er recht lebhaft auch bei denen aufleben möge, welche den Ne¬
krolog nur in gedruckter Form zu Gesicht bekommen werden.
Die athemlose Aufmerksamkeit, besser gesagt Ergriffenheit, mit
der die Versammlung das Lebensbild des uns so früh Entrissenen
sich entrollen sah, war gewiss in erster Linie der Ausdruck unseres
Schmerzes über den grossen Verlust, den wir Münchener, man
darf sagen wir deutschen Aerzte in diesem Zeitpunkte durch den
Tod eines Mannes wie Näher erleiden, dessen Platz schwer
durch einen ebenso tüchtigen Streiter zu besetzen sein wird; sie
entsprang aber gewiss auch dem immer gründlicher sich Bahn
brechenden Verständnis« von dem Ernste der Lage, in welche
der ärztliche Stand mit einer fast elementaren Schnelligkeit und
Rücksichtslosigkeit sich hineiugetriebeu sieht, sie entsprang dem
nie so tief gefühltem Bedürfnis« nach Männern, nach Kämpfern,
wie uns eben einer in Näber entrissen worden ist!
Nach dem Eintritt in dieTagesordnung gab der stellvertretende
Vorsitzende bekannt, dass der ständige Ausschuss der oberbayeri-
schen Aerztekammer an den Bezirksverein die Anregung gebracht
habe, im Laufe des nächsten Sommers einen oberbayerisehen
Aerztetag in München veranstalten zu wollen. Die Versammlung
beschloss, dieser Anregung nachzukoinuien und auf einen noch
zu bestimmenden Tag des nächsten Sommers eine derartige Ver¬
sammlung zu arrangiren. Die nächste Sitzung des ärztlichen
Bczirksverelus wird am 14. Dezember stattflndeu und wird ein
wichtiger Punkt der Tagesordnung die Neuwahl des Vorstandes
sein. Dr. K recke gab noch bekannt, dass eine Abordnung der
Vorstandschaft des Vereines beim Herrn Minister des Innern
mit der Bitte vorstellig geworden sei, womöglich zu ver¬
hindern, dass ein grösserer Tliell der in Vorlierathuug be¬
findlichen Standesorduung in das Gesetz aufgenommen werde:
denn in diesem Falle sind etwa sich als nöthig er¬
weisende Aenderuugen sehr schwer lu’s Werk zu setzen.
Excellenz v. Feilltzscli machte ln dieser Hinsicht wohlwollende
Zusagen. — Da der Vortrag des Herrn Dr. Krücke: „Wie
kommen wir Aerzte aus der Gewerbeordnung?“ wegen Erkrankung
desselben nicht stattfinden konnte, so nahm die Versammlung
sofort den von dem Schriftführer des Pressausschusses. Dr.
Nassauer, verfassten Bericht über die bisherige Tbätigkeit
dieser neuen Institution entgegen. Mit Beifall konnte den Dar¬
legungen entnommen werden, dass der Pressausschuss des ärzt¬
lichen Bezirksvereins seit der kurzen Zeit seines Bestehens schon
manches Stück Arbeit im Dienste des ärztlichen Standes geleistet
hat. Dass der Einrichtung und dem wirksamen Fuuktionireu des
Pressausschusses von Seite der Mitglieder des Bezlrksverelnes ein
reges Interesse entgegengebracht wird, bewies die lebhafte Theil-
nnhme an der sich anschliessenden Berathung über die Satzungen,
die sodann nach den Vorschlägen der Vorstandschaft genehmigt
wurden.
Nach einigen geschäftlichen Mittheiluugeu des Vorsitzenden
wurde die Sitzung um 10% geschlossen.
Grass mann - München.
Auswärtige Briefe.
Hamburger Brief.
Hamburg, 15. November 1901.
Das Vorlesungswesen in Hamburg.
Vor Kurzem ist das „Gesetz, betreffend die
wissenschaftlichen Anstalte n“, dessen Entwurf
vom Senat im Januar 1900 der Hamburger Bürgerschaft zu¬
gegangen, von letzterer mit unbedeutenden Abänderungen, die
der Senat genehmigt hat, angenommen worden. Damit ist auch
das öffentliche Vorlesungswesen in Hamburg, das in den
letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen, auf lange
Zeit hinaus geregelt und organisirt worden. Da über dieses Vor¬
lesungswesen in der weiteren Oeffentliclikeit allerlei unklare und
abenteuerliche Vorstellungen herrschen, so komme ich gern dein
Wunsch der Redaktion nach, eine kurze Schilderung des jetzigen
Zustandes zu entwerfen, wobei ich für den historischen Theil die
vortreffliche Darstellung von Klussmann zu Grunde lege, die
derselbe in der Festschrift zur letzten Hamburger Naturforscher¬
versammlung gegeben hat.
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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1947
K. theilt die Geschichte des Hamburgischen Vorleeuugs-
wesens in 3 Perioden ein. Die erste Periode umfasst die Zeit
von 1613—1883, in der das sogen. „Akademische Gymnasium“,
eint* Art Mittelanstalt zwischen Schule und Universität, hier
bestand, die zweite Periode die Zeit von 1883—1895, wo das Vor¬
lesungswesen seine erste Reorganisation erfuhr, und die dritte
Periode von 1895—1901, wo das oben erwähnte Gesetz das Vor¬
lesungswesen definitiv geregelt hat.
Als Begründer unserer Vorlesungen kann der Mathematik¬
professor Johann Georg Büsch gelten, der im Jahre 1764 den
ersten öffentlichen Vortrag in Hamburg hielt. Später wurden
die Docented des Akademischen Gymnasiums verpflichtet, jähr¬
lich mindestens einen Vortrag zu halten; doch machte sich schon
damals das Bedürfniss geltend, auch auswärtige Professoren zu
diesem Zwecke heranzuziehen, und im Jahre 1846 sollen über
500 Zuhörer da gewesen sein. Mit dem Jahre 1883 ging das
Akademische Gymnasium ein, und die Führung des Vorlesungs¬
wesens gelangte in die Hände der wissenschaftlichen Anstalten,
deren Direktoren fortab durch Gesetz verpflichtet wurden, wissen¬
schaftliche öffentliche oder nicht öffentliche Vorträge zu halten.
Die Oberleitung des Vorlesungswesens ging jedoch auf die
Oberschulbehörde über, welche dieselbe auch bis auf
den heutigen Tag behalten hat. Schon damals wurde dieser Be¬
hörde zur Bezahlung anderer Docenten als der genannten Direk¬
toren, ein jährlicher Betrag von 12 000 M. zur Verfügung ge¬
stellt. Später wurde die Verpflichtung zur Haltung von Vor¬
lesungen auch den Assistenten der wissenschaftlichen Anstalten
auf erlegt. So gab es z. B. im Jahre 1894/95 12 gesetzlich ver¬
pflichtete und 7 andere Docenten.
Im Jahre 1895 trat dann die jetzt noch giltige Neuordnung
des Vorlesungswesens in Kraft., welche erst in Zukunft durch
das Eingangs erwähnte Gesetz etwas modifizirt werden wird.
Die Oberschulbehörde ernannte eine aus 3 Mitgliedern be¬
stehende Kommission, welche hauptsächlich folgende 4 Punkte
regelte:
1. Erweiterung des Programmes der Vorlesungen, die sich
fortan auf alle Wissenschaftsgebiete erstrecken sollten;
2. Eini’ichtung von regelmässig wioderkehrenden Reihen von
Vorträgen in bestimmten Wissenschaften, die in einem regel¬
mässigen Turnus von 4 Jahren vorgetragen werden sollten;
3. Einrichtung von Fortbildungskursen für Lehrer und
Lehrerinnen;
4. Verlegung der Hauptvorträge in das Wintersemester.
Der bisherige Jahreszuschuas wurde von 12 000 M. auf
43 000 M. (1901) erhöht, zu denen noch ein Extrafonds von
14 000 M. zur Anschaffung von Apparaten u. dgl. kam. Einen
Theil der gesammten Vorträge bilden nun auch die Fort¬
bildungskurse für Aerzte in Form von praktischen
Uebungen und Vorlesungen, die theils in den Staatskranken¬
häusern, theils am Hygienischen Institut und der Pharmazeuti¬
schen Lehranstalt gehalten werden. Der Besuch dieser Vorträge
steht den hiesigen Aerzten frei, während Auswärtige, die sich
an den Fortbildungskursen betheiligen wollen, dafür ein ent¬
sprechendes Honorar zu zahlen haben. Seit 1895 haben im
Ganzen bis jetzt 150 Docenten (119 hiesige und 31 auswärtige)
gelesen, unter denen sich 43 Aerzte befinden.
Die Räume, in welchen die Vorträge gehalten werden, sind,
abgesehen von den schon genannten medicinisehen Instituten, die
Hörsäle des alten Akademischen Gymnasiums und der wissen¬
schaftlichen Anstalten, sowie die Aulen unserer beiden akademi¬
schen Gymnasien. Allerdings x*eichen diese Räume bei einer
grossen Zahl von Docenten schon lange nicht mehr aus. Die
grossen Aulen fassen nur 500 bezw. 440 Hörer, und zu den Vor¬
lesungen berühmter Docenten, wie Erich Schmidt, L i t z -
mann, v. Berger u. A. wurden zwischen 1152 und 2196 Ein¬
lasskarten verlangt. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, hat der
Senat bereits im März 1899 den Bau eines eigenen Vorlesungs¬
gebäudes bei der Bürgerschaft beantragt, das die letztere jedoch
vorläufig abgelehnt hat, bis „die weitere Entwicklung des öffent¬
lichen Vorlesungswesens einen genauen Ueberblick über das zu¬
künftige Raumbedürfniss gestattet haben wird“. Nach dem neuen
Gesetz werden nun die wissenschaftlichen Anstalten und das mit
ihnen verbundene Vorlesungswesen etwas anders organisirt sein.
Als „Wissenschaftliche Anstalten“ bezeichnet man in Hamburg
z. Zt. folgende 10: Die Stadtbibliothek, das Museum für Völker¬
kunde, die Sammlung Hamburgischer Alterthümer, das Museum
für Kunst und Gewerbe, die Sternwarte, das Physikalische Staats-
Laboratorium, das Chemische Staats-Laboratorium, das Natur¬
historische Museum, den Botanischen Garten und das Botanische
Museum nebst Laboratorium für Waarenkunde. Dieselben unter¬
stehen einer eigenen Sektion der Oberschulbehörde, welcher min¬
destens 4 bürgerliche Mitglieder der letzteren angehören müssen.
Die Direktoren der wissenschaftlichen Anstalten, sowie die zum
Halten von Vorlesungen fest äugest eilten Gelehrten, welchen
hierorts die Amtsbezeichnung „Professor“ beigelegt worden ist,
bilden den „Professoren-Convent der wissen¬
schaftlichen Anstalten“. Derselbe stellt seine Ge¬
schäftsordnung seihst fest und wählt alljährlich aus seiner Mitte
einen Vorsitzenden. Als Aufgaben des Professoren - Convents
werden bezeichnet:
1. Die Erstattung von Berichten und Gutachten;
2. die Herausgabe eines Jahrbuches der wissenschaftlichen
Anstalten;
3. die Aufstellung eines Planes für die von Beamten der
wissenschaftlichen Anstalten, sowie den zum Halten von Vor¬
lesungen fest angestellten Gelehrten alljährlich zu haltenden Vor¬
lesungen und praktischen Uebungskurse.
Von den Leitern und den übrigen wissenschaftlichen Be¬
amten der wissenschaftlichen Anstalten sind Vorlesungen und
praktische Uebungskurse abzuhalten. Auch kann die Oberschul¬
behörde mit der Abhaltung von Vorlesungen und Uebungskursen
solche Gelehrte beauftragen, welche den wissenschaftlichen An¬
stalten nicht angehören.
Zu der letztgenannten Kategorie gehören nun gerade alle
Aerzte, deren Vorlesungen und Kurse, wie schon erwähnt, einen
breiten Raum im Vorlesungsverzeichniss einnehmen. So kommt
es wohl auch, dass ausser den Oberärzten und Assistenten der
Krankenhäuser eine Anzahl tüchtiger praktischer Aerzte, be¬
sonders Spezialisten, zur Abhaltung mediciniseher Vorträge und
Kurse aufgefordert werden und stets starken Zuspruch haben.
Unter den 32 mediciniselien Docenten des jetzigen Winter¬
semesters finden sich 4 solche praktische Aerzte; es liegt in der
Natur der Sache, dass die an den Krankenhäusern angestellten
Aerzte, denen das grosse Material derselben zu Gebote steht, in
erster Linie zu den Vorträgen herangezogen werden.
Ueberblicken wir nun noch einmal die hierorts bestehende
Organisation der wissenschaftlichen Anstalten und das damit
verbundene Vorlesungswesen, so sehen wir, dass wir uns auf
bestem Wege befinden, einstmals zur Gründung einer Universität
zu gelangen. Das alte Märchen, dass Hamburg nur Sinn für
kaufmännische Geschäfte und materielle Genüsse habe, ist längst
als solches erkannt worden. Es pulsirt hier ein frisches geistiges
Leben und ein Wissensdrang der Bevölkerung, um den uns
manche altehrwürdige Alma mater beneiden dürfte. Das Material
unserer Krankenhäuser und wissenschaftlichen Institute ist so
gross, dass wir es auch darin getrost mit den grössten Uni¬
versitäten aufnehmen können. Trotzdem dürfte noch mancher
Tropfen Wasser die Elbe hinabfliessen, bis Hamburg Universität
werden wird. Die Gründe hierfür liegen weder auf finanziellem
noch auf wissenschaftlichem, sondern auf politischem Gebiet und
bleiben in einer mediciniselien Faehzeitung besser unerörtert.
Wie die Vorlesungs-Kommission selbst ihr Vorlesungswesen an¬
sieht, das geht aus einem Bericht hervor, den sie dem Senat er¬
stattet hat, und der die Ansicht aller studirten Männer Ham¬
burgs wiedergibt. Sie erklärt daselbst das Vorlesung.swesen,
wenn auch eine Bezeichnung desselben als Hochschule,
Akademie oder Volksuniversität bisher absichtlich
vermieden sei, da keiner dieser Namen ganz zutreffe, doch für
eine den lokalen Bedürfnissen Hamburgs angepasste höhere
Bildungsstätte für Erwachsene, die mehr und
mehr einen Hauptfaktor im geistigen Leben unserer Stadt bilde
und wohl eine Hochschule im weiteren allge¬
meineren Sinne genannt werden könnte. Dass dieser
Faktor schon jetzt ein grosses geistiges Kapital darstellt, das die
reichsten Zinsen trägt, davon sind alle Kreise Hamburgs längst
überzeugt, wofür die von Jahr zu Jahr steigende Hörerzahl, die
im verflossenen Winter bereits die Zahl von 66 447 erreicht hat,
wohl den bündigsten Beweis erbringt. K. J a f f c.
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1948 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Wie n, 16. November 1901.
Was ist ärztlicher Unterricht ? — Das sogen. Drtisenfieber.
— Lupus vulgaris. — Behandlung der Ankylostomiasis. —
Heilung von Epitheliom und Ulcus rodens mittels Röntgen¬
strahlen.
Unter „ärztlichem Unterricht“ kann, im Sinne des Gesetzes,
nur die Erlangung das Doktorates der Medicin verstanden werden.
So entschied jüngst der k. k. Oberste Gerichtshof in letzter In¬
stanz. Und diese Entscheidung wurde durch folgende Umstünde
hervorgerufen: Ein Raseur wurde von einem Bezirksgerichte zur
Strafe des dreitägigen, strengen, mit einmal Fasten verschärften
Arrestes verurtheilt, weil er gewerbsmässig Zähne extrahirte.
Er berief und das Kreisgericht hob dieses Urtheil auf, weil die
erste Instanz der Einwendung des Angeklagten, dass er dies Zahn¬
ziehen bei einem Arzte erlernt. lud>c, nicht nachgegangen war.
Bei der zweiten Verhandlung legte der Raseur das Zeugniss eines
Med. Dr. vor, in welchem bestätigt, wird, dass der Raseur im
Jahre 1895 unter Aufsicht des Doktors Zähne zog. dass der Arzt
selbst Znhnleido.nde zum Angeklagten schickte etc. Der An¬
geklagte habe also, im Sinne d«s § 843 Str.-G., ärztlichen Unter-
licht genossen. Nun wurde der Raseur frei gesprochen. Der
Generalprocurator erhob die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung
des Gesetzes und der Cassationshof erblickte in diesem Einsprüche
eine Verletzung des Gesetzes. Das Ziehen von Zähnen, das mit
sehr ernsten Komplikationen verbunden sein kann, gehört un¬
bedingt in den Bereich ärztlicher Praxis. Daran knüpft sich
jedoch die ganze unabweisbare Forderung, dass unter jenem ärzt¬
lichen Unterrichte, von welchem der oben eitirte § 343 spricht,
eben nur die Erlangung des Doktorates der Medicin verstanden
sein kann. Wie sonderbar, dass erst, der oberste Gerichtshof da¬
rauf hinweisen musste, dass es nicht angehe, einem Raseur das
zu gestatten, was sogar den eoneessionirten Zahntechnikern ver¬
boten sei, und dass unter „Ausübung der Heilkunde“ auch der
zahnärztliche Beruf inbegriffen sei!
Tm Wiener medicimachen Doktorencollegium sprach Dr. Carl
Hochsinger über das sogen. Drüsenfieber der Kinder. Die
von Emil Pfeiffer als Infektionskrankheit sui generis be¬
zeichnet e Affektion der Kinder geht mit einer schmerzhaften,
zumeist einseitigen, selten zur Vereiterung führenden Anschwel¬
lung der eerviealen oder submaxillaren Lymphknoten einher. Das
Allgemeinbefinden der Kinder ist meist gestört (Gliederschmerzen,
Erbrechen, belegte Zunge), die Fauces sind leicht geröthet, das
Schlucken oft schmerzhaft, die Kopfhaltung — nach Hoch¬
sin g e Fs Beobachtung — eine torticollisähnliche. In schweren
Fällen auch Milz- und Leberschwellung, Nephritis etc. All’ dies,
sowie das oft beobachtete epidemische Auftreten des sogen.
Drüsenfiebers veranlassten Pfeiffer und andere Autoren von
einer specifischen Infektionskrankheit zu sprechen. Nach eigenen
zahlreichen Beobachtungen und nach eingehendem Studium der
bezüglichen Literatur leugnet Hochsinger die Specifität des
Proeesses, ist vielmehr der Ansicht, dass diese Drüsonschwel-
lnngon am Halse durch allerlei Infektionen in der Mund-, Nasen-
und Raehenhöhle, bedingt werden, mithin sekundärer Natur seien.
Es handelt, sieh hier, nach Hoehsinger. um sekundäre regio¬
näre Drüsenentzündung, wobei die primäre Affektion entweder
übersehen oder nicht erkannt wurde. Die ursächliche Affektion
im Wurzel gebiete der Halsl.vmphdriiscn kann aLso eine voraus-
gegangene Infektionskrankheit sein (Scharlach, Masern, Vari¬
cellen oder eine speeifisehe infektiöse Erkrankung der Nasen¬
oder Raehenschleimhaut, ein retronasaler Tnfektionsproeess) und
speeiell spielt l>ei den Kindern der adenoide Sehlundring eine
grosse Rolle. Jeder akute Schnupfen der Kinder kann auf dem
Umwege der Tonsilln pharyngea zu Lymphadenitis febrilis eer-
viealis und somit zum Bilde des „Driisenfiebors“ führen. Kon¬
sequenter Weise zählt Hoehsinger hieher auch den Rct.ro-
pharyngcalabseess (Vereiterung der retropharyngealen T.vmph-
driisen. ebenfalls durch Infektion bedingt). In praktischer Be¬
ziehung ist diese Drüsensehwellung auch desshalb wichtig, weil
Infi längerem Bestände derselben des Oefteren „Skrophulose“ dia-
gnosticirt wurde, während diese Affektion nicht vorhanden war.
Die Behandlung besteht sowohl in Applikation von Umschlägen
mit essigsaurer Thonerdo oder mit Aqua Goulardi, sodann, bei
längerer Andauer und Ablauf des Fieberetadiums, in Einreibung
von Schmierseife mit Ichthyolzusatz (10 Proc.). In prophylak¬
tischer Hinsicht empfiehlt Hoehsinger, da er bei Hals¬
entzündungen das gebräuchliche Gurgeln für werthlos hält, die
Anwendung von Kaupastillen, deren Basis eine schwer lösliche
Gummisehleimmasso ist, welche mit Borsäure, Menthol u. dergl.
versetzt wird, um auf diese Weise reichliche Spoichelsekretion zu
bedingen, wodurch die Tonsillen gut deeinfizirt werden. Solche
Halspastillen gebrauchen die Kinder sehr gerne, da sie auch süss
sein können.
In der Discussion empfahl Dr. Moritz Weil bei Halsentzün¬
dungen Gurgelungen mit 2 prom. Kresollösung und zur prophy¬
laktischen Behandlung dos Nasenrachenraumes die Einblasungen
pulverisirtcr Substanzen, namentlich Natr. sozojodolic., mittels
einer, nach seiner Angabe hergestellten, einfachen Vorrichtung,
welche das Kind sogar selbst gebrauchen könne. Sie besteht aus
einem kurzen Hartgummistück, welches, mit dem Pulver be¬
schickt, in die Nase eingeführt wird, während ein sich daran
schlicssender Gummisehlaueh ein perforirtes Mundstück trägt,
mittels welchem (von der Mutter oder dem Kinde) das Pulver
in die Nase geblasen wird.
Tn der Gesellschaft der Aerzte stellte Prof. Lang einen Fall
von floridem Lupus vulgaris von ganz excessiver Ausdehnung vor.
Die Infiltration ist am Kopfe, im Gesichte, dem Stamme, an den
oberen und unteren Extremitäten siehtbar, theils in grosser, zu¬
sammenhängender Fläche, theils als mächtige Plaques, bloss die
Brustwarzen und die Warzenhöfe sind vollkommen frei geblieben.
Am rechten Vorderarm wurde im Jahre 1895 ein Stück lupöser
Haut exeidirt, der Substanzverlust gedeckt und diese Stelle ist
heute noch lupusfrei.
Bei diesem Anlässe bespricht Lang das sociale Moment,
dass Lupösc, wenn sie auch nicht intensiv erkrankt sind, sobald
ihr Leiden siehtbar ist, sehr bald brotlos würden, da schon kleine
Lupusherdo irn Gesichte oder an den Händen es verschulden,
dass der Kranke von seinen Kameraden gemieden, resp. aus der
Beschäftigung entlassen wird. Andererseits berichtet Lang über
eine Reihe von Fällen, in welchen die Lupösen radikal operirt
wurden und roeidivfrei blieben, so dass sie jetzt ungehindert
ihrem Berufe naehgehen. Für inoperable Fälle hat sich in
neuerer Zeit die Behandlungsmethode von Finsen in Kopen¬
hagen, die Bestrahlung der lupösen Partien mit ultravioletten
Strahlen, vorzüglich l>ewührt. Tn Kopenhagen besteht ein In¬
stitut, in welchem täglich 300 Lupuskranke belichtet werden;
das Institut ist aus Beiträgen der Bevölkerung hervorgegangen.
Sein (L a n g’s) Bestreben sei es nun, auch in Wien ein solches
Institut, zu errichten und die vorbereitenden Schritte hiezu seien
bereits gemacht worden. (Siehe den Notizentheil der No. 46.)
Die Behandlung der Ankylostomiasis gab sodann Anlass zu
einer längeren Discussion. Assistent W. Hofbauer hatte
einen Mann vorgestellt, der im Kohlenbergwerke in Brennerberv
gearbeitet und an Ankylostomiasis mit hochgradiger conseeutiver
Annemie litt.. Er wurde einer Kur mit Extract. filicis maris
Ilelfonberg (12 Kapseln ä 1 g) mit nachfolgendem Infus. Sennae
unterworfen und der Erfolg war ein sehr günstiger, indem seit¬
her die Parasiten und deren Eier aus dem Stuhle verschwunden
sind. Nun erinnerte Professor Pal daran, dass Dr. Gold-
m a ii n seinerzeit in einem längeren Vortrage ebenfalls das Ex-
traet filicis maris bei dieser Behandlung sehr gelobt habe. Docent
I)r. Mannaberg aber hat, dieses Extrakt, in solchen Fällen
an der Klinik Nothnagcl’s wiederholt erfolglos angewendet.
dagegen mit Thymol, welches auch in Südamerika für Ankvlo-
st<tmin=is vielfach verwendet wird, gute Erfolge, selten auch Miss¬
erfolge, erzielt. Tn West.indien werden mit Thymol, wie
Dr. G e r s t 1 aus eigener Erfahrung bestätigt, sehr befriedigende,
duiregen mit Filix mar. keine Erfolge erzielt.
Nun demonstrirte Prof. Schiff einen 60jährigen Mann
mit Epithelioma faeiei, welches im Jahre 1900 operativ entfernt
wurde, seither stark reeidivirte. so dass der Kranke im Januar
1. J. alwrmals operirt werden musste. Damals sass an der linken
Joc hbeingogt nd eine bis gegen den Augenwinkel heranreichendo.
nur wenig elevirte Geschwulst, über welche die Haut stark ex-
ulec-rirt war. Exstirpation und Deckung mittels T hier sch -
scher Ilnutlnppen. Mikroskopischer Befund: Epitheliom. Da
die Geschwulst abermals reeidivirte, wurde der Kranke dem In-
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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1949
stitute für Radiotherapie dos Prof. Schiff zugewiesen, da es
bekannt war, dass S j ö r g e n und Stenbeck über günstige Er¬
folge dieser Behandlungsmethode berichtet hatten. Die Ge¬
schwulst wurde nun täglich durch 10 Minuten den Rontgen-
strahlen (harte Röhre) ausgesetzt. Nach 15 Sitzungen leichte
Reaktion, wesshalb einige Tage lang mit der Beleuchtung aus¬
gesetzt wurde. Nach weiteren 8 Sitzungen l>ot der Kranke das
jetzige Bild dar: das Neugebilde hat einer vollkommen glatten,
ebenen, normal gefärbten Narbe Platz gemacht, so dass der Mann
als geheilt betrachtet werden kann.
Ferner stellte Seh i f f ein 30 jähriges Mädchen vor, welches
soit 7 Jahren an einem Ulcus rodens am Nasenrücken und am
rechten Nasenflügelrand litt, in verschiedenster Weise behandelt
wurde, ohne dass das Leiden radikal beseitigt wurde. Patientin
wurde jetzt 35 mal der Röntgenbestrahlung ausgesetzt. Die Ge¬
schwüre reinigten sich allmählich, überhäuten schliesslich
in normaler Weise, so dass auch dieses Mädchen als geheilt er¬
klärt wird.
Pariser Briefe.
(Eigener Bericht.)
Antisyphilitische Propagandabestrebungen: „Les AvariSs“,
Schauspiel in drei Akten von B r i e u x. — Eine pestilenzielle
Vergnügungsreise und ihre sanitätspolizeilichen Konsequenzen.
— TJnwandlungen in der Association gen6rale des medecins
de France als Zeichen des wachsenden Pauperismus des ärzt¬
lichen Standes. — Der „Caduc6e“, eine wissenschaftlich-inter¬
nationale militärärztliche Zeitschrift. — Der neue Dekan der
medicinischen Fakultät.
Entsprechend den auf der jüngsten Brüsseler Konferenz für
Prophylaxe der venerischen Krankheiten formulirten Wünschen,
hat sich in Paris, am 31. März dieses Jahres, unter dem Namen
der Soeiöte de prophylaxie sanitaire et morale, eine antisyphi¬
litische Liga unter dem Präsidium des Grossmeisters der fran¬
zösischen Syphiligraphie, Herrn Prof. Alfred F o u r n i e r, ge¬
bildet. Einer der eifrigsten Mitglieder dieser Liga ist Herr
Brienx, der bereits ziemlich bekannte dramatische Schrift¬
steller, welcher mit Vorliebe medicinisch-soziale Fragen in seinen
Theaterstücken behandelt. Das letzte von ihnen, „Les Rempla-
centes“, schilderte die Immoralität und Gefahren des Stillens von
Säuglingen durch fremde Ammen und hat auf der Bühne einen
massigen Erfolg davon getragen. Nun schrieb Herr Brieux
ein neues Schauspiel in 3 Akten, „Les Avaries“, um dem grossen
Publikum die Gefahren der Syphilis und die Mittel zur Be¬
kämpfung dieser Krankheit klarzustellen.
Das Stück ist Herrn Prof. F ournier gewidmet, welcher
dem Verfasser die wissenschaftlichen Daten für sein Werk
lieferte. Die erste Scene wird eingeleitet durch den Regisseur.
„Meine Herren und Damen“, sagt derselbe, sich an’s Publikum
wendend, „der Verfasser und der Theaterdirektor haben die Ehre,
Sie darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Stück das Studium
der Syphilis in ihren Beziehungen zur Ehe zum Ziele hat. Sie
enthält nichts Skandalös«*- oder Widerliches, kein unstütes Wort
und kann von Jedermann angehört werden, wenn man nur nicht
der Meinung ist, die Frauen müssen unbedingt dumm und un¬
wissend bleiben, um ilire Tugend zu bewahren.“
Im ersten Akt kommt ein junger Mann, den Rath eines
Specialisten für venerische Krankheiten abzuholen. Der Spe-
cialist ist ein „grosser“ Arzt. Das merkt man schon an seinem
rothen Ordensband und am Luxus seiner Wohnung. Der junge
Mann leidet an reeonter Syphilis und doch will er bald heirathen.
Der Doktor verbietet ihm, es früher als nach einer drei- bis
vierjährigen Behandlung zu thun. Patient geht aber zu einem
anderen Arzt, dessen Adresse er in einer Zeitungsannonce gelesen,
und der ihn in sechs Monaten auszukuriren verspricht, und ver¬
mählt sich nach sechsmonatlicher Kur. Im zweiten Akt ist der
junge Mann verheirathet und hat schon ein Töchterlein, das aber
plötzlich an einem Ausschlag erkrankt. Der grosse Spocialist des
ersten Aktes wird eingeladen und diagnosticirt die Syphilis bei
dem Kinde. Die Consultation wird an der Thüre durch den
Kammerdiener abgelauscht, der Alles der Amme erzählt. Letztere
verlangt eine Entschädigung. Während dieser Erpressungssoene
tritt tinerwartet die junge Mutter ein. Aus den Worten der
Amme erfährt sie die ihr bis dahin verheimlichte Wahrheit und
stürzt ohnmächtig zu Boden. Der dritte Akt vollzieht sich im
Sprechzimmer der Klinik des grossen Specialisten; es erscheint
der Schwiegervater des syphilitischen Ehemannes. Er will sich
rächen und beabsichtigt, einen Eheseheidungsproccss für seine
Tochter anzustrengen. Es wird ihm vom Doktor davon abgerathen.
Die Ehescheidung würde nur zur öffentlichen Anerkennung der
Syphilis derMutter und des Kindes führen, Beiden ihr Leben lang
Schaden bringen und ein Hindemiss für etwaige Verheirat hung
werden. Was soll ich denn thunl ruft der unglückliche Vater.
Verzeihen! antwortet der Arzt, welcher dann auseinandersetzt,
wie die einmal versöhnten Ehegatten glücklich loben können
und sogar absolut gesuude Kinder zu erzeugen im Stande werden,
wenn sie sich nur einer regelrechten und genügend langdauem-
den Behandlung unterziehen wollen. „Die Syphilis ist eine ge¬
bieterische Person, die nicht duldet, dass man ihre Macht ver¬
kennt. Sie ist schrecklich für die, welche ihr eine ernste Be¬
deutung absprechen und gutartig, wenn man ihre Gefahren kennt.
Sie ist eben wie gewisse Frauen, sie wird unmuthig, wenn
man sie vernachlässigt. Sagen Sie es Ihrer Tochter ... führen
Sie sie wieder in die Arme ihres Gatten, von dem sie nichts mehr
zu befürchten hat, und, ich garantire Ihnen, in 2 Jahren werden
Sie ein freudiger Grossvater sein.“ Dann lässt der Doktor vor
dem schon halb versöhnten Zuhörer eine durch ihren Mann in-
fizirte Arbeiterin, eine in Behandlung stellende junge Prosti-
tuirte und den Vater eines syphilitischen Gymnasiasten er¬
scheinen. Die Aussagen dieser Personen zeigen, wie man oft
unschuldig oder unwissend inflzirt wird, wie das Vorurtheil, die
Syphilis als eine schändliche Krankheit anzusehen, deren Be¬
handlung erschwert, und wie die sogen, unentgeltliche Spital-
behandlung der Syphilis, wie sie gegenwärtig geübt wird, dem
Arbeiter durch den grossen Zeitverlust, den sie mit sich bringt,
in Wirklichkeit sehr theuer zu stehen kommt. Um diese Uebel
zu bekämpfen, soll man gewisse gesetzliche Maassnahmen er¬
greifen, eine wirklich unentgeltliche und in keiner Weise ent¬
ehrende öffentliche Behandlung venerischer Krankheiten durch
die Errichtung zahlreicher Ambulatorien stiften und das Publi¬
kum durch alle möglichen Mittel über die Aetiologie, die Ge¬
fahren, die Vorbeugung und die Behandlung der Syphilis be¬
lehren.
Wie man sieht, sind die Intentionen des Verfassers löbliche
und redliche, das ganze Werk ist in keiner Weise unanständig
geschrieben und jedenfalls ist es viel weniger schlüpfrig als die
meisten auf den Pariser Theatern vorgeführten, von zweideutigen
Anspielungen strotzenden Stücke. Und doch wurde den
„Avaries“ die Erlaubuiss zur öffentlichen Vorstellung auf der
Bühne von der Ceusur verweigert. Darauf hat Herr Brieux
im privaten Theätre Antoine sein Stück vor einem auserwählten,
aus Aerzten, Gelehrten, Künstlern und Schriftstellern bestehen¬
dem Publikum vorgelesen und grossen Beifall geerntet. Die Cen-
sur wurde dabei verpönt. Ohne hier die Frage über die Zulässig¬
keit oder Unzulässigkeit einer Cc-nsur für Theaterstücke berühren
zu wollen, muss man doch gestehen, dass im gegebenen Falle die
Censur genügende Gründe hatte, die Vorstellung zu verhindern.
Sie that es nicht wegen der Immoralität des Werkes, sondern
weil dasselbe für die Bühne nicht passte. Die „Avaries“ sind
klug und pikant geschrieben, aber dramatische Schönheiten und
feine psychologische Analysen enthalten sie nicht. Im Grunde
genommen sind sie nichts anderes als eine „civile Predigt“, eine
dialogisirte Popularisation wissenschaftlich - medicinischer und
sanitätspolizeilicher Fragen. Wie weit diese Popularisation ge¬
trieben wird, zeigt am besten ein Passus aus dem ersten Akt, wo
der Doktor — immer der berühmte Specialist — die jungen Leute
anweist, wie sie am besten die Gefahren des unehelichen ge¬
schlechtlichen Genüsse» auf ein Minimum reduziren können.
Er räth ihnen, sich an die „patentirteil Liebeshändlerinnon“ zu
wenden und Solche auszuwählen, die etwas reif sind, weil dies«'
reiferen gewöhnlich ihren Tribut an die Syphilis schon abgezahlt
haben. „Das schönste Mädchen auf «1er Welt kann Alle» geben,
was sie besitzt, nicht aber das. was sie nicht mehr hat.“ Solch.*
„praktische Winke“ gehören gewiss nicht auf die Bühne und
das Gleiche kann man auch von dem ganzen Stück sagen.
Jedoch dürfte es nicht in Abrede g«*stellt werden, dass die
..Avaries“ für den Laien ein lesenswerthes Buch sind. Diese
Lectiire kann belehren ohne zu langweilen. Sie wird aber kaum
einen hindernden Einfluss auf flotte junge Burschen ausüben,
wenn dieselbe nicht gerade eine Anlage zur Syphiliphobie. einer
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1950
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
der häufigsten Aeusserungen von Pathopliobien, aufweisen. Es
steht eben in diesem Büchlein — was auch der Wahrheit ent¬
spricht. — dass die Syphilis nur in einer ganz kleinen Minderzahl
der Fälle jeglicher Behandlung trotzt \md verhängnissvoll wird,
dass sie aber in den weitmeisten Fällen sich gründlich und ohne
Schaden für die Nachkommenschaft auskuriren lässt. Das Risico
wird somit Manchem nicht gross genug scheinen, um es gelegent¬
lich nicht mit in den Kauf zu nehmen. Im Unglücksfalle
braucht man nur sich von sachkundiger Seite behandeln zu lassen.
Was diesen letzten Punkt anbetrifft, so wäre vielleicht zu be¬
dauern, dass Herr B r i e u x in seinem Schauspiel nur die beiden
Extreme des ärztlichen Berufs einander gegenübergestellt hat:
«len ebenso gelehrten wie rühmlich bekannten Kliniker, der keiner
Reklame bedarf, und den sich in Zeitungen annoncirenden „Char¬
ta tau“. Zwischen beiden gibt es genug bescheidene, aber tüch¬
tige Aerzte, welche befähigt sind, die meistens unschwierige Dia¬
gnose der Syphilis zu stellen, den Kranken über Alles, was er
zu wissen braucht, zu belehren und ihn lege artis zu behandeln....
Fort aber mit der Syphilis! Gehen wir jetzt zu einem
andereil, noch viel schlimmeren Menschen- und zugleich Ratten¬
feind, zur Pest, über. Eine schöne Vergnügungsreise in Aus¬
sicht habend, sich auf einem mit Pest infizirten Schiffe zu be¬
finden — ist eine böse Geschichte, die jüngst einer auserlesenen
Gesellschaft, in welcher 17 Aerzte sich befanden, passirte. Es war
eine der Seereisen, die Herr Olli vier, der Redakteur der
Revue generale des. Sciences, alljährlich während der Sommer¬
ferien organisirt. Diesmal beabsichtigte man auf dem ..Senegal“,
einem Packetboot der Messageries maritimes, Rhodos, Syrien,
Palästina etc. zu besuchen. Das genannte Schiff fuhr am 14. Sep¬
tember von Marseille ab. Schon am dritten Tag der Reise er¬
eignet« sich etwas Unheimliches. Herr O 11 i v i e r, der als
Direktor der Expedition fungirte, bat die anwesenden Aerzte, mit.
dem Schiffsarzt und dem Kapitän über die Erkrankung eines
Matrosen sich unterhalten zu wollen. Man hatte es mit einem
grossen Leistenbubo und starkem Fieber zu thun. Der Verdacht,
es sei die Pest, war um so näher liegend, als es sieh herausstellte,
dass der „Senegal“ vor 8 Monaten diese Krankheit an Bord ge¬
habt hatte. Seitdem war das Schiff desinfizirt worden und
machte mehrere Reisen, ohne Krankheitsfälle aufzuweisen. Aber
20 Tage vor seiner jetzigen Abfahrt von Marseille war es von
Alexandrien, wo es Pestfälle gab, zurückgekehrt. Man beschloss,
sofort nach Marseille zurückzufahren, und als man bei Bonifacio
vorüberglitt, liess der Kapitän die Sanitätsdirektion in Marseille
von seiner Rückkehr mit einem verdächtigen Krankheitsfalle an
Bord semaphorisch benachrichtigen. Nachdem das Schiff vor der
Quarantäneanstalt in Frioul Anker geworfen hatte, erhielt es den
Besuch des Sanitätsarztes, welcher die Passagiere inspizirte und
den durch eine Punktion des Bubo dis erkrankten Mannes er¬
haltenen Saft zur bakteriologischen Untersuchung mitnahm. Der
kranke Matrose wurde sofort in’s Lazareth gebracht, wo er bald
verschied. Noch am darauffolgenden Tage gaben die in Frioul
angestellten bakteriologischen Untersuchungen keine entscheiden¬
den Resultate und die Passagiere, sowie die Mannschaft, blieben
an Bord, aber schon am selben Tage erkrankte ein anderer
Matrose, an der Pest. Er wurde auch in’s Lazareth transportirt
und dort mit Einspritzungen von Y ersin’s Antipestserum be¬
handelt, wonach er genas. Man fand auch im Kielraume des
Schiffes mit Pestbacillen infizirte Ratten. Es konnte somit be¬
züglich der Diagnose kein Zweifel mehr bestehen. Die Passa¬
giere wurden alsdann in die Quarantäneanstalt übergeführt, aber
dies geschah erst nach 48stündigem Verweilen auf dem ange¬
steckten Schiffe, auf welchem die Mannschaft, um sie mit den
Passagieren nicht zu vermischen, zurückgelassen wurde. In
Frioul fand die vornehme Gesellschaft recht dürftige Einrich¬
tungen, eine ganz rudimentäre Restauration, und musste über¬
haupt ziemlich viel unter dem Mangel an Komfort leiden. Es
wurden hier den lnternirten auf ihre Einwilligung (mit Aus¬
nahme von Einigen, die sich dessen weigerten) Präventivinjek¬
tionen mit Antipestserum gemacht. Keiner von ihnen erkrankte,
und so konnten sie glücklicher Weise nach siebentägigem Ver¬
weilen in Frioul aus der Quarantäne befreit werden. Die ganze
Affaire gab in den letzten Sitzungen der Akademie de Medecine
zu ziemlich lebhaften Discussionen Veranlassung, welche haupt¬
sächlich durch die allerdings recht höfliche Kritik der sanitären
Einrichtungen in Frioul seitens des Herrn Dr. Buequo y. eines
No. 48 .
der Passagiere des „Senegal“, hervorgerufen wurde. Die amt¬
lichen V ertreter des Sanitätsdienstes, Herr Prof. Proust und
Herr II. M o n o d, gaben darauf vollkommen befriedigende Ant¬
worten. Es ist leicht einzusohen, dass der sanitäre Dienst in
Frioul, was seine Einrichtungen und das Personal anbetrifft, dem
plötzlichen Einbrechen einer so grossen Zahl Reisender erster
Klasse nicht gewachsen war. Die Verzögerung in der Lan¬
dung der Passagiere findet in diesem Umstande, wie auch in
der Unmöglichkeit einer sofortigen Diagnose der Krankheit ihre
genügende Erklärung. Man rmicht es eben so gut, wie es das vor¬
handene Budget erlaubt. Wesentliche Verbesserungen im Sani-
tätswesen werden gewöhnlich durch solche Ereignisse, wie es mit
dem „Senegal“ der Fall war, hervorgerufen und kommen ihnen
nicht zuvor. Und so wird diese pestilenzielle Seefahrt die nütz¬
lichsten Konsequenzen in sanitätspolizeilicher Hinsicht nach sich
ziehen können. Sie hat nämlich gezeigt, wie es Herr Prof.
Bernheim (von Nancy) in einem soeben in der Revue medi-
cale de Fest erschienenen Artikel hervorhob, dass die sanitäre In¬
spektion der abfahrenden und ankommenden Schiffe, ihrer Mann¬
schaften und Passagiere viel schärfer als bisher geführt werden
soll. Fahrzeuge, auf denen ansteckende Krankheiten vorgi-
kommen sind, müssen gründlich auch in ihrem Kielraume durch
schweflige Dämpfe (welche die Ratten vernichten) desinfizirt wer¬
den. Jedes zu langen Reisen bestimmte Schiff sollte an Bord
einen in der bakteriologischen Diagnose der wichtigsten an¬
steckenden Krankheiten bewanderten Arzt, sowie die ver¬
schiedenen Heilsera und eine isolirbare Krankenkammer be¬
sitzen. Handelt cw sich um eine- ansteckende Krankheit, die eine
radikale Desinfektion und Isolirung der Reisenden erheischt, so
müssen, sobald das Schiff an’s Lazareth gelangt ist, sämintliche
Passagiere und die Mannschaft sofort in die Quarantäne oder,
wenn die Lokale der Station dazu nicht genügen, auf ein stets
disponibles Pontonschiff übergeführt werden. Das Gepäck wird
vorläufig auf dem Schiff gelassen und nur die absolut nöthigen
Gegenstände mitgenommen. Vor ihrem Eintritt in die eigent¬
lichen Räume des Lazareths sollen die lnternirten sammt ihren
Effekten der gründlichsten Desinfektion in einem ausserhalb des
Lazareths gelegenen Lokale unterzogen werden.
Aus recht komplizirten Gründen, deren Auseinandersetzung
hier nicht am Platze wäre, erleidet der ärztliche Stand in Frank¬
reich (wie auch mehr oder weniger überall in Europa) eine wahre
ökonomische Krise. Nicht nur junge angehende Praktiker haben
die grösste Mühe den Kampf um’s Dasein zu führen, sondern
bereits schon erworbene ärztliche Stellungen werden oft gefährdet.
Ein neuer Beweis davon ist gegeben durch die in der Association
generale des mödccins de France sieh vollziehenden Umwand¬
lungen. Diese grösste von allen ärztlichen Körperschaften Frank¬
reichs wurde im Jahre 1858 gegründet. Sie zählt gegenwärtig
mehr als 8500 Mitglieder. Sie ist eine Art von Föderation aller
in den verschiedenen Departements existirendeu ärztlichen Hilfs-
vereine. Ihr Zweck war bis jetzt, den verunglückten Mitgliedern
und deren Wittwen und Waisen nach Gutachten, d. h. fakultath
Hilfe zu leisten und auch die Prineipien der ärztlichen Deonto-
logie aufrecht zu erhalten. Obgleich die jährliche Mitglieds¬
gebühr nur 12 Franken lx-t.rügt, besitzt gegenwärtig diese Associa¬
tion ein Kapital von 2 203 743 Franken, und im Laufe des vorigen
Jahres hat sie mehr wie 50 000 Franken als Pension an 71 Mit¬
glieder vertheilt. Nun aber, trotz dieser glänzenden finanziellen
Verhältnisse, wurde mit der Zeit die Rekrutirung neuer Mit¬
glieder der Gesellschaft immer schwieriger. Ursache davon ist
die prekäre Lago junger Aerzte, welche nicht mehr an rein philan
tropischen Vereinen theilnehmen können, sondern das von ihnen
mit Mühe ersparte Geld zur persönlichen Versicherung gegen
Krankheiten und andere Unglücksfälle anwendon müssen. Diesem
Bedürfnis» gemäss hat schon im verflossenen Jahre die Associa¬
tion generale denjenigen von ihren Mitgliedern, welche sich dazu
meldeten, das Recht auf Krankheitsentschädigungen uml
Alterspensionen zuerkannt. Soeben hat aber die Gesellschaft
noch einen weiteren Schritt in dieser Richtung gethan: dem
Wunsche vieler Kollegen folgend, hat. sic in einer allgemeinen
ausserordentlichen Versammlung beschlossen, um die Frauen der
Aerzte versichern zu können, dieselben als wirkliche Mitglieder
in die Gesellschaft aufzunehmen. Und so hat die Association
generale des mcdecins de France, die ursprünglich den Charakter
einer philnntropischen Gesellschaft trug, sich unter dem Einflüsse
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26. November 1901,
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1951
der gedrückten ökonomischen Lage des ärztlichen Standes in
einen Versichernngsverein umgestalten müssen.
Ein Faktum, welches wir wegen seiner noch bestehenden
Aktualität hier erwähnen wollen, ist der recht schnelle und be¬
deutende Erfolg des in Paris vor einigen Monaten gegründeten
und unter der Redaktion des ehemaligen Militärarztes, Herrn Dr.
Q r a n j u x, stehenden zweiwöchentlichen Blattes „Le Caducee“.
Diese Zeitschrift ist der Kriegschirurgie, der Kriegsmedicin, der
exotischen Pathologie, der militären, navalen und kolonialen
Hygiene gewidmet. Ihr Erfolg ist zum grössten Theil durch
ihren in wissenschaftlicher Beziehung internationalen Charakter
bedingt. Der „Caducee“ hat nicht nur der ausländischen Litera¬
tur den vollen ihr gebührenden Platz eingereiht, sondern er be¬
sitzt auch hervorragende Korrespondenten in verschiedenen
Armeen Europas. Bei den Civilärzten hat der „Caducee“ die
beste Aufnahme gefunden, was auch leicht zu begreifen ist, denn
in Frankreich schlummert in jedem Civilen — Aerzte einbe¬
griffen — immer der Soldat.
Wir haben einen neuen Dekan! Der bisherige Dekan, Prof.
Brouardel, hat sich geweigert seine Kandidatur für die
neuen Wahlen aufrecht zu erhalten und so wurde an seiner Stelle
Herr Prof. Debo ve, der bekannte Kliniker und Lieblingsschüler
C h a r c o t’s, gewählt. Dr. W. v. Holstein.
Briefe aus Italien.
(Eigener Bericht)
Mailand, 28. Oktober 1901.
Gesammteindruck Mailands. — Trinkwasser und Kanali¬
sation. — Schulhygiene. — Zustände der Krankenhäuser. —
Erfolge der Pockenimpfung. — „Albergo popolare“.
Jedem Arzt, der Mailand besucht, werden sich gleich ver¬
schiedene Fragen aufdrängen. Selbst demjenigen, der sich die
geographische Lage Mailands nur auf der Karte betrachtet, wird
es auffallen, dass sich in der Nähe der in einer grossen Ebene
liegenden Stadt kein Fluss befindet, als die winzige Olona, ein
unbedeutendes Nebenflüsschen, das überhaupt nur auf grossen
Spezialkarten zu finden ist. Und doch ist die Wichtigkeit eines
Flusses für die Städte selbst dem Laien bekannt und es gibt sehr
wenige grössere Städte, die nicht von einem solchen durchzogen
sind. Das Wasser des Flusses dient zur Reinigung der Strassen,
zu Bädern und gewerblichen Zwecken und es findet — natürlich,
nachdem es filtrirt wurde — auch im Haushalt und als Trink¬
wasser Verwendung (so z. B. in Berlin das Spreewasser). Ausser¬
dem ist der Fluss meist auch der natürliche Kanal zur Weg¬
führung der Abfälle der Stadt und zwar geht diese Wegführung
um so rascher tind gründlicher vor sich, je höher sich die Stadt
längs des Flusses aufbaut. Die Ebene ist desshalb auch an sich
selbst ein hygienischer Nachtheil und ich bin der Meinung, dass
z. B. Rom seinen guten Gesundheitszustand auch seiner Lage
auf den sieben Hügeln zu danken hat. Die Lage Mailands in
der wasserlosen Ebene bietet daher zwei grosse natürliche Nach¬
theile.
Schon die alten Mailänder versuchten, dem einen Uebel ab¬
zuhelfen, indem sie von den grossen, ca. 40—50 km entfernten
Flüssen Kanäle ableiteten, die noch heute sogar für die Schiff¬
fahrt Verwendung finden, so dass sowohl der Lago maggiore, als
auch der Comersee in direkter, fahrbarer Verbindung mit Mai¬
land sind. Diese Kanäle durchschneiden Mailand in verschie¬
denen Annen, welche sich südwärts der Stadt wieder sammeln
und bei Pavia (ca. 30 km südlich von Mailand) in den Ticino
münden und mit diesem zum Po und weiter in das adriatische
Meer gehen, so dass man vom Comersee, bezw. Lago Maggiore
über Mailand bis Venedig zu Wasser kommen kann. Dem Be¬
sucher Mailands werden auch gewisse Stadttheile aufgefallen
sein, die mit ihren dicht an den Kanälen, bezw. Wasserstrassen
stehenden Häusern beinahe an Venedig selbst erinnern.
Das Trinkwasser entnahmen die alten Mailänder gewöhn¬
lichen Brunnen, aber mit der fortschreitenden Entwicklung
wurde auch die Frage einer besseren, bequemeren Wasserver¬
sorgung der Stadt immer brennender. Es fehlte nicht an Ver¬
suchen und Projekten, die technische Kommission hatte 23 ver¬
schiedene Pläne zu prüfen, nach welchen das Wasser von mehr
oder minder entfernten Gegenden nach Mailand geleitet werden
sollte, aber diese Projekte scheiterten alle theils an den tech¬
nischen Schwierigkeiten, theils an den übergroesen Kosten. Doch
mussten die neuen Stadttheile, die mit fieberhafter Eile her-
gcstellt worden waren, endlich auch mit Wasser versorgt werden
und man entschloss sich daher dazu, das Wasser direkt dem
Untergrund zu entnehmen. Im Jahre 1889 traten die ersten
neuen Brunnen in Thätigkeit und der Erfolg war so zufrieden¬
stellend, dass man an zwei entgegengesetzten Punkten der Stadt
noch weitere derartige Brunnen anlegte. Dieselben bestehen aus
eisernen Röhren von 0,80 m Durchmesser, deren einzelne Stücke
ca. 4 m lang sind und die 30—60 m tief in den Boden eingerammt
wurden. Durch elektrisch betriebene Pumpen wird das Wasser
auf einen Druck von 40 m gebracht, wodurch eg ohne Schwierig¬
keit in die obersten Stockwerke der Häuser geleitet werden kann.
Die Qualität des Wassers ist vorzüglich, denn der Boden Mai¬
lands besteht aus Sand, Thon und Kies, so dass durchsickerndes
Regenwasser vollständig filtrirt und gereinigt in der Tiefe der
Brunnen ankommt. Um immer sicher zu sein, dass das Wasser
gut ist, wird es täglich bakteriologisch untersucht und einmal
monatlich chemisch analysirt. Auch die Quantität des Wassers
ist reichlich, denn die Pumpen liefern so viel, dass auf jeden Ein¬
wohner täglich 150 Liter treffen. Auf diese Weise ist das Pro¬
blem der Wasserversorgung für Mailand sowohl in hygienischer
als finanzieller Beziehung auf’s Einfachste und Beste gelöst.
Auch die Kanalisation der Stadt hielt gleichen Schritt mit
der Herstellung der Waserleitung und ein grosser Theil der
Häuser ist bereits an dieselbe angeschlossen. Der Inhalt der Ab¬
fuhrkanäle wird weit ausserhalb der Stadt auf umfangreiche
Rieselfelder geleitet; d. h. auf terrassenartig angelegte Wiesen,
von denen die Abfälle als Dünger absorbirt werden, während das
Wasser endlich völlig gereinigt das letzte Rieselfeld verlässt und
durch weitere Kanäle zu den grossen Flüssen, bezw. in’s Meer
geleitet wird.
Mit der Wasserfrage ist jene der Bäder auf’s Engste ver¬
knüpft. Es gibt zwar nur zwei Volksbäder in Mailand und die
Frequenz derselben ist verhältnissmässig gross; im Jahre 1900
wurden z. B. 135 774 Bäder verabreicht, doch könnte der Besuch
bei dem geringen Preis von 10 Cent, pro Bad immerhin noch
etwas grösser sein.
Auch in den Schulen sind Bäder eingerichtet, jedoch nur
Douchen, wodurch die Reinigung der Kleinen rasch und mit ver¬
hältnissmässig geringen Kosten ermöglicht wird. Das Wasser
für die Douchen wird durch Gasflammen erwärmt. Jeder Schüler
erhält jedesmal ein reines Tuch und ist angehalten, dieses Bad,
das gratis verabreicht wird, vor dem Beginn der Schule zu
nehmen. In jeder Schule befinden sich auch einige „Zampilli
d’acqua, d. h. kleine Springbrunnen, die ihren dünnen Wasser¬
strahl direkt in den Mund des Schülers senden, der sich über
sie beugt. Durch diese Art Brunnen wird das Trinkgefäss über¬
flüssig und jede Ansteckungsgefahr vermieden. Die Hygiene in
den Schulen wird von drei Aerzten ad hoc überwacht; dieselben
untersuchen Lehrer, wie Schüler, sorgen für die Entfernung der
Kranken und lassen den Armen durch Schulwohlfahrtseinrich¬
tungen die nöthigen Arzneien etc. überweisen. Für jene Kinder,
die an Krätze und infektiöser Conjunctivitis leiden, wurden
zwei eigene, von den anderen völlig getrennte Klassen ein¬
gerichtet.
Die Oberleitung sämmtlicher mit der Hygiene und öffent¬
lichen Gesundheitspflege betrauten Aemter befindet sich seit 1896
in den bewährten Händen des Prof. Bordoni-Uffreduzzi
und man kann sagen, dass sich seit dessen Ernennung Mailand
eines wahren, tadellos funktionirenden Gesundheitsamtes erfreut.
Von den Krankenhäusern Mailands ist das grösste das
„Ospedale maggiore“, eines der grössten in ganz Italien. In
demselben können 2200 Kranke untergebracht werden. Wer
dieses Krankenhaus gesehen hat, wird gewiss den prachtvollen
Monumentalbau mit dem grossen, eleganten Hof bewundert
haben, aber dies Alles hat doch nur künstlerisches und histo¬
risches Interesse, der Hygieniker wird von dem schönen Bau
weniger befriedigt sein; die Säle sind zwar gross, aber nicht
luftig und sonnig genug, es befinden sich zu viele Kranke in
einem Raum und zudem liegt das Krankenhaus inmitten der
Stadt. Man hat desshalb auch schon angefangen, dasselbe zu
entlasten; für die Infektionskrankheiten wurde 1896 bei Der-
gano, ca. 2 km von Mailand, ein modernes, isolirtes, mit allen
Desinfektionsapparaten versehenes Krankenhaus errichtet, wäh¬
rend die Kranken der chirurgischen Abtheilung seit Kurzem in
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1952 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48.
zwei schönen, nach ihren Stiftern, P o n t i und L i 1 1 a, be¬
nannten Pavillons Unterkunft finden.
Die Tuberkulösen warten aber noch auf ihre besonderen Säle
und die Heilstätte. Vor 2 Jahren wurden etwa 600 000 Lire
für eine Lungenheilstätte gesammelt und die betreffende Kom¬
mission hat auch schon einige Orte im Gebirge in Vorschlag ge¬
bracht, doch sind die Studien über Klima und meteorologische
Verhältnisse dieser Orte noch nicht zum Abschluss gekommen.
Hoffentlich wird bald der geeignetste Platz gewählt und mit dem
Bau begonnen.
Die private Initiative hat auf diesem Gebiet schon ganz
hübsche Resultate erzielt und ich kann nicht umhin, hier meinen
Freund und Studiengenossen Dr. Z u b i a n i lobend zu erwähnen,
der sich gleich nach seiner Approbirung in Sondalo, einem ent¬
legenen Dorfe des hohen Veltlin als medico condotto (Gemeinde¬
arzt) niederlicss und dort ohne Hilfe, aus eigenen Kräften und
Mitteln vor Kurzem ein kleines Sanatorium errichtete, in
welchem etwa 20 Schwindsüchtige Verpflegung und Heilung
finden, da der bescheidene medico condotto trotz anstrengender
Arbeit in seinem grossen Bezirk noch Zeit findet, seine Kranken
mit besonderem Interesse und Verständniss zu behandeln.
Nächsten Sommer beabsichtige ich, diesen in seinem kleinen
Kreis so eifrig und tüchtig wirkenden Freund und Kollegen zu
besuchen und dann auch über sein Sanatorium und das Veltlin
überhaupt des Näheren zu berichten.
Noch eine andere Krankheit macht den Mailändern viel zu
schaffen, d. i. die Malaria, die, wie eine jüngst erschienene Arbeit
ßettinetti’s ausführt, besonders an der Peripherie der Stadt
ziemlich häufig und auch in ihren schwersten Formen zu finden
ist. Es ist dies auf die Nähe der Reisfelder, die sich rings um
Mailand ausdehnen, zurückzuführen. Das den Reisbau be¬
treffende Gesetz datirt vom Jahre 1866 und das Reglement für
die Provinz Mailand gestattet die Anlage von Reisfeldern schon
in nur 30 m Entfernung von Häusergruppen, deren Bewohner¬
zahl 300 nicht übersteigt. Dieses Gesetz entspricht den heutigen
wissenschaftlichen und socialen Forderungen nicht mehr und
wäre es daher im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege
sehr zu wünschen, dass es bald modificirt, bezw. durch ein an¬
gemesseneres ersetzt würde.
Besonders lehrreich ist auch die Geschichte der Pocken¬
impfung in Mailand: sie zeigt deutlich, wie gross der Einfluss
der Vaccination ist. Seit 1896 wurde Dank der Anordnungen des
Prof. Bordoni-U ffreduzzi die Impfung mit aller
Strenge ausgeführt. Jedermann, der sich in Mailand aufhalten
will, und kein Impfzeugniss neuen Datums vorweisen kann, muss
sich der Impfung unterziehen. Das Personal der kleinen wan¬
dernden Theater, der Karuselle und sonstigen Schaustellungen
muss sich impfen lassen, ehe die Erlaubniss zu Vorstellungen
ertlieilt wird; kein Kind darf die Schule betreten, kein Arbeiter
in einer Fabrik angenommen werden, wenn er den Impfschein
nicht vorlegen kann. Kommt in einem Hause ein Fall vor, so
müssen sich alle Bewohner sofort der Impfung unterziehen. Der
Erfolg dieser strengen Maassregeln ist grossartig; in den letzten
3 Jahren kam kein einziger Todesfall vor, während
früher die Sterblichkeit eine ziemlich bedeutende war.
Am Schlüsse meiner Correspondenz möchte ich noch eine
Einrichtung aus jüngster Zeit erwähnen und jedem Kollegen,
der nach Mailand kommt, empfehlen, dieselbe zu besichtigen.
Ich meine den „Albergo popolare“ (Volkshaus), der im ver¬
flossenen Juni eröffnet wurde. Urheber und Hauptförderer des
grossartigen Baues war einer der bescheidensten, aber hervor¬
ragendsten Wohlthäter Mailands, Herr Luigi Buffoli. Das
nöthige Kapital wurde theils gesammelt, theils durch Antheil-
scheine zu je hundert Liren aufgebracht. Im Albergo popolare
sollen die Leute der unteren Volksschichten bei geringen Aus¬
gaben alle jene Bequemlichkeiten finden, die sonst nur dem
Wohlhabenden in guten Hotels zur Verfügung stehen. Der Bau
wurde eigens zu diesem Zweck errichtet, die Einrichtung ist ein¬
fach, aber gediegen und das Ganze, mit elektrischer Beleuchtung,
Centralheizung und reichlich vertheiltem Wasser versehen, ein
Muster von Reinlichkeit und Ordnung. Das Haus besteht aus
530 kleinen Schlafzimmern, Lesezimmer, Rauch- und Spiel¬
zimmer, einem grossen Speisesaal mit anstossendem Buffetraum,
Bädern, Aborten, einem Schuhmacher- und einem Barbierladen.
Jedermann fühlt sich wie zu Hause, denn das Princip des Albergo
popolare ist: nehme Rücksicht auf die Andern, wenn Du willst,
dass man auf Dich Rücksicht nehme.
Die Küche ist gut und billig, Fleischspeisen kosten 25 bis
40 Cent., eine Bouillon 5, eine Suppe 15 Cent. Für das Schlaf¬
zimmer bezahlt man 50 Cent, pro Nacht und hat das Recht,
von 7 Uhr Abends bis 9 Uhr Morgens darin zu verweilen. Am
Tage selbst muss das Zimmer frei bleiben um gereinigt und ge¬
lüftet zu werden. Ein Bad kostet 20 Cent., eine Douche 10 Cent.,
beides mit grossem Tuch und der nöthigen Seife. Diese Preise
sollen übrigens später noch erniedrigt werden. Der Albergo
popolare ist nur für Männer errichtet, Frauen sind wohl aus sitt¬
lichen Rücksichten ausgeschlossen, doch könnte man meiner An¬
sicht nach ohne jeden Schaden eine der 5 Etagen den Frauen
ein räumen.
Die hygienische Wichtigkeit dieses Volkshauses? Meines
Erachtens ist dieselbe sehr bedeutend 1 Ich war selbst Gast dort,
um die Sache de viso und de tactu kennen zu lernen und
ich bin davon entzückt und rathe deeshalb auch allen Kollegen
das Volkshaus zu besichtigen. Schon am Eingang mahnt eine
Inschrift: „Du bist hierher gerufen, um als freier, denkender
Mann zu handeln, damit du alle Vortheile der Freiheit gemessen
und die höchsten Menschenpflichten erfüllen kannst“, und weiter:
„Jeder, der sich selbst verbessert, verbessert die Menschheit“.
Der Zweck des Albergo ist, die Leute an Ordnung und hygie¬
nisches Leben zu gewöhnen.
Krankheiten entstehen hauptsächlich dort, wo Schmutz und
Unordnung herrschen und jeder Arzt der in der Stadt praktizirt,
kennt gewisse Punkte, wo Epidemien sich entwickeln, oder so¬
zusagen ihren Sitz haben. Wahre Brutstätten der Krankheiten
sind vor Allem jene schrecklichen, moralisch und physisch ver¬
seuchten Spelunken, wo eine Unzahl armer Teufel für etliche
Centesimi die Nacht verbringt. Herr Buffoli hat den Mai¬
ländern diese schauderhaften Zustände so lange und eindringlich
vorgestellt, dass er in kurzer Zeit das nöthige Geld für das Volks¬
haus zusammengebracht hatte. Die guten Wirkungen dieses
Albergo popolare werden sich gewiss bald zeigen, denn der Besuch
ist ein ausserordentlich reger und nicht selten ist das Haus voll¬
ständig ausverkauft. In nächster Zeit sollen noch einige andere,
noch billigere Volkshäuser entstehen, und es ist zu wünschen,
dass das Beispiel Mailands auch andere Städte Italiens und des
Auslands zur Nachahmung anspome, denn dies ist. sicher eines
der besten Mittel zur Hebung der sittlichen und hygienischen Zu¬
stände der unteren Volksschichten. Dr. Giov. G a 11 i.
Verschiedenes.
Aua den Parlamenten.
Nach 10 Sitzungen ist nunmehr die Ausschussberathung über
die ärztliche Standes- und Ehrfcngerichtsordnung zu Ende geführt,
wenigstens in erster Lesung; je mehr es dem Ende zuging, desto
schneller ward das Tempo; 7 Sitzungen entfielen auf die vom
Ministerium zu erlassende Standesordnung und 3 auf den Gesetz¬
entwurf selbst; an Zeit und Ausdauer fehlte es also nicht Etwas
mehr Verständniss für die wechselseitigen Beziehungen zwischen
Arzt, Kranken und Publikum und etwas mehr guter Wille hätten
daneben nichts geschadet. Die Freunde der Vorlage und die
k. Staatsregierung haben sich in anerkennenswerthester Weise alle
Mühe gegeben, die Angriffe des Kleeblattes v. Landmann.
Dr. G ä c h und Dr. v. Haller zu pariren und zu erhalten, was
bei der Zusammensetzung des Ausschusses noch möglich war. Was
sich überhaupt an Vorwürfen gegen den ärztlichen Stand erheben
Hesse, wurde vorgebracht und für Redner in ärztegegnerischen
Versammlungen würde sich in den stenographischen Berichten
des Ausschusses eine wahre Fundgrube authentischen Materiales
aufthun.
In der letzten Sitzung wurden die Art. 8 bis 16 mit einer Ab¬
änderung bei der Höhe der Geldstrafen angenommen.
Art. 8. „Die ehrengerichtliche Entscheidung lautet entweder
auf Aussetzung des Verfahrens oder auf Freisprechung von der
Anschuldigung oder Verurtheilung des Augeschuldigten. Im
letzteren Fall kann einzeln oder ln Verbindung der einen und
der anderen Strafe erkannt werden auf
a) Verwarnung,
b) Verweis,
e) Geldstrafe von 20 bis 2000 M.,
d) zeitweilige oder dauernde Ausschliessung von dem ärzt¬
lichen Vereinsleben.
Daneben kann ausgesprochen werden, dass die Entscheidung
öffentlich bekannt zu machen sei."
Der Referent v. Landmann beantragt als Maximum der
Geldstrafe 300 M.; die öffentliche Bekanntmachung soll nur dann
zulässig sein, wenn es sich um einen Vorgang handelt, welcher
auch die Oeffentlichkelt beschäftigte. Der Korreferent Dr. Hau-
b e r ist für eine höhere Geldstrafe und für die Veröffentlichung,
wenn eine Strafverschärfung am Platze ist und wenn die Ange-
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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1953
26. November 1901.
legenlielt schon die Oeffentliehkeit beschäftigte. Der Vorsitzende
Dr. Casselmann wünscht die Beibehaltung des vorge¬
schlagenen Strafmaasses, nachdem auch für die Rechtsanwälte
eine gleiche Maximalstrafe vorgesehen ist; gerade im Interesse
des Publikums sollen die hohen Strafen und die Veröffentlichung
beibehalten werden. Dr. G ä c h, der früher die uneingeschränkte
OefTentlichkeit für die ehrengerichtlichen Verhandlungen forderte,
damit aber nicht durchdrang, erklärt es als lnconsequent, die Ent¬
scheidungen zu veröffentlichen. Dr. v. Haller, der in den
früheren Sitzungen sich als Gegner der ärztlichen Bezirksvereine
bekannte, ist gegen die Strafe der Ausschliessung von dem ärzt¬
lichen Vereinsleben, well dadurch dem Arzte alles „Ideelle" ge¬
nommen würde, was er in den ärztlichen Vereinen zu finden hoffe;
man möchte sich über die Anerkennung der Idealen Seite des
Vereinslebens seitens des Herrn Dr. v. Haller wundern, aber
er fürchtet auch für die „materielle“ Schädigung wegen des Ab¬
schlusses von Verträgen mit Krankenkassen. Der k. Staats'
minister vertheidigt die angesetzte Strafgrenze von 2000 M.,
das Maximum soll den Arzt warnen, mit der Standesordnung in
Konflikt zu kommen; man müsse auch für den Rückfall eine
Steigerung der Strafe in Aussicht nehmen, darum seien 300 M.
zu wenig; die Veröffentlichung der Entscheidung hänge mit dei
Oeffentliehkeit der Verhandlung nicht zusammen; erstere biete
einen Schutz für das Publikum und soll für den Rückfall an¬
gedroht werden; ähnliche Bestimmungen hätten auch andere
Ränder. Die höchste und letzte Strafe sei die Ausschliessung;
auf die Berechtigung zur Ausübung der Praxis habe diese keinen
Einfluss, da ein Zwang zum Beitritt ln einen ärztlichen Bezirks¬
verein nicht bestehe, käme diese Strafe bei Nichtvereinsmitgliedern
nicht zur Anwendung. — Bei der Abstimmung wird der Art. 8
angenommen mit der Abänderung, dass die Geldstrafen von 20
bis 300 M. festgesetzt werden.
Art 9. „Die Entscheidung ist zu begründen und dem An-
geschuldlgten in schriftlicher Ausfertigung gegen Nachweis zu¬
zustellen. Innerhalb 14 Tagen nach dieser Zustellung kann von
dem Angeschuldigten gegen die Entscheidung des Ehreurathes
Berufung an den Ehrengerichtshof erhoben werden.“
Art. 10. Der Ehrengerichtshof hat seinen Sitz in München
und wird alle drei Jahre aus je einem Deleglrten der acht
Aerztekammern und einem vom k. Staatsministerium des Innern
zu bestimmenden Verwaltungsbeamten zusammengesetzt Für
diese Mitglieder ist auch je ein Ersatzmann zu bestellen.
Die Mitglieder des Ehrengerichtshofe« wählen aus ihrer
Mitte einen Vorsitzenden und Stellvertreter auf die Dauer der
Funktionsperlode.“
Art. 11. „Der Ehrengerichtshof entscheidet in zweiter und
letzter Instanz, wobei die Anwesenheit von sechs der ärztlichen
Mitglieder und des Verwaltungsbeamten erforderlich ist. Für
das Verfahren und die Entscheidung desselben finden die für
den Ehrenrath geltenden Bestimmungen analoge Anwendung.“
Zu Art. 11 stellt der Referent v. L a n d m a n n den Antrag,
noch eine Revlsionsinstanz zu schaffen: Gegen die Entscheidung
des Ehrengerichtshofes soll sowohl dem Augeschuldigten als dem
Verwaltungsbeamten die Revision zum k. Verwaltungsgerichtshofe
zustehen; sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entschei¬
dung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe; das Gesetz ist
verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig ange¬
wendet worden ist Die Revisionsfrist beträgt 14 Tage und be¬
ginnt für beide Theile mit dem Ablaufe des Tages, an welchem
dem Angeschuklgten die Ausfertigung der Entscheidung zugestellt
ist. Für das Verfahren und die Entscheidung finden die für den
k. Verwaltungsgerichtshof geltenden Bestimmungen Anwendung.
Eine derartige Bestimmung würde die letzte Entscheidung
in Standesfragen ausschliesslich Juristen übertragen und damit
gegen das Grundprincip verstosseu, dass nur Stnndesgouossen zur
ehrengerichtlichen Beurtheilung zu berufen seien.
Der k. Staats minister hält eine Revisionsinstanz für
nicht nöthig, der Verwaltungsgerichtshof entscheide nur In Ver¬
waltungsrechtssachen, die ihm gesetzlich zugewiesen seien; die
vom Referenten vorgeschlagene Bestimmung stehe im Wider¬
spruche mit dem Verwaltungsgerichtsliofgesetze. Auch der Kor¬
referent und der Vorsitzende erklären sich gegen den Vorschlag
des Referenten; Dr. Casselmann weist darauf hin, dass auch
andere Staaten, sowie das Richterdlscipliuargesetz keine Revisions-
Instanz hätten. Der Referent zieht seinen Antrag vorerst zurück.
Art. 12. „Die Kosten des Verfahrens können Im Falle einer
Verurthellung dem Angeschuldigten überbürdet werden: andern¬
falls sind dieselben von der betreffenden Aerztekammer zu
tragen, wogegen dieser auch die erkannten Geldstrafen zu-
fliessen.“
Auf Anfrage erklärt der Staatsminister, dass der Ange- i
schuldigte, wenn er nicht verurtheilt werde, keine Kosten ausser 1
die i h m erwachsenen zu tragen habe.
Art. 13. „Zur Vollstreckung ehrengerichtlicher Entschei¬
dungen können erforderlichen Falles die Distriktsverwaltungs¬
behörden um Beihilfe angerufen werden.“
Auf die Anfrage des Referenten, worin die Beihilfe der
Distriktsverwaltungsbjhörden zu bestehen habe, verweist der
k. Staatsminister auf die Motive zum Gesetzentwürfe, wonach
die Zustellung und Vollstreckung ehrengerichtlicher Entschei¬
dungen zunächst Sache der Ehrenräthe lm Zusammenwirken mit
den Aerztekammern und Bezirksvereineu sein wird; soweit je¬
doch die Beitreibung von Geldstrafen oder von Kosten auf
Schwierigkeiten stossen sollte, wird sich der Ehrenrath an die
einschlägige Distriktsverwaltungsbehörde zu wenden haben, die
nach Maassgabe der Art. 6, 7 des Ausführungsgesetzes zur Reiehs-
Clvilproeessovdnung — siehe Minlsterlal-Bekanntmachung vom
26. Juni 1899, S. 403 des Gesetz- und Verordnungsblattes — Vor¬
gehen wird.
Art. 14. „Die Aerztekammern und ärztlichen Bezirks vereine
sind befugt, zur Erfüllung ihrer Aufgabeu von den Praxis aus¬
übenden Aerzten des betreffenden Bezirkes Beiträge zu erheben.“
Der Referent bemerkt, dass hiernach jeder Arzt, ob Mitglied
eines Vereines oder nicht, Beiträge zu zahlen habe, und fragt au,
wie die Höhe des Beitragsfusses zu bestimmen sei, ob nach der
Steuer oder wie sonst. Der k. Staatsminister betont, dass bisher
nur Vereinsmitglieder Beiträge zu zahlen hatten, es sei aber notli-
wendig, dass eine breitere Basis geschaffen werde. Die Aufgabeu
der Aerztekammern und Bezirksvereine würden im Verordnungs¬
wege des Näheren präcisirt werden; die getroffenen Einrichtungen
unterlägen der auf sichtlichen Würdigung des Staatsmluisteriums
des Innern. Im Interesse der Wittwen und Walsen werde sich die
Annahme des Art. 14 dringend empfehlen.
Art. 15. „Zum Vollzüge der in den Art. 3 bis 14 getroffeueu
Bestimmungen Ist das Staatsministerium des Innern ermächtigt,
unter Beachtung der darin enthaltenen Grundsätze nähere Vor¬
schriften zu erlassen."
Art. 16. „Vorstehendes Gesetz tritt am.in Kraft.“
Der k. Staatsminister schlägt vor, dass das Gesetz am 1. Juli
11*02 in Kraft treten soll, was angenommen wird.
Die an die Abgeordnetenkammer eingereichten Petitionen
werden durch die gefassten Beschlüsse als erledigt erklärt.
Dr. Becker- München.
Vorträge über praktische und wissenschaftliche Sozialmedicin
im Rostocker Aerzteverein.
Die moderne soziale Gesetzgebung hat nicht nur die medi-
cinisclie Wissenschaft vor ganz neue Probleme gestellt, sie ist auch
auf dem Wege, den praktischen Aerztestand von Grund aus um¬
zugestalten und auf eine neue Basis seiner Existenz zu stellen.
Bisher hat sich dieser Umschwung für die Aerzteschaft fast ganz
passiv vollzogen. Sie — die Aerzteschaft — ist bei der Ausarbei¬
tung jener Gesetze nicht gefragt worden und hat sich bei der Ein¬
führung derselben in das praktische Leben notligedrungen den
neuen Verhältnissen anpassen und fügen müssen. Diese mehr
passive Rolle der Aerzte bei der Umgestaltung der Lebensver-
hältuisse von mindestens 40 Millionen Einwohnern des Deutschen
Reiches ist vom Uebel, einmal für die Allgemeinheit, — denn ohne
verständnisvolle und willige Mitarbeit der Aerzte ist die Durch¬
führung jener Gesetze unmöglich, verkehrt sich im Einzelfalle der
gewollte Nutzen in Unzufriedenheit und Unsegen — und zweitens
für den Aerztestand selbst; denn dieser muss wirthsohaftllch und
ethisch verkümmern, wenn er es nicht lernt, innerhalb des nun
einmal gegebenen neuen Rahmens frei sich zu bewegen und an der
praktischen Ausgestaltung der ärztlichen Seite der sozialen Gesetz¬
gebung mit freudigem Verständnis Theil zu nehmen.
Das setzt aber für jeden Einzelnen die Bewältigung der nicht
ganz leichten Aufgabe voraus, die Bedeutung und die Ziele der
drei grossen sozialen Gesetze zu übersehen und in ihren ver¬
schlungenen Ffnden sich zurecht zu finden. Um in gemeinsamer
Arbeit dieses Ziel zu fördern und das Verständnis für die ge¬
bieterischen Forderungen einer neuen Zeit unter den Kollegen zu
verallgemeinern, hat der Vorstand des Rostocker Aerztevereins —
einem anderwärts, namentlich in Berlin, gegebenen Beispiele fol¬
gend — beschlossen. Im Anschluss an eine zusammenhängende
Reihe von Vorträgen, die im Wintersemester 1901/02 lm Aerzte¬
verein gehalten werden sollen, die wichtigsten Fragen der prak¬
tischen und wissenschaftlichen Sozialmedicin zur Dlscussion zu
stellen. Die einleitenden Vorträge sind bereits zugesichert.
Es sollen folgende Themata zur Verhandlung kommen:
1. Grundzüge (Ziele und Aufgaben) der modernen sozialen Gesetz¬
gebung. Ref.: Prof. Dr. Geffcken a. G. — 2. Arzt und Kranken¬
kasse. lief.: Dr. Lee hl er. — 3. Der Arzt als Sachverständiger
auf dem Gebiete der Unfallversicherung. Ref.: Prof. W. Mülle r.
— 4. Die ärztliche Thätigkelt auf dem Gebiete der Invaliden¬
versicherung, sowie über den Begriff der Arbeitsinvalidität. Ref.:
Prof. Marti us. — 5. Psychiatrische und neurologische Erfahr¬
ungen auf dem Gebiete der Unfall- und Invaliditätsgesetzgebung.
Ref.: Prof. Schuchardt — 6. Unfall und Invalidität in dev
Ohrenheilkunde. Ref.: Prof. Körner. — 7. Unfall und In¬
validität in der Augenheilkunde. Ref.: Prof. Peters.
Der Vorstand gibt sich der Hoffnung hin, dass dieser Plan
zu gemeinsamer Arbeit den Beifall gerade der mitten in der
Praxis stehenden Herren Kollegen haben und dass seine Durch¬
führung der Aerzteschaft zu Nutz und Segen gereichen werde.
Särnmtliehe Vorträge werden in dieser Wochenschrift zum
Abdruck kommen; der erste (Wesen und Grundzüge der deutschen
Arbeiterversicherung von Prof. Geffcken) findet sich auf
Seite 1927 der vorliegenden Nummer.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München. 26. November 1901.
— Zu dem Erlass des preuss. Medleiualministers, durch
welchen für die Medicinnlbeainten eine Ausnahmestellung
gegenüber den Ehrengerichten der ärztlichen
Vereine gefordert wird, äussert sich von der gesammten Fach¬
presse nur die Zeitschrift für Mediciualbeamte zustimmend. Diese
Forderung sei das ganz naturgeniässo Ergebnis« der gesetzlichen
staatlichen Ehrengerichtsbarkeit für die Aerzte in Preussen und
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1954
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 48.
Ihre Ablehnung werde zur logischen Folge haben, dass den Medi-
cinalbeamten amtlich untersagt werde, einem ärztlichen Vereine
anzugehören, der nach seinen Satzungen eine Ehrengerichtsbarkelt
über alle seine Mitglieder ausübt. Wir bezweifeln doch, dass das
Blatt hier die Ansicht der Mehrheit der preuss. Amtsärzte aus¬
spricht Wie im ärztlichen Vereinsblatt treffend auseinander¬
gesetzt wird, ist die ministerielle Forderung keine Konsequenz der
staatlichen Ehrengerichtsbarkeit, sondern es handelt sich dabei um
ein vollständiges Novum; der Staat hat bisher gegen die Unter¬
stellung seiner Beamten unter die Ehrengerichte privater
Vereine nichts eingewendet; so unterstehen viele Beamte als alte
Herren akademischer Vereinigungen noch immer den Ehren¬
gerichten dieser. Die bayerischen Amtsärzte haben vor Kurzem in
einer Eingabe an das Ministerium den Wunsch geäussert, den zu
errichtenden staatlichen Ehrengerichten für Aerzte auch ihrer¬
seits unterworfen zu werden. Dieser Wunsch konnte aus Gründen,
die wir verstehen können, allerdings nicht gewährt werden. Wenn
aber die preuss. Medidnalbeamten angesichts der ihnen drohenden
Gefahr, dem ärztlichen Vereinsleben entsagen zu müssen, sich zu
einem ähnlichen Schritte entschliessen würden, so würde es ihnen
wohl nicht schwer fallen, die Nothwendigkeit ihres Verbleibs in
den Vereinen so (überzeugend darzutbun, um den Minister von
einem Schritt abzuhalten, der ein Schlag wäre für das ganze ärzt¬
liche Leben in Preussen, in erster Linie aber für die Mediclnal-
beamten selbst. — Die Berlin-Brandenburglsche Aerztekammer hat
sich in ihrer Sitzung vom 23. ds. mit der vorliegenden Frage be¬
schäftigt und einen Antrag Alexander angenommen, der be¬
sagt: Die ehrenräthlichen Bestimmungen der ärztlichen Vereine
erübrigen sich nicht; den Medidnalbeamten eine Ausnahmestellung
innerhalb der ärztlichen Vereine zu geben, empfiehlt sich nicht;
die Zugehörigkeit der Medidnalbeamten zu den Aerztevereinen
entspricht den allseitigen Interessen. In der Kammer wurde auch
mitgetheilt, dass die beamteten Aerzte, welche Mitglieder des
Aerztevereins der Lausitz sind, selbst verlangt haben, den Ehren¬
gerichten des Vereins unterworfen zu bleiben.
— Der preuss. Aerztekammerausschuss tritt am
30. ds. in Berlin zusammen.
— Die Verhandlungen des Kammerausschusses Uber die
Standes- und Ehrenger i c htsordnung für die
bayerischen Aerzte mit ihrer ausgesprochen ärztefeind¬
lichen Tendenz erwecken begreiflicher Weise frohe Hoffnungen
bei Allen, die den Aerzten gerne etwas am Zeuge flicken möchten.
Auch Herr Rechtsrath, H e 1 n d 1, der im Streit der Münchener
Aerzte mit der Ortskrankenkasse IV so üble Erfahrungen mit den
geeinigten Aerzten gemacht hat, schwelgt bereits in dem Gedanken
an das unterdrückte Koalitionsrecht der Aerzte. Der Beschluss
des Ausschusses, dass ein Aerztestrelk mit Hilfeverweigerung des
ärztlichen Standes nicht würdig sei, gellt ihm jedoch nicht weit
genug. In einer im Verwaltungssenat des Münchener Magistrats
abgegebenen Erklärung verlangt er Klarstellung der Frage, ob
auch die Verweigerung des ärztlichen Scheines zum Krankengehl-
empfauge (auch wenn der Schein bezahlt wird) als Hilfeverweige¬
rung zu betrachten sei oder nicht und wünscht überhaupt, dass in
der ärztlichen Standesordnung die Streikfrage eine erschöpfende
Beantwortung erfahre, damit ähnliche Vorkommnisse, wie in
München, vermieden bleiben. Damit ist schon gesagt, wie der
Herr Rechtsrath diese Beantwortung sich denkt, und da seine An¬
regungen noch rechtzeitig vor der zweiten Lesung kommen, so
besteht ja die Möglichkeit, dass der Ausschuss sich dieselben an¬
eignet. Wenn der Herr Rechtsrath aber hofft, dass solche Be¬
schlüsse des Ausschusses nun auch Gesetz werden würden, so
dürfte er sich darin gründlich täuschen. Dass jede Bestimmung,
die die Freiwilligkeit der Hilfeleistung in Frage stellt — und das
tliut die Streikbestimmung des Ausschusses — gegen die Gewerbe¬
ordnung verstösst. ist hier bereits betont worden. Es ist aber noch
Folgendes zu bemerken: Der Wunsch nach einer Standes- und
Ehrengerichtsordnung ist aus den Kreisen der Aerzte selbst her¬
vorgegangen. Wenn ihnen dieser Wunsch nicht gewährt werden
kann, so verweigere, man ihn: das Streben nach einer Standesord¬
nung nun aber zur Veranlassung zu nehmen, dem ärztlichen Stande
Verpflichtungen und Beschränkungen aufzuerlegen, die er nicht
wünscht, wäre ein schreiendes Unrecht, eine Vergewaltigung, zu
der, wie wir zuversichtlich erwarten, die Regierung die Hand nicht
bieten wird. Und so hoffen wir, dass alle Erwartungen, die unsere
Gegner au die Beschlüsse dieses Kammorausschusses knüpfen, zu
Schanden werden. — Was den übrigen Inhalt der Erklärung des
Herrn Rechtsrath H e i u d 1 betrifft, so ist hier nicht der Ort,
darauf einzugehen; das wird wohl an anderer Stelle geschehen.
— Die Geschäftskommission des Vereins für innere Medicin
in Berlin hat beschlossen, in Deutschland approbirte Aerztinnen
zur Aufnahme ln den Verein zuzulassen.
— Geh. Sanitätsrath L e n t in Köln, der Vorsitzende des
preussischen Aerztekammerausschusses und langjähriges Mitglied
des Geschäftsausschusses des Aerztevereiusbundes, feierte am
US. ds. seinen 70. Geburtstag.
— Pest. Russland. In Odessa sind einer Mittheilung vom
10. November zu Folge 2 Pesttodesfälle unter der einheimischen
Bevölkerung vorgekommen. — Türkei. Am 5. November wurde
ein tödtlieh abgelaufener Pestfall in dem am Golf von IsmUl
(landeinwärts von Kartal) liegenden Dorfe Jakadjik beobachtet.
— Aegypten. In der Zeit vom 1. bis 8. November sind insgosammt.
4 Erkrankungen (3 Todesfälle) an Pest festgestellt worden, davon
2 (1) in Alexandrien. 1 (1) in Mit Gamr, 1 (1) ln Ziftah. — Britisch-
Ostindien. Während der am IS. Oktober abgelaufeneu Woche
sind ln der Präsidentschaft Bombay 10 500 neue Erkrankungen
und 7538 Todesfälle an der Pest festgestellt, also 280 Erkran¬
kungen weniger als ln der Woche vorher. In der Stadt Bombay
sind in der am 19. Oktober endenden Berichtswoche 158 Personen
au der Pest erkrankt und 193 erweislich der Pest erlegen; weitere
131 Todesfälle wurden als pestverdächtig bezeichnet, 505 auf
andere Ursachen zurückgeführt. — K a p 1 a n d. ln der Woche
vom 13. bis 19. Oktober sind 3 Erkrankungen und 3 Todesfälle
an der Pest zur amtlichen Kenntniss gelangt. In Behandlung
blieben am Schlüsse der Woche noch 20 Kranke, nämlich 12 Ein¬
geborene. 4 Europäer und 4 Mischlinge. — Brasilien. Vom
27. September bis zum 15. Oktober sind in Rio de Janeiro 59 Fälle
von Pest angezeigt; von den Erkrankten sind 7 in ihren Woh¬
nungen verstorben und 52 nach dem Pestkrankenhause über-
geführt worden, wo 13 Kranke verstorben sind. In Campos im
Staate Rio de Janeiro wüthet einer Mittheilung vom 22. Oktober
zu Folge die Pest seit Wochen mit grosser Heftigkeit, auch sind
an einigen anderen Orten dieses Staates in letzter Zeit Pestfälle
festgestellt worden.
— In der 45. Jahreswoche, vom 3. bis 9. November 1901,
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Heidelberg mit 30,6, die geringste Flensburg mit
9,4 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, Hagen;
an Masern in Altona, Bochum, Fürth, Pforzheim, Worms; an Diph¬
therie und Croup in Borbeck, Bromberg, Offenbach.
(Hochschulnachricbten.)
Erlangen. Vom 1. Oktober 1. J. au ist bei dem Medicinal-
eouiitö an der Universität Erlangen in die Stelle eines ordentlichen
Beisitzers der ausserordentliche Universitätsprofessor Dr. Gustav
Specht und in die Stelle eines ersten Suppleanten der ordent¬
liche Universltätsprofessor Dr. Adolph Gessner vorgerückt.
Zum zweiten Suppleanten wurde der ordentliche Universitätspro-
fesKor Dr. Ernst Graser ernannt.
Petersburg. Zum stellvertretenden Direktor des che¬
mischen Laboratoriums des kaiserlichen Instituts für Experimental-
medicin ist au Stelle des kürzlich verstorbenen Prof. M. N e n c k i
die langjährige Mitarbeiterin Nencki’s, Nadesha Sieber-
Schum o w, ernannt worden. Bisher hat noch nie eine Frau
einen derartigen Posten bekleidet,
(Todesfälle.)
Bei Schluss der Redaktion erhalten wir die betrübende Mit¬
theilung. dass der Vorstand der medlcinlschen Klinik In Tübingen.
Prof. Dr. Karl v. Liebermeister, am 24. ds. im 69. IiCl>ens-
jahre gestorben ist. Eine Würdigung des bedeutenden und all¬
gemein verehrten Klinikers hoffen wir in Bälde bringen zu können.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. G. R ti d i n g e r, bezirksärztlicher Stell¬
vertreter in Weissenhorn. Dr. Gustav Zimmermann, approb.
1895, zu Würzburg. Dr. Jakob Zwerger, approb. 1896, zu Gau
königshofen.
Verzogen: Dr. Karl P a s t o r y von Marktbreit nach
Fürth i. B. Dr. Theodor Pfeifer von Klingenberg a. M. nach
Kleinwallstadt Dr. Wilhelm Schmidt von Bayreuth nach
Plauen. Dr. Eduard Meyer von Nürnberg nach Gröningen, Bez.-
Amts Memmingen.
Gestorben : Dr. Heinrich D ö 1 g e r in Kleinwallstadt.
Dr. Johann Al brecht, bezirksärztlicher Stellvertreter In Nord-
halben, 43 Jahre alt. Dr. Albrecht Welsch in Augsburg,
54 Jahre alt.
Morbiditätsstatistik d. Infektionski^khettenfür München
in der 46 Jahreswoche vom 10 bis 16. November 1901.
Betheiligte Aerzte 208 — Brechdurchfall 9 (.8*), Diphtherie,
Croup 14 (16), Ery sipelas 10 (4), Intermittens, Neuralgia interm.
— (1), Kindbettfieber 1 (1), Meningitis cerebrospin. 1 (—),
Morbilli 14 (31), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat — (—), Parotitis
epidem. 6 (5), Pneumonia crouposa 11 (10), Pyaemie, Septikaemie
— (1), Rheumatismus arti ac. 13 (21), Ruhr (dysenteria) — (1),
Scailatina 11 (12), Tussis convulsiva 20 (10), Typhus abdominalis
5 (5), Varicellen 18 (28), Variola, Variolois — (—), Influenza . (—),
Summa 153 (154). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in Mtinchen
während der 46. Jahreswoche vom 10. bis 16 November 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 2 (2*), ßcharlach — (—\ Diphtherie
und Croup 3 (2), Rothlauf — (1), Kindbettfieber — (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 1 (3), Brechdurchfall 6 (4), ünterleibtyphus
— (3), Keuchhusten 2 (—), Oroupöse Lungenentzündung 4 (6),
Tuberkulose a) der Lungen 25 (25) b) der übrigen Organe 6 (4),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 8 (4). Unglücksfälle 3 (7), Selbstmord 4 (2), Tod durch
fremde Hand — (1). .
Die Gcsainmtzahl der 8terbefälle 212 (198), Verhältmsszahl auf
das Jahr und 10 0 Einwohner im Allgemeinen 22,0 (20,1), für die
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 14,2 (12,8).
•) Die pingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle dpr Vorwoche.
Verlaß von .1. F. I.chmnnn in München. — l>ruck von E. Mühlthnler's Huch- und Kunstdruckcrel A.Q., München.
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Die Mönch. Med. Wochen*ehr. erscheint wöcheotl. UTl T”AT/^1 I ¥ Iü'VT’ I jl I > Xtuendangeti »lnd in adreanren: Für die Redaeflon
ln Nummern von durchwshoittllch 6-6 Bogen. VI I I \ I . f~| r. \ ri. r\, Ottottraaae 1. — Für Abonnement an J. F. Leh-
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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
Ch. Biiiitr, 0. Bolliigtr, H. Cirsehmi, C. Btrfcirit, 6. Mirkil, J. i. Mein, H. i. Riik»,
Fredburg 1. B. München. Ledpslg. Berlin. Nürnberg. Bertha. München.
No. 49. 3. Dezember 1901.
Rednction: Dr. B. Spats, Ottoetnuw© 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Hetuitraue 20.
F. i. Wlickil, H. v. ZImsmi,
München. Mflnohen.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der Dr. V u 1 p i u s’sehen orthopädisch-chirurgischen Heil¬
anstalt zu Heidelberg.
Zur Behandlung der Kontrakturen und Ankylosen
des Kniegelenkes.*)
Von Oscar Vulpius.
Die Kontrakturen und Ankylosen des Kniegelenkes, welche
sich auf Grund intraartikulärer Erkrankungen ent¬
wickeln, sind in der weitaus überwiegenden Mehrzahl auf
Tuberkulose zurückzufUhren. Speciell mit diesen Folge¬
zuständen tuberkulöser Gonitis und ihrer Behandlung werden
sich die folgenden Erörterungen befassen. Es kommen nicht
in Betracht die Kontrakturen bei frischer tuberkulöser Gelenk¬
entzündung, welche als reflektorisch spastische aufzufassen
sind und in Narkose ohne oder ohne wesentliche Gewaltanwen¬
dung verschwinden. Vielmehr beschäftigen uns hier die ab¬
normen Gelenksstellungen in späteren Stadien der Krankheit
bezw. nach völligem oder scheinbar völligem Ablauf der tuber¬
kulösen Entzündung. Zu dieser Zeit ist aus der spastischen Kon¬
traktur eine Schrumpfungskontraktur geworden, welche nicht nur
die Muskeln und Sehnen der Beugeseite, sondern die gesammten
Weiclitheile von der Haut der Kniekehle bis zur Kapsel eiu-
bezieht. Ist Eiterung, Fistelbildung im Laufe des Leidens ein-
getreton, so ist die Schrumpfung durch Narbenzug noch inten¬
siver bis zu dem Grad, dass derbe Stränge Narbengewebee in
Gestalt einer Flughaut die Rückseite des gebeugten Kniegelenkes
überbrücken. Besteht da9 Bild einer reinen Kontraktur, so
mangelt nur ein grösserer oder geringerer Thedl der Streckfähig¬
keit, während die weitere Beugung frei ist. Freilich ist ein
solcher Folgezustand der tuberkulösen Gonitis verhältnissmässig
selten, meist lässt die Gelenkerkrankung auch intraartikuläre
Veränderungen zurück, so dass auch diese, nicht nur die ver¬
kürzten Weiehtheile die Streckhemmung bedingen. Nur eine
verhältnissmässig rasch und mild verlaufende Erkrankung kann
den Gelenkknorpel so intakt lassen, dass er den normalen Be¬
wegungen kein Hindemiss entgegensetzt. Und selbst in einem
solchen Fall wird bei langem Bestehen der Kontraktur eine Ver¬
änderung der unbenützt bleibenden Gelenkflächen sowohl hin¬
sichtlich der feineren Struktur, als der groben äusseren Formen
nicht ausbleiben. Sind doch bei älteren Kontrakturen selbst Ver¬
biegungen des Femur in höchst auffallender Form wiederholt
beobachtet und beschrieben worden (vgl. S c h a r f f: Zeitschr. f.
orthopäd. Chirurg. 7. Bd., 1. Heft).
Bei den meisten Gonitiden kommt es zu einer ausgiebigen
Destruktion des Gelenkes, zur Einschmelzung grosser Flächen
des Gelenkknorpels und als Folge zur fibrösen, eventuell später
zur ossären oder am häufigsten wohl zu einer gemischten fibrös-
ossären Ankylose. Nicht selten tritt eine Subluxation der Tibia
nach hinten, eine Rotation nach aussen und eine Valgusstcllung
des Unterschenkels hinzu.
Mit diesen geschilderten Folgezustünden der tuberkulösen
Gonitis hat sich unser© Therapie zu beschäftigen, sie hat ihre
Aufgabe zu erblicken in einer möglichst vollkommenen
*) Vortrag, gehalten auf der Versammlung deutscher Natur¬
forscher und Aerzte ln Hamburg, September 1901.
No. 49.
und dauerhaften Streckung des Gelenkes auf einem
in jeder Hinsicht, speciell aber im Hinblick auf da$ Grundleiden,
möglichst gefahrlosen Wege.
Je rascher, sicherer, einfacher ein Heilverfahren dies ge¬
steckte Ziel erreichen lässt, desto mehr wird es in der allgemeinen
Praxis vor anderen konkurrirenden Methoden den Vorzug ver¬
dienen.
Nun sind aber die Ansichten über die best© Methode noch
sehr getheilt, und es kann meines Erachtens auch niemals das
eine oder das andere, speciell das blutige oder das unblutige
Verfahren verworfen werden, da verschiedenartige Zustände des
Gelenkes uns zu verschiedenartigem Vorgehen veranlassen werden.
Speciell Lorenz hat nun auf der letztjährigen Versamm¬
lung bei der Empfehlung seines modellirenden Redressements
einen überaus exklusiven Standpunkt eingenommen, indem er
als „Grundprinzip einer rationellen Orthopädie der Kniegelenks-
kontrakturen und Ankylosen absolute Schonung des Skelets auf
; Kosten der Weiehtheile“ aufstellte.
Diese damals vorgetragene Anschauung weckte alsbald den
, Widerspruch auf chirurgischer Seite und sie gab auch mir die
| Veranlassung, über mein Verhalten bei dieser uns Orthopäden
vielfach beschäftigenden Deformität Rechenschaft abzulegcn.
Lassen wir zunächst die unblutigen Methoden Revue
t passiren, so wäre die Gewichtsextension als das harm¬
loseste Verfahren in erster Linie zu nennen. Kontrakturen
massigen Grades und neueren Ursprungs können wohl auf diesem
Wege beseitigt werden, bei schwereren Fällen, insbesondere bei
älteren fibrösen oder gar ossären Ankylosen bleibt der Gewichts¬
zug ziemlich wirkungslos.
Die Anwendung der Gewichtsextension erfordert wochenlunge
Bettruhe mit allen Unbequemlichkeiten und Schädigungen des
Allgemcinzustandes. Und schliesslich ist die Wahrscheinlichkeit,
i dass die schonend gedehnten Weiehtheile nach Beseitigung des
Gewichtszuges sich wieder verkürzen werden, eine recht grosse,
wie die praktische Erfahrung lehrt.
Bequemer für Arzt und Patienten scheint es, wenn die
redressirende Kraft iu eine einzige Sitzung zusammengedrängt
wird, wie dies beim Brisement for$6 oder bei dem m o -
dellironden Redressement der Fall ist. Aber es er¬
heben sich gewichtige Bedenken gegen ein solches Verfahren.
Gewiss können wir mit entsprechender Gewalt den Wider¬
stand verkürzter Weiehtheile brechen, intraartikuläre Verwach¬
sungen sprengen'und dehnen. Aber wir sind niemals sicher vor
unerwünschten Ueberdehnungen oder gar Zerreissungen von
Nerven und Gefässcn, wir laufen Gefahr, durch Abkapselung
glücklich unschädlich gemachte tuberkulöse Herde wieder auf-
zureissen und dadurch erneute Entzündung auzufachen, wir haben
mit der Möglichkeit einer tödtlichen Fettembolie zu rechnen, wir
können endlich eine Subluxation der Tibia erzeugen.
Gerne sei zugegeben, dass das Redressement in der Hand
oder richtiger in dem Apparat von Lorenz schonender aus¬
geführt werden kann als es früher geschah, es sei auch zugegeben,
«lass eine ungünstige Verschiebung der Tibia dabei nicht Vor¬
kommen kann, trotzdem bleiben die genannten Gefahren be¬
stehen und sie werden wohl die Meisten abhalten, bei hoch¬
gradigen Kontrakturen und Ankylosen tuberkulöser Natur dies
Verfahren anzuwenden.
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1956
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
Was da9 Resultat desselben im günstigen Fall dea schad¬
losen Gelingens betrifft, so werden wir nach den früheren patho¬
logisch-anatomischen Ausführungen ein bewegliches Gelenk nur
bei leichten und frischen Kontrakturen erwarten dürfen, im
Uebrigen aber ein in Strecksteilung versteiftes Gelenk, das un¬
zweifelhaft die dauernde Tendenz hat, dem Zug der Beuge¬
muskeln neuerdings nachzugeben. Eine spätere Kontrole, nament¬
lich auch der poliklinischen Fälle, wird auch Lorenz eine
überraschend grosse Zahl von Recidiven der Beugestellung liefern,
wenn das Resultat auch anfänglich noch so erfreulich schien.
Interessant sind die Bestrebungen, mittels portativer
Apparate die Stellungskorrektur zu erzielen, insofern sie
Zcugniss ablegen von der Leistungsfähigkeit der modernen Ap-
parattechnik. Der exakt sitzende Hülsenapparat sichert die Wir¬
kung der mit ihm verbundenen, ein langsames Redressement er¬
zeugenden Schlägerklinge, anderweitige Vorrichtungen schieben
sogar die mässig subluxirte Tibia wieder nach vorne, kurz es
können selbst starr erscheinende Kontrakturen einem derart ge¬
bauten Apparat weichen.
Schwere \md alte Fälle freilich, mit derbem Narbengewebe
in der Kniekehle, mit starker Dislokation, eignen sich nicht zu
einer solchen ambulanten Apparatbehandlung. Letztere hat
ausserdem ihre Nachtheile, welche ihrer ausgedehnteren Anwen¬
dung von vornherein im Wege stehen. Der Apparat will nicht
nur bezahlt, sondern auch richtig verstanden und behandelt
werden, beides Forderungen, welchen die Mehrzahl der Patienten
nicht genügen kann. Nach erfolgter Streckung aber gilt es, durch
einen weiteren Apparat den Erfolg zu sichern, da andernfalls ein
Recidiv wahrscheinlich ist.
Wir wenden uns zu den blutigen Methoden, die an
Weiclitheilen und am Skelet angreifen können.
Die kulissenartig vorspringenden, bei jedem Streckversuch
sich anspannenden Beugesehnen der Kniekehle fordern zu
ihrer Durch trennung auf, die unbedingt offen geschehen
soll, sowohl um Nebenverletzungen zu vermeiden, als auch vun
radikal vergehend benachbarte verkürzte Weichtheile durch-
sehneiden zu können.
Die plas tische Verlängerung der Sehnen an Stelle
der queren Tenotomie ist meist unnöthig, die Regeneration der
Sehnen bleibt nicht aus, ausser bei sehr erheblicher Winkel¬
stellung des Gelenkes, wo nach erfolgter Streckung die Diastase
der Sehnenstümpfo übergross wird. In solchen Fällen aber pflegt
ein bewegliches Gelenk nicht das Ziel unseres Eingriffes zu sein,
da intraartikuläre Veränderungen vorliegen. Und dann ist es
geradezu erwünscht, dass die Wiedervereinigung der Beugesehnen
ausbleibt, damit der Muskelzug als Ursache eines Recidivs aus¬
geschlossen ist.
Die Diastase der quer durchschnittenen Sehnen bewirkt eine
Verlängerung der letzteren und mindert dadurch das Ueberwiegen
der Flexoren über die Streckmuskulatur, welches Missverhältniss
ja vielfach als direkte Ursache der Beugekontraktur angesehen
wird.
Jedenfalls aber beseitigen wir durch die Tenotomie einen
Theil de9 Widerstandes, der sich der irgendwie zu erzielenden
Geraderichtung entgegenstellt, wir beseitigen zugleich zum Theil
die Gefahr, dass bei der Geraderichtung des Gelenkes die Sub¬
luxation der Tibia eintritt oder z unimm t.
Auf der anderen Seite ist freilich zu bedenken, dass nach
erfolgter Durchschneidung der 3 Beugesehnen Gefässe und
Nerven eines wesentlichen Schutzes bei erfolgender Streckung
lxjraubt sind, dass letztere also um so schonender ausgeführt wer¬
den muss.
In jüngster Zeit ist statt der Flexorentenotomie die Ueber-
pflanzung derselben auf die Streckmuskulatur von Heuss-
lier empfohlen worden, mit der Begründung, dass allein schon
durch diesen Eingriff eine Streckung der Kontraktur, wenn auch
langsam zu Stande komme.
Ich habe diese Operation bei paralytischen Kontrakturen
schon wiederholt gemacht und habe gesehen, dass in der That
die Bcugemuskeln zur Extension benutzt werden können.
Ob diese Kraft hinreicht, um ernstere Kontrakturen oder gar
fibröse Ankylosen zu strecken, darüber fehlt mir die Erfahrung,
doch möchte ich es eher bezweifeln.
Jedenfalls muss in Betracht gezogen werden, dass eine solche
Verlagerung der Beuger zweierlei bewirkt, erstlich ein Minus auf
der Beugeseite, ebenso wie die Tenotomie, und zweitens ein Plus
auf der Extensorenaeite. Es wäre möglich, dass die erstgenannte
Wirkung die wesentlichere und eine ausreichende ist, wofür der
eine Heussuefsche Fall spricht, in dem trotz Eiterung und
Ausstossung der Sehne ein Erfolg eintrat.
Die Ueberpflanzung ist kein ganz einfacher Eingriff, da die
Weichtheile in grosser Ausdehnung unterminirt werden müssen,
da ferner die Sehnen nur knapp bis an die Patella heranreicheu,
wodurch ihre sichere Befestigung erschwert wird.
Eine spätere Rückverpflanzung der Beugesehnen, nachdem
sie ausgedient haben, dürfte wenig aussichtsreich sein. Endlich
ist die Ueberpflanzung nicht ausführbar, wo rings um das Gelenk
schwieliges Narbengewebe, adhärente Fistelnarben u. dergl. vor¬
handen sind. Immerhin sind weitere Nachprüfungen des Ver¬
fahrens in geeigneten Fällen gewiss berechtigt und interessant.
Von den Eingriffen am Skelet sei zuerst genannt die
suprakondyläre Osteoklase. Dieselbe ermöglicht die Gerade-
riohtung des Unterschenkels durch Erzeugung einer Dislokation
an der Bruchstelle, einer Bajonettstollung, die um so hässlicher
natürlich wird, je grösser der Beugungswinkel der Deformi¬
tät war.
Die Osteoklase ist ein entschieden roher Eingriff, der im
vorliegenden Fall aber gewichtigere als — sit venia verbo — nur
aesthetische Bedenken gegen sich hat.
Die Quetschung, der die Weichtheile der Kniekehle aus-
gesotzt worden, die Zerrung, welche mit der Abknickung der
Bruchstelle verbunden ist, sind namentlich dann gefährlich, wenn
Gefässe und Nerven in derbes, unnachgiebiges Narbengewebe ein¬
gebettet liegen. Nach geschehener Osteoklase setzt sich der Ge¬
raderichtung des Beines dann noch der Widerstand der ge¬
schrumpften Weichtheile entgegen, der selbst nach der Tenotomie
nicht verschwindet, es muss gewaltsam redreesirt werden und
hiervon können schwere Störungen der Circulation und Läh¬
mungen die Folge sein.
Einzelne der angeführten Bedenken fallen weg, wenn au
Stelle der Osteoklase die lineäre Osteotomie tritt, was
übrigens bei älteren Individuen selbstverständlich zu geschehen
hat. Was aber hinsichtlich des Ersatzes der ursprünglichen De¬
formität durch eine neue, nämlich die Bajonettabknickung, und
bezüglich der Gefährdung von Gerfäss und Nerv bei der Osteo¬
klase gesagt wurde, trifft ebenso für die Osteotomie zu.
Weiter ist die keilförmige Osteotomie angewendet
worden, deren Basis die Scheitelhöhe der Deformität einnimmt,
während die Spitze des Keiles mit dem hinteren Rand der Gelenk¬
flächen zusammenfällt. Die Methode beseitigt bei hochgradigen
Verkrümmungen die Hemmnisse, welche von Seiten des Skeletes
der Geraderichtung entgegenstehen, sie berücksichtigt nicht die in
den entsprechend hochgradig verkürzten Weichtheilen gegebenen
Widerstände. Nach dieserhalb hinzugefügter Tenotomie sind
dann Gefäss und Nerv ganz ebenso einer gelegentlich verhängniss-
voll werdenden Dehnung ausgesetzt, wie nach der lineären Osteo¬
tomie bezw. Osteoklase.
Anders liegen die Verhältnisse nach der typischen oder
der von Helferich empfohlenen bogenförmigen Re¬
sektion.
Hier wird nicht ein Keil, sondern ein Trapez ausgeschnitten,
es werden auch die hinteren Knochen- resp. Gelenkabschnitte
insoweit reeezirt, bis ohne bedrohliche Dehnung die Streckung
dos Untorechcnkela möglich ist.
Ein unvermeidlicher Nachtheil dieses Verfahrens ist die er¬
zeugte Verkürzung des Beines, die unangenehm ist, weil häufig
bereits eine Wachsthumsverkürzung vorliegt, die aber doppelt
iu’s Gewicht fällt, wenn eine Verletzung der Epiphysenfugen ge¬
setzt wurde.
Dio Masse des geopferten Knochens bleibt geringer, wenn
nach Helferich bogenförmige Sägeflächen angelegt werden.
Selbstverständlich müssen wir bestrebt sein, die genannte
Schädigung mögliclist gering zu gestalten, durch möglichst spar¬
same Resektion. Doch darf diese Sparsamkeit nicht so weit ge¬
trieben werden, dass darunter der erstrebte Erfolg der Operation,
die Streckung ohne gefährliche Ueberdehnung der Weichtheile,
leidet-.
Ein weiterer Nachtheil, den die Resektion mit der keil¬
förmigen Osteotomie gemein hat, im Gegensatz zur suprakondy-
lären Osteotomie, ist die definitive Zerstörung dee Gelenkes, die
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3. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1957
Erzeugung einer Ankylose in Strecksteilung. W’ie Eingangs aus¬
einandergesetzt wurde, handelt es sich aber bei hochgradigen
Beugestellungen fast ausnahmslos um bereits zerstörte und anky-
losirte Gelenke, so dass die Resektion nur in seltenen Fällen zu¬
gleich die Opferung eines bis dahin partiell beweglich gewesenen
Gelenkes bedeutet.
Den genannten Nachtheilen stehen erhebliche Vorzüge der
Resektion gegenüber.
Die Streckung gelingt vollkommen und ohne gefährliche Ge¬
waltanwendung. Es bleibt kein federnder Widerstand der Weich-
theile zurück, der im Verband Decubitus, später erneute Beuge¬
stellung veranlassen könnte. Gerade die erzeugte ossäre Anky¬
lose bietet, wenn nicht absoluten, so doch weit besseren Schutz
gegen ein Recidiv der Deformität als jede andere Methode.
Ferner aber werden durch die Resektion alle Reste der Tuber¬
kulose eliminirt, ein nicht zu unterschätzender Gewinn, da be¬
kanntlich nicht selten das infektiöse Material zwar durch Ab¬
kapselung temporär unschädlich gemacht wird, unter der Ein¬
wirkung eines Traumas aber Veranlassung zu erneuter Entzün¬
dung geben kann.
Solchen Eventualitäten beugt am sichersten die Resektion
vor, die häufig derartige alte Herde aufdeckt und gründlich aus
dem Körper hinausschafft. Gerade die bestehende Abkapselung
erleichtert die radikale Entfernung alles Krankhaften. Die Ein¬
fachheit und die Sicherheit bezüglich des Erfolges, die geringe
Anforderungen an Arzt und Angehörige stellende Nachbehand¬
lung sind Vortheile, welche den Werth der Resektion namentlich
in der poliklinischen Praxis steigern.
Die Auswahl unter all’ den genannten Verfahren wird nun
gewiss entsprechend den persönlichen Neigungen und Er¬
fahrungen des Arztes, entsprechend auch den Verhältnissen und
Wünschen des Patienten, etwas verschieden ausfallen. Aber im
grossen Ganzen glaube ich doch, dass die im Vorausgehenden ge¬
gebene Kritik der verschiedenen Methoden uns Anhaltspunkte
liefert, deren Beachtung dem Arzt wie dem Patienten zum Vor¬
theil gereicht.
Handelt es sich um eine reine Kontraktur ge¬
ringen Grades, jungen Datums und ohne Ge¬
lenkveränderung, so wird die Flexorentenotomie
gemacht und dann das Redressement ausgeführt.
Der feste Verband bleibt mindestens 6 Wochen liegen, um
vor erneuter Sehnenverkürzung zu schützen. Dann werden
Massage und Bewegungen vorsichtig ausgeführt, daneben natür¬
lich Bäder angewendet. Während der Nacht wird die Streck¬
stellung durch eine genügend lange und versteifte Lederhülse
mit seitlicher Schnürung gesichert. Ein gut bewegliches Knie¬
gelenk ist in diesen seltenen Fällen beabsichtigt. Wird jeglicher
operative Eingriff verweigert und gestatten es die Verhältnisse,
so kann die Streckung auf mechanischem Weg durch Hülsen-
npparat. versucht worden.
Die dadurch erzielte Extension muss lange beibehalten wer¬
den, um der Dehnung der Flexoren nicht wieder verlustig zu
gehen. Die Kur dauert also erheblich länger als beim operativen
Verfahren.
Ist die reine und massige Kontraktur alten
Datums, so empfiehlt sich Tenotomie und suprakon-
dyläre Osteotomie. Die Nachbehandlung geschieht wie
vorhin angegeben.
Beabsichtigt ist nicht eine Zunahme der Bewegungsweite,
sondern eino Verlagerung derselben in der Richtung der Ex¬
tension.
Ist die Kontraktur zwar rein, aber durch erhebliche
Narbenbildung, Muskelinfiltration u. dergl. komplizirt, so
ist das Redreesement in einer Sitzung, wie die Osteotomie, ge¬
fährlich. Ist der Beugungswinkel verhältnissmäaaig gering, so
mache man die Tenotomie und versuche langsam in Etappen
oder mit portativem Apparat zu strecken. Ist aber der Beu¬
gungswinkel grösser, d. h. beträgt der nach hinten geöffnete
Winkel der Deformität 13 5 0 oder weniger, so ist die Re¬
sektion angezeigt, einerlei ob Narbenschrumpfung nach Eite¬
rung vorliegt oder nicht.
Besteht eine Ankylose, so ist ebenfalls nach voraus¬
geschickter Tenotomie. der Flexoren die Resektion auszu¬
führen, ohne Rücksicht auf Art, Grad und Alter der Deformität.
Fast immer lässt sich die Gelenkspalte finden, so dass das
(jelenk unter schrittweiser Durchschneidung resp. Durchmeisse-
limg der Verwachsungen in typischer Weise geöffnet und nach Be¬
darf resezirt werden kann.
Nach genauer Adaption der Sägeflächen wird die Wunde
völlig geschlossen. Das Bein kommt in exakter Strecksteilung
sofort in einen Gipsverband, der 12 Wochen liegen bleibt. Dann
wird die bereits Vorgefundene Ankylosirung weiter gefördert
durch Ruhigstelluug in einer Lederhülse. Die Verkürzung wird
alsbald im Stiefel ausgeglichen, falls sie IVz —2 cm überschreitet.
Eino leichte Verkürzung ist erwünscht, um trotz steifen Knie¬
gelenkes das Bein gut vorwärts zu bringen.
Die Befolgung dieser Kegeln hat sich mir bei der Behandlung
von etwa 100 Kniekontrakturen tuberkulöser Natur bewährt,
während Abweichungen gelegentlich Enttäuschung und selbst
üble Zufälle gebracht haben.
Ich kann nicht glauben, dass das Princip der absoluten Scho¬
nung des Skeletes auf Kosten der Weichtheile in der Therapie
der tuberkulösen Kniekontraktur die Richtschnur unseres Han¬
delns abgeben darf. Denn das Werthverhältniss zwischen
Knochen und Weiclitheilen ist ein anderes am Kniegelenk als
etwa am angeborenen Klumpfuse, wo die Aufstellung des ge¬
nannten Princips eine segensreiche Umwandlung der Therapie
zur Folge gehabt hat.
Aus dem Neuen Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf.
lieber den diagnostischen Werth der Röntgenstrahlen
in der inneren Medicin.
Von Dr. Heinrich Hildebrand, früherem Sekundär¬
arzt des Krankenhauses, jetzigem Physikus in Hamburg.
Schon bald nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen be¬
mächtigten sich auch die inneren Mediciner dieses neuen dia¬
gnostischen Hilfsmittels und versuchten dasselbe ihren Interessen
dienstbar zu machen. So wurde auch im Eppendorfer Kranken¬
hause schon früh mit der Verwendung der Röntgenstrahlen bei
inneren Krankheiten begonnen und in Erkenntniss der Wichtig¬
keit des Verfahrens wurde auf Veranlassung von Prof. Rumpf
im Frühjahr 1897 ein eigenes Institut für die innere Abtheilung
eingerichtet.
Den folgenden Besprechungen liegen die in diesem Institut
gemachten Erfahrungen zu Grunde, welche an mehreren Tausend
von Aufnahmen und zahlreichen Durchleuchtungen gewonnen
wurden.
Bei dem sehr umfangreichen Material des Eppendorfer
Krankenhauses sind im Lauf der Zeit eine grosse Menge inter¬
essanter Befunde erhoben worden, jedoch wurden dieselben
meistens nicht veröffentlicht, einmal, weil ein Theil derselben
Seltenheiten sind und ihre Veröffentlichung nur Verwirrung zu
stiften geeignet ist, solange über die regelmässigen Befunde noch
Meinungsverschiedenheiten herrschen, dann, weil wir selbst erst
Erfahrungen sammeln wollten und uns von einer späteren zu¬
sammenfassenden Besprechung der gewonnenen Resultate
grösseren Nutzen versprachen.
Jetzt, nach vierjährigem Bestehen des Instituts, nachdem
wir die Röntgenstrahlen bei den verschiedensten inneren Leiden
in Anwendung gebracht haben, glauben wir uns ein Urtheil über
den Werth derselben bei den einzelnen Krankheiten erworben zu
haben.
Was die Literatur über den Gegenstand anlangt, so ist die¬
selbe bereits eine recht umfangreiche. Ein grosser Theil der
Arbeiten sind Einzelmittheilungen interessanter Fälle, doch gibt
es auch eine Reihe von zusammenfassenden Arbeiten.
Auffallend ist es, dass die Urtheile über den Werth der
Röntgenstrahlen, zu denen die einzelnen Autoren kamen, noch
recht verschiedene sind.
Während von den Einen berichtet wird, dass mit Hilfo der
Röntgenstrahlen alle möglichen Krankheiten diagnostizirt werden
können, welche uns sonst verborgen bleiben würden, während
diese also den Werth der Strahlen als einen sehr grossen preisen,
fehlt es nicht an Stimmen, welche ermahnen, nicht Unmögliches
zu verlangen, und welche vor Allem davor warnen, aus einzelnengut
gelungenen Aufnahmen Schlüsse auf die Allgemeinheit zu ziehen
und nach einzelnen Bildern, welche vielleicht Raritäten sind,
über den diagnostischen Werth der Röntgenstrahlen bei be¬
stimmten Krankheiten ein Urtheil zu fällen.
1 *
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1958
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. :,F
No. 49.
Der letztere Standpunkt ist, wie ich schon hier hervor¬
heben möchte, auch der unserige. Einzelne Bilder, so interessant
sie zuweilen sind, beweisen nichts für die Brauchbarkeit der
Methode; denn der Nachweis einer Veränderung, welcher einmal
unter besonders günstigen Verhältnissen geglückt ist, missräth
vielleicht in Dutzenden von anderen Fällen.
Dazu kommt, dass man bei der Deutung von Röntgenbildern
mancherlei Täuschungen ausgesetzt ist und man schon desshalb
mit seinen Schlussfolgerungen bei einzelnen Bildern vorsichtig
sein sollte.
Je mehr Bilder man sieht, um so öfter wird man Befunde,
welche man früher erhoben zu haben glaubte, als Täuschungen
erkennen und um so vorsichtiger wird man werden. Dann wird
man aber auch zugeben, dass es nicht möglich ist, wie viele
Autoren glauben und behaupten, mit Hilfe der Röntgenstrahlen
die meisten Krankheiten mit Sicherheit zu diagnostiziren.
Ich beginne unsere Besprechung mit dem Körperabschnitt,
dessen Durchleuchtung von vornherein am meisten Erfolg ver¬
spricht, dem Thorax, und wende mich zunächst den Lungen zu.
Da die Lungen wegen ihres grossen Luftgehaltes leicht
durchgängig für Röntgenstrahlen sind und Veränderungen, z. B.
verdichtete Stellen, sich als Schatten im Röntgenbild präsentiren
müssen, so lag von vornherein der Gedanke nahe, dass die
Röntgenstrahlen im Stande sein würden, Erkrankungen der
Lungen schon zu einer Zeit aufzudecken, ehe dies mit unseren
übrigen Untersuchungsmethoden möglich sei. Bei der unge¬
heuren Wichtigkeit, welche besonders die Frühdiagnose der
Phthise hat, wurden von vornherein Versuche in dieser
Richtung angestellt. In ihren Schlussfolgerungen sind die
Autoren aber absolut nicht einig. Eine ganze Reihe derselben
ist begeistert von ihren Resultaten und sie behaupten, m i t
Sicherheit die Diagnose Phthise zu einer Zeit stellen zu
können, wo es mit anderen Untersuchungsmethoden noch nicht
gelingt, andere dagegen versichern, die Röntgenuntersuchung
bei Spitzenaffektionen leiste absolut nicht mehr, wie die bis¬
herigen Methoden.
Auf Grund der grossen Menge von Brustaufnahmen, welche
wir hier gemacht haben, schliessen wir uns der letzteren Ansicht
voll und ganz an.
Zunächst möchte ich betonen, dass, um feine Veränderungen
an den Lungen zu studiren, die Durchleuchtung mit Hilfe des
Scliirmes durchaus unzureichend ist. Solch’ feine Details, wie
man sie hier beobachten muss, gibt der Schirm, welcher viel
weniger empfindlich ist als die Platte, nicht her. Bei der Ver¬
vollkommnung der Apparate ist es uns jetzt möglich, Aufnahmen
bei völligem Stillstand der Lungen zu machen, so dass wir auf
der Platte ganz scharfe Bilder der Thoraxorgane erhalten. Ich
stimme desshalb bezüglich der Lungen durchaus mit Z i ein s s e n
und Rieder überein, welche der Platte vor dem Schirm den
Vorzug geben. Ich möchte hier einschalten, dass wir von der
Methode, sog. Momentbilder mit einer Expositionsdauer von
1—5 Sekunden herzustellen, wieder mehr abgekommen sind. Die
Bilder werden besser, kontrastreicher, wenn man länger ex-
ponirt, und dies ist, wenn die Kranken den Athem anhaltcn,
ganz leicht ausführbar. . Wir exponiren jetzt gewöhnlich 30 Se¬
kunden. Die Kranken werden vor der Aufnahme aufgefordert,
einige Mal schnell hinter einander zu athmen, um möglichst viel
Sauerstoff aufzuspeichern; dann müssen sie bei tiefer Inspiration
den Athem anhalten. Auf diese Weise halten die Kranken be¬
quem 30—45 Sekunden still.
Der von Rieder [11] gerühmte Vorzug der Momentauf¬
nahmen, dass keine Verbrennungen bei denselben möglich seien,
ist nur ein theoretischer, denn auch bei einmaliger Zeitaufnahme
kommen keine Verbrennungen vor, wir haben wenigstens bei
Tausenden von Aufnahmen keine gesehen.
Kehren wir zur Besprechung der beginnenden Lungen¬
phthise zurück. Wenn man eine grössere Reihe normaler
Lungen im Röntgenbilde betrachtet, so wird man finden, dass
die Lungenspitzen sich sehr verschieden verhalten. Die Gegend
der Lungenspitzen ist für das Röntgenbild recht ungünstig.
Hier sieht man den Schatten der ersten Rippe, welche so deut¬
lich wie keine andere Rippe in ihrer ganzen Länge sichtbar ist,
ferner sieht man den Schatten der Clavicula und endlich den
der Hals- und Schultermusculatur. Besonders der letztere wird,
da die Musculatur bei dem einen Menschen sehr kräftig, bei
dem anderen sehr mässig ist, verschieden ausfallen und Unter¬
schiede des Bildes bewirken. So kommt es, dass bei normalen
Menschen, welche nie ein Lungenleiden gehabt haben, häufig
die Gegend der Lungenspitzen weniger durchleuchtet ist und
einen stärkeren Schatten gibt, als die übrige Lunge. Auf diesen
diffusen Schatten darf man nicht den geringsten Werth legen.
Was aber die deutlich abgegrenzten Herde in den Lungen¬
spitzen anlangt, so ist es uns nie gelungen, solche mit Sicher¬
heit nachzuweisen, wenn sich mittels Auskultation und Per¬
kussion keine Veränderungen hatten feststellen lassen. Wir haben
eine Menge suspecter Kranker untersucht und trotz sehr guter
Bilder, auf welchen der Bronchialbaum in grosser Schärfe zu
sehen war, keine sicheren Veränderungen nachweisen können.
Fanden wir Veränderungen, so waren auch klinische Symptome
vorhanden. Bei der geringen Dicke der Lungen an der Spitze
lässt sich von vomeherein nichts anderes erwarten. Die Herde
müssen, um durch die Halsmusculatur hindurch einen Schatten
zu geben, immerhin eine gewisse Ausdehnung haben, und wenn
eie diese haben, so müssen sie auch für die Auskultation und
Perkussion zugänglich sein, da sie sich nicht weit von der Ober¬
fläche befinden.
Ich glaube, dass man nicht berechtigt ist, auf das Röntgen¬
bild allein, beim Fehlen eines sonstigen physikalischen Befundes,
die Frühdiagnose Phthise zu stellen und daraufhin eingreifende
Maassregeln anzuordnen, ich bin vielmehr der Ansicht, dass
das Röntgenbild bei Spitzenaffektionen nicht
mehr leistet, als die übrigen Untersuchungs¬
methoden.
Man sollte sieh desshalb in der Praxis die Röntgenunter¬
suchung bei zweifelhaften Fällen von Lungenphthise ruhig er¬
sparen.
Genau dasselbe gilt von den vorgeschrittenen Fällen, bei
welchen es sich um den Nachweis von Cavemen handelt. Ueber
diesen Punkt wird von einigen Autoren ziemlich kritiklos be¬
richtet. Man kann lesen, dass das Röntgenverfahren für die
Diagnose der Cavernen ausserordentlich wesentlich sei, dass man
nur durch dieses einen Aufschluss über Zahl und Grösse
der Cavernen erlangen könne. Es gibt sicherlich einige sehr
klare und eindeutige Fälle; im Allgemeinen aber hüte ich mich,
auf ein Röntgenbild allein die Diagnose „Caveme“ zu stellen.
Sind auch sonstige Cavernensymptome vorhanden und finde ich
an der betreffenden Stelle von dichtem Schatten umgebene,
runde, lufthaltige Partien, so halte ich diese für Cavernen; sind
keine sonstigen Cavernensymptome da, so kann die lufthaltige
Stelle ebenso gut gesundes Lungengewebe sein. Wer viel Lungen¬
platten gesehen hat, wird mir Recht geben, wenn ich behaupte,
dass es in den meisten Fällen unmöglich ist, lufthaltiges Lungen¬
gewebe in einer theilweise erkrankten Lunge von Cavernen zu
unterscheiden, dass hier Täuschungen an der Tagesordnung sind
und dass es desshalb eine gewagte Behauptung ist, dass uns erst
das Röntgenbild über Zahl und Ausdehnung der Cavernen Auf¬
schluss gebe.
Einige interessante Befunde liefert indessen das Röntgen¬
bild auch bei der Lungenphthise, wenn dieselben auch für
die Diagnose nicht wichtig sind.
So wird man in vielen Fällen durch das Röntgenbild darüber
belehrt, dass die Krankheit schon viel weiter fortgeschritten
ist, dass die Herde im Centrum schon viel zahlreicher sind, als
man von vornherein vermuthet hatte.
Diese schon längst am Sektionstisch gemachte Erfahrung
kann man sich jetzt schon am Lebenden bestätigen lassen.
Ferner fiel mir häufig die starke Schrumpfung der er¬
krankten Brustseite auf, welche sich durch das Röntgenbild
schon in frühen Stadien nachweisen liess, ehe man nach der
Inspektion an eine solche dachte. Dieselbe äussert sich zunächst
in einer Abknickung der Rippen nach unten, welche dadurch
sich selbst und der Wirbelsäule genähert werden, ferner in einer
früh auf tretenden Verbiegung der Wirbelsäule nach der er¬
krankten Seite hin. Durch Beides wird der Pleuraraum der be¬
treffenden Seite verkleinert. In einzelnen frischen Fällen war
es noch nicht zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule ge¬
kommen, sondern nur zu einer Torsion der Wirbelkörper nach der
erkrankten Seite hin, während die Processus spinosi noch eine
gerade Linie bildeten.
Sehr viel mehr als bei der Tuberkulose leistet das Röntgen¬
bild bei anderen Erkrankungen der Lunge, besonders wenn ee sich
um central gelegene Erkrankungsherde handelt, welche weit von
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3. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1959
der Oberfläche der Lunge entfernt liegen und durch Perkussion
und Auskultation nicht nachgewiesen werden können. Bei diesen
centralen Herden liefert wirklich keine andere Untersuchungs¬
methode ähnlich sichere Resultate und man sollte bei Verdacht
auf solche das Röntgenverfahren wenn irgend möglich zu Hilfe
nehmen.
Von besonderer praktischer Wichtigkeit ist in dieser Be¬
ziehung die Lungengangraen.
Wir haben eine Reihe vou Fällen beobachtet und wegen
der Wichtigkeit, welche dieselben haben, seien einige kurz ge¬
schildert :
Der erste Fall, welchen wir untersuchten, betraf eine Frau
in mittleren Jahren, welche schon seit längerer Zeit reichlichen
übelriechenden Auswurf hatte und immer mehr herunterkam.
Perkutorisch und auskultatorisch war der Gangränherd, um
welchen es nach dem klinischen Bilde handeln musste, nicht mit
.Sicherheit zu koustatiren; es fand sich zwar eine verdächtige
Stelle hinten links, doch waren die Erseheiuuugeu nicht deutlich
genug, um ein operatives Eingehen an dieser Stelle zu recht-
fertigen. Die itöntgeiiaufnähme ergab nun ein sehr überraschen¬
des Resultat: entsprechend jener verdächtigen Stelle fand sich ein
etwa 3 Finger breiter und ebenso langer, ganz scharf abge¬
grenzter dunkler Schatten in Mitten völlig
freien Lungengewebes. Es wurde sofort die Operation
vorgeuommen; an der betreffenden Steile wurde eiugegangeu und
eine Rippe resecirt Die Pleura war verwachsen, beim weiteren
Vordringen kam man sofort auf einen gangraenösen Lungenherd,
welcher ausgeräumt und tamponirt wurde. Die Heilung ging gut
von Statten. Leider starb die Patientin mehrere Monate später
aus anderer Ursache.
Einen ähnlichen Fall bekamen wir bald nachher in Behand¬
lung. Ein Junger Mann, der bis dahin immer gesund gewesen war,
erkrankte an Lungenentzündung. Nach Ablauf der Haupterschei¬
nungen wollte er sich nicht wieder recht erholen, nach einiger Zeit
bekam er wieder Fieber und reichlichen stinkenden Auswurf. Bei
der Aufnahme konstatlrten wir links hinten unten eine Dämpfung,
aufgehobenes Athmungsgeräusch etc.; offenbar war hier ein Er¬
guss. Nach mehrmaligen vergeblichen Punktionen gelang es end¬
lich mit der Spritze, stinkenden Eiter herauszubekommen. Es
war nun klar, dass es sich um eineu Guugraenherd in der Lunge
mit Durchbruch und sekundärem abgekapselten Empyem handle.
Um über den Sitz des primären Lungenherdes Aufschluss zu ge¬
winnen, machte ich eine Röntgenaufnahme. Das Resultat war sehr
befriedigend: Man sah entsprechend der Dämpfung einen gleich-
massigen Schatten in den unteren Partien der Lunge. Am oberen
Rande dieses Schattens erkannte man aber einen ziemlich scharf
begrenzten, viel dichteren Schatten von ca. 5 cm Durchmesser,
welcher offenbar dem Gangraenlierd entsprach. Ich resecirte an
dieser Stelle eine Rippe und kam, nachdem der sehr spärliche Eiter
des Empyems abgetlossen war, mit dem Finger in eine Lungen¬
höhle, in welcher einige kirschgrosse Lungensequester lagen.
Der Fall verlief ausserordentlich günstig; der stinkende Aus¬
wurf hörte sofort auf, das Fieber verschwand. Pat erholte sich
prächtig. Bei seiner Entlassung hatte er noch eine kleine, mit
einem Bronchus communieirende Fistel. Vor einigen Wochen
schrieb er, dass die Fistel geschlossen und er völlig gesund sei.
Der 3. Fall betraf einen Kranken, bei welchem die Diagnose
Lungengangraen feststand, bei welchem auch ln der rechten Lunge
ein Herd durch Perkussion etc. nachgewiesen werden konnte.
Pat. sollte operirt werden, vorher jedoch wurde noch eine Rönt¬
genaufnahme gemacht. Auf der Platte sah man nun nicht nur
einen scharf umschriebenen Schatten an der bereits bekannten
Stelle in der rechten Lunge, sondern noch einen zweiten kleineren
ln der linken Lunge. Es wurden desshalb multiple Gangraen-
herde angenommen und von einer Operation abgesehen. Pat. starb
nach einiger Zeit. Die Sektion bestätigte die Diagnose: Ausser
den beiden auf der Platte sichtbaren grösseren Herden fanden
sich noch einige andere, ganz kleine Gangraenherde in anderen
Thellen der Lunge. Das Röntgenbild hatte uns hier also vor einer
ganz zwecklosen Operation bewahrt.
Noch einen ähnlichen Fall bekamen wir kurz darauf zur Be¬
obachtung. Auch hier handelte es sich um multiple Gangraen¬
herde, welche auch klinisch angenommen worden waren. Im
Röntgenbild sah man eine grössere Zahl Uber die Lunge ver¬
streuter kleiner Herde. Bei der Sektion fanden sich dement¬
sprechend zahlreiche kleine gangraenöse Herde.
Aus den angeführten Fällen dürfte zur Genüge hervor¬
gehen, von welch’ unschätzbarem Vortheil die Röntgenunter¬
suchung bei Lungengangraen ist; sie liefert uns nicht nur Auf¬
schluss über den Sitz der Herde, sondern wir gewinnen durch
sie auch Anhaltspunkte für die Prognose und die Therapie.
In ähnlicher Weise lassen sich natürlich auch andere central
gelegene Krankheitsherde nachweisen und lokalisiren. So haben
Levy-Dorn und Za deck [9] einen Fall von Lungen -
echinococcus beschrieben, bei dem in beiden Lungen runde,
scharf begrenzte Schatten sichtbar waren. Von Anderen sind
Lungentumoren nachgewiesen. Auch wir haben Lungen¬
tumoren im Röntgenbild gesehen. Bezüglich der letzteren wird
No. 49.
besonders von Leo [3] betont, dass über die Grösse und Aus¬
dehnung der Tumoren nur das Röntgenbild Aufschluss gibt,
während Perkussion und Auskultation versagen oder wenigstens
die. Ausbreitung der Geschwulst viel geringer erscheinen lassen,
als sie wirklich ist.
Fremdkörper in den Lungen sind in grosser Zahl durch
Röntgenstrahlen nachgewiesen, und dass hier in vielen Fällen
nur das Röntgenbild uns in den Stand setzt, den Sitz der Fremd¬
körper zu erkennen, bedarf wohl kaum der Erwähnung.
Wir hätten noch einige andere Erkrankungen der
Lunge, bei welchen es sich nicht um einzelne Herde handelt,
zu besprechen, und es wäre zu untersuchen, was hier das Röntgen¬
bild leistet.
Bei der Lungenentzündung finden wir einen der
Dämpfung entsprechenden mehr oder weniger dichten Schatten,
welcher weiter keine Besonderheiten bietet. Einzelne Autoren
haben geglaubt, aus der Art der Schatten Schlüsse auf die Pro¬
gnose ziehen zu können; einer strengen Kritik halten diese Be¬
hauptungen wohl kaum Stand. Die Schatten bieten nichts
Charakteristisches und man erfährt durch sie nicht mehr, als man
schon wusste. *
Aehnlich ist es mit der Pleuritis. Schwartenbildungen oder
Exsudate, welche man klinisch nachgewiesen hat, kann man sich
durch das Röntgenbild bestätigen lassen, Neues wird man nicht
finden; höchstens Kalkablagerungen in alten Schwarten, welche
scharf zur Darstellung kommen.
Wenn französische Forscher (vgl. Dollinger [12]) an¬
geben, dass pleuritische Exsudate, in sitzender Stellung des
Patienten aufgenommen, eine scharfe, in gerader Linie ver¬
laufende obere Grenze haben, so können wir dies im Allgemeinen
nicht bestätigen und stimmen darin mit Stembo [20] überein,
welcher meist eine nach aussen abfallende Zickzacklinie fand.
Auch wir fanden die obere Grenze beim einfachen Exsudat ge¬
wöhnlich unregelmässig. Es ist dies von vornherein anzunehmen,
denn wenn keine Luft, sondern nur Lunge und Exsudat im
Pleuraraum vorhanden ist, so ist das Exsudat nicht in der
Lage, eine ganz wagerechte Oberfläche zu bilden, besonders wenn
die Lunge verwachsen ist.
Bildet bei einem Exsudat die obere Grenze im Röntgenbild
eine ganz scharfe, wagerechte Linie, so ist der Verdacht ge¬
rechtfertigt, dass gleichzeitig Luft im Pleuraraum ist, dass es
sich um einen Pyo- oder Hydro - P n e u m o thorax handelt.
In diesen Fällen steigt die Luft neben der Lunge in die Höhe,
die Flüssigkeit kann sich nach unten senken und nun kommt
ein horizontaler Flüssigkeitsspiegel zu Stande. Die Röntgen¬
bilder des Pyo- oder Hydro-Pneumothorax sind
sehr charakteristisch. Der Kontrast zwischen der oben liegen¬
den, stark durchleuchteten Luftblase und dem Schatten des Ex¬
sudats, ferner die scharfe, linienförmige Begrenzung beider lassen
die Diagnose, auf den ersten Blick stellen. Es sind eine ganze
Reihe von Fällen veröffentlicht worden (s. D o 11 i n g e r [12],
Kienböck [6], Stembo [20]). Auch mit Hilfe des Schir¬
mes sind interessante Beobachtungen über die Bewegungen des
Flüssigkeitsspiegels, welche in Folge der Athmung und des Herz¬
schlags eintreten, gemacht worden. Die Untersuchungen sind
lehrreich und man kann dieselben gelegentlich nachprüfen.
Wichtiges für die Diagnose hat die Untersuchung des Pyo-
pneumothorax jedoch nicht ergeben.
Anders steht es mit dem reinen Pneumothorax. Es kann,
wie auch A r n sperge r [31] hervorhebt, Fälle geben, in wel¬
chen die klinische Diagnose aus irgend welchen Gründen nicht
gelingt oder wenigstens nicht ganz sicher gelingt, und hier sind
wir im Stande, mittels der Röntgenstrahlen die Diagnose zu
stellen. Wir selbst verfügen über einen lehrreichen Fall dieser
Art. Derselbe wird demnächst ausführlicher an anderem Orte
veröffentlicht werden; ich will ihn desshalb nur kurz erwähnen.
Ein Junger Mann kam in das Krankenhaus wegen verschieden¬
artiger neurasthenischer Beschwerden; Klugen, welche auf eine
Erkrankung der Lunge hinwiesen, äusserte er kaum. Bei der
Untersuchung der Lunge fand sich, dass rechts die unteren Gren¬
zen herabgerückt waren. Die Perkussion ergab Uber der ganzen
rechten Seite einen dumpfen Perkussionsschall; bei der Auskul¬
tation hörte man rechts überall auffallend leises Athemgeräusch;
es wurde an Emphysem, Brouchostenose und Pneumothorax ge¬
dacht; letzteres erschien aber wegen Mangels subjektiver Sym¬
ptome zweifelhaft. Durch die Röntgenuntersuchung konute nun
deutlich nachgewiesen werden, dass es sich doch um einen Pneumo¬
thorax handelte. Das Herz war etwas nach der anderen Seite
verlagert, das Zwerchfell nach abwärts gedrängt. Der ganze
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i960
MUKNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
Pleurasack war leer, und an der Wirbelsäule, ln der Gegend des
Lungenliilus, sah man die zusuinmengesunkene Lunge, deren
Grenze sich durch eine scharfe convexe Linie gegen den leeren
Pleuraraum abgrenzte.
Interessant war der weitere Verlauf, den wir mittels Röntgen¬
aufnahmen verfolgten. Wir konnten konstatiren. wie die Lunge
sich laugsam ausdehnte; der an der Wirbelsäule belegene Schatten
wurde Immer grösser — man erkannte in Ihm die* astförmig ver¬
laufenden Bronchien — und füllte schliesslich wieder die ganze
Pleura aus.
Patient wurde entlassen: nach einiger Zeit stellte er sich aber
wieder ein; das Rünlgenbild belehrte uns. dass die Lunge wieder
zusammengosunkon war. dass sich ein neuer Pneumothorax aus¬
gebildet hatte. Die Crsaclie des Pneumothorax blieb in diesem
Fall völlig unbekannt; es Hess sich an den Lungenspitzen nichts
Krankhaftes nachweisen, auch im Köutgenbild zeigten dieselben
keine Veränderungen.
Wir hatten Gelegenheit, noch mehrere Patienten mit
Pneumothorax zu untersuchen. Das Bild war immer das gleiche;
dasselbe ist sehr typisch:
Da an den mit Luft gefüllten Stellen des Pleuraraums der
Schatten der Lunge wegfällt, so erscheinen diese Partien auf
der Platte stärker durchleuchtet; die Schatten der Rippen mar-
kiitm sich hier sehr scharf, die Schatten des Bronchialbaums
fehlen; Jemand, der Hebung hat im Auslegen von Platten, er¬
kennt, dass der Pleuraraum leer ist. Die geschrumpfte
Lunge sicht., man am Hilus oder, je nachdem Verwachsungen
da sind, an anderer Stelle oben oder unten. Charakteristisch
ist die scharfe Abgrenzung des Lungenrandes gegen den leeren
Pleurasack. Diese Grenze muss zu sehen sein, wenn man die Dia¬
gnose auf Pneumothorax stellen will. Die Lunge selbst ist ent¬
weder so stark geschrumpft, dass man nur einen gleichmässig
dichten Schatten sieht, oder bei weniger starker Schrumpfung
erkennt man noch deutlich die Verästelung des Bronchialbaumes
in demselben. Arnsperger [31] glaubt einen durch¬
greifenden Unterschied zwischen traumatischem und entzünd¬
lichem (d. h. nach Lungenerkrankungen entstandenem) Pneumo¬
thorax machen zu können; er gibt an, dass beim traumatischen
Pneumothorax dio Lunge in der Gegend des Hilus belegen sei.
beim entzündlichen in der Gegend der Spitze. Oefters liegen
die Verhältnisse so, wie Arnsperger sie schildert, öfters
aber auch nicht. Eine völlig freie Lunge wird sieh beim trauma¬
tischen Pneumothorax nach dem Ililus zurückziehen; sie wird
dies aber nicht können, wenn sie in Folge früherer Verwachs¬
ungen fixirt ist.
Ferner braucht die Lunge bei dem durch Krankheiten be¬
dingten Thorax nicht immer an der Spitze verwachsen zu sein;
es ist dies zwar meist der Fall, da es sieh gewöhnlich um Tuber¬
kulose handelt, jedoch kommen auch Verwachsungen au an¬
deren Stellen vor; wir haben einen Fall, hei welchem die ganze
Lunge unten am Zwerchfell vorwachsen war und beim Ein¬
tritt des Pneumothorax in den Winkel zwischen Wirbelsäule und
Zwerchfell zusammengedrängt wurde, und einen anderen, bei
welchem nur ein auf die Spitze beschränkter Pneumothorax be¬
stand.
Sodann befand sich die Lunge bei dem oben erwähnten
Patienten mit Pneumothorax deutlich in der Gegend des IIüus;
hier war zwar die Aetiologie unbekannt, aber sicher handelt es
sich um keinen traumatischen Pneumothorax.
Einen ähnlichen interessanten Fall hatten wir endlich noch
vor Kurzem zu beobachten Gelegenheit:
Es handelte sich ebenfalls um eineu ohne akute Erscheinungen
entstandenen Pneumothorax; im Rüutgeubild sah man die am Hilus
zusammengedrängte Lunge; von ihr ging ein freies, ganz dünnes,
ea. 10 cm langes Band nach oben zur Gegend der Spitze. Das¬
selbe verdankte offenbar einer kleinen aber festen Verwachsung
der Lunge seine Entstehung.
Eine sichert» Unterscheidung zwischen traumatischem und
entzündlichem Pneumothorax ist dem Gesagten zu Folge
mit Hilfe des Rüntgciibildes nicht möglich.
Zur Darstellung des Pneumothorax nach Operationen, z. B.
nach Empyem, ist das einfache Röntgenbild nicht geeignet. Meist
handelt cs sich um kleinere von Verwachsungen und Schwarten
umgebene Höhlen, welche im Bild nicht gut zu sehen sind.
Um sich über die Grösse dieser Empyemhöhlen zu orientiren und
den Heilungsverlauf zu verfolgen, hat man verschiedene Ver¬
fahren augcwemlct: man hat die Hohlen mit Wisrnuthlösung,
auch mit reinem Quecksilber angefüllt und dann Aufnahmen ge¬
macht. Viel erreicht mau nicht, in der Praxis kommt man mit
den Resultaten, welche Perkussion und Auskultation liefern,
völlig aus.
Zum Schlüsse der Besprechung der Lungen sei ein Curiosum
erwähnt: Ein französischer Forscher behauptet, man könne die
Miliartuberkulose im Röntgenbild erkennen, und er empfiehlt
desshalb das Röntgenverfahren zur Di fiteren tialdiagnose zwischen
dieser und dem Abdominaltyphus. Der betreffende Autor muss
entweder das Röntgenverfahren nur mangelhaft betrieben haben
oder die pathologische Anatomie, vielleicht auch beides.
Ich wende mich zu den Erkrankungen des Herzens. Auch
bezüglich uic-as Organs hatte man grosse Erwartungen auf das
Röntgen verfahren gesetzt und man glaubte, dass dasselbe bei
der Diagnose der llerzerkrnnkungen eine grosse Rolle zu spielen
berufen sei. Es haben sich viele Autoren mit den Untersuch¬
ungen beschäftigt, zahlreiche Arbeiten sind erschienen, Apparate
und Methoden zur Bestimmung der wahren Grösse des Herzens
sind konstruirt worden etc.
Audi wir haben lange Zeit hindurch Untersuchungen ange¬
stellt und sowohl mit dem Schirm wie mit der Platte das Herz
bei den verschiedensten Krankheiten studirt. Das einzige Re¬
sultat, welches wir gewonnen haben, ist die Ueberzeugung, dass
das Röntgenverfahren bezüglich des Herzens selbst keine
Vortheile für die Praxis bietet. Gewiss kann man Verlagerungen
des Herzens, Vergrößerungen nach beiden Seiten deutlich nach-
weisen, das kann man aber mit anderen Methoden auch.
Wie Oe streich [38] durch exakte Untersuchungen an
Lebenden und an Leichen nachgewiesen hat, gibt uns die Form
der absoluten II e r z d ä m p f u n g in jedem Fall einen
sicheren Anhaltspunkt über die Grössen Verhältnisse der einzelnen
Ilerzabsehnitte; die Perkussion genügt also vollständig und man
kann das Köutgenbild bei Herzerkrankungeii entbehren. Wir
haben durch das Köutgenbild kein Mal mehr erfahren, als wir
schon wussten.
Verkalkungen der Coronararterieu zur Darstellung zu
bringen dürfte bei den schnellen Bewegungen des Herzens un¬
möglich sein. (Schluss folgt.)
Aus der dermatologischen Universitätsklinik des Herrn Prof.
Dr. Alf. Wolff in Strassburg.
Resultate von Untersuchungen, angestellt an 4 Fällen
von Mikrosporie und 81 Fällen von Trichophytie.
Von Dr. G. II ü g e 1, früher erster Assistent der Klinik.
Eine der brennendsten Tngesfragen, die in dem letzten Jahr¬
zehnte die dermatologische Welt aller Länder beschäftigt hat,
ist gewiss die genaue Erforschung des Wesens der bis jetzt
am besten unter dein Namen Herpes tonsurans be-
zeichnetcn Dermatomykosen. Es ist und bleibt das grosse Ver¬
dienst Sabnnrau d’s, diese Frage angeregt und in die richtigen
Bahnen gebracht zu haben. W T ährend man bis zu S a bo u r au d’s
epochemachenden Arbeiten allgemein der Ansicht war, dass die
bedeutenden klinischen Differenzen, welche die oben genannten
Affektionen darbieten, entsprechend der verschiedenen Lokali¬
sation auf die verschiedenen anatomischen Verhältnisse und auf
sekundäre Einflüsse zurückzuführen seien, so gelaugt man jetzt
mehr zu der Meinung, dass auch wohl die Differenz des Krank¬
heitserregers die Verschiedenheit des Krankheitsbildes hervor¬
ruft n könne. Nur ist man sich in dieser Frage der Multiplici-
t.iit der Herpes tonsurans-Pilze noch nicht einig. DiePublikationen
nicht, nur der einzelnen Autoren untereinander, sondern auch eines
und desselben Autors haben eine solche Fülle widersprechender
Angaben zu Tage befördert-, dass, wie Ja risch in seinem Lelir-
buehe ganz treffend sagt, es schwer wird, sich in der entstandenen
Disharmonie der Meinungen zurecht zu finden. Es ist noch viel
weiteres Suchen und Forschen an den verschiedenen Stätten der¬
matologischen Wirken» nöthig, bis ein definitives Resultat er¬
zielt. wird, ln jedem einzelnen Falle genaue Beobachtung des
klinischen Bildes, dessen methodische mikroskopische und mvko-
logischo Untersuchung, dann die erhaltenen Resultate mit den
Resultaten anderer Forscher vergleichen, wird uns doch hoffent¬
lich zu einer bestimmten und genauen Erkenntniss dieser Der¬
matomykosen führen.
In der Zeit, in der wir als Assistent des Herrn Prof. Dr.
W o 1 f f in dessen Klinik thiitig waren, haben wir nun Gelegen¬
heit gehabt, mehrere Fälle nach dieser Richtung hin genau zu
untersuchen und zu beobachten, und wollen wir im Nachfolgenden
kurz die Ergebnisse dieser Untersuchungen wiedergebeu.
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3. Dezember 1901.
MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1961
Zunächst lial>en wir an 4 von uns lx-obaeliteten Fällen genau
feststellen können, dass es sieh um Fälle von Mikrosporon
Audouini handelte. Die Fälle betrafen zwei Geschwister, einen
8 jährigen Knaben und ein 6 jähriges Mädchen aus Barr im
Eisass, einen 11 jährigen Knaben aus Neudorf bei Strassburg
und einen 7jiihrigen Knaben aus Strassburg selbst. Bei allen
4 Patienten bestanden, als sie zu uns in die Klinik gebracht
wurden, seit geraumer Zeit auf dem behaarten Kopfe ein oder
mehrere 1 Mark- bis 5 Markstück grosse, kreisrunde erkrankte
Stellen. An diesen Stellen sahen die Haare brüchig aus, waren
ungleich kürzer als die sie umgebenden gesunden Haare und
waren an ihrer Basis bis zu einer Höhe von ungefähr 5 mm von
einer gräulich-weissliehen Scheide umgeben. Ebenso war der
Ilaarboden von einer gräulich-weisslichen, squamösen Masse be¬
legt. Diese Haare Hessen sich mit Leichtigkeit epiliren, und
man konnte, ohne nur den geringsten Schmerz zu verursachen,
ganze Büschel von 8, 10 und mehr Hauren ausreissen. Beim
Ausreissen solcher Haare blieben leicht von den oben erwähnten
schuppenden Epidermismassen an der Haarbasis hängen. Ausser
auf dem behaarten Kopfe war nur bei einem Pat.. noch auf der
linken Schulter eine 1 Markstück grosse. Stelle erkrankt. Diese
war kreisrund, geröthet, nach der Mitte zu etwas blasser als an
dem Rande, und hier mit ganz kleinen Bläschen bedeckt. Diq
mikroskopische Untersuchung der erkrankten Haare ergab, dass
dieselben bis zu einer gewissen Höhe wie von einem Mantel
lauter kleiner, theils rund, theils etwas mehr weniger polyedriseh
aussehender Sporen umgeben waren. Wo die äussere Wurzel¬
seheide bei unseren Haaren vorhanden, lag dieser Sporenmantel
zwischen derselben und dem Haarsehafte; wo dieselbe nicht mehr
vorhanden war, lag er dicht an den Haarschaft angeschmiegt an.
Der Hnnrsehaft selbst war immer frei von Sporen. Stichkulturen
dieser Sporen auf peptonisirtem Maltosenährboden ergaben nach
3—4 Wochen einen kreisrunden, 3—4 cm im Durchmesser
messenden, von wcissein Flaum bedeckten Diskus, an welchen sich
nach weiteren 8—14 Tagen meistens ein oder auch mehrere
denselben umgebende, coneontrische, mit wcissein Flaume be¬
deckte Kreise anschlossen. Durch Kulturen im hängenden
Tropfen lernten wir die morphologisehen Eigenschaften dieses
Parasiten kennen. Aus den eingeimpften Sporen entwickelten
sich nach einigen Tagen lange, feine Mycelien, die sich nach
allen Richtungen hin verzweigten. Diese Mycelien bildeten
wiederum in ihrem Inneren Sporen. Ausser dieser Art der Fort¬
pflanzung, der Endoeonidienform, merkte man auch,, allerdings
selten, an einzelnen Mycelien Sporen auf den Seilen aufsitzen
oder noch seltener an ihrem Ende in F'orm von Trauben, also
Eetosporenfonn nach dem Typus Aeladium. Die Sporen der
Eetosporenform waren durchweg kleiner als die nach Endo-
conidienform gebildeten.
Verschiedene Impfversuche. sei es durch Reinkulturen, sei
es durch direkte Übertragung auf Meerschweinchen, verliefen
immer resultatlos.
Tn letzter Zeit hat unser Kollege Herr Dr. Gunsett Ge¬
legenheit gehabt, bei einer kleinen Epidemie, noch weitere Fälle
von Mikrosporon zu beobachten und zu untersuchen. Das Re¬
sultat seiner Untersuchungen, die er an anderer Stelle veröffent¬
licht, deckt sich vollständig mit dem unsorigen. Herr Dr. Gun¬
sett hat. ausserdem bei seinen mikroskopischen Untersuchungen
Färbungen vorgenommen, die ihm erlaubten, in den erkrankten
Haaren, und zwar in den Haarschäften, Mycelien zu sehen, und
Impfungen, die von ihm auf Kartoffeln vorgenommen wurden,
ergaben die von Sabouraud für Mikrosporon Audouini an¬
gegebenen charakteristischen Blutflecken. Wir haben also bei
unseren F'itllen von Mikrosporon in klinischer, mikroskopischer
und mykologischer Hinsicht genau alle Merkmale gefunden, die
Sabouraud als beweisend für Fälle von Mikrosporon
Audouini angibt, und somit festgestellt, dass d’cse Dermato-
m.vko 60 hier in .Strassburg vorkommt. Auch was die Therapie
anbclangt, so scheinen unsere Fälle gerade wie die Fälle in Paris
sehr schwer heilbar zu sein. Trotz mehrerer Behandlungsweisen
mehrere Monate hindurch können wir bei unseren Patienten
von keinen nennenswerthon Erfolgen sprechen. Immer und
immer wieder finden sich Pilze und wir werden wahrscheinlich
die Erreichung der Pubertätszeit abwarten müssen, um dauernd'»
Heilung eintreten zu sehen. Ob diese Fälle nun vereinzelt oder
häufiger bei uns Vorkommen, können wir natürlich noch nicht
sagen; da müssen wir noch weitere Untersuchungen abwarten.
Auch konnte nicht festgestellt werden, ob ein ursächlicher Zu¬
sammenhang zwischen unseren Fällen bestand — die beiden
Geschwister natürlich ausgenommen, wo das Mädchen von dem
Knaben angesteckt worden war - und es ermangelte auch eines
jeden Beweises, dass die Fälle von auswärts importirt worden
seien.
Vielleicht kommt diese Erkrankung endemisch bei uns vor.
Jedenfalls sind wir hier in Strassburg somit die Ersten in
Deutschland, die an der Hand obiger Fälle das Vorkommen von
Mikrosporon Audouini f<*stgestellt haben. Soweit wir die ein¬
schlägige Literatur der letzten Jahre überschon können, hat in
Deutschland nur Unna Fälle von Mikrosporon veröffentlicht.
Seine l'iille stimmen aber ganz und gar nicht, wie er übrigens
selbst zugibt, mit den Fällen der Pariser Mikrosporie überein
— wir erinnern hier bloss an das Vorkommen von grossen Sporen
an den erkrankten Haaren seiner Fälle.
Neben diesen 4 Fällen von Mikrosporie, haben wir nun im
Laufe von ungefähr IM* Jahren Gelegenheit gehabt, noch
81 Fälle von llauterkrankungen. die durch das Trichophyton
tenvurans bedingt waren, genau zu beobachten. Es wäre zu lang¬
weilig und es wäre auch nicht bei diesen kurzen Betrachtungen
am Platze, wollten wir die Krankengeschichten aller dieser
S1 Falle wiedergeben. Es waren unter diesen Fällen alle mög¬
lichen klinischen Krankheitsbilder, wie sie eben das Trichophyton
tonsurans bedingt, vertreten, und wie sie eben zur Genüge be¬
kannt sind. Sowohl Herpes tonsurans des behaarten Kopfos
um! der bebarteten Stellen, als auch Horpes tonsurans der nicht
behaarten Stellen in ihrer squamösen. vesieulösen und impet.i-
ginösen Form waren vertreten, ln ihrem jeweiligen klinischen
Bilde boten alle diese Fälle nichts Neues. Die mikroskopische
Untersuchung der Haare oder von Schuppen, die den kranken
Stellen entnommen waren, ergab nun in allen 81 Fällen ein
überall gleiches Bild: Die erkrankten Haare waren bis zu einer
gewissen Höbe von einem Mantel von grossen Sporen — die
Sporen waren 3—4 mal so gross als die Sporen von einer Mikro¬
sporie — oder auch von sporulirten Mycelien untermischt mit
reinen Mycelien unige!>en. Da, wo die äussere Wurzelseheide
vorhanden war, war diese meistens ganz ausgefüllt, und über ihre
Grenzen nach aussen bin hinaus, mit solchen Pilzelementen.
Nirgends, in keinem Falle, haben wir umgekehrt feststellen
können, dass Pilzelemcnte in den Haarsehaft hineingewachsen
waren. Der TIaarsohaft war vielmehr immer von solchen froi-
geblieben gewesen. Um mit Sabouraud zu sprechen, hatten
wir also in allen unseren Fällen das grosssporige Trichophyton
ectothrix (Trichoph. ectrothrix ä grosses spores). nirgends ein
Trichophyton ondothrix oder cndo-ectothrix. Tn den Schuppen,
die unseren Fällen entnommen waren, befanden sieh ebenfalls
immer dieselben Pilzelemente: grosse Sporen, grosssporige My¬
celien oder Mycelien. Tn dem Aussehen der Pilze an sich
konnten wir in keinem Falle bedeutende Differenzen finden; mir
dass liier und da einmal vielleicht die Sporen uni ein Geringes
kleiner zu sein schienen, und die sporulirten Ketten vielleicht
wie brüchig nussahen. Diese geringen Unterschiede in den Pilz¬
elementen waren aber nicht an besondere klinische Formen hei
unseren Erkrankungen gebunden. Wir konnten nicht ent¬
scheiden, ob es sich hier um besondere Pilzarten handelte. Auch
die Kulturen, die wir bei der Hälfte unserer Fälle anlegten, und
zwar so, dass natürlich ein jede« klinische Bild durch einige
Kulturen vertreten war, gaben uns hierüber keinen Aufschluss.
Alle 40 Kulturen sahen sieh nämlich ziemlich gleich: Nach
3—4 Wochen hatte sieh bei gewöhnlicher Zimmertemperatur
auf pepton. Maltosenährböden, um einen mehr weniger er¬
habenen, kraterfürmigen Mittelpunkt, ein röthlich-grauer, 3 bis
4 cm im Durchmesser messender Kreis gebildet. Was diese Kul¬
turen gleich beim ersten Anblick von den Kulturei von unserer
Mikrosporie unterschied, war. dass bei den Trichophytonkulturen
der weinst» Flaum vollständig fehlte. Auch waren die später bei
Mikrosporie sieb bildenden eonccntrisehen Kreise hier nur sehr
selten vorhanden und da nicht besonders ausgeprägt. Bei den
einzelnen Trichophytonkulturen untereinander konnten wir, wie
gesagt, keine wesentlichen Unterschiede herausfinden. Kulturen
in hängenden Tropfen in Bouillon zeigten uns nach einigen
Tagen ein weit verzweigtes Netz von Mycelien. Das Wachs¬
thum bildete sich nach Eeto- und Endosporenform. Zum Unter-
2 *
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1962
MÜENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
schiede der Mikrosporie erfolgte hoi der Trichophytie die Ecto-
sporenbildung nach dem Typus Botrytis.
Ttnpfungsversuehe auf Meerschweinchen waren bei Tricho¬
phytie immer von Erfolg gekrönt. Nach 14 Tagen bis 3 Wochen
bildete sich regelmässig eine vesiculöse, etwas schuppende, mehr
weniger runde erkrankte Stelle, an der sich wieder ganz die¬
selben Pilzelemente nachweisen Hessen. Auch bei den erkrankten
Haaren der Meerschweinchen war nur die Form Ectothrix vor¬
handen.
Nach den Ergebnissen dieser Untersuchungen scheint es uns
also, als ob bei allen unseren 81 Fällen von Trichophytie ein und
derselbe Pilz im Spiele gewesen wäre, der dann, je nach der
Lokalisation, von anatomischen und sonstigen Einflüssen be¬
stimmt, ein jeweilig verschuxlenes, klinische« Krankheitsbild
hervorgerufen hat. Was uns neben unseren mikroskopischen Re¬
sultaten und neben unseren Kulturversuchen in diesem unseren
Urtheile bestärkt, sind folgende klinische Versuche: Wir haben
bei einem gesunden Individuum, mit dessen Einwilligung, auf
seine l>ehaarte Kopfhaut Pilze eiugeimpft, die einmal von einem
ausgedehnten Falle von Sycosis, das andere Mal von einem Falle
von Ekzema marginatum Hebrae herrührten. Es bildete sich
nun nach einiger Zeit bei demselben nicht etwa ein der Sycosis
oder dem Ekzema marginatum ähnlich sehendes klinisches Bild,
sondern beide Male ein sehr oberflächlicher, runder, squamöser,
leicht vesiculöser Her|>cs. dessen Pilzelemente mit denen der
Prim ä raff cktionen identisch waren. (Nebenbei gesagt, heilten die
entstandenen Herpesringe sehr bald nach Anwendung von
Ohrysnrobin.)
Was die Prognose bei unseren Trichophytonfallen betraf,
so war dieselbe durchweg eine günstige. Die ausgebreite taten
Fälle heilten bei entsprechender Behandlung nach einigen
Wochen. Der Therapie trotzte hartnäckig bloss ein Fall von
Ekzema marginatum Hebrae. Wahrscheinlich, dass da die Lo¬
kalisation — es war auch noch bei einer Puella publica — einer
erfolgreichen Behandlung im Woge stand.
Zusanunenfassend haben also unsere Untersuchungen bis
jetzt, folgende Ergebnisse gehabt:
1. Constntirung des Vorkommens in Strassburg von Mikro¬
sporie Audouini, dieser bereits um die Mitte des vorigen Jahr¬
hunderts von G r ü b y genau beschriebenen Dermatomykose, die
wieder in Vergessenheit gerieth, um 50 Jahre später durch die
genialen Untersuchungen Sabouraud’s ihre Renaissance
zu feiern.
2. Bei den durch das Trichophyton tonsurans bedingten Haut¬
erkrankungen haben wir bis jetzt nur immer einen und den¬
selben Pilz gefunden — ein Trichophyton ä grosses spores ecto¬
thrix — der verschiedene Krankheitsbilder hervorrufen kann,
die vielleicht, bedingt werden durch anatomische, chemische und
noch andere Einflüsse, und der auf das Thier (Meerschweinchen)
überinipfbar ist. Unsere Untersuchungen lassen uns also bis jetzt
noch nicht auf eine Multiplicität des Krankheitserregers bei der
T richophytie schl iessen.
Aus der medieinischen Klinik zu Leipzig.
Zur diagnostischen Beurteilung der vom Blinddarm
und Wurmfortsatz ausgehenden entzündlichen Pro-
cesse.
Von H. Curschmann.
(Schluss.)
Um so interessanter sind die Fälle, wo durch interkurrente,
an sich mit hoher Leukoe.ytose einhergehende Processe die Zahlen
vorübergehend ungewöhnlich gesteigert werden.
Hierzu bietet der folgende Full ein treffendes Beispiel:
Das ‘Jöjälir. Dienstmädchen L. A. wird am 23. VII. 1900. am
2. Krankheitstag. mit starker Druclcempflndlichkeit der rechten
Fossn iliaca aufgenommen. Wiederholtes Erbrechen und Würgen,
Stuhlgang angehalten. Temp. 37.8. Die schmerzhafte Stelle leicht
gedämpft ohne deutliche Härte. Eisblase. Opium, absol. Diät.
Temperatur- und Leukocvtenbeobaehtung gestalteten sich wie
folgt:
Tag
Zahl der
Körper-
Leukocyten
wärme
23. VH.
(2. Krkhtag.)
19200 |
37,8
°4 vn
25800
39,1
VJ1 ‘| Abd.
43400
39,4 Akutes Einsetzen einer pneu-
raon. Anschoppung R. H. U.
25. VII.
40600
38,4 1 Schlaffe, umschriebene Pneu-
26. VII.
41400
38,8 J monie v gering. Ausdehng.
27. VII.
27800
38,0 Beginnende Lösung der Pneu¬
monie.
28. VII.
24800
38,0 Exsudat der r. Fossa iliaca
grösser und
derber. Verlegung zur chir. Abtheilung
wegen der Pneumonie Rekonvalescenz verschoben
29. VII.
24400
37,9
30. vn.
31400
' 37,9
31. VH.
25000
i 37,3
i. vm.
27200
37,0
2 . vm.
27800
36,7
Zur chir. Abtheilung verlegt,
nicht
wo alsbald eingeschnitten und reichlich dicker,
stinkender Eiter entleert wird.
28. VIII. wird Pat. geheilt entlassen.
Der vorstehende Fall bietet neben dem interessanten Ver¬
halten des Blutes während der Pneumonie noch eine ihr folgende
längere Beobnchtungszeit und während dieser die bemerkens-
werthe Gleichmässigkeit der auf die Eiterung bezüglichen immer¬
hin noch erheblichen Leukocytose. Wir verdanken diese unge¬
wöhnlich lange Zahlenreihe dem Umstand, dass uns die grosse
Schwäche der Patientin bei nicht sehr dringlichen örtlichen Ver¬
hältnissen die Uehergabe in chirurgische Behandlung länger zu
verschieben veranlasste, wie wir sonst gethan hätten und zu thuu
ratlien.
Noch ein anderer Umstand verdient an diesem Falle hervor¬
gehoben zu werden: Das nur langsam horvorge-
tretenc und weiter entwickelte, zuletzt sehr
grosse eiterige Exsudat bestand während der
letzten 7 Tage vor der Operation fast ganz
ohne Fieber (T c m p. - M a x i m. 38,0). Ausschlag¬
gebend für die richtige Beurtheilung seiner
Beschaffenheit war die dauernde beträcht¬
liche Erhöhung der Leukocy teil zahlen.
Fälle dieser Art gehören übrigens durchaus nicht zu den Be¬
sonderheiten. Während jedem erfahrenen Arzt bekannt ist, dass
bei eiteriger Appendieitis die Schwere und Ausdehnung des Pro¬
cessus und das Manss der Erhöhung der Körperwärme sich durch¬
aus nicht decken, lässt sich der Anfänger durch das nicht seltene
zeitweilige oder fast dauernde Fehlen einer solchen nur allzu
leicht verleiten, das Vorhandensein eines Abscesses von der Hand
zu weisen.
In solchen Fällen kann, wenn sie auch sonst noch unsicher
liegen, die Leukocytenzählung durch keine andere diagnostische
Methode ersetzt werden.
Nach der operativen Entleerung des Eiters
sinkt, wenn sie völlig gelungen, nach unserer
Erfahrung 7 ) die Leukocytenzahl entweder un¬
mittelbar, nicht selten zur Norm, selbst etwas
darunter, oder sie bleibt, noch kurze Zeit auf
der vorher erlangten Höhe, ja sie kann sich in
ganz seltenen Fällen sogar noch über dieselbe
erheben.
Geht aber daruaeh die Zahl der .wissen Zellen nicht bald
zur physiologischen herunter, oder steigt die Leukocytcnkurve gar,
nach kurzer Remission oder ohne eine solche, noch weiter an.
so kann mit Sicherheit entweder auf unvollständigen Eiterabfluss
geschlossen werden oder auf das Bestehen von der Ineision nicht
getroffener nachbarlicher oder entfernter gelegener Eiterherde
oder endlich auf anderartige Komplikationen, die an sich mit
Leukocytose verknüpft, zu sein pflegen.
Beispiel:
21 jähr. stud. med. am 7. V. 1899 (ain 3. Kraukbeitstagi auf-
genommen. Beträchtliche Temperatursteigerung: 40.1. lieber
dem rechten Lig. Poupart. vier Finger breit nach oben, nach der
T ) Herr Koll. Trendelenburg hatte die grosse Freund¬
lichkeit, uus auch hei den operirten Patienten zahlreiche Zählungen
zu gestatten. Hierfür, sowie für die Erlaubniss, Mittheilungen
über das Operatlonsergebniss einiger anderer seiner Abtheilung
überwiesenen Kranken zu machen, sei ihm an dieser Stelle be¬
sonders gedankt.
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3. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1963
Mittellinie bis fast zur Lin. alba sich erstreckende schmerzhafte
Resistenz mit tympnnitlseher Dämpfung. Die betreffende Gegend
bis zur Blase hin deutlich vorgetrieben. Leukocytenzahl am 7. V.:
15 000. An den folgenden Tagen steigt, zunächst ohne wesentliche
Veränderung der örtlichen Erscheinungen und bei starkem Herab¬
gehen der Temperaturkurve (am 11. V. 38,1), die Zahl der weissen
Zellen auf IG 800. 21400, 20 400.
In der Nacht vom 11. V. zum 12. V. lebhafte Steigerung der
örtlichen Schmerzen, Brechneigung und starke Auftreibung des
Leibes. Am Morgen Verlegung zur chirurgischen Abtheilung, wo
sofort die Inclsion gemacht und zunächst leicht getrübte, seröse
Flüssigkeit, dann, nach vorsichtiger Lösung einer verklebten Darm¬
schlinge, dicker Eiter in mässiger Menge, zusammen mit einem
fingergliedlangen Kothstein entleert wird.
Während des folgenden Tages geht, unter Fortdauer der Eiter¬
entleerung in den Verband, die Zahl der weissen Zellen um ein
Geringes herunter: Morgens 17100, Abends 15 200. Ein Rückgang
der Leukocytenzahlen auf die Norm wird aber vergeblich er¬
wartet. Sie steigen im Gegentheil alsbald wieder an und bleiben
fortdauernd auf verdächtiger Höhe.
Am 20. V. wird nochmals eingeschnitten und
eine grosse Menge (etwa 2 Liter) übelriechenden
Eiters aus einem zweiten abgesackten Abscess
im kleinen Becken entleert. Die Zahl der weissen
Blutzellen sinkt sofort dauernd zur Norm und die Heilung geht
nunmehr ungestört vorwärts.
Ich gebe im Folgenden die Zählungsergebnisse und die Tem¬
peraturen:
Tag
Zahl der
Leukocyt.
Temp.
Tag
Zahl der
Leukocyt.
Temp
7. V.
15000
40,1
15. V.
16900
37,0
(3. Krkhtag.)
16. V.
15100 1
37,0
9. V.
16800
38,1
17. V.
17900
37,0
10. V.
21400
38,2
18. V.
15400
37,6
11. V.
20600
38,1
19. V.
18800 |
38,4
I. Oper
ation.
20. V.
II. Operation.
12. V.
17100
37,1
23 V.
10600
36,7
Abends
15800
38,0
24. V.
8300
36,2
13. V.
19300
38,0
25. V.
80U0
36,8
14. V.
18500
37,8
27. V.
7700
36,4
Der vorstehenden Tabelle mag hinzugefügt werden, dass auch
sie ein sehr bemerkenswerthes Beispiel dafür liefert, dass bei
selbst grossen Abscessen die Höhe und der Verlauf der Tem¬
peraturkurve keine oder nur ganz unsichere Anhaltspunkte bieten,
im Gegensatz zu dem sehr prägnanten Verhalten der Leukocyten.
Ein besonders grosser Beckenabscess, der durch die Zahl der
letzteren sich deutlich kennzeichnete, hatte nur ganz geringfügige.
Tage lang überhaupt keine Steigerungen der Körperwärme zur
Folge gehabt.
Wie sehr verlässlich die Beobachtungen sind, die wir an
den ohne Eiterung bei gewöhnlicher interner Behandlung Ge¬
heilten und denjenigen, bei denen durch Abscesseröffnung Hei¬
lung erzielt wurde, machten, zeigten uns vereinzelte Fälle, wo
trotz nur geringfügiger oder im Anfang vorübergehend stärker
erhöhter Vermehrung der weissen Zellen die örtlichen Verände¬
rungen zum Einschneiden Anlass gegeben hatten. Es wurde hier
kein Eiter gefunden und Heilung erzielt, ohne dass es dazu kam.
Beispiele:
M. R., 23 jähriges Dienstmädchen, wird am 12. X. 1899
(am 2. Krankheitstag) mit einem entzündlichen, schmerzhaften
Tumor der rechten Unterbauchgegend aufgenommen, der am
deutlichsten nach rechts vom Nabel nachweisbar Ist, nach oben
bis 2 Finger breit unterhalb des rechten Rippenbogens sich er¬
streckt und nur durch eine reichlich 3 Finger breite Zone vom
P o u p a r t’schen Bande getrennt Ist. Diagnose: Appendlcitis mit
Exsudat, wahrscheinlich bei abnormer Lage des Wurmfortsatzes.
Ordln.: Absol. Diät, Eis, Opium.
Tag
Zahl der
Leukocyt.
Temp.
Tag
Zahl der
Leukocyt.
Temp.
12.X.
14800
36,6
22.X.
8800
36,5
13.X.
15000
38,1
23.X.
8800
36,5
14.X.
20400
38.5
24. X.
8600
36,5
15.X.
17600
38,2
25.X.
10200
37,0
16.X.
14000
38,2
26 X.
j 10000
37,0
17.X.
12600
36,0
27.X.
9600
37,2
18.X.
13v00
37,0
28. X.
15800
39,3
19.X
18000
37,5
29. X.
1 15600
39,4
20.X.
12800
36,6
30. X.
1 14600
38,9
21.X.
9200
36,3
I
Neben nicht sehr hohen Temperatursteigerungen und Gleich¬
bleiben der entzündlichen Geschwulst waren während der ersten
Beobachtungstage relativ hohe Leukocytenzahlen festzustellen.
Vom 6. Krankheitstag an verminderten sie sich, um bald
zu normalen Zahlen zurückzugehen.
No. 49.
Vom 27. zum 28. traten Schmerzen beim Athmen und am 29.
die Erscheinungen einer pneumonischen Verdichtung im rechten
Unterlappen ein unter Steigerung der Zahl der weissen Zellen.
Da auch der entzündliche Tumor deutlicher geworden und der
Leber und dem Zwerchfell näher gerückt zu sein schien, so er¬
wachten Zweifel, ob die Verdichtung R. H. U. wirklich eine pneu¬
monische oder auf einen zur Ausbildung gekommenen subphre¬
nischen (perityphlitischen) Abscess zu beziehen sei, nach Analogie
mehrfacher von uns gemachter ähnlicher Beobachtungen.
Die Kranke wurde zur chirurgischen Abtheilung verlegt. Hier
wurde nach Eröffnung der Bauchhöhle von vorne eine retro
peritoneal gelegene Anschwellung gefunden, welche Fluktuations¬
gefühl gab.
Zunächst wurde nun, um Verwachsungen und Abkapselung
nach der freien Bauchhöhle zu erzielen, tamponirt. 10 Tage später
wurden die Tampons entfernt, worauf sich die erwähnte Vor-
wölbuug hinter dem Peritoneum entschieden verkleinert erwies.
Da die Probepunktion keinen eiterigen Inhalt der Geschwulst er¬
gab, so wurde wieder tamponirt und abgewartet.
Auch später erfolgte keine Eiterung. Pat. wurde vielmehr
am 19. XII. geheilt entlassen.
Ein zweiter, in gleichem Sinn zu verwerthender Fall betraf
den 21 Jiihr. Färber P. W., der am 7. VI. 1900, angeblich nach
2 tägigem Bestand seiner Krankheit, mit einem fast hühnerei¬
grossen, derben, druckemptindlichen, entzündlichen Tumor der
Fossa iliaea dextra aufgenommen wurde.
Am 8. VI. Temp. 38,3, Zahl der Leukocyten 13.100. Am 9. VI.
ziemliche Schmerzhaftigkeit auch in anderen Gegenden des Unter¬
leibs, besonders am S romanum.
Am 10. VI. Meteorismus, allgemeine Druekempfindlichkeit,
Erbrechen. Temp. 37,9, Leukocyten 13 000, am Abend 38,1, Leuko-
e\ teu 12 000.
Da auch am 11. VI. Schmerzen und Erbrechen nicht nacb-
lasseu, die Auftreibung des Leibes aber zunimmt, so wird der
Kranke auf die chirurgische Abtheiluug verlegt.
Wenn auch an das Vorhandensein einer grösseren umschrie¬
benen Eiteransnmmluug nicht zu denken war, so hofften wir doch,
dass andersartige das Krankheitsbild so bedrohlich gestaltende
Veränderungen (Verklebungen, Knickungen des Darm etc.) hier
wirksamer als bei uns behandelt werden könnten.
Operation 6 ): Nach Durchtreunung der Bauchmuskeln an der
typischen Stelle fühlt man eine Resistenz auf der Darmbein¬
schaufel. Beim Versuch, sie von hintenher (retroperitoneal) ein¬
zuschneiden, gelangt man nicht zum Ziele. Es wird desshalb von
vorn das Peritoneum eröffnet und eine Lösung der hier verklebten
Darmvorschlingen vorgeuommen. In der Tiefe, in der Höhe des
Wurmfortsatzes zeigen sich nun zwischen den Darmschlingen
eiterige Beläge, aber kein umschriebener Eiterherd. Die Stelle
wird tamponirt.
Zahl der weissen Blutzellen am 15. VI. 23 000.
10. VI. Starke Absonderung fäkulent riechender Flüssigkeit.
18. VI. Tampon entfernt. Aus der Operntionswunde kommt
Eiter und ein haselnussgrosser Kothstein.
7. VIII. Geheilt entlassen.
Den incidirten ganz ähnlich verhalten sich
diejenigen Fälle, bei denen Perforation und
Entleerung perityphlitischer Abscesse in
Hohlorgane des Unterleibs, besonders die
Blase und den Darm erfolgt.
Auch sie zeichnen sich zunächst regelmässig durch hohe,
anhaltende Leukocytenzahlen aus, die mit Eintritt der Perfo¬
ration, zuweilen ganz plötzlich zur Norm zurückkehren. Zu¬
weilen geschieht der Abfall langsamer wie nach kunstgerechter Er¬
öffnung oder es folgen nach nur vorübergehender Verminderung
selbst nochmals Steigerungen der Leukocytenzahlen und erst dar¬
nach der dauernde Abfall. Diese Verhältnisse sind zweifellos,
und an einzelnen Fällen lässt sich dies direkt durch Beobachtung
des Stuhlgangs oder Urins nachweisen, der Ausdruck mangel¬
haften oder vorübergehenden, stockenden Eiterabflusses, was ja,
wenn man die topographischen Verhältnisse in Erwägung zieht,
bei spontanen Durchbrüchen so leicht der Fall sein kann.
Ein besonders charakteristischer, hierher gehöriger Fall ist
der folgende:
E. W., 15 jälir. Arbeiterin, wird, nachdem sie angeblich 4 Tage
vorher mit Erbrechen, Kopfschmerz und Empfindlichkeit in der
Ueocoecalgegend erkrankt war, am 24. V. 1901 in die Klinik auf¬
genommen.
Die kleine, magere, sehr anaemische Kranke zeigt zunächst
nur eine mässige meteoristische Auftreibung des Leibes ohne deut¬
lich fühlbare Resistenz ln der bei Betastung ziemlich schmerz¬
haften Regio iliaea dextra.
Die am Tag nach der Aufnahme vorgenommene Blutzählung
ergibt nur 9200 weisse Blutzelleu, also eine zunächst unverdächtige
Zahl. Am 8. und 9. Krankheitstag steigerte sie sich jedoch auf
10 000 bis 18 400.
In der rechten Fossa iliaea wurde nuu ein derbes Exsudat fühl¬
bar, das unter verhiiltnissmässig hohem Fieber langsam sich ver-
grösserte und am 14. Kraukheltstag einen grossen Umfang ange-
•) Die betr. Angaben verdanke ich der Freundlichkeit des
I. Assistenten der chirurgischen Abtheilung, Herrn Dr. W 11 m s.
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1964
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
uomuum hatte. Es reichte von der Fossa iliaca bis fast zmu
Rippenbogen und überschritt nach der Mitte hin die Linea alba
um ein Geringes. Die Zahl der Leukocyten war schon am 10. Tag
auf 20 000 gestiegen und blieb nun auf dieser Höhe und noch
darüber, so dass wir am 14. Tag 20 000 zählten.
An der Bildung eines grossen Abscosses war kein Zweifel mein-,
Nur der besonders elende Zustand der Patientin und gewisse
äussere Verhältnisse veranlassten uns, mit der Verlegung zur
chirurgischen Abtheilung noch etwas zu zögern.
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1 • liiiilillilii: i : i:i i h |: i 1:14:1 1^44:1-14-1 =1
Sie wurde überhaupt unnüthig.
In der Nacht vom 15. zum 10. Ivrankheltstag erfolgte ein
rascher Abfall der bis dahin den Charakter einer Febris continua
bietenden Temperatureurve. der auch am 10. noch fast ununter¬
brochen sich fortsetzte, so dass am 17. subnormale Temperaturen
erreicht waren. Ebenso schnell wie d e r A b f a 11 der
K u r v e s a n k a u ch die Zahl d e r w cissen Zelle n,
d i e a m 17. Krankheitstag nurno c h 13 700 u n d a m IS.
OfiOO betrug.
Der nach dem Abfall entleerte dünne Stuhl
enthielt Blut und Eiter.
Vom Eintritt Mer Perforation an verkleinerte sich der Tumor
rapid, der Meteorismus schwand, die Kranke wurde schmerzfrei
und der Kräftezustand hob sich sichtlich. Eine kleine Eiter¬
retention, die in der Kurve durch vorübergehende Temperatur¬
steigerung und ebenso lang andauernde geringe Vermehrung der
Leukocyten sich kennzeiclmete. wurde rasch überwunden, die
Leukocyten sanken dann dauernd zur Norm und am 2ö.Krankheits¬
tag war bei der definitiv outfieberten Kranken, die nun nur noch
5900 weisse Zellen bot, das mächtige Exsudat bis auf eine geringe,
schmerzlose Resistenz oberhalb des Poupar t’sclien Bandes ver¬
schwunden.
Am 3. VII. wurde das Mädchen ohne jeden nachweisbaren
Rest des früheren Exsudates geheilt entlassen. —
Wenn ich das im Vorstehenden besprochene Verfahren den
Fachgenossen zur Nachprüfung empfehle, so glaube ich damit
auf eine diagnostische Methode hingewiesen zu haben, die, ein¬
fach und leicht, auch für den beschäftigten Arzt anwendbar, in
schwierigen, verantwortungsreichen Fällen ausschlaggebend
werden kann.
Ich denke natürlich nicht daran, für jeden Appendicitisfall
tägliche Blutkörperchenzählung zu empfehlen. Eine nicht ge¬
ringe Zahl von Fällen wird auch ohne sie wie bisher diagnostisch
und therapeutisch genau genug beurtheilt werden können. Für
eine andere Zahl erblicke ich jedoch in dem Verfahren eine
wesentliche Erweiterung unseres diagnostischen Könnens. Hier
wird es in Zukunft nicht mehr entbehrt werden können
Ich zweifle übrigens nicht, dass die Leukocytenzählung auch
für die nähere Beurtheilung anderer entzündlicher Ausschwitz¬
ungen, sowohl direkt nachweisbarer, wie latenter oder schwerer
zugänglicher von Wichtigkeit werden dürfte. Ich denke hier
zunächst an umschriebene entzündliche Processe an anderen
Stellen des Unterleibs, z. B. subphrenische und im Becken und
Beckenzellgewebe entwickelte.
Wenn ich bisher nur von Leukocyten im Allgemeinen ge¬
sprochen habe, so möchte ich bemerken, dass wir auf die Mengen¬
verhältnisse ihrer einzelnen Formen bisher nicht häufig und ein¬
gehend genug geachtet haben, um bestimmte Angaben machen
zu können. Im Allgemeinen hatten wir nicht den Eindruck einer
besonderen Vermehrung der einen oder anderen Form. Vielleicht
wird dies von anderer Seite nachgeholt, womit wahrscheinlich
mehr der theoretischen als der praktischen Seite der Frage ge¬
nützt werden wird.
Die Verschiedenheit der Eitererreger scheint, so weit ich
dies bis jetzt übersehe, auf unsere Untersuchungsergebnisse ohne
erheblichen Einfluss zu sein”). Ich möchte aber auch hier end¬
gilt ige Schlüsse von näheren Untersuchungen abhängig machen.
'I Aligeselien natürlich von den pathogenen Mikroorganismen,
die eine Verminderung oder doch nicht Vermehrung der im Blute
kreisenden weissen Zellen machen und die gelegentlich Eiterung
erregend wirken können, wie z. B. der Bacillus Eberth.
Wenn man, wie vorauszusehen, den Einwand erheben wollte,
das Zählverfahren sei durch die Anwendung der Probe¬
punktion überflüssig gemacht, so erwidere ich, dass es diese,
wo sie anwendbar ist, durchaus nicht verdrängen soll. Einen
vollen Ersatz aber bietet sie bestimmt nicht. Einmal habe ich
selbst -— und mit mir gewiss viele erfahrene Aerzte — genug
Fälle beobachtet, wo die geschickt und mehrfach ausgeführte
Probepunktion wirklich vorhandene Eiterung nicht erweisen
konnte und ausserdem ist das Verfahren weder immer gefahrlos,
noch überhaupt überall anwendbar.
Zum Schluss fasse ich die wesentlichsten Ergebnisse meiner
Arbeit zusammen:
In der überwiegenden Zahl aller Fälle sind durch die Leuko¬
cytenzählung die Appendicitisfälle mit einfacher, sogen, fibri¬
nöser Exsudation von den zur Abscessbildung kommenden sicher
zu unterscheiden, auch da, wo andere Zeichen, Form und Con-
sistenz der Ausschwitzung (Fluktuation), das Temperaturverhal¬
ten und die Probepunktion im Stiche lassen.
Die nicht abscedirenden Fälle zeichnen sich dadurch aus,
dass sie entweder ganz ohne Vermehrung der weissen Blutzellen
verlaufen — hierher gehören fast nur die leichteren — oder dass
sic eine verhältnissmitssig geringe Steigerung im Anfänge der
Erkrankung bieten, die, im weiteren Verlaufe dauernd, oder
mit nur vereinzelten Erhebungen an wenigen Tagen, zur Norm
zurückgeht.
Höhere Leukocytenzahlen kommen ohne spätere Abscess¬
bildung nur im Anfang der Erkrankung und dann vorübergehend
vor. Die Zahl der weissen Zellen überschreitet dann aber, auch
individuelle Schwankungen in Betracht gezogen, nur äusserst
20 bis 22 000.
Erhebt sich schon in den ersten Tagen oder, was minder
häufig, im Laufe der weiteren Beobachtung die Leukocytenzahl
dauernd zu hohen Werthen, so ist, falls anderartige Leukozytose
erregende Processe (Pneumonie etc.) auszuschliessen sind, mit
Sicherheit Abscessbildung anzunehmen und chirurgische Be¬
handlung unbedingt angezeigt.
Leukocytenzahlen von 25 000 und darüber sind schon an sich
und vereinzelt beobachtet dringend verdächtig. Stellt man sie
nach längerem Bestand der Erkrankung fest, so ist die Diagnose
Eiterung so gut wie sicher und weiteres Zuwarten unnöthig.
Wird der Abseess durch Einsebneiden entleert, so sinkt,
falls die Entleerung vollständig war, die Leukocytenzahl rasch,
vielfach direkt und dauernd zur physiologischen ab. Sinkt sie
nach der Operation nicht oder steigt sie gar an, so ist an Ver¬
haltung von Eiter oder Vorhandensein eines oder mehrerer ander¬
weitiger Abscesse zu denken.
Werden perityphlitisehe Abscesse durch Durchbruch in den
Darm, die Blase oder andere Hohlorgane des Unterleibs nach
aussen entleert, so ist das Verhalten der Leukocyten dem nach
chirurgischer Behandlung gleich: rasches Absinken bei leichtem
vollständigem Abfluss, langsame Verminderung, Fehlen derselben
oder Wiederansteigen, je nach den ihm entgegenstehenden
Schwierigkeiten.
Für die Diagnose der Abscessbildung steht das Verhalten der
Leukocyten demjenigen des Fiebers, speciell der Körperwärme,
weit voran. Während Form und Verlauf der Temperatur¬
kurve hier ungemeine Verschiedenheiten bieten und sehr geringes
Fieber, ja dauerndes Fehlen desselben zur Ausdehnung der eite¬
rigen Processe oft genug in grellem Missverhältnis stehen, kenn¬
zeichnen diese sich fast ausnahmslos durch dauernde, innerhalb
enger Grenzen schwankende hohe Leukocytose aus. —
Wenn ich nicht zweifle, dass andere Beobachter meine An¬
schauungen im Grossen und Ganzen bestätigen werden, so möchte
ich doch schon hier davor warnen, das Vorgetragene allzu sche¬
matisch zu nehmen. So wenig in einer Schilderung des charak¬
teristischen Verlaufs der Fieberkurve bei einer bestimmten In¬
fektionskrankheit alle Möglichkeiten und Einzelabweichungen
herangezogen werden können, so wenig wird dies für das Ver¬
halten der Leukocyten bei der Appendicitis möglich sein. Ja ich
halte es für sehr wahrscheinlich, dass bei Beobachtung einer
grösseren Zahl von Fällen der eine oder der andere sich finden
wird, der durch nicht oder nur unerheblich gesteigerte Leuko¬
cytenzahl bei bestehender Eiterbildung zu meinen Erfahrungen
in scheinbarem Widerspruch steht. Sind doch schon die Gegen¬
sätze zwischen serofibrinösen Exsudaten und Abscdhsbildung
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3. Dezember 1901.
MüENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1965
lange nicht so schroff, wie dies bei theoretischer Erörterung
scheinen möchte.
Bezüglich einiger Formen fehlt mir bis jetzt die genügende
Erfahrung, z. B. über das Verhalten der Leukocytose bei den
seltenen Fällen von kleinen Abscessen, die durch allseitige derbe
Abkapselung und Eindickung ihres Inhalts zu relativer Heilung
kommen.
Auch über die Fälle, die in Folge Durchbruchs des Abscess-
inhaltes in die freie Peritonealhöhle unter Erscheinungen akuter
allgemeiner Peritonitis rasch tödtlich enden, habe ich bezüglich
des Leukocytenverlialtens keine genügende Erfahrung. Ich
glaube, Grund zu der Annahme zu haben, dass bei einzelnen —
ihrem Wesen nach mir noch nicht näher bekannten — Fällen
' mit Eintritt der allgemeinen Bauchfellentzündung die Anfangs
hoch gesteigerte Zahl der weissen Blutzöllen rasch und erheblich
sinkt, bis zur Norm und selbst darunter.
Aus dem hygienischen Institut der Universität Wien.
Zur Theorie der Antikörper.
II. Ueber Bakteriolyae und H&emolyse.
Von Max Gruber in Wien.
^ (Schluss.)
Dass die Ehrlich’sche Auffassung des Alexins lediglich
als Complemont nicht richtig ist, ergibt sich daraus, dass durch¬
aus nicht in allen Fällen die Wirkung des Alexins an das Vor¬
handensein eines Präparators gebunden ist. Es ist zwar ganz
richtig, dass in vielen Fällen die Haemolyse durch die Normal¬
sera genau so vor sich geht, wie die durch speeifische Antisera,
d. h. dass zunächst die Blutkörperchen einen Präparator absor-
biren bezw. absorbiren müssen, um gelöst zu werden. Aber in
anderen Fällen ist eine solche Hilfssubstanz nicht nachweisbar.
Die Frage ist leicht zu entscheiden, indem man in das abgekühltc
Serum die Blutkörperchen in grosser Menge einträgt, nach an¬
gemessener Zeit abcentrifugirt, in die Flüssigkeit neuerdings
eine angemessene Menge Blutkörperchen der gleichen Art ein¬
trägt und eventuell dies»** Verfahren mehrfach wiederholt.
Jedesmal prüft man, ob sich die abcentrifugirten Körperchen
in der zuletzt abcentrifugirten Flüssigkeit (Alexinlösung)
beim Erwärmen lösen oder nicht. Ist zur Lösung ein Präparator
nothwendig, so geht nur die erste Blutkörperchenportion in
Lösung, allenfalls noch ein Theil der zweiten; vermag aber das
Alexin für sich allein zu lösen, so gehen die letztabcentrifugirten
Körperchen genau so in Lösung, wie die ersten. Auf diese Weise
würfle z. B. ermittelt, dass Rinderserum Schafblut, Kaninchen¬
serum Hammelblut, Hühnerserum Kaninchenblut mit Hilfe von
in diesen Normalseris enthaltenen Präparatoren löst, dass da¬
gegen die Lösung von Kaninchenblut durch Hundeserum, die
von Kaninchenblut durch eoncentrirtes Meerschweinserum, die
von Kaninchen- und Meerschweinblut durch Rinderserum ohne
Mitwirkung eines Präparators durch die Alexine dieser Serum¬
arten allein besorgt wird. Auch die Abtödtung abgeschwächter
Bacterienrassen durch die Normalsera erfolgt anscheinend durch
das Alexin allein, während es zur TÖdtung der vollvirulenten
Kassen der Mitwirkung der specifischen Präparatoren der
Immunsera bedarf. Ebenso tödtet nach Metschnikoff
normales Kaninchenserum die Spormatozoen des Meerschweines,
ohne dass in ihm ein Präparator nachweisbar wäre.
Wenn das Alexin unter Umständen schon für sich allein hin¬
reicht, um Haemolyse und Bakteriolyse herbeizuführen, so muss
man erwarten, dass seine Wirkung durch verschiedene Präpara¬
toren gefördert werden kann. Dies verhält sich auch so. Ehr¬
lich hat nicht einmal den Versuch gemacht, seine Behauptung
zu beweisen, dass die Präparatoren der Normalsera mit den Prä¬
paratoren der Immunsera identisch seien. Der Umstand, dass
beiderlei Präparatoren durch die Erythroc.vten absorbirt werden
und die Alexinwirkung ermöglichen, ist noch kein Beweis dafür.
Man müsste sonst auch Schwefelsäure und Salzsäure für identisch
erklären, weil beide sauro Reaktion verursachen, eine Reihe von
Processen ermöglichen, die nur bei saurer Reaktion vor sich
gehen und beide durch Lauge neutralisirt werden.
Thatsächlich lässt sich beweisen, dass der normale, nicht-
speciflsche Präparator und der specifischo Präparator von
einander verschieden sind.
Concentrirtes, normales, aktives Kaninchcnscrum löst Meer¬
seh weinblutkörperchen unter Mitwirkung eines Präparators.
Inaktivirt man es, so lässt es sich durch Zusatz von aktivem
normalem Meerschweinserum gegenüber Meerschweinblutkörper¬
chen nicht wieder aktiviren, d. h. die Imprägnation der Meer-
schweinblutkörperchen mit dem Präparator des normalen Ka-
ninchenserums genügt nicht, um sie für das Alexin ihres eigenen
Serums empfindlich zu machen. Genau ebenso verhält cs sich
mit innktivirtem Hühnerserum gegenüber Meerschweinblut-
körperchen und -Serum, inaktivem Hundeserum gegenüber
Kaninchen- und Meerachweinblutkörperchen und -Serum, in¬
aktivem Schafserum, inaktivem Rinderserum gegen diese selben
Blutkörperchen- und Serumarten. Niemals scheint der
Präparator der Normalsera die Erythro-
cyten einer anderen Species für ihr eigenes
Serum empfindlich zu machen. Inakt ivirt. man
dagegen das Serum von Kaninchen, die mit Meer-
schweinhlut vorbehandelt worden sind, versetzt man es mit
frischem Meerschweinserum und trägt man in dieses Gemisch
Meerschweinblutkörperchen ein, so gehen diese in Lösung und ich
glaube Voraussagen zu können, dass die specifischen
Präparatoren regelmässig die Erythrocyten
in ihrem eigenen Serum löslich machen. Dies
wäre also ein durchgreifender Unterschied zwischen beiden.
Die Thatsaehe, dass in mauchen Fällen die Alexino für sich
allein lytisch wirken, dass die Alexine in ihrer Wirkung durch
verschiedene Präparatoren gefördert werden können, macht es
etwas begreiflicher, dass schon die Normalsera eine so mannig¬
fache lytische Wirkuug, wenn auch in beschränktem Ausmaassc,
auszuüben vermögen. Wenn, wie Ehrlich will, jedesmal ein
ganz bestimmtes, durch Vereinigung eines ganz specifischen
Amboceptors mit einem ganz bestimmten Alexin gebildetes Lysin
in Wirkung treten müsste, wäre es noch räthselhafter, woher
denn alle diese Stoffe kämen.
Dass im normalen Serum vielerlei Stoffe Vorkommen, die
fremde Zellen für das Alexin präpariren, ist nicht zu bezweifeln.
Ebenso ist es völlig sicher, dass das Serum jeder Species
ein anderes Alexin enthält. Viel strittiger ist es, ob im
aktiven Serum einer bestimmten Thier-
species ein oder mehrere Alexine enthalten
sind, d. h. ob bei allen lytischen Wirkungen eines bestimmten
Serums ein und dasselbe Alexin in Aktion tritt?
Ich schliesso mich in dieser Hinsicht Bordet und
Büchner an, die für die Einheit des Alexins eintreten.
Es scheint mir dies durch den Nachweis Bordet’s sichergestellt
zu sein, dass durch Vermischen eines aktiven Serums mit einer
bestimmten empfindlichen Blutkörperchenart oder empfindlichen
Bakteriennrt seine Aktivität gegenüber allen empfindlichen
Blutkörperchen, sowie gegenüber allen empfindlichen Bakterien,
aufgehoben werden kann. Denselben Nachweis hat Wilde mit
abgetödteten Bakterien geführt; z. B. macht Vermischen von
Normalserum mit abgetödteten Choleravibrionen, falls genügende
Mengen davon angewendet werden, und die Einwirkung lange
genug währt, dieses gegenüber allen empfindlichen Elementen
inaktiv. Ich selbst habe zu anderem Zwecke ähnliche Versuche
mit ganz gleichem Erfolge an'gestellt.
Allo Einwendungen, die gegen die Einheit des Alexins ge¬
macht worden sind, scheinen mir nicht stichhaltig zu sein. Sie
gehen alle von der irrigen Voraussetzung aus,
dass dort, wo Alexin vorhanden ist, auch alle
Alexinwirkungen in gleicher Weise eintreten
müssen, ganz unabhängig von der Concentration des Alexins,
von der Menge der einzelnen vorhandenen Präparatoren und dem
Grade der Imprägnation der zu lösenden Elemente mit diesen,
von der übrigen Zusammensetzung der Flüssigkeit, die doch
nach Umständen fördernd oder hemmend wirken können wird.
Sicherlich spielt allein schon die Concentration des
Alexins eine sehr grosse Rolle. Nur ein Beispiel dafür!
Rinderserum löst Kaninchen- und Mecrschweinblutkörperchen
noch in grosser Verdünnung. Schafblutkörperehen aber mir in
eoncentrirtem Zustande.
Nach meinem Dafürhalten gehen also die verschiedenen
Ilacmolysen und Bakteriolysen durch ein bestimmtes Serum so
vor sich, dass immer dasselbe Alexin die Plasmolyse veranlasst,
entweder für sich allein oder unter Mitwirkung bestimmter, nor¬
maler oder spezifisch erzeugter Präparatoren. Alle Beobachter
scheinen darin überein zu stimmen, dass bei der specifischen
3 *
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1966
No. 49.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Vorbehandlung der Thiere nur die Präparatoren neu gebildet
werden, während die Menge des Alexins im Blutserum davon
nicht beeinflusst wird, so dass also die höhere Intensität der
lytischen Wirkung der specifischen Sera lediglich darauf beruht,
dass der reichlich vorhandene Präparator die ganze vorhandene
Alexinmenge auf ein empfindlich gemachtes Element concentrirt.
So lange als die baktericide Wirkung der Normalsera be¬
kannt ist. dauert auch der Streit darüber, welche Bedeutung
dieser Wirkung als natürliches Schutzmittel des Organismus
gegen Infektion zukomme. Während ein Theil der Forscher
diesen Schutz sehr hoch bewerthet, halten ihn Andere für ganz
unbedeutend und Metschnikoff und seine Schule läugnen
überhaupt das Vorhandensein von freiem Alexin in den lebenden
Säften. Erst beim Absterben der polynucleären Leukocyten und
daher nur ganz ausnahmsweise im lebenden Körper selbst, soll
Alexin frei werden. Man kann nicht läugnen, dass viele That-
saclien berechtigte Zweifel an der Existenz des Alexins im
lebenden Körper erwecken und dass bisher, trotz aller Be¬
mühungen, ein einwandfreier Beweis für diese Existenz nicht
beigebracht werden konnte.
Wenn wir sehen, dass das Serum eines für die künstliche
Infektion mit Milzbrandbacillen so enorm empfänglichen Thieres,
wie das Kaninchen, Milzbrandbacillen energisch abtödtot, dass
andererseits das Serum des Hundes, der gegen Milzbrandinfektion
fast unempfänglich ist, für Milzbrandbacillen einen guten Nähr¬
boden abgibt, so wird uns dies abhalten, in der Sorumwirkung das
Fundament der natürlichen Immunität zu suchen. Wenn wir
aus den Versuchen von Conrad i, Ostrianine und Wilde
erfahren, dass man aus dem reichlich lebende Bacillen führenden
Blute milzbrandkranker Thiere Serum gewinnen kann, das gerade
so oder nur wenig schwächer baktericid wirkt als das Serum eines
normalen Thieres, so scheint dies wenigstens entscheidend
gegen die Existenz des Alexins im Plasma zu sprechen.') Es gibt
noch andere bedenkliche Facten.
In sehr geistvoller Weise hat Wassermann versucht, diese
Frage zur Entscheidung zu bringen. Wenn man einem Thiere A
aktives Serum einer anderen SpeeiesB in passender Weise beibringt,
gewinnt das Serum des behandelten Thieres A die Eigenschaft, die
lytische Wirkung des Serums B auf die Blutkörperchen von A
und auf andere empfindliche Elemente zu paralysiren. Wasser¬
mann sagte sich nun, wenn das Alexin im lebenden Thier prä-
exist.irt. und wenn ihm eine wesentliche Bedeutung bei der natür¬
lichen Immunität zukommt., dann muss ich im Stande sein, diese
natürliche Immunität aufzuheben oder merklich zu schwächen,
wenn ich einem Thiere solches Antialexinserum in genügender
Menge einverleibe. Er verschaffte sich also durch Injektion von
frischem Meersehweinserum bei Kaninchen Antialexinserum und
injicirte dieses zusammen mit einer für normale Thiere nicht
tödtlichen Dosis von Typhusbacillen in die Bauchhöhle von
Meerschweinen und — siehe da! — während die normalen Thiere
die Typhusinfektion Überstunden, erlagen ihr die mit dem Serum
behandelten.
Aber so schlagend dieser Versuch für die Bedeutung des
Alexins zu sprechen scheint, er lässt doch allerlei Einwände zu,
die von Besredka. einem Schüler MetschnikofFs. auch
alsbald erhoben worden sind: Normales Meerschweinserum wirkt
so schwach auf Typhusbacillen, dass dieser Wirkung unmöglich
die verhältnissmässig grosse Resistenz der Meerschweine gegen
die Infektion mit diesen Bacillen zugeschrieben werden kann.
Das injicirte Serum hebt nicht allein die Alexinwirkung auf,
sondern erzeugt auch Niederschläge, hemmt auch die Agglutina¬
tion. schädigt auch die Leukocyten und hindert die Phagocytose,
so dass es bis zu einem gewissen Grade dem Belieben überlassen
bleibt, welche dieser vielen Wirkungen man für die Verminderung
der Widerstandsfähigkeit des Organismus verantwortlich machen
will. **
Ich habe daher einen anderen Versuchsplan entworfen und
glaube damit in der That zu einem eindeutigem Ergebniss ge¬
langt. zu sein. Tch gab einem Kaninchen intraperitoneale Injek¬
tionen von Meerschweinblut und verschaffte mir so ein spe-
eifisches, Mcorschwoin-Erythrocyten lösendes Serum. Dieses
M Der letztere Widerspruch Ist durch die Erwägung zu be¬
hoben. dass die Bakteriolyse nicht momentan eintritt,
sondern erhebliche Zeit erfordert.
Serum inaktivirte ich durch Erhitzen auf 56". Erhitzt löst es
die Blutkörperchen nicht mehr, agglutinirt sie aber noch sehr
kräftig. Setzt man aber frisches Meerschweinserum hinzu, so
werden Moerschweinblutkörpcrclien sofort wieder gelöst, wie ich
schon früher erwähnt habe. Ich injicirte nun eine gewisse Menge
(4—10 ccm) »flehen inaktiv irten Serums in die. Bauch¬
höhle von Meerschweinen, von wo es ganz allmählich und
schonend in die Blutbahn übergeführt werden musste. Die Folge
des TJebertritts musste auf jeden Fall eine Verminderung der
Erythrocyten in der Volumeinheit des cireulirenden Blutes
sein; auch dann, wenn lediglich Agglutination ein trat, weil die
agglutinirten Körperchen in den Kapillaren oder in den Lacunon
der Milz u. s. w. stecken bleiben mussten. Enthielt aber das Blut¬
plasma Alexin, so musste der Uebergang des Präparators in die
Blutbahn »»fort. Haemoglobinurio zur Folge haben. In der
Bauchhöhle selbst traf zwar das injizirte inaktive Serum mit
Alexin zusammen, aber ich rechnete nach früheren Erfahrungen 1
darauf, dass diese Menge zu klein sein werde, um den Versuch
zu stören.
Der Versuch verläuft nun in folgender Weise Alsbald nach
der Injektion verschwinden die normalen Leukocyten der Peri¬
toneallymphe aus der freien Flüssigkeit, zugleich erfolgt massen¬
hafte Transsudation in die freie Bauchhöhle hinein, so dass diese
zeitweise das Doppelte der injizirten Flüssigkeit und mehr ent¬
hält. Auf dieses Stadium der „Leukopenie“ folgt bald Ein¬
wanderung von polynucleären Leukocyten, die so massenhaft wird,
dass die Flüssigkeit, fast einen eitrigen Charakter annimmt ; daun
erscheinen die Makrophagen in immer zunehmender Zahl, fressen
die Polynucleären auf und verlassen mit ihnen beluden den
Bauchraum, aus dem auch die Flüssigkeit schliesslich bis auT
wenige Tropfen resorbirt wird. Dies Alles nimmt im Ganzen
etwa 36 bis 48 Stunden in Anspruch. Es verläuft also dieser
Theil des Processes genau so, wie es Durham in seiner klassi¬
schen, leider ignorirte.it Abhandlung aus meinem Institute:
„Mochnnism of roaction to peritoneal infection“*) beschrieben hat.
Es ist. nun höchst. In-merkenswerth, dass der Bauchhöhleninhalt
bis zuletzt allerdings in abnehmendem Maasse Meersehwein-
erythrocyten kräftig agglutinirt, dass aber in keinem Stadium
auch nur eine Spur von Haemolyse zu beobachten ist.*)
Was das cireulironde Blut anbelangt, so weist es in den
ersten 8—12 Stunden eine Erhöhung der Erythrooytenzahl
in der Volumeinheit auf (um ca. Vs —1 Million pro Kubik¬
millimeter), was. durch die massenhafte Transsudation von
Lymphe in die Bauchhöhle bedingt ist. Während dieser Zeit
bleibt der Harn vollkommen haemoglobinfrei. Dann aber be¬
ginnt auf einmal die Zahl der Blutkörperchen abzunelimen und
zu gleicher Zeit beginnt der Harn ganz schwach röthlich
oder dunkler zu werden und das Spektroskop beweist die An¬
wesenheit von Hnemoglobin. Einmal begonnen
nehmen beide Phänomene rapid zu und dauern stunden- und tage¬
lang ununterbrochen fort. Der Harn wird schwarzroth wie lack-
farbenos Blut, oder dunkelbraun. Seine Menge ist, verglichen
mit der Norm, ungeheuer vennehrt. Die Zahl der Blutkörperchen
sinkt von 5,5 bis 6 Millionen auf 0,9 und 0,8 Millionen im Kubik¬
millimeter herab, bis schliesslich in Folge Sauerstoffmangels der
Gewebe der Tod eintritt!
Ich glaube, dass dieser Versuch keinen Einwand zulässt nnd
dass durch ihn die Jahrzehnte alte Streitfrage in dem Sinne
entschieden ist-, dass das Alexin ein Erzeugniss des
lebenden Organismus ist und bereits im nor¬
malen Blutplasma circulirt; dort aber auch eine
gewisse Scliutzwirkung entfalten muss.
Dass das Alexin nicht erst in Folge des Ueberganges des spe-
cifischen Serums in’s Blut gebildet wird, schliesse ich daraus, dass
die Verminderung der Blutkörperchen zahl niemals der Haemo-
globinurie vorhergeht und dass im Blute niemals eine mehr ab
spurenweise Agglutination*) der Blutkörperchen, und auch diese
niemals vor dem Auftreten der Haemoglobinurie wahrnehmbar
ist. Uebrigens hoffe ich diese Frage durch Verwendung iso-
*) Siehe Wien. klin. Wochenschr. 1890», No. 12.
*) Journal of Pathology and Bacteriology, März 1897.
*) Dieselbe äussert sich darin, dass sich die Blutkörperchen iin
frischen Blutstropfen rasch zu Boden setzen.
*) Die so kräftig baktericide normale Peritoenallymphe selbst
wirkt nur spurenweise haemolytisch.
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3. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1967
lytischen Serums noch schärfer beantworten zu können und
bin ich mit dessen Herstellung schon beschäftigt.
Woher stammt nun das Blutalexin? Man nimmt be¬
kanntlich jetzt ziemlich allgemein an, dass es von den Leukoeyten
abstamme. Es ist sogar auf Grund dieser Annahme zu einer ge¬
wissen Besänftigung des Streites über die Bedeutung der Phago-
cyten für die natürliche Immunität gekommen. Nach Büchner
soll das Alexin das Sekret der Leukoeyten sein, während
Metschnikoff es als deren Absterbeprodukt betrachtet.
Weder die eine noch die andere Ansicht kann als richtig an¬
genommen werden, wenn auch vielleicht ein entfernterer Zu¬
sammenhang zwischen dem Absterben der Leukoeyten (und
anderer Körperzellen) und dem Blutalexin besteht.
Es ist nämlich durch Büchner und seine Schüler, nament¬
lich auch durch Schatten froh, zwar völlig sichergestellt
worden, dass bei der Zerstörung der polynudeären Leukoeyten
durch Einfrieren und Aufthauen und andere Mittel baktoricide
Stoffe entstehen, die Untersuchungen von Schattenfroh
haben aber ergeben, dass diese Stoffe mit dem Blutalexin nicht
identisch sind. Dies geht schon daraus hervor, dass das
Blutserum und das Leukocytenextrakt desselben Thieree auf das¬
selbe Mikrobium verschieden einwirken, während z. B. das Serum
normaler Meerschweine eine bestimmte Choleravibriorasse ener¬
gisch abtödtet, schädigt sie das Leukocytenextrakt (nach Buch-
ne Fs Methode mittels Aleuronatinjektion in die Pleurahöhle
erhalten) nicht im Geringsten. Die baktericide Wirkung des
I^eukocytenextrakteo ist im Gegensätze zu der des Blutserums
völlig unabhängig vom Salzgehalte des Mediums; sie erlischt
erst uei viel höherer Temperatur (80—85 “ C. gegen 55—60 u beim
Blutserum). Endlich aber — und dies ist meines Erachtens
entscheidend —: die baktericiden Leukocy ten-
extrakte üben nicht die geringste haemo-
lytische Wirkung aus. Wenn man sich daran erinnert,
dass mit grösster Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss,
dass im Blute nur ein Alexin vorhanden ist, von dem sowohl
die bakteriolytische als die haemolytische Wirkung ausgeht, so
folgt aus der letzt angeführten Thatsachc die Verschiedenheit der
baktericiden Zerfallsprodukte der Leukoeyten und des Blutalexins
mit Nothwendigkeit. Man hätte höchstens noch einwenden
können, dass die baktericide Wirkung gegenüber Bakterien,
welche nicht voll virulent sind, auch ohne Hilfe eines Präparators
erfolgt, während zur globulicideu Wirkung das Alexin der Mit¬
hilfe eines solchen bedürfe. l>ie Hacmolyse durch das Leuko-
eytenextrakt sei vielleicht wegen Mangels der erforderlichen Prä¬
paratoren in demselben ausgeblieben. l T m auch diesem Einwande
Rechnung zu tragen, haben ich und Kollege Schattenfroh
in letzter Zeit noch einige Versuche angestellt, bei welchen wir
den Leukocytenextrakten inaktivirtes Blutserum desselben
Thiercs hinzusetzten, also den allfälligen Mangel des Präparators
ersetzten. Diese Modifikation änderte aber nicht das Geringste
am Ausfall der Versuche, Z. B. tödtete in einem Versuche
Schattenf roh’s ein Gemisch von 0,75 ccm Leukocytenextract
und 0,25 ccm inaktivem Serum vom Kaninchen 630 Exemplare
von Bacterium coli binnen 21 Stunden und 2600 Exemplare einer
Vibrioart binnen 3 Stunden, während ee nicht die geringste
Lösung von Mcerschweiucrythrocyten herbeiführte, wogegen das
Gemisch von 0,75 ccm aktivem und 0,25 ccm inaktivem Serum
desselben Thieres die gleiche Menge Meerschweinerythroeyten
binnen wenigen Minuten vollständig löste.
Metschnikoff glaubte die Anwesenheit lmktericider
Stoffo in der Bauchhöhle von Thicrcn, welche irgendwelche intrn-
peritonealo Injektion erhalten haben, auf den von ihm ange¬
nommenen Masscnzerfnll der in der Peritonoullymphe normaler
Weise enthaltenen Leukoeyten zurückführen zu können. Aber
auch dies ist nicht richtig, denn, wie ich und Durhain gefunden
haben, handelt es sich auch bei der sog. „Phagolyse“ nicht oder
nur zum geringsten Theilo (Picralini) um Untergang und
Auflösung der Leukoeyten, sondern um Zusammenballung der¬
selben und Ablagerung der Ballen auf den Peritonealflächen, und
zweitens sind in der normalen IVritoneallympho gar keine oder
fast gar keipe polynudeären Leukoeyten, sondern nur grosse,
inononucleäre hyaline Zellen, die wahrscheinlich mit den Makro¬
phagen identisch sind, eosinophile Leukoeyten und Lymphocyten
vorhanden, während nach den neuesten Ermittelungen von
Gengou nur beim Zerfall der polynudeären Phagocyten bak¬
tericide Stoffo entstehen.
No. 49.
Ebensowenig wie die baktericiden Leukocytenstoffe können
die neuerdings von C o n rad i entdeckten, bei der Autolyse der
Organe auftretenden baktericiden Stoffe mit dem Blutalcxin
identifizirt werden. Daran hindert nebst anderen Umständen die
Thatsachc, dass die ersteren mehrstündiges Kochen vertragen,
ohne zerstört zu werden.
Wir sind also vorläufig leider völlig im Dunkeln darüber, wo¬
her das Blutalexin stammt; wenn auch die Möglichkeit., dass es
ein Umwandlungsprodukt (Derivat) der baktericiden
Zcllzerfallsstoffe sei, nicht ausgeschlossen worden kann.
Nicht viel mehr wissen wir über die Abstammung der Prä¬
paratoren. Ich verweise zunächst auf das, was ich in meinem
Vortrage über Antitoxinimmunitiit gesagt habe. Je klarer wir
erkennen, dass die Zahl der möglichen Antikörper Legion sei,
um so unmöglicher wird die Annahme, dass es sich bei ihnen um
normale Leibesbcstandthoile oder Stoffwechselprodukte handle,
um so nothwendiger wird die Annahme, dass die Antikörper in
genetischem Zusammenhänge mit den Substaiizen stehen müssen,
deren Antagonisten sie sind. Für diese Abstammung scheint mir
auch sehr gewichtig der Umstand zu sprechen, dass anscheinend
immer dasselbe Diphtherie- oder Tetanusantitoxin entsteht,
gloichgiltig, welche Species ich immunisire, dass, wie in den
letzten Tagen Be s r c d k a mitgctlieilt hat, auch der Präparator
(Fixateur) der für ein bestimmtes Element lytischen Sera stets
derselbe ist, gleichgiltig, von welchem Thiere das Serum geliefert
wird.
Insoferne es sich um komplizirto Lösungen und geformte
Elemente handelt, muss man sich von vomeherein klar machen,
dass nicht das ganze Element, sondern stets nur der eine oder
andere chemische Beetandtheil desselben an der Antikörper-
bildung betheiligt ist. So weiss man heute, dass die Gegengift¬
bildung an die Einverleibung des Giftes oder der ihm nahestehen¬
den ungiftigen Abkömmlinge geknüpft ist, dass die Bildung der
Bakterienprüparntoron und -Agglutinine mit gewissen ungiftigen
Leibcsbestandt heilen der Bakterien zusammenhängt (G ruber),
dass die Bildung der Erythrocytenprüparatoren und -Agglutinine
jedenfalls durch einen Bestandtheil des Erythrocytenstromas pro-
vocirt wird (Bordet). Schattenf roh’s wichtige Ent¬
deckung, das* specifisch haemolytisehos Serum auch durch In¬
jektion von eiweissfreiem Ham gewonnen werden kann, dürfte
dazu bestimmt sein, uns nähere Aufschlüsse über diesen Bestand¬
teil zu bringen. Er selbst wird Ihnen wohl bald darüber be¬
richten können.
Wenn angenommen werden muss, dass die Antikörper irgend¬
wie Derivate der fremden Stoffe und geformten Elemente sind,
dann muss man ihre Bildungsstätte in jenen Zellen und Organen
suchen, wo diese fremden Stoffe und Elemente abgelagert, verdaut
und aufgelöst worden. Dass diese keineswegs dieselben Orte zu
sein brauchen und sind, wo die fremden Stoffe eventuell ihre
schädlichen Wirkungen entfalten, habe ich schon letzthin dar¬
gelegt.
Von dem dargelegten Gesichtspunkte aus haben ich und
D u r h a m auf die Makrophagen als mögliche Bildungsstätte
für die Bakterienpräparatoren und -Agglutinine aufmerksam ge¬
macht. Nach intraperitonealer Infektion wird nämlich, falls der
Thierkörper die Oberhand gewinnt, der grösste Theil der in-
jizirten Bakterien von den polynudeären l/cukocytcn verzeiht
und diese wieder von den später aukommenden Makrophagen, und
kann man sehen, wie im Leibe dieser beiden Jxmkocytensorten die
allmählige Auflösung der Bakterien erfolgt. Endlich werden
nach Injektion von Erytlirocyten in die Bauchhöhle, diese zum
grössten Theilo direkt von den Makrophagen verzehrt.
Man hat gegen diese Hypothese eingewendet, dass dann in
der Peritonealflüssigkeit zuerst dio Antikörper auftreten müssten ;
dies sei aber nicht der Fall. Dieser Einwand wiegt aber nicht
sehr schwer, da, wie ich heute schon gelegentlich erwähnt habe,
dio mit Nahrungsbeuti? beladenen Makropliagon nicht in der
Bauchhöhle bleiben, sondern auswandern. Schon D urhani hat
sie auf ihren weiteren Wegen verfolgt, mit grösserem Erfolge
neuerdings IM etschnikof f, nachdem er sie mit den leicht
kenntlichen Gansblutkörperchen beladen hatte“. Er konnte l'est-
stellen, dass sie in die freie Blutbalm gelangen und sich nament¬
lich in der Milz, der Leber und den Mesenterial! ni-oi fest setzen.
Dadurch wird es mit meiner Vermuthung in Einklang ge¬
bracht, wenn von anderer Seite die Milz, die Lymphdrüsen und
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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
1968
das Knochenmark als die Stätten der Präparatorenbildung an¬
gesprochen wurden. Dass z. B. der Milz nicht von vomeherein
eine ausschlaggebende Bedeutung für diese Präparatorbildung zu¬
kommt, sondern diese erst im Laufe des Processen — vermuth-
lich durch die Einwanderung der Makrophagen — erhält, gellt
aus den interessanten Untersuchungen von Ladislaus Deutsch
über die Folgen der Splenektomie für die Antikörperbildung her¬
vor. Wird die Milz früh exstirpirt, dann leidet die Antikörper¬
bildung darunter nicht, wird sie aber spät, d. h. erst 4—5 Tage
nach der Infektion, entfernt, dann wird erheblich weniger Anti¬
körper gebildet — wie ich annehme dosshalb, weil diesmal ein
Thcil des Materiales zur Antikürperbildung mit der Milz ent¬
fernt wurde.
Auf die Orte, wo die Antikörperbildung erfolgt, deuten
wohl auch die Tlmtsachen hin, welche vielleicht noch eine grosso
praktische Wichtigkeit erlangen werden, dass geringe Mengen
von haemol.vtischem Serum, welche keine »Hier nur geringe llae-
molyse hervorzurufen im Stande sind, nach Cantacuzene
die Produktion von Erythrocyten lebhaft anregen, dass ebenso
nach Bosredka leukotoxisches (leukoeytentödtendes) Serum
in kleiner Menge Hyperleukocytoso bewirkt.
AU’ dies sind nur Andeutungen, Winke. Weiteren
Forschungen bleibt es Vorbehalten, diesen Problemen näher zu
kommen. Sie werden um so eher Frucht tragen, je weniger wir
Alles unter einen llut zu bringen, in eine Schablone zu pressen
suchen werden. Ich glaube, wir müssen bezüglich der Antikörper
und speciell bezüglich ihrer chemischen Natur und Wirkungsart
auf eine viel grössere Mannigfaltigkeit gefasst sein, als man bis¬
her voraussetzt. Wer weiss, was da bei ernstlichem Suchen nicht
noch Alles gefunden werden wird. Ich erinnere Sie z. B. an die
von Bansom entdeckte Rolle des Cholesterins bei der Saponin¬
vergiftung. Pohl in Prag vermochte im Widerspruche mit
E h r 1 i c h’s Präsumption ein antitoxisches Serum gegen das
Solanin zu präpariren und zeigte, dass bei seiner Wirkung saure
Phosphate wenigstens mitbeteiligt sind°). Besredka scheint
cs sogar gelungen zu sein, wenn auch nur in sehr kleiner Menge
ein Antitoxin gegen Arsen zu erzeugen. Fuld und Spiro
haben ermittelt, dass das Antilab im normalen Pferdeserum,
d. h. jener Bestandteil des Serums, welcher die Caseinausschei¬
dung durch Lab hemmt, dadurch wirkt, dass er den zur Para-
globulincalciumfällung unentbehrlichen Kalk bindet.
Gemig; Mannigfaltigkeit, wohin man sich wendet.!
Wesen und Grundzüge der deutschen Arbeiter¬
versicherung.
Von Prof. Dr. Geffcken.
(Schluss.)
Bei jeder Versicherung nun sind verschiedene an dem Rechts¬
verhältnisse beteiligte Rochtssubjekte zu unterscheiden. Man
spricht einmal von dem Versicherer oder dem Träger der Ver¬
sicherung, man spricht ferner von dem Versicherungsneluner und
man spricht endlich von dem Versicherten. Träger der Versiche¬
rung ist diejenige physische oder juristische Person, welche im
Falle des Eintritts der Versicherungsbedingung zur Leistung der
Versicherungssumme oder Versicherungsrente verpflichtet ist.
Versicherungsnehmer ist derjenige, welcher für sich oder einen
dritten die periodisch wiederkehrenden Versicherungsprämien an
den Träger der Versicherung leistet und dadurch für sich oder
jenen Dritten den Anspruch auf entsprechende Fürsorge bei Ein¬
tritt der Versicherungsbedingung erwirbt. Versicherter endlich
ist derjenige, zu dessen Gunsten das Versicherungsverhältniss be¬
gründet wird. Versicherter und Versicherungsnehmer sind also
identisch, so bald Jemand sich selbst versichert; und sie fallen
in zwei verschiedene Personen auseinander, wenn Jemand zu
Gunsten eines Dritten ein Versicherungsverhältniss begründet.
Als Träger der deutschen Arbeiterversicherung erscheinen
regelmässig öffentlichrechtliche Subjekte, welche durch die
Arbeitervorsieherungsgcsetze selbst erst geschaffen worden sind.
Das sind bei der Krankenversicherung die Krankenkassen, bei
der Unfallversicherung die Berufsgenossenschaften und bei der
*) Die Einwendungen B a s li f o r <1 - E li r 1 i c h’s dagegen hat
Pohl als hinfällig erwiesen.
Invaliditätsversicherung die Versicherungsanstalten. Während
letztere, wie schon ihr Name sagt, den Charakter von Anstalten
im juristischen Sinne des Wortes haben, ohne dass sie doch ge¬
wisser körperschaftlicher Elemente entbehrten, ist die Natur der
Krankenkassen und der Berufsgenossensehaften eine rein korpo¬
rative, d. h. es sind Personeuvereine mit juristischer Persönlich¬
keit. Ausnahmsweise treten auch politische Gemeinwesen, näm¬
lich Gemeinden oder höhere Kommunalverbände, als Trüget der
Versicherung auf.
Der Kreis der Versicherten, d. h. derjenigen Personen, für
welche gezahlt wird und die oder deren Angehörige eintreten¬
den Falles Anspruch auf Gewährung von Unterstützungen haben,
ist bei den verschiedenen Zweigen der Arbeiterversicherung sehr
verschieden umgrenzt, ich komme daher hierauf zweckmässiger
erst später bei der Spezialbesprechuug der einzelnen Gesetze
zurück. liier ist nur zu betonen, dass die Versicherten zerfallen
in Versicherungspflichtige und Versicherungsberechtigte. Ersten-.
sind Personen, für welche das Versicherungsverhältniss kraft
Gesetzes durch Eintritt in eine bestimmte Beschäftigung ent¬
steht. Die rechtliche Nothwendigkeit, kraft deren dieselben der
Versicherung unterliegen, wird als Versicherungszwang be¬
zeichnet. Versieherungsberechtigt sind dagegen diejenigen Per¬
sonen, welche nicht kraft des Gesetzes versichert sind, wohl aber
durch einen besonderen, von ihrem oder eines Dritten Willen ab¬
hängigen Akt versichert werden können.
Mit den Versicherten fallen bei der deutschen Arbeiter¬
versicherung entsprechend meinen früheren Ausführungen über
die Leitideen der Versicherungsgeeetze als identisch zusammen
die Versicherungsnehmer. Von einer Versicherung zu Gunsten
eines Dritten, wie sie im privaten Versicherungswesen h&Ufig
vorkonimt, kann liier in alle Wege keine Rede sein, die Beitrage,
welche die Arbeitgeber leisten, sind, wie wir sehen, das Aetjui-
valent für persönliche Opfer, welche der Arbeiter zu Folge der
Eigenart des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber zu bringen ge-
nöthigt ist. Auf diese Beiträge hat also der Arbeiter ein For¬
derungsrecht, Forderungen aber werden, auch wenn sie noch nicht
erfüllt sind, allgemein als Bestandtheil des gläubigerischen Ver¬
mögens angesehen, und in diesem Sinne ist der periodische Ver¬
sicherungsbeitrag des Arbeitgebers, sobald der Arbeiter die zeit¬
lich entsprechende Arbeitsleistung prästirt hat, Eigenthum des
letzteren. Freilich bekommt er dies Objekt seines Eigenthums
niemals sofort in seine Hände. Denn ’ wiederum aus Zweck¬
mässigkeitsgründen ist bestimmt worden, dass gegenüber den
Trägern der Versicherung allein der Arbeitgeber für die that-
sächliche Leistung der gesammten Beitragsquoten hafte: der
Arbeitgeber führt also nicht nur seinen eigenen Beitrag un¬
mittelbar an die Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Ver¬
sicherungsanstalten u. s. w. ab, sondern bei Kranken- und Invali¬
ditätsversicherung ausserdem auch noch den Beitrag des Ar¬
beiters, welchen er diesem dann bei der nächsten Lohnzahlung
in Abzug zu bringen berechtigt ist.
Das Versicherungsverhältniss selbst ist, wie schon nach
fridieren Ausführungen einleuchlet, kein privatrechtliches, son¬
dern ein öffentlichrechtliches. Es beruht niemals auf Vertrag,
sondern stets und nothwendiger Weise auf gesetzlicher Anord¬
nung, auch für die nur versichcrungsberechtigten Personen wird
es nicht durch Vertrag, sondern durch deren einseitige Willens¬
erklärung begründet. Die ganze Organisation, welche zur Durch¬
führung der Arbeitorversieherungsgosetze geschaffen worden ist,
hat. öffentlichrechtlicho Natur: die Träger der Versicherung sind
juristische Personen des öffentlichen Rechts und vom Staate zur
Ausübung gewisser obrigkeitlicher Befugnisse ermächtigt. Den¬
selben öffentlichrechtlichen Charakter tragen die Beiträge, welche
von den Arbeitgebern im Namen und für Rechnung der Arbeiter
entrichtet werden, und nicht minder die Ansprüche, welche die
Versicherten gegenüber den Trägern der Versicherung haben.
Endlich erfolgt auch die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht
im Wege des Civilprocesscs, sondern eines verwaltungsgericht¬
lichen Verfahrens.
Da die Arbeiter die Leistungen des Versicheruugsträgers
nicht unentgeltlich empfangen, sondern nachdem sie in der mehr¬
fach betonten Weise ein vollgiltiges Aequivalent dafür prästirt
haben, so ist selbstverständlich, dass die beim Eintreten der
Versicherungsbedingung gewährten Unterstützungen nicht das
Geringste mit Armenunterstützungen zu tliun haben. Hilfs¬
bedürftigkeit im Sinne des Unterstützungswohnsi tzgeeetzes ist
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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daher auch durchaus keine Voraussetzung; für den Bezug von
Cield oder Ccldeswerth aus den Fonds der Versieherungsträger,
dem Versicherten steht vielmehr der Versicherungsanspruch
auch dann zu, wenn er ausreichendes eigenes Vermögen oder
leistungsfähige alimentationsverpflichtcte Verwandte hat. Weil
aber die Bezüge aus der Arbeiterversicherung keinen armen-
rechtlichen Charakter haben, so können sie auch nicht von armen¬
rechtlichen Folgen begleitet sein: während Armenunterstütz¬
ungen die Suspension des aktiven und passiven Wahlrechts zu
den pariamentarischen Körperschaften und kommunalen Ver¬
tretungen nach sich ziehen und ausserdem das Ruhen der Frist
für den Erwerb oder Verlust des Unterst ützungswohnsitzes be¬
wirken, ist von derartigen Konsequenzen der arbeiterversiche¬
rungsrechtlichen Fürsorge keine Rede.
Das Unfall- und Invaliditätsversicherungswesen findet seine
verwaltungsrechtliche Spitze in dem sogen. Reichsversicherungs¬
amte, einer kollegialen, in Berlin residirenden Reiehsbehörde,
welche aus einem Vorsitzenden, sowie ständigen und nicht
ständigen Mitgliedern besteht. Der Präsident und die übrigen
ständigen Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundesrathes
vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Von den nicht ständigen
Mitgliedern werden sechs vom Bundesrathe und zwar mindestens
vier aus seiner Mitte gewählt. Die. übrigen zwölf, nicht ständigen
Mitglieder sind zu gleichen Theilen Vertreter der Arbeitgeber
und der Arbeitnehmer. Die Befugnisse des Reichsversicherungs-
amtes sind theils rein verwaltende, thcils verwaltungsgerichtliche.
In letzterer Beziehung steht ihm namentlich die Entscheidung
von Streitigkeiten zwischen den Versicherungsträgern und den
Unterstützungsberechtigten zu, doch gehören zu seiner Kompe¬
tenz auch Streitigkeiten der Berufsgenossenschaften mit den Be-
triebsunternehmem. In einer Reihe deutscher Gliedstaaten
werden übrigens die Funktionen des Reichsversicherungsamtes
zum Theil von besonderen Landesversicherungsämtern wahr-
genommen.
Wenden wir uns nun noch zu einer etwas spezielleren Be¬
sprechung der einzelnen Arbeitcrvcrsieherungsgesetze, so tritt
uns als ältestes und zugleich den Aerztestand am meisten inter-
essirendes von ihnen das Krankenversicherungsgesetz entgegen.
Die Versicherungspflicht, d. h. der öffentlichrech fliehe Zwang,
versichert zu sein, beruht hier, wie bei den anderen Reichsver¬
sicherungsgesetzen theils auf unmittelbarer reichsgesetzlicher
Vorschrift, theils auf der im Reichsgesetze der einzelstaatlichen
legislative oder gewissen Reichs- und Landesbehörden gegebenen
Befugniss. nach ihrem Ermessen die Versicherungspflicht auf
gewisse Personenklasscn auszudehnen, die ihr nicht ohne Weiteres
unterliegen. Der Versicherungszwang erstreckt sich aber auf die
reichsgesetzlich versieherungs pflichtigen Personen nur dann, wenn
sie einmal gegen Gehalt oder Lohn und zweitens, wenn sie
dauernd in dem versicherungspflichtigen Betriebe btwcliiiftigt
sind. Als nicht dauernde Beschäftigung gilt, eine solche, die
durch die Natur ihres Gegenstandes oder im Voraus durch den
Arbeitsvertrag auf einen Zeitraum von weniger als einer Woche
beschränkt ist. Während im Allgemeinen die Höhe des Arbeits¬
verdienstes für das Bestehen der Versicherungspflicht unerheb¬
lich ist, unterliegen doch gewisse Personenklassen, wio z. B.
Werkmeister und Betriebsbeamte, dem Vor sicher ungsz wange nur,
falls ihr Verdienst ein bestimmtes Maximum nicht übersteigt.
Für Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge kann ausserdem
die Versicherungspflicht, auch wenn sie sonst gegeben sein sollte,
fortfallen, wenn sie einen gj-setzlichen Anspruch auf Fortbezug
von Gehalt und Unterhalt während unverschuldeter Dienst¬
unfähigkeit besitzen.
Wie aber dieser Versieherungszwang theils durch Laudes¬
gesetz, theils durch statutarische Vorschrift eines Selbstverwal-
tungskörpers, theils durch Verfügung des Reichskanzlers und der
(’entralbehörde eines Gliedstaates auf andere im Reichsgesotz
namhaft gemachte Personenklasscn ausgedehnt, werden kann, so
ist andererseits für gewiss«; Kategorien von Personen die Be¬
freiung von der Versicherungspflicht möglich, und zwar sind be¬
stimmte Personen kraft Gesetzes vom Versicherungszwange aus-
genomnum, während andere Personen auf ihren Antrag oder auf
denjenigen ihrer Arbeitgeber hin aus der Versicherungspflicht
zu entlassen sind. Versicherungsberechtigt endlich sind prin¬
zipiell alle in versicherungspflichtigen Betrieben beschäftigten
Personen und alle Dienstboten. Durch statutarische Bestimmung
kann diee Recht auch anderen nicht versicherungspfliohtigen Per¬
sonen, deren Jahresverdienst 2000 M. nicht überskngt, eingeräumt
werden.
Als Träger der Krankenversicherung treten uns theils die
Gemeinden, theils die Krankenkassen entgegen. Die normale
und regelmässige Organisation im Sinne des Gesetzes wird von
den Ortskrankenkassen gebildet. Ihre Errichtung erfolgt durch
die Gemeinden für Angehörige, sei es eint« einzigen Gewerbe¬
zweiges, sei es mehrerer oder sännntlicher in der Gemeinde vor¬
handenen versicherungspflichtigen Betriebe. Auch für mehrere
Gemeinden oder für einen weiteren Kommunalverband können
gemeinsame Ortskrankenkasseu errichtet werden. Sind die ge¬
setzlichen Voraussetzungen für die Bildung von Ortskranken-
kassen gegeben, so muss auf Verlangen der höheren Verwaltungs¬
behörde die Errichtung geschehen. Die Ortskrankenkasseu
haben, wie bereits betont, die Eigenschaften öff«*ntlicher Körper¬
schaften mit bestimmten obrigkeitlichen Befugnissen, kraft
derer sie gewisse, für ihre Mitglieder rechtsverbindliche Vor¬
schriften erlassen und Uebertretungen mit Strafe bedrohen
können. Als Mitglieder der Korporation erscheinen nicht, wie
gewöhnlich behauptet wird, lediglich die Versicherten, sondern
ebensowohl die Arbeitgeber der Versicherungpfliehtigen, denn
diese Letzteren habim Anspruch auf Theilnahme an der Bildung
der Korporationsorgane, diese aber können logischer Weise nur aus
Körperschaftsmitgliedern bestehen. Die Organe der Ort-skranken-
kassen sind die Generalversammlung und der Vorstand. Erster«!
besteht aus der Gesammtheit der Kassenmitglieder oder «leren
Vertreter, letzterer wir«l von der Generalversammlung behufs
Führung der laufenden Geschäfte gewählt. Die Thätigkeit der
Kassenorgant! unterliegt obrigkeitlicher Aufsicht.
An Stelle der Ortskrankenknssen können für grössere. Einzel¬
betriebe Interniere Betriebs-(Fabrik-) Krankenkassen treten.
Ebenso können für vorübergehende grosse Baubetriebe Bau-
kraukenkassen errichtet werden. Die Organisation derselben
«ntspricht im W«.\sentliehen derjenigen der Ortskrankwikassen.
Ausserdem bestehen Innungskrankenkassen für Gesellen und
Lehrlinge d«'r Innungshandwerke, sowie Knappschaftkassen für
die B«!rgarbcit«!r, und endlich sind auch freie Hilfskassen als
Ersatz «ler Ortskrankenkassen zugelassen, sofern sie ihren Mit-
gliedorn ein gesetzlich bestimmtes Mindestmaass von Unter¬
stützung in Krankheitsfällen angedeihen lassen. Für diejenigen
versicherungspflicht igen und versieherungs berechtigten Personen
aber, welche keiner der «lurch das Gesetz zugelassenen Kranken¬
kassen angehören, tritt subsidiär «lie Gemeindekrankenversiche¬
rung ein, d. h. die betreffende Gemeinde übernimmt als solche
die Funkt Ionen «les Trägers der Versicherung, erhebt die Beiträge
und leistet die Krankenunterstützung.
Sofern für eine Person die Versicherungspflicht bei einer
Zwangskasse besteht, beginnt das Versi<*heruugsverhältniss ohne
Weiteres im Augenblick ihres Eintritts in einen versicherungs-
pfliehtigen Betrieb. Es bedarf also hierzu weder seitens des
Arbeiters selbst, noch seit«*ns der Krankenkasse eines besonderen
Aktes. Den Arbeitgebern ist zwar die Verpflichtung zur An¬
meldung der betreffenden Personen auferlegt, und die Versäum¬
nis dieser Pflicht zieht den Säumigen Nachtheile zu, die An¬
sprüche der Versicherungspflichtigen gegenüber d«*r Kasse aber
«‘utstehen auch im Falle unterlassener Anmeldung.
Was die Beitragspflicht anbotrifft, so ist dieselbe nicht in
gleicherweise für die einzelnen Kassen geregelt. Bei derGemeinde-
krankenversiclierung, den Orts-, Betriebs-, Bau- und Innungs¬
krankenkassen zahlen die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer
nur % der B«*iträge aus ihrem Lohn, das letzte Drittel entrichtet
«ler Arbeitgeber als besonderes Aequivalent für die Ausnutzung
der Arbeitskraft. Durch K«nnmunalstatut aber können ganz
kleine Arbeitgeber und Unternehmer, in deren Betrieb«! keine
Dampfkessel oder durch elementare Kraft bewegte Tri«‘bwerke
Verwendung finden, von der Beitragspflicht aus eigenen Mitteln
befreit werden. Die Höhe der Beiträge wird bei d«*n Orts-, Be¬
triebs-, Bau- und Innungskrankenkassen entweder in Procenten
«les Durchschnittslohnes im Höclist bet rage von 3 M. odor des
Individuallohnes im Höchstbetrage von 4 M. festgesetzt. Die
Beiträge sollen regelmässig 4Vs Proo. des Durehschnittslohnes
nicht übersteigen. Bei der Gemeindekrankonv«*.rsicherung sind
die Beiträge wesentlich niedriger: sie betragen für gewöhnlich
nur lVa Proc. des ortsüblichen Taglohnes gewöhnlicher Taglöhner,
können aber bis auf 2 Proc. desselben erhöht werden. Bezüglich
der Knappschaftskassen ist das Landesrecht maassgebend ge-
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No. 49.
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blieben, »lio freien Hilfskassen sind in der Festsetzung der Höhe
ihrer Beiträge nicht, beschränkt.
Die Folge dieser Verschiedenheit »1er Beitragshöhe muss
selbstverständlich eine Verschiedenheit der Leistungen sein,
welche die einzelnen Träger der Krankenversicherung im Bedürf-
nissfalle prästiren. Die Gemeindekrankenversicherung gewährt
nur Krankenunterstützung für 13 Wochen und zwar höchstens
soviel als die Mindestleistungen der Ortskrankenkassen betragen.
Die, Orts-, Betriebs-, Bau- und Innungskrankenkassen gewähren
Krankenunterstützung auf höchstens 13 Wochen, Unterstützung
von Wöchnerinnen für 4 Wochen nach der Niederkunft oder die
sonst gesetzlich (Gewerbeordnung) bestimmte längere Zeit der
untersagten Beschäftigung und Sterbegeld. Die Krankenunter¬
stützung hat hier denselben Umfang wie bei der Gemeinde¬
krankenversicherung (freie Kur und bei Erwerbsunfähigkeit vom
dritten Tage, ab Krankengeld im Betrage von 50 Proc. des
Durchschnittslohnes), doch wird für die Berechnung des
Krankengeldes nicht wie dort der ortsübliche Taglohn gewöhn¬
licher Tagearbeiter, sondern der Durchschnittslohn der arbeit¬
nehmenden Kassenmitglieder zu Grunde gelegt; auf statutari¬
schem Wege kann auch die Bemessung nach dem Individuallohn
von höchstens 4 M. vorgeschrieben werden. Wird an Stelle des
Krankengeldes Verpflegung in einem Krankenhause gewährt,
so muss der Familie des Kranken ein Theil des Krankengeldes be¬
lassen bleiben. Die Leistungen der Wöchnerinnenunterstützung
sind dieselben wie die der Krankenfürsorge. Das Sterbegeld be¬
trägt zum Mindesten das Zwanzigfache des ortüblichen Tage¬
lohnes. Durch Kassenstatut dürfen die Mindestleistungen bis
zu einem bestimmten Maximum erhöht werden: so kann das
Krankengeld vom Erkrankungstage an summt freier Kur
bis zu einen) Jahre gewährt werden, die Wüehnerinnenuntcr-
stützuug kann auf (5 Wochen erstreckt, das Krankengeld bis zu
75 Proc. des Durchsclniittslohnes, das Sterbegeld bis auf das
Vierzigfache des ortsüblichen Tagelohnes erhöht werden. Die
Leistungen der Knappschaftskassen müssen den gesetzlichen Min-
»lestbetrag der von den Betriebskrankenkassen gewährten Für¬
sorge erreichen, im Uebrigen ist, für sie Landesrecht maass-
gebend. Die Mitgliedschaft bei freien Hilfskasaen befreit nur
dann von der Zugehörigkeit zu einer Zwangskasse, falls die be¬
treffende Kasse mindestens die Leistung tler Gemeindekranken-
versichcrung am Sitze der Kasse prästirt.
Die Unfallversicherung, zu der ich mich nunmehr
wende, galt ursprünglich nur für die Bergwerks-, Werft-, Fabrik-,
Dachdecker-, Steinhauer- und Brunnenarbeiter. Durch die sog.
Ausdelmungsgesetze ist sie dann aber auf die Betriebe der Trans¬
portanstalten, der Marine- und Heeresverwaltung, auf die land-
und forstwirtschaftlichen Arbeiter, auf die Bauarbeiter und auf
die Se»‘leute erstreckt worden. Auch nacli der Reform von 1900
beruht, daher die Unfallversicherung auf mehreren (4) äusserlich
selbständigen Gesetzen, welche jedoch inhaltlich nur geringe Ab¬
weichungen von einander aufweisen.
Der Unfallversicherungspflicht unterstehen, wie wir ganz all-
g»*mein sagen können, all»* Arbeiter und Betriebsbeamten mit
einem Jahresverdienst von höchstens 3000 M., sofern sic in einem
Betriebe beschäftigt sind, der sie als solcher einer ständigen Un¬
fallgefahr aussetzt. Welches derartige Betriebe sind, sagen die
Unfallversicherungsgowetze. Einzelne mit sehr geringer Unfall¬
gefahr verknüpfte Betriebe können durch Bundesrathsbeschluss
von der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden. Umgekehrt
kann dieselbe durch Statut auf kleine Unternehmer, insbesondere
Hausgewerbetreibende und auf Betriobsbeamte mit mehr als
3000 M. Jahresverdienst erstreckt werden. Nicht versicherungs¬
pflichtige Personen können wie bei der Krankenversicherung für
versicherungsberechtigt erklärt werden.
Träger der Unfallversicherung sind, wie schon erwähnt, die
sog. Berufsgenossenschaften, welche die Unternehmer der ver-
sicherungspflichtigen Betriebe umfassen. Die Gesichtspunkte,
nach denen die Zusammenfassung der Unternehmer zu Berufs¬
genossenschaften erfolgt, sind verschieden, je nachdem es sich um
industrielle, land- und forstwirtschaftliche, bau- oder see¬
männische Betriebe handelt, die letzteren sind für das ganze
Reich in einer einzigen Korporation, der Seeberufsgenossen¬
schaft, vereinigt. Als Organe der Berufsgenossenschaften fun-
giren, wie bei den Krankenkassen, Generalversammlung und Vor¬
stand, für grosse Berufsgenossenschaften kann ausserdem durch
Statut eine Theilung in örtliche Sektionen vorgeschrieben
werden, an deren Spitze dann besondere Sektionsvorständo treten.
Zweck der Versicherung ist der Ersatz des materiellen Scha¬
dens, welcher für einen Versicherten bezw. dessen alimentations¬
berechtigte Angehörigen durch einen Betriebsunfall entsteht,
d. h. durch ein mit dem Betriebe in ursächlichem Zusammen¬
hänge stehendes Ereiguiss, welches die Körperverletzung oder den
Tod eines Menschen zur unmittelbaren Folge hat. Ausgeschlossen
ist der Ersatz, wenn der Verletzte oder Getödtete den Betriebs¬
unfall selbst vorsätzlich herbeigeführt hat, abgelehnt oder den
Angehörigen überwiesen kann er werden, wenn der Unfall den
Verletzten in Begehung eines straf gerichtlich festgestellten Ver¬
brechens oder Vergehens traf. Die Höhe der Entschädigung wird
nicht nach dem im Einzelfalle vorhandenen individuellen
Schaden bemessen, sondern richtet sich nach allgemeinen Vor¬
schriften, die eine Individualisirung nur in beschränktem Maasse
zulassen. Die Prästationen der Berufsgenossenschaften beginnen
erst mit der 14. Woche vom Zeitpunkte des Unfalls an gerechnet,
bis dahin erfolgt die Unterstützung regelmässig durch die Kran¬
kenkassen, unter Umständen durch die Unternehmer oder die
Gemeinden. Von der 14. Woche an hat der Verletzte g».*genüber
der Berufsgenossenschaft, zu welcher sein Arbeitgeber gehört,
Anspruch auf Ersatz der Kosten des Heilverfahrens und auf
Unfallrente. Die letztere ist für die Zeit der Erwerbsunfähigkeit
zu gewähren: ist diese Unfähigkeit eine vollkommene, so beläuft
sich die Rente auf 66% Proc. des Arbeitsverdienstes, ist sie nur
eine thoilweise, so beträgt die Rente entsprechend weniger. Er¬
höhung derselben bis zum Vollwerth des Arbeitsverdienstes kann
stattfinden, wenn für den Verletzten fremde Wartung und Pflege
nothwendig wird. Hat der Betriebsunfall den Tod des Be¬
troffenen herbeigeführt, so bekommen die Hinterbliebenen zu¬
nächst ein Sterbegeld, welches '/ 16 des Jahresvordienstes tles Ge-
tödteten, mindestens aber 50 M. beträgt, und ausserdem eine
Rente, welche für die Wittwe und für jedes Kind bis zum zurück¬
gelegten 15. Lebensjahre auf 20, für Wittwe und alle Kinder
zusammen jedoch auf höchstens 60 Proc. des Arbeitsverdienstes
ihres bisherigen Ernährers zu lxunossen ist. Leben noch Ascen-
denten des Getödtetcn. die mit ihm ihren einzigen Ernährer ver¬
lieren, so erhalten auch sie 20 Proc., falls nicht, schon die Wittwe
und Kinder das Höchst maass von 60 Proc. bekommen.
Die Rechtsprechung auf dem Gebiete der Unfallversicherung
ist durch die jüngst»* legislatorische Gestaltung an diejenige auf
dem Gebiete der Invalidenversicherung angeschlossen worden, die
Träger derselben führen nunmehr den Namen „Schiedsgerichte
für Arbeiterversieherung“. Höchste Instanz ist, wie wir schon
sahen, das Kciehsversieh''rungsnmt.
Um im Einzel falle »lie zu zahlenden Entschädigungen fest-
sl.ellen zu können, hat der Unternehmer die Pflicht, jode« im
Rinne des Gesetzes als Betriebsunfall geltende Ereigniss sofort
der Ortspolizeibehörde und der Berufsgtmossenschaft. anzuzeigen.
Daraufhin veranstaltet die Ortspolizeibehörde unter Zuziehung
bestimmter Beamten, Interessenten und Sachverständiger eine
Untersuchung des Unfalls. Hierauf wird durch den Vorstand der
Genossenschaft bezw. der Gcuosscnschaftssektion die Entschädi¬
gung ausgeworfen und den Betheiligten ein entsprechender, mit
Gründen versehener Bescheid zugestellt, gegen welchen binnen
eines Monats Berufung beim Vorsitzenden des Schiedsgerichts
eingelegt werden kann. Die schiedsgerichtliche. Entscheidung
wiederum kann binnen eines Monats sowohl von »ler B»*rufs-
genossensehaft als von dem Verletzten bezw. seinen Angchörigim
durch Rekurs beim Reichsversicherungsamt.angefechten werden.
Die Kosten der Versicherung werden durch Repartition unter
den Mitgliedern der Berufsgenossenschaft aufgebracht. Die Bei¬
tragspflicht der einzelnen Unternehmer richtet sich nach d»*r Zahl
der von ihnen beschäftigten Personen, der Höhe »1er von ihnen
bezahlten Löhne und Gehälter, sowie nach der grösseren oder ge-
ringeren Unfallgefahr, die in ihren Betrieben obwaltet. Gegen
die Umlegung kann Widerspruch beim Vorstaude d«*r Genossen¬
schaft und folgewtüse Beschwerde beim Reichsversicherungsamte
erhoben wertlen.
Treten wir nun endlich noch in eine etwas nähere Charakte¬
ristik der Invalidenversicherung ein, so ist von ihr
zunächst zu sagen, dass der Personenkreis, welchen sie der Ver¬
sicherungspflicht unterwirft, den Begriff des „Arbeiters“ viel
weiter fasst als die Kranken- und Unfallversicherung. Dem In¬
validenversicherungszwang unterstehen nämlich vom vollendeten
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3. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1971
16. Lebensjahre ab alle Personen, welche gegen baaren Lohn oder
Gehalt als Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge oder Dienst¬
boten beschäftigt werden, ferner Betriebsbeamte, Werkmeister,
Techniker, Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge, sonstige
Angestellte, deren dienstliche. Beschäftigung ihren Hauptberuf
bildet, sowie Lehrer und Erzieher, sämmtlich sofern sie einen
regelmässigen Jahresarbeitsverdienst bis zu 2000 M. haben, end¬
lich die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Personen der
Schiffsbesatzung deutscher Fahrzeuge, die Sehiffsfiihrer jedoch
nur bis zu 2000 M. Gehalt oder Lohn. Dieser Zwang kann durch
den Bundesrath auf kleine Betricb.suntemehmer ausgedehnt wer¬
den, andererseits bestehen auch Ausnahmen von der Yer-
sicherungspflicht, sei es unmittelbar auf Grund des Gesetzes, sei
es zu Folge von Beschlüssen de« Bundesraths, sei es, dass auf
Grund eines Antrages Befreiung eingetreten ist. Endlich sind,
ebenso wie bei den anderen Zweigen der Arbeiterversieherung,
gewisse Personenklassen fiir vorsieherungsbereelitigt erklärt
worden.
Versicherungszweck ist Gewährung einer Rente an die Ver¬
sicherten für den Fall der Invalidität oder der Erreichung des
70. Lebensjahres. Voraussetzung de« Anspruchs ist, dass vor¬
her während einer bestimmten Zeit die Versicherungsbeiträge ge¬
zahlt worden sind. Diese Wartezeit beläuft sich für die Invaliden¬
rente auf 200, unter Umständen aber auch auf 500 Beitrags¬
wochen, bei der Altersrente beträgt, sie 1200 derartige Wochen.
Es sind jedoch für eine längere Uebergangszeit bezüglich der
Wartefrist verschiedene Erleichterungen vorgesehen. Durch den
Bezug einer Invalidenrente fällt der Anspruch auf Altersrente
hin, und umgekehrt. Die Altersrente gebührt auch dem er¬
werbsfähigen Versicherten vom 70. Lebensjahre ab, die Invaliden¬
rente wird demjenigen gewährt, der nach Ablauf der Wartezeit
sich dauernd oder doch während mindestens einem Jahre er¬
werbsunfähig erweist. Ist Rentenanspruch auf Grund der Reiehs-
unfallversicherung gegeben, so wird als Invalidenrente nur das
Mehr gewährt, um welches ihr rechnerischer Gesammtbetrag die
Unfallrcnte übersteigt.
Die Invaliden- und Altersrente besteht stets aus einem festen
Reiehszuschusse von jährlich 50 M. und dein, was die Träger der
Versicherung aus ihren Fonds aufzubringen haben. Dieser
letztere Betrag bestimmt sich nach der Höhe und Zeit der ge¬
leisteten Beiträge. Behufs Festsetzung derselben sind die Ver¬
sicherten nach Maassgabe ihres Jahresarbeitsverdienstes in fünf
Lohnklassen eingetheilt.
Die Aufbringung der Mittel geschieht, abgesehen von dem
ebenerwähnten Reiehszuschusse durch die Versicherten. Die
Hälfte dieser Beiträge entstammt dem Arbeitslöhne, die andere
Hälfte ist das Acquivalent des Arbeitgebers für Abnutzung der
Arbeitskraft des Versicherten. Dem Träger der Versicherung
gegenüber ist. wie bei den übrigen Zweigen der Arbeit orversiche-
rung allein der Arbeitgeber verpflichtet, den aus dem Arbeits¬
lohn stammenden Beitragstheil kann er daher bei der Lohn¬
zahlung in Abzug bringen. Die Beiträge werden nach Wochen
bemessen, sic sind für die nächsten 10 Jahre im Gesetze selbst
je nach den Lohnklassen abgestuft worden, später soll für weitere
Perioden von je 10 Jahren weitere Festsetzung erfolgen. Die
Abführung der Beiträge erfolgt durch den Ankauf von Marken
bei dem Versicherungsträger und durch deren Einkleben in eine
auf den Namen des Versicherten lautende Quittungskarte.
Unter Umständen besteht ein Anspruch auf Rückerstattung der
Beiträge, der häutigst vorkommende Fall desselben ist derjenige
weiblicher Versicherter, die sich verheirathen, vorausgesetzt, dass
sie. mindestens für 200 Beitragswochen Beiträge geleistet haben.
Träger der Invalidenversicherung sind die sog. Ver¬
sicherungsanstalten, juristische Personen des öffentlichen Rechts,
welche, wie schon ihr Name sagt, den Charakter von Anstalten
haben, also keine Personenvercine sind, wie die Träger der Kran¬
ken- und Unfallversicherung. Jede derartige Versicherungs¬
anstalt hat ihren örtlich abgegrenzten Bezirk: alle innerhalb des¬
selben beschäftigten versicherungspflichtigeu und versicherungs¬
berechtigten Personen sind bei ihr versichert. Organe der Ver¬
sicherungsanstalt sind ihr Vorstand und ein aus Vertretern der
Arbeitgeber und Arbeiter bestehender Ausschuss. Die Ver¬
sicherungsanstalten unterstehen obrigkeitlicher Aufsicht, ins-
l>esonders der T.amlesvcrsicherungsiimter bozw. des Reiehsver-
sicherungsaiutes.
No 497“
Die Feststellung der Renten erfolgt auf Antrag des Be¬
rechtigten durch die untere Verwaltungsbehörde und den Vor¬
stand derjenigen Versicherungsanstalt, an welche zuletzt Bei¬
träge entrichtet sind. Gegen den entsprechenden Bescheid steht
dem Antragsteller binnen eines Monats die Berufung an das
Schiedsgericht frei. Solcher Schiedsgerichte, die ja, wie wir
sahen, auch für die Prüfung der Ansprüche aus der Unfall¬
versicherung thätig werden, soll für den Bezirk jeder Versiche¬
rungsanstalt mindestens eines errichtet werden: es setzt sich zu
gleichen Thoilen aus vom Ausschüsse der Versicherungsanstalt
gewählten Arbeitgebern und Arbeitern unter dem Vorsitz eines
öffentlichen Beamten zusammen. Gegen seine Entscheidungen
findet binnen eines Monats das Rechtsmittel der Revision an das
Reichsversicherungsamt statt.
Dies, m. H., ist. etwa das, was ich Ihnen im Laufe einer
kurzen Stunde über das Wesen und die Grundzüge der deutschen
Arbeiterversicherung mittheilen konnte. Absichtlich habe ich
mich hierbei darauf beschränkt, zu schildern, wie dies grosse
Gesetzgebungswerk thatsächlich ist, ich habe nur de lege lata ge¬
sprochen und Bemerkungen de lege ferenda vermieden. Sicher¬
lich aber ist gerade auch in dieser letzteren Richtung viel zu
sagen, viel zu bessern. Die deutsche Arbeiterversieherung ver¬
dankt ihren Ursprung eben einer ganz ausserordentlich kühnen
gesetzgeberischen Initiative. Zögernd und tastend nur folgen
die anderen Nationen unserem Beispiele, und der deutsche Geist
hat hier wieder einmal, wie schon so oft, Pionierarbeit für die ge-
sammto Kulturwelt gethan. Was ist da natürlicher, als dass dem
kühnen Versuche auch heute, nachdem er sich doch bereits als
wesentlich gelungen bewährt hat, noch schwere Mängel anhaften?
Sicherlich ist es z. B. kein Vorzug zu nennen, wenn in einem
Krankenversicherungsgesetze der Aerztestaud so gut wie ignorirt
ist. Aber ich habe es nicht für meines Amtes gehalten, hierüber
vor Ihnen zu sprechen. Denn ich würde dann vielleicht dem¬
selben Fehler verfallen sein, wie der Gesetzgeber, welcher das
Krankenversicherungsgesetz schuf, ohne dabei den Rath er¬
fahrener Mediciner genügend auszunutzen. Ich würde mir eine
Autorität beilegen auf einem Gebiete, für welches ich sie auch
nicht im bescheidensten Maasse beanspruchen kann, ich würde
lehren wollen, wo ich zu lernen habe. Den Medicinern gebührt
daher nunmehr das Wort.
Marcel v. Nencki +.
Es gibt vielleicht wenige unter den wissenschaftlich hervor¬
ragenden Medieinern, deren Namen so wenig in die breite Oeffent-
lichkeit gedrungen ist, wie derjenige Marcel Nencki’s,
welcher nach kurzem, schwerem Leiden am 14. Oktober d. .1.
in Petersburg verschieden ist. Freilich unter seinen engeren
Faehgenossen, den medicinischen und organischen Chemikern,
hatte sein Name einen vortrefflichen Klang. Aber selbst die
weiteren praktisch-medicinisehen Kreise wissen wohl wenig mehr
von ihm, als dass er der Lehrer L. B r i e g e r’s war, und das
Laienpublikum ist wohl nur selten, wie es bei anderen medi-
cinischen Grössen üblich ist, durch Zeitungsnotizen über sein
Schaffen und die Wandlungen seines Daseins unterrichtet worden.
Der Grund dafür liegt einmal in seiner Thätigkeit, die namentlich
in den ersten Decennien wesentlich auf die Lösung rein theo¬
retischer Fragen gerichtet war, und ferner in seiner einfachen,
schlichten Persönlichkeit, die nur im tüchtigen Schaffen das Ziel
des Lebens erblickte und alle Aeusserliehkcit verabscheute. Ist
er doch persönlich nicht einmal mit einer ganzen Zahl seiner
engeren Faehgenossen bekannt geworden, weil er eine starke Ab¬
neigung gegen Kongresse, Besuchsreisen etc. hatte! Unter solchen
Umständen muss cs einem seiner vielen dankbaren Schüler ge¬
radezu als eine Elirenpflicht erscheinen, wenigstens den medi-
cinischen Kreisen einen kurzen Abriss seines Lebensganges und
seiner umfassenden wissenschaftlichen Thätigkeit zu geben.
M arcel v. Nencki wurde 1846 als der Sohn eines Guts¬
besitzers kalvinistisehen Bekenntnisses zu Boczki im Gouverne¬
ment Kali sch geboren. Nachdem er in seinem Heimathlandc
die Schule besucht und anfänglich auf der Universität Krakau
Philosophie studirt hatte, wandte er sich, durch die, politischen
Verhältnisse bewogen, nach Deutschland, um zunächst unter
Kuno F i s ch e r, N ö p p e r d e y, G ö 111 i n g etc. in Jena Philo¬
sophie und klassische Philologie zu studiren, welche Studien er
später auch in Berlin foitsetzte.
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1972
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No. 49.
Aus dieser Zeit hat er für sein Leben eine streng logische
Schulung des Denkens und ein gewisses linguistisches Interesse
mitgenommen. Aber bereits 1867 bekundete er seine immer leb¬
hafter werdende Neigung zu den Naturwissenschaften und zur
Medicin dadurch, dass er sich dem Studium der Chemie und der
Heilkunde gänzlich zuwandte. Es war die Zeit der Entdeckung
des Alizarins, als der junge Nencki in das Laboratorium
Baeyer’s, das damals noch wenige, nach heutigen Begriffen
dürftige Räume in der alten Gewerbeakademie in Berlin um¬
fasste, eintrat. Das Zusammenarbeiten unter einem Baeyer
mit G r a e b e und Liebermann hat den Grund gelegt für
das tiefgehende Interesse, das Nencki der synthetischen Chemie
sein Leben lang bewahrt hat. Hier und in der gemeinsamen
Arbeit mit Schultzen, erst im chemischen Laboratorium der
Berliner Anatomie, später in der F rerich s’schen Klinik, legte
er aber auch das gute Fundament zu der medicinisch-chemischen
Thiitigkeit, die er alsbald begann und deren Ergebnisse stets den
gründlich vorgebildeten Chemiker im Gegensatz zu einigen che¬
misch dilettirenden Medicinern erkennen liessen.
Im Jahre 1870 zum Doktor der Heilkunde promovirt, folgte
er 1872 bereits einem Rufe als chemischer Assistent an das patho¬
logische Institut der Universität Bern. Bestimmend war bei
diesem Schritt für ihn, dass sein Mitarbeiter Schultzen,
dessen Schwester bald Nencki’s Lebensgefährtin wurde und
ihm ein glückliches Heim bereitete, einen Ruf als Professor der
inneren Medicin nach Bern erhielt. Nach kurzer Zeit habilitirte
sich Nencki als Privatdocent und bald darauf wurde er als
ordentlicher Professor Vorstand eines Laboratoriums für medi-
cinischc Chemie. Fast 20 Jahre hat er dieses Institut in Bern
geleitet.
Von zahlreichen Schülern umgeben, bildete er durch seine
wissenschaftliche Thätigkeit eine der Hauptstützen der Berner
medicinischen Fakultät, deren Frequenz sich damals gerade zu
heben begann. Aber er hatte freilich axich das Glück, welches
er selbst am meisten zu schätzen wusste, wie er in Berlin in
Schultzen einen verständnissvollen Mitarbeiter gehabt hatte,
der ihm leider nur zu bald durch den Tod entrissen wurde, so
auch in Bern Männer wie Kocher, L a n g h a n s, L i c h t h c i m,
Sahli, Kroneckcr u. A. an seiner Seite zu finden. Auch
mit den Professoren der thierärztlichen Abtheilung, die in Bern
zur medicinischen Fakultät gehörte, stand er in regem wissen¬
schaftlichen Verkehr, der beide Theile in gleicher Weise förderte.
Schliesslich erwuchs ihm auch noch in Kostanecki ein
treuer Freund und Berather für seine rein chemischen Interessen.
Nicht kleinliche Eifersüchtelei, sondern ein inniges, selbstloses
Zusammenarbeiten war der bestimmende Zug in dieser Berner
Zeit und dankbar gedachte N encki oft, wie gerade die Kliniker
ihm ein Material für seine Untersuchungen zur Verfügung ge¬
stellt hatten, um welches ihn selbst seine Fachgenossen in grossen
Universitäten hätten beneiden können. Alltäglich fast wanderte
aus den Pavillons des Inselspitals irgend ein interessantes Unter¬
suchungsobjekt hinauf in die Räume des N e n c k i’schen Labo¬
ratoriums, von wo Meister und Schüler sieh bei ihrer stillen
Arbeit auch durch einen Blick auf die herrlich ausgebreitete
Alpenkctte des Berner Oberlandes erfreuen konnten. Die Stunden,
die man dort in Bern unter Nencki verleben durfte, werden
jedem seiner Schüler unvergesslich sein. Aber freilich hatte das
Laboratorium auch einen Nachtheil: Die Mittel waren gar zu
knapp bemessen. Nencki empfand diesen Missstand bei seinem
rastlosen Vorwärtsstreben, seinem Ideenreichthum selbst am pein¬
lichsten. Und so entschloss er sich denn im Jahre 1891 nach
Petersburg überzusiedeln, wo ihm durch die grosse Liberalität
des Prinzen Alexander von Oldenburg, der Nencki von da
ab ein treuer Förderer wurde, im kaiserlichen Institut für experi¬
mentelle Medicin eine würdige Stätte der Thätigkeit geschaffen
wurdo und reiche Mittel für Untersuchungen jeder Art zur Ver¬
fügung standen. Schon durch den Umstand, dass seine lang¬
jährige, verständnissvolle Mitarbeiterin Frau Nadine Sieber
und sein begabter Assistent Simon Dzi erzgowski, sowie drei
seiner Schüler ihm nach Petersburg folgten, fühlte sich Nencki
bald einigermaassen heimisch, aber mehr t rug noch das Zusammen¬
arbeiten mit P a w 1 o w, dem ausgezeichneten physiologischen Ex¬
perimentator, dazu bei, ihn die neue Arbeitsstätte schätzen zu
lehren. Reiche Anregung gewährte ihm auch der Verkehr mit so
erfahrenen, allen neuen Ideen zugänglichen Männern, wie dem
Kliniker R a u e h f u s s und dem Chemiker B e i 1 s t e i n. Tn
dem neuen prächtigen Laboratorium, das ihm dort erbaut wurde,
schaarteu sich auch bald wieder wiseensdurstige und arbeits¬
lustige Schüler um den berühmten Gelehrten, der rastlos weiter
schaffte, bis der Tod seinem an inneren Erfolgen reichen, mit
äusseren weniger bedachten Leben ein schnelles Ende bereitete.
Es ist schwer, in grossen Zügen einen Ueberblick über
Nencki’s umfassende Lebensarbeit zu geben, auch wenn maxi
die rein chemischen Publikationen ausschaltet. Das Bedeutsame
und zugleich für ihn charakteristische in seinem Schaffen ist
das Festhalten an einmal gewonnenen Interessen und Gedanken.
Seine ersten Arbeiten beschäftigten sich mit der llarnstoffbilduug
und die Publikationen seiner letzten Lebensjahre zeigen, dass das
Interesse für diesen Gegenstand nie in ihm erloschen ist. Wie
cs ihm in seiner ersten Arbeit in Gemeinschaft mit Schultzen
gelang, die. Klasse der Körper, aus welcher Harnstoff sich bilden
kann, zu umgrenzen, so konnte er später in Gemeinschaft mit
Pawlow nachweisen, dass die lieber zwar nicht die einzige,
aber doch eine der Hauptbi ldungsstätten des Harnstoffs und als
Vorstufe wesentlich das carbaminsaure Ammoniak anzusehen sei.
Wie er frühzeitig seine Studien über den Blutfarbstoff und dessen
Derivate begann, so ging er noch in seinen letzten Lebensjahren
den Beziehungen des Blutfarbstoffs zum Blattfarbstoff nach und
erörterte die gemeinsame biologische Grundlage. Charakteristisch
für die Thätigkeit N e n e k i’s ist ferner sein Bestreben, eine mög¬
lichst enge Verbindung der rein chemischen und medicinischen
Interessen herzustellen und die Ergebnisse der chemischen Forsch¬
ungen auch für die Medicin nutzbar zu machen. Kennzeichnend
ist nach dieser Richtung die Art, wie er die Richtigkeit seiner
Formeln des Blutfarbstoffs und seiner Derivate durch eine grosse
Reihe mühevoller Studien feststellte, bei denen er alle Hilfsmittel
der organischen Synthese und Analyse amvandte und wie er dann
darauf fassend die Beziehungen des Blutfarbstoffs zu den Gallen-
und Ha ruf arbst offen, zu den t hicrisclien Melaninen und «lern
Blat.tfarbstoff untersuchte und deutete. Die zahlreichen Ver¬
suche, in denen er das Verhalten organischer Körper im Thier¬
körper studirte, könnten demjenigen, der sie nicht mit voller
Aufmerksamkeit verfolgt, als eine Liebhaberei erscheinen. Aber
die Anlage derselben ist eine durchaus planmässigc. Sie führten
ihn dazu, für die Oxydationen im gesunden und kranken Orga¬
nismus einen analytisch genau festzustellendon Maassstab in der
Umwandlung des Benzols zu Phenol zu finden und so konnte
er z. B. bei einem Falle von Loukaemie eine Herabsetzung dieses
Oxydationsvermögens konstatiren. Eine Frucht seiner Studien
über das Verhalten organischer Körper im thicrischen Organismus
war auch die Darstellung und Einführung des Salols, das sich
als werthvoller Bestandteil im Arzneischatz zu erhalten scheint.
Aber selbst der organischen Chemie — und dies dürfte ein sel¬
tener Fall sein — sind seine physiologischen Studien einmal
wieder zu Gute gekommen: N oiicki konnte die strittige Frage
nach der Konstitution des Carbonyl-o-amidophenols dadurch zur
Entscheidung bringen, dass er die Umwandlung desselben in
Carbonyl-o-oxynmidophenol durch den thierischen Organismus
feststellte.
Solche Studien mögen es auch gewesen sein, die Nencki
zuerst angeregt haben, sich mit den Zersetzungsvorgängen im
Dann zu beschäftigen, dio ja auch auf das Verhalten eingeführtcr
organischer Substanzen ihren Einfluss üben. So entstanden zuerst
seine Arbeiten über die Pankreasvordauung, die eine Erklärung
für das Auftreten von Indiean im normalen Harn brachten, da¬
durch, dass N e n c k i dio Bildung von Indol bei der Pankreas-
fäulniss nachwies. Weitere Untersuchungen über das Indol und
sein Vorkommen führten denn auch zur Untersuchung der patho¬
logischen Phenolausscheidung, sowie zur Entdeckung des Scatols,
die Nencki’s Schüler, Br i eg er, gelang und die das Indol
nicht mehr als ,,einen in der organischen Chemie ohne Analogon
dastehenden Körper“, wie Baeyer einmal geäussert hatte, er¬
scheinen lies«. Aber schon frühzeitig suchte Nencki die Pan¬
kreasverdauung von der Pankreasfäulniss zu trennen, und die
Erkenntniss von der Verschiedenheit dieser Vorgänge führte ihn
zu einem gesonderten Studium der Fäulnissprocesse, namentlich
der Zerlegung de6 Eiweiss und der Kohlehydrate durch Spalt¬
pilze. Gerade diese Arbeiten, unter denen besonders die mit
Macfayden und Sieber ausgeführten Untersuchungen an
einer Patientin mit einer Dünndarmfistel hervorgehoben werden
müssen, sind als grundlegend für die biologische Chemie zu be¬
zeichnen. So befruchtend die P a s t e u Fachen Studien nach
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3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1973
dieser Richtung auf N «• n e k i gewirkt haben mögen, er hielt sich
trotzdem von einer Ueberschätzuug der Rolle frei, die den Bak¬
terien im menschlichen Organismus, insbesondere im Darmkanal,
zufällt. Während Pusteur die Anwesenheit und Thiitigkeit
der Bakterien als geradezu nothwendig für den thicrischon Orga¬
nismus hinstellte, beharrte Ncncki stets darauf, dass die Bak¬
terien im Darmkanal nach der Art ihrer chemischen Produktion
keine nützliche Thätigkeit zu entfalten vermögen. Zahlreiche
Arbeiten N e n e k i’s und seiner Schüler haben Aufklärungen
über die chemische Zusammensetzung der Bakterien und ihre
chemische Thiitigkeit, namentlich l»ei Anaerobio.se, schon zu einer
Zeit gebracht, wo die einfachen Ko c h’schen Züchtungsmethoden
noch nicht zur Verfügung standen. Wir verdanken Nene.ki
die Erkenntnis«, dass die Spaltpilze durch ihre eigenen Stoff
woehselprodukte zu Grunde gehen können, dass die Speoifitiit der
einzelnen Bakterienarten in der Quantität, und Qunlität ihrer
Stoffwechselprodukte, s. z. B. der verschiedenen Milchsäuren zum
Ausdruck kommt, und die späteren ergebnissvollen Forschungen
Brieger’s über Ptomaine sind zweifellos auf die Anregungen
zurückzuführen, die er im N e n c k i’schen Laboratorium zum
Studium der bakteriellen Fäulnissprodukte empfangen hatte. Der¬
artige Untersuchungen Noncki’s kamen aber nicht nur der
Bakterienchemie zu Gute, sondern sie erweiterten auch die Keimt-
niss von der chemischen Natur der Eiweisskörper, in denen
Ncncki u. a. durch Untersuchung der anaeroben Fäulniss-
produkte neben der aromatischen Gruppe des Tyrosins und der
Phcnylumidopropionsüure noch eine dritte, die der Seatolamido*
essigsäure, feststellen konnte.
Auch der neuesten Richtung in der Bakteriologie ist Ncncki
nicht ferngeblieben. Schon frühzeitig hatte er sich der Ansicht
N aegel i’s angeschlossen, dass „die Konkurrenz der Zellen des
Thierkörpers, dass deren Lebeiisproecssc das Aufkommen des
Lebens der Spaltpilze beliindern“ und damit, das Problem der
„natürlichen Widerstandsfähigkeit“, in den Kreis seiner Betracht¬
ungen gezogen. Später fesselten ihn die Arbeiten Behring’s
und insbesondere E h r 1 i o h’s in hohem Maasse, regten ihn zu
Studien über die Einwirkung der Verdauungssiifte auf die Toxine
an und veranlasston ihn mit S. Dzierzgowski die Her¬
stellung des Diphtherieserums in Russland auf’s thatkräftigste
zu fördern. Eine Expedition zur Erforschung der Rinderpest,
die er im Jahre 1895 unternahm, gab ihm Gelegenheit, im Verein
mit N. Sieber seine Erfahrungen auf dem Gebiete der Immuni-
sirung auch praktisch zu verwerthen und brachte bezüglich der
Aetiologie der Rinderpest aussichtsvollo Ergebnisse, die denen
sieh würdig anreihen, welche er in Bern schon l>ei anderen
Zoonoscn, so beim Rauschbrand, der Streptoeoccenmastitis der
Kiihe etc. gewonnen hatte.
Wohl die reifsten Früchte seiner denkerischen Thätigkeit
sind die Anschauungen, die er in den letzten Arbeiten über die
Ilarnstoffbildung, zu denen er durch die ausgezeichnete Mitarhoit
P a w 1 o w’s angeregt und bei denen er namentlich zuletzt durch
Zaleski unterstützt wurde, sowie in den Betrachtungen über
die Beziehungen des Blutfarbstoffes zum Blattfarbstoff nieder¬
gelegt hat.
Es ist, wie schon Eingangs gesagt wurde, schwer, in wenigen
Zeilen einen IJeberblick über die umfangreiche Forscherthiitigkeit
Nencki’s zu geben: sind es doch etwa 140 Publikationen, in
denen er die Ergebnisse seiner experimentellen Untersuchungen
niedergelegt hat! Noch schwieriger aber ist es, in wenigen Worten
eine erschöpfende Charakteristik seiner Persönlichkeit zu liefern.
N e n c k i war polnischer Abkunft, hatte in Deutschland
studirt, in der Schweiz und in Russland den grössten Theil seines
Lebens zugebracht. So war er eigentlich in gutem Sinne inter¬
national in seiner Art: er verband den Ideenreichthum seiner
Stammesgenossen mit deutscher Gründlichkeit und deutschem
Forschereifer, slavische Liebenswürdigkeit mit einem behaglichen
Humor, der an den allemannischen erinnerte, und in der Ein¬
fachheit und Schlichtheit seines "Wesens kam der Schweizer
Bürger zum Ausdruck.
Kein Denkmal aus Stein oder Erz ist nöthig, um Marcel
N e n c k i’s Andenken zu sichern: er hat sich selbst ein Denkmal
gesetzt in der Geschichte der Medicin und Chemie durch seine
Lebensarbeit — in dem Herzen seiner Schüler durch seine Per¬
sönlichkeit. Martin Hahn- München.
Georg Näher +.*)
Hochverehrte Herren Kollegen!
Seitdem wir uns zum letzten Male zu gemeinsamer Be-
ruthung an dieser Stelle vereinigt haben, ist schweres Unheil
über unseren Verein heroingebrochen. Der Manu, den wir an
dem Platze des Vorsitzenden zu sehen gewöhnt waren, dessen
klaren und bedeutenden Worten wir Münchener Aerzte mit An¬
dacht und Anerkennung zu lauschen pflegten, er ist mitten in
seiner Arbeit durch den unerbittlichen Tod uns entrissen worden.
Der ärztliche l’ezirksverein München hat Bitteres in den
letzten Jahren erfahren. Seine hervorragenden Führer Aub
und W e i s s sind ihm in kurzer Aufeinanderfolge durch den
Tod geraubt, nunmehr ist auch Näher, unser Stolz, unsere
Hoffnung von uns gegangen. Ich stehe nicht an, zu erklären,
dass dieser Verlust als der schwerste anzusehen ist, der uns in
diesen ernsten Zeiten treffen konnte, dass es einfach unabsehbar
ist, wie derselbe auch nur einigermaassen auszufüllen sein wird.
Wenn ich es heute unternehme, mit Worten die Grösse unseres
Verlustes auszudrüeken und den Verdiensten des Verstorbenen
gerecht zu werden, so mögen Sie bedenken, dass diese Aufgabe
mir auf Grund meiner Stellung in der Vorstandschaft zugefallen
ist. Ich rechne mir diese Aufgabe zur höchsten Ehre, verhehle
mir aber keinen Augenblick, dass mein Vermögen bei Weitem
nicht ausreicht, das zu sagen, was heute unser Aller Herzen
erfüllt!
Der Beruf als Arzt war Näher gewissermaassen vor¬
gezeichnet. Sowohl sein Vater wie sein Grossvater übten in
Lindau am Bodensee die ärztliche Praxis aus. Und doch war
der früh aufgeweckte Knabe lange Zeit ernstlich gesonnen, sich
einem anderen Berufe zuzuwenden. Man sagt den Lindauern
nach, dass in Folge der insularen Lage ihrer Heimath ihr Blick
und ihre Neigung mehr wie bei anderen Menschen auf’s Meer
gerichtet seien, und es ist bekannt, dass viele Lindauer in fernen
Welttheilen sieh eine hohe Stellung und reiche Glücksgüter er¬
worben haben. Dieser Drang über’s Wasser mag auch bei
Näher eingewirkt und in ihm den Wunsch rege gemacht haben,
ebenfalls in die Welt hinaus zu wandern und zwar merkwürdiger
Weise als Missionar. Zum Glück für unseren Stand wurde
diese Neigung bald erstickt, als Thatsache ist aber wohl an¬
zusehen, dass die gewaltigen Eindrücke, die der Knabe Näher
von den Schönheiten seiner Heimath bekommen hat, für zwei
Hauptzüge seines Wesens die Grundlage abgegeben haben, für
den weiten, freien Blick, den er sich in allen Lebenslagen be¬
wahrte und der ihn immer über das Kleinliche sich erheben Hess,
und die schwärmerische Liebe zu der hehren Welt der Berge,
zu der seine Augen in seinen Kinderjahren oft verlangend
hinübergeschaut hatten.
Im Jahre 1859 bestand Näher sein medicinisches Staats¬
examen und wurde Assistent bei Hecker, später bei Nuss-
b a u m und bei Bischof. Eifrig lag er den medicinischen
Studien ob und blieb lange Zeit schwankend, ob er die aka¬
demische Laufbahn als Anatom ergreifen oder in die Praxis
gehen sollte. Als es im Jahre 1864 galt, das meerumschlungene
Schleswig-Holstein dem deutschen Lande wieder zurück zu ge¬
winnen, litt es auch Näher nicht zu Hause. In den preussi-
schen Lazarothen hatte er vielfach Gelegenheit, seine reichen
Kenntnisse zu erproben und stolz durfte er zurückblicken auf
seine Mitarbeit an diesem ernsten, blutigen Kampfe, der unsere
nationale Einheit vorbereiten half. Bald nach dem Friedens¬
schluss finden wir ihn dann in Lindau als Arzt thätig, hoch¬
angesehen und beliebt, nicht nur als den werkthätigen Helfer
in aller Noth, sondern auch als den Förderer vieler gemein¬
nütziger Einrichtungen. Der Krieg des Jahres 1870 trieb ihn
wiederum in’s Feld. Für seine aufopfernde Thätigkeit wurde
ihm der Militärverdienstorden zu Theil.
Bei seiner Wirksamkeit in den Kriegslazarethen war der ge¬
wandte Arzt mit einer Reihe von Münchener Herren näher be¬
kannt geworden, die nach Beendigung des Feldzuges lebhaft in
ihn drangen, seine Thätigkeit von Lindau nach München zu
verlegen. Nach reiflicher Berathung gab Näher ihrem Zu¬
reden nach, und so zog er im Jahre 1871 hierher in die Landes¬
hauptstadt. Auch hier wurde er alsbald ein in den weitesten
Kreisen angesehener Arzt, der nicht nur seine Pflicht in der
*) Gedächtnis8rede, gehalten Im Aerztliclien Bezirksverein
München am 20. XI. 1901.
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MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
1974
strengsten Weise erfüllte, sondern vielfach, zumal hei den
Aermeren seiner Klienten, ein Uebriges gab und oft die linke
Hand nicht wissen liess, was die rechte that.
Das Kriegs- und Friedenssanitätswesen hielt ihn besonders
in den ersten Jahren nach dem Feldzüge stark gefesselt. Er
wirkte lebhaft für die freiwillige Sanitätskolonne und konstruirte
einen recht brauchbaren Sanitätswagen, dessen Modell in
Berlin ausgestellt wurde.
Seinem lebhaften Geiste, der allen Fragen des öffentlichen
Lebens höchstes Interesse entgegen brachte, erschloss sich da¬
neben noch ein reiches Feld der vielseitigsten Thätigkeit. Von
seiner Studienzeit her war er mit dem Bürgermeister v. Widen-
m ayer befreundet, später hatte er wesentlich mit dazu bei¬
getragen, dass Widenmayer als Bürgermeister nach Lindau
berufen wurde, und Widenmayer war wiederum mit unter
Denjenigen gewesen, die N ä h e r .bestimmt hatten, von Lindau
nach München zu ziehen. Die Freundschaft der beiden Männer
kam unserem aufstrebenden städtischen Gemeinwesen in treff¬
licher Weise zu Gute. Es war die Zeit, wo es galt, unserem
München den Namen einer typhusverseuchten Stadt zu nehmen,
es mit eintreten zu lassen in den edlen Wettstreit der deutschen
Städte um die Verbesserung und Festigung ihrer gesundheitlichen
Verhältnisse. Auch Näher hat redlich an der Vorbereitung
dieses grossen Werkes mitgearbeitet. Vom Jahre 1873—78 war
er Magistratsrath und hatte als solcher besonders das Referat
der Krankenhäuser auf sich genommen. Auch nach seinem Aus¬
scheiden aus dem Magistrat widmete er allen gemeindlichen
Angelegenheiten andauernd ein reges Interesse und noch die
letzten beiden Jahre seines Lebens war er als Arzt einer unserer
segensreichsten Gemeindeanstalten, des städtischen Waisen¬
hauses, thätig, hochverehrt von den Leiterinnen dieser Anstalt
und aufrichtig geliebt von den seiner Obhut anvertrauten
Kindern.
Neben der Begeisterung für seinen Beruf und neben der
Liebe zu dem Gemeinwesen, als dessen Glied er sich fühlte, galt
sein ganzes Fühlen dem grossen Gemeinwesen, dem wir alle
angehören, dem grossen deutschen Vaterlande. Hervorgegangen
aus den Reihen der Burschenschaft, selbst noch ein Zeuge der
ohnmächtigen Zerrissenheit Deutschlands, sah er mit freudigem
Stolz den Traum seiner Jugend- und Studentenjahre unter eigener
thätiger Mitarbeit zur Wirklichkeit erstehen, sah er die Einigung
der deutschen Stämme in einem mächtigen deutschen Reich.
Durch und durch national gesinnt, war er lange Zeit ein thätiges
Mitglied der nationalliberalen Partei, ohne dass er je schablonen-
mässig sieh hätte den Anschauungen seiner politischen Gruppe
unterwerfen lassen. Dem Vaterlande, nicht der Partei, galt sein
ganzes Fühlen, und wo das Gute ihm auf anderer Seite entgegen¬
trat, da hinderte ihn nichts, sich frei und offen dazu zu be¬
kennen. In den letzten Jahren hatte er sich sehr den national¬
sozialen Anschauungen, wie sie von Naumann vertreten
werden, zugewandt.
Der Eifer für Hebung des nationalen Gedankens war wohl |
neben seiner Freude an körperlichen Hebungen mit die Ursache, :
die ihn so enthusiastisch dem Turnwesen seine Kräfte weihen
liess. Er dürfte mit einer der Ersten gewesen sein, der mit
klarem Kopfe erkannte, dass bei der heutigen Parteistellung,
bei der Bearbeitung der grossen Volksmassen durch sozialdemo¬
kratische und klerikale Einflüsse, sich die grosse Menge immer
mehr dem nationalen Gedanken entfremden muss, dass auf diese
Weise sich schliesslich zwei grosse Gruppen im deutschen Reiche
kalt und fremd gegenüber stehen werden. Dieser Gefahr glaubte
er, könne man durch Einigung der verschiedenen Elemente ge¬
rade in den Turnvereinen auf’s Wirksamste begegnen, und nichts
freute ihn mehr, als wenn er bei diesen seinen Bestrebungen
die Anerkennung und die Zustimmung der einfachen Leute sich
erwarb. Dass er daneben der gesundheitlichen Bedeutung des
Turnens eine grössere Würdigung zu verschaffen bestrebt war,
ist klar. Unvergessen soll es ihm bleiben, dass er mit wahrem
Feuereifer für das Turnen der Frauen eintrat und in dem von
ihm geleiteten Turnvereine auch in dieser Beziehung ganz aus¬
gezeichnete Erfolge aufweisen konnte. Bekannt ist auch, dass
er bis zu seinem Lebensende die Turnübungen der Zöglinge des
hiesigen Max Joseph-Stiftes geleitet hat.
M. II.! Die grossen Gesichtspunkte, die Näher bei seiner
ganzen öffentlichen Thätigkeit geleitet haben, sie sind auch be¬
stimmend gewesen für all sein Wirken in unseren
ärztlichen Vereinen und in sonstigen ärzt¬
lichen Institutionen. Ueberall wurde er bald auf einen
wichtigen Posten gestellt. Das Vertrauen seiner Kollegen be¬
traute ihn zweimal mit der Leitung des ärztlichen Vereins, unter
den Bahnärzten nahm er von jeher eine höchst angesehene und
leitende Stellung ein, seit dem Jahre 1887 wirkte er mit grösstem
Erfolg im Kreismedicinalausschuss. seit A u b’s Tode war er
Vorsitzender der Oberbayerischen Aerztekammer, wiederholt ver¬
trat er den Münchener Bezirksverein auf dem deutschen Aerzte-
tage und in den letzten Jahren war er ständiges Mitglied in
dessen Geschäftsaussehuss.
Wir schätzten und ehrten ihn als eines unserer treuesten
und zuverlässigsten Mitglieder, dem unter einem oft streng er¬
scheinenden Aeusseren ein warmes Herz schlug für alle Fragen
unseres ärztlichen Standes. Es mussten verschiedene Ereignisse
zusammen kommen, um diese unsere Achtung in, ich darf wohl
sagen, schwärmerische Verehrung zu verwandeln und Näher
in kurzer Zeit zu dem populärsten Mann in den Münchener,
zu einem höchst angesehenen Mann in den bayerischen und auch
in allen deutschen ärztlichen Kreisen zu machen.
A u b, der hochverdiente Führer, starb im März 1900. Unter
seiner energischen Leitung hatte sich der Bezirksverein aus einem
behaglichen und beschaulichen Dasein zu einer angesehenen,
eifrig für die Interessen der Kollegen kämpfenden Korporation
entwickelt, hatte besonders bei den Verhandlungen mit der
Ortskrankenkasse III wegen Einführung der freien Arztwahl
hoch bedeutende, überall anerkannte Erfolge zu verzeichnen.
A u b’s dominirende Stellung nicht nur unter den Münchener
und bayerischen Aerzten, sondern auch im deutschen Aerzte-
vereinsbund, ist Ihnen Allen bekannt. Man konnte Denen nicht
ganz Unrecht geben, die sagten: „A u b ist der Bezirksverein 4 "',
oder vielmehr, „der Bezirksverein, das ist A u b“. Man sah unsere
Interessen bei A u b so gut gewahrt, und hatte sich so sehr ge¬
wöhnt, sich ganz seiner Führung zu unterwerfen, dass im All¬
gemeinen keine Neigung bestand, Gegenstände, die nicht der
Initiative A u b’s entsprungen waren, oder vorher seine Billigung
gefunden hatten, dem Bezirksvereine zu unterbreiten. Vermöge
seiner ausserordentlichen Geschäftsgewandtheit und seiner viel¬
fachen Beziehungen zu den verschiedensten Stellen war es A u b
leicht, in allen Dingen die Leitung in seiner Hand zu behalten,
so dass neben ihm das Hervortreten anderer bedeutender Per¬
sönlichkeiten im Bezirksverein einfach unterblieb. Alles ging
seinen glatten Gang, auch dann, als mit den Jahren Au b’s
Empfindlichkeit gegen selbständige Regungen anderer Köpfe
eine ziemlich lebhafte wurde. Hinter den Kulissen kam e9 ge¬
legentlich wohl auch zu Zusammenstössen der auf einander
platzenden Geister, und gerade bei unserem Näher hatte eine
solche gelegentliche Entladung der hochgespannten Individuali¬
täten keinen friedlichen Ausgleich, sondern eine um so grössere,
sich lange hinziehende Spannung zur Folge.
So war es kein Wunder, dass nach A u b’s Tode sich eine
gewisse Unsicherheit des Bezirksvereius bemächtigte, und er zu¬
nächst nicht klar entscheiden konnte, wer als Nachfolger A u b’s
zu wählen sei. Zwar hatte A u b schon zu Lebzeiten Näher als
Denjenigen bezeichnet, der unbedingt die besten Eigenschaften
in sich vereinigte, sein Nachfolger zu werden. Näher wurde
dann in der That zum I. Vorsitzenden gewählt. Sie entsinnen
sich aber noch, meine Herren, unter welchen erschwerenden
Umständen diese Wahl zu Stande kam.
Gerade in die Zeit des Eintritts N ä h e r’s in die Stellung
eines ersten Vorsitzenden fiel nun eine Erscheinung, die für die
Entwicklung des deutschen Aerztestandes von einschneidender
Bedeutung werden sollte. 16 Jahre lang hatte das Kranken¬
versicherungsgesetz seine unheilvollen Wirkungen auf die Lage
der deutschen Aerzte ausgeübt, hatte zerstörend auf die an¬
gesehene Stellung der Aerzte eingewirkt, hatte Uneinigkeiten in
ihre Reihen gebracht und hatte viele, und nicht die schlechtesten,
in ein unwürdiges Abhängigkeitsverhältniss von den sogen.
Arbeitgebern getrieben. Unsere Rufe nach Hilfe bei Regierung
und Parlament waren ungehört verhallt, die Resignation einer¬
und die Erregung andererseits hatte bedenkliche Grade erreicht,
da kam man an den verschiedensten Stellen unseres Vaterlandes
zu der Erkenntniss, dass nur die Selbsthilfe den unwürdigen
Zuständen ein Ende bereiten könne. In Nord und Süd, in Ost
und West regte es sich, eine elementare Bewegung bemächtigte
sich fast der ganzen deutschen Aerzteschaft, und überall fanden
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3. Dezember 1901.
MUENCHKNER MED1CIN1SGH K WOCHENSCHRIFT.
1975
sich die richtigen Männer, die in dem uns Hufgezwungenen
Kumpfe die Führung übernahmen. Auch hier in München war
der Stein ins Rollen gekommen, der Bezirksverein »nachte die
Sache der Kassenärzte zu der seinigen, und kaum ins Amt ge¬
treten, sah sich Nähe r einer Riesenaufgabe gegenüber, der
Aufgabe, die Interessen der Münchener Aerzteschaft gegen einen
mit mächtigen Hilfstruppen kämpfenden Gegner zu vertheidigen.
Die Aufgabe war um so grösser, als Näher vollkommen Laie,
in Kassenangelegenheiten war, als er nie eine kassenärztliche
Praxis ausgeübt hatte.
Und wie hat er seine Aufgabe gelöst!
Die Vorgänge sind Ihnen noch in lebhafter Erinnerung,
Sie sind selbst Zeugen gewesen dieser bewegten, ereignisreichen
Zeit, ich brauche Sic nur an die wichtigsten Thatsaehen er¬
innern. Mit überraschender Klarheit hatte Näher in Kurzem
das Wesen der Sachlage erkannt, hatte er eingesehen, dass nur
die Einigung aller Münchener Aerzte die Grund¬
lage des Erfolges werden könne. Mit eiserner Beharrlichkeit
wurde diese Einigung durchgesetzt und das Ergebnis der rast¬
losen Arbeit war die unerhörte, in allen deutschen Landen als
ein Wunder angestaunte Thatsache, dass alle über 500 Mün¬
chener Aerzte sich in dieser Sache solidarisch erklärten und be¬
schlossen, Mann für Mann für einander einzustehen. Was das
sagen will, vermag nur Derjenige richtig zu beurtheilen, der je¬
mals Zeuge gewesen ist von den Eifersüchteleien, die, Gott sei
es geklagt, zu jeder Zeit unter den Aerzten geherrscht haben,
der jemals gesehen hat, wie die Zwangslage des Einen sofort von
dem Anderen zu seinen Ungunsten ausgebeutet wird. Fürwahr,
ein herrliches Werk, allein werth, der Geschichte der ärztlichen
Stundesbestrebungen am Anfänge des 20. Jahrhunderts mit
goldenen Lettern einverleibt zu werden! Wenn an allen Orten
Deutschlands in Zukunft gleich begeisterte Führer erstehen, so
braucht es uns um die Zukunft unseres Standes nicht bange zu
sein, dann werden auch wir Aerzte noch einmal ausrufen dürfen:
„Es ist eine Lust zu leben!“
Die Einigung allein that es nicht, es musste auch un¬
verdrossen gearbeitet werden. Wie gross diese Arbeit ge¬
wesen, davon hat auch der Eingeweihteste kaum Kennt-
niss. Aber es gibt Ihnen doch einen Anhaltspunkt, wenn Sie
erfahren, dass Näher in der ersten Hälfte diese« Jahres
25 Vorstandssitzungen präsidirt hat, dass er nebenher all’ die
Veröffentlichungen in der Presse zum Theil selbst verfasst, zum
Theil überarbeitet hat, dass er einmal noch Nachts um 11 Uhr
eine Vorstandsitzung zusammenberufen hat. Dabei mögen Sie
bedenken, dass Näher nebenher immer noch seinen anderen
ausgedehnten Verpflichtungen nachkommen musste. So verging
kein Abend, wo er nicht irgend einer Sitzung beizuwohnen hatte,
und war er wirklich einmal zu Hause, so sass er bis 1 Uhr am
Schreibtisch und der nächste Morgen fand ihn schon wieder
in aller Frühe bei der Arbeit.
Der Lohn der eifrigen Arbeit blieb nicht aus. Was uns
nach den Erfahrungen der früheren Jahre immer als ein Ding
der Unmöglichkeit erschienen war, wir erlebten einen wirk¬
lichen Erfolg in dem Kampfe um unsere wirthschaftliche Exi¬
stenz; das geschlossene Vorgehen der geeinten Münchener Aerzte¬
schaft hatte sich glänzend bewährt. Mit freudigem Stolz durfte
es Näher nach monatelangem Kampf verkünden, dass der
Friede im Wesentlichen auf Grund unserer Bedingungen ge¬
schlossen sei. Nur seinen und seiner Mitkämpfer — ich nenne
hier vor Allem unseren stets hilfsbereiten Becker — Be¬
mühungen war dieser Friede zu danken. Es wurde schon da¬
mals angeregt, Näher zur Anerkennung seiner hohen Ver¬
dienste zum Ehrenpräsidenten des Bezirksvereins zu ernennen.
Der Tod hat diese Absicht vereitelt.
Wie in München, so gährte es in jenen sturmbewegten Tagen
an den verschiedensten anderen Orten xintor der deutschen
Aerzteschaft und der Ruf nach Selbsthilfe liess eine Vereinigung
erstehen, die ausschliesslich den Kampf um unsere wirthschaft¬
liche Lage auf ihre Fahne geschrieben hatte, „den Leipziger Ver¬
band der Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaft¬
lichen Interessen“. Hier in München begegnete diese Neugrün¬
dung von vornherein den lebhaftesten Sympathien, und in wohl¬
tuendem Gegensätze zu vielen anderen Herren aus der alten
«Schule erkannte Näher mit klarem Kopfe, welche Bedeutung
dieser neuen Vereinigung zuzuschreiben sei. Er hatte einen
offenen Sinn für alles Neue und ein warmes Herz für die Forde¬
rungen «1er stürmisch andrängonden Jugend. Im steten Verkehr
mit den jungen Mitgliedern seiner Burschenschaft, war er selbst
jung geblieben, er klebte nicht am Althergebrachten und ver¬
stand wohl einzusehen, dass neue Ziele auch neue Wege ver¬
langten. Aber mit weiser Ueberlegung warnte er vor dem Ein-
reissen. bevor etwas Neues aufgebaut war, und mit eifrigen Be¬
mühungen suchte er zwischen der alten und der neuen Ver¬
einigung zu vermitteln. Wenn in Hildesheim auch unsere
Münchener Anträge kurzer Hand abgelehnt wurden, so war doch
der dort geschlossene Waffenstillstand nicht zum Wenigsten
seiner Mitarbeiterschaft, die allerdings nach aussen nicht so zum
Ausdruck gekommen war, zu verdanken.
Die von Näher geschlossene Eintracht der Münchener
Aerzteschaft trug alsbald noch weitere Früchte. Bei dem Aus¬
bruch von Meinungsverschiedenheiten mit der Versicherungs¬
anstalt für Oberbayern, die sich auf die Honorirung von In¬
validitätszeugnissen bezogen, gelang es Näher, der den ganzen
Bezirksverein hinter sich hatte, in kürzester Zeit eine Einigung
auf Grund unserer Wünsche zu erzielen.
So war Näher mit einem Schlage der populärste Manu
in unserem Bezirksverein geworden. Eine Arbeitslast, wie sie
sich nach den bisherigen Erfahrungen unseres Vereins vielleicht
in 6 Jahren anzusammeln pflegt, war von ihm in 6 Monaten be¬
wältigt worden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass er bei der
nächsten Wahl wieder einstimmig zum 1. Vorsitzenden ernannt
worden wäre. Wir hätten ihm damit einen glänzenden Ver¬
trauensbeweis gegeben und wieder gut gemacht, was wir bei der
vorigen Wahl ihm an Zweifel entgegengebraeht hatten.
Er hätte uns noch so viel zu sagen gehabt, er hätte noch so
oft uns mit thatkriiftiger Hund in ernsten Kämpfen zur Seite
stehen müssen. Gerade jetzt, wo wir gehofft hatten, das Ziel
unserer Bestrebungen, eine ärztliche Standesordnung zu
erreichen, um damit auf Ordnung und Sauberkeit im eigenen
Hause zu halten, und wo wir leider sehen müssen, dass das Er-
gebniss unserer jahrelangen Arbeit einfach gestrichen werden
soll, wo man uns sagt, dass es nothwendig sei, das Publikum gegen
die Aerzte zu schützen, hätten wir seinen Beistand noch so noth¬
wendig gebraucht. Mit der «Sorge für diese von den Aerzten
so sehnlich erwartete Ordnung waren die letzten Tage seines
Lebens ausgefüllt.
Mitten in seinen Bemühungen für unsere Stnndesinteresscn
ist er von uns gegangen. Sein Ende hat geradezu etwas Tra¬
gisches. Am 22. Oktober, Abends •149 Uhr, erschien in seiner
Wohnung ein Geriehtsbote, der ihn zur Zeugnissabgabe für den
nächsten Tag vor das Amtsgericht beschied. Zwei Stunden
musste er am andern Tage vor Gericht warten und dann in
einer fünfstündigen Verhandlung all’ die schweren Kämpfe der
letzten Monate nochmals an seinem Geiste vorüberziehen lassen.
Es ist kein Zweifel, dass die Erinnerung an diese bewegte Zeit
eine schwere Erregung in seinem Gemüth hervorgerufen hat.
In der Sitzungspause erledigte er dann noch seine ärztlichen
Geschäfte und präsidirtc am Abend einer Sitzung im Turnverein
München. So verlief der vorletzte Tag seines Lebens in der an¬
gestrengtesten Thätigkeit. Am nächsten Tag fühlte er sich schon
in der Frühe unwohl und am Nachmittag, wie er sich gerade zur
Abhaltung seiner Sprechstunde anschickte, traf ihn der schwere
Anfall von Stenokardie, dem er kurz darauf erlag. Unser treuer
Vorkämpfer, unser unermüdlicher Berather hatte den ersehnten
leichten und schnellen Tod gefunden. Für uns ist es kein
Zweifel, dass die Erregungen und Strapazen der letzten Monate
ihr gut’ Theil mit. zu dem schweren Leiden beigetragen haben,
das ihm zum ersten Mal in Hildesheim sein drohendes Gesicht
gezeigt hatte. Er fürchtete den Tod nicht. Im Gegentheil, von
jeher war in seinem Wesen, auch in ganz glücklichen Tagen, eine
Sehnsucht nach dem Ende zu bemerken gewesen. Ein Satz
Nussbaum’s, den letzterer unter ein seinem Schüler über¬
reichtes Bild gesetzt hatte: ..Das Schönste am menschlichen
Leben ist das Ende“, hatte sieh Nähe r’s besonderer Zustim¬
mung zu erfreuen.
Dieser leicht resignirende Zug in seinem Wesen mag Jedem
wunderbar erscheinen, «1er in Näher nur die frohe Kämpfer¬
natur gekannt hat. Ein Kämpfer war er in des Wortes bester
Bedeutung, ein Kämpfer, der in seiner edlen Begeisterung Alles
mit sich hinriss. Bei seinem feurigen Temperament erging es
ihm aber nicht so, wie jenen geistigen Führern, die starr und
eigensinnig auf ihrer Meinung beharren und ihre Gefolgschaft
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1976
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
/u derselben hinüberzufülireu suchen. Im Gegentheil hörte er
surgsam auf jedes Wort und achtete eine jede Ueberzeuguug.
Als Vorsitzender huldigte er dem Grundsätze, jede Meinung zum
Ausdruck kommen zu lassen und liess in dieser Beziehung nicht
gern eine Beschränkung der Debatte ein treten. Hatte er dann
alter das Ergebniss der verschiedenen Ansichten gezogen und
hatte er einen bestimmten Weg als den allein gangbaren erkannt,
dann vermochte ihn nichts zu veranlassen, von seinem Ziele ab¬
zusehen. Wir sehen ihn noch Alle vor uns stehen, die kraftvolle
männliche Erscheinung mit dem mächtigen, lockenumwallten
Haupt, mit der etwas harten, aber doch so zu Herzen dringen¬
den Stimme, in temperamentvoller Begeisterung rückhaltlos ohne
jede Ansehung der Person seiner Ueberzeugung Ausdruck gebend
und unerbittlich die Folgerungen der vorliegenden Thatsaehen
ziehend. Er stand vor uns als eine jener immer seltener werden¬
den Persönlichkeiten, denen die Sache über Alles geht, die
nirgends irgend welchen persönlichen Vortheil suchen, sondern
um der verfochtenen Sache willen sich gern der grössten Arbeit
und den unangenehmsten persönlichen Belästigungen aussetzen.
Wie er als Arzt am liebsten Jedem das Honorar schenkte, so
lag ihm auch bei seinem Auftreten in der OefFent.lichkoit jeder
Gedanke an einen persönlichen Vortheil durchaus fern. Be¬
scheiden blieb er am liebsten im Hintergrund, wie in der Vor¬
standschaft der freiwilligen Rettungsgesellsehaft. Wo er aber
einmal an einen hervorragenden Platz gestellt war, da verwaltete
er denselben nur nach Recht und Gewissen. Er war kein sanfter
Gegner, seine Hiebe sassen gut, wenn sie treffen sollten, und oft
sind in heisser Redeschlacht die Funken geflogen. Aber auch im
«•bittertsten Kampfe blieb er immer der vornehme ritterliche
Gegner, der auch bei seinen Widersachern sich höchster Achtung
erfreute.
So herb er Manchem bei flüchtiger Bekanntschaft, erscheinen
mochte, in ihm schlug ein tief empfindendes, für alles Schöne
empfängliches Ilerz. Wie er dem Kampfe hold war, so ver¬
schmähte er auch nicht den fröhlichen Genuss alles Dessen, was
die Erde bietet, lieber Alles ging ihm sein Drang auf die
Höhen der Berge. Noch im hohen Mannesnlter hat er alle wich¬
tigeren Spitzen in den Tiroler- und Schweizeralpen bestiegen,
und noch im April dieses Jahres unternahm er in den südtiroler
Alpen Touren auf den Monte Pizzocolo und die Rothwand. Im
fröhlichen Wagen an steiler Berglehne fand er Erholung von
seinen vielfachen Geschäften und stählte sich für die in Aus¬
sicht stehende neue Arbeit. Wie dem Alpinismus und dem
Turnen, so huldigte er jedem Sport. Er war ein ausgezeichneter
Fechter und Schwimmer, und es ist bekannt, dass er den Starn¬
bergersee von Possenhofen nach Leoni hin und zurück ohne aus¬
zuruhen durchschwommen hat. Er war ein schwärmerischer
Verehrer jedes echten Naturgenusses. Nicht nur die stolzen
Höhen der Berge waren ihm vertraut wie selten Einem, auch all’
die herrlichen farbenprächtigen Alpenblumen hatten in ihm einen
Freund und wohlunterrichteten Kenner. Noch im letzten
Sommer, wo ihm das Bergsteigen versagt war, brachte er von
seinem Aufenthalte in Hohenschwangau eine reiche Flora mit
nach Hause.
Näher lebte von Anbeginn seiner Praxis an in glück¬
lichster Ehe. Nur ein Schatten fiel auf das innige Familienleben,
als ihm im Jahre 1876 sein elfjähriger einziger Sohn durch eine
Perityphlitis geraubt wurde. In der damaligen Zeit war die
Möglichkeit der operativen Behandlung der Perityphlitis noch
nicht erkannt und doch äusserte Näher wiederholt, dass er sich
Vorwürfe mache, nicht auf eine Operation gedrungen zu haben.
Er selbst hatte sich schon zu seiner Studienzeit mit der In¬
dikation zur Operation beschäftigt, wie die erste seiner Doetor-
thesen beweist: „In casibus typhütidis stercoralis gravioribus
laparotomiae indicatio esse potest“. Den Verlust seines Sohnes
hat Näher nie verwinden können, und derselbe mag wohl mit
zu der Neigung zu leicht melancholischen Stimmungen bei¬
getragen haben. Sonst war er ein Freund froher Geselligkeit,
und in seinem gastfreien Hause hat mancher junge Kollege be¬
hagliche Stunden verlebt, Besonders gastfrei war er gegen die
jungen Mitglieder seiner Burschenschaft, zumal zum Weihnachts¬
feste suchte er gern Denen, die fern von der Heimath weilten,
das Elternhaus zu ersetzen. Für manch’ jungen Arminen hat
er väterlich gesorgt, meist in gütiger Weise, aber auch mit
Strenge, wo es ihm nöthig erschien.
No. 49.
M. H.! So reich an den schönsten Zügen steht das Lebens¬
bild des seltenen Mannes vor uns. Allen, denen er in den mannig¬
faltigsten Stellungen Führer und Leiter sein durfte, wird er stets
vorschweben als das Muster strengster Pflichterfüllung und hoch¬
herzigen Charakters. Uns Aerzten aber, die wir bis in die letz¬
ten Tage seines Geistes Hauch verspüren durften, denen er der
treue Eckart war in unseren Kämpfen und Sorgen, wird er
allezeit unvergessen bleiben, als der unerschrockene Kämpfer,
der sein Bestes an die Wahrung unserer Standesinteressen ge¬
setzt hat. Mitten im Kampf ist er von uns gegangen. Wie sagt
der grosse Philosoph? „Den schönsten Tod 6tirbt der Voll¬
bringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden.‘ ;
Ja, über sein Grab hinaus hoffen wir und geloben wir, ihm naoh-
zustreben immerdar in vornehmer, lauterer, uneigennütziger Ge¬
sinnung für unseres Standes Ehre und Wohlergehen!
K r e c k e.
Referate und Bücheranzeigen.
Dr. Richard Stern, Privatdozent an der Universität
Breslau: Ueber die traumatische Entstehung innerer Krank¬
heiten. Klinische Studien mit Berücksichtigung
der Unfall-Begutachtung. Jena, Verlag von Gustav
Fischer, 1901.
Das erste Heft der vorliegenden Studien erschien 1896 und
beschäftigte sich mit der eingehenden Darstellung der trauma¬
tischen Entstehung von Herz- und Lungenerkrankungen, wohl
jenem Theile des hier in Frage stehenden Gebietes, wo unsere
Kenntnisse noch die grössten Lücken aufweisen. Es ist kein
Zweifel, dass die auf ungemein grosser persönlicher Erfahrung
des Verfassers, wie auf einer ausserordentlichen Kenntniss der
einschlägigen Literatur sich aufbauende Bearbeitung des
schwierigen Gebietes durch St. für die allmähliche Klärung dieser
gerade in der Gegenwart so wichtig gewordenen Fragen —
alle Tage treten ja in Folge der Unfallgesetzgebung solche an
den Arzt heran -— ganz Erhebliches beigetragen hat. Verfasser
hat darauf verzichtet, die traumatische Entstehung der ner¬
vösen Krankheiten in da3 Bereich seiner Darlegungen zu ziehen,
da hierüber schon zusammenfassende Werke in grösserar Zahl
existiren und unsere Kenntnisse in dieser Hinsicht schon eine
grössere Sicherheit erlangt haben und bringt in diesem zweiten
(Schluss-) Heft die auf ein vorausgegangenes Trauma zurück¬
zuführenden Krankheiten der Bauchorgane, des Stoffwechsels
und dos Blutes zur Darstellung. Da St. mit vollem Recht da¬
rauf hinweist, dass bei den inneren Krankheiten der Zusammen¬
hang des Traumas mit der später sich etablirenden Erkrankung
nur durch eine möglichst genaue Beobachtung der Entwicklung
des Leidens nachgewiesen werden kann, so ist auch in diesem
Theile der Studien auf die Einflechtung instruktiver Krankheits¬
geschichten, grösstentheils von solchen Fällen, welche Verfasser
selbst beobachten konnte, das gebührende Gewicht gelegt. Ge¬
rade diese werden dem begutachtenden Arzte in zweifelhaften
Fällen ganz besonders zu Statten kommen und müssen über¬
haupt für den Aufbau der ganzen Lehre über diese Dinge den
Grundstock liefern.
Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden, doch
mag ein kurzer Ueberblick den reichen Inhalt andeuten, welchen
das jüngst erschienene 2. Heft darbietet. Es werden geschildert
die traumatischen Krankheiten des Magens, besonders das trau¬
matische Magengeschwür, dann die verschiedenen Formen der
traumatischen Darmaffektionen, die nach Trauma folgende Peri¬
tonitis; in einem weiteren Abschnitte folgen die Erkrankungen
der Leber und Gallengänge, der Milz, des Pankreas, dann ein
ausführlicher Abschnitt über die traumatischen Nierenerkran¬
kungen, dann eine Zusammenstellung der traumatisch entstan¬
denen Unterleibsgeschwülste und Gefässerkrankungen.
Der das Werk sehliessende 6. Abschnitt behandelt den nach
Verletzungen auftretenden Diabetes mellitus und insipidus, dann
noch die Leukaemie und die allgemeinen Infektionskrankheiten,
soweit sie mit einem Trauma in Zusammenhang gebracht werden
können. Das Werk bietet also für jeden Arzt, der mit der Be¬
gutachtung von Unfallfolgen zu thun hat, eine reiche Fund¬
grube instruktiven Materials und trägt zum Ausbau der Theorie
der traumatisch entstandenen inneren Krankheiten in vortreff¬
licher Weise bei. G r a s s m a n n - München.
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3. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1977
Dr. Richard Lenzmann: Die entzündlichen Erkran¬
kungen des Darmes in der Regio ileo-coecalis und ihre Folgen.
Hirschwald, Berlin 1901.
Die vorliegende Abhandlung bringt eine klare und an¬
sprechende Darstellung der in der Ueberschrift genannten Krank¬
heitsgruppe. Auf vielfache eigene, sowohl interne wie chirur¬
gische Erfahrungen sich stützend, sucht der Autor die Einzel¬
erscheinungen der Appcndieitis und ihrer Komplikationen in
Grup]>en zu bringen, die vor Allem dem Handeln des Arztes am
Krankenbette nach Möglichkeit Rechnung tragen sollen. Von
diesem Bestreben geleitet, ordnet Lenz mann den Stoff zu
folgenden klinischen Bildern:
1. Appcndieitis acuta catarrhalis.
2. Appcndieitis acuta mit Reizung des benachbarten Peri¬
toneums.
3. Die Peri- und Paratyphlitis sero-tibrinosa.
4. Die Perityphlitis als Folge einer schweren Infektion des
die Apj>endix umgebenden Peritoneums.
5. Die diffusen Kntzündungsprocesse im Anschluss an eine
Appcndieitis.
6. Die Recidive bei der Appcndieitis und Perityphlitis.
7. Die Appcndieitis larvata.
Zahlreiche, sorgfältig bearbeitete Krankenbeobachtungen
sind der fliessend geschriebenen Abhandlung eingefügt. Be¬
sonders ausführlich sind die einzelnen Exsudatarten in ihrer
Entstehungsweise, in der Form ihrer klinischen Symptome und
in ihrer prognostischen Bedeutung geschildert.
Hier wird der Leser manche werthvolle Beobachtung und
brauchbare diagnostische Winke finden, auf die einzeln hier ein¬
zugehen der Raum fehlt. Der Referent möchte nur nachdrück¬
lich auf die berechtigte Skepsis hinweisen, mit welcher die Probe¬
punktion besprochen wird.
In der selir ausführlichen, auch die Technik der Operationen
eingehend berücksichtigenden Darstellung der Therapie zeigt sich
ein verständiges Abwügen der Indikationen für die internen
resp. chirurgischen Behandlungsweisen.
Den Schluss der cmpfehlenswerthen Arbeit bildet eine kurze
Schilderung dor specifisch entzündlichen Erkrankungen des
Durmes der Regio ileocoeealis (Tuberkulose, Aktinomykosc,
Typhus, Dysenterie). Prof. Brauer- Heidelberg.
Prof. Dr. Ad. Czerny und Dr. A. Keller in Breslau:
Des Kindes Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungs¬
therapie. Ein Handbuch für Aerzte. Erste Abtheilung.
Leipzig und Wien, Franz Deut icke, 1901. Gr. 8". 160 S.
4 M. 50 Pf.
Ein umfangreiches Handbuch in 10 Abtheilungen vom Um¬
fange der vorliegenden beabsichtigen C. und K. der Aerztewelt
zu bieten, welches die auf Grund der gesummten Literatur, wie
der so vielseitigen eigenen Erfahrung der Breslauer pädiatrischen
Schule heute als gesichert anerkannten Beobachtungen, Unter¬
suchungen und Thatsachcn zu einer streng wissenschaftlich be¬
gründeten Lehre von der Physiologie, Pathologie und Therapie
der Ernährung des Säuglings und Kindes im späteren Alter ver¬
einen soll.
Eine k r i t i s c h o Sichtung der Literatur und
eine besondere Berücksichtigung des nach¬
gewiesenen Erfolges empfohlener Hcilmctho-
<1 e n sollen dem Handbuch seinen bestimmten Charakter geben.
Zur leichteren Orientirung werden die umfangreichen Kapitel,
welche der eingehenden Erörterung des Stoffwechsels des Kindes
und anderen, ausschliesslich wissenschaftlichen Fragen gewidmet
sind, abgetrennt von jenen, welche für den praktischen Arzt von
unmittelbarem Interesse sind.
Ein Werk von solcher Bedeutung, welches die schwierigsten
und zum Theil in widersprechendster Weise bisher beantworteten
physiologischen, pathologischen und therapeutischen Fragen be¬
handelt, erfordert bei seinen Autoren grosse wissenschaftliche
und praktische Erfahrung, zähe Arbeitskraft und Lust und Liebe
zur Sache. Einer Bearbeitung aus der Feder der auf diesem
Gebiet seit Jahren so vielseitig thätigen Autoren dürfte desshalb
das Interesse aller sich mit paediatrischen Problemen beschäfti¬
genden Aerzte gesichert sein.
Wie sich C. und K. ihre Aufgabe denken, und dass und wie
sie dieselbe lösen, ersehen wir aus der ersten der 10 auge-
kündigten Abtheilungen.
Im ersten Kapitel wird die Frage der E r -
| nährung am ersten Lebenstage dahin beantwortet,
i dass keine oder eine ganz indifferente Nahrung am Platze ist.
Mit wichtigen hygienischen und sozialen Fragen beschäftigt
sich das 2. Kapitel über die Nahrung am zweiten
Lobenstag. Aus demselben könnte die grösste Mehrzahl aller
praktischen Aerzte Vieles lernen, was den heutigen Anschau¬
ungen vielfach widerspricht. Mit so mancher wissenschaftlichen
Spielerei und Grossthuerei wird gründlich aufgeräumt, der
praktischen Erfahrung der berechtigte Werth eingeräumt. Die
| energische Betonung der Minderwerthigkeit jeder künstlichen
Ernährung gegenüber der natürlichen, wird leider auch bei der
Aerztewelt nicht, den gebührenden Eindruck machen.
Anatomie und Physiologie des Magen-
darmtractus und seiner Adnexe unter normalen
i Verhältnissen finden im 3. Kapitel eine die speciellen An¬
schauungen Czorny’s und seiner Schule wiedergebende Be-
| arbeitung. Der Werth der Physiologie und Chemie gegenüber
j der Bakteriologie zur Aufklärung der Fragen betreffs der Darm-
i funktion des Säuglings wird besonders hervorgehoben. Das
4. Ka p i t e 1 behandelt die chemische Zusammen-
J Setzung des Körpers beim menschlichen Foe-
tus und Neugeborenen, das 5. die Technik der
Stoffwechsoluntersuchungen. Auch das 6. Ka¬
pitel betrifft einen ausschliesslich wissenschaftlichen Gegen¬
stand, das Meeonium. Im letzten vollständigen Ka-
pi tel der 1. Abtheilung erfährt die wissenschaftlich wie prak¬
tisch interessante, viel und widersprechend erörterte und beant¬
wortete Frage der sogen, physiologischen Albuminurie
der Neugeborenen eine eingehende Beleuchtung, nach¬
dem das Thatsächliche der Lehre vom normalen Harn des Neu¬
geborenen von dem Hypothetischen oder nachweisbar Falschen
getrennt worden ist.
Abgesehen von der Wiedergabe aller für die behandelten
Fragen werthvollen, zum Theil wenig bekannten und schwer zu¬
gänglichen Literaturangaben und der scharfen, persönlichen,
kritischen Stellungnahme der Autoren zu vielen Fragen, wird
auch die Vereinigung aller Untersuchungen, Erfahrungen und
Anschauungen der Czorn y'sehen Schule auf dem weiten Ge¬
biete der Lehre dor Physiologie, Pathologie und Therapie der
Ernährung des Kindes in diesem Handbuch den weiteren Ab¬
theilungen einen grossen Leserkreis sichern.
S i e g e r t - Strassburg.
I
Dr. Max Biechele: Anleitung zur Prüfung der Arznei¬
mittel. 10. Auflage. Berlin, J. Springer, 1901. Preis 5 M.
Die Bearbeitung sehliesst sich enge an die IV. Ausgabe des
Arzneibuches für das deutsche Reich an und enthält zur Er¬
kennung und Prüfung dor in dasselbe aufgenommenen Arznei¬
mittel präcisc Anleitungen, sowie mehrere Tabellen über Ver¬
wendung und Beschaffenheit von Reagentien und volumetrischen
Lösungen, Aufbewahrung von Arzneimitteln, Consistenz der
Extrakte, Zerkleinerung der Drogen u. s. w. Hauptsächlich zum
Gebrauch des Apothekers bestimmt, wird sich das Buch auch in
ärztlichen Handapotheken als nützlich erweisen; zugleich kann
es amtlichen Aerztcn als Leitfaden bei Apothekcnvisitationen
dienen. Dr. Carl Becker.
Kryptogamen-Flora : Moose, Algen, Flechten und Pilze,
herausgogeben von Prof. T)r. Walter M i g u 1 a. 5. Band von
Prof. Dr. T h o in e’s Flora von Deutschland, Oesterreich und
der Schweiz. Lief. 1. Gera, ltcuss j. L. Friedr. v. Zez-
sclnvi t z, vorm. Fr. Köhler’» botanischer Verlag.
Der bekannten Thom e’seheu Flora hat eine Bearbeitung
der Kryptogamen (mit Ausnahme der im 1. Bande enthaltenen
Farne) bisher gefehlt. Es ist um so erfreulicher, dass diese
Lücke jetzt ausgefiillt werden soll, als eine gute, reich illustrirte.
für weitere Kreise brauchbare deutsche Kryptogamenflora über¬
haupt nicht existirt. In Prof. M i g u 1 a, dem durch seine bak¬
teriologischen Arbeiten auch in der Medicin wohl bekannten
Botaniker, hat die Verlagsanstalt «‘inen kompetenten Bearbeiter
des wichtigen Bandes gewonnen. Das Werk soll 40—45 Liefe¬
rungen umfassen, von denen die uns vorliegende 1. Lieferung
mit den Moosen beginnt und den Aufbau der Moospflanze und
das Auf suchen, Sammeln und Bestimmen der Moose bespricht.
Dem Heft sind 5 lithographische Tafeln beigcg«‘ben, die zeigen.
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1978
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
<las.s in dem Werk dein für die Kenntniss der Kryptogamen so
wichtigen mikroskopischen Verhalten dieser Pflanzen die nöthige
Sorgfalt geschenkt wird. Das Werk verdient auch in ärztlichen
Kreisen viele Freunde zu finden. Der Preis der Lieferung
ist 1 M.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 47.
R. G r U n 1) a u in: Zur Methodik der Pulszählung. (Aus dein
Institut für Mecliunothcrapie des I)r. A. Bum in Wien.»
Wir verfügen zwar über Untersuchungen der Pulsfrequenz
vor und nach Muskelarbeit und haben daraus wichtige Schlüsse ge¬
zogen; doch gestattet diese Kenntniss kein sicheres Vrtheil über
das Verhalten des Herzrhytlnnus während der Arbeit. Da die
graphische Methode hier nicht anwendbar ist. kann nur eine ein¬
fache Zählung zum Ziele führen. Die Nachtheile, welche die ein¬
fache Zählung in 20 oder 30 Sekunden in Bezug auf Genauigkeit
bietet, schaltet Verfasser dadurch aus. «lass er mit Ililfe einer
sogen. Stopp- oder Wettrennuhr die Zeit, liestimiut. welche während
der Zählung von 15 Pulsselilägen verstreicht. Diese Uhren sind
so eingerichtet, dass sie ausser dem gewöhnlichen Sekundenzeiger
noch einen zweiten, grösseren besitzen, der 15 Sekunden genau an¬
zeigt, und dessen Gang durch leichten Druck auf einen kleinen
Knopf ausg«4öst und al»gest«*Ut werden kann. Durch einen
weiteren Druck kehrt der Zeiger immer wieder zur Ausgangs¬
stellung zurück. Man eruirt die »it. von 15 Pulsselilägen in der
Weise, dass, während der Untersuchende mit der einen Hand den
Puls fühlt, er mit der anderen Hand zu Beginn des ersten zu
zählenden Pulses den grossen Sekundenzeiger in Bewegung setzt
und am Ende des 15. Pulses stoppt und die verflossene Z«*it direkt
abliest. Fehlerfrei ist auch diese Methode nicht. Ein Fehler ist
dadurch bedingt, dass von dem Momente des Fühlen* des Pulses
bis zum Niederdrücken des Knopfes der Stoppuhr eine gewisse
Zeit nothwendiger Weise vergehen muss. Die abgelesenen Zahlen
sind daher etwas grösser als die Zeit von 15 Pulsen. Aber dieser
Fehler ist nicht grösser wie eine Sekunde. Ein weiterer Fehler
ist dadurch gegeben, dass, wie bei der gewöhnlichen Art der
Zählung auch bei dieser Methode nicht immer das Ende des Pulses
mit dem Ende der Sekunde zusammenfallen muss. Aber dieser
Fehler ist 5 mal kleiner und erreicht niemals di«* Grösse einer
Sekunde. Die Beobachtungsfehler sind demnach l»ei dieser Me¬
thode viel kleiner als bei der einfachen Zählung. Die Ergebnisse,
die der Verfasser mit seiner Methode über «las Verhalten der Puls¬
frequenz während der Muskelnrboil erhalten hat. will er anderen
Orts berichten. W. Z i n n - Berlin.
Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 45—47.
No. 45. H. M a r x: Chinin als Stypticum und Antisepticum.
Auf Grund von Versuchen betr. des Studiums der Blutbak¬
terien, bakteriologischer und klinischer Beobachtungen empfiehlt
M. »las salzsaure Chinin in feuchter Tamponade bezw. Kompression
von in 1—2 proc. ('hin. hydrochloricumlösung getauchter Gaze,
eine absolut unschädliche Applikation, di«* sicher im Stande ist.
1 h* 1 aseptischen Operationen den l«*tzt«*n Rest parenchymatöser
Blutung zu stillen und die spärlichen, von «len operirenden Händen
In die Wunde gelangten Keime vollends unschädlich zu machen.
Polier die antiseptische Kraft d«»s Chinins bei Sepsis (intravenöse
Injektion) stellt M. weitere Veröffentlichung in Aussicht.
Grosse: Trachealknorpeldefekt und Silberdrahtnetz¬
deckung.
G. theilt aus der chirurgischen Abtheilung des Olga-Kranken¬
hauses (Stuttgart) den Fall elues 12 jährigen. früher wegen
Diphtherie tracheotomirt«*n Mädchens mit. das an schweren dys-
pnoisehen Zuständen in Folge schlaff zusammenklappender
Traehenlstolle (liei Defekt der rud. Trachea über 3- 4 Ringe hin¬
weg) litt und bei dem die Einpflanzung eines festen Drahtgeflechtes
(von 2:3 cm. halbrinnenfönnig zurechtgebogen und durch Alu-
minlumbroncedrähte befestigt» zu reaktionsloser Einheilung und
vollständig normaler Athmung führte.
No. 47. A. Bum: Experimentelle Untersuchungen über
den Einfluss der Stauung auf die Entwicklung des Knochen-
callus.
B. bespricht seine im Wiener Institut für experimentelle
Pathologie (I* a 11 a u ft unternommenen Versuche und histo¬
logischen Befunde. Anfangs an Kaninchen, dann an jungen
IIuud«‘n. «lenen er lieide Tibien diaphysär glatt subkutan frak-
turirte. die er mit Gipsgehvcrbnnden liehandelte, bei denen er je
auf einer Seite Stauung appiieirte. Die Nekroskopie «ler betr.
Tldere ergab auffallenden Blutreichthum der Weichtheile der ge¬
stauten Seite, schon makroskopisch mächtige Oallusbildung und
grössere Festigkeit des Callus spee. vorgeschrittenere Verkalkung
und Ossifikation des periostalen Callus. Sehr.
r 1’ Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie. IM. XIV.
Heft 3.
1) Iv rö n ig - Leipzig: Zur Technik der abdominellen Total-
exstirpntion des Uterus.
Das Verfahren der abdominellen Totalexstirpntion von Mar-
i i u und D o y e n hat Verf. in der Weise mo»lifizii*t. dass er. ähn-
lii-li wi«* I> •"» «1 e r 1 e i u bei der vaginalen Totalexstirpation, di«*
hint«*r<* Waml lies stark nach vorn«* über di«* Symphyse gebogenen
Uterus mit dem Messer genau in der Mittellinie bis In die Uterug-
liöhlo spaltet und d«*n Schnitt dann mit der Schoere bis in’s hinter«*
Scheiden ge wölbe fortsetzt. Nach Abtrennung der hinteren Sclieideu-
wand wird die Operation nach der Methode Martin'« beendet.
«Hier es wir«! auch «lie vordere Waud des Uterus mit dem Messer
in der Mittellinie durclitreuut. die Blase stumpf aus dem Gesichts¬
feld weggesehoben und die Spaltung bis in di«* vordere Scheiden-
wand fortgesetzt. Nach Durchtrennung der vorderen Sehelden-
wand hat man eine vorzügliche Stieluug des Uterus; die Uterina
wird leicht freigelegt, der Uterus bequem ahgeeetzt. Die Scheideu-
wunde wird vollständig vernäht und mit Peritoneum überdeckt.
Eine wesentliche Erleichterung bietet diese Art der Total-
exsiirpation in Fällen, in denen b<*i Pelveoperitonitis mit chro¬
nisch«*» A<liu*x«*rkraiikung«*ii «lie vollständige Entfernung des
Uterus erwünscht ist. Hamh'lt es sich uni Myome, so ist das Ver¬
fahren nur dann zu empfehlen, wenn es sich um einfach sym¬
metrische hotuoeeut rische Myome des Uteruskürpers handelt, bei
denen die Auffindung «ler Uterushöhle keine Schwierigkeiten
macht
2) W. P o teil - Hannover: Beitrag zur Diagnose der Blasen¬
molenschwangerschaft.
Bei fehlerhaftem Uterusinhalt, besonders bei Molenschwauger-
seliaft, ftud»*n sich mitunter Kontraktionen einzelner umschriebener,
meist grösserer Gebännutterabschnitte. Die Dauer der Kontrak¬
tion ist ziemlich lang. In einem Falle von Blasenmole wurde An¬
fangs die über faustgrosse, von «lern (ihrigen weichen Utems-
gewelie sich deutlich abhebende Partie als Myom diaguosticirt.
Diese partiellen Kontraktionen werden bei normaler Schwanger¬
schaft nicht beobachtet, weniger deutlich ausgesprochen bei al>-
gestorliener Frucht, am deutlichsten bei Blasentnole, so das« der
Befund bei Blasenmole als charakteristisch gelten kann. Die
Kontraktionen entstehen wahrscheinlich durch Reaktion der
Uteruswaud auf lokale Ablösungen der Blasenmassen und um¬
grenzte Blutnustritte an der Peripherie des entarteten Eies.
3) O. Fell n «* v - Wien: Herz und Schwangerschaft. (Schluss
im nächsten Heft.)
4) J. M a ii d e 1 h t a m in - .Odessa: Zur operativen Behand¬
lung der Genitalprolapse.
Mittheilung von 7 Operationen schwerer Genitalprolapse nach
der F r e u n d’sclien Methode. Die ursprünglich von Freund
angegebene Art. den Uterus an die vordere oder hintere Vaginal-
wund zu fixiren, ist nur dann anzuwendeu. wenu die heraus
gefallenen Tlieile durch längeres Liegen ausserhalb des Beckens
tiefgreifend«* Veränderungen ihrer Struktur und eine bedeutende
Volunizunnhme erfahren haben. Bei der in diesen Fällen unent-
liehrlicheu ausgedehnten Fixation des Uterus kann mau auch die
Bildung (>ines künstlichen Muttermundes unterlassen, wenn das
(\*r\ ixium«*n nicht obllterirt ist. da an den Seitenflächen des Uterus
genügend Raum zum Abfluss der Ausscheidungen ist. In den
übrigen schweren Fällen kann man sich auf die Werthei m’sche
Modifikation beschränken. Die meisten in Betracht kommenden
Fälle fallen in das klimakterische Alter, in anderen wäre durch
Resektion «ler Tuben eine Conception zu verhindern.
5) W. R o s e u f e 1 d - Wien: Ein Beitrag zur Anatomie der
Tuberschwangerschaft und Bildung der Decidua reflexa.
Nachweis der Decidua reflexa in einer wegen Ruptur des
Fruehtsaekos exstirpirten Tube.
Genaueres über «las Präparat und den mikroskopischen Be¬
fund muss in der Arbeit selbst nnchgesclien werden.
öl E. E s s o n - M ö 11 e r - Lund: Sammelbericht über Ori¬
ginalarbeiten aus der schwedischen Literatur auf dem Gebiete
der Geburtshilfe und Gynäkologie für das Jahr 1900.
Weinbrenner - Erlangen.
Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 46 u. 47.
X. O s t c r ui a y e r - Ofen-Post: Ein Fall von ausgedehnter
Buptur des linken Scheidengewölbes durch Coitus.
Rupturen des Scheidengewölbes kommen am häufigsten hinten.
s**lt«*ner seitlich, am seltensten vorne vor. O.’s Fall betraf ein
24 jähriges Mädchen. «Ins im Anschluss an den angeblich ersten
Coitus eine heftige Blutung liekam. O. fand normale äussere
Genitalien. Hymen sogar erhalten, dagegen im linken Fornix
vaginae einen sich nach oben verlierenden tiefen Riss, dessen Naht
mittels 8 Nadeln erst nach den grössten Schwierigkeiten gelang.
O. glaubt, dass, wie Warm an zuerst behauptet hat. zur Ent¬
stellung der Fomixmptur ein gesteigerter sexueller Reizzustancl
der Frau vorliegen müsse und nimmt «lies auch für vorliegenden
Fall an. in dem weder die Beschaffenheit der Genitalien, noch
sonstige Umstände das Entstehen einer Fornixruptur begünstigten.
Interessant ist. dass O. auch die Mutter des Mädchens früher
an einem hinteren Fornix riss, der ebenfalls beim Coitus entstanden
war. behandelt hatte.
No. 47. 1) L. Knapp-Prag: Ein gynäkologisches Demon-
strations- und Uebungsphantom.
Dass«*]!»«* ist b«*stinimt, die gynäkologische Massage und die
häufigsten gynäkologischen Erkrankungen einzuüben. Leider
fehlte jegliche Besehreibung, die einer ausführlicheren Mittheilung
an anderer Stelle Vorbehalten bleiben soll.
2) W. Kühl- Dillenburg: Ueber einen Fall von vorzeitiger
Lösung der normal sitzenden Nachgeburt; Beendigung der Ge¬
burt durch vaginalen Kaiserschnitt.
HI. Para, di«* nach einem Stoss gegen die Bauchwand am
foig«*nden Tage Wehen, Blutabgang und alle Zeichen Innerer Ver-
e
1970
3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
blutung bekam. Ein Kolpeurynter, In den Uterus geführt, war
erfolglos. Hierauf machte R. an der fast pulslosen Frau den
vaginalen Kaiserschnitt, extrahirte das todte Kind mit der Zange,
dem die Placenta folgte, und beendete so die ganze Geburt ln
6 Minuten. Durch fortgesetzte Kochsalzinfusionen. Kampfer,
Nilhrklystiere etc. gelang cs, die Frau am Leben zu erhalten.
R. milchte den Dührsse n’schen Kaiserschnitt als Indi¬
kation für ähnliche Fälle aufstellen. J a f f 6 - Hamburg.
i " ' ' ' i
Virchow’s Archiv. Bd. 168. Heft 1.*) 1901.
1) B. Coli mann: Beiträge zur Kenntniss der Chondro¬
dystrophia foetalis. (Aus dem pathol. Institut zu Königsberg.)
Die vorliegende kasuistische Mittheiluug betrifft einen acht¬
monatlichen Foetus.
2) P. Rohmer: TJeber Knochenbildung in verkalkten endo-
karditischen und endarteriitischen Herden. (Aus dem pathol.
Institut zu Strassburg.)
R. beschreibt die Bildung von typischem, theilweise sogar mit
Markräuiuen versehenem Knochengewel)e in arteriosklerotisch ver¬
änderten Gefüssen und Herzklappen und zwar fand er dieselbe
In den Aorten- und Mitralklappen, sowie in den Wandungen der
Art. femoralis vor. Es handelt sich dabei nach R. um eine richtige
luetnplustische Knochenentwicklung und es stellt dieser Befund,
«ler, wie aus den mehrfachen Berichten hervorgeht, nicht so ex-
«luislt selten ist, ein Stadium in der Entwicklung des arterio¬
sklerotischen Proeesses dar.
3) M. A b e 8 8 e r: Ueber die Herkunft und Bedeutung der
in den sogen. Naevi der Haut vorkommenden Zellhaufen. (Aus
dem pathol. Institut zu Göttingen.)
Die vorliegende preisgekrönte Arbeit enthält eine kritische
Zusammenstellung der diesbezüglichen Arbeiten und des Weiteren
l»erlchtet A. über seine 10 in Serienschnitte zerlegten Pigment-
Naevi. Er fasst seine Ergebnisse in folgende Sätze zusammen:
Alle Naevuszellen, auch die verästelten Pigmentzellen, stammen
von der Epidennis ab, die Umwandlung erfolgt unter Verlust der
Epithelfnserung. Die abgelösten Zellen erfahren keine Metaplasie
zu Bindegewebszellen (wie Kro m a y e r glaubt), sondern be¬
wahren auch in der Cutis cpitheläluillchen Charakter. Die aus
PIgmentwar/.en hervorgegangeneu Melanome sind demnach nicht
als Sarkome, sondern als Corel nome aufzufassen.
4) H. F. n a r r 1 s - Atlanta (Amerika): Experimentell bei
Hunden erzeugte Dysenterie. (Uebersetzt von Dr. Davidsohn
in Berlin.)
II. sucht wiederum durch Experimente der Lösung dieser
schon so vhdfach diskutirten Frage nahe zu kommen. Es ist ihm
nie gelungen, durch ractale Einverleibung von den mannigfachsten
Rnkterienkulturen überhaupt, nur irg«*in1 welche krankhafte Ver¬
änderung an seinen Versuchthieren zu erzielen. Dagegen gelang
«*s ihm (wie auch vor ihm amleren Autoren) durch Einspritzung
von Faeeulmnssen I»ysenterischer bei jungen Hunden das
typische, klinische und anatomische Bild der Dysenterie hervor¬
zubringen. in 2 Fällen auch Loberabsc<*s8o. Die ln den Faeces
vorhandenen Amoeb»*n konnte H. nie künstlich züchten, dagegen
g«'lang ihm das hinsichtlich der l>ei den DysenteriefiUlen vor-
hamlenen Dannbnktorhm.
Weil dio Einverleibung dieser letzteren bei seinen Thieren
keine Reaktion hervorrief, glaubt H.. „der Beweis, dass die Vor¬
gefundenen Amoeben (A. coli) ln der Timt die ursächlichen Wesen
bei chronischer Dysenterie sind. Ist Jetzt klar erbracht“ und nimmt
an, dass diese Organismen nicht auf mechanischem Weg. sondern
durch ein von ihnen gebildetes Toxin wirkten. «Dies«' Auffassung
dürfte kaum von einem objektiven Leser getheilt werden! cf. die
letzt«*n Verhandlungen der pathologischen Gestdlschnft! Ref.)
5) A 1 b u: Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Harngift.
(Aus dem physiol. Institut zu Berlin.)
('•) I «1 e in : Zur experimentellen Erzeugung von Oedemen
und Hydropsien.
A. weist nach, dass es möglich ist. Kaninchen selbst grössere
Meng«*n hypertonischer Flüssigkeit«*!« «Kochsalzlösung und mensch¬
lichen Harn) intravenös z«i iujiziren. «>hm* dass Gift Wirkung ein-
trit.t, w«*nu nur di«* Flüssigkeit, möglichst langsam ein ver¬
hüllt wird: di«* Ausscheidung erfolgt durch tlii* Nieren, aber auch
«liuvli andere 1 >rüseuorgane «Darm. Speichel- und Thräuendrüse».
Klieliso gelang es A. auch durch langsam«* Injektion grosser
Flüssigkeitsineng«*u sowohl 1 k* 1 gesunden wie künstlich gescliii-
digten Nieren und auch bei nephrektomirten Thieren Oedeine und
Hydropsien zu erzeugen, deren Gross«* und Lokalisation indivi¬
duellen Schwankungen unterworfen. Für «las Zustandekommen
dersidlien nimmt A. eine abnorm g«*st«»ig«*rt<* Permeabilität «ler
(’apillarwaudung an. die ihrerseits wi«*der durch die Hydnieiuie
und die Plethora bedingt sein soll.
7) E. Wieland: Studien über das primär multipel auf¬
tretende Lymphosarkom der Knochen. (Aus dem pathol. Institut
zu Basel.)
Die vorliegenden 2 Fälle schliessen sich ganz an 3 von W.
früher beschriebene an. Es handelt sich um multipel auftretende,
scharf umschriebene Geschwulst knoten, die nicht zu Metastasen
in anderen Organen führen, somlern lediglich auf das Knochen-
system beschränkt sind «Wirbelkörper, Femur. Sternum, Schädel-
- r . .
*) Die Referirung von Virchow’s Archiv hat durch die Be¬
hinderung unseres seitherigen Referenten «‘iiva.uplie.häainu L'uter-
brechup g -gefahren. Mit dem vorliegenden lieft wird das regel-
inöwrtge Kefefat* w ieder aufgonomim*n. Red.
dach, seltener Rippen). Mikroskopisch stellen sich die Tumoren
als Sarkome mit dem Typus des LymphdrüsengewebeR dar. Zu¬
letzt folgt eine kritische Llteraturangabe. sowie Berücksichtigung
der klinischen Gesichtspunkte und pathologischen Differential-
diagnose.
8) L. Locb - Chicago: Ueber eine aus Lute'ingewebe be¬
stehende Neubildung in dem Ovarium eines Kalbes.
9) M. G 1 o g n «* r - Berlin: Ein Beitrag zur Beurtbeilung der
Malariarecidive und ihrer Behandlung.
Nach den Erfahrungen des Verfassers sind dio Sphären- und
Halbmond formen als Ursache «1er mit grosser Regelmässigkeit und
trotz Chininbehnndlung auf tretenden Malariarecidive zu 1 Mi¬
tnichten: man bat «H«*selben wi«*«lcrliolt ln «len fieberlosen Inter¬
vallen vorgefunden. G. weist «lio Einwürfe K o c li’a znrü«*k und
betont wieder, «lass «*s eine erworbene Immunität gegen Ma¬
laria nicht gibt, unter Hinweis auf seine Erfahrungen, die auch
von anderer Seite bestätigt sind: dagegen rückt er die ange¬
borene Immunität, sowie die Vinilonzsohwankungon «ler Plas¬
modien in den Vordergrund.
10) R. V 1 r c h o w : Rachitis foetalis, Phokomelie und
Chondrodystrophia.
Kritische Betrachtungen, ausgehend von Artikel I.
II. M e r k o 1 - Erlangen.
Archiv für Hygiene. 41. Bd. 2 Heft. 1901.
1) R. O. N e u m a n n - Klei: Die Wirkung des Alkohols als
Eiweisssparer. Neue Stoffwechselversuche am Menschen. Zu¬
gleich Entgegnung auf R o s e m a n n’s Kritik. (Pflüger's Aroli.
Bd. 77.)
Bereits im Jahre 1809 hatte Verf. einen 35 tägigen Stoff¬
wechsel versuch mit Alkohol an sich angcstellt und war dftlK*i zu
dem Resultat gekommen, «lass Alkohol als Eiweiss-
Sparer aufzufassen sei. Diese Schlussfolgerungen wurden nlK*r
von Rosemann auf Grund zweier kurzdauernder Versuche von
Schmidt und Schöneseiffen, die er hatte ausführen lassen,
angezweifelt.
Infolgedessen machte Neu mann einen zweiten 30 tägigen
Versuch, mit anderer Anordnung. wolw*i er jedoch seine ersten
Resultate vollständig bestätigen könnt«*.
Er stellt sich nach einer 40 tägigen Alkoholabstinenz in einer
VonK*riode mit 112 g Eiweiss. 110 g Fett und 254 g Kohlehydrate
In N-Gleiehgewicht. Alsdann gab er in der zweiten. 18 tägigen
Period«\ zunächst um die Giftwirkung des Alkohols
auf den nicht, an ihn gewöhnten Organismus
a u s z ti s c h 11 e s s e n. zu «1er gleichen Nahrung kleine
Mengen Alkohol, die «*r allmählich bis auf 100 g steigerte,
hinzu. Es musste, falls d«*r Alkohol eiweissspnreude Kraft hatte,
nunmehr ein N-Ansalz erfolgen. Dieser trat auch in der That bei
Gaben von ea. 50 g Alkohol ein und steigerte sieh bis zu einer
Plusbilnnz von 2.02 g bei 100 g Alkohol. Hier konnte nur
der Alkohol diese Wirkung erzielt haben.
Bel weiterer Untersuchung, ob der Alkohol dem F«*tt in seiner
Sparwirkung wirklich gleichwertig sei. ergab sich, dass der¬
selbe etwas hinter dem Fett zuriiekstebt. eine Be¬
obachtung. die Verfasser auch schon in seiner ersten Arbeit ge¬
macht batte.
N o n m a n n’s zweiter Versuch bestätigte die auch von
Rosenfeld und O f f e r gemachten Beobachtungen über die
E1 weisssparwlrktiug des Alkohols und wurde fast zu gleicher Zeit
bestätigt durch einen langdanernden Versuch von C 1 o p a 11 der
nicht nur im Stickstoffstoffwechsel-, sondern auch im GnsRtoff-
wcchselversuch genau dasselbe fand.
Unterdessen hat übrigens Rosemnnn in einer neuesten
Publikation die Richtigkeit der Netunan n’schen Resultate selbst
anerkennen müssen, da er auf Grund neu ang<*stellter Versuche,
die nun mit den Ergebnissen des Verfassers und C 1 o p a t t’s
Übereinstimmton. nicht länger auf dem entgegengesetzten Stand¬
punkte beharren konnte.
D ».mit darf w olil die T h a t s a c li «*. dass der
Alkohol als Klwelsssparer an zu sehen ist. als
«* n «1 g i 11 i g feststehend angesehen werden.
2) O. Ln xa-Prag: TJeber die Spaltung des Butterfettes
durch Mikroorganismen.
Die Bakterien (Milchsäurebakteri«*n, Kasein peptonisirende
Bakterien. Schimmelpilze und Saccharomyeeteni wirken auf das
Butterfett auf verschiedene Weise ein. Die Milchsäure-
bakterien sind indifferent. Die übrigen Mikroorganismen be¬
wirken Fettspaltung, liesonders O i d I u in, P e n i «* i 11 i u in.
Mn cor fluorescens 1 i q. Die Fettspaltung geht nicht bei
allen Glyeerlden des Butterfettes gleiehmässig vor sich, was zum
Tbeil in der Schädlichkeit der frei gewordenen löslichen Fettsäuren
gegenüber den Schimmelpilzen seinen Grund hat. Die frei-
gewordenen flüchtigen Fettsäuren werden durch Schimmelpilze
weiter zerlegt. Die Ursache der Glyeeridespaltuiig wurde beim
Penieillinm lind Mncor in der Gegenwart von Enzymen gefunden.
3| C. Ehrlich- Strassburg: Die Reinigung des Obstes vor
dem Qenusse.
Aus den bakt«*riologischen Untersuchungen verschiedener Obst¬
sorten ergibt siel«, dass die BakterienzahJ eine recht reichliche, aber
durchaus inkonstante ist und wohl mit Zufälligkeiten zusaiumi'ii-
liängt o<ler durch die verschiedenartigen, mehr o«l«*r weniger rein¬
lichen Verhältnissen 1 m*1iii Ahnchmen. Aufbewahren. Verkaufen
dos ()bst«*s IxMÜiigt ist. Aus ein«*r Zusaiiiin«*ust«*llung «l«*r bak-
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1980
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
No. 49.
terienzalil. auf 200 g Frucht berechnet, geht hervor, dass Heidel¬
beeren 400 000, Zwetschgen 470 000, Mirabellen 700 000. Birnen
800 000, Stachelbeeren 1 000 000, Gartenerdbeeren 2 000 000, Him-
1 »‘eren 4 000 000, Weintrauben 8 000 000, Johannisbeeren 11000 000
und Kirschen 12 000 000 Bakterien im Durchschnitt aufweisen.
Der Grund für diese oft merkwürdige Verschiedenheit ist nicht
leicht anzugeben. Glattes Obst beherbergt im Allgemeinen weniger
Organismen, doch machen die Kirschen, wie man sieht, schon
eine bedeutende Ausnahme.
Reinigt man das Obst mit Wasser durch Abspülen, so geht der
grösste Tiieil der Bakterien herunter, man wird aber vorsichtig ln
der Praxis damit sein müssen, weil viele Obstsorten das Aroma ver¬
lieren und am Geschmack einbüsseu. Hier könnte man sich mit
Abreiben mittels eines trockenen Läppchens helfen. In der Mehr¬
zahl der Fälle Hilden sich Schimmelpilze. Coli- und Proteus¬
arten.
Die Anwesenheit, pathogener Keime scheint nicht häufig zu
sein, da nur Husserst selten, trotz des enormen Obstkonsums, von
irgend welchen Infektionen durch Obst etwas liekannt wird. (Ref.)
R. O. N euma n n - Kiel.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde nnd
Infektionskrankheiten. Bd. 30, No. 17. 1901.
1) A. R o s e n f e 1 d - Königsberg: Heber die Involutions¬
formen einiger pestähnlicher Bakterien auf Kochsalzagar.
Verfasser untersuchte M ii u s e t y p h u s, Hogeholera,
F r e 11 c h e n s e ii c li e. Dnnyzbaclllen. Geflügel-
cholera. deutsche Schweineseuche. B a c i 11.
p s e u d o t u b. rode nt. auf 2- -5 proc. Agar. Ein hoher Koch¬
salzgehalt veranlasst Entwicklungshemmung der Bakterien. Das
Wachsthum und die Formenbildung wird bei den einzelnen Arten
ganz verschieden beeinflusst, doch aber nicht so. dass man ohne
Weiteres die Arten diagnosticlren könnte. Die Unterscheidung
von deutscher und amerikanischer Schwei n e -
seuclie und H lihne r choi e r a soll allerdings durch den
Chlornatriumagar erleichtert werden.
Trotz der intensiven Involutionsformenbildung l>ei den ge¬
nannten Bakterien, wird man doch im Stande sein, dieselben von
P e s 11 u v o 1 u 11 o n s f o r m c n zu unterscheiden, da bei der¬
selben schon bei schwachem Wachsthum auf 2'/ a —4 proc. NaCl-
Agar intensiv gefärbte hefeähnliche Kugeln neben anderen gut ge¬
färbten Aufquellungsprodukten reichlich in jedem Gesichtsfeld zu
finden sind.
21 E. C a c a c e - Neapel: Die Bakterien der Schule. Bak¬
teriologische Untersuchungen, ausgeführt an dem Staube der
Normalschule zu Capua.
Die gefundenen Bakterienmengen waren grösser als die bis¬
her bekannten Mengen. In den Schulzimmern fanden sich
0—25 Millionen, in der Turnhalle 17—40 Millionen, im Kinder¬
garten 70—108 Millionen. Im Juni wurden die meisten Bakterien
gezählt. Ebenso fanden stell nach der Stunde mehr wie am An¬
fang.
Thierexperimente zeigten, dass pathogene Keime vorhanden
waren. Einige geimpfte Meeseliweinehen starben an Septikaeinie.
Aus dem Blut wurde gezüchtet: Stapliylococcus aureus. Coli, ein¬
mal Pneumonie Frankel. Tetanus- und Tuberkel-
b a c 111 e n fanden sich nicht. Unter den gefundenen Bakterien
ist zu erwähnen: Subtilis. Proteus, Megatherium, Mesentericus.
Fluoreseens. Sarcinen. Hefen. Schimmelpilze.
Da in den Kindergärten die meisten Bakterien gefunden wur¬
den. so hält Cacace es für wichtig, gerade diesem Institut, wo
so viel kleine Kinder ihren Aufenthalt haben, besondere Sorg¬
falt in der Reinlichkeit zuzuwenden.
3) H. Hnmmerl-Graz: Ein Beitrag zur Züchtung der
Anaeroben.
Als wichtigstes Moment bei der Züchtung von Anaeroben gilt
die Entfernung des Sauerstoffs, welche aber nur schwer sich ganz
erreichen lässt. Verfasser schlägt als besonders günstiges Material
zur Absorption des Sauerstoffs Ammoniumsulfhydrat
NIT, HS vor. welches man sich in jedem Falle durch Beigabe von
Ammoniak zu Schwefelwasserstoff bereiten müsste. Etwas be¬
quemer sei ja der von-T renkmann angegebene Nährboden mit
Na, S bereitet, doch komme dieser dem selnlgen an Reduktions¬
kraft nicht gleich.
Ausserdem wird noch die Angabe gemacht, dass man die
letzten Spuren von Sauerstoff aus den Platten und Röhrchen
herausbringen könne, wenn man in den Deckel der Platten ein
mit Pyrogallussäure und Kalilauge getränktes Papier
(Bierglasuntersetzer) anbringt resp. einen mit dieser Mischung
getränkten Wattepfropf in den Röhrchenhals einschiebt.
R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 47.
1) J. H I rs c h b e rg-Berlin: Ueber die Pupillenbewegung
bei schwerer Sehnervenentzündung.
Bei frischer Durchtrennung eines Sehnerven und ebenso bei
frischer einseitiger Erblindung durch Entzündung des Sehnerven
zeigt sich, wenn das gesunde Auge verdeckt wird, eine ausser¬
ordentlich starke Erweiterung der Pupille des kranken Auges.
Da der Augenspiegelbefund anfangs noch vollkommen normal sein
kann, so ist das Vorhandensein jenes Zeichens ein fast unfehl¬
bares Anzeichen dafür, dass es sich um eine organische Erblindung
des betreffenden Auges handelt. H. schildert einen Fall, welcher
den diagnostischen und auch prognostischen Werth des Zeichens
illustrirt. Bel der betr. Kranken, welche früher auch Erschei¬
nungen von Hysterie dargeboten hatte, konnte Verfasser die an¬
gegebene Erweiterung der Pupille des kranken Auges bei Be¬
deckung des gesunden Auges konstatiren und dlagnosticlrte lad
noch negativem Augenspiegelbefund eine Sehnervenentzündung,
was auch durch den ferneren Verlauf durchaus bestätigt wurde.
Während die Entzündung unter diaphoretischer Behandlung zu¬
rückging. verlor sich auch jenes Symptom. Das Sehvermögen
wurde vollständig wieder hergestellt, doch blieb längere Zeit eine
Abblassung des Selinervenelntritts bestehen.
2) J. A. B ec li e r - Würzburg: Ueber die Frühdiagnose der
Arthritis deformans coxae.
Verf. macht an der Hand eines Falles auf den diagnostischen
Werth des sogen. H o f f a’sehen Zeichens aufmerksam, das darin
besteht, dass auf der erkrankten Seite schon sehr frühzeitig eine
Behinderung der Abduktion des Beines auftritt, wie an den l>ei-
gegelieuen Photographien sehr deutlich zu sehen ist. In dem betr.
Falle war zuerst die Diagnose auf Ischias gestellt worden. Hin¬
sichtlich der Behandlung empfiehlt B. die Anwendung eines voll¬
ständigen H e s s I n g’sehen Schienenhülsenapparates. oder eine
abnehmbare Gips- resp. Celluloidhülse; ferner ist sehr wichtig eine
täglich vorzunehmende Massage der Oberschenkel- und Hüft-
lnuskulatur, sowie aktive und passive Bewegungsgynmastik.
3) B ledert und E. Biedert- Hagenau i. E.: MilchgenusB
und Tuberkulosesterblichkeit.
Schon 1883 hat B. den Standpunkt vertreten, dass die In¬
fektionsgefahr durch Milchgenuss keine sehr hervortretende Rolle
spielen könne, wie sich aus der statistischen Verwerthung sehr
zahlreicher Sektionen ergibt. Bekanntlich hat Koch in neuester
Zeit, dies wieder in den Vordergrund gestellt. Die Verfasser haben
nun die Frage der Infektion durch den Dann von der Seite aus
neuerdings in Angriff genommen, dass sie die Tuberkulosesterb¬
lichkeit in den einzelnen Regierungsbezirken Bayerns ln Vergleich
setzten mit der Viehzahl, resp. mit. dem Milchgenuss in den betr.
Bezirken. Ueber die Einzelheiten kann ohne die beigegebenen
Kurven hier nicht berichtet werden, doch geht aus Allem hervor,
dass sich ein Einfluss der Verbreitung des Milchgenusses in der
Bevölkerung auf die Häufigkeit der Tuberkulose und die Mortalität
an derselben nicht erkennen lässt, indem der hohen Viehzahl sogar
die günstigsten Tuherkuloseverliältuisse bei den Menschen gegen¬
über stellen. Der Rolunilchgenuss erscheint in gewissem Sinne
sogar eher nützlich als schädlich, indem bei ausgedehnter Milcb-
wirtlisclinft ein grösserer Wohlstand vorhanden zu sein pflegt.
4) J. H e r z h e r g - Berlin: Rhinogener Stirnlappenabscess,
durch Operation geheilt.
Bei dem 20 jährigen Kranken bestand ein linksseitiger epi-
duraler und ein linksseitiger Frontallappenabseess im Anschluss
an akute Stirnhöhleneiterung. Der Hirnabscess hatte ausser der
Verlangsamung des Pulses keine nachweisbaren Erscheinungen
hervorgerufen, nur zeigte der Kranke eine eigentümliche Apathie,
welche nach der Operation wieder verschwand. Ueber die De¬
tails des mit bestem Erfolge gemachten operativen Eingriffs ist
das Original einzuselien. Die Diagnose der von Stiruhöhleneite-
rnngen hervorgerufenen Ilimnbscesse ist. übrigens eine besonders
schwierige. Werden erst Herdsymptome abgewartet, so kommt
die Operation meist schon zu spät.
5) J. K i s s - Ofen-Pest: Ueber den Werth der neueren Unter¬
suchungsmethoden zur Bestimmung der tfisreninsuffleienz.
iSchluss folgt.) G l* a s s m a n n - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 47.
1) H. C u r sc h m a n n - Leipzig: Medicin und Seeverkehr.
(Schluss folgt.)
2) Hugo R i b b e r t - Marburg: Ueber die parasitäre Natur
des Carcinoms.
R. betont, dass in der Art des Wachsthums der Carcinome.
ausschliesslich durch Vermehrung der bereits das Neoplasma zu-
sammensetzenden Zellen und ohne jede Mltbetlielligung angrenzen¬
der epithelialer Zellgebiete, allein selion derHauptbeweis für die Un¬
möglichkeit einer rein parasitären Natur gegeben sei. Dagegen kann
mau eine Parasitenwlrkung sehr wohl annehmen für die initialen
entzündlichen Processe am Bindegewebe, durch welche Eplthelieu
aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang getrennt werden und
damit den Anstoss der Neubildung geben.
3) Friedrich Franz F r 1 e d m a n n - Berlin: Untersuchungen
über Vererbung von Tuberkulose.
Eine Statistik der II. medicinischen Universitätsklinik der
k. Charitö von 1885 bis 1001, umfassend 2984 Fälle. Unter den
083 Fällen mit positiver elterlicher Heredität (33 Proc.) sind 503
(51.2 Proc.) mit väterlicher Belastung. 323 (32,8 Proc.) mit mütter¬
licher und 157 Fälle (15,9 Proc.) mit beiderseitiger Belastung.
4) B. Möllers- Berlin: Beitrag zur Frage über den Werth
des Tetanusantitoxins.
Aus den bisherigen Beobachtungen und experimentellen Unter¬
suchungen geht hervor, dass seihst bei strikter Einhaltung der
B e h r i n g*sehen Forderung, nicht später als .'10 Stunden nach er¬
folgter Infektion und nicht unter 100 A.-E. auf einmal einzu¬
spritzen, keine Garantie für den Erfolg gegeben ist. dass vielmehr
die Schwere der Infektion allein entscheidet. Nichtsdestoweniger
ist es Pflicht des Arztes, das Antitoxin sofort und in hinreichender
Menge anzuw T enden, um jede Chance einer Heilung auszunützen.
5) W. Silberschmidt - Zürich: Zur bakteriologischen
Diagnose der Aktinomykose.
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3. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1981
L)ie Erkennung der Krankheit ist nicht immer leicht, da bei
der Aktlnomykose sowohl die makroskopisch sichtbaren Drusen
ini frischen Eiter, als die Keulen im mikroskopischen Präparat
fehlen können. S. empfiehlt die Herstellung direkter gefärbter
Ausstrichprüparate und die Anlegung von Kulturen, wobei jedoch
die grosse Aehidichkeit mit Diphtheriebacillen beachtet werden
muss.
0» Johann v. B 6 k a y - Ofen-Pest: Beiträge zur Lokalbehand¬
lung der im Gefolge der Intubation entstandenen Geschwüre des
Kehlkopfes.
Unter Mittheilung von 5 Fällen eigener Beobachtung empfiehlt
B. angelegentlich die von CD w y e r eingeführte Anwendung mit
Gelatine-Alaun präparirter und mit schmälerem Halstlieilc ver¬
sehener Bronzetuben bei allen Fällen, ln denen die Dauer der
Tubage 100 Stunden überschreitet und die successive Abnahme der
ExtubationsDUUsen den Verdacht auf Bildung von Deeubltus-
geschwüreu im Kehlkopf uahelegt, als ein äusserst einfaches, leicht
durchführbares und erfolgreiches Verfahren.
7) Fritz L e s s e r - Breslau: Ueber die gleichzeitige thera¬
peutische Anwendung von Quecksilber- und Jodpräparaten.
(Schluss folgt.)
8) S t e i n li e i 1 - Kochendorf-Jagstfeld: Verlauf von Schwan¬
gerschaft, Geburt und Wochenbett nach Nierenexstirpation
wegen Tuberkulose, und
0) Richard Adler- Prag: Bin Fall von entzündlichem Brust-
drüsencarciom.
Kasuistische Mittheilungen aus der ärztlichen Praxis.
10) Julius 1) o 11 i n g e r - Ofen-Pest: Ein Beitrag zur Hoch¬
schulpädagogik, und
11) H e n i u s - Berlin: Specialärzte für das Naturheil¬
verfahren.
Zwei lesenswerthe Beiträge zum Kapitel „Standesangelegen-
heiten".
Therapeutische Neuigkeiten:
a) <!. P. Drossbaeh: Zur modernen Lichttherapie.
b) Eugene O p p e n li e i m e r - Berlin: Zur Behandlung des
Entropium senile. F. L a c li e r - München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31 .Jahrg.No.22
C'ourvoisier: TJeber die schweizerische Medicinal-
maturität. (Referat, gehalten auf der Versammlung des ärztlichen
Centralvereins in Olten am 2t». Oktober 1901.)
Treffliche, leider nicht zu kurzem Referat geeignete Be¬
sprechung <les neuen schweizerischen Gesetzentwurfs, der für das
medicinlsehe Studium rein klassische Gymnasialmaturität oder
reine Reahnaturltät verlangt.
Jadassolin - Bern: Bemerkungen zur Syphilistherapie.
(Schluss.)
V. tritt hauptsächlich den Ausführungen H e u s s' (ibld. No. 0,
ef. Münch, med. Woclienschr. No. 13, pag. 513) entgegen. Die
Präventivbolinndlung Ist bei diagnostisch sicheren Fällen nicht
schädlich, und zu empfehlen. Die Möglichkeit der Coupirung der
Syphilis durch sofortige Zerstörung der Invasionspforte oder auch
des frischen Primäraffektes (dafür 3 eigene Fälle) muss zugegeben
und sollte ausgenützt werdeu. Die F o u r n 1 e r’sche lnler-
mittirende Behandlung ist theoretisch — das Quecksilber l»eolu-
flusst den Syphiliserreger, auch ln der Latenzperiode — und prak- |
tisch — die noch ungenügende Statistik macht ihre prophylak¬
tische Wirksamkeit gegen den Tertlarismus wahrscheinlich, In-
dlvlduallsirung ist möglich, eine Schädigung zu verhüten — gut
gestützt.
Verfasser verwendet in erster Linie Einreibungen, daun auch
Einspritzungen mit Salicyl-Quecksllber-Emulsion, auch während
der tertiären Symptome und bei maligner Syphilis. Bei progre-
dieuteu tertiären Processen sind manchmal sehr hohe Jodkalium¬
dosen wirksam. Das beste Mittel gegen Jodismus, doch nicht gegen
.Todexantheme, ist Antipyrin.
Ernst Pflüger, zum 25 jährigen Jubiläum seines Amts¬
antrittes als Professor der Augenheilkunde in Bern.
P i 8 c h i n g e r.
Oesterreiohisohe Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 47. 1) N e u m a n n - Wien: Ueber ein durch den internen
Gebrauch der Solutio Fowleri entstandenes Erythema gyratum,
papulosum und bullosum.
Nach kurzer Uebersicbt Uber die toxischen Wirkungen des
Arsen auf die Haut, berichtet N. Uber ein an einem 37 Jährigen
Kranken zur Beobachtung gekommenes Arseuexanthem oben ge¬
nannten Charakters, das nach Verbrauch von 40g Sol. Fowleri inner¬
halb 33 Tagen an dem Patienten zum Vorschein kam. Es scheint
also auch eine Arsen-Idiosynkrasie zu bestehen. Die begleitende
Schlaflosigkeit, heftiges Jucken und Brennen, allgemeine Unruhe
und Aufregung machten das ganze Krankheitsbild in dem be¬
schriebenen Falle zu einem ziemlich ernsten.
2) R. R. v. S t e n i t z e r - Wien: Ueber den Fluktuations-
n&chweis bei Pleuraergüssen und dessen diagnostische Bedeu¬
tung.
Schon ältere Autoren haben auf dieses Symptom aufmerksam
gemacht, doch ist es fast in Vergessenheit gerathen. Bel der Her¬
vorruf ung des Zeichens kommt es ganz wesentlich auf die Technik
an, welche gebraucht wird, ferner auf die bei dem betr. Kranken
für das Auftreten der Fluktuation schon an sich am Thorax ge¬
gebenen Widerstände. Im Allgemeinen ist nach Verf. eine jnlttel-
bare Palpationspercussion, bei welcher eine 2. Person mitzuwirkeu
hat, eine der besten Methoden, über deren Einzelheiten auf die
Originalmittheilung verwiesen werdeu muss. Hie und da gelingt
es schon ln*l ganz geringfügigen Ergüssen, die Fluktuation hervor¬
zurufen; besonders werthvoll erscheint es. dass sie bei mittleren
Ergüssen meist erhalten werden kann, wo die übrigen Methoden
unter Umständen im Stich lassen können. Verf. beleuchtet dies
au der Krankengeschichte eines -12 jährigen Patienten des Näheren.
Besonders empfehlenswerth dürfte die Prüfung auf Fluktuation
bei Kindern sein, wo die Bedingungen für das Zustandekommen
und den Nachweis der Fluktuationswellen meist gegeben sind,
während die anderen physikalischen Methoden oft nicht aus-
reiclieu.
3) J. S U s s w e i u - Wien: Die Influenza bei Masern.
Bel 21 Masernfüllen hat Verf. auf das Vorkommen von In¬
fi uenzabacillen untersucht und dieselben in 10 dieser Fälle mit
Sicherheit nachweisen können. Der Nachweis wurde ln einer Zeit
erhoben, als keine Influenznepidemie herrschte. Es stellt sich also
die Influenza jedenfalls als eine sehr häufige Komplikation der
Maseru dar. Aus dem Verfolg der klinischen Erscheinungen in
den betr. Fällen geht hervor, dass das Zusammentreffen der Masern
mit Influenza den Verlauf der erst ereil meist in ungünstiger Weise
beeinflusst, dass es Maserufälle gibt, hei denen die Komplikation
mit Influenza aus dem klinischen Verlaufe nicht erschlossen
werden kann, indem sie völlig unkomplizlrten Masern gleichen.
4) .1. Do n a t h - Ofen-Pest: M e n 1 ö r e’scher Symptomen-
komplex, geheilt mittels galvanischen Stromes.
In dem mltgetheilten Falle, einen 40 jährigen Schriftsetzer
lK'tr., hörten die heftigen Schwindelanfälle auf Galvanisation der
N. acustlcl schon nach der 2. Sitzung auf und nach kurzer Zeit
wurde vollkommene Heilung erzielt. Da gleichzeitig Verände¬
rungen am Trommelfell bestanden, wurden die Ohren vorher auch,
aber ohne Erfolg, betr. der Sehwludelaiifälle behandelt. Es zeigte
sich also an diesem Falle, dass die Behandlung event. auch ohne
Rücksicht auf das gleichzeitige Ohrleiden zu einem Erfolge führen
kann. Beim M e li i ö r e’schen Syniptomenkomplex soll also in
jedem Falle vor Anwendung anderer Methoden die Galvanisation
dos Kopfes versucht werden; auch die Anwendung der statischen
Elektrlcität wird in neuerer Zeit empfohlen.
Grass mann - München.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 38—45. O. lt o z ä u e k - Franzensbad: Necrosis haemor-
rhagica pancreatis acida acuta und ihre Beziehung zum Klimak¬
terium.
Sehr ausführliche Krnnkheitsgeschichte einer 53 jährigen Frau,
auf Grund deren Verfasser die Vermuthung nussprlcht, dass hier
und auch in anderen Fällen dieser Art das Klimakterium die aller¬
dings noch nicht näher bekannten Voraussetzungen für die Er¬
krankung für sich birgt.
No. 41—44. L. K a 8 t - Prag: Ueber daa Verhalten der Herz¬
affektionen hei chronischem Gelenkrheumatismus resp. Arthritis
deformans.
Bel der Durchsicht von rund 36 000 Sektiousprotokollen des
pathologisch-anatomischen Institutes in Prag fanden sich nur 30,
in denen die klinische oder anatomische Diagnose auf Arthritis
deformans oder chronischen Gelenkrheumatismus lautete; davon
erschienen 24 als reine Fälle verwerthbar. Bel denen nun, die
vor Jahren mit akuter Polyarthritla begonnen hatten, bildeten
schwere Herzfehler mit tödtlichem Ausgang die Mehrzahl, die von
Anfang an chronisch verlaufenden endeten weitaus überwiegend
mit Tuberkulose, Morbus Brightil, Endarteriitis chronica. In der
ersteren Klasse wurde nur einmal das V. Lebensdecennium über¬
schritten, ln der letzteren wurde häufig das VII., mehrmals das
VIII., einmal das IX. Decennium erreicht.
No. 43. L. W ä 1 s c h - Prag: Ueber chronische, nicht gonor¬
rhoische Urethritis.
Iu den letzten 4 Jahren hat W. 5 Fälle von chronischer Ure¬
thritis bei Männern beobachtet, für deren Typus er die ausführliche
Krankengeschichte eines Kollegen vorführt. Dieser ist dadurch
ausgezeichnet, dass sich niemals, trotz sehr zahlreicher Unter-
i suehungen auch nur ein Gonococcus nachweisen liess, die In-
cubationszelt eine längere (8—16 Tage) war, dass ferner der Verlauf
von Anfang an ein mehr chronischer und immer sehr langwieriger
war und sich durch keines der in der Gonorrhoebehandlung üb¬
lichen Mittel, Ja überhaupt durch kein Mittel beeinflussen llesa.
No. 44. H. S c h 1 o f f e r - Prag: Zur Technik der Trige-
mi nusresektion.
Genauere Beschreibung der in dem Sitzungsbericht ln No. 37,
Jahrgang 1901 dieser Wochenschrift genannten Operationen. Zur
Aufsuchung des II. und III. Trigeminusastes nach temporärer Re¬
sektion des Jochbeines lässt sich in manchen Fällen sowohl die
Resektion des Processus coronoideus, wie auch die breite Ablösung
der Weichtheile von der Unterfläche der Schädelbasis umgehen.
Von dem hintersten Punkt der inneren Urspruugskante des Pro¬
cessus zygomaticus ln frontaler Richtung gegen die Mittellinie vor¬
gehend, erreicht man das Foramen ovale. Eine durch genannten
Punkt gelegte Frontalebene durchschneidet ln der Regel das
Foramen.
No. 45. H. B re 1 te n s t e 1 n - Karlsbad: Carcinom in den
Tropen.
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1982
MITKNOITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 49.
L «'S f f1 e r liat in der jüngsten Zeit den Vorschlag gemacht,
C'urcinomkranke durch Einimpfung der Malaria zu behandeln und
stützt seine Hoffnung auf einen günstigen Erfolg auf die Selten¬
heit des Carcinoines in den Tropen und specieli auf eine Mittheilung
Pagel’s aus Nordbomeo. Der Anregung L ö f f 1 e r’s folgend
gibt Br. bekannt, dass er Jahre lang in Borneo gelebt hat und sich
ohne Weiteres einer Anzahl tödtlicher Carciuomfiille entsinnt, trotz
notorischer Häufigkeit der Malaria in jenen Gegenden.
No. 4t». 11. T seliinkel- Prag: Heber einen Fall von Diplo-
coccenmeningitis.
Nachweis der Diplococceu in der durch Lumbalpunktion bei
einer 43jilhrigen l’atientin gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit.
Bestätigung der Diagnose durch die Obduktion.
Wiener medicinische Presse.
No. 47. A. T r u m e r - Klosterneuburg: Beiträge zur haemor-
rbagisehen Diathese bei Typhus abdominalis.
Von 98 Typhuskrauken hat T. 2 unter den Erscheinungen einer
rasch einsetzenden und rasch verlaufenden haemorrhagischen Dia-
these (Nas(*ubluten, Darmblutungen, Iluutblutungen) verloren und
zwar den einen um Schluss der dritten Woche, den zweiten nach
G tägigem Bestand der Fieberlosigkeit. Zur Differentialdiagnose
gegenüber den dem Typhus als solchem zukommenden Blutungen
betont er den parenchymatösen Charakter der Nasenblutung aus
beiden Nasenhäiften, die dunkle Farbe des Blutes, das gleichzeitige
Bluten aus der Mundschleimhaut, ferner die über den ganzen Kör¬
per verbreiteten Petechien, das späte Auftreten der Blutungen,
ln aetlologischer Beziehung liegt die Erklärung nahe, dass es sich
um eine Sepsis und zwar auf Grund einer Sekundär- oder Misch-
infektion handelt. B e r g e a t - München.
Inaujpir&l-DisMrtationeiL.
Universität Breslau. Oktober 1901. (Berichtigung.)
Ul. Langer vuicht Lanzer) Paul: Erfolgreiche Exstirpation
eines grossen llaemaugioms der Leber.
Universität Rostock. Sepleinl>er bis Mitte November 1901.
21. Dekowski St.: Beitrag zur Kenntniss des sogen. Frühjahr-
kntarrlis der Conjunktiva, besonders der atypischen Formen.
22. Fabian Erich: Die Bindegewebshyperplusie im Fibrom und
im Fibroadenom der Mamma.
23. Kamp he rst ein Alfred: Die operative Behandlung der
hochgradigen Kurzsichtigkeit ln der Universitäts-Augenklinik
zu Rostock von 1897 bis 1901.
24. Stephan Paul: Beitrag zur Diagnose des Echinococcus
orbitae sowie zu seiner Operation nach der K r ö u 1 e i n’schen
Methode.
2ö. W icucrs Aloys: Die erste Menstruation nach der Ent¬
bindung.
2G. Kobert Haus Ulrich: Ueber das mikrokristallogruphlsclie
Verhalten des Wirbelthierblutes.
Universität Würzburg. April bis September 1901.
UO. Arendes Josef: Ueber primäres Carciuom der Tuben.
Ul. Apetz Wilhelm: Beiträge zur Anatomie der Periorchitis
sero-libriuosa.
U2. A i c h e 1 Otto: Das Teetu in loborum opticorum embryonaler
Teleostier.
UU. Bamberg er Leopold: Ein medulläres Adenocarcinom der
Prostata.
34. Becker Martin: Beiträge zur Therapie des Ulcus ventriculi.
33. Bolzano August: Untersuchung einer grossen Dermoid-
cyste („rudimentärer Ovarialparasit", „Embryom“, Wllms) des
Ovarium.
UG. Bosse rt Adolf: Beiträge zur Frage der Wasserverunreiui-
guug.
37. Castorph Max: Cystlsehe Ovarialtumoren, mit besonderer
Berücksichtigung der sekundären Metamorphosen.
38. Deutloff Cuno: Lungeninduration bei Peribronchitis
tuberculosa.
U9. Doris Friedrich: Ueber einen Fall von Tuberkulose der
Ader- und Netzhaut, sowie der Episklera.
40. Eberle Haus: Ueber die Veränderungen des Oberflächen¬
epithels über schwellbaren Polypen.
41. Gütz Moritz: Ueber die Bedeutung der Zerkleinerung von
Speisen für die Pepsinverdauung des Eiweiss.
42. Gaudenz J. U.: Ueber die Zerkleinerung und Lösung von
Nahrungsmitteln beim Ivauakt.
43. 11 o r w i t z Ludwig: Ueber eine neue Methode zur Bestim¬
mung des Aetlierdampfes in der Luft
44. II a r 11 g Hans: Wirkung des Strychnins auf den Stoff¬
wechsel.
45. Heiniberger Theodor: Ueber Kaiserschnitt und Sym-
physeotomie.
4G. Hein Albert: Ueber ein Peritheliom der weichen Hirnhäute,
nebst kurzer Betrachtung über die Entstehung der Neoplasmen
überhaupt.
47. U e r s e Ernst: t'eber die Komplikation von Schwangerschaft
Geburt und Wochenbett mit Herzfehler.
48. Just Walter: Beitrag zur Kenntniss der Erkrankungen des
Rückenmarkes bei der progressiven Paralyse.
49. Kahn Jakolt: Ueber penctrirende und stumpfe Bauchver-
ietzuugen.
50. Keibel Eduard: Ein Beitrag zur Kenntniss der nitrirten
Phenole.
51. Keul Hermann: Histologische Studien über das Xanthom
des Augenlides.
52. Korn Mauricio A.: Ein Fall von Geleukkörper.
53. K r ein p Rudolf: Querlage bei Erstgebärenden.
54. Krieger Richard: Ueber die Wirkung des Guajacetins.
33. Krug Carl: Kasuistischer Beitrag zur Behandlung der Per¬
forationsperitonitis.
50. Küster Emil: Beiträge zur Aetiologie und Therapie kon¬
genitaler und acquirirter Gynatresien.
57. Löffler Ilans: Ueber 19 in der Würzburger geburtshilf¬
lichen Klinik vom Jahre 1889—99 beobachtete Fälle von
Eklampsie.
58. Losen Adolf: Ein Beitrag zur Morvan'scheu Krankheit
(Syringomyelie).
59. Meyer Wilhelm: Ueber elektrolytische Abscheidung der
Sch wenn etal le.
00. M a 1 11 g Karl: Zur Kasuistik der Tubo-Abdominalschwanger-
schaften.
Gl. Meyer Justinian Eduard: Ueber 2 Fälle von multiplen c-arti-
laginären Exostosen in röntgograpliischer Darstellung.
G2. Marcus Salo: Ein Fall von Huraerussarkom.
63. Muttheus Fritz: Ueber Wocheubettserkrankungen nach
geburtshilflichen operativen Eingriffen.
G4. Noll Hugo: Ein Fall von Ixdoinyom des Magens.
65. Nirschl Joseph: Ueber Lebermetastasen bei Oesophagus-
carelnomen.
66. Nu ss bäum Isaak: Ueber Sklerodermie im Kindesalter.
67. Otsuka R.: Ueber Heilungsvorgäuge nach ausgedehnter
Verätzung des Magens und der Speiseröhre.
G8. v. Ostoja Ln i ski Franz: Ueber die neueren Anaesthe-
sirungsmethoden ohne Anwendung von Chloroform und
Aether.
09. P o 1 y Fritz: Die Rechtere w’schen psychoreflektorischen
Facialisbahuen unter Zugrundelegung eines Falles metasta¬
tischen Tumors im Bereich des Thalamus opticus.
70. Paasch Karl: Einwirkung des Kohlenoxyds auf Kalt¬
blüter.
71. Pürekbauer Rudolf: Beiträge zur Komplikation der
Gravidität durch Ovarialtumoren.
72. Rosenberger Franz: Ursachen der Karbolgangrnen. (Ex¬
perimentelle Untersuchungen.)
73. Riess Friedrich: Zur Pathologie der Schrumpfniere.
74. Rohe Theodor: Erfolge der seit dem Jahre 1886—1895 in der
chirurgischen KUnik zu WUrzburg nach v. V o 1 k m a n n aus-
geführten Hydrocelenoperationen.
75. R e i s 8 Peter: Ueber Formalindesinfektion.
76. Röper Wilhelm: Ueber Typhuspneumonie.
77. Rudolph Gustav: Ueber Vereiterung und Verjauchung der
Uterusmyome
78. Sauer Franz: Die Dauererfolge der operativen Behandlung
der Uterusmyome.
79. S c h a p e r August: Beitrag zur Aetiologie und Therapie der
spontanen Uterusruptur während der Geburt.
80. Schutz Rudolf: Ein Fall von multipler Gangraen der Milz
bei Septicopyaemle.
81. Schmelz Franz: Ueber einen seltenen Fall von Cystitis
granulosa, verbunden mit umfangreicher Neubildung von
lymphatischem Gewebe in der Schleimhaut der Blase.
82. Schmidt Alfred: Ueber die Komplikation von Gravidität
mit Uterusmyomen.
83. Seng ler Fritz: Ein Beitrag zu den Lymphangiomen des
Halses.
84. S p r i n z Oscar: Ueber die Möglichkeit, sterilisirte Kinder-
milch und pasteurisirten Rahm herzustellen.
85. Völker Hans: Zur Frage der Behandlung der Eihautreteu-
tion, nebst Bemerkungen über die Ursache dersellren.
86. V o s 8 Alfons: Ueber superflcielle teleangiektatische Meta¬
morphose der Uteruswand im Puerperium, zugleich ein Bei¬
trag zur pathologischen Anatomie der Placenta rst eile.
87. Wohls eck er Franz: Ueber einen Fall von Adenoflbroma
perl- et intracanaliculare obllteraus mamrnae.
88. Wegstein Friedrich: Ein Fall von Lymphosarkombildung
der Tonsillen.
89. Werner Armin: Ueber rothe und weisse Muskeln und
deren Haemoglobingehalt.
90. Weyermann Hans: Geschichtliche Entwicklung der Ana¬
tomie des Gehirns.
91. W i c k m a n n A.: Ueber operative Behandlung der Meningo-
cele.
92. Wülfing Hans: Zur Pathologie der Geschwulstbildung im
weiblichen Geschlechtsapparat.
93. Zeltler Fritz: Ueber Carcinom der weiblichen Harnröhre.
Oktober 1901.
94. B 1 ü m m Guido: Ueber ein Adamantinom des Oberkiefers.
95. Bö h mann Friedrich: Ueber Tuberkulose der Tuben, nebst'
einem Falle von primärer Salpingitis tuberculosa.
96. Dauber Hermann: Experimentelle Untersuchungen über
den Umfang von Stärkeverdauung im Mund und Magen des
Menschen bei Brodgeuuss.
97. End re s Richard: Ein Fall von akuter interstitieller Pneu¬
monie bei Sepsis.
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3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1983
98. F au bei Rudolf: Die Rupturen des Trommelfells durch
Luftverdichtung im äusseren Gehörgang.
99. Finger Ferdinand: Ueber disseminirte Lymphknötchen¬
bildung in inneren Organen (unter dem grobanatomischen Bild
der Miliartuberkulose).
100. Huber Richard: Ueber die Entstehung der freien Gelenk¬
körper.
101. Mandelbaum Samuel: Weitere Beiträge zur Kenntniss
über den Haemoglobingehalt der Muskeln.
102. Müller Alfred: Beitrag zur Lehre der desmoideu Ge¬
schwülste des Beckenbindegewebes.
103. Oschruann Josef: Ein Fall von freiem Gehirncysticerkus,
komblnirt mit Ependymitis nodulosa.
104. Bunte Josef: Der primäre Leberkrebs.
105. Sack Wilhelm: Ueber Corpora amylacea in den Lungen.
IOC». Schwab Otto: Beiträge zur Frage der Zinnvergiftung durch
Nahrungsmittel.
32. Jahres-Versammlung der südwestdeutschen
Irrenärzte
in Karlsruhe am 2. und 3. November 1901.
Eigener Bericht von Dr. L i 1 i e n s t e i n - Bad Nauheim.
Vorsitzender: Ludwig Heppenheim.
In der ersten Sitzung referirt Herr Kreuser - Schüssen -
ried: Heber den Werth der medicamentösen Beruhigungsmittel
bei Behandlung von Geisteskranken.
Nach einem kurzen Ueberblick über die Entwicklungsstufen
einer psychiatrischen Behandlung der psychischen Erregungs¬
zustände versucht Ref. aus einer Analogie mit den Ergebnissen
des physiologischen Experiments über die Ermüdungserschei¬
nungen Anhaltspunkte dafür abzuleiten, dass und inwieweit ein
ärztliches Eingreifen bei demselben zweckmässig und nothwendig
sei. Von den hierzu geeigneten Mitteln werden neben der Be¬
achtung allgemeiner psychiatrischer Grundsätze als speciellc
Mittel in erster Linie die Bettruhe und die hydrotherapeutischen
Proceduren genannt; sodann aber ausgeführt, dass neben den¬
selben noch andere Mittel nur erwünscht sein können und dass
Medikamente unverkennbaren Nutzen bringen können, während
sich deren Gefahren bei genügender Erfahrung, Vorsicht und
Individualisirung vermeiden lassen. Von den in diesem Sinne
verwendbaren Medicamenten werden der Alkohol, die Brom-
präparate, die Opiate, Chloralhydrat, Amylenbydrat (Dormiol),
Paraldehyd, Hedonal, Sulfonal und Trional, sowie das Hyoscin
(Scopolamin) einer kurzen Besprechung hinsichtlich ihrer
wesentlichsten Indikationen und Kontraindikationen unterzogen.
Herr Kraepelin - Heidelberg: Ueber die Wachabthei¬
lungen der Heidelberger Irrenklinik.
Unter den Neuerungen, die getroffen wurden, ist zunächst
die Trennung der ruhigen überwachungsl>edürftigen Kranken
von den unruhigen hervorzuheben. Ein Korridor verhinderte
früher die Uebersichtlichkeit. Durch Niederlcgen der Wände
wurden grosse übersichtliche Räume geschaffen. Ferner wurde
das System der ständigen Nachtwachen (durch Wärter, die für
diese Zeit vom übrigen Dienst befreit werden) als zweckmässig er¬
probt eingeführt. Endlich werden jetzt, bei vielen Kranken
Dauerbäder (auch in der Nacht) angewandt. Für letztere Be¬
handlungsweise haben sich nur gewisse Katatoniker als unge¬
eignet erwiesen. Die gefürchteten Schädigungen (Collapse, In¬
fektionen: Herpes tonsurans, Phlegmonen, Furunkel) haben sich
nicht herausgestcllt. Menses bilden (nach K.) keine Contra¬
indikation. Besonders günstige Wirkungen sah Vortragender
bei manischen Erregungszuständen, ebenso bei paralytischen Er¬
regungszuständen (Delirium acutum). Epilepsie und Angst¬
zustände eignen sich weniger. Für Gelähmte wird über die
Badewanne ein Tuch gespannt, auf das dieselben gelegt, werden.
Isolirungen werden durch diese Behandlungsart seltener nöthig.
Die Kranken „isoliren sich“ quasi in der angenehmen Tempera¬
tur des Badewassers nach kurzer Zeit „von selbst“.
Das System ist theuer. Es ist mehr Personal erforderlich.
Dagegen wird gespaart an zerstörten Sachen und das G r i c s i u -
ge Esche Tdeal der Krankenhausbehandlung Geisteskranker wird
eher erreicht.
Discusslon: Fürstncr - Strassburg warnt vor der Ein¬
seitigkeit der Badebchandluug. S c li ü 1 e - Illenau möchte gleich¬
falls die Indikation für Büderbehandlung mehr eingeschränkt
wissen. Isolirungen seien nicht so bedenklich, da doch viele Kranke
wünschten, allein zu sein. (Handelt es sich um diese Kranke?
Ref.)
A 1 z h e 1 m e r - Frankfurt a. M. schildert die günstigen Er¬
fahrungen, die man in Frankfurt a. M. mit der permanenten Rüder-
behaudlung gemacht habe. Der Eindruck der Abthellungen sei ein
ganz anderer geworden. Besonders Maniakalische seien sehr ge¬
eignet für diese Behandlungsart.
Kreuser- Scliussenried hat keine besonderen Erfolge ge¬
sehen.
B i b e r b a c h - Heppenheim dagegen lobt wieder die Wirkung
der Dauerbäder in Bezug auf Appetit, Ernährungszustand und
psychisches Verhalten der Kranken.
Herr Haardt- Emmemlingen: Die neuen Aufnahme-
und Ueberwachungsabtheilungen der Heil- und Pflegeanstalt
bei Emmendingen.
II. hebt die praktische Bedeutung der Wachabthellungen für
die moderne Irrenpflege hervor. Die Frage derselben wird Immer
wieder aktuell bei Anstaltsneubauten und Veränderungen älterer
Anstalten. Vortr. demonstrirt dann die Pläne der Emmendinger
Anstalt, die bereits 1896 entworfen und Jetzt ausgeführt worden
sind.
In der jetzt '/ 2 resp. 1 jährigen Dauer des Betriebs haben sich
die neuen Abteilungen gut bewährt.
Bel der Bauausführung sind in erster Linie ärztliche Gesichts¬
punkte maassgebend gewesen. Durch die Fürsorge des badischen
Ministeriums des Innern resp. dessen Medicinalreferenten w r ar die
Leitung der Bauten in die Hände des Arztes gelegt und der Archi¬
tekt kam in verständiger Weise den Intentionen desselben nach.
Herr Bartels- Strassburg: Ueber endophlebitische
Wucherungen im Centralnervensystem und seinen Häuten.
B. demonstrirt hübsche mikroskopische Präparate und gute
Zeichnungen von solchen aus dem Gehirn einer 33 jährigen Frau.
Klinisch bestanden Konvulsionen in allen Extremitäten mit nach¬
folgenden Paresen und starken Bewusstseinstrübungen. Erbrechen,
Kopfschmerz, Stauungspapille. Anatomisch fanden sich punktirte
Ilnomorrhngien in beiden inneren Kapseln und Stauungsganglien.
Mikroskopisch: Periarteriitis, Mnscularls und Intima der Arterien
Intakt, dagegen neben Periphlebitis und Phlebitis eine weitver¬
breitete Endophlebitis. Trotz mangelnden Anhaltspunktes ln Ana¬
mnese und übrigen Sektionsbefund wird Lues als ätiologisches
Moment angenommen.
Herr S a n d e r - Frankfurt a. M.: Zur Behandlung der
akuten Erregungszustände.
S. schildert die Behandlungsart, die sich im Laufe der letz¬
ten Jahre in den modernen Anstalten und speciell in der Frank¬
furter städtischen Irrenanstalt herausgebildet hat: Neben Bett-
behondlnng als Grundprincip werden hydrotherapeutische Proce¬
duren und insbesondere. Dauerbäder empfohlen. Die letz¬
teren machen häufig Isolirungen und Narkotica überflüssig.
Mechanische Zwangsmaassrcgelu sind auf eine iiusserst geringe
Zahl von Fällen beschränkt worden. Sie kommen ausschliesslich
bei Lebensgefahr, Selbstverletzungen und chirurgischen Ein¬
griffen in Betracht. Die Sondenfütterung (natürliche, fein zer¬
hackte. Krankenkost) und Kochsalzinfusionen haben sich bei
schworen Erregungs- und Erschöpfungszuständen (Delirium
acutum) gut bewährt.
Discusslon: Kraepelin- Heidelberg hält bei An¬
erkennung der Ausführung des Vortr. die mechanische Be¬
schränkung von Kranken für überflüssig, fragt wieviel Kranke
dieselbe betroffen habe. Sand e r: Es handelt sich um 6 Fälle,
von denen 4 chirurgische Affektionen hatten. Alzheimer, der
die Fälle mit S. beobachtet hat, fügt ergänzend hinzu, dass es
Kranke mit Delirium acutum waren. A. sah solche Fälle früher
regelmässig an Phlegmone Sterben. Bei allen Kranken bestand
Lebensgefahr. L u d w i g - Heppenheim erinnert an den Aus¬
spruch G u d d e n’s, es sei eine Rohheit, einen einzelnen Kranken
dem Prinzip zu Liebe zu opfern.
Herr Frank- Miinstcrlingen (Schweiz): Strafrechtspflege
und Psychiatrie.
Die mangelhaften Kenntnisse der Richter und Gesetzgeber
auf psychiatrischem Gebiet gefährden nach F.’s Ansicht die
menschliche Gesellschaft, In anderen Fragen, z. B. bezüglich
eines gefälschten Lebensmittels begnügt sich der Richter nicht
mit seinem eigenen Gutachten.
Bei der Beurtheilung der geistigen Gesundheit eines An¬
geklagten genügt cs, dass weder ihm, noch dein Ge¬
fangenen wärt er, noch dem Staatsanwalt etwas Verdächtiges an
dem Angeklagten aufgefallen ist. Abhilfe muss von Seiten der
Psychiater kommen, die diese — natürlich unverschuldete — TJn-
kenntniss der Juristen beseitigen müssen. Die Untersuchungs¬
methode der Richter fordert vor Allem zur Kritik heraus. Die
Vorschrift, die in Deutschland besteht, dass dem Antrag seitens
der Verteidigung auf Beobachtung des Geisteszustandes des An¬
geklagten statlgegeben werden muss, ist nicht einmal in allen
Staaten eingeführt. Nach F. genügen die Kenntnisse der Ge¬
richtsärzte nicht für die zu entscheidenden Fragen.
Die Untersuchungen entbehren in der Regel jeder natur¬
wissenschaftlichen und individualisirenden Methode. Es kommt
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1984
gewöhnlich nur darauf an, den Thatbcstand des Verbrechens fest¬
zustellen. Dagegen wird vollständig ausser Acht gelassen, wie der
Angeklagte zum Verbrechen kam, welches seine Gehimanlage
war, wie er sich entwickelt hat und welchen äusseren Einflüssen
er unterlag.
Und ist der Verbrecher verurtheilt, so hat die Schablone des
Strafvollzugs das Wort. Hier kommt es nur darauf an, dass der
Schuldige arbeitet und schweigt. Von individualisirender Be¬
handlung keine Spur. Er wird nach seiner Strafzeit entlassen:
sein Zustand intercssirt Niemand. Er begeht wieder ein Ver¬
brechen. Die Formalitäten beginnen von Neuem, 30 oder
40 mal und noch öfter, im Namen des Souverains und des Rechts,
immer nach der Schablone.
• Eine gründliche psychiatrische Ausbildung der Juristen
wird auch netie Arbeitsgebiete — Kriminalsociologie und Krimi¬
nalbiologie — erschliessen und befruchten. Ohne diese Aus¬
bildung ist der Staat nicht im Stande, Leben, Gesundheit und
Besitz des Einzelnen in der erforderlichen Weise zu schützen.
F. verlangt praktische psychiatrische Kurse für die Juristen.
Don Untersuchungsbehörden müssen an Zahl und Qualität ge¬
nügende Psychiater beigegeben werden. Falls Unzurechnungs¬
fähigkeit seitens des Gutachters bewiesen wird, sollte das Gut¬
achten nicht der freien Würdigung durch den Richter unter
liegen.
Von grossem aktuellen Interesse ist der Vortrag von Herrn
Neumann- Karlsruhe: Ueber Volksheilstätten für Nerven¬
kranke.
Den Anlass zu einer erneuten Besprechung des Themas gab
eine Umfrage des badischen Ministeriums an verschiedene Stadt¬
verwaltungen des Grossherzogthums, wie es mit dem Bedürf¬
nisse nach einer für Minderbemittelte! und Unbemittelte be¬
stimmten Nervenheilstätte bestellt sei.
Von den in der Sache in Betracht kommenden Einzelfragen
ist von vornherein die Bediirfnissfrage erledigt. Diese kann nach
der allgemeinen Erfahrung nur in bejahendem Sinne beantwortet
werden. Statistisches Material darüber liefern frühere Publi¬
kationen zur Genüge. Bezüglich der zur Aufnahme geeigneten
Krankheitsfonnen wird eine Einigung schwerer zu erzielen sein.
Geisteskranke und schwere Epileptiker sollen von der Aufnahme
ausgeschlossen sein, dessgleichen solche organisch Erkrankte, die
völlig und dauernd fremder Hilfe und Wartung bedürftig sind.
Bezüglich anderer Krankheitszustände ist es am rathsamsten,
dem jeweiligen Ermessen des Anstaltsleiters einigen Spielraum
zu lassen. Den Hauptbestand werden die nervös Erschöpften,
die Neurastheniker und Hysterischen bilden. Besonderen Werth
legt Vortragender darauf, dass auch die Anaemischen und Ohio-
rotischen eine Stätte in den Anstalten finden. Hinsichtlich der
Geschlechter besteht die Nothwendigkeit von Xervenheilstättcn
für das weibliche Geschlecht zum mindesten in gleichem, wenn
nicht in höherem Maasse als für das männliche. Der Anschluss
an die städtischen Krankenhäuser, die Universitätskliniken und
die Irren an stal teil erscheint unzwoekmiissig, hingegen die Ver¬
bindung mit einzelnen der vorhandenen ländlichen Reconvales-
centenhäuser für durchaus rationell und durchführbar. Für den
wichtigsten Punkt in der ganzen Ilcilstät tenbewegung, die
Deekungsfrage, kommen Staat, Gemeinden, Krankonversiche-
rungsanstaltcn (Kassen, Invaliditätsversicherungen, Berufsge¬
nossenschaften) und endlich Vereinigungen von Privatpersonen
in Betracht. Der Staat und die öffentlichen Verbände werden
sich der Unbemittelten, d. h. wohl im Grossen und Ganzen der
gesetzlich Versicherungspflichtigen annehmen, für den minder
vermögenden Mittelstand muss in erster Linie die private Wohl-
tluitigkeit bezw. das private Unternehmen cintreten. Auf die
Nothwendigkeit von Mittelstandssanatorien wird ganz besonders
hingewiesen.
Discnssion: Ludwig- Heppenheim : Der hessische
..Ililfsverein“ hat in dieser Frage einen Erfolg aufzuweisen, da
eben ein entsprechendes Sanatorium in Liudenfels im Odenwald
zum Theil aus den Mitteln dieses Vereins errichtet wird. Solche
Sanatorien halten — entgegen den TJrtheilen von anderer Seite —
thatsiiehlich dauernde Kurerfolge aufzuweisen.
F r i ed m a n n - Mannheim: Es bestellt ein grosses Ke
diirfniss nach Volks-Nervenheilanstalten, wie die* Erfahrung
in der Sprechstunde beweist. Bisher hatte mau nur Notli-
l>t-helfe (mau schickte die Leute zu Verwandten auf's Lund u. s. w.j.
Die Mannheimer Krankenkassen haben Genesuugsküuser, in denen
auch Nervöse ein zweckmässiges Fnlcrkoinmen linden.
No. 49.
A1 z h e i m e r - Frankfurt, a. M.: Die Stadt Frankfurt a. M.
errichtet eben zwei Sanatorien im Taunus (je 70 Betten; Verpfleg¬
satz 2.50 M.) als Dependence einer landwirtschaftlichen Kolonie.
Smith- Marbach meint, die Anfrage der bad. Regierung
beziehe sich auf Alkoholkranke.
F 1 s c h e r - Pforzheim erklärt die Anfrage durch die Noth¬
wendigkeit von Neubauten an staatlichen Irrenanstalten.
W 11 d e r m u t h - Stuttgart bestätigt aus seiner Praxis die
dringende Notwendigkeit von Volks - Nervenheilanstalten, will
Geisteskranke und Alkoholiker von denselben ausgeschlossen
wissen. Ebenso die traumatischen Neurosen.
F (i r s t n e r - Strassburg schlägt vor, eine Kommission mit
dieser Frage zu betrauen.
Gaupp - Heidelberg: In Schlesien dienen die Genesungs-
liäuser der Landesversieherungsanstalten den ln Rede stehenden
Zwecken. Die Kranken werden von dem Vertrauensarzt den An¬
stalten überwiesen, wenn sie Aussichten auf Heilung bieten.
Das Thema wird auf der nächstjährigen Versammlung ein¬
gehend referirt und besprochen werden.
Herr Friedmann - Mannheim: Heber die Grundlage
der Zwangsvorstellungen.
Der Vortrag ist zu einem kurzen Referat nicht geeignet.
F. führt unter eingehender Begründung aus, dass die Zwangs¬
vorstellungen zu den unabgeschlossenen Vorstellungen gehören
und in letzter Linie auf dem Grundgesetz des Associations¬
zwanges und dem Zwang zum Fortschreiten des Denkens be¬
ruhen.
Herr Alzheimer - Frankfurt a. M.: Heber atypische
Paralysen.
Lissauer hat in einer aus seinem Nachlasse von Storch
horausgogebenen Arbeit eine typische und atypische Paralyse
unterschieden.
Die von L. als typische Form bezeichnete umfasst wohl
\ 80 Proc. aller Paralysen. Sie ist klinisch gekennzeichnet durch
eine langsam zunehmende, eigenartige Verblödung. Der Degene¬
ration sprr.cess beschränkt sich vorzugsweise auf die vorderen
(5 rosshi rnhälf teil.
Bei der atypischen Paralyse LissauePs lässt
die Degeneration das Stirnhirn relativ frei, es kommt dagegen in
mehr oder minder lokalisirton Partien der hinteren Gross¬
hirn h ä 1 f t c n zu einer ganz besonders weit gehenden Atrophie.
Klinisch zeigt die atypische Paralyse einen Verlauf in
Schübe n. Oft mit Anschluss an apoplectif orme An¬
fälle auftretende corticale Herdsymptome treten in den Vorder¬
grund. Die Demenz erreicht erst später erhebliche Grade, sic
ist partieller, aus anderen Defekten zusammengesetzt, mehr der
Demenz bei Hirnherd-Erkrankungen ähnlich.
Die histologische Untersuchung lässt keinen Zweifel, dass
die Gewebsveränderung eine paralytische ist, nicht etwa eine
luetische im engeren Sinne. Manchmal können dabei plötzlich
wie mit einem Schlag ausgedehnte nervöse Gewebspartien ausser
Funktion gesetzt werden, und dem Untergang verfallen.
Während bei der typischen Paralyse fast stets beide Stim-
lapi>cn gleich erkrankt sind, ist bei der atypischen Paralyse
L i s s a u e r’s die hochgradige Atrophie oft auf eine Stimhälfte
beschränkt. Dadurch kommen oft sehr erhebliche Gewichts¬
unterschiede zwischen beiden Hemisphären zu Stande.
Bei der Dementia senilis gibt es übrigens eine der atypischen
Paralyse Lissauer’s ganz entsprechende atypische Dementia
senilis. Hierher gehören die senilen Aphasien.
Da cs nicht nur eine, sondern zahlreiche atypische Formen
der Paralyse gibt, würde es sich empfehlen, die von Lissauer
beschriebene Form nicht kurzweg als atypische Paralyse, sondern
vielleicht als L i s s a u c r’scho Paralyse zu bezeichnen.
Eine dritte Form ist schon früher als foudroyante Form
bezeichnet worden. Sie ist klinisch gekennzeichnet durch einen
an das Delirium acutum erinnernden Verlauf, also durch ausser¬
ordentliche Erregung und Unruhe bei erheblicher Benommenheit,
pseudospontanen, manchmal fast, choreatischen Bewegungen,
histologisch durch über das ganze Gehirn verbreitete akute Ver¬
änderungen.
Eine vierte Form zeichnet sieh durch vorzugsweise» Er¬
kranken des Kleinhirns aus. Nach neueren Untersuchungen
(N a eck e) erkrankt das Kleinhirn regelmässig bei der Paralyse,
oft aber nur in massigem Grade. Bei dieser Form handelt es
sich aber um besonders schwere Atrophien des Kleinhirns. Die
ersten Symptome der Krankheit sind daher auch eine eerebellare
Ataxie und Drehschwindel.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
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1985
3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Es gibt iiuoli seltene Fälle, bei denen offenbar die Er¬
krankung der Sehhügel das Primäre ist. Die Betheiligung der
Sehhügel an der paralytischen Degeneration bedarf noch ein¬
gehenderen Studiums.
Als atypische Paralyse müssen weiter noch manche Formen
bezeichnet werden, die sich an Tabes anschliessen. Es mag wohl
sein, dass die in ihrem Verlauf manches Abweichende bietende
Tabesparalyse auch durch eine bestimmte Lokalisation
der paralytischen Degeneration charakterisirt sind. Bis jetzt
hat sich etwas Greifbares nicht herausfinden lassen. Dagegen
fand sich bei zwei eigenartigen, halluzinatorischen Verwirrtheits¬
zuständen bei alter Tabes übereinstimmend eine Lokalisation des
paralytischen Degenerationsproeesscs beschränkt auf die tieferen
Rindenschiehten im Gegensatz zu der typischen Paralyse, bei
welcher die obersten Rindenschichten am ersten und stärksten
erkrankten.
Schliesslich stellen auch die senilen Paralysen (nach
dem 60. Lebensjahr), die nach der histologischen Untersuchung
nicht ganz so selten sind, zum grössten Theil eine atypische
Form dar. Sie zeigen klinisch oft ein der Dementia senilis ähn¬
liches Krankheitsbild, die körperlichen Begleiterscheinungen
treten mehr zurück, die Gliawucherung scheint im Vergleiche
zu dem weitgehenden Ausfall der nervösen Elemente manchmal
sehr unerheblich.
Herr Arndt- Heidelberg: Zur Geschichte der Katatonie.
Der Vortrag hat fast nur psychiatrisches Interesse. A. schil¬
dert die Entstehung und Wandlung des Begriffs der Katatonie
seit Kahlbaum, die Verschmelzung mit der Hebeplirenie
durch Kraepelin. Ein immer deutlicher werdendes wesent¬
liches Merkmal ist die schlechte Prognose. Die Geschichte der
Katatonie erinnert an diejenige der Paralyse.
Herr Ganpp - Heidelberg referirt ausführlich über die
Dipsomanie. Er definirt den Begriff der Dipsomanie und zeigt
auf Grund eigener und in der Literatur niedergelegter Er¬
fahrungen deren innigen Zusammenhang mit der Epilepsie.
Symptomatologie, Pathogenese, Prognose und Therapie werden
eingehend besprochen.
Herr Smith- Marbach spricht über den Zusammenhang
von Depressionszuständen mit Störungen der Herzfunktion
demonstrirt die mittels der Phonendoskop-Friktionsmethode ge¬
wonnenen Ergebnisse seiner Untersuchungen. Mit derselben
Methode hat Sm. auch Veränderungen des Ilorzurnfangs unter
dem Einfluss von faradischen, galvanischen und Wechselströmen
gefunden.
In der Discussiou Üben G a u p p - Heidelberg und
Ivraepelin- Heidelberg Kritik an der Methode und den
Uutersuehungsergebnisseu von Sm.
Lilienstein - Bad Nauheim.
Gesellschaft fUr Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitzung vom 28. September 1901.
1. Herr Pusinelli: Vorstellung eines Kranken mit
diffuser Sklerodermie.
Der Fall bietet besonderes Interesse wegen der grossen Aus¬
breitung des Hautproce8ses. Mit Ausnahme der Haut des Rückens
und der Genitalien ist fast die ganze Körperoberfläche ergriffen.
Am stärksten ausgebildet ist die Sklerodermie an den Händen und
Füssen, an den Beinen, dem Bauche uud der Brust. Der Patient
ist ein 30 jähriger Steinhauer, der im Wesentlichen seither gesund
war; ln seinem 9. und 10. Jahre litt er an starker Chorea. Der
Proeess begann Anfang dieses Jahres angeblich nach Erkältung
mit Schmerzen und Schwellungen der Hände; allmählich er¬
krankten auch die übrigen Hautpartien. Bei seiner Aufnahme im
Carolahause zu Dresden am 19. August 1901 war der Kranke kaum
im Stande sieh fort zu bewegen, konnte sich weder an- noch aus-
ziehen; denn seine Hände standen in steifer Krallenstellung; Be¬
wegungen der Oberarme und Beine waren nur sehr beschränkt
möglich. Die Exkursionen des Thorax bei tiefster In- und Ex¬
spiration betrugen kaum y, ein. Trotzdem ist leidlich gutes
Vesiculärathmen zu hören, was auf genügende Zwerchfellathmung
schliessen lässt. Das Gesicht zeigte einen maskenartigen, starren
Ausdruck. Die Haut an den Händen uud Füssen fühlte sich hart
und kalt wie Stein, an den übrigen Körperstellen wie trocknes
Leder an. Nur am Rücken Hessen sich Falten aufheben. Alle
sensiblen Funktionen der Haut waren normal, vielleicht etwas
abgeschwüchte Schmevzempflndlichkeit. Reflexe, Blase und Mast-
dann ohne Besonderheiten. Die elektrische Erregbarkeit Ist so¬
wohl für den faradischen als galvanischen Strom etwas herab¬
gesetzt. Keine Entartungsreaktion. Der Leitungswiderstand, den
Windscheid ln ähnlichen Fällen erhöht fand, konnte nicht ge¬
prüft werden. Beim Versuch, passive Bewegungen auszuführen.
fühlte man besonders an Händen uud Füssen deutliches Leder¬
knarren. Schmerzen oder Paraosthesleu fehlen. Es besteht eine
chronische Endokarditis mit unregelmässigen Fiebersteigerungen
bis 38,3, Galopprhythmus über dem 3 cm nach links verbreiterten
Herzen. Im Verlaufe der Behandlung trat eine recht schwere
parenchymatöse Nephritis mit 2 Proni. Eiweiss (Esbach) auf.
zahlreichen Epithel- und granulirten Cylindern; die Nierenerkran¬
kung ist in der letzten Zelt bedeutend zurückgegangeu. Die Affek¬
tion der Haut ist aber auch heute noch, trotz Anwendung von
warmen Bädern, Massage, B i e rischer Stauung und Aspirin, kaum
gebessert. Nur die Beweglichkeit der harten, auch bereits stark
atrophischen Finger ist etwas gebessert.
Der I’roeess hält sieh in diesem Falle an die unter der Haut
gelegenen Handapparate, Faseien uud au die Sehnenscheiden und
hat die Fascieumnhülluugen der Muskeln ergriffen, wodurch die-
sellten wie eingeschnürt erscheinen und atrophireu. Ueberall, wo
die Faseien besonders stark entwickelt sind und mit stärkeren
Bandappnraten in Verbindung stehen, ist der Proeess besonders
stark entwickelt.
Die Aetiologie für die Sklerodermie ist dunkel; bald werden
Erkältungen angeführt u. s. w., bald wird, und zwar besonders
in letzter Zeit, die Schilddrüse angescbuldigt, durch deren krank¬
hafte Thätigkeit nicht nur Myxoedem und Morbus Basedowii,
sondern auch Sklerodermie entstehen soll. In dem vorliegenden
Falle ist am wahrscheinlichsten eine rheumatische Affektion
anzunehmon, welche, wie auch sonst zuweilen, in den
Sehnenscheiden begonnen hat und längs der Faseien weiter ge¬
wandert ist; auch die bedeutende Endokarditis und Nephritis
sprechen dafür. Es Hesse sieh sonach in diesem Falle von einer
rheumatischen Fnscienentzündung sprechen, die zu einer Schrum¬
pfung derselben geführt hat, worauf der Proeess auch auf das
Unterbaut Zellgewebe übergegangen ist. Dass das Leiden einen
centralen Ursprung hat, wird vielfach behauptet, ist aber bisher
nicht bewiesen worden. Mit dem Worte Angiotrophonourose ist
nicht viel gesagt; viel eher könnte man annehmen, dass eine
solche sekundär entstanden ist.
Aus der Literatur sei nur das Werk von L e w i n und
Heller angeführt, welche Autoren 508 Krankengeschichten
mittheilen.
Ferner wird die Arbeit von Juliusberg aus der
Neisserschen Klinik erwähnt, in welcher das Thiosinamin
(Allylsulfocarbamid oder Allylsulfoharnstoff) als Heilmittel gegen
Sklerodermie gerühmt wird. Das Mittel wurde zuerst von
Ilebra empfohlen, der auch im Jahre 1899 3 geheilte Fälle von
Sklerodermie in der Wiener dermatologischen Gesellschaft vor¬
stellen konnte. Auch G a 1 e w s k y und Herxheim er haben
die günstige Wirkung bestätigt. Die von Hebra angewandte
15proc. alkoholische Lösung brennt ziemlich stark, daher wendet
J uliusberg folgende Lösung an:
Thiosinamin 10 Proc.
Glycerin 20 Proc.
Aqu. dest. 100 Proc.
welche gut vertragen wird.
Er injicirt zwischen die Schulterblätter 1—2 tägig je 1 dg
dos Mittels.
Auch dieser Kranke bekommt jetzt Einspritzungen mit
Thiosinamin.
Besprechung: Herr G a 1 e w s k y berichtet über 3 Fälle
von Sklerodermie, die er seit einem Jahre in Behandlung hat. Es
handelt, sieh um 2 Fälle vou Sklerodermie en plaque und um
1 Fall von diffuser symmetrischer Sklerodermie. Alle 3 Fälle sind
mit Thiosluamin mich Neisse rischer Vorschrift behandelt, die
Injektionen waren nur wenig schmerzhaft uud wurden gut ver¬
tragen. Ein Fall von Sklerodermie en plaque ist gehellt, einer
wesentlich gebessert, ebenso die diffuse Sklerodermie. Letztere ist
dadurch Interessant, dass es Dank der intensiven Behandlung er¬
möglicht wurde, die bereits ziemlich starke Sklerodaktylie der
Hände soweit zu bessern, dass Patient seinem Beruf als Schreiber
wieder völlig nachgehen kann. Die 3 Fälle, über welche bereits
auf der Hamburger Naturforscherversammlung berichtet wurde,
sollen diesen Winter vorgestellt werden.
Herr W erther hat vor einigen Monaten eine Frau mit
Sklerodermie behandelt und gibt zur Demonstration die betreffen¬
den Photographien herum. Es handelt sich um lokalisirte Sklero¬
dermie, sog. Sklerodaktylie, seit ca. 10 Jahren bestehend. Die
Nägel verdickt und verkrümmt und rissig. Die Mukulatur der
Finger, des Daumen- und Kloinlingerballens scheint atrophirt zu
sein. Sogar die Knochen machten einen verkleinerten Eindruck.
Die Frau klugte über rheumatische Schmerzen in lliinden uud
Schultern. Die Sensibilität war normal, keine Entartungsreaktion
vorhanden. Die Behandlung mit heissen Sandbädern, darnach
Massage mit 5 proc. Salieylsalbe, dabei Thioslnnmininjektionen
(0.1 jeden zweiten Tag) besserte die Beweglichkeit etwas. Bei
so vorgeschrittener Atrophie der Haut und Muskeln war jedoch
eine Heilung nicht zu erwarten.
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1986
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2. Herr Fischer: Feber einige Fälle von Tumor cerebri.
I >or Vortragende berichtot zuerst über 3 Fälle von metastn-
tisclieu eareinoinatösen Hirntumoren, von welchen 2 der genauen
örtlichen Diagnose im Leben zugänglich waren, während der
dritte Fall, in welchem sich bei der Sektion multiple Carcinome
und zwar im linken Schläfenlappen und an der basalen Fia fan¬
den, sich der Erkennung bei Lebzeiten entzog: er betraf eine
Patientin von 41 Jahren, die nur 2 Tage im Kraukenhause be¬
obachtet werden konnte, und bei welcher der primäre Tumor
ein Lungencarcinom war.
Weiter kamen 3 Fälle von Tumor des Stirnlappens zur Be¬
obachtung: sie betraten einen Mann von 35, ein Mädchen von 16
und eine Frau von 04 Jahren.
Der Mann, welcher an einer Apoplexie iu’s rechte Corpus Stria¬
tum zu Grunde ging, hatte einen cavernöseu Tumor im rechten
Stirnlappen, welcher etwa Jahr vor dem Tode als einziges Sym¬
ptom eine, unter Bewusstseinsstörung auftretende, aber sich wieder
bessernde Parese des linken Annes gemacht hatte.
Das 16 jährige Mädchen, seit Jahren geistig etwas zurück¬
gegangen, hatte bis zum Tage der Aufnahme, die wegen heftiger
Kopfschmerzen erfolgte, gearbeitet; sie bot nur Allgemeinsym¬
ptome dar. und zwar eine bald in Benommenheit übergehende
Schlafsucht, Pulsverlangsamung und Stauung in den Venen der
etwas vorgetriebeneu Sehnervenpapille. Tod nach 17 tägiger Be¬
obachtung. Das haemorrhagische Gliom des linken Stirulappens
hatte 8 cm im Durchmesser.
Bei der 64 jährigen Frau, welche Lues geleugnet hatte, und
bei der Zeichen von Lues im Leben nicht aufzufinden waren, faud
sich ausser einem Gumma der Leber ein kirschgrosses Gumma
an der vorderen Seite des rechten Stirnlappens. Symptome im
Leben waren: Kopfschmerz seit einem halben Jahre, Schwindel,
Erbrechen, Bewusstseinsstörungen. Lähmung des linken Annes,
des linken Beines und des linken Facialis, epileptiforme Krämpfe
bei erhaltenem Bewusstsein, nur die linke Körperseite befallend,
mit Kopfdrehung nach links. Die Symptome wiesen also auf die
motorische Region hin.
Fenier berichtet der Vortragende über 3 Fälle, bei denen der
Tumor die motorische Region betraf, bezw. auf dieselbe bezogen
werdeu musste.
Eine 67 jährige Frau war plötzlich mit Lähmung der rechten
Seite und Sprachstörung erkrankt, es fanden sich Spasmen der
gelähmten rechten Seite. Benommenheit und Störung in den Venen
des Augenliintergrundes. Zweimal traten anfallsweise Ver¬
schlimmerungen ein. hei denen die etwas beweglicher gewordenen
Extremitäten der rechten Seite jedesmal wieder mehr gelähmt
wurden. Die Diagnose musste schwanken zwischen Hirnblutung
und Tumor. Für letzteren sprach die Stauung im Augeuhinter-
grunde. Bei der Sektion fand sich in der linken Hemisphäre, die
voluminöser ist als die rechte, und deren Windungen abgeplattet
sind, ein kleinapfelgrosses kaemorrhagischos Gliom, welches die
motorische Region und das Sprncheeutrura mit trifft.
Ein 28 jähriger Mann, dem vor 12 Jahren ein Stein auf deu
Kopf gefallen war, oiine dass sieh an dieses Trauma Berufs-
störungen augesclilossen hätten, erkrankte 4 Monate vor der Auf¬
nahme au krampfhaften Zuckungen der rechten Seite und Kopf¬
schmerz. Bei der Aufnahme bestand Apathie, Erbrechen, Schwin¬
del beim Aufrichten Im Bett, Parese der rechten Extremitäten;
Stauungspapille. Zeitweise Zuckungen im paretisehen rechten
Arme, zunehmende Somnolenz; nach 4 wöchentlicher Beobachtung
Tod. Die Sektion zeigte ein mehr als apfelgrosses, im Centrum
erweichtes Gliom in der linken Hemisphäre, nach aussen bis in die
Rinde sieh eindrängend, medialwärts bis an den Seitenventrikel
reichend, scharf gegen das weisse Mark sich absetzend. Das
Trauma des Kopfes wird, weil 12 Jahre zurückliegend, als für die
Entwicklung des Tumors bedeutungslos erachtet.
Bel einem dritten Falle wurde, leider erfolglos, zur Operation
geschritten. Es handelte sich um einen 55 jährigen Taubstummen,
der, seit einem Jahre an Kopfschmerzen leidend, wegen Kräm¬
pfen in der rechten Körperseite zur Aufnahme kommt. Die
rechten Extremitäten waren paretisch, ebenso der rechte Facialis.
Beiderseitige Stauungspapille. Allmählich vollständige Lähmung
der paretisehen Gliedmaasseu; Krämpfe vom rechten Gesicht nach
rechtem Arm und Bein fortschreitend, bald häufiger werdend;
Kopfschmerzen ln der linken Seite. Der letzteren wegen, die un¬
erträglich heftig werden, verlangt Patient dringend Hilfe. Nach
Freilegung der linken motorischen Region und Spaltung der Dura
wird kein Tumor gefunden. Trotzdem schwanden nach der Opera¬
tion die Kopfschmerzen vollständig; die Lähmungen blieben un¬
verändert. Tod 3 Tage nach der Operation. Tumor in der linken
motorischen Region musste nach dem Syinptomenkomplex ange¬
nommen werden. Die Sektion zeigt, dass der apfelgrosse Tumor
im subeortiealeu Marklager sass, Dis an den linken Seitenven¬
trikel reichte und von der Umgebung wenig scharf abgesetzt war.
Endlich wird über 2 Kleinhirntumorfülle berichtet. Der
erste Fall betraf einen 28 jährigen Mann, der nur Allgemefn-
symptome darbot. Von hinten ausstrahlender Kopfschmerz führte
den Kranken in’s Haus. Es fand sich beiderseits Neuritis optica;
bisweilen Erbrechen. Bei sich steigerndem Kopfschmerz 4 Wochen
nach der Aufnahme ziemlieh plötzlicher Verfall. Somnolenz und
plötzlicher Tod. Sektion: Kirschgrosser Tumor hu Kleinhirn.
Der zweite Fall betraf einen 50jährlgen Mann ohne Vorerkran¬
kungen. der seit Monaten Kopfschmerzen hatte und 7 Wochen
vor seiner Aufnahme plötzlich mit Schwindel und Erbrechen er¬
krankte und rasch abmagerte. Patient war psychisch klar, nur
No. 49.
zeigte er Apathie, die stetig sich bis zur völligen Benommenheit
steigerte. Nie Pulsverlaugsamung. Beiderseitige Stauungspapille.
Schädel nicht druckempfindlich. Gehen wegen starker Gleich¬
gewichtsstörungen und Ataxie unmöglich; Patcllarrefiexe gesteigert
Oefters Erbrechen. Geringe Ptosis des linken Oberlides, später:
Lähmung des unteren, dann des oberen rechten Facialis und des
rechten Hypoglossus. Tod nach dem etwa vierwöchentlichen
Krankenlager. Sektion: Wallnussgrosses Gllosarkom im oberen
Wurm des Kleinhirns.
Der Vortragende erwähnt in der Epikrise, dass die Autoren
in der Würdigung das Trauma für die Aetiologie der Gehirn¬
tumoren verschiedener Ansicht seien. Während Bruns sich
ziemlich ablehnend verhält, sind Wunderlich, Hasse,
V i r c h o w, Gerhardt, Oppenheim der Meinung, dass
ein Schädeltrauina wohl im Stande sei, die Entwicklung eines
Tumor gelegentlich zu begünstigen bezw. zu beschleunigen.
Nach einer eingehenden Analyse der Allgemeinsymptome
sowohl, als auch der Herdsymptome bei den Tumoren der ver¬
schiedenen Hirnregionen verbreitet sich der Vortragende noch
ausführlich über die Ansichten der Autoren betreffs der Opera¬
tion der Hirntumoren und führt aus, dass die endgiltigen Erfolge
der Exstirpation bisher ziemlich bescheiden seien, indem nur in
etwa 4—8 Proc. aller Fälle die Lokaldiagnose so sicher zu stellen
war, dass die Operation unternommen werden konnte, v. Berg-
mann’s bestimmt ausgesprochener Ansicht sei er, dass nur die
Tumoren der motorischen Region sich zur Operation eigneu, dass
aber in diesem Falle der Arzt zur Operation verpflichtet sei.
Bruns habe nur 7 Fälle zur Operation gebracht, aber keine
Heilung erzielt.
Auf sein eigenes, oben vorgetragenes Material zurück¬
greifend, erklärt der Vortragende zum Schlüsse, dass er nicht
glaube, durch Unterlassung des Operationsvorschlages sich seinen
Kranken gegenüber einer Unterlassungssünde schuldig gemacht
zu haben.
Besprechung: Herr Stegmann hat deu v. Bra-
mann’sclion Fall «1892 operirt) im Herbst 1897 gesehen. Der
Manu trug zum Schutz eine Kappe, welche den Schädeldefekt
deckte; er war frei von subjektiven Beschwerden, arbeitsfähig und
war inzwischen Vater eines gesunden Kindes geworden.
3. Herr Fischer empfiehlt eindringlich das in Ober¬
ungarn gelegene Bad Pistyan, in welchem er sich selbst auf-
gehalten hat. Als Kurmittel komme der von der Natur reichlich
gelieferte heisse Schwofelschlamm und das heisse Schwefelwasser
zur Anwendung. Den einzelnen Anwendungen folgen alsdann
meist noch Einpackungen des ganzen Körpers und schliesslich
ein Nachschwitzen im Bett. Die Kur wird sehr ernst genommen
und empfiehlt cs sich, besonders an Gelenkerkrankungen aller Art
oder an Ischias Leidende nach Pistyan zu schicken. Das dort
bestehende Arbeiterpensionat wird besonders rühmend erwähnt.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 26. Nov e m b e r 1901.
Vorsitzender: Herr K ü m m e 11.
I. Demonstrationen:
1. Herr Hirsch: 3 jähriges Kind; vor 5 Wochen Sturz auf
das Kinn: Fraktur des Unterkiefers zwischen mittlerem und seit¬
lichen Sehneidezahn rechts. Fixation durch Silberdraht unau-
gängig. da eine dauernde Fixation bei Milchzähnen unmöglich ist.
Vortragender fertigte eine Kautse hukschiene an, die
kappenartig auf die Zähne gesetzt, den reponirteu Unterkiefer
dauernd in seiner Lage fixirt. Das Kind hat die Schiene 5 Wochen
lang ohne Beschwerden getragen, damit essen und sprechen können.
Die Fraktur ist darunter tadellos consolidirt. H. empfiehlt der¬
artige Apparate, wenn auch ihre Anfertigung technische Schwierig¬
keiten bietet, für ähnliche Fälle.
2. Herr Liebrecht stellt 2 Patienten mit hochgradiger
Myopie vor, als Beweis dafür, dass das dauernde Tragen möglichst
korrigirender Gläser dem hochgradig kursichtigen Auge ln der
Regel nicht zum Schaden gereicht. Der eine Patient von 35 Jahren
hat eine Kursichtigkeit von 30 D, hat dauernd bisher 18 D ge¬
tragen und dazu noch zeitweise als Zusatz 8 D. Die Sehschärfe
ist eine relativ gute, die eentralen Veränderungen nur gering. Die
zweite Patientin von 30 Jahren mit Myopie von 24 D hat niemals
ein Glas getragen; die Augen sind jetzt hochgradig myopisch de-
geuerirt; die Patientin nicht mehr arbeitsfähig.
Herr L. hält die Fälle für typisch und gibt an, dass die prak¬
tischen Erfahrungen auch sonst der experimentellen Erkenntniss,
dass die Accoinuiodation den Druck im Auge nicht vermehre, Recht
gäben. Man müsse diese physiologische Erfahrung praktisch
fructiflciren.
Der zweite Grund für die Vorstellung der beiden Patienten
ist das Vorhandensein einer scharfrandlgen partiellen hin-
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Dezember 1901.
MUENCIIENER MEDT CT NISCHE WOCHENSCHRIFT.
teren Skleralektasie, wie sie in einigen Füllen hoch¬
gradiger Myopie beschrieben worden ist. Man siebt concentriscb
zum inneren Rande des Opticus, etwa 2 Papillen breit entfernt,
eine scharfrandige. dunkle Linie, an der die Netzhautgefitsse wie
l>ei einer glaukomatösen Excavation abgebrochen sind.
3. Herr Thost berichtet über 2 Fülle von Fremdkörpern in
der Lunge, a) 8 jähriger Knabe, Aspiration dos Inneren eines
Federhalters am 3. November. Nach einer kurzen Cyanose befindet
sich das Kind relativ wohl, spielt munter, hat nur etwas frequente
Athmung. Am ü. November leichte Dämpfung, bronchitische Ge¬
räusche, Tempcrntursteigerung. Radioskopisch wird der Fremd¬
körper im rechten Bronchus nachgewiesen. Am folgenden Tage
Tracheotomia inferior. Versuch, mittels K 11 i a n’scher Apparate
denselben von der Tracheotomiewunde aus zu fassen, misslingt.
Danach fibrinös«' Bronchitis. Am 8. November Exitus. Sektion
ergibt, «lass die Feder im Bronchus, der zum Mittellappen führt,
steht, während die Apparate in den Unterlappenbronchus gelangt
sind. — bl 17 Jahre alter Patient hat vor 11 Jahren ein Knochen¬
stück aspirirt. Seitdem von Zeit zu Zeit bronchopneumonlsche
Erscheinungen, gelegentlich Haemoptoe und Eiterentleerungen.
Im Röntgenbild auf der rechten Seite deutlicher Schatten. Th. be¬
spricht die Therapie, die er in diesem Falle vorhat.
4. Herr Simmonds stellt einen Fall von Fettgewebs-
nekrose nach Pankreaszerreissung vor. Ein 51 jähriger Mann
war von einem Lastwagen überfahren worden und starb nach
•ty 2 Tagen, nachdem sich zuletzt peritonitische Erscheinungen ein¬
gestellt hatten. Die Autopsie zeigte multiple Rippenfrakturen.
flache Risse an der Leber- und Nierenoberfläche und eine totale
Querzerreissung d«>s Pankreas sammt seinem Ductus. In dem
umgebenden subperitonealen Fett .besonders der Bursa omentalis
und des Mesenterium fanden sich zahlreiche bis linsengrosse gelb¬
liche und weisse, z. Th. mörtelühnliche Herde, während ln grösserer
Entfernung von dem verletzten Pankreas die Fettnekroseherde nur
ganz vereinzelt vorhanden waren. Es entspricht diese B«*obnchtnng
also wieder einer früher (diese Wochenschrift 1890. No. P>) von
ihm mitgetheilten, in welcher die Fcttgewebsnekrose sich an eine
Schussverletzung des Pankreas nngesehlossen hatte und liefert eine
neue Stütze für die von ihm vertretene Anschauung, dass die Fett-
gewebsnekrosp der Peritonealhöhle keine selbständige Erkrankung
darstellt, sondern wohl meist die Folge einer Pankreaserkrankung
oder -Verletzung ist. Findet sich in der Anamnese eines an Fett¬
nekrose erkrankten Individuums eine schwere Verletzung des
Unterleibs, so ist man wohl berechtigt, die Erkrankung als Folge
des Traumas anzusehen -- eine Entscheidung die unter Umständen
von grosser praktischer Bedeutung sein kann.
TT. Vortrag des Herrn Wiesinger: Zur Behandlung
hochsitzender Mastdarmcarcinome.
W. stellt in seinem Vortrage zunächst den grossen Unter¬
schied in "Bezug auf die Mortalität nach der Operation zwischen
hoch- und tiefsitzenden Rectumcarcinomen fest. Selbst bei
glücklich überstandener Operation bleiben häufig den Kranken
sehr quälende und den Lebensgenuss ihm verkümmernde Folge¬
zustände zurück: stenotische Erscheinungen, neuralgische Be¬
schwerden, T)armfist«‘ln, mehr oder weniger vollständige Inkonti¬
nenz etc. Besonders ungünstig lic'gen ferner die Verhältnisse
bei neu eintretenden Reeidiven, da dieselben an dem durch die
Wunde geleiteten Darmrohr wieder die früheren Beschwerden
hervorrufon können. In unmittelbarem Anschluss an die Ope¬
ration sind die Gefahr der septisch-peritonitischen Wundinfektion
und des Oollapsos in Folge der Operation die häufigsten Ur¬
sachen d«*s Todes.
Um «lies«* Gefahren und Widerwärtigkeiten für den Kranken
zu umgehen, schlägt W. vor, l>ei den schwierigeren und kompli-
zirten Fällen von hochsitzendem Mastdarmcarcinom von vorn¬
herein auf die Herstellung normaler Verhältnisse zu verzichten
und statl dessen einen Anus praeternaturalis, welcher bestimmt
ist. dauerml zu bleiben, auf der linken Seite am Kolon descendens
anzulegen, den er vorschlägt nach einer von Witzei ange¬
gebenen Modifikation zu machen: denn diese bietet schon an und
für sich eine gewisse Garantie d«*r Kontinenz. Durch dies Ver-
f all reu werden «lic Todesfälle im Anschluss an die Operation be-
deutend verringert ; die postoperativen Gefahren und Beschwerden
reduzirt, ohne dass darunter die Gründlichkeit der Radikal¬
operation leidet. Tn dieser Weise sind 11 Fälle operirt, von
«lenen 2 im Anschluss an die Operation gestorben sind, einer an
bronchitiseben Erscheinungen 14 Tage post Operationen!, einer
6 Wochen p. op. an Erschöpfung. An septischer oder septisch-
peritonitis<*her Wundinfektion oder an Collaps ist keiner der
Kranken zu Grunde gegangen.
Die Anlegung eines Anus praeternaturalis, welche auch von
Sehe «1 <* früher empfohlen worden ist. hat den grossen Vor¬
theil, dass schon vor der Radikalexstirpntion die Darmfunktionen
geregelt sind und der zu exstirpirende Darm durch Antiseptica
gereinigt worden kann, so dass unter annähernd aseptischen Ver¬
1987
hältnissen operirt werden kann. Für später ist es von Vortheil
für die Kranken, dass die Darmfunktion von dem erkrankten
Gebiete völlig unabhängig ist und daher von eventuellen Reci-
diven nicht tangirt wird. Ebenso fallen dadurch alle 1k* i anderen
Methoden beobachteten postoperativen Störungen an dem durch
die Wunde geleiteten Darmrohr fort. Die Operation wird also
vereinfacht und abgekürzt, was hei den meist geschwächten Per¬
sonen von Einhaltung ist. Den .seitlichen künstlichen After hält
W. für die Kranken, da sie denselben übersehen und selbst rei¬
nigen können, für angenehmer als den sacralen, ganz abgesehen
davon, dass letzterer erst während der Operation angelegt wird,
während der seitliche bereits bei der Operation den Kranken
zu Gut«' kommt.
1> iscussiu n: 11«*rr«*n Sick. Iv ii m m c 11. L a u e u s t e i n
uml «ler V o r trag e n «1 e. W e r n <* r.
Medicinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitz u n g v o in 22. O k t. o b e r 1901.
Vorsitzender: Herr I? a h r d t.
Schriftführer: Herr Braun.
Herr Bahr dt tlieill mit, «lass dem Ehrenmitglied der Ge¬
sellschaft, Rudolf V i r «• li o w, U*i Gelegenheit dessen 80. Ge¬
burtstages eine Glück\vunselmdr<-sso überreicht worden ist. und
gedenkt ferner ths verstorbenen Ehrenmitgliedes Hofrath Prof.
Dr. Winter in Leipzig und Mitglied«?« Dr. H a g e r in Leipzig.
Zu Ehren der Tod teil erheben sieh die Anwesenden.
Herr Lenhartz stellt vor eine 19jährige Köchin mit
septischer Angina. Erkrankt, in der Nacht vom 20. 21. Oktober
mit Atheinhekleinniung: hoi geringen Erscheinungen «1er Raclien-
sehleimliäute ist auffallend eine ..akute Anschwellung der Schild¬
drüse“. so dass der normale Umfang des Halses um 7—10 cm
vergrössert erscheint. Ara 21. Oktober arbeitet sic bei absolutem
Wohlbefinden: kein Fieber, keine Drüsenscliwellung. Am 22. Ok¬
tober dasselbe Wohlliefinden. aber objektiv starke Verminderung
des Urins, der eine enorme Menge liyalin«*r Cylind«'r mit körnigem
Detritus enthält — 22 bis 30 Prom. Eiweiss.
Herr Soltmann berichtet über einen Fall von allgemeiner
Pyocyaneusinfektion bei einem 13 jährigen Knaben, wtdeher. bis
dnliin ganz gesund, plötzlich an schwerer Pneumonie erkrankt,
die unter cerebralen und typhösen Erscheinungen bei amphlbolen
Temperaturen mit Leber- und Milzsehwellung und ausg«>dehnten
Hautblutungen in wenigen Tagen zum Tode führt. Im liepatisirten
Lungengewebe cingesprengte gelbgrüne Herde, ebenso lm Magen
rasenartige gelbe Auf- und Einlagerungen, im Darm gelbgrüne,
linsengrosse Platten, Nekrosen, welche überall in Haufen und
Schwärmen kleine, schlanke Stäbchen erkennen lassen, die in Fär¬
bung. Form, Kultur und Farbstoffbildung als Pyocyaneus sich
ehnrakterlsirten. Am intensivsten produeirten Kulturen ln lOproc.
Peptonlösungeu den dunkel saftig-grünen Farbstoff uml Hessen
bei Eintrocknung der Gelatiueplatten typische, aus blaugrünen
prismatischen Nadeln zusammengesetzte Krystalldmsen er¬
kennen. Auch in Blut und Milz die glei«*hen Bacillen. Meer¬
schweinchen mit dem Gewebssaft und kleinen Partikclelien der
erkrankten Theile subkutan geimpft, gingen unter Abscessbildung
bald zu Grunde. Im Eiter wiederum Pyoeyaneusbaeillen in Rein¬
kultur.
Der vorliegende Fall beweist, wie mehren' Einzelbeobach¬
tungen gerade bei Säuglingen und Greisen, die hohe Pathogenität
des Pyocyaneus für den Menschen, so dass er selbst, und zwar
ohne Symbiose mit anderen Spaltpilzen, sogar bei bis dahin völlig
gesunden Individuen unter dem Bilde der Sepsis zum Tode
führen kann. Für die Allgomoininfektion scheint. wie
schon Charrln zeigte, die Eintrittspforte von grosser Be¬
deutung zu sein. Der Magendnnntraktus steht hier weit hinter
dem Respirationstraktus zurück. Auch hier war nach Auftreten
und Verlauf des Krankheitsprooesses über den bronchogenen Ur¬
sprung kein Zweifel. Wahrscheinlich hat «ler Knabe. Sohn eines
Droschkenkntsch«*rs. auf seinem Lieblingsspielplatz lm Pferdestall
und auf dem Heuboden mit <h*tn Inspirationsstrom d«'n Infek-
tionskeiin eingesogon, der ihm unter dein Bilde einer septischen
Pneumonie ein jähes Ende bereitete. Die beigefügten, bisher in
ähnlicher Weise noch nicht zur Darstellung gebrachten kolorirten
Tafeln illustriren die Pyoeyaneuseruptioiu'n und -Herde in Lunge.
Magen und Darm in situ und im mikroskopischen Bilde in vor¬
trefflicher gelungener Wiedergabe.
Discussion: Herr K o c k e 1 hat ähnliche Veränderungen
der Schleimhaut des Magen-Darmkanals, w.ie sie Herr Solt¬
mann erwähnt, einige Male auch ln Fällen gesehen, wo der
Bacillus pyocyaiH'iis nicht im Spiel war.
Herr Bartli weist auf die starken entzündlichen Erschei¬
nungen hin, welche der Bae. pyocyaneus bei Ohreiteningen ver¬
ursache.
Herr Hohlfeld stellt einen Fall von Tetanus vor, der
sich bei einem 12 jährigen Knaben 14 Tage nach einer kleinen Ver¬
letzung des rechten Oberschenkels entwickelte, am 8. Tage der
Erkrankung in das Kinderkrankenhaus aufgenomnien wurde und
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1988 MTTENOnKNER ME DIf’TNLSOHE WOCHENSCHRIFT. No. 49.
am Togo darauf mit 25 ccm des B e h r i n g'schen Toianusanti- I
toxins (20 com unter die Brustliaut, 5 com auf dem Wege der |
Lumbalpunktion in den Duralsack, im Hanzen 250 Antitoxin-
einheiten) Injieirt wurde.
D«*r Fall erreichte mit einer Attacke h«>chgradigst«*r Atheni- |
noth den Höhepunkt seiner Erscheinungen am Abend des Iujek- ]
tionstages, in den nächsten beiden Tagen Stillstand, am dritten |
Tage augenfällige Besserung, die dann schnellere Fortschritte bis
zur völligen Heilung machte.
Nach einer kurzen Schilderung des Zustandes bei der Auf¬
nahme und des weiteren Kraukhcitsvcrlnufcs, glaubt der Vor¬
tragend«' den Fall wegen der hochgradig«‘n Betheiligung der Ath- i
mungsmuskulatur zu den schwereren rechnen zu dürfen, obwohl
die Inkultation 11 Tage ltetrug. di«* Temperatur im Maximum nur .
ÖS,7 0 erreicht«*, und der Verlauf «l«»ch ein etwas protrahirter war.
Für die Heilung als solche kann der Vortrag«*nder «li«* g«>-
l«*g«*n11ich gegebenen Morphiuminj«‘ktionen ni«*ht. verantwortlich
machen. g«*förd«‘rt zu haben glaubt er die Heilung in ihrem
weiteren Verlaufe durch die Einleitung einer reichlichen Diurese.
Die Frag«*, ob «li«* Heilung als Serumwirkung aufzufass**n s«*i. lx*-
antwort«*t «*r dahin, dass die M«öglichk«*it. einer Serumwirkung
.1«*<lenfalls nicht olnu* Weiteres von der Hand zu weisen sei.
D i s c u s s i o n: Herr T r e n d «* 1 e n 1» u r g glaubt nicht mehr
an «li«‘ Wirksamkeit, «les B «• li r i n g'scheu Tetanusserum. <>r sah
nie einen Erfolg von ihm: die leichten Tetanusfälle genesen ohne
Serum, die schwer«*!! verliefen mit Serum auch ungünstig. Herr
T. gedenkt ferner der. allerdings vorüberg«*h«*nden. günstigen Ein¬
wirkung der in Form von Schwitz- oder Lichtbädern angewandten
Wärme auf di«* Tetanuskranken. Der Krampfzustand erfährt
eine eklatante Besserung, so lange die Kranken t ranspiriren.
Herr Bahrdt hat Oel«*genheit gehabt, einen Tetanuskranken
mit d«*m Genfer Tetanusserum zu behandeln, hat aber auch davon
keinen Erfolg gesehen. Er friigt. ob sich l«*icht«*re und schwerer«*
Tetanusfälle durch ihren T«*mp«*raturverlauf unt«*rsclieid«*n.
Herr Sol t mann liiilt die Frage von der Wirksamkeit des
B e h r i n g’schen Tetanusantitoxins tiocli nicht für entschieden.
Nach seinen Erfahrungen sind die leichteren Tetanusfälle g«>-
wOlinlioh «lurcli weniger hohe Temperaturen ausgezeichnet. Ob
in dem vorher demoiistrirt«*» Fall das Serum die Heilung bewirkt
habe, sei von Herrn Ilohlfeld selbst als zweif«*lhaft hingestellt
worden. Die Einleitung vermehrter Diurese, z. B. durch Pih>-
«•arpindarrcicliung. sei ein wiclitiger therap«*utisch«*r Faktor bei
der Behandlung «les Tetanus.
II«*rr Kollmann «lemonstrirt ein Cystoskop mit beweg¬
lichem Lampenknie. Die V«*ranlassung zur Konstruktion dieser
Neuerung ist zu suchen in «lein Umstand, dass Cystoskope, bei
denen die Optik und die Lampe in einer geraden Linie liegen,
von manchen Aerzten nicht so gern benützt, werden, als solche,
welche die Lampe an der Spitze ein«*s gekrümmten Schnabels
tragen, wie z. B. die meisten der N i t z e’sehen Modelle. Die
Ausführung geschah in zweifacher Weise. Bei der einen Kon¬
struktion ist zwischen einem centralen, die eigentliche Lampe hal¬
tenden Metallstück und «*in«*m anderen peripheren Metallstück,
welches zum Anschraul>en an den optischen Theil dient, ein kleiner
Duriteyllnder g«*l«*gen. in dein die Leitungsdrähte für die Lampe
verlaufen; bei der anderen Konstruktion geschieht die bewegliche
V«*rbindung durch einen Gummischlauch mit einem darin befind¬
lichen Leitungsdraht, und ausserdem noch durch ein um diesen an¬
gebrachtes festes Metallsehnrnier. Diese beweglichen Lampen-
kniee werden auf Wunsch sowohl dem von Kollmann be-
schriebenen Spüleystoskop (Nitzc-Oberlände r’sches Cen-
tralbl. 11. Bd., 1900. Heft 81, als auch «lein Uretercystoskop mit
übereinander liegenden Gängen (Nltze-Oberlände r’sches
Centralbl. 11. Bd.. Heft 91 beigegeben; bisher hatten die genann¬
ten zwei Instrumente nur Cystoskope mit geradem, unbeweglichem
Lamp«*ustück. Sollen die beweglichen Kniee an ihnen angebracht
werden, so erhalten die Aussenhiilsen derselben im centralen Thelle
des Auges eine schiefe Ebene, welche die Lampe beim Ilineiu-
schiebeu der Optik aufrlcbtet. und zuletzt genau in die gleiche
winkelige Stellung zum Cystoskopscbaft bringt, wie dies bei den
gewöhnlichen Nitz e’sehen Cystoskopen der Fall ist. Der Ver¬
fertiger der genannten Konstruktionen ist C. G. Heyuemann
in Leipzig.
Herr Seiffert berichtet über weitere, in der Universitäts-
Kinderklinik ausgeführte Untersuchungen zur Aetiologie der
Noma.
Der Vortragende hat im Jahre 1897 zwei Fälle von Noma
demonstrirt. und über histologische und bakteriologische Unter¬
suchungen d«*s nomatös erkrankten Gewebes berichtet. Er hat
«labei auf die Nothwendigkeit hingewiesen, bei der bakterio¬
logischen Untersuchung der Noma anaerobe Kulturmethoden in
Anwendung zu bringen und ül>er den auf diese Weise erhobenen
Befund einer anaerob wachsenden Cladothrixart, welche beim
Meerschweinchen eine progressive, allerdings meist später durch
Eiterung sieh «lemarkirende Nekrose, beim Kaninchen Eiterung
erzeugt«*, in ein«*m der damals «lemonstrirten Fälle, berichtet.
Die Befunde des Vortragenden erhielten bald darauf eine Be¬
stätigung durch Untersuchungen von Perthes an zw«4 Noma-
füll«*n der Leipziger chirurgischen Klinik.
Seitdem hat sich die Kasuistik des Vortragenden um weitere
vier Fäll«- v<Tinehrt. von denen der ein«* ein«* typisch«* Noma faciei.
ein«*r eine Noma vulvae darstellte, die beiden letzten dagegen
unter dem Bilde einer in fortschreitende Nekros«* d«*r Mund¬
schleimhaut und ihrer Unterlagen und Nekrose des Alveolarfort¬
satz«-s des Unterkiefers endenden Stomatitis ulcerosa verliefen.
Da gennle diese l«*tzter«*n Formen in der neuesten Literatur der
Noma (Bern heim und Pospischill, Com ha, Gui-
z «* 1 1 i) mehrfach Erwähnung gefunden haben, musste «1er Aus¬
fall der bakteriologischen Untersuchung für di«? Frage, oh diese
Formen wirklich «lein Krankheitsbilde d«*r Noma zuzurechnen
seien, von erheblicher Bedeutung sein. Es gelang nun dem Vor¬
tragenden in allen vier Fällen mit Hilfe der nnaeroben Kultur¬
methoden «li«* gleiche Fäden, Spirillen und V(*rzweigung«*n auf-
woiseiul«* Cladothrixart r«*in zu züchten, wie im ersten Falle. Auch
die Thiorversuelie mit den neuen Kulturen ergaben Pathogenität
<l«*s aufg«*funden<*n Mikroorganismus für Meerschweinchen und
Kaninchen, ja <-s wurde sogar die Spontaninfektion eines Kanin¬
chens an der Lippe beobachtet. Wenn es bei «licsen Thieren aber
meist zu «*inetn »Stillstand «ler Nekrose durch demarkiren«lo Eite¬
rung kommt, so glaubt der Vortragende, dass dies an dem Bau
der fhieris«*hen Gewebe und vor Allem dem Mangel einer vor¬
herig« n disponiremlen Laesion liegt. Eiir weitere experimentelle
Stu«li«-n mit «ler Nomaeladot.hrix dürfte daher eine vorgängige
Schädigung <l«*r Haut oder »Schleimhaut der Versuchstiere, etwa
durch Krzeugung eines lokalen ()«*<lems oder einer kleinen asepti-
scIhmi Nekrose, in’s Auge zu fassen sein.
Aus seinen Untersuchungen glaubt der Vortrageialc sehliessen
zu «liirfen, dass gegenüber den zahlreichen früheren Bakterien-
hefunden ln-i Noma, der von ihm und Perthes nachgewiesenen
anaerolx-n Cladothrix mit grosser Wahrscheinlichkeit eine aetio-
logis«*he Bedeutung für die Pathogenese der Noma zugosprochen
werden muss, um so mehr, da auch frühere Untersucher (G r a -
wi t z u. A.) die Fällen im Gewebe gesehen und beschrieben, in
Folg«* Vernachlässigung «ler anaeroben Kulturmethoden aber
nicht reiugczüchtet hab«*n.
Dlsnission: Herr Braun: Bei einem kürzlich im Dla-
k«»niss«*nliaus beolmchteten Fall von Noma sind die beschriebenen
Fadenpilze ebenfalls gefunden wonltMi. Reinkulturen von ihnen
ai’zult'gen. gelang auch trotz Anwendung nnaerober Verfahr«»»
nicht, «‘bensowenig die T'eb«*rtragung auf Thiere.
Herr P e r t li e s berichtet über das häufige Vorkommen von
Noma in China. Er sah wiederholt Chinesen mit Gesiehts«l«»fekteil,
die von «ler Krankheit herstnmnit»*n und beobachtete in Peking
4 frische Nomafälle: mikroskopisch fanden sieh in ihnen wiederum
dieselben Fadenpilz«*. Die Konstanz dieses Befundes spreche doch
stlir «lafilr. dass diese Bakterien wohl mehr, als eine zufällige
Begleiterscheinung der Noma s«*ien.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Soci^te de ThSrapeutique.
Sitzung vom 9. Oktober 1901 (Schluss).
G a 11 o i s bespricht die Behandlung mit Kakodylsäure.
Wenn auch die hypodermatisehe Anwendung vorzuziehen und be-
sonders im Krankenhaus«* anwendbar ist. so ist dies In der Privnt-
praxis selten durebzufiihreu: G. wählte daher den Weg der in¬
ternen Medikation und empfiehlt folg«*nde Mischung: Natr. kako-
dyl. 2.0. Rum. slrup. simpl. äa 20,0, Aqu. dest. *10,0. Spirit. Menth,
piper. gtt. 1—2 S. 1 KafTeelöffcl bei jeder Mahlzeit zu geben.
10 Tage lang ist dieses Mittel zu geben, dann setzt man ebenso
lange aus u. s. f. 1—3 Fälle ausgenommen, wurde bei etwa
50 Kranken das Mittel immer gut vertragen. Das auffallendste
Resultat war dit* Vermehrung des Appetits: die KraDken haben
ausserdem das Gefühl, «lass ihre Kraft zugenommen habe. Die
AflVktion, welche am glücklichsten durch die Kakodyldarrelehung
beeinflusst wird, ist die chro nische Bronchitis mit
asthmatischen Anfällen bei älteren Leuten: G. bat i.5 solcher Fälle
mit grossem Erfolge behandelt, sogar wenn schon Herzschwäche
in Folge der Anfälle bestanden hatt«*, gegen «las noch zurück¬
gebliebene Oedem wurde Digitalis sodann mit Erfolg geg«*lH*n.
Bei der asthmatischen Bronchitis der Kinder wirkt bekanntlich
.Tr»d sehr rasch.
Acad6mie de m6decine.
Sitzung vom 15. O k I o b e r 1901.
Albert Josias berichtet über die Behandlung des Tetanus
nach Baccelli (Injektionen von Karbolsäure), fand jedoch
nach eingehenden Versuchen an Ziegen. Meerschweinchen und
Hunden, «lass diese Injektionen (von 2—3 proe. Karbolsäure, sub¬
kutan oder intramuskulär) ln keiner Weise die Entwicklung «les
ausgesprochenen Tetanus zu beeinflussen schienen, selbst wenn
«lies«* Behandlung sehr frühzeitig, mit dem Auftreten der ersten
Symptome, eiiigelcitet wird.
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3. Dezember 1901. MURXCttENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1989
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztekanuner für die Provinz Brandenburg; und den
Stadtkreis Berlin.
(Eigener Bericht.)
Ordentliche Sitzung am 23. N o v e ui b e r llHJl.
Vor Eintritt ln die Tagesordnung erhält Herr Iv o s s in a n n
«las Wort zu einer Erklärung, in der Sitzung am 1<>. Juni d. J.
hatte lv. geäussert, der übel Präsident hatte mit den von der lte-
gierung gewählten Vertrauensmännern im Elirengerlelilshof «lie
zur Freisprechung ertorderliche Stimm« nzahl zur Verfügung. Diese
Aeussseruug, sagt Herr K o s s m a u n, war, wie der /.usammen-
liang ergibt, nicht im allgemeinen sinne gemeint, bezog sich viel¬
mehr auf den betreffenden Fall. Hie Absicht einer Verletzung
von Mitgliedern des Blirengericlitshoies habe ihm fern gelegen.
Im Anschluss hieran erstattet
Herr Kossmann den Bericht der lv u r p f u s e lierei-
Kommission. Wie sich aus einer Zuschrift des Vorsitzeiulen
des Spandauer Aerztevereins ergibt, hat der Vorstand der dortigen
l ischierkasse das Ersuchen des \ erelus, die nicht approoirte Person
aus der Aerzteiiste zu streichen, anfangs abgelehm, dann aber auf
Anweisung seitens des Vorstandes der Kasse in Hamburg, au den
der Verein sich gewandt, die Streichung bewirkt. Leber den
anderen Spandauer Fall habe mau nichts mehr gehört, der Kur¬
pfuscher habe sein Geschäft jedenfalls aufgegeben.
Hiermit war mau bereits in die Verhandlungen eingetrcteu,
denen Namens der llegierung überprüsident v. B e t h m a u n -
Holl w e g und ltegieruugsrath v. Gneist beiwohnen. Her Vor¬
sitzende, Herr Geheimrath Dr. B e c h e r, bringt ein Antwort¬
schreiben des Herrn Professor Dr. Körte zur Verlesung, dem
der Kammervorstaud zu seinem 00 jübrigen Doktor-Jubiläum seine
Glückwünsche ausgesprochen, und berichtet dann Uber die Be-
iheillguug des Vorstandes an der Vlrchow-Feler im Hause der
Abgeord ne teil. Vom Aerztekammer-Aussehuss ist ein Schreiben
des Mediciualministers eingegangen, nach dem bei Verleihung des
Titels Sauitätsrath resp. Geh. Sanitütsrath von der Einziehung
der Stempelsteuer von 3U0 Al. in Zukunft abgesehen werden soll.
Herr Schaef fe r beantragt, Herrn Dr. Steffau zu Alar-
burg u. d. E. (früher zu Franklurt a. Ai.), dessen mannhaftem Vor¬
gehen die Beseitigung der Stempelsteuer zu verdanken sei, die An¬
erkennung und den Dunk der Kammer auszusprechen. Der An¬
trag wird ungeuommen. In einer Zuschrift an den Vorstand hat
Herr v. Bergmann als Kurator auf die 11 offbau er- Stil -
t ti ng aufmerksam gemacht, die auch für \\ aiseu aus dem Aerzte-
staude bestimmt sei.
An Stelle des Gcheimrath Dr. Schöneberg, der aus Ge¬
sundheitsrücksichten sein Amt als Ehrenrichter medergelegt hat,
wird Dr. Kühle r-Charlottenburg zum Mitglied des Ehrengerichts
und Dr. 11 o t h - Berlin zum Stellvertreter gewählt.
L'eber die Verbrennung der Festleichon spricht
Herr Privatdoeent Dr. Weyl als Gast. Das sporadische Vor¬
kommen der Pest, wie in Glasgow’, Bremerhaven, Kousiantlnopel
legt den Gedanken nahe, dass die Pest uns heimsuchen könnte.
Diese Gefahr hat auch die lteichsregieruug iu's Auge gefasst, wie
die neuerliche Verordnung zur Verhinderung der Ausbreitung der
Pest zeigt. Die Verordnung hat aber ein wesentliches Mittel, das
sehr wohl geeignet ist. die Ausbreitung der Pest zu verhindern,
ausser Acht gelassen, das ist die Verbrennung der Pestleichen.
Das Erdgrab gleicht einem Kieselfeld in Bezug auf die Wirkung
der Mineralislrung der organischen Substanzen, nur dass es viel
langsamer arbeitet, wie das Rieselfeld. Die Erdbestattung leistet
nicht Gewähr für die Vernichtung der Pestkeime, welche also von
begrabenen Pestleichen verschleppt werden können. Seitens eines
aus Aerzten bestehenden Ausschusses ist zu Gunsten der Erlaub-
niss, zu Pestzeiten die Pestleieheu an allen Orten im Deutschen
Reiche verbrennen zu dürfen, eine lebhafte Agitation iu's Werk
gesetzt, es sind an viele Aerzte Karten mit einer entsprechenden
Anfrage gesandt und fast 3U00 zustimmende Antworten oiuge-
gaugen. Herr Weyl, der noch besonders betont, dass es sich
keineswegs darum handle, durch eine Hiuterthür die LcJehen-
verbrennuug einzuschmuggeln, stellt den Antrag:
„Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg, in Er¬
wägung I. dass die Pestleichen geeignet sind, die Pest zu ver¬
breiten, 2. dass die Erdbestattung der Pestleichen nicht unter
allen Umständen eine schnelle und sichere Vernichtung der Pest¬
keime gewährleistet, 3. dass die schnelle und sichere Vernichtung
der Pesterreger im öffentlichen Interesse geboten ist, beschliesst:
a) den Herrn OberpriLsidenten zu ersuchen, bei der kgi. Staats-
regierung dahin wirken zu wollen, dass die Vernichtung der Pest-
leicheu durch Feuer gestattet werde, b) von dem gefassten Be¬
schlüsse allen preussisclien Aerztekammern Kcnntniss zu geben.“
Herr v. Bergmann wendet ein, die Durchführung des An¬
trags würde gewaltige Anforderungen an den Fiskus stellen, da
überall kostspielige Krematorien gebaut werden müssten. Das
Kaiserliche Gesundheitsamt hat sehr wohl beachtet, dass von be¬
grabenen Pestleichen unter Umständen die Pest verschleppt werden
könne. Das wird aber verhindert, wenn die Gräber für die Pest¬
leichen so hergerichtet werden, wie es in der Pestverordnung vor¬
geschrieben ist
Herr Weyl bemerkt es Messen sich in allerhöchsteus
24 Stunden mit verhältnissmässig geringen Mitteln geeignete Vor¬
kehrungen zur Leichenverbrennung herrichten; es handle sich niehl
um dauernde Einrichtungen.
Herr Oberpräsideut v. Betlima n-n - II o 11 w e g behält sich
die Stellungnahme zum Antrag vor, möchte aber für den Fall, dass
der Antrag angenommen wird, empfehlen, in ihm zu betonen, dass
provisorische Krematorien geplant seien: sonst würde der
Minister sicherlich den Einwand machen, welchen Herr v. Bürg¬
in a n n zur Sprache gebracht.
Der Antrag wird mit grosser Majorität angenommen.
Von Seiten einer Keihe nicht praktizirender Aerzte (Profes¬
soren, Dozenten etc.) ist an den Oberpriisidenteu und an den
Minister eine Eingabe. Ihm rollend die Beltragsleistung zur Aerzte¬
kammer, gerichtet worden. Zu diesem Gegenstand der Tages¬
ordnung macht der Vorsitzende einige einleitende Bemerkungen.
Die Aerztekammer-Brnndenlmrg-Berlin hat eine solche Besteuerung
der Aerzte durchgeführt, dass man wirklich daran denken könne,
dem Elend der Aerzte, wie ihrer Hinterbliebenen, zu steuern.
Freilich seien gewisse Kategorien der Aerzte, die mit »len prak¬
tischen Aerzten überhaupt wenig in Berührung kommen, wie alte
Militär- und beamtete Aerzte, die sich zurückgezogen, mit betroffen
worden. Der Kammervorstaud berücksichtige al>er die Verhält¬
nisse in dem einzelnen Fall, so seien etwa Co Jüngere Existenzen
von der Beitragsleistung lief reit worden. Die Kammer, welche
zuerst das Gcsanimtciukomnn-n iiesteuert, habe sich damit ein
unvergängliches Verdienst um das ärztliche Unterstützungswesen
erworben, und es stehe zu hoffen, dass die anderen preussisclien
Kammern dem Beispiele der Brandenburg-Berliner folgen werden.
Dem gegenüber erscheine es auffallend, «lass eine Keihe vornehm¬
lich solcher Aerzte. die sieli mit der Lehrthätigkeit befassen, die
Heranziehung zur Steuer als Unrecht ciuplindcn und sich mit einer
Eingabe an den Oberprüsidenhm und den Minister gewandt habe.
Am Schluss der Eingabe heisse es, d e r A e r z t e k a m m e r -
v o rs t a u d sei in d e r 11 e r a n Ziehung zu «len Bei¬
trägen w i 11 k ü r 1 i c li v o r g e g a n gen; Aerzte, die sich be¬
hufs Ausübung der Hcilkumlc beim Kreisarzt gemeldet, seien nicht
besteuert worden, dagegen die nicht praktizltcnden Theoretiker.
Der Vorsitzende bemerkt hierzu, er hätte für diese In¬
sinuation keinen parlamentarischen A u sdru c k;
wollte er sl«> l»eiui reell teil Namen neunen, dann würde er sich
selbst zur Ordnung rillen müssen. Darauf gelangt die Eingabe
zur Verlesung, die mit wiederholtem ironischem Lachen, zum
Schluss mit Pfui-Kufeii lw*gleit«*t wird. Die Eingabe fasst eine
grosse Keihe von Gründen zusammen, welche gegen die Heran¬
ziehung der nicht prakticirendeii Aerzte sprechen, und betont im
Besonderen, dass die theoretischen Mediclner von den liechten,
welche mit der Approbation verknüpft sind, keinen Gebrauch
machten, und mit den praktischen Aerzten fast gar keine Fühlung
hätten. Sie läuft auf die Bitte hiuuus, ilahlu wirken zu wollen,
dass diejenigen upprobirteu Aerzte, welche gar nicht oder nur
vorübergehend prakticlrt haben und zu einem anderen Beruf über-
gegaIlgen sind, von der Steuer hei reit würden, «lass es«-m. die Ge¬
nehmigung zur Besteuerung versagt uml dass die Mängel, welche
in Bezug auf die upprobirteu, uichtprakticirenden Aerzte im Gesetz
vorliainhm seien, durch gesetzgeberische Aenderuugeu beseitigt
würden. Unterzeichnet sind die Eingaben u. A. von Waldeyer,
11 e r t w i g, K u b n e r, E n g e 1 in a n n, F r i t s c h, 11. M u u k,
ll. Virehow, v. Hausemauu, L a n g e r h a n s. Die Ein¬
gabe ist dem Kuniinervorstaud zugestellt wonleu, und dieser hat.
ohne zur Aeussenmg auf gef ordert zu sein, die Beschwerden als
ungereclilfertigt zuriickgewiesen; vielmehr seien die betreffenden
Hemm zu Recht besteuert wonleu; die Aeusseruug, bei der Heran¬
ziehung zur Bcitrugslcistung sei der Vorstaud mit Willkür vor-
gegangeu, sei eine schwere Beleidigung, die der Kummervorstand
zurück weise. Deu namentlichen »Steuer!istim werde das amtliche
Aerzteverzeiclmiss zu Grunde gelegt.
Herr 11 e u i u s bemerkt, er habe seiner Zeit dafür pluidirt,
«lass die nicht piaktieireuileu Aerzte zur Steuer nicht licraugezogeu
würden. Nie und nimmer habe er dabei an die Professoren und
Doi-cuten gedacht, welche, um an Krankenhäusern augestellt zu
werden, der Approbation bedurftem und durch Ferienkurse für
Aerzte von diesen Einnahmen hätten. Es sei eine falsche Vor¬
nehmheit, auf Grund deren die Akademiker sich von den prak¬
tischen Aerzten und ihrem Vereiuslebeu feruhielteu. Die* medi-
einischeii Theoretiker kümmerten sich ja um andere Angelegen¬
heiten ärztlicher Natur, sie kiiminertem sich um die medicinisclie
Gesellschaft, sie ständen an der Spitze ärztlichen - und wissenschaft-
licher Bestrebungen, und wenn sie au den Staudesfreuden sieh her¬
vorragend betheiligton, so sei es ein nobile ofüeium, auch an deu
Stau«lossorgen theilzuueliiuem. Herr lleulus beantragt Ueber-
gang zur Tagesordnung.
Herr v. Bergmann bedauert, dass von einer Reihe von
Universitätslehrern gesündigt worden sei. Andererseits müsse er
Verwahrung einlegen gegen die Aeussenmg des Vorredners, die
Akademiker hielten sieh in falscher Vornehmheit von den prak¬
tischen Aerzten fern; mau erinnert* sieh nur, was «lie Vertreter der
praktischen Medicin gelegentlich der Virehowfoier g«*sngt. Auch
«lie Vertreter «1er theoretischen Diseiplimm verdankten ihre aka¬
demische Stellung dem Umstand«*, dass sie approblrte A«*rzto
wenien. Nur approbirt«* Aerzte würden Assist«*ut«*u an Kliniken
uml Krankenhäusern. Er veistehe nicht, wie die Herren behaupten
könnten, sie hätten keine Fühlung mit dem ärztlichen Stande.
Einige der Herren seien Examinatoren, Herr 1t u bn e r sogar Vor¬
sitzender der Prüfungskommission, und Herr Walde v e r sei
wiederholt mit der Vertretung der deutschen Aerzteschaft im Aus¬
lände lietraut gewesen. Freilich seien etliche Lehrer der theore¬
tischen Medicin keineswegs glänzend gestellt; der Gehalt der
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1990
MUENGHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
ji ussorordentliclien Professoren ist gering und die Kollegiengelder
seien ihnen zu Gunsten der Staatskasse gekürzt worden.
Herr Koss m a u n betont die ideelle Seite der Sache. Da
man in erhöhtem Maasse Mittel für ein kollegiales Liebeswerk ver¬
lange. stosse man auf Widerstand. Die praktischen Aerzte fühlten
sich als Kollegen der theoretischen Medieiuer und wähnten bei
diesen eine gegenseitige Empfindung.
Herr Hoiiius bemerkt gegenüber der Zurückweisung seiner
Worte durch Herrn v. Bergmann, er habe nicht sümmtliche
Professoren gemeint, vielmehr nur die Unterzeichner der Eingabe.
Dafür, dass auch Professoren für das Wohl des Standes eintreteu,
sei ja Herr v. Bergmann das beste Beispiel.
Eingegangen ist ein Antrag Joachim: Die Kammer spricht
über die beleidigenden Vorwürfe, die dem Vorstand in der Eingabe
gemacht werden, ihre lebhafte Missbilligung aus und geilt über die
Eingabe zur Tagesordnung über.
Die Kammer lehnt den Uebergang zur Tagesordnung ab,
nimmt aber den ersten Theil des Antrags an, sowie einen Zusatz¬
antrag v. Bergmann, dem zu Folge die Kammer sich mit der
Kiicküusserung des Vorstandes einverstanden erklärt und diese
Mittheilung dem Herrn Minister zugehen zu lassen wünscht,
indem sie noch betont, dass auf die lebendige Wechsel¬
wirkung zwischen den Vertretern der theoretischen und denen der
praktischen Mediciu nicht verzichtet werden kann und dass die
Erwerbung der Approbation die Vorbedingung für die theoretisch-
medicinische Laufbahn ist. (Schluss folgt.)
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
B e r 1 i n, den 21. November 1901.
Verein zur Beschaffung freier ärztlicher Behandlung.—
Invalidenhaus für Lungenkranke. — Hygienevorträge für
Krankenkassenmitglieder.
Unter den vielerlei Kalamitäten, welche dem Arzt in der
Grossstadt das Leben erschweren, indem sie in das Selbstgefühl
des Einzelnen wie in die wirtschaftlichen Verhältnisse des
Standes tief einschneiden, spielen die sogen. Sanitäts- und ähn¬
lichen Vereine eine nicht unwesentliche Rolle. Was das Kranken¬
kassengesetz an nicht versieherungspiliehtigen Personen übrig
gelassen hat, das befindet sieh zu einem beträchtlichen Theil in
diesen Vereinen, deren einziger Zweck, gleichviel welchen Namen
sie tragen, die Beschallung billiger ärztlicher Hilfe ist. Wir
hatten schon früher Gelegenheit gehabt, uns mit diesen Vereinen
näher zu beschäftigen, und darauf hingewiesen, dass die Mit¬
glieder nicht gerade den wirtschaftlich schwachen Schichten
der Bevölkerung angehören. Unter den Aerzten hatte Niemand
rechte Freude an diesen Vereinen; diejenigen, welche ihnen fern
standen, klagten naturgemäß darüber, dass das Feld ihrer Tliätig-
keit noch inehr eingeengt wird, und die Aerzte wiederum, welche
mit einem solchen Verein behaftet waren, seufzten unter der
Last der Arbeit, die sie für ein unverhältnissmässig geringes
Entgelt zu leisten hatten. Es ist selbstverständlich, dass bei
den unbedeutenden Vereinsbeiträgen die Gewährung freier ärzt¬
licher Behandlung und vielfach auch freier Arznei nur aus dem
Grunde möglich war, weil die erstere weit unter ihrem Werth
lionorirt wurde, mit anderen Worten, weil die Aerzte die Kosten
des Vereins trugen. Schliesslich aber nahm die Aerztekammer
Veranlassung, sich mit der Angelegenheit zu beschäftigen, und
erklärte es für standosunwürdig, bei privaten, dem Kranken¬
kassengesetz nicht unterworfenen Vereinigungen gegen ein
Honorar thütig zu sein, welches hinter den Minimalsätzen der
Gebührenordnung zurückbleibt. Damit wurden diese Vereine
zwar nicht aus der Welt geschafft, die betreffenden Aerzte auch
nicht sofort gezwungen, ihre Thiitigkcit niederzulegen, denn zu¬
nächst müssen die laufenden Verträge respektirt und bei ihrer
Verlängerung kann durch Erhöhung des Honorars oder Ver¬
ringerung der Thätigkeit dieser Bestimmung Genüge getlian
werden. Aber man sollte meinen, dass eine Neigung, neue
Vereine dieser Art zu gründen, nicht mehr bestehen könnte, da
ihnen jetzt nicht nur die Existenzberechtigung, sondern auch
die Existenzbedingungen fehlen. Aber weit gefehlt. Einige
unternehmungslustige Leute fanden, dass es doch noch eine An¬
zahl Personen in Berlin gibt, die gegen Krankheit nicht ver¬
sichert sind, und fühlten den Beruf in sieh, sic mit einem neuen
Verein zu beglücken. Dieser „Verein Hygiea zur Beschaffung
freier ärztlicher Behandlung“ wollte einen Wochenbeitrag von
50 Pfg. von seinen Mitgliedern erheben und ihnen dafür freie
ärztliche Behandlung für die ganze Familie und die freie Wahl
unter vorläufig 100 Aerzten gewähren. Es zeigte sieh aber, dass
er die Rechnung ohne diese 100 Aerzte bezw. ohne die Aerzte
überhaupt gemacht hatte. Auf Grund des erwähnten Aerzte-
kammerbeschlusses mussten die Minimalsätze der Gebühren¬
ordnung gewährt werden, das ist aber bei der geringen Höhe
der Beiträge, von denen auch noch die Verwaltungskosten be¬
stritten werden müssen, nicht möglich; darum ist mit Sicherheit
vorauszusehen, dass der Verein seine Verpflichtungen weder den
Mitgliedern noch den Aerzten gegenüber wird erfüllen können
und nach kurzer Zeit zu bestehen aufhören wird. Diese Gesichts¬
punkte kamen in einer von den Begründern des Vereins ein-
berufenen Aerzteversnmmlung zur Sprache; der Zweck dieser
Versammlung sollte die Begründung eines Aerztevereins sein,
in Wirklichkeit aber endete sie mit einer unzweideutigen Ab¬
lehnung der Aerzte, sich an den Bestrebungen der Hygiea zu
betheiligen. Auch eine weitere Berathung der Angelegenheit
durch eine zu wählende Aerztekommission wurde abgelehnt mit
der Begründung, dass ehrenwerthe Aerzte es ablehnen müssen,
ein Monopol für sich zu schaffen, dass die Bildung einer Aerzte¬
kommission schon ein mächtiges Agitationsmittel für den Verein
sei, dieser aber nach seinen Statuten keine Gewähr für ein ge¬
sichertes Bestehen biete. Unter diesen Umständen dürften sich
schwerlich noch Aerzte finden, die das Risiko und das Odium
zugleich auf sich nehmen werden, bei einem solchen Verein
sieh anstellen zu lassen; und die schon nicht mehr ernst ge¬
nommenen verzweifelten Anstrengungen der Begründer, den
Verein doch noch zu Stande zu bringen, dürften daher sehr
bald im Sande verlaufen.
Eine für die künftige Gestaltung der Fürsorge für Lnngen -
kranke vielleicht bedeutungsvolle Neuerung ist von der Landes*
Versicherungsanstalt Berlin in’s Leben gerufen worden. Es ist
das ein Invalidenhaus für Lungenkranke. Die Volksheilstätteu
nehmen, der ihnen gestellten Aufgabe entsprechend, bekanntlich
nur solche Kranke, auf, bei denen eine gänzliche oder theilweise
Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu erwarten ist. Eine
Ergänzung dazu bildeten die Erholungsstätten, in denen ausser
den Erholungsbedürftigen anderer Art einerseits solche Tuber¬
kulöse Aufnahme finden, welche für die Heilstätten angemeldet
sind, aber wegen Platzmangels noch auf ihre Aufnahme zu
warten haben, andererseits solche, welche w<*gen vorgeschrittener
Erkrankung für die Ileilstiittenbehandlung nicht geeignet sind.
Die Erfahrung lehrte, dass gerade Kranke der letzteren Kategorie
ein sehr beträchtliches Kontingent zu den Erholungsstätten
liefern. Diese können aber nur im Sommer geöffnet sein, und
die Kranken mussten eine Einrichtung, die sich als werthvoll
erwiesen hatte, entbehren. Auch aus anderen Gründen, besserer
Fürsorge für die Kranken, Schutz der Umgebung vor der In¬
fektionsgefahr, ist schon wiederholt die Forderung der Errich¬
tung von Siechenhäusern für schwer kranke Phthisiker erhoben
worden. Aber es ist bekannt, wie weit der Weg zwischen der
Aufstellung einer noch so berechtigten Forderung und ihrer
Erfüllung ist. Hier zeigt sieh die segensreiche. Wirkung «ler
Laiidesversicherungsaiistalten. Auf Grund des Invaliden-
vorsicherungsgesetzes stellt dem Vorstand der Versicherungs¬
anstalt das Recht, zu, dem Rentenempfänger an Stelle der In¬
validenrente Aufnahme in ein Invnlidenhaus oder in ülmliehe
Anstalten zu gewähren. Die nicht erwerbsfähigen Lungenkrank«»
haben, sofern sie nicht im Hause und nicht in den Erholungs¬
stätten bleiben können, nur die Möglichkeit, ein Krankenhaus
aufzusuchen. Diese sind al>er gerade im Winter meist überfüllt,
und für viele nicht bettlägerige Phthisiker ist das Krankenhaus
auch kein geeigneter Aufenthalt; hier soll das Lnvalidonhaus er¬
gänzend eintreten, und es ist zu erwarten, dass dieser erste Ver¬
such sich als ein sehr glücklicher erweisen und zur Errichtung
weiterer Invnlidenhiiuser für Lungenkranke den Anstoss geben
wird.
Zu den Aufgaben, welche die Berliner Krankenkassen sieh
freiwillig gestellt haben, gehört auch die Verbreitung allge¬
meiner hygienischer Kenntnisse unter ihren Mitgliedern. Zur
Durchführung dieser Aufgabe- feedThTeiTTie^ie«^MitwiTkung der
Aerzte, welche bereitwilligst ihre Zeit und Kraft zur Verfügung
gestellt haben, in der Erkenntniss, dass die Aufklärung des
Publikums über die grundlegenden Fragen der Gesundheitslelm 1
das beste Mittel gegen die Gefahren und Schäden der Kur¬
pfuscherei ist. Die in den früheren Jahren abgehaltenen hygie¬
nischen Vorträge haben allseitig viel Anklang gefunden ■'und
sollen daher mich in diesem Jahre fortgesetzt werden. In der
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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
3. Dezember 1901.
zu diesem Zweck abgehaltenen Vorbesprechung war auch ein
Delegirter des Reichsversicherungsamtes erschienen und erklärte
im Namen des Präsidenten des Reichsversicherungsamtes, dass
dieser der Veranstaltung sehr sympathisch gegenüberstehe, und
dass einige ständige Mitglieder des Reichsversicherungsamtes
bereit seien, ebenfalls Vorträge zu übernehmen. Eine ad hoc
gewählte Kommission wird für den nächsten Vortragscyklus die
Themata bestimmen; eine grössere Anzahl von Aerzten hat sich
bereits zur Abhaltung von Vorträgen bereit erklärt.
M. K.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht)
W i e n, 23. November 1901.
Die Aerzte und die Sanitätsverwaltung. — Schutz des
Aerztestandes in Deutschland. — Das sogen, magnetische Heil¬
verfahren.
Als jüngst in Wien der XII. Oesterreichische Aerztevereins-
tag abgehalten wurde, war auch der oberste Medicinalreforent,
Sektionschef Dr. R. v. Kuay anwesend und sagte in seiner Be-
grüssungsanrede, „dass die Berathungen und die Ergebnisse dieser
Versammlung von Seite der Sanitätsverwaltung die ernsteste
Beachtung finden werden“. Diese Zusicherung wurde von
der Versammlung selbstverständlich mit grossem Beifalle auf-
genommen. Wir zweifeln auch nicht, das9 der Herr Medicinal-
referent gegebenen Falles sein in weihevoller Stunde gegebenes
Versprechen einlösen, dass er „für die zahlreichen Sorgen und
Kümmernisse, welche — seiner Ansprache zu Folge — in der
gegenwärtigen Zeit den ärztlichen Stand so schwer bedrängen“
nach Möglichkeit Abhilfe treffen werde.
Bisher haben die Aufsichtsbehörden den hart bedrängten
Aerzten leider nicht immer den ihnen gebührenden Schutz zu¬
kommen lassen. Wenigstens leuchtet dies aus zwei Vorkomm¬
nissen hervor, über welche wir hier kurz referiren wollen. In der
mährischen Aerztekammer beschwerte sich ein Arzt darüber, dass
die Regelung der Gehalte der Distriktsärzte auf Grund des Er¬
gebnisses der letzten Volkszählung noch immer nicht erfolgt sei,
dass er seinen Gehalt als Distriktsarzt ganz unregelmässig aus¬
gezahlt bekomme und dass sein Rekurs wegen der Revaccination
vom Ministerium noch immer nicht erledigt sei. Der Referent
beantragte, bezüglich der beiden ersten Punkte eine Eingabe an
die k. k. Statthalterei, beziehentlich an den Landesausschuss zu
richten. „Bezüglich des letzten Punktes wäre, da die gleichen
Rekurse vieler anderer Aerzte und eine Ein¬
gabe der Kammer an das Ministerium in derselben Ange¬
legenheit noch immer imerledigt sind und eine neuerliche Ein¬
gabe an das Ministerium sicherlich erfolglos wäre, eine Inter¬
pellation im Abgeordnetenhause durch einen Reichsrathsabgeord¬
neten zu veranlassen.“ Dieser Antrag wurde angenommen.
In der steiermärkischen Aerztekammer kam eine Eingabe
dieser Kammer an die dortige Statthalterei zur Verlesung, die
nach mancher Richtung hin interessant ist. Der Vorstand der
steiermärkischen Aerztekammer bringt der Statthalterei zur
Kenntniss, dass die Strafkammer des kgl. Landgerichtes in
Breslau am 29. Juni 1901 die Journalisten Reinhold Gerling
und Georg Wagner, früher Uhrmacher, welche in ihrer
Entgegnungsschrift auf die Broschüre Dr. Alexanders:
„Wahre und falsche Heilkunde“ den ganzen Aerztestand herab¬
setzten, zu M. 50.— Geldstrafe (event. 10 Tage Gefängniss) und
zur Tragung sä mm dich er Kosten verurtheilt habe. Das Wich¬
tigste aber ist, dass auch auf Einziehung der Gerling-
W a g n o Fsehen Schrift und Vernichtung der Platten vom Ge¬
richtshöfe erkannt wurde. „Es ist daraus zu entnehmen, dass
sich in Deutschland der Aerztestand eines Schutzes von Seiten
der Organe des Staates erfreut, welchen er in Oesterreich voll¬
ständig entbehren muss, obwohl das Gesetz den richterlichen und
politischen Behörden Spielraum genug gibt, um gegen den Unfug
der Naturheilvereine einzuschreiten“. Beweis dafür ist ein im
»Grazer Tagblatt' früher erschienener Artikel: „Grazer Natur¬
heilverein“, in welchem den obgenannten Herren Gerling und
Wagner vollste Anerkennung ausgesprochen und deren Schmäh¬
schrift auf die Aerzte als „eine ausgezeichnete Flugschrift“ be¬
zeichnet wird, „so dass jeder unbefangen denkende Mensch leicht
unterscheidet, auf welcher Seite Finsterniss und Lüge sich breit
macht und wo die einfache Wahrheit zu finden ist“.
1991
Wahrhaft ergreifend wirkt das Schlusswort dieser Eingabe:
„Der Unterzeichnete Vorstand wiederholt am Schlüsse dieser seiner
Mittheilung, die für sich selber spricht, den schon früher ge¬
machten Hinweis, dass die Aerzte Oesterreichs von Seiten der
Behörden für die ihnen nach mühevollen Studien und vielen
strengen Prüfungen feierlich ertheilten Befugnisse zur Ausübung
der ärztlichen Thätigkeit im Interesse der leidenden Menschheit
einen solchen Schutz nicht gemessen, wie er in bezüglichen
Fällen den Aerzten anderer Staaten zu Theil wird.“ Werden nun
diese und die ihnen ähnlichen zahlreichen Recriminationen
unserer Aerztekammern \on Seite der obersten Sanitätsverwal¬
tung künftighin wirklich die „ernsteste Beachtung“ finden?
Die niederösterreichische Statthalterei verlangte von der
Wiener Aerztekammer eine Aeusaerung, betreffend das sich
in letzterer Zeit in Wien wieder bemerkbar machende sogen,
„magnetische Heilverfahren“. In der nach dem Anträge des
Referenten beschlossenen Aeusserung wird die Ansicht der
Kammer dahin ausgesprochen, dass die sogen. Heilmethode mit
thierischem Magnetismus nicht als eine wissenschaftlich begrün¬
dete Heilmethode anzusehen sei, dass das Publikum gegen event.
Ausbeutung zu schützen Sache der staatlichen Aufsichtsbehörde
sei, und dass der marktschreierischen Anpreisung dieser wie jeder
Heilmethode durch die Disziplinarmittel der Aerztekammern be¬
gegnet werden solle, wobei dieselben die werkthätige Unter¬
stützung der Regierung benöthigten.
Im Wiener medicinisehen Doktoren-Kollegium sprach jüngst
Dr. Ferdinand Kornfeld über Gonorrhoe und Ehe, über ein
sowohl in hygienisch-ärztlicher, als in ethischer und sozialer Be¬
ziehung ungemein wichtiges Thema. Nach einigen einleitenden
Worten wies K. darauf hin, dass sich in der Gonorrhoefrage
während der letzten 30 Jahre ein vollständiger Umschwung voll¬
zogen habe. Seit den Forschungen von N oeggerath, Wert¬
heim, Bumm, Finger u. A. sind wir mit der Aetiologie
und Verbreitungsweise, sowie mit der erstaunlichen Häufigkeit
des Uebels bei Mann und Weib vertraut; wir wissen von der
Zugehörigkeit mancher femliegenden Affektion zur Blennorrhoe,
schliesslich von den leider ausserordentlich häufig unheilvollen,
oft letalen Folgen derselben bei Uebertragung Vom Manne auf
die Frau. All’ das ist zum Gemeingute, durch alltägliches Vor¬
kommen zur Tradition geworden, wobei Häufigkeit und Gewöh¬
nung Hand in Hand gehen. Wie ernst die Sache ist, das be¬
kunden die Handbücher der Gynäkologie und die täglichen Er¬
fahrungen der Frauenärzte aller Länder, die einmüthig bekennen,
dass der überwiegende Procentsatz der Frauenleiden gonor¬
rhoischen Ursprunges sei, dass man aber die Mehrzahl der Gonor¬
rhoefälle beim Weibe sicher nicht zu Gesichte bekomme.
Unter Hinweis auf dio enormen Schwierigkeiten und die
eigenartige Handhabung der Statistik im Allgemeinen nennt Vor¬
tragender einige Vergleichszahlen bezüglich der Frequenz der
Blennorrhoe beim Manne und acceptirt als einen der Wahrheit
nahekommenden Schätzungswerth die Zahl von 80—90 Proe.
(E. W. F rank). Zur Konstatirung des virulenten Charakters
einer Urethralaffektion wäre Gonococeennachweis mikroskopisch
und kulturell erforderlich; dieses Postulat kann aber selbst auf
Kliniken und in Spitälern keineswegs jedesmal erfüllt werden.
Lange Dauer der Infektion, Differenz in den Heilmethoden, ver¬
schiedene Skrupelhaftigkeit, Geduld und Geschick bei der Be¬
handlung zählen mit bezüglich der Chancen der Heilung, der
gegenüber man nicht vorsichtig genug sich aussprechen sollte,
will man nicht unliebsame Ueberraschungen erleben. Es gibt
dabei kaum edn Gebiet der Medicin, auf dem dem Arzte dis¬
kretester Takt geboten wäre, als beim Eingehen auf die Frage
der Erlaubniss der Eheschliessung und der Klarlegung einge¬
tretener böser Folgen, wenn der Mann mit nicht geheilter
Blennorrhoe in die Ehe getreten war.
Vortragender akizzirt in knappen Zügen das vielgestaltige,
jedoch einheitlich fundirte Bild der Gonorrhoe des Weibes und
knüpft daran die Darlegung der Bedeutung des Zusammenwirkens
der Urologen mit den Frauenärzten, um im Interesse der Heilung
des Einzelnen und zum Schutze der Allgemeinheit helfend ein-
greifen zu können. Bisher ist leider darin nahezu nichts erzielt
worden und die immer wachsende Frequenz der Blennorrhoe trotz
Prophylaxe und Reglementirung der Prostitution gibt einen
strikten Beweis, wie wenig aussichtsvoll unsere Bemühungen trotz
zunehmender Erkenntniss über das Wesen des gonorrhoischen
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1992
MÜKNCHENER MED1CIK1SCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
Processes sind. Dem Ernste der Sachlage gebühre daher an¬
dauernd die gewissenhafte Handhabung unserer therapeutischen
und prophylaktischen Maaseregeln.
Verschiedenes.
Ausländische Aerzte in der Kapkolonle.
In einer Sitzung des „Medical Council“ der Kapkolonle am
2. v. M. wurde folgender Antrag angenommen: „Kein Diplom, von
einer fremden Regierung oder Universität oder einer anderen aus¬
ländischen Körperschaft ausgestellt, soll den Besitzer berechtigen,
;ils Arzt oder Zahnarzt in dieser (Kap-) Kolonie zu prakticiren, es
sei denn, dass dem Besitzer eines englischen Diploms dieselben
Rechte und Vorthelle von dem betreffenden Lande zugestanden
werden.“ Aus der Discussion ergab sich, dass der Antrag haupt¬
sächlich gegen Deutschland gerichtet war, und eingegeben ist von
der Furcht vor allzu starker ausländischer Konkurrenz; denn
während im Jahre 1892 nur 2,8 Proc. der Aerzte im Kapland aus¬
ländische Diplome besassen, gab es deren im Jahre 1900 27,7 Proc.
und unter den im Jahre 1901 bis 17. August erfolgten Neunieder-
lnssungen befanden sich sogar 02,5 Proc. Aerzte mit fremden
Diplomen. Auch politische Gründe wurden für den Antrag in's
Feld geführt. Nur zwei Mitglieder, die die deutschen Namen
Beck und Petersen führen, bekämpften den Antrag, der mit
7 gegen diese 2 Stimmen Annahme fand.
Zu dieser Sache schreibt uns ein Kollege: „Ich habe 2y 2 Jahre
in Südafrika zugebracht und habe in der Kapkolonle prakticirt.
Die Verhältnisse sind dort äusscrst günstige und zwar selbst dann,
wenn der Krieg zu Gunsten der Engländer sich wenden sollte,
würde noch vielen deutschen Aerzten eine glänzende Zukunft sich
«larbieten. Sollte jedoch betr. Antrag Gesetz werden, so müsste
ein jeder Besitzer eines nicht-englischen Diploms zunächst einem
Examen in England sieh unterziehen, da das Kapland keine eigene
medleiuisehe Fakultät besitzt. Nicht nur würden dadurch deutsche
Aerzte abgeschreckt, sondern auch den dort lebenden Holländern
j«Mle Möglichkeit abgeschnitten werden, auf deutschen Hochschulen
sich auszubilden, was doch ganz entschieden sehr beklagenswerth
sein würde. Sollte Transvaal englisch werden, so würde natürlich
betr. Antrag auch in Transvaal durchgeführt werden. Natal steht
bereits auf dem Standpunkt des Antrages." Unser Korrespondent
meint, dass unter diesen Umständen die deutsche Regierung der
«mglisehen entgegenkommen solle, indem sie englische Aerzte zur
Praxis in den deutschen Kolonien zulässt. Dagegen wäre wohl
nichts einzuwenden, da die deutschen Aerzte die Konkurrenz der
englischen wohl nicht so sehr zu fürchten brauchen, wie dies um¬
gekehrt der Fall zu sein scheint Es ist jedoch kaum anzunehmen,
dass die Kapregierung dem engherzigen Antrag ihres Medical
Council stattgibt in einem Moment, wo Krieg und Seuchen das
Bedürfniss nach ärztlicher Hilfe in dem unglücklichen Lande so
bedeutend gesteigert haben.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegen das 119. und 120. Blatt der Galerie
bei: Marcel v. Nencki und Georg Näher. Nekrologe siehe
S. 1971 und 1973.
Therapeutische Notizen.
Ueber den Einfluss der Thymusfütterung auf das
Wachsthum junger Thiere hat Dr. Adolf Bickel eine
Reihe experimenteller Untersuchungen ausgeführt. Es ergibt sich
aus denselben, dass Darreichung von Thymus fremder Thierarten
auf das Wachsthum junger Hunde keinen speciflschen Einfluss
ausübt Ohne in Abrede zu stellen, dass Thymus als nucleiureiehe
Substanz ein gutes Nahrungsmittel ist, glaubt Verfasser, dass keine
Berechtigung vorliege, sie als ein speclflsch wirkendes, organo-
therapeutisches Mittel zur Förderung des Körperwachsthums an-
znsohen. (Die med. Woche 1901, No. 24.) P. H.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 3. Dezember 1901.
— Die vom Ceutralcomitö für das ärztliche Fort¬
bildungswesen im laufenden Wintersemester in Berlin ver¬
anstalteten Fortbildungskurse und Vorträge werden wiederum sehr
zahlreich besucht sein. Es sind im Ganzen 1513 Meldungen ein¬
gelaufen; hiervon konnten 1224 Meldungen berücksichtigt werden,
während 289 in Folge Raummangels zunächst unberücksichtigt
bleiben und für den nächsten Cyklus vornotirt werden mussten.
Auch in zahlreichen anderen grossen Städten Preussens haben
wiederum Fortbildungskurse begonnen oder werden demnächst be¬
ginnen, so in Altona, Bochum, Breslau, Bromberg, Danzig, Düssel¬
dorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Köln, Magdeburg, Posen, Wies¬
baden. Neuerdings eingerichtet, oder doch schon in Vorbereitung,
sind die Kurse in Aachen, Bielefeld, Bannen, Duisburg (zusammen
mit Mülheim und Ruhrort), Essen und Stettin.
— Im Königreiche Bayern kamen während des Jahres 1900
0 Erkrankungen an Blattern vor, 1 in Oberbayern, 3 in der Ober¬
pfalz und 2 in Schwaben. Es traf also auf ca. 1 Million Einwohner
eine Pockenerkrankung. Von den 6 Erkrankten ist eine Person
gestorben, die nur einmal geimpft war, die 5 Genesenen waren
revacclnirt Ein Vergleich dieser Zahlen mit der Pockenstatistik
der Nachbarländer beweist am besten die wohlthätige Wirkung
des deutschen Impfgesetzes.
— Die k. Centralimpfanstalt in München hat am 30. d*. ihren
Betrieb nach dem Bauprovisorium auf dem Territorium des
Schlachthauses, Tumblingerstrasse 25, verlegt.
— Ein bezeichnendes Stückchen eines Kurpfuschers
wird uns aus Königsberg mitgetheilt. Dort hielt im vorigen Monat
im „Naturheilverein“ ein Danziger Wanderlehrer, Natur- und Zahn¬
arzt M. Ahrenfeld, einen öffentlichen Vortrag: „Wie wird man
alt und bleibt doch Jung?" mit Vorschriften zur Ausübung eines
naturgemässen Lebens und den üblichen Hackereien auf die
„Medicinärzte“. Anschliessend an einige Anweisungen über rich¬
tiges und ausgiebiges Athmen, kam er auf die Nothwendigkeit
ähnlicher Uebuugen für die an einer Lunge Erkrankten, z. B. die
Lungenschwindsüchtigen, zu sprechen. Diese müssten aber nur mit
der gesunden Lunge athmen, und das sei sehr einfach: bei recht
kräftiger Ein- und Ausathmung (der Vortragende zeigt es an sich
selbst) bräuchten sie nur das Nasenloch der erkrankten Seite, also
das rechte bei kranker rechter Lunge, mit dem Finger zu ver-
schliessen!
— Am 15. November beging der Nestor der Wildunger Aerzte
und Besitzer der dortigen Königsquelle, Dr. Carl R ö r 1 g sen., die
Feier seines 50 jährigen Doktorjubiläums. Seitens des Fürsten von
Waldeck und Pyrmont wurde dem Jubilar der Charakter als
Sanitätsrath verliehen. Die medicinlsche Fakultät der Universität
Marburg erneuerte ihm das Doktordiplom in Anerkennung seiner
Verdienste um die Hygiene seiner engeren Heimath und das
Emporblühen des Bades Wildungen.
— Der 6. französische Kongress für innere Medicln findet
am 1. April 1902 zu Toulouse statt
— Der vor einer Reihe von Jahren ausgesetzte Herbst-
preis für Mittel und Methoden zur Beseitigung des Schmerzes
beim Ausbohren der Zähne wurde zur Hälfte dem Lehrer der kon-
servirenden Zahuheilkunde an der Universität München, Dr. Wal-
koff, zuerkannt. Die andere Hälfte ist unter die Zahnärzte
Bauchwitz - Stettin, Barbe- Halle und Hirschbruch-
Berlin vertheilt
— Der „C r a i g - C o 1 o n y“ - Preis im Betrage von 200 Dollars
für die beste Arbeit Uber Pathologie und Behandlung der Epilepsie
wurde am 8. Oktober 1. J. dem Professor Carlo C e n i in Pavia
für seine Arbeit: „Serotherapie der Epilepsie“ zuerkannt Der
Preis wird neuerdings ausgeschrieben und steht der allgemeinen
Bewerbung offen. Manuskripte, die noch nicht publicirt sein
dürfen, sind in englischer Sprache, mit Motto versehen, bis 30. Sep¬
tember 1902 bei Dr. Frederick Peterson, 4 West, 50. St., New-
York City einzureicben. Preisrichter sind 3 Mitglieder der Neure-
logischen Gesellschaft in New-York.
— Pest Grossbritannien. In Glasgow war bis zum
18. November ein weiterer Pestfall nicht bekannt geworden, die 4
im Hospital abgesonderten Pestkranken befanden sich auf dem
Wege der Genesung. — Russland. Zu Folge einer amtlichen Er¬
klärung vom 17. November ist nach dem 8. November in Odessa
kein neuer Pestfall vorgekommen. — Aegypten. In der Zeit vom
8. bis 15. November wurden insgesammt 2 neue Erkrankungen an
Pest in Aegypten festgestellt, nämlich je eine am 10. und 11. d. M.
in Alexandrien. Der Pest erlegen ist während dieser Zeit 1 Person
in AJexandrien, die am 8. November ln Zlftah und Mit Gamr be¬
handelten 2 Pestkranken kamen als geheilt ln Abgang. — Britiscli-
Ostlndien. Während der am 25. Oktober abgelaufenen Woche sind
in der Präsidentschaft Bombay 10 036 neue Erkrankungen und
7061 Todesfälle an der Pest festgestellt, in der Woche vorher nach
einem berichtigten Ausweise 10 284 und 7427. ln der Stadt Bom¬
bay zählte man während der am 26. Oktober endenden Berichts¬
woche 173 neue Pesterkrankungen und 176 erwiesene Pesttodes¬
fälle; weitere 183 Todesfälle wurden als pestverdächtig bezeichnet,
459 auf andere Ursachen zurückgeführt. — Hongkong. Für die
7 Wochen vom 17. August bis 5. Oktober sind nacheinander 3, 3,
6, 11, 2, 3, 3, im Ganzen 31 Erkrankungen und 2, 3, 6, 11, 2, 3, 2,
im Ganzen 29 Todesfälle an der Pest gemeldet Mittels amtlichen
Schreibens vom 12. Oktober hat die Kolonialregierung erklärt,
dass Hongkong, nachdem sich während der letzten 10 Tage kein
Pestfall mehr ereignet habe, als pestfrei im Sinne der Konvention
von Veuedig zu betrachten sei. — Mauritius. In der Zeit vom
6. September bis 10. Oktober wurden auf der Insel 193 Erkran¬
kungen und 136 Todesfälle an der Pest beobachtet Innerhalb der
5 Wochen ist die wöchentliche Zahl der Erkrankungen von 16 auf
66, der Todesfälle von 13 auf 47 stetig gestiegen; nach den Er¬
fahrungen früherer Jahre vermuthet man die Höchstzahlen für
den Oktober. — Mozambique. In Magude, 140 km von Lourenco-
Marques entfernt, sind zu Folge einer am 19. November einge¬
gangenen Drahtmittheilung 5 Peetfälle gemeldet worden. — Kap¬
land. In der Woche vom 20. bis 26. Oktober sind 6 Personen,
darunter 4 in Port Elizabeth, an der Pest erkrankt ausserdem
wurde die aufgefundene Leiche eines Europäers in Port Elizabeth
als Pestleiche erkannt; von den 2 Pestfällen auf der Kaphalblnsel
betraf der eine einen englischen Soldaten. Die Gesammtzahl der
ln der Kolonie bis zum 26. Oktober der Pest erlegenen Personen
betrug nach dem amtlichen Ausweise 402, darunter befanden sich
73 Europäer, 82 Eingeborene und 247 Mischlinge. — Vereinigte
Staaten von Amerika. Vom 29. August bis 10. Oktober sind ln
San Franzisko 8 Erkrankungen und 6 Todesfälle an der Pest beob¬
achtet insgesammt daselbst nach den vom 28. Juni bis 1. November
beim Marine-Hospital Service eingegangenen Meldungen 13 Er¬
krankungen und 10 Todesfälle. — Neu-Süd-Wales. Am 16. Nov.
wurde in Sydney ein Fall von Pest amtlich festgestellt
(V. d. K. G.-A.)
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3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1993
— In der 4G. Jahreswoche, vom 10. bis IG. November 1901,
lmtteu von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste
Sterblichkeit Königshatte mit 30,7, die geringste Remscheid mit
G.l Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, Kassel;
an Masern in Bannen, Fürth, Gera, Potsdam; an Diphtherie und
Croup in Beuthen, Danzig, Elbing, Heidelberg, Liegnitz. Pforz¬
heim.
— Von den Jahressupplementen zur 5. Auflage von Mcye r's
Konversationslexikon ist der 3. Band (Bd. 21 des Ge-
sammtwerkes), mit Gesammtverzelchniss der ln den Supplement-
biinden (Bd. 18—21) enthaltenen Artikel, vor Kurzem erschienen.
Die Supplementbände sind den Besitzern des Hauptwerkes un¬
entbehrlich, um dieses vor dem Veralten zu schützen. Sie be¬
rücksichtigen Alles, was in der jüngsten Vergangenheit auf den
verschiedensten Gebieten des Wissens, der Politik, der Kunst etc.
bemerkenswert!! gewesen ist. Wie das Hauptwerk, so sind auch
die Ergilnzungsbände reich illustrirt
(Hochschulnachrichten.)
Breslau. Der zweite Assistent am pathologisch-ana¬
tomischen Institut Dr. med. Carl Winkler hat sich für all¬
gemeine Pathologie und pathologische Anatomie in der medi-
eiuischen Fakultät habilitirt.
Kiel. Der Privatdocent in der hiesigen medicinlschen Fakul¬
tät Dr. Richard Hölscher, gegenwärtig Oberarzt am städtischen
Krankenhaus in Lüneburg, hat seine Doceutenthätlgkeit an der
hiesigen Universität eingestellt.
Leipzig. Dr. med. Martin Ficker, Privatdocent an der
Universität und erster Assistent an der hygienischen Unlversitäts-
anstalt, ist als Kustos an das Hygienemuseum in Berlin berufen
worden. Er tritt dort an die Stelle des Professors Dr. Günther,
der die Leitung der neuen Centralstelle für Wasserversorgung in
Berlin übernommen hat
München. Prof. Dr. H. v. Ranke feierte während der
Herbstferien sein 50 jähriges Doktorjubiläum. Aus diesem An¬
lasse wurde Ihm von der medicinlschen Fakultät Erlaugen das
Doktordiplom erneuert und ihm, „der in langjähriger segensreicher
Wirksamkeit seine Kraft der Förderung der medicinlschen
Wissenschaft und der werkthätigen Liebe an der leidenden
Menschheit mit den schönsten Erfolgen gewidmet habe," der
Glückwunsch der Fakultät ausgesprochen.
Strassburg. Herr Dr. Karl Adrian babllitlrte sich als
Privatdocent für Dermatologie. Prof. Dr. Kümmel in Breslau
hat den Ruf als Direktor der otologischen Klinik und Prof. extr.
für Otologie abgelehnt.
Marseille. Der Professor der internen und allgemeinen
Pathologie an der medicinlschen Schule Dr. B o 1 n e t wurde zum
Professor der medicinlschen Klinik ernanut.
Neapel. Habllitlrt: DDr. Fr. Camaggio und
U. De Rinaldis für chirurgische Anatomie und operative Medi-
vln, Dr. G. Sorge für Unfallkrankheiten.
Wien. Privatdocent Dr. Heinrich A 1 b r e c h t, der 1807
Mitglied der österreichischen Kommission zur Erforschung der
Pest ln Indien war, und Privatdocent Dr. Richard Kretz. Fro-
sektor am Kaiser Franz Josefs-Spital, sind zu ausserordentlichen
Professoren der pathologischen Anatomie ernannt worden. Der
Vorstand der psychiatrischen Klinik und der Klinik für Nerven¬
kranke im allgemeinen Krankenhause in Wien, Hofrath Frhr.
v. Krafft-Eblng hat aus Gesundheitsrücksichten beim
Unterrichtsministerium das Gesuch um seine Pensionlruug als
Universitätsprofessor überreicht. Als sein Nachfolger als Leiter
der ersten Klinik wird Prof. Wagner R. v. Jauregg, Vorstand
der zweiten psychiatrischen Universitätsklinik, genannt.
(Todesfälle.)
In Giessen starb am 26. v. Mts. der Geh. Medicinalrath Prof.
Dr. L ö h 1 e i n, Direktor der dortigen Frauenklinik.
Dr. E. de R o s s 1, Professor der Oto-Rhino-Laryugologie an
der medicinlschen Fakultät zu Rom.
Dr. Fr. de Castro, Professor der propaedeutisch-medi-
cinischen Klinik zu Rio de Janeiro.
Dr. N. Guardia, früher Professor der Geburtshilfe an der
medicinlschen Fakultät zu Caracas.
Dr. Ch. E. S t o n e r, Professor der Chirurgie am Jowa College
of Physicians and Surgeons.
Dr. G. Chlarleoni, Professor der geburtshilflichen Klinik
zu Palermo.
Dr. A. M a s e r a s, Professor der medlcinischen Pathologie
au der medicinlschen Fukultiit zu Maulila.
(Berichtigung.) In No. 4G, S. 1852, Sp. 2, Z. 0 v. u.
ist statt E m b d e n - Halle zu lesen: Heinrich E m b d e n - Ham¬
burg.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. Karl Fischer (aus Remscheid), appr.
1900, zu Bad Kissingen. Dr. Melchior Faulliabe r, appr. 1897,
zu Wiirzburg.
Erledigt: Die Bezirksarztsstelle 1. Klasse in Alzenau. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, K. d. Innern, bis zum
IG. Dezember 1. Js. einzureicheu.
Ernannt: Seitens des Generalstabsarztes der Armee wurden
die elnjährig-freiwilligeu Aerzte Ludwig Roth des 1. Schweren
Reitcr-Reg. und Dr. Hugo Noll des 7. Feldartlllerie-Reg. zu Unter¬
ärzten, Ersterer im 23. Inf.-Reg., Letzterer im 1. Clievaulegers-
Reg. ernannt und mit Wahrnehmung offener Assistenzarztstellen
beauftragt. Zum Divisionsarzt der 4. Division der Oberstabsarzt
Dr. M o o s m a i r, Regimentsarzt Im 15. Inf.-Reg. unter Beför¬
derung zum Generaloberarzt. Zum Regimentsarzt im 15. Inf.-Reg.
der Stabsarzt Dr. J a c o b y, Bataillonsarzt Im 7. Inf.-Reg. unter
Beförderuug zum Oberstabsarzt.
Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse Dr. Franz Eduard Hof-
m a n n in Alzenau, seiner Bitte entsprechend, auf die Bezirksarzts¬
stelle I. Klasse für den Verwaltungsbezirk der Stadt WUrzburg.
Die Oberärzte Dr. Landgraf vom 1. Chev.-Iteg. zum
19. Inf.-Reg., Dr. Gassert vom 23. Inf.-Reg. zum 12. Feld.-Art.-
Reg.
Charakterisirt: Als Generaloberärzte die Oberstabsärzte Dr.
Höhne, Regimentsarzt im 8. Inf.-Reg., Dr. Petri, Garnisons¬
arzt beim Gouvernement der Festung Ingolstadt.
Den Abschied mit der gesetzlichen Pension bewilligt: Den
Generaloberärzten Dr. Fischer, Divisionsarzt der zweiten
Division, unter Verleihung dos Charakters als Generalarzt, und
Dr. S c h m 1 d, Garnisonsarzt bei der Kommandantur der Haupt-
und Residenzstadt München, unter Verleihung des Ritterkreuzes
1. Klasse des Militärverdienstordens, beiden mit der Erlaubnis«
zum Forttrageu der Uniform mit den für Verabschiedete vor-
geschriebeuen Abzeichen.
Correspondenz.
Herr Prof. Max G r u b e r ersucht uns um Aufnahme des
Folgenden:
Da durch das In No. 45 veröffentlichte Schreiben des
Herrn Geheimrath Elirllchan mich nicht erklärt ist, warum ich
das Correferat über die Schutzstoffe des Blutes für die 73. Ver¬
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte iu Hamburg zu¬
rückgelegt habe, ersuche ich Sie auch noch die an mich ergangene
Einladung und das folgende Schreiben des Vorsitzenden, Herrn
Geheimrath N a u n y n, abzudrueken, weicht« ich empfangen habe,
l>ovor ich den Brief Geheimrath E h r 1 i c h’s beantworten konnte
und welch«« mich zum Rücktritt bestimmt hat. Herr Geheimrath
Niiunj n hatte die Freundlichkeit, mir die Veröffentlichung seines
Briefes zu gestatten.
Uochachtungsvollst
14. XI. 01. Prof. M. G r u b e r.
Strassburg i/E., 1. II. 01.
Verehrter Herr Kollege!
Auf der diesjährigen deutschen Naturforseherversnmmluug
soll am 20. September in einer Sitzung der medlcinischen Ilnupt-
gruppe über die Schutzstoffe des Blutes gehandelt werden. Als
Referent habe ich Ehrlich (Frankfurt) gewonnen und ich erlaube
mir Sie vorläufig anzufrageu, ob Sie das Correferat übemehmeu
wollen; nach Ihren Arbeiten, ich denke dabei iu erster Linie an die
Agglutininc, sclminen Sie mir wie Ehrlich der berufene Mann
dazu zu sein. Darf Ich Sie bitten, mir recht bald Ihren Entschluss
kund zu thun, damit ich Sie danu iu Hamburg vorschlagen kann.
Hochachtungsvoll
Ihr sehr ergebener
Naunyu.
Baden-Baden. 14. IX.01.
Verehrter Herr Kollege!
Von Kollegen Ehrlich erhalte ich Mittheilung, dass eine
Differenz zwischen Ihnen Beiden betreffs der Vertheilung des zu
referirenden Stoffes hervorgetreten ist. Der Grund, wesehalb
Ehrlich mir von der Sache Mittheilung macht, ist wohl der,
dass ich ihn nicht ganz leicht bewogen habe, das Referat
zu übernehmen und so ln der That eine Art Verantwortung dafür
habe, dass ihm keine Uugel«*genheiten daraus entstehen, dass er
meinem Drängen nachgegeben hat.
Sie werden mit mir der Ansicht sein, dass es wirklich eine
grosse Sache wäre, E h r 11 c h ln gemeinverständlicher Welse über
seine neuen Theorien sprechen zu höreu, und in höchstem Maasse
beklageuswerth wäre, wenn es dahin käme, dass dies unterbliebe.
Andererseits kann Ihnen nicht zugemuthet werden, Ja und Amen
zu Etwas zu sagen, was Sie nicht für richtig halten, und auch iu
der klinischen und therapeutischen Erörterung des Gegenstand««
ist Ihnen dann Gel«*genheit genug zu Strclfzügeu und auch pol«;-
misclien Streifzügen iu das Gebiet der Theorie gegeben. Wie weit
Sie da gehen können, ohne den Zweck des ganzen Unternehmens
ln Frage zu stellen, das ist sicher sehr schwierig zu entscheiden.
Meiner Auffassung nach ist dieser Zweck in erster Linie der, dem
in Hamburg vertretenen weiteren Publikum die geniale Ehr¬
lich’sc he Auffassung zugänglich zu machen»),
sollte Ehrlich zurücktreten, so wäre die Sache verfehlt! Du
ich sicher bin, dass Sie, verehrter Herr Kollege, diese meine Auf¬
fassung thellen, so bin ich auch Ihres guten Willens, nämlich sieb
mit Ehrlich zu verständigen, sicher.
Seine Bedenken, dass eine eingehende Kritik die Auffassung
des von ihm Vorgebrachten durch «las Publikum sehr stören kann,
halte ich für richtig, und das« er sicher sein will davor, dass ihm
eine solche Störung, die er durch eine Replik auf keine Weise
wieder gut machen kann, nicht widerfahre, halte ich für s«*hr be-
*) Im Original unterstrichen.
Digitized by
1994
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 49.
«reiflich. — Ehrlich hat, als Ich Ihn bat das Referat zu über¬
nehmen, Sie als 2. Referenten gewünscht und dadurch offenkundig
gezeigt, dass er Ihnen In dem eben erwähnten Punkte jedes Ver¬
trauen schenkte und so hoffe Ich, dass es Ihnen, verehrter Herr
Kollege, auch jetzt möglich sein wird, sein Vertrauen wieder lier-
zustellen, ohne dnss unser Unternehmen durch die Absage eines
von Ihnen Schaden leide.
In ausgezeichneter Hochachtung
Ihr sehr ergebener
N a u u y u.
Amtlicher Erlass.
(Bayern.)
No. 23 431. München, den 4. November 1901.
An die k. Regierungen,
Kammer des Innern.
X. Staatsministerimn des Innern.
Betreff: Die Verhandlungen der Aerztekammem im Jahre 1900.
Mit Bezug auf ZlfTer 6 der Ministerialentschliessung vom
27. Juli 1. J., No. 10 849. ergeht im Einverständnisse mit dem
K. Staatsmini8terium des Innern für Kirchen- und Schulangelegeu-
heiten nachstehende Entschliessung:
Was den Antrag betrifft, es möge der Beginn des Unterrichts
in den beiden untersten Schulklassen der Volksschulen, soweit
möglich im ganzen Königreich, im Winter auf 9 Uhr gelegt werden,
so erscheint es mit Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit der
örtlichen Verhältnisse im Allgemeinen und an den Stadt- und
Landschulen im Besonderen nicht angezeigt, in dieser Beziehung
eine generelle Vorschrift für das ganze Königreich zu erlassen;
dagegen bleibt der Iv. Regierung, Kammer des Innern, die Würdi¬
gung der gegebenen Anregung in eigener Zuständigkeit Vor¬
behalten.
Hinsichtlich der Frage einer etwaigen allgemeinen Fest¬
setzung des Schuljalirbeginues an den Volksschulen auf das Früh¬
jahr wird auf die an sämmtliche Regierungen, Kammern des
Innern, ergangene Entschliessung des K. Staatsministeriums des
Innern für Kirchen und Schulangelegenbelten vom 7. September
1901, No. 18977, verwiesen.
Ein Exemplar der anliegenden 3 Abdrücke gegenwärtiger Ent¬
schliessung ist dem Vorsitzenden jeder Aerztekammer zur Kennt-
nlssnahme und geeigneten Verständigung der ärztlichen Bezirk»-
vereine zuzustellen.
gez. v. Fellltzsch.
Hiezu wird von der K. Regierung von Oberbayem erläuternd
bemerkt, dass mit der dort angezogenen Entschliessung des
K. Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schul
angelegenheiten vom 7. September 1901, No. 18977, unter Anderem
Erhebungen über etwaige Festsetzung des Schuljahrbeginne« au
den Volksschulen auf das Frühjahr angeordnet wurden, dass diese
Erhebungen aber noch nicht zum Abschluss gekommen sind,
gez. v. Auer.
Uebertlcht der SterbeflUle in München
während der 47. Jahreswoche vom 17. bis 23. November 1901.
Bevölkerung«zahl; 499 93S.
Todesursachen: Masern —(2*), Scharlach —(—X Diphtherie
und Group 1 (3), fiothlanf — (—), Kindbettfieber 2 (—), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) — (1), Brechdurchfall 1 (6), Unterieibtyphus
— (—), Keuchhusten 2 (2), Croupöse Lungenentzündung 6 (4),
Tuberkulose a) der Langen 26 (25) b) der übrigen Organe 5 (6),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 8 (3), Unglücksfälle 2 (3), Selbstmord 1 (4), Tod durch
fremde Hand — (—).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 189 (212), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 19,7 (22,0), für die
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 13,8 (14,2).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern: September 1 ) und October 1901.
Bevölkerungsziffern*): Oberbayem 1'823,888, Niederbayem 678,103 ln den Aemtem Viechtach (in Gotteszell SOProc.der Kinder Im 1. und 2. 8chuljahr*
Pfala 831,67», Oberpfalz 553,841, Obertranken 608,116, Mittelfranken 816,806, Unter- krank; keine ärztl. Behandlung) und Pirmasens (ln Trulben). Stadt- und Land
franken 660,766, Schwaben 713,631. — Augsburg 89,170, Bamberg 41,823, Hof 32,781, bezirk Freising 22, lrztl. Bezirk Sanerlaob (München II) 12 beh. BlDe.
Kaiserslautem 48,310, Ludwigshafen 61,914, München 499,932, Nürnberg 261,061, Typhus abdominalis: 8 (ausserdem mehrere Abortirformen) beh. Fälle
Pirmasens 30,195, Regensburg 46,429, Würzburg 76,499. in Reichenschwand (Hersbruck\ Hausepidemien in Gemeinde Schal bin* (Wes
Einsendungen fehlen aus der unmittelbaren Stadt Nürnberg und den Aemtem scheid) mit 6, ln Eitensheim (Ingolstadt) mH 4 FKllen. Aemter Marktheidenfeld
Bogen, Grafenau, Bergzabern, Neustadt a/H., Teuschnitz, Eichstätt, Feuchtwangen, 4, Germershelm 7, Zweibrücken 8 beh. Fälle.
Günzenhausen, Neustadt a/A., Nürnberg, Gerolzbofen, Hofbelm. (Königshofen, Im Interesse möglichster Vollständigkeit Vorliegender Statistik wird na
Mellrichstadt, Schweinfnrt, Würzburg, Augsburg, Kempten und Oberdorf. regelmässige and rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Bericht*-
Höhere Erkranknngszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen besw. von Feh len* elf«»
aus folgenden Aemtem besw. Orten: ersucht, wobei anmerkungswelss Mitthellungen Ober Epidemien erwünscht find.
Diphtherie, Croup: Stadt- und Landbezirk Bayreuth 18, Aemter Bam- Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünsebenswerth, dsss Fäll*
berg II 17, Wunsledel 14, ferner in den Orten Dorfprozelten (Marktheidenfeld) 7, ans der sog. Orenspraxls entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Onns-
Welbdorf (Ncuburg a. D) ln 8 benachbarten Hänsera 6 beh. Fälle. amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtem zu-
Influenza: In den grossen Städten Augsburg, Regensburg, München, Bam- gezeigt werden,
berg zusammen 63, 268 wehere Fälle vertheilt auf 67 sonstige Bezirke ohne lokale Ferner erscheint es mit Rücksicht auf die im Berichtsjahre vielfach lücktn-
eptdemlsche Hänfung hafte und unregelmässige Berichterstattung dringend wünschenewerth ,
Morbilli: Fortsetzung der Epidemien ln den Bezirken Dachau (lm Praxis- dass Infolge Wechsels lm amtsärztlichen Personale oder aus sonstigen Ursachen
bezirke Odelzhausen), Wegscheid (in Oberazell, Wlndpasslug — 8chulschluss — bisher nicht zur Anmeldung gelangte Fälle von Infektlonskran*-
und 4 weiteren Gemeinden; 285 Fälle amtlich zur KenntnUs gekommen, nur 4 helten aus früheren Monaten bald thunllchst, spätestens aber bis
ärztlich behandelt). Hof (in Oberkotzau. 37 beh. Fälle), Rothenbarg a/T (In 16. Januar 1902 nachträglich (ausgeschieden nach Monaten) angezeit'
Schillingsfürst erloschen, nunmehr ln Gailmann und unter kleinen KiDdem ln werden.
Rothenburg) and Nördllugen (in der Stadt Nordlingen 198, in B&lgheim 60 und Meldekarten nebst sagehörigen U m s o h 1 ä g e n zu portofreier Ein«»
Kleinerdlingen 19 beh. Fälle; zunächst noch gutartiger Charakter). Epidemisches düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Bezirkspri«
Auftreten ferner ln Ruhmannsfelden (Viechtach) und unter Schulkindern in zu erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. Bammelkarten shw
Pfuhl iNeuburg a. D.) Bez.-Amt Speyer 35 beh. Fälle. Einselneinsendnngen der Amts- and praktischen Aerste, welche ln l«t*-
Parotitis epidemica: Stark# Verbreitung unter Schulkindern in terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle snsammengesteHt zu
Schwabach, Schulschluss ln 8ondernau (Neustadt i8), nachdem 26 von 47 Schul- Je 1 Karte pro Monat nebst allenfaüaigen Bemerkungen über Epidemien etc.
kimlern erkrankt; keine ärztliche Hilfe begehn. Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht, von Einsendung sog. Zäni
Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemien in den Bezirken Kusel blättchen oder Sammelbogen abzuaehen. Allenfalls ln Händen benwi-
(in Kusel). Donauwörih (in Donauwörth, Bäumenheim und Meningen; 66 beh. liehe sog. Postkarten wollen angebraucht, jedoch durch Angabe derj*b>
Falle) und Memmingen (in MemmiDgen und Boos). Epidemisches Auftreten ferner der behandelten Inflneniafälle ergänzt und unter Umschlag elngeaandt werden
•) DeflniUves Ergebnis# der Zählung vom 1. Dezember 1900. — J ) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 46) elagelanfener
Nachträge. — *) im Monat September 1901 einschliesslich der Nachträge 1237. — *) 36. mit 39. bezw. 40. mit 44. Jahrezwocbe.
Verlag vou J. F. Le hui «ui* in München. — Druck von E. Mühlthnlcr’s Buch- un ' Uunstdruckorel A.G., München.
Digitized by v^.ooQie
tHe Mftnoh. Med. Wochen«*!. enchelnt wöebentl.
ln Nummern von durchschnittlich 6-6 Bogen.
Prela ln Dentxobl. u Oest.-üa»tam vlertelj&hrl. 6 X
Ins Ausland 7.50 JL. Einzelne No. 80 4.
MÜNCHENER
Zusendungen sind n sdnatm: für AteBadartiaA
Ottoetrawe 1. — Wi ll.. . aa J. F. Leh¬
mann, Henitrawe 20. — Für Inaerate und BeOagen
an Rudolf Moese, PromenadepMirift
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
CI. Blialir, 0. Bolliigtr, H. Cirscbaui, C. Birlirti, 6. Haiti!, J. i. Mein, H. v. Riaka,
Frefburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. NSrnberg. Berits. Kttnehes.
No. 50. 10. Dezember 1901.
Redaction: Dr. B. Spats, Ottostnune 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heurtrasse 20.
4
F. T. WInM, B.I.ZIW W ,
48. Jahrgang.
- ' >'i ^ 0 ": - -
Originalien.
Aus dem pathologisch-anatomischen Institute zu Dresden.
Zur Frage der beginnenden Lungentuberkulose.*)
Von Dr. Schmorl in Dresden.
^ M. II.! Ich möchte mir erlauben, Dinen in aller Kürze über
Beobachtungen zu berichten, welche ich im Laufe der letzten
Monate gemacht habe und die mir für die Frage nach der Ur¬
sache, auf welche die Prädilektion der beginnenden Lungen¬
tuberkulose für die hinteren Abschnitte der Lungenspitze zurück¬
zuführen ist, nicht ohne Bedeutung zu sein scheinen. Auf die
Gründe, welche mich veranlassen, dieselbe ausserhalb des
Rahmens der Tagesordnung zu besprechen, will ich später zu¬
rückkommen.
Bekanntlich hat Birch-Hirschfeld in der letzten
grösseren von ihm publicirten Arbeit den Nachweis geliefert, dass
die Lungentuberkulose in der Mehrzahl der Fälle in den Bron¬
chien III. bis V. Ordnung des Oberlappens beginnt und zwar
ganz vorwiegend im Gebiet des von ihm als Bronchus apicis
posterior bezeichneten Bronchialastes. Die vorwiegende Lokali¬
sation der primären Tuberkulose gerade in diesem Bronchial¬
gebiet ist nach seiner Ansicht dadurch zu erklären, dass das von
diesem Bronchus versorgte Lungengebiet in Folge der topo¬
graphischen Lage des betreffenden Bronchus (steile Verlaufs¬
richtung, wodurch es bedingt wird, dass die in- und exspira-
torischen Luftströme hier zu der Luftbewegung in der Trachea
in geradezu entgegengesetzter Richtung verlaufen müssen) eine
nur geringe respiratorische Leistungsfähigkeit besitzt, durch
welche die Absetzung von mit der eingeathmeten Luft zugeführ¬
ten infektiösen Substanzen begünstigt wird.
Es würde zu weit führen, wenn ich hier ausführlich auf die
weiteren von Birch-Hirschfeld in dieser Hinsicht ge¬
gebenen Deduktionen eingehen würde, ich möchte nur noch be¬
merken, dass Birch-Hirschfeld wiederholt in seiner
Arbeit darauf hinweist, dass er an Ausgüssen des Bronchial¬
baumes gesunder Individuen öfter im Gebiet der hinteren api¬
kalen Bronchien Abweichungen vom normalen Verlauf (Zu-
snmmendrängung der Aeste, unregelmässiger Verlauf und Ver¬
kümmerung derselben) gefunden habe, und dass er die Ver¬
mut hung ausspricht, dass in der bezeichneten Gegend, welche
der Prädilektionsstelle der primären Ansiedelung der Spitzen¬
tuberkulose entspricht, raumbeeinträchtigende, die respira¬
torische Funktion der Luftwege hemmende Momente wirk¬
sam sind.
Ich bin nun bei meinen Untersuchungen über beginnende
Tuberkulose, die in allen wesentlichen Punkten die Birch-
Hirschf eld’schen Befunde bestätigt haben, den Ursachen
nachgegangen, welche für die erwähnte Deformität der Bronchien
maassgebend sind, die ihrerseits sicher nicht ohne Bedeutung für
den Beginn der Tuberkulose gerade in diesen Lungenbezirken
sind.
Ich glaube nun, dass eine dieser Ursachen in einer die
Lungenspitze von hinten und oben nach vorn und unten zu um¬
greifenden Furche gelegen ist, welche ich bei einer Anzahl von
Lungen Erwachsener gefunden habe und deren Bedeutung für
*) Vortrag, gehalten ln der Sitzung vom 2. November 1001 der
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde ln Dresden.
No. 60.
die Prädilektion der hinteren Lungenabschnitte für Tuberkulose
bisher, so viel ich aus der Literatur ersehen habe, noch nicht
in genügender Weise gewürdigt worden zu sein scheint. Diese
Furche ist in einzelnen Fällen verschieden stark entwickelt, bald
erscheint sie als flache Rinne, die eben nur angedeutet ist, bald
als 1 cm breite, scharf von der Umgebung abgesetzte bis finger¬
dicke Einsenkung, durch welche eine Abschnürung der Lungen¬
spitze von den übrigen Lungenabschnitten angedeutet wird.
Stets ist sie an den hinteren Abschnitten des Lungengewebes am
stärksten ausgebildet und am tiefsten. Sie liegt 1—2 cm unter¬
halb der höchsten Erhebung der Lungenspitze, also gerade im
Verbreitungsbezirk derjenigen Bronchialäste, welche nach
Birch-Hir9chfeld einerseits am häufigsten Irregulari¬
täten ihres Verlaufs und ihrer Anordnung erkennen lassen,
andererseits aber die Prädilektionsstelle für die beginnende
Tuberkulose bilden. Mitunter lässt sich im Bereich des hinteren
Abschnitts dieser Furche eine leichte schwielige Verdickung der
Pleura nachweisen, ohne dass aber Adhäsionen mit der Brust¬
wand beständen.
In einigen Fällen, bei denen diese Furchen besonders deut¬
lich ausgeprägt waren, liess sich nun nachweisen, dass der nach
dem Gebiet dieser Furche zu verlaufende Spitzenbronchus
oder V. Ordnung Sitz einer beginnenden Schleimhaut tuberkulöse
war, die sich nur auf die Bronchialwand selbst erstreckte und
stets der Theilungsstelle eines Bronchialastes entsprach. Durch
diesen Befund erhält meine Vermuthung, dass diese Furchen¬
bildung für die Ansiedelung der beginnenden Tuberkulose nicht
ohne Bedeutung sei, eine wesentliche Stütze. Der Einwand,
dass in diesen Fällen die Furchenbildung erst die Folge der
Schleimhauttuberkulose gewesen und dadurch bedingt sei, dass
durch die Schleimhauttuberkulose ein Verschluss des Bronchial¬
rohrs und damit eine Atelektase bezw. eine Schwielenbildung in
dem zugehörigen Lungenbezirk herbeigeführt worden sei) lässt
sich leicht dadurch widerlegen, dass die betreffenden Lungen¬
bezirke noch gut lufthaltig waren und die Furche nicht bloss
auf die von dem erkrankten Bronchialast versorgten Lungen-
theile beschränkt war.
Diese Furchenbildung ist nun, wie sich leicht nachweisen
lässt, durch ein abnorm weites Vorspringen der ersten Rippe in
die Thoraxkuppel zurückzuführen, welches wohl auf einer mangel¬
haften Entwicklung dieser Rippe beruht, die Freund bereits
vor 40 Jahren als einen für die Lokalisation der Tuberkulose in
der Lungenspitze wichtigen Faktor durch genaue Messungen er¬
kannt hat.
Diese mangelhafte Entwicklung der ersten Rippe, welche,
wenn sie hochgradig ist, mit einer Abflachung der oberen Thorax¬
abschnitte Hand in Hand geht, die, wie schon längst bekannt,
gerade bei für Tuberkulose disponirten Individuen gefunden wird,
und die durch dieselbe hervorgerufene Furchenbildung in der
Lungenspitze können nach meinem Dafürhalten in verschiedener
Richtung disponirend für die Ansiedelung der Tuberkulose
wirken. Besonders kann durch sie eine Missbildung bezw. Ver¬
kümmerung des hinteren Astes des Spitzenbronchus, wie sie
Birch-Hirschfeld bereits beschrieben hat, herbeigeführt
werden; in Folge dessen kann es hier leichter als in anderen
normal gebildeten Abschnitten des Bronchialbaumes zu Stör¬
ungen der Ventilation in den von den betreffenden Bronchien
versorgten Lungenbezirken kommen, wodurch die Ablagerung
von mit dem Luftstrom zugeführten schädlichen Substanzen be-
oögle
Digitized by
1996
MtfENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
günstig! wird; es können dadurch leicht Katarrhe und im An¬
schluss daran Sekretstauungen sich entwickeln, deren Bedeutung
für die Ansiedelung von Tuberkelbacillen allgemein anerkannt
wird. Es ist aber fernerhin in Betracht zu ziehen, dass durch
den ständigen Druck, welchem die im Bereich der Furche
liegende Lungenpartie ausgesetzt ist, und dessen Wirkung auch
in den erwähnten Verdickungen der Lungenpleura deutlich zu
Tage tritt, Störungen in der Blut- und Lymphcirculation herbei¬
geführt werden, durch die ebenfalls dem Haften und der An¬
siedelung der Tuberkelbacillen Vorschub geleistet werden kann.
Die in Rede stehende Furchenbildung findet sich nun sehr
häufig, vielleicht sogar konstant bei Neugeborenen und Kindern,
lässt sich aber stets durch Aufblasen der Lungen, soweit meine
Erfahrungen reichen, ausgleichen. Mit dem Wachsthum des
Thorax aber verschwindet sie allmählich und ist in der Regel bei
Erwachsenen nur noch andeutungsweise vorhanden. Sie muss da¬
her, wenn sie hier vorhanden ist, als etwas Abnormes angesehen
werden, zumal wenn sie durch Auf blasen der Lunge nicht mehr zum
Verschwinden gebracht werden kann, also stationär geworden
ist. Es muss also hier dauernd ein Druck von Seiten der sich
mangelhaft entwickelnden ersten Rippe auf die ihr anliegenden
Theile der Lunge ausgeübt worden sein. Dass bei diesem andauern¬
den Druck die Entwicklung der nach diesen Bezirken verlaufenden
Bronchialäste beeinträchtigt werden kann, bedarf keines Be¬
weises. Gegen die Bedeutung der in Rede stehenden Furche für
die Prädisposition des hinteren Spitzenbronchus für die be¬
ginnende Tuberkulose lässt sich freilich ein schwerwiegendes
Bedenken erheben, welches in dem häufigen Vorkommen dieser
Furche bei Kindern gegeben ist, da bei diesen die Spitzentuber¬
kulose eine sehr seltene Erscheinung ist. Ob hier vielleicht die
grössere Elasticität der Rippen, welche eine bessere Ventilation
der Lunge ermöglicht, den schädlichen Einfluss dieser Furche
auf die Spitzenbronchien nicht zur Geltung kommen lässt oder
ob dabei auch die Anordnung und der Verlauf der Spitzen¬
bronchien, welche sich nach Birch-Hirschfeld bei Kin¬
dern von dem der Erwachsenen unterscheidet, betheiligt ist,
oder ob noch andere Verhältnisse dabei wirksam sind, kann ich
auf Grund meiner Beobachtungen, soweit sie jetzt vorliegen,
nicht entscheiden, ich habe darüber aber weitere Untersuchungen
in Aussicht genommen.
Wenn ich Ihnen demnach über eine noch nicht abge¬
schlossene Untersuchungsreihe berichtet habe, so geschieht dies
desshalb, weil ich mir meine Priorität in dieser Frage
wahren möchte. Es ist mir kürzlich aus Berlin eine An¬
frage zugegangen, ob ich gestatte, dass die Ihnen eben mit-
getheilten Beobachtungen, welche durch Vermittlung eines die
sonnabendlichen pathologisch-anatomischen Demonstrationen be¬
suchenden auswärtigen Herrn der Aasgangspunkt und die Ver¬
anlassung einer in einem Berliner pathologischen Institut vor¬
genommenen Untersuchungsreihe geworden waren, in einer über
diese Untersuchungen demnächst erscheinenden Arbeit Erwähnung
finden dürften. Wenngleich mir mm auf meine, in dieser Hin¬
sicht erhobenen Reklamationen heute die Zusicherung zu¬
gegangen ist, dass durch die Berliner Untersuchungen meine Be¬
obachtungen nicht berührt würden, so habe ich es doch, um un¬
liebsamen Konflikten und unerquicklichen Prioritätsstreitig¬
keiten aus dem Wege zu gehen, für angezeigt gehalten, Ihnen
heute meine Beobachtungen, wenn auch in unabgeschlossener
Form, vorzulegen.
Aus der Lungenheilanstalt Holsterhausen bei Werden a. d. Ruhr.
Die medikamentöse Bekämpfung des Fiebers bei den
Lungentuberkulose. L
Von Dr. med. Fritz Köhler in Elberfeld, Chefarzt der AnstaltP
Die Bekämpfung des Fiebers in der Therapie der Lungen¬
tuberkulose kann au9 verschiedenen Gründen meist nicht streng
und ausschliesslich nach Brehmer-Dettweile rischen
Principien, deren Quintessenz hier die vollkommene Bett¬
ruhe bei wesentlich reduzirter Kost ist, durchge¬
führt werden.
Die Erfahrung lehrt, dass häufig trotz konsequenter Bett¬
ruhe und erheblich eingeschränkter Kost das Fieber der Tuber¬
kulösen nicht weichen will, während der Lungenbefund selbst
entweder Tendenz zur Verschlechterung oder zur Besserung oder
zum Stillstand im Processe zeigt. Hier versagen auch nur zu
oft die hydrotherapeutischen Maassnahmen,
denen ich im Uebrigen bei der Behandlung der Lungentuber¬
kulose einen weitgehenden, allerdings scharf individualisirten Be¬
reich einräumen möchte. Durch die anhaltend gesteigerte Körper¬
temperatur leidet aber der Organismus des Tuberkulösen ausser¬
ordentlich, der gesammte Stoffumsatz reduzirt das noch vor¬
handene Kraftquantum in sichtbarer Eile, die Zufuhr des Nähr-
materials unter dem Einfluss des Fiebers ist meist unverhältniss-
mässig erschwert und herabgesetzt. So entspricht also häufig die
nur physikalisch-diätetischen Grundsätzen nachgeheudeTherapie
des tuberkulösen Fiebers nicht den Erwartungen und der Zweck¬
mässigkeit, so dass wir zur Anwendung von Antipyreticis unsere
Zuflucht nehmen müssen. Wir thun das mit um so grösserem
Recht, als „der naive Glaube“, wie Kobert auf dem Kongress
zur Bekämpfung der Tuberkulose in Berlin 1899 sagte, dass das
tuberkulöse Fieber eine nützliche Heilbestrebung des Organismus
sei, und die Abschwächung oder gar Abtödtung der Bakterien
zur Folge habe, sicher ein verkehrter ist.
Es ist nun allerdings richtig, dass in den seltensten Fällen
die medikamentöse Behandlung des tuberku¬
lösen Fiebers im Stande ist, ein für alle Mal dem Auf¬
treten des Fiebers bei dem betreffenden Fall ein Ende zu bereiten,
ich will nicht an dieser Stelle auf die bei einigen Mitteln
zu schroff oinsetzende Reaktion eingehen, wie man sie z. B. nicht
selten bei dem Kairin und bei dem Hydrochinon beobachtet; un¬
zweifelhaft treten meist beim Aussetzen des Antipyreticum wieder
hohe Temperaturen auf, und auch eine wochen- bis monatelang
fortgesetzte Arzneiverordnung macht nur dann endgiltig der un¬
liebsamen Begleiterscheinung der gesteigerten Temperaturen ein
Ende, wenn die physikalisch-diätetische Therapie ihren günstigen
Einfluss auf den Zustand der Lungen selbst ausgeübt hat.
Aber gerade unter Berücksichtigung dieses letzten Punktes
möchte ich der antipyretischen Behandlung mit Fiebermitteln das
Wort reden. Dass ich in erster Linie das jetzt häufiger ge¬
brauchte, 1896 von F i 1 e h n e in den Arzneischatz eingeführte
Pyramiden, das Dimethylamidoantipyrin, bevorzuge, beabsichtige
ich in einer späteren Mittheilung eingehend zu begründen.
Es gelingt, unter der Anwendung von Antipyreticis die
Temperatur der Tuberkulösen oft so zu regeln, dass eine vor¬
sichtige Bewegung im Freien ermöglicht wird. Natürlich bezieht
sich das nicht auf zu weit vorgeschrittene Fälle, bei denen die
blosse Rücksicht auf die Erhaltung der Körperkräfte eine an¬
dauernde Bettruhe gebietet. — Wir schalten damit den so wich¬
tigen Faktor des Freiluftgenusses unter gleich¬
zeitiger vorsichtiger Herzanregung unter dem
Einfluss der Muskelbewegung wieder in die Therapie des ein¬
zelnen Falles ein, worauf wir vorher, so lange das Fieber Bett¬
ruhe gebot, verzichten mussten. Das subjektive Wohlbefinden
des Patienten wird dadurch in gleich angenehmer Weise für
diesen, wie für den behandelnden Arzt, der nur zu leicht mit
einer gewissen Ungeduld dem immer wiederkehrenden Fieber des
bettlägerigen Tuberkulösen zusehen muss, gesteigert.
Vor allen Dingen ist weiterhin die psychische Seite zu
berücksichtigen. Der chronisch Kranke bedarf der Aufmunte¬
rung und der Abwechslung, er darf nicht zu viel sich selbst
überlassen bleiben und muss durch Anregungen mannigfacher
Art auf Gedanken, welche das Gemüth erfreuen, gebracht werden.
Dafür aber ist die freie Bewegung in den den meisten Lungen¬
heilanstalten beigegebenen Park- und Waldanlagen das beste
Mittel. Auch vermag hier der Verkehr mit anderen Kranken
viel auszurichten.
Natürlich bedarf die Bewegung im Freien besonders
bei dieser Klasse der Tuberkulösen, welche ohne Fiebermittel
gesteigerte Temperaturen zeigen, genauer Dosirung, der üblichen
Liegekur ist ein grösserer Zeitraum am Tage einzuräumen,
wie bei solchen Patienten, welche kein Fieber zeigen, oder nur
Abends leichte Temperatursteigerungen aufweisen. Auch würde
ich die Bewegung im Freien nicht ohne Weiteres täglich ge¬
statten, vielmehr den ganzen Tagesplan erst endgiltig nach ge¬
nauer Kenntnissnahme von vorausgehenden Versuchstagen, an
welchen nach der Arzneibehandlung des Fiebers körperliche Be-
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10. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
1997
wegung in freier Luft gestattet wird, aufstellen. Uebrigens
spielt hierbei auch die P e n z o 1 d t’sche Temperatuiregistrirung
bei Tuberkulösen nach leichten Marschübungen eine ausschlag¬
gebende Rolle.
Ueber den Zusammenhang des Fiebers und
der eigenthüm 1 ichen Veränderungen in der
Psyche des Tuberkulösen sind die Untersuchungen
noch nicht zu einem klaren Resultat gekommen. Ob die An¬
wendung von antipyretischen Mitteln somit einen Einfluss hat
auf das Zustandekommen toxischer Psychosen im Ver¬
lauf der Lungentuberkulose wage ich an dieser Stelle nicht zu
entscheiden. Es ist hier noch ein dankbares Feld der wissen¬
schaftlichen Bearbeitung und Untersuchung geboten.
Weiter ist noch zu berücksichtigen, dass nieist die Nahr¬
ungsaufnahme zu fieberfreier Zeit reichlicher ausfällt, als
zur Zeit gesteigerter Temperaturen. Es gelingt, wenn bei Tuber¬
kulösen etwa zur Mittagszeit die höchste Temperatur erreicht
wird, durch Anwendung von Fiebermitteln wenige Stunden vor¬
her, normale Temperaturen zur Zeit der üblichen Nahrungsauf¬
nahme zu gewinnen. Die Folge ist, dass wir uns dem Ziele der
ausreichenden Ernährung, wenn nicht gar der Ueber-
ernülirung des tuberkulösen Individuums, bedeutend nähern.
Eine Zunahme des Körpergewichtes und der gesammten
psychischen Leistungskraft des Organismus ist die Folge, welclie
auch auf die psychische Verfassung des Kranken einen wohl-
thätigen Einfluss ausübt.
Es gelingt also häufig, durch Anwendung der Antipyretica
in der Behandlung der Lungenschwindsucht in mannigfacher
Hinsicht. Erfolge zu erreichen. Es sind dies nicht nur günstige
Resultate, bei denen eine planmässige Heilstättenbehandlung vor¬
auszusetzen ist, sondern auch in der Privatpraxis, in welcher die
Regeln der Anstaltsbehandlung nur in beschränktem Maassstabe
und mit weniger günstigem Erfolge durchgeführt werden
können, kann man von einer einsichtsvollen F i e b er¬
be k ä m p f u n g bei der Behandlung Tuberkulöser mancherlei
erwarten. Die medicamentöse Fieberbehandlung unter¬
stützt unzweifelhaft wirksam die zweckmässige physikalisch¬
diätetische Therapie der Lungentuberkulose, indem unge¬
schmälerter Freiluftgenuss mit gleichzeiti¬
ger Herzanregung, ferner psychische Anregung
und subjektives Wohlbefinden, sowie gestei¬
gerte Nahrungsaufnahme durch Ausschaltung
des Fiebers erreicht wird. Ich füge zu letzterem Punkte
hinzu, dass die meisten Antipyretica an und für sich keinen
Einfluss auf den Appetit des Kranken haben.
Es ergibt sich aus diesen Ausführungen, dass eine einseitige,
ich möchte sagen kritiklose Anwendung rein diätetisch-physi¬
kalischer Principien einer wissenschaftlichen Auffassung unserer
therapeutischen Thiitigkeit bei einer Krankheit wie der Lungen¬
tuberkulose nicht gerecht werden kann. Gewiss stehen wir heute
auf dem Standpunkt, dass es specifische Mittel in der
Behandlung dieser Krankheit nicht gibt. Trotz vereinzelter
gegentheiliger Ansicht, nach welcher das früher so beliebte
Kreosot mit seinen Abkömmlingen oder ähnliche Mittel un¬
zweifelhafte Wirkungen haben sollen, müssen wir heute den
Standpunkt einnehmen, dass zweifellos das physikalisch¬
diätetische Regime die Therapie Lungenschwind¬
sucht in erster Linie beherrscht; wir dürfen aber nicht vergessen,
dass der medicamentöse Theil der Phthiseothcrapie und zwar be¬
sonders die medicamentöse Bekämpfung des Fie¬
bers eine, bei richtiger Anwendung, segensreiche Unterstützung
bilden kann und muss.
Von diesen Gesichtspunkten aas habe ich an der Brehmer-
schen Heilanstalt zu Görbersdorf die Behandlung des Fiebers
bei Lungentuberkulose durehgefiihrt, deren Resultate ich einer
späteren ausführlichen Mittheilungen an dieser Stelle Vorbe¬
halten will.
Ist die bei Phthisikern nach leichten Körperanstreng¬
ungen auftretende Temperatursteigerung als Fieber
zu betrachten ?*)
Von Dr. A. Ott, Heilstätte Oderberg i. Harz.
Vor einiger Zeit hat Penzoldt 1 ), gestützt auf die Unter¬
suchungen, die zuerst Höchstetter’) auf seine Veranlassung
vorgenommen und die er später selbst im Verein mit Birgelen 5 )
ergänzt und erweitert hatte, darauf aufmerksam gemacht, dass
bei sonst fielwrfreien Phthisikern verhültnissmässig leichte An¬
strengungen, die bei Gesunden nur von unwesentlichen Tempe¬
ratursteigerungen gefolgt sind, Erhöhung der Körperwärme auf
38° und darüber hervorrufen. Diese Angaben haben inzwischen
von verschiedener Seite Bestätigung gefunden, u. A. von Tur¬
ban 4 ), Chuquet und Davemberg 1 ); ich selbst konnte bei
etwa 100 darauf untersuchten Tuberkulösen das fast regelmässige
Eintreten des genannten Phänomens durchaus bestätigen. In
der allerletzten Zeit sind indess die Penzoldt’schen Angaben
bestritten worden und zwar in einer aus dem. WeickePschen
Krankenheim in Görbersdorf stammenden Dissertation von
Schneider*). Letzterer behauptet auf Grund einer grösseren
Anzahl von Untersuchungen, dass bei wirklich fieberfreien
Phthisikern — als solche will er nur die gelten lassen, deren
Temperatur auch am Abend 37,0 (Mundmessung, bei After¬
messung 37,3°) nicht überschreitet — durch Körperbewegungen
keine wesentlichen Temperatursteigerungen hervorgerufen
werden; ja er hat vielfach in den von ihm mitgetheilten
Tabellen Temperaturabfall danach verzeichnet. Diese Arbeit
ist aber nicht beweiskräftig. Penzoldt hat ausdrücklich
hervorgehoben, dass es zur Konstatirung der fraglichen Erschei¬
nung unbedingt erforderlich ist, die Messung im After vorzu¬
nehmen ; Schneider hat dagegen nur Mundmessung ange¬
wandt. Nun hätte ihn schon der Umstand, dass das Thermo¬
meter häufig direkt im Anschluss an den Spaziergang Abfall
der Körpertemperatur manchmal bis zu 0,6 0 anzeigte, eine That-
saehe, die physiologisch unerklärlich ist, auf die Vermuthung
bringen können, dass in diesem Falle die Mundmessung nicht
zuverlässig sei. In der That hat inzwischen Frln. Dr. Bluhm T )
in der Heilstätte Belzig festgestellt, dass die Mundtemperatur
von der Temperatur des umgebenden Mediums abhängig ist, in-
soferne, dass niedrige Aussentemperaturen ein Sinken der Mund¬
wärme bewirken. Ich selbst habe bei einer Anzahl von Kranken
gleichzeitig Mund- und Aftertemperatur vor und nach dem
Spaziergang gemessen und gebe in nachstehender Tabelle die
dabei erhaltenen Resultate wieder:
Laufende
No.
After-
messung
. &
§1
Luft-Tem¬
peratur
©
-o
© d
•Sfc
CK)
© g
S 1
Mund-
messung
Luft Tem¬
peratur
1
37.1
38.1
37,1
36,9
—
8
37,5
38,2
37.4
87.5
10,5
36,9
36,9
37,0
36,9
10,5
37,9
37,1
37,9
36,4
3
37,0
37,6
37,0
37,0
i3,o ;
i 10
37,2
37,9
37,1
37,3
10,5
4
37,6
38,2
37,4
37,2
13,0
1 11
37,3
37,7
37,1
36,9
10,5
5
37,2
38,0
37,1
36,9
13,0 ,
12
36,8
38,1
36,7
36,6
10,5
6
37,1
37,9
37,0
37,2
18,5
13
37,4
38,0
37,8
37,6
10,5
7
36,7
38,3
36,7
37,0
18,5 j
j 14
37,4
38,0
37,2
37,4
10,5
Die obere der beiden Zahlen stellt Jedesmal die Abgangs-, die untere die
Ankunftstemperatar dar.
*) Vortrag, gehalten ln der Sitzung der Tuberkulosekommissiou
der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Ham¬
burg 1901.
’) Penzoldt und S 11 n t z 1 n g: Handb. der spez. Ther. Inn.
Krankh. Bd. 3. S. 306.
*) Inaug.-Dissert München 1895.
*).M ünch, med. Wochenschr. 1899, No. 15.
*) B eltr. z. Kenntn. d. Tub. S. 23.
_ franz. Congr. f. Inn. Med. 1899.
Tv Die normale Temperatur bei Initialer Lungentuberkulose ln
Ruhe und Bewegung. Inaug.-Dissert Breslau 1901.
0 Zeitschr. f. Tub. u. HellBtättenw. Bd. 2, S. 809.
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1998
MUENOHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
Aus der Tabelle ergibt sich deutlich die Unzuverlässigkeit
der Mundmessung in diesem Falle. Während vor dem Spazier¬
gang, nachdem sich die Kranken längere Zeit im temperirten
Zimmer aufgehalten hatten, Mund- und Aftertemperatur nur
um 1 höchstens 2 Zehntelgrad von einander differiren, ist nach
dem Spaziergang die Abweichung durchweg 6ehr erheblich, viel¬
fach über 1°, und während die Aftermessung das Penzoldt’sche
Phänomen fast immer ganz deutlich zeigt, lässt die Mund¬
messung es nirgends hervortreten, sondern zeigt sogar öfter
Temperaturabfall, ein deutlicher Beweis für die lokale Ab¬
kühlung der Mundhöhle durch den Aufenthalt und das Sprechen
im Freien. Es sei hier hervorgehoben, dass die Messungen so
sorgfältig wie möglich unter meiner persönlichen Kontrole mit
geprüftem Maximalthermometer vorgenommen wurden und zwar
im After 5 Minuten, unter der Zunge 10 Minuten lang.
Uebrigens erweist sich auch die Messung in der Achselhöhle
unter diesen Umständen als nicht zuverlässig.
An dem thatsächlichen Vorkommen des P e n z o 1 d t’sehen
Phänomens und zwar, wie ich hinzufügen kann, fast regel¬
mässigen Vorkommen desselben bei Phthisikern, kann desshalb
nicht gezweifelt werden.
Wie schon Höchstetter*) hervorhebt, ist indess ledig¬
lich mit der Feststellung einer derartigen Temperaturerhöhung
noch nicht bewiesen, dass es eich dabei um Fieber handelt;
es gibt ja auch nicht fieberhafte Temperatursteigerungen, wie
eie durch Wärmestauung im warmen Bade oder im Dampf bade
erzielt werden. Gerade in unserem Falle liegt es nahe, an eine
derartige Wärmestauung zu denken. Durch Körperbewegung
wird ja zweifellos wesentlich mehr Wärme produzirt als bei
Ruhe und man könnte sich wohl vorstellen, dass beim Phthisiker,
der ja fast immer auch nervöse Störungen auf weist, das Wärme-
regulirungscentrum mangelhaft funktionirt, so dass das ge¬
bildete Plus an Wärme nicht so schnell fortgeschafft wird, wie
beim Gesunden. Der Gedanke liegt um so näher, als auch beim
Anaemischen und bei Fettleibigen dasselbe Symptom von Pen-
zo 1 dt konstatirt wurde. Höchstetter kam auf rein theo¬
retischem Wege zu der Annahme, dass es sich hier um Fieber
handele, hervorgerufen durch vermehrte Resorption von Toxinen,
eine Ansicht, der sich Penzoldt anschloss. Bei der prak¬
tischen Bedeutung, welche diese Frage für die gesammte
Phthiseotherapie besitzt, darf man sich indessen mit theoretischen
Deduktionen nicht begnügen, sondern muss die Frage experi¬
mentell zu lösen versuchen.
Durch die Untersuchungen von K r e h 1 und M a 11 h e s *),
sowie von Schultess“) ist festgestellt worden, dass in ca.
90 Proc. aller Fälle von Fieber sich Albumosen im Harn finden;
ferner konnte Martin“) zeigen, dass diese Albumosurie ein
Zeichen dee fieberhaften Processes an sich und nicht die Folge
der Temperaturerhöhung ist; denn bei einfacher Temperatur¬
erhöhung durch Wärmestich oder den Aufenthalt im Brutkasten
konnte er nie eine Albumoseausscheidung konstatiren. Auf
Grund dieser Erfahrungen konnte ich der experimentellen
Lösung dieser Frage näher treten und zwar auf folgende Weise:
Die Kranken wurden veranlasst, sich 2 Tage ruhig im Zimmer
aufzuhalten und wurden während dieser Zeit alle 3 Stunden
im After gemessen. Stellte sich am ersten Tage heraus, dass
sie fieberfrei waren, d. h. 37,5° nicht überschritten, so wurden
sie am 2. Tage spazieren geführt und zwar in der Zeit von
2 V »—SVa Uhr; der während dieser Zeit in mässig flottem Tempo
zurückgelegte Weg betrug 2% km hin und ebensoweit zurück,
also im Ganzen 4V& km; der Weg war so gewählt, dass auf dem
Hinweg ca. 100 m auf guter Chaussee abgestiegen und dieselbe
Strecke nachher wieder heraufgegangen wurde. Mit Absicht
wurde der Weg so eingerichtet, dass der Aufstieg auf den Rück¬
weg fiel,, weil dadurch die Temperaturerhöhungen deutlicher
ausgeprägt werden. Unmittelbar vor und nach dem Spazier¬
gang wurde gemessen; der Urin von Morgens 7 Uhr bis vor dem
Spaziergang und ebenso der nach dem Spaziergang bis Abends
9 Uhr gelassene wurde getrennt gesammelt und auf Albumosen
untersucht. Angewandt wurde die von Schultess 13 ) be-
') 1. c. S. 23.
•) Arch. f. exp. Path. u. Pliannakol. Bd. 40. 1898.
,0 ) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 58. 1897.
u ) Arch. f. exp. Path. u. Pbarmakol. Bd. 40.
**) l c.
schriebene Methode, die auf der Fällung durch, grossen Ueber-
schuss von Alkohol beruht; nur ei weissfreie Harne wurden dazu
verwendet. In der nachfolgenden Tabelle sind die bei 25 Kranken
erhaltenen Resultate zusammengestellt. Es sei hervorgehoben,
dass bei Allen vor Antritt des Spazierganges die Albumosen-
probe im Ham negativ ausgefallen war.
Lungenbefund
Maximaltem¬
peratur des
Tages vorher
Temperatur
vor J nach
demSpa- dem Spa¬
ziergang ziergang
Albumosen-!
befund nach¬
her
1
Katarrh beider Spitzen
37,3
37,0
38,3
unsicher
2
Katarrh des L. Ober- u.
Unterlappens
37,4
37,3
38,5
dto.
3
Katarrh beider 8pitzen
37,1
87,0
38,4
dto.
4
dto.
37,5
37,0
39,1
positiv
ß
Verdicht, der R. Spitze
37,3
37,3
37,4
37,9
negativ
6
Katarrh des R. Oberlapp.
37,2
38,2
positiv
7
Verdicht, des R. Oberl.
37,3
37,4
38,0
dto.
8
Katarrh beider Spitzen
37,4
86,9
37,9
unsicher
9
dto.
37,0
37,1
38,3
negativ
10
Katarrh des I.. Oberl.
37,0
37,2
38,2
positiv
11
Katarrh beider Spitzen
37,3
37,2
• 38,3
38,1
dto.
12
dto.
37,5
37,0
unsicher
13
Katarrh der R. Spitze
37,1
36,8
37,0
38,3
positiv
14
Verdicht, der L Spitze
87,1
87,9
negativ
15
Verdicht, der R. Spitze
37,2
36,7
38,3
schwach pos
negativ
16
Katarrh der L. Spitze u
L. Unterlappens
37,4
37,5
88,2
17
Verdicht, der R. Spitze
87,5
37,6
88,2
unsicher
18
Katarrh beider Spitzen
86,4
37,0
1 38,0
dto.
19
Verdicht, der R. Spitze
36,4
36,7
38,2
dto
20
Katarrh beider Spitzen
37,2
37,1
38,6
negativ
21
Katarrh der R. Spitze
37,1
37,2
38,1
positiv
22
Verdicht, beid. Spitzen
37,2
37,4
38,0
negativ
23
dto.
37.2
37.3
37,3
38,0
unsicher
24
Katarrh beider Spitzen
37,4
38,2
positiv
25
Katarrh der L. Spitze
37,2
37,3
38,0
unsicher
Bei No. 1 bis 10 waren Tuberkelbneille.n im Aus¬
wurf nachgewiesen; bei den Uebrigen war die Diagnose
lediglich aus dem, allerdings deutlichen, klinischen Befunde ge¬
stellt. In einer Anzahl von Fällen liess sich wegen des Vor¬
handenseins von sehr geringen Albumoeenmengen nicht mit
Sicherheit entscheiden, ob die Biuretprobc als positiv oder als
negativ anzusehen war; dieselben sind in der Tabelle mit „un¬
sicher“ bezeichnet.
Aus der Tabelle ergibt sich, dass unter 25 Fällen 9 mal,
d. h. in 36 Proc., nach dem Spaziergang Albumosen im Harn
sicher zu konstatiren waren; 10mal ist das Resultat als unsicher
bezeichnet; mit Rücksicht auf die Umstände darf man diese
wohl auch als positiv bezeichnen. Denn mit grosser Wahrschein¬
lichkeit handelt es sich, entsprechend den verbal tnissmäseig ge¬
ringen und kurz dauernden Temperatursteigerungen, auch um
recht geringe Mengen von Albumosen, die in den Ham über¬
treten, oft so geringe Mengen, dass die Probe, die ja nur bei
bestimmten, nicht zu geringen Quantitäten positiv auftritt, un¬
deutlich wird oder überhaupt versagt. Man darf hier desshalb
wohl ohne Bedenken von 19=76 Proc. positiven Resultaten
sprechen. Wahrscheinlich ist auch in den als negativ be-
zeichneten Fällen das Vorhandensein von Albumose nicht aus¬
geschlossen, sondern dieselbe nur in so minimaler Menge zu¬
gegen gewesen, dass sie nicht nachgewiesen werden konnte.
Damit ist der Beweis, dass es sich bei dem in Rede stehenden
Symptom thatsächlich um Fieberzustände handelt, erbracht.
Für die Praxis ergibt sich daraus die unbedingte Nothwendig-
keit, die Entstehung solcher Fieberanfälle zu verhindern, und
das ist nur möglich durch Beschränkung von Körperbewegungen.
Ich will damit keineswegs einer protrahirten Liegekur von
Morgens bis Abends das Wort reden; man darf aber auch nicht
in das andere Extrem verfallen, das unbeschränkte Bewegungs¬
freiheit den fieberlosen Phthisikern einräumen will. Die nicht
selten vorkommende Thatsache, dass sich an körperliche Ueber-
anstrengungen beim Lungenkranken lang dauerndes Fieber mit
fortschreitendem Verfall anschliesst, ein Umstand, der uns durch
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10. Dezember 1001.
MUENCHENER MEDICiNISCHE WOCHENSCHRIFT.
1999
die Penzold t’schen Angaben in neuer Beleuchtung erscheint,
dürfte uns zur Genüge über die Gefährlichkeit dieses Extrems
belehren.
. Zur Frühdiagnose der Tuberkulose.
Von Dr. A. M o e 11 e r in Belzig.
Für eine erfolgreiche Durchführung der Behandlung Tuber¬
kulöser in Heilstätten ist es von grösster Wichtigkeit, dass mit
Sicherheit die Frühdiagnose der Tuberkulose gestellt
werden kann; denn nur bei Anfangsstadien der Krankheit kann
die Heilstättenbehandlung mit vollem Erfolg in Anwendung ge¬
bracht werden. Zur Feststellung der Diagnose ist jedes der zu
Gebote stehenden Hilfsmittel heranzuziehen. Der einfachste Weg
zur Sicherung der Diagnose ist, wenn im Sputum Tuberkel¬
bacillen nachgewiesen werden können, ln der Regel handelt es
sich aber, wenn sich dieser Nachweis ohne Weiteres mühelos
führen lässt, nicht mehr um Initialfälle, sondern ein wiederholt
nachzuweisendes zahlreiches Vorkommen von Tuberkelbacillen
in reichlich entleertem Sputum lässt schon auf ein vor¬
geschritteneres Stadium, auf einen bereits eingetretenen Gewebs¬
zerfall schliesscn.
In den Anfangsstadien ist selten Auswurf vorhanden; höch¬
stens wird Morgens ein zäher Schleim ausgeworfen, der aber
meistens den oberen Luftwegen entstammt. Hierin wird man
vergeblich nach Tuberkelbacillen suchen. Durch Anwendung von
Hilfsmitteln ist daher eine Expeetorirung von L u n g e n -
sputum zu begünstigen. Zu diesem Zwecke lässt sich die
hydriatrische Packung in Form einer Kreuz¬
binde 1 ) mit Erfolg anwenden. Diese wird des Abends dem
Kranken angelegt und bleibt die Nacht über liegen. Des Mor¬
gens beim Entfernen der Packung werden dem Kranken Brust
und Rücken schnell und kurz mit nasskaltem Tuche abgerieben, i
Durch diesen Schock wird der Kranke zum Husten gereizt und
das Sekret, das sich unter dem Einlluss der durch die Packung
verursachten feuchten Wärme angesammelt hatte, wird nun aus¬
geworfen. In diesem Sputum lassen sich meistens auf dem ge¬
wöhnlichen Wege des Hera umgreifen» kleiner Partikelchen zur An¬
fertigung von Präparaten noch keineTubcrkelbacillen nachweisen.
Ich lasse daher das meist in spärlicher Menge entleerte Sputum
von mehreren Tagen sammeln, giesse dasselbe unter Zusatz von
etwas Wasser in einen Glascylinder, werfe eine Anzahl Blei-
kiigelchen (grober Flintenschrot) hinein, verschliesse mit einem
Gummistopfen und schüttle das ganze kräftig durch. Nach
Herausnahme der Schrotkügelchen centrifugire ich die so homo-
genisirte Masse und untersuche das Sediment auf Tuberkel¬
bacillen.
Als weitere Hilfsmethode ist das Anreicherungs¬
verfahren zu nennen. Dieses Verfahren gründet sich auf
die Thalsache, dass mitunter eine Vermehrung der Tuberkcl-
baeilleu in dem bei Bruttemperatur gehaltenen Sputum statt¬
findet. Diese Vermehrung, die sich vielleicht durch das Mit¬
bringen von globulinartigen Substanzen aus dem Körper er¬
klären lässt, hört nach ca. 48 Stunden auf. Bei dem Anreiche¬
rungsverfahren gehe ich in folgender Weise vor. Ich bringe das
Sputum in eino Petrischale und zwar so, dass es in einzelnen
Flöckchen auf dem Boden vertheilt, liegt. Damit keine Ein¬
trocknung des Sputums stattfindet, stelle ich diese Schale in
eine feuchte Kammer und lasse das Ganze bis 48 Stunden in
dem bei 37 0 gehaltenen Brütschrank stehen; es ist zu empfehlen,
schon nach etwa 36 Stunden Ausstrichpräparate anzui’ertigen.
Aufmerksam machen möchte ich noch, dass sich auf dem beim
Verreiben zu unterst liegenden Objektträger etwa vorhandene
Tubcrkelbaeillen am leichtesten nachweisen lassen; das ist wohl
daraus zu erklären, dass die Tuberkelbncillen vermöge ihrer
specifischen Schwere sich unten ablagern.
Kommt, man mit diesen Methoden noch nicht zu einem
positiven Resultate, so bleiben als letztes noch die Thierver¬
such c.
Fallen diese auch negativ aus, so ist mit Sicherheit anzu¬
nehmen, dass überhaupt keine Tubcrkelbaeillen entleert werden;
') Nähere Beschreibung siehe: A. Moellor: „Die Behand¬
lung Tuberkulöser ln geschlossenen Heilanstalten." Die deutsche
Klinik am Eingänge des XX. Jahrhunderts; Urbani Schwär-
z e n b e r g, Wien und Berlin, l‘J01.
>'o. ft».
was ja aber das Vorhandensein von Tuberkulose gewiss nicht
ausschliesst. Die Entscheidung hierüber muss uns die Tuber-
k ulinprobe geben. Ich halte die Anwendung des Tuber¬
kulins zu diagnostischen Zwecken für den II c i 1 -
stättenarzt für unentbehrlich, wenn er den beiden gleicher¬
weise berechtigten Aufnahmebedingungen gerecht werden will,
nämlich erstens nur Initialfälle aufzunchmen und zweitens nur
Tuberkulosefälle in der Anstalt zu behalten.
In allen Fällen, wo sich bei Anwendung aller Hilfsmethoden
im Sputum keine Tuberkelbacillen nachweisen lassen, aber der
Verdacht auf Tuberkulose besteht, schreite ich zur probatorisclien
Tuberkulininjektion. Ich will gleich anführen, dass ich nie¬
mals schädliche Neben- oder Nachwirkungen
bemerkt habe; abgesehen natürlich von den unvermeidlichen,
aber schnell vorübergehenden Begleiterscheinungen des Fiebers,
wie Kopfschmerz und allgemeine Indisposition. Selbstverständ¬
lich gehe ich in jeder Hinsicht mit der allergrössten Vorsicht
zu Werke. Ich verwende das alte Tuberkulin. Die Lösung
wird vor dem jedesmaligen Gebrauch neu angefertigt. Ich be¬
diene mich zur Injektion einer Pravazspritzc, deren Stempel
auch aus Glas besteht, die also gut und leicht zu sterilisiren
ist. Als Injektionsstelle wähle ich den Rücken; hier habe ich
niemals grössere lokale Anschwellungen in Folge der Injektion
bemerkt, während solche am Arm, bei gleichem sterilen Vorgehen,
in den allermeisten Fällen zu beobachten sind. Ich mache die
Injektionen in den Abendstunden zwischen 7 und 8 Uhr, um
so die allermeistcns nach ca. 12 Stunden eintrotende Reaktion
über Tag durch 2 stündliche Temperaturmessungen genau kon-
troliren zu können. Ich beginne in der Regel mit einer Dosis
von y M mg. Als Reaktion betrachte ich eine Temperatursteige¬
rung von mindestens 0,5 4 C. Natürlich ist eine genaue Ueber-
sicht der Temperaturen der vorhergehenden Tage nothwendig;
die ist für mich schon eo ipso dadurch gegeben, weil jeder in die
Anstalt neu eintretende Patient in den ersten 8—10 Tagen
2 stündlich messen muss. Tritt auf mg keine Reaktion, oder
doch nur Steigerung von ca. 0,3—0,4 “ ein, so genügt in diesen
Fällen meistens bei der 2. Injektion, die nach 3 Tagen folgt, eine
Gabe vou J / 10 mg. Ist nach der 1. Injektion gar keine Tempera¬
turveränderung eingetreten, so gebe ich bei der 2. Injektion
V„ mg; bei der 3., dasselbe vorausgesetzt, 1 mg u. s. w. bis
höchstens 10 mg bei Erwachsenen; bei Kindern sind nach An¬
gabe von Koch 5 mg als Maximaldosis zu betrachten. Bei
diesem Vorgehen lassen sich hohe Reaktionen leicht vermeiden;
in der Regel treten nur Steigerungen bis ca. 38° ein.
Zu therapeutischen Zwecken wende ich das Tuber¬
kulin nur auf direkten Wunsch des Patienten an, und selbst¬
verständlich nur da, wo durch den ganzen Status keine Contra¬
indikation gegeben ist. Hier ist die Steigerung der Dosen ganz
individuell vorzunehmen. Oft erfordert es viel Mühe und Ge¬
duld, das Verfahren überhaupt durchzuführen. So hatte ich
kürzlich einen Fall, wo schon auf rag Fieber bis 39° auf-
trat. Auf ’/„ mg trat noch geringe Steigerung ein. Erst nach¬
dem ich wochenlang jeden 3. Tag '/„ mg injizirt hatte, konnte
ich langsam steigen. Nach ca. 4 monatlicher Behandlung war
ich bis auf 10 mg gekommen, dann ging es verhältnissmässig
schneller vorwärts. Vor Kurzem habe ich einen Patienten ent¬
lassen, bei dem ich über 90 Injektionen nüthig hatte, um auf
1 g zu kommen. Einen anderen Patienten konnte ich in
ca. 5 Monaten schon auf die Dosis von 1 g bringen. Eine Er¬
scheinung möchte ich hier noch erwähnen. Bei hohen Gaben von
Tuberkulin, % g und mehr, stellen sich bei sonst vollständig
reaktionsloscm Verlaufe am nächsten Tage manchmal nicht un¬
erhebliche Magenbeschwerden ein. Dieselben lassen sich durch
Regelung der Diät (flüssige Diät) und Darreichung eines die
Verdauung fördernden Mittels, ich pflege Kräutertheo zu geben,
coupircn.
In allen Fällen, in denen ich Tuberkulin zu therapeutischen
Zwecken anwandte, konnte ich einen guten Verlauf der Kur, d. h.
eine stetig fortschreitende Besserung des Lungenbeflindes bei
gutem Allgemeinbefinden beobachten. Wie hoch der Werth der
Tubcrkulinbehandlung. wenn sie mit der hygienisch-
diätetischen Anstaltsbehandlung kombinirt
wird, überhaupt, anzuschlagen ist, darüber kann ich mir noch kein
abschliessendes Urtheil erlauben; jedenfalls kann ich aber wieder¬
holen, dass ich eine nachtheilige Wirkung des Tuberkulins bis
jetzt niemals beobachtet habe.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 5Ö.
2000
Eine neue Methode zur Sicherung der Frühdiagnose
bei Tuberkulose wurde unlängst von Arloing und Cour-
mont angegeben; ich meine die Agglutinationsmethode. Ent¬
sprechend der grossen Bedeutung dieser Frage sind diese Aus¬
führungen mit vielseitigem Interesse aufgenommen und sind
mehrfach Nachprüfungen angestellt worden. Ich habe mich
gleichfalls mit grossem Eifer darangemaeht. Meine Versuche,
mir selbst eine homogene Tuberkulosekultur, wie sie zur An¬
wendung der Methode erforderlich ist, herzustellen, fielen sämmt-
lich negativ aus, trotzdem ich auf’s strikteste nach den Angaben
der beiden Forscher verfuhr. Durch besondere Vermittlung ge¬
langte ich endlich in den Besitz einer dem Laboratorium von
Arloing und Courmont entstammenden Kultur, mit dev
ich nunmehr die Nachprüfung anstellte.
Ich setzte 3—4 Tropfen dieser Kultur zu 6 proc. Glycerin¬
bouillon, mischte gut und stellte die beschickten Röhrchen in
den auf 37 0 gehaltenen Brütschrank. Ich schüttelte die Bouillon
tagsüber mehrmals durch. Auf diese Weise erhielt ich gut homo¬
gene Kulturen; das mikroskopische Bild zeigte auch die Bak¬
terien einzeln gelagert.
Zu der Ausführung der Versuche benützte ich 12 tägige
Glycerinbouillonkulturen. Das Blut entnahm ich den Patienten
meistens mittels Lanzettenstiches in die auf das gründlichste
desinfizirte Fingerkuppe; einige Male entzog ich es auch mittels
Pravazspritze aus der Mediana. Ich stellte die das Blut ent¬
haltenden Röhrchen auf Eis und nahm nach ca. 12 Stunden
das Serum mit der Pipette. Neben den beschickten Röhrchen,
welche ich nach dem Vorschläge von Arloing und Cour-
mont auf 4o" geneigt aufstellte, hielt ich stets ein Kontrol-
röhrehen. Da Arloing und Courmont selbst eine ge¬
ringere Verdünnung als 1:5 für werthlos halten, so nahm ich
dieses Verhältniss als unterste Grenze an.
Eine vollständige Klärung habe ich nicht beobachtet,
eine relative, d. h. einen mehr oder weniger starken Bodensatz
und eine mehr oder weniger starke Aufklärung der Kultur nicht
vor Ablauf von 12 Stunden.
I. Bel Erkrankung leichteren Grades:
1. Männlicher Patient, 25 Jahre alt, keine Tuberkelbaeilleu
nachzuweisen.
Reaktion bei 1:5 und 1:10 nach 24 Stunden negativ.
Patient erhielt dann mg Tuberkulin ohne Kenktlou. nach
3 Tagen 1 mg ohne Reaktion, nach weiteren 3 Tagen 3 mg mit
Reaktion (38,5).
2. Männlicher Patient. 15 Jahre, keine Tuberkelbacillen nach¬
weisbar.
Reaktion bei 1:5 und 1:10 nach 24 Stunden negativ.
Hier wiederholte ich später nach positivem Tul>erkulinausfnll
die Serumprobe (tun eine etwaige ngglutinirende Eluwirkung des
im Körper noch vorhandenen Tuberkulins auszusehHessen, wartete
ich, bis die Körpertemperatur 8'Tage lang wieder normal gewesen
wart, wiederum mit negativem Resultate.
11. B e i E rkraukung m i t 11 e r e u G r a d e s.
Männlicher Patient, 35 Jahre alt, Tuberkelbaeilleu reichlich
im Sputum.
Reaktion bei 1:5 nach 24 Stunden: geringe Klnrifikation mit
starkem Bodensatz; bei 1: 10 nach 24 Stunden: negativ.
III. Bei Erkrankung schwereren Grades.
Männlicher Patient, 17 Jahre, Tuberkelbneillen in enormer
Menge.
Reaktion bei 1:5 nach 24 Stunden: geringe Klnrifikation mit
Bodensatz.
IV. Bei Gesunden.
1. Mann, 33 Jahre alt.
Reaktion beiT:5 nach 24 Stunden: starker Bodensatz und fast
vollständige Klarifikation; bei 1:10 nach 24 Stunden: negativ.
2. Mann. 27 Jahre alt.
Reaktion bei 1:5 und 1:10 nach 24 Stunden negativ.
Einen Beweis dafür, dass die agglutinirenden Stoffe im
Serum wechseln, erhielt ich, als ich kurze Zeit nach der positiv
au-gefiillenen Reaktion bei dem 33jährigen, gesunden Mann
eine zweite Prüfung vernahm; dieser Versuch fiel uueh bei 1:5
nach 24 Stunden negativ aus. Höhere Verhältniss«» als 1:5
wann al-o s ü m in t 1 i e h n c g a t i v ausgefallen. Ein posi¬
tives Resultat ergab sich also nur bei dem einen Gesunden (vor¬
übergehend) und bei c inem Lungenkranken, b.»i dem die Diagnose
durch den Nachweis von Tuberkelbneillen schon gesichert war.
ltaaegcn hat die Methode in fraglichen Fällen vollständig ver-
Nacli diesen Resultaten habe ich von praktischer Anwendung
der Arloing - Courmon t’sehen Serumreaktion zur Siche¬
rung der Diagnose bei Tuberkulose abgesehen.
Aus der Volksheilslätte bei Planegg.
Zur Behandlung der Lungenblutungen mit subkutanen
Gelatineinjektionen.
Von Dr. A. II a in m e 1 b a c h e r und Dr. O. Fisching er.
Die zuerst von den Franzosen angegebene Behandlung von
Blutungen mit subkutanen Gelatineinjektionen hat bei Lungen -
blutungen trotz Curs o h m a n n’s Empfehlung (Münch, med.
Wochenschr. 1899, p. 370; dazu neuerdings Wagner, Grenz¬
gebiete d. Med. u. Chir. Bd. VI, H. 4 u. 5) noch wenig Verbrei¬
tung gefunden. Davezac (Alfr. Bass, Centralbl. f. d. Grenz¬
gebiete d. Med. u. (’hir. Bd. III, No. G u. 7, 1900) hat sie 2 mal
(1 mal zugleich mit Ergotin) verwendet und rasches Aufhüren
der Blutung erzielt. Uebor ähnlich günstige Erfahrungen be¬
richtet Huchard (1897, Journal des Practiciens). K. Bauer
(1. Jahresbericht der Heilstätte Engelthal für 1900) nahm die
Methode schon 1898 im Nürnberger Krankenhaus auf, verlies»
sie aller wieder in Folge Auftretens starker Dyspnce bei einem
Kranken und wendet sie gegenwärtig nur im äussc-rsten Noth-
fall an. Dieses spärliche kasuistische Material dürfte es be¬
rechtigt erscheinen lassen, über 2 in solcher Weise behandelte
Fälle von Lungenblutung bei Tuberkulose des Näheren zu be¬
richten.
1. Herr F. B„ Theologe, 22 Jahre alt, am 3. XI. 1900 in die
Anstalt eingetreten; in der Ascendenz keine, Jedoch bei 2 Ge¬
schwistern Tuberkulose. Pnt. hatte im März 1S99 ohne alle Vor¬
boten nach raschem Laufen eine geringe Haeraoptoe liekommen.
der weiterhin noch mehrere zum Theil schwere folgten; dabei in
der Kegel einige Tage vor der Blutung Temperaturerhöhung, die
unmittelbar nachher absank.
Pnt. Ist ziemlich gut ernährt (früher sehr stark), zeigt im
ganzen rechten Ober- und Mittelhippen und hinten bis zum 8. Brust¬
wirbel starken Katarrh ohne wesentliche Verdichtungserschei¬
nungen. deutliche Verdichtung der linken Spitze, geringe katar¬
rhalische Erscheinungen hier und an circumskripter Stelle LVU
gegen Seite. Im Auswurf ziemlich zahlreiche Tuberkelbaeilleu;
Puls sehr frequent; übrige Organe ohne Besonderheit. Die Körper¬
temperatur war von Anfang au Morgens erhöht; von der 8. Woche
an ziemlich unregelmässige subfebrile Temperaturen mit einer
zeitweise sehr grossen Tagesschwankung. Einige Tage nach Be¬
ginn dieser Periode wurde sehr vorsichtig mit Intravenösen Hetol-
Injektionen begonnen, welche die Temperaturkurve nicht ver¬
änderten, aber schon nach der 7. Einspritzung wegen der Lungen-
blutuugeu aufgegeben werden mussten.
Am 26. I. 1901 (Tags zuvor doppelseitige Tonsillotomie ohne
wesentliche Nachblutung) und in den nächsten Tagen mehrfache
geringe Haemoptoen. Am 30. T. starke Haemoptoe (fast % Liter).
Wir hatten uns schon einige Tage zuvor Gelatinelösuug nach
Rudolf Hey m an n’s Vorschrift (Münch, med. Woehenschr. 1900.
png. 1109) hei Bender & Hobeln, München, bestellt (2,5 proc.
neutrnlislrte Lösung von Gelatine in physiologischer Kochsalz¬
lösung); nunmehr am 25. II. unter aseptischen bezw. antiseptischen
Knutelen Einspritzung von 120 ccm der nochmals sterillslrteu und
auf 40° abgekühlten Lösung In gleichen Portionen auf beiden
Brustseiten gegen die Achselhöhle hin. Bei dem starken Fett¬
polster des Patienten entstand dadurch keine wesentliche Hervor-
wölbung und die Vertheilung gelang durch sorgfältiges, vorsich¬
tiges Streichen, besonders nach der Achselhöhle hin. leicht und
ohne Beschwerden. Die Einspritzung wnr schmerzlos (Patient
hatte zuvor 0,01 Morph, subcutau bekommen). Erst nach
ca. 2 Stunden trat ziemlich heftiger spannender Schmerz auf beideu
Brustseiten auf, der 2 Stunden auhlelt, übrigens die Athmung nicht
störte. Die schmerzenden Theile waren während dieser Zeit leicht
entzündet und heiss, doch nur wenig druckempfindlich. Pat., ein
sehr intelligenter und sorgfältiger Beobachter, bemerkte schon
8—10 Stunden nach der Einspritzung einen „siegellackartigen“ Ge¬
schmack im Mund, der 1—2 Tage währte. Der Auswurf war.
subjektiv und objektiv, von zäherer Konsistenz.
Es war vom Pat. unangenehm und mit BesorgnlsR empfunden
worden, dass wir auf die Brust zunächst keine Eisblase, wie bei
den früheren Blutungen, batten legen lassen, um die Resorption
der Gelatine nicht zu verhindern: auch überlegten wir uns, dass
die Einspritzung, weun sie wirklich Erfolg hat. vielleicht ganz
analog, nur energischer, wie ein Senfpapier (ableitend) wirke. Wir
versuchten cs daher, als aui 28. II. wieder eine geringe Blutung
auftrat, mit einer Einspritzung von 00 ccm Gelatine unter die
Haut des rechten Oberschenkels. Hier war schon die Vertheilung
der Masse etwas schwieriger: die folgenden Schmerzen waren
stärker und andauernder, als das erste Mal; jener ..Siegellack¬
geschmack“ trat erst viel später und lange nicht so intensiv auf.
Pat. behauptete mit aller Bestimmtheit zu fühlen, dass diese Ein¬
spritzung nicht so gut wirke. Am Abend des 1. III. starke Hacino-
ptoe (Pnt. hatte einen aufregenden Besuch bekommen) und in
der Nacht des 2. III. abermals elue solche. Am 3. III. wurden
80 ccm Gelatine, die wir nun.seihst bereitet batten, an der Brust
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MTJENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2001
10. Dezember 1901.
eingespritzt. Die subjektiven Erscheinungen waren ganz ent¬
sprechend wie das erste Mal. Auch ohne Morph, fast kein pri¬
märer Schmerz, ’)
Der Geschmack war diesmal „gummiartig“, nach 2 Stunden
traten wieder ziemlich starke Schmerzen auf, wurden aber durch
warme Umschläge (die jedenfalls die Resorption begünstigen,
siehe Fall 2) wesentlich vermindert und abgekürzt. In der Folge
traten nur mehr ganz geringe Blutbelmengungen im Auswurf bis
zum 13. III. auf; am 17. TII. nochmals ganz wenig frisches Blut.
Am 0., 10., 13. und 20. III. wurden noch vorsichtshalber 80, 40,
20" und 40 ccm Gelatine auf der Brust eingespritzt und Jedesmal
waren die subjektiven Erscheinungen die typischen. Allmählich
bildete sich eine wenig harte Infiltration des Dntorhautgcwebes
an der Kinspritzungsstelle in etwa Handtellergrösse aus, die bei
Druck schmerzte und die späteren Einspritzungen etwas unan¬
genehmer machte, übrigens bald wieder völlig verschwand. Pat.
zeigte dann noch ein paarmal Spuren Blutes im Auswurf und stand
am 22. III. zum ersten Male auf.
Am Tage nach der ersten und zweiten Einspritzung war die
Körpertemperatur steil in die Höhe gegangen bis 40° (unter der
Zunge), doch auch wieder schnell gesunken; am 2. Tage nach der
3. Einspritzung geringes Fieber, dann normale Temperatur.
Erst späterhin ist wieder ein ausgesprochener subfebriler Status
eingotreten; die Erkrankung der rechten Seite hatte sich in der
Zwischenzeit ausgebreitet.
Im Urin waren niemals Eiweiss — wir halten es nach den
vorliegenden Literaturangaben keineswegs für erwiesen, dnss Ge¬
latineeinspritzung an sich Albuminurie erzeugen könne — oder
Blutbestandthelle nachzuweisen; das spezifische Gewicht war stets
sehr hoch, doch ohne Bezug zur Einspritzung.
Nach schriftlicher Mittliellung des B. sind bis jetzt keine er¬
heblichen Blutungen mehr aufgetreten.
Der Eindruck dieses Verlaufes auf die beobachtenden Mit-
patienteu war so günstig gewesen, dass der Nächste, der eine
einigermaassen wesentliche Haemoptoe bekam, sofort dringend
bat, ebenso behandelt zu werden.
2. Aus der Vorgeschichte des Herrn F. N.. Friseurs, 20 Jahre
alt. aufgenommen am 30. III. 1901. ist zu entnehmen, dass die
Mutter und ein älterer Bruder früher wahrscheinlich an Tuber¬
kulös«* gelitten haben, dass Pat. seit 2 Jahren sich etwas kränk¬
lich fühlte, vor 1 Jahre zu husten begann und seitdem 3 mal
massige Ilaemoptoen, die erste nach einer stärkeren Anstrengung
beim Turnen, durchmachte. Pat. ist In reduzlrtem Ernährungs¬
zustand, zeigt fluchen Thorax, deutliche Verdichtung und trockenen
Katarrh auf dem rechten Oherlappen und in der linken Spitze;
im Auswurf ziemlich zahlreiche Tuberkelbacillen; andere Organe
ohne Besonderheit. Von Anfang an subfebriler Status mit ziem¬
lich erheblichen Tagesschwankungen. Am 23. IV. leichte Haoino-
ptoö (etwa y 4 Liter), ebenso am 30. IV. Hierauf Einspritzung vou
50 ccm sell)stl»ereiteter Gelatinelösung in die linke Brustseite.
Bei dem geringen Fettpolster bildete sich eine sehr erhebliche
Vorwölbung der Haut, doch gelang die Verthellung leicht und
rasch ohne irgend nennenswerthe Schmerzen: «•rat. nach 3 Stunden
stärkere Schmerzen, die ungefähr 2'/ 2 Stunden andauerten und
nach Applikation warmer Umschläge verschwanden. Pat. bekam
schon V/ a Stunden nach der Einspritzung einen deutlich ..gummi¬
artigen" Geschmack im Munde, der atu nächsten Morgen und
Al>cnd nach neuerlicher (versuchsweiser) Anwendung der warmen
Umschläge wieder deutlich auftrat. In der Nacht des 2. V. geringe
Ilneinoptoe; am nächsten Morgen Einspritzung von 50 ccm Ge¬
latinelösung auf der rechten Brustseite unter denselben Verhält¬
nissen; dieses Mal wurden von vornoherein warme Umschläge ge¬
geben und I’at. hüllte sich sehr warm ein. wodurch die Schmerzen
nur in sehr geringem Grade nuftrnten. Von nun an (bis 4. V.)
mir mehr ganz geringe Blntbeimengungen im Auswurf. In der
Brusthaut ist weder subjektiv noch objektiv etwas naohzuweisen,
von Dyspnoe war auch hier nichts zu liemerken.
Die Körpertemperatur war schon 2 Tage nach der ersten grös¬
seren Blutung bis auf 39.2 gestiegen und sank mit starken Morgen-
reniissionen täglich etwas ab; am Tage der 2. Gelatineeinspritzung
(schon vor derselben) nochmalige Akme bis 39.7. seitdem wieder
Abfall.
Im Urin konnten niemals Eiweiss oder Blut nachgewiesen
werden: am 2. V. deutliche Diazoreaktion. die weiterhin bei täg¬
licher Untersuchung nicht wieder auftrat: spezifisches Gewicht
während der ganzen Zeit hoch, jedoch nicht deutlich durch die
Injekthmen beeinflusst Auch N.. der gegenwärtig noch in Be¬
handlung steht, hat kein Blut mehr gespuckt.
Wenn es auch bei «lern wechselvolleu Yorlnut’ der Lungvn-
blutungen bei Tuberkulose gewagt wäre, ihren Stillstand in
unseren Füllen bestimmt auf die Gelutineinjcktion zurückzu-
fiihrcn, so möchten wir es doch in jedem Falle einer starken
Haemoptoe für rathsnm halten, einen Versuch damit zu machen,
’) Vielleicht Ist die unseren Erfahrungen direkt zuwider-
laufende Angabe mehrerer Autoren über grosse Schmerzhaftigkeit
der Einspritzung durch ungenaue Neutralisation der Lösung zu
erklären; wir hatten darauf unter Befolgung der Vorschriften
von Heim (Lehrbuch der Bakteriologie 1S9H, pag. 73 u. 74) beson¬
dere Sorgfalt verlegt. Andererseits hatten wir die Einspritzungen
nicht so ausserordentlich langsam wie andere Autoren, sondern
Jedesmal lm Laufe von 5—10 Minuten durchgeführt.
falls nach den äusseren Verhältnissen die Beschaffung einer ein-
wandsfreien Lösung und ihre aseptische Applikation möglich ist.
Anmerkung während der Korrektur: Bei noch
2 weiteren Fällen hat sich die günstige Wirkung und Schmerzlosig¬
keit erwiesen.
Aus der medicinischen Klinik zu Breslau.
Purpura haemorrhagica bei Lungentuberkulose.
Von Dr. E. Cohn, Volontär-Assistenten der Klinik.
Die relative Seltenheit der Purpura haemorrhagica und die
mangelhafte Aufklärung ihrer Aetiologie geben immer noch Ver¬
anlassung, einzelne Fälle dieser Erkrankung mitzuthcilen; der
vorliegende Fall ist um so mehr dazu angethan, als er die Frage
des ursächlichen Zusammenhanges von Purpura und Tuberkulose
zur Diskussion stellt, und als er sich ausserdem durch unge¬
wöhnliche Intensität der Ilauthaemorrhagien wie der Visceral-
erscheinungcn auszeichnete.
Um die Darstellung des Falles vorwegzunehmen, so handelt
es sich um ein 19 jähriges Dienstmädchen, Ilcdwlg Sch., welche am
13. XII. 1900 in die medieiniseho Universitätsklinik zu Breslau auf¬
genommen wurde. Der Vater d«*r Kranken ist an Lungenschwind¬
sucht gestorben; die Mutter leidet an Gallensteinen; von den Ge¬
schwistern sei keines lungenkrank. Das Mädchen selbst hatte
als Kind Scharlach, Im Alter von 15—17 Jahren „Bleichsucht“,
sonst angeblich keine wesentlichen Inneren Erkrankungen. Die
Periode, die zuerst mit IG Jahren eintrat, sei öfters unregelmässig
gewesen; die letzte Menstruation soll nach 8 wöchentlicher Meno¬
pause vor ca. 8 Tagen stattgefunden haben und nicht besonders
stark gewesen sein. Vor 10 Tageu bemerkte die Patientin, wie sic
sich ansdrüekte, „Blattern“ au den Beinen, ohne dass sie eine un¬
angenehme Empfindung gehabt hätte. Die „Blattern" vermehrten
sich dann, besonders in der Richtung nach oben; es entstand ein
Gefühl von Schwere ln (len Beinen, welche sich vor 4 Tagen
geschwollen zeigten. Das Gefühl wird als das einer schmerzhaften
Spannung, besonders der Waden, ohne erheblichere Beschwerden
von Selten irgend eines Gelenkes augegeben. Iu den letzten Tagen
will die Patientin auch noch ein geringes Schmerzgefühl im Halse
verspürt haben, auf welches sie aber erst durch Befragen auf¬
merksam gemacht wird.
Am Tage der Aufnahme wurde bei ihr der folgende Befund
erhoben: Temp. 37°: Puls 96. Mittelgrosse, graeil gebaute Patien¬
tin von blassem Aussehen, schlaffer Muskulatur und geringem
Fettpolster. Am rechten Unterkiefer eine schmerzhafte Lymph-
drilse. Mässiges Oedem beider Beine, besonders des rechten, am
stärksten in der Knöchelgegend; doch ist die Bewegung der Fuss-
g«*lenke nicht sehr schmerzhaft. Die Kniegelenke, ebenso wie
alle anderen Gelenke, sind frei. Beide untere Extremitäten
sind auf der Vorder- und Rückseite bis zur Beekengegend ziem¬
lich gleiclnnässig von einem fleckigen Exanthem bedeckt. Das¬
selbe besteht aus multiplen punktförmigen bis linsengrossen, an
einzelnen Stellen conflulrenden Flecken, von denen die hochrothon
offenbar jüngeren, die gelb-bräunlichen älteren Datums sind. Alle
behalten bei Ginsdruck ihre Farin* und sind über die Oberfläche
nicht erhaben. Am Rumpf und den oberen Extremitäten finden
sich nur kleine und vereinzelte, im Gesiebt gar keine Eruptionen.
Die Schleimhaut des Rachens zeigt sich leicht gerötbot. die rechte
Tonsille etwas geschwollen mit zerklüfteter Oberfläche. Die
Pupillen reagiren prompt. Ani Halse fällt eine stark arteriell«*
Pulsation auf. An Thorax und Wirbelsäule besteht eine ganz
geringgradige Deformation lm Sinne einer Kyphoskoliose nuf rachi¬
tischer Basis. Die Lungen reichen hinten beiderseits bis zum Pro-
oess. spinös, des XI. Brustwirbels und sind respiratorisch leidlich
verschieblich. Vorn stellt die rechte Luugengrenze am unteren
Rande der VI. Rippe. Perkussion und Auskultation lassen patho¬
logische Verhältnisse nirgends erkennen; es besteht keine Spur von
Husten oder Answurf. Den Anschlag des Herzens fühlt man im
IV. und V. Interkostnlraum diffus und kräftig. Die relative Herz-
(lämpfung reicht nach oben bis zum unteren Rand der III. Rippe,
nach rechts bis fast zur Mitte des Sternums, nach links um Quer-
fingerbreite über die Mammillarlinie hinaus. Die Herzaktion ist
sehr erregt, der I. Ton an der Spitze geriluschnrtlg und paukend,
der II. Puhnonalton acceutuirt. Am Abdomen ist nichts •Be¬
sonderes; Milz und Leber sind nicht palpabel: doch ist die Milz-
dämpfung vergrößert und sehr g«*sättigt. Der Urin erweist sich
als frei von Eiweiss und Zucker. Die 2 Tage später vorgenommen«*
Rlntuntersuehung ergab keine nennenswerthe Herabsetzung des
Haemoglobingehnltes (13 Proc. gegen 15 Proe. in der Norm), keine
btHleutende Leukocytose (9400 im Kubikcentimeter); ebensowenig
ergab die Untersuchung des mit Ehrl! ob's Triaeid gefärbt«*!!
Trockenpriiparntes irgend welche Anhaltspunkte.
Fenier möge bereits an dieser Stelle Erwähnung finden, dass
auch die am 18. XII. vorgenoiiiiiiene kulturelle l'ntersuelniug des
durch Veiinepunktion gewonnenen Blutes ein negatives Resultat
ergeben bat.
Der Verlauf der Erkrankung war nun im Weiteren ein höchst
eigentliümliciier. Bereits in der Nacht vom 14. bis 13. XII. hat
di«* Patientin grössere Mengoen gallig gefärbter Flüssigkeit er¬
brochen. welcher einige grössere auf dein Boden des Gefasst*»
liegende Blutgerinnsel boigemengt waren. Das Erbrechen eben-
2 *
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2002
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
solcher Massen, aber ohne Blutbeiniengung, dauert ln den nächsten
Tagen fort, obwohl die Patientin sehr wenig zu sich nimmt.
Inzwischen blasst das Exanthem an den unteren Extremitäten sein-
rasch ab; es erfolgen al>er neue Blutungen auf den Armen und am
Stamm, während Schleimhäute und Augenhintergrund frei bleiben.
Am linken Unterarme hat sich eine Haemorrhagie im Anschluss
au eine Morpliiuinjektion ausgebildet.
Am IS. XII. gestaltet sich der Status plötzlich sehr ernst.
Nachdem die Patientin schon am Abend vorher über Leib-
schnierzen geklagt hatte, iiussert sie am anderen Morgen heftige,
anfallsweise auftreteude Schmerzen im unteren Thelle des Ab¬
domens. welches keine besondere Auftreibung und keine lokalisirte
PruekempÜndlichkeit zeigt. Habel immer neues Erbrechen galliger
Massen; kleiner frequenter Puls (120 in der Minute) bei niedriger
Temperatur (.'5(1.7 u ) und so starker Collaps, dass das Krankheits-
bild einer schweren peritonealen Reizung dargeboten und un¬
mittelbarer Exitus letalis befürchtet wurde. Ileussymptome fehl¬
ten: der Urin wurde bei der Kochprol>e opaleseent; am rechten
Handrücken fand sich ein leichtes Oedein im Umkreise einer
Haemorrhagie.
Wider Erwarten remittirt das schwere Krankheitsbild bereits
am selben Alteml und am anderen Tage — dem 19. XII. 1900 —
sind Puls und Allgemeinbctinden bedeutend besser. Auch sonst
hat sich der Status bereits wieder verändert: Am linken Ellbogen
sind mehrere bedeutende und tiefsitzende Hautblutuugen von Zehn-
pfennigstück-(»rosse aufgetreten; ausserdem zahlreiche sternförmige
Blutungen am Zäpfchen und welchen (intimen, vereinzelte Blut¬
ungen auch au der Lippenschleimhaut und am Zahnfleisch; schlles-
Ileh noch eine Reihe neuer kleiner Ekchymosen am Gesäss uud
Rücken.
In der nächsten Zeit bleibt bis auf zeitweilige Anfälle von
Koliken und Erbrechen das Allgemeinbefinden zufriedenstellend.
Hie erste Stuhlentleerung nach den schweren gastrischen Erschei¬
nungen vom 18. XII. tritt am 22. XII. ein und erweist sich als
völlig normal, ebenso die folgenden. Interessant und wechselnd
ist Immer noch das Verhalten der Hacmorrhagicn: während die
alten Flecke und auch die letzterwähnten Schleimhautblutungen
in Resorption begriffen sind, bilden sich neue aus, erstens kleinere
Hautblutuugen am rechten Oberarm, dann eine k’eine Conjunctival-
blutung am linken Auge, vor Allem aber grosso konfluirende Blut¬
ungen auf dem Gesäss. welche ihrer seltenen Intensität wegen zur
Anfertigung einer Moulage Veranlassung gegeben haben. Jeder
einzelne dieser Flecke bestand aus einem tiefdunklen Centrum
mit hellerem Hofe. Dann entstanden noch einige neue Fhcke am
linken Knie und bemerk »»nswert her Welse auch solche an clrcum-
scripter Stelle im Bereich einer Eisblase auf der Herzgegend, zu
deren Applikation das Auftreten eines systolischen Geräusches An¬
lass gegeben hatte. Dasselbe Phänomen wiederholte sich einige
Tage später auf der Haut des Abdomens, als der Wiedereintritt
heftiger gastrischer Erscheinungen auch dort die Eisapplikation
notliwendig machte. Diesmal blieben Collapszustündo aus. dafür
kam es zu kleineren Blutungen iu das Darmlumen, welche sich
am .1. und 9. I. 1901 durch blutige Stuhlentleerungen kund gaben.
Nach endgiltigem Abklingen der Intestinalerscheinungen, wie
der llauthaemorrlmgien. lwgnnn allmählich ein anderer Faktor das
Krankheitsbild zu beherrschen, nämlich eine schwere Alteration
des uropoeti sehen Systems, welche schon vor einiger Zeit durch
das Auftreten von Albuinen. Cylinderu und /eiligen Blutelementen
im Urin konstatirt worden war. Am 13. I. fällt an letzterem zum
ersten Mal eine starke, schon dem blossen Auge erkennbare Blut¬
beimengung auf: die Besichtigung eines mikroskopischen Urin-
prüpnrates ergibt das Vorhandensein massenhafter rother und
weisser Blutkörperchen, zahlreicher gekörnter und hyaliner
(’ylinder, sowie auch vereinzelter Wachscyünder. Zugleich mit
dem Eintritt »ler Hnemnturie geht auch die Temperatur, die vorher
nur kurze Zeit fieberhaft, gewesen war. wieder in die Höhe. Die
Menge des ausg»-schled»‘ncn Albaniens schwankt im Allgemeinen
zwischen 2 und 3 I’rom. (Esbach»: der Urin enthält von jetzt
ab täglich eine mehr oder minder grosse Beimengung von Blut.
Das Allgemeinbefinden ist dalxü ein leidlich befriedigendes.
Dies war für einige Wochen die Signatur des Kraukheltsbildes.
bis sein Charakter durch ein ganz neues Moment abermals ver¬
ändert wurde. Scheinbar ln ursächlichem Zusammenhänge mit
einer Erkältung begann die Patientin, was vordem nie bemerkt
worden war, zu husten. Am 9. II. wurde bei Ihr feuchtes Rasseln
über beiden Oberlappen ohne perkutorische Veränderungen ge¬
funden. Es bestand auch etwas Auswurf, der aber vorwiegend
schleimig und so völlig unverdächtig aussah. dass seine mikro¬
skopische Untersuchung zunächst unterlassen wurde. Erst als
nach einigen Tagen bei entsprechender Therapie der Husten nicht
nachliess. wurde der Patientin .Todkali gereicht, worauf eine
stärkere Expektoration erfolgte und in dem so erhaltenen Material
reichlich Tuberkclbacillen nachgewies»-n wurden. Auf Grund dieser
Erfahrung wurde die gleiche Untersuchung an dem centrifugirten
Urinsediment vorgenommen, aber mit negativem Krgehniss.
Die Krankheit nimmt nunmehr — bei gleichzeitig b»»siehend»»r
haeniorrh.-uriseht r Nephritis den Verlauf einer rapid fortschrei-
ienden Phthise. Am 23. H. ist bereits ein deutlicher auskultatori¬
scher und perkutorischer Befund in »ler Krankengeschichte
notirt: «lie Perkussion ergibt üb» r der rechten Lungenspitze vorn
und hinten gediimi'l'i-tytnpanitisch'. n Sehall. im ersten und zweiten
Intei-kostalraum vorn m-hterseits ausgesprochen»» T.vmpanfe; über
• ler linken Spitz«» intensiven» Dämpfung, nach vorne »lie Clavikel
mit < innelmiend. Die Auskultation ergibt re»»bts deutii»-b ver¬
längertes, stark bronchiales Exspirium und fmu-ht«», nach Llusten-
stössen etwas liell klingende Rasselgeräusche auf der Höhe des vesi¬
kulären Inspiriums; links ist «las Athemgeräusch abgeschwächt, von
sehr dichtem feinblasigeu Rasseln begleitet. — In den letzten
Krankheitstageu stellte sich »lauu noch eine Ulceration im Larynx
ein (links an der hinteren Commissur sitzend) und am 5. III. 19‘Jl
erfolgte der Exitus.
Die Obduktion ergab: Vorg»»schrlttene cavernöse Phthise beider
Oberlappen, besonders des rechten (links waren zwei Caverneu
mit Eiter und Gewebstheileu ausgefüllt. rechts eine von über
Wallnuss-Grosse). Herz klein, ohne Besonderheiten. In der Bauch¬
höhle: Serosa Spiegelud und glatt: Milz von normaler Grösse uud
weich; Leber vergrössert mit Muskatnusszeichnung auf dem Durch¬
schnitt. Nieren zeigen Verfettungen und zahlreiche kleine llaemor-
rlmgien; mlkroskopiscli sieht man massenhafte Blutungen in Glo-
meruli und Kanalsystem bei verhältnissiuässig sehr geringer Be¬
theiligung des interstitiellen Gewebes: Nebennieren, auch mikro¬
skopisch. ohne Besonderheit; Genitalorgnne ebenso; int Dann
finden si»»h verschiedene hellroth pigmeutirte Stellen, die P e y e r'-
scheu Plaques geschwollen, nnt Eingang «les Processus vermiformis
zwei ganz kleine Geschwüre.
Resumircn wir noch einmal die Gruntlzijge dieses Fall»?s,
so haben wir: Beginn der Erkrankung bei einem vorher gesunden,
aber hereditär belasteten Individuum mit haemorrhagischcr l)ia-
these, heftigen Visceralerscheinungen, ohne Betheiligung von
Gelenken; weiterer Verlauf unter dem Bilde der haemorrhagi-
schen Nephritis und als Finale eine Phthise. Die Fragestellung
für eine epikritische Beurtheilung des Falles ergibt sich von
selbst. Erstens: Hat die Phthise zur Zeit der Purpuraeruption
bereits latent, bestanden oder ist sie jüngeren Datums? Sodann
— für den Fall, dass die erster» 4 Möglichkeit zutrifft — ist ein
Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen denkbar, und
welcher?
Die erste Frage kann auf Grund des Organbefundes in
autopsia und des Vorliegens einer hereditären Disposition wohl
mit Sicherheit bejaht werden.
lind wenn wir uns somit der zweiten Frage zuwenden, st*
haben wir zunächst eine Reihe anderer Möglichkeiten, welche
zur Entstehung einer Purpura Anlass geben könnten, auszu-
schliessen versucht. Vor Allem wurtle, nachdem die bakterielle
Blutuntersuehung keinen Aufschluss gegeben hatte, an irgend
eine Vergiftung gedacht, wobei ja wiederholt purpuraartige
Exantheme beobachtet worden sind. Allein erstens ist in der
Umgebung des Mädchens nach ihrer und des behandelnden Arztes
Aussage kein weiterer derartiger Krankheitsfall vorgekommen
und zweitens hat sich auch sonst bei eingehendster Inquisition
nicht der geringste Anhaltspunkt für die obige Annahme finden
lassen; unter anderem erwies sich das Roth von Papierblumen,
welche die Patientin kurz vor ihrer Erkrankung angefertigt hatte,
als ein völlig unschädlicher, organischer Farbstoff. Nachdem
dann die Tuberkulose als ätiologische« Moment in Betracht kam,
haben wir uns in der Literatur nach Analoga eines solchen Falles
umgesehen. Dabei hat es sich gezeigt, dass in der sehr umfang¬
reichen Literatur über Purpura, in der allen erdenklichen Ein¬
flüssen ätiologische Geltung zugesprochen wird, die Tuberkulose
nur eine sehr geringe Rolle spielt.
Von Wiechel, welcher über die „Aetiologie der liaemor-
rhagischen Dlathesen mit besonderer Berücksichtigung derselben
b»»l Lungentuberkulose“ eine Dissertation (Greifswald 1897) ver¬
fasst hat, wird das Vorkommen von Purpura lm Gefolge von Tuber¬
kulose geradezu als „ausserordentlich selten“ bezeichnet ln dieser
Arbeit wird die genaue Krankengeschichte eines dem unserigen
analogen Falles aus der Greifswalder Klinik mitgethellt auf dessen
Deutung wir an einer anderen Stelle zurüekkommen werden; Bei¬
spiele aus der Literatur finden sich aber nicht lierangeeogen.
Es sei uns daher gestattet, das der zu unserer Verfügung
stehenden Literatur entnommene Material ohne Anspruch auf ab¬
solute Vollständigkeit an dieser Stelle kurz zu referlren. Am
meisten an unsere Beobachtung erinnert das, was Molllöre
(Annoles de Dermatologie 1887) als Purpura prömonltolre de lu
tuberculose pulmonnire bezeichnet hat. Der von Ihm mitgethellt.»
Fall (Ohsen-. XVI) betrifft »»Inen 20 jährigen Mann ohne hereditäre
Belastung und ohne Alkoholmissbrauch iu der Anamnese (der mit¬
unter auch eine ätiologische Rolle spielt>, bei dem lm zeitlichen
Anschluss an die Purpura eine Lungentuberkulose manifest wurtle,
die aber »ler Darstellung des Falles nach mit Sicherheit schon vor¬
her bestanden hatte. Bei demselben Autor findet sieh noch ein
zweiter Fall (Observ. III), wo ebenfalls ein jugendliches Indi¬
viduum im Verlauf einer Tuberkulose eine I’urpuraerkrankung
durehgemacht hat Dem erstgenannten Falle sehr ähnlich
ist ein von Herzog (Arch. f. Kiuderheilk. XI) mitgelheilter.
in welchem der Publicist hei einem 4*/ s jährigen, an Purpura er¬
krankten Knaben die Prognose desshall) dubiös g»»stellt hatte, weil
lmroditäro Belastung mit Tuberkulose vorlag. Der Knabe ist dann
nach mehrfachen Itecidiven von Purpurn an allgemeiner Tuberku¬
lose im Alter von 11 Jahren zu Grunde gegangen. Sonst hat es*
sich öfter uni Phthisiker in stadio ultimo gehandelt, bei welch«»»
hnemorrlingische Diathesc eintrat; von solchen berichten Lelofr
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10. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2003
(Aunales <le Dermatologie 1884). Wagner (Deutsch. Arcli. f.
klin. Med. Bd. 39). V a r i o t (Journal de l'anntomle et de la physiol.
No. G; Ref. Virehow-Hirsch Jahresbericht 1887, S. 257) und Wood-
bury (Phlladelph. med. Times, 18. Sept; Ref. Vlrehow-Hlrsch
Jahresl»e rieht 188G).
Anderweitige Beobachtungen der Kombination von Purpura
mit Lungentuberkulose Anden sich ferner noch l»el Steffen
(Jahrb. f. Kinderheilk. 37, I) — Fall eines 10 jährigen Mädchens,
defunkt an verbreiteter Tuberkulose und chronischer Peritonitis —,
bei Plgot (Cnvernensymptome im linken Oberlappen, Gaz. hebd.
de mGd. et de Chirurg. 1807: Ref. Centralbl. f. Innere Med. 1898)
und bei Rathery (Union med. 1883; Ref. Centralbl. f. innere
Med. 1884), letzterer Fall dadurch interessant, dass die Trägerin
der Phthise nach abgelaufener Purpura eine Pockeninfektion in
Gestalt einer leichten Variolols, nicht aber einer haemorrhagischen
Variola durchmachte. Ferner beschreibt Scheby-Buch unter
3G Purpurafällen 3 mit tuberkulös erkrankten Lungen (Deutsch.
Arch. f. klin. Med. Bd. 14). Unter einen etwas anderen Gesichts¬
punkt fällt die von Burreiff gemachte Beobachtung eines
rasch letal verlaufenden Falles (Observation d'un cas de maladie
de Werlhof (Purpura haemorrhagiea) il inarche foudroyante; Ree.
dt* mein, de Möd. mil. 78; Ref. Vircliow-HIrsch Jahresber. 1878),
in welchem bei der Sektion ausser kleinen InAltraten ln einer
Lungenspitze eine Vergrösserung der Nebennieren mit käsiger Er¬
weichung ihrer Marksubstanz gefunden wurde. Es sind nämlich
auch Fälle von Purpura bei Drilsentuberkulose bekannt gegeben
worden; so von H o k e bei Tuberkulose der rechtsseitigen iliacalen
und retroperitonealen Lymphdrilsen und lokaler chronischer
Nierentuberkulose (Wien. klin. Wocheusclir. 1897, No. 35; Ref.
Virehow-Hirsch Jahresber. 1898) und von Palmedo bei Schwel¬
lung der Halsdrüsen eines aeuaeinischen. hereditär belasteten In¬
dividuums (Dissertation Würzburg; Ref. Virehow-Hirsch Jahresber.
1890). Ferner theilt Re inert (Münch, med. Wochensclir. 1S95)
einen Fall von Barlow’scher Krankheit mit enormen Blutungen
bei einem 3 Jährigen Knaben mit, dessen Autopsie latente Bron¬
chialdrüsentuberkulose ergab, ohne dass aber der Beobachter die¬
selbe für die haemorrhaglsohe Diathese verantwortlich macht.
Erwühnenswerth ist schliesslich noch eine Publikation Voll-
bracht’s (Wien. klin. Wochensclir. 1899, No. 28; Ref. Centralbl.
f. innere Med. 1899, 20), welcher bei einem 15 jährigen Mädchen
11 Monate nach voraufgegangener Purpura haemorrhagiea einen
Morbus Addison! sich entwickeln sah und bei der Obduktion eine
Tuberkulose der Nebennieren fand. In unserem Falle waren, um
es nochmals hervorzuheben, die Nebennieren intakt. Soweit die
kasuistischen Mittheilungen in der Literatur, denen wir nur noch
die Bemerkung anschliessen wollen, dass v. Kagerer ln einen»
Artikel „Zur Entstehung von Hauthaemorrliagien“ (Zeitschrift für
kfmisclie Medicin. X. S. 234) bei den Blutaustritten im Verlaufe
chronischer Krankheiten u. a. auch die bei der Tuberkulose er¬
wähnt, und dass M a t h i e u unter seinen Purpuras cachectiques
(Arch. g£n6ral de m6d. 1883, Sept.; Ref. Virchow-Hirsch’s Jahres¬
bericht 1883) neben progressiven Anaemlen und hydroplschen
(id est Herz- und Nieren-) Krankheiten der Tuberkulose ihren
Platz einrüumt.
Wenn also das Zusammentreffen von Purpura und Tuber¬
kulose nach der Ansicht einer Reihe von Autoren mehr als eine
zufällige Kombination zu bedeuten hat, so ergibt sich von selbst
die weitere Frage nach der Erklärung ihres Zusammenhanges.
Eine Art desselben, die theoretisch möglich wäre, glauben wir
für unseren Fall mit Sicherheit ausschliessen zu können, näm¬
lich die Annahme von multiplen Embolien; und zwar desshalb,
weil die Lokalisation der Haemorrhagien an Orten der Ein¬
wirkung mechanischer Insulte (Gesäss und Ellbogen bei Rücken¬
lage, Haut des Rumpfes unterhalb einer Eisblase, Einstichstelle
einer Pravaz’schen Spritze) durchaus für eine lokale Erhöhung
der Disposition zu Blutaustritten zu sprechen scheint. Als ana¬
tomisches Substrat für dieselbe möchten wir eine Schädigung
der Gefässwände annehmen und stützen uns dabei auf die An¬
sicht Litton’s (Nothnagel’s spez. Therapie Bd. 8, III), der
dieses Moment insbesondere für Blutungen bei chronischen
Krankheiten, wie Tuberkulose, gelten lässt; befinden uns auch
in Uebereinatimmung mit W i e c h e 11, der den oben citirten
Fall aus der MosleFschen Klinik bearbeitet hat, während
L e 1 o i r für den seinigen (Annales de Dermat. 1884) eher eine
Blutalteration anzunehmen geneigUTst.
Von Wi ec hell möchten wir auch die Erklärung dafür
acceptiren, wesshalb die Purpura im Verlauf einer Tuberkulose
bei scheinbarem Fortbestehen der grundlegenden Schädlichkeit
nur ein interkurrentes Ereigniss bildet. Er sieht den Grund
darin, dass die haemorrhagische Diathese (id est Alteration der
Gefässwand) durch die Resorption von Toxinen aus einem plötz¬
lich zerfallenden tuberkulösen Herde bedingt sei, deren Ausschei¬
dung aus dem Körper naturgemäss zu einem Erlöschen des
Symptomes führen müsse.
Für unseren Fall, der ja sichtlich mit dem Floridwerden
eines vorher latenten Processes einherging, scheint uns diese
Erklärung um so mehr zu passen, als darin auch die haemor-
No. 50.
rhagische Nephritis, herbeigeführt durch die Ausscheidung der
Toxine, ihren Platz findet. Wir sind uns natürlich wohl be¬
wusst, dass der einzelne Fall nicht danach angethan ist, um be¬
weiskräftige Schlüsse daraus zu ziehen, dass insbesondere der
Einwand, es könne dasselbe unbekannte Krankheits-Agens,
welches die Purpura hervorgebracht hat, auch das Virulent werden
einer alten Tuberkulose ausgelöst haben, nicht mit Sicherheit
widerlegt werden kann. Immerhin glauben wir, dass, wenn der
Fall sich noch anderen Beobachtungen anreihen sollte, er nicht
ohne Werth ist, und dass er jedenfalls genug des Interessanten
bietet, um die kasuistische Mittheilung zu rechtfertigen.
Ueber einen neuen Apparat zur Bestimmung des
Haemoglobingehaltes im Blute.*)
Von Prof. Dr. Gustav Gaertner in Wien.
Die Entscheidung der Frage, ob ein Individuum anaemisch
ist oder nicht, tritt an alle Aerzte täglich heran; sie sollte eigent¬
lich in jedem Krankheitsfalle gestellt und beantwortet werden.
Unter den Abnormitäten des Blutes, die in Betracht gezogen
werden müssen, sind aber die Abweichungen im Haemoglobin-
gehalt sicherlich die allerwichtigsten. Sie sind es auch, die unser
therapeutisches Handeln am meisten beeinflussen.
Es gibt bekanntlich verschiedene Vorrichtungen zur Bestim¬
mung des Haemoglobingehaltes. Ich will sie hier weder auf-
zählen noch beschreiben, noch im Einzelnen kritiairen. Einen,
wie ich glaube, kapitalen Fehler muss ich aber hervorheben, der
allen in klinischer Verwendung stehenden Apparaten dieser Art
gemein ist; denn das Vermeiden dieses Fehlers war die Aufgabe,
die ich mir gestellt und die ich auch gelöst habe.
Die Bestimmung des Haemoglobingehaltes geschieht auf
colorimetrischem Wege. Sie wäre recht einfach, wenn wir jeder¬
zeit ein „Normalblut“ zur Hand hätten, mit dessen Farbe wir
das zu untersuchende Blut — selbstredend in entsprechender Ver¬
dünnung — vergleichen könnten.
Dieses Postulat kann aber schon aus dem einen Grunde nicht
erfüllt werden, weil das Blut eine äusserst labile Substanz ist,
die sich, wie später noch ausführlicher besprochen werden wird,
namentlich in der Farbe schon in kurzen Zeiträumen verändert.
Man musste also andere Vergleichsobjekte heranziehen. Mit
diesen wird entweder eine verschieden dicke oder verschieden
konzentrirte Blutlösung verglichen oder das Vergleichsobjekt ist
keilförmig gestaltet und es wird die Stelle des Keila aufgesucht,
die der in bestimmter Weise hergestellten Blutlösung in der Farbe
entspricht.
Alle diese Vorrichtungen haben nun den gemeinsamen Uebel-
stand, dass das Vergleichsobjekt in seiner Farbe dem Blute nur
mehr oder weniger ähnelt, aber durchaus nicht gleicht. Dies gilt
ebenso vom V. Fleisch l’schen Keil, wie von der Pikrokarmin-
gelatine des Gowers’schen und den Kartonscheibchen des
Hayem’schen Apparates.
Die sichere Beurtheilung gleicher Sättigung ist aber nur
hei identischer Farbe der beiden Vergleichsobjekte, ferner
bei Vorhandensein verschiedener anderer Bedingungen möglich.
Um diese letzteren zu charakterisiren, will ich nur beispiels¬
weise an führen, dass die stark lichtbrechende, vollkommen klare
Gelatine des Gowers’schen Apparates stets einen wesentlich ver¬
schiedenen Gesichtseindruck hervorruft, als die trübe, schwächer
lichtbrechende Blutlösung.
Ich habe beim Arbeiten mit diesem Apparat niemals das an¬
genehme, sichere Gefühl, wirklich zu messen, sondern die be¬
drückende Empfindung des Rathens, des oberflächlichen Schützens.
Als spezieller Fehler des weitverbreiteten Gowers’schen
Apparates ist noch der Umstand hervorzuheben, dass es bei der
Anwendung desselben kein Zurück gibt, wenn man versuchs¬
weise oder aus Unachtsamkeit zuviel Wasser zugesetzt hat. Wir
können nicht durch wiederholten Vergleich aus zwei Werthen
den richtigeren auswählen, sondern müssen uns sofort für den
einen entscheiden.
Mein neuer Apparat beruht auf folgenden, zum Theil be¬
kannten, zum Theil erst von mir ermittelten Prinzipien.
Eine Blutlösung, resp. eine Oxyhacmoglobinlösung, abeorbirt
neben anderen auch die sogen, aktinischen Strahlen. Dieser auch
*) Vortrag, gehalten auf der 72. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerite su Hamburg.
a
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2004
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
aus dein Studium des Spektrums sich ergebende Umstand, ist
schon beachtet, ja praktisch verwerthet worden. Finsen hat
gezeigt, dass eine photographische Platte unverändert bleibt,
wenn auf sie durch das Ohrläppchen hindurch Lichtstrahlen ge¬
schickt werden, dass aber die Lichtwirkung eintritt, wenn man
das Ohrläppchen durch Kompression auaemisch macht.
Eine drei- oder vierprooentige Blutlösung ist schon in einer
Schichte von wenigen Millimetern Dicke für die photographisch
wirkenden Strahlen undurchlässig. Andererseits macht
sich bei richtiger Auswahl der Verdünnung
ein geringer Konzentrationsunterschied auf
photographischem Wege bereits deutlich be¬
merkbar. Ich nahm zwei Blutlösungen, die sich in ihrem
Gehalt an Blut wie 100:103 verhielten, füllte dieselben in zwei
planparallele Glaskammern von genau gleicher Beschaffenheit.
Weder im durchfallcnden Lichte noch im auffallenden Lichte
auf weisser Unterlage konnte ich einen Unterschied in der Fär¬
bung der beiden Lösungen sicher erkennen. Das Unterscheidungs¬
vermögen für so feine Nuancen ist übrigens sicherlich bei ver¬
schiedenen Menschen sehr verschieden.
Legt man die beiden Kammern nebeneinander auf photo¬
graphisches Papier und setzt das Ganze dem Lichte aus, so wird
dieses in der konzentrirteren Lösung mehr von seinen chemischen
Strahlen verlieren, als in der anderen und die photographischen
Kopien der beiden werden, in geeigneter Weise verglichen
jedem Auge unverkennbare Unterschiede der Tönung auf¬
weisen. Der verdünnteren Lösung entspricht natürlich eine
stärkere Bräunung des Papieres.
Das photographische Kopir-Verfahren
macht also an und für sich nicht wahrnehm¬
bare Unterschiede im Haemoglobingehalt
deutlich erkennbar').
Die Kefintniss dieser Thatsachen war für mich der Aus¬
gangspunkt zum Baue des neuen Instruments. Ein weiter und
beschwerlicher Weg musste aber durchmessen werden, ehe das
Ziel erreicht wurde. Dass dies gelang, danke ich unter anderem
den freundlichen Rathschlägen des bekannten Fachmannes auf
dem Gebiete der Photochemie, Hofrath Dr. J. M. Eder, Leiters
der graphischen Lehranstalt in Wien. Es hat mir eine grosse Ge¬
nugtuung gewährt, als ich später aus seinem Munde das bei¬
fälligste Urtheil über den fertigen Apparat vernehmen konnte.
Ich kann nicht umhin, auch der Firma Siebert in Wien
und speciell dem Organ derselben, Herrn E. Strohmayer, der
unermüdlich meinen zahlreichen Wünschen entgegenkam, den
besten Dank auszusprechen.
Der neue Apparat, der den Namen Ilaemophotograph
führen soll, besteht in der Hauptsache aus einem „photographi¬
schen Keil“ und einer Kammer, die zur Aufnahme der Blutlösung
dient. Ausserdem enthält derselbe die Einrichtungen zur Her¬
stellung einer entsprechenden Blutverdünnung und eine Blende,
deren Zweck später erwähnt werden wird.
Der wichtigste Bestandteil ist der „photographische Keil“.
Es ist dies ein Glasdiapositiv von 1 cm Breite und 10 cm
Länge, welches wir uns in verschiedenster Weise hergestellt denken
können. Z. B. so, dass man von dem aus Rubinglas gefertigten
Keil des Fleisch l’schen Apparates ein photographisches Nega¬
tiv und von diesem ein Diapositiv erzeugte. Oder indem man
eine rechteckige photographische Platte an dem einen Ende für
sehr kurze Zeit und gegen das andere Ende fortschreitend immer
länger belichtete.
In Wirklichkeit hat sich nach langem Probiren nur die
Methode als zum Ziele führend erwiesen, die in der wissenschaft¬
lichen Photographie bei der Sensitometrie verwendet wird.
Das Ergebniss ist eine Platte, die an dem einen Ende fast
glashell ist und gegen das andere Ende zu in gesetzmässig fort¬
schreitender Weise immer undurchsichtiger, bezw. dunkler wird.
F.s ist gewiss überflüssig, zu erwähnen, dass die Schwärzung
durch die unter der Lichteinwirkung und der nachträglichen
photographischen Behandlung ausgeschiedenen Silberpartikelchen
entsteht.
’) In analoger Weise wird bekanntlich die Photographie zur
Aufdeckung von Fälschungen ln Dokumenten augewendet. Unter¬
schiede in der Tiutenfarbe, die bei einfacher Besichtigung nicht er-
keuubar sind, verrathen sich deutlich im photographischen Bilde.
Parallel mit dem Keil und mit ihm auf derselben Glasplatte
vereinigt, befindet sich eine in Centimeter und Millimeter ge-
theilte, ebenfalls auf photographischem Wege hergestellte Scala,
deren Anfang dem hellen Ende des Keils entspricht.
Die Schichtseite von Keil und Scala ist durch einen Firniss¬
überzug widerstandsfähiger gemacht.
Die „Kammer“ besteht aus einer basalen Glasplatte von
gleicher Länge wie der Keil, in deren Mitte ein Rähmchen aus
Hartgummi von stets gleicher, ungefähr 2 mm betragender Höhe
aufgekittet ist, welches einen cylindrischen Hohlraum von kreis¬
rundem Querschnitt enthält. Eine abnehmbare quadratische Glas¬
platte bildet die Decke dieses zur Aufnahme der Blutlösuug
dienenden Gefässes.
Der Keil mit der Scala ist in einem kleinen photographischen
Kopirrahmen befestigt, der an der einen Seite ein Chamiergelenk
trägt und mittels zweier, federnder Klammern fest geschlossen
werden kann. In diesem Rahmen findet auch die mit der Blut¬
lösung beschickte Kammer Platz, wie aus der Abbildung (Fig. 1)
ersichtlich ist.
Fig. 1.
Noch sei erwähnt, dass ein kleines Segment des Kammer¬
bodens, und zwar der unteren Fläche desselben, welche mit der
Flüssigkeit nicht in Berührung kommt, mit hellvioletter Farbe
bemalt ist.
Behufs Vornahme einer Untersuchung wird der Rahmen ge¬
öffnet und nach Einfügung eines photographischen Papieres
wieder geschlossen.
Jetzt wird exponirt, indem der Rahmen auf einer Fenster¬
brüstung oder einem anderen geeigneten Ort dem zerstreuten
Tageslicht ausgesetzt wird.
Die Exposition dauert so lange, bis die beiden durch die
Blutlösung hindurch sichtbaren Abschnitte des Kammerbodens
im Ton annähernd gleich erscheinen. Der eine Abschnitt ist,
wie erwähnt, mit unveränderlicher Oelfarbe von einer durch die
Erfahrung als geeignet erprobten Tönung untermalt, den anderen
bildet das im Beginn weisse, im Lichte aber dunkelnde photo¬
graphische Papier.
Eine Zeit lang erscheint dieser Abschnitt heller, dann wird
er dem anderen gleich oder doch sehr ähnlich, und wenn man
weiter exponirt, wird er dunkler als der andere.
Der Zeitpunkt, wo die beiden Theile des Kammerbodens,
durch die Blutlösung hindurch gesellen, annähernd gleich er¬
scheinen, entspricht einem auf dem Wege der Erfahrung er¬
mittelten Optimum für die Genauigkeit der Messung.
Theoretisch sollte diese von der Dauer und von der Intensität
der Belichtung unabhängig sein. Thatsächlich ist aber sowohl
bei allzu kurzer Exposition, bei der das Bild des Keils nur an dem
einen Ende gebräunt, im Uebrigen aber noch gleichmässig weiss
erscheint, oder bei allzu langer Belichtung, wo der ganze Keil
gleichmässig dunkel wird, eine genauere Messung selbstredend
unmöglich. Kleine Abweichungen in der Expositionszeit nach
der einen oder der anderen Richtung sind aber belanglos.
Ich will gleich hier einem Einwand begegnen, der gegen die
leichte Ausführbarkeit der Methode in praxi erhoben werden
könnte, und zwar vielleicht gerade von Seite der in jedem Stande
und auch unter den Aerzten heute so zahlreich vertretenen Photo¬
graphen, also gewissermaasßen von den Fachleuten.
Man wird sagen, die Herstellung einer photographischen
Papierkopie, als welche sich der ganze Vorgang darstellt, er-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2006
10. Dezember 1901.
fordert unter ungünstigen Bedingungen — bei schlechtem Licht,
besondere im Winter — allzu viel Zeit.
Zur Beruhigung dieser meiner Leser sei nun angeführt, dass
eine vollständige Messung, die Copierzeit inbegriffen, 5 bis
höchstens 15 Minuten, im Durchschnitt 7 Minuten, erfordert.
Die Expositionszeit allein beträgt bei gutem Licht meist
2—3, bei schlechtem Licht 10—12 Minuten.
Zur Herstellung einer photographischen Landschaft*}- oder
Portraiteopie braucht man bekanntlich viel länger. Die Blut¬
lösung, durch welche das Licht hindurchgeht, ist eben sehr ver¬
dünnt, die Fliissigkeitsschichte beträgt nur 2 mm und die Tönung,
die erreicht werden soll, ist so wenig tief, dass sio schon in der
angegebenen kurzen Zeit erzielt wird.
Es ergabt sich aus dem Vorhergehenden, dass Blut mit hohem
Ilaemoglobingehalt länger exponirt wird, als solches von chloro-
tischen oder anaemischen Personen. Die oben angeführten Zahlen
für die Expositionszeit sind die Maxima und entsprechen dem
normalen Blute.
Nach beendeter Belichtung wird der Rahmen geöffnet und
das Papier aus demselben herausgenommen; es entspricht der bei¬
stehenden Figur 2.
Flg. 2.
Wir sehen, von oben nach unten schreitend, die Millimeter¬
scala, dann das Bild des Keils, endlich von einem weissen,
aussen quadratischen Felde umgeben, das kreisförmig begrenzte
Bild der Blutkammer.
Unsere Aufgabe ist es nun, zu bestimmen, welchem Punkte
des Keils das Blutbild im Tone gleichkommt. Diese Entschei¬
dung ist nur möglich, wenn man die zu vergleichenden Theile
unmittelbar nebeneinander sieht, und wenn alle Objekte, die
durch Kontrastwirkung unser Auge täuschen könnten, verdeckt
werden.
Man schneidet zu diesem Zwecke das gewonnene Bild an
2 Stellen mit einer Scheere entzwei. Der eine Schnitt geht, wie
aus Fig. 2 ersichtlich, durch die Mitte des Blutbildes, der andere
durch den Keil nahe dem unteren Rande desselben. Jetzt legt
man das Blutbild neben dem Keil, und über
beide die Blende, so dass in dem runden
Fenster derselben Blutbild und Keilbild
gleichzeitig sichtbar werden (Fig. 3).
Jedes der Bilder muss genau die Hälfte
des kleinen Gesichtsfeldes ausfüllen.
Ist dies geschehen, so verschiebt man
das Keilbild nach auf- oder abwärts, bis
die beiden Hälften des Gesichtsfeldes
identisch erscheinen.
Diese Einstellung ist so
leicht und so einfach, dass sie
von den Meisten beim ersten
Versuch, vo n Jedermann nach
ganz kurzer Hebung ausge¬
führt wird.
Wie ersichtlich, handelt cs sich dabei
um eine Einstellung auf gleiche
Sättigung derselben Farbe,
wie im Ilalbechattenpräparat’).
Thatsächlich stellt nicht bloss der¬
selbe Beobachter bei wiederholter Ablesung,
sondern auch verschiedene Beobachter fast ausnahmslos auf den¬
selben Theilstrich ein.
J ) Die aus der „Keilform“ sich ergel>ende UngleielimHssigkeit
des Gesichtsfeldes macht sich dabei ebensowenig geltend wie lm
F 1 e i s c h 1'sehen Apparate. Sie kommt nicht zu unserem Be¬
wusstsein und wir steilen unwillkürlich auf den mittleren Ton. der
der Mitte des Gesichtsfeldes entspricht, ein.
Fig. 3.
Die übrigen Bedingungen für eine exakte Bestimmung sind
nicht schwer einzuhalten. Das Licht muss genügend hell seiu,
darf aber doch nicht zu viel chemische Strahlen enthalten, um
schon während der Ablesung eine wesentliche Veränderung der
zu vergleichenden Objekte hervorzurufen. Am besten geeignet
ist künstliches Licht, z. B. Petroleum, gewöhnliches Gaslicht und
elektrisches Glühlampenlicht. Auerlicht enthält recht viel che¬
mische Strahlen, man nähere sich demselben also nicht zu sehr
— auf 1 m Distanz kann man es ohne Weiteres an wenden —.
Elektrisches Bogenlicht ist zu vermeiden, vor Allem natürlich
direktes Sonnenlicht.
In den meisten Fällen wird die Ablesung bei gedämpftem
Tageslicht vorgenommen. Man begibt sich, nachdem die Ex¬
position beendet ist, in den dunkelsten Tlieil des Arbeitsraumes,
führt die nothwendigen Manipulationen — Entfernen der Kopie
aus dem Rahmen, Zerschneiden, Adaptiren an die Blende da¬
selbst — und noch mit der Vorsicht aus, dass man das Objekt
durch den eigenen Körper beschattet. In dieser Weise stellt man
provisorisch ein, kehrt sich dann dem Uchte zu und kontrolirt
oder korrigirt die Einstellung.
Der ganze Vorgang erfordert nur einige Sekunden. Will
man die Einstellung wiederholen, so bedeckt man das Fenster
der Blende mit der Kuppe eines Fingers und lässt das Auge in¬
zwischen ausruhen.
Bei künstlicher Beleuchtung ist man natürlich unabhängiger
und kann sich beliebig viel Zeit nehmen.
Die erste Ablesung, die ein Beobachter vornehmen wird,
sollte er nur bei künstlicher Beleuchtung durchführen. Sobald
ihm aber die wenigen, einfachen Handgriffe geläufig sind, wird
er wohl lieber bei gedämpftem Tageslicht arbeiten.
Im schlimmsten Falle, wenn man aus Unvorsichtigkeit das
‘ Tageslicht zu lange einwirken liess, schneidet man von den beiden
Objekten einen 3 mm breiten Streifen ab und hat nun wieder
durch die Blende geschützte, also imveränderte Stellen zur Ver¬
fügung.
Es ist ein naheliegender Gedanke, die Papierkopie zu fixiren,
also unveränderlich zu machen, ehe man die Messung vornimmt.
Dies gelingt ganz leicht und der hierbei einzuschlagende Weg
soll sofort beschrieben werden. Vorher sei aber betont, dass dieser
Vorgang, der doch immerhin Zeit und die Mithilfe von Chemi¬
kalien erfordert, zur Ausführung genauer Messungen nicht notli-
wendig ist.
Will man dennoch am fixirten Bilde arbeiten — vielleicht
zu dem Zwecke, um ein unveränderliches Dokument zu gewinnen,
das der Krankheitsgeschichte einverleibt werden kann — dann
kopire man etwas tiefer als vorhin angegeben (so dass also das
Papier unter der Kammer dunkler wird als das untermalte Seg¬
ment desselben), fixire und tone im Goldbade *), wasche und
trockne genau nach den Regeln der Photographenkunst.
Beim Fixiren und Tonen oder bei der Vereinigung beider
Proceduren zu einer, dem „Tonfixiren“, achte man darauf, dass
alle Theile des Bildes gleichzeitig von der betreffenden Flüssigkeit
benetzt werden, da sonst grobe Fehler unterlaufen können.
Die fertige Kopie wird dann nach Fig. 2 zerschnitten und
Abschnitt 2 mit dem Kammerbilde um 180 0 gedreht mul
mit dem Abschnitt 1 zusammen auf einen Karton so aufgeklebt,
wie es zur Ablesung nothwendig ist. Eine durch die Mitte des
„Blutbildes“ gezogene Vertikale falle mit dem abgelesenen Scalen-
theile zusammen. Man kann dann jederzeit die Messung kontrol-
liren, indem man die Blende wie in Fig. 3 auflegt und parallel
mif, der Schnittlinie verschiebt, bis die beiden Bildhälften iden¬
tisch erscheinen.
Man erreicht am fixirten Bilde meist nicht dieselbe Genauig¬
keit in der Einstellung, wie am unfixirten, und ich würde daher
vorschlagen, in jedem Falle zunächst ein nicht fixirtes Bild zur
Messung zu verwenden und dann ein zweites, tiefer kopirtex lmr-
zustellen. welches fixirt und aufgehoben werden kann. Aus Grün¬
den, die weiter unten ausgeführt werden, muss man zur Gewinnung
des zweiten Bildes entweder eine frische Blutlösung bereiten oder
den Rest, der im Glase zurückblieb, und der zu einer noch¬
maligen Füllung der Kammer auareicht, verwenden.
Dieses Glas muss in der Zwischenzeit bedeckt und in einem
nicht zu hellen Raum aufbewahrt werden, um die Lösung vor
Verdunstung und vor der verändernden Einwirkung der Licht¬
strahlen zu schützen.
s ) Das Tonen Ist micrliisslicli. weil sonst die Niinucirung des
Hildes ungenügend Ist.
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2006
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
Als letzter Akt der Messung folgt nun das Aufsuchen der
gefundenen Zahl in der dem Apparat beigegebenen Tabelle.
In der zweiten Colonne findet man den korrespondirenden
Ilaemoglobinwerth.
Ich habe es für vortheilhafter gehalten, dem Beispiele
v. Fleisch l’s und Gowers’ zu folgen und den Haemoglobin-
gehnlt des normalen Blutes mit 100 zu bezeichnen, statt nach
wirklichen Haemoglobinwerthen zu aichen und dies aus einem
naheliegenden Grunde.
Die Abweichungen von der Norm kommen dabei viel an¬
schaulicher zum Ausdruck und Irrthümer in der Beurtheilung
des Gefundenen sind völlig ausgeschlossen. Im anderen Falle
muss ich von dem Untersucher voraussetzen, dass er den Normal-
haemoglobingehalt des Blutes seinem Gedächtniss eingeprägt
hat. Dieses Gedächtniss ist aber beim praktischen Arzt, für
den das Instrument zunächst bestimmt ist, ohnedies mit Zahlen
so belastet, dass ich mich nicht für berechtigt halte, ihm eine
weitere Bürde aufzuerlegen. Will Jemand den wahren Haemo-
globingehalt erfahren, dann multiplizire er die in der Tabelle
gefundene Zahl mit 0,14.
Die Tabelle reicht nur bis zu einem Haemoglobingehalt von
20 Proc. hinab. Für niedrigere Werthe als 20 Proc. wären
direkte Angaben nicht mehr gut abzulesen. In Fällen hoch¬
gradiger Anaemie, wo Werthe unter 20 oder um 20 herum auf-
treten können und die als solche schon vor der Untersuchung
des Blutes kenntlich sind, nehme man zur Verdünnung des
Blutes statt 2 bloss 1 ccm Wasser (bereite sich also eine 2 proc.
Lösung. (Die Wasserpipette ist zu diesem Behufe auch mit
einer Aichung für 1 ccm versehen.) Die Quantität der Lösung
(1 ccm) ist für die Füllung der Kammer genügend. Man ver¬
fährt im Uebrigen wie oben angegeben. Die in der Tabelle ge¬
fundene Haemoglobinzahl dividirt man durch zwei, um den
richtigen Worth zu erhalten.
Es verschlüge nichts, wenn man, die Grösse der Anaemie
überschätzend, auch in Fällen mit 30, 40 oder 50 Proc. Haemo-
globin dieses Verfahren in Anwendung zöge. Die Genauigkeit
der Messung leidet darunter nicht merklich.
Der Unterschied von 1 mm der Scala entspricht bei den
hohen Haemoglobinwerthen mehreren (bis 5) Procenten, bei den
niedrigsten meist 1 Procent.
Es rührt dieses grösstentheils daher, dass aktinische
Strahlen immerhin auch durch das Glas der Kammer und
ihrer Decke absorbirt und reflektirt werden. Diese Constante
macht sich um so mehr geltend, je geringer der Werth der
Variablen, i. e. der Blutlösung, ihr gegenüber wird, also bei
den niedrigsten Haemoglobinzahlen. Man könnte dies kompen-
siren, wenn man auch über dem photographischen Keil eine
Wasserkammer anbrächte. Da indess die Auswerthung der
Scala auf empirischem Wege durch Bestimmung zahlreicher
Punkte derselben geschieht, so resultirt aus dieser Eigenschaft
des Apparates kein Fehler desselben und ich habe daher von
dieser, den Bau komplizirenden und die Gebrechlichkeit steigern¬
den Anordnung abgesehen.
Die Aiohung und Auswerthung der Keile wird allerdings
etwas mühevoller.
Ein gutes Haemoglobinometer muss mit exakten Abmess¬
vorrichtungen zur Herstellung der Blutlüsung versehen sein.
Es ist bekannt, dass der ältere Apparat v. F 1 e i 8 c h l’s unter
der Unvollkommenheit seiner Blutpipette litt, und dass er wesent¬
lich gewann, als M i e s c h e r die automatische Blutpipette durch
eine bessere ersetzte.
Ich habe mir diese Erfahrungen selbstverständlich zu Nutze
gemacht und den Haemophotograph mit einer Blutpipettc ver¬
sehen. die, wie es M i es eher verlangt, eine polirte Spitze und
eine die ganze Peripherie umgebende Marke trägt. Selbst mit
einer guten und richtig geaiehten Pipette ist es aber recht
schwierig, genau zu messen, wenn man, wie üblich, das Blut
mit dem Munde genau bis zur Marke — nicht höher, nicht
liefer — nn*augen soll. Ich komme über diose längst bekannte
Schwierigkeit in einfacher Weise hinweg, indem ich in jedem
Falle etwas mehr Blut ansauge als nothwendig ist, dann die
Spitze vom anhaftenden Blute reinige und nun mit der schräg
nach abwärts geneigten Spitze gegen ein Filtrirpapierblatt
wiederholt antupfe. Dabei wird jedesmal eine kleine Quantität
Blut aus der Pipette zuriiekgesaugt, die Blutsäule zieht sich
ruckweise, jedesmal ca. Vs mm zurück und es gelingt ganz leicht,
mit aller nur wünschenswerther Schärfe auf die Marke eiuzu-
stellen.
Das Abmessen des Wassers geschieht in bekannter Weise
durch Pipettiren. Die Pipette ist auf „Ausblasen“ geaicht, weil
sie zum Einfüllen des Blutes in die Kammer wieder Verwendung
finden soll und es leicht geschehen könnte, dass man beim An¬
saugen der Blutlösung auf den in der Pipette zurückgebliebenen
Wasserrest vergässe und damit einen Fehler beginge. So aber
gewöhnt man sich, die Pipette zu entleeren und kommt gar nicht
in die Lage, den erwähnten Umstand zu übersehen.
Es spricht sicherlich für die Gebrauchsfähigkeit des Ap¬
parates, wenn ich bemerke, dass das Abmessen des Wassers der
schwierigste Theil der ganzen Handhabung ist. Dieses Urtheil
habe ich auf Grund wiederholter Beobachtung von Kollegen, die
ich unter meinen Augen Messungen ausführen liess, gewonnen.
Als Ersatz des Pipettirens, das übrigens vom chemischen
Laboratorium her den Aerzten geläufig sein sollte, würde sich
im Nothfalle der Gebrauch einer richtig geaiehten Spritze em¬
pfehlen. Die Pravaz’sche Spritze soll genau 1,0 ccm ent¬
halten. Kleinere Abweichungen kommen nach meiner Erfahrung
allerdings vor. Sie lassen sich leicht erkennen, wenn man die
Spritze auf einer Apothekerwange leer und mit kaltem destil-
lirtem Wasser gefüllt wägt. Die Differenz beträgt genau 1,0 g,
wenn die Spritze richtig geaicht ist. Jetles Centigramm mehr
oder weniger bedeutet also einen Fehler von 1 Proc. Den ge¬
fundenen Werth müsste man entsprechend korrigiren, indem mau
ihn um ebensoviel Procente vergrössert oder verkleinert, als die
Spritze zu gross oder zu klein ist. Selbstverständlich bcuöthigt
man zu einer gewöhnlichen Messung zwei Füllungen einer 1 g
fassenden Spritze.
Es erübrigt nun nur noch, über einige Erfahrungen zu be¬
richten, die ich während der Arbeit gemacht habe und die den
Nachprüfern manche Mühe ersparen dürfte.
Eine wässerige Blutlösung ist eine in der Farbe höchst ver¬
änderliche Flüssigkeit. Die Veränderung wird durch Licht und
Wanne beschleunigt; sie erfolgt aber auch im dunklen und
kühlen Raume. Wenn man eine Blutlösung ein paar Stunden
lang stehen lässt, so verliert sie bekanntlich ihre schöne rothe
Farbe und wird braun. Den Anfang dieser Verfärbung kann
man mit der empfindlichen haemophotographischcn Methode
nach einer halben, ja wenn das Blut dem Lichte ausgesetzt war,
schon nach einer Viertelstunde nachweisen. Es geht daher nicht
an, um die Constanz der Angaben des Apparates zu prüfen, die¬
selbe Blutprobe wiederholt zu kopiren. Die ersten zwei Kopien
pflegen, wenn bei gutem Lichte, daher rasch gearbeitet wird, zu
stimmen, die dritte zeigt gewöhnlich schon abweichende Werthe*).
Auch im unverdünnten, defibrinirten Blute sind solche Verände¬
rungen rasch nachweisbar. Im Uebrigen eignet sich diese.-'
als Standardflüssigkeit, aus welcher man sich die gewünschten
Verdünnungen nach Belieben hersteilen könnte, auch aus anderen
Gründen nicht. Die rothen Blutkörperchen haben die Neigung,
sich zu senken und man hat bei Entnahme zweier Proben keine
Gewähr dafür, dass der Gehalt an Blutkörperchen resp. an
Haeinoglobin in beiden genau gleich ist. Dazu ko mm t, noch,
dass bei dem Rühren oder Schütteln, welches dem Probeziehen
unbedingt vorausgehen muss, leicht kleine Luftblasen in grosser
Zahl in die Flüssigkeit gelangen, welche eine richtige Abmessung
mittels Pipette unmöglich machen. Es bleibt also nichts anderes
übrig, als jedesmal frisches Blut vom Lebenden zu nehmen. Die
gewonnenen Werthe stimmen dann miteinander vortrefflich
überein. Ich habe es nicht versäumt, zu prüfen, ob die Qualität
des Lichtes einen Einfluss auf das Resultat nehme und zu diesem
Behufe mein eigenes Blut wohl an hundertmal zu verschiedenen
Tageszeiten im Sommer und Winter in Fenstern, die nach den
verschiedenen Himmelsrichtungen orientirt waren, bei klarem
und bei bedecktem Himmel geprüft. Nicht genügend überein¬
stimmende Werthe fand ich nur beim Arbeiten in direktem
Sonnenlicht und bei fahlem Dämmerlicht, wenn Expositionszeiten
von mehr als 15 Minuten nothwendig waren. Auch unter diesen
‘) Auch kleine Gasbläschen, die sich bei liiugerem Stehen
aus der Blutlösung nbscheldcn und an der Decke der Kammer
unlegen, können Fehler l>edlngcn. Ich sah solche niemals bei der
ersten Belichtung entstehen. Immerhin wäre dies bei Verwendung
sehr kalten und sehr gashaltigen Wassers möglich. Vorheriges
Kochen oder Vorwiirmen des Wassers wäre dann am Platz.
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2007
MTTENOHENKR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
10. Di»mb.r 1001.
Umstiimlen betrugen di<*. Alnv»*iehuiigeii in tl«*n Angaben dos
Instrumentes selten 10 Pro»*. Sir wäron also für »len prak¬
tischen Arzt noch immer irrelevant.
Mit künstlichen Lichtquellen habe ich noch nicht- experi-
mcntirt. Ich werde dies später imohholcn. Die Möglichkeit,
stets vollkommen gleiches Lieht verwenden zu könnc*n, lässt ein«!
grosse Genauigkeit der Methode erwarten. Als Kopirpapier
müssen natürlich die hoehemptindliehen liromsilherpapiere
dienen. Der I'instand, dass die Kopien unbedingt entwickelt
und fixirt worden müssen, komplizirt allerdings die Handhabung.
Es ist nicht unwahrscheinlich, »lass bei der totalen Verschieden¬
heit der Lichtquellen einerseits, der lichtempfindlichen Papiere
andererseits eine specioll für diese Zwecke ausgeführte Aichung
des Keils vorgenommen werden müsste.
Mit der Möglichkeit rechnend, dass sieh verschiedene Kopir-
papiero gegenüber den vom Blute absorbirten Strahlen nicht
unbedingt ganz gleich verhalten müssen, wünsche ich, »lass vor¬
läufig immer nur die Starte, mit der ich selbst gearbeitet habe,
in Anwendung gezogen werde. Es ist ein Colloidinpapier, dessen
Farbe als Pensoc bezeichnet ist. Die. betreffende Marke ist
vieler Orten erhältlich. Die Erzeuger des Haemophotograph
halten das Papier in entspreehomler Grösse geschnitten auf
Lager ).
Ib'i dieser Gelegenheit sei bemerkt, »lass man fast immer
mit einem halben Blättchen das Auslangen findet, welches dann
so in den Rahmen geh'gt- wird, »lass es den Theil des Keils
»leckt, »1er (laut Tabelle) b»*i «ler Messung in Betracht kommt.
Die Auslagen für das Papier mlueiren sieh dann auf 2 Pfennig
rosp. auf 214 Heller für jede Untersuchung.
Zum Schluss»“ seien no»*h einmal die Eigenschaften des
Haemophotograph recapitulirt, welche ihn nach meiner Ansicht
»len anderen Konstruktionen gegenüber auszeichnen:
1. Sicherheit der Ablesung, weil auf Identität (nicht auf
blosse Aehnlichkeit) beider Gesiehtsfeldhälfteu eingestellt wird.
2. Jedermann, selbst »ler Farbenblinde, lii*st richtig ab. weil
keine Farbenuance, sondern nur die Helligkeit resp. Sättigung
einer Farbe* zu beurtheilen ist.
3. Die Methode ist empfindlich. Kleine, bei tlirekter Be¬
obachtung kaum wahrnehmbare Unterschiede zweier Bluf-
lösungen machen sich im haemophotographisehen Bilde »leutlieh
bemerkbar und kommen in der Ablesung zum Ausdruck.
4. Die Anwendung»weise ist sehr einfach und stellt an die
Geschicklichkeit und Uebung des damit Betrauten s»*hr geringe
Anforderungen.
5. Es ist die Möglichkeit vorhanden, das Resultat der
Messung als Dokument aufzubewahren und die eventuellen Ver¬
änderungen an einer Serie solcher Dokumente selbst verfolgen
od»»r einem Schülerkreise, eventuell auch dom Kranken, deinon-
striren zu können.
6. Der Preis der Apparate ist niedrig. Er beträgt nur
30 Mark rosp. 36 Kronen österr. Währung, also ungefähr ein
Drittheil d»“s Preises eines v. Fleischl-Miescher’sehen
llaemometers.
Der IIa»;mophot»)graph wird in Oesterreich von Herrn Rud.
Siebert, Wien IX, Gamisonsgasse 9 und in Deutschland von
Herrn Franz Hugershoff in Leipzig, Carolinenstrasse 13
ausgeführt.
Jedem Apparat wird eine genaue Gebrauchsanweisung bei¬
gegeben.
:, j II«MT Di*. M o s «• r. g»“g«*uw;Lrtig stell vertretender Vorstand
»ler Klinik weiland v. W i d e rli o f e r’s. hat über meinen Wunsch
während der verflossenen 3 Monate «len Hacmopliotograph zu zahl¬
reichen uml vergleifln*n»len Untersuchungen an dem Materiale der
Klinik herangezogeu. Er tlieilt mir mit, »lass er probeweise auch
Aristopapier verwendet«*. I>i«* U«*sultiite s»*i«*n dadurch in keiner
\V»*ise lM'«*intiusst w«irden. Di«* Mxpositionszcit s«*i allerdings etwas
länger gew»*s«»n, dafür aln*r lml»«* man »len Vortheil ln Tausch
genommen, »lass man <li<* Ablesung ohne ein Nachdunkeln be¬
fürchten zu müssen, auch bei hellerem Lichte uml ohne je»le Hast
und Eile vornehmen könnt«“.
Deber die sonstigen Erg«*lmiss<* seiner B«*obnchtung»*n wird
Herr Dr. Moser in Bälde selbst berichten.
No. 50.
Ein Führungsdraht für den Magenschlauch mit Vor¬
richtung zur Freihaltung und Reinigung der Sonden¬
fenster von verstopfenden Nahrungsmitteln.
Von Dr. Walther Nie. Clemm in Darmstadl.
Als der Mageusehlaueh von Kuss m a u 1 zu therapeutischen
uml von Leube zu diagnostischen Zw«*eken in dm Praxis ein¬
geführt wurde, entnahm mau den Mageninhalt ausschliesslich
mit Hilfe der K u s s m a u l’schen Magenpumpe.
An Stelle dieser Pumpe wurden verschiedentlich Flaschen-
sauger, sowie von Ewald und Boas Ballonaspiratoren an¬
gegeben. Während Ersterer mittels Ansaugens des Mageninhalts
in einen Ballon — der alsdann umständlich entfernt und ent¬
leert werden musste — arbeitete, erlaubte Letzterer durch
Schliesscn einer Sehlauchklemme am abführenden Trichter-
sehlaueh hei Kompression des Ballons Ansaugung des Magen¬
inhaltes in diesen; durch Ab»|u»“tsehung des vor »lein Ballon be-
legenen Schlauchstückes und Zusammen»!rücken des Ballons
bei geöffneter Klemme konnte danach der Inhalt durch
den Trichter entleert werden. Letzterer Apparat ermöglicht also
im Gegensatz zu ersterem eine ununterbrochene Entleerung des
Mageninhaltes ohne die Abnahme des Ballons nach dessen
Füllung.
Die Umständlichkeit der Handhabung dieser Vorrichtungen,
ihre schwierige Reinigung und Unhandlichkeit für den Trans¬
port haben ihre Einbürgerung in die Praxis verhindert. — Zu¬
gleich aber sichern die Ballonaspiratoren auch je nach ihrer An¬
saugungskraft keineswegs gegen die Gefahren, welche die
Kuss m a u l’sehe Pumpe aus der Rüstkammer der Aerzte ver¬
drängt haben. Nicht selten nämlich kam es — besonders bei
brüchiger Schleimhaut in Folge chronischer Schleimhautentzün¬
dung. Uebersäurc*). krebsigen oder gcschwürigen Zerstörungen
»ler Mucosn — bei Anwendung starker Aspiration dazu, dass den
Somlenfenste.m anliegende Schleimhautfetzen losgerissen, und «la-
dureh rocht unangenehme Komplikationen geschaffen wurden.
Es war daher selbstverständlich, dass sich alsbald die Aerzte
der einfachen Expression, wie sie von Ewald und Boas') 1885
in die Praxis eingeführt und von Riegel“) bereits seit 1879
geübt wurde, zuwendeten.
Eine grosse Uiibequemliclikeit aber dieser Ausdrückung des
Mageninhaltes durch Brechbewegungen und durch die Thätigkeit
der Bauchpresse »les Kranken bildete die häufige Verstopfung
der Sonden feilster durch grobe Nahrungsbestandtheile.
Erfolgt die Ausheberung zu diagnostischen Zwecken, so
sucht man sich durch feine Vertheilung der Nahrungsmittel
bei der Probemahlzeit vor diesen Zufälligkeiten zu schützen.
Abgesehen aber von der — in praxi nicht seltenen — Unter¬
lassung dieser Vorschriften »lurch Schuld »l»*r Küche oder des
Kauapparates »les Patienten treten bei motoriseher Insufficienz,
einfacher »nler Krebs»>ktasie des Magens die Uebelstände hinzu,
dass seit Langem im Magen liegende grobe Speisereste, sowie
in Folg»* katarrhalisch»“!! Sehleimhautreizes gebildet»*, ungemein
zähe Sehleimmassen auch »lie seitens »les Patienten beob¬
achtete f»“ine Schabung »ler Rindtieischsehnitte und »lit*: sorg¬
fältige ZulK*reitung »les Kartoffelbreies zu einer zwecklosen
machen können.
In <lics»*n Fällen nun kann inan sieh wohl dur»*h Heraus¬
nahme, Reinigung un»l Witnlereinführung der Sonde helfen;
eine mehrmalige Wiederholung dies»*» Verfahrens pflegt sich j»‘-
doch für Arzt wie für Patient gleich ekelhaft uml langwierig
zu gestalten.
Diese Störungen kommen aber weit m»‘hr in Betratet und
fallen schwerer in’s Gewicht bei Ausheberungen und nachfolgen¬
den Ausspülungen, welche zur Entfernung von Giften, Säuren
»Hier Aetzalkalien vorgenoinmcn werden müssen: liier kann jede
Zeitversäumniss für das Lehen des Kranken bedrohlicli •worden,
denn auch d»*m Eindringen der rettenden Spülfliissigk»‘it in «len
Magen können solche Sond»“nverstopfungen ein immer wieder-
kehrendes, di»* Rettung in Frage stellend»« Hindernis» entgegen*
*l An St«*U«* «les Imrliariseheu. meist g«*l>rüm*hlieh»*ii Ausdrucks
.,H.vp»*niel»litiit“ für abnorm liolie Salzsäurewerthe im Magen-
sekret gestatte ich mir. diese ebenso einfach wie natürlich mich
»Hinkende Verdeutschung hleuilt in Vorschlag zu bringen — ohu«*
von modernen „Ueber‘‘-Ge«lanken beherrscht zu sein!
’) und *) Riegel: Die Erkrankungen d«*s Magens. Noth-
nagel’s spec. Patliol. u. Therap. XVI. B»l., I. Theil, S. 72.
4
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2008
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
setzen, zumal bei solchen Fällen bei bereits eingetretener Be¬
nommenheit oder gänzlicher Bewusstlosigkeit des Verunglückten
die Wirkung der Bauchpresse und die Unterstützung durch den
Brechakt in Wegfall kommen, während anderseits die Aspirations¬
gefahren bei Anätzung der Schleimhaut erhöhte sind.
Es ist nun eine Reihe von Apparaten angegeben worden,
welche — ebenso wie selbstredend auch die Eingangs erwähnten —
zur Beseitigung solcher Hindernisse dienen sollten. Ohne Aus¬
nahme beruhen dieselben auf Ansaugung des Mageninhaltes oder
auf Hlnausschleudem des Hindernisses aus dem Schlauche durch
Druckluft; im letzteren Kalle muss bei Nothwendigkelt stärkerer
Kompression naturgemäss dem Aufhören des Druckes wieder
Aspiration mit ihren Gefahren für die Schleimhaut folgen.
In Verfolgung ersteren Zieles schaltete Fried leib*) einen
kleinen Ballon zwischen Magen- und Trichtersehlauch ein, durch
dessen Kompression mittels Ansaugung die Hindernisse zu be¬
seitigen gesucht werden sollen. Bei kleingewähltem Ballon lässt
diese Vorrichtung leicht im Stiche, bei stark aspirirendem treten so¬
fort die Aspirationsgefahren auf. welche den geschilderten Appa¬
raten anhaften. Ich sehe dabei ganz davon ab. dass die mit dem
Mageninhalt ln Berührung kommenden Ballonwände schwer sauber
zu halten sind, und dass hinsichtlich der Feststellung der aus¬
geheberten Menge die Genauigkeit Eiubusse erleiden muss.
Die letztgeüusserten Bedenken nun sucht die von Strauss'l
angegebene Konstruktion zu beseitigen: Er ersetzte den einfachen
Ballon durch ein Ballongebläse, welches mit dem Mageninhalt bei
glatt verlaufender Ausheberung nicht in Berührung kommt; das¬
selbe ist nämlich durch ein Kiissmaul’sches T-Itohr in den
Hel>erapparat eingeschaltet und von demselben durch eine
Klemme c absc-hliessbar. Am zuführenden wie am abführenden
Schenkel des Hebers sitzt je eine
- gleiche Klemme (a und b). Wird
|| nun bei eingetretener Stockung
]! im Abflüsse die seither offene
!! Klemme b geschlossen und die
|| Klemme c geöffnet, während a
;; offen bleibt, so genügen einige
Ballonstösse, um das Hinderniss,
welches den Schlauch verstopfte,
aus demselben hinauszuschleudern,
worauf bei wiedergeschlossener
4* Klemme c die Ausheberung ruhig
Trichter jt„. on Fortgang nehmen kann.
Diesem Apparate wird noch als besonderer Vorzug nachge-
riihtut. dass unmittelbar an die Ausheberung und Ausspülung
noch die diagnostische Aufblähung des Magens mit Luft ange-
sehlosseu werden kann.
Die Eventualität der Ansaugung von Mageninhalt in das Ge¬
bläse von dem K u s s m a u l’scheu T aus, sowie der Umstand,
dass solche Gebläse häufig ihren Dienst versagen durch Platzen
der dünnen Gummimembran, welche das Zwischenstück beider
Ballons verschliesst, werden neben der umständlichen Zusammen¬
setzung und dem hohen Preise dieses Apparates demselben nicht
allzuviele Freunde erworben haben.
Der gänzlich verfehlte Gros s’sche Apparat 5 ), der zum Ueber-
fluss noch mit Glasballon und Manometer ausgestattet ist. setzt
überhaupt völlig flüssigen Mageninhalt voraus, da den dünnen
Nelatonkatheter nur solcher zu passlren vermag.
Wenn nun ein sehniges Stück Fleisch sich — wie ich es schon
des Oefteren beobachtet habe — durch das untere Sondenfenster
eingezwängt und gegen das weiter oben belegene ausgestemmt
hat. so muss sehr kräftig angesogen oder geblasen werden, wenn
es überhaupt gelingen soll, den Verschluss des Rohres zu beseitigen.
Eine plötzliche Losreissuug des Hindernisses wird aber zu einer
ebenso heftigen Ansaugung der dem Sondenfenster von aussen an¬
liegenden Magenschleimhaut und dadurch zur Abreissung eines
Stückes derselben führen. Derart eingekeilte Hindernisse, die
sich wie eine Schleusse dem Strome des sich entleerenden Magen¬
inhaltes entgegenstellen, mittels des Straus s’schen Gebläses zu
entfernen, halte Ich aber, zumal die Sondenfenster selbstredend
nie luftdicht abgeschlossen werden, für gänzlich unmöglich.
Zur Umgehung und Durchfahrung von Ausbuchtungen der
Speiseröhre hat man der Magensonde nach Art der Katheter¬
mandrine eine Metallseele gegeben, welche, aus biegsamem Draht
bestehend, alle Krümmungen des Schlauches mitmacht.
Diesen Gedanken nun griff ich auf, um ihn der Freihaltung
des Sondenlumens bei der Ausheberung dienstbar zu mache».
Zu diesem Behufe ersetzte ich zunächst das Kuss m a u 1’- i
sehe T-Rohr durch ein solches, in dem das Ausatzrohr in möglichst,
spitzem Winkel aus der Hauptröhre entspringt. Während nun der
durch Expression gewonnene Mageninhalt in der gewohnten Weise
durch letztere abläuft, ist das nach oben weisende Ansatzrohr mit
einem Korkstopfen verschlossen, der bei vorheriger Miteinführung
des Drahtes auch durch des letzteren Griff ersetzt werden kann.
Bei Eintritt einer Stockung im Abflüsse, die nach Hebung und
Senkung des Schlauches sich als durch Verstopfung hervorgerufen
herausstellt, wird rasch der Korkstopfen gelüftet, der Mandrin
in das Ansatzröhrchen geschoben und im Schlauche hinabgebracht,
ö Deutsch, mcd. Wochensehr. IS'.».'!, No. öl.
'.) Therapeut. Monarsh. 3-S'JÖ. Ii.
'•) Fortschritte der Krankenpflege. Dezember lS'.iö, und Thera¬
peut. Munatsh. 3.SJG, No. 12.
falls er nicht von vorneliereiu als dessen Seele mit hinabgeführt
wurde.
Durch die stumpfkeilige
Gestalt des das Soudenlumen
füllenden Körbchens nun,
welches die Spitze des Füh¬
rungsdrahtes bildet, wird das
Hinderaiss durchfahren und
alsdann durch Hin- und Her¬
drehen des Drahtes dasselbe
mittels der vorstehenden
Messerzacken gefasst und
zerrissen, worauf der nach¬
dringende Mageninhalt, die
Stücke vor sich hertreibt
und mitentleert.
Der Draht, welcher einen
bequemen Handgriff von Me¬
tall, auf das Röhrchen mit
Gummiring einpassend, oder
von Holz, auf die Mündung
als Stopfen gearbeitet, trägt,
ist aus weichem, ausgeglüh¬
tem. dünnem Kupferdraht
gezogen und trägt an seinem
Finde das erwähnte Körb¬
chen aus Neusilber, Alumi¬
nium oder Nickelin.
Dieses hat mit seinen
Zacken die Gestalt einer um¬
gestülpten Sturmhaube, deren
Ohrschutzstücke messerartig
geschärft in’s Lumen des
Schlauches nach oben zu
ragen und bei Anziehen am
Griffe auch die festesten
Sehnenbrocken zu zerreissen
vermögen und so dem Magen¬
inhalt die Bahn frei machen.
Eine Verletzung der
Magenschleimhaut ist dabei
völlig ausgeschlossen, da das
Körbchen, das Lumen des Schlauches füllend, nicht durch die
Sondenfenster ausweichen kann. Mir ist bisher keinerlei Un¬
annehmlichkeit in der Anwendung des Instrumentcheus begegnet;
vielmehr hat bei erfahrangsgemüss sehr schwieriger Ausheberung
die Leistung des Führungsdrahtes meine Erwartungen übertroffen.
Das Instrumenteheu hat die Firma Fr. D r ö 11 in Mannheim
die Liebenswürdigkeit gehabt, mir zu fertigen, und ist es zu Sonde
No. 20 passend hergestellt. Für dickere Sonden genügt es voll¬
kommen. zumal, je weiter das Schlauchlumen, desto weniger fest
die Einkeilung der Speisebrocken ist; für dünnere Nummern fertigt
genannte Iustruraentenfabrik entsprechend dünnere Schlauchseelen,
wie ich das Instrument der Kürze halber benannt habe.
Sicherlich ist es zweckmässig, wenn das Körbcheu genau
passend das Lumen des Schlauches ausfüllt, damit die Speise-
.brocken möglichst wandglatt abgeschnitten werden. Bei der Tüch¬
tigkeit der Firma Friedr. I) r ö 11 in Mannheim glaube ich. eine
auch hinsichtlich der Ausführung vollkommen zweckentsprechende
Bereicherung des ärztlichen Instrumentariums angegeben zu habeu,
welche in manchem Falle die für Arzt wie für Patient gleich un¬
angenehmen. unter Umständen sogar für Letzteren rettuugsver-
zögernd wirkenden Sondenverstopfungen vermeiden lässt, ohne da¬
bei die Gefahr des Abreissens von Schleimhautfetzen mit den seit¬
herigen Instrumenten zu theilen. Dabei ist die Schlauchseele —
im Gegensätze zu den Gummiballonapparaten — stets gebrauchs¬
fertig und versagt niemals den Dienst; sie stellt nicht die gering¬
sten Ansprüche bezüglich ihres Transportes oder ihrer Auf¬
bewahrung an ihren Besitzer; endlich ist sie — last not least — im
Gegensätze zu den GummInspiratoren leicht sterilisirbar und über¬
trifft zugleich dieselben an Billigkeit um ein Bedeutendes.
Aus dem Neuen Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf.
Ueber den diagnostischen Werth der Röntgenstrahlen
in der inneren Medicin.
Von Dr. Heinrich Hildebrand, früherem Sekundär¬
arzt des Krankenhauses, jetzigem Physikus in Hamburg.
(Schluss.)
Leistet das Röntgenverfahren bei den Erkrankungen des
Herzens nur wenig, so leistet es um so mehr bei den Erkran¬
kungen der Aorta, speziell beim Aneurysma der Aorta. Hier ge¬
lingt es recht häufig, durch das Röntgenbild zweifelhafte Fälle zu
klären und wir besitzen in ihm ein sehr werthvolles Hilfsmittel,
welches in diesen Fällen sich oft unseren übrigen diagnostischen
Methoden überlegen zeigt. Immerhin ist Vorsicht geboten; denn
Fehldiagnosen sind auch hier möglich.
Besonders in den ersten Jahren sind viel Fehldiagnosen auf
Aortenaneurysma gestellt worden; wir selbst hatten in unserer
Sammlung aus früherer Zeit Platten, nach welchen die Diagnose
MuxwuuU jlxAsT
Maytnxkhuich
ßaUoru/ebiäst
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10. Dezember 1901
MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Aneurysma gestellt war, die wir aber später als normal bezeichnen
mussten. Der Grund liegt in dem auch unter normalen Verhält¬
nissen nicht ganz regelmässigen Verlauf des Aortenbogens. Bei
der geraden Durchleuchtung von vorn nach hinten oder um¬
gekehrt, erscheint regelmässig im 2. Intercostalraum links neben
dem dunklen, von Wirbelsäule und Sternum gebildeten Mittel¬
schatten, ein rundlicher, nach aussen convexer Schatten, welcher
der Aorta descendens und dem Bogen angehört [Holzknecht
[23], Weinberg er [27]). Liegt die Aorta nur ein wenig
mehr nach links, so erscheint der Schatten viel grösser, auch
wenn die Aorta nicht erweitert ist. Dieser normale Schatten
ist, wenn er besonders deutlich hervortrat, früher häufig für ein
beginnendes Aneurysma gehalten worden. Es bedurfte erst
längerer Zeit, bis man sich darüber klar wurde, dass hier durch¬
aus normale Verhältnisse vorliegen.
Zu weiteren Fehldiagnosen geben die Mediastinaltumoren
Veranlassung. Dass Verwechslungen zwischen beiden möglich
sein müssen, ist selbstverständlich. Die Tumoren können jede
beliebige Form und beliebigen Sitz haben; es kann also Vor¬
kommen, dass sie im Röntgenbild genau denselben Effekt hervor¬
bringen, wie ein Aneurysma. Solche Verwechslungen sind
Anderen passirt (Eulenstein, Kirchgässer [32]) und
sind auch uns vorgekommen. Ich erinnere mich besonders eines
sehr lehrreichen Falles, bei welchem wir ganz sicher ein Aneu¬
rysma angenommen hatten und bei dem sich nachher ein Sarkom
von Apfelgrösse fand, welches dem Aortenbogen aufsass und mit
diesem verwachsen war. Klinisch war eine umschriebene Däm¬
pfung im 2. Intercostalraume und deutlich sicht- und fühlbare
Pulsation an dieser Stelle vorhanden. Im Röntgenbild zeigte der
Schatten genau die Form eines Aneurysmas, und wir waren nicht
wenig erstaunt, als sich bei der Sektion ein Sarkom entpuppte.
Aehnliche Fälle habe ich noch öfters gesehen und ich bin dess-
halb im Gegensätze zu der Behauptung Anderer der Ansicht, dass
das Röntgenbild zwar in sehr vielen Fällen von Aneurysma und
Mediastinaltumoren uns wichtigen Aufschluss gibt, aber keines¬
wegs in jedem Fall eine sichere Unterscheidung ermöglicht.
In neuerer Zeit ist von Holzknecht [23] ein hübsches
Verfahren angegeben, sich den Aortenbogen für die Untersuchung
zugänglicher und leichter sichtbar zu machen. Es besteht darin,
dass man den Thorax schräg durchleuchtet und zwar von hinten
links nach vorne rechte. Es erscheint dann der Herzschatten
frei vor der Wirbelsäule liegend. Zwischen Herz und Wirbelsäule
ist ein heller Raum, in welchem die Speiseröhre verläuft. Vom
Herzen zieht nach oben ein dunkles, frei oben endigendes pul-
sirendes Band, welches dem aufeinander fallenden Schatten der
Aorta ascendens und descendens, sowie dem Bogen entspricht.
Man hat also die Aorta frei vor sich und ist im Stande, Ver¬
änderungen an ihr besser als sonst zu studiren. Beginnende
Aneurysmen des Bogens sollen ein typisches Bild geben, sie er¬
scheinen als „halsartig dem Herzen aufsitzende, keulenförmige
Schatten“.
Die Methode II o 1 z k n e c h t’s ist sehr gut und brauchbar.
Nur geht auch er im Schlusssatz seiner Arbeit zu weit, wenn er
sagt, dass das Vorhandensein dieser Erscheinung „mit grosser
Sicherheit“ die Annahme eines beginnenden Bogenaneurysmas
erlaube. Seine eigenen Fälle sind nicht sehr ermuthigend; er
berichtet über 8 Fälle. Bei zwei von diesen, von welchen der
eine klinisch fast sicher, der andere (durch Autopsie) ganz sicher
war, fand er nichts Besonderes; in den 6 anderen Fällen
fand er die keulenförmige Anschwellung. 'Leider ist al>er von
diesen Fällen nicht berichtet, ob auch die Diagnose sicher war.
Ich glaulx>, dass Täuschungen Vorkommen können, denn sobald
der Aortenbogen nur ein wenig bogenförmig in der horizontalen
Ebene verläuft, wird im Röntgenbild eine keulenförmige An¬
schwellung vorgetäuscht werden.
Immerlin ist das Verfahren recht gut und bietet vor der ge¬
raden Durchleuchtung wesentliche Vortheile.
Diese Vortheile treten vor Allem hervor, wenn es sich um
Untersuchung des hinteren Mediastinums, speziell der hier ver¬
laufenden Speiseröhre, handelt. Dieselbe liegt in dem
hellen, zwischen Wirbelsäule und Herzschatten befindlichen
Raum. Sie selbst gibt keinen sichtbaren Schatten und sie diffe-
renzirt sich nicht von den anderen Gebilden des Mediastinums;
krankhafte Veränderungen desselben lassen sich desshalb nicht
direkt beobachten. Wohl aber kann man sich durch Ein¬
2009
führen von Sonden oder Eingiessen von schattengebenden Flüssig¬
keiten über die Verhältnisse des Oesophagus orientiren. Solche
Versuche sind schon frühzeitig gemacht worden; so brachte schon
1897 Rumpel [40] in unserem Institut durch Eingiessen von
Wismuthlösung eine spindelförmige Erweiterung des Oesophagus
zur Darstellung. Auch Divertikel sind auf diese Weise für das
Auge sichtbar gemacht worden (Blum [29]).
Durch Einführen von Sonden oder durch Verschlucken-
lnssen grosser Wismuthballen kann man ferner den Sitz von
Stenosen bestimmen. Besonders die letztere Methode, welche zu¬
erst von Holzknecht (1. c.) angegeben wurde, ist sehr in¬
struktiv. Man kann auf dem Schirme die Schicksale desWismuth-
ballens genau verfolgen. Man sieht, wie derselbe zunächst ober¬
halb der verengten Stelle sitzen bleibt; nach einer Weile schickt
er einen langen, dünnen Fortsatz durch die stenosirte Stelle,
welche später abreisst, um im Abdomen zu verschwinden. Dies
wiederholt sich, bis der ganze Ballen verschwunden ist. Ist eine
zweite verengte Stelle vorhanden, so sammelt sich an dieser das
Wismuth wieder. Der ganze Vorgang sieht sehr niedlich aus;
ob für die Wissenschaft oder für den Patienten viel Vortheil bei
diesen Untersuchungen herauskommt, erscheint mir allerdings
zweifelhaft. Denn den Sitz einer Stenose kann man mit der
Sonde ziemlich genau feststellen und dass z. B. bei Carcinomen
sehr häufig zwei verengte Stellen, dem oberen und unteren auf¬
geworfenen Raum entsprechend, vorhanden sind, ist eine vom
Sektionstisch her bekannte Thatsache, deren Nachweis am
Lebenden ohne Bedeutung ist.
Möglich, dass sich ein Vortheil der Methode später einmal
erweist, wenn die Chirurgie des Oesophagus weiter ausgebildet
ist und es sich um den Nachweis handelt, ob eine oder mehrere
gutartige Strikturen vorhanden sind.
Etwas Wesentliches haben übrigens auch die sonstigen Me¬
thoden der Untersuchung des Oesophagus nicht zu Tage ge¬
fördert; es handelte sich immer um eine Bestätigung der vorher
gestellten Diagnose.
Ebensowenig wie die Speiseröhre selbst geben kleinere
Tumoren derselben einen Schatten. Grössere, auf das Mediasti¬
num übergreifende Tumoren werden sichtbar, wenn sie im oberen
Abschnitt sitzen. Zur Darstellung derselben macht man besser
eine Aufnahme im geraden Durchmesser; im schrägen Durch¬
messer werden bei grossen Tumoren die Verhältnisse imdeutlich.
Wichtig kann die Untersuchung des Oesophagus noch bei
verschluckten Fremdkörpern werden. Wenn Quadflieg [33]
und Bätsch [34] den Satz aufstellen: „dasß der Nutzen des
Röntgenverfahrens bei Fremdkön>ern im Oesophagus gering, bei
künstlichen Gebissen aber mit Kautschuckplatten gleich Null
sei“, so kann ich dem nicht beistimmen. So gut wie man den
feinen Fortsatz des Wismuthballen« im Oesophagus sehen kann,
so gut kann man auch andere Fremdkörper sehen; man muss
nur nach Holzknecht’s Vorgang den Schatten der Wirbel
durch schräge Durchleuchtung ausschalten. Auserdem geben
Gebisse init Kautschuckplatten einen sehr deutlichen Schatten;
wir konnten noch vor Kurzem durch eine Reihe von Aufnahmen
die Wanderung eines Gebisses vom Magen durch den Darm bis
zum Rectum verfolgen.
Wir kommen zur Besprechung der Krankheiten de« Ab¬
domens. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Röntgen¬
verfahren hier erheblich weniger Erfolg hat, als bei den Erkran¬
kungen des Thorax. Die Organe des Abdomen differenziren sich
im Röntgenbild nicht von einander, weil ihre Gewebe dio gleiche
Dichtigkeit haben. Die Wand des Bauches sowie die Muskulatur
der Lendengegend ist dicker als die des Thorax. Ferner ist der
Füllungsgrad der Eingeweide wechselnd und der Inhalt selbst
sehr verschieden. Dazu kommt endlich, dass die Bauchorgane
sich nicht in Ruhe befinden; einerseits macht der Dann peri¬
staltische Bewegungen, andererseits nehmen säramtlicho Ein¬
geweide an den Bewegungen des Zwerchfells Theil. Alle diese
Umstände wirken zusammen, so dass die Bilder des Abdomens
verschwommen werden und dio einzelnen Organe sich nicht ab¬
grenzen lassen. Einen Theil der Uebelstände kann man be¬
seitigen, indem man den Darm vorbereitet, ihn tüchtig entleort
und dann durch Opium stillstellt; man kann wenigstens Täu¬
schungen durch Kothballen so vermeiden. Die Bilder bleiben
aber trotzdem undeutlich; denn so kurze Aufnahmen wie beim
4*
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2010 MÜENCHENER MEDlClNlSCHE WOCHENSCHRIFT. No. 5Ö.
Thorax kann man nicht machen und der Einfluss der Athmung
lässt sich desshalb nicht vermeiden.
Wie viel die Bewegungen der Baucheingeweide dazu bei¬
tragen, die Bilder zu verwischen, kann man erkennen., wenn man
Aufnahmen von Leichen macht. Hier tritt der Darm mit grosser
Schärfe hervor, besonders wenn er Oase enthält. Wenn man bei
einem Lebenden den Dann mit Luft aufbläst, erhält man nie
ein ähnlich scharfes Bild.
Kurz und gut, die Organe des Abdomen lassen sich mit Rönt¬
genstrahlen nicht darstellen, und es folgt schon hieraus, dass man
auch bei Erkrankungen dieser Organe nur wenig sehen wird.
Trotzdem gibt es Enthusiasten, welche vom Nutzen der Rönt¬
genstrahlen auch bei Baucherkrankungen schwärmen und welche
Abscesse, Hydronephrosen, Echinococcen, Tumoren des
Magens (!), des Darms (!) etc. mit Röntgenstrahlen diagnost.icirt
haben wollen. Ich bin nach den hier gemachten Erfahrungen der
Ansicht, dass bei allen diesen und ähnlichen Erkrankungen das
Röntgenbild nicht den geringsten Nutzen gewährt.
Gewiss kann es einmal einen Fall von Magentumor oder Hydro-
neplirose oder Aehnlichem geben, Ihm welchem man an der be¬
treffenden Stelle einen Schatten auf der Platte sieht, aber dann
ist der Tumor auch so gross, dass man ihn längst und viel besser
durch die Palpation diagnosticiren kann. Kleinere Tumoren,
welche sich der Palpation entziehen, kann man auch mit Rönt¬
genstrahlen nicht finden; es ist gar nicht einzusehen, warum ein
kleiner Tumor, dessen Gewebe nicht dichter ist als das der Um¬
gebung, einen deutlichen Schatten geben soll. Ausnahmen bilden
die Tumoren, welche festere Bestandteile enthalten, z. B. vom
Becken ausgehende Osteome oder Osteosarkome, oder verkalkte
Lyinplidrüsen. Von beiden habe ich Bilder gesehen.
Da die Bauchorgane der direkten Besichtigung nicht zugäng¬
lich sind, so hat man versucht, einige derselben in ähnlicher Weise
wie den Oesophagus zu untersuchen. Es kann sich dabei nur um
Magen und Darm handeln.
Was den ersteren betrifft, so ist Verschiedenes versucht wor¬
den: man hat Wismuthlösung in denselben gebracht, man hat mit
Schrot gefüllte Sonden eingeführt, hat ihn aufgeblasen (B a d e
[22]), man hat diese Methoden kombinirt, gleichzeitig Sonden
eingeführt und aufgeblasen und schliesslich noch Wismuthlösung
zugegeben (Rosenfeldt [8]). Die verschiedenen Autoren
geben an, gute Resultate erzielt zu haben, und wichtige Auf¬
schlüsse über die Grösse und Lage des Magens gewonnen zu haben.
Wir haben selbst einige der Methoden angewandt und uns
überzeugt, dass man die Luftblase sehen kann und auch die Wis-
muthlösung und die Schrotsonde darstellen kann. Ob den Metho¬
den wirklich ein praktischer Werth zukommt, darüber zu ur-
theilen fehlt es uns jedoch an genügender Erfahrung. Angenehm
sind dieselben für alle Betheiligten nicht.
In neuester Zeit wurden in unserem Institut von Rumpel
Versuche gemacht, den Darm genauer zu studiren. Wir hatten
zufälliger Weise eine Platte von einem Patienten angefertigt,
welcher innerlich eine Zeit lang Wismuth eingenommen hatte.
Auf der Platte sah man in der Nierengegend mehrere dichte,
scharf abgegrenzte Schatten, deren Deutung ums Anfangs nicht
möglich war. Schliesslich erfuhren wir, das« der Patient Wis-
rnuth bekommen hatte, und wir erklärten uns nun die Schatten
als mit Wismuth durchsetzte Kothballen. Auf Grund dieses
Falles kam Rumpel auf die Idee, die Methode zur Darstellung
des Dickdarms zu verwerthen. Nach verschiedenen Vorversuehen
gingen wir schliesslich folgendernmasson vor: Die Patienten be¬
kamen zunächst einige Tage hindurch grössere Dosen Wismuth;
alsdann wurde, um den Darm st-illzusteilen und die Eindickung
der Kothballen im Dickdarm zu befördern, Opium gegeben. Kurz
vor der Röntgenaufnahme wurde dann noch der Darm mit Luft
aufgeblasen. Die so gewonnenen Bilder sind in der That- über¬
raschend schön. Der Dickdarm kommt in seiner ganzen Aus¬
dehnung zur Darstellung, in den Haustren sieht man die einge¬
dickten Kothballen, welche rosenkranzartig ungeordnet, sind und
besonders am Querkolon gut zu sehen sind.
Der Gedanke liegt nahe, auf diese Weise Stenosen des Diek-
darms, z. B. durch Carcinom, nachzuweisen und zu lokalisiren.
Vorläufig haben wir die Versuche äusserer Umstände halber auf-
geben müssen. Angenehm ist auch dies Verfahren nicht.
Leistet ln?i den bisher besprochenen Krankheiten des Ab¬
domens das Röntgenverfahren nur wenig oder nichts, so ist es
um so werthvoller bei den Konkrementbildungen, den Steine n.
Es gelingt mittels des Röntgenverfahrens ganz sichere Diagnosen
in Fällen zu stellen, bei welchen wir mit Hilfe unserer sonstigen
Untersuchungamethoden höchstens auf Vermuthungen ange¬
wiesen sind. Schwere operative Eingriffe können vorgenommen
werden, vor welchen man sich ohne Röntgenbild scheuen würde,
und so gewährt uns dasselbe einen grossen praktischen Nutzen.
Ich wende mich gleich den wichtigsten Konkrement¬
bildungen, den Nierensteinen, zu. Die Nierensteine haben
theilweise ein hohes Absorptionsvermögen für Röntgenstrahlen
und sie markiren sich desshalb in vielen Fällen als deutliche
Schatten. Welche Arten von Steinen am leichtesten nachzuweisen
sind, ob Oxalat-, Phosphat- oder Uratsteine, darüber waren die
Ansichten eine Zeit lang gethoilt, nach den neueren Veröffent¬
lichungen verhalten sich Phosphat- und Oxalatateine ziemlich
gleich; der Nachweis beider ist in vielen Fällen gelungen. Die
Uratsteine geben den geringsten Schatten und werden am schwer¬
sten nachzuweisen sein.
Der Nachweis von Nierensteinen gelang schon verhältniss-
miissig früh; schon im Jahre 1897 wurden in dem Röntgen¬
institut der chirurgischen Abtheilung unseres Krankenhaust?«
Nierensteine gefunden. Die Mittheilungen über gelungene Auf¬
nahmen haben sich aber erst in der neueren Zeit gemehrt, und
dies ist der besseren Technik, vor Allem der Verbesserung der
Röhren zuzuschreiben; denn das Wesentlichste bei dem
ganzen Röntgen verfahren ist und bleibt eine
gute Röhre.
Albers-Schönberg [14] hat bei Besprechung des
Nachweises von Nierensteinen ganz besonders den Werth der
Bleiblenden betont.
Diese Blenden wurden im Jahre 1898 von Walter [2GJ
empfohlen, um die Diffusion der Strahlen zu vermeiden. Wir
haben uns schon lange mit den Bleiblcnden beschäftigt und
können bestätigen, dass dieselben entschieden von Vortheil sind.
Die Bilder werden klarer und kontrastreicher. Störend ist, dass
man stets nur eine kleine Partie des Körpers darstellen kann,
und dass so der Ueberblick leidet.
Den grössten Vortheil bietet die Blende bei Anwendung des
Schirms. Dieser leuchtet schon ziemlich intensiv, wenn er nur
von schwachen Strahlen getroffen wird, die diffundirteu Strahlen
bringen desshalb auf ihm eine verhiiltnissmässig stärkere Wirkung
hervor, als auf der Platte, so dass das an sich schon wenig con¬
trastreiche Bild des Schirmes noch mehr verschleiert wird. Hier
kann mau durch Anwendung der Blende die Contraste erheblich
verstärken; man hat auch den Vortheil, dass man durch Beweg¬
ungen des Patienten grössere Partien des Körpers absucheu und
sich einen genügenden Ueberblick verschaffen kann. So kann
man auf dem Schirme z. B. das Herz und die Aorta mit Hilfe der
Blende sehr viel besser studiren.
Die mangelnde Uebersicht ist der Grund, wesshalb die An¬
wendung der Blende bei der Platte nur in solchen Fällen
möglich ist, wo eine scharf lokalisirte Veränderung vorhanden ist,
also z. B. bei Wirbelsäulenerkrankungen oder bei Fremdkörpern,
Nierensteinen etc..
Auch nach unseren Untersuchungen ist die Wirkung der
Blende bei der Aufnahme von Nierensteinen deutlich; die Steine
treten klarer und schärfer hervor. Ob es allerdings gelingt, die
Contouren so zu verschärfen, dass ein vorher ganz verschwomme¬
ner Schatten mit Hilfe der Blende in eine grosse Anzahl kleiner
Schatten zerlegt wird, welche von vielen kleinen Nierensteinen
herrühren, dafür fehlt es uns an einem beweisenden Fall. Ich
hal>o viele diesbezügliche Versuche gemacht und gefunden, dass
kleine Steine auf einer guten Platte auch ohne Blende von ein¬
ander differenzirt werden können, wenn sie überhaupt sichtbar
werden. So stark wirkt die Diffusion meistens nicht, dass die
Schatten der verschiedenen Steine in einander übergehen; wäre
dies der Fall, so würde man ohne Blende auch nie ein scharfes
Bild anderer kleiner Theile, z. B. eines Wirbolquerfortsatzes. !x*-
kommen.
Ich glaube, dass die Athmung bei der Aufnahme von Nieren¬
steinen eine grosso Rolle spielt. Ich erinnere mich eines Falles
von Quetschung des Rückenmarkes, bei welchem sich sekundär
Nierensteine gebildet hatten. Auf einer intra vitam hergestell-
ten Platte sah man einen grossen diffusen Schatten in der Nieren¬
gegend, bei einer nach dem Tode gewonnenen Platte erkannte man
eine Menge, kleiner, dicht neben einander liegender Schatten.
Da in beiden Fällen keine Blende angewendet war, so kann
der Unterschied nur durch die Athmung bedingt sein. Durch
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10. Dezember 1001. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2011
die Bewegungen des Zwerchfells wird auch die Niere bewegt und
dadurch weiden die Contouren etwaiger Nierensteine undeutlich.
Man sollte desshalb auch bei Nierensteinaufnahmen die Athmung
nuszusehaltin wi suelu. n. Eigene Erfahrungen hab-.i ich in dieser
Beziehung noch nicht, aber ich glaube, dass die Bilder
schärfer werden. Bei mageren Patienten genügt vielleicht
eine kurze Expositionsdauer, während welcher dieselben den
Athem anhalten können; andernfalls müsste man sie ermahnen,
mit der Brust zu. athmen und das Zwerchfell still zu stellen.
Trotz Anwendung aller technischen Hilfsmittel wird es aber
keineswegs gelingen, in jedem I'a 11 von Nierensteinen die¬
selben nachzuwtifttn. Ich bestreite entschieden die Behauptung
von Leonard [42], dass jeder Nierenstein auf einer guten
Platte sichtbar werden muss und dass ein negativer Aus¬
fall des Röntgenbildes mit Sicherheit gegen
die Anwesenheit eines Nierensteines spricht.
Eine gewisse Grösse muss der Stein haben, soll er durch den
Körper hindurch noch einen Schatten geben; je korpulenter der
Patient, um so dicker muss der Stein sein. Bei einem sehr fett¬
leibigen Menschen z. B. einen stecknadelkopfgrossen Stein, der
noch dazu aus Traten besteht, nachzuweisen, dürfte wohl nicht
möglich sein.
Gerade bei Beurtheilung der Nierenstcinplatten muss man
eine strenge Kritik üben, da Täuschungen zu leicht möglich sind.
Auf eine einzelne Aufnahme hin darf keine Diagnose gestellt
werden, wenn t-s sich nicht um einen ganz klaren, einwandsfreien
Fall handelt. Man sollte sogar lieber 3 Aufnahmen machen als 2,
und zwar an verschiedenen Tagen nach gründlicher Entleerung
des Darms. Findet sich dann auf allen 3 Platten der gleiche
Schatten, so ist die Diagnose ziemlich sicher. Dass man auch
dann noch Täuschungen erleben kann, z. B. durch Plattenfehler,
davon haben wir Beispiele.
Unsere Erfahrungen sprechen entschieden gegen den Satz,
dass auch der negative Ausfall des Röntgenbildes beweisend
für die Diagnose sei. Es ist uns einerseits passirt, da;s bei Opera¬
tionen Steine gefunden wurden, welche wir im Röntgenbild nicht
gesehen hatten, andererseits habe ich durch Versuche au Leichen
festgestellt, dass es auch unter den günstigsten Verhältnissen,
bei Kinderleichen und bei Anwendung der Blende, nicht gedingt,
siimmtliche Nierensteine, welche man eingeführt hat, nachzu-
weisen.
Wenn man nun auch nicht sämmtliche Nierensteine nach-
weisen kann, so gelingt es doch bei einer grossen Zahl von Fällen.
Die vorher nur auf Vermuthungen basirend? Diagnos? wird durch
das Röntgenbild oft gesichert und hierin besteht ein grosser,
wenn nicht <1 e r grösste V o r t h e i 1, welchen die
innere Medicin dem Röntgen verfahren ver-
<1 a li k t.
Ausser den Nierensteinen lassen sich noch Blasensteine
ziemlich leicht dnrstcllen; cs empfiehlt sich dabei, die Patienten
auf den Bauch zu legt n. In einzelnen Fällen, bei welchen man den
Stein mit der Sonde nicht findet, z. B. wenn er in einem Diver¬
tikel liegt, können die Röntgenstrahlen wichtige Dienste leisten.
Auch Prostata^teine sind von einem Engländer naehgewiesen.
Grosse praktische Bedeutung kommt diesem Nachweis nicht zu.
Was endlich den Nachweis von Gallensteinen betrifft, so sind
«lie Berichte hierüber noch sehr spärlich. Es existirt nur eine
einzige positive Mittheilung von Beck [19], welcher Gallensteine
in einem Falle gefunden und das betreffende Bild veröffentlicht
hat. Alle anderen Forscher berichten, dass es ihnen bisher nicht
gelungen sei, Gallensteine zu finden. Dass der Nachweis dieser
Steine so schwer, ja meist unmöglich ist, erscheint, nicht wunder¬
bar, wenn man die. geringe Dichtigkeit derselben in Betracht
zieht.
Ich habe auch mit Gallensteinen Versuche angcstdlt und ge¬
funden, dass dieselben in der grossen Mehrzahl so stark für
Rüntgenstrahlen durchgängig sind, dass sie überhaupt nur einen
ganz schwachen Schatten auf der Platte geben. Die-er Schatten
verschwindet vollständig, wenn man die Steine auf irgend ein
Gewebsstückchen, z. B. den Rand einer Leber, legt. Nur einige
Steine gaben einen intensiveren Schatten, aber hier waren es
auch immer nur Theile. desselben; entweder erschien der Kern
deutlich auf der Platte oder einzelne coneentrisehe Schichten.
Führte man diese Steine in die Gallenblase einer Leiche ein, so
wurden diesollx-n auf der Platte schwach sichtbar; alle übrigen
No 50.
Steine verschwanden vollständig, trotzdem magere Leichen be¬
nutzt und die Blende in Anwendung gebracht wurde. Daraus
folgt, dass der Nachweis der Gallensteine beim Lebenden in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle unmögl ich ist, zumal beim
Lebenden die Atlunung hinzukommt und störend wirkt. Unter
ganz besonders günstigen Umständen, wenn es möglich ist, die
Athmung auszuschalten, und wenn es sich um einen der er¬
wähnten Steine handelt, welche einen etwas stärkeren Schatten
geben, könnte es, eine gewisse Dicke der Steine vorausgesetzt,
möglich sein, dieselben auf dem Röntgenbilde sichtbar zu
machen. Einen solchen günstigen Fall hat Beck offenbar ge¬
habt. Diese Fälle bilden aber ganz seltene Ausnahmen, deren
praktische Bedeutung gleich Null ist.
Herr Apotheker Sartorius hatte die Freundlichkeit, die
von uns benutzten Gallensteine chemisch zu untersuchen.
Fast sämmtliche Steine enthielten Spuren von Eisen, einige
auch Spuren von Kupfer, doch waren die Mengen so gering, dass
dieselben für uns keine Bedeutung haben.
Die Steine, welche keinen Schatten gaben, bestanden aus
Cholesteri n und wechselnden Mengen von Gallenfarb¬
stoff. Die Steine welche einen Schatten gaben, enthielten
ausserdem kohlen sauren Kalk.
Auf den Gehalt an kohlensaurem Kalk kommt es an, wie
wir exakt nachweisen konnten. Es fand sich nämlich, dass
immer nur in den Schichten, welche einen Schatten gaben, Kalk
enthalten war, in den anderen nicht. Z. B. bei einein Stein,
dessen Kern keinen Schatten gab, dessen Rinde dagegen eon-
eentrischen Schatten zeigte, bestand der Kern nur aus Chole¬
sterin; die Rinde dagegen enthielt reichlich Kalk. Umgekehrt
war das Verhalten, wenn der Kern einen Schatten gab und die
Rinde nicht. Enthält also ein Stein viel kohlensauren Kalk,
so wäre es unter günstigen Umständen möglich, denselben zu
finden. Die übrigen Steine dagegen mit Röntgenstrahlen nach¬
zuweisen, ist nach meinen Versuchen unmöglich.
Wir kommen in unserer Besprechung zur dritten Körper-
höhle, den Schädel. Einige Forscher wollen auch hier mittels
den Röntgcnstrnhlen wichtige Befunde erhoben haben, sie wollen
Tumoren (Gummata! etc.) auf diese Weise naehgewiesen haben.
Wir haben viele Fälle von sicheren Hirntumoren untersucht
lind nie das geringste Resultat gehabt. Warum sollte auch z. B.
ein Gummiknoten im Röntgenbild einen Schatten geben? Der
Schatten des massiven und dichten Gehirns ist so stark, dass ein.*
Bleikugel sich von demselben wohl noch deutlich abhebt, dass
aber der Schatten eines Tumors vollständig verschwindet, da
dessen Gewebe nicht dichter ist als das des Gehirns.
Grün mach [5] berichtet, über einen Fall von Tumor bei
einem Kind, bei welchem es sich um ein sehr dünnes Schädel¬
dach handelte und die Geschwulst eine grosse Menge von Kalk¬
einlagerungen enthielt, ln einem solchen Ausnahmefalle ist. es
vielleicht (?) möglich, einen Schatten zu sehen, im Allgemein;*n
aber dürfte cs vergebene Mühe sein, Uirnveründorungen mit
Rüntgenstrahlen diagnosticiren zu wollen. Das Gleiche gilt vom
Rückenmark; der Schatten der Wirbelsäule macht e. unmöglich,
Veränderungen im Wirbelkanal zu erkennen. Zwar behauptet
ein Autor, Blutungen in die Wirbelsäule naehgewiesen zu haben,
das erinnert jetloch sehr an den Nachweis der Mifiartubcrkulo.se!
Veränderungen der Wirbelsäule selbst sind gut zu erkennen.
Meist handelt es sich um chirurgische Leiden, doch kann das
Röntgenverfahren hier auch dem inneren Mediciner von Nutzen
sein.
So kann das Röntgenbild bei beginnender Spondylitis, wenn
noch kein deutlicher Gibbus vorhanden ist. Klarheit schaffen;
denn die Zerstörungen sind meist erheblicher, als man nach den
Beschwerden annehmen sollte. Wir verfügen über einige der¬
artige Fälle. Besonders lehrreich war einer von diesen:
Eine Frau klagte schon seit langer Zelt über sehr versrhLden;*
Beschwerden, blonder« Mattigkeit und ausstrnhlendc Schmerzen
ln den Keinen und dem Becken. Da wir zuerst bei der l'nter-
suchung nichts Wesentliches linden konnten und die Klagen sehr
mannigfaltige wareu. so schien die Frau hysterieverdilehtig. Bei
einer späteren genauen Untersuchung fand Ich ein:* etwas schnicrz-
hafte Stelle der unten*» BrustwirbelsHule. Elin* Köntg naufualiiue
ergab eine ausgedehnte Erkninkung von zwei Wirbeln, welche
srhon grosse Defekte aufwieseu. Die Frau musste daraufhin
viele Monate lang ln horizontaler Lage rulilg liegen und Ist jetzt
geheilt. Man sieht auch jetzt noch Im Uöntgenblld die ver¬
änderten Wirbel, welche sieh etwns ineinander geschoben haben;
an der betreffenden Stelle stehen die Processus spinosi leicht vor.
5
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2012
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
Von sonstigen Erkrankungen des Skelets, welche in das Ge¬
biet der inneren Medicin gehören, wären noch kurz die ver¬
schiedenen Formen der Gelenkerkrankungen zu nennen. Wir
haben sehr viele Aufnahmen von chronischen Gelenkerkran¬
kungen gemacht. Bei vorgeschrittenen Fällen sieht man deut¬
lich die Veränderungen, welche besonders in einem Schwund
des Knorpels bestehen, so dass die normaler Weise im Röntgen¬
bild sichtbare Gelenkspalte wegfällt; ausserdem erkennt man
meist sehr deutlich eine Atrophie der Knochen (Sud eck [39]).
Einen Nutzen für die Diagnose oder Prognose der Gelenk¬
erkrankung hat uns das Röntgenbild in keinem Fall gebracht.
Erwähnt sei endlich noch ein Fall von Osteomalacie, bei
welchem der Schwund der Knochensubstanz im Röntgenbild
gut zu erkennen war. Der Fall wird an anderer Stelle veröffent¬
licht werden.
Hiermit dürfte die Besprechung der Krankheiten, welche
für uns in Betracht kommen, erschöpft sein.
Wir haben gesehen, dass das Röntgenbild bei vielen inneren
Leiden ein wesentliches diagnostisches Hilfsmittel darstellt,
während c.s bei vielen anderen so gut wie nichts leistet.
Nach den reichen Erfahrungen, welche jetzt gemacht worden
sind, kann man bei einer bestimmten Krankheit schon von vorn¬
herein sagen, ob die Röntgenuntersuchung einen Erfolg ver¬
spricht oder nicht, und im letzten Fall sollte man in der Praxis
überhaupt von einer Aufnahme absehen. Zu den Erkrankungen,
bei welchen man durch das Röntgenbild nicht mehr erfährt als
durch die sonstigen Untersuchungen, gehören Lungenphthise
sowohl im Anfang als später bei Cavernenbildung, Lungenent¬
zündung, Herzfehler, Gallensteine, Tumoren des Bauches und
die Erkrankungen des Centralnervensystems.
Wesentlich unterstützt uns das Röntgenbild bei Lungen-
gangracn und anderen central gelegenen Lungenherden (Echino¬
coccus etc.), Mediastinaltumoren und Aortenaneurysmen, Fremd¬
körpern, endlich bei Nierensteinen; bei diesen Entrankungeu
sollte man, sobald irgend ein Zweifel besteht, in jedem
Fall das Röntgenverfahren mit zu Hilfe nehmen. Bei den
übrigen Krankheiten richtet es sich nach dem einzelnen Fall,
ob man sich von einer Röntgenuntersuchung einen Erfolg ver¬
sprechen kann.
Das Röntgen verfahren leistet auch in der inneren Medicin,
wenn es verständig gehandhabt wird, ganz ausserordentlich viel,
und es stellt eine wesentliche Bereicherung
unserer diagnostischen Hilfsmittel dar; aber das unterliegt
keinem Zweifel, dass im Allgemeinen viel zu viel von dem¬
selben verlangt wird und dass es auch jetzt noch, trotz der ge¬
machten Erfahrungen in Fällen angewandt wird, bei welchen
gar keine Aussicht auf irgend einen Erfolg ist- Ferner wird
zu häufig der schon Anfangs erwähnte Fehler gemacht, dass von
einer vielleicht gut gelungenen Platte Schlüsse auf die All¬
gemeinheit gezogen werden und dadurch falsche Vorstellungen
von dem Werth des Verfahrens erweckt werden.
Literatur:
1. Durustrey und Metzner: Die Untersuchung mit
Itüntgenstrahlen. Eine kritische Studie. Fortschritte auf dem Ge¬
biete der Röntgenstralden Rd. 1. S. 115. — 2. Imme] mann:
Kann man mittels Rüntgeustralileu Lungenschwindsucht schon
zu einer Zeit erkennen etc. Fortschritte Bü. II. S. 142. — 3. Leo:
Nachweis eines Osteosarkoms der Lungen durch Itüntgenstrahlen.
Rerl. klln. Wochenschr. 1898. — 4 .11 e i t z e n s t e 1 n: Zur Kennt¬
nis»» und Diagnose der tiefen Oesophagusdivertlkel (Literaturver¬
zeichnis«!). Miineli. med. Wochenschr. 1898. — 5. Grün mach:
l'cher Fortschritte in der Aktinograpliie etc. 70. Versammlung
»leutsclier Naturforscher etc.. Düsseldorf 1898. — G. Kienböck:
Auf dem Röntgenschirm beobachtete Bewegungen in einem Pyo-
pneiimothorax. Wien. klin. Wochenschr. 1898, No. 22. — 7. Als¬
berg: l'eber einen mit Hilfe des Rüntgenverfalirens diagnosti-
oirten Fall von Ni«»renstein etc. Münch, med. Wochenschr. 1898,
No. 5o. - 8. Ilosen fe Id: Klinische Diagnostik der Grösse,
Form und Lage des Magens. Centralbl. f. innere Med. 1899, No. I.
- 9. L e vy-Iiorn und Zadeck: Zur Untersuchung mit Rönt-
irenstrahlcn hei Lungcneehinococeus. Berl. klin. Wochenschr. 1899,
No. 2o. — 10. S <• h m I d t: Kasuistische Beiträge zur Röntgenunter¬
suchung etc. Fortschritte Bd. HI, S. 1. — 11. Rieder und
U o s «> n t h a 1: l'eber Moment-Röntgenaufnahmen. Fortschritte
Ud. III. S. ltm.-- 12. Dollinger: Dritter Bericht über die An¬
wendung der Kontgenstrahlen .... in Frankreich. Fortschritte
Bil. ui. S. 111. — N i e h u s: Drei Fälle von Fremdkörpern
in »len tiefen Luftwegen etc. Fortschritte Bd. 111. S. 207. —
II. A 1 b »• r s - S <• h ö n b e r g: Zur Technik der Nicrensteinauf-
naluncn. Fortschritte Bd. 11L, S. 210. -- 15. Lauenstein:
Nachweis von Nierensteinen etc. Fortschritte Bd. 111, S. 211. —
IG. Wagner: Nachweis von Nierensteinen mit Rüntgenstrahleu.
Fortschritte Bd. III, S. 214. — 17. Le vy- Dorn: Phosphatsteiue
in der Niere eines Erwachsenen. Fortschritte Bd. III, S. 215. —
18. Emil Levy: Nachweis und Operation eines Phospliatsteine«
ln der rechten Niere. Fortschritte Bd. III, S. 215. — 19. Carl
Beck: Darstellung von Gallensteinen in »1er Gallenblase und
Leber. Fortschritte Bd. III, S. 217. — 20. Stembo: Beiträge zur
diagnostischen Venvertliung der Itüntgenstrahlen. Deutsch, med.
Wochenschr. 1899. — 21. Grün mach: Ueber die diagnostische
und therapeutische Bedeutung der X-Strahlen. Deutsch, med.
Wochenschr. 1899, No. 37. — 22. Bade: Eine neue Methode »1er
Röntgenpliotographie »les Magens. Deutsch, med. Wochenschr.
1899, No. 38. — 23. Holzknecht: Das rniliogrnphische Ver¬
halten »ler normalen Brustaorta. Wien. klin. Wochenschr. 19UÜ.
No. 10. — 24. Dersellie: Zum radiographischen Verhalten
pathologischer I’rocesse der Brustaorta. Wien. klin. Wochenschr.
1900, No. 25. — 25. L e o: Ueber einen Fall von Dextrokardie.
Jahrbuch f. Kinderheilk. B<1. 50, Heft 4. — 26. Walter: Physi¬
kalisch-technische Mittheilungen. Fortschritte Bd. I., S. 83. —
27. Weinberger: Bemerkung zum Aufsatz in No. 25 dieser
Wochenschrift: Holzknecht etc. Wien. klin. Wochenschr.
1900, No. 28. — 28. L e v y - D <> r n: Zur Kritik und Ausgestaltung
des Röntgen Verfahrens. (IJteruturverzeichnlss!) Deutsch. me»l.
Wochenschr. 1899. — 29. Blum: Zur Diagnostik der Oesophagus-
divertikel. Wien. klin. Wochenschr. 1900, No. 11. — 30. Büttue r
und Müller: Technik und Verwerthung der R ö n t g e n' selten
Strahlen im Dienste der ärztlichen Praxis und Wissenschaft.
Halle 1800, W. Knapp. — 31. Arnsperger: Ueber Pneumo¬
thorax im Rüutgenbilde. Mittheil, aus den Grenzgebieten etc. 1901.
S. 3G7. — 32. Kirchgässer: Fehldiagnose eines Aortenaneu¬
rysmas in Folge der Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen. Münch,
med. Wochenschr. 1900, No. 29. — 33. Q-ua»lflieg: Entfernung
eines künstlichen Gebisses durch Gastrotomie aus dem Oesophagus.
Münch. me»l. Wochenschr, 1901, No. 4. — 34. Bätsch: Künst¬
liches Gebiss im Oesophagus. Münch, med. Wochenschr. 1901.
No. 33. — 35. Albers-Schönberg: Ueber den Nachweis von
kleinen Nierensteinen mittels Röntgenstrahlen. Fortschritte Bd. IV,
S. 118. — 3G. Gebauer: Ist die Durchleuchtung mit Röntgeu-
strahlen ausschlaggebend für die DÜTerentialdiagnose zwischen
Aortenaneurysma und intrathoracisclieiu Tumor? Deutsch, med.
Wochenschr. 1900, No. 35. — 37. Becker: Bestimmung der
unteren Magengreuze vermittels Röntgendurchleuchtung. Deutsch,
med. Wochenschr. 1900. — 38. Oes t reich: Zur Perkussion des
Herzens. Virchow’s Archiv 1900. Bd. 1G0. — 39. Sud eck: Zur
Altersatrophie und Inaktivitiitsatrophie der Knochen. Fortschritte
B»l. III, S. 201. — 40. Rumpel: Die klinische Diagnose der spindel¬
förmigen Speiserölirenerweiterung. Münch, med. Wochenschr.
1897, No. 15. — 41. Jaworskl: Beitrag zur diagnostischen
X-Dmvlistraldung der Respirationsorgane. Wien. klin. Wochen-
sehr. 1897, No. 30. — 42. Leonard: The diagnosis of caleulous
»llsea.se of tlic Kidneys ete. The Philadelphia Medical Journal 190 ).
Aerztliche Standesangelegenheiten.
Aerzte, Behörden und Leipziger Verband.
Kollege Hart m a n n, der federgewandte, hat in No. 48 der
Münch, med. Wochenschr. einen Artikel gebracht, der neben einer
später zu würdigenden Empfehlung des ,.WIrthschaftli»*heu Ver¬
bandes“ im Wesentlichen gegen die mehr und mehr hervortreten¬
den Bestrebungen polemisirt, die Streitigkeiten zwischen Aerzten
und Kassen ..Einigungskommissionen“ unter unparteiischer Lei-
tung. sei es auch des Staates, zu übertragen. Dabei könne nichts
herauskommen und in dieser eigensten Privatangelegenheit, dürf¬
ten sieh die Aerzte von Niemand, besonders nicht von dem von
vornherein voreingenommenen Staat hineinreden lassen. Am
Schlüsse widerspricht sich Hart mann dann selber, indem er
solche Einigungsämter schon zulässt, falls sie von beiden Par¬
teien gleichmässig beschickt, sich selbst eine Leitung wählen.
In der That ist aber das Ende von solchen Ix»hnstivitigkeiten
auf gar keinem anderen Wege abzusehen, als auf dem mündlicher
Verhandlungen in Kommissionen. Wir verkennen doch selbst
nicht, dass auch den gerechten Forderungen der Aerzte oft nicht
minder gerechte der Kassen gegenüberstehen, dass theoretisch
wohlbegründete Wünsche selten voll durchzusetzen sind, «lass am
Ende je»len Streites doch die Friedensverhandlung steht, in der
das Mögliche erreicht, auf das vielleicht nur momentan Unmög¬
liche verzichtet werden muss. Der Unterschied zwischen Hart-
m a n n's und den von mir heute (largelegten Anschauungen ist
nur der, dass ich, und mit mir Viele, solche Einiguugsämter.
-stellen, -kommissionen oder wie man sie heissen will, in Friedens¬
zeiten schaffen möchten, so dass in irgend einer Weise die Stan¬
desvertretung offteiell den Abschluss von Kassen vertrügen über¬
wachen könnte, und »ler einzelne Arzt nicht mehr aus Irgend einem
Grunde sich gerechte Ansprüche drücken zu lassen brauchte. Es
leitet uns dabei »iie Erfahrung, »lie au vielen Plätzen gemacht
wurde, dass schon die Möglichkeit, überhaupt gehört zu werden
mul an Berathungen gleichberechtigt theilzunelimen, genügt, um
bessere Verhältnisse zwistdien Aerzten und Kassen zu bringen.
Bedingung <h*s Erfolges solcher Einigungsämter ist freilich,
dass sich auch »ler übelgesinnte Arzt denselben nicht entziehen
kann, und eine solche Unterredung aller Aerzte kann schwer
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. ~ 2013
10. Dezember 1901.
durch die Helehsgedetzgebung (deutsche Aerzteorduung!) gegeben
werden, aber wohl durch dl« Standes -und Elirengericlitsoulnungen
der einzelnen Länder. Das ist iln Augenblick das Bestreben Derer,
die niemals au ein freiwilliges Zusammenhalten aller Aerzte
glauben, wie sie H a r t m a « n trilumt. In diesem Sinne gibt
mau sich Mühe die neu zu schaffenden Aerzteordnuugen besser zu
fuudireu als die erste in Sachsen, wo die Bestimmungen beim
ersten, vielleicht etwas zu schroffen Ansturm der ärztlichen Vereine
versagten. Hessen hat in seinem Entwurf bereits eine In¬
stitution geschaffen, die den daneben nothwendlgen Kom¬
missionen zwischen Aerzten und Kassen brauchbare Arbeltsgrund-
lageti gelH'n wird. Ob ein Honorarsatz standeswürdig sei
oder nicht, entscheidet ein aus 2 Ae raten und einem Staats¬
beamten zusammengesetzter Senat.
So durfte der Vorsitzende beim Hildesheimer Aerzletag mit
Hecht nusspreehell, dass die Gründung solcher Einigungsämter das
Erstrelienswerthe sei. So halten die Vorstände der 8 bayerischen
Acrztekammem in einer letzten Eingabe betr. die bayerische Stan¬
desordnung an den Landtag — sich Im P r i n c i p für die Schaltung
solcher Einigungsstelleu ausgesprochen.
Da kommt aber immer wieder der Schlusseinwand: bei dieser
Art von Vermittlung spricht der „Staat“ hinein, und der will uns
Übel, der soll wegblelbeu. So argumentirt auch Hart ui a n n.
Ich kann dies in so uneingeschränkter Form nicht zugeben. Dass
gemachte Gesetze nicht leicht geändert werden. Ist begreiflich,
dass Missstände, durch Gesetze hervorgerufen, nur langsam den
nicht direkt Betroffenen klar werden, ebenso. Dass die Schädi¬
gungen, die der ärztliche Stand durch das Krankenversicherungs¬
gesetz erlitten, so grosse sind, war weder vorherzusehen, noch so¬
fort als dauernd, ja sich steigernd, zu erkennen. Ich glaube wohl
behaupten zu dürfen, dass ein Erkennen dieser Missstände mehr
und mehr auch in den Kreisen derer Platz greift, die Abhilfe
schaffen können. Sind nicht die Vorlagen von Aerateordnungeii
ln allen Bundesstaaten dafür ein Beweis? Und die oben be¬
sprochenen in Hessen geplanten Kommissionen erst recht? Wir ln
Bayern ringen im Augenblicke schwer um unsere Standesordnung
gegen Unverstand und bösen Willen. Aber die Staatsregierung
steht mit vollem Verständniss auf unserer Seite und nicht an ihr
liegt es, wenn unsere Hoffnungen sich zerschlagen sollten.
Noch mehr das rechtzeitige verständige Eingreifen der Kreis¬
regierung hat den Kampf der Münchener Aerzte mit einer Kasse
zu einem guten Ende geführt. Leipzig ist in gleichem Falle auch
unter Vermittelung der Regierung mit einem blauen Auge davon
gekommen. Hartmann hat sich später bitter über den Friedens¬
schluss ausgelassen — bin ich falsch berichtet, dass er selbst ohne
zu protestiren dabei war, und theilten nicht Viele mit mir den
Glauben, dass ohne diese Itegierungsvermittlung der Leipziger
Streit mit einer grossen Niederlage zu enden drohte?
Wenn man dahin strebt, Einigungsämter zu errichten, und
wenn dieselben unter unparteiischer Leitung stehen müssen, so be¬
steht kein Grund, die Betheiligung des Staates prinzipiell abzu¬
lehnen. Derselbe wird dabei Gelegenheit haben, den bei uns
herrschenden Notlistiinden im Detail näher zu treteu und wir
werden im mündlichen Gedankenaustausch leichter etwas erreichen
als mit den oft verspotteten Eingaben und Resolutionen, die eben
erst Bresche schiessen müssen.
Nun ist aber der eigentliche Zweck des Hartman n’sclieu
Artikels eine neuerliche Empfehlung des Leipziger Verbandes, und
wenn er dies recht eindringlich tliut, hat er sicher Recht. Nur
scheint mir jetzt die Zeit vorbei, wo die alten Gründe für die
Notlnvendigkeit dieses Verbandes immer wieder aufgewürmt
werden.
Dass bisher nichts oder nicht viel von den Aerzten erreicht
wurde, ist allseitig anerkannt. Dass aber dosshalb «1er Weg des
Verbandes der allein richtige sei, ist doch nur eine Behauptung,
die vorerst nicht zu beweisen ist Und nicht an dem fortwährenden
Nörgeln an den Bestrebungen der Kollegen kann der Verband sich
stärken, sondern nur in einem gegenseitigen Anerkennen der guten
Absicht und in der wechselseitigen Unterstützung aller Pläne, die
schliesslich doch dasselbe Endziel haben. Wir, die wir die Wege
des leipziger Verbandes für schwer zu einem brauchbaren Resultat
führend, halten, haben trotzdem es gerne gesehen, dass neue
Kräfte neues Leben in die ärztlichen Vereine gebracht haben,
und da wir bei einem vernünftigen Zusnnimenstehen der Gut¬
gesinnten keinen Schaden von dem neuen Vereine mehr fürchten,
so zeigen auch wir den guten Willen, und treten dem Leipziger
Verbände bei, damit, nicht den Wegbleibenden schliesslich die
Schuld am Misserfolg gegeben und die guten Kräfte nicht der
guten Sache abwendig gemacht werden. Wir grollen also nicht,
nur sollte Kollege Hartmann auch nicht grollen und nicht
immer post festum die Ereignisse schlimmer anseheu als beim
Fest selber. Jetzt hätte er in Hildesheim einen flammenden
Protest haben wollen gegen unsere Gesetzgebung, warum hat er
ihn denn dort nicht selber angeregt? Wenn dem Verband oder
ihm ein recht gutes Mittel gegen die Kurpfuscherei einfällt, soll
er es uns nicht vorenthalten, wir Alle wollen ihm helfen, es all¬
zu wenden. Aller dem leipziger Verband die Bekämpfung der Kur¬
pfuscherei als Hauptaufgabe mit zu übertragen und den deutschen
Aerzte Vereinsbund m*ben hinzuschieben, war doch unmöglich.
Die Zelt für solche Streitigkeiten unter den Wohlmeinenden
Ist vorbei. Jetzt wollen wir nichts mehr hören als die mit Gründen
belegten Pläne des Verbandes für die Zukunft, und den Fortschritt,
den er seit y, Jahr gemacht hat. Da können die Zweifelnden be¬
kehrt werden, und in weiteren Jahren wird ein rascher Ueber- |
blick zeigen, wie viele von den für den Erfolg der Sache nach
Hartmann’s eigenen Worten uöthigen „sämintllehen Aerzten
Deutschlands“ noch fehlen. Dr. Wilhelm Mayer.
Referate und Bücheranzeigen.
J. Bernstein -Halle: Lehrbuch der Physiologie des
thierischen Organismus, im Speciellen des Menschen. Zweite,
umgenrbeiteto Auflage. 696 Seiten mit 276 Textabbildungen.
Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart 1900. Preis 14 M.
Das in 2. Auflage erschienene Lehrbuch des Hallenser
Physiologen, welches einer von F. Enke veranstalteten Samm¬
lung medieinischer Lehrbücher angehört, hat gegenüber der
1. Auflage (1894) insofern eine Aenderung erfahren, als die
IJauptthatsachen der Physiologie durch Grossdruck hervorge-
hoben werden und von den minder wichtigen und speziellen Er¬
örterungen durch Kleindruck geschieden sind, wodurch natürlich
das Buch an Uebersichtlichkeit gewinnen musste. Neu hinzu¬
gefügt wurden ein etwas über 12 Seiten umfassender 2. Anhang,
der die Grundlagen der modernen physikalischen Chemie be¬
handelt und 5 Textfiguren; trotzdem konnte die Seitenzahl um
59 vermindert werden.
Die 13 Kapitel des Buches sind im Anschluss an eine Ein¬
leitung allgemeineren Inhalts nach einander dem Blute, dem
Kreisläufe des Blutes, der Athmung, der Verdauung und Se¬
kretion, der Lymphe, Resorption und Assimilation, der Exkretion,
der Ernährung, der thierischen Wärme, der thierischen Bewegung,
der allgemeinen Nervenphysiologie, der Physiologie der Central¬
organe des Nervensystems und ihrer Nerven, der Physiologie der
Sinne und der Fortpflanzung gewidmet. Die Gruppirung des
Stoffes weicht also von der bisher üblichen nicht ab. In einem
Anhang I bespricht Verfasser noch die chemischen Bestandteile
des Körpers, in einem II. Anhänge, wie erwähnt, die Hauptdaten
der physikalischen Chemie. Ein Sachregister bildet den Schluss.
Das Buch ist sehr gehaltvoll und stellt besonders in der vor¬
liegenden zweiten Auflage eine schätzenswerte Bereicherung der
physiologischen Lehrbücherliteratur dar.
Dr. K. Bürker - Tübingen.
Dr. Paul Schulz, Privatdocent und Assistent am k. physio¬
logischen Institut der Universität Berlin: Compendium der
Physiologie des Menschen. Für Studirende und Aerzte. Zweite,
verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 47 Abbildungen im Text
und 1 lithographischen Tafel. Berlin 1901. Verlag von
S. Karger.
In knapper, klarer Form bringt das vorliegende Compendium
die zur Zeit als anerkannt geltenden Lehren der Physiologie,
untergebracht in 26 Kapiteln, welche den in der staatlichen
Prüfungsordnung vorgeschriebenen Thematen entsprechen. An
vorzüglichen Lehrbüchern der Physiologie ist kein Mangel, allein
dein beschäftigten Arzte, der das Bedürfnis» nach rascher Orien-
tirung in irgend einer physiologischen Frage fühlt, ist es oft zu
zeitraubend, sich durch ein weit angelegtes Werk hindurch zu
lesen und gewiss greift er gerne nach einem sorgfältig ge¬
schriebenen Compendium. Es ist schwer, iu der Auswahl des
aufzunehmenden Stoffes das Rechte zu treffen, allein der Verf.
des vorliegenden Werkeliens scheint im Ganzen eine recht glück-
licho Hand gehabt zu haben. Die beigegebenon Zeichnungen sind
sorgfältig ausgeführt. Wie das Erscheinen der zweiten Auflage
zeigt, hat sieh das Compendium bereits gut eingeführt. Gr.
Dr. Carl H a e g 1 e r: Händereinigung, Händedesinfektion
und Handschutz. Eine experimentelle und kritische »Studie.
Basel, B. Schwabe, 1900.
Ha egl er will in der dem Andenken A. Socin’s ge¬
widmeten eingehenden Arbeit, „obgleich zur Zeit das aktuelle
Interesse an dieser Streitfrage aus Ermüdung erloschen
ist“, die Resultate in 12 jähriger Arbeit im Laboratorium
und am Krankenbett gemachter Studien über Wund¬
infektion und Wundbehandlung geben, die speziell die Hände¬
vorbereitung und alles was damit zusammenhängf, behandeln,
die ja neben der operativen Technik in erster Linie, für den
Erfolg maassgel>end ist. Die wichtige Frage, ob es möglich sei.
die Hände mit annähernder Sicherheit keimfrei zu machen, wird
von II., wie der Mehrzahl der Forscher, verneint.; II. hält es
für unrichtig, die Laparotomien als Testobjekte zu wählen, da
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2014
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
bei anderen Operationen (Kropfoperationen, Herniotomien, Gc-
lenkoperationen) die Gewebe viel feiner auf Mikroben reagiren,
als das Bauchfell. Zu der Methodik bakterieller Prüfung hat
II. seine Fadenmethode benutzt, d. h. ein dicker Seiden¬
faden von 20 cm Länge wird sterilisirt mit der Pinzette aus
dem Reagensgins entnommen, man zieht ihn durch die Hand
resp. reibt damit event. den Untemagelraum sägend aus und
bringt ihn dann in den Nährboden, d.h. eine mit flüssigem Agar
beschickte Petrischale. Die 2. Hälfte des mit geglühter Scheere
durchschnittenen Fadens, die von der Versuchsperson zwischen
den Fingern etwas zusammengeknäult wird, lässt man in ein
Bouillonglas einfallen, das 24 Stunden im Brutofen gehalten
wird und von dessen Inhalt die Hälfte dann unter Sauerstoff -
abschluss gehalten werden kann. — Das Eindringen der Bak¬
terien in die Haut, die vorzugsweise in kleinen Epidermisrissen
sich fostsetzen und von rauhen Händen viel schwerer zu ent¬
fernen sind, als von wohlgepflegten, glatten Händen, studirte II.
experimentell in dem analogen Eindringen corpusculürer Ele¬
mente, z. B. Tuschpartikelehen bei Tuscheinreibung der Hände
und an histologischen Präparaten; er fand, dass die Keime an
unseren Händen sich nur relativ selten und spärlich in Ilaar-
bälgen finden (nur in den peripheren Partien), dass sie in den
Schweissdrüsen gewöhnlich fehlen und in alle diese natürlichen
Ilautöffnungen nicht einwachsen, sondern durch Reiben von
aussen dahin verbracht werden, dass sie einmal dort, unter
normalen Verhältnissen sich nicht vermehren, dass die acciden*
teilen Hautöffnungen (kleinem Verletzungen) sich anders ver¬
halten, indem hier sich Keime regelmässig nachweisen lassen und
Vermehrung in die Tiefe und Einwachsen in die Tiefe anzu¬
nehmen ist. Trockene Hautoberfläche ist der Vermehrung un¬
günstig, Schweiss dagegen steigert sie. Wenn auch der mecha¬
nischen Reinigung, d. h. der Entfernung des Keimmateriales von
den Händen, die wichtigste Rolle zukommt, so dürfen wir doch
in der Unterschätzung der Antiseptiea nicht zu weit gehen.
II. geht auf die Technik der Ilündereinigung näher ein; Haupt¬
bedingung derselben sind: warmes Wasser, Seife, ein Frottir-
instrument und Abreiben mit rauhem Tuch; die Behauptung,
dass durch die Bürste beim Waschprocess Keimmaterial in die
Hände gerieben werde, lässt sich auch bakteriologisch entkräften,
eine Schädigung der Haut durch grüne Seife konnte II. nicht
finden, eine reine Entfettung der Haut gelingt am besten durch
pasten- oder breiartige Massen (Gips, Bolus). Auch die Nagel¬
toilette bespricht II. des Näheren; das was der Reinigung im
chirurgischen Sinne am schwersten zugänglich ist, ist nicht der
glatte Nagel als solcher, sondern das rauhe Ende des Nagelbettes,
dcsshalb darf die instrumenteile Nagelreinigung erst nach den
entfettenden und epidermislockernden Maassregeln und nicht mit
spitzen oder scharfen Nagelreinigern geschehen; II. zeigt durch
Experimente, dass das Ausreiben des Unternagel raumes mit
einem rauhen aber geschmeidigen Medium viel wirksamer ist.
II. geht dann auf die Reinigung der Hände mit Desinfektions¬
mitteln näher ein und bespricht besonders an der Hand seiner
experimentellen Untersuchungen die Bedeutung des Alkohols
hiebei und kommt nach 32 Versuchsserien zu dem Resultat, dass
(30—TOproc. Alkohol, wie alle eiweisscoagulirenden Mittel, zu den
Antiseptieis zu zählen sei, dagegen nicht befähigt sei. Keime,
die an der Haut der Hände Vorkommen, mit Sicherheit in einer
für die Praxis der Händedesinfektion in Betracht kommenden
Zeit abzutödten und dass die Ansicht von der reinigenden Wir¬
kung des Alkohols nur bedingt richtig sei; die Alkoholvorberei¬
tung bahnt der wässerigen Sublimatlösung in auffälliger Weise
den Weg in die Zellen. — Auch der Seifenspiritus leistet nicht
mehr, als die Alkoholwaschung; die besten Resultate wurden
mit Subliinatdesinfektion in einer im Wesentlichen der Für-
bringe Eschen gleichkommenden Methode erzielt, d. h. wenn
die Iland mit Boluspaste 1—2 Minuten entfettet, mit Kaliscife
und Bürste in möglichst warmem Wasser 5 Minuten lang ge¬
reinigt, mit trockenem Tuch abgerieben und 3 Minuten lang in
TOproc. Alkohol, dann 3 Minuten in 1 prom. Sublimatlösung
gebürstet wurde. Die Idee einer wirksamen antiseptischen Seife
ist nach H.’s Ansicht nicht zu verwirklichen; die Servatolseife
M-heint ihm immerhin noch das beste Präparat. — Waschungen
der nicht vorbereiteten Hände in antiseptischen Lösungen sind
nutzlos. Des Weiteren bespricht H. die Versuche mit Operations-
handscliuhen und ist der Ansicht, dass die von Doederlein
naohgowiesono Imbibition der Zwirnhandschuhe mit Keimen
während der Operation sicher nur zum Theil auf den Luftstaub,
zum Theil auf die Keime der Ilandoberfläche zurückzuführen
ist; Imprägnation mitParaffin (Menge) setzt dem Durchwandern
der Keime (wenigstens für den Anfang) einen Damm entgegen,
besser sind die Lederhandschuhe, da hier zweifellos ein gewisses
Zurückhalten der Handkeime stattfinde und bieten diese vor den
Handkeimen, besonders in der ersten Viertelstunde eine ziem¬
lich bedeutende, aber nicht absolute Sicherheit. Unter den
Gummihandschuhen sah H. nach seinen experimentellen Unter¬
suchungen trotz aller Maceration in einer Zeit, die für operative
Eingriffe in Frage kommt, weniger Epithelzellen und eorpus-
culärc Verunreinigungen von der Ilandoberfläche sich ablöscn,
als unter dem Zwimhandschuh oder der unbedeckten Hand, da
orsterc die Reibung der Ilandoberfläche hintanhalten. Kein
Operationshandsehuh bietet nach II. absolute Sicherheit, ebenso
sind die undurchlässigen Ueberzüge als ungenügender Schutz zu
verwerfen. II. bespricht schliesslich die Prophylaxis, den Hände¬
schutz und kommt zu der Ansicht, dass man hauptsächlich
ausserhalb des Operationssaales Handschuhe oder Handsehutz-
muassregeln (Wachspaste, Paraftinübcrzug) benützen solle, da
man überall im Krankenhaus gefasst sein muss, infektiöses Ma¬
terial zu treffen; der Operateur kann nur dann seine Hände
tadellos erhalten, wenn er ihrer Beschaffenheit eine intensive
kosmetische Pflege zuwendet, „letzteres gehört für den Chirurgen
ebenso zum täglichen Pensum, wie das Aufziehen der Taschen¬
uhr“. Im Gebiet der Prophylaxis kann noch Manches weiter ge¬
fördert werden und II. theilt in dem Schluss seiner Arbeit noch
eine Reihe von Punkten mit. die zu der erwünschten Sicherheit
der Operationsresultate beitragen. Dem schönen Werke H.’s ist
eine betreffende Literaturübersicht und eine Reihe von Tafeln
(Kulturen und histologische Befunde) angereiht. Dio darin
niedergelegten Resultate experimenteller Prüfung des Gebietes
durch H. verdienen zweifellos das grösste Interesse und ist der
Arbeit weite Verbreitung zu wünschen. Schreiber.
Paul Petit: E16ments d’Anatonie gynäcologique clinique
et opgratoire. Mit 32 Originalbildern. Vorwort von P. So b i -
1 e a u. Paris. Car re et Naud, 1901.
Petit hat im Laboratorium R c b i 1 e a u’s drei Jahre an
diesem anatomisch-gynäkologischen Werke gearbeitet. In Wort
und Bild werden, stets unter Berücksichtigung der klinischen und
operativen Aufgaben, geschildert: I. Die Dammgegend, 11. das
kleine Becken und sein Inhalt, III. die vordere und seitliche
Bauchwand, IV. die Fossa iliaca. — Petit hat theils sehichten-
weise präparirt und die Schichten in ihrer Reihenfolge mit er¬
staunlicher und erschöpfender Genauigkeit beschrieben und ab-
zeichiien lassen, theils hat er zum gleichen Zwecke Fenster-
schnitte, horizontale, frontale und sagittalo Fläehenschnitto an¬
gewendet. Bei den heutigen operativen Methoden der Gynäko¬
logie ist die genaueste Kenntniss der Anatomie nothwendigor
als je; die. inguinale Verkürzung der Ligamenta rotunda nach
Alex ander-Adams setzt die Vertrautheit mit der Anatomie
der Inguinnlgegrnd und ihren anatomischen Varietäten vo-aus, di-
abdominale Radikaloperation bei Uteruskrebs mit Ausräumung
der Parametrien und der regionären Lymphdrüscn erfordert sorg¬
fältiges Präpari reu des Ureters und der grossen Gefässplexus,
kurz — es ist jedem Gynäkologen ein Werk, welches diese Ge¬
biete mit vollkommenem Eingehen auf die operativen Einzelheiten
schildert, nicht nur von grösstem Werthe, sondern einfach notli-
wendig.
Neben den bekannten Fixationsmethoden dos Uterus be¬
schreibt P. eino von ihm angegebene „indirekte Cystopexie durch
Verkürzung der Aponeurosis umbilico-pelviea“, welch? in Deutsch¬
land wenig bekannt zu sein scheint.
An den Abbildungen ist neben der eimvandsfreien Sorgfalt
besonders der Umstand rühmend hervorzuheben, dass die einzelnen
Gewebe (Fett, Muskel, Bindegewebe etc.) gut eharaktcrisirt sind.
Um den Beschauer gleich beim ersten Anblick topographisch zu
orientiren, wäre bei einigen Bildern die Hinzufügung von Con-
turen der Umgebung erwünscht — so z. B. auf Tafel I des
anderen Oberschenkels, auf Tafel VI der Gesässbaeken und des
Ansatzes der Oberschenkel, da durch die verschiedene Stellung
des Objekts, theils in Rücken-, theils in Knie-Ellenbogen-, theils
in Schräglage die Uebersicht etwas erschwert ist. Auch stören
an einigen Bildern die stark bei Seite oder vorgozogoneu Labien
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10. Dezember 1901.
MüENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2015
und andere Organe. Für den Nicht-Franzosen bildet es auch
eine kleine Erschwerung für den Gebrauch des Buches, dass meist
nicht die. lateinisch-griechische, sondern die französische Be¬
nennung (veine hontcuse etc.) gewählt ist; für den internationalen
Gebrauch wäre, wie dies W aldeyer in seinem grossen Werke
„Das Becken“ gothan hat, die lateinisch-griechische Bezeichnung
vorzuziehen. — Das sind aber geringe Einzelheiten gegenüber
den hervorragenden Vorzügen des Buches, das ein praktischer
Gynäkologe seinen Fachgenossen darbietet. Die Ausstattung ist
eine glänzende. Möge das ausgezeichnete Buch auch in Deutsch¬
land die weiteste Verbreitung unter den Gynäkologen finden!
Dies wünscht seinem hochverdienten Berufs- und Namens¬
kollegen
Der Referent : Gustav Klein- München.
Dr. Hugo Seilheim, Privatdocent und 1. Assistenzarzt:
Leitfaden für die geburtshilflich-gynäkologische Unter¬
suchung. Mit 2 Abbildungen. Freiburg i/B. und Leipzig,
Speyer & Käme r, 1901. Preis 1 M.
In dem vorliegenden Leitfaden bringt der Verfasser eine
Skizze des Ganges der geburtshilflich-gynäkologischen Unter¬
suchung, wie er an der H e g a r’schen Klinik in Freiburg ein¬
gehalten wird. Tn seinen verschiedenen Abschnitten berück¬
sichtigt er den Gang der gynäkologischen Untersuchung, ferner
die Untersuchung Schwangerer, die Untersuchung Kreissender,
die specielle Beckenuntersuchung; im Anhang findet sich eine
Anleitung für die Diagnose der Schwangerschaft, für die Ein-
theilung der Kindslagen und für die Diagnose des Wochenbettes.
Wir machen auf das praktische Werkchen aufmerksam. Gr.
Kochbuch für Zuckerkranke und Fettleibige unter An¬
wendung von Aleuronatmehl, sowie aller auf dem Gebiet der
Ernährung für Diabetiker vorkommenden Neuerungen von
F. v. W i n c k 1 e r, Verfasserin der ,.365 Speisezettel für Zucker¬
kranke und Fettleibige“. 4., vermehrte und verbesserte Auflage.
Wiesbaden, Verlag J. F. B er gm a n n, 1901. Preis 2 M.
Das wohlbekannte, vortreffliche Kochbuch erscheint hieniit
in 4. Auflage, ausgestattet mit allerlei erprobten Neuerungen auf
diesem Gebiete. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir dem nütz¬
lichen Werkehen dieselbe günstige Aufnahme prognostieiren, wie
den vorausgegangenen Auflagen. Gr.
0. Dornblüth: Klinisches Wörterbuch der Kunst¬
ausdrücke der Medicin. 2. verm. Aufl. Leipzig, Veit & Co.,
1901. 176 p. 3 M. 50 Pf.
Dieses medicinische Fremdwörterbuch wird gewiss von
Studirenden, besonders aber von den „Realabiturienten“ mit
Nutzen nachgeschlagen werden, aber auch der reifere Arzt wird
Neues finden.
Mit besonderem Fleisse sind die dem Gebiete der Neuro¬
pathologie zugehörigen Ausdrücke registrirt; doch auch hier
wird manche Lücke auszufüllen sein. Nehmen wir den ersten
besten Band der Nouvelle leonographie de la Salpetriere zur
Hand, so stossen wir gleich auf eine Reihe von Wörtern, die bei
Dornblüth fehlen, z. B. Metamcric, Trophoedeme, Gigan-
tisme, Feminisme, Chromatolyse, Adenolipomatose, Tympanisme,
Pince de Homard, Radiographie, Tricliotillomanie (Hallopeau
1889), Hypothyroidie, Ectrodactylie, Achondroplasie u. s. w.
Die Cochinehina-Diarrhoe rührt nicht von Anguillula her
(richtiger. Rhabdomena). „Cutorse“ ist Druckfehler für
„entorse“. — Die Wörter „felon“, Nagelgeschwür (sonst Tour-
niole“) und „fester“ gibt cs gar nicht. Weder der grosse L i 11 r e
noch der neueste vorzügliche Dictionnaire von Hatzfeld,
Darm steter und Thomas führen sie auf. — „hoohet“
soll „Zahnen“ bedeuten, es ist aber nach Litt re ein Spiel¬
zeug, das man zahnenden Kindern zum Darauf heissen gibt.
Katgut soll heissen „catgut“; lisse peau, als schlaffe Haut
ist falsch, dagegen pag. 119 peau lisse richtig erklärt. —
Lymphe ist kein griechisches Wort trotz des griechischen Ge¬
wandes. Bei „melanodermie“ ist beizufügen, dass sie meist von
Pedieulus vestimenti herstammt. •
Bei „Paget“ ist zu erinnern, dass <*s auch Paget’s Disease
of the bones gibt (Stilling, Virch. Arcli. 119).
Das „Parumaecium“ besser „Balantidium“ ist kein unge¬
fährlicher Gast iles Darms (Solowjew im C. f. B. 29). Der
Name „Proglottis“ stammt von Dujardin 1841 und bezieht,
sieh auf die zungenförmige Bildung der Taenienglieder. — Das
Wort „remede“ wird vielfach in der Bedeutung „Klystier“ ge¬
braucht. — „Rhaphanus“ existirt nicht; wir haben das Wort
von Plinius, der (Lib. 19) nur „raphanus“ schreibt. —
Rhaehitis muss heissen Rachitis, wie R. Virehow (Archiv V.)
es eingeführt hat. — „Sonde“ bedeutet im Französischen „Ka¬
theter“; unser „Sonde“ heisst „stylet“. — „Sporozoen“ ist nicht
gleich mit Gregarinen, welche nur eine Abtheilung der grossen
Sporozoenklasso bilden.
Bei Teratom ist zu merken, dass „Teras“ nicht Wunder
heisst, sondern Wunderzeichen = Ostentum, prodigium. —- Die
Trichomonas kommt auch in der Harnblase des Mannes vor.
Die historische Onomatologie bedürfte in einem Lexieon
einer besonderen Sorgfalt. Aber Verfasser hat nicht einmal die
von mir in dieser Wochenschrift 1890, No. 23 ff. angeführten
Namen vollständig. In den letzten 10 Jahren hat sich der
Wortschatz hier sehr gemehrt; z. B. Maladie de Münchmeyer,
(Nouv. Ieonogr. 1898), de Savill (ibid. 1895), de Recklinghausen
(Archiv, general. 1890, Sept.). de Riga (Coinby, Malad, de. l’enf.
I, 299), Koschewnikow’sehe Krankheit. (Berl. Woehensehr. 1900,
No. 44), Henoch’sehe Purpura, Maladie de Carrion (Odriozoln
1896), Lisere de Burton, Morbo di Brinton (Sansoni 1894) u. s. w.
Ich hoffe, dass Verf. bei einer dritten Auflage von diesen
Andeutungen Nutzen ziehen kann.
J. Ch. Huber- Memmingen.
The Thompson Yates Laboratories Report. Edited by
Hubert Boyce and C. S. Sherrington. With Illu¬
strations and Plates. Vol. IV. Part I. 1901. The Uuiversity
press of Liverpool. 1901. Pr. 4 S. 6 d.
Die Berichte der Thompson Yates Laboratorien in Liverpool
bilden eine hüelist bemerkenswert he, namentlich für den Bakterio¬
logen wichtige Publikation. Der vorliegende Band enthält den
II. Theil des Berichtes der Malaria-Expedition der tropenhygieni¬
schen Schule zu Liverpool nach Nigeria, und zwar die Studien
der Expedition über Filaria. Berichterstatter sind: Annett,
Dutton u. E 11 i o t t. Bei der Untersuchung westafrikaniseher
Vögel auf Parasiten der rothen Blutkörperchen wurde eine Reihe
neuer Blutfilarien gefunden, die eingehend beschrieben werden;
auch Beobachtungen über Filaria sanguinis dos Menschen wurden
verwerthet. Der Filariaarbeit ist das ausführliche Literaturver-
zeichniss von Stossi e h beigefügt. Weitere Arbeiten des Bandes
Ik 1 treffen die Ueberwintcrung der englischen Muskito’s von
A nnett und Dutton, die F'lora der gesunden und kranken
Gonjunetiva von G r i f f i t h. Milch als Träger der Tuherkuli>se
von Hope etc. Dein sehr schön ausgestatteten Band sind zahl¬
reiche Tafeln beigegeben.
Neueste Journalliteratur.
Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P.v.Bruns.
Tübingen, Lau pp. 31. Bd. Supplementlieft.
Jahresbericht der Heidelberger Chirurg. Klinik für das
Jahr 1900.
Der Jahresbericht fiir 1900 gibt in der Weise der früheren
Berichte aus der gleichen Klinik die Uel*ersiclit über das grosse
von dersellxm bewältigte Material. I'etersen erstattet nach
einem Vorwort von Czerny den allgemeinen Bericht über die
stationäre Klinik (2522 l’at.» mit 1930 Operationen (darunter 23S
Laparotomien), dann werden die Todesfälle nach Gruppen zu-
snmmengestellt des Näheren angeführt (3.34 Mort.), aus denen
zu entnehmen, dass in dem betr. Jahr ein gesteigerter Zugang an
schweren Verletzungen (23 -{-) zu konstatiren war. Unter den
1715 Narkosen sind 3 Chloroformtodesfälle vorgekommen.
Im speziellen Thell werden nach Beginnen die einzelnen Ge¬
biete (bearb. von V ö Icke r. W Ci r t h v. Wii r t li e u a u. S i in o n
mul Kaposi. Uetersen. Schüller» behandelt u. a. über
24 Schädelfrakturen (5 mit Gehirnverletzungenl 50 Strumaopera-
tionen (22 Resektionen, IS Euuclcatioueut. 13 Empyeme. 23 Ope¬
rationen wegen Ulcus ventriculi, 14 Gastroenterostomien wegen
Narbenstenosen. .'50 wegen Carcinoma ventr.. 0 Magenresektionen,
33 AppendicitIsoperntioiien. S4 Ilernienoperationen ((iS Operationen
freier Leistenhernien. 11 bei Einklemmung. 20 Cruralhernien»,
Kt Operationen an den Gallemvegen (22 (\vstotonden. 4 Cystieo-
tomien. 4 Cystektoinien, 0 Choledoebotomien». 0 Operationen der
Nephrolitliiasls. 5 Steinoperationen lieriehtet.
Unter dem reiehen Material linden sieh manche Raritäten
(Milzecliinoeoceus etc.) mul die relativ sehr hohe Zald der Frak¬
turen ist wohl wesentlich durch das Eisenbahnunglück von:
7. N. 1900 in der Nähe Heidelbergs lieeinliusst. üln*r das Völker
d' s Näheren berichtet und das in der Einleitung als ..eine ITobc-
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MUENCHENER MEDIC1NISCIIE WOCHENSCHRIFT.
Xo. BO:
luobilmnchung grossen Stiles“ bezeichnet wird, bei der sich die
Einrichtungen der Klinik sehr gut bewährten. M n rwedel und
Schüller berichten schliesslich über die ambulatorischen Fälle
0X501 Patienten, darunter 270 Frakturen, 52 Luxationen) mit
140 Narkosen und 100 Lokalnarkosen.
Der Bericht gibt eine grosse Anzahl kurzer krankengeschicht¬
licher Auszüge, die viel des Belehrenden enthalten, und bietet als
wissenschaftliche Yerwerthnng des reichen Materials einer der
grössten chirurgischen Kliniken grosses Interesse. S c li r.
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 9. Bd, 4. Heft.
1901.
18) v. F r i e d 1 ä n d e r: Heber die Entstehung der ange¬
borenen Hüftverrenkung.
Verf. studlrte die normale Entwicklung des Hüftgelenkes und
des Femur im embryonalen Leben und weiter die Störungen dieser
Entwicklung bei schweren Missbildungen, insbesondere bei Even¬
tration. Er fand, dass in solchen Fällen eine Deformität des
Femur entsteht, welche an die Form des Knochens bei Luxatto
congenita erinnert. Daraus schliesst er, dass ähnliche Faktoren
in beiden Fällen im Spiel sind. Und zwar vermuthet er, dass eine
abnorm starke lumbale Lordose das (lemeinsame sei. Es fehlt
also nur der Nachweis, dass die angeborene Luxation kombinirt
ist mit angeborener Lordose. Es wäre dann die gewöhnlich als
Folge der Luxation aufgefasste Ix>rdose vielmehr deren Ursache.
Sind auch die Folgerungen noch wenig fest begründet, so
sind die anatomischen Untersuchungen (loch jedenfalls sehr
interessant.
19) Keine r: Heber den kongenitalen Femurdefekt.
Auf Grund von Literaturstudien, namentlich aber an der
Hand von 5 eigenen Beobachtungen und von Itöntgenbilderu ent¬
wirft II. das anatomische Bild der Deformität, das recht ver¬
schiedenartig sein kann. Es werden 5 Arten charakterislrt, von
(lenen 4 das gemeinsame Merkmal haben, dass das proximale
Femurende defekt ist.
Die Ursache erblickt er in einem von den Eihüilen ausgehen¬
den „modelllrenden Trauma“, einem Druck von Seiten des eng an¬
liegenden Amnion.
20) Blencke: Ueber kongenitalen Femurdefekt.
Verf. hat mit grossem Flelss die Literatur zusammengetragen,
sein Quollen verzeichniss umfasst nicht weniger als 195 Nummern.
Drei eigene Beobachttingen fügt er hinzu. Besonders ausführlich
ist die Besprechung der A e t i o 1 o g i e , hinsichtlich welcher er
zur gleichen Anschauung gelangt wie Keiner. Interessant ist
die eingehende Erörterung des „Versehens“ als ätiologischen
Faktors.
21) Frei borg: Zur Herstellung von Fussabdrücken.
Die mit alkoholischer Eisenchloridlösung befeuchtete Fuss-
sohle wird auf Karton abgedruckt. Der Abdruck wird mit Tannin¬
lösung geschwärzt.
22) M ö h r i n g: Gelenkneurosen und Gelenkneuralgien.
M. unterzieht sich der dankenswerthen Aufgabe, ln diesem
wenig geklärten Kapitel der Gelenkpathologie etwas Ordnung zu
schaffen, indem er die Neuralgie von der Neurose zu trennen sucht.
Letzterer liegt wahrscheinlich keine anatomische Veränderung des
Nervensystems zu Grunde. Meist ist die Ursache der Gelenk¬
neurose zwar ein Trauma, aber gerade das Missverhiiltniss
zwischen letzterem und den Gelenksymptomen führt zur Diagnose
einer Neurose: Das betreffende Gelenk ist in seiner ganzen Aus¬
dehnung schmerzhaft und zwar meist kontinuirlich. Psychische
Folgeerscheinungen fehlten fast nie.
10 interessante Beobachtungen illustriren das Krankheitsbild
der echten Gelenkneurose, deren Therapie, ihrem Wesen ent¬
sprechend, wesentlich eine psychische sein muss.
Wegen vieler lehrreicher Einzelheiten muss auf das Original
verwiesen werden, dessen Lektüre jedem Praktiker willkommene
Aufklärung bringen wird. V u 1 p i u s - Heidelberg.
Archiv für Gynäkologie. 64. Bd. 2. Heft. Berlin 1901.
1) Hans Schroeder: Heber Vorkommen von Follikel¬
anlagen in Neubildungen. Ein Beitrag zur Entstehung der
Eierstocksgeschwülste. (Aus der Bonner Frauenklinik.)
Eine 30 jährige III. Para blutete seit 4 Jahren unregelmässig,
das rechte Ovarlum war in einen Tumor von der Grösse einer
Billardkugel umgewandelt. Vaginale Totalexstirpation des Uterus
und der Adnexe, ln dem Tumor war das Ovarialgewelie durch
eine atypische Neubildung verdrängt. Die Neubildung bestand aus
dicht mit Epithel gefüllten, follikelähnlichen Alveolen, in denen
sich zahlreiche, reifenden Follikeln ähnliche Gebilde eingeschlossen
fanden. Die Neubildung geht vom Follikelepithel aus. Sehr,
schlügt für diese Geschwülste den Namen „Folllculoina“ vor.
Die folgenden Arbeiten gehören zur Festschrift für Prof.
L. L a n d a u.
2» Theodor L a n d a u - Berlin: Die Entzündungen der inneren
weiblichen Genitalien in klinischer Darstellung.
Per Verfasser beabsichtigt eine subjektive Darstellung der
Pathologie und Therapie dieses Gebietes und ein Resume über die
Entwicklung dieser Frage bei I:. Landau und seiner Schule zu
gel>en. Es wird auf die entsprechenden früheren Publikationen
verwiesen. Aus dem Abschnitt über Therapie sei erwähnt, dass L.
den nicht operativen Maassnahmen tauch der Belastungstherapie)
keinen sehr weitgehenden Einfluss zuspricht, insliesondere nicht
bei intensiveren anatomischen Veränderungen. Ausserdem wendet
sich L. energisch gegen das brüske Redressement des lixirten
letroflektirten Uterus.
3) Abel-Berlin: Frühdiagnose des Gebärmutterkrebses.
Mit W e i g e r t’scher Resorein-Fuehsln-Färbuug stellte A. bei
Plattenepithel-Careiuomen fest, dass sich zwischen den Zellen dos
Carcinoma Reste elastischer Fasern tindeu, während solche Hie¬
zwischen den Zellen des normalen oder gutartig gewucherten Epi¬
thels liegen.
1) Edmund Falk-Berlin: Ueber Form und Entwicklung
des knöchernen Beckens während der ersten Hälfte des intra¬
uterinen Leben?.
F. benutzte zu seinen Untersuchungen 09 Becken aus dem
2.—0. Monat. — Röntgenbilder und für früheste Stadien Präpa¬
ration und Aufhellung. — Ossifikation lieginnt schon ln der ersten
Hälfte des 3. Mounts, Gesehleehtsuntersehlode treten im 5. Mount
auf (Symphyse). — Die Ursache der Läugskrünitnung der Kreitz-
beimvirhelsämle ruht, nicht in einer primären Keilform der Wirln-l
(Fehling), sondern in der Witchstliunisrichtung der Parmlx-In-
schaufeln. Nur die liitervertebinlsrheibeh silld ventral dicker als
dorsal.
5) C. i>. .1 o s e p h s o n - Stockholm: Heber die Neoplasmen
der missgebildeten Gebärmutter. (Aus Prof. L. Lauda u’s
Frauenklinik.)
.1. bespricht anschliessend an frühere Arbeiten aus (1er
L a n d a u’schcn Klinik die Beziehungen zwischen Geschwulst¬
bildung au der Gebärmutter und Missbildungen, zwei an Landau
zur Untersuchung übergebene Fälle von Uterus unicornis: 1. Uterus
unieornis sin., vom rechten Mülle Fächelt Gang Ist mir das
Fimbrien-Ende der Tube vorhanden. Der distale Abschnitt der
Cervix Ist durch ein mesonephrittsches Adenomyoni erfletüt.
2. Uterus unicornis dexter mit Carcinom der vorderen Lippe.
Rudimentäres linkes Nebenhorn mit Ilydrometra und schleiin-
hiiutlgem Adenomyoni.
Entstehung von Kugelmyomen aus einem hyperplastischen
embryonalen Septum zwischen den M ü 11 e r'schen Gängen. —
Kasuistik über Carcinom und Sarkom im missgebildeten Uterus.
<>) L. Fraenkol: Versuche Über Unterbindung de« Harn¬
leiters.
Fr. veröffentlichte früher Untersuchungen iilter Unterbindung
der Eileiter bei Kaninchen. Die Unterbindung des Ureters machte
er l>ei 15 Kaninchen. Die mikroskopische Untersuchung der Unter¬
bindungsstelle ergab meist Einbruch der Ureterwandung, sehr
selten Atresie oder Intaktheit des Kanals.
Für den Menschen gilt, wie für das Kaninchen, dass bei gut
liegender Ligatur und Ilydronephrose der Ureter eröffnet sein
kann und Urin austritt. Deswegen soll der unterbundene centrale
Ureterstumpf prophylaktisch unter die Haut gelagert werden.
7 1 A. Gabriel- Gotha: Heber die Entstehung der Haemato-
cele retrouterina aus Ovarialblutungen.
Rei einer 24 jährigen Patientin vaginale lladikaloperatiou
wegen Haematocele retrouterina und eiteriger Adnexe. Für die
Ilaematocele fand sieb keine andere Quelle als eine mit frischen
Bluteoagulis erfüllte, kirschgrosse Höhle im linken Ovarlum. deren
mikroskopische Untersuchung (Prof. Beneke) einen frisch ge¬
platzten Follikel (keine Eireste) ergab.
Dr. Anton H e n g g e - München.
Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie. Bd. XIV.
Heft 4.
1) W. It Uhl- 1 »Ulenburg: Kritische Bemerkungen über Ge¬
burtsstörungen nach Vaginaefixatio uterl.
Unter 71 Geburten nach Vaginaefixatio. bei der ln 49 Fällen der
Fundus Uteri an die vordere Scheiden wand tixlrt war, hatte Verf.
nur 3 mal den vorderen l'terusscheideuschnitt nöthig und be¬
obachtete bei den übrigen Geburten keine neunenswertlieu
Störungen. Verfasser gibt zu. dass die ausgedehnte Fixation des
Corpus und Fundus Uteri zu schweren Geburtsstörungeu führen
kann, doch ist es auffallend, dass nach der so oft ausgeführten
Operation nur 9 Kaiserschnitte in Folge schwerer Geburtsstörungen
veröffentlicht worden sind. Diese 9 Kaisersehuittsfiille, die aus¬
drücklich als durch Vaginaefixation veranlasst bingestellt werden,
unterzieht R. eiuer kritischen Betrachtung und findet, dass kaum
2 Fälle eiuwandfrei der Operation zur Last zu legen sind, sondern
Nebenumstände die Geburt komplizirten.
Der Statistik nach sind die Resultate bei Geburten nach
Vaginaefixation besser wie nach Ventriflxation. Verfasser hebt
die ausgezeichneten Heilerfolge der Vaginaefixation hervor und
empfiehlt hei schwersten Geliurtsstörungen nach dieser Operation
den vorderen Uterusscheidensehnltt. der in diesen Fällen dem
Kaiserschnitt gegenüber gute Resultate gibt.
2» G. L e w i t z k y - Kiew: Ein Fall von Pseudomyxoms des
Bauchfells und des Netzes.
'Geplatzter Ovarialtumor, dessen Stiel 2y» mal um seine Achse
gedreht war. Colloldmassen in der Bauchhöhle, an manchen
Stellen des Bauchfelles durchsichtig-weisse, sago-ähnliche, cystösc
Neubildungen, theils breit, theils mit langen Stielen festsitzend.
Ebenso bestellt das ganze Netz aus derartigen Cysteu. die in der
Netzwand eingelagert oder kürzer und länger gestielt festsitzen.
3) P. Rosonsteln - Königsberg : Ein Fibromyom der
Douglasfalte.
Rundlicher, etwa mamiskopfgrosser Tumor, der mit einem
langen bleifoderdicken Stiel von der rechten Douglasfalte ausgiug.
Das Myom hat aus Muskelfasern des Ligamentum sacro-uteriuum
seinen Ausgang genommen.
4) O. Fellner- Wien : Herz; und Schwangerschaft.
(Schluss.)
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10. Dezember 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
In einer ausführlichen Arbeit theilt Verfasser seine Resultate
über Blutdniekuntersu«hung«'n während der Geburt und im
Wochenbett mit und bespricht die Bedeutung der Herzfehler in
der Schwangerschaft und unter der Geburt.
Die Blutdruckmessungen in den einzelnen Phasen der Geburt
und im Wochenbett wurden mit Hilfe des G iirt ner’selien Tono¬
meters vorgenommen. In der Schwangerschaft bleibt der Blut¬
druck annähernd in normalen Grenzen, l'nter der Geburt erreicht
er auf der Höhe einer Wehe den höchsten Stand und füllt in der
Wehenpause wieder ab. Mit dem Blasensprung sinkt der Blut¬
druck etwas. Der höchste Druck wird zur Zeit des Einsclineideus
des Kopfes beobachtet. Unmittelbar nach der Geburt fällt der
Druck bis tief unter den normalen. Nach der Geburt fällt der
Druck bei Kontraktion des Uterus und steigt in der Wehenpause.
Im Wochenbett steigt er bis zum 3. Tag an und sinkt dann kon¬
stant.
Während des Stillens steigt der Druck und die Pulsfrequenz,
unmittelbar darnach fallen beide, um allmählich wieder an¬
zusteigen.
• Puerperale Pulsverlangsamung kommt selten vor.
Ein grosser Theil der Herzfehler wird unter der Geburt und
im Wochenbett übersehen. Bei unkompensirtem Fehler findet sich
immer ein nekrotischer Randstreifen der Plaeentn.
Tuberkulose und Nephritis sind sehr ungünstige Kom¬
plikationen der Herzfehler. Die Mitralstenose scheint gefährlicher
zu sein wie die übrigen Viticn. Ein übler Einfluss der Schwanger¬
schaft auf den Verlauf der Herzfehler ist nur sehr selten nachweis¬
bar. Die Therapie richtet sich bei kompenslrteiu Fehler nach dem
Verhalten der Schwangeren bei früheren Geburten.
Bei Lungenoedem kann der Blasenstich von Vortheil sein, bei
drohendem Collaps ist er zu meiden. Ist die Wendung angezeigt,
so darf die Extraktion nicht folgen. Der Kaiserschnitt hat grosse
Gefahren. Lag Patientin an einer früheren Gravidität am Tode, so
ist die Sterilisation auszuführen.
ß) W. B a n d 1 e r - New-York: Zur Aetiologie der Dermoid¬
cysten und Teratome.
Die Arbeit enthält im Wesentlichen nur Entgegnungen und
Angriffe auf B o n n e t, die nicht geeignet sind, ausführlicher re-
ferirt zu werden.
(•) R. II o 1 z a p f e 1 - Kiel: Sammelbericht über neuere Ar¬
beiten über die Entstehung des Krebses.
7) M. Le M a i r e - Kopenhagen: Sammelbericht über die
geburtshilflich-gynäkologische Literatur Dänemarks 1900.
C. Weinbrenner - Erlangen.
Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 48.
1) F. Sil ler-Wien: Multipler Echinococcus des Peri¬
toneum und des Beckenbindegewebes.
Der Fall betraf eine 27 jährige Frau, der vor (> Jahren ein
Leberechinoeoccus punktirt worden war. Allmählich entwickelten
sich eine Schwellung des Abdomens und krampfartige Schmerzen
im Kreuz. Bei der Laparotomie fanden sich ein grosser cystisclier
Tumor im kleinen Becken und zahlreiche hanfkom- bis gänseei¬
grosse Tumoren am Netz, Peritoneum viscerale und parietale. Das
Netz wurde resezirt, der grosse Tumor eröffnet und angenäht, die
kleinen Tumoren konnten aber wegen ihrer grossen Zahl nicht
radikal entfernt werden. Zunächst Heilung.
8. nimmt an, dass die Punktion eine Keimzerstreuung über
das ganze Peritoneum zur Folge gehabt hat, woraus sich die mul¬
tiplen Tumoren sekundär entwickelten.
2) W. Stroganoff• Petersburg: lieber die Behandlung
der Eklampsie.
S. verficht seit 4 Jahren die Theorie, dass die Eklampsie eine
akute Infektionskrankheit ist, die bis zu 4S Stunden dauert und
besonders durch die Krämpfe gefährlich wird. Seine Behandlung
besteht in einer kombinirten Darreichung von Morphium (0.015)
und Chloral (1,5—3,0), die thunlichst prophylaktisch zu geben sind.
Daneben Sauerstoffeinathmüng im Anfall, Pflege der Lungen- und
Herzthätigkeit, Vermeidung jeglicher Erregung. Die Entbindung
soll thunlichst beschleunigt werden, sobald sie keine ernste Gefahr
für Mutter und Kind bietet. L.’s Resultate sind geradezu glänzend.
Von 113 Fällen starben nur 0, die alle durch Komplikationen,
nicht durch die Affektion zu erklären waren. Sobald der Zustand
der Pat im Anfang der Behandlung ein befriedigender war, ver¬
lief kein Fall tödtlich. Die Anfälle verminderten sich schnell, der
Proceutsatz der lebenden Kinder war sehr günstig, die Geburt ver¬
lief verhältnissmässig normal.
Selbstverständlich verwirft S. die Perforation, den vaginalen
Kaiserschnitt und die anderen Formen des Accouchements foref?
durchaus. J a f f 6 - Homburg.
Jahrbuch für Kinderheilkunde. 54. Bd. Heft 6.
12) Biedert: Zur Behandlung der Perityphlitis, insbe¬
sondere zur operativen. Eine offene Dari c g u n g.
Der Aufsatz aus der Feder eines Mannes, wie Biedert,
der auf Gntnd unermüdlicher Verfolgung der modernen Bestreb¬
ungen und Errungenschaften und mit einer kaum zu übertreffen-
den Gewissenhaftigkeit bei der Behandlung jedes Einzelfalles eine
offene Darlegung aller zweifelhaften oder strittigen Punkte auf
dem Gebiet der operativen und internen Behandlung der Peri¬
typhlitis gibt, wird von jedem Arzt mit Interesse und Gewinn ge¬
lesen werden.
B. empfiehlt warm di«' Wetterprüfung <h*r Rosenberger-
sclien Operation, intern die einmalige und periodische Entleerung
mit nachfolgender Opiumbehandlung.
13) Folg e r: Zur Lehre vom erschwerten Decanulement
und dessen Behandlung bei tracheotomirten, diphtheriekranken
Kindern. (Aus weil. Wiederhole r’s Kinderklinik ln Wien.)
Aus der Praxis für die Praxis geschrieben, finden sieh Dia¬
gnose. Prognose und Therapie aller unangenehmen Formen des
erschwerten Decanulements eingehend abgehandelt. Die Wieder¬
gabe prägnanter Krankheitsbilder, «lie Fülle der praktisch er¬
probten therapeutischen Mnassnnhmen. das Eingehen auf die nur
dem Praktiker durch eigene, reiche Erfahrung so geläufigen Vor¬
läufer und Frühsymptome «ler verschiedenen Formen des er¬
schwerten Ih'canulements sichern diesem Aufsatz einen grossen
Leserkreis, erlauben aber leider kein kurzes, genügendes Referat.
14) W. Nissen: Zur Klinik der Tumoren der Vierhügel -
gegend nebst Bemerkungen zu ihrer Differentialdiagnose mit
Kleinhimgechwülsten. (Aus dem Elisabeth-Kinderhospital zu
St. Petersburg.)
Fortsetzung folgt.
15) Uebersicht aus der nordischen pädiatrischen Literatur,
unter Redaktion von Prof. Dr. A. J o li n n n e s s e n in Christiauia.
W. Stoeltzne r: Bericht über die Verhandlungen der
pädiatrischen Sektion auf der 73. Versammlung deutscher Natur¬
forscher und Aerzte in Hamburg.
Rey-Aachen: Bericht über die vierte Sitzung der „Ver¬
einigung niederrheinisch - westphälischer Kinderärzte “ zu
Düsseldorf.
Literaturbericht. Besprechungen.
S i e g e r t - Strassburg.
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1901.
Bd. 88. 8. Heft.
1) Scliüder - Berlin: Zur Aetiologie des Typhus.
Verfaser hat aus der TyphusUteratur von 30 Jahren «lie Art
der U e b e r t r a g u n g iu U3S Epidemien zusammengestellt und
gefunden, «lass auf das Wasser als Febertragungsursacbe allein
70.8 Proc. aller Fälle gerechnet werden müssen. Auf die M 11 c li
entfallen 17 Proc., auf Nahrungsmittel und W i r t h -
se haftsbet rieb 3,5 Proc. Die sonstigen Uebertragungs-
mügliehkeiten, wie Kleidungsstücke, Betten, Latrinen, Dünger, Ver¬
unreinigung des Bodens. Staub, Luft, Gruudwnsser, Ueberschwem-
muugeii und Begräbnisse, treten ganz iu den Hintergrund.
Einer besonderen Art der Uebertragung gedenkt Verfasser
noch, die bis jetzt gar nicht berücksichtigt wurde, die der Ueber-
tragung von T y p h u s k r a n k e n auf Personen der U m -
g e b u n g. Hier lässt sieb noch weisen, dass 3,3 Proc. des Pflege¬
personals erkrankt.
Als prophylaktische Mnassnnhiuen gegen «lie Ausbreitung des
Typhus fordert er Infektionssichere Wasserenl-
u a h m e lind F r e i h a 11 u ii g aller offenen Gewässer
von den Erregern; ein-Postulat allerdings, welches sich s<»
hdclit wird nicht erfüllen lassen. Für das Pflegepersonal empfiehlt
er Impfungen mit abgetüdteten Typhusbakterien.
2.1 J. A p p e 1 - Hamburg: Ein Fall von Bakteriurie, durch
einen typhusähnlichen Bacillus bedingt.
Das bei einem an Gonorrhoe leidenden Patienten gefundene
Bakterium, welches eine 0 monutl. Bakteriurie unterhielt, ist dem
T y p li u s ausserordentlich ähnlich, nur zeigt es für Mäuse und
Meerschweinchen keine pathogene Eigenschaften, ausserdem wenig
Bewegung und wird nicht vom Tjphussernm ngglutinirt. Der Ver¬
fasser nimmt an, dass der Organismus in der Prostata so lauge
lelKMisfähig sich erhalten hat.
3) M a r x - Frankfurt a. M.: Experimentelle Untersuchungen
über die Beziehung zwischen dem Gehalt an Immunitätsein¬
heiten und dem schützenden und heilenden Werth der Diph¬
therieheilsera.
Die toximuMitmllsircnde Kraft eines Diphtherieheil -erums,
seine iinmunisirende und seine hellende Wirkung stehen in strengster
Beziehung zu einander und zwar in «ler Welse, dass der Immun!-
slmngs- und Heileffekt eines Serums dem Gehalt an l.-E. direkt
prop«»rtional ist. Es ist also nach Marx’ Untersuchungen nicht
richtig, den von Roux angenommenen präventiven und curativen
Effekt «ler Diphtlierieheilsern noelt besonders zu bestimmen.
4.1 Y. K o z a i - Halle: Weitere Beiträge zur Kenntniss der
natürlichen Milchgerinnung.
Durch diese Interessante Untersuchung wird wiederum fest¬
gestellt, «lass nicht das von II Uppe zuerst aus d«»r Milch lsollrte
Bact. acidi lacticl die Milch allein zu Säuerung bringt,
sondern dass <s vor allen Dingen das von Leichmann be¬
schriebene Baet. lactis a c i <11 (Bneill. aeidl paralactici Koz)
sei. Nebenbei ist der ..Bacillus acidi laevolactlci"
und der „M i k r. acidi paralactici llquefaciens" be
theiligt. Ersterer wächst bei Zimmertemperatur und Brutwärmc,
«ler zweite vorzugsweist' bei näherer Temperatur und «ler dritte
nur bei höherer Temperatur.
Bei der Milchsäuerung scheint auch B. <*oli bet heiligt zu sein.
Neben M i 1 c h s ii u r e werden auch A e t li y 1 a 1 k o h o 1, Essig-
s ii u r e und B e r n s t e i n s ii u r e, nl>or nur in ganz geringen
Mengen gebildet.
Bei länger dauernder Aufltewalirung der Milch tritt eine
wehere Zersetzung der stickstofffreien und der stickstoffhaltigen
Substanz«'!) ein, wobei die gebildeten Säuren aufgezehrt werden un«l
zwar die Rcchtsmljeh säure eher als die Linksmilchsäure.
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2018
MUENCIIENER MEDTOINISCTIK WOOI.I ENSOIIRIFT.
No. n0.
!>rr weiter«* Abbau der Kiw«*isskörp«*r findet erst nach Zerstörung
d«*r Milchsäure statt unter Bildung von Ammoniak, Tri*
m e t li y i und B o r n s t e i n s ä u r e.
5» II. C o n r a «1 i: Erwiderung.
0) Ost er tag-Berlin: Untersuchungen über den Tuberkel¬
bacillengehalt der Milch von Kühen, welche auf Tuberkulin re-
agirt haben, klinische Erscheinungen der Tuberkulose aber noch
nicht zeigen.
Die von Oster tag angestellten Untersuchungen erstreckten
sieli auf den UindviehlH-stand auf lt i 11 e r g u t Haus Zossen,
der ea. 150 Küiie zählt. Es rengirten eine wider Erwarten grosse
Anzahl von Kühen auf die T u b e r k ii 1 i n i in p f u n g. selbst
von den gesündesten und wohlgenährtesten. Xichtdestowenlger
fand man. dass unter 4!> reagiremien Kühen in deren Milch kein e
T u b e r k e 1 b a e i 11 e n vorhanden waren. Durch Fütte¬
rn n g s v e r s u e li e m i t M i 1 c li a n K ii 1 b e r n u u <1
Schweinen, welche Monate und Wochen anhielten, konnte
keine Tuberkulose erzielt werden.
Diese lediglich reagiremien Kühe sind also für die Milehwirtli-
schaft ohne Nachtheil. Es ist dagegen vor Allem darauf zu achten,
«lass Kühe, die Entertuberkulose zeigen und bei denen man klinisch
Tuberkulose nach weisen kann, ausgemerzt werden müssen. Dies
sieht Oster tag als die wichtigste Maassnahme zur Verhütung
Tuberkulose an.
7i F. K. Kleine- Berlin: Ueber die Resorption von Chinin¬
salzen.
Du es bei der Behandlung der Malaria nicht unwesentlich
ist. genau zu wissen, auf welche Weise (.’ h i n i n im Organismus
zur Ausscheidung gelangt, hat Kleine die Ausscheidungsweise
bei Applikation per os, per clysma und bei subkutaner In¬
jektion untersucht. Von dem per os aufgnommetieu salzsauren
('hinin fanden sich im Durchschnitt ca, 25 Proe. wieder, einmal,
wo die Intoxikationserscheinungen heftiger waren, 38,2(1 Proe. Von
schwefelsaurem Chinin dagegen nur 20 Proe. Bei gefülltem Magen
leidet die Resorption wesentlich.
Die Resorption v o m I) n r m k a n a 1 aus findet ebenfalls
statt, im Gegensatz zu den Angaben von Itabow. Es gelangten
17 Proe. zur Resorption. Die Anwendung wird al>er etwas er¬
schwert, weil heftiger Stuhldrang nach dem Klysma erfolgt. Recht
günstige Resultate lassen die Chinininjektionen erwarten.
Intoxikationserscheinungen fehlen und das Salz wird merkwürdig
langsam und nur sehr wenig ausgeschieden.
Bei Verwendung von Chinin, b i m u r I a t. wurden circa
11 Proe. ausgesebieden.
8) F. K. Kleine- Berlin: Ueber Schwarzwasserfleber.
Veröffentlichung von 15 Krankengeschichten über Schwarz-
wasserf lebe r, welche den Beweis erbringen sollen, dass die
Annahme K o c h’s richtig ist, dass das Schwarzwasserfleber in
erster Linie eine durch C h i n i n genuss hervorgerufene Erkran¬
kung bei Malariakranklieiten sei, im Gegensatz zu den vielseitigen
Meinungen Anderer, die die Ilaemoglobinurie durch Anstrengungen,
Erkältungen. Gemiitliserregung, Excesse, Gelenkrheumatismus und
andere Ursachen erklären wollen.
SM A. Schütze: Weitere Beiträge zum Nachweis ver¬
schiedener Eiweissarten auf biologischem Wege.
Es gelang dem Verf.. mit dem Serum eines mit Pflanzen-
e i w e i s s (R o borg t) vorbehandelten Kaninchens eine geeignete
Lösung des Rolxwates zur Ausfüllung zu bringen, dagegen gelang
es nicht, mit diesem Serum eine Lösung von thieriscliem
(Muskeleiweiss) auszufällen. Es muss hiernach, scliliesst Schütze,
das Eiweissmolekül vom Thier und von der Pflanze verschieden
sein.
10) B. Heymann und M a t z u s c h i t a - Breslau: Zur
Aetiologie des Heufiebers.
Die von Einigen behauptete Möglichkeit, dass Pollen -
körnor verschiedener Pflanzen und Gräser in der
Aetiologie des Heuschnupfens eine erhebliche oder die aus¬
schliessliche Rolle spielen sollen, müssen die Verfasser auf Grund
ihrer Untersuchungen vorläufig ablelinen. Es fanden sich im
(’ubikmeter nur 25 Pollen, selbst auf grasreiehen Plätzen. Auch
scheint die Bakterienmenge, die an den Pollen und Staubgefilssen
der Blfithe sitzen, nicht verantwortlich gemacht werden zu können,
da sie nur aus ganz vereinzelten Organismen besteht.
Es scheint also die Aetiologie des lleusehnupfens damit noch
nicht aufgeklärt. R. O. Neu m a n n - Kiel.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde nnd
Infektionskrankheiten. Bd. 30, No. 18. 1901.
lt F. Kohlbrugge: III. Agglutination durch Toxine zur
Bestimmung der Virulenz.
Impft man z. B. Cholera in Bouillon, und lässt 48 Stunden
im Brutschrank wachsen, so sammelt sich in der Bouillon eine
Menge Toxin an. welches im Stande ist. Bouillonkulturen von
weniger virulenten Cholerastämmen zur Agglutination zu bringen.
Für praktische Fälle braucht man nur die IVstbonilloukultur
zu eentrifugiren oder durch Thonzellen zu flltriren und soviel
davon zu den zu untersuchenden Bouillonkulturen hinzuzufügen,
bis eine vollständige Agglutination entstanden ist. Die Menge
des verbraucht«*» Toxin zeigt an, wie virulent die fraglichen
Stämme waren.
J) J. G o 1 «1 1> e r g - Petersburg: Ueber die Einwirkung des
Alkohols auf die natürliche Immunität von Tauben gegen Milz¬
brand und auf den Verlauf der Milzbrandinfektion. (Schluss
folgt, i
31 M. B ra u u - Königslsrg: Ein neues Dicrocoelium aus der
Gallenblase der Zibethkatze.
4) G. W e s e u b e r g - Elberfeld: Eine einfache Tropf¬
vorrichtung für sterile Flüssigkeiten.
R. O. Xcuiuann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 48.
1) E. L e x e r- Berlin: Ueber Bauchverletzungen. (Schluss
folgt.)
2) R. G r e e f f - Berlin: Historisches zur Erfindung des
Augenspiegels.
Cfr. Referat pag. 1943 der Müncli. med. Wocheuschr. 1901.
3f T h o r u e r - Berlin: Ein neuer stereoskopischer Augen¬
spiegel. (Ibidem.)
4» .T. K i s s - Ofen-Pest: Ueber den Werth der neueren Unter¬
suchungsmethoden zur Bestimmung der Niereninsuflicienz.
Verf. sucht in seinen Ausführungen den Nachweis zu liefern,
dass die Theorien, welche v. Korauyl an die Kryoskopie des
Harnes geknüpft hat, nicht zu Recht bestehen und dass mit der
Methode der Gefrierpunktshestimmung die Bestimmung des spe-
eitisehen Gewichtes als ebenbürtig betrachtet werden darf.
Bestehen eines abnorm tiefen Gefrierpunktes kaun noch lange kein
die Niere betreffender chirurgischer Eingriff als berechtigt gelten.
Die kryoskopischen Methoden können überhaupt nicht als „funk¬
tionelle“ Uutersucliungsmethoden ang<*selien werden. Letzteres
gilt aber auch von der Prüfung der Nierenfunktiou mittels Me¬
thylenblau. Eine Abweichung vom normalen Ausscheidungsmodus
desselben kann auch ohne jede Laeslon der Niere zu Stande
kommen. Andererseits kann die Ausscheidung des Methylenblau
sogar bei Urnemie eine ganz normale sein. Auch die Phloridzin¬
probe Ist nicht verlässig und kann damit auch nicht der Grad
d«*r Niereninsufücienz bestimmt werden. Verf. betrachtet die an¬
geführten Methoden an sieh als werthvolle Entdeckungen, welche
aber die älteren Untersuchungsmethoden nicht verdrängen können.
5) A. v. Korauyl: Zur Discussion über die wissenschaft¬
liche Begründung der klinischen Kryoskopie.
Verf. widerlegt die von Iv i s s gegen «Ile kryoskopischen Me¬
thoden erhobenen EinwUrfe lind betont, dass die Kritik desselben
den von K. und Anderen gefundenen Tlmtsaehen keine nuderen
Thatsachen entgegengestellt habe.
(!) G. Zuelzer* Berlin: Zur Frage des Nebennierendiabetes.
Da hei der Glykosurle, welche nach der subkutanen
Injektion von Nebenuierensaft hei Thieren auftritt. eine Hyper-
glykaemie besteht, so ist «lie Möglichkeit, diese Glykosurle als
renalen Ursprungs zu bezeichnen, ausgeschlossen. Verf. kann
durch eigene Experimente die B i u m’schen Ergebnisse bestätigen.
Zuckergehalt des Harnes trat hei den Thieren auch l>ei völlig
kohlehy«lmtfreier Kost auf und zwar bis zu 4 Proe. Verf. unter¬
suchte auch das Verhalten der verschiedenen Zuckerarten bei den
Thieren, welche er mit NYbeuuiereuextrakt diabetisch gemacht
hatte, ln einigen Fällen Hess sieh auch Laevulose Im Harn nacli-
weisen. wenn solche verfüttert wurde. Nach Traubenzuckerver-
füttcrung stieg die Glykosurle meist bedeutend, nach Milchzucker
trat sehr häutig Laktosurie auf. Grass mann- München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 48.
1» Robert Koch: Ueber die Agglutination der Tuberkel¬
bacillen und über die Verwerthung dieser Agglutination.
Nach einem Vortragt* ln dem zu Berlin gehaltenen ln-
formatiouscursus der Heiistätten-Uhefärzte lm Oktober 1901. Aus¬
führliches Referat Vorbehalten.
2» lt. Pfeiffer und E. F r i e d 1> e r g e r - Königsberg i. I’.:
Ueber die Im normalen Ziegenserum enthaltenen bakteriolyti¬
schen Stoffe (Amblceptoren E h r 1 i c h’s).
Diese vorläufige Mittheilung stellt als das Ergebuis.s «1er Im
hygienischen Institut der Universität Königsberg angestellten Ver-
suehe «li«* experimentell bewiesen«* speeifische Differenzirung «l«*r
im normalen Ziegenserum enthaltenen Seliutzkörper gegen «lie ein¬
zeln«*» Bakterien fest und verweist auf (He demnächst erscheinende
ausführliche Althandlung.
3) W. C ursch mann - Leipzig: Medicin und Seeverkehr.
(Fortsetzung aus No. 47.) (Schluss folgt.»
4) F. Plelin: Ueber die praktischen Ergebnisse der neueren
Malariaforschung und einige weitere Aufgaben derselben. (Fort¬
setzung aus No. 40.) (Schluss folgt.)
5» Fritz L e s s e r - Breslau: Ueber die gleichzeitige thera¬
peutische Anwendung von Quecksilber- und Jodpräparaten.
(Schluss aus No. 47.)
Eine grosse Anzahl Autor«*u warnen vor der gleichzeitigen
Anwendung der Quecksilbersnlze und des JodkaJis (ltesonders in
der Augenheilkunde), andererseits alter wird genule die kombinirte
.Todkali-Merkuriulkur bei der tertiären Lues fast von allen Syphili-
dologen empfohlen. Die experimentellen Untersuchungen, welche
L. in der N e I s s e r’sehen Universitätsklinik angest«*lit hat. er¬
gehen, dass «li«* Furcht vor der Bildung «l«*s atzenden .htdqueck-
siIbers (Ilg.I.) bei der kombinirten Anwendung beider Mittel nur
unter gt*wisseu Umständen begründet ist.
Was di«* einzelnen Veronlnungswelsen betrifft, so ist du*
äusserllehe Anwendung von Kalnmel sowohl wie per os bei jedem
Organismus, in welchem Jodkalium «tder Kalium kreist, unbedingt
verboten. Als Reagens empfiehlt L. die Prüfung des Speichels mit
Kahtmel, bei Gelbfärbung «less«*lln*n ist die Anwesenheit von Jod-
alkali im Organismus erwiest*». Kl>t*nso eontraindizirt ist die An¬
wendung des Protojixluretuin hydrargyri in solchen Fällen, «1a das
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1Ö. Hczember 11)01.
Mt'RNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2010
unschädliche Quecksllberjodür durch das Jod in ätzendes Queck-
sillxrjodid umgewandclt wird. Aeliulich verhält sich das Hydrar-
gyrum oxydulatmn tannicum, während das Sublimat sowohl inner¬
lich. wie äusserlich augeweudet keine schädlichen Verl>indungen
('ingeht. Von den bei hypodermn tischen Injektionen gebräuchlichen
Präparaten zeigte Knlomel bei gleichzeitiger Jodkalidarreiehung
starke lokale Heiz- und Sclnnerzwirkung. während das Hg snli-
eylicuui, Thyinol-aceticum und Oleum cinereum ohne jede Reaktion
blielx»ii. ebenso die löslichen QuecksillierHalze. Das (deiche gilt
endlich auch noch von Inunctionen mit Unguentum cinereum.
während die weisse und gelbe Präcipitatsallx» Vorsicht in der An¬
wendung erfordern.
(!) Ivonrad Kilst e r: Milchhygiene.
Beitrag zum Kapitel: „Oeffentliches Sanitiitswcsen."
7» Therapeutische Neuigkeiten:
K. R o li d e n - Lippsprlnge: Dermosapol-Vaginalsuppositoria
und -Globuli.
Ni II. F 1 s c li e r - Berlin: Der M c K i n 1 e y-Bericlit.
F. L a c h e r - München.
Oeiterreichische Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 48. 1) F. Sc hopf-Wien: Verletzungen des Hals-
theiles des Ductus thoracicus.
Der Verlauf der Verletzungen und Erkrankungen ist ein ziem¬
lich verschiedener, da der Ductus thoracicus zahlreiche anato¬
mische Variationen seines Baues und seiner Einmündung nnfweist.
Die eintretende ('hylorrhoe führt um so häutiger zum tüdtllehen
Ausgang, als durch Tamponade durchaus nicht immer ein Still¬
stand erzielt, werden kann und die austüessenden Mengen ausser¬
ordentlich beträchtliche sein können. Auch kann Ohylothorax ent¬
stehen. Die Verletzung erfolgt leichter nach der Nahrungsauf¬
nahme. wenn der Ductus stark gefüllt ist. Bel Erkrankungen
des Ductus, welche langsam zu seiner Stenosiruug führen, sind
die Folgen oft nicht so verderbliche, da Collateralen sich aus¬
bilden könueu. Traumatische Verletzungen des Duct. thorac. sind
selten, von operativen sind 1!) Fälle beschrielwn. Verf. selbst be¬
schreibt eineu weiteren Fall, der eine 4!) jährige Frau mit Maimna-
eareiuom betrifft. Bei Entfernung der Lymphdrilsen am Schlüssel¬
bein wurde der Duct verletzt. Durch die in Folge der elutretemlen
Cliylorrhoe bewirkte Inanition und beiderseitigen Chylothorax
wurde der Tod herbeigeführt. Es konnten sich in dem mlt-
getheilten Falle keine Collateralen ausbilden. Der Fall fordert
dazu auf, bei Driisene.xstirpationen in der linken Supraclavicular-
grube sehr vorsichtig zu operiren.
2» I>. Pupovac-Wien: Beiträge zur Kasuistik und
Therapie des Echinococcus, insbesondere des Nierenechinococcus.
Verf. berichtet über 3 Fälle, von denen der eine schon früher
veröffentlicht wurde. In dem einen der neu mitgetheilten Fälle
— 28 jähriger Patient — wurde die richtige Diagnose schon vor
der Operation gestellt, da der Kranke schon früher wegen Leber¬
echinococcus ln Behandlung gewesen war. Heilung. Im 2. Falle
war bei der 3G jährigen Patientin der Echinococcus der linken
Niere mit Pyonephrose kombiuirt. Die Niere wurde summt dem
knabenkopfgrossen Tumor entfernt. Auch hier erfolgte Heilung.
Verf. bespricht noch die verschiedenen in Betracht kommenden
Operationsmethodeu. Schliesslich wird noch die Krankengeschichte
eines Falles gegelien. wo der Echinococcus im subkutanen Zell¬
gewebe des Oberschenkels sass.
3) A. Jeney-Wien: Kasuistische Beiträge zur Pathologie
und Therapie der Darminvagination.
Verf. gibt die Krankengeschichte und Epikrise von 4 Fällen
von Darminvagination: 2 iieocoecalen, einer rectalen und einer
iliaealen, von denen 3 zur Heilung kamen. Die Besprechung der
Symptomatologie und Therapie bringt nichts Neues.
4) V. Blum-Wien: Ein Fall von Mesenterialcyste mit
Dünndarmvolvulus.
Die Erkrankuug betraf ein G jähriges Mädchen, das wieder¬
holte Attaquen von Darm Verschluss durchzumachen hatte. Als
Ursache ergab sich bei der vorgenommenen Operation eine manns¬
faustgrosse Cyste an der Drehungsstelle des Mesenteriums. Le¬
taler Ausgang. Hinsichtlich der Diagnose macht B. darauf auf¬
merksam, dass man bei Fällen mit wiederholten Attaquen von
Darmverschluss an eine derartige Cyste als Ursache denken darf,
wenn in Nahelhöhe ein weicher, tiuefuirender, frei liewoglicher
Tumor sitzt. Bei der Entstehung der Cysten denkt Verf. an
tuberkulöse, auch typhöse Veränderungen der Lymphdrüsen des
I »a rmd rüsennppa ra t es.
o) L. Freund-Wien: Ein Instrument zur chirurgischen
Naht.
Das Princip des im Original abgebildeten Instrumentes be¬
steht darin, dass die Nadel einen langen Stiel hat. in dessen Bauch
die Fndenspule untergebracht wird. Das Ganze ist gut sterilisir-
bur und auch schon praktisch zur Zufriedenheit erprobt. Hin¬
sichtlich der näheren Beschreibung muss auf das Original hin¬
gewiesen werden.
G> L. M o s z k o w i c z: Eine einfache Befestigungsart für
den Dauerkatheter.
Die ganz aus (lumiuidraius hergestellte Vorrichtung ist im
Original abgebildet und muss auch wegen der Beschreibung auf
letzteres verwiesen werdeu. Grassmauu - München.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 4G. K o z 1 o v s k y - Prag: Bedeutung der Corning-
B i e r’schen Analgesie des Bückenmarkes für die Kriegs¬
chirurgie.
Von dem Verfahren, modiliztrt durch Eucaininjektionen, wird
auf der M a y d l’sehen Klinik bei Operationen an den unteren
Extremitäten und am Abdomen ein ebenso ausgedehnter wie er¬
folgreicher Gebrauch gemacht und es ist eine weitere Verbreitung
desselben zu erwarten. Auch für die Kriegschirurgie kommen ihm
schwerwiegende Vortheile zu. Diese Art der Narkose resp. Anal¬
gesie ist nicht nur weit ungefährlicher, sondern beansprucht auch
viel weniger Ueberwachung als die Chloroformnarkose. ihre An¬
wendung erspart viel ärztliches Ililfs- und Pflegepersonal.
Es gibt eigentlich keine Krankheit, welche wie bei Chloro¬
form. eine Contraiudikation bilden würde. Der baldige Transport
der Verwundeten ist erleichtert, die Dauer der Operation abge¬
kürzt. Die Technik des Verfahrens ist einfach und auch im Felde
leicht durchführbar.
No. 4G und 47. E. i’llman n- Wien: Benützung von Unter-
hautzellgewebslappen bei Operationen.
Wird ein in gewöhnlicher Weise gebildeter liautlappeu
parallel zur Oberfläche in 2 Theile zerlegt, dessen oberer die Epi¬
dermis und die Hauptmasse des Oorium, dessen unterer das sub¬
kutane Fett- und Zellgewebe und den Rest des Coriura enthält, so
wird der untere Theil. zum Einheilen gebracht, allmählich sich so
verändern, dass an seiner Stelle nur ein massiges Bindegewebe
verbleibt. Dieses Verhalten hat. IT. sich mit Erfolg zu Nutze ge¬
macht bei Operationen, wo es darauf ankommt, einen derben binde¬
gewebigen Pfropf, ein gegen Lockerung besonders resistentes Ge¬
webe zu verwert heu: l>ei grossen Scheukelbrttcken und in einem
Fall bei einer Wanderniere. Auch für Nabelbernien verspricht er
sieh von dem Verfahren einen guten Effekt. Bezüglich der Ein¬
zelheiten der Technik muss auf das OrigimU verwiesen werden.
No. 47 und 48. G. N ob 1-Wien: Zur Kenntniss der er¬
worbenen genitalen Lymphangiektasie.
Verfasser macht zunächst die wenigen bekannten Fälle von
Lymplningiektasien am Penis namhaft und geht dann zur Be¬
schreibung eines eigenen Falles ül>er, mit ausführlicher Berück¬
sichtigung des mikroskopischen Befundes an der exstjrplrten Ge¬
schwulst. Eine aetiologisclie Bedeutung darf vielleicht einer vor
13 Jahren erfolgten luetischen Infektion /((geschrieben werden.
No. 48. K. I) e m m o - Berlin: Ueber Gefässanomalien im
Pharynx.
Weniger geklärt als die Verhältnisse an der hinteren Pharyn¬
gealwand waren bisher die ln der Umgebung der Tonsillen. Nach
D.’s Studien und Experimenten verläuft regelmässig die Arteria
lingualis mit einem Bogen, der sich durch die Pulswelle streckt
und näher an die Oberfläche tritt, nahe an die Tonsille heran; dies«*
Gefässschllnge liegt regelmässig entsprechend dem unteren Drittel
oder der unteren Hälfte der Tonsille, welche mit der Pharyux-
wand bisweilen in pulsatorische Mitbewegung versetzt wird, zu¬
mal, wenn die Art. lingualis und Art. maxlllaris externa einen
gemeinsamen Urspruugsstamm haben. Was die Tonsillotomie¬
blutungen betrifft, so erfolgen sie in der Regel aus der Art. ton¬
sillaris oder Art. palatlna. die gefürchteten schweren, bisweilen
tödtlichen Blutungen jedoch aus der Schleife der Art. lingualis.
Wiener kliniiehe Rundschau.
No. 47 und 48. A. F r ö h 11 c li - Wien: Ein Fall von Tumor
der Hypophysis cerebri ohne Akromegalie.
Bel dem 14 jährigen Knaben der Not h nage 1’sehen Klinik
Uessen allmähliche Erblindung des linken Auges und Abnahme
des Sehvermögens auf dem rechten, Atrophie des linken N. opti¬
cus, rechtsseitige temporale Hemianopsie Im Verein mit anderen
klinischen Erscheinungen eine Erkrankung ln der Gegend der
Schädelbasis, speclell des Uhiasina nervi optici nnnehmen. Im
weiteren Verlauf bildeten sich Symptome aus, welche an Myx-
oedein erinnern, dabei eine auffallend zunehmende Adiposität. Ge¬
rade diese letztere hat eine Anzahl von Fällen der Literatur, wo
die Obduktion einen Tumor der Hypophyse» ergab, auch auf¬
gewiesen. theils mit. thells ohne die Zeichen der Akromegalie. Ob¬
wohl ln dem in Bede stehenden Fall keine Akromegalie zu kon-
stntlrcn Ist. erscheint, demnach die Annahme eines Tumors der
Hypophyse als durchaus Ix-grüudet.
A. Pllcz-Wien: Geistesstörungen bei den Juden.
Mehr oder weniger unbestimmte Behauptungen ill>er die starke
Heimsuchung des jüdischen Stammes durch Geisteskrankheiten
sind schon oft aufgestellt worden. Eine intensive mul kritische
Bearbeitung an einem statistischen Material von 1437 Kranken der
I. psychiatrischen Universitätsklinik in Wien ermöglicht nun den
Verfasser für dieses Material folgende Sätze zu präeisiren:
1. Alle jene Psychosen, als deren aetlologlsclier Faktor der
Alkoholmissbrauch angesehen werden kann, gelangen 1 m» 1 den
.Inden kaum je zur Beobachtung.
2. Bei jenen Geisteskrankheiten, wo äussere Schädlichkeiten.
Infektionskrankheiten. Vergiftungen u. dcrgl. »»Ine erhebliche Rollt»
spielen, weist die jüdische Rasse kein unterschiedliches Verhalten
auf.
3. Die jugendlichen Vcrblödungsprocesse und Demenz nach
akuten Psychosen kommen bei jüdischen Geisteskranken häu¬
tiger vor.
4. Zu jener Geisteskrankheit, bei der neben Lues besonders
die mit gemüthliehen Aufregungen verbundene geistige Ueber-
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No. 50.
ÄßO MUF.NOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
unstrengung in Betracht kommt (Paralyse) stellen die Juden ein
procentual hohes Uoutingent.
5. Zu Psychosen auf hereditilr generativer Basis, wo oft die
erbliche Belastung das einzige oder wichtigste Moment ist, er¬
scheinen die Juden unverhiiltnissmassig stark disponirt (Inzucht).
B e r g e a t - München.
Italienische Literatur.
Belli: Wirkung hoher Kältegrade und flüssiger Luft auf
Bakterien. (Rif. med. 11)01, No. 59.)
Während die Wirkung hoher Temperatur auf die Mikroorga¬
nismen der Gegenstand zahlreicher Forschungen war, ist über die
Wirkung hoher Kältegrade weniger bekannt. Die Entdeckung
flüssiger Luft hat Gelegenheit gegeben, ohne Schwierigkeiten hohe
Kältegrade von ISO—190" herzustelleu.
M a c f a d y a n hat eine Reihe von Untersuchungen angestellt,
welche B. vervollständigt hat.
Aus denselben geht hervor, dass seihst sehr hohe Kältegrade,
wie die obengenannten, nicht nur das Leben der Sporen nicht be¬
einträchtigten, sondern dass sic auch die morphologischen und kul¬
turellen Eigentlnimliehkeiten der nicht sporontragenden Pilze, so¬
wie die der entwickelten Formen von sporentragenden nicht ver¬
ändern.
Die hob e Kalt e, selbst — 200 °. verhindert nur
dleVermehrung der geprüften Infektionsträger,
aber nicht ihre Lebensfähigkeit — ein für die
II y g i e n e wichtiges Fakt u m.
M e m m i: Heber den prognostischen Werth von eosino¬
philen Zellen im Auswurf Tuberkulöser. (Gazzetta degli osped.
1901, No. 114.)
Bekanntlich sind die eosinophilen Zellen im Auswurf Tuber¬
kulöser von vielen Autoren als eine Abwehrbestrebung
des Körpers gegen die tuberkulöse Infektion
aufgefasst worden. Ehrlich verlegt ihre Bildungs¬
stätte in das Knochenmark. Er ist der Ansicht, dass toxische Sub¬
stanzen, wie sie sich bei verschiedenen Infektionskrankheiten bil¬
den. die Eigeiithümliclikeit haben, chemotaktisch die eosinophilen
Zellen, welche in sehr kleinen Mengen im Blute kreisen, an sich
zu ziehen. Ist aber die Krankheit vorgerückt und bilden sich
Toxine in grossen Mengen und gelangen sie demnach auch reich¬
lich in den Blutstrom, so wirken sie auch auf die physiologischen
Ablagerungsstätten der eosinophilen Zellen, d. h. auf das Knochen¬
mark und bringen eine mehr weniger bedeutende Eosinophilie
hervor.
Ehrlich macht auf den Antagonismus zwischen lnfektions-
proeesseu und Eosinophilie aufmerksam. Dieser Anschauung zu
Folge müsste «lein Auftreten der Eosinophilie ein gewisser pro¬
gnostischer Werth beiwohnen.
M. fand in Untersuchungen, welche er in der Klinik zu Siena
über 95 Kranke ausdehnte, diese Anscliauuug nicht bestätigt. Er
fand diese eosinophilen Zellen allerdings häufig bei beginnender
Tuberkulose, sobald dieselbe einen günstigen Verlauf nahin, aber
auch bei Haemoptoe, also in Fällen, die weniger günstig verliefen,
und ferner bei ganz vorgerückter Tuberkulose.
Auch die Angabe, dass das Auftreten der eosinophilen Zellen
im Sputum dem Auftreten der Tuberkelbacillen vorhergehe, fand
M. nicht bestätigt.
F i g a r 1 und Lattes bringen einen Bericht zur Statistik
der Maragli&no' sehen Serumtherapie der Tuberkulose.
(Ibid., No. 117.)
Derselbe reicht vom 1. Januar 1900 bis 1. Juli 1901 und um¬
fasst 171 Fälle, zum Tiieii auch solche schwerster Art. Diese
Kranken wurden alle ambulatorisch beliaudelt; sie blieben bei
ihrer gewöhnlichen Lebensweise, zum Theil auch bei ihrer Be-
sehäftiguug; oliue andere medikamentöse Behandlung. Die Serum-
belmndlung, 1 ccm subkutan joden zweiten Tag, wurde mit
grosser Konsequenz lange fortgesetzt.
Das Resultat war von 171 Fällen 44 Heilungen (soweit
dauernde Symptomlosigkelt bei Tuberkulose Heilung bedeutet),
04 Besserungen, 99 Fälle blieben stationär, in 12 Fällen schritt die
Krankheit fort; letal endigte wälirend der Behandlungszeit keiner
der In Behaudluug genommeueu Fälle. Wenn man bedenkt, dass
Fälle leichtester Art, wie sie sich für Tuberkulinbehandlung am
besten eignen, kaum zu dieser ambulatorischen Behandlung kamen,
so muss das Resultat als ein recht günstiges bezeichnet werden.
De G r a z i a: Heber die Serumdiagnose bei der Lungen¬
tuberkulose. (Ibid., No. 108.)
Im Institut für Infektionskrankheiten zu Genua stellte De Gr.
eine Reihe von Untersuchungen an über den Werth der Serum¬
diagnose bei Lungentuberkulose. Dieselben ergaben im Gegensatz
zu den französischen Autoren Arloing uud Courmont und
in Uebereinstinimung mit einer Reihe deutscher Bakteriologen,
dass ein diagnostischer Werth dieser Unter-
suchungsmethode nicht zukommt
Nicht nur (las Blutserum Tuberkulöser, sondern auch (las voll¬
ständig normaler Individuen und dasjenige von Individuen, welche
an anderen Infektionen leiden, vermag die Agglutination von
Tuberkelbacillen in Reinkulturen zu bewirken. Diese Aggluti-
nirung erfolgt bei lebenden Koch’schen Bacillen wie bei abge¬
storbenen; bei letzteren nur erheblich langsamer. Das Blutserum
Tuberkulöser kann aber auch oft in energischer Weise in Kulturen
von Staphyloeoccus, Typhus-, Colibacillen, ebenso bei Diphtherie-
uiul Cholerabacillen Fällungen bewirken; so dass von irgend einer
speclflschen Eigenschaft desselben nicht die Rede ist.
Cicognanii: Heber 14 Fälle von Milzbrand, welche durch
S c 1 a v o ’ aches Milzbrandheilserum geheilt wurden. (Ibid.,
No. 114.)
In fast allen italienischen Fachschriften mehren sich die gün¬
stigen Urtlieile über das von Prof. Sclavo dargestellte Milzbrand¬
heilserum. Wir können nicht von allen einzelnen günstigen Be¬
richten in dieser Zeitschrift Notiz geben und führen den vorliegen¬
den Bericht C.’s au als Paradigma vieler anderer.
Die Commune S. Croce am Arno verdankt ihren Wohlstand
dem Fellhandel uud ihren Gerbereien. Bel einer Bevölkerung von
5190 Seelen gibt es dort 90 Gerbenden die nicht weniger als
950 Arbeiter beschäftigen.
Dementsprechend herrseht unter der Bevölkerung als ein-
Hauptplngo Milzbramlerkraukuug. Die Gefahr von derselben be¬
troffen zu werden ist besonders gross bei Häuten, welche aus dem
J Orient und aus China kommen, so dass manche Gerbereien der¬
artige Sendungen gar nicht annehmen und verarbeiten.
Seit der Einführung des Sclav o’scheu Milzbrandheilserums
bat die Milzbraudkraukhoit für die Bevölkerung ihre Schrecken
verloren, auch die Verarbeitung der gefährlichen orientalischen uud
chinesischen Häute wird nicht mehr perhorreseirt.
Audi ausserordentlich schwere Fälle mit
hartnäckigem Erbrechen, Fälle, welche vor der
Serumbchandlung nach C.’w Erfahrung immer
letal endigten, erweisen sich einer speclflschen
Behandlung z u g ä n g i g.
C. schildert unter seinen 14 Fällen mehrere von solchen
schweren. Er betont die Nothwendigkeit, von vorneherein die
Quantität Serum nicht zu gering zu bemessen, immer etwa 40 ccm
bei Erwachsenen. Injektion in die Venen wirkt schneller. Ist aber
nicht erforderlich.
Wird die Behandlung gleich im Beginn eingeleitet, so kann es
gelingen, eine Pustel binnen 2 mal 24 Stunden zu heilen. Immer
ist eine Besserung des Allgemeinbefindens schon bald nach der Ein¬
spritzung zu erkennen; der Einfluss auf das Fieber ist nach
24 Stunden deutlich.
In allen Fällen aber hatte die Injektion keinerlei unangenehme
Nebenwirkung; nur 2 mal trat eine leichte Urticaria auf.
S i 1 v e s t r i: Heber Serumtherapie gegen Tussis convulsiva.
(Ibid.. No. 114.)
Nach dem Vorgänge von Heubner und Blumenthal,
welche bei Scharlach, Masern uud Lungenentzündung die Serum
therapie anwandteu, versuchte S. eine Serumbehandlung bei Keuch¬
husten. Er entnahm einem 8 Jährigen, von Keuchhusten genesenen
Mädchen 120 ccm Blut, präparlrte von demselben das Serum und
spritzte es keuchhustenkranken Kindern ein; etwa 15—20 ccm pn>
Kind.
Die Wirkung soll in Bezug auf das Allgemeinbefinden eine so¬
fort sichtbare, aber auch auf die Hustenanfälle eine deutliche seiu.
In 8 bis spätestens 11 Tagen soll die ganze Krankheit ver¬
schwunden gewesen sein.
Burzag 11: Heber die Natur der Polyorromenltis oder
Polyserositis. (Ibid., No. 90.)
Der Autor wendet sich gegen die Anschauung, dass alle Fälle
von Polyserositis oder seihst die überwiegende Mehrzahl derselben
eine Aeusserung des Koc h’scheu Tuberkelbacillus seien.
Er glaubt annehmen zu müssen, dass es eine Polyorronieuitis
Simplex gibt, welche eine günstige Prädisposition für das Haften
des Tuberkelbacillus schaffe. Er fragt: Wie soll man das Faktum
erklären, dass nicht alle Tuberkulöse, sondern nur eine so kleine
Zahl diese Kmnkheitsform der serösen Häute zeigen? Warum
kann der Tuberkelbacillus ausgedehnte Zerstörungen der Lungen
wie dos Darmes machen, und doch nicht die Pleura und das Peri¬
toneum ergreifen, wenn er in anderen Fällen eine solche Vorliebe
für diese serösen Membranen zeigt?
Die Antwort, welche der Autor sich gehen konnte, liegt nahe.
Er braucht nur an die anderen eigentümlichen, oft milden Krank-
heitsmanifeslationen des Tuberkelbacillus zu denken: an die
Skrophulose, die Knochentuberkulose, den Lupus, die Hauttuberku¬
lose. (Kef.)
C a 1 a b r c s i : Die Injektion einer bestimmten Quantität
von Qlykose in die Venen, setzt die Zuckerbildung in der Leber
herab. (Ibid., No. 108.)
Diese Tliatsaehe stellte C. Im physiologischen Institut zu
Ferrara unter Leitung von Cavazza nl experimentell an Hun¬
den fest. Diese Erniedrigung der zuekerbildenden Kraft der Leber-
zelic soll nach grösseren Injektionen in den ersten 10—20 Stunden
am deutlichsten sein, dann langsam abnehmen.
Kos ci uud Nepl: Zur Leberprobe. (Rif. med. 1901.
No. 177.)
Die Leberprobe (Docimasie hepatlque) ist eine
von den französischen Autoren Lacassagne und Martin in
die forensische Mediein eingeführte Untersuchungsmethode, welche
davon ausgeht, aus dem grösseren Zucker- oder
Glykogengehalte der Leber Schlüsse auf ge¬
waltsame oder wenigstens plötzliche Todes-
arten zu machen. .
Die obigen Autoren haben im Institut fiir gerichtliche Mediein
der Universität Siena eine Reihe von Untersuchungen an Leichen
von Thieren und Menschen gemacht, um die Brauchbarkeit der von
den französischen Autoren auf ge stellten Theorie zu prüfen.
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10. Dezember 1901.
MUENCHKNER MEDICINTSCIIE WOCHKNSCHRTFT.
2021
Sie fanden bei gewaltsamen Todesarten der Thiere den Zucker
in der Leber immer in erheblichem Muasse vermehrt, weniger das
Glykogen.
Bei den Beobachtungen an der Leiche ist die Anwesenheit von
Glykogen und G ly kose in der Leber allein nicht genügend, um
gewaltsame Todesarten von nicht gewaltsamen zu unterscheiden,
noch weniger gewöhnliche Todesfälle ohne Agonie von solchen mit
Agonie; nur die verschiedene Quantität kann nützliche und manch¬
mal sichere Anhaltspunkte bieten. In der Timt ward ein grosser
Ueberschuss dieser Stoffe dort gefunden, wo der Tod in heftigerer
Weise erfolgte.
Der Glykogen- wie Glykosebefund ln der Leiche hängt, ab¬
gesehen von dem Einfluss der Ernährung, von der Heftigkeit des
Krank hei tsproccsses ab, welcher den Tod verursachte. Er wird
erheblich l>eeinflusst von der Dauer der Agonie und nicht unerheb¬
lich, wenn auch in geringerem Muasse, durch die Fäulniss.
Pascale: Ueb«r chirurgische Eingriffe bei Cirrhose der
Leber. — Veränderung des Blutstromes der Vena porta und
der Cava inferior. (Ibid., No. 195—197.)
I*. theilt aus der Klinik D’Autona’s seine Untersuchungen
und klinischen Resultate über das obige Thema mit, welche darin
gipfeln, dass eine Veränderung und Erleichterung der Blutcircu-
lation in der Leber bei Cirrhose auf chirurgischem Wege nicht ohne
Weiteres von der Hand zu weisen sei. Dieselbe kann in einer
Unterbindung der unteren Hohlvene oder der Pfortader bestehen.
Diese beiden chirurgischen Eingriffe sind aber nur dann mit der
Fortdauer des Lebens vereinbar, wenn in einer Voroperation für
die Bildung collateraler Bahnen zwischen unterer Hohlvene und
Pfortader einerseits und oberer llohlnder andererseits gesorgt ist.
Dies geschieht durch Einheilung des grossen Netzes mit den Ver¬
ästelungen der Arterla gastroepiplolca in die Laparotomiewunde,
und so in die Bauchwand. P. beschreibt eingehend seine Thier¬
experimente und auch 4 in der Klinik chirurgisch behandelte Fälle.
Er gibt zu, dass bisher ein Urtheil über die Zweckmässigkeit
der Operation noch nicht möglich ist, einmal, weil mau über die
differente pathologische Dignität der verschiedenen Formen von
Lebercirrhose noch kein sicheres Urtheil habe, daun auch, weil
man noch nicht über die Funktion der Leber genügend unterrichtet
sei, um entscheiden zu können, ob derselben eine so grosse Menge
Blut dauernd entzogen bleibeu könne und ob andere Organe
vicariirend die Funktion dieses Organs übernehmen können.
Immerhin sei es wahrscheinlich, dass in manchen Fällen ein mög¬
lichst frühzeitiger derartiger Eingriff der immer zu wiederholenden
Punktion des Ascites vorzuziehen sei.
Ninni: Einen Beitrag zur Herzchirurgie bringt N. (Rif.
med. 1901, No. 56) betr. die Sutur einer Wunde des Ventrikels
mit glücklichem Ausgang.
Ungeachtet der Unsicherheit der Technik und der, wegen der
Dringlichkeit des Eingriffs meist unsicheren Antiseptik rechnet N.
von 30 Fällen von Wunden des Herzens mit Sutur 10 Heilungen
aus; ein Resultat, welches gewaltig zu Gunsten eines operativen
Eingriffs bei Verletzungen des Herzens spricht.
Nizzoli: Heber subkutane Hehlkopffraktur. (Ibidem,
No. 190.)
Die lin Ganzen nicht reiche Statistik der Kehlkopffrakturen
bereichert N. um einen Fall. Derselbe betraf einen 10 jährigen
Knaben, welcher sich beim Fall mit einem Zweirad den Kehlkopf
an der Lenkstange verletzte. Blutauswurf, Aphonie und Athem-
noth waren die nächsten Folgen; indessen heilte die Verletzung
bei stark rückwärts gelagertem und durch Sandsäcke flxirtem
Kopf, ohne dass eine Tracheotomie sich als nöthig erwies.
Der Autor ist geneigt, mit Massel in solchen Fällen der
Intubation den Vorzug vor der Tracheotomie zu geben.
Das Hautemphysem, wie es bei solchen Fällen in der Regel
aufzutreten pflegt, hielt sich in rnässigen Granzen und verschwand
allmählich. Am 10. Tage erschien der Knabe geheilt. Vom 7. Tage
ab ward Callusbildung auf der linken Lamina thyreoidea nachweis¬
bar, das Poraum Adami erschien nach links verschoben, die Stimme
war noch rauh. Die Vereinigung der Fragmente wird vielleicht
nach Monaten eine knöcherne.
M o d i c a und Audenino: Heber die Wirkung der Lobi
praefrontales auf den Stoffwechsel. (Archivlo di psichiatrla.
Fase. III. 1901.)
Nach den Experimenten der Autoren sollen die vorderen Stirn¬
windungen des Gehirns in besonderer Weise den Stoffwechsel be¬
einflussen. Nach ihrer Entfernung wird 1. die N-Ausscbeidung
durch den TJrin geringer, 2. der Phosphor-Gehalt des Urins nimmt
ab, 3. die erdigen Phosphate nehmen konstant ab bis zum voll¬
ständigen Verschwinden längere Zelt nach der Operation.
Auch Erfahrungen am Menschen sollen diesen Befund zu be¬
stätigen geeignet sein.
Mich eil und Mattirol o: Ueber fettarme chylöse Ex¬
sudatflüssigkeiten. (Gazzetta degli osped. 1901. No. 111.)
Die milchartige Farin* und Beschaffenheit mancher Exsudate
Ist nicht bedingt durch den Fettgehalt derselben, sondern durch
eine bestimmte Modifikation eines Globulins von besonders licht-
brechenden Eigenschaften.
Die Autoren beschreiben in ihren Erfahrungen aus der Turiner
inneren Klinik, wie es Ihnen gelungen, dieses Globulin zu fällen
und rein darzustellen, so dass die zurtickbleibende Flüssigkeit voll¬
ständig klar war.
Eine besondere prognostische oder klinische Bedeutung soll
dieser Beschaffenheit der Exsudate nicht innewohnen.
Ferruccio Schupfer: Jodipin zur Bestimmung der motori¬
schen Kraft des Magens. (Rif. med. 1901, No. 175 u. 176.)
Aus den in der B a c e e 11 i'schen Klinik gewonnenen Boni¬
täten schliesst Sch., dass dem .Jodipin, vorausgesetzt, dass das Prä¬
parat ein zuverlässiges ist, eine gewisse Ueberlegenheit vor dem
Salol zur Prüfung der motorischen Funktion des Magens zukommt.
Nicht zu verwenden ist es ls*i Verschluss der Gallenwege, wo es
ganz versagt und das Jod nicht zur Ausscheidung im Speichel
kommt. Bei Ikterus ist es unzuverlässig.
Boi Verschluss des Ductus pankreatieus tritt die .Todreaktion
ein. während die Salolreaktlon unvollkommen wird. Die Differenz
im Resultate beider Mittel kann möglicher Weis«* zur Dingnos«* von
Störung der Pankreasausscheidung verwandt werden.
Meist stimmen die mit dem Jodipin erlangten R«*sultate mit
(Urnen überein, welche die L e u b e - U 1 e g e l’selie Methode der
Magenehtleerung ergibt.
II a ge r - Magdcburg-N.
Inau^ural-Dissertationen..
Universität Berlin. St*ptember 1901: Nichts erschienen.
Oktober bis November 1901.
23. Hector Jacob: Die Erfolge der Nervennaht in Fällen der
v. Berg m a n’n’schen Klinik.
24. Simon solin Alfred: Ueber Massage des Herzens.
25. Bauch Ludwig: Ueber periodisches Erbrechen.
26. M 1 c h e 1 s e n Mars: Ueber die a«*tiologischen Beziehungen der
akuten Entzündungen der Tonsillen zu anderen Erkrankungen,
mit besonderer Berücksichtigung der Angina tonsillaris retro¬
nasalis.
27. Rabert Fritz: Zur Aetiologie der Chorea minor im Kindes¬
alter.
28. Seyffarth Paul: Ueber manuelle IJisung von Placenton und
Placentarresten nach reifer Geburt.
29. Lessersohn Hugo: Ein Beitrag zur Lehre vom Llponm
multiplex symmetricum.
30. L o m e r Georg: Ueber die Verkalkung der Fibrnmyome d«*s
Uterus, mit besonderer Berücksichtigung des gleichzeitigen
Vorkommens von Pyosalpinx.
31. Dennemark Ferdinand: Ueber Dermoide, insbesondere «1er
Ovarien.
32. Tschiidakoff Iwan: IVber das «»pidemische Auftreten «l«»s
Skorbuts im Zusaram«»nhange mit Ilungersnoth.
33. Fischer Julius: Ein Fall von Polyneuritis peripherica als
Folgezustand von Typhus abdominalis.
Universität Bonn. Novt*raber 1901.
42. Kuliueinann Willy: Ueber die Ectopia vesicae unil ihre
operative Behandlung.
43. M e n z e u Jacob: Ueber Gonorrhoe bei kleiuen Mädchen.
Universität Erlangen. Novemb«*r 1901.
31. Hagen Wilhelm: Ein Fall von traumatischer Erkrankung
«les unteren RUckenmarksabschnittes, mit besonderer Berück¬
sichtigung der Lokalisation des Refiexeeutrums für die Blas«*.
32. Paasch Peter: Ein Beitrag zur Kasuistik Uber klonische
Aceessoriuskrämpfe.
Universität Freiburg i. B. Noveml>er 1901.
36. Hirschfeld Berthold: Ein Fall von Lebercchiuocta-eus.
37. Bock Wilhelm: Ueber das Zusammentreffen von la*lH.*r-
clrrhose mit Tub«*rkulose.
38. Kornmiun Frank: Ueber einen Fall von kardialer Brady¬
kardie nach Ueberanstreugung.
39. P r i e 1> a t s c h Walter: Ueber Pleuritis calculosa im An¬
schluss an zwei in der Freiburger chirurgischen Universitäts¬
klinik gemachte BtK>bachtungeu.
40. Huldschlnsky Carl: Ein Beitrag zur Kenntniss der mul¬
tiplen Dermatomyome.
Universität Göttingen. September bis November 1901.
31. Adam P.: Beiträge zur Rachitis.
32. Blasius O.: Ein Fall von Epidermoid (Perlgesehwulst) der
Balkengegend.
33. C reite O.: Beiträge zur Radikoloperntitm der Leisten- und
Schenkelhernien.
34. du Bois K.: Uelx*r die in den Jahren 1877 bis liHM) ln der
Göttinger medlcinisch«*» Univ«*rsltäts-Klinik beobachteten Fälle
von Bauchf«*U(*ntzüudung.
35. Juch O.: T T «*her Blutversorgung der Ilondwurzelknochen.
36. Köhler E.: Ein Fall von doppelseitiger Jugulurvenen-
thromboee.
37. Pfannkuch Fr.: IVber Blutau8aminlung«*ii im ver¬
schlossenen Genitalkanal des Weib«*s.
38. Remy H.: Beitrag«* zur K«*nntniss der Punkrcuscysteii.
39. Vellguth L.: U«*iH*r eineu elgenartig«*u ErkrankuugsfaU in
der Zuckerindustrie.
40. Wege G.: Beitrag zur Kasuistik der <*iugeklemmt«*n Brüche.
41. Will er s Chr.: Beiträge zur I^ehre von Purpurn iiu Kindes¬
alter.
42. Willke O.: Beitrag zur Kenntniss des Zusammenhang«**
zwischen Nierenentzündung und Geistesstörung.
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2022
MUENOHKNER MEDIOINISOIIE WOCIIENSCHRI FT.
Xo. so.
Universität Halle. September bi« Novcmlx»r 1001.
■io. 1*1 li r ** ii f r *»ii n tl Friedrich: Die vaginale Entfernung ilcr
Fterusadnexc.
41. H iibcrkorn Mjix: Untersuchungen des l.ochialsckrcls von
Wöchnerinnen mit und ohne antiseptixche Kompressen.
42. ilirola Kioniemou: Feber die Mikroorganismen im Sekret
der Conjunctivitis catarrlmüs und im Kindelmutsack des ge¬
sunden Auges.
4:i. II irsch Georg: Feber den Schock.
44. K i s li i Jehida: Feber den peripheren Verlauf und die Endigung
des Nervus coohleue.
45. Kitter Arno: Erfahrungen über Zangengeburten der Halle-
schen Fniversitüts-Frauenkliuik und Poliklinik vom 1. April 1804
bis 31. März 1001.
Universität Heidelberg. November 1001.
18. Adams Heinrich: Feber Fremdkörper In der Speiseröhre.
10. Rubin Arthur: Beiträge zur Anwendung des Murphy'schen
Darmkuopfes.
Universität Jena. Oktober UHU: Nichts erschienen.
November 1901.
25. Bartseh Emil: Feber Tuberkulose der Brustdrüse.
20. Driver Robert: Ein Fall von Tuberkulose der Corueosklertd-
grenze.
27. diese Ernst: Experimentelle Untersuchung über Erfrierung
(Habilitationsschrift).
28. Gut mann Emil: Zur Kenntniss der Yerdaiuungsprodukte
des Leims.
Universität Königsberg. November 1SMU.
25. K o b Martin: Feber Prophylaxe des Trachoms in der Armee.
20. Conditt Bert hohl: Feber subcuta ne neue Knochenbildungen.
Fniversitöt Marburg. Septemlaer und Oktober 1901.
27. Amelung Rohst: Feber die Operationen lx»i Prostalahyper-
trophie.
28. Bergmann Wölfgang: Feber die Ausscheidung von Phos¬
phorsäure beim Fleisch- und l»eim Pflanzenfresser.
29. Berns Arnold: Zur Kenntniss der traumatischen trockenen
Peritonitis.
30. Fischer Franz: Die laml- und forstwirtschaftlichen Un¬
fälle im Kreise Wittgenstein von 1889/1899 und die hierfür
gewährten Renten.
31. Funk Wilhelm: Feber ein Fibrosarkom des Samenstrang**«.
32. Grotefend Wilhelm: Die Kinderverluste in der Marburger
Entbindungsanstalt in den Jahren 1883—1899.
33. .1 aussen Hugo: Zwei Fälle von Ileus in Folge von Dann¬
einklemmung durch das Meckel’sehe Divertikel.
34. Thpsing Ernst: Zur Frage: „Ist. die Cliolelithiasis chirurgisch
oder intern zu behandelnV“ Statistisches und Theoretisch-
Kritisches.
35. Flriei Franz Hellmuth: Fetier pharmakologische Beein¬
flussung der Hnrnsnureausxcheidung.
Universität München. November 1901.
147. Zorn Ludwig: Beitrag zur Kenntniss der Amoeben-Enteritis.
148. Oberndürffer Ernst: Experimentelle Untersuchungen
über Foagulationsnekrose des quergestreiften Muskelgewebes.
149. Gu mp rieh Faul: Feber den Zusammenhang des Befundes
im cireulatorlscheu und respiratorischen Apparat 1x4 der
Cldorosis.
150. Böhm Eduard: Ein Fall von Ferithelloma ovarii.
151. Beer Otto: Ein Fall von Thrombose des Sinus cavernosus
beiderseits.
152. Re lisch Friedrich Hermann: Statistische Betrachtung der
Typhusfälle in den Jahren 1890—1898 im Krankenhause 1. d. I.
II. Medicinische Abtheilung.
153. G roth Alfred: Feber den Lohns impar der Medulla oblongata
bei Cyprinoklen.
Universität Strassburg. November 1901.
33. Rücker Hans: Zur Kenntniss des Hämatoporphyrins und
seiner Derivate.
34. Bruch Friedrich: Zur Diagnostik und operativen Therapie
der Auuria calculosa.
35. Birnmeyer Friedrich: Feber die Diagnose von Nieren-
tumoren.
30. Kamm Felix: Die operative Behandlung der hochgradigen
Myopie in der Universitäts-Klinik für Augenknink hei teil zu
Strassburg.
37. F erst «• r Andreas: Beiträge zur Kenntniss der Entwicklungs¬
geschichte iles Interparietale.
Vereins- und Congressberichte.
Berliner medicinische Gesellschaft
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o m *27. No v e m b e r 1901.
Herr W. A. Freund: Thoraxanomalien als Prädisposition
zur Lungenphthise und Emphysem.
Vortragender nahm Untersuchungen, welche er vor 45 Jahren
nach der gleichen Richtung hin augestellt und dann für diesen
langen Zeitraum durch seine gynäkologische Thätigkeit unter¬
brochen hatte, wieder auf und führte diese zu Ende. Er kam zu
dem Schlüsse, dass eine Prädisposition der Lungenphthise durch
vorzeitige Verknöcherung der obersten Rippenknorpel und da¬
durch bedingte ungenügende Entwicklung der Lungenspitze be¬
dingt sei. Zuweilen bildet sich dann hier später eine Pseud-
arthrose, was einem Heilungsvorgang gleichkommt.
Dieser Ileilungsproeess liesse sich nach Vortragendem auch
künstlich herbeiführen mittels Durchschneidung des Rippen-
knorpels.
Beim Emphysem sei umgekehrt eine Vergrößerung des
oberen Thoraxumfanges verhandelt, der ebenfalls auf operativem
Wege einer Besserung zugänglich sei.
Herr G. Elemperer: Ueber die Entstehung und Ver¬
hütung der oxalsauren Nierensteine.
Die oxalsauren Nierensteine seien häufiger, als man allgemein
annehme. Um* Entstehung werde begünstigt durch kalkreiche
Nahrung, sowie durch oxalsäurereiche Substauzen, wie Gemüse.
Theo; aber auch Glvkokoll und das davon abzuleitende Kreatinin
machen Oxalsäure.
Für die Lösung vorhandener Oxalsüureniedersehläge sei
i Magnesium zu empfehlen, welches im Fleisch und den Legumi¬
nosen reichlicher vorhanden ist. während Milch hingegen gleich
den Gemüsen nicht zu empfehlen sei, da sie kalkreich und
magnesianrm ist.
I) 1 s c u s s I o ii: Herr Senator hält diesen Hinweis auf
die Magnesia, für sehr interessant und meint, dass damit viel¬
leicht die Häufigkeit der oxalsauren Coucremente bei Kindern
(Milchdiät) zu erklären sei.
Herr J. Ruhemann: Eine einfache Methode zur so¬
fortigen quantitativen Harnsäurebestimmung im Urin.
Mittels der Jodtitrirung, welche früher schon versucht, alx*r
wieder verlassen worden war. und Schwefelkohlenstoffs als Indi¬
kators soll sieh Harnsäure sehr einfach bestimmen lassen. Vor¬
tragender hat dazu eine kalibrirte Röhre unfertigen lassen.
H. Iv.
Sitzung vom 4. D e z e in b e r siehe S. 2032.
Verein für innere Medicin in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung v o m 25. Kove in b e r 1901.
Demonstrationen:
Herr Fedor X r a u s e stellt die von ihm vor ca. % Jahren
in der Discussion zu Kört e’s Vortrag über Magenoperntiouen
erwähnte Patientin vor, bei welcher er wegen Kcirrlius des Magens
eine ,.s o gut wie“ vollständige Resektion des Magens
vorgenomuien hatte. Patientin hat sich sehr erholt. 33 Pfund
zugeuommen und verträgt alle Speisen ln reichlichen Mengen.
Eine Gastroenterostomie, wie projektirt gewesen, konnte nicht ge¬
macht. werden, da fast die ganze Magemvaud vom Krebs ein¬
genommen war.
Ferner einen zweiten Fall, in welchem wegen Pyloruseareinoiu
die Resektion des Pylorus nach der 1. B 111 r o t li’sehen Methode
gemacht wurde. Resultat ebenfalls sehr gut. Gewichtszunahme
34 Pfund.
Discussion: Herr L. B 1 u m e n t h a 1. aus dessen Praxis
Patientin I ist schildert di** Mahlzeiten, welche die magenlose
Patienten jetzt zu sieh nehmen kann (Teller Suppe, grossen Teller
Gemüse. Portion Fleisch, Brod und Bier zu einer Mahlzeit).
Discussion zum Vortrage des Herrn Kare wsky:
Ueber Gallensteinileus.
Herr Ga ns schildert 2 von ihm beobachtete Fälle, desgleichen
Herr Becker einen. Herr A Ibu weist darauf hin. dass beim
Galleusteinileus das Kothbreclien fehlen könne, wenn der Stein
im Duodenum sitzt. Herr A. F r a t* u k *• I erwähnt, dass anderer¬
seits beim Galleusteinileus Kotlmhgang vorkomme.
Herr K. Brandenburg: Ueber Alkalescenz und
Alkalispannung des Blutes in Krankheiten.
Die bekannte, von A. Loewy und Zuntz ausgearbeitete
und fiir physiologische Verhältnisse untersuchte Bestimmuug der
„Alkalispminung“ im Blute suchte Vortragender für patho-
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10. Dezember 1901. MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT.
logische Zustände zu venverthen. Während, wie schon Loewy
und Zuntz gezeigt hatten, die Alkaleseenz (die Gesammtalkali-
menge) des Blutes lediglich proportional dem Eiweissgehalt des
Blutes geht, also ihre Bestimmung nicht weiter bringt, als etwa
die Stickstoffbostiinmung desselben und ähnliche Methoden, ist
die Alkalispannung von der Eiweissmenge unabhängig. Und es
gelingt, gewisse, für einzelne Krankheitsbilder charakteristische
Schwankungen der Alkalispannung aufzufinden, wofür Vor¬
tragender einzelne Beispiele bietet.
Auch die seit länger bekannte Thntsaehe, dass die bakteri-
eide Kraft des Blutserums parallel seiner Alkaleseenz geht, führt
Vortragender nicht auf das Gcsanuntalkali zurück, sondern auf
die Alkalispannung; denn neuere Untersuchungen von Ham¬
burger zeigten, dass die baktericide Kraft des Blutes mit
seinem Kohlensäuregehalt steigt, und da ferner die Kohlensäure
Alkali, welches bis dahin an Eiweiss gebunden war, losreisst und
dieses freie, bezw. als kohlensaueres Alkali diffusible Alkali die
Alkalispannung erhöht, so sch Hess t Vortragender, dass es diese
erhöhte Alkalispannung ist, was die baktericide Wirkung steigert.
Sitzung vom 2. Dezember siehe S. 2031.
Hans K o h n.
Gesellschaft der Charitä-Aerzte in Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 28. November 1901.
1. Herr Hopf engärtner stellt einen Fall von Uraemie
hei einem OjiHIrtgeh Mildeheu vor. Bel dem tuju*rkulös_ erldicfi
belast eten uiuLlixstcrlachen Kinde, das~ in TRnfi»i n i n«* n ein Zustande'
ln cnUlvluderklinlk eingeliefert worden war. ergaben sich beson¬
dere diagnostische Schwierigkeiten in Folge des wechselnden kli¬
nischen Bildes. l»el dem Krämpfe, Erbrechen. Amaurose. Nacken¬
steifigkeit wechselten mit maniakalisehen und depressiven C.eistes-
zustiinden. Bessernd wirkte ausgiebige Koelisalzinfuslon perklysnm
und besonders die Spinalpunktion, die den Druck von ImD nuii nu-
zeigte. Augenliintcrgrund normal.
D I s c u s s i o n: Herr S e n a t o r weist auf die diagnostische
Wichtigkeit der G«*frlerpunktsl>estimnmng des Blutes bei Ernenne
hin, wo derselbe fast regelmässig erniedrigt gefunden wird, und
empfiehlt, zur Keetallnfusiou die hypotonische Kochsalzlösung zu
nehmen.
2. Herr Mosse: Vorstellung eines Mannes mit einer geuerali-
sirten Bleivergiftung; besonders sind betroffen «1er rechte Nervus
radlalis und die unteren Extremitäten mit beiden Nervi peiouel
Gleichzeitig bestellt Augemnuskellähmung und Atropliia nervi
optici.
3. Herr Senator: a) Demonstration eines Blutpriiparates
mit Recurrensspirillen.
b» Vorstellung eines 32 jährigen Musikers mit Poliomyelitis
anterior acuta adultorum. Die ohne bekannte Ursache eiu-
setzeude Lähmung hat sich zuriiekgeblldct bis auf die Lähmung
der linken unteren Extremität, an der degenerative Atrophie mit
Freibleibeu des Sartorius und vasomotorische Störungen bestehen.
Sensibilität und Sphinkteren sind frei.
4. Herr Strauss: Vorstellung a) eines 39jährigen Manucs
mit Kompression der Vena cava superior. Die vor 1 >/ 2 Jahren
naeligewlesene Dämpfung (liier dom Sternum hat sich zurück-
gebildet. Es wird die Möglichkeit einer schwieligen Mediastinit's
in Betracht gezogen.
b) eines 20 jährigen Mannes mit Tumor mediastini, Stau¬
ungen im (Jeliiet <l«*r Vena cava superior. Oedem an Gesicht und
Armen, sternnler Dämpfung und entsprechendem Schatten iiu
Uöutgeubikle.
Diseussion: Herr Dorendorf lierichtct über einen
analogen Fall der 2. medicinlselien Klinik, bei welchem an den
oberen Extremitäten das Blut aus «lern Hautsticb sich konzen-
trirter erwies als an den unteren.
5. Herr Menzer: Ueber Angina, Gelenkrheumatismus
und Erythema nodosum.
Vortragender hat bei cxcidirtcn Tonsillen in Fällen von
Angina mit Gelenkrheumatismus in dem blutig infiltrirten
peritonsillären Gewebe Diploooeccn und kurze Stivptocoocon g«*-
funden, und sieht diese Stellen als die Eintrittspforte der Krank¬
heitserreger in die Bluthalm an. In einem excidirten Hautknoteu
bei Erythema nodosum wurden Staiih.vloeoecen naehgewiesen.
Er hält es für wahrscheinlich, dass bei Pneumonie, die Er¬
krankung der Lungen nicht auf dem Luftwege, sondern durch
die Blutbahn erfolgt., vielleicht von einem Bakterien-Depot im
Rachen aus.
Für Scharlach und Masern nimmt er ubi<)uitäre Bakterien
als Erreger an, welche auch die gewöhnliche Angina und
Bronchitis verursachen, so dass diese Krankheiten nur besondere
Allgemeinreaktionon. von ubiquitären Bakterien hervorgerufen,
darstellen.
Diseussion: Herr Michaelis widerspricht den Aus¬
führungen un«l nimmt bei der Angina mit Gelenkrheumatismus
2923
specittsehe Streptococcen als Erreg«*r au, lud der Pneumonie hält
er die Infektion auf den Athinungswcgeii für wahrscheinlich.
Herr litt her weist auf 'die experimentell durch Inhalation
erzeugten Lungenentzündungen hin.
Herr Menzer hält di«- Experimente für nicht beweisend für
ilie Entstehung der Lungenentzündung heim Menschen und weist
auf die Analogie /.wischen «ler vorzugsweise di«* rnterluppcu 1 h*-
fallenden Pneumonie und der Emholh* der Lungenarterien hin.
K. B r a n «1 e u b u r g - Berlin.
Medicinische Gesellschaft zu Leipzig.
(Officlellos Protokoll.)
Sitzung v o m 5. N o v e tu b e r 1901.
Vorsitzender: Herr C ursch mann.
Schriftführer: Herr Braun.
Herr Kolli ker «lemonstrirt einen Fall von Nerven-
implantation und Nervendehnung. Es wurde bei einer Patientin,
die an ltadiulislähimmg nach cerebraler Kiuderlühmuug litt, «ler
N. radlalis im unteren Drittel des Oberarmes freigelegt und In den
N. medianus nach Dehnung di«*s«*s Nerven seitlich implantirt. l'ni
die Wrelniguug beitler Nerven zu ermöglhdien musste der lla«lialis
uuter «lein Bi«*t*ps «lurehgefiihrt werden. Schliesslich wurde auch
noch der X. ulnarls Im Sulcus ulnaris freigelegt und ginlehnt. Da
die Operation erst vor 11 Tagen ausgeführt ist. kann natürlich noch
nichts über den Erfolg der Xervenimplautation gesagt werden, erst
nach Ablauf von Monaten ist auf ein Resultat zu roclunm.
Immerhin hat die Operation schon ein bemerken« wert lies Ergebnis«
g«*liefert. indem durch die Dehnung «les Medianus und Ulnaris «lic
vor den Eingriffen bestehende Athetosc. cIkmiso wie «Ile Muskel-
kriimpfe versehwunden sind. Speziell b«*i Athetosc waren bislang
die Erfolge der Nervendehnung nicht bedeutend.
Herr Perthes hält einen Vortrag: Medicinisches und
Chirurgisches aus Peking.
Vortragender berichtet über seine in Peking in der Stellung
als ordinironder Arzt der chirurgischen Ahlhciluug <l«*s G. ost-
asialischeu Feldlazareths gesammelten ärztlichen Erfahrungen.
Das Lazareth 6 (Chefarzt Olierstabsarzt Dr. Thiele) wimle ctab-
lirt in dem Gui-Gung-Fu, d. h. Haus des Herzogs Gui. Die chi¬
nesische Ilausanlage erwies sieh als dnu Klima sehr gut an¬
gepasst (weit vorspringendo Dächer zum Schutz gegen die Sonne,
völliger Abschluss nach Norden — grösstentheils durch Papier¬
wände — gegen die aus Norden kommenden Sandstürme, gutes
Drainagesystem der ganzen Anlage zur Abführung «les Wassers in
der Regenzeit und anderes). Die einzelnen Chinesenwohnungen
Hessen sich ohne Schwierigkeit in brauchbare Kraukenpavillons
um wandeln. Besondere Beachtung wurde der Wasserversorgung
wegen der Gefahr der Infektion mit. Typhus und Dysenterie,
wie der Heizung wegen der Gefahr der Kohlenoxyd Vergiftung
durch die chinesischen Thonöfen geschenkt. Eine be¬
sondere Wasserkochküche ermöglichte die Verwendung nur ge¬
kochten Wassers, die chinesischen Oefeu wurden nur für be¬
sondere Zwecke, Kockküchen, Sterilisation beim Operationssaale
beibehalten, wo sie sich als gut brauchbar erwiesen. Aus «1cm
Krankcubcstandc «les Lazarette« berichtet Vortragender ausführ¬
licher über 4 von ihm operirte Fälle von L e I» «• r a h s e es s
(3 tropische Lebcrabseessc, darunter I im Anschluss an Dys¬
enterie, ein Leberabseess nach Typhus; 3 der Patienten wurden
geheilt) und geht sodann auf die Erfahrungen in «ler Chi¬
nesenpraxis ein, die in einer, gimieiusam mit der London-
Mission eingerichteten Poliklinik für Chinesen gewonnen wur¬
den. Die chinesische Bevölkerung erwies sieh der Behandlung
durch den fremden Arzt und den Operationsvorsehlugen sehr gut
zugänglich, 3 chinesische Gehilfen verriet heu stellenweise l><-
merkeuswerthes Geschick für ärztliche Ding,*. Einzelne b«*-
obaehtetc Fälle werden durch Projektion v.m Photographien
mittels d«*s Epidiaskops vorgeführt; so insbestmdere: ein Fall
hochgradiger Spaltbildung an allen 4 Extremitäten, ein Fall
von Fibroma molluseum, vnnviegeml der linken Hand, mit
Steigerung des Knoeh«*nwu<*lv«thums, «lie Eff«*kte der chine-
siseh«*n Prügelstrafe in verschieden« u Stadien, ein wegen
Urethra Ist «mesc operirter Eunuch, Sehussfrakturen des
Humerus, der Ulna und der Tibia. Schuss durch
den Nervus ulnaris, Läsion der Arteria iliaea externa durch
Schuss, mit folgender Gangracn «les Fioms. Zum Schlüsse wer¬
den Gipsabgüsse, Fussalxlrüeke und Röntgenbilder verkrüppelter
eliinesiseher Frauenfüsse «lemonstrirt. Die Röntgenbilder lassen
sehr deutlich die Umbildung der äusspr«*n Kno«*lu*nform, sowie
die Transfonnation der Knoehenarehitektur entsprechend «h*r
veränderten Belastung erkennen.
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2024 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 50.
Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offldelles Protokoll.)
Sitzung vom 10. Oktober 1901.
Vorsitzender: Herr S e n d 1 e r.
Vor der Tagesordnung stellt Herr Enke einen 32 jährigen
Patienten vor, der au progressiver Muskelatrophie leidet und
zwar an der Ainyotrophla spinalis progressiva. Seit ca. 2 Jahren
merkt Pat. selbst den Muskelschwund an Arm und Hand rechts.
Beginn an den Daumenmuskeln und den Interossei. Derartige
Fälle sind ja keine Seltenheit. Was den Fall aber äusserst Inter¬
essant macht, Ist das ausserordentlich ausgesprochene Phänomen
der fasclculären Muskelzuckungen, welch’ letztere sich mit Aus¬
nahme der Hand über fast alle Muskeln des Unter- und Ober¬
arms, der Schulter, des Schulterblattes, des Serratus und des
Halses erstrecken. Es kontrahlren sich theils einzelne Fascikel
sporadisch, theils sämmtllche Bündel eines Muskels nach einander,
so dass z. B. beim Pectoralls malor eine Welle über den ganzen
Muskel hinwegzieht Die Muskeln „spielen“ auch des Nachts
in der Ruhe, am lebhaftesten aber nach einiger Arbeit. In dieser
ausgesprochenen Form Ist das Phänomen doch recht selten be¬
obachtet.
Sodann spricht Herr Biermer Uber die Gefährlichkeit des
sogen. Dr. H o 11 w e g’scheu Occlusiv-Pessars. Es zeigt das ab¬
gebrochene Stück eines derartigen Instrumentes, das er aus dem
Uterus einer Frau entfernt hat. Der Fall ist zur Anzeige ge¬
kommen und B. verliest sein diesbezügliches Gutachten.
Herr Unverricht hält alsdann einen Vortrag über „die
neueren Untersuchungen zur Physiologie und Pathologie des
Herzens“.
Er macht darauf aufmerksam, wie die innere Klinik in der
letzten Zeit von der rein anatomischen Betrachtungsweise der
Krankheiten sich mehr und mehr abgewandt und die funktionelle
Prüfung der einzelnen Organe in den Vordergrund gestellt hat.
Dadurch ist es bedingt, dass die Physiologie wieder in den Brenn¬
punkt des ärztlichen Interesses gerückt ist, denn nur bei einer
genauen Kenntniss der physiologischen Vorgänge ist ein tieferer
Einblick in die krankhaften Störungen möglich. Das gilt ins¬
besondere für die Erkrankungen des Herzens.
An der Hand der Untersuchungen von Gaskoll, Engel¬
mann, Tigerstedt u. A. gibt TJ. alsdann einen Ueberbliek
über die Anschauungen, zu welchen man bezüglich der auto¬
matischen Thätigkeit des Herzens gelangt ist. Die wichtigste
Umwälzung beruht darin, dass man die Automatie der Herz-
thätigkeit nicht mehr als durch nervöse Centralapparate bedingt,
sondern als eine der Muskelsubstanz selbst innewohnende Eigen¬
schaft auffasst.
An Beispielen au9 der Pathologie wird dann erläutert, wie
weit diese Lehren unsere Auffassung gewisser Herzstörungen
zu beeinflussen geeignet sind.
Auch die Therapie wird sich mit diesen modernen Forsch¬
ungen abzufinden haben, deren Bedeutung für die Beseitigung
krankhafter Abweichungen schon jetzt klar in die Augen fällt,
wie U. durch angeführte Beispiele erläutert, die sich auf die
Digitalisbehandlung beziehen.
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in
München.
Sitzung vom 7. Mai 1901.
Herr 0. Neustätter: Die Refraktionsbestimmung
mittels Skiaskopie und deren Theorie mit Demonstration an
künstlichen Angen und Flächenphantomen.
M. H.! Die allgemein bekannte objektive Refraktions¬
bestimmung beruht auf dem Gesetz der conjugirten Brenn¬
weiten oder auf der Bildschärfe.
Es gibt hiefür die meist geübte aber schwierige Bestimmung
im aufrechten Bild und eine Reihe von Methoden für die
Bestimmung im umgekehrten Bild; doch haben sich weder
die von Coccius, Hasner, Snellen-Landolt,
Mauthner, Burchhardt, noch die vielleicht bestbekannte
von Schmidt-Rimpler einzubürgern vermocht.
Auf eine andere Art der Refraktionsbestimmung führte erst
die Entdeckung der Skiaskopie durch den französischen Arzt
Cuignet, der allerdings ihr Wesen vollkommen verkannte,
indem er die Erscheinungen auf die Hornhaut bezog und von
der Schattenprobe als Mittel die Refraktion zu bestimmen nur
insofern sprach, als er dadurch Krüminuugsanomalien der Horn¬
haut nachwies, die er als gleichbedeutend mit Refraktions¬
anomalien erachtete. Erst durch Landolt, Parent, Leroy
wurde die Theorie geklärt und damit die zielbewusste Anwendung
der „Keratoskopie“ angebahnt.
Der Name hat alle möglichen Stadien durchlaufen; Skia¬
skopie führte C h i b r e t ein; Priestley-Smith sprach
von shadow-test, Pflüger verdeutschte dies in Schattenprobe,
Schweigger sprach von Beleuchtungsprobe. Da aber in der
Nähe des Umschlagpunktes die Lichtbewegung kaum mehr zu
verfolgen ist, verdient Schattenprobe den Vorzug, weil die Auf¬
merksamkeit auf die vorragende Erscheinung dadurch gelenkt
wird. Ueber das Wesen enthält der Ausdruck nichts; um dies
zu bezeichnen sprach Parent von Retinoskopie, L a n d o 11
von Pupilloskopie; am exaktesten wäre die von mir vorge¬
schlagene Bezeichnung Pupillo-Retinoskopie; doch genügen auch
diese Ausdrücke nicht, um eine Vorstellung zu geben. Desshalb
bleibt man am besten bei „Skiaskopie“,
Im Prinzip nun beruht die Skiaskopie auf den B e -
wegungserscheinungen optischer Bilder. Es ist dies
ein Gebiet, da9 bishin wegen seiner praktischen Bedeutungs¬
losigkeit in der Optik nicht beachtet wurde. In der Praxis be¬
ruht die übliche Bestimmung der Brillengläser, wie sie jeder
Augenarzt übt, auf diesen gleichen Gesetzen.
Ferner hat man schon länger höhere Grade von Myopie oder
Hyperopie darnach unterschieden, ob die Gefässe des Augen¬
hintergrundes sich entgegengesetzt oder gleichsinnig mit der Be¬
wegung des Kopfes des Untersuchers verschieben. Diese Methode
ist eigentlich genau das Gleiche wie die Skiaskopie; nur lässt
sie gerade da im Stich, wo es sich um die genaue Messung handeln
würde; denn wenn sich das Bild des Augenhintergrundee unserem
Auge zu sehr nähert, sehen wir eben nichts mehr von den Ge-
fässen. Hier nun setzt die Skiaskopie glücklich ein, indem sie
an Stelle der Gefässe den erleuchteten Bezirk setzt und dessen
Grenzen = Schatten in’s Auge fasst.
Doch zunächst: Was machen und sehen wir bei der Skia¬
skopie, worin besteht sie eigentlich?
Lassen wir ein Auge mittels Augenspiegels aufleuchten und
drehen den Spiegel, dann sehen wir das Roth der Pupille von
einem dunklen sichelförmigen oder mehr geradlinigen
Saum verdrängt werden, allmälilieh verschwindet daß Roth ganz
und wir sehen die Pupille schwarz. Machen wir nun dieses Ex¬
periment bei einem stark myopischen und stärker hypermetropi-
schen Auge in gleicher Weise, so sehen wir, dass jene Ver¬
drängung in entgegengesetztem Sinne erfolgt. Nehmen wir beim
gleichen Auge einmal einen Planspiegel, das andere Mal einen
Konkavspiegel, so sehen wir, dass die Wanderung des Schattens
für jeden in entgegengesetztem Sinne erfolgt. Wenn wir ein
Auge untersuchen, dessen Fernpunkt ungefähr der Entfernung
zwischen Beobachter- und Untersuchtem-Auge entspricht, sehen
wir überhaupt keine deutliche Schattenwanderung, sondern einen
unvermittelten Uebergang von Hell zu Dunkel.
In der Praxis kommt es darauf an, diesen Punkt zu be¬
stimmen. Zu dem Zweck kann man jedes Auge myopisch machen
durch Vorsetzen einer Konvexlinse. Dann kann man sich so
lange annähern und entfernen, bis man den „Umschlag“ findet.
Da dieser, wie wir erfahrungsgemäss jetzt voraussetzen, statt¬
findet, wenn der Fernpunkt in der genannten Distanz liegt,
brauchen wir nur diese zu messen und das Glas dazu rechnen,
um zu wissen, welche Refraktion das Auge hat.
Statt dieser Methode auf labile Distanz ist jetzt mehr die
auf stabile Distanz üblich; sie ist aus verschiedenen Gründen ein¬
facher und besser. Bei ihr wird durch Vorhalten immer stärkerer
Gläser der Fernpunkt allmählich in die gewünschte Entfernung
gebracht, die ein für allemal beibehalten wird. Die Rechnung
ist dann sehr einfach. Wenn z. B. die Distanz Vs m beträgt,
so muss immer berechnet werden, dass ein Myop um 2 D mehr
kurzsichtig, ein Hyperop 2 D weniger liyperopisch ist. Ein In¬
strument., wie ee hiezu verwendet wird, ist das von mir ange¬
gebene Leiterskiaskop.
Für praktische Bedürfnisse ist die Skiaskopie, wie Sie sehen,
ausserordentlich einfach und wegen der Leichtigkeit der Er¬
lernung und Anwendung, der Einfachheit des Kriteriums — ob
ein Schatten gleichsinnig oder entgegengesetzt wandert, kann
Jeder entscheiden — ist sie eine ausserordentlich werthvolle Er¬
rungenschaft für die Refraktionsbestimmung, namentlich z. B.
bei Massen- oder Kinderuntersuchung, und besonders auch für
Astigmatismus, bei dem nicht nur der Grad, sondern gleich
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10. Dezember J 901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT,
2025
auch die Art, ob myopisch oder hyperopisch oder gemischt und
die Achsenrichtung gefunden werden kann. Für dieses Bedürf-
niss habe ich auch eine einfache Vorrichtung an meinem Leiter¬
skiaskop angebracht: eine Kreisscheibe, auf welche der Spiegel
mit seinem Loch in der eingenommenen Haltung aufgelegt
wird.’)
So einig man bald über den praktischen Werth der Skia-
skopie wurde — Anfangs haben allerdings auch gegen diesen
einige Autoren sich ausgesprochen — so uneinig war man lange
über die Erklärung der Erscheinungen. Es ist viel polemisirt
worden, viel Dilettantismus eingerissen und auch jetzt werden
nooh falsche Theorien aufgestellt und aufrecht zu halten gesucht.
Es wäre aus diesem und auch aus praktischen Gründen wünschens-
werth, die Theorie der Skiaskopie in die physiologischen
Vorlesungen aufzunehmen, wie ich dies letztes Jahr in
nicht. Dies die einfache Erklärung für ein vielumstrittenes
Gebiet.
Das Genauere über den Vorgang zeigen Ihnen meine Wand¬
tafeln und Phantome, an deren Hand ich Ihnen den Strahlen¬
gang demonstriren mochte (Demonstration).
Paris schon angeregt.
Ich will hier nicht auf das Geschichtliche und auf Kritik
cingehen.
Hier handelt es sich, die Erscheinungen bei der Skiaskopie
zu erklären, nämlich: wie die Schattenwanderung zu Stande
kommt, was der Schatten ist, wesshalb derselbe für Myopie
entgegengesetzt wie für Hyperopie, für Plan-
Fig. 1.
Abbildung des ,Myopie“-Phautomes in Ausgangsstellung, d. h.
Beleuchtungsfeld und Gesichtsfeld decken sich auf der unter¬
suchten Netzhaut (links), daher ist auch das Bild der untersuchten
Pupille auf der Beobachtungsnetzhaut (rechts) ganz von Strahlen
ausgefüllt und wird durch Rückprojektion die untersuchte Pupille
ganz hell erscheinen.
Spiegel entgegengesetzt wie für Konkav¬
spiegel wandert, obgleich der Lichtreflex auf dem Gesicht
des Untersuchten für beide gleich wandert und schliesslich,
welches die Lage des Umschlagpunktes ist
und wesshalb wir in diesem Augenblick keinen
Schatten neben dem hellenTheil derPupille
auftreten sehen?
Im Grossen und Ganzen erfolgt der Vorgang so: von der
der Lichtquelle wird durch die Spiegel ein Bild, d. h. ein heller
Fleck auf der Retina des Auges erzeugt. Von diesem ,3eleuch-
tungsfeld“ gehen Strahlen zurück in die Luft und in das Be¬
obachterauge, wo ein mehr oder minder unscharfes Bild des be¬
leuchteten Bezirkes der untersuchten Netzhaut entsteht.
Dieser Vorgang lässt sich ungezwungen in zwei Phasen zer¬
legen, die der eintretenden und der austretenden Strahlen.
Zunächst möchte ich Ihnen mittels einer Linse die ein¬
tretenden Strahlen vorführen (Demonstration). Noch besser
sehen Sie den Vorgang an den künstlichen Augen, die Herr
Dr. v. Ammon mir zur Verfügung zu stellen die Freundlich¬
keit hatte (Demonstration).
Sie sehen dabei eine Wanderung des je nach der Refraktion
mehr oder weniger unscharfen Flammenbildes, und zwar erfolgt
dieselbe immer in gleichem Sinne bei Drehung des Spiegels
falls dieser plan, entgegengesetzt, falls er konkav ist. Sie sehen
ausserdem einen Schatten, der sich über das vorher helle Feld
schiebt, wie beim Skiaskopiren. Dies ist der von mir als
„falscher“ bezeichnet« Schatten; er zeigt sich bei dieser experi¬
mentellen Vorführung immer, wenn der Spiegel so weit gedreht
wird, dass das Ende des Strahlenkegels auf die Linsenöffnung
tritt; beim Skiaskopiren wird er bei der Vorführung an Phan¬
tomen mit weiter Pupille gesehen. Beim menschlichen Auge da¬
gegen wird er, ausser unter gewissen ungewöhnlichen Verhält¬
nissen, nicht gesehen. Dass er nicht der wahre Schatten sein
kann, geht schon daraus hervor, dass er für Plan- und Konkav¬
spiegel gleichartig verläuft, dagegen für Myopie und Hyperopie
entgegengesetzt.
Wenn wir nun das Beleuchtungsfeld als gegeben annehmen
und statt neben der Linse vorbei, durch diese blicken, so erhalten
wir die Erscheinungen der Skiaskopie. Wir können diese
zweite Phase nur dadurch vereinfacht vorführen, dass wir einen
weissen, flammenförmigen Fleck auf schwarzem Grund hinter
einer Linse bewegen. Es lassen Bich dann alle Erscheinungen
nachahmen. Es wird aus diesem Experiment auch klar, wess¬
halb wir einen „Schatten“ sehen, obgleich doch auf der Fläche
nur der helle Fleck wandert. Indem wir durch die Linse blicken,
schneidet diese für uns ein begrenztes, kreisförmiges Feld jener
betrachteten Fläche aus: das Gesichtsfeld; wo dieses nicht
erhellt ist, sehen wir in der Linse Dunkelheit, und dass neben
druussen noch erleuchtet ist, bleibt für uns bedeutungslos, weil
wir eben dort nicht mehr hinsehen. Da der falsche Schatten ge¬
wöhnlich erst auftritt, wenn das Beleuchtungsfeld über das Ge¬
sichtsfeld hinausgewandert ist, so sehen wir ihn für gewöhnlich
') Cfr. Münch, med. Wochenschr. 1809, No, 3.
Flg. 2.
Dasselbe Phantom. Das „Beleuchtungsfeld“ Ist nach oben ge¬
wandert. Vergleicht man die Jetzt noch welsse Partie Im unter¬
suchten Auge, so sieht man, dass der untere Thell des „Gesichts¬
feldes“ von vorhin nicht mehr erleuchtet Ist Entsprechend hat
sich auch .der Lichtkegel zwischen den Augen gedreht (nach
unten); wiederum entsprechend der Drehung des Luftbildes (mitt¬
lerer schwarzer Punkt) dreht sich jenseits des Beobachtungs¬
knotenpunktes der Lichtkegel (nach aufwärts) und der untere
Thell des vorher erleuchteten Pupillenbildes Ist nicht mehr erhellt.
Dieser „Schatten“ wird durch Rückprojektion im oberen Thelle der
untersuchten Pupille scheinbar auftreten nud zwar an der Stelle,
wo sie von der vom untersten erleuchteten Punkt aus gezogenen
Knotenlinie getrofTen wird.
Sie sehen an den ersteren die Strahlenkegel durch mehr¬
farbige Linien, an letzteren in Flächenschnitten als weisse Flächen
auf dunklem Grund beweglich dargestellt. Ihre Form gibt die
Ausdehnung der Strahlenkegel an jeder Stelle wieder; durch
ihre Bewegung lassen sich die Bewegungserscheinungen vor¬
führen und zwar sowohl getrennt für die eintretenden und aus¬
tretenden Strahlen, als auch durch Auflegen eines Spiegel¬
phantoms (Konkav- oder Planspiegel) auf ein Refraktionsphan¬
tom (Myopie bezw. Hyperopie), der gesammte Vorgang im Zu¬
sammenhang. Die Drehpunkte, um welche die Bewegungen statt¬
finden, entsprechen den Knotenpunkten, die Angriffspunkte für
die Uebertragung der Bewegung von den virtuellen bezw. reellen,
optischen Bildern auf die von ihnen ausgehenden Strahlenkegel,
den Mittelpunkten dieser Bilder. Durch mechanischen Ausgleich
ist die Konstruktion derart gestaltet, dass die Bewegung der
Strahlenkegel ununterbrochen sich vollzieht. (Demonstration.)
Als Grundlage für diese Phantome dienen die Wandtafeln,
auf welchen die Konstruktionen des Strahlenganges in gleicher
Grösse gegeben sind. Ein vergleichender Blick auf sie und die
Phantome zeigt die Erleichterung, welche die letzteren für die
Darstellung und Vorstellung der Vorgänge gewähren. Auf der
Tafel ist dann noch eine Konstruktion gegeben, welche den
Umschlagspunkt darstellt. Zwischen der „myopischen“
und „liyperopisehen“ Bewegung muss es einen Punkt geben, wo
die entgegengesetzten Bewegungen, die eine in die andere Um¬
schlagen. Dieser Punkt liegt dann vor, wenn der Fern¬
punkt des untersuchten Auges auf die Pu¬
pillenebene des Beobachters (genauer auf dessen
scheinbare Pupillenebene) fällt. Die Erscheinung, welche sich
dabei zeigt: plötzlicher Wechsel von voller Erleuchtung zu Ver¬
dunklung der untersuchten Pupille, hat nichts mehr mit den
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2026
Biwegungsorsoheinungen zu thun, sondern mit den eigenartigen
Verhältnissen der Erleuchtung: in Zcrstrcuungskrciscu. die bei
genauerer Darstellung allerdings sieh auch neben den obigen Be ¬
wegungserscheinungen bei Myopie und Hyperopie schon zeigen
lassen (Demonstration an den Phantomen, wo nicht sofort bei
der Bewegung des erleuchteten Theiles im untersuchten Auge
Schatten im Beobachterauge auftritt).
Diese Erscheinung lässt sich auf das „Gesichtsfeld“ pro-
jieiren und man erhält dann in diesem eine „aktive“ und „in¬
aktive“ Zone; so lange die Verdunklung nur die letztere (äussere)
/.u überziehen beginnt, nehmen wir keinen begrenzten Schatten,
sondern nur eine Abnahme der Helligkeit wahr. Tritt dann Ver¬
dunklung in jener auf, so erhalten wir einen proportionalen
Schatten. Da nun die aktive Zone im Falle des Zusammen¬
treffens des Fernpunktes des untersuchten Auges mit der Pu-
pillarebeno des Beobachters auf einen Punkt zusammen¬
schrumpft, das ganze Gesichtsfeld also von der inaktiven Zone
eingenommen ist, kann keine Schattenwanderung wahrgenommen
werden.
Diese Tlmtsaehe kann aber nur unter einer Bedingung ein-
troten, dass nämlich der Beobachter die untersuchte Pupille
scharf fixirt. Nur unter diesen Verhältnissen nämlich vermag
jeder erleuchtete Punkt im Hintergrund des untersuchten Auges
auf der Beobachternetzhaut einen Zerstreuungskreis zu bilden,
der das Pupillenbild ganz ausfüllt und dessen Grenzstrahlen
nirgends auf ihrem Wege allmählich abgeblendet werden können,
weil eben der eonjugirte Bildpunkt auf der Pupillarebene liegt
und die von ihm ausgehenden Strahlen erst bei dem Auftreten
auf den Irisrand plötzlich allesamt abgeblendet werden. Ist das
Beobachterauge nicht auf die untersuchte Pupille eingestellt,
dann vermag der Zerstreuungskreis das Zerstreuungsbild der¬
selben nicht ganz auszufüllen und es tritt ein Schatten auf der
Seite auf") (Demonstration an der Wandtafel).
Einfacher zu erklären ist die Thatsache, dass die Sehatten-
be.wegung bei Lage des Fernpunktes des Untersuchten vor oder
hinter dem Beobachterauge mit der Bewegung des Beleuchtung.'-
fehles im untersuchten Auge gegenläufig bezw. gleichläufig er¬
folgt. Sofern die Strahlen sieh zwischen Pupille des Unter¬
suchten und Pupille des Beobachters kreuzen (Myopie > als deren
Abstand im gegebenen Fall 50 cm = 2 D), werden jeweils die von
entgegengesetzter Seite der untersuchten Pupille kommenden
Strahlen durch die Beobachteriris abgeblendet. Erfolgt da¬
gegen die Kreuzung erst hinter dieser (Myopie < 2 D) oder über¬
haupt nicht (Emmetropio oder Hyperopie des Untersuchten),
dann werden die Strahlen, welche von der der Bewegung gleich¬
sinnigen Seite der untersuchten Pupille kommen, entweder von
der Beobachtenris abgeblendet oder durch die Bewegung des Be¬
leuchtungsfeldes zum Wegfall gebracht.
Wenn man, wie dies in den Phantomen geschehen, den
Knotenpunkt als in einer Ebene mit der Pupille gelegen an¬
nimmt, was man ohne Fehler von Bedeutung thun kann, so lässt
sich die Sehattonwanderung auch so erklären: wir haben zwei
Drehpunkte: die Knotenpunkte im Beobachtungsauge und im
untersuchten Auge und einen Angriffspunkt. Dieser liegt bei
Myopie y 21) zwischen jenen. Wir haben dann zwei Hebel, die
durch diesen Angriffspunkt = Luftbild auf einander einwirken.
Geht das eine Ende (Belcuehtungsfeld) nach unten, so gellt der
Angriffspunkt nach oben, folglich das andere. Ende (Schatten)
wieder nach unten. Bei Myopie < 2 D bis Emmetropio liegt der
Angriffspunkt jenseits des Beobachterknotenpunktes, bei Hypero¬
pie hinter dem Knotenpunkt des untersuchten Auges. In beiden
Fällen muss das eine Ende (Beleuchtungsfeld) und das andere
(Schatten) entgegengesetzt zu einander wandern; im ersteren,
weil der Angriffspunkt hinter dem Bo.-Drehpunkt den Schatten
mitnimmt, im letzteren, weil er mit dem Belcuehtungsfeld geht
und vor dem Beobachterknotenpunkt liegt (cfr. Fig. 1 und Fig. 2).
Nimmt man in diesen Fällen das Gesetz der umgekehrten
Projektion entlang den Knotenlinien zu Hilfe, so ergibt sich:
für Myopie entgegengesetzter „Schatten“, für Hyperopie und
Emmetropio und Myopie < als Abstand zwischen Be. und Unt.
mit dem Beleuchtungsfeld gleichsinnig wandernder „Schatten“.
Auf diesen Grundlagen sind die Phantome konstruirt.
-) Näheres cfr. bei Itüppel: Grnefe’a Areh. f. Ophtli. 1892.
pag. 174. und iu meinem Grundriss der Skiaskople. der als Bei¬
gabe zu den Wandtafeln und Phantomen auch bei J. I<\ Leh¬
mann in München erschienen ist.
No. 50.
Es erübrigt noch der Gegensatz zwischen Konkav- und Plan¬
spiegel. Bedieilen wir uns der gleichen Ausdrucksweise, so ergibt
sieh: Bei ersterem ist der Angriffspunkt für den Beleuchtungs¬
kegel zwischen Spiegeldrehungspunkt und untersuchtem Knoten¬
punkt ; folglich muss die Bewegung des Beleuchtungsfeldes ent-
gegengesetzt wie die Spiegeldrehung erfolgen. Beim Planspiegel
liegt der Angriffspunkt hinter dessen Drehpunkt; er muss
also den Beleuchtungskegel jenseits des Knotenpunktes des unter¬
suchten Auges in gleichem Sinne bewegen wie die Spiegeldrehung
erfolgt. Auch diesen Vorgang sehen Sie an den Phantomen
dargestellt.
Durch die Kombinationen dieser Erscheinungen am „Be¬
leucht ungsfeld“ und jener am „Schatten“ ergeben sich die ex¬
perimentell Ihnen vorgeführten Verhältnisse.
Aerztlicher Verein in Nürnberg.
(Officlelles Protokoll.)
Sitzung vom 1. August 1901.
Vorsitzender: Herr G o l d sc h m i d t.
1. Herr Neuberger stellt uochmals den bereits (18. VII.)
vorgestellten Fall von lymphangiektatischem Tumor vor und
glaubt nunmehr mit Sicherheit eine luetische Basis desselben aus-
sehllessen zu dürfen; ferner einen Fall von Acne necrotica s.
varioloiformis.
2. Herr Glauning berichtet über einen Fall von Pan-
kreascarcinom unter Demonstration des gewonnenen Leleken-
prii parates.
Herr Friedrich Merkel berichtet über einen Fall von
Sarkom des linken Ovnrlum bei einem 10 Jährigen Mädchen: das
bei der Operation gewonnene. 7 Pfund schwere Präparat wird
demonstrirt.
4. Hon- C. Port berichtet über einen im Eiterherd eines
Obernrmabscesses gefundenen Cysticercus.
Sitzung vom 15. August 1901.
Vorsitzender: Herr S. Merkel.
1. Herr F. Giulini stellt einen Fall von Orbltalcyste vor.
2. Herr Alexander macht Mittheiluug vou einem Fall
schnell vorübergehender diabetischer Myopie.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 11. Oktober 1901.
Herr T r n ka macht Mittheilung über einen Fall von Pferde¬
hufschlag auf den linken Warzenfortsatz, mit anstandsloser
Heilung der Quetsch wunde. Die ersten 6 Wochen Symptome von der
Gehirnerschütterung, nachher unter den Erscheinungen von Ge¬
hirnblutung Herdsymptome im Pons (Drehung des Kopfes nach
rechts). Paralvsis glossopharyngeo-labinlis und von unten nach
olien fortschreitende Lähmung der Extremitäten. Nach weiteren
."> Wochen Exitus. Sektion ergab ein Haematom aus der Art verte
hrnlis il. stammend, das tlieiis dem Pons, tlieils der Medulla ob-
lougntn aufsass. T rnka nimmt an. dass es sich um GelilrngefUss-
läsion durch Contrevoup und um sekundäre Spiltapoplexle handelt.
Weiters demonstrirt Trnka ein etwa 10 cm langes, ab¬
geschlossenes. cylindrisches Divertikel mit Sekundärdivertikelu
an der Spitze, dessen Durchmesser dem dos Dünndarmes ungefähr
gleich war.
Sitzung vom 18. Oktober 1901.
Herr Frank: Wie wird in Heiden die TTebun&stherapie
von Frenkel gehandhabt?
Das Wesen der Methode besteht darin, dass der Tabiker
das übrig gebliebene Quantum von Sensibilität verwertben lernt,
um den Centralorganen hinreichende Signale über die Lage der
Glieder zuzuführen. Das Mittel hiezu ist Uebung. Die Uebuuga-
therapie bezweckt die Wiedereinübung der Coordination durch
Wiederholung gewollter Bewegungen bei Schonung der Muskel¬
kraft. Die Behandlung der Ataxie der unteren Extremitäten
wird ohne Apparate durehgeführt.
Frank bespricht dann den Unterschied zwischen den durch
Ataxie und den durch Hypotonie bedingten Störungen und er¬
wähnt weiters die grosse Bedeutung der Rumpfbewegung für die
Locomotion. Nach einer Kritik der Goldscheider-,
L e y d e n - und Jako b’sehen Apparatenbehandlung, deren
Prinzip er verwirft, schildert der Vortragende dann die Ge-
sammtbehandlung eines Tabikers in Heiden, die spezielle Aus¬
führung der Bettübung, der Uebungen im gymnastischen Saale,
die Dosirung der Uebungen, das Verhalten des Kranken ausser¬
halb derselben, die Elektro- und Hydrotherapie. Frank sah
bei allen in diesem Sommer in Heiden in Behandlung ge-
MTTKNCHENER MEDICINISCHE WOCHESCHRIFT.
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10. Dezember 1901.
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2027
standenen Tabikern bedeutende Besserungen und von früher
Dauererfolge und glaubt nach den letzteren schließen zu
können, dass der Ansicht, die Tabes sei eine konstant fort¬
schreitende Erkrankung, der Boden entzogen sei.
Jahresbericht des ärztlichen Bezirksvereins für
Südfranken vom Jahre 1899 und 1900.
In beiden Jahren wurde ln jedem Monat eine Versammlung
abgehnlten, je 2 Tagesversammlungen im Mai und Oktober zu
Gunzeuliausen, je 10 Abendversammlungen abwechselnd ln
Gunzenhausen, Treuchtlingen, Pleinfeld, Wassertrüdlugeu und
Weissenburg a. S., um bei dem ausgebreiteten Bezirk allen Kol¬
legen den Besuch der Versammlungen zu erleichtern. Sie waren
fast Immer gut besucht und stets anregend durch wissenschaftliche
Beiträge und Mittheilungen aus der Praxis, wofür die unten ge¬
brachten zahlreichen Verhandlungsgegenstiinde den besten Beweis
liefern. Mehr wie früher, entsprechend den bewegten und schweren
Zelten des ärztlichen Standes und Lebens der Gegenwart, wurden
Standesfragen, das Verhältnis» zu Krankenkassen und Berufs-
genossenschaften, sowie die allgemeinen Interessen des ärztlichen
Standes vielfach und eingehend besprochen.
Im Jahre 1899 hielten grössere Vorträge: In der Mal-Tages¬
versammlung: M e h 1 e r - Georgensgemünd über den Chirurgen-
congress, G o p p e 11 - Heidenheim Uber Privatversicheruug der
Aerzte (Empfehlung der ärztlichen Versicherungskasse in Berlin»,
in der Oktober-Tagesversammluug: M e h 1 e r über excessiv hohe
und tiefe Körpertemperaturen. Dörfler- Weissenburg: Beitrag
zur Pathologie des Tankreas, Goppel t über Unfallversicherung,
Raab- Roth a. S. über Haftpflichtversicherung der Aerzte.
G o p p e 11 demonstrirte mikroskopische Präparate von Aktlno-
mykose. Im Jahr 1900: ln der Maiversammluug: Beltlnger-
Dltteuheiin über Ursachen von Missbildungen, mit Demonstration
eines Aneucephalus, M e h 1 e r über Schleie li’s neue Metho¬
den der Wundheilung, mit Demonstration seiner Seifen und Salben,
L a u k - Elllngeu über mehrere Fälle von Wurstvergiftung; in
der Oktoberversammlung: M eh ler über Aseptik des Naht- und
Unterblndungsraaterlales, Raab über Aetiologie der Angina.
M e h 1 e r demonstrirte einen fahrbaren Tisch zur Auskochuug von
Instrumenten für die Sprechstunde.
In den Abendvera \mndungen hielten grössere Referate oder
Vorträge: Sommer- Scliwabach über Alexander'» Buch:
„Wahre und falsche Heilkunde“, Meyerson - Treuchtlingen über
H o f m e i e Fs Artikel: „Behandlung der Nachgeburtsperiode“, mit
Protest gegen die hier auf gestellten Postulate an den praktischen
Arzt, Dörfler über Rückenmarksverletzungen, über den Ber¬
liner Clilrurgencongress, Meyerson über „eine durchführbare
Lösung der Kassenarztfrnge“, Dörfler über die Gründung einer
allgemeinen ärztlichen Unterstützungskasse.
Grössere Dlscussiouen Uber wissenschaftliche Themata fanden
statt: lieber Laparotomie bei Bauchfelltuberkulose (Eidam.
M eh ler, Lochuer. Hofmann, Meyerson, Dörfler).
ül>er Aktinomykose (Doppelt, Meyerson, Heckei), über
excessive Körpertemperaturen (Lochner, M e h 1 e r. Gün¬
ther, Meyerson, Heckei), über Alkoholumschläge nach
Büchner (Eidam, Dörfler, M e y e r s o n), über Kalomel
bei Herzaffektionen (B 1 s c h o f f, M e h 1 e r, Hofmaii n,
K 1 d a m), über Wurstvergiftung (Dörfler, Lochner, Lauk,
Doppelt, B 1 s c li o f f), über Bauchverletzung durch stumpfe
Gewalt (Dörfler, Eidam, Lochner), über Kochsalzinfusion
(Goppelt, Dörfler, Eidam) über Exantheme bei Rheumartlirl-
tls, Diphtherie und Influenza (Goppelt, Dörfler, Eidam,
Gflnthe r), über Tuberkulose durch Kalk- und Nadelstaub
(M eyeraon, Mehle r, L o c lincr, Goppel t).
Im Jahre 1899 wurde auf Antrag von B i s c h o f f - Günzen¬
hausen ein Rechtsschutzverein gegründet.
Von Mittheilungen aus der Praxis seien erwähnt:
B 1 s c h o f f - Gunzenhausen: Demonstration der Ilöntgen-
pbotographie eines interessanten Oberarmbruches. — Ascites, durch
jahrelanges Einnehmen von Kalomel immer wieder beseitigt»
Dörfler- Weissenburg a/S.: Exstirpation eines 0 cm langen
Hauthomes von einem Handrücken. — Mehrere Fälle von Wurst¬
vergiftung. — Demonstration eines Herzens mit Endokarditis
verrucosa acuta. — Pneumon. duplex mit Pleuritis haemorrhaglca
und Dllatatio cordis. — Rückenmarksverletzung mit Lähmung
durch Halswlrbelfraktur. — Bauchverletzung durch Hufsclilng. —
Operation einer Ranuln unter der Zunge. — Resektion eines tuber¬
kulösen Schultergeleukes. Heilung. — Resektion des 2. Trigeminus-
astes wegen hartnäckiger Neuralgie, Heilung. — An 3 jährigem
Kind Operation einer Hydrocele mit Exstirpation einer cysten-
förmigeu Fortsetzung in die Bauchhöhle, Heilung.
E i d a m - Gunzeuliausen: Vorstellung eines Mannes mit links¬
seitiger Recurrenslähmung in Folge von luetischen Aortenaneu¬
rysmas. — Laparotomie wegen Bauchfelltuberkulose mit günstigem
Erfolg. — Laparotomie wegen Messerstich Verletzung der Leber
und starker Blutung in das Abdomen, Tod am 5. Tag an septischer
Peritonitis. — Komplizirtc Fraktur der Tibia und Fibula dicht an»
Fussgelenk mit Fussluxation, durch Resektion des Fussgeleukes
gute Heilung. — Erfahrungen über Buch n e r's r»0 proc. Alkohol-
umschlüge. — Brustwirbelfraktur durch Fall aus dem Scheuerloch.
— Seltener Dammriss bis zum unverletzten Anus, nach rechts und
links uni denselben sieh forts- tzmid. Rnuehvorletzung durch
Hufsclilng. — Lupulinvergiftung bei Hopfenpflückera. — Hernio-
tomie an alter Frau, bei der sich im Bruchsack der spitze Knochen
eines Taubenflügels vorfand, Tod am 2. Tag.
E i s e u 8 t ä d t - Pappenheim: Demonstration eines Footus
papyraceus. — Fraktur der Bmstwirbelsäule durch Stoss der Loco-
motive. — Ueber Angina und Rheumatismus.
F r i t z s c h e - Allersberg: 2 Fülle von epidemischer Cerebro¬
spinalmeningitis.
Goppelt- Heidenheim: Demonstration mikroskopischer Prä¬
parate vonAktinom.vces. — Ueber Knrbolgangrüu. — IJtcrus-Exstir-
patlon wegen Carcinoms des Uteruskörpers, durch mikroskopische
Untersuchung nach Auslöffelung diagno6tizirt. Heilung. — Ueber
Kochsalzinfusion. — Sonderbarer Fall von Vierfach-Sehen (Gehirn¬
herd). — Fall von Erythema exsud. multiforme. — Beobachtung
von spontanen Muskelbewegungen mich eingetretenem Tode.
Günther- Treuchtlingen: Sehr schwierige Ovariotomie, mit
M e h 1 e r-Georgensgemünd ausgeführt. Heilung. — Riickgrats-
verletzuug durch Stoss der Lokomotive.
H e c k e 1 - Triosdorf: Sehfelddefekt auf rechtem Auge nach
sehr profuser Magenblutung. — Tetanus mit tödtlichem Ausgang.
II o f m a n n - Ililpoltstein: Demonstration eines verschluckten
Knochens, durch Oesophagotomie entfernt. — Demonstration von
fibrinösen Brouchialnbgüssen und von Sputa einer interstitiellen
Pneumonie.
L a u k - Elllngen: Schwere Frakturen und Luxation durch
Transmisslousverletzung. vorzügliche Heilung.
Lochner- Schwabach: Gelenkrheumatismus mit wochen¬
langer Temperatur von 43 °. — Sektionsbericht über Nephritis mit.
llerzliypertrophle und Arteriensklerose. — Demonstration des
H e 1 n e c k e’sclien Verbandes bei Knieselieibenbruch. — Ein Fall
von Abreissen des Rückenmarkes ohne Fraktur. — Schwere Trans¬
missionsverletzung des rechten Armes. -- Bauchverletzung durch
Hufschlag. — Sarkom der grossen Zehe, durch Kxartlkulation des
Mitteifussknochens geheilt.
M e h 1 e r - Georgensgemünd: Vorstellung eines 12jährige::
Knaben mit schwerer Prurigo. — Laparotomie wegen Tuben-
sehwnngerschaft (Tube geplatzt, Ei in den Riss eingeklemmt).
Heilung. — Vorstellung eiuer operativ sehr schön gehellten Schuss¬
verletzung des Kniegelenkes, -r- Uterus-Exstirpation wegen Cervlx-
carcinoms. Heilung. — Demonstration eines 10 Pfund schweren
Kotlisteines aus dem Dickdarm eines Pferdes. — Revolverschuss
in den Nabel. Tod am 7. Tage in Folge Druohbruclies eines durch
die Kugel am rechten Psoas gebildeten Abscesses in die Bauch¬
höhle.
Meyerson - Treuchtlingen: Perityphlitis, binnen 24 Stunden
durch perforätive Peritonitis zum Tod führend. — Prostata-Hyper-
ti*ophie. Unmöglichkeit zu katheterisiren, Puuctio veslcae. Heilung
durch Blasenausspülungen. — Psoriasis unlversalis durch Arsenik
geheilt. — Exartikulation der vierten, durch Wunddiphtherie in-
fiziiten Zehe und dadurch Heilung der allgemeinen, das Leben
bedrohenden Infektion.
O h 1 y - Langenaltheim : Demonstration sogen, siamesischer
Zwillinge, deren Extraktion sehr schwierig war.
Raab-Roth a. S.: Demonstration einiger spontan zertrüm¬
merter und abgegangener Binsensteinstücke. — Verschlucken eines
Fünfpfennigstückes, Asphyxie, plötzlicher Tod trotz Tracheotomie,
wobei kein Fremdkörper zu finden ist.
S o m m e r- Sehwnbaeh: Ein Fall von Purpura peliosis rheu-
mntiea.
Weinig- Scliwabach: Verletzung der liuken Gesichtsseite
in epileptischem Anfall, starkes Hautemphysem, wohl in Folge
Luftdurchtrittes durch eine Fissur des Nasenbeines entstanden.
Zahl der Vereinsmitglieder 44. Vorsitzender: Lochner-
Schwabacli; Schriftführer: E i d n in - Günzenhausen; Kassier:
Bischof f - Günzenhausen.
Gunzeuliausen, im November 1901.
Bezirksarzt Dr. Eidam.
Aus den Pariser medieinfschen Gesellschaften.
Acad6mie de m6decine.
Sitzung vom 22. Oktober 1901.
Behandlung des Lupus mit übermangansaurem Kali.
Butte hält die Wirkung der Phototherapie für ungenügend,
wenn es sich darum handelt, einen sehr ausgedehnten Lupus zu
behandeln. Zu diesem Zwecke bedient er sieh der 2 proc. (?)
Lösung von Kal. perinnngan. und zwar ausschliesslich der eine
Viertelstunde lang aufzulegenden Kompressen; die lietreff enden
Stellen müssen zuvor gereinigt werden. Unter diesen Bedingungen
hat er stets Heilung erzielt.
llallopeau hat diese Methode bei 2ö Kranken versucht
und konstatirte. dass die vorhandenen Ulcerationen nach einigen
Wochen oder Monaten, je nach ihrer Ausdehnung, stets ver¬
narbten: in Fällen von nicht ulcerirtem Lupus hatte mau fast
i immer Misserfolg. Trotzdem kommt H. zu dem Schlüsse, dass
j das übermangansaure Kali rascher wie jede andere Methode wirkt
I und zwar jedesmal, wenn cs sich um einen allzu ausgebreiteten
Fall, welcher der Ltchtliehandlung nicht zugängig ist. handelt.
Diese letztere Methode kann allein in den Füllen wirken, wo
keine Ulceratloneu oder keine vorspringenden Knötchen vorhanden
| sind und wo mm» neue Gewobslndurntinn und miliare, tiefliegende
i Knötchen konstutlrt.
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2028
No. 50.
UUENCITENKU MEDICJNISCHE WO(VHENSCHRIFT.
Poncet berichtet Cil»t*r zwei neue Fälle von tuberkulösem
Rheumatismus, welcher gewöhnlichen akuten Gelonkrheumatis-
lnus vorgetüusclit hat. Kr schliesst von Neuem, dass man in
solchen Fällen, wo Antipyrin und Salieyl im Stiche lassen, an
Tuberkulose denken und die Tuberkulinprobe vornehmen muss.
Das wäre um so zweckmässiger, als der tuberkulöse Rheuma¬
tismus mit seinen oft leichten und vorüberflehenden Formen die
erste Erscheinung einer bacillären Infektion sein kann, deren
schlimmen* Folgen man bei geeigneter Behandlung vermeiden
kann.
Sitzung vom 29. Oktober und 5. November 1901.
Die Pest an Bord des Senegal und die Quarantäne in Friaul
war Gegenstand eines längeren Berichtes von B u c q o y, welcher
schwere Vorwürfe gegen die Marinebeliördcn. speciell von Mar¬
seille. von wo das Schiff ausging, enthielt. Die Senegal war
17 Tage vorher von Alexandrien gekommen und hatte in Marseille
171 Passagiere, worunter 17 Aerzte. zu einer Vergnügungsreise
au Bord genommen. Der kurz nach der Abreise vorgekoni'uene
Pestfall nöthigte zu obiger Quarantäne. wo man in d *r Sidtmutz-
väschkainmer des Schiffes hunderte von tollten Hatten, und zwar
an Pest verstorben, fand: ausserdem waren alle lebenden Knttcu
mit der Pest infleirt. Auf die weiteren Einzelheiten bezüglich des
Qnarantäneverfahrens in Friaul und auf die eingehende Iteplik
Proust’« zu Dunsten der Behörden kann hier nicht eingegangen
werden. (Vergl. den Pariser Brief in No. 4S.)
B o i n e t - Marseille theilt fünf Fälle von Milzruptur bei
Malaria mit und kommt zu dem Schluss, dass der Mechanismus
dieser Verletzung ein sehr verschiedener sein kann. Die sogen,
spontane Ruptur der Milz während eines Anfalles ist jedenfalls
möglich, sie wird begünstigt durch die Erweichung. Schwellung
und den Kongestivzustand des Organs. In den vier anderen Fällen
waren die Hypertrophie und Zerbrechlichkeit der grossen Milz,
die bei der chronischen Malaria beobachtet wird, prädisponirende
Erwachen der Ruptur, welche durch traumatische Einwirkung
(Fall. Schlag) direkter oder indirekter Natur zu Stande kam: ein
ganz leichtes Trauma kann eine Ruptur bewirken. Bei dreien der
obigen Fälle waren sternförmige Zerreissungen im Niveau d; s
Hilus vorhanden.
Soci6t6 medicale des hopitaux.
Sitzung vom 18. und 2Ö. Oktober 1901.
Heber den tuberkulösen Pseudorheumatismus.
R o z a ti c o li berichtet ausführlich über einen Fall von all¬
gemeiner Tuberkulose der serösen Häute, welcher ausser anderen
Erscheinungen Gelenksaffi kt Ionen mit Stilen Charakteren des
PseudorheumatIsmus dargeboten hat. Die Krankheit hat IS Mo
nate gedauert, hat zwei grosse Stadien gezeigt, ln deren ersten das
Endokard und die Gelenke ergriffen waren, Fieber. Anorexie
u. s. w. bestand, in deren zweiten Pleura. Peritoneum und schliess¬
lich die Hirnhäute ergriffen wurden, und endete tödtlich. ohne
dass die Rungen befallen wurden. Die Cytodiaguose des Pleura¬
ergusses hatte zahlreiche I.ymphoeyten ergeben. Der Tuberkel-
baeilius kann also an den serösen Häuten der Gelenke, ebenso wie
an Rippen und Bauchfell, nicht eiternde, heilbare Veränderungen
hervorrufen, welche als Erscheinungen einer Allgcmcininfektion
wie bei der Miliartuberkulose aufzufass: n sind.
G a I 1 i a rd theilt den Fall eines 17 jährigen, mit Tuberkulose
der beiden Lungenspitzen behafteten Mädchens mit. welches im
Anschluss au eine akute Peritonitis und Pleuropneumonie (vorne
unten) einen akuten Rheumatismus an den Finger- und Knie¬
gelenken durchmachtc. Er hält den Fall von B. für sehr inter¬
essant und glaubt, dass ähnliche Fälle, d. h. Tuberkulose bei
Rheumatismus, besonders unter den lange sich hinschleppenden
Fällen von Rheumatismus, häutiger seien, als bis jetzt ange¬
nommen wurde.
Soupault und Franqais berichten über Polyneuritis
professionellen Ursprungs. Dieselbe beliel zwei in einer Färberei
beschäftigte Arbeiter an beiden Ober- und Cnterextremltäten:
diese Neuritis schien auf die Einathmung einer Mischung von
Petroleuinrtther, Gazoline und Benzin, besonders ab *r auf den sehr
gefährlichen IVtroleumäthcr zurih-kzulühren zu sein.
D n f o u r beobachtete einen ähnlichen Fall und glaubt, dass
die Vergiftungen mit ungereinigtem Benzin häutiger seien als be¬
kannt sei; man solle daher nur gereinigtes Benzin verwenden.
Nach einer Mittheilung von Gaue her hat Schach¬
mann, Oberarzt zu Bukarest, einen Fall von Myelitis syphi¬
litica, der allen anderen Behandlungsmethoden widerstanden hat,
mit E I n s p r 11 z u n g d e r Q u c v k s i 1 h e r 1 ö s u n g ( Hg
benzoat. 1 proe.) i n d e n R ii <• k e n in a r k s k a. n a 1 bedeutend
gebessert: es wurden mit täglich 1 <vm der Lösung im Ganzen
23 Einspritzungen gemacht. Sch. empliehll diese Methode bei all» u
elironisehen Erkrankungen des Rückenmarks, wo inan die Syphi¬
lis als Crsache annelimen kann, ebenso auch bei anderen (nicht
syphilitischen) Rückenniarksc rkraukungen wegen der resorbiren-
den Eigenschaften des Quecksilbers.
In der Discussioii drücken sich Ballet und \V i d a I, dann
Ga ueher sehr reservirt über diese kühne Behandlungsart und
deren möidiche Folgen ans.
S i t z U 11 g v o in S. N o \ e in b e r 1901.
Die Serumtherapie des Typhus abdominalis,
h a n t e m e s s e ist es i;cli;ugcii. von ihn Toxinen und
nicht mehr von «len Bacillen (wie Will a 1 im Jahre JS92» aus-
gehelid. ein T\ | *iii l»le -iIs-ril III zu •\\ ill IICII. Die Z.llll der Fälle.
welche er damit behandelte, beträgt 200. Alle jene, welche vor
dem S. Tage der Krankheit injizirt worden sind, genasen; von
den anderen starhen nur l». Die Typliusmortalitiit hat zu derselben
Zeit ln den übrigen Spitälern von Paris 23 Proc. überstiegen. Die
Injektion verhindert nicht das Auftreten von Rückfällen, daher
ist es not li wendig, die Temperatur der Kranken zu überwachen,
um eine erneute Injektion zu machen, sobald ein Rückfall sich
anzeigt. Die Folgen der Injektion sind sehr ausgeprägt, der Fuls
verlangsamt sieh in einigen Stunden, die Diarrhoe verschwindet
in 1. 2. 3 Tagen, der Blutdruck steigt auf seine Norm, die typhöse
Albuminurie ist oft kurz nach der Injektion verschwunden. Die
Anwendung des Serums schliesst nicht jene der kalten Bäder und
reichlicher G» trimkezufiihr aus. aber alle anderen Medikamente,
wie Chinin und besonders Coffein und Salzwusserinjcktioneu. Ch.
injizirt das Serum unter die Ilaut des Armes, in der Dosis von
13 1 ein: di.* Hauptbedingung für den Erfolg Ist frühzeitige In¬
jektion. beim ersten Verdacht auf Typhus muss man dieselbe vor-
nelnneu. ohne die Seruimliagnose abzuwarten. Bei den frühzeitig
behandelten Fällen muss sicher die Heilung eintreten. (Lebhafter
Beifall.)
Le Ge n d r e und D tt f 1 o c q berichten über die Typhus-
fiille. welche C h n n t c nt e s s e injizirt und welche sie gleich¬
zeitig mit ihm beobachtet haben: der Erfolg des Serums war ein
zweifelloser und dasselbe ohne Nebenerscheinungen,
Aus italienischen medicinischen Gesellschaften.
Königl. Akademie zu Rom.
In der Sitzung vom 7. Juli 1901 stellt Sc hupf er fünf
Malariakranke mit nervösen Störungen vor. Diese reihen sich
den bis jetzt bekannten Nervensymptomen nach Malaria an. Es
handelt sich um Pseudotnbes. dissemlnirte Sklerose, Dysarthrien,
Polyneuritis, Hemiparesen und Gehirnsymptome; aber keine dieser
Krankheitsfonnon zeigt sich vollständig ausgesprochen und exakt.
Die Krankheit, welche in Wahrheit die Symptomenbilder, welche
dies** Kranken bieten, hervorruft. ist die Polioencephalitis superlor
oder inferior; aller ohne dass die anatomischen Veränderungen in
diesen Füllen die für Polioenccphalltls charakteristischen sind.
Zur Entstehung dieser Kmnkheitserscheinungen werden
Toxinwirkungen, vielleicht durch die Malariaparasiten, vielleicht
durch intestinale Toxine, ferner Circulationsstörungen. punkt¬
förmige llaeinorrhagien im Gehirn angeführt. Die Cblnlnsalze
haben auf diese Symptome keinerlei heilenden Einfluss: Inwieweit
dieselben sic eventuell her\erbringen können, erscheint zweifelhaft.
Akademie der Medicin zu Turin.
Aus der Sitzung vom 12. Juli erwähnen wir eine Mittheilung
von Bozzolo über einen Fall von primitiver Splenomegalie,
in welchem die Milzexstirpation gemacht wurde. Die Kranke
erlangt ihre vollständige Gesundheit allmählich wieder.
Der liaemoglobingehnlt wie die rotlien Blutkörperchen ge¬
langten allmählich zur Norm, die Albuminurie verschwand, ebenso
die Crobillnurie. Die Salzsäure, welche aus dem Magensaft ver¬
schwunden war. erschien wieder. Die vergrösserte lieber ver¬
kleinerte sieli wieder, kurzum, trotz verschiedener Zwischenfälle
in der Rekonvalescenz erscheint die Kranke vollständig geheilt.
Bemerkenswerth ist. «lass sich nach der Operation eine leichte
Lymphocythaemio cinstclltc und eine beträchtliche Eosinophilie.
Carle berichtet (Hier einen anderen Fall von Milz¬
exstirpation, in welchem cs sich um Tuberkulose dos Organs
handelte: auch diese Kranke hellte vollständig und machte nacli-
■ her noch zwei Entbindungen durch.
Bei dieser Gelegenheit theilt Bozzolo den Fall einer Pfort-
i aderthrombose mit, welche von Carle nach der Methode Talma
; mit Verlegung des Pfortaderkreislaufs behandelt wurde. Der
Ascites, welcher vorher alle 15 Tage eine Paracentese nothwendig
machte, ist seit der Operation langsam im Abnehmen.
Aus der Sitzung vom 19. Juli 1901 erwähnen wir die Mit-
I theilung F o ä’s über einen Fall von Chordom. Die Geschwulst
I von der Grösse einer kleinen Nuss sass auf dem Clivus Blutnen-
, bachii. hing zusammen mit den Meningen und mit der Arteria
1 basüaris: sie war von grauweisser Farbe, knorpelartig, welch.
1 >ie St ruktur war die einer embryonalen Chorda d o r -
j s a 1 i s. als deren Rest sie auch F o i\ im Anschluss an
1 R i b b (* r t betrachtet. II n g c r- Magdeburg-N.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den
Stadtkreis Berlin.
(Eigener Bericht.)
Ordentliche Sitz u u g v o iu 23. N o v e m b e r 1901.
(Schluss.)
Es folgt die Berathung über das Schreiben des Herrn
Ministers, betreffend die Ehrengerichtsbar-
k i* i t der ii r z 11 i e h c n Bezirks- und Standes ver¬
eine. Der Referent. Herr Alexander, beginnt mit der Ver-
1 lesung des ministeriellen Erlasses vom 23. Mal d. J. an den Aerzte-
j kamineraussebuss. welcher ersucht wird, sich darüber zu ätisseni.
ob nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, betr. die ärztlichen Eliren-
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UV KNCIIKN EU M V Dl CIN I SCIl E WOCIIE NSCI1R \ ET.
2020
lö. Dezember 1001.
Seriellte pp. vom 25. November 1809 sieh die statutarischen Ehren¬
gerichte der ärztlichen Vereine nicht überhaupt oder wenigstens
bezüglich der Medicinai beamten erübrigen dürften und ob — event.
auf welchem Wege — es angezeigt erscheint, bei den Vereinen auf
eine Aenderuug der Satzungen hinzuwirken. Der AerzteUamnier-
ausseliuss hat die Vorsitzenden der einzelnen Kammern gebeten,
im Bereiche des Kammerbezirks feststellen zu wollen, ob und
welche Bestimmungen in den Satzungen der ärztlichen Vereine in
der in dem Mlnisterialschreiben angegebenen Beziehung enthalten
sind. Herr Alexander hat uun an 45 Aerztevereiue des
Kaiamerliezirks, 37 Landes- und 8 wirthschaftliche Vereine, eine
Reihe von Anfragen einschlägiger Art gerichtet. Verwerthbar sind
von den 40 Antworten, die eingegangen sind, 31. Danach haben
30 Vereine Satzungen, welche Bestimmungen über Ehrengerichte
oder Ehreuriithe enthalten, und zwar gelten diese Bestimmungen
in diesen 30 Vereinen auch für die diejenigen Mitglieder, weiche
einem staatlichen Disciplinarverfahren unterstehen (Medieinal-
beamte, Universitätslehrer). 25 Vereine halten das Fortbestehen
der ehrengerichtlichen Vereinsbcstimmuugeu auch nach dem In¬
krafttreten des Ehrengerichtsgesetzes für geboten und 24 Vereine
halten es für erforderlieh, dass Medielnnlheamte als Mitglieder
sich auch in Zukunft den ehrengerichtlichen Bestimmungen des
Vereins unterwerfen. Das wäre das Material aus dem Kainmer-
liezirke. Referent geht nunmehr auf die einzelnen Punkte des
Erlasses ein.
Zu der Frage, ob nach dem Inkrafttreten des Ehrengerichts¬
gesetzes die ehrengerichtlichen Sonderbestinnmingen der ärzt¬
lichen Vereine sieh nicht überhaupt erübrigen, bemerkt Referent
zunächst, der Minister scheine über die Natur der betreffenden
Institutionen der Vereine nicht informirt zu sein. Die Vereins¬
satzungen, soweit sie dem Referenten zugänglich waren, so die der
Berliner ärztlichen Standesvereine. enthalten Bestimmungen über
einen „Ehrenrath“, der nicht identisch ist mit Ehrengericht. Die
Vereinsehrenräthe decken sich nicht ganz mit den im Ehren¬
gerichtsgesetz vorgesehenen Ehrenrüthen, dl ff er Iren andererseits
aber sehr wesentlich von den staatlichen Ehrengerichten. Ihre
Aufgabe besteht nicht in erster Linie darin. Kollegen, die sich
eine Verfehlung haben zu Schulden kommen lassen, zu bestrafen,
sondern einmal darin, den Verein, welcher die Pflege der Kol¬
legialität bezweckt, von unlauteren Elementen zu befreien — also
eine Art Selbstschutz auszuüben, und sodann darin, Kollegen,
welche auf Abwege gerathen sind, durch gute Rathschläge, Er¬
mahnungen und Warnungen auf den richtigen Weg zu bringen.
Der Vereinsehrenrath bildet demnach eine kollegiale Be¬
hörde, welche von den Mitgliedern, also auch den angeschuldigten,
nucli freier Wahl eingesetzt ist, um die Interessen des Vereines,
die sich mit denen des Standes meist decken, zu schützen. Das
Urtheil eines solchen Ehrenrathes wirkt freilich auch als Strafe;
aber die Wirkung ist nicht Selbstzweck, sondern Folge der Hoch¬
achtung vor dom Urtheil unparteiischer Kollegen. Die Mitglieder
unterstehen diesem Urtheil auf Grund freiwilliger Entschüessung.
demgemäss ist das Verfahren frei von allen Förmlichkeiten. Das
Urtheil hat somit auch keine öffentlich-rechtliche Wirkung. Da¬
gegen ruht das staatliche Ehrengericht auf diametral entgegen¬
gesetzter Basis. Wenn auch sein Endzweck gleichfalls in der Er¬
haltung der Integrität des Standes besteht, so siud die Mittel zur
Erreichung dieses Zieles grundverschieden von denen der Vercins-
elirenräthe. Hier überall Freiwilligkeit, dort überall Zwang:
Zwangsweise Vorladung, Zwang zur Zcugenschaft, Zwang zur
Anerkennung nicht selbst gewählter Richter. Zwang zur Nach¬
achtung des Urtheils, Förmlichkeit des Verfahrens unter Beihilfe
der Staatsgewalt; das Urtheil wirkt ausschliesslich als Strafe und
soll als solche abschreckend wirken. Zwar besitzt, wie schon
oben angedeutet, auch das Ehrengericht ein Vermittlungsver¬
fahren, aber doch nur Im „Nebenamt“, während es für die Ver¬
einsehrenräthe die Hauptthätigkeit darstellt. Dem Minister waren
diese Unterschiede Jedenfalls nicht bekannt, und so erklärt es sieh,
dass er die Frage aufwerfen konnte, oh die Vereinsehrenräthe
nicht überflüssig wären. Uebrigens ist diese Frage in letzter Linie
weder von der Staatsbehörde, noch von den Aorztokammern und
deren Ausschuss, sondern von den Standesvereinen seihst zu ent¬
scheiden. Unbegreiflich muss es aber erscheinen, dass Kollegen,
die mit den fraglichen Institutionen vertraut sind, die Vereins¬
ehrenräthe nicht nur als überflüssig, sondern geradezu als schäd¬
lich erachten. Dem gegenüber wirft Referent die Frage auf. ob
die Vereinsehrenräthe trotz der staatlichen Ehrengerichte noch
Nutzen stiften. Die Ehrenräthe bilden einen integrirenden Be¬
standteil der Standesvereinsorganisation; man würde die Axt an
deren Wurzeln legen, wollte man sie von ihr trennen. Undenkbar
ist auch die Pflege der Geselligkeit in Vereinen, denen nicht die
Befugniss zustehen soll, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen.
Einige Standesvereine sind der Frage näher getreten, ob es sich
nicht empfiehlt, statt der Ehrenräthe Schiedsgerichte einzusetzen,
mit der ausschliesslichen Aufgabe, Streitigkeiten zu schlichten,
während die Ausschiiessuug von einem Urtheil des staatlichen
Ehrengerichts abhängig zu machen sei. Referent hält die Idee
für recht unglücklich, entweder das Schiedsgericht ist ein ver¬
kappter Elirenrnth, dann ist es nur eine Formsache, oder man
entkleidet die Standesvereine ihrer ohreurüthliehen Gewalt, dann
erleidet ihr Einfluss auf die Förderung der Kollegialität einen
argen Stoss, und damit gehe der wichtigste Theii ihrer Aufgabe
iu die Brüche. Trotz Aerztekammer und Ehreng«»rieht brauchen
wir die Vereine, nicht nur. well sic einen fruchtbaren Boden für
die Erörterung von Standesangolegonheiten bilden, sondern auch,
weil sie die Kollegialität fördern, die Aerzte persönlich einander
palie bringen, durch Unterstützung Schwacher, durch Erziehung
Unerfahrener, durch Versöhnung in Streit Gerathener prophylak¬
tisch wirken und damit mindestens soviel Gutes stiften, wie die
Ehrengerichte mit Ihrer Strnfgewalt. Im Uchrigen wird die Ver-
iirtheilung von Mitgliedern eines Standesvereins durch das staat¬
liche Ehrengericht nur iu Ausunlmicfällcn bekannt werden, da die
Veröffentlichung der Entscheidung nur iu besonders geeigneten
l allen erfolgen darf. Dann werden dl«* Vereins«.*hrenrüthe gegen¬
über dem staatlichen Ehrengericht mit Vorliebe in Anspruch ge¬
nommen, wo cs sich um geringfügig«* I >ift'«*r«*nzen kollegialer Art
und mit lokaler Färbung bandelt. Dazu kommt, dass «He staut-
lichen Ehrengerichte von einer nicht unh«*trächtiicheu Minderheit
nnt«*r «len Aerzten nach wie vor grundsätzlich perliorreseirt wor¬
den; cs entspricht «ler Billigkeit, diesen Aerzten durch <li«* Vereins-
ehivimi(ho «he Möglichkeit d«*r Anrufung eines kollegialen Forums
zu verschaffen. Schliesslich wer«len Differenzen mit Kollegen,
welche <l«*r staatlichen Khrengerh-litsbarkeit nicht unterstehen, am
besten «lur«*h die Vereins«*hreiiräthe aus <l«*r Welt g«*seliafft; nur
seiten dürfte Geneigtheit bestehen, «len Weg der Dlsciplinar-
g«*richtsharkeit zu betr«*t«*n. Wie aus all«*«lcm hervorgeht, stellen
«lic Vereinsehrenräthe eine im Interesse des Standes geschaffene,
nützlich«*, segensreich wirkende Einrichtung dar. deren Beseitigung
die geselligen Beziehungen vielfach trüben und tlie Empfindungen
kollegial gesinnter Mitglied«*!* unseres Standes verletzen wür«h*.
Die zweite Frage des Ministers bezieht sich darauf, ob «lic
..ehrengerichtlichen Sonderbestiimmmgon" oder, wie Referent prä¬
ziser sagen will, die Ehrenräthe der Vereine si«*h nicht bezüglich
der Medicinalhcamtcn erübrigen. w«*l« h«> «len Ehrengerichten «ler
Kammern ni«-ht unterstehen; cs wird darauf liingcwiesen, dass aus
dem Fortix*stan«lc «ler jetzigen Verhältnisse l'nzutriiglichkeiten
entstehen können, deren Vermeidung angezeigt erscheint. Ab¬
gesehen davon, dass es nahe liegt, ahzuwarten, oh sieli ln Wirklich¬
keit Unzuträgliehkeiton ergeben, ist nicht fortzuleugnen, dass Ur-
theih* verschiedener Behörden über eine und dieselbe Handlung
zu Unzutriiglichkeiten und Kollisionen führen können. Aber
«lic gefürchteten Unzutrüglh-hkoiten schrumpfen in «ler Wirklich¬
keit auf ein Minimum zusammen. Die behördliche Allgewalt ist
so gross, «lass das Votum eines staatlichen Gerichtshofs nicht Hin¬
auf «len Betroffenen, sondern auch in «ler Oeffentlichkelt stets prä-
pondorirend wirken wird. Die Autorität des Staates wird durch
Urtheil«* «ler Vereinselmmräthe in keiner Weise getroffen, und von
einer ernstlichen Kollision zwischen Urtheilen des Discipliuarhofs
und der Vereinsehrenräthe kann in Wirklichkeit kaum die Rede
sein. Andererseits sprechen gewichtige Gründe dafür, «lass auch
die Medicinalbeamt« n dem Votum «ler Vereinsehrenräthe unter¬
stellt bleiben. In erster Linie würde «las Gefüge «ler ärztlichen
Vereine Schaden leiden, wenn den Medicinalbeamteu eine Aus¬
nahmestellung zugestnnden würde. Denn die nicht beamteten
Aerzte würden von einem Gefühl der Erniedrigung beschlichen
werden; sie würden fürchten müssen, als Aerzte niederer Ordnung
zu gelten und dem Vereint* bei passender Gelegenheit den Rücken
kehren. Aber auch die Medicinalbeamteu selbst würden Schaden
leiden. So lange sie mich Privatpraxis treiben, werden Differenzen
mit Kollegen und Konflikte mit dem Publikum nicht ausbleihen.
Unterständen sie den Vereinseh reurät heu nicht, dann wären sie
genötbigt, diese Konflikte entweder vor «lern Diselplinarliof oder
vor den ordentlichen Gerichten auszutragen, wenn sie es nicht Vor¬
zügen, zu schweigen. Alle «liese Eventualitäten lägen nicht im
Interesse der Beamten. Der beamtete Arzt könnte den Privatarzt
noch bei dem staatlichen Ehrengericht anzeigeu. Aber die Be¬
rechtigung, Zeuguiss abzulegen, hängt von der Genehmigung der
Vorgesetzten Behörde ab. und sie wird iu allen Fällen versagt
wer«len. in denen dienstliche Interessen im Spiele siud, d. h. in
«lenen der Diseipiiuarhof noch nicht geurtheilt hat. Dann liegt
es auch im Interesse der praktischen Aerzte, die Medicinalbeamteu
vor ein kollegiales Forum fordern zu können. Das Disciplinar-
gerieht ist sicherlich kein geeignetes Forum zur Aburtheiluug be¬
ruflicher oder k«)llegialer Verfehlungen. Uu«l «ler Antrag auf
ehrengerichtliche Untersuchung gegen «lic eigene Person, welcher
dem nicht beamteten Arzte noch bleibt, führt zu keinem Resultat,
wenn dem Modicinalbcanueu das Recht. Zeuguiss abzulegen, ver¬
weigert wird. Einen probnhl«*u Ausweg aus diesem Dilemma
bietet der Vereinsehrenrath; er bildet auch für die praktischen
Aerzte ein Ventil, um Spannungen mit den Metlieinalbenmten zu
belieben und das normale Niveau wieder lierzustelleu. Die Unter¬
stellung der Medicinalbeamteu unter die Vereinsehrenräthe liegt
also im Interesse der Verein«*, der praktischen Aerzte und der
Mediciualbeamttm selbst.
Wenn sielt nun die Vereine weigern, ihre Satzungen zu
Gunsten «ler Medicinalbeninten zu ändern, so könnte die Folge
sein, dass der Minister den M<>diciunlbcamteu «len Austritt be¬
fiehlt resp. den Eintritt iu die Vereine untersagt. Der Eintritt
einer solchen Eventualität wäre in hohem Grade beklagenswerth.
Von «len praktischen Aerzten würde das Fernbleiben der Medicinai-
Iteamten von «len Vereinen schmt*rzlleh empfiiudeu werden. Aber
an der gemeinsamen Arbeit der privatim und beamteten Aerzte
ln den Vereinen müssten auch der Staat und die Medicinnlh(*amt(*ii
das lebhafteste Interesse luihtm. Uebrigens übersehen «lie Medi-
cinalheauiten seihst in ihrer Mehrheit di«* Verhältnisse ganz rich¬
tig und wären, wie aus «>inz«>lncn Zuschriften und mündllclum
Aeusserungen hervorgoht. gern bereit. si«-h den Ehrenrätheu der
Vereine zu unterstellen.
Schliesslich ist noch die Frage «lcs Ministers zu beantworten,
ob — eventuell auf welchem \V«*g<* — i*s angezeigt. «*rscli«*int. bei
den Vereinen auf eine Amulerung ihrer Satzungen hinzuwirken.
Referent empfiehlt von der Beantwortung di«*ser Frage abzusehen,
da rechtlich we«lor für «lic Ktnntsregierung u«>«-h für die Aeratc-
e
2080 MUENCITENER MEDICIxNISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 50.
kamrocrn dir Möglichkeit vorliegt, auf die Aenderung der Vereins-
Hatzungen hinzmvirken. Den ärztlichen, wie überhaupt allen
Vereinen stellt es in unserem Vaterlande frei, ihre Verfassung
selbst zu regeln, und sie unterliegen allein deu Bestimmungen des
bürgerlichen Gesetzbuchs, Insofern sie nicht nach preussischem
Vereinsrecht öffentliche Angelegenheiten behandeln oder die ge¬
setzliche Freiheit und Ordnung durch Missbrauch des Versamm-
luugs- und Vereinigungsreehts gefährden.
In Uebereinstimmung mit der überwiegenden Mehrzahl der
Vereine des Kammerbezirks kommt Referent zu dem Resultat,
um einstimmige Annahme folgenden Antrags zu bitten:
Die Aerztekaminer für die Provinz Brandenburg und den
Stadtkreis Berlin ersucht deu Ausschuss der preusslscheu Aerzte-
kanunern, den Erlass des Herrn Ministers der geistlichen, Unter¬
richts- und Medicinalangelcgcuheiten vom 23. Mai 1901 duhin zu
beantworten, dass
1. Auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes betr. die ärzt¬
lichen Ehrengerichte vom 25. November 1S99 die ehrenräthlicheu
Bestimmungen ärztlicher Vereine sich nicht erübrigen.
2. eine Ausnahmestellung der Medicinalbeamten hinsichtlich
dieser Bestimmungen sich nicht empfiehlt,
3. die Zugehörigkeit, der Medicinalbeamten zu den ärztlichen
Standesvereinen den allseitigen Interessen entspricht.
Herr K ä li 1 e r betont, wenn der Ministerialerlass auch nur
Anfragen enthalte, so könne man doch zwischen den Zeilen lesen,
dass eventuell eine Aenderung in Bezug auf die Medicinal¬
beamten beabsichtigt sei, und das seien nicht nur die Kreisärzte,
sondern auch die Privatdocentou und Professoren. Da es sich aber
dringend empfehle, die Gemeinsamkeit der praktischen Aerzte und
der Medicinalbeamten in den Vereinen beizubehalten — in kleinen
Städten sei der Mediciualbeamte die Seele des Vereins —, so
komme es darauf an, eine geeignete Form zu finden, welche das
ermögliche, und eine solche sei in dem Schiedsgerichte gegeben,
welches sich von dem Ehreurath dadurch unterscheide, dass es
keine Strafgewalt habe. Die Schiedsgerichte seien auch zur Ent¬
lastung der staatlichen Ehrengerichte sehr geeignet. Der Char¬
lottenburger Aerztevereln gehe damit um. den Ehreurath ln ein
Schiedsgericht umzuwandeln; der mit der Angelegenheit betraute
Ausschuss habe auch schon eiuen Statutenentwurf ausgearbeitet.
Herr Kühler beantragt:
1. Die Aerztekaminer für die Provinz Brandenburg und den
Stadtkreis Berlin hält die Beibehaltung einer Instanz innerhalb der
ärztlichen Vereine zur Schlichtung von Streitigkeiten und Prüfung
von Klagen, welche gegen Mitglieder über unkollegiales oder der
Würde des ärztlichen Standes widerstrebendes Benehmen erhoben
werden, für notlnvendig.
2. Die Aerztekaminer erklärt für die geeignetste Form einer
derartigen Instanz ein Schiedsgericht ohne Straf¬
gewalt und empfiehlt den ärztlichen Vereinen des Kammer¬
bezirks dessen Einführung ungefähr in folgender Weise: (K. ver¬
liest, gleichsam als Erläuterung, die Statuten des für den Car¬
lottenburger Aerztevereln geplanten Schiedsgerichts, auf dessen
Antrag u. A. der Ausschluss eines Vereinsmitgliedes erfolgen
kann.)
Herr S. M arcuse empfiehlt, deu Antrag Alexander an-
zunelimen. Den Antrag Kühler verwirft er, und zwar aus
2 Gründen, einem formalen und einem materiellen. Der erstere
sei, dass eine Anfrage eine Antwort — aber nicht mehr — ver¬
lange. Auf die an die Kammer gerichtete Anfrage gebührt eine
ruhige klare, deutliche Antwort, die von Herrn Alex a uder er-
theilt sei. Alles Weitere sei von Uebel; speeiell hätte die Aerzte-
kauimer weder die Aufgabe, noch eine Veranlassung, Vermittlungs¬
vorschläge zu machen, nicht an die Adresse des Ministers, nicht
an die der ärztlichen Vereine. Der andere Grund betreffe die Irr-
thümliehkeit des von Herrn Kühler aufgestellten Unterschiedes
zwischen Ehrenrath uud Schiedsgericht; auch das Schiedsgericht
übe eine Strnfgewalt aus, ja, es verfüge über die bedeutendste
Strafgewalt, welche ein Ehrengericht überhaupt habe, nämlich
über den Ausschluss aus dem Verein.
Herr Mugdan glaubt nicht, dass ilie Vereinsehrengerichte
noch nothwendig seien. Durch solche Institutionen könnte die
Einheit der Rechtsprechung hinfällig werden. Ihre einzige Auf¬
gabe könnte nur noch die Vermittlung sein, und insofern sei der
Antrag Kühler der Ausdruck eines glücklichen Gedankens.
Nur wenn die Vermittlung nicht möglich sei, müsste das staatliche
Ehrengericht einschreiten. Erst habe man nach staatlichen Ehren¬
gerichten gerufen, und nun man sie habe, wolle mau die Vereins¬
ehrengerichte doch noch beibehnlten. Auch andere Stände, wie
die Anwälte, hätten in ihren Vereinen auch nicht Ehrengerichte.
.Jedenfalls bestehe die Gefahr, dass die Medicinalbeamten ver¬
hindert würden, den Vereinen weiter anzugehüreu.
Herr Mendel wundert sich, dass die so einfache Frage eine
solche Debatte veranlasst. Was sei denn geschehen, dass eine
Einrichtung, die schon Jahrzehnte hindurch bestehe, nun mit
einem Male geändert werden solle! Man warte doch ab, bis sich
wirkliche Unzuträglichkeiten eingestellt haben. Es scheint in
d*-r That. als ob die Anfrage lediglich aus formalen Gründen er¬
folgt sei. Man habe sich gewöhnt, verschiedene Standesehren zu
unterscheiden und innerhalb der Standesehre wiederum einen
Unterschied zu konstrniren. je nachdem der Standesgenosse be¬
amtet ist oder nh-lit. Man erinnere sich nur der Vorgänge, die sich
bei den Berathungen über die verschiedenen Vorlagen des Ehren-
geriehtsgesetz.es in Bezug auf die Unterstellung der beamteten
Aerzte abgespielt! Die Furcht, die Medicinalbeamten würden
verhindert werden, den Vereinen weiter anzugehören, sei unbe¬
gründet. Wenn der Mediciualbeamte doch weiter einem Vereine
angehöre, der nicht staatsgcl'ährliche Tendenzen habe, so glaube er
nicht, dass der Minister das Diclpllnarverfahren gegen Ihn ein¬
leiten werde.
Herr Alexander bemerkt Im Schlusswort, dass er den
Unterschied zwischen Ehrenrath uud Schiedsgericht in seinem
Referat bereits gestreift habe. Wie mau die Institution auch
nenne, es gebe nur 2 Möglichkeiten: Entweder Ist das Schieds¬
gericht ein verkappter Ehrenrath, und dann hat es eine Straf-
gewalt, oder aber der Verein begibt sich des Rechts jeder Dls-
cipliuargewalt über seine Mitglieder. Herrn K ii h 1 e r’s Schieds¬
gericht ist ein verkappter Ehrenrath. Was den Vergleich des
Herrn Mugdan mit anderen Ständen, speeiell den Rechts¬
anwälten betrifft, so haben andere Stände überhaupt nicht Vereins¬
ehreugerichte auf historischer Basis.
Die Kammer entscheidet sich mit grosser Mehrheit für den
Antrag Alexander.
Einen Vertrag, welcher zwischen der Berliner ärzt¬
lichen Unterstützungskasse uud der Aerzte-
k a ui in e r Berlin-Brand e n bürg abgeschlossen werden
soll, legt Herr Davidsohn vor. Der Vertrag umfasst folgende
Paragraphen:
§ 1. Die Berliner ärztliche Untersttttzungskasse verpflichtet
sich, ihr Kapital-Vermögen, sowie das Kapital-Vermögen der mit
Ihr verbundenen Stiftungen, nämlich der Wilhelm Augusta-Stlftung
lind der Ivrlsteller-Stiftung, der Aerztekaminer für die Provinz
Brandenburg und den Stadtkreis Berlin zwecks Verwaltung durch
benannte Kammer zu übertragen. Die Aerztekammer für die
Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin verpflichtet sich
dagegen, das Kapital-Vermögen der Berliner ärztlichen Unter¬
stützungskasse, sowie das Kapital-Vermögen der mit Ihr verbun¬
denen Stiftungen zwecks Verwaltung zu übernehmen.
§ 2. Die Berliner ärztliche Unterstützungskasse verpflichtet
sich weiter, ihre Einkünfte aus fortlaufenden Beiträgen ihrer Mit¬
glieder, aus Geschenken, Legaten und Stiftungen, sowie die Ein¬
künfte der mit Ihr verbundenen Stiftungen, aus Beiträgen, Ge¬
schenken, Legaten und Stiftungen, der Aerztekammer für die Pro¬
vinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin alljährlich zur Ver¬
fügung zu stellen.
§ 3. Im Falle der Auflösung der Berliner ärztlichen Uuter-
stützungskasse geht deren Vermögen, sowie das Vermögen der mit
ihr verbundenen Stiftungen in das Eigenthum der Aerztekammer
für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin über;
jedoch ist die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den
Stadtkreis Berlin verpflichtet, il 1 e s e Vermögen unter Auf¬
recht Haltung der Integrität derselben und unter
Beibehaltung des Namens der Berliner ärzt¬
lichen Unterstützungskasse und des Namens
der mit dieser verbundenen Stiftungen ge¬
trennt von Ihrem eigenen Vermögen zu ver-
w alte n.
§ 4. Die Verwaltung des Kapital-Vermögens der Berliner
ärztlichen Unterstützungskasse uud des Kapital-Vermögens der mit
ihr verbundenen Stiftungen erfolgt sowohl für die Zeit des Be¬
stehens, als auch für die Zelt nach der Auflösung der Berliner
ärztlichen Unterstützungskasse nach den für die Verwaltung des
eisernen Fonds der Aerztekammer für die Provinz Branden¬
burg und den Stadtkreis Berlin aufgestellten Verwaltungsgrund-
sätzen. Die benannten Kapital-Vermögen dürfen Jedoch zu Ver¬
sicherungszwecken nicht verwendet werden.
Die der Aerztekammer für die Provinz Brandenburg uud deu
Stadtkreis Berlin seitens der Berliner ärztlichen Unterstützungs-
knsse alljährlich zu überweisenden Einkünfte aus Geschenken.
Legaten und Stiftungen erhöhen das Kapital-Vermögen der Ber¬
liner ärztlichen Unterstützungskasse und bezw. das Kapital-Ver¬
mögen der mit ihr verbundenen Stiftungen, während die der Aerxte-
kaimner für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin
seitens der Berliner ürztlicheu Unterstützungskasse alljährlich zu
ttlierweisenden Einkünfte aus Beiträgen die ausserordentlichen
Einnahmen der Aerztekammer für die Provinz Brandenburg uud
den Stadtkreis Berlin erhöhen.
§ 5. Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und deu
Stadtkreis Berlin verpflichtet sieh, sämmtllche von der Berliner
ärztlichen Unterstützungskasse derzeit unterstützten Personen bei
nach Ansicht des Prüfungs-Ausschusses fortdauerndem Bedürfnis*
auch fernerhin in mindestens dem gleichen Umfang • zu unter¬
stützen, in dem dieseltwn bisher Unterstützungen von er Berliner
ärztlichen Unterstützungskasse empfangen haben.
§ (>. Die Aerztekaminer für die Provinz Brandenburg und den
Stadtkreis Berlin verpflichtet sich, während der Dauer des Be¬
stehens der Berliner ärztlichen Unterstützungskasse zu Beschluss¬
fassungen über Verwendung von Unterstützungsgeldern der Aerzte¬
kammer für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin
im Curatorium und im Prüfungs Ausschüsse für die Stadt Berlin
mindestens je 2 Mitglieder des Cumtorii <^er Berliner ärztlichen
Unterstützungskasse zuzuziehen.
§ 7. Sollte eine Theilung der Aerztekammer für die Provinz
Brandenburg und deu Stadtkreis Berlin eintreten, so sind das
Kapital-Vermögen der Berliner ärztlichen Unterstützungskasse und
die Kapital-Vermögen der mit dieser verbundenen Stiftungen der¬
jenigen Kammer zuzuführen, welcher der Bezirk der Stadt Berlin
zugewiesen wird.
§ 8. Die Wirksamkeit dieses Vertrages Ist durah die dem¬
selben zu erthellemle Genehmigung der Aerztekammer für die
Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin und der General-
Versammlung der Berliner ärztlichen Unterstützungskasse. sowie
endlich dadurch bedingt, dass die von der Berliner ürztlicheu Unter-
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10. Dezember 1901.
MDENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2031
stützungskasse geplante, durch den Abschluss dieses Vertrages er¬
forderliche Aenderung ihres Statuts die landesherrliche Geneh¬
migung erhält.
Herr Davidsohu erbittet und erhält die Genehmigung der
Kammer zum Abschluss des Vertrages, dem sich die Kassen in
den Regierungsbezirken Potsdam und Frankfurt a. O. auschliessen
werden.
Im Anschluss erfolgt die Wahl des Kuratoriums für
die Unterstützungskasse der Aerztekammer (cfr.
§ 8a, letzter Absatz und b der Satzungen der für den Aerzte-
kammerbezirk errichteten Unterstützungskasse, abgedruckt ln
dieser Wochenschrift 1901, No. 27, S. 1117).
Es folgt zur Berathung der Antrag des Kammervorstandes:
„Die Aerztekammer möge dem Herrn Kultusminister die
Bitte aussprechen, „im Bundesrath dahiu zu wirken,
«lass die Bestimmungen der Prüfungsordnung
vom 28. Mai 1901 (§ 6 und § 24) in Zukunft iu allen
Fällen aufrecht erhalten werde n“, und von diesem
Beschlüsse den medicinischen Fakultäten des Deutschen Reictms
Kenntnlss geben."
Es handelt sich hierbei, wie der Vorsitzende bemerkt, um die
bereits iu der Sitzung am 25. Juni 1901 von der Aerztekammer be-
rathene Zulassung von Personen mit ausländischen Reifezeugnissen
zu den medicinischen Studien und Prüfungen. Die Aerztekammer
fasste damals auf Grund eines eingehenden Referates des Herrn
Kossmann zwei Beschlüsse, welche im Bericht dieser Wochen¬
schrift 1901, No. 28, S. 11G0 wiedergegeben sind. Der Kammer
war damals der Beschluss des Bundesrathes vom 28. Juni 1900
nicht bekannt, der den Reichskanzler ermächtigte, ln Ueberein-
stlmmung mit der zuständigen LnndescentraJbehörde bei reichs-
angehörigen weiblichen Personen, die vor dem Soramersemester
1899 sich dem medicinischen Studium au einer Universität ausser¬
halb des Deutschen Reiches gewidmet haben, behufs Zulassung
zu den medicinischen Prüfungen die Vorlegung des Zeugnisses
der Reife von einem humanistischen Gymnasium mit Rücksicht
auf ein ausländisches Reifezeugniss zu erlassen und das medi-
cinlsche Universitätsstudium, welches sie nach einer im Auslande
bestandenen Prüfung vor dem Wintersemester 1900/1901 zurück¬
gelegt haben, auf die in § 4 Zlff. 3 der Bekanntmachung über die
ärztliche Prüfung vom 2. Juni 1883 erforderten vier Halbjahre
medicinischen Universitätsstudiums anzurechnen. Da die Kcnnt-
niss dieses Beschlusses auf die Entscheidung der Kammer nicht
ohne Einfluss gewesen wäre, hat der Vorstand der Kammer be¬
schlossen, die Ausführung des einen Beschlusses, betr. die Petition
an den Reichstag um Feststellung der Ungesetzlichkeit einiger
Approbationen und um event. Veranlassung der Zurücknahme
dieser Approbationen, auszusetzen und das Thema ln der nächsten
Plenarsitzung zu erneuter Berathung zu stellen.
Herr v. Bergmann erklärt sich gegen den Antrag des Vor¬
standes, es wäre eine unberechtigte Härte, keine Ausnahmen zu¬
zulassen, z. B. für deutsche Reiehsangohörige, die ln Russland das
Gymnasium besucht haben, deren Eltern nicht die Mittel hatten,
ihre Kinder eine Schule in Deutschland besuchen zu lassen.
Herr Kossmann bemerkt, der Vorredner habe den An¬
trag nicht verstanden. Es handle sich um eine Reihe von Fällen,
im Ganzen 22, in denen eine ungenügende Vorbildung als aus¬
reichend angesehen worden. Auch gegenüber den Uebertreibuugen
in der Presse halte er seine Behauptungen aufrecht. Nur zwei
Punkte bedürften noch der Erwähnung, in beiden Fällen sei die
Sache noch ärger, als man annahm. Erstens habe die Schweiz den
Beschluss vom 14. Dezember 1899, durch welchen die Anforde¬
rungen für die Maturität erhöht worden waren, rückgängig ge¬
macht, als sich zeigte, dass auch auf Grund der früheren mlnder-
werthigen Maturität Aprobationen ln Deutschland ertheilt wurden.
Und zweitens stellte sich die Vermutliung, dass die Vergünsti¬
gungen nicht lediglich weiblichen Personen gewährt würden, als
falsch heraus, wie jener Bundesrathsbeschluss zeigt. Danach ist
ein weiblicher Arzt etwas anderes, als ein männlicher, nämlich
zweifellos ein minderwerthiger Arzt.
Herr v. Bergmann gibt sein Missverständnis zu, be¬
mängelt aber die unklare Fassung des Antrages des Kannnervor-
standes.
Herr M u g d a n bittet, den Antrag abzulehmm; es handle sich
um eine alte, jetzt erledigte Sache, die nach den neuen Prüfungs-
bestimmungen nicht mehr Vorkommen werde.
Herr Alexander bemerkt, der Bundesrath habe zweifellos
das Recht, solche Ausnahmen zu gestatten; der Antrag bezwecke,
den Bundesrath zu veranlassen, von diesem Recht keinen Gebrauch
mehr zu machen.
Der Antrag des Vorstandes wird mit 19 gegen 15 Stimmen
abgelehnt.
Herr Kossmann stellt unter Heiterkeit fest, dass dann der
frühere Beschluss in Kraft bleibt.
Der Vorsitzende bemerkt dazu, dass die Angelegenheit nun
auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt werden müsse.
Die anderen Gegenstände der Tagesordnung:
Antrag der rheinischen Kammer, betreffend die Beschaffung
eines Agitationsfonds, und
Ueber die Zulässigkeit des Prakticlrens im Umherziehen
(Abhalten bestimmter Sprechstunden in verschiedenen Land¬
orten)
werden vertagt. P. H.
Berliner medicinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 4. Dezember 1901.
Demonstrationen vor der Tagesordnung:
Herr Qrawitz: Mann mit Huntingto n’scher Chorea.
Herr Salomonsohn: Frau mit einseitiger Ptosis amyo-
trophica.
Tagesordnung:
Herr K r ö n i g und Herr Gramer: Heber Bettbäder.
Herr Krönig demonstrlrt eine Vorrichtung, um Patienten,
besonders bei Typhus Im Bette mit einer Giesskanne kalt zu ttber-
giessen. Einem unter den Patienten gelegten Stück Gummistoff
wird durch geeignetes Falten die Gestalt einer flachen Wanne
verliehen.
Herr Cramer demonstrlrt eine Gummiwanne, die zu Bett¬
bädern verwendet wird.
Herr Jürgens: Ueber Syphilis, insbesondere Syphilis
congenita.
An der Hand eines Materials von 17 eigenen Beobachtungen
schildert Vortragender besonders eingehend das Bild der Enteritis
syphilitica congenita. In-sämmtlichen Fällen fand Vortragender
einen Pilz, der ihm mit der Syphilis in Beziehung zu stehen
scheint. Das langgestreckte Mycel dieses Pilzes, das immer zar¬
ter wird, zerfällt zuletzt in Stäbchen und diese wieder in feinste
Ooecen. Die bei fliessendein Wasser untersuchten Kulturen zeig¬
ten rasches Wachsthum und waren schon nach 24 Stunden in
feinste Coccen zerfallen. Was die Darmaffektion selbst anlangt,
so kommen bei derselben alle Stadien der Syphilis vor: ober¬
flächliche Ulcerationen auf der Darmschleimhaut, besonders auf
früher meist schon uleerös entarteten Follikeln, gummöse In¬
filtrationen bis auf die Serosa, daselbst lokale Peritonitis er¬
zeugend, sowie miliare Gummata bildend. Der M e i s s ne r’sche
und der Auerbac h’sche Plexus sind durch Fettmetaraorphoec
verändert, wodurch schwere haemorrhagische Erkrankungen des
Darms hervorgerufen werden. Mikroskopisch findet man Sklerose
der Gofässe, Fettmetamorphose dos Darmparenchyms und den
oben erwähnten Pilz, der sich gewöhnlich an den Stellen mit ge¬
ringsten histologischen Veränderungen findet.
Bei Osteochondritis syphilitica congenita findet man wenig
von diesem Pilze an der Epiphysenlinie, jedoch zahlreiche durch
endogene Sporenbildung entstandene Dauersporen.
Herr H. Strauss: Die blutreinigende Funktion der
Nieren.
Vortragender suchte der noch durchaus unaufgeklärten
Frage von der blutreinigenden Funktion der Nieren beizukommen
dureh Untersuchung von mehr als 200 Blutseren und Trans¬
sudaten mittels der verschiedensten Methoden. Er kommt zu d«?m
Schlüsse, dass zur Klärung dieses überaus schwierigen Problems
sein Material ein viel zu kleines sei und fordert zur regen Mit¬
arbeit auf diesem interessanten und noch viel zu wenig be¬
arbeiteten Gebiete auf. Max Secklmann.
Verein für innere Medicin zif Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 2. Dezember 1901.
Herr Schütze berichtet ln aller Kürze vor der Tages¬
ordnung Uber Versuche zur Gewinnung von Antipräclpitinen, wo¬
rüber er demnächst ausführlich berichten will.
Herr Blumreich: Experimentelle und kritische Bei¬
träge zur Eklampsiefrage.
Die Eklampsie der Schwangeren, deren charakteristisches
Symptom die Krämpfe sind, kann, wie Vortragender meint, durch
drei Möglichkeiten hervorgerufen werden, durch abnorme Reize
oder durch eine abnorme Erregbarkeit oder durch diese beiden
Faktoren zusammen.
Untersuchungen über in Betracht kommende Reize li«igen
zahlreich vor, ohne ein befriedigendes Resultat gegeben zu haben.
Vortragender wandte sich dem Studium der abnormen Er¬
reg b a r k e i t zu. Er stellt die Frage, sind Schwangero einem
krampferzeugenden Mittel gegenüber leichter erregbar, als Niclit-
sehwangero? Zur Beantwortung dieser Frage wurde sowohl
trächtigen, als nichtträchtigen Kaninchen die Grosshimrindo
freigelegt und auf die motorische Region Kreatinin gebracht.
Es ergab sich, dass die schwangeren Thiere wissentlich leichter
dadurch zu allg«aneincn Krämpfen gebracht wurden, als die nicht-
schwangeren. Wurde das krampferzeugende Kreatinin nicht
direkt auf die motorische Region gebracht, sondern in die Carotis
eingeführt, so ergab sich das gleiche Resultat. Das schwan-
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2032
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 50.
gere Kaninchen ist also jedenfalls in einem
Zustand höherer Erregbarkeit gegen ein
Krampfgift. Das Kreatinin ist natürlich nur ein Induktor,
und es soll nicht gesagt sein, dass dieses Gift gerade bei der
schwangeren Frau in Wirksamkeit träte. Welcher Art die Reiz¬
wirkung bei der eklamptisehen Frau ist, sei unentschieden.
Früher dachte man an eine reine TTraemie; dagegen spräche aber
der von Schmorl erhobene pathologisch-anatomische Befund
von Nekrosen in der Leber und Thrombosen in
verschiedenen Organen. Die Autointoxikations¬
theorie, also die Ansicht von der Selbstvergiftung mit Pro¬
dukten des intermediären Stoffwechsels, stehe auf ebenso
schwachen Füssen, wie die ganze Autointoxikationshypothese
Bouchard’s für welche vorläufig jedenfalls jede Unterlage
fehle.
Die Ansicht von der VergiftungdurchdenFoetus
sei ebenfalls hinfällig, da die von diesem producirten Gifte (an
Harnstoff dachte man vorwiegend) ja unbedeutend seien. Die An¬
sicht vom Druck auf die U röteren durch den schwan¬
geren Uterus sei durch das Experiment widerlegt, wonach nach
beiderseitiger Nierenexstirpation bei schwangeren und nicht-
schwangeren Thieren ziemlich gleichzeitig Krämpfe eintreten,
welche also wohl rein uraemischer Natur seien.
Man wisse also zunächst nur, dass das Gehirn der Schwan¬
geren im Zustande höherer Erregbarkeit sei und in ihm durch
Reize unbekannter Art Krämpfe ausgelöst werden können.
Dlscusslon: Herr Gottschalk hillt die Eklampsie für
Etwas von der Uraemie Verschiedenes und zwar nur fiir einen
Symptoinenkomplex, welcher durch verschiedene Gifte erzeugt
werden könne und daher auch verschieden zu bewerthen sei.
Die Drucktheorie sei doch nicht so ohne Weiteres abzulehnen;
denn es sei etwas anderes, wenn die Ureteren durch ein Ms’om
koinprimirt werden, oder wenn der kreissende Uterus mit seiner
ausserordentlichen Kraft den Foetuskopf dagegen presse. Er sah
zwar auch einen Fall von vollkommener Anurie durch Kompression
der Ureteren durch ein Myom, wobei die Sektion das vollkommene
Bild der Eklampsie ergab. Obwohl er den Fall nur als Uraemie
betrachten möchte, könne er doch auch für die Drucktheorie ver-
werthet werden.
Daneben gäbe es auch toxische Fälle.
Man müsse sich aber vor Verwechslungen mit epileptischen
Anfällen hüten, die zufällig zum ersten Male in der Schwanger¬
schaft auftreten. Auch Aufregung und Angst der Frauen ver¬
mögen Krampfanfälle hervorzurufen.
Herr Blum reich: Die letzterwähnten Fälle Gottsclialk's
halte er für hysterische Krämpfe.
Wenn die Eklampsie nur ein Symptomenkomplex sein solle,
wie Gottschalk will, wie wäre dann das einheitliche ana¬
tomische Bild Schmorl's zu erklären?
Eine Brücke Hesse sich vielleicht zwischen beiden Ansichten
schlagen mit der Annahme, dass die Eklampsie zwar ein einheit¬
liches Krankheitsbild sei, das aber durch die verschiedensten
sensiblen Reize ausgelöst werden kann.
Herr P. Meissner: Die erste ärztliche Studienreise in
die deutschen Nordseebäder. Mit Demonstrationen.
Bericht über die den Lesern dieses Blattes schon bekannte
Reise. Hans K o h n.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
Wien, 7. Dezember 1901.
Partieller Aerztestreik. — Standeswidrige Titel. —
Fliegenlarvenerkrankung des Darmes. — Modellirende Pro¬
thesen.
Bei der Besprechung der zeitgemässen Aenderung unseres
Sanitätsgesetzes, resp. der Verbesserung der materiellen Lage
unserer Distrikts- und Gemeindeärzte als der praktischen Aerzte
überhaupt, machte der Delegirte Dr. List dem jüngst ab-
gohaltenen österreichischen Aerztevereinstage einen Vorschlag,
der uns erwähnenswerth erscheint. Mit einer noch so schönen
Resolution, sagte er, ist nichts gethan, sie wird wieder ad acta
gelegt. Er beantragt daher die theilweise Einstellung
«ler ärztlichen Thätigkeit und begründet dies an
einem kleinen Beispiele. Der niederösterreichische Landtag hat
im Jahre 1899 beschlossen, die Untersuchung der Schüblinge den
Aerzten mit 36 Hellem (18 Kreuzern) zu honoriren. Da muss der
Arzt einen separaten Besuch machen, in’s Schublokal gehen, er
muss sich daselbst bei der Untersuchung, da es sich oft um
Simulanten handelt, länger aufhalten, er muss ein Gutachten ab¬
geben und bekommt dafür 36 Heller. Als Gegensatz dazu dient,
dass der Friseur, der vielleicht seinen Lehrling liinschickt.
um einem sclimutzigen Zigeuner die Haare abzunehmen, 40 Heller
bekommt! Ein Arzt hat sich in einem Falle darüber beschwert,
doch sind seither 6 Monate verflossen, ohne dass eine Erledigung
erfolgte.
Ist es nicht das einfachste — sagte Dr. L. — in solchen Fällen
zu erklären, wir leisten solche Dienste nicht? Das
nenne ich einen partiellenStreik. Er wird strenge durch¬
geführt werden, wir haben die Garantie, dass es hier keinen
Streikbrecher geben wird. Man wird sehen, die Aerzte fangen
klein an, sie werden aber fortschreiten. Man wird der Sache nach¬
gehen und wir werden etwas erreichen. Ein Streik in einer
grossen Stadt wäre zu schwer, aber in der hier geschilderten Weise
kann er geführt werden. Es ist damit nicht gesagt, dass diese
theilweise Einstellung ärztlicher Thätigkeit morgen oder über¬
morgen geschehen soll, sondern es soll nur unsere principiolle
Stellung dazu ausgesprochen werden, der Aerztevereinstag soll
erklären: Wir stimmen den Aerzten zu; sie haben ihr Mittel der
Bitten und Petitionen erschöpft, es muss zu Thaten geschritten
werden. Wenn wir den alten Usus fortbestohen lassen, stehen
wir in 20 Jahren noch dort, wo wir heute sind. Ich habe die
Erfahrung — und ich stehe 25 Jahre im ärztlichen Leben —
dass die Fortschritte, die wir mit Bitten erreicht haben, minimale
sind. — Der österreichische Aerztevereinstag nahm sodann eine
in diesem Sinne gehaltene Resolution an.
Die Wiener Aerztekammer hat jüngst nachfolgenden Be¬
schluss gefasst: Die Führung der Titel: „Naturarzt“, „Arzt für
natürliche Heilmethode“, „Kneipparzt“, „Naturheilarzt“ oder
einer ähnlichen Bezeichnung nach einem wissenschaftlich nicht
begründeten Verfahren durch einen zur Praxis berechtigten Arzt
ist standeswidrig. Dieser Beschluss wird als Nachtrag
in die Standesordnung aufgenommen werden.
lieber den seltenen Fall einer letal verlaufenden Fliegen¬
larvenerkrankung (Myiasis intestinalis) berichteten in der Gesell¬
schaft für innere Medicin Docent Dr. Hermann Schlesinger
und Professor W eichseibau m. Der 22 jährige Mann war
seit ca. 1 Vs Jahren krank. Vorerst traten blutige Stühle auf,
sodann gingen stinkende Gewebsfetzen ab, wobei Fieber und
Tenesmus fehlten, dann wurden im Stuhle wieder Eiter, Schleim
und Blut nachgewiesen. Erst vor einem halben Jahre gingen
zum ersten Male in 3 Stühlen grosse Mengen von Fliegenmaden
ab, wornach der Stuhl eine Zeit lang normales Aussehen bot
Unter Fiebererscheinungen, hoher Abmagerung, Abgang von
Stühlen, welche stets Blut und Eiter, wiederholt auch derlei
Maden enthielten, unter zunehmender Darmstenose und lokaler
Kothanhäufung starb der Unglückliche an völliger Inanition.
Der Mann hatte einmal mit fester oder flüssiger Nahrung
lebende Fliegen oder Fliegenlarven oder Eier verschluckt, welche
den Magen passirten, in den Dickdarm gelangten und daselbst
einige Zeit verweilten. Die Larven von Zweiflüglern besitzen
Schlundhaken, mittels derer sie sich in die Schleimhaut ein¬
bohren, wobei sie durch ihre lebhaften Eigenbewegungen unter¬
stützt werden. Dadurch entstehen blutende Stellen, an welchen
sich Darmbakterien ansiedeln und in weiterer Folge bilden sich
kleinere nekrotische Partien, welche abgestossen werden; durch
den nekrotisirenden Process treten in der Submucosa auch Ge-
schwürchen auf, deren Höhlen sich allmählich vergrössem und
zu einem grösseren Raume zusammenfliessen. So fand man in
diesem Falle im Colon transversum und im Colon descendens je
eine tumorartig resistente Stelle, woselbst das Darmlumen von
Kothmnssen erfüllt war, nach deren Entfernung je ein grosses
Geschwür, bis 15 cm lang, stark unterminirt, von zumeist nekro¬
tischem Gewebe bedeckt; daneben waren zahllose kleine Ge-
sehwürchen im Dünndarm und im Kolon zerstreut, einzelne
Stellen mit polypösen Exerescenzen bedeckt. Wegen Zerstörung
der Muscularis an den grossen Geschwürsstellen konnten hier die
Faeces nicht fortgeführt werden, es kam zur Darmobstruktion
mit ihren Folgen. Zeitweise brach in Folge Andauer des Nekroti-
sirungsprocesses eine solche grosse Höhle durch und dann wurden
massenhaft Fliegenlarven entleert, welche hier gesessen haben.
Schlesinger und Weichselbaum legen sich auch
die wichtige Frage vor, wie es kam, dass diese Fliegenmaden
wiederholt, also in Schüben abgingen. Sie neigen Beide zur An¬
nahme hin, dass es sich hier vielleicht um Paedogenese, bei wel¬
cher die Larve selbst lebende Junge pröducirt, handle, welche Art
der Vermehrung bei diesen Dipteren bisher aber nicht beobachtet
wurde. Die veränderten Lebensbedingungen, unter welchen sich
.oogle
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lö. Dezember 1901.
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
£033
diese Maden befanden, konnten hiezu führen, zumal die Paedo-
genesi9 bei verwandten Arten vorkommt. Freilich kann in diesem
Falle wiederholte Infektion mit Fliegeneiern oder -Larven nicht
ausgeschlossen werden, oder es gingen bei jedem der 4 Schübe
nicht alle Larven ab, wogegen aber die gleiche Entwicklung der
jedesmal abgegangenen Larven spricht.
Wenn man einen Fall von multipler Darmstenose zur Be¬
handlung bekommt, wird man in Hinkunft auch an die Myiasis
intestinalis denken müssen, ebenso wird man daran denken
müssen, wenn man bei Sektionen ulcerativen Darmprocessen be¬
gegnet, welche sich nicht auf Tuberkulose, Syphilis oder Dys¬
enterie zurückführen lassen. Aus prophylaktischen Gründen wird
man den Genuss rohen Fleisches vermeiden. Die Abtreibungs¬
kuren mit unseren antiparasitären Heilmitteln wird man wieder¬
holt vornehmen, da es bei chronischer Myiasis starke Remissionen
gibt und vorübergehendes Aufhören der Anfangs vagen Sym¬
ptome nicht unbedingt für das Erloschensein der Krankheit
spricht.
In der Gesellschaft der Aerzte sprach Dr. Karl Henning,
Y’orstand der Universitätsanstalt für Moulage, über seine model-
lirenden Prothesen und stellte 3 Patientinnen vor, bei welchen er
durch Anwendung dieses Verfahrens einen kosmetischen Effekt
erzielte. Nach einem Gipsabdruck wird aus Celluloid ein Apparat
gemacht, welcher hermetisch aufsitzt, Mittels eines stark-
wandigen Ballons wird nun im Apparate ein negativer Luft¬
druck erzeugt, es findet sonach eine Aspiration statt und der zu
korrigirendo Gesichtstheil wird genöthigt, die Form der Pro¬
these anzunehmen.
Dr. Henning beschreibt das Verfahren, die zu beobachten¬
den Kautelen, die längere Andauer der Behandlung, seine ersten
bezüglichen Versuche und stellt sodann seine 3 Fälle vor: 1. Eine
Patientin mit einem bis auf den Knochen reichenden Hautdefekt
nach Gumma an der Stirne, wo eine Dehnung der Hautränder be¬
absichtigt wird, um nach Anlegung einer Naht eine lineare Nurbe
im Hautniveau zu erzielen. 2. Eine Patientin mit lange be¬
stehendem Lupus nasi, wo die Nase in Folge Narbenbildung
coulissenartig flachgezogen war und jetzt die zweite grössere Pro¬
these vollständig ausfüllt; den Nasenlöchern entsprechend ist
die Prothese durchlocht und an dieser Stelle mit kurzen Drain¬
röhren gedichtet. 3. Eine Patientin mit Verbrennung nach Blitz¬
schlag, in Folge dessen die rechte Ohrmuschel zu einem klein¬
fingerdicken Hautwulst zusammenschrumpfte, unter der ständi¬
gen, seit 8 Wochen tagsüber fortgesetzten Dehnung aber sich nun¬
mehr so weit wieder entfaltete, dass eine zweite grössere Form
angelegt werden konnte; dem Gehörgang entsprechend ist die
Prothese durchlocht. Sämmtliche Patientinnen sind in den
zwanziger Jahren, die besprochenen kosmetischen Maassnahmen
daher für dieselben von begreiflicher Wichtigkeit. Im kindlichen
Alter dürften Wachsthumsprocesse dem kosmetischen Eingriffe zu
Hilfe kommen, während bei Erwachsenen die Cutis und das sub¬
kutane Zellgewebe in eine neue Gleichgewichtslage gebracht wer¬
den sollen.
Verschiedenes.
Oberschenkelbrüche bei Neugeborenen.
Im Anschlüsse an die Mittheilung von Herrn Dr. Stern
über die Behandlung der Oberschenkelfrakturen kleiner Kinder
(diese Wochenschr. 11)0.1, 8. 1750) möchte Ich mir gestatten, einer
kleinen Vorrichtung zu erwähnen, die sich bei Oberschenkelbrüchen
der Neugeborenen bewährt hat. und die mau im Bedarfsfälle sich
rasch selber anfertigen kann. Aus 4 Brettchen von ungefähr 18 cm
Breite wird ein viereckiges Käst¬
chen (ohne Boden) von 56 cm Länge
und 28 cm Breite zusammengenagelt.
Auf den oberen Band des Kästchens
wird ein Stück Leinwand so auf¬
genagelt, dass sie eine Mulde von
Haudbreittiefe bildet, und im Drittel
der Länge des Kästchens ein den
oberen Rand des letzteren um etwa
25 cm überragender Bügel aus Band¬
eisen angebracht. Das Kind liegt
ohne weitere Befestigung des
Kumpfes in der Mulde, das Bein-
chen wird mit Heftpflaster an dem
Bandeisenbügel aufgehängt. Ohne
von Seite der Mutter eine umständlichere Pflege zu erfordern, als
sie sonst Neugeborenen zu Theil werden muss, kann das Kind so¬
gar an die Brust angelegt werden. Der Bruch hellt in längstens
3 Wochen. Dr. Port sen.-N'Urnberg.
Therapeutische Notizen.
Die Dauer des Pocken-Iinpfschutzes betrügt
nach den umfangreichen Beobachtungen von Dr. S o b o 11 a nicht
einmal 1 J / 2 Jahre. Er empfiehlt daher, beim Auftreten vou Pocken
oder verdächtigen Fällen das Aerzte- und Pflegepersonal, soweit
seine Berührung mit den Kranken auch nur möglich, in kürzeren
Zwischenräumen wieder zu impfen. Dass für die Schutztruppeu,
die in einer nicht durch Impfung geschützten Bevölkerung einer
Pockeuinfektlon ausgesetzt sind, dass ferner für Expeditionskorps
in fremden Ländern und im Falle eines europäischen Krieges für
die gesammte Feldarmee weitere Impfungen empfehlenswerth sind,
ist selbstverständlich. (Allg. med. Central-Ztg. 1901, No. 53.)
. P. H.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 10. Dezember 1901.
— In der I. Dezember-Nummer des ärztlichen Vereinsblattes
verabschiedet sich der bisherige Redakteur des Blattes, Herr Geh.
San.-Ratli Dr. W a 11 i c h s, von seinen Lesern. W. war seit 1887
Geschäftsführer des Aerztevereiusbuudes und Leiter des Vereins¬
blattes. Der Beginn seiner Thätigkeit fällt in die erste Zeit der
Wirksamkeit des Kranken Versicherungsgesetzes, in die Zeit des
wirtschaftlichen Niedergangs des ärztlichen Standes und der
inneren und äusseren Kämpfe. Damit erhöhten sich die Schwierig¬
keiten und Verantwortlichkeiten, die mit seiner Stellung verknüpft
waren, ausserordentlich. W. hat sich ihnen aber stets gewachsen
gezeigt; er war ein Uberzeugungstreuer, gewandter und schlag¬
fertiger Vertreter der Sache des Bundes. An Widerspruch hat es
ihm nicht gefehlt — nur wer keine eigene Meinung hat, wird nie
auf Widerspruch stosseu — aber auch wenn man anderer Meinung
war, wie er, musste man die Vornehmheit seiner Gesiuuuug und
die Lauterkeit seiner Absicht anerkennen. Wir sehen daher mit
lebhaftem Bedauern W a 11 i c h s aus der Leitung des Vereins-
blattes ausscheiden und wissen uns in diesem Gefühle eins mit der
grossen Mehrheit der deutschen Aerzte, deren Dank er in reichem
Maasse verdient hat. Unser Wunsch ist, dass auch nach seinem
Ausscheiden aus der vordersten Schlachtlinie seine Erfahrung und
Sachkeuntniss dem Aerztevereiusbunde noch lange zu Gute
kommen möge. ^
— Der neu eingesetzte Wissenschaftliche Senat
der Kaiser Wilhelms -Akademie für das militär¬
ärztliche Bildungs wesen, der die Aufgabe hat, in
mediciuisch-wisseusehaftlichen Fragen als begutachtende Behörde
dem Leiter des preussischen Militärsauitätswesens zur Seite zu
stehen — also ein militärärztlicher Obermediciualausschuss —.
trat am 30. vor. Mts. unter Vorsitz des Generalstabsarztes der
Armee Prof. Dr. v. L e u t h o 1 d in der Aula der Kaiser Wilhelms-
Akademie zur ersten Sitzung zusammen. Erschienen waren die
Geh. Riithe Koch, Gerhardt, König, v. Leyden, Ruh¬
ne r, Jolly, Heubner, L. Frankel, Sonuenburg,
Trautmann und W a I d e y e r, sowie die Generalärzte S t a h r,
Sch aper, Stricker, Werner, Schjerniug, Herter,
S t r u b e - Karlsruhe, G ä h d e - Hannover und Kern- Stettin
und Geueraloberarzt Stechow. Nach einer begrüssendeu An¬
sprache des Vorsitzenden verhandelte der Senat zunächst über die
in der Armee bereits eingeführten Zählkarten für Tuberkulose
und setzte die besonders die Ursache der Krankheit betreffenden
Punkte fest, auf die besonders geachtet werden soll. Der zweite
Punkt der Tagesordnung betraf die in Folge der neuen medicini-
scheu Prüfungsordnung nöthig werdende Aenderung der Studieu-
pläne der Kaiser Wilhelms-Akademie.
_ Aus dem neuen Etat des Reichsamts des
Innern sind folgende Positionen von allgemeinem gesundheit¬
lichen Interesse: Im Gesundheitsamte sollen in Folge der starken
Steigerung der Geschäfte zur tlieilweisen Entlastung des Präsi¬
denten drei Direktorstellen geschaffen werden, in welche die
Abtheilungsvorsteher der naturwissenschaftlichen, der medi-
cinischen und biologischen Abtheilung einrücken würden. Die
Ausgaben für das Gesundheitsamt sind auf 618 160 M. (04 800 M.
mehr als im Vorjahre) erhöht. Zur Förderung der Erforschung
und Bekämpfung der Tuberkulose sind 150 000 M. ausgeworfen.
Insbesondere sollen von Reichswegen über die Frage der Ideuti-
Uutersuchungen, verbunden mit Thierversuchen, augestellt wer¬
den. Auch sollen die gemeinnützigen Bestrebungen zur Errichtung
von Lungenheilstätten durch finanzielle Beihilfen gefördert
werden.
— Die deutsche Heilstätte für Lungenkranke
in Davos wurde Ende des vorigen Monats feierlich eröffnet.
Der Vorstand des KomitGs, Herr Vizekonsul Burchard, dessen
unermüdlicher Thatkraft die glückliche Ueberwludung der enormen
der Durchführung des Werkes sich eutgegenstellenden Schwierig¬
keiten zu danken ist, hielt die Festrede, mit der er das Gebäude
dem leitenden Arzte, Dr. B r e c k e, übergab. Der Andrang zu der
Heilstätte ist, wie wir hören, ein so grosser, dass nur etwa der
vierte Theil der Gesuche berücksichtigt werden konnte.
— Ein in der Nähe von Berlin gelegenes Sanatorium B. ver¬
sendet unter dem Hinweis darauf, dass das Sanatorium „mit Vor¬
liebe von vornehmen russischen Herrschaften besucht werde“ an
russische Aerzte ein das Sanatorium anpreisendes Schreiben, das
mit folgenden Worten schliesst: ..Wenn auch Sie die Güte haben
wollten, uns Patienten zu überweisen, so würden wir bitten, jedes
Mal einen Krankenbericht an unseren Chefarzt Herrn Dr. med. Z.
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No. 50.
2034
MJENCHENER MEDiCINISCME WOCHENSCHRIFT.
zu richten und würden wir uns erlauben, jeden derartigen
Krankenbericht mit M. 30.— zu honorire u“. Hier
wird also der etwas verblümte Versuch gemacht, Aerzte für die
Zuweisung von Patienten zu bezahlen. Das unanständige und
darum höchst beleidigende Anerbieten wird hoffentlich bei allen
Empfängern des Briefes das Gegeutheil der von den Absendern
bezweckten Wirkung haben.
— Die Statistik der Bevölkerungbewegung in
Frankreich für das Jahr 1900 ergibt ein unbefriedigendes
Resultat. Die Zahl der Lebendgeburten betrug 827 297, die Zahl
der Todesfälle 853 285. Es überwiegen also die Todesfälle die
Geburten um 25 988. Im Jahre 1899 hatte bei 847 627 Lebend¬
geburten und ca. 816 233 Todesfällen noch eine Bevölkerungs¬
zunahme von 31 394 Seelen stattgefunden. Auffallend ist die Zu¬
nahme der Todesfälle, die auf Influenza und Typhus zurüekgeführt
wird.
— Die im Grossherzogthum Hessen mit dem B a c c e 11 l’schen
Heilverfahren bei der Maul- und Klauenseuche angestellten Ver¬
suche haben befriedigende Ergebnisse nicht gehabt. Die Ver¬
suche sind eingestellt worden.
— Pest. Grossbritannien. Laut amtlicher Erklärung sind
am 18. November in Glasgow die letzten Pestkranken als geheilt
aus dem Krankenhause entlassen worden. — Aegypten. In der
Zeit vom 15. bis 22. November wurde nur in Ziftah noch eine Er¬
krankung an der Pest beobachtet; dieselbe verlief tödtlich. —
Britisch-Ostindien. Während der am 1. November abgelaufenen
Woche sind in der Präsidentschaft Bombay 10 740 neue Erkrank¬
ungen und 7693 Todesfälle an der Pest festgestellt, mithin 704
bezw. 632 mehr als in der Woche vorher. Auf die Hafenstadt
Karachi entfielen hiervon 58 (37) Erkrankungen (Todesfälle) gegen
37 (18) in der Vorwoche. In der Stadt Bombay wurden während
der am 2. November endenden Berichtswoche 186 Pesterkrank¬
ungen und 176 erwiesene Pesttodesfälle gezählt, ausserdem waren
von den insgesnmmt 779 Sterbefälleu dort 140 unter pestverdäch¬
tigen Erscheinungen erfolgt. — Philippinen. Nach den Ausweisen
von Ende September kamen in Manila nur noch vereinzelte Fälle
von Pest vor, die eigentliche Epidemie ist angeblich abgelaufen. —
Kapland. In der am 2. November abgelaufenen Woche ist nach dem
amtlichen Wochenausweise nur 1 Person, und zwar ein Einge¬
borener in Port Elizabeth, an der Pest erkrankt, jedoch sind 3 Pest¬
todesfülle ebendaselbst festgestellt. — Vereinigte Staaten von
Amerika. Vom 10. bis zum 30. Oktober sind in San Franzisko
2 Neuerkrankungen und 2 Todesfälle an der Pest festgestellt
worden. — Brasilien. Zu Folge einer Mittheilung vom 5. November
forderte ln Rio de Janeiro die Pest fortgesetzt täglich einige Opfer.
In Campos waren von Mitte September bis Ende Oktober 141
Fälle von Beulenpest, darunter 75 tödtlich abgelaufene, festgestellt
worden; 27 Pestkranke befanden sich am 31. Oktober noch in Be¬
handlung. V. d. lv. G.-A.
— In der 47. Jahreswoche, vom 17.—23. November 1901, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Freiburg i. Br. mit 30.0, die geringste Koblenz mit 4,6
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel
aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, Fürth, Ober-
liausen; an Masern in Altona, Borbeck; an Diphtherie und Croup
in Elberfeld, Glelwitz.
(Hochschulnachrichten.)
Breslau. Das neue zahnärztliche Institut der Universi¬
tät mit Poliklinik, am Burgfeld gelegen, ist am 2. ds. durch dessen
Direktor, Prof. Dr. Partsch, eröffnet worden.
Halle. In diesem Semester sind 192 Mediclnstudirende,
einsehliessl. 49 Damen (meist Russinnen), eingeschrieben. 53 sind
neu immatrikullrt.
Kiel. Dr. G o e b e 11, Assistent an der chirurgischen Klinik,
habilitirte sieh für das Fach der Chirurgie. Prof. Dr. Kirchhoff,
Privatdozent in der medicinischen Fakultät, gegenwärtig Oberarzt
der Pflegeanstalt ln Neustadt in Holstein, hat seine Stellung als
Privatdozent an hiesiger Universität niedergelegt.
München. Die k. bayer. Akademie der Wissenschaften
hat den Professor der Anatomie in München Dr. Rückert zum
ordentlichen Mitgliede, den Professor der Physiologie in Leipzig
Dr. Hering zum korrespoudirenden Mitgliede erwählt.
Würzburg. Die Frequenz der Universität beträgt in diesem
Semester 1180 Studirende, darunter 429 Mediciner; im Sommer
1901 betrug die Zahl der Immatrlkulirteu 1108, darunter 411
Mediciner und im Winter 1900/1901 1167 mit 502 Medicineru.
Löwen. Dr. Lemaire wird über Hygiene, Prof,
van Gebuchten über topographische Anatomie lesen.
(Todesfälle.)
Dr. B. v. J i r u s, Professor der Pharmakologie an der czechi-
schen medic. Fakultät zu Prag.
Dr. W. F. N o r r i s, Professor der Augenheilkunde an der
Pennsylvania-Universität zu Philadelphia.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Niederlassung: Dr. W. Chr. Fr. Hauenschild, approb.
1891, Dr. Berth. Kronaclier, approb. 1898, Dr. Phil. K r a e m e r,
approb. 1881; sümmtlich in Nürnberg. Dr. Karl Welsch, approb.
1898, in Augsburg. Dr. Hermann Kuspert, approb. 1897, in
Nordhalben. Dr. Wilhelm K ö r b e r, approb. 1900, in Donndorf,
Bez.-A. Bayreuth. Dr. Karl K n o e 11, appr. 1899, in Weisseu-
burg a. S.
Verzogen: Dr. Höchtler von Dinkelsbühl nach Kaisers¬
lautern. Dr. Karl P i 8 t o r y von Marktbreit nach Furth. Dr.
Krüger von Furth nach Hannover.
Versetzt: Der Bezirksarzt 1. Klasse Dr. Ignaz Ferdinand
Tischler in Wegscheid, seiner Bitte entsprechend, nach Deggen¬
dorf.
Ernannt: Seitens des Generalstabsarztes der Armee wurden
zu Unterärzten ernannt und mit Wahrnehmung offener Assistenz¬
arztstellen beauftragt: die einjährig-freiwilligen Aerzte Dr. Her¬
mann Schöppler des 13. Inf.-Reg. und Dr. Wilhelm Braun¬
wart des 1. Ulanen-Reg. in diesem Regiment.
Gestorben: Medicinalrath Dr. Peter Walter, k. Bezirksarzt
und Gefangenenanstaltsarzt in Sulzbach, 61 Jahre alt, am
4. Dezember 1901. Medicinalrath Dr. Melchior Josef Bandorf.
Director a. D. der oberbayerischen Kreisirrenanstalt in Gabersee,
56 Jahre alt.
Correspondenz.
Fort mit den Apotheken.
Von H o m o s u ra.
Unter diesem Titel verschickt die Verlagsbuchhandlung von
Max P o e s s 1 in München eine Schrift unaufgefordert an Mün¬
chener Aerzte. Obwohl ich die Schmähschrift mit Namensangabe
sofort wieder zurücksandte — wozu unter diesen Umständen gar
keine Verpflichtung bestund — brachte heute ein Bote folgende
gedruckte Zuschrift in meine Wohnung:
„Mit Gegenwärtigem ersuche ich Sie, da ich wohl annehmen
darf, dass Sie im Interesse Ihres Standes, die Broschüre eines
Münchener Arztes: Homosuni, Fort mit den Apotheken,
Preis 60 Pf., welche ich Ihnen vor einigen Wochen zusandte, be¬
halten, dem Ueberbringer Dieses giitigst 60 Pf. auszuhändigeu,
und Vorliegendes als Quittung zu behalten. Max P o e s s 1, Ver¬
lagsbuchhandlung.“
Irrthümlicher Weise wurde ihm in meiner Abwesenheit der
Betrag von 60 Pf. übergeben. Natürlich habe ich umgehende
Rückzahlung verlangt.
Aber es handelt sich nicht um die 60 Pf., sondern um ein Ge-
schüftsgebahren, das in der Oeffentlichkeit auf’s schärfste ge¬
brandmarkt werden muss. Und mehr noch: Es muss offen aus¬
gesprochen werden, dass — ich darf wohl sagen — die über¬
wiegende Mehrzahl der Aerzte dieser systematischen Hetze gegen
die Apotheker und Apotheken nicht nur fern steht, sondern sie
für ungerechtfertigt und ungehörig hält.
Mag das eine oder andere im Apothekerwesen besserungs¬
bedürftig sein — so das Kurpfuschen Einzelner, der Apotheken¬
schacher — so ist doch der deutsche Apothekerstaud auf einer
Höhe, um welche uns andere Staaten beneiden dürfen. Viel, viel
mehr gibt es für uns Aerzte vor der eigenen Thüre zu kehren.
Oder ist es keine Kurpfuscherei, wenn approbirte Aerzte sich
zu Assistenten von Kueipp-Aposteln und anderen Kurpfuschern
erniedrigen? Wenn approbirte Aerzte Careinom mit Thee be¬
handeln und mit Thee zu heilen vorspiegeln? Und sind die un¬
gezählten traurigen Vorkommnisse im Krankenkassenweseu nicht
viel schlimmer und entwürdigender, als der Apothekenschaeher,
der ja nie zu einer Erhöhuug des von Amtswegen festgelegtcn
Arzneipreises führt?
Es muss einmal ausgesprochen werden, dass diesem Ge-
schäftsgebahren einer Verlagsbuchhandlung und der Hetze Ein¬
zelner gegen den Apothekerstand nicht die Sympathien der
Mehrheit zur Seite stehen. G. Klei n.
Morbiditätsstatistik d. infektionskrankheitenfür München
in der 48. Jahreswoche vom 24. bis 30. November 1901.
Betheiligte Aerzte 211. — Brechdurchfall 15 (10*), Diphtherie,
Croup 17 (12), Erysipelas 10 (11), Intermittens, Neuralgia interm.
— (—), Kindbettfieber 2 (4), Meningitis cerebrospin. — (—),
Morbilli 47 (42), Ophthabno-Blennorrhoea neonat. 5 (—), Parotitis
epidem. 9 (3), Pneumonia crouposa 16 (19), Pyaemie, Septikaemie
— (—), Rheumatismus art. ac. 19 (20), Ruhr (dysenteria) 1 (—),
Scailatina 9 (22), Tussis convulsiva 18 (23), Typhus abdominalis
4 (3), Varicellen 29 (18), Variola, Variolois —- (—), Influenza 4 (—),
Summa 201 (194). Kgl. Beeirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 48. Jahreswoche vom 24. bis 30. November 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern — (—*), 8charlach —(—), Diphtherie
and Croup 3 (1), Rothlauf — (—), Kindbettfleber 1 (2), Blutr
Vergiftung (Pyaemie) 1 (—), Brechdurchfall 5 (1), Unterleibtyphus
2 (—), Keuchhusten 2 (2), Croupöae Lungenentzündung 4 (6),
Tuberkulose a) der Lungen 25 (26) b) der übrigen Organe 7 (5),
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 5 (8), Unglücksfälle — (2), Selbstmord — (1), Tod durch
fremde Hand — (—).
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 217 (189), Verhältnisszahl auf
das Jahr und 10<K) Einwohner im Allgemeinen 22,6 (19,7), für die
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 14,1 (13,3).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche.
Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Miihlthaler’s Buch- un** Kunstdruckerei A.G., München.
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(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Herausgegeben von
Cb. Biulir, 0. Bolllngir, H. Carschminn, C. 6erfaardt, 6. hlerkil, J.». Michel, H. v. Rilke,
Freiburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin München.
No. 51. 17. Dezember 1901.
Redaction: Dr. B. Spats, Ottostraaae 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
F. v. Wiickil, H. v. Ziiissu,
München MfVnehan.
48. Jahrgang.
Originalien.
Ueber ein die Krebskrankheit beim Menschen häufig
begleitendes, noch wenig gekanntes Symptom.")
Von Prof. Dr. Leser.
M. H.1 Wie ich in dem Vortrag, den ich Anfang des
Sommerseinesters vor Ihnen zu halten die Ehre hatte, betonte,
fehlt es uns bis jetzt noch an solchen Symptomen, welche uns
verhält nissmässig sicher und frühzeitig erlauben, die Diagnose
maligner Tumor bezw. Carcinom zu stellen. Wir sind trotz vieler
Fortschritte auf anderen Gebieten, in der Diagnose Carcinom in
dem letzten Jahrzehnt nicht viel weiter gekommen; wir sind
darauf angewiesen, aus einer Reihe von Erscheinungen, welche
sich bei verschiedenen Processen einstellen, mehr oder weniger
sicher und früher oder später die Diagnose aufzubauen und von
jeher war man bemüht, die Sicherheit der Diagnose durch be-
slimmte Vorgänge zu erhöhen, d. li. Veränderungen zu ver-
wertlien, die zwar an und für sich n i c h t ausschlaggebend für
die Diagnose sind, sich aber im Verein mit den übrigen Sym¬
ptomen als gute Wegweiser bewährt haben. Ich erinnere nur
an die Ovula Nabothi, deren Vorhande-nsein ein Carcinom der
Portio bezw. des Uterus mit grosser Sicherheit ausschliessen
lässt; au die Virehow’sche Drüse bei der DifFerentialdia-
gnoso der Leberkrankheiten, oder an den in neuester Zeit ge¬
machten Opplcr-Boa s’sehen Bacillen bof und bei Magen-
earcinom.
Wenn ich mir nun in Folgendem erlaube, die Aufmerksam¬
keit mediciniseher Kreise auf eine Veränderung der Haut zu
lenken, welche bisher in ihrem Zusammenhang mit der malignen
Neubildung noch wenig oder gar nicht bekannt ist, und welche
in dem Auftreten zahlreicher kleiner und kleinster Blutgefiiss-
geschwiilste, sog. Angiome der Hautdecke besteht, so bin ich mir
wohl bewusst, dass es meine Pflicht ist, auch das Thatsächliche
dieses Vorganges nachzuweisen. Bevor ich auf die Veranlassung
eingehe, welche mich zu der ernsteren Beachtung dieses Vor¬
ganges zwang, möchte ich betonen, dass bis 1899 in der mir
wenigstens zugängigen Literatur irgend eine hierauf bezügliche
Arbeit oder Notiz nicht zu finden war. Erst aus den letzten
2 Jahren konnte ich 2 Mittheilungen verwerthen, welche meine
Beobachtungen zu bestätigen scheinen. H. W. Freund 1 ) 9agt
in einem Vortrag: „Die Haut der schwangeren und genital-
kranken Frauen“: Ungemein häufig sind bei Frauen mit Ge¬
schwülsten der inneren Geschlechtsorgane kleine und
kleinste Angiome, dunkelbraune Warzen, Naevi, seltener
grössere Fibrome, Lipome und cavernöse Geschwülste vorhanden,
speciell am Abdomen (lebhafte Mitbetheiligung der Haut an Ver¬
änderungen der inneren Genitalorgane, vielleicht eine gewisse
konstitutionelle Schwäche der Haut). Und ferner E. Hol¬
länder*): „Beiträge zur Frühdiagnose des Darmcarcinoms“:
Häufig findet man bei inneren Carcinomen sehr zahlreiche, hell-
rothe, Stecknadelkopf- bis erbsengrosse, das Hautniveau über¬
ragende Flecke, die stets isolirt in gesunder Umgebung zu finden
sind. Sic schwanken in ihrem Verhalten zwischen capillüreu
*) \ortrag, gehalten am 'S.\. Oktober 1901 im Verein der Aerzte
zu Halle.
*) Verhandlungen der Deutschen dermatologischen Gesell¬
schaft, VI. Kongress 1899. Ref. im Centralhlatt für Chirurgie.
’) Deutsch, med. Woclienschr.
No. 51.
Blutungen und kleinen Angiomen rosp. Capillaraneu-
rysmen, unterscheiden sich von diesen jedoch darin, dass Finger-
und Glasdruck sie nicht blass werden lässt. Ob diese im reiferen
Alter auch bei gesunden Individuen auftretenden Veränderungen
auf atrophische resp. kachektische Zustände zu beziehen sind, er¬
scheint zweifelhaft, da ich dieselben gerade auch bei fetten In¬
dividuen und auch au den fettreichsten Hautstellen fand.
Was nun meine Beobachtungen angeht, so war mir schon vor
1898 einigemal bei Carcinomkranken aufgefallan, dass sich bei
denselben multiple, kleinste, blaurothe Geschwülste in der Haut¬
decke fanden, welche sich, wie mir schien, auffallend schnell
während des Krankheitsverlaufes vermehrten. Da wurde mir im
Mai 1898 ein Patient zugeführt, der, nachdem er monatelang
an einem chronischen Rachenkatarrh behandelt war, an einem
schon ulccrirten, leicht papillären Tumor des linken weichen
Gaumenbogens und des linken Randes der Uvula litt. Bei seiner
Untersuchung, welche ich, wenn irgend angängig, stets am ganzen
Körper vornehme, zeigte sich, dass in der Haut des Halses, des
Thorax, der Supra- und Tnfraclaviculargrubc und des Abdomen
etwa 15— 16 stccknadelkopf- bis halberbsengrosse blaurothe Go-
schwülst chcu sich etwas über das Niveau der Hautoberfläche er¬
hoben. Ich operirte dem Herrn, nachdem die Tracheotomie vor-
hergeschickt, indem ich nicht nur das primäre Sehleimhautcarei-
nom, beide Gaumenbügen linkerseits und die Uvula exstirpirte,
sondern auch die bereits palpirbar intumescirten Lymphdrüsen
der linken Ilalsseite unter weiter Freilegung der grossen Hals-
gefässe herausnahm. Während der ersten Monate war der Ver¬
lauf ein sehr guter; dann stellten sich weitere Halslymphdrüscn-
metastasen ein, denen in den letzten Septembertageji desselben
Jahres der Patient erlag. Während der also ca. 4 monatlichen
Behandlung vermehrten sien, und zwar im ersten Monat be¬
sonders schnell, die kleinen angiomatüsen Geschwülste in so
starkem Maasse, dass auch ein Arzt, der auf dieselben weniger
Acht gegeben hätte als ich, bald darauf aufmerksam geworden
wäre; innerhalb von 2 Monaten zählten wir 216 solcher kleiner
Geschwülste.
Da es für mich ausgeschlossen schien, dass es sich dabei nur
um ein zufälliges Zusammentreffen handele, weil ich eben schon
wiederholt Aehnliches bei Carcinomkranken beobachtet hatte, for¬
derte ich meinen damaligen ersten Assistenten, Herrn Dr.
M ü 11 o r, auf, diesen Dingen auch fernerhin Beachtung zu
schenken. Während ich selbst seit der Zeit etwa 60 Fälle sah,
die ähnliche, wenn auch nicht immer so ausgesprochene Er¬
scheinungen boten, hat Herr Dr. Müller die Sache mit ausser¬
ordentlichem Fleisse und grosser Gewissenhaftigkeit verfolgt und
bot. sieh ihm dazu besonders reichliche Gelegenheit, als er, nach¬
dem er hier gedient, zunächst im deutschen Hospital in London
und dann im städtischen Krankenhaus in Hirschberg das ge¬
summte, dort reichlich eonfluirendo Krankrmnaterial studiren
und verwerthen konnte.
Drei Fragen sind es, die uns zunächst hierbei inter-
essiren. Die eine lautet: Ist das Auftreten von derartigen
kleinsten angiomatüsen Geschwülsten in der Hautdecke eine
häufige, eine gewöhnliche Begleiterscheinung bei Kranken mit
malignen Tumoren, bezw. mit Carcinom? Die zweite lautet:
Kommen derartige Geschwülste auch bei gesunden, bezw. nicht
an Carcinom leidenden Menschen vor? Und daraus folgernd
drittens: Ist das Auftreten von diesen Angiomen diagnostisch zu
verwerthen ?
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2036
MtlENcHENER MEDlCtNlSCHE WÖCHMsÖHRiFT.
No. 51.
Um zu einer Antwort auf diese Fragen zu kommen, hat Herr
Dr. Müller in den Jahren 1897—99 einerseits 50 Krebskranke,
andererseits 300 andere chirurgische bezw. interne Fälle auf das
Vorhandensein von kleinen Angiomen der Haut auf das Ge¬
naueste untersucht. Die Carcinomfälle sind sämmtlich klinisch
und mikroskopisch fostgestellt, und bei den anderen Patienten
konnte auf Grund längeren Krankenhausaufenthaltes das Be¬
stehen einer bösartigen Neubildung, insbesondere eines Carci-
noins mit grösster Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Was den Sitz der einzelnen Carcinome bei diesem Be¬
obachtungsmaterial anlangt, so handelt es sich um 10 Fälle mit
(’arcinom des Pylorus bezw. Yentriculus und zwar 9 m., 1 w.;
3 Fälle Carcinoma oesophagi (3 m.); 3 Fälle Carcinoma recti
(1 m., 2 w.); 1 Carcinoma hepatis (1 m.); 11 Mammacarcinomfälle
(11 w.); 16 Fälle von Uteruscarcinom (16 w.); 1 Carcinomfall des
Ovarium (1 w.); 5 Fälle von Hautkrebs (2 m., 3 w.).
M. H.! Bevor ich auf die Resultate unserer Beobachtungen
eingehe, halte ich für absolut nöthig, erst einige Worte über
das Wesen und den Charakter der Geschwülste, mit welchen wir
uns beschäftigen, einzufügen, damit Verwechselungen vermieden
werden. Die Veränderung in der Haut besteht in kleinsten und
kleinen, nadelst ich- bis linsengrossen, hellrothen, auch blaurothen
Flecken, welche stets das Niveau der Hautfläche überragen, und
also dem leise über sie hinwegstreichenden Finger als erhabene
Unterbrechung der sonst glatten Hautfläche imponiren. Finger¬
druck lässt sie nicht verschwinden. Gegen die umgebende, an¬
scheinend ganz normale Haut sind sie scharf abgegrenzt; mit
Vorliebe finden sie sich am Rumpf, seltener werden sie an den
Extremitäten beobachtet, fast niemals an Händen und Füssen.
Offenbar sind sie nicht von dem Verlauf der Gefässe und Nerven
beeinflusst; jedoch zeigen sie bisweilen auf der dem Sitz des
carcinomatös erkrankten Organs entsprechenden Hautpartie ein
gehäuftes Auftreten; z. B. bei Carcinoma uteri ist wesentlich das
Abdomen Sitz der Geschwulstbildung. Makroskopisch und nach
dem mikroskopischen Bilde muss man diese Geschwülstchen als
Angiome ansprechen. Sie erscheinen makroskopisch der
normalen Haut aufgesetzt und lassen nicht venöse Ausläufer in
die Umgebung ausstrahlen. Auf dem mikroskopischen
Schnitt erkennt man gewucherte und erweiterte capillare Ge¬
fässe. Irgend welche Veränderungen des Gewebes, die auf einen
direkten Zusammenhang zwischen ihnen und der malignen Neu¬
bildung sehliessen Hessen, haben wir bisher nicht nacliweisen
können.
Was nun, m. II., die erste Frage angeht, die also lautet:
ob das Auftreten von derartigen kleinsten Angiomen eine häu¬
fige, eine gewöhnliche Begleiterscheinung des Carcinoms ist, so
muss dieselbe auf Grund des mir durch Dr. M ü 11 e Fs Mühe
und Arbeit zur Verfügung gestellten Beobachtungsmaterials
durchaus bejaht werden. Unter den 50 genauest untersuchten
Fällen von Carcinoin ist nur ein einziger Fall (39 Jahre alter
Patient), Carcinoma oesophagi, bei dem sich kein Angiom ge¬
funden hat. Bei allen übrigen sind derartige Neubildungen ge¬
funden worden, und zwar bei den Männern in folgendem
Yerhältniss: 17 Fälle mit 310 Tumoren, also im Verhältnis
1:18. Darunter war bei einem Falle von Leberkrebs (37 Jahre
alter Patient) die höchste Zahl 76 Tumoren; bei den Frauen
stellt sich das Verhältnis 33 Fälle mit 444 Tumoren, also 1:13.
Die höchste Zahl an Angiomen wurde bei einer Dame mit
Manunacarcinom, welche 58 Flecke auf weist, nachgewiesen. Der
Gesammtdurehschnitt beläuft sich also auf 50:754, d. h. 1:15.
Zur Beantwortung der zweiten Frage ist ein Kranken¬
material von 300 Menschen verwendet worden; aus diesem ergibt
sich, dass allerdings im späteren Alter hin und wieder derartige
kleine Gefässgesohwülste auftreten, ohne dass die genaueste
Untersuchung und Beobachtung ein Carcinom bei dem betreffen¬
den Kranken feststellt. Immerhin ist einerseits das Alter ein
sehr viel höheres, andererseits die Zahl der Geschwülste eine so
erheblich kleinere, dass ich nicht anstelle, auf Grund meiner bis¬
herigen Beobachtungen zu behaupten, dass den im relativ
frühen Alter und in Verhältnis» massig grosser
Anzahl auf tretenden Angiomen der Haut¬
decke ein diagnostischer Werth bei der Dia¬
gnose Carcinom beigemessen werden muss.
Aus einer graphischen Darstellung ergibt sich, dass eigent¬
lich erst nach dem 50. Lebensjahre bei anscheinend Gesunden
auch derartige Angiome sich finden, während bei Carcinoin-
kranken bereits mit dem 25. Lebensjahre diaselben in mehr oder
weniger gehäufter Zahl auftreten. Und desshalb möchte ich
eben diesen Angiomen einen zur Diagnose leitenden Werth zu-
erkonnon. Wir finden eben bei Krebskranken eine Erscheinung,
die bei Gesunden oft gar nicht oder sehr viel spater und meistens
viel beschränkter einsetzt.
Ob dieser Vorgang nur auf eine Schwäche des Gewebes, ent¬
sprechend der V i r c h o w’schen Theorie zu beziehen ist, oder
ob etwa das aetiologische Moment der Neubildung hierbei eine
Rolle spielt, muss vorläufig noch dahingestellt bleiben. Ich per¬
sönlich neige mehr zu der ersten Annahme hin. Meine heutige
Mittheilung verfolgt nur den Zweck, auf die diagnostische Ver¬
wert hung dieser in Obigem erörterten Erscheinung aufmerksam
zu machen.
Bevor ich schliesse, möchte ich noch auf einige Punkte hin-
weisen. Einmal, dass es nun unsere Aufgabe sein dürfte, meine
Behauptungen nachzuprüfen und dass sich hierbei namentlich
die Krankenanstalten, welche über grosses Krankenmaterial von
Krebskranken verfügen, betheiligen möchten.
Hierbei scheint mir wichtig, auf folgende Fragen zu achten:
a) Sind die rothen Flecke schon vor den ersten Symptomen de>
Carcinoms da und vermehren sie sich erst dann, wenn das
Carcinom zur Ausbildung kommt? b) Sind sie etwa in ihrer
feinsten Anlage angeboren und als solche vielleicht in ersicht¬
lichem Zusammenhang mit dem Carcinom, wobei man an Keim¬
versprengungen denken müsste, oder c) sind sie erst als Folgen
der Krebserkrankungen aufzufassen oder d) gar nur häufige Be¬
gleiterscheinungen ?
Ferner wäre die Frage zu erörtern, ob sich diese vermehrten
Angiome ausschliesslich bei Carcinom finden oder auch bei
anderen malignen Tumoren, z. B. bei Sarkomen ?
Auch scheint mir nicht ohne Bedeutung, darüber nachzu¬
forschen, ob, da in der Hauptsache der Ausbreitungsbezirk der
Flecke der Carcinom-Gegend entspricht, vielleicht ihre Aussaat
der Verästelung einer Vene, die in der Nachbarschaft des Car¬
cinoms entspringt, entspricht
Dass man bei diesen Untersuchungen auch darauf Rück¬
sicht nimmt, ob nicht auch bei gutartigen Geschwülsten und
event. bei welchen ähnliche Proeesse sich abspielen, versteht sich
von seihst, obwohl unsere Resultate nach dieser Richtung negativ
geblieben sind.
Und endlich dürfte d i e Frage allgemeines Interesse haben,
ob nach irgend einer Richtung hin die Aussaat der Angiome
Rückschlüsse auf die Proeesse zulässt, sei cs dass die Prognose
sich dadurch verschlechtert, dass mau dabei eine Verminderung
der Widerstandskraft des Gewebes annimmt oder sei es, dass
ihr allmähliches Verschwinden, wie ich bis jetzt dreimal be¬
obachtete, nach gelungener Exstirpation des kranken Gewebes
einen Schluss auf günstige Prognose zulässt.
M. H.! Wenn diese Mittheilung die Anregung gibt, dass
von jetzt ab mit Aufmerksamkeit dieser Proeess verfolgt wird,
so hat sie ihren Zweck erreicht, denn sie soll den unglücklichen
Oarcinomkranken nützen und das thäte sie, wenn sie die Dia¬
gnose rechtzeitiger stellen lehrt.
Die experimentelle Begründung der Sehnenplastik.*)
Von Prof. Dr. A. lloffa in Würzburg.
M. TL! Es ist Ihnen Allen bekannt, welchen grossen Fort¬
schritt die von N i c o 1 a d o n i begründete, daun von Drobn ik,
F rank e, V u 1 p i u s, Lang e und vielen Anderen weiter aus¬
gebaute 8 e h n o n p 1 n s t i k für die Entwicklung der ortho¬
pädischen Chirurgie bedeutet. Nach meinen eigenen zahl¬
reichen Erfahrungen haben wir in der Sehnenplastik
ein n u s g e z e i e h n e t e s Hilfsmittel nicht nur für die
Behandlung paralytischer Deformitäten, son¬
dern auch für die Behandlung zahlreicher spastischer
Kontrakture n sowie traumatischer Sehnen¬
de f e k t e. Die Technik der Operation ist im All¬
gemeinen eine recht einfache. Immerhin geht es auch hier wie
bei anderen Operationen; je grösser die Erfahrung des Einzelnen
wird, um so besser wird es ihm im einzelnen Fall gelingen, die
für den betreffenden Fall günstigste Art der Sehnenplastik
*) Vortrag, gehalten in der chirurgischen Sektion der 73. Natur¬
forscherversammlung zu Hamburg am 25. September 1901.
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17. -Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2037
horauszufindei). Es kommen da fiir einen, einzelnen Fall, um
das denkbar beste Resultat zu erzielen, dos Oefteren eine ganze
Anzahl notlnvendiger Maassnahmen zusammen, und es handelt
sieh in einem solchen Fall oft nicht allein darum, eine Sehne an
die andere auzunähen, sondern es müssen gleichzeitig auch Ver¬
längerungen und V erkürzungen anderer Sehnen oder
die Verlagerung von S e h n e n a n 8 ä t z e n in An¬
wendung gezogen werden. Namentlich die letztere Art der Opera¬
tion. ausgeführt als sogen, periostale Sehnenver¬
pflanzung nach dem Vorgänge von Lange, wirkt oft ausser¬
ordentlich segensreich und möchte ich diese Meithode noch einmal
besonders empfehlen. So zieht man z. B. beim paralytischen
Plattfuss die Sehne des einen Peroneus unter der Achillessehne
durch und näht sie an der inneren Seite des Calcaneus an. Da¬
mit erreicht man, in Kombination mit den anderen geschilderten
Eingriffen eine wirklich normale Stellung und oft auch eine wirk¬
lich normale Funktion des Fusses.
Die Sehnenplastiken sind nun schon tausendfältig ausgeführt
worden und auf Grund der Erfahrungen, die man bei der ein¬
fachen Tenotomie oder Tenektomie gemacht hat, hat man sich
wohl auch die Ileilungsvorgänge analog den Heilungsvorgängen
bei diesen Operationen vorgestellt. Besondere Untersuchungen
über die Heilungsvorgänge im Anschluss an Sehnenplastiken
liegen meines Wissens bisher noch nicht vor. Diese Lücke habe
ich auszufüllen versucht und möchte Timen in kurzen Zügen über
die Resultate meiner Untersuchungen berichten. Ich werde da-
l>ei dio histologischen Details übergehen und Ihnen nur das
Wesentlichste der Ergebnisse mittheilen. Für die Herren, die
sich dafür interossiren, habe ich eine grössere Anzahl schöner
mikroskopischer Präparate aufgestellt und bin gern bereit, die¬
selben spater genauer zu demonstriren. (Ist nach Beendigung des
Vortrags geschehen.)
Die Versuche wurden an Hunden und Katzen ausgeführt,
und zwar wurden alle möglichen Variationen der Rehnenplastik an
diesen Thieren ausgeführt. Am einfachsten klärt Sie wohl ein
Blick auf diese Tafel hier über die Art der vorgenommenen Ope¬
rationen auf. Es wurden, wie Sie sehen, die Sehnen zunächst
verlängert, indem sio in Form eines (lurchtrennt wurden.
Dann wurden sie verkürzt, indem sie entweder durchschnitten
und dann unter Verschiebung der Sehnenenden gegeneinander
wieder zusammengonäht wurden, oder es wurde die Verkürzung
nach der Lang e’schen Methode vorgenommen, indem die Sehnen
mit einem Seidenfaden durchflochten und dann durch Zusammen-
ziehen des Fadens gefaltet und so verkürzt wurden. Weiterhin
wurde eine Sehne an die andere angenäht und zwar entweder so,
dass die Sehnen einfach aneinandergelegt und zusammengeheftet
wurden oder dass die eine Sehne durch ein Knopfloch der anderen
hindurehgesteckt und dann mit dieser vereinigt, wurde. Als ge¬
eignetste Sehnen erwiesen sich die Achillessehnen, sowie die
Sehnen der Pfoten. Sämmtliche Operationen wurden unter mög¬
lichster Wahrung der aseptischen Kautelen ausgeführt. Als Näh¬
material diente ausschliesslich durch Kochen sterilisirte Seide.
Dio Thierc wurden nach Ablauf von 14 Tagen bis mehreren
Monaten nach der Operation getödtet. Ausser den durch die
Thierversuche gewonnenen Präparaten wurde noch ein sehr inter¬
essantes Pränarat untersucht, das vom Menschen stammt. (Prä¬
parat No. IV, der folgenden Serie.) Ich hatte bei einer Patientin
vor 1 Jahre den Muse, tibialis anticus durch Faltung nach der
Lan ge’schen Methode verkürzt. Bei einer Nachoperation habe
ich dann, um noch eine stärkere Verkürzung des Muskels zu er¬
reichen, die erste Operationsstelle exstirpirt und so ein schönes
Präparat gewonnen.
Die histologische Untersuchung hatte mein Kollege. Herr
Privatdocent Dr. Borst,!. Assistent am pathologischen Institut
der Universität Würzburg, vorzunehmen die Güte und sage ich
ihm für seine viele Mühe an dieser Stelle meinen besten Dank.
Ich möchte nur, um Ihnen einen Begriff über die Unter¬
suchungsresultate zu gehen, zunächst einige der Untersuchungs¬
protokolle mittheilen:
T. Linker Vorderfuss einer Katze. Die Opera¬
tion fand am 29. IV. 1001 statt: (ins Thier wurde am 23. V. 1901
getödtet. also 24 Tage nach der Operation. Dieselbe bestand In der
Lange’sehen Verkürzung der Sehne mittels Faltung.
Die alte Sehne ist überall deutlich von der neugebildeten zu
unterscheiden: letztere ist zellreich und bläulich gefärbt. Man
erkennt in dem Präparat die alte Sehne an ihrem stark welligen
Verlauf; sie ist an einzelnen Stellen — meist peripherischen — sehr
zellreich und strahlen von liier aus Junge zellreiche Sehnenfaseikel
in die Umgebung aus; sie verflechten sich mit benachbarten Bün¬
deln innig und in den verschiedensten Richtungen. So entstehen
zwischen den Windungen der all n Sehne oft sehr umfangreiche
verbindende Füllmassen jungen Sehnengewebes. Zwischen
weiter auseinander gelegenen Sehne, ist durch Proliferation des
Bindegewebes ein zellreiches libropKstischos. gefüssrelches Ge¬
webe entstanden. Um die Nähte sind starke Zellanhäufungen
wahrnehmbar, die aus ein- und mehrkernigen Leukoeyten, Jungen
Gewebezellen, Fibroblasten und Riesenzellen bestehen.
II. Rechter Vorderfuss einer Katze. Die Opera¬
tion fand am 29. IV. 1901 statt; am 23. V. wurde das Thier ge¬
tödtet, also 24 Tage nach der Operation. Es war die Verpflanzung
einer Sehne auf die nächstgelegene mit Hilfe von 3 Seidenmihteu
vorgenommen worden.
Die Verbindung der 2 Seimen wird fast ausschliesslich durch
junges Sehnengewebe hergestellt. Zahlreiche Bündel jungen, zell-
reichen Sehnengewehes verflechten sich im Bereich der Narbe
innig und bilden hier einen förmlichen Knoten. Man kann sehr
deutlich den direkten Uebergang der alten ruhenden Sehne in die
Wucherung sehen und konstatirt das Einstrahlen und Slchauf-
lösen der gewucherten Sehnenzellenbündel ln die Narbe. Das
Peritenonium intexnum und externum zeigt nur geringe Verbreite¬
rung durch Vermehrung der Zellelemente. Um die Nahte herum
finden sich wiederum Leukoeyten, Riesenzellen und junge Ge¬
webszellen
III. Rechter Hinterfusg einer Katze. Die Daten
sind dieselben. Die Operation bestand darin, dass eine Sehne unter
einer anderen durchgezogen und auf die nächste verpflanzt wurde.
Hier zeigen die Präparate allenthalben eine Zunahme des
Peritenonium internum, dessen Gefüsse vielfach dickwandig und
zellreich erscheinen; kleine Anhäufungen von Blutpigment liegen
innerhalb des Peritenonium internum. Die Vermehrung der
Sehnenzellen ist geringer wie in 1 und II. Zwischen den grösseren
Sehuenbündeln starke Wucherung des Bindegewebes; die liier be¬
findlichen Nähte sind von kolossalen Massen von Leukoeyten
und Gewebszellen umgeben; die einzelnen Fäden bereits vielfach
durch junges flbroplastisclies Gewebe auseinandergedrängt bezw.
in Junges Bindegewebe eingeheilt. Das alte Sehnengewebe ist
also vorwiegend durch neugebildetes Bindegewebe vereinigt und
bethelllgen sich an der Narbe Sehnenzellen nur ln beschränktem
Umfang.
IV. Seil n en narbe von einer Tibialisverkür-
z u n g. Das Präparat stammt von der oben erwähnten Patientin.
Die Operation fand am 22. IX. 1900 statt, die Exstirpation der
Operationsstelle am 31. V. 1901, also nach 242 Tagen. Es war eine
L a u g e'sche Sehnenverkürzung vorgenommen worden.
An dem Präparat kann man sehr deutlich den oberen und
unteren Stumpf der Sehne erkennen: zwischen beiden Stümpfen
boliudet sich ein aus der wellig zusammengezogeuen Sehne ge¬
bildetes Zwischenstück. Die Stümpfe und der grössere Theil
des Zwischenstücks, soweit cs das Sehnengewebe selbst betrifft,
sind reaktionslos und unverändert. Das Peritenonium externum ist
dagegen gewuchert und zell- uml gefässreich; an dem einen Stumpf
sieht man zwischen dem gewucherten Peritenonium ext. und dem
umgebeuden. ebenfalls zell- und gefiissreichen Bindegewebe eineu
klaffenden (lymphatischen) Spalt. Dieser Stumpf erscheint von
dem welligen alten Sehnengewebe durch breite Massen von Gra-
nulationsgewebe bezw. jungem flbropiastiscliem Gewebe getrennt,
dessen Elemente auch vielfach zwischen die Sehnenbilndel und
-fasern eingewandert sind. Die an dieses junge Zellgewebe an¬
grenzende gewundene alte Sehne Ist aufgefasert, ohne Reaktion,
im Gegentheil vielfach in Zerklüftung und Auflösung begriffen;
auch hier wachsen zwischen die gelockerten Sehnenbündel junge
Zellen ein; (lessgleichen sind viele Leukoeyten eingewaudert. Im
Bereich der zusammengekniiuelten alten Sehne (also in dem Ver¬
bindungsstück der beiden Stümpfe) findet sich stellenweise massige
Zunahme des Zellreichthums der Sehne, an einer Stelle aber Ist
eine starke Wucherung und Bildung reichlicher junger Sohneu-
fascikel zu konstatiren, die sich zu einem dichten Narbenfleclit-
werk zusammenftigen. An dieser Stelle ist auch, aber in unter¬
geordnetem Maasse, neugebildetes fibrilläres Bindegewebe mit Go-
füssen an der Narbe betheiligt. Um die Fäden herum ist eine
kolossale Reaktion cingetretcn, die sich in starker Anhäufung von
Leukoeyten, jungen Gewebszellen und Riesenzellen dokumentirt;
vielfach ist auch schon junges fibrilläres Bindegewebe entstanden.
V. Linke Hinterpfote eines Dachshundes.
Die am 24. IV. 1901 vorgenommene Operation bestand in einer
Verlängerung der Achillessehne nach “I-förmiger Durchschneidung :
es wurden 2 Seidennähte angelegt. Das Thier wurde nach
04 Tagen (am 27. VI. 1901) getödtet.
Gegen die Operationsstelle hin nimmt der Kernreichthum der
Sehnen beträchtlich zu; (las Periteuonium internum zeigt ebenfalls,
Je näher man der Operationsstelle kommt, desto stärkere Kern¬
anhäufung und damit Verbreiterung; man findet hier um die Ge-
fässe reichliche Massen von Rundzelleu, sowie starke Vermehrung
spindliger Biudegewebszelleu. Im Bereich der Naht selbst ist
reichlich Junges Bindegewebe mit Gefässen, deren nächste Um¬
gebung mit Rundzelleu dicht besetzt ist, zur Entwicklung ge¬
kommen. Dies junge Bindegewebe steht mit den Proliferations¬
gebieten des Peritenonium internum und externum in Zusammen¬
hang. In die Narbe strahlen die neugebildeten Sehnenfaseikel ein.
VI. Rechte Hinterpfote desselben Thier es.
Die Daten sind dieselben. Die Achillessehne war nach der
L a u g c'scheu Methode verkürzt worden.
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Goögle
2038
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
Au (Uesen Präparaten Ist die Reaktion des Bindegewebes
bezw. die Betheiligung von leukoeytären Wanderzellen eine ganz
enorme. Um die Nähte haben sieh mächtige Rundzellennnsamm-
luugen gebildet, die sich weithin in das Narbengewebe verlieren;
an einzelnen Stellen sind die Anhäufungen von Leukocyten und
jungen (Jewebszellen förmlich abscessartig. Die Proliferation
seitens der Bindegewebsausbreitungen des Peritenonium externum
und internum ist ülienill im Bereich des Operationsgebietes sehr
bedeutend. I’ebeliill lmt sich zwischen der alten Sehne junges,
gefässreielies Bindegewebe gebildet. Wo die vorhin erwähnten
Kumlzellennnsammlungen sich finden, da ist auch jedesmal eine
Einwanderung der Leukocyten und jungen Gewebszellen zwischen
die Eibrillen der alten Sehne zu konstatiren. Eine Vermehrung
der Sehnenzellen ist auch an diesen Präparaten, wenn auch ln
massigem Grade, vorhanden; hie und da sieht man junges Schuen-
gewebe in die neugebildeten Bindogewebsmassen einstrahlen und
siel« darin verlieren.
VII. Linke Vorderpfote eines D a c h s h u n d e s.
Die Operation bestand in der durch “L-förmige Durchschneidung
ausgefiihrten Verlängerung einer Sehne; sie fand am 16. V. 1901
statt. 42 Tage später, am 27. VI. 1901. wurde das Thier getödtet.
Auch hier ist am Ileilungsproeess das Peritenonium externum
und internum wesentlich betheiligt: jedoch fehlen die starken
Rundzellenansammlungen, die im Falle VI das ganze Operations¬
gebiet förmlich iiberAutheten. Das Peritenonium internum zeigt
sieh massig verbreitert und zellreich. Durch Wucherung der
Sehnenzellen der alten Sehne ist reichlich junge Sehne entstanden,
welche, in Zügen angeordnet, sich mit benachbarten Zügen junger
Sehnen verflicht, wobei in der Regel die Bündel sich in spitzen
Winkeln treffen. Stellenweise ist die Neubildung von Sehnen-
gewebe sehr bedeutend und die Verflechtung der zellreichen
Schnenziige sehr innig; an solchen Stellen ist die entstandene
Narbe durchweg von jungem Sehnengewebe gebildet, welches nur
noch von gefässführenden, zellreichen Bindegewebszügen (.Pro¬
dukte des Peritenonium internum?) durchzogen ist.
VIII. Rechte Vorderpfote eines Dachshundes.
Die am 16. V. 1901 ausgeführte Operation bestand in einer Ver¬
pflanzung einer Sehne auf eine andere. Das Thier wurde am
27. VI.. also nach 42 Tagen, getödtet.
Bei diesen Präparaten sieht man benachbarte Sehnen durch
reichliches, ueugebildetes Bindegewebe (Peritenonium externum)
getrennt bezw. zusammengehalten. Um die Fäden ist sehr reich¬
lich junges Bindegewebe entwickelt und sind bereits eigenartige
Lymphspalten und grössere buehtige Räume um die Fäden ent¬
standen. in welchen auch Bruchstücke gequollener Sehne frei¬
liegen. Was von den operirten Sehnen zu schon ist. scheint eher
degenerativen Processen entgegen zu gehen, als progressiven. Ein
Selmenzipfol ist im Präparat umgebogen und in Auffaserung be¬
griffen; er ist von dem benachbarten Sehnenstück durch eine Naht
getrennt; das benachbarte Stück ist grossen!hoi 1s nnfgofnsert und
in Zerfall begriffen; zwischen die kernlosen gequollenen Sehnen¬
fasern sind Leukocyten und junge Gewebszellen eingewandert:
auf diese folgt dann wieder eine Naht, so dass die Vermuthung
nahe liegt, dass durch die Schnitte Stellen getroffen sind, an
welchen durch Umschnürung mit den Fäden eine partielle Rück¬
bildung der alten Sohne eingetreten ist. Eine weitere Unter¬
suchung dieses Präparates behalte ich mir vor.
IX. Linker II i n t. e rftts s e i n e s s c h w a r z e n
Hundes. Am 20. VI. 1901 ist die Achillessehne nach der
Lang c’seht'U Methode verkürzt worden. Nach 14 Tagen, am
4. VII., wurde der Hund getödtet.
Man sieht die in Wellenlinien verlaufende alte Sehne. An
einer Stelle ein grosser Bluterguss, in dessen Bereich die alte
Sellin» aufgefasert und kernlos ist und sieh in Degeneration bo-
lindct. Gerade in das Gebiet der Ilaomorrhagie sieht man nun
von der alten Sehne reichlich jungt? Schnellzüge, die sein* zellreich
sind, einstralden. Eine geringe Vermehrung und Zollintiltration
des Peritenonium internum ist im Bereich der Selinenwuehernng
zu konstatiren. Die Sohnenneubildung ist allenthalben sehr stark;
um die Nähte findet sich nur geringe Reaktion. Die centralen
Partien des Blutergusses sind noch nicht von der Wucherung
erreicht; hier ist also der Ileilungsproeess bedeutend verzögert.
X. Rechte Hinterpfote eines schwarzen
Hundes. Die Daten sind dieselben wie bei Fall IX. Die
Achillessehne war verkürzt worden, indem man sie mittels
eines Hakens hervorzog und faltete.
Das Präparat besteht hauptsächlich aus einer mächtigen
Narbe, die von verflochtenen, zellreichen, jungen Bchnenbündeln
und jungem Bindegewebe, das Gefässe mit Mänteln von Rund¬
zollen führt, gebildet wird. Von Seiten des Peritenonium
externum und dem peritendinösen Bindegewebe ist reichlich
neues Bindegewebe gebildet, auch die Ausbreitungen des
Peritenonium internum zeigen sich verbreitert und zell-
reich. Die Neubildung von Sehnengewebe ist sehr bedeutend
und kann man von der alten Sehne her zahlreiche Junge Sehnen-
faseikel in die Narbe einstrahlen und sich hier mit anderen Fas-
cikHii verflechten sehen; stellenweise ist die Narbe fast aus¬
schliesslich sehnig.
XI. lt e eilte r Vorderf uss d e s s e 1 b c n T hier e s.
Die Zeit Verhältnisse sind ebenfalls dieselben. Es wurde hier die
Schm» eines tiefen Beugemuskels mit derjenigen eines oberfläch¬
lichen Beugers vernäht.
FebernII im Präparat ist in der Umgebung der Narbe das
Peritenonium externum und das pcritendlnüse Bindegewebe ver¬
breitert und gewuchert, die Gefässe sind vielfach verdickt: die
benachbarten Reimen sind durch das neugebildete Bindegewebe
verbunden. Die Narbe selbst wird aus verflochtenen Zügen zell¬
reichen jungen Sehnengewebes gebildet, ferner von Zügen fibril¬
lären Bindegewebes und von Gefiissen. deren Umgebung von
Rundzellen besetzt ist; das Geflecht der Narbe ist ausserordent¬
lich dicht. In die Narbe sind reichlich Haare eingeheilt. An zwei
Stellen sieht man im Nnrbengewebe gequollene, degenerirte
Sohnenbündel der alten Sehne eingeschlossen.
Fassen wir das, was sich als wesentlich aus obigen
Unt< rsuchungsprotokollen ergibt, zusammen, so wäre dies etwa
Folgendes :
Die nach den verschiedenen Methoden der Sehnenplastik im
Verlaufe der nächsten Wochen sich abspielcnden Processi; führen
zur Bildung einer Narbe, an deren Aufbau einerseits das Sehnen-
gewebe selbst, andererseits das Peritenonium internum und ex¬
ternuni, sowie das peritendinöso Bindegewebe? Antheil nimmt.
Es spielen sieh dabei histologisch annähernd die gleichen Vor¬
gänge ab, wie sie uns nach den Untersuchungen von E n d e r 1 e n,
1> u s s e und neuerdings von Schradick für die Heilungsvor-
giingo nach der einfachen Tenotomie geschildert worden sind.
Die Neubildung des Sehnengewebes ist in der Regel eine
sehr bedeutende; es entstehen zahlreiche Bündel junger Sehnen,
die in die Narbe einstrahlen und mit gleiehgeartcten Fasei kein
innige Geliechte cingehen. In den ersten Wochen erscheint die
neugebildete Narbe noch mehr oder weniger bindegewebig, später
alter wird sie vorwiegend ‘-ehnig. Alte und neugebildete Sehne
sind aber auch noch nach Monaten durch den verschiedenen Zcll-
reiehthum. sowie durch die Farhemtntersehiede (hoi Haenia-
toxylin-EoMnfärbung) gut zu unterscheiden.
War die Operation nicht ganz aseptisch verlaufen, hatte
vielmehr eine leichte Infektion stattgehabt., so überwog die Pro¬
liferation des Bindegewebes entschieden die von der Sehne aus¬
gehende! Neubildung. Die Heilung wird ferner bedeutend ver¬
zögert, wenn sich grössere Ilaemorrhagien im Ojierationsgebij't
einstellen. Sehr interessant ist das Verhalten der Sehnen partiell,
welche zwischen die einzelnen Nähte gefasst, gewissermaassen
abgesehniirt werden. Man erkennt dann zunächst deutlich eine
Degeneration der al»geschnürten Sehnenbündel. Die regressiven
Proceppp am Sohnengewehe verlaufen unter Kernschwund, unter
Auffaserung und homogener Quellung der Fasern. In die dc-
generirten Sehncnahschnitte wandern dann zahlreiche Leuko¬
cyten und Wanderzellen ein, durch deren Umwandlung dann
wieder zunächst Bindegewebe und später sehniges Gewelie ent¬
steht.
"Mit. dem Alter der Narbe nimmt, deren Zellgehalt und Gefäss-
rcichtlnun allmählich ah, während die Zwischensubstanzen zu-
nehir.cn, aber auch noch nach Monaten sind die Processe der
Emigration und Immigration, sowie die Bildung und Rück¬
bildung der Narlie nicht beendet.
Soviel, m. TT., über meine Untersuchungen; die genauen
hi>t''logischen Milthoilungen über dieselben werden in einer aus¬
führlichen Arbeit von Dr. Borst erfolgen. Für die Praxis
ergibt sieb aus den seilten einmal, dass strengste Aseptik und
Vermeidung jeder Infektion, ferner exakte Blutstillung zur Ver¬
hütung von TTaemorrbagien für die Erzielung einer guten Hei¬
lung nötliig sind, und ferner, dass die Fixation des operirten
Theiles in der gewünschten Stellung für längere Zeit auch nach
vollständig beendeter Wundheilung statthaben muss, damit eine
wirklich solide Narbe entsteht.
Reagenspapier zum Nachweis von Jod bei klinischen
Untersuchungen.*)
Von G. Heiliges und J. Snbrazes in Bordeaux.
Der Nachweis des Jods irn Harn und im Speichel nach sub¬
kutaner Injektion oder nach innerlichem Gebrauch von Jodver-
hiiulungeii wird tagtäglich zu klinischen Zwecken durchgefülirt.
Da man hauptsächlich bezweckt, den genauen Zeitpunkt zu no-
tiren. in welchem das Jod in diesen Ausscheidungen aut tritt,
so begnügt man sich mit qualitativen Untersuchungen. Will
man z. B. das Resorptionsvermögen der Magenschleimhaut l»e-
stimincn. so gibt man dem Kranken bei leerem Magen 10 eg Jod¬
kali in einer Gelatinekappel und man untersucht hierauf den
Speichel: normal ist die Jodreaktion positiv nach Verlauf von
10 Minuten.
*i SoCiöte de Pharmaeie de Bordeaux. Fövrler 1901.
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17. Dezember 1901.
MÜENCHENER MEDICiNISCHE WOCHENSCHRIFT.
2039
Will man sich Aufschluss verschaffen über die Motilität des
Magens, oder richtiger gesagt, über den Zeitpunkt, in welchem
der Speisebrei den Pylorus zu durchtreten beginnt, um in das
Duodenum zu gelangen, so kann man seine Zuflucht nehmen
zur Jodipinprobe l ).
Diese Substanz ist eine feste Verbindung von Sesamöl und
Jod; sie wird weder in der Mundhöhle noch im Magen zersetzt,
was zahlreiche Experimente erwiesen haben. Nach Einnahme
vollzieht sich die Zersetzung des Jodipins im Dünndarm in Gegen¬
wart der Galle. Eine Viertelstunde nach der Probemahlzeit, die
aus einer Tasse Thee und einem kleinen Brod besteht, gibt man
in ein wenig Wasser einen Kaffeelöffel voll einer 10 proc. Jodipin-
lösung (3,50 g), was 0,35 g Jod repräsentirt. Das Auftreten der
Jodreaktion im Speichel zeigt deutlich an, dass die Entleerung
des Speisebreis des Magens in den Darm ihren Anfang genommen
hat. Das Jod, welches aus der öligen Verbindung frei geworden
ist, wird von der Blutcirculation als Jodsalz fortgetragen und
durch den Ham und durch den Speichel ausgeschieden, wo es
dann leicht ist, dessen Gegenwart zu entdecken. In der Regel
tritt die Jodreaktion im Speichel nach einer Viertelstunde auf.
In einigen pathologischen Fällen, wie z. B. bei der Magenerwei¬
terung, beim Pyloruskrebs, bei der Magenatonie der Tuberku¬
lösen, etc. konstatirt man eine manchmal sehr bedeutende Ver¬
zögerung im Auftreten des Jods. Beim Retentions-Ikterus, vor¬
ausgesetzt, dass keine Spur von Galle in das Duodenum Über¬
tritt, zersetzt sich das Jodipin nicht, und der Nachweis des Jods
im Speichel bleibt auf unbestimmte Zeit negativ.
Man wendet das Jodkali auch an, um den Zustand der Durch¬
gängigkeit der Nieren festzustellen. Man bestimmt den Anfang
und die Dauer der Jotlausscheidung aus dom Ham; den quali¬
tativen Feststellungen fügt man in diesem Falle, so wie es
L. Bard und L. M. Bonnet 2 ) im Jahre 1898 angerathen
haben, die Dosirung des Jods im Ham, der in den 24 Stunden
nach der subkutanen Injektion von 4 cg Jodkali ausgeschioden
worden ist, hinzu.
Neuerdings hat man vorgeschlagen, das durch den Magen
in der Dosis von 4 g eingeführte Jodkali zu benutzen, um ge¬
wisse entzündliche Affektionen der Hirnhäute zu bestimmen: die
subarachnoidalen Räume, die für das Jod in normalen Verhält¬
nissen undurchgänglich sind, werden bei der tuberkulösen Me¬
ningitis durchgänglich; dies hat zur Folge, dass die cerebrospinale
Flüssigkeit, welche durch Lumbalpunktion gewonnen wurde, Jod¬
reaktion aufweist s ).
Dieee Beispiele erschöpfen nicht die Reihe der Falle, in
welchen der Arzt berufen sein wird, das Jod in den Säften des
Organismus nachzuweisen.
Die Untersuchungsmethoden sind zahlreich. Man hat sich
bestrebt, sie zu vereinfachen. Die praktischsten sind die mit
Reagens-Papieren; so hat Bourget*) folgende Formel em¬
pfohlen : Mit Stärkekleister imprägnirte Papierstreifeu werden
in der Dunkelheit mit einer 5 proc. Ammonium hypersulfatum-
Lösung befeuchtet und vor Licht beschützt auf bewahrt; die
kleinsten Spuren von Jod in den zu untersuchenden Flüssigkeiten
rufen eine Blaufärbung des Papiers in Gegenwart von ein wenig
Chlorwasser oder rauchender Salpetersäure hervor. Dieses Re¬
agens-Papier ist von der Mehrzahl der Autoren, welche bisher
die Motilität des Magens mit Hilfe des Jodipins studirt haben,
angewendet worden; Ferdinand Winkler u. Konrad Stein“),
*) H. Winternitz: lieber das Verhalten von Jodfetten im
Organismus und deren therapeutische Verwendung. Deutsche
med. Woehenschr. 1897, No. 23.
T'eber Jodfette und ihr Verhalten im Organismus nebst Unter¬
suchungen Uber das Verhalten von Jodkalieu etc. Zcitschr. f.
physiol. Chemie 1899. Bd. XXIV, H. 5 u. 0.
9 L. Bard und L. M. Bonne t: Recherehes et considörntlons
oliniques sur les dlfferences de permöabilitß rSnale dans les diverses
espfcces de nßphrites. Areh. gelier, de m6d., fövrier, mars, avril
1898. Vol. 1, p. 129. 282, 404.
•’) Widal, Sieard et Monod: Perm(*abilite mening<*e
A Tiodure de potassium au cours de la meningite tuberculeuse.
Presse m6d. 7. novembre 1900, No. 92.
4 ) Bourget: Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte 1898,
pag. 523.
9 Ferdinand W i n k 1 e r und Konrad Stein: Die Ver¬
wendung des Jodipins zur Funktiousbestimmuug des Magens.
Centralbl. f. inn. Med., 19. August 1899, No. 33.
No. 51.
A. S t e r n b e r g *), S. Heichelheim') haben es benutzt.
Der Letztere merkte immer hierbei, dass dieses Reagens-Papier
ausserordentlich unbeständig ist; 2 Tage nach seiner Herstellung
verliert es seine Empfindlichkeit und kann ungenaue und sogar
ganz irrige Resultate liefern; es muss ferner immer vor Licht
beschützt aufbewahrt werden.
Wir haben ein Reagens-Papier angewendet, welches keine
dieser Unannehmlichkeiten besitzt, da es bezüglich seiner Sen¬
sibilität dem von Bourget empfohlenen nachsteht. Es ist
nicht nöthig, dass es frisch präparirt ist; so benützen wir ein
Paquet seit mehr als 8 Monaten. Es ist so empfindlich wie zur
Zeit seiner Herstellung. Das Licht hat demselben keine seiner
chemischen Eigenschaften verlieren lassen. Wir konnten uns
davon überzeugen, indem wir es 8 Tage der Sonne aussetzten;
es lässt sich unbestimmt lange Zeit konserviren.
DiesesReaktiv-Papier, dessen wir uns tagtäglich bedienen, um
Jod nachzuweisen, namentlich bei dem Jodipinversuch, wird fol-
gendermaassen hergestellt: Man löst in einer Porzellanschale lg
Stärkemehl in 10 ccm kalten, destillirten Wassers auf und fügt, in¬
dem man umrührt, 40 ccm kochendes Wasser dazu, hierauf bringt
man das Gemenge zum Kochen und lässt es 1 oder 2 Minuten
kochen, indem mau fortwährend rührt, hierauf lässt man ab-
kiililen und setzt der so erhaltenen Flüssigkeit 0,5 g salpetrig¬
saures Natrium hinzu und nach Auflösung dieses Salzes und
Umrühren bepinselt man mit einer Schichte dieses so zubereiteten
Reaktivs beide Seiten von starkem Schreibpapier, indem man
Sorge trägt, die zuerst befeuchtete Fläche, sei es spontan in
freier Luft oder viel schneller in einem Strom heisser Luft
trocknen zu lassen, bevor man die andere Fläche mit der Nitro-
Stärkeflüssigkeit bedeckt. Ist einmal die Trockenheit erzielt,
so zertheilt man die Blätter in Streifen von 1 —IVa cm Breite
und 8—10 cm Länge, man konservirt sie entweder in Büchsen
oder in Gläsern ohne weitere Vorsicht.
Beim Gebrauch befeuchtet man dieses Papier mit der Flüssig¬
keit, in der man das Jod nachweisen will und man fügt mittels
eines Glasstäbcheus einen Tropfen von einer dem Volumen nach
10 proc. Schwefelsäure hinzu.
Die Sensibilität der Reaktion ist derart, das6 sie gestattet,
bis zu ein Tausendstel eines Milligramms Jodkali in einem
Tropfen der Lösung dieses Salzes nachzuweisen.
Für die selir starken Lösungen ist es gut, das Papier über
eine Länge von 2—4 cm zu befeuchten, hierauf gibt man, indem
man den Streifen fast vertikal hält, mit der befeuchteten Fläche
nach oben einen Tropfen von 10 proc. Schwefelsäure auf den
obersten Punkt der befeuchteten Partie. Dieser Tropfen beleckt
beim Heruntergleiten die Fläche, welche die Jodflüssigkeit ent¬
hält und auf dem unteren Rande des Papiers beobachtet man
sehr deutlich eine charakteristische blaue Zone.
Fügen wir noch hinzu, dass in der Mehrzahl der Fälle der
erstere Modus ganz genügend ist.
Aus dem Institut für allgemeine Pathologie zu Turin.
(Direktor: Dr. C. S a c e r d o 11 i.)
Ueber die Desinfektion der von Phthisikern bewohnten
Räume.
Von Dr. D. Ottolenghi, Assistenten.
Eine vor Kurzem erschienene Arbeit von F. Stoinitz 1 )
über die Desinfektion von tuberkulösen Sputa gibt mir zu einigen
Erwägungen praktischer Art Anlass. Dieser Autor meint zwar,
dass die von Schwindsüchtigen bewohnten Räume mit Formal-
deh.vd desinfieirt werden müssen, empfiehlt jedoch, die grob¬
beseh m u t z t. e n Stelle n der W o h n u u g o n, an tlene n
S p u t u m o der sputu in verdächtige Masse n
sichtbar sind, mit einer 2 p r o in. Sublimat-
lösuug gründlich zu befeuchten. Ohne auf die,
") A. Sternberg: Die Verwendung des Jodipins zur Be¬
stimmung der Magenmotilitiit mit besonderer Berücksichtigung der
Phthise. Deutsch, raed. Zeitung. 3. Mai 1900.
T ) S. Heichelheim: Ueber Jodipin als Iudikator für die
motorische Thütigkeit des Magens. Zeitsehr. f. klln. Med. 41. Bd..
H. 5 u. 6. 1900.
') Zeitsehr. f. Hygiene 1901. 38. Bd.. p. IIS.
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MÜENcHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
2040
offenbar gefährliche, Einschränkung des Verfassers, der sich
nur auf von sichtbaren Sputummassen beschmutzte Stellen be¬
zieht, näher einzugehen, möchte ich jedoch bemerken, dass die
empfohlene 2 prom. Sublimatlösung absolut unzulänglich ist.
Denn handelt es sich um noch frische Sputa, so scheint mir das
einzige Experiment des Verfassers, bei welchem er die Desinfek¬
tion mit einer 2 prom. Sublimatlösung nach 3'A Stunden erzielte
— während in einem anderen Falle, in welchem das Sputum
etwas reichlicher war, nach 4 Stunden keine Desinfektion erfolgt
war —, nicht beweiskräftig genug, um einen Vorschlag von
solclier Bedeutung darauf zu gründen, auch wenn Verfasser bei
weiteren drei Experimenten fand, dass die 1 proc. Sublimat*
lösung nach 5—8 Stunden die Desinfektion herbeiführe. Handelt
es sich aber, wie in der Mehrzahl der Fälle, um seit mehr oder
weniger langer Zeit eingetrocknete Sputa, so konnte ich J ) bei
einer langen Reihe von Experimenten feststellen, dass reine oder
auch in verschiedenen Proi>ortionen mit HCl oder Na CI versetzte
3 prom. Sublimatlösungen selbst nach 24 Stunden keine zuver¬
lässige Desinfektion herbeiführen; um diese zu erzielen, muss
die Lösung mindestens eine 5 prom. sein. Zwar konstatirte
Stein itz bei einigen Desinfektionsversuchen von seit 14 bis
91 Stunden auf Taschentüchern eingetrockneten Sputa, dass
selbst 1 prom. Sublimatlösungen die Virulenz des Materials nach
4 Vs Stunden vernichten; dies«; Resultate können jedoch bei der
Frage von der Desinfektion der Sputa in Räumen, meiner An¬
sicht nach, nicht in Betracht gezogen werden. Denn 1. sind
in Räumen die Verhältnisse; viel weniger günstige als bei der
Wäsche, die, wie es Verfasser that, in die Desinfektionslösung
getaucht und somit von dieser gänzlich durchtränkt werden kann;
2. sind 4 Experimente (s. Tab. II, S. 137 der Arbeit von S t o i -
n i t z) und somit nur 4 geimpfteThiere wohl ein zu spärliches Be¬
weismaterial, wenn man es mit tuberkulösem Sputum zu thun
hat, dessen Beschaffenheit und Reichthum an Bacillen ausser¬
ordentlich variabel ist. Jedenfalls, und von dieser letzteren Er¬
wägung ganz abgesehen, dürften zur Desinfektion der von
Schwindsüchtigen bewohnten Räume niedrigere als 5 prom.
Sublimatlösungen, meiner Ansicht nach nicht empfehlen werden.
Bezüglich der Allgemeindesinfektion von Räumen meint
S t e i n i t z, dass die auch von mir befürwortete und in Be-
sprengung mit mindestens 5 prom. Sublimatlösung bestehende
Methode zur Einführung in die Praxis nicht zu empfehlen sei,
vor Allem, weil ich deren Wirksamkeit nur bei auf Papier aus-
gebreitetem Sputum konstatirte, ferner weil sich die Desinfektion
erst nach 24 Stunden erhalten lasse und endlich, weil eine gleich-
mässige Befeuchtung grosser Flüchen, z. B. der Wände, schwer
durchzuführen sei. Diesen Einwendungen glaube ich Folgendes
entgegenhalten zu müssen:
1. Meine Experimente nahm ich in der That an auf Papier
ausgebreitetem Sputum vor; doch, wie ich schon damals bemerkte,
hatte die Sputumschicht mindestens die gleiche Dicke wie bei
den gewöhnlichen tuberkulösen Sputumhäufchen; in dieser Hin¬
sicht bestanden also bei den Laboratoriumsversuchen keine ge¬
ringeren Schwierigkeiten als bei den praktischen Anwendungen,
da es sich immer um dicke Massen handelte. Es Hesse sich viel¬
leicht einwenden, dass wenn das Material sich in den Ritzen
der Wände und des Fussbodens befindet, oder an porösen Stellen,
die es zum Theil resorbiren, die Verhältnisse ungünstiger seien,
als bei auf Papier ausgebreitetem Sputum. Befeuchtet man je¬
doch, wie ich es gerathen habe, gründUch und zweimal alle
Wand- und Fussbodentheile, so wird man, da eine 5 prom. SubH-
rnatlösung die Virulenz des Sputum zweifellos zu vernichten ver¬
mag, den Zweck auch in diesen weniger günstigen Fällen er¬
reichen. Es wir«! sich also, im Grunde genommen, nur darum
handeln, den mit der Desinfektion betrauten Arbeitern die übri¬
gens leicht ausführbare Instruktion zu geben, dass sie die Be¬
feuchtung der Ecken, der rauhen Flächen, der Ritzen u. s. w.
mit besonderer Sorgfalt vornehmen. Und hier mochte ich be¬
merken, dass bereits Abba 3 ), der allerdings die Concentration
der Sublimatlösung auf 10 Prom. erhöhte, durch zahlreiche und
sorgfältig ausgeführte Experimente, die er vor Kurzem der
Piemont.-sischen Gesellschaft für Hygiene inittheilte, deutHch
nachgewiesen hat, dass sich mit der in Rede stellenden Methode*
0 Zeit.sehr. f. Hygiene 1000, 34. Bd. p. 250.
s ) Die ausführliche Arbeit wird bald erscheinen.
auch in den schwierigsten Verhältnissen eine sichere und
vollständige Desinfektion erzielen lässt.
2. Der Umstand, dass die Desinfektion erst nach 24 Stunden
zu Stande kommt, kann keine grossen Bedenken erregen, denn
dies verhindert nicht, dass im Nothfalle die Räume gleich nach
vollzogener Befeuchtung wieder bewohnt werden können.
3. S t e i n i t z meint, dass die Besprengung der Räume sich
schwer ausführen lasse. Aber die Erfahrungen, die man in grossen
Städten damit gemacht hat, wie z. B. in Turin, wo diese Methode
seit länger als 10 Jahren zur Desinfektion von Räumen regel¬
mässig angewendet wird, thun deutlich dar, dass sie im Gegen-
tlieil wegen ihrer Einfachheit zum mindesten eine der bequemsten
und am leichtesten ausführbaren ist.
Ich habe mir erlaubt, mich über diesen Gegenstand etwas zu
verbreiten, da es mir nothwendig schien, Einwürfe zurückzu¬
weisen, die schon von vielen Autoren erhoben wurden, um, meiner
Ansicht nach mit Unrecht, von einer Methode abzurathen, die
doch sehr empfohlen zu werden verdient. Und dies um so mehr,
als es gerade diese Methode ist, die bis jetzt die besten Resultate
zu geben vermag, wenn man nicht geringere als 5 prom., oder
— nach dem ausgezeichneten Vorschlag Abba’s — geradezu
10 prom. SubUmatlösungen anwendet. Da ich selbst Desinfektions-
versuche mit Formaldehyd nicht ausgeführt habe, so stellt es
mir nicht zu, einen Vergleich anzustellen zwischen den Des¬
infektionen mit Sublimat und denen mit Formaldehyd, die, nach
Einigen, die besten sein sollen. Andere haben dies schon, wie ich
glaube, in erschöpfender Weise gt-than. Hier sei nur noch bemerkt,
dass selbst Stein itz, der doch zur Desinfektion der von Schwind¬
süchtigen bewohnten Räume Formaldehyd empfiehlt, bei seinen
mit dem Breslauer Apparat ausgeführten Experimenten konsta¬
tirte, dass in dicker Schicht eingetrocknete Sputa nicht des-
infizirt wurden (s. Tab. III, S. 142 der Arbeit von S tei n i tz),
ja nicht einmal solche, die er 10 cm über dem Boden in einige
Ecken des Raumes gelegt hatte, wo sie von einem Strahl Sublimat¬
lösung sicher getroffen worden wären.
Ueber chronischen Schleimhaut-Pemphigus der oberen
Luftwege.*)
Von Dr. Jacob Gugenheim,
Spezialarzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten in Nürnberg.
Seit Langem war schon die Erkenntniss gewonnen, dass beim
Pemphigus in seinen verschiedenen Formen, dem Pemphigus
acutus, wie dem Pemphigus chronicus vulgaris und foüaoeus,
Eruptionen auf den Schleimhäuten der Mundhöhle und der oberen
Luftwege Vorkommen. Das spezielle Studium dieses Schleim¬
hautpemphigus ist indess naturgemäss relativ jungen Datums:
es war den Laryngologen Vorbehalten, als deren Erster
L. v. Schrötter vor nahezu 30 Jahren mit 2 Fällen den
Reigen der literarischen Mittheilungen über die interessante und
seltene Affektion eröffnete, von der Menzel im Jahre 1899 nur
einige 40 Fälle in der laryngologischen Literatur hat ausfindig
machen können.
In der Mehrzahl der Erkrankungen treten die Eruptionen
auf den Schleimhäuten sekundär in die Erscheinung, nach¬
dem mehr weniger lange Zeit zuvor der Pemphigus der äusseren
Haut bestanden hat. Nicht unbeträchtlich ist aber andererseits
die Zahl der Beobachtungen von primärem Auftreten des
Schleimhautpemphigus; nicht nur, dass dieser akute fieberhafte
Fälle einleitet, in denen erst nach Tagen die Hauteffloresoenzen
folgen, sondern namentlich auch sind chronische Fälle in der
Literatur verzeichnet, in denen die Affektion monate- and jahre¬
lang auf die Schleimhäute der oberen Luftwege — häufig ver¬
gesellschaftet mit der Conjunctiva — beschränkt bheb, ehe die
Haut sich betheiligte und noch andere, ganz besonders bemerken
werthe Fälle, in denen jahre- und selbst jahrzehntelang die
Schleimhäute den alleinigen isoHrten Sitz der Erkrankung ab-
gaben, ohne dass überhaupt Hauteruptionen hinzugetreten sind.
Berichte, wie die von Sachsalber über einen seit 27 Jahren
isolirt stehenden Pemphigus des Raoliens und der Conjunctiva
ohne IlautmitbetheiUgung oder von van Dremmen über
12 jährige Dauer der Pemphiguserkrankung in Mund, Nase,
*) Nach einem Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein Nürn¬
berg am 23. Mai 1901.
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j
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2041
17. Dezember 1901.
Rachen und Kehlkopf wie an den Bindehäuten ohne Hautaffek¬
tion lehren zum Mindesten, dass der Konnex des Schleimhaut-
peinphigus mit dem der äusseren Haut — vom Wesen des Leidens
natürlich abgesehen — nicht so absolut innig ist, wie gemeinhin
angenommen wird. Die bemerk enswertheete Differenz zwischen
beiden tritt insonderheit bei den meisten chronisch verlaufenden
Fällen von Schleimhautpemphigus bezüglich der Beschaffenheit
und Entwicklung der Effloresconzen zu Tage. Kann es
doch bei den eben bezeichneten Fällen sehr wohl sich ereignen,
dass die für den Pemphigus typische Eruption, die Blasenbildung,
dem sorgfältigsten Untersuoher auch während langer Beobach¬
tungszeit überliaupt niemals zu Gesicht kommt. Mandel¬
stara m, Killian u. A., denen wir ausgezeichnete Mitthei¬
lungen verdanken, gelangten geradezu auf Grund ihrer Beobach¬
tungen zu der Ansicht, dass es einen Schleimhautpemphigus ohne
Blasenbildung gebe, eine Anischt freilich, die neuerdings durch
die anderwärts gewonnenen Erfahrungen und das Studium aller
übrigen in der Literatur berichteten Fälle als unrichtig erkannt
worden ist. Will man nach dem Stande unseres heutigen Wissens
ein Bild von den Schleimhauteruptionen in ihren mannigfachen
Varianten entwerfen, so mag man zweckmässig zuvörderst an
die besonderen Bedingungen erinnern, welche für die Efflores-
cenzen im Gegensatz zur Haut an den Schleimhäuten obwalten.
Fortwährend durch die feuchten Sekrete maoerirt, vermag hier
dio weit dünnere Epitheldecke der Blase dem angesainmelteu
Serum nur geringen Widerstand zu leisten, sie wird alsbald grau
getrübt, platzt und wird abgestossen: Die Blase — von Hanf-
kom- bis Bohnengrösse, mit wasserhellem oder gelblichtrübem
Serum gefüllt — hat zumeist nur einen ganz kurzen Bestand
und kommt schon eben desshalb öfter gar nicht zur Beobachtung.
Andrerseits ist aber auch der Charakter der einzelnen Affek¬
tion in dieser Hinsicht von Bedeutung. Da gibt es zunächst
seltenere Fälle, die während langer Beobachtungzeit fast bei
jeder Untersuchung immer wieder Blasen konstatiren lassen:
deren alsbald abgestossene Epitheldecke legt dann an einer Stelle
einen stark gerötheten, manchmal leicht blutenden, scharf be¬
grenzten Schleimhautbezirk bloss, der am Rande zuweilen cha¬
rakteristische, faltige, weissliche Epithellappen als Reste der
Blase auf weist und nach kürzerer oder längerer Frist sich über¬
häutend zur Norm zurückkehrt.; an anderer bedeckt sich das
exkoriirte Schleimhautareal sogleich mit weissen oder grau-
gelblichen Auflagerungen, mit exsudativen Pseudomembranen,
die sich abstossend und wiedererstehend eine Weile die Restitu¬
tion zur Norm hintanhalten. An der überhäuteten Schleimhaut¬
stelle kann früher oder später wieder eine Blase entstehen, welche
die eine oder die andere dieser Wandlungen folgen lässt, ebenso
wie neben der exkoriirten oder mit Belag belegten Schleimhaut¬
zone andere Blasen den Ausgangspunkt für dio angedeuteten
Veränderungen abgeben können. Den geschilderten stehen indess
andere, häufigere Fälle gegenüber, in denen eigentliche
Blasen höchst selten wahrgenommen werden: Statt ihrer be¬
herrschen weisse oder grauweissliche, zumeist dicke, unregel¬
mässig scharf begrenzte Auflagerungen die Scenerie, die, crou-
pösen und diphtherischen Membranen ähnlich, oft ansehnliche
Grösse zeigen können. Die unter ihnen belegene, zumeist intensiv
geröthete, leicht blutende Schleimhaut bedeckt sich nach Ab¬
ziehen der Hülle nach wenigen Stunden mit neuem gleichen
Belag. Sich selbst überlassen stossen sich diese Membranen
nach kürzerem oder längerem Bestehen ab, wonach dann die ent-
blösste Schleimhaut entweder mehr weniger lange hochroth ohne
Epitheldecke verharrt oder sich bald üborhäutet oder aber neue
Auflagerung bekommt. Sind mehrere solcher Eruptionen in ver¬
schiedenen Entwicklungsstadien neben einander, so entsteht ein
sehr abwechslungsreiches Bild: Mit Auflagerungen bedeckte
Partien neben exkoriirten Zonen und anderwärts zwischen eben
frisch überhäuteten und gänzlich normalen Bezirken.
In einer Gruppe von schwersten Fällen kommt die Schleim¬
haut der oberen Luftwege bei fast unaufhörlicher Folge der ge¬
kennzeichneten Schübe gleichsam gar niemals zur Ruhe; unstet
lösen sich die Eruptionen ab, den Untersucher oft verblüffend
durch die Mannigfaltigkeit der dabei sich ergebenden Befundei
In einer zweiten Gruppe von gleichfalls lange hingezogenem
\ erlaufe treten dieEruptionen stets nur attackenweise in längeren
Zwischenräumen auf, während welcher an der Schleimhaut über¬
haupt keinerlei Veränderung wahrnehmbar ist. Ihnen stehen
Fälle gegenüber, in denen mit mehreren Eruptionen in kürzeren
Intervallen die Erkrankung gänzlich abgeschlossen ist, und
schliesslich jene in der Literatur verzeichneten, die nur einmaliges
Auftreten der Peraphigusefflorescenzen mit Restitution zur
Norm zeigten.
Je länger die Erkrankung dauert, um so seltener treten im
Allgemeinen — freilich gilt dies nicht ausnahmslos — deutliche,
eigentliche Blasen in die Erscheinung: Bisweilen sind da nur
ganz im Beginn der Affektion wirkliche Blasen gesehen worden
und dann während sehr langer Beobaehtungszeit in dem ge¬
schilderten Ablauf der Vorgänge nur die weisslichen Auflage¬
rungen, die wie Croupmembranen aus Fibrin mit eingestreuten
Leukocyten bestehend, den Process als eine chronisch exsudative
Entzündung im Wesentlichen kennzeichnen. Manchen Autoren
sind, wie gesagt, Fälle derart zur Beobachtung gekommen, die
— wie man heute anzunehmeu geneigt ist — über das Stadium
der anfänglichen vereinzelten Blaseneruptionen bereits hinaus
waren und nun ausschliesslich Membranbildung dargeboten
haben. In anderen Fällen, wie auch in dem von uns beobachteten,
treten dann und wann einmal mitten im Ablauf der membranösen
Processe deutliche Blasen zu Tage, um freilich mit der zu¬
nehmenden Dauer der Affektion immer seltener zu werden; die
sehr lange währende exsudative Entzündung, welche nachher die
Scene beherrscht, hat schliesslich öfter tiefergreifende Verände¬
rung der Gewebe im Gefolge: es kommt nach Infektion zur Ge¬
schwürsbildung, zur Granulationswucherung an den exeoriirten
Partien, namentlich aber zu chronischer Infiltration der Schleim¬
haut und bindegewebiger Schrumpfung. Verdickung des Kehl¬
deckels und zunehmende narbige Verengerung des ganzen Kehl-
kopfeingangs sieht man u. a. als Folge der letzteren Gewebs¬
veränderungen, während andererseits Verwachsungen zwischen
geschwürigen, korrespondironden Theilen beobachtet wurden. An
der Conjunetiva ist der Ausgang in Symblepharon eine fast
typische Erscheinung.
Wir hatten bisher die grauweissen Auflagerungen beim
Schleimhautpemphigus — der oben angedeuteten histologischen
Struktur nach — als Exsudat- bezw. Pseudomembranen be¬
zeichnet, entsprechend dem, was die meisten neueren Untersucher
am häutigsten ermittelt haben, während wir dieselben von
früheren Autoren vielfach als Epithelverdichtungen und Epitliel-
abhebungen angesprochen finden. Nach C h i a r i kommen Blasen
nur bei schneller reichlicher Exsudation zu Stande, bei langsamer,
spärlicher Exsudat ion kommt es zur Erhebung und Trübung des
Epithels mit Gerinnung des Exsudats. Besonders beinerkens-
werth in dieser Hinsicht ist das Ergebniss der mikroskopischen
Untersuchungen Menzel’s bei einem seiner Fälle, welche die
Beläge geradezu als AnalogaderBlasen erkennen Hessen,
indem über dem fibrinösen Stratum in dünnster Schicht Epithel
nachzuweisen war, mithin eine Effloresccnz vorlag, die nur durch
die grössere Gerinnungsfähigkeit des Exsudats von einer Blase
sich unterschied.
Auch uns gelang es in unserem Falle, während zahl¬
reiche Untersuchungen immer wieder nur die Struktur der Ex¬
sudatmembranen erkennen liossen, an einem Belag häut-
chen, das wir von der hinteren Pharynxwand vor¬
sichtigst entfernt hatten, eine dünne, oberflächliche
Epitheldecke über dem Exsudate nachzu¬
weisen und uns diesen Befund — weil er uns sehr bemorkens-
werth erschien — durch unabhängige Kontrole von einem er¬
fahrenen Untersuchor bestätigen zu lassen; danach hätten
wir diese Auflagerung gleichfalls als ein
Blasenanalogon anzusprechen.
Nach alledem ist jedenfalls die Struktur der Beläge nicht
allenthalben eine einheitliche; namentlich ist aber auch Ihm der
Bcwerthung der diesbezüglichen Lintersuchungsbefunde nochmals
daran zu erinnern, wie vergänglichen Bestandes das dem Einfluss
der Maceration ausgesetzte Epithel der Schleimhaut ist. Wei¬
teren Forschungen muss es Vorbehalten bleiben, diese Verhält¬
nisse noch mehr zu klären.
In einem merkwürdigen Gegensatz zu den vielgestaltigen und
ruhelos wechselnden objektiven Erscheinungen stehen namentlich
in manchen chronischen Fällen die subjektiven, relativ geringen
Beschwerden der Patienten. Ausser zeitweiligem Hitze-
und Wundgefühl, mässigen Schluckschmerzen, die ihnen Ent¬
haltung von reizenden Speisen und Getränken auferlegen, ver-
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2042
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
zoiehuon «io bei Betheiligung des Kehlkopfs oft ein leichteres Er¬
müden bei vielem Sprechen, und sind dabei behindert durch das
Gefühl, als ob sich etwas im Halse bewegte; bereitet sich die Ab-
stossung von aufgelagerten Häutchen vor, so geht allerdings der
Expektoration oft ein belästigender Hustenreiz und wohl auch ein
Anfall dyspnoischer Beengung mehr oder weniger lange voraus,
während andererseits den Attacken vorübergehend ein Gefühl der
Ermüdung folgt. Aber das Allgemeinbefinden kann, wie in
unserem Falle, bei alledem lange Zeit (in manchen Fällen viele
Jahre hindurch) ein sehr befriedigendes bleiben; nie begleitet
Fieber die. wechselnden Ausbrüche an den Schleimhäuten, die
zeitweilig mehr, dann wieder weniger modifizirte Ernährung er¬
hält den Körperzustand wie ehedem unverändert günstig, kurz der
Patient macht ganz und gar nicht den Eindruck eines Kranken.
Auch wenn ein Fall wie der unserige denen beizurechnen ist, die
objektiv immerwährend wechselnd örtliche Befunde erheben
lassen, so gibt es auch hier doch neben zeitweiligen bewegteren
Epochen mit raschen Schüben und ausgedehnteren Eruptionen
viel häufiger Perioden geringerer örtlicher Veränderungen und
sehr verlangsamten Ablaufes derselben. Während letzterer sind
dann auch die subjektiven Beschwerden noch mehr verringert.
Foetor ex ore und Speichelfluss, die bei unserem Falle ganz und
gar fehlen, sind in anderen häufiger beobachtet worden; nament¬
lich aber zeigten andere Patienten von vornherein so schwer ge¬
schädigte Ernährung, dass T h o st z. B. die gleichzeitig be¬
stehende Kachexie als eines der charakteristischen Momente be¬
sonders hervorhebt. Wo die Nahrungsauf nähme immer mehr Be¬
einträchtigung erfährt oder unregelmässige Fieberbewegungen
schliesslich doch den Eruptionen sich hinzugesedlen, tritt rasch
zunehmende Erschöpfung ein; narbige Verdickungen im Kehl¬
kopf andererseits bringen um sich greifend gefährliche Stenose
zu Stande, während den Eruptionen sich anschliessendes Oedem
des Larynx schon in früheren Stadien sehr bedrohlich werden
kann. Meist führen indess — wenn die Erschöpfung inzwischen
nicht das Ihrige thut — interkurrente Krankheiten, wie nament¬
lich Bronchopneumonien den Ausgang herbei, der in anderen
Fällen besonders dann beschleunigt heranrückt, wenn schliesslich
die äussere Haut in grösserer Ausdehnung an der Erkrankung
sich betheiligt.
Zur Illustration der Schilderung, die wir von dem inter¬
essanten Krankheitsprocesse zu geben bemüht waren, dürfte nicht
leicht ein besseres Paradigma sich finden, als der von uns be¬
obachtete Fall.
Derselbe betrifft eine 62 jährige Dame von gutem Ernährungs¬
zustand und kräftigem Körperbau, die, früher nie ernstlich krank,
vor einigen Jahren einmal an einem Rückenfurunkel und dann an
kru8tÖBem Ekzem am linken Ellbogen ganz vorübergehend zu
leiden hatte. In den Februar 1899 verlegt sie den Beginn der in
Rede stehenden Erkrankung. Bald da, bald dort an den Schleim¬
häuten der Mundhöhle und des Halses auftretende „wunde Stellen“
und „Bläschen“ fingen an, die Patientin durch Hitze und Wund¬
gefühl, sowie Schluckschmerzen zu belästigen. Die später hinzu¬
tretende Kehlkopfbetheiligung gab sich ln den oben geschilderten,
allmählich stärkeren und häufigeren Beschwerden kund, von denen
die Patientin nie mehr völlig frei blieb auch in den Zeiten ihres
relativen Wohlbefindens. Letztere waren namentlich zu Anfang
des Herbstes 1900 für die Kranke immer knapper bemessen, immer
mehr fielen ihr die Attacken von „Häutchen“expektorationen zur
Last. Am 24. Oktober 1900 wurden wir wegen der beängstigenden
Häufung gerade dieser letzteren zu der Patientin gerufen, die uns
eine annähernd elliptische. 4 cm lange und iy 2 cm breite, Tags
zuvor ausgehustete Membran zeigte. Wir erhoben folgenden
Befund:
An der hinteren Rachen wand zeigte sich eine granweisse,
annähernd rechteckige scharf umrandete Auflagerung von 2 cm
Länge und 1 cm Breite mit etw'as stärker gerötheter Scbleimhaut-
umgebuug; an der linken oberen, etwas abgerundeten Ecke war
die Auflagerung in Falten vom Grunde
ein wenig abgehoben und liess die in¬
tensiv geröthete, bei Berührung leicht
blutende Schleimhaut erkennen. Im
Larynx (Fig. 1) fanden sich die seit¬
lichen Theile der Epiglottis beiderseits
über den freien Rand hinweg je mit
einem dichten weissen Belag bedeckt,
während der mittlere Abschnitt des
kleine normale Zone zwischen sich und
freien Randes, nach rechts noch eine
dem rechtsseitigen Belag belassend, ex-
koriirt war, bei Berührung leicht
blutete und in der Peripherie einzelne
unregelmässige, fetzige, häutige Läpp¬
chen aufwies. Den Schleimhautüberzug der Aryknorpel deckte
beiderseits ein dünner, weisser Belag-Anflug.
Nächsten Tags (25. Oktober) war der Belag von der hinteren
Rachenwand verschwunden, der Tags zuvor von demselben be¬
deckte, scharf begrenzte Schleimhautbezirk nur noch durch stärkere
Röthung markant ausgezeichnet; am 26. Oktober bot die hintern
Racheuwand gar nichts Abnormes mehr. Im Larynx waren am
2. Beobachtungstage die dünnen Beläge der Aryknorpel ver¬
schwunden, dafür die linke ary-epiglottisclie Falte mit leichtem
Anflug bedeckt, am Kehldeckel links war die belegte Stelle durch
eine exkoriirte, intensiv geröthete ersetzt, die mittlere Zone* in der
Ueberhäutung begriffen, der rechtsseitige Randbelag eben daran,
sich von der Unterlage abzustossen. In den folgenden Tagen
wechselte so der Befund unaufhörlich in der mannigfaltigsten
Weise: heute belegte Zonen zeigten sich nächsten Tags oxkoriirt
oder normal Uberhäutet, exkoriirte zur Norm zurückgekehrt oder
mit neuer Auflagerung bedeckt, normale Stellen als Sitz von Belag
oder in scharf umgrenztem Bezirke epithelentblösst, leicht blutend.
Fast ebenso variabel'— nur nicht in ganz so beschleunigtem Ab¬
lauf — waren die Befunde im Rachen, am Velum, an Zahnfleisch
und Wangenschleimhaut. Die Diagnose: Pemphigus war nach alle¬
dem schon sichergestellt, als am 29. Oktober am Epiglottisrand
rechts eine deutliche kleinbohnengrosse Blase mit gelbgrünlich
durchschimmerndem Inhalt neben den geschilderten Veränderungen
«ich zeigte; Tags darauf war die Blase spurlos verschwunden, wie
denn überhaupt im Kehlkopf nie wieder eine Blase seitdem von uns
wahrgenommen wurde. Die eben geschilderte stürmische Epoche
wurde alsbald abgelöst von einer ruhigeren Zeit mit langsamer sich
folgenden Schüben viel weniger ausgedehnter Eruptionen bei fast
völlig geschwundenen subjektiven Beschwerden. Dann setzte mit
einem Mal wieder eine Periode lebhaftesten Ablaufes der örtlichen
Erscheinungen ein, zugleich mit Steigerung der Beschwerden. In
diesem Wechselturnus ging es fort und fort
Zur Illustration seien noch 2 charakteristische Befunde heraus¬
gegriffen, ein sehr günstiger hinsichtlich derKehlkopferschoinungen
vom 4. Dezember: die Epiglottis ist bis auf eine kleinste Zone am
iiussersteu linken Rand völlig überbautet, nur intensiv liellroth er¬
scheinend, frei von jedwedem Belag. Der Larynx sonst normal.
Pharynx frei, am Velum rechts ein Belag von der Grösse eines
Pfennigstückes, links am Velum linsengrosse, seharfbegreuzte, ge¬
röthete, epithelentblösste Stelle. Am 22. Dezember hingegen prä-
sentirte sich die Epiglottis wieder bis auf eine kleine, mittler«*,
knapp 1 cm breite exkoriirte Zone
mit granullrendem Schlcimhaut-
grund, völlig mit dichtem Belag
überzogen; als ob man von der
luryngealen Seite her dem Kehl¬
deckel eine weisse Hülle umge¬
worfen habe, so sieht es aus; weiss-
liche Läppchenstreifen säumen den
granulirenden mittleren exkorilrten
Bezirk. Die Epiglottis ist nicht
unwesentlich verdickt und hebt
sich schwerer beim Phoniren;
am rechten Aryknorpel kleine,
epithelentblösste, leicht blutende
Stelle; im Pharynx rechts oben
seitwärts eine kleinerbsengrosse
Blase. Nie waren während der ganzen Zeit der Beobachtung die
Schleimhäute der oberen Luftwege völlig frei von Efflorescenzen:
trotzdem blieb das Allgemeinbefinden relativ wenig alterirt, Tem¬
peratur stets normal. Die Haut ist völlig intakt; an den Binde¬
häuten, die sehr häufig bei chronischem Schleimhautpemphigus
raitergriffen sind, ist nichts Abnormes nachweisbar und auch die
Nase zeigt keinerlei Antheil an dem Processe.
Bis heute (seit nunmehr 2’A Jahren) ist der Krankheits¬
zustand unverändert, der anfänglich recht wohl diagnostische
Schwierigkeiten bereiten konnte. Im Herbst 1900 hingegen war
die Diagnose, zumal als an unserem 2. Beobachtungstage der
merkwürdige Wechsel in dem Krankheitsbilde in die Augen fiel,
unschwer zu stellen. Die Mannigfaltigkeit der unsteten, kurz¬
lebigen Efflorescenzen mit dem immerhin typischen Turnus im
Ablauf der einzelnen Stadien charakterisirt zur Genüge den
chronischen Schleimhautpemphigus der Luftwege in diffe¬
rentielldiagnostischer Beziehung gegenüber anderen
mit Blasen- oder Membranbildung bezw. mit dem Auftreten weiss-
farbener Oberflächenvcriinderungen einhergehenden Schleim¬
haut afFekt innen.
Da sind zunächst jene eigenartig mattweissen oberflächlichen
Efflorescenzen des sekundären Luesstadiums, nekro¬
tische Trübungen des Epithels darstellend, über der in den
obersten Schichten infiltrirten Schleimhaut, mit denen die Pem-
phigus-Exsudatmembrnnen wohl einmal verwechselt werden
können; die genauere B«x>bachtung wird freilich hier die auf¬
fallend dicken, abziehbaren Auflagerungen erkennen lassen und
namentlich in Folge der frappirenden Veränderlmhkeit der ört¬
lichen Eruptionen die etwa zuerst auf Lues gestellte Diagnose
in’s Wanken bringen. Während die in Rede stehenden svphi-
Fig. 2.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2043
17. Dezember 1901.
litischen Eruptionen das Gebiet des Larynx ungemein selten er¬
reichen, hat der Sohleiinhautpemphigus relativ häufig den Sitz
im Kehlkopf und namentlich am Kehldeckel. Auftreten von
Blasen wird in manchen Fällen etwaige diagnostische Zweifel zer¬
streuen, gleichwie in anderen sonstige Symptome von Lues Auf¬
klärung bringen.
Die Diphtherie zeigt hinsichtlich des Alters der Patien¬
ten, der schweren Störung des Allgemeinbefindens bei akut
fieberhaftem Verlauf, sowie der Lokalisation der örtlichen Ver¬
änderungen gerade in der Gegend der Tonsillen, die beim Pem¬
phigus bemerkenswerther Weise verschont bleiben, ein so wesent¬
lich verschiedenes Gesammtkrankheitsbild, dass sie leicht aus-
zuschliessen sein wird, wenn sie je einmal in den Rahmen der
diagnostischen Erwägungen fallen sollte.
Die mikroskopische Untersuchung klärt durch den Nachweis
der betreffenden Pilze ehestens Fälle von Soor auf, der ja
übrigens bei Erwachsenen nur in schwersten, hochfieberhaften
Erkrankungen bei vernachlässigter Mundpflege vorkommt.
Die Stomatitis ulcerosa (mercurialis), welche über
Zahnfleisch, Wangenschleimhaut und Zunge selten sich hinaus
erstreckt, hat wohlgekanute, typische Veränderungen zur Folge.
Unter den mit Blaseneruptionen einhergehenden Schleim-
huutaffektionen ist der Herpes febrilis durch den akuten
Verlauf, durch die Gruppenanordnung seiner kleinen, von einem
Entziindungshof umgebenen Efflorcscenzen und insbesondere
durch die kaum fehlende Betheiligung der Haut der Lippen oder
Nasenflügel charakterisirt.
Die Stomatitis epidemica (M undseuche des
Mensche n), eine unter schwersten Allgcmeinerscheinungen
stürmisch einsetzende Infektionskrankheit von 2—3 wöchent¬
licher Dauer, mit Blasenbildung an Lippen, Mundwinkel und
Zahnfleisch, sowie Petechien an der Haut, ist in ihrer Eigenart
unschwer vom Pemphigus zu trennen.
Grösseren Schwierigkeiten begegnet indess die differentiell
diagnostische Abgrenzung zwischen isolirtem Erythema
multiforme der Schleimhaut und Pemphigus, so
zwar, dass die hinzutretende Betheiligung der äusseren Haut die
in manchen Fällen erst Klarheit zu bringen vermag. Beim Ery¬
thema multiforme ist übrigens ein längerer isolirter Bestand der
Schleimhautaffektion im Gegensatz zum Pemphigus überhaupt
nicht beobachtet; nach Menzel ist eine gewisse Regelmässig¬
keit der Eruptionsrecidive für das besonders im Frühlung und
Herbst gehäuft vorkommende Erythema charakteristisch, sowie
die stärkere Alteration des Allgemeinbefindens. In Fällen von
Erythema, in denen, wie in dem von Schütz beschriebenen,
knötchenförmige Infiltrationen zu Tage traten, ist die Diagnose
wesentlich erleichtert.
Mit der richtigen Stellung der Diagnose ist leider der Höhe¬
punkt unsere« ärztlichen Könnens bei der in Rede stehenden
deletären Krankheit schon erreicht, deren Prognose, was die
Heilung anlangt, eine absolut ungünstige ist. Nicht so traurig
steht es hingegen mit der Prognose quoad vitam in den Fällen
von chronischem Schleimhautpemphigus, so lange die
äussere Haut sich nicht in grösserer Aus¬
dehnung an der Erkrankung betheiligt. Im
Gegensatz zu den Dermatologen, die den primären Schleimhaut¬
pemphigus vornweg als ein Kriterium absolutester Malignität
ansprechen, weil ihnen eben mehr die Fälle zur Beobachtung
kommen, denen in kürzerer Zeit die Affektion der äusseren Haut
sich hinzugescllt und damit zumeist rasch die Wendung zum
Schlimmen besiegelt, wissen die Laryngologen von relativ zahl¬
reichen Fällen zu berichten, in denen, wie schon im Eingang
erwähnt, Jahre und Jahrzehnte lang bei wenig oder gar nicht
alterirtem Allgemeinbefinden die Schleimhautcfflorescenzen des
Pemphigus isolirt ihr Wesen treiben.
Die Therapie steht mit ganz unzulänglichen Mitteln in
verzweifeltem Kampfe dem Pemphigus gegenüber. Das vielfach
empfohlene Arsen und auch Strychnin ebenso wie Badekuren
sind auch bei lange fortgesetztem Gebrauch ohne wesentlichen
Einfluss auf den Gang der Dinge. Oertliche Behandlung versagt
vollständig; die symptomatische Therapie bleibt als unsere einzige
Zuflucht zur Linderung des Schmerzes, der Hustenanfälle und
Schluekbeschwerden, und auch sie feiert keine sonderlichen
Triumphe. Eine hochinteressante Wendung, einzig dastehend in
der Literatur, nahm ein von L. v. Schrötter berichteter Fall
No. 51.
von Haut- und Schleimhautpemphigus, in welchem nach dem
Ueberstehen einer Variola völlige, mehr als 20 Jahre hindurch
beobachtete Heilung eintrat; hiedurch angeregte Versuche, mit
Vaccination Heilung zu erzielen, sind jedoch ohne jeden Erfolg
geblieben.
Noch ist die Aetiologie des Pemphigus in fast völliges
Dunkel gehüllt. Die akuten Fälle glaubt man nach der ganzen
Art ihres Verlaufes — wir folgen hier den prägnanten Aus¬
führungen Menzel’s — auf Infektion zurückführen zu sollen;
Bakterienbefunde, die man bei Untersuchung von Blut, Ham
und Blaseninhalt manchmal erhoben, meint man im Sinne dieser
Ansicht verwerthen zu können. Bei den chronischen Fällen denkt
man an eine chronische Intoxikation des Körpere mit einem ab¬
normen Stoffwechselprodukt; Befunde von Harnsäure, Harnstoff
und freiem Ammoniak, die man im Blut und Blaseninhalt ver¬
einzelt nachgewiesen, sollten dieser Anschaumig zur Stütze
dienen, für welche zumal jene in der Literatur nieder gelegten
Fälle sprechen, in denen Pemphigus unmittelbar nach über¬
standener Variola, nach eben durchgemachter Scarlatina und
während des Ablaufs einer Pyaemie zum Ausbruch gekommen ist.
Mit dieser Auffassung einer Intoxikation als Ursache lassen
sich auch die am peripheren und centralen Nervensystem
(Rückenmark) ermittelten Veränderungen sehr wohl in Einklang
bringen.
Freilich ist es noch ein grosser Schritt von den bisher ge¬
wonnenen, unbestreitbar wichtigen Ermittelungen bis zur völligen
Erkennung des eigentlichen Wesens unserer Krankheit. Ein
weites Feld eröffnet sich hier noch der zukünftigen Forschung,
auf deren Boden vielleicht einmal auch eine der Aetiologie ge¬
recht werdende, siegreiche Therapie ersteht.
Literatur:
1. Händler: Prager med. Wochenschr. 1890, No. 42. —
2. Landgraf: Berl. klln. Wochensehr. 1891, No. 1. — 3. Mandel¬
stamm: Berl. klln. Wochensehr. 1891, No. 49. — 4. Kl 111 an:
Monatsschr. f. Ohrenhellk. 1892, No. 0. — 5. O. Chlari: Wien,
klln. Woehensehr. 189.3, No. 20. — 0. Thost: Monatsschr. f.
Ohrenhellk. 1896, No. 4. — 7. Handbuch der Laryngologie und
Khiuologie v. Hey mann. 1898, II. Bd.; S. 1296 ff. — 8. M. Men¬
zel: Monatsschr. f. Ohrenhellk. 1899, No. 4. — Weitere Literatur
siehe bei 7. und 8.
1
Weitere Versuche Uber Puro,
angestellt in der Spitalabtheiiung des Zuchthauses München.
Von Dr. Friedrich Schaefer, kgl. Bezirksarzt.
Die Resultate meiner ersten Versuche mit Puro bei anämi¬
schen und Magenkrankheiten in der Spitalabtheiiung des Zucht¬
hauses München waren so ermunternd, dass ich Herrn Dr. Scholl,
den Hersteller des Puro, bat, mir weitere Versuchsquanta zur Ver¬
fügung zu stellen.
Die Patienten, für welche ich den Gebrauch des Puro für
angezeigt erachtete, litten diesmal theils an während der Haft¬
zeit erworbenen anämischen Formen, an Magenstörungen, Abge¬
gessensein, Erbrechen, Diarrhöen, theils Marasmus praematurus,
d. h. frühzeitiges Altern-, in einem Falle an Skorbut, theils an
Tuberkulose.
Die anämischen Erkrankungen, die Magenaffektionen, das
vorzeitige Altersiechthum, der Fall von Skorbut und die Fälle
von Tuberkulose waren sämmtliche durch die Hafteinwirkungen
bedingt.
Ich habe in meinen Arbeiten über Gefängnisskrankheiten
gesagt, dass neben der häufigsten Erkrankungsform, der Tuber¬
kulose, die Anämie und die Magen-Darmkrankheiten in den
Anstalten am meisten in Behandlung kommen und habo dort
diese Krankheiten eingehend beschrieben, so dass ich auf meine
Ausführungen verweisen darf.
Hier will ich nur erwähnen, dass bei unserer zweiten Ver¬
suchsreihe Patienten in Frage kamen, die sich in äusserst
herabgekommenem Zustande befanden und von denen zwei die
unangenehme besonders für Häftlinge so gefährliche Grenze der
Inanition überschritten hatten.
Man könnte mir nun einwenden, es wäre für einen Anstalts-
arzt wohl möglich, einer so ernsten Gefahr der Unterernährung
durch Verordnung von Krankenkost, Aufnahme in die Spital¬
abtheilung zu begegnen, indess ich muss Ihnen nach meinen
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 5L
langjährigen Erfahrungen bemerken, dass dieser bedenkliche Zu¬
stand manchmal überraschend schnell eintritt, ohne dass der
Befallene eine Ahnung von der Gefahr hat, in der er sich be¬
findet. Dies beweisen die Untersuchungen des Blutes mit dem
Haemoglobinometer.
Die Abnahme des Haemoglobingehaltes des Blutes eines
Büssers entsteht zuweilen überraschend schnell. Sie kann sich
innerhalb weniger Tage vollziehen und bietet dann das Bild
einer akuten Anämie, wie man sie als unmittelbare Folgen
akuter Infektionskrankheiten oder bei grossen Blutverlusten
findet, verursacht durch verringerte arterielle Blutzufuhr, welche
in diesen Fällen theils durch eine quantitative Verringerung der
Blutmenge, theils durch eine mangelhafte Herzthätigkeit ent¬
steht.
Neben der thatsächlichen quantitativen Minderung des
Blutes lässt sich jedesmal die oft erschreckende qualitative Ver¬
änderung des Blutes konstatiren.
Diese eigenthümliche fast schockartig eintretende Erschei¬
nung ist noch nicht ganz aufgeklärt, weil sie sich mit der de¬
pressiven Einwirkung der Haft nicht ganz deckt, denn sie wird
sowohl bei Büssern beobachtet, welche sehr kurz inhaftirt sind,
als auch bei solchen, welche eine längere Haftstrafe bereits er¬
standen haben.
Ich habe früher bei anderen Gelegenheiten bereits bemerkt,
dass diese akuten anämischen Attacken in den meisten Fällen
rasch vorübergehen und von unmittelbaren sichtbaren Folgen
nicht begleitet sind — aber eine grössere Beobachtungsreihe hat
mir besonders in letzterer Zeit den Beweis geliefert, dass die
akute Abnahme des Haemoglobingehaltee sich nur langsam er¬
setzt. Die lange Dauer des subnormalen Gelialtes an Haemo-
globin führt dann in leider nicht seltenen Fällen und zwar in
einer unheimlich latenten Weise zu jener Grenze, an der das
Gefängnisssiechthum mit allen seinen Komplikationen, seien es
chronische Verdauungsstörungen, frühzeitiges Altern, sei es
Tuberkulose, beginnt.
Der Zusammenhang aller eben erwähnten Gefängnisskrank-
heiten mit der Herabsetzung des Haemoglobingehaltes des Blutes
bezw. die Entstehung dieser Krankheiten aus den akuten und
chronisch eintretenden anämischen Zuständen kann nicht scharf
genug betont werden.
In der freien Bevölkerung begegnen wir ja oft genug den¬
selben Krankheitsentstehungsursachen, aber so charakteristisch
ausgeprägt, ich möchte sagen, so unbestritten sind sie nicht,
wie bei der Gefängnissbevölkerung. Der freie Arbeiter lebt eben
trotz der Entbehrungen und trotz der manchmal schlechten Ver¬
hältnisse doch noch ungleich günstiger als der Gefangene.
Dieser hat nach Schluss seiner Arbeit seine freie Zeit, seine
frische Luft, seine Bewegung, eventuell seine Vergnügungen,
jener eine Stunde, wo er sich im Freien bewegt, nicht unge¬
bunden, sondern vorechriftsraässig, ausser dieser Stunde ist er
in einem geschlossenen Raum ohne Bewegung, ohne frische Luft.
Die nachstehend zu schildernden Erkrankungsfälle dürfen
sicher als durch die Einwirkung der Haft erworben gelten:
1. Fall. Büsser No. . . ., 45 Jahre alt, leidet seit Vi Jahr an
vorzeitigem Eintritt der charakteristischen Erscheinungen des
Greisenaltere, welches dem Lebensjahre, in welchem Patient steht,
absolut nicht entspricht
Abgesehen von dem Fettschwund und der Abmagerung im
Allgemeinen, die als Zeichen der Einwirkung der Haft auf den
seit 4 Jahren eingelieferten Detenten aufgefasst werden konnten,
zeigt sich eine Sprödigkeit, eine Abschuppung der Haut die Haare
fallen aus, die Nägel werden rissig, also Ernährungsatrophie, die
sonst gewöhnlich jenseits der Greisenaltersgrenzen beobachtet
wird. Dabei macht sich ein für diese Erkrankungsform während
der Gefangenschaft so bedeutsames und folgewichtiges Symptom
geltend, der Kranke verliert den Appetit, insbesondere kann er
die sonst von ihm gern gegessenen Leguminosen nicht mehr ver¬
dauen und steuert so langsam aber sicher jener Grenze der Inani-
tiou zu, die eine unaufhaltsame Auflösung, ein Siechthum be¬
deutet.
Es ist nun ganz originell, dass vielen derartig erkrankten
Detenten diese Krankheitserecheinung völlig entgeht und von ihnen
für eine vorübergehende Verdauungserscheinung gehalten wird,
sonst würden sie zweifelsohne längst hausärztliche Hilfe in An¬
spruch genommen haben.
Man ist erstaunt, in kurzer Zeit einen derartigen Menschen
total verändert zu finden, besonders was sein Aeusseres anlaugt.
Es sind ganz andere Gesichtszüge, die man findet, so dass die
Leute kaum mehr zu erkennen sind.
So oben erwähnter Gefangener. Es handelt sich zunächst
darum, die Appetitlosigkeit, die sich bis zur Unfähigkeit, Fleisch¬
speisen zu geniesso», gesteigert hatte, zu heben.
Aequal den Erfahrungen, die ich bei meinen ersten Versuchen
mit Puro bei totalem Abgegessensein gemacht habe, setzte ich den
Patienten auf reine Purodiät, d. h. ich gab ihm 4 mal des Tags
einen Kaffeelöffel voll Puro auf Weissbrod mit mässlg gesalzener
Butter. 4 Tage lang geniesst er keine andere Speise. Der Effekt
war ein hochinteressanter. Erstens behielt er diese Kost ohne
wie vorher nach anderen Speisen zu erbrechen, sondern es stellte
sich zweitens nach 4 Tagen ein ganz gehöriger Appetit ein, er
vertrug schon am 5. Tage, was besondere zu betonen ist. die ge¬
wöhnliche Gefangenen-Krankenkost (Griessuppe mit der vorge¬
schriebenen Quantität Rindfleisch).
Es ist selbstverständlich, dass nicht augenblicklich zur stän-
dlgen Hauskost Ubergegangen werden konnte. 14 Tage musste
noch Ausnahmskost gegeben werden, aber nach Ablauf dieser Zeit
wurde auch diese Kost anstandslos vertragen.
Die marantischen Erscheinungen haben sich sehr langsam
verloren, freilich kehrte der Haarwuchs nicht mehr wieder, aber
die Sprödigkeit und Abschuppung der Haut und die vorerwähnten
Erscheinungen waren nach einem halben Jahre vollständig ver¬
schwunden.
2. F a 11. Eine Erkrankung an Skorbut (Scharbock). Der
Skorbut, ein echter Zuchthaussprössling, entwickelt sich ebenfalls
auf miserablem Boden, hervorgerufeu durch die Blutverschlech¬
terung in Folge Mangel an frischer Luft und einseitiger Kost
Er wird bei der freien Bevölkerung nur ab und zu beobachtet
und dann nicht mit so ausgeprägten Erscheinungen wie in Ge¬
fangenenanstalten, wo er früher der ständige Gast war, ähnlich
wie jetzt die Tuberkulose.
In Folge der verbesserten sanitären Einrichtungen und der
abwechselungsreicheren Kost wird er auch in den Gefangeuen-
«nstalten seltener, doch kommen zuweilen noch recht heftige
Fälle mit sehr langsamem Heilungsverlauf vor.
Büsser No. . . ., früher Schreiber, verbüsst wegen Unter¬
schlagung eine 3 jährige Zuchthausstrafe. Er wird mit hoch¬
gradigem Skorbut aus einer Untersuchungshaft wo er 6 Monate
vor seinem Strafantritt verweilte, eingeliefert Neben zahlreichen
Blutaustritten unter der Haut und blutendem Zahnfleisch bot spe¬
ziell die Haut des rechten Unterschenkels und theilweise auch des
rechten Oberschenkels jene für den Skorbut charakteristische
tief dunkle Verfärbung von so grosser Ausdehnung, dass die ge¬
sunden Hautpartien fast verschwanden.
Die allgemeine Schwäche des Körpere und die gänzliche
Appetitlosigkeit im Verein mit den örtlichen Veränderungen ver¬
anlasst« eine sofortige Aufnahme in die Krankenabtheilung der
Anstalt. Besondere musste das völlige Darniederliegen der Magen-
thätigkeit und die Abneigung gegen jede Speise, auch gegen
Fleischspeisen, als verhängnisvoll aufgefasst werden.
Es wurde daher absolute Purodiät verordnet und 3 Tage laug
in der Weise eingehalten, dass 5 mal täglich ein Kaffeelöffel voll
Puro in einem y 8 Liter Xereswein gegeben wurde. Der früher
in guten Verhältnissen lebende Mann war theils durch das nicht
erwartete Strafmaass, theils durch die Erkrankung in hohem
Grade apathisch und deprimirt.
Nach 3 Tagen hob sich der Appetit in nennenswerther Weise
und mit ihm kehrte eine hoffnungsfreudigere Stimmung ein. die,
nuchdem mit gemischter Kost Puro 4 mal täglich auf Schwarz
brod aufgestrichen, nach 10 Tagen weiter verabreicht w’urde, auch
anhielt. Bis zur vollständigen Heilung der bis iu’s Unterhaut¬
zellgewebe entstandenen Blutaustritte brauchte es allerdings noch
lange Zelt.
3. Fall. Abgegessensein mit hochgradiger Anaemie. Büsser
No.27 Jahre alt, vor seiner Einlieferung Bauernknecht, wird
wegen Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode mit einer 7 Jähr.
Zuchthausstrafe eingeliefert. Von äusserst kräftiger Körper-
koustitution, durch die langzeitige Untersuchungshaft nicht ge-
sciiwäclit, erträgt er ein halbes Jahr den Vollzug der Strafe, ohne
nennenswerth in seiner Gesundheit tangirt zu werden.
Von da ab verliert er allmählich den Appetit. Er nimmt tage¬
lang ausser einer geringen Menge Schwarzbrot keine Nahrung.
Mit der Abnahme des Appetits schwindet das Fett, der Mann
magert ab, schliesslich tritt eine solche Abneigung gegen jede
Speise ein, dass der Anblick der Speisen sofort ein Erbrechen aus¬
löst. Bei der Aufnahme in die Krankenabtheilung bietet der bei
dem Eintritt in die Anstalt vollständig gesunde Büsser das Bild
eines hochgradig Anaemiscben. Der Haemoglobingehnlt ist tief
unter der Norm, die Abnahme der rothen Blutkörperchen eine
nicht unbedeutende.
In Folge der totalen Appetitlosigkeit wird Patient auf reine
Purodiät gesetzt und nur eine mässige Quantität Schwarzbrot,
die die ersten Tage ebenfalls erbrochen wird, verordnet. Die
ersten Kaffeelöffel voll Puro bleiben ebenfalls nicht Am 2. Tage
wird Puro nicht mehr erbrochen, doch wird noch 4 Tage lang
ausser Schwarzbrot Jede Speise verweigert. Am 8. Tage endlich
wird gehacktes rohes Fleisch vertragen. Nur allmählich kommt
der Appetit wieder.
Der Haemoglobingehalt ergänzt sich nach 3 Wochen. Spitat
aufenthalt 2 y g Monate. Verbrauch von Puro 8 Fläschchen. Bei
der Entlassung aus dem Spital ist Patient arbeitsfähig. Um keinen
Rückfall des Abgegessensein eintreten zu lassen, erhält Patient
ein weiteres Monat Ausnahmekost.
4. Fall. Beginnende Tuberkulose. Büsser No.24 Jahre
alt, hereditär nicht belastet, wegen Brandstiftung zu 3 Jahren
Zuchthaus verurthellt, tritt gesund in die Anstalt ein. Nach
% Jahren - die bekannte kritische Zeit, in der die Widerstand«
kraft des Inhaftirten gewissermaassen auf die Probe gestellt wird
— magert er ab, ohne zu husten. Der Appetit wird weniger, ohne
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17. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2045
vollständig zu schwinden. Die Untersuchung ergibt eine be¬
ginnende Spitzenverdichtung auf der linken Lungenspitze. Kein
Fieber. Spitalaufnahme. 4 malige Purogabe zu 1 Kaffeelöffel
mit Xereswein. Appetit hebt sich nach 5 Tagen so, dass ausge¬
prägtes Hungergefühl elntritt. Der Kranke bessert sich nach
3 Monaten ganz wesentlich. Nach 5 monatlichem Aufenthalt wird
Patient arbeitsfähig entlassen. Eine Kontrole nach einem Jahre
zeigt Aufhellung des Dämpfungsbezirkes. Patient bleibt während
dieser Zelt arbeitsfähig.
In diesem Falle erleichterte die Verabreichung von Puro sehr
wesentlich die Nahrungsaufnahme und veranlasst somit den ersten
Schritt zur Besserung des beginnenden Lungenleidens.
5. Fall. Akute Anaemie mit starker Abnahme des Ilaeiuo-
globingehaltes. 35 jähriger BUsser, rückfälliger Brandstifter, be¬
findet sich seit 2 Jahren in der Strafanstalt. Der Eiutrittsbefuud
lautet: ohne nachweisbare Krankheit, leichte Blutleere. Hueino-
globingehalt gehörig. Vor seiner Einlieferung mit landwirtschaft¬
lichen Arbeiten beschäftigt, wird er in der Anstalt als Schneider
verwendet und arbeitet fleissig. Plötzlich sinkt er mitten in der
Arbeit zusammen und wird bewusstlos in die Krankenabtheilung
gebracht. Dort erholt er sich nach einer Stunde, klagt Uber
Schmerzen im Hinterkopfe, Ohrensausen, Flimmern vor den
Augen, Abnahme des Sehvermögens, Schwere im linken Arme.
Er ist nach 3 Stunden noch nicht im Stande, zu gehen, das Auf¬
sitzen vermehrt den Kopfschmerz und das Ohrensausen und
löst ein sofortiges Erbrechen aus. Erscheinungen einer akuten
Himanaemie, wie nach einem grösseren Blutverluste.
Die Blutuntersuchung ergibt eine auffallende Verringerung
der rothen Blutkörperchen und des Haemoglobingehaltes.
In Anbetracht der geringen Herzthiitigkeit und des sehr ver¬
langsamten Pulses wird an eine Kochsalzlnfusion gedacht, doch
hebt sich nach 5 Stunden der Puls auf einige Kamphereinspritz¬
ungen.
Weil Jede Nahrungsaufnahme verweigert wird, wird Puro
4 mal täglich gegeben und ein Nährklysma verabreicht.
Die Wirkung der Purogaben war in diesem Falle augen¬
scheinlich, denn am nächsten Tage konnte mit leichter Nahrung
begonnen werden. Am 7. Tage lässt sich eine mässige Zunahme
des Haemoglobingehaltes konstatireu.
Patient erholte sich von der Attaque ziemlich rasch, obgleich
die Blutbeschaffenheit noch Wochen als nicht normal bezeichnet
werden musste.
6. F a 11. Tuberkulose der Lunge und des Darmes mit aus¬
geprägter Appetitlosigkeit. (Mischform der Tuberkulose mit
Streptococcen im Sputum.)
Büsser, 40 Jahre alt, rückfälliger Verbrecher, wird mit einer
beginnenden Lungentuberkulose eiugeliefert Die Affektion nimmt
im Laufe der Huft rapid zu, nach y 4 Jahre tritt hohes Fieber ein,
Kurve steigt Abends bis auf 40,1, sekundäre Darmtuberkulose mit
unstillbaren Diarrhöen.
Obwohl die Prognose hoffnungslos war, wurde der Versuch
mit Puro gemacht, um das gänzliche Darniederllegen des Appetits
einigermaassen günstig zu beeinflussen, Puro G mal täglich einen
Kaffeelöffel mit Vin. Xeres. Nach 3 Tagen kehrt der Appetit
wenigstens bis zu einem gewissen Grade wieder, so dass einige
Nahrung aufgenommen werden kann.
Angenehm fällt auf, dass sich die Diarrhöen verringern. Die
geringe Besserung des Befindens hält allerdings nur 8 Tage an.
dann tritt das letale Ende unter allgemeiner Erschöpfung ein.
7. F a 11. Akuter Brechdurchfall mit beginnender Tuber¬
kulose. Büsser No.seit 3 Jahren inhaftirt, gesund ein¬
geliefert, krankt seit y, Jahre an einer beginnenden Spitzen Ver¬
dichtung. Ohne besonders zu husten, ohne Auswurf und ohne
Fieber arbeitet er in der gemeinsamen Arbeitsabtheilung der
Schneider und klagt nur über Appetitabnahme. In der Sprech¬
stunde untersucht, wird die Veränderung der Lunge konstatirt und
der Kranke in die Krankenabtheilung genommen. Dort wird er
am 2. Tage von einem Brechdurchfall, der im vergangenen Sommer
In einer kleinen Hausepidemie in der Anstalt und somit auch im
Anstaltsspital herrschte, befallen. Durch die neue Infektion
nehmen die Kräfte des Patienten ungemein rasch ab, insbesondere
weil keine Nahrung mehr aufgenommen werden kann.
Temperatur Früh subnormal 35.8, Mittags 36,5, Abends 38,2.
Nach der charakteristisch abendlichen Temperatursteigerung
am 3. Tage nach der Spitalaufnahme hätte an eine Streptococcen¬
invasion gedacht werden müssen, wenn nicht die Mehrzahl der
Brechdurchfälle besagter Hausepidemie ebenfalls von abendlichen
Temperaturerhöhungen begleitet gewesen wäre. Neben Ichthalbin,
letzteres per anum mit Nährklystier verabreicht, wird strenge
Purodiät angeordnet und Puro (erster Tag alle % Stunde y 2 Kaffe-
löffel voll) als Medikament gegeben.
Nach 4 Tagen wird Patient kräftiger und erträgt wieder
leichte Schleimsuppen in welche ebenfalls Puro gelöst wird. Erst
nach 8 Tagen kann eine feste Nahrung genommen werden.
In diesem Falle war die Ordination von Puro insoferne von
ausgezeichneter Wirkung, als am 2. Tage das Erbrechen aufhörte
und nicht mehr wiederkehrte. In Folge dessen verschwanden auch
die subnormalen Temperaturen. Die abendliche Steigerung verlor
sich erst nach 10 Tagen. Die Spitzenverdichtung ist gleich ge¬
blieben.
8. Fall. Primäre tuberkulöse Darmerkrankung. BUsser
No. . . vor dem Eintritt in die Anstalt als Bauernknecht be¬
dienstet, wird wegen eines Roheitsdeliktes mit einer 6 jährigen
Zuchthausstrafe eingeliefert und als Weber beschäftigt.
Nach % Jahren erkrankt er an täglich wiederkehrenden
Schmerzen im Unterleib. Die Schmerzen sind mit einer Unregel¬
mässigkeit der Darmthätigkelt verbunden. Verstopfung wechselt
mit plötzlich auftretenden Diarrhöen, schliesslich bleiben die Diar-
höeu bestehen. Der Kranke, vor der Inhaftirung vollkommen ge¬
sund, magert rasch ab und wird in hohem Grade blutleer. Die
Schmerzen steigern sich in den letzten Tagen. Spitalaufnahme.
Die Temperatur misst Früh 37,4, Mittags 38,1, Abends 39,1.
Der Befund der Lunge ergibt normale Verhältnisse. Nahrungsver¬
weigerung.
Behandlung mit Ichthoform 2,0: 3 mal täglich 1 Pulver, Puro
4 mal täglich 1 Kaffeelöffel im Vin. xer., daneben Schleimsuppen¬
diät. In 5 Tagen kehrt der Appetit wieder, der Kranke ver¬
langt nach Mehlspeisen, welche er unter Beachtung diätetischer
Vorsichtsmaassregeln allmählich verträgt.
Die Diarrhöen mindern sich ln 8 Tagen. Nach 14 Tagen tritt
eine geordnete Darmfunktion ein, die Neigung zu dünnflüssigen
Stuhlentieerungen bleibt noch 4 Wochen bestehen.
Die Temperatur kehrt nach 5 Wochen zur Norm zurück.
Auch in diesem Falle hat die Verabreichung von Puro den
Appetit gehoben.
Ausser vorstehenden acht in der Spitalabtheilung behandelten
und genau beobachteten Erkrankungsfällen hatte ich Gelegenheit
Puro im hausärztlichen Ambulatorium zu verwenden:
21 mal bei Magen-DarmstÖrungen, verbunden mit Appetit¬
losigkeit,
48 mal bei Abgegessensein,
8 mal bei leichtem Skorbut mit Verdauungsstörungen,
36 mal bei sogen. Sommerdiarrhoen, die heuer, wie erwähnt,
den Charakter einer Hausepidemie angenommen hatten,
20 mal bei verschiedenen Formen von Anämie.
Ich kann nun sagen, dass ich in allen Fällen von der
Wirkung des Präparates im hohen Grade befriedigt war, ins¬
besondere muss die appetiterregende Eigenschaft hervorgehoben
werden, welche das Puro in Fällen von gänzlichem Damieder¬
liegen der Magenthätigkeit zu einem werthvollen Unterstützungs¬
mittel in der Emährungstherapie im Allgemeinen und speziell in
der Therapie der Magenerkrankungen macht.
Ferner muss Puro bei allen Fällen der Unterernährung und
der daraus entstehenden Inanition, wie bei den Folgekrankheiten
der verschiedenen Formen von Blutleere auf’s Wärmste empfohlen
werden.
Bericht über die Ergebnisse der Schlitzpockenimpfung
im Königreiche Bayern im Jahre 1900,
erstattet von dem k. Centralimpfarzte, Medicinalrath
Dr. L. Stumpf.
A. Statistischer Theil.
I. Erste Impfung.
A. Allgemeines.
Zahl der Einwohner nach der Zählung von 1900 ....
Gesammtzahl der zur Erstimpfung vorzustellenden Kinder
Im Laufe des Geschäftsjahres vor dem Nachweise er¬
folgreicher Impfung zugezogene, im Vorjahre geborene
Kinder.
Impfpflichtig waren somit.
Im Laufe des Geschäftsjahres sind ungeimpft gestorben
Ungeimpft verzogen sind.
Von der Impfpflicht befreit, weil sie die natürlichen Blat¬
tern überstanden haben.
Bereits im Vorjahre eingetragen als mit Erfolg geimpft .
Bereits im Vorjahre geimpft, aber erst jetzt zur Nach¬
schau erschienen .
Demnach sind impfpflichtig geblieben:
zum 1. Male .
6'175 153
208 679
7 577
216 266
17 207
13 369
Von den Pflichtigen wurden geimpft
Im Ganzen
163 578
6 431
1701
171710
152 360
Ungeimpft blieben:
1. auf Grund ärztlichen Zeugnisses vorläufig zurück¬
gestellt . . 18199
2. weU nicht aufzufinden oder zufällig ortsabwesend 4 966
3. weil vorschriftswidrig der Impfung entzogen ... 1 206
Im Ganzen 19 860
B. Zahl der Geimpften, Erfolg der Impfung.
1. Impfpflichtig Gebliebene wurden geimpft. 152 860
[ mit Erfolg. 140 943
und zwar öffentlich j ohne Erfolg. 1166
l mit unbekanntem Erfolge . . . 212
Im Ganzen 142 811
I mit Erfolg. 9 779
privat | ohne Erfolg. 237
I mit unbekanntem Erfolge. 28
' Tn «A AOA
Im Ganzen 10039
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2046
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
2. Im Geburtsjahre wurden geimpft. 13 422
| mit Erfolg. 11 956
und zwar öffentlich \ ohne Erfolg. 298
| mit unbekanntem Erfolge ... 17
Im Ganzen 12 271
[ mit Erfolg .. 1 092
privat | ohne Erfolg. 56
[ mit unbekanntem Erfolge. 3
Im Ganzen 1151
3. Sonstige Nichtpflichtige wurden geimpft. 34
[ mit Erfolg. 33
und zwar öffentlich j ohne Erfolg. —
| mit unbekanntem Erfolge ... —
Im Ganzen 33
privat (mit Erfolg). 1
4. Somit wurden überhaupt zum ersten Male geimpft . 165 806
[ mit Erfolg. 152 932
und zwar öffentlich { ohne Erfolg. 1 454
I mit unbekanntem Erfolge . . . 229
j mit Erfolg. 10 872
privat j ohne Erfolg. 293
| mit unbekanntem Erfolge. 26
C. Erfolg der Impfungen nach der Art der Lymphe.
1. Mit Thierlymphe wurden geimpft überhaupt. . . . 165 802
a) mit Lymphe aus der Centralimpfanstalt.162 125
| mit Erfolg. 152 795
und zwar öffentlich j ohne Erfolg. 1 447
( mit unbekanntem Erfolge . . . 229
[ mit Erfolg. 7 463
privat | ohne Erfolg. 171
( mit unbekanntem Erfolge. 20
b) mit Glycerinlymphe aus anderen Bezugsquellen
oder mit anders aufbewahrter Lymphe. 3 677
und zwar öffentlich j ohne Erfolg. 7
I mit unbekanntem Erfolge ... —
l mit Erfolg. 3 409
privat | ohne Erfolg . 122
[ mit unbekanntem Erfolge . . .. 3
2. Mit Me ischenlymphe wurden geimpft (von Körper zu
Körper). 4
3. Zahl der erzielten Pusteln bei den Impfungen mit
Thierlymphe. 675 029
a) bei den öffentlichen Impfungen. 632 688
„ „ privaten Impfungen. 42 346
b) . „ impfpflichtig Gebliebenen. 626 259
„ „im Geburtsjahre Geimpften und son¬
stigen Nichtpflichtigen. 48 770
c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Central¬
impfanstalt . 661525
„ Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 13 504
4. Fälle mit je 1 Pustel sind verzeichnet. 5 600
a) bei den öffentlichen Impfungen. 5 206
„ „ privaten Impfungen. 894
b) „ „ impfpflichtig Gebliebenen. 4 724
„ „ im Geburtsjahre Geimpften und son¬
stigen Nichtpflichtigen. 876
c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Central-
impfanstalt. 5 450
„ Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 150
5. Fehlimpfungen. 1747
a) bei den öffentlichen Impfungen. 1 454
„ „ privaten Impfungen. 293
b) „ „ impfpflichtig Gebliebenen. 1393
„ „ im Geburtsjahre Geimpften und son¬
stigen Nichtpflichtigen. 354
c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Central¬
impfanstalt . 1618
„ Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 129
D. Berechnungen.
(Hiebei sind die Impfungen mit Menschenlymphe ausser Betracht
geblieben.)
1. In Procenten der Erstimpfangen wurden geimpft:
f mit Erfolg . 98,80
a) | ohne Erfolg. 1,05
( mit unbekanntem Erfolge. 0,15
b) mit Lymphe aus der Centralimpfanstalt . . . 97,78
„ anderweitig bezogener Glycerin- oder anders
aufbewahrter Lymphe. 2,22
2. Durchschnittliche Blatternza'hl überhaupt. 4,12
und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Central¬
impfanstalt . 4,13
bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glycerin- oder
anders aufbewahrter Lymphe. 3,81
I 3. Fälle mit nur je 1 Pustel überhaupt. 3,42
und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Central¬
impfanstalt . 3,41
bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glycerin¬
oder anders aufbewahrter Lymphe. 4,23
4. Fehlimpfungen in Procenten der Impfungen überhaupt 1,06
und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Central-
impfanstalt .. 1,0
bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glyoerin-
oder anders aufbewahrter Lymphe. 3,51
II. Wiederimpfung.
A. Allgemeines.
Gesammtzahl der zur Wiederimpfung vorzustellenden
Kinder. 124 994
Hievon sind im Laufe des Geschäftsjahres ungeimpft ge¬
storben . 140
Hievon sind im Laufe des Geschäftsjahres ungeimpft ver¬
zogen . 1986
von der Impfpflicht befreit, weil sie in den vorhergehen¬
den 5 Jahren die natürlichen Blattern überstanden 15
während der 6 vorhergehenden Jahre mit Erfolg geimpft 388
Zugezogen sind im Laufe des Geschäftsjahres. 930
Es sind wiederimpfpflichtig geblieben:
zum 1. Male . 122 268
„ 2. 830
„ 3. 297
Im Ganzen 123 395
Hievon wurden wiedergeimpft. 122 050
Ungeimpft blieben:
auf Grund ärztlichen Zeugnisses vorläufig zurückgestellt 873
wegen Aufhürens des Besuches einer die Impfpflicht be¬
dingenden Ivehranstalt. 53
weil nicht aufzufinden oder zufällig ortsabwesend .... 192
weil vorschriftswidrig der Impfung entzogen. 227
Im Ganzen 1 345
in Procenten der wiederimpfpflichtig Gebliebenen . . . 1,09
B. Zahl der Wiedergeimpften, Erfolg der Wieder¬
impfung.
1. Wiederimpfpttichtige wurden geimpft. 122 050
I mit Erfolg. 190 266
und zwar öffentlich j ohne Erfolg. 1 010
| mit unbekanntem Erfolge . . 70
Im Ganzen 121346
I mit Erfolg. 616
privat j ohne Erfolg. 85
| mit unbekanntem Erfolge. 3
Im Ganzen 7‘ 4
2. Nichtwiederimpfpflichtige wurden geimpft. 1 655
I mit Erfolg. 718
ohne Erfolg. 16
mit unbekanntem Erfolge . . 911
Im Ganzen 1 045
I mit Erfolg. 492
privat | ohne Erfolg. 118
| mit unbekanntem Erfolge. —
Im Ganzen 610
3. Somit wurden überhaupt wiedergeimpft. 123 705
I mit Erfolg. 120 984
und zwar öffentlich ] ohne Erfolg. 1 026
| mit unbekanntem Erfolge . . . 381
I mit Erfolg..'. 1 108
privat | ohne Erfolg. 203
( mit unbekanntem Erfolge. 3
C. Erfolg der Wiederimpfung nach der Art der
Lymphe.
1. Mit Thierlymphe wurden wiedergeimpft überhaupt
a) mit Lymphe aus der Centralimpfanstalt.
I mit Erfolg.
ohne Erfolg ...... .
mit anbekanntem Erfolge
j mit Erfolg.
privat ohne Erfolg ..
| mit unbekanntem Erfolge.
b) mit Glycerinlymphe aus anderen Bezugsquellen oder
anders aufbewahrter Lymphe.
und zwar öffentlich (mit Erfolg).
[ mit Erfolg.
privat j ohne Erfolg.
[ mit unbekanntem Erfolge.
2. Mit Menschenlymphe (von Körper zu Körper) wurden
wiedergeimpft.
3 Fälle mit vollkommenen Pusteln überhaupt.
a) bei den öffentlichen \
„ „ privaten | Wiederimpfungen.
b) „ „ wiederimpfpflichtig Gebliebenen.
„ „ Nichtpflichtigen (ausserordentl. Impfungen)
123 704
123 168
120 599
1026
381
980
179
3
536
384
128
24
1
92 691
92002
689
92 070
621
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17. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2047
c) Wiederimpfung mit Lymphe a. d. Centralimpfansta.lt
„ „ anderweitig bezogener Glycerin
oder anders aufbewahrter Lymphe.
4. Fülle mit Bläschen oder Knötchen überhaupt . . .
5. Fehlimpfuugen überhaupt. .
a) bei den öffentlichen I , . -
„ privaten | Wieder,mpltlngen . . .
b) „ „ wiederimpfpflichtig Gebliebenen.
„ „ Nichtpflichtigen. . .
c) Wiederimpfung mit Lymphe a. d. Centralimpfanstalt
„ „ anderweitig bezogener Clycerin-
oder anders aufbewahrter Lymphe.
D. Berechnungen.
(Hiebei sind die Wiederimpfungen mit Menschenlymphe ausser
Betracht geblieben).
1. In Prozenten der Wiedergeimpften wurden geimpft
a) mit Erfolg. 98,70
ohne Erfolg. 0,99
mit unbekanntem Erfolge. 0.31
b) mit Lymphe aus der Centralimpfanstalt ... . 99,57
„ anderweitig bezogener Glycerin- oder andere auf¬
bewahrter Lymphe. 0,43
2. Fälle mit vollkommenen Blattern in Prozenten der er¬
folgreichen Wiederimpfungen überhaupt. 75,92
und zwar bei Wiederimpfungen mit Lymphe aus
der Centralimpfanstalt .. .... 70,09
mit anderweitig bezogener Glycerin- oder anders
aufbewahrter Lymphe. 35,55
3. Fälle mit Bläschen oder Knötchen in Prozenten der
erfolgreichen Wiederimpfuugen. 24,08
4. Fehlimpfungen in Prozenten der Wiederimpfungen
überhaupt. 1,0
und zwar bei Wiederimpfung mit Lymphe aus der
Centralimpfanstalt. 0,98
bei Wiederimpfung mit anderweitig bezogener Gly¬
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe. 4,48
B. Sachlicher Theil.
Zur Durchführung der Schutzpockeuimpfung im Königreiche
Bayern wurde die Gesammtsumme von 497000 Portionen Lymphe¬
emulsion hergestellt, gegen das Vorjahr mehr um 77987 Portionen.
Zu dieser Gesammtproduktion waren 81 Kälber nötliig, von
welchen 55 Kuhkälber und 26 Stierkälber waren. Während in
früheren Jahren wiederholt grössere und kleinere Versuche ge¬
macht wurden, reine animale Lymphe von Thier zu Thier fort¬
zuzüchten, welche theils gänzlich fehlschlugen, t hoi Ls nur sehr
kümmerliche und kurzdauernde Erfolge hatten, gelang es im
Berichtjahre zum ersten Male, aus einem guten Variola-Vaccine-
Stamme reine Thierlymphe durch 9 Generationen mit vorzüg¬
lichem Erfolge fortzuzüchten. Eine aus Italien erhaltene Variola-
Lymphe brachte auf dem mit allen Kautelen geimpften Kalb
No. 46 zwei grosse Blattern zur Entwicklung, aus welchen durch
sorgfältige Verreibung ihres Inhalts 50 Impfportionen Emulsion
gewonnen wurden. Mit dieser Emulsion wurde hierauf das Kalb
No. 48 in Stich- und Strich-Insertionen geimpft, und zwar mit
vollem Erfolge. Von den durchwegs tadellosen Pusteln hatten
einige einen Durchmesser von 0,9—1,0 cm und eine wahrhaft
ideale Farbe und Turgescenz. Der Rohertrag dieses Thieres,
welches nach Ablauf von 4 und 5 Tagen, also in zwei Zeiten,
abgenommen wurde, betrug 5,17 g, woraus 4650 Portionen
Lymphoemulsion hergestellt wurden. Das Thier zeigte sich in
seinem Allgemeinbefinden so schwer affizirt, dass es dem Ge¬
nüsse entzogen und der thermischen Vernichtungsanstalt über¬
geben werden musste. Von der Lymphe dieses Kalbes No. 48
stammten alle jene Produkte, welche sowohl in der k. b. Central-
impfanstalt in einer fortlaufenden Reihe von 9 Thiergenerationen
weitergezüchtet als auch in einer Anzahl von deutschen Lymphe¬
gewinnungsanstalten mit grossem Erfolge verimpft wurden. Die
allenthalben durch Verimpfung dieser Lymphe auf den Thieren
zur Entwicklung gebrachten Pusteln setzten durch ihre Grösse
und Schönheit die erfahrensten Fachmänner Deutschlands in
Erstaunen und wurden in mehreren deutschen Anstalten als
Grundlage für die weitere Zucht verwendet.
Aus diesen positiven Züchtungserfolgen des Jahres 1900
kann und muss der Schluss gezogen werden, dass für das Fehl¬
schlagen früherer Versuche, die Lymphe von Thier auf Thier
fortzuzüchten, nicht die Beschaffenheit des in München zur Ver¬
fügung stehenden Thiermaterials, sondern einzig und allein die
zur Fortzüchtung reiner Thierlymphe von auswärts bezogenen
Sorten sogen. Stammlymphe verantwortlich zu machen waren.
No. 51.
92 509
182
29 400
l 229
1026
203
1095
134
1 2<'5
24
Dieselben jungen Thiere, wie sie von dem hiesigen Markte an
die Impfanstalt geliefert zu werden pflegen, denen der Bericht¬
erstatter nach den vielen fruchtlosen Züchtungsversuchen die
geeignete Qualität für dieses Züchtungsverfahren abzusprechen
geneigt war, brächten erstklassige Lymphesorten hervor, als es
endlich gelungen war, einen zur Animpfung geeigneten Variola¬
stoff zu erhalten.
Von 81 Thieren wurden im Berichtjahre 53 mit humaner
Glycerinlyraphe, theils mittels Flächenimpfung, theils mittels
Anlegung einzelner Stich- und Strichinsertionen geimpft, 17
mit animaler Lymphe, 5 Thiere mit humaner und animaler
Lymphe, 2 mit Variolastoff, dann je 1 Thier mit Lammlymphe,
mit Rinderblutserum, mit dem Drüsensafte eines geschlachteten
Impfthieres und mit einer im Laboratorium des hiesigen hygie¬
nischen Institutes hergestellten Bacillenreinkultur. Da alle
diese Versuche in ihren Einzelheiten in dem Berichte über die
Thätigkcit der k. b. Centralimpfanstalt im Jahre 1900'), sowie
in einem in der Versammlung der Vorstände der staatlichen
Lymphegewinnungsanstalten zu Aachen gehaltenen Vortrage : )
bereits besprochen worden sind, so dürfte es hier genügen, auf
diese Veröffentlichungen hinzuweisen. Von den in die Anstalt
gelieferten 81 Thieren wurde je eine« mit .Variolastoff, mit
Rinderblutserum vom Kalb No. 46, mit dem Drüsensafte eines
geschlachteten Impfthieres, endlich auch mit im Laboratorium
hergestelltcr Reinkultur ohne Erfolg geimpft, und da ferner auch
der mit Lammlymphe auf Kalb No. 60 geerntete kümmerliche
Ertrag keine weitere Verwendung fand, so kamen im Jahre 1900
für die gesammte Lympheproduktion nur 76 Thiere in Betracht.
Somit trifft auf 1 Thier der Ertrag von 6539 Portionen Lyinphe-
eraulsiou, ein Ergebnis.?, welches in Ansehung des Umstandes,
dass in der hiesigen Anstalt nur Saugkälber zur Lympheproduk¬
tion verwendet zu werden pflegen, als sehr günstig zu bezeichnen
ist. Es erscheint noch um so günstiger, als eine grössere Anzahl
von Thieren nicht mittels der Methode der Flächenimpfung,
welche in früheren Jahren hier durchwegs zur Anwendung ge¬
kommen war, sondern mittels einzelner Stich- und Strich¬
insertionen geimpft wurde, eine Methode, welche durchschnittlich
quantitativ viel kleinere Erträge zu geben pflegt. Insbesondere
wurden alle Thiere, welche der Fortzüchtung unseres kräftigen
Variolavaccincstammes dienten, ausnahmslos mittels einzelner
Stich- und Strichinsertionen geimpft. Der durchschnittliche
Rohertrag eines Thieres berechnet sich für das Berichtjahr auf
7,06 g. Der höchste und niedrigste Grenzwertli des Rohertrages
ist mit 17,74 und 0,3 g verzeichnet. Der Gesundheitszustand
der Impfthiere war sehr gut. Dieselben waren von dem er¬
fahrenen Thierarzte, welcher die Anstalt schon seit Jahren zu
versorgen hat, vortrefflich ausgewählt, und mit Ausnahme jenes
schon erwähnten Thieres — No. 48 —, das in Folge seiner
schweren Impfaffektion dem Genüsse entzogen werden musste,
Waren alle Impfthiere vom veterinärpolizeilichen Standpunkte
aus bei der Rückgabe derselben an das Schlachthaus völlig ein¬
wandfrei. Sümmtliche Impfthiere hatten im Laufe ihres Auf¬
enthaltes im Stalle der Anstalt mehr minder an Körpergewicht
zugenommen.
Von dem gesammten Roherträge von 536,45 g, welcher, wie
schon erwähnt, 497 000 Portionen Lympheemulsion ergab, kam
der grösste Theil, nämlich 388 712 Portionen, zur Versendung.
Hievon erhielten die öffentlichen Impfärzte des Landes 339 635
Portionen in 643 Sendungen, die Militärärzte 43 110 Portionen
in 301 Sendungen und die Privatärzte 5967 Portionen Lymphe¬
emulsion. Ausserdem wurden 13 000 Portionen in München selbst
verbraucht, 40 000 Portionen gingen als Vorrath auf das nächste
Jahr über, und der Rest wurde, als zur Verimpfung nicht ge¬
eignet, weil nicht genügend wirksam, vernichtet. Auf der Flöhe
der Thätigkeit befand sich die k. Centralimpfanstalt im Monat
Mai, in welchem 221622 Lympheportionen in 399 Sendungen
abgegeben wurden.
Die Heeresiinpfuug ergab auch im Jahre 1900 wieder sehr
gute Erfolge. Im Ganzen wurden in der k. b. Armee 33 608 Mann
der ein- bis dreimaligen Wiederimpfung unterzogen, davon im
T. Armeekorps 12 268, im II. 11 240. im III. 10100 Mann, und
zwar wurden im I. Armeekorps 10 814 Mann mit. und 1440 ohne
Erfolg wiedergeimpft, mithin 88.1 Proe. mit Erfolg. 11.7 Proe.
ohne Erfolg, im II. Armeekorps 9893 = 88 Proe. mit, Erfolg,
’) Med.-statist. Mitthell, aus d. k. Gesuudh.-A. VII. B«l.. 1. II.
*) Allgem. med. Central-Zeltung 1901, No. 10 u. ff.
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2048
MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
1347 = 12 Proc. ohne Erfolg, im III. Armeekorps 8456 = 83,7
mit Erfolg und 1632 = 16.1 Proc. ohne Erfolg. P'iir die ge-
sammte bayerische Armee berechnet sieh der positive Impferfolg
auf 86,8 Proe., der Fehlerfolg auf 13,1 Proc. Von besonderen
Vorkommnissen ist zu erwähnen, dass in der Garnison Regens¬
burg we^ens Auftretens von Pocken unter polnischen Arbeitern
in der Nähe der Kreishauptstadt 161 Mann, welche in den letzten
5 Jahren nicht mit Erfolg geimpft worden waren, einer ausser¬
ordentlichen Impfung unterstellt wurden. Von ihnen zeigte sich
bei 78 Mann ein positiver, bei 83 Mann ein negativer Impf¬
erfolg. In einigen Fällen traten nach der Impfung der Soldaten
Krankheitserscheinungen auf, welche als Folge der Impfung
angesehen werden müssen, und zwar wurde in 4 Fällen Zell¬
gewebsentzündung beobachtet, davon 2 mal mit nekrotischen
Veränderungen der Impfpusteln und einmal mit Abseessbildung
in der Achselhöhle. Ferner trat beim III. Bataillon des 21. In¬
fanterieregiments bei 5 Mann 8 Tage nach der Impfung Roth-
lauf in grösserer Ausdehnung auf. Alle diese Folgeerscheinungen
endeten mit völliger Genesung. Auf die Gesammtheit der ge¬
impften Mannschaften berechnet, ergibt sich somit auf 3734
Impfungen je 1 vorübergehende Gesundheitstörung. Die Heeres¬
impfung vollzog sieh grösstentheils im Herbste im Laufe von
wenigen Wochen nach erfolgter Einstellung der jungen, dienst¬
pflichtigen Mannschaft.
Die Virulenz der im Berichtjahre produzirten Lymphe Hess
nichts zu wünschen übrig. Auf Grund der mit den erhaltenen
Lymphesorten vorgenommenen Probeimpfungen ergibt sich, dass
von 75 zur Probe verwendeten Sorten 65 erstklassig und nur
10 etwas weniger kräftig waren. Von den 65 erstklassigen
Sorten erwiesen sich 12 als ganz besonders virulent. Die Probc-
impfung erstreckte sich fast, ausnahmslos auf mehr als 100 Im¬
pfungen, um einen unzweifelhaften Aufschluss über die Art und
den Grad der Lymphewirkung zu erhalten.
Die Haltbarkeit der Lymphe, welche durchwegs in grösseren
Mengen für eine mehr minder grosse Anzahl von Impfterminen
an die öffentlichen Impfärzte versendet wurde, Hess nur in
einigen wenigen Fällen zu wünschen übrig. So zeigte sich im
Amtsbezirke Rosenheim nach Ablauf von 3 Wochen eine ent¬
schiedene Abschwächung ihrer Wirksamkeit. Die gleiche Er¬
scheinung wurde in den Amtsbezirken Dingolfing und Altötting
und eine leichte Abschwächung einer einzekien Lymphesorte
auch in den Bezirken Reichenhall und Ludwigshafen beobachtet.
Auch in den Amtsbezirken Wemeck und Oettingen hat sich im
Laufe der Impfung eine Abschwächung des Impfstoffes erkennen
lassen. Diesen Beobachtungen steht eine überwiegende Anzahl
von solchen gegenüber, welche sich auf die lange Dauer der Halt¬
barkeit der Lymphe beziehen. So übte im Amtsbezirke Ebers¬
berg eine am 18. April empfangene Lymphe, welche wegen des
Ausbruchs von Masern erst am 14. Juli verimpft werden konnte,
noch ihre volle Wirkung.
Von keiner Seite ist im Berichtjahre eine Klage darüber
eingelaufen, dass die zugemessene Lymphemenge zur Durch¬
führung der Impfung nicht ausreichte. Häufig kam es im Gegen-
theile vor, dass bald kleinere, bald grössere Mengen der über¬
sandten Lymphe als unverwendbarer Rest übrig blieben, thcils
weil die Impfärzte im Lympheverb rauche sparsam waren, theils
weil viele derselben bei der Bestellung die zu erwartende, Zahl
von Impflingen zu hoch schätzten und folglich auch zu viel
Lymphe zugetheilt erhielten. Ein grosser Tlieil dieser über¬
schüssigen Lymphe kam nach Beendigung der Impfung wieder
an die C.'entralstelle zurück.
Wie immer, so vollzog sich die Impfung im ganzen Lande
wieder im Grossen und Ganzen in der Zeit vom 15. April bis
15. Juni. Ausnahmen kamen jedoch im Berichtjahre dadurch
recht hiiufig vor, dass eine weit verbreitete Masernepidemie,
welche in vielen Bezirken des Landes gerade während der Impf-
zeit herrschte, in die Durchführung des ursprünglich fest¬
gesetzten Impfplanes mehr minder bedeutende Störungen brachte,
so dass viele Aerzte gezwungen waren, eine Anzahl von Terminen
auf den Herbst zu verschieben.
Zu den öffentlichen Impfungen bezogen die Amtsärzte des
Landes mit einer einzigen Ausnahme Lymphe aus der k. Central¬
impfanstalt. Diese eine Ausnahme betraf die Impfung in der
Landeshauptstadt selbst. Um über die Frage in’s Klure zu
kommen, ob die bei der Wiederimpfung in Hamburg erzielten
ungünstigen Resultate in der That von einer hochgradigen Im-
munisirung der Bevölkerung durch die Erstimpfung herrühre
— eine Erklärung, zu welcher sich der dortige Impfarzt be¬
kannte — war von dom Berichterstatter dem Impfarzte des
Staates Hamburg der Vorschlag gemacht worden, eine Anzahl
von 2000 Wicderimpflingen in Hamburg mit Münchener Lymphe
und in gleicher Weise 2000 Wiederimpflinge in München mit
Hamburger Lymphe zu impfen. Die zwischen den beiden Staats¬
anstalten ausgetauschte Lymphe war von gleichem Alter und
kam in den beiden Städten gleichzeitig zur Verwendung. Nach¬
dem in München die Wiederimpflinge von 3 städtischen Schulen
mit Hamburger Lymphe geimpft worden waren, musste die Fort¬
setzung des Versuches aus dem Grunde abgebrochen werden, weil
die damit ei zielten Impf resultate nicht genügend waren, uin die
Durchführung des ganzen Versuches räthlieh erscheinen zu
lassen. Die Hamburger Lymphe brachte bei 227 Wiederiinpf-
lingen nur in 25 Fällen wirkliche Blattern zu Stande (11 Proe.).
während sieh unter den übrigen 6138 Wiederimpfungen, welche
in München mit Lymphe aus unserer Staatsanstalt vollzogen
worden waren. 4514 Fälle = 75 Proe. mit wohleharakterisirtcn
Blattern befanden. Die Einzelnheiten dieses Impf Versuches in
München und Hamburg sind an anderem Orte zur Veröffent¬
lichung gelangt 3 ).
Sonst kam im Lande fremde Lymphe nur von Seiten der
Privatärzte zur Verwendung.
Von den in Bayern importirten Lympliesorten scheint die
Elberfelder Lymphe im Berichtjahre die grösste Verbreitung ge¬
wonnen zu halten. Sie hat Verwendung gefunden in den Amts¬
bezirken München Stadt (öS Privatärzte impften damit 4dl Erst¬
und 24 Wiederimpflinge). Landshut. Landau a. I.. Prunkeuthal,
Grilnstndt, Kirrhheiniltolanden, Landau (Pf.). Ludwigshafen.
Cham. Kulmbnch. Wnnsiedel. ltotli a. S.. Pappenheiin. Kitzliigen
und Neustadt a. S. Im Ganzen dürfte Elberfelder Lymphe etwa
in 750 Fällen verimpft worden sein. Jedoch macht diese Zahl¬
angabe ans dem (»runde nicht auf Richtigkeit Anspruch, weil
Lymphe aus Elberfeld auch noch ln einigen von den Fällen Yer
Wendung gefunden haben kann, in welchen sieh die impfenden
Privatärzte nicht Uber die Provenienz ihrer Lymphe geäusser»
haben. Beeilt häufig findet sich auch die Schweizer Lymphe aus
dem Institute von Lausanne als Impfmaterial erwähnt. Sie kam
zur Verwendung in deu Amtsbezirken München Stadt, (iermers-
heim, Ludwigshafen, Hersbruek, Kulmbach, Eichstätt. Stadtam¬
hof, Mitterteich und Waldsnssen. Ausser diesen liebten Lymphe¬
sorten wurden in einzelnen Fällen wohl so ziemlich alle Lymphe¬
produkte verimpft. welche gegenwärtig in Deutschland zu haben
sind, und es Ist erstaunlich, welcher Mangel an Konstanz in der
Wahl der Lymphe bol den Aerzten zu finden Ist. Es gibt in der
That eine Anzuhl von Aerzten, welche alljährlich Ihre Lyniphe-
bezugsquelle zu wechseln pflegen. Einer festen Kundschaft
können sich, wie es scheint, die verschiedenen Lympheproduktious-
stiitten nicht freuen. Leipziger Lymphe finden wir verzeichnet iui
Impfbezirke München Stadt, Dresdener Lymphe Im Impfbezirke
Mellrichstadt. Weimarer Lymphe in den Amtsbezirken München
Stadt, Landau (Pf.), Neustadt a/H., Lauf und Hofhelm. Die
Strassburger Lymphe, w’elche noch vor 2 Jahreu besonders ln der
Pfalz so häufig verimpft wurde, scheint im Lande bedeutend au
Boden verloren zu haben. Wir finden sie noch verimpft in den
Amtsbezirken Kaiserslautern und Pirmasens, dort in 71, hier in
165 Fällen. Darnvstädter Lymphe wurde in Griiustadt verwendet,
Kasseler Lymphe in Neustadt a/II. Frankfurter Apotheken liefer¬
ten Lymphe zu Privatlmpfuugen in den Amtsbezirken Kaisers¬
lautern, Pirmasens. Bamberg. Roth a/S. und Stadtamhof. Lymphe
aus der Apotheke von Aelile in Lübeck wurde in Kaiserslautern
und Ludwigshafen verwendet. Die Erfolge, welche mit dieser
Lymphe erzielt wurden, waren wieder recht mitteinnissig. Bei
41 Impfungen wurden im erstgenannten Bezirke im Ganzen nur
52 Pusteln erzielt. Ausserdem wurde vielfach erfolglos geimpft,
und die Impfung mit dieser Lymphe ln Ludwigshafeu fiel nicht
besser aus. Eine stattliche Reihe von Impfungen in Ludwigshafen
wurde mit Lymphe aus der Apotheke in Birkesdorf vollzogen,
endlich in dem gleichen Bezirke noch 14 Impfungen mit Lymphe,
welche das meflicinische Waarenliaus in Berlin geliefert hatte.
Dass die Aerzte, welche ihren Lymphebedarf aus den verschieden¬
sten Apotheken bezogen haben, über die eigentliche Herkunft
dieses Impfstoffes, liezw. seine Produktionsstätte, besser unter¬
richtet gewesen sind als in früheren Jahreu, lässt sich leider aus
den betreffenden Berichten nicht schllessen.
In Bezug auf die Methode der Impfung war ja naturgemäss
das Verfahren der Impfärzte des Landes ein sehr mannigfaltiges.
Ueberall waren dieselben jedoch auf’s eifrigste bemüht, die Im¬
pfung unter Beobachtung der bestehenden Vorschriften sowie
jener Vorsiehtsmaassregeln zu vollziehen, wie sie für die Aus¬
führung einer chirurgischen Operation heutzutage verlangt wer¬
den. Wenn auch die Methode je nach Anschauung, Erfahrung
und Gewohnheit des Impfarztes im Einzelnen verschieden war.
so gewinnt man doch den Eindruck, dass äussere Umstände, wie
I *) Allgem. med. Central-Zeitung 1901, No. 16 u. ff.
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17. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2049
z. B. die Zahl der Impflinge, die Anschauung und Lebensgewohn¬
heit der Bevölkerung u. s. w. eine gewisse Einheitlichkeit im
Verfahren herauszubilden beginnen, welche die Berichterstat¬
tung über diesen Punkt nicht unwesentlich erleichtert. Die
Verschiedenartigkeit der Desinfizientien, welche zur Reinigung
der Impflanzettcn im Gebrauche der Aeryzte waren, kommt im
Berichtjahre nicht mehr so augenfällig zum Ausdruck wie in
früheren Jahren. Mehr und mehr wird das Ziel, die Impfung
in tadelloser Weise auszuführen, durch Vermehrung der Lan¬
zetten bei jedem Impftermine erstrebt, eine Maassregel, welche
nicht nur den an die Reinheit der Instrumente gestellten An¬
forderungen in vollkommener Weise gerecht wird, sondern auch
eine mehr minder beträchtliche Zeitersparniss im Gefolge hat.
Alle, die Impfbezirke aufzuzählen, in welchen eine kleinere oder
grössere Zahl von Impfinstrumenten zur Hand waren, würde zu
weit führen. Es dürfte genügen zu bemerken, dass von 103
Tmpfärzten, welche sich überhaupt in ihren Berichten über das
Instrumentarium sowie die Ausführung der Impfung geäussert
haben, 84 eine Mehrheit von Lanzetten im Gebrauche hatten.
Die Grenzzahlen der bereitliegenden Lanzetten dürften mit 2,
als der untersten, und mit 300, als der obersten, richtig angegeben
sein. Fast überall, wo von 2—4 Lanzetten die Rede ist, war es
die Platin-Iridiumlanzette, welche sich in der Hand des Impf¬
arztes befand. Ihre leichte Ausglühbarkeit während des Impf-
aktcs, welche freilich bei grösseren Terminen durchwegs eine
brauchbare Assistenz nöthig machte, liess die kleine Anzahl von
2—3 Impfinstrumenten auch bei grösseren Impfterminen als aus¬
reichend erscheinen.
Die Platin-Iridiumlanzette war im (»«brauche in den Impf-
lvezirken Erding. Dorfen. Gartnisch, Laufen, Kaiserslautern, Neu¬
stadt a/II.. Auerbach. Neustadt a/WX.. Ilernau, Rodlng. Nittenau,
Tirschenreuth. Bamberg. Schesslitz. Naila. Pottenstein, Schwa-
bacli, Lauf. Roth a/S.. Windsheim. Kipfenberg, Kitziugen.
Sehwelnfurt, Brückenau. Hofheim, Miltenberg, Oberuburg, Ochsen-
furt. Werueck. Giiuzburg, Rain und Immenstadt. Wenn nun auch,
wie aus der vorstehenden Reihe von 32 Impfbezirken hervorgeht,
die Platin-Iridiumlanzette im Lande im Iamfe des letzten Jahres
bedeutend an Boden gewonnen hat. so sind ihrer allgemeinen Ein¬
führung doch durch die Notliwendigkeit einer geeigneten Assistenz
für grössere Impftermine unü bersch reit bare Grenzen gesetzt.
I'eber diesen Punkt haben sich mehrere Impfärzte geäussert. So
berechnet der Impfarzt von Garmisch für das Ausglühen der
Lanzetten, welche vorher mit Watte gereinigt wurden, 3 und für
die nachfolgende Abkühlung 8 Sekunden, eine Zeit, welche dein
Berichterstatter auf Grund seiner Erfahrung mit dieser Lanzette
recht knapp bemessen erscheint. Der Impfarzt von Tirschenreuth
nussort sich dahin, dass das Ausglühen der Lanzetten, von denen
er 0 im Gebrauche hatte, viel Zeit sowie die Anwesenheit einer
Assistenz, für die ein Bader uufgestellt. war. erforderte. Der¬
selbe tadelt auch die Eigenschaft der Platin-Iridiumlanzette. dass
sie durch das häufige Ausglühen schnell stumpf wird, sowie dass
sich ihre Spitze leicht umbiegt. Denselben Nachthell hat auch der
Impfarzt von Scliwabach lieim Gebrauche der Lanzette an ihr ge¬
funden 4 ). Der Impfarzt von Potteustein bemerkt, dass das Aus¬
glühen der Instrumente bei den kleinen Terminen nicht zuviel
Zeitaufwand erfordere. Der Amtsarzt von Windsheim äussert sich
dahin, dass die Verzögerung durch das Ausglühen nicht in Betracht
kommt, wenn ein Gehilfe zur Hand ist. Der Impfarzt von Oehsen-
furt hat im Berichtjahre die Platin-Iridiumlanzette probeweise be¬
nützt und fand, dass dieselbe ohne Assistenz unbedingt zu viel
Zeit erfordere. In einigen Impfbezirken diente die Platin-lridium-
lanzette neben anderen Lanzetten nur zur Impfung der kränklich
aussehenden und mit unreiner Haut behafteten Kinder, so in
laufen und Rain. Au einigen Orten scheint die Platin-Iridium-
lanzette auch wie ein anderes Impf Instrument mit Desinflzientien
behandelt und nicht ausgeglüht worden zu sein, ein Verfahren,
mit welchem sich der Berichterstatter aus dem Grunde nicht be¬
freunden könnte, weil damit gerade auf den Hauptvorzug dieser
Lanzette, die leichte Ausglühbarkeit. welche ja doch die beste
Form der Sterilisirung darstellt, zu Gunsten einer minder guten
Methode derselben verzichtet wird. Aus den angeführten Aeusse-
rungen einiger Amtsärzte über die Verwendbarkeit der Platin-
Iridiumlanzette dürfte das schon mehrmals ausgesprochene IJrthell
des Berichterstatters, dass der Verwendbarkeit des Instrumentes
gewisse Grenzen gesetzt sind, seine volle Bestätigung Anden.
In vielen Impfbezirken, insbesondere in solchen, deren grosse
Ijnpftermine den Gebrauch der Platin-Iridiumlanzette bei
mangelnder Assistenz ausschliesst, waren vernickelte Stahl¬
lanzetten in kleinerer oder grösserer Anzahl, ja selbst bis zu
Hunderten, im Gebrauche, welche ausgekocht waren und beim
Termine mit verschiedenen Desinflzientien gereinigt wurden. Zur
Desinfektion der Lanzetten während der Impfung diente bald
eine 2 proc. Lysol-, bald 2—5 proc. Karbollösung. In einigen
4 ) Die neuerdings ln den Handel gebrachten Instrumente
scheinen von minder guter Qualität als die älteren zu sein.
wenigen Fällen war auch eine Sublimatlösung (1:1000), sowie
Hydrargyrum oxycyanatum iin Gebrauche. Natürlich wurden
nach Anwendung der starken Desinfizientia die Instrumente sorg¬
fältig mit Wasser abgespült und mit Brun s’seher oder Salieyl-
und Karbolwatte abgetrocknet.
Alle Desinfizientia traten im Berichtjahre jedoch in den
Hintergrund vor dem Gebrauche des absoluten Alkohols. Dieser
hat theils zur Reinigung der Lanzetten während der Impfung,
theils zur Aufbewahrung gebrauchter Instrumente weitaus die
grösste Rolle gespielt. Es wird wohl behauptet werden können,
dass der Alkohol in der nächsten Zeit bei dom Impfakte noch
mehr Boden gewinnen wird.
Ausser den vernickelten Stuhlin nzetten ln kleinerer oder
grösserer Anzahl war Im Berichtjahre auch das W e 1 c li li a r d t*-
sche Besteck im Gebrauche, Mit diesem Impften die Amtsärzte
von Lautereeken. Vohenstrauss. Mlndelheim und Türklielm. Der
Impfarzt von Miltenberg benützte die W e 1 c h h a r d f sehen
Messer nur zur Impfung der Wiederimpflinge. Die Pentzoldt'-
sehen Lanzetten waren in den Händen der Impfärzte von Schess-
litz und Hofheim, während die Amtsärzte von Weismain, Alzenau
und Waldsassen das Impfbesteek von Even« und P i s t o r be¬
nützten. Der Amtsarzt von Waldsassen kochte seine 00 dazu
gehörigen Messer im Impf lokale in Sodalösung aus und legte sie
daun in absoluten Alkohol. So konnte für jedes Kind ein eigenes
sterilisirtes Impfmesser verwendet werden. Der Impfarzt von
Weisumiu verfuhr in ähnlicher Weise, hält aber auf Grund seiner
Erfahrung die Platin-Iridiumlanzette für handlicher als die
Doppelmesser aus Nickelblech.
Auch die Soeunecko n’schen Impfnadeln, wie die Impf¬
federn von Heiutze und Blankertz waren im Gebrauche,
und zwar die ersteren in den Impfbezirken Laufen und Cham, die
letzteren im Amtsbezirke Schwabmünehen. Die Impffedern wur¬
den vor dem Gebrauche durch Ausglühen sterilisirt und von den¬
selben je eine für 2 Impflinge benützt und daun weggeworfen.
Der Impfarzt von Laufen nennt die Soenneckc n'sehen Impf¬
nadeln kurz und unhandlich, und dies wird auch der Grund ge¬
wesen sein, dass er nur einen Theil seiner Impfungen damit dnreli-
fiilirte.
Vor der Impfung wurden an vielen Orten von den Amts¬
ärzten die Oberarme der Kinder einer mehr minder gründlichen
Reinigung und Desinfektion unterzogen. Besonders geschah dies
in jenen Fällen, in welchen die Reinlichkeit der Haut des Impf¬
feldes zu wünschen übrig liess. Als Desinfektion»- und Reini¬
gungsmittel dienten Acther, 1 proc. Lysollösung, schwache
Sublimatlösungen, Alkohol und endlich auch warmes Wasser,
Seife und Bürste. Die gleiche Sorgfalt verwandten die Irapf-
ärzte auf die Reinigung und Desinfektion ihrer eigenen Hände.
(Schluss folgt)
Referate und Bücheranzeigen.
Dr. Heinrich Kraft: Die Röntgenuntersuchung der
Brustorgane. Mit 2 Tafeln in Lichtdruck. Strassburg i. E.,
Verlag von Schlesier & Schweikhardt. 1901. 63 S.
Preis M. 1.60.
Die kleine Schrift soll ein „Ergänzungskapitel zur physi¬
kalischen Diagnostik innerer Erkrankungen“ sein und schildert
die bis jetzt bekannten Erfahrungen auf dem Gebiete der Rönt¬
genuntersuchung der Brustorgane. Die beiden Tafeln sind von
massigem Werth, der Literaturnachweis dagegen bis zum Jahre
1900 für weitere Forschungen von Nutzen. Auf Vollständigkeit,
kann die kleine Habilitationsschrift keinen Anspruch machen.
Bei der Untersuchung des Herzens vermissen wir vor Allem den
von Moritz angegebenen Tisch (cf. diese Wochensehr. 1900,
No. 29), der bestimmt zu sein scheint, neue Bahnen durch die
sogen. „Orthodiagraphie“ zu eröffnen. Wer sich rasch über den
jetzigen Stand der Radiographie der Brustorgane orieutiren will,
dem sei die kleine Schrift K.’s empfohlen.
J a f f e - Hamburg.
Julius Tandler und Josef H a 1 b a n: Topographie des
weiblichen Ureters, mit besonderer Berücksichtigung der patho¬
logischen Zustände und der gynäkologischen Operationen in
32 chromolithographischen Tafeln mit erläuterndem Texte.
Vorworte von Zuckerkandl und Sch aut a. Wien und
Leipzig, Willi. Braum ii 11 e r, 1901.
Nach wissenschaftlichem Inhalte und Ausstattung einfach
ein Prachtwerk ersten Ranges! Die Topographie des weiblichen
Beckens und besonders des Ureters steht für jeden operirenden
Gynäkologen im Vordergrund des Interesses, sei es, dass er die
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2050
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
vaginalen, sei es, dass er die abdominalen Methoden vorzieht —
dopjwdt. wenn er beide je nach der Sachlage anwendet. Zum
ersten Male wird hier neben dem normalen Situs des Ureters
auch sein Verhalten in abnormen Fällen abgebildet und ge¬
schildert: Verlauf des Ureters bei herabgezogenem
Uterus während vaginaler Totalexstirpation, bei lnversio Uteri
puerperalis, bei Scheidenvorfall mit Cystocele, bei Uterus- und
Scheidenkrebs; ferner bei Gravidität, bei „intraligamentärer
Blase“; Ureterfistel nach abdominaler Totalexstirpation u. s. w.
Der normale Verlauf des Ureters wird mit Rücksicht auf opera¬
tive Zwecke abgebildet, theils halb, theils ganz freipräparirt
neben den übrigen Organen in Frontal- und Sagittalebenen, bei
p r ä peritonealer Aufsuchung nach seitlichem Bauchschnitt, bei
r e t. r o peritonealer Aufsuchung durch Lumharschuitt entlang
dem Musculus psoas. Zahlreiche Tafeln zeigen den Ureter in
den verschiedenen Stadien und bei den verschiedenen Methoden
der vaginalen, abdominalen und sacralen Exstirpation des Uterus.
Es ist kaum ein Fall denkbar, in welchem sich der Operateur
rasch Aufklärung über die Topik des Ureters wünscht, die er
nicht in klarster Weise sofort im „T nndler und H a 1 b a n“
fände. Die mustergiltigen Lithographien sind in natürlicher
Grösse des Objektes ausgeführt und Arterien, Venen und Ureter
in roth, blau und gelb hervorgehoben. Der Text ist klar und bei
aller Kürze erschöpfend. Die Buchstabenbezeichnung der Tafeln
erleichtert das Studium wesentlich — und jedes neue Betrachten
fördert neue Gesichtspunkte zu Tage.
Man sollte das geradezu unentbehrliche Werk neben dem
Operationszimmer aufbewahren, um es in schwierigen Fällen
stets bei der Hand zu haben. Und welcher Operateur würde es
nicht vor einer Ureterplastik oder einer schwierigen „abdomi¬
nalen Radikaloperation“ (Entfernung des Uterus mit Adnexen,
Parametrien, Theil der Scheide und mit regionären, earcinoma-
tösen Lymphdrüsen) mit Dank gegen die Autoren zur Hand
nehmen ?
Aufrichtiger Dank gebührt vor Allem den beiden ausge¬
zeichneten Verfassern, aber in hohem Maasse auch dem unüber¬
troffenen Zeichner medicinischer Objekte, Herrn B. Keilitz,
und der Verlagsbuchhandlung. Voll und ganz wird man sich
Zuckerkandl’s Worten anschliessen müssen: „Es möge
bald Aehnliches für die anderen Organe gesehehen, für ihre nor
male und besonders für ihre pathologische Topi k“. Der
vorliegende Atlas wird für jedes derartige Werk allezeit vorbild¬
lich und mustergiltig bleiben. Gustav Klein- München.
1 -
Dr. Karl Waibel, k. Bezirksarzt in Kempten: Leitfaden
für Unfallgutachten. Ein Hilfsbuch zur Untersuchung und
Begutachtung Unfallverletzter und traumatisch Erkrankter.
Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1902. — 424 Seiten.
Die kasuistische Literatur über Unfallheilkunde ist bereits
sehr reich angewachsen. Als wissenschaftliche Disziplin steckt
dieser jüngste Zweig unserer medicinischen Wissenschaft aber
trotz der bahnbrechenden Werke von T h i e m , Kaufmann ,
Becker, Golebiewski, Ledderhose, Blasius u. A.
doch gewissermaassen noch in den Kinderschuhen.
Der ärztliche Praktiker, dessen Zeit durch die anstrengende
berufliche Thätigkeit vollauf in Anspruch genommen ist. ist.
nicht in der Lage, durch das Studium der Kasuistik und der
umfangreichen wissenschaftlichen Werke sich auf dem Laufenden
und damit auf der Höhe auch dieser Spezialwissenschaft zu er¬
halten, deren Studium in der Jetztzeit für jeden Arzt ein Er¬
forderniss bildet. Mit der immer mehr anwachsenden Zahl der
in die Unfallversicherung auf Grund des Gewerbe-Unfallversichc-
rungsgesetzes vom 20. Juni 1900 einbezogenen Gewerbszweigc
und Betriebe und der in denselben beschäftigten Personen er¬
öffnet sieh für einen immer grösseren Kreis von Aerzten ein
Feld für die praktische Thätigkeit auf diesem Gebiete. Die
damit verbundene gutachtliche Thätigkeit der Aerzte
unterliegt aber gerade hier der öffentlichen Kritik in einer früher
nie dngewesenen Ausdehnung. Die Pflicht, jetles Einzelnen, sich
auf diesem Gebiete unantastbar in wissenschaftlicher und ethi-
seher Hinsicht zu erweisen, ist geradezu zu einer Lebensfrage
liir den ärztlichen Stand geworden. Mit der in ärztlichen Kreisen
immer mehr durchdringendenUeberzeugung von der Nothwendig-
keit unhidingtcr Objektivität wird aber auch bei den gesetzgebe¬
rischen und ausführenden Organen die Erkenntniss sieh immer
mehr Hahn brechen, dass eine gedeihlicheThiil igkeit des ärztlichen
Standes gerade auf diesem Gebiete die Rücksichtnahme auf die
materiellen Interessen des Einzelnen zur Voraussetzung hat und
dass eine Blossstellung des Arztes gegenüber seiner Klientel nur
schädigend wirken kann. In dieser Beziehung muss noch ein
Ausweg gefunden werden, der den Interessen der Aerzte mehr
als bisher gerecht wird.
Jeder neue Versuch, den Aerzten ihre Pflichterfüllung nicht
nur zu kennzeichnen, sondern auch zu erleichtern, kann desshalb
nur freudigst begrüsst und gewiss nicht als überflüssig erachtet
werden.
Ein hiezu vollauf geeignetes, höchst gelungenes Hilfsmittel
bildet aber das vorliegende Werk, das von neuen, bisher meines
Wissens noch nicht berücksichtigten Gesichtspunkten ausgeht
und einen zusammenfassenden, vornehmlich dem praktischen Be¬
dürfnisse entgegenkommenden Ueberblick über den gegen¬
wärtigen Stand der Unfallheilkunde bietet.
Wenn der Verfasser in der Vorrede von seiner Arbeit in be¬
scheidener Weise sagt, sie trage vorwiegend nur einen kompi-
latorischen Charakter, so zeigt dieser Charakter doch, schon in
der ganzen Anlage, das eigenartige Gepräge reicher persönlicher
Erfahrung.
Der „Allgemeine Theil“ bringt, nach einer Uebersicht über
die benützte Literatur, in 7 Kapiteln zunächst eine klare und
umfassende Zusammenstellung der gesetzlichen und organisa¬
torischen Bestimmungen, erläutert den Begriff „Betriebsunfall“,
bespricht die „Vorschriften über das Heilverfahren“, gibt sehr
beachtenswerthe Anhaltspunkte für die Ausstellung der „Aerzt-
lichen Gutachten“, und schliesst mit dem Kapitel: „Praktische
allgemeine Regeln zur Untersuchung und Begutachtung Unfall¬
verletzter“, welches namentlich der besonderen Beachtung der
Kollegen nur dringend empfohlen werden kann.
Auch der „Specielle Theil“ mit seiner streng systematischen
Gliederung lässt nicht minder die Originalität des Verfassers in
Auffassung und Durchführung ersehen. In den 8 Kapiteln
desselben wird je ein Hauptgliedabschnitt des menschlichen
Körpers behandelt. Den ersten Abschnitt eines jeden Kapitels
bilden dann „anatomische, bezw. anatomisch-mechanische Vor¬
bemerkungen“, die ein kurzes, klares Bild dieser Verhältnisse
geben; dann folgen die Abschnitte: „Untersuchung des nor¬
malen Körpertheiles in anatomischer und funktioneller Be¬
ziehung“ und „Untersuchung des verletzten Körpertheiles mit
anatomischen und funktionellen Störungen und den hauptsäch¬
lichsten diagnostischen Merkmalen derselben“. — Diese drei Ab¬
schnitte sind in ihrer Art neu und so streng systematisch meines
Wissens noch in keinem Werke über Unfallheilkunde durch¬
geführt worden.
Im folgenden Abschnitt wird dann die „Bewerthung der
funktionellen Erwerbsstörungen nach Verletzungen und trau¬
matischen Erkrankungen des betr. Körpertheiles mit den haupt¬
sächlich vorkommenden Unfallfolgen“ in äusserst übersichtlicher
und möglichst umfassender Weise behandelt und schliesslich
eine reichhaltige Kasuistik der procentuarischen Renten¬
abschätzungen der mannigfachen Verletzungen und trauma¬
tischen Erkrankungen theils nach den Entscheidungen des
Reichsversicherungsamtes, theils nach den Veröffentlichungen
verschiedener Autoren und Berufsgeuossenschaften, meist in
tabellarischer Zusammenstellung gegeben.
Dass bei dieser streng schematischen Behandlung des Stoffes
sich nicht selten Wiederholungen nothwendig machen, war durch
das System bedingt und nicht zu vermeiden, wenn ein vornehm¬
lich den praktischen Bedürfnissen entsprechender Führer auf
dem weiten Gebiete der Unfallkeilkunde geschaffen werden
sollte.
Auf den sachlichen Inhalt hier näher einzugehen, würde zu
weit führen. Zu erwähnen dürfte nur sein, dass manche Er¬
krankungen, wie z. B. Carcinoma mammae, Osteomyelitis
feinoris u. ähnl., deren kausaler Zusammenhang mit einem Un-
fnlltrauma doch nicht in jedem Falle geliiugnet werden kann, gar
nicht berücksichtigt sind und andere, wie die Wundinfektions¬
krankheiten, nur eine ganz kursorische Behandlung im Allge¬
meinen Theile gefunden haben. Gerade derartige Krankheits¬
zustände bilden nicht gar selten Schwierigkeiten bei der Beur-
theilung und Begutachtung. Diesen und ähnlichen Fragen wird
der Verfasser bei der voraussichtlich bald nothwendig werdenden
folgenden Auflage seines verdienstvollen Werkes sicher seine
Aufmerksamkeit zuwenden. Dabei werden dann auch manche
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37. Dezember 1901. MU EN CHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2051
Härten der Wortbildung, wie „Erwerbsbeschränktheitsrente“,
dann Härten der Satzbildung, wie auf S. 309 bei Beschreibung
der Roser-Nelaton’schen Linie, sowie verschiedene Druck¬
fehler beseitigt werden können.
Doch das sind nur nebensächliche Dinge, die dem Werthe
des Buches keinen Eintrag thun können. Der Wai bersche
Leitfaden kann den Kollegen nur dringend nucinpfohlcn werden
und wird sich unter denselben wegen seiner praktischen Brauch¬
barkeit auch sicher bald sehr viele Freunde erwerben.
Dorffmeister.
Hygiene und Diätetik des Magens. Von Kreisphysikus a. I).
F. Schilling zu Leipzig, Spceialarzt für Verdauungs- und
Stoffwechselkrankheiten. Mit 9 Abbildungen. Leipzig 1901.
Verlag von H. Hartung & Sohn.
Innerhalb seines eng gehaltenen Rahmens behandelt das vor¬
liegende Buch folgende Kapitel: Ursachen der Magenkrankheiten,
Nahrungsmittel u. Magenverdauung, Hygiene und allgemeine Diä-
tetik, Symptome u. Diagnostik der Magenkrankheiten, allgemeine
Therapie, specielle Diät, bei Sekretionsstörungen, Motilitäts¬
störungen, Sensibilitätsstöruugen, akutem Magenkatarrh, chro¬
nischem Magenkutarrh, Magengeschwür, Magenkrebs, Lage-,
Gestalt- und Grösseveränderungen des Magens. Bei der Durch¬
führung seiner Aufgabe geht Verfasser von den Ursachen, welche
den häufigsten Magenstörungen zu Grunde liegen, aus, knüpft
an die Besprechung unserer jetzt geltenden Anschauungen über
die Verdauungsvorgänge die hygienischen und diätetischen
Grundsätze und bespricht unter Darlegung der Diagnostik der
einzelnen Krankheitsformen die allgemeinen und speciellen Be¬
handlungsmethoden. Uebcrall tritt die grosse persönliche Er¬
fahrung des Verfassers auf diesem Gebiete — Sch. hat bekannt¬
lich auch werthvolle Untersuchungen über die Verdaulichkeit
der einzelnen Nahrungsmittel auf Grund zahlreicher Faeccs-
untersuchungen veröffentlicht — sehr deutlich in die Erschei¬
nung. Trotz der compendiösen Form des Ganzen wird der Prak¬
tiker, namentlich hinsichtlich der diätetischen Behandlung der
Magenkrankheiten, doch recht eingehend gehaltene thera¬
peutische Rathschlüge in dem Buche finden, das bestens em¬
pfohlen werden kann. Grassmann - München.
Neueste Journalliteratur.
Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 49.
A. Welscher-Hamm 1. W.: Stichverletzung der Blase
(durch das Foramen ischiadicuzn majus).
Mittheilung eines günstig verlaufenen Falles von Blasenver¬
letzung durch einen Sensenhieb in die linke Glutüalgegend. Die
fest im Becken sitzende Sense konnte nur mit grosser Mühe unter
Mithilfe des Pat. aus dem Körper entfernt werden. Sofort stürzte
mit dem Blut massenhaft Urin aus der Wunde. Der Iseliiadicus
war nicht verletzt; Pat. ging nach 5 Tagen dem Spital zu. Die
Wunde wurde nach Drainirung der Blase mit .Todoformgnze tam-
ponirt, bald entleerte sich siimmtlicher Urin durch den Gummi¬
schlauch; wegen Cystitis wurde die Blase 3—4 mal täglich mit
Karbol-, später Sublimatlösung ausgespült und nach fast einem
Monat der Drain entfernt. W. ist der Ansicht, dass in dem betr.
Fall wohl primär das Peritoneum Verletzt war. dass aber bei dem
breiten Wundkanal eine Stockung des Harns (dies für die Genese
der Peritonitis bei Blasentumoren so bedeutungsvolle Moment)
nicht zu Stande kam und eine Verklebung durch die anfängliche
ltuhe (Unterlassen eines Transports) begünstigt wurde. Sehr.
Archiv für Gynäkologie. 64. Bd. 3. Heft. Berlin 1901.
Der mitgetheilte Fall betraf eine 30 jährige III. Para, die Dia¬
gnose schwankte vom 2.—7. Monat zwischen Perityphlitis, intra-
oder extrauteriner Gravidität und Kombination beider. Bei der
Laparotomie fand sich ein 1250 g schwerer, lebender Foet zwischen
den Darmschlingen. Die Placenta war in der ganzen rechten
Beckenhälfte und auf dem Douglas-Peritoneum entwickelt. Ihre
Iiüsuug veranlnsste eine Blutung, welche nur durch Kompression
der Aorta beherrscht wurde. Drainage, Genesung. Primär hatte
es sich um Tubengravidität gehandelt. — Eine grosse Anzahl
solcher Kinder ist schon dauernd am Leben geblieben, das ist
für die Indikation der Operation zu beachten. — Die Mortalität
der Mütter bei diesen Operationen betrügt für die letzten 4 Jahre
10 Proc.
3) L. Pick. Privatdozent: Die Marchan d’schen. Neben¬
nieren und ihre Neoplasmen. (Aus Prof. L. Land a u's Frauen¬
klinik.)
Die M a r c h a n d’schen Nebennieren werden als kleine Knöt¬
chen entsprechend dem Verlauf des Wolf f’schen Körpers ge¬
funden. «Iso beim Weibe überall da. wo Reste der Urniore Vor¬
kommen. A i c li e 1 fand diese Gebilde im Ligamentum latum
Neugeborener regelmässig und nach ihm entstammen sie der l'r-
niere. Diese Organe zeigen histologisch den Bau typischer, nor¬
maler Nebennierenrinde und besitzen nach Thierverxuchcu und
Beobachtungen am Menschen vielleicht eine physiologische Auf¬
gabe bei Zugrundegehen der eigentlichen Nel>ennleren, daher:
accessoris <• h e N ebennior e n.
Von diesen M arch a n d’sclicn Nebennieren können anato¬
misch und klinisch wohl umschriebene Geschwulstbilduiigen iin
weiblichen Genital ihren Ausgang nehmen. P. beobachtete einen
solchen Fall: bei einer 51jährigen Frau wurde ein rechtsseitiger
faustgrosser Ovarialtumor entfernt. Die Untersuchung ergab
„Neubildung vom Typus der Nebenniere mit destruirender Ten¬
denz“. Die Frau wurde nach der Operation wiederholt untersucht,
blieb 1 Jnlire gesund und starb 2 Jahre nach der Operation
unter Goschwulstbildungen in beiden Nieren, der linken Neben¬
niere und dem linken Kleinhirn. — P. hält die liypeniephroide Eier-
stocksgeschwulst für autoc hton. hervorgegangen aus einer M n r -
c li a n d’schen Nebenniere im Eicrstockhilus.
Die liyperuephroiden Geschwülste enthalten gewöhnlich
Glykogen in bedeutender Menge, doch kommen auch im Ovarium
glykogenhaltige Tumoren vor. die bestimmt nicht liypernephroider
Natur sind. P. bringt dafür zwei Beobachtungen au ovariellen
Endothelgeschwülsten und eine an einem Adenoeareinoum ovnrii.
4) Georg Preiser. prnkt. Arzt: Ein Beitrag zur Lehre von
den Tuboovarialcysten. (Aus der gynäkologischen Abtheilung des
Krankenhauses der Elisabethinerinnen in Breslau, Prof. Pfannen¬
stiel.)
Die Mehrzahl der Tuboovarialcysten ist entstanden aus Saeto-
salpinx und Ovarinlcyste durch Druckatrophic an der Verlütkungs-
stelle. — Jene Befunde, wo die Tubenfiinbrien entweder frei int
Cysteninnem flottiren oder an der Wand anllegen. sind so zu er¬
klären: Pyocele peritubaria, Schwund der Wand zwischen
P.vocelo und Ovarialcyste. — Aehulieh der Pyocele peri¬
tubaria kann denkbarerweise eine Haematocele wirken. — Für
die verschiedenen Grade dieser Bildungen erbringt Pr. klinische
und anatomische Beobachtungen.
5) Georg Fleck, Assistenzarzt: Mittheilungen aus der
Göttinger Frauenklinik:
I. Zur Aetiologie der Mastitis.
<5 Tage nach Ablauf eines Gesichts-Erysipels Entbindung;
Mastitis abscedens klinisch verlaufend wie Staphylococeen-
Mastitis. Im Eiter fanden sich ausschliesslich Streptococcen. —
Klinische Formen der Mastitis lassen sich nicht ln Beziehung
bringen zu den bakteriologischen Befunden.
n. Primäres Carcinom der vollkommen invertirten Scheide
mit totalem Prolaps des Uterus.
Bei der 43 jährigen Nullipara bestand der Vorfall seit 3 Jahren.
Eine Operation war bei dem Zustande der Patientin und der Aus¬
dehnung des C-arelnoms auf Douglas und Rectum nicht mehr
möglich. Dr. Anton H e n g g e - München.
Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 46. Band,
2. Heft. Stuttgart, F. Enke. 1901.
Die ersten 3 der folgenden Arbeiten gehören noch zu der Fest¬
schrift für Prof. L. Landau.
1) Leopold Thumlm. Assistent: Chirurgische Eingriffe bei
Myomen der Gebärmutter in Schwangerschaft und Geburt. (Aus
Prof. L. Landa u’s Frauenklinik.)
Eine Zusammenstellung der seit 1885 veröffentlichten Fälle er¬
gibt für abdominale Totalexstirpation bei Myom mit Schwanger¬
schaft eine Mortalität von 8.9 Proc., für supravaginale Amputation
11 Proc. Die Totalexstirpation vermeidet spätere katarrhalische
und maligne (bis jetzt 15 Fälle) Erkrankung des Cervixstumpfes
und ermöglicht bessere Drainage. 3 Fälle von Myom-Enueleation
während der Schwangerschaft führten alle zu rechtzeitiger nor¬
maler Entbindung. Unter 6 Fällen von abdominaler Totalexstlr-
pation während der Schwangerschaft endete nur einer tödtlieh.
2) A. S i 11 n e r, Frauenarzt in Brandenburg a. H.: Ein Fall
von 7 monatlicher Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter
mit lebendem Kind, zugleich einige Betrachtungen über die
Diagnose und die Operation bei vorgeschrittener Extrauterin¬
gravidität mit lebender Frucht auf Grund einer Zusammen¬
stellung von 120 Fällen dieser Art.
1) K. Winkler- Breslau: Das Deciduom.
W. bemüht sich, in dieser sorgfältigen kritischen Arbeit, die
am Aufbau der malignen Declduome betheiligten Zellformen auf
Bestandtlieile der Decldua zurückzuführen und ihren Ursprung
in die Plncentarstelle des graviden oder puerperalen Uterus zu ver¬
legen. Seine Ausführungen richten sich wesentlich gegen Mar¬
chan d. der die Geschwulst als „Chorlon-Epithelloma“ bezeichnet
wissen will und das Syncytium und die L a n g h a n s’scbe Zell¬
schicht als IJrsprungsstätten ansprieht. Auf Grund zweier ein¬
gehend beschriebener Beobachtungen stellt W. zunächst 2 Zell¬
formen der Geschwulst fest, die sowohl im Primärtumor, als in
den Metastasen stetig wiederkehrten und bezeichnet als Ursprung
derselben die „d oddualo Basalplatte der Placenta“. W. gibt
alsdann eine Erörterung der Genese von Svneytium. Langhans-
schiebt und Decldua und weist nach, dass die von March and
u. A. behauptete Entstehung der Declduome aus den beiden erst¬
genannten Schichten und den cliorialen Wanderzcllen irrig sei.
vielmehr die Gesehwulsteleinente sich aus Zellformen der Deeidua
berleiten lassen. Die beiden Zellformen. welche die Declduome
aufbauen, sind die decidttalen Rundzellen und die s\ ivytlalen
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2052
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
Element**. Der Nmne ..DechTumn" kommt, «ler G»»schwulst mit
Recht zu. «Ile mit B«*zug auf «lie Abstammung ihrer Zellen «len
Sarkom«*» zug»*re<-hn«*t. w«*rd«*u muss.
2> li! W. E r e u u «1 - Strassburg: Zur erweiterten Freund-
schen Operation bei Krebs der Gebärmutter.
E. tritt »*nergiseh für «li«* abdominale Operation «l«*s l'terus-
«areinoms <*in. Von 15 operirten Eilllen betrafen 5 auf «len Uterus
b«*s«'h rankte Uareinome. Von l«*tzt«*reu sind 2 g»*storheii. die
ratlh-aliuoperabel waren, die aud«*ren wurden geheilt. Als Indi¬
kationen der erweiterten E r e u n «l'sehen Operation l>ezeichnet F.
die lH*ginnen«len uml auf den Uterus l»esehränkten ('arcinome. so¬
wie solche mit Verbreitung des Krebses in die nächste Nachbar¬
schaft des Uterus. Eiir alle übrig«*n kommt nur di<* vaginale Ex¬
stirpation. «ptasi als Palliativmittel, in Ketraeht.
3» (1. Bu rcklia ril-Wiirzburg: lieber Drainage bei Lapa¬
rotomien.
B. b«*riclitet ülw»r .‘‘»1 Laparotomien aus <l«*r Würzburger Klinik,
«li«* mit Drainage behamhdt wurden. Es liamlelte sich «lal»«*i um
0 Ovarialtumoren. IS eiterige Adnextumoren. 2 Tubargravi«lität«*n.
2 vereitert»* Uterustuniore» mul 3 P«*ritonltiden. Von diesen starben
S unmitt«*lbar nach der Operation. 1 in«*hmv Wo«*hen »achh«*r.
Drainirt wurd»* mit Gnz»* oder Gktsdrains. b»*zw. kombinirt mit
b«*i«len. liuli/.irt ist die Drainag»*. wenn grössere Mengen Eiter
das Op«*rationsfel«l verunreinigt haben, wenn g Wisse re Wund-
liöhlen zurü« , kg«*bli»*lM*n sin«l. wenn Theih* «l«*r Oescliwillstwämle
zurückgelnssen werd«*n mliss«*n. w«»nn Blasen- »Hier Darinver-
letzuugen vorhanden sind, endlh’h. wenn Eitersacke nicht ausgelöst
w«*rden können, sondern angenälit und incidirt werden müssen.
3a) (i. K i en - Strassburg i. E.: Zwei Fälle eigenthümlicher
Schwellung der Parotis bei Neugeborenen.
Es liamlelte sich um «loppelseitige Schwellung der Parotis, die
gh*i»*h nach der Geburt vorhamlen war und nach Verlauf von
4 Wochen spontan wi«»«ler verschwand. Die Natur »ler Schwellung
blieb dunkel: Hypertrophie. Angiotn und Sp«‘ichelretent.ion selilii*sst
K. aus. ebenso Parotitis epidemica, «la die Mütter g»*suml waren.
Am wahrscheinll« - h’st«*n bleibt noch ein«* Vergnisserung «1«*r Parotis
in Folge von Stauung, für deren Entstehung allerdings keim* Ur¬
sache zu finden war.
4) A. Feitel-Wien: Zur arteriellen Gefässversorgung des
Ureters, insbesondere der Pars pelvina.
Veranlassung zur vorliegend«*» Arbeit gab «li<* Angabe
W «* r t h <* i m’s. »lass es bei 5 s«*hu*r 57 an Car«*, uteri «»perirt»*»
Krank»*n znr Bildung «*im*r X T ret«*reniist«*l gekommen sei. wofür W.
das aus der T T t»*riua eutspring«*nd«‘ Gefliss wahrscheinlieh verant¬
wortlich machen zu sollen glaubte. An Injektionspräparafon fand
F. für «las untere Dritt«*l des Ureters als Ernührutigsgefässe
TM«*rinn und Vesicalis. für das mittlere einen stets vorhandenen
Ast mit tvplsohem Verlaufe, der entweder direkt aus der Aorta
oder der llypogastrica oder Iliaca communis entsprang. F. nennt
diesen Ast ..A r t «* r I a u r «• t «* r 1 <• a“. Die genannt»*n Gefässo
sind während «ler W e r t h e i m*seheu Operation «r«*fälirdet b«*l d«*r
Freilegung d«*s I T r«*t«*rs und Aufsuchung der Drüs»*n. Als Regeln
für «li«* Operation «*rgeben sich daraus folgende:
1. Die stumpf«- Präparation <l«*s Ur«*t«*rs und <l«*r flofüss«* ist
thuidiclist zu v«*rniold»*n.
2. Die Ernähntmrsgcfässe sind thunlielist zu priipariren.
3. Die Spaltung des Peritoneums über «lein Ureter bat bis in
«lie Mitte der Pars pelvina an «ler lnt«*rnl«*n. von da ab au der
medialen Seite des Ureters stattzufinden.
4. Die Driis«*» sind womöglich von den Erniilirutigsg«*fäss«*n
abztmräpariivn.
5) E. I h m - Königsberg: Zur Therapie der Extrauterin¬
schwangerschaft.
Die Frage, ob bei abgestorbener Frucht ln den ersten Monaten
und bei fertig nusgcbildetcr Ilaeniatocele operativ oder exspectatlv
behandelt werden soll, ist noch unentsehio«len. .T. hat daraufhin
«las Material «ler Königsln*rg«*r Klinik 130 Fälle ln 2*4 .Tahren) 1 h*-
arlH'itet. Ili«*von wurden 10 Fälle operativ und 20 Fälle exspectatlv
lK'handelt. Das unmittelbare Resultat war b«*i beiden Methoden
«•in gutes. AlH'i* »li«* Operirten waren alle nach 4 Wochen wl«*»ler
arbeitsfähig. während dies IhM <l«*n exsneetatlv B«*hnnd«*lt»n viele
Monate oder sogar Jahre lang dauerte. Di«* Erfahrungen T.’s fallen
also zu Gunsten d«*r oi><*rativ«*n Metli»»de aus.
0) R. L o in e r - Hamburg: Zur Therapie wiederholter Aborte
und der Früheeburt. todter Kinder.
Als häufigste Ursachen habitueller Aborte haben Lues.
Sidiwnngerseliaftsniere und Endometritis zu gelten. L. gibt unter¬
schiedslos in 1«*dem derartigen Fall«* .Todknli In Verbindung
mit Eisen (Blaud’sche Pillen) und hat dabei unter 22 Fällen
nur einen Miss«>rfolg erlebt. Er erklärt seine Erfolg«* aus den Wir¬
kung«*» des Jods auf «li«* Oefiisse der Pla«-enta. dl«* «*rw«»itert werden
und «li«* Ent Wickelung «ler Frucht dadurch lM*gfl»stlg«*n. Vielleicht
wirkt «li«* Behandlung auch dadurch, dass sie Blutergüssen in di«*
Plac<*nta vorheugt. T.. ist gegen die Liegekur bei habituellem
Abort, ebenso »regen «lie Opiumh«*handlung: von beiden Mitteln
hat er nie Erfolge t-«*sehen. Jod und Eisen werden während der
gatiz.Mi Schwangerschaft gegeben. Das Eisen soll die bei den Ein¬
gangs erwähnten Krankheit»*!! stets vorhandene Anaemie be¬
kämpfen. „ . .. . ,
7) C J. B u «* u r a-Wien: Ueber die Verkürzung der runden
Mutt**rbänder auf vaginalem Wege.
B tritt für «li«* von Wert beim im Jahre ISO« zuerst be¬
sehrieben«* Operation «in. T/*tzt«*r»*r hat di«* Operation seither
SC, „,al ansgefilhrt. TTh-rvon hatten l.ei «ler Entlassung nur
2 Frauen R«*ci«live; geboren haben nachher, und zwar ganz normal.
7 Frauen, abortirt 3 Frauen. 3 waren noch gravid. Dauerresultate
k«>nut«*n an 55 Fällen f«*stg«*stellt werden; unter 48 fanden sieh
io ltccidivc. «li«* aber «lur«*h Komplikation»*» zu erklären sind und
nicht. «l«*r Methode zur Last fallen. Die Dauerresultate der Ventri-
uiul Vagiuifixation sind l>ess»*r. ersten* macht aber mehr Schmerzen
und leh'hter Bauchbrüehe, letztere führt zu gefährlichen Kompli¬
kationen hei Enthiudungen. Vor derA lexander-Adam s’sch«*n
Operation hat die W e r t h e i m’sche Methode voraus, »lass Baueh-
narhen uud «li«* stets bestehende Gefahr von Hernien vermieden
wird. J a f f 6 - Hamburg.
Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie. Bd. XIV.
Hoi't 5.
1) II. P a 1 in-Güttingen: Experimentell-physiologische Unter¬
suchungen über das Verhalten des Kaninchennterus bei der
Athmung von Wasserstoff, Kohlensäuregemisch und bei der
Erstickung.
Verf. wiederholte die von Runge augestellten Experiment»*
über «las Verhalten des Kanimlienuterus bei Sauerstoffniang»*l und
Kohlensäureül)«‘i*schuss <l«*s Blutes, da von einer Seite di«* Resul¬
tate R u nge’s nicht bestätigt wurden und arnlere Nachprüfungen
fehlen. Um die einzige eveut. Fehlerquelle in den Versuchen von
R. nuszusehllessen. wählte Verf. bei der Zuleitung der Gase einen
geuaueren Apparat, mit »lein er den Druck, unter dem das Gas
ln «lie Lungen strömte, genau regul Iren konnte und versuchte, in
seinen V»*rsuehon klarzustellen, wodurch die abweichenden Er¬
gehniss«* au«l«*rer S»*it<* zu erklären seien. Die Untersuchungen er¬
gaben nun, «lass unter verschiedenen Möglichkeiten die Erregbar¬
keit des Uterus «l»*mrt herabgesetzt sein kann, dass die von R. be-
s«-hri»*lH*n«*n B«*w«*gungsersciieinungeu nicht zum Ausdruck ge-
langen. nümilch bei zu jugendlichem Alter der Yersuchsthiero und
bei zu kurz zurückliegender Geburtsthätigkeit. Andererseits be¬
stfit ig«*n «lie V«*rsuche »lie Angaben Ru nge’s. «lass bei blosser
Steigerung der COO-Spannung im Blute ohne Veränderung «les O-
G«*haltes «l«*r I’terus in Bewegung g«*riith. und dass ebenso bei
Ilernbs«»tzung des 0-G»»halt»*s im Blut«*, bei unveränderter COO-
Spnnmmg. Bewegungen des Utems auftreten und zwar noch ener¬
gischer als unter dein Einfluss «ler COO-I T t*berladung des Blutes.
2) F. K e r m a u li e r-Graz: Seltene Form der Vaginal¬
portion.
An Stell«* «les äusseren Muttermund«*» sass ein s«*hlnffes. höckc-
rig»*s. hahiienkainmälinliehes Gebilde. Die Untersuchung vieler
S«-linitt«* des abg«*trag«*n»*n G«*bildes ergab gross«*, gefässreicho mit
gesell l«-lit et ein Platt enepitli«*l ülK*rz»nr<*ne Papillen. Die Austastung
des Uterus und ili<* Untersuchung des gleichzeitig vorgenonimenen
f ■uivttenients ergabeu keine Spur einer malignen Erkrankung. Da-
iregen fanden sieh in Selinitten aus «ler AbtragnngsstoUe des Ge-
blldes solide Zellstriinge und Nester. «Ile keinen Zweifel an der
Diagnos»* Careiiiom lassen konnten. Total«*xstirpation. Fareinom
der Cervix. Verf. empfiehlt, in ähnlichen Fällen aufs Genaueste
nach v«*rst«*ckten lsisartigen Neublklungen zu fahnden.
3) A. v. G u 0 r a r «1 - Düsseldorf: Ueber die vorzeitige Lösung
der normal sitzenden Placenta am Ende der Schwangerschaft.
Tn einem Falle handelte «*s sich um eine traumatische vor¬
zeitige Ablösung der normal sitzenden Plaeonta mit konsekutivem
Tode der Fruelit und Partus praematnras. im zweiten Falle wiesen
ohne anamnestische Anhaltspunkte die Zeichen schwerer innerer
Blutung, die Vergröss«*rung des Uterus, das plötzliche Absterben
des Kindes und die Blutung aus dem Uterus auf eine vorzeitig«*
Lösung der PI. hin: im dritten Falle konnte die Hand bei der
Wendung die Plaeenta im Utems flottiren fühlen. Bei der Ex¬
traktion ‘ doppelseitiger Cervixriss. Pat. erlag am 0. Tag einer
Nachblutung. .
Als Ursachen der vorzeitigen Lösung sind allgemein dnreli
schwere Krankheiten oder schlechte Lebensweise herb«*1geffihrt«*
Schwäeliezustände des ganzen Organismus anzusehen. dann 1 m*-
sonders bei frühzeitigen Geburten NephrltiR. Die Ursache für dl«*
grosse Gefährlichkeit der Komplikation ist lokal in dem sehr oft
schwer lädirten Myometrium zu suchen.
Ob in der Behandlung die Blase zu sprengen Ist oder nicht,
kann nur von Fall zu Fall entschieden werden. Eine für alle
Fälle gütige R«*gel lässt sieh nicht hierüber nufstellen.
4) A. Mart in-Greifswald: Ueber Myom-Enucleation.
Vortrag, gehalten in der geburtshilflichen Sektion der Natnr-
forselierversnmmlung in Hamburg 1901. Referat s. d. Wochen¬
schrift. Jahrgang 48. No. 42.
5) C. E v e r k o - Bochum: Ueber Kaiserschnitt. ITT.
Vortrag, gehalten in der geburtshüfllclmn Sektion «l«*r Natur
fors«'h<*rv<*rsammlung in Hamburg 1901. Referat s. d. Wochen-
» lirift. Jahrgang 48. No. 42.
0) Ph. .T u n g - Greifswald: Zur Frage der Malignität der
loliden Embryome. „ _
Beschreibung zweier Embrvome. Tn dem einen raue war
las Peritoneum auf der Blase, am Ligamentum Intimi sinistnim.
sowie im Netz von zahllosen weissgniuen Knötchen bedeckt, ebenso
•inden sich gescliwolb'n«* rotroperitonenle Lymplidrüsen. Patient
st IV. Jahr post op. gesund. „
Die mikroskopische Untersuchung mehrerer dieser Knotctien
•rgab. dass es sich um obllterirte Geffisse hand«fite. Als T^rsache
l«*r Entstehung dieser Gefässwandwneheningen sieht \ erf. den
lermanenten Druck seitens d**r wachsenden Geschwulst nn »n.i
rlaubt, dass diese oder ähnliche Bildungen eineiw Thell «U*r ti«*u-
Digitized by V^jrOOQlC
17. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
205 :;
ungen nach Entfernung maligner Abdominaltumoren bei scheinbar
vorhandenen und zurückbleibenden Implantationen erklären
können.
Nach der Theorie von der foetalen Inklusion können cystisclie
und solide Embryome nicht qualitativ verschieden aufgefasst
werden, daher müssen auch die soliden Embryome an sich gut¬
artig sein. Elamso müssen nach dieser Theorie die Embryome an¬
geboren sein und können schliesslich überhaupt nicht als Neu¬
bildungen im Sinne der Geschwulstlehre aufgefasst werden, son¬
dern als einfache Parasiten, auf die die Begriffe der Geschwülste
von gut- und bösartig nicht übertragen werden können.
Einwandsfreie Beobachtungen von länger dauernder Iteeidiv-
freiheit bei soliden Embryomen mit histologisch gutartigem Bau
stützen diese Erwägungen.
7) II. II e i 1 - Darmstadt: lieber die physiologische Pulsver¬
langsamung im Wochenbett.
Polemisches. Weinbrenner - Erlangen.
Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 49.
1) B. S. S c h u 11 z e - Jena: Zur Kenntniss der Todesart des
Kindes bei vorzeitiger Lösung der Placenta.
Vorstehender Artikel richtet sich gegen eine kürzlich von
Herzfeld (cf. diese Wocheuschr. No. 4ü, p. 1847) ausgesprochene
Ansicht, wonach eine Frucht bei ltuptura Uteri sich durch die
vorzeitig gelöste Placenta in die Bauchhöhle verblutet haben soll.
Sch. demoustrirt und lehrt seit Jahren das Geschlossensein der
kindlichen Kapillaren gegenüber den Räumen der Placenta, iu
denen das mütterliche Blut fliesst. I)ns Kind kann desshalb bei
vorzeitiger Plaeentarlösung kein Blut verlieren und der dabei etwa
eintretende Tod oder bleiche Scheintod des Neugeborenen beruht
nicht auf Anaemie.
2) A. T h eil h aber - München: Zur Behandlung der Dys¬
menorrhoe.
Th. hat für die schweren Fälle von Dysmenorrhoe empfohlen,
kleine Stücke aus dem Sphincter orif. Int. herauszuschneiden:
Itesectlo oriflcii interai (cf. diese Wochensehr. 1901, No. 22 u. 23).
Zur leichteren Ausführung der Operation beschreibt Th. Jetzt ein
eigenes Messer, dessen Klinge höchstens 6 mm in die Tiefe drängen
kaum Abbildung uud Gebrauch des Messers müssen im Original
uachgeseheu werden. Die Sphinkterresektion hat Th. bis Jetzt
in 22 Fällen mit stets befriedigendem Erfolge angewendet.
3) W. Rosenfeld - Wien: Zur Peesartherapie bei Prolapsus
uteri et vaginae.
Für solche Fälle, wo aus irgend einem Grunde die Operation
eines Prolapses ungeeignet erscheint, empfiehlt R. ein Pessar, «las
sich ihm iu 4 Fällen bewährt hat, wo andere Pessare versagten.
Das sogen. „Zapfenpessar" besteht aus einem schüssel¬
förmigen Ring, wie die Hysterophore ihn tragen, aus Hartgummi
mit einem hohlen, abgerundeten und durchlochten Zapfen. Zu
haben bei der Firma Leiter in Wien.
4) S. C h a z a n: Ueber Zwillingsgeburten mit langen Pausen
zwischen der Geburt des ersten und zweiten Zwillings.
Ch. widerspricht der kürzlich von F ü t h (cf. diese Wochen¬
schrift, No. 41, p. 1014) geäusserten Ansicht, dass durch zu langes
Abwarten pyaemische Erscheinungen bei der Mutter entstehen
könnten. Fieber könne dabei wohl auftreten, aber Ch. hat nie
beobachtet, dass dieses durch putride Intoxikation entstehende
Fieber sich Jemals bei aseptisch geleiteter Geburt zur Pyaemie
ausbilden könne. J a f f 6 - Hamburg.
Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie.
46. Bd., 5. u. 6. Heft.
18) H. U 1 r i c i - Marburg: Ueber pharmakologische Beein¬
flussung der Hamsäureausscheldung.
Da bei den meisten bisherigen Versuchen, welche eine Beein¬
flussung der Hamsäureausscheldung durch Medikamente darthuu
sollten, nicht genügende Rücksicht auf die Verhältnisse des Ge-
sammtstoffwechsels, mit welchem der Harnsäurestoffwechsel in
enger Beziehung steht, genommen wurde, so wiederholte U 1 r i c i
diese Versuche bei N- und P 2 O s -Gleichgewicht an sich selbst.
Benzoesäure (8 g pro die) hatte keine wesentliche Wirkung auf
den N-Stoffwechsel, setzt* 1 aber die Harnsäureausscheidung in den
ersten Tagen herab. Nachher trat eine geringe Vermehrung der
Harnsäure ein. Aehnlich wirkte Gallussäure (8 g pro die). China¬
säure (8 g pro die) hatte iin Gegensätze zu den bekannten Resul¬
taten von Weiss weder auf den Stoffwechsel noch auf die Harn¬
säure eineu Einfluss. Tauuiu (3 g pro die) bewirkte nur leichte llaru-
säurevennehrung. Salicylsaures Natron (3—5 g pro die) steigerte
die N-Ausfuhr um 7 Proc., die Harnsäureausfuhr dagegen um 40
bis 50 Proc., so dass man ihm eine specielle Beförderung der Harn¬
säuren ussclieidung zuschrelbeu muss. Eine Vermehrung der Leuko-
eyten im Verhältnis zu den Erythrocyteu konute U. in der Salicyl-
periode nicht uachweiseu.
19) H. M e y e r- Marburg: Zur Theorie der Alkoholn&rkose.
3. Mittheilung: Der Einfluss wechselnder Tempera¬
tur auf Wirkungsstärke und Theilungscoeffi-
cient der Narcotica.
Der Aufsatz bringt weitere Beweise zu M e y e v's Theorie,
dass die Narkose mittels alkoholartiger Substanzen auf einer
physikalisch-chemischen Bindung der letzteren au die fettartigen
Stoffe des Central nervonsystemg beruhe. An einer Reihe solcher
Substanzen wurde nachgewiesen, dass die von der Theorie ge¬
forderte gleichsinnige Aemlerung von Theilungscoefflcieut und Wir¬
kungsstärke unter dem Einflüsse wechselnder Temperatur in der
That eintritt. Es muss indess hervorgehoben werden, dass dem
Verfasser Rechenfehler unterlaufen sind, welche die Beweiskraft
seiner Ausführungen nicht unwesentlich beeinträchtigen.
20) C. A r c h a u g e 1 s k y - Tomsk: Ueber die Vertheilung
des Chlor&lhydrats und Acetons im Organismus.
Auch diese, aus dem Heidelberger pharmakologischen Institut
stammende Arbeit bringt Belege für die Narkosetheorie von
Meyer und Overton. Bei Vergiftungen mit Chloralhydrnt
und Aceton finden sich diese Körper in solcher Menge im (Zentral¬
nervensystem. dass mau ein specitisches Biudungsvennögen der
Xerveumasse für beide Gifte annclimeu muss.
21) E. II a r n a e k - Halle: Ueber die Resorption des Man-
gans.
Vom Mangan, das recht selten als Medikament verordnet und
meist nur in Verbindung mit Eisen gegen Anaemien verabreicht
winl, war behauptet worden, dass es überhaupt nicht vom Ver-
dauuungsapparat resorbirt werde. Ha mack weist nun mich,
dass (‘s iu der That von der intakten Schleimhaut resorbirt wird,
al>er in so kleinen Mengen, dass Allgemeinverglftungeu nicht ent¬
stellen. Die Ausscheidung erfolgt wie beim Eisen zu tu grössten
Theii durch den Darm, nur in minimalsten Mengen durch die
Nieren.
22) E. N c b e 11 h a u - Halle: Experimentelle Beiträge zur
Lehre vom Fieber und Diabetes mellitus.
Nebelt hau prüfte die noch strittige Frage über den Ein¬
fluss intorourrent.er Fielter auf die Glykosurie der Diabetiker,
indem er bei einer Reihe von Hunden das Pankreas exstirpirte
und sie daun mit Bakteriengiften oder lebenden Kulturen inflzirte.
Eine konstante Beeinflussung des Kohlehydratstoff Wechsels fand
indess weder durch die Steigerung der Körpertemperatur noch
durch akut verlaufende Infektion statt. Nur unter dem Einfluss
der Tuberkulose fand eine Herabsetzung der Glykosurie statt.
23) J. Schreiber- Königsberg: Ueber den Schluckmecha¬
nismus.
S c li r e i 1» e r liestreltet die Behauptung von Iv r o n e e k e r
und M e 11 z e r, wonach die Speise beim Schlucken durch die
Pharynxmuskulatur mit der blitzartigen Geschwindigkeit von
0,1 Sekunden durch den Oesophagus hindurch gespritzt werde.
Auf Grund einer genauen Untersuchung mittels graphischer Re-
gist.riningtingsnietlioden (s. Original) kommt er zu dem Ergebnis*,
dass der Pliarynxsehluck durch Mylohyoideus-Hyoglossuskontrak-
tion ausgeführt wird, welcher die Kontraktion des Geulohyoideus
und Thyreohoideus sofort folgt. Die Eröffnung der Speiseröhre er¬
folgt 0.2 Sekunden später. Die Beförderung derSeliluekmassc in und
durch den Oesophagus erfolgt durch die Oonstrletores pharyngis,
den Mylohyoideus und eine Ahsclilussdruckerliöhung. lut Oeso¬
phagus seihst sind peristaltisclie Schnürung und der negative Intra-
tlioracische Druck wirksam. Die Peristaltik vollzieht sich rasch
innerhalb der Pars colli, welche quergestreifte Muskulatur trägt,
langsam in die Pars thoracica mit ihrer glatten Muskulatur.
24) L. E b stein- Breslau: Ueber einen Protozoenbefund
in einem Falle von akuter Dysenterie.
Kasuistische Mitthellmig aus der Breslauer medieinlsehen
Klinik. J. Müller- Wlirzbnrg.
Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und
Infektionskrankheiten. Bd. 30, No. 19. 1901.
1) Cohn-Graz: Ueber die nach Gram färbbaren Bacillen
des Säuglingsstuhles.
2) A. Petterson - Upsala: Ein sichtbarer Nachweis von
Alexin Wirkungen.
Im Gegensatz zu B a u m g a r t en und A. F i s c li e r, welche
die Existenz der B u c h u e r'schen Alexine verneinen, bringt Ver¬
fasser neue Versuche zur Stütze der B u c h u e r’schen Annahme.
Säet man z. B. In ein 3,5 Proc. Gelatine oder 1 Proc. Agar ent¬
haltendes Röhrchen Bakterien, z. B. Typhus, und schichtet a k -
t i v e s Rinderserum durülter, so bemerkt man unter der
Oberfläche des Nährbodens nach einiger Zeit eitle helle Zone,
wälirend der übrige Nährboden von den gewachsenen Typhus
kolonien trübe erscheint. Es muss sich also hier um eine Diffusion
der Bakteriengifte und um Abtödtung der Bakterien in dem Nähr¬
boden gehandelt haben.
Auf diese sell>e Weise kann man auch die h a e m o 1 y t i s c li e
Wirkung der Blutsera anschaulich machen.
3) G o 1 d h e r g - Petersburg: Ueber die Einwirkung deß
Alkohols auf die natürliche Immunität von Tauben gegen Milz¬
brand und auf den Verlauf der Milzbrandinfektion. (Schluss.)
T a u b e n, welche gegen Milzbrand natürlich immun sind,
erüegeu der Milzbrnndiufektiou. sobald dem infleirten Tliietv
mittlere und grosse Dosen (2—3 ccm) 40 proc. Branntweins, welche
nur voriiltergehcnde Alkoliolintoxikution. nicht aber den Tod dev
Thiere herbeiführen, eingegebeu werden. Die chronische Alkohol¬
intoxikation setzt die natürliche Widerstandsfähigkeit von Tu ulten
gegen Milzbrand herab. Kleine Alkoholdosen, welche mit tüdt :
liehen Dosen Milzbrandkultur infleirten Tauben zu wiederholten
Malen eingegeben werden, retten die Thiere nicht vor dem Tode
uud verlängern nur selten ihr Leiten lm Vergleich zu den Kou-
troltaubeu; zuweilen führen sie augenscheinlich die Thiere sogar
rascher zum Tode.
4) C. V r I e n s - Rotterdam: Erhöhung des Schmelzpunktes
der Nährgelatine mittels Formalin.
Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass man die Fähigkeit
des Formalins, Gelatine hart und unschmelzbar zu machen, bereits
früher kannte, als J. v a n’t Hoff in letzter Zelt seine Beobach¬
tungen veröffentlichte. R. O. Neumauu - Kiel.
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2054
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 49.
1) M. Borchardt - Berlin: Ueber Lumbalhernien und ver¬
wandte Zustände. (Schluss folgt.)
2) A. W e s t p h n 1 - Greifswald: lieber das Westphal-
P i 11 z’sche Pupillenphänomen.
Verfasser bezweifelt die Richtigkeit der Erklärung, welche
Schanz kürzlich über die Thatsache der Verengerung der Pupille
bei versuchtem oder ausgeführtem energischem Lidschluss gegeben
hat, indem er die Erscheinung auf Stauungserscheinungeu zurück¬
führte, welche durch ungleichen Druck des Kingmuskels auf das
Auge hervorgerufen würden. Nach wie vor erscheint es W. als
die vorläulig beste Erklärung, eine „Mitbewegung“ bei dem ange¬
führten Phänomen anzunehmen. Bei Tauben kommt die betreffende
Pupilleuveränderung wohl durch sensible Reizung der Cornea zu
Stande, wie Experimente ergaben, doch trifft diese Erklärung auf
den Menschen nicht zu. Ein Urtheil über die diagnostische Be¬
deutung des genannten Pupillenphänomens kann z. Z. noch nicht
abgegeben werden.
3) L. L e w i n - Berlin: Ein neuer Aetzmittelträger.
Die Beschreibung des Instrumentes, welches hauptsächlich
ermöglicht, dass der Aetzstift nur im Augenblicke des Gebrauches
aus seiner Hülse heraustritt, während er sonst dem Einflüsse des
Lichtes entzogen ist, muss nebst den erläuternden Zeichnungen
im Original eingesehen werden.
4) S. B a n g - Kopenhagen: Der gegenwärtige Stand der
biologischen Lichtforschung und der Lichttherapie.
Cfr. den Bericht über den Vortrag S. 1765 der Münch, med.
Wocliensehr. 1901.
5) E. L e x e r - Berlin: Ueber Bauch Verletzungen.
Vergl. das Referat S. 1854 der Münch, med. Wocliensehr. 1901.
Grassmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 190 1 . No. 49.
1) H. K i o n k a und A. Liebrecht - Jena: Heber ein
neues Baldrianpräparat (Valeriansäurediaethylamid).
Bei der Unbeständigkeit und wechselnden Zusammensetzung
der Baldrianpräparate ist der Wunsch nach einem chemisch reinen
und verlässigen Präparate gerechtfertigt. Als solches scheint das
Diaethylamid der Valeriansäure, eine eigentümlich riechende,
farblose, wasserklare Flüssigkeit von scharf brennendem Ge¬
schmack, in seiner Wirkung der Drogue am nächsten zu kommen.
Es wird von den Höchster Farbwerken unter dem Namen
„Valyl“ dargestellt und in Gelatinekapseln zu 0,125 g mit der
gleichen Menge Sebum ovile 3 mal täglich 2—4—6 Stück verordnet.
2) Adolf Bickel- Göttingen: Zur Analyse von Bewegungs¬
störungen.
Vortrag mit Demonstration von Thiei-en mit symmetrischen
Kleinhimresektioueu in der medicinischen Gesellschaft zu Güt¬
tingen. (Schluss folgt.)
3) H. Curschmanu- Leipzig: Medicin und Seeverkehr.
(Schluss aus No. 48.)
Nach einem auf der diesjährigen Naturforscherversammlung
gehaltenen Vortrag. Referat siehe diese Wochenschrift No. 43,
pag. 1716.
4) F. Plehn: Ueber die praktischen Ergebnisse der
neueren Malariaforschung und einige weitere Aufgaben der¬
selben. (Schluss aus No. 48.)
Vorliegende Abhandlung bildet die Einleitung zu dem in der
hygienischen Sektion der Naturforscherversammlung am 25. Sep¬
tember d. Js. in Hamburg gehaltenen Vortrag über Malariahygleue
und gibt eine kritische Uebersicht des heutigen Standes unserer
Kenntnisse über Diagnose, Pathologie, Therapie und Prophylaxe
der tropischen Malaria.
5) Levy-Dorn - Berlin: Ueber Zwerchfell.
Autor zeigt an einer Anzahl von Diagrammen, welche die
Untersuchung mit dem Röntgenschirm ergab, dass dieselben wohl
Aufschluss über die relativen Verhältnisse, nicht aber über die
wahre Bewegung des Zwerchfells ergeben und beschreibt einen
Apparat mit feststehender Projektionstafel, durch dessen An¬
wendung die Brustwandbewegung ausgeschaltet und die wirkliche
Exkursion des Zwerchfells bestimmt werden kann.
6) H. Senator - Frankfurt a. M.: Ueber den Sitz der Damen
zu Pferde.
Erwiderung auf den gleichnamigen Artikel in No. 46, worin
für den Herrensattel plaidirt wird. F. Lacher - München.
Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg.No.23.
Emil Feer-Basel: Das Koplik’sche Frühsymptom der
Masern.
Verfasser fand die K o p 1 i k’schen Flecken, deren Eigen¬
schaften näher beschrieben werden, bei 89 Proc. seiner Masem-
l alle, hält sie für ein untrügliches Zeichen (besonders gegenüber
Rötheln). Differentialdiagnostisch kommt in Betracht die „Stoma-
tite erythöraato-pultacOe” (Com liy), die ebenfalls, doch nicht nur.
bei Masern verkommt, und das Masernenanthem.
E. H e u s s - Zürich: Wie behandeln wir die Syphilis?
«Schluss folgt.)
De. Oomelta - Brieg: Bemerkungen zur Behandlung des
Abdominaltyphus mit dem Antityphusextrakt von J e z.
Verfasser verwahrt sich gegen den unter seinem Namen (Wien,
med. Woeliensclir. No. 28) erschienenen bezüglichen Aufsatz. Er fand
in 10 Fällen keine wesentliche Beeinflussung der Krankheitsdauer
durch das Mittel.
H. Henne- Schaffhausen: Zur Reposition der vorgefallenen
Nabelschnur.
Durch ein vorgeschobenes Tuch gelang die Reposition leicht
und sicher. Plschinger.
Oesterreiohizohe Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift. 1901.
No. 49. 1) S c h n a b e 1 - Wien: Ueber das Sekundärschielen.
Ein 17 jähriger Patient, bei dem vor 4 Jahren wegen einer
Verletzung die Disclssion und Extraktion einer traumatischen
Katarakt nötkig geworden war, zeigt jetzt Schielen an dem seh¬
schwach gewordenen, ehemals verletzten linken Auge. An den
Einzelheiten des Falles erörtert Sch. nun ln einer hier nicht kurz
zu referirenden Welse die Anschauungen über die Entstehung des
Sekundärschielens und kommt für den concreten Fall zu dem
Schlüsse, dass der Grund der Schieiablenkung in einem Baufehler
nicht des verletzten, sondern des intakten Auges gesucht werdeu
müsse. Der vorliegende fehlerhafte Bau wird eingehend analysirt
Auch der Mechanismus, durch welchen die Schieioperation die
Ablenkung heilt, wird sehr ausführlich an der Hand des mit-
getheilten Falles besprochen.
2) F. Hamburger - Graz: Biologisches über die Eiweiss-
körper der Kuhmilch und über Säuglingsernährung.
Aus den mitgetheilten Versuchen zieht Verfasser besonders
2 Schlüsse: 1. der Milch und dem Blutserum des Rindes sind Stoffe
gemeinsam, welche sie als der Gattung Rind angehörig bezeichnen;
2. Casein und Albumin der Kuhmilch sind sicher zwei von ein¬
ander, auch durch die biologische Methode nachweisbar, ver¬
schiedene Körper, im Gegensatz zu den Anschauungen über die
Einheitlichkeit der Milcheiweisskörper. Die einander entsprechen¬
den Körpersäfte verschiedener Species sind von einander nach¬
weisbar verschieden, eine Thatsache, welche in der Säuglings-
erniihrung noch nicht die gebührende Würdigung gefunden hat.
Fremdes Eiweiss, ln das Gewebe eines Organismus eingebracht,
wirkt als Gift. Bei der künstlichen Ernährung bekommt das Kind
Kuhmilch, also Rindereiweiss, das als speciflsch verschiedeu die
menschliche Magen- und Darmschleimhaut reizen kann. Das
Rindereiweiss muss in Menscheneiweise umgesetzt, also assimllirt
werden. Dieser Process ist für das Gedeihen des Säugllugs das
Wesentlichste.
3) O. v. F 1 e i s c h 1 - Rom: Ueber Fang hi di Sclafani, ein
wenig bekanntes, bei Acne rosacea sehr wirksames Mittel.
Die chemische Analyse dieses Stoffes, einer Erde vulkanischen
Ursprunges, ergibt einen ganz beträchtlichen Gehalt desselben an
höchst fein vertbeiltem Schwefel, im Betrage bis zu fast 80 Proe.
Die Erde wird mit Wasser verrührt, auf die betreffenden Stellen
auf getragen, wo sie durchaus keine Dermatitis hervorruft Die
Resultate sind, wie aus den mitgetheilten Fällen sich ergibt, an¬
scheinend sehr gute. Dass für die Heilung der Rosacea gleich¬
zeitig bestehende Komplikationen der Verdauungs- oder der
Genitalorgane erst beseitigt sein müssen, kann Verfasser nach
seiner Erfahrung nicht bestätigen. Grassmann - München.
Ophthalmologie.
W. A. Nagel: Ueber den. Ort der Auslösung des Blen-
dungsschmerzee. (Klln. Monatsbl. f. Augenheilk., Nov. 1901,
S. 879.)
Beim plötzlichen Einfall hellen Lichtes besonders in die auf
Dunkel oder Dämmerung gestimmten Augen, tritt das Gefühl der
Blendung und daneben auch noch unter Umständen wirklicher
Schmerz im Auge auf. Durch diese unangenehmen Empfin¬
dungen werden wir veranlasst, den Einfall blendenden Lichtes
durch Zukneifen der Lider möglichst einzuschränken. Bemüht
die Existenz besonderer Schmerznerven nachzuweisen, machte
v. Frey vor einigen Jahren darauf aufmerksam, dass die höheren
Sinnesnerven keine Schmerzempflndung vermitteln können, dass
speciell der Sehnerv keiner schmerzhaften Erregung fähig sei. Um
den bekannten Blendungsschmerz zu erklären, sprach v. Frey die
Vermuthung aus, derselbe beruhe auf der heftigen Zusammen¬
ziehung der schmerzempflndlichen Iris. Trifft diese Annahme zu.
so muss der Blendungsschmerz wegfallen, wenn die reflektorische
Iriskontraktion bei Lichteinfall unterdrückt wird, wie es durch
Einträufelung von Homatropin geschieht Verfasser hat nun
diesen Versuch einige Male ausgeführt mit dem Ergebniss. dass
in der That der Blendungsschmerz im homatro-
plnisirt.en Auge völlig fehlt Wegen der weiten
Pupille Ist natürlich die Blendung beträchtlich vermehrt das An¬
sehen einer hellen Farbe (Himmel) Ist höchst unangenehm, aber der
charakteristische Schmerz wird nicht empfunden.
Axenfeld fügt dem die zutreffende Anmerkung an, dass
die vorstehende Ausführung des Herrn Prof. Nagel aufs Besu¬
dle scheinbar paradoxe, in Wahrheit aber sehr wirksame und wohl-
bekannte Therapie erklärt, dass wir beim Blepharospasmus der
lichtscheueu phlyktaenulären Kinder oft, und zwar nicht nur bei
iritischer Reizung, auffallend schnell eine Oeffnung der lange ge¬
schlossenen Augen beginnen sehen, sobald wir eine Mydriasis her¬
bei führen. Die Beseitigung des Biendungsschmerzes, welcher
der krampfhaften Pupillenkontraktion bei diesen lange nicht be¬
lichteten Augen entspricht, nützt alsdann mehr, als der vermehrte
Lichteinfall bei weiter Pupille schadet
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17. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
P. Römer: Experimentelle Untersuchungen über Abrin -
Jequiritol-) Immunität, (v. GrÜfe’s Areh. f. Oplitli. Bd. 52. 1001.)
Der umfangreichen. sehr interessanten Arbeit entnehmen wir
hier folgendes über die Wirkung des Jequiritol auf das
menschliche Auge. Das von der Firma E. Merck in Darm¬
stadt hergestellte Präparat ist nach den Resultaten des Verfassers
das beste Aufhellungsmittel für Hornhauttrübungen, das wir zur
Zeit besitzen. Die Anwendung eignet sich nicht bloss für die
Behandlung des tracliomatösen Pannus, sondern ist bedeutungs¬
voll gerade für die Behandlung der sümmtlichen sogen, skrophu-
lösen Augenlider. Das Wesen der neuen Jequiritythernpie besteht
darin, dass unter der Wirkung des Jequiritols eine Entzündung der
Conjunctiva mit seröser Durchtrilnkung der Cornea eintritt, die
bei ihrer Rückbildung zur Aufsaugung der Trübungen führt. Mit
Hilfe steigender Jequiritoldosen kann diese Entzündung mehrfach
wiederholt werden, bis der Erfolg sichergestellt ist. Das Verfahren
gestattet eine exakte Dosirung der Entzündung und besteht aus
folgenden Maassnahmen: Es wird zunächst die therapeutische
Anfangsdosis bestimmt, indem aus Jequiritol No.l ein oder mehrere
Tropfen in das Auge eingeträufelt werden, tritt darnach noch keine
Entzündung auf, so erfolgen nach 24 Stunden Tropfen aus Jequiri¬
tol No. II u. s. w., bis die erste Entzündung mit zarten croupöseu
Membranen und Oedemen der Lider einsetzt. Nach Abklingen der
ersten Entzündung erfolgen von Neuem stärkere Dosen, bis der
Effekt eintritt. Ist eine Entzündung zu stark, so wird einige Male
von dem Jequiritolserum auf die entzündete Conjunctiva einge¬
träufelt, das Serum entzieht der entzündeten Conjunctiva das Gift,
und die Entzündung schreitet nicht mehr weiter, sondern geht
schnell zurück. Wird das Verfahren den Vorschriften gemäss an¬
gewendet, so kann der Arzt ganz erstaunliche Erfolge erzielen. Bei
Kindern mit skrophulösem, ekzematösem Pannus, die kaum noch
Finger dicht vor dem Auge zählen konnten, wurde durch Jequiri-
tolbelmndlung y, bis % der normalen Sehschärfe erhalten.
W. Krauss: Ueber die Anwendung des Jequiritols. (Zeit¬
sehr. f. Augenheilk., Nov. 1901, S. 432.)
In der Universitätsaugenklinik zu Marburg wurde das von
Römer angegebene Jequiritol fast ausschliesslich bei Erkran¬
kungen der Hornhaut angewandt, namentlich l>ei parenchymatösen
llornhauterkrankungen und bei diesen zurückgebliebenen Trü¬
bungen, und gerade diese Können, die sonst therapeutischen Ein¬
griffen recht hartnäckigen Widerstand leisten, scheinen der Jequi¬
rl tybehandlung besonders zugänglich zu sein. Es wurden aber
auch frische Fälle von interstitieller Keratitis, sowie Ekzem und
Pannus der Hornhaut mit Jequiritol erfolgreich behandelt. Die
Reaktion auf das Mittel ist individuell ungemein verschieden, so
dass Höhe der Dosis und zeitliche Aufeinanderfolge der Gaben
lediglich nach den gesetzten entzündlichen Erscheinungen zu be¬
stimmen sind. Angefangen wurde stets mit einem Tropfen der
Lösung I, wobei meist noch keine deutliche Reaktion eintrat, und
dann schnell zu stärkeren Gaben fortgeschritten, da verschiedent¬
lich bei langsamem Ansteigen sich eine Immunität gegen das Mittel
einstellte, die auch bei stärkster Dosirung keine genügend er¬
scheinende Reaktion mehr zu Stande kommen liess. Und gerade
eine plötzlich und heftig eiusetzende Entzündung ist zur Be¬
einflussung des Krankheltsprocesses uothwendig. Irgend welche
schädlichen Allgemeiusymptome wurden in keinem Falle be¬
obachtet. Lokal traten mehr oder weniger starke entzündliche Er¬
scheinungen an der Conjunctiva auf, während sich die Hornhaut iu
ganz charakteristischer Weise derart veränderte, dass das Par¬
enchym eine eigentümlich glasige, oedematüs suceulente Be¬
schaffenheit annahm, um sich dann allmählich aufzuhellen. Etwa
8 bis 14 Tage nach der Anwendung der stärksten Dosis waren
dann die entzündlichen Erscheinungen meist geschwunden. Auf
«liese Weise gelang es, nicht nur alte Trübungen mehr oder weniger
aufzuhellen, sondern auch das Fortschreiten von frischen Infil¬
traten zum Stillstand zu bringen. Als Nebenerscheinungen traten
oft Membranbildungen auf der Conjunctiva auf, die jedoch ohne
Folgeerscheinungen wieder zurückgingen. Nur in 2 Fallen, wo
sehr starkes entzündliches Oedem der Lider auftrat, erschien die
Anwendung des Jequiritolserums nothwendig, worauf die Ent-
zündungscrscheinuugen sich bald wieder zurückbildeten.
L. D o r: Die Beziehungen zwischen nicht myopischen Netz¬
hautablösungen und Herzfehlern im Allgemeinen und Mitral¬
stenose im Besonderen. Vortrag, gehalten in der Societö nationale
de M&lecine de Lyon, Sitzung vom 20. Mai 1901. (Annal. d’ocullst.)
In den Fällen, wo bei Nichtmyopen Netzhautablösung zu
Stande kommt, ist meist das Vorhandensein von Herzfehlern, ins-
l>esondere von Mitralstenose zu konstatiren. Die Erklärung hiefür
findet Vortragender in Folgendem: Der Herzfehler hat einerseits iu
•len Kapillaren, die das Blut zum Ciliarkörper führen, ein Sinken
des Druckes zur Folge und damit eine Verringerung der Spannung
der Glaskörper- und Vorderkammerflüssigkeit, andererseits ver¬
ursacht das Herzleiden eine Drucksteigerung in den Vasa vorticosa
der Aderhaut. Der Druck ist also im Glaskörper zu gering, In der
Aderhaut zu hoch; die Netzhaut befindet sich zwischen beiden
DruckverliältniB8en, sie wird sich naturgemiiss ablösen, ebenso wie
sie sich ablöst, wenn man den zwischen den Fingern gehaltenen
Augapfel mit dem Rasirmesser aufschneidet; bei diesem Vorgang
löst sich die Netzhaut in dem Momente ab, wo der Glaskörper aus
der Schnittöffnung entweicht und der Binnendruck des Auges gleich
Null wird, wenn man nur einen geringen Druck mit den Fingern
ausübt. Auch bei Operationen tritt nach Glaskörperverlust leicht
Netzhautablösung ein.
Die Rückenlage, die zur Heilung der Netzhautablösung em¬
pfohlen wird, wirkt wahrscheinlich durch Vermittlung der Circu-
2055
latlon und nicht dadurch, dass die Netzhaut durch ihr eigenes Ge¬
wicht^ ihre ursprüngliche Lage wieder zu gewinnen suche.
K. Wiek: Ueber Simulation von Blindheit und Schwach¬
sichtigkeit und deren Entlarvung. (Zeitsclir. f. Augenheilk., Ok¬
tober 1901, Heft 4, S. 309.)
Als Nachtrag eines Referates über diesen Gegenstand gibt
Verfasser ein Verfahren von A. Roth an, das für Entlarvung von
Simulanten und zur Feststellung der wirklichen Sehleistung sehr
bemerkenswert!! erscheint Dasselbe basirt darauf, dass ein
Simulant bei Aufforderung, einen angeblich nicht mehr genau er¬
kannten S n e 11 e n’schen Haken, rathweise anzugeben, stets und
ausschliesslich falsch räth.
Verfasser hat dieses Verfahren folgendermanssen ausgebildet:
Er hat eine Anzahl weisser Pappquadrate hergestellt von 10 cm
Seitenlänge und auf Jedes derselben (in der Mitte) einen Haken
nach Sn eile n iE) aufgekiebt von verschiedener Leseweite Gur
50, 30. 20, 15, 10 und 0 in). Dem Untersuchten, der bisher z. B. eine
Sehleistung von a / M zugegeben hat, wird zunächst das Quadrat mit
E für 30 m Entfernung vorgehalten. Er wird auch bei ver¬
schiedenen Drehungen des Quadrates richtig angeben, nach welcher
Seite sich der Haken öffnet. Nunmehr wird in derselben Ent¬
fernung das Quadrat mit dem Haken für 20 in Entfernung vor-
gelialten. Gibt der Untersuchte an. diesen Haken nicht mehr zu
erkennen, so lässt man ihn rat heu, nach welcher Seite sich der
Haken bei einer Anzahl verschiedener Drehungen öffnet. Hat er
25—30 mal hintereinander verkehrt geratheu, so kann man
sicher sein, dass er thatsächlich den Haken richtig erkannt hat,
da er nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung etwa 10 richtige An¬
guben hätte machen müssen. Man nimmt dann den nächst klei¬
neren Haken und verführt in derselben Weise. Eine abermals
25—30 mal hintereinander gemachte falsche Angabe beweist
wiederum, dass der Untersuchte sich in Wirklichkeit über die Cou-
figuration des kleinen Hakens jedesmal klar war. So schreitet man
eventuell allmählich bis zu den kleinsten Haken vor und gewinnt
so wider den Willen des Untersuchten eine sichere Schätzung
seines Sehvermögens. Erkennt er die Haken in der Tliat nicht
mehr, so werden plötzlich seine Angaben zeitweise richtig.
Es Ist nothwendig, die Haken einzeln aufzukleben und einzeln
vorzuzeigeu, da bei Benutzung einer grossen Tafel mit einer Anzahl
verschiedener Haken die Drehungen der Tafel leichter verfolgt
werden können und der Untersuchte sich eventuell damit salvireu
kann, dass er seine ursprüngliche erste Angabe bezüglich der Oeflf-
nung der Haken im Sinne behalten und nur nach der beobachteten
Drehung der Tafel immer entsprechend abgeändert habe. Dies
ist bei den kleineren Quadraten, die man stets schnell und durch
Umkehren völlig unkontrolirbar in verschiedene Stellungen bringen
kann, nicht möglich. Auch ist das Arbeiten mit diesen kleinen
Quadraten natürlich wesentlich bequemer als mit einer grossen
Tafel. — Hat man es bei der Prüfung mit Ametropen zu thun, so
ist natürlich die Ametropie erst zu korrigiren.
Für unzweckmässig wäre es zu erachten, wollte man dem
Untersuchten nach beendeter Prüfung das Verfahren auseinander¬
setzen und ihm dadurch seine Ueberführung demonstrireu. Man
würde damit nur ihn und zugleich andere Simulationslustige über
das Verfahren aufklären und sich der Möglichkeit berauben, ihn
eventuell später nochmals vor grösserem Zuschauerkreise in
gleicher Weise zu überführen. Sackgemäss wird es übrigens bei
dieser Prüfung stets sein, sich einen elngeweihten, ein wandsfreien
Zeugen zugegen zu halten..
Blennorrhoea neonatorum. Nach der Wochenschr. f. Therap.
u. Hygiene d. Auges No. 2, 10. Okt 1901, ist für Preussen ein
Erlass, betr. die Anwendung des Credß’schen Ver¬
fahrens bei Blennorrhoe der Neugeborenen, ergangen, welcher
verordnet, dass auch Einträufelungen mit starken (5—20 proc.)
Protargollösungeu angewendet werden können. Derselbe enthält
folgenden Passus:
„Bel der grossen Bedeutung, welche der Blennorrhoe der
Neugeborenen beizumessen ist, ersuche ich Eure Excellenz er¬
gebenst, auch mit Rücksicht auf den Unterricht der Hebammen¬
schülerinnen und ihre Unterweisung iu dem C r e d 6’schen Ver¬
fahren auf die thunllchst allgemeine Anwendung des C r e d ß’schen
Verfahrens in den Provinzial-Entbindungs- und Hebammen-Lelir-
anstalten hinzuwirken. Einem Bericht über das hiernach Ver-
anlasste sehe ich in 3 Monaten entgegen. Auch empfiehlt es sich,
die Kreisärzte behufs Unterweisung der Hebammen in geeigneter
Weise mit Nachricht zu versehen.“ Rhein.
Vereins- und Congressberichte.
Berliner medieinische Gesellschaft siehe Seite 2064.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitzung vom 5. Oktober 1901.
Herr Mann: Hirnhäute, Lymph- und Blutbahnen im
Schädel (mit besonderer Berücksichtigung eines Falles von
freiliegendem Bulbus venae jugularis im Mittelohr).
(Erscheint ausführlich in den Sitzungsberichten der Gesell¬
schaft.)
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2056
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 18. November 1901.
Herr L. R. Müller zeigt eine Reaktion auf Aceton in der
Exspiratlousluft, die, obgleich sie recht einfach ist und über¬
zeugende Resultate gibt, noch nicht in die Lehrbücher aufge¬
nommen ist. Der Kranke treibt die Ausatlimungsluft durch eine
eisgekühlte W u 1 f’sche Flasche, in der eine Mischung von Natron¬
lauge und Jod-Jodkaliumlösung vorliegt. Ist Aceton vorhanden,
so wird sich die vorher klare Flüssigkeit bald trüben (Licben'sehe
Probe). Der Niederschlag, der aus Jodoform besteht, kann abflltrirt,
über Schwefelsäure getrocknet und gewogen werdeu. Aus der ge¬
bildeten Menge Jodoform lässt sich dann leicht die Menge des
Acetons bestimmen und auf 24 Stunden berechnen. (Demonstration
eines Kranken mit schwerem Diabetes und reichlicher Aceton¬
ausscheidung.)
In der Discussion weist Herr Peuzoldt darauf hin,
dass diese Probe auch mit Alkohol in der Exspiratiousluft positive
Resultate gibt.
Herr Rosenthal hält einen Vortrag über die Sauerstoff-
aufnahme durch die Thiere bei der Athmung.
So zahlreich auch die Untersuchungen sind, welche über den
respiratorischen Gaswechsel angestellt worden sind, so lassen doch
die bisher dabei in Anwendung gekommenen Methoden noch viel
zu wünschen übrig. Dies gilt besonders von der Bestimmung
des aufgenommenen Sauerstoffes, während die Bestimmung des
ausgegebenen Kohlendioxydes, Dank der namentlich von Pet-
t.enkofer eingeführten Methoden, recht genaue Ergebnisse
liefert. Der Vortragende schildert kurz die von ihm erprobten
Verbesserungen des R e g n a u 11 - R e i s e t’schen Verfahrens,
welches Bestimmungen bis zu einer Genauigkeit bis zu 1 Proc.
des zu messenden Werthes ergibt, eine bisher bei physiologischen
Untersuchungen nicht erreichte Sicherheitsgrenze. Mit diesem
Verfahren hat R. zahlreiche Bestimmungen gemacht über die
Abhängigkeit der Sauerstoffaufnahme von der Ernährung, der
Verdauungsperiode, der Umgebungstemperatur. R. bespricht
ausführlicher die Abhängigkeit der Sauerstoffaufnahme von dem
Sauerstoffgehalt der Athemluft, welche zeigt, dass, entgegen
der meist verbreiteten Anschauung, die Sauerstoffaufnahme mit
dem Sauerstoffgehalt wächst.
In der Dlscussiou wurde von P e n z o 1 d t darauf hinge¬
wiesen, dass diese Ergebnisse der neuerdings von verschiedenen
Seiten empfohlenen Sauerstofftherapie eine physiologische Be¬
gründung gewähren.
Der Vortragende spricht sich dahin aus. dass selbst bei
schweren Herzfehlern mit mangelnder Kompensation und bei
anderen Erkrankungen, welche die Sauerstoffaufnahme in’s Blut
erschweren, die Athmung sehr sauerstoffreicher Luft sich empfehle,
da sie jedenfalls im Stande sei, das Befinden der Kranken zu ver¬
bessern. dass aber bei Kohlenoxydvergiftung durch sie geradezu
Rettung aus Lebensgefahr herbeigeführt werdeu könne.
Herr Merkel zeigt ein Präparat von Pseudohennaplirodi-
tismus masculinus internus mit vollständiger Entwicklung von
Uterus, Scheide und Tuben und bespricht kurz die verschiedenen
Formen der wahren und falschen Zwitterbildung. (Ausführliche
Mittheilung des Falles erscheint an anderer Stelle.)
Herr Bezirksarzt Bischoff referirt über den Beschluss der
in Erlangen praktlzirenden Aerzte, anlässlich der k. Allerh. Ver¬
ordnung vom 17. Oktober d. J. die Ortstaxe entsprechend zu er¬
höhen und halbjährige Rechnung zu stellen. Der Verein nimmt
hiervon Kenntniss und beschllesst Veröffentlichung im städtischen
Amtsblatt.
Aerztlicher Verein in Hamburg.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 10. November 1901.
Vorsitzender: Herr I{ ü m m e 11.
I. Demonstrationen:
1. Herr Sick: a) Fall von operativ geheilter Spondylitis
tuberculosa. 10 jähriges Mädchen: April 1900 spastische Parese
beider Beine mit erloschenen Reflexen. Durch Gipsbett Anfangs
das Gehvermögen gebessert, dann wieder sehr schlecht. Deutlicher
Gibbus und durch Röntgenaufnahme sicher gestellter präverte¬
braler Abscess, der das Rückenmark komprimirte. Ende
Januar 1901 Aufmeisselung der Wirbelsäule. Entfernung von drei
Dornfortsiitzen und der Wirbelbögen. Eröffnung des Abscesses.
der ausgoschubt, ausgespült und wieder vernäht wird. Glatte
Heilung, rasche Besserung der Motilität. Trotz des grossen
Knochendefektes ist der Gibbus nicht gewachsen. Das Kind geht
j«• izr wieder vorzüglich, trügt ein Korset.
bi Demonstration eiues Falles von nach Chipault operativ
geheiltem Mal perforant du pied. Das Verfahren besteht in der
Dehnung des Nervus tibialis. bezw. seiner Aeste Plantaris internus
und extermiK, und Auskratzung des Geschwürs. Durch einen
Bogenschnitt am Malleolus Internus wird der Nerv freigelegt und
sowohl peripher wie central kräftig gedehnt. Die Erfolge sind
recht gut. Von G Fällen sind 5 dauernd gehellt, in einem Falle
kam nach einigen Monaten ein Recidlv. Der wesentlichste Nutzen
besteht ln der Abkürzung der Heilung.
2. Herr König- Altona stellt ein 17 jähriges junges Mäd¬
chen vor, das einen 1% cm langen Lup^sherd an einem Nasen¬
flügel hatte, der trotz vorangegangenerXetzung sich vergrösserte
und bereits auf die Schleimhaut Übergriff. Desshalb Exclslon Im
Gesunden und Deckung des Defektes durch einen aus der Ohr¬
muschel excidirten ungestielten Hautlappen. Das kos¬
metische Resultat ist ausgezeichnet. Die Ohrwunde Ist ebenfalls
mit kaum sichtbarer Narbe gehellt.
3. Herr Z a r n i k o demonstrirt 3 Patieuten mit selteuen
Tumoren des Nasenrachenraums.
a) 59 jährige Frau. Linke Nasenhälfte bis zum Racbeu hinein
ausgestopft mit welchen höckerigen bis zottigen, auf leichteste Be¬
rührung bluteuden Tumormasseu. Prol>eexelsiou mit der Schlinge.
Abundante Blutung. 22. X. Entfernung der ganzen intranasaleu
Tumormasse mit Schlinge und Zange unter anfänglich sehr starker
Blutung. 12. XI. Operation der Kieferhöhle, Entfernung der
Tumormnssen aus derselben. 19. XI. Eröffnung der Keilbein¬
höhle wegen Empyem. Pat. bekommt einen Obturator, um die
Höhlen stets überwachen und neue Wucherungen excidlren zu
können. Diagnose: Papilloma durum, Epithelioma
papilläre, Carcinoma villosum.
b) 15 jähriger Knabe mit tbeils weichem, theils derbem, leicht
bluteuden Tumor: sogen, typischem Nasenracheupolyp.
Mikroskopisch Spindelzellen mit welcher, oedematöser Zwischeu-
substanz; starkes Kapillarnetz: juveniles Fibrosarkom.
Seltene Geschwulstart, die das männliche Geschlecht ln der Puber¬
tätszeit bevorzugt. Im vorgestellten Fall besteht auch eine starke
Verdickung der Wangengegend, herrührend von einem ln der Backe
fühlbaren Fortsatz des Tumors, der aus der Fossa spheno palatlna
hervorgewachsen ist. Therapie bezweckt nur ein zu starkes Wachs¬
thum des Tumors zu verhindern, da nach dem 25. Jahre die
Tumoren spontan zu verschwinden pflegen. Es besteht daher die
Absicht, nur den Theil der Geschwulst, der sich ln Nase und Nasen¬
rachenraum befindet, zu beseitigen, den Wangenast nach tempo¬
rärer Resektion des Jochbeins (v. Bruns) zu entfernen.
4. Herr Grisson berichtet lm Anschluss an die Kd mm eil-
sehen Erörterungen in der vorigen Sitzung über den Ausgang des
vor 2 Jahren von ihm vorgestellten Falles von operativ behandel¬
tem Ascites. Durch die damals vorgenommene Einheftung des
Netzes in die Bauchwand erholte sich die vorher bereits G mal mit
Punetio abdomlnis von dem Ascites befreite und 1 mal laparoto-
mirte Frau derart, dass sie 2 Jahre lang völlig arbeitsfähig ge¬
wesen. Sie Ist vor Kurzem nach kurzem Krankenlager uraemisch
zu Grunde gegangen. An dem bei der Sektion gewonnenen Prä¬
parat demonstrirt G. die enorme Entwicklung von Gefässen
zwischen Bauchwand und Kolon transversum und die durch die
Schaffung dieses Collateralkreislaufs entstandene Gefässerwelte-
rung, deren Effekt die Entlastung des Pfortaderkreislaufs bedeutet.
Das Verfahren erzielt daher den gewünschten Erfolg.
5. Herr Deneke zeigt 3 Röntgeuplatten und das Ijeichen-
präparat eines Falles von Lungenmetastase eines vor 3 Jahren
von W1 e s 1 n g e r exstirplrten Osteosarkoms des rechten
F e m u r, dessen Träger, ein 22 jähriger Mann, ln der Zwischen¬
zeit einer 3 maligen Recldivoperation ln der Narbe unterzogen
wurde. Im Juli 1901 kam Pat zur Aufnahme auf der inneren
Abtheilung des St. Georger Krankenhauses mit den Erscheinungen
einer Pneumonie im Unken Unterlappen. Nach allmählichem Ab¬
fall des Fiebers erholte Pat. sich nicht; es trat massenhafte, zum
Theil hlmbeergeleeartlge Expektoration ein, ln welcher einkernige
Ruudzellen, grösser als Leukocytcen" gefunden wurden. Auskul¬
tatorisch und perkutorisch war d^r Bef üfKL negativ, ebenfalls die
Röntgenaufnahme. Erst im September zeigte, die Radiographie
einen rundlichen scharfen Schatten unter der linken Scapula. Im
Laufe des Oktober trat ein zweiter kleinerer, scharf abgegrenzter
Schatten lm Bereich des 1. Unterlappens hinzu. Die Autopsie des
Patienteu, der am 4. Dezember kacbektisch zu Grunde ging, ergab
(‘inen rannnsfaustgrossen lm Ceutrum erweichten Tumor iu den
lateralen Thellen des Oberlappens, entsprechend dem grösseren
Schatten und eine etwa günseeigrosse Metastase lm 1. Unterlappeu,
die zum Tbell Verknöcherung erkennen llees.
b) Ein Aneurysma der Aorta descendens, welches an einem
45 jühr. Manne zur Beobachtung gelangte, der 20 Stunden nach der
Aufnahme einer Haemateraese erlag. Der Aneurysmasack hatte
seinerseits 2—3 Wirbel usurlrt und stand durch ein Decubltus-
geschwür mit dem Oesophagus ln Verbindung. Diese Oeffnung
war jedoch durch derbe Gerinnsel verlegt. Die tödtllcbe Blutung
war erfolgt durch eine kleine, von dem schwer atheromatös ver¬
änderten Aortenbogen in den Oesophagus erfolgte Perforation.
6. Herr Jollasse berichtet über einen Fall von Schwarz-
wasserfleber. Der Fall betraf einen 30 jährigen Patienten, der
seit 12 Jahren in Kamerun gelebt hatte. 1890 angeblich leichte
Malaria. Als er nach längerem Aufenthalt in Europa in diesem
Frühjahr wieder nach K. gegangen war, bekam er im Juni einen
mittelschweren Malarlaanfali und nahm 8 Tage lang Chinin in
kleinen Dosen, ohne eine Schädigung zu bemerken. Im August
Rückkehr. Am 2. Oktober wegen Eryslpelas faciel Aufnahme lm
Krankenhaus St. Georg. Nach Abheilung des Erysipels bekam
der Kranke, da er noch hochgradig anaemisch war und einen derben
Milztumor aufwies, am 31. Okt. 3 mal 0,5 Chinin. Nachdem er
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17. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
am 1. Nov. nochmals 2 mal die gleiche Dosis erhalten, erkrankte I
er mit Schüttelfrost, 40.5" Temp., schweren Allgemeinerschein-
ung£n und nach wenigen Stunden blutigem Stuhl und Haemo-
globinurie. die auch noeli den nächsten Tag nndauerte. Von da
au «relatives Wohlbefinden. Keine Plasmodien. Nachdem Anfang
Dezember zweimal ein typischer Malariaanfall aufgetreten war.
wurde am 0. Dez. nochmals Chinin 1,0 versucht. Genau 4 Stunden
darauf wieder ein schwerer Anfall von Scliwarzwasserfieber. dies¬
mal mit Ikterus. Nach 2 Tagen Urin wieder normal, frei von
Haeinoglobln. Diese doppelte Beobachtung illustrirt nach Ansicht
des Vortragenden in sehr bestimmter Weise den Einfluss des
Chinins auf das Zustandekommen des Schwarzwasserflebers nach
iiberstandener tropischer Malaria.
7. Herr Hildebrand demonstrirt mittels Projektions¬
apparat eine grosse Zahl von Röntgenbilder als Illustrationen zu
seinem in dieser Wochenschrift No. 40 u. 50 erschienenen Vor¬
trage: Ueber den diagnostischen Werth der Rönt¬
ge u s t r a h 1 e u in der inneren Medicln.
II. Vortrag des Herrn Kümmell: Erfahrungen über
Diagnose und Therapie der Nierenerkrankungen.
Redner gibt in seinem Vortrage in gedrängter Kürze eine
Gesammtübersicht über seine in den letzten Jahren gemachten
Erfahrungen betreffend die Nierenchirurgic. Er betont die
technischen Fortschritte, die die besseren Resultate des letzten
Decenniums bedingen und die diagnostischen Verbesserungen,
die in der Verwendung und Ausgestaltung neuer Methoden be¬
stehen. Hierzu sind ausser der Cystoskopie der Ureterenkatlie-
terismus und die Gefrierpunktsbestimmungen des Blutes in erster
Linie zu rechnen.
K. berichtet der Reihe nach über die verschiedenen Nieren¬
erkrankungen, wegen welcher operirt wurde, erläutert jede
Gruppe durch Statistik, Vergleich mit den Resultaten anderer
Operateure, casuistische Mittheilungen und zahlreiche Demon¬
strationen der gewonnenen Präparate. Aus der Fülle des
Materials: (152 operativ behandelte Fälle, dazu 32 Wandernieren¬
anheftungen) seien nur einzelne Daten hervorgehoben: Es wur¬
den behandelt 12 Hydronephrosen, die alle geheilt wur¬
den; Ursache waren 8 mal Wandernieren, 2 mal Striktur des
Ureters (gonorrhoisch!), ferner Dislokation der Niere in Folge
hochgradiger Skoliose, Verlagerung des Ureters. Von 31 Pyo-
nephrosen wurden 27 geheilt. Die Todesfälle betrafen:
a) doppelseitige Pyonephrose, Exstirpation der einen Seite,
Exitus, b) 29 jährige Frau wird mit peritonitischen Erschei¬
nungen und einem kindskopfgrossen Tumor der linken Seite,
hochgradig collabirt, aufgenommen; es wird Achsendrehung
eines Ovarialtumors angenommen; Laparotomie; Exstirpation
des Niereneitersacks; Tod nach 6 Stunden, c) Perforation in
Pleura und Lunge, d) Verletzung der Vena cava während der
Operation; Unterbindung; Tod nach 6 Tagen an Erschöpfung.
29 N i e r e n s t e i n Operationen. Werth der Röntgendiagnose.
2 Todesfälle: an Sepsis und Kombination mit Darmfistel. Red¬
ner erörtert die Anurie, die nicht immer durch doppelseitige
calculöse Verlegung des Ureters bedingt zu sein braucht, son¬
dern auch nach anderen Eingriffen an der einen Niere zur Be¬
obachtung kommt, ohne dass man gezwungen ist, eine „reflek¬
torische“ Anurie aiizunehmen. Von 21 Fällen von Nieren¬
tuberkulose sind 19 geheilt: 1 Todesfall an Lungenembolie,
1 anderer an Peritonitis durch Verletzung des Bauchfells. Bei
2 Fällen wurde nur eine Spaltung der Niere vorgenommen, der
eine lebt noch, der andere ist bei der Doppelseitigkeit der Er¬
krankung an Lungenphthise nach Wochen erlegen. Nierentuber¬
kulose führt oft zu tuberkulöser Cystitis. Die chronische Cystitis
der Frau, die nicht auf Gonorrhoe oder Infektion beim Kathe¬
terismus beruht, ist meist tuberkulöser Natur. 8 mal hat K.
durch Tuberkulose bedingte paranephritische Ab-
s c e s s e gespalten. Schliesslich berichtet K. über 12 Fälle von
Tumoren. Werner.
Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg
(Offictelles Protokoll.)
Sitzung vom 5. November 1901.
Vorsitzender: Herr Edlefsen. Schriftführer: Herr Just.
Herr Lochte demonstrirt 2 pathologische Präparate:
a) einen arterio-mesenterialen Duodenalverschluss,
b) einen Ileus, veranlasst durch ein M e c k e Peches Diver¬
tikel (worüber Orlgiualartikel in dieser Wochenschrift erscheinen
wird).
Discussion über den Vortrag des Herrn Edlefsen Uber
Nierenquetschung und über subcatane Nierenverletzungen
im Allgemeinen.
2057
Herr S o 1 1 s 1 e n: M. H.! Der von Herrn Prof. Edlefsen
besprochene Fall interessirt mich in erster Linie, weil ich als
Vertrauensarzt der Bruuereiberufsgeiiussensehaft den Arbeiter G.
zuerst uaeh dem Unfall untersucht und das erste Gutachten Uber
den Betriebsunfall abgegeben habe. Ich kann mm nur sagen,
dass G. sich zu verschiedenen Zelten sehr verschieden über den
Unfall geüussert und offenbar auch Herrn Edlefsen durch un¬
richtige Angaben irregeführt hat. Mir hat er den Vorgang in
folgender Welse geschildert und noch vor wenigen Tagen die
Richtigkeit meiner nach seinen Angaben gemachten Aufzeich¬
nungen, die ich Ihm vorlas. bestätigt: ..Als ich ein Fass aus der
obersten und vordersten Reihe des Fässerstapels (in dem die
leeren Gebinde in Reihen zu vieren über und neben einander
standen) wegnehmen wollte, sah ich, wie ein Fass, welches in
gleicher Höhe dahinter stand, nachrutsehte, dem Fass, welches ich
gefasst hatte, einen Stoss gebend, so dass dieses über meinen Kopf
und das hinter mir befindliche Geländer weg im Bogen nach der
Fassreiniguugsmasehlne fiel, während das zweite nachrutschendc
Fass, welches ich zu fassen suchte, aber nicht festhalten konnte,
gegen meine Brust fiel und au meiner Ix'derschiirzo herunter¬
rutschend. zu Boden fiel.“ Diese Darstellung erscheint durchaus
glaubwürdig. Wenn sie aber zutreffend ist. dann kann offenbar
von einer Einklemmung des Rumpfes zwischen Fass und Geläuder-
stange, wie sie Herr Edlefsen in seinem Gutachten als nmtli-
maassliehe Ursache einer Nierenquetschung hlugestellt und auch
noch in seinem Vortrag als möglich bezeichnet hat, gar nicht die
Rede sein. Das ergibt sich auch daraus, dass das Geländer sich
1 V 4 m von dem Fässerstapel entfernt befindet, ein Zwischenraum,
der so gross ist, dass G. selbst wenn er zurückwich, die Stange bis
zu dem Augenblick, wo das Fass Ihn traf, gar nicht erreicht haben
konnte. Ueherdies ist das Geländer nur 85 cm hoch. Die oberste
Stange konnte daher, wenn G. wirklich mit dem Rücken dagegen
stioss, nicht die Nieren-, sondern höchstens die Steissbelngegeml
treffen, falls er nicht etwa, was er bestimmt ln Abrede stellt. Ihm
dem Anprall des Fasses in die Knie sank. Kurz der Unfall ver¬
lief so. dass nach meiner Ueberzeugung eine Quetschung der Nieren
nicht dadurch veranlasst werden konnte.
Auf der anderen Seite sprach die Wahrscheinlichkeit durch¬
aus dafür, dass G. schon vor dem Eintritt des Unfalls nierenleidcnd
war. Die auffallend blasse, anaemische Fnrbe des Kranken Hess
sich sicher nicht aus dem geringen Blutverlust hei der Haematuric.
falls diese überhaupt bestanden hat, erklären. Die Gelegenheit,
eine Erkältungsnephritis zu acquiriren. Ist dagegen hei einem
Brauereiarbeiter, der abwechselnd in heissen und kalten Räumen
zu thun hat. sehr günstig. Ausserdem ist ja auch die Möglichkeit
nicht von der Hand zu weisen, dass andere Noxen eingewlrki
haben. Bekanntlich kann schon eine Angina oder eine leichte
Diphtherie, die von dem Kranken kaum beachtet wird, zu einer
Nephritis führen. Von der angeblichen Haematurie hat G., der bei
der ersten Vorstellung nur über Brustschmerzen und Husten mit
blutigem Auswurf klagte, mir nichts gesagt, und dass ein Arbeiter,
der Anspruch auf Kassenbehaudlung hat, eine Haematurie, die
doch jeden Menschen im höchsten Grade beunruhigt, 2 Tage lang
verheimlichen sollte, erscheint mir, nach meinen Erfahrungen als
Kassenarzt, einfach unglaublich. Bei einer traumatischen Nephri¬
tis hätte auch der Eiweissgehalt des Urins nicht schon am zweiten
Tage ein so beträchtlicher sein können, da er bei dieser zunächst
nur von dem beigemengten Blut herrührt, und demgemäss nur ein
minimaler hätte sein können, wenn der Harn wirklich noch etwas
Blut enthalten hätte, wovon”* ich jedoch (freilich ohne mikro¬
skopische Untersuchung) nichts bemerkt habe. Eine erhebliche
Verminderung der Harnahsonderung ist erst am 5. Tage auf¬
gefallen, als eine Zunahme des Anasarka den Kranken zwang, im
Bett zu bleiben.
Ich muss daher an meiner Auffassung festhalten, dass es sich
hei G. nicht um eine traumatische Nierenläsion, sondern um eine
spontan entstandene Newhrüis gehandelt hat. Uehrigens habe ich
in meinem Gutachten ausnrnckllch gesagt: „Eine wissenschaftliche
Begründung dafür, dass G. schon vor dem Unfall nierenleidend
war. kamt ich nicht beibringeii. In dieser Beziehung kann Ich
mich nur auf die Anamnese, das Aussehen des Kranken und den
Ilarnbefuud am Tage der Krankmeldung berufen.“
Herr Alsberg: Der Fall, den Herr Prof. Edlefsen zum
Ausgangspunkt seiner Erörterungen in der vorigen Sitzung ge¬
nommen hat, ist gleich interessant für innere Aerzte, wie für
Chirurgen. Es handelt sich darum, festzustellen, ob die Xieren-
erselieinungen, die der Patient dnrbot, in Folge eines Traumas ent¬
standen sind, oder oh es sich um eine aus anderer Ursache ent¬
standene Nierenerkraukung handelt. Zunächst wäre zu erörtern,
ob die Verletzung, die der Patient erlitten hat, geeignet war, die
Niere zu schädigen. Nieren Verletzungen sind sehr selten.
Küster berechnet erst auf chirurgische Fälle eine Niereu¬
verletzung. Dabei ist die Niere nicht etwa ein Organ, das sehr
unempfindlich gegen traumatische Einflüsse ist. liu Gegeuthcil.
sie reagirt schon auf sehr geringfügige Traumen. Menge hat
festgestellt dass schon nach der einfachen Palpation der tief-
stehenden Niere bei Frauen in der Mehrzahl der Fälle Eiwelss
im Urin auftritt, wie er nnnimmt in Folge Blutaustrittes aus den
Kapillarknäueln der Niere, und jedem Chirurgen ist es bekannt,
wie leicht nueh hei ganz vorsichtigem Manipuliren an der Niere
hoi Operationen Blutungen unter der fibrösen Kapsel und im
Parenchym der Niere auftreten. Dass trotzdem Nieronkontusionen
so selteu sind, liegt an der geschützten Lage der Niere unter dem
Rippenbogen. Wenn auch nicht bestritten werden kann, dass
unter Umständen die verletzende Gewalt die Niere direkt treffen
kann, so wird docli in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die
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20f>8
MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
(Jewalt zunächst auf die Rippen tiud erst durch die Vermittlung
dieser auf die Nieren einwirken. Dabei können die Rippen brechen,
und A. lmt selbst einen Fall beobachtet, in dem der gauze linke
Hippenbogen zertrümmert war und die Symptome einer Nieren-
quetsehung eintraten. Es handelte sieh um einen Knecht, der von
einem wüthenden Ochsen auf die Hörner genommen und in die
I-uft geschleudert war. Die Bauchmuskeln waren ausserdem vom
Rippenbogen abgerissen, aus der eröffneten Bauchhöhle waren
mehrere Darmschlingen und das Netz vorgefalleu. Der Patient
ist. genesen. Diese Fälle mit gleichzeitiger Rippenfraktur ge¬
hören jedoch zu den Seltenheiten, gewöhnlich kommt die Nieren
Kontusion ohne gleichzeitige Rippenfraktur vor. Nach Küster,
der sich um die Frage der Entstehung von Nierenkontusionen
grosse Verdienste erworben hat. ist der Vorgang dann folgender:
Durch die eiuwlrkende Gewalt werden die beiden untersten Rippen
stossweise in stärkste Adduktion gebracht und üben so einen
Druck auf die Niere aus. Dieser Druck wird dadurch verstärkt,
dass gleichzeitig eine plötzliche krampfhafte Kontraktion der sich
an der Rippeuwand ansetzeuden Bauchmuskeln eintritt. Die
Nieren Verletzung selbst entsteht dann durch hydraulische
Pressung, d. h. der Druck überträgt sich auf die ln der Niere be¬
ll nd liehe Flüssigkeit und hierdurch wird das Nierengewebe ge¬
presst. in schweren Fällen wird die Niere zersprengt. Küster
hat dies auf experimentellem Wege sehr einleuchtend nach¬
gewiesen.
Durch diese Küste r’sche Theorie finden auch die Fälle von
Nierenkontusion ihre Erklärung, die ohne Einwirkung einer
äusseren Gewalt, durch Muskelzug entstehen. So finden sich in
der Literatur Fälle von schweren Nierenverletzungen, die ent¬
standen sind beim Ringen, beim Aufheben einer schweren Last,
beim Versuch, einen von einem Wagen herabfallenden schweren
Sack zurückzuhalten etc.
Nach dem Gesagten muss der Unfall, den der Patient erlitten
hat, als ganz besonders geeignet erscheinen, eine Nierenkontusion
hervorzurufen. Das Auffallen eines schweren Fasses auf den
unteren Theil des Thorax genügt schon allein, um eine Nieren¬
verletzung zu bewirken, es kommt hier hinzu, dass der Patient
von der Wucht des Stosses nach hinten gegen eine eiserne Ge¬
länderstange gedrängt wurde, die ungefähr die Nierengegend traf,
und dass so der Patient für einen Moment zwischen Fass und
Stange eingeklemmt wurde. A. hat im letzten Jahre einen Fall
beobachtet, in welchem durch das Auffallen auf eine solche Ge¬
ld nderstange eine schwere Nierenverletzung entstanden war. Ein
Schiffsmaschinist wollte vom Schiff auf die Landungsbrücke
springen, da das Schiff höher lag als die Brücke, so trat er auf
die Stange des Geländers, das die Brücke umgab. Dabei rutschte
er ab und' fiel mit der rechten Seite auf die Stange. Eine schwere
Nieren Verletzung mit Bildung eines grossen Extravasates war die
Folge, erst nach 18 Tagen war das Blut aus dem Urin verschwun¬
den. Als drittes Moment kommt vielleicht noch die Abwehr¬
bewegung in Betracht, die Patient machte, um das stürzende Fass
zuriickzuhalteu.
Wenn also ohne Weiteres zugegeben werden muss, dass der
erlittene Unfall geeignet war, eine Nierenverletzung herbei¬
zuführen. so ist die weitere Frage, ob die beobachteten Krank¬
heitserscheinungen auf eine Nierenverletzung zurückgeführt wer¬
den können. Dass sich keine Sugillationen fanden, spricht nicht
gegen Nieren Verletzung, denn diese 'fehlen gewöhnlich. Dass in
der Nacht nach dem Unfall Drang zum Wasserlassen eintrat, und
dass der Urin röthlich, also doch wohl blutig aussah, würde die
Annahme einer Nierenverletzung nur bestätigen. Dass der Urin
am zweiten Tage reichlich Eiweiss enthielt, spricht ebenfalls für
eine Niereuverletzung, besonders da eine mikroskopische Unter¬
suchung nicht vorgenommen wurde und der Eiweissgehalt jeden¬
falls zum Theil von einer Blutbeimengung hergerührt haben kann.
Nun aber kommt ein Symptom, welches den zuerst begutachtenden
Arzt wahrscheinlich zu der Ansicht geführt hat. dass es sich nicht
um eine Unfallfolge, sondern um eine Nephritis gehandelt habe,
das ist das Auftreten von Oedem des Skrotums und der Füsse
schon innerhalb 48 Stunden nach der Verletzung. Herr Prof.
Edlefsen sagte selbst, dass ihn dieses Symptom zuerst in der
Deutung des Falles zweifelhaft gemacht habe. Ist es möglich,
dass in Folge einer Nierenverletzung schon innerhalb weniger
Tage Oedeme auftreten? Es finden sich in der Tliat in der Litera¬
tur derartige Fälle. Es gibt Fälle, in welchen sich an das Trauma
Erscheinungen anschllessen. die man als traumatische Nephritis
bezeichnet hat. nämlich das Auftreten von Albuinen und Cylindern
im Harn. Die ersten derartigen Fälle, die von Bill rot h und
Bäu ml er, hat Herr Prof. Edlefsen bereits erwähnt.
K iister hat 18 Fälle aus der Literatur znsnmmenstelleu können.
Al bar ran 20. Da Küster keim* Literaturangaben macht, so
konnten die Fälle nicht daraufhin nachgesehen werden, ob und in
welcher Zeit in diesen Fällen Oedeme auftraten, doch sagt
Küster auf Grund der beobachteten Fülle folgendes: Zuweilen
tritt die traumatische Nephritis in unmittelbarem Anschluss an
eine Gewalteinwirkung auf. ohne dass Blutharnen sich gezeigt
hätte, häufiger indessen so. dass sie sich an eine mehrtägige
liaematurie anschiiesst. Und weiter: Eine weitere Eigenthilmlich-
keit dieser traumatischen Albuminurie ist das zuweilen ungewöhn¬
lich starke Auftreten von oedematosen Anschwellungen der Füsse.
des Gesichts oder des ganzen Körpers. Danach würde also das
schnelle Auftreten der Oedeme in dem In Frage stehenden Falle
in der Litteratur schon seine Vorgänger gehabt halten. Zu er¬
wähnen sind dann auch noch die merkwürdigen Fälle von
Pot a in. die veröffentlicht sied als ..Einseitiges Anasarka in
Folge von Nit rcnkontusioii". Es handelt sieb um 5 Fälle, in
welchen sich an eine Nierenkontusion ein Anasarka auschloss.
das sich in 3 Fällen auf die verletzte Seite beschränkte, während
in den beiden übrigen Fällen die verletzte Seite bei allgemeinem
Anasarka stärker bet heiligt war. Da die Fülle nur in einem Be¬
richt über eine klinische Vorlesung kurz erwähnt sind, so lässt sich
über den Zeitpunkt des Auftretens der Oedeme nichts Bestimmtes
feststellen, doch ist mehrmals erwähnt, dass sie bald nach der
Verletzung auftraten. Wie diese Oedeme zu Stande kommen, ist
schwer zu erklären; Potalu nimmt an, dass sie in Folge einer
traumatischen Reizung des Sympathicus entstehen. Wie dem auch
sei, die Thatsaclie ist als feststehend zu betrachten, dass stets
nach Nierenverletzungen Oedeme auftreten können. Damit fällt
das einzige Bedenken, das man gegen die Auffassung der vor¬
handenen Nierenläsiou als einer traumatischen haben kann.
Herr Bertelsmann erklärt, er wolle auf den vorliegenden
Fall nicht näher eingehen, aber versuchen, aus der chirurgischen
Abtheilung des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg und aus der
Literatur einiges Material beizubringen, was vielleicht zur Klärung
der Frage beitragen könne. Er hat unter ca. 20 000 chirurgischen
Aufnahmen 15 Fälle von Nlerenquetschung ausfindig machen
könneff. 3 von diesen sind hier belanglos, weil die Patienten
innerhalb der nächsten 24 Stunden an massenhaften Verletzungen
zu Grunde gingen, so (lass die Nieren Verletzung Nebenbefund war.
Bei 4 weiteren Patienten war bei klinisch sicheren Erscheinungen
clnerNierenquetschung der Urin nach 10Tagen wieder normal. Der
anfänglich in allen Fällen beobachtete Blutgehalt verminderte sich
schnell und machte normalem Befunde Platz. Eiweiss wurde im
Urin dem Blutgehalt entsprechend gefunden, hie und da zeitige
Elemente, niemals ist der Befund von Cylindern angegeben. Bei
einem fünften Fall geht es nicht aus der Krankengeschichte her¬
vor, wann (1er Urin blutfrei und normal war, sicher war er es
am 30. Tage nach der Verletzung. In 4 Fällen dauerten die Er¬
scheinungen längere Zeit an. In einem fand mau erst am 17. Tag«*
den Urin frei von Blut. 3 andere Patienten wurden auf ihren
Wunsch entlassen,obwohl noch ein pathologischer Urinbefund be¬
stand und zwar am 31., 79. und 102. Tage der Krankenhnusbehaud-
lung. In allen diesen 3 Fällen war zu Anfang massenhaft Blut
im Urin, in einem Falle fanden sich Blutcyllnder. Eiweiss fnjid
sich in allen drei Fällen. In zwei Fällen (dem, der 31 Tage und
dem, der 102 Tage bei uns war) machte der Blutgelmlt allmählich
einem massenhaften Leukocytengehalte Platz; es fanden sich im
Sediment auch Plattenepithelien und Bakterien. Der Befund er¬
weckt (len Verdacht auf Cystltis. B. ist aber eine in den Nieren
selbst gelegene Erkrankung wahrscheinlicher, weil über Kathete-
rismus nichts in der Krankengeschichte steht, weil fast bis zu
Ende immer noch rothe Blutkörperchen im Urin gefunden wurden
und weil in einem Falle y 4 Jahr nach dem Trauma beide Nieren
noch schmerzhaft waren. Es kann sich um partielle Nekrosen,
Demarkationsentzündungen, zersetzte Blutgerinnsel im Nieren¬
becken oder etwas Aelinllches gehandelt babeu. Bei der Entlassung
waren diese Erscheinungen sehr zurückgegangen, aber nocli nicht
völlig, ln dem Falle, der 79 Tage im Krankeuhause war, fanden
sich zuerst grössere, dann immer kleiner werdende Blutungen mit
Eiweissspuren ohne jeden Nebenbefund. Bel der Entlassung
waren immer noch einige rothe Blutkörperchen Im Urin, kein
Eiweiss. Kurz vorher hatte noch leichte Albuminurie und Polyurie
bestanden. (Soll nachuntersucht werden.)
Zwei weitere Patienten machten nach Monaten Ansprüche auf
Unfallrente. Einer hatte nach der Nierenverletzung 30 Tage lang
Blut im Urin gehabt, der andere nur 8 Tage. Bei beiden war die
verletzte Niere angeblich schmerzhaft, der Befund normal. Nach
einer Palpation Hessen sich allerdings bei einem Patienten Blut¬
körperchen im Urin nachweisen, die später völlig verschwanden.
Zu operativen Eingriffen hatten wir nur einmal Gelegenheit.
Wie auch W i e s I n g e r in der Festschrift zum 30. Stiftungsfest
des ärztlichen Vereins betont hat. ist das von den Nieren aus¬
gehende Urininfiltrat lange nicht so gefährlich, als wenn es von
einer tieferen Stelle ausgeht. Nur in einem Falle wurde ein peri¬
renales Haeinatom mit Urinbeiinengung 27 Tage nach der Ver¬
letzung eröffnet. Es hatte bis dahin Haematurie bestanden.
Wir haben also ln keinem Falle eine sichere traumatische
Nephritis beobachtet, wohl aber erhebliche langaudauemde patho¬
logische Urinbefuude in manchen Fällen. Nur einmal wurden
Blutcyllnder gefunden, ich glaube allerdings nach den Erfahrungen,
die ich hei Nierenannähungen gemacht habe, dass man bei
mehrfachem Centrifugiren und langem Suchen wohl öfter ver¬
einzelte hyaline und Blutcyllnder gefunden haben würde.
Aus der Literatur geht hervor, dass ln vielen Fällen von
subkutaner Nierenverletzung ein Urinbefund auftritt. der ganz
ilem bei Nephritis entspricht, cs fehlt jedoch noch der strikte
Nachweis, dass dieser klinische Befund durch einen anatomischen
wie bei einer echten Entzündung der Nieren verursacht ist.
B. sehliesst sieh Stern an, (1er dies bis auf Weiteres dahin¬
gestellt. sein lassen will, nekrotische Herde in den Niereu mit De
luarkationsentziimlung könnten denselben Befund hervorbringen.
Hierfür spricht der meist auffallend günstige Verlauf.
Die Art des Trauma heim Falle des Herrn Edlefsen ge¬
nüge vollkommen, um eine subkutane Nlerenquetschung zu er¬
zeugen. hierzu sei (1er Druck einer Eisenstange gegen den Rücken
gar nicht nöthig.
B. führt zum Schluss mehrere Fälle aus der Literatur au.
die beweisen, dass eine kräftige plötzliche Beugung nach hinten,
um sich vor einem Falle zu bewahren, Nierenlaesionen herbei
führen könne. Eine wesentliche Stütze würde es aller für die
Auffassung Prof. E d 1 e f s e n's gewesen sein, wenn im Urin ein
sicherer Blutbcfuml festgestellt worden wäre.
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2050
17 . Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Herr König- Altona erbittet sieh (Ins Wort, well er selbst
noch zu einem Gutachten in dem Falle, welcher Herrn Prof.
Eillefscn's Vortrag zu Grunde liegt, aufgefordert Ist. Hie An¬
gaben des Vorletzten muss er fiir sehr unzuverlässig halten. Je
doch scheint ihm zweifellos, dass, wenn man das geschilderte
Trauma als gegeben anerkennt, durch dasselbe sehr wohl elue
Nierenlaesion hervorgerufeu werden kann, sogar ohne die An¬
nahme, dass das Kreuz auf die Geländerstauge gestossen wurde.
Eine durch Nierenverletzung bedingte II aomnturi e kann schon
am 2. Tag nicht mehr nachweisbar gewesen sein. Ob man eine
traumatische Nephritis s. s. (Hier eine traumatische Albuminurie
annimmt, scheint ihm für die praktische Beurthellung ohne Be¬
lang. Will man aber darauf bestehen, dass schon vor dem Unfall
eine akute Nephritis, deren Aetiologie dann jedenfalls ganz im
Dunkeln ist, vorhanden war, so hält K. es für wahrscheinlich, Ja
fiir ganz natürlich, dass das Trauma eine Verschlimmerung nach
sich zog, wie wir denn täglich bei den verschiedenartigsten acut-
entzündlichen Zuständen sehen, dass Traumen sie zu stärkerer
Entfaltung bringen. So stellt er sich gegenüber der praktisch
wichtigen Frage „nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen
dem Unfall und jener Nierenerkrankung, die den Verletzten viele
Wochen auf’s Krankenlager warf und lange Monate erwerbs¬
unfähig machte“, auf einen positiv, liejahenden Standpunkt.
Herr Saenger fragt an, ob die Augen des Kranken oph¬
thalmoskopisch untersucht seien. Der Befund einer Retinitis
albuminurica würde zweifellos vou ausschlaggebender Bedeu¬
tung sein.
Herr C. Lauenuteiu ist auch nach den Ausführungen
des Herrn Dr. Soltsien der Meinung, dass Herr Prof. Ed
lefsen sein Gutachten zu Recht abgegeben hat. Praktisch wäre
sicher kein Zweifel an einem Unfall, da Herr Dr. S. hier mitge-
theilt. hat. dass der Pat. Blut im Auswurf gehabt habe. — Dass
die Wirbelsäule nicht beschädigt worden sei, spreche ebensowenig
gegen Nierenquetschung, wie das Fehlen äusserer Zeichen von
Weichtheil Verletzung.
L. hat unter 12 (XX) Verletzten in ca. 20 Jahren 23 Männer
mit Nierenquetschung beobachtet. Die Verletzung war einseitig
und durch sichere Gewalteinwirkung herbeigefülirt und stets mit
anderweitigen Verletzungen komplizirt: Brüchen der Extremitäten¬
knochen der Schädelbasis, des Beckens, Zerreissung anderer
innerer Organe besonders häufig mit Rippenfrakturen, sowie
Lungenverletzuugen, Ilaeino- und Pneumothorax.
Der Mechanismus der Verletzung, die Schmerzen und die
Druckempflndlichkeit der Nierengegeud. die Schwellung und
Dämpfung, manchmal der Zwerchfellstillstand und die Hae-
maturie gestatteten immer eine sichere Diagnose. Dauer der
Ilaematurie ln den beobachteten Fällen 2 -21 Tage. Nach dem
Verschwinden von Blut im Urin hörte auch immer bald der El-
weissgehait auf.
Zurückbleiben einer andauernden Albuminurie wurde ln
keinem Falle beobachtet.
Von den 23 Fällen starben 3: 1. der neben einem Einriss in
die linke Niere Bruch der 3.—T.Rippe und Huemothorux. Schädel¬
bruch und Hirnquetschung hatte; 2. der zahlreiche Rippenbrüche
links, Durchreissung der Milz uud linken Niere hatte und 3. der
30 Fu8s tief in den Schiffsraum gefallen war, mehrfache Rippen¬
brüche und Beckenbruch hatte und nach einigen Tagen au beider¬
seitiger Pneumonie starb.
Die übrigen Verletzten genasen von ihrer Nierenquetschung
ohne jeden operativen Eingriff. In einem Falle wurde unter acht¬
tägigem Fieber eine Entleerung von jauchigem Urin beobachtet.
Aber auch hier trat spontane Heilung ein. so duss die Annahme
nahe liegt, dass es sich hier um Zersetzung von Coagula in der
Blase gehandelt habe.
Herr F r a e n k e 1: Die Frage, um welche es sich hier handelt,
spitzt sich dahin zu, ob in dem vorliegenden Fall lH*relts vor statt¬
gehabtem Trauma eine Nephritis bestanden hat oder ob erst
durch das Trauma Schädigungen der Nieren herbeigeführt
worden sind, als deren Ausdruck die klinisch zur Beobachtung ge¬
langten Erscheinungen ungesehen werden müssen. Um eine chro¬
nische Nephritis kann cs sich nicht gehandelt haben, da die
Albuminurie, wie von verschiedenen der Herren Vorredner bemerkt
wurde, seit vielen Monaten völlig geschwunden ist. Es entstellt
also die Frage, ob Patient zufällig vor Einwirkung des Traumas
an einer akuten Nephritis gelitten hat. Das ist höchst un¬
wahrscheinlich, da ein derartiges Leiden meist schwere Symptome
macht, während Patient bis zu dem Tage, wo ihn der Unfall ereilte,
frei von Störungen war. In dem Urin des Patienten nach dem
Unfall wurde aber nur Eiweiss gefunden; dieser Befund allein
berechtigt durchaus nicht zur Dinguose einer Nephritis, er gestattet
nur den Schluss, dass eine funktionelle Beeinträchtigung der Niere,
welcher Art immer, vorliegt. Es fehlt die mikroskopische Unter¬
suchung des Urinsediments. Dass durch ein Trauma aber eine
Schädigung der Nieren herbeigeführt werden kann, welche zu
Albuminurie Veranlassung gibt, ist nicht von der Hand zu
weisen. Die Entstehung einer Nephritis durch ein Trauma
hält F. einstweilen für durchaus unbewiesen uud tiieilt in dieser
Beziehung vollkommen die von Herrn Bertelsmann vorge-
brucliten Ansichten. Wir hätten ja Jetzt bisweilen Gelegenheit,
den Einfluss chirurgischer Traumen auf die Niere anatomisch zu
kontroliren; hier handelt cs sich zudem noch um offene Wunden.
Al»er auch nach diesen Verletzungen hat F. nur lokale Nekrosen
von wechselnder Tiefe mit «»aktiven Entzündungen in der Um¬
gebung. aber keine Veränderungen gesehen, di«» in den Rahmen
einer als Nephritis aufztifassendeu Erkrankung hineinpassen. F.
hält es desswegen auch für richtiger, die Bezeichnung traumatische
Nephritis vorläufig zu vermeiden und lielier einfach von einet» trau¬
matischen Schädigung der Niere zu sprechen. Dass im vorliegenden
Fall durch das Trauma t hat sächlich eine solche herbeigeführt
worden sein kann, ist nach der Ansicht von F. nicht in Abmlc zu
stellen.
Herr Ed lefsen (Schlusswort): Nach den heutigen Mit-
theiluugen des Herrn Soltsien st«»llt sich der Vorgang bei dem
Unfall ja allerdings etwas anders dar, als wie ich ihn mir auf
Grund der mir gemachten Angaben des Verletzten und der Wahr¬
scheinlichkeit konstruirt hatte, und, wenn Herr Soltsien da¬
rüber von Anfang an im Klaren war, muss ich nur bedauern, dass
er mich, als er mir den G. zur Untersuchung und Begutachtung
überwies, ohne die bei der Dürftigkeit des Akteumaterials be¬
sonders wünschenswerthe Aufklärung gelassen hat. Aber durch
diese etwas veränderte Anschauung von dem Verlauf des Unfalls
kann meine T T ela»rz«»ugung, dass die beobachteten Erscheinungen
auf die Wirkung deswillen zurückzuführen waren, nicht er¬
schüttert werden. Es haben ja manche ebenso leichte uud noch
leichtere Gewalteinwirkungen schon viel schwerere Nierenver¬
letzungen zur Folge gehabt und, wenn es nach «ler heute von
Herrn Soltsien wiedergegebenen Schilderung wahrscheinlich
wird, dass der Stoss des Fasses gegen die Brust mit nur sehr ge¬
ringer Kraft erfolgt ist. so würde immer noch der Muskelzug
lK'im Greifen nach dem nachstürzenden Fasse als aetiologlsehes
Moment, für ein«* Nierenverletzung in Frage kommen. Mit Rück¬
sicht darauf möchte ich nur ln»m«»rk<»n, dass, so plausibel mir im
Ganzen jene Schilderung erscheint, «loch ein Punkt in derselben
nach meiner Meinung wenig Glaulien verdient: Es ist. wie mir
scheint, kaum denkbar, dass das Fass, welches der Manu in «len
Händen hielt, durch das, zunächst doch mit geringer Geschwindig¬
keit, nachrutschende Fass einen so wichtigen Stoss enthalten haben
sollte, dass es im Bogen in die Reinigungsmaschine geschleudert
wurde. Dagegen erscheint es ganz naturgemiiss, auzunehmen.
«lass er es absichtlich hinter sich geschleudert hat, um seine näiule
für die Abwehr des nadistürzendcn Fasses frei zu machen. Dann
aller würde die Wirkung des Muskelzuges, wie ich nicht näher
auszuführen brauche, leicht verständlich sein.
Die übrigen von Herrn Soltsien gegen meine Auffassung
erhobenen Einwände habe ich. wie die Herren, die in der vorigen
Sitzung zugegen waren, erinnerlich sein wird, der Hauptsache nach
in meinem Vortrag schon im Voraus widerlegt und halte es daher
nicht für nöthig. näher darauf einzugehen, zumal auch mehrere
der Herren Vorredner an Beispielen aus der Literatur und Praxis
gezeigt haben, wie wenig oft bei den Nieren Verletzungen die that-
süehlielien Verhältnisse dem entsprechen, was man a priori für
wahrscheinlich halten möchte. Nur einen Punkt glaube ich noch
kurz berühren zu müssen: Herr Soltsien meint, die bleiche,
anaemische Farbe des Verletzten lasse sich aus dem geringen Blut¬
verlust bei der Haematurie (falls diese überhaupt vorhanden ge¬
wesen) nicht erklären, und entnimmt daraus ein wichtiges Argu¬
ment zur Stütze seiner Annahme, dass schon vor dem Unfall
längere Zeit eine Nephritis bestanden habe. Aber gerade die
grosse Blässe, die ihm gleich bei d«»r ersten Untersuchung auffiel,
spricht nach meiner Meinung sehr zu Gunsten einer subkutanen
Nierenverletzung, die. wenn auch die dadurch veranlasste Haema-
turie nur gering und von kurzer Dauer war, sehr wohl, wie so
häufig, zu einer beträchtlichen circurn- oder retrorenalen Blutung
geführt haben kann, deren unmittelbare Folgen sich der Beachtung
entzogen. Auf diese Möglichkeit, für die manche Gründe sprechen,
habe Ich schon in meinem Vortrag hingewiesen und muss es mir
versagen, jetzt noch näher darauf einzugehen. Eine spontane Ent¬
stehung des Nierenleidens aber ist so unwahrscheinlich, dass dem¬
gegenüber alle sonst vielleicht berechtigten Zweifel an der trau¬
matischen Natur desselben zurücktreten müssen.
Herrn Saenger habe ich zu erwidern, dass eine ophthal¬
moskopische Untersuchung nicht stattgefunden hat Ich halte die¬
selbe indessen auch für zwecklos, da, wie ich In meinem Vortrage
auseinandergesetzt halte, an eine Schrumpfniere ebensowenig, wie
an eine chronische parenchymatöse Nephritis zu denken ist. In
dieser Beziehung «lecken sich die Ausführungen des Herrn
Fraenkel, der meinen Vortrag nicht gehört hat, wie ich mit
Genugthuung konstatire, fast vollkommen mit Dem. wns ich ge¬
sagt habe. Ich möchte dabei nur noch lietonen, dass i c h es grund¬
sätzlich vermieden habe, von einer „traumatischen Nephritis“ zu
sprechen.
Naturhtetorisch-Medicinischer Verein Heidelberg.
(Medicinische Section.)
Sitzung vom 8. Januar 1901.
1. Herr Hoffman n: Krankenvorstellungen.
a) Fall von Akromegalie; b) Fall von Basistumor.
(Soll später veröffentlicht werden.)
Diskussion: Herr Jordan, Herr Hoff m a u n.
2. Herr Schwalbe: Der Einfluss der Salzlösungen auf
die Morphologie der Gerinnung.
Verfasser betont die Parallel«», welche sich zwischen den
gcrinmuigsbeschleunigcnden bzw. -hemmenden Wirkungen einer¬
seits und der blutpliittehenbildenden Wirkung andererseits bei
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2060
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
den Salzlösungen ziehen lässt. Er weist darauf hin, dass in
eoneentrirten Salzlösungen z. B. die Gesetze der Isotonie, wie
Hamburger dieselben formulirte, den rothen Blutkörperehen
gegenüber nicht zur Geltung kommen. (Der Vortrag ist in dieser
Wochenschrift erschienen.)
An der Diskussion betliciligen sich: Herr Gell. Rath
Quincke, Herr Magnus, Herr Wessely.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 22. A p r i 1 1901.
Vorsitzender: Prof. Hochhaus.
Schriftführer: Dr. Schulte.
1. Herr Finkas: Amblyopie bei Bleivergiftung.
Unter den Originalien in dieser Wochenschrift (No. 33) ver¬
öffentlicht.
2. Herr v. Meer: Zur operativen Behandlung der Retro¬
flexio und des Prolapsus uteri.
Vortr. berichtet über eine Modifikation der Alexander-
Ada m s’schen Operation, die in einem Vermittelungsvorschlage
zur Ausgleichung der Gegensätze zwischen denjenigen Opera¬
teuren besteht, welche die Verkürzung der Ligamenta rotunda
nur nach ausgiebiger Spaltung der Fascie des M. obliquus ex-
temus, vom üuseren Leistenringe ausgehend, und Denjenigen,
welche die Operation nur durch Hervorziehen der Bänder aus
dem äusseren Leistenringe selbst vornehmen wollen. Er em¬
pfiehlt hierzu folgendes Verfahren:
Auf suchen der Ausstrahlung des Lig. rot. im äusseren
Leistenringe. Spalten der Fascie des M. obliquus ext. Vg —% cm
weit in der Richtung ihres Faserverlaufes an der Stelle des
inneren Leistenringes. Von dort aus wird in Analogie zu der
Ko eh ersehen Leistenbruchoperation subfasoial eine dünne
Korazange nach dem äusseren Leistenringe durcligc*stossen, dort
werden die Ausstrahlungsfascrn des Lig. rot. gefasst, von ihrer
Insertion abgeschnitten und auf dem umgekehrten Wege aus dem
künstlichen Fasciensehlitz hervorgezogeu, bis der Processus vagi¬
nalis peritonei erscheint. Dieser wird zurückpräparirt, event.
resecirt und das Ligament in der Riclitung des Leistenkanales
unter Verschluss des künstlichen. Schlitzes auf die Fascie des
M. obliquus extemus in einen aus derselben gebildeten Kanal
mit fortlaufender Catgutnaht festgenäht, wobei das Ligament
immer in der Längsrichtung zu seinem Faserverlauf durchstochen
wird. Der äussere Leistenring wird geschlossen.
Von der Zweckmässigkeit des Verfahrens unter event. Hin¬
zufügung einer scheidenverengernden Operation bei Retroflexio
mobilis ohne und mit Prolaps konnte Vortragender sieh in
mehreren Fällen überzeugen.
Für die Fälle von Retroflexio mit Prolaps bei Frauen in der
Nähe und jenseits dos Klimakteriums empfiehlt Vortragender die
von F u n k e an der Strassburger Frauenklinik geübte Einnähung
des Corpus uteri in extremer Anteflexion zwischen hintere Blasen-
und vertiere Scheidenwand, wobei unter Hinzufügung einer
Dammplastik gute Dauerresultate erzielt werden.
Dlscussion: Eberhart erklärt, er habe die Alexander-
Ada ms’sclie Operation nur an der Leiche ausgeführt und ist im
Uebrigen Anhänger der Pessartlierapie bei Retroflexio uteri mobilis.
Dietrich hat unter 8 Fällen die Ligamenta rotunda das
letzte Mal nicht gefunden; er spricht sich als Anhänger der
Alcxnndcr-Ad a in s'schen Operation aus.
Zöllner will die Operation als F r e u n d’sclie, Operation
bezeichnet wissen, da dieser Ende der 70 er Jahre in der schlesi¬
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur in Breslau Leiehen-
versuehc über die Operation mitgetheilt habe. Er empfiehlt auf
Grund einer Erfahrung an der F reun d’schen Klinik (Pat., die
wegen Fistula vesieo- und rectovaginalis von W. A. Freund
mit Einnähen des Uterus in die Scheide geheilt wurde) die Retro¬
flexio überhaupt nicht zu behaudein, sondern nur deren Begleit¬
erscheinungen, da die Retroflexio, wie er bei der Pat. F reua d’s
erfahren, keine Beschwerden mache.
Fritz Gaben betont, dass auch bei der mitgetheilten Modi¬
fikation die vordere Wand des Leistenkauais, wenn auch nur in
geringer Ausdehnung, gespalten werde.
v. Mee« ven\I‘ist zunächst auf die in seinem Vorträge um¬
grenzten Indikation 1 i zur operativen Behandlung der Retroflexio
mobilis und glaubt, dass bei der nüthigen Uebung das Auftlnden
der Liuameuta rotun la immer gelingen wird. Bezüglich der Be¬
zeichnung der Alexander- A dam s’selien Operation Ist her¬
vorzuheben, dass die. olbe 1840 von A ra n' und A 1 q u i 0 zuerst
vorgvsehlagen, von W. A. Freund Ende der 70 er Jahre zuerst
au der Leiche studirt und 1883 resp. 1KS4 von Alexander und
A d a ni s fast gleichzeitig ausgeführt wurde. Die Retroflexio als
solche überhaupt nicht zu behaudein, dürfte sich wohl nicht em¬
pfehlen, zumal da die erwähnte Patientin F reun d’s nicht he
weisend für die Ansicht des Herrn Zöllner Ist. Bei derselbeu
besteht nämlich, wie Vortr. aus eigener Erfahrung weiss. ein anti-
cipirtes Klimakterium.
Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitzung vom 24. Oktober 1901.
Vorsitzender: Herr S e n d 1 e r.
Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Blencke Becken
und untere Extremitäten eines mit beiderseits kongenitalem
Femurdefekt behaftet gewesenen Kindes, das im Alter von
5 Monaten gestorben ist. Das Becken ist normal bis auf die
beiden Pfannen, an deren Stelle sich zwei halbkugelige knorpelige
Hervorwülbungen befinden, die fest mit ihrem Boden verwachsen
sind. Die untere Extremität ist beiderseits mit dieser Pfannen¬
gegend schlotterig verbunden durch starke fibröse Bandinassen,
lu denen sich ein Kuorpelstückchen befindet. Es Ist nur eine Tibia
vorhanden, an deren oberem Ende sich ein harter, 2>/ 2 cm breiter
und langer Knorpel befindet, in dem 2 deutliche Kuochenkernc
auf dein Röntgenbilde sichtbar sind. Am unteren Ende der Tibia
sitzt der rudimentär entwickelte Fuss und zwar au der hinteren
Seite derselben. Links befindet sich nur eine Zehe, rechts da¬
gegen drei, von denen zwei miteinander verwachsen sind.
Sodann stellt Herr Tschm&rke einen 10Jährigen Knaben
vor mit follikulärer Zahncyste. Dieselbe sass im Unterkiefer und
enthielt 2 gut entwickelte Zalmkelme, welche dem Eckzahn und
ersten Pmoniolaris entsprachen.
Herr Tschm&rke stellt ferner einen 17 jährigen Patienten
vor, welchen er wegen einer fehlerhaft gehellten Vorderarmfraktur
operirt hatte. Es handelte sich tun einen Bruch des Radius, dessen
oberes Fragment in Supination und dessen unteres Fragment in
Pronationsstellung zusammengeheilt war. Eine Röntgenphoto
graphie stellte die Verhältnisse klar. Pat. war nicht im Stande,
den Arm zu supiniren. Es wurde daher eine offene, lineare Osteo¬
tomie des Radius gemacht, der Vorderarm in Supinatlonsstelluug
gebracht und in dieser Stellung eingegipst. Die Heilung war eine
vollkommene, auch mit gutem fuuktionelleui Resultat, wurde aber
durch Eliminiruug zweier kleiner cortiealer Sequester wesentlich
verzögert.
Darauf hält Herr Tachmarke den angeküudigten Vor¬
trag über Operationen am Sympathicns bei Morbns Basedowii,
Epilepsie nnd Glaukom. Derselbe bildet ein Referat über die
modernen Bestrebungen der Chirurgie auf jenen Gebieten, wie
sie vor Allem von Jonnesco, Jaboulayu. A. in Anregung
gebracht wurden. Unter Benützung der in- und ausländischen
Literatur entwickelte Vortragender den physiologischen Ge¬
dankengang, der jenen Bestrebungen zu Grunde lag, beleuchtete
in kritischer Weise die Hypothesen und Theorien, die aufgestellt
worden sind, und die Statistiken, auch in ihrer Gegenüberstellung
zu den früheren Operationsmethoden bei jenen Krankheiten.
Im Allgemeinen kommt er dabei zu einem recht wenig ennuthi-
genden Resultat; insbesondere kann T. die Operationen am Hal?-
sympatliicus bei Epilepsie nicht empfehlen; bei Morbus Base¬
dowii müssen die Zeit und weiteren Versuche, auch bei uns in
Deutschland von berufener Seite angestellt, zeigen, ob die Opera¬
tion wirklich den Werth hat, welchen ihre Erfinder ihr beilegen.
Etwas günstiger scheinen die Aussichten bei einigen Formen
von Glaukom zu sein; auch von deutschen Augenärzten, wie
Grunert, Ziehe und Axenfeld sind günstige Resultate
mitgetheilt worden, welche immerhin zu weiterem Vorgehen auf
diesem Gebiete ermuthigen. Besonders ausführlich hat Vor¬
tragender des allgemeinen Interesses halber die physiologischen
Erscheinungen nach der Resektion oder Exstirpation des HaF-
sympathicus behandelt.
Dlscussion: Herren Un verricht, Schreiber.
Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in
München.
Sitzung vom 2. Juli 1901.
Herr M. Wilde: lieber das biologische Verfahren zum
Nachweis von Menschenblut.
M. H.! Schon bei seinen ersten Arbeiten über die Serum¬
alexine hatte Büchner auf die Analogie der Wirkung, welch- 1
frisches normales Blutserum sowohl auf pathogeue Bakterien,
wie auf die rothen Blutkörperchen einer fremden Species ausübt.
hingewiesen und in den, im Serum vorhandenen enz.vmartigen
Körpern, den „Alexinen“, die Ursache sowohl für die Abtödtuug
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17. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDlCIftlSCHE WOCEEtfSCHRtET.
der Bakterien, wie für die Auflösung der rothen Blutzellen er¬
kannt. In weiterer Verfolgung des Buchne r’sehen Gedanken-
ganges zeigte dann Bordet, dass man wie gegen Bakterien so
auch gegen rothe Blutkörperchen immunisiren kann, indem durch
Injektion von geeigneten Mengen fremden Blutes in dem Blut¬
serum eines Thieres die Fähigkeit diese Erythrocyten aufzulösen
erzeugt oder doch sehr verstärkt wird; behandelt man z. B. ein
Kaninchen mit Kinderblut, so erhält das Serum dieses Kanin¬
chens nach einigen Injektionen das Vermögen, Rinderblutkörper-
chen aufzulösen, welche Eigenschaft normales Kaninchenserum
nicht oder nur in ganz geringem Grade besitzt. Weitere Unter¬
suchungen zeigten nun, dass dabei im Serum des so behandelten
Thieres eine neue Substanz, der Anti- oder Immunkörper,
auf tritt, welcher von den zur Vorbehandlung verwendeten Ery tlxro-
cyten gebunden wird, und dadurch diese für die Einwirkung des
im Serum normaler Weise vorhandenen Alexins zugänglich macht.
Alle Forscher konnten nun übereinstimmend die wichtige Tliat-
sache konstatiren, dass der so entstehende Immunkörper spe¬
zifisch ist, d. h. durch Injektion von Rinderbluterythrocyten
entsteht ein Immunkörper, welcher nur auf diese, nicht aber
auf Hundeblut- oder Meerschweinchenblutkörperchen einwirkt
und umgekehrt. Es ist ohne Weiteres klar, dass diese Eigen¬
schaft zur Erkennung einer Blutprobe, so auch von Menschen¬
blut, verwendet werden kann und Deutsch hat zuerst darauf¬
hin ein Verfahren zum Nachweis von Menschenblut ausgearbeitet;
aber seine Methode hat den grossen Nachtheil, dass in der zu
untersuchenden Blutprobe die rothen Blutkörperchen wohl er¬
halten sein müssen, um deren Auflösung deutlich beobachten zu
können. Da dieselben aber recht hinfällige Gebilde sind, die
ihr Haemoglobin schon von selbst ohne besondere äussere Schä¬
digung nach einiger Zeit verlieren, erst recht aber durch Aus-
troeknen, Einfrieren, Fäulniss etc., so wird diese Methode in
der Praxis nur bei seltenen, besonders günstigen Fällen Ver¬
wendung finden können. Bei dem weiteren Studium der Ver¬
änderungen, welche im Organismus eines mit fremdem Blute
behandelten Thieres vor sich gehen, zeigte sich aber, dass es
sich dabei um einen höchst komplizirten Vorgang handelt, denn
es entstehen nicht nur gegen die zelligen Elemente, also in
erster Linie gegen die Erythrocyten, gerichtete Antikörper, son¬
dern auch die Fermente und Eiweisskörper des eingeführten Blut¬
serums rufen die Bildung von Antikörpern hervor, welche gleich¬
falls spezifischer Natur sind. So entsteht gegenüber dem Alexin
und etwaigen Agglutininen des eingespritzten Blutes ein Anti¬
alexin resp. Antiagglutinin und die gelösten Eiweisskörper, be¬
sonders die Globuline, bedingen die Bildung von Präcipitinen,
welche mit jenem „Präcipitate“ Niederschläge erzeugen. Fast
gleichzeitig fanden Uhlenhuth und W assermann und
Schütze, dass man gerade diese Präcipitine mit Vortheil für
die praktischen Zwecke der forensischen Medicin zur Identi-
fizirung von Blutproben verwenden kann, denn einerseits ist die
Reaktion eine äusserst empfindliche, selbst sehr stark (mehrere
tausendfach) verdünntes Blut gibt auf Zusatz des betr. Anti¬
serums noch einen prompt auftretenden Niederschlag, so dass
auch Spuren von Blut noch mit Sicherheit identifizirt werden
können, andererseits ist auch bei alten, eingetrockneten, selbst
in Fäulniss übergegangenen Blutproben bei geeigneter Technik
die Erkennung möglich.
Um ein empfindliches Menschenblut-Antiserum zu erhalten
injizirt man am besten Kaninchen in regelmässigen Zwischen¬
räumen von mehreren Tagen je 10—30 ccm Menschenblut oder
Serum in die Bauchhöhle; je länger die Behandlung fortgesetzt
wird, um so empfindlicher wird das Serum, so dass Stern
durch mehrmonatliche Behandlung eines Kaninchens ein Serum
erhielt, mit dem er Menschenblut sogar in einer Verdünnung
von 1:50 000 nachweisen konnte. Aber auch bei grösseren
Thieren kann man die Bildung dieser Präcipitine durch fort¬
gesetzte Blutinjektionen hervorrufen und ich kann Ihnen hier
die Reaktion mit dem Serum einer mit Menschenblut immuni-
sirten Ziege zeigen. (Demonstration.) Da, wie Sie sehen, die
Reaktion auf einer Fällung und bei grösserer Verdünnung auf
einer Trübuug der Mischung beruht, so ist es natürlich absolut
nothwendig, ganz klare Flüssigkeiten zu haben; zu untersuchende
Blutflecken etc. wäscht man daher mit destillirtem Wasser oder
Sodalösung aus, verdünnt mit Kochsalzlösung und filtrirt durch
ein dichtes Filter; die so ganz klare, leicht röthlich gefärbte
Flüssigkeit versetzt man dann mit ca. Va ccm des ebenfalls ganz
5001
klaren Menschenblut - Antiserums; ein in kurzer Zeit ani
schnellsten bei 37° auf tretender Niederschlag beweist das Vor¬
handensein von Menschenblut.
Wenn oben erwähnt wurde, dass diese Präcipitine spezifisch
sind, d. h. nur auf die EiweissstofTc des zur Immunsirung ver¬
wendeten Blutes wirken, so bedarf das doch einer Einschränkung,
insofern nämlich auch mit dem Blute nahe verwandter Thier-
species zuweilen eine Reaktion allerdings immer in erheblich ge¬
ringerem Maasse eintreten kann. So fand schon Bordet, dass
Hühnerblut-Antiserum auch mit Taubenblut Fällungen gibt, und
auch von dem Serum der mit Menschenblut immunisirten Thiere
wird eine, wenn auch geringe, Trübung in verdünntem Affenblut
hervorgerufen; da dies aber die einzige bisher beim Menschen¬
blut-Antiserum beobachtete Ausnahme ist, obwohl schon mit
dem Blut fast aller in unserem Klima in Betracht kommenden
Siiugethiere und Vögel Versuche angestellt wurden, so dürfte
dadurch die praktische Brauchbarkeit der Methode für gericht¬
liche Zwecke keine Einbusse erleiden.
Sitzung vom 16. Juli 1901.
Herr Eugen Albrecht: Ein Fall von Pankreasbildung
in einem Mecke Eschen Divertikel.
Der Vortragende fand in der Spitze eines M e c k e l’schen
Divertikels einen von Serosa und reichlicher subseröser Fett¬
schicht umhüllten nicht ganz erbsengrossen gelblichen Knoten,
der sich mikroskopisch als eine typische und vollständige
Pankreasbildung erwies (Drüsen mit reichlichen Zymogenkörn¬
chen in den Zellen, centroacinäre Zellen, Langerhaus’sche
Zellhaufen, Ausfübrgänge, in’s Darmlumen mündend, Nerven
und Gefässe in gewöhnlicher Anordnung).
In der Literatur sind 5 (6?) Fälle der gleichen Art, jedoch
ohne weitere Angaben, notirt.
Unter Hinweis auf die Bedeutung solcher Experiments
naturae für die verwickelten entwicklungsmechani¬
schen Fragen der Organogenese analysirt der Vor¬
tragende die verschiedenen zunächst in Betracht kommenden
Deutungsmöglichkeiten:
1. Aberrirtes Pankreas? Diese Möglichkeit ist
desshalb nicht auszuschli essen, weil durch die Untersuchungen
v. K u p f f e r’s am Stör, die Auffindung von Pankreasanlagen
im Ductus choledochus und in der Papilla minor (L a g u e s s c,
Pilliet, Helly) eine grössere Ausdehnung der ersten Pan¬
kreasanlage wahrscheinlich ist. Immerhin ist es fraglich, ob
diese Anlage bis zum Nabel reichend angenommen werden darf;
ferner erklärt die Annahme nicht, wesshalb die „Reste“ im Be¬
reich des Ileum regelmässig nur in der Spitze des M e c k e l’schen
Divertikels angetroffen werden.
2. Reste von Drüsenbildungen des Dotter¬
gangs oder der Dotterblase? In der letzteren sind
von Graf S p e e für den menschlichen Embryo zahlreiche tubu-
löse Drüschen mit prismatischem Epithel beschrieben. Der An¬
nahme steht vor Allem im Wege, dass die Analogie für das
normale Pankreas nicht möglich ist; ferner, dass es sich um eine
völlige Metaplasie eines embryonalen Organs handeln müsste;
u. a. m.
3. Atavistische Bildung? Anhaltspunkte liegen
nicht vor, um diese Deutung zu versuchen.
4. Cänogenetische Bildung? Per exclusionem
erscheint diese Annahme neben der sub 1 genannten als die
wahrscheinlichste.
Gleichviel, welche der beiden Hypothesen man vorzieht, er¬
geben sich interessante Folgerungen aus der von dem Ge¬
setz der Oekonomie des Denkens geforderten Erwägung, dass
für das heterologe Pankreas in der Spitze des M. D. die g e -
sammten wesentlichen Bildungsfaktoren vor¬
handen gewesen sein müssen, welche für das normale Pan¬
kreas bestimmend sind (abgesehen von den Ursachen der
verschiedenen Grössenentwicklung und topographischen Be¬
ziehungen). Für letzteres fallen somit ohne Weiteres alle jene
Momente weg, die nur in der Duodenalgegend möglich sind
(mechanische Kombinationen, eng lokalisirte „organbildende
Stoffe“).
Die spezifischen Ursachen müssen, wie im Ein¬
zelnen begründet wurde, in einer dem Entoderm des gesammten
Dün n d arm abschni11e8 der I n t estina1an1age
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MÜENCHENER MEDtClNlSCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
2062
(wenigstens von der normalen Pankreasanlage bis zum Ductus
omphalo - enterieus) gemeinsamen ..Fähigkeit zur
P ankreasbildung“ gesucht werden; vielleicht lassen sich
für diese in der Phylogenese oder Ontogenese noch morpho¬
logische Anhaltspunkte finden. Dagegen scheint die fast typisch
zu nennende Lokalisirung des heterotopen Pankreas in der Spitze
des Mecke loschen Divertikels darauf hinzuweisen, dass die
auslösenden Faktoren, welche zur Aktualisirung
der Pankreasbildung in beiden Fällen führen, in eng lokali-
s i r t e n Besonderheiten der „U m g e b u u g“ (vielleicht mecha¬
nischer Art?) zu suchen sind.
Zum Schlüsse weist der Vortragende auf die Bedeutung hin,
welche ein derartiges Pankreas für die „Personalselektion“ seines
Besitzers hat: da es wenigstens im vorliegenden Falle völlig
sekretionstüchtig war und anscheinend kräftig secernirte, so
verminderte es die Gefahren, welche das ca. 25 cm lange
Mecke l’sche Divertikel durch die Möglichkeit der Stagnation
Von Darminhalt und deren mechanische und infektiöse Kompli¬
kationen seinem Träger bot.
Sitzung vom 5. November 1901.
Herr Trommsdorff: Ueber die Beziehungen der
0 r a m’schen Färbung zu chemischen Vorgängen in der ab-
getödteten Hefezelle. (Auszug.)
M.H.! Landau hat im Jahre 1899(Hc gewöhnlichen Hefczellen,
in Rohrzuckerlösung aufgesehwenimt, zur Behandlung von Fluor
albus und ähnlichen Processen vorgeschlagen, von dem Gedanken
ausgehend, dass der bei der Gährung entstehende Alkohol die die
Katarrhe verursachenden Mikroorganismen zu vernichten im
Stande sei. Die Versuche mussten aufgegeben werden, nach¬
dem sich zeigte, dass bereits die lebende Ilefezelle allein im
Stande war, katarrhalische Erscheinungen hervorzurufen.
Nun beschrieb K. Albert 1 ) ein Verfahren, bei dem durch
Alkohol-Aetherbehandlung die gewöhnliche Presshefe ihres
Wachsthumsvermögens beraubt wird, ohne dabei die Gährfähig-
keit zu verlieren. Mit diesem unter dem Namen „Sterile Dauer¬
hefe“ in den Handel eingeführten Präparat unternahm nun
W. Albert neue therapeutische Versuche.
Die katarrhalischen Sekrete mittels der G r a m’schen
Methode auf ihren Gehalt an Mikroorganismen untersuchend,
stiess er dabei auf sehr merkwürdige Bilder: Die in den Prä-
jia raten sich findenden Hefezellen färbten sich nicht mehr wie
gewöhnliche Hefezellen nach Gram schwarz, sondern nahmen
bei einer Gegenfärbung mit Safranin, mit fortschreitender
Gährung immer mehr rothen Farbstoff an, bis am Ende der
Gährung nur noch blassrosa Zellen mit etwas dunklerem Kern
zu sehen waren.
Diese kurz veröffentlichten interessanten Beobachtungen a )
veranlassten mich. Ihnen seinerzeit derartige, nach Gram ge¬
färbte Präparate von steriler Dauerhefe zu demonstriren und
den Ursachen dieser merkwürdigen Erscheinungen naclizu-
forschcn.
Ich erlaube mir heute. Ihnen im Kurzen die Ergebnisse
meiner Untersuchungen, sowie die soeben veröffentlichten Re¬
sultate R. und W. A1 b e r t’s *) über den gleichen Gegenstand
mitzutheilen.
Schematisirend können wir 3 Stadien der Gramfärbbarkeit
unterscheiden:
Die Zellen färben sich: I. schwarz-blau, II. schwarz-blau-
roth und HI. roth.
Der Anfang des II. Stadiums kennzeichnet sich durch ein
Auftreten von rothen Tönen; diese nehmen immer mehr zu,
während die schwarz-blau gefärbten Theile theils in Form klein¬
ster Kügelchen die ganze Zelle erfüllen oder auch in mehr oder
minder zusammenhängenden Partien Theile der sich immer mehr
roth färbenden Zelle ausmachen. Im III. Stadium nehmen die
Zellen nur noch rothen Farbstoff an und zwar in der Art, dass
stets eine central gelegene, deutlich markirte, kernartige, dunkler-
roth gefärbte Partie sichtbar ist.
Ich glaube mich, da das kernartige Gebilde in keiner Zelle
vermisst wird, der von R. und W. Albert ausgesprochenen
Vermuthung, dass wir cs liier mit dem Zellkern der Hefezelle
zu thun haben, anschliessen zu dürfen.
: i Bericht der Deutsch, ehern, Gesellseh. «*I3,
i Ceutralbl. f. Gynäkologie 1901, Is'o. 17.
r i Ceutralbl. f. Bakteriol. II. Abth., Kd. 7, 1901. No. 21.
Von dem III. Stadium erhielten R. und W. Albert,
klarere Bilder, vor Allem der Zollgrenzen und des „Kernes“, wenn
sie mit Methylenblau färbten.
Ich erhielt auch mit Gramfärbung reichlich so schöne Bilder,
mit klarer und scharf sichtbarer Zellmembran.
Die Veränderung an den Zellen während der Gährung lassen
sich auch mit Karbolfuchsin und anderen Färbemethoden (z. B.
der nach Marx-W oithe etc.) zeigen.
Gelegentlich meiner früheren Demonstration hatte Herr
Prof. Cremer die Güte, auf die Möglichkeit, dass das Ver¬
schwinden der Gramfärbung (bei welcher Jod eine wesentliche
Rolle spielt) mit dem wechselnden Glykogengehalt der Hefezellen
Zusammenhängen könne, hinzuweisen. Die von mir diesbezüglich
augestellten Untersuchungen ergaben, dass das Verschwinden
der Gram-Färbung in keiner Weise mit dem Glykogengehalt der
Zellen in Zusammenhang steht.
Das Verschwinden der Gramfärbung tritt nun ebenso ein,
wenn die sterile Dauerhefe, in destillirtem Wasser suspendirt,
bei 37° gehalten wird; sie bleibt jedoch erhalten, wenn man die
Zellen vorher aufkocht oder die Mischung bei 0 0 erhält. Daraus
liess sich annehmen, dass das Verschwinden der Gramfärbung be¬
dingt. sei durch Enzymwirkung.
Es lag da zunächst nahe, an die Wirkung der Zyrnase zu
denken.
Man kann nun die Zyrnase zerstören, wenn man die sterile
Dauerhefe mit Aether behandelt; so behandelte, in Wasser auf-
geschwemmte und bei 37 0 gehaltene Hefe verliert aber ebenso die
Fälligkeit sich nach Gram zu färben; mithin ist die Zyrnase
nicht die Ursache des Verschwindens jener Färbung. Das
zweite in der sterilen Dauerhefo sich findende Enzym, ein amylo¬
lytisches, wurde ebenfalls als nicht ursächlich für das Verschwin¬
den der Gramfärbung erkannt, und so musste man an die Wir¬
kung eines proteolytischen Enzyms denken. Diese Auffassung
wurde dadurch bestätigt, dass aufgekochte — also ihrer Enzyme
beraubte — sterile Dauerhefe, die sich nach Gram schwarz
färbt, durch Verdauung mit Pepsin und Trypsin prompt in das
II. und III. Stadium der Färbbarkeit übergeführt wird.
R. und W. Albert sind auf anderem Wege zu demselben
Resultate gelangt. Sie schlossen die Zymasewirkung aus, weil
die Gramfärbung, auch wenn die Hefe in destillirtem Wasser
aufgeschwemmt ist, verloren geht und wiesen in dem zellfreien
Filtrat einer solchen Aufschwemmung mit der abnehmenden
Gramfärbbarkeit der Zellen zunehmende Mengen von coagulir-
baren, als auch schon hydrolysirten Eiweisses nach. Sie konnten
dabei gleichzeitig zeigen, dass auch die proteolytischen Enzyme
mit in das Filtrat übergehen, dass aber die Zyrnase nicht diffus-
sibel ist.
Die sich nach Gram färbenden Stoffe der sterilen Dauer¬
hefe sind somit Eiweissstoffe.
R. und W. Albert halten diese Eiweisskörper im Inneren
der Zelle für in ähnlichem Zustande vorhanden, wie in dem
mit Alkohol-Aether gefällten Presssaft. Diese Annahme kann
nicht ganz zutreffend sein, denn sonst müsste sich der gefällte
Hefepresssaft nach der Gram’schen Methode schwarz färben;
das ist aber nicht der Fall; er färbt sich nach der Gram’schen
Methode rosa.
Ich erwähne noch kurz einige andere interessante Punkte,
die sich bei den Untersuchungen ergaben.
R. und W. Albert fanden, ebenso wie ich, bei der sterilen
Dauerhefe im frischen Präparat stets einige Zellen, die im
III. Stadium der Färbung waren. R. und W. Albert be¬
zeichnen diese Zellen als „offenbar schon vor der Behandlung
mit Alkohol-Aether abgestorben“. Die durch Alkohol-Aether-
Behandlung „abgetödteten“ Hefezellcn färben sich aber schwarz:
cs ist. somit ein Unterschied zwischen „abgestorben“ und ,.ab-
getödtet“, und dieser Unterschied findet wohl seine Erklärung
in dem Umstand, dass die von selbst absterbenden Hefezellen
dadurch, dass sie feucht sind, den proteolytischen Enzymen ihre
Wirkung gestatten.
Ferner fand ich im zweiten Stadium auch ausserhalb der
Zellen schwarz-blau gefärbte Körnchen, von der Grösse der in
den Zellen liegenden, frei liegen, und man hat den Eindruck,
als ob die am Rand der Zellen liegenden Körnchen nahe dem
Austritt wären.
Diese Körnchen erinnern unwillkürlich an die Niederschläge,
die sich gleichfalls in den ersten Stunden bei der Selbst Verdauung
des Hefepresssaftes, also des Hefezelleninhaltes zu bilden pflegen.
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17. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2063
Im III. Stadium sieht man ferner noch völlig schwarze
Zellen; diese haben vielleicht ihre proteolytischen Enzyme ein-
gebüsst. durch die Alkohol-Actherbehandlung, welche ja auch auf
peptische Enzyme immer eine, wenn auch geringe Schädigung
besitzen, so dass sie in Zellen, die von vornherein wenig Enzym
enthalten, dasselbe gelegentlich einmal vernichten kann.
Endlich sei noch auf einen Umstand hingewiesen, dass näm¬
lich die Wirkung der in der sterilen Dauerhefe wirksamen
Enzyme abhängig ist von der Concentration.
Aerztlicher Verein Nürnberg.
(Officlelles Protokoll.)
S i t z u n g v o m 29. A u g u s t 1901.
Vorsitzender: Herr S. Merkel.
1. Herr August Beckh demonstrirt:
a) einen durch Totalexstirpation nach dem von 1) ö d e r 1 e 1 n
angegebenen Verfahren gewonnenen Uterus mit Plattenepithel-
carcinoin der vorderen I.ippe. bespricht obige Operationsmethode
im Vergleich mit den bisher Üblichen, wobei er besonders die Vor¬
züge des Verfahrens bezüglich der Blasenversorgung hervorhebt.
b) ein 3500 g schweres, myxomatös degenerirtes Myom,
welebes einer 43 jährigen Frau entstammt und in den letzten
Wochen rapid gewachsen war: dasselbe war Intraligamentär ent¬
wickelt, der breite Stiel ausserordentlich gefässreich: die Tube ver¬
läuft vor dem Tumor, das cystiscli degenerlrte linke Ovarium
hinter dem Tumor. Ausgangspunkt wahrscheinlich Ligamentum
lat um der linken Seite.
bespricht e) einen Fall von Recidiv nach Venlrotixatio» des
l'terus wegen Retrollexio Uteri. Der Uterus war bei der am
io. -Tun! 1899 vorgenommeneu Operation mit 2 Seidenniihten an
die vordere Rauchwand iixirt worden und war nilmähiieh
langsam wieder zurückgesunken. 2 lange, fadenförmige Adhae-
sionen ausziehend, dieselben waren schliesslich 20 cm lang ge¬
worden und wurden gelegentlich der wiederholten Laparotomie
zur abermaligen Veutrofixation gefunden (2. Operation 14. VII.
1900; bis jetzt recidivfrei). Hinweis auf die Gefahr des möglichen
Eintritts eines Ileus.
berichtet d) über 2 Geburten mit sogen. Riesenkindern;
beide männlichen Geschlechts. Das eine. 5610 g schwer, stammt
von einer 37 jährigen X. Para: Schädellage, Spontangeburt des
Kopfes nach 29Va ständiger Geburtsdauer; kurz vorher Mcconium-
ahgang: Extraktion der Schultern und des Rumpfes nur mit ausser¬
ordentlicher Kraftanstrengung möglich. Kind lebt.
Das zweite. 5350 g, welches einer 31 jährigen IX. Para ge¬
hörte, musste wegen Mcconiumabgang gewendet werden, wurde
tief aspliyktisch geboren und konnte leider nicht wieder belebt
werden.
Im Anschluss hieran berichtet Vortragender noch über eine
Zwillingsgeburt einer X. Para, die er vor 2 Jahren geleitet hat,
bei der der erste 3300 g, der zweite Zwilling 3760 g wog. welche
Gewichte für Zwillinge gewiss nicht gewöhnlich zu nennen sind.
Beide waren Knaben. Gehurt dos ersten in Stelsslage spontan,
heim zweiten musste 3 Stunden nach der Geburt dos ersten die
komhiuirte Wenduug auf den Fuss und Extraktion vorgouotnmen
werden. Beide leben.
2. Herr E. Rosenfeld demonstrirt unter Mittheilung der
Krankengeschichten folgende Präparate:
n) eine Extrauteringravidität,
b) einen Ovarialtumor bei einem 19 jährigen Mädchen.
3. Herr W. Beckh bringt Mittheilungeu über Bad Kissingen
und die daselbst eingefillirten Neuerungen.
4. Herr W erthheimber berichtet über die Sektions¬
befunde von 2 mit Ichthyol behandelten tuberkulösen Frauen,
bei welchen sich verschiedene verkalkte Herde in den Lungen
fanden.
Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Officlelles Protokoll.)
Sitzung vom 7. November 1901.
Herr Krapf demonstrirt:
1. ein 2 jähriges Kind mit Hydrocephalus congenit.
2. ein 10 jähriges Mädchen mit angeborener Sattelnase.
Herr Johann Merkel spricht über' Unterschenkelgeschwüre
und deren operative Behandlung.
Nach kurzer historischer Einleitung wird der Operations-
methoden gedacht. 1871 erfand Nussbaum seine Circumcision
variköser Geschwüre: Schede, in den 70er Jahren, komprimirte
rlie Varicen durch aufgenähte dicke Gummiröhren; Trcndelon-
bürg unterband die Vena saphena. Schwarz in Paris und
Caroti empfahlen die Exstirpation mehr weniger grosser
Strecken vom Venenplexus. Rei allen Venenoperationen besteht
die Gefahr der Embolie, besonders bei nicht ganz intaktem Clrcula-
»ionsapparat. Angeführt wird ein Fall, der nach Nussbaum-
seher Circumcision durch Embolie der beiden Aeste der Art. pul¬
monal. letal endete. Sektionsbefund wird mltgetheilt.
Auch wird der Transplantation nach Thier sch und Ro¬
ver d 1 n gedacht, jedoch als nicht aetiologisch wirkend verworfen.
Dann folgt die Beschreibung der Operation nach Trendelen -
b u r g, welcher der Vortragende den Vorzug gibt. Sie besteht iu
doppelter Unterbindung der V. saphena magna in der Fovea ovalis
und Diseision. Der oft grossen Schwierigkeit des Auftindens dieses
Gefiisses bei den häufigen Venenanomalien wird gedacht und eine
dahin gehende Zeichnung vorgelegt. Bei Kombination von syphi¬
litischen Geschwüren auf varikösem (Jebiet muss der Operation
eine spcclfische Behandlung vorausgehen, wovon 1 Fall mitgetheilt
wird.
Schliesslich werden kurze Kranken- und Operationsgosehichten
von 5 Fällen, nach T r e n d e 1 e n bürg operirt, beschrieben. Die
Theorie der Operation nach T roudolen 1> u r g, sowie die palho-
logiseh-histologischen Veränderungen der Varicen finden ein¬
gehende Erwähnung.
Nach Fehlschlagen exspectativer Behandlung, bei mehr und
mehr zunehmendem Marasmus, wenn die Ulcera Jahre gedauert
haben und die Erwerbsfähigkeit auf gehoben haben, wühle mau
die T re n d e 1 e n b u r g’sche Operation. Personen mit nachweis¬
baren Herz- oder Gefüsskrnnkheiten sollen uuoperirt bleiben. Die
Exstirpationen von ganzen Venenpaekets führen zu schmerzhaften
Oedomen und Lymphgefässlisteln, sogar Hautgangrucn und ver¬
dienen keine Nachahmung.
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Eigener Bericht.)
Sitz u n g v o ni 25. O k t o b e r 1901.
1 lerr Schloff er bespricht an der Hand mehrerer Fälle die
Vorzüge der B o 11 i n Eschen Operation bei Prostatahyper¬
trophie.
Herr Lucksch: Ueber Aspergillose.
Nach einer Einleitung über die bekannte Häufigkeit von
Mykosen bei Diabetikern berichtet Vortragender über eine noch
nicht bekannte Schimmelart, aus dem Bronehialbaum eines Dia¬
betikers gezüchtet. Bei der Sektion hatten sieh neben einer
durch Bacillus pneumoniae Friedländer hervorgerufenen lobu¬
lären Pneumonie in der Trachea einige Plaques von Schiimnel-
rasen gefunden, während die grösseren Bronchien damit völlig
ausgckleidet waren. Der Srhimmelrasen bestand aus einem
Aspergillus, der deutliche soptirte Hyphen und ziemlich lange,
meist einfache Conidienträger besass, auf denen Stcrigmen Auf¬
sitzen, von denen sich runde Sporen abschnüren. Der Asper¬
gillus ist charakterisirt durch binsenförmige Auftreibungen
seiner Hyphen, die manchmal Vacuolen erkennen lassen. Sein
Temperaturoptimum liegt bei 32° C., er verflüssigt die Gelatine,
sein Myoel ist weiss. Die Kulturen nehmen nach einigen
Tagen eine grünliche Farbe an, welche später in Braun über¬
geht. Aus den Thiorversuchen gebt, hervor, dass er für Hühner
und Tauhon bei Einbringung in die Luftwege pathogen ist.
Ob er auch pathogen für Menschen ist, ist nicht zu entscheiden,
da die Wucherung in den Bronchien nach Vergleich mit Kul¬
turen erst 4—5 Tage alt war und klinisch keine Symptome ge¬
macht hatte.
Herr v. Ritter spricht über einen von ihm seeirten Fall von
Aspergillusmykose der menschlichen Lunge (72 jähriges Weib).
Es fanden sieb 3 stark verschimmelte, etwa haselnussgrosse Er¬
krankungsherde innerhalb des Oberlappens der rechten Lunge; als
Erreger wurde der Aspergillus fmnigatus de Bary konstntlrt. R.
nimmt, primäre Entwicklung linemorrhagischer Infarkte (Throm¬
bose der r. Ihnen) und sekundäre Verschimmelung derselben an.
O. W.
Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften.
Soci6t6 de Biologie.
Sitzung vom 26. Oktober und 2. November 1901.
Chipault berichtet über 57 Fälle von sacrolumbaler
Punktion zu therapeutischen Zwecken. 9 mal war es nicht mög¬
lich dieselbe auszuführen wegen Verwachsungen (Rheumatismus)
oder wegen eines subarachnoidalen Oedems (Syphilis). Von den
restiremien 48 Fällen haben 25 ein negatives Resultat gegeben
(Hydrocephalus. Meningitis tuborculosa. allgemeine Paralyse.
Epilepsie), in 14 Fällen war der Erfolg ein vorübergehender und
nur bei 4 Fällen konnte von einem wirklichen Erfolg die Rede
sein, so dass Ch. rnth, nur mit Vorsicht und grosser Auswahl
zu therapeutischen Zwecken die Lumbalpunktion anzuwenden.
Netter hebt hervor, dass die Lumbalpunktion, wie jede
therapeutische Methode, ihre Indikationen und Gegenindikationen
hat; die Indikation derselben ist die Vermehrung des Druckes
in der Gehirnrückenmarkshöhle, wie es besonders bei ver¬
schiedenen Arten von Meningitis der Fall ist; N. hat die Uober-
zeugung, mehreren Kindern mit Meningitis cerebrospinalis das
Leben gerettet zu haben, indem er zur richtigen Zeit eine Ent¬
leerung der Flüssigkeit auf lumbalem Wege vorgenommen hat.
O d d o - Marseille berichtet über eine familiäre Muskel¬
erkrankung, welche sieh durch vorübergehende und recidlvirende
Liihniung wechselnder Muskeln auszeiehnet; während der
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2064
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 51.
Lähmung fohlt die elektrische Erregbarkeit vollkommen. Die
Krankheit hat Aehnlichkeit mit der Thomsen’sohen (familiären,
periodischen Myotonie) und kann auch familiäre, periodische Myo-
plegie genannt werden. Stern.
XI. italienischer Kongress für innere Medicin
in Pisa vom 27. bis 31. Oktober 1001 .
Bnccelli eröffnet denselben und erwähnt seine Verdienste
um die intravenöse Therapie: zuerst des Chinins bei schweren
Formen von Malaria, in welchen jede andere Therapie frucht¬
los ist. dann des Sublimats. Bei diesem letzteren hätten manche
Autoren Misserfolge erlebt, welche aber nur der mangelhaften
Technik zu verdanken seien. Neuerdings habe sich in der
Veterinärmediein bei einer schweren Form von Maul- und Klauen¬
seuche in Oivitaveceliia sowohl als in Sardinien dies nach seinen
Angaben intravenös angewandte Heilmittel ganz ausgezeichnet
bewährt und allenthalben habe man mit Erfolg diese Behandlung
ausgeübt.
M o n t i - Pavia und Guzzi l>cstätigeu diese Erfolge.
Sanarelli und B 1 f f i theilen ihre Untersuchungsresul-
tate über schlechte Luft bewohnter Räume mit.. Es sei durchaus
falsch, den Kolilensäuregehalt als Index der
Luftverunreinigung in solchen Fällen aufzu¬
stellen. Man habe vielmehr Rücksicht zu nehmen auf die ganze
Reihe flüchtiger organischer Stoffe, welche in der Ausathmungs-
luft enthalten seien und welche durch Resorption aus dem Darme
entständen. Hier erzeugen sich während vielfacher und kons-
plizirter putrider Processe auf Kosten der Eiweisssubstanzen eine
Reihe flüchtiger Stoffe, welche vom Blut nur mangelhaft oxydirt,
durch die Lungen ausgeschieden werden. Sie allein geben der
Ausathmungsluft die verschiedenen Arten von Geruch, welche
uns als höchst unangenehm belästigen und die wir mit muffig
bezeichnen. Experimentell an Hunden stellten die Autoren fest,
dass organische, wie anorganische, flüchtige vom Darm auf genom¬
mene» Stoffe durch die Lungen in grossen Mengen ausgeschieden
werden können und dass diese Ausscheidung in keinem Verhült-
steht zur Ausscheidung der Kohlensäure, deren Ausscheidung
Immer eine bestimmte und begrenzte ist.
Die folgenden Vorträge galten dem Thema Tuberkulose.
M i re o 11 - Genua spricht über die haemoly tlscho
Eigenschaft des Blutes Tuberkulöse r. “Die Initinl-
blutungen - Tui Tuberkulose sind unabhängig von Laesionen des
Respirationsappartes: es handelt sich um eine Form von tuber¬
kulöser Haemophilie. M. fand den Congulationscoefticienten des
Blutes Tuberkulöser geringer. Ferner fand er. dass Tuberkulin¬
zusatz die Gerinnbarkeit des Blutes vermindert und dass diese
Wirkung durch Maragliano’s Tuberkuloseheilserum aufge¬
hoben wird. Die haemoly tische Beschaffenheit des
Blutes Tuberkulöser soll im umgekehrten Ver¬
hüt t n i s s zur Gerinnungsfähigkeit stehen.
Sn nt in i spricht über die Toxicität tuberkulöser und eite¬
riger Exkrete und M a r a g 11 a n o betont, dass man ohne Tu¬
berkelbacillen allein durch Tuberkelbacillentoxlnc
experimentell Gewebslaesionen erzeugen kann,
wie sie der Tuberkulose e i g e n t h ti m 11 c h sind.
lieber den diagnostischen und prognostischen Werth der
eosinophilen Zellen im Auswurf handelt M e in m i.
A s c o 1 i und M o r e s c h i veröffentlichen ihre Entdeckungen
über ein proteolytisches Ferment, welches sie in
den Leukocyten fanden.
Evoli betont die therapeutische Wirkung des arsenigsanren
Natrons bei der Tuberkulose. Maragliano glaubt, dass diese
Resultate des Arsens, wie diejenigen, welche man mit anderen
Präparaten bei der Tuberkulose erhalten kann, so zu erklären sind,
dass diese Stoffe die Erzeugung von Antitoxinen seitens des be¬
fallenen Körpers befördern.
Dessgleichen macht Cavazzani Mittheilung von seiner
B e h a n d 1 u n g der Lungentuberkulose mit Jod in
statu nascenti, welche er leichten wie schweren Fällen angedeihen
lässt. Dieselbe besteht in der inneren Einverleibung eines Jod¬
präparates; sobald man annehmen kann, dass dasselbe sich im
Kreislauf befindet, wird Terpentinöl eingeatlimet und so kommt,
es zur Entwicklung von Jod in der Lunge.
Die Jodbehandlung soll sich nach Cava z z a n 1 und
L u c c h e s i n i auch beim T y p h u s b e w ii liron. Auch
experimentell soll sich beim Meerschweinchen die antitoxlsche
Wirkung gegen die Toxine des Eberth'schen Bacillus nach-
weisen lassen.
M e m m 1 hat eosinophile Leukocyten bei Leberechinococcus
nnehweisen können und zwar bei 7—20 Proe. der gesummten
Leukocyten. Bei anderen Untorleibstumoron hat man den gleichen
Befund nie. so dass er für Ilydatiden differentialdiagnostische Be¬
deutung haben soll.
R o n c a g 1 i o spricht über Herzaffektionen beim Rheuma¬
tismus chronicus deformans. Dieselben sind viel seltener als
beim akuten Rheumatismus und die wenigen Fälle betreffen nur
das Ostiurn aortae. R. fand keinen Fall mit Laesionen der
Mitralis.
Dies führt zu der Frage, ob es sich bei beiden Affek-
1 innen nicht um vollständig verschiedene Krank-
heitsagentien h a n d e 11. welche R. bejahen möchte.
M a s s a 1 o n g o: lieber anchylosirende Arthritis der Wirbel¬
säule. M. ist der Ansicht, dass es nicht richtig sei, eine besondere
Krankheitsform obiger Art aufzustellen. Es handle sich bei der¬
selben nur um eine Varietät der chronischen Arthri¬
tis. Ein Theil der Fälle gehöre in die infektiöse, ein anderer in
die dyskrnsisehe Gruppe der chronischen Arthritis, ein dritter in
die nervöse Gruppe.
F e n o g 1 i o und Cesaris Demel behandeln einige moderne
Fragen der Pathologie der Leber. Evoli handelt über die Alv-
nahmc der Virulenz des Pneumococcus bei hoher Temperatur,
welche er im Gegensatz zu Bnumgarten und Klemperer
auf Grund seiner Experimente bestreitet.
Benvenuti erwähnt einige Fälle von Gangraen durch
Arteriitis bei Influenza und betont die dlfferentialdiagnostlscho
Wichtigkeit dieser bei Infektionskrankheiten nicht seltenen Form
von Gangraen gegenüber der durch Gefässembolie entstandenen.
S c i a 11 e r o behandelt die Radioskopie der tracheo-
bronchialen Drüsen. Bei seitlicher Durchleuchtung sind solche
Drüsentumoren, welche fast immer tulierkulöser Natur sind, hoi
einiger Uebung gut zur Anschauung zu bringen.
Boeri: Feber graphische Kurven bei ver¬
schiedenen Formen von Tremor (in diesen Blättern ist
die Arbeit bereits erwähnt).
Reale: Feber den Stoffwechsel der Kohle¬
hydrate in Beziehung zu den oxydativen orga¬
nischen Processen.
Ferranninl behandelt Formen von angeborener
Dislocation des Herzens und A p o r 11 spricht von der
Art der Lagerung akuter perikarditischer Ergüsse.
Q u e i r o 1 o - Pisa: Ueber die Entstehung der Peritonitis
(nicht der Perforationsperitonitis) beim Typhus.
Die Propagation der Infektionsträger, meist des Bnctorium
coli, geschieht durch die Venen der Darmwand und die perivasalen
Lyinphräume. (Auch diese Arbeit von Qu. ist bereits erwähnt in
dieser Wochensohr.)
B 1 f f i und G a 11 i berichten von einem Psammogliosarkom
des Kleinhirns.
Ferner wollen wir noch eine Abhandlung von Massalongo:
Ueber Myasthenie erwähnen. Kr nennt die Myasthenie vielleicht
nicht ganz mit Recht Morbus Erb-Goldflam-Oppenheim und er¬
wähnt eine Statistik von 107 Fällen, mit dem von ihm selbst be¬
obachteten.
Als den Herd der Krankheit bezeichnet er die motorischen
Fentren des Bulbus und der Medulla spinalis: es sind die Stämme
dieser motorischen Regionen, welche sich erschöpft zeigen und
man könnte die Krankheit Neuronastlienia motoria bulbo spinalis
nennen.
Die meisten Autoren sind geneigt, diese Krankheilsform als
eine Varietät, der Poliomyelitis oder Polioencephalomyelitis anzu-
solien. aber klinisch wie nosographiseh und besonders anatomisch
wegen des Fehlens histologischer Befunde am Nervensystem ist
diese Krankheitsform als eine besondere aufzufassen.
M. glaubt, dass auf anatomische und morphologische Eigon-
thümlichkeiten, welche auf Abweichung der fötalen Entwicklung
und auf Anomalien des Skelets beruhen, sowie auf fehlerhafter
und unregelmässiger Vertheilung der Blutgefässe und Capillaren
in den nervösen Centrnlorganen. mehr die Aufmerksamkeit der
Fntersuchenden gelenkt werden müsse, um diese seltene Krank-
heitsform einer Erklärung zugängig zu machen.
Hager- Magdeburg-N.
Berliner medicinische Gesellschaft.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 11. Dezember 1901.
Demonstration:
Herr Freund ein heute Morgen geborenes Iviud mit Hemi-
kephalie, welches zwar asphyktisch. aber noch am Leben ist
Herr P. Strassmann: kleines verkalktes Myom, das er
operativ entfernt hatte. St. erinnert daran, dass diese verkalkten
Myome sehr widerstandsfähig sind und z. B. von japanischer
Seite eines heschrielx*n wurde, welches die Leiehenverbrennung
überdauerte und dass er selbst eines in einem alten Etruskergrab
in Fiesoie gefunden habe.
Herr Finkeistein: Streptothrixpränarate aus dem
Kinderdarm, welche er mit Bezug auf die nculichen Demonstra¬
tionen von Herrn Jürgens bespricht. Diese Streptothricheen
wurden in den letzten Jahren mehrfach studirt und es zeigt sich,
dass sie im normalen Darm noch regelmässiger gefunden werden,
als die gewöhnlichen Bacillen. Die Kultur ist etwas schwierig:
sie gelingt nach seinen T'ntersuehungen aber leicht, wenn man den
Stuhl in V.. proe. Essigsäure und Bouillon überträgt, dann sterben
die Bacillen ab und man erhält Reinkulturen von Streptothricheen.
Dieselben sind polymorph und bilden Ketten von Stübchen un
Forcen.
Discussion: Herr Jürgens weist darauf hin. dass er
seine Bakterien nicht im Dannlumen, sondern in der Dannwand
gefunden habe.
Tagesordnung:
Herr Westenhoeffer: Schaumleber bei Sepsis nach
Abort.
Bei einer an septischem Abort verstorbenen Frau wurde neben
zahlreichsten miliaren Eiterherdehen in allen Organen eine
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17. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 206,1
S e h a u m 1 c b e r, also eine mit Gasbinsen durchsetzte Leber ge¬
funden. ln mikroskopischen Schnitten der Leber fanden sich sehr
reichlich »S t ä l> c li e n, welche den von W eich, N u t u 11 und
Ernst beschriebenen gleichen, während das mikroskopische Bild
sich von dem bei jenen Autoren dadurch unterscheidet, dass das
Lebergewelte nur eine durch die Gasblasen bedingte mechanische
Verdrängung, aber keine in der l-'ärbbarkeit der Zellen zum Aus¬
druck kommende biologische Veränderung zeigte. lJle Gasblasen
liegen in den l’fortnderverzweigungen gleich den Bakterien, ln
den Luugenabscesseu wurden auch spärliche Stäbchen neben reich¬
lichen Streptococcen gefunden. Im Uterus nur Streptococcen.
Mit Leberstückehen geimpfte Meerschweinchen starben, aber ohne
Gasbildung; 1 Kaninchen blieb am Leben.
Yortr. bespricht die Geschichte der Gasbildung, welche als
Leichenerscheinung altbekannt ist und als Fäulnissvorgang ge¬
deutet wurde. Dann wurden im malignen Oedem und dein
Rauschbrand ähnliche Affektionen am Lebenden erkannt und
deren Erreger isolirt. Endlich haben die genannten amerikani¬
schen Forscher den beschriebenen Bacillus gefunden, welcher
nach den von jenen Autoren beobachteten Zellveründerungen
schon im lebenden Blute gewesen sein muss, während in W.'s
Fall diese Zellveränderungen fehlten.
I) i s c u s s i o n. Herr Stadelmann: Er hat vor einiger
Zeit bei einem an I’urpura h a e ui o r r li a g i c a leidenden
jungen Mädchen, das an den Folgen der abundanten Blutungen zu
Grunde ging und offenbar au einem septischen Frocesse erkrankt
war (kleine Verletzung am Finger), aus dem Herzblut unmittel¬
bar nach dem Tode einen Bacillus isolirt und gezüchtet, der
also nel>en gleichzeitig gefundenen Eitercoceeu in der Lebenden
vorhanden gewesen war. Derselbe war mit dem von \V. eben de-
moustritten wohl identisch und cs waren in den Leichenorganeu
ebenfalls Gasbildungen gefunden worden. Der Bacillus bildete
in der Kultur eine Säure, die aber nicht genau detinirt werden
konnte; das Gas enthielt Kohlensäure, Stickstofl und ein brenn¬
bares Gas, wahrscheinlich Grubengas. Beendigung der Unter¬
suchungen wegen Eingehens der Kultur unmöglich gewesen.
Herr Senator: Wenn es darauf ankomtue, Gasbildung am
Leitenden festzustelleu, so habe er solche Fälle mehrfach gesehen.
Zuerst im Feldzuge 1870 um Kniegelenk eines verwundeten Fran¬
zosen, dann später mehrfach an Schultergelenken. Eiuige Male
konnten auch Bakterien miehgewleseu werden.
Für die innere Mediein sei die Frage wichtig geworden zur
Erklärung des ohne Verletzung des Lungengewelvs entstandenen
Pneumothorax.
Discussiou zum Vortrage des Herrn A. W. Freund:
lieber Thoraxanomalien bei Phthisis und Emphysem.
Herr Vircliow: Er habe liier eine Anzahl von Präparaten
aus seiner Sammlung aufgestellt, an welchen die von F. be¬
sprochenen Veränderungen zu sehen seien. Diese Ossidcirung des
1. ltippenkuorpels sei häutig und entweder eine schalenförmige
oder compacte. Vor der völligen Ossitieirung sei der Knorpel
brüchig und es kommen dann häutig sowohl Intravital als auch
beim ilantlren mit der Leiche post mortem Frakturen vor.
Erstere können zu Geleukbildtmgen führen.
Dass die Verknöcherung bei alten Leuieti die Ausdehnungs¬
fähigkeit des Thorax schädigen könne, glaube er wohl: Schleim
u. dergl. könnten dann wohl zuniokgehalti u worden und k »unten
allenfalls verkäsen: doch glaube er nicht, dass diese
Iv norpel v e rkal k u n g ein e A n 1 a g e z u r T u I »or¬
kul o s e b e d o it t o.
Herr Ha nse mann: Er halte die Mitthellmigeti F.'s für
eine Sache von grosser Tragweite, sowohl für die Lumrenspltzon-
erkrankung als auch überhaupt für die Dispositionslelnv. Die
Bakteriologen haben die Disposition erst ganz geleugnet, dann sie
wieder gefunden, aber Immer nur im Sinne der Immunität. Im¬
munität und Disposition seien aber nicht zwei Gegensätze in dem
Sinne, dass die Verminderung der einen Erhöhung der anderen
bedeute. Richtig gefasst habe Liebreich diese Dinge mit dem
von ihm eingeführtenNosoparasitisnms; er wollte damit sagen, dass
zur Festsetzung der Bakterien eine Verminderung der Vitalität des
Organismus gehöre. II a n s o m n n u habe dann dafür greifbare
Dinge gesucht und ein solches In der Syphilis als einer Disposition
zur Tuberkulose gefunden.
In den von Freund angeführten Fällen sei daun die Ver¬
kürzung und Verkalkung des 1. Itippcnknorpels ein weiteres Mo¬
ment, welches zur Lungentuberkulose disponite. Doch sei die Ver¬
kürzung das Primäre und die Verkalkung erst das Sekundäre.
Auch fänden sich die Frakturen in noch ganz weichem Knorpel
und endigen mit Psetidartlirosenblldung.
I Herr Vircliow: Er sehe ein, dass er Unrecht hatte, die
; Demonstration seiner aufgestellten Präparate auf den Schluss zu
verschieben, denn Herr II an sein au n habe ihn nicht ver-
.• standen.
/ Herr Cowl: Durch Freund’» Vortrag angeregt, habe er
bei Durchleuchtung des Thorax auf den ersten ltippenknorpel mehr
Aufmerksamkeit gerichtet. Er sei nur bei ganz kurzer Be¬
lichtung darstellbar. Demonstration.
Fortsetzung der Discussion vertagt. Hans K o h n.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht.)
W icn, 14. Dezember 1901.
Die Wiener freiwillige Rettungsgesellschaft. — Aerzte
als Kurpfuscher. — Die Fleischprobe zur Funktionspr&fung
des Darmes. — Ein neuer Nahtapparat. — Utensilien für
Kranke ans Asbest.
Die Wiener freiwillige Rettungsgesellsehaft hat tun 9. d. M.
die zwanzigste Wiederkehr des Gründungsjahres mit einer in¬
timen Fest Versammlung gefeiert. Bei diesem Anlasse gab der
jetzige Chefarzt, kaiserl. Rath Dr. Charas, einen kurzen
historischen Rückblick über die Thätigkeit und Erfolge dieser
Gesellschaft während ihres 20 jährigen Bestandes. Er wies auf
Grund statistischer Daten darauf hin, dass sieh die Inanspruch¬
nahme der Gesellschaft seit zehn Jahren verdreifacht und seit,
dem Bestände verfünffacht habe. Noch vor 7—8 Jahren bedrohte
die Gesellschaft aus finanziellen Gründen stets das Gespenst der
Auflösung, während sie heute ein schönes grosses Heim und ein
nennenswert lies unantastbares Stammkapital ihr Eigen nennt.
Es harren aber noch wichtige, im Wirkungskreise der Gesell¬
schaft gelegene Einrichtungen der Verwirklichung. IHoher ge¬
hören in erster Linie die Errichtung von Eilial-Sanitätsstationen,
die Schaffung eines Unfallspitales zur Entlastung der überfüllten
Spitäler, die Organisation eines geregelten ärztlichen Nacht¬
dienstes. die Verbreitung des Samariterthums und die Propa-
girung des freiwilligen Rettungswesens in der Provinz. Wenn
auch, meinte Dr. Charas, alle diese Postulate unter den ob¬
waltenden Verhältnissen als fromme Wünsche bezeichnet werden
müssen, so will die Rettungsgesellschaft dennoch diesen Zielen
unentwegt zustreben. Man beschloss noch, den 20 jährigen
Gründungstag auch nach aussen damit festlich zu begehen, an
sämmtliehcn zehn Brücken des Donaukanals in Wien und an
den zwei rcbergangsbrüoken über die grosso Donau Rettungs-
geräthe mit Belehrungen zur Wiederbelebung Ertrunkener auf¬
zustellen. — Unserer Ansicht nach obliegt die Kreirung eines
neuen Spitalcs zur Entlastung der übrigen, überfüllten Spitäler
und die Organisirung eines geregelten ärztlichen Nachtdienstes
in Wien ganz anderen Faktoren als der Rettungsgesellschaft,
während die sonstigen Zukunftspläne derselben im Interesse des
Wohles der Bevölkerung realisirt werden sollten.
Da schrieb vor nicht langer Zeit ein inedieinischer Jour¬
nalist in einer politischen Zeitung einen Aufsatz gegen die Kur¬
pfuscher und bemerkte zum Schlüsse folgendes: „Es gibt in
unserem Strafgesetze keine Stelle, welche sieh auf die Kur¬
pfuscherei von — Aerzton seihst bezöge. Auch wäre es
schwierig, da eine gerechte Grenze zu ziehen. Denn auf Grund
seines Diploms hat jeder Arzt die Berechtigung, seine Behand¬
lungsmethoden zu wählen, wie er will. Wenn es ihm passt, seine
Patienten mit magnetisirten Mixturen zu behandeln, so hat er
zwar dadurch persönlich auf jede wissenschaftliche Achtung Ver¬
zicht geleistet, aber er kann dafür nicht zur Verantwortung ge¬
zogen werden, vorausgesetzt natürlich, dass seine Kuren nicht
offenbar schädlich sind. Und da gibt es auch keine Reinedur
d ureli 7 wa ngsinu assregel 11 .
Auch wir glaubten, dass gegen ärztliche Kurpfuscher
unter obenerwähnten Verhältnissen bloss die betreffende Aerzte-
kammer, aber keineswegs die Strafrichter einsehreiten könnten.
Vor einigen Tagen wurden wir aber eines Besseren, belehrt.
Ein Arzt, Dr. Moriz Oppe n haue r, wurde vom Bezirksgericht
„wegen Tlieilnahme an Kurpfuscherei“ zu einem Monate Arrest,
der Kurpfuscher selbst zu derselben Strafe verurtheilt. Der
Fall war ein unsäglich trauriger. Es handelte sieh um die Appli¬
kation des sogen, thierisehen Magnetismus seitens eines gerichts¬
bekannten Individuums, das sieh mit dem Herrn Doktor zu-
sainmenthat, in der Meinung, dass ihm nun die Behörde nichts
anhaben könnte. Bei der Verhandlung sagte der Kurpfuscher,
er sei von Dr. O. als Magnetiseurgehilfe mit 160 Kronen Monats¬
gehalt angestellt worden, er besitze eine magnetische Kraft, mit
welcher er Kranke gesund machen könne. Dagegen wurde kon*
statirt, dass der Herr Doktor bei den Ordinationen (es sollen
täglich 50—60 Kranke in diese „Ordinationen“ gekommen sein)
eine passive Rolle gespielt habe. Ueber Befragen dos Richters,
wie der Herr Doktor zu dem Magnetismus gekommen sei, sagte
er, dass ihm in Innsbruck, wo er studirte, ein altes Buch in die
Hände gefallen sei, welches vom Magnetismus handelte; den
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ffo. 61 .
2066
MUEffCHEffER MffDlClfflSCÜE WOCffEffSCffRlEf.
Autor des Werkes habe er vergessen, aber auch an den Inhalt
erinnere er sich nicht mehr. Mit rührender Offenheit gestand
also der Doktor, der nach den Zeitungsberichten schon ein alter
Herr ist, dass er vom Magnetismus nichts wisse.
Und wohl nur darum, wegen Förderung und wirksamer
Unterstützung eines Kurpfuschers, erfolgte die Verurtheilung
des Arztes.
Erst jüngst proinulgirte die Wiener Aerztckammer, dass sie
dem der Kammer angehörigen Dr. J e z (nebenbei bemerkt
einem wissenschaftlich tliätigen jungen Arzte) wegen schwerer
Verletzung der Standesehre durch Deckung der Kurpfuscherei
eines Laien und seine der Würde des ärztlichen Standes wider¬
sprechende Association mit demselben die Strafe der Entziehung
des aktiven und passiven Wahlrechtes auf die Dauer von drei
Jahren auferlegt habe.
ln der Gesellschaft der Aerzte besprach Dr. Walter Zweig
„die Fleischprobe zur Funktionsprüfung des Darmes“. Wenn
man zu 10 ccm Magensaft von normaler Acidität und normalem
Fermentgehalt ein Stückchen rohes Bindegewebe hinzuthut und
das Ganze der Wärme des Thermostaten aussetzt, so findet man,
dass schon nach zwei Stunden das Bindegewebe zerbröckelt und
endlich sich vollständig auflöst. Nimmt man jedoch statt Binde¬
gewebe ein Stückchen Muskelfleisch, so kann man das Muskel¬
gewebe selbst nach 24 Stunden unverändert im Magensaft liegen
sehen. Nimmt man 10 ccm Pankreassaft und gibt das Muskel-
Üeisch hinein, so wird es nun rasch zerfallen und sich auflösen,
während in dieses Dünndarmsekret gelegtes Bindegewebe unver¬
ändert bleibt. Auf diesen Antagonismus basirt der Vortragende
seine „Fleischprobe“. Er lässt also den Patienten am Abend
100 g in Würfel gehacktes, rohes Beefsteakfleisch mit etwas Salz
angemacht nehmen und untersucht nun die beiden nächsten
Stühle mittels des Boas'sclien Stuhlsiebs. In etwa 5 Minuten
lässt sich dabei ein Stuhl vollkommen durchsieben. Das, was
auf dem Siebe bleibt, lässt uns auf eine event. Störung seitens
des Magens (Bindegewebsreste) oder des Dünndarms (Reste von
Muskelfasern) sehliessen. Eine starke Vermehrung des Binde¬
gewebes im Stuhlreste weist also auf eine Störung der Magen¬
verdauung hin, eine Vermehrung der Muskelmassen auf eine
schwere I)armnSektion. Gewöhnlich wird letztere im Zusammen¬
hang mit den anderen bestehenden Symptomen als chronischer
Dünndarmkatarrh aufgefasst werden können. In therapeutischer
Hinsicht werden wir bei positivem Ausfall der Fleischprobe
das Fleisch nur in ganz fein vcrtheiltem Zustand verabreichen
lassen.
Einen neuen Nahtapparnt. zeigte Primararzt Dozent Dr.
R. F rank. Fis ist dies Dr. P. M i c h c l’s Apparat zur Wund-
vereinigung. Er besteht aus 1 cm langen, 2Ys mm breiten Klam¬
mern aus Nickelblech. Die Blättchen sind an den Enden ein¬
gerollt und tragen an diesen je eine kleine Spitze. Mit einer
Pinzette werden die Klammern über den einander genäherten
und mit einer zweiten Pinzette fixirten Hauträndern zusammen¬
gebogen, die Spitzen greifen in die Haut und halten die Ränder
exakt aneinander. Zur Entfernung der Klammern dienen Häk¬
chen. Nach längerer Erprobung kann Vortrag, die Schnelligkeit,
Leichtigkeit und Exaktheit der Naht gegenüber der Seidenknopf-
naht rühmend hervorheben. Der Hauptvortheil ist jedoch, dass
bei dieser Methode die Aseptik strikte gehaudhabt werden kann,
es gibt überdies keine die Haut durchsetzenden Stichkanäle, so¬
mit auch keine Eiterung derselben. Auch die Narben der kleinen
Wunden sind schöner als die bei der Knopfnaht. Er empfiehlt
die M i c h e l’schen Klammern, die sich auch von den Serres
fines vorteilhaft unterscheiden, den praktischen Aerztcn, zumal
den Chirurgen, auf’s Beste.
Endlich zeigte Dr. J. Kornfeld in einer „Zur Prophy¬
laxe der Tuberkulose“ betitelten vorläufigen Mittheilung eine
ganze Reihe Utensilien der Krankenpflege und die Gebrauchs¬
gegenstände Tuberkulöser, also Spuckschalen, Leibschüsseln,
Lavoirs, Zungcnspatel, Eitertassen, Sterilisationsöfen etc., welche
sämmtlich aus fast reinem Asbest (95 Proc.) hergestellt werden.
Dieses Material ist ungemein plastisch und leicht zu verarbeiten,
auch Katheter sind aus Asbest herstellbar, sodana brennt es
nicht, lässt sich dagegen leicht ausgliihen, endlich ist das Roh¬
material ungemein billig, so dass der Herstellungspreis einer
Spuckschale circa 2—4 Heller, der eines Sterilisationsbeckens
bloss 40 Heller beträgt. Die verlässlichste Unschädlichmachung
des keimführenden (tuberkelbacillenhaltigen) Inhaltes geschieht
beim Asbest durch das Feuer, durch welches aber die Utensilien
selbst nicht im Geringsten einen Schaden oder eine Veränderung
erleiden.
Verschiedenes.
Der Papst und die moderne Medicin.
Wer hätte erwartet, dass Leo XIII. sich lebhaft für die medi-
einisehen neuesten Entdeckungen luteressirlV Vor einigen Tagen
sah mau seinen Leibarzt Dr. Lapponi in seine Privatgemächer
eintreten mit Zeiss’schem Mikroskop und allem Zubehör. Es
galt, Sr. Heiligkeit die mikroskopischen Infektionsträger der be¬
kanntesten Infektionskrankheiten zur Anschauung zu bringen, den
Typhus-. Tuberkulose-, Diphtherie-, Milzbrandbacillus, den Pneumo-
coccus, die Slnphylococcen, die Malariaplasmodien u. n. Der Paps»,
welcher Myop ist, beschäftigte sich lange mit dem Mikroskop und
es gelang sehr gut. ihm alle Pilze zu demoustrireu. Er zeigte sich
ausserordentlich wissbegierig bezüglich der Isolirung, der Fürbo-
technik und iiess sich unterrichten über die Art ihrer Vermehrung,
ihres Eintritts in den menschlichen Körper und über die neuesten
Methoden, ihrem verderblichen Wirken Einhalt zu Ihm», (Gazzotta
degli osped., No. 121, MOL) II.
Therapeutische Notizen.
Europhen hat Prof. II a t c h am (ienuan West Side l>is
peusary zu Ncw-York an Stelle des Jodoform mit Erfolg bei Nasen-
und Kaeheukrankbeiten, besonders lxü tuberkulöser Laryngitis an
gewendet. In dem Zeiträume von 1S9Ö—1898 hat er im Ganzen
4017 Fülle behandelt, darunter 20S3 mit Jodoform oder mit Euro¬
phen in Aetberlösung. und zwar 1225 mit Jodoform und 145S mit
Europhen. Die erzielten Resultate waren zwar sowohl auf der
einen, wie auf der anderen Seite günstig; doch war II. von dem
Europhen ganz besonders befriedigt, einerseits wegen seiner Vor¬
züge (Geruchlosigkeit, leichteres Gewicht, absolute Reizlosigkeit i.
andererseits wegen der raschen Wirkung, die ganz besonders in
speeilischen Fülleu hervortrat. Im Ganzen sind die Erfahrungen
mit dem Europhen so günstig ausgefallen, dass 11. seit 1898 sieh
ausschliesslich des Europiums bedient. (AHg. med. (Vntralztg.
UHU, No. 80.) P. H.
Tagcsgeschichtlicbe Notizen siche S. 2094.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
Berufen: Vom 1. Januar 1902 an zu der Funktion eines Mit¬
gliedes des Kreismedieinal-Aussehusscs von Oberbayern der Land¬
gerichts» rat, ausserordentl. l'niversitäts-professor Dr. Moritz Hof-
inann in München. — Der Beziiksarzt. a. I>. Dr. Georg Reiter
in Landshut, wurde seiner nlleruntcrthUuigsten Bitte entsprechend,
vom 1. Januar 1902 an unter Allerhöchster Anerkennung seiner
langjährigen und erspricsslichen Dienstleistung von der Funktion
eines Mitgliedes des Kreistucdieiual-Aussehusses von Niederbayern
enthoben und zu derselben der Bezirksarzt Dr. Joseph Spaotli
in Landshut berufen.
Abschied bewilligt: dem Stabsarzt Dr. Schuster fi la suite
des Saultütscorps mit der gesetzlichen l'ensiou und der Erlaubnis
zum Forttragen der Filiform mit den für Verabschiedete vor¬
geschriebenen Abzeichen; von der Landwehr 1. Aufgebots dem
Oberarzt Dr. Christian v. Reit z (Passau) und dem Stabsarzt
Dr. Karl Schirmer (Kissingen), Beiden mit der Erlaubuiss zuui
Tragen der Uniform mit den für Verabschiedete vorgeschriebeneu
Abzeichen; von der Landwehr 2. Aufgebots dem Stabsarzt Dr. Ger¬
hard Buss (Aschaffenburg), den Oberärzten Dr. Eugen Miller
(Augsburg) und Dr. August Klesser (Aschaffenburg).
Erledigt: die Bezirksarztstelle I. Klasse in Wegscheid. Be¬
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmiissig belegten Gesuche
bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung, Kammer des Innern, bis
zum 27. Dezember 1. Js. einzureichen.
Verzogen: Dr. Felix Neu mann von Abenberg nach Mühl¬
hof, Bezirksamt Scliwabnch.
Oestorben: Dr. Carl Pirazzi in Schlüsselfeld. Bezirksamt
Höchstadt a. A.
Befördert: zu Stabsäraten die Oberärzte Dr. Joseph Hauck
(Rosenheim), Dr. Gustav Fischer und Dr. Hugo W o 1 f f (Hof)
von der Reserve; die Oberärzte Dr. Siegfried Mankiewitz
(Hof). Dr. Wilhelm Krem er (Zweibrücken) und Dr. Ludwig
Schaumberg (Landau) von der Landwehr 1. Aufgebots; zu
Assistenzärzten in der Reserve die Unterärzte Ludolf Engelke
(I. München), Friedrich Hundhausen (Wasserburg), Dr. Adolf
II o t z und Heinrich M ayer (I. München), Johann Tappeser
(Würzburg), Otto Thaler und Hans Knoll (I. München».
Gustav Wollner (Nürnberg), Otto Sauer (Ludwigshafen),
llans Reitz (Straubing), Dr. Maximilian Klar (I. München).
Dr. Otto Michael (Hof), Dr. Karl Mattig und Dr. Wilhelm
Rüper (Würzburg); ln der Landwehr 1. Aufgebots die Unterärzte
Karl Freiherr Lochner von Hüttenbach genannt
Heusslein von Eussenheim und Gustav V a 11 e r
(I. München).
Verlag von J. F. Lebmaup. iu Muuchcu. — Oruek von E. MuliUliuler - * ßucli- uu 1 Uuiisitlnickerol A.O., München.
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»., Aiuucuen.
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DIo ilflnoh. Mod. Wochenschr. erscheint wflchenü. H IT T*Y'\T/’'1 I I IjIXT I il I > Zusendungen «lnd in adreadren: Für dl« BedMtlon
in Nummern von durchschnittlich 6-6 Bogen. VI I \l , I - I H, \ li, rf, Ottoainaae t. — Für Abonnement an J. F. Leh-
Prcls ln Deutschi, u Oest.-Dnirarn Vierteljahr!. 6 JC, XrJ. vy -±- ’ ** mann, Heustrasse 20. — Für Inserat« und Beilagen
Ins Ausland 7.60 JL Einzelne No. 8) •}. an Rudolf Mosse, Promenadeplats 16.
MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Heraasgegeben von
Cb. Bhiler, 0. Belllnier, H. CerschiMB, C. Bwlirdt, 6. Merkel, J. i. Nickel, H. v. Riebe, F. i. Wleckel, H. i. Zleessei,
Fretburg L B. Mönchen Leipzig. Berlin. Nftmberg. Berlin. München. Münohm. München.
No. 52. 24. Dezember 1901.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus dem pathologisch-anatomischen Institut zu Dresden
(Medicinalrath Dr. S c h m o r 1).
Moderne Immunitätslehre
mit besonderer Berücksichtigung der für den praktischen
Arzt wichtigen Immunisirungen.*)
Von Dr. Weichardt, Assistenten am Institut.
Die Aufgabe, welche ich mir gestellt habe, die moderne
Immunitätslehre einfach, klar und leicht verständlich zu be¬
handeln ist keine leichte; denn die Entwicklung dieses neuesten
Zweiges unserer Wissenschaft ist gerade in der allerjüngsten
Zeit eine so rapide, ich möchte fast sagen sich überstürzende
geworden, dass es selbst dem Fachmanne nicht immer leicht wird,
über alle auf ihn einstürmenden Fragen volle Klarheit zu er¬
langen.
Um Sie sofort in medias res zu versetzen, erlauben Sie,
dass ich Ihnen eine der augenfälligsten Antitoxinreaktionen vor
Augen führe. Sie sehen dort ein Reagensröhrchen mit frischem
Blute, dem ich etwas Toxin der Ricinuspflanze zugefügt habe.
Sie sehen die schädigende Wirkung des Ricins auf das Blut:
Die rothen Blutscheiben sind agglutinirt und grösstentheils zer¬
stört, so dass das Haemoglobin in das Serum übergegangen ist
und das Blut lackfarben erscheint.
Im anderen Röhrchen sehen Sie die gleiche Menge Kanin¬
chenblut mit derselben Quantität Ricin und einigen Tropfen
Serum eines Kaninchens, das vorher mit wieder¬
holten Einspritzungen von Ricin behandelt worden
ist. Dieses Röhrchen zeigt im Gegensatz zum ersten Röhrchen
kein lackfarbenes Blut. Das Haemoglobin ist vielmehr in den
rothen Blutkörperchen geblieben. Warum?
In den wenigen Tropfen Serum des mit Ricin vorbehandelten
Kaninchens muss ein Stoff sein, ein Antitoxin, das die blut¬
lösende Toxinwirkung des Ricins aufhebt.
Genau dasselbe, was ich Ihnen hier mittels des Ricinanti-
toxins demonstrirt habe, dass nämlich ein Toxin durch ein im
Thierkörper gebildetes, ganz specifisches Antitoxin unschädlich
gemacht werden kann, genau dasselbe Experiment nimmt be¬
kanntlich ein Jeder vor, der einem Diphtheriekranken Heilserum
injizirt.
Naturgemäss waren der Forschung mannigfache Irrwege
nicht erspart, ehe auf diesem Gebiete einige Klarheit geschaffen
werden konnte.
So stellte sich Pasteur vor, dass die Mikroorganismen
bei ihrem Wachsthum im Körper die ihnen nothwendigen Nähr¬
stoffe verbrauchen, so dass dann die Krankheitserreger aus
Mangel an Nährstoffen im Organismus nicht weiter zu wuchern
vermögen. Andere Autoren glaubten, dass die beim Wachsthum
der Mikroorganismen sich anhäufenden Stoffwechselprodukte das
weitere Wuchern der Krankheitserreger im Körper verhinderten.
Flügge und seine Schüler stellten dagegen durch exakte
Untersuchungen fest, dass keine dieser Hypothesen zutreffend ist.
Auch die Annahme einer direkten Umwandlung der Toxine
in Antitoxine im Körper erwies sich als unhaltbar.
*) Vortrag, gehalten am 19. Oktolier 1901 in der Gesellschaft
für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
No. 52.
Erst mittels der E h r 1 i c h’schen Seitenkettentheorie scheint
es möglich, die komplizirten Vorgänge der künstlichen Immuni¬
tät in befriedigender Weise zu erklären.
Gestatten Sie daher, dass ich Ihre Aufmerksamkeit auf
diese hochgeistvolle Theorie E h r 1 i c h’s lenke, die sich in vielen
Fällen sogar von heuristischem Werthe gezeigt hat.
Schon W e i g e r t wies von seinem pathologisch-anatomi¬
schen Standpunkte aus darauf hin, dass der Organismus eine
Schädigung mittleren Grades irgend eines seiner Bestandtheile
nicht nur compensirt, sondern in der Regel übercom-
p e n s i r t. Am deutlichsten kommt dieses Verhältniss zur Gel¬
tung bei der reichlichen Callusbildung nach Knochenfrakturen.
Genau wie der geschädigte Knochen, überproducirt auch
die durch Toxin geschädigte Zelle.
Wie findet diese Schädigung der Zellen durch Toxine statt?
Eine Giftwirkung auf die Zelle ist selbstverständlich nur
dann möglich, wenn ein bestimmtes Toxin überhaupt am Zell¬
protoplasma einen Angriffspunkt finden kann. Auf dem voll¬
kommenen Fehlen aller Angriffspunkte am Zellprotoplasma be¬
ruht die Immunität gewisser Thierspecies gegen einige Toxine.
So z. B. die Immunität des Hundes gegenüber dem Botulis¬
mustoxin, dem Gift, welches bekanntlich von einem wohlcharak-
terisirten Bacillus in verdorbenen Würsten producirt wird.
So findet auch das Toxin des Tetanusbacillus nur Angriffs¬
punkte an gewissen Zellen des Nervensystems. Diese Angriffs¬
punkte, diese Atomgruppen des Zellprotoplasmas, welche ein be¬
stimmtes Toxin an sich fesseln, verankern, nennt Ehrlich
Receptoren.
Werden diese Receptoren von Toxinen verankert, so be¬
deutet das eine Schädigung im Zellleben.
Nach dem schon erwähnten biologischen Gesetze der Ueber-
kompensation werden die Receptoren von den geschädigten Zellen
ersetzt — nicht nur einfach, sondern mehrfach. Der Ueberschuss
der zu reichlich gebildeten Receptoren gelangt in’s Blut. Je
mehr von diesen Receptorengruppen in das Blut gelangen, um¬
somehr Antitoxineinheiten besitzt das Blutserum des betreffenden
Individuums, um so hochwerthiger ist das Heilserum.
Sind einem Pferde starke Diphtherietoxine, gewonnen aus
hochvirulenten Diphtheriestämmen, wiederholt injicirt worden,
so enthält das Blutserum des betreffenden Thieres reichlich Diph¬
therieantitoxin. Injizirt man einem Diphtheriekranken früh¬
zeitig genügende Mengen dieses Heilserums, so werden nur die
Toxine der Diphtheriebacillen gebunden, somit für die Körper¬
zellen unschädlich, nicht etwa die Bacillen selbst vernichtet, wie
fälschlich hie und da angenommen wird. Vermehren sich doch
diese im reinen Diphtherieheilserum sogar!
Freilich verlieren die Diphtheriebacillen, so lange sich ge¬
nügende Mengen dieser Antitoxine vorfinden, ihre deletäre Be¬
deutung für den Körper und werden ebenso harmlos wie Sapro-
phvten.
Anders liegen die Verhältnisse in solchen vorgeschrittenen
Fällen, in denen die Toxine bereits eine mehr oder weniger feste
Bindung mit den Receptoren des Zellprotoplasmas im er¬
krankten Körper eingegangen sind.
Es ist unschwer einzusehen, dass in derartigen verschleppten
Fällen nur ganz ausserordentlich grosse Doseja hochwerthigen
Serums bisweilen noch im Stande sind, die Toxino ihren festen
Verankerungen mit dom Zellprotoplasma zu entreissen.
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2096
MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
Zu prophylaktischen Injektionen sind natürlich nur kleine
Dosen des Heilserums erforderlich, da die Toxine etwa sich ein¬
nistender Diphtheriebacillen sofort unschädlich gemacht werden,
ehe sie der Kreislauf zu den lebenswichtigen Körperzellen führt.
Gleich Vorzügliches leistet das prophylaktisch in-
jizirte Tetanusantitoxin. Dagegen lassen die thera¬
peutischen Erfolge des Tetanusserums, wie bekannt, noch recht
viel zu wünschen übrig. Denn die Toxine des Tetanusbacillus
finden, wie R a n s o m am B e h r i n g’sehen Institute nach¬
gewiesen hat, nur in bestimmten Zellen des Centralnervensystems
geeignete Receptoren, sie concentriren gleichsam ihre deletäre
Wirkung auf dieses lebenswichtigste der Organe, während sie
die anderen Körperzellen gänzlich intakt lassen. R a n s o m
konnte nämlich bei an Tetanusintoxikation verendeten Thieren
das Tetanusgift in allen Organen nachweisen, mit Ausnahme des
Nervensystems. Dort war das Toxin an die Zellen fest ver¬
ankert. Roux und W assermann injizirten ein mit Gehirn¬
masse verriebenes Tetanustoxin einem Thiere und beobachteten
toxische Wirkung nicht mehr. Es waren also hier die Toxine des
Tetanusbacillus von den Receptorengruppen der mitinjizirten
Himmasse schnell verankert und unschädlich gemacht worden.
Die gesammte Giftmenge der Tetanusbacillen concentrirt dem¬
nach, wie schon erwähnt, ihre deletäre Wirkung auf eine be¬
schränkte Anzahl überaus lebenswichtiger Zellen. Dazu kommt
noch, dass das Tetanustoxin, wie experimentell von Doenitz
nachgewiesen ist, sehr viel schneller als das Diphtherietoxin an
die entsprechenden Receptoren der Ganglienzellen verankert wird.
Fand doch Doenitz, dass eine Stunde nach der Einverleibung
des Tetanusgiftes, um das infizirte Thier zu retten, 24 mal so viel
Tetanusheilserum nöthig war, als wenn Heilserum sofort mit dem
Tetanusgifte zusammen eingespritzt wurde.
Doch muss ich nunmehr wieder auf die E h r 1 i c h’sche
Seitenkettentheorie zurückkommen.
Wie schon öfter erwähnt, nimmt Ehrlich im Zellprotoplasma
besondere, die Toxine verankernde Atomgruppen — die Recep¬
toren — an. Ferner unterscheidet er an den Toxinen eine hapto-
phore und eine toxophore Atomgruppe.
Die haptophore Gruppe hat die Fähigkeit das Toxin an die
auf sie abgestimmte Receptorengruppe des Zellprotoplasmas zu
fesseln.
Der toxophoren Gruppe kommt die Giftwirkung des be¬
treffenden Toxins zu.
Die toxophore Gruppe des Toxins ist im Gegensatz zur hapto-
phoren wenig haltbar, wird durch Wärme und mit der Zeit zer¬
stört. Das Toxin wird dann in eine ungiftige Modifikation, in
das Toxoid umgewandelt. In diesem ist die haptophore Gruppe
dieselbe wie im Toxin geblieben.
Da nun, wie wir soeben gesehen haben, die resistentere hapto¬
phore Gruppe der Toxine auf die Receptoren des Zellprotoplasmas
einwirkt, so ist nur sie es, die haptophore Gruppe, welche eine
Vermehrung und Abstossung der Receptoren anregt.
Es ist demnach, da die durch Wärme veränderten Toxine, die
ungiftigen Toxoide, diese haptophore Gruppe unverändert bei¬
behalten, die Möglichkeit gegeben, durch wiederholte Einführung
ungiftiger Toxoide Immunkörper gegen die Toxine herzustellen.
Dieser Umstand ist für die Immunserumgewinnung von
ausserordentlicher Wichtigkeit geworden.
Uebrigens ist auch der menschliche Magen und Darmtraktus
im Stande Toxine in ungiftige Toxoide umzuwandeln. Diese
bequeme und unschädliche Methode, im Körper Immunstoffe zu
erzeugen, dürfte in Zukunft werthvoll werden.
Bei seinen Studien über die Werthbestimmung des Diph¬
therieheilserums konnte sich Ehrlich auf das Genaueste von
verschiedenen Toxinvarietäten in dem einheitlich erscheinenden
Diphtherietoxin überzeugen. Diese Toxinvarietäten haben, wie
erwiesen ist, dieselbe haptophore, aber verschiedene toxophore
Gruppen. So produciren die Diphtheriebacillen häufig neben
dem typischen Toxin das Toxon, auf dessen Rechnung vor allen
die post diphtherischen Lähmungen zu setzen sind.
Um diese Verhältnisse dem Verständnisse näher zu rücken,
sei es mir gestattet, einen von Ehrlich gebrauchten Vergleich
heranzuziehen:
Denken Sie sich, dass einem Gemische von Essigsäure und
Salzsäure allmählich Alkali hinzugesetzt wird. Was geschieht?
Zuerst wird das Alkali die stärkste Säure, die Salzsäure, binden.
Genau dasselbe geschieht, wenn durch Antitoxin das nicht
einheitliehe Diphtherietoxin gesättigt wird. Zunächst ver¬
ankert sieh das typische Toxin, dann erst das Toxon.
Wie wir gesehen haben sind die Antitoxine eines Ser ums
nichts weiter, als die in das Blut abgestossenen Receptoren¬
gruppen.
Metschnikoff und seine Schule bewiesen durch zahl¬
reiche, mit vielem Scharfsinn durchgeführte Arbeiten, direkt,
dass die Immunkörperbildung in den Leukocyten vor sich geht.
In Deutschland neigen die Führenden mehr der Ansicht zu,
dass die Leukocyten recht wohl als Immunkörper bildende Zellen
anzusehen sind, dass aber auch andere Organzellen bei der
Immunkörperbildung eine Rolle spielen.
J edenfalls produziren, wie die Versuche von Pfeiffer und
W assermann lehren, die verschiedenen Organe zeitlich
und quantitativ in sehr verschiedener Weise Immunkörper: Die
letztgenannten beiden Gelehrten konnten mittels direkter
Titrirung der Antitoxine zeigen, dass bei Typhus und Cholera
die Immunkörper in den blutbildenden Organen pro-
duzirt werden. Bei der Pneumonie erscheinen die Immunkörper
in grösserer Menge zuerst im Knochenmark. Auffallender Weise
kann man, wie W assermann hervorhebt, in Uebereinstim-
mung mit diesem Befunde, vor der Krise bei Pneumonie ver¬
mehrte Knochenmarkelemente im Blute nachweisen. Das
Knochenmark also ist wahrscheinlich in allererster Linie für den
Eintritt der Krisis bei Pneumonie ausschlaggebend.
Auf zwei wichtige Punkte in der Wirkungsweise der Anti¬
toxine möchte ich hier noch besonders eingehen:
Alte Theorien über ihre giftzerstörenden oder ausbalanciren-
den Eigenschaften mussten fallen, als es Ehrlich gelang,
direkt nachzuweisen, dass die Toxinwirkung durch das Antitoxin
auch ausserhalb des Organismus, im Reagensglase, aufgehoben
wird, und dass dieser Vorgang ein rein chemischer ist.
Dieser chemische Vorgang wird in der Wärme beschleunigt,
in der Kälte verzögert. In concentrirten Lösungen erfolgt er
schneller als in verdünnten.
Der zweite wichtige Fortschritt, welcher aus den Ehrlich’-
schen Arbeiten über die Werthbestimmung des Diphtherieheil¬
serums resultirt, war die Erkenntniss, dass die Toxine und Anti¬
toxine dem Gesetze der Multipla unterworfen sind, d. h. Toxine
und Antitoxine binden sich in dem Verhältnisse einer reinen
Aequivalenz: wenn nämlich eine bestimmte Menge Toxin vou
einer bestimmten Menge antitoxinhaltigen Serums gebunden
wird, so wird die 5 fache, ja die 100 fache Menge Toxin auch von
der 5 resp. genau 100 fachen Menge Heilserum unschädlich ge¬
macht. Auf diesem Gesetze beruht die leichte und sichere An¬
wendbarkeit der antitoxischen Sera, ihre praktische Bedeutung.
Leider ist man, wie wir sehen werden, bei den baktericiden
Immunseris nicht in gleich günstiger Lage. Hier liegen die
Verhältnisse viel komplizirter.
Um dies gründlich erörtern zu können, bedarf es allerdings
einiger weiteren theoretischen Ausführungen. Die Basis der
Forschung in dieser Richtung bildet der sogen. P f e i f f e Fache
Versuch:
Sie sehen unter dem einen dort aufgestellten Mikroskope im
hängenden Tropfen die Bacillen einer virulenten Typhuskultur
in vollständig intaktem Zustande lebhaft beweglich das Gesichts¬
feld durcheilen. Unter dem anderen Mikroskope sehen Sie
Typhusbacillen der gleichen Kultur zumeist in glänzende Kügel¬
chen zerfallen. Die Beweglichkeit der noch als Bacillen zu er¬
kennenden ist erloschen — sie liegen zusammengeballt, todt im
Gesichtsfelde.
Dieses zweite Präparat ist auf folgende Weise gewonnen:
Ein Kaninchen wurde wiederholt mit Injektionen kleiner,
nicht tödtlicher Dosen von Typhusbacillen vorbehandelt. Die
vor etwa einer Stunde diesem Kaninchen in die Peritonealhöhle
injizirten Typhusbacillen wurden einige Zeit nach der Injektion
mittels Isäeff’scher Kapillare der Bauchhöhle wieder ent¬
nommen und unter das Mikroskop gebracht.
Es hatte sich bei dem so behandelten Kaninchen ein Immun¬
serum gegen Typhusbacillen gebildet. Dasselbe wirkt aber nicht,
wie das Diphtherieheilserum, gegen die Produkte der
Bacillen, sondern gegen die Bacillen selbst. Wie
kommt das?
Erst die allerjüngsten Forschungen B o r d e t’s und Ehr-
1 i c h’s über die Haemolysine haben vermocht, hierüber einige
Aufklärung zu geben: Injizirt man einem Meerschweinchen
wiederholt Kaninchenblut, so treten in dem Blute des Meer¬
schweinchens Stoffe auf, welche die rothen Blutkörperchen des
Kaninchens auflösen.
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24. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2097
Ich habe in einem der Mikroskope ein solches haemolysirtes
Blut aufgestellt. Sie sehen, wie die rothen Blutkörperchen zer¬
stört sind, ihr Haemoglobin in das Serum ausgetreten ist.
Diese sich bildenden Haemolysine sind streng spezifische,
d. h. sie wirken nur auf die rothen Blutkörperchen, auf keine
andere Zellart des Körpers ein, und zwar nur auf die rothen
Blutscheiben derjenigen Species, durch deren Blut sie erzeugt
worden sind.
Bald nach der Entdeckung der Haemolysine zeigte es sich,
dass der thierische Organismus auch nach Injektion anderer
Zellelemente in ähnlicher Weise reagirt wie nach Injektion von
rothen Blutkörperchen. Es bilden sich auch hier spezifische
Immunkörper, die sogen. Cytotoxine; denen übrigens auch das
Haemolysin zuzurechnen ist.
So bildet z. B., wie Metschnikoff zeigte, der thierische
Organismus nach Injektion von Spermatozoen Spermatoxin,
welches die Bewegungen der Spermatozoen momentan zum Still¬
stand bringt. — Unter Mikroskop 5 und 6 sehen Sie die Wirkung
des Spermatoxins.
Ferner gelang es v. Düngern durch Injektion von
Flimmerepithel aus den oberen Luftwegen des Ochsen bei Ka¬
ninchen ein Cytotoxin zu erzeugen, das die Flimmerbewegung
dieser Cylinderzellen sofort aufhebt. Bald folgte die Entdeckung
des Nephrotoxins, das die Parenchymzellen der Niere zerstört
und bei den Versuchstieren parenchymatöse Nephritis hervor¬
ruft. Sodann wurde durch Injektion von Nervensubstanz Neuro¬
toxin erzeugt, das eine schwere Schädigung des Nervensystems
hervorruft.
Durch Injektion von Kaninchenlymphdrüsen erhält man
Leukotoxin, welches die weissen Blutkörperchen auflöst. Das
Leukotoxin ist der Ausgangspunkt einer grossen Reihe von
Forschungen der M e t s c h n i k o f f’schen Schule geworden,
denn es zeigte sich, dass der Organismus, genau nach dem oben
schon erwähnten, von Weigert zuerst formulirten Gesetze der
Ueberkompensation massiger Schädigungen, auf die Injektion
geringer Dosen von Leukotoxin mit einer enormen Ueberproduk-
tion von Leukocyten antwortet. Da nun die Leukocyten ganz
entschieden als die Hauptproduzenten der Immunkörper und
als eine vorzügliche Waffe des Körpers gegen Mikroorganismen
anzusehen sind, so lag es nahe, durch Anhäufung von Leuko¬
cyten einen günstigen Einfluss auf infektiöse Prozesse zu
erlangen. In der That glückte es, mittels einer vorsichtig ge¬
leiteten Leukotoxintherapie lepröse Prozesse zum Schwinden zu
bringen.
Auch gegen eine ganze Reihe von Eiweissarten, die Nähr¬
stoffe des Organismus sind, konnten spezifische Antikörper er¬
zeugt werden. So gelang es unter anderem Bordet, mittels
solcher Antikörper auf die verschiedenen Eiweissarten der Milch
in spezifischer Weise einzuwirken, sie zu koaguliren.
So entstehen nach Injektion von Kuhmilch Laktosera, welche
nur die Eiweisse der Kuhmilch ausfällen, die der Frauenmilch
aber intakt lassen. Spritzt man umgekehrt Frauenmilch einem
Thiere ein, so entstehen bei diesem Laktosera, die nur die Ei¬
weisse der Frauenmilch, nicht die der Kuhmilch ausfällen. Ein
Thier, dem man ei weisshaltigen Harn oder Exsudate injizirt,
liefert ein Serum, das wiederum in eiweisshaltigem Harne
Fällungen erzeugt und zwar ist der Nachweiss des Eiweisses
im Harne mittels dieser Methode ein sehr feiner.
Es hat also der thierische Organismus die
Fähigkeit, in gleich er Weise gegen Zellen, wie
gegen Zellprodukte spezifische Antikörper zu
erzeugen.
Gegen bestimmte chemisch definirbare Toxine, wie z. B.
die Alkaloide, vermag der Körper dagegen keine Anti¬
toxine zu bilden: Durch neuere Arbeiten im Schmiedeberg-
schen Laboratorium wurde exakt nachgewiesen, dass ein Mensch
nicht etwa, wie man zunächst wohl anzunehmen geneigt wäre, in
seinem Körper ein Anti morphin bildet, das ihn in den Stand
setzen würde, selbst das Vielfache der letalen Morphiumdosis
nun zu ertragen.
Der Körper des Morphinisten entledigt sich vielmehr der
enormen eingeführten Dosen Morphiums dadurch, dass er die
Fähigkeit erworben hat, das Morphin viel schneller und viel
vollständiger, als der Körper des normalen Individuums, zu ex-
pediren.
Dieser Unterschied zwischen chemisch definir-
baren und von der lebenden Zelle direkt pro-
duzirten hochkomplizirten Giften oder Nähr¬
stoffen in ihrer Einwirkung auf den lebenden Organismus
ist ein ganz scharfer und grundlegender. Ich hebe
das hier besonders hervor, da ich aus einem Vortrage am vorigen
Sonnabend die Anschauung herauszuhören glaubte, als ob die
Wirkung der von Mikroorganismen produzirten Toxine
und die der Alkaloide eine analoge sei.
Aus der Entdeckung, dass der Organismus gegen Zellen
und Zellprodukte spezifische Antikörper zu bilden vermag, re-
sultirte das in jüngster Zeit besonders von Uhlenhut und
Wassermann für die forensische Praxis ausgearbeitete Ver¬
fahren, bei alten Blutflecken an Kleidungsstücken oder Ge¬
brauchsgegenständen nachweisen zu können, von welcher Thier-
species sie herrühren, oder ob man es mit Menschenblutflecken
zu thun hat.
Ich habe Ihnen die Präparate von einem solchen Versuche
aufgestellt: Es wurde das Serum eines Kaninchens durch wieder¬
holte Injektion von Menschenblut gegen das letztere stark haemo-
lytisch gemacht. In dem einen Röhrchen sehen Sie die Ein¬
wirkung der in diesem Kaninchenserum enthaltenen Haemolysine
auf alte filtrirte Menschenblutlösung. „Sie sehen einen deut¬
lichen wolkigen Niederschlag.“ In dem anderen Röhrchen sehen
Sie die gleiche Menge Serum des mit Menschenblut vorbehan¬
delten Kaninchens altem Meerschweinchenblute zugesetzt. Die
Lösung ist ganz klar geblieben. Ebenso bleibt die Lösung
klar, wenn man statt des Meerschweinchenblutes die fil-
trirten Lösungen von Blut irgend einer anderen Thierspezies hin¬
zufügt, mit alleiniger Ausnahme des Affenblutes. Hier zeigt
sich ebenfalls eine deutliche Trübung, wenn man Serum eines
mit Menschenblut vorbehandelten Kaninchens zusetzt. Dieses
Resultat ist in phylogenetischer Hinsicht natürlich äusserst
interessant.
An dieser Stelle sei es mir gestattet, eines für die Ophthal¬
mologie wichtigen Antikörpers zu gedenken, des Antiabrins,
welches neuerdings von Römer für die ophthalmologische
Praxis empfohlen wurde und das durch Injektion eines Thieres
mit Abrin gewonnen wird. Durch Antiabrin gelingt es nunmehr,
das zu gefährliche Abrin bei Behandlung von Hornhauttrübungen
im gegebenen Momente so abzuschwächen, dass einer rationellen
Abrintherapie zur Beseitigung von Hornhauttrübungen nichts
mehr im Wege stehen dürfte.
Kehren wir jetzt zurück zu den baktericiden Immunseris.
Die Gifte bei Cholera und Typhus und bei anderen Infektions¬
krankheiten werden, ganz im Gegensatz zu den Giften der
Diphtheriebacillen, in den Bakterienleibern fest¬
gehalten. — Injiziren wir, um Immunserum zu erzeugen,
ein Thier mit den Kulturen dieser Krankheitserreger, z. B.
mit Cholerabacillen, so wird der thierische Organismus zunächst
nicht, wie bei Injektion von Diphtheriekulturen,
Antitoxine bilden, sondern Cytolysine, welche nur
die Bacillen zu vernichten im Stande sind.
Wollte man ein solches baktericides Serum, z. B. das Cholera¬
serum, einem an Cholera Erkrankten ohne Weiteres injiziren,
so könnte man an Stelle eines kurativen Erfolges das Gegen-
theil erleben. Denn das baktericide Choleraserum würde die
Milliarden von Cholerabacillen im Körper des Kranken zwar
vernichten, deren dann frei werdendes furchtbares Toxin
aber dürfte den Organismus in Kürze zu Grunde richten.
Noch ein anderer Umstand ist bei praktischer Anwendung
der baktericiden Sera äusserst hinderlich: Bei Weitem nicht
immer wirkt ein baktericides Serum schon im Reagensglase ab¬
töd tend. Irii Gegentheil, es kommt leicht vor, dass z. B. Cholera¬
bacillen schon am Tage nach der Entnahme des Choleraimmun¬
serums sich in demselben munter vermehren. Prompt dagegen
tritt die Abtödtung der Cholerabacillen ein, wenn man bakteri¬
cides Immunserum und die betreffenden Bacillen in die Peri¬
tonealhöhle eines Thieres spritzt. Wie ist diese Betheiligung
des thierischen Körpers bei dem Wirken der baktericiden Sera
zu erklären?
Ehrlich zeigte, dass alle Cytotoxine aus zwei Körpern be¬
stehen, aus dem beständigen Zwischenkörper, der substance sen-
sibilisatrice Borde t’s, und dem äusserst labilen Komplement.
Den beständigen Zwischenkörper oder Amboceptor, Fixateur, wie
ihn Metschnikoff nennt, sehen Sie hier aufgezeichnet. Er be-
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2098
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
sitzt 2 haptopliore Gruppen, die eine greift an den Receptor der
Körperzelle an, die andere an das Komplement. Das Komplement
entspricht in seinem chemischen Bau einem Toxin mit hapto-
phorer und toxophorer Gruppe. Der Zwischenkörper wird einzig
und allein bei der Immunisirung eines Thieres gegen Zellen,
bei der Cytotoxinbildung, produzirt. Durch seine Vermittelung
erst wird die toxophore Gruppe des Cytotoxins, das Komplement,
Alexin, wie es Büchner nennt, an die Zelle gekettet, und
kann seine auflösende Wirkung auf dieselbe entfalten. Diese
Komplemente nun haben eine frappante Aehnlichkeit mit den
eiweissverdauenden Fermenten. Sie sind äusserst labile
Körper und werden schon durch relativ niedere Wärmegrade
und schon nach -kurzer Zeit zerstört und in Komplementoide
übergeführt. Die Komplemente kommen in jedem normalen
Körper vor und werden nicht, wie die Zwischenkörper, bei dem
Immunisirungsprozesse vermehrt; sie sind aber, nach der Ehr-
1 i c h’schen Vorstellung, das eigentlich Wirksame am Cytolysin,
der Zwischenkörper spielt nur die Rolle des Bindegliedes, nach
der Borde t’schen Anschauung macht der Zwischenkörper die
Zelle nur geeignet für die Einwirkung der Komplemente. Da
diese letzteren aber in vitro, ausserhalb des Thierkörpers, bald
zu Grunde gehen, so wird Ihnen jetzt verständlich sein, dass in
dem P f e i f f er’schen Versuche die Cholerabacillen nur in der
Peritonealhöhle des Thieres aufgelöst werden, im baktericiden
Serum selbst aber, ausserhalb des Körpers, mag dasselbe noch
so hochwerthig, d. h. reich an Zwischenkörpern sein, unter Um¬
ständen ruhig weiter wuchern können. Doch auch im Thier¬
körper selbst ist ein richtiges Verhältnis von Zwischenkörpern
und Komplementen nöthig, um eine gute baktericide Wirkung
zu erzielen. So fand Sobernheim, dass ein bei Hammeln
erzeugtes Milzbrand-Immunserum, das andere Hammel in vor¬
züglicher Weise gegen Milzbrand schützt, Kaninchen fast gar
nicht zu schützen vermag, einfach desshalb, weil die im Hammel¬
organismus erzeugten Zwischenkörper beim Kaninchen
keine passenden Komplemente finden. Bei der praktischen Im¬
munisirung dös Menschen mit baktericiden Seris muss man sich
also ebenfalls zunächst fragen: Finden denn die bei anderen
Thieren erzeugten Zwischenkörper beim Menschen die auf sie
passenden Komplemente?
W assermann machte diesen Punkt zum Objekt ge¬
nauerer Studien, und es gelang ihm, durch Zufügen ganz be¬
stimmter Komplemente in relativ grossen Quantitäten äusserst
wirkungsvolle baktericide Sera zu erzeugen. Sie sehen also, dass
die Verhältnisse, besonders bei den baktericiden Seris, keines¬
wegs so einfach sind, wie man sich das Anfangs wohl dachte.
Bei den antitoxischen Seris sahen wir die Bindung von
Toxin und Antitoxin im Verhältnisse einer reinen Aequivalenz
vor sich gehen. Wir hatten einen einfachen, leicht zu regieren¬
den chemischen Process vor uns. Die Wirkung der bakteri¬
ciden Sera ist, wie wir gesehen haben, von einer grossen Reihe
oft sehr variabler und schwer zu überblickender Faktoren ab¬
hängig. Dem Gesetze der Multipla, das die leichte Dosirbarkeit
und sichere Anwendbarkeit der antitoxischen Sera in der
Praxis bedingt, können die baktericiden Sera also nicht unter¬
worfen sein.
Trotzdem sind auch hier in der letzten Zeit sehr beachtens¬
werte Fortschritte für die Praxis gemacht worden. Ich möchte
nur an die H a f f k i n’sche Pestimpfung in Indien und an die
erfolgreiche Bekämpfung des Schweinerothlaufes erinnern. Be¬
sonders wichtig war es, dass man lernte, die sogen, aktive und
passive Immunisirung zu kombiniren.
Bekanntlich ist ein Körper, dem von einem anderen Indi¬
viduum stammende Antitoxine oder Immunkörper beigebracht
worden sind, passiv immun. Diese Art von Immunität tritt
zwar sofort nach der Injektion ein, schwindet aber relativ bald
wieder, da die dem Organismus fremden Bestandteile in kurzer
Zeit ausgeschieden werden. Die aktive Immunität wird durch
die Thätigkeit des Organismus selbst erworben. Es dauert' na¬
türlich ungleich länger, ehe die aktive Immunität eintritt, aber
dafür bleibt sie, einmal erworben, zumeist sehr lange bestehen.
Es lag nahe, beide Immunisirungsmethoden zu kombiniren,
indem man die Individuen aktiv durch Injektionen von Kulturen
und zugleich passiv durch Einführung von Immunserum immuni-
sirte. Der damit erreichte Vorteil ist ein ganz bedeutender;
denn zunächst wird das so geimpfte Individuum durch das passive
Immunisiren sogleich vor dem Ergriffenwerden der epidemischen
Erkrankung geschützt. Zugleich verläuft aber auch die mit den
Kulturen ausgeführte aktive Immunisirung in Folge dieses
Schutzes sehr vfbl milder. Es resultirt dann ein überaus kräf¬
tiger und dauernder Impfschutz.
Bei dieser Gelegenheit will ich nicht verfehlen, die Tuber¬
kulinfrage kurz zu beleuchten. Erinnern Sie sich an das histo¬
logische Bild eines Tuberkels: Vom verkästen Centrum nach
dem normalen Gewebe hin zeigt sich eine mehr oder weniger
ausgesprochene Schädigung der Zellelemente durch die Tuberkel¬
bacillen und die durch ihre Anwesenheit gebildeten, schädlichen
Stoffe. Diese Schädigung ist bereits in ihren ersten Anfängen
schon eine so starke, dass z. B. den Bindegewebszellen ihre Fähig¬
keit, Bindegewebe zu bilden, zumeist fast vollständig genommen
wird. Wie wir nun oben sahen, ist die E h r 1 i c h’sche Theorie
auf der Thatsache aufgebaut, dass jeder Bestandteil des Orga¬
nismus auf niässige Schädigungen durch starke, reparatorische
Vorgänge so reagirt, dass eine mehr oder weniger starke Ueber-
produktion der geschädigten Elemente stattfindet. Ueber-
schreitet indessen die Schädigung der Zellelemente ein gewisses
Maass, so vermag der Organismus die geschädigten Bestandteile
nicht mehr zu ersetzen, die Zelle geht zu Grunde. Die Schädigung
der Zellelemente in der Umgebung eines tuberkulösen Herdes
ist nun, wie wir das ja direkt mikroskopisch sehen
können, in den meisten Fällen schon eine sehr starke. Durch
die Tuberkulininjektion kommt noch eine neue Schädigung
hinzu. Die notwendige Folge ist, dass in vielen Fällen, be¬
sonders bei ulcerösen Phthisen, der Gewebszerfall gefördert wird.
Freilich werden bei anderen, mehr latenten Processen, die Zellen
des Bindegewebes, das den tuberkulösen Herd umgibt, durch das
Tuberkulin entschieden zu produktiver Thätigkeit angeregt und
eine Heilung des Processcs wird dadurch gefördert. Aber wer
vermöchte in vivo die histologischen Verhältnisse in der Um¬
gebung tuberkulöser Herde so genau festzustellen, dass er die
richtige Dosis des Tuberkulins darnach ermessen könnte?
Wie wir bereits gesehen haben, producirt der tierische
Organismus, z. B. der Körper des Meerschweinchens, wenn man
ihm rothe Blutkörperchen des Kaninchens injizirt, ein
Haemolysin. Dasselbe löst bekanntlich nur die roten Blut¬
körperchen des Kaninchens, keine andere Zellart.
Die Anwesenheit von Haemolysinen ist, wie Bier jüngst
nachgewiesen hat, der Grund der ungünstigen Wirkung von
Lammbluttransfusionen auf den menschlichen Organismus. Die
erste Injektion wird immerhin leidlich ertragen, finden doch die
rothen Blutkörperchen des Lammblutes im menschlichen Orga¬
nismus auf sie einwirkende Haemolysine nur in mässiger Menge
vor. Ganz anders sind die Verhältnisse bei wiederholten Injek¬
tionen. Denn je mehr Lammblutkörperchen in den Organismus
des Menschen gelangen, um so mehr müssen sich specifische, nur
auf die Lammblutkörper wirkende Haemolysine bilden. Daher
wird die Toleranz des menschlichen Organismus gegen wieder¬
holte Lammblutinfusionen nothwendig von Mal zu Mal sehr viel
geringer. Denn mit jeder erneuten Transfusion vom Lamm¬
blutkörperchen wird eine sehr viel grössere Anzahl derselben
rasch haemolysirt und der Organismus mit den in den Blut¬
körperchen enthaltenen äusserst giftigen Substanzen über¬
schwemmt werden. Die Wirkung dieser giftigen Substanzen
kann eine so starke sein, dass eine augenblickliche Gerinnung
des fliessenden Blutes in allen Körpergefässen stattfindet. So
hatten wir im Verlaufe von Versuchen, die augenblicklich am
hiesigen pathologischen Institute im Gange sind, das Serum
eines Kaninchens Meerschweinchenblut gegenüber stark haemo-
lytisch gemacht. Wurde mit dem Serum dieses Kaninchens
Meerschweinchenblut in vitro haemolysirt und einem anderen
Thiere injizirt, so trat dessen Tod blitzartig, in wenigen Se¬
kunden, ein. Bei der Sektion zeigten sich alle grossen Gefässe
und die Herzka mm ern mit Thromben vollständig erfüllt. Das
Herz arbeitete noch krampfhaft, war jedoch nicht im Stande,
das plötzlich erstarrte Blut weiter zu befördern.
Eine frappante Aehnlichkeit mit diesen bei der Haemolyse
frei werdenden Giften zeigen die Schlangengifte. Wie Unter¬
suchungen von Birch-Hirschfeld zeigten» findet auch in
den Gefässen eines von einer Kreuzotter gebissenen kleineren
Thieres eine plötzliche Gerinnung des fliessenden Blutes im
lebenden Organismus, eine sogen. Fermentthrombenbildung, statt.
Nach dieser kurzen Abschweifung sehe ich mich genöthigt,
wieder auf bereits mehrfach Erwähntes zurück zu greifen, um
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24. Eezember lööl.
MüENCHENER MEDICINISCHE WOCSENSCäRIFT.
das Allerneueste auf unserem Gebiete, das nach meiner Anschau¬
ung das grösste Interesse beanspruchen darf und für die Zu- ,
kunft von enormer Bedeutung werden wird, Ihrem Verständ¬
nisse näher zu bringen.
Wie wir gesehen haben, bilden sich analog dem eben be¬
sprochenen Hacmolysin andere, ähnliche Stoffe, wenn man an
Stelle rother Blutkörperchen andere Zellarten injizirt. Mau
fasst alle diese Zellgifte nach Metsehnikof f unter dem
Namen der Cytolysine zusammen. Genau wie das Hacmolysin
nur gegen die rothen Blutkörperchen wirkt, so wirkt auch jedes
andere Cytolysin ebenso nur gegen diejenige Zellart, durch deren
Einführung es vom Thierkörper hervorgebracht wurde. Was
geschieht nun, wenn man wiederum ein solches Cytolysin
einem anderen Thiere injizirt? Es bilden sich Anti-
cytolysine. Wie Sie sich erinnern wollen, bestehen
die Cytolysine aus Zwischenkörper und Complement. In ähn¬
licher Weise bestehen auch die Anti cytolysine aus Anti-
zwischenkörper und Antikomplement. Das Antikomplement
greift an das Complement an, und der Antizwischenkürper an
den Zwischenkörper. Leider ist es mir nicht möglich, in dem
engen Rahmen eines Vortrages auf die zahlreichen, scharf¬
sinnigen Bindungsversuehe und Synthesen einzugehen, deren
Frucht die erwähnten Anschauungen sind; ich muss mich ledig¬
lich darauf beschränken, Ihnen die Resultate dieser
neuesten Forschungen mitzutheilcn. Wie ich schon Eingangs
erwähnte, mehren sich indess die Beweise für die Richtigkeit
dieser E h r 1 i c h’schen Anschauung fast in jeder Woche.
Ihnen Allen ist natürlich die Gruber-Wida l’sche Re¬
aktion bekannt, die für die Diagnose des Typhus abdominalis
in den letzten Jahren eine gewisse Wichtigkeit erlangt hat.
Es bilden sich, wie Sie wissen, im Blute eines typhuskranken
Menschen Agglutinine, das sind Stoffe, welche die Fähigkeit
besitzen, Typhusbacillen zu Häufchen zusammen zu ballen. Die
Agglutinine sind hitzebeständige Substanzen, welche zu gleicher
Zeit mit den Immunkörpern gebildet werden.
Mir ist es gelungen, in einer Arbeit über Spermatoxine, die
ich unter Metsehnikof f’s Leitung in Paris anfertigte, und
die augenblicklich in den Annales de l’Institut Pasteur erscheint,
nachzuweisen, dass diese Agglutinine sofort aus dem Serum ver¬
schwinden, wenn AntizwisclienkÖrper in demselben auftreten.
Ganz gewaltig musste die Anregung sein, welche die allge¬
meine Pathologie durch die moderne Cytolysinlehre empfing;
vor Allem seitdem es gelang, das Vorkommen von sogen. Iso-
lysincn zu beweisen und das von Autolysinen sehr wahrschein¬
lich zu machen.
Denken Sie sich wiederum, cs sei einem Meerschweinchen
Kaniuchenblut zu wiederholten Malen injizirt. Die Hacmolysin-
bildung erfolgt hier prompt. Ehrlich bezeichnete diese, im
Blute einer anderen S p e c i e s auftretonden Cytolysine mit
dem Namen: Ileterolysine. Injizirt man dagegen mit dem Blute
eines Kaninchens ein zweites Kaninchen, so erfolgt eine Haemo-
lysinbildung bei Weitem nicht so prompt, man muss wenigstens
gewisse Kunstgriffe anwenden, um von Individuen derselben
Species Haemolysine zu erhalten. So musste Ehrlich die
rothen Blutkörperchen gewissermaassen erst schädigen, indem
er dem Kaninchenblute vor der Injektion in den Körper eines
anderen Kaninchens destillirtcs Wasser zusetzte. Ganz unmög¬
lich schien es jedoch Anfangs, in ein und demselben
Thierkörper durch Injektion der eigenen Zellen
gegen diese selbst Cytolysine zu erzeugen. Alle dahin zielenden
Versuche, so zahlreich und variirt sie auch angestellt wurden,
schlugen fehl.
Es wäre das ja auch eine höchst dysteleologische Einrich¬
tung, die zu einer Schädigung der eigenen Körperzellen führen
würde; und doch scheint eine solche Autotoxinbildung vorzu¬
kommen und zwar in pathologischen Fällen. So macht
Michaelis auf einen Krankheitsfall aufmerksam, bei dem
nach einem Tubarabort eine sehr grosse Blutung erfolgt war.
Das Blut sammelte sich nicht, wie so häufig, im D o u g 1 a s’sehen
Raume an, um eine Haematocele retrouterina zu bilden, sondern
es blieb in der freien Bauchhöhle und wurde dort nach sehr
kurzer Zeit fast vollständig resorbirt. In diesem Falle bezieht
Michaelis eine Ausscheidung ganz unveränderten
Blutfarbstoffes im Urin auf eine Autohaemolysinbildung, -zu
der die erwähnten Blutextravasate geführt hatten.
No. 62.
2099
Stellen Sie sich vor, dass bei Lebercirrhose oder parenchyma¬
töser Nephritis ganz im Anfänge des Leidens einige wenige
irgendwie geschädigte Parenchymzellen im eigenen Kör¬
per specifische Cytolysine zu erzeugen vermochten, so war für
diesen Organismus der Anfang zu einem Circulus vitiosus ge¬
geben, dem das Individuum unaufhaltsam erliegen musste; denn
die von den zuerst gebildeten Cytolysinen zum Zerfall gebrachten
Parenchymzellen wurden nun wiederum Anlass zu einer neuen,
grösseren Cytolysinbildung.
Sehr interessant in dieser Beziehung sind die Versuche von
Delezennes mit Isocytotoxinen. Dieser Forscher erzeugte
mit Chromsäure in kleinen Dosen bei Hunden eine Nephritis.
Das Serum dieser Hunde nun, obgleich nicht im geringsten
Grade mehr chromhaltig, erzeugte jetzt, anderen Hunden in¬
jizirt, bei diesen gleichfalls Nephritis. Metschnikoff
unterband einen von den beiden Ureteren eines Kaninchens
und schädigte die eine Niere schwer. Die andere Niere blieb in
der folgenden Zeit vollständig intakt und das Thier gesund; eine
Autocytolysinbildung trat also nicht ein, wohl aber eine Isocyto-
lysinbildung, indem das Serum des Kaninchens einige Zeit nach
der Unterbindung des einen Ureters, anderen Kaninchen injicirt,
jetzt bei diesen eine ausgesprochene parenchymatöse Nephritis
hervorrief. Delezennes erzeugte ferner durch Injektion von
Leberzellen bei einem Thiere ein antihepatisches Serum. Dieses
Serum, einem zweiten Thiere derselben Art injizirt, erzeugte bei
letzterem in der Leber genau das pathologisch-histologische Bild
der akuten gelben Leberatrophie. Metschnikoff injizirtc
ein Meerschweinchen wiederholt mit Meerschweinchenspermato¬
zoen. Es waren Isospermatoxine entstanden, denn die Spermato¬
zoon anderer Meerschweinchen wurden durch das Serum des be¬
handelten Thieres sofort abgetödtet. Die Spermatozoon des be¬
handelten Thieres selbst hingegen blieben in den Hodenkanälchen
vollständig intakt. Nahm man sie jedoch heraus und fügte als
Complement ein wenig Serum eines unbehandelten Meerschwein¬
chens hinzu, so gingen sie sofort zu Grunde.
Es wurde also bei diesem Antitoxin ganz sicher wenigstens
der Zwischenkörper gebildet, das Complement aber wurdo viel¬
leicht durch eine regulatorische Einrichtung in der Wand des
Samenkanälchens zurückgehalten.
Eine zweite regulatorische Einrichtung, die eine etwaige
Auto toxinbildung im Organismus unschädlich macht, ist sicher
die sofortige Bildung von Anti autotoxinen. Fehlt die Anti
autotoxinbildung, oder ist sie mangelhaft, so werden die Auto¬
toxine natürlich ihre schädliche Wirkung entfalten können.
Versuche, die augenblicklich am hiesigen pathologischen Institute
im Gange sind, scheinen dafür zu sprechen, dass bei der Eklamp¬
sie dieser Faktor eine wesentliche Rolle spielt. Ich möchte mir
erlauben, auf diese Versuche noch ganz kurz einzugehen. Durch
S c h m o r l’s Untersuchung über Eklampsie wurde nachgewiesen,
dass sich in den Gefässen Eklamptischer auffallend viel aus der
Placenta stammende Elemente, dio Syncytialzcllen, vorfinden.
Nun haben die Forschungen, selbst namhafter Bakteriologen,
die darauf gerichtet' waren, etwaige Erreger der Eklampsie zu
finden, nie zu einem befriedigenden Resultat geführt. Nicht
mit Unrecht konnte man daher im Sinne der modernen Immuni¬
tätslehre vermuthen, dass auch hier, bei der Eklampsie, die Cyto-
toxine eine Hauptrolle spielen. In der That haben wir bei Ka¬
ninchen, bei denen wir die Antikörper bildende Fähigkeit
des Organismus durch einen Kunstgriff zu umgehen wussten,
durch Injektion von Placentarelementcn Leberveränderungen
erzeugt, die denen bei der menschlichen Eklampsie frappant ähn¬
lich sind. Untersuchungen zu einem ferneren Ausbau und einer
weiteren Bestätigung dieser Befunde sind augenblicklich noch
im Gange.
Wie Sie sehen, ist das hochinteressante Gebiet der modernen
Immunitätslehre bereits so mächtig angeschwollen, dass Dem¬
jenigen, der sich herausnimmt, dasselbe in einem kurzen Vor¬
trage vollständig bewältigen zu wollen, die Wogen über dem
Kopfe zusammenschlagen müssen. Immerhin hoffe ich, den
Nachweis geliefert zu haben, dass jetzt genügend feste Grund¬
lagen gewonnen sind, auf denen sich die Immunitätslehre ge¬
deihlich theoretisch und praktisch weiter entwickeln kann. Sind
wir doch schon jetzt, wie wir gesehen haben, in der Lage, auf
diesem Wege allerhand bestimmte Zellarten gewaltig zu beein¬
flussen.
2
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MtTENCHENER HFDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
Ö1Ö0
Die einen können wir zu mächtiger produktiver
Thütigkeit anregen, andere Zellspecies vermögen wir
mit unseren Toxinen in überraschender Weise zu
vernichten.
Sollte die Zeit fern sein, in der es gelingen wird, auch be¬
stimmte pathologisch wuchernde Zellgruppen zielbewusst zu ver¬
nichten '( Sollte die Zeit fern sein, in der der Kampf gegen
das mit unheimlich sich mehrender Macht die Menschheit heim¬
suchende Careinoin nicht mehr von dom Messer des Chirurgen
allein ausgefoehten werden muss?
Nachtrag bei der Korrektur: Die hochbedeutsamen
Arbeiten von Max drüber in dieser Wochenschrift, sowie die
Veröffentlichung von Robert Koch über die Agglutination der
Tuberkclbacillen, konnten mir zur Zeit dieses Vortrages noch nicht
bekannt sein.
Zur unblutigen Behandlung der'angeborenen Hüft¬
verrenkung.*)
Von Dr. Dreesmann, Oberarzt am St. Vincenz-Kraukenhaus
in Köln.
Da bezüglich der unblutigen Behandlung der angeborenen
Hüftverrenkung noch vielfache Meinungsverschiedenheiten
herrschen und die erzielten Resultate zweifellos noch der Ver¬
besserung bedürftig sind, dürfte jeder Beitrag zur Lösung dieser
Frage willkommen sein. Unzweifelhaft steht wohl heute fest,
dass die von Lorenz angegebene Methode uns die besten, viel¬
fach wirklich ideale Resultate liefert. Trotzdem hat er bei 102
einseitigen Repositionen nur 61 und bei 110 doppelseitigen Re¬
positionen (bei 55 Patienten) nur 47 anatomisch gute Resultate
erzielt. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass bei den anderen
Fällen das funktionelle Resultat gleichwohl sehr gut sein kann,
ja vielleicht noch besser als in den Fällen, wo eine wirklich
dauernde Reposition gelungen ist. Selbstredend müssen wir aber
darnach streben, neben einem funktionell guten Erfolg auch
möglichst völlige Wiederherstellung der normalen anatomischen
Verhältnisse, soweit dies natürlich erwartet werden kann, zu er¬
reichen. Dass auch andere Autoren von diesem Ziel noch ent¬
fernt sind, beweist die Veröffentlichung S c h e d e’s. Er theilt
uns mit, dass er von 268 behandelten luxirten Gelenken nur bei
50 ein völlig befriedigendes Resultat erzielt habe; resp. stehe ein
solches in Aussicht; von diesen 50 waren 14 ohne jeden Verband.
Die Mittheilungen von Wolff, Drehmann, Lüning,
Kölliker, Sherman n, Bradfort, Ghillini, II off a,
Paradies, Ducroquet, Kümmell u. A. zeigen gleich¬
falls, dass die unblutige Behandlung vielfach uns noch nicht
dus gewünschte Resultat liefert.
Daher ist es auch nicht auffallend, dass von den verschieden¬
sten Seiten Modifikationen versucht und empfohlen werden, wo¬
bei allerdings stellenweise direkte Widersprüche vorzuliegen
scheinen. Der Hauptstreitpunkt liegt hierbei meist in der Frage,
ob wir bei der Reposition Aussen- oder Innenrotation machen
müssen und in welcher Primärstellung bezüglich der Rotation
das luxirtc Bein zu fixiren sei. Bedenken wir die Anteversion
des Kopfes, so scheint es von vornherein richtig, dass nur bei
Innenrotation der Kopf der Pfanne gegenüberstehen und also
auch in sie eindringen kann. Aber dies ist nur richtig bei einer ge¬
wissen Stellung des Oberschenkels bezüglich der Abduction.
Es ist zweifellos richtig bei nicht abdueirtem Schenkel. Anders
aber verhält sich die Sache, wenn der Schenkel um 90° abducirt
ist. Stellen wir uns zunächst eine reine Abduction von 90° vor,
die also in der Frontalebene ausgeführt wird, und wobei die Fuss-
spitze stets nach vorn gerichtet bleibt, so bleibt der Kopf gleich¬
falls in Folge der Anteversion nach vorn gerichtet, auch noch
bei horizontal verlaufendem Oberschenkel, d. h. bei Abduction
von 90 °. Fügen wir nun eine Aussenrotation von 99 0 hinzu,
so kommt der Schcnkelkopf nach oben gerichtet zu stehen und
zwar richtet er sich vermittels des in einem stumpfen Winkel
mit dem Schaft verbundenen Schenkelhalses nunmehr fast senk¬
recht gegen die schräg ansteigende Ebene des Os ilei resp. gegen
die Pfannengrube. Würden wir dagegen anstatt dieser Aussen¬
rotation von 90° eine Innenrotation von 90° machen, so würde
der vorher nach vorne stehende Kopf nach unten gerichtet wer-
ih n, der Schenkelhals kommt parallel der Ebene des Os ilei zu
‘i Nach einem Vortrage, gehalten Im Allgemeinen ärztlichen
Ycicin zu Köln.
stehen und der Kopf kann dann nicht gegen dieselbe angedrückt
werden. Diese Verhältnisse sind deutlich auf dem Röntgeu-
bilde kenntlich, welches von einer 4 jährigen Patientin stammt.
Auf der linken Seite haben wir Aussenrotation, auf der rechten
Innenrotation. Es geht hieraus zweifellos hervor,
dass bei einer Abduction von 99° eine Aussen¬
rotation von 99° noth wendig ist, um den Kopf
der Pfanne gegenüber zu bringen und ihm die
Möglichkeit des Eintrittes in sie zu verleihen.
Es ist das also die Stellung des Hüftgelenks, bei der der recht¬
winklig abducirte Oberschenkel und das rechtwinklig gebeugte
Kniegelenk mit Unterschenkel und Fuss in die Frontalebene
fallen.
Zu genau derselben Stellung kann man auch noch auf andere
Weise gelangen, nämlich indem man den Oberschenkel um 90*
flektirt und dann um 90 0 abducirt. Hierbei geschieht gn-
seheinend keine Rotation und Lorenz bezeichnet daher auch
diese Stellung bezüglich der Rotation als indifferent. Dieser
Auffassung kann ich nicht beitreten; vielmehr glaube ich, dass
es richtiger ist, wenn der Cond. int. des Femur nach vorne sieht,
dann von einer Rotation nach aussen zu sprechen. Dass diese
Stellung wirklich Aussenrotation ist, wird auch durch die Un¬
möglichkeit einer weiteren Aussenrotation in dieser Lage be¬
wiesen; wie man sich nach der Einrenkung bei der vorhin
skizzirten Lage des Oberschenkels überzeugen kann, ist jetzt nur
mehr eine Innenrotation möglich. Eine Einigung über die Be¬
zeichnung dieser extremen Stellungen des Hüftgelenkes wäre sehr
wünschcnswerth, zumal die Schwierigkeiten, wenn die Ueber-
streckung oder Ueberbeugung hinzukommt, noch erheblich
wachsen.
Es unterliegt, wie Lorenz gezeigt hat, nun keinem Zweifel,
dass die Reposition .am sichersten gelingt bei Flexion um 90'
und Abduction um 90“. Hiebei ist nach dem Vorhergehenden
zu berücksichtigen, dass diese Abduction keine reine Abduction
ist, sondern gleichzeitig mit Aussendrehung verbunden ist. Wir
machen so die Einrenkung nach Lorenz über den hinteren
Pfannenrand. Da wir nun gesehen haben, dass man zu genau
derselben Stellung des Beines auch auf anderem Wege gelangen
kann, nämlich durch Abduction um 90 0 und dann Aussendrehung
um 90°, so ist es klar, dass uns auf diese Weise ebenso die Ein¬
renkung gelingen kann und dass dieselbe, wenn sie gelungen ist.
auch ebenso stabil sein muss. Wir haben dann eine Einrenkung
über dein oberen Pfannenrand gemacht, die aber meist grösseren
Schwierigkeiten begegnet.
Bezüglich der Einrenkung über dem oberen Pfannenrand
sagt Lorenz, dass sie nur ab und zu gelinge und dass hierzu
Extension, Abduction und prononcirte Innenrotation nothwendig
sei. Das ist richtig, wenn die Abduction eine geringe ist; so¬
bald sie aber an 90° herankommt, ist auch bei der Einrenkung
über dem oberen Pfannenrand nicht Innenrotation, sondern
Aussenrotation nothwendig und wird ferner auch dann die Ein¬
renkung über den oberen Pfannenrand, wenn auch vielleicht
schwerer gelingen. Das charakteristische Geräusch lässt sich bei
Reluxation resp. Reposition über den oberen Pfannenrand nach
meiner Erfahrung sehr oft deutlicher machen, wenn man die mit
Aussenrotation verbundene Abduction des vorher rechtwinkelig
gebeugten Oberschenkels etwas über 90° hinaus fortsetzt, so
dass der Oberschenkel nach hinten aus der Frontalebene heraus-
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24. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2101
rückt und in dieser Lage die Abduction vermindert resp. ver¬
mehrt. Ob man nun im einzelnen Falle der Einrenkung über
den oberen oder hinteren Pfannenrand den Vorzug geben soll,
ist im Voraus nicht zu bestimmen. Man wird bei schwierigen
Fällen beides versuchen und je nachdem auf die eine oder andere
Weise zum Ziele gelangen. Meist ist die Einrenkung über den
hinteren Pfannenrand zumal für den mit der Hand arbeitenden
Operateur bequemer. Bezüglich der der Einrenkung vorher¬
gehenden Extension stimme ich Kümmell bei, dass dieselbe
in den meisten Fällen überflüssig ist.
Mit Lorenz möchte ich aber auch als einziges Instrumen¬
tarium bei der Einrenkung die Hand empfehlen; alle maschinellen
Einrichtungen gestatten nicht eine so genaue Abwägung und Mo¬
difikation der anzuwendenden Kraft, als dies bei der alleinigen
Benutzung der Hand möglich ist. Ich bin immer hiermit aus¬
gekommen. Für besonders schwierige Fälle scheint mir der kürz¬
lich von Schlesinger gemachte Vorschlag sehr beachtens-
werth zu sein; er empfahl, wenn die Reposition nicht gelingt,
dann zunächst das Bein in annähernd reponirter Stellung einzu¬
gipsen und nach 2—3 Tagen den Versuqh der Einrenkung zu
wiederholen.
Dieselben Betrachtungen, die uns bei der Reposition geleitet
haben, müssen uns auch leiten bei der Wahl der Primärstellung.
Nur kommt hierbei noch in Betracht, dass wir die Primärstel¬
lung nach Möglichkeit so wählen müssen, dass eine funktionelle
Belastung des Beines von Anfang an ermöglicht ist. Mit Recht
hat Lorenz darauf aufmerksam gemacht, dass die funktionelle
Belastung für die Ausgestaltung der Pfanne von grösster Wich¬
tigkeit ist. Ferner ist sie auch desshalb von Bedeutung, weil
durch das lange Liegen der Kinder in festen Verbänden das All¬
gemeinbefinden derselben zweifellos nicht günstig beeinflusst
wird. Bei der Wahl der Primärstellung gestattet Lorenz
und mit ihm Andere eine Verringerung der Abduction des über¬
streckten Beines soweit, dass eine Reluxation nicht eintritt. Es
unterliegt keinem Zweifel, dass, je mehr wir die Abduction ver¬
ringern, die Gefahr einer Reluxation um so grösser wird. Der
einzige Grund, welcher Lorenz zur Empfehlung der Ver¬
ringerung der Abduction veranlassen kann, ist die funktionelle
Belastung. Nach meinen Erfahrungen indessen können wir, zu¬
nächst bei der einseitigen Luxation, in allen Fällen die Ab¬
duction von 90° beibehalten, ohne auf die so ausserordentlich
wichtige funktionelle Belastung verzichten zu müssen. Ich habe
zu dem Zweck den von mir behandelten -Kindern einen um
10—12 cm (d. h. etwa die Länge des Oberschenkels) mittels Kork
erhöhten Schuh auf der kranken Seite gegeben; einige Male
wurde durch einen seitliche, an ihm angebrachte Stahlstange,
die unterhalb des Knies befestigt wurde, dem Fussgelenk der
nöthige Halt gegeben. Die Kinder lernen fast alle auf diese
Art, wenn auch etwas unbeholfen, sich fortbewegen, vielfach sehr
schnell, können sogar klettern, dass hierdurch die Gefahr eines
Fullens sehr nahe gerückt wird. Ein Knabe hat sich in Folge
dessen während der Behandlung einen Bruch des Oberschenkels
zwischen mittlerem und unterem Drittel, ungefähr an der Grenze
des Gipsverbandes zugezogen.
Schwieriger ist das Gehen der Kinder mit doppelseitiger
Luxation, wenn beide Beine rechtwinkelig abducirt sind. Aber
auch hier lässt sich das Gehen durch oine einfache Vorrichtung
ermöglichen. Ich gebe diesen Kindern einen eigens gebauten
Laufkorb, der naturgemäss unten einen sehr grossen Durch¬
messer haben muss (die Länge beider Oberschenkel -f- der Breite
des Beckens + der Länge beider Füssc). Der Lauf korb ist dann
noch so eingerichtet, dass er allmählich erhöht werden kann, was bei
Verringerung der Abduktion nothwendig ist. Die Kinder werden
in den Laufkorb gestellt, indem man denselben gleichsam über
dieselben stülpt oder indem 'man den aus zwei Hälften be¬
stehenden Laufkorb um die Kinder durch Schrauben verschlicsst.
Es ist ausserordentlich interessant und geradezu überraschend,
wie vorzüglich die Kinder es lernen, sich in einem solchen Lauf¬
korb fortzubewegen. Achtet man genauer auf die Art der hierbei
ausgeführten Bewegungen, so erkennt man, dass es sich um
kleine Rotationen der Oberschenkel handelt; dieselben sind mög¬
lich, weil der Gipsverband die Knie frei lässt. Es unterliegt
keinem Zweifel, dass diese kleinen Rotationen äusserst zweck¬
dienlich bezüglich der Ausgestaltung der Pfanne sein müssen.
Es kann nun wohl eingewandt werden, dass die funktionelle
Belastung bei dieser Abduction von 90° nicht so wirksam sein
könnte, wie bei einer verringerten Abduction. Dahingegen gibt
sie uns die sicherste Gewähr gegen eine Reluxation nach hinten
und in Folge der meist vorhandenen Anteversion des Schenkel¬
halses, der, wie vorhin ausgeführt, nunmehr nach oben gerichtet
ist, auch nach vorne. Auf letzteres möchte ich noch besonders
aufmerksam machen. Um aber die Belastung noch wirksamer
zu gestalten, habe ich mich noch eines weiteren Hilfsmittels be¬
dient. Bei einseitiger Luxation wird auf das rechtwinkelig
gebeugte Kniegelenk eine rechtwinkelig gebogene, innen gut
gepolsterte, rinnenförmige Metallschiene durch je einen Gurt
um Unterschenkel und den im Gipsverband befindlichen Ober¬
schenkel befestigt. Diese Metallschiene wird durch einen starkem
Gummizug, der um das Beckentheil des Gipsverbandes herum¬
läuft, in der Richtung des Oberschenkels zum Becken angezogen.
Handelt es sich um eine doppelseitige Luxation, so wird an jedem
Bein je eine solche Kniekappe angebracht und diese beiden
werden durch zwei Gummigurte vor und hinter dem Becken
gegen einander gezogen. Diese Bandage wird zuerst nur stunden¬
weise angelegt, da sie, zumal in den ersten Tagen nach der Ein¬
renkung, öfters etwas Schmerzen verursacht, später nach 2 bis
3 Wochen hingegen bleibt sie den Tag über liegen, selten auch
die Nacht. Doch muss täglich nachgesehen werden, ob auch
keine Druckgeschwüre in Folge schlecht gepolsterter Bandage
entstehen. Die Wirksamkeit dieses elastischen Zuges, dessen wir
uns selbstredend nur in der ersten Fixationszeit, so lange die
Oberschenkel rechtwinklig abducirt sind, bedienen, kann man
durch Röntgeubilder leicht nachweisen. Ein 12 jähriges Mäd¬
chen habe ich 10 Tage nach der Einrenkung ruhig zu Bett liegen
lassen; dann wurde eine Röntgenaufnahme gemacht. Bei
weiterer Bettruhe wurde nun in den ersten Tagen eine kurze
Zeit die Bandage angewandt und zeigte sich 14 Tage später bei
einer erneuten Röntgenaufnahme der Kopf lVz cm näher an’s
Becken gerückt; die Schatten des Kopfes und der Pfanne deckten
sich nunmehr zum TheiL Durch Konstatirung dieser
Thatsache erscheint mir der Beweis erbracht,
dass der auf den R ö n t g e n b i 1 d e r n fast stets
vorhandene Zwischenraum zwischen Kopf und
Pfanne wenigstens nicht in allen Fällen durch
Knorpel oder I n t e r p o s i t i o n der Kapsel be¬
dingt ist und dass ferner die Muskelkraft
oder die Spannung der vorderen Kapsel allein
nicht genügt um den Kopf in die Pfanne zu
ziehen. Dies ist auch desshalb nicht so auf¬
fallend, weil die vorher verkürzten, hier allein
wirksamen Muskeln, speciell die Adductoren,
in Folge Zerreissung oder starker Zerrung
bei der Reposition zunächst kaum funktions¬
fähig sein können.
Die von mir angewandte Bandage hat auch noch den weiteren
Vortheil, dass sie durch die Fixation der Beugeatellung des Knie¬
gelenks den Kindern einen besseren Halt beim Gehen verleiht.
Dass hierdurch die Entstehung einer Kniegelenkkontraktur be¬
günstigt werde, ist nicht zu befürchten. Lorenz empfiehlt, um
dieser vorzubeugen, besondere Uebungen, auf die ich trotz der
Bandage, ohne Nachtheil für die Patienten, stets verzichtet
habe; ich verzichtete gerne darauf, weil durch allzu gewaltsames
Strecken Paresen und Paralysen erzeugt werden können. Bei
Verringerung der Abduction verringerte sich die Beugestellung
ganz von selbst, ohne irgend welche Maassnahmen, wie ich noch
in allen Fällen beobachten konnte. Indessen muss ich doch auf
einen möglichen Nachtheil dieser Bandage aufmerksam machen,
der allerdings nicht so gross ist, dass er von der Anwendung der¬
selben in Zukunft mich abhalten wird. Handelt es sich um
Kinder mit Rachitis, so kann möglicher Weise durch starken
Druck in der Richtung der Achse des Femur eine Ausbiegung
am Schaft desselben entstehen. Zweimal habe ich eine solche
Verbiegung unterhalb des Troch. maj. feststellen können;
das eine Mal war sie mit der Convexität nach oben gerichtet,
das andere Mal mit der Convexität nach vorne. In letzterem
Fall erschwerte sie naturgemäss auch die Retention in erheb¬
lichem Maasse. Dass dieser mögliche Nachtheil, der sich nur
bei rachitischen Kindern zeigt und sich zweifelsohne nach Ab¬
schluss der Behandlung schnell ausgleichen wird, nicht besonders
in’s Gewicht fallen kann, liegt auf der Hand.
Hier möchte ich noch auf ein kleines Hilfsmittel bei An¬
legung des Gipsverbandes aufmerksam machen. In manchen
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2102
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
Fällen ist nämlich die Reposition äusserst labil und kann schon
unbemerkt während Anlegung des Verbandes eine Reluxation
erfolgen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade bei
jüngeren Kindern von 2—3 Jahren Reluxation sehr leicht er¬
folgt, bei denen die Reposition spielend gelungen war. Im
Gegensatz hierzu bot die Reposition bei älteren Kindern über
4 Jahren viel grössere Schwierigkeiten, zeigte dann aber auch
wesentlich grössere Stabilität. Bei labiler Reposition ist, wie
bekannt, besonders auf Ueberstreckung des abducirten Beines
Gewicht zu legen und lässt sich diese Stellung am besten im
Gipsverband fixiren, wenn man denselben bei Bauchlage an¬
legt. Die Kinder werden an den Beinen emporgehalten, wobei
die Schwere des Körpers, die durch Druck noch verstärkt werden
kann, eine Ueberstreckung im Hüftgelenk erzeugt.
Von grösster Wichtigkeit ist nun, dass in der ersten Zeit
nach Anlegung des Verbandes keine Reluxation erfolgt. Wenn
die Palpation, was selten der Fall ist, hierüber Zweifel offen lässt,
sollte man sich, spätestens 8 Tage nach der Einrenkung, durch
Röntgenaufnahme von dem richtigen Stand des Kopfes über¬
zeugen. Dies kann so geschehen, dass man einen grösseren Aus¬
schnitt aus dem Gipsverband auf seiner vorderen, wie auf seiner
hinteren Seite macht, der die Hüftgelenke freigibt. Dieser Aus¬
schnitt kann nach der Aufnahme durch Gipsbinden wieder ver¬
schlossen werden. Aus dem Röntgenbild können wir auch einen
Schluss ziehen, ob der Kopf noch in der Pfanne steht oder vor
oder hinter dieselbe gerückt ist. Wir werden in diesen beiden
letzteren Fällen auf dem Bilde stets finden, dass die Mitte des
Schenkelkopfes nicht mehr auf die Knorpelfuge der Pfanne zu
gerichtet ist, sondern stets etwas nach oben gerückt ist, so dass
die Spitze des Kopfes das mehr oder - weniger ausgeprägte
Pfannendach überragt. Ist Reluxation erfolgt, so muss die Ein¬
renkung wiederholt werden; dieselbe ist dann meist leicht, aber
auch wohl meist labiler. In einem hartnäckigen Falle habe
ich mit dauerndem Erfolg während Anlegung des Gipsverbandes
einen Zügel um die Hiiftbeuge gelegt und vermittels desselben
einen direkten Zug auf den Schenkelhals nach unten ausgeübt.
Ferner halte ich es für wichtig bei einseitiger Luxation in solchen
Füllen das gesunde Bein mit in den Gipsverband zu nehmen.
Geschieht dies nicht, so wird das Kind dem naturgemässen Be¬
streben, die starke Abduction zu vermindern, nachgeben können;
der um das Becken, resp. um die untere Bauchgegend gelegte,
meist schmale Gipsring rutscht auf der gesunden Seite einfach
in die Höhe. Unbemerkt kann so beim Gehen das eingerenkte
Bein in Folge Verminderung der Abductionsstellung reluxiren.
Die Primärstellung muss nun so lange beibehalten werden,
bis der Kopf den nöthigen Halt in der Pfanne gefunden hat.
Bei Anwendung der vorhin geschilderten Maassnahmen, Wirkung
der Zugbandage, funktionelle Belastung, genügen hierzu meist
3 Monate; wenigstens bei einseitiger Luxation habe ich selten
mehr Zeit benöthigt, wohingegert ich bei doppelseitiger Luxation
mich hin und wieder gezwungen sah, die doppelte Zeit hierauf
zu verwenden. Hat der Kopf während 3 Monaten in der Pfanne
Halt gefunden und ergibt das Röntgenbild auch ein festeres
Heranrücken des Kopfes an oder in die Pfanne, so kann die
Abductionsstellung vermindert werden. Es ist ohne Weiteres
klar, dass bei stärkerer Verminderung der Abduction, etwa um
45°, auch eine Innenrotation eintreten muss; der Kopf würde
sonst einfach von der Pfanne abgehebelt. Daraus ergibt sich,
dass wir die Grösse der Verminderung der Abduction keines¬
wegs schematisch feststellen können. Wir haben hierbei ausser
den schwer zu beurtheilenden Verhältnissen an Gelenkknorpel
und Kapsel sowohl die Tiefe der Pfanne, resp. die seitliche Aus¬
dehnung des Pfannendaches, als auch den Winkel zwischen
Schenkelhals und Schenkelschaft zu berücksichtigen. Zeigt sich
auf dem Röntgenbild ein gut entwickeltes Pfannendach oder
ein steil gestellter Schenkelhals, so wird man beim zweiten Ver¬
band die Abduction mehr vermindern können, als bei den um¬
gekehrten Verhältnissen. Bei einseitiger Luxation konnte ich
indessen, fast stets unbeschadet des Erfolges, bereits beim ersten
Verbandwechsel die Abduction um 45" vermindern. Ganz von
selbst tritt hierbei auch eine Verminderung der Aussenrotation
ein, die Fussspitze kommt mehr nach vorne zu stehen. Streng
genommen müsste man dann die Innenrotation so stark machen,
dass die Fussspitze nach innen sieht. Dies wäre nur möglich
durch Miteingipsung von Unterschenkel und Fuss oder durch die
von Schede neuerdings empfohlene Methode der Osteotomie
des Oberschenkels nach Fixirung des Kopfes mittels eines Nagels.
Ich will nicht bestreiten, dass in einzelnen Fällen diese von
Schede sehr empfohlene starke Innenrotation zweck¬
mässig ist, d. h., um dies besonders hervorzuheben und wie auch
hier angenommen ist, nur in dem Stadium der Behandlung, in
dem der Kopf schon einen gewissen Halt in der Pfanne gefunden
hat. Ist dies nicht der Fall, steht der Kopf noch nicht in der
Pfanne, oder hat er durch die Länge der Zeit in derselben noch
keinen Halt gefunden, so muss bei der Innenrotation und ge¬
ringeren Abduction des Beines der Kopf über den oberen
Pfannenrand, an dem er keinen Halt finden kann, heraus¬
rutschen, zumal wenn die funktionelle Belastung hinzukommt
Bei starker Abduction des Beines indessen ist die Aussem-
rotation für das Eindringen des Kopfes in die Pfanne, wie vor¬
hin gezeigt, zweckmässiger. Ich habe bis jetzt stets auf diese
starke Innenrotation Verzicht leisten können. Wir dürfen nicht
vergessen, dass das Verhältniss zwischen Kopf und Pfanne inner¬
halb der Zeit der Primärstellung ein anderes geworden ist, wie
vor der Einrenkung. Der Kopf hat inzwischen einen festen Halt
in der Pfanne gefunden resp. unter dem inzwischen kräftiger
entwickelten Pfannencfach, den er bei langsamer Verminderung
der Abduction und gleichzeitiger, von selbst sich einstellender
Verminderung der Aussenrotation nicht mehr verliert. Wenn
nach % oder 1 Jahr die Abduction ganz beseitigt war, so war in
den meisten Fällen auch die Rotationsstellung eine normale,
d. h. die Aussenrotation war gleichfalls beseitigt und die Fuss¬
spitze sah nur wenig mehr nach aussen. Trotzdem ergab die
Untersuchung wie das Röntgenbild, dass der Kopf am Ort der
Pfanne selbst einen festen Halt gefunden und die Pfanne sich
fast in normaler Weise ausgebildet hatte. Ich will nicht be¬
haupten, dass die Anteversion des Schenkelhalses sich gleichfalls
verloren hat, was ja auch möglich wäre, sondern in den meisten
Fällen wird dieselbe mehr oder weniger dauernd bleiben, doku-
mentirt sich aber bei der Funktion des Beines gar nicht, äuaser-
lich am Kinde vielleicht nur in einem geringen Hervortreten
des Trochanter major. Auf dem Röntgenbild werden wir die¬
selben bei anscheinend ganz steil gerichtetem Schenkelhals ver-
muthen und durch eine zweite Aufnahme bei starker Innen¬
rotation nachweisen können.
Gleichzeitig bei Verringerung der Abduction streckt sich
auch das bei der Primärstellung rechtwinkelig gebeugte Knie¬
gelenk. Schwierigkeiten habe ich, wie schon hervorgehoben, hier¬
bei noch niemals gefunden.
Den Gipsverband konnte ich bei einseitiger Luxation meist
nach 5—6 Monaten ganz in Wegfall kommen lassen, bei doppel¬
seitiger Luxation gelang dies erst nach 10—12 Monaten. Einen
Apparat irgend welcher Art habe ich die Kinder bisher niemals
tragen lassen. Ich halte denselben bei einseitiger Luxation für
vollkommen entbehrlich. Entweder stand beim Wegfall des Gips-
verbandes der Kopf Vs —1 Jahr bereits in der Pfanne fest, dann
ist nicht zu befürchten, dass er ohne Apparat wieder heraus¬
rückt; die einzige bekannte Schutzmaassregel, auf der gesunden
Seite noch längere Zeit einen erhöhten Schuh tragen zu lassen,
genügt vollkommen. Oder aber der Kopf steht trotz monatlicher
Behandlung und wiederholte Einrenkungsversuche noch nicht
in der Pfanne, dann bringt ihn irgend ein Apparat durch Druck
oder Abductionsschiene sicherlich nicht herein. Ob bei doppel¬
seitiger Luxation eine Abductionsschiene die oft auf einer Seite
eintretende Reluxation nach vorne verhindern kann, wage ich
nicht zu entscheiden. Unser Hauptaugenmerk haben wir nach
Abnahme des Gipsverbandes auf Kräftigung der Muskulatur
und Mobilisirung der Hüftgelenke zu richten und würde hierbei
ein Apparat hinderlich sein. Dass die Hüftgelenke nach einer
längeren Fixirung im Anfang sehr steif sind, liegt auf der Hand.
Diese Versteifungen waren in einzelnen Fällen ausserordentlich
hartnäckig, so dass ich schon eine Ankylose befürchtete. Doch
hat dieselbe sich regelmässig im Laufe der Zeit bei zweckent¬
sprechender Behandlung ganz oder nahezu ganz gehoben.
Zum Schlüsse möchte ich noch auf die Resultate hinweisen,
die ich bei der Durchführung der vorher geschilderten Behand¬
lungsweise erzielt habe. Wenn die Fälle an Zahl auch gering
sind, so dürften die Erfolge doch die Richtigkeit dieser Dar¬
legungen und der darauf gegründeten Behandlung beweisen. Ich
habe bis jetzt 22 Patienten mit 31 Luxationen der Lorenz-
sehen unblutigen Behandlung unterzogen, Von diesen hatten
9 Kinder doppelseitige Luxation; 5 hiervon sind noch in Behand-
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24. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2103
lung. Von den übrigen 4 erkrankte eines während der Behand¬
lung an einer (tuberkulösen?) Kniegelenkentzündung, die zur
Ankylose des Kniegelenks und mangels weiterer ärztlichen Be¬
handlung zu einer rcehtwinkeligen Contractur desselben führte.
Das anatomisch normale Hüftgelenk auf dieser Seite ist in Folge
der absoluten Schonung des Beines ebenfalls steif geblieben;
während dasselbe auf der anderen Seite in anatomischer sowie
funktioneller Hinsicht als normal bezeichnet werden muss. Bei
den übrigen 3 Kindern habe ich auf einer Seite Reluxation nach
vorne, auf der anderen Reposition erzielt. Das funktionelle Re¬
sultat ist bei allen 3 sehr befriedigend; ein ganz geringes Hinken
ist nur bei schnellem Gehen oder Laufen zu konstatiren; wenn
die Kinder sich Mühe geben, ist auch das nicht mehr vorhanden.
Die von Trendelenburg angegebene Prüfung bezüglich der
Wirksamkeit der Glutaealmuskulatur ergibt deren normale Funk¬
tion. Die abnorme Lendenlordose ist geschwunden. (Diese
3 Kinder wurden in der Sitzung vorgestellt.)
Noch viel günstiger, ich darf sagen ideal ist das Resultat,
welches bei einseitiger Luxation erzielt wurde. Von den 13 Kin¬
dern mit einseitiger Luxation sind 3 noch im Gipsverband; 3 sind
vor Kurzem von demselben definitiv befreit worden; bei diesen
ist eine richtige dauernde Reposition erzielt worden und werden
zweifelsohne die noch bestehende Steifigkeit im Hüftgelenk und
die Abductionsstellung des Beines einer normalen Funktion in
Kürze weichen. Dasselbe Resultat wurde bei einem 4. Kinde
erreicht, welches leider einige Wochen nach Entfernung des
Gipsverbandes an tuberkulöser Meningitis starb. Bei den übrigen
6 Kindern, bei denen die Einrenkung vor 4 —VA Jahren gemacht
wurde, habe ich in anatomischer sowie funktioneller Hinsicht
ein ideales Resultat jedes Mal erreicht. Bei allen ist selbst bei
schnellem Gehen ein Hinken z. Z. nicht mehr nachweisbar. (Diese
6 Kinder wurden im Verein vorgestellt.) Die behandelten Kinder
standen im Alter von 2—10 Jahren.
Irgend welche unangenehmen Ereignisse, die auf die Be¬
handlung zurückzuführen wären, Frakturen, Lähmungen u. dgl.
habe ich nicht zu verzeichnen. Die einzige Fraktur und zwar
zwischen mittlerem und unterem Drittel des Oberschenkels er¬
folgte bei einem 3 jährigen Knaben, welcher mit seinem recht¬
winkelig abducirten linken Bein allzu wild umherlief, sogar oft
im Klettern sich übte, bis er schliesslich durch einen unglück¬
lichen Fall den oben erwähnten Unfall sich zuzog. Das Resultat
der Behandlung ist hierdurch nur verzögert, aber nicht weiter
ungünstig beeinflusst worden.
Es ergibt sich also, dass wir bei der doppelseitigen, ganz
besonders aber bei der einseitigen Luxation durch die unblutige
Behandlung, deren grundlegende Bedingungen wir Lorenz zu
verdanken haben, Resultate erzielen, wie sie idealer wohl durch
keine andere Behandlungsmethode erreicht werden, Resultate,
die in funktioneller, sowie in anatomischer Hinsicht fast nor¬
male Verhältnisse schaffen. Da diese Behandlungsmethode heute
auch keine besonderen Gefahren mehr darbietet, darf es wohl
als die Pflicht der Eltern bezeichnet werden, ihre mit Hüft¬
gelenkluxation behafteten Kinder, soweit sie sich innerhalb der
Altersgrenze befinden, dieser unblutigen Behandlungsmethode zu
unterwerfen und dürfte angesichts dieser Erfolge auch der skep¬
tischste Arzt seine Bedenken fallen lassen.
Ein Fall von tiefstehender Idiotie mit Skelet-
Veränderungen.*)
Von Privatdozent Dr. W. Weygandt in Wiirzburg.
M. II.! Der 34 jährige Idiot, den Sie hier in einem kleinen
Korbe, in dem ein 12 jähriges Kind kaum Platz hätte, vor sich
sehen, mag mit seiner auffälligen Skeletverbildung auf den
ersten Blick den Gedanken an eine primäre Wachsthumsstörung
des Knochensystems mit sekundärer Hemmung des Gehirn¬
wachsthums wachrufen, an jene Auffassung, welche vor 10 Jahren
L a miclongu e zu praktischen Versuchen einer operativen
Behandlung derartiger Kranker durch Kraniektomie veranlasst
*) Nach einer Demonstration in der physikaliseh-medi-
ciuiselien Gesellschaft zu Würzburg. Herrn Direktor II er¬
be rieh sage ich für Uebersendung des Patienten zur Unter¬
suchung, Herrn Prof. H o f f a für die in seinem Laboratorium
aufgenommenen Röntgenbilder und Herrn Prof. Rlcger für das
der Kraniometrie entgegengebrachte Interesse vielmals Dank.
No. 52.
hat. Jene Operation ist an mehr als 200 Idioten durchgeführt
worden, aber von einer thatsächlichen Heilung wurde nie etwas
laut. Es war von psychiatrischer Seite alsbald schon darauf hin-
gewieseu worden, dass jene Theorie Ursache und Wirkung ver¬
wechselt, indem das Schädelwachsthum sich nach dem Hirnwacha-
tlium richtet, aber nicht umgekehrt.
Bourneville und Morselli haben betont, dass die
vermeintliche vorzeitige Nahtverknöcherung bei jugendlichen
Idiotenschädeln überhaupt so gut wie nie vorkommt. Ersterer
fand unter 350 Schädeln früh verstorbener Idioten keinen
einzigen Fall derart. Immerhin zeigen die Arbeiten von
P i 1 c z') und Löwenatein 1 ), welche sich gegen die
Kraniektomie richten, dass auch in den letzten Jahren noch eine
Widerlegung jener irrthümlichen Ansicht am Platz ist. Selbst
heutzutage wird von nicht-psychiatrischer Seite manchmal noch
die krankhafte Skeletentwicklung, vor Allem die Rachitis als
häufige Ursache der Idiotie namhaft gemacht, wesshalb
auch ein Fall, wie der unserige, vielleicht immer noch ein ge¬
wisses Interesse erwecken mag, indem er zeigt, wie den Skelet¬
veränderungen bei Idioten eine ganz andere Bedeutung inne
wohnen kann, als die einer primären Wachsthumshemmung mit
sekundärer Störung des Gehirnwachsthums. Zugleich aber lässt
der Fall auch eine Reihe von Anhaltspunkten erkennen, aus denen
sich die Zweckmässigkeit einer ärztlichen, nicht ausschliesslich
pädagogischen Behandlung für Idioten ergibt.
Auf den ersten Blick füllt der Patient durch seine kleine, zu¬
sammengekauerte Figur, niedere Stirne, starke Skoliose und hoch¬
gradige Verkümmerung der unteren Extremitäten auf. Die
Schädclmessung wurde nach der bisher exaktesten Methode, der
Kraniographie Rleger’s, vorgenommen. Der grösste Sehildel-
umfang betrügt 54 cm, der grösste Lüngsdurehmesser 18,0 cm, der
grösste Breiteudurehmesser 15.0 cm. Der Litngen-Breitenindex stellt
sich somit auf 80,0, so dass der Schädel auf der Grenze zwischen
Mesocephalle und Brachycephalie steht. Die Schiidelhöhe betrügt
nach dem Riege r’schen Schema 9,2 cm, der Höhen-Lüngenindex
somit 49,4. Prof. R 1 eg e r hatte die Freundlichkeit, sich über den
nach seiner Methode ermittelten Befund zu äussem: Der muth-
maassliehe Schädelinhalt liegt auf der Grenze zwischen 1200 und
1350 ccm; der Kopf zeigt nichts Ungewöhnliches, weder in seiner
Form, noch in seinem Inhalt; nur wenn der zugehörige Mensch
besonders schwer wäre, über 70 kg, wäre die Behauptung be¬
rechtigt, dass der Kopf Im Verhältnlss dazu zu klein sei. Da
der Patient noch nicht einen Zentner wiegt, ist dieser Gesichts¬
punkt hinfällig. Als muthmaassliches Hirngewicht ergibt sich
nach der angeführten Methode 1137 g. Hinsichtlich des Profll-
winkels liegt Mesognathle vor.
Ftg. 1.
') Pilcz: Ein weiterer Beitrag zur Lehre von der Mlkro-
cephulie, nebst zusammenfassemlom Bericht über die Folgen der
Kraniotomie bei der Mikrocephalie. Jahrb. f. Psyclilatr. u. Neur.
XVIII, 1899.
-) Löwen stein: Ueber mikrocephalisclie Idiotie und die
chirurgische Behandlung nach Lanuelongue. Beitr. z. kliu.
Chirurg. XXVI, 1900.
3
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2104
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
Es besteht fernerTotalskoliose der Wirbelsäule (Fig.l), con¬
vex nach links, die offenbar als eine statische aufzufassen ist Die
Länge der Wirbelsäule vom oberen bis zum unteren Ende beträgt
43 cm. Die oberen Extremitäten sind morphologisch durchaus gut
entwickelt; der Oberarm misst 27 cm, der Unterarm bis zur Mittel-
lingerspitze 33 cm, was der Länge bei einem Erwachsenen von
kleiner Figur entspricht.
Die unteren Extremitäten (Fig.2) zeigen hochgradige Kontrak¬
turen; gewöhnlich sind die Oberschenkel in einem ^pitzen Winkel
angezogen und das Knie in einem rechten Winkel gebeugt. Passiv
lassen sich dieKuiee ungefähr um 25°, das Hüftgelenk etwa um das
Fig. 2.
Doppelte beugen, während eine aktive Beugung im Knie gar nicht,
im Hüftgelenk nur bei dem geringen Hin- und Herbewegen des
Kumpfes zu beobachten ist. Der rechte Unterschenkel Ist nun
14 ein unter dem Knie in einem spitzen Winkel, von — äusserlleh
betrachtet — etwa 70° rechts nach aussen abgeknickt. Das Röntgen¬
bild (Fig. 3) zeigt bei einer geringen Differenz der Ebene des oberen
und unteren Abschnittes einen weit spitzeren Winkel der um
gebogenen Tibia und Fibula, die nahe bei der Abknickungsstelle
miteinander verwachsen sind. Der Befund entspricht einer intra¬
uterin oder intra partum entstandenen Fraktur, welche spontan
diesen ungünstigen Heilverlauf nahm. Vom oberen Rande des
Fig. 3.
Trochanter raajor aus gemessen, beträgt die Summe der einzelnen
Abschnitte der unteren Extremitäten ca. 80 cm Länge.
Patient hustet viel und zeigt beschleunigte Athmung (45).
Der Puls hat die Frequenz von 72; er ist nicht ganz rhythmisch.
Die Herzgrenzen entsprechen der Norm; der 2. Ton an der Spitze
ist gespalten.
Am Halse rechts, dicht beim Unterkieferwinkel, sitzt eine harte,
taubeneigrosse Geschwulst, möglicherweise Dermoid, von einem
Kiemengangrest ausgehend. Die Thyreoidea Ist nicht zu pal-
piren. Der Kopf ist gewöhnlich nach links gewandt, offenbar
wegen der rechtseitigen Geschwulst
Die Pupillen reagiren auf Lichteinfall. Es besteht Nystagmus
liorizontalis; wenn man die Cilien berührt, blinzelt der Patient.
Die Zähne sind defekt, nur 2 Molare und ein Zahn an der
Stelle des linken unteren Canlnus sind einigermaassen erhalten,
breit, aber wenig differenzlrt so dass sie an Milchzähne erinnern.
Die Zunge streckt Patient nicht heraus, doch klemmt er sie nach
Idiotenart öfter zwischen die Zähne und Lippen. Es besteht leb¬
hafter Speichelfluss, wodurch die Mundwinkel leicht erodirt sind.
Die Lippen sind wulstig, besonders die Unterlippe.
Die Armreflexe sind lebhaft; der Patellarreflex ist rechts leb¬
haft; links nicht auslösbar; Bauchdecken- und Kremasterreflex
sind lebhaft; der Plantarreflex ist rechte lebhafter als links. Am
Gesäss zeigt eine markstückgrosse Stelle Decubitus. Es besteht
Incontinentia urinae et alvi, wahrscheinlich psychisch bedingt. Die
elektrische Prüfung der Muskeln und Nerven zeigt keine Ab¬
weichung.
Die psychische Untersuchung ist erschwert, da Fatlent kein
Wort versteht und spricht.
Er fixirt jedoch, sieht um sich, blickt nach einem Licht, das ln
seiner Nähe angezündet wird, greift nach einem Fell, das er neben
sich liegen sieht, erkennt seine Mundharmonika und greift darnach.
Wird ihm eine Hand hingehalten, so sieht er es und gibt korrekt
die seine. Auch auf akustische Reize reagirt er öfter, doch nicht
so prompt wie auf die optischen. Er dreht den Kopf um, wenn
ein Wagen vorüberrollt. Als neben ihm Klavier gespielt wird,
sieht er sich nicht um. sondern greift nach einem Teppich, auf
dem sein Korb steht. Bei Nadelstichen oder Berührung mit einem
heissen Gegenstand zieht er die Hand, die Beine und den Kopf
zurück.
Der Gesichteausdruck ist gewöhnlich ernst, doch in Folge des
Fixirens keineswegs schwachsinnig. Manchmal aber auch zeigt
sich der Ausdruck herzlichen Lachens.
Spontan greift Patient öfter nach seiner Mundharmonika und
bläst darauf, oder er packt den rechten Fuss und bewegt ihn hin
und her. Alle Bewegungen sind langsam, doch besteht keinerlei
Ataxie oder Tremor dabei.
Esswaren nimmt er in den Mund; doch würde er sich auch un-
geniessbare Gegenstände in den Mund geben lassen. Er isst nur so
viel, bis er satt ist, dann hört er spontan auf. Ab und zu ver¬
schluckt er sich beim Trinken.
Manche Eindrücke, so das Geräusch vorüberfahrender Wagen,
begleitet er mit unartikulirten, grunzenden Lauten. Von seinen
Pflegerinnen wurde er darauf eingeübt, dass er nach einem vor¬
gehaltenen Kreuz greift und es an seinen Mund führt. Die Be¬
hauptung der Pflegerinnen, dass er zu weinen anfange, wenn man
vom Sterben spreche, liess sich natürlich nicht bestätigen.
Wir sehen, dass von einer stärkeren, einheitlichen Entwick¬
lungsstörung des Skeleteystcms überhaupt keine Rede sein kann,
da alle die namhaft gemachten Symptome ihre besondere Er¬
klärung finden. Die niedrige Stirn ist wohl nur durch die tiefe
Haargrenze vorgetäuscht, während im Uebrigen die Schädel-
maasse «reichlich gross sind. Die Skoliose ist statisch bedingt.
Die Verkrümmung des rechten Unterschenkels beruht auf jener
früh erworbenen, falsch geheilten Fraktur, und die Kontrakturen
der Beine sind offenbar, da an sich der Gelenk-, Muskel- und
Nervenapparat ausgebildet ist, in Folge des Nichtgebrauchs ent¬
standen, zu dem der Patient durch den so schlecht geheilten
Unterschenkel verurtheilt war.
Immerhin kann die gesanunte Entwicklung des Körpers
nicht als besonders kräftig gelten, denn wenn man aus den
einzelnen Theilen die ganze Körperlänge zusammen rechnen will,
kommt man doch nicht über 145 cm hinaus. Von irgend welchen
Zeichen der Rachitis zeigt sich übrigens nicht die Spur, eben¬
sowenig wie am Skelet oder an der llaut ein Anhaltspunkt für
Kretinismus zu finden wäre.
In geistiger Hinsicht fällt ein gewisser Gegensatz auf
/.wischen der ziemlich regen Auffassung und den äusserst mangel¬
haften Ausdrucksbewegungen, vor Allem der Sprachlosigkeit.
Auf diesen cigentliiimliehen Symptomenkomplex fällt neuer.
Lieht durch die Betrachtung der Anamnese und Vorgeschichte.
Der Vater soll früh gestorben sein; die Mutter, eine arme Händ¬
lerin, starb vor einigen Jahren, nachdem sie immer schwächlich
und kränklich gewesen. Eine Bruder ist taubstumm, ein anderer
geisteskrank, aber körperlich wohlgebildet. Eine Schwester, die
mit 12 Jahren starb, soll geistig und körperlich ähnlich zurück-
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24. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2105
geblieben sein, wie unser Patient. Zwei Schwestern sind ge¬
sund, eine davon ist verheirathet und hat gesunde Kinder.
Patient lebte in höchst mangelhafter Pflege bei seiner Mutter
bis zu seinem 25. Jahre. Er war vollkommen verwahrlost, als
die Behörde auf ihn aufmerksam wurde und seine Unterbringung
in die Idiotenanstalt St. Josefshaus in Gemünden a. M. veran-
lasste, wo er mit Läusen und Geschwüren bedeckt ankam.
Jene Heredität zeigt, dass in der Familie Neigung zu psy¬
chischer Entartung besteht, die bei einem Bruder auch ohne
körperliche, sichtbare Anomalie in Erscheinung trat. Auch bei
unserem Patienten werden wir die wesentlichste Ursache des
Leidens in der Entwicklungshemmung des Hirns
zu suchen haben. Ein weiteres Moment, das seinen elenden Zu¬
stand begünstigte, ist aber entschieden auch die Verwahr¬
losung. Die vernachlässigte Fraktur verhinderte das Kind
von vorneherein an jedem Versuch, gehen zu lernen. Bei der
Hilflosigkeit und psychischen Schwäche wurde offenbar auch
nie ernstlich irgend ein Bildungs- und Erziehungsversuch mit
ihm vorgenommen. Es ist nun mit grösster Wahrscheinlichkeit
zu sagen, dass bei korrekter Heilung der Unterschenkelfraktur
das Kind gehen gelernt hätte und nie zu jenen Kontrakturen,
vielleicht auch nicht zu der Skoliose, gekommen wäre.
Weiterhin aber ist in Anbetracht der leidlich guten Auf¬
merksamkeit die Annahme naheliegend, dass bei rechtzeitigen
Erziehungs- und Unterrichtsversuchen der Patient auch einen
gewissen Grad von Uebung in den Ausdrucksbewegungen, insbe¬
sondere wohl auch in der Sprache hätte gewinnen können. Die
so spät, im 25. Jahre, einsetzende sachverständige Pflege vermochte
natürlich derartige Versäumnisse nicht mehr einzuholen. Ein
rechtzeitiges ärztliches Eingreifen konnte also in diesem Fall
die schweren körperlichen Störungen des Skelets beseitigen bezw.
verhüten und dadurch freie Bahn für eine zweckmässige päda¬
gogische Behandlung schaffen, wodurch der Patient wahrscheinlich
zu einem leidlich bildungs- und unterrichtsfähigen Imbecillen ge¬
worden wäre, der womöglich seinen Lebensunterhalt durch eigene
Arbeit verdienen lernte. Der Fall bietet somit einen Hinweis
auf die mannigfachen Ansatzpunkte für ein ärztliches Ein¬
greifen zum Besten jener bedauernswerthesten menschlichen
Existenzen, der Kranken mit angeborenem Schwachsinn.
Spülbecken für urologische Zwecke.
Von Dr. Friedrich Dommer, Specialarzt für Harnleiden
in Dresden.
Bei jedem technischen Eingriff in den menschlichen Körper
lMJsteht seit Langem das Bestreben der Aerzte, den betreffenden
Theil des Körpers möglichst isolirt vor sich zu haben. So geht
die Gepflogenheit bei kleineren und grösseren Operationen der Chi¬
rurgen, der Otologeu, der Dermatologen u. a. m. Der Zweck bei
dieser Art der Bestrebung ist einerseits darin zu suchen, den in
Frage stehenden Körpertheil thunlickst vor einer Berührung, ge¬
gebenen Falls auch Infektion von der Umgebung aus, zu schützen,
andererseits erscheint es auch wünschenswerth, angrenzende Thelle
des Körpers vor Verunreinigung mit Blut, und den Hilfsmitteln,
deren man bei einer Operation bedarf (Lösungen von Sublimat,
Karbol, Salicylsäure, Jodoform u. s. w\) zu bewahren.
In diesem Sinne schien mir auch bei Aerzten, die sich mehr
mit der Erkrankung des Urogenitalapparates beschäftigen, ein Be-
dürfniss vorzuliegen. Es kam mir daher darauf an, einen Apparat
zu konstruiren, der es ermöglicht, die männlichen Genitalien in
ihrer grössten Ausdehnung bei einem technischen Eingriff ge¬
sondert vor sich zu haben.
Ein solches Instrument hat auch die Firma Kuoke & Dressier
nach meinen Angaben angefertigt (s. Fig. 1).
Im Wesentlichen be¬
steht dieses aus einem
Sitzbrett, auf dem sich
ein Aufbau erhebt und
aus einem Anhänge¬
kasten. Die Benützung
geschieht in der Weise,
dass man den Apparat
auf den Untersuchungs¬
stuhl setzt, Patient dann
auf dem Sitzbrett Platz
nimmt, so dass er den
Aufbau zwischen die
Oberschenkel nimmt
und nun den Penis und Hoden Uber die Ausbuchtung ln den Innen-
raurn des Aufbaues legt. Dann bleibt der Patient entweder sitzen
oder er nimmt die Rückeulage ein. Auf diese Weise erreicht man
ein ausserordentlich sauberes und für Patienten und Arzt vortkeil-
haftes Verfahren bei vielen urologischen Eingriffen.
Hierzu gehören vor Allem die Operation der Phimose, die
Punktion der Hydrocelen, Lösung von Verbänden u. a. m. Ferner
sind hierher Intraurethrale und vesikale Spülungen jeder Art zu
rechnen; auch das Jane t'sche Verfahren zählt hiezu. Ein nicht
zu unterschätzender Vortheil tritt bei Anwendung der Dehnungen
mit gleichzeitigem Spülen hervor. Als Apparate dabei können die
neuerdings von A. Lewln angegebenen zweithelligen Spilldila
tatoren genannt werden, als auch die viertheiligen Kollmann-
sehen oder die von mir modifizirten Kollmau n’schen mit „ver¬
setzten Branchen“. In dem Aulningekasten steht auf einem Ein¬
satz ein Glas, welches absichtlich nur etwas über 200 g Flüssig¬
keit fasst. In dasselbe ragt ein Gummischlauch, durch den nur
das urethrale Spülwasser läuft. Das Spülwasser, welches über
die äussere Haut des Penis und Scrotum läuft, sammelt sich in
dem Kasten. Da, wie gesagt, das Glas wenig Flüssigkeit fasst,
so ist der Arzt im Stande, bei den verschiedenen Charriöre-
nummern deren Aussehen zu prüfen und dann, nachdem er die
einzelnen Proben ln ein Sammelgefäss gegossen hat, in diesem
das Gesammtresultat der Spiildelinung vor sich zu sehen.
Dieser Apparat, wie Ich ihn in seinem Bau und Handhabung
beschrieben habe, ist für den Arzt bestimmt.
Die zweite Figur zeigt ein
Becken, welches in seiner Kon¬
struktion dem ersten ähnelt.
Es besteht in der Hauptsache
aus einem Sitzbrett mit einem
Aufbau, welcher nach vorn ge¬
schlossen ist Der Anhänge¬
kasten fehlt. Der Apparat ist
für den Patienten bestimmt. —
Es werden sehr häufig bei den
Erkrankungen des Genital¬
apparates warme oder kalte D. R. G. M.
Sitzbäder verordnet. Befindet
sich in dem Orte des betreffenden Kranken keine Badeanstalt, so
ist meist die Verordnung illusorisch. Mit der Anschaffung einer
Sitzbadewanne ist stets eine gewisse Unbequemlichkeit verbunden.
Die Grösse einer solchen, die Reinigung derselben, die For¬
derung an die grosse Quantität Wasser, besonders des wannen,
vielleicht auch die Ansclmffungskosteu, sind Momente, welche
gegen die Durchführung einer derartigen Verabreichung des Bades
sprechen. Diese kleine Wanne hier soll einen tlieilweisen Ersatz
der bisherigen Sitzwanne bringen. — Die Benutzung ist sehr ein¬
fach. Der Apparat wird auf einen Stuhl gesetzt; der Kranke lässt
Bein- und Unterkleider bis an das Knie fallen — er braucht sich
keines Stückes zu entkleiden — und verfährt im Uebrigen wie
oben ln den Bemerkungen zu Fig. 1 bereits ausgeführt ist. Da¬
durch, dass hier Kürpertheile isolirt gebadet werden, kann Ich
eine nicht unbedeutende höhere und niedere Temperatur als bei
den vorher üblichen Sitzbädern erzielen.
Es werden hier bequem Grade von 37 0 R. und solche von
10® erreicht, auch auf längere Zeit. — Die Anwendung dieses In¬
strumentes empfiehlt sich zunächst zur einfachen Reinhaltung der
Genitalien, weiter aber bei deren Erkrankungsprozessen: Balanitis,
Ulcera dum et mollia, bei allen schmerzhaften Erkrankungen der
Urethra. Für alte Verhärtungen des Hodens und Nebenhodens,
für Sklerosen der Vorhaut, für beginnende Abscessbildungen
eignen sich die heissen Bäder besonders.
Für Sexualneurastheniker, beginnende Impotenz, für Mastur¬
banten empfehlen sich solche mit kaltem Wasser. Selbstverständ¬
lich liegt es in der Hand des Einzelnen, passende Medikamente
dein Wasser zuzusetzen.
Den zuerst beschriebenen Apparat benütze Ich seit etwa
10 Wochen täglich öfters. Das an zweiter Stelle beschriebene
Spülbecken benützen gegenwärtig einige Patienten mit veralteten
Verdickungen am Nebenhoden.
Seines einfachen Baues und seiner leichten Handhabung
wegen scheint es mir nicht unwahrscheinlich, dass dieses Instru¬
ment in den geeigneten Krankenhäusern und Kliniken für den
Gebrauch der Krauken Eingang findet.
Anm. Wie schon oben erwähnt, liefert beide Apparate die
Firma Kuoke & Dressier in Dresden.
Die Lactationsatrophie des Uterus.
Von L. Fraenkol.
Auf die Ausführungen T h o r n’s in No. 47 dieser Wochen¬
schrift sehe ich mich geuöthlgt, hier kurz einzugehen, und zwar
weniger wegen der geringen, zwischen uns obwaltenden Missver¬
ständnisse, sondern weil die praktischen Forderungen, welche
Herr Kollege Thorn aus seinen klinischen Erfahrungen zieht,
mir für die Allgemeinheit schädlich zu sein scheinen. Sie wider¬
sprechen theilweise dem. was meine von Thorn citirten, im
G2. Band dos Archivs für Gynäkologie uiedergelegten Unter¬
suchungen beweisen. Um, wenn möglich, bei dem Praktiker
Interesse für die nicht unwichtige Frage zu erwecken, rekapitulire
ich die Hauptarbeiten Uber dieses Thema.
Vor 20 Jahren hat Frommei zuerst auf dieses Krankheits¬
bild aufmerksam gemacht. Er fand unter 3000 poliklinischen
Kranken 28 mal eine Atrophie des Uterus im Anschluss an zu
lange fortgesetztes Stillen. Die Hauptsymptome sind: Amenor¬
rhoe, Schmerzen im Leib und Kreuz, Gefühl von Leere im Becken
und Senkung, frühzeitig gealtertes, greisenhaftes Aussehen u. a. m.
Frommei sah nur einen einzigen dieser Fälle in Heilung über-
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MtTENCHENER MEHICtNISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
2106
gehen, halt demnach das Krankheitsbild für recht schwer und
rüth, bei abnormer Verkleinerung des Uterus die Lactatiou zu
unterbrechen.
Sodann hat sich T h o r n eingehend mit der Frage beschäftigt
und den Zustand als „Lactatiousatrophie des Uterus“ bezeichnet.
Bezüglich der klinischen Dignität und Prognose hat er eine von
F r o m m e 1 völlig abweichende Ansicht. Er hält die bei gesunden
Frauen auftretende Lactatiousatrophie für eine physiologische Er¬
scheinung, welche annähernd immer nach dem Absetzeu heilt. Er
sah unter 25 Fällen keinen einzigen ungeheilt bleiben. Jede
amenorrhoisch stillende Frau bekommt die Lactatiousatrophie.
Diese braucht niemals Veranlassung zu sein, das Stillen innerhalb
vernünftiger Grenzen zu verbieten.
Die anderen Autoren auf diesem Gebiete, P. Müller,
Klein Wächter, Gottschalk, Engström und Doeder-
lein, schliessen sich im Allgemeinen T hör n’s Ansicht an, dass
die Lactatiousatrophie eine physiologische Erscheinung sei, nehmen
jedoch au, dass auch Fälle Vorkommen, die nicht ausheileu. Sie
ratheu daher, im Gegensatz zu Thor n, höhere Grade von Lac-
tationsatrophie zum Anlass eines sofortigen Stillverbotes zu
nehmen.
Aus dieser Zusammenstellung sieht man, dass es sich um eine
für Mutter und Kind wichtige Frage handelt, und dass sich die
Ansichten Fromme l’s und Thor u’s unvermittelt gegenüber
zu stehen scheinen.
Im vorigen Jahr habe ich, aufmerksam gemacht dadurch, dass
ich sehr viele Lactationsatrophien im 3. und 4. Stillmonat, dagegen
sehr wenige bei übertrieben lange fortgesetztem Stillen sah, mich
mit dem Zustand beschäftigt. Meinen Untersuchungen ist das
poliklinische Material von Herrn Professor Dr. E. F r a e u k e 1
in Breslau zu Grunde gelegt. Ich fand unter 1U0OU Kranken die
Lactatiousatrophie 95 mal, d. i. bei fast 1 Proe. aller gynäko¬
logisch Kranken, ein Procentsatz, der sich mit den Angaben der
anderen Autoren deckt. Es ergab sich, dass die weitaus über¬
wiegende Mehrzahl der stillenden Frauen mit Atrophie des Uterus
sich in der That im 3. bis 4., höchstens 5. Stillmonat fand. Eine
Kurve über die Häuiigkeit der Laktationsatrophie in den einzelnen
Monaten erreicht um diese Zeit einen schroffen Gipfel, fällt dann
sofort sehr steil ab und besitzt nach dem 7. Monat nur noch sehr
geringe Werthe. Zusammeugestellt mit den übrigen stillenden
Frauen, die unsere Poliklinik besuchten, ergab sich, dass unter
im 3. bis 4. Monat Stillenden 59 eine Lactatiousatrophie hatten und
17 nicht Von Frauen, die sehr lange, nämlich über U Monate
stillten, hatten nur 14 eine solche und 10 nicht Das war sehr
auffallend, ja es fanden sich sogar unter denen, die sehr lange
stillten und keine Menstruation hatten, 25 mal als Ursache der
Amenorrhoe eine neue Gravidität Man kann also sagen, dass
langstilleude Frauen, die wegen Amenorrhoe zum Arzte kommen,
weit häutiger eine neue Gravidität als eine Lactatiousatrophie
aufweisen.
Wenn schon aus diesen Zahlen hervorzugehen scheint, dass
die Lactationsatrophie meist während des Stillens ausheilt, so habe
ich zur Sicherung dieser Thatsache das Experiment zu Hilfe ge¬
rufen. Ich Hess 9 Frauen mit Lactationsatrophie weiterstillen
und beobachtete mittels der Soudenmessung und der bimanuellen
Tastung das Verhalten des Uterus. 7 von diesen 9 Uteri sah
ich von Neuem grösser werden bezw. zur Norm zurüekkehren.
Dieser einen Klasse von Fällen stand jedoch eine
Serie anderer gegnüber, die weder während des Stillens,
noch nach dem Absetzen heilten. Von 37 Fällen, die
lange genug, meist viele Jahre lang beobachtet wurden, blieben
9 Fälle ungeheilt, 3 von ihnen trotz sorgfältiger Behandlung.
Durchaus nicht ln allen diesen Fällen lag eine Uebertreibuug der
StiUzeit vor, sondern manche haben auch nach kürzerer Stillzeit
ungeheilt gebliebene Lactationsatrophien acquirirt. Demnach
gibt es neben der weitaus häufigeren physio¬
logischen, nicht ganz selten eine pathologische
Form der Lactatiousatrophie.
Ich habe weiterhin zeigen können, dass die physiologische
Lactatiousatrophie nur eine Theilerschelnung eines allgemeinen
puerperalen Involutionsgesetzes des Uterus ist, welches auch für
den Uterus der Nichtstillenden gilt Es geht nämlich die puer¬
perale Rückbildung, wie vielfache Messungen des Uterus von
P. Müller, Hansen und mir ergeben haben, nicht so vor sich,
wie man bisher annahm; der grosse puerperale Uterus wird nicht
allmählich kleiner, bis er zur Norm zurückgekehrt ist, sondern
auch bei der nichtstillenden Frau kommt es oft im 3. und 4. Monat
zu einer rapiden Verkleinerung des Organes bis unter die
Norm und erst in den folgenden Monaten stellt sich die normale
und definitive Grösse wieder her. Das kommt dann zu Stande,
wenn die Verfettung und Degeneration der in der Schwangerschaft
gebildeten, jetzt unuöthigen Muskelelemente schneller vor sich
geht, als die Regeneration, die Bildung neuer Zellen; ein Vorgang,
der sich besonders bei etwas anaemischeu Frauen abspielt, und
erst recht bei solchen, die unter einem chronischen Säfteverlust
stellen, wie die Stillenden. Auf diese Weise konnte ich die zu¬
nächst befremdende Erscheinung des Ausheilens der Lactations-
atrophie während des Stillens erklären.
Nachdem sich zeigen liess, dass es eine physiologische und
eine pathologische Form der Lactationsatrophie gibt, war es der
Therapie wegen sehr wichtig, dieselben möglichst von Beginn an
zu unterscheiden. Ein anatomisches oder klinisches Unter¬
scheidungsmerkmal der beiden Formen besitzen wir leider nicht.—
Sollten wir Frommei folgen, der bei höheren Graden von Lac¬
tationsatrophie zum Absetzeu räth, oder Thorn, der den Säug¬
lingen ihre natürliche Ernährung nicht entzogen wissen will?
In diesem wichtigen Dilemma schlug ich vor, bis zur Auf¬
findung eines allgemein anerkannten Unterscheidungszeichens, die
von mir ermittelten, zahlenmässig belegten Thatsachen über den
Verlauf der physiologischen Lactationsatrophie zu verwertben und
sich darnach zu richten: Wenn wir im 3. Stillmonat eine Lac¬
tationsatrophie finden, so können wir ruhig weiter stillen lassen,
weil wir wissen, dass bis zum 7. Monat die grosse Mehrzahl der
Lactationsatrophien geheilt ist. Wir müssen aber die Frau in Be¬
obachtung behalten. Wird jedoch nach dem 4. Monat der
Uterus noch weiter kleiner, so ist das ein Abweichen von der
Norm; daun lasse mau absetzen. Bleibt der Uterus aber bei
weiterem Stillen unverändert oder wächst er wieder, was meist der
Fall ist, so lasse man weiterstillen. Nach dem 7. Monat muss
jeder Uterus, der atrophisch war, trotz weiteren Stillens wieder
grösser werden, sonst kann es sich leicht um die pathologische
Form handeln. Wächst der Uterus also nicht, so lasse i nan sofort
absetzeu, andernfalls kann das Stillen bis zu einem Jahre fort¬
gesetzt werden. Längeres Stillen ist allen Frauen zu widerrathen.
Mit dieser Norm, die sich aus den Häufigkeits¬
zahlen der Lactationsatrophie in den einzelnen
Monaten ohne Weiteres ergibt, glaubte Ich am
ehesten den Uebergang der physiologischen in
die pathologische Form der Lactationsatrophie
vermeiden zu können und halte die Befolgung
dieses Vorschlags daher für zweckmässig.
Soweit die bisherige Literatur. Zu ihr nimmt Thorn in
No. 47 dieser Wochenschrift Stellung, indem er sagt: Er müsse
dabei beharren, dass die reine Lactationsatrophie stets elu physio¬
logischer Vorgang sei. Fälle von scheinbar unheilbarer Atrophie
seien so zu erklären, dass Komplikationen aller Art vorliegeu.
Th. glaubt auch weiter, dass alle amenorrholschen Frauen die
Lactationsatrophie bekommen. Dass die Lactationsatrophie bereits
während des Stillens heilen könne, gehe bereits aus seinen Arbeiten
zur Genüge hervor. Der Unterschied zwischen seinen Angaben
und denen anderer Autoren erkläre sich so, dass diese ein ganz
anderes Material untersucht hätten, nämlich Frauen, die wegen
Beschwerden zum Arzte kamen, oder es seien noch andere aetio-
loglsche Faktoren mit im Spiel gewesen. Er dagegen habe vielfach
gesunde Frauen, die er entbunden hatte oder deren Kinder er be¬
handelte, untersucht. Th. hat noch keinen Fall von reiner Lac¬
tationsatrophie gesehen, der nicht geheilt wäre. Für die
Praxis ergibt sich nach Th., dass die reine Lac¬
tationsatrophie, mag sie noch so hochgradig sein, an sich
niemals den Grund zum Absetzen des Kindes geben kann, weil sie
ein durchaus physiologischer Vorgang sei, der stets, spätestens
6 Wochen nach dem Absetzen, spontan mit völliger Regeneration
heilt Erst wenn die Atrophie auf den übrigen Genitalapparat
(Cervix, Ovarien) und Gesammtorganismus fortschreitet und sich
durch Ueberernährung nicht redressiren lässt soll mau abseüeu
lassen.
Der Zweck meiner heutigen Mittheilung Ist es, einmal die
Resultate meiner erwähnten Arbeit einem grösseren Kreise von
Aerzten zu unterbreiten, im Wesentlichen aber, die Ansichten und
Rathschläge Thor u’s als zu weit gehend und dabei nicht ganz
ungefährlich zu bezeichnen und vor ihrer Annahme zu warnen.
Selbstverständlich haben wir — Herr Prof. E. Fraenkel
und ich — stets auf’s Sorgfältigste auf alle Inneren Kompli¬
kationen, welche Thorn anfülirt, geachtet, dessglelchen auf noch
so geringe Wochenbetterkrankungen etc. und alle verdächtigen
Fälle ausgeschlossen. Das habe Ich auch in meiner Arbeit an¬
geführt und bin von den anderen Autoren ebenso überzeugt, dass
sie die Lactationsatrophie von den durch andere Ursachen erklär¬
lichen Atrophien des Uterus zu unterscheiden verstanden. Als Lac¬
tationsatrophie bezeichnen wir nur solche Fälle, bei denen absolut
kein anderes aetiologisches Moment ausser der Lactation sich auf-
fiuden liess. Wenn Thorn sagt, wir alle hätten ein zum Theil
anderes Material gesehen als er. der sich mit gesunden Frauen
beschäftigte, so ist darauf zu erwidern: Dann hat Thorn, und
nicht wir Anderen, das für diese Frage ungeeignete Material ge¬
sehen. Uns Allen ist nicht der mindeste Zweifel aufgestiegen, dass
es ausserordentlich viel mehr schnell heilende, symptomlose Lac¬
tationsatrophien gibt, als uns bekannt sind. Das ändert doch aber
nichts an der Thatsache, dass es hochgradig pathologische Fälle
gibt; und diese müssen wir bei der Prognose und Therapie berück¬
sichtigen. Frauen, denen gar nichts fehlt, und die sich, wie bei
Thorn, zum Theil nur aus Dankbarkeit zur Untersuchung her-
beiliessen, denen werden wir auch nicht zu ratlien haben, dass sie
absetzen möchten; sondern doch immer nur solchen Frauen, die
wegen Beschwerden den Arzt aufsuchen, und darum ist es gerade
dieses Material, welches zur Beurtheilung der Frage, ob es eine
pathologische Lactationsatrophie gibt, herangezogen werden muss.
Es ist durchaus Thor n’s Verdienst gezeigt zu haben, dass die
Lactationsatrophie meist eine physiologische Erscheinung ist, die
nach dem Absetzeu heilt. Meinerseits konnte dieser
Satz dahin erweitert werden, dass nicht erst
nach dem Absetzen, sondern bereits während
des Stillens die Atrophie heilt. Thorn sagt, dass
diese Thatsache bereits in seinen Arbeiten genügend gewürdigt
worden sei. Indessen kann davon gar keine Rede sein. Thorn
hat wohl gesagt, dass hin und wieder schon während des Stillens
die Atrophie sich verlöre, das habe ich auch von ihm und Eng¬
st r ö m koustatirt. Aber er hat absolut nicht festgestellt, dass
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24. Dezember 1901.
MTJENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2107
die weitaus überwiegende Zahl der Lactationsatrophien bereits
während und trotz des Stillens hellt, wie Ich das an einem grossen
Material und durch experimentell-klinische Untersuchungen als
allgemeines Gesetz feststellen konnte; eine Thatsache, die
ich ln der angeführten Weise zur Unterscheidung von physio¬
logischen und pathologischen Fällen benutzt habe. Dessgleichen
geht aus meinen Untersuchungen hervor, dass nicht, wie Th.
meint, eine jede amennorrhoisch stillende Frau eine Lactations-
atrophle bekommt, sondern nur ein erheblicher Thell derselben.
(Ich habe auch nicht, wie Th. meint, vergessen, hinzuzusetzen,
dass nach Th. nur die „amenorrhoisch" Stillenden eine Lactatlons-
atrophie bekommen, sondern habe angeführt *), dass die regel¬
mässig menstruirenden Stillenden auch nach seiner Ansicht einen
normalen Uterus besitzen.) Ich meine, dass die Amenorrhoe kein
untrügliches Zeichen einer Atrophie des Uterus, wenigstens seiner
Muskulatur, sein muss, und habe auch amenorrhoisch Stillende mit
grossem Uterus gefunden.
Der Umstand, dass Th. bisher unheilbare Fälle von reiner
Lactationsatrophie nicht gesehen hat, ist kein Beweis für ihre
Nichtexistenz. Im Gegen thell sind alle übrigen Autoren darüber
einig, dass es solche Fälle gibt und zwar durchaus nicht nur
Fälle, die das Stillen übertrieben haben. Ferner sind diejenigen
Zeichen, die nach Th. anzeigen sollen, wann wir das Stillen ver¬
bieten müssen, für die allgemeine Praxis nicht verwerthbar,
nämlich die Atrophie der Cervix und Ovarien. Zunächst be¬
theiligt sich die Cervix in vielen Fällen von Anfang an der
Lactationsatrophie des Uterus und nicht erst sekundär. Das haben,
wie ich höre, auch E .Fraeukel und A. Martin gegenüber
Thorn in der Discusslou auf der Hamburger Naturforscherver¬
sammlung gebührend hervorgehoben. Die beginnende Atrophie
der Ovarien aber durch Tastung festzustelleu, wird nicht nur nicht
dem praktischen Arzte gelingen — und dieser ist nicht immer in
der Loge, sogleich den Specinlarzt zuzuziehen — sondern auch
durchaus nicht immer, ja nicht einmal häufig dem Gynäkologen
trotz der leichten Untersuchbarkelt vor Kurzem entbundener
Frauen. Das werden die geübtesten Untersucher bestätigen
können. Eine selbst geringe Vergrösserung oder pathologische
Veränderung des Ovarium können wir tasten, aber wir können
nicht mit Sicherheit von einem Ovarium sagen, es beginne sich zu
verkleinern oder zu atrophiren. Wir meinen auch, dass man die
Atrophie nicht so lange bestehen lassen darf, bis sie auf den
übrigen Genitalapparat und den Gesammtorgauismus fort¬
geschritten ist Dann könnte der Versuch, sie durcli Ueber-
ernührung ln ihre physiologischen Grenzen zurückzubringen, viel¬
fach zu spät kommen.
Wenn Th. pathologische Fälle bisher nicht gesehen hat, so hat
er, wie es ln der Medlcin eben zuweilen zugeht, trotz seiner grossen
Erfahrung, vielleicht die schweren Fälle zufällig nicht zu Ge¬
sicht bekommen, wir Anderen jedoch haben sie wiederholt ge¬
sehen und können uns durch Th.’s entgegenstehendeu negativen
Befund darin nicht erschüttern lassen. Also bei voller An¬
erkennung der Verdienste Th.'s um die Klarstellung der Thatsache,
dass es eine physiologische Lactationsatrophie gibt upd dass diese
die Regel ist, wollen wir dennoch nicht übej: das Ziel hinaus-
schiessen, und mit Frommei dabei verharren, dass auch eine
prognostisch ungünstigere Form der Lactationsatrophie vorkommt,
mit Rücksicht auf welche das Stil verbot mitunter erlassen werden
muss. Auf Grund der von mir mitgetheilten neuen Thatsacheu und
in Ermangelung sicherer Keimzeichen für die beideu Formen
möchte ich vorläufig rathen, sich des von mir vorgeschlageuen Be-
obachtungs- und Behandlungsmodus zu bedienen.
Erwiderung auf den vorstehenden Aufsatz.
Von W. Thorn.
Mein oben erwähnter Vortrag über die praktische Bedeutung
der Lactationsatrophie des Uterus bezweckte, einer Einschränkung
des Stillens auf Grund allzu pessimistischer Auffassung der Pro¬
gnose der Lactationsatrophie vorzubeugen. Ich habe dabei auf die
sehr fleissige und werthvolle Arbeit L .F r a e n k e l’s Bezug
nehmen müssen, hauptsächlich, um einige lrrthümer richtig zu
stellen. Die Untersuchungen L. Fraenke Ts, wie diejenigen aller
anderen Autoren, die sich nach mir mit der Lactationsatrophie
eingehender beschäftigt haben, wie Gottschalk, Klein-
Wächter, Engström, Vineberg, haben im Wesentlichen
die Richtigkeit meiner Lehre von der Lactationsatrophie bestätigt,
und dem bat auch Doederlein in dem Kapitel „Uterus¬
atrophie“ im V e i t’schen Handbuch Ausdruck gegeben. Die Zahl
der Fälle von reiner Lactationsatrophie, welche unheilbar
bleiben, ist eine verschwindend geringe; das bestätigt auch
L. Fraenke 1. Von seinen 95 Fällen verwerthet er 37 zur Be¬
urteilung der Prognose. Bei 9 dieser Fälle wurde die Restitutio
in integrum nicht beobachtet, womit nicht gesagt ist, dass sie in
einigen später nicht erfolgt wäre. So sind die Fälle No. 1(5 (28 jiihr.
II. Para lact 3 Monate, völlig gesund, aber amenorrhoisch seit
dem Partus vor ’/« Jahren) und No. 19 (32jähr. II. Para lact.
5 Monate, amenorrhoisch seit dem Partus vor */« Jahren) nur 3
und 5 Monate, also zu kurze Zeit, beobachtet. Drei Fälle men-
struirten, zwei allerdings postponirend (No. 24, 28, 34). Die Funk¬
tion der Ovarien war also noch nicht erloschen, die Möglichkeit
der Heilung nicht ausgeschlossen. In nicht weniger als (» Fällen
handelte es sich um langes Stillen (No. 2: 1% Jahr; No. 5: 1 J.;
No. 13: 1 y 4 J.; No. 28: 1 J.; No. 34: 11 Monate; No. 56: 2 J.). Ein
Thell der Fälle, namentlich der mit kurzer Stillzeit, ist, wie
*) Sep.-Abdr. S. 27, Anna.
No *2
L. F r a e n k e 1 ausdrücklich bemerkt, nicht behandelt worden.
Demgemäss berechnet L. Fraenkel selbst die Unhellbarkelt auf
3,1 Proc., nicht etwa 24 Proc., Indem er nur die Fälle 2, 5 und 56
als unheilbar erachtet, bei denen es sich um Stillzeiten von lVi J-,
1 J. und 2. J. handelt. Erwägt man, dass überhaupt nur
die schwereren Fälle von Lactationsatrophie in die Hände der
Gynäkologen gelangen, so kann man auch aus dem Fraeukel-
scheu Material beim besten Willen nur herauslesen, dass eine recht
geringe Zahl Stillender durch zu langes Stillen dauernden Schaden
erleidet. Ich glaube, man wird dieser Schädigung, wenn man meine
Rathschläge befolgt, genügend Vorbeugen und ich hoffe, auch
L. Fraenkel wird seine Behauptung, dass dieselben „für die
Allgemeinheit schädlich zu sein scheinen“, nicht allzu ernst nehmen.
Auf den weiteren Iuhalt des L. Fraenke Tschrn Aufsatzes ein¬
zugehen, erscheint mir an dieser Stelle überflüssig; ich hoffe, ge¬
legentlich an anderem Ort darauf zurückzukommen.
Oie Leistung des Wassmuth’schen Inhalationsapparates.
Von Prof. Dr. R. Emmerich in München und Dr. V. Ger-
lach in Wiesbaden.
In No. 26 der Münch, med. Wochenschr. machte der Eine von
uns (Emmerich) Mittheilungen über die Leistungen des im
Kraukenliause 1/1. zu München aufgestellten W a s s m u t h’scheu
Iuhalatiousapparates, welche darin gipfeln, dass dortselbst bei der
Zerstäubung von Wasser eine Nebelbildung überhaupt nicht auf-
tritt und dass sich bei Zerstäubung von Soole keine Flüssigkeits-
tröpfclien, sondern nur Kochsalzkrystalle in der Luft finden. Von
letzteren wurden auf den exponirten Objektträgern pro Quadrat-
centimeter in 1 Minute nur ca. 300 gezählt. Etwa gleichzeitig und
angeregt durch diese Publikation untersuchte der Andere von uns
(Gerlach) die Wassmut h’schen Inhalatorien in Münster a/St.
und Bad Soden a/T. und fand dort auch bei Zerstäubung von
Wasser kräftige Nebelbildung, bei Zerstäubung von Soole nach
1 Minute bis zu ca. 14 000 Flüssigkeitströpfcheu pro Quadratcenti-
meter der exponirten Objektträger, nach längerer Exposition noch
viel mehr derselben (bis zu ca. 150 000) von der Grösse eines
rothen Blutkörperchens, daneben grössere, aber auch sehr viel
kleinere, bis kleinste Tröpfchen.
Zur Aufklärung dieser widersprechenden Resultate wurde eine
gemeinsame Untersuchung des im Krankeuhause zu München auf¬
gestellten W a s s m u t h’schen Apparates von uns vorgenommen.
Die erste Untersuchung bestätigte Emmerich’« Angaben voll¬
ständig: von einer Nebelbildung. sowie von niederfallenden Tröpf¬
chen konnte kaum eine Spur wahrgeuommen werden. Dabei fuuk-
tionirte der Apparat insofern gut, als die Zerstäubungstlüssigkeit
mit grossem Druck ausgeschleudert wurde, daun allerdings sofort
in der Luft verschwand. Dieser Befund gab den Hinweis darauf,
dass dieses ungünstige Resultat in äusseren Verhältnissen begiündet
sein müsse, und es gelang auch eine ganze Anzahl von ungünstig
l wirkenden Faktoren festzustellen. Der Raum, in welchem der Zer-
■ stiiubungsapparat sich befindet, ist aussergewohnlich hoch und letz
terer war in beträchtlicher Höhe angebracht. Die Temperatur des
| Raumes betrug in Kopfhöhe ca. 21 u C„ war also in den oberen
Schichten noch höher und somit wurde die zerstäubte Flüssigkeit
sehr schnell und zum allergrössten Theile zur Sättigung der oberen
Luftschichten verwendet. In dieser Hinsicht wirkte ein längs der
Decke gelegenes Heizrohr noch besonders ungünstig. Ausserdem
war die dem Inhalationsraum durch den Was«m u t h’schen
Apparat zugeführte Veutilatiousluft sehr warm und trocken, so
dass dieselbe Im Staude war, erhebliche Mengen der zerstäubten
Flüssigkeit aufzunehmeu. Es konnte demnach nicht Wunder
| nehmen, dass bei diesem Zusammentreffen mehrerer ungünstig wlr-
• kender Faktoren, deren Wirkungsgrösse zum Theil wieder von der
Beschaffenheit der athmosphiirlscheu Luft abhängig war. der In¬
halationsraum sich nicht mit Flüssigkeitströpfchen anfüllte. Dem
bei unseren Versuchen anwesenden Herrn Wassmuth wurden
diese Verhältnisse domonstrirt. Nach Ausführung der von uns
und Herrn Wassmuth gemachten Verbesserungsvorschläge,
welche im Wesentlichen darin bestanden, dass der Apparat in ge¬
ringere Höhe (Mitte der Zimmerhöhe) verlegt und im Anfaugstheil
des Luftzuführungskanales durch Wasserzerstäubung die Zuluft
mit Wasser angereichert wurde, besserten sich die Verhältnisse,
und nachdem auch noch die Heizung zum Theil abgestellt wurde,
befanden sich zahlreiche feine Flüssigkeitströpfcheu ‘Nebel) In
der Luft des Inhalationsraumes.
Bericht Uber die Ergebnisse der Schutzpockenimpfung
im Königreiche Bayern im Jahre 1900,
erstattet von dom k. Centralimpfarzte, Medioinalrath
Dr. L. Stumpf.
(Schluss.)
Was die Schnittform bei der Impfung betrifft, so
waren einfache, genügend weit von einander entfernte Längs¬
schnitte die Regel.
Die Amtsärzte von Alchach, Schrobenbausen, Grafenan, Vlls-
blbnrg, Roth a/S„ Kitzingen, Bischofsheim, Aub, Rain, Nabburg
und Vohenstrauss brachten den Kreuzschnitt zur Anwendung. Je-
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MTTENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 82.
doch verfuhren diese Aerzte bei ihrer Schnittanlage sehr ver¬
schieden. So wurden von den Amtsärzten von Alchach, Schroben-
hausen, Grafenau, Nabburg und Vilsbiburg bloss die Wiederimpf¬
linge mittels des Kreuzschnittes geimpft. Der letztgenannte Arzt
setzte manchmal Kreuzschnitte mit einfachen Schnitten vermischt,
und zwar auch besonders bei Wiederimpflingen, um einen besseren
Impferfolg zu erzielen. Die Amtsärzte von Roth a/S. und Aub
impften mittels des Kreuzschuittes ausser den Wiederimpflingen
auch jene Erstimpflinge, bei denen die erste Impfung mittels des
Längsschnittes erfolglos gewesen war. Bei den Amtsärzten von
Bischofsheim, Rain und Vohenstrnuss war der Kreuzschnitt die
bei sämmtliclien Impflingen angewandte Schnittmethode. Ge¬
wöhnlich war die Zahl der Kreuzschnitte die vorgeschriebene.
Der Amtsarzt von Kitzingen gestattete sich Jedoch eine Ausnahme
hievon, indem er sich über die Vorschrift mit der Reflexion hin¬
wegsetzte, dass 3 Kreuzschnitte 0 einfachen Schnitten gleich¬
zusetzen seien. Auf Grund von in früheren Jahren gemachten
ungünstigen Erfahrungen wollte der Amtsarzt auf den Kreuz¬
schnitt nicht verzichten. Er kann sich der Ansicht nicht an-
schllessen, dass 4 Schnitte, also auch Kreuzsehuitte. als das vor¬
geschriebene Minimum zu betrachten und anzulegen seien. Da
es sich beim Kreuzschnitte tliatsächlieh um 2 Schnitte handle, da
ferner die Wirksamkeit des Kreuzschnittes erfahrungsgemäss jene
von 2 einzelnen Schnitten bedeutend übertreffe, indem der Kreu-
zungspuukt der Schnitte zur besseren Haftung der Lymphe in
hervorragender Weise geeignet erscheine, so glaubte sich der Impf¬
arzt mit 3 solchen Schnitten umsomehr begnügen zu sollen, als
bei 4 Kreuzschnitten die Reaktion häufig beängstigend werde.
Auch der Impfarzt von Neustadt a/H. begnügte sich bei den Erst¬
impflingen manchmal mit 3 seichten Schnittchen. Meist sollen
jedoch 4 Schnitte gesetzt worden sein. Auch der Impfarzt von
Eichstätt impfte schwächere oder vorher erkrankte Kinder, „um
eine Concession zu machen“, nur mit 3 Schnittchen, und begründet
dieses Verfahren damit, dass mehr als 3—4 Impfschnitte auf dem
Arme eines mittelstarken Kindes sich so entwickeln würden, dass
sie kaum untergebracht werden könnten. In der Erwiderung
hierauf möchte sich der Berichterstatter auf das beziehen, was er
schon lm Berichte des Jahres 1899 zu äussern veranlasst war.
Wenn die Sachverständigenkommission seinerzeit drei Impf-‘
schnitte für genügend erachtet hätte, um den erstrebenswerthen
Grad des Impfschutzes für die Bevölkerung Deutschlands zu er¬
reichen, so hätte sie nicht vier Impfschnitte als das Mindest¬
raaass festgesetzt. Kinder, welche so schwächlich sind, dass der
Impfarzt für nöthig hält, den Eltern mit 3 Schnitten eine „Con¬
cession“ zu machen, bleiben besser ungeimpft und werden dann
im nächsten Jahre vorschriftsmässig geimpft.
Mittelstarke Kinder wurden in früheren Jahren ln Bayern
ohne Schwierigkeit auf beiden Armen mit je 5 Schnitten geimpft,
und in Holland wird die Impfung heute noch in der gleichen
Weise vollzogen. Der Berichterstatter hat dort nicht bemerken
können, dass die Anbringung von 5 Schnitten auf dem Arme eines
mittelstarken Kindes den holländischen Aerzten irgend welche
Schwierigkeiten bereitet hätte.
Von anderen Schnittmethoden ist nur noch der Doppclschnitt
zu erwähnen, dessen sich der Impfarzt von Neustadt a/\VN. bei der
Impfung bedient. In Bezug auf die Methode der Impfung mag
noch bemerkt werden, dass der Impfarzt von Alzenau bei einer
Anzahl von Kindern sofort nach der Impfung einen Schutz¬
verband anlegte, der am Nachschautage erneuert wurde. Welcher
Art dieser Schutzverband gewesen ist, wird nicht näher er¬
läutert. Um über den Grad der Virulenz der erhaltenen Lymphe
Kenntniss zu erhalten, liessen 2 Impfärzte des Landes, jene von
Ebern und Münnerstadt, -der öffentlichen Impfung einzelne
Probeimpfungen vorausgehen. Der Ausfall der Blattern und
ihre Beschaffenheit war dann maassgebend für die Auswahl der
Lymphesorten für die Erst- und Wiederimpfung. Mit Menschen¬
lymphe wurden im Berichtjahre in 2 Regierungsbezirken, Mittel¬
und Unterfranken, 4 Erstimpflinge und 1 Wiederimpfling ge¬
impft. Von 3 im Amtsbezirke Kipfenberg vollzogenen Erst¬
impfungen ist der Erfolg unbekannt geblieben. Sonst ist die
Menschenlymphe in Bayern bei keiner Impfung mehr zur An¬
wendung gekommen.
An Beobachtungen enthalten die Berichte der Amtsärzte
vom Jahre 1900 ein reiches Material, von welchem wir nur das
Bemerkenswertheste hervorheben wollen. Verspätete Pustelent¬
wicklung ist im Berichtjahre nicht häufig und nur in vereinzelten
Fällen beobachtet worden, jedenfalls aus dem Grunde, weil die
Qualität des Impfstoffs im Ganzen sehr gut war.
Es verdient angeführt zu werden, dass im Amtsbezirke
Schwelnfurt auf demselben Termine Impfstiche mit demselben
Impfstoff bei der einen Hälfte der Geimpften einen sehr guten, bei
der anderen Hälfte einen schwachen Impferfolg zeigten. Die elgen-
tliümliche Erscheinung von sehr ungleicher Wirkung einer und
derselben Lymphesorte wurde auch im Amtsbezirke Oettingen
beobachtet. Der Impfarzt erklärte sie damit, dass viele Mütter
«Ion Impfstoff unmittelbar nach der Impfung aus den Schnitten
herauszuwlscheu bestrebt waren, damit die Blattern nicht so gross
würden. Dass jüngere und schwächliche Kinder, sowie auch
solche, welche kurz vorher Infektionskrankheiten Uberstanden
hatten, weniger entwickelte und kleinere Pusteln bekamen als
kräftige und ältere Kinder, wurde wiederholt beobachtet So
scheinen besonders vorausgegangene Maseru und Varicellen nach
mehrfachen Aeusserungen die impferfolge ungünstig beeinflusst
zu haben. Im Amtsbezirke Wunsledel waren 2 Kinder wenige
Wochen vor der Impfung an Varicellen erkrankt; bei einem der¬
selben bildeten sich nur kleine und kümmerliche Blattern. Im
Amtsbezirke Tölz entwickelte sich bei einem Kinde, welches erst
jüngst vorher die Varicellen Uberstandeu hatte, nur 1 Pustel, was
bei dem sonst beobachteten vorzüglichen Impfresultate auffallend
war. An anderen Orten dagegen konnte ein Einfluss der kurz vor
der Impfung durchgemachten Varicellen auf die Entwicklung der
Impfpusteln nicht beobachtet werden. Der Unterschied der Pustel¬
entwicklung je nach dem Kräftezustande der Kinder wurde von
mehreren Amtsärzten ziffermässig erhärtet. So entwickelten sich
bei C» Impfschnitten im Amtsbezirke Erbendorf 5,G8 Pusteln bei den
impf pflichtigen Kindern, hingegen nur 4,8 bei den lm Geburtsjahre
Geimpften. Im Amtsbezirke Berneck trafen auf jedes impf-
pfliclitige Kind 5.7 Blattern, auf Jedes im Geburtsjahre geimpfte
4,5 Blattern bei 6 Impfschnitten. Nach der Beobachtung des Impf¬
arztes von Hammelburg waren die Pusteln der Wiederimpflinge
in der Regel um so zahlreicher und besser entwickelt. Je weniger
Narben von der Erstimpfung sichtbar waren.
Den wenigen Beobachtungen, welche auf die vorzeitige Ab-
schwächung einiger Lymphesorten schliessen liessen, steht eine
Fülle von solchen gegenüber, welche die vorzügliche Beschaffen¬
heit des Impfstoffes erwiesen. Viele Impfärzte sprechen sich in
ihren Berichten dahin aus, dass die von ihnen verimpfte Lymphe
von geradezu idealen Eigenschaften gewesen sei. In einer grossen
Anzahl von Amtsbezirken wurden Erfolge erzielt, welche
schlechterdings nicht mehr übertroffen werden können. Es sollen
hier nur einige solcher Mustererfolge ziffermässig angeführt
werden.
Im Amtsbezirke Haag wurden bei 509 Erstlmpflingeu 2078
Blattern erzielt, also 5,26 Blattern bei 0 Impfschnitten. Von 380
mit Erfolg geimpften Wiederimpflingen zeigten 360 = 94,7 Proc.
vollkommen entwickelte Pusteln. Im Amtsbezirke Mühldorf ent¬
wickelten sich aus 2388 Schnittchen 4518 Pusteln; somit trafen
auf einen Impfling 7,5 Pusteln. Von den 444 Wiederimpflingen
hatten 399 bei 4 Schnittchen 1814 wohlcbarakterisirte Pusteln.
Die Impfung lm Amtsbezirke Kötzting ergab ebenfalls einen vor¬
züglichen Erfolg. Bei 4 Schnitten trafen auf jeden Impfling
5,9 Blattern; Fehlimpfungen oder Fälle mit 1 Blatter kamen nicht
vor. Bei 309 Wiederimpflingen wurden in 302 Fällen insgesammt
1239 Blattern gezählt. Auch die Impfung in der Stadt Bamberg
war in allen Fällen erfolgreich. Bei 623 geimpften Kindern ent¬
wickelten sich aus 2492 Impfschnitten 2952 Impfblattern = 118,4
Proc. Auf jeden Impfling trafen somit 4,7 Blattern. Einblätterige
Fälle kamen nicht vor. Die gleichen Erfolge hatten die Amts¬
bezirke Tölz, Wolfstein, Bayreuth, Grilfenberg, Lichtenfels, Her¬
zogenaurach, Potteustein, Schwabach, Pappenheim, Alzenau,
Euerdorf, Mellrichstadt, Douauwörth, Nördlingen, Furth und
Rodlng aufzuweisen. In Mellrichstndt wurden sämmtliche Wieder-
ImpfUuge ohne Ausnahme mit dem Erfolge von schönen, grossen
Pusteln geimpft, ein Resultat, wie es von dem dortigen Amts¬
ärzte noch niemals beobachtet worden war. An diesen erst¬
klassigen Erfolgen war die Retrovaccine wie die reine animale
Lymphe In gleicher Welse betheiligt.
Dass sich aus 1 Impf schnitte 2 und mehr Pusteln ent¬
wickelten, und dass sogar das Impffeld bei 4 Impfschnitten von
ganzen Gruppen von grossen, mitunter auch konfluirenden
Pusteln bedeckt war, scheint im Berichtjahre eine ganz ge¬
wöhnliche Erscheinung gewesen zu sein, und 12—16 Pusteln bei
4 Impfschnitten wurden auf dem Oberarme nicht selten gezählt.
Manchmal hatte die Impfung kurzdauernde Störungen des
Allgemeinbefindens zur Folge, von denen das Wichtigste erwähnt
zu werden verdient.
In der Stadt München wurden von 6678 öffentlich geimpften
Kindern 19 nach der Impfung ärztlich behandelt, da die Ange¬
hörigen wegen wirklicher oder vermeintlicher Krankheltsfolgeu
der vorausgegangenen Impfung ärztliche Hilfe erbeten hatten.
Meist handelte es sich nur um unbedeutende Reizerscheinungen
«n der Impfstelle. In 3 Fällen war, da ekzematöse Stellen unter
dem Kopfhaare verborgen geblieben waren, ein generalisirter
Blattern-Ausschlag der Gesichts- und Kopfhaut aufgetreten. Die
HeilUDg dieser Fälle von Vaccinia nahm einen normalen Verlauf.
In 3 Fällen kam es zu Abscedirung der Achseldrüsen. Die recht¬
zeitige Oeffnung dieser Abscesse führte in kurzer Zelt Heilung
herbei. Endlich wurde noch ein Fall von Phlegmone der rechten
Schultergegend mit dem Ausgang in völlige Heilung beobachtet.
Fälle von generalisirter Vaccine hatten ausserdem noch die Amts¬
ärzte von Vilshofen, Homburg, Bamberg, Pottenstein, Heidenheim,
Brückenau, Cham und Hemau Gelegenheit zu beobachten. Sämmt¬
liche Fälle endeten in kurzer Zeit mit Heilung. Andere allgemeine,
über den ganzen Körper verbreitete urticaria- und masernähnliche
Exantheme wurden nach der Impfung mehrmals beobachtet. Das
Allgemeinbefinden der Kinder war nur selten eine kurze Zeit
hindurch, besonders beim Ausbruche des Exanthems, gestört. Von
solchen einzelnen Fällen berichten die Amtsärzte von Gelsenfeld.
Kötzting. Vilshofen, Rockenhausen, Bamberg, Hammelburg,
Münnerstadt, Marktheidenfeld. Erbendorf und Neunburg v. W.
Auch ekzeru- und herpesähnllche Eruptionen wurden ln der Um-
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24. Dezember 1901.
MTTENCHENEB MEDICINTSCJHE WOCHENSCHRIFT.
2109
gebung der Impfstelle, besonders auf reizbarer Haut, manchmal
beobachtet, so ln 2 Fällen von dem Impfarzte von Kötztlng,
dann mehrmals von dem Impfarzte von Neumarkt und in
einem Falle, bei dem die Körperpflege sehr viel zu wünschen
übrig lies», von dem Amtsärzte von Hemau. Im Amtsbezirke
Wunsiedel traten bei 8 Wiederimpflingen in der Umgebung der
Impfpusteln Sugillationeu auf. Die gleiche Erscheinung beob¬
achtete der Impfarzt von Kötztlng. Bei einigen Wiederimpflingen
des Amtsbezirks Münnerstadt bildete sich au den Impfstellen ein
haemorrhagischer Hof, auch wenn keine Blattern, sondern nur
Knötchen aus den Impfschnitten sich entwickelt hatten. Bei einem
mit 4 Schnitten geimpften Erstimpfling des Amtsbezirks Bamberg
zeigten sich am Nachschautage 3 Blattern, von denen 2 auf ihrem
Grunde und in der Umgebung eine auffallend starke Vasculari-
sution erkennen Hessen. Endlich zeigte 1 Impfling des Amts¬
bezirks Hemau 3 Monate nach der Impfung noch an zwei Impf¬
stellen umschriebene Granulationen in der Höhe einer kleinen
Erbse. Auch hier scheint eine schlechte Körperpflege die Ur¬
sache der abnormen Bildung gewesen zu sein. Mehrfach wurden
Fälle beobachtet, bei denen bald in Folge von Insultirung der
Blattern, besonders durch Aufkratzen derselben mit schmutzigen
Fingernägeln, manchmal aber auch ohne nachweisbare Ursache
die Blattern sich In mehr minder tiefe Geschwüre mit scharfen
Rändern und nicht unbeträchtlichen Substanzverlusten verwan¬
delten. Durch geeignete ärztliche Maassnahmen reinigten sich
diese geschwürig entarteten Blattern und kamen bald in kurzer
Zelt, bald nnch Ablauf von mehreren Wochen ausnahmslos zur
vollkommenen Heilung. Von solchen Fällen berichten die Amts¬
ärzte von Altötting, Arnstorf. Viechtnch, Waldmohr, Kaisers¬
lautern, Ludwigshafen, Kipfenberg, Heidenheim, Schweinfurt und
Ebern. In allen diesen 10 Amtsbezirken handelte es sich immer
nur um vereinzelte Fälle, an denen die Wiederimpflinge in gleichem
Grade wie die Erstimpflinge betheiligt waren. Diese erheblicheren
Lokalaffektionen waren nicht selten von Schwellungen der Achsel¬
drüsen begleitet, welche sich mit der Besserung der lokalen Er¬
scheinungen durchwegs schnell wieder zurtlckbildeten. Im Amts¬
bezirke Thurnau waren die Pusteln eines unreinlich gehaltenen
und wenig beaufsichtigten Mädchens bei der Nachschau aufge¬
kratzt, und nicht nur die Impfstelle selbst, sondern auch die da¬
zwischenliegende Haut mit grauwelssen, croupähnlichen Mem¬
branen belegt. Das Allgemeinbefinden des Kindes war dabei nicht
gestört. Das Kind wurde täglich verbunden, machte während des
Hellungsprocesses die Masern durch und war nach etwa 3 Wochen
vollkommen genesen.
Zu den besonderen Vorkommnissen sind jene Fälle zu
rechnen, in denen an Stellen, die oft von der Impfstelle entfernt
lagen, grosse, wohlcharakterisirte Pusteln auftraten.
Von solchen Fällen berichtet der Impfarzt von Gegenfeld.
Auch im Amtsbezirke Bamberg zeigte 1 Kind an der rechten
Wange eine versprengte Pustel. Im Amtsbezirke Neustadt a. S.
brachte sich ein Erstimpfling durch Kratzen mehrere Selbstimpf¬
ungen an verschiedenen Körperstellen bei, welche sich zu schönen
Pusteln entwickelten. Der Amtsarzt von Friedberg beobachtete
eine grosse Pustel in der Achselhöhle eines Erstimpflings. Auch
einige Erwachsene wurden im Berlehtjahre wieder mittels der
Fingernägel ihrer Kinder auf erfolgreiche Weise an verschiedenen
Körperstellen geimpft.
Dass Mütter nach vollzogener Impfung die Impfstelle ab¬
zuwischen oder selbst mit dem Munde auszusaugen bestrebt
waren, wurde in mehreren Amtsbezirken beobachtet. Meist hatte
dieses Verfahren keine Wirkung auf die Entwicklung der
Pusteln.
Solche Fälle werden gemeldet aus den Amtsbezirken Ebers¬
berg. Neumarkt 1.0., Neustadt a. W.-N. und Roding. Im Amts¬
bezirke Neustadt a. W.-N. sollen dadurch die Impf erfolge In der
That beeinträchtigt worden sein. Wenigstens zeigten die mit
der nämlichen Lymphe am Kontroltage nachgeimpften Kinder
wiederholt die schönsten Pusteln. In Roding war jenes Kind,
dessen Mutter nach eigenem Geständnis« dieses Verfahren geübt
hatte, das einzige, welches erfolglos geimpft worden war. Die
Nachimpfung desselben mit dem nämlichen Impfstoffe brachte
auch hier 4 schöne Pusteln zur Entwicklung. Dem Amtsärzte
von Riedenburg wurde ein Kind vorgestellt. welches im Jnhre
1S99 als erfolglos geimpft verzeichnet worden war. Es zeigten
sich 2 unzweifelhafte Impfpusteluarben, und die Mutter gab au,
dass erst 14 Tage nach der Impfung damals noch 2 Blattern ent¬
standen seien.
Die Vertheilung von Rathschlägen über das Verhalte i
der Kinder nach der Impfung an die Angehörigen gewinnt im
Lande mehr und mehr an Boden und kann (len Amtsärzten nur
rückhaltlos empfohlen werden. Wenn der Impfarzt von Homburg
der Ansicht ist, dass die Angehörigen durch die vertheilten Vor¬
schriften nur ängstlich würden, und dass in Folge davon der
linpfarzt öfter zu kranken Kindern geholt würde, deren Krankheit
mit der Impfung in gar keinem Zusammenhänge stünde, so kann
ihm der Berichterstatter auf Grund seiner Erfahrung nicht bei¬
pflichten. Dass solche Fälle manchmal Vorkommen, ist ja wahr,
und dass solche fruchtlose Gänge manchmal unbequem für den
Impfarzt sind, kann ja auch zugegeben werden; aber wir meinen,
dass diese kleine, manchmal vergeblich auf gewandte Mühe doch
weniger Schaden bringt, als eine durch das Ausbleiben der ärzt¬
lichen Hilfe verschleppte und schlimm gewordene, wirkliche
Folgekrankheit.
Dio Impfung hatte auch im Berichtjahre wieder vielfach
mehr minder starke entzündliche Reizungen der Haut
der Impfstelle und deren Umgebung im Gefolge. Es kam in
manchen Fällen zur Induration und Infiltration der Haut, bald
in kleinerem, bald in grösserem Umkreise. Der Berichterstatter
pflegt alle diese Fälle, je nach den Aeusserungen der Amtsärzte,
in 3 Intensitätsgrade einzutheilen und dem ersten Grade der
reaktiven Folgeerscheinungen diejenigen Fälle zuzuzählen, bei
denen sich dio entzündlichen Reizerscheinungen nur auf die
Impfstelle selbst und deren nächste Umgebung beschränken.
In die 2. Klasse der Hautentzündungen wären dann jene Fälle
einzureihen, bei denen sich die Reizerscheinungen auf weiter von
der Impfstelle entfernte Regionen erstrecken, sowie solche, bei
denen die Lymphdrüsen der Umgegend mit einer kleineren oder
grösseren sympathischen Schwellung betheiligt sind. Jene Fälle
aber, bei welchen die Impfung noch bedeutendere lokale Krank-
heitserscheinungen zur Folge hat, die insbesondere auch das All¬
gemeinbefinden der Kinder in mehr oder minder erheblichem
Grade stören, pflegt der Berichterstatter der 3. Klasse der Folge¬
zustände nach vorausgegangener Impfung zuzutheilen. Für die
absolute Richtigkeit der Einreihung der namentlich aufge¬
führten Krankheitsfälle in diese 3 verschiedenen Intensitäts¬
grade kann freilich bei der Kürze der amtsärztlichen Aeusse¬
rungen, mit welcher viele dieser Fälle behandelt werden, keine
Gewähr übernommen werden. Es dürfte jedoch die Annahme
richtig sein, dass alle diejenigen Fälle, welche wir nur beiläufig
und nebensächlich in den Berichten erwähnt finden, auch in der
That bedeutungslos gewesen .sind.
Von solchen vereinzelten, unbedeutenden Reizerscheinungen
der Impfstelle und ihrer nächsten Umgebung berichten 26 Amts¬
ärzte. In der überwiegenden Anzahl dieser Fälle waren wieder,
wie in den früheren Jahren, die Schulkinder betroffen, welche
durch zu geringe Schonung des Armes, besonders durch land¬
wirtschaftliche Arbeiten, aber auch durch direkte Insulte, wie
Aufkratzen der Blattern etc. öfters Anlass zur Schwellung und
entzündlichen Reizung des geimpften Armes gaben. Auch un¬
geeignete, enge Kleidung und mangelhafte Reinlichkeit waren
nicht selten die augenfällige Ursache dieser abnormen Folge¬
erscheinungen. In allen diesen Fällen verschwand die Entzün¬
dung und Schwellung der Haut in kürzester Zeit, und die Hei¬
lung der Blattern nahm einen normalen Verlauf. Aus der Reihe
der erheblicheren Störungen ist Folgendes hervorzuheben:
Im Amtsbezirke Kötzting wurde bei 14 Erstimpflingen eine
vorübergehende Entzündung des rechten Arms, sowie bei 6 Wieder¬
impfungen eine solche des ganzen linken Arms mit Anschwellung
der Achseldrüsen ohne jede weitere Folge beobachtet. Die Blattern¬
eutwicklung war in allen Füllen tadellos. Der Amtsarzt von Vleeh-
tach sah bei einem Wiederimpfung nach einem kalten Bade im
Regenflusse eine starke Infiltration der Umgebung der Impfstelle
mit Schwellung der Achseldrüsen auftreten. Die Amtsärzte von
Homburg. Waldmohr, Kaiserslautern. Wolfstein und Blieskastel
beobachteten 12 Fülle von rotblaufartlgen Entzündungen, von
denen einige im Amtsbezirke Wolfstein nicht unbedeutend gewesen
zu sein scheinen. Im Amtsbezirke Stadtsteinach war bei einem
18 jährigen Mädchen, wahrscheinlich in Folge unreiner Kleidung,
ein ziemlich starkes Erysipel zu beobachten. Auch ln den Amts¬
bezirken Kitzingen und Schweinfurt zeigte sich nicht selten, und
zwar besonders bei den Wiederimpfungen, eine starke Reizung
der Umgebung der Impfstelle mit Anschwellung der Achseldrüsen.
Bei einem Kinde des Amtsbezirkes Hammelburg war am Nach¬
schautage eine starke eryslpelatöse Entzündung der Haut sicht¬
bar. die sich auf den ganzen rechten Oberarm erstreckte. Die
Ursache war mangelhafte Reinhaltung der Impfstelle seitens der
Eltern. Auch in den Amtsbezirken Oclisenfurt, Werneck und
Neuburg zeigte sich in mehreren Fällen, jedoch immer vereinzelt,
und besonders bei den Wiederimpflingen, eine starke Röthung und
Schwellung des Arms mit Schwellung der Achscldrüsen. Häufig
waren die Blattern durch enge Kleider oder die Fingernägel zer¬
kratzt und insultirt. Gleichfalls vereinzelt traten solche Krank¬
heitserscheinungen auf in den Amtsbezirken Riedenburg. Neun¬
burg v. W., Erbendorf und Neumarkt. Bel dem im letztgenannten
Amtsbezirke beobachteten Falle war die Impfstelle mit durch den
Harn des Kindes durchnässten Windeln bedeckt. Der hartnäckigste
Krankheitsfall scheint ein vom Amtsärzte von Moosburg beob¬
achteter gewesen zu sein. Bei einem schwächlichen Erstirapfllng
sollen nach der Versicherung der Mutter desselben mehrere Monate
vergangen sein, bis die Impfstelle völlig geheilt war. — In allen
angeführten Fällen sind die Kinder ohne Zwischenfall vollkommen
genesen. Diejenigen Fälle, bei welchen es sich um anders ge¬
artete sekundäre Infektionen der Impfstelle handelte, wurden
bereits unter den „Beobachtungen“ besprochen. Irgend ein wei¬
terer Krankheitsfall im Gefolge der Impfung ist sonst im ganzen
Lande nicht vorgekommen.
4 *
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2110
MTTENCHENER MEDICINI80HE WOCHENSCHRIFT.
• No. 52.
Im Berichtjahre kamen wieder bald in den Tagen zwischen
Impfung und Nachschau, bald in der auf die Nachschau folgenden
Zeltperiode mehrere Todesfälle vor. Allen diesen Todesfällen,
welche kurz vorher geimpfte Kinder betrafen, wurde auf’s Sorg¬
fältigste nachgegnngen, um die Sachlage völlig klar zu stellen,
was bei einigen Kindern, deren ärztliche Behandlung die Eltern
nicht für nöthig gefunden hatten, nicht ganz leicht war.
Nachstehend folgt das Ergebniss der bei Todesfällen von
kurz vorher geimpften Kindern gepflogenen Erhebungen. Im
Amtsbezirke Altötting starben vor dem Nachschautage 2 Erst-
impfliuge. Diese hatten schon vor der Impfung an Diarrhöen ge¬
litten, ein Umstand, der dem Impfarzte verschwiegen worden war.
Im Amtsbezirke Berchtesgaden starb ein im Geburtsjahre ge¬
impftes Kind 4 Tage nach dem Nachschautermine ohne ärztliche
Behandlung wahrscheinlich an Masern. Das Aussehen der Impf-
blattern, welche in normaler Abheilung begriffen waren, gab zur
Annahme einer Folgekrankheit der Impfung keinen Anlass. Ob
die „während der Impfzeit“ im Amtsbezirke Dachau an Meningitis
und Brechdurchfall verstorbenen Kinder sich unter den Geimpften
befunden hatten, geht aus dem Berichte des Amtsarztes nicht hervor.
Im Amtsbezirke Neumarkt a. R. starb je 1 Erstimpfling an akutem
Darmkatarrh, an Pneumonie und an Bronchitis, dieser Letztere
ohne ärztliche Behandlung. In Vilshofeu Helen 3 Erstimpflinge
in der Zeit zwischen Impfung und Nachschau der Lungen- und
Hirnhautentzündung zum Opfer. Im Amtsbezirke Pottenstein
starb ein Erstimpfling 2 Tage vor der Nachschau an Eklampsie.
Auch hier war ärztliche Behandlung nicht in Anspruch genommen
worden. Die gut entwickelten Impfblattern waren völlig reizlos.
Auch über 3 Todesfälle, welche sich in den Amtsbezirken Weissen-
burg und Schwandorf während der Impfperiode ereigneten, er¬
gaben die Erhebungen nicht den geringsten Anhaltspunkt für die
Annahme feines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung
und Tod. Dasselbe kann von 2 In der Zeit zwischen Impfung
und Nachschau im Amtsbezirke Waldsassen verstorbenen Kindern
gesagt werden, von denen eines todt im Bette gefunden wurde.
2 Kinder in den Amtsbezirken Schwabach und Kitzingen erlagen
der Lungenentzündung. An letzterem Orte erkrankte ein Erst¬
impfling, der am 4. Mai geimpft worden war, einige Tage nach
der Impfung an Durchfall und einer Phlegmone der Mastdarm¬
gegend. Unter Hinzutritt von Krämpfen trat der Tod ein. Zwei
im Geburtsjahre geimpfte Kinder des Amtsbezirkes Bamberg-Land
fielen noch vor dem Nachschautage dem akuten Brechdurchfall
mit folgender Eklampsie zum Opfer. Der Impferfolg dieser beiden
Kinder ist unbekannt geblieben.
Bei einigen Todesfällen, welche sich im Amtsbezirke
Bamberg-Stadt ereigneten, muss der Berichterstatter wegen des
impf gegnerischen Beiwerks, welches diese Todesfälle umgab,
etwas länger verweilen.
Dortselbst war theils in der Presse, theils in öffentlichen Ver¬
sammlungen die Beschuldigung erhoben worden, dass in Folge
der Impfung Schädigungen an Gesundheit und Leben vorgekommen
seien. Der erste Fall betraf einen Schuhmacherssohn, geboren am
5. September 1809. welcher, am 2. Mai mit 4 Schnitten geimpft,
am 25. Mai verstarb. Das Kind war vom Erscheinen zun Nach¬
schau durch ein ärztliches Zeugniss l>efreit worden, welches be¬
sagte, dass der Impfling, weil an Gastroiutestlnalkatarrh erkrankt,
nicht zur Kontrole gebracht werden könnte. „Impfung von Er¬
folg, keine Entzündung etc. an den Pusteln.“ Im Verlaufe der
genannten Krankheit trat am 12. oder 13. Mal ein Masernausschlag
mit charakteristischer Augenentzündung auf. Das Exanthem nahm
allmählich den Charakter der haemorrhagischen Masern an. Als
der Impfarzt am 24. Mai das kranke Kind sah, waren noch pig-
mentlrte Reste von dem früheren Exanthem sichtbar. Am Ober¬
arme zeigten sich 4 eingetrocknet«*, aber noch fest haftende
Blatternschorfe. Am Gesiiss fanden sich verscliorfte Hautstellen
von Druckbrand. Der allgemeine Zustand «les Kindes Hess be¬
reits das Aeusserste erwarten. Am 25. Mai trat der Tod ein.
Die Vornahme einer gerichtliclu'n Leichenöffnung wurde von der
k. Staatsanwaltschaft, an welche Anzeige erstattet worden war,
abgelehnt. Die Diagnose lautete: Masern. Sepsis.
Der zweite Fall betraf ein Ilutmacherskind, geboren am
21. März 1899. welches bei der öffentlichen Impfung am 1. Mai
ein leichtes Ekzem an der linken Seite der Stirnhaut zeigte und.
weil sonst gesund, ohne Bedenken geimpft wurde. Der Impf¬
ling erkrankte am 2. Mai an Brechdurchfall, zeigte bei der Nach¬
schau am 8. Mai wohl entwickelte, einwandsfrele Pusteln und
erkrankte am 11. Mai neuerdings an Lungenentzündung, der das
Kind zum Opfer fiel.
Ein dritter Fall von ang«*blicher Impfschädigung wurde in
öffentlicher Versammlung des Naturheilvereins von dem Vorstande
desselben bezüglich seines eigenen Kindes, geh. am 24. Nov. 1897,
beobachtet. Dies«*s wurde am 0. Mai privat mit 3 Schnitten ge¬
impft. Nach Angabe des Vaters soll es dann blauschwarz ge¬
worden und ..nur durch Anwendung von Kaltwassermanipulationen
gerettet worden sein“. Am Nachschautage zeigte das Kind 2 wohl
entwickelte Pusteln und keine Spur von Erkrankung. Wann die
..Rettung“ des Kindes erfolgt sein soll, blieb unaufgeklärt. Auf
Anordnung des k. Staatsministerlums des Innern wurde der That-
bestand dieser 3 Fälle in der lokalen Tagespresse wahrheitsgetreu
und amtlich veröffentlicht.
Hierauf erschienen in der Zeitschrift „Der Impfgegner“ noch
2 Fälle von angeblichen Impfschiidlgungen, welche sich bei der
Impfung des Befiehl Jahres zugetragen haben sollen. Die itn Jahre
l. VK.S geboren«* Schuhmacherstochter M. Schmidt. Schwester
des erstgenannten, an Maseru verstorbenen Kindes, soll nach der
Impfung an einer nässenden Flechte am Gesäss erkrankt sein.
Die Nachfrage bei den Eltern ergab, dass diese Flechte bei dem
genannten Kinde bereits von Geburt an bestanden habe, was die
Eltern auch dem Impfgegner, Dr. Berthelen aus Dresden,
welcher in der Sache bei ihnen nachgefragt habe, ausdrücklich
mitgetheilt hätten. Das Kind ist 1897 an einem Gehirn- und
Rückenmarksleiden gestorben. Der weitere Fall von angeblicher
Impf Schädigung betraf eine Gärtnerstochter, welche im Jahre 1898
öffentlich geimpft worden war. Auf dem Heimwege vom Impf¬
termine acquirirte das Kind eine Lungenentzündung und starb
noch vor der Nachschau. Die Mutter gab an, dass sie die Erkran¬
kung und den Tod des Kindes niemals der Impfung zugeschrieben
habe, auch nicht «len beiden Herren gegenüber, welche ira Früh¬
jahre zu ihr kamen und ihr in zudringlichster Weise in den Mund
legen wollten (!), dass ihr Kind eine Impf Schädigung erlitten habe.
Unter diesen beiden Herren befand sich gleichfalls der oben ge¬
nannte Dr. Berthelen.
Privatimpfungen wurden im Berichtjahre im ganzen König¬
reich 11894 vorgenoinmen, gegen 11325 im Vorjahre. Davon
waren Erstimpfungen 11190, Wiederimpfungen 704 (im Vor¬
jahre 10 708 bezw. 617). Von den 11190 Erstimpflingen wurden
10 871 mit Erfolg, 293 ohne Erfolg und 26 mit unbekanntem
Erfolge geimpft. Von den 704 Wiederimpfungen wurden 616
mit Erfolg, 85 ohne Erfolg und 3 mit unbekanntem Erfolge
vollzogen.
Es gereicht dem Berichterstatter zu ganz besonderer Befrie¬
digung, konstatiren zu können, dass der Hinweis auf die un¬
günstigen Ergebnisse der Privatimpfung im Jahre 1899 nicht
fruchtlos geblieben zu sein scheint. Wenn auch die Erfolge
der privaten Wiederimpfungen noch viel zu wünschen übrig
lassen, so haben sich doch jene der privaten Erstimpfungen
gegen das Vorjahr ganz erheblich gebessert (1899: Fehlimpfungen
4,8 Proc., 1900: 1,53 Proc.), wenn sie auch hinter den Erfolgen
der öffentlichen Impfungen noch zurückgeblieben sind. In der
Landeshauptstadt waren im Berichtjahre von 6678 öffentlichen
Erstimpfungen 12 erfolglos; in 18 Fällen wurde nur 1 Pustel
erzielt. Von 2211 privaten Erstimpfungen waren 52 erfolglos
und einblätterige Fälle wurden 44 gezählt.
Ausserordentliche Impfungen kamen ira Bericht¬
jahre in 4 Regierungsbezirken vor.
Im Amtsbezirke Starnberg fand am 2. und 5. August eine
ausserordentliche Impfung statt in der Gemeinde Aschering. Ver¬
anlassung hiezu grab das Auftreten von Vaiäola bei einer 48jähr.
Frau dortselbst, welche am 8. August an den Pocken starb. Der
Grund der Entstehung dieser Erkrankung konnte nicht festgestellt
werden. Der Fall ist um so merkwürdiger, da die Ergriffene schon
mehrere Wochen vor ihrer Erkrankung wegen zunehmender Kränk¬
lichkeit weder aus dem Orte, noch aus dem Hause gekommen war.
Der Impfung wurden 101 Personen unterzogen, davon 70 mit
Erfolg.
In den Amtsbezirken Dett-ilbach. Marktbreit, Ochsenfurt und
Würzburg wurden 02 landwirtschaftliche Arbeiter aus Russisch-
Polen prophylaktisch geimpft. Von 41 derselben ist ausdrücklich
konstatirt, dass sie mit Erfolg geimpft worden seien. 19 Arbeiter
hatten bereits die Pocken überstanden. 1 Arbeiter war erst kürz¬
lich aus dem Blatternspitale entlassen worden.
Im Amtsbezirke Lohr wurden wegen der im nahen Frankfurt
vorgekommenen Blatternfälle die nicht geimpften österreichischen
Staatsangehörigen der Impfung unterzogen. Eine ausserordent¬
liche Impfung, bei welcher 53 Erwachsene und 3 Kinder im Ge¬
burtsjahre zur Vorstellung kamen, wurde durch die Erkrankung
eines am 7. Juli von Frankfurt nach Augsburg gekommenen
Fabrikarbeiters nöthig. Es erkrankte nur noch die Pflegerin dieses
Kranken an leichten Blattern. Sie war zwar auch prophylaktisch
geimpft worden; jedoch war die Infektion mit dem Blatterngifte
offenbar bereits vor der Impfung geschehen. Auch im Land¬
bezirke von Augsburg hatte ein von Frankfurt eingeschleppter
Blatternfall eine ausserordentliche Impfung zur Folge. Ein ver-
heiratheter Taglöhner war bereits mit dem Exanthem behaftet von
seiner in Oberhausen wohnenden Mutter in seiner Stadtwohnung
besucht worden. In Folge davon wurden 285 Personen prophy¬
laktisch geimpft, und zwar 24 im Stadtbezirke Augsburg, 5 In Deu¬
ringen, 2 in Kriegshaber. 14 In Oberhausen, 1 in Stadtbergen und
239 in Pfersee. Obwohl der erkrankte Fabriktaglöhner noch am
Tage vor seiner flel»erhaften Erkrankung fast in allen Fabrik¬
räumen beschäftigt war, kam doch keine weitere Pockenerkran-
kung vor.
In Neuburg-Land wurden 2 italienische Arbeiter geimpft
welche keinen Ausweis Uber die vollzogene Wiederimpfung zu
erbringen vermochten. In Regensburg war eine ausserordentliche
Impfung veranlasst durch das Auftreten von Blattern auf dem
isollrt gelegenen Gute Aukofen. Dort war kurz vorher ein Arbeiter
angekommen; bald darauf an Varlolois erkrankt hatte er sich nicht
ln Spitalbehandlung begeben, sondern vielmehr die Krankheit
ambulant überstanden. Aus diesem Anlass wurden die Arbeiter
des Gutes sowie die dort zeitweilig thätigen Personen der Impfung
unterzogen. Später wurden auf Anordnung der k. Regierung die
sämmtlichen russisch-polnischen und galizischen Arbeiter von
12 Gütern — im Ganzen 270 Personen — geimpft Auf die gleiche
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24. Dezember 1001.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2111
Veranlassung bin mussten sich auch alle ln den benachbarten
Amtsbezirken Stadtamhof und Regenstauf befindlichen Oekonomle-
nrbeiter der Impfung unterziehen.
Fälle von Renitenz gegen das Impfgesetz kamen
im Berichtjahre in 5 Regierungsbezirken vor.
Die Fälle von einfachem Wegbleiben vom Impftermine können
hier füglich übergangen werden, weil die Absicht, sich der Impf-
pflieht entziehen zu wollen, bei diesen Füllen nicht zweifellos fest¬
steht. Hingegen liegen aus der Pfalz mehrere Fülle von direkt er¬
klärter Weigerung vor, sich dem Gesetze zu fügen. So erklärte ein
Handelsmann im Amtsbezirke Grünstadt, seine 2 Kinder nicht
Impfen lassen zu wollen. Er wurde bestraft, brachte aber seine
Kinder doch nicht zur Impfung. Im Bezirke Kaiserslautern scheint
nach dem Berichte des dortigen Amtsarztes die Zahl der eigent¬
lichen Impfgegner abzunehmen. Ein dortiger Uhrmacher be¬
hauptete, vor einigen Jahren ein Kind in Folge der Impfung ver¬
loren zu haben, und weigert sich seitdem, sein Kind impfen zu
lassen. Alljährlich bezahlte er seine Geldstrafe, liess aber sein Kind
nicht impfen. Als dieses nun schulpflichtig wurde, erstattete die
Lokalschulkommission Anzeige beim k. Bezirksamte, welches den
Säumigen beauftragte, sein Kind innerhalb einer bestimmten Frist
impfen zu lassen. Da er sich abermals weigerte, drohte ihm das
Bezirksamt neben der Strafanzeige die Zwangsimpfung des Kindes
an. Der Uhrmacher erhob liiegcgen Einspruch bei der k. Kreis¬
regierung, deren Entscheidung dahin lautete, dass Zwangsimpfung
für gewöhnlich nicht zulässig sei. Es mag hier darauf hingewiesen
werden, dass vor Kurzem in der gleichen Sache ein preussisches
Obergericht sich im entgegengesetzten Sinne ausgesprochen hat 5 ).
Im Amtsbezirke Neustadt a/H. wurde bei einem 2 mal durch pri¬
vatärztliches Zeugnlss von tler Impfung befreiten Erstimpfling die
Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses gefordert. Der Fall kam
in die Berufungsinstanz des k. Landgerichtes und endete mit der
Verurtheiluug des Renitenten trotz des persönlichen Auftretens
desjenigen Arztes, welcher das l>efreiende Zeuguiss abgegeben
batte. Ini Amtsbezirke Pirmasens machte ein Baumeister und
Badbesitzer die Angabe, das Impfen seiner Kinder unterlassen zu
wollen, weil er es für schädlich hielte. Anzeige wurde erstattet.
In Roth a/S. kam ebenfalls ein Fall von absichtlicher Entziehung
von der Impfung vor. Der Impfling ist 1881) geboren und iiat sich
der Impfung bisher regelmässig entzogen. Der Amtsarzt von Lohr
berichtet von einem k. Forstmeister, welcher sich weigerte, seine
Kinder, deren eines bereits die Volksschule besucht, impfen zu
lassen. Im Amtsbezirke Türkheim hatte grundsätzliche Gegner- |
Schaft in Wörishofen in 3 Fällen von Erstimpfung die absichtliche
Entziehung der Kinder von der Impfung zur Folge. In dem Grenz¬
bezirke Furth v/W. wurde bei 3 österreichischen Kindern, welche
ungeimpft eingewandert waren, die Vornahme der Impfung ver¬
weigert und erst nach Strafandrohung endlich zugestanden.
Im Gegensätze zum vorhergehenden Jahre kamen im Bericht¬
jahre weit ausgedehnte Störungen in der Durch¬
führung der öffentlichen Schutzpocken¬
impfung vor. Dadurch, dass in vielen Amtsbezirken des
Landes während der Impfzeit die Masern in epidemischer Ver¬
breitung herrschten, mussten viele Impftermine auf einen
späteren Zeitpunkt verschoben werden. Wie bedeutend die Ver¬
breitung der Masern im Berichtjahre gewesen ist, geht schon
allein aus der Thatsache hervor, dass in 46 Amtsbezirken des
Landes die Durchführung der öffentlichen Impfung in geringerem
oder höherem Grade gestört wurde.
In 4 Gemeinden des Amtsbezirkes Grünstadt konnte im Be¬
richtjahre überhaupt nicht, mehr geimpft werden. In dem Amts¬
bezirke Aichach schloss sich an die Masernepidemie eine solche von
Keuchhusten an. welche neue Störung brachte. Auch in den Amts¬
bezirken Grünstadt. Stadtprozelten und Oelisenfurt herrschte zur
Impfzeit der Keuchhusten in epidemischer Verbreitung und ver¬
hinderte die Durchführung des Impfplans. Diphtherie störte in
einer Gemeinde des Amtsbezirkes Landau (Pf.) die Durchführung
der Impfung.
Von anders gearteten Störungen ist zu erwähnen, dass an
einem Orte des Amtsbezirks Homburg der Adjunkt den ausge¬
schriebenen Impftermin bekannt zu geben vergessen hatte, so
dass die Impfung erst 8 Tage später vollzogen werden konnte. Die
wegen Mangels eines passenden Impflokales verfügte Verlegung
eines Impftermins lm Amtsbezirke Otterberg wurde von den Ein¬
wohnern damit beantwortet, dass dieselben mit allen ihren Impf¬
lingen demonstrativ der Impfung femblieben. ln 3 Amtsbezirken
des Landes konnten im Laufe des Monats Mai die Impftermine
In Folge von Unwetter nicht abgehalteu werden.
Aus 6 Regierungsbezirken sind Vorschläge in Bezug
auf die Ausführung der Impfung eingelaufen.
Wenn der Impfarzt von Rosenheim einen 3 maligen Bezug
seines Lymphebedarfs dem bisherigen 2 maligen vorziehen zu sollen
glaubt, so steht es ihm Jederzeit frei, die Art des Lympheempfangs
vollkommen seinen Wünschen entsprechend zu regeln. Die Ccn-
tralatelle geht auf jeden in dieser Hinsicht geäusserten Wunsch
seit Jahren auf’s Bereitwilligste ein. Nach dem Vorschläge des
Amtsarztes von Mitterfels sollten die Angehörigen der Impflinge
•) Entscheidung des preuss. Oberverwaltungsgerichts vom
14. Mal 1901.
No. 52
durch den gemessensten Befehl des k. Bezirksamts angehalten
werden, die Impflinge wenigstens mit rein gewaschenen Armen
zur Impfung zu bringen. Aus der Erfahrung des Impfarztes, dass
etwa der dritte Theil der Kinder ungewaschen zur Impfung er¬
scheint, muss geschlossen werden, dass es mit den Reinlichkeits-
begriffen der dortigen Bevölkerung etwas misslich bestellt ist. Der
Wunsch des Amtsarztes von Germersheim, dass solche Eltern,
welche ihre Kinder privat impfen lassen wollen, gehalten sein soll¬
ten, dem amtlichen Impfarzte hievon spätestens am Tage der
öffentlichen Impfung schriftlich oder mündlich Kenntniss zu geben,
ist schon wiederholt geüussert worden. Leider muss zu diesem
Wunsche bemerkt werden, dass der Ausführung einer solchen
generellen Bestimmung unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege
stehen würden. Die Impfärzte von Xördlingeu und Augsburg
warnen, auf wohlerwogene Gründe gestützt, vor der allzu grossen
Vermehrung der Impftermine. Die Bevölkerung war mit der bis¬
herigen Eintheiluug der Termine fast durchwegs zufrieden;
andererseits schadet die früher festgesetzte Mnxinmientfernung
von f> km bis zur nächsten Impfstation weder dem Impfling noch
der Mutter in irgend einer Weise. Aus der in manchen Amts¬
bezirken beliebten nilzugrossen Vermehrung der Impfstationeu
geht auch der folgerichtige Wunsch des Impfarztes von Teuscli-
ritz hervor,, es sollten neben den grösseren Impf glitschen auch
Röhrchen mit 5 oder 10 Impfportionen abgegeben werden, damit
der Impfarzt nicht gezwungen ist, l>ei einem Reste von 5—19 Impf¬
lingen ein neues Glas mit 50 oder 100 Portionen zu öffnen. Der
Berichterstatter steht in seiner Eigenschaft als Lympheproduzent
in dieser Frage auf Seiten der Amtsärzte, da er im Interesse der
Konservirung der Lymphe es durchaus nicht für wünschenswerth
hält, eiu Lympheglas wiederholt zu öffnen, was doch viele kleine
Impfstationen zur Nothweudigkeit machen würden. Die Ein¬
führung von mehreren neuen, kleineren Gläsertypen würde aber
die richtige Zutheilung der Lymphe an die Aerzte während der
Impfzeit, in weicher ohnehin schon alle Kräfte bis zum äusser-
sten Grade angespannt sein müssen, um allen Anforderungen ent¬
sprechen zu könneu, ungemein erschweren. Ja zeitweise zur Un¬
möglichkeit machen. Die Erhöhung der Zahl der Impfstationeu
hat daher in der Möglichkeit der richtigen Austheilung eines so
empfindlichen Stoffes, wie es die Lymphe ist. ihre gewissen, ziem¬
lich eng gezogenen Grenzen. In diesem Sinne hat sich der Be¬
richterstatter auch in einem Gutachten über die vorliegende Frage
geüussert, welclves auf Verlangen der k. Kreisregierung von
Schwalten im Laufe dieses Jahres erstattet wurde.
Wenn endlich ein Impfarzt wünscht, dass die Benützung der
Schulen zu Impflokalen offlciell befohlen werden sollte, so eilt er
mit diesem Vorschläge seiner Zeit voraus. Die allgemeine Durch¬
führung dieser au sich sehr begrüssenswertlien Maassregel ist
, nach dem Urtheile vieler Impfärzte heute noch nicht möglich,
i Gleichwohl hat die behördliche Anregung dieser Frage schon viel¬
fach Besserung gebracht und notorische Uebelstäude beseitigt,
wofür mau dankbar sein muss. Dieser Baum lässt sich mit einem
Hiebe nicht fällen. Das erstrebenswerthe Ziel soll Jedoch nicht
aus dem Auge verloren werden.
Ueber den Begriff „Klima “.
Von Dr. KarlErnstRanke, II. Arzt am Sanatorium Arosa.
Bei Ausarbeitung einiger Versuche Uber die Einwirkung ver¬
schiedener Klimata auf die Gesammternülirung des Europäers
sah ich mich veranlasst, mich mit der Definition von Klima zu
beschäftigen. Ich war damals sehr erstaunt, statt der erwarteten
einen, eine ganz«* Anzahl von Definitionen vorzufinden, die,
wenn auch theilweise nur wenig von einander abweichend, sich
doch im Ganzen in 3 principiell von einander verschiedene Gruppen
eintheilen lassen. Ich hatte mich zuerst damit begnügt, unter
all« n diesen Variationen des Begriffs diejenige nuszuwählen, die
mit meiner eigenen latenten, individuellen Vorstellung von Klima
am besten übereinstimmte, und die ausserdem noch den Vorzug
hatte, die für mein Thema wichtigsten Verhältnisse scharf zu
umgrenzen. Die weitere Ausdehnung meiner Arbeiten und vor
Allem der Widerspruch, den die Annahme gerade dieser Definition
schon gefunden, hat mich veranlasst, mich über dieses Thema ein¬
gehender zu informiren und da einerseits die heute kurslreudcn
Definitionen von Klima nicht scharf genug sind, um der wissen
schaf tliclien Analyse eines Vorgangs als Grundlage dienen zu
können und andererseits ül>er die Auffassung dieses Wortes zur
Zeit so viel Meinungen als Köpfe vorhanden sind, scheint es mir
sehr wünschenswerth. die Entstehung und vielfach wechselnde Be¬
deutung dieses Begriffs einmal gründlich durchznspreehen.
Ich möchte dabei mit einer historischen Skizze be¬
ginnen. auch auf die Gefahr hin, allgemein Bekanntes zu wieder¬
holen, da wir eine genaue Kenntniss der einzelnen Komponenten
und damit die Grundlage zu einer späteren Vereinigung der wlder-
strelH'nden Meinungen auf diese Welse am leichtesten erreichen
können.
Das Wort Klima ist uns aus dem Vorstellungskreis der griechi¬
schen Welt überkommen. Dort hatte es ln erster Linie eine
astronomische Bedeutung und bezeichnete die Neigung der Mittags-
strahlen des längsten Tages im Jahn* gegen die Erdoberfläche.
Gemessen wurde dieselbe durch die Sehatteuliiugen, deren un-
| geheure Verschiedenheiten unter den verschiedenen geogrnphIschen
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2112 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 52.
Breiton ja auch viel weniger gebildeten Völkern, wie z. B. den
mittelamerikanlsehen, aufgefallen sind. Von diesem Einfallswinkel
der Sonnenstrahlen sind im Grossen und Ganzen die thermischen
Verhältnisse der einzelnen Himmelsstriche abhängig, ein Zu¬
sammenhang. der der ägyptisch-griechischen Welt vollkommen ge¬
läufig war. Wo die Sonnenstrahlen senkrecht einilelen, waren die
Laude heiss, mit der zunehmenden Schiefe derselben wurden die
Länder immer kälter und dunkler. So linden wir also am Aus¬
gangspunkt unsrer Betrachtung einen astronomisch-geographischen
Begriff associirt mit der Vorstellunig verschiedener allgemeiner
Temperaturverhältnisse. In der Zeit, in der die griechische Wissen¬
schaft in ein dogmatisches Lehrgebäude zusammengefasst wurde,
wurde dann die Erdoberfläche nach den Neigungswinkeln der
Mittagsstrahlen in verschiedene Zonen eingetheilt, die jetzt selbst
den Namen Klimata erhielten, und zwar wurde als ein Klima die
Zone zwischen 2 Parallelkrelseu der Erde bezeichnet, für welche
von dem Aequator nach den Polarkreisen zu die Hauer des längsten
Tages um y, Stunde zunimmt.
Dieses Wort mit dem zugehörigen Begriff ist bei der Neuord¬
nung der Machtverhältuisse in und nach der Völkerwanderung
von den germanischen Stämmen übernommen worden. Einerseits
fristete es sein Leben fort in der Scholastik des Mittelalters, wo
die eben erwähnten ptolemüischen Kiimate Jahrhunderte lang aus
einem Lehrpergament in's andere übergingen, andererseits ging
der lebensvolle thermische Begriff in den allgemeinen Sprach¬
gebrauch auch dieser Völkerschaften über, machte aber hier eine
interessante Wandlung durch. Zunächst wurde er seines mathe¬
matisch-astronomischen Charakters entkleidet. Dass das Wort ur¬
sprünglich nur die Neigung der Mittagsstrahlen bezeichnet hatte,
ging aus dem Bewusstsein des Volkes vollständig verloren. Nur
wenige Beste von der früheren astronomischen Bedeutung sind im
Sprachgebrauch erhalten geblieben, so sagen wir z. B. allgemein
noch: I nter dem und dem Klima, ein Ausdruck, der nur unter der
latenten Vorstellung «1er Sonnenstrahlung zu Stande gekommen
sein kann. Die thermischen Vorstellungen sind dagegen geblieben,
wie sie auch bis heute noch mit dem Begriff unzertrennlich ver¬
bunden sind. Damit ist aber die Entwicklung des Wortes durch¬
aus nicht abgeschlossen. Die vielfachen Wärmeeintiilsse, die ja
mit der Sonnenstrahlung allein noch lange nicht vollständig ge¬
geben sind und die unter verschiedenen Himmelsstrichen den
Wärmehaushall der Organismen bestimmen, sind zum grossen
Tlieil nicht direkt greifbar. Trotzdem werden sie sehr merkbar
im subjektiven Empfinden gespiegelt. Wir fühlen uns unbehaglich
im „kalten und heissen" Klima und wir erkennen uusor ther¬
misches Optimum au einem deutlichen subjektiven Wohlbefinden.
So gliedert' sich dem Begriff Klima in der Vorstelluugswelt der
folgenden Zeiten, der wir ja auch angehören, ein subjektives
Element an. Dieses subjektive Element ist es, was sich weiter
entwickelt hat. Wir alle denken heute bei Klima an ein wahres
Labyrinth von Einflüssen und von Empfindungen, vornehmlich
unseres Hautorgans. Alles was mehr oder weniger unfassbar
und unsichtbar aus der Umgebung auf unsem Organismus eiu-
wirkt, ist in dem Begriff, wie er im nichtwissenschaftlichen Sprach¬
gebrauch kursirt, einbegriffen worden.
Im Laufe des der Entwicklung von mystischen Begriffen so
günstigen Mittelalters hat sich dieser höchst komplexe Begriff
dem Gedankenlebi n der europäischen Völker eingebürgert und ich
glaube eine ziemlich vollständige Definition desselben mit den
Worten zu geben: Als Klima bezeichnen wir die Gesammiheit aller
der Einflüsse der Umgebung, die den Organismus merkbar al'Üzlren,
ohne direkt sieht- und greifbar zu sein.
Damit enthielt der Vorstellungskreis Klima allerdings die
heterogensten Bestandthelle, so z. B. die verschiedenen endemischen
Krankheiten, deren Erreger erst in den allerletzten Jahrzehnten
der Menschheit, wenn nicht greifbar, so doch wenigstens sichtbar
geworden sind. Unter seiner Flagge sammeln sich ausserdem alle
thermischen, atmosphärischen, elektrischen und magnetischen Eiu-
llüsse. Wieder andere Bestandthelle der Umgebung oder des
Milieus, wie wir es heute nennen, die sichtbar und greifbar sind,
wie z. IS. die Bodenbesehaffeuhelt, sind dagegen meist vom Klima
getrennt worden. Jedem von uns ist die Redensart Klima und
Bodonbeschaffenheit geläufig.
Dieser Vorstellungskreis hat sich bis in die jüngsten Tage im
Volk vollkommen ebenso erhalten, wie ich ihn eben geschildert,
als Zusammenfassung des „Geheimnissvolleu, Unbewussten“ in
unserer Umgebung. Die Wissenschaft dagegen, die aus diesem
Kreis des früher Unbewussten rastlos Entdeckungen auf Entdeck¬
ungen häufte, hat ihm gegenüber einen schweren Standpunkt ge¬
habt. Bis Humboldt gingen die beiden Begriffe ihren ge-
1 rennten Entwicklungsgang, der eine im täglichen Sprachgebrauch
des Volkes, der andere in wissenschaftlichen Lehrbüchern.
Auch der mathematisch-astronomische Begriff war nicht un¬
verändert geblieben. An der Hand der grossen Fortschritte, die
die Astronomie und Physik gemacht hatte, hatte man versucht,
die Wärmemenge zu berechnen, die der einzelnen klimatischen
Zone von der Sonn«* während des Jahres zugeführt wird und
daraus Schlüsse auf die mittleren Temperaturen der einzelnen
Gegenden ziehen wollen. Man war sehr erstaunt, dass die so be¬
rechneten Temperaturen durchaus nicht mit den thatsächlich be-
ohachteten üben-iuslimmen wollten.
Man fand dabei, dass die grössten Abweichungen von der
berechneten Temperatur durch die geographische Lage des Ortes
bedingt waren. Die Orte im Innern eines Kontinents waren im
Sommer heisscr und im Winter kälter als seine Küstenstriche und
die grösseren Gebirgszüge zeigten sich ebenfalls von einem deut¬
lichen Einfluss auf die angrenzenden Landstriche. Ihre Süd- und
Nordseite ergaben sehr grosse klimatische Unterschiede.
Man sah sich also gezwungen, zwischen dem sogenannten
astronomischen und dem i*ealen Klima zu unterscheiden, wobei
ersteros defiuirt wurde als die Temperatur der Erde, insofern die¬
selbe Funktion der erreichten Mittagshöhe der Sonne und der
Dauer ihres Verweileus über dem Horizont ist. (M ä d 1 e r:
Astronomie § löü; Humboldt: K«>smos Bd. III, pag. 450.) Dabei
wurde stets angefügt, die Temperatur wäre nur daun eine direkte
Funktion der geographischen Breite, wenn die ganze Erdober¬
fläche mathematisch genau eine Sphäroidfläche ohne Unebenheiten
wäre und durchwegs aus derselben Substanz bestände. Vou diesem
astronomischen oder solaren Klima unterschied mau das Thatsäch-
liclie oder reale, als das durch die Ungleichförmigkeit der Erde
moditizirte solare Klima. Der alte griechische Begriff hat sich
also in direkter Kontinuität zu einem Synomnion der allgemeinen
Temperaturverhältnisse eines Punktes der Erdoberfläche ausge¬
bildet.
Diese Definition hat Humboldt im ersten Band seines
Kosmos in die Besprechung des allgemeinen Weltbildes aufge-
nommen und sie hat von da aus eine gewisse Popularität erlangt,
die noch über die Lehrbücher der Astronomie und die physikalischen
Handbücher hiuausgeht. Bei dem ungeheuren Einfluss, den dieses
Buch auf seine Zeitgenossen ausübte, ist di«;se II u m b o 1 d t'sche
Fassung für die Zukunft ein neuer Ausgangspunkt der Auffassung
vom Klima geworden. Sie sei desswegen hier in extenso gegeben.
„Wenn die Oberfläche der Erde aus einer und derselben homo¬
genen flüssigen Masse oder aus Gesteinssehicliteu zusammen¬
gesetzt wäre, welche gleiche Farbe, gleiche Dichtigkeit, gleiche
Glätte, gleiches Absorptionsvermögeu für die Sonnenstrahlen be¬
sitzen und auf gleiche Weise durch die Atmosphäre gegen den
Weltraum ausstrahlten, so würden die Isothermen, die lsotheren
und Isochimenen sämmtlich dem Ae«iuator parallel laufen. In
diesem hypothetischen Zustand der Erdoberfläche wären dann in
gleichen Breiten Absorptlons- und Emissionsvermögen für Licht
und Wärme überall dieselben.
Von diesem mittleren, gleichsam primitiven Zustand, welcher
weder Strömungen der Wärme im Innern und in der Hülle des
Erdsphiirolds, noch die Fortpflanzungen der Wärme durch Luft¬
strömungen ausschliesst, geht die mathematische Betrachtung der
Klimata aus. Alles was das Absorptlons- und Strahluugsvermögen
an einzelnen Theileu der Oberfläche, die auf gleichen Parallel-
kreisen liegen, verändert, bringt Inflexloneu in den Isothermen
hervor. Die Natur dieser Inflexiouen, der Winkel, unter welchem
die Isothermen, lsotheren oder Isochimenen die Parallelkreise
schneiden, die Lage der convexen oder coucaven Scheitel in Bezug
auf den Pol der gleichnamigen Hemisphäre sind die Wirkung vou
Wärme oder Kälte erregenden Ursachen, die unter verschiedenen
geographischen Längen mehr oder minder mächtig auftreten."
Im Laufe der Zeiten war ein anderer griechisch-römischer
Begriff, derjenige der Meteorologie, Gegenstand einer allgemeinen
Aufmerksamkeit der Physiker und Reisenden geworden.
Die Schwankungen des Luftdrucks, die ungeheueren ther¬
mischen Schwankungen, Luftelektrlcitiit und Erdmagnetismus
waren bekannt geworden, auch vom Winde war die Zeit zu Ende,
in der cs geheissen hatte, Du hörst sein Sausen wohl, aber Du
welsst nicht wohin er geht und vou wannen er kommt, auch Wind
uud Wetter mussten sich vor einer wissenschaftlichen Kritik ihres
Verhaltens beugen.
Schon zu Humbold t’s Zeiten war die Meteorologie ein
eigener Wissenszweig, «lern das deutliche Bestreben inne wohnte,
sich immer weiter und weiter auszubreiten und im Bereich des
grossen Sammelbegriffs alles Unbekannten, im Klima, eine uu-
gelieure Summe von Kenntnissen aufzustapeln. Weitere Fort¬
schritte auf diesem Gebiete wurden durch die chemische Analyse
der Luft gebracht, die nachwies, dass die gasförmige Hülle
unseres Planeten aus mehreren für die Organismen sehr ungleich-
werthigen Körpern bestehe.
Damit war die schöne Zeit des alten Begriffs Klima auch zu
Ende. Anstatt seiner geschlossenen Einheitlichkeit und dräuenden,
geheimnisvollen Unsichtbarkeit war er In nahezu unzählige Ein¬
zelheiten zersplittert und auseinander gelaufen, wie Wasser, wenn
der zusammenhaltende Topf zerbrochen.
Die Wissenschaft, die als Störenfried in seinen Bereich eiu-
gedrungen war, machte nach einiger Zeit auch Versuche, den alten
Topf zu repariren oder einen neuen au seine Stelle zu setzen. Der
erste Versuch, eine wissenschaftliche Zusammenfassung für deu
im Sprachgebrauch kursirenden Klimabegriff aufzustellen, ist
meines Wissens von Humboldt ausgegangen. Er fühlte das
Bedürfnlss, neben der astronomischen Detiuitiou eine zweite, die
dem nilgemeinen Sprachgebrauch mehr Rechnung trüge, aufzu-
stelleu. Er tliut das wieder bei der Besprechung des aUgt-meinen
Naturbildes uud zwar bei der Besprechung seiner atmosphärischen
Hülle folgendermaassen: „Der Ausdruck Klima bezeichnet in
seinem allgemeinsten Sinn alle Veränderungen in der Atmosphäre,
die unsere Organe merklich affizireu: die Temperatur, die Feuchtig¬
keit, die Veränderungen des barometrischen Drucks, den ruhigen
Luftzustand oder die Wirkung ungleichnamiger Winde, die Grösse
der elektrischen Spannung, die Reinheit der Atmosphäre oder die
Vermengung mit mehr oder minder schädlichen Exlialationen, end¬
lich den Grad habitueller Durchsichtigkeit und Heiterkeit des
Himmels, welcher nicht bloss wichtig ist für die Wärmestrahlung
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24. Dezember 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2113
des Bodens, die organische Entwicklung der Gewächse und die
Reifung der Früchte, sondern uuch für die Gefühle und ganze
Seelenstimmung des Menschen.“
Wir erkennen deutlich die einzelnen Einflüsse, die ihn zu
dieser Definition gebracht haben. Vor Allem das starke subjektive
Element, die Beziehung auf den Organismus, die von der Vorstel¬
lung Klima auch fii? ihn nicht mehr abtrennbar war. Dann die
Vordringlichkeit der alten thermischen Bedeutung in der Voran¬
stellung des Wortes Temperatur und schliesslich die Wirkung der
Entwicklung der Meteorologie, deren einzelne Faktoren siimmt-
lich in der H u m b o 1 d t’schen Klimadeflnition wieder auftreten.
Diese Definition wollen wir ln der Folge als die meteorologische
Definition bezeichnen, im Gegensatz zu der mathematisch-astro¬
nomischen. Sie hat sich sehr rasch eingebürgert, nicht ohne dabei
wieder durch die allgemeine Benützung etwas abgerundet werden.
Auf diese beiden Definitionen beziehen sich alle diejenigen, die
heute in den einschlägigen Lehrbüchern kursiren. Die ganze Auf¬
fassung der Klimatologie trennt sich dadurch in zwei feindliche
Lager. Humboldt'» meteorologische Definition lebt fort in den
Lehrbüchern der Hygiene und Meteorologie, da alle Meteorologen
und Mediciner eine ausgesprochene Vorliebe für sie zu besitzen
scheinen. Die astronomische Definition lebt auch heute noch wie
damals in den Lehrbüchern der Astronomie und der physikalischen
Erdbeschreibung, da die Mathematiker und Geographen sich ihren
geschlossenen, mit einem einheitlichen Maasse, der Kalorie, mess¬
baren Begriff nicht nehmen lassen wollen. Während illjer die
Auffassung der astronomischen Definition kein Zweifel mehr laut
geworden, liegen die Verhältnisse nicht ganz so günstig auf der
meteorologischen Seite. Für die heute am meisten gebrauchte Fas¬
sung dieser Definition ist das Lehrbuch der Klimatologie von Hann
massgebend geworden. Bei ihm lautet die Definition: „Unter Klima
verstehen wir dieGesammtheit der meteorologischen Erscheinungen,
welche den mittleren Zustand der Atmosphäre an irgend einer Stelle
der Erdoberfläche charakterisiren.“ Wie wir sehen, ist hier der Orga¬
nismus zunächst aus der Definition fortgelassen, doch schon wenige
Zeilen weiter unterhalb gibt auch Hann die Definition mit der
subjektiven Umgrenzung: „In der That wird dieser Umstand (Be¬
ziehung auf das organische Leben der Erde) meist schon in die
erste Definition des Begriffes Klima aufgenommen als die Ge-
sammtheit der meteorologischen Bedingungen, insofern sie auf
das thierlsche oder vegetabilische Leben Einfluss nehmen.“
Die Humbold t’sche Neudefinition, deren wesentlich Neues
in der mehr oder weniger vollständigen Idcutificirung von Klima
und Meteorologie gelegen hatte, hat sich also gerade nach dieser
Richtung hin weiter entwickelt Heute ist auf Seite der Meteoro¬
logen wenigstens eine unverkennbare Tendenz vorhanden. Klima
als die Gesainmtwirkuug der meteorologischen Faktoren auf einen
Organismus aufzufassen.
Damit sind aller nicht alle Interessenten zufrieden gewesen.
Abgesehen von den Mathematikern und Geographen exlstirt ja
neben den Meteorologen noch eine dritte, für den allgemeinen
Sprachgebrauch sehr wichtige Interessentengruppe. Es sind das
die Aerzte. Wir.haben gesehen, dass schon im Mittelalter die
Vorstellung Klima eine pathologische Färbung enthielt, die sich
nicht bloss auf die Pathologie der thermischen Einwirkungen be¬
schränkte. Der praktische Arzt und das Volksbewusstsein und
damit auch der Sprachgebrauch halten daran heute noch fest.
Das Wort Klima bezeichnet eben in sehr bequemer und im Sinn
des Sprachgebrauchs auch in durchaus richtiger Welse alle die
mehr oder weniger unbekannten Einflüsse aus der Umgebung.
So konnte es nicht daran fehlen, dass in Abhandlungen hygie¬
nischer oder medieinisch-geographischer Natur das Wort Klima
häufig in dem eben genannten Sinn benutzt wurde. Doch ist
das durchaus nicht allgemein der Fall. Von 10 Lehrbüchern der
Hygiene und anderer einschlägiger medicinischer Wissenszweige,
ln denen ich eine förmliche Definition von Klima gefunden habe,
wird sie nur von der Minderzahl benützt. Keiner von ihnen Allen
benützt die mathematisch-astronomische, 12‘) meist unter direktem
Bezug auf Hann die meteorologische Definition und nur 4 a )
haben die pathologische Färbung des Sprachgebrauchs in Ihre
Definition übernommen. In erster Linie ist das li u b n e r. dessen
Definition von Klima auf S. IW» seines Lehrbuchs der Hygiene zu
finden ist: „Unter Klima versteht man alle durch die Lage eines
Ortes bedingten Einflüsse auf die Gesundheit. Zu einer er-
’) 1. W. J. van Bebbe r: Hygienische Meteorologie. Stutt¬
gart 1895. p. 247. — 2. Erismann: Gesundheitslehre für Ge¬
bildete aller Stände, p. 57. — 3. Martin Kirchner: Grundriss
rler Militärgesundheitspflege. — 4. C. Flügge: Grundriss der
Hygiene. — 5. H U p p e: Handbuch der Hygiene. — 6. A. Gärt¬
ner: Leitfaden der Hygiene. — 7. lt. Assmann: Handbuch
der Hygiene, hgg. von Th. Weil. — S. Fr. Oester len: Hand¬
buch der Hygiene. Tübingen 1857. p. 105. — !). W. P rnusni tz:
(Jrundzüge der Hygiene, p. 127. — 10. A. If i rseli: Aeclimntisat.ion
und Kolonisation. Verhandl. d. Berliner anthropol. Gesellsch. 1896.
1». 150. — 11. A. Hammond: A Treatiso on Hygiene. Phila¬
delphia. .— 12. F. Scholz: Naturgemüsse Gesundheit sichre.
Deipzig 1884.
*) 1. Kramer: Hygiene. Leipzig 18JM5. -- 2. A. Hirsch:
Acelimatisatiou und Kolonisation. Verhandl. d. Berliner anthropol.
Gesellsch. 1800. — 3. Edmund A. Park e s: A manual of practical
Hygiene. London 1854. — 4. Ruinier: Lehrbuch der Hvgiene.
Ii. 06.
schöpfenden Besprechung gehören keineswegs, wie so häufig an¬
genommen wird, nur die Besprechung der Wärme- und Regenver-
hiiltnisse, sondern einerseits die Bekanntschaft mit allen meteoro¬
logischen Faktoren, welche auf die Gesundheit wirken, anderer¬
seits die Ivcnntuiss aller Gefährdungen der letzteren, insoweit sie
durch die Anwesenheit der einer Oertliehkeit zugehörigen (ende¬
mischen) Krankheitserreger bedingt sind.“ Im Anschluss an ihn
findet sich diese meteorologisch-pathologische Auffassung in dem
Lehrbuch von Kramer und in den beiden Arbeiten über Ae-
elimatisation von S c h e 11 o n g und H i r s c h. die Beide aller¬
dings nahezu alles Thatsächliche aus ihrem Thema verloren hätten,
wenn sie die Anpassuugsvorgänge an die endemischen Krank¬
heiten hätten streichen wollen.
Wir sehen, von einer allgemein gütigen Definition für Klima
kann heute keine Rede sein. Der alte, fest eingewurzelte Sprach¬
gebrauch, die mathematisch-astronomische Definition und die
II u m b o 1 d fsche atmosphärische kämpfen einen bisher erfolg¬
losen Kampf, der zwar verschiedene Kompromisse zwischen den
einzelnen Parteien, aber keine Einigung bis jetzt hervorbringen
konnte.
Wir leben in einem Zeitalter der Schiedsgerichte. Wollen wir
also das blutige Ende dieses Kampfes abwarten oder ist es nicht
vielmehr gerathon, die streitenden Parteien zu einer Einigung auf¬
zufordern V
Die Entscheidung ist gewiss nicht leicht.
Wir haben die historische Entwicklung betrachtet und die
Gedankengänge, die die einzelnen Variationen unseres Begriffes
hervorbrachten. Zwischen diesen einzelnen Variationen aber nun
eine Wahl zu treffen, dazu bedürfen wir eines allgemeinen Ge¬
sichtspunktes, nach dem wir unsere Entscheidung treffen können,
denn ohne triftigen Grund wird sich Niemand von der individuellen
Färbung seines Begriffes trennen wollen, die ihm lieb geworden,
sondern seine Einwilligung zu dieser „Gedankenoperation“ ver¬
weigern.
Suchen wir nach einem Standpunkt, der uns einen gewissen
Uebcrblick über diese Gedankenkreise verschaffen kann. Jeder,
der mir bis hierher gefolgt ist, wird mir zugeben müssen, dass
man für keinen der vier kreise das absolute Recht in Anspruch
nehmen kann. Auch das logische Recht steht jedem oder keinem
von den Begriffen zur Seite, denn jeder hat sich für den Vorstel¬
lungskreis, den er treffen wollte, so logisch als unter den gegebenen
Verhältnissen möglich war, entwickelt. Wenn wir also überhaupt
zwischen den vier entscheiden wollen, so müssen wir die wissen¬
schaftliche Brauchbarkeit und das praktische Itedürfniss ent¬
scheiden lassen. Wir werden das Wort Klima nur dann weiter
in der Wissenschaft benützen können, wenn es einen klar definir-
baren Erscheinungskomplex von deutlich erkennbarer Zusammen¬
gehörigkeit bezeichnet, und ein praktisches Bidürfniss werden wir
nur dann anerkennen, wenn dieser Erscheinungskomplex nicht
schon einen anderen, gut eingebürgerten Namen erhalten hat.
Unter diesen beiden Gesichtspunkten wollen wir nun die vier Kon¬
kurrenten Revue passiren lassen. Als erster kommt der allgemeine
Sprachgebrauch. Wir haben ihn schon hinreichend genau analy-
sirt, um ohne Weiteres sagen zu können, dass seine einzelnen
Komponenten zwar in der ihnen allen gemeinsamen Eigenschaft
des mehr oder weniger Unfassbaren, Geheimnissvollen. Unklaren
und Unbekannten gewiss einst ein gemeinsames Merkmal belasst n.
dass aber dieses Merkmal bei der ungeheuren Verschiedenheit
derselben in allen anderen Beziehungen zu einer wissenschaftlichen
Benützung unmöglich als hinreichend erachtet werden kann.
Einem wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Bediirfniss.
alle diese Faktoren mit einem Wort zu bezeichnen, sei das Wort
„Umgebung" oder „Milieu“ vorgeschlagen, das neben allen sicht¬
baren nach der immanenten Bedeutung des Wortes auch alle die
unbekannten Dinge zwischen Himmel und Erde umspannt. Als
zweiter erscheint nun der mathematisch-astronomische Begriff. Er
besitzt zweifelsohne nicht nur eine hinreichende, sondern eine in
jeder Hinsicht vollständige Geschlossenheit, als die Gesammtheit
der thermischen Lebensbodingungen an einem Punkt der Erdober¬
fläche. Wir besitzen ein sicheres wissenschaftliches Kriterium, ob
irgend eine Erscheinung nach ihm dem Klima zugerechnet werden
soll oder nicht. Um das darzuthun, wollen wir einmal schnell ein:*
Uebersiclit über die meteorologischen Faktoren halten. Selu-u wir
uns dazu die einzelnen Kapitel der „Hygienischen Meteorologie“
von Prof. W. J. v a n B e b b e r, Stuttgart 1885, durch, ein Buch,
das zweifelsohne von allen Betheiligten als einwandfreie Autorität
liezeichnet werden dürfte. Er bespricht als meteorologische Fak¬
toren: 1. Die physikalischen Eigenschaften der Luft. Zu ihnen
gehören sümmtliehe thermische Konstanten der Luft, ihr Lei¬
tungsvermögen, ihr Strahlungsvermögen, ihre Durchlässigkeit und
ihr Absorptionsvermögen für Wärme, also haben wir es hier mit
einem mathematisch-klimatischen Faktor 1. Ranges zu thuu. Als
2. Kapitel folgt eine Besprechung der Bestundtheile der Luft. Es
folgen sich dabei: O, N. H. H a O. CO* NH* UNO,. O,. 111). und
Mikroorganismen. O ist als eines der wichtigsten Nahrungsmittel
zu betrachten, er kommt also in thermischer Beziehung erst auf
dem Umwege der Wänneproduktion des Organismus für den
Wärmehaushalt eines Organismus oder erst bei chemischer Ver¬
bindung (Oxydation) für den eines unbelebten Körpers in Betracht.
Abgesehen von seinen thermischen Konstanten, die diejenigen d«-r
Luft natürlich mitbestimmon, kann er also nicht als klimatischer
Faktor angesehen werden. Das Gleiche gilt für N und H. Anders
verhält es sich mit dem Wassergehalt der Luft. Seine Schwan-
5*
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2114
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
kungen verändern erstens die thermischen Konstanten, be¬
schränken ausserdem die von der Sonne zugestrahlte Wärmemenge
und besitzen für Organismen, die für ihre Wärmeabgabe ja theil-
weise auf die Wasserverdunstung angewiesen sind, eine ungeheure
thermische Wichtigkeit. Wir haben es hier also wieder mit einem
klimatischen Faktor 1. Ranges zu thun; CO*. NII„ HNO,. O,. H a O,
und staubförmige Beimengungen fallen dagegen fort. Das nächste
Kapitel ist mit Temperatur überschrieben und enthält 3 Unter¬
abtheilungen: 1. Die strahlende Wärme, 2. die Lufttemperatur,
:i. die Bodenteniperatur: Alles klimatische Faktoren 1. Ranges.
Kapitel 4: Die Niederschläge, enthalten wieder manches Meteoro¬
logische, dafür aber auch manches thermisch Wichtige. Sie
müssten also erst einmal in klimatischer Beziehung eingehender
durchgearbeitet werden. Das Gleiche gilt von Kapitel 5: Ge¬
witter. Doch ist hierein noch grössererTlieil rein meteorologischer
Natur. Das letzte Kapitel, das von Luftdruck und Wind handelt,
besitzt wieder verschiedenerlei thermische Einwirkung. Erstens
beeinflusst der verschiedene Luftdruck die physikalischen Eigen¬
schaften der Luft, darunter auch die Schnelligkeit der Wasser¬
verdunstung, und zweitens ist die Luftliewegung mit ihrer un¬
geheuren Veränderung der Leitungsverhältnisse gegenüber dem
ruhigen Luftzustand ein äusserst wichtiger, für das Leben sehr
häutig direkt ausschlaggebender thermischer Faktor.
Die wissenschaftliche Brauchbarkeit des astronomischen Be-
griffs scheint mir damit in unwiderleglicher Weise dargethau. Was
nun das praktische Bedürfnis betrifft, so ist zunächst anzu¬
erkennen. dass wir für die Gesammthelt der thermischen Lebens¬
bedingungen in der Umgebung noch kein kurzes, knapp be¬
zeichnendes Wort besitzen, und wer sich mit der wlss *nscliaftlicheu
Analyse dieser Vorgänge beschäftigt hat, wird, wie ich, diesen
Mangel oft schmerzhaft empfunden haben. Wir sehen, No. 2 er¬
füllt alle unsere Ansprüche.
Die 3. in der Reihe ist die meteorologische Definition in ihrer
heutigen Fassung. Aus dem Vorausgehendeu ist uns noch erinner¬
lich, dass unsere Definition vollständig abhängig ist von der De¬
finition des Begriffs Meteorologie. Dieses Wort hat eine ganz ähn¬
liche Geschichte wie das Wort Klima, doch hat es seine alte
griechische Bedeutung: ..Lehre von überirdischen Dingen, vor¬
züglich von den himmlischen Körpern und den Erscheinungen in
der Luft oder der Atmosphäre“ wenigstens beschränkt beibehalten.
Aus seinem alten Vorstellungskreis hat sich die Theologie, die
Astronomie und die Meteorologie entwickelt. Für Meteorologie
hat sich aber ein von allen Interessenten ziemlich gleichmiissig um¬
grenzter Vorstellungskreis nusgebildet, so dass praktisch über seine
Definition, wenn wir so sagen wollen, oder wenigstens über seine
Bedeutung kein Zweifel besteht. Das gemeinsame, heute di * prak¬
tische Umgrenzung leitende Prineip ist die Zusammemvirkung
aller meteorologischen Faktoren zu demjenigen, was wir als Wetter
oder Witterung zu bezeichnen gewohnt sind. Die wissenschaft¬
liche Brauchbarkeit dieses Begriffs der Meteorologie ist praktisch
auf’s Schlagendste bewiesen, so dass wir uns mit der theoretischen
Seite dieser Frage, die über den Rahmen dieser Arbeit hinaus¬
gehen würde, nicht weiter zu beschäftigen brauchen. Wenn nun
Klima als die Gesammthelt der meteorologischen Faktoren de-
flnirt ist, so gilt Alles das, was wir über Meteorologie gesagt haben,
auch für diesen neuen Begriff. Auch ein praktisches Bedürfnis«
für diese Zusammenfassung kann nicht von der Hand gewiesen
werden. Bedenklich ist bei dieser neuen Benennung nur das eine,
dass Klima schon ein ganz abweichend deflnlrter Begriff ist, so
dass bei seiuer Benützung Missverständnisse und ungenaue Vor¬
stellungen unvermeidlich scheinen. Weniger missverständlich wäre
eine Zusammenfassung, die schon in dem Wort selbst die Be¬
ziehung auf die Meteorologie erkennen Hesse. Das Wort Meteoro¬
logie ist natürlich zu dieser Bedeutung unfähig, da es eine Wissen¬
schaft und nicht die von ihr nmspannten Thatsacheu bezeichnet.
No. 3 ist also ein genügend geschlossener Begriff, um eine Zu
snmmenfassung in einem Worte zu rechtfertigen und die Beilürf-
nissfrage kann gleichfalls nicht abgelehnt werden, doch scheint
es seine grosse Bedenken zu haben, diesem Begriff den Namen
Klima zu geben, der schon lauge vorher anderweitig deflnirt
worden und damit für einen anderen Erscheinungskomplex mit
Beschlag belegt ist.
Der vierte Konkurrent ist die meteorologisch-pathologische De¬
finition. Die Einheitlichkeit derselben können wir nach dem
Vorausgegangenen kurzer Hand verneinen, nicht so sicher das
praktische Bedürfniss. Denken wir nur einmal an den Begriff der
Acclimatisation, von dem aus gewiss die neue Formulatiou dieses
Begriffes ausgegangen, so wird jedem Arzt klar werden, was ich
meine. Doch hat sich der Begriff Acclimatisation im Sprach¬
gebrauch und zwar sowohl Im wissenschaftlichen wie im nicht-
wissenschaftlichen etwas weiter entwickelt, als seine Wurzel
Klima. Wir sprechen von Acclimatisation an alle möglichen Ver¬
hältnisse, die mit dem Begriff Klima nur lose oder auch gar nicht
Zusammenhängen. Von ihm dürfen wir uns also nicht leiten
lassen. Schliesslich ist auch gewiss die Umgrenzung aller durch
die Lage eines Ortes bedingten Einflüsse auf die Gesundheit durch
ihn eine zu vage, die uns die Grenze in sehr verschiedenen Höhen
der chemischen, physikalischen und organischen Umgebung zu
ziehen gestattet. Eine dieser Vorstellung ohne Weiter, s zu-
kommetide immanente Begrenzung fehlt hier vollständig. Maa
denke nur z. B. an die Grenze innerhalb der Fauna und Flora des
betreffenden Ortes, um die Unmöglichkeit sich klar zu machen.
Sollen wir die Grenz«; vor oder hinter den Schimmelpilzen ziehen
oder wollen wir etwa nur parasitäre Organismen unserer Be¬
trachtung eingllcdern, jedenfalls Ist es nothwendig, liier anders
zu speclficlren al9 mit dem Begriff Gesundheit, denn ein Schlangen¬
biss oder ein Mückenstich oder eine Attacke durch einen wilden
Stier oder ein Schuss aus der Flinte eines Einheimischen kann
unter Umständen für die Gesundheit recht verhängnisvoll wer¬
den und wird doch wohl von den betreffenden Autoren trotz Ihrer
Definition nicht als Höriger ihres Begriffs bezeichnet werden. Es
sei hier auch bemerkt, dass die betreffenden Autoren niemals von
Irgend einer endemischen Krankheit als klimatischem Faktor
sprechen, sondern dass sie bei ihrer späteren Besprechung des
Klimas von Ihrer eigenen Definition ahseheu. und nur eine be¬
schränkte Anzahl meteorologischer Faktoren besprechen.
Als ernsthafte Konkurrenten können wir also nur die meteoro¬
logische und mathematische Definition betrachten: zwischen ihnen
müssen wir demnach untergeordnetere Merkmale heranziehen. Zu¬
nächst sei hier hervorgehoben, dass die mathematisch-astro¬
nomische Definition sicher den grössten Authell historischen
Rechts auf ihrer Seite hat. In zweiter Linie, dass das praktische
Bedürfniss auf ihrer Seite das grössere ist. Drittens sind die ge¬
bräuchlichsten Wendungen unseres Sprachgebrauchs die Aus¬
drücke kaltes, warmes, gemässigtes, excessives, gleichförmiges
Klima mit einer rein thermischen Vorstellung verbunden. Die
Missverständliehkeit des Wortes Klima bat auch eine so grosse
Autorität auf unserem Gebiet wie van Bebber bewogen, seinem
Buch nicht den Namen Klimatologie, sondern „hygienische
Meteorologie“ zu geben, eine Anerkennung der Bedenklichkeit
dieser Humbol d t’schen Neubezelehnung, die ich mit Vergnügen
acceptire. Ich möchte also den maassgebenden Stellen den Vor¬
schlag unterbreiten, sich illier eine einheitliche Definition von Klima
zu verständigen und proponire hiezu die Definition von Klima:
„als Gesammthelt der thermischen Lebensbedingungen an irgend
einem Funkt der Erdoberfläche“. Dieselben können dann vom
rein mathematisch-physikalischen Standpunkt oder auch in ihrer
physiologischen und pathologischen Wirkung betrachtet werden, so
dass diese Definition den Anforderungen der Geographen und Phy¬
siker. wie der Hygieniker undAerzte genügen kann. Als klimatische
Faktoren wären dann in einer künftigen Besprechung von KlHna
nufzuf(Ihren: 1. Thermische Konstanten der Umgebung (Leitung»-.
Strahlung»- und Absorptionsvermögen, Durchsichtigkeit und
Dinthermnnsie der Luft. Leitung»- und Strahlungsvermögen der
festen und flüssigen Umgebung». 2. Temperatur der Luft und der
festen Umgebung. 3. Bestrahlung: a) von der Sonne, direkt und
reflektirt, b) von der irdischen Umgebung, direkt und reflektirt.
4. Thermische Wirkungen der Luftfeuchtigkeit (incl. der atmo¬
sphärischen Niederschläge). 5. Luftbewegung und Luftdruck.
Ich gebe diese Specialisirung nicht mit dem Anspruch auf Voll¬
ständigkeit, sondern lediglich, um den Hygienikern zu zeigen, dass
von den klimatischen Faktoren, die sie zu besprechen gewohnt waren,
weitaus die Mehrzahl auch in der neuen Fassung des Begriffs ge¬
blieben ist. Dass gerade die gebliebenen als die wichtigsten
Faktoren betrachtet werden, dafür wäre eine Unzahl von Stelle»
aus sämmtlichen vorhandenen Lehrbüchern beizubringen. Ich
glaube, ich habe kaum eines durchgesehen. In dem nicht irgendwo
der Satz vorkäme, dass die Teiupemturverhältnisse für die Be¬
urteilung des Klimas in erster Linie maassgebeud seien. Der
Rest,* die chemische Zusammensetzung der Luft, Luftelektrizität
und Erdmagnetismus nehmen ln «len einschlägigen Besprechungen
stets nur einen ganz geringen Platz ein und machen auf jeden
Unbefangenen den Eindruck von etwas Heterogenem, das sich
selbst nicht ganz am rechten Platz fühlt.
Ohne Widerspruch wird es bei einer dem Einzelnen so lieb
gewordenen, im Sprachgebrauch so fest eingewurzelten Ausdrucks¬
welse nicht abgehen. Desshalb möchte ich zum Schluss noch
einige Prozentzahlen nnführen, in denen die Verhältnisse des
mathematisch-astronomischen Begriffes zum meteorologischen l>e-
leuehtet werden sollen. Wenn wir die Seiten zählen, auf denen
in einigen der einschlägigen Lehrbücher diejenigen sogen, klima¬
tischen Faktoren besprochen werden, die Ich heute aus dem Be¬
griff Klima abtrennen möchte, so finden wir doch nur sehr ge¬
ringe Bruehtlielle. Bei Flügge sind es 3.8, bei Assmanu
sogar nur 2 y 2 Proc. der Besprechung von Klima, die fortzubleiben
hätten und selbst bei dem reinen Meteorologen van Bebber
beansprucht die Besprechung unserer thermischen klimatologischen
Faktoren 81 Proc. des ganzen Lehrbuchs. Ich denke, dieser Ver¬
lust wird sich am Ende tragen lassen.
Hermann Löhlein f.
Christian Adolf Hermann Löhlein wurde am
2?. Mai 1847 zu Coburg aus einer alten, landeingesessenen
Familie geboren, besuchte das Gymnasium daselbst und von 1865
bis 1870 die Universitäten Jena, woselbst er der Burschenschaft
Arminia angehörte, und Berlin. 1871 wurde er zum Dr. med.
promovirt. (Dissertation: lieber die Kunsthilfe bei der
durch allgemeine Beckenenge erschwerten Geburt.) Nach¬
dem er den Feldzug als Feld-Assistei>zarzt beim X. Armee¬
korps mitgemacht hatte, bestand er 1871 das Staatsexamen.
1871—1873 Assistenzarzt der Berliner Klinik unter Eduard
Marlin. 1873—1875 Sekundärarzt, wirkte er von 1875—1888
als vielbeschäftigter Frauenarzt und Dozent für Geburtshilfe und
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24. •Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2115
Gynäkologie in Berlin. 1887 hielt er die Gedächtnis«rede auf
Karl Schröder in der Berliner Gesellschaft für Geburtshilfe.
1888 wurde er als ordentlicher Professor und Nachfolger Hof•
meyer’s nach Giessen berufen. Einen Ruf nach Königsberg
als Nachfolger Dohrn’s 1897 lehnte er ab. 1898 Rektor der
Universität und zum Geh. Medicinalrath ernannt.
Wenn man von einem Manne sagen kann, es wächst der
Mensch mit seinen Zielen, so gilt dies von Löhlein;
man muss die Art und Weise rückhaltlos bewundern,
wie L ö h 1 o i n seine Stellung als Leiter der Giessenor
Frauenklinik, hervorragend als Arzt, Lehrer und Autor
von Jahr zu Jahr mehr ausgefüllt hat.. Ich hatte Löh¬
lein, meinen hochverehrten Lehrer, eine Reihe von Jahren,
gerade während seiner Hauptwirksamkeit in Giessen, nicht ge¬
sehen. Erst der diesjährige Kongress der deutschen Gesellschaft
für Gynäkologie brachte mich ihm wieder näher.
Der wissenschaftliche und materielle Aufschwung der klini¬
schen Anstalten, vor Allem der persönliche Eindruck in Unter¬
redung und besonders in der umsichtigen und geistvollen Leitung
des Kongresses — Alles zeugte von geistigem Wachsthum des
Mannes, von einer Anpassung an hochgesteigerte Anforderungen,
von höchster Anspannung aller seelischen und körperlich; n Kräfte,
ziun Schaden freilich des Körpers.
Als Hauptzweck seines späteren Lebens hatte sich L ö h 1 c i n
die Vervollkommnung der neuen Giessener gynäkologischen Klinik
gesetzt. In einer kleinen Schrift „Die Frauenklinik einer kleinen
Universität 1892“ legte er das bis dahin Erreichte und die wei¬
teren Ziele dar. Diesem Stroben widmete er die Kraft seines
unermüdlichen Geistes und seines festen Willens.
Sein gutes Lehrtalent, sein reiches Wissen, unterstützt von
wohlwollendem Eingehen auf die individuellen Erfordernisse
seiner Schüler zogen von Jahr zu Jahr mehr Zuhörer zu seinen
Hörsälen. Seinen Assistenten war er ein freundlicher, zur PHege
der Wissenschaft und Humanität mahnender Vorgesetzter und
Berather.
'Was ihm früher in Berlin als jüngeren Arzte seine reiche
Praxis besondere als Geburtshelfer angebahnt hatte — sein mildes,
ruhiges Wesen, sein echt bescheidenes, jedoch der Würde und der
Bestimmtheit nie entbehrendes Auftreten, seine geschickte durch
raschen und sicheren diagnostischen Blick gestärkte Hand —
hier bewährten sich diese Grundeigenschaften de3 Arztes auch in
der Gynäkologie.
Bald zogen seine Persönlichkeit und seine Erfolge als Arzt
Schaaren von Patientinnen nach Giessen. Wer ihn einmal in
seinem Umgänge mit leidenden Frauen zu beobachten Gelegen¬
heit hatte, der wird begreifen, dass sein Ruf sich zuletzt weit
über die Grenzen Hessens hinaus bis in’s Ausland ausdehnte.
Sein unwillkürlich Zutrauen einflössendes Wesen, Vornelunheit
mit Leutseligkeit gepaart, überzeugende ruhige Sprache, ge¬
winnender offener Blick machten ihn gleich zum Vertrauten der
armen wie reichen leidenden Frauen, dem sie sich beruhigt, zur
schwersten Operation anheimgaben; und auch die unheilbare
Carcinomkranke verliess getröstet die Sprechstunde.
Die Statistiken der Klinik legen beredtes Zeugniss ab von
seiher hervorragenden Operationssicherheit, seiner Fürsorge für
Vor- und Nachbehandlung. Am Schlüsse der ersten Decade seines
Giessener Wirkens hatte sich die Zahl der Patientinnen der
Klinik verzwei- ja verdreifacht.
Dass hierdurch jedoch seine körperlichen und geistigen
Kräfte hochgradig angespannt wurden, ist nicht zu verwundern,
um so mehr, als er stets seine Thätigkeit als klinischer Lehrer
zur Verwerthung des Materiales in den Vordergrund stellte. Kr
war ein arbeitsamer, in der Erfüllung seiner Berusfspflichteu
äusserst gewissenhafter Mann. Als deutscher Gelehrten - wusste
er noch Zeit zu finden, die Resultate seiner Thätigkeit als
Forscher und Arzt der Wissenschaft nutzbar zu machen. Eine
stattliche Anzahl von Schriften zeigen ihn als exakten Forscher
und genauen Beobachter, der sein Arbeitsgebiet hauptsächlich in
der durch Thatsachen begründeten Erforschung und Begrenzung
praktisch besondere prophylaktisch wichtiger Fragen, jeder un¬
sicheren speculativen Ergründung abhohl, suchte und fand. Sein
Hauptwerk „Gynäkologische Tagesfrageu“, 5 vol., in ihrer Go-
sammtheit einem Lehrbuch ähnlich und vielleicht der Vorläufer
eines solchen, lässt dieses deutlich erkennen.
Wenn man Lühlein’s literarisches Schaffen als Ganzes
und damit die Ergebnisse seiner Forschungen und Beobachtungen
überblickt, so wird man einer sieh über «las ganze Gebiet der
Geburtshilfe und Gynäkologie sieh ersl reckenden Wirksamkeit
gewahr.
Es sind 60 einzelne Arbeiten, die ebenso sehr von grossem
Fleisse, also von genialer Schärfe der Beobachtung, kritischer
Sichtung, Sicherheit der Schlussfolgerung und weitsehauender
praktischer Verallgemeinerung zeugen.
In der Geburtshilfe erstrecken sieh seine Forschungen haupt¬
sächlich auf die Pathologie und Therapie, speziell auf die Be¬
deutung des engen Beckens.
Eine von der Berliner medie. Fakultät preisgekrönte Arbeit
„lieber die Lehre vom durchweg zu engen Becken“ entspringt
diesem Bestreben.
Schon in Berlin hatte er besondere der Osteomalaeie seine
Aufmerksamkeit zugewandt. Als sieh ihm später in Gie-sen ein
selten grosses Material darbot. konnte er seine Studien ein¬
gehender gestalten. Seine Resultate über. Pathogenese, geburts¬
hilfliche und klinische operative Therapie bei dieser Affektion
sind allgemein anerkannt.
Sein Hauptinteresse nahm jedoch die Frage der Eklampsie
in Anspruch. Nicht weniger als 8 einzelne Arbeiten sind ihr
gewidmet, die in diesem immer noch dunkeln Krankheitsbilde
werthvolle Aufschlüsse brachten. Neue Wege betrat er in seinen
Veröffentlichungen, besonders über den Kaiserschnitt, die
manuelle Beckenschätzung, die Endometritis gravidarum, die
Eklampsiebehandlung u. a.
Nicht minder war er bestrebt, seine reichen Erfahrungen in
der Gynäkologie zu sammeln und zu verwerthen. Ausser Arbeiten
über Fibromyome, Erkrankungen der Eierstüeke, Dysmenorrhoe.
Sarcoma Uteri waren es hauptsächlich seine Untersuchungen über
Peritonitis tubereulosa. besonders über die Frühdiagnose und
operative Therapie derselben, über Stumpfbehandlung, über
Ventrotixatio Uteri, über «las Curettement, über Antisepsis und
Asepsis in der Gynäkologie, die klärend wirkten.
Sein Interesse blieb jedoch immer mehr der Geburt-hilfe
überhaupt zugewandt. Dies bezeugen seine Arbeiten über die
Grenzgebiete: lieber Schwangerschaft im ventrolixirten Uterus,
über Geburtskomplikationen durch Geschwülste (4 Arbeiten),
über Ovariotomie und Schwangerschaft u. a.
ln regem Eifer und vollem Verständnis« für die Ideen eines
Semmel weis, widmete er dem wichtigsten Kapitel der Ge¬
burtshilfe, der Verhütung des Kindbettfiebers, unausgesetzt seine
Arbeitskraft als Forscher, als klinischer Lehrer und Direktor
der Hebammensehule. ln Beispiel, Wort und Schrift, war «*r
stets dafür thätig. Seine Veröffentlichungen: Zur ITcbammen-
frage, Ucber Gebäranstalten, Nutzen einer aseptischen Hand für
den Geburtshelfer, Abstinenz der Aerzte von geburtshilflichen
Operationen, zeugen von seiner Fürsorge für die Prophylaxe der
Geburt, wie seinem weitausschauenden Verständnis für die
Hygiene des Wochenbettes un«l die soeialwiehtigen Folgen ihrer
Vernachlässigung seine Arbeiten über Wüehnerinnonasylo etc.
Wenn man zu dieser literarischen Wirksamkeit noch die
grosse Inanspruchnahme von Löhlein 's Arbeitszeit durch
seine Thätigkeit als Arzt in Sprechstunde, Klinik, Operations¬
saal, als Consiliarius, als Universitiitsprofessor, Decan und
Rector pro temp. hinzunimmt und das Facit zieht, so wird man
die Bethätigung einer solchen Lebensauffassung nur mit Hoch¬
achtung wieder als den Ausfluss deutschen, als solchen in der
ganzen Welt anerkannten Gelehrtenfleisses betrachten können.
Er war von grosser Belesenheit, und beherrschte auch di<*
grossen Züge und Wandlungen der medkultischen Weltgeschichte
und verwendete sie zum Nutzen und Wrstündniss der heutigen
Zeitstnömungen. Er war als Bscr reiner Kritiker; Wohlwollen«I
die Forschungsergebnisse Anderer heurtheilend. war er streng
gegen sich selbst.
Er war ein ruhig prüfender Arzt, der sieh nie vom En¬
thusiasmus z. B. über neue, glänzend befürwortet«* Operations¬
methoden und Heilverfahren hinreissen li« - s. Sein Standpunkt
war der des auswählenden, prognostisch weitsehauendeit. conser-
vativen Chirurgen, der sti'fs «las Dauerre>ultat. di«* endliche,
dauernde Gesundheit der Frau mehr im Äugt» hatte, als den
Augenblickserfolg der glücklich vollendeten Operation. Wie
Recht er hatte, lehrt die Geschieht«*,• d.r O;vriition->inetho«leu
überhaupt, z. B. die der Uterusfixationen.
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MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
2116
Wie er schon in Berlin für die Pflege der entlassenen Wöch¬
nerinnen eifrig gearbeitet hatte-, so beschäftigte er sich in Giessen
mit Erfolg mit der Verbesserung des Hebammen wesens, besonders
durch Einführung von obligatorischen Wiederholungskursen für
ältere Hebammen, eine segensreiche Maassregel, die in anderen
deutschen Gebieten Nachahmung fand.
Wenn man als Hauptergebnis« von Lühlcin’s arbeits¬
reichem Leben die Blütho der Giessener Frauenklinik hinstellen
und diese aus seiner Arbeitswilligkeit und Arbeitstüchtigkeit ab¬
leiten darf, so muss man nicht vergessen, dass er neben hervor¬
ragenden inneren, auch der äusseren Eigenschaften, die seine
Stellung als Univorsitätsprofessor, pro temp. Rector Magnifieus
und Decan verlangte, nicht ermangelte. Die Gabe des freien
Wortes besass er in hohem Maasse; er war ein fesselnder, geist¬
voller Redner, wie seine Gedächtnissrede für Schröder und
seine Rectoratsrede beweisen. Mit welcher Würde und Hingabe
er der Leitung des diesjährigen gynäkologischen Kongresses ge¬
recht wurde, ist noch in Aller Erinnerung.
Wie er gelebt hatte, so starb er, mitten in der Arbeit, an
seinem Schreibtische in der Klinik, als er eben zur Visite gehen
wollte, am 25. November Vormittags 11 Uhr. In der Klinik, der
Stätte seiner arbeitsfreudigen, erfolgreichen Thätigkeit, verschied
er auch, noch am selbigen Tage — mors dulcis et decora.
Sein Familienleben war ein äusserst glückliches. Von liebens¬
würdiger Gattin in seinen Bestrebungen verständnissvoll unter¬
stützt, führte er ein gastliches Haus. Sein reiches inneres Leben
zeigte sich in der Liebe zu seinen Kindern. Er hatte noch die
Freude, den Aeltesten als Arzt und Assistent zu sehen.
Zusammenfassend möchte ich Löhlein als Arzt einen
Empiriker in der klassischen Bedeutung des Wortes nennen, als
Mensch einen feinsinnigen Humoristen, dessen vielsei tigern Geiste
auch die Humaniora nicht fremd waren. Er war ein Idealist, von
glühendem Patriotismus beseelt. Den Kollegen an der Universität
ein hochgeschätzter Freund, in der Bürgerschaft hoch geachtet,
war er den Aerzten, alten wie jungen, gegenüber stets von herz¬
lichem Wohlwollen erfüllt.
Den Nachruf eines solchen Mannes zu schreiben, ist nicht
schwer. Er wird von der Dankbarkeit getragen. Wen hätten
Schüler und Assistenten sich als besseres Vorbild suchen wollen,
als den Mann von lauterem Charakter, von vornehmer und ge-
müthvoller Denkungsart, den genialen und humanen Arzt, wie
Löhleines war. Manchen seiner Schüler sprach ich noch später
und alle sprachen noch von ihm mit derselben Verehrung wie
vor Zeiten die Schüler des grossen Koers oder des Alexandriners
Ilerophilus.
Für seine Verdienste fehlten Löhlein äussere Ehren,
Titel und Orden nicht, jedoch gilt für ihn das Wort Seneca’s:
Die Würdigkeit besteht nicht darin, dass man Ehren geniesst,
sondern dass man ihrer würdig ist.
Karl Ernst Laubenburg.
Referate und Bücheranzeigen.
F. Do fl ein: Die Protozoen als Parasiten und Krank¬
heitserreger nach biologischen Gesichtspunkten dargestellt.
Jena, Gustav Fischer, 1901. 274 S.
Die glänzenden Resultate der Malariaforschung der letzten
Jahre haben die Aufmerksamkeit weiterer Kreise diesem nied¬
rigsten thierisehen Lebewesen zugewendet; es hat sich gezeigt,
dass dieselben für die Aetiologie mancher der verbreitetsten
menschlichen und thierisehen Infektionskrankheiten von kaum
geringerer Bedeutung sind, als die Bakterien, und wie die er¬
weiterte Kenntniss dieser in Therapie und Prophylaxe die segens¬
reichsten Früchte getragen hat, so steht auch zu hoffen, dass es
den vereinten Bemühungen von Aerzten und Zoologen gelingen
wird, unser fast täglich zunehmendes Wissen von den parasitischen
Protozoen in der gleichen Richtung zu verwerthen. Unter diesen
Umstünden ist, es freudig zu bogrüssen. wenn ein durch eigene
Arbeiten auf diesem Gebiete vortheilhaft bekannter Forscher es
unternimmt, das bisher Krreiehte in übersichtlicher Weise dar-
zustellen, die speziell für den Arzt wichtigen Gesichtspunkte be¬
sonders hervorhebend. Einer kurzen Charakterisirung der Klasse
lkst J) o f 1 e i n die von sehr instruktiven, zum guten Theil selbst
gezeichneten Abbildungen begleitete Schilderung der betr. Para¬
siten folgen, welcher sich die Darstellung der von ihm event ver¬
ursachten pathologischen Vorgänge und seiner Bedeutung für die¬
selben anschliesst. Besondere Sorgfalt ist auf die biologisch so
interessante Entwicklung der Sporozoen verwendet, wobei die
übersichtlichen von Schaudinn eingeführten „Zeugungs¬
kreise.“ natürlich oft Verwendung finden. (Ein Beispiel eines
solchen findet sieh S. 393 dieses Jahrganges der Münch, med.
Woohonschr.)
Dass auch der bei Arbeiten mit diesen so diffieilen Ob¬
jekten nothwendigen Technik jedesmal ein besonderer Abschnitt
gewidmet ist., werden Alle, welche selbständige Untersuchungen
über Protozoen vorzunehmen in der Lago sind, angenehm em¬
pfinden, ebenso sind die reichlichen Literaturangaben auf einem
solchen Grenzgebiet von Medicin und Zoologie höchst will¬
kommen. Wenn der Verfasser sich im Wesentlichen auf die
Mittiieilung desjenigen beschränkt hat, was wir heute als ge¬
sicherten Besitz der Wissenschaft betrachten dürfen, so ist das
durchaus zu billigen; die so überaus zahlreichen Angaben über
das Vorkommen von Protozoen und ähnlichen Gebilden in der
menschlichen Pathologie, speziell bei den malignen Geschwülsten,
Variola etc. sind theils direkt irrthümlich, theils in ihrer ursäch¬
lichen Beziehung zu der betr. Erkrankung durchaus zweifelhaft,
jedenfalls aber viel zu vage, um dem Zoologen die Deutung dieser
Befunde als Protozoen (abgesehen von der durch Schaudinn
untersuchten Leidenia) zu erlauben; gerade die Erfahrung des
vergangenen Jahres zeigt ja wieder deutlich, wie sehr hier Vor¬
sicht und Skepsis am Platze ist. Jedem aber, der sich für diesen
Zweig biologisolier Forschung intoressirt, kann D o f 1 e i n’s Buoh
angelegentlichst empfohlen werden. Wilde.
Dr. Guido Holzknecht-Wien: Archiv und Atlas der nor¬
malen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgen¬
bildern. Die röntgenologische Diagnostik der Erkrankungen
der Brusteingeweide. Mit 60 Abbild, im Text und 50 Röutgen-
bildem auf 8 Tafeln. Hamburg, Lucas Gräfe & Sillem,
1901. X und 229 S. Preis 25 M.
Von dem als Ergänzungshefte der Fortschritte auf
dem Gebiete der Röntgenstrahlen, herausgegeben
von Dr. Albers-Schönberg, erscheinenden Archiv und
Atlas der normalen und pathologischen Ana¬
tomie, in typischen Röntgenbildorn bildet der vor¬
liegende stattliche Band den sechsten. Kaum 6 Jahre sind seit
R ö n t g e n’s epochemachender Entdeckung vergangen und schon
jetzt ist sein Verfahren, um mit H. zu reden „ein unentbehrliches
diagnostisches und therapeutische« Hilfsmittel geworden“, das
sieh „ebenbürtig den übrigen physikalischen Methoden an¬
schliesst“. Man muss es dem um die Ausbildung dieser Lehre
verdienten Herausgeber der „Fortschritte“ daher nur Dank
wissen, dass er die einzelnen medicinischen Gebiete der neuen
Lehro durch hervorragende Forscher spezialistisch bearbeiten
lässt. Der vorliegende Band nimmt unter den bisher erschienenen
eine hervorragende, wenn nicht die erste Stelle ein. Während
die Chirurgie die ersten und zahlreichsten Erfolge der neuen Ent¬
deckung einheimste, fängt die innere Medicin erst neuerdings an,
sich mehr und mehr an ihren Früchten ebenfalls zu betheiligen,
und das Holzknech t’sche Werk ist so recht geeignet,
zu weiteren Studien anzuregen. Der Inhalt desselben entstammt
theils selbstunternommenen Nachprüfungen, theils eigenen Be¬
obachtungen und zerfällt in einen nur kurz gehaltenen tech¬
nischen und einen ausführlichen klinischen Theil. Letzterer um¬
fasst so ziemlich Alles, was bis jetzt die Röntgenuntersuchung
der Brusteingeweide gelehrt hat, wobei zunächst die normalen
Verhältnisse geschildert werden, denen sich dann die pathologi¬
schen Prozesse anschliessen. Den Schluss bildet eine Kasuistik
von 25 Fällen zur Ergänzung der Stellen im Text, an denen auf
sie verwiesen ist..
Die Abbildungen auf den Tafeln sind photographische Re¬
produktionen und grösst eil theil 9 von hervorragender Schönheit
und Deutlichkeit. Bei der Auswahl derselben hat H. die typischen
und häufig wiedorkehrenden Bilder, also das klinisch Wichtigste,
bevorzugt. Die dabei verwendete Technik (Rotationsphotograpliie)
macht ihrer Urheberin, der Neuen- Photogr. Gesellseh. Berlin-
Steglitz, alle Ehre.
Wir bezweifeln nicht, dass das H.’sche Werk sich bald in
den Händen aller Aerzte befinden wird, die sich für die Fort-
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MUENCIIENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT.
2117
24. Dezember 1901.
schritte der Röntgenlehre interossiren und denselben zu folgen
gewillt sind.
Sollte es der Verlagsbuchhandlung gelingen, in den sicher
zu erwartenden neuen Auflagen den Preis des Werkes herab¬
zusetzen, so würde die Verbreitung desselben sicher noch eine be¬
deutend grössere werden. J affe- Hamburg.
Prof. Dr. Otto v. Franque: Die Entstehung und Be¬
handlung der Uterusruptur. Würzburger Abhandlungen II. Bd.,
1. Heft. Preis 75 Pf.
Kurz und doch erschöpfend bespricht v. F. zunächst die ver¬
schiedenen Ursachen und Momente, die eine Uterusruptur hervor-
rufen resp. begünstigen können.
Bei der Erwägung der Frage, in wie weit die abnorme Aus¬
dehnung des Uterus (Gemini, Ilydramnios) eine Prädisposition
für Ruptur abgeben kann, macht v. F. darauf aufmerksam, dass
diese Möglichkeit auch bei der Anwendung der intrauterinen
Kolpeuryse zur Beschleunigung langsam verlaufender, recht¬
zeitiger Geburten und noch stehender Blase in Erwägung ge¬
zogen zu werden verdient; ein Punkt., der gewiss trotz der zu¬
nehmenden Häufigkeit in der Ausübung dieses Verfahrens bis¬
her wohl nicht allseitig berücksichtigt worden ist.
Die Symptome der Ruptur werden nur gestreift, eingehender
wird die Prophylaxe besprochen. Nach kritischer Besprechung
der Therapie bei kompleter und inkompleter Uterusruptur kommt
v. F. zu dem Resultate: Vorsichtige Entbindung auf natür¬
lichem Wege, Druckverband des Abdomens, einfache Drainage
mit Drainrohr oder Jodoformdocht.
Die Lektüre dieser anregend gesehriebenen Abhandlung ist
dem Praktiker wohl zu empfehlen.
Max II e n k e 1 - Berlin.
v. Ammon: Sehprobentafeln zur Bestimmung der Seh¬
schärfe für die Ferne. München 1901, J. F. Lehman n.
Diese Sehprob 3n tafeln empfehlen sich durch ihre zweckmässig.;
Anordnung und ihre Mannigfaltigkeit besonders für Entlarvung
von Simulation und Uebertreibung. Neu ist eine richtige An¬
passung der S n e 11 e n’schen Hacken durch Abschrägung der
Ecken, so dass sie den Buchstabonproben nun völlig gleieh-
werthig und nicht mehr leichter als diese zu erkennen sind, und
zweckmässig ist die Idee Kröge Fs in den Tafeln 4 und 5
mit etwas kleineren Buchstaben als auf Tafel 1 und 2 durch¬
geführt.
Tafeln mit Buchstaben in Spiegelschrift und eine für den
Einzelgebrauch nuszuschneidende Tafel mit Hacken bewirken,
dass sich v. A.’s Tafeln nicht nur durch die gute und reich¬
liche Auswahl der Buchstaben und Zeichen, sondern auch durch
ihre praktische Verwendbarkeit auszeiehnen.
Für eine neue Auflage würde sich etwas stärkeres Papier
empfehl*”'. S e g g e 1.
ff. Herrera V e g a s y Daniel J. Cranwell: Los Quistes
hidatidicos en la rlpublica Argentina. Buenos Ayres 1901.
gr. 8 \ 466 Seiten, mit 27 Abbildungen.
Dieses stattliche Werk ist von einer Einleitung des Prof.
Carlos Berg (Direetor del Museo de Ilistoria Natural) begleitet.
Die. Verfasser sind junge Aerzte, welche, wie die Einleitung
sagt, alles Wissenswerthe mit Berücksichtigung fremder und
eigener Beobachtungen über die „enfermedad parasitaria dc-
nominada hidatidiea“ zusammengestellt haben.
Im ersten Abschnitt finden wir kurze historische Notizen,
die Naturgeschichte der Taenia Echinococcus, woran sich die j
Aetiok)gie und Pathogenie reiht. Die Synonymik ist p. 9 aus i
R. B 1 a n c h a r d‘s gediegener Zoologie medicale sogar mit Bei¬
behaltung der Druckfehler (Terratus Roll, statt T. serrata) ent¬
nommen. Hierauf folgt das Geographische und die Vorbeugung.
Im besonderen Theil (p. 76—300) wird das Vorkommen der
Hydatiden in den einzelnen Organen behandelt. Diese Zusammen- ,
Stellung ist eine der besten der gesammten Eehinococcenliteratur
und zeugt Von grosser Kenntniss der Kasuistik, die in zahllosen
Artikeln und Dissertationen zerstreut ist. Es ist hier schwer, i
erhebliche Lücken zu entdecken.
Im 3. Thcile (p. 307—466) finden wir die gesummte argen¬
tinische Kasuistik nach Organen geordnet. Es sind 970 Falle,
von denen 644 die Leber, 68 die Lunge, 29 die Milz, 20 die
Nieren etc. betreffen. Einzelne wichtige Vorkommnisse sind aus¬
führlich berichtet.
Wenn wir uns erinnern, dass Neisser (1877) in seiner
trefflichen Monographie nur 968 Fälle aus der Weltliteratur zu-
sammengebraeht hat, so muss das argentinische Material als ein
gewa 11 iges erseheineu.
Der wichtigste Inhalt des Buches ist der Nachweis von der
grossen Verbreitung des Echinococcus in Argentinien, einen;
Lande, das etwa viermal so gross als das deutsche Reich, auf
seinen ausgedehnten Pampas kolossale Herden von Rindern und
Schafen ernährt. Die grösste Häufigkeit des Parasiten zeigt
die Provinz Buenos Ayres.
„Worauf beruht die Verbreitung der Krankheit in jener
Provinz?“ so fragen sich die Verfasser.
„Unzweifelhaft auf der grossen Zahl von Herden, welche
nach der jüngsten Zählung aus 8 724 683 Rindern und 52 000 000
Schafen bestehen, ferner auf der Menge der Hunde, die auf allen
Weideplätzen (Estancias) sich finden und oft ganze Meuten
bilden. Dazu kommt die geringe Sorgfalt, die bei der Fütterung
der Hunde beobachtet wird, welche sich von den kranken Einge-
weiden nähren. Auch ist cs bekannt, dass in der Provinz
Buenos Ayres fast bei sämmtliehen alten Schafen die Leber und
Lungen mit Wasserblasen (vejigas de agna) besät sind. Die
Veterinäre der Schlachthäuser der Stadt, welche Institute ihre
Rinder aus der Provinz beziehen, stellen fest, dass 40 Proc. aller
Rinder und 60 Proc. aller Schweine an Hydatiden leiden.“
Die erste Kunde von den Echinocooeen Argentiniens ist aus
den Jahren 1860—70. wie Dr. M asi in einer „Tesis de Buenos
Ayres“ nachweist. (El quiste hydatidico en la Republica Argen-
tinia 3893.) Nach Europa ist von diesen Dingen wenig ge¬
drungen und nur der unermüdliche Posse lt gibt bessere
Nachrichten über die Blasenwurmkrankheit des Laplata-Landes.
Aus dem Werke von Vegas und Cranwell erfahren
wir auch, dass in Argentinien eine tüchtige medicinische Thätig-
keit sich entwickelt. Eine stattliche Reihe von medicinischen
Zeitschriften sorgt für die dortige ärztliche Welt. Ueber die
„Quistes hidatidicos“ sind in den letzten Jahrzehnten nicht
weniger als 20 Teses de Buenos Ayres erschienen, die Mehrzahl
davon in den neunziger Jahren. — Ich selbst habe schon den
Versuch gemacht, etwas überdie südamerikanische Helminthologie
zu erfahren, musste aber viele Monate harren, bis es mir gelang,
das Bueh von Eliseo Ca u ton: „Tratado de los Zooparasitos
del cuerpo hutnano“, Buenos Ayres 1898, für schweres Gold zu
bekommen. Dieses Werk, welches sich besonders auf R. B 1 a n -
ch a r d stützt, enthält aber nur die Protozoen und Platelminthen.
Der Echinococcus Argentiniens wird zwar nbgehandelt, aber
über die grosse Literatur desselben schweigt der Verfasser.
Zuin Schlüsse muss ich die Ausstattung des Buches und die
guten Abbildungen, welche wichtige Fälle illustriren, rühmend
hervorheben. J. Ch. H u b e r - Memmingen.
Neueste Journalliteratur.
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 61. Bd., 3. u. 4. Heft-
Leipzig, Vogel, 190L
10) Enderlcn und J u s t i: Ueber die Heilung von Wun¬
den der Gallenblase und die Deckung von Defekten der Gallen¬
blase durch transplantirtes Netz. (Chirurgische Klinik Marburg.)
Die Verfasser studlrten zunächst an Kaninchen die Heilung
von Wunden der Gallenblase und fanden, dass dieselbe mit voll¬
ständigem Ersätze der Schleimhaut zu Stande kommt. Das neu-
gebildete Epithel zeigt zunächst niedere Formen, welche erst später
ln die hohen Cyiinderepithelzellen übergehen. Die Regeneration
der Muscularis ist wenig ausgesprochen.
Die Versuche mit NotztrnImplantationen auf Gallenblasen¬
defekte wurden au Hunden nusgeführt Auf dem transplantirten
Netze bildet siel» sehr bnld ein Epithelüberzug, der sieh mit der
darunter liegenden neugebildeten Schleimhaut ln Falten erhebt
In dem transplantirten Netz kommt es zur Bindegewebswucherung
und später zur Schrumpfung.
Dadurch, und in Folge der Kontraktion der Muscularis, kommt
es zur Verkleinerung des Defektes.
Zum Schluss haben die Verfasser noch einen Versuch von
C o r n i 1 und Cornat wiederholt und die Gallenblase aufge-
sclmitten und mit ihrer Schleimhaut auf die lieber ausge¬
breitet. Sie fanden in Uebereiustimmung mit den genannten
Autoren, dass sich die Höhle der Gallenblase wieder herstellte
unter Annäherung der Lol>erlnppcn.
ID Dietzer: Ueber Spiralfrakturen des Oberschenkels.
(Bürgerhospital Köln.)
ln den letzten 4 Jahren wurden am Kölner Bürgerspital unter
150 Fenuirfrnklaren 9,8 Proc. Splrnlhrüche gesehen. Scheidet man
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211 «
t
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Nu. 52.
diu Brüche bei Kindern unter 10 Jahren, bei denen meist ein Quer-
brueh zu Stande kommt, aus, so ergeben sieh 20 Proc. Splral-
brilehe auf 54 l’roe. Querfrakturen und 25 I’roc. Schriigbfliehe.
Unter Spiralbruch versteht man diejenige Bruchform, welche sich
aus einer Schraubenlinie und einer geraden, der Längsachse des
Knochens parallelen Bruchlinie zusammensetzt. Sie waren in des
Verfassers Fällen mit der einzigen Ausnahme eines 10 jährigen
Knaben, indirekte Frakturen, meist dureh holten Fall auf die
Beine hervorgerufen.
Die Behandlung erfolgte ausschliesslich mit Hilfe der Strecke.
Das Ergebnis» ist ein wunderbares, Durehsehnittsverkürzung
0,2 ent.
12) de Q ii e r v a i n - Cliitux-de-Fonds: Ueber subkutane
Verlagerung und Einklemmung des Leistenhodens.
Der vom Verfasser beobachtete 50 jährige Patient hatte seit
dem 14. Jahre eitlen Feisteiilioden. Bei dem Ilelten eines Har¬
moniums wurde derselbe durch den äusseren Leisteiiriug heraus¬
gepresst und verlagerte sielt seitwärts. Sofortige starke An¬
schwellung. Verfasser machte mu h 11 Tagt n di * Exstirpation des
Hodens und stellte dureh die anatomische l itt« rsuchuug fest, dass
cs sich um einen fettig und bindegewebig degencrlrten Hoden
handelte mit frischer Thrombose der grösseren Venen und hoch¬
gradigster vtnöser Stauung mit beginnender Nekrose hei wegsam
gebliebenen Arterien. Von Torsion war nichts zu entdecken.
Verl', führt ans, dass dieser Fall mit Bestimmtheit zu den
Einklemmungell des i.eisteiiltodens zu rechnen ist. Filter Ein¬
klemmung hat mau dann allerdings beim Samenstrang nicht eine
eigentliche Einklemmung wie heim Darm, sondern ..Zerrung und
Aliknickung“ zu versteh» n. Man könnte auch von Stauungslnfarkt
des Hodens in Folge Sameitstrangalikniekitng mit Irreponibilität
des Hodens sprechen.
]3i Mintz: Ein Fall von primärer Parotistuberkulose.
(All-Katharinciispital Moskau.)
Die l ntersuelittiig des operirten seltenen Falles ergab, dass
die Erkrankung sieh topographisch streng an die Drilsenlüppchen
hielt, ln fast allen Läppchen sassen kleinere und grössere Tu¬
berkel. Die die Driisenläppcheii trennenden Bindcgewebssepta
zeigten vielfach kleiiizidlige lntiltratioii, aber nirgends Tuberkel¬
bildung.
Verf. glaubt, dass es sieh um eine aus dein Kanalsystem der
Drüse eingedmngciie Infektion gehandelt hat.
14» Kaiser: Ueber die Erfolge der Gastroenterostomosis.
iCliirurgiselie Klinik Bern.»
Wegen gutartiger Erkrankungen wurde 15 mal die Onstro-
enterostomie votg» iioiumen. und zwar die Anteoolica anterior 7 mal,
di,. Betmeoliea posterior 5 mal und die IDmx'srhe Methode „en Y“
mal. Es lassen sielt sowohl mit der hinteren wie mit der vorderen
Methode gleich gute Erfolge erzielen. Sehr gut war der Erfolg ln
in Fällen, unbefriedigend in 2 Fällen. Die einzelnen Fälle sind
sehr sorgfältig in Bezug auf Dilatation, motorische Funktion.
Chemismus liaehuutersueht, die hemerkenswerthen Einzelheiten
entziehen sich der Wiedergabe.
Wegen Careinom wurde 33 mal operirt. Bei 12 PatUnten trat
sehr bald nach »ler Operation der Exitus ein. Bei 10 überlebenden
Patienten betrug die dmvhsehnittliehe Tadtensrinuer 3.0 Monate.
Grosses Int »»resse verdienen die Ausführungen des Verfassers über
mangelhafte Austreibung des Mageninhaltes, über den Circulus
vitiosv.s, über das Verhalten dos anatomischen Befundes zu den
klinischen Erscheinungen, über die chemischen Verhältnisse des
Magensaftes (4 mal freie Salzsäure) und deren Veränderung durch
die Operation, über den Befund von (lalle im Magen und ähnliches.
15) v. Illges: Der Ureterenkatheterlsmus im Dienste
einiger neuerer Methoden der Nierendiagnostik. (I. chirur¬
gische Klinik Ofen-Pest.)
Auch Verfasser hält für das beste Verfahren, um die I' uuktion
einer Niere zu prüfen, die Bestimmung des Gefrierpunktes, die
Krvoskopie. Die Gefrierpunktsernicdrigiiiig einer Flüssigkeit ist
um* so grösser, je mehr gelöste Moleküle dieselbe enthält und um¬
gekehrt. Bei krankhaften Nieren Veränderungen wird die Gefrier-
punktseriiiedrigung »les Blutes grösser, die der Nieren geringer.
Wrf. hat au 12 Nierenkranken mit Hilfe des Freterenkatlieters
derartige Untevsmlning.-n n»gestellt. Die Bedeutung der Unter-
sueluingsiiiethod». kommt ja besonders bei der Entscheidung über
einen opcnitiveti Eingrilf in Betracht.
10) Fridberg: Zur Aetiologie und Therapie des Caput
obstipum musculare congenitum. (N e u tu a n n sehe Kiuder-
polikliitik Berlin.)
Von FS operativ behandelten Fällen konnte hei 9 das cxzhlirte
Muskelstitek mikroskopiseh untersucht werden. Darnach muss als
Fisache für das genannte Leiden in der grossen Mehrzahl der
Fälle die dmvh »las Gcburtslraumn bedingt«* pathologische Ver¬
änderung im Koptnickeniiuskcl angesehen werden. In vereinzelten
Fällen kann die pathologische Haltung schon während der Entwick-
lnng »les Fötus in utero verursacht werden. Das anatomische Bild
ist ln nileii Fällen makroskoptsi-li und mikroskopiseh ein gleieh-
•trligcs. eine interstitii'lle My»»sitis. I iieutselii<‘d»‘U bleibt es, ob
»s sielt um einen rein anatomiselien degetierativeii Prozess im
Muskel, nur »luf« b »las Trauma b»*dingt. handelt, oder ob ein wlrk-
1 j,-l, «• 111 v.ii 11 < 11 i<-1 m* t* Prozess im klinischen Sinne in Folge bacillürer
Infektion vorli. gt.
],.is <>p,•rati\». Norinalverfalireii ist die Besektion des er¬
krankten Mnskrls. In g»*eigneten Fällen kann dieselbe durch die
plastisch»* \'i rliing».niteg des Muskels ersetzt werden.
J7i II. M a n s s - Berlin: Ueber mechanische Störungen des
Knochen wnehsthums.
M. vertritt gegenüber Herz nochmals seine Auffassung,.dass
einer mechanischen Hemmung des Knoehenwachsthums in irgend
einer Richtung ein entsprechend stärkeres Wnchsthum In einer
anderen — druekfrelen — Richtung entspricht.
18) Gerulanos - Kiel: Zum Vorkommen des Tetanus nach
subkutaner Gelatineinjektion.
Zur Verminderung der parenchymatösen Blutung waren vor
einer Kehlkopfexstirpatiou 200 ccm einer 2 proc. sterilisirten Gela-
tinelösung am Oberscltenkel injlzirt worden.
An »ler Einstichsteile entwickelte sieh eine handtellergrosse
Gangrän und 8 Tage nach der Operation setzte ein tödtlielier Te¬
tanus ein. Die Halswunde war reaktionsloe.
Die bakteriologische Untersuchung der Einstichwunde blieb
ohne positiven Erfolg. Das Gelatineglas war verloren gegangen.
Eine andere Frau, welche vor Vornahme einer Thoraxplastik mit
derselben Gelatine injlzirt war, bekam eine Hautgangrän, aber
keinen Tetanus.
Ein weiterer Fall von Tetanus wurde von Georgis - Flens¬
burg nach Gelatineinjektiou wegen starker Blutung aus einer
Abscessltöble beobachtet. 0 Tage darnach setzte tödtlicher Te¬
tanus ein.
Helfericlt mahnt auf Grund dieser beiden Fälle mit Recht
zu doppelter Vorsicht bei der Vornahme von Gelatineinjektionen.
Krecke.
Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 10.
J. Sehoemaker - Nimwegen: Zur Technik der Kranio-
tomie. 4
Nachdem die Giglisäge immer die Schattenseite hat, dass sie
erst durcligeftlhrt werden und die Dura geschützt werden muss,
die D a h 1 g r e n’selte Zange nur sehr kleine Stückchen Knochen
aus dem Schädel kneift ,uud unter Umständen sehr oft eingeführt
werden muss, empfiehlt Sch. ein Instrument, bei dem der durch-
zuführeude Durnsehlitzer zugleich den Knochen durehschneideu
soll oder bei der Zange das Prinzip der schiefen Ebene angebracht
ist, während als Stützpunkt (um deu Gegendruck zu tragen) ein
zweites Bohrloch iu den Schädel gemacht und die erforderliche
Kraft ln einem Schraubenapparat repräsentirt wird. — Das Essen¬
tielle au dem dureh Abbildungen dargestellten Instrument ist das
Metallstüek, das durch den Schädel vorwärts geschoben wird, das
unten geknöpft mit seiner vorderen Kante schief gestellt und
vorne etwas breiter als hinten ist. Sehr.
Archiv für Gynäkologie. 65. Bd. 1. Heft. Berlin 1901.
1) E. Wertheim: Ein neuer Beitrag zur Frage der B adi k a l -
operation beim Uteruskrebs. (Aus der Bettina-Stiftung in Wien.)
W. veröffentlicht eine zweite Reihe von 31 Fällen abdominaler
Radikaloperation bei Uteruskrebs: im Ganzen bis jetzt 60 Fälle.
Kurze Angaben über Befund, Operation (NebenVerletzungen) und
späteren Verlauf mit Skizzen über Ausdehnung des Carcinoms und
Erkrankung der regionären Lymphdrüsen.
„Während von den ersten 30 Fällen 12 dem Eingriff erlagen,
gingen in der zweiten Serie nur 5 Fälle In Folge der Operation
zu Grunde.“ Obwohl nie der Ureter verletzt wurde, traten doch
in der zweiten Serie 5 mal Ureter-Sclieideufisteln auf, die smal
Nephrektomie und einmal Exitus letalis zur Folge halten. Mit-
theilungeu über Operationstechnik und Nachbehandlung besonders
bezüglich der häutigen Blaseuparese.
2) Hans Loew enstein, Assistenzarzt am städt Kranken¬
haus zu Frankfurt a. O.: Klinisch-statistische Beiträge zur Puer-
peralfieberfr&ge. (Aus der Provlnzial-Hebammen-I^ehraustalt zu
Breslnu, Direktor Dr. Baum m.)
Von den 3352 Frauen der letzten 4 Jahre fieberten 45 Proc-
und zwar untersuchte wie nicht untersuchte ohne wesentlichen
Unterschied. „Vergleicht man die Resultate der einzelnen Des-
infektionsmethoden (1. nur Wasser und Seife ohne jedes Antl-
septicum, 2. Lysol, 3. Desinfektion nach Holmeier) und die
Gesammt-Morbidität, so stehen ziemlich gleich H o f m e 1 e r
(45 Proc.) und blosse mechanische Reinigung (46 Proc. Gesammt-
Morbidität), beträchtlich schlechter ist Lysol mit 66 Proc. Dar¬
nach lässt sich also die absolute Nothwendigkeit einer präliminaren
inneren Desinfektion bei jeder Geburt nicht erweisen.“
Im Ganzen starben 36 Frauen, davon 12 an Puerperalfieber,
unter diesen sind aber nur 6, für welche die Anstalt verantwort¬
lich gemacht werden kann, d. i. 0,181 Proc. — In Erkrankungs-
fäHeu wird prinzipiell kein lokaler Eingriff vorgenomnteu.
3) M i c h o 1 i t s c h: Ein Fall von B r • u a’aeher Haematpm-
mole mit blaaenmolenähnlicher Degeneration der Chorionzottan.
(Aus der Bettina-Stiftung in Wien, Vorstand Prof. Wert heim.»
Bei einer 38 Jährigen IX. Para wurde im 0. Schwangerschafts-
inonat ein faustgrosses Molenei ausgestossen. Die Aussenfläche
zeigte das Bild der Blasenmole, ln die Eihöhle sprangen zahlreiche
buckelige, zuin Tltell gelappte und gestielte Tumoren vor von tief¬
blauer Farbe. Ein 11 mm langer Embryo war gut erhalten.
4) R. Kuudrat, Laboratoriums-Assistent: Zur Tuberku¬
lose der Tuben und der Uterusmucosa. (Ibidem.)
Unter 140 Fällen von Entfernung des Uterus mit Anhängen
wegen entzündlicher Affektloneu wurde 4 mal Tuberkulose
der Tuben, 1 mal mit solcher der Uterusschleimhaut gefunden. Iu
einem Fall von Carcinoma cervicis mit gleichzeitiger Tuberkulose
der Tuben zeigte auch eine exstlrpirte regionäre Lymphdriise diese
beiden Erkrankungsprozesse neben einander.
5) Achilles N ordmann - Basel: Zur Frage der Ftocentar-
adhaerenz.
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24. Dezember 1901.
2119
MÜENCHKNEB MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT.
N. beobachtete bei Adhaerenz der Placenta wiederholt Ver¬
änderungen der Decidua serotina durch bindegewebige Wucherung
Mer innige Verwachsung der Uterusmuskulatur mit der uterinen
Placentarfläche. Für die Aetiologie (1er serotinnlen Form sind
vorausgegangene Traumen (Curettage, Placentarlösung. Aetzuneen)
in Betracht zu ziehen.
Pie folgenden Arbeiten bilden den Schluss der Festschrift für
L. Landau.
6) Joachimsthal, Privatdozent in Berlin: Ueber ange¬
borene Defektbildungen am Oberschenkel.
J. sah 2 mal an lebenden Kindern theilweisen Defekt des Ober¬
schenkelknochens und einmal bei einem todten Neugeborenen voll¬
ständigen Mangel desselben. Er belegt seine Befunde mit Köntgen-
photographien.
7) Ernst Orgler, Voloutärarzt: Zur Prognose und Indikation
der Ovariotomie während der Schwangerschaft. (Aus Prof. Dr.
L. Landau’s Frauenklinik in Berlin.)
Von 10 Ovariotomien bei bestehender Gravidität führte 4 mal
die Operation Abort herbei. Alle 10 Patientinnen wurden geheilt
Aus einer Zusammenstellung von 148 bis jetzt noch nicht statistisch
venvertheten Fällen ergibt sich eine Mortalität der Mütter von
2,7 Proc. und 22,5 Proc. vorzeitige Unterbrechung der Schwanger¬
schaft. Die Ovariotomie ist bei bestehender Schwangerschaft so
frühzeitig als möglich vorzunehmen.
8) W e 1 u r e b , Assistenzarzt an der Prof. Land a u'schen
Frauenklinik in Berlin: Ein Beitrag zur Therapie der Ureteren-
verletzungen bei Laparotomien.
Bei einer wegen Carcinoma cervicls vorgenommenen abdomi¬
nalen Totalexstirpatiou passlrte es L. Landau, dass ein Stück
des rechten Ureters exeidirt wurde. Da ein anderes Verfahren
nicht möglich war. unterband Landau den centralen Ureter¬
stumpf. um event. später die Niere zu entfernen. Die Heilung ver¬
lief ohne besondere Störung, es trat kein Nierentumor auf. Be-
obachtungsduuer 8 Monate.
Wenn möglich, soll in derartigen Fällen der Ureter in die
Blase iinplantirt werden, im anderen Fall ist die Ligatur des
Ureters der sofortigen Nephrektomie vorzuziehen.
9) Georg Davidsohn, Assistent: Zur Lehre von der
„Mola haematomatosa“. (Aus Prof. Dr. L. L a n d a u’s Frauen¬
klinik.)
D. nimmt an, dnss die Mola haematomatosa aus einem pri¬
mären Hydramnlon entsteht. Das ganze Ei ist in Folge dessen
schon beim frühen Absterben des Foet unverhältnissmässig gross
und wächst später nicht mehr.
Beschreibung von 2 fast faustgrossen, spontan ausgestossenen
Haematommolen mit Embryonen von 11 bezw. 9 mm Länge.
Beide Präparate zeigen Reste von Clioriongefässen.
Dr. Anton H e n g g e - München.
Centralblatt für Gynäkologie. 190 1 . No. 50.
1) E. Waldstein - Wien: Weiterer Beitrag zur Carcinom-
statistik.
Das Material entstammt der Schaut a'schen Klinik, wo
die vaginale Methode principiell geübt wird. W.’s Statistik ergibt
folgende Resultate: Dauerresultate (5 jährige Recldivfrelheit)
waren bei 112 Fällen bekannt, von denen 70»/ 3 Proc. reeidivirten.
Portlocarcinome reeidivirten in 71,9 Proc.. Cervixcarcinome ln
76,2 Proc., Collumcarcinome überhaupt in 73.6 Proc.. Corpuscarcl-
nome in 16,7 Proc. Von 14,7 Proc. operablen Frauen sind 8.8 Proc.
an den Folgen der Operation gestorben. Von denen, welche letz¬
tere Uberstanden, blieben nur 3,95 Proc. recidlvfrol. d. li. von 100
carcinomkranken Frauen konnten nur ca. 4 geheilt werden.
2) Menge- Leipzig: Das Wesen der Dysmenorrhoe.
M. unterscheidet 2 Arten der Dysmennorrhoe: eine von Geni¬
talerkrankungen unabhängige idiopathische und eine durch letz¬
tere bedingte sekundäre D. Alle Dysmenorrhöen sind auf eine
menstruelle W e h e n t h ä 11 g k e 1 1 des l'h-rus zurück¬
zuführen, die durch eine prämenstruelle Schwellung der TJterus-
schleimhaut und durch das Meustrnalblut bedingt wird. Bei
somatisch und psychisch gesunden Frauen ist diese Welientliütig-
keit Insensibel, dagegen wird sie als Schmerz empfunden 1. bei
Hysterie und Neurasthenie. 2. bei Erkrankungen des Genital¬
kanals. 3. bei Erkrankungen der Beckenorgane. M. kommt zu dem
Schluss, dnss keine Menstruation und Dysmenorrhoe ohne Wehe,
aber auch zahlreiche Dysmenorrhöen nur die Folge eines kranken
Nervensystems sind. Für die Therapie ergibt sich hieraus, dass
die Behandlung ln erster Linie kausal sein muss. Zur Behandlung
des Nervensystems sind diätetische Maassnahmen (Mastkuren) und
physikalische Heilfaktoren (Massage. Hydrotherapie, Gymnastik),
sowie Loslösung der Pat. aus ihrer Umgebung besonders wirksam.
Die Wirkung der nasalen Therapie beruht nach M. im Wesent¬
lichen auf Suggestivwirkung.
3) O. Schaeffer - Heidelberg: Ueber ein neues Früh-
merkmal begonnener Schwangerschaft und über ein Gleiches
betreffs des Absterbens junger Früchte.
Sch.’s Symptom beruht auf der Annahme von Aenderung vaso¬
motorischer Vorgänge im Gesammtorganismus mit dem Eintritt
der Schwangerschaft. Diese dokumentiren sich iiusserlich durch
die bekannte Colehleumfärbung der Vulva und durch eine weniger
bekannte Streifenfärbung der Gegend der Urethra oder der Aussen-
seite des Tuberculum vaginae. woselbst sie meist quer oder schräg
verläuft. Ferner fand Sch. bei Untersuchungen des Blutes, dass
dessen Resistenzfähigkeit sofort mit dem Eintritt der Schwanger¬
schaft stieg. Für die näheren Angaben muss auf das Original
verwiesen werden, woselbst man Sch.’s Untersuchuugsmethoden
beschrieben findet. J a f f 6 - Hamburg.
Virchow’s Archiv. Bd. 166. Heft 2. 1901.
^1) H. Hirschf eld: Ueber die Entstehung der Blut¬
plättchen. (Aus dem städt. Krankenhause Moabit, Abth. des
Herrn Prof. Goldscheider.)
Nach H.’s Untersuchungen sind die Blutplättchen noch als
eniioglobuläre, in den Erythroeyten entstandene und dann ausge-
stossene Gebilde zu betrachten und wohl zu trennen von den aus
Leukocyten hervorgehenden blutplättchenähnlichen Gebilden. In¬
zwischen sind jedoch die hochinteressanten von Detjen (Vir-
chow’s Arch, 164, 2) im physiologischen Institut zu Kiel ausge-
führteu Untersuchungen erschienen, die die Blutplättchen als nor¬
male kernhaltige Zellgebilde mit amoeboider Bewegung schildern
Wie Kopse h und Dorendorf bestätigt auch II. einstweilen'
die D e t j e u’schen Resultate, nur konnte er das Vorhandensein
eines Kernes nicht konstatlren.
12) G. Muscatello und J. Ottaviano: Ueber die
Staphylococcenpyaemie. (Experim. Unters, ans dem Institut f.
Pat hol. und der chir. Klinik zu Neapel.)
Die vorliegenden experimentellen Untersuchungen beschilfti
gen sich mit den zur Hervorrufung der Pyaemie erforderlichen Be¬
dingungen und der Pathogenese der metastatischen Lokalisationen.
Die subkutane Einverleibung führte nur zum Tod durch
..Toxikaernie“, bei grösseren Dosen verbunden mit „Bacteri-
aemie“; bei intraven ö ser Injektion tritt durch starke Dosen
Toxikaernie und Bakteriaemie. durch mittelgrosse Bakteriaemie
und multiple Eiterherdbildung (Pyaemie). durch noch geringere
reine Pyaemie auf — ohne Coccenbefund im Blut —. mit meta-
statlscheu Abscessen in Nieren. Herzmuskel. Lunge, Leber und in
meist bestimmten (s. Orig.!) Gruppen der Körpermuskulatur.
13) B. Wolff II: Beiträge zur pathologischen Histologie
der Ovarien, mit besonderer Berücksichtigung der Ovarialcysten.
(Aus dem pathol. Institut zu Berlin.)
W. hat besonders Ovnrien untersucht von Kindern, die an
akuten Infektionskrankheiten gestorben waren und glaubt an
einen Zusammenhang zwischen Infektionskrankheit und Cvsten-
bildung: dersellK* entzündliche Reiz bewirke zuerst eine Sprossung
des Keimepithels und daun sekundär (durch Ilümorrhagien etc.»
in den Sprossen die Bildung von Cysten.
14) E. M e y e r: Ueber scheinbare metaplastische Verände¬
rungen an Epithelien der Uterusdrüsen. (Aus dem pathol. In¬
stitut zu Zürich.)
Der geschilderte Befund und dessen Erläuterung ist von
rein pathologisch-histologischem Interesse.
15) W. Cimbal: Beiträge zur Lehre von den Geschwülsten
im 4. Ventrikel. (Aus dem pathol. Institut zu Breslau.)
Verf. berichtet über 2 eigene Beobachtungen (Gliom und Peri¬
theliom [ ?]) und stellt 31 aus der Literatur entnommene Fälle
tabellarisch zusammen. In klinisch-diagnostischer Beziehung sind
abgesehen von den Symptomen des Hirn drucken die auf¬
fallend häufigen psychischen Störungen (Schlaflosigkeit,
melancholische Verstimmungen etc. oft deutlich Intermittirend) zu
berücksichtigen: die vorherrschenden K 1 e i u li i r n s v mp t o m e
sind auf die geringe Widerstandsfähigkeit der grauen Substanz
des C'erebellum und dessen Ganglienzellen zurückzuführen. Das
Erbrechen will C. als Druck auf den Vagusker n auf¬
fassen; von sonstigen Lokalsymptomeu wären zu nennen: Augen¬
muskellähmungen (A bduc e n s. seltener Oculomotorius
betr.), dann im Facialis-, seltener Ae u s t J c u s- und Glosso-
p h a ry u ge u s gebiet, ln vereinzelten Fällen sind regellos die
übrigen in der Medulla liegenden Kerne betroffen. Die Läsion der
Medullakerne und des Kleinhirns hängt natürlich von der Grösse
und der Wachstlmmsart des betr. Tumors (gut- oder bösartig!) ab.
16) O. Brucauf f: Ueber die Heilungsvorgänge bei dis-
seminirten infektiösen Nephritiden, insbesondere bei der Pyelo¬
nephritis ascendens. (Aus dem pathol. Institut zu Breslau.)*»
Bei Pyelonephritis ascend. finden sich in einem Tlieli der Fälle
neben fioriden eiterigen Processen noch Sclirumpfuugsherde in der
Rinde, die den Charakter schwielig-narbiger Ausheilung tragen und
sowohl von arteriosklerotischen wie von Infarktnarben wohl unter¬
schieden werden können. Im Verlauf solcher Ausheilungsproeesso
sind wohl Wucherungen der llariikauälcheuepithelien zu be¬
obachten. eine Neubildung vollkommener Tubuli jedoch kaum.
(Literatur.)
17) L. Spiegel: Beiträge zur Kenntniss des Schwefelstoff¬
wechsels beim Menschen. (Aus dem pharm. Institut zu Berlin.)
Cystin sowohl wie dessen nächstes Oxydationsprodukt, die
uuterschwefelige Säure, treten nach 8. regelmässig als Zwischen¬
produkt!* beim oxydativen Eiweissabbau im Organismus auf.
werden jedoch normaliter weiteroxydirt. Bei Cystinurie (die nach
S. nicht so selten Ist) oder Ilvposulflturie handelt es sich dem¬
nach um eine Herabsetzung des Oxydationsvermögens gegenüber
den Schwefelverbindungen. H. Merkel- Erlangen.
Ziegler’s Beiträge zw pathologischen Anatomie. 30. Bd.
3. Heft. 1901.
12» M. v. Bt'UJin: Ueber die Entzündung seröser Häute
mit besonderer Berücksichtigung der Balle der Serosadeckzellen.
(Aus dein pathol. Institut zu Freiburg I. B.)
Die vorliegenden höchst interessanten Untersuchungen fassen
theils auf Leichenuntersnehmigcn. tlieils auf Thierexperitnonten
(Hunden und Kaninchen): lw*i letzteren hat Verfasser, um mög¬
lichst geringe und lokalisirte Reize zu erzeugen, kleinste sterilisirtc
Hollundermarkplättehen in die Pleura- und Leibeshöhle eingebmeht
*) Von der medie. Fakultät zu Breslnu preisgekrönte Ailndt.
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2130
MTTETfOHENER MEMCINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
und dann nach bestimmten Zeiten untersucht Seine Unter¬
suchungsresultate fasst v. B. selbst ln folgende Schlusssätze zu¬
sammen: Die Serosadeckzellen gehören ln die Gruppe der Epi¬
thel len. Dafür spricht von morphologischen Kennzeichen vor
Allem das Vorhandensein eines feinen Härchen-
saumes (auch beim Menschen!), von physiologischen Lebens-
äusserungeu die ausgesprochene Tendenz, in zusammenhängender
Lage freie Flächen zu bedecken und vor Verwachsungen zu
schützen. Im Fibrin eingeschlossene Reste von Deckzellen können,
falls sie an freien Flüchen von Lücken und Spalten günstige
Wachsthuinsbedingungen finden, zur Bildung cystischer, schlauch¬
förmiger und adenomartiger Hohlräume (besonders in den sogen.
Sehnenflecken des Herzens!) führen, indem sie eine Entwicklung
von bindegewebigen Adhaesionen an diesen Stellen verhindern.
Eine Entwicklung von Bindegewebe aus Dock-
zeilen findet nicht statt; scheinbare Fortsatzbildungen der
letzteren kommen ausschliesslich in den ersten Tagen, zur Zeit der
stärksten entzündlichen Exsudation, zur Beobachtung und sind
durch direkte Einwirkung des Exsudationsstroraes. auf passivem
Wege entstanden, zu denken. Junge Deckzelfen entstehen aus¬
schliesslich durch Theilung schon vorhandener, nie
aus Fibroblasten.
13) II. Brüning: Untersuchungen über das Vorkommen
der Angiosklerose im Lungenkreislauf. (Aus dem pathol. Institut
zu Bonn.)
B. lenkt die Aufmerksamkeit auf die den Lungenkreislauf be¬
treffenden sklerotischen Processe. Die Sklerose findet sich nach
den zusammengestellten 21 eigenen Beobachtungen am häufigsten
und hochgradigsten In den Lungenarterien, weniger stark und
reichlich in den Lungenvenen; ausserdem tritt sie manchmal ln den
Bronchlalarterlen auf, während die Brouchialvenen vollkommen
frei gefunden wurden. Sie Ist demnach nicht so selten, als man
bisher vielfach angenommen hat, und findet sich auffallend häufig
bei Stauungslunge (Mitralfehler, Myodegeneratio). ferner bei patho¬
logischen Zuständen der Respirationsorgane (Verkleinerung der
Lungenblutbahn!) und kombinirt mit allgemeiner Arteriosklerose.
Allgemeine Schädlichkeiten, Circulatlonsstörungen und entzünd¬
liche Processe in der Gefässwand und deren Umgebung, spielen
ebenso wie bei der Arteriosklerose des grossen Kreislaufs, so auch
in der Aetiologie und Genese der Pulmonalgefässsklerose die
Hauptrolle.
14) H. Egget: Ueber das primäre Carcinom der Leber.
(Aus dem pathol. Institut zu München.)
In der vorliegenden umfangreichen Arbeit bringt Verfasser
eine tabellarische Zusammenstellung von 163 primären Leber¬
krebsen aus der Literatur und vergleicht sie von den verschie¬
densten Gesichtspunkten aus mit einander. Daran schllesst sich
eine eigene Beobachtung an mit genauem mikroskopischen Befund.
Hinsichtlich des ungemein häufigen Zusammentreffens von atro¬
phischer Cirrhose und Carcinom spricht sich E. dahin aus, dass
die Cirrhose wohl als der primäre Process zu betrachten sei und
das Carcinom (der Theorie R 1 b b e r t’s entsprechend) „durch eine
Wucherung von Epithelzellen entstehe, welche aus ihrem normalen
Verband, sei es durch entwicklungsgeschichtliche oder trauma¬
tische. oder vor Allem durch entzündliche Processe ab¬
getrennt und in das Bindegewebe verlagert wurden.“
15) Fr. H a r b 11 z - Christlania: Ueber Osteogenesis imper¬
fecta.
H. stellt 19 Beobachtungen aus der Literatur zusammen und
berichtet über einen eigenen Fall von Osteogenesis imperfecta.
Es handelt sich bei diesem Krankheitsbild um entweder todt-
geborene oder meist bald nach der Geburt gestorbene Kinder, die
von kleiner und kurzer Gestalt sind, dicke, kurze, missgestaltete
Extremitäten besitzen, während Körper und Kopf meist wohl-
entwickelt sind. Die mangelhafte Ossifikation an den langen
Röhrenknochen wie an den Rippen führt zum Auftreten zahl¬
reicher Frakturen, die theils Intrauterin entstanden und dann mit
starker Callusbildung geheilt oder aber frisch und bei der Geburt
zu Stande gekommen sind. Diese Frakturen mit den daraus fol¬
genden abnormen Stellungen der Bruchenden bedingen die Kürze
und Missstaltung der Extremitäten. H. fasst die vorliegende Er¬
krankung als eine eigene Form der foetalen Rachitis auf, deren
Ursache zur Zeit noch völlig unbeknnnt ist.
H. Merkel- Erlangen.
Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 20, 1901.
1) A. Macfadyen and S. R o w 1 a n d - London: Upon the
intracellular constituents of the typhoid bacillus.
2) A. Slilbayama - Tokio: Einige Experimente über
Haemolysine.
Verfasser fand, dass normales Hunde - und Ziegen¬
serum die Fähigkeit besitzt, Erythroeyten des normalen
Kaninchens und Meerschweinchens in vitro auf¬
zulösen. Die Auflösungsfähigkeit des Serums wird aber durch
Dialyse zerstört und es ist nicht möglich, diese inaktivlrten Sera
durch Zusatz eines normalen Serums zu reaktlviren.
Die haemol.vtische Wirkung des Meerschweinchenserums wird
durch Injektion von Erythroeyten des Hundes verursacht und
nicht durch die Einwirkung von Hundeserum.
Die Annahme, dass der Haemolyse vorher eine Agglutination
der Erythroeyten vorausgehen müsse, kann Verfasser nicht ohne
Weiteres bestätigen, da die Haemolyse auch ohne vorherige
Agglutination elntritt In letzteren Fällen würden die Sera von
hochlmmunlsirten Tbieren abstammen.
3) Carl Spengler- Davos: Zur Diagnose und Prognose
der Misch- und Begleitinfektion bei Lungentuberkulose.
Unter Mischinfektion versteht Verfasser die Sekun¬
därinfektion tuberkulösen Granulationsge¬
webes.
Die Tuberkelbacillen und Mischbacillen (alle die ausser T.-B.
vorhandenen Bakterien) lassen sich durch die Koch-Kita-
sato’sche Waschmethode nicht von einander trennen, es ge
langen besonders die Mischbacillen zur Entwicklung.
Unter Begleitinfektion wird die chronische
Bronchitis der Lungentuberkulosen verstanden.
Es handelt sich dabei um eine reine Lungentuberkulose, deren
Bronchialgebiet sekundär erkrankt Ist Es kommen nach korrekter
Waschung der Sputumballen, weil die Sekundärbakterien nur in
den Kernumhüllungen sitzen, nur Tul»erkelbacillen zur Ent¬
wicklung.
Die Prognose der chronischen Begleittuberkulose Ist im All¬
gemeinen gut; die Prognose einer tuberkulösen Erkrankung, bei
der ln den Mischbakterien sich zalilrelche lange Strepto¬
coccen finden, meist sehr schlecht.
4) Kausch- Charlottenburg: Formaldehydmischungen.
Eine Zusammenstellung aller bis jetzt in den Handel ge¬
brachten chemischen Form aldehydverbindüngen
und mechanischen Vermischungen des Formalde¬
hyds mit anderen Körpern. Genannt sei: 1. Das Para¬
formaldehyd: 2. eine Verbindung des Formaldehyds mit Natrium.
Kupfer, Eisen- und Kalksalzen; 3. Sanolith, mit Formalin ge¬
tränkte. poröse Platten; 4. Mischung von Alkohol, Aceton und
Formalin; 5. Holzin oder Holzinol, Mischung von Menthol, Methyl¬
alkohol und Formaldehyd; 6. Glykoformal, Mischung von Glycerin
und Formalin; 7. Formalin mit Kaliummetabisulfitlösung;
8. Formaldehyd mit Akrolöin; 9. Formallnsalbe; 10. Formoforln,
Gemisch aus Thymol, Formaldehyd, Zinkoxyd und Stärke;
11. Sudol, formalinhaltlges Wollfett mit Glycerin; 12. Tannofonn.
Tannin mit Formaldehyd; 13. Desodor und Kosmin (Mundwässer);
14. Foroformpulver; 15. Sterifonnum jodatum, ein Gemisch aus
Formaldehyd, Jodammonium, Pepsin und Milchzucker.
R. O. Neumann - Kiel.
Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 50.
1) P. Bauragarten - Tübingen: Mikroskopische Unter- (
Buchungen über Haemolyse Im heterogenen Serum.
Vortrag, gehalten bei der Tagung der deutschen patho¬
logischen Gesellschaft in Hamburg. September 1901.
2) E. Saul-Berlin: Beiträge zur Morphologie des Typhus¬
bacillus und des Bacterium coli commune.
Cfr. Referat S. 1900 der Münch, med. Wochenschr. 1901.
3) A. Albu-Berlin: Ueber die Grenzen der Zulässigkeit
ausgedehnter Dannresektionen.
Die bisherigen Erfahrungen an Operirten scheinen dafür zu
sprechen, dass die Entfernung etwa eines Drittels des Dünndarms
als mit dem Leben und der Gesundheit der Patienten noch ver¬
einbar angesehen werden kann. Bel dem Ausmaass des zu ent¬
fernenden Stückes ist das annähernd feste Verhältnis zwischen
der Körpergrösse und der Darmlänge zu berücksichtigen, eine
Forderung, welcher sich praktisch freilich grosse Schwierigkeiten
eutgegenstellen. Ein etwas sichereres Urtheil erlauben nun Stoff-
wechselunterauchungen, welche man an den Kranken mit grossen
Darmresektionen angestellt hat. Es zeigt sich hiebei, dass bei Ent¬
fernung grösserer Darmabschnitte vor Allem die Fettresorption
leidet, weniger die Aufnahme von Elwelss. Verf. hat selbst an
einem Kranken, dem wegen eines Tumors ein fast 2 Meter langes
Dünndarmstück resezirt worden war. Stoffwechseluntersuchungen
angestellt lind fand, dass die Rcsorptionsverhllltuisse bei dem
41 jälirlgcn Patienten sowohl hinsichtlich des Elweisses. wie
namentlich des Fettes an der oberen Grenze des Normalen lagen,
trotzdem nicht mehr als ein Drittel des Dünndarmes entfernt
worden war. Am ehesten kann noch der untere Ileumtheil ent¬
behrt werden, während Duodenum und Jejunum für die Resorption
sehr wichtig sind. Was der Dünndarm an Oberfläche verloren hat.
ersetzt er durch kompensatorische Hypertrophie der erhaltenen
Resorptionsfläche.
4) L. K u 11 n e r - Berlin: Plätschergeräusch, Atonie und
Gastroptose.
In seinen Erörterungen kommt Verf. zu folgenden Schlüssen:
Das lebhafte, schon bei oberflächlicher Berührung entstehende
Plätschergeräusch des Magens ist ein pathologisches Symptom.
Das Auftreten des Geräusches bei gegebenem Füllungszustande
des Magens ist im Wesentlichen abhängig von dem Tonus der
Magenmuskulatur und der Beschaffenheit der Bauchdecken. Die
Lage des Magens kommt erst ln zweiter Linie in Betracht. Das
während der Verdauungszelt vorkommende Plätschergeräusch
spricht für Atonie des Magens; abnorm lange Zelt nach dieser
vorkommend, weist es auf motorische Insufflclenz hin. Für die
Feststellung der letzteren ist die Sondenuntersuchung vor Allem
maassgebend. Bei nüchternem Magen sich zeigendes Plätsclier
geräusch kann sowohl durch Parasekretiou, wie durch motorische
Insufflclenz hervorgebracht werden. Atonie und motorische In-
sufficienz dürfen nicht ohne Weiteres als identisch betrachtet
werden. _ ... __
5) B. Stiller- Ofen-Pest: Noch ein Wort über Magen-
atoni*
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24- Dezember 1901. _ MUENOKENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2121
Gegenüber Elsner betont Verf. nochmals, dass Atonie nicht
als gleich mit motorischer Insufflclenz angesehen werden darf:
nur in einer Minorität von Füllen steigert sich die Atonie zur regu¬
lären motorischen Insufflclenz. Der ptotisclie Plätschermagen
muss stets als ein atonischer angesehen werden. Die Magen-
atouie ist das früheste und konstanteste Zeichen der Euteroptose;
sie beruht auf einer angeborenen asthenischen Grundlage. Ptose,
Atonie und nervöse Dyspepsie sind im Grossen und Ganzen iden¬
tisch. Das Plüt8chergeriiusch bedeutet auf der Höhe der Ver¬
dauung einfache, peristolische Atonie, nach der Verdauungszeit
motorische Insufflclenz, bei nüchternem Magen Stagnation oder
atonlsche Ektasie. Als sehr werthvolle Kontrolmethode des
Plütscherns ist die bei linker Seitenlage auftretende Dämpfung
zu verwerthen, welche eine natürliche Belastungsprobe des Magens
darstellt.
6) M. Borchardt - Berlin: Ueber Lumbalhernien und ver¬
wandte Zustände.
Der Vortrag ist bereits in den Sitzungsberichten der Berliner
inedicinisclieu Gesellschaft besprochen.
Grussmann - München.
Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 50.
1) P. Ehrlich- Frankfurt a/M: Die Schutzstoffe des Blutes.
Nach einem Vortrag auf der diesjährigen Naturforscherver¬
sammlung zu Hamburg. (Fortsetzung folgt.)
2) R. P f e i f f e r - Königsberg i. Pr.: Ueber die immuni-
sirende Wirkung mit Choleraamboceptoren beladener Cholera¬
vibrionen. (Schluss folgt.)
3) Rudolf A b e 1 - Hamburg: Versuche über die Verwend¬
barkeit des Bacillus Danysz zur Vertilgung von Ratten.
Das Resultat der zum Theil experimentellen, zum Theil prak¬
tischen Versuche mit dem D a n y s z’schen Bacillus ist kein voll¬
ständig befriedigendes, und bedarf es noch weiterer Untersuch¬
ungen, die besten Bedingungen zur rationellen Verwendung des
Bacillus festzustellen.
4) Adolf B i c k e 1 - Göttingen: Zur Analyse von Bewegungs¬
störungen. (Schluss aus No. 49.)
In diesem in der Göttinger medicinlscheu Gesellschaft ge¬
haltenen Vortrag entwickelt B. unter Demonstration von Thieren
mit symmetrischen Klelnhirnresektiouen seine Ansichten über die
Funktionen der Kleinhirns dahin, dass in demselben sowohl ein
Kombinationscentrum für die Bewegungen der Equilibrirung des
Körpers, als auch ein Regulationscentrum besteht, dessen Zer¬
störung eine statische und eine motorische Ataxie auslöst.
5) Alfred Rothschild - Berlin: Beitrag zur Kenntniss
gerinnselartiger Gebilde im Urin.
Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin zu Berlin am
8. Juli 1901. Referat siehe diese Wochenschrift No. 29, pag. 1192.
6) Alexander K a t z - Hamburg: Zur parasitären Aetiologie
des Carcinoma.
Eine Erwiderung auf die gleichlautende Arbeit von R i b b e r t
in No. 47 der Deutsch, med. Wochenschr.. mit Bemerkungen des
Letzteren im Anhänge.
7) A. L o e w y - Berlin: Eine Expedition zur Erforschung
der physiologischen Wirkungen des Hochgebirges. (Schluss
folgt.)
8) Oeffentliches Sanitätswesen:
L ö s c h m a n n - Allenstein: Zur staatlichen Bekämpfung
der Granulöse. (Schluss folgt.)
9) Standesangelegenheiten:
W i e d e b u r g - Schwarzeck 1. Thüringen: Specialärzte für
N aturheil verf ähren.
Mit einer Erwiderung von H e n i u s.
F. Lacher- München.
Oesterreiohisohe Literatur.
Wiener klinische Wochenschrift.
No. 50. 1) F. Eisenberg und lt. V o 1 k - Wien: Unter¬
suchungen über die Agglutination.
Die Verfasser geben ln dieser vorläufigen Mittheilung die Er¬
gebnisse einer Untersuchungsreihe Uber den Agglutinationsprozess,
die sie unter besonderer Berücksichtigung der E h r 1 i c h’schen
Absorptionsmethode, sowie der dabei in Betracht kommenden
quantitativen Verhältnisse angestellt haben. Die Ergebnisse sind
ln 19 ausführlichen Sätzen zusammengefasst, so dass auf das
Original verwiesen werden muss.
2) A. P 11 c z - Wien: Zur Frage der Funktion der Pyramiden
beim Menschen.
Es wird derzeit angenommen, dass die Pyramiden die aus¬
schliessliche Leitungsbahn für cortlcospinale motorische Impulse
seien. Experimente an Hunden zeigen, dass dies wenigstens für
diese Thiere nicht zutrifft. Wenn mau in der Literatur nach That-
sachen sucht, welche in einwandsfreier Weise die Funktion der
Pyramiden in Bezug auf die Motilität beweisen könnten, findet
sich das Ergebniss, dass die Kasuistik höchst wenige Fälle dar¬
bietet, welche zur Lösung dieser Frage verwendet werden können.
Verf. hat nur 9 verwerthbare Fälle ln der Literatur aufflnden
können. Man kommt auch hinsichtlich des Menschen zu dem
Schlüsse, dass ausser der Pyramideubahn noch andere cortico-
fugale, motorische Bahnen vorhanden sein müssen. Für die Ent¬
scheidung der Frage sind nur jene Fälle zu verwerthen, wo die
Verletzung oder Zerstörung der Pyramidenbahn isolirt in der Me-
dulla oblongata stattfand. Aus der epikritischen Durchsicht dieser
ausgewählten Fälle ergibt sich, dass es keinen Fall gibt, der das
Dogma von der ausschliesslichen Rolle der Pyramiden für die
motorische Leitung einwandsfrei beweisen könnte. Freilich spricht
auch kein Fall dagegen.
3) E. Urbantschitsch- Wien: Die Aenderung der Puls¬
frequenz durch mechanische Verhältnisse.
Verf. bespricht kurz die bereits bekannten Einflüsse der
Körperhaltung, sowie der Athmung auf die Pulsfrequenz. An sich
selbst hat Verf. Versuche darüber augestellt, in welcher Weise die
Umschnürung mit der E s m a r c h’schen Binde, welche er an Ex¬
tremitäten oder circulär um den Leib anlegte, die Pulszahl beein¬
flusse und fand beim Einwirken der Kompression fast immer ein
Ansteigen der Pulszahlen. In ähnlicher Weise scheint auch der
durch das Mieder ausgeübte Druck einzuwirken. Es ist möglich,
dass die von verschiedenen Autoren hinsichtlich der Pulszahl ge¬
fundenen Differenzen mit der Tracht der untersuchten Personen
Zusammenhängen. Schon ein stärkeres Drücken der Arterie beim
Fühlen des Radialpulses steigert die Zahl der Pulsschläge etwas.
Eine Veränderung des Blutdruckes kommt dabei nicht vor.
4) Fr. N e u g e b a u e r - Mährisch-Ostrau: Ueber Rücken¬
marksanalgesie mit Tropacocain. (Schluss folgt.)
">) E. Z en t n e r- Wien: Ueber einen Fall von oberer seit¬
licher Bauchwandhernie.
Verf. erörtert zunächst die anatomischen Verhältnisse, welche
das Zustandekommen der genannten Hernien ermöglichen, die
übrigens ausserordentlich selten sich ereigneu. Es handelt sich
hiebei entweder um kongenitale oder relativ häufiger um acquirirte
Formen, die dann meist durch Traumen, aber auch nach
Schwangerschaften zu Stande kommen. Er gibt dann die Be¬
schreibung eines von ihm beobachteten Falles, ein 6 jähr. Mädchen
betreffend, in welchem die Hernie in der linken oberen Lenden-
gegeud hervortrat. Aetiologisch war Keuchhusten, sowie ein an
sich geringfügiges Trauma in Erwägung zu ziehen. Verf. ist für
die operative Behandlung derartiger Hernien, welche auch in
diesem Falle zur Heilung führte.
Grass mann - München.
Wiener medicinische Wochenschrift.
No. 49. J. E 1 g a r t - Brünn: Osteomyelitis beim Neuge¬
borenen.
Das frühgeborene (im 8. Monat) Kind erkrankte 10 Tage nach
der Geburt. Nach wiederholten Incislouen wurde im Anfang des
4. Lebensmonates durch Nekrotomie ein Sequester entfernt, wel¬
cher die ganze obere Hälfte der Tlbiadiaphyse daretellte. Glatter
Verlauf und Heilung, im 15. Monat Verkürzung des Unterschen¬
kels % cm. Interessant, aber nicht zu entscheiden, ist die Frage
nach der Aetiologie, bezüglich deren ein bald nach der Geburt
erschienenes pustulöses Ekzem oder aber ein kurz vor der Geburt
bei der Mutter aufgetretener akuter Gelenkrheumatismus in Be¬
tracht gezogen werden muss.
No. 49 u. 50, v. N i e s s e n - Wiesbaden: Neue Ergebnisse der
ätiologischen Syphilisforschung.
Verfasser glaubt, dass das Contagium der Syphilis in allen
ihren Phasen im Blut zu Anden ist, und dass er denselben that-
sächlich gefunden hat. Aus dem Venenblut Syphilitischer hat er
auf in 2—3 facher Menge zugesetzter Gelatine oder Bouillon einen
Bacillus gezüchtet, der in seinen Kulturen einen charakteristischen
Farben-, Formen- und Generationswechsel aufweist, in manchen
Entwicklungsstadien reichlich gummiähnliche Massen produzirt
Eine Reihe von Impfverauchen an Schweinen sowohl, wie an
Affen, von denen Hamandrias, Makak und Kronenaffeu sich als
besondere empfänglich erwiesen, führte zu positiven Resultaten.
Sieben solche Versuche an Affen werden genauer beschrieben.
Nach 3—6 Wochen stellte sich ein kleinpustulöses Exanthem ein,
im Uebrigen Geschwürsprocesse an Schleimhäuten, Drüsen¬
schwellungen, Haemorrhagien ln wechselnder Kombination. Die
Thiere gingen alle zu Grunde und zwar meist unter Erscheinungen
von Selten des Centralnervensystems (Krämpfen, Lähmungen)
oder Stauungen im Gefässsystem. Dem entsprachen als Sektions¬
befunde: Sulzige Leptomeningitis, Pachymeningltls, Blutergüsse
im Gehirn und Rückenmark, akute Hepatitis und Perihepatitis,
bindegewebige und sulzige Auflagerungen längs den Herzgefüssen.
in einem Fall eine aneurysmatische Ausbuchtung am Arcus aortae.
An 3 Schweinen war besonders das papulöse Exanthem lebhaft
und typisch entwickelt, das eine Thier zeigte Geschwüre an den
Genitalien, ein anderes ein typisches Gumma in der Dammgegend,
ln 2 Fällen gelang die Weiterkultur aus dem Blute eines In-
flzirten Schweines während des Ausbruches des Exanthemes.
Mikroskopische Untersuchungen verschiedener erkrankter Organe
ergaben immer die Bilder der syphilitischen obliterirenden Gefäss-
erkrankung, wie beim Menschen.
Die auf eine Serumtherapie oder Immunisirung gerichteten
Versuche des Verfassers sind noch nicht abgeschlossen.
Wiener medicinische Presse.
No. 49. W. Mager-Brünn: Ueber Amyloidtumoren im
Larynx.
Die seltene Erkrankungsform trat hier bei einem (50 jährigen
Manu als eine grobhöckerige Infiltration beider Taschenbänder
auf. Dem mikroskopischen Befund nach war die Geschwulst eine
primäre, es war nicht, wie es in manchen Fällen beobachtet wurde,
die Amyloidbildung sekundär in einer früher bestandenen Ge¬
schwulst erfolgt; die Amyloidmassen waren zwischen normales
Gewebe vorgeschoben. Die von anderen Autoren beobachtete und
besonders von Schmidt erörterte stellenweise Anhäufung von
Knorpelzellen im Bereich der Geschwulst fand sich auch ln diesem
Falle. Die Diagnose wurde erst an dem durch die Operation ge-
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2122
wonnenen Präparat gestellt. Bei der Operation fiel die nur ganz
geringe Blutung und später die Roaktionslosigkeit der Wund-
tliiche auf. Nicht ohne Bedeutung für die Diagnostik ist, dass bis¬
her an den wahren Stimmbändern Amyloidgeschwülste nicht be¬
obachtet wurden.
No. 50. S. Federn-Wien: Vorschlag zur Behandlung des
Ulcus durum.-
Heber das Verhältniss zwischen Ulcus durum und molle be¬
kennt sich F. zu folgender Anschauung: Die Induration Ist keine
notliweudige Folgt* oder Bedingung der syphilitischen Infektion.
Auch auf den weichen Schanker, der besser als „stark eitern-
d e s primäres Geschwür“ bezeichnet würde, kann allgemeine
Syphilis folgen, in der Hegel aber erfolgt keine solche, wenn eine
tiefgreifende Eiterung beim primären Geschwür auftritt. Wenn
geringe oder keine Eiterung am primären Geschwür besteht, er¬
folgt in der Regel allgemeine Syphilis. F. nimmt nun au. dass
durch Eiterung der Erreger der Syphilis zerstört wird, dass bei
Männern gewöhnlich eine Mischinfektlou erfolgt durch den
Syphiliserreger und einen Eitererreger. Es kommt dann nicht
die Syphilis zur Entwicklung, sondern nur ein stark eiterndes
Geschwür und eiterige Bubonen. Die Versuche zu einer Abortiv-
hehandlung der Syphilis sind immer fehlgeschlagen.
Möglicherweise, und das ist der Vorschlag des Verfassers,
würde sich ein Erfolg erzielen lassen durch IJebertragung von
Eiter aus einem Ulcus molle auf schwach sezernirende primäre
Geschwüre, d. li. durch Umwandlung jedes Geschwürs in ein
Ulcus molle.
Wiener klinische Rundschau.
No. 48—50. R. Brauchbar: Dermatoplastische Mitthei¬
lungen.
Mittheilungen aus der L a n g"sehen Klinik über die Erfolge
der plastischen Operationen bei Lupus, bei einem Fall von Keloid
(Transplantationen nach Thierse h). Naevus pigmentosus, aus¬
gedehnter Verbrennung, akuter Gangrän der Haut des Penis und
Skrotums (gestielte Lappen) und Defekt an der Nasenwurzel nach
Gumma.
No. 49. W. K o p f s t e i n - Jungbunzlau: Erfahrungen mit
der spinalen Anästhesie nach Bier.
Bei Anwendung von E ucain « In vier Fällen kam es drei¬
mal zu recht unangenehmen Erscheinungen, Temperaturen bis
40° <\, Kopfschmerzen, starkem Collaps und nachträglichen sehr
heftigen Schmerzen au der Operationswuude. Ein vierter Fall bot
von diesen Erscheinungen nur die lebhafte Temperatursteigerung,
dagegen im weiteren Verlauf eine Steigerung der Patellarreflexe,
Kreuzschmerzen, Schwäche und Gefühl des Ameisenlaufens in
den Beinen. Bei Injektionen mit T r o p a e ocai n machte K.
an 40 Patienten folgende Erfahrungen: Bei 27 erfolgte eine ideale
Narkose ohne jede unangenehme Begleit- oder Nacherscheinung.
5 weitere Kranke hatten eine sehr gute Narkose, aber verschie¬
dene unangenehme Nebenerscheinungen: Erbrechen, Urinverhal¬
tung. Kopfschmerz. Parese der Beine, einmal Kollaps, dagegen
kein Fieber. Die übrigen 8 zeigten ebenfalls derartige Beschwer¬
den. es kam aber auch keine Anästhesie zu Stande.
Da die Inhalationsnarkose immer die Anästhesie garantirt,
die medulläre Narkose aber unsicher ist, empfiehlt sich die erstere
von vornherein für alle dringenden Operationen.
No. 50. J. P re i n d 1 a b e r ge r-Sarajevo: Zwei Fälle von
Echinococcus der Orbita.
Innerhalb eines Jahres kamen dem Verf. zwei Fälle, Bauern¬
kinder von 6 bezw. 8 Jahren zu Gesicht. Bei dem einen konnte
selbst während der Operation die Diagnose nicht gestellt werden,
der devlie wallnussgrosse Tumor war mit der Hinterseite des Bul¬
bus fest verwachsen und wurde mit diesem durch typische Evis-
cerationen der Orbita entfernt. Der N. opticus war stark nach
oben geknickt. In dem zweiten Fall wurde durch die bläulich
durchschimmernde Hülle der freigelegten Geschwulst eine Probe¬
punktion gemacht und dann aus der gespaltenen Cyste eine wall¬
nussgrosse Eehinococcus(Mutter)blase extrahirt. Die Exstirpation
des Sackes, der sehr dünnwandig war und weit nach hinten reichte,
erwies sich als unmöglich. Nach P.’s Ansicht dürfte diese Ent¬
fernung gegenüber der Totalexstirpation eine viel schonendere und
vollkommen ausreichende Operation sein.
Prager medicinische Wochenschrift.
No. 49. A. T ö b b e n - Prag: Zur Kenntniss der „Ein-
wachsung“ von Gallensteinen in die Gallenblasen wand und der
„Verwachsung“ derselben mit der Gallenblasenwand.
Nach T.’s Untersuchungen muss in den Fällen von „Verwach¬
sung" eines Steines mit der Blasenwand stets, wie auch der Eln-
wachsung ln die Wand ein ulceröser Prozess mit tiefgreifender
Zerstörung der Mucosa und Muscularis vorausgehen. Eine ein¬
fache Umschliessung des Steines durch die Gallenblasenwaud ohne
Verwachsung kann sowohl bei Geschwüren als bei chronischem
Katarrh zu Stande kommen. Ulcera der Blasenwand bei Chole-
lithiasis sind ein ziemlich häufiger Befund.
No. 45, 47, 50. R. W. Raudnitz: Ueber einige Ergebnisse
der Harnuntersuchung bei Kindern.
Der Aufsatz beschäftigt sich in ausführlicher Weise mit der
minimen Albuminurie der Kinder, deren genauere Erkenntnis« und
sorgfältigere Beobachtung eine wichtige Forderung bildet. Man
kann nach der bis jetzt bekannten Aetiologie verschiedene Formen
unterscheiden, als weitaus häufigste zunächst die postinfektiöse,
dann die praemenstruelle, die lithaemische, gastrointestinale, ferner
die bei Wanderniere auftretende. In den meisten Fällen wird
No. 52.
I die minime Albuminurie einer minimen Nephritis entsprechen.
| Eine geringe Albuminurie findet sich auch in manchen Fällen vou
; Uröteren- und Nierenbeckenerkrankungeu, deren diagnostische
j Schwierigkeiten gerade für das Kindesalter mehrere Krankenge¬
schichten erweisen. B e r g e a t - München.
Vereins- und Congressberichte.
Berliner medicinische Gesellschaft
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 18. T) e z e in b e r 1901.
Demonstrationen:
i Herr Müllerheim: Präparat einer durch Perivaginitis
i dissecans ausgestosseneu Vagina. Dieselbe in toto als ca. 8 cm
langer Schlauch durch einen perivagiualen, von einem tiefen Ge-
| scliwür ln der Schleimhaut ausgehenden Eiterungsprozess zur
; Ausstossuug gebracht. Blase in breitem Umfang perforlrt. Schluss
I der Bluscnfistel durch Naht.
Herr L a s s a r: Moulagen, Projektionsbllder und einige
| Patienten mit Tuberculosis verrucosa cutis. Es war in der
| Schlüchterzeitung die Notiz zu lesen und dieselbe in die Tages-
i blätter übergegangen, dass auf dem hiesigen Ceutralviehhof zwei
; Sehlächtergesellen sich mit Tuberkulose an der Hand inflzirt haben
, und dass somit die Uebertragbarkeit der Riudertuberkulose auf
| den Meuschen erwiesen sei. Nach L.’s Meinung sei dies zwar sehr
wahrscheinlich, aber durch diese beiden Fälle keineswegs bewiesen.
| Er habe in den letzten zehn Jahren 34 Personen mit Tuberculosis
verrucosa cutis bezw. Leiehentuberkulose behandelt Die meisten
kommen auf Metallarbeiter, Glasschleifer u. dgl., daun auf Aerzte
und Krankenpfleger und nur 4 auf Schlächter. Es sei also ebeu-
I sogut möglich, dass die Uebertragung durch menschliche
i Sputa bezw. sonstiges menschliches Material erfolge, als wie durch
I tliierisches.
Zur Behandlung empfehle sich nicht die Ausschabung wegen
i der Eröffnung zahlreicher Lyraphbaliuen und der Gefahr der Ver-
j allgemeinerung der Tuberkulose, die sonst bei dieser Affektlon be-
j kanutlich selten ist. Es empfehle sich Kauterisation unter Blut-
' leere.
Discussion: Herr V 1 r e h o w fragt, wie oft er ln seinen
• Fällen Tuberkelbacilleu gefunden habe.
Herr Lassar: Diese wurden nur sehr selten gefunden, sie
seien aber mehrfach konstatirt. Ueberdles beweise die ana¬
tomische Struktur die tuberkulöse Natur.
Herr Liebreich: Mau dürfe nicht die Schlächter den
anderen Berufsarten entgegeustellen. sondern müsse scheiden
zwischen Schlächtern, die viel mit tuberkulösem Material zu thun
haben und anderen Schlächtern. Auch der von Lassar vorge¬
stellte eine Schlächter ist auf der Tuberkulose-Abtheilung des
Schlachthofes seit 15 Jahren tliätig und hat seine Hauttuberkel
seit 8—9 Jahren. Er habe sich bei einer Untersuchung auf dem
Viehhof davon überzeugt, dass Hauttuberkulose bei den auf der
Tuberkulose-Abtlieiluug. Beschäftigten sehr viel häufiger sei, als
bei den anderen.
Herr Bla sch ko: Er habe bei einer jungen Kollegin nach
einem Hauttuberkel eine Peritonealtuberkulose entstehen sehen.
Er habe in keinem seiner zahlreichen Fälle von Leichentuberkeln
T.-B. gefunden.
Herr B. F r a e n k e 1: Man müsse ln solchen Fällen den Nach¬
weis zu erbringen suchen, ob es sieb um thlerlsche oder mensch¬
liche Tuberkulose handelt. Zu diesem Zwecke müsse man ein
Stückchen Hauttuberkel eiuem Meerschweinchen implantiren und
dann von dem Meerschweinchen nach seiner Allgemeinerkrankung
auf Rindvieh zu til>ertrageu suchen. Wenn dieser Versuch positiv
ausfällt, so handle es sich um thlerlsche Tuberkulose, soust nicht.
(Grosser Widerspruch.)
Herr Liebreich: Der Vorschlag B. Fraenkel’s sei ein
logischer Circulus vitiosus. Dass Rindertuberkulose auf den
Meuschen übertragbar sei. das sei gar keine Frage, sondern alt¬
bekannt. Er erinnert an den bekannter Kieler Fall, wo ein Maan
eine Tätowirungszeichnung durch Einreibung von Rahm zu ent¬
fernen suchte und eine der Zeichnung entsprechende Tuberkulose
der Haut bekam; der Rahm war eben tuberkelbacillenhaltig.
Herr Adler: Demonstration eines orthopädisch behandelten
Falles von Coxa vara, dieser von Kocher entdeckten Verbiegung
des Schenkelhalses, welche ein ganz ähnliches Bild hervorrufen
kann, wie die angeborene Hüftgelenksluxation.
Tagesordnung:
Discussion über den Vortrag des Herrn
A. W. Freund: Ueber Thoraxanomalien bei Phthisis und
Emphysem. (Fortsetzung.)
Herr Z u e 1 z e r: Durch seine hervorragende Arbeit habe
Freund die Lehre von der Disposition der Lungentuberkulose
neubegründet und eine neue Aussicht ihrer präventiven Behand-
! lung durch die Operation eröffnet.
Er selbst habe daraufhin dem Verhalten des ersten Rippen-
knorpels seine Aufmerksamkeit zugewandt und. wie schon Herr
i C <> w 1 mitgethellt, lässt sich dessen frühzeitige Verknöcherung
I durch Röntgenbild nachweisen. Es gelinge auch durch Druck
auf denselben oft, eine abnorme Schmerzhaftigkeit und damit eine
| Erkrankung desselben zu erweisen.
MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT,
Digitized by
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24. Dezomber 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2123
Herr A. Fraenkel: Der Kernpunkt der Ausführungen
Freun d’s betreffe den Einfluss der Disposition auf
die Entwickelung der Lungentuberkulose. Mau
dürfe aber diesen Begriff nicht zu eng fassen und die lokale
Disposition nicht überschätzen. Die allgemeine Disposition
sei jedenfalls viel wichtiger und dass eine solche besteht und noth-
wendig sei zum Zustandekommen der Lungentuberkulose, sei ihm,
wie auch den meisten Praktikern, niemals zweifelhaft
gewesen trotz aller bakteriologischen Experimente, in welchen
kleine Thlere mit Bacillen überschüttet und dann natürlich auch
inflzirt wurden. Schon vor Liebreich’s Nosoparasitismus habe
man die Disposition gekannt und schon unsere ärztlichen Vor¬
fahren haben mit diesem Begriff gerechnet.
Die lokale Disposition der Lungenspitzen sei vielfach Gegen¬
stand der Erklärungsversuche gewesen. Man habe die Anämie
der Spitzen, die Störung der Ly mphcirculation
und die unvollkommene Athmung der Spitzen vorwiegend
augeschuldigt.
Und gerade der erstere Punkt werde durch die Untersuch¬
ungen Freun d’s dem Verstäuduiss uähergerückt; denn der
Druck der ersten Rippe, der, wie die von S c h in o r 1 kürzlich be¬
schriebene Furche zeigt, ein erheblicher sein kann, könne wohl
eine ungenügende Blutversorgung hervorrufen.
Aber es kommen daneben auch sicher andere Momente ln
Betracht, welche die Disposition der Spitze erklären.
Der Schluss Freun d’s, dass man die operative Durch¬
trennung als Heilmittel zur Bekämpfung dieser Disposition
vornehmen solle, sei sicherlich zu weitgehend.
Herr B. Fraenkel: Es sei zwar sicher, dass Störungen der
Athmung durch Anomalien des Thorax entstehen können, aber
meist werde es umgekehrt sein: die Störung der Athmung z. B.
durch adenoide Vegetationen, grosse Tonsillen, Nasenpolypen, be¬
dinge eine Anomalie des Thorax. Wie hier durch operative Ent¬
fernung der Ursachen, könne in anderen Fällen durch methodische
Uebungen (Gesangsunterricht) eine schlechte Athmung verbessert
und damit ein schmaler Thorax zur kräftigen Entwicklung ge¬
bracht werden.
Es erkranken bekanntlich auch vierschrötige Leute und Sol¬
daten, die ja niemals einen phtliisischen Habitus haben, an Tuber¬
kulose der Lungen; die Thoraxauomalie sei also nicht das Primäre.
Herr A. Bagiusky schliesst sich dem Vorredner durchaus
an. Die Ansicht, dass der Thorax die Schuld trage, sei zwar
schon alt, aber trotzdem nicht zutreffend.
Die Ansicht Freun d’s von der operativen Beseitigung der
Thoraxanomalie halte er für eine direkt bedrohliche.
Schluss der Discussion vertagt.
Herr Hanse mann bemerkt noch, es walte ein Missver¬
ständnis vor, Herr Freund habe die Operation nicht e m -
p f o h 1 e n. Gegen diese Deutung H.’s protestirt aber die Ver¬
sammlung auf’s lebhafteste. Hans K o h n.
Verein für innere Medicin zu Berlin.
(Eigener Bericht.)
Sitzung vom 16. Dezember 1901.
Der G e s o h ä f t s a ussc h u ss des Vereins hatte
an Herrn Geheimrath P. Ehrlich in Frank¬
furt a. M. die Einladung ergehen lassen, in
diesem Verein seine Seitenkettentheorie gegen¬
über den Gruber’schen Angriffen nochmals dar¬
zulegen. Herr Ehrlich war diesem Rufe ge¬
folgt.
Der Vorsitzende, Herr A. Fraenkel, b o -
grüsste das berühmte Ehrenmitglied des Ver¬
eins mit warmen Worten, welchen sich das den
Saal und die Vor halle überfüllende Au d i t o r i u m
mit lauten^ Beifall anschloss.
Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Huber Uuter-
sucliungsresultate aus der Leyde n’schen Klinik, welche die
G r 1 f f o n’schen Befunde der Agglutination von Pneumo-
coccen durch das Serum von Pneumoniekranken, namentlich kurz
vor der Krise, bestätigen.
/ Tagesordnung:
Herr E h r 1 i ch- Frankfurt a. M.: Die Seitenkettentheorie
und ihre Gegner.
In energischer Weise wendet sich Vortragender gegen den
Inhalt und die Form des jüngst von G r u b e r gegen Ehr-
1 i c h’s Seitenkettentheorie unternommenen Angriffs (vgl. Münch,
med. Wochenschr. 1901, No. 46—49), der durch seine Härte und
Haltlosigkeit geeignet sei, in weiten Kreisen Verwirrung anzu¬
richten. Nach besonderer Betonung des durch die Seitenketten¬
theorie geschaffenen verbindenden theoretischen
Bandes für die Auffassung der Immunitätsvorgiinge und
ihres grossen, allgemein anerkannten Worthes als heuristi¬
scher Theorie werden die Schwierigkeiten erörtert, die das
Arbeiten in diesem so verwickelten Gebiete schon für den mitten
in dieser Thätigkeit Stehenden, umsomehr für den Fernstehenden
mit sich bringt, der, wie G ru ber von sich sagt, nur in einigen
wenigen Ferienwochen „die erforderliche Müsse gefunden hat,
um das Problem der Antikörper im Blute gründlicher als bisher
zu übersehen“. Gruber’a Publikation sei für die Gefahren,
die ein solches pauschales Vorgehen biete, der eklatanteste Beweis.
Seine eigenen Versuche bezweckten zunächst die Feststellung
einer einheitlichen Alexinwirkung des normalen Serums,
im Gegensatz zu der von Vortragendem und Morgenroth be¬
gründeten und vertretenen Auffassung der komplexen Natur
der normalen Hämolysine (Amboceptor- und Komplement-Hämo-
lysine). G r u b e r bediente sich einer Modifikation der schon von
Ehrlich und Morgenroth angewandten Kältetrennungs-
methode, und es gelang ihm auch in einigen Fällen die Trennung,
in vier anderen aber nicht. Vortragender weist auf die Bedeu¬
tungslosigkeit der negativen Fälle hin, da die Methode nach den
ersten Angaben von ihm und Morgenroth nur für einen
Theil der Fülle anwendbar sei. Dr. Hans Sachs sei.es mühelos
gelungen, in dreien der Grube F sehen negativen Fälle auf dem
Wege der Kompletirung der inaktivirten Sera durch andere Sera
den Nachweis von Amboceptoren zu erbringen. Der Nachweis
einer reinen Alexinwirkung sei also Grub er ebensowenig wie
Büchner gelungen, und die von Gruber vorgeschlagene Be¬
zeichnung „Präparator“ für Immunkörper sei überflüssig,
da für die Immunsubstanzen kein Bedürfnis« nach neuen nichts¬
sagenden Namen vorliege.
Die V erschiedenheit der normal vorkommenden und
immunisatorisch erzeugbaren Amboceptoren sei vom Vortragenden
stets vertreten worden, und hätte es keinen Beweises von Seiten
Gruber’s bedürft
G r u b e Fs Beweisführung aber sei, da den Thatsachen
widersprechend, unrichtig, indem nach zahlreichen Erfahrungen
normale Amboceptoren von dem SeTum der Blutart, auf die sie
wirken, in geeigneten Fällen aktivirt werden, in anderen nicht,
und dasselbe wechselnde Verhalten auch bei den immunisatorisch
erzeugten Amboceptoren statt hat, im Gegensatz zu dem von
Gruber supponirten gesetzmässigen Verhalten. Für die grosse
Flüchtigkeit G r u be Fs spreche auch die Thatsache, dass unter
6 Fällen, die er als Beweis für die Unaktivirbarkeit normaler
Amboceptoren durch das Serum der Blutart, auf die sie wirken,
anführt, sich drei Kombinationen finden, in denen nach seinen
kurz vorher mitgetheilten Versuchen überhaupt keine Präpara¬
toren vorhanden sein sollen.
Die Annahme der Einheitlichkeit des Alexius, die
Gruber ebenso wie Bordet und Büchner vertritt, habe
sich auch nach neueren zahlreichen Versuchen im Frankfurter
Institut als unhaltbar erwiesen, und alle Erfahrungen zwängen
zu dor komplizirten Auffassung.
Der Abkühlungsversuch Grube Fs, aus dem er
schliesst, dass sich Komplement und Immunkörper überhaupt
nicht vereinigen, sei absolut irrig. Die Bindungsverhältnisse der
Amboceptoren seien so verschiedenartig, dass man Fall für Fall
isolirt untersuchen müsste, und seine Behauptung, dass es keine
Dissociation durch Kälte gebe, stehe mit der
chemischen Erfahrung in schroffem Gegen¬
satz (das Natriumammoniumsalz der Traubensäure krystallisire
oberhalb 27,2° als raoemischcs, unterhalb dieser Temperatur ge¬
trennt als r. und L weinsaures Salz).
So hätten sich G r u b e Fs thatsiichliche Angaben ebenso,
wie seino chemistdien Deduktionen als irrig und unhaltbar er¬
wiesen, aber auch die literarische Heranziehung anderer Autoren
(Bosrodka, Pohl, Fuld und Spiro) se,i verunglückt, wie
im Einzelnen ausführlich begründet wird.
Vortragender wendet sich darauf gegen den I. Theil der
Grube Fsehen Ausführungen, der die Lohre von den
Toxinen und Antitoxinen betrifft.
Es sei unmöglich, alle Einwände, die Gruber anführt, zu
berühren, jedoch erkläre er sich bereit, auf alle bezüglichen An¬
fragen ausführlich zu antworten. Er kritisirt in scharfer Weise
das Vorgehen Grube Fs, der nach vielen Angriffen in wesent¬
lichen Punkten zu denselben Ergebnissen, wie er selbst gelange.
Gegen den Vorwurf GrubeFs, dass Vortr. das Richtige nur
erratlien habe, müsse er sich auf das Entschiedenste vor¬
wahren, da seino Anschauungen die Konsequenz der müh¬
seligsten und gewissenhaftesten Versuche darstelle, die von
vielen Seiten bestätigt worden seien. Nur durch die Viel-
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2124 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 52.
fnltigkeit der Toxino und Toxoide Hessen sich die beim
Diphtheriegift-, Tetanusgift eto. gewonnenen Erfahrungen er¬
klären, und es sei ein Zeichen mangelnder Einsicht in die Ver¬
hältnisse, wenn G ruber meint, dass durch den Umstand, dass
Diphtheriegiftlösungen, die für eine Thierart gleich giftig sind,
für eine andere Differenzen der Giftigkeit aufweisen, das Ur-
theil über des Vortragenden Bestrebungen gesprochen sei.
Es sei ferner höchst erstaunenswerth, dass Gruber viel¬
fach nach langem Polemisiren zu gleichen Anschauungen,
wie der Vortragende, gelange. So sei die Sekretionstheorie der
Antitoxine von Anfang an ein Kernpunkt der Seitenkettentheorie
gewesen, und es sei von den verschiedensten Seiten darauf hin-
gowiesen worden, dass die Antitoxinproduktion an ganz anderer
Stelle, als die Giftwirkung erfolgen könne. Für die Unabhängig¬
keit beider Phänomene spreche ja schon die Möglichkeit, mit
Toxoiden zu immun isiren.
Neuerdings habe Gruber als Wurzel des Uebels die Wahl
des Artikels bezeichnet, indem er meinte, man hätte von einer
statt von der haptophoren Gruppe sprechen sollen. Vortragender
weist auf die Belanglosigkeit dieses Vorwurfs hin, führt aber aus,
dass die von Gruber gewollte Annahme mehrerer hapto-
phorer Gruppen in ihren Konsequenzen mit den bestehenden
That-saehen unvereinbar sei und eine Verfolgung dieser Idee ab¬
solut in die Irre führe. Die Anschauung G r ube Es sei ausser¬
dem viel komplizirter, als die des Vortragenden, was um so auf¬
fälliger sei, als Gruber als Hauptmotiv seines Kampfes gegen
die Seitenkettentheorie die Gefährlichkeit einer derartigen, seines
Erachtens „ungezügelten Ilypothesenmacherei“ angibt.
Zum Schluss wird nochmals die experimentelle Fundirung
der Seitenkettentheorio betont, ihre Einfachheit und Zweck¬
mässigkeit hervorgehoben und ihre Befähigung, Erscheinungen
richtig voraussehen zu lassen, an der Hand mehrerer Beispiele
dargethan. Das auf Grund der Theorie sich ergebende Studium
des unendlich mannigfachen Haptinsystems sei geeignet, Licht
in die feinsten Vorgänge des cellularen Stoffwechsels zu werfen
und könne für die Pathologie und Therapie von grösstem Nutzen
werden.
Piscusslon: Herr Blumenthal geht bei der vor¬
gerückten Zelt nur auf 2 Fragen ein. Gruber hält nicht ein-
mnl die Bindung des Tetanusgiftes durch das Centralnervensystem
für erwiesen. Gegen diese Auffassung wendet sich B., indem er
auf seine Versuche hinweist, wonach er fand, dass proportional
der eingcfährten Glftmenge beim Meerschweinchen und Kanin¬
chen die von A. Wassermann entdeckte antitoxische Kraft
des Rückenmarks ahiiahm. Diese Abnahme entstand eben da¬
durch, dass das im Rückenmark vorhandene, präformirte Anti¬
toxin durch das eingeführte Tetanusgift gebunden war. Ferner
citirt er Versuche von sich und M i 1 e li n e r, wonach bei einer
Mischung von Nervenbrei und Giftlösung die Giftbinduug an den
Nervenbrei dadurch gezeigt werden konnte, dass beim Centri-
fuglren der Mischung der in den Rückstand gehende Nervenbrei
das Gift der Giftlösuug entzogen hatte.
B. geht dann über auf die Frage der natürlichen Immunität.
Nach der E h r 1 i c h'schen Theorie müssen die giftempfänglichen
Thiere eine giftbindende, liaptophore, Gruppe haben. B. hatte nun
früher gezeigt, dass das Huhn, das gegen Tetaqusgift eine starke
Immunität besitzt, weit weniger Tetanusgift im Reagensglase
bindet, als die giftempfünglieheu Thiere, und hatte diese Frage in
Zusammenhang gebracht mit seiner natürlichen Immunität.
Gruber behauptet nun, dass das Fehlen der haptophoren
Gruppen im Centralnervensystem gar nicht in Frage käme für die
natürliche Immunität des Huhns, well man trotzdem durch sub-
nrachnoldeal und lntrucerebral eingeführtes Gift mit verhältniss-
mi'.ssig geringen Dosen Hühner vergiften könne. B. wirft nun
Gruber vor, das von Leyden und ihm vor ca. 2 Jahren in
ihrnn Buche über Tetanus veröffentlichte Kapitel Uber die natür¬
liche Immunität nicht gekannt zu haben. Dort wird bereits der
vcu Gruber gemachte Einwand erhoben, aber ln folgender Weise
erledigt: Wäre nämlich wirklich ein Mangel der haptophoren
Gruppe im Rückenmark des Huhns vorhanden, so müsste das
Huhn immun sein, ganz gleich, welche Dosen ihm iujizirt würden.
Das ist nicht der Fall. B. fand nun, dass zw r ar die liaptophore
Gruppe im Rückenmark des Huhns vorhanden sei, dass nber die
Affinität derselben im Rückenmark zum Tetanusgift eine weit
geringere sei, als bei den giftempündliclien Thieren. Daher käme
es, dass direkt an die giftempfindlichen Centren gebrachtes, also
concentrirtes Gift leichter Tetanus beim Huhn erzeuge, als sub¬
kutan eingeführtes und durch die Circulatlon verdünntes Gift.
Herr A. Wassermann: Derselbe setzt noch einmal in
kurzer, klarer Weise das Wesen der Seiteukettentheorie aus¬
einander, von der man umsomehr überzeugt werden müsse, je
länger man sich damit beschäftige. Hans Koh n.
Gesellschaft der Charite-Aerzte |n Berlin.
(Eigener Bericht)
Sitzung vom 12. Dezember 1902.
1. Herr Schütze: Heber Isopraecipitine.
Der Vortragende hat sich die Frage vorgelagt, ob ee gelingt,
in gleicher Weise, wie bei den von Ehrlich und Morgen-
roth beschriebenen Isolysinen, Isopraecipitinq darzustellen. Zu
diesem Zwecke injizirte er Kaninchen subkutan normales Ka¬
ninchenserum bis zu einer Gesammtmenge von 50—60 ccm, also
das Serum einer gleichen (homologen), nicht einer andersartigen
(heterologen) Art. Setzte man das Serum eines io vorbehandelten
Kaninchens zu dem Serum der gleichen Art, also zu Kaninchen¬
serum hinzu, so konnte er, allerdings keineswegi konstant, wohl
aber bisher in einem Falle, einen deutlichen Niederschlag, d. h.
Praeoipitinbildung wahrnehmen, wie an aufgoatcllten Reagens¬
röhrchen demonstrirt wird.
2. Herr Nletner berichtet über den klinischen Verlauf
eines Falles von Carcinom der Lunge bei einem GO jährigen Manne,
welches die Brustwand durchwachsen und ein^ apfelgrosse Ge¬
schwulst am oberen Rande der Herzdämpfung gebildet hatte.
Herr Davidsohn demonstrirt die Brpstorgane dieses
Falles, bei dem es sich um einen Krebs, ausgehend vom linken
Hauptbronchus, 3 cm unterhalb der Bifurkation handelte, der unter
anderem auch zu Stenose dör Pulmonalarterie geführt hatte.
3. Herr H e u b n e r: Vorstellung
a) eines 13 jährigen Mädchens mit chronischer Nephritis.
Beginn der Krankheit vor 94 Jahren mit Oedemen, ohne
vorhergegangenen Scharlach, Masern oder Diphtherie, mit reich¬
licher Albuminurie. Nach Punktion eines Hjrdrothomx wurde
durch Digitalis eine starke Diurese hervorgerufen. Seitdem ist die
Urinmenge dauernd auffällig gross geblieben, täglich 2>/ 3 Liter,
bei gleichzeitig hohem Eiweissgehalt und Blutgehalt Herzhyper¬
trophie ist gering.
b) eines 11 jährigen Mädchens mit abgelaqfener Spondylitis
des 5. bis 7. Halswirbels.
Kein Zeichen früherer Skrophulose. Vor 2 Jahren Beginn mit
Schwäche im rechten Arm und Bein, aus der eine schlaffe Läh¬
mung beider Arme mit Atrophie und eine spastische Lähmung der
Beine, geringer Blasen- und Mastdarmlähmung und Gefühlsstörung
sich entwickelte. Die obere Lähmung wird als Plexuslähmung ge¬
deutet, entstanden in Folge des Zusammensinkeus der Interverte-
bralriiume. Fast völlige Wiederherstellung der Funktionen nach
18 monatlicher Behandlung mit Suspension in der G 11 s s o n’schen
Schlinge und kinetotlierapeutischen Bädern.
c) eines 11 monatlichen Kindes mit Hydrocephalus.
Bemerkenswert!! war die starke Entwicklung des übrigen Kör¬
pers, mit 79 cm Länge bei 14 kg Körpergewicht, so dass man von
einer Art von Riesenwuchs sprechen konnte.
Discussion: Herr J o 11 y fragt an, ob Sympathicuserschei-
nungen in dem Falle von Spondylitis bestanden hätten, was Herr
II e u b n e r verneint.
Herr Jacob berichtet Uber 5 Fälle der v. LeyJe n’schen
Klinik, die erfolgreich mit Suspension und kinetotherapcutischen
Bädern behandelt worden waren.
K. Brandenburg - Berlin.
Medicinische Gesellschaft in Chemnitz.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 13. November 1901.
Herr Reiohel: Behandlung der Appendioitis.
Vortragender nimmt Stellung zu der Frage: „In welchen
Fällen und wann sollen wir bei Behandlung der akuten Peri¬
typhlitis zum Messer greifen?“
Die Statistik allein gibt uns für die Abgrenzung der opera¬
tiven und rein konservativen Therapie der Appendicitis keinen
ausreichenden Anhalt, wenn auch die sorgfältigen statistischen
Erhebungen S a h 1 i’s und R o 11 e r’s grosse Beachtung ver¬
dienen, um so mehr, als sie auf sehr verschiedenem Wege und
bei ungleichem Materiale zu ungefähr gleichen Ergebnissen
kommen. Ihr Werth liegt namentlich darin, gezeigt zu haben,
dass bei konsequent und von Anfang an streng durchgeführter
Opiumtherapie die Resultate einer rein medikamentösen Behand¬
lung viel besser, die Zahl der Heilungen ohne Operation viel
grösser, die der Recidive nach Spontanheilung viel kleiner sind,
als man im Allgemeinen angenommen. Die Frage aber, wann
wir im speziellen Falle operiren sollen, lassen die Statistiken un¬
berührt.
Vortragender bespricht kurz die hauptsächlichsten patho¬
logisch-anatomischen Vorgänge bei den verschiedenen Formen
der Appendicitis, hebt das so häufige Vorkommen einer begleiten¬
den circumscripten eiterigen Peritonitis hervor und erkennt
an, dass jene eben erwähnte Häufigkeit der Spontanheilung zu
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24. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2125
der Annahme nÖthigt, dass eine spontane Resorption bei der peri-
typhlitischen, wie überhaupt der intraperitonealen Eiterung nicht
ganz selten sei, dass für ihre Behandlung der alte chirurgische
Grundsatz „ubi pus, ibi evacua“ nicht volle Geltung besitzt, warnt
aber auf Grund seiner Erfahrungen davor, von diesem Grundsatz
nun allzusehr abweichen zu wollen. Je mehr er gesehen, um so
mehr neigt er einem nicht zu späten operativen Eingreifen bei
Behandlung der akuten Appendicitis zu.
Mit R o tt e r stimmt Vortragender darin überein, dass man
die Indikationsstellung zur Operation von der Beobachtung des
Verlaufes abhängig machen solle, auch darin, dass man bei länger
dauerndem, ganz besonders höherem Fieber, sowie bei remittiren-
dem Fieber operiren solle; nicht für richtig hält er es jedoch,
den Entschluss zur Operation in solchem Maasse von der Höhe
der Fiebertemperatur abhängig zu machen, wie das R o 11 c r vor¬
schlägt. Zu gross ist die Zahl der Fälle, in denen das Messer
einen intraperitonealen jauchigen Eiterherd aufdeckt, ohne dass
höheres Fieber vorhanden war, ja ohne dass die Temperatur auch
nur 38 0 erreichte, zu gross die Zahl der Fälle, in denen bei fast
fieberlosem Verlauf plötzlich der Ausbruch einer diffusen Peri¬
tonitis den Durchbruch eines bisher circumscripten perityphli-
tischen Abscesses in die freie Bauchhöhle — dann meist zu
spät —- ankündigt.
Vortr. empfiehlt für die Behandlung jedes perityphlitischcn
Anfalles — sofern dieser nicht sogleich als diffuse Peritonitis
einsetzt — von Anfang an eine strenge Opiumtherapie, da¬
bei absolute Enthaltung jeder Nahrungsaufnahme per os (kein
Tropfen Wasser! keine Eisstückchen!) und Stillung des Wasser-
bedürfnissea in den ersten Tagen durch subkutane Kochsalz¬
infusion, später durch vorsichtige kleine Wassereinläufe in den
Mastdarm, Eisblase auf das Abdomen, völlig ruhige Lage. Die
Mehrzahl der Fälle wird dabei zur Heilung gelangen.
Während des weiteren Verlaufes verfährt Vortr. nach folgen¬
den Grundsätzen:
1. Sind die Symptome von Anfang an milde, das Fieber ge¬
ring, der Puls ruhig oder nur wenig beschleunigt, die Schmerz¬
haftigkeit auf die Gegend des Wurmfortsatzes beschränkt, der
übrige Leib weich und nicht druckempfindlich, oder tritt nach
Anfangs stürmischen Erscheinungen rasch auf Opium eine deut¬
liche Besserung ein und gehen alle Symptome gleichmässig zu¬
rück, so beschränke man sich auf ein konservatives Verhalten.
2. Sind umgekehrt die Erscheinungen von vornherein sehr
bedrohlich und bleiben es trotz strikter Durchführung oben er¬
wähnter interner Behandlung, bleibt das Fieber hoch, geht ins¬
besondere die Pulsfrequenz in die Höhe, hält das Erbrechen an,
nimmt die Schmerzhaftigkeit an In- und Extensität zu, wächst
der sichtbare Tumor, kurz schreitet das Leiden deutlich fort,
dann zögere man nicht mit der Operation, sei es auch erst am
2. oder 3. Tage der Erkrankung.
S. Fiir die grosse übrig bleibende Mehrzahl der in der Mitte
zwischen diesen Extremen liegenden Fälle halte man daran fest:
Jedes Abklingen der Erscheinungen rechtfertigt längeres Zu¬
warten, jedes Fortschreiten derselben oder auch nur länger
dauerndes Anhalten eines selbst mässigen Fiebers, insbesondere
Zunahme der Pulsfrequenz, Anhalten oder Wiederkehr von Er¬
brechen, Wachsthum des fühlbaren Exsudates drängt zur Ope¬
ration. — Der Nachweis eines grösseren Abscesses, eine Bethei¬
ligung der Bauchdecken an der Infiltration bildet für Vortr. stets
eine Indikation zur Operation. Die Gefahr eines weiteren Zu¬
wartens halt er unter solchen Umständen für grösser wie die
Gefahr der Operation.
Für gewöhnlich soll die gleichzeitige Entfernung des er¬
krankten Wurmfortsatzes, sowie man sich überhaupt zu opera¬
tivem Eingreifen entsehliesst, die Regel bilden; macht seine
Auffindung indess zu grosse Schwierigkeiten oder Gefahren, so
begnüge man sich vorläufig mit der Incision des Abscesses und
Tamponade.
Bietet die Erkrankung von Anfang an das Syrnptonienbild
der diffusen Perforationsperitonitis, so rätli Vortr. im Allgo*
meinen zu sofortiger Operation.
Herr Schödel: lieber einseitige Bildungsfehler der
Brustwandung und der entsprechenden oberen Gliedmaasse.
Vortragender stellt ein (»jähriges Mädchen mit linksseitigem
Mangel des sternocostalen Theils des M. pector. malor und des
gesammten M. pect. min. vor. Ausserdem fehlt das sternale Ende
der 3. ltlppe. Die Haut entbehrt über diesem Bildungsfehler des
Pannie. adiposus. Die linke Mnmmilla Ist nach oben und innen
etwas verschoben; Drüseusubstanz der Mamma Ist nicht nach¬
zuweisen. Daneben besteht eine leichte Atrophie des ganzen linken
Arms mit Syndaktylie und Brachydaktylie der betreffenden Hand.
Die bisher für die Entstehung solcher und ähnlicher Miss¬
bildungen geltend gemachten Ursachen: Fehlerhafte Keimanlage,
foetalo Erkrankungen (Osteoinalacie, Rachitis, Muskel- und
Nervenerkrankungen, Herzerkrankungen, Verklebung des Am¬
nion mit den Brustorganen) und Trauma werden zurückgewiescu.
Aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen müssen derartige
Verbildungen in dem Zeitraum von der 5.—9. Woche des Foetal-
lebens entstehen. Da der Regel nach um dieselbe Zeit die Ab¬
hebung des Amnions vom Embryo erfolgt, bringt Vortr. die Ent¬
stehung der beschriebenen Missbildung mit einer Verzögerung
dieses Vorgangs in Zusammenhang: die dadurch hervorgerufene
Raumbeengung erzeugt durch Druck des kindlichen Kopfes gegen
die eine Brustseite gleichzeitig die Missgestaltung der betreffen¬
den Brustwand und des vorderen Endes der gleichseitigen
oberen Gliedmaasse.
Einfacher angeborener Mangel der Brustmuskulatur, Rippen¬
defekte, Trichterbrust und Fissura sterni congenita entstehen
wohl in gleicher Weise mit Ausnahme der wenigen Fälle, wo
Erblichkeit solcher Missbildungen auf Keimesvariation schliewsen
lässt.
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden.
(Offldelles Protokoll.)
III. Sitzung vom 12. Oktober 1901.
Vor der Tagesordnung:
Herr Rudolf Panse zeigt ein Schläfebein mit einer Lücke
im Dach des Bulbus venae jugularis an derselben Stelle, wie der
Kranke des Herrn Mann zeigte. Diese Stelle entspricht genau
dem üblichen Trommelfellscbuitt, der in Folge dessen leicht iu
solchen Fällen die Jugularis verletzen könnte.
Herr Forstmann stellt einen Patienten mit Lupus vor,
bei welchem sieh auf Grund der Geschwüre Elephantiasis ent¬
wickelt
Tagesordnung:
Herr Mann: Intrakranielle Komplikationen bei Mittel¬
ohreiterung.
Der Vortrag erscheint in den Sitzungsberichten der Gesell¬
schaft.
IV. Sitzung vom 19. Oktober 1901.
Tagesordnung:
Herr Weichardt, Assistent am pathologisch-anatomischen
Institut des Stadtkrankenhauses, als Gast: ModerneImmunitäts-
lehre mit besonderer Berücksichtigung der für den praktischen
Arzt wichtigsten Immunisirungen.
Der Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift.
Besprechung: Herr Hessel hätte den Wunsch gehabt,
dass der Vortrag In ausführlicherer Weise, als geschehen, das
Thema behandelt hätte.
Herr Hermann Becker: Ich möchte mir nur erlauben, einige
Worte hinzuzufügen zu der Bemerkung des Herrn Vortragenden,
dass in der Ophthalmologie ein Antitoxin des Abrin gefunden wor¬
den sei. Wir verdanken diese Entdeckung dem Prlvatdoceuten der
Augenheilkunde in Würzburg Dr. Römer, und zwar erst in
allerjüngster Zeit. Sie wissen, dass das Abrin das wirksame Prin-
cip des Jequlrity darstellt, welch’ letzteres im Anfang der 80 er
Jahre des vorigen Jahrhunderts von de Wecker in Paris mit
grossem Enthusiasmus als Allheilmittel gegen Trachom in die
Augenheilkunde eingeführt wurde.
Man merkte jedoch bald, dass die inflammatorischen Eigen¬
schaften des Jequlrity so hochgradig werden konnten, dasB viele
Augen zu Grunde gingen. Es wurde desswogen im Allgemeinen
wenig mehr in Anweudtmg gezogen. Ich habe es gesehen bei
Coppez in Brüssel; ferner hat Dr. Meracho iu Barcelona
das Jequlrity häufig angewandt und vor allen Dingen de Wecker
in Paria.
Jetzt — mit der Entdeckung des Antitoxin des Abrin — wird
die Anwendung des Jequlrity wUslentm gefahrlos, weil man eine
conjuiictivale Imiuimisirung herboiführen und somit die Wirkung
des Jequlrity genau doslren kann.
Es sollen nicht nur beim Pannus traehomatosus, sondern auch
beim Pannus skruphulosus. sowie überhaupt bei Hornhaut¬
trübungen gute Resultate erzielt worden sein.
Zur Zeit wird von Merck in Dannstadt unter dein Namen
Jequiritol ein Präparat hergestellt und in den Handel gebracht,
welches das Jequlritygift sehr rein enthält: das Antitoxin führt
den Namen Jcquiritolserum.
llerr Dohm, Assistent am Carolahaus, als Gast spricht
über die Heilbehandlung der Tuberkulose.
An der inneren Abtheilung de« Carolahauses wurden im
Ganzen 31 Fälle von Lungen- reap. Kehlkopf tuberkulöse mit
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2126
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
Hetol behandelt. Unter Zugrundelegung der Ländere r’schen
Eintheilung handelt es sich um 9 leichte, 6 vorgeschrittene, 14
schwere und 2 Fälle von galoppirender Schwindsucht. Von diesen
sind 6 gestorben; 6 wurden ungeheilt und 19 gebessert entlassen.
Bei der Sektion konnten die erwarteten bindegewebigen Verände¬
rungen der Lunge nicht festgestellt werden. Vielmehr zeigte sich
das gleiche Bild wie auch bei den nicht mit Hetol behandelten
Fällen. Es wäre nun gerade der Befund des pathologischen Ana¬
tomen für die Frage entscheidend, ob thatsächlich die von Län¬
derer beobachteten Vorgänge eintreten oder nicht. Bisher sind
diese Mittheilungen sehr spärlich.
Die Heilbehandlung erwies sich im Ganzen als ein völlig
unschädliches Verfahren. Die Technik ist sehr einfach und ohne
Schwierigkeiten ausführbar. Irgend welche verderbliche Ein¬
flüsse auf den Puls, Athmung und Temperatur konnten im All¬
gemeinen nicht festgestellt werden. Insbesondere wurde auch
nie die oft erwähnte Neigung zu Lungenblutungcn beobachtet.
Während der Heilbehandlung wurde Anfangs jede weitere
Therapie unirlasson. Erst späterhin wurde ausnahmsweise in
einigen Fällen Kreosotal, Thiocol etc. gegeben.
Fällo, in denen die Wirkung des Heils eklatant gewesen
wäre, sind nicht beobachit. Dagegen nahmen einige Fälle, die
mit ganz geringfügigen Lungenveränderungen eingeliefert wur¬
den, einen sehr progredienten Verlauf.
Es konni also weder anatomisch noch klinisch die von Län¬
derer beschriebene Einwirkung des Iletols auf den tuberkulösen
Prozess beobachtet werden. Der einzige Vorzug der Hotolhehand-
lung war der suggestive Einfluss, den die Injektionen mit ihren
deutlich sichtbaren Manipulationen auf den Kranken ausübten.
Gegen die Nachtschweisse der Phthisiker übte das Hetol
nicht die erwartete Wirkung aus. Dagegen haben sich hier Ein¬
reibungen mit einer 10 proc. Formalinleinölseife sehr bewährt,
mit welcher ich Versuche anstellen konnte. In allen Fällen wurde
eine sehr wesentliche Besserung, in vielen eine vollständige Hei¬
lung erzielt.
Besprechung: Herr Sclinialtz theilt mit, dass er im
Hinblick auf die wenig ermuthigendeu Itesultate, die von anderen
Beobachtern mit den Hetolinjektionen gewonnen worden seien,
davon abgesehen habe, dieselben im Stadtkrankenliaiise anzu¬
wenden, zumal doch von verschiedenen Seiten über eine gesteigerte
Neigung zu Haemoptysen nach den Einspritzungen berichtet wor¬
den sei.
Herr H e y d e hat ebenfalls keinen Erfolg von der Hetol-
behandlung gesehen.
Herr Pu sin eilt: Ich möchte in Bezug auf die in den letz¬
ten 2 Jahren auf meiner Abtheilung im Cnrolahause gemachten
Versuche mit Hetol nur kurz betonen, dass ich dieses Mittel als ein
absolut ungefährliches ansehen muss, da ich weder Neigung zu
Blutungen noch andere Schädigungen auftreten sah. Was nun
die Erfolge anbelangt, sei Folgendes bemerkt. In schweren Filllen
war ja von vornherein auf eine Besserung nicht zu rechnen; in
leichten Fällen von beginnender Tuberkulose sah ich verschiedene
Male eine deutliche Besserung während der Behandlung eintreten,
doch kann ich dieselbe meiner Ueberzcugung nach nicht dem Hetol,
als vielmehr den günstigen äusseren Verhältnissen, in denen sich
die Kranken im Krankenhaus befinden, zuschreiben, niimlich der
Ituhe, dem reichlichen Luftgenusse und der kräftigenden Diät.
Leider muss ich konstatlren, dass selbst in leichten Fällen, wo
der tuberkulöse Proeess von vornherein Tendenz zu weiterer Aus¬
breitung zeigte, durch die Hetolbehnndlnng ein Stillstand oder gar
Heilung nicht erzielt werden konnte. Wie schon in dem Vortrag
meines Herrn Assistenten erwähnt wurde, fanden wir bei Sektionen
von mit Hetol behandelten Kranken nie eine irgendwie charakte¬
ristische Veränderung ln den Lungen in dem Sinne Ländere r’s,
wie bindegewebige Umwallung der tuberkulösen Herde und der¬
gleichen mehr. Auch aus meiner Privatpraxis habe ich mehrere
Fälle zu verzeichnen, die auf eine selbst konsequent durchgeführte
lletolbeliandlung keine auffällige Besserung zeigten. Als Beisiriel
möchte ich einen 47 jährigen Herrn erwähnen, welcher im vorigen
Winter in Davos war und dort eine regelrechte lletolkur in einem
Sanatorium durchmachte. Nach Angabe des betreffenden Arztes,
sowie des Herrn Prof. Länderer, den der Patient auf seiner
Heimreise besuchte, sollte der Kranke bedeutend gebessert sein;
leider konnte ich mich hiervon nicht überzeugen und hat auch der
weitere Verlauf gezeigt, dass die Besserung nur eine scheinbare
war.
Ich möchte daher mein Urtheil über das Hetol dahin zu-
sammenfnssen, dass ich dasselbe zwar für ein unschädliches Mittel
erkläre, dass demselben jedoch Irgend welche Heilwirkungen nicht
zugeschriebeu werden können.
Nu. 52.
Verein Freiburger Aerzte.
(Offlcielles Protokoll.)
Sitzung vom 25. Oktober 1901.
1. Herr Hildebrand: Bericht über die diesjährige
I. ärztliche Studienreise in die Nordseebäder.
Dlscusslou: Bäumler, Schottelius, Thomas,
Baas.
2. Herr Pertz: Demonstration stereoskopischer Röntgen-
photographien des menschlichen Arteriensystems.
3. Herr Winter: Bemerkungen über Lepra.
Discusslon: Bäumler.
Sitzung vom 22. November 1901.
1. Herr Eraske: Heber metastatische Darm-, ins¬
besondere Mastdarmcarcinome. (Erscheint ausführlich an
anderer Stelle.)
2. Herr Fritschi: lieber einen Entwurf betr. Ueber-
tragung der Leichenschau an die Aerzte.
Sitzung vom 13. Dezember 1901.
1. Herr Alterthum: Zur Pathologie und Diagnose der
Cervixtuberkulose. (Erscheint ausführlich an anderer Stelle.)
2. Herr Kr&gke: Demonstration eines Falles von un¬
gewöhnlich grosser Ausbreitung eines Angioms mit elephan-
tiastischen Verdickungen in der Gesichtshaut.
Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln.
(Bericht des Vereins.)
Sitzung vom 13. M a i 1901.
1. Herr Steiner: Ueber Epilepsie. (Folgt später.)
2. Herr Goldberg: a) Heber Lithotripsie.
h) Statistik der Kystoskopie.
In den letzten Jahren habe ich 21 Patienten mit Blasen-
steinen beobachtet. Etwa die Hälfte habe ich selbst lithotripsirt;
dio übrigen Fälle betreffen Patienten, die sich noch nicht haben
operiren lassen, oder solche, die vor oder nach der Operation
(Lithotripsie oder Lithotomie) längere Zeit von mir behandelt
wurden.
Ausführlichen Bericht über die anderen Fälle behalte ich
mir vor, nur einen will ich seiner Besonderheiten wttgen hier er¬
zählen :
Ein 83 jähriger Mann verspürte seit */ 2 Jahr etwas mehr Harn¬
drang. als vorher, und entleerte vor 14 Tagen etwas blutigen Harn.
Znweilcn hatte er mässige Schmerzen in den Lenden, die für
rheumatisch gehalten wurden. Bewegung bekommt ihm gut.
Rüstiger, nicht fettleibiger Greis; Herz und Lungen gesund.
Puls 70—90, mittelstark. Harn eiterfrei, mit y 2 Prom. bis 1 Prorn.
Eiweiss, 1 = 1020, in 24 Stunden 1 bis 2 Liter. Blase Ist nicht
entzündet, leert sich, fasst 150 bis 200 ccm; Sondirung und Cysto-
skopie ergeben: links vorne oben, oberhalb des ge-
wulsteten OriÜeium urethrovesicale, sitzt ein grosser Stein. Die
Prostata ist hypertrophisch, die Urethra prostatica ist lang, das
Orifieium urethrovesicale liegt hoch, links vorne seitlich ein
grösserer Vorsprung der Prostata. Bei Füllung der Blase mit
75 ccm 10 proc. Antipyrinlösung, Anaesthesie der Urethra mit
10 ccm 2 proc. Cocaiulösung nahm Ich die Lithotripsie vor; der
3 bis 4 cm grosse, abnorm gelegene Stein konnte nicht in einer
Sitzung ganz beseitigt werden; die Sitzung wurde nach ca. >4 Std.
mit Ausspülung der Trümmer beendet. Patient brauchte nicht
zu Bett zu liegen; nach 2 Tagen war er schmerzfrei. Aeusserer
Umstünde wegen 2. Sitzung erst nach 6 Wochen. Unter aus¬
giebiger Anwendung der verschiedenen von Guyou gelehrten
Griffuiellioden, insbesondere Anziehen des Blasenhalses. Ver¬
schieben des sonst unbewegten weiblichen Arms und mit Aus¬
spülung und Auspumpung mit dem Ileurtelou p’sehen Eva-
cuator befreite ich in der 2. Sitzung, dessgleiehen ohne Narkose,
in ca. y 2 Stunde den Patienten vollständig von seinem Stein.
8 Tage nach der 2. Sitzung wurde Patient geheilt entlassen: das
Allgemeinbefinden war glänzend, der Ham klar, eiterfrei. 1 bis
iy 2 Liter in 24 Stunden. 1017, mit V , 0 Prom. Albuinen; abgesehen
von eiucr Steigerung der praeexisteuten Albuminurie in den ersten
3 Tagen p. op. fehlen Folgeerscheinungen der Operation gänzlich.
>/o Jahr später macht Patient eine schwere Niereusteinkolik durch.
ln der A u s f ü li r u n g der Lithotripsie befolg«“ ich die bis
in’s kleinste genauen und rationellen Vorschriften (1 uyo n’s, die
er noch kürzlich (Annalcs de. in. de org. gcnit.-urin. 1899, 1900)
wiederg«'geben hat: Vollständige Zertrümmerung auch der
kleinsten Bröckid an allen Stellen, besonders in der Nähe
des Oriticium und des posteroinferioren Angulus, sehr reichliche
Spülungen mit Spritze nach der Zertrümmerung, Aspiration erst
nach Reinspülung. Nach Guyon und Nitze systematisch
in allen Fällen mit allgemeiner Narkose in einer Sitzung zu
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24. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2127
operiren, ist in Kliniken möglich; in den Verhältnissen der Bade¬
praxis ist ee meistens besser, ohne Chloroform zu lithotripsiren;
soll die Narkose die hinderlichen Kontraktionen der Blase aus¬
schalten, so muss sie bis zur Aufhebung des Comealreflexes ge¬
trieben werden. Die Asepsis ist bei primären Steinen ohne
Cystitis von ausschlaggebender Wichtigkeit; ich habe alles Aus¬
kochbare vom Instrumentarium 10 Minuten gekocht, die Spritzen
und Pumpen mit Arg. nitric. gefüllt 24 Stunden in Formalin¬
dämpfen belassen; die Spülungen und Pumpungen während der
Operation mit 4 proc. Borsäure und 1 prom. Arg. nitric. vorge¬
nommen, zum Schluss nochmals mit 2 prom. Arg. nitric. gespült.
Bei sekundären Steinen in Folge alkalischer Cystitis ist ebenso
zu verfahren; man könnte sonst die örtliche Infektion zu einer
allgemeinen machen.
Die Erfolge der Lithotripaie sind denen der Lithotomie
weit überlegen. Während die Mortalität der Lithotripsie
bei Guyon 1890—1900 (555:11) 2 Proc. beträgt, bei Thomp¬
son, Freyer, Guyon, Dittel (1419:69) vor 1890
4—5 Proc., stirbt denselben Operateuren ungefähr jeder 3. Litho-
tomirte. Das liegt bei ihnen aber daran, dass sie n u r die Fälle
lithotomiren, bei welchen die Lithotripsie unmöglich ist; das sind
meistens sehr schwere Fälle. Diejenigen Operateure aber, welche
wahllos alle Steine lithotomiren, haben nach einer auf die Zeit
der Antisepsis und auf 274 Fälle verschiedener Autoren sich be¬
ziehenden Statistik Güterbock’s immer noch 13 Proc. Todes¬
fälle. Nur bei Kindern ist die Mortalität der Lithotomie
ebenso gering, wie die der Lithotripsie. Neueste Berichte mit
der gleich günstigen Lithotomiemortalitüt betreffen vorwiegend
jüngere Leute. Von den 13 Lithotripsirten meiner Statistik starb
einer an reflektorischer Uraemie bei praoexistenter genuiner
Schrumpfniere.
Die Morbidität nach Lithotripsie ist noch weit mehr
geeignet, sie der Lithotomie vorziehen zu lassen. Die Litho¬
tripsirten ruhen einige Tage, die Lithotomirten machen ein langes
(bei 5 Lithotomien meiner Statistik 4, 7, 4, 2, 3 Monate) und bei
Alten, die stets doch an primärer Lithiasis oder an schwerer
Cystitis, oft noch an anderen Leiden kranken, nicht bloss be¬
schwerliches, sondern auch an sich gefährliches Krankenlager
durch.
Wenn man nun sagen wollte, die Lithotripsie sei zwar eine
gutartigere Operation, al>er sie habe nicht die Sicherheit des
Heilerfolges wie die Lithotomie, so ist auch das nicht
mehr richtig. Nach Lithotomie wie nach Lithotripsie besteht die
Ursache der Steinbildung, sei es die Urat- bezw. Oxalatdiathese,
sei es die alkalisclve, Phosphatconcremente schaffende, Cystitis
weiter; es ist demnach ein etwaiges Reeidiv nicht ohne Beweis
darauf zu schieben, dass Trümmer in der Blase belassen seien.
Schon die methodische Aspiration mit Heurteloup-
Guyon’s Evacuateur cunde et eourbe gibt die Möglichkeit, die
meisten Blasen gänzlich auszuräumen; hat man doch noch
Zweifel, so kann man mit kystoskopischem Evacuator (Nitz e)
oder durch spätere Kystoskopie sieh vergewissern.
Aus Vorstehendem folgt, dass zur Entfernung von Blasen¬
steinen die Lithotripsio bezw. Litholapaxie an gezeigt ist,
wo sie möglich ist, d. i. in ca. 80—90 Proc. aller Fälle (Litho¬
tripsie : Lithotomie bei 0|>eratouren, die beide Methoden be¬
herrschen : Thompson: 850:157, Dittel: 572:228, Guyon
1890—1900 : 555: 39, bis 1894).
Gegenanzeigen der Lithotripsie sind demnach:
1. a) Unzerbrechlichkeit des Steines: primäre Oxalate und
Urate von über 5 cm Durchmesser pflegen bei grosser Härte zu
widerstehen; sekundäre Phosphate zerbröckeln meist leicht, auch
wenn sie enorm sind.
Bei 2 Fällen meiner Statistik begründet sich hiermit die
Lithotomie.
b) Unmöglichkeit, Steine auszuräumen, weil sie zahllos
sind oder weil sie in so unzugängigen Ausbuchtungen liegen,
dass sie per vias naturales nicht fassbar sind.
Letzteres war bei 1 meiner 21 Blasensteinkranken der Fall;
Lithotomie lehnte er ab.
Guyon hat nur 23 von 594 Steinen aus der Indication 1 a
und b durch Schnitt entfernen müssen.
2. Unpassirbarkeit dos Weges für die Instru¬
mente. Strikturen sind vorher zu dilatiren oder zu urethro-
tomiren; Prostatahypertrophie ist nur, wenn sie ganz enorm, ein
Hinderniss, weniger für die Einführung als für die freie Beweg¬
lichkeit der Instrumente, die besonders bei der Aspiration nöthig
ist. Die von mir selbst lithotripsirten Patienten hatten alle auch
Prostatahypert rophie.
3. Der Allgemein zustand, sei es, dass schwere allge¬
meine Harnvergiftung, sei es, dass vorgeschrittene Nephritis be¬
steht, verbietet zuweilen die Lithotripsie; gelingt es nicht, durch
vorgängige Behandlung ihn zu heben, so ist die Prognose der
Lithotomie, wie der Lithotripsie gleich ungünstig.
Sitzung vom 3. Juni 1901.
Herr Hochhaus: Heber Adams-Stoke s’sche Krank¬
heit.
Seine Beobachtung betrifft einen 32 jährigen, kräftigen Mann,
der zuerst vor 11 Jahren einen akuten Gelenkrheumatismus durch-
gemacht hatte; bald nachher wurde dann eine Mltraliusufücieuz
konstatirt. In den nächsten Jahren traten mehrfach Recidive auf.
Daun erfreute sich Patient während 5 Jahren (bis 1899) eines
relativen Wohlbefindens, während dessen er seiner sehr anstrengen¬
den Berufstätigkeit oblag. Ende Dezember trat wieder ein Re-
cidiv des Gelenkrheumatismus auf, nachdem sich die Beschwerden
von Seiten des Herzens (Herzklopfen, Athemnoth) besonders stark
zeigten. Trotz aller Therapie gingen dieselben auch nicht ganz
zurück. Im Oktober 1900 plötzlich ein Ohnmachtsanfall: Der
Kranke bekam plötzlich heftige Athemnoth, wurde bewusstlos und
in den Händen traten leichte Zuckungen auf. Der sofort hinzu¬
gerufene Arzt fand den Kranken noch leicht somnolent, schwer
athmend und, was besonders auffiel, den Puls sehr langsam. Der
Puls schlug nur 17—20 mal in der Minute und war unregelmässig.
Durch hohe Kampherdosen wurde der Puls zwar kräftiger, über¬
stieg 20 in der Minute, aber nur selten, und auch in den nächsten
Tagen war die Frequenz der Herzaktion die gleiche; erst danu
stieg er allmählich auf 30—40 und 40, die Höchstzahl. Nach
einigen Wochen Bettruhe stand der Kranke wieder auf, bekam
aber wieder einen ähnlichen Anfall von etwas geringerer Dauer.
Trotz aller Schonung und Anwendung der meisten Herzmittel
traten die Anfälle jetzt doch häufiger auf; manchmal alle paar
Tage. Das Ilerannahen merkte der Kranke au einem eigentüm¬
lichen ängstlichen Gefühl auf der Brust selber; dann wurde er
schwindelig, zuweilen auch ganz bewusstlos, nach mehreren Mi¬
nuten erwachte er schwerathmend wieder und fühlte sich recht
matt.
Als ich den Kranken zuerst sah, 3 Wochen a. exltum, war der
Herzbefund folgender: Der Herzspltzeustoss hebend im 5. und
0. Intercostnlraum, 1—2 Finger breit nusserlialb der Mammillar-
linie; die relative Ilerzdämpfung war nach rechts und links er¬
heblich verbreitert; Uber sämmtlichen Ostien waren systolische
Geräusche, am stärksten über der Spitze: die 2. Töne waren rein;
der 2. Pulmonalton klopfend. Der Puls betrug 40 in der Minute,
war ziemlich voll, kräftig und regulär. An den übrigen Organen
war nichts Besonderes. Kurz nach der Untersuchung wurde der
Kranke plötzlich dyspnoiscli, unruhig und leicht somnolent. Der
Puls war während dessen auf 17 in der Minute gesunken, in den
Pausen zwischen den einzelnen Pulsen war über dem Herzen
kein Geräusch wahrnehmbar. Nach kurzer Zeit, vielleicht 3 bis
4 Minuten, kam er wieder zu sich; die Pulsfrequenz war 20 und
stieg dann wieder ganz allmählich auf 40.
Derartige Anfälle wiederholten sich in der Folgezeit häufig;
nicht selten mehrere an einem Tage und in einem solchen Anfall
erfolgte danu der Exitus letalis.
Die Obduetion, welche sich nur auf die Brusthöhle erstreckte,
zeigte, dass das Herz in allen seinen Theilen sehr stark dilatirt
und hypertropliirt war; ausserdem bestand totale perlcnrdiale
Synechie und eine ausgesprochene Insuffieienz der Mitralklappe.
Ich habe an mehreren Stellen des Herzens (1. Ventrikel, r. Ven¬
trikel und 1. Vorhof) Stücke entnommen und darin nur eine mässige
fibröse Myokarditis feststellen können.
Der Fall gehört zu den typischen Fällen der sogen. Adams-
5 t o k e s’sclien Erkrankung, die in den letzten Jahren durch
II. und A. Hoffman n eine eingehende Bearbeitung erfahren
hat. Als Ursache ist. hier zweifelsohne die Erkrankung des Her¬
zens sc11)ct zu betrachten.
Herr Hochhaus spricht dann noch über einen Fall von
Pankreatitis haemorrhaglca unter Demonstration des zugehörigen
Präparates. (Der Fall würd zusammen mit anderen nächstens in
extenso veröffentlicht werden.)
Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik.
(Offlclelles Protokoll.)
Sitzung vom 21. November 1901.
Herr Mock gibt ein umfassendes Referat Uber Königs-
höf er: Prophylaxe in der Augenheilkunde, über welches Buch
er sieh zumeist ungünstig ausspricht.
Herr Steinhardt: Zur Diagnose der Larynxstenosen.
Der Vortrag wird anderwärts ln extenso veröffentlicht werden.
Sitzung vom 5. Dezember 1901.
Herr Joh. Merkel: Heber Gelenkresektion.
M. gibt zunächst einen historisch-kritischen Ex¬
kurs über Resektionen und konservative Ope-
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
ratlonen am Knochensystem überhaupt. Von
B 11 g n e r (1761 *), dem Generalfeldchirurgen Friedrichs des
Grossen, welcher entgegen der Schulautorttüt eines II e 1 s t e r
und Jean Louis Petit die ersten schüchternen Versuche macht;*,
verletzte Gelenke und Knochen erhaltend zu behandeln und da¬
durch den Amputationsunfug beschränkte, bis O 11 i e r in Lyon
(1890),welcher die Lehre von den subperiostalcu Resektionen auf's
Feinste ausbildete. 129 Jahre lang mühten sich die Chirurgen der
3 grossen Kulturstaaten — Franzosen, Engländer und Deutsche —
ab, um das grosse Ziel, die Erhaltung der Glieder mit Heilung
der Krankheiten und Verletzungen der Knochen und Gelenke zu
verwirklichen. \V1 the(1708). Park(1782), Moreau,Vater uudSolm
(1780—1806). die Militärchirurgen Paroy. Larrey und Sa¬
ba t i e r (1790—1815). Nach einer längeren Pause war es deutschen
Chirurgen Vorbehalten mit klarem Verständnis» die Idee Moreau's
wieder aufzugreifen und weiter zu entwickeln. J ä g e r. R i e d
und Textor (1830—1840), L a ngenbeck (1848—1860), O 11 i e r
(1860—1890) sind die Namen, welche die Marksteine des grossen
konservativen Prinzips, in der Tliat eine illustre Antiamputations¬
liga, bildeten!
Hierauf stellt der Vortragende einen 30 jährigen Oekonomen
vor. welchem vor Jahresfrist auswärts ein Kongestionsahsc?ss des
r. Vorderarmes geöffnet wurde. Nach 7 monatlicher Eiterung soll
sich die Fistelöffnung geschlossen haben, doch sei die spindel¬
förmige Anschwellung dos r. Kilbogengeleukes geblieben. Die
Stellung des Vorderarmes zum Oberarm war eine in Extension
ankylosirte geworden; dabei bestanden grosse Schmerzen spontan
und bei Druck, der Arm war total unbrauchbar.
M. machte die Resektion des Ellbogengelenks
nach L i s t o n. als diejenige Methode, welche bei pathologischen
Resektionen die beste Einsicht in das Gelenk gestattet. Dabei
erwähnt Vortragender die Methoden von Moreau*.Tilger.
Wattmann, Lanpenbeck und 011 i e r, das Ileraus-
präpariren des Nerv, ulnaris, sowie die Discisslon und Wieder¬
vereinigung der Tricepssehne, die vorzüglich gelang Aus der
Nachbehandlung bespricht M. besonders die Anfangs extendirte.
vertikal suspendirte Stellung der Extremität, sowie die Knochen¬
reproduktion in der vorantiseptischen und antiseptischen Periode,
welche in ersterer lebhafter vor sich ging. Der Patient war in
2 Monaten mit voller Gebrauchsfähigkeit seines r. Armes geheilt.
Das vorgelegte Präparat wies die diagnostizlrte Synovitis
granulosa nach, welche auf die Humerusepiphysp und das Ole¬
kranon mit stellenweiser Zerstörung der Cambiumschlehte des
Periosts und Knorpels übergegangen war. In der Fovea supra-
troehlearls anter. befinden sich tlieils isolirte, tlieils aggreglrte
Miliartuberkel. Das Radiusköpfchen war unversehrt.
Zum Schlüsse streift M. noch seine vieljährige reichhaltige
Thätigkeit auf diesem Gebiet, welche zahlreiche Resektionen aller
Gelenke mit sehr befriedigendem Erfolg umfasste.
Herr Weigel: Ueber Torsion des Samenstrangs.
W. gibt unter Zugrundelegung eines von ihm operirten Falles
eine Darstellung dieses seltenen Leidens, von dem bis jetzt erst
ca. 20 Fälle in der Literatur veröffentlicht sind.
In seinem Fall, bei dem auf Grund der vorhandenen
Einklemmungserscheinungen und der Geschwulst im Bereich des
Leistenkanals die Diagnose auf eingeklemmten Leistenbruch ge¬
stellt und sofort operirt worden war, hing der Hoden frei und
(piergestellt (Inversio testis horizontal!» Kocher) am abgeplatteten
und verbreiterten Samenstrang und befand sich etwa in der Höhe
des äusseren Leistenrings. Der Samenstrang war einige Centi-
meter über dein Hoden durch ein kurzes straffes Band an die
mediale Wand des Lcistenkanals angeheftet und hatte um dieses
Band als Drehpunkt eine Torsion erlitten iu der Welse, dass er
in Form einer Schleife gelagert und gleichzeitig um 360° um seine
Längsachse torquirt. war. Hoden und Samenstrang waren blau-
schwarz verfärbt, ihre Gefässe thrombosirt und wurden entfernt.
Die Aetiologie und Therapie des Leidens wurden unter Heran¬
ziehung der einschlägigen Literatur besprochen und für die erstere
als disponirende Momente unvollkommener oder verspäteter Des-
census testis im Zusammenhang mit der abnorm freien Beweglich¬
keit und der in einigen Fällen erwähnten und auch in diesem
Fall vorhandenen Querstellung des Hodens, als auslösender Faktor
dagegen ein Trauma oder eine abnorme Muskelkontraktion ver¬
antwortlich gemacht. Bezüglich der Therapie wurden die Ex¬
perimente M i f 1 e t’s und E nderle n’s an Hunden erwähnt und
die Resultate, welche in einigen Fällen bei dein Versuch, die Or¬
gane zu erhalten, erzielt worden waren. Es wird im Anschluss
daran als rathsam bezeichnet, sofort zu operiren und. falls sich
bei der Operation die Torsion des Samenstrangs herausstellt, den
Versuch der Erhaltung des Hodens unter Wiederherstellung der
normalen Lageverhältnisse zu machen, wenn die Erscheinungen
weniger oder wenigstens nicht viel länger als 24 Stunden bestehen
und das Aussehen der Organe diesen Versuch rechtfertigt. Im
anderen Falle wird man im Interesse einer glatten Heilung so¬
fort die Kastration ausführen. Die Differentialdiagnose gegen¬
über eingeklemmter Leistenhernie und eingeklemmtem Leisten¬
hoden hat nur theoretisches Interesse, da auch hier sobald wie
möglich operirt werden muss, und Repositionsversuche wegen der
wohl meist vorhandenen grossen Schmerzhaftigkeit der Geschwulst
sich von selbst verbieten.
Herr Görl demonstrirt:
I. das mikroskopische Präparat eines Cysticercus cell. Die
Finne hatte sich bei einem 26 jährigen jungen Manne in der linken
Nasolabialfalte entwickelt, wo sie erbsengross unter unveränderter
*) Die Jahreszahlen beziehen sich auf die Publikationen der
betreffenden Autoren, nicht ihr Lebensalter.
Haut liegend, als tiefsitzendes Atherom angesehen wurde. Bei
der Inzision der Haut quoll eine mit griingell>er Flüssigkeit ge¬
füllte Blase heraus mit einer weissliclien Verfärbung an einer
Stelle der Blasenwandung (Skolexausatz), so dass die Diagnose so¬
fort richtig gestellt werden konnte.
Am übrigen Körper sind keine Finnen zu finden, ebensowenig
ist ein Bandwurm oder ein Ei nach Eingabe von Extract. Allein
nachzuweisen.
II. Derselbe bespricht in Kürze die Sterilisation der Ka¬
theter und empfiehlt als geeignete und in der Hand des Patienten
sicherste Sterilisationsmethode für die weichen Katheter das Ab¬
kochen in Wasser, für die elastischen in neutraler schwefelsaurer
Ammonlösung (3:5). Ein elastischer Katheter, der 12 Stunden
der letzteren Prozedur unterworfen worden war, wird vorgezeigt.
Derselbe ist glatt und glänzend.
III. Arsen bei Blasentumoren hat G. in zwei Fällen mit
gutem Erfolg versucht
Der eine Patient hatte einen Tumor des Blasengruudes mit
einem strangförmigen Fortsatz gegen die Harnröhre zu. Die am
IS. März 1899 vorgenommene Operation (Heini ein) ergab ein
Myom, dessen Grenzen gegen das gesunde Gewebe hin nicht wahr-
zunelimen waren. Kurz nach Heilung deuteten erneute Blutungen
daraufhin, dass Reste der Geschwulst ln der Blase geblieben seien.
Hohe Dosen Arsen verminderten die Blutungen, die bei Aussetzen
des Medikamentes stets stärker sind, so dass Patient noch Jetzt
kräftig und arbeitsfähig ist.
Der.zweite Patient — 43 Jahre alt — hat seit einem Jahr
einen dünnen schwachen Harnstrahl, starke Schmerzen während
des Urinirena und entleert am Schluss des Urinlreus einige Tropfen
Blut. Bei der (’ystoskopie (16. Februar) findet man einen breit
aufsitzeuden Tumor mit geringer Zotteuentwickluug, der von oben
gegen das Oriflcium int. der Urethra hereinragt. Der Tumor wuchs
bald so. dass der Urin stets nur per Katheter entleert wurde. Auch
traten stärkere Blutungen ein. Am 25. April verordnete ich dem
operationsscheuen Patienten Arseu mit dem Erfolge, dass vom
3. Juni an der Urin wieder spontan abging. Ende Juli sind auch
die Schmerzen verschwunden. Blut zeigt sich jetzt nur noch am
Schluss des Urinirens tropfenweise. Eine nochmalige Cystoskopie
verweigerte Patient.
Herr Frankenburger demonstrirt mikroskopische Blul-
präparate eines Falles von reiner lien&ler Leukämie, sowie ein
weiteres Zellpräparat mit sehr schönen Kerntliellungsflguren.
Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Wflrzburg.
(Elgenw Bericht.)
Sitzung vom 21. November 1901.
3. Herr Seifert demonstrirt einen Fall von Pityriasis
rubra pilaris.
2. Herr H 0 f f a hält an der Hand dreier eigener Beobach¬
tungen einen Vortrag über angeborene Skoliosen.
Die angeborene Skoliose kann durch abnorme intrauterine
Belastung, durch Heber- oder Unterbildung von Wirbeln oder
Wirbeltheilen oder durch fehlerhafte Verwachsungen an der
Wirbelsäule bedingt sein, findet sich aber auch bei angeborenen
Lähmungen der Stammmuskulatur oder als zufälliger Neben¬
befund neben anderen hochgradigeren Missbildungen.
II. demonstrirt zuerst als Beispiel der in der Literatur ver-
zeiehneten Fälle die Zeichnung einer kongenital skoliotischen
Wirbelsäule, welche 4 halbo Wirbel zu viel auf weist; der Fall
wurde seiner Zeit von Rokitansky veröffentlicht. Die Halb-
wirbel sind an verschiedenen Theilen der Wirbelsäule rechts und
links zwischen die normalen Wirbel eingeechoben und sind so die
Ursache einer mehrfachen seitlichen Verkrümmung der Wirbel¬
säule geworden.
Ferner demonstrirt Vortragender die Wirbelsäule eines Er¬
wachsenen aus seiner Sammlung, an welcher der 2. und 3. Lenden¬
wirbel vollkommen mit einander verwachsen sind, eine deutlich
sichtbare Narbe in Gestalt einer vorspringenden Knochenleiste
deutet die Linie der Verwachsung an, die offenbar schon in einem
sehr frühen Stadium der Entwicklung stattgefunden hat. Ein
Doppelwirbel von Keilgestalt, links 4 cm, rechts 2,8 cm hoch, ist
das Resultat der Verwachsung der 2 Wirbel; er bildet den Keil-
wirbcl einer linksseitigen Skoliose.
Des weiteren zeigt II o f f a das Skelet eines neugeborenen
Kindes, das eine sehr hochgradige linkskonvexe Krümmung der
Wirbelsäule aufweist. Bildungsanomalien finden sich an der¬
selben nicht vor; die Zwischenwirbclscheiben der Konvexität sind
keilförmig gestaltet. An demselben Skelete besteht rechtersei ts
eine angeborene Hüftgelenksluxation; als Ursache der Skoliose
betrachtet der Vortragende in diesem Falle eine abnorme intra¬
uterine Belastung.
Den 3. Fall demonstrirt H. in der Photographie und im
Röntgenbilde; es handelt sich um ein 6Vfe jähriges Mädchen, bei
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24. Dezember 19Ö1.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2129
welchem eine angeborene linkskonvexe Kyphoskoliose der Brust¬
lendenwirbelsäule besteht; das Röntgenbild zeigt ein keilförmiges
zwischen die Körper des 1. und 2. Lendenwirbels eingescliobenes
überzähliges Knochenstück als Ursache desselben. Vortragender
betrachtet es als rudimentären halben Wirbelkörper.
3. Herr Gürber: Heber Fettverdauung im Magen.
Vortragender bespricht zunächst 2 Verdauungsversuche bei
Katzen, die in der Weise ausgeführt wurden, dass nach 24 stän¬
digem Hunger eine überreiche Menge Speck gegeben wurde,
dessen Gehalt an freier Fettsäure vorher bestimmt war. Nach
einer Verdauungszeit von 6 Stunden wurden die Katzen getödtet
und ein abgewogener Theil des Mageninhaltes, der fast nur aus
Speckstückchen bestand, auf freie Fettsäuren analysirt. Bei der
einen Katze zeigte sich nun eine beträchtlielie Zunahme der
freien Fettsäure im Mageninhalt, während bei der anderen eine
solche nicht zu konstatiren war. Mit der Schleimhaut dieser
Katzenmägen hat der Vortragende Versuche über die Fettspal¬
tung in der Weise angestellt, dass er neutrales Olivenöl mit in
Wasser suspendirten Stücken der Schleimhaut oder mit Wassor-
extrakt bezw. Glycorinextrakt der Magenschleimhaut zusammen¬
brachte und unter fortwährendem kräftigen Schütteln ‘/ 2 Stunde
bei 40° digerirte und als Kontrolprobc das neutrale Olivenöl mit
gekochter Schleimhaut oder gekochtem Wasserextrakt ebenso be¬
handelte.. Die Proben wurden nun mit Petroläther extrahirt
und im Extrakt der Gehalt an freien Fettsäuren bestimmt. Das
Ergebniss war, dass die Magenschleimhaut (bezw. das Wasser¬
extrakt) der Katze, die eine Fettverdauung auch im lebenden
Thier zeigte, eine deutliche, wenn auch nicht starke Spaltung des
Neutralfettes bewirkte. Das Glycerinextrakt dagegen schien
wirkungslos. Ebenso schien die zweite Katze kein fettspaltendes
Ferment in ihrer Magenschleimhaut enthalten zu haben. — Eine
deutliche Fettverdauung konnte der Vortragende auch durch
frischen Hundemagensaft bewirken, immer unter der Voraus¬
setzung, dass die Verdauungsprobe ausserordentlich kräftig ge¬
schüttelt und so das Fett mechanisch fein vertheilt wurde. Die
Fortführung seiner Versuche hielt Vortragender nach dem Er¬
scheinen der V o 1 h a r d’schen Publikation über Fettverdauung
für gegenstandslos, und wenn er sie trotzdem zur Sprache ge¬
bracht hat, so wollte er damit zugleich die Gelegenheit benützen,
die ausgezeichneten Versuche Volhard’s in der Gesellschaft
zur Discussion zu stellen.
Aus ärztlichen Standesvereinen.
Aerztlicher Bezirksverein München.
Sitzung vom 14. Dezember 1901.
Die Tagesordnung der Sitzung brachte ln erster Linie ge¬
schäftliche Interna, wie deu Jahresbericht der Schriftführer, aus
dem die rege Vereinsthätigkeit im abgeluufenen Jahre in Ziffern
und Zahlen hervorglug. Hatte doch z. B. unsere Vorstamlschaft
eine Summe von 27 Sitzungen zu bewältigen gehabt, während der
Verein als solcher zu 7 Sitzungen Zusammentritt. Dass das Krieg-
füliren Geld kostet, erscheint nun neuerdings aus dem Berichte
unseres Schatzmeisters mit der Angabe bewiesen, dass der Streit
mit der Ortskraukenkasse IV im heurigen Jahre einen peeuniäreu
Aufwand von 874 M. erforderte. Bei der Vornahme der Vor¬
standswahl ging Kollege Dr. Karl Becker nahezu mit Stimmen-
einheit als erster Vorsitzender aus der Urne hervor. Mit Freude
begrüssen wir es. dass unsere gesummte übrige Vorstandschaft
auch für das nächste Jahr wieder gewählt wurde. Möge es ein
für den Bezirksverein erfolgreiches werden! Mit unbeschränkter
Zustimmung nahm die Versammlung die Ausführungen des Herrn
Med.-Rathes Stumpf entgegen, der unserer kampferprobten
Vorstandschaft den wärmsten Dank des Vereines zum Ausdruck
brachte und zu treuem Zusammenhalten und energischer Dis-
ciplin in unseren eigenen Reihen aufforderte. Es folgten noch
2 Vortrüge: 1. Ueber die ärztlichen Unterstützungsvereine zur
Fürsorge für die Hinterbliebenen des ärztlichen Standes, in
welchem Kollege Daxenberger - München die Vortheile des
Pensionsverelus und des bayerischen Sterbekassavereins ein¬
gehend auseinandersetzte, die günstige finanzielle Position der
beiden Vereine im Vergleiche zu anderen derartigen Standes¬
vereinen darlegte und zu lebhafterem Beitritt in dieselben auf-
aufforderte. 2. sprach Herr Krüclie über die Frage: „Wie
kommen wir Aerzte aus der Gewerbeordnung. Vortragender wird
hierüber im Aerztllchen Vereinsblatt ausführlich berichten, worauf
hier verwiesen sei.
Aerztlicher Bezirksverein Nürnberg.
Der Nürnberger ärztliche Bezirksverein hat seine Winterver¬
sammlungen am 24. Oktober mit einer bedeutsamen Internen An¬
gelegenheit begonnen: mit der Ernennung seines lang¬
jährigen ersten Vorsitzenden, Herrn Hofrath
B e c k h, zum Elirenmitgliede des B e z 1 r k s v e r e i n s.
In einer Ende Juli stattgefundenen ausserordentlichen Versamm¬
lung des Bezirksvereins, in der Herr Hofrath Emmerich über
den Verlauf des Aerztetages zu Hildesheim Bericht erstattete und
Herr Neuberger im Anschlüsse daran über die Ergebnisse des
Aerztetages l>ezUglieh des Leipziger Verbandes kritisch berichtete,
hatte der Schriftführer. Herr S c h u h, die eminenten Verdienste
des Herrn Hofrath Beckh erläutert und deu einstimmig ange¬
nommenen Antrag auf Ehrung des ersten Vorsitzenden gestellt.
In der schon üusserlich durch die grosse Zahl der anwesendeu Kol¬
legen (circa 90) und den durch Blumenarrangements festlich ge¬
schmückten Sitz des Vorsitzenden kenntlichen Festversammlung
hielt Herr Hofrath Emmerich als zweiter Vorsitzender die
Festrede. In begeisterten Worten feierte er das langjährige,
segensreiche Wirken des Jubilars, dem der Nürnberger ärztliche
Bezirksverein in erster Linie es zu verdanken habe, (lass er gross
und geeinigt dastiinde, dass Nürnberg als die Hochburg der freien
Arztwahl bezeichnet würde. Gerade durch die energische, aber
auch milde Form, in der der Jubilar den ärztlichen Bezirksvereiu
geleitet habe, seien Erfolge erzielt worden. Zum Schluss? sprach
der Redner unter mächtigem Beifall der Versammlung den Wunsch
aus. (lass Herr Hufrath Beckh, so wie er heute der hundertsten
»Sitzung prasidlre, noch viele Jahre dem Bezirksverein in gleicher
Weise vorstehen möge. Unter dem Ausdrucke herzlichsten Dankes
für die hohe Ehre, das grosse Vertrauen und das wahrhaft künst¬
lerisch ausgeführte Ehrendiplom versprach Herr Hofrath Beckh
auch noch fernerhin seine Dienste dem Nürnberger ärztlichen Be¬
zirksverein widmen zu wollen.
Auf der weiteren Tagesordnung standen die Vorlagen zur
Aerztekammer. Der Antrag der pfälzischen Vereine bezüglich der
Fürsorge für die Geschlechtskranken wird genehmigt, ebenso der
Antrag des Münchener Bezirksvereins, dass bei der Novelle des
Krankenversiclieruugsgesetzes eine Begutachtung durch den er¬
weiterten Obermedicinalausschuss oder eine besondere ärztliche
Kommission Platz greifen solle. Zustimmung erfolgt ferner zu
den Anträgen bezüglich der Forderung eines erhöhten Luftkubus
für die Volksschlller und der ministeriell zu erlassenden Aufklärung
der Gymnasiasten und Realgymnasiasten über die Ueberfüllung des
ärztlichen Standes. Der Antrag des Nürnberger ärztlichen Be¬
zirksvereins, dass auch die übrigen Aerztekammern aufzuforderu
seien, gelegentlich der Revision des K ran keil versichern u gsgesetzes
im Buudesrathe auf die Zuziehung von Aerzteu zu dringen, wird
gutgeheisseu. Hinsichtlich der Gebührentaxen für amtliche Funk¬
tionen der Aerzte erklärt Herr Medicinalrath Merkel entgegen
einer früher ausgesprochenen Ansicht, dass es im Interesse der
praktischen Aerzte läge, wenn diese für amtsärztliche Leistungen
nach der privatärztlicheu GebUlirentaxe sich honoriren Hessen.
Eine lebhafte Debatte rief der vom Münchener ärztlichen Bezirks¬
verein gestellte Antrag hervor, behufs Unterdrückung der Kur¬
pfuscherei und der Geheimmittelreklame einen der Hamburger Ver¬
ordnung vom 1. Juli 1900 entsprechenden Regierungserlass herbei¬
zuführen. Dem Münchener Anträge wird zugestimmt, doch ver¬
spricht sich Herr Medicinalrath Merkel nur aussichtsvolle
Besserung durch ein Reichsgesetz, wozu bereits einleitende Schritte
erfolgt seien; Herr Landau befürwortet eine Ueberwachung des
Kurpfuschergewerbebetriebs. Mit Bedauern wird dann von ver¬
schiedenen Rednern konstatirt, dass, während die socialdemokra-
tische Presse, speciell der Vorwärts, Kurpfuscherannonceu ablehne,
hier in Nürnberg die verbrelteste Tageszeitung zahlreichen Inse¬
raten von Heilkünstlern Aufnahme gewähre.
Sodann referirt Herr W e 1 s s sehr eingehend über den bis¬
herigen Verlauf der Berathungen der ärztlichen Ehrengerichts¬
und Standesordnung im diesjährigen Abgeorduetenkammeraus-
seliusse, erwähnt die von deu verschiedenen Bezirksvereineu er¬
lassenen Protestkundgebungen, spricht sich sehr energisch gegen
das Referat des Herrn v. Landmann ans und beantragt, unter
besonderer Betonung, dass gerade das Ehrenmitglied des Nürn¬
berger ärztlichen Bezirksvereins, Herr Medicinalrath Merkel,
der Vater des Entwurfs sei, eine deu übrigen bayerischen Bezirks¬
vereinen analoge Resolution. Es wird einstimmig beschlossen,
die Vorstamlschaft mit der Abfassung der Resolution uud deren
Uebermittlung an das Abgeordnetenhaus zu betrauen.
In der Sitzung vom 27. November gedachte zuuäclist der Vor¬
sitzende, Herr Hofrath Beckh, dos mitten im Kampfe um die
Standesinteressen in den Sielen verstorbenen Herrn Ilofrath
Nähe r. Zum Zeichen der Anerkennung der hohen Verdienste
des Verblichenen erhob sich die Versammlung von ihren Plätzen.
Der Schriftführer, Herr Schuh, gibt bekannt, dass bei der
von der mittelfränkischen Aerztekammer veranstalteten EnquGte
hinsichtlich der Zahl der dem Regierungsentwurfe der Standesord¬
nung zustimmenden Kollegen nur 2 Aerzte sich ablehnend ver¬
halten hätten, da — ursprünglich waren es nach dem Berichte der
Tagespresse 8 Kollegen — uaehtrügUeh noch 0 Kollegen ihre Zu¬
stimmung ausgesprochen hätten, weil sie nur bezüglich Details
der Standesordnung divergenter Ansicht seien. Eine schou im
vorigen Jahre in's Leben gerufene Kommission des ärztlichen Be¬
zirksvereins gegen die Kurpfuscherei soll nunmehr ihre Thätigkeit
beginnen. Zu Mitgliedern der Kommission werden die Herren
Landau (Obmann), H. Koch (Delegirter der Vorstandschaft),
Kirste, Frankenburger und P. G i u 11 n i ernannt.
Der Antrag des Herrn Neuburger, dass die Gemeinde¬
krankenkasse die sogen. „Nothfälle“ honorire und in die Be¬
rechnung des Staffeltarifs einreihe, wird angenommen. Ueber den
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MUEttCÜENEß &EDiCItfISCäE WOCHENSCHRIFT.
tto. 62 .
Begriff „Nothfall“ entsteht eine sehr ausgedehnte Discussion. Die
Vonstandschnft wird sich mit dieser Frage noch weiterhin be¬
schäftigen. Herr Landau beantragt, dass bei Kranken, deren
Behandlung von Versicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften
etc. nach Beendigung der 13. Woche der Gemeindekrunkenkasse
übertragen wird, die Minimaltaxe der privatürztlichen Gebühren¬
ordnung in Anwendung zu bringen sei. Der Antrag findet allge¬
meine Zustimmung. Auf Antrag des Herrn Seiler spricht der
Nürnberger ärztliche Bezirksverein aus. dass es unstatthaft
sei, dem Deutschen Versicherten verbände, dessen
TbUtigkeit schon auf dem diesjährigen Aerztetage eine abfällige
Kritik erfahren hatte, als Vertrauensarzt zu dienen.
Die Gemeindekrankenkasse hat eine Liste derjenigen Personen
aufgestellt, die Krankengeld bezogen, aber gesund waren, ar¬
beiteten etc. Herr A. Beckh beantragt, die Gemeindekranken-
kassen aufzufordem. von solchen betrügerischen Vorkommnissen
den behandelnden Arzt später in Kenutniss zu setzen. Herr Ilof-
rath Emmerich stellt den Antrag, dass nur denjenigen Patien¬
ten wöchentliche Krankheitsatteste ausgestellt werden, die sich
entweder dem Arzte selbst vorstellen oder vom Arzte besucht
werden. Beide Anträge werden acceptirt. Herr Neuberger
begründet schliesslich seinen bei der Vorstandschaft eingereichten
Antrag, dass der Nürnberger ärztliche Bezirks¬
verein der Centrale für freie Arztwahl bei¬
treten solle. Der Antragsteller verbreitet sich über die Ziele
der ..Centrale", erwähnt, dass in Bayern der Münchener Verein
für freie Arztwahl und der Bezirksvereiu Südfranken der „Cen¬
trale“ bereits angehören, und dass es Pflicht des Nürnberger ärzt¬
lichen Bezirksvereins sei, derartige Bestrebungen zu unterstützen,
zumal — nach persönlichen Mittheilungen von Seiten des Vorsitzen¬
den der Centrale — der Mitgliedsbeltrag für Vereine demnächst
um die Hälfte reduzlrt werden solle. Gegen den Antrag erfolgt
kein Widerspruch. . N.
Auswärtige Briefe.
Berliner Briefe.
(Eigener Bericht.)
Kurse über erste Hilfeleistung. — Zehn Jahre freie Arzt¬
wahl. — Kassenarztfrage und Leipziger Verband. — Gebet¬
heilungen.
Nach altem Brauch ist der Monat Dezember den General¬
versammlungen gewidmet; wesentliche Neuerungen sind weder
in den Standes- noch in den anderen Vereinen beschlossen wor¬
den; am meisten Interesse dürfte die Generalversammlung des
Ae.rztevereins der Rettungsgesellschaft bieten, in welcher über
eine erfreuliche Ausdehnung der Thätigkeit dieses Instituts, so¬
wie über den Plan einer vielen Aerzten gewiss willkommenen
Neueinrichtung berichtet wurde. Es besteht die Absicht, in
erster Reihe für die Aerzte des Vereins, sodann aber auch für die
Berliner Aerzte überhaupt Kurse über die erste ärztliche Hilfe
cinzurichten. Es ist das eine Lücke in der ärztlichen Aus¬
bildung, die vielleicht nur selten eingestanden, aber von Vielen
empfunden wird. Das Universitätsstudium bietet nur Wenigen
Gelegenheit, sich gerade bei solchen Ereignissen, bin denen so¬
fortiges Eingreifen unbedingt erforderlich ist, praktisch zu be-
thätigen. Dahin gehört die Einleitung der künstlichen Athmung,
die kunstgerechte Einführung des Magenschlauchs, die Lagerung
des Verletzten, die Anordnung des sachgemässen Transports und
viele andere Dinge, in denen Heilgehilfen und Krankenwärter
ausgebildet und geübt sind, die wohl auch jeder Arzt theoretisch
kennt, die aber im gegebenen Fall nicht Jeder mit der nöthigen
Sicherheit und Entschlossenheit auszuführen im Stande ist. Mit
der Einführung des praktischen Jahres wird das wohl anders
werden; aber von der jetzt thätigen Aerztegeneration sind Viele
ohne vorausgegangene Krankenhausthätigkeit in die Praxis ein¬
getreten, und diese werden mit Freuden die Gelegenheit wahr¬
nehmen, auch auf diesem so ungemein wichtigen Gebiete ärzt¬
licher Thätigkeit sich auf der Höhe des ärztlichen Wissens und
Könnens zu erhalten.
Die diesjährige Generalversammlung des „Vereins der frei
gewählten Kassenärzte“ bietet ein gewisses historisches Inter¬
esse, denn sie fiel zusammen mit dem 10 jährigen Jubiläum dieses
Vereins und bildet auch charakteristischer Weise die einzige
„Feier“ dieses Jubiläums; denn der Verein hat es sich stets ver¬
sagt, durch Stiftungsfeste die errungenen Erfolge zu verherr¬
lichen, sondern in rastloser Thätigkeit zur Förderung kollegialer
Interessen seine ausschliessliche Aufgabe gesehen; und doch kann
er mit Stolz auf die Erfolge, welche in den 10 Jahren erreicht
wurden, und auf die Anerkennung, welche er sich trotz vielfacher
Anfeindungen ertrotzt hat, zurückblicken. Es war ein Novum
in der Geschichte des Krankenkassenwesens, als vor 10 Jahren die
Ortskrankenkasse der Maschinenbauer, welche 14000 Mitglieder
zählte, sich entschloss, die freie Arztwahl einzuführen; und die
Zahl derer war nicht gering, welche ein negatives Ergebniss dieses
Experiments voraussagten; heute wird die Lebensfähigkeit der
freien Arztwahl nirgends mehr ernstlich in Zweifel gezogen. Der
zur Versorgung der 14 000 Kassenmitglieder nach dem neuen
Prineip gegründete „Verein der frei gewählten Kassenärzte“ um¬
fasste damals 600 Mitglieder, und schon im nächsten Jahre wurde
ihm die ärztliche Behandlung mehrerer anderer Kassen über¬
tragen, und Anfang 1894 betrug die Mitgliederzahl derjenigen
Kassen, welche die freie Arztwahl eingeführt hatten, fast 150 000.
Dann aber begannen die eigentlichen Schwierigkeiten des
Vereins; mit Unbehagen sah mancher Kassengewaltige, wie die
Macht seinen Händen entwunden wurde, von Seiten der Behörden
wurden den umstiirzlerischen Bestrebungen des Vereins durchaus
keine Sympathien entgegengebracht, und auf formale Gründe ge¬
stützt, verfügte der Magistratskommissar für eine Reihe von
Krankenkassen, dass die Vertrüge mit dem „Verein der frei ge¬
wählten Kassenärzte“ nicht erneuert werden dürfen. Dadurch
schien der Verein damals ernstlich in’s Wanken zu gerathen, und
leider erstand ihm auch zugleich eine nicht sehr rühmliche
Gegnerschaft aus einer kleinen Gruppe der Berliner Aerzte selbst,
welche einen Gegenverein, den „Verein Berliner Kassenärzte“,
gründeten. Aber aus all’ diesen, oft recht harten Kämpfen ist
schliesslich die freie Arztwahl doch siegreich hervorgegangen.
Der „Verein der freigewählten Kassenärzte“ welcher jetzt mehr
als 1500 Aerzte umfasst, hat es verstanden, seinen Platz un¬
bestritten zu behaupten und viele seiner früheren Gegner zu
Anhängern zu machen. Während es früher ein Magistrats¬
kommissar war, der ihm beinahe den Todesstoss versetzt hätte, hat
ihm jetzt die Betriebskrankenkasse der Stadt Berlin von Anfang
an die Behandlung ihrer Mitglieder übertragen. Während er
früher von dem Vorstande der Aerztekammer auf das Heftigste
angefeindet wurde, entsendet jetzt die Stadt Berlin und ihre Vor¬
orte fast nur Anhänger der freien Arztwahl in die Aerztekammer.
Während früher ein schroffer Gegensatz zwischen „fixirten“ und
„frei gewählten“ Kassenärzten bestand, gehört jetzt ein grosser
Theil der fixirten selbst dem Verein an, und mit Befriedigung
kann der Verein konstatiren, dass seine Bestrebungen in ganz
Deutschland Anerkennung und Nachahmung gefunden haben.
Als vor Jahresfrist von Leipzig aus der Ruf an alle deutschen
Aerzte erging, sich zu einem Schutz- und Trutzverbande zur Ab¬
wehrung der unerträglichen Uebergriffe der Krankenkassen zu-
sammenzuschliessen, da war es gerade der Vorstand des Vereins
der frei gewählten Kassenärzte, welcher vor der allzu scharfen
Tonart warnte und von einer friedlichen Entwicklung der Dinge
sich grösseren Erfolg versprach. Bekanntlich hat der Leipziger
Verband sich diesen Anschauungen, inzwischen genähert und da¬
durch sicherlich die Zahl seiner Anhänger vermehrt. In einer
allgemeinen Aerzteversammlung, welche von der Ortsgruppe Ber¬
lin einberufen war, setzte der Begründer des Verbandes, Heri
Kollege Hartmann, die Zwecke und Ziele des Leipziger Ver¬
bandes auseinander. Er schilderte zunächst die bekannten Miss¬
stände, die das ärztliche Berufs- und Erwerbsleben bedrücken,
den Schaden, der durch die Freigabe des Kurirens, durch die ge¬
rade in Sachsen besonders üppig wuchernde Kurpfuscherei, durch
die Ueberfüllung des Aerztestandes, den im Anschluss an die
Krankenkassengesetzgebung noch erhöhten Zudrang zum medici-
nischen Studium entstanden ist. Das durch die Ueberproduktion
hervorgerufene übermässige Angebot von Kassenärzten machten
sich die Kassen Vorstände zu Nutze, die Bewerber wurden vielfach
auf das Unwürdigste behandelt, Kaeeenarztstellen mitunter ge¬
radezu erkauft, und die Kassenärzte waren jeder Willkür und
jeder Laune des Vorstandes unterworfen. Wo diese Zustände
allzu unerträglich wurden, kam es vielfach zu Aerzteausständen,
die, an sich ein peinliches und unerfreuliches Vorkommniss,
z. Th. auch in Folge der Intervention der Behörden nicht immer
den Wünschen der Aerzte entsprechend beendet wurden. Bei
diesen Ausständen zeigte es sich immer, dass die Schaffung eines
Fonds unerlässlich sei, aus welchem ein in seiner Existenz durch
eine Krankenkasse bedrohter Arzt geschützt, von Orten, in denen
Streitigkeiten zwischen Aerzten und Krankenkassen bestehen, der
Zuzug fern gehalten, geeignete Stellen zur ärztlichen Nieder¬
lassung nachgewiesen und die öffentliche Meinung über kassen-
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24. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2131
ärztlicho Verhältnisse aufgeklärt werden könne. Vor Allem sei
ein Zusammenschluss aller Fachgenossen nöthig, um eine grosse
Organisation zu gründen, welche der Organisation der Kranken¬
kassen mit gleichen Machtmitteln gegenüberstehe. Diesen Zweck,
den weder der Deutsche Aerztevereinsbund noch die staatlichen
Organisationen zu erreichen im Stande waren, wolle der Leipziger
Verband erstreben; er wolle auch keinen Krieg gegen die Kassen
führen und in deren Rechte in keiner Weise eingreifen, sondern
auf friedlichem Wege die Rechte der Aerzte gegenüber den Kassen
schützen. In der Besprechung des mit grossem Beifall aufgenom¬
menen Vortrages wurde mit Befriedigung auf diesen letzteren
Punkt hingewiesen, der eine Wandlung in den ursprünglichen
Tendenzen des Verbandes bedeute, und zugleich der Wunsch aus¬
gesprochen, dass der Verband nicht nur theoretisch, sondern auch
praktisch für das Prinzip der freien Arztwahl eintrete.
Das erste Jahr des zwanzigsten Jahrhunderts, welches die
grossartigen Errungenschaften des Zeitalters des Dampft« und
der Elektrizität weiter auszubauen und das Licht der Aufklärung
in die weitesten Kreise zu tragen berufen ist, ist noch nicht zu
Ende gegangen, und wir sehen in dem Lande der Denker, in der
Centrale der Intelligenz einen Unfug Boden gewinnen, wie wir
ihn ärger uns kaum in den schwärzesten Zeiten des Mittelalters
denken können. „Gebetheilung“ heisst diese neueste Blüthe am
Baume der Kurpfuscherei, ihre Wiege steht in Amerika, und von
dort hat sie jetzt ihren Weg über den Ozean gefunden. Stifterin
der neuen Lehre ist eine 80 jährige Greisin, welche angeblich von
den Aerzten aufgegeben war, aber während sie im Sterben lag,
in der Bibel eine Verheissung las, ein Gebot sprach und sofort
gesund war. Nun studirte sie fleissig weiter die Bibel und suchte
nach ähnlichen Verheissungcn, die Frucht dieser Arbeit war ein
grosses Werk, welches die Anleitung zur Gebetheilung enthält.
Die Erlöserkraft zu heilen — das ist der Grundgedanke ihrer
Lehre — ist auch auf uns gekommen, wir müssen sie nur zu
gebrauchen verstehen; die Krankheit ist eine Art Geistesstörung,
sie existirt nur in Gedanken und Anschauungen, vor Allem ist
sie eine Folge der Furcht und diese muss ausgerottet werden;
das kann durch das Gebet derer, die die Erkenntniss gewonnen
haben, der Scientisten, geschehen; mit dieser Fähigkeit zu heilen
sind die Sendlinge der alten Dame, die nun Berlin beglücken,
ausgerüstet. Aber man ist sehr im Irrtlium, wenn man glaubt,
dass diese Heilkunst, die doch ihre Quelle in der Bibel hat,
nun auch ad majorem Dei gloriam ausgeübt wird; sie bildet viel¬
mehr für den Scientisten eine sehr ergiebige Milchkuh, denn jede
Gebetsitzung kostet 2 M., 20—30 Sitzungen pro Tag sind für
einen Scientisten keine übermässige Leistung, und ein Unter¬
richtskursus zur Erlernung der Gebetheilung kostet 400 M. Wie
mancher Arzt blickt da wohl resignirt auf seinen Steuerzettel
und fragt sich, warum er sich mit Studium und verantwortungs¬
reicher Arbeit abquälen muss, wenn man als Scientist so mühelos
zum Erwerb kommen kann. Denn zur Heilung ist nichts weiter
nöthig al9 das Gebet des Heilere. Der Kranke braucht gar nicht
anwesend zu sein, er muss nur einigermassen in das Prinzip ein¬
geweiht sein, damit er nicht aus Unwissenheit der Heilung ent¬
gegenarbeitet. Das ist wieder ein sehr feiner Tric, denn er dient
zur Unfehlbarkeitserklärung der Methode. Wird ein Kranker
nicht geheilt, so liegt das eben nicht an der Methode, sondern
an dem Kranken, der durch seinen mangelnden Glauben die Hei¬
lung gehindert hat, und im äussersten Nothfall muss der Zweifel
der Umgebung des Patienten als Ursache für den Misserfolg her¬
halten. Dass eine solche heilverkündende Botschaft einen mäch¬
tigen Einfluss auf die grossen Massen ausübt, hat für den Kenner
der Volksseele nichts Uoberraschendes, und thatsächlich ist auch
das Haus, in dem die Gebetheilungen stattfiuden, weit mehr be¬
sucht, als die Sprechstunde des berühmtesten Arztes.
M. K.
Wiener Briefe.
(Eigener Bericht)
W i e n, 21. Dezember 1901.
Alltägliches in der kleinen Chirurgie. — Concretio peri-
cardii mit Leber- und Milzschwellung. — Ein Fall von Fliegen¬
larvenerkrankung des Darmes.
„Alltägliches in der kleinen Chirurgie“ — war der Titel
eines Vortrages, welchen Reg.-Rath Dr. Gersuny im Wiener
medic. Doktoren-Kollcgium hielt. Er besprach vorerst die Be¬
handlung des Furunkels. Da sieht man im Beginn ein kleines
eiteriges Knötchen, welches einen vereiterten Haarfollikel dar¬
stellt. Man nehme ein kleines Holzstäbchen und tauche es in
rauchende Salpetersäure; eine Spur der Säure verätzt das Knöt¬
chen und es gelingt in dieser Weise recht oft, den Furunkel im
Entstehen zu coupiren. Sind aber schon einige Tage vorüber,
dann findet man in der Tiefe um das Haar einen graugrünlichen
Cylindcr, welcher in das subkutane Gewebe hineinführt. Nun
senke man von der Spitze des Infiltrates aus ein Skalpell in die
Tiefe und entferne mittels eines kleinen scharfen Löffels das
nekrotische Gewebe, fülle die kleine eylindrisclie Höhle mit Der¬
matol oder einem anderen antiseptisehen Pulver aus, bedecke mit
Zinkpasta oder essigsaurer Thonerde. Man wird rasche Heilung
erzielen. Bekommt man endlich den Furunkel im Zustande der
„Reife“ zu Gesicht, dann inzidiro man mit dem Skalpell und
evidire mit dem scharfen Löffel. Die gebildete Höhle wird ein¬
mal (mit Jodoformgaze) ausgestopft, später, ohne Umschläge,
trocken behandelt, um so die Verschleppung des Eitere zu ver¬
hüten. Multipel entstandene kleine Furunkelknötchen behandelt
man am besten mit dem scharfen Löffel oder Galvanokauter.
Eine eigenartige Affektion ist die sogen. Furunkulose der
Kinder. Man sieht da, an der ganzen Körperoberfläche zerstreut,
zahllose, subkutane, also mit der Oberfläche nicht kommuni-
zirende, winzige Abszesschen. Eröffnet man ein Dutzend und
bestellt das Kind für den nächsten Tag, so sind wohl ebenso viele
neu entstanden. Man muss also den Mutli haben, sämmtliche
Abszesschen in einer Sitzung zu eröffnen, indem man sie einzeln
mit einer Ilaarfalte aufhebt, mit einem spitzen Skalpell eröffnet
und den Eiter ausdrückt. Kein Verband, w'ohl aber warmes Bad.
Auch den Anthrax oder Carbunkel möge man möglichst früh
incidiren. Macht man dabei die vielfach benützten Kreuz- oder
Gitterschnitte, so setzt man eine grosse, klaffende Wunde, welche
lange Zeit zur Heilung braucht. Man gehe so vor, dass man vom
Gesunden aus gegen das Centrum hinstrahlende, aber dieses
freilassende Einsclinitte verschiedener Länge in das derb infil-
trirte Gewobe mache, sodann mit dem scharfen Löffel durch jede
der strahlenförmig angelegten Incisionen eingehe und das nekro¬
tische Gewebe zerwühle. In die Incisionen lege man das erste
Mal Jodoform- oder Dermatolgaze, später bloss Streifen von
Guttaperchapapier und darüber die Gaze. Der in dieser Weise
operirte Anthrax heilt rascher. Einen kleinen Carbunkel wird
man mit Erfolg auch ganz excidiren.
Das beginnende Panaritium wird man oft rasch zur Heilung
bringen, indem man die kleine Höhle eröffnet und öfters fest aus¬
drückt. Hat man es mit einem tiefer gehenden entzündlichen
Process zu thun, so incidire man ebenfalls sofort, auch wenn noch
kein Eiter nachweisbar ist. Will man mit der Prava z’schen
Spritze den Eiter in der Tiefe nachweisen, so gehe man so vor,
dass man in die Spritze eine Cocainlösung thue, einsteche, einige
Tropfen der Lösung injicire und nun erst den hiedurch ver¬
dünnten Eiter aspirire. Es ist nicht nothwendig, hier breit zu
incidiren, sondern man mache eine kleine Incision, gehe sodann
mit einer spitzen Kornzange in die Tiefe, öffne deren Schenkel,
sobald man in eine freie Höhle gekommen ist und lege ein Drain¬
rohr ein, welches den Eiterabfluss sichert. In derselben Weise,
nämlich durch Einstossen einer spitzen Komzange, und brüskes
Oeffnen derselben, kann man auch die Höhle eines retro¬
pharyngealen Abscesses bei Kindern zur Entleerung bringen.
Der bis zur Kuppe des Abscesses eingeführte Finger des Opera¬
teure ist selbstverständlich durch einen Metallfingerring zu
schützen, der Kopf des Kindes, nach der Eröffnung des Abscesses,
stark nach vorne zu neigen. Periproctale Abscesse eröffne man
in gleicher Weise, tamponire bloss einmal die Höhle und halte
sie sodann durch Einführen eines Drains oder eines Streifchens
Guttaperchapapiere so lange offen, als die Eiterung der Höhle an¬
hält. Da9 ist viel weniger schmerzhaft und führt rascher zur
Heilung. Wundflächen nach Verbrennungen etc. bedecke man
mit Guttaperchapapier, welches mit Borvaseline oder mit einer
Lapissalbe bestrichen ist. Der Wechsel eines so angolegten Ver¬
bandes ist gar nicht schmerzhaft.
Die Dermatitis serpiginosa, ein oberflächlich verlaufender,
oft recht hartnäckiger Process, wird am besten zur Heilung ge¬
bracht, indem man die sich leicht ablösende Epidermis abträgt
und den (nässenden) Grund mit einer Lapislösung betreicht.
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
Statt der Lapislösung: kann man auch einen Umschlag mit recti-
fioirtem Alkohol applieiren, wie denn überhaupt dieses letztere
Mittel häufiger Verwendung finden sollte, so bei Verbrennungen,
wo es schmerzstillend wirkt und Blasenbildung verhindert.
Waschungen mit Alkohol beseitigen auch rasch die Intertrigo, die
sich z. B. bei grossen Brustdrüsen fetter Frauen einstellt.
Schliesslich besprach der Vortragende noch die Behandlung
des eingewachsencu Nagels und des Erysipelas migrans. Sehr
häufig gelingt die Heilung, wenn man die scharfe Ecke des
Nagels, welche gegen den Nagelfalz drückt, durch eingelegtes
Verbandzeug abhebt und das Ganze mittels Pflasterstreifens fixirt.
Will man aber radical operiren und die betreffende Nagelhälfte
ganz entfernen, so muss man die Matrix durch Kali caustieum
zerstören, um ein Recidiv zu verhüten. Das Erysipel bekämpft
man am besten durch alle jene Methoden, welche den Luftzutritt
zu der erkrankten Partie abhalten, durch Bestreichen mit weisser
Leinfarbe oder mit Leinölfirniss (Siccativ), durch Applikation
einer 30 proc. Ichthyolsalbe, Abgrenzen durch Aufkleben von
Guttaperchapapier u. dergl. m. Empfehlung verdienen auch
wiederholte Waschungen mit Alkohol. Die schlechteste Behand¬
lung ist wohl die mit Applikation von Umschlägen, während die
oben erwähnten Methoden in ca. 50 Proc. der Fälle raschen Tem¬
peraturabfall und Zurückgehen des Processes beobachten lassen.
In der Gesellschaft für innere Mediein stellte Assistent
Dr. Wilh. Türk einen Fall von Coneretio pericardii mit be¬
sonderer Schwellung der Leber und namentlich der Milz vor.
Die Diagnose ist trotz Fehlens aller Lokalsymptome am Herzen
durch die Anamnese (Perikarditis vor 2 Jahren) und durch die
rein kardiale Natur der siimmtlichen subjektiven Beschwerden
sichergestellt, da ein Klappenfehler ausgeschlossen ist und bei
dem 18 jährigen Kranken jedes andere aetiologische Moment
für die myokardiale Insufficienz fehlt. Die besondere Ver-
grösserung der Leber ist als ein geradezu gewöhnliches Symptom
der Coneretio pericardii nicht auffallend. Ungewöhnlich ist aber
der bis weit unter den Nabel, nach rechts bis zur Mittellinie
reichende, gleichmässig derbe Milztumor, der bei flüchtiger Unter¬
suchung den Verdacht einer Leukaemie oder Pseudoleukaemie
erwecken muss. Der Blutbefund ist jedoch negativ, ebenso fehlen
— wie Türk ausführt — die Anhaltspunkte, welche eine andere
Diagnose zuliessen, wesshalb der Milztumor trotz seiner ganz un¬
gewöhnlichen Grösse mit dem perikardialen Processe in Zusam¬
menhang gebracht wird. Einen ganz analogen Fall hat Vor¬
tragender bei einem etwa 14—15 jährigen jungen Mann be¬
obachtet, wo ebenfalls die akute Perikarditis ärztlich beobachtet
worden war, und der später hervortretende sehr grosse Milztumor
den Verdacht auf Leukaemie erweckte, die Coneretio pericardii
aber wegen gleichzeitiger Accretio cordis auch geradezu unver¬
kennbare Lokalsymptome erzeugte. Es scheint, dass jugendliche
Individuen zu derartig hervortretenden Milzschwellungen beson¬
ders geneigt sind.
Bei der Discussion über das Thema Myiasis intestinalis be¬
richtete Regimentsarzt Dr. Josef Feix über einen Fall von
Fliegenlarvenerkrankung des Darmes, welchen Fall er heuer im
Lagerspitale in Bruck zu beobachten Gelegenheit hatte. Der
Mann, ein Artillerist, erkrankte unter heftigen Brustschmerzen,
häufigem Stuhldrang und Kopfschmerz; die Stuhlentleerungen
waren flüssig, jedoch nicht bluthaltig. Therapie: Kalomel 0,30
als Dosis, ein Pulver. Tags darauf flüssiger Stuhl, in welchem
sich 200—300 Fliegenmaden befanden. Nun Hessen die koHk-
artigen Schmerzen und der Stuhldrang nach. Patient erhielt zwei
weitere Kalomelpulver. Tags darnach sollen nach Angabe des
Mannes mit dem Stuhle wieder Fliegenlarven abgegangen sein,
ärztlich konstatirt ist es aber nicht. . Eine hohe Darmirrigation
ergab jetzt kein weiteres positives Resultat. Der Mann genas
rasch und ist bisnun gesund geblieben.
In unseren vorwöchentlichen Briefe hat sich ein kleiner Irr¬
thum eingeschlichen, den wir zu berichtigen bitten. Die „Fleisch¬
probe zur Funktionsprüfung des Darmes“ rührt nicht von Dr.
Walter Zweig, sondern von Prof. Schmidt in Bonn her und
Ersterer hat die mit dieser Probe bei mehreren Kranken erzielten
Präparate demonstrirt, sodann über die Ergebnisse der Therapie
berichtet, welche von ihm auf Grund dieser Probe eingeleitet
wurde.
Verschiedenes.
Kalender für das Jahr 1902.
Für das herannabende neue Jahr sind uns nachstehende ärzt¬
liche Kalender und Taschenbücher zugegangeu:
Medici nal-Kaleuder 1902. Uerausgegeben von Dr.
R. Wehmer, Regieruugs- und Medicinalrath in Berlin. Verlag
von A. H i r s c h w a 1 d ln Berlin. 2 Theile. L. Theil. solid in
Leder gebundenes Taschenbuch, mit Tageskalender in 2 Halb¬
jahresheften und Text (Heilapparat, Verordnungslehre, diagnosti¬
sches Nachschlagebueh). II. Theil: Verfügungen und Personalien
des Civil- und Militär-MediciualWesens im deutschen Reich, mit
alphabetischem Namen- und Ortschaftsregister.
Reichs - Medlcinalkalender 1902. Herausgegebe»
von J. S c h w a 11» e. Verlag von G. Thierne ln Leipzig. Preis
5 M. I. Theil: Tageskalendarium in 4 Quartalsheften und ge¬
schäftliches Taschenbuch, in Leder gebunden, enthaltend 20 Nach-
schlagenrtikel. darunter „Anwendung, Dosirung und Arzneifonn
der gebräuchlichen, der neu eingeführteu und der im Arzneibuch
für das deutsche Reich 1900 enthaltenen Heilmittel“ von O. Lieb¬
reich. Der II. Theil, der die neueste Medicinalgesetzgebung und
die Personalien der deutschen Aerzte enthalten wird, steht noch
aus.
Fischer’s Kalender für Mediciner. Herausgegebeu
von Dr. A. Seidel. 1902. Berlin, Verlag von F l s c h e r's
medic. Buchhandlung H. Kornfeld. Taschenbuch mit Notiz¬
kalender und Originalartikeln. Preis 2 M.
Medlcinalkalender und Recepttaschenbuch
1902. Herausgegeben von H. Lohnstein. Verlag der Allg.
med. Centralztg. in Berlin. Taschenbuch, ln Leder gebunden, mit
zahlreichen Nachschlageartikeln und Tageskalender in 4 Quartals¬
heften. Preis 2 M.
Lorenz’ Taschenkalender für die Aerzte des
Deutschen Reiches auf das Jahr 1902. Berlin, Verlag von
S. Rosenbaum. Preis 2 M. Taschenbuch mit Naclischlage-
artikeln und 4 Quartalsheften.
Medlcinischer Taschenkalender für das Jahr
1902. Herausgegeben von K i o n k a, P a r t s c h, A. u. F. Lepp-
m a n n. Verlag von Vogel & Kreienbrink in Berlin.
Taschenbuch und 12 Monatshefte.
Aerztliches Vademecum und Taschenkalen¬
der für das Jahr 1902. Zusammengestellt von Dr. Arno
K r li c h e. München, Verlag der Aerztl. Rundschau (O. G m e -
11 n). Taschenbuch mit 4 Quartalsheften. Preis 2 M.
Taschenbuch für C i v i 1 ä r z t e 1902. Herausgegeben
von Dr. H. Adler. Verlng von M. Perles in Wien. Taschen¬
buch mit Nachschlagekalender und dem Verzeichniss der Aerzte
in Wien; Tageskalender. Preis 3 Kr. 20.
Deutscher Militärärztlicher Kalender für
die Sanitätsoffiziere der Armee, der Marine und der Schutztruppen.
Herausgegeben von Prof. K r o c k e r und Dr. F r i e d h e i m.
1902. Hamburg, Verlag von Gebrüder L ü d e k I n g. I. Theil.
Taschenbuch mit Nachschlageartikeln, Tageskalendarium in zwei
Halbjahreshefteu, zwei Beihefte: Dienstliche Zelteingaben und
Krankenlisten. Theil II: Verordnungen und wissenschaftliche
Uebersichtsartikel. Theil III: Ranglisten. Endlich eine Beilage:
Täfelchen zur Prüfung feinen Farbensinns von Prof. H. Cohn
in Breslau. Preis 4 M. 50 Pf.
Allgemeiner hygienischer Kalender für das
Haus 1902. Herausgegeben von G. F 1 a t a u. Verlag von
Vogel & Kreienbrink in Berlin. Enthält zahlreiche be-
merkeuswerthe populär-medlcinische Artikel.
Deutscher Kalender für Krankenpflege-
rlnnneu und Krankenpfleger auf das Jahr 1902.
Herausgegeben von Dr. Georg Meyer, Frankfurt a/M. Verlag
von J. R o s e n h e i m. I. Abtheilung: Kalendarium nebst Notiz¬
blättern. II. Abtheilung: Wissenschaftliche Abhandlungen. Dazu
ein Beiheft: Die für das Pflegepersonal wichtigsten Bestimmungen
der deutschen Reichs- und Landesgesetzgebung. Preis M. 1.T0.
Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher.
Der heutigen Nummer liegt das 121. Blatt der Galerie bei: Her¬
mann Löhlein. Nekrolog siehe S. 2114.
Therapeutische Notizen.
Prophylaktische Schmierkuren empfiehlt Dr.
H e d d ä u s - Essen a. d. Ruhr allen Eltern, die Grund haben zu
glauben, dass sie nicht ganz frei von Syphilis sind, d. h. von der¬
jenigen Krankheit von welcher man als einziger mit aller Be¬
stimmtheit welss, dass sie sich vererben kann und mit unheimlicher
Regelmässigkeit sich vererbt. Oft würde genügen, wenn die Frau
schmiert, weil von ihrem Wohlsein doch wohl mehr als von dem
des Mannes die Gesundheit der Kinder abhängt; sicherer Ist es,
wenn beide schmieren. Wenn auch durch andere Maassnahmen,
wie Bade- und Terrainkuren, durch Massage, sowie durch Alles,
was den Stoffwechsel tüchtig anregt, eventuell dasselbe zu er¬
reichen wäre, so ist die Schmierkur doch der einzige Weg, welcher
auch den Unbemittelten zugänglich ist, und wohl auch derjenige,
welcher am schnellsten und sichersten zu dem ersehnten Ziele,
d. h. der Befreiung des Körpers von dem syphilitischen Gift, führt.
(Allg. med. Central-Ztg. 1901, No. 83.) P. H.
Ueber die Heissluftbehandlung der Gelenke
mittels der B i e Fachen Heissluftkästen berichtet Dr. Mohr-
Bielefeld. Man beginnt, da die Empfindlichkeit der Kranken
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24. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2133
gegenüber der Hitze individuell äusserst verschieden Ist, die Be¬
handlung mit niedrigen Wärmegraden (80—90° C.) und steigt bis
100—230—150° C. Die Anwendungsdauer ist je nach der Erkran¬
kung und der individuellen Empflndungsart verschieden und be
trägt 2 mal täglich y 2 —ly 2 Stunden. Indikationen: Rheumatische
Arthritiden, Arthritis deformans, subakuter und chronischer rnono-
tmd polyarticulärer Gelenkrheumatismus, subakute und chronische
gonorrhoische und luetische Gelenkerkrankungen, traumatische
Gelenkentzündung, besonders bei der Nachbehandlung von Frak¬
turen und Kontusionen mit chronischem Hydrops, entzündliche
Verdickungen, Oedeme und Steifigkeit, ferner partielle Ankylosen
und Kontrakturen verschiedenen Ursprungs. Contralndizirt ist
die Methode bei allen akut-entzündlichen Gelenkerkrankungen, so¬
wie bei Tuberkulose. Ausser bei den Gelenkleiden wurden gute,
zum Theil überraschende Erfolge erzielt bei Ischias, Lumbago,
Coccygodynie, Neurasthenla spinalis, verschiedenen Neuritiden,
Muskelrheumatismus, Weichtheilkontusionen, Nachbehandlung
von Frakturen, chronischer Ostitis und Periostitis, abgelaufenen
Zellgewebsentzündungen, chronischen Ulceratlonen, Erfrierungen.
Die therapeutischen Resultate sind oft geradezu überraschend, be¬
sonders bei rheumatischen und gonorrhoischen Gelenkleiden. Die
erzielten Besserungen sind bei vielen Erkrankungen viel erheb¬
licher als die während der gleichen Zeit mit Massage und ähnlichen
Maassnahmen erreichten. (Die med. Woche 1901, No. 37.) P. H.
Ueber Gebrauch der Bierhefe in Form von Furun-
culin an der dermatologischen Klinik des Cantonspitals zu Genf
berichtet Dr. Ch. Du Bois (Revue mödicale de la Suisse romande
1901, No. 8). Das Präparat wurde in Gaben von 1—2 Kaffeelöffel
bis 3 und 4 Esslöffel pro die, mit Wasser oder Bier verrührt, un¬
mittelbar vor den Mahlzeiten gegeben und stets gut vertragen.
Die Wirkung trat besonders zu Tage bei Furunculose, Akue rosa-
cea, Jodakne, bei akutem und chronischem Ekzem, bei Urticaria,
ferner bei Magenleiden, sogar Magenerwelteruug, bei chronischem
blennorrhagischem Rheumatismus; unwirksam zeigt sich das
Mittel bei Psoriasis und Seborrhoe. Aeusserlich angewandt leistete
die Bierhefe gute Dienste bei Behandlung torpider Ulceratlonen,
varicösen und tertiär-syphilitischen Geschwüren und eiternden
Neubildungen; sie desodorisirt und befördert die Narbenbildung.
R. S.
Tagesgeschichtliche Notizen.
München, 24. Dezember 1901.
— Der Ausschuss der bayerischen Abgeordnetenkammer zur
Vorberathung der ärztlichen Standes- und Ehren¬
gerichtsordnung hat nach längerer Pause seine Sitzungen
wieder aufgenommen und die 2. Lesung der Vorlage rasch zu Eude
geführt. Die Zusammensetzung des Ausschusses hat insoferne
eine Aenderuug erfahren, als der Abgeordnete Dr. Hauber,
das einzige ärztliche Mitglied, das im Grossen und Ganzen, aller¬
dings mit erheblichen Konzessionen an seinen Parteistandpunkt,
die Wünsche der Aerzte vertreten hatte, ausgeschieden ist und nn
seine Stelle der ultramontane Abgeordnete Fuchs gewählt wurde.
Die 2. Lesung hat nun, dank der energischen Bemühungen des
Herrn Ministers Dr. v. Feilitzsch, einige überraschende Ver¬
besserungen im Sinne der Wiederherstellung der ursprünglichen
Vorlage gebracht, insoferne eine Anzahl der negativen Bestim¬
mungen, die nach der 1. Lesung in das Gesetz aufgenommeu
werden sollten, gestrichen wurden. Nur bezüglich der Forderung,
dass durch die Standesordnung keine Bestimmungen „über die
Festsetzung des ärztlichen Honorars, über den Abschluss von
Verträgen mit öffentlichen und privaten Korporationen, sowie über
das Unterbieten bei Bewerbungen um ärztliche Stellen" getroffen
werden dürfen, entspann sich eine längere Diskussion, deren Er¬
gebnis war, dass der Ausschuss nur das Unterbieten bei Be¬
werbungen preisgab und im Uebrigen an der Forderung fest-
hielt Doch gelang es dem Minister gegen die Stimmen der
Herren v. Land mann, Gäch und v. Haller durchzu¬
setzen, dass der Ausschuss gegen eine Bestimmung der Standes¬
ordnung folgenden Inhalts: „Bei Verträgen mit öffentlichen oder
privaten Korporationen soll der Arzt eines unlauteren Herab¬
drückens oder Unterbietens des Honorars sich enthalten“ keine
Erinnerung erhebt. In dieser Bestimmung ist ein weitgehendes
Zugeständnis der Regierung gegenüber dem Ausschuss enthalten;
ähnlich wie in Sachsen (s. vor. No.) soll also auch in Bayern auf
die Mitwirkung der Bezirksvereine bei Beurtliellung von Verträgen
mit Korporationen verzichtet werden und es soll lediglich Sache
des Ehrengerichts sein, zu entscheideu, ob ein Vertrag unlauteres
Herabdrücken oder Unterbieten in sich schliesst. Der Herr Mi¬
nister bemerkte zu diesem Punkte, dass dieses Entgegenkommen
der Regierung sich kaum der Zustimmung der Aerzte erfreuen
dürfte. Das trifft sicher zu und nur die Erwägung, dass die
Standesordnug in erster Linie um idealer, nicht um materieller
Vorthelle willen angestrebt wird, kann die Aerzte veranlassen,
im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes sich mit dieser
einschneidenden Aenderung des Entwurfs zufrieden zu geben.
Eingehender soll noch In unserer nächsten Nummer auf die
2. Lesung zurückgekommen werden.
— Die wichtige und ln anderen Stiidten, vor Allem in Berlin,
bereits erfolgreich gelöste Frage des ärztlichen Fort¬
bildungswesens Ist nunmehr auch in M ü n c h e n in An¬
griff genommen worden. Auf Anregung einiger hiesiger Aerzte
hat sich ein Comitö gebildet, das vor Kurzem unter dem Vorsitz
des Herrn Geheimrath v. Ziems seu eine Sitzung abhielt, in
der die ersten nothwendigen Schritte beschlossen wurden. Nach¬
dem die medicinische Fakultät sich der Frage bereits günstig
gegenüber gestellt hat, soll vor Allem auch die Unterstützung des
k. Staatsministeriums und der Stadt erwirkt werden. Man hofft,
dass die ersten Kurse und Vorträge im kommenden Sommer¬
semester beginnen können.
— Das Centralcomitö für das ärztliche Fort¬
bildungswesen ln Preussen, welches vor ungefähr
Jahresfrist von dem Kultusministerium in’s Leben gerufen wurde,
um die Weiterbildung der praktischen Aerzte durch die Ver¬
anstaltung unentgeltlicher Kurse und Vorträge zu fördern, trat am
Sonnabend den 7. Dezember in der Medicinalabthellung des ge¬
nannten Ministeriums zu einer Sitzung zusammen. Zu Beginu
der Sitzung, welcher Ministerialdirektor Dr. A 11 h o f f beiwohnte,
theilte der stellvertretende Vorsitzende Geh. Ober-Med.-Rath Prof.
Dr. Kirchner mit, dass Se. Majestät der Kaiser von der Thätig-
keit des Centralcomitös mit Befriedigung Keuntniss genommen
habe. Der nun erstattete ausführliche Bericht über den gegen¬
wärtigen Stand der Angelegenheit erwies die bemerkeuswerthe
Thatsache, dass schon ln dem einen Jahre, in welchem das Central-
comitö zu wirken Gelegenheit hatte, die Organisation des ärztlichen
Fortbildungswesens sich fast über ganz Preussen ausgebreitet hat.
Der Schriftführer des Centralcomitös, Dr. R. K u t n e r referlrte
schliesslich über die Nothwendigkelt der Begründung einer ärzt¬
lichen Lehrmittelsammlung, welche insbesondere den Kurslehrern
der lokalen Vereinigungen in der Provinz zu Gute kommen solle,
um ihnen die Möglichkeit zu bieten, noch mehr als bisher Ihre Vor¬
träge durch Demonstrationen an Tafeln, Lichtbildern, Präparaten
und Phantomen zu unterstützen. Das Centraleomitß beschloss die
Begründung einer solchen Sammlung, welche zunächst in der
k. Charitß ln Berlin ihren Platz finden wird und Ministerialdirektor
Dr. A 11 h o f f sagte für ihren Ausbau in dankenswerther Weise
seine Unterstützung zu.
— Am 28. November 1901 wurde eine „Militärärztliche Ge¬
sellschaft München“ gegründet mit dem Zwecke der Förderung
eines kameradschaftlich-geselligen Verkehrs durch regelmässige
Zusammenkünfte, bei denen wissenschaftliche Vorträge und De¬
monstrationen, insbesondere auf dem Gebiete des Militärsanitäts¬
wesens, gehalten werden und Fragen von wissenschaftlichem
Interesse zur Besprechung gebracht werden können. Zur Mit¬
gliedschaft sind berechtigt alle aktiven, ä la suite stehenden und
mit Erlaubniss zum Tragen der Uniform verabschiedeten Sanitäts¬
offiziere des Standorts München. Gäste werden von Mitgliedern
elngeführt. Versammlungen finden monatlich einmal statt; im
Juli, August und September fallen sie in der Regel aus. Vor¬
standswahl wird alljährlich vorgenommen. Der derzeitige Vor¬
stand besteht aus: Generalarzt Dr. Ueimpel, Vorsitzender.
Stabsarzt Dr. Wöscher, Schriftführer, Oberarzt Dr. Dresch¬
feld Kassier. Der Generalstabsarzt der Armee. Dr. Bestei-
m eyer, hat den ihm von der Gesellschaft angetragenen Ehreu-
vorsitz übernommen.
— P e 8 t. Türkei. Am 27. November Ist in Konstantiuopel
ein neuer Pestfall beobachtet worden. — Britisch-Ostlndien.
Während der am 15. November abgelaufenen Woche sind
in der Präsidentschaft Bombay 8423 neue Erkrankungen
und G50C Todesfälle an der Pest festgestellt also 810
bezw. 124 weniger als in der Woche vorher; auf die Stadt
Karachi entfielen davon 68 Erkrankungen und 47 Todesfälle. In
der Stadt Bombay wurden während der am 16. November endenden
Berichtswoche 152 Erkrankungen und 182 erwiesene Pesttodes¬
fälle, dazu 147 pestverdächtige Todesfälle gezählt; die Gesammt-
zahl der Todesfälle ging daselbst auf 800 ln der letzten Berichts¬
woche herunter. — Kapland. Während der am 16. November ab¬
gelaufenen Woche wurden weder Neuerkrankungen noch Todes¬
fälle an der Pest amtlich gemeldet, doch sind in Port Elizabeth 2
unter pestverdächtigen Erscheinungen erkrankte Eingeborene
unter Beobachtung gestellt worden. Am 18. November wurde da¬
selbst ein neuer Pestfall festgestellt. — Queensland. Zu Folge
einer Drahtnachricht vom 11. Dezember aus Brisbane war daselbst
wiederum ein Pestfall vorgekommen. V. d. K. G.-A.
■ In der 49. Jahreswoche, vom 1. bis 7. Dezember 1901, hatten
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬
lichkeit Borbeck mit 35,3, die geringste Krefeld mit 7,8 Todes¬
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller
Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, an Masern in Bochum,
Borbeck, an Diphtherie und Croup ln Dessau, HUdesheim.
— Vom Jahresbericht über die Leistungen
und Fortschritte auf dem Gebiete der Neuro¬
logie und Psychiatrie, redigirt von Prof. Mendel und
Dr. L. Jacobsohn. Verlag von S. Karger in Berlin, ist der
IV. Jahrgang, enthaltend den Bericht Uber das Jahr 1900, soeben
erschienen. Ein starker Band von 1135 Seiten. Preis 32 M.
— Eine sehr zweckmässige Mappe zum Ordnen und Auf¬
bewahren von Documenten geht uns von der Firma C. A n d el¬
fin g e r & Co. in München. Landwelirstr. 59, zu. Dieselbe ent¬
hält 12 nummerirte Fächer und ein Register auf der Vorderseite,
dessen Zahlen mit den Zahlen der Fächer korrespondiren; ein
Blick auf das Register orientlrt iil>er den Inhalt der Mappe und
mit einem Griff kann das Gewünschte herausgenommen werden.
Auf demselben Princip beruht eine andere, ähnliche Mappe, die
dem vorläufigen Ordnen von Briefen, Rechnungen u. dergl. dient,
sowie ein Notizbuch zum raschen Auffinden eingetragener Notizen.
Die Mappen, die unter dem Namen „Blitzordner“ ln den Handel
kommen, sind solid gearbeitet und scheinen uns wegen ihrer prak¬
tischen Einrichtung sehr empfehlenswerth. Die Firma versendet
für M. 2.— ein kleines, für M. 4.— ein grosses Sortiment direkt
per Post.
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2134
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 52.
(Hochschulnachrlchten.)
Bonn. Der Privatdocent der Physiologie Dr. B 1 e 1 b t r e u.
Assistent am hiesigen physiologischen Institut, hat den Professor¬
titel erhalten. Der Sekundärarzt am hiesigen Johannes-Hospital.
Dr. Karl Hubert Vogel, hat sich für Chirurgie an der hiesigen
l'niversität liabilitirt.
Bresla u. In der medic. Fakultät hat sich der 1. Assistenz¬
arzt an der psychiatr. Klinik, Dr. E. Storch, als Privatdozent
für Psychiatrie liabilitirt. — Es wird beabsichtigt, die hygien. Sektion
Beut heil O.-S. als eine Abtlieilung des hygienischen Instituts in
Breslau bis auf Weiteres beizubehalten und zu diesem Zwecke zu¬
nächst für den Jahrgang 1902 folgenden Betrag flüssig zu machen:
An Remuneration für den Anstaltsleiter und Assistenten 5100 M.,
Lohn für den Diener und sächliche Ausgaben 3500 M., Einrichtung
des Laboratoriums, sowie Beschaffung von Mobiliar, Apparaten
und Instrumenten 1000 M., in Summa also 10 000 M.
Erlangen. Der Privatdocent an der hiesigen Universität
Dr. Max v. Kryger wurde zum ausserordentlichen Professor
ernannt und ihm chirurgische Propaedeutik, specielle Chirurgie
und Unfallheilkunde als Lehraufgabe zugewiesen, sowie die Funk¬
tion eines Oberarztes der chirurgischen Poliklinik übertragen.
(Jöttlngen. In der Notiz in No. 51 findet sich ein Druck¬
fehler. Es sind 83 Hörer vorhanden, darunter 32 Damen, die aber
nicht Medlciner sind. (Die Göttinger Kliniker lassen Personen
weiblichen Geschlechts zum Unterricht überhaupt nicht zu.)
Halle. Auf die Anregung von Professor Karl Fraenkel
hat der Magistrat im Anschluss an das hygienische Institut der
l’niversität ein Untersuchuugsamt für ansteckende Krankheiten
errichtet, das den Aerzten die Möglichkeit gewähren soll, in ver¬
dächtigen und zweifelhaften Krankheitsfällen zu einer Diagnose
zu gelangen.
Königsberg. Die medlcinischc Fakultät der hiesigen
Universität hat dem bisherigen ersten Assistenzarzt an der Klinik
und Poliklinik für Syphilis und Hautkrankheiten der Universität
Breslau, Dr. med. Walther S ch o 11 z, die venia legendi als Privat¬
dozent für Dermatologie verliehen. — Die Zahl der Studiremlen
beläuft sich in diesem Semester auf 911, dazu kommen 32 Hörer
und 38 Hörerinnen. Die Frequenz der medlcinischen Fakultät
bet rät 207.
Tübingen. Nach dem Schwäbischen Merkur ist als Nach¬
folger des Prof. Liebermeister auf dem Lehrstuhl für Patho¬
logie und Therapie der Vorstand der Greifswalder medlcinischen
Klinik Prof. Dr. Krehl in Aussicht genommen.
Brüssel. Herzog Karl Theodor von Bayern
wurde von der k. Akademie der medlcinischen Wissenschaften
zum Ehrenmitglied ernannt.
Kopen h a g e n. Dr. F. C. C. Hansen wurde an Stelle des
verstorbenen Prof. C h i e v 11 z zum Professor der Anatomie er¬
nannt.
RlodeJaneiro. Der a. o. Prof. Dr. Miquel Couto wurde
zum Professor der inediclnisch-propädeutischen Klinik ernannt.
Wien. Gegen den Professor der Physiologie Sigmund
Exner. den die Studenten für den Urheber der neuen Ordnung
des medlcinischen Rigorosums halten, veranstalteten Studirende
am 13. Dezember Im physiologischen Institut eine Kundgebung
und verhinderten die Vorlesung. — Das Professorenkollegium der
Wiener medlcinischen Fakultät hat einstimmig beschlossen, den
Professor der Kinderheilkunde an der Grazer Universität, Dr.
Echerich, für die erledigte Lehrkanzel Widerhofe r’s prlmo
et unico loco vorzuschlagen.
(Todesfälle.)
Am 13. XII. 1901 starb in Kiel unerwartet, nach wenigen
Krankheitstagen. Dr. Hans H e n s e n, Privatdocent und Ober¬
arzt an der medlcinischen Klinik der Universität.
Dr. Fr. M e 1 6 n d e z y Herrer a. Prof, der topographischen
Anatomie zu Cadix.
Dr. R. II arve y, Generaldirektor des Medicinalwesens von
Britiseh-Indien.
Dr. Jarvis S. W i g h t, Professor der chirurgischen Klinik
und operativen Medicin am Long Island College Hospital zu
Brooklyn.
Personalnachrichten.
(Bayern.)
In den Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse
I)r. Julius M a y r in Bogen, seinem Ansuchen entsprechend, wegen
nachgewieseuer Krankheit und hiedurch bedingter Dienstes¬
unfähigkeit. auf die Dauer eines Jahres.
Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Bogen. Bewerber
um dieselbe haben ihre vorschriftsmiissig belegten Gesuche bei
der ihnen Vorgesetzten k. Regierung. K. d. Innern, bis zum
5. Januar 1902 einzureichen.
Amtlicher Erlass.
(Bayern.)
No. 28 23(5.
Bekanntmachung.
Bakteriologische Kurse im Jahre 1902 betreffend.
K. Staatsministerium des Innern.
Das k. Staatsministerium des Innern wird im Einverständ¬
nisse mit dem k. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und
Schuhingelegrnheiten im Jahre 1902 1(5 Aerzten, welche die Prü-
Verlug von J. F. Lehmann in München. — brück von
fung für den ärztlichen Staatsdienst bestanden haben, in Bayern
ihren Beruf ausüben, aber nicht In einer der drei Universitäts¬
städte Bayerns wohnen, AVersalbeträge von je 250 M. bewilligen,
um ihnen die Theilnaliine an einem mindestens 14 tägigen, an
einer der drei Landesuniversitäten statt findenden bakterio¬
logischen Kurse zu erleichtern, wobei es jedem Einzelnen über¬
lassen bleibt, an welcher der drei Landesuniversitäten und zu
welcher Zeit des Jahres 1902 er einen solchen Kurs mitmacheu
will.
Amtsärzte und praktische Aerzte, welche sich um solche
Aversalbetriige bewerben wollen, haben ihre Gesuche spätestens
bis 15. Januar 1902 beim k. Staatsministerium des Innern einzu¬
reichen. Die Einsendung von Belegen ist nicht erforderlich.
München, den 17. Dezember 1901.
gez. v. Feilitzsch.
Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee
für den Monat Oktober 1901.
Iststärke des Heeres:
50 473 Mann, — Invaliden, 202 Kadetten, 145 Unteroft-Vorechfller
Unter-
Mann
Invali¬
den
Kadetten
Ottxter-
vor-
schüler
1. Bestand waren am
30. September 1901 :
678
—
2
11
(
im Lazaretli:
1072
—
1
—
2. Zugang: j
im Revier:
2097
—
15
11
in Summa :
3169
—
16
11
Im Ganzen
sind behandelt:
3847
—
4
11
°/oo
der Iststärke:
76,2
—
89,1
76,8
dienstfähig:
2267
—
17
6
°/oo der Erkrankten:
589,3
—
944,4
646,4
gestorben :
5
—
—
—
3. Abgang: ■
°/oo der Erkrankten :
invalide:
* 1,3
22
—
z
z
*) Darunter 15
dienstunbrauchbar :
24*)
—
—
—
nach d. Ein-
anderweitig :
165
—
—
1
sicllung
in Summa:
2483
— i
17
7
4. Bestand |
bleiben am \
31. Okt.1901:
[ in Summa:
1 °/oo der Iststärke:
1 davon im Lazareth :
l davon im Revier:
1364
27,0
834
530
1 1 II
1
4,9 1
1
4
27,6
4
Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten
an: Pyaemie 1, akuter Miliartuberkulose 1, Lungentuberkulose 1,
eiteriger Entzündung der Herzinnenhaut 1, Blinddarmentzündung 1
Ausserdem endete noch 1 Mann durch Selbstmord (durch Er-
schiessen).
Der Gesammtverlust der Armee durch Tod betrug demnach
im Monat Oktober 6 Mann.
Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München
in der 50 Jahreswoche vom 8, bis 14.Dezember 1901.
Betheiligte Aerzte 202. — Brechdurchfall 2 (9*), Diphtherie,
Croup 11 (6), Ervsipelas 13 (11), Intermittens, Neuralgia interm.
— (—), Kindbettfieber 2 (.1), Meningitis cerebrospin. — (—),
Morbilli 07 (66), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 2 (7), Parotitis
epidem. 15 (10), Pneumonia crouposa 12 (26), Pyaemie, Septikaemie
— (I), Rheumatismus art. ac. 22 (19), Ruhr (dysenteria) — (1),
Scariatina 8 (9), Tussis convulsiva 31 (18), Typhus abdominalis
3 (4), Varicellen 24 (29), Variola, Variolois — (-), Inflnenza 5 (4),
Summa 212 (201). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller.
Uebersicht der Sterbefälle in München
während der 50. Jahreswoche vom 8. biß 14. Dezember 1901.
Bevölkerungszahl: 499 932.
Todesursachen: Masern 2 (—*), Scharlach —(—), Diphtherie
und Croup — (3), ßothlauf 1 (—), Kindbettfieber — (1), Blut¬
vergiftung (Pyaemie) 2 (1), Brechdurchfall 2 (5), Unterleibtyphus
— (2), Keuchhusten 2 (2), CronpÖse Lungenentzündung 5 (4),
Tuberkulose a) der Lungen 25 (25) b) der übrigen Organe 10 (7),
Akuter Gelenkrheumatismus 1 (—), andere übertragbare Krank¬
heiten 3 (5), ünglücksfälle — (—), Selbstmord 4 (—), Tod durch
fremde Hand — (—). ... , , ,
Die Gesammtzahl der Sterbefälle 199 (217), Verhältmsszalil auf
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,7 (22,6), für die
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,9 (14,1).
*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die F älle der Vorwoche.
E. Mühlllialer’s Buch- uud Kunstdruckerei A.Q., München.
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lHe Mönch. Med. Wocbennchr. erscheint wfichentl. II f 1*VXT/^iTT 171XT1 il 1 1 2nsendnn*eu sind st! sdrewdren: Für die Itedscdott
in Nummern von dun*h«ctanUtlicb 6 -6 Bogen. yl I I \ 1 . J-| H, \ H, OltosiraMe t. — Für Abonnement an J. F. Leh-
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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT
(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT)
ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE.
Cb. Binder, 0. Bollingir, H. CnrschBinn,
Freibari 1. B. München Lelpslx
No. 53. 31. Dezember 1901.
Horausgegeben von
C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, H. i. Rinke,
Berlin. Nürnberg. Berlin. München.
Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostraase 1.
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20.
F. t. Wlickel, H. !• Zleissei,
München. München.
48. Jahrgang.
Originalien.
Aus der chirurgischen 1. Universitätsklinik zu Kiel
(Professor Helferich).
Ueber die Bedeutung des Descensus testiculorum
für die chirurgische Pathologie.*)
Von I)r. Rudolf G ö b e 11, Assistenzarzt.
Der Descensus testiculorum und der Processus vaginalis
peritonei war, wenn auch nur bei Affen, doch schon Galen
bekannt.
Obwohl G a 1 en’s [1] Nachfolger die Resultate seiner Unter¬
suchungen auch auf die menschliche Anatomie übertrugen, blieb
der Descensus testiculorum gleichwohl beim Menschen andert¬
halb Jahrtausend unentdeckt. Fabricius Hildanus [1] und
andere Schriftsteller des 17. Jahrhunderts wussten, dass bei
Föten der Hoden gelegentlich in der Bauchhöhle zu finden sei,
und Kerkring war bei einer congenitalen Hernie, welche er
beobachtete, nahe daran, die richtige Deutung in einem Des¬
census testiculi zu finden. In der ersten Hälfte des 18. Jahr¬
hunderts war dagegen der Descensus zwar noch nicht allgemein
anerkannt, aber vielen von den Schriftstellern bekannt. Der
Entdecker des Gubernaculum und Derjenige, welcher zuerst den
Zusammenhang zwischen Jlernia congenita und dem Descensus
testiculorum nachwies, war Albert v. Haller [2].
Bald nach Halle r’s Schrift (1749) erschienen kurz hinter¬
einander und unabhängig von einander die Arbeiten von
Pott [SR Ca m per [4] und Hunter [5].
Pott kam zu demselben Resultat wie Haller, getraute
sich aber nicht, die Consequenzcn in Bezug auf die Entstehung
der Hernien bei Kindern zu ziehen.
Camper dagegen wies statistisch nach, dass der Processus
vaginalis peritonei bei Neugeborenen seltener geschlossen, denn
offen wäre und fand darin die Erklärung für das häufige Vor¬
kommen von Leistcnbrüehen bei Kindern im ersten Lebensjahre.
William II unte r’s Arbeit würde vollständig bedeutungs¬
los sein, wenn nicht in ihr enthalten wäre die geradezu klassische
Beschreibung, welche John Hunter von dem Descensus testi-
culorum geliefert hat, und welche grundlegend für alle weiteren
Untersuchungen geworden ist.
Albert v. Haller hat das Leitband dt*s Hodens, welches
vom fötalen Ilodcn zum Skrotum zieht, entdeckt. Er nannte
es Vagina cylindriea, weil er es für einen hohlen Cylinder hielt,
in welchem der Iloden nach abwärts stiege. John Hunter
aber hat das Leitband in seiner wahren Natur erkannt. Spätere
Untersucher belegten desshalb mit vollem Recht das von Haller
zuerst entdeckte Gebilde mit II u n t e r’s Namen.
Nach John Hunter wird die Verbindung zwischen fötalem
Hoden und der vorderen Bauchwand durch ein Ding hergestellt,
welches vom unteren Ende des Hodens zum Skrotum nach ab¬
wärts zieht. Er gab ihm den Namen Ligamentum oder Guber¬
naculum testis, weil es den Lauf des Hodens beim Abstieg lenkt.
Es ist von Pyramidenform. Sein breiter, bulbusartigor Kopf
ragt aufwärts und ist am unteren Ende des Hodens und Neben¬
hodens fixirt. Sein unteres zarteres Ende verliert sich in dem
Zellgewebe des Skrotum. Das Gubernaculum ist gefässhaltig,
fibrös, die Fasern verlaufen in der Richtung des Ligaments.
*) Vortrag (Probevorlesung), gehalten am 25. Juli 1901 lu Klei.
No. 53.
Aus der Analogie mit dem Befund bei Thieren ist Hunte r
geneigt, zu glauben, dass das Gubernaculum Muskelfasern ent¬
hält und einwärts gewandte Cremasterfasem an seiner Zu¬
sammensetzung theilnehmen. John Hunter hat die Anatomie
des Descensus vorzüglich beobachtet. Er beschreibt schon, was
vielen späteren Untersuchern entgangen ist, dass sich mit dem
Gubernaculum bei beginnendem Descensus eine Pcritoneal-
tasehe bis zum M. obliquus externus hinabsenkt, welche bereit
ist, den Testikel in sich aufzunehmen (das spätere sogen.
Seyler’sche Blindsäckchen). Ueber die treibenden Kräfte ist
Hunter sich nicht klar. Er gibt nur an, dass das Guber¬
naculum kürzer wird und dass der Iloden, wenn er durch den
Obliquus externus hindurch getreten ist, das Bauchfell hinter
sich herzieht und so der Processus vaginalis gebildet wird.
Obwohl der Descensus und namentlich der Ursprung und
die Zusammensetzung des Gubernaculum nach John Hunter
ein beliebtes Thema wurden, so brachte doch erst die histologische
Forschung in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aucli
in dieses Gebiet Klarheit. Vorzüglich waren es die Arbeiten
von Weil [6], Bramann [7] und Klaatsch [8], welche
an zahlreichen Föten den Descensus kennen lehrten und durch
Präparation und Serienschnitte die Anatomie des Gubernaculum
und des Processus vaginalis klarstellten. Sie wiesen nach, dass
das Gubernaculum nicht, wie früher angenommen, in das Skro¬
tum, sondern nur bis in die Höhe der Symphyse hinabreiche.
Der Descensus testiculorum vollzieht sieh nach ihren Unter¬
suchungen folgendermaassen:
Von dem Orte seiner Entstehung an der medialen Seite
der Urniere rückt der Iloden bis zum 3. Monat nach dem Leisten¬
ringe zu herab und liegt am Ende dieses Monats der Gegend des
inneren Leistenringes dicht an. Vom Hoden zieht zu diesem
Thcil der Bauchwand, welche gleichzeitig eine Ausstülpung, die
Bursa inguinalis, gebildet hat, als ein feiner, vom Peritoneum
bedeckter Strang, das Gubernaculum. In der folgenden Zeit
aber wird der Iloden durch stärkere Ausbildung des Guber¬
naculum wieder in die Höhe gehoben. Die Bursa inguinalis wird
flacher. Es findet also ein Aseensus statt, welchem gegen Ende
des 6. Monats, bezw. im Anfang des 7. Monats, der zweite und
eigentliche Descensus folgt. Der Hoden steigt tiefer herab. Das
Gubernaculum im Abdomen wird kürzer. Diese Verkürzung ist
aber in der ersten Zeit nur scheinbar, denn das untere Ende des
Gubernaculum mit dem Processus vaginalis tritt um so viel
hinab, als das Gubernaculum im Abdomen kleiner wird. Erst,
wenn der Hoden bis in die Nähe des inneren Leistenringes und
des Gubernaculum mit dem Processus vaginalis bis an seine
Ursprungsstelle in der Höhe der Symphyse gelangt ist, tritt
eine wirkliche Verkürzung des Gubernaculum ein, welche mit
der Verlängerung des Processus vaginalis nach abwärts gleichen
Schritt hält.
Das Gubernaculum des 3. und 4. Monats ist nach
Klaatsch ein anderes Gebilde als das des 6. und 7. Monats.
Ersteres entsteht durch Differenzirung der glatten Kolon¬
muskulatur, letzteres durch Einstülpung der Bauchwand¬
schichten, welche abdominalwärts vom M. obliquus externus ge¬
legen sind. Die Einstülpung geschieht durch den aus dem
zwischen dem M. obliquus externus gelegenen Gewebe auf¬
gebauten Conus inguinalis. Dem Gubernaculum des 3. und
1
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 53.
4. Monats haben W aldeycr den Namen Ligamentum genito-
inguinale, Klaatsch den des Ligamentum inguinale gegeben.
Der Bildungsweise entsprechend ist das Gubemaculum des
6. und 7. Monats zusammengesetzt. Unter dem Peritoneum liegt
als Fortsetzung der Fascia transversalis lockeres Bindegewebe.
Dann folgt ein Muskelschlauch, in dessen Centrum lockeres
Bindegewebe mit mehreren Gefässen gelegen ist. Bramann
gelang es, den Nervus spermaticus externus in dem Gubernacu-
lum zu präpariren und damit den unumstösslichen Beweis zu
liefern, dass die Muskulatur des Gubernaculum zur Bildung des
Cremaster bestimmt ist.
„Der Processus vaginalis eilt dem Hoden bei dessen Wande¬
rung in das Skrotum voraus.“ Mit diesem Satz trat B r a -
m a n n in Gegensatz zu Allen, welche über den Descensus bis
dahin geschrieben hatten. Die Richtigkeit dieser Beobachtung
wurde von Sachs bestätigt, welcher an über 300 Kinderleichen
des Petersburger Findelhauses Untersuchungen anstellte. Sie
kann stets erwiesen werden, wenn wegen unvollständigen Des¬
census eine Operation ausgeführt wird. Dann findet man den
Testikel oben im Skrotum oder im äusseren Leistenring oder im
Leistenkanal, der Processus vaginalis peritonei aber reicht bis in
das Skrotum hinab.
Eine wesentliche Stütze für die Annahme einer selbständigen
Entwicklung des Scheidenfortsatzes bildet die Analogie mit dem
Divertieulum Nuekii, welches sich bildet, ohne dass das Ovarium
in das grosse Labium hinabsteigt.
Indessen ist die vollständige Ausbildung des Processus vagi¬
nalis vom Gubernaculum abhängig. Denn sobald das Leitband
iiber seinen Ursprungsort hinaus nach unten treten soll, be¬
ginnt cs sieh umzustülpen. Seine Gewebe gehen in die Wand
des Processus vaginalis über. Schliesslich sitzt der Hoden im
Grunde des Proc. vaginalis einem kurzen bindegewebigen Zapfen
auf, der später auch ganz verschwindet.
Ueber die Kräfte, welche den Hoden zum Hinabsteigen ver¬
anlassen, bestehen die verschiedensten Theorien. So lange mau
glaubte, das Gubernaculum reiche bis in den Grund des Skro¬
tum hinab, wurde der Vorgang allein durch das Gubernaculum
erklärt.
1. Nach Camper und P a 1 e 11 a verkürzt sich das Leit¬
band und stülpt sich wie der Finger eines Handschuhes um.
Der auf der Kuppe sitzende Hoden liegt dann im Grunde des
Sackes.
2. S e i 1 e r’s Theorie lässt die das Gubernaculum bekleiden¬
den Bauchfellblätter sich entfalten und dadurch den Testikel
entwickelt werden. Ihr wurde durch Oesterreicher der
Name „Entfaltungstheorie“ zu TheiL
3. C lei and und Kolli ker stimmten der Oester-
reiche r’schen „Verkümmerungstheorie“ zu, aber nur insoweit,
als sie die Schrumpfung des Gubernaculum für eine mitwirkende
Kraft beim Descensus ansahen, während
4. B r u g n o n i, Tuminati und auch Walde y er dem
M. Gubernaculi die Fähigkeit zutrauten, den Testikel aus der
Bauchhöhle in den Ilodensack zu befördern.
Als die mikroskopische Untersuchung aber bewies, dass das
Gubernaculum nur bis in die Höhe der Symphyse reiche, mussten
zum Mindesten für den unterhalb des Leitbandansatzes gelegenen
Weg andere Kräfte eintreten. Es wurden zur Erklärung heran¬
gezogen :
Die Differenz des Wachsthums zwischen dem übrigen Körper
und dem Gubernaculum,
der intraabdominelle Druck,
die wachsenden Baueheingeweide,
der Liquor peritonei;
für die Zeit nach der Geburt:
Die Respiration und das Gewicht des Hodens.
Viele dieser Kräfte können als Faktoren bei einem so kom-
plizirten und lange Zeit dauernden Vorgang in Betracht kommen.
Die eigentlichen Ursachen des Descensus sind damit noch nicht
der Erkenntniss näher gebracht. Klaatsch kommt durch
vergleichend anatomische Untersuchungen zu dem Schluss, duss
ein primitives Mammarorgan zur Verlagerung der Hoden den
Anstoss gab.
Zu pathologischen Zuständen kann der Descensus testicu-
lorum auf verschiedene Weise Veranlassung geben.
1. Er verläuft normal, hinterlässt aber zu pathologischen
Bildungen disponirende Unvollkommenheiten.
2. Er selbst ist pathologisch, d. h. er erfolgt nicht, oder er
geschieht unvollkommen, oder er vollzieht sich in falscher Rich¬
tung.
In ersterem Falle kommt vornehmlich das Verhalten des Pro¬
cessus vaginalis in Betracht, bei den letzterwähnten Möglich¬
keiten, spielen der Testikel und der Processus vaginalis eine fast
gleich wichtige Rolle.
Normaler Weise sollte der Processus vaginalis peritonei bei
der Geburt in das Ligamentum vaginale, einen Strang, um¬
gewandelt sein. Die Obliteration des Scheidenfortsatzes ist aber
häufig unvollständig. Sachs fand ihn bei 155 Kindern nur
47 mal ganz obliterirt, 26 mal beiderseits offen, 36 mal einseitig
offen, die übrigen oben unverklebt.
Tritt in dem offen gebliebenen Processus vaginalis oder in
dem erhaltenen Theil desselben ein Erguss auf, so entwickelt sich
je nach dem Grad der unvollständigen Obliteration eine Hydro-
celenart.
Dringen in den Processus vaginalis peritonei Eingeweide
hinein, so entsteht eine Ilernia inguinalis congenita. Sie ist
nicht nur eine Ilernia congenita, wenn der Testikel und die In¬
testina in einem Sack liegen, sondern die Anlage kann auch
congenital sein, wenn der Bruchsack von der Tunica testis pro-
pria getrennt ist. Der aufgefaserte Samenstrang dokumentirt
dann den Zusammenhang der Bruchbildung mit dem offen ge¬
bliebenen Processus vaginalis.
Geschieht die Bildung eines Ergusses und der Austritt von
Intestina in den Proc. vaginalis gleichzeitig, so kommen die ver¬
schiedenen, lange Zeit falsch gedeuteten Kombinationen von
Hernie und Hydrocele zu Stande, je nach Art und Ausdehnung
der fehlenden Obliteration z. B. eine Hernia inguinalis con¬
genita mit Hydrocele vaginalis communicans oder eine Hydro¬
cele mit eingestülpter Ilernia.
Neben dem geschlossenen Proc. peritonei gilt als Forderung
an ein ausgetragenes normal entwickeltes Kind, dass sich beide
Hoden im Skrotum befinden. Dieser ideale Zustand ist relativ
selten. W r i s b e r g sah unter 93 Kindern nur bei 70 die
Testikel im Hodensack').
Der Hoden war bei den übrigen aus irgend einem Grunde
ganz oder theilweise an seinem Descensus verhindert und zurück-
gehalten worden. Man spricht von einer Retentio testis und je
nach der Lage der Hoden von einer Retentio abdominalis und
inguinalis. Werden beide Testikel am Zutagetreten gehindert,
so heisst man dies Kryptorchismus, die einseitige Retentio testis
Monorchismus.
Der Processus vaginalis ist bei abdomineller Retentio meist
nicht aus dem äusseren Leistenring getreten. Er kann aber auch,
wie es bei Retentio inguinalis fast regelmässig ist, bis in das
Skrotum hinab entwickelt sein.
Neben den gewöhnlich auf gezählten aetiologisehen Momen¬
ten : Missbildungen der Genitalien, abnorme Grösse und Lage des
Nebenhodens, abnorme Beschaffenheit des Mesorchium, peri-
tonitische Adhäsionen, sei W e i l’s Angabe besonders erwähnt,
welcher 'gewisse Fälle von Retentio testis durch ungewöhnliche
Darmbildung, z. B. des Coecuin, zu erklären sucht.
Der Descensus testiculi kann in falscher Richtung erfolgen.
Der Hoden verlässt die normale Bahn und liegt ausserhalb des
Weges, welchen der regelrecht descendirende Testiculus zurück¬
legt. Man bezeichnet diesen Zustand als Ectopia testis. (Leider
hat man in der letzten Zeit auch die Retentio testis mit dem
Namen Ektopic belegt und sich dadurch des Vortheils klarer
Ausdrucksweise begeben.) Die Lagerungsvarietäten werden nach
Kocher [9] durch die Namen Ectopia cruralis, properitonealis,
interstitialis, supra- et intrainguinalis, seroto-femoralis und peri-
nealis gekennzeichnet.
Als aetiologische Momente sind zu erwähnen: Falsche An¬
heftungen des Gubernaculum, eine derbe Aponeurose des M. ob-
liquus externus, Verengerung am Skrotumeingang, und im post-
foetalen Leben: durch ein Bruchband, Traumen oder Reposi¬
tionen erfolgende äussere Einwirkungen.
’) In Sachs’ Tabellen findet man bei 143 Knaben im Alter
von 1—4 Monaten 20 mal Retentio testis angegeben, darunter
11 mal doppelseitige, Gmal rechtsseitige, 2 mal linksseitige Retentio
inguinalis. Einmal bestand rechts eine Retentio abdominalis, links
eine inguinalis.
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31. Dezember 1901.
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
2137
Der früheren Annahme der falschen Anheftung des Guber-
naeulum würde die der Einstülpung einer falschen Bauchwand¬
partie als Gubernaculum oder der Differenzirung eines falschen
Coelominuskelzuges als Lig. genito-inguinale entsprechen.
Die Berechtigung einer solchen Hypothese erscheint zweifel¬
haft. Beobachtet sind die beweisenden Vorgänge noch nicht.
Wie bei normal gelagerten Hoden, so können auch bei reti-
nirten und ektopischen Testikeln verschiedene Hydrocelen- und
Hernienarten auftreten. Da der Processus vaginalis bei diesen
Zuständen meist offen geblieben ist, so entwickeln sich die ent¬
sprechenden Hydrocelen- und Hernienformen.
Die Ilernien stehen zu den retinirten Hoden in einer ge¬
wissen Wechselbeziehung.
Einerseits kann der Bruchinhalt den retinirten Testikel von
dem eingeschlagenen Weg ab zwischen die Bauchwandschichten
treiben und ihm dann folgen. Andererseits kann der retinirto
Iloden den Bruchinhalt aufhalten und ihn hindern, in regel¬
rechter Richtung sich nach abwärts zu bewegen, vielmehr ihn ver¬
anlassen, sich zwischen den Bauchwandschichten auszudehnen.
Schliesslich kann auch primär eine Hodencktopie vorhanden sein
und sich sekundär eine Hernie entwickeln.
Es würde indessen zu weit führen, auf alle Varietäten von
mit einer Lageanomalie des Testikels verbundenen Hernien ein¬
zugehen.
So viel dürften diese kurzen Bemerkungen schon darthun,
dass der Descensus testiculorum von der grössten Bedeutung für
die Entwicklung vieler pathologischer Zustände dieser Region
ist, und dass ein Verständniss derselben nur möglich ist, wenn
man bei der Erklärung immer wieder auf den Descensus testicu¬
lorum zurückgreift.
Literatur.
1. Hugo Sachs: Untersuchungen über den Processus vagi¬
nalis peritonei als priidisponirondes Moment für die äussere
Leistenhernie. Dorpat ISST». — 2. Albertus de Haller: Progr.
hemiarum observatioues aliquot (Joetting. 1749. Elementa-Physlo-
logica. T. VII. 414. — 3. Perclval Pott: Sümmtliche chirurgische
Werke. Berlin 1787. — 4. Peter Camper: Sümmtliche kleinere
Schriften. Deutsch v. Herbell. Leipzig 1785—88. Bd. II. Stück I.
p. 47—78. — 5. John Hunter: Observation» ou tbe State of the
Testis in the foetus and on the Hernia congenita. Observations
of certain parts of the animal oeconomy. London 178(5— 0. C. Weil:
Ueber den Descensus testiculorum nebst Bemerkungen über die
Entwicklung der Scheidenhäute und des Skrotums. Zeitschr. f.
Heilkunde. Bd. 5. 1884. — 7. F. Bramann: Beitrag zur Lehre
von dem Descensus testiculorum und dem Gubernaculum llunteri
des Menschen. Archiv f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1884. Anatom.
Abtheilung. — 8. H. Klaatscli: Ueber den Descensus testicu¬
lorum. Morpliolog. Jahrbuch. Bd. 16. 1890. — 9. Th. Kocher:
Die Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane. Deutsche
Chirurgie. Lieferung 50b. — 10. F. Bramann: Der Processus
vaginalis und sein Verhalten bei Störungen des Descensus testi-
eulorum. Archiv f. kliu. Chir. 40. Bd.
Ueber eine durch Koch-Weeks’sche Bazillen hervor¬
gerufene Epidemie von Schwellungskatarrh.*)
Von Dr. C h. Markus.
M. H.! Durch Vermittlung meines bisherigen Chefs, Herrn
Geh. Rath Schmidt-Rimpler und im Aufträge der Stadt
Bitterfeld bin ich seit dem 24. September an der Beobachtung
und Bekämpfung einer epidemischen Augenentzündung, die in
letztgenannter Stadt bisher fast ausschliesslich unter den Kin¬
dern aufgetreten ist. Um nun den Boden zu kennen, auf dem
diese Epidemie sich ausbreitet oder aus dem sie erwächst, habe
ich mich einmal um die Vorgeschichte, bemüht und dann durch
Untersuchung säinmtlicher Schulkinder, 2363 an der Zahl,
und Eintragung des Befundes in amtlich hergestellte Listen,
eine Grundlage für die sichere Beurtheilung neu hinzukommen¬
der Fälle mir wie jedem etwaigen späteren Beobachter zu schaffen
gesucht. Ich habe nun von dem früheren Kreisphysikus, Herrn
Geh. Rath Altenstaedt erfahren, dass seit etwa 10 Jahren
Trachom, eingesc hleppt von d en Polen, auch unter den Er¬
wachsenen in Bitterfeld vorkäme, - dass "Uber eine akute eiterige
Bindehautentzündung zum ersten Male vom November 1899 bis
Februar 1900, sodann wieder seit dem Mai 1901 bis jetzt epi¬
demisch aufgetreten sei. Es ist nun ganz im Allgemeinen
*) Vortrag, gehalten ltn Verein der Aerzte zu Halle a/S. am
23. Oktober 1901.
von Wichtigkeit, ob an einem Orte, der der Sitz einer epi¬
demischen Augenentzündung wird, Trachom endemisch vor¬
kommt und seit etwa wie langer Zeit.. Mir ist nun kein Fall von
älterem Trachom, etwa im Stadium der Narbenbildung, zu Ge¬
sicht gekommen, noch konnte ich einen einzigen Fall finden,
als ich, vor Allem unter Eltern von Kindern, bei denen ich
Trachom diagnostieiren musste, nach der gleichen Krankheit
suchte. Ferner hat sich bei Durchsicht des Verzeichnisses der
in die k. Augenklinik zu Halle aufgenommenen und klinisch
behandelten Trachomfälle herausgestellt, dass nur 2 Patienten
aus Bitterfeld stammten, im Verlaufe von 8 Jahren, und dies
waren zugereiste polnische Arbeiter, so dass sie also nicht weiter
in Betracht kommen.
Die poliklinischen Bücher nachzusehen, hatte ich allerdings
noch keine Zeit. Doch bis ich mich nicht vom Gegentheil über¬
zeugt habe, und ich werde auch in der nächsten Zeit auf diesen
Punkt achten, muss ich die Ansicht aussprechen, dass Trachom
in Bitterfeld selbst seit einigermaassen langer Zeit endemisch
nicht vorkommt.
Bevor ich nun die Resultate meiner Schuluntersuchungen
mittheile, muss ich erstens betonen, dass ich geringfügige Ver¬
änderungen der Conjunctiva, wie etwa Hyperacraie oder ein
Paar Follikel, überhaupt nicht mitgezählt habe; solche Fälle
wurden unter „gesund“ rubricirt. Zweitens muss ich bemerken,
dass ich als Schüler Schmidt -KimplePs und aus eigener
Ueberzeugung (wenn damit überhaupt ein Unterschied aus¬
gedrückt werden darf) Follikularerkrankungen und Trachom im
ersten Stadium streng auseinanderhalten resp. zu trennen mich
bemühe. Aber gerade wenn man, ich möchte sagen, in liberalster
Weise zu den Follikularerkrankungen zählt, was nur irgend gellt,
so darf man wohl die anders gearteten Fälle um so sicherer als
Trachom im ersten Stadium bezeichnen; nur dieses macht ja
diagnostische Schwierigkeiten, und nur solches habe ich in
Bitterfeld beobachtet. Uebrigens habe ich für zweifelhafte Fälle
die Rubrik „Trachomverdächtig“ offen gelassen.
Ich habe nun am 7. Oktober Folgendes gefunden: In den
3 Volksschulen mit zusammen 1928 Schülern beiderlei Geschlechts
litten 9 I’roc. an reichlicher Follikelentwicklung in normaler oder
annähernd normaler Schleimhaut, was Ich mit F, bezeichnet habe.
3 Proc. an reichlicher Follikelcntwicklung in stärker gerötheter
oder auf gelockerter Schleimhaut ^ F 2 .
6 Proc. an einfachem Bindehautkatarrh ohne Follikel und
ohne oder mit nur ganz geringer Sekretion — O. s.
5 Proc. an Schwellungskatarrh in ganz akutem Stadium mit
reichlicher eitriger Absonderung oder im Stadium der Besserung
mit mässiger Sekretion und geringer Schwellung der IJebergangs-
falten — S.
1,2 Proc. litten an Trachom und ebenso viele (1,2 Proc.) waren
Trachom verdächtig = Tr. resp. Tr. v.
Die Realschule mit 267 Schülern und die sogen, gehobene
Mädchenschule (alias höhere Töchter) mit 168 Schülerinnen er¬
gaben 20 Proc. F„ 3 Proc. F s , 7 Proc. C. s., kein Trachom oder
Tr. v. Ein einziger Schüler hatte Schwellungskatarrh und dieser
passt, das ist bemerkenswerth, seinem ganzen äusseren Habitus
nach entschieden mehr in eine Volks- als ln eine Realschule. Das
Ergebnis» aus den mltgetheilten Zahlen ist, kurz zusamnienge-
fasst, folgendes: 1. In den Schulen Bitterfelds kommen Binde-
hautaffektionen harmloser Art, die der Behandlung grösstentheils
nicht bedürftig sind, mit und ohne Follikel zahlreich vor; doch
entspricht dies nur sonstigen Erfahrungen, wie sie besonders
Schmidt-Rimpler bei seinen zahlreichen Schulunter¬
suchungen gemacht und bekannt gegeben hat. Die von Kindern
aus den social besser gestellten Kreisen besuchten Schulen halten
einen höheren Procentsatz an Follikularaffektionen als die Volks¬
schulen.
2. N u r in den letzten finden sich trachomverdächtige, an
Trachom und an Schwellungskatarrh erkrankte Kinder. Dieser
Satz war richtig bis heute Morgen um 8 Uhr, als mir ein Real¬
schüler mit Schwellungskatarrh zugeführt wurde.
Es ist nun ganz ausgeschlossen, dass etwa die Schulgebäude
selbst für diesen sehr ausgeprägten Unterschied auch nur zum
Theil verantwortlich gemacht werden könnten. Denn die evan¬
gelische Volksschule könnte ihrer Ausstattung nach gerade so gut
ein Gymnasium sein. Ferner zeigt sich mir auch ausserhalb der
Schule der Schwellungskatarrh nur in den gleichen Kreisen, aus
denen sich die Volksschüler rekrutiren. Solcher Kinder unter dem
schulptlichtigen Alter behandele ich zwischen 50 und 60; das
jüngste Ist 2 y 2 Monate alt.
Im Ganzen habe ich bis heute mindestens 150 Fälle von
Sehwellungskatarrh in allen Stadien gesehen. Ich sage min¬
destens, und rührt diese Ungenauigkeit des Ausdrucks daher,
dass, wie ich mich erst im Verlaufe überzeugt habe, der akute
Katarrh ausserordentlich Neigung hat, chronisch zu werden.
Daher würde ich heute einen Theil der mit F,, wohl alle Traelmm-
1 *
e
2138
MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 53.
verdächtige und auch manchen der Trachomfälle anders auf-
fassen und ihnen den Namen „chronischer follikulärer Schwel¬
lungskatarrh“ geben. Auf diese heiklen Beziehungen will ich
aber jetzt noch nicht eingehen, sondern das klinische Bild der
Krankheit nach meinen Erfahrungen von Anfang an beschreiben.
An die Spitze einer derartigen Schilderung möchte ich den
Satz stellen, dass der durch Koch-W eek s’sche Bacillen her¬
vorgerufene Schwellungskatarrh eine schwere Bindehautentzün¬
dung, aber eine leichte Augenkrankheit insoferne ist, als ich
eine Mitbetheiligung der Hornhaut nicht ein einziges Mal be¬
obachtet habe, auch von anderer Seite solche nur ganz ausnahms¬
weise beobachtet worden ist. Das erste Zeichen der Erkrankung,
das ich allerdings nur in wenigen Fällen beobachten konnte, ist
die Absonderung eines ziemlich reichlichen, gclbweissen, fädigen
Sekrets, das sich auf der Schleimhaut beider Lider findet. Im
auffallenden Gegensatz hierzu steht die Blässe der Schleimhaut;
am Oberlid zeigt sich ferner eine Verdickung der offenbar in-
filtrirten, wei-sen Uebergangsfalte. Dieser Theil der Conjunctiva
wird nun von Tag zu Tag succulenter, weicher und blutreicher,
die Sekretion immer reichlicher, so dass man den Eiter sich im
inneren Augenwinkel stets wieder ansammeln sieht. Auch die
ITiterlidschleimhaut verliert ihre blasse Farbe, wird stark in-
jicirt und aufgelockert, doch muss ich es als eine Regel be¬
zeichnen, von der ich keine Ausnahme gesehen habe, dass durch
den ganzen Verlauf der Krankheit die obere Uebergangsfalte
viel stärker betheiligt ist, als die untere. Gewöhnlich bekam ich
die neuen Fälle in folgendem Stadium zu sehen: Beide Lider
massig oedematüs und geröthet, dabei weich, selten zeigte sich
die Lidhaut maeerirt. Bulbus hochgradig injieirt, im Wesent¬
lichen conjunetival, aber auch perieorneale Injektion fehlte
selten; fast stets vorhandene subconjunetivale Blutungen, die
in den ersten Tagen die obere Bulbushälfte bevorzugen; hie und
da sah ich diese Blutungen auch in der unteren Uebergangsfalte.
Sie verschwanden stets in wenigen Tagen. Gelber Eiter im
inneren Augenwinkel, dicke Sekretflocken mit zähen Fäden auf
der Lidschleimhaut. Rahmiger Eiter kam nie vor und ist dieses
bei kleinen Kindern ein wichtiges, ja das einzige kli¬
nische Moment zur Unterscheidung von der eigentlichen
Blennorrhoe.
Chemosis der Conj. bulbi habe ich ebensowenig beobachtet
wie croupöse Membranen. Das ektropionirte Oberlid zeigt ent¬
weder die Uebergangsfalte noch verdickt, die dann leicht Blut
aus vielen kleinen Punkten austreten liess, oder hochgradig,
zuweilen kolossal, gewulstet mit glatter gespannter Schleimhaut
oder den Uebergangstheil in zahlreiche parallele Längsfalten
gelegt, zwischen und auf denen man Follikel theils sehen, theils
nur vermuthen konnte. Diese letzteren Fälle boten häufig das
Bild des „akuten Trachoms“.
Ich glaube, keinen frischen Fall gesehen zu haben, bei dem
nicht zu irgend einer Zeit. Randphlyktänen, gewöhnlich multipel,
aufgetreten wären. Sie gehören zum Krankheits¬
bilde der Bitterfelder Epidemie. Von einer zu¬
fälligen, etwa durch Skropliulose bedingten Komplikation, kann
gar keine Rede sein, zumal die Phlyktänen auch bei allen
5 Erwachsenen, die ich an Schwellungskatarrh erkrankt sah,
aufgetreten waren. Diese Erwachsenen waren sämmtlich Mütter
kranker Kinder und boten ein etwas abweichendes klinisches
Bild. So war die perieorneale Injektion stärker, und sah ich
mich, was bei den Kindern nie vorkam, genöthigt, Atropin ein¬
zuträufeln, worauf die Pupille nur mittelweit wurde. Ferner
blieb 3 mal das andere Auge verschont, was ich bei Kindern nie
beobachtet habe, bei denen das 2. Auge gewöhnlich nach 1 oder 2
und 3 Tagen stets miterkrankte. Im Uebrigen waren die Er¬
wachsenen, soweit ich es heute sagen kann, nach etwa 14 Tagen
ohne weitere Veränderungen geheilt. Das eben geschilderte
akute Auftreten mit stürmischen Erscheinungen ist die Regel,
nur wenige Fälle mit subakutem Charakter sind mir vor-
gekommen, dagegen eine ganze Anzahl, bei denen ich einen von
vornherein chronisc h e n Verlauf annehmen muss. Ich gebe
zu, für eine Behauptung von solcher Tragweite, keine unum-
stössliehen Beweise zu besitzen, insofern, als ich in allen hier¬
hergehörigen Fällen die Angabe der betreffenden Mutter ver¬
werthon muss, dass die Augen niemals geröthet gewesen seien
und auch nicht stark geeitert hätten. Bei den, jedem Laien auf¬
fallenden Erscheinungen des akuten Katarrhs, dürfen diese An¬
gaben jedenfalls nicht leicht als unzuverlässig bezeichnet
werden. Es sei mir gestattet, ein Beispiel anzuführen.
Den 4 jährigen Otto K. sah ich zum ersten Mal am 19. Oktober.
Mutter erklärte auf eindringliches Befragen, dass die Augen nie
roth gewesen seien, nie stark geeitert hätten. Vor 14 Tagen habe
sie zum ersten Mal des Morgens ein wenig Verklebung der Augen
beobachtet.
Die Augen Ixoten nun das Bild des Trachoms mit ziemlich
reichlichem, schleimigem Sekret, indem ich K.-W.-Bacillen, auch
intracelluläre, gefunden habe. Unten und besonders oben massen¬
haft dicke Follikel in stark gerötheter und verdickter Uebergangs¬
falte. Bulbi ganz blass, kein Lldoedem etc. Dieser Juuge hat
Eltern mit gesunden Augen und 4 Geschwister; eine 14 jährige
Schwester, die zwar noch in die Schule geht, aber gleichzeitig in
Stellung Ist und ausserhalb schläft, hat gleichfalls ge¬
sunde Augen. Von den beiden Brüdern, die die Volksschule be¬
suchen, bietet der Eine am rechten Auge ganz das Bild des
Trachoms ohne Sekretion, der Andere ist wegen Schwellungs¬
katarrhs behandelt und am 14. X. mit geringer Auflockening der
olH-ren Uebergangsfalten und wenig Follikeln aus der Behand¬
lung entlassen worden. Eine kleine Schwester, die ich vorher in
den Listen als gesund bezeichnet hatte, ist am 12. X. an akutem
follikulärem Seliwellungskatarrh erkrankt. Von diesem Falle
stammt das eine Präparat, das ich aufgestellt habe.
Vorhin habe ich das Bild des akuten Trachoms gebraucht;
ich muss nun auf die Frage des Vorkommens von Follikeln über¬
haupt dcsshalb näher eingehen, weil allgemein der Koch-
W eek s’sche Bacillenkatarrh als ein „f o 11 i k e 1 f r e i e r“
charakterisirt wird. Wo Follikel trotzdem beobachtet worden
sind, wurden sie als praeexistirend aixgeschen oder für ihr Auf¬
treten von W i 1 b r a n d, S a e n g e r und S t a e 1 i n die gleich¬
zeitig im Sekrete Vorgefundenen gonoeoccenähnlichen Diplo-
coecen verantwortlich gemacht. Da ich etwas Derartiges nie
gefunden habe, so bliebe nur die, auch sicher häufig zutreffende
crstcre Annahme übrig, zumal, wie wir gesehen haben, Follikel
unter den Kindern Bitterfelds sehr zahlreich Vorkommen. Nun
tragen aber meine erwähnten Notizen in den Schülerlisten
Früchte; ich wüsste auch nicht, wie eine derartige Frage anders
entschieden werden könnte. Ich muss nun sagen, dass auch
nach meinen Erfahrungen in der Mehrzahl der frischen Fälle
Follikel fehlen, dass aber andererseits Kinder, die ich als „ge¬
sund“ bezeichnet hatte, und die daher höchstens ein Paar Follikel
gehabt haben können, als sie an K o c h - We e k s’schem Bacillen¬
katarrh erkrankten, das Bild des akuten Trachoms darboten.
Eine Ursache kann ich nicht angeben.
In der Arbeit von W i 1 b r a n d, Saenger und S t a e 1 i n
fällt mir nun besonders Eines auf, und ich möchte nicht ver¬
fehlen, darauf hinzuweisen, das ist der allererste Satz, er lautet:
„Unter vielen Patienten der Augenklinik des Alten allgemeinen
Krankenhauses wurde seit Beginn des Frühjahrs 1893 eine Binde-
hautatfektion beobachtet, die wegen anfänglich aufgetretener
Phlyktänen am Hornhautrande mit Atropin behandelt wurde,
aber nach 8—10 Tagen eine starke Schwellung der Uebergangs¬
falte mit Follikelbildung erkennen liess. Die Uebergangsfalte
der Bindehaut war stark geschwollen und mit Reihen grosser
Follikel besetzt.“ Die Autoren hatten Verdacht, dass es sich um
eine Atropineonjunctivitis handeln könne, was sich aber nicht
bestätigte. Es heisst dann weiter: „Zu diesen Schwellungs¬
katarrhen mit Follikelbildung, die Anfangs nur mit mässig ver¬
mehrter Sekretion einhergegangen waren, trat plötzlich gegen
Mitte Mai eine blennorrhoeartige Affektion hinzu.“ Es wird
dann die eigentliche Epidemie beschrieben. Es -ist sehr zu be¬
dauern. dass wir über die Bakteriologie dieser gewissermaassen
prodromalen Erkrankung nichts wissen. So wenig es auch den
Ansichten der erwähnten Autoren entspricht, so halte ich absolut
nicht für ausgeschlossen, dass K o c h - W e e k s’sche Bacillen
die Erreger dieser subakuten Erkrankung gewesen sind.
M. II.! Mein Aufenthalt an dem Orte der Epidemie ist
noch zu kurz, um über die Dauer der Krankheit und über
eventuelle, die Heilung verzögernde Umstände ein ganz festes
TTrthcil abgeben zu können. Meine Ansicht ist folgende: Die
Mehrzahl der Fälle braucht zur Heilung bei entsprechender
Therapie 3—4 Wochen, eine kleine Minderzahl kann in 8 oder
14 Tagen aus der Behandlung entlassen werden. Ein grosser
Theil geht in ein chronisches Stadium über; meine chronischen
Kranken sind naturgemäss lauter übernommene Fälle. Ist die
Krankheit einmal chronisch geworden, so neigt sie sehr zu Ro-
cidiven, die dann gewöhnlich subakut verlaufen. Gestatten Sie
mir, diese beiden wichtigen Eigenschaften an einem Falle zu
illustriren.
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31. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2139
Die Anna G. ist. wie mir Herr Geheimrath Altenstaedt
freumllichst mittheilte, schon seit dem Mal ln Behandlung, und
stellte einen besonders schweren Fall dar. In meiner Statistik
vom 7. X. habe ich die Diagnose F 2 gestellt, heute würde ich sagen;
„Chronischer Schwellungskatarrh mit einigen Follikeln*'. Der Be¬
fund war folgender: Beiderseits Unterlidschleimhaut massig ge-
rüthet, wenig aufgelockert, so gut wie frei von Follikeln: die oberen
Uebergangsfalten stärker gerötliet als die unteren, ziemlich stark
aufgelockert, mit einigen Follikeln. Nur noch spärlicher Schleim,
in dem ich K.-W.-Bacillen reichlich nachweisen konnte. Sonst
Alles normal. Ich habe nun im Ganzen einmal mit Lapis und im
l'eitrigen mit Bleilösung gepinselt und am 12. X. die Patientin aus
der Behandlung entlassen; mit normaler Unterlidschlehnhaut, die
oberen Uebergangsfalten blass, aber noch etwas aufgelockert, auch
einige Follikel waren noch zu sehen. Sekretion gleich Null. Schon
nach 4 Tagen kam die Patientin mit einem Reeidiv; subakuter
Schwellungskatarrh des rechten Auges, im Sekret K.-W.-Bacillen.
Dabei hat diese Patientin keine Geschwister, so dass eine frische
Infektion nicht anzunehmen ist.
Leider kann ich heute noch keine genaue Zahl für die chro¬
nischen Katarrhe angeben, doch sind es mehrere Dutzend; in
den nächsten Tagen will ich eine Statistik darüber anfertigen.
Gewöhnlich zeigt sich folgendes Bild: Unterlidschleimhaut in
Folge der Bleibehandlung ganz blass und glatt, „auffallend’*
normal, keine Spur von Sekretion, so dass man sehr leicht ver¬
sucht sein könnte, die Oberlider gar nicht anzusehen. Um so
mehr ist man überrascht, bei gründlicher Ektropionirung die
obere Uebergangsfalte stark verdickt, gerötliet, häufig blauroth,
in starke Falten gelegt, event. mit Follikeln besetzt, zu finden.
In den Buchten und Falten des Uebergangstheiles zeigen sich
dann gewöhnlich auch noch graue Schleimflöckchen, in denen
mir der Nachweis der Bacillen öfter gelungen ist. Follikel be¬
günstigen offenbar das Chronischwerden des Processes, doch
gibt es auch Fälle ohne besondere Follikelschwellung, bei denen
dann die Veränderungen sich aus Röthung und Auflockerung
der oberen Uebergangsfalten, sowie geringer schleimiger Sekre¬
tion zusammensetzen.
Bei der Wichtigkeit dieser Seite der Krankheit möchte ich
kurz auf die Literatur eingehen:
Kartulis. der 1887 eine Arbeit über die K.-W.-Bacillen in
Alexandrien veröffentlichte, schreibt: „Es bleibt eine granulöse
Infiltration der Bindehaut zurück .welche späterhin das klinische
Bild des Trachoms bietet“; anderseits: „Eine frühzeitig behandelte
Conjunctivitis führt schnell zur Heilung und endet selten mit
Trachom". Wecks 0887) in Nordamerika sagt: „Der Katarrh
läuft in 3 Dis 8 Wochen ab, kann aber auch länger anhaltcn“. Die
schon genannten Wilbraud. S a e n g e r und S t a e 1 i n (1893),
die eine Epidemie in Hamburg la‘schreiben, bei der sich allerdings
neben unseren Bacillen die gleichfalls schon erwähnten Diplo-
eoeceu fanden, iiussem sich, wie folgt: „Während die mit Fol¬
likeln nicht komplizirten Fälle meist nach 3—4 wöchentlicher Be¬
handlung geheilt worden waren, zeigten sich meist die Fälle mit
Follikelschwellung in hohem Grade hartnäckig“. Ferner: „Bei
einer geringen Anzahl von Fällen entwickelte sich aus dem akuten
Stadium ein wirkliches Trachom, was um so auffallender er¬
scheinen muss, als hier in Hamburg Trachom endemisch nie vor¬
zukommen pflegt und nur an zugereisten Arbeitern zur Beobach¬
tung kommt“. Auch Reehlive kamen in Hamburg vor. Ausser
in der Stadt trat die Krankheit auch in einem Pavillon des Eppen-
dorfer Allg. Krankenhauses auf. Sämmtliche 20 Insassen sind
erkrankt nebst den beiden Wärterinnen. Alle neu hinzu¬
gekommenen Kinder erkrankten ebenfalls wieder. Sie zeigten
dann klinisch meist eine starke Follikelschwellung mit Schwellung
der Uebergangsfalte, Röthung und Oedem der Lidhaut und schlei¬
mig-eitrige Sekretion der Bindeha'ut. Von den beiden Wärterinnen
zeigte die Eine glatte Conjunetiva, bei der Anderen, einer Ilam-
burgerin, entwickelte sich auf beiden Augen ein ausgesprochenes
Trachom“. Im Sekret fanden sich nur K.-W.-Bacillen. aber keine
Diplococceu; doch nehmen die Verf. an, dass auch letztere vor¬
handen gewesen waren und nur in Folge der späten Untersuchung
vermisst worden sind.
In der neuesten Arbeit über den K o c h - W e e k s’schen
Bacillus kommt H offmann (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 33, 1900t
gleichfalls zu dem Schlüsse, dass die acute Entzündung chronisch
werden und dann „sehr erhebliche papilläre Hypertrophien der
Bindehaut hervorrufon kann“. Ich könnte noch weitere Belege für
das Chronisch werden des Processes aus der Literatur beibringen.
Der Schwerpunkt der Bekämpfung der Epidemie liegt meiner
Ansicht nach in der Behandlung des einzelnen Falles, da mit der
möglichst schnellen Beseitigung des Eiters die Quelle der An¬
steckung verstopft wird. Auch darf man hoffen, durch eine ge¬
eignete Therapie, dem Chronischwerden verbeugen zu können.
Ich behandle desshalb die Fälle mit succulenter Schleimhaut und
starker Sekretion mit 2 proc. Lapislösung unter Nachspülen von
Kochsalz; zu Hause kalte Umschläge. Die Phlyktänen bilden
sich, wie auch sonst, auf gelbe Salbe zurück. Die gebesserten
und chronischen Fälle touchire ich meist mit lVz proc. Blei-
No. 53
lösung, die trachomähnlichen Fälle eventuell mit Alaun¬
oder Kupferstift. Bei wirklichen Trachomen habe ich auch die
K n a p p’schc Rollpinzette benutzt. Da die Infektion wohl aus¬
schliesslich durcli Kontakt erfolgt., so wurden natürlich die sich
daraus ergebenden Rathschläge eindringlich ertheilt. Doch ist
cs bis jetzt nicht gelungen, die Epidemie zum Erlöschen zu
bringen; fast täglich kommen 1 oder 2 neue Fälle zur Be¬
obachtung, der 15. Oktober überraschte mich sogar mit 8 frischen
Erkrankungen. Dabei waren die letzten 14 Tage Schulferien.
Ueher die Ausbreitung dc4 Epidemie kann ich mit Bestimmt¬
heit sagen, dass sie familien- resp. häuserweise erfolgt, wie dies
auch in Hamburg der Fall war. Ich konnte mich davon so recht
überzeugen, als ich einmal erkrankte Kinder strasseuweise in
ihren Wohnungen aufsuchte. Das höchste leistete eine Familie
H.; hier war die Mutter mit ihren sämmtlichen 6 Kindern gleich¬
zeitig befallen. Hat demnach die Epidemie entschieden n i c h t.
den Charakter einer Sehulepidemie, so ist doch natürlich auch
dort. Vorsicht geboten; und so werden auf Anordnung des Herrn
Kreisarztes täglich die Thürklinken, Bänke, Tische und Fuss-
böden mit Karbolsäure-Seifenlösung abgewaschen. Anderseits
sehliesse ich aber nur die. frischen, secernirenden Fälle vom
Schulbesuche aus; die anderen in Behandlung stehenden Schul¬
kinder nehmen nur in den Klassen von den Gesunden möglichst
getrennte Sitze ein.
Wie die Epidemie vor 2 Jahren zuerst entstanden ist, darüber
kann man wohl nicht einmal Vermuthungen haben. Dass sie
aber in der ärmeren Bevölkerung begonnen und sich bisher fast
ausschliesslich unter ihr verbreitet hat, ist Thatsaehe. Eines,
Bindehautentzündungen ganz im Allgemeinen begünstigenden
Umstandes, möchte ich noch gedenken; das ist der Mangel an
Pflaster in sehr vielen Strassen Bitterfelds. Bei Wind er¬
hebt sich daher (‘in starker Staub, und war ich bei meinen Sehul-
untersuchungen über die Menge von Schmutz im Bindehaut¬
sacke vieler Kinder doch erstaunt.
Wenn ich nun zu meinen bakteriologischen Resultaten über¬
gehe, so kann ich auf eine Captatio benevolent iae leider nicht
verzichten und muss darauf hinweisen, dass ich in der ersten
Zeit neben den Schuluntersuchungon gegen 300 Fälle täglich zu
behandeln hatte und dazu noch durch die Eisenbahnfahrt nach
Halle stets viel Zeit verloren habe. Auf der anderen Seite
drängt es mich aber, Herrn Prof. F raenkel für die freund¬
liche Aufnahme in seinem Institute und Herrn Löh lein für
sein grosses Entgegenkommen auch hier meinen herzlichsten
Dank zu sagen. Von vorneherein kamen als Erreger der Epi¬
demie eigentlich nur Pneumncoeeen und K o e h - W e c k s’sche
Bacillen in Betracht. Wenn ich nun die letzteren für unsere
Epidemie in Anspruch nehme, so geschieht es auf Grund folgen¬
der Befunde. Ich habe das Bindehaut sekret von über 60 Fällen
in Ausstrichpräparaten untersucht und in allen frischen und fast
allen chronischen Fällen K.-W.-Bacillen gefunden, und zwar ge¬
wöhnlich in Reinkultur, nur hie und da fand sich einmal ein
Coccus oder ein Xerosestäbchen. Von der Massenhaftigkcit, mit
der die Bacillen auftreten können, sowie ihrem Aussehen bitte
ich Sie, sieh durch Betrachtung der aufgestellten Präparate zu
überzeugen. Es handelt sich um sehr kleine und besonders sehr
dünne, den Intluenzabacillen ähnliche Stäbchen, die sowohl intra-
als extracellulär liegen; auf das erstere Verhalten ist aber das
Hauptgewicht zu legen. Ihre Länge kann übrigens etwas wech-
sein. Gewöhnlich liegen sie in Haufen, selten in kurzen Ketten.
Zu ihrer Färbung empfiehlt sich besonders verdünntes Karbol-
fuehsin; sic werden aber im Allgemeinen weniger stark gefärbt,
als zufällig gleichzeitig anwesende Coccen und Bacillen anderer
Art. Nach Gram werden sie entfärbt, und gelingt eine Nach¬
färbung, etwa mit Safranin nur sehr unvollkommen. Ganz im
Anfang der Erkrankung finden sich die Bacillen nur relativ
spärlich im Sekret, ihre Zahl wächst dann ausserordentlich in den
nächsten Tagen. Auch in alten chronischen Fällen fand ich sie
gelegentlich noch massenhaft; dass man sie auch nach 5 bis
6 Monate langem Verlaufe noch reichlich im Sekrete antrifft,
davon habe, ich vorhin ein Beispiel angeführt. Nur bei einer
Frau überwogen einmal Xerosebacillcn die Koeh-Weeks’-
selxen und im Bindehautsekrete ihres 5 Monate alten Kindes fand
ich neben den K.-W.-Bacillen zahlreiche Pneumococcen. Von
besonderem Interesse dürfte sein, dass bei 11 untersuchten Tra-
chomfällen 6 mal K.-W.-Bacillen sich im Sekrete nachweisen
Hessen, in 2 Fällen mit gleichzeitiger Blepharitis angularis fand
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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT.
No. 53.
2140
ich Diplobacillen, 1 mal Xerosebaeillen und Staphylococcon und
2 mal überhaupt keine Bakterien. Zur Ergänzung des Deckglas¬
befundes habe ich mich bemüht, Reinkulturen zu erhalten. Nun
ist zu bemerken, dass die Bacillen nach übereinstimmendem
Urtheil sehr schwer zu züchten sind, einmal, da sie besondere
Ansprüche an den Nährboden stellen, dann weil die Kulturen
nicht sehr dauerhaft sind, und schliesslich sind sie von gleich¬
zeitig wachsenden saprophytischen Mikroorganismen nur schwer
zu trennen. Ich habe mich auch von der Schwierigkeit des
Wachsthums überzeugt, und liegt hierin schon ein halber Beweis,
dass ich es wirklich mit K.-W.-Bacillen zu thun habe. So ist auf
Blutserum-Röhrchen nichts oder nur Staphylococcen gewachsen.
Dagegen habe ich durch Aufträgen von dicken Eiterflocken auf
mit menschlichem Blut bestrichenen Agarröhrchen Kulturen er¬
halten. Ich nahm den Eiter von der Schleimhaut des ektropio-
nirten Oberlids und vermied dabei die Berührung von Cilien
oder Lidhaut. Zweimal habe ich auf diese Weise primäre
Reinkulturen erhalten, die ich mir erlaube. Ihnen hier zu
zeigen. Von dem einen Röhrchen rührt auch das, die Bacillen
in Reinkultur zeigende, aufgestellte Präparat her. Die Kolonien
hüben sich nach 24 Stunden in der Umgebung der Eiterflocken
entwickelt; sic setzen sich aus glasigen Punkten zusammen und
sind in Folge ihrer transparenten Beschaffenheit etwas schwer zu
sehen. Weiterzüchtung ist mir bisher noch nicht geglückt, doch
habe ich mich, aus Mangel an Zeit, auch erst wenig mit diesem
Theile der Untersuchung beschäftigt.
Auf die bakteriologische Literatur möchte ich nicht näher
eingehen; nur zur Erklärung des Namens sei bemerkt, dass
Robert Koch die Bacillen 1883 zuerst in Aegypten in Aus¬
strichpräparaten gesehen, Wecks in Nordamerika 1886 die
ersten Kulturen beschrieben hat. Die einzige grosse Epi¬
demie in Deutschland ist von Wilbrand, Saenger
und Staelin in Hamburg beschrieben worden. Auf das
sonstige V o r k o in in e n der Bacillen will ich nicht zu sprechen
kommen, nur kurz erwähnen, dass ich hier in Halle als Assistent
die Bacillen öfters in Ausstrichpräparaten gefunden habe.
Differentialdiagnostisch kommt eigentlich nur ein von
Müller in Aegypten gefundenes, gleichfalls dem Influenza¬
bacillus sehr ähnliches Stäbchen in Betracht, das Müller ge¬
neigt ist, als den Erreger des Trachoms aufzufassen. Dieser
M ü 11 e rische Bacillus unterscheidet sich aber nur in sehr sub¬
tiler Weise, besonders durch sein kulturelles Verhalten, von
dem Koch-Week s’schen.
Zum Schluss möchte ich noch einmal kurz auf die wich¬
tigste Seite der Epidemie hinweisen, und das sind die Be¬
ziehungen zwischen Schwellungskatarrh und Trachom, die sich
in Bitterfeld herausgestellt haben. Ich glaube, dass dieser Ort
als eine neue und junge Domaine des Trachoms, dessen Fort-
schreiten von Osten nach Westen öfter betont worden ist, an¬
gesehen werden kann; und da ist denn das zeitliche Zusammen¬
treffen mit dem epidemischen Schwellungskatarrh doch be-
merkenswerth. Ich habe sehr wohl die beiden Möglichkeiten im
Auge, dass es sich um eine superponirte, Infektion (der Ausdruck
stammt nicht von mir) handeln könnte, sei es, dass Trachom
oder Schwellungskatarrh das Primäre gewesen ist, das letztere
würde ich für das Wahrscheinlichere halten. Oder es könnte,
um wieder einen kurzen und gelehrten Ausdruck zu gebrauchen,
eine simultane Infektion vorliegen. Wie dem auch sei, in
praxi verdient die Epidemie ernste Beachtung, und ich glaube,
dass über längere Zeit fortgesetzte Beobachtungen in der an¬
gedeuteten Richtung uns auch in der Erkenutniss des Wesens
des Trachoms einen Schritt weiter bringen könnten.
Ueber einen Fall von Prolaps der Urethra bei einem
fünfjährigen Mädchen.
Von Dr. Beute, prakt. Arzt in Sulingen, Pr. Hannover.
Herr Prof. Glaevcckc in Kiel hat in No. 22 der Münch,
med. Wocheiischr. vom 28. Mai l!»()l über einen Fall von Prolaps
der Urethra beim weiblichen Geschlecht berichtet, die Seltenheit
dieses Leiden* mich den literarischen Aufzeichnungen dargelegt
und betont, da-s jeder solcher Fall von Interesse zur Veröffent¬
lichung sei. Ich möchte cs des-halb nicht versäumen, einen
i bcii-«- leben Fall, den ich nicht lange nachher zu beobachten
Gelegenheit hatte, mitzutlieileii, zumal ja eigentlich jeder Fall
Besonderheiten bietet und dieser in aetiologischer Beziehung zu
den Ausnahmen gestellt werden müsste, da er sich den Fällen
von Graefe, Benecke und Simon anreiht.
Ich lasse in Kürze die Krankengeschichte folgen:
Am 20. VI. li)01 wurde Ich zu der 5»/« jährigen Minna V. von
hier gerufen, weil dieselbe nach Angabe der Mutter seit etwa
2 Tagen Blutungen habe, ähnlich wie Frauen bei der Menstruation;
eine Tbatsacbe, welche die Mutter nicht fassen konnte, die sie'dess-
halb in Staunen und Schrecken setzte.
Die betreffende kleine Patientin, ein kräftig entwickeltes,
sonst völlig gesundes Mädchen von angeblich ca. 50 Pfund Gewicht,
soll vorher nie krank gewesen sein, auch die Eltern sind angeblich
stets gesund gewesen.
Die Pat. liegt zu Bett, hat sich aber bis dahiu frei bewegt
und keinerlei Beschwerden gehabt, ausser der Blutung. Allerdings
gibt die Pat. jetzt an, dass sie etwas Schmerzen in der Scheide
habe. Weitere amuuuestisch wichtige Thatsacheu werden nicht
angegeben.
Status praesens: Nachdem ich iin Hemd einige Blut¬
flecken koustatirt hatte, welche dem Anliegen desselben in der
Schamgegend entsprachen, untersuchte ich die Kranke in Steiss-
rückeuiage bei auseinandergebaltoueu Schamlippen. Sofort fiel
nun ein intensiv dunkelrotli verfärbter, feuchtschimmernder rund¬
licher Tumor in die Augen, welcher etwa taubeneigross war und
nach vorn gegen die Klitoris, nach hinten gegen das Hymen semi¬
lunare begrenzt, Iwiderseits einen freien Spalt nach vorn und hinten
liess. Auf Druck ist derselbe nur massig empfindlich, blutete leicht,
war aber nicht exkoriirt Die linke Hälfte des Tumors ist etwas
stärker entwickelt als die rechte; etwa in der Mitte desselben be¬
findet sich eine mehr längliche als runde eben sichtbare Einziehung,
welche ich als das Orificimn externum urethrac ansprach und
daher zum Katheter griff, um diese Annahme zu sichern. Der
Katheter liess sicli nun auch, wie ich erwartet hatte, glatt durch
die Einziehung einführen und der sofort abfliesseude klare Urin
zeigte mir, dass ich die Harnröhre passlrt hatte. Nachdem die
Reposition des Tumors gelungen war. wenn auch nicht ganz so
leicht, als ich erwartet hatte, zumal das Kind recht kräftig schrie
und ln der Vagina nichts Abnormes mehr zu entdecken war. konnte
die Diagnose auf Prolaps der Urethralsohlelmhaut — und zwar
handelte es sich um einen totalen — als gesichert betrachtet
werden, wie sie denn später auch von dem Spezialisten, an den
das Kiiul zwecks Openition verwiesen wurde, bestätigt worden
ist. Der Prolaps kam sofort wieder zum Vorschein, wenn nach
der Reposition der angewandte Gegendruck aufgehoben wurde.
Endlich mag nicht unerwähnt bleiben, dass Schmerzen beim Urin-
lassen nicht bestanden und der Urin gut gehalten werden konnte.
In Bezug auf die Frage der Aetlologie dieses Falles ist zu¬
nächst ja die interessanteste Tliatsacho die. dass es sieb in diesem
Fall um ein kräftig entwickeltes, sonst völlig gesundes Mädchen
handelte, so dass man den allgemeinen Annahmen geinäss, dass
schwächliche und körperlich heruntergekommene Kinder oder
senile dekrepidc Frauen besonders disponirt sind, diesen Fall zu
den Ausnahmen rechnen muss.
Obgleich nun von den Eltern Anfangs angegeben wurde, dass
das Leiden „von selbst“ gekommen sei. Hessen sich doch auf
genaue Nachforschung hin zwei Momente finden, die man sicher¬
lich als Gelegenheit.sursachcn für die Entstehung in Anspruch
nehmen kann und muss. Das erste Moment wird man in einem
heftigen Hustenreiz erblicken, welcher mir am 2. Tage auffiel, so
heftig, dass ich mich schon im Hinblick auf die eingeschlagene
Therapie genöthlgt. sah. ihn zu bekämpfen. Dieser Hustenreiz sollte
bereits seit einigen Tagen, allerdings nicht ln der Heftigkeit be¬
stehen, war mir am ersten Tag freilich nicht aufgefallen. Wich¬
tiger erscheint mir die Angabe der Eltern, dass das Kind stets
auffallend lange Zeit zur Stuhlentleerung gebraucht habe, also
sicher eine bestehende chronische Obstipation anzunehmen ist, so
dass also die starke Anstrengung der Bauchpresse als förderndes
Moment bei der Entstehung des Prolapses eine Hauptrolle spielen
würde. Eine noch verstärkte Aktion wurde in letzter Zell durch
die heftigen Hustenanfälle herbeigeführt. Ob nun lieide Momente
zusammen die bereits vorhandene Anlage so gefördert haben, dass
die erwähnten Erscheinungen plötzlich auftraten? Es isc wohl als
sicher anzunehmen, dass es sich um ein chronisch entstandenes
Leiden handelte, und man könnte hierfür in der Thntsache, dass
akut entstandene Prolapse meistens ohne Operation ausheilen, was
hier nicht der Fall war. einen weiteren Beweis erblicken, wenn
man will. Alles in Allem nicht uninteressante Erscheinungen,
da bei der kräftigen Körperkonstitution an und für sich eine Er¬
schlaffung der Gewebe nicht angenommen werden kann, diese
aber doch durch die lange,vorhandene chronische Obstipation (an
der das Kind eigentlich stets gelitten haben soll) au der in Frage
kommenden Stelle bewirkt zu sein scheint.
Die Therapie bestand in Actzungen mit dem Argentumstift,
nachfolgender Reposition und Einlegen eines für das Lumen der
Urethra passenden Gmumidrains, das in geeigneter Weise gut
zurück gehalten wurde. Trotzdem war diese Therapie erfolglos,
wie ich denn gleich Anfangs den Eltern die Openition als das
wahrscheinlich allein Wirksame in Aussicht gestellt batte, die aber
Anfangs verweigert wurde. Sie wurde später vom Frauenarzt
Herrn Dr. Z. in B. ausgeführt und zwar nach dessen liebens¬
würdigen Mittheilungon in folgender Weise: Es wurde zunächst
die Harnröhre bis zum ursprünglichen Orificiuiu externum urethrac
gespalten, also bis zum äusseren Saum der TJrethralschlehnhaut,
dann an der richtigen Stelle die von ihrer Unterlage abgehobene
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Schleimhaut circular excldirt, sodann in dieser Höhe der ganze
Prolaps abgetragen, nun endlich der Saum des noch übrig ge¬
bliebenen kleinen Stückes der Harnröhre mit der äusseren Haut
vernäht, also ungefähr mit dem ursprünglichen Orificium uretlirae
externum.
Der Erfolg war glatte Heilung, und das Kind nunmehr völlig
von seinen Beschwerden befreit.
Aus der kgl. sächsischen Heil- und Püegeanstalt für Frauen
zu Hubertusburg.
Zwei Fälle von Urticaria, hervorgerufen durch die
Vogelmilbe (Dermanyssus avium).
Von Dr. W. He in icke, Hilfsarzt.
Es dürften bis jetzt in der Literatur nur wenig Fälle be¬
kannt sein, wo die bei den verschiedensten Vögeln vorkommende
Yogchnilbe als Schmarotzer des Menschen und Erreger eines
typischen Nessel frieseis geschildert wurden, und doch kann diese
Kenntniss sicher in manchen Fällen von Urticaria, deren Hei¬
lung sonst viel Schwierigkeiten machen würde, recht nützlich
sein, ja die 2 Fälle, die ich weiter unten beschreiben will, er¬
mahnen, möchte ich fast sagen, dazu, bei Erkrankung an Urti¬
caria, hauptsächlich wenn sie z. B. in einer Familie bei mehreren
Mitgliedern derselben auftritt und keine der bekannten Ent¬
steh ungsursachen in Betracht kommt, darnach zu fahnden, ob
nicht im Hause ein Kanarienvogel, Kreuzschnabel, Papagei u. s. f.
gehalten wird, oder ob nicht ein Schwalbenpaar in demselben
nistet, Vögel, die oft von der Vogelmilbe heimgesucht werden.
Ich komme jetzt auf die 2 Fälle zu sprechen, die ich an 2 Pa¬
tientinnen der Heil- und Püegeanstalt Hubertusburg beobachten
konnte.
Eines Morgens wurde mir mitgetlieilt, dass 2 Damen, die ver¬
schiedene in demselben Parterre gelegene Zimmer eines Einzel¬
hauses der Anstalt bewohnten, Uber Nacht plötzlich von einem
heftig juckenden Ausschlag befallen worden seien.
Die Untersuchung ergab eiue weit Uber den Körper ausge-
breitete Urticaria bullosa, tbeihveise auch die Form der Urticaria
liaemorrhagiea. Die Kranken waren fieberfrei. Eiue Ursuche Hess
sieli jedoch trotz genauester Exploration nicht finden; es wurde
in Folge dessen nur symptomatisch vorgegangen und der lästige
Juckreiz durch Waschungen mit 1 proc. Karbolsäurelösung bedeu¬
tend gemildert. Tags iilK*r befanden sich nun die beiden Kranken
fast ganz wolii. einiges Grimmen der über Nacht entstandenen
Eruptionen abgerechnet, um aber Nachts von Neuem durch einen
verstärkten Nachschub der Urticaria auf's Stärkste belästigt zu
werden. Dieser Umstand erregte wenig Aufsehen, da ja der Nessel-
friesel meist in der Bett wärme sich verschlimmert; um so mehr
fiel es aber im Verlauf des nächsten Tages auf, dass die eine der
Patientinnen, die zufälliger Weise in Folge einer ihr öfters Be¬
schwerden machenden Nierenaffektion auch tagsüber das Bett
nicht verliess. trotzdem wenig von dem Friesei behelligt wurde,
wo doch dieselben Wärmebedingungen wie Nachts gegeben waren.
Zur nämlichen Zeit gab die andere Dame an, dass sie zwischen
dem Nachts aufgetretenen heftigen Jucken oft sehr intensive Stiche
gefühlt habe, wie Mückenstiche; dann sei es ihr gewesen, als liefe
etwas über den Körper hin, um an einer anderen Stelle wieder zu
stechen; sie habe daraufhin Nachts nachgesehen und auf der Haut
ein ganz winziges, sich schnell bewegendes Thierclien von grauer
Farbe gesehen, Angaben, die in derselben Weise jetzt auch von
der anderen Kranken bestätigt wurden. Es wurde nun der ganze
Körper nach den bezoichncten Thierehen durchsucht, jedocli ganz
erfolglos: dagegen fand man in den Falteu der Wäsche solche in
ziemlicher Anzahl und die mikroskopische Untersuchung ergab,
dass wir es mit der ganz gewöhnlichen Yogelmilbe zu tlnm hatten.
Im Innern dos licibes sali man gehäufte rothe menschliche Blut-
körpcn heii. Setzte man eine solche Milbe auf die Haut, so lief
sie ziemlich schnell ein Stück vor, stach ein, saugte sich voll,
lief weiter und stach wieder, oder kehlte nach der ersten Stieli-
stelle zurück.
Woher kamen mm die Millien? Die Lösung war sehr
einfach, von einem ganz in der Nähe der beiden Zimmer sieh be¬
findenden Schwalbennest, das lliigge Junge beherbergte, die Uber
und über mit der Yogelmilbe liesüt waren.
Aus dem Leben dieser Schmarotzer erklärt o$ sich nun sehr
leicht, dass die Patientinnen fast nur zur Nachtzeit von ihnen
gepeinigt wurden; genau, wie die Wanzen, verkriechen sich
diese Milben am Tage in Schlupfwinkel — in unserem Falle
werden das Thürr