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Full text of "Muenchener Medizinische Wochenschrift 48 ( 1901), 2. Halbjahr"

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MÜNCHENER 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 



CH. BAUMLEH, 0.B0LLIN6ER. H. CURSCHMANN, C. GERHARDT, G, MERKEL, UMICHEL, H.f. RANKE, F. 1. WINCKEL, H.». ZIEMSSEN 

Freibnrg i. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin.. München. München. München 


REDIGIRT 


HOFRATH D* BERNHARD SPATZ 

PRAKT. ARZT. 


XL VIII. JAHRGANG. 

II. Hälfte (Juli—Dezember). 


MÜNCHEN 

' VERLAG VON J. F. LEHMANN 
1901. 


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tlo Manch. Mad. Wochenichr. ewohotnt wöcheatl. 
ln Nummern von durch*chulttlloh 6—6 Bogen. 
Preis ln Deutschi. u. Oeet.-Uug&rn vlertelj&hrl. 6 Ji, 
Ins Ausland 7.60 JL Einseine No. 80 4- 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind su adreeslren i Mr die Bedootion 
Ottostrasee 1. — Für Abonnement an, J. P. Loh- 
m a nn , Heustrasse 20. — Für Icserkfe urd'Beilagen 
an Bndolt Mosse, Promeiladej>li.ted6^' . 



Cb. Biumler, 

Freiburg I. B. 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Herausgegeben von 

0. Bolllnger, H. Curschmann, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, H. i. Ranke, F. v. Wlnckel, 

München Lelpslg. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. 


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H.!. Zlsnsseo, 

München. 


No. 27. 2. Juli 1901. 


Redaction: Dr. B. Spats, Ottos trame 1. 
Verlag: J. P. Lehmann, Heostrasse 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der chirurgischen Abtheilung des Allgemeinen Kranken¬ 
hauses Hamburg-Eppendorf (Oberarzt Dr. K ü m m e 11). 

Ein Fall von schwerer Zertrümmerung des Thorax 
mit Ausgang in Heilung. 

Von Dr. Heineke, früherem Volontärarzt. 

Der 39 jährige Quaiarbeiter H. verunglückte am 14. XI. 1900 
auf folgende Weise: Er war damit beschäftigt, Heringsfässer 
mittels eines Handkarrens vom Qual über eine Rampe in einen 
Eisenbahnwaggon zu befördern. Im Waggon angekommen, und 
im BegrifT, den Karren mit dem Fasse bei Seite zu schwenken, 
glitt er aus und fiel rückwärts aus der Thüre des Wagens hinaus 
auf die Quaimauer, so dass er auf den Rücken zu liegen kam. 
Das Fass, das ein Gewicht von ca. 180 Pfund hatte, rollte nach 
und fiel dem Manne auf die linke Brustseite. H. soll darauf kurze 
Zeit bewusstlos gewesen sein. 

Bel der Aufnahme im Krankenhaus, iy a Stunden nach dem 
Unfall, war der Patient, dessen Gesichtszüge den Ausdruck der 
grössten Angst trugen, hei vollem Bewusstsein. Er lag stöhnend 
und mühsam nach Luft ringend auf dem Rücken. Die Athmung 
angestrengt, beschleunigt, oft abgesetzt, jede Inspiration von unter¬ 
drückten Schmerzäusseruugen begleitet; Sprechen nur in abge¬ 
rissenen Lauten möglich. Das Gesicht von kaltem Schweiss be¬ 
deckt, leicht cyauotlsch, ohne Verletzungen und Sugillationen. 
ln der r. Fossa snpraclavicularis grosser subkutaner Bluterguss; die 
r. Clavieula zwischen mittlerem und üusserem Drittel gebrochen; 
typische Verschiebung der Bruchstücke. Am Thorax sonst keine 
Verletzungen sichtbar. In beiden Seiten des Thorax fühlt die auf¬ 
gelegte Hand lautes Knarren und Krachen, auch sind diese Ge¬ 
räusche bisweilen auf kurze Distanz hörbar; bei der Auscultatiou 
verdecken sie vollkommen das Athmungsgeräusch. Im Pleuru- 
raum keine Luft und kein Erguss nachweisbar. Kein Husten, 
keine Lxpectoration. Herz ohne Befund, Puls klein, kaum fühl¬ 
bar, aussetzend. Sonst keine Verletzungen. 

Diagnose: Fraktur zahlreicher Rippen und der r. Clavieula. 

. bächsten Morgen hatte sich der Patient aus dem Collaps 
lemiieh erholt und befand sich auch den Tag über, von den 
fecümmen bei der Respiration abgesehen, verhältnissmüssig wohl, 
v, laera P"; musste sich auf bequeme Lagerung, Excitautlen und 
Morphium beschränken. Es bestand leichter Hustenreiz, aber 
“ x P ectoratl °b. Am Abend des zweiten Tages Fieber (39,2) 
hinti.. 1 Schmerzen in der 1. Brustseite, dabei wurde etwas 
nnnp i!, 2 )te F Schlelm ausgehustet. In der Nacht starke Dys- 
. ten und rostfarbenes Sputum. Die zur Schonung 
£2* eln Mibüestmaass beschränkte Untersuchung 
“ äch8t ® n Morgen, dem 3. Tage, intensive Dämpfung 
d lautes Bronchlalathmen über dem ganzen 1. Unterlappen. 

des PatieQ ten war in diesen Tagen im höchsten 
SLÄ ernS «m^M^ 8tändiger Hustenreiz und reichliche 
rHV ten ihn in entsetzlicher Weise; Jeder Husten- 
b S ww5? m Ä Wa ^ von heft igen Stichen in beiden Thorax¬ 
mildern suchte « er durch Aufpressen der Hände zu 

wetee sehr 3 ‘ ? n< ! 4 ‘ Tage wurdc di e Herzthätigkeit zelt- 

»o dass der ü? t I aten lelcbte Abstinenzerscheinungen auf, 

vLk £ U8tand hoffnungslos erschien. 

die Temneratnr^mih wurde das Befinden indessen wieder besser, 
lvtisch^r^lil TCKif? I e ,! ne Cont,nua zwischen 38 und 39 u , fiel 
er schon am 7 tw i h0beU 8ic 5’ PaUent wurde ruhiger, so dass 
Die Infiltration dm?*! . au f 8or Gefahr betrachtet werden konnte, 
kationen in Lösiimr .J - H° terla P p ens ging dann rasch ohne Kompli- 
später vollkommen normal % Lungenbefund berelt8 10 Tage 

Erwa D rlen B XX g ^ 8 o. 8 , Ub i eCtl ^ n Beöndens ^n e dem sich wider 
parallel die Bewf™ lteD< !f n ob J ectlven Befunde natürlich nicht 
durch starke sSHS?** 11 deB Thorax waren booh wochenlang 

erschwert; elue intensive di l 
Oft grosse Quälen d ® r p beumonie einsetzte, bereitete 

No *7 Leldcr konnte dI e Therapie auch nur sehr 

48306 


wenig leisten, da Versuche, dem Thorax durch Heftpflasterver¬ 
bände etwas Halt zu geben, am Widerstande des Patienten schei¬ 
terten. 

Der weitere Verlauf bot wenig Bemerkenswerthes; Patient 
konnte am 24. Tage aufstehen und fing bald darauf an, Athmungs- 
übungen zu machen. 

Die am 27. Krankheitstage aufgenommene Röntgenplatte 
zeigte nun zu unserer Ueberraschung, dass der Patient nicht 
weniger als 29 Rippenbrüche erlitten hatte. Die Frak¬ 
turen, die säramtlich auf der Platte deutlich zu erkennen waren, 
vertheilten sich folgendermaassen: 

Die linke Seite, also diejenige Seite, auf der die Gewalt 
eingewirkt hatte, zeigte die stärkeren Veränderungen, nämlich 
zunächst Frakturen der 3.—11. Rippe in der Scapularlinie, mit 
glattem, senkrechtem Verlaufe der Bruchlinien; sowohl an der 
3., wie an der 9.—11. Rippe war keine erhebliche Dislocation 
der Bruchstücke vorhanden, während an der 4.—8. Rippe die 
stemalen Bruchenden in dem nächst höher gelegenen Intercostal- 
raum hineingekeilt und dort ca. 3 cm gegen die Wirbelsäule zu 
sich verschoben zeigten. Ausserdem war die 6., 6. und 7. Rippe 
nochmals in der hinteren Axillarlinie gebrochen, ohne stärkere 
Verschiebung. 

Auf der rechten Seite fanden sich Brüche der 3.—11. Rippe 
dicht am Querfortsatz, zum Theil mit ziemlich starker Split¬ 
terung, endlich noch Frakturen der 3.—10. Rippe in der hinteren 
Axillarlinie, die letzteren ohne erhebliche Dislocation. 

Die Reconvalescenz verlief ohne weitere Störung. Zur Zeit, 
d. h. öy 2 Monate nach der Verletzung, ist folgender Befund zu 
erheben: Ernährungszustand, Allgemeinbefinden befriedigend. 
Die Klagen des Patienten sind noch ziemlich lebhaft und beziehen 
sich auf Stechen in der linken Thoraxseite bei tiefer Inspiration 
und beim Husten. Bei Betrachtung des Thorax fällt vorne eine 
leichte Abflachung der oberen Brusthälfte auf; hinten rechts, 
handbreit von der Mittellinie, ein Rippenbuckel, der ln der ganzen 
Länge des Thorax deutlich ausgeprägt ist. In der hinteren 
Axillarlinie beiderseits, den Frakturstellen entsprechend, leichte 
Callusringe fühlbar. Links hinten, an Stelle der stark dislocirten 
Frakturen der 4.—8. Rippe, sind die Intercostalräume durch 
Callusmassen ausgefüllt, aber der starken Musculatur wegen nicht 
genau abzutasten. Bel der Athmung hebt sich der Thorax aus¬ 
giebig und ziemlich gleichmüssig. Ueber den Lungen ausser ein¬ 
zelnen trockenen Rasselgeräuschen nichts Besonderes nachweis¬ 
bar; die Lungenränder sämmtlich frei verschieblich. Der Herz¬ 
befund völlig normal. Der Bruch der r. Clavieula mit starker 
Di8loeation, aber ohne Funktionsstörung geheilt 

Eine neue Röntgenaufnahme zeigt fast sämmtliche Frak¬ 
turen mit reichlichem Callus umgeben, nur an den, wie schon er¬ 
wähnt, stark dislocirten Brüchen der 4., 5. und 6. Rippe ln der 
Scapularlinie ist kein Callus sichtbar. 

Der Fall bietet manches Bemerkenswerthe. Es erscheint 
eigentlich kaum glaublich, dass bei einer derartig schweren Zer¬ 
trümmerung des Thorax die Brusteingeweide so wenig, bezw. gar 
nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden. 

Es handelte sich hier um einen durchaus gesunden Mann 
in den besten Jahren, bei dem von einem Altersschwund der 
Knochen keine Rede sein konnte, bei dem auch dioAnamnose nicht 
den geringsten Anhalt für das Bestehen einer abnormen Knochen¬ 
brüchigkeit ergab. Bei einem normalen Brustkorb, mit dem wir 
es also allem Anschein nach zu thun hatten, ist ein Brechen der 
Rippen in solcher Ausdehnung ohne hochgradige, wenigstens 
momentane Einengung des intrathoracalen Raumes gar nicht 
denkbar und dennoch fehlten alle Symptome einer Verletzung 
der Brustorgane. 

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1084 MUENCHENF.R MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27. 


•• Wdu*'Ä'äi‘'es allerdings nicht erlaubt, aus dem Fehlen von 
; SjjrpfitoKion <)tp}e* Weiteres auf das Fehlen von inneren Verletz- 
I ÄÜgeii scWrtiö'wn. Nur gröbere Laesionen des Herzens und 
der grossen Gefässe waren mit Sicherheit von der Hand zu 
weisen, da solche entweder mit dem Fortbestand des Lebens nicht 
vereinbar gewesen wären oder doch (wie z. B. die Zerreissungen 
der Klappen), wenn nicht sofort., so doch im Verlaufe der seither 
verflossenen 5 Monate Erscheinungen gemacht hätten. Die lange 
Beobachtungsdauer gestattet una jetzt auch, mit ziemlicher Be- 
stiinmheit solche Beschädigungen des Herzens auszuschliessen, 
die zur Entwicklung einer Myodegeneratio cordis Anlass geben 
können, Veränderungen, die allerdings ihrem Wesen nach noch 
grösstentheils unbekannt sind. 

Anders stand es mit der sicheren Diagnose einer Lungen - 
Verletzung. Wie zahlreiche Sektionsbefunde gelehrt haben, 
brauchen selbst ausgedehnte Zerreissungen und Blutungen in’s 
Lungenparenchym hinein nicht unbedingt klinische Erschein¬ 
ungen zu machen; die letzteren fehlen nur dann nicht, wenn die 
Pleura pulmonalia oder die Schleimhaut grösserer Bronchien an 
der Verletzung betheiligt ist. Musste nun aus diesem Grunde 
einerseits die Möglichkeit einer Lungenverletzung durchaus offen 
bleiben, so war es auch wiederum andererseits nicht erlaubt, aus 
dem Auftreten der croupösen Pneumonie, die am 2. Krankheits¬ 
tage einsetzte, auf eine Continuitätstrennung der Lunge zu 
schliessen. 

Nach Stern 1 ) scheiden sich die nach Trauma auftretenden 
lobären l’neumonien — und nur von lobären Pneumonien ist hier 
die Rede — in 2 Gruppen, nämlich erstens in „typische“ croupö e 
Pneumonien, d. h. solche, die sich in keiner Weise von nicht trau¬ 
matischen croupösen Pneumonien unterscheiden lassen und 
zweitens in „atypische“ Lungenverdichtungen, die zum Theile 
oder auch ganz auf haemorrhagischer Infarcirung des Lungen¬ 
gewebes beruhen, also die Folge von Continuitätstrennungcn 
durstellen, aber unter Umständen durch Infektion des haemor- 
rhagischen Herdes sich kompliziren. 

Die klinische Trennung der beiden Formen soll nach Stern 
dadurch möglich sein, dass bei der atypischen Form eine auf¬ 
fallende Ineongrucnz besteht zwischen der geringen Alteration 
dee Allgemeinbefindens, der geringen Höhe des Fiebers etc. und der 
Ausdehnung der Lungenverdichtung, auch soll die stärker hae- 
morrhagi8che Beschaffenheit des Sputums einen Fingerzeig geben 
können. 

Mag nun auch in praxi eine so strenge Scheidung der beiden 
Gruppen nur selten möglich sein, auf jeden Fall lässt doch die 
typische Form der traumatischen Pneumonie — und um diese 
handelte es sich zweifellos bei unserem Patienten — keinen 
Schluss zu auf eine Lungenverletzung. Das beweisen die aller¬ 
dings in recht spärlicher Anzahl vorliegenden Sektionsberichte 
von traumatischen Lungenentzündungen, von denen Stern eine 
Reihe zusa nunenges teilt hat: es fanden sich wohl bei einem Theil 
derselben die Residuen einer Lungenverletzung, dagegen fehlte 
in anderen Fällen jede Spur davon. 

In der That sind ja auch die Traumen der Brustwand, die 
dem Ausbruche der croupösen Pneumonie vorangehen, mitunter 
so geringfügig, dass cs schwor wird, an makroskopisch sichtbare 
Laesionen der Lunge (Zerreissungen, Blutungen) zu glauben. 
Die Art des Zusammenhangs zwischen Trauma und Infektion 
harrt allerdings noch durchaus der Erklärung; vorläufig bleibt 
nichts übrig, als auf die Annahme „molecularer“ Veränderungen 
zurückzugreifen. 

Wenn wir demnach mit der Wahrscheinlichkeit zu rechnen 
hatten, dass unser Patient trotz der ausgedehnten Zertrümmerung 
des Brustskelets keine Verletzung der Lunge davongetragen hatte, 
so drängte sich nun die Frage auf, welche günstigen Umstände 
gerade hier eine Verletzung der Lunge verhindert haben konnten, 
während wir eine solche doch des Oefteren nach verhältniss- 
mässig leichter Gewalteinwirkung eintreten sehen. 

Eine Lungenverletzung kann bei Brustcontusionen auf 
zweierlei Weise zu Stande kommen: die Lunge kann einmal 
direct durch Rippenfragmente angespicsst werden, sie kann aber 
zweitens auch bersten gleich einer elastischen Blase, wenn der 
Druck im Pleuraräume über die Elasticitätsgrenze des Lungen¬ 
parenchyms hinaus gesteigert wird und wenn ein Ausgleich des 

’) Stern: lieber traumatische Entstehung Innerer Krank¬ 
heiten. Jena 1900. 


auf der Lungo lastenden Ueberdruckes durch Verschluss des 
natürlichen Ventils, der Glottis, verhindert ist. Dieser Glottis- 
schluss scheint in manchen Fällen im Momente des Traumas 
reflektorisch einzutreten, er sclieint aber bei unserem Kranken 
ausgeblieben zu sein. Man kann sich vorstellen, dass der Ein¬ 
tritt des Reflexes in gewissem Maasse von der Schnelligkeit der 
Gc waltein Wirkung abhängig ist. 

Das Fehlen dos reflektorischen Glottisschlusses dürfte übri¬ 
gens noch in anderer Beziehung eine Rollo gespielt haben. Es 
ist in letzter Zeit viel die Rede gewesen von der sogen. Druck¬ 
stauung oder Stauungsblutung nach Rumpfkompression; wie die 
Beobachtungen von Perthes gezeigt haben, kann der durch 
Thoraxkoinpression gesteigerte intrathoracale Druck sich in das 
Venengobiet des Kopfes und Halses fortpflanzen und dort zu 
Blutaustritten Anlass geben. Aber auch hier wieder ist der re¬ 
flektorische Verschluss der Glottis die Voraussetzung, ohne welche 
der Druck im Pleuraraum gar nicht plötzlich in die Höhe 
schnellen kann. Wenn nun bei unserem Patienten trotz der bei¬ 
spiellos schweren Kompression des Thorax jede Spur einer 
Stauungsblutung am Kopfe fehlte, so glauben wir dies Verhalten 
ebenfalls aus dem Fohlen eines reflektorischen Glottisschlusscs 
erklären zu müssen. 


Ueber Injektionskuren bei Syphilis.*) 

Von Dr. Max Stern. 

M. II.! Wenn ich es unternehme, vor Ihnen ein Thema zu 
b< sprechen, welches schon seit einer Reihe von Jahren in der 
Special- wie übrigen medicinisehen Literatur Gegenstand eifriger 
Erörterungen ist., so geschieht dies vor Allem in der Erwägung, 
dass gerade hier in München — wie häufigen persönlichen An¬ 
fragen an mich zu entnehmen war — die Behandlung der Syphilis 
mit Injektionen von Quecksill>erverbindungen im Allge¬ 
meinen wenig gebräuchlich ist und wohl von der Mehrzahl der 
Aerzte der alt hergebrachten Schmierkur ein ausschliesslicher 
Vorzug gegeben wird; in zweiter Linie glaube ich jedoch auch, 
dass bei den Zweifeln, die immer noch über die Art der Queck¬ 
silberbehandlung vorhanden sind, jeder, wenn auch bescheideno 
Beitrag zur Lösung dieser Frage erwünscht und von Vortheil für 
die Allgemeinheit sein wird. Ohne begeisterter oder absoluter 
Anhänger der Injektionen zu sein, muss man jetzt, wo eine 
grosse Reiho von Erfahrungen darüber vorliegen, zugestehen, 
dass dieselben zuweilen Vorzüge bieten, welche die Inunctionen 
nicht gewähren, dass es Gründe gibt — worüber ich später 
sprechen werde —, welche einen unbedingten Ersatz für die 
Schmierkur verlangen und dass schliesslich bei der Syphilis¬ 
therapie oft verschiedene Arten der Quecksilbereinverleibung, 
d. h. eine gewisse Abwechslung in der Behandlungsart, von 
grossem Nutzen sein können. Ein kurzer historischer Rück¬ 
blick lehrt uns, dass schon Hunter Ende des 18. Jahrhunderts, 
Berkeley Hill Anfang des 19. und H ebra um die Mitte des¬ 
selben sporadische Versuche zu subkutanen Injektionen von 
Quecksilber machten, dass sie aber systematisch erst von 
Scarenzio (1864), welcher das Kalomel in Suspension 
anwandte und von L e w i n (1867), welcher das Sublimat 
in wässeriger Lösung einspritzte, angewandt wurden. Während 
eine grosse Anzahl von Aerztcn mit Begeisterung die Methode 
L c w i n’s auf nahmen, blieben Andere, besonders die Wiener 
Schule, derselben völlig ferne, jedoch auch diese bekehrte sich im 
Laufe der Zeiten dazu, deren Anwendung wenigstens nicht für 
schädlich zu erklären, wie cs Anfangs geschah. Es wurde die 
Methode verbessert und in Deutschland, wie besonders auch in 
Frankreich, wurden eine grosse Reihe weiterer Quecksilbersalze, 
lösliche sowohl wie unlösliche, zur subkutanen Einverleibung, 
die sich zur iatramusculären beinahe überall umge¬ 
staltete, beigezogen; F o u r n i e r in Paris, Tarnowsky in 
Petersburg, Hutchinson in London, die Altmeister der 
Syphilidologie, haben in ausgedehntem Maasse die Injektions- 
therapio angewandt. In jüngster Zeit ging Baccelli noch 
weiter und verwendete 1 proc. Kochsalz-Sublimatlösung zur 
intravenösen Injektion, ähnlich wie Chinin gegen Malaria, 
mit gutem Erfolge; wegen der Gefahren, die mit diesen Injek¬ 
tionen direkt in die Blutbahn hinein (Embolien) verknüpft sind, 

*) Nach einem Vortrag, gehalten am 17. April 1901, lm Mün¬ 
chener ärztlichen Verein, 


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2. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1085 


dürften dieselben wohl auf den kühnen Urheber selbst beschränkt 
bleiben. 


Die Hauptgründe, wesshalb Scarenzio und L e w i n nach 
einer neuen Methode der Quecksilbereinverleibung suchten: die 
Unreinlichkeit, welche den Inunctionen anhaftete, und deren 
unsichere Wirkung, sind auch heute noch maassgebend. Die 
Schmierkur, im Krankenhause oder in der Privatpraxis von ge¬ 
schultem Personale systematisch ausgeführt, ist un¬ 
zweifelhaft ein sicheres Mittel. Aber in der Privatpraxis sind 
wir entweder genöthigt, den Patienten einem Masseur zu über¬ 
lassen, der dann sehr häufig die Kur selbständig übernimmt — 
der Kurpfuscherei, welcher wir sonst entgegenzuwirken so sehr 
das Bestreben haben, wird dadurch in hohem Grade Vorschub ge¬ 
leistet —, so dass wir unsere Patienten oft überhaupt nicht mehr 
sehen; oder wir müssen den Kranken die Einreibungen eigen¬ 
händig, resp. von einem Angehörigen vornehmen lassen. Dass 
sie dann häufig in nicht genügend energischer Weise ausgeführt 
werden, dass der Patient sehr bald erlahmt, nicht genügend lange 
schmiert und vor der Zeit seine Kur beendet, davon überzeugt 
Sie wohl Alle die tägliche Erfahrung. Ein weiterer Punkt, der 
bei der Schmierkur sehr wichtig ist, ist die Nothwendigkeit pein¬ 
licher Hautpflege, es sollte eigentlich; um die Haut geschmeidig 
und für das Hg leicht durchgängig zu erhalten, täglich ein Bad 
genommen werdon; wie viele Patienten der ambulatorischen 
Praxis aber bequemen sich zu dieser hygienischen Forderung 
oder hal>en nur genügend Zeit dazu, da es sich bei unserer 
syphilitischen Klientel grossentheils um jugendliche Personen 
handelt, die ihre Kur durchführen möchten, ohne aus dem Be¬ 
rufe herausgerissen zu werden? Vorausgesetzt, dass derselbe an 
Körper oder Geist nicht sehr hohe Anforderungen stellt, vor¬ 
ausgesetzt, dass es sich nicht um sehr sehr schwere Formen 
(maligne) von Syphilis handelt, bringt die ambulatorische Be¬ 
handlung auch keinen weiteren Schaden und ist die Forderung 
mancher Aerzte, besonders der Badeärzte, man solle neben dem 
eigentlicher Berufe niemals eine Schmierkur verordnen, in praxi 
völlig undurchführbar. II ö f 1 e r-Tölz, der 2000 Fälle mit 
Schmierkur behandelt hat, vertheidigt diesen Standpunkt damit, 
dass die Berufsausübung das vollkommen nöthige Interesse an 
der gründlichen Durchführung der Kur nbstrahire. Ich halte 
vielmehr dieso Abstraction meist für sehr wohlthuend und für 
geeignet, die Gefahr der Neurasthenie und Syphilidophobie, der 
ersten Anfänge mancher parasyphilitischen Geistesstörungen, zu 
vermindern. Bei jeder antisyphilitischen Kur handelt es sich 
zwar in erster Linie darum, die momentan vorhandenen Erschei¬ 
nungen möglichst rasch zum Verschwinden zu bringen; ein bei¬ 
nahe noch wichtigeres Postulat aber möchte ich jenes bezeichnen, 
den Patienten vor Recidiven und Folgeerscheinungen zu be¬ 
wahren oder dieselben auf ein möglichst geringes Maass zu be¬ 
schränken. Dass wir von diesem Ideale, einer raschen und 
sicheren Primärheilung der Syphilis, noch sehr weit entfernt 
sind, beweist u. a. die Statistik der geschlechtlichen Infektions¬ 
krankheiten in der Berliner Charite. Generalarzt Sch aper 
setzte in seinem einleitenden Vortrage zu den jüngst dort ab¬ 
gehaltenen Vorträgen für praktische Aerzte auseinander, wie alle 
Abtheilungen dieses Krankenhauses ein lebendiges Bild für die 
schweren Folgeerkrankungcn der Lues (und Gonorrhoe) darböten, 
die heute in viel grellerem Lichte erschienen, wie noch vor 
wenigen Decennien. # Auf mehreren Abtheilungen der Nerven- 
ldinik konnte bei 40 Proc. der Kranken luetische Infektion für 
das erst viele Jahre später entstandene Nervenleiden verantwort¬ 
lich gemacht werden; auf der Klinik für Augenkranke gab bei 
20 Proc., auf der Irrenstation bei 13 Proc. die Lucs die Krank¬ 
heitsursache ab. Wio Moeli ferner bei derselben Gelegenheit 
ar.gibt, ist mangelhafte Behandlung des Grundleidens 
von netialogischer Bedeutung für die Entstehung der Hirn- 
svphilis. Immer mehr sehen wir den Kreis der auf Syphilis be¬ 
ruhenden Erkrankungen sich erweitern, immer mehr lehrt uns 
dk* Forschung die verheerenden Folgen dieser Krankheit er¬ 
kennen. So erinnere ich Sie nur an die Fülle von Herz-, an jene 
von Magensyphilis, die in den letzten Jahren veröffentlicht | 
wurden ; nach Dieulafoy- Paris und Einhorn- New-York 
«oJloii letztere weit häufiger sein, als gewöhnlich angenommen 
wird, und besonders zu Verwechslung mit Magengeschwür Anlass 


geben. 

Wenn auch eine intensive Therapie des Primäraffektee und 


der Sekundärerscheinungen keine volle Sicherheit gegen 
spätere Erkrankungen des Nervensystems und anderer Organe 
bietet, so ist doch damit die W ahrscheinlichkeit eine 
grössere, die Zahl der Folgeerscheinungen bedeutend zu ver¬ 
mindern und dies Ziel zu erreichen, muss unser Hauptstreben 
sein. Intensiv kann aber nur eine Therapie sein, die ständig 
unter den Augen und womöglich der Leitung des Arztes sich voll¬ 
zieht, keineswegs jedoch, wenn dem Masseur oder Heilgehilfen 
die Hauptbehandlung überlassen wird. Die primären und sekun¬ 
dären Erscheinungen bedürfen sehr häufig gar keiner eingrei¬ 
fenden Kur, sie verschwinden meist unter einer noch so ober¬ 
flächlich gehandhabten Schmierkur oder auch der Pillenbehand¬ 
lung, ja sie würden meist auch ohne diese zurückgehen. Das 
Wichtigste ist nur, was aus dieseu Patienten späterhin wird, wie 
viele Fälle von gummöser oder Knochonerkrankung, wie viele von 
Tabes, von progressiver Paralyse, sonstiger Gehimlues auf 
mangelhaft oder gar nicht behandelte Fälle treffen? Wenn wir 
darüber einmal eine, genaue, umfassende Statistik, zu der uns 
vor Allem die Nervenärzte verhelfen könnten, besitzen, dann 
erst sind wir in der Lage, unser erstes therapeutisches Eingreifen 
zu beurtheilen und genaue Indicationen über die verschiedenen 
Arten der Quecksilberhehandlung zu geben. Es müssten aller¬ 
dings diese Beobachtungen über viele Jahre sich ausdehnen, ohne 
noch so weit zu gehen, wie Eournier, der Recidive nach 30, 
40, ja 50 Jahren für möglich hält und beobachtet hat. Um hier 
sogleich Einwänden zu begegnen, muss ich die von Blaschko 
bekannt gegebene Thatsaehe anfiihron, dass z. B. in Norwegen, 
wo sehr viele Fälle von Syphilis nicht mit Quecksilber behandelt 
werden, die Zahl der Tertiärsyphilitischen nicht grösser sein 
soll als in anderen europäischen Staaten, und bei der Land¬ 
bevölkerung von Dalmatien und Bosnien, wo die Syphilis unge¬ 
heuer verbreitet, die Behandlung aber meist eine durchaus un¬ 
genügende ist, Tabes und Paralyse unbekannte Krankheiten sind 
(nach Blaschko 1. c.). Bei unserer städtischen Bevölkerung 
müssen wir mit der angeborenen oder erworbenen Empfindlich¬ 
keit des Nervensystems gegenüber dem syphilitischen, wie an¬ 
deren, Giften eben viel mehr rechnen wie hei der Landbevölkerung 
mit ihrer das Nervensystem weit weniger aufreibenden Thätig- 
keit. Wäre allerdings die Wirkung des Quecksilbers eine haupt¬ 
sächlich auf Inhalation beruhende, eine Theorie, die von 
W eiander - Stockholm, Stern- Düsseldorf u. A. auf Grund 
zahlreicher günstiger Resultate energisch verfochten wird, so 
müssten die Erfolge mit den Mitteln, die in neuester Zeit von 
diesem Gesichtspunkte aus empfohlen werden — Welander- 
selio Säckchen. IU n s c h k o’s Merkolintschurz, Merkuramnlgam 
(in flache Beutel eingestäubt) — ebenso wie die gewöhnlichen, zu 
Hause vorgenommenen Quecksilbereinreibungen ganz hervor¬ 
ragende sein. J o r d a n - Moskau kam bei der Prüfung der 
W e 1 a n d e Fschen Methode sowohl mit Merkuriol wie mit grauer 
Salbe zu dem Resultate, dass sie an Sicherheit der Wirkung den 
Einreibungen, sowie insbesondere den Injektionen nächstelie — 
von 30 Fällen waren 12 mit negativem Erfolg behandelt worden 
— und bloss in leichten Fällen als bequemes, ungefährliches 
Mittel zu empfehlen sei. Die Frage, ob Quecksilber durch In¬ 
halation hauptsächlich aufgenommen werde oder nicht, muss vor¬ 
läufig noch als eine offene bezeichnet worden, da streng wissen¬ 
schaftliche Untersuchungen sowohl im negativen Sinne von 
Sänger (Dermatol. Centralbl. 1900, Heft 10), wie im positiven 
von Kreis- Zürich vorliegen. 


Was nun die Injektionsniethoden vor den anderen aus- 
zeiclmet, sind Sicherheit der Wirkung, schneller Ein¬ 
tritt derselben, Reinlichkeit der Applikation; die Menge 
des in den Organismus eingeführten Quecksilbers ist genau be¬ 
kannt, was bei den Einreibungen und selbst bei den Pillen, die, 
wenn sie alt oder schlecht gemacht sind, im Verdauungskanale 
nur wenig oder gar nicht verändert werden, nicht der Fall sein 
kann. Nachdem wir es ferner bei der Syphilisbehandlung sehr 
oft mit jungen — zuweilen auch älteren — Leuten zu tliun 
haben, welche das Geheimniss ihres Leidens vor ihrer Umgebung 
bewahrt wissen möchten, was bei der Sehmierkur beinahe unmög¬ 
lich ist. so bietet auch in dieser Beziehung die lnjektion>kur 
gewisse Vortheile. Bei der kürzeren Dauer derselben käme auch 
in der Krnnkcnhausbchandlung die pekuniäre Ersparnis in Be¬ 
tracht. Nicht zu spreeheu von den Vortheilen, die sie bietet, um 
bei den Inficirten, besonders den der Prostitution Er- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


1086 


geben ern, die Dauer des kontagiösen Stadiums abzukürzen. Un¬ 
entbehrlich ist aber ein Ersatz der Schmierkur in allen 
Fällen, wo der Zustand der Haut dieselbe nicht zulässt, wo durch 
angeborene oder erworbene pathologische Zustände deren Follikel 
für das Eindringen der Quecksilberkügelchen nicht geeignet sind. 
So behandelte ich u. A. einen Fall, wo ausgebreitete, schon lange 
bestehende Psoriasis vulgaris neben einemPrimäraffekt vorhanden 
war, in gleicher Weise werden Prurigo, Ichthyosis, chronische und 
akute Ekzeme, werden mangelhafte Hautpflege und deren Folgen 
(Verstopfung der Talg- und Schweissdrüsen durch verhornte 
und abgestossene Epidermiszellen) die Ausführung der ender- 
matischen Methode unmöglich machen. Auch in der senilen Haut 
ist die Aufnahme des Quecksilbers eine nur geringe; ein Greis 
würde ebenso viele Monate als ein Jüngling Tage gebrauchen, 
um durch die Schmierkur geheilt zu werden. Ob die Späterschei¬ 
nungen von Syphilis (Gehirn-, Rückenmarkssyphilis) durch die 
Injektionen beeinflusst werden, darüber fehlt mir persönliche 
Erfahrung. N e u m a n n glaubt, dies wäre nur in seltenen Fällen 
möglich; Coplin S t i n s o n, eine amerikanische Autorität, hin¬ 
gegen schlägt bei tertiärer Syphilis die Injektion unlöslicher Hg- 
Salze vor und führt sogar einon Fall von Gehirn-Rückenmarks¬ 
syphilis an, wo 5 proc. Salicyl-Quecksilber wahre Wunder gewirkt 
habe. Die Augen- und Ohrenkomplikationen — syphilitische 
Ohrerkrankungen sind nach Heermann -Kiel häufiger, als 
allgemein angenommen wird — sollen nach dem Urtheile der Spe- 
cialisten für Injektionen weniger zugänglich sein, wie für Inunc- 
tionen; ich glaube jedoch, dass dieses Urtheil nicht als definitives 
aufzufassen und noch weitere Versuche in dieser Richtung an¬ 
gezeigt sein dürften. Ein ausserordentlich wichtiges und ver¬ 
lässiges Mittel besitzen wir schliesslich in den Injektionen eben 
wegen ihrer raschen und sicheren Wirkung, um zweifel¬ 
hafte Diagnosen aufzuklären. Mag es sich um ein 
primäres Geschwür oder um sekundäre Erscheinungen — hier 
erwähne ich vor Allem die Plaques im Munde, welche oft ausser¬ 
ordentlich schwierig als solche zu erkennen sind — handeln, auf 
ein paar Injektionen von 2 proc. Sublimatlösung oder einer 
anderen löslichen oder unlöslichen Quecksilberverbindung erfolgt 
beinahe stets prompte Reaction, d. h. Zurückgehen des syphi¬ 
litischen Processes. 

Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass den Vortheilen 
der Injektionen auch gewisse Nachtheile gegenüberstehen, von 
welchen der schwerwiegendste die Infiltratbildung an den Injek¬ 
tionsstellen ist; trotz aller Vorsichtsmaassregeln, die bei der In¬ 
jektion geübt werden, stellt sie sich ein und zwar zuweilen in so 
hohem Grade, dass eine Fortsetzung der Kur ausgeschlossen ist. 
Vor Beginn derselben ist es daher immer räthlich, die Patienten 
auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen, bei gewissen Be¬ 
rufsarten mit ständig sitzender Beschäftigung, z. B. Schneidern, 
muss man überhaupt auf diese Methode, wenigstens auf die der 
häufig zu wiederholenden Einspritzungen, Verzicht leisten. Im 
Uebrigen finden sich die Patienten mit den nicht zu hochgradigen 
Knotenbildungen ziemlich gut ab. Ebenso ist es mit dem weiter 
zu erwähnenden Uebelstande, der bei den Injektionen mit den 
häufig — alle 2 Tage — zu wiederholenden Sublimatlösungen 
vorhanden ist, dass nämlich die Patienten zu häufig zum Arzt 
kommen müssen; sofern dieselben die nöthige Zeit dazu hatten, 
hinderte dies nie die Ausführung der Kur. 

Die weitere Frage, die sich nun ergibt, ist die, ob man den 
unlöslichen oder löslichen Quecksilberverbindungen zu den In¬ 
jektionen den Vorzug geben soll. Erstere haben den nicht zu 
unterschätzenden Vortheil, dass sie seltenerer Einführung be¬ 
dürfen, dass mit 6,8—10 Injektionen meistens die Kur beendet ist. 
Um kurz die gebräuchlichsten aufzuzählen, so kommt wohl an erster 
Stelle Kalomel (in Oelsuspension=1,0:10,0, Ol. olivar. oder in 
Wasser = Calomel. vapore parat. 5,0, Natr. chlor. 1,25, Aqu. dest. 
50,0, Munilag. gummi arab. 2,5), dann Hydrargyrum 
8alicylicum (1:10,0 Paraffin, liquid.), das Ol. cinereum, 
das Thymolquecksilber u. s. w. Von den löslichen ist 
noch heute das gebräuchlichste das Sublimat, mit Chlor¬ 
natrium vermischt (1—2 proc. Lösung); dann sind zu nennen das 
Hydrarg. cyanatum, das Hydrarg. peptonatum (1 proc. 
Lösung), das Hydrarg. benzoicum (= 0,3 : Ammon, ben- 
zoic. 1,5, Aqu. dest, 30,0) und so fort könnte noch eine ganze 
Reihe von mehr oder weniger komplizirt zusammengesetzten 
Präparaten, die von ihren Urhebern als wirksam gepriesen 


wurden, aufgezählt werden. Genaue Dosirung der einzuver¬ 
leibenden Quecksilbermenge ist wohl nur bei den löslichen Mitteln 
möglich, die Vertheilung der unlöslichen in der Suspensions¬ 
flüssigkeit hingegen bietet nicht jene Präcision, die erlaubt, die 
resorbirten Mengen genau zu bemessen. Die Annahme, dass man 
bei der Injektion der unlöslichen Substanzen dem Organismus 
das Quecksilber allmählich zuführt und dadurch vor einer 
unvermuthet eintretenden Intoxication schützt, ist nicht stich¬ 
haltig, da gerade gegentheilige Beobachtungen vorliegen, wonach 
das nicht tesorbirte Quecksilber im Körper sich anhäuft, um, 
plötzlich in den Circulationsapparat gelangend, oft gefährliche, 
ja letale Vergiftungen hervorzurufen. Eine ganze Reihe von 
solchen schlimmen Folgen nach Kalomelinjektionen sind ver¬ 
öffentlicht worden, so von Runeberg, Kraus, Neumann 
(3 Fälle von schwerer Dysenterie) ;Lukasicwicz erlebte einen 
tödtlich endigenden Fall nach der Injektion von Oleum cinereum. 
Renault berichtet über capilläre Lungenembolien in Folge 
von Kalomelinjektionen; er hält dieselben für direct gefährlich 
und deren Anwendung höchstens dann für geboten, wenn alle 
anderen Mittel versagt haben und das Leben in Folge schwerer 
cerebrospinaler oder visceraler Syphilis direct bedroht ist; die Be¬ 
dingung, dass die Nieren tadellos funktioniren, müsse aber stets 
gegeben sein. G a u c h e r warnt vor der Anwendung imlöslicher 
Präparate, ohne die Wirksamkeit des Kalomels u. s. w. bestreiten 
zu wollen, und brachte in der Vereinigung der Pariser Spitals¬ 
ärzte (Sitzung vom 17. November 1899) Fälle vor, wo dieses Mittel 
mit hoher Wahrscheinlichkeit ein letales Ende verursacht habe. 
Bei der allmählichen Resorption der im Körper, gleichsam 
wie in Depots, aufgespeicherten unlöslichen Quocksilberverbin- 
dungen hat es der Arzt nicht in der Hand, wie viel davon re- 
sorbirt wird, er vermag demnach ihre Wirkung, falls sie unlieb¬ 
same Erscheinungen mit sich bringe, gar nicht einzuschränken 
— Fall von sehr intensiver Stomatitis mit Blutungen erst 
einige Wochen nach der Injektion (Renault, Soci6t6 fran- 
caise de Dermatologie et Syphiligraphie, Sitzung vom 11. Fe¬ 
bruar 1897). Den löslichen Quecksilberverbindungen wird hin¬ 
gegen von einem Theile der Syphilidologen desshalb eine viel ge¬ 
ringere Wirksamkeit zugesehrieben, als den fein vertheilten, 
suspendirten, weil sie zu rasch resorbirt und ebenso rasch 
wieder ausgeschieden würden; ihre Wirkung könne daher keine 
nachhaltige sein. Das klingt, sehr einleuchtend und ist theore¬ 
tisch schön erdacht, die praktischen Erfolge aber, die vielen 
Aerzten, ebenso wie mir, zur Seite stehen, können unmöglich diese 
Hypothese zu Recht bestehen lassen. Es wurde auch verschiedent¬ 
lich der Versuch gemacht, das Anwendungsgebiet der löslichen 
von dem der unlöslichen Präparate zu trennen und zu präcisiren. 
Nach Balz er und Thiroloix (in der Arbeit von Ray¬ 
mond) sind die löslichen Quecksilbersalze vor Allem dann an¬ 
gezeigt, wenn Magendarmstörungen und schlechte Beschaffenheit 
der Mundhöhle weder die Injektion hoher Dosen (unlöslicher 
Salze), noch die Friktionen erlauben, Methoden, welche die Un¬ 
annehmlichkeiten haben, sehr rasch Munderscheinungen zu be¬ 
wirken; Schwangerschaft, Albuminurie, Kachexie bilden eine 
Gegenindication für die unlöslichen Salze, während die löslichen 
bei schwangeren Frauen, bei anaemischen, schwachen Personen 
wegen der dabei vorhandenen leichten Reizbarkeit der Verdau¬ 
ungsorgane einen unschätzbaren Vortheil bieten sollen. Bes¬ 
nier (Ibidem) beschränkt die Anwendung der unlöslichen Prä¬ 
parate auf jene Fälle allein, in welchen die anderen Methoden 
erfolglos geblieben sind. Andere, wie Tarnowsky, Finger, 
Ilallopeau und Bureau, die mit Vorliebe das salicylsaure 
Quecksilber anwenden, scheinen solche Bedenken nicht zu tragen, 
Blaschko geht sogar so weit, die Behandlung mit diesem 
Mittel „die Standartkur gegen die Syphilis zu nennen, die 
jedesmal, als der Schmierkur zum Mindesten gleichwerthig. 
oft als dieser bei Weitem überlegen, in Frage komme“; die Ge¬ 
fahr der Lungenembolien, die unzweifelhaft bei allen unlöslichen 
Präparaten grösser ist, wie bei den löslichen, hält B. für sehr 
gering, da es sich dabei nur um kleine und aseptische Infarkte, 
die nur schnell vorübergehende Reizerscheinungen machen, 
handle. 

In den wenigen (5) Fällen, wo ich das Salicylque c k - 
s i Iber anwandte, handelte es sich um Patienten, welche ent¬ 
weder vergebens schon mit Schmierkur behandlet worden waren, 
oder um solche, hei welchen (zweien der Fälle) aus äusseren 
Gründen weder die Schmierkur, noch die Sublimatinjektionen 


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2. Juli 19Ö1. 


MUENCHEtfER MEDIOINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


1087 


möglich waren. Es trat zwar bei der ja recht geringen Anzahl 
von 30 Injektionen letzterwähnter Zufall glücklicherweise nicht 
ein, jedoch in 2 Fällen recht heftige Stomatitis, ausserdem konnte 
ich in keinem der Fälle ein besonders rasches Verschwinden 
der Erscheinungen, wie es bei den Sublimatinjektionen fast stets 
der Fall war, konstatiren. Auch mit Kalomel, welches 
Fournierals das beste und schnellstens wirkende Quecksilber¬ 
präparat preist und mit Oleum cinereum, welches Lang- 
Wien und nach ihm verschiedene französische Autoren, wie 
J ullien, Thibierge, Besnier warm empfohlen haben, 
machte ich Versuche, kann aber auf Grund derselben nur voll¬ 
ständig davon abrathen. Kalomel (1:10,0 Ol. oliv.) verursachte 
ganz exorbitante Schmerzen in der Gegend der Injektionsstelle, 
so dass Patient jedesmal ein paar Tage das Bett hüten musste. 
Auch der Zusatz von Orthoform als Analgeticum bei Kalomel- 
injektionen hat sich nach Sprecher (Giornale italiano delle 
maladie veneree e della pelle, 1899, Heft V) nicht bewährt, ferner 
wurde Cocain beigemischt, so dass wir zwei, für den Körper 
keineswegs indifferente Substanzen gleichzeitig einspritzen 
müssten. Das Oleum cinereum, welches übrigens keine 
officinelle Zusammensetzung bei uns in Deutschland besitzt 
(Lanolin, anhydr. 3,0, Hydrarg. 3,0, Ol. oliv. 4,0) ist vor der An¬ 
wendung zu erwärmen; trotzdem dies geschah und bei der Injek¬ 
tion alle Vorsichtsmaassregeln angewendet worden sind, brachte 
es nach jeder Injektion so hochgradige lokale Reizerscheinungen 
(Infiltrate und Abscesse), dass ich in einem Falle Patienten zu 
einem zweiten Versuche nicht bewegen konnte, in einem anderen 
nach vier heroisch überstandenen Injektionen, denen stets In- 
cision der gebildeten Abscesse folgen musste, freiwillig davon 
Abstand nahm. 

Dasjenige Mittel, welches ich am häufigsten zu Injektionen 
verwandte und welches nach meiner Erfahrung für den täglichen 
Gebrauch des praktischen Arztes, trotz der ihm ebenfalls an¬ 
haftenden Mängel, am geeignetsten erscheint, ist von den lös¬ 
lichen Präparaten das Sublimat mit Kochsalz, in folgender Weise 
(nach Lassar) verordnet: 

Sublimat 1,0 (2,0 bei Männern) 

Aqu. dest. 100,0, coque, adde 
Natr. chlor. 3,0 (G,0) 

Coque, flltra S. Zu Händen des Arztes. 

All’ die Fälle einzeln anzuführen, in welchen diese Injek¬ 
tionen angewandt wurden, würde zu weit gehen; zuweilen schon 
beim Auftreten des Primärgeschwürs, zuweilen erst mit dem 
der sekundären Erscheinungen, sehr häufig aber nach Recidiven 
und erfolglos (sei es von mir oder von anderer Seite) durch¬ 
geführter Schmierkur habe ich im Ganzen 78 Fälle verzeichnet, 
bei welchen die Injektionen mit Sublimat völlig, d. h. mit der 
Serie von 25—30 Einspritzungen, durchgeführt wurden. Die¬ 
jenigen Fälle, welche weniger als 1 Jahr zurückdatiren, ebenso 
diejenigen, wo die Serie nicht vollendet wurde, d. h. die Patienten 
vor Beendigung der Kur ausschieden, sind nicht mitgerechnet. 
Davon trifft die Mehrzahl — 69 — auf das männliche und nur 9 
auf das weibliche Geschlecht. Der jüngste der Patienten war 
17, der älteste 60 Jahre alt; wie das Beispiel des Letzteren lehrte, 
wirken in späteren Jahren die Injektionen sehr angreifend auf 
das Allgemeinbefinden, so dass man mit roborirender Diät und 
tonischen Mitteln unterstützend eingreifen muss. 

Von einer genauen statistischen Aufstellung der recidivirten 
und der primär geheilten Fälle muss ich absehen, da die Beobach¬ 
tungszeit theilweise eine zu kurze ist und man viele Patienten 
nicht dazu bringt, dem eindringlichen Rathe des Arztes zu folgen, 
von Zeit zu Zeit auch ohne sichtbare Krankheitserscheinung 
sich zur Untersuchung zu stellen. Jedenfalls wurden Recidive 
weit seltener beobachtet, wie nach der Schmicrkur, deren An¬ 
wendung in einer grossen Anzahl von weiteren Fällen (besonders 
der Kassenpraxis), wenigstens als' erste Kur, nicht zu umgehen 
war. Um mich jedoch streng objectiv an den Thatsachen zu 
halten, muss ich gestehen, dass ich Patienten Jahre lang in Be¬ 
handlung hatte, bei welchen weder die Schmierkur, noch die 
richtig durchgeführten Sublimat- und die Salicylquecksilber- 
injektionen das wiederholte Auftreten von Recidiven zu ver¬ 
hindern im Stande waren. Daraus ersehen wir, dass auch die 
letztgenannten kein Allheilmittel gegen Syphilis sind, dass es 
vielmehr hartnäckige Formen derselben gibt, die auch dieser 
Behandlung trotzen. Merkwürdiger Weise gelang es mir bei 
zweien solcher Fälle, durch die innerliche Darreichung 

So. 27 . 


einer Mischung von Quecksilber und Jodkali (Hydrarg. bijodat. 
0,5, Kal. jodat. 3,0, Aqu. dest. 30,0, MDS. 3 mal täglich 15 Tropfen 
zu nehmen) endgiltige Heilung zu erzielen, obwohl ich im All¬ 
gemeinen dem Grundsatz huldige, Jodkali nur bei Späterschei¬ 
nungen (am Knochen-, Nervensystem u. s. w.) und nicht gleich¬ 
zeitig mit Quecksilber zu geben. Wenn Neumann (in dem 
Handbuch für venerische und Hautkrankheiten von W o i s s, 
Wien 1900) den Satz aufstellt, dass bei den Sublimatinjektionen 
ausnahmslos nach 8 Monaten Recidive auftraten, so muss ich 
auf meine obige gegentheiligo Behauptung hinweisen und zur 
Illustration der Thatsache, dass die Injektionen einen gewissen 
Schutz vor Recidiven bieten, unter anderen von mir beobachteten 
Fällen 2 Fälle kurz beschreiben, welche nun seit 9 resp. 8 Jahren 
recidivfrei geblieben sind. 

Der eine Fall, welcher einen 23 jährigen Studierenden der 
Chemie betraf, kam im Januar 1892 mit einer ausgesprochenen 
Initialsklerose am L’raeputium, welche als solche auch von einem, 
noch hinzugezogenen, Spezialarzte angesehen wurde, in meine 
Behandlung. Die leicht ausführbare Exeision des Priraüraffektes 
und die weiterhin nachfolgenden Sublimatinjektionen hatten das 
erwähnte günstige Ergebniss, dass Patient bis heute von jeder 
weiteren syphilitischen Erkrankung verschont blieb; er ist seit 
ca. 4 Jahren verheiratliet und im Besitze zweier gesuuder Kinder. 
Der zweite Patient, ein 24 jähr. Apotheker, war 4 Wochen lang wegen 
eines beinahe 1 cm breiten, tief ausgehöhlten Ulcus an der Ueber- 
gangsstelle von Glans penis und l’raeputium von anderer Seite mit 
Umschlägen von Goulard’schem Wasser behandelt worden; das Ge¬ 
schwür drang natürlich immer tiefer und war, als Patient im Oktober 
1892 in meine Behandlung kam, auf die beschriebene Ausdehnung 
gelangt, reichliche eiterige Absonderung und die charakteristischen 
harten Ränder zeigend. Es bestand ausserdem indolente Schwel¬ 
lung der beiderseitigen Leistendrüsen. Nach 3 Sublimatinjektionen 
(alle 2 Tage wiederholt) war das Geschwür bereits um die Hälfte 
verkleinert und nach weiteren 3—4 Injektionen, also in ca, 14 
Tagen, völlig verschwunden, die Diagnose erwies sich demnach 
auch ex therapia gesichert, da die lokale Behandlung mit Bor- 
salicylwasser eine ganz indifferente war. Solche Erfolge sind nur 
mit rasch wirkenden Allgemeinmitteln, wie den Injektionen, zu 
erzielen und gleicher Welse für den Patienten wie für den Arzt 
— das brauche ich Sie wohl nicht zu versichern — erfreulich. 
Patient machte noch gewissenhaft seine Kur von 30 Injektionen 
durch und hat bis vor Kurzem, wo ich ihn wieder sah, keine 
weiteren Erscheinungen mehr erlebt, er ist ebenfalls verhelrathet 
(seit einigen Jahren) und Vater zweier Kinder. 

Im Anschluss an die beiden aufgeführten Fälle, welchen 
ich noch ähnliche, jedoch nicht so lange zurückreichende, an¬ 
reihen könnte, muss ich die Frage streifen, wann eigentlich die 
Allgemeinbehandlung zu beginnen ist? Es stehen sich hier be¬ 
kanntlich 2 Richtungen gegenüber, die eine will eine Behand¬ 
lung erst dann zulassen, wenn ausgesprochene Sym¬ 
ptome einer Allgemeinerkrankung (Exanthem, Drüsenschwel¬ 
lungen u. s. w.) vorhanden 9ind, d. h. man solle sein Pulver nicht 
verschiessen, bevor es durchaas nöthig oder der Kampf ein ernster 
geworden ist. B 1 a s c h k o (1. c.) rechtfertigt diesen Stand¬ 
punkt theoretisch damit, dass wir durch das Aufschiebeu der 
Allgemeinbehandlung die natürliche Reaction des Körpers mit 
ausnützen, während durch vorzeitige Quecksilbergabe dieselbe, 
die ja oft an sich nicht sehr energisch sei, unnöthiger Weise ver¬ 
zettelt und auch die Diagnose verschleiert werde. In leichteren 
Fällen kann dieses Vorgehen wohl eingehalten werden, wenn es 
sich aber um tiefe, fressende Geschwüre handelt, die, genital oder 
extragenital, dem Körper dauernden Schaden zuzufügen drohen, 
sollen wir da abwarten, bis der Schaden ein irreparabler ist oder 
sollen wir cs nicht vorziehen, durch geschickt eingeleitete Vor¬ 
postenkämpfe, d. h. einige Injektionen, unsere Position dem 
Feinde gegenüber zu sichern und durch rasches Vorgehen schon 
halben Sieg zu gewinnen? Ist nicht mit der Möglichkeit zu 
rechnen, dass das Quecksilber vielmehr die natürliche Reaction 
von Seite des Körpers erst anregt und zu einer energischeren 
macht? Zumal ein paar Injektionen, sorgfältig ausgeführt und 
unter Berücksichtigung aller individuellen Verschiedenheiten, 
dem Körper keinerlei Schaden zufügen, uns aber vor diagno¬ 
stischen Irrthümern schützen können. Es bleiben immer noch 
eine Anzahl Fälle, wo der Primäraffekt andererseits so harm¬ 
loser Natur ist, wo derselbe eine leichte, in 8—14 Tagen glatt 
heilende Erosion darstellt, so dass wir gar nicht an Syphilis 
denken, zu unserem Erstaunen aber 6—8 Wochen später eine 
typische Roseola u. A. m. auftritt und erst dann die Indication 
zu einer Allgemeinkur wirklich vorhanden ist. 

Wenn ich mir nun erlaube, Ihnen die Art und Weise, 
wie die Injektionen vorzunehmen sind, genauer zu beschreiben, 

2 

e 




1088 


MtJENCttENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


so geschieht dies desshalb, weil von deren richtigen Ausführung 
meist die Möglichkeit abhängt, die Kur durchzuführen, und weil 
viele Patienten schon nach der ersten misslungenen Injektion 
vor deren weiterer Anwendung eine gerechte Scheu haben. Für 
weibliche Patienten kommt die oben beschriebene 1 proc., für 
männliche die 2 proc. Sublimat-Kochsalzlösung in Anwendung. 
Dieselbe vor dem jedesmaligen Gebrauche aufzukochen, wäre 
sehr erwünscht, ist aber in der Praxis kaum durchführbar und 
nicht absolut erforderlich. Zu den Injektionen genügen die ge¬ 
wöhnlichen Pravazspritzen und -Nadeln, zu den Einspritzungen 
mit Salicylquecksilber braucht man stärkere Nadeln von etwa 
2!4—3 cm Länge, da sie sich leicht durch die ölige Flüssigkeit 
verstopfen. Die Stelle in der Glutaealgegend, wo zu injiziren ist, 
wird zuerst mit Alkohol, dann mit Sublimatlösung (0,1 proc.) 
gereinigt, dann die gehörig desinfizirte (5 proc. Karbollösung) 
Nadel gerade in die Musculatur und rasch eingestochen — ge¬ 
schieht dies, so merken die Patienten meist gar nichts von diesem 
Vorgang — und die Spritze wieder herausgezogen, um ein paar 
Minuten abzuwarten, ob etwa Blut aus der Nadel herausfliesst; 
ist dies der Fall als ein Zeichen, dass man in ein Gefäss gerathen 
ist, so muss man eben an einer zweiten Stelle einstechen, was 
vernünftigen Patienten wohl einleuchtet. Die Injektion der 
Flüssigkeit führt man recht langsam aus, während und nach 
derselben haben die Patienten oft ziehende Schmerzen an dem 
Beine der betreffenden Seite; rasch entfernt man sodann die 
Nadel und massirt einige Minuten lang recht energisch die In¬ 
jektionsstelle. Trotz dieser letzteren Vorsichtsmaassregel kann 
es manchmal zu Infiltraten kommen, welche dem Träger das 
Sitzen erschweren, ja oft unmöglich machen. Die Nadel sollte so¬ 
fort nach der Benützung gut gereinigt und mit dem Mandrin 
versehen werden; durch das Sublimat werden die Nadelspitzen 
rasch stumpf, so dass der Gebrauch an Injektionsnadeln ein 
ziemlich bedeutender ist. Für jeden, eben in Behandlung be¬ 
findlichen Patienten sollte eine eigene Nadel bestimmt sein. 
Ein Zufall, mit dem man immerhin rechnen muss und der mir 
bei mehr als 2000 Injektionen 2 mal unterlief, ist das Abbrcchcn 
der Nadel im Körper; in dem einen Falle gelang es, durch so¬ 
fortige Incision den abgebrochenen Tlieil wieder zu entfernen, 
in dem andern war ich nicht so glücklich, konnte mich aber die 
paar Jahre hindurch, wo ich Patienten, einen recht hartnäckigen 
Fall, noch sah, davon überzeugen, dass ein weiterer Schaden 
durch die Nadelspitze im Körper nicht angerichtet wurde. 
Abscessbildung an der Injektionsstelle habe ich mit den 
Sublimateinspritzungen nur ein einziges Mal erlebt und zwar 
bei einer Patientin mit schwerer Lues, welche schon vorher eine 
Schmierkur durchgemacht hatte. Was nun die Stomatitis 
betrifft, eine Komplikation, die, in Gemeinschaft mit dem so 
lästigen Speichelfluss, bei der Schmierkur ziemlich häufig ist 
und in manchen Fällen zu mehrmaliger Unterbrechung, ja Aus¬ 
setzen der Kur, mich zwang, so habe ich sie bei dieser Injektions¬ 
kur nur in ganz wenigen Fällen erlebt; in einem Fall jedoch, 
bei einer Patientin mit hartnäckigem papulös-squamösem Sy¬ 
philid, trat schon nach den ersten 2 bis 3 Injektionen und jedes¬ 
mal bei wiederholtem Versuche derselben eine so heftige Zahn¬ 
fleischentzündung u. s. w. auf, dass eine Fortsetzung der Queck¬ 
silberkur auszuschliessen war und zu den Z i 11 m a n n’schen 
Mitteln die Zuflucht genommen werden musste. Man kann jeden¬ 
falls in solchen Fällen eine individuelle Empfänglichkeit (Idio¬ 
synkrasie) gegen das Quecksilber annehmen, mit der man bei 
jeder Quecksilberapplikation rechnen muss. Weitere Kompli¬ 
kationen, besonders die bei den unlöslichen Salzen zu fürchtenden 
Embolien, kamen in nieinen Fällen nicht zur Beobachtung. Die 
1—2 proc. Sublimatinjektionen werden jeden zweiten Tag wieder¬ 
holt, 25—30 genügen im Allgemeinen, so dass man i mm erhin 
mit einer 2 monatlichen Dauer der Kur rechnen muss. Frauen 
vertragen die Injektionen am Anfang zuweilen nicht besonders 
gut : Ucbelkeit, allgemeines Unbehagen, Schwächegefühl treten 
auf, nach 5—6 maliger Anwendung verschwinden aber meist 
diese Symptome; es ist natürlich, dass sic, wenigstens ausserhalb 
des Krankenhauses, viel seltener wie die Männer zu dieser Kur 
sich entschliesscn. 

Ich wandte auch — meist bei wiederholt nöthiger Queck¬ 
silberkur (Recidiven) — die von Lukasiewicz empfohlene 
5proc. Sublimatlösung, ebenfalls mit Kochsalz vermischt, an; 
sie hat den Vortheil, dass bloss wenige, 4—6, Injektionen in 
Zwischenräumen von 8—10 Tagen nöthig sind. In der Wirkung 


sind dieselben ziemlich erfolgreich, jedoch lässt sich wegen der 
starken damit verbundenen Schmerzen an der Injektionsstelle, 
die oft Tage lang anhalten, deren ausgedehnter Gebrauch nicht 
empfehlen; auch Kobel, der zahlreiche Fälle mit diesem Mittel 
behandelte, möchte desshalb dessen Anwendung auf das Kranken¬ 
haus beschränkt wissen. Es ist natürlich, dass bei den Injektions¬ 
kuren dieselbe Sorgfalt bezüglich der Mundpflege, dieselben 
Kautelen in der Diät und Lebensweise einzuhalten sind wie bei 
den lnunctionen und dass der Patient wenigstens einmal in der 
Woche ein warmes Bad nehmen muss. Nach durchgeführter 
Quecksilberkur jeder Art halte ich den fleissigen Gebrauch von 
Dampfbädern oder wenigstens warmen Bädern für ausserordent¬ 
lich wichtig, wie überhaupt die Hydrotherapie als Unterstützungs¬ 
mittel der antisyphilitischen Behandlung und als Nachkur der¬ 
selben eine wichtige Rolle spielt. 

Nach dem Angeführten sind wir wohl berechtigt, die intra- 
musculären Injektionen mit 1- resp. 2-proc. Sublimatlösung als 
ein sehr werthvolles, energisch wirkendes Behandlungsmittel, 
welches zugleich das relativ unschädlichste aller gegen Lues 
empfohlenen Injektionspräparate ist, zu bezeichnen. Wenn 
deren Anwendung aus äusseren Gründen nicht möglich ist, so 
käme in zweiter Linie das salicylsaure Quecksilber in Betracht, 
bei dessen Gebrauch man jedoch sehr vorsichtig, mit kleinen 
(14—14 Spritze) Dosen beginnend, Vorgehen muss. Die übrigen 
unlöslichen Quecksilberverbindungen bieten alle mehr oder we¬ 
niger Gefahren und sind daher für die tägliche Praxis des Arztes 
nicht zu empfehlen. Wenn auch weiterhin in vielen Fällen die 
Einreibungskur nicht zu umgehen ist und noch ausgeführt wird, 
so ist doch, wie nochmals kurz zusammengefasst sei, den In¬ 
jektionen unter folgenden Umständen der Vorzug zu geben: 

1. Wenn sonstige Erkrankungen der Haut 
oder der Verdauungsorgane die Anwendung 
der Schmierkur oder Pillen nicht zulassen. 

2. In Fällen von schwerer Syphilis, wenn 
wichtige Organe ergriffen sind und es sich 
darum handelt, rasch und energisch einzu- 
greifen. 

3. Wenn es gilt, eine zweifelhafte Diagnose 
aufzuklären. 

4. I n denjenigen Fällen, wo die anderen 
Quecksilberpräparate schon vergebens ange¬ 
wandt worden sind — bei wiederholten Reci¬ 
diven — und schliesslich 

5. Abwechselnd mit anderen Methoden bei 
der intermittironden Behandlung (nach Four- 
nier-Ncisscr). 

Dabei dürfen wir aber nie vergessen, dass, gleich wie das 
Syphilisvirus, ebenso das Quecksilber verschieden auf den einen 
oder anderen Organismus wirkt, dass wir daher genau individua- 
lisiren müssen. Ohne dass wir die inneren Gründe anzugeben 
wissen, kann die eine Methode versagen und die andere den ge¬ 
wünschten Erfolg bringen, können wir in die Lage kommen, nicht 
nur von Fall zu Fall, sondern auch bei ein und demselben Pa¬ 
tienten von einem zum anderen Male unsere Behandlung zu 
ändern. Daher ist cs wichtig, dass wir mit allen Methoden der¬ 
selben vertraut sind und das gesammte Rüstzeug, da9 uns zu 
Gebote steht, beherrschen, um die verheerende Syphilisseuche 
mit ihren Folgeerscheinungen erfolgreich zu bekämpfen! 

Literatur: 

John H. Hunte r: On the veuereal diseases. London 1786. 
— N e u m a n u - Wien ln Drasclie’s Bibliothek der gesammten 
med. Wissenschaften: Venerische und Hautkrankheiten. Von Doe. 
Dr. Weiss. Wien und Leipzig 1900. — M. H 0 f 1 e r - Tölz- 
Krankenheil: lieber die Methode der Quecksilbereinrelbungskureu 
im Bade Tölz-Krankenheil. Monatsh. f. prakt. Dermatologie 1899 
(Bd. XXIX, No. 12). — H. Schaper: Zur Statistik der geschlecht¬ 
lichen Infektionskrankheiten in der Charitö. Berl. lclin. Wochen¬ 
schrift 1900, No. 44. — Mo eil: Ueber Hirnsyphllis. Ibidem 1901, 
28. Januar. — M. E i n h o r n - New-York: Ueber Syphilis des 
Magens. Arch. f. Verdnuungskrankb. VI. Bd., 2. H. Herausgo- 
geben von Boas-Berlin. — A. Blaschko: Ueber einige Grund¬ 
fragen in der Behandlung der Syphilis. Vortrag, gehalten in der 
kgl. Charitö zu Berlin am 2. Nov. 1900. Berlin 1901. Gedruckt 
bei L. Schuhmacher. — We 1 a n d e r - Stockholm: Ersatz der 
Schmierkur u. s. w. Archiv f. Dermat. u. Syph. Bd. 46. H. 2. 
Referat in Münch, med. Wochenschr. 1900, G. März. — Jordan- 
Moskau: Ein Beitrag zur Welander’schen Sackbehandlung der 
Syphilis. Monatsh. f. prakt. Dermatologie. Bd. XXX, No. 11. — 
Krelss-Züricb: Ueber die Verdunstung des Quecksilbers und 


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2. Juli 1901. 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1089 


deren Bedeutung bei der Einreibungskur. Ibidem, Bd. XXXII, 
No. G. — Gaueher - Paris: Die Behandlung der Syphilis. Referat 
ibidem, Bd. XXXI. No. 6. — Coplin-Stinson - San Frau- 
sisko: Gehirn- und RUckenmarkssyphills, mit intramuscularen In¬ 
jektionen unlöslicher Quecksilbersalze behandelt. New-York med. 
Journ. 1S09, 2. Sept — A. Renault: Capilliire (Lungen-)Em- 
lH>lien in Folge von Kalomelinjektion. Presse medicale 1891). 
No. 102. — Paul Raymond: Die Quecksilberinjektionen bei 
der Syphillsbehandlung. Gazette des Höpitaux 1892, No. 79. — 
J. Kobel: Behandlung der Syphilis mit 5proc. Sublimatlösungen 
nach Lukasicwiez. Wiener klin. Rundschau 1899, No. 30. — 
Milnch. med. Wochenselir., Jalirg. 1896—1900: Berichte aus den 
Pariser medicinlschen Gesellschaften. — G. Hcermann, Privat- 
docent ln Kiel: Die Syphilis in ihren Beziehungen zum Gehör¬ 
organe. Halle a. S., Verlag von C. Marhold, 1900. 


Kasuistische Beiträge zur Lehre von der ektogenen und 
endogenen Intoxikation (nach Senator).*) 

Von Dr. Tippei, dirig. Arzt der Heilanstalt zu Kaisers¬ 
werth a. Rh. 

M. H.! Gegen Ausgang des vorigen Jahres hatte ich Ge¬ 
legenheit, zwei Fälle von Intoxicationen zu beobachten, über die 
ich hier berichten möchte: 

In dem ersten Falle handelt es sich um eine Metzgersfrau vom 
Westerwalde, die vor Jahresfrist eine schwere Entbindung und elu 
langwieriges Wochenbett durchgemacht hatte. Als einige Wochen 
nach der Entbindung das Kind starb, zeigten sich bei der Mutter 
bald Spuren von Melancholie mit hypochondrischen Selbst¬ 
beobachtungen und Beschwerden. Unter Anderem wurde monate¬ 
lang bald ül>er Kopfschmerzen, Herzbeschwerden und Magen¬ 
schmerzen geklagt, ohne dass sich fiir diese, nach Angabe der 
Kranken abwechselnd auf tretenden Empfindungen ärztlicherseits 
objektive Unterlagen in Organerkrankungen feststellen Hessen. 

Mit Zunahme der psychischen Krankheitserscheinungen im 
Herbst 1900 verweigerte die Frau dann zeitweilig die Nahrung, so 
dass die Wägung bei der am 5. November erfolgten Aufnahme 
in unsere Heilanstalt elu Körpergewicht von 52 kg ergab; im Ver- 
liültnlss zur Körpergrösse von 174 cm und zu dem starken Knochen¬ 
bau ein niedriges, entsprechend dein dürftigen Stande der Er¬ 
nährung, der sich durch schlaffe, blasse Hautdecken, starke 
Anaemie der Schleimhäute und gering entwickelten Muskel- und 
Fettansatz kennzeichnete. 

In den ersten Wochen des Anstaltsaufenthaltes befand sie 
sich meist in mässiger Unruhe, war aber durch prolongirte Bäder 
und geringe medikamentöse Unterstützung — sie erhielt im 
Ganzen 4,0 Trional und 3,0 Dormiol — so in Ruhe zu halten, dass 
sie auf der Ueberwachungsabthellung für Ruhige liegen konnte. 
Dagegen machte die Nahrungsaufnahme beständig Schwierig¬ 
keiten. 

Am 4. Dezember klagte sie nun plötzlich über Magenschmer¬ 
zen, ohne diese näher bezeichnen zu können und erbrach Früh¬ 
morgens nüchtern eine mässige Menge dünnbreiiger Massen, die 
einen üblen fauligen Geruch verbreiteten. Nach dem Erbrechen 
fiel bei der Kranken eine tiefe, ca. 2 Tage hindurch anhaltende 
Prostration auf; ferner eine grüngelbe Hautfarbe, die sich über den 
ganzen Körper erstreckte; die sonst sehr blassen Schleimhäute zeig¬ 
ten noch am 6. eine Andeutung davon. Die Palpation der Magen- 
und Lebergegend schien etwas schmerzhaft zu sein, aber nirgends 
war eine Resistenz, Dämpfung oder gasige Auftreibung festzu- 
-stelleu. Der Puls war fadenförmig, regelmässig, ca. 60 Schläge 
In der Minute. Der Verdacht auf eine Betheiligung seitens der 
Galle liess sich nicht aufrecht erhalten nach den weiter anzu¬ 
führenden Gründen. Es wurden nun am 4. XII. und den 3 nächst¬ 
folgenden Tagen Ausspülungen des Magens mit ca. 3 proc. lnu- 
wanner Borlösung vorgenommen; bei der ersten wurden in dev 
Spülflüssigkeit, die am Anfang auch den Geruch nach Fäulniss 
auf wies, krümmelige. schmutzig-graue Leber- und Fleisch theil- 
chen neben Fettkügelchen in geringer Menge herausgefördert. 

Es liess sich nun unschwer feststellen, dass der Mann der 
Kranken am 3. XII. beim Besuche ein ca. 10 cm langes Stück 
frischer, nicht geräucherter Leberwurst der Kranken übergeben 
lies«, die er einige Tage vorher selbst bereitet und in der Rock¬ 
tasche, in Zeitungspapier gewickelt, umhorgetragen hatte. Sie soll 
nach Aussage der Pflegerin aussen nicht sehr schön ausgesehen 
haben und von der Kranken nur zum Theil genossen sein. Es liess 
sich hinterher nichts weiter feststellen, da der Wurstrest bereits in 
die Abfälle geworfen war. Die an den kritischen Tagen erfolgten 
Dannentleerungen zeigten ebenfalls eine graugelbe Farbe, so dass 
diese züerst den Verdacht auf Betheiligung der Gallenwege ver¬ 
stärkten. Bel entsprechender Diät erholte sich die Frau nur lang¬ 
sam. zumal sie auch aus psychischen Gründen die erforderliche 
Nahrung nur unter einigen Schwierigkeiten nahm. Da nun andere 
Kranke um Jene Zeit ln unserer Anstalt die gleichen oder ähnliche 
Erscheinungen nicht boten, so dürfen wir schon mit Rücksicht auf 
die zweifellos sichere Ursache die Erkrankung als eine „Wurst¬ 
vergiftung“ oder „ectogene Intoxikation“ bezeichnen. 


•> Vortrag. gehalten Im Verein der Aerzte Düsseldorfs am 
15. April 1901. 


In dem anderen Falle handelt es sich um ein kleines Mädchen 
vou ca. 6 Jahren; dieses, die Tochter eines Kollegen, verweilte bei 
einer mir befreundeten Familie zu Besuch und befand sich bis zum 
2. Weihnachtsfeiertage wohl. Da fiel sie plötzlich Früh gegeu 
10 Uhr um, wurde bewusstlos, liess ohne Empfindung dafür Urin 
unter sich gehen, hatte Krämpfe und zeigte Schaum vor dem 
Munde. So lautete der Bericht, den ich bei meinem ca. >/. Stunde 
später erfolgten Eintreffen erhielt. Bis dahin lag sie unverändert 
da; aufgelegte kalte Umschläge blieben angeblich ohne Einfluss auf 
das Krankheitsbild. Ich befreite das Kind sofort von den ein- 
engenden Kleidungsstücken und stellte anamnestisch fest, dass es 
vor ca. 4 Jahren ähnliche Erscheinungen gezeigt habe. Damals sei 
von dem hinzugezogenen Kollegen als Ursache Obstipation ange¬ 
nommen und durch Eingüsse und Chloroform nach ca. 12 Stunden 
eine Restitutio ad integrum erreicht worden. Ich beobachtete 
währenddem klonische Krämpfe im rechten Facialis und mässige 
klonische und tonische Krämpfe im rechten Bein. Die Pupillen, 
beiderseits von mittlerer Weite, reagirten auf Lichteinfall prompt, 
der Lidcomealreflex war erloschen, Patellarsehnenreflex nicht aus¬ 
zulösen. Die Haut war mit feuchtem, klebrigem Schwelss bedeckt, 
der Puls sehr beschleunigt, kräftig, unregelmässig. Die kleine 
Patientin war mir seit einigen Jahren als Tochter einer recht 
lebhaften Mutter bekannt, in deren Familie Nervosität mit Reizbar¬ 
keit und Herzpnlpitationen verbreitet ist. Sie wurde mir auch 
vor ca. ly 2 Jahren wegen Enuresis nocturna zugeführt; ausser¬ 
dem musste beständig über ihre Defaecation gewacht werden, da 
sie sich wohl zum grössten Theil in Folge ihrer grossen IiObhaftig- 
keit ln dieser Beziehung sehr unzuverlässig erwies. Trotzdem mir 
nun versichert wurde, dass In der letzten Zeit jeden Tag Stulil- 
eutleenmg erfolgt sei und In der Beköstigung die grösste Vorsicht 
obgewaltet habe, hielt ich es schon mit Rücksicht auf die frühere 
Erkrankung für angezeigt, ebenfalls eine Reinigung des Darm¬ 
rohres vorzunehmen. Bei der Einführung des welchen Gummi¬ 
rohres musste ein sehr starker Sphlnktereukrampf überwunden 
werden; dieser schien nachher auch den Abfluss der eingeführten 
Spülflüssigkeit zu verhindern. Um dies Hemmniss zu beseitigen, 
führte ich ein Stuhlzäpfchen ein und konnte bei der Fixirung 
desselben mit den Fingern nach ca. 5 Minuten fühlen, wie der 
Krampf nachliess. gleichzeitig hörten die ln der Zwischenzeit bald 
links bald rechts in den verschiedensten Gebieten aufgetretenen 
Krämpfe meist klonischer Art auf. Die kleine Patientin erlangte 
vorübergehend das Bewusstsein und konnte bei der Defaecation 
etwas mitpressen. Die Eingüsse wurden dann mehrfach wieder¬ 
holt, nach und nach Hessen die Krämpfe an Intensität und Zeit¬ 
dauer nach, wenige Tropfen Chloroform lösten Erbrechen von 
etwas Schleim aus und nach ca. 5 Stunden — von Beginn der 
Krankheitszeichen gerechnet — verfiel Patientin nach wieder¬ 
erlangtem Bewusstsein in einen mehrstündigen Schlaf. Eine Er- 
inhcrung an die Vorgänge hatte sie ln den nächsten Tagen nicht. 
Auffallender W'eise zeigte nun die Spülflüssigkeit keineswegs viel 
Koth. Dagegen fiel ein ausserordentlich übler fader Geruch auf; 
das Spülwasser zeigte keine normale Kothfärbung. sondern mehr 
das Aussehen von zerkochtem Eiweiss (zerfahrene Suppe). Jeden¬ 
falls konnte hier m. E. eine Obstipation nicht als Ursache ange^ 
sehen werden. Da nun nach den Angaben der mir seit Jahren 
als zuverlässig bekannten Verwandten der kleinen Patientin die 
vorher dargereichten Speisen keine schon in diesen bestandenen 
Schädlichkeiten von aussen in den Körper gebracht haben konnten, 
so lag der Gedanke an eine endogene Intoxikation nahe, um so 
mehr als auch Würmer oder andere Darm Parasiten nicht nach¬ 
zuweisen waren. Wie eine solche Autointoxikation zu Stande 
kommen kann, soll weiter unten Gegenstand der Erörterung sein. 
Die Kleine war nämUcli, wie ich noch nachträglich erfuhr, plötz¬ 
lich wegen der Erkrankung ihres Bruders an Masern vom Hause 
entfernt, zeigte aber nach ca. 8 Tagen ebenfalls Masernsymptome. 
Wir dürfen desshalb annehmen, dass um Weihnachten bereits 
das Masemgift In dem Körper vorhanden wär und eine Ursache 
für die geschilderten Zustände abgab. 

Wir würden demnach in beiden Fällen von einer Intoxication 
sprechen können, und zwar in dem ersten von der ektogenen 
Form, in dem zweiten von der endogenen. Dass ich in der Schil¬ 
derung der beiden Fälle nicht wesentlich Neues geboten habe, 
dessen bin ich mir wohl bewusst. Ich möchte aber an dieselben 
eine kurze TÜbersicht über die diesbezügliche Literatur an¬ 
knüpfen, und den praktischen Werth in Bezug auf das neue 
Schlachtvieh- und Fleischbeschaugesetz vom 22. Mai 1900 er¬ 
wähnen. 

Bei der Durchsicht der recht zahlreichen Angaben — ich 
zählte über 70 — der Literatur der letzten Jahre fällt cs vor allen 
Dingen auf, dass dieselbe in der letzten Zeit nur wenige Schil¬ 
derungen von gleichen oder ähnlichen Erkrankungsfüllen bringt. 
Wenn ich nun auch annehme, dass nicht jeder der zur Beobach¬ 
tung gelangten Fälle auch veröffentlicht wurde, so erscheint doch 
auch die Annahme berechtigt, dass bezüglich der Wurstvergiftung 
der vielerorts eingeführte Schlachthausbetrieb, grössere Sauber¬ 
keit und grösseres Verständnis«* für die letztere bei den V urst- 
macliern neben anderen Dingen viel zur Verminderung der Wurst¬ 
vergiftungen beigetrngen haben. Dass aber in dieser Beziehung 

2 * 


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1090 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


noch nicht alle Ucbelstände beseitigt sind, geht aus einer Unter¬ 
suchung SchillingV) in Leipzig hervor. Er fand imWurstdarme 
Kotbrückständc (Wurstschmutz) in Mengen von 2,16 bis 5 Gramm 
auf 1 Meter Darm. So ist es naheliegend, bei frischen oder 
schwach geräucherten Würsten, die leicht Schimmelpilze an- 
setzen und in diesem Schmutze bereits Bacterien enthalten, die 
aetiologische Ursache einer grossen Zahl von Gastroenteritiden 
zu suchen. 

Eine besondere Beachtung verdient ferner die Veröffent¬ 
lichung von L a u k l ) allein schon ihrer historischen Angaben 
und der Schilderung der speeiellen Krankheit-szeiehen wegen. 
Eine grössere Epidemie in Prag 1895 schildert Bail’); er nimmt 
als Krankheitserreger Mikroorganismen an, die im menschlichen 
Körper nicht weiter wachsen können. Diese durch van Er- 
m o n g h e in entdeckten Botulinuskeime werden nach B a i l’s 
Experimenten durch die Fliegen an ihrem Körper fortgetragen 
und so auf Nahrungsmittel deponirt. Dadurch ergibt sich der 
praktische Hinweis auf möglichste Sauberkeit beim Verkehr mit 
Nahrungsmitteln, auf Schutz des Fleisches gegen Fliegen durch 
Bedecken mit Netzen und auf die Vermeidung alles dessen, was 
die Ansammlung und Vermehrung der Fliegen begünstigt. 

Was sodann die Veröffentlichungen über Krämpfe im Kindes¬ 
alter anbelangt, so möchte ich besonders auf das ebenso ausführ¬ 
liche wie vortreffliche Reierat von Lange*) auf der 71. Natur¬ 
forscherversammlung in München 1899 hinweisen. Von anderen 
seien in aetiologischer Beziehung die Beobachtungen von West- 
p h a 1 *) und Blum’) erwähnt des Inhalts, dass Entfernung 
der Schilddrüse Tetanie hervorruft. Dass Tetanie nach In¬ 
toxikation mit Extr. filic. m. entstehen kann, schildert 
Dämmer 7 ). 

Aber in unserem Falle handelt es sich nicht um diese Ur¬ 
sachen, sondern um oinelntoxikation, deren Natur mir aber keines¬ 
wegs gesichert erscheint. Mit einiger Berechtigung weist ja 
zweifellos die wenige Tage später erfolgte Masemeruption auf 
die von Lange so bezeichnet© „initiale infektiöse Eklampsie“ 
hin. Da aber eine Temperatursteigerung weder bei der Krampf - 
periodo am Tage noch später am Abend vorhanden war, wie 
thermometrisoh festgestellt wurde, so müssen wir nach Lange 
„eine bacteriologisehe Giftwirkung auf die nervösen Organe“ an¬ 
nehmen mit Ausschaltung von anatomischen Läsionen. Eine 
epileptische Grundlage ist ebenso auszuschlicssen, da sich doch bei 
dem Wiederauftreten der Krämpfe in so grossen Intervallen, 
wie in unserem Falle, in den anfallsfreien Zeiten keine psychi¬ 
schen, vasomotrischen oder andere Störungen (ausser der Enuresis 
nocturna) zeigten. Ebenso möchte ich die Idee der Reflex¬ 
konvulsion, wie sie G o w e s mit besonderer Schärfe vertritt, 
bei dem Mangel an Koprostase und Würmern von der Hand 
weisen. Dass schliesslich kein Ceruminalpropf oder adenoide 
Wucherungen mit in das Bereich der Betrachtung gezogen werden 
können, ergibt sich aus der spezialärztlichen Beobachtung des 
Vaters der Kleinen. Es handelt sich m. E. demnach zweifellos 
in beiden Fällen um Intoxikation. Diese hat vor Kurzem 
Senator*) in der Deutschen Klinik von Lcyden-Klem- 
p c r e r am Eingänge eines beachtenswerthen Aufsatzes folgender- 
mnnssen definirt: „Die autochthone (endogene) Intoxikation be¬ 
deutet eine Erkrankung des Körpers durch ein in ihm gebildetes 
Gift im Gegensatz zu jenen Erkrankungen, welche durch von 
aussen her fertig einverleibte Gifte erzeugt werden (ektogene In¬ 
toxikationen).“ Er hat diesen Begriff 1868 mit besonderer Rück¬ 
sicht auf die vom Verdauungskanal ausgehenden Vergiftungs- 
zustündo in die Pathologie eingeführt. Mit Bezug auf unser 
Thema wollen wir auch nur dieses beschränkte Gebiet weiter 
betrachten, wenn wir auch daran denken wollen, dass „allmählich 
fast alle Symptomenkomplexe in das weitere Gebiet bezogen 
worden sind, die sich nicht auf unmittelbar äussere Einwir¬ 
kungen, wie Vergiftungen und Verletzungen, oder grob me¬ 
chanische Verhältnisse, wie Circulationsstörungen, zurückführen 

’) Deutsche med. Woehenschr. No. 37. 1000. 

*) Miinch. med. Woehenschr. No. 39. 1900. 

*) Münch, med. Woehenschr. 1901. No. 4. 

*) Münch, med. Woehenschr. 1900. No. 2. 

s ) Münch, med. Woehenschr. 1900. No. 50. 

*) Münch, med. Woehenschr. 1900. No. 43. 

9 Münch, med. Woehenschr. 1900. No. 46. 

*) Die deutsche Klinik am Anfang des 20. Jahrhunderts von 
Leyden-Klemperer. Heft 1. 


lassen“ (nach Senator). „Eine solche Ausdehnung des Be¬ 
griffs der Autointoxikation ist nur möglich geworden, weil der 
Begriff von Gift und Vergiftung selbst kein scharf um¬ 
grenzter ist.“ 

Nach Senator würden wir 4 Hauptgruppen dieser Auto¬ 
intoxikationen annehmen je nach dem Orte ihrer Entstehung 
und nach der Art, wie sie von dort in das Blut gelangen, und 
zwar: 

1. Solche, welche durch behinderte Ausscheidung normaler 
Auswurfstoffe, entstehen (Retentions-Autointoxikationen). 

2. Solche, welche in (normalen oder abnormen) Ilohlräumen 
des Körpers durch Zersetzung (Fäulniss, Gährung) entstehen 
und von da durch Resorption in den Kreislauf gelangen (Re- 
sorptions-Autointoxikationen). 

3. Vergiftungen, entstanden durch abnorme Blutbeschaffen¬ 
heit und abnorme Stoff Wechselvorgänge in den Geweben dc3 
Körpers (dyskrasische oder histogene Autointoxikationen). 

4. Vergiftungen, bedingt durch Toxinbildung von Mikro¬ 
parasiten bei Infektionskrankheiten (Infektions-Autointoxi¬ 
kationen). 

Bereits vor 30 Jahren hat Senator darauf hingewioseu, 
dass im Magendarmkanale in der Norm, noch mehr aber unter 
abnormen Verhältnissen, giftige Stoffe gebildet werden. „Wenn 
es doch verhältnissmässig selten zu Vergiftungen durch dieso 
namentlich aus der Eiweissfäulniss hervorgehenden Giftstoffe 
(Phenole u. a.) kommt, so liegt der Grund dafür darin, dass die 
Menge jener Stoffe zu gering ist oder dass sie zu schnell aus¬ 
geschieden werden oder dass sie von der unverletzten Magen- 
Darmschleimhaut nicht hinreichend resorbirt werden oder 
endlich, weil sie schon im Darm, noch mehr aber nach ihrer Re¬ 
sorption in der Leber und jenseits derselben im Blute und in 
den Geweben, unschädlich gemacht werden, sei es durch Zer¬ 
setzung oder durch Ueberführung in ungiftige Verbindungen, 
überhaupt durch Schutzvorrichtungen, welche dem Körper zur 
Verfügung stehen. Erst, wenn diese Schutzvorrichtungen ver¬ 
sagen, kann es zu einer Vergiftung kommen.“ Ob jedesmal eine 
Intoxikation und nicht vielmehr auch Reflexwirkungen bei der 
Aetiologie so manches Krankheitsbildes, wie z. B. bei der Ob¬ 
stipation mit Kopfschmerz, Schwindel etc. eine Rolle spielen, 
diese Frago lässt auch ^Senator offen. 

Diese und andere Gesichtspunkte namentlich betreffs der 
Therapie weiter an der Hand des sehr lesenswerthen Aufsatzes 
hier auszuführen, würde uns über den Rahmen unseres Themas 
hinausführen. 

Was schliesslich die Fleischvergiftung im Speziellen anbe¬ 
langt, so kann man nach Gärtner“) unterscheiden: Intoxi¬ 
kationen und Infektionen mit Fleisch von Thieren, die vor der 
Schlachtung krank waren; hier kommen hauptsächlich septi- 
kaemischo Processe in Betracht. Die bei solchen Fleischver¬ 
giftungen gefundenen Mikroorganismen sind alle mehr oder 
weniger dem Bacter. coli ähnlich. Hierbei ist zu berücksich¬ 
tigen, dass es Gifte gibt, die der Siedehitze widerstehen, während 
andere durch diese völlig oder theilweiso zerstört werden. Die 
Schädlichkeiten beruhen auf einer Intoxikation oder einer In¬ 
fektion mit nachfolgender oder gleichzeitiger Intoxikation. Hier 
können die Bacterien proliferiren und ihr Gift kommt dann zu 
dem schon vorhandenen hinzu. Vielfach vermehren sich die 
Bacterien in dem Fleische und den Organen des geschlachteten 
Thiercs. Dann kann es sich ereignen, dass die Personen, welche 
Fleisch frisch gemessen, gesund bleiben oder leicht erkranken, 
während andere schwer affizirt werden, welche es nach einigen 
Tagen essen. Oft ist dem toxischen Fleische nichts anzumerken, 
mitunter findet sich eine gewisse Verfärbung oder ein fader, 
süsslicher, widerlicher Geruch oder Geschmack. 

Ferner kommen Vergiftungen vor mit Fleisch und Wurst 
von Thieren, die vor der Schlachtung nicht nachweislich krank 
waren. Hier erweisen sich namentlich später genossene Theile, 
wie Leber und Schinken, gänzlich oder theilweise giftig. Zu¬ 
weilen sind solche Fleischstücke im Beginn der Zersetzung und 
es können die Ptomaine der Fäulniss (Muscarin, Neurin etc.) 
die Erscheinungen bewirken. Meist sind es specifische Gifte; 
so erzeugt z. B. der Bacillus botulinus (v. E r m e n g h e m) ein 
dem Diphtherie- und Tetanustoxin nahe verwandtes Gift. 
Gärtner nimmt an, dass diese toxinbildenden Mikroben ent- 

•) Leitfaden der Hygiene 1899. 


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2. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCitEttSCÖRIFf. 


100i 


weder in minimaler Zahl in dem lebenden Thiere schon vor¬ 
handen waren, ohne letzteres jedoch sichtbar krank zu machen, 
oder dass sie in einzelne Stücke des geschlachteten Thieres ge¬ 
langten, sich dort vermehrten und das Gift erzeugten. 

Die giftige Wirkung kommt nicht allen Substanzen zu, die 
durch Bacterienwirkung aus den Eiweisskörpern abgespalteu 
werden, sondern nur einigen. Diese bezeichnet man nach 
B r i e g e r als Toxine, im Gegensatz zu den ungiftigen Pro¬ 
dukten der Leichenfäulniss, den Ptomainen (Selm i). So wurde 
aus faulem Fleisch das ungiftige Putrescin, Cadaverin, Neuridin, 
dagegen das giftige Methylguanidin, Neurin, Muscarin, Mydalin, 
Tetanin u. a. gewonnen. Die stark giftigen Substanzen treten 
erst in den späteren Fäulnissstadien auf. Brieger, welchem 
das Hauptverdienst um die Erforschung dieses Gebietes gebührt, 
gewann die Ptomaine und Toxine sowohl aus Fäulnissgemischen 
als auch durch Einwirkung von Reinkulturen; er stellte z. B. das 
Putrescin und Cadaverin aus Cholerakulturen, das Methyl¬ 
guanidin aus Cholerakulturen und den Finkler-Prior-Bacillen, 
das Tetanin aus Tetanuskulturen dar. 

Für diejenigen Herren, welche sich speciell für diese For¬ 
schungen interessiren, verweise ich noch auf die neuerdings er¬ 
schienenen Arbeiten von Czaplewski, Michelazzi, 
Marcus, Bienstock, Escherich, R o o s , Grunow 
u. A. 

Jedenfalls können wir aus den letzten Ausführungen den 
praktischen Nutzen ziehen, dass das Schlachtvieh- und Fleisch¬ 
beschaugesetz vom 22. Mai 1900 nicht die so sehr wünschens- 
werthe Sicherheit für eine gesunde Volksverpflegung bietet. Es 
ist dies ja auch schon mehrfach, so z. B. von Disselhorst 
und Frankel im Verein der Aerztc zu Halle (24. X. 1900) er¬ 
örtert und die Nothwendigkeit eines Reichsgesetzes gegenüber 
den bisherigen landespolizeilichen Bestimmungen der einzelnen 
Bundesstaaten betont. 

Ich muss zum Schluss eilen; eine Besprechung aller hier in 
Betracht kommenden Fragen würde zu weit führen. Ich gebe 
mich der Hoffnung hin, dass diese noch in der Discusaion Be¬ 
rücksichtigung finden werden. 


lieber Ischias syphilitica und ihre Behandlung. 

Von Dr. F. Mendel in Essena. d.Ruhr 

Die mannigfaltigen Entstehungsursachen der Neuralgia 
ischiadica machen es oft ganz besonders schwierig, in manchen 
Fällen sogar unmöglich, eine aetiologische Diagnose zu stellen, 
obwohl gerade diese für eine erfolgreiche Behandlung unum¬ 
gänglich ist. In einer ganzen Reihe von Erkrankungen dieser 
Art und gerade in solchen, welche hartnäckig jeder Therapie 
Trotz bieten, wird man auf den vagen Begriff der „rheuma¬ 
tischen Disposition“ zurückgreifen müssen, ohne, wie man es er¬ 
warten sollte, mit denjenigen Mitteln einen Erfolg zu erzielen, 
welche als Specifica gegen rheumatische Affektionen gelten. Ob¬ 
wohl nun von allen aetiologischen Momenten, welche bei der 
Ischias in Betracht kommen könnten, keines eine wirksamere 
Handhabe für eine erfolgreiche Therapie darbieten würde, als der 
Nachweis eines causalen Zusammenhanges zwischen Syphilis und 
Ischias, so wird doch gerade diese Entstehungsursache in den 
meisten Lehr- und Handbüchern entweder überhaupt nicht er¬ 
wähnt, oder der Zusammenhang beider Krankheiten wird zwar als 
möglich zugestanden, aber als so wenig sicher bewiesen erachtet, 
dass weitere Belege dafür unbedingt nothwendig erscheinen. 

Der Aufsatz von Seeligmüller in Eulcnburg’s Real¬ 
en cyclopädie gedenkt der Syphilis als Ursache der Ischias über¬ 
haupt nicht, während Strümpell in seinem Lehrbuche bei der 
Erörterung der Therapie Jodkalium, wenn ein Verdacht auf Lues 
vorliegt, empfiehlt; bei der Besprechung der Aetiologie der Ischias 
findet aber auch bei ihm die Syphilis keine Erwähnung. Oppen- 
hoi mer hält in seinem Lehrbuche der Nervenkrankheiten „die 
Beziehung der Neuralgia ischiadica zur Syphilis für wenig sicher 
gestellt, wenn man davon absieht, dass zuweilen Gummi¬ 
goschwülste im Nerven constatirt worden sind“. Nach G o w e r 8 
(Handbuch der Nervenkrankheiten) hat man die Syphilis in 
einigen Fällen als Ursache der Neuritis des Ischiadicus ange¬ 
nommen, doch sollen die Fälle so selten sein, „dass zahlreichere 
Belege wünschenswerth erscheinen“. 

**) Münch, med. Wochen sehr. 1901. No. 2. 

No. 27. 


Bei der praktischen Bedeutung dieser Frage erschien es dess- 
wegen wohl angezeigt, drei Fälle von Erkrankung des Nervu3 
ischiadicus bekannt zu geben, deren syphilitischer Ursprung nicht 
nur durch Anamnese und objectiven Befund, sondern auch durch 
den eclatanten Erfolg einer specifischen Therapie mit untrüg¬ 
licher Sicherheit bewiesen wird. 


Fall 1. Emil K., 23 J. alt, Musiker, stammt aus gesunder 
Familie, von der kein Mitglied au Gicht oder rheumatischer Er¬ 
krankung gelitten, war, von Kinderkrankheiten abgesehen, stets 
gesund. Vor 3 Jahren acqulrirte er ein Ulcus durum am Dorsum 
penis, dem nach einigen Wochen ein fleckiger Ausschlag über den 
ganzen Körper folgte. Er machte damals eine längere Einspritz¬ 
ungskur bei Prof. L a s s a r durch und blieb bis zum Beginn seiner 
jetzigen Erkrankung anscheinend völlig gesund. Im Januar 1898 
stellten sich reissende Schmerzen im rechten Beine ein, welche 
vom Gesäss ausgingen und bis zur Mitte der Wade und manch¬ 
mal sogar bis zum Fussrücken ausstrahlten, Tag und Nacht ohne 
Unterbrechung und stets in gleicher Heftigkeit anhielten und jedes 
Gehen und sogar ruhiges Sitzen fast unmöglich machten. Alle 
bisherige ärztliche Behandlung war erfolglos: Elektricitüt brachte 
nur vorübergehende Erleichterung, Jodkalium längere Zelt ge¬ 
nommen (ca. 50 g) half nichts, ebenso wenig Antipyriuinjektlonen. 
Das Allgemeinbefinden war in Folge der Schmerzen und der 
schlaflosen Nächte immer schlechter geworden, die Kräfte auf’s 
Aeusserste reduzirt und der Pat. der Verzweiflung nahe. 

Als er am 28. 4. 98 in meine Behandlung trat, fand ich einen 
abgezehrten Menschen, der bei mittlerer Grösse nur noch 95 Pfund 
wog. Die Untersuchung der Sinnesorgane, der Brust und ganz 
besonders des Unterleibs ergab nichts Pathologisches. Der Stuhl¬ 
gang war regelmässig, der Urin frei von Eiweiss und Zucker. Auf 
dem behaarten Kopfe fand sich in der Gegend des rechten Os 
parietale eine halbkugelige, prall elastisch sich anfühlende, fest 
aufsitzende Geschwulst, deren Basis einen Durchmesser von 
ca. 4 cm hatte. Die Geschwulst war auf Druck nur wenig schmerz¬ 
haft und verursachte dem Pat. auch kaum nennenswerthe Be¬ 
schwerden. Das linke Bein ist völlig normal, frei beweglich und 
nirgends schmerzhaft. Das rechte kranke Bein erscheint im Ver¬ 
gleich mit dem linken entschieden abgemagert, die Musculatur 
spärlicher als an der gesunden Seite. Die Sensibilität ist für alle 
Erreguugsqualitäten intakt. Das Bein wird völlig steif in Hüft- 
und Kniegelenk leicht flektirt gehalten, jede Bewegung ist überaus 
schmerzhaft, der Gang desshalb sehr mühsam, das Bein wird in 
der erwähnten, leicht flektirten Stellung nachgeschleppt und Jede 
Berührung des Bodens nach Möglichkeit vermieden. Die Gelenke 
erscheinen alle völlig intakt, der Nervus ischiadicus hingegen ist 
ln seinem ganzen Verlauf auf Druck empfindlich, am Foraraen 
i8chiadicum, in der Kniebeuge und in der Mitte der Wade hin¬ 
gegen direct schmerzhaft. Die Wirbelsäule zeigt eine deutliche 
Skoliose nach der linken Seite, der Patellarreflex ist vorhanden, 
auf der erkrankten Seite aber entschieden abgeschwächt. 


Diagnose: Gumma oss. parietalis, Ichias syphilitica. 


Therapie: Intramuskuläre Injektion von 1,0 einer lOproc. 
Hydrnrg. sallcyl.-Paraffinemulsion ln die Gegend des Forameu 
ischiadlc. 

Der Erfolg war ein wunderbarer. Schon in der nächsten 
Nacht nach einer Injektion hatten die Schmerzen derart nach¬ 
gelassen, dass Pat., was seit 3 Monaten nicht mehr der Fall ge¬ 
wesen, das Bett nicht zu verlassen brauchte. Nach 2 weiteren 
Injektionen in der Nähe der ersten waren die Schmerzen völlig 
aus dem Bein verschwunden. Das Gumma hatte sich während 
dieser Behandlung nur wenig verkleinert. Nach 5 Injektionen 
entzog sich der Pat., da er sich gesund glaubte, der weiteren Be¬ 
handlung, trotzdem das Gumma noch nicht völlig verschwunden 
war. Ein Itecidiv seiner Ischias ist wenigstens In deu nächsten 
Monaten nicht eingetreten, denn ich habe den Pat. öfters wie 
einen Gesunden dahermarschiren sehen. 

Fall 2. Anton R., 52 J. alt, Fabrikarbeiter, ist in seiner 
Jugend stets gesund gewesen, will auch nie an irgend einer Ge¬ 
schlechtskrankheit gelitten haben. Im deutsch-französischen Kriege 
wurde er durch einen Granatsplitter am rechten Beine verwundet. 
Erst nach mehreren Monaten war die Wunde geheilt, aber er klagte 
seitdem stets über herumziehende Schmerzen in allen Gliedern. 
Vor 4 Jahren bildete sich auf dem linken Schienbein eine An¬ 
schwellung, die sich Anfangs hart anfühlte, auf Cataplasmen aber 
erweichte und incidirt wurde. Die Wunde schloss sich aber nicht, 
bis nach langer Eiterung auf eine energische Einreibungskur mit 
grauer Salbe völlige Heilung folgte. Anfang März 1898 traten 
Schmerzen im linken Bein auf, die vom Gesässe ausgingen und 
bis zum Fussrücken reichten, Tag und Nacht gleichraässig an¬ 
hielten, dem Pat. Ruhe und Esslust raubten und seine Körper¬ 
kräfte auf’s Aeusserste erschöpften. 


Als ich am 25. 4. 98 den stark abgemagerten Pat. untersuchte, 
war er in Folge der Schmerzen und der Entkräftung nicht in» 
Stande, das Bett zu verlassen. Brust und Bauchorgane sind nor¬ 
mal, auch der Kopf und die Sinnesorgane bieten nichts Patho¬ 
logisches. Am rechten Oberschenkel eine verheilte Haut- uud 
Mu8keluarbe. Das linke Bein erscheint im Vergleich zum rechten 
etwas abgemagert, seine Sensibilität entschieden herabgesetzt. 
Der Nervus ischiadicus ist in seinem ganzen Verlaufe auf Druck 
sehr empfindlich, ganz besonders aber in der Gegend des For. 
ischiadic. Jede Bewegung des erkrankten Beines ist schmerzhaft. 
Jede Lageveränderung wird nur passiv mit Hilfe der Hände vor- 


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1092 MÜENCItENER MEDIClNlSCIIE WOCHENSCHRIFT. No. 27. 


genommen. Auf der Mitte der Tibiaknnte befindet sieh eine auf 
l)rnek empfindliche prall elastische Auftreibung. 

Diagnose: Periostitis tlbiae syphilitica. Ischias syphi¬ 
litica. 

Therapie: Intra muskuläre Injektion von 0,1 llydrarg. 
snlicyl. in die Gegend des Kommen ischiadic. In der folgenden 
Nacht hatte I*at. heftige Schmerzen au der Injektionsstelle, welche 
am nilchsten Tage nachllessen. Gleichzeitig verminderten sich 
aber auch die vorher unerträglichen Schmerzen im ganzen Ver¬ 
laufe des Hüftnerven und waren nach 3 im Zeitraum von 14 Tagen 
gemachten Injektionen soweit gebessert, dass Pat ohne Be¬ 
schwerde das Bett verlassen konnte. Die Anschwellung am 
Schienbein war ebenfalls bedeutend zurückgegangen. 

Fall 3. Christian Iv., 34 J. alt, Bergmann, ist, von einer 
Verletzung der rechten Hand und des rechten Auges abgesehen, 
niemals ernstlich krank gewesen, hat auch nie über rheumatische 
Schmerzen zu klagen gehabt. Im Jahre 1880 acquirirte er gleich¬ 
zeitig Tripper und Schanker, war aber, wie er angibt, nach 
3 Wochen durch Einspritzungen und Schmierkur geheilt. Seit 
Juli 1809 wird er von den heftigsten Schmerzen im linken Beine 
geplagt, die von der Hüfte bis zum Fussrücken reichen und be¬ 
sonders des Nachts sich bis zur Unerträglichkeit steigern. Mitte 
Oktober 1800 kam er, auf's Aeusserste abgemagei't, in meine Be¬ 
handlung. Die Schmerzen waren besonders in der letzten Zeit 
noch intensiver geworden, Jede Bwegung des Beines schmerzhaft, 
das Gehen nur in gebückter Stellung und bei gleichzeitiger Ver¬ 
biegung der Wirbelsäule nach der gesunden Seite möglich und auch 
dann nur, wenn er das Bein mit beiden Händen gleichzeitig er¬ 
fasste und vorwärts schob. Auch beim Stehen ist eine völlige 
Geradrichtung der Wirbelsäule nicht mehr möglich. Der Nerv, 
ischiadic. ist in seinem ganzen Verlaufe auf Druck überaus em¬ 
pfindlich. besondere Schmerzpunkte sind an dem ubgemagerten 
Beine nicht nachzuweisen. Die Sensibilität ist im ganzen Beine 
entschieden herabgesetzt, besonders an der hinteren Seite des OlK*r- 
schenkels: auch klagte Pat. Uber Kribbeln und Taubheitsgefühl 
in der erkrankten Extremität. 

Sonst ist, von den Folgen seiner Verletzung an Auge und 
Hand abgesehen, nichts Pathologisches an ihm nachzuweisen. 

Diagnose: Ischias syphilitica. 

Schon nach einer einzigen Injektion von salicylsaurem Queck¬ 
silber in derselben Dosis und an derselben Stelle wie in den 
vorher beschriebenen Fällen tritt eine bedeutende Besserung ein. 
Die Injektionen werden sehr gut vertragen. Pat., der seit Mo¬ 
naten keine Nacht Im Bett zugebracht, empfindet zwar Nachts noch 
Schmerz, kann aber zeitweilig schlafen. Nach 3 Injektionen sind 
die Schmerzen völlig verschwunden, der Hüftnerv auf Druck nicht 
mehr schmerzhaft. Nach 5 Injektionen entzieht sich Pat. der 
weiteren Behandlung. 

Dass es sich in diesen drei Fällen um typische Ischias 
handelt, unterliegt wohl keinem Zweifel, die Schmerzen sind 
sowohl subjektiv wie objektiv genau im Verlauf des Nerven- 
stammes nachzuweisen, eine Erkrankung des Hüftgelenkes oder 
des Beckens ist mit Sicherheit auszuschliessen. Aber auch die 
Syphilis als aetiologisches Moment ist über jeden Zweifel er¬ 
haben. In dem ersten und dritten Falle bietet einen sicheren 
Anhaltspunkt für die vorhandene Lues die Anamnese und wenn 
diese uns auch bei dem zweiten Falle im Stiche lässt, so fallen 
bei diesem, wie auch beim ersten Patienten die noch vorhandenen 
anderweitigen Manifestationen der Syphilis (Gumma des 
Schädels resp. Schienbeins) als schwerwiegendes Kriterium in 
die Wagschale. Völlige Sicherheit aber bietet uns bezüglich der 
Entstehungsursache in allen drei Erkrankungsfällen der wahr¬ 
haft frappante therapeutische Effekt der Quecksilberinjektionen, 
welche ein fast augenblickliches Nachlassen der vorher unerträg¬ 
lichen Schmerzen zur Folge hatten. Die Heilwirkung trat über¬ 
raschend schnell ein, viel schneller als man sonst den Rückgang 
syphilitischer Krankheitserscheinungen nach gleicher Behand¬ 
lung beobachtet und trotzdem die gleichzeitig vorhandenen 
Gummigeschwülste kaum merkliche Veränderungen zeigten. Es 
war desswegen der Gedanke nicht abzuweisen, das salicylsaure 
Quecksilber sei im Stande, auch eine Ischias nichtsyphilitischen 
Ursprungs günstig zu beeinflussen; aber eine Injektion in einem 
über jeden Verdacht der Lues erhabenen, jedoch sehr hart¬ 
näckigen Falle von Ischias verlief ohne Spur eines Erfolges. 

Die prompte Heilung nach llg-Behandlung in unseren drei 
Fällen bietet uns also einen unumstößlichen Beweis für den 
syphilitischen Ursprung der Erkrankungen, und die Schnelligkeit 
der Wirkung findet dadurch ihre Erklärung, dass die Application 
d(>s Heilmittels direct in loco morbi erfolgte und es hier sofort 
seine volle Wirkung entfalten konnte. 

Schwierig bleibt noch die Entscheidung, wie pathologisch- 
anatomisch die syphilitische Erkrankung des Hüftnerven auf¬ 
zufassen ist, ob es sich um eine primäre oder sog. sekundäre, 
durch Druck oder fortgeleitete Entzündung benachbarter Or¬ 
gane hervorgerufene Ichias handelte. Trotzdem sich in den 


beiden ersten Fällen gleichzeitig gummöse Neubildungen an¬ 
derer Skelettheile vorfinden, die Möglichkeit eines syphilitischen 
Tumors in der Gegend des Foramen isehiad. oder an einer an¬ 
deren, dem Nerven benachbarten Stelle a priori nicht mit Sicher¬ 
heit auszuschliessen ist, so spricht doch die starke Druck¬ 
empfindlichkeit des Nerven in seiner ganzen Länge entschieden 
gegen eine derartige Erklärung der Neuralgie. 

Ist die Erkrankung also als eine primäre aufzufassen, so 
bliebe noch zu entscheiden, ob wir es mit einer echten Neuralgie 
oder mit einer Neuritis zu thun haben, eine Frage, welche auch 
bei der gewöhnlichen Ischias nicht selten in suspenso gelassen 
werden muss. Für Neuritis spricht zunächst die Art der syphi¬ 
litischen Nervenerkrankungen überhaupt, dann aber auch das 
Vorhandensein sensibler Störungen, welche besonders im Falle 2 
und 3 deutlich nachzuweisen waren. 

Gummatu im Verlauf des Nerven, wie sie nach Oppen¬ 
heimer als Ursache der Ischias bereits beobachtet sind, dürfen 
wir wohl ausschliesscn, weil nirgends auch nur die Spur einer 
circumskripten Anschwellung im Nervenstamm nachzuweiseu 
war und auch die überall fast gleiche Druckempfindlichkeit des 
Nerven eine solche Annahme widerlegt. 

Klinisch unterscheidet sich die Ischias syphilitica in nichts 
von den aus anderen Ursachen hergeleiteten Neuralgien des Hüft¬ 
nerven. Die nächtlichen Exacerbationen, welche sonst den lue¬ 
tischen Schmerzen eigentümlich sind, bestanden zwar im 3. Falle, 
kommen aber auch bei nichtsyphilitischen Neuralgien vor und 
fehlten bei I und II. Sie bieten uns also keinesfalls ein sicheres 
Erkennungsmittcl bezüglich der Aetiologie. Entscheidend bleibt 
stets für die Diagnose der Nachweis einer syphilitischen Infek¬ 
tion, das Vorhandensein anderer syphilitischer Erscheinungen 
und in zweifelhaften Fällen als wuchtigstes Kriterium die Wir¬ 
kung einer Probeinjektion mit Hg. salicyl. 

Von praktischer Bedeutung ist die Häufigkeit der Ischias 
syphilitica. Ich habe, wenn ich nur die schweren typischen Fälle 
in Anrechnung'bringe, unter ca. 12 Fällen von Ischias in den 
letzten 3 Jahren die vorstehenden 3 syphilitischen Ursprungs be¬ 
obachtet. Mag hier der Zufall eine Rolle gespielt haben, so viel 
ist nach den vorausgegnngenen Erläuterungen feststehend, dass 
die Syphilis nicht selten eine Erkrankung des Nervus ischiadicus 
hervorruft, welche sich in ihrem klinischen Bilde in nichts von 
der gewöhnlichen Ischias unterscheidet. 

Was nun die Wirksamkeit anderer antisyphilitischer Mittel 
bei der vorliegenden Art der Ischias betrifft, so hat sich in un¬ 
serem ersten Falle Jodkalium selbst nach längerem Gebrauche 
als völlig wirkungslos erwiesen; aber auch Hg-Inunctionen 
dürften bei derartigen schmerzhaften Erkrankungen, wo es neben 
dem endgiltigen Heilaffekt auch auf die Schnelligkeit der Wir¬ 
kung ankommt, den Hydr. salicyl.-Injektionen bedeutend nach¬ 
stehen. 

Die Gefahren und unangenehmen Nebenwirkungen der intra- 
musculären Injektionen Embolie, Abscesse, Infiltrate, Schmerzen) 
sind aber nach meinen Erfahrungen so minimale und die Vor¬ 
züge vor der althergebrachten Inunctionskur so bedeutend, dass 
sie dieser nicht nur bei der syphilitischen Erkrankung des Nerv, 
ischiadicus wegen der direct lokalen Wirkung, sondern bei der 
Behandlung der Syphilis überhaupt in vielen Fällen vorzuziehen 
sind. Unter mehr als 1500 Injektionen, welche ich in den letzten 
5 Jahren vorgenommen, habe ich nicht einen einzigen schweren 
Unglücksfall erlebt und die Nebenwirkungen waren so geringfügig, 
dass fast alle Patienten, welche beide Arten der Behandlung 
kannten, schliesslich die Injektionskur den unsauberen und in 
der Privatpraxis lästigen und unzuverlässigen Einreibungen vor¬ 
zogen. Viel mag auf die Art der Ausführung ankommen. Ich 
benutze eine durch Lysol desinfizirte, gewöhnliche Pravazspritze 
mit Gummistempel, welche wegen der Dickflüssigkeit der Paraffin¬ 
emulsion zur Vermeidung eines stärkeren Druckes mit einer 
doppelt so dicken als der gewöhnlichen Nadel armirt ist. Diese 
wird senkrecht zur Hautoberfläche in die Glutaealgegend 
hinein geschnellt. Tritt, nachdem nach dem Rathe 
L e s s e r’s die Spritze abgenommen, kein Blut aus der Nadel, 
dann wird sie mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand in 
ihrer Stellung genau fixirt und dann unter möglichst geringem 
Druck die Flüsigkeit ganz allmählich ausgepresst. Die Schmerzen, 
welche an der Injektionsstelle auftreten und nach 6—8 Stunden 
ihren Höhepunkt erreichen, sind erträglich und werden, da eine 


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2. Juli 1901 


MIJENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


109:1 


Art von Gewöhnung eintritt, mit jeder Einspritzung geringer. 
Begonnen wird deswegen meist mit einer halben, bei empfind¬ 
lichen Patienten sogar mit einer % Spritze, um mit der ein¬ 
tretenden Gewöhnung die Dosis bis zu einer ganzen Spritze 
(= 0,1 Hg salicyl.), welche alle 3—4 Tage applicirt wird, zu 
steigern. Durch diese allmähliche Steigerung der Dosis, welche 
ee gleichzeitig ermöglicht, die bei verschiedenen Patienten so 
verschiedene Toleranz gegen Quecksilber zu prüfen, wird der 
Schmerz nach der Injektion auf ein Minimum reduzirt. Abscesse 
habe ich niemals beobachtet, trotzdem der Stichkanal weder ver¬ 
klebt noch verbunden wurde und die Patienten stets ungestört 
ihrem Berufe nachgingen. Knotige Infiltrate von geringem Um¬ 
fange, welche sich nach den Injektionen zuweilen bildeten, gingen 
stets spontan zurück. 

3 mal trat sofort nach der' Injektion ein starker Husten¬ 
anfall und Seitenstechen auf, welches aber unter Bettruhe in 
wenigen Tagen verschwand, obwohl in einem dieser 3 Fälle im 
linken unteren Lungenlappen eine deutliche Dämpfung und 
Knisterrasseln nachzuweisen war. 

Stomatitis und Darmerscheinungen traten nicht öfter und 
nicht stärker auf, wie bei jeder anderen Queeksilberkur und 
nahmen den gleichen Verlauf. 

In einem Falle stellte sich nach der 3. Injektion ein stark 
juckendes Exanthem zuerst auf der Bauchhaut ein, welches sich 
nach wenigen Tagen über den ganzen Körper einschliesslich 
Kopf und Gesicht verbreitete. Die Haut erschien stark ge- 
röthet und geschwollen wie bei einem schweren Scharlachexan¬ 
them und heilte bei Puder- und Salbenbehandlung unter kleien¬ 
förmiger Schuppcnbildung nach 14 Tagen ab. Um die Annahme 
eines merkuriellen Exanthems zu sichern, wurde versuchsweise 
eine neue Injektion von einer halben Spritze gemacht, worauf, 
als sich Pat. nach 3 Tagen wieder vorstellte, der erneute Aus¬ 
bruch des Exanthems auf der Bauchhaut konstatirt werden 
könnte. Aber auch dieser Pat. ertrug schliesslich die Injektion 
ohne unangenehme Nebenwirkung in allmählich steigender Dosis. 

Durch die beschriebene Injektionsmethode mit langsamer 
Gewöhnung an das Medicament lassen sich also die gefürchteten 
Nebenerscheinungen mit fast nie versagender Sicherheit ver¬ 
meiden und sie hat vor der Inunctionskur ausserdem noch den 
Vorzug der schnelleren und in manchen Fällen auch sichereren 
Wirkung. Denn mögen bei der Inunctionskur auch geringe 
Quantitäten Merkur durch die Respi rationsorganc auf genommen 
werden, die Hauptwirkung auf das syphilitische Virus müssen 
wir nach den Untersuchungen von Schuster (Deutsche Me¬ 
dici nalzeitung No. 34) den beträchtlich grösseren Quecksilber¬ 
mengen zuschreiben, welche durch die Einreibung in die Talg- 
und Knäueldrüsen der Haut getrieben werden und von dort aus 
in die Blutbahn gelangen. Diese Mengen aber hängen des¬ 
wegen nicht nur von der Gründlichkeit und Zweckmässigkeit 
der Einreibung ab, sondern nicht zum Mindesten auch von der 
Beschaffenheit der recipirenden Haut und zwar von dem Reich¬ 
thum derselben an den erwähnten Drüsen und von der mehr 
oder minder lebhaften Blutcirculation, von welcher diese tun¬ 
geben sind. Es werden also diejenigen Veränderungen der Haut, 
wie wir sie im Alter und durch Marasmus entstehen sehen (Ver¬ 
dickung der Epidermis, Verödung der Hautdrüsen, verminderter 
Turgor in Folge eines schwachen Blut- und Lymphstroms), dem 
Eindringen des Quecksilbers Hindernisse in den Weg stellen, 
welche die Wirksamkeit einer Inunctionskur nicht nur beein- 
t richtigen, sondern sogar völlig illusorisch machen können. Fol¬ 
gendes Beispiel möge als Beweis des Vorhergehenden dienen: 

Eine 61‘jähr. Frau, welche durch einen Lebertumor mit mehr 
als 10 mal punktirtem, aber stets recidivlreudem Ascites zum 
Skelet abgemagert war, wurde, als trotz der Unwirksamkeit 
grosser Jodkallumgaben der Charakter der Geschwulst festgestellt 
war, 4 Wochen lang von sachkundiger Hand mit Inuuction von 
<*n. ICO g Ungt. ein. behandelt, ohne dass eine merkliche Verkleine¬ 
rn ng des Tumors oder ein Nachlassen der subjektiven Beschwerden 
nachzuwelsen war. Als nach 3 Monaten der Stand der Dinge der¬ 
selbe geblieben, brachte eine einzige Einspritzung von Hg salicyl.- 
I'Hraffineinulslon nach ganz kurzer Zeit eine objektive und sub¬ 
jektive Besserung und die Fortsetzung der Kur völlige Heilung, 
welche bis heute (5 Monate nach der letzten Injektion) unge¬ 
halten hat. 

Solche Beispiele mahnen uns, der Injektionsbehandlung vor 
der Inunctionskur nicht nur da den Vorzug zu geben, wo un¬ 
erträgliche Schmerzen oder drohende Lebensgefahr eine mög¬ 
lichst schnelle Wirkung erheischen, sondern auch in denjenigen 


Fällen, in welchen die Permeabilität der Haut für Quecksilber 
durch Krankheit oder Alter so sehr herabgesetzt ist, dass trotz 
sachverständigster Einreibung das Heilmittel nicht in ausreichen¬ 
den Quantitäten in die Lymph- und Blutbahn gelangen kann. 


Aus der chirurg. Abtheilung des städt. Krankenhauses „Mariahilf“ 
in Aachen (Oberarzt Sanitütsrath Dr. K r a b b e 1). 

Ueber einen Fall von chronischer ileocoecaler 
Invag ination.*) 

Von Dr. Quadflieg, Hausarzt der chirurg. Abtheilung. 

Rafinesque theilt die Invagiuationcn vom klinischen 
Standpunkt in vier Formen: 

1. in die ultraakute, bei welcher der Patient innerhalb 
24 Stunden stirbt; 

2. in die akute, wenn die Krankheit 2 bis 7 Tage dauert; 

3. in die subakute, wenn die Krankheit sich bis zum 30. Tage 
hinzieht; 

4. iu die chronische, wenn dieselbe monatelang andauert. 

Diese Formen lassen sich selbstverständlich nicht strenge von 

einander abgrenzen. 

Es liegt nun nicht in meiner Absicht, Ihnen über ultraakuic, 
akute oder subakute Invagination zu berichten, sondern über die 
chronische Form. 

Ich hatte Gelegenheit, einen Fall von chronischer Invagina¬ 
tion des Ileum und Coecum zu beobachten und zu operiren. 

Am G. August 1900 wurde auf die chirurgische Abtheiluug 
des städtischen Krankenhauses „Mariahilf“ der lu Frage kom¬ 
mende Patient, 28 Jahre alt, aufgenommen. Er berichtete Fol¬ 
gendes: 

In der Nacht vom 24. bis 25. Mai 1900 seien während dos 
Schlafes plötzlich so heftige Schmerzen und Krämpfe im Unter¬ 
leib aufgetreten, dass er das Bett habe verlassen müssen. Er 
habe etwas Tliee genossen. Hierauf hätten sich die Schmerzen 
etwas gemildert. Der Zustand sei aber noch so schmerzvoll ge¬ 
blieben, dass er schliesslich den Arzt habe kommen lassen. Die 
von diesem verordnete Arznei und Diät hätten Linderung der 
Schmerzen gebracht. 

Schon vor diesem Anfall, vom 24. bis 25. Mal, will Patient 
einlgermaassewan Unterleibskrämpfeu gelitten haben, aber er habe 
denselben keine Bedeutung beigemessen, da sie gewöhnlich in 
horizontaler Lagerung verschwanden. 

Einige Tage nach dem starken Anfall vom 24. zum 25. Mai 
begann er witVler Alles zu essen. Da stellten sich bald wieder die¬ 
selben Schmerzen und Krämpfe im Unterleib ein. wie früher. Die¬ 
selben dauerten so lange, bis alles Genossene erbrochen war. In 
der Folgezeit wiederholte sich das Erbrechen, so oft Patient etwas 
zu sich nahm. Es trat dann für einige Zeit wieder Besserung ein, 
so dass er seine gewohnten Arbeiten wie früher verrichten konnte. 
Leichte Speisen vertrug er jetzt. So wechselten nun in den nächst¬ 
folgenden Wochen gutes und schlechtes Befinden ab. Einmal 
traten wieder Krämpfe auf, so dass er nicht arbeiten konnte und 
sieh in ärztliche Behandlung begeben musste, ein anderes Mal 
blieb er beschwerdefrei, als ob er niemals krank gewesen sei. 

Als nun wieder ein heftiger Anfall von Krämpfen und 
Schmerzen sich eiustellte und der Arzt seines Heimathortes Ihm 
keine Hilfe bringen konnte, wandte Patient sich an einen hiesigen 
Arzt, der ihn 5 mal untersuchte. Dersellx? constatlrte jedesmal 
eine bewegliche Geschwulst lin Unterleib und war zu dem Schluss 
gekommen, es müsse sich um einen Nieren- oder Darintumor 
handeln. Er hatte dein Kranken schmerzstillende Tropfen ver¬ 
ordnet. Da keine Aenderung des Krankheitszustandes sich zeigte, 
kam Patient zu Anfang des Monats August in die Poliklinik des 
Maria hilf hospltals. Ich constatlrte eine sehr bewegliche Unter- 
leihsgescliwulst von Faustgrösse, über deren Charakter Ich mir 
noch kein definitives Urtheil bilden konnte. 

Am G. August fund, wie vorher bemerkt, die KraHkeuhausauf- 
nahme statt. 

Patient war angeblich früher stets gesund und arbeitsfähig 
gewesen; er stammt aus gesunder Familie. Er zeigte einen 
massigen Ernährungszustand, war mässig abgemagert, hatte eine 
blassgellie Haut. Lunge und Herz zeigten keinen abnormen Be¬ 
fund. Dns Abdomen war nicht aufgetrieben. Man fühlte einen 
faustgrossen Tumor, der sehr beweglich war und sich nach der 
linken Nierengegend verdrängen Hess. Ich fühlte den Tumor stets 
nach einigem Suchen unterhalb des Nabels und vorwiegend links 
gelagert. Auf Druck desselben äusserte Patient starke Schmerzen. 
Haruheschwerden haben niemals bestanden. Auch wurde im Urin 
des Patienten niemals etwas Abnormes wahrgenommen. Wold 
bestand andauernd Hartleibigkeit, keine Diarrhoe. Kein Blut 
wurde im Stuhl bemerkt. Der Stuhl war während des Aufenthaltes 
im Krankenhause normal und ohne jegliche Beschwerden. Es 
trat kein Erbrechen auf, es fehlten die Krämpfe und Schmerzen. 
Der Appetit war sehr gut. Nach vorliegendem Befund nahm ich 
nun an, dass es sich entweder um einen Dann- oder Nierentumor 


*) Nach einem Vortrag, gehalten im ärztlichen Leseverein zu 
Aachen im März 1901. 


3* 


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1094 


MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


handele. Für einen Nierentumor resp. linksseitige Wanderniere 
sprach auch noch der Umstand, dass nach Aufblähung des Darms 
mit Luft vom Rectum her der bewegliche Tumor vollständig ver¬ 
schwand. Die Untersuchung in Ohloroformnarkose brachte mich 
ebenfalls nicht zu einer definitiven Diagnose. Patient war ohne 
Jegliche Temperatursteigerung. 

Am 8. August nahm Ich die Operation vor. 

Ich machte zuerst den S 1 m o n’schen Nierenschnitt links und 
fand die linke Niere unverändert festsitzend. Nach Schluss dieser 
Wunde durch Naht und Drainage derselben eröffnete ich ln der 
Medianlinie unterhalb des Nabels das Abdomen. Jetzt präsentlrte 
sich nach einigem Suchen ein Darmtumor, der Im Lumen des 
Darmes seinen Sitz haben musste und sich bald als Invaglnation 
des Ileum und Coecum in’s Kolon erkennen Hess. 

Das Ileum und Coecum waren bis in’s Colon transversum 
hineingewandert und Hessen Bich bis auf eine Partie von 20 cm 
Länge reponlren. Die nicht reponible Partie musste reseclrt 
werden. Ileum und Kolon wurden sorgfältig durch Naht vereinigt, 
hierauf die Bauchwunde durch Etagennähte geschlossen. Die 
Operation nahm 2 Stunden ln Anspruch. 

Das rosecirte Darmstück hatte eine Länge von 20 cm, von 
denen 5 cm dem Ileum und 15 cm dem Coecum und einem kleinen 
Theil des Kolon ascendens angehörten. Der peritoneale Ueberzug 
dieses Dariutheiles war fibrinöseitrig belegt. Der ganze Darm theil 
zeigte sich geschwollen, theils eine Folge der Stauung, thells eine 
Folge der Entzündung. Die Darmmucosa war besonders stark ge¬ 
schwollen und gerütliet, hatte im Coecum breite, tiefe, ringförmige 
Ulcera, die schmierig und graueitrig belegt waren. Der Sitz dieser 
Ulcera entsprach der Spitze des iuvaginirten Theiles. In einer 
Reihe von Füllen der chronischen, ileocoecalen Invaglnation kommt 
es nur zur ulcerösen und schliesslich zur gangraenösen Zerstörung 
der Spitze des lnvaginirten Theiles. 

Der Heilverlauf war vollständig beschwerde- und fieberfrei. 
Nach 3 Wochen durfte der Patient das Bett verlassen. Das Körper¬ 
gewicht nahm bedeutend zu. Appetit und Stuhl waren gut. Am 
39. September wurde Patient geheilt entlassen. 

Hinsichtlich der Aetiologie liegt unser Fall im Dunkeln. 
Ich konnte kein voraufgegangenes Trauma des Abdomen fest¬ 
stellen. Auch lag keine intestinale Störung vor, wie Diarrhoe, 
Darmpolypen, unverdaute Ingesta. 

Am häufigsten werden von Invagination junge Leute be¬ 
fallen. Das Alter von 20—40 Jahren ist besonders für die chro¬ 
nische, ileocoecale Form disponirt. Unser Patient hatte ein Alter 
von 28 Jahren. Nebenbei bemerkt, kommen Invaginationen beim 
Menschen häufiger vor, als man vermuthet. Darmkoliken sind 
stets verdächtig auf Invagination. Es handelte sich in unserem 
Fall, wie wir gesehen haben, um eine ileocoecale Invagination, 
die häufigste Form der Invagination, desshalb so häufig, weil das 
Hernn sehr beweglich und das Kolon fester sitzt und weil Ileum 
und Kolon verschieden an Umfang sind. 

Leichtenstern u. A. schreiben der sphinkterartigen 
Heocoecalklappe einen grossen Einfluss auf die Entstehung der 
Invagination zu, wenn dieselbe mit Tenesmus gepaart ist. Sie 
vergleichen die ileocoecale Oeffnung mit dem Anus. Es heisst, 
dass Ileoeoecalinvaginationen nahezu immer plötzlich auftreten. 
In unserem Fall spricht hierfür die Angabe des Patienten, dass 
er in der Nacht während des Schlafes vom 24.—25. Mai plötzlich 
unter den heftigsten Schmerzen erkrankt sei. Bei einem so plötz¬ 
lichen Beginn der Kranhkeit darf man noch lange nicht sogleich 
an einen akuten Verlauf derselben denken. 

Ein wichtiges Symptom, das uns eher auf die Diagnose der 
chronischen Invagination führen musste, war der kolikartige 
und paroxysmenweise auftretende Schmerz. Im Beginn unseres 
Krankheitsfalles war der Schmerz unerträglich; er milderte sich 
und verschwand dann für einige Zeit. Es wechselten schmerzvolle 
und schmerzfreie Zeit in Intervallen ab. Unser Kranker hatte 
schon einige Tage nach Beginn der Krankheit häufiges Er¬ 
brechen, so oft er etwas zu sich nahm, ein Symptom, das man 
sonst bei der chronischen Ileocoecalinvagination inkonstant, 
manchmal wenige Tage oder Stunden vor dem Exitus letalis nur 
findet. 

Diarrhöen, Blutungen fehlten in unserem Fall, ebenso 
Tenesmus. Die Temperatur zeigte nichts Abnormes. 

Das Abdomen war während des ganzen Krankheitsverlaufes 
weich. In der Regel bleiben die Bauchdecken schlaff und von 
normalem Aussehen; sie sind nicht schmerzhaft, ausser bei auf¬ 
tretender Peritonitis. Unser Kranker will an seinem Leib nichts 
Besonderes bemerkt haben. 

Meteorismus fehlte. Von grossem diagnostischen Werthe 
war der von der Invagination gebildete, durch die Bauchwand 
palpablo und auf Druck schmerzhafte Tumor, der Nierengrösse 
zeigte und daher leicht mit der Niere verwechselt werden konnte. 


No. 27. 


Ein solcher Tumor ist in chronischen Fällen häufiger palpabel 
als in akuten. 

Leichtenstern fand denselben unter 433 Invagina¬ 
tionen aller Art 222 mal. 

Rafinesque fand unter 53 Berichten chronischer Iu- 
vagination 24 mal einen palpablen Tumor erwähnt. 

Der Tumor in vorliegendem Fall zeigte Nierengrösse, 
wechselte nicht sein Volumen, war hart und resistent. 

Ob er sich während der Schmerzanfälle änderte, habe ich 
nicht konstatiren können, da bei uns kein Schmerzanfall zur Be¬ 
obachtung kam. 

Trotzdem nun manches Symptom für eine chronische In¬ 
vagination sprach, hatte ich mich doch nicht des Gedankens er¬ 
wehren können, es könne sich noch um eine linksseitige Wander¬ 
niere handeln. > 

Eine Wanderniere, linksseitig und dann noch bei einem 
Manne, ist zwar eine seltene, aber immerhin mögliche und in 
diesem vorliegenden Falle mit absoluter Sicherheit nicht von der 
Hand zu weisende Affektion. Die Percussion der Nieren ergab 
zwar Dämpfung, jedoch ist sie nicht als maassgebend für die Lage 
der Nieren zu betrachten. Für Wanderniere sprachen die 
Krämpfe, das Erbrechen, der sich gleich bleibende, harte, 
resistente, bewegliche Tumor, der stets nach der linken Nieren - 
gegend zu reponiren war. Endlich musste auch die Darmauf¬ 
blähung mit Luft, durch welche der Abdominaltumor schwand, 
auf die Diagnose: Wanderniere hinführeu. 

In unserem Falle kann man die Krankheit auf circa 
2 Vs Monate mit Sicherheit festsetzen. Man hat noch einen 
längeren Verlauf der Krankheit beobachtet; so berichtet Pohl 
über einen letal endigenden Fall von 11 jähriger Dauer. Der 
Appetit unseres Patienten während des ganzen Verlaufes der 
Krankheit war vermindert. Im Beginne derselben verursachte 
die Nahrungsaufnahme Erbrechen. Nur während des Aufent¬ 
haltes im hiesigen Hospital vor der Operation konnte Patient 
gut und ohne Beschwerden essen. 

Der Zustand der Darmfunktion ist sehr verschieden. 
Während man in manchen Fällen Diarrhoe, regelmässigen Stuhl 
oder abwechselnd Obstipation und Diarrhoe findet, verlief unser 
Fall die ganze Zeit hindurch unter den Zeichen der Obstipation. 

Hinsichtlich des Allgemeinzustandes kann man bemerkeij, 
dass unser anaemisch aussehender Patient eine mässige Ab¬ 
magerung erfahren hatte, im Uebrigen aber, abgesehen von den 
Schmerzanfällen, den Eindruck eines ziemlich gesunden Menschen 
gemacht hatte. 

Die ileocoecale Invagination nimmt in drei Viertel der Fälle 
einen subakuten oder chronischen Verlauf. 60 P r o c. aller 
chronischen Invaginationen sind ileocoecale. Die Morbidität ist 
bei dieser Form fast die geringste. 

Abgesehen von Heilung durch Laparotomie oder durch 
Klystiere und Lufteinblasungen kann auch Spontanheilung ein- 
treten, indem die Invagination spontan reponirt wird oder durch 
Abgang eines Theiles oder des ganzen invaginirten Theiles per 
Anum zur Heilung kommt. 

Nach Abgang des invaginirten Theiles ist es auch noch 
häufig zur Perforation des Darmes in’s Peritoneum gekommen, 
indem der Abgang des invaginirten Theiles zu früh erfolgte. 
Es kann auch zur Bildung einer Kothfistel nach der Blase oder 
nach aussen kommen. 

Literatur: 

Friedrich Treves, Chirurg und Professor, London, 1880: 
Darmobstructiou. 


Eine 35 tägige Obstipation mit „glattem“ Darmver¬ 
schluss. 

Von Dr. Paul Ostermaier in München. 

Der Fall, der dieser kleinen Mittheilung zu Grunde liegt, 
ist kurz folgender: 

14 jiihriges Mädchen, seit einem Jahre menstvulrt, ln den 
letzten Jahren oft 6—8 Tage obstipirt. Nur einige Male war mit 
Abführmitteln nachgeholfen worden. Vor 2 Monaten leichter Ge¬ 
lenkrheumatismus von vierwöchiger Dauer mit reichlicher 
Schweisssekretion ohne besondere Steigerung des Durstgefühls. 
Sonst stets gesund, nicht hysterisch, nicht einmal nervös. 

19. III. Trotz diverser Abführmittel seit 8 Tagen kein Stuhl 
und keine Flatus. Allgemeinbefinden völlig unge¬ 
stört. In der linken Regio illaca ein bis zur Medianlinie nach 


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2. Juli 1901 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1095 


oben gegen den Nabel reichender, druckempfindlicher Tumor, der 
vom leeren Rectum aus sich uneben und stellenweise etwas eln- 
drückbar erweist Jacque’B Patent No. 24 dringt unter Irri¬ 
gation, ohne sich aufzurollen, leicht durch den Sphinkter tertlus 
14 cm vom Anus ln die Höhe. Das zurücklaufende Wasser Ist mit 
vegetabilischen Bestandteilen untermengt Diagnose: Darm¬ 
verschluss durch Fäkaltumor lm S Romanum. Ordin.: Leicht 
verdauliche Diät, täglich bis zu 6 Einläufen warmen Wassers, bis¬ 
weilen durch Oel, Seifen-, Salz- oder Essigwasser ersetzt; jedoch 
wird nur 1 Liter auf einige Minuten zurückbehalten. 

Diese Einläufe werden 10 Tage fortgesetzt. Jeder Einlauf 
brachte etwas vegetabilische Stoffe, Kerne und Häute von 
Orangen, ganze Sultaninen, Theile von Datteln, Haselnüssen etc., 
lauter Dinge, die vor etwa 4 bis 6 Wochen verzehrt oder richtiger 
verschlungen worden waren. 

Da vom 23. der bisher gute Appetit allmählich ln eine völlige 
Anorexie umschlug und Erbrechen auftrat, wurde, nachdem 
10 Tage lang mit Laxantien sistlrt und lm Sinne Trousseau’s [1] 
der Darm (in moderner Dosis: 1,0! in 3 Tagen) mit Extr. Beilad. 
„präpnrirt“ worden war, am 29. und 31. noch ein Versuch mit 
Extr. Colocynth. bezw. Ol. Croton. (beide Male ln der MD!) ge¬ 
macht. Diese Medication, sowie Atropin (am 3. IV. subk. 7 mg! ln 
24 Stunden auf 3 mal) blieben ohne jede Spur Irgend einer 
Wirkung. 

Am 5. IV. ersetzte Ich die Einläufe durch — täglich zwei — 
protrahirte Darmausspülungen grösseren Maassstabs, wobei 
jedesmal ca. 00 Liter warmen Wassers zur Ver¬ 
wendung kamen 1 ). Schon das erste Mal gelang es allmählich, 
an den harten Kothmassen vorbei Wasser bis zu zwei Liter ln die 
Höhe zu bringen, das auch, reich mit Darminhalt untermengt, 
wieder zurückkam. Die Ausbeute war so ergiebig, dass ich hoffte, 
schon beim 2. oder 3. Mal zum Ziel zu kommen. Allein erst 
die 22. Ausspülung sollte die letzte sein und 
doch waren sie alle gleich ergiebig w 1 e die 
erste. Ein bedeutungsvoller Erfolg war. aber doch schon durch 
die 1. Spülung erreicht worden: Der Darmverschluss wurde be¬ 
hoben, das Erbrechen sistlrte, der Appetit kehrte sofort wieder. 
Die frischen Fäces, die bei der 2. Spülung kaum y a mm Durch¬ 
messer hatten, erreichten bis zur 22. die Dicke eines Bleistiftes. 
Am 11. IV. und am 15. IV. Ol. Rlcin., das 1. Mal ohne Erfolg, das 
2. Mal kamen nach 5 Stunden zwei coplöse Ausleerungen mit veri- 
tabeln Boudlns stercoraux. Am 10. war der Tumor völlig ver¬ 
schwunden, das Abdomen, das übrigens während der 
35 Tage niemals (ausser unmittelbar nach den Spülungen) 
erheblich aufgetrieben war, überall ganz frei. 

Zur Zelt ist Patientin von ihrer habituellen Obstipation 
noch nicht befreit. 

Obstipationen, meist habituelle, von einmonatlicher Dauer 
(und darüber) finden sich in der älteren Literatur vereinzelt be¬ 
schrieben. Leichtenstern [2] hat dieselbe ziemlich aus¬ 
führlich zusammengestellt, einige Fälle kurz erwähnt, andere 
wegen ihrer Unglaubwürdigkeit mit den nöthigen Fragezeichen 
versehen. Seit Einführung des Clysopomps und besonders der 
HcgaFsehen Einläufe, sowie der F 1 e i n e r’schen [3] „Oel- 
kuien“ sind sie zweifellos selten geworden. Unter den geeigneten 
Maassregeln gelingt es wohl meist nach 1—2 Wochen, die Pas¬ 
sage frei zu bekommen. Aber dass dies auch heutzutage nicht 
immer gelingt, beweist der vorliegende Fall. 

Aetiologisch haben hier mehrere Momente zusammen¬ 
gewirkt : In 'erster Linie natürlich die seit Jahren bestehende 
habituelle Obstipation, fernere die ganz ungenügende Masti- 
catiou. der übermässige Vegetabiliongenuss und der voraus- 
gegangene Gelenkrheumatismus mit der Bettruhe, den Schweissen 
und der ungenügenden Flüssigkeitszufuhr. Ein Abusus von Ab¬ 
führmittel dagegen bestand nicht. Die allmähliche Ausdehnung 
des S romanum mit den stagnirenden Kothmassen hat sodann 
den dauernden Stillstand der Kolonperistaltik herbeigeführt. 

Da das S romanum ein Mesenterium besitzt, so sind Tumor¬ 
bildungen von noch grösserem Umfange wie hier keine Selten¬ 
heit. Schon im Jahre 1840 hat B r i ght [4] Fälle beschrieben 
(einmal sogar als Nebenbefund bei einem an Croup verstor¬ 
benen Kinde), wo die Flexura sigmoid. in zwei Wülsten das ganze 
Abdomen auszufüllen schien und die Umbiegungsstelle bis zur 
Leber hinaufreichte. 

Dass durch reine Fäkalobstruction ein Darmverschluss ohne 
erhebliche Störung des Allgemeinbefindens längere Zeit, (im vor¬ 
liegenden Falle über 3 Wochen) bestehen könnte, hielt man 
früher für unmöglich. Kirstein[5] jedoch hat durch sein 
glänzendes Experiment bekanntlich den vollen Beweis für die Un¬ 
richtigkeit einer solchen Anschauung erbracht. Er durchtrennte 
\yi einem Hunde dicht oberhalb des Coccum quer den Darm, 

>) Eine solche Massenspülung, die Ich in der Literatur nirgends 
empfohlen finde, hat soviel mir persönlich bekannt Ist, zuerst Herr 
Dr. R. v. H ö s s 1 i n vor 15 Jahren ln seiner Heilanstalt Neu- 
Wlttel#bacb-MOnchen mit bestem Erfolge in Verwendung gezogen. 

No 27 


vernähte in entsprechender Weise beide Darmstücke und erzeugte 
dadurch, wie er ihn nannte, einen „glatten“ Darmverschluss. 
Das Befinden des Thieres war in den ersten 10 Tagen ein völlig 
ungestörtes, dann stellte sich Appetilosigkeit ein, vom 20. Tage 
nahm das Thier nur mehr Wasser zu sich, magerte allmählich 
ab und ging nach weiteren 3 Wochen an Inanition zu Grunde. 
Bei der Sektion fand sich das obere Darmstück 60 cm nach auf¬ 
wärts stark mit Koth ausgedehnt. 

Unsere Patientin nun zeigte 12 Tage gar keine Störung, in 
den nächsten 13 Tagen eine bis zur völligen Anorexie sich stei¬ 
gernde Appetitilosigkeit, zunehmende Mattigkeit und zeitweiliges 
Erbrechen, dann, nach Behebung des „glatten“ Darmverschlusscs, 
vom 25. Tage rasch zunehmenden Appetit, Sistiren des Erbrechens 
und baldiges völliges Wohlbefinden, obgleich Obstipation und 
Koprostase nach 10 Tage fortbestand. Krankengeschichte und 
Experiment könnten sich gegenseitig, wie ich glaube, kaum 
besser ergänzen. Reichl [6] konnte, wenn auch nicht in so glück¬ 
licher Weise, K i r s t e i n’s Experiment bestätigen und die That- 
sache feststellen, dass ohne Schädigung der Darmwand kein 
„schwerer“ Darmverschluss entsteht und dass niemals bei 
einem „glatte n“ Verschluss trotz der durch die tagelange Koth- 
stauung im zuführenden Darm stets bedingten Circulations- 
störung ein Durchtritt von Bacterium coli stattfindet. 

Beim „glatte n“ Darmverschluss des Menschen scheint 
es nun zu einem letalen Ausgang durch Inanition niemals zu 
kommen. Trotz eifrigen Bemühens konnte ich in der Literatur 
einen diesbezüglichen brauchbaren Beleg nicht finden. Entweder 
glückt cs, die Passage frei zu bekommen oder es tritt unerwartet 
eine Verschlimmerung ein, ein „akuter“ Darmverschluss 
(Kirstein, Reichl) — mit Schädigung der Darmwand — 
eine Invagination, eine Achsendrehung oder stercorale Geschwüre 
mit septischer Peritonitis. 

Prognostisch von grosser Bedeutung war das beinahe völlige 
Fehlen einer meteoristisehen Auftreibung. Nach Nothnagel [7] 
ist es zweifellos, dass es gesunde Individuen gibt, hei «Ionen alle 
Darmgase in das Blut resorbirt werden und jeglicher Gasabgang 
per os oder anum fehlt. Zu dieser Kategorie gehörte zwar die 
Patientin nicht und dennoch ist die Resorption der Gaso wäh¬ 
rend ihrer Erkrankung quantitativ nicht erheblich hinter der 
Gasbildung zurückgeblieben. 

Bei dem immerhin bemerkenswerthen absoluten Versagen 
der Abführmittel hätte man vielleicht durch eine forcirte Mas¬ 
sage, d. h. durch directen Druck behufs Weiterbeförderung dos 
Darminhaltes nach abwärts, wie es 9. Z. z. B. von V ö t s c h [8] 
mit Nutzen angewandt und für geeignete Fälle warm empfohlen 
hat, eine Abkürzung des ganzen Verlaufs erzielen können. Allein 
bei der Gefahr einer Schädigung der Darmwand war mir eine 
derartige Manipulation sehr wenig sympathisch und ich habe dess- 
halb davon Abstand genommen. Dass Belladonna und Atropin 
auch in den hypermaximalen Dosen wirkungslos blieben, hat 
mich nicht überrascht. So günstig ihre Wirkung bei reflek¬ 
torischen F u n k t i o n s s t ö r u n g e n [9] ist, — und da 
auch in kleineren Dosen —, bei einfacher, reactionsloscr Kopro¬ 
stase hat es sich mir jedes Mal nutzlos erwiesen. 

Zur Ausführung der Spülungen, bei denen im Gan¬ 
zen nahe an 1 Vz Tausend (!) Liter warmen Was¬ 
sers zur Verwendung kamen, leistete mir ein Darm¬ 
rohr aus Hartgummi, das ich mir bei Katsch- München an¬ 
fertigen licss, vortreffliche Dienste. Es war 12 cm lang, hatte 
ein Lumen von 1 cm Durchmesser, vorn Olivenform von 2 cm 
Durchmesser und 2 Fenster, jedes 2 cm lang und 1 cm breit. 
Ferner benutzte ich einen Glastrichter (untere Oeffmmg 1 cm 
Durchmesser) und zwei 70 cm lange Guminischläuche, mit einem 
Glasrohr verbunden. Allenfallsige Hindernisse, die sich einige 
Male bemerkbar machten, konnten so stets sofort leicht beseitigt 
werden. Gegen das Zurücklaufen des Wassers 
verwendete ich, da das Zusammen pressen der Nates, das 
Andrücken des Anus an das Rohr, das Umwickeln desselben mit 
Stoff oder Watte auf die Dauer sehr umständlich und doch ohne 
genügende Wirkung war, eine Filzplatte von ca. 1 cm 
I) u r <• hmesser, die ich mir i n d e r F o r m e i nes 
II ü h n c r e i d u r c h s c h n i 11 e s (die Spitze gegen die Sym¬ 
physe) zurecht richtete. S t e e kt m a n d u r c h eine n 
entsprechenden centralen Schnitt, in di e s e 
Filzplatte das Darmrohr und gibt derselben 

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1096 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27. 


eine geringe Wölbung, so legt sich die con¬ 
vexe Seite unter leichtem Druck von zwei 
Fingern gut an den Anus an und die concave 
Seite umschliesst undurchlässig das Darm¬ 
rohr. (Nebenbei bemerkt, hat sich diese Filzplatte mir schon 
öfters seither glänzend bewährt, einmal bei ganz insufficientem 
Sphinkter, ein anderesmal undurchbohrt mit einem festen Watte¬ 
bausch darauf, durch eine T-Binde befestigt, zum Zurückhalten 
von Nährklystieren an Stelle der auch nach Penzoldt [10] 
ungenügenden Gummiballontamponade.) Mit Hilfe dieser 
Filzplatte wird es bei einer Kothobstrue- 
tion wohl immer gelingen, die geforderten 
3—5 Liter bei recht langsamem Vorgehen in 
den Darm einzugiessen — eine Forderung, die 
nur zu oft ein pium desiderium bleiben 
dürfte — und dies noch dazu ohne die ge¬ 
ringste Belästigung des Patienten, ohne Spur 
einer Durchnässung des Krankenlagers, in 
der Seitenlage, unter der Decke und oftmals 
ohne Assistenz, da verständige Patienten, 
wie ich mich überzeugte, das Andrücken der 
Filzplatte selbst erfolgreich besorgen kön¬ 
nen. 

Was die Dauer der einzelnen Spülungen betraf, so war den¬ 
selben eine ganz bestimmte Grenze gesetzt. Bei den einzelnen 
Eingiessungen wurde stets ein mehr oder weniger kleiner Theil 
vom Darm zurückbehalten. Auch bei der grössten Vorsicht war 
es unmöglich, das Miteindringen von Luft dauernd zu verhindern. 
Es kam schliesslich ein Zeitpunkt, wo das Abdomen, bezw. Kolon 
und Coecum, hochgradig mit Luft und Wasser ausgedehnt war 
und der paralytische Darm gar nichts mehr zürückgab. Dieser 
Zustand, der jedoch keine Beschwerden verursachte, trat ziem¬ 
lich regelmässig nach %—1 Stunde und nach dem Verbrauch von 
GO—65 Liter Wasser ein. Durch Wägung vor und nach der 
Spülung konnte das zurückbehaltene Wasser auf ca. 3 Liter be¬ 
rechnet werden. Nach ungefähr einer Stunde war der Status 
quo wieder hergestellt und zwar meist durch Resorption, nur bis¬ 
weilen wurde Vs —1 Liter fast reinen Wassers per an um entleert. 

Zu solchen Ausspülungen empfiehlt es sich, zwei Kübel bereit 
zu stellen, einen grossen für das zurücklaufende Wasser und 
einen kleinen mit warmem Wasser gefüllt, aus dem man fort¬ 
während mit einem kleinen Gefäss Wasser entnehmen kann und 
in den man wärmeres nach Bedarf wieder zugiesst. 

Literatur: 

1. CUnlque M6d. d. Hop. d. Dleu. Tome II, S. 494. — 
2. Z 1 e m s s e n’s Handbuch Bd. VII, 2. — 3. Berlin, klln. Woclien- 
schr. 1893, No. 3 u. 4. — 4. G u y’s Hosp. Rep. V, S. 307. — 
5. Deutsch, med. Wochenschr. 1889, No. 49. — 6. Deutsch. Zeltschr. 
f. Chlr. 35. Bd., S. 535. — 7. Nothnagel's spec. Pathol. u. 
Tlierap. Bd. XVII, S. G4. — 8. Vötsch: Koprostase. Erlangen, 
Enke, 1874. — 9. Münch, med. Wochenschr. 1900, S. 1096. — 
10. Penzoldt und S 11 n t z 1 n g: Handbuch Bd. VI, a, S. 269. 


Ein Fall von Vergiftung durch Extractum Filicis maris. 

Von Dr. Willy Gott hilf, prakt. Arzt in Hofgeismar. 

Wie die ärztliche Praxis, die man in einer kleinen Stadt 
betreibt, auch so manches Interessante bietet, beweist folgender 
Fall, den ich kürzlich Gelegenheit zu beobachten hatte. 

Am 23. IV. 1901 wurde Ich Morgens um y 2 7 Uhr plötzlich um 
Hilfe gebeten zu einem Patienten G. am hiesigen Orte, aber so 
eilig als möglich, es handle sich wahrscheinlich um einen Schlag¬ 
anfall. Mit Kampher wie mit Morphium bewaffnet komme ich 
zum besagten Patienten. Das Bild, das sich mir bot, war folgendes: 
Ein robuster Mann von ca. 30 Jahren, sehr fettleibig, liegt vor 
mir im Bette in vollständigem Koma, das Gesicht stark aufge¬ 
dunsen, auf der Stirne kalter Sehweiss. Auf mein Anrufen er¬ 
folgt keine Reaktion, ebenso reagirt Patient nicht auf Nadelstiche. 
Die Nase zeigt eine blutige Risswunde, aus dem Munde 
erfolgt zeitweilig geringer Blutaustritt. Mein erster Gedanke 
war der, dass es sich um einen alten Epileptiker handele, wofür 
auch viele der folgenden Symptome sprachen, im anderen Falle 
war ein Schlaganfall nicht unwahrscheinlich. Was anamnestisch 
beide Diagnosen unterstützen konnte, darüber liess sieh von Seiten 
der Angehörigen durchaus nichts erulren, ein ähnlicher Anfall hat 
niemals stattgefunden. Auf meine weiteren Fragen erfuhr ich 
dann, dass Patient bereits seit zwei Tagen an starkem Kopfweh. 
Schwindel. Benommenheit und Appetitlosigkeit zu leiden gehabt 
halte, in der letzten Nacht soll Patient heftig erbrochen haben. 
Eine halbe Stunde, betör ich Patienten sah, also ca. tun 6 I.'lir, 


sei derselbe dann plötzlich bewusstlos zusammen gestürzt, daher 
die Wunde an der Nase und die Blutung aus dem Zahnfleisch. 
Die Untersuchung, die ich in aller Elle anstellte, ergab einen kaum 
fühlbaren Puls, Herztöne leise, beschleunigt, regelmässig und rein, 
Augen halb geöffnet, Pupillen weit, Patellarreflexe gesteigert, der 
ganze Körper in einem Krampfzustande, besonders die Arme, 
starker Trismus. 

Ich machte sofort eine Kampherinjektion in die Brust, um 
den Puls zu heben, und Eisblase auf den Kopf. Es verging eine 
Viertelstunde, der Puls wurde voller und Patient reagirte plötzlich 
auf Anruft n, der Krampf hielt aber noch an, und entschloss Ich 
mich, eine Morphiuminjektion zu machen. Hierauf baldiger Nach¬ 
lass des Krampfes, während der Trismus recht langsam zurück¬ 
ging. Der Aufforderung, Beine und Arme zu heben, konnte Pat. 
nachkommen; die Sensibilität zeigte an allen Körpertheilen nor¬ 
males Verhalten. Patient verfiel nun in Schlaf, und verliess ich 
denselben, nachdem ich den Angehörigen noch einige Anweisungen 
über Verhalten und Diät gegel>en hatte. Abends um 5 Uhr be¬ 
suchte ich ihn wieder. Derselbe war verhältnlssmässig munter 
und hatte keine Klage mehr, schwitzte aber In ganz abnormer 
Weise. Herzthütigkeit war noch etwas beschleunigt. Patient gab 
an, dass er von allem, was mit ihm passlrt sei, speciell dass er 
umgestürzt sei, keine Ahnung habe. Ich forschte nun weiter, weil 
ich noch immer keine rechte Diagnose für den ganzen Zustand 
finden konnte, und der Gedanke, es könne sich um eine Vergiftung 
handeln, nicht von mir weichen wollte, woraufhin ich besonders 
auch durch das starke Erbrechen, das Patient in der Nacht ge¬ 
habt haben sollte, geleitet wurde. Nach vieler Mühe erfuhr ich 
vom Patienten, er hätte sich vor ca. 3 Tagen von einem Homoeo- 
pathen, einem sogen. Bandwurmdoctor, ein Mittel gegen seinen 
Bandwurm, an dem er leide, wenn ich nicht irre, brieflich ver¬ 
schafft und habe dann die Flasche mit einer ganz schwarzen 
Flüssigkeit, die ca. % gefüllt war, vollständig ausgetrunken, ein 
Abführmittel hat er nicht hinterher genommen. Es soll auch 
der Bandwurm zum Theil abgegangen sein. 

Ich bemühte mich um dieses Mittel und liegt das Präparat 
vor mir, Extractum Filicis maris, ln der Flasche ca. 10—11 g. 

Zwei Stunden nach Einnahme des Mittels, waren dann schon 
bei unserem Patienten die Vergiftungserscheinungen aufgetreten, 
bis am dritten Tage der eigentliche Anfall kam, den ich zu sehen 
Gelegenheit hatte. Durchfälle und Ikterus waren nicht vorhanden. 
Im Urin geringe Eiweissspuren. Ich hielt es für angezeigt, noch 
einige Löffel Rlclnusöl zu geben und konnte Patient am 4. Tage 
das Bett verlassen. Ich entliess denselben mit der Warnung, sich 
in Zukunft vor ähnlicher Kurpfuscherei zu hüten. 

Es beweist aber der Fall wiederum, wie gefährlich das Mittel 
werden kann, selbst bei Dosen von 10 g und glaube ich, dass Alles 
hätte vermieden werden können, wenn Patient nicht versäumt 
hätte, ein Abführmittel zu nehmen. Immerhin soll aber auch der 
Arzt, bei einer Bandwurmkur mit Extractum Filicis maris, alle 
Vorsicht üben, und seine Patienten sorgfältig beobachten. 


Behandlung chronischer Chorea durch hypnotische 
Beeinflussung. 

Von Dr. Schilling in Leipzig. 

Der jedem Arzt in seinen Erscheinungen bekannte, in 
ausgesprochenen Fällen nicht zu verkennende und von Athetose 
und sklerotischen Bewegungen und posthemiplegischen Zuck¬ 
ungen leicht zu differenzirende Veitstanz ist in sich hinschlep¬ 
penden Erkrankungen oft eine crux medicorum. Während akute 
Fälle meist spontan oder durch Arsenikgaben in 6—8 Wochen 
unter geeigneter Pflege und Schonung heilen, vergehen bei einer 
Reihe anderer Patienten Monate und Jahre, ohne dass das 
Leiden aufhört. Das Bild bleibt dasselbe, die Intensität der 
Zuckungen mildert sich nach wenigen Wochen des Ausbruches 
der Krankheit, die unwillkürlichen Bewegungen bleiben, exacer- 
biren gelegentlich neuer Anlässe, besonders psychischer Altera¬ 
tion, die Gebrauchsfähigkeit der Glieder aber leidet, Arme und 
Füsse werden in ihrer Funktion herabgesetzt und die geplagten 
Patienten sind vielfach der Spott ihrer Umgebung. 

Am häufigsten wird das Kindesalter, öfter sogar mehrere 
Male dasselbe Kind bis zur Pubertät oder noch später befallen; 
akuter Gelenkrheumatisums mit Endocarditis, Abdominaltyphus 
und andere Krankheiten gehen dem Ausbruch voraus, ohne dass 
ein näherer Zusammenhang zwischen den Krankheiten und den 
plötzlich auftretenden Zuckungen bisher erwiesen ist. Aber 
auch nach der Pubertät und im späteren Lebensalter nach der 
Verheirathung habe ich noch bei Frauen, wie bei Jünglingen 
oder Männern, Chorea beobachtet. Je älter die Patienten sind, 
desto hartnäckiger trotzt das Leiden. Eine unehelich Nieder- 
gekomraene im Alter von 23 Jahren ist mir noch im Gedächt- 
niss, die ich im 4. Monate ihrer Krankheit nach starken Arsenik¬ 
dosen heilte; Schreck und psychischer Schock oder psychisches 
Trauma waren die Ursache. Nicht selten erkranken mehrere 


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MUF.NCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1097 


2. Juli 1901. 


Geschwister nach einander; wiederholt hatte die Mutter als Kind 
an Veitstanz gelitten und ihr Kind erkrankte im gleichen Alter. 

In Schulen sah man epidemisches Auftreten, sobald ein er¬ 
kranktes Kind die Schule besuchte. Körner, Hirt und 
B e r k h a n haben derartige Fälle gehäuften Auftretens be¬ 
schrieben, so dass Schulschluss erfolgen musste auf einige 
Wochen wie bei einer Infektionskrankheit. 

Das Krankheitsbild ist bekannt: Die unwillkürlichen, nicht 
intendirten, noch unterdrückbaren Bewegungen einzelner Muskel 
oder Muskelpartien und das Grimmassiren lassen keinen Zweifel 
übrig. Seitdem die Chorea als epidemische Tanzwuth im süd¬ 
westlichen Deutschland im 14. Jahrhundert beschrieben worden 
ist, sind neue Symptome nicht genannt und bekannt geworden. 
Bisweilen findet man eine Verschiedenheit der Pupillen, Sen¬ 
sibilitätsstörungen der äusseren Haut und ein abweichendes Ver¬ 
halten der Nerven und Muskel gegen den elektrischen Strom, 
besonders bei längerer Dauer des Leidens. 

Pathologisch-anatomisch hat man in Fällen, die zur Sektion 
kamen, wenig Anhalt gefunden. Nur Ilyperaemie des Rücken¬ 
markes und des Gehirns, sklerotische Flecke im Halstheile des 
Rückenmarkes, Verdickung des Schädeldaches, Pachymeningitis, 
Leptomeningitis, Atrophie der Hirnwindungen und graue Ver¬ 
färbungen auf dem Rückenmarksquerschnitt sind beobachtet. Ob 
solche Befunde überhaupt allgemein anzutreffen sind, unterliegt 
grossem Zweifel, da es sich bei Chorea nur um eine Symptomen¬ 
gruppe oder eine Neurose handelt. Wahrscheinlich dürfte sein, 
dass wie bei der Arthritis rheumatica das Endocard ebenfalls 
in der Regel befallen ist, auch bei nachfolgender Chorea Nerven- 
stämme oder Rückenmarks- oder Gehirnhäute nachträglich oder 
gleichzeitig erkranken, deren Ausdruck und Folgen für den Kli¬ 
niker oder Arzt die Zuckungen sind. Ist aber Schock die Ur¬ 
sache, dann liegt die Annahme näher, dass es sich lediglich um ' 
eine funktionelle Neurose handelt, deren Heilung auf psycho¬ 
therapeutischem Wege angestrebt werden muss, um die 
Folgen des psychischen Traumas auszuschalten. Nur darf die 
Behandlung nicht in brüsker Weise geschehen. Sagt man den 
Patienten etwa, dass ihnen nichts fehle oder sie möchten nur das 
Zucken sein lassen, dann kommt man nicht zum Ziele; der Patient 
glaubt es nicht und noch weniger die Umgebung, welche den 
Patienten bemitleidet, und der Arzt sagt es bei Chorea nicht, weil 
er diese Neurose nach seiner gewöhnlichen Auffassung nicht der 
Hysterie gleichwerthig anerkennt. 

Die Behandlung aller Neurosen setzt ein anderes als kurz 
abweisendes oder negirendes Verfahren voraus, wenn der Arzt 
Erfolg erzielen will. Mit der Diagnose Hysterie und Neur¬ 
asthenie wird der Arzt mit den Jahren zunehmender Erfahrung 
immer vorsichtiger; unter dieser Diagnose wird oft ein ernstes, 
aber nicht erkanntes Leiden abgethan, das einer gründlichen 
Untersuchung werth wäre. Habe ich doch noch vor wenigen 
Tagen einen Fall von Hernia umbilicalis mit Verwachsung des 
Netzes und Darmes gesehen, die nicht erkannt war; Patient 
klagte, dass er Nachts, wenn er liege, Schmerzen in der Brust und 
im Rücken empfinde, sonst nicht, weder am Tage, noch bei der 
Arbeit, wesshalb eine ärztliche Autorität ihn sofort abwies mit 
den Worten: „Ihnen fehlt nichts, machen Sie die Aerzte nicht 
reich!“ 

Eine von mir vor einigen Monaten behandelte Patientin, die 
über 5 Jahre an Veitstanz litt und unter der Hypnose in wenigen 
Wochen geheilt wurde, gibt mir Anlass zu dieser Mittheilung, 
zumal der Verlauf interessante Seitenblicke auf Homoeopathie, 
Kurpfuscherei und andere ärztliche Tagesfragen gestattet. 

Das 7 Jährige, mittelgrosse und nicht schwächlich konstituirte. 
noch nervös erscheinende Mädchen erkrankte vor 5 Jahren, als die 
Mutter in Folge von Abortus zu Bett lag. Es war sehr besorgt 
und beängstigt um die Mutter und verlless nur auf Aufforderung 
das Krankenzimmer. Kurz nachdem die Mutter das Bett wieder 
verlassen hatte, zeigten sich die unverkennbaren Symptome des 
Veitstanz. Die Eltern sind gesund und nicht nervös, auch in den 
bekannten verwandten Familien fehlen Nervenleiden. Potatorium 
und speclfische Infektion fehlen bei den Eltern, eine Ursache fin¬ 
den Abortus fehlt, ein Jüngerer Knabe ist gesund und kräftig. 

Zunächst wurde die Patientin etwa G—8 Wochen mit Arsenik 
behandelt, doch ohne wesentlichen Erfolg. Dann kam sie in ein 
Soolbad, um durch Entfernung aus der Häuslichkeit und Bäder 
geheilt zu werden; der Badeaufenthalt und ein nachfolgender Land¬ 
aufenthalt von mehreren Wochen Dauer brachten keine Heilung. 
Darauf wurde sie einer Universitäts-Nervenklinik überwiesen, aus 
der sie nach Vi Jahr trotz Behandlung mit hellen Tropfen in auf- 


und absteigender Dosis ungebessert entlassen wurde; daselbst war 
sie ausserdem gebadet, abgerieben und am Rücken abgebraust und 
gedoucht worden. Nun wandten sich die Eltern an einen Homoeo- 
pathen, der das Mädchen 12 Wochen mit Kügelchen behandelte, 
ohne dass der Zustand eine Aenderung erfuhr. Dann kam noch 
ein Schäfer an die Reihe, der 6 Wochen lang täglich vom Lande 
in die Stadt zur Kranken kam, die Arme entlang strich und dabei 
etwas sprach. Ein Erfolg blieb aus. Nachträglich wmrde ein 
neuer Arzt konsultirt, ohne dass Hilfe gefunden wurde. Nun gaben 
die Eltern, nachdem ärztliche und klinische Behandlung, Homoeo- 
pathle und Sympathie nutzlos gewesen waren, Jede Hoffnung auf 
Heilung auf und schickten das Kind wieder zur Schule, die es 
während der langen Krankheit nicht mehr besucht hatte. Es 
lernte mit der linken Hand schreiben, da die rechte zu sehr zuckte, 
essen und hantireu, soweit es die körperlichen Bedürfnisse er¬ 
forderten. Es konnte sich aber nicht allein ankleiden, noch 
kämmen oder waschen. 

Am 27. September vorigen Jahres erkrankte die Grossmutter 
und starb. Sofort verschlimmerte sich das Leiden, so dass beide 
Arme zackten, der Körper im Bette förmlich hin- und herschlug 
und die Beine lebhaft zappelten. Nachdem 14 Tage lang ärztliche 
Hilfe vergeblich benutzt war, kam die Mutter zu mir und bat um 
Rath. Die Patientin wurde nun warm gebadet (unter Kamilleu- 
dekuktzusatz), streng im Bette gelassen und mit SoL Fowler. in 
auf- und absteigender Dosis intern behandelt. Die Intensität der 
Zuckungen liess zwar nach, doch blieb der Zustand ärger als vor 
dem Tode der Grossmutter. Nun kam sie auf meinen Rath nach 
13 Wochen zu Verwandten hierher, damit ich sie unter täglicher 
Kontrole behandeln und, wenn nöthig, das Leiden mit stärkeren 
Dosen von Arsen, die Bechterew 1 ) als reflexherabsetzendes 
Mittel empfiehlt, bekämpfen konnte. 

Die Untersuchung ergab ein mittelkräftiges, keineswegs anae- 
misches Mädchen, das in der rechten Gesichtshälfte, besonders 
im oberen und mittleren Facialisgebiete grimassirte und mit dem 
linken Anne weniger, stärker aber mit dem rechten Anne, be¬ 
sonders der Schulter, dem Vorderarme und den Fingern und dem 
rechten Schenkel zuckte. Die Musculatur der rechten Schulter war 
im Gebiete der Rhomboldei, des M. supra- und infraspinal, abge¬ 
magert, der rechte Vorderarm mass im Verhältnis zum linken 
in bestimmter Entfernung vom Ellenbogengelenk geringeren Um¬ 
fang und die Kleinfinger- und Daumeuballen waren im Vergleich 
zu denen der linken Hand geringer an Volumen. Die rohe Kraft 
des rechten Vorderarmes und der Hand war nach dem Ergebniss 
dynamometrischer Messung herabgesetzt gegen links. Die Haut 
war in dem Gebiete der Zuckungen thells hyperaesthetisch, theils 
ln der Sensibilität herabgesetzt, soweit mechanischer Druck und 
Prüfungen mit der Nadel und dem elektrischen Pinsel einen Schluss 
zuliessen. Die mechanische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln 
zeigte sich, sobald ich mit dem Stiel des Percussionshammers 
darüberstrich, erhöht; die elektrische Erregbarkeit der motorischen 
Nerven gegen den galvanischen und faradischeu Strom war herab¬ 
gesetzt, die faradomusculäre Erregbarkeit zeigte sich an den 
Armen und am rechten Schenkel verändert, nur das Gebiet 
des N. median, war hinsichtlich der Sensibilität und Motilität und 
elektrischen Erregbarkeit unverändert. 

Zunächst wurde die Behandlung damit begonnen, dass ich 
Antipyrin gab und sofort am ersten Tage die Patientin hypnoti- 
sirte. Später fiel Antipyrin fort Die Hypnose gelang leicht. In 
der Hypnose wurde ihr suggerirt, dass die Magenscbraerzen, über 
welche sie noch geklagt hatte, übermorgen nachlassen und die 
Zuckungen links allmählich in dieser Woche auf hören würden; 
schon morgen würde das Zucken seltener sein. In dieser Weise 
ging ich von Woche zu Woche weiter und suggerirte später, dass 
auch der rechte Arm, das rechte Bein und das Gesicht bald die 
Zuckungen verlieren würden; dann folgten nach 3 Tagen dem 
Hypnosetage bereits eine elektrische Behandlung und in der 
2. Woche der Behandlung ein 3. Tag, an welchem die erkrankten 
Muskeln masslrt wurden und das Mädchen zu aktiven und passiven 
Bewegungen ungehalten wurde. Gegen Ende der 2. Woche er¬ 
zählte die Kranke, dass sie bereits 1 y 2 Stunden lang ohne Zuck¬ 
ungen sein könne; zu Anfang der 3. Woche fing sie an zu schreiben 
und sandte an die Eltern, die sich nach dem Befinden öfter er¬ 
kundigten, einen selbstgeschriebenen Brief. Am Anfang der 
4. Woche zuckte sie wenig noch in der Hypnose und nur lebhafter, 
wenn die elektrische Strassenbahn vor meinem Hause unter lautem 
Geräusch oder Geklingel vorbeifuhr. Jetzt beschäftigte sie sich 
im Hause der Tante und unterstützte sie bei allen Hausarbeiten. 
Ende der 5. Woche schrieb die Mutter, ob sie bald wieder käme; 
wir theilteu der Kleinen dies mit, doch üusserte sie den Wunsch, 
vorher vollständig gesund zu werden. Jetzt suggerirte ich, nächsten 
Dienstag sind die Zuckungen vollständig verschwunden. That- 
sächlich schwand von dem Tage auch die letzte Spur von un¬ 
willkürlichen Bewegungen. 

Sie wurde am nächsten Sonntag vom Vater abgeholt. Der 
Muskelumfang des rechten Vorderarms glich fast dem des linken 
Arms; die Ballen der rechten Hand waren noch schwächer, doch 
war die rohe Muskelkraft rechts wie links gleich. Die faradischo 
und galvanische Erregbarkeit und die Sensibilität der erkrankten 
Gliedmaasson zeigten keinen Unterschied mehr. Mir selbst schrieb 
sie Ihren Namen und andere diktirte Worte mit der Bleifeder und 


*) Zur Therapie der Chorea. Centralbl. f. Nervenheilk. u. 
Psych. 1900. 

4 * 


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1098 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


Schreibfeder deutlich und ohne Zucken in den Haar- und Grund¬ 
strichen vor. 

Es unterliegt für mich keinem Zweifel, dass die Hypnose, 
deren Beeinflussung nach Weygandt 2 ) vier Fünftel aller 
Menschen zugänglich sind, die Heilung eingeleitet und angebahnt 
hat und die Galvanofaradisation, Massage und Gymnastik nur 
unterstützend gewirkt haben. Hohe Arsenikdosen waren wieder¬ 
holt nur mit dem Resultate gegeben, dass die Intensität des 
Leidens abnahm. Die Badebehandlung, die Abreibungen und 
Doucheu, welche in der Universitätsnervenkliuik angewendet 
wurden, neben Arsenik, waren nutzlos. Auch die Homoeopathie 
und die Sympathie des Schäfers, der die Technik ärztlicher Sug¬ 
gestion und die Hypnose fehlte, blieben erfolglos. Nur die Be¬ 
einflussung der Vorstellung der allmählichen Abnahme der Zuck¬ 
ungen, das Erwecken der Hoffnung des Geheiltwerdens und das 
Einleiten der Behandlung mit der Projektion einer Besserung 
von Tag zu Tag, von Sitzung zu Sitzung, bahnte die Heilung an; 
die Elektricität, Massage und Gymnastik waren nicht nutzlos, 
dienten aber nur bei dem Behandlungspläne als larvirte Hypnose. 
Dass die in der Hypnose ausgeübte Suggestion oder der Wille 
oder die Psyche ein materielles Leiden beeinflussen kann, dürfte 
schwer zu erweisen sein; sobald aber funktionelle Störungen der 
Nerven vorliegen, kommt die Beeinflussung der Psyche und die 
Kräftigung des Willens, der darauf gerichtet werden muss, die 
Herrschaft über die willkürlich bewegliche Musculatur wieder 
zu erlangen, wohl als Faktor der therapeutischen Behandlung in 
Frage. 

Barranger*) beschrieb jüngst einige Fälle von hyste¬ 
rischer Amblyopie, die mich lebhaft an meinen Choreafall er¬ 
innerten. Er ging bei seiner Therapie davon aus, dass er den 
Hysterischen die UeberZeugung beibrachte, sie würden auf eine 
bestimmte Weise von ihrem Augenleiden befreit; unter Appli¬ 
cation des galvanischen Stromes konnten nun die Patienten nach 
jeder Funkensehe an der Sehprobetafel eine Reihe weiter lesen. 
Um die Kranken nicht stutzig zu machen, wurde das Sehver¬ 
mögen Anfangs gehoben und zugleich ihnen mitgetheilt, dass es 
am näclisten Tage wieder fallen würde. Unter stetem Fort¬ 
schrei ten des Visus von Ya auf % erlangten die Patienten in 
10 Tagen das Sehvermögen wieder. Sogar die Anosmie war 
geschwunden. 

Es ist aber unser Choreafall nicht identisch mit Huting- 
t o n’scher Chorea oder Chorea hereditaria chronica progressiva; 
hier fehlt jede Vererbung, die choreatischen Bewegungen werden 
nicht durch den Willen unterdrückt, obgleich die Eltern oft genug 
dazu aufgefordert hatten, und das Leiden war nicht progressiv. 
Auch handelt es sich nicht um fortgesetzte Recidive, da die 
Zuckungen nie aufgehört haben vor meiner Behandlung. 

Nachträglich habe ich mich über die hypnotische Behand¬ 
lung der Chorea in der Literatur orientirt und finde, dass bereits 
B e r n h e i m ') angibt, gerade langdauernde Fälle radical und 
partielle Residuen früherer Chorea auf hypnotischem Wege ge¬ 
heilt zu haben. 

Ich glaube desshalb, dass der Fall für ähnliche Choreakranke, 
deren Leiden Schock zu Grunde liegt, wohl Anhalt für eine gleiche 
Behandlung gibt. Der Arzt muss sich klar sein, was er mit der 
Hypnose erreichen will und kann und wesshalb er gerade die hyp¬ 
notische Suggestion anwendet, wo die verbale Suggestion nicht 
ausreicht. Der Arzt muss Hydrotherapeut sein, gerade so gut, 
als er andere Behandlungsmethoden, nicht bloss die physikalisch- 
diätetischen, ausübt; aber er muss wissen, ob Douchen und kalte 
Abreibungen in dem besonderen Falle indicirt sind und Nutzen 
bringen. 

Wenn Friedländer in einer Besprechung meines Com- 
pendiums der diätetischen und physikalischen Heilmethoden 
(Zeitsohr. f. diät. u. physikal. Therapie IV, Heft 8) den Ein¬ 
druck von der Lektüre des Buches erhält, als ob ich mich bei 
der Bearbeitung der Elektrotherapie nicht so durchaus auf dem 
Boden eigener elektrischer Erfahrung bewege, so irrt er. Und 
wenn Saalfeld in einer Besprechung des gleichen Buches 
(Therap. Monatsh. 1901, März) in dem Corupendium eine viel 
empfohlene „Naturheilmethode“ sehen zu müssen glaubt, so frage 

-) Behandlung der Neurasthenie 1901 (Würzburg. Abhand¬ 
lungen aus dem Gesammtgcbiet der prakt. Med. I. 5). 

*) La (’liu. ophth. 1900. No. 24. 

*) De la Suggestion et de ses applieations ä la. thörapeutique 

1S7 C 


ich ihn, ob er Krankenpflege und Psychotherapie, welche die 
Schlusskapitel des Buches bilden, auch zu der Naturheilmethode 
rechnet. Wenn endlich Dippe (Schmidt’s Jahrbücher 1900) 
mein Compendium in ähnlichem Sinuc bespricht, so kann ich nur 
die gleiche Frage an ihn wie an Saalfeld richten. Uebrigens 
ist meine Thätigkeit jetzt vorwiegend eine specialistische, doch 
nicht nervenärztliche; dass mir die seit vielen Jahren geübte 
und lieb gewonnene allgemeine ärztliche Thätigkeit für die spe¬ 
cialistische nur förderlich ist, glaube ich behaupten zu können, 
und dass auch der praktische Arzt Nervenkranke mit Erfolg 
hypnotisch behandeln kann, glaube ich aus dem besprochenen 
Choreafallo bewiesen zu haben. 


Aus dem Augustahospital zu Berlin (chirurgische Abtheilung). 

27 intrakraniell« Trigeminusresektionen (darunter 
25 typische Exstirpationen des Ganglion Gasseri) 
und ihre Ergebnisse. 

Von F edorKrause, a. o. Professor an der Universität Berlin. 

(Fortsetzung.) 

Was nun die unmittelbaren Ergebnisse der 
Operationen betrifft, so ist, wie oben schon erwähnt, eine 58 jähr., 
überaus schwache und an chronischer Nephritis leidende Frau 
(Fall XXII) einige Stunden nach der Operation im Collaps, der 
72 jährige Mann am 6. Tage danach in Folge eines schweren 
Herzfehlers gestorben. Der Verlauf war in diesem Falle (VI) 
fieberfrei, die Temperatur hatte niemals 38° überschritten, der 
Puls war zwar unregelmässig, wie vor der Operation, aber kräftig 
und schwankte in der Frequenz zwischen 68 und 76 Schlägen. 
Wegen ausgesprochener Arteriosklerose und sehr unregelmässiger 
Herzthätigkeit hatte ich die Operation verweigert, bis ich mich 
nach vielen Wochen wegen der ausserordentlichen Qualen dee 
alten Herrn doch dazu bestimmen Hess. Der Tod erfolgte an 
Herzinsufficienz. Die Sektion ergab die Wunde reizlos verklebt 
und in deren Umgebung keine pathologischen Veränderungen, 
dagegen ausgedehnte Degeneration der Ilcrzmusoulatur, nament¬ 
lich auch starke Sklerose der Coronararterien. 

Den 3. Todesfall an den Folgen der Operation sah ich in 
meinem letzten Falle (XXVII), der einen höchst seltsamen Ver¬ 
lauf nahm und daher genauer wiedergegeben zu werden verdient. 

Es bandelte sich um eine 00 jährige kräftige Frau, hei der 
das rechte Gnnglion mit Erhaltung des Knochens exstirpirt wurde. 
Das Befinden war nach der schnell und glatt verlaufenen Operation 
ausgezeichnet, der Puls sehr kräftig, es bestanden nur Wund- 
und Kopfschmerzen, die Neuralgie war beseitigt. Während 
der ersten 10 Tage nach der Operation waren das Allgemein¬ 
befinden, Appetit und Schlaf gut, die Temperatur in der Achsel¬ 
höhle schwankte zwischen 36,8 und 37,2 und erreichte nur einmal 
am 7. Tage Abends 37,5 °. Die Pulszahl betrug 00—82. Das Drain 
war am 5. Tage entfernt und die Wunde in tadellosem Zustande. 
Die Kranke schien bereits aus aller Gefahr, als am 11. Tage nach 
der Operation leichte Uubesinulichkeit eintrat, die am nächsten 
Tage zur Somnolenz fortsehritt. Dabei waren die Kopfbeweguugen 
völlig frei, Puls 95, kräftig, Temperatur 38,1, der Augenhiuter- 
grund normal, höchstens die Venen rechts ein wenig weiter als 
links. Da Verdacht auf Nekrose des Knochens oder beginnenden 
Hirnabscess vorlag, wurde in Chloroformnarkose der fest einge¬ 
heilte Welchtheilknocheniappen wieder herunterprilparirt. Die 
Wundverhältnisse waren völlig einwandfrei, eine dünne Schicht 
dunkelrothen festenBlutgerinnsels bedeckte die früheren Wund- 
stelleu. Der Knochen war in allen Theilen lebensfähig; als er 
heruutergeklappt wurde, spritzte im Strahl ganz klarer Liquor 
cerebrospinalis in grösserer Menge hervor. Mehrfache Punk¬ 
tionen des Gehirns ergaben nichts, nur an der Basis des 
Sobläfenlappens wurde ein Tröpfchen bräunlicher erweichter 
j Hirnmasse mit der Spritze angesaugt. (Meine Sektionsbefunde 
I haben hier mehrmals eine auf eine dünne Rindenschicht bc- 
I schränkte, braunröthliche Erweichung ergeben.) Es wurde noch¬ 
mals ein Drain eiugeführt und die Wunde genäht. Am Abend war 
! die Kranke geistig wieder völlig klar; am andern Tage war das 
i Befinden ausgezeichnet, Temperatur 37.0, der Puls 84. So blieb der 
‘ Zustand zwei Tage. 

Dann aber trat von Neuem leichte Somnolenz ein, die Tem¬ 
peratur stieg Abends bis 38,6 an, Morgens betrug sie 37,8. Die 
Pulszahl schwankte zwischen 84—90. Der Verbandwechsel ergab 
an der Wunde nichts Abnormes, aus dem Drain floss kein Liquor 
mehr ab. Der Augenhintergrund wurde häufig untersucht, er 
veränderte sich nicht gegen das frühere Bild. In fortwährendem 
I Schwanken zwischen klarem Bewusstsein und Somnolenz, nor- 
! maler und leicht erhöhter Temperatur, während der Puls in den 
1 letzten 4 Tagen auf 120 bis 120 anstieg. erfolgte 20 Tage nach der 
I Operation der Tod. ln den letzten Tagen hatte die Kranke zu- 
I weilen katheterisirt werden müssen, einige Male auch Harn und 
| Faeces unter sich entleert. Andere Lähmungen waren nie- 


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2. .Tuli 1001. 


Ml - RNCIIENER MEDICINISC1IE WOCHENSCHRIFT. 


»»als vorhanden, ebenso wenig Zuekungeu oder Abnormitäten der 
Reflexe. Die Kopfbewegungen waren bis zum Tode völlig frei, 
auch sonst nicht die geringsten Zeichen von Meningitis vorhanden. 
Die Lumbalpunktion ergab in normaler Weise Abtröpfeln klarer 
Flüssigkeit 

Eine vollständige Sektion wurde nicht gestattet. Immerhin 
konnte von der erweiterten Wunde aus Folgendes festgestellt 
werden: Die Wund Verhältnisse boten nichts von der Norm Ab¬ 
weichendes. Der Trigeminusstamm fehlte bis zum Pons, ebenso 
fehlte das Ganglion Gasseri, sowie der ganze 2. und 3. Ast intra¬ 
kraniell; vom 1. Ast war von der Flssura orbitalis superior an 
nach hinten zu ein Stück von etwa 1 cm vorhanden. Das Gehirn 
zeigte nur an der Basis des rechten Schläfenlappens eine bräun¬ 
liche Erweichung, die auf die oberflächliche Rindenschicht be¬ 
schränkt war. Sonst bot die rechte Hemisphäre keine Spuren von 
Erweichung oder Abscedirung. Die welche Hirnhaut zeigte an 
der Convexltät Oedem von geringer Stärke. 

Auch in diesem Falle erachte ich den Tod als eine Folge der 
Operation; offenbar hat sie Störungen im Gehirn veranlasst, 
die, wenn auch nicht makroskopisch nachweisbar, doch den letalen 
Ausgang herbeigeführt haben. Dagegen ist in den folgenden 
Fällen dem operativen Eingriff nur insoweit eine Schuld beizu¬ 
messen, als er die Körperkräfte geschwächt und die Betreffenden 
einer neuen Erkrankung gegenüber weniger widerstandsfähig 
gemacht hat. 

Eine 67jähr. Kranke (FallX) ist 19Tage nach der rechtsseitigen 
Operation an Influenza gestorben. Der Verlauf war ohne Stö¬ 
rungen, nur am 2. Abend nach der Operation betrug die Tem¬ 
peratur 38,5, war hierauf bis zum 15. Tage vollkommen normal. 
Wir hatten damals im Altonaer Krankenhause eine äusserst 
schwere Influenzaepidemie (über 100 Inflzlrte unter 500 Kranken). 
Am 15. Tage nach der Operation stieg bei jener Frau Abends die- 
Temperatur plötzlich bis 39, am nächsten Tage bis 39,7. Die Re¬ 
vision der Wunde ergab diese per primam verheilt und völlig reiz¬ 
los. Da die Drainstelle noch ein wenig offen war, so wurde hier 
punktlrt und die asplrirte Masse mikroskopisch und bacterio- 
logisch von Herrn Prosektor Dr. H u e t e r untersucht Es handelte 
sich um etwas Gehirnsubstanz ohne Eiterkörperchen; das Platten- 
kulturverfahren fiel negativ aus. Auch der Augenhintergrund 
wurde beiderseits normal gefunden. Der Tod erfolgte 4 Tage später 
unter fortbestehendera hohem Fieber. Bei der Sektion fand sich 
das Herz äusserst schlaff, lobuläre Pneumonie In beiden Unter¬ 
lappen. Die Wunde war in tadellosem Zustande; die Gehim- 
substanz und die Meningen verhielten sich normal. Die Nu. troch- 
lenris, abducens und oculomotorius waren intakt, das Ganglion 
(iasserl und sein 2. und 3. Ast fehlten vollständig; vom 1. Ast war 
der vorderste Thell erhalten. Der rechte Schläfenlappen erschien 
an seiner basalen Fläche, wo er in der mittleren Schädelgrube lag, 
bräunlich gefärbt und erweicht; auf dem Durchschnitt sah man, 
dass die Erweichung nur die oberflächlichen Rindenschichten be¬ 
traf und nicht in die Tiefe ging. 

Einen weiteren Todesfall an Pneumonie bei völlig verheilter 
Wunde haben wir bei einer 71jährigen Frau (Fall XIV) erlebt. 

Hier verlief die am 6. Oktober 1897 rechtsseitig ausgeführte 
Operation ganz glatt, ebenso die Wundheilung, so dass die Kranke 
bereits nach 5 Tagen im Lehnstuhl sitzen konnte; 10 Tage nach der 
Operation ging sie im Zimmer umher. Sie war nach 14 Tagen bei 
vernarbter Wunde zur Entlassung bestimmt, als sie sich beim 
Spazierengehen im Garten eine Lungenentzündung zuzog, der sie 
5 Tage später erlag. Die Sektion (Prosektor Dr. H u e t e r) ergab 
die Operationswunde völlig verheilt. An der Basis des rechteu 
Schläfenlappens fand sich die Rindenpartie in ganz schmaler 
Schicht bräunlich erweicht, im Uebrigen das Gehirn ebenso wie die 
Hirnhäute normal. Vom rechten Trigeminus fehlten der Stamm 
bis zum Pons, das Ganglion Gasseri und der 2. und 3. Ast intra¬ 
kraniell; vom 1. Ast war der vordere, in der Wand des Sinus caver¬ 
nosus verlaufende Abschnitt vorhanden. Beide Lungen zeigten 
im Unterlappen schlaffe Pneumonie. 

Endlich ist im Falle XXVI bei einer 65 jährigen Frau der 
Tod nach vollkommen abgeschlossener Wundheilung an Herz- 
insufficienz und daran sich anschliessender Pneumonie erfolgt. 

Die Kranke war durch die Jahrelangen Leiden körperlich sehr 
heruntergekommen und litt an starker Arteriosklerose, sowie 
Kyphoskoliose. Sie hatte trotzdem die Operation am 29. August 
1900 auffallend gut überstanden, der Puls war 96, kräftig und 
regelmässig; er schwankte in den weiteren 8 Tagen zwischen 76 
und 92, um dann stets unter 76 zu bleiben; die Temperatur hielt 
sich ln den Grenzen zwischen 36,8 Morgens und 37,9 Abends, nur 
einmal, am 5. Tage nach der Operation (Verbandwechsel), erreichte 
sie Abends 38,3. Vom 8. Tage an überschritt sie nicht mehr 37,5. 
Am 6. September war die Wunde völlig geheilt, die Kranke war 
schmerzfrei und verliesB das Bett; ihr Allgemeinbefinden war aus¬ 
gezeichnet. So blieb das Befinden bis zum 11. September; an 
diesem Tage erwies sich der Knochen als fest eingehellt, die Haut¬ 
wunde als vernarbt. Am 12. September Mittags begannen plötz¬ 
lich ohne nachweisbare Ursache Störungen von Selten der Herz- 
thätlgkeit. Der Puls stieg auf 136, war klein; Abends (Tempe¬ 
ratur 37,2) erschien der Zustand so bedrohlich, dass der tödtliche 
Ansgang befürchtet wurde. Unter Kamphereinspritzungen und 
Digitalis besserte sich die Herzthätlgkeit, am nächsten Tage war 
die Pulszahl 96 (Temperatur 36,8), das Befinden so viel kräftiger, 
dass die Kranke wieder Morgens und Nachmittags mehrere Stunden 
No. 27. 


im Lehnstuhle zu sitzen verlangte. Am 14. September aber trat 
ein neuer Anfall ein, die Temperatur wnr eher subnormal (36). 
der Puls 132, sehr klein. Dieser Zustand änderte sich nicht mehr 
wesentlich; während der fadenförmige Puls am 15. und 16. in der 
Zahl zwischen 124 und 136 schwankte, blieb die Temperatur sul>- 
norninl (35,6—36,2). Dann trat noch einmal am 17. eine leichte 
Besserung ein, der Puls ging Morgens auf 104 herunter, Abends 
war er wieder 124, Temperatur 35,6—36,3. Die Narbe erwies sich 
nach wie vor als normal, der Knochen als fest elugeheilt, es be¬ 
standen nicht die geringsten Schmerzen. Am 18. war eine pneu¬ 
monische Infiltration im rechteu Unterlappen festzustellen, dieTem- 
peratur betrug 36,8. Ara 19. September war die Pulszahl 140, 
die Temperatur stieg rasch auf 38,6, in der Nacht trat der Tod unter 
allen Zeichen der Herzlnstifficienz ein. 

Die Sektion (Prosektor Dr. II u e t e r - Altona) ergab nach 
Lösung der glatt verheilten Hautnarbe und nach gewaltsamem 
Heraushebcn der mit der harten Hirnhaut fest verwachsenen 
Knochenplatte die Dura mit einer dünnen Schicht eines alten, nicht 
zersetzten Blutgerinnsels bedeckt; das Duragewebe war au dieser 
Stelle etwas blutig imbibirt. Das rechte Ganglion Gasseri, der 2. 
und 3. Ast waren nicht vorhanden, der Trlgemluusstnmm fehlte 
bis zum Pons; vom 1. Ast war von der Flssura orbitalis superior 
an nach hinten zu ein Stück von reichlich 1 Centimeter zurück¬ 
geblieben. Das Gehirn bot weder auf der convexen noch auf der 
basalen Fläche Irgendwelche Spuren der Erweichung; nur blieb 
bei Herausnahme des Gehirns an der Basis des rechten Schläfen¬ 
lappens ein kaum linsengrosses, nl>or viel dünneres Partikelchen 
an der basalen Dura hängen. Die Hirnhäute erwiesen sich als 
völlig normal, ebenso auf Durchschnitten das Gross- und Klein¬ 
hirn. Das Herz war äusserst schlaff, braun, zeigte Myocarditis 
chronica, starke atheromatöse Veränderungen. Die rechte Lunge 
erwies sich im Unterlappen als pneumonisch infiltrirt. Die übrigen 
Organe waren gesund bis auf alte dyseuterische Geschwüre im 
Rectum und starke, rechtsconvexe Kyphoskoliose der Brust-, links¬ 
convexe der Lendenwirbelsäule. 

Ein besonders bemerkenswerther Fall ist im Abschnitt 
„Pathologische Anatomie“ meiner Monographie 1 ), Seite 101—105 
genau wiedergegeben. Hier will ich nur erwähnen, dass bei der 
Kranken (Fall XI) glatte Heilung der Wunde erfolgte, so dass 
die Frau bereits am 8. Tage nach der Operation das Bett ver¬ 
lassen und am 11. Tage allein die Treppe herunter in den Garten 
zu gehen vermochte. Sie starb 4 Wochen danach an einem grossen 
Cholesteatom des Gehirns und seiner Häute. Da die Kranke 
sich in glänzenden Vermögensverhältnissen befunden hatte, so 
waren im Inlande wie im Auslande zahlreiche Autoritäten der 
Nervenheilkunde konsultirt worden, aber von keiner hatten jemals 
andere Krankheitserscheinungen als die der schwersten Neur¬ 
algie im ganzen linken Trigeminusgebiet festgestellt werden 
können. 

Von einem septischen Process ist in keinem Falle bei der 
Autopsie etwas gefunden worden; das Operationsgebiet lässt sich 
trotz der Nähe des Auges, Ohres und Mundes, wie meine Er¬ 
fahrungen lehren, bei gehöriger Sorgfalt durchaus aseptisch er¬ 
halten. Das gerade ist neben der Uebersichtlichkeit der tiefen 
Wundhöhle der grosse Vortheil meines Verfahrens. Andere Chir¬ 
urgen haben noch nach einem Zwischenraum von mehreren Mo¬ 
naten einen Hirnabscess sich bilden sehen; glücklicher Weise ist 
mir diese Erfahrung bisher erspart geblieben. Selbst in 2 Fällen, 
in denen die Knochenplatte nekrotisch wurde, hat sich kein Hirn¬ 
abscess entwickelt. In dem einen Falle (II) war die intrakranielle 
Resektion des 2. Astes zweizeitig ausgeführt und die Wunde 
5 Tage lang durch Tamponade offen gehalten worden, da wegen 
der Schwäche des 62jährigen Kranken die Operation nicht früher 
vollendet werden konnte. In dem anderen Falle (IX), bei einer 
37 jährigen Frau, war die Blutung sehr beträchtlich, was von 
vornherein erwartet wurde, da sie bei zwei früher von mir aus¬ 
geführten peripheren Operationen ebenfalls ungewöhnlich stark ge¬ 
wesen war (gewisser Grad von Haemophilie). Die Exstirpation des 
Ganglion konnte in einer Sitzung zu Endo geführt werden, 
dauerte aber wegen der schwierigen Blutstillung drei volle 
Stunden. Bei den vielfachen Manipulationen hatte sich die 
Knochenplatte des Lappens trotz der schützenden Bindenein¬ 
wickelung in grösserer Ausdehnung vom Periost abgelöst und 
hing nur in der unteren Hälfte noch mit diesem zusammen. 
Trotzdem wurde der Knochenweiehtheillappen in der gewöhn¬ 
lichen Weise zurückgelagert und eingenäht. 

In beiden Fällen verursachte die Nekrose der Knochenplatte 
kein Fieber, sie offenbarte sich durch oedematose Schwellung des 
Hautlappens und seiner Umgebung, namentlich des unteren 
Augenlids. Die Wunde wurde am 10. und 11. Tage wieder gc- 

*) F. Krause: Die Neuralgie des Trigeminus nebst der Ana¬ 
tomie und Physiologie des Nerven. Leipzig 1806, F. r. \V. V n g e I. 

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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


öffnet und die Knochenplatte entfernt; sie zeigte an ihrer Innen¬ 
seite eine dünne Schicht fibrinösen Eiterbelags. Der Weichtheil- 
lappen wurde wieder eingenäht, an jedem unteren Wundwinkel 
ein Drain eingelegt und unter geringer Eiterabsonderung ging 
die Heilung beide Male ohne Temperatursteigerung von statten. 

Von grosser Wichtigkeit ist das Verhalten des 
Auges nach der Operation; wegen der völligen 
und dauernden Gefühllosigkeit der Horn- und Bindehaut 
bedarf das Organ besonderer Sorgfalt. Früher hielt ich 
es aus Furcht vor der neuroparalytisclien Keratitis für 
nothwendig, von vornherein Atropin einzuträufeln; davon 
habe ich ganz Abstand genommen. Am besten haben sich 
folgende Vorsiehtsmaassregeln bewährt, denen wir einige Worte 
widmen müssen. Vor der Operation wird das Auge nur mit 
Borsäurelösung ausgegossen. Die von anderer Seite empfohlene 
und geübte Vernähung der Lider verwerfe ich, weil sie die Be¬ 
trachtung der Hornhaut hindert. Ganz besonderer Aufmerksam¬ 
keit bedürfen diejenigen Fälle, in denen durch frühere periphere 
Operationen der Lidschluss iu Folge von Facialislähmung be¬ 
hindert ist. Bei diesen bleibt dann das Auge immer etwas offen, 
und wenn auch im wachen Zustande die Cornea nach oben unter 
das obere Lid gerollt wird, so findet diese Schutzbewegung im 
Schlaf offenbar nicht oder wenigstens nicht in genügender 
Weise statt. Denn ich habe in einem derartigen Falle (XVII) 
gesehen, dass unter dem feuchten Augenverbande, obwolil er 
Morgens und Abends gewechselt wurde, sich in einem länglichen 
Querstreifen, der genau dem Rande des Oberlides bei geschlos¬ 
senen Lidern entsprach, ein decubitusartiger Defekt im Horn¬ 
hautepithel entwickelte. Die Schwere des Verbandes genügte, 
um bei der der Innervation beraubten Hornhaut entsprechend 
der scharfen inneren Lidkante Decubitus zu erzeugen. 


Fig. 4. 



8 hutz des Auges nach Exstirpation des Ganglion Gnsseri durch Uhrglas. 

10 Tage nach der Operation. 

Seil jener Beobachtung habe ich den Verband zum Schutze 
der Cornea verworfen, weil er immer etwas drückt, und ein 
grosses ungeschliffenes Uhrglas benützt, wie es ja auch bei eitrigen 
Entzündungen zum Schutze des gesunden Auges verwendet wird. 
Man schneidet in ein entsprechendes Stück Zinkoxydpflaster in 
der Mitte ein rundes Loch von der halben Grösse des Uhrglases 
und klebt es, wenn nach Vollendung der Operation der Wund¬ 
verband angelegt ist, rings um den Orbitalrand fest an. Das Glas 


beschlägt von innen sehr bald mit Feuchtigkeit., und diese 
feuchte Kammer bildet den besten Schutz der Hornhaut. Auch 
heilen in ihr kleine Decubitaldefekte des Epithels nöthigen Falls 
unter Atropingebrauch ohne Störung. Ich pflege den Heft¬ 
pflasterverband alle 24 oder 48 Stunden zu erneuern und dann 
das Auge mit Borwasser zart auszugiessen, niemals auszu¬ 
wischen. Das Schutzglas wird bis wenige Tage vor der Ent¬ 
lassung, nöthigen Falls so lange in Anwendung gezogen, als 
etwaige Neigung zu Reizung und Entzündung des Auges be¬ 
steht. Kehrt letztere im weiteren Verlauf wieder, so wird das 
Uhrglas wiederum getragen, ferner Atropin und Borsäurelösung 
angewandt. 

Um Lähmungen des unteren Lides auch geringer Art zu ver¬ 
hüten, verwende ich bei peripheren Trigeminusresektionen stets 
Schnittführungen, welche den Facialisfasern parallel verlaufen 
und stimme in dieser Beziehung den Ansichten Koche r’s völlig 
bei. Auch für die Resektion des 2. und 3. Astes an der Schädel¬ 
basis habe ich eine jenes Ziel erreichende Schnittführung bei 
meinen letzten derartigen Operationen benützt und im v.Berg- 
in a n n’schen Handbuch (Stuttgart bei Ferdinand Enke 1900, 
Seite 654) abgebildet. 

Uebrigens befindet sich unter meinen Operirten eine Dame, 
die von früheren Eingriffen her einen vollständigen Lagophthal- 
mus besitzt. Bei ihr ist die Exstirpation des Ganglion Gasseri 
am 23. August 1895 von mir ausgeführt worden (Fall IX), und 
bis heutigen Tages ist, ohne dass irgend welche Schutzmaassregeln 
angewandt wurden, niemals eine Augenentzündung eingetreten. 

Im unmittelbaren Anschluss an die Operation habe ich ausser 
der erwähnten folgende Störungen von Seiten des Auges beob¬ 
achtet. Bei einem 55jühr. Manne (Fall V) wurde das Auge 3 Tage 
nach der Exstirpation des Ganglion von einer Keratitis befallen, 
die sehr bald zum Hypopyon führte. Es handelte sich zweifel¬ 
los um eine schwere infektiöse Form, da ein eitriges Thränen- 
sackleiden vorhanden wnr. Von dem central gelegenen Hornhaut¬ 
geschwür zogen gelbe strichförmige Infiltrate in die in toto grau- 
weiss getrübte Hornhautsubstanz, nach unten gingen sie un¬ 
mittelbar in den ein gutes Drittel der Vorderkammer erfüllenden 
Eiterherd über, auch erschien die ganze Hornhaut trocken. Die 
Behandlung bestand in Atropinisirung, lauwarmen Chlorwasser¬ 
umschlägen und Schutzverband, und trotz des Fehlens des Tri¬ 
geminuseinflusses ist diese Hypopyonkeratitis ausgeheilt, indem 
sich in gewöhnlicher Weise von der Peripherie her Gefässe in 
das Hornhautgewebe hinein entwickelten. Als Rest ist nur ein 
centraler, die Pupille beinahe deckender Hornhautfleck zurück¬ 
geblieben, in dem sich Andeutungen jener neugebildeten Gefässe 
erhalten haben. Dagegen hat die übrige Hornhautsubstanz, na¬ 
mentlich auch unten, wo das Hypopyon bestanden, ihre normale 
Durchsichtigkeit wiedererlangt. Der einzige Unterschied, den 
dieser Fall gegenüber gleichen Entzündungen an normal inner- 
virten Augen darbot, ist der, dass die Heilung sich äussert lang¬ 
sam vollzog. 

Beim Bestehen eines eitrigen Thränensackleidens ist die 
Gefahr für das Auge natürlich grösser als sonst. In einem 
zweiten, dem obigen ähnlichen Falle, wo zugleich Lagophthalmus 
paralyticus in Folge der von anderer Seite ausgeführten Lücke- 
scheu Operation vorhanden war, schritt die Eiterung, zum Theil 
offenbar wegen des mangelnden Lidschlussas und der dadurch 
bedingten Austrocknung, unaufhaltsam in der Hornhaut fort 
und führte zu Verlust des Auges (Fall XVI). 

In der allorgrösst.en Gefahr aber befinden sieh diejenigen 
Augen, auf die ununterbrochen kleine Schädlichkeiten einwirken, 
und bei denen obige Vorsichtsmaassregeln vernachlässigt werden. 
So sali ich bei der Frau eines Müllers die bis dahin völlig ge¬ 
sunde Hornhaut 10 Vz Wochen nach der Ganglionexstirpation sich 
entzünden (Fall XXI). Trotz dringendsten Anrathens begab sie 
sich erst 14 Tage später, als die Chemosis der Conjunctiva den 
höchsten Grad erreicht hatte und die Hornhaut fast völlig getrübt 
war, in die Behandlung eines Augenarztes. Diesem gelang es 
wohl, die äussere Form des Auges zu erhalten; da aber die Horn¬ 
haut in der unteren Hälfte sich abstiess, war das Sehvermögen 
verloren. Offenbar haben die fortdauernden reizenden Einwir¬ 
kungen des Mehlstaubes die Entzündung zunächst veranlasst; da 
keine Behandlung erfolgte, schritt die neuroparalytische Kera¬ 
titis weiter fort und führte zu partieller Nekrose der Hornhaut. 
Aehnliches habe ich bei einem 54 jährigen Müller 10 Wochen 


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2. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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nach der Operation beobachtet; bei diesem aber gelang die Er- j 
haltung des Auges (Fall XV). 

Im Allgemeinen lehren meine Beobachtungen, dass die Ge- j 
fahr für die Hornhaut in den ersten Wochen nach der Operation j 
am grössten ist; späterhin bedürfen die Augen meist keines 
Schutzes mehr. Nur bei einer Operirten (Fall III) entstand 
2 Jahre nach der Operation auf der Rückreise von Berlin, wo 
sie auf dem Chirurgenkongress 1895 vorgestellt worden war, ein 
Hornhautulcus. Dieses heilte im Laufe von 2 Monaten mit un- ! 
bedeutenden Hornhautfleck aus, und seitdem hat sich keine I 
neue Entzündung eingestellt, obgleich besondere Schutzmaass- | 
regeln nicht angewandt wurden. In allen anderen den als eben J 
besprochenen Fällen sind bis zum Abschluss der Arbeit (Mitte j 
Mai 1901) keine Entzündungen in den völlig anaesthetisehen j 
A\igen eingetreten, und es sind seit den Gauglionoxstirpationen i 
bereits bis zu 8 V* Jahren verstrichen. 

Endlich liefern meine Beobachtungen den Beweis, dass auch j 
an den des Trigeminuseinflusses dauernd beraubten Augen Horn- ! 
hautgeschwüre, ja selbst schwere llypopyonkeratitiden zur Hei- [ 
lung gelangen. 

Zu Gunsten der Exstirpation des Ganglion Gasscri lässt 
sich weiter anführen, dass ich einmal bei einem 62 jährigen 
Pastor nach der peripher vorgenommenen Extraktion des j 
N. supraorbitalis eine so schwere Hornhautentzündung cintreten ; 
sah, dass der hinzugezogene Augenarzt mehrere Tage lang Per¬ 
foration und Verlust des Auges befürchtete. Schliesslich erfolgte 
Heilung, die aber sehr langsam von statten ging; die Hornhaut j 
ist fast in ganzer Ausdehnung tmdurchsichtig, das Auge also so ' 
gut wie blind geworden. | 

I 

Was anderweitige trop bische Störungen 
nnlHiigt, so bildete sich in einem Falle (XVII) 12 Tage nach der 
Operation eine Ulceration mit umgebender Schwellung an der 
rechten anaesthetischen Oberlippe, wo sich die Kranke mit ihren 
künstlichen Zähnen gebissen hatte. Beide Gebisse wurden ent- | 
fernt, und dies genügte, um in wenigen Tagen das Geschwür zur 
Heilung und die Schwellung zum- Schwinden zu bringen. Bei 
einer zweiten Kranken (Fall XII) entstand am 6. Tage nach der 
Ggnglionexstirpation ein 3 mm im Durchmesser haltender ober- j 
flächlicher Epithelverlust an der rechten Seite der Zungenspitze, 
ein etwas grösserer an der Innenseite der rechten Unterlippe. 1 
Unter Borspüluugen heilte die Zunge in 5, das Unterlippen- ! 
gesehwür in 9 Tagen. 

Augenmuskellähmungen in Folge des Druckes von j 
Seiten des Ilimspatels sind in 5 Fällen beobachtet worden (I1T, j 
XV, XVII, XXI, XXIV). Einmal war allein der Abducens ge- j 
lälnnt; diese Lähmung ging nach wenigen Wochen zurück. Im ! 
Falle XXIV, bei einem 46 jährigen Heilgehilfen, handelte cs sich 
um eine Trochlearislähmung, die so gering war, dass sie objectiv 
nicht wahrgenommen werden konnte; indessen wurde der Mann 
beim Heruntergehen der Treppen dadurch gehindert, dass die 
Stufen „kreuzweise übereinander standen“; 7 Wochen nach der 
Operation war auch diese störende Erscheinung verschwunden. 
Im Fall XV war eine Lähmung des Levator palpebrae superioris, 
des M. rectus internus und eine Schwäche des Sphincter pupillae, i 
also partielle Oculomotoriuslähmung, vorhanden, während Tro- ! 
cblearis und Abducens gut funktionirten. Nach 9 Tagen konnte 
das Oberlid etwas gehoben werden, auch der Rectus internus 
wurde aktiv innervirt; nach 17 Tagen war die Lähmung noch 
weiter zurückgegangen, nach 3Va Wochen fast ganz, nach zwei 
Monaten völlig verschwunden. 

Die schwerste Augenmuskellähmung zeigte sich im 
Falle XXI; hier hatte die Operation wegen ungewöhnlich 
starker Blutung 2 V 2 Stunden gedauert. In dem unten genauer 
mitgetheilten Fall IX dauerte aus den» gleichen Grunde die Ope¬ 
ration 60 gar 3 Stunden, ohne dass eine Augenmuskellähmung 
nachher vorhanden war. In jenem Falle XXI handelte es sich 
um eine totale Ophthalmoplegie; die Pupille war jedoch nicht 
maximal erweitert, sondern nur mittelweit, rcagirte aber weder 
auf Licht noch auf Accommodation. Bereits nach 10 Tagen wurde 
leichte Funktion des Abducens und eine geringe Verengerung der 
Pupille festgestellt. Nach 10 Wochen konnte das Oberlid gehoben 
und gesenkt werden, auch die Bewegungen des Augapfels waren 
in beschränktem Maasse möglich; die Pupille fiing an* auf 
Licht zu reagiren. Die Lähmung besserte sich weiterhin all¬ 


mählich, als 3 Monate nach der Operation die schwere Entzündung 
der Hornhaut eintrat, die weiter oben beschrieben ist. 

Dass in der That der Druck des Hirnspatels die Ursache der 
Augenmuskellähmungen darstellt, dafür kann ich den sicheren 
Beweis erbringen. Bei meiner 17. Operation (rechtsseitig, 55 jähr. 
Fräulein) glitt der Spatel durch ein Versehen des Assistenten ein¬ 
mal ab und zu weit in die Tiefe. Während bis dahin beide Pupillen 
gleich weit waren, trat mit jenem Augenblick Pupillenerweiterung 
auf der Operationsseite ein, die nach kurzer Zeit wieder rück¬ 
gängig wurde. Es blieb aber nach der Operation eine Parese des 
M. rectus internus, eine geringere des Rectus superior, also eine 
partielle Oculomotoriuslähmung, zurück. Nach llTagen hatte 
sich diese etwas gebessert; Doppeltsehen war noch beim Blick 
geradeaus und nach links vorhanden, dauerte auch nach der Ent¬ 
lassung (20 Tage nach der Operation) noch fort und war erst 
10 Wochen nach der Operation vollkommen verschwunden. 

Die Augenmuskellähmungen sind in allen Fällen ohne irgend 
welche Behandlung zurückgegangen. 

Von cerebralen Störungen machen sich nach der Opera¬ 
tion Unruhe, Theilnahmlosigkeit, selten vorübergehende Somno¬ 
lenz Schmerzen im ganzen Kopf und Sausen geltend. Die Unruhe 
war 3 mal auffallend stark und hielt mehrere Tage an; Mor¬ 
phium pflegte Abhilfe zu schaffen. Ein Kranker (Fall XV) hatte 
während der ersten drei Tage kribbelnde Empfindungen in den 
Beinen; eine Frau (Fall XX) klagte bis zum 9. Tage über 
Schmerzen in beiden Beinen; eine Kranke (Fall XXIII) sah am 
3. Tage vorübergehend fremde Gestalten am Bett. 


In zwei Fällen (XIX, XXV), in denen das linke Ganglion 
exstirpirt worden war, machten sich leichte aphasische Stör¬ 
ungen bemerkbar; sie gingen aber rasch vorüber. DerKrankeXIX 
(ein Arzt) antwortete die ersten 3 Tage auf Fragen sehr langsam, 
er suchte nach den Worten, versprach sich auch zuweilen. Zum 
Beispiel sagte er: „ich ziehe (statt ich fühle) Schmerzen“; er fand 
nicht das Wort Ganglion. Indessen wurde von der erfahrenen 
Wärterin diese Sprachstörung gar nicht bemerkt, sie war also 
sehr gering und bereits 5 Tage nach der Operation vollkommen 
verschwunden. Bei der zweiten Kranken (XXV) traten die apha- 
sisehen Störungen erst am 3. Tage nach der Operation auf; sie 
verwechselte einzelne Worte (Krankenwerk statt Krankenhaus), 
nannte mich Kreutzer statt Krause und brauchte hin und wieder 
falsche Anfangsbuchstaben, z. B. Lecken statt Becken. Auch 
hier war die Störung gering und wirkte auf die erwachsene 
Tochter, da es der Kranlien sonst sehr gut ging, komisch. Acht 
Tage nach der Operation war die Aphasie verschwunden. Bei 
einem 55 jährigen Manne (Fall V) hatte in den ersten 3 Wochen 
nach der linksseitigen Operation das Namensgedächtniss für Per¬ 
sonen ein wenig gelitten; dagegen waren keine motorisch-apha- 
sisehen Symptome vorhanden. 

Als anatomische Unterlage für solche Störungen haben wir 
bei den meisten Sektionen eine ganz oberflächliche Erweichung 
des basalen Theiles des Schläfenlappens gefunden, welche offen¬ 
bar durch den Druck des Hirnspatels verursacht wird. 

Schwerere Erscheinungen von Seiten des Gehirns habe ich 
im Falle XX gesehen, obgleich die Operation sehr rasch voll¬ 
endet worden war und nach Herausschneiden des Knochens nur 
33 Minuten in Anspruch genommen hatte. 


Bet der 59 jährigen Frau trat nach beendeter rechtsseitiger 
Operation (2. November 1899), als die Kranke bereits aus der 
Narkose erwacht war, beide Arme und Beine und den Kopf wäh¬ 
rend des Knotens der Nähte bewegt hatte und zur Anlegung des 
Verbandes ein wenig auf gerichtet wurde, plötzlich ein Collaps 
schwerster Art ein. Der bisher gute Puls war nicht mehr zu 
fühlen, Athembewegungen kaum wahrnehmbar. Kurze Zeit vor¬ 
her war nach Vollendung der Exstirpation des Ganglion fest¬ 
gestellt worden, dass beide Pupillen gleich waren und auf Licht 
reagirteu, ebenso die Augeubeweguugen sich normal verhielten. 
Bei dem Collaps wurden beide Pupillen weit, die rechte noch etwas 
weiter als die linke. Beide Augen waren in stärkstem Maasse 
krampfhaft nach der linken Seite gewandt. Künstliche Athern- 
und Herzbewegungen, rhythmisches Hervorziehen der Zunge, sub¬ 
kutane Kochsalzlnfusiou und Kampherölinjektionen besserten den 
Zustand. Nach einer Stunde war der Puls wieder fühlbar, 120 in 
der Minute. In dieser Zeit wurden die Pupillen enger, die rechte 
blieb aber immer noch weiter als die linke. Die Augen gingen 
aus der starren Lage von liuks ebenso starr nach der rechten Seite. 
Allmählich besserte sich der Zustand noch mehr. Nach weiteren 
2Stunden hörte die Kranke auf Anrufen und klagte über Schmerzen 
in der Wunde. Nunmehr Hess sieh eine Lähmung des linken Armes, 
abgesehen von Daumen und einigen Fingern, ferner eine Parese 
des linken Beines und des linken unteren Facialisastos feststellen. 


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1102 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27. 


Auch Abends waren die Augen immer noch sehr Start: nach 
rechts gewandt. In der Nacht hatte die Kranke klonische Zuck¬ 
ungen des linken Armes und der Augiipfel. Am anderen Tage 
waren diese Symptome verschwunden: die Augen standen in der 
Mittellage und wurden in normaler Weise bewegt. Das linke Bein 
konnte etwas aktiv bewegt werden, ebenso die linke Hand, Ellen¬ 
bogen und Sehultergelenk noch nicht; letztere zeigten leichte Kon¬ 
trakturen, der linke Mundwiukel war nur wenig paretisch. 

Nach 4 Tagen verhielten sich das linke Bein und der Facialis 
wesentlich besser: die Kranke konnte Hand und Finger bewegen, 
den Arm im Ellenbogengelenk bereits ein wenig beugen. Am 
15. Tage nach der Operation vermochte die Kranke bereits mit 
Unterstützung im Zimmer umher zu gehen; sie konnte damals den 
Vorderarm bis zum Rechten aktiv beugen, den Oberann bis fast 
zur Horizontalen erheben. Die Zunge wich ln der ganzen Zelt 
beim Herausstrecken nach links ab. Die Kranke reiste 4 Wochen 
nach der Operation (4. Dezember 1890) nach Hause. Im Wesent¬ 
lichen war noch eine Parese im linken Arm vorhanden. Diese 
ging zu Hause weiter zurück, nach 3 Monaten bestand nur eine 
geringe Schwache, der Arm konnte etwas über die Horizontale 
erhoben werden. 

Offenbar handelte es sich in die6em Falle um einen Blut¬ 
erguss in die. rechte Hemisphäre. Sie war entstanden, als der 
Spateldruck auf’s Gehirn bereits eine Zeit lang — etwa 25 Mi¬ 
nuten — aufgehört hatte. In dieser Zeit waren die Periostnaht 
und die Hautnaht ausgeführt worden, und der bereits umgelegte 
Verband sollte eben festgewickelt werden. Am 4. April 1901 erhielt 
ich folgenden brieflichen Bericht: „Die Schmerzen im Gesicht 
sind ganz verschwunden geblieben; es besteht rechts ein steifes 
Gefühl und ein leises Kribbeln von der Wange bis über das Auge. 
Der linke Arm und das Bein sind noch etwas schwächer als 
rechts.“ 

Ausserdem haben wir in zwei Fällen (VI und XVI) bei 
einem 72 jährigen und einem 30 jährigen Manne schwere Zufälle 
während der Chloroformnarkose erlebt. Im letzteren Falle musste 
die Operation desshalb nach Versorgung der A. meningea media 
unterbrochen werden und wurde in einer zweiten Zeit nach 
4 Tagen ohne Zwischenfall vollendet, im ersteren Falle war die 
Asphyxie nach Va Stunde beseitigt, so dass die Operation ein¬ 
zeitig zu Ende geführt werden konnte. Beide Male blieben keine 
Störungen zurück. 

Wir kommen nun zu dem wichtigsten Punkt, zu den 
Dauerergebnissen der Exstirpation des Gang¬ 
lion Gasseri, und hier bin ich in der glücklichen Lage, 
behaupten zu können, dass ich bei der typischen Trigeminusneur¬ 
algie, so schwer sie. auch gewesen sein möge, nach jener Ope¬ 
ration bisher bei keinem meiner überlebenden Kranken einen 
Rückfall beobachtet habe. Am meisten beweisend sind natürlich 
die ältesten Fälle, und von den erst Operirten sind noch am Leben 
(Fall III) eine jetzt Tßjähr. Frau, bei der am 31. Januar 1893 
(Fall V) ein jetzt 63jähr. Mann, bei dem am 20. Mai 1893 
(Fall VII) eine jetzt 77 jähr. Frau, bei der am 19. September 1894 
(Fall VIII) eine jetzt 54jahr. Frau, bei der am 29. November 1894 
(Fall IX) eine jetzt 43 jähr. Frau, bei der am 23. August 1896 
die Exstirpation vorgenommen worden ist. Sie sind auf der ope¬ 
rirten Seite völlig schmerzfrei geblieben, während die früher bei 
ihnen allen ausgeführten peripheren Nervenresektionen nur 
kurze Zeit oder überhaupt nicht von Erfolg gekrönt waren. In 
jenen ältesten 5 Fällen sind also nahezu 6 bis 8V4 Jahre ver¬ 
strichen, ohne dass ein Rückfall eingetreten ist, und da glaube 
ich berechtigt zu sein, von Heilung zu sprechen. Ferner sind 
bei weiteren 11 Fällen seit der Operation mindestens 2 Jahre ver¬ 
flossen, gleichfalls ohne Recidiv. Am Schlüsse der Arbeit werde 
ich alle 27 Krankengeschichten im Auszuge beifügen und ebenso 
die letzten Befunde, damit ein Jeder selbst darüber urtheilen 
kann, wie das Heilungsovgebniss sich gestaltet hat. 

Ganz besonders beweisend für die Heilwirkung der Ganglion¬ 
exstirpation scheinen mir die Fälle zu sein, in denen auf der 
nicht operirten Seite neuralgische Schmerzen sich eingestellt 
haben, während die ursprünglich erkrankte schmerzfrei geblieben 
ist. Zunächst sei hier die bereits oben erwähnte, jetzt 54 jähr. 
Frau (Fall VIII) angeführt. Die Schmerzen treten Nachts am 
heftigsten auf, wechseln von einem Nerven der nicht operirten 
Seite zum andern, überschreiten aber niemals die Mittellinie. 
Sie haben ihren Sitz im Ohr, im Nasenbein und in der Ober¬ 
lippe. Man könnte in diesem Falle an ein centrales Leiden 
denken. Indessen hat die, fortgesetzte genaue Beobachtung der 
Kranken dafür nicht den geringsten Anhalt geboten, und cs ver¬ 
dient besonders betont zu werden, dass die rechte Seite seit der 


Ganglionexstirpation, d. h. seit 6Va Jahren, vollkommen frei von 
Anfällen geblieben ist. Bei zwei weiteren Frauen (Fall IX und 
XVIII) haben sich Schmerzanfälle auf der nicht operirten 
Seite eingestellt, in letzterem Falle sind sie erheblich, in ersterem 
gering. Sie erregen aber umsomehr das Gemüth dieser Kranken, 
als sie die Sorge vor einem schweren Leiden der bisher gesunden 
Seite nicht los werden. 

Während die Exstirpation des Ganglion Gasseri mir bei der 
typischen Trigeminusneuralgie so ausgezeichnete und dauernde 
Erfolge geliefert hat, ist sie als völlig nutzlos in allen den Fällen 
zu verwerfen, in denen es sich um hysterische oder neurasthe- 
nische Pseudoneuralgien handelt. In drei derartigen Fällen habe 
ich die Operation abgelehnt, es handelte sich jedes Mal um un- 
verheirathete Damen im Alter von 26, 27 und 33 Jahren. Bei 
allen dreien waren von hervorragenden Chirurgen periphere Tri¬ 
geminusresektionen ohne jeden Nutzen vorgenommen, bei der 
27 jährigen Kranken in ihrer Heimath (Nordamerika) auch beide 
Ovarien entfernt worden. Leider habe ich mich in einem vierten 
Falle doch zu dem Eingriff verleiten lassen. 

Es handelte sich (Kall XIX) um einen 03 jährigen Kollegcii 
G. von C., der bis zur Entstehung seines schweren Nervenleidens 
Oberarzt eines Krankenhauses und Chirurg gewesen war. Kr 
wurde mir von einem Professor der Nervenheilkunde lm August 
1899 zur Operation überwiesen, nachdem die seit 10 Jahren an¬ 
gewandten zahlreichen Kuren und Mittel sich als erfolglos er¬ 
wiesen hatten. Auch zwei periphere Nervenresektionen, von deueii 
eine von der Hand eines unserer ersten Meister vorgenommeij 
worden war, hatten nicht die geringste Wirkung gehabt. Die 
Neuralgie war keine typische, vor Allem war sie nicht auf eine 
Seite beschränkt, wenn sie sich hier auch mit Vorliebe und be¬ 
sonderer Heftigkeit äusserte. Der Kranke war schwer ueur- 
astheniseh, und ich habe mich, da die Indlcation zur Operation nicht 
begründet werden konnte, zunächst durchaus ablehnend verhalten. 
Als aber der Kollege, der sich über alle Möglichkeiten genau 
orientirt und meine Monographie eingehend studlrt hatte, mit 
Selbstmord drohte, habe ich mich schweren Herzens dazu ent¬ 
schlossen, das Ganglion Gasseri zu exstlrpiren, nachdem ich zuvor 
mit dem Bruder darüber Rücksprache genommen, dass die Ope¬ 
ration in diesem Falle nutzlos sein könnte. Die Ganglionexstir¬ 
pation hat auf die Schmerzen nicht den geringsten Einfluss aus¬ 
geübt. Die Operation ist ohne Erfolg geblieben, da es sich offen¬ 
bar um ein centrales Leiden handelte, das seinen Sitz in der Hirn¬ 
rinde oder in den Trigeminuskernen hat und chirurgisch unan¬ 
greifbar ist. 

Im März 1901 hat mich der Kranke in Berlin besucht; er sah 
körperlich blühend wohl aus und war in bestem Ernährungs¬ 
zustände. Ueber seine Schmerzen freilich klagte er nach wie vor; 
glücklicher Welse hat er wenigstens von der Gangllonexstirpatiou 
nicht die geringsten Beschwerden. 

Alle meine Geheilten schätzen sich glücklich, dass sie mit ge¬ 
ringen Störungen von ihren furchtbaren Qualen befreit sind. 
Was diese subjektiven Störungen anlangt, so muss als 
nebensächliches Moment eine zuweilen eintretende massige Behin¬ 
derung in der Oeffnung des Mundes erwähnt werden, die offen¬ 
bar auf Schrumpfungsvorgänge im Schläfenmuskel zurückzu¬ 
führen ist. Fast immer können die Kranken zu allen Funktionen 
den Mund genügend weit öffnen. Nur bei einer einzigen Frau 
(Fall XX) bildete sich eine so starke Kieferklemme auf der ope¬ 
rirten Seite aus, dass sie nur mit Mühe essen konnte. Aus diesem 
Grunde resecirte ich 10 Monate nach der Ganglionexstirpation 
den Processus coronoideus mandibulae, 8 Tage darauf wurde die 
Kranke entlassen. Ein halbes Jahr später vermochte sie, wie mir 
brieflich mitgetheilt wurde, den Mund so weit zu öffnen, dass 
man einen Finger „zwischen den Gaumen stecken konnte“. 

Leichte sensible Störungen auf der operirten Seite machen 
sich von Zeit zu Zeit bei einigen Kranken bemerkbar. Sie haben 
die Empfindung des Kribbelns oder Ziehens; namentlich bei psy¬ 
chischen Aufregungen oder nach angestrengtem Arbeiten tritt 
eine Empfindung des Stechens oder Brennens ein, die aber bei 
Allen rasch vorübergeht und nur als Unannehmlichkeit, nicht 
als Schmerz empfunden wird. Dagegen beklagten sich 2 Kranke, 
eine 76 jähr. Frau (Fall III) und ein 56 jähr. Mann (Fall XV), 
über die halbseitige Gefühllosigkeit der Mundschleimhaut, welche 
beim Essen und Kauen sehr hinderlich sei; die übrigen Operirten 
hatten sich an diesen Zustand gewöhnt. 

Natürlich haben die Operirten sämmtliche Ausfalls¬ 
erscheinungen, welche durch die Entfernung des Ganglion 
Gaeseri bedingt sind; jedoch erweisen sie sich in der That viel 
geringer, als man nach der uns von den physiologischen Studien 
her innewohnenden Ansicht von der grossen Bedeutung des 
Ganglion erwarten sollte. Besonders erwähnt sei hier nur, da^s 


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2. Juli 1901. 


MUENOIIENER MEDIC1NISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


die gelähmten Muskeln, namentlich der Masseter, Temporalis 
und Pterygoideus internus, durch die gleichen Muskeln der ge¬ 
sunden Seite so vollständig ersetzt werden, dass im Schlüsse des 
Unterkiefers keine Abweichung wahrgenommen werden kann. 
Allerdings ist die grobe Kraft im Kauen auf der operirten Seite 
vermindert, indessen macht sich diese Störung nicht besonders 
bemerklicb. Denn die Kranken kauen schon wegen der halb¬ 
seitigen Anaesthesie der Mundschleimhaut stets auf der normal 
empfindenden Seite. 

Das Allgemeinbefinden, das durch die langen Qualen in 
ausserordentlichem Grade zu leiden pflegt, bessert sich nach Auf- 
hören der Schmerzen rasch, Nervosität und Schlaflosigkeit 
schwinden, und die vorher durchauf auf fremde Hilfe ange¬ 
wiesenen Kranken werden wieder selbständig und arbeitsfähig. 
In einem Falle (V) habe ich nach der Heilung eine Geistesver¬ 
wirrung, welche wie die verursachende Neuralgie mehrere Jahre 
bestand, zurückgehen sehen. 

Ohne Zweifel haften der Operation Gefahren an. Wenn 
inan indessen im einzelnen Falle das Für und Wider genau ab¬ 
wägt und wenn man dann den armen Leidenden die Verhält¬ 
nisse ohne Rückhalt auseinandersetzt, wozu man meiner Ansicht 
nach hier in weit höherem Maasse, als z. B. beim Carcinom, ver¬ 
pflichtet ist, da ja die entsetzlichen Schmerzen an sich das 
Leben nicht in Gefahr bringen, so findet man keinen Wider¬ 
spruch gegen die Operation. „Lieber den Tod als solch ein Leben“, 
diesen Ausspruch habe ich fast von allen meinen Kranken ge¬ 
hört. und ihre schmerzdurchfurchten Züge legen beredtes Zeug¬ 
nis« dafür ab, dass jenes Wort keine blosse Redensart ist. Sind 
doch Selbstmordversuche in diesen schwersten Fällen von Ge¬ 
sichtsschmerz keine Sclteidieit. 

Mehrmals war ich gezwungen, die Operation bei Leuten 
auszuführen, die gänzlich entkräftet waren; einer dieser Fälle 
betraf einen 52 jährigen, noch dazu schwer herzkranken Mann. 
Nur eine 58 jährige Frau ist im Collaps gestorben, die anderen 
derartigen Kranken sind geheilt. Bei ihnen waren extrakranielle 
Eingriffe überhaupt nicht mehr möglich, daher blieb keine Wahl, 
es muaste das Ganglion entfernt werden. In so schweren Fällen 
wird es auch niemals gelingen, die Körperkräfte vorher zu heben; 
die Sehmerzanfälle und ihre Folgen vereiteln alle unsere Be¬ 
mühungen. Bisher bin ich, bis auf eine Ausnahme (Fall XI), 
der Ansicht treu geblieben, die ich im Jahre 1892 ausgesprochen, 
dass nämlich die Exstirpation des Ganglion erst in Frage gezogen 
werden dürfe, wenn die weniger eingreifenden Operationen sich 
als erfolglos erwiesen hätten. 

Nach meinen Erfahrungen führt die Entfernung des 
Ganglion Gasseri in allen den Fällen dauernde Heilung herbei, 
in denen die Ursache der Neuralgie dort oder weiter nach der 
Peripherie zu ihren Sitz hat, d. h. bei der überwiegenden Zahl 
der Erkrankungen. Denn nach unseren sonstigen Kenntnissen 
findet eine Regeneration, wie sie nach Resektion der peripheren 
Nervenverästelungcn eintritt, nicht statt, sobald die Wurzeln 
selbst durchtrennt sind. Die Heilung der Neuralgie wird ver- 
muthlich durch die intrakranielle Operation auch dann bewirkt, 
wenn ein umschriebener llerd, der auf das Ganglion, den Tri¬ 
geminusstamm oder die intrakraniell gelegenen Aeste drückt, 
selbst nicht beseitigt werden kann. Wenn aber die Neuralgie 
durch eine Ursache hervorgerufen wird, welche central vom Tri- 
geminusstamm gelegen ist, dann wird auch die Entfernung des 
Ganglion Gasseri nichts nützen und ist daher zu verwerfen. 

Der Wunsch, den ich vor 9 Jahren ausgesprochen, die intra¬ 
kranielle Operation möge sich Bürgerrecht in der Chirurgie er¬ 
werben, er ist erfüllt. Die Erfolge der Operation sind trotz der 
ihr innewohnenden Gefahr so gross, dass sie voraussichtlich die 
errungene Stellung behaupten wird. Aber es müssen die 
Schwere der Symptome und die Erfolglosig¬ 
keit aller angewandten Mittel die Schwere 
des Eingriffes rechtfertigen. 

(Schluss folgt.) 


Referate und Bücheranzeigen. 

E. Ziegler: Lehrbuch der allgemeinen und speciellen 
pathologischen Anatomie für Aerztc und Studirende. 10., neu 
bearbeitete Auflage. I. Band: Allgemeine Pathologie. Mit 
586 thoils schwarzen, thcils farbigen Abbildungen. Jena 3901. 
Verlag von Gustuv F i s c li o r. 


Ziegler hat die 10. Auflage seines Lehrbuches Rudolf 
V i r c h o w zu seinem 80. Geburtstage gewidmet, wahrlich eine 
Festgabe, auf welche nicht nur der Jubilar, sondern auch ihr 
Autor mit berechtigtem Stolz blicken kann. Denn das Werk 
ist die Frucht einer 22 jährigen, fast ununterbrochenen Arbeit, 
welche ja auch allein es ermöglicht hat, dass das Lehrbuch trotz 
der grossen Fortschritte auf dem Gebiete der pathologischen 
Anatomie stets voll und ganz auf der Höhe der Wissenschaft sich 
gehalten hat. 

Vcrf. hat in der 10. Auflage seines Lehrbuches unter Yer- 
werthung der neuesten Literatur und eigener Untersuchungen 
sämmtliche Kapitel einer Revision unterzogen und überall, wo 
es nöthig war, entsprechende Berichtigungen und Ergänzungen 
vorgenommen. Vollständig umgearbeitet sind die 3 ersten, von 
den allgemeinen Krankheitsursachen handelnden Abschnitte; 
ebenso sind die Abschnitte über pflanzliche und thierische Para¬ 
siten umgearbeitet und erweitert und namentlich durch zahl¬ 
reiche neue, überaus klare und instruktive Abbildungen noch 
weiter illustrirt worden. Aber auch in anderen Kapiteln sind 
theils frühere Abbildungen durch neue ersetzt oder neue Ab¬ 
bildungen eingeschaltet worden, so dass deren Gesamintzahl 
abermals um 40 vermehrt worden ist. Besonders dankenswerth 
ist es, dass auch die Literaturzusammenstellungen bis zum 
Schluss des Jahres 1900 fortgeführt sind. Hauser. 

Hugo Ribbert: Lehrbuch der Allgemeinen Pathologie 
und der Allgemeinen pathologischen Anatomie. Mit 338 zum 

Theil farbigen Textfiguren. Leipzig, Verlag von F. C. W. V o ge 1, 
1901. Preis 14 M. 

R. hat in der ganzen Anlage dieses Lehrbuches seine Vor¬ 
lesungen über allgemeine Pathologie zu Grunde gelegt und zwar 
nicht nur hinsichtlich der Eintheilung des Stoffes, sondern auch 
in der Art der Behandlung desselben. In der Darstellung ist 
daher auf eine den Gegenstand erschöpfende Schilderung ver¬ 
zichtet, wie auch ausführlichere Literaturangaben bei Seite ge¬ 
lassen sind. Gleichwohl ist aber in sümmtlichen Kapiteln alles 
Wichtige und für das Verständnis» der einzelnen pathologischen 
Vorgänge Nothwendige enthalten und dabei in so klarer und an¬ 
regender Form zur Darstellung gebracht, dass das Buch dem 
vom Verfasser angestrebten Ziel in vortrefflicher Weise ent¬ 
spricht, nämlich „einer Förderung des Verständnisses allgemeiner 
pathologischer Vorgänge“. 

Die Eintheilung des Stoffes sehliesst sich im Allgemeinen 
derjenigen in ähnlichen Lehrbüchern an und ist wohl im Ganzen 
eine übersichtliche. 

Die Titel der grösseren, die einzelnen Kapitel zusammen- 
fassenden Abschnitte scheinen 'jedoch dem Referenten nicht 
immer glücklich gewählt zu sein. So dürfte man nicht leicht auf 
den Gedanken kommen unter dem Titel: „Die Bedeutung der 
Organveränderungen für den übrigen Körper“ auch den Vorgang 
der Thrombose und Embolie geschildert zu suchen, und in dem 
Abschnitt: „Heber die einzelnen Veränderungen der Gewebe unter 
dem Einfluss der verschiedenen Schädlichkeiten“ befremdet es 
nur, die regressiven Veränderungen eingereiht zu finden. Eine 
derartige Eintheilung erscheint vielfach unbegründet und will¬ 
kürlich. 

In den von der pathologischen Neubildung und den Ge¬ 
schwülsten handelnden Kapiteln dürfte wohl die Mehrzahl der 
Pathologen nicht im Stande sein, den von Ribbert hier ent¬ 
wickelten Theorien zu folgen, indem der Verfasser hier die 
schwierigsten biologischen Fragen doch oft etwas allzu leicht 
behandelt und durch ganz grob-mechanische Vorstellungen lösen 
zu können glaubt. 

Auch kann dem Verfasser nicht der Vorwurf'erspart bleiben, 
dass speciell in dem Kapitel über das Carcinom Thatsachen, 
welche der von ihm für die Krebsentwicklung aufgestellten 
Theorie, absolut widersprechen, einfach übergangen oder in ge- 
zwungendster Weise jener Theorie nngepasst sind. 

Die dem Werke beigefügten Abbildungen sind sehr instructiv 
und grösstentheils nach Originalzeiehnungen des Verfassers in 
vortrefflicher Weise ausgeführt. Hause r. 

G. Brühl: Atlas und Grundriss der Ohrenheilkunde. 
Unter Mitwirkung von l’rof. Dr. A. Politzer in Wien. 
244 farbige Abbildungen auf 39 Tafeln nach Origiiialaquarellen 


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1104 


MTTENOIIENER MEDIC1N1SGHE WOCHEN SCliRl FT. 


No. 27. 


von Maler G. Hammerschmidt. München, J. F. Lch- 
m a n n’s Verlag 1901. Preis geh. M. 12.—. 

Das vorliegende Buch muss als durchaus gelungen und seinen 
Zweck erfüllend bezeichnet werden. Die Abbildungen — er¬ 
freulicherweise wurde neben den makroskopischen auch eine 
grössere Zahl mikroskopischer Bilder aufgcuommcn — sind klar, 
deutlich und durch den beigegebenen Text leicht verständlich, 
ihre Ausführung macht dem mitwirkenden Künstler sowohl als 
der Vorlagshandlung alle Ehre. Die Auswahl derselben ist Dank 
der Unterstützung, welche Politzer dem Unternehmen durch 
Uebcrlassung seiner berühmten anutomisch-pathologischen Samm¬ 
lung angedeihen liess, eine so schöne und interessante, dass das 
Werk nicht nur für den praktischen Arzt, sondern auch für den 
Spezialisten, welcher vielleicht weniger Gelegenheit hatte, Prä¬ 
parate zu studiren, von Nutzen sein muss. 

Der „Grundriss“ enthält fast mehr, als für einen solchen ver¬ 
langt werden kann, jedenfalls Alles, was zur Orientirung in der 
gestimmten Otiatrie nöthig ist. Dabei hat es der Verfasser ver¬ 
standen, das ganze grosse Gebiet in eine knappe und übersicht¬ 
liche Form zu bringen, was mit Anerkennung betont werden soll 
und besonders für den beschäftigten Praktiker von Vortheil 
sein dürfte. M a d e r - München. 


Kehr, Berger und Welp: Beiträge zur Bauch- 
chirurgie. Berlin 1901. Kornfeld. 

Der in der Gallensteinchirurgie rühmlichst bekannte Ver¬ 
fasser Prof. Kehr, der im Ganzen jetzt etwa 530 Gallenstein- 
kranke operirt hat, berichtet im Wesentlichen über 84 Gallen¬ 
steinoperationen des verflossenen Jahres, von denen 18 letal ver¬ 
liefen in Folge verschiedener Komplikationen. Die Cystostomic 
ist möglichst einzuschränken und nur bei den akuten Processen 
in der Gallenblase anzuwenden. Denn 1. können wir nie wissen, 
wie die Gallenblase innen aussieht, 2. bleiben weiche kleine Steine 
in den Falten des Cysticus zurück, 3. kann es wieder zu Ent¬ 
zündungen in der Gallenblase kommen. 

Bei der chronischen recidivirenden Cholelithiasis ist die 
Ektomie, combinirt mit der Hepathicusdrainage, bei uns jetzt das 
Normalverfahren. In einer Reihe von Fällen muss man sich 
mit der Cystostomie begnügen. Die Choledochotomie mit Naht 
ist entbehrlich. Die Hepaticusdrainage ist besser. Anastomosen 
zwischen Gallenwegen und Darm sind nach Möglichkeit ein¬ 
zuschränken. Er operirt nicht alle Fälle von Cholelithiasis, nur 
etwas über die Hälfte der konsultirten Fälle, lv. richtet sich 
nach der Form der Erkrankung, nach den socialen Verhältnissen, 
nach der Häufigkeit der Koliken. Insofern begrüsst er auch die 
negativen Befunde mittels des Röntgenverfahrens, da dieses, 
wenn es gelänge, nur ein indieationsloscs Operiren bewirken 
würde. In einer bacteriologischen Arbeit von Oberarzt 
Dr. Berger fand sich unter 30 Untersuchungen des Gallen¬ 
blaseninhaltes derselbe 6 mal steril, in 2 dieser 6 Fälle fehlten 
Steine, 18 mal fand sich Bact. coli allein, 3 mal mit Staphylo- 
coccen, 1 mit Streptococcen. Je 1 mal fand sich nur Staphylo- 
coccus resp. Streptococcus. In den Fällen von Hepaticusdrainage 
fand sich meist an dem der Operation folgenden, spätestens am 
2. Tage, die ausfliessende Galle steril, in einem Falle erst am 
7. Tage. Diesen interessanten Galleusteinoperationen, die in 
genauen Krankengeschichten mitgetheilt sind, folgen die Berichte 
von 25 Gastroenterostomien, wovon 4 gestorben sind, 6 Pyloro- 
plastikcn, wovon 1 gestorben, und einer ausgedehnten Magen¬ 
resektion, mit gutem Ausgange; ferner berichtet K. über 24 Ap- 
pendicitisfälle, von denen 6 mit vorgeschrittener eitriger Peri¬ 
tonitis starben; im Allgemeinen hält er sich zu einer frühzeitigen 
Operation. Den Schluss macht eine Abhandlung über Mesen¬ 
terialcysten von B-erger. Z i e g 1 e r - München. 




Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medicin. I9ui. 70. Bd- 
Uji. 2. Heft. 

1) Th. Struppler- Ueber den physikalischen Befund und 
die neueren klinischen Hilfsmittel bei der Diagnose Zwerchfells¬ 
hernie. (Aus der II. medicinisehen Klinik des Herrn Professor 
Bauer in München.) (Mit 2 Abbildungen im Text u. Tafel I, II.) 

Während man früher in (len wenigen Fällen, in denen die 
Diagnose überhaupt Intra vitam gestellt wurde, lediglich auf die 
Ergebnisse der Auscultation und Percussion angewiesen war. hat 
Str. ln einem Fall von Zwerehfellshornio ausserdem die Röntgeno- 
skopie, Itöntgeuogruphie und Gastrndiaplumic verwendet. Die Be¬ 


schwerden des Patienten waren im Anschluss an ein vor G Jahren 
erlittenes Trauma aufgetreteu; in seiner linken Brusthiilfte fanden 
sich, besonders nach flüssiger Nahrungszufubr, eine Reihe 
plätschernder, glucksender Geräusche, wie sie eben uur in 
einem mit Flüssigkeit unvollkommen gefüllten Hohlrauin 
entsteheu köuneu, der, wie die Untersuchung ergab, selbständig 
sein Volumen änderte und sich bewegte, abhängig und unabhängig 
von den Bewegungen des Herzens und der Lunge. Auf Grund 
dieses Befundes wurde sofort an eine Zwerchfellshernle gedacht, 
deren Inhalt Magen sein musste, was die ltöutgenographie und 
-skopie ln direct positiver Weise und geradezu illustrativ erwies. 

Den negativen Ausfall der Gastrodiaplmnie (der Seheiu der 
Edisonlampe verschwand 27,5 cm hinter der Zahnreihe) erklärt sich 
Verfasser damit, dass ln Folge centraler Lage des Magens iui 
Thorax, der vom Kolon, Netz und komprlmlrter Lunge umgeben 
war, kein Licht durchdringen konnte. 

2) E. Becker: Ueber die Veränderungen der Zusammen¬ 
setzung des Blutes durch vasomotorische Beeinflussungen, ins¬ 
besondere durch Einwirkung von Kälte auf den ganzen Körper. 
(Aus der II. medlc. Universitätsklinik zu Berlin.) 

Nach kurzer Uebersiclit über die bisherige Literatur berichtet 
Verfasser über seine eigenen Untersuchungen, die ln Zählung der 
rothen und welssen Blutkörperchen bestanden, da es ihm darauf 
ankam, „die Beeinflussung des Verhältnisses der rothen zu den 
welssen Blutkörperchen festzustellen“. Die Untersuchungen wur¬ 
den theilweisc am Kapillarblut von Gesunden bezw. leicht Kranken 
vorgenommeu (kurzdauernde Kältewlrkuug), bezw. an Typhösen 
(länger dauerndes Bad). Durch Kälteeinwirkung auf die gauze 
Körperoberfläche wird eine geringe Vermehrung der Erythrocyten 
und eine stärkere der Leukocyten liervorgerufen, weniger durch 
Stauung der Blutkörperchen in den Kapillaren, als durch Wasser¬ 
abgabe aus dem Blute, ln pathologischen Fällen vielleicht auch 
durch Aufhebung von Stasen. Die Vermehrung der Leukocyten 
erfolgt ausserdem noch durch Randschiehtenbilduug. 

3) L. v. K 61 h y uud E. Wels z: Inwiefern kann man die j 

intercostalen Phonationserscheinungen bei Fällen von pleuri- 
tischem Exsudat verwerthenP (Aus der II. medlc. Universitüts- Y 
klinik zu Ofen-Pest.) / ' 

In 2 früheren Arbeiten hat W. gezeigt, dass während der 
Phonation, besonders beim Sprechen gewisser Buchstaben und 
Worte (Kitt. D, K), im Momente des Glottisschlusses die vermehrte 
Bauchpresse den exspiratortsehen-phonatorischen Lungendruck 
steigert. Dadurch stülpt sich die Lunge, besonders magerer Indi¬ 
viduen, an geeigneten Stellen vor, z. B. den Intercostalräumen, so 
dass „mit dieser neuen physikalischen Untersuehungsraethode ln 
vielen Fällen die unteren Lungengrenzen bestimmt werden können, 
da diese Erscheinungen über Milz und Leber, schon vermöge deren 
Konsistenz fehlen“. 

Mit Hilfe dieser plionatorischen Untersuchung suchten die 
Verf. ln 14 Fällen die untere Grenze von Ex- und Transsudaten 
zu bestimmen, die ebenfalls Intereostale Hervorwölbungen ver¬ 
mitteln können, was auch annähernd gelang, abgesehen von dem 

I. Falle, dem gerade in Folge seines negativen Ausfalles Beweis¬ 
kraft zukonnnt. (Es handelte sieh um einen Tumor der rechten 
Thoraxhälfte, wesshalb die Phonationsersclieinuugeu fehlten.) 

4) A. Jaquet und 1t. M e t z n e r: Cardiographische Unter¬ 
suchungen an einem Falle von Fissura stemi. (Aus der medlc. 
Klinik und dem physiolog. Institute zu Basel.) (Mit 8 Kurven.) 

Die Deutung des menschlichen Cardiogrannns Ist zur Zeit noch 
Gegenstand lebhafter Controverse, wie auch der vorliegende Fall 
liewelst, der von mehreren Autoren mit durchaus abweichenden 
Ergebnissen untersucht wurde; Details im Original. 

5) E. J e n d r a s s i k - Ofen-Pest: Klinische Beiträge zum 
Studium der normalen und pathologischen Gangarten. (Aus der 

II. medlc. Klink.) (Mit 21 Abbildungen im Text und Tafel III 
bis VIII.) 

Die Analyse der einzelnen Gnngfeliler Ist diagnostisch und 
therapeutisch wichtig. Tenotomie, Sehnentransplantation können 
nur erfolgreich sein auf Grund eingehender Kenntnlss der Störungs¬ 
ursache, die aber oft schwer zu linden ist. Denn Jede pathologische 
Gangart ist nicht so sehr die Folge der krankhaften Veränderung, 
als vielmehr das Resultat eines individuellen Kompensationsbe • 
strebens. Nachdem J. einleitend die Arbeiten, die sich mit der 
wissenschaftlichen Erforschung des Gehens beschäftigten, einer 
kritischen Würdigung unterzogen, berichtet er ausführlich über 
seine eigenen Untersuchungen, deren Ausgangspunkt eingehende 
Studien über den Gang des gesunden Menschen bilden. Daran 
sohliesst sieh die Besprechung der hypertonischen Gangarten (hemi- 
plegische und paraspastische Form) und der hypotonischen (Dys¬ 
trophia imiscul. progr., spinale Muskelatrophie, einzelne Muskel¬ 
lähmungen), dann folgt der niyelitische und ataktische (tabisehe) 
Gang, cerebollare Ataxie. Pnralysis agitans; den Schluss der inter¬ 
essanten Arbeit bilden 2 Fälle von hysterischer Gehstörung, die 
nicht näher analysirt wurden. 

G) ,T. A. Ivra e m c r: Beobachtungen bei der Typhusepid.em.ie 
im Inf.-Reg. No. 40. Mit besonderer Berücksichtigung der 
diagnostischen Bedeutung der W i d a l’schen Reaction. (Aus dem 
städt. Maria-Hilf-Krnnkenliaus Aachen.) 

Die W i d a l’sche Reaktion wurde der Einfachheit halber mit 
verdünntem Blute (1:20) nach dem Vorschläge Babuke’s (vergl. 
Centralbl. f. Baeteriologie, Bd. 23, No. 5), nicht mit Blutserum 
ausgefühvt und liel nur dann positiv aus. wenn es sich um klinisch 
(•eilten Typhus handelte; übrigens scheint Widal in seltenen Füllen 
auch bei Niclittyphus positiv zu sein, wie z. B. in einem Falle von 



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2. Juli 1901. 


MÜENOITENER MEDTOINTSOIIE WOOTTENSdITRIET. 


1105 


Pneumonie. Neben Kalomel, dns sich gut bewährte, wurden be¬ 
sonders noch laue Bäder, ausreichende, flüssige Diät und stets 
Alkohol gegeben; die Mortalität betrug 4,4 Proc. 

7) J. Kollarits: Beitrag zur Kenntiiisa der anatomischen 
Grundlage der Muskeldystrophie. (Aus der II. medic. Klinik zu 
Ofen-Pest.) 

In einem Falle von Dystrophia musc. progress. pseudohyper- 
trophie fanden sich neben fettiger Degeneration und Atrophie der 
Muskeln eine Faserurmuth in gewissen Kückenmarkstheilen, ganz 
besonders aber eine Kleinheit der Ganglienzellen der Vorderhöruer, 
die vielleicht als fehlerhafter Entwickelungsprocess die eigentliüin- 
liche Muskelnffektion verursacht hat. 

8) Neumann- Baden-Baden: lieber Sklerodermie nach 
eigenen Beobachtungen. 

N. beobachtete ln 3 Fällen von Sklerodermie, die sich längere 
Zelt der üblichen Behandlung ohne Erfolg unterzogen hatten, theils 
eine allgemeine, theils mehr lokale erhebliche Besserung, durch 
den T a 11 e rin a n n’schen Apparat erzielt, bei dem trockene Hitze 
von 120—150° C. verwendet wird. Die Sklerodermie ist nach ihm 
eine chronische Iutoxication, die sich unter Zeichen konstitutio¬ 
neller Schwäche, hauptsächlich in der Haut lokallsirt. 

9) M. Engelhardt: Untersuchungen über den Fettgehalt 
des menschlichen Blutes. (Aus dem Laboratorium der medic- 
Universitäts-Pollklinik Jena.) (Mit 1 Abbildung.) 

E. untersuchte den Fettgehalt des menschlichen Blutes, dns 
er durch Punktion der Vena mediana gewonnen hatte; die Be¬ 
stimmung erfolgte durch Aetherextraktion. Die Durchschnitts¬ 
zahl betrug 0,180 Proc., wobei Individuelle Schwankungen Vor¬ 
kommen; bei konsumirenden Krankheiten ist der Fettgehalt nicht 
erhöht. Im Gegensatz zum Hungerthier. (Ein anderer Autor fand 
allerdings bei konsumirenden Krankheiten 0,8 Proc. Fettgehalt.) 

10) Besprechungen. B a m b e r g e r - Kronach. 

Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P.v. Bruüs, 
Tübingen, Lau pp. 30. Bd. 2. Heft. Mit 12 Abb. im Text u' 
2 Tafeln. 

Aus der Strassburger Klinik berichtet H. Gross zur Kennt- 
niss des osteomyelitischen Knochenabscesses der langen Röhren¬ 
knochen in besonderer Berücksichtigung seines anatomischen 
Verhaltens und sucht darin die Mannigfaltigkeit des Bildes, die 
Verschiedenheit der Form, die Umgrenzung des Inhaltes auf die 
anatomischen Verhältnisse des betreffenden Alters etc. zurück - 
xuführen. G. stellte 141 Fälle zusammen, die auch die auffällige 
Prävalenz des Befallenseins der Tibia erkennen lassen, indem da¬ 
runter 35 mal die obere Tibia, 35 mal die untere Partie der Tibia. 
11 mal die Tibia im Allgemeinen. 15 mal der Femur, 9 mal dns 
oliere und 7 mal das untere Humerusende. 4 mal der Radius be¬ 
fallen war. Als Durchschnittsalter für sämmtlicbe Fälle ergab 
sich 29 Jahre; für den Knochen«bscess bei Erwachsenen als Durcli- 
sehnittsdauer der Krankheit 4 Jahre. 

Aus der T ii b i n g e r Klinik gibt A. LI n borg e r 
eine Mittheilung über intermittirenden Gelenkhydrops und 
stellt im Anschluss an zwei neu nrttgcthctftr—Püttc- der 
lietreffenden Klinik 08 Beobachtungen zusammen: er sieht 
darin nicht eine selbständige Krankheit, sondern nur ein Symptom, 
das er nicht auf vasomotorische Störungen, sondern lediglich auf 
Entzündnngszustände (in der Mehrzahl auf infektiöser oder trau¬ 
matischer Basis,) zurückführen will, analog den in regelmässigen 
Intervallen auf tretenden Entzündungen der Lymphangiome und 
der Gicht. Nach der Aetlologie waren 25 mal rheumatische Ein¬ 
flüsse, 8 mal Trauma. 10 mal 'T uberkulose mul_ Int oxieationeu zu 
eonstatiren, weitaus anPnänfigsten war das Kniegelenk'böraUeiT 
«r. und 1. Knie oder beide ln 97 Proc. der Fälle), das freie Intervall 
betrug meist 1 Vs—2 Wochen, die Dauer des Anfalles 2—8 Tage. 
Interne Mittel blieben meist erfolglos, dagegen bewährten sich die 
bei chronischem Hydrops iiblicheu chirurgischen Eingriffe (anti- 
septische Ausspülungen) meistens. 

Aus der gleichen Klinik berichtet B. Honsell über die 
Anwendung reiner Karbolsäure bei septischen Wunden und 
Eiterungsprocessen und bestätigt darin die glänzenden Heilresul¬ 
tate. die bekanntlich P h e 1 p s, zumal an Hüftgelenken, hiedurch 
erzielte, nach entsprechender experimenteller und praktischer Nach¬ 
prüfung. Die eoneentrirte Karbolsäure ist danach, wenn man die 
MaximaldoHis von 0 g nicht überschreitet, weniger schädlich als 
diluirte Isisungen, A’on denen eben mehr zur Resorption kommt. 
Die Experimente ergaben u. a. die geringe Wirksamkeit des Subli¬ 
mats in eiweisshaltigen Lösungen. Concentrirtes Karbol wird in 
seiner antiseptischen Kraft durch Gewebssilfte nicht wesentlich 
t»eeintriiehtigt und ist eine gewisse Dauerwirkung zu erwarten, so 
dass die Hauptanforderungen au ein Antisepticum (Brunner) 
beim Karbol gegeben sind. Die praktischen Erfahrungen beziehen 
sieh anf über 80 Fälle (% davon akute und tuberkulös-eiterige 
Processe). Danach hat sich das Karbolverfahren bei septischen 
Wnnden und Eiterungsprocessen als ein vortheilhaftes Unter¬ 
stützungsmittel der physikalischen Maassnahmen erwiesen. Die 
Anwendung geschieht in der Weise, dass nach Reinigung der Um¬ 
gehung und Benetzung derselben mit Alkohol, die Menge von ca. 
0 g concentrirter Karbolsäure auf Tupfern in die Wunde gebracht 
wird (nicht wie bei Phelps durchEiuscliiitten). Nach 1 Minute folgt 
eine sorgfältige Ausspülung mit Alkohol absolut, und wird die 
Wunde mit steriler Gaze oder Airolgazestreifen tamponirt; am 
rweckmüssigsten fand H. das Auslegen mit einfacher Schicht anti- 
septischer Gaze und folgende Packung mit aseptischen Tupfern. 
Wesentliche Schmerzhaftigkeit zeigt Rieh bei der Methode nicht 


und in Folge rasch verminderter Sekretion kann der Verband 
Wechsel wesentlich seltener vorgenommen werden, was den Tat. 
viel Schmerz erspart, ln einer grossen Reihe vön Fällen konnte 
seit Einführung des Phelps’schen Verfahrens der erste Verband 
4—-8 Tage verbleiben. Bei den tuberkulösen Erkrankungen hält 
H. das Verfahren für weniger wichtig und möchte keinesfalls durch 
dasselbe die Grenzen des operativen Einschreitens zu Gunsten 
einer FrUlioperution verschieben. 

Aus der gleichen Klinik l>erlchtet E. Haas über die Resultate 
der Castration bei Hodentuberkulose, gestützt auf 111 Fälle (44 
rechtsseitige, 34 linksseitige. 15 doppelseitige in eiuer Sitzung; 
18 nach der einseitigen, später auch die andere), von denen 52 noch 
leben, 25 konnten nachuntersuclit, über 27 schriftliche Nachrichten 
erhalten werden. Iu 2(J Proc. der Fälle waren diese mit ander¬ 
weitigen Tuberkulosen kompllzirt, in 20 Proc. Hess sich hereditäres 
Moment, in 10 Proc. eine traumatische oder auf Erkältung be¬ 
ruhende Entstehung aunehmen. Gleichzeitige Erkrankung beider 
Testikel (3.5 Proc.) ist im allgemeinen selten, dass nach dem 1. 
früher oder später der 2. Iloden erkrankt, ist relativ liäuflg; die mit 
Blasou- oder Nierentuberkulose komplizirten Fälle geben eine sehr 
ungünstige Prognose. Wird bei einseitiger Ilodentuberkulose der 
erkrankte Iloden exstirpirt, so erkrankt nach H. der 2. noch in 

20.7 Proc. der Fälle. 44,0 Proc. der Fülle werden durch halbseitige 
Castration dauernd geheilt; fast immer bleibt danach die Zeugungs¬ 
fähigkeit erhalten; durch beiderseits benötbigte Castration wurden 

50.7 Proc. der Fälle gehellt; nie suh H. die vielfach befürchteten 
Ausfallserscheinungen (Melancholie) etc. auftreteu. Die Mortalität 
der doppelseitigen Hodeutuberkulose in den ersten 3 Jahren nach 
der Castration ist fast doppelt so gross, als die der einseitigen (40,0 
gegenüber 20,7 Proc.) 

Aus der Strassburger Klinik berichtet ferner C. Adrian 
über congenitale Humerus- und Femurdefekte lm Anschluss an 
die Obduction eines 3 monatlichen Kindes mit rudimentärem 1. 
Oberschenkel. In der grossen Mehrzahl der sogen. Humerus- und 
Femurdefekte bandelt es sich um eine Hypoplasie, d. h. der Defekt 
ist keiu vollständiger, ln der Regel Epiphysenreste vorhanden, 
während die Diaphyse fehlt. A. stellt aus der Literatur 10 Fälle 
von komplizirten und unkomplizirten Humerusdefekten und 45 von 
Femurdefekten ln Gruppen zusammen, wobei er sich der K U m - 
m e 1 l’sclien Nomenclatur bedient. 

Aus dem städt. Kranken hause zu Nürnberg be¬ 
richtet Fel. F r ä n k e 1 über die subkutane Leberruptur und deren 
Behandlung durch primäre Laparotomie im Anschluss au 3 dies¬ 
bezügliche eigene Beobachtungen. Die Hauptgefahr der Leber- 
ruptur besteht In der primären Blutung (von 102 Fällen E d 1 e r’s 
starben 01 an der primären, 9 an der sekundären Blutung), während 
später die Komplikationen, wie Gallenerguss, sekundäre Hepa¬ 
titis ctc. in Betracht kommen. Bezüglich der Diagnose Ist der 
primäre Schock, die Anaemie, die Erscheinungen vou Reizung des 
Peritoneums (Erbrechen, Aufstossen), besonders Contractur der 
Bauchdecken und der charakteristische rechtsseitige, iu die Schulter 
ausstrahlende Schmerz zu erwähnen; Ikterus kommt nur lm An¬ 
fang vor (überhaupt nach E d 1 e r nur ln 22,8 Proc. der subkutanen 
Lobcrrupturen). Besonders die von Stunde zu Stunde zu vergleichende 
Beurtlieilung des Pulses, der Nachweis event. zunehmenden Blut¬ 
ergusses (Dämpfung in den abhängigen Partien des Abdomens), 
allmähliches Verschwinden der vorher normalen Leberdümpfung 
müssen für die Therapie maassgebend sein. Des Opiums soll man 
sich stets enthalten, auch mit Excitantien sehr zurückhaltend sein, 
allein frühzeitige Operation kann die Prognose bessern, Schock 
darf davon nicht abhalten. Die Naht lässt sich an der Leber Er¬ 
wachsener nicht nur gut ausführen, sondern gewöhnlich kommt 
auch dadurch die Blutuug sicher zum Stillstand, doch soll man sich 
stumpfer Nadeln bedienen und die ganze Wundtiefe bei der Naht 
durchstechen ov. die Nahtlinie mit dem Tampon bedecken. Zur 
Blosslegung führt man am besten den gewöhnlichen Laparotomie¬ 
schnitt in der Linea alba und dazu winkligen entlang des r. Rippen¬ 
bogensbogens. wenn nöthig müssen Rippen reseclrt ev. das Llg. 
suspens. hepatis getrennt werden, um zu dem Riss gelangen zu 
könueu. Wo die Leberzerreissuug mit sehr gequetschten Wund¬ 
rändern und Zertrümmerung8lierden einliergeht, somit die Gefahr 
bestellt, dass einzelne Stellen zur Nekrose kommen, Ist die Tam¬ 
ponade am Platz mit herausgeleitotem Tamponendc. Nach Ver¬ 
sorgung der Leberruptur wird der subphrenische Raum und die 
Bauchhöhle mit feuchten sterlleu Kompressen ausgcwlscht oder 
mit steriler Kochsalzlösung ausgespült. 

Für die Bauchhaut benützt Fr. den Alumlniuinbronzedraht. 
Fr. bespricht noch die Therapie ev. Mitverletzungen der Vena 
portae und Vena cava (Venennaht) und Verletzung der Gallenblase 
(Cystektomle), partielle oder totale Zerrelssung des Duct chole- 
dochus. In dem einem der näher mltgetheilten, nach 11 Stunden 
operirten, günstig verlaufenen Fälle wurde bald nach der Operation 
noch eine subkutane Injektion von 2 proc. Gelatinekochsalzlösung 
ausgeführt. 

Aus der Tübinger Klinik schildert Prof. F. Hof¬ 
meister eine neue Repositionsmethode der Schulterluxation, 
die den Vortheil grosser Einfachheit und Sicherheit hat und sich 
desshalb ganz besonders für den praktischen Arzt eignet, da sie 
Narkose und Assistenz nicht benöthigt, rohe Gewalt vermeidet, 
das Neue dabei ist die bewusste Anwendung des konstanten Zuges 
zum Zweck allmählicher Entspannung der Muskeln. Der Pat. wird 
möglichst bequem auf die gesunde Seite gelagert, am luxirten Arm 
eine starke Leinwandzugschlinge angelegt, welche bis zum Del- 
toideus hinaufreicht und mit einer nassen Mullbinde so fest als 
möglich nngewiokelt wird. Mittels Drahthnken und Zugschnur, 


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310« 


XirKNCllENKTt MEDIZINISCHE WOCT1 ENSC’ 1TItlFT. 


No. 27. 


*Iio über oim* in genügender Hülm angebrachte Kollo geleitet wird, 
bringt man die Zugschlinge mit den extendirenden Gewichten (zu¬ 
nächst 5 kg, dann in 1—5 Min. Je 5 kg steigend bis 20 kg) an. bis die 
Ileposition spontan erfolgt, oder wenn der Kopf in's Pfannen¬ 
niveau getreten, fasst man mit der einen Hand den luxirten Arm 
möglichst hoch oben und zieht den Kopf gegen das Acromion heran, 
mit der andern extendlrt man am Handgelenk und nachdem ein 
Gehilfe die Extension abgenommen, adduclrt man langsam den 
Arm. Letzteres Verfahren ist auch bei Einschnappen des Kopfes 
wiihrend des Hilngens angezeigt, da bei unvorsichtigem Herab¬ 
holen des Arms leicht Iteluxntion eintritt. Unter 7 Füllen hatte 
H. keinen Misserfolg, während er bei der S 11 m s o n'schen Me¬ 
thode 2 mal zu anderen Methoden übergehen musste. 

Aus der gleichen Klinik bespricht Professor H. K ti 11 n e r 
stereoskopische Röntgenaufnahmen und weist auf die grossen 
Vorzüge dieser Bilder, speciell bei Schussfrakturen etc., hin. 
II. Küttner schildert ferner das Vereinslazareth des rothen 
Kreuzes auf dem chinesischen Kriegsschauplatz zu Yangtsun, 
das besonders mit den in der dortigen Gegend grossen Temperatur- 
Schwankungen und den starken Stürmen zu rechnen hatte und bei 
dem desshalb die 12 1) ö e k e r'schen Baracken mit einer hölzernen 
Winterbekleidung versehen werden mussten. I\. schildert den Bau. 
die Einrichtung und Ausstattung des Spitals, den Dienst daselbsi 
und illustrirt seine Schilderung mit entsprechenden Momentauf¬ 
nahmen. 

Ebenfalls aus der Tübinger Klinik berichtet schliesslich 
Burck über die Luxat. carpo metacarpea, eine sehr seltene 
Luxation, von der immerhin 24 Beobachtungen vorliegen. Im An¬ 
schluss an einen typischen Fall. Bezüglich des Entstehungsmecha- 
nismus wird die Luxation nur durch sehr bedeutende Gewaltein- 
wirkungen erzeugt und ist bisher ausschliesslich bei Männern be¬ 
obachtet; sie kann direct und Indirect entstehen. Die dorsalen 
Luxationen sind häufiger als die volaren, letztere sind meist unvoll¬ 
ständig, häufiger sind Luxationen mehrerer Metacarpi. als die 
einzelner oder des ganzen Metacarpus. Bezüglich der Symptome 
ist knöcherne Prominenz auf Handrücken oder in der Vola, Ver¬ 
kürzung der Hand oder der betreffenden Finger besonders zu be¬ 
tonen, die Reposition muss möglichst frühzeitig vorgenommen 
werden. Sch r. 

Centralblatt für Chirurgie. No. 24. 

H u s c h e n b e 1 1 - Eschwege: lieber eine verbesserte Me¬ 
thode von Gehverbänden bei Ober- und TJntarschenkelbrüchen. 

H. betont, dass bei Anlegung dieser Wunde von vornherein 
das Kniegelenk beweglich sein soll, bei nicht zu starker Schwellung 
legt er den Gipsverband direct auf. Tricot und die Kniebeuge wird 
entsprechend gepolstert, oben erhält man dadurch einen sauberen 
Abschluss, dass der Tricotschlauch über einen eingelegten Watte¬ 
ring umgelegt wird. Bei Oberschenkelhrlichen hält II. die Nar¬ 
kose für nothwendlg, bei Unterschenkelbriichen nicht. Auf den 
Gipsverband werden die Chamierschieneu (aus 2 mm starkem, 
1'/,—2 cm breitem Bandeisen) angepasst, in die seitlich nur Ein¬ 
halte gemacht sind, damit die Wasserglasbiuden fester haften 
(Länge der Schiene und Breite des Tretstückcs richten sich natür¬ 
lich nach dem einzelnen Fall). Die Kniekehle wird durch ent¬ 
sprechende Ausschnitte freigemacht, ebenso vorn vom Gipsverband 
über dem Knie weggenommen so viel als nöthig, sodann die 
Schienen durch Wasserglasbinden iixirt. II. erreicht die denkbar 
günstigsten Resultate, lässt seine Patienten vom 2. Tag an aer¬ 
stellen und mit Stock gehen. 

F. Kuhn: Tüll bei der Transplantation. 

K. empfiehlt, da die gelochten Guttaperchaschichten etc. grosse 
Xachtlieile bei Bedeckung T h I e r s c li’scher Lappen haben, ein 
Netz aus wasserdicht imprägnirten Fäden (d. li. einen mit Celluloid- 
lösung imprägnirten Tüll) zur Bedeckung der Läppchen, derselbe 
komprimirt die I.äi pchen gut an und nimmt man die Schichte mehr¬ 
fach. so hat in diese poröse Zwischenschicht jetles Sekret vorerst 
Abfluss. Die Läppchen können ungestört unter einem Verband 
festheilen. Sehr. 

Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 45 . Band 
2. Heft. Stuttgart, F. Enke. 11)01. 

1) Y. Ikeda-Japan: Beiträge zur operativen Gynäkologie 
und Geburtshilfe. 

Die I.’sche Arbeit ist ein Bericht über seine operativen Er¬ 
fahrungen aus den Jahren 1885—1900. Er umfasst 325 Koello- 
tomien, die sieli auf 207 Ovariotomien, 7 Kastrationen. 3 Salpingo- 
tomien. 20 Myomotomlen, 10 vaginale Uterusexstirpationeu. 10 ek¬ 
topische Graviditäten und 2 Kaiserschnitte vertheilen. Die Arbeit 
bringt für deutsche Leser nichts Neues’ und bezweckt nach I.’s 
Angabe nur, eineu wissenschaftlichen Verkehr mit der aus¬ 
ländischen und besonders der deutschen Gynäkologie anzubahnen. 
Wir verzichten daher, auf Einzelheiten einzugehen und wollen nur 
das eine interessante Faktum herausheben, dass Bauchhernien nach 
Laparotomien in Japan fast niemals beobachtet werden. Den 
Grund hierfür sieht I. in der japanischen Sitte, dass die Kinder 
schon vom 3. Jahre au einen laugen und breiten Gürtel um den 
Leib tragen, der im Rücken in der Lumbalgegend zu einer Schleife 
geknüpft wird. Dieser Gürtel, der auch nach der Operation be¬ 
ständig getragen wird, scheint in Bezug auf Bauchhernien eine 
prophylaktische Wirkung zu äussem. 

2) Otto S e y d e 1 - Berlin: Ein Enchondrom des Uterus. 

S. ln'sehreibt einen durch Exstirpation gewonnenen Tumor des 


Uterus (l’olyp), der histologisch hauptsächlich aus Knorpclgewcbo, 
ferner aus glatten Muskclzellen bestand. Die Entstehung des 
Knorpels könnte als aus den histologischen Bestandteilen der 
Uteruswand hervorgegangen aufgefasst werden, da eine Ent¬ 
stehung des Knorpels aus Bindegewebe durch Metaplasie 
tVirchow) zuzugeben ist. Doch bevorzugt. S. die von W Ilms 
für die Miscbgeschwülste des Utenis aufgestellte Ansicht, wonach 
solche Tumoren auf der Basis eines versprengten Tlielles indiffe¬ 
renten Gewebes, welches von den Ursegmenten ableitbar ist, ent¬ 
standen sind. Die nähere Begründung dieser Auffassung muss 
im Original naehgeselien werden. 

3) Konrad H e u s e - Königsberg: Adhaerenz der Placenta. 

Die Ansichten über die Ursachen der adhaerenten Placenta 

gehen noch auseinander. H. citirt die Anschauungen von Lang¬ 
haus. Leopold und Neumann. Untersuchungen an 0 ad- 
hnerenten Placenten fielen negativ aus. ln einem letal verlaufenen 
Fall ergab die Untersuchung des Utenis mit noch festhaftender 
l’laeenta, dass die Docidua serotina an verschiedenen Stellen voll¬ 
ständig fehlte. Sie legte sieh also nicht als kontinuirliehe Gewebs- 
scliIclit zwischen Utentsmusculatur und Zotten, sondern wies 
Lücken auf, in denen die Zotten in unmittelbare Verbindung mit 
der Musculatur traten. Hierin erblickt H. die Ursache der ad- 
luierenten Placenta. Die Anomalie führt er auf mangelhafte Ent¬ 
wicklung der Utenismucosn und der sich aus ihr bildenden Deci- 
dua zurück, ln zweiter Linie handelt es sich um eine Atrophie der 
Docidua. Die bekannte Tliatsache, dass sich manuelle I'lacenta- 
lösungen bei ein und derselben Person häufen, spricht auch dafür, 
dass bei adhaerenten Placenten bestimmte anatomische Ursachen 
vorliegen müssen. 

4) Fr. II e i n s i u s - Breslau: Carcinombildung im Becken¬ 
bindegewebe. 

Primäre C'areinome innerhalb des Llg. latuin sind bisher nur 
in einem Falle von v. Herff beschrieben worden, ll.’s Fall be¬ 
traf eine 30 jährige Frau, die nach Exstirpation der rechten ent¬ 
zündlich vorgrösserten Adnexe einen carciuomatösen Tumor im 
linken Lg. lntuni bekam, was mikroskopisch festgestellt wurde. 
Zur Operation war cs zu spät.; Pat. ging bald darauf kachektiscli 
zu Grunde. 

Obgleich keine Sektion gemacht werden konnte, glaubte H. 
doch den Tumor als primär, nicht als Metastase nuffassen zu 
dürfen. Seine Entstehung verlegt er, wie v. Herff in seinem 
Falle, in die G a rtne r'schen Gänge. 

5) Fritz B e r n d t - Stralsund: Zur Kasuistik der Geburtä- 
störungen nach Vaginoflxation. 

Eine 29 jährige Frau war wegen Tube »Schwangerschaft zwei 
Jahre vorher koeliotomirt und der Uterus vaginifixirt worden. Am 
Ende der jetzigen Schwangerschaft staml nach 2 tägigem Kreissen 
die Portio ganz vorn oben hinter der Symphyse, dahinter das tief 
in die Vagina gedrängte, stark verdünnte hintere Uterinsegineut. 
Pat. wurde durch Sectio caesarea entbunden; Mutter und Kind 
Iilieben am Leben. B. nimmt an, dass eine besonders feste Narbe 
sich zwischen vorderer Wand des Collum und den unteren Partien 
des Corpus gebildet und der Uterus die Portio an dieser Narbe mit 
nach oben gezogen hatte. 

C) E. W e r t h e i m - Wien: Beitrag zur Klinik der über¬ 
zähligen Ureteren beim Weibe. 

Eine IS jährige Virgo konsultirte W. wegen Urinnässen, das 
von Geburt an bestehen sollte. W. fand neben dem äusseren Ori- 
fleium mvthrae einen feinen Spalt, aus dem rhythmisch Ham 
hervortropfte. Da die eystoskopisehe Untersuchung an normaler 
Stelle 2 Uretermündungeu zeigte, so konnte es sieh nur um einen 
verirrten überzähligen Ureter handeln. In der Vagina bestand 
eine spindelförmige Erweiterung dos Ureters, die W. zuerst, aber 
vergeblich, in die Blase zu implantiren versuchte. Es erfolgte erst 
Heilung, als er den Ureter hoch hinauf loslöste mul nach Ampu¬ 
tation der Ampulle in die Blase hineinsteckte, wo er mit 3 Nähten 
Iixirt wurde. W. empfiehlt dies Verfahren für alle Fälle von 
offener Ausmündung eines verirrten Ureters als das sicherste. 

7) J o r d a n - Heidelberg: Die chirurgische Behandlung der 
U teruscarcinome. 

Vortrag, gehalten auf dem XXX. Kongress der Deutsch. Ges. 
f. Chirurgie in Berlin. April 1901. — Kef. in d. Woclienschr. No. 18, 
pag. 725. 

8) Max Henkel- Berlin: Ueber die im Gefolge der vaginalen 
Totalexstirpation des carcinoma tosen Uterus entstehenden 
Blasen- und Ureterverletzungen. 

Zweck der Arbeit ist, an einem grossen Material festzustellen, 
wie häutig Urinfisteln nacli der vaginalen Totalexstirpation des 
eareinomatösen Utenis auftreten. Im Ganzen wurden an der 
Berliner Frauenklinik binnen 8>/ B Jahren 001 vaginale Totalexstir- 
pationon und 37 Conamina ausgeführt. Hierbei wurden verletzt: 
Blase li) mnl, ein Ureter 10 mal, Blase und Ureter 3 mal, beide 
Ureteren 1 mal. 

Im Allgemeinen fand H., dass mit der Erweiterung der Iiull- 
cationen zur Operation auch die Häufigkeit der Blasen- und TJreter- 
verletzungen zuniramt, und zwar in erster Linie die Blasenver¬ 
letzungen. Am meisten Verletzungen wurden bei der operativen 
Behandlung von Cervixcareinomen beobachtet. In der Berliner 
Klinik wird ausschliesslich die Ligaturmethode angewendet. Bei 
der anderen Orts üblichen Kiammerbeliandlung scheinen nach den 
Litcrnturangnhcn die Ureteren mehr gefährdet zu sein, was auch 
zu Gunsten der Ligatnrmethode spricht. 

J a f f 6 - Hamburg. 


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2. Juli 1901. 


MÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1107 


Centralblatt für Gynäkologie. 1‘Jul. Mo. zb. 

1) Herrn. G r u b e - Greifswald: Strychnin als Peristaltik 
anregendes Mittel nach gynäkologischen Operationen in der 
Bauchhöhle. 

Zur Verhütung des postoperativen Ileus nach Laparotomien 
gab G. auf Martln’s Vorschlag Strychnin, und zwar in 32 Fällen 
als Pillen per os, in 35 Fällen subkutan. In der 1. Serie erhielt 
Pat. die erste Pille 24 Stunden post operat., die zweite Pille 
3 Stunden später. Jede Pille enthielt 0,0025 Strychnin, also im 
Ganzen 0,005 g in 3 Stunden, liier traten in 25 Proc. der Falle 
Flatus auf Strychnin ein. In der 2. Serie bekam Pat. zuerst 0,003 g 
24 Stunden post operat.; trat keine Wirkung ein. nach 3 Stunden 
dieselbe Dosis, eventuell nach 3 Stunden nochmals 0,004, also bis 
zu 0.01 Innerhalb 0 Stunden. Hier erfolgten Flatus in 80 Proc. 
bei Laparotomien, in 75 Proc. bei Kolpotomien. G. empfiehlt 
weitere Versuche über die Wirkung subkutaner Strychnlninjek- 
tionen auf die Darmperistaltik. 

2) Jos. All). A m a n n - München: Ein neuer Weg zur Exstir¬ 

pation des carcinomatösen Uterus. (Vortrag, gehalten auf dem 
diesjährigen Gynükologencongress in Giessen. Cfr. das Referat in 
diesem Bl., No. 23, p. 944.) J a f f 6 - Hamburg. 

Jahrbuch für Kinderheilkunde. 53. Bd. Heft 5 u. 0. 

20) S 1 a w y k: Bacteriologische Befunde bei infektiös er¬ 
krankten Kindern. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.) 

Im Kindesalter finden sich bei verschiedenen infektiösen Er¬ 
krankungen häufig Bacterien im Blut, namentlich Streptococcen. 
Als Eingangspforte kommen hauptsächlich Mundhöhle, Lunge und 
Darm in Betracht. Das Einbrechen von Bacterien in die Blut¬ 
bahn verräth sich in der Regel nicht Im klinischen Krankheits¬ 
bilde; die Bildung multipler Eiterherde spricht für septische In¬ 
fektion. Der Streptococcus steht mit Scharlach nicht in ursäch¬ 
lichem Zusammenhang. 

. 21) und Fortsetzung 26) S t o e 11 z n e r: Histologische Unter¬ 

suchung der Knochen von 9 mit Nebennierensubstanz be¬ 
handelten rachitischen Kindern. (Aus der Universitäts-Kinder¬ 
klinik in Berlin.) 

Nur von rein specialistischem Interesse. 

Verf. glaubt auf Grund seiner Färbemethode eine Einleitung 
der Verknöcherung als Folge der specilischen Wirkung des „Rhachi- 
tols“ auuehraen zu müssen. 

22) Würtz: Zur Kasuistik der Empyeme im Kindesalter. 
(Aus der Universitäts-Kinderklinik in Strassburg.) 

18 Fälle von Empyem, mit Rippenresektion behandelt, von 
denen 8 zur Heilung gelangten. 

23) G e 1 s s 1 e r und ,T a p h a: Beitrag zu den Anaemien 
junger Kinder. (Aus der Universitäts-Kinderklinik in Berlin.) 

Das Auftreten kernhaltiger Erythrocythen ist ein patho¬ 
logischer Vorgang. Die Zahl der Leukocyteu ist für die Diagnose 
einer Blutkrankheit weniger von Bedeutung als die Art der ver¬ 
mehrten IiCukocyton. Milztumoren sind bei der Auaemle im 
Kindesalter häufig, kommen aber auch ohne Anaemie vor. Be¬ 
sonders bei Rachitis kommt ein Wechsel von der leichtesten bis 
schwersten Anaemie und vom kleinsten bis grössten Milztumor 
häufig vor. Die schwersten Anaemien zeigen stets Milzschwellung. 
Die Pseudoleukaemia infantum als eigentliches Krankheitsbild 
Ist noch unbewiesen. 

24) G. R e y - Aachen: Ueber eine bisher nicht berücksichtigte 
Condraindication der Phimosenoperation, die Cystitis des eraten 
Lebensjahres. 

Referirt in No. 42, 1900 dieser Wochenschrift. 

25 Lorau<1- L<>e\vy : Das Koplik’sche Frühsymptom der 
Masern. (Aus dem Ofen-Pester Stephanie-Kindcrspital.) 

L. erklärt im Einklang mit lt o 11 y die K o p 1 i k’schen Flecken 
für ein untrügliches Symptom der Masern. (Bei echten Rubeolen, 
später gefolgt von Masern, hat Ref. dieselben in gleicher Intensität 
beobachtet wie M o 11 a - C o c o, W 1 d o w 11 z u. A.) 

S 1 e g e r t - Strassburg. 

Archiv für Hygiene. 40. Bd. 2. Heft. JU01. 

1) Zaubitzer - Marburg: Studien über eine dem Stroh- 
infus entnommene Amoebe. 

Es gelang, eine aus Strohinfus erhaltene Amoebe in Ver¬ 
einigung mit einem kleinen, beweglichen, sporenlosen Bacterium 
ln ihrer Entwicklung und Theilung zu beobachten, aber es ge¬ 
lang nicht, dieselbe ganz rein zu züchten, so dass es deu Anschein 
hat, als sei diese Symbiose zum Gedeihen der Amoebe nothwendig. 
Wnchsthum konnte bereits auf Peptonwasser und sterilem 
Strohinfus beobachtet werden, dagegen nicht auf Fleisch- 
extrakt, Milch und Nutrosewasser. Auf Heyden- 
N älirstofflös u ng und Soinatoselüsuug gediehen die 
Amoeben vortrefflich. Die günstigste Temperatur scheint zwischen 
10—3-1* zu liegen, bei 50° gehen die Protozoen zu Grunde. 

Die Scheidung von deu Bacterien gelang bisher weder durch 
Hitze. Sonnenbestrahlung, Austrocknung, chemische Mittel, noch 
durch Behandlung mit Serum. Interessant ist dagegen die Beob¬ 
achtung, dass eine Agglutination bei den Amoeben zu Stande kam 
und zwar, wie Verf. annimmt, mit Hilfe derj. nigen Substanzen, 
welche aus den symbiotischen Bacterien auf dem Wege der Ver¬ 
dauung In das Plasma der Amoeben übergetreten sind. 

Pathogenität war weder bei intraperitonealer noch 
subkutaner Injektion, noch bei Einführung per os zu 
kongtntiren. 


2) L. L n u g e - Posen: Beitrag zur Frage der Fleischkonser- 
virung mittels Borsäure-, Borax- und schwefligsauren Natron¬ 
zusätzen. Mit einem Anhang, Mllchkonservirung 
betreffend. 

Es sollte untersucht werden, in wie weit Borax, Bor¬ 
säure und schweflig saures Natron einen Schutz gegen 
Fäulniss bilden würde und welche Konzentration dazu nötliig sei. 
Als Untersuchungsmaterial diente zunächst Blut, dann ge¬ 
hacktes Fleisch. 

Aus den Resultaten geht hervor, dass Borsäure ln Kon¬ 
zentrationen bis zu 1 Proc. eine Sterilisiruug des Blutes nicht 
ermöglichen kann, es scheint sogar hei \\ und % Proc. für manche 
Bacterionarten ein Wachstliumsreiz ausgelöst zu werden. Während 
nach 4 wöchentlichem Stehen die Proben mit %— y 2 Proc. stark 
zersetzt rochen, trat bei deu mit 1, 2 und 4 Proc. versetzten Proben 
keine Geruchsentwickelung auf. 

Für Borax gelten fast dieselben Verhältnisse, nur scheint 
um 2—4 Proc. die Borsäure den Borax an Fäuluisswidrigkeit zu 
übertreffen. 

Stinkende Gase sind über 1 Proc. hinaus nicht mehr zu spüren. 

Das schwefligsaure Natron zeigt die geringste Des- 
infektionskraft für das Blut, da nach 3 Tagen bereits ein aashaft 
stinkender Geruch bei jeder Konzentration von 1—4 Proc. auftritt. 

Wurde gehacktes Fleisch mit Borsäure (*/*—4 Proc.) 
versetzt, so zeigte sich schon nach 24 Stunden eine derartige grau¬ 
braune Verfärbung der Oberfläche, dass es als Verkaufsstück nicht 
mehr zu verwenden war. 

Auch die Bacterien werden erst bei 3—4 Proc. zurückgehalten, 
liefe und Schimmelpilze gedeihen dagegen noch. 

Für Borax gilt wieder fast dasselbe wie für Borsäure, 
nur ist hier die Veränderung des Fleisches noch intensiver, weil 
der Borax durch die Auflösung des Myosins das Fleisch stark 
klebrig macht. 

Im Gegensatz zu Borax und Borsäure weist Natrium- 
sulfit insofern einen Unterschied auf, als das Fleisch in der 
Tliat zwei Tage lang seine rothe Farbe behält, dann aber viel 
schneller dureh Bacterien zersetzt wird, als mit Borax und Bor¬ 
säure kouservirtes. 

Bei der Einwirkung dieser Salze auf M i 1 e li lässt sich koti- 
statiren, dass die Spontangerinnung von 2 proc. Borsäure 
ab sistirt, die Labgerinnung von 4 proe. ab. Natrium sulfit 
dagegen scheint weder auf die eine noch auf die andere Gerinnung 
von wesentlichem Einfluss zu sein. R. O. Neuman n-Kiel. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1901 . 

37. Bd. 2. Heft. 

3) A. Wassermann- Berlin: Experimentelle Beiträge 
zur Kenntniss der natürlichen und künstlichen Immunität. 

Lässt sich im kurzen Referat nicht genügend wiedergeben. 

2) M. B e c k und Lydia Rabinowitscli - Berlin: Ueber den 
Werth und die Bedeutung der Arloing-Courmon t’schen 
Serumreaction, besonders in Bezug auf die frühzeitige Erken¬ 
nung der Rindertuberkulose. 

Die von A r 1 o i u g und Courmout gezüchtete Tuberkulose- 
kultur, die von der bckannlen Wuchst lumiswoise durch ihre saftige 
Oberflüchenkultur abweicht, -soll die Eigenschaft besitzen, durch 
das Serum tuberkulöser Thiere und Menschen agglutinirt zu 
werden. Anderseits soll auch das Blut und das seröse Exsudat 
hei tuberkulöser Pleuritis agglutinlrende Eigenschaften zeigen, 
und dadurch die Möglichkeit vorliegen, diese Reaction diagnostisch 
in den ersten Stadien der Tuberkulose zu verwenden. Die Nach¬ 
prüfungen des Verfassers ergaben aber, dass dies nicht möglich ist. 
da die Resultate zu uugleichmässig sind und keinen einheitlichen 
Charakter zeigen, indem sie einmnl bei notorisch Gesunden auf- 
treten, andererseits aber wieder bei Fällen von beginnender Tuber¬ 
kulose Im Stich lassen. 

3) J. K 1 s t e r - Hamburg: Ueber Gesundheitsschädiichkeit 
der Borsäure als Konservirungsmittel für Nahrungsmittel. 

Auf Grund seiner Versuche, die Kister an Hühnern, 
Hunden, Kaninchen, M e e r schweinc li e n. Katzen 
und an sich selbst ausgeführt hat. kommt er zu dem Schluss, dass 
der Borsäure eine gesundheitsschädigende 
Eigenschaft zuzusprechen sei. und demnach jeglicher Zusatz 
zu Nahrungsmitteln als Conserviruugsmittel zu verbieten «ei. 
(Dass es aber auch Personen gibt, die Borsäurepräparate ohne 
Schaden ertragen können — wie Kister auch glaubt — geht 
aus deu Versuchen des Referenten hervor, der längere Zeit 
3 resp. 5 g Borax genoss, ohne das« eine ungünstige Einwir¬ 
kung auf den Eiweisszerfall und eine Störung des Allgemein¬ 
befindens constatirt werden konnte.) 

4) A. K r a n s z - Ofen-Pest: Ueber die Infektionsfähigkeit 
und Desinfektion von gebrauchten Büchern. 

Es wurde, wie schon öfter, naehgewiesen, dass Bücher aus 
dem S c h u 1 g e b r a u e li und besonders Leihbibliotheks¬ 
bücher von Bacterien dicht getränkt sind. Den Nachweis führte 
Verfasser, indem er Streifen aus dem betreffenden Buche Meer¬ 
schweinchen in die Bauchhöhle brachte, welche stets an Peri¬ 
tonitis eingingen. Er empfiehlt Desinfektion der Bücher mit 
strömendem Wasserdampf und F ormocblorol, wo¬ 
bei er in 30 Mluuten vollständige Abtödtung erzielte. Die Forde¬ 
rung, dass jeder Bücherverleiher seine Bücher vor der Jedes¬ 
maligen neuen Abgabe dosinflclren muss, dürfte wohl eiu frommer 
Wunsch bleiben. 


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1108 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


5) G. Dreyer und Th. Madsen- Kopenhagen: Ueher Im- 
munisirung mit den Toxonen des Diphtheriegiftes. 

Als Toxone werden Mischungen bezeichnet, welche Gift 
und Antikörper In nicht ganz neutralislrter Menge enthalten. 
Sie tödten nicht akut, sondern rufen nur nach einer mehrwöchent- 
liclieu Incubationszelt typische Paresen hervor. Von den To¬ 
xinen unterscheiden sie sich durch die geringere Affinität zum 
Antikörper. 

Mit diesen Toxonen gelang es, mittels systematischer Injek¬ 
tionen, bei verschiedenen Thiergattungen Unempfindlichkeit gegen¬ 
über den schädlichen Wirkungen sowohl von T o x o n als von 
Toxin hervorzubringeu. 

Bel einer Ziege und einem Pferd gelang es auch, Anti¬ 
toxin zu erzeugen. 

6) Georges D r e y e r - Kopenhagen: Ueber die Grenzen der 

Wirkung des Diphtherieheilserums gegenüber den Toxonen 
des Diphtheriegiftes. : 

Während das Diphtherletoxiu fast unmittelbar nach 
der Einverleibung gebunden wird und nur ganz kurze Zelt darauf 
noch unschädlich gemacht werden kann, kann das T o x o n vom 
Antitoxin noch 24 Stunden nach der Injektion paralysirt werden. 
Es verschwindet eben langsamer aus dem Blut wie das Toxin. 

7) B. Orzechowski - Lodz: Einfaches Mittel zur Bestim¬ 
mung des Salzgehaltes in der Butter. 

Das Princip beruht darauf, dass man das Butterfett in einer 
Alkohol-Aethermischung löst, die Lösung in einen 
kleinen graduirten Cyliuder giesst, ln dessen ausgezogener Spitze 
das Salz sich alsdann absetzt und in Procenten abgelesen werden 
kann. 

8) A. T u m p o w s k 1 - Lodz: Von der bacteriologischen 
Untersuchung des Fleisches in den Läden und Fleischbänken 
von Lodz. 

Bei der Untersuchung 8 verschiedener Fleiscliprobeu aus ver¬ 
schiedenen Läden wurden 4 mal Krankheitserreger angetroffen, 
darunter öfters Proteus und auch Pneumonie in der Luft 
dos einen Schlachtladens. Tumpowski's Mittheilungen werfen 
ein recht dunkles Licht auf die hygienischen Verhältnisse ln den 
Lodzer Läden, für die er dringend xVbhilfe wünscht 

9) II. Co n r a d 1 und H. Vogt: Ein Beitrag zur Aetiologie 
der W e i l’schen Krankheit. 

Der Urin und die Faeces eines an W e 1 l’scher Krank¬ 
heit leidenden Mannes lieferte bei der bacteriologischen Unter¬ 
suchung einen Organismus, der mit dem „Bacillus proteus 
fluorescens“ Jäger fast genau übereinstimmt. Freilich ist 
damit, wie die Verfasser auch angeben, noch nicht klar gestellt, 
ob die W e 1 l'scke Krankheit wirklich dadurch ausgelöst wird. 
Jedenfalls glauben sie aber, dass iu diesem Falle die Krankheits¬ 
symptome mit diesem Organismus in Zusammenhang gebracht 
werden können. 

10) Max Beck-Berlin: Ueber die desinflzirenden Eigen¬ 
schaften des Feroxole. 

Die P e r o x o 1 e sind Verbindungen von Wasserstoffsuperoxyd 
mit sauren antiseptischen Lösungen, z. B. mit Kam- 
p h e r , - N a p h t h o 1, Menthol oder Thymol, die dann 

als Ivampheroxol, Naphtoxol, Meuthoxol oder 
Thymoxol ln wässerigen Lösungen in den Handel kommen. 

Die desinficlrende Kraft, die an Diphtherie, Pyo- 
cyaneus, Staphylococcen und Milzbrand geprüft 
wurde, übertraf sowohl die Desinfektionswirkung des Menthols, 
Naphthols, Thymols und des Kamphers, als auch die von Wasser¬ 
stoffsuperoxyd allein. 

Eine Giftwirkung im Thierkörper konnte nicht cou- 
statirt werden. Die Haltbarkeit ist bedeutend besser, als dies bei 
II, O, allein der Fall war. Nach >/ z Jahr wurden an den Prä¬ 
paraten keine wesentlichen Veränderungen wahrgenommeu. 

11) S c h il d e r - Berlin: Ueber das S c h u m b u r g’sche 
Verfahren der Wasserreinigung mittels Brom. 

Das Schumbur g’sche Verfahren, welches darin besteht, 
dass pro Liter Wasser 0,00 freies Brom zugesetzt wird, und das¬ 
selbe später durch Natr. sulfuros und Natr. carb. sicc. entfernt 
wird, versagt bei Cholera- und Typhusbacterlen so 
gut wie ganz und damit wahrscheinlich auch bei den übrigen 
im Wasser ln Betracht kommenden Krankheitserregern. S c h ü d e r 
zeigt, auch durch Versuche, dass es auch bei Anwendung doppelter 
Filter aus Filtrirpapier in der Mehrzahl der Fälle ungeeignet ist. 

12) H. Schumacher- Halle: Beitrag zur Frage des Ueber- 
ganges der im Serum gesunder und typhuskranker Wöch¬ 
nerinnen enthaltenen Agglutinine auf den kindlichen Or¬ 
ganismus. 

Sobald das mütterliche Blut im Verlauf eines Typhus aggluti- 
nirende Kraft erworben hat, so wird diese Wirkung ln einigen 
Fällen auch dem Foetus auf dem Blutwege mitgetheilt, nicht aber 
immer. Besonders aber dann nicht, wenn die Erkrankung 
der Mutter vor dem Eintritt der Gravidität beendigt war. 
Auch wenn die Erkrankung ln die erste Hälfte der 
Schwangerschaft fällt, scheint das kindliche Blut wir¬ 
kungslos zu sein. Stets ist agglutinlrende Kraft im kindlichen 
Blut vorhanden, wenn die Mutter in den letzten Schwangerschafts¬ 
monaten den Typhus überstanden hat. Die speciflsehen Stoffe 
werden aber alsbald wieder aus dem kindlichen Organismus heraus¬ 
befördert, so dass die agglutinlrende Kraft nur von kurzem Be¬ 
stände ist R. O. Neumann - Kiel. 


Centralblatt für Bacteriologie, Paraaitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. 190.. Bd. 19. No. 2i. 

1) Arthur Meyer- Marburg: Notitz über das Verhalten der 
Sporen und Fetttropfen der Bacterien gegen Eau de Javelle 
und gegen Chloralhydratlösung. 

Die Fetttröpfcheu, die in den Bacillen sehr oft enthalten sind, 
lassen sich durch Chloralhydrat dadurch leicht kenntlich 
machen, dass sie sich darin leicht lösen, dagegen von Eau d« 
Javelle nur sehr wenig angegriffen werden, während die Zell¬ 
membran verloren geht. 

2) Mark!- Wien: Zur Agglutination des Pestbacillus. 

Mit verschiedenen, an Pferden erhaltenen Pestserum¬ 
proben, welche noch in ziemlich hohen Dosen agglutinirten, 
Hess sich die Identität von weitergezüchteten Pestkulturen nach- 
weisen. Es gelang auch auf diese Weise eine Verunreinigung eines 
sicheren Peststammes zu ermitteln. 

ö) CI. Feriul und Itaffaele Provaccinl - Sassari: Prophy¬ 
laktische Untersuchungen gegen Malaria an der Nordküste von 
Sardinien. 

Im Norden Sardiniens, au der Küste Palan, wurden von den 
Verfassern, ähnlich wie es Celli und Grass! bereits ln Plana 
di Capaccio und in Latium gethau hatten. Versuche mit Netzen 
und Masken gegen den Stich der Anopheles angestellt. Es diente 
dazu ein Raum einer Kaserne, in denen Soldaten schliefen, ausser¬ 
dem wurden Versuche bei Landausflügen und in der Nacht lm 
Freien gemacht. 

Bei den 4 Versuchen, bei denen 194 Personen betheiligt waren, 
trat kein einziger Fall von unbestrittener Malaria auf. 

4) N. S o 1 o w j e w - Tomsk: Das Balantidium coli als Erreger 
chronischer Durchfälle. (Schluss folgt.) 

5) Canon- Berlin: Bemerkungen zu der Mittheilung von 
Dr. Hugo Marx: Ueber Sporenbildung und Sporenfärbung. 

Unwesentliche Aeuderung der Sporenfärbungsmethode, die 
aber längst anderen Orts auch ausgeführt wird. 

R. O. Neumann - Kiel. 

Berliner klinische WochenBchrift. iboi. No. 25. 

1) E. S t a d e 1 m a n,n - Berlin: Ueber Entfettungskuren. 

Cfr. Referat pag. 947 der Münch, med. Wochenschr. 1901. 

2) E. R o 8 e n q v 1 s t - Helslngfors: Ueber den Eiweisszerfall 
bei der pemieiösen, speciell der durch den Bothriocephalus latus 
hervorgerufenen Anaemie. 

Die Stoffwechseluntersuchungeu an 18 Fällen von Bothrio- 
cephalusanaemie und 3 Fällen von peruieiöser Anaemie ohne be¬ 
kannte Aetiologie ergaben, dass vor Abtreibung des Wurmes ein 
erhöhter Eiweisszerfall vorhanden ist, während nach Abtreibung 
des Wurmes eiweisssammelnde Kräfte im Körper wirksam werden. 
Der Eiweisszerfall muss als ein toxogouer bezeichnet werden, be¬ 
dingt durch ein vom Wurm erzeugtes Gift. Aus dem Stillstände 
ln dem anaemischen Processe kann nicht ohne Weiteres der Schluss 
gezogen werden, dass das Gift aus dem Körper eutfernt ist. Es 
können aber im Verlaufe der Krankheit trotz Anwesenheit des 
Wurms auch Perioden von deutlicher Stickstoffretention Vor¬ 
kommen. Die gewöhnliche pernieiöse Anaemie zeigt hinsichtlich 
des Eiweisszerfalls ganz analoge Verhältnisse und es ist die Auf¬ 
fassung berechtigt, dass auch die kryptogenetische pernieiöse 
Anaemie als Glftanaemle zu deuten ist. 

3) A 1 b u - Berlin: Zur Bewerthung der vegetarischen Diät. 

Cfr. Referat pag. 375 der Münch, med. Wochenschr. 1901. 

4) K a r e w s k 1 - Berlin: Zur Semiotik und Therapie der 
Appendicitis. 

Cfr. Referat pag. 1442 der Münch, med. Wochenschr. 1899. 

Grassmann - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 25. 

1) Goetsch - Haweutzitz O. S.: Ueber die Behandlung der 
Lungentuberkulose mit Tuberkulin. 

In dieser Arbeit legt G. die Resultate seiner 10 jährigen Er¬ 
fahrungen über die Behandlung Tuberkulöser mit dem Koch- 
sehen Tuberkulin dar und zeigt damit, welch’ günstige Erfolge 
man bei richtiger Auswahl der Fälle und systematischer Behand¬ 
lung derselben erzielen kann. Sein Material umfasst 224 Tuber¬ 
kulöse, von denen 12 nach kurzer Zeit aus der Behandlung aus¬ 
geschieden sind, 37 noch ln Behandlung stehen; von den 175 ent¬ 
lassenen Kranken sind 125 geheilt (71 Proc.), die übrigen 50 haben 
die Kur vorzeitig unterbrochen und sind also nur als gebessert 
zu betrachten. Die Hauptgrundsätze, welche G. für die Tuber- 
kulinbehaudlung aufstellt, stnd folgende: 1. fiebernde Tuberkulöse 
dürfen nicht lnjicirt werden, 2. eine Steigerung der Dosis soll nicht 
eher erfolgen, als bis die letzte Dosis ohne Reaetion verlaufen Ist, 
3. am Tag der Einspritzung, sowie dem darauffolgenden Tag Ist 
Bettruhe einzuhalten. Bezüglich der Details der Behandlungs¬ 
welse muss auf die Originalarbeit verwiesen werden, welche sehr 
lesenswerth und auch mit einer Nachschrift von Prof. Koch ver¬ 
sehen Ist. 

2) L. Lewin: Arzt, Apotheker und Kranker. 

ln diesem „Ein Mahuwort“ bezeichneten Aufsatz gibt L. 
historisch-kritische Bemerkungen zu dem gegenwärtig In Berlin 
herrschenden Streit der Krankenkassen mit den Apothekern. 

3) E. S t a d e 1 m a n n - Berlin: Klinische und therapeutische 
Untersuchungen bei Phthisis pulmonum. I. Bacterielle Unter¬ 
suchungen bei Phthisikern. II. Die Diazoreaction im Urin von 
Phthisikern. (Schluss folgt.) 

4) Gustav B e 8 o 1 d - Falkenstein i. Th.: Ueber Behandlung 
der Kehlkopftuberkulose. 


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2. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1109 


Bericht über die in der Heilanstalt Falkenstein gemachten 
Erfahrungen, auf deren Details hier wegen Raummangel nicht, 
näher eingegangen werden kann. 

5) Aus der ärztlichen Praxis: 

a) H e u 8 g e n - Gingen: Eine Schädeltrepanation. 

b) A c h w 1 e d i a n 1 - Kaukasus: Ein Fall von Heilung des 
Wasser krebs (Noma). 

Kasuistische Mittheilungen. Bemerkenswetfh Ist, dass in dem 
zweiten Falle das von Poljakoff empfohlene Fyoktnnin ln 
1 proc. Lösung eine ebenso rasche als gründliche Heilwirkung 
äusserte. F. Lacher- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg. No. 12. 

Heinrich Staub: Die Behandlung der Lungentuberkulose 
mit Zimmtsäure. (Aus der Zürlcherschen Heilstätte für Lungen¬ 
kranke in Wald.) 

Die sehr klar und sachlich geschriebene Arbeit kommt zu dem 
Schluss, „dass die Ziramtsäuretheraple, sofern wenigstens das ge¬ 
häufte Vorkommen von Haemoptysen (50 Proc., doch niemals er¬ 
heblich) doch nur ein Spiel des Zufalls sein sollte, vollkommen 
indifferent ist, dass sie den Verlauf der Tuberkulose in keiner Weise 
beeinflusst, und dass die Erfolge, die von uns erzielt worden sind, 
nicht Ihr, sondern der gleichzeitig ln Anwendung gekommenen 
hygienisch-diätetischen Behandlung gut geschrieben werden 
müssen“. Es wurden 20 sorgfältig ausgewähite Fälle eingespritzt 
(leider fehlen nähere Angaben über die Dosirung). Die Verände¬ 
rungen des objektiven Lungenbefundes, das Verhalten der Tuberkel¬ 
bacillen, des Allgemeinbefindens, Husten und Auswurf unter¬ 
scheiden sich ln keiner Weise von dem Durchschnitt der dortigen 
Anstaltsresultate. Von 8 Patienten mit Fieber (4 mit hohem Fieber) 
wurde 1 entflebert (hier werden nähere Angaben über die Zahl 
der täglichen Messungen vermisst). 

1 Fall mit Iris- und Kehlkopftuberkulose wurde durchaus nicht 
beeinflusst. Endlich konnte bei sorgfältiger Nachprüfung keine 
irgend wesentliche Vermehrung der Leukocyten durch die Ein¬ 
spritzung gefunden werden. 

Theodor Zangger - Zürich: Beitrag zur Therapie des 
Keuchhustens. 

Verfasser schlägt eine Enquete über die Keuchhustentherapie 
vor. Er ist von Bromoform abgekommen, verwendet Chinin, mur. 
ln Lösung (Euchlnin ist nicht ganz ebenbürtig, Chinin, tann. nur 
ein Nothbehelf), zusammen mit mehrmals täglich wiederholtem 
%-Wickeln. So wurde das Stadium convulslvum in 2—4 Wochen 
beendet O. Pischinger. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 25. 1) R. Moszkowicz-Wien: Heber subkutane In¬ 
jektionen von Unguentum parafBni. 

Aus den Erfahrungen von Uber 30 Fällen hat Verfasser er¬ 
sehen. dass Injektionen von gereinigtem Parafflnöl als für den 
Menschen ungiftig bezeichnet werden dürfen, da er niemals Irgend 
welche Beschwerden nach denselben auftreten sah. Das injiclrte 
Paraffin regt die Wucherung von Bindegewebszellen an, wird nicht 
resorblrt sondern heilt bei steriler Injektion reactlonslos ein. Wie 
Gerguny angegeben hat, wird cs am besten in eben nicht mehr 
flüssiger Form zur Einspritzung verwendet, nachdem es durch 
Kochen sterilisirt worden Ist. Die eingespritzte Masse wird gut 
abgekapselt, wenn sie eine Zelt lang ruhig am Orte der Injektion 
bleibt und keinen Muskelbewegungen aufgesetzt Ist. Die mlt- 
getheilten Heil- resp. kosmetischen Erfolge sind sehr beachtens- 
werth, z. B. Beseitigung von Incontinentia urlnae nach Verlust 
des Sphinkter und der ganzen Urethra, Sprach Verbesserung nach 
Verschluss einer .Gaumenspalte, Stenosenbildung bei fehlendem 
oder ungenügendem Afterverschluss, Verschluss oder Verengerung 
von Bruchpforten, Beseitigung von Scheldenprolapseu, vor Allem 
Correctur der verschiedenen Deformitäten, wie solchen der Nase. 
Hinsichtlich der letzteren sind dem Artikel sehr instructive Ab¬ 
bildungen l>eigegeben. Verfasser denkt auch an die Verwendung 
der Injektionen bei ankylotischen Gelenken. Die Injektionen 
werden unter S c b 1 e 1 c h’scher Anaesthesie vorgenommeu und 
soll die Technik keine besonderen Schwierigkeiten darbieten. 

2) H. F r 1 c k - Wien: Ueber objectiv nachweisbare Sensibill- 
tätsstörung am Rumpfe bei Aneurysma aortae. 

Bel dem 47 Jährigen Kranken, dessen Befund eingehend mlt- 
gethellt wird, bestand eine Druckneuritis der Iutercostaluerveu 
mit Anaesthesien und damit abwechselnden Hyperaesthesieu der 
Haut, deren Bezirke einem fortgesetzten Wechsel unterworfen 
waren. Auch wurde verspätete Schmerzempfindung an dem Pa¬ 
tienten als seltener Befund wahrgenommen. Verfasser hält es 
für möglich, dass jäher Wechsel der sensiblen Ausfallssymptome 
in Bezug auf Intensität, räumliche Ausdehnung und Betroffensein 
der verschiedenen Empflndungsqualitäten etwas für das Aneu¬ 
rysma Charakteristisches sein könne. Von einer Anaesthesie 
hysterischer Natur kann in dem geschilderten Falle keine Rede 
sein. 

3) H. Luka cs-Ofen-Pest: Ein Fall von Encephalopathia 
Infantil!«. 

In dem mltgetbellten Falle, einen 26jährigen Kranken be 
treffend, bandelte es sich um 3 Symptomeucomplexe: Motilitäts¬ 
störungen (Hemiplegie mit Begleitsymptomen), ferner verminderte 
„Geistesffthlgkeit“ und Epilepsie. Während Jede dieser 3 Sym- 
ptomengrnppen als selbständige Krankheit Vorkommen kann, ist 


das Vereinigtsein an einem Falle als typisch für die oben be- 
zeichuete Erkrankungsform anzusehen. Die Ursache der letz¬ 
teren ist eine Laesion beliebiger Art, durch welche das in der Ent¬ 
wicklung befindliche Hirn geschädigt wird. Anatomisch handelt 
es sich um Degenerationen und Hypoplasien und Aplasien im Cen- 
traluervensystem. Grassmann - München. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 24. G. J u s 11 - Idstein: Geschichtliches über den scharfen 
Löffel zur operativen Entfernung der adenoiden Neubildungen 
im Nasenrachenraum. 

Verf. weist darauf hin, dass er bereits 1870 einen scharfen 
Löffel am Ring angegeben; einer Kritik der von Andern kou- 
8truirten Instrumente fügte er dann die Beschreibung eines vou 
Ihm ln letzter Zeit eingeführten scharfen Löffels mit Receptaculum 
an. Nach seinen Erfahrungen ist das Operiren mit dem sterilen, 
scharfen Löffel, der ohne irgend ein weiteres Hilfsmittel ein- 
gefiihrt wird und die Beendigung der Operation in eine r kurzen 
Sitzung ermöglicht, das rationellste Verfahren. Alle weiteren Ein¬ 
griffe am Operationsfeld zur Blutstillung u. dergl. unterbleiben, 
dasselbe bleibt am besten sich selbst überlassen. 

No. 23 u. 24 W. D e g r 6 - Wien-Darkau: Ueber Recidive und 
Spätformen der Lues und deren Behandlung mit Jodsoolbädern. 

Längeren Ausführungen über die Syphilis tarda, für deren 
Vorkommen er eintritt,, wie über Heilbarkeit und Recidive der 
Lues 8Chliesst Verf. 4 Krankengeschichten an, welche die gün¬ 
stigen Erfolge der Jodsoolbäder und Trinkkur von Darkau 
illustriren. (Kinder von 7—14 Jahren mit Gelenk- und Knochen¬ 
schwellungen, recidivlrenderllaemoglobinurie, chronischer Rhinitis.) 

Wiener klinische Rundschau. 

No. 20, 22—24. A. Brabec - Trag: Ueber nosocomiale Gan- 
graen. 

Der Hospitnlbrand ist nicht, wie man annehmen möchte, ganz 
verschwunden, er kommt zeitweilig und zwar fast nur in der 
Privatpraxis immer noch zur Beobachtung. Auf der 
M a y d l’schen Klinik kam im Jahre 1900 eine 13jälirige Patientin 
zur Aufnahme mit einem total vernachlässigten, grossen, den 
Fussrücken tind das untere Drittel des Unterschenkels einnehmen¬ 
den, tiefgreifenden Geschwür, das sich im Lauf mehrerer Monate 
entwickelt hatte. Die Diagnose wurde auf Nosocomialgangraen 
gestellt, die Amputation unterhalb des Knies ausgeführt, nach 
46 Tagen erst schloss sich bei fast ununterbrochenem fieberhaften 
Verlauf die Wunde. 

Die mikroskopisch-bacterlologische Untersuchung der nekro¬ 
tischen Pulpa bestätigte die Ergebnisse Vincent's; das kom- 
blnirte Auftreten der V I n c e n t’schen Stäbchen und bestimmter 
Spirillen, auf deren Beschreibung wie auf manche andere Details 
hier nicht eiugegangen werden kann, ist nach dem Verf. das Cha¬ 
rakteristische und sichert in zweifelhaften Fällen die Diagnose 
dieser speclflschen, von ganz bestimmten Mikroorganismen hervor¬ 
gerufenen Erkrankung. In neuerer Zelt hat Matzenaner aus 
der N e u m a n n’schen Klinik 23 als nosocomiale Gangraen 1 k»- 
zeichnete Fülle mit einem konstanten Baelllenbefund bekannt ge¬ 
geben. Da die betreffenden Geschwüre alle ln nächster Umgebung 
der Genitalien auftraten, neigt Brabec zu der Annahme, dass 
es sich wohl um phagedaenische Geschwüre handle und die von 
Matzenaner gefundenen Bacillen vielleicht für diese charak¬ 
teristisch sein mögen. Zudem lassen diese Fälle die bei 
Nosocomialgangraen und auch in dem letzten Fall B r a b e c's 
typisch nuftretenden Symptome: enorme nervöse Reizbarkeit, 
Fieber und Durchfülle vermissen. B e r g e a t - München. 

Skandinavische Literatur. 

Prof. J. W. R u n e b e r g - Helslngfors : Ueber die diffuse 
Nephritis (Morbus Brigthii) im Hinblick auf die klinische 
Gruppirung und Diagnose ihrer verschiedenen Formen. (Nord, 
med. Arkiv. Inn. Med. 1901, 1.) 

Verfasser verwirft in seiner Ausführung die bis jetzt übliche 
Art der Eintheilung der Nephritiden, bei der die Krankheitsfälle 
ausschliesslich nach den pathologisch-anatomischen Veränderungen 
oder nach den klinischen Symptomen oder nach den Krankheits¬ 
ursachen allein gruppirt werden. Von einer in klinischer Hin¬ 
sicht befriedigenden Gruppirung verlangt Verf., dass die aetlologi- 
schen, symptomatischen und pathologisch-anatomischen Erschei¬ 
nungen allseitig berücksichtigt werden. Von diesem Gesichtspunkt 
ausgehend stellt Verf. 7 Formen der „diffusen“ Nephritis auf. 
Verf. schildert dann ausführlich und eingehend die aetiologischen 
Momente, den klinischen Verlauf und die pathologisch-anatomi¬ 
schen Verhältnisse der einzelnen Formen. Zum Schluss seiner 
Arbeit kommt Verf. dann noch zur Besprechung der Differentinl- 
dingnose der verschiedenen Formen der „diffusen“ Nephritis. 

Christian G r a m-Kopenhagen: Ein Fall von Malaria aestivo- 
autumnalis mit Halbmonden ohne intraglobuläre Parasiten. 
(Ibidem.) 

Es handelt sich um einen 36 jährigen kräftig gebauten Mann, 
der bei der Fahrt auf dem Ozean deutlich diejenigen Symptome 
darbot, wie sie durch den tropischen Tertiana-acstivo-autuinnal- 
I uraslten hervorgerufen werden. Während seines späteren Auf¬ 
enthaltes Im Krankenhaus ergab die täglich vorgeuoinmeuc Rim- 
^Untersuchung nur zahlreiche Halbmondparasiten, die unter Chinin¬ 
gabe mehr und mehr schwanden, so dass nach 22 Tagen keine 
Parasiten mehr im Blute nachweisbar waren. 


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mo MTTENOHENER MEDICTNTRCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27. 


Carl L o o f t - Bergen: La mlnlngite cßrfibrospinale Spid6- 
mique en NorvÄge pendant les annßes 1875—1897. 

Verf. beschreibt das Auftreten dieser Krankheit in den ver¬ 
schiedenen Distrikten Norwegens, erörtert die aetiologischeu Mo¬ 
mente und schildert den Krankheitsverlauf. Zur besseren Ueber- 
sicht sind der Abhandlung fünf Tafeln und drei Karten beige¬ 
geben. 

Lyder N l c o 1 a y s e n - Christlania: Bemerkungen über das 
Verhalten des Oonococcus zu Agar. (Ibidem.) 

Verfasser ist es zweimal gelungen, Gonococcenkulturen, 
welche von gonorrhoischen Gelenkaffektlonen herstammten, auf 
gewöhnlichem Agar zur Entwicklung zu bringen und bei Ueber- 
impfung jeden Tag oder jeden 2. Tag auf Agar dieselben durch 
15 Generationen hindurch zu erhalten, ohne dass mau ein ver¬ 
ringertes Wnchsthinn bemerken konnte. In Folge dessen kommt 
Verf. zu der Annahme, dass es sich um „gewisse Stämme von 
Gomicoous“ handelt, welche auch auf gewöhnlichem Agar wachsen. 

K. G. L e n n a n d e r: Heber Spaltung der Nieren mit Re¬ 
sektion des Nierengewebes bei akuter Pyelonephritis mit 
miliaren Abscessen. (Nord. med. Arkiv. Kirurg. 1001, 1.) 

In einem der Fälle auch Uretero-Oysto-Neostomie. Verf. be¬ 
schreibt sehr ausführlich fünf von ihm operirte Fälle dieser Art. 
von denen nur einer zu Grunde ging. Im Anschluss hieran be¬ 
spricht Verf. die Indication für den Eingriff und schildert ausführ¬ 
lich. wie die Operation in der Niere ausgeführt werden muss, und 
ferner die Nachbehandlung. 

C. D. Josephson: Ein Kaiserschnitt mit querem Fundal- 
schnitt (nach Fritsch) wegen ankylotisch schräg verengten 
Beckens; Ileus durch Darmadhaesionen an der TTteruswunde. 
Laparotomie; Heilung. (Ibidem.) 

Verf. redet der von Fritsch vorgeschlagenen Methode des 
queren Fundalschnittes nicht das Wort, da bei einer 34 jährigen 
von ihm operirten Patientin am 10. Tage nach dem Kaiserschnitt 
wegen Darmadhaesionen nochmals zur Operation geschritten 
werden muss. Verf. ist dieser Methode abhold, weil die Lage 
der TTteruswunde unvortheilliaft ist wegen der naheliegenden Mög¬ 
lichkeit der Bildung von Parmndhaesionen an der frischen Wunde 
und weil im Falle der Abscessbildung in der Wunde die Ilelluug 
sehr schwer und die Gefahr der Infektion sehr gross sei. 

Die Statistik spricht aber zu Gunsten des queren Fundal¬ 
schnittes, insofern in 04 Fällen von konservativem Kaiserschnitt 
nur 3 Todesfälle zu verzeichnen sind. 

B ii 1 o w - TI a n s e n - Ghristianin: Ein operierter Fall von 
angeborenem Hochstand der Scapula. (Ibidem.) 

Verf. bespricht ausführlich die Operation, die er bei einem 
4 jährigen Knaben, der mit den typischen Symptomen zu ihm in 
Behandlung kam. ansführte. Der Erfolg der Operation war so¬ 
wohl in kosmetischer als auch funktioneller Beziehung be¬ 
friedigend. 

E. Sandelin. Docent der Chirurgie: Resektion einer 
Narbenstriktur am Halstheil des Oesophagus. (Ibidem.) 

Nachdem Verf. erst 2 Fälle aus der Literatur milgethellt, in 
denen wegen Striktur des Oesophagus die Resektion vorgenommen 
wurde, theilt er zum Schluss seiner Ausführung einen von ihm selbst 
mit Erfolg operirten Fall mit. der einen 30 jähr. Arbeiter betrifft, 
bei dem eine 2 cm lange, unmittelbar unterhalb der Cartilago crl- 
coidea strikturirte Partie vollständig exeidirt wurde. -- Patient 
erhielt in den nächsten 0 Tagen post operationem ernährende 
Kl.vstlere. Verfasser empfiehlt überhaupt dies > Art der Ernährung 
bei an Oesophagusstrlktur operirten Patienten in den nächsten 
Tagen nach der Operation. Die Ernährung per Demeurekatheter. 
der durch Nase, Mund oder die Oesophaguswunde eingeführt wird, 
kann Verf. aus verschiedenen Gründen, die er ausführlicher be¬ 
spricht. nicht empfehlen. 

.T. J u n d e 11 und Fritz Svensson: Ein Fall von chroni¬ 
scher progredienter, durch den Diplococcus pneumoniae Fraenk?l 
verursachter Phlegmone, sekundär zu einer Angina hinzutretsnd. 
(Ibidem.) 

Bel einem 20 jährigen Weib, das unter den Erscheinungen ehier 
hochgradigen Diphtherie erkrankte, entwickelte sich gleich am 
1. Tage der Erkrankung ein Oedem am Hals, das trotz angewandter 
Mittel immer weiter fortschritt. Später entwickelte sich auch 
noch ein zweites Oedem am unteren Theil des Sternum, das wie 
das erste dem Aeusseren nach am meisten dem akuten, circum- 
scrlpten Oedem (Juineke's ähnelte. Doch die bacterlologlsehe 
Untersuchung des aus dem Oedem entleerten Eiters ergab, dass 
es sich zweifellos um den Diplococcus pneumoniae Fraenkel han¬ 
delte. wie ans den vorgenommenen Kulturversuchen und Thlev- 
experimenten mit absoluter Sicherheit hervorgeht. Die wiederholt 
vorgenommene Untersuchung auf Diphtheriebaclllen ergab stets 
ein negatives Resultat. Die Krankheit dehnte sich über circa 
3 Monate aus. 

Adolf Kettoler- München. 

Ophthalmologie. 

E. Fuchs: Der centrale schwarze Fleck bei Myopie. (Zeit- 
schr. f. Augenhellk. Bd. V. März 1001. ITeft 3. S. 171.) 

Bel hochgradiger Kurzsichtigkeit ist die Gegend des gelben 
Fleckes der Sitz vielfacher Veränderungen, wie diffuse Entfärbung, 
umschriebene atrophische oder pigmentirte Flecken, andererseits 
belle Streifen u. s. w. Von den gewöhnlichen maculflren Verände¬ 
rungen vollkommen verschieden ist der scharf umschriebene, rund¬ 
liche schwarze Fleck hu Gebiete der Macula lutea, der ganz unab¬ 


hängig von allen übrigen Hintergrunds Veränderungen auftritt und 
seinen typischen Verlauf nimmt. 

Die Erkrankung beginnt mit einer meist plötzlich einsetzenden 
Sehstörang, in der Mehrzahl der Fälle mit Metamorphopsie, oft 
auch mit einer Verdunkelung in der Milte des Gesichtsfeldes, in 
deren Bereich manchmal hartnäckiges Flimmern die Patienten be¬ 
sonders ängstigt. — Das Sehvermögen zeigt sich stets herabgesetzt, 
meist auf */, bis der normalen Sehschärfe, in schweren, sowie 
in alten Fällen auf Fingerzählen in kurzer Entfernung. Als Ur¬ 
sache entdeckt man ein centrales Scotom. Der Augenspiegel lässt 
den charakteristischen schwarzen Fleck erkennen. Die Grösse des¬ 
selben ist Anfangs erheblich kleiner als die der Papille. Der Fleck 
Ist selten durch und durch gleich tief schwarz, sondern es schim¬ 
mert gewöhnlich in seinen mittleren Partien ein zart röthlichcr, 
seltener ein grauer oder welsslicher Ton hindurch. Manchmal sieht 
man in der Nachbarschaft eine oder mehrere kleine Blutungen. 
Die wichtigsten Veränderungen, die der schwarze Fleck erfährt, 
sind dreierlei: Vergrösserung. Aufhellung und Bildung einer atro¬ 
phischen Zone ringsherum. Die Vergrösserung ist meist derart, 
dass der Fleck etwas über papillengross wird, doch kann er aus¬ 
nahmsweise auch eine viel bedeutendere Grösse erreichen. Hiebei 
nimmt er eine ovale, zuweilen unregelmässige Form an. 

Die Farbe ist manchmal schon lin Beginn der Mitte etwas 
heller, wird dann schiefergrau mit Grapliitglauz und später selbst 
weisslich oder blüuliehweiss. Das Aderhautstroma wird niemals 
in der hellen centralen Partie sichtbar, ebenso wenig kommt die 
Sklera zum Vorschein. F. schlicsst daraus, dass die Aderhaut hier 
nicht einfach zu Grunde geht, sondern sich entweder selbst in eine 
Schwiele verwandelt, oder dauernd von einer solchen bedeckt wird. 

Der einmal entstandene Fleck bildet sich nie wieder voll¬ 
kommen zurück und niemals kehrt das normale Sehvermögen 
wieder. Diese Erkrankung bietet also eine weniger günstige Pro¬ 
gnose als manche andere Veränderungen in der Maculagegend bei 
Myopie. 

Bisher war die allgemeine Meinung, dass der Ausgang des 
schwarzen Fleckes eine maculäre Blutung sei. Nunmehr bringt 
ein Sektionsbefund von Emilie Ii e li in u s (1. c. S. 2(5) über die 
anatomischen Veränderungen Abfklärung. Danach war die Ader¬ 
haut an der Stelle des Fleckes nicht wesentlich verändert und 
auch die Ginsmembran normal. 

Das auf der Glasmembran liegende Piginentepithel war so 
stark gewuchert, dass cs in der Mitte des Herdes bis auf % der 
Dicke der Aderhaut angewachsen war. An der Peripherie der 
Wucherung war das Piginentepithel blässer oder völlig pigment los. 
In dem Herde lag auf dem Piginentepithel ein gelatinöses, zollen - 
losos Exsudat (Fibringerinnsel?), dessen grösste Dicke ebenfalls 
etwa % der Aderhautdieke erreichte. Mit der Oberfläche des durch 
die gewucherte Pigmentschicht zusammen mit dem Exsudat ge¬ 
bildeten Hügel war die Netzhaut verwachsen. — In Bezug auf die. 
Ursache dieser umschriebenen Entzündung nimmt Lchinns an, 
dass durch die Ausdehnung der Sklera am hinteren Pol und die 
damit verbundene Verschiebung der Gewebe die hinteren Ciliar 
arteriell komprlmirt und dadurch Circulatiousstörungen hervor- 
gerufen wurden. 

Oscar Zoth: lieber den Einfluss der Blickrichtung auf die 
scheinbare Grösse der Gestirne und die scheinbare Form dea 
Himmelsgewölbes. (Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 78. S. 388.) 

Bisher haben die Autoren zur Erklärung der Urthellstüuseb- 
ungeii auf diesem Gebiete hauptsächlich vier Momente ln Be¬ 
tracht gezogen, die kurz als Abflachung«-. Vergleichung«-. Luft* 
perspektive- und Abtliellungs-Moment bezeichnet werden, d. h. die 
Bildobjekte des Himmels erscheinen dem Auge nabe dem Horizont, 
grösser und nahe dem Zenith kleiner, weil der Himmel Im Zenitb 
abgeflacht erscheint weil er uns also im Zenith näher erscheint 
als am Horizont: oder weil beim Stande am Horizont die Ver¬ 
gleichung mit irdischen Objekten die Himmelskörper grösser er¬ 
scheinen lässt als lm Zenith; oder weil uns vom Himmel alle Winkel 
um so kleiner erscheinen, je näher sie dem Zenlthe. und um so 
grösser, je näher sie dem Horizonte sind; oder weil am gestirnten 
Himmel die gleichen Winkelstücke dem Auge um so grösser 
erscheinen, je grösser die Zenithdistanz eines betrachteten 
Sternpaares ist. 

Verfasser bringt nun auf Grund sehr sinnreicher und lm Detail 
beschriebener Versuche eine ganz neue, sehr plausible Erklärung 
in dieser Frage, die schon Ftolemacus und die arabischen Astro¬ 
nomen beschäftigt hat. Da bei den zwei Beobachtungen, des hoch- 
nml des tiefstehenden Mondes die einzige veränderte Bedingung 
die verschiedene Blickrichtung Ist. so kann nur diese die Ur¬ 
sache der verschiedenen scheinbaren Grösse der beiden Bilder sein. 
Also: „Der hochstehende Mond erscheint kleiner, 
weil er mit erhobener, der tiefstehende grösser, 
well er mit annähernd horizontaler oder g o - 
r a d e r (senkrecht zur Frontalebene des Kopfes stehender) Blick- 
r I c li t u n g gesehen wird“. 

Dieser Satz, allgemein gefasst, würde folgendermaasseii 
lauten: „Objekte, für deren Entfernungs- und Grössenschätzung 
keine Anhaltspunkte vorliegen, erscheinen bei erhobener Blickrich¬ 
tung kleiner, als bei horizontaler oder gerader“. 

Die näheren, höchst interessanten Ausführungen und die Ver¬ 
suche mögen im Original nnchgelcsen werden. 

D o 1 g a n o w und Kllmowltseh: TIeher d’e gelben 
und gelbgrünen Gläser. (Wratsch, 1900, No. 30, S. 901.; 


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2. Juli 1901. 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Auf Grund der physikalischen Untersuchung der Gliiser ver¬ 
schiedener Nuancen mit dem Spektroskop empfehlen die Verfasser 
die Verordnung von gelben und gelbgrünen Glüsern: 1. wenn es 
sich darum handelt, die Augen gegen violettes und ultraviolettes 
Licht zu schützen, namentlich auch bei elektrischem Licht; 2. bei 
Aphakie, da mit der Linse die Fähigkeit verloren gegangen Ist, 
ultraviolette Strahlen zu absorbiren; 3. zur Erhöhung der Seh¬ 
schärfe bei Betrachtung ferner Gegenstände (z. B. beim Schiessen). 
Die gelbgrünen Gläser sind besonders angezeigt bei sehr grellem 
Licht, z. B. bei Arbeiten mit geschmolzenem Metall, da sie ausser 
den violetten Strahlen auch noch die Wärmestrahlen In erhöhtem 
Maasse absorbiren. 

L. W o 1 f f b e r g: Zur Behandlung des Augenblinzelns. 
(Wochensehr. f. Therapie u. Hygiene d. Auges 1901, No. 20, S. 205.) 

Bei jener Form des Blinzelns, die einen Gewohnheitsfehler dar¬ 
stellt, wie er bei reizbaren und anaemlsclien Kindern häufig ge¬ 
troffen wird, empfiehlt W. für mehrere Stunden des Tages das 
eine Auge fest zu verbinden. Hiedurch hat er selbst in ver¬ 
schiedenen Fällen Heilung erzielt. Den Vorgang erklärt Verfasser 
so: „Wahrscheinlich wird das Sehen mit nur einem Auge durch 
Blinzeln in so hohem Grade gestört, dass das betreffende In¬ 
dividuum mit aller Energie die böse Angewöhnung bekämpft, um 
am Sehen nicht behindert zu sein; es könnte auch ln Betracht 
kommen, dass es selbst beim besten Willen gesunden Individuen 
Schwierigkeiten macht, mit einem Auge zu blinzeln, wenn die 
Lider des anderen durch Verband fest geschlossen sind.“ 

Auch in anderer Weise lässt sich auf Blinzelnde eiuwirken, 
und empfiehlt sich folgendes besonders für solche Kinder, die nur 
zeitweilig in hohem Grade blinzeln. Es Ist nämlich eine Eigen¬ 
tümlichkeit. dass es überhaupt schwer hält, gleichzeitig zu blin¬ 
zeln und zu — pfeifen. Wenn man ein blinzelndes Kind auffordert 
zu pfeifen, so vermag schon die blosse Ablenkung, ohne dass ge¬ 
pfiffen wird, zur Unterdrückung des Blinzelns beizutragen; aber in 
vielen Fällen ist es tatsächlich der Akt des Pfeifens selbst, 
welcher gewaltsam die Heilung hervorbringt. Natürlich gibt es 
auch Ausnahmen. 

Ed. Zirm: Zur Verwendung des Holocains. (Centralbl. f. 
prakt. Augenheilk., April 1901, S. 117.) 

Verfasser verwendet Holocnln nicht für sich allein, sondern 
in 1 proc. Lösung zu gleichen Theilen mit Cocain (Holocain., Cocain, 
muriat ää 0,10:10,0). Diese Mischung befriedigt ihn in hohem 
Maasse, da nach seiner Beobachtung die anaesthesirende Wirkung 
eine viel vollkommenere ist, als die des Cocains allein, aber auch 
eine vollkommenere als die des Holocains für sich. 

Z. hat diese Mischung auch zu subconjunctlvalen und zu 
snbeutanen Injektionen verwendet und empfiehlt die erstere bei 
entzündeten, schmerzhaften Bulbis, so bei entzündlichem Glaukom, 
Hornhautabscessen, die letzteren bei Lidrandoperationen, Blepharo- 
plastiken n. dergl. 

(In der von den Höchster Farbwerken dem Präparat „salicyl- 
saures Holocain“ beigegebenen Anweisung ist aber besonders 
unterstrichen, dass Holocain wegen seiner Giftigkeit zu sub¬ 
kutaner Injektion nicht zu verwenden sei. D. Ref.) 

Bär: lieber die Behandlung der Keratomalacie im Säug¬ 
lingsalter. (Klln. Monatsbl. f. Augenheilk., April 1901, S. 287.) 

Bei dem als Folge von Ernährungsmangel aufzufassenden Zer¬ 
fall der Cornea im Säuglingsalter hat Verfasser, auch ohne Lokal¬ 
behandlung, durch Zusatz von Kalkwasser zur verdünnten 
Kuhmilch überraschende Heilerfolge erzielt. B. ist der Anschau¬ 
ung, dass Kalkwn8ser als Zusatz zur Kuhmilch nicht nur eine 
mechanische "Wirkung, die sie leichter verdaulich macht, sondern 
auch eine chemische Wirkung zu entfalten vermag, welche die 
krankhaften Veränderungen der Magen- und Darmschleimhaut zur 
Heilung bringen kann. 

F. Dimmer: lieber Faltungstrübung der Hornhaut nach 
Keratitis parenchymatosa. (Zeitschr. f. Augenheilk., Aprilheft 
1901, S. 251.) 

Die früher mit „Strelfeukeratitls“ bezelchnete Veränderung 
der Cornea hat in neuerer Zelt, nachdem verschiedene Autoren die¬ 
sen« als Folge von Faltenbildung festgestellt haben, den Namen 
„Faltentrübung“ erhalten. 

Die Falten können entweder In den tiefsten Lagen der Cornea, 
in der Descemetli und den ihr zunächst liegenden Hornhaut¬ 
lamellen oder in der B o w m a n'schen Membran und den vorderen 
Hornhautlagen ihren Sitz haben. 

Bei der Keratitis parenchymatosa sind 2 Arten von Streifen¬ 
bildung zu unterscheiden: 1. Jene grauen Streifen in der Cornea, 
die während der floriden Keratitis entstehen und mit der Auf¬ 
hellung der Trübung wieder verschwinden. 2. Streifentrübungen, 
die als Folgeerscheinung zur Beobachtung kommen zu einer Zeit, 
wo nur mehr geringe Reste der Infiltration und der Gefässent- 
wieklung vorhanden sind, und die dann unverändert bestellen 
bleiben. D. hat nur in 2 Fällen, die er des Genaueren beschreibt, 
die Entstehung dieser Faltungstrübung direct beobachtet und zwar 
aus einer während der Krankheit aufgetretenen und wieder zur 
Rückbildung gekommenen Ektasie der Cornea. 

Rosenfeld: Eine Formel für presbyopische Brillen. 
(Westnlk oftalm., No. 6.) 

Verfasser hat folgende Formel zur Bestimmung der Presbyopie 
aofgestellt: Pr = n — 30 -f- R, wobei n das Alter, R Refraktion, in 
Dioptrien ausgedrückt, bei Myopie mit —, bei Hypermetropie 
mit -f-. Diese Formel besteht zu Recht, wenn man annimmt dass 
die Presbyopie nach dem 30. Lebensjahre beginnt. Bei der Au- 


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nähme, dass dieselbe erst mit dem 40. Lebensjahre beginne, stelle 
man in die Formel die Zahl 40 statt 30; dieselbe wird dann also 
lauten: Pr = n — 40 -f- R. Verfasser hat diese Formel seit mehreren 
Jnhren erprobt und sie als sehr bequem befunden zur raschen 
Orientirung bei Bestimmung der Presbyopie. Dieselbe ist auch 
vom physiologischen Standpunkt zu erklären und beweist, dass sie 
vollständig dem Princip entspricht, dass bei der Arbeit nicht mehr 
als % der Accomodation verwendet werden soll. Rhein. 

O. Lange: Zur Anatomie des Ciliarmuskels des Neugebo¬ 
renen. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1901, No. 1.) 

Da H.vpermetropen sehr viel bezw. ständig, Myopen relativ 
wenig accommodiren müssen, so hatte man bisher angenommen, 
dass die von I w a n o f f in hypermetropischen Augen gefundene, 
sehr starke Entwicklung der Ringportiou des die Accommodation 
vermittelnden Ciliannuskels als Arbeitshypertrophie, 
dagegen die in myopischen Augen bestehende geringe Entwicklung 
dieser Riugportion als Unthätigkeitsatrophle aufzu¬ 
fassen sei. Lange hat nun festgestellt, dass sich derartige indi¬ 
viduelle Verschiedenheiten im Bau des Ciliarmuskels schon in den 
Augen Neugeborener finden, und eröffnet mit dieser ausserordent¬ 
lich wichtigen Mittheilung dieAussiclit auf einen sicheren Nachweis 
für Entstehung der Kurzsichtigkeit. In einem Auge nämlich, in 
dem die Ringportion schwach oder gar nicht entwickelt ist, würden, 
wenn die Naharbeit Anforderungen an den Aceommodationsmuskel 
stellt, die longitudinalen in das Stroma der Chorioidea sich ein¬ 
setzenden Fasern ganz oder fast ausschliesslich in Wirksamkeit 
treten müssen und wäre deren Zerrung und Dehnung der hinteren 
Abschnitte der Augenhäute und damit Verlängerung der Sehachse 
die natürliche Folge. In Augen dagegen mit angeborener stark ent¬ 
wickelter Ringportion käme trotz angestrengtester Accomodation 
diese Zerrung nicht zu Stande und blieben solche Augen em¬ 
metropisch bezw. hypermetropiseh. In der That hat die Annahme 
Lauge’s, dass den individuellen angeborenen Verschiedenheiten 
lin Bau des Ciliarmuskels des Neugeborenen eine wichtige Rolle 
in Bezug auf die weitere Entwicklung und Configuration des Aug¬ 
apfels und damit auf die Refraktion zukomme, sehr viel für sich 
und würden wir daher zur sicheren Begründung dieser Annahme 
mit dem sie aufstelleuden Verf. sehr wünschen, dass ein glück¬ 
licher Zufall die Augen je eines Neugeborenen von festgestellt 
hochgradig kurzsichtigen resp. hochgradig übersichtigen Eltern 
der anatomischen Untersuchung zuführen würde. Zu einem solchen 
glücklichen Funde Beihilfe zu ieisten, mögen alle Herren Kollegen 
sich angelegen sein lassen. S e g g e 1. 

Vereins- und Congressberichte. 

VIII. Versammlung des Vereins süddeutscher 
Laryngologen 

zu Heidelberg am 27. Mai 1901. 

Kurzer Bericht des Schriftführers Herrn Georg A vol 1 i s in 
Frankfurt a. M. 

Die Versammlung war dieses Mal nur von 50 Mitgliedern 
besucht und wurde von Herrn Betz- Mainz als I. Vorsitzenden 
und Herrn F i s c 4 h e n i e h - Wiesbaden als II. Vorsitzenden ge¬ 
leitet. Zum Schriftführer wurde Herr A v e 11 i s-Frankfurt 
bestimmt. Der übrige Theil des Vorstandes bleibt unverändert. 

Herr Betz- Mainz: Stimmphysiologische Bemerkungen. 

An die Darstellung E w a 1 d’s im Handbuch der Laryngologie 
anknüpfend bespricht Herr Betz einige feinere Details der 
Stimmphysiologie und berücksichtigt besonders die zwei Arten 
der Glottisform, die er bei der Erzeugung der Kopfstimme be¬ 
obachtet hat. Bei den hohen Tönen der Kopfstimme wird 
ausscldieslieh „die vordere Spindel“ gebildet, deren Ende 
gerade dort sich findet, wo Sängerknötchen und Schleiman¬ 
häufungen regelmässig gefunden werden. Diese Stelle ist physi¬ 
kalisch als Knotenpunkt, pathologisch als Knötchenpunkt an¬ 
zusehen. 

Discussion: Herr Avellis: Der Grund, wesslialb bei 
der Kopfstimme die Glottis spindelförmig klafft, bei der Brust¬ 
stimme geradlinig verengt ist, muss nicht im Kehlkopf resp. in der 
physikalischen Eigenschaft der Stimmlippen oder Muskeln gesucht 
werden, sondern in der Absicht, bei der Bruststimme die tönenden 
Schwingungen möglichst zurückzuhalten und nach der Brust zu re- 
flektiren; bei der Kopfstimme die tönenden Schwingungen mög¬ 
lichst nach den Resonanzräumen des Kopfes zu leiten. Die Form 
der Glottis ist also nichts Primäres, nicht als Typus des Registers 
anzusehen, sondern nur ein Mittel zum Zwecke; das je nach der 
Schule, der individuellen Anlage und der musikalischen Absicht 
variirt werden knnn, ja muss; Avellis exeinplifizirt ferner 
das Entstehen und F i x i r t w e r d e n ein e r i n n e r e n 
S 11 m m 1 i p p e u s t r u k t u r an der Anordnung der elastischen 
Fasern hei der Amselsyrinx, die hei einer jungen Amsel eine andere 
Struktur aufweist als hei einem Vogel, der schon eingesumren ist 
und erklärt die Variationen der menschlichen Sängerglottis als 
ein Arbeitsprodukt, das abhängig ist von der individuellen Art 
der Resouanzerzeugung und der Fixirnng der Stimmlippenstruktur, 
wie sie durch längeren Gebrauch In Folge der Belastungsgesetze 
sich herausbildct. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


No. 27. 


Herr Müller- Heidelberg: Heber natürliches Singen 
und Sprechen. 

Vortr. ist auf diesem Gebiete besonders erfahren und be¬ 
rechtigt, ein Urtheil abzugeben, weil er selbst lange Zeit aus- 
gebildeter Sänger war. Er legt dar, dass die beste Art. zu singen 
und zu sprechen diejenige sei, die ohne jeden Zwang erreicht 
wird, eine deutliche Aussprache erzielt, den Ton gut nach vorn 
bringt etc. und macht in mustergiltiger Weise — durch De¬ 
klamation und Gesang — der Versammlung eine Reihe von 
Fehlern vor, die der Schönheit der Stimme und ihrem kunst¬ 
gerechten Gebrauchen Eintrag thun, z. B. das Knödeln, das 
Quetschen, das Näseln etc. 

Dlseussion: Herr Avellis sucht für die tiefe Kehlkopf¬ 
stellung ''nach Stock hausen) beim Singen physikalische uml 
physiologische Gründe beizubringen (Verlängerung des Ansatz- 
roh res, Fixiruug der Kehlkopfknorpel und damit der Ansatz¬ 
punkte der Stinnninuskeln) und exempllfizlrt auch auf die Lage 
der Syrinx beim Singvogel, wo die Zweitheilung des Kehlkopfes 
in Athuiungs- und Gesaugapparat so vorgeht, dass der Gesang- 
apparat ganz am Ende des Ansatzrohres sitzt, das sogar noch 
durch Krümmungen besonders verlängert wird. 

Herren V o h s e u und M ii 11 e r widersprechen diesen Aus¬ 
führungen, da nach ihrer Meinung die Verlängerung des Ansatz- 
rohres durch die Tiefstellung des Kehlkopfes nicht bedeutend 
genug Ist. 

Herr K i 11 i a n - Freiburg hält das Referat: Heber die 
Hysterie in ihren Beziehungen zum Kehlkopf. 

Seine Ausführungen gipfeln in der Ansicht, dass die Bilder 
von Stimmlippenparesen, die wir bei hysterischer Dysphonie und 
Aphonie sehen, nicht als Muskelparesen bezeichnet werden 
können, da die Muskeln nicht dauernd paretisch sind, sondern das 
Bild der Parese nur der periphere Ausdruck des Ausfalles einer 
cerebralen Willensbewegung ist. Diese Auffassung ist ja schon 
früher ausgesprochen worden (z. B. Rosenbach, der deutlich 
von hysterischer „Stimmlähmung“, nicht „Stimmbandlähmung“ 
spricht) und in der Versammlung erhebt sich auch kein prin- 
cipieller Widerspruch dagegen. Sämmtliehe hysterischen Er¬ 
scheinungen (auch die ungewöhnlichen Formen der Krampf- 
bewegungen) können auch willkürlich von Gesunden erzeugt 
werden, nur bedarf es manchmal dazu einer längeren Einübung. 

Discusslon: Herr T lii 1 e n i u s berichtet von einem Falle 
hysterischer Inspirationskrämpfe, wo es beinahe zur Tracheotomie 
gekommen wäre und Herr V o h s e n von einer Beobachtung, wo 
schnelle rhythmische Zuckungen der Epiglottis zu sehen waren, 
nicht ndt dem Ansaugen der Epiglottis zu verwechseln. 

Herr K r e b s : Hildesheim: Stimmstörungen nach Ver¬ 
letzung des Halssympaticus. 

In Folge der Herausschälung eines Angiofibroms im Kiefer¬ 
winkel (beim Vortragenden selbst) ist der Ilalgsympathicus ver¬ 
letzt worden (Ptosis, Speichelsekretionsanomalie etc.). Es zeigte 
sich aber auch, dass die Singstimme nothgelitten hat, obwohl der 
Recurrens nicht verletzt wurde. Krebs meint, dass das 
Laryngoskop keine Veränderungen am Muse, thyreo aryt. finden 
kann, solange der Recurrens gesund ist, nur das feine Reagens 
der Singprüfung zeigt, dass ein T h e i 1 des Muskels, welcher 
nicht vom Recurrens innervirt ist, gelähmt ist. 

Herr A v e 11 i s - Frankfurt a. M.: Heber eine Art tra- 
chealer Haemoptoe. 

Analyse eines Falles, wo die von anderer Seite für eine 
Lungenblutung gehaltene reichliche und oft wiederholte Ilaemo- 
ptoo aus Tracheavaricen herrührte. 

Herr Dreyfuss - Strassburg: Heber Mumps der Sub- 
maxillaris und Sublingualis und seine Beziehungen zum 
Larynxoedem. 

Es handelte sich um beträchtliches Oedem des ganzen Larynx 
bei obiger Erkrankung, die durch nachträgliche Orchitis kom- 
plizirt war. Auch beim Mumps der Parotis ist Larynxoedem 
nicht selten. 

Herr Auerbach -Baden-Baden: Steinbildung in der 
Submaxillaris mit Larynxaffektion. 

Es wird das schöne Präparat, das durch Operation gewonnen 
wurde, demonstrirt. Die Larynxaffektion bestand in Oedem und 
„Prolaps des Sinus Morgagni“, der von anderer Seite für einen 
bösartigen Tumor gehalten wurde. 

Herr W i 1 d - Freiburg: Ein neuer bronchoskopischer 
Fremdkörperfall. 

Es handelte sich um ein aspirirtes Gebiss, das bei der 
Tracheoskopie nicht gesehen werden konnte, dagegen leistete die 
Bronchoskopie hier einen glänzenden Dienst, da sie ge¬ 


stattete, den Fremdkörper im linken Hauptbronchus zu finden 
und dessen Entfernung auf bronchoskopisehem Wege zu er¬ 
möglichen. 

Herr Killian- Freiburg demonstrirte: 

1. Eine verstellbare Glasscheibe, die den Laryngologen vor 
dem Anhusten der Patienten schützt. 

2. Lehrmittel: Unterrichtsmodelle, nach Hopmann’s Me¬ 
thode angefertigt und bemalt, ferner ein neues Phantom für 
laryngoskopiselie Hebungen und eines für die Erlernung der 
Bronchoskopie. 

3. Eine neue Zange für die bronclioskopische Verwendung, 
um Bohnen und ähnliche Fremdkörper zu eutfernen. 

4 . Zahlreiche Abbildungen über die topographischen Bezieh¬ 
ungen zwischen Stirnhöhlen und Stimlappen, die mit Bezug auf 
einen glücklich operirten Fall von rechtsseitigem Stirnlappen- 
abscess nach chronischer Stlrnhö(»leneiterung in vorzüglicher 
Schönheit und Klarheit angefertigt, wurden. 

Herr Hagenau -Mannheim: Zur Frage der diabetischen 
Erkrankung der oberen Luftwege. 

Vortragender konnte, durch genaue Studien engere und 
häufige Beziehungen des Diabetes zu obigen Erkrankungen nicht 
finden. 

Discussion: Herr Eulen stein: Eine speciflsche diabe¬ 
tische Pharyngitis gibt es nicht, auch keine diabetische Furunku- 
losls laryngis. Der Diabetes ist nicht als aetiologiscb anzusehen, 
nur bietet der Diabetiker einen günstigen Nährboden für eine In¬ 
fektion. 

Herr K r e b s: Diabetiker haben viel subjektive Hals¬ 
beschwerden. 

Herr Dreyfuss - Strassburg i. E.: Zur Behandlung der 
Ozaena mit Fhenolnm natrosulforicinicum. 

Die Anwendung desselben in Form von Auspinselungen hat 
dem Vortragenden glänzende Resultate bezüglich des Foetors 
ergeben. 

Discussion: Herr Robinson: Vielleicht waren die so 
günstigen Fälle Formen von „Ozaena periodica“. 

Herr Dreyfuss bestreitet diese Einwendung. 

Herr Blumenfeld -Wiesbaden: Heber Urticaria der 
oberen Luftwege. 

»Sehr seltener Fall von Urticaria der Haut, wo das Exanthem 
auch in Pharynx und Larynx beobachtet wurde. 

Ilerrr Robinson -Baden-Baden: Moderne Inhalations- 
theraphie. 

Die Einrichtungen des neu erbauten Inhalatoriums in Baden- 
Baden werden geschildert, die Zerstäubung mit den verschiedenen 
Apparaten, die Lignosulfitinhalation und der Zerstäubungsraum 
nach Wasmuth. Er bespricht dann die Anwendungsformen 
und ihre Indicationen bei den einzelnen Krankheiten. Die Reiz¬ 
losigkeit der Inhalation gegenüber der Lokalbehandlung wird be¬ 
tont. Bei den Leiden der Bronchien kommen vorzüglich die In- 
halationsräume nach W asmut h in Anwendung. Bronchitiden 
mit foelidem Sekret werden mit Lignosulfit behandelt. Bei 
Tuberkulose bewirkt Lignosulfit nur eine subjective Besserung. 

Herr Schwendt -Basel: Demonstration von Instru¬ 
menten zur langsamen Dilatation von intubationstraumati¬ 
schen Strikturen des Larynx und der Trachea. 

Es handelt sieh um eine Dilatation „von unten“, mit der 
Schwendt bei einem sehr schwierigen Falle einen schönen 
Erfolg errungen hot. 


Gesellschaft der Charitö-Aerzte in Berlin. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 20. Juni 1901. 

Herr Menzer zeigt Präparate von Kanlnchenendoc&rditis. 
Dieselbe wurde erzeugt durch intravenöse Einspritzung von 
Streptococcen aus menschlicher septischer Eudocarditis. Da diese 
Streptococcen die gleichen Eigenschaften haben, wie die bei 
akutem Gelenkrheumatismus und bei Angina gezüchteten, so 
kommt den beiden letztgenannten eine Sonderstellung nicht zu. 

Discussion: Herr Mayer betont die Eigenart der von 
ihm bei Angina gezüchteten Streptococcen. 

Herr Greeff stellt ein 12jähriges Mädchen mit einer 
hysterischen Gesichtsfeldeinschränkung vor. Die eoncentrische 
Einschränkung hei mangelndem Augenspiegelbefund hat die Eigen¬ 
schaft, in wechselnder Entfernung gleiehgross zu bleiben. Der 
Vortragende bezeichnet sie daher als röhrenförmige Eln- 
s c li r äi n k u n g. 

Herr Trautmann: Die Mittelohrentzündung. 

Die Häufigkeit der Erkrankung hat ihre Ursache in der 


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2. Juli 1901. MUENCHENER MEDlCINISClIE WOCHENSCHRIFT. 1113 


doppelten Eingangsöffnung, dem äusseren Gehörgang und der 
Tuba Eustachi. 

Die Schutzvorrichtungen sind nicht immer im Stande, die 
Schädlichkeiten abzuhalten, z. B. die Zugluft oder ein kaltes Bad 
bei erhitztem Körper. 

Das Cylinderepithel der Tube, welches nach dem 
Nasenrachenraum flimmert, kann bei fast allen akuten und 
chronischen Infektionskrankheiten geschädigt werden. 
Die Konstitution spielt eine wichtige Rolle, besonders bei Kin¬ 
dern, ferner das falsche Schnauben der Nase, falsch angewandte 
N asei idouchen. 

Für den Verlauf ist wichtig die Virulenz der Mikro¬ 
organismen. Es fanden sich bei 76 Empyemen 43 mal 
Streptococcen, 20mal Pneumococccn, 20mal Staphylococcen, 3mal 
Tuberkelbacillen als Erreger. 

Vortragender unterscheidet die trockene F orm, welche 
durch häutigere Recidive zur Schwerhörigkeit führen kann, und 
die Formen mit Exsudatbildung. Von den letzteren Zuständen 
wird die serös-schleimige Form bei Kindern öfters übersehen; 
die fibrinöse Form zuweilen bei Morbus Brightii und Endocur- 
ditis ulcerosa beobachtet. Bei der eiterigen Entzündung des 
Mittelohrs sind die. Erscheinungen heftiger. 

Vortragender bespricht die Behandlung der Eiterung mit 
trockener Tamponade und die Vorsichtsmaassregeln bei der Para- 
eentese. Schliesst sich die Perforationsöffnung nicht, so hat man 
unter anderem zu denken an Caries der Gehörknöchel¬ 
chen, welche eine Entfernung derselben mit geeigneten Instru¬ 
menten erfordert. Zum Schlüsse wird die Aufmeisaelung des 
Warzenfortsatzes an einer Serie von Wachsmodellen gezeigt. 

Herr Stenger; Die Thrombose des Sinus sigmoideus und 
der Vena ju^ularis. 

Der Vortragende hat eine Anzahl Schläfenbeine untersucht, 
um die Lage des Bulbus der Jugularvene zur Wand der Pauken¬ 
höhle festzustellen. Die Ausbildung des Bulbus und die Lagerung 
des Sinus zu demselben war eine wechselnde; in einzelnen Fällen, 
bei denen der sehr stark entwickelte Bulbus die untere Wand 
der Paukenhöhle bildete, musste die Gefahr einer septischen In¬ 
fektion desselben von der Paukenhöhle aus besonders gross sein. 
Vortragender betont, dass in denjenigen Fällen, wo die Zeichen 
einer Sinustluomhose bestehen und, wo der Sinus bei der Incision 
frei gefunden wird, zunächst der Versuch gemacht werden muss, 
den Bulbus jugularis freizulegen, da alsdann hier der Thrombus 
seinen Sitz haben kann. 

K. Brandenburg - Berlin. 


Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Officlelles Protokoll.) 

Sitzung vom 14. Mai 1901. 

Vorsitzender: Herr Curschmann. 

Schriftführer: Herr Braun. 

Herr Marchand demonstrirt eine Anzahl Organe eines 
Gichtkranken. 

Herr Bachheim demonstrirt: 

1. Die Michail s’sche Maske zum Sauerstoff-Inhalations- 
apparat. 

Der Sauerstoff wird in grossen Stahlcylindern geliefert — 
Inhalt 500 oder 1000 Liter; Preis 5—10 M. Von diesen 
Cylindern führt ein Schlauch zu grossen 15—20 Liter fassenden 
Gummiballons und von hier aus zur Maske. Die früher ver¬ 
wandten kleineren Ballons endigten in einem mit einer Olive 
versehenen Endstück, durch welches der Sauerstoff iu un- 
kontrolirbarer Weise mit atmosphärischer Luft gemischt iu 
Mund oder Nase eingepresst wurde. In der neuen Ivon- 
struktionBanordnung wurden diese Uebelstii mle beseitigt, in¬ 
dem bei der M i c li a 1 i s’schen Maske ein automatisch wirkendes 
Ventil allein die Sauerstoffzufuhr versorgt, ein anderes die Ab¬ 
fuhr der CO,-haltlgen Ausathniungsluft. Ausserdem regulirt ein 
liesonderer Hahn die Zufuhr atmosphärischer Luft. 

Der Apparat kam hauptsächlich bei einer Reihe von Asthma¬ 
tikern zur Anwendung. Im Ganzen wurden etwa 21 000 Liter 
Sauerstoff verbraucht. Die Hoffnung, bei diesen Kranken Jodkali, 
Ktrammonium, Morphium und andere Hellfnktoren gänzlich ent¬ 
behren zu können, hat sich nicht in allen Fällen erfüllt. Nur bei 
leichteren Anfällen kommt der Sauerstoffeinatlimung eine pro¬ 
phylaktische Wirkung zu; bei schwereren — falls sie zeitig genug 
angewandt wird — sind nur hin und wieder eine Verringerung der 
Dauer und Stärke derselben beobachtet worden. 

Ferner wurden die bereits von anderer Seite gemachten Er¬ 
fahrungen bestätigt, dass der Sauerstoff in allen Fällen von be¬ 
sonderem Werthe ist, wo Cyanose besteht (Emphysem, Vit. cord.). 


Bei anderen Krankheiten wurde der Apparat nur in vereinzelten 
Fällen verwendet, so dass darüber ein abschliessendes Urtlieil nicht 
abgegeben werden kann. 

Zum Schlüsse sei erwähnt, dass zur Zeit der grösste thera¬ 
peutische Werth der Sauerstoffeinathmungeu bei Kohlenoxyd- und 
Leuchtgasvergiftungen ist. 

2. Einen Apparat zur Ausführung der Erschütterungs¬ 
massage des Trommelfells bei chronischen Ohrenkranken. 

Nach einer Veröffentlichung von Breitung (D. Midielnalztg. 
No. 2, 1808) verfertigen Reiniger, Gelibert & Schall einen 
Apparat, durch welchen eine elektromotorisch betriebene Luft¬ 
pumpe kurzdauernde — vibrirende — Lufterschütterungen im 
äusseren Geliörgange erzeugt. 

Dasselbe Princip hat der Mechaniker B u c h h e i m übertragen 
auf den seit Jahren von ihm fabrizirten Coneussor und zwar iu 
dem Handstücke seines Stoss- und Vibrationsapparates. Der Cou- 
cussor kann bekanntlieh in gleicher Weise durch Fuss- und elektro¬ 
motorischen Betrieb in Thätigkeit gesetzt werden; I)r. Noebel 
hat — zum Selbstgebrauch für Kranke — auch den Handbetrieb 
und die Anwendung der gewöhnlichen Nähmaschine als Kraftquelle 
für dasselbe Princip beschrieben. 

Der Apparat wird angewandt bei sklerotischen Processen des 
Trommelfells, bei emlotischen Geräuschen, Schwerhörigkeit etc. 
Dem Vortragenden fehlen Specialkenntuisse auf diesem Gebiete, 
er hat aber iu einzelnen Fällen von dem ihm zur Verfügung 
stehenden Apparat Anwendung gemacht und zwar mit gutem 
Erfolg hei Schwerhörigkeit und Ohrensausen. 

5. Einen Apparat zur Vibrationsmassage des Kopfe3. 

Derselbe ist gleichfalls mit dem Coneussor zu verwenden als 
ein besonderes Ansatzstück des Stoss- und Vibrationsappiirnt.ro des¬ 
selben. Er besteht aus 2 zangenartigen, federnden Stalilstreifeu 
von ungefähr 20 cm Länge, welche den ganzen Kopf umfassen 
und vor Allem die Ivopfscliwarte mit ihrem Bestand an Muskeln 
und Nerven in mehr weniger starke Schwingungen versetzen. 

Der Apparat wurde sehr oft ynit gutem Erfolge bei einer 
Reihe von Kranken mit Kopfschmerzen angewandt, welche theils 
auf rein neuralgischer, theils auf sogen, rheumatischer Basis ent¬ 
standen. 

Herr Hirsch spricht über den heutigen Stand der Lehre 
vom Fettherz. (Der Vortrag wird in dieser Wochenschrift ab¬ 
gedruckt.) 


Aerztlicher Verein München. 

(Ofüciclles Protokoll») 

Sitzung v o in 17. April 1901. 

Herr Stern: TJeber Injektionsknren bei Syphilis. (Der 
Vortrag wird an anderer Stelle dieser Nummer veröffentlicht.) 

Discussion: Herr Ko pp: Zu den eben gehörten Aus¬ 
führungen gestatte ich mir nur wenige Bemerkungen. Ich bin, wie 
Ster n, ein überzeugter Anhänger der Injektionsbehandlung bei 
Syphilis, ohne dass ich darum die Vorzüge der alten Frlctions- 
methode unterschätzen wollte. Als einen Irrthum muss ich es 
aber bezeichnen, wenn Herr Stern behauptet, die Injektionskur 
sei in München wenig eingeführt. Wir haben, seit ich die Poli¬ 
klinik am Reisingerianum leite, das ist seit mehr als 15 Jahren, 
ganz altgesehen von der Privatpraxis, gewiss mehr als 45 000 In¬ 
jektionen gemacht, und verfügen somit wohl über eine ausreichende 
Erfahrung. Und damit komme ich gleich auf eineu zweiten Punkt, 
in welchem ich Herrn Stern widersprechen muss. Seit sehr 
vielen Jahren benützen wir nahezu ausschliesslich Hydrarg. suli- 
cyl. in Paraffin, liqu. als Emulsiou und sind mit dieser Medieation 
(1:10) andauernd sehr zufrieden. Die kurative Wirkung ist sehr 
befriedigend, unangenehme Nebenwirkungen sehen wir fast gar 
nicht. Der Vortheil der Bequemlichkeit für die Patienten, dass 
dieselben nur alle 8 Tage einmal zu erscheinen brauchen, während 
die Sublimatinjektionen tägliches Erscheinen der Patienten beim 
Arzte, oder doch mindestens ein sehr häufiges Kommen nöthig 
machen, erscheint mir so wichtig, dass ich auf diesen Vorzug nur 
dann verzichten möchte, wenn die Methode besondere Nachtheile 
auf weisen würde. Die üble Wirkung auf die Mundschleimhaut, 
Gingivitis und Stomatitis sind allen Quecksilberbehandlungs- 
methoden gemeinsam, und sind vor Allem abhängig von der vor¬ 
herigen Beschaffenheit der Zähne und des Zahnfleisches, und von 
der richtigen Behandlung der Mundschleimhaut während der Kur. 
Sie kommt ebenso und unter gleichen Verhältnissen auch bei der 
Sublimatinjektionskur vor. Es ist eine allgemeine und längst be¬ 
kannte Sache, dass auch die Sublimatinjektionen in ihren ver¬ 
schiedenen ModllicatIonen vortreffliche Resultate geben können. 
Ich bestreite das darum auch in keiner Welse, sondern mache, unter 
bestimmten Verhältnissen, wenn es mir z. B. um eine recht rasche 
Wirkung zu tliun ist, von derselben Methode Gebrauch. Gleich¬ 
wohl ist man nach meiner Erfahrung keineswegs berechtigt, mit 
solcher Präcision, wie dies von Seite des Herrn Stern geschehen 
ist, sich dahin auszuspreehen,, dass die Sublimatinjektionen allen 
anderen und speziell den Hydr. salieyl.-Injektiouen überlegen sein 
sollen. Einen Nachtheil hat unsere Methode, das muss zuge¬ 
geben werden, durch das als Vehikel gewählte Paraffin. Sticht 
mau zufällig einmal unglücklicher Weise iu eine Vene, so kann 
mau eine Paraffin-Venenembolie erleben. Das ist unangenehm 
genug uud auch mir einmal, wenn auch mit durchaus günstigem 
Ausgang, begegnet. Diese Gefahr lässt sieh aber mit 


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1114 


MUENCHKNER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 27. 


Sicherheit vermeiden, wenn man nach Einstich der 
Nadel und vor Entleerung der Spritze die Nadel kontrollrt. Steht 
die Spitze der Nadel in einer Vene, so wird sich aus dem iiusseren 
Ende der Hohlnadel sofort etwas dunkles Blut entleeren, und es 
ist dann unbedingt nöthig. eine zweite Einstichstelle zu wählen. 
Derartige Unglileksfälle sind also, an sich selten, durch ent¬ 
sprechende Vorsicht vermeidbar. Weil dem so ist, kann ich auch 
nicht zugeben, dass Herr Stern zu seinem etwas absprechenden 
Urtheil Uber die Hydr. salicyl.-Injektionen berechtigt ist, und Ich 
kann mich seiner Meinung, dass die Sublimatinjektionen die in 
erste Linie zu stellende Methode sei, nicht anschliessen. Ich bin 
vielmehr der Ueberzeugung, dass man mit verschiedenen Methoden, 
die richtige Anwendung vorausgesetzt, das gleiche Ziel erreichen 
kann, dass die curative Wirkung des Hydr. salicyl. in keiner Weise 
hinter den Sublimat Injektionen zurücksteht, und dass die Wahl 
der Methode vielfach abliüngen wird von theoretischen Erwäg¬ 
ungen, vielfach aber auch Sache der Liebhaberei sein dürfte. 

Herr B a r 1 o w hat im Ambulatorium für Haut- und Ge¬ 
schlechtskrankheiten des medlcinisch - klinischen Instituts zu 
München in den Jahren 1893—1900 an sicheren Luesfüllen 1008 
Männer und 378 Weiber, sohin lin Ganzen 1440 Patienten, be¬ 
handelt. 

Von diesen 1440 Kranken erhielten 089 Männer und 170 Weiber 
8213 Injektionen unlöslicher Quecksilhersnlze und zwar kamen 
in Anwendung Hg. tbymol.-acet. und Hg. salicyl. 

Was beobachtete schädliche Wirkungen, hervorgerufen durch 
die Einspritzungen anlangt, so ist in nachfolgender Zusammen¬ 
stellung die Frage der Stomatitis ausser Acht gelassen worden 
und zwar desswegon. weil Stoinatitiden nur in sehr seltenen Füllen 
beobachtet wurden und sich dann zumeist ln minimalen Grenzen 
hielten. Dr. B a r 1 o w glaubt, dass das seltene Auftreten von 
Mundentzündungen darauf zurückzuführen ist, dass jeder Patient 
eine genaue, gedruckte Vorschrift über die notliwendige Mund¬ 
pflege eingehändigt erhält, in welcher Vorschrift auf die Gefahren 
der Unterlassung einer rationellen Hygiene des Mundes eindring¬ 
lichst hingewiesen wird. 

Lungenembolien wurden niemals gesehen. 

Bezüglich unangenehmer Nebenwirkungen der Injektionen 
gaben die Patienten öfters Beschwerden, wie allgemeine Mattig¬ 
keit, Schmerzen, Gefühl von Temperatursteigerung — letzteres 
insbesondere nach den ersten Injektionen — Gefühl von Schwere 
in den Extremitäten u. s. w. an. Diese stets in kürzester Zeit 
vorübergehenden Beschwerden sind in der folgenden Zusammen¬ 
stellung unter der Rubrik „anatomisch nicht nachweisbare Stör¬ 
ungen“ angeführt. Des Weiteren wurde eine Anzahl Infiltrate, 
grössere und kleinere, gesehen, welche in wenigen Fällen zur 
Erweichung und Abscedirung, im Uebrigen aber zur Rückbildung 
kamen. Es sei besonders darauf aufmerksam gemacht, dass die 
sehr genau geführten Krankengeschichten auf die oben genannten 
Punkte speciell Rücksicht nehmen. 

Aus Zweckmässigkeitsgründen ist die die Männer betreffende 
Statistik getrennt von der Statistik über die weiblichen Luesfälle 
aufgestellt worden. 

Von den 1068 Männern wurden behandelt: 


Mit Injektionen unlöslicher Salze allein .... 513 = 48,00 Proc. 

Mit Einreibungen allein. 184 — 17,22 „ 

Mit Einreibungen und Injektionen unlöslicher 

Salze. 176 16,47 „ 

Mit verschiedenen anderweitigen Methoden . . 195 18,28 „ 


Verabreicht wurden im Ganzen 089 Männern 7051 Injektionen, 
darunter 2700 ü 0,1 Hg. salicyl. oder Ilg. thymol.-acet. und 4351 
il 0,05 des betreffenden Salzes. 

Hg. thymol.-acet.-Injektionen kamen ln An¬ 
wendung nur in den ersten Jahren und zwar an Zahl im Ganzen 
1107. Hiebei kam es: 

Zu anatomisch nicht nachweisbaren Störungen 15 mal ~ 1,35 Proc 

Infiltraten.25 „ = 2,26 „ 

Abscesseu.4 „ — 0,34 „ 

berechnet auf die Gesammtzahl der Hg. thymol.-q.cet.-Einspritz- 
uIlgen bei Männern. 

Einmal passlrte es, dass ein Patient unmittelbar nach einer 
Injektion einen Ohnmachtsanfall erlitt. Derselbe war vorüber¬ 
gehender Natur und es ist durchaus nicht gesagt, dass der Vor¬ 
gang der Injektion selbst die Ursache des Vorfalles war. Der 
Patient ist übrigens noch viele Jahre weiterhin wegen einer häufig 
recidlvirendcn Syphilis behandelt worden. 

Hg. salicyl.-Injektionen wurden Im Ganzen 5914 
gemacht. Es traten ein: 


Anatomisch nicht nachweisbare Störungen . . 2Gmal — 0,43 Proc. 

Infiltrate.10 „ — 0,16 „ 

Abscesse . 0 „ — 0,00 „ 


berechnet auf die Gesammtzahl der Hg. salicyl.-Einspritzungen 
bei Männern. 

Einmal ist bei einem Patienten, welcher dem Alkohol- und 
Nikotinmissbrauch sehr stark ergeben war, nach einer Injektion 
eine in wenigen Tagen vorübergehende Parese einer Unterextre¬ 
mität beobachtet worden. 

Weiber wurden 378 einer Therapie wegen Syphilis unterzogen. 
Von diesen wurden behandelt: 


Mit Injektionen unlöslicher Salze allein .... 137 = 36,24 Proc. 

Mit Einreibungen allein.93 — 24,6J „ 

Mit Einreibungen und Injektionen unlöslicher 

Salze.39 10,31 „ 

Mit verschiedenen anderweitigen Methoden . . 109 = 28,23 „ 


Insgesammt verabreicht wurden 176 Weibern 1162 Einspritz¬ 
ungen, darunter 456 Injektionen zu 0,1 und 706 zu 0,05 des Salzes. 

Hg. thymol.-acet.-Injektionen erfolgten 297. 
Es kamen vor: 


Anatomisch nicht nachweisbare Störungen . . 4 mal -- 1,31 Proc. 

Infiltrate .14 „ = 4,7 „ 

Abscesse . 5 „ -- 1,68 „ 


berechnet auf die Gesammtzahl der Hg. thymol.-acet.-Injektionen 
bei Weibern. 

Hg. salicyl.-Injektionen wurden verabreicht im 


Ganzen 865. Es traten auf: 

Ana oiuiscli nicht nachweisbare Störungen . . 9 mal -■= 1,04 Proc. 

Infiltrate.16 „ — 1,84 „ 

Abscesse. 5 „ — «1,57 „ 


berechnet auf die Gesammtzahl der Hg. salicyl.-Injektlonen bei 
Frauen. 

Auf Gmnd der mitgetheilten Erfahrungen darf wohl die An¬ 
sicht ausgesprochen werden, dass wesentliche Gefahren und häufige 
schädliche Nebenwirkungen bei Anwendung der beiden oben ge¬ 
nannten unlöslichen Quecksilbersalze nicht zu befürchten sind. 
Das Hg. salicyl. hat sich dem Hg. thymol.-acet. wesentlich über¬ 
legen gezeigt, soweit die Ausschaltung schädlicher Nebenwirkungen 
in Betracht kam. besonders bei der Therapie der weiblichen Lues. 
Injektionen ä 0,05 des Salzes sind im Ganzen und Grossen den 
Patienten angenehmer als Injektionen il 0,1. 

Herr Jooss: Ich möchte einen Fall von Lungenembolie ln 
Folge Injektion von Hydrarg. salicyl. erwähnen, der mir selbst 
passirt ist. Eine Stunde ungefähr nach der Injektion kam der 
betr. Patient wieder zu mir mit schwerer Dyspnoe und mit Rassel¬ 
geräuschen und leichter Dämpfung im linken Unterlappen. Nach¬ 
dem er ca. 2 Stunden bei mir gelegen war, erholte er sich wieder 
und nach 2—3 Tagen waren auch alle objectiven Symptome ge¬ 
schwunden. 

Ich führe nun diese Lungenembolie uicht auf das Hydrarg. 
salicyl., sondern auf das Suspensionsvehikel Paraffinum liquidum 
zurück und habe es seitdem nicht mehr gewagt, Paraffin zu iu- 
jiclren. Statt dessen nahm ich zur Suspension des Hydr. salie. 
wässerige Sublimatlösung (1:1000) und Gummi arabicum. Doch 
hatte dieses letztere die Eigenschaft, mit dem Hydr. sallc. sich zu 
Klümpchen zusammenzuballen, die mir immer die Kanüle der 
Pravazspritze verstopften. Desshalb ersetzte leb das Gummi 
arabicum durch Glycerin und habe seitdem nie mehr den geringsten 
Missstand bemerkt. Lungenembolie kam nicht mehr vor. Dess- 
gleiehen blieb jegliche Iufiltrations- oder gar Abscessbildung in 
den Glutaeeu aus und die Schmerzhaftigkeit der Injektion scheint 
mir ebenfalls eine noch geringere zu sein als mit Paraftinum liqui¬ 
dum. Ich möchte daher diese Komposition empfehlen. 

(Rp.: Hydrarg. salicyl. 5,0; Glyceriul g. s. ad suspensionem; 
Solut. aquis. Subllmati '/<*, ad 50,0. >/ s —1 Pravaz’sche Spritze 
alle 5—10 Tage.) 

Herr Stern: Herrn Prof. Ivopp muss ich entgegnen, dass 
meine einleitende Bemerkung bezüglich der seltenen Anwendung 
der Injektlonskureu hier ln München sich ausschliesslich auf die 
allgemein praktischen Aerzte bezog, also keineswegs auf die 
SpeclaJürzte, Krankenhäuser und Polikliniken. Herr Prof. K o p p 
wie Herr B a r 1 o w führen zwar die Grösse ihres Materials und 
die momentan dabei erzielten Erfolge mit den Injektionen von 
salicylsaureni Quecksilber an, äusseru sich aber keineswegs über 
die späteren Resultate uud eventuell aufgetretenen Recidlve. 
’ Schliesslich erlebten beide Herren ebenso wie Herr Jooss Em¬ 
bolien, wenn auch nur Je einmal, aber immerhin kann mau dieser 
Gefahr, die in der Praxis recht fatal ist, entgehen, w’enn man 
dem unschuldigeren, von mir erwähnten, Mittel den Vorzug gibt 
und die unlöslichen Präparate, voran das salicylsaure Quecksilber, 
nur iu Ausnahmsfällen auwendet. 

Herr Generalstabsarzt z. D. Dr. v. Vogl: Ueber wissen- 
schaftliche Hydrotherapie und „Wasserkuren“. 

Wegen vorgerückter Zeit hält Herr v. Vogl nur den zweiten 
Tlieil seines Vortrages, der sich mit dem Antheil des Laien an 
der Hydrotherapie beschäftigt und eine Charakteristik der Priess- 
nitz’schen uud Kneipp'scheu Wasserkur gibt. Der Vortrag, der 
auch hervorragendes Interesse für weitere Kreise bietet, wurde 
ausführlich in den Münch. Neueste Nadir. No. 189, 190 u. 192 
uud in der Augsburger Abendzeitung No. 111 u. 112 veröffentlicht. 


Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik 

(Officlelles Protokoll.) 

Sitzung vom 23. Mai 1901. 

Herr F 1 a t a u: Heber einen conservativen Kaiserschnitt in 
der Schwangerschaft aus seltener Indication; fundaler Quer¬ 
schnitt. 

Frau Br., 40 Jährige verhelratliete Arbeiterin, wird von 
Dr. W e 1 z e 1 in meine Klinik geschickt behufs Einleitung einer 
künstlichen Frühgeburt, da die Schwangere den dringenden 
Wunsch hat, ein lebendes Kind zu erhalten. Anamnestisch Ist zu 


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2. Juli 1901. 


MUENCIIENER MEDTCINISCITE WOCHENSCHRIFT. 


1115 


erwähnen, dass Frau Br. 4 mal entbunden worden ist, jedes Mal 
vermittels Perforation des lebenden Kindes und Kranioklasie. 
Trotz, dieser nothwendigen verkleinernden Operationen war die 
Entwickelung der Kinder jedes Mal sehr schwierig. Als die Frau 
sich mir vorstellte, war sie in der 30. Scliwangerschaftswoebe, 
Kind ln II. Schädellage mit kräftigen Herztönen. Beckenmaasse 
waren wie folgt: D. sp. 24 cm, D. er. 28, D. B. 18 cm; (’onjug. diago- 
nalis ca. 9>/ 2 , stelle und hohe Symphyse, so dass ich die C. vera 
auf höchstens 7 y a elnschätzeu musste. Das Sclieidengewölbe ist 
durch narbige Verwachsungen verunstaltet, eine Portio fehlt voll¬ 
kommen, nach mühevollem Suchen findet sich ln den Narben- 
maassen eine OefTnung für Sonde 4 (Schultze) durchgängig, aus 
der sich offenbar Fruchtwasser entleerte. Auf Befragen gibt 
Frau Br. an, dass sie diesen Abgang selbst schon bemerkt habe 
und dass er erst in der letzten Nacht eingetreten sei. Keine 
Wehe n. 

Mein Gednnkengang war folgender: Würde man den offenbar 
l>eginnenden Partus praematurus sich selbst überlassen, so wird 
es l>el dem beständigen Wasserabfluss und der narbigen Striktur 
der Fornlx der Portio eher zu einem Absterben des Kindes kom¬ 
men. als zu einer normalen Austreibung einer lebenden Frucht. 
Foreirte Entbindungsversuohe durch Discission und Ineision der 
Scheidennarben und der Cervix schienen mir für Mutter und Kind 
auch nicht unbedenklich und in ihrem Resultat berechenbar. Das 
sicherste Verfahren quoad Erhaltung eines lebenden Kindes konnte 
nur im Kaiserschnitt bestehen, dessen Gefahren auch für die 
Mutter mir vermeidbarer schienen, als unkontrolirbare Zerreiss- 
ungen der unteren Geburtswege. Da die Mutter sofort einver¬ 
standen war. wurde alsbald an die Ausführung der Operation ge¬ 
gangen. Aethernarkose, leichte Beckenhocklagerung. Schnitt links 
durch den Muse, rectus. circa handbreit über der Schoossfuge und 
drei Finger breit über dem Nabel enigend. Vorwälzen des Uterus 
und provisorischer Abschluss der Bauchhöhle vermittels einiger 
Hakenzangen. Der fundaleQuerschnltt trifft die Plaeenta; 
Ich vermied ihre Durchbohrung, sondern ging mit der Hand bis 
an die Insertion der Elhilute, sprengte diese und extrahirte das 
Kind ohne Schwierigkeiten. Blutung sehr mässig, sistirt voll¬ 
kommen nach Auslösung der Plaeenta und der Eihäute; in 
der Schnittwunde kein spritzendes Gefiiss. Leichte Vemühung 
des gut kontrnhirten, dickwandigen Uterus mit durchgreifenden 
Cellnlnidzwim- und einigen sero-serösen Nähten. Nach Reposition 
des Uterus VemHhung der Bauchdeeken. 

Wie erwähnt, war der äussere Muttermund zu narbigen, 
kleinen Oeffnungen umgewandelt: die Gefahr einer Retention 
von Lochien veranlasste mich desswegen. in Steinschnittlage noch 
eine stumpfe Dilatation bis zu 2 Fingerdicke vorzunehmen und 
eine Jodoformgazedrain einzulegen. 

Das Kind (Mädchen) kam apnoisch zur Welt und wurde nacli 
ca. 10 Minuten langen Bemühungen seitens eines Assistenten 
zum Schreien gebracht. Das Risiko, nach den Darlegungen von 
Hahn nnd Glimmert diese Apnoe für eine physiologische 
zu halten und sich selbst zu überlassen, wollte ich nicht auf mich 
nehmen, wenn mir auch der Gedankengang beider Autoren 
einleuchtet. Gewicht des Kindes 2880 g: Länge 47 cm. 

Den von Fritsch angegebenen fundalen Querschnitt wählte 
Ich. da ich seine Vorzüge anerkennen musste und an seine angei>- 
lichen Nachthelle nicht glaulien konnte. Sauberkeit der Operation, 
leichte Entwicklung des Kindes und der Eihäute, geringe Blutung 
und bequeme Vernähbarkelt der Uteruswunde Hessen nichts zu 
wünschen übrig. Eine gewisse Annemlsirung der Nahtstelle war 
nicht zu leugnen, doch kann diese bei einer lege artis ausgeführten 
Naht nicht bedenklich werden. Verlauf afebril, prima intentio. 
(Autoreferat.) 

Herr Riegel demonstrirt einen Patienten mit Akromegalie. 

Der Patient, ein 24 jähriger Drechsler, zeigt seit etwa 5 Jahren 
Krnnkheltserscheinungen. Es bestehen die bekannten Vergrös- 
seningen fast des gesammten Knochensystems und der Weichtlieile 
in sehr ausgesprochenem Mnassc, auch eine deutliche Struma ist 
vorhanden. Dabei hat Patient, eine bedeutende Kyphose der Brust¬ 
wirbelsäule, die auch erst der Krankheit ihre Entstehung verdankt, 
seine Zähne wurden locker und stehen weit auseinander. Uuter 
Inständigen Kopfschmerzen hat das Sehvermögen mehr und mehr 
gelitten. Rechts fast absolute Amaurose, links bei mässlger kon- 
amtrischer Gesichtsfeldeinschränkung mit — 1,0 I) sph. S — */„. 
Roth, gelb und weiss werden nicht erkannt. Ersteros wird für 
braun, gelb für grün, weiss für hellgrün gehalten. Blau und grün 
werden stets sicher l>ezeiehnet. Die Sehnervenpapillen sind beider¬ 
seits, besonders rechts, abgeblasst. Die Kopfschmerzen bestehen 
hauptsächlich in einem beständigen Pulsircn ira Schädel, was dem 
Patienten Nachts den Schlaf raubt. Puls 00. Dabei allgemeine 
Müdigkeit. Obstipation. TIriniren normal. Harn etwas eiweiss¬ 
haltig, zuckerfrei. Patient ist seit 2 Jahren verheiratliet, hat zwei 
Kinder erzeugt, von denen eines lebt und gesund ist. Seit einem 
Vierteljahr is hier Kranke angeblich impotent. 

Herr Hühl bespricht die diagnostischen Schwierigkeiten 
eines von ihm beobachteten Falles von Appendicitis bei Gravidität 
Im 5. Monat. 

Herr Frankenburger berichtet ausführlich die Kran¬ 
kengeschichte eines Falles von traumatischer Wirbelerkrankung. 

Ein 3G jähriger, vorher gesunder, zur Leistung schwerster 
Arbeit fähiger Zlmmerpalier hatte nach einem Ruck an einem 
schweren Sacke plötzlichen Schmerz in der 1. Seite verspürt. 
Im Verlnufe einiger Tage wurde er allmählich arbeitsunfähig, 
es stellten sich Druckempflndlichkelt des 0. Brustwirbels, Läh¬ 


mungserscheinungen und Atrophie am Oberschenkel, Sonsibilitüts- 
störungen, enorme Steigerung der Patellarreflexe ein bei schwerer 
Störung des Allgemeinbefindens, jedoch ohne Fieber. Blasenstör¬ 
ungen waren vorübergehend vorhanden. Auch ein Senkungsabsccss 
trat nach Wochen auf. Nach Eröffnung des Abscesses trat ohne 
weitere speeifische Therapie Rückgang der Erscheinungen und 
auffallende Besserung ein. Der Verletzte kann zur Zeit wieder 
ungestört gehen und leichte Arbeiten verrichten; es ltesteht noch 
Druckempfindiichkeit d(*s 1). Brustwirbelfortsatzes, jedoch keine 
Verbiegung der Wirltelsäule. Sonst sind nur noch leichte Störungen 
der Sensibilität am Oberschenkel, sowie die Steigerung der Patel¬ 
larreflexe vorhanden. Das allgemeine Befinden ist ungestört, der 
Vorletzte, welcher nach seinem Allgemeinbefinden vor 3 Monaten 
dem Tode nahe schien, ist blühend und kräftig. 

F. erörtert, der Reihe nach die differentialdiagnostiseh in Be¬ 
tracht kommenden Affektionen, Wirbelverletzung. Spondylitis trau¬ 
matica, Rückenmarksblutung, Blutung in die Häute. Es muss 
wohl eine traumatische Wirbelerkrankung angenommen werden. 
Die Annahme einer vorher bestandenen tuberkulösen Wirbclearics 
glaubt F. nach der Anamnese und der auffallenden, ohne speei- 
fische Therapie und ohne Gibbus erfolgten Besserung (fast Heilung) 
ausschlicssen zu sollen. 

Die Prognose dürfte allerdings noch immer nicht ganz 
zweifelsfrei gestellt werden. 

Sitzung vom 0. Juni 1001. 

Herr Helbing II demonstrirt einen Fall von Pemphigus 
des Rachens und der Nase. 

Herr Bräutigam II demonstrirt ein 7 wöchentliches Mäd- 
cheu mit vollkommener Ektopie der Harnblase. 

Herr Fla tau erstattet einen ausführlichen kritischen 
Bericht über den Gynäkologenkongress in Giessen. 


Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Würzburg. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 13. Juni 1901. 

1. Ilcrr Rostoski: Albumosurie und Peptonurie. 

Die Ausscheidung des Bencc-Jonc s’schcn Eiweiss¬ 
körpers im ITam bei Fällen multipler Myelombildung im Kno¬ 
chenmark (hauptsächlich im Mark des Sternums und der Rippen) 
muss man von der Albumosurie trennen. Mit den primären 
Albumosen hat der Bencc-Jone s’sche Körper allerdings die 
Löslichkeit seines Salpctersäureniedersclilages in der Hitze ge¬ 
meinsam. Vortragender möchte aber mit Magnus-Levy 
die nahe Verwandtschaft des fraglichen Körpers mit dem koagu- 
lablen Eiweiss betonen. Wie letzteres wird er schon durch kurzes 
Verweilen unter Alkohol unlöslich gemacht. Ausserdem konnte 
Vortragender zum ersten Male in seinem Fall beobachten, dass 
ein bei 55—50 0 entstehender Niederschlag sich auch nicht spuren- 
wei«e in der Hitze wieder löste. Auf das gegentheilige Verhalten 
war aber bisher immer der nauptnachdruck gelegt worden. Gegen 
seine specielle Einreihung als Heteroalbumoso, wie sie z. U. 
Huppert vorgenommen hat, sprach ausserdem in dem Falle 
des Vortragenden, dass der Körper, nachdem die im Alkohol- 
niedersehlag befindlichen Salze dialysirt waren, nicht aus¬ 
fiel, also in reinem destillirtem Wasser löslich ist. 
Die Ausscheidung des Bencc-Jone s’schen Ei Weisskörpers 
geschieht stets in grossen Mengen, so dass sein Nachweis im 
nativen Harn nie Schwierigkeiten bereitet. 

Im Gegensatz dazu werden die echten Albumosen in so ge¬ 
lingen Mengen ausgeschieden, dass man sie in der Regel erst 
(durch Phosphorwolf ram°äure, Ammonsulfat. Gerbsäure oder 
Alkohol) aus dem ITam ausfiillen, wieder auflöseu und in der 
nun konzentrirten und farblosen Lösung dureli die Biurotreaction 
naehweisen muss. Die auf diese Weise gefundenen Albumosen 
sind in der Regel Deutoroalbuinosen. Das Vorkommen von 
echtem Pepton im Harn war bisher stets l>estritten worden. 
Nach den auf Veranlassung des Vortragenden von Dr. T t o 
Angestellten Versuchen findet sich jedoch auch echtes 
Pepton im TTarn. Zum Nachweis desselben muss man 
den Harn bei neutraler, saurer und alkalischer Reaction 
mit. Ammonsulfat sättigen und in dem letzten Filtrat 
eine Gerbsiiurefällung maehen. So fanden sieh unter 38 Fällen 
(bei im Ganzen 150 Untersuchungen), bei denen Albumosurie 
vermuthet werden konnte, 17 mal Albumosen und 8 mal neben 
letzteren echtes Pepton. Ohne gleichzeitiges Vorhandensein 
von Albumosen konnte Pepton nie konstatirt werden; ausserdem 
fand es sieh stets in geringerer Menge als letztere. 

Vortr. geht dann noeh auf die Bedeutung der Albumosurio 
ein. Man hat dieselbe in Fällen konstatiren können, in denen 
cs zur Einsehmelzung von pathologischem oder normalen Ge- 


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1116 


MUEN CHEN Eil MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


■webe kommt, hauptsächlich, wenn Leukocyten zerfallen (z. B. 
bei eitriger Pleuritis, bei der krupösen Pneumonie), und betrach¬ 
tete desshalb die Albumosurie auch lediglich als einen Hinweis 
auf diese Thatsache. Krehl, Matthes und deren Schüler 
fanden Albumosurie dann als eine fast konstante Erscheinung 
beim Fieber und andererseits gelang es ihnen, durch Injektion 
von Albumosen der verschiedensten Herkunft Fieber zu erzeugen. 
Sie halten es desshalb nicht für unwahrscheinlich, dass der 
Symptomenkomplex des Fiebers seine Entstehung einer Ver¬ 
giftung mit den Produkten eines qualitativ veränderten Stoff¬ 
wechsels verdankt. 

2. Herr Weygandt: Ermüdung und Erschöpfung. 

Vortr. bespricht die geistige Ermüdung, während er körper¬ 
liche Arbeit nur so weit berücksichtigt, als sie auch auf die 
psychische Leistung ermüdend wirkt. Eine Aehnliehkeit zwi¬ 
schen körperlicher und geistiger Ermüdung ist zuzugeben; doch 
war es übertrieben, eine partielle Ermüdbarkeit auch auf psy¬ 
chischem Gebiet anzunehmen. Entgegen der V e r w o r n’schen 
Unterscheidung zwischen Ermüdung und Erschöpfung nimmt 
Vortr. hauptsächlich einen graduellen Unterschied an. Geistige 
Arbeit wirkt in der Weise ermüdend, dass sie die Wahrnehmung 
herabsetzt, das associative Denken und das Gedächtniss beein¬ 
trächtigt und auf psychomotorischem Gebiet eine Lähmung mit 
einer kleinen Verminderung der Fehlrcactionen hervorbringt, 
und körperliche Arbeit verschlechtert ebenfalls Wahrnehmung 
und Gedächtniss, lockert den associativen Zusammenhang und be¬ 
wirkt eine psychomotorische Erregung mit Vermehrung der Fchl- 
reactionen. Von den Faktoren der Erschöpfung wird dem Ex¬ 
periment zugänglich die chronische geistige Ueberanstrengung, 
der Nahrungs- und der Schlafmangel. Nahrungsenthaltung 
lockert das associative Denken, schwächt das Gedächtniss und 
lähmt nie Psychomotilität unter Vermehrung der Fehlrcactionen, 
während die Auffassung unbeeinflusst bleibt (bei 72 Stunden 
Nahrungsenthaltung). Schlafmangel (durchwachte Nacht) 
schwächt die Auffassung beträchtlich, lockert den associativen 
Zusammenhang, verschlechtert das Gedächtniss und bringt eine 
psychomotorische Erregung hervor. Die elcktive Wirkung der 
verschiedenen Faktoren, die an die psychische Elektivwirkung 
vieler Gifte erinnert, spricht für die Auffassung autointoxika- 
torischer Vorgänge bei der Nahrungsenthaltung, Muskel¬ 
arbeit etc. Es ergeben sich Schlüsse für die Psychiatrie, Schul¬ 
hygiene, Psychohygiene und allgemeine Therapie. (Demon¬ 
stration von 20 Diagrammtafeln.) 

Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Soci6t€ de Chirurgie. 

Sitzung vom 7. und 15. Mal 1901. 

Die Anaesthesie durch die intralumbale Cocaininjektion. 

N 6 1 a t o n hat dieselbe 150 mal angewandt und kommt zu 
dem Ergebnisse, dass sie eine Methode von ungleicher Wirkung ist. 
Für einfache Operationen ist sie von Vortheil, aber nicht fiir 
schwierigere und länger dauernde. N. würde sie bei Laparotomien, 
vaginalen Hysterektomien, Knieresektionen nicht anwenden; 
sicher biete sie gewisse Vorzüge vor der Chloroformauaesthesie, 
aber eben wegen der unsicheren, ungleichen Wirkung müsse man 
sehr vorsichtig sein. Bei 8 Kranken, die nicht genügend auaestlie- 
sirt waren, liess N. einige Tropfen Chloroform noch inhaliren und 
zwar mit gutem Erfolg, cs könnte also die Vereinigung beider 
Methoden nützlich sein. 

Schwartz hat die „Rnehicocainisation“ an 49 Patienten 
im Alter von 10—00 Jahren angew-andt und zwar für Operationen 
an den Unterextremitäten und am Stamm. G mal war die An¬ 
aesthesie gleich Null, ln 2 weiteren Fällen nur halbseitig. Obw T ohl 
sie im Allgemeinen gute Resultate ohne ernste oder anhaltende 
Zufälle gibt, glaubt Schwartz doch, dass sie nicht verall¬ 
gemeinert werden könne und dass man unter gewissen Umständen 
das vorhandene Bewusstsein des Kranken während der Operation 
berücksichtigen muss. 

Ri c a r d hat die Methode 50 mal angewandt, al>er wieder ver¬ 
lassen, da eine Reihe von Nebenerscheinungen, wie hartnäckige 
Kopfschmerzen, Erbrechen, Blässe des Gesichts, Angstgefühl, wenn 
auch nicht Verhängnis«voll, so doch recht unangenehm waren. 

Itecl us erwähnt ausser den bekannten Nebenerscheinungen 
noch Incontinenz des Sphinkters, welche er unter 89 Fällen 10 mal, 
also relativ häufig beobachtet hat. Im Allgemeinen tritt nach 
seinen Erfahrungen die Anaesthesie nach 2—3 Minuten, oft aber 
auch erst nach 15—20 Minuten ein; die Grenzen der anaesthesirten 
Gegend sind wechselnde von der Schamgegend bis zum Nabel, 
gehen aber nie über letzteren hinaus. R e c 1 u s erwähnt nochmals 
die 7 Todesfälle, welche er der Methode zuschreibt; trotz aller ge¬ 


machten Vorhalte glaubt er an deren Zukunft, vorausgesetzt, dass 
sie verbessert werde. 

B a z y erlebte in einem Fnlle von Rachlcocainisation Blasen- # 
und Sphinkterenlälnuung; R o u 11 e r hat diese Injektionen 4 mal 
gemacht, zwar die Anaesthesie erzielt, zugleich aber Erbrechen 
und Kopfschmerzen; Guinard gelang es nicht, in einem Falle, 
wo die Trepanation und Drainage des Rückeumarkskanales an¬ 
gezeigt erschien, die Anaesthesie mit Cocaininjektion zu erzielen. 

M archant hingegen konnte mit dieser Methode ein grosses 
Gebärmutterfibrom bei einer Patientin, wo Chloroform gefährlich 
schien, unter völligem Erfolg entfernen. 

Sitzung vom 22. und 29. M a 1 1901. 

Lejars hat die Rachlcocainisation bei 33 Kranken 
angewandt, bei einigen davon mit idealem Erfolge; völlige An¬ 
aesthesie und keine Nebenerscheinungen. Er glaubt jedoch nicht, 
dass sie landläufig werden könne. Man muss mit den Schwierig¬ 
keiten rechnen, welche zmveilen die Punktion in Folge specieller 
anatomischer Verhältnisse oder in Folge von Reflexbewegungen 
bietet: ausserdem besteht eine Variabilität sowohl bezüglich des 
Augenblickes, in welchem die Analgesie eintritt, wie auch bezüg¬ 
lich des Grades derselben. Trotzdem könnte eine Indieatlon für 
diese CocaJninjektion bestehen bei Lungenkranken, bei Jenen, 
xvelche die Chloroformnarkose scheuen, und in Fällen mangelnder 
Assistenz. 

P o i r i e r hat in 53 Fällen die Methode angewandt, ln 8 Proc. 
Misserfolg gehabt (5 Fälle von Operationen an den weiblichen 
Geschlechtsorganen); er zieht daher das Chloroform vor. 

Chaput missglückte bei einem Patienten trotz 5 maliger 
Versuche die Punktion, hat jedoch ausser den bereits mitgetheilten 
4 weitere Fälle zu verzeichnen, wo die Anaesthesie eine voll¬ 
ständige war. 

Legueu hat 150 Fälle mit der Rachlcocainisation behandelt, 
nur 4 vollständige Misserfolge zu verzeichnen und in keinem Falle 
während der Operation schwere Zufälle gehabt, nach derselben ln 
etwa 20 Fällen Erbrechen, in einigen anderen Uiinretention, Müdig¬ 
keitsgefühl u. s. w. Die Methode ist jedenfalls nicht schlechter als 
die anderen und scheint für die Operationen am unteren Theile 
des Körpers indicirt. contraiudiclrt bei Laparotomien, bei Kindern 
und nervösen Individuen. 

Guinard hat zwar nur 8 mal die Methode angewandt, er¬ 
lebte aber nie Kopfschmerzen als Folgeerscheinung: er führt dies 
auf seine Technik zurück, welche darin t>esteht, dass er zuerst 
2 Pravazspritzen des Liquor cerebrospinalis ausfliessen lässt und 
dann erst ebensoviel von der Cocainlösuug injicirt. 

Tuff ier weist In präeiser, eingehender Form all’ die ver¬ 
schiedenen Einwände zurück, welche mau gegen die Rachicocaini- 
sation erhoben hat, führt neuerdings die Wirkungen des Cocains 
auf die verschiedenen Systeme und die Indieationen der Methode 
an uud schliesst, dass dieselbe, in der Mitte zwischen lokaler 
Cocalnanaestliesie und allgemeiner Narkose stehend, dauernde 
Beachtung verdiene. 


Aus den englischen medicinischen Gesellschaften. 

Edinburgh Medico-Chirnrgical Society. 

Sitzung vom 6. März 1901. 

Myasthenia gravis. 

Edwin Bramwell macht auf die Nothwendigkeit einer ge¬ 
nauen Kenntuiss dieser Krankheit aufmerksam. Sie wird oft 
fälschlich als Hysterie diagnostizirt, ein oft verhängnisvoller Irr¬ 
thum, da die Myasthenie unerkannt in der Regel tüdtlich verläuft, 
während sie durch passende Behandlung einem günstigen Aus¬ 
gang zugeführt w r erden kann. Folgender Fall kann als typisches 
Beispiel dienen: Ein 23 jähriges Fräulein, Lehrerin, die sonst stets 
gesund gewesen war, bemerkte 10 Wochen vor der Aufnahme 
Schwierigkeit beim Sprechen, Kauen und Schlucken, und es war 
eine Schwäche der Augenmuskeln, sowie am Hals und in den 
Armen zu konstatiren. Morgens befand sich die Patientin am 
wohlsten, die Symptome steigerten sich allmählich im Laufe des 
Tages. Bei fortgesetzter Tliätigkelt trat neben lebhaftem Er¬ 
müdungsgefühl eine zeitweilige Parese der Muskeln ein. Dabei 
waren die Muskeln nicht ntrophisch, die tiefen Reflexe konnten 
prompt ausgelöst werden, Sphinkteren intakt, ebenso wie die spe- 
ciellen Sinnesorgane. Als ungewöhnliche Momente sind bei diesem 
Falle das Fehlen von jeglicher Schwäche in den Beinen und 
von Ptosis zu erwähnen. Es handelt sich hierbei um einen eigen- 
tliümlichen Zustand der Muskeln, zufolge dessen dieselben durch 
aktive Bewegung schnell ermüden. Der anatomische Sitz der 
Krankheit ist wahrscheinlich in den motorischen Nerven, nach 
den klinischen Erscheinungen zu schliessen vermuthlich den 
unteren, zu suchen. Von D e j e r i n e uud Thomas liegt ein 
Obduktionsbericht vor, doch fohlt noch eine weitere Bestätigung 
ihrer Befunde. Die Prognose ist stets sehr unsicher. Von 
60 Fällen, die in der Literatur verzeichnet sind, endigten 23 tödt- 
lich. Ein wichtiges diagnostisches Zeichen ist die schnelle Er¬ 
müdung der Muskeln auf Faradisiren. In therapeutischer Bezieh¬ 
ung sind neben Vermeidung von körperlicher und geistiger An¬ 
strengung eventuell Inhalationen von Sauerstoff bei bedrohlichen 
Erscheinungen und Injektionen von Salzlösung zu versuchen. 


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5. Juli lööi. 


MÜEtfCItfcttEfc MEDIC1NISCI1E WOCtlEtf SCimtFT. 


111 ? 


lieber den Einfluss von Medicamenten auf die Leber 
sprechen P a t o n und E a s o n. Von der Voraussetzung ausgehend, 
dass die Umwandlung des überschüssigen Stickstoffs der Nahrung 
zu Harnstoff hauptsächlich ln der Leber vor sich geht, versuchten 
die Verf. aus der Menge des bei Darreichung gewisser Medicamente 
im Urin ausgeschiedenen Harnstoffs Beweismaterial zu sammeln. 
Frühere Beobachtungen hatten ihnen ergeben, dass das Diphtherie¬ 
toxin die Umwandlung von N zu verzögert und dass das 

Verhältnis von Harnstoff im Urin zur Zelt des gesteigerten Leber¬ 
stoffwechsels während der Verdauung zunimmt. Es wurde nun 
ein ca. 18 Kilo schwerer Jagdhund auf abgemessene Tagesrationen 
gesetzt und nach Eintritt von Stickstoffgleichgewicht das be¬ 
treffende Medikament verabreicht. Daß vorläufige Ergebniss der 
allerdings nicht sehr zahlreichen Versuche lautet: Sulphonal, Alko¬ 
hol und Leuchtgas besitzen einen ausgesprochenen Einfluss auf 
den Umsatz von N zu Harnstoff, während Chinin ln kleinen Dosen 
und Morphium in grossen Dosen wirkungslos blieben. Nach Ein¬ 
wirkung von Leuchtgas war der Procentsatz von Schwefeloxyd 
gegenüber dem Gesammtscbwefelgehalt des Urins herabgesetzt, 
analog der Verminderung der Harnstoffbildung, während Morphium 
auch ln Bezug auf die Oxydation des Schwefels ohne Einfluss blieb. 
Alkohol bewirkte eine Steigerung der Harnsäureausscheidung und 
setzte den Procentsatz des als Harnstoff ausgeschiedeueu Stick¬ 
stoffs von 79,5 auf 73,Q herab. 

Philipp!- Bad Salzschlirf. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztek&mmer für die Provinz Brandenburg; uncl den 
Stadtkreis Berlin. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 15. Juni 1901. 

(Schluss.) 

Herr S. Davidsohn erstattet den Bericht und legt einen 
Entwurf der Satzungen für die Uuterstützungskasse vor. Dieser 
Entwurf wird berathen und mit einigen Modifikationen ange¬ 
nommen. Die angenommenen Satzungen lauten: 

J.) Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den 
Stadtkreis Berlin begründet eine Unterstützungskasse zu dem 
Zwecke, Aerzte des Kammerbezirks und deren Hinterbliebene im 
Falle der Bedürftigkeit zu unterstützen. 

2) Den wahlberechtigten Aerzten des Kammerbezirks, welche 
3 Jahre Beiträge gezahlt haben, sowie deren Hinterbliebenen 
(Walsen bis zum vollendeten 18. Lebensjahre), welche Vermögen 
oder anderweitige Einkünfte in ausreichendem Maasse nicht be¬ 
sitzen oder für ihren Unterhalt nicht oder nicht genügend sorgen 
können, wird eine Unterstützung nach Maassgabe des an zustän¬ 
diger Stelle festgestellten Bedürfnisse« und der verfügbaren Mittel 
gewährt. In Fällen, in denen die Bedingungen für Gewährung 
einer Unterstützung nicht erfüllt sind, entscheidet das Kuratorium. 

Ein gerichtlich geltend zu machender Anspruch auf Unter¬ 
stützung besteht nicht. 

3) Bei dem Wegzuge aus dem Kammerbezirke kann die Unter¬ 
stützung nur gewährt werden, falls die Bedürftigkeit glaubwürdig 
nachgewiesen wird. 

4) Die Mittel werden beschafft: 

a. Durch die von der Kammer Jährlich überwiesenen Beiträge. 

b. Durch Schenkungen, Vermächtnisse und sonstige Zuwen¬ 
dungen. 

Stiftungen, auch solche mit Sonderbestimmungen, insofern 
sie dem Zwecke der Kasse nicht widersprechen, ebenso das Ver¬ 
mögen anderer ärztlicher Unterstützungskassen, wenn letztere das¬ 
selbe hierher überantworten, können nach Maassgabe der etwa 
bestehenden besonderen Bestimmungen zusammen mit der Unter¬ 
stützungskasse der Aerztekammer verwaltet werden. 

Soweit die Satzungen solcher Stiftungen und Kassen keine 
abweichenden Bestimmungen enthalten, gelten für sie die Satz¬ 
ungen der Unterstützungskasse der Aerztekammer. 

Aerzte und ärztliche Körperschaften, welche der Unter¬ 
stützungskasse eine Schenkung von mindestens 300 M. machen, 
können in den Listen und Berichten (auch nach dem Tode) unter 
der Bezeichnung „immerwährende Mitglieder“ geführt werden. 
Die immerwährende Mitgliedschaft kann auch für einen verstor¬ 
benen Arzt durch die entsprechende Einzahlung erworben werden. 

5) Einnahme- und Ausgabe-Etat 

Die ordentlichen Einnahmen sind die von der Kammer Jährlich 
überwiesenen Beträge. 

Die ausserordentlichen Einnahmen setzen sich zusammen aus 
Schenkungen und Stiftungen, aus den Zinsen derselben, ans der 
Einnahme der für die Kasse verwalteten Stiftungen und Unter- 
stützungskassen und den Einnahmen aus sonstigem Vermögen, 
sowie aus den Ueberschüssen der ordentlichen Einnahmen der 
Vorjahre. 

Nur die Zinsen der ausserordentlichen Einnahmen dürfen zu¬ 
sammen mit den ordentlichen Einnahmen zu den laufenden Aus¬ 
gaben verwendet werden. 

G Die ausserordentlichen Einnahmen sind regelmässig zu einem 
Reservefonds anzusammeln. Der Stamm des Reservefonds kann 
nur, wenn Ausnahmsverhältnisse eintreten und die zuständigen 
Organe ausdrücklich solche als gegeben erklären, bis zum Höchst¬ 
betrage der letzten ordentlichen Jahreseinnahme zu Unterstützungs¬ 
zwecken verwendet werden. 


Es sind aus den ordentlichen Jährlichen Einnahmen min¬ 
destens 20 Proc. zu dem anzusammelnden Reservefonds anzulegen. 

Falls der Reservefonds die dreifache Höhe der ersten ordent¬ 
lichen Jahreseinnahme erreicht hat, wird aus den Ueberschüssen 
ein eiserner Fonds gebildet. — Zu diesem sind auch die 
Vermögensbestandtlieile der Stiftungen und hinzugetretener Unter- 
stützuugskassen gehörig. 

Wenn der Bestand des -eisernen Fonds ein geeigneter ist, 
spätestens aber wenn er mindestens die zehnfache Höhe der ersten 
ordentlichen Jahreseinnahme erreicht hat, soll ein versicherungs¬ 
technisches Gutachten eingeholt werden, ob und wann die Mittel 
ausreichen zu einer allgemeinen Versicherung in Bezug auf die 
Wittwen- und Waisen Versorgung und gegen Invalidität. 

7) Die Verwaltung und Leitung steht unter Aufsicht der 
Kammer und des Vorstandes derselben. Die Mitglieder der Ver¬ 
waltung haben dem Aerztekammervorstande auf Erfordern, sowie 
Jährlich einen Bericht au die Kammer über Einnahmen und Aus¬ 
gaben sowie über den Kassenbestand zu erstatten und die Beschlüsse 
der Kammer zu befolgen. 

8) Die Verwaltung besteht: 

a. Aus dem Kuratorium der Uuterstiitzungskas.se für die 
Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin. Dieses setzt sich 
zusammen aus 9 Mitgliedern, und zwar 4 aus Berlin, 2 Vertretern 
der Berliner ärztlichen Uuterstützungskasse und der Willielm- 
Augusta-Stiftung (im Falle des Beitritts derselben), und aus 3 der 
Provinz (darunter 1 aus den Vororten), sowie aus 9 Stellvertretern 
mit derselben örtlichen Vertretung. Zum Kuratorium müssen 
mindestens 3 Mitglieder der Kammer gehören, darunter der Kassen¬ 
führer derselben. Den Vorsitz führt ein Mitglied der Kammer. 

b. Aus drei Prüfungsausschüssen, Je einem für Berlin, für den 
Regierungsbezirk Potsdam, für den Regierungsbezirk Frankfurt. 
Jeder Prüfungsausschuss setzt sich zusammen aus mindestens 
5 wahlberechtigten Aerzten des engeren Bezirkes. 5 Stellvertretern 
und dom Regieruugs-Medlcinalrath. Jedem Prüfungsausschuss 
muss mindestens ein Mitglied des Kuratoriums angehören. Den 
Vorsitz im Prüfungsausschuss führt, ein Mitglied des Kuratoriums, 
welches gleichzeitig Mitglied der Kammer ist. Im Uebrigen ver¬ 
theilen das Kuratorium wie jeder Prüfungsausschuss die Aemter 
unter sich (2. Vorsitzender, Schriftführer, Kassenführer u. s. w.) 

9) Sämmtliche für die Verwaltung nach Vorstehendem be- 
zeichneten Personen, insoweit es im Vertrage mit den hinzutretenden 
Kassen und Stiftungen nicht anders bestimmt ist, werden von der 
Aerztekammer auf die Dauer der Wahlperiode gewählt. 

10) Das Kuratorium übernimmt die Verwaltung der Unter¬ 
stützungskasse, der damit verbundenen Kassen und Stiftungen; 
es trügt, die Verantwortlichkeit über die gesummten Einnahmen 
und Ausgaben sowohl gegenüber der Kammer, wie auch gegen¬ 
über den Prüfungsausschüssen und hat darüber ordnungsmässig 
Buch zu führen. Beschlüsse werden nach einfacher Mehrheit ge¬ 
fasst und sind nur giltlg, wenn mindestens 5 Mitglieder anwesend 
sind. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des jeweiligen 
Vorsitzenden. Bei Behinderung oder Austritt der Mitglieder sind 
die Stellvertreter einzuberufen. Das Kuratorium hat ein Ein¬ 
spruchsrecht gegen die Beschlüsse der Prüfungsausschüsse, ins¬ 
besondere wenn es sich um die Berechtigung und die Höhe der 
Unterstützungen handelt; dasselbe hat das Recht, im Allgemeinen 
die Höchst- und Mindestsätze der zu vertheilenden Untcrstützungs- 
summen jährlich festzusetzen. Bel Ueberschreituug solcher fest¬ 
gestellten Sätze im Einzelfalle muss die Genehmigung des Kura¬ 
toriums seitens des Prüfungsausschusses unter eingehender Be¬ 
gründung des Antrages vorher eingeholt werden. 

11) Der Prüfungsausschuss hat den Verkehr mit den Hilfe¬ 
suchenden zu unterhalten, die Gesuche zu prüfen, Unterstützungen 
zu gewähren, ungeeignete Gesuche abzulehnen und über Eingang 
und Ausgang Rechnung zu legeu. Er hat über die Zahl der Ge¬ 
suche und der Unterstützten, über die Höhe der in jedem Eiuzel¬ 
falle gewährten Summen, Über die Familienverhältnisse, soweit 
sie die Bedürftigkeit oder das Aufhören der Unterstützung be¬ 
gründen, Buch zu führen. 

12) Der Prüfungsausschuss für Berlin muss vierteljährlich 
und zwar vor Beginn des Vierteljahres zur Erledigung der Gesuche 
einberufen werden, die Prüfungsausschüsse für die Provinz nach 
Bedarf, aber mindestens 1 mal im Geschiifsjahre. Ueber die 
Sitzung ist ein Protokoll zu führen und von den Anwesenden zu 
unterschreiben. Nach der Feststellung des Bedarfs hat der Vor¬ 
sitzende jedes Prüfungsausschusses die zu vertlieileuden Summen 
vom Kuratorium einzufordern. Für schleunig zu erledigende Fälle 
hat jeder Prüfungsausschuss einen Baarbestand von 500 Mk. be¬ 
reit zu halten. In dringenden Fällen können die Gesuche durch 
ein bei den Ausschussmitgliedern umlaufendes Schreiben erledigt 
werden, doch ist dieses in der folgenden Sitzung zu bemerken. 

Unterstützungen werden längstens auf 1 Jahr bewilligt. In 
geeigneten Fällen ist den Gesuclistellcrn anheimzugelten, bei Fort¬ 
dauer der Bedürftigkeit von Neuem vorstellig zu werden. 

Der Prüfungsausschuss fasst seine Beschlüsse nach einfacher 
Mehrheit; zum gütigen Beschluss sind mindestens 3 Stimmen notli- 
weiulig. Bel Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des je¬ 
weiligen Vorsitzenden. Bei der Behinderung oder beim Aus¬ 
scheiden der Mitglieder sind die Stellvertreter einzuberufen. 

13) In Bezug auf die Vertretung nach aussen in allen Rechts¬ 
geschäften, in Bezug auf die Rechuungs- und Buchführung, auf 
die Kassenrevlsiou sowie in Bezug auf die Rechnungslegung an 
die Kammer, kommen die entsprechenden Bestimmungen der 
Kassenordnung der Aerztekammer in Anwendung. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


ms 


14) Sollte eine Thoilung der Aer/.tekammer eintreteu, so fl fassen 
die Mittel aus den mitverwalteten Kassen und Stiftungen, sowie 
die für besondere Gebietstheile bestimmten Geschenke unter Be¬ 
rücksichtigung der örtlichen Eintheilung au die entsprechende 
neue Kammer. Die durch das Umlageverfahren sonst augesam- 
melten Mittel und die Zinsen aus denselben werden im Verhält¬ 
nis« der von den einzelnen Bezirken aufgebrachten Kammerbei- 
triige getheilt. 

lö) Aenderungen dieser Satzungen können nur durch einen 
Beschluss der Aerztekammer vorgenommen werden. 

Die übrigen Gegenstände der Tagesordnung werden vertagt. 

P. II. 

Auswärtige Briefe. 

Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Wien, 20. Juni 1901. 

Das Wahlrecht der Aerztin. — Zur Reform des Kranken- 
versicherungsgesetzes. — Die Forderungen der Aerzte Oester¬ 
reichs. — Aerzte als Geschworene. — Transplantationen von 
Schleimhautstücken im Verdauungstrakte. 

l)cr Vcrwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der 
Baronin Dr. .Pos sann er entschieden, dass diese Aerztin und 
mit ihr alle künftigen Aerztinnen sowohl das aktive als das 
passive Wahlrecht in die Aerztekammer haben. Das Wahlrecht 
in die Aerztekammer wurde der einzigen derzeit zur Praxis in 
Wien berechtigten Dame seitens des Magistrats, der Statthalterei 
und des Ministeriums des Innern bisher auf Grund des § 6 un¬ 
seres Kaminergesetzes verweigert, in welchem es heisst, dass vom 
Wahlrechte und der Wählbarkeit ausgeschlossen seien: „Alle 
Mitglieder, welche nach den bestehenden Gesetzen von der Aus¬ 
übung des aktiven und passiven Wahlrechtes in der Gemeinde 
ausgeschlossen sind.“ Mit Recht machte ihr juristischer Ver¬ 
treter vor dem Verwaltungsgerichtshofe geltend, dass das Wahl¬ 
recht in der Aerztekammer nicht schlechthin vom Wahlrecht 
in der Gemeinde abhängig gemacht werden dürfe; nur wer vom 
Wahlrecht in der Gemeinde ausgeschlossen, nicht aber 
vom Wahlrecht (ohne Verschulden) ausgenommen ist, be¬ 
sitze nicht das Wahlrecht in die Aerztekammer. Frau Gabriele 
Dr. Baronin Possannersei von der Ausübung des Wahlrechtes 
in der Gemeinde nicht ausgeschlossen, denn sie habe nichts an¬ 
gestellt; sie besitze nur als Frau das Wahlrecht nicht. Schliess¬ 
lich streifte der Sachanwalt auch die Frauenfrage und führte 
aus, dass es einer Frau auch gestattet sein müsse, in den sie be¬ 
treffenden Angelegenheiten mitsprechen zu dürfen etc. etc. 

Nun hat derselbe Verwaltungsgeriehtshof auf Grund 
desselben Paragraphen unseres Kammergesetzes vor Jahres¬ 
frist mehr als 300 Aerzten Wiens das aktive und passive Wahl¬ 
recht in die Kammer entzogen mit der Begründung, dass 
diese 300 Aerzte nicht das Wahlrecht in der Gemeinde besässen, 
da sie Ausländer (Ungarn) seien. Für unseren Laienverstand 
ist es einfach unerfindlich, warum die Gründe, welche heute für 
die Zuerkennung des Wahlrechtes an die Aerztin geltend ge¬ 
macht und wie es scheint vom Verwaltungsgeriehtshof auch als 
richtig anerkannt wurden, seinerzeit, als es sich um 300 ungarische 
Aerzte handelte, die ebenfalls in Wien praxisberechtigt waren 
resp. cs noch heute sind, als unstichhaltig angesehen wurden. 
Wir erwarten eine offizielle Aufklärung dieser merkwürdigen 
Interpretation einer Gesetzesstelle seitens unseres obersten Ge¬ 
richtshofes. 

Die Präsidien der Aerztekammern von Wien, Niederöster¬ 
reich und Mähren haben gemeinsam und im Namen aller Kam¬ 
mern Oesterreichs den beiden Häusern des Reichsrathes (Ab¬ 
geordneten- und Herrenhaus) eine Petition und eine Denkschrift 
über die Reform des Krankenversieherungsgcsetzes überreicht. 
In der Petition werden die Forderungen der Aerzte 
in folgender Weise präzisirt: Es soll die Zugehörigkeit zu einer 
Krankenkasse von dem Einkommen des zu Versichernden ab¬ 
hängig gemacht werden. Die Versicherungs p f 1 i c h t soll nur 
bis zu einem Einkommen von 2000 Kronen ausgedehnt, das Ver¬ 
sicherungs recht (der freiwillige Beitritt) soll gänzlich auf¬ 
gehoben oder ebenfalls nur bis zu einem Einkommen von 2000 K. 
gestattet werden. Es soll im Gesetze ausdrüeklieh die Möglich¬ 
keit ausgesprochen werden, dass die „freie ärztliche Behandlung“ 
auch nach dem Systeme der freien Arztwahl stattfinden 
kann; für Orte von mehr als 20 000 Einwohner soll diese Art des 
ärztlichen Dienstes als Regel normirt werden. Es sollen in das 


Gesetz oder in das Musterstatut Bestimmungen über die ent¬ 
sprechende Ilonorirung der kassenärztliehen Leistungen auf- 
-genommen werden (eigener Tarif für Einzelleitungen resp. für 
Pauschalbezahlugen eine nach der Kopfzahl der Versicherten 
fixirte Jahrespausehaiquote). Einem Kassenarzte sollen nur 
800—1000 Versicherte zur Behandlung im Erkrankungsfalle zu- 
gewiesen werden können. Weitere Forderungen beziehen sich auf 
die rechtliche Stellung der Kassenärzte bei den Kranken¬ 
kassen und betreffen die Anstellung derselben (rechtsgiltige Ver¬ 
träge), Instruktionen für den Dienst, Einsetzung eines Schieds¬ 
gerichtes aus beiden Theilen, Entlassung von Kassenärzten etc. 
Bezüglich der Meisterkrankenkassen wird die Forderung wieder¬ 
holt, dass das betreffende Gesetz dahin abgeändert werde, dass 
die Meisterkrankenkasseu verpflichtet sein sollen, ihren Mit¬ 
gliedern ein Krankengeld, nicht aber berechtigt sein sollen, 
denselben ärztliche Behandlung zu gewähren. — Da unser Ab¬ 
geordnetenhaus sieh schon vertagt hat, wird diese Angelegenheit 
— im günstigen Falle — erst im Herbste 1. J. zur Verhandlung 
kommen. 

In der Aerztekammer für Kärnten wurde jüngst ein Antrag 
gestellt, dahin zu wirken, dass die Aerzte vom Geschwornendiensto 
befreit, resp. dass dieselben aus den Geschwornenlisten völlig ge¬ 
strichen werden. Der Gerichtsarzt, kais. Rath Dr. R. v. J o s c h, 
als Referent bestellt, führte aus, dass in Kärnten (wie auch 
anderwärts) Aerzte nicht zu Geschwornen ausgelost würden. Auch 
könne jeder Arzt, der eine Befreiung vom Geschwornendienst 
anstrebe, dies im Wege des Bürgermeisteramtes erreichen, welches 
ihn als unentbehrlich bezeichnen wird. Nachdem aber die Func¬ 
tion eines Geschwornen zu den Rechten eines Staatsbürgers ge¬ 
höre, erschiene es nicht zweckmässig, sieh desselben freiwillig zu 
begeben. Diese Ausführungen wurden dankend zur Kenntniss 
genommen. 

In der letzten Sitzung unserer Gesellschaft der Aerzte demotv 
strirte Doeent Dr. Emerich Ullmann mikroskopische Prä¬ 
parate über die Transplantation von verschiedenen Abschnitten 
des Verdauungstraktes. An jungen Schweinen wurden diese Ver¬ 
suche wiederholt und in variirter Weise ausgeführt, so dass ein 
Magenstück in den Dünn- oder Dickdarm, resp. ein Dünn- oder 
Dickdarmstiiek in den Magen, Dünndarm in den Dickdarm und 
umgekehrt Dickdarm in den Dünndarm eingepflanzt wurden. 
Die transplantirten Stücke heilten in allen Fällen prompt ein. 
Die in den Magen transplantirten Stücke schrumpften zumeist 
sehr stark, bis auf ein Viertel der ursprünglichen Grösse ein, bei 
Implantation von Dickdarm in den Magen entstanden stets Ge¬ 
schwüre. In einem ferneren Falle wurde ein handtellergrosses 
Stück eines Hundemagens in den Magen eines Schweins ein¬ 
gepflanzt und das Thier nach 3 Monaten getödtet. Das Schwein 
gedieh vortrefflich, das eingesetzte Hundemagenstüek war aber, 
wie in allen Transplantationen in den Magen, sehr stark einge- 
sehrumpft und in der Mitte des implantirten Stückes war ein 
Geschwür. Bezüglich der Einheilung gestielter Darmstücke war 
kein Unterschied zu bemerken. Da wo Magen in Dünndarm oder 
Dünndarm in Magen transplantirt wurde, sind keine Geschwüre 
entstanden und erfolgte die Einheilung prompt. 

Auf die Anfrage v. Eiselsber g’s, ob es sich nach diesen 
Experimenten empfehlen würde, in jenen für die Deckung der 
Substanzverluste schwierigen Fällen von grossen chronischen 
Geschwürsbildungen am Magen Darmabschnitte zu verwenden, 
antwortet IIllma n n, dass man an Menschen eine Ueber- 
pflanzung von Dünndarm auf Magen im gegebenen Falle jeden¬ 
falls versuchen könnte, während eine Ueberpflanzung von Dick- 
darm in Magen zu widerrathen wäre. Zum Schlüsse wies Hof¬ 
rath Exnor, in dessen Institut diese Versuche ausgeführt wurden, 
auf das physiologische Interesse derselben hin. Es scheint, dass 
jede Schleimhaut für sich, jedes Stück derselben, sich gegen ganz 
fremde Verdauungssäfte schützen könne. 


Briefe aus Italien. 

(Eigener Bericht.) 

Der Tag war herrlich, ein wahrer Maientag, mit strahlend 
blauem Himmel, mildem Lüftchen und spiegelglattem Meer. Die 
Natur lockte hinaus aus der Stadt und ich sagte mir, dass es am 
besten sei, den geplanten Ausflug nach Ischia sogleich auszu¬ 
führen. Nach einem ausgezeichneten Frühstück — man denke; 
Wiener Küche und Pschorrbräubier 1 — war ich bereit, mit Wohl- 


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2. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1119 


gefallen und Behagen alle Schönheiten und Freuden zu gemessen, 
die mich, oder besser gesagt, die uns erwarteten. Beim Früh¬ 
stück im Restaurant Bavaria in der Gallerie war ich nämlich 
neben einen Deutschen zu sitzen gekommen, und ein wenig dem 
uns Italienern angeborenen Zug folgend, gleich mit Jedermann 
anzuknüpfen, ein wenig, weil ich mir einem Deutschen gegen¬ 
über nur ungern die Gelegenheit entschlüpfen lasse, mich auch 
ein bischen als Deutscher zu zeigen, hatte ich ihn in ein Ge¬ 
spräch verwickelt; wir hatten schliesslich unsere Karten aus¬ 
getauscht und der blonde Recke hatte sich als Kollege aus Pom¬ 
mern entpuppt. Wie ich selbst, wollte auch er sich nur kurze 
Zeit in Neapel aufhalten, um Stadt und Umgegend zu besichtigen. 
Hein Vorschlag, mit mir zusammen nach Ischia zu fahren, wurde 
von dem pommer’schen Kollegen, der mehr Latein als Italienisch 
verstand, mit Freude angenommen und eine halbe Stunde später 
trug uns einer der schönen Dampfer der Firma Manzi aus dem 
Hafen. Das Panorama Neapels breitete sich vor uns aus und ich 
-ah mit Freude, mit welchem Entzücken mein Reisegefährte seine 
Augen bald auf Neapel, bald auf dem Vesuv, dem Posilippo und 
dem fernen Capri ruhen liess und von Zeit zu Zeit begeistert aus¬ 
rief: „Herrlich! Wunderschön 1“ 

Es ist mir nicht vergönnt, hier die Einzelheiten der Fahrt 
näher zu beschreiben; ich möchte daher nur kurz auf die wunder¬ 
volle Lage der Insel Ischia hinweisen, die idyllischen Dörfer, die 
sich in den Buchten zu verstecken scheinen, den Berg Epomeo, 
ehemaligen Vulkan, der gigantisch die kleinen Orte überragt 
und von dessen Gipfel man eine der herrlichsten Aussichten 
vom Cap der Circe über den Golf vouGaeta und Neapel, über Capri, 
di*- Höhen bei Sorrent bis zu den fernen schneebedeckten Gipfeln 
der Abruzzen geniesst. An seinen Hängen, wie überhaupt über¬ 
all auf dieser gesegneten Insel gedeiht ein wahrer Göttertrank. 
Wir fuhren am Ufer der Insel entlang, vorüber an dem ent¬ 
zückenden, natürlichen Hafen Ischia’s, in dem kleine Barken 
und eine schmucke Yacht lagen und wir bewunderten beide still 
alle die Herrlichkeiten, die an unseren Blicken vorüberzogen, 
als mein Begleiter plötzlich ausrief: „Wirklich herrlich 1 Da 
möchte ich länger bleiben 1" „Und warum nicht ?“ fragte ich, 
erfreut über die Begeisterung des kühlen Nordländers. Meine 
Frage blieb imbeantwortet, aber der zufällig auf getauchte Ge¬ 
danke wühlte weiter in meinem Kopfe und nach vielem Hin- und 
Herüberlegen entwickelte sich daraus ein Plan, den ich hiermit 
der Beurtheilung meiner deutschen Kollegen unterbreiten möchte. 

Ich war immer der Ueberzeugung, dass Deutschland und 
Italien zwei Länder, zwei Völker sind, die sich gegenseitig 
wunderbar ergänzen: liier ist Leben, Erregbarkeit, beweglicher 
Geist, dort Geduld, Ausdauer, kaltes Blut. Italien ist auch das 
einzige Land, das dem Deutschen einen zusagenden, angenehmen 
Aufenthalt bietet und wo er sich, trotz aller Verschiedenheit, 
nicht fremd fühlt. Der Mensch vermag sich dem Banne der 
geschichtlichen Traditionen nicht zu entziehen und seit den 
Zeiten der alten Germanen zieht es den Deutschen unwider¬ 
stehlich über die Alpen. Die grössten der deutschen Künstler und 
Dichter träumten von Italien; viele fanden da ihr zweites Vater¬ 
land oder danken ihrem Aufenthalt ihre besten Werke. Aber 
nicht nur Künstler und Dichter, jeder deutsche Backfisch träumt 
von dem „Land, wo die Citronen blühen“ und wohin er seine 
Hochzeitsreise zu machen hofft. Italien seinerseits hat den 
Deutschen viel zu danken, sie sind scharfe, aber gerechte Kritiker 
und bringen daher Nutzen; deutsche Thatkraft hat der italie¬ 
nischen Industrie grossen Aufschwung gegeben und die lässigen 
Italiener wurden durch das gute Beispiel deutscher Kaufleute 
angespornt, so dass sie jetzt schon mit den Lehrern konkurriren 
können. Auch im medicinischen Fach sind die wechselseitigen 
Beziehungen ziemlich enge geworden; italienische Aerzte (ich 
ksnn aus eigener Erfahrung sprechen und danke hier öffentlich 
If rm Oeheiinrath Prof. Gerhardt und seinen Assistenten, 
welche mich während meines Berliner Aufenthaltes mit Liebens¬ 
würdigkeit überhäuften) sind an deutschen Kliniken freund¬ 
schaftlich empfangen worden und deutschen Aerzten, wie z. B. 
der K o c h’schen Malariaexpedition, wurde in Italien alles 
N>>hige bereitwilligst zur Verfügung gestellt; die deutsche me- 
■ii'-inische Presse ist bei uns hochgeschätzt und un-erc Literatur 
nimmt nach und nach auch eine der ersten Stellen ein. Es ist 
tU miturgemäss und für beide Nationen nützlich, dass sie Hand 
in [[and gehen; aber dieses Bündniss sollte nicht nur am grünen 
Ti‘ch geknüpft und eventuell wieder gelöst werden, nein, es 


sollte eine dauernde Freundschaft von Haus zu Haus sein. Ich 
möchte, dass ein Strom von deutschen und italienischen Aerzten 
und ihren Familien sich jährlich über die Alpen ergiesst, dass 
der deutsche Arzt und die Seinen bei dom italienischen Kollegen 
und dieser bei dem deutschen ein gastliches Dach findet. Es 
wäre wohl nicht sehr schwierig, ein deutsches und ein italienisches 
Comite zu bilden, bei welchem sich jene Aerzte melden könnten, 
die bereit wären, einen Kollegen und dessen Familie für einige 
Zeit bei sich aufzunehmen, welcher im Austausch dann seinen 
Wirth und dessen Familie im eigenen Heim bewirthen würde. 
Wenn man die beiderseitigen Regierungen dann noch dazu 
brächte, den Aerzten und deren Familien Fahrpreisermässigung 
zu gewähren, so würde durch diesen wechselseitigen Besuch den 
Aerzten nicht nur Gelegenheit zu verhältnissmässig billigen Er¬ 
holungsreisen, sondern auch zur Erweiterung des Gesichtskreises 
geboten; die Aerzte und mit ihnen auch ihr Vaterland würden 
gewiss mancherlei Nutzen von diesen Reisen haben und die 
Freundschaft der beiden Nationen, dio so in dem Herzen der 
Mitglieder eines gebildeten und doch auch einflussreichen 
Standes wurzelte, würde fest und unlöslich werden. Italien, 
„der Garten Europas“, sollte dann vor Allem der Garten Deutsch¬ 
lands werden; Italien birgt ja noch so viele ungehobene natür¬ 
liche Schätze, sein Reichthum an Mineral- und Thermalquellen, 
sein Klima, seine herrlichen Gegenden machen es so recht ge¬ 
eignet zu einem Ort des behaglichen Gemessene nach der Arbeit. 
Deutschland mag das Land des Schaffens, der Industrie sein, 
und Italien soll der Garten werden, wo der müde Körper und 
Geist sich erholen kann. Was werden meine deutschen Kollegen 
zu diesem Zukunftstraum sagen? Ich wünsche und hoffe, dass 
er sich erfüllen möge, und wenn meine Kollegen dann selbst an 
einem schönen Maitage am Ufer Ischia’s entlang fahren, dann 
werden sie es auch begreiflich finden, dass selbst ein Modiciner 
Angesichts so vieler Schönheit in’s Träumen geräth und darüber 
vergisst, über Quellen und Bäder etc. zu berichten. Also davon 
das nächste Mal. Dr. Giov. G a 11 i. 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

Im württemberglschen Landtag hat die Cen¬ 
trumspartei folgenden Antrag eingebracht: 

Die Regierung zu ersuchen, zur Ausführung der Gewerhe- 
inspektiou eine für das ganze Land einheitliche, kollegiale Be¬ 
hörde zu errichten, bei welcher nel>en den Revlslonsbeaiuten, deren 
Zahl zu vermehren wäre, auch Aerzte und Techniker und in 
gleicher Zahl Arbeitgeber und Arbeiter, sowie Arbeiterluneu zu- 
! gezogen werden sollen. Zur Begründung des Antrages führt der 
Abgeordnete Rembold -Gmünd aus: Für nothwendig halte das 
Centrum die Mitwirkung von Aerzten im Kollegium. Arzt und 
Inspektor sollten zusammen die Inspektion vornehmen, da der Arzt 
allein in den Fabriken, deren Betrieb er nicht kenne, nicht zu 
Stande komme. Auf der anderen Seite könne auch der Inspektor 
ohne den Arzt nicht zum Ziele kommen, da Ihm die gesundheitlichen 
Schädigungen nicht ohne Weiteres bekannt seien. Es -werde sich 
fragen, ob die Oberamtsärzte hiermit zu beauftragen seien. Jeden¬ 
falls sei es angezeigt, dem Kollegium selbst einen Arzt beizugeben. 
Nothwendig wäre dann allerdings, dass dieser sich dann mit den 
Oberamtsärzten in’s Benehmen setze, uni lokale Krankheits¬ 
erscheinungen kennen zu lernen. Ebenso uöthig sei dann die Zu¬ 
ziehung von Technikern, speciell von Chemikern. In der Be¬ 
sprechung des Centrumsantrages erklärt der Tübinger Professor 
der Nationalökonomie, Dr. v. Schoenberg, der als Kanzler der 
Universität Tübingen dem Landtage angehört, die Zuziehung von 
Aerzten zur Gewerbeinspektion „für mindestens erwägungswerth“. 
Namens der deutschen Partei erklärte der Abgeordnete H 1 b e r, 
• dass seine politischen Freunde „die Zuziehung von Aerzten zur 
Gewerbeinspektion unterstützen“ würden. 

Verpflichtung der Krankenkasse, eine Brille zu gewähren. 

Nach einer Notiz der Wochenschr. f. Therap. u. Ilygiene des 
Auges (1901, No. 25) wurde vom kgl. sächs. Ministerium des Innern 
ln einer Verwaltungsstreitsache zwischen einer Fabrikkranken¬ 
kasse und einem Mitgliede der letzteren in zweiter Instanz zu 
Gunsten der Klägerin, der Fabrikkrankenkasse, entschieden, und 
zwar wurde der Beklagte gemäss § 2 des Gesetzes vom 5. Jan. 1870 
unter Abweisung seines Anspruches auf Gewährung einer Brille 
zur Tragung der Kosten des Rechtsstreites verurtheilt. Das Mini¬ 
sterium führt ln seiner Begründung aus: „Es herrscht allseitiges 
Einverständnls8 darüber, dass „Krankheit“ im Sinne des Kranketi- 
verslcherungsgesetzes einen anormalen Zustand, d. h. einen solchen 
Zustand voraussetzt, welcher nicht durch die natürliche Entwicke¬ 
lung des Menschen bedingt wird, sondern sich als eine Störung 
In der normalen KörperbeschafTenhelt und deren naürlichem Ent¬ 
wickelungsgauge darstellt.“ „Obgleich nun dem Beklagten vom 
Aj-zte bestätigt wird, dass er weitsichtig ist und zur Erhaltung 


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1120 


MUENOHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 27. 


der Erwerbsfähigkeit eine Brille benöthlgt, und die Fabrikkranken¬ 
kasse laut § 4 Ihres Statuts den Arbeitern als Krankenunterstützung 
u. a. auch Brillen gewährt, so fehlt es doch an jedem Nachweis 
dafür, dass die Weitsichtigkeit des Beklagten, welche ihn angeblich 
ln seiner Erwerbsthätigkeit beschränkt, auf einem anormalen Zu¬ 
stande ln dem oben festgestellten Sinne beruht.“ R. 


Frequen* der deutschen medicinischen Facultäten. 
Sommer-Semester 1901.') 



Sommer 1900 1 

Winter 1900/19011 

Sommer 1901 

In- 1 Au*- 2 ) 
länderl l&nder 

8umma 

In- 1 Aus- 1 ) 
linder'lltnder 

Summa 

In- Aus- 2 ) 
lllnderi Müder 

Summa 

Berlin 3 ) 

730 

337 

1067 

859 

453 

1312 

702 

364 

1066 

Bonn 

286 

20 

306 

210 

13 

223 

255 

23 

278 

Breslau 

243 

6 

249 

211 

6 

217 

244 j 

15 

259 

Erlangen 

130 

135 

265 

126 

123 

249 

125 ; 

119 

244 

Freiburg 

83 

354 

437 

76 

242 

318 

75 j 

329 

404 

Giessen 

65 

84 

149 

69 

83 

152 

64 

88 

152 

Göttingen 

168 

45 

213 

145 

48 

193 

144 

45 

189 

Greifswald 

248 

27 

275 

201 

23 

224 

208 

30 

238 

Halle 

169 

46 

215 

154 

49 

203 

lf.0 

42 

192 

Heidelberg 

75 

226 

301 

80 

159 

239 

78 

215 

293 

Jena 

56 

108 

164 

52 

94 

146 

47 

111 

158 

Kiel 

340 

145 

485 

266 

83 

349 

313 

118 

431 

Königsberg 

221 

25 

246 

201 

23 

224 

203 

23 

226 

Leipzig 

278 

245 

523 

278 

316 

594 

259 

263 

522 

Marburg 

192 

47 

239 

172 

45 

217 

171 

45 ! 

216 

München 

425 

759 

1184 

464 

650 

1114 

420 

692 

1112 

Rostock 

55 

69 

124 . 

51 

74 

125 

50 

77 

127 

Strassburg 

162 

153 

315 

154 , 

142 

296 

139 

128 

267 

Tübingen 

135 

144 

279 

146 

115 

261 

186 

123 

259 

Würzburg 

166 

316 

482 

155 | 

320 

475 

145 

266 

411 

Zusammen 4229 

l! 

3291 | 

7518 

4070 

3058 

7131 

3928 

3116 

7044 


*) Nach amtlichen Verzeichnissen. Vergl d. W. 1900, No. 27- 
2 ) Unter Ausländern sind hier Angehörige anderer deutscher 
Bundesstaaten verstanden. 

s ) Ohne die Studierenden des Kaiser-Wilhelm Instituts. 

Anschliessend au die Statistik über die Sterblichkeit 
und Lebensdauer der sächsischen Aerzte von 
Gei ss ler (I^eipzig 1887) veröffentlicht Rade stock im Ivor- 
respoudenzblatt der ärztlichen Vereine im Königreich Sachsen 
No. 12 neuere Untersuchungen über das gleiche Thema für die Jahre 
188(5—1900. Hienaeh starb im Durchschnitt auf die Jahre 1885 
bis 1900 berechnet 1 Arzt auf 48,0 2,08 Prot*.). Im Ganzen 

starben in jenem Zeitraum 40S sächsische Aerzte. von denen 
245 — 52 Proc. das (»0., 150 — 32 Proc. das 70. Lebensjahr er¬ 
reichten. 82 Aerzte 17,5 Proc. starben vor dem 40. Lebens¬ 
jahr. Es besteht also wie vorher auch in diesem Zeitraum 
eine Uebersterblichkeit der ganzen Aerzte und zwar etwa vom 30. 
bis 40. Lebensjahr. Im Uebrigen ist die Sterblichkeit der Aerzte 
im Vergleich mit der allgemeinen männlichen Bevölkerung nicht 
ungünstig und hat sich sogar günstiger als in den Vorjahren ge¬ 
staltet. 

Therapeutische Notixen. 

Ueber die Anwendung der Lichtthernple in der 
Chirurgie iiussert sich Dr. M i n I n • Petersburg folgender- 
maassen: 1. Das Licht, ein blaues Gasglühlämpchen von 1(5 Kerzen | 
Lichtstärke, übt eine zweifache Wirkung aus, eine schmerz- | 
stillende und eine resorbirende. 2. Hinsichtlich der Intensität und 
der Schnelligkeit der therapeutischen Wirkung hat das Licht unter 
den übrigen gegenwärtig bekannten schmerzstillenden Mitteln 
kein Analogon. Natürlich ist das blaue elektrische Licht ebenso 
wie die anderen therapeutischen Faktoren richtig und in geeigneten 
Fällen anzuweudeu, um Verwunderung und Dankbarkeit seitens 
der Patienten zu erregen. (Die med. Woche 1901, No. 12—13.) 

P. H. 

Behandlung der Syphilis mit interner Queck- 
silberdarroichung. Brocq empfiehlt neuerdings, wo, wie 
er selbst zugibt, die subkutanen resp. intramuseulären Quecksilber- 
Injektionen so viel Erfolge geben, trotzdem wieder die Verab¬ 
reichung des 11g per os und zwar in Form des Liquor van 
S wie ten (Sublimat 1,0, Alkohol [90 proc.] 100,0, Aqu. 900,0), 
obwohl derselbe zuweilen irritireude Wirkung auf den Magen- 
darmkanal ausübt und der Geschmack ein sehr unangenehmer ist. 
Am besten oder vielleicht allein nur eignet sich für diese Art 
Therapie der Krankenhausaufenthalt. Man lässt die Lösung in 
Milch nehmen, meist in kleinen (4—0 Tages-) Dosen vertheilt, so 
dass die Menge des täglich elngefillirten Hg iy 2 —2 cg beträgt. 
Br. fand, dass selbst schwere Formen von tertiärer Syphilis nur 
selten dieser Behandlungsart widerstehen, wobei allerdings auch 
gleichzeitig Jodkali gegeben wurde (!). Im Ganzen hat Br. ca. 
2000 Kranke mit Erfolg durch diese interne Therapie behandelt 
und von Syphilitikern, die ständig auf seiner Abtheilung liegen, 
wäre es kaum bei dem zehnten Theile, also 6—8, nülhig gewesen, 
zu Einreibungen oder intramuseulären Injektionen überzugehen 


(also doch in manchen Fällen! Ref.). Wegen der Löslichkeit des 
Mittels und der Darreichung in fraktionirton Dosen tritt B. so 
warm für den Liquor van Sw loten ein, während er die Pillen- 
behandiung völlig auszuschliessen scheint (Presse mödicale 1901, 
No. 29). St 

Die Behandlung der Tuberkulose mit TR sollte 
nach Cal 11 au d- St. Germainmont (Mödedne moderne 1901, 
No. 23) nicht der Vergessenheit anheimfallen, da sie besonders bei 
Knochentuberkulose ein werthvolles Heilmittel sei. Von den 7 
mit dem Nou-Tuberknlin behandelten Fällen gaben 3 ein vorzüg- 
lichse Resultat: in 2 Fällen von veraltetem Tumor albus, wo der 
einzige Ausweg nur mehr die Amputation schien, erfolgte völlige 
Ausheilung, die bereits 2 resp. 3 Jahre auhiilt, in dem weiteren 
Falle von Lungentuberkulose konnte der erzielte Erfolg nicht 
weiter beobachtet werden, da die Kur wegen äusserer Gründe 
unterbrochen wurde. C. riith jedesmal, bevor schwere Opera¬ 
tionen (Rcseetlonen, Amputationen) wegen Knochen-, Gelenks- 
Tuberkulose vorgenommen werden, dieses Tuberkulin auzuwendeu, 
welches nur selten Nebenerscheinungen (geringe lokale Schmer¬ 
zen, Temperaturerhöhung, leichte Albuminurie, Idiosynkrasie) ver¬ 
anlasse. St. 

Zur Behandlung inoperabler Carcinome em¬ 
pfiehlt Ilörard in der Pariser Socißtö de thßrapeutique (Sitzung 
vom 8. Mal 1901) die Osmiurasiiure. Man iujizirt 8—30 ccm 
der F 1 e m in I n g’schen Lösung mitten in das kranke Gewebe und 
legt auf die Geschwulst Kompressen, welche mit derselben Lösung 
durchträukt sind. (Die F 1 e m m i u g'sclie, zur Fixirung von 
Hiirlepräparaten dienende Lösung hat folgende Zusammensetzung: 
2 proc. wässerige Osmiumsäurelösuug 4 Theile. 1 proc. wässerige 
Chromsäurelösung 15 Theile und Eisessig 1 Theil.) Die offenbaren 
Folgen der Behandlung mit Osmiumsäure sollen Verminderung 
der Schmerzen, der Sekretion und des foetiden Geruches und die 
Resultate noch besser sein wie mit der Anwendung von Methylen¬ 
blau (Bulletin mödical 1901, No. 37). St. 

Die Verbindung der subkutanen Cocain- 
Injektionen mit der Inhalation geringer Dosen 
von Chloroform empfiehlt Demmler (Bulletin mödical 
1901, No 43) als vorzügliches Narkotisiruugsinittel, lässt jedoch 
der jetzt so viel diskutirteu intralumbalen Cocaininjektion in all’ 
den Fällen den Vorzug, wo das Chloroform wegen schlechten Zu¬ 
standes der Eliminationswege (Nieren und Leber) coutraindicirt 
ist Die geringste, bei erst genannter Methode auzuwendende Menge 
Cocains soll 5 cg sein, welche längs des Operat ionsweges zu iu- 
jlzlrcn ist; man warte dann, bis die Cocainwirkung elugetreten 
ist (5—10 Minuten) und lässt in diesem Augenblick 10—15 gtt. 
Chloroform inhaliren. Ein besonderer Vortheil dieser Methode 
scheint, dass die vollkommene Narkose sehr bald ohne Exeitation 
eintritt; zur Unterhaltung der Narkose genüge es, in grösseren 
Zwischenräumen einige Tropfen Chloroforms inhaliren zu lassen. 
5 g desselben sollen meistens genügen (was auch oft ohne vorher¬ 
gehende Cocaininjektiou ausreichend ist, Ref.). Mit Inhalation 
von einigen g Aetlier, welche der subkutanen Cocaininjektiou 
folgte, bal>e übrigens Jaboulay eine ähnliche günstige All- 
gemeinunrkose erzielt. St. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 2. Juli 1901. 

_ Die Erwartung, dass das vermehrte Interesse, das die 

deutschen Aerzte in letzter Zeit ihren Standesangelegeulieiteii 
J entgegonbraehten. auch auf dem Aerztetage zum Ausdruck 
kommen werde, hat sich bestätigt. Schon der starke Besuch des 
29.. soeben in Hildesheim abgelialtenen Aerztetages. der den aller 
früheren übertraf (en. ISO Dolegirte waren anwesend), zeigte, dass 
man der diesjährigen Tagung mit besonderem Interesse entgegen- 
sali. Ihre Signatur erhielt dieselbe durch die Fragen des wirth- 
sclmftUeheu Verbands und der Neuorganisation der Gesehäfts- 
l'ührerstelle, nachdem Geh. R. W a 11 i c h s, der hochverdiente 
bisherige Geschäftsführer, sein dorniges und wahrhaft undank¬ 
bares Amt, das er viele Jahre hindurch mit vollendetem Takt und 
mit grösster Sachkenntniss und Hingabe ausfüllte, nun eudgiltig 
nicderlegt. W n 11 I c h s bat den Dank, den ihm der Vorsitzende 
i Löbker für seine Thätigkeit aussprach, reichlich verdient. Die 
Verhandlungen über den letztgenannten Punkt, die Neuorgani¬ 
sation, verliefen sehr glatt. Nachdem man sich unter Ueberwln- 
dung eines lebhaften Widerstandes daliin schlüssig gemacht hatte, 
dass Berlin der Sitz der zu errichtenden Geschäftsstelle zu 
sein habe, wurden die vereinigten Vorschläge des Gescliiiftsaus- 
sehusses und der Berliner ärztlichen Standesvereine ohne weitere 
Discussion angenommen. Auch die Frage des wirthseliaft- 
liehen Verbandes wurde verhältliissinässig glatt erledigt. 
Der Geschäftsaussehuss hatte folgenden Antrag gestellt: ,.Dor 
Deutsche Aerztctag beauftragt den Gescbäftsausschuss. eines 
seiner Mitglieder zu delegireu, au der Verwaltung der Unter¬ 
stützungskasse des wirtschaftlichen Verbandes tbcilzunehmen“. 
Da dieser Antrag auch die Zustimmung der Vertreter des Ver¬ 
bandes fand und einen bequemen Weg zeigte, den Frieden zwischen 
Verband und Geschäftsausschuss herzustellen, so fand er nahezu 
einstimmige Annahme. Zu einer eingehenderen Würdigung der 


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2. Juli 1901. MTTENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1121 


vom Aerztliclicn Bezirksverein München gestellten Anträge fühlte 
der durch die vorausgogangeneu langen Verhandlungen ermüdeten 
Versammlung Zelt und Lust; auch mögen Viele vor der engeren 
Verbindung zwischen Aerztevereinsbund und wirtschaftlichem 
Verband, wie die Münchener Anträge sie anstreben, zurück¬ 
geschreckt sein. I>enu dass der obige, vom Aerztetag an¬ 
genommene Antrag des Geschäftsausschusses mehr lm Sinne einer 
Duldung, als einer Förderung des Verbandes aufzufassen ist, geht 
auch daraus hervor, dass ein Antrag, der Aerztevereinsbund möge 
seinen Mitgliedern den Beitritt zum Verband empfehlen, abgeleluit 
wurde. Das Ergebnis» der Verhandlungen ist also, dass der 
Aerztetag zwar dem Verbände sehr reservirt gegenübersteht, dass 
er ihm aller keine weiteren Schwierigkeiten bereitet, sondern ihm 
freie Bahn lässt Der Verband wird nun zeigen müssen, was Cl¬ 
aus eigener Kraft zu leisten vermag. Wir wollen im liebrigen dem 
in unserer nächsten Nummer erscheinenden ausführlicheren Be¬ 
richte iilier die Verhandlungen nicht vorgreifen und erwähnen nur 
noch, dass der Aerztetag vom schönsten Weiter begünstigt war 
und Dank der unvergleichlichen Schönheit dieser einzigartigen 
Stadt und des liebenswürdigen Entgegenkommens der städtischen 
Behörden und der Kollegen eine Fülle der angenehmsten Eindrücke 
l»ei jedem Tlieiluehmer zurückgelassen hat. 

— tLeiter die Stellung und die Beschäftigung 
der Kreisassistenzärzte bestimmt der preuss. Minister 
der Medicinalangelegenheiten in einem neuen Erlasse: „leb beab¬ 
sichtige, als Kreisassistenzärzte nur solche Aerzte zu bestellen, 
welche nach ihrer Persönlichkeit, ihren Kenntnissen und Leist¬ 
ungen ein Gewähr dafür bieten, dereinst tüchtige Kreisärzte zu 
werden. Bei den Vorschlägen zur Bestellung von Kreisassistenz* 
ärzteu, aus welchen die künftigen Medieinalbeamten der Mehr¬ 
zahl nach hervorgehen werden, ist daher sorgfältig zu verfahren, 
damit dieser so wichtigen Beamtenkategorie nur besonders ge¬ 
eignete Elemente zugeführt werden. Was die Beschäftigung der 
Kreisassistenzärzte betrifft, so mussdiosolbe so eingerichtet werden, 
dass sie die Kreisassistenzärzte in alle Zweige der kreisärztlichen 
Thätigkeit einführt. Ich erwarte hiernach, (lass die Kreisärzte 
die ihnen unterstellten Assistenzärzte mit der Organisation und 
den Aufgaben der Medicinalverwaltung vertraut machen, in die 
gesummte Geschäftsführung einfiihren, zur Besichtigung von Ge¬ 
werbebetrieben, Schulen, Krankenanstalten, Kirchhöfen, zur 
Musterung von Apotheken, Prüfung der Lehrlinge, Besichtigung 
von Drogenhandlungen etc., soweit dies nach den Verhältnissen 
angängig und zweckdienlich erscheint, heranziehen und namentlich 
auch bei der Ermittlung und Bekämpfung gemeingefährlicher und 
sonst übertragbarer Krankheiten betheiligen Ich lege Werth da¬ 
rauf. (lass die Kreisassistenzärzte mit den Obliegenheiten als 
zweite gerichtsärztliche Sachverständige in ihrem Kreise betraut 
werden, möglichst einen Impfbezirk erhalten, in Hafenstädten zur 
gesundheitspolizeilichen Aufsicht der Schiffe und zum Dienste als 
Quarantänearzt hernngezogon und womöglich auch bei der Uebcr- 
wnehung der Prostitution betheillgt werden.“ 

— Die Elivenräthe der beiden Leipziger Bezirksvereine sind 
gegen die Streikbrecher, welche der Ortskrankenkasse in 
ihrem Streite mit (leii Aerzten zu Hilfe gekommen sind, wegen 
Verletzung der Standesehre und der Kollegialität auf Grund der 
§§ 1 und 2 der Standesordnung vorgegangen. Der Ehrenratli dis 
Bezirksvereins Leipzig-Stadt hat die Streikbrecher zu einer Eliren- 
strafe. Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts zu allen 
Vereinsämtern verurtlicilt; der Ehrenrath des Bezirksvereins 
Leipzig-Land hat neben der Ehrenstrafe auch auf Geldstrafe er¬ 
kannt. Gegen diese Urthelle ergriffen die Betroffenen Berufung 
mit dem Erfolge, dass sie in zweiter Instanz vom Ehrengerichts¬ 
hofe freigesprocheu wurden. Es ist das wegen der daraus 
für künftige Fälle sich ergebenden Folgen ein sehr bedauerliches 
Resultat, das aber nicht überraschen kann, nachdem die sächsische 
Standesordnung bisher ln allen Fällen versagt hat, wo sie zur 
Wahrung der Disciplin unter den Aerzten Kassen gegenüber an¬ 
gewendet werden sollte. Ein neuer Beweis dafür, dass im Kampfe 
mit den Kassen die Aerzte sich ganz auf eigeue Kraft verlassen 
müssen. 

— Nachdem das Oberlandesgericht München kürzlich ein Ur- 
thell des Landgerichts München I, wonach ein in Amerika gra- 
duirter Zahnarzt wegen der Führung des Titels „Amerika- 
n i s c he r Zahnarzt“ zwar angeklagt, aber freigesprocheu 
wurde, aufgehoben, ergingen nunmehr fast gegen alle hiesigen 
amerikanischen Zahrärzte und Drs. americ. wegen unbefugter 
Titelführung Strafbefehle in (1er Höhe von 20—100 M. Hiergegen 
halien alle Betroffenen Einspruch erhoben. 

— Auf der Hauptversammlung des Vereins deutscher 
Chemiker, welche vom 29. Mal bis 1. Juni in Breslau stntt- 
faud, wurde folgende Resolution angenommen: „Der Verein deut¬ 
scher Chemiker erachtet die Abgabe vou ärztlichen 
Gutachten zum Zwecke geschäftlicher Reklame direct an die 
Industriellen, die Empfehlung neuer Mittel durch Aerzte ln der 
Lnieupresse oder in Reklameilugschrifteu an die Laien, die Ver¬ 
öffentlichung von Gutachten an anderer Stelle als in Fachzeit¬ 
schriften, den Abdruck vou wissenschaftlichen Publikationen aus 
Fachzeitschriften zum Zweck der Reklame in Laienkreisen, Be¬ 
nutzung oder Prüfung au Thleren nicht genügend vorgeprüft er 
Arzneimittel als schädlich für die gedeihliche Entwickelung der 
Industrie der chemisch-pharmazeutischen Heilmittel und geeignet, 
dieselbe in der Meinung der Aerzte und des Publikums herabzu- 
setzen. Der Verein deutscher Chemiker schliesst sich daher im 
Grossen and Ganzen den auf der letzten Naturforseberversamm- 
lung in Aachen gemachten Ausführungen der Herren Prof. II1 s, 


! I.)r. Eichengrün und Prof. Dr. Kobert an, hält es aber im 
j Interesse einer gedeihlichen weiteren Entwickelung der chemisch- 
j pharmazeutischen Industrie für dringend geboten, dass die Ver- 
! Sendung vou Separatabdrücken wissenschaftlicher Arbeiten an 
I Aerzte und Beilage derselben zu Facbblätteru und die Houorirung 
i von pharmakologischen, bacteriologischen und physiologischen Ar¬ 
beiten unbedingt gestattet wird. Was endlich die auf der 72. Natur¬ 
forscherversammlung zu Aachen beantragte Kommission anbetrifft, 
welche vermut blich auf der 73. Versammlung zu Hamburg zur 
j definitiven Wahl kommen wird, so ist der Verein der Ueberzeugung, 
dass die Thätigkeit einer derartigen Kommission nur dann eine 
allseitig befriedigende sein kann, wenn dieselbe eine rein referi- 
rende ist, und wenn die Kommission selbst aus einer grösseren 
Anzahl vou Mitgliedern besteht, welche zu gleichen Theilen aus 
Medlclnern und Chemikern zusammengesetzt ist. An den Vor¬ 
stand der Naturforscherversammlung richtet dosshalb der Verein 
deutscher Chemiker die Bitte, bei eventuellen Vorschlägen für die 
Wahl einer derartigen Kommission darauf bedacht zu sein, bei 
derselben neben Vertretern der wissenschaftlichen Chemie auch 
solche der angewandten Chemie (pharmazeutisch-chemische Tech¬ 
niker) zu berücksichtigen. Bei der sich über die Annahme dieser 
Resolution entspinnenden Debatte stellte Professor I)r. K u n z 
K ra u s e - Dresden den Antrag, darauf hinzuwlrken, dass die zu 
wählende Kommission auch Vertreter der praktischen Pharmacie, 
als der legalen Vermittlerin zwischen Fabrikanten und Patienten, 
wie auch zwischen Aerzten und Patienten gewählt würden, da auch 
die pharmazeutisch-chemische Grossindustrie ihren natürlichen 
Stützpunkt in erster Linie in der deutschen Apotheke suchen müsse. 

D. Med.-Ztg. 

— Für den XIV. internationalen medicinischen 
C'ongress hnben jetzt die Vorbereitungen begonnen. Der Con- 
gress findet vom 23—30. April 1903 in Madrid statt Präsident ist 
Prof. Julian Calleja y Sanchcz, Generalsekretär Dr. Angel 
Feruandez-Caro y N o u v 11 a s. Der Mitgliedsbeitrag ist 30 Pesetas. 
10 Sektionen sind In Aussicht genommen. 

— „Comitö zur Veranstaltung ärztlicher 
Studienreisen ln Bade- und Kurorte“ Elftägige 
ärztliche Studienreise In die deutschen Nordseebäder. Um den 
Aerzten, Sanitätsoffizieren und Studirendeu der Mediciu Gelegen¬ 
heit zu gehen, mit Aufwendung geringer Mittel die Heilfaktoren 
der deutschen Bade- und Kurorte aus eigener Anschauung kennen 
zu lernen, hat sich aus den hervorragendsten inneren Klinikern 
Deutschlands und Oesterreichs und aus den Medicinnlrefcrentcn 
sämmtlicber deutschen Bundesregierungen und des österreichischen 
Ministeriums ein ComltA gebildet, das Im Anschluss an die all¬ 
jährlich stattllndende Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte eine Reihe von Studienreisen |n die deutschen und die öster¬ 
reichischen Badeorte veranstalten wird. Die Pflichten des aus¬ 
führenden Comit.es haben Herr Geli.-Rath Prof. Dr. E. v. Leyden 
und Herr Geli.-Rath Prof. I)r. Liebreich übernommen. Die 
erste dieser ärztlichen Studienreisen wird von Hamburg aus, wo 
der diesjährige Naturforsehercongross am 22. September Zu¬ 
sammentritt. unternommen. Für die auf UTage berechnete Studien¬ 
fahrt hat die Nordseelinie einen erstklassigen Saloudampfer zur 
Verfügung gestellt. Die Fahrt geht nach Sylt, Wyk. Helgoland, 
Wangerooge, Spiekeroog. Nonleney, Juist, Borkum uud Cuxhaven 
und kostet, einschliesslich Wohnung uud Verpflegung nur BK) Mark. 
Anmeldungen sind bis spätestens 20. August an die Schriftführer 
der Com 11 Cs, Dr. W. H. G 11 b e r t - Baden-Baden und Dr. 
P. M e 1 s s n e r- Berlin W., Kurfürstenstrasse 81, zu richten, von 
denen auch jode gewünschte weitere Auskunft über Zweck und 
Programm der Studienreisen bereitwilligst erthcilt wird. 

— Das Sanatorium Wehrawald bei Todtmoos Im 
badischen Schwarzwald, eine neue Heilanstalt für wohlhnlxnnlc 
Lungenkranke — 800 m ü. M„ 100 Betten —, wird Mitte Juli er¬ 
öffnet werden. Die Anstalt ist nach Plänen von Turban ge¬ 
baut uud wird von Dr. F. L i p s , der mehrere Jahre am Turban- 
scheu Sanatorium II. Arzt war, geleitet werden. 

— Der Kreis der Herausgeber vou „L a n g e n b e c k’s Archiv“ 
hat eine Erweiterung erfahren, indem zu den Herren v. Berg- 
m a u n, Gussenba u e r und Koert« auch die Vorstände der 
chirurgischen Klinik der Charitö in Berlin und der II. chirurgischen 
Klinik in Wien, König und v. Eiseisberg, hinzugetreten 
sind. 

— Die Frage: „Ist der einjährig-freiwillige Arzt Vorgesetzter 
(Hier nicht?“ wurde vor Kurzem in einer Verhandlung vor dem 
Reichsmllitärgerieht bejaht. Angeseliuldlgt war der Husar August 
Th. vom pr. IIus.-Regt. Nr. 14, gegen den das Verfahren wegen 
Achtungsverletzung, begangen an dem einjährig-freiwilligen Arzt 
Dr. R., anfänglich auf Beschluss des Kriegsgerichtes der 22. Di¬ 
vision mit der Begründung eingestellt worden war. (lass ein ein¬ 
jährig-freiwilliger Arzt kein Vorgesetzter sei. Auf die Beschwerde 
des Dr. R. erging der Bescheid, das Verfahren fortzusetzen und 
die Anklage gegen Th. zu erheben. Dennoch sprach (las Kriegs 
gericht der 22. Division den Angeklagten frei. In der Berufungs¬ 
instanz wurde dagegen dieses Urtheil aufgcliolien und der Husar 
wegen Achtungsverletzung zu vier Wochen strengem Arrest wr- 
urtlieilt. Hiergegen wurde von dem Angeklagten Revision bei dein 
Reiohsuiilltürgerioht eingelegt Der Reielismilitäranwalt schloss 
sich jedoch dem vorinstanzlichen Urtheil an, dass laut § 15 und ln 
Abs. 2 der Verordnung für das Sanitätskorps der dienstthuonde 
einjährig-freiwillige Arzt als Unterarzt zu betrachten und daher 
zweifellos Vorgesetzter sei. Diese Bestimmung wurde dann noch 
in der Verhandlung durch eine Reihe vou Entscheidungen und 


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1122 MÜENCHENfcR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. N 0 . 27. 


Verfügungen des preussischen Generalauditoriats und des Kriegs^ 
mJuisterlums erhärtet. Die Revision wurde verworfen und die 
Frage, ob der einjährig-freiwillige Arzt im dienstlichen Verhältnis 
Vorgesetzter der Mannschaft sei, bejaht. 

— Pest. Aegypten. Vom 2. bis einschL 6. Juni sind ln 
Zagnzlg insgesammt 7 Pestfälle festgestellt, von denen 1 tödt- 
lich verlaufen war und 6 am 7. Juni in Behandlung waren. Die 
Gesainmtzahl der vom 27. April bis 12. Juni ln Aegypten beob¬ 
achteten PestfRlle (Pesttodesfälle) betrug: 4 (4) ln Alexandrien, 
23 (7) in Zagazig, 2 (0) in Mlnieh, 1 (1) in Mansurah. In Alexan¬ 
drien wa» seit dem 18. Mai kein weiterer Pestfall vorgekommen. 
— Britisch-Ostlndien. Zufolge einer Mittheilung vom 30. Mai nahm 
in Karachi die Heftigkeit der Seuche stark ab, es kamen damals 
nur noch 8 bis 12 Pestfälle an Jedem Tage zur Anzeige. — China. 
Zufolge einer Mittheilung vom 13. Mai ist in Swatau und haupt¬ 
sächlich in einigen Dörfern der Umgegend von Swatau die Pest 
wieder heftig aufgetreten. — Mauritius. Während der drei Wochen 
vom 19. April bis 9. Mai wurden noch 3 Fülle von Pest, darunter 
2 mit tüdtlicliem Ausgang, auf der Insel beobachtet — Queens¬ 
land. Nach dem amtlichen Wochenausweise sind in der Kolonie 
während der am 4. Mai endenden Woche 2 neue Pestfälle und 
zwar in Brisbane zur Anzeige gekommen. — West-Australien. 
Während der beiden Wochen vom 27. April bis 11. Mai sind nach 
amtlichen Ausweisen in der Kolonie 2 weitere Pestfälle vorge¬ 
kommen. 

— In der 24. Jahreswoche, vom 9. bis 15. Juni 1901, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb- 

(Hochschulnachrichten.) 

Erlangen. Einem Wunsche des Kultusministeriums ent¬ 
sprechend hat die mediclnske Fakultät fär die Professur der Chir¬ 
urgie ausser Graser- Rostock nachträglich noch Klaussner- 
München und R i e d 1 n g e r - Würzburg vorgeschlagen. 

Freiburg. Hofrath Professor Dr. Kraske wurde zum 
ausseretatsmässigen Mitglied des wissenschaftlichen Senates bei 
der Kaiser Wilhelm-Akademie ernannt. 

G i e 8 s e n. Herr Geheimrath Prof. Dr. Riegel wurde zum 
Ehrenmitglied der American Gastro-Enterological Association er¬ 
nannt. 

Jena. Für das kommende Semester wurde Hofrath Prof. 
Dr. Stintzlng zum Prorector der Universität, Hofrath Prof. 
Dr. Binswanger zum Dekan der medicinischen Fakultät ge¬ 
wählt. 

Kiel. Die Frequenz der hiesigen Universität beträgt nach 
der vorläufigen Feststellung 1071 Studirende. Darunter befinden 
sich 431 Medieinstudirende. 

Marburg. In der hiesigen medicinischen Fakultät hat sich 
der erste Assistent am pathologisch-anatomischen Institut Dr. med. 
Robert Borrmann habilftirt. 

München. Die von der med. Fakultät für 1899/1900 und 
für 1900/1901 wiederholt gestellte Preisaufgabe, sowie auch die 
für 1900/1901 erstmals gestellte Preisaufgabe sind nicht bearbeitet 
worden. Für das Jahr 1901/1902 wird die für das 1900/1901 ge¬ 
stellte Preisaufgabe: „Die physische Beschaffenheit der Bevölke¬ 
rung Bayerns nach den Ergebnissen des Musterungsgeschäftes 
soll für einige Regierungsbezirke mit der Jeweilig vorwiegenden 
Berufsthätigkeit der Bevölkerung, mit ihrer Wohlhabenheit, Er- 
nährungs- und Lebensweise und anderen analogen Faktoren in 
statistischen Zusammenhang gebracht werden“, wiederholt und 
folgende neue dazu gestellt: „Experimentell-anatomische Untersuch¬ 
ungen über die Beziehungen der hinteren Rückenmarkswurzeln 
zu den Spinalganglien“. 

Rostock. Am 1. Juli d. J geht das hiesige städtische 
Krankenhaus, dessen Krankenmaterial dem klinischen (medicini- 
nischen und chirurgischen) Unterricht dient, in die Hände der 
grossherzogl. Regierung über und erhält die Bezeichnung „Uni¬ 
versitätskrankenhaus“. 

Tübingen. Dr. Albert Dietrich, Assistent am patho¬ 
logischen Institut, hat sich für pathologische Anatomie habilltirt. 

Krakau. Der ausserordentliche Professor Dr. Karl K 1 e c k 1 
wurde zum ordentlichen Professor der allgemeinen und experimen¬ 
tellen Pathologie an der Universität in Krakau ernannt. 

Prag. Habilitirt: Dr. Heinrich Chalupecky für Oph¬ 
thalmologie an der czechischen Fakultät. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassungen: Dr. Ad. v. Hahn von Lübeck in Berg¬ 
zabern. Dr. Loder Ludwig von Frankfurt zu Ramborg. Dr. 
Bauseweiu Otto von Würzburg zu Schopp. Dr. Beck Gustav 
zu Kaiserslautern. Dr. Sänger zu Kirchheimbolanden. 

Verzogen: Dr. Uhl Ad. von Blieskastel nach Bergzabern. 
Dr. M a n z Rudolf von Ludwigshafen nach Hornegg. 

Ernannt: Zum Vorstand des Operatiouskurses für Militärärzte 
der Generaloberarzt Dr. Helferich, Regimentsarzt im 1. Iuf.- 
Reg.; zum Reg.-Arzt im 2. Ulanen-Reg. der Stabsarzt Dr. Meier, 
Bataillonsarzt im 12. Inf.-Reg. unter Beförderung zum Oberstabs¬ 
arzt; zum Bataillousarzt Im 15.Iuf.-Reg. der Oberarzt Dr. Liersch 
des 6. Iuf.-Reg. unter Beförderung zum Stabsarzt. 

Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Teuschnitz. Be¬ 
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche 
bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, Kammer des Innern, bis 
zum 8. Juli 1. Js. einzureichen. 

In den dauernden Ruhestand versezt: Der Bezirksarzt 
I. Klasse Dr. Hermann v. Pflttner In Münchberg auf Ansuchen 


unter Anerkennung seiner langjährigen erspriesslichen Dienst¬ 
leistung. 

Abschied bewilligt: Dem Assistenzarzt Karl Catoir der 
Reserve (Hof); von der Landwehr 1. Aufgebots dem Oberstabs¬ 
ärzte 2. Klasse Dr. Otto B i 11 i n g e r (I. München) mit der Er- 
laubniss zum Tragen der Uniform mit den für Verabschiedete 
vorgeschriebenen Abzeichen; von der Landwehr 2. Aufgebots den 
Stabsärzten Dr. Johann N o 11 e (Aschaffenburg) und Dr. Salli 
Moses (Kaiserslautern); den Oberärzten Dr. Ferdinand Fuchs 
und Dr. Leonhard Westerhoff (Aschaffenburg), Dr. Maxi¬ 
milian W e i n e r t (Bamberg) und Dr. Ludwig Fischer (I. Mün¬ 
chen). 

Versetzt: Die Oberstabsärzte Dr. Zimmermann, Regi¬ 
mentsarzt im 1. Schweren Reiter-Iteg., zum Kriegsministerium, 
Dr. Würdlnger, Regimentsarzt im 2. Ulanen-Reg., zum 1. Inf.- 
Reg. und Dr. Patin vom Kriegsministerium als Regimentsarzt 
zum 1. Schweren Reiter-Reg.; der Assistenzarzt Dr. Guthmanu 
des 7. Inf.-Reg. zum 8. Feld-Art.-Reg. 

Befördert: Zu Oberärzten in der Reserve die Assistenzärzte 
Dr. Ernst Holper (Nürnberg), Friedrich Graf (Passau), Dr. Ale¬ 
xander Q u r i n (Augsburg), Dr. Waldemar Meyer (Hof), Dr. Maxi¬ 
milian Meyer (Aschaffeuburg), Dr. Georg H ö c h 11 (Dillingen), 
Dr. Alois S a 1 d i 11 (Aschaffenburg), Dr. Karl H e t z e 1 (Er¬ 
langen), Dr. Friedrich Adolph (Aschaffenburg), Dr. Alois Pro¬ 
singer (Roseuheim), Dr. Emil Kleinschmidt, Dr. Otto 
Ganz und Dr. Wilhelm Hoopmann (Aschaffenburg), Dr. Emil 
Becker (Weiden), Dr. Georg Bräutigam (Nürnberg), Dr. 
Felix W i e g a n d t (Bamberg), Dr. Franz Hahn (Augsburg), Dr. 
Philipp K i s s i n g e r und Dr. Maximilian Escheubach (Hof), 
Dr. Joseph Rupfle (Augsburg), Dr. Alfred Pabst (Hof), Dr. 
Rudolf Belt Inger und Dr. Johann G lerer (Günzenhausen), 
Dr. Ludwig Heller (Würzburg), Dr. Albert Marx (Nürnberg), 
Dr. Heinrich Schwalb (Aschaffenburg), Dr. Heino Bollen- 
h a g e u und Dr. Karl Mayr (Würzburg), Dr. Ernst Leon- 
pacher (Rosenheim), Dr. Theodor Cohn (Kaiserslautern), Dr. 
Alois Schlachter (Aschaffeuburg), Dr. Jakob Laub- 
me 1 s t e r und Ernst M e i x n e r (Bamberg), Dr. Robert Neu- 
d ö r f f e r (Hof), Dr. Wilhelm G 1 a u n e r (Günzenhausen), Dr. 
Karl Leiser (Ludwigshafen), Dr. Julius T h a 1 e r und Maxi¬ 
milian Bäuriedl (I. München), Dr. Udo Cruse (Kissingeu», 
Dr. Ernst W u t h und Dr. Peter L i n d 1 (I. München), Dr. Fried¬ 
rich Lauk (Günzenhausen), Karl Braun (Augsburg), Dr. Alfred 
Osthelder (Zweibrücken), Karl Langenmantel (l. Mün¬ 
chen), Dr. Wilhelm Ranninger (Nürnberg), Odomar Ger¬ 
stling (I. München), Dr. Florian Hahn (Nürnberg), Dr. Otto 
Krduiann (Aschaffenburg), Dr. Heinrich Brauser (I. Mün¬ 
chen), Dr. Friedrich Müller (Hof), Dr. Eduard Schmitt (Lan¬ 
dau), Dr. Alois Lorenz (Aschaffeuburg), Dr. Viktor Vogel 
(Günzenhausen), Dr. Gustav Deutsch (Hof), Dr. Maximilian 
Britzelmny r (Rosenheim), Dr. Maximilian Kahn (Hof), Dr. 
Wilhelm Miller (Augsburg), Dr. Michael Gernert (Nürnberg), 

I>r. Friedrich Knevels (Bamberg), Dr. Paul Scholz (Ludwigs¬ 
hafen), Dr. Simon Guggenheimer (Gunzenhausen), Dr. Wil¬ 
helm Saling (Aschaffenburg), Dr. Adolf Braun (Würzburg), 
I)r. Paul Spiegel (Augsburg), Dr. Maximilian Kessler 
(Kitzingen), Dr. Christoph Müller (Kempten), Dr. Rudolph 
Schild und Dr. Axel Krogh (Aschaffeuburg), Dr. Friedrich 
Cuhorst (Ansbach; in der Landwehr 1. Aufgebots die Assistenz¬ 
ärzte Dr. Maximilian Blankenstein (Hof), Dr. Otto Schö¬ 
ner (I. München), Dr. Otto Müller (Regensburg), Dr. Alfons 
Ott (Bamberg), Dr. Otto Reh (Kempten), Dr. Gustav Rüdinger 
(Mlndelheim), Georg Häusler (Roseuheim), Dr. Friedrich Kel- 
1 e r (Kempten), Dr. Heinrich Wallach (Hof), Dr. Robert B u - 
k o w s k i (Würzburg), Dr. Berthold P e i 8 a c h (I. München), Otto 
Vogelgsaug (Augsburg), Dr. Karl Königsbauer (I. Mün¬ 
chen), Dr. Karl Goy (Landau), Dr. Ernst Schmidtlein (Er¬ 
langen), Friedrich Gabler und Dr. Maximilian Wilhelm 
(Augsburg), Dr. Maximilian Auer (Aschaffenburg), Dr. Paul 
Grüneberg (Hof), Dr. Maximilian Holländer (Bamberg), 
Dr. Emst F leischauer (Nürnberg), Dr. Otto Rautenberg 
(Kaiserslautern), Dr. Karl Perrenou (Gunzenhausen), Wladis- 
laus Z i e t a k (Kaiserslautern), Dr. Wilhelm F 1 o e r (Hof), Dr. 
Norbert Theilheimer und Dr. Albert Feser (Augsburg), 
Dr. Ferdinand Albert (Kitzingen) und Dr. Eduard Ender¬ 
lein (I. München); zu Assistenzärzten in der Reserve die Unter¬ 
ärzte Eugen Horeld (Nürnberg), Dr. Karl B ran dl, Wilhelm 
Bode und Heinrich Sander (I. München), Gottfried Roth 
(Bamberg), Dr. Friedrich Sen gl er (WUrzburg), Dr. Xaver 
K o e 18 c h und Moriz Wolf rum (Erlangen), Hugo E g g e 1 und 
Dr. Joseph O e s c h e y (I. München), Dr. Karl Krug (Würzburg), 
Dr. Richard K r I e g e r (I. München), Joseph Werner (Erlangen), 
Dr. Albert Arnold (I. München), Dr. Franz Rosenberger 
(Wiirzburg), Dr. Alfred Lange (Aschaffeuburg), Dr. Otto Fel¬ 
le r e r (I. M ü n c h e n), Dr. Philipp Kuhn (Würzburg), Dr. Karl 
Rausch (Zwelbriicken), Karl Rüdiger (Kaiserslautern) und 
Dr. Moriz Heine mann (Wiirzburg); zu Oberstabsärzten 
1. Klasse die Oberstabsärzte 2. Klasse der Reserve Dr. Rudolf 
Emmerich und Dr. Maximilian Stumpf (I. München), Dr. 
Heinrich Hei nie in (Nürnberg) und Dr. August Schreiber 
(Augsburg). 

Gestorben: Dr. Weismaun ln Kirchheimbolanden. 


Verlag von J. F. Lehmann ln München. — Druck von K. Mühlthaler'a huch- und Kunatdruokerei A.G., München. 


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Wo iluach. Ifcit. Wochen sehr, erscheint wrt«*l»e , itl. 
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EDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Cli. Blamier, 

Frei bürg I. B. 


Herausgegeben von 

0. Bolllnger, H. Curschmann, C. Gerhardt, G. Merkel, J. i. Michel, H. i. Ranke, F. i, Wlockel, 

München. Lclpziit Berlin Nfimhcrg Berlin München München 


H. v. Ziemssen, 

München. 


No. 28. 9. Juli 1901. 


Redaction: Dr. B. Spats, Ottos traaae 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heastrasee 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Ueber die septische Endocarditis.*' 

Von Prof. H. L eil hart z, 

Direetor des Eppendorfer Krankeidiauses in Hamburg, 
luter septischer Endocarditis verstehe ich diejenige Form 
der Klappenentzündung, die durch bestimmte pathogeneBaeterien 
hervorgerufen ist. Ausser den gewöhnlichenEitercoccen, den Sta- 
p li y 1 o - und Streptoc o c c c n kommt vorzugsweise noch 
der Pueumococcus, weit seltener auch der üouococcus 
in betracht. Für gewöhnlich wird diese Form der Endocarditis 
als ulceröse oder maligne Endocarditis bezeichnet. Gegen beide 
Benennungen ist mehrfach Widerspruch erhoben worden, da nicht 
alle septischen Endocarditisfiille von uleerativen Vorgängen be¬ 
gleitet sind und sie nicht ausnahmslos maligne zu verlaufen 
brauchen. Mir scheint, daher die Bezeichnung der septischen 
Endocarditis, wie sie Litten fl] schon 1881 bevorzugt hat, 
weitaus am zweckmäs&igsten. 

Unsere Kenntniss über die septische llcizalappcnstöruiig 
ist erst in den letzten 2 Jahrzehnten gewonnen. Obwohl Vir- 
cho w [2] bereits 1856 die puerperale Endocarditis auf parasitäre 
Vorgänge zurückführte, gelang die Bestätigung dieser Theorie 
erst nach vielen Jahren. Ich kann hier nur iu uller Kürze den 
Gang der Forschung berühren, da es heute meine Aufgabe sein 
soll. Ihnen über eine grössere Reihe von eigenen Beobachtungen 
und Untersuchungen zu berichten, die Ihr Interesse beanspruchen 
dürften. Hier möchte ich nur erwähnen, dass dem Norweger 
Heiberg [3] wohl das Verdienst zukommt (1869) als Erster 
bei der ulcerösen Endocarditis in den Klappenvegetationen Bat¬ 
terien gefunden zu haben. Später folgten Klebs [4], 
Köster [5] u. A. mit einschlägigen Befunden und es ist von 
Interesse, dass diese Autoren sowohl bei der ulcerösen, als auch 
bei der verrucösen Endocarditis Mikrobien gefunden halben, 
während Orth [6] die Baeterien bei der verrucösen Form stets 
vermisste. 

Ein wesentlicher Fortschritt begann 1885, als Phili¬ 
pe w i c z [7] und Wyssokowitsc h f8], unabhängig von 
einander, nicht nur die Reinzüchtung .der aus den Klappen¬ 
vegeta t-ionen gewonnenen Baeterien, sondern auch die Erzeugung 
•ler septischen Endocarditis bei Kaninchen gelungen war. Von 
jetzt an konnte an den ursächlichen Beziehungen zwischen der 
Endocarditis und den Baeterien nicht mehr gezweifelt werden. 
Wegen der fundamentalen Bedeutung, die besonders den Unter¬ 
suchungen von W y s s o k o w i t s e h zukommt, möchte ich hier 
noch anfügen, dass es diesem Autor gelang, durch die Ein¬ 
spritzung von Strepto- und Staphylococcenkulturen in die Ohr¬ 
vene der Kaninchen regelmässig die septische Endocarditis zu 
erzeugen, wenn kurz zuvor die Klappen oder das Endocard von 
«ler Carotis her mit einer Sonde beschädigt waren. Während 
gesunde Kaninchen die zehnfache Aufschwemmung der 
Bacterienkulturen vertrugen, ohne zu erkranken, war die un¬ 
mittelbar nach der Klappenverletzung vorgenonunene Impfung 
mit einer viel geringeren Menge stets von der tüdtlichen Endo- 
csrditis gefolgt. Etwa zu gleicher Zeit hatte aber R i b b e r t [9] 
schon festgestellt, dass auch ohne mechanische Verletzung 

•) Nach einem Im Aerztl. Verein zu Hamburg am 14. Mal 1901 
gehaltenen V ortrage. 

No. 28. 


der Klappen die septische Endocarditis erzeugt werden kann. Ihm 
gelang bei der Einführung (von mindestens einer halben Pra- 
v a z’sehen Spritze) einer Baeterien-Kartoffelemulsion die regel¬ 
mässige Erzeugung der septischen Endocarditis an den venösen 
Klappen, während auffälliger Weise die arteriellen stets ver¬ 
schont blieben. An seinen Präparaten zeigte sich, dass eine Ent- 
wickelung der Coccen auf den Klappen das Primäre ist. Die 
Mikrobiell werden in das Endothel hineingepresst, wie es V i r - 
chow schon vermuthet hatte, während die embolische Entstehung 
(Köster) seltener ist. 

Nachdem die experimentellen Untersuchungen das Ver- 
stiindniss für die Entstehung der mykotischen Endocarditis 
wesentlich gefördert hatten, wurden durch sorgfältige ana¬ 
tomische Untersuchungen der auf natürlichem Wege erkrankten 
Herzklappen, wichtige tatsächliche Befunde sichergestellt. Vor 
Allem sind diese Weichselbaum [10] und unserem Kollegen 
E. Fraenkel[ll] zu danken. Ersterer fand bei 14 Fällen 
von ulceröser Endocarditis 11 mal nur eine Bacterienart, wäh¬ 
rend in einem anderen Falle drei verschiedene Baeterien nach¬ 
weisbar waren. Letzterer traf bei seinen mit Saenger aus- 
gefiihrteu Untersuchungen am häufigsten den Stapliylococcus 
an und wies bereits auf die Bedeutung etwaiger Eiterungen für 
die Entstehung der Endocarditis hin. 

Wie die genannten Pathologen hatten auch die Vertreter 
der Klinik Klarheit auf diesem Gebiete zu gewinnen versucht. 
Schon 1881 hatte Litten [1] die akute Endocarditis als eine 
der häufigsten Begleiterscheinungen des septischen Processes an¬ 
gesprochen, während Leube[12] Anfang der 90er Jahre die 
maligne Endocarditis bereits als eine Form der kryptogenetischen 
Septicopyaemie darstellt, bei der die Lokalisation des septischen 
Giftes nur am Endocard stattgefuudcn halie und längere Zeit 
auf das Herz beschränkt bleibe. 

Auch auf dem vorjährigen Kongress für innere Medicin hat 
sich Litten [13] von Neuem mit den verschiedenen Formen 
der Endocarditis beschäftigt. Er hat dabei aber meiner Ansicht 
nach neben vielem Richtigen eine Reihe von irrthümlichen An¬ 
schauungen vorgetragen, die nicht unwidersprochen bleiben 
dürfen und nur dadurch verständlich sind, dass dieser Autor 
nicht über systematische bacteriologische Untersuchungen seiner 
Krankheitsfälle verfügt. Meiner Ueberzeugung nach wird man 
aber nur dann im Stande sein, seine Beobachtungen richtig zu 
deuten, wenn man an einer grösseren Reihe von Fällen dureli 
exakte Untersuchungen des Blutes, bezüglich der Klappenvegeia- 
tiouen in Ausstrich, Kultur und Schnitt sich über die mykotische 
Natur der Krankheit Klarheit verschafft hat. Seit vielen Jahren 
war ich bemüht, meine eigenen Fälle ’) nach dieser Richtung hin 
sorgfältig zu erforschen; ich habe mich dabei der fortlaufenden, 
verständnissvollen Unterstützung meiner Assistenten zu erfreuen 
gehabt und habe insbesondere meinem langjährigen Assisten¬ 
ten, Herrn Dr. Schott müll er, zu danken. 

Betreffs der Methode der Blutuntersuchung füge ich nur 
kurz an, dass wir seit vielen Jahren das von Sittmann [14] 
empfohlene Verfahren angewandt haben. Aus der Cubitalvene 
werden nach gründlicher Reinigung und Desinfektion der Haut 
20 ccm Blut mit einer Lue r’schen Glasspritze entnommen und 


‘) In meiner demnächst erscheinenden Arbeit Uber die sep¬ 
tischen Erkrankungen ln Nothnagel’» Handbuch wird 
ausführlich Uber unsere Untersuchungen berichtet werden. 


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1124 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23. 


zur Kultur benutzt. Das Leichenblut wird so gewonnen, dass 
inan nach vorherigem Abglühen der Herzwand eine Hohlnadel 
in die Kammer einführt, die mit einem kleinen Glascylinder 
(wie an der K o c h’schen Spritze) verbunden ist. Dann übt ein 
Assistent, der das in situ befindliche Herz an der Basis umgriffen 
und die Qefässe komprimirt hat, einen leichten Druck aus, der 
das Aufsteigen dos Herzblutes in den oben mit einem Wattepropf 
verschlossenen und sterilen Spritzencylinder rasch bewirkt. 


Man kann die Fälle von septischer Endocarditis in 2 Gruppen 
sondern. Die erste umfasst solche Fälle, bei denen die Klappen¬ 
entzündung als Theilerscheinung einer Sepsis auftritt, die im 
Uebrigen mit vielfachen anderen Krankheitszeichen einhergehr. 
Bei der zweiten Gruppe beherrscht die Endocarditis das Krank¬ 
heitsbild so vollständig, dass andere etwa vorhandene Herde völlig 
verdeckt werden oder nur nebensächlich mit in die Erscheinung 
treten. 

Bei der ersten Gruppe kann man wiederum zwei Formen unter¬ 
scheiden, je nachdem die Erhebungen auf den Klappen nur als 
zarte Auflagerungen oder als mächtige, umfangreiche Vege¬ 
tationen erscheinen. Erstere werden der klinischen Diagnose fast 
stets entgehen, letztere in der Mehrzahl erkannt werden; sie 
können aber selbst dann intra vitam verborgen bleiben, wenn sie 
einen Umfang von Haselnussgrösse oder darüber erreicht haben. 
Von der Dauer der Beobachtung und von der Sorgfalt, mit der 
die regelmässige Auscultation des Herzens ad hoc vorgenommeu 
ist, wird die Erkennung solcher Fälle aber wesentlich beeinflusst. 

Bei meiner heutigen Betrachtung will ich solche Fälle, bei 
denen es (z. B. im Verlauf von schwerem Puerperalfieber) zu 
ganz frischer, zarter Endocarditis gekommen war, ausser Acht 
lassen, wir haben 9 solcher Fälle mit dichten Streptococccn- 
Einlagerungen in den Vegetationen genauer untersucht. Dagegen 
möchte ich etwas eingehender über 38 Fälle berichten, von denen 
die Mehrzahl (23) das klinische Bild der Endocarditis gezeigt hat, 
während bei den übrigen 15 trotz mächtiger Vegetationen an 
den Klappen die Herzerscheinungen entweder ganz zurücktraten 
oder nur neben den übrigen septischen Erscheinungen eine un¬ 
wesentliche Rolle spielten. Bei 5 dieser Fülle habe ich den kli¬ 
nischen Verlauf selbst nicht genauer beobachtet, sie sind mir 
von den Herren Kollegen J o 11 a s s e und W i e s i n g e r, einer 
von dem verstorbenen Kollegen B ü 1 a u zur Verfügung gestellt. 

Von den 38 Fällen sind 4 gebessert, bezüglich geheilt ab- 
gegangen, 1 Fall steht noch in Behandlung. Von den 33 Ge¬ 
storbenen besitze ich genauere Aufzeichnungen über den Verlauf 
und den anatomischen Befund und in der Mehrzahl auch über 
die bacteriologische Untersuchung. Ehe ich auf diese genauer 
eingehe, möchte ich bemerken, dass zu den 38 Fällen 18 Frauen 
und 20 Männer gehören und dass 


3 Fälle zw. 10 — 20. Lebensjahr, 
12 „ „ 20.-30. 

7 „ „ 30.—40. 

standen. 

Von den Klappen war 


8 Fälle zw. 40.—50. Lebensjahr, 
4 „ „ 50.-60. 

4 .. „ 60.-80. 


18 mal die Mitralis, I 2mal die Pulmonalis, 

11 „ „ Aorta, 2 „ „ Aorta u. Mitralis, 

4 „ „ Tricuspidalis, | 1 „ „ „ „ Tricuspidalis. 

also bei 18 Proc. der Fälle das rechte Herz ergriffen. 

Bei 22 Fällen handelte es sich um die akute, bei 16 um 
die chronische Form. Bei der ersteren schwankte die Krank- 
heitsdauor zwischen 4 Tagen bis 8 Wochen (bei 18 Fällen im 
Durchschnitt 11 Tage); bei den chronischen zwischen 3 bis 
7 Monaten. Gerade diese Fälle, m. H., verdienen 
unsere grösste Beachtung. Es ist bisher viel zu 
wenig bekannt, dass die echte septische Endocarditis einen solch’ 
verzögerten Verlauf nehmen kann. Wohl haben erfahrene Aerzte 
ab und zu schon darauf hingewiesen, dass solche Fälle vorkämen, 
aber selbst (). F r ü n t z e 1 [15] bezeichnet ihr Vorkommen als 
sehr selten und erst vor Kurzem hat. gelegentlich der hundert¬ 
jährigen Jubiläumsfeier der Leipziger Klinik H e u b n e r [16] 
aus seiner reichen Erfahrung die interessanten Krankengeschich¬ 
ten nur 4 solcher Fälle mittheilen können, bei denen die Krank¬ 
heitsdauer von 4—9 Monaten geschwankt hat. 

Ehe ich auf diese praktisch überaus wichtigen Fälle näher 
eingehe, möchte ich zunächst noch über die Entstehungs¬ 
ursache und die bacteriologische Untersuch¬ 
ung unserer Fälle berichten. An erster Stelle ist hervor¬ 


zuheben, dass bei 12 Kranken alte Herzklappen- 
Störungen Vorlagen. Es ist schon wiederholt darauf hin¬ 
gewiesen, dass bei solchen Kranken die Entstehung einer sep¬ 
tischer Endocarditis begünstigt werde (man sprach gewöhnlich 
von recurrirender Endocarditis) und die Versuche von Wysso- 
k o w i t s c h und R i b b e r t haben für diese Erfahrungstat¬ 
sache die Erklärung erleichtert. Immerhin möchte ich hier be¬ 
tonen, dass bei zwei meiner Fälle die frische Endocarditis nicht 
aii dem Sitz der vorhandenen alten Klappen¬ 
störung sich entwickelte, sondern das eine Mal an der Aorta, 
das andere Mal an der Tricuspidalis mächtige Vege¬ 
tationen erzeugte, während in beiden Fällen das schwer ver¬ 
änderte und stark verengerte Mitralostium völlig verschont 
blieb. Auch scheint mir die Thatsache erwähnenswerth, dass 
sich in 3 anderen Fällen schwerster Sepsis, bei denen wir schon 
im lebenden Blut zahlreiche Strept<»coccen und bei der Autopsie 
massenhafte Metastasen fanden, trotz alter ausge¬ 
dehnter Endocarditis keine Spur von frischer Klappenerkrankung 
erkennbar war. Wenn man daher auch mit Rücksicht auf die Zahl 
der Fälle daran festhalten darf, dass mechanische Störungen 
das Haften der im Blute kreisenden Bacterien an den Klappen 
begünstigen, so muss man andererseits auch anerkennen, dass 
das mechanische Moment nicht immer von ausschlaggebender 
Bedeutung zu sein braucht. 

Auffallend häufig, nämlich in 7 Fällen, sah ich die tödt- 
liche Endocarditis nach Harnröhrenbeschädigung 
eintreten. Hier war die Einführung von Kathetern, Bougies 
u. a. vorauspegnngen. Ferner folgte die Endocarditis 5 mal 
einem Puerperium, 4 mal frischer Gonorrhoe und 5 mal einer 
croupösen Pneumonie. Endlich ist von Interesse, dass jo 2 mal 
Angina und Cholecystitis mit Pylephlebitis den Anlass zur Endo¬ 
carditis dargeboten haben. 

Aus der Reihe der hier angeführten Entstehungsursachen 
verdienen die Fälle besondere Beachtung, bei denen die Klappen¬ 
erkrankung nach Beschädigung der Harnröhre (4 mal nach 
Gonorrhoe, 7-mal nach mechanischen Eingriffen) und 5 mal nach 
croupöser Pneumonie einsetzte. An der ursächlichen Beziehung 
zwischen der Gonorrhoe nud Endocarditis ist nicht mehr zu 
zweifeln, seitdem die Gonococcen aus den Klappen Vegetationen 
nicht nur im Ausstrichpräparat und in der Kultur nachgewiesen, 
sondern auch mit Erfolg übertragen worden sind. Gleichwohl 
wird man kaum berechtigt sein, alle im Anschluss an Gonorrhoe 
aufgetretenen Endocarditisfälle als gonorrhoische anzusprechen. 
Streng genommen wird man diese Deutung sich nur erlauben 
dürfen, wenn aus dem Blut oder aus den Klappen Vegetationen 
der Gonococccnnaehweis einwandsfrei erbracht ist. Bei meinen 4 
nach frischer Gonorrhoe entstandenen Fällen ist dieser Beweis nur 
einmal geführt,bei den übrigenFällen konnte die bacteriologische 
Untersuchung nicht vorgenommen werden; ich muss es daher 
unentschieden lassen, ob es sich um echte gonorrhoische Endo¬ 
carditis oder eine andere septische Form gehandelt hat. Mit 
Rücksicht auf meine eigenen Beobachtungen ist sehr wohl mit 
dieser Möglichkeit zu rechnen. Wie ich schon erwähnte, sahen 
wir die tödtliche ulceröse Endocarditis bei 7 Kranken, an denen 
Erweiterungen der Harnröhre mit Bougies, und die Einführung 
von Kathetern von anderer Seite vorgenommen war. In der Mehr¬ 
zahl dieser Fälle handelte es sich um eine Staphylococceninfek- 
tion (s. später). 

Unzweifelhaft mehren sich in neuerer Zeit die Be¬ 
obachtungen von Endocarditis nach Gonorrhoe. Loeb [17] 
hat jüngst schon 62 Fälle aus der Literatur zusammengestellt, 
darunter eine Reihe von 
geheilten Fällen. Auch 
ich möchte an der Mög¬ 
lichkeit einer Heilung 
nicht zweifeln, nachdem 
ich einen Fall beobachtet 
habe, der mir wichtig ge¬ 
nug erscheint, um hier 
kurz angeführt zu werden. 

Es handelte sich uui 
ein 16 jähriges Dienstmäd¬ 
chen L., das acht Wochen 
vor der Aufnahme an hef¬ 
tiger akuter (»onorrhoe er¬ 
krankt war. Vier Tage vor der Aufnahme war sie plötzlich 
mit schweren Allgemeinsterungen, Athemnoth und Beklemmungs- 


Kurve 1. 



Akute (geheilte) Endocarditis bei einer 
Tripperkranken 


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9. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1125 


gefühl ln der Herzgegend erkrankt. Sie litt noch au starkem 
Tripper mit zahlreichen Gonoeoccen und bot neben schweren 
Allgemeinerscheinungen ein ungewöhnlich lautes, systo¬ 
lisches und diastolisches Geräusch an der Herz- 
bas i b dar, das bis zum 10. Krankheitstage anhielt, um dann 
völlig und dauernd zu verschwinden. Die Kranke hatte 2 mal 
heftige Schüttelfröste, hohes, unregelmässig intermittirendes 
Fieber, bot aber im Uebrigen keinerlei Zeichen von örtlicher Er¬ 
krankung (hierzu Kurve I) dar. 

Der Fieberverlauf, die schweren Allgemeinerscheinungen, 
«las intensive Herzgeräusch lassen bei dem vorhandenen Tripper 
daher sehr wohl an die Möglichkeit einer specifischen Endocarditis 
denken. 

Der bacteriologisch und experimentell gesicherte Fall 
von tödtlicher, gonorrhoischer Endocarditis ist schon vor Jahren 
hier besprochen worden. Ich zeige Dinen nochmals die Kurve, 
die ein fast achtwöchentliches hohes, intermittirendes Fieber 
veranschaulicht mit vielfachen schweren Schüttelfrösten und 
jähen Temperatursprüngen von 4—5° C. Es handelte sich um 
eine ausgedehnte ulceröse Endocarditis der Pulmonalklappen, 
wie Ihnen das Bild (Fig. 1) und das Präparat zeigen. 

Fig. 1. 


/v 

K; 


Gonorrhoische Endocarditis der Pulmonalklappen. (Dauer 8 Wochen.) _J 

Das Auftreten der septischen Endocarditis 
nach crouposer Pneumonie ist schon von verschie¬ 
denen Autoren beschrieben worden; meistens handelte es sich aber 
nur um vereinzelte Beobachtungen. Wir sahen 5 mal diese Kom¬ 
plikation und 4 dieser Fälle waren dadurch für uns von be¬ 
sonderem Interesse, dass wir zuerst den ganzen Verlauf der crou- 
pöeen Pneumonie und später das Einsetzen der Endocarditis be¬ 
obachten konnten. Als ein sehr lehrreiches Beispiel dieser Art 
möchte ich nachfolgenden Fall kurz mit der Kurve vorführen. 

Die 54 jährige Arbeiterin Anna 8. kommt am 10. Jan. zur 
Aufnahme, nachdem sie Tags zuvor mit Schüttelfrost und Brust- 
stechen plötzlich erkrankt war. Es besteht eine Pneumonie in einem 
Theil des rechten Oberlappens und ein kleines Infiltrat im linken 
Unterlappen, ln den nächsten Tagen breitete sich die Pneumonie 
auf den ganzen Oberlappen aus; am 7. Krankheitstage wurden 
Pneumococcen im Blut nachgewiesen. Bei gleichzeitiger j 
Besserung des Allgemeinbefindens erfolgte aber allmählicher Ab- i 
fall der Temperatur, so dass am 11. Krankheitstage an¬ 
nähernd die Norm erreicht war. Es folgen noch 5, i 
faat fieberfreie Tage, dann beginnt nach 2 tägigen Prodromen ein 1 
starker Prost, bei dem die Temperatur auf 40,6 steigt und es ist , 
von Jetzt an ein scharf schabendes Herz- 
geränsch über dem Brustbein zu hören, das bis 
xum Tode andauert (Kurve 2.) j 


Die wiederholte Blutuntersuchung ergab von jetzt ab jedesmal 
Pneumococcen in Reinkultur, die in den letzten Lebenstagen bis 
zu 1000 und 2000 Kolonien in 1 ccm wuchsen. 

Bei der Sektion fanden wir eine ulceröse Endo¬ 
carditis der Tricuspidalis mit mächtigen throm¬ 
botischen Auflagerungen, ausserdem eitrige Meningitis, die 
1 Vz Tage vor dem Tode begonnen hatte. 

In 3 anderen Fällen unserer Beobachtung begann die Endo¬ 
carditis ebenfalls nach 2—4—5 tägiger fieberfreier Pause. Alle 
diese Kranken standen zwischen dem 48. bis 54. Lebensjahre. 
3 mal handelte <>s sich um Männer, 2 mal um Frauen. 

Dass mir 2 mal Gelegenheit geboten war, die akute septische 
Endocarditis nach vorausgegangener Cholecystitis und Pylephle- 
bitis zu beobachten, muss ich als einen besonderen Zufall be¬ 
zeichnen, da mir aus der Literatur nur ein derartiger Fall 
(B o z z o 1 o [18]) bekannt geworden ist. 

Ich komme nun zu unseren bacteriologischen 
Befunden. Es sind im Ganzen nur 28 Fälle genauer bac¬ 
teriologisch untersucht worden und zwar 19 akute und 9 chro¬ 
nische Fälle. Hiervon wurden bei 16 Kranken schon im 
Leben, bei 9 post mortem durch das Ausstrich¬ 
präparat und das Kultur verfahren und bei 
3 Fällen in Klappen schnitten die Baeterien naohgewie-en. Stets 
1 handelte es sich nur um eine Bacteriennrt. 

Im Leben wurde 4mal der Staphylococeus pyogenes aureus. 
1 mal der Staphylococeus pyogenes albus. 3 mal der Laneeolatus 
und 8 mal Streptococcen fcstgcstelh. Von diesen gehörten 3 der 
gewöhnlichen, 5 einer kleineren S reptoeoceenart an, die eine 
besondere Besprechung später verdi ■ nt. 

An der Leiche wurde hei 3 Fällen der Staphylococeus 
pyog. aureus. 3 mal der LanceolatU'. 2 mal S*r:>ptococeen und 
l mal der Gonocoeeus gefunden. Auch wurde bei allen Fällen, 
lic im Leben einen positiven Befund erir-b-n hatten, der be¬ 
treffende Krankheitserreger auch in der Leiche wieder nach¬ 
gewiesen. (Ein Fall steht noch in Behandlung.) 

Im Ganzen fanden wir also bei der bakteriologischen Unter¬ 
suchung unserer Fälle 8 m n 1 Staphylococcen, 6 m a 1 
Pneumococcen, (bezw. 9 mal. wenn man den Befund in den 
Klappenschnitten mit rechnet) , 10 in a 1 Streptococcen 

und lmal den Gonococcus als Ursache der Endocarditis. 

Es war nun für uns von besonderem Interesse, dass gerade in 
den chronischen Fällen der Nachweis der Baeterien ziemlich 
regelmässig geführt werden konnte, und dass wir in der Lage 
waren, bei den alle 14 Tage oder 4 Wochen wieder¬ 
holten Blutuntersuchungen immer wieder 
dieselben Coccen im Einzelfalle nachzu¬ 
weisen. Mehrmals konnten wir feststellen, dass im weiteren 
Verlaufe der Krankheit eine stetige Zunahme der Keime im 
lebenden Blute erfolgte, bei anderen hielt sich die Zahl während 
längerer Zeit ziemlich auf gleicher Höhe. Es dürfte von Interesse 
sein, aus unserer Beobachtungsreihe einige Fälle hier mitzu- 
theilen. ~ T ’" T 

Bei dem 23 jährigen Dienstmädchen Sophie S.. bei der die 
Endocarditis nach einem Wochenbett einsetzte, wuchsen am 
6 VI. 1898 aus 10 ccm Blut 68 S trep t ococce n - K ol 0 n i en . 


22- „ „ 

„ 4 „ 

„ 198 

99 

99 

3. vn. „ 

5 

99 ” 99 

„ 160 

99 

99 

17. „ „ 

„ 6 „ 

„ 460 

»» 

99 

29. ., „ 

V 7 „ 

„ 360 

>» 

»» 

23. vm. „ 

„ 4 „ 

„ 120 

99 

99 

27. IX „ 

„ 8 „ 

„ 384 

M 

»• 


2. Bel dem 22 jährigen Kaufmann K.. bei dem nach mecha¬ 
nischer Tripperbehandlung die Endocarditis auf dem Boden eines 
alten Aortenfehlers sich entwickelt hatte, wuchsen am 


PftT ti n Ti h is n 17 n 19 20 21 37 33 1* is 26 37 3» 29 so 31 *99 2 3 « s 6 7 s 9 to 11 12 

m » r wzmz w rag iciEnEr : n '«-sr-ir 

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Kurve 2. Pnenmococcen-Rndooardltis nach croupöeer Pneumonie. 


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Google 









1126 


No. 28. 


MUENC1IENKR MKD1CINISCHK WOCHKNSOliRl KT. 


27. 

IX 1898 

aus 1 ccm 

lilut 

98 Streptococcen Kolonien, 

13. 

X „ 

„ 1 „ 

*> 

177 

29. 

„ >( 

„ 1 „ 

” 

225 „ 

15. 

XI. „ 

„ 1 „ 


119 ' ., 

19 

,, „ 

»> I »» 

M 

286 


3. Hoi dem 33jiihrlgen Kindermädchen Auguste T.. die wegen j 
septischer Endoearditis unbekannten Ursprungs, vielleicht nach | 
Angina, vom 0. November 1900 bis 13. Februar 1901 von uns be- | 
handelt wurde, wuchsen am i 


ü. 

XI 

1900 

aus 1 

ccm 

75 Ko'o.öen « 

s Streptoe. parvus, ' 

9. 



.. 15 

»* 

381 

„ „ >f 

26. 

„ 

n 

„ 15 

” 

431 

*» h »» 

22. 

XII. 


15 


867 „ 

♦» 1* f M 

10. 

I. 

1901 

„ 15 

u 

900 

»J »» 

8. 

II. 

„ 

„ 15 


2000 

* *> it 


Sehr wahrscheinlich kommt dieser kleine Strepto- j 
e o «• e u s, den wir ausser bei dem letztgenannten Falle noch 5 mal 
bei unseren Endocarditisfiillen antrafen, als Erreger dieser j 
Krankheit häufiger in Betracht, und es scheint mir, dass er auch 
von anderen Autoren wohl schon gefunden worden ist. Er . 
erscheint morphologisch in Form kleiner Diplococccen oder 
längerer Ketten und ist in seinem Wachst hum dadurch von dem 
gewöhnlichen Streptococcus unterschieden, dass er sehr viel träger 
wächst und in der Regel erst nach 48 Stunden auf der Platte 
in zarten Kolonien erscheint, die keinen Resorptionshof zeigen, 
der bei dem gewöhnlichen Streptococcus in der Regel schon nach 
12—15 ständigem Wachsthum sehr deutlich hervortritt. Wohl 
aber zeigen die Kolonien vom 3. Tage an bei durchfallendem Lieht j 
eine deutliche (iriinfürbung. Der (’oecus ist endlich durch sein • j 
geringfügige Pathogenität für Thier«* ausgezeichnet. 

Es ist möglich, dass auch Litten in den von ihm im vorigen I 
Jahre kurz mitgetheilten 2 Fällen diesen Streptococcus gefunden 1 
hat. Er spricht ihm jedoch die septische Qualität ab und ist ge- ^ 
neigt, ihn als Erreger der malignen rheumatischen ! 
E n d o c a r (1 i t i 8 anzuspr« eben. Diese versucht er scharf von \ 
«ler septischen Endoearditis nbzutrennen. „obwohl (nach Litten\s ! 
eigenen Wort«*n) die Aehnliehkeit zwischen landen eine immerhin j 
sehr grosse ist und «'s überaus schwer sein kann, sieh zu orion- I 
tiren, wenn man das Krankheitsbild auf der vollentwickelten \ 
Höbe der Symptome sieht, ohne genaue anamnestisehe Daten i 
zu erfahren“. Zwei Symptome sin«! es, auf welche Litten j 
entscheidenden Werth legt: die Beschaffenheit der Gelenkflüssig- 
keit und des Pericards. Hier dürfen sieh bei der rheumatischen 
Form keine Spuren von Eiter finden. 

Nach meiner Erfahrung, die sieh nicht nur auf die sorg¬ 
fältige klinische Beobachtung, sondern auch auf die anatomische 
Fntersuehung von 33 Fällen uud die positive bacteriologische 
Erforschung in 28 Fällen stützt, kann ich der Litte u’sehen 
Darst«*llung nicht, folgen. Litten legt zuviel darauf Gewicht, 
ob Eitermetastasen entstehen oder a u s b 1 e i - 
bcn. Meines Erachtens ist dieser Stamlpunkt nicht berechtigt, 
um eine so wichtige Frage zu entscheiden. TTeberdies ergibt «lie ■ 
sorgfältige anatomische Untersuchung septischer Leiche», dass | 
man in demselben Fall in dem einen Organ anaemisehe, in dem 
anderen vereiterte Infarkte antreffen kann; selbst in dem¬ 
selben Organ können beidelnfarktarten neben \ 
einander auf treten. Dies trifft sowohl für die schlei¬ 
chend verlaufenden, wie für die akuten Fälle zu; immerhin ist 1 
es bei h-tzteren die Ausnahme. Ich habe in den letzten Jahren j 
Herrn Koll«*gcn S i m m o n d s wiederholt, gebeten, un*cre Be- ; 
funde sorgfältig zu diktire»; er ist mit mir der Ueberzeugung, 
«lass die bei septischer Endoearditis auftretenden Infarkte keines¬ 
wegs immer zu vereitern brauchen. Die Thatsache, ob es zu 
Eiterungen gekommen ist oder nicht, darf also durchaus nicht 
zur Unterscheidung der septischen und malignen rheumatischen 
Klappenentzündung herangezogen werden. Wohl aber darf der j 
baeteriologisehe Befund entscheiden. Finden wir im Blut j 
oder in den Vegetationen di«* oben besp röche- | 
neu Bactcrien, so ist damit der septische Oha- 1 
rakter der Endoearditis bewiesen; fehlen die j 
Mikrobien an diesen Stellen, gelingt auch ihr Nachweis nicht 
b« i S«*riensehnitten, so ist damit «lie rheumatische Grundlage 
der Störungen wahrscheinlich gemacht, deren Krankheitserreger 
uns zur Zeit noch völlig unbekannt ist. Meines Er- ; 
achtens wird man nicht daran zweifeln dürfen, dass der echte ! 
akute Gelenkrheumatismus durch eine, n b e - | 
Milderen Keim hervorgerufen wir d, d e s s e n 


Nachweis bisher durchaus nicht gelun gen ist. 
An dieser Auffassung haben weder die Arbeiten Sing e Fs [ 19 ], 
noch die Mittheilungen von Wassermann [20] u. A. etwas 
ändern können. Handelte es sich bei dem akuten Gelenkrheu¬ 
matismus um einen Streptococcus, so würde uns mit den bisher 
erprobten Methoden die Züchtung des Erregers schon längst ge¬ 
lungen sein. Das Gegentheil trifft zu. Bei dem echten 
Rheumatismus lässt die Untersuchung des 
Blutes und der Geleukfliissigkeit völlig im 

Stich. Die von verschiedenen Beobachtern gelegentlich ge¬ 
fundenen Coccen weichen zu sehr von einander ab, um die Ucber-. 
zeugung zu erwecken, dass man dem wirklichen Erreger auf der 
Spur sei. Schon die eine Thatsache, dass der eine Autor einen 
Staphylo«'<>ocus, der andere Streptococcen als ursächliche Er¬ 
reger des akuten G«*lenkrheumatismus angesprochen hat, be¬ 
leuchtet «len Irrweg. Der echte akute Gelenkrheumatismus ist 
eine so wohlcharakterisirte Krankheit, dass wir durchaus einen 
specifischen Erreger bei ilim voraussetzen dürfen. Der Pseudo- 
rheumatismus kann durch verschiedenartige Keime hervorgerufen 
werden; er tritt bei mancherlei Infektionskrankheiten (Scharlach, 
Diphtherie, Ruhr, bei der Sepsis u. a.) auf und hat mit dem 
echten Rheumatismus nichts zu thun. 

Ihr Krankheitsverlauf, den die chronischen Fälle der sep- 
t.isehen Endoearditis darbieten, ist meist ein recht gleichförmiger. 
Die Krankheit- beginnt nur selten mit einem Schüttelfros*, 
häufiger schleichend, indem die Kranken sich schlecht fühlen 
und Reisseu und Mattigkeit, in den Gliwlern spüren. Bisweilen 
treten auch schon im Anfang umschriebene Schmerzen auf, die 
in der Nähe der Gelenke, an Aponeurosen und ähnlichen Stellen, 
ihren Sitz haben. Oft fällt der Umgebung schon früh das 
schlechte Aussehen der Kranken auf. Energische Naturen 
kämpfen aber noch eine Zeit lang gegen die zunehmende Mattig¬ 
keit an und suchen nur dann das Bett auf, wenn stärkeres Frösteln 
oder ein «lerbcrcr Schüttelfrost mit heftiger«»!» Fieber sie 
dazu zwingt. Bekommt man sie jetzt zur Untersuchung, so findet 
man in der Regel schlechtes Aussehen und Blässe. ferner das 
Herzgeräusch und starke Milzschwellung. Sonstig«* objeetive 
Zeichen können vollkommen fehlen, ausser den ziemlich häufigen 
Rclinablutungen. 

Von vielen Seiten wird auf die Frost erschein ungen grosser 
Werth gelegt. Meine Kranken boten in dieser Beziehung ein sehr 
wechselndes Bild. 

Mehrere haben keinen einzigen Schüttelfrost gehabt ; andere 
wurden fast alle Tage von einem solchen befallen, wieder andere 
litten an den erratischen Frösten, d. h. an ganz unregel¬ 
mässig mit längeren Pausen wiederkehrenden Frösten, die be¬ 
sonders T raube und F raeiitzel als charakteristisch an¬ 
gesprochen halten [15]. (Schluss folgt.) 

Aus dem hygienischen Institut zu Kiel. 

Ueber die eiweisssparende Kraft des Alkohols.*) 

Neue StoffWechselversuche am Menschen. 

Von Dr. mod. ct phil. R. O. Neum a n n. I. Assistent am hvgien. 

Institut in Kiel. 

(Vorläufige Mittheilung.*) 

Bei den vielen Kragen, die sich an die Bedeutung des Alkohols 
in therapeutischer, physiologischer, toxiko¬ 
logischer und hygienischerBeziehung anschliessen, 
bildet noch immer die Frage einen besonderen Streitpunkt, o b 
dem Alkohol wirklich eine eiweisssparende 
Kraft zukommt. 

Trotz der grossen Reihe von Arbeiten, die darüber gemacht 
sin«l, können nur einige wenige zur Entscheidung der Frage 
herangezogen werden, da die übrigen den Anforderungen, di«* 
an exakte Stotfwechselversuche zu stellen sind, nicht entsprechen. 
Und diese wenigen stehen sieh in ihren Resultaten gerade direkt 
gegenüber. 

So wollen M i u r a, S ch m i d t. und Schöneseiffen aus 
ihren Versuchen schliessen können, dass Alkohol nicht Eiweiss 
spart; Offer, Bjerre und neuerdings R o s c n f e 1 «1 zeigen 
andererseits, dass d e m A 1 k o li o 1 eine eiweiss- 

*) Nach einem Im Physlolog. V«*rein zu Kiel am 10. VI. 1901 
gehaltenen Vortrag. — Die ausführliche Arbeit wird im Archiv für 
Hygiene erscheinen.. 


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MÜENCHENER MRDlClNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


112 ? 


9. Juli löOl. 


sparende Kraft zukommt. Auch habe i c h bereits Ohne mich dosshalb bisher mit Rosemann auf eine frucht- 

vor 2 Jaliren durch einen 35 tägigen Stoffwcchselversuch geglaubt, lose Polemik einzulassen, habe ich geglaubt, der Sache am meisten 

die Thatsache von der eiweisssparendon Kraft des zu nützen, wenn ich, bevor ich wieder das Wort nehme, erneute 

Alkohols als richtig beweisen zu können. Versuche anstellen würde und führte daher wiederum ein Ex- 

Nichtsdestoweniger wurden meine Schlüsse von Rose- periment von 36 Tagen an mir aus, dessen Anordnung 

mann als nicht zutreffend bezeichnet und als Beweis für diese zwar eine etwas andere war wie das erste Mal, aber dessen Re- 

Behauptung die beiden Arbeiten von Schmidt und Schöne- sultato mit meinen erstgewonnenen vollkommen übereiustimmen 

seif feil gcgenübergestellt, die zwar einen vermehrten und unzweifelhaft dio Richtigkeit meiner früheren Befunde' 

Zerfall des Eiweis9 bei Alkoholgaben zeigen sollen, meiner zeigen können. 

Ansicht nach aber durch die kurze Dauer des Versuchs, durch Um dem Leser einen Vergleich mit diesem ersten V er- 

die geringe Eignung der einen Versuchsperson und durch die such zu ermöglichen, sei derselbe an der Hand einer kleinen 
keineswegs eindeutigen Resultate an Beweiskraft erheblich ein- TabelleundKurve mit einigen Worten kurz skizzirt. (Die 
büssen. Zahlen sind Mittelwerthe aus den einzelnen Perioden.) 


I. V e r b u o h. 





E i n n 

ahmen 



A D 

i s g a b 

e n 



Eiweiss 

Fett 

Kohle¬ 

hydrate 

| Alkohol 

N 

Calorien 

Koth-N 

Harn-N j 

Gesammt- 

N 


I 

5 Tage 

76,2 

156 

224 

— 

12,19 

2681 

1,81 

10,09 

11,93 

-f 0,26 

n 

4 Tage 

76,0 

78,4 

224 


12,16 

1959 

1,65 

12,14 

13,79 

— 1,63 

HI 

1—4 Tage 

76,0 

78,4 

224 

100 

12,16 

2677 

1,80 

13,41 

15,21 

- 3,05 

III 

5—10 Tage 

76,0 

CO 

l- 

224 

• 100 

12,16 

2677 

1,42 

11,06 

12,48 

— 0,32 

IV 

6 Tage 

76,2 

156 

224 

100 

12,19 

3401 

1,37 

9,47 

10,84 

+ 1,35 

V 

4 Tage 

76,0 

78,4 

224 

— 

12,16 

1959 

1,43 

12,63 

14,06 

- 1,9 

VI 

6 Tage 

76,2 

156 

224 

— 

12,19 

2681 

1,54 

10,89 

12,43 

- 0,21 


zog, so musste N-Verlust eintreten. Der Körper gelangte aber so¬ 
fort wieder in das N-Gleichgewicht, sobald genügend Nahrung 
— gleich der 1. Periode — gegeben wurde (Periode 6). 

In der Kritik glaubt nun Rosemann meine Resultate in¬ 
sofern anfechten zu können, als er behauptete, dio Verminderung 
der Eiweissausfuhr in der zweiten Hälfte der 3. Periode würde 
auch ohne Alkoholzugabe eingetreten sein; es sei also 
dieser Ansatz nicht auf die Wirkung des Alkohols zu setzen. 

Diese Auffassung ist aber sicher für diesen Fall nicht zu¬ 
treffend, da der Alkohol — wie auch Rosemann zugibt — 
andere Stoffe spart; die 100 g Alkohol müssen also in irgend 
einer Weise günstig verwerthet werden; und dies gibt sich hier 
durch die Verminderung der Stickstoffausfuhr kund. Dasselbe 
zeigt uns auch die 4. Periode, denn dort erfolgt 
durch die Alkoholzugabe N-Ansatz. Nichtsdesto¬ 
weniger zweifelt Rosomann auch die Beweiskraft dieser 
4. Periode an, indem er den vermehrten N-Ansatz nur auf eine 
Zugabe von Fett bezieht, den Alkohol aber wiederum als irrele¬ 
vant ansieht. 

Aber auch dies kann ich nicht zugeben. Mit der Fettzulagc 
wurde die Nahrung der 4. Periode gleich der 1. Periode 
gemacht, in welcher wir ja N-Gleichgewicht 
eintreten sahen. Finden wir aber nun in der 4. Periode 
nicht mehr N-Gleichgewicht, sondern N-Ansatz, dann musste der¬ 
selbe doch auf den Alkohol zurückzuführen sein, der der Nahrung 
noch zugegeben war. Auf etwas anderes kann der N-Ansatz gar 
nicht beruhen. Dass es auch „ohne Alkohol so gekommen wäre“, 
wie Bosemann behauptet, ist eine unbewiesene Hypothese. 
Die 5. Periode zeigt ja gerade, dass ohne Alkohol bei derselben 
Nahrungszufuhr kein N-Ansatz eintritt. 

Darüber, dass man die 4. Periode nur mit der direct vorher¬ 
gehenden vergleichen könne, wie Rosemann meint, bin ich 
anderer Ansicht. Ich halte cs durchaus für berechtigt, 
ja in diesem Falle sogar für nothwendig, die 4. Periode 
mit der 1. zu vergleichen, besonders, da in beiden die 
Nahrungseinfuhr ganz dieselbe war, bi9 auf dio 100 g Alkohol, 
die eben einen Auschlag ergeben mussten. 

Während nun Bosemanu seine Behauptungen nicht durch 
experimentelle Beweise stützen kann, kann ich in dem folgenden 
neuen Versuch zeigen, dass wirklich der Alkohol dio U r* 
No. 28. 2 

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Nach einer 70 tägigen Alkoholabstinenz stellte 
ich mich mit einer einfachen Nahrung aus Brot, Käse, Schweine¬ 
fett und Cervelatwurst in’s Stickstoffgleichgewicht 
(1. Periode). Alsdann Hess ich die Hälfte Fett aus der Nahrung 
fort, wodurch eine Mehrausscheidung von Stick¬ 
stoff veranlasst wurde (2. Periode). Hatte nun der Alkohol 
eiweisssparende Kraft, so musste in der 3. Periode, in welcher an 
Stelle des fortgelassenen Fettes Alkohol gegeben wurde, wieder 
Stickstoffgleichgewicht eintreten. 

Dies war auch in der That — bis auf eine sehr ge¬ 
ringe Minusbilanz — in der zweiten Hälfte der 
3. Periode der Fall. Die ersten 4 Tage der 10tägigen 
Periode standen noch, ehe sich der Organismus an den Alkohol ge¬ 
wöhnt hatte, unter der protoplasmaschädigenden Wirkung des- 
selben, wodurch die vermehrte N-Ausscheidung erklärt wird'). 

Gab ich nun in der 4. Periode zur genügenden Nah¬ 
rung noch Alkohol, so wirkte derselbe weiter als 
Eiweisssparer; es erfolgte N-Ansatz. Wurde da¬ 
gegen in der 5. Periode die Nahrung dadurch ungenügend ge¬ 
macht, dass ich ihr den Alkohol und dio Hälfte des Fettes ent- 

’) Hier muss erwähnt werden, dass die Alkoholperloden von 
Minra, Schmidt und Schöneseiffen nur wenige 
Tage dauerten. Die grossen Alkoholdosen wirkten bei den 
genannten Autoren ln dieser Zeit genau so wie bei mir, nämlich die 
N-Ausfuhrvergrössernd. Da sie aber dann Ihren Versuch abbrachen, 
so kam natürlich die eiweisssparende Kraft des Alkohols nicht 
mehr zur Geltung und Ihr Resultat lautete dann natürlich: der 
Alkohol vermehrt den Blweisszerfall 




No. 25. 


1128 


ÜÜENCttENER MEDlClNlSCßE WOCHENSCHRIFT. 


sacliedesN-Ansatzes und somit der Eiweisssparcr 
war und ist. 

Nachdem ich mich wiederum 40 Tage des Alkohols voll¬ 
ständig enthalten hatte, setzte ich mich mit einer einfachen 
Nahrung aus Schwarzbrot, condensirter Milch, 
gehacktem Fleisch und Schweinefett in’s N-Gleich- 
gewicht (1. Periode). Alsdann gab ich in einer 18 tägigen 
2. Periode, zunächst um die Giftwirkung des Alko¬ 
hols auf den nicht an ihn gewöhnten Organis¬ 
mus auszuschliessen, bei sonst gleicher Nahrung wie in der 
1. Periode, kleine Mengen von Alkohol, die ich allmählich bis 
100 g steigerte 2 ). Es musste, falls der Alkohol in der That 
eiweisssparende Kraft hat, nunmehr ein N -Ansatz er¬ 
folgen. 


Um weiter zu entscheiden, ob der Alkohol genau dasselbe 
leisten könne wie das Fett, wurde in einer 3. Periode eine 100 g 
Alkohol isodyname Menge Fett aus der Nahrung weggelassen, 
aber 100 g Alkohol weiter gereicht. Ersetzte nun der Alkohol als 
Ei weisssparer das Fett vollkommen, so musste vollkommenes 
N-Gleichgewicht wie in der 1. Periode eintreten. Endlich musste, 
wenn das vorhin weggelassene Fett wieder gegeben und ausserdem 
der Alkohol durch weiteres Fett ersetzt wurde, in der 4. Periode 
ein N-Ansatz erfolgen, der gleich dem der 2. Periode, oder wenn 
das Fett mehr leistete, noch etwas grösser war. # 

Folgende Tabellen werden den Ueberblick erleichtern (die 
Zahlen sind Mittelwerthe aus den einzelnen Perioden): 


II. Versuch. 


Perioden 


Einnahmen 


Eiweiss 


Fett 


Kohle¬ 

hydrate 


Alkohol 


Calorien 


Ausgaben 


Koth-N ! Harn-N | G<!8a “ mt 


Bilanz 


I 

5 Tage 


112,74 


116,5 


254,8 


18,04 


2590 


2,83 


15,15 17,98 


+ 0,06 


n 

1-11 Tage 


II 

12-18 Tage 


m 

7 Tage 


IV 

6 Tage 


112,74 


116,5 


274,8 


20-100 


18,04 


2734-3310 


112,74 


116,5 


254,8 


100 


18,04 


3310 


2,78 


13,24 


112,74 


38,3 


254,8 


100 


18,04 


2583 


2,76 


15,49 


112,74 


193,3 


254,8 


18,04 


3304 


2,83 


12,79 


J ) Gesammt N-Ausfuhr von 18 bis 16 gr allmfthlig fallend. 


- *) 


16,02 


18,25 


15,62 


+ 2,02 


— 0,21 


+ 2,42 



Von wesentlicher Bedeutung ist bei diesem Versuch die 
Thatsache, dass ich dio Giftwirkung des Alkohols 
aus schaltete, indem ich in der 2. Periode mit 
sehr kleinen Dosen begann. 

Diese geringen Mengen schaden offenbar nichts, denn wir 
sehen Quantitäten von 20—40 g noch keinen Einfluss auf die 
»Stickstoffausfuhr ausüben; es findet weder Ansatz noch Abgabe 
von Stickstoff statt. Bei ca. 50 g Alkohol tritt aber 
bereits eine bemerkenswerthe Verminderung 
des Eiweiss Umsatzes ein, die bis zu Gaben von 
100 g sich steigert. Es werden bei diesen Gaben beinahe 
2 g N angesetzt und da hier nichts Anderes zur 
Nahrung hinzugegeben wurde als Alkohol, so 
kann nur dieser den Ansatz bewirkt haben. Hier 
kann man nun gewiss nicht sagen: „Es wäre auch ohne Alkohol so 
gekommen“. 

Diese Periode bestätigt also vollkommen das, was ich in 
meinem ersten Versuch in der 3. und 4. Periode gefunden und 
aus ihr geschlossen hatte. 

Die 3. Periode im zweiten Versuch bildet einen weiteren Be¬ 
weis, dass Alkohol Eiweiss spart, da beim Weglassen einer aequi- 
valenten Fettmenge das Stickstoffgleichgewicht fast erhalten 
bleibt. 

Sie ist aber gleichzeitig ein Fingerzeig, dass der Alkohol 
als Eiweisssparer nicht genau das leisten 
kann, was Fett leistet. Hätte Alkohol ganz denselben Werth, 
dann hätte absolutes N-Gleiehgewicht eintreten müssen. Das 

: ) Der Alkohol wurde ln beiden Versuchen ln 40 proc. Ver¬ 
dünnung schluckweise getrunken. 


ist nicht der Fall. Es zeigt sieh eine Minusbilanz von 0,2 g N, 
die zwar an sich nicht gross, aber umsomehr zu beachten ist, als 
sie auch in dem ersten Versuch in der zweiten Ilälfto der 
3. Periode zu beobachten war. Die Bestätigung des Gesagten er¬ 
gibt auch die 4. Periode. Hier erreicht der N-Ansatz dadurch, 
dass der Alkohol durch Fett ersetzt war, eine noch etwas höhere 
Zahl als in der 3. Periode. Das hätte nicht sein können, wenn 
der Alkohol dem Fett an Eiweisssparvermögen absolut gleich- 
kiiine. 

Man könnte aber auch an die Möglichkeit denken, dass die 
geringe Stickstoffmehrausfuhr darin ihren Grund hat, dass bei 
der Verbrennung des Alkohols im Organismus 5—10 Proc. ver¬ 
loren gelien, die ihm dann nicht mehr zu Gute kommen können. 

Nach dem Gesagten halte ich es für erwiesen, dass der 
Alkohol in der That ein Ei weisssparer ist, 
aber in dieser Eigenschaft dem F ett vielleicht 
nicht absolut gleich kommt, und ich glaube nicht zu 
weil zu gehen, wenn ich den gefundenen Resultaten insofern 
eine grössere Bedeutung beilege, als sie gewonnen sind an einem 
Organismus, den ich als normal und für Stoffwechsel versuche 
geeignet ansehen muss und dessen Funktionen ich aus beinahe 
300 »Stoffwechseltagcn genau kenne. 

Die gefundene Thatsache von der eiweisssparenden Kraft des 
Alkohols hat natürlich nur theoretisches Interesse, da der Alkohol 
wegen seiner toxischen Eigenschaften als Nahrungs¬ 
stoff nicht empfohlen werden kann und von keinem Besonnenen 
empfohlen werden wird. 

Aber dio Thatsache besteht und da sie vorläufig an meiner 
Person, wie ich glaube, einwandsfrei bewiesen ist, so darf man 
hoffen, dass dieselbe auch von anderen Untersuchern bei ge¬ 
nügend langen Versuchs Perioden und ge¬ 
eigneten Versuchsindividuen gefunden und an¬ 
erkannt werden wird. 

Nachschrift. 

Zu meiner Genugthuung bekomme ich soeben bei Korrektur 
dieser Zeilen, in dem neuesten Heft des Skandinavischen 
Archivs für Physiologie, eine Arbeit von C 1 o p a 11 
zu Gewicht, welcher an sicli einen ebenfalls 35 tägigen Versuch 
mit einer 12 tägigen Alkoholperiode angewtellt hat und meine 
Resultate vollständig bestätigt. 

C1 o p a 11 setzte sich auch mit einer genügenden 
Nahrung in der 1. Periode in’s annähernde Stick- 






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9. Juli 1901. 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1129 


Stoffgleichgewicht (Bilanz '+ 0,94) und gab alsdann 
in der 2. Periode, an Stelle von 70 g F o 11 eine isodyname 
Menge Alkohol. 

Falls der Alkohol ebenso wie das Fett als Eiweiss- 
sparcr wirkte, musste das N-Gleichgewicht erhalten bleiben, 
res'p. derselbe Ansatz erzielt werden, wie in der 1. Periode. 

Dies war ganz ähnlich so, wie bei meinem 
ersten Versuch, in der zweiten. Hälfte der 
Alkoholperiode der Fall, nachdem zuvor auch eine Mehr- 
ausScheidung von Stickstoff stattgefunden hatte. (Die ersten 
6 Tage der 2. Periode Bilanz: —1,82, die letzten 6 Tage Bilanz: 
-b 15.) 

C 1 o p a 11 findet also ebenfalls, dass die eiweisssparende 
Wirkung dos Alkohols erst nach längerer Verabreichung — also 
nachdem sich der Organismus an denselben gewöhnt hat — zu 
bemerken ist und sieht auch in der kurzen Dauer der Versuche 
von M i u r a, Schmidt und Schöneseiffen den Grund, 
we.-shalb diese. Autoren abweichende Resultate erhalten mussten. 

Es ist nun sehr interessant, dass C 1 o p a 11 seine Ergebnisse 
ausserdem noch stützen konnte durch einen 3 tägigen lte- 
s pirat. ionsversuch in der T igerstedt-Sonde n’- 
sohon Respirationskammer, den er selbst an sich ausführte und 
auch hier zeiirte sich, dass der Alkohol ganz erhebliche Mengen 
Eiweiss vor der Verbrennung schützen konnte und er bestätigt 
dadurch auch die von B j e r r e bereits gefundenen Resultate. 

E a d ii r f t e daher nach diesen einwandfreien 
Versuchen nicht mehr zweifelhaft sein, dass 
der Alkohol in der That ei weisssparend wirkt! 

Literatur. 

1. Miura: Zeitsohr. f. klln. Med. 1S02. Bd. 20, S. 137. — 
2. Schmidt: Dissertation. Greifswald IKON. — 3. Schöne¬ 
seiffen: Dissertation. Greifswald 1809. — 4. II. O. N e u in a n n: 
Aich. f. Hyg. 1809, Bd. 3i». S. 1. — 5. lt o s e in a n n: Areli. f. d. gos. 
Pliys. 1899. Bd. 77. S. 405. — 6. O f f e r: Wiener klln. Wocliensebr. 
1899. Bd. 12, S 1009. — 7. Bjerre: Skandlu. Areli. f. Phys. 185«), 
Bd. 9. S 323. — 8. Rosenfeld: Ther. d. Gegenw., Febr. 1900. 
— Clopatt: Skandin. Arch. f. Phys. 1901, Heft 5/G. 

Ueber rheumatische Ex- und Enantheme. 

Von Dr. mcd. M. Bohrend in Badenweiler. 

H e br a [1], der sich um die Klassifizirung der Hautkrank¬ 
heiten im vergangenen Jahrhundert wohl die grössten Verdienste 
erworben hat, ist auch der Erste, der das Erythema multi forme 
als eine selbständige,klinisch von anderen Dermatosen leicht trenn¬ 
bare Krankheit beschreibt. Aber während die Diagnose des typi¬ 
schen Erythema exsudativum multiforme — und dies ist ledig¬ 
lich ein Verdienst der klassischen Beschreibung des Altmeisters 
der Dermatologie — wohl kaum einem Arzte Schwierigkeiten 
bereiten dürfte, so lange es in typischer Lokalisation und sym¬ 
metrischer Anordnung vorkommt, wird andererseits manches in 
diese Gruppe gehörige Exanthem bei atypischer Looalisation 
falsch gedeutet und verkannt, meist aus dem einfachen Grunde, 
weil man mit dem Begriff des Erythema exsudativum multiforme 
ein auf die Streckseiten der Extremitäten lokalisirtcs Exanthem 
sich vorstellt. Das Erythema exsudativum multiforme gehört 
ferner zu den Exanthemen, die sich nicht auf die äussere Haut 
beschränken, sondern auch auf die Schleimhäute übergreifen und 
dadurch zu Enanthemen werden. Ein mir kürzlich zur Beobach¬ 
tung gekommener Fall, der auch in anderer Beziehung Inter¬ 
essantes bietet, soll zunächst das Befallensoin der Schleimhäute 
bei verhältnissmässig geringer Verbreituug auf der äusseren Haut 
zeigen. 

G. R.. 15 J., Schneiderlelirling von liier, kam am 30. III. wegen 
starker Heiserkeit, die erst seit einigen Tagen bestehen soll, in 
meine Behandlung. Der Vater des Patienten ist gesund. Die 
Mutter des Patienten ist z. Zt. gesund, war ebenfalls vor kürzerer 
Zelt wegen anaemlseh-neurastheuischor Beschwerden in meiner 
Behandlung, lmt früher an einem rechtsseitigen Spitzenkatarrh 
gelitten, der aber z. Zt. ausgeheilt ist, und au einer Kuiegeleuks- 
entzündung. die zur Ankylosirung geführt hat. Eine Schwester 
des Patienten hat vor einiger Zeit Gelenkrheumatismus gehabt. 
Patient selbst war früher stets gesund. — Patient ist von gracilem 
Körperbau, aber für sein Alter gut entwickelt. — An der Nacken- 
lmargrenze befinden sieh in halbmondförmiger Anordnung eine 
Anzahl linsen grosser, bläullch-rother, etwas über das Niveau der 
übrigen HautoberflHche erhabener Flecke, deren Rüthe auf Druck 
verschwindet. Am übrigen Körper kein Exanthem; keine Gelenk-, 
keine Drüsenschwellung. Temperatur 37,3°. — Die Untersuchung 
der Pulmones ergibt deutlichen Lungenschall an allen Stellen, 
die Auskultation ergibt in den rechten oberen Partien vorn bis 


zur II. Rippe, hinten in der Fossa supraspinata deutliche crcpl- 
tirende Geräusche, an allen anderen Stellen aber weiches Vesicular- 
atlnnen. — Bei der Inspektion des Herzens füllt eine starke Er¬ 
schütterung der Herzgegend üuf, die sieh von der linken Axillar¬ 
linie bis in’s Epignstrium hinein ausdehnt. Der I. Ton an der Spitze 
ist etwas dumpf und neben dem I. Tone ist ein blasendes Geräusch 
nachzuweisen, das nach der Basis zu etwas stärker wird. An den 
anderen typischen Auskultatiousstelleu des Herzens ist aber uielits 
Abnormes nachzuweisen, nur dass der II. Pulmonalton deutliche 
Aceentuatlon zeigt. Itelntive Herzdämpfung geht links bis an die 
vordere Axillarlinie, rechts bis an den rechten Sterualrand, nach 
oben bis zuin unteren Rand der III Rippe. — An den Abdominal¬ 
organen nichts Abnormes nachzuweisen. — Die Raehenschleiuiliaut 
ist im Bereich des Palatum molle In toto geröthet, die Tonsillen 
geschwollen. Bei genauerer lnspektion bemerkt man auf beiden 
Tonsillen und beiden Arcus palato-glossus eine Anzahl linsen- 
grosser, rother, über das Niveau der übrigen Sclileimliautoberfliiehe 
erhabener Flicke, an denen das Epithel im Ganzen nicht verändert 
Ist. An der linken Tonsille müssen einige derartige Efflorescenzen 
couflulrt sein, da man an derselben eine grössere derartige Efflores- 
eenz findet. Das Epithel ist an dieser Stelle deutlich abgehoben, 
der Rand erodlrt. Au der hinteren Racliemvnnd befinden sich zu 
beiden Seiten der Mittellinie* ebenfalls eine Anzahl scharf um¬ 
schriebener, deutlich prominenter Flecke. Die laryngoskopisehe 
Untersuchung ergibt: Diffuse Rötliung des Larynx. In der Regio 
iuterarytaenoidea ebenfalls eine Anzahl derartiger Flecke, wie sie 
oben für die Mundschleimhaut beschrieben sind. Epiglottis ge¬ 
röthet, sonst ohne Besonderheit. Stimmbänder scbliessen bei 
Phonation prompt. 

2. IV. An den Strecksoiten der Handgelenke sind ebenfalls 
typische Erythemfleeke (Erythema papulatum) aufgetreten. — 
In den vergangenen Tagen Temperatursteigerung bis 37,5 

4, IV. Die Flecke au der Nackenhaargrenze sind Im Ver¬ 
blassen. An den Efflorescenzen der Schleimhäute ist insofern eine 
Veränderung zu konstatiren, als das Epithel über denselben ab¬ 
gehoben erscheint. Beide Tonsillen machen heute einen etwas 
zerklüfteten Eindruck. 

7. IV. Die Efflorescenzen an der Nackenhaargrenze fast voll¬ 
ständig verblasst, die an den Handgelenken ebenfalls stark im 
Verblassen. Gaumen-, Rachen- und Kehlkopfsehlelmliaut fast 
ganz zur Norm zuriiekgekehrt. — Status cordis derselbe wie bei 
der ersten Untersuchung. 

Die Diagnose, dass es sich um ein Erythema exsudativum 
multiforme, das auch auf die Schleimhäute des Kehlkopfs, 
Rachens und Gaumens übergegriffen hat, war mir schon, als ich 
den Patienten zum erstenmal sah, sehr wahrscheinlich; sie kann 
aber, nachdem auch die Extremitäten von Efflorescenzen befallen 
waren, kaum einem Zweifel unterliegen. Wenn ich Veranlassung 
genommen habe, diesen Fall zu veröffentlichen, so geschah es zu¬ 
nächst, weil es verhältnissmässig selten ist, dass die Schleimhäute 
in grösserer Ausdehnung befallen sind, während die äussere Haut 
nur in geringem Maasso am Krankheitsproces.se betheiligt ist. 

Für eine Anzahl anderer Hauterkrankungen ist ebenfalls 
die Verbreitung der Exantheme auf dein »Schleimhäuten in der 
Literatur beschrieben worden. Vom Herpes labialis und genitalis 
dürfte es allgemein bekannt sein, dass er nicht immer an der 
Schleimhautgrenze Halt macht. Für das Ekzem sind von Moritz 
»Schmidt [2] in seinem bekannten Lehrbuch eine Anzahl Fälle 
beschrieben worden, bei denen sich Ekzemknötchen auf der 
Gaumenschleimhaut vorfanden. Nach der Schilderung, die dieser 
Autor von seinen Beobachtungen liefert, ist man wohl zu der 
Annahme berechtigt, dass es sich in seinen vier Fällen um ein 
akute« Ekzem der Gaumenschleimhäute gehandelt hat, das aber 
die äussere Haut vollständig verschont hat. Für den Lichen 
ruber planus hat Marx [3] aus der Ilerxheimer’sohen Klinik 
eine Anzahl Fälle beschrieben, bei denen sieh auf den Schleim¬ 
häuten der oberen Luftwege eine Anzahl typischer Licheneffloros- 
cenzen theils primär, theils sekundär vorfanden. Bekannter ist 
das Ucbergreifen des Pemphigus, des akuten wie des chronischen, 
auf die Rachen- und Kehlkopf Schleimhaut. Erst kürzlich hat 
wieder Mertens in der Münch, med. Wochenschr. [4] einen 
derartigen Fall veröffentlicht und darauf aufmerksam gemacht, 
welch’ schwere Allgemeinst örungen ein derartiger Larynx- 
pemphigus im Gefolge haben könnte. — Wir wissen ferner, dass 
eine Anzahl Menschen eine Idiosynkrasie g«*gen gewisse Nah¬ 
rungsmittel und Medikamente haben. Die Urticaria ex ingestis 
befällt öfter die »Schleimhäute. Zu den Medikamenten, von denen 
wir wissen, dass sie hei manchen Individuen Exantheme hervor- 
rufen. gehört das Antipyrin. Schult zen [5] hat aus der 
Gerhard t'sehen Klinik einen Fall von Antipyrinexanthein 
im Halse beschrieben. Vom Erythema exsudativum multiforme 
lesen wir in fast allen Lehrbüchern der Dermatologie, dass es 
an der Haut-Sehleimhautgrenze nicht Halt macht. Jedoch ge¬ 
hört das Befallensein der Schleimhäute keineswegs zu den hsiu- 

2 * 


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1130 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 23. 


figen Erscheinungen. Vor kürzerer Zeit hat v. D ü r i n g [6] 
im Archiv für Dermatologie eine grössere Arbeit über diese Haut¬ 
erkrankung veröffentlicht und dabei auch die Veränderungen der 
Schleimhäute, die von ihm beobachtet sind, eingehend erörtert. 
Was zunächst das zeitliche Auftreten der Sclileimhautverändc- 
rungen betrifFt, so bestehen nach seiner Beobachtung diese meist 
gleichzeitig mit denen auf der äusseren Haut. Nur in einigen 
Fällen war die Sehleimhautaffektion der Hautaffektion voraus¬ 
gegangen. Dem klinischen Aussehen nach unterscheidet er: 
1. reine Hyperaemien, 2. papulöse Infiltrate, 3. Blasenbildungen, 
4. Ulcerationen. Eigentliche Uleerationen sind nach diesem Autor 
äusserst selten. Unser Fall gehörte der Gruppe des Erythema 
papulatum an: die Efflorescenzen erodirten später. Von einer 
Ulceration kann auch in unserem Fall nicht die Rede sein. 

Die Erscheinungen am Herzen, Verbreiterung der Ilerz- 
dämpfung, systolisclies Geräusch an der Spitze und II. accen- 
tuirter Pulmonalton, die wohl ohne Weiteres als eine typische 
Mitralinsufficienz gedeutet werden können, bedürfen einer Be¬ 
sprechung. Von Lewin [7], dem ersten Autor, der das in 
der Literatur vorliegende und von ihm selbst beobachtete Material 
kritisch gesichtet hat,-sind ebenfalls blasende Geräusche an der 
Herzspitze beschrieben worden. In seinen Fällen, in denen er 
diese akustischen Erscheinungen beobachtete, und die er, wie 
weiter unten noch näher auseinandergesetzt werden soll, mit dys- 
menorrhoischen Beschwerden in Zusammenhang brachte, handelte 
es sich wohl lediglich um accidentelle Geräusche, wie sie bei 
anaemischen und chlorotischen Individuen öfters beobachtet 
werden. Nach Kaposi [8] ist das Vorkommen von Endo- 
carditis beim Erythema exsudativum multiforme nicht ausge¬ 
schlossen : von v. Düring sind aber Endo-, Pericarditis, sowie 
Klappenfehler im Verlaufe der Krankheit nie beobachtet worden. 
In unserem Falle ist es zweifelhaft, ob der Klappenfehler schon 
vor der Entstehung des Erythema exsudativum multiforme be¬ 
standen hat oder während der Krankheit entstanden ist. Aber 
dennoch möchte ich auf die Kombination von Mitralinsufficienz 
und Erythema multiforme Gewicht legen. 

Ein erheblicher Prozentsatz der Klappenfehler, und ganz be¬ 
sonders derer, die an der Valvula mitralis lokalisirt sind, sind, 
wie v. Noorden [9] ausführt, auf eine rheumatische Endo- 
carditis zurückzuführen: bei einer Anzahl von Patienten, die 
an Polyarthritis rheumatica erkrankt sind, sehen wir die Mitral¬ 
insufficienz sieh während unserer Beobachtung entwickeln. Die 
Veränderungen des Endocards, die im Verlaufe von verschiedenen 
Infektionskrankheiten beobachtet sind, sind wohl meist, wie 
L i 11 e n in seinem Referat auf dem XVIII. Kongress für innere 
Medicin auseinandersetzte [10], durch Ansiedelung von Mikroben 
bedingt. Von der akuten Endocarditis wissen wir, dass sie im 
Verlaufe der verschiedensten Infektionskrankheiten auftreten 
kann: Pneumonie, puerperale Sepsis, Pyaemie, Gonorrhoe. Ihr 
maligner Charakter wird weniger durch die Veränderungen in 
corde, sondern wesentlich durch die Schwere der Allgemeininfek¬ 
tion bedingt. Für die Polyarthritis rheumatica müssen wir wohl 
ebenfalls einen infektiösen Ursprung annehmen [11]. Von 
v. Leyden [12] sind streptococcenartige Bacterien, die aber mit 
dem Streptococcus pyogenes nicht identisch sind, gefunden 
worden: aber, ob diese Mikroben die einzigen Erreger des akuten 
Gelenkrheumatismus sind, können wir zur Zeit nicht sagen. Es 
wird wohl noch manches Jahr vergehen, ehe die bacteriologische 
Forschung Klarheit in dieses hochwichtige Kapitel der Medicin 
gebracht hat, und noch manche Hekatombe Kaninchen wird, um 
die Worte eines Forschers zu citiren, der erst jüngst zu dieser 
Frage veröffentlicht hat [12], wissenschaftlicher Arbeit zu diesem 
Behufe geopfert werden müssen. Aber das eine wissen wir, dass 
dieselben Mikroorganismen, die im Stande sind, eine Polyarthritis 
hervorzurufen, oft gleichzeitig eine Endocarditis entstehen lassen, 
deren chronischer Verlauf und benigner Charakter uns nur zu 
bokannt ist. Viele Fälle von Muskelrheumatismus und Neur¬ 
algien beruhen, wie v. Leube[13] ausgeführt hat, ebenfalls 
auf einer Infektion mit denselben Bacterien, die bei anderen In¬ 
dividuen eine Polyarthritis rheumatica hervorrufen können. Sie 
können, wie er [13] und v. Noorden [9] ausführen, ebenfalls 
Klappenfehler im Gefolge haben. Oft sind die rheumatischen 
Beschwerden derartig gering, dass ihnen von Seiten der Patienten 
weiter keine Beachtung geschenkt, wird. 

Die Pathogenese des Erythema exsudativum ist keine ein¬ 
heitliche: sie ist zum Theil noch dunkel. Aus der Beobachtung, 


dass eine Anzahl Nahrungsmittel und Medicamente gleichartige 
Exantheme hervorrufen, hat eine Anzahl Autoren schliessen 
wollen, dass es sich um einein der Haut abspielende Angioneurose 
handele. L e w i n [7] hat dann beobachtet, dass bei Patientinnen 
mit Urethritis gonorrhoica mit dem Recidiviren der Lokalerschei¬ 
nungen ein Erythema exsudativum entstand und beobachtete es 
des Oeftoren bei Patientinnen mit dysmenorrhoisehen Beschwer¬ 
den. Sein Schüler Heller [14] beobachtete ebenfalls das Auf¬ 
treten von Erythema exsudativum multiforme nach chemischer 
Reizung der Harnröhre. War nach Lewin’s Anschauung das 
Erythem auf reflektorischem Wege entstanden, so führt Heller 
es in seinem Falle auf in der Harnröhre gebildete Toxine zurück, 
die das Serum chemotaktisch veränderten und die Hautverände¬ 
rungen durch Vermittlung des in der Medulla oblongata gelegenen 
Vasomotorencentrums entstehen Hessen, das nach Lewin’s und 
II e 11 e Fs Ansicht in eine Anzahl Theiloentren für die ver¬ 
schiedenen Bezirke der Haut zerfällt. Zur Stützung seiner An¬ 
schauungen führt er dio schon früher einmal von Gerhardt 
im Verein für innere Medicin zu Berlin erwähnten Beobachtungen 
Stil l’s [15] an, der bei 26 Kindern nach Applikation von 
Seifenklystieren Exanthemschübe sah, und beruft sich auf eine 
Anzahl Autoren, die ebenfalls im Anschluss an ein Trauma ein 
Erythema exsudativum auftreten sahen. Wir selbst haben vor 
einiger Zeit einen Fall gesehen, der diese Theorie unterstützen 
könnte und den wir desswegen hier kurz anführen: 

B. K., 36 J., Schreiner aus Karlsruhe, war am 6. XI. 00 wäh¬ 
rend seiner Beschäftigung bei einem hiesigen Neubau gestürzt 
und hatte sich eine Distorsion des r. Handgelenks zugezogen. 
Bald nach dem Unfall war er zu mir ln Behandlung gekommen. 
7. XI. kam er mit einem Erythema exsudativum multiforme zu 
mir, das an beiden Streckseiten der Handgelenke lokalisirt war 
und sich innerhalb der nächsten Tage auch auf die Streckseiten 
der Ober- und Unterschenkel ausbreitete. Am 18. XI. waren die 
ergriffenen Hautpartien wieder vollkommen intakt, die Geleuk- 
schwellung an der rechten Hand fast vollständig zurückgegangen. 
Nachtragen möchte ich noch, dass, während Patient bei mir in 
Behandlung war, kein Medikament genommen wurde und dass 
der Patient seiner Angabe nach keine Idiosynkrasie gegen irgend 
welche Nahrungsmittel hatte. Das Allgemeinbefinden war wäh¬ 
rend der ganzen Zeit ein vorzügliches, an inneren Organen war 
absolut nichts Krankhaftes nachzuweiseu: die Schleimhäute des 
Rachens und Kehlkopfs w r aren ohne Besonderheit. Anamnestisch 
ist noch zu erwähnen, dass der Patient vor mehreren Jahren einen 
schweren Gelenkrheumatismus durchgemacht hat. 

Zweifellos ist in diesem Falle nicht jeder Zusammenhang 
zwischen Trauma und Exanthem von der Hand zu weisen. Aber 
selbst bei voller Anerkennung der L e w i n’schen und Helle r’- 
schen Beobachtungen und Erwägungen wird man doch zugeben 
müssen, dass mit ihren Theorien nicht alle Fälle von Erythema 
exsudativum multiforme erklärt sind. Wir haben es zweifellos 
in einer Anzahl von Fällen mit einer infektiösen Krankheit zu 
thun und können wohl mit Kaposi [8] und v. Düring [6] 
annehmen, dass neben Fällen, die als Angioneurosen aufzufassen 
sind, ein erheblicher Procentsatz übrig bleibt, der contagiösen oder 
vielleicht miasmatisch-contagiösen Ursprungs ist. Hat doch 
Gail [16] in Bosnien ein epidomieartiges Auftreten des Ery¬ 
thema exsudativum multiforme beobachten können! Vor Allem 
sprechen aber der fieberhafte Verlauf und die mehr minder 
schweren Allgemeinstörungen, die des Oefteren beobachtet sind, 
für die infektiöse Natur in manchen Fällen. Wenn wir auch in 
unserem zuerst besprochenen Falle eine, wenn auch leichte In¬ 
fektionskrankheit annehmen möchten, so sei mir erlaubt zu re- 
kapituliren, dass wir ebenfalls geringe Temperatursteigerung und 
eine akute Bronchitis registriren konnten. Die Temperatursteigo- 
rung wird sich im Wesentlichen stets nach der Ausbreitung des 
Exanthems richten. „Es ist uns kein Fall vorgekommen, der bei 
ausgebreitetem Exanthem niedere Temperaturen, kein Fall, der 
bei mässigem Exanthem hohe Temperaturen gezeigt hätte“ 
(v. D ü r i n g). 

Ueber dio Krankheitserreger dieses infektiösen Exanthems 
sind wir uns natürlich noch vollkommen im Unklaren; dass ge¬ 
wisse Beziehungen zwischen akutem Gelenkrheumatismus und 
unserem Exanthem bestehen, ist nicht zu leugnen. Man möge 
sich nur die beiden Thatsachen vor Augen halten, dass bei der 
Polyarthritis rheumatica bisweilen Exantheme gesehen werden, 
die vollkommen dem Erythema exsudativum multiforme ent¬ 
sprechen, und dass andererseits in einer Anzahl fieberhaft ver¬ 
laufender Fälle von Erythema exsudativum multiforme des 
Oefteren Gelenkschwellungen beobachtet worden sind! In dieser 
Hinsicht dürfte auch unser zuerst besprochener Fall instruktiv 


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9. Juli 1901. 


MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1181 


sein: Der Patient stammt aus einer Familie, in der Gelenk¬ 
rheumatismus vorgekommen ist. Er selbst ist mit einer typischen 
Mitralinsufficienz zu uns in Behandlung gekommen, und da wir 
wissen, dass bei der Disposition zum Gelenk- und Muskelrheuma¬ 
tismus die Heredität eine grosse Rolle spielt, dass ein grosser 
Theil der Mitralinsufficienzen durch rheumatische Infektion her¬ 
vorgerufen wird, so können wir wohl mit Fug und Recht an¬ 
nehmen, dass auch unser Patient auf rheumatische Infektionen 
besonders leicht reagirt, und können sein Erythema exsudativum 
in einen aetiologischon Zusammenhang mit seiner rheumatischen 
Disposition bringen. Späteren bacteriologischen Forschungen 
muss es überlassen bleiben, Klarheit in diese Beziehungen zu 
bringen. 

Eine Anzahl Autoren, besonders die Vertreter der deutschen 
und französischen Schule, trennen das Erythema exsudativum 
multiforme streng vom Erythema nodosum. Die englische Schule 
dagegen, sowie Lewin, Auspitz und Kaposi bestreiten, 
dass letzteres ein Prooees sui generis sei. Dass ein gewisser Zu¬ 
sammenhang zwischen Erythema nodosum und Polyarthritis 
rheumatica besteht, wird von allen Autoren zugegeben. Wir selbst 
haben einen Fall gesellen, der auch in dieser Beziehung instruk¬ 
tiv sein dürfte und den wir desslialb kurz hier wiedergoben: 

S. S., 20 J., war mir am 27. II. h. a. zur Untersuchung zu¬ 
geschickt worden. Sie leidet seit einiger Zeit an Herzklopfen 
und Brustbeklemmungen. Vor 2 Jahren hat sie mehrere Wochen 
„Blutzersetzung“ gehabt und leidet seitdem öfters anGliederreissen. 

Die Untersuchung ergibt an den Streckseiten beider Unter¬ 
schenkel eine grosse Anzahl linsen- bis pfenniggrosser, braun pig- 
meutirter Flecke, die seit der oben erwähnten Krankheit bestehen 
sollen. Beiderseitiges Knöcheloedem. Gesichtsfarbe leicht cya- 
notisch. Schleimhäute blass. Percussion der Lungen ohne Be¬ 
sonderheit Auskultation der Lunge ergibt in den oberen Partien 
der rechten Lunge einzelne crepitirende Geräusche, sonst aber wel¬ 
ches Vesiculärathmen. Herzspltzenstoss etwas verbreitert. Herz¬ 
dämpfung geht nach links fingerbreit über die Mainmillarlinic 
hinaus, nach rechts bis zum rechten Sternalrand. Systolisches 
Geräusch an der Herzspitze, das nach der Basis zu etwas lauter 
wird. II. Pulmonalton etwas accentuirt. Puls G8, welch, etwas 
dikrot Abdominalorgane ohne Besonderheit, Urin zeigt beim 
Kochen leichte Trübung, die sich auf Salpetersäurezusatz nicht 
ändert. 

Die klinischen Erscheinungen, die die Patientin darbot, 
lassen wohl keinen Zweifel daran, dass es sich auch in diesem 
Falle um eine Mitralinsufficienz handelte. Die Patientin, die 
wenige Wochen vorher, ehe sie zu mir kam, in einer hiesigen 
Pension Stellung gefunden hatte und bis dahin ein verhältniss- 
mässig ruhiges Leben bei ihren Eltern zu Hause geführt hatte, 
war mir zur Begutachtung der Frage zugeschickt worden, ob sie 
den Anstrengungen der Saisonthätigkeit gewachsen sei. Man 
kann wohl auch hier annehmen, dass der Klappenfehler schon seit 
längerer Zeit bestanden hat, dass die Patientin sich bis kurz vor 
ihrer Untersuchung ini Stadium der Kompensation befunden hat 
und dass sie erst dann Beschwerden fühlte, als sie gezwungen war, 
stärkere körperliche Arbeit zu leisten. Man geht wohl ferner 
nicht fehl, wenn man annimmt, dass die Patientin verschiedenen 
rheumatischen Infektionen ausgesetzt war, und die Entstehung 
des Klappenfehlers auf die erste und schwerste derselben, auf die 
Erkrankung zurückführt, die Patientin vor ca. 2 Jahren durch- 
gemacht hat. Dass diese damals ein Erythema nodosum war, ist 
wohl das natürlichste anzunehmon: dafür -sprechen die Lokali¬ 
sation der von jener Krankheit zur Zeit noch vorhandenen 
Flecko und die Grösse dieser Pigmentirungen. Die Purpura 
rheumatica, ein dem Erythema nodosum sehr nahe verwandter 
Krankhei tsproeess, der, wie der Name besagt, aetiologisch mit dem 
Rheumatismus acutus in Zusammenhang gebracht wird, und der 
differentialdiagnostisch bei der Erklärung der Pigmentirungen 
wohl am ersten noch in Betracht käme, befällt mit Vorliebe In¬ 
dividuen männlichen Geschlechts und ist im Allgemeinen durch 
kleinero Efflorescenzen, wie das Erythema nodosum, charakteri- 
sirt. Im Uebrigen sei hier kurz erwähnt, dass nach Kaposi 
von A. Schwarz [17] 2 Fälle von Aorteninsufficienz be¬ 
schrieben worden sind, die sich im Verlauf einer fieberlosen Pur¬ 
pura rheumatica ganz allmählich entwickelt hatten. 

I>io Aetiologie des Erythema nodosum ist ebenfalls keine 
einheitliche. G. B ehrend [18] erwähnt, dass er bei einem 
11 jährigen, an Pyaemie verstorbenen Knaben neben zahlreichen 
Petechien an den Oberschenkeln haselnussgrosse, circumscripte 
Rlutergüse an beiden Oberschenkeln gesehen habe. Neuerdings 
hat dann Busehke [19] 3 Fälle von Gonorrhoe veröffentlicht, 
bei denen neben Gelenkschwellungen ein typisches Erythema 
Ko. *8. 


nodosum bestand, dessen Entstehung er auf Toxinwirkung zu¬ 
rückführt. Aber trotzdessen bleiben gerade beim Erythema 
nodosum eine grosse Anzahl Fälle übrig, die man im Hinblick auf 
die Aetiologie wohl am besten als rheumatische Exantheme be¬ 
zeichnen kann. Auch die zuletzt beschriebene Krankheit gehört 
meines Erachtens nach dem, was wir der Anamnese entnehmen 
können, in diese Rubrik. 

Erwägt man aber, dass die anatomischen Veränderungen 
beim Erythema exsudativum multiforme und beim Erythema 
nodosum gleichartiger, nämlich entzündlicher Natur sind, und 
dass die Verschiedenheiten sich nur als graduelle Unterschiede 
darstellen, so wird man bei der Gleichartigkeit der aetiologischen 
Verhältnisse das Erythema nodosum nicht mehr streng von dem 
auf rheumatischer Basis entstandenen Erythema exsudativum 
trennen. Man wird beide am besten als symptomatische Exan¬ 
theme bei akuten Infektionskrankheiten [20] auffassen. Die 
Verschiedenheit der Exantheme, der mehr weniger schwere Ver¬ 
lauf, die Komplikationen, das Alles hängt naturgemäss von der 
Schwere der AUgemeininfektion ab. 

Für die Beurtheilung der Prognose und für die einzuleitende 
Therapie sind aber die aetiologischen Beziehungen nicht gleich- 
giltig. Für die Prognose müssen wir vor Allem den Allgemein¬ 
zustand unserer Patienten berücksichtigen, dann aber müssen wir 
uns immer die Thatsache vor Augen halten, dass die rheuma¬ 
tischen Erkrankungen dio Neigung zum Recidiviren im hohen 
Grade besitzen. Therapeutisch werden in allen ernsteren Erkran¬ 
kungen die Salieylpräparato nicht zu umgehen sein, von denen 
wir wissen, dass sie rheumatische Erkrankungen günstig be¬ 
einflussen. 

Literatur. 

1. Vlrchow: Handbuch der speciellen Pathol. u. Therap., 
III. Bd.: Akute Exantheme und Hautkrankheiten. S. 198. Erl. 
1860. — 2. Schmidt: Die Krankheiten der oberen Luftwege. 
S. 531. Berlin 1897. -3. ct n. Schmidt 1. c. S. 537. — 4. Münch, 
med. Wochenschr. 1901, No. 4. — 5. Charitöannalen XX. S. 228. 
— 6. Arcb. f. Dermat u. Syphilis, Bd. 35. — 7. Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1876, No. 23. Charit6annalen, 3. Jahrg. S. 623. — 8. Pathol. 
u. Therap. d. Hautkrankh. 1893. S. 307. — 9. Realencyklopädle 
d. ges. Hellk., X, 1896, p. 410. — 10. Vereinsheilage d. Deutsch, 
med. Wochenschr. 1900. S. 104. — 11. Michaelis: Discusslon 
über Gelenkrheumatismus. Verhandl. d. XV. Kongr. f. inn. Med. 
1897, p. 159. Singer: Ebeudas., p. 116. Sahli: Deutsch. Arcli. 
f. klin.*Med. 1893, Bd. 51, p. 451. — 12. Menzer: Deutsch, med. 
Wochenschr. 1901, No. 7, p. 97. — 13. v. Leube: Deutsch, med. 
Wochenschr. 1894, No. 1. — 14. Deutsch, med. Wochenschr. 1901, 
No. 11, p. 165. — 15. cf. Vereinsbeilage d. Deutsch, med. Wocheu¬ 
schrif t 1900. S. 23 — 16. G. Behrend: Realencyklopädle der 
ges. Hellk., p. 357. Bd. VII. 1895. — 17. Kaposi: 1. c. p. 313. 
18. L c. p. 359. — 19. Arch. f. Dermatol, u. Syphilis. Bd. 48. — 
20. cf. v. Düring: L c. 


Ist „Sana“ ein tuberkelbacillenfreier, wirklich geeigneter 
Ersatz für Butter? 

Von Dr. A. Moeller in Belzig. 


Vor einem Jahr ungefähr wurde mir Sana wiederholt offerirt 
von Berliner Vertretern der S a n a - Gesellschaft. Sana wird 
unter der Bezeichnung „milchfreier Butterersatz“ in den Handel 
gebracht. Sana besteht aus einer Mischung von Rinderfett mit 
Mandelmilch. In den Sanaprospekten wird besonders hervorge¬ 
hoben, dass eine Infektion durch Tuberkelbacillen, wie sic beim 
Genuss von Naturbutter auf Grund mehrfacher Untersuchungen 
möglich sei, bei Sana ausgeschlossen sei, weil statt der thierischen 
Milch Mandelmilch zugesetzt werde. Es wurden mir grössere 
Versuchsquanten zur Verfügung gestellt. Ich habe gern Ver¬ 
suche damit gemacht, weil mich auch die wirthschaf t - 
liche Seite dieses Butterersatzos interessirte. 


Ich liess also in der Küche die Sana in verschiedener Weise, 
zum Rohessen auf Brod, zum Braten, zum Fetten der Gemüse etc. 
anwenden. Es wurden mir keine günstigen Resultate gemeldet. 
Die Patienten beklagten sich, die Butter, die sie sich auf’s Brod 
strichen, schmecke ihnen gar nicht mehr. Zum Braten erklärte 
mir die Wirthschaftssch wester, könne sie die Sana nicht ver¬ 
wenden, weil sie absolut nicht bräune. Ausserdem bekamen die 
Saucen einen eigenthümlichen Beigeschmack, ebenso wie auch 
das Gemüse, das mit Sana gefettet wurde. Hierzu war auch eine 
ungleich grössere Quantität Sana nöthig, als gute Natur- 
butter, um das Gemüse fett genug herzustellen, wie es für 


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1132 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28. 


Lungenkranke erforderlich ist; so dass auch schliesslich die Preis¬ 
differenz keine allzu grosse blieb. 

Nach diesen Resultaten sah ich davon ab, die Sana zum all¬ 
gemeinen Verbrauch in hiesiger Anstalt einzuführen. 

Ich verkannte jedoch keineswegs den grossen Vortheil, den 
ein vom gesundheitlichen Standpunkt völlig einwands¬ 
freier Butterersatz bietet, und dass eventuelle wirtschaft¬ 
liche Nachtheile dadurch aufgehoben werden könnten. Um 
mich nun selbst zu überzeugen, ob Sana wirklich frei von Tu¬ 
berkelbacillen sei, stellte ich nachstehende Versuche an mit zwei 
mir innerhalb von ca. 14 Tagen zugesandten Sanaproben. 

I. Sana-Probe. 

Sana flüssig gemacht im Wasserbade von 40° und so zur In¬ 
jektion verwendet. 

Meerschweinchen No. 1. 510 g schwer. 3 ccm intra¬ 
peritoneal injizirt. Am 2. Tage todt. 480 g. Pathologisch- 
anatomischer Befund: Peritonitis flbrinosa acuta. Reste der 
Sana den Därmen in Klümpchenform aufliegend. Mikro- 
skopisch-bacter lologischer Befund: Coccen und 
Stäbchen. 

Meerschweinchen No. 2. 340 g schwer. 3 ccm intra¬ 
peritoneal injizirt. Am 5. Tage todt. 330 g. Pathologisch¬ 
anatomischer Befund: Grosser Bauchdecken-Abscess. Ml- 
kroskopisch-bacteriologischer Befund: Im Eiter 
haufenförmige Coccen und Stäbchen; im Blute, dem Cor ent¬ 
nommen: Coccen. 

Meerschweinchen No. 3. 380 g schwer. 3 ccm intra¬ 
peritoneal injizirt. Nach 8 Wochen getödtet. 390 g. Anato¬ 
mischer Befund: normal. 

II. S a n a - P r o b e. 

a) Sana flüssig gemacht wie oben und injizirt. 

Meerschweinchen No. 4. 310 g schwer. 2 ccm intra- 
peritoneal injizirt Nach 7 Tagen todt 300 g. Pathologisch¬ 
anatomischer Befund: Peritonitis serofibrinosa. Kleine 
Klümpchen der Sana auf den Därmen. Mikroskopisch - 
bacteriologlscher Befund: Zahlreiche Stäbchen. 

Meerschweinchen No. 5. 380 g schwer. 2 ccm intra- 
peritoneal injizirt. Nach 8 Wochen getödtet 420 g. Ana¬ 
tomischer Befund: normal. 

Meerschweinchen No. 0. 415 g schwer. 2 ccm iutra- 
pc-ritoneal injizirt Nach 13 Tagen todt 400 g. Pathologisch- 
anatomischer Befund: Peritonitis. Mikroskopisch- 
bacterlologlscher Befund: Zahlreiche Coccen und Stäbchen. 

Meerschweinchen No. 7. 400 g schwer. 2 ccm intra¬ 
peritoneal injizirt Nach 8 Wochen getödtet 395 g. Ana¬ 
tomischer Befund: normal. . 

b) Sana nach der von Obermüller (Hyglen. Rundschau 1899) 
angegebenen Methode behandelt und intraperitoneal injizirt. 

Meerschweinchen No. 8. 350 g schwer.* 1 y 3 ccm lntra- 
peritoneal Injizirt. Nach 5 Wochen todt. 285 g. Pathologisch¬ 
anatomischer Befund: Netz zusammengerollt, mit zahlreichen 
Knötchen besetzt. Auf dem Peritoneum zahlreiche graugelbe 
Knötchen, theilweise verkäst. In den zwischen Objectträgeru 
verriebenen Knötchen lassen sich zahlreiche Tuberkel- 
bacillen erkeunen. Milz und Leber sind vergrössert, mit zahl¬ 
reichen Knötchen durchsetzt Histologischer Befund: Die 
Knötchen von bindegewebiger Struktur mit theilweise verkästen 
Partien und zahlreichen Tuberkelbacillen, vereinzelte 
Langhan s’sche Riesenzellen. 

Meerschweinchen No. 9. 325 g schwer. 1 y 2 ccm intra- 
peritoneal Injizirt. Nach 8 Wochen getödtet. 340 g schwer. Ana¬ 
tomischer Befund: normal. 

Meerschw eine heu No. 10. 400 g schwer. 1 ccm intra¬ 
peritoneal injizirt. Nach 8 Wochen getödtet. 390 g. Patho¬ 
logisch-anatomischer Befund: An der Injektionsstelle 
ein graues Knötchen. Im Netz mehrere Knötchen, auf der 
Schnittfläche mit verkästen Herden. Milz vergrössert, mit spär¬ 
lichen Knötchen durchsetzt. Mesenteriale und intraperitoneale 
Drüsen stark vergrössert. Die Knötchen zeigen im Ausstrich- 
Präparat Tuberkelbacillen. Im Schnittpräparat 
sind die Knötchen bindegewebig konstruirt mit verkästen Partien; 
an der Peripherie Leukocytenhaufen mit theilweise zerfallenen 
Kernen. Tuberkelbacillen sind in diesen Schnitten zu 
differenziren. 

Meerschweinchen No. 11. 375 g schwer. 1 ccm intra¬ 
peritoneal injicirt. Nach 8 Wochen getödtet. 390 g. Ana¬ 
tomischer Befund: normal. 

Meerschweinchen No. 12. 325 g schwer. 1 ccm Intra¬ 
peritonal injizirt. Nach 8 Wochen getödtet. 320 g. Patho¬ 
logisch-anatomischer Befund: Mesenteriale und retro- 
peritoneale Drüsen vergrössert. Säurefeste Bacterien nicht nach¬ 
weisbar. 

Zu gleicher Zeit stellte ich mit der in unserer Anstalt aus¬ 
schliesslich zum Gebrauch kommenden, von einer der grössten 
Berliner Handlungen bezogenen Naturbutter gleiche Ver¬ 
suche an mit vollkommen negativem Resultate; sämmtliche 
Thiere boten, als sie nach 6—8 Wochen getödtet wurden, einen 
normalen Befund. 


Die positiven Resultate, zu denen ich bei Sana ge¬ 
langte, habe ich s. Z. nicht mitgetheilt, weil inzwischen eine 
Arbeit von Lydia Rabinowitsch 1 ) aus dem Koc h’schen 
Institut publicirt wurde über dasselbe Thema mit gleichem 
Resultate. Ich hielt es durch diese Veröffentlichung aus 
dem Koc h’schen Institute als für genügend erwiesen, dass 
Sana nicht als ein völlig tuberkelbacillenfreies Produkt zu er¬ 
achten sei. 

Nachdem nun aber durch die Entgegnungen von Görges 1 ) 
und Michaelis und Gottstein*) die Behauptungen von 
Rabinowitsch beanstandet worden sind — die positiven 
Resultate von Rabinowitsch werden auf einen „nicht kon- 
trolirbaren Zufall“ zurückgeführt —, kann ich nicht umhin, 
meine Erfahrungen und Resultate über Sana mitzutheilen. Wir 
haben also damit zu rechnen, dass die Sana nicht tuberkelbacillen¬ 
frei ist. 

Ob die Tuberkelbacillen durch Erhitzung auf 87 0 in dem 
Fett abgetödtet werden, wie Michaelis und Gottstein 
behaupten, Rabinowitsch aber bezweifelt, kann ich aus 
eigener Erfahrung nicht sagen; ich bin übrigens dabei, es auszu- 

probiren *). 


Vereinfachung und Verbilligung des aseptischen 
Apparates und seine Gestaltung an kleineren Kranken¬ 
häusern. 

Von A. Hammesfahr in Bonn. 

Ich weiss aus meinem Verkehr mit den praktischen Aerzten, 
dass mancher Arzt, dem ein kleines oder mittelgrosses Kranken¬ 
haus zur Verfügung stellt, nur desslialb seine operative Thätig- 
keit einschränkt, weil ihm der aseptische Apparat zu komplizirt 
und zu kostspielig erscheint. Als ich vor nunmehr 8 Monaten 
durch die so uneigennützige auf mein Fortkommen bedachte Für¬ 
sorge meines damaligen Chefs selbständig wurde, wurde mir ein 
nach unseren heutigen Begriffen kleines Krankenhaus, das 
Marcusstift in Godesberg, für mein verhältnissmässig grosses 
operatives Material zur Verfügung gestellt. Ein durch 4 grosse 
Fenster gut erhellter, mit Terrazzofussbodcn ausgestattetor und 
— soweit das bisher nöthig war —recht gut gepflegter Operations- 
saal war vorhanden; mehr als einen Raum konnte ich vorläufig 
nicht für meine operative Thätigkeit beanspruchen, da die übrigen 
Räume mit unseren Patienten mehr als reichlich belegt waren. 
Ich fand eine von der harten Schule der Asepsis noch nicht mit¬ 
genommene, aber willige und intelligente Schwester und die 
freundliche Assistenz zweier sehr tüchtiger Praktiker. Ich 
suchte nun den für kleine und grosse, septische und aseptische 
Operationen nöthigen Apparat so einfach und so billig wie mög¬ 
lich zu gestalten und suchte ferner durch bestimmte Vorschriften 
für das Verhalten septischem Material gegenüber die absolute 

') Deutsch, med. Wochenschr. No. 26, 1900. 

2 ) Therapeutische Monatsh., Dezember 1900. 

3 ) Deutsch, med. Wochenschr. No. 30, 1900 u. No. 11, 1901. 

*) Anmerkung bei der Korrektur. Meine dies¬ 
bezüglichen Versuche sind inzwischen zum Abschluss gekommen 
und ergaben nachstehende Resultate: 

Ich verfuhr in folgender Weise: In ca. 20 ccm ausgelassenem 
reinen Rinderfett, bei 40 0 C. flüssig gemacht, verrieb ich mehrere 
Oesen einer Tuberkelbacillen-Kultur. Ein Quantum dieser Mischung 
erhitzte ich auf 95° C. und Hess sofort abkühlen; ein zweites hielt 
ich auf dem Wasserbade 5 Minuten lang bei 87° C.; ein drittes 
hielt ich 30 Minuten laug bei 87° C. Nach schneller Abkühlung 
injizirte ich von diesen 3 Mischungen je 2 Meerschweinchen Intra¬ 
peritoneal je 1 ccm; im Ganzen wurden also 6 Thiere geimpft 
Um mich von der Virulenz der Kultur überzeugen zu künueu, 
injizirte Ich 2 Meerschweinchen je 1 ccm von der bei 40° flüssig 
gemachten Mischung; beide Thiere gingen nach 3 Wochen au 
Miliartuberkulose ein. 

Die mit Quantum I (auf 95° C. erhitzt und sofort abgekühlt) 
injizirten Thiere starben nach 4 resp. 4y 2 Wochen. Pathologisch- 
anatomischer Befund: Bei beiden Tuberkulose der Bauchorgane. 
Von den mit Quantum II geimpften Thieren starb eins nach 
4y 2 Wochen au allgemeiner Tuberkulose, das andere, beträchtlich 
abgemagerte Thier, wurde nach 9 Wochen getödtet; pathol.-auar. 
Befund: Tuberkulose der Baucborgane. Die mit Quantum III in- 
fizirten Thiere wurden nach 9 Wochen getödtet; pathol.-nnatom. 
Befund bei dem einen: Tuberkulose der Bauchorgane, das andere 
war frei von Tuberkulose. 

Das Ergcbniss ist also folgendes: Selbst eine Temperatur 
von 95 0 C. reicht nicht aus, um im Fett enthaltene Tuberkelbacillea 
abzutödten. Eine sichere Abtödtung der Tuberkelbacillen wird 
auch nicht durch ein 80 Minuten langes Einwirken von 87 0 erzielt. 


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9. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1133 


Desinfektionsmöglichkeit unserer Hände zu sichern. Wie der 
Operationssaal heute, nach seiner Umgestaltung, aussieht, ist 
schnell beschrieben. Ein grosser büffetähnlicher Schrank ent¬ 
hält in seinem oberen Theil auf Glasplatten die nöthigsten, aber 
für alle chirurgischen und gynäkologischen Operationen aus¬ 
reichenden Instrumente, in seinem unteren Theil die Narkotica 
nnd die Verbandsachen, die nicht sterilisirt zu werden brauchen, 
resp. nicht sterilisirt werden können: als Holzschienen, Pflaßter, 
Guttapercha, Byrolin, Gipsbinden, Tricotschlauch u. s. w. Ein 
zweiter, langgestreckter, anrichtenähnlicher Schrank ist oben mit 
Weissblech überzogen und trägt darauf einen grossen Lauten¬ 
schläger für die Sterilisation der Instrumente und einen drei¬ 
flammigen Gasherd mit 3 verschieden grossen Emailletöpfen. 
In der einen Hälfte des Schrankes befindet sich die Wäsche, in 
der anderen die sterilisirbaren und sterilisirton Verbandstoffe. 
Der Operationstisch, ein grosser aber wenig Raum beanspruchen¬ 
der Dampfsterilisator, eine unter den Fenstern angebrachte Eisen¬ 
platte für-die aus dem Sterilisator kommenden Verbandstoff- und 
Wäschekörbchen, einfache Tischchen aus Eisen: eines für die 
bei der Narkose nöthigen Sachen, eines für die zur mechanischen 
Desinfektion des Operationsgebietes nöthigen Utensilien, 2 für 
die aus dem Lautenschläger kommenden InStrumentenschalcn, 
2 mit der Rückplatte in die Wand eingelassene, glatte, mittel- 
grosse Waschbecken, Ringe mit Porzellanschalen für Alkohol und 
Sublimat, ein Ausgussbecken, ein Korb für die gebrauchte 
Wäsche, ein emaillirtes grosses Becken für die verbrauchten Ver¬ 
bandsachen: das ist das übrige Inventar unseres ganz in Weiss 
gespachtelten und ölgeetrichenen, schmucken Operationssaales. 
Selbstredend wird mit dem Operationssaal auch das ganze weiss- 
laekirte Inventar täglich abgeseift, reep. gescheuert und 
geputzt. Die Asepsis bei den Operationen selbst habe ich 
mit der Befolgung der Forderung: Alles, was in die 
Wunden gebracht wird, muss kurz vor der Operation ausgekocht 
sein, durchgeführt. Schwämme und Catgut sind desshalb ganz 
zu verwerfen; an Stelle der Schwämme nehme ich mit Gaze- 
bäuschchen gefüllte, zugebundene Gazobeutelchen verschiedener 
Grösse; sie werden am Abend vor der Operation eine Stunde lang 
ausgekocht und erst kurz vor der Operation aus dem Emaille¬ 
topf herausgenommen und in eine der ebenfalls ausgekochten 
Kühlschalen des Lautenschlägerapparates gebracht. Mit 5—10 
Beutelchen kommt man auch bei grossen und blutreichen Ope¬ 
rationen aus, da sie immer wieder ausgedrückt und im gekochten 
Wasser ausgewaschen werden können. Das theuere, nie sicher zu 
sterilisirende und den aseptischen Apparat arg komplizirende Cat¬ 
gut ist ganz und gar zu verbannen! Der Brau n’sche, nicht 
irabibitionsfähige, ausserordentlich haltbare und lächerlich billige 
Ceüoidinzwim in seinen beiden feinsten Nummern ist ein ganz 
vorzügliches Ersatzmittel für Catgut und nicht minder für die 
theuere und so zerreissliche Seide! Er kann unzählige Male aus¬ 
gekocht werden und verliert seine vorzüglichen Eigenschaften 
nicht. Die feinste Nummer dieses Zwirnes ist ein ausgezeich¬ 
netes Material für Darmnähte, sie und die nächste Nummer 
ebenso ausgezeichnet für alle Unter- und Abbindungen. Dazu 
möchte ich einschalten, dass ich so wenig wie möglich unter¬ 
binde — bei den Bauchdeckenwunden nie! —; das ist leicht 
du rehzuführen, wenn man nicht die lose fassenden sogenannten 
Schieber, sondern die das Gefäse fest zuklemmenden P 6 a n’schen 
Klemmen benutzt und diese längere Zeit liegen lässt. Ich habe 
bei den 30 Laparotomien, die ich in den letzten 6 Monaten machte, 
nicht einen einzigen Bauchdeckenabsoess gesehen. Dadurch also, 
dass wir für Schwämme, Catgut und Seide einen ausserordentlieh 
viel billigeren Ersatz nahmen, haben wir die Kosten für die 
Operationsmaterialien ganz bedeutend verringert, die Vorberei¬ 
tungen für die Operation sehr vereinfacht und die Sicherheit 
der Asepsis wesentlich erhöht. Wie viel einfacher ist es, die 
Gazebeutelchen herzustellen als die kostbaren Schwämme zu dos- 
infiziren! Und erst die Catgutsterilisation! Bei aller Sorgfalt 
in der Zubereitung des Catguts doch nie das Gefühl der Sicher¬ 
heit, das der Gebrauch des sicher sterilisirten Zwirns verleiht! 
Zn den Hautnähten und meist auch zu den zu versenkenden 
Banehdeckennähten nehme ich den jetzt wohl allgemein einge¬ 
führten Aluminiumbronzedraht. Ich glaube übrigens, dass für 
die bei Laparotomien und Hernienoperatiorcn in letzter Zeit be¬ 
sonders bevorzugten versenkten Draht nähte ein vorzüglicher 
Ersatz in der stärksten Nummer des Celloidinzwims gefunden 
ist nnd — wie mir scheint — auch gefunden werden musste. 


denn es mehren sich doch die Fälle, in denen die sich gegen 
die Haut anstemmenden Enden der versenkten Drahtnähte den 
Patienten erhebliche Beschwerden machen. Ich werde darüber 
gelegentlich später berichten. Was wir an todtem Material in 
die Wunden bringen, ist also sicher sterilisirt, und nur von 
unseren Händen könnte ihnen eine Infektionsgefahr drohen. 
Diese Gefahr ist aber auf ein Minimum zu reduciren, wenn mit 
aller Strenge die Forderung erfüllt wird, dass die Hände des 
Chirurgen und seiner ganzen ärztlichen und schwesterlichen 
Assistenz niemals mit septischem Material in direkte Berührung 
gebracht werden dürfen. Wie das durchzuführen ist, habe ich 
in einem kleinen Aufsatz der No. 47 des Centralbl. f. Chir. vom 
Jahre 1900 dargelegt. 

Der ausgiebige Gebrauch der Verbandscheere, Pinzetten, 
Fingerlinge und Gummihandschuhe kann uns sicher vor jeder 
derartigen Berührung schützen. Die so geschützte Hand ist vor 
aseptischen Operationen so zu sterilisiren, dass sie den Wunden 
nicht gefährlich werden kann; meiner Ueberzeugung nach sind 
alle Discussionen der letzten Zeit über die Händedesinfek¬ 
tion überflüssig: wir können unsere Hände genügend des- 
i n f i z i r e n , wenn wir nur vorher eine Infizirung der¬ 
selben vermieden haben. Auf unserem Operationssaal erscheint ee 
Jedem ganz selbstverständlich, dass eiterige Verbandstoffe nur 
mit Pinzetten angefasst, die touchirenden Finger mit Gummi¬ 
fingerlingen geschützt, bei septischen Operationen stets Hand¬ 
schuhe getragen werden. Ich kann nach meinen Erfahrungen 
sagen, dass die strenge Befolgung dieses Grundsatzes die Resul¬ 
tate geradezu glänzend macht. 

Ich muss in demselben Raume Phlegmonen und Empyeme 
operiren, Gallenblasenexstirpationen und Trepanationen machen 
und habe doch bei den 126 grösseren aseptischen Opera¬ 
tionen der letzten 6 Monate nicht eine einzige Eiterung gesehen. 

Wir sch recken unsere Patienten auch nicht durch allerhand 
Masken und Vermummungen, aber wir pflegen Kopf und Hände, 
und unsere Resultate stehen denen der mit allem Komfort der 
Asepsis ausgestatteten Kliniken sicher nicht nach *). 


Zur Technik der Entfernung von Fischgräten aus 
dem Halse. 

Von Prof. Dr. Max Breitung in Coburg. 

In rocht vielen Fällen, in welchen Patienten den Arzt auf¬ 
suchen, um sich eine im Hals stecken gebliebene Fischgräte ent¬ 
fernen zu lassen, ergeben sich für den Nachweis derselben erheb¬ 
liche Schwierigkeiten. Die Inspektion lässt, wenn längere Zeit 
seit dem Unfall vergangen ist, fast immer in Stich, man sieht 
im Isthmus oder Kehlkopf eigentlich nur ausnahmsweise das 
Corpus delicti, die Angaben des Kranken sind meist nur insoweit 
von Werth, als sie sich mit Sicherheit auf die Seite beziehen, 
auf welcher der eingedrungene Fremdkörper sitzen soll. 

Eine genauere Lokalisirung ist trügerisch; fast immer wird 
der Sitz viel tiefer angenommen, als er wirklich ist, z. B. wird 
für Gräten in den Mandeln fast regelmässig vom Patienten mit 
dem Finger die Gegend dicht unterhalb des Kehlkopfes bezeichnet. 

Eine unlängst von mir ausgeführte Extraktion einer Fisch¬ 
gräte au9 der rechten Mandel gibt mir Veranlassung zu dieser 
für die Praxis vielleicht nicht unwillkommenen Mittheilung, denn 
Fischgräten werden überall verschluckt, ihre Entfernung gehört 
zur Domäne jede9 Praktikers. 

Es handelte sich um einen Hotelier, welcher vor etwa 3 Tagen 
beim Abendessen plötzlich einen stechenden Schmerz verspürte und 
sofort das Verschlucken einer grossen Gräte vermuthete, ohne in¬ 
dessen sicher zu sein. 

Es stellten sich Schluckbeschwerden ein. am zweiten Tage 
allgemeines Krankheitsgefühl. Als der Patient am dritten Tage 
mich aufsuchte, fand ich den Hals ziemlich stark geschwollen 
und eine nicht sehr erfreulich berührende submentale Infiltration. 
Der Herr gab die rechte Seite mit grosser Sicherheit an und be- 
zeichnete als Schmerzpunkt eine Stelle dicht unter dem rechten 
Schildknorpel. 

Die Untersuchung nach Kl rate in sowohl als mit dem 
Spiegel ergab keine Spur eines Fremdkörpers. Auf Grund 
früherer Erfahrung ging ich nun mit dem Finger ein. den Isthmus, 
das Cavum, den Kehldeckel, Zungenwurzel u. s. w. sorgfältig ab- 


*) Bezugsquellen für: 1. auskochbare, sehr haltbare Hand¬ 
bürsten: Feld mann Sc Jansen in Bonn; 2. Celloidinzwim 
Braun: Alexander Schaedel, Leipzig; 3. Gummifingerlinge: 
Evens Sc Pister, Cassel; 4. Auskochbare Gummihandschuhe: 
Zieger Sc Wiegand, Lelpzlg-Plagwitz. 

3* 


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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


1184 


tastend. Mit Sicherheit ergab sich nichts, indess schien ln der Sub¬ 
stanz der rechten Gaumenmandel etwas zu sitzen. 

Nach wiederholter Ausübung eines glelchmtlsslg streichenden 
Druckes über die Oberfläche der Tonsille glitt die Fingerkuppe 
über eine scharfe Spitze. Nunmehr konnte bei guter Beleuchtung 
eine etwa 1 mm über die Oberfläche hervorragende weisse, mit 
Schleim zu verwechselnde, Stelle gesehen werden, welche als Thell 
des Fremdkörpers angesprochen wurde. 

Der weisse Punkt wurde mit einer flachbranchigen Pincette 
gefasst und ohne Weiteres folgte eine sehr derbe nadelartige Gräte 
von etwa 2 cm Länge, welche sich ganz in die Substanz der Mandel 
eingestochen hatte. 

In diesem Falle war es also die Fingeruntersuchung wieder 
einmal gewesen, welche zur richtigen Diagnose und Encheirese 
geführt hatte. 

Es erschien daher nützlich, da auf diese Untersuchung in 
den Lehrbüchern nicht immer mit der wünschenswerthen Schärfe 
hingewiesen wird, an dieser Stelle der Palpation aus¬ 
drücklich die Empfehlung angedeihen zu 
lassen, welche sie für eine schnelle Entfer¬ 
nung von spitzen Fremdkörpern unbedingt 
verdient. 


Maximalthermometer fUr die Sterilisation von Verband¬ 
stoffen. 

Von Dr. Conrad Stich in Leipzig. 

Bei der Sterilisation dicht gepackter Verbandstoffe will man 
gern überzeugt sein, dass im Innern des Materials die beabsich¬ 
tigte Sterilisationstemperatur erreicht wurde. Für solche Prüf¬ 
ungen eignen sich die bekannten Legirungen von Wismuth, Blei 
und Zinn, die man nach verlangtem Schmelzpunkt herstellt. Der 
Legirung gibt man Stäbchenform. Die Stäbchen, in Korkunter¬ 
lagen eingedrückt, werden im Verbandmaterial untergebracht. 
Bei Erreichung der Sterilisationstemperatur schmilzt das Stäb¬ 
chen zusammen. Auch kann das Legirungsstäbchen in einem mit 
Wasser gefüllten Glasröhrchen unterge¬ 
bracht werden. 

Einen kleinen Apparat dazu, wie er 
hier abgebildet ist, konstruirte ich mit zwei 
verbundenen Glaskugeln, durch die ein 
Platindraht gelegt wurde. Der Apparat ist 
bis zum 1. Drittel der 2. Kugel mit Wasser 
gefüllt, um das Ankleben der Legirung zu 
vermeiden, und diese liegt vor Benutzung 
des Apparates in der oberen Kugel. Ist 
der Schmelzpunkt der Legirung erreicht, 
so fliesst sie durch die Verjüngung nach 
der unteren Kugel. Zu berücksichtigen 
ist, dass bei der vorhandenen langsamen 
W - Leitung die Aussentemperatur weit 
höher als die Temperatur bei Eintritt des 
Schmelzpunktes im Innern der Kugel 
steht. 

Diese Differenz muss natürlich vorerst im Wasser- bezw. 
Oelbade festgestellt werden. 


Aus der chirurgischen Klinik der Universität Freiburg. 

Eine neue Spritze zur Schleich’schen Anaesthesie. 

Von Stabsarzt Dr. Hammer, bisher kommandirt zur chirurg. 
Klinik zu Freiburg. 

Von einer guten Infiltrationsspritze verlangt man, dass sie 
solid sei und auch bei höchstem Druck absolut dicht halte, dass 
sie leicht zu reinigen und aseptisch zu halten sei, und endlich 
ist es für den praktischen Arzt erwünscht, dass sie nicht allzu 
ängstlicher Wartung und Pflege bedürfe, sondern auch nach 
längerem Nichtgebrauch zuverlässig funktionire. 

Die Schwierigkeiten der Konstruktion liegen 1. in der Ver¬ 
bindung der Kanüle mit der Spritze, 2. in der vorderen Dichtung 
des Spritzencylinders und 3. im Kolben. Sie sind grösser als 
es von vornherein den Anschein hat. Mehrere Modelle sind schon 
angegeben worden, die in mancher Hinsicht Vorzügliches leisten, 
ohne doch allen Ansprüchen zu genügen. 


In jüngster Zeit ist sogar vorgeschlagen worden, die Spritze 
ganz entbehrlich zu machen'). 

Meine Konstruktion weicht in mehreren Punkten von den 
bisher gebräuchlichen ab. Da sie sich bereits zwei Jahre lang 
in der Freiburger Klinik bewährt hat, glaube ich berechtigt zu 
sein, sie nunmehr auch weiteren Kreisen bekannt zu geben. 

Da bisher alle Spritzen nach Abnahme der Kanüle durch Auf¬ 
saugen der Flüssigkeit gefüllt wurden, so mussten die Kanülen 
leicht abnehmbar sein. Um so schwieriger war es, eine solide und 
auch bei hohem Druck sichere Verbindung derselben mit der Spritze 
zu erzielen. Ich bin djiher auf den Gedanken gekommen, der Ka¬ 
nüle eine festere Vereinigung mit dem Spritzencylinder zu geben, 
und die Füllung der Spritze auf andere Weise zu bewerkstelligen, 
und zwar durch ein am hinteren Ende des Cylinders angebrachtes 
Fenster, hinter welches der Kolben zurückgezogen werden kann. 
Das Eingiessen der Flüssigkeit geschieht mittels einer Flasche 
mit eingeschliffener Ausgussvorrichtung. Dieses Fläschchen 
dient zugleich zur Aufbewahrung der Lösung und ist darauf ein¬ 
gerichtet, mit dem Inhalt zusammen gekocht zu werden. Ein 
Ausfüllen der Flüssigkeit in ein besonderes weithalsiges Gefäss 
findet mithin nicht statt. Die Füllung der Spritze erfolgt mit etwas 
gesenkter Kanüle, wie die Abbildung zeigt, bei der allerdings das 
Fenster zur besseren Veranschaulichung unnatürlich weit nach 
vorn gedreht ist Sobald die Flüssigkeit bis zur Höhe des Fensters 
gestiegen ist, wird bei immer noch gesenkter Spitze 
der vorher zurückgezogene Kolben an dem Fenster vorbeigeschoben 
und dadurch der Abschluss bewirkt Dieser Modus hat gleichzeitig 
den Vortheil, das Auftreten der so lästigen Luftblasen, deren 
Entfernung oft noch besondere Bemühungen erforderte, mit ab¬ 
soluter Sicherheit zu verhüten. 



Der Spritzencylinder fasst 10 ccm und ist ganz aus MetalL 
Dadurch wird eine sehr zuverlässige und einfache vordere Dichtung 
ermöglicht Sie besteht ln einem gut eingeschliffenen Metallconus. 
Anfangs Hess ich die Kanüle mit diesem Conus aus einem Stück 
arbeiten, da es aber doeh nothwendig ist die Nadeln beliebig 
oft wechseln zu können, so habe ich auf die Kanülen von Fritz 
Freienstein zurückgegriffen und verwende mit seiner Ge¬ 
nehmigung diese in einen kleinen Conus aus weichem Metall ein¬ 
gelassenen Kanülen. Ein solider Bajonettverschluss presst sie auf 
den eingeschliffenen Conus fest auf, gleichzeitig diesen befestigend. 
Sie können jedoch jederzeit auch bei gefüllter Spritze leicht ge¬ 
wechselt werden, ohne dass der Conus oder der Bajonettverschluss 
ganz abgenommen werden muss. 

Bel dem Kolben glaubte ich auf eine Lederdichtung nicht ver¬ 
zichten zu sollen, weil dieses Material an Geschmeidigkeit und 
Elasticität bisher von keinem anderen erreicht wird. Das zu dieser 
Spritze verwendete Leder ist jedoch durch ein besonderes Ver¬ 
fahren (dessen Bekanntgabe ich mir noch Vorbehalte) so präparirt, 
dass es Auskochen verträgt, ohne zu schrumpfen oder brüchig zu 
werden, während gewöhnliches Leder beim Kochen auf die Hälfte 
seines Volums sich zusammenzieht und dann zu einer knochen¬ 
harten, spröden Masse eintrocknet. Ein derartiger Kolben Ist In 
der Freiburger Klinik viele Monate in Gebrauch gewesen und oft 
mit der ganzen Spritze ausgekocht worden (bisweilen mehrmals 
täglich) und wieder wochenlang ganz ausgetrocknet, ohne seine 
absolute Schlussfähigkeit zu verlieren. Ich empfehle jedoch Jetzt, 
für gewöhnlich nur die Spritze auszukochen und den Kolben, wenn 
es für nöthlg gehalten wird, mit Karbol zu desinfleiren. Bel 
häufigem Auskochen wird sonst das I^eder zu einer Art Quellung 
gebracht, wodurch der Gang der Spritze erschwert wird. Ein 
Nachtheil von diesem letzteren Modus ist in der Klinik nie be¬ 
merkt worden. 

Die Querstangen, mit Hilfe deren die Spritze gehandhabt wird, 
sind etwas weiter nach der Spitze zu angebracht wie gewöhnlich. 
Dadurch wird ein kraftvolles Ausspritzen bis zum letzten Tropfen 
ermöglicht. Geliefert wird die Spritze von Herrn Instrumenten¬ 
macher Fischer, Freiburg. 


*) Moszkowicz: Ein Apparat für Schleieh’sche In- 
flltratlonsanaesthesie. Centralbl. f. Chirurgie 1901, No. 19. 



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MÜEttCTIEftER MEDlCItttSCIIE WOCHENSCHRIFT. 


9. Juli 1901. 


1135 


Aus dem Augustahospital zu Berlin (chirurgische Abtheilung). 

27 intrakranielle Trigeminusresektionen (darunter 
25 typische Exstirpationen des Ganglion Gasseri) 
und ihre Ergebnisse. 

VonFedorKrause, a. o. Professor an der Universität Berlin. 

(Schluss.) 

Im Folgenden gebe ich die Krankengeschichten aller 
27 Fälle, aber nur dann ausführlich, wenn sie besondere Wichtig¬ 
keit in der einen oder anderen Hinsicht darbieten. Vielfach sind 
im Texte bereits Einzelheiten vorweggenommen, zuweilen auch 
ganze Krankengeschichten; es genügt dann für diese Zusammen¬ 
stellung der Kürze wegen der Hinweis auf das oben Ausgeführte. 
Was die Vorgeschichte der älteren Fälle betrifft, so verweise ich, 
um nicht zu lang zu werden, öfters auf meine Monographie"). 

Die Altersangabe bezieht sich stets auf den Tag der Gang¬ 
lionexstirpation. 

Ende März oder Anfang April 1901 habe ich von der Mehr¬ 
zahl der Operirten schriftliche Berichte erhalten, viele auch noch 
im August und September 1900 selbst untersucht. Diese Be¬ 
funde sind überall beigefügt. 

Falll. 47 jährige Frau. Rechter Iufraorbltalls von Vo 1 le¬ 
rn an n (1880), zweiter Ast am Forameu rotumlum von mir (1800) 
resecirt. 23. und 28. Februar 1802 intrakranielle Re¬ 
sektion des 2. A s t e 8 in zwei Zelten. Reckliv nach 8 Monaten. 
Siehe Fall IV. 

Fall II. 02jähriger Mann, litt seit 13 Jahren an Neuralgie 
des 2. Astes links, wurde 1884 von A g n e w in Philadelphia mit 
vorübergehendem, ein Jahr später in Washington noch einmal 
ohne Erfolg operirt. 3. und 8. Dezember 1802 intra¬ 
kranielle Resektion des 2. Astes in zwei Zeiten. Ne¬ 
krose der Knochenplatte (s. Im Text), die am 18. Dez. entfernt wird; 
völlig gehellt entlassen am 17. Jan. 1803. Ein Jahr nach der 
Operation hat der Kranke, wie er schrieb, ein leichtes ltecidiv 
im Gebiete des 2. Astes, das ein Jahr später noch erträglich ge¬ 
nannt wird. Weitere Nachrichten des in Amerika lebenden Kranken 
fehlen. 

In diesen beiden ersten Fällen wurde nur die intrakranielle 
Resektion des 2. Astes vorgenommen, eine Operation, die völlig 
unabhängig von mir und etwa zur selben Zeit von Frank Hartlcy 
in Xew-York ausgeführt worden ist. Sic stellte nichts weiter 
dar als eine periphere Trigeminusresektion innerhalb der Schädel¬ 
höhle, da das Ganglion Gasseri nicht berührt wurde. Wegen 
ihrer Unzuverlässigkeit habe ich sie vollkommen aufgegeben und 
in den folgenden 25 Fällen stets die typische Exstirpation jenes 
Ganglion und des Trigeminusstamms ausgeführt. 

Fall III. 08jährige Frau. Vergl. Monographie S. 47, Be¬ 
obachtung 3. 

1880 N. alveolaris Inferior mit fast 1 Jahr andauerndem Er¬ 
folge, 1883 der 3. Ast an der Schädelbasis ohne jeden Erfolg re¬ 
secirt. Unsagbar heftige Schmerzen in der ganzen linken Ge¬ 
sichts- und Kopfhälfte. Die Kranke ist fast dauernd schlaflos, 
kann vor Schmerzen nicht essen und in Folge der Erschöpfung 
Tage und Wochen lang das Bett nicht verlassen. Selbstmord¬ 
gedanken. 

Linkes Ganglion 31. Jan. 1803 exstirpirt, über¬ 
haupt erste typische Ganglionexstirpation. Pa¬ 
tientin am 10. Febr. geheilt entlassen. Am 19. April 1895 wurde 
sie auf dem Chirurgeucougress zu Berliu vorgestellt. 

12. Juni 1900 von mir untersucht; Die 75 jährige Frau ist 
weit über ihr hohes Alter blühend und gesund; sie ist im Staude, 
Spaziergänge von Blankenese bis Hamburg, d. b. 10 Kilometer 
weit, zu unternehmen und ohne alle Beschwerden ihren» grossen 
Haushalt vorzustehen. Alle paar Wochen hat sie das Gefühl, als 
ob ein Thier auf der linken Stirnhälfte von der Haargrenze bis zum 
Scheitel laufe; das Gefühl ist nicht schmerzhaft und dauert nur 
einige Augenblicke. Zuweilen, nicht einmal jede Woche, macht 
sich eine ganz kurze Empfindung wie elu unbedeutender Nadel¬ 
stich in der linken Stirnhälfte bemerkbar. Sonst nicht die ge¬ 
ringsten Störungen. Das alte künstliche Gebiss passt jetzt noch. 
Hornhaut uud Bindehaut vollkommen anaesthetiscli. Kleiner 
Hornhautfieck auf der liuken Hornhaut von einer früheren Ent¬ 
zündung (1895); seitdem niemals mehr Augeueutzündung, hat kein 
Schutzglas getragen. Das Auge der nicht operirten Seite ist 
Morgens zugeklebt, das der operirten Seite nicht. 

Am 27. März 1901 briefliche Nachricht des Sohnes der 70 jähr. 
Frau: „Meine Mutter befindet sich fortdauernd wohl. In der 
linken Gesichtshälfte stellt sich zeitweilig ein leicht brennendes 
Gefühl ein, das sich von der Schläfe bis zur Wange verbreitet 
Diese Empfindung tritt gewöhnlich auf, wenn meine Mutter an¬ 
dauernd gestrickt hat. Nach längerem und lautem Sprechen hat 
sie ein taubes Gefühl um den Mund, das jedoch nach einigen 


•) F. Krause: Die Neuralgie des Trigeminus nebst der 
Anatomie und Physiologie des Nerven. Leipzig, F. C. W. Vogel 
1890. 

No. 28 


Augenblicken der Ruhe wieder verschwindet. Alle diese kleinen 
Mängel sind im Vergleich zu den früheren furchtbaren Schmerzen 
kaum erwähnenswerth und leicht zu ertragen. Das liuke Auge, 
dessen Sehkraft vorzüglich ist, wird durch das obere Augenlid, 
das keine rechte Spannkraft zu haben scheint, etwas verkleinert. 
Das rechte Auge (nicht operlrte Seite) ist an Sehkraft schwächer 
als das liuke und zeigt Absonderung von Materie.“ 

Fall IV. 48jährige Frau (dieselbe wie Fall I). Exstir¬ 
pation des rechten Ganglion am 29. April 1893. 
Geheilt entlassen am 22. Mai. Sie starb in ihrer Heimath an 
Blinddarmentzündung am 29. Sept. 1894, bis dahin war sie frei von 
Neuralgie. 

Fall V. 55jähriger Mann. Vergl. Monographie S. 50, Be¬ 
obachtung 4. 

Es handelte sich um einen der am meisten entkräfteten 
Kranken, die ich operirt habe; der Mann litt au linksseitiger Tri¬ 
geminusneuralgie seit 1871. Anfangs von geringer Heftigkeit 
wurden die Schmerzen bald stärker, die Anfälle kehrten häufiger 
wieder. Zwei periphere Nervenoperntionen (1884 N. lnfraorbitalis, 
1880 N.supraorbitalis) hatten nicht einmal vorübergehenden Erfolg, 
uud da der arme Kranke jede Hoffnung auf Heilung aufgegeben 
hatte, trug er sieh mit Selbstmordgedanken und musste von seiner 
Familie dauernd bewacht werden. Er konnte seinem Geschäft 
nicht mehr vorstehen und war geuöthigt, es zu verkaufen. Schliess¬ 
lich war er nicht mehr im Staude, zu kauen, er vermochte nur 
eben mit einem Theelüffel etwas Flüssigkeit zu sich zu nehmen, 
weil jedes weitere Oeffnen des Mundes die fürchterlichsten 
Schmerzanfälle hervorrief. Vor Schwäche konnte er nicht mehr 
allein gehen, sondern musste von zwei Leuten geführt werden. 
Auf der Eisenbahnfahrt nach Altona äusserteu die Mitreisenden 
ihre Entrüstung zu dem Begleiter, einen so schwer Kranken über¬ 
haupt zu transportireu. In völlig entkräftetem Zustande kam er 
zur O p e r a t i o n, die am 30. Mail 893 links ausgeführt wurde. 
Am 8. Juli reiste er geheilt in seine Heimath zurück. Er ist seitdem 
ganz gesund geblieben, wieder arbeitsfähig geworden uud hat 
20 Pfd. au Körpergewicht zugonommeu. Am 19. April 1895 wurde er 
auf dem Chirurgenkongress iu Berliu vorgestellt. Am 1. April 1901 
schreibt der jetzt 03 jährige Manu: „Ich fühle mich jetzt munter 
und wohl, Schmerzen im Gesicht habe ich noch nicht wieder ge¬ 
spürt, nur zuweilen Kribbeln, auch Zucken oder Ziehen, wodurch 
ich mich aber nicht belästigt fühle. Geruch und Geschmack habe 
ich nicht. Mein Auge ist auch so weit gut, nur die Sehkraft ist 
nicht so, wie mit dem anderen Auge.“ (Kr hatte bei bestehender 
Thriinensackeiterung während der Wundheilung eine schwere 
Hypopyonkeratitis durchgemacht, die mit kleinem Hornhautfieck 
ausgeheilt ist, siehe oben im Text.) „Auch das Kribbeln 
empfinde ich iu dem betreffenden Auge, was mich aber weiter nicht 
belästigt.“ 

Fall VI. 72 jähriger Mann. 

1883 und 1889 periphere Resektion des 2. und 3. Astes mit 
vorübergehendem Erfolg. Exstirpation des rechten 
Ganglionam3. Nov. 1893. Nach doppelter Unterbindung und 
Durehtrennuug der A. meningea media glitt die periphere Ligatur 
ab; das periphere Eude blutete so stark, dass es umstochen werden 
musste. Schwerer Chloroformzufall, Athmungsstillstand, Puls 
sehr schlecht. y 2 Stunde künstliche Atlimung, hierauf athraet der 
Kranke wieder; die weitere Operation verlief ungestört. Glatter 
Wundverlauf, am 0. Tage Tod an Herzfehler, (Genaueres siehe 
oben im Text.) 


Fall VII. 70jährige Frau. Vergl. Monographie S. 45, Be¬ 
obachtung 2. 

1882 Supraorbitnlis und lnfraorbitalis links peripher resezirt, 
1892 von mir 1. und 2. Ast bis zur Schädelbasis entfernt; wiederum 
schweres ltecidiv. 16. September 1894 Exstirpation 
des linken Ganglion, am 9. Oktober geheilt entlassen. 

19. Juni 1900 von mir zuletzt untersucht: Trotz der Entfernung 
des Knochens Narbe wenig sichtbar, Grube nicht sehr tief; Be¬ 
deckung hart, als ob sich eine diinne Knochenschicht neu ge¬ 
bildet hätte. Hornhaut und Bindehaut links anaesthetiscli; beider¬ 
seits Conjunctivitis uud Blepharitis, trotzdem Ist die linke Horn¬ 
haut durchaus normul geblieben. Die Frau hat seit der 
Operation niemals mehr Schmerzen im Gesicht gehabt. 
Nach Aufregungen lind bei anstrengenden häuslichen Arbeiten 
macht sich zuweilen eine leichte Empfindung im linken Nasenflügel 
bemerkbar, als ob es sticht oder brennt; dies dauert einige Minuten 
und gellt dann vorüber. Die Frau Hilft ihre Enkel mit ihrer Hände 
Arbeit ernähren und ist desshalb, wie sie sagt, überglücklich. 

29. März 1901 briefliche Nachricht der Tochter: „Meine 
77 jährige Mutter verrichtet noch alle häuslichen Arbeiten, kocht, 
wäscht, näht und strickt. Das rechte Auge ist fast immer ent¬ 
zündet, das linke (operlrte Seite) weniger, ist auch an Sehkraft 
viel besser.“ (Beiderseits chronische Blepharoconjunctivltls.) 
„Wenn Zugluft an das linke Auge kommt, fangen die Nase und 
die linkeKopfSeite an, leicht zu schmerzen; der Schmerz ist kaum 
der Erwähnung werth, wie meine Mutter sagt, und schwindet 
nach einigen Minuten.“ 


Fall VIII. 47jährige Frau. Vergl. Monographie S. 45, Be¬ 
obachtung 1 und S. 130. 

1S87 2. Ast rechtsseitig reseclrt; 9 Monate schmerzfrei. Hef¬ 
tiges Rocidiv, Schlaflosigkeit; Essen, auch Sprechen unmöglich. 
Die Kranke verlor 50 Pfuml an Körpergewicht. Selbstmord¬ 
gedanken. 29. N o v. 1894 rechtes Ganglion exstirpirt; 
19. Dez. reiste die Kranke geheilt in ihre Heimath. 


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j 136 MÜENCITEtfER MEDlCIttlSClIE WOCTtENSCimiFT. tto. 25. 


Die A. meningea media war doppelt vorhanden, auch 2 Fora- 
mina spinosa; beide Arterien wegen ihrer relativen Kleinheit ein¬ 
fach durchrissen, Kompression stillt die geringe Blutung. 

Januar 180."» starker neuralgischer Anfall auf der nicht- 
oporlrtcn Seite, mehrmalige Wiederholung im Laufe der nächsten 
4 Wochen. Dann trat Schmerzfreiheit hier ein, so dass die 
Kranke sich ausserordentlich erholte und 30 Pfund an Gewicht 
zunahm. Am 12. April 1S95 schrieb sie. es ginge ihr ausgezeichnet. 
Indessen bildete sich auf der linken Seite eine typische Neuralgie 
im 2. und 3. Ast aus, die allerdings lange Unterbrechungen zeigte, 
aber doch zuweilen in heftigen Anfällen auftrat. 

Am 25. III. 1901 — 6% Jahre nach der Operation — schrieb 
die Kranke: „Die Schmerzen an der nicht operirten Seite treten, 
wenn auch nicht in dem Maasse wie früher, doch von Zeit zu Zeit 
in der Oberlippe, am Nasenbein und im Ohr auf, überschreiten 
aber niemals die Mitte des Gesichtes. Die operirte rechte 
Seite ist nach wie vor schmerzlos, aber ohne 
Gefühl.“ 

Fall IX. 37jährige Frau. Yergl. Monographie S. 52, Be¬ 
obachtung 5. 

Rechter N. infraorbitalls 1892 ohne den geringsten Erfolg re- 
secirt. Am 10. März 1S94 wurde von mir der 2. Ast nach L (i c k e 
an der Schädelbasis aufgesucht und nach Aufmeisseluug des 
Canalis rotundus bis in diesen hinein entfernt. Schmerzfreiheit 
bis Juli desselben Jahres. Furchtbare Schmerzanfälle in den 
nächsten Monaten bis zu der am 23. Aug. 1895 ausgeführten 
Exstirpation des rechten Ganglion. Von da trat 
völlige Schmerzlosigkeit ein und ist von Bestand geblieben. Die 
Operirte ist wieder lebensfroh, nimmt an Vergnügungen Theil, 
tanzt sogar und besorgt ihren anstrengenden Haushalt. 

Am 0. Juli 1900 schreibt sie: „Die alten, entsetzlichen 
Schmerzen habe ich nicht wieder gehabt, doch hatte ich in den 
letzten 2 Jahren ziemlich viel herumziehende Schmerzen im Kopf. 
Grosse Sorge macht mir oft die gesunde, nichtoperirte Seite.“ 

21. März 1901 — 5 */ s Jahre nach der Operation —: „Mir geht 
es gut; es zeigt sich mehr Gefühl auf der operirten Seite, die alten 
Schmerzen sind aber nicht wiedergekommen. Im Januar hatte 
ich an der gesunden Seite, an derselben Stelle wie früher rechts 
unter dem Auge, wieder Schmerzen, so dass Ich ganz unglücklich 
war, wenn ich mir ausmalte, es wird mit der Zeit ebenso schlimm 
wie auf der andern Seite. Hoffentlich bleibt es noch lange so; 
denn ich kann arbeiten und die auf der linken (nichtoperirten) 
Seite herumziehenden Schmerzen lassen sich auslialten.“ 

Genaueres Uber die starke Blutung bei der Operation, deren 
Dauer aus diesem Grunde 3 volle Stunden betrug, und über die 
Nekrose des Knochenstiickes siehe im Text. Trotz des 
von den früheren Operationen her bestehenden Lagoplithalmos 
hat sich das Auge niemals entzündet, ohne dass Schutzmaassregeln 
angewandt worden sind. 

F all X. 07 jährige Frau. 

Litt seit 1870 an aufallsweise auftretenden Schmerzen unter 
dem rechten Auge, die zunächst erträglich waren. 1887 wurde 
wegen starker Verschlimmerung in Breslau die Lücke-Braun- 
sehe Operation ausgeführt, die nur 4 Wochen lang Schmerzfreiheit 
herbei führte. Dann waren bis Mai 1895 die Schmerzen nicht allzu 
schlimm, erreichten aber von da an eine unbeschreibliche Heftig¬ 
keit und zwar auch im Gebiete des 1. und 3. Astes. Die Kranke 
war in Folge der qualvollen Leiden stark abgemagert. 

8! Februar 1890 Exstirpation des rechten 
Ganglion, die durch Zerrelssllclikeit der Dura mater unge¬ 
wöhnlich erschwert wurde (siehe im Text Genaueres). Die Schmer¬ 
zen waren nach der Operation verschwunden. Ueber den weiteren 
Verlauf siehe oben im Text. * 

Fall XI. 45 jährige Frau. Exstirpation des linken 
Oaugllonam 2. Mai 1S9G. Vergl. Monographie S. 101—105 und 
den kurzen Auszug oben im Text. 

Fall XII. 46 jährige Frau wurde 1893 im Gebiet des 2. Astes, 
später noch einmal ohne Erfolg operirt. 11. Juni 1890 E x - 
s t i r p a 11 o n des rechten Ganglion. Bei dieser Krankeu 
schien elnJahr nach dorOperatiou gemäss den brieflichen Berichten 
ein Rückfall eingetreten zu sein. Sie liess sich in das Herzogliche 
Krankenhaus zu Braunschweig auf nehmen; der Oberarzt der inedi- 
cinisehon Abtheilung theilte mir gütigst mit, dass eine Trigeminus¬ 
neuralgie nicht vorhanden wäre, dass es sich vielmehr um aus¬ 
geprägte Erscheinungen von schwerer nysterie handelte. Weitere 
Nachrichten ein Jahr später haben denselben Befund ergeben. 

Fall XIII. 52jährig. Beamter. Im Feldzüge 1870 Neuralgie 
in der rechten Gesichtshälfte, dann 14 Jahre schmerzfrei. Seit 
1884 Neuralgie im Iuframaxillaris und Infraorbitalls. Die 1888 
ausgeführte periphere Resektion dieser Aeste nützte nur 7 Monate. 
4. S e p t e m b e r 1890 rechtsseitige G augliouexstir- 
1 » a t i o n. Seitdem völlig schmerzfrei. Der Manu starb am 
K». August 1899 an den Folgen einer im vorhergehenden Jahre 
eilittenen Apoplexia cerebri sinistra tllemiplegia de.vtra). Ausser¬ 
dem bestand ausgebreitete Arteriosklerose. 

Die Neuralgie ist bis zum Tode, also fast 3 Jahre, nicht 
wiedergekehrt. * 

Fall XIV. 71 jährige Frau. Periphere Resektionen des 1. und 
2. Astes 1895 mit kurzem Erfolge. Exstirpation des 
rechten Ganglion am 6. Oktober 1897. Siehe Kranken¬ 
geschichte im Text. 

Fall XV. 54 jähriger Mann, litt seit acht Jahren an rechts¬ 
seitiger Neuralgie im 3. Ast, der 1S94 mit Kieferdurchsiiguug bis 
zur Schädelbasis resecirt wurde. Nach 9 Monaten äusserst hef¬ 


tiges Recidiv. 18. Mal 1S98 rechtes Ganglion exstlr- 
pirt. Während der ersten 3 Tage klagte der Kranke über krib- 
belnde Empfindungen, in den Beinen. Nach der Operation bestand 
eine Lähmung des M. levator palpebrae superiorls und M. rectus 
internus, eine Schwäche des Sphinctcr pupillae (Oculomotorlus- 
pareso durch Druck des Hirnspatels). Trochlearis und Al>- 
ducens waren intakt. Nach 9 Tagen konnte das Oberlid etwas 
gehoben werden, auch der Rectus internus funktionlrte ein wenig. 
Nach 17 Tagen war die Lähmung noch weiter zurückgegangen, 
nach 24 Tagen fast gänzlich verschwunden; nach 2 Monaten alle 
Augenbewegungen normal. 

Zehn Wochen nach der Operation kam der Kranke, der als 
Besitzer einer Dampfmühle den ganzen Tag im Mehlstaube ar¬ 
beitete, mit einem erbsengrossen Epitheldefekt auf der Hornhaut, 
leichter Trübung ihrer Substanz und Röthung der Coujunctiva. 
Unter Atropin und Borverband heilte diese Erkrankung Innerhalb 
0 Tagen fast vollständig; die Hornhaut wurde klar, I’at. konnte die 
Uhr erkennen. Trotz dringenden Abrathens reiste der Kranke 
wieder nach Hause und arbeitete in der Mühle. 

Vier Wochen später kam er mit einem % der Vorderkammer 
füllenden llypopyon und grossem Hornhautgeschwür wieder. 
Starke Röthung und Eiterabsonderung der Bindehaut. Quere 
Spaltung der auacsthetischen Hornhaut, Beplnselung mit 1 proe. 
Argentum nitricum, Atropinisirung und Borverband brachten den 
schweren destructiven Proccss zum Stillstand. Heilung mit Leu- 
koma adliaerens: dieser Zustand wurde bei der Untersuchung 
am 0. Juli 1900 wieder festgestellt. Auge völlig anaesthetiseh, 
die Coujunctiva röthete sich nach Berührung mit Papierstückchen. 
Die völlige Gefühllosigkeit auf der rechten Seite der Mundschleim¬ 
haut und Zunge störte beim Kauen (die anderen Operirten bis auf 
eine klagten nicht darüber). 

Ohne Veranlassung empfand der Kranke von Zeit zu Zelt 
(„alle paar Wochen“) einmal einen „Zuck“ lin rechten Oberkiefer, 
der nur einen Augenblick dauerte und nicht schmerzhaft war, 
aber nichts von den alten Schmerzen. 

Auf der linken nicht operirten Seite empfand der Kranke 
beim Kauen zuweilen unerhebliche brennende Schmerzen im Unter¬ 
kiefer, die nach dem Oberkiefer zu ausstrahlten. Dasselbe hatte 
er bereits vor der Operation bemerkt. 

Am 26. März 1901 briefliche Nachricht: „Mein jetziges 
Befinden ist zu meiner vollen Zufriedenheit. Ich kann jetzt gut 
essen und kauen und befinde mich ganz wohl.“ 

Fall XVI. 30jähriger Arbeiter. Von Kindheit an Incon- 
tinenz der Blase; seit dem 11. Jahre gelegentlich Anfälle von 
Bewusstlosigkeit, die mit Krampf der linken Kau- und Wangen¬ 
muskeln verbunde n waren. Diese Anfälle bestanden in abnehmen¬ 
der Heftigkeit bis vor wenigen Jahren. In letzter Zeit kam es 
dabei nicht mehr zu Bewusstlosigkeit, sondern es trat nur Schwin¬ 
del und Kältegefühl ein. Seit dem 17. Lebensjahre Neuralgie 
im linken Trigeminusgebiet, zunächst im zweiten, später auch 
im 1. und 3. Ast. Gleichzeitig mit der Neuralgie trat eine Abnor¬ 
mität in der Ooordination der unteren Extremitäten auf, die sich 
in breitspurigem, etwas schwankendem Gange äusserte und beim 
Treppensteigen ein Gefühl der Unsicherheit erzeugte. 

1S94 Resektion des 2. Astes nach Lücke ohne jeden Erfolg, 
1890 Resektion des 3. Astes mit mehrere W r ochen anhaltendem 
Erfolg. Dann Rückfall mit zunehmender Heftigkeit der Schmerzen. 
Schliesslich wurden Kopf- und Augenbewegungen wegen der 
furchtbaren Anfälle ängstlich gemieden, der Kranke ging mit vor¬ 
sichtigen kleinen Schritten. Er konnte nur mit Mühe Flüssig¬ 
keiten geniessen und war vollständig arbeitsunfähig. Die Anfälle 
waren Nachts besonders heftig. In Folge der L ü c k e’sehen 
Operation war der Facialis im oberen Gebiet und namentlich das 
linke untere Augenlid gelähmt, daher der vollständige Lidschluss 
unmöglich. Offenbar durch die chronische Reizung hatte sich 
ein Bindehaut-katarrh entwickelt. 

Am 27. Sept. 1898 sollte das linke Ganglion exstirpirt werden. 
Der Knoehenlappen wurde von einem I) o y e u'schen Fraiseloeh 
aus mit der I> a li 1 g r e e n’sclien Knochenzange herausgeschnitten 
und heruntergebrochen. Auch die Ablösung der Dura in der 
mittleren Schädelgrube gestaltete sich sehr einfach. Eben war 
ich bis zur A. meningea media vorgedrungen, als der durch sein 
langes Leiden arg mitgenommene Kranke collabirte und stark 
cyanotisch wurde; der Puls war kaum zu fühlen, die Athmung 
ganz oberflächlich. Da alle Mittel den schweren Collaps nicht zu 
beseitigen vermochten, wurde die A. meningea media noch rasch 
durchrissen und der centrale Stumpf mit dem Knochenhaken in das 
Foramen spinosum gepresst. Dann wurde die Operation abge¬ 
brochen, die Wundhöhle mit sterilisirter Jodoformgaze lose aus¬ 
gestopft, und der Weichtheilknoclienlappen mittels dreier Nähte 
an seiner normalen Stelle angeheftet. Abends hatte sich der 
Kranke aus dem Collaps erholt. Während der nächsten Tage er¬ 
hielt er täglich 150,0 steriles Olivenöl subkutan iujicirt. Die neur¬ 
algischen Schmerzen bestanden in ziemlich gleicher Weise fort, 
waren eher etwas geringer. 

Am 1. Oktober wurde die Exstirpation des 
Ganglion vorgenommen, was in typischer Welse inner¬ 
halb eines Zeitraumes von 20 Minuten sich ermöglichen 
liess. Beim Herausdrehen des Ganglion und des in ganzer 
Länge herauskommomlen Trigemlnusstammes riss der Sinus caver¬ 
nosus ein, die profuse Blutung wurde durch Compresslon mit 
Stieltupfer gestillt. Der Wundverlauf war ohne jede Störung, die 
Schmerzen waren verschwunden und sind es bis heute geblieben. 

Besonderer Erwähnung bedarf das Auge. Als der bei der 
ersten Operation angelegte Verband am 1. Okt. abgenommen 


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9. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1137 


wurde, zeigte sich die ganze Hornhaut etwas getrübt, das Epithel 
war in der Mitte entsprechend der offenen Lidspalte verloren ge¬ 
gangen. Die Conjuuetiva zeigte müssige Iiöthung und leichte 
eiterige Sekretion. Da der Trigeminus bei der ersten Operation 
noch vollständig unberührt geblieben war, konnte diese Hornhaut¬ 
affektion nur durch die Austrocknung bei offener Lidspalte und 
durch den alten Bindehautkatarrh hervorgerufen sein. Sorgfältige 
Behandlung führte bis zum 5. Oktober eine wesentliche Besserung 
herbei. Die Hornhaut hatte sich aufgehellt, nur in der Mitte fand 
sich noch ein 2—3 mm langer, horizontaler, trüber Streifen mit 
Epithel Verlust; die eiterige Absonderung der Conjuuetiva war fast 
ganz verschwunden. Bis zum 12. Okt., an welchem Tage die 
Operationswuude verheilt war, blieb der Zustand des Auges der 
gleich gute. Von da an vergrösserte sich der Horuliautdefekt trotz 
aller angewandten Mittel; am 10. bildete sich ein llypopyon, das 
durch Incision entleert wurde. Nach geringer Besserung nahm 
die Trübung der Hornhaut im oberen Abschnitte zu. allmählich 
entwickelte sich ein Irisprolaps, Erweichung und Phtliisls des 
Bulbus; daher am 15. Nov. Enucleatio bulbi. Ara 11. Dez. wurde 
der Kranke mit künstlichem Auge entlassen. 

Die Anwendung dps Schutzglases für das Auge, wie 
sie im Text abgebildet ist, hätte die Hornhaut wohl 
l>esser vor Austrocknung bewahrt als der Verband. Aber 
bei dem schweren Collaps und der Sorge, diesen zu beheben, 
ein Ereigniss, das unsere gespannteste Aufmerksamkeit ln An¬ 
spruch nahm, war jene Schutzmaassregel leider unterlassen 
worden. Die einmal eingeleitete oberflächliche Austrocknung der 
Hornhaut führte bei dem gleichzeitig bestehenden chronischen 
Katarrh und bei dem Fehlen des Trlgemlnuseiuflusses zu dem 
fortschreitenden destructiven Process. 

Ain 6. April 1901 (also 2>/ 2 Jahre nach der Exstirpation des 
(Janglion) erhielt ich von dem Arzt des Operirton folgenden Be¬ 
richt: „Seit der Operation hat der Manu keine Schmerzen mehr 
gehabt. Die gewöhnlichen Ausfallserscheinungen sind vorhanden; 
die Conjunctiva des enucleirten Auges secerulrt stark. Die Co- 
ordinatlonsstörung, die sich seiner Zeit zugleich mit der Neuralgie 
entwickelt hat, besteht nach wie vor. Der Operlrte ist in seiner 
Weise ein fleissiger Arlxdter, freut sich seines Lebens und ist 
„kerngesund“, wie er selbst sagt. Nachdem ich sein unbeschreib¬ 
liches Elend 5 Jahre hindurch mit angesehen habe, darf ich Ihnen 
zu dem grossen Erfolge meinen aufrichtigsten Glückwunsch aus¬ 
sprechen“. 

Fall XVII. 55 jähriges Fräulein, Schwester eines 
Arztes, stammt aus einer gichtisch stark belasteten Familie; so 
hat der Neffe bereits als Stud. mcd. schwere Gichtanfälle durch- 
gemacht. 1S93 erkrankte die Dame an heftiger Neuralgie im 
zweiten Ast des rechten Trigeminus; 1 Jahr später wurde die 
Resektion nach Lücke mit rasch vorübergehendem Erfolg aus¬ 
geführt. 

12. November 1898 Exstirpation des rechten 
Ganglion. Danach partielle Oculomotoriuslähmung, die 
10 Wochen nach der Operation vollständig beseitigt ist (ausführlich 
oben Im Text bei den Augenmuskellähmungen mitgetheih). 

Glatter Wundverlauf. Das rechte Unterlid konnte ln Folge 
der bück e’schen Operation nicht ganz geschlossen werden. Am 
17. Nov. conjuuctivale Reizung, am 18. kleiner Epithelverlust auf 
der Hornhaut. Atropin, nasser Verband und Borwasserumschläge. 
22. Nov. Sekretion fast beseitigt. Conjunctiva kaum noch ge- 
röthet. 23. Nov. Verlust des Hornhautepithels völlig ersetzt. 
25. Nov. Wieder flacher, muldenförmiger Defekt inmitten der 
Hornhaut, offenbar durch Druck des oberen Lidrandes bedingt; 
er ist geradezu als Decubitus zu bezeichnen, da der nasse schwere 
Verband, wenn auch noch so lose angelegt, den Lidrand gegen 
die Hornhaut drückt. Daher 20. Nov. während der Nacht und 
während des grössten Thelles des Tages Uhrglas mittels Heft¬ 
pflaster voris Auge geklebt; rasche Besserung. 29. Nov. Conjunc¬ 
tiva bulbi ganz weiss. 

2. Dez. reiste die Dame in ihre Helmath. Ueber eine nach Ent¬ 
fernung der künstlichen Zähne rasch hellende Llppenulceratiou 
siehe im Text oben. 

Brieflicher Bericht vom 26. März 1901: „Ich habe bis jetzt nie 
wieder Schmerzen gehabt nach der Operation, weder rechts- noch 
linksseitig. Ich spüre allerdings manchmal ein Unbehagen an der 
rechten Gesichtshälfte, aber ich kann das wirklich nicht schmerz¬ 
haft nennen. Ich fühle auch noch oft dies Aufzucken, was mir 
früher so unheimliche Schmerzen bereitete, jetzt aber voll¬ 
ständig schmerzlos (lm Briefe dick unterstrichen) vor sich 
geht, ein Beweis dafür, dass der Feind seine Macht verloren hat. 
Am unangenehmsten benimmt sich mein Auge, weil es noch Immer 
emplindlicli Ist und sich leicht entzündet; ich kann aber ganz 
gut damit sehen. Das Auge gibt keine Thrünen her. Ich hoffe, 
dass mein Bericht verständlich geworden ist. Unaufgefordert 
würde Ich aber niemals über die kleinen Unbequemlichkeiten 
klagen, die sieh als Folgeerscheinung der Operation bemerklich 
machen. Ich bin stets von Dank erfüllt u. s. w„ dass es mir so 
ausgezeichnet geht. Die Hauptsache ist und bleibt für mich, dass 
die entsetzlichen Schmerzen verschwunden sind.“ 

Fall XVIII. 41 jähriges Fräulein. 

Im Alter von 29 Jahren traten ln Folge von Ueberanstrenguug 
ziemlich plötzlich rechtsseitige Gesichtsschmerzen auf, die nach 
2 Jahren sehr heftig wurden. Im Jahre 1898 Resektion des 1. und 
2. Trigeminusastes rechts; die Schmerzen, blieben 4 Monate fort, 
um daun mit grosser Heftigkeit wieder aufzutreteu. 

Exstirpation des rechten Ganglion am 
24. März 1899. Glatte Heilung; die Kranke reiste am 13. April 
ln ihre Helmath. Am 10. Mal 1890 schrieb sie, dass sie Schmerzen 


in der linken Seite verspüre, genau so wie früher auf der operlrten, 
nur nicht so heftig. 

Brief vom 25. März 1901: „Die Schmerzanfälle treten nur auf 
der linken Seite auf, ln Schläfe, Stirn und Auge, sie sind qualvoll 
stechend, ähnlich so wie früher auf der rechten Seite. Dauer 15 
bis 20 Minuten und 2 bis 3 Stunden Pause. Durch meine sehr 
diäte Lebensweise habe ich erreicht, dass die Zwischenpausen in 
letzter Zeit einen Monat betrugen. Auf der rechten (operirton) 
Seite sind keine Schmerzen wieder aufgetreteu.“ 

Fall XIX. 63 jähriger Arzt, 2 mal vorher am 2. Ast operirt. 
Exstirpation des linken Ganglion am 26. Aug. 1S>9. 
Krankengeschichte im Text oben. 

Fall XX. 59 jährige Frau. 2. und 3. Ast 1896 resecirt. 
Exstirpation des rechten Ganglion am 2. Nov. 1899. 
Krankengeschichte im Text oben. 

F all XXI. 44 jährige Frau. Im 5. Monat der 4. Schwanger¬ 
schaft stellten sich im Frühjahr 1892 neuralgische Schmerzen im 
rechten Oberkiefer ein, die nach der Entbindung verschwanden. 
Der Anfall wiederholte sich im 4. Monate der 5. Schwangerschaft. 
(März 1896): diesmal aber blieb die Neuralgie auch nach der Ent¬ 
bindung bestehen. April 1898 wurde rechts die Lücke-Braun'selie 
Operation in Hamburg ausgeführt und bewirkte für mehrere 
Monate Sclimerzfreiheit; indessen bildete sich eine so starke Kiefer- 
klein me aus, dass der Muud gar nicht geöffnet werden konnte und 
die Ernährung nur durch die Zahnlücken möglich war. Am 8. Fe.br. 
1899 traten die Schmerzen in alter Weise wieder auf und wurden 
bald ausserordentlich qualvoll. 

23. Januar 1900 Exstirpation des rechten 
Ganglion. Während bis zur Unterbindung der Meningoa 
media die venöse Blutung gering war, wurde sie daun ungewöhn¬ 
lich stark, namentlich bei der Freilegung des 2. Astes. Trotzdem 
war die vollkommene Exstirpation des Ganglion und des Trige- 
minusstammes möglich, nahm aber wegen der störenden Blutung 
2 >/ 2 Stunden in Anspruch. Ueber die Augcnmuskellähmung siehe 
im Text oben. 

Am 14. Febr. war die Wunde völlig geheilt. Am 19. wurde 
der oberste Abschnitt des rechten Unterkiefers summt beiden Pro¬ 
cessus von einem queren Schnitt aus resecirt, um die Kiefer¬ 
bewegung wieder zu ermöglichen; am 23. war auch diese Wunde 
geheilt. Es wurden passive Bewegungen vorgenommen, und am 
4. März konnte die Kranke den Mund über Mittelweite aktiv 
öffnen. Sie wurde entlassen, alle Schmerzen waren beseitigt. 

Am 10. April stellte sich die Frau völlig schmerzfrei in 
blühendem Wohlbefinden vor, sie hatte 11 Pfund zugenommen. 
Der Mund konnte bis zu fast normaler Weite aktiv geöffnet 
werden. Ueber die bald darauf eintretende Ilornhauterkrankuug 
siehe im Text oben. 

Am 10. Juli 1900 habe leb die Frau zum letzten Mal in aus¬ 
gezeichnetem Ernährungszustände gesehen, sie war völlig schmerz¬ 
frei und konnte den Mund weit öffnen. 

Fall XXII. 58jährige Frau, am 2. und 3. Ast mehrmals 
operirt; Uusserst entkräftet in Folge der jahrelangen furchtbaren 
Schmerzen, macht den Eindruck einer Siebzigerin. 

23. Februar 1900 linkes Ganglion exstirpirt. 
Dauer der Operation 55 Minuten, Chloroformverbrauch 20 ccm. 
Dura Uusserst dünn, reisst mehrmals entzwei (siehe Genaueres im 
Text oben). Die Exstirpation des Ganglion lässt sich trotzdem in 
typischer Weise vollenden. Der Tod erfolgte 6 Stunden danach 
im Collaps. Sektionsbefund (Proseetor Dr. Hüter): Aeusserst 
abgemagerte Leiche. Dura abnorm dünn, namentlich an der 
Schädelbasis; am Gehirn oberflächliche Sugillatlonen au der 
Trepanntlonsstcllc. Massiges Atherom an den nerzklappen und in 
der Aorta; Foramen ovale nicht geschlossen. Induratio pigmentosa 
in beiden Lungenspitzen. Nephritis interstitinlis chronica. 

Fall XXIII. 30 jährige Frau, litt seit 4 Jahren an zuckenden 
Schmerzen im linken Oberkiefer. Wegen heftiger Verschlimme¬ 
rung wurden am 6. Juli 1899 der linke N. orbitalis und lnfraorbitaüs 
von mir resecirt. In den nächsten 5 Tagen hatte die Kranke noch 
mehrmals Anfälle ln alter Weise, aber in abnehmender Stärke, 
vom 12. Juli an keine Schmerzen mehr. Am 20. Juli reiste die 
Frau geheilt in ihre Heimath. Gleich danach fühlte sie sich 
schwanger, am 22. März 1900 gebar sie ihr 4. Kind. 14 Tage vor¬ 
her traten die Schmerzen in alter Weise im linken Oberkiefer 
wieder auf und verschlimmerten sich bald so sehr, dass sie um eine 
neue Operation dringend bat. Daher 7. M n i 1900 Exstir¬ 
pation des linken Ganglion. Unmittelbar danach waren 
— im Gegensatz zur früheren peripheren Resektion — die neur¬ 
algischen Schmerzen völlig verschwunden. Am 30. Mai reiste die 
Frau geheilt in ihre Heimath ab. Ein Jnlir später, am 18. Mai 19ol, 
theilte sie mir brieflich mit. dass es ihr, trotzdem sie im 7. Monat 
schwanger sei, ausgezeichnet ergehe. 

Fall XXIV. 46 Jähriger Mann, litt seit 1883 (damals 
29 Jahre alt) an Neuralgie des 2. Trigeminusastes rechts. 
1888 wurde in Dresden der lnfraorbitaüs mit 9 Monate lang 
anhaltendem Erfolg, 1892 der 3. Ast ohne Nutzen resecirt. Der 
behandelnde Arzt hielt die Gauglionexstirpation für durchaus 
erforderlich, da „die unerträgliche Neuralgie Unterkiefer-, Ober¬ 
kiefer- und Stirn - Schläfengegend betreffe, den Kranken völlig 
arbeitsunfähig mache und in einen Zustand chronischer Manie* 
und Inauition versetze“. Die Anfälle gehörten zu den luftigsten, 
die ich gesehen. Das Gesicht wurde krampfhaft nach der kranken 
Seite gezerrt, es trat allgemeines Angstgefühl, dann profuser 
Sehwciss ein; zuweilen wurden in Folge klonischer Krämpfe der 
Kaumuskeln die Zahnreihen aufeinander geschlagen, andere Male 
durch tonische Spannung des Maseters mit grösster Heftigkeit 
an einander gepresst. Die Anfälle kamen Schlag auf Schlag, 


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1138 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


dauerten 1—3 Minuten, dazwischen Pausen von nur wenigen 
Sekunden. Tag und Nacht waren in letzter Zeit ohne Unterschied, 
der Kranke konnte nicht eine Minute schlafen; er war entschlossen, 
seiuem Leben ein Ende zu machen und hoffte, an der Operation 
zu Grunde zu gehen. Der grosse Manu wog nur 110 Pfund. 

13. Juni 1900 Exstirpation des rechten Ganglion. 
Die Dura mater zeigte sich mit dem 3. und 2. Ast ganz fest ver¬ 
wachsen, so dass sie nur schwer abgelöst werden konnte und am 
3. Ast weithin einriss; diese Thatsache Ist für die Entstehung der 
Neuralgie vielleicht von Wichtigkeit. Beendigung der Operation 
trotz dieser Verzögerung nach 02 Minuten. Obgleich das grosse 
Loch In der Dura vorhanden war, wurde der Verband niemals wie 
sonst mit Liquor cerebrospinalis durchtränkt. Gegen den Riss 
war ein kleiner Streifen Jodoformgaze gelegt worden; vielleicht 
hatte er rasche Verklebung zwischen Dura und Pia herbeigeführt 
und dadurch den Ausfluss von Liquor verhindert. Auch bei der 
Herausnahme des Drains am 0. Tage entleerte sich kein Liquor. 

Am 0. Juli wurde der Mann geheilt entlassen. Das Körper¬ 
gewicht betrug 128 Pfund, die Zunahme also, trotz Operation, in 
23 Tagen 18 Pfund. 

lieber die geringe Trochlearislähmung vergl. im Text ol>en. 

Am 2. April 1901 schrieb der Operirte: ..Mir fehlt nichts, ich 
fühle mich gesund. Schmerzhafte Empfindungen habe Ich gar 
nicht, auch kann ich meinen Mund normal uufthun. Jetzt habe 
ich wieder Lust zum Leben.“ 

Fall XXV. f>0jährige Frau, litt seit 7 Jahren an Neuralgie 
im Gebiete des 2. und 3. Trlgemiuusastes linkerseits; im letzten 
Jahre starke Verschlimmerung. Daher wurden am 11. Mal 1900 
der Infraorbitalis und Orbitalis, ferner der Auriculo-temporalis und 
Alveolnris inferior von mir in einer Sitzung resecirt. Am 24. Mai 
wurde die Kranke geheilt entlassen, war aber nur wenige Wochen 
schmerzfrei. Schon Ende Juni traten die alten Anfälle wieder auf, 
iibertrafen an Heftigkeit bald die früheren Schmerzen und brachten 
die Kranke zur Verzweiflung. Daher 27. August 1900 Exstir¬ 
pation des linken Ganglion. Vom Abend des 30. August 
an machten sich leichte aphasische Störungen bemerkbar (siehe im 
Texte oben), die jedoch am 3. September bereits verschwunden 
waren. In der Nacht, vom 12./13. September trat unter heftigen 
Leibschmerzen eine starke Menstrualblutung ein, also am 17. Tage 
nach der Operation. Ebenso hatte am 17. Tage nach der peripheren 
Nervenresektion sich die Menstruation einmal eingestellt, damals 
ohne Schmerzen, während sie seit August 1899 vollkommen auf¬ 
gehört hatte und auch keine Beschwerden an ihrer Stelle zur Er¬ 
scheinung gekommen waren. Die Kranke wurde am 22. Septem¬ 
ber 1900 geheilt In ihre lleimath entlassen. 

Am 5. November 1900 schrieb die Tochter der Operirten: „Die 
Mutter hat sich ganz besonders erholt, ist auch wieder vergnügt 
und hat nur den Wunsch,, dass es so bleiben möge. Die Nerven¬ 
schmerzen sind vollkommen verschwunden; nur schwillt die ope- 
rirte Seite zuweilen etwas an. Eine eigenthilmliche Empfindung, 
richtig zu beschreiben ist sie nicht, ein Ziehen und IvrUmmeu ist 
mitunter In der Seite. Die Wunde ist so gut vernarbt, dass mau 
fast nichts mehr davon sieht.“ 

Am 2G. März 1901; „Mutter ist jetzt so glücklich, ihr ist so gut 
zu Muthe. In der operirten Seite fühlt sie mitunter ein Kriechen, 
ein Klemmen, bald warm, bald kalt; alle 14 Tage ungefähr tritt 
mal ein Zuck in der unteren Gesichtshälfte auf, es ist aber kein 
Schmerz und gleich wieder fort. Das Gesicht ist gar nicht ent¬ 
stellt. wer es nicht weiss, findet nichts daran. Die Sehkraft des 
Auges ist gut, Mutter benutzt noch keine Brille. Muttors Be¬ 
finden ist ein sehr gutes, sie fühlt sich ganz kräftig; ich erinnere 
mich nicht, dass Mutter jemals so vergnügt gewesen ist, wie jetzt.“ 

Fall XXVI. Bei der 05 jährigen Frau fingen die Schmerzen 
vor 15 Jahren während einer Wochenbetterkrankung zuerst an uud 
zwar in der rechten Stirnhälfte. Nach einem halben Jahre ver¬ 
breiteten sie sich auf die Wange, auf Ober- und Unterlippe, nahmen 
an Heftigkeit zu und traten häufiger auf. Seit 10 Jahren empfand 
die Kranke fast beständig heftige uud in ganz kurzen Zwischen¬ 
räumen sich oinstelleude Schmerzen, sodass auch der Schlaf er¬ 
heblich gestört wurde. 1899 periphere Resektion des 1. und 
2. Astes in ihrer Heimath, fast ohne Erfolg; bereits bei der Ent¬ 
lassung setzten die Schmerzen in alter Heftigkeit wieder ein. Die 
Kranke kam in sehr elendem Zustande zur Aufnahme, sie bat 
flehentlich um baldige Operation. Es bestand starke Arterio¬ 
sklerose und eine sehr erhebliche Kyphoskoliose der Brust- und 
Lendenwirbelsäule. 

29. August 1900 Exstirpation des rechten 
Ganglion Gasser 1. Gleich nach der Operation waren die 
neuralgischen Schmerzen verschwunden: die Kranke fühlte sich 
kräftig. Der weitere Verlauf ist im Text genau mitgetheilt. 

Fall XXVII. Die 00 Jährige Frau litt seit 8 Jahren an Neur¬ 
algie auf der rechten Kopfseite im Unterkiefer, bald auch Im 
Oberkiefer. Im September 1898 wurde der 2. Ast in Berlin re¬ 
secirt. danach hörten die Schmerzen mehrere Monate auf. Bald 
aber kehrten sie zurück und wurden so arg, dass die Kranke sich 
häufig auf dem Boden herumwälzte. In letzter Zeit traten die An¬ 
fälle Tag und Nacht ein; die Frau war nach Aussage des Mannes 
zuletzt nicht mehr bei Sinnen, wenn die Schmerzen kamen. 

8. März 1901 Exstirpation des rechten Gan¬ 
glion. Die Operation verlief ohne jede Störung, das Befinden 
danach war ausgezeichnet Ueber den weiteren Verlauf siehe oben 
lm Text. 


Nach dem obigen Vortrago habe ich 2 weitere Male das 
Ganglion Gasseri exstirpirt, so dass sich die Zahl der Operationen 
auf 29 beläuft. Beide Male wurde dos linke Ganglion bei 
Männern von 63 und 64 Jahren entfernt; der Vollständigkeit 
wegen, gebe ich kurz die Krankengeschichten. 

Fall XXVIII. G4 jähriger Mann. 

Das Leiden begann vor 7 Jahren im linken N. infraorbitalis. 
1894 wurde dieser in Wien resecirt, damals trat eine „kleine Ruhe“ 
während eines halben Jahres ein. Der Rückfall, der dann er¬ 
folgte, übertraf an Heftigkeit «las ursprüngliche Leiden, zumal 
bald der ganze dritte Ast in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die 
mangelhafte Ernährung ausschliesslich durch Flüssigkeiten führte 
zu äusserster Abmagerung. 

0. Juni 1901 Exstirpation dos linken Ganglion. 
Die stark sklerotische Meningen modla riss beim vorsichtigen Ab¬ 
lösen der Dura ein, wurde aber sofort ganz durchrissen und die 
Blutung mit dem Knochenhaken gestillt. Der übrige Operations¬ 
verlauf war ohne Störung, ebenso die Wundheilung. Am 28. VI. 
wurde der Mann schmerzfrei in seine Heimath entlassen. 

Fall XXIX. 03jähriger Mann. 

Seit 25 Jahren bestanden in Folge sehr starker Erkältung 
neuralgische Schmerzen im 1. und 3. Ast links. 1893 wurde der 
2. Ast in Berlin resecirt, bald darauf stellten sich Schmerzen im 
dritten Ast ein. 1895 wurde der Inframaxillaris exstirpirt: hierauf 
Schmerzlosigkeit bis 1898. Dann erfolgte ein Rückfall, der alle 
drei Aeste betraf; die Schmerzen steigerten sich nach starker see¬ 
lischer Erregung im Februar 1901 zu äusserster Heftigkeit und 
bestanden weiterhin fast ununterbrochen. 

17. Juni 1901 Exstirpation des linken Ganglion. 
Der sklerotirte Knochen war über 1 cm dick und dabei sehr 
schwer zu durchtrennen; dieser Umstand verzögerte die Operation 
wesentlich. Die Bildung des Weichtheilknochenlappens nahm gut 
•Ti Stunden in Anspruch, allerdings gestaltete sich die Blutung, 
da die Diploe kaum angedeutet war, äusserst gering. Beim Iso¬ 
liren des 2. Astes, das wegen fester Verwachsung mit der Dura 
sich nicht stumpf ausführen liess. sondern mit der Scheere vor¬ 
genommen werden musste, erfolgte eine starke venöse Blutung. 
Diese wurde mit einem kleinen Stieltupfer beherrscht, so dass die 
Exstirpation des Ganglion und des Trigeminusstammes sich trotz¬ 
dem in 25 Minuten ausführen Hess. Gegen die blutende Stelle 
wurde dann etwas Bindengaze gedrückt und mit dem Drain aus 
der Wunde herausgeleitet Glatter Verlauf; Drain und Gaze am 
4. Tage entfernt, Wunde am 28. Juni vollkommen geheilt. Der 
völlig schmerzfreie Mann steht auf. 


Zum siebzigsten Geburtstag von Wilhelm His. 

Von \V. Spalteholz. 

Am 9. Juli dieses Jahres vollendet Wilhelm II is sein 
siebenzigstes Lebensjahr, und seine Freunde, Kollegen und 
Schüler rüsten sich, seinen Geburtstag in würdiger Weise zu be¬ 
gehen. Bei der grossen Bedeutung, welche seine Arbeiten auf 
verschiedenen Gebieten der morphologischen Wissenschaften 
nicht allein für die engeren Fachgenossen, sondern theilweise 
auch für den weiten Kreis der praktisch thätigen Medicincr ge¬ 
wonnen haben, und bei der grossen Ausbreitung und Fruchtbar¬ 
keit seiner über vierzigjährigen Lehrthätigkeit, erscheint ein Ein¬ 
gehen auf sein Leben und Lebenswerk auch an dieser Stelle be¬ 
rechtigt. Ich bin dcsshalb gern einer Aufforderung der Re¬ 
daktion nachgekommen und will im Folgenden versuchen, das 
Wesentlichste hierüber zusammenzufassen. 

Wilhelm II is wurde am 9. Juli 1831 zu Basel geboren. 
Er besuchte die Schulen seiner Vaterstadt und widmete sich dann 
von Ostern 1849 bis Michaelis 1854 dem Studium der Medicin, 
schon hierbei den theoretischen Fächern entschieden den Vorzug 
gehend. Nachdem er das erste Sommerscmester in Basel ver¬ 
bracht. ging er für 2 Semester nach Bern und hörte dort be¬ 
sonders die Vorlesungen von T h e i 1 e und V a 1 e n t i n, sowie 
diejenigen des Geologen S t u d e r. Dann siedelte er für 3 Se¬ 
mester (von Michaelis 1850 bis Ostern 1852) nach Berlin über 
und war hier Schüler von Johannes Müller und von Rob. 
R e in a k. Bei Letzterem hatte er das Glück, eine Vorlesung 
über Entwicklungsgeschichte zu hören, in welcher R. die Er¬ 
gebnisse seiner eben im Erscheinen begriffenen „Untersuchungen 
über die Entwicklung der Wirlwltliiere“ mittheilte. 

Besonders der Nachweis R.’s, dass die echten Drüsen ge¬ 
mischten Ursprungs sind, dass ihr Gcfässantheil aus dem mitt¬ 
leren Keimblatt, ihr epithelialer aus einem der beiden Grenz- 
bliitter stammt, scheint einen nachhaltigen Eindruck auf Wil¬ 
helm II i s gemacht zu haben; er ist später wiederholt auf ihn 
zurüokgekommen, namentlich auch in seiner Eierstocksarbeit 
(1865). Diese Vorlesung liess ihn auch, wie er später selbst ge- 


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9. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


1139 


legentlich ausführt, eine grosse persönliche Hochschätzung für 
seinen Lehrer gewinnen, hat ihn aber doch nicht, wie man viel¬ 
leicht denken könnte, unmittelbar auf sein späteres Hauptfach 
hingeführt; auf dieses ist er erst durch einen längeren Umweg 
gekommen. Von Berlin wandte er sich für 3 Semester nach 
Würzburg, um hier besonders im Laboratorium von V i r c h o w 
zu arbeiten. Dann besuchte er im Wintersemester 1853/54, 
namentlich im Interesse seiner Ausbildung in den praktischen 
Fächern, die Universitäten von Prag und Wien, kehrte Ostern 
1854 wieder nach Basel zurück und absolvirte dort im gleichen 
Jahre seine medicinischen Examina. Darauf widmete er sich 
ganz den theoretischen Fächern, Verliese seine Vaterstadt im 
Wintersemester 1855/56 auf 4 Monate zu einer Studienreise nach 
Paris und habilitirte sich 1856 in Basel als Privatdocent unter 
Meissner, um 1857, im Alter von 26 Jahren, dessen Nach¬ 
folger als ordentlicher Professor der Anatomie und Physiologie 
zu werden. Tn dieser Stellung verblieb er bis 1872, wo er, nament¬ 
lich auf Betreiben von C. Ludwig, nach dem Rücktritte von 
E. H. Weber nach Leipzig als ordentlicher Professor der 
Anatomie und Direktor der anatomischen Anstalt berufen wurde. 
Hier wirkte er Anfangs noch in dem alten, später (von 1875 an) 
in dem neuen, nach seinen Angaben erbauten Institute, dessen 
Grundriss und Einrichtungen allseitig als mustergiltig an¬ 
erkannt wurden und bei vielen Neubauten als Vorbild gedient 
haben. Gleichzeitig mit seiner Ernennung erfolgte auch die von 
Wilhelm Braune zum ordentlichen Professor der topo¬ 
graphischen Anatomie, für welche eine besondere Abtheilung des 
Institutes geschaffen wurde. Wilhelm His und W. Braune, 
im Alter nur wenige Tage auseinander, zwei in wissenschaftlicher 
Ausbildung und Neigung grundverschiedene Männer, lernten, 
durch ihre Stellungen auf ein Zusammenwirken angewiesen, sehr 
bald sich gegenseitig hochschätzen und arbeiteten sich so in¬ 
einander ein, dass der Tod Braune’s im April 1892 den Ueber- 
lebenden schwer traf und eine schmerzliche Lücke in seinen 
engeren Freundeskreis riss. 

Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen von Wil¬ 
helm His bewegen sich durchaus auf dem Boden der Histo¬ 
logie und gehen bis auf seine Studienzeit in Würzburg zurück, 
wo er 1852 unter V i r c h o w über den normalen und patho¬ 
logischen Bau der Hornhaut zu arbeiten begann, Arbeiten, die 
ihn noch bis in seine Baseler Zeit hinein beschäftigten. Er 
konnte dabei eine Reihe neuer Thatsachen über die damals nur 
«ehr unvollkommen bekannten Hornhautzellen und über die Be¬ 
ziehung zur Intercellularsubstanz feststellen. Dann wandte er 
sieh mehr dem Studium der zum Lymphsystem gehörigen Organe 
zu und untersuchte, theilweise in Gemeinschaft mit seinem 
Freunde B i 11 r o t h. Bau und Funktion der Lymphdrüsen, der 
P e y e rischen Haufen und der Darmschleimhaut, sowie die 
Lymphgefässwurzeln und Lymphgefäsee der Häute und der ner¬ 
vösen Central organe. 

Im Jahre 1864 gab er gemeinsam mit L. Rütimeyer sein 
grosses Werk: „Crania helvetica' heraus. 

Das Jahr 1865 ist besonders bedeutungsvoll für die ganze 
zukünftige Arbeitsrichtung von Wilhelm His gewesen. In 
diesem Jahre veröffentlichte er eine Arbeit über den Bau 
des Säugethiereierstocks und fand dabei Ver¬ 
anlassung. auch frühere und früheste Stufen dieses Organes bei 
Embryonen in den Kreis seiner Betrachtungen zu ziehen und eine 
Ableitung der einzelnen Bestandtheile von den Keimblättern 
zu versuchen. Wohl hierdurch angeregt, unternahm er es dann, 
in dem akademischen Programm: „D ieHäuteundHöhlen 
des Körpers“ ganz allgemein die Beziehungen zwischen der 
Entwicklung der einzelnen Organe und Organsystemo und ihrem 
anatomischen Verhalten zusammenzufassen; er stellte sich dabei 
durchweg auf den Boden der R e m a k’schen Keimblattlehre und 
erörterte, in wie weit sich damals die einzelnen Organe und 
Organbestandtheile von den einzelnen Keimblättern ableiten 
Hessen. Im Allgemeinen gelang diese Ableitung auch zur Zu¬ 
friedenheit ; nur die Angaben R e m a Vs über die verschieden¬ 
artige Entstehung des centralen und peripheren Nervensystems 
— erstere sollten aus dem obersten Keimblatt, letztere wenigstens 
♦heilweise aus dem mittleren Keimblatte entstehen — enthielten 
Widersprüche und standen einer einheitlichen Auffassung auch 
dieser Systeme hindernd im Wege. Hier konnten nur neue ent- 
wickclnngsgesehichtliche Untersuchungen Licht bringen, und 

No. 28. 


diese begann Wilhelm His sofort, um schliesslich dem neu 
errungenen und schnell liebgewordenen Arbeitsgebiet für die 
Hauptzeit seines Lebens treu zu bleiben und in ihm seine be¬ 
deutungsvollsten Entdeckungen zu machen. Er begann seine 
Arbeiten am Hühnchen und suchte zunächst dioTechnik zur Her¬ 
stellung feiner Schnitte zu vervollkommnen, da er Anfangs in 
deren Mangelhaftigkeit das Hinderniss für entscheidende Be¬ 
obachtungen suchte. So gelangte er im Jahre 1866 zur Kon¬ 
struktion eines eigenartigen Mikrotoms, das zwar nicht das erste 
derartige Instrument war, das er aber doch zum ersten Male in 
ausgedehnterem Maasse benutzte, und dessen Bedeutung er so¬ 
fort in ihrem vollen Umfange erkannte; es gab ihm die Möglich¬ 
keit. lückenlose Reihen gleich dicker Schnitte herzustellen und 
so die unerlässliche Vorbedingung für plastische Rekonstruk¬ 
tionen zu erfüllen. Dabei sah er sich genöthigt, auf immer 
frühere Entwickelungsstufen zurückzugehen und mit seinen 
Untersuchungen beim unbebrüteten Ei einzusetzen. Diese Ar¬ 
beiten führten ihn sehr bald dazu, die Remak’sche Lehre von 
der Entstehung des mittleren Keimblattes fallen zu lassen und 
eine neue Lehre aufzustellen, nach welcher im Vogelei vom An¬ 
beginn an 2 ihrem Wesen und ihrer Lage nach getrennte Keim¬ 
anlagen vorhanden sind. Die eine, der Arehiblast, besteht 
aus dem Haupttheil der Keimschcibe und liefert das Oentral- 
nervensystem, die peripheren Nerven, die Oberhautgebilde, die 
Drüsen, sowie die quergestreiften und glatten Muskelfasern. Die 
andere Anlage, der Parablast, entspricht einem Theil des 
sog. weissen Dotters und liefert das Blut und die Gewebe der 
Bindesubstanz; sie legt sich Anfang in der Peripherie der Keim¬ 
scheibe an und wächst erst sekunder in sie hinein. Diese sog. 
Parablastlehre ist in der Folge sehr scharf angefeindet 
und umstritten worden. So einfach sie das gestellte Problem zu 
lösen schien, so wenig stimmten doch später bekannt werdende 
Thatsachen mit ihr überein; sie wurde allmählich unhaltbar. Tin 
Jahre 1881 sah sich Wilhelm His veranlasst, zunächst die 
Ableitung der genannten Gewebe von den weissen Dotterkugeln 
aufzugeben, da deren Zellennatur unhaltbar geworden war, hielt 
aber vorläufig noch die Gefässe und Bindesubstanzen für zu¬ 
sammengehörige Anlagen. Doch auch diesen Theil seiner Lehre 
musste er schliesslich selbst fallen lassen, als er die Frage von 
Neuem wieder an eigenen Präparaten prüfte. Und so nimmt er 
in seiner jüngsten Arbeit über diesen Gegenstand: Lecitho- 
blast und Angioblast der Wirbelt liiere (1900) in 
Uebereinstimmung mit anderen Forschem einen getrennten Ur¬ 
sprung der Bindesubstanz und Gefässanlagen an. Erstere leitet 
er jetzt vom embryonalen Mesoblast ab; letztere entstammen dem 
in der Peripherie gelegenen ausserembryonalen Mesoderm und 
wachsen von dort aus erst später in den Embryo hinein. 

Schon in seinen ersten Arbeiten über das Hühnchen wurde 
Wilhelm His durch das Causalitätsbedürfniss auf eine 
mechanistische Betrachtungsweise für die Erklärung entwiekc- 
lungsgeschichtlichcr Vorgänge hingeleitet. Er fand sehr bald, 
dass gewisse Formveränderungen der Embryoanlage während der 
Entwicklung auffallende Aehnlichkeiten besitzen mit denjenigen 
Umbildungen, welche biegsame Platten und Röhren durch 
Horizontalschub erleiden, und sah die Ursache dieser wirkenden 
Kräfte im ungleichen Wachsthum der verschiedenen Abschnitte 
und Schichten der Anlage. Diese Auffassung, welche im Anfang 
ausserordentlich heftig bekämpft, ja mit Spott und Hohn über¬ 
schüttet wurde, hat in ihren Grundziigen allmählich immer mehr 
und mehr Anhänger gewonnen und ist jetzt wohl vom grössten 
Theil der Fachgenossen angenommen. 

Sie hat Wilhelm His unzweifelhaft zu einem der be¬ 
deutendsten Vertreter derjenigen Richtung in der Entwickelungs¬ 
geschichte gemacht, für welche später die Bezeichnung „Ent¬ 
wickelungsmechanik“ geschaffen worden ist. Auch weiterhin ist 
er auf diese Theorie, welche sich wie ein rother Faden durch 
seine sämmtlichen Schriften entwickelungsgeschichtlichen In¬ 
haltes hindurchzieht, wiederholt ausführlich zurückgekommen. 
Tn der 1874 erschienenen Schrift: ..Unsere Körperform und da« 
physiologische Problem ihrer Entstehung“, erörterte er sie auch 
für ein breiteres Publikum und behandelte dabei ausser diesen 
Fragen noch die Theorien der Zeugung, Vererbung und Ab¬ 
stammung. 

Auch ein zweiter, besonders charakteristischer Zug tritt uns 
schon in den frühesten Arbeiten entgegen, das Bestreben, sich 

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1140 MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28. 


möglichst klare räumliche Vorstellungen von den behandelten 
Objekten zu verschaffen. Dies führte ihn sehr bald dazu, als 
Erster plastische Rekonstruktionen ganzer Keimseheiben und 
Embryonen oder einzelner Theilo derselben im vergrösserten 
Maassstabe, zu versuchen. War er auch Anfangs nur auf die 
freie Modellirung angewiesen, deren Genauigkeit von fortwähren¬ 
den kontrolirenden Messungen des Objektes und seiner Durch¬ 
schnitte unter dem Mikroskop abhing, und war somit diese Me¬ 
thode noch sehr mühsam und von dein manuellen Geschick und 
der Zuverlässigkeit des Forschers abhängig, so ergab sie doch 
sofort über raschende Aufschlüsse und ist für die Folge von weit- 
tragender Bedeutung geworden. Bis die Methode schliesslich vor¬ 
wiegend durch Born als „Plattenmodellirmethode“ in eine ein¬ 
fachere und sicherere Form gebracht worden ist, hat Wilhelm 
II is unablässig mit an ihrer Vervollkommnung gearbeitet; er 
liess für genaue zeichnerische Wiedergabe der Schnitte nach 
seinen Angaben den Embryograph konstruiren, wandte als einer 
der Ersten die Photographie in ausgedehntem Maasse für seine 
Zwecke an und war auch hier mit Erfolg bestrebt, die Methodik 
zu verbessern. 

Vom Jahre 1866 an bis zur jüngsten Zeit hat Wilhelm 
11 i s auf dem Gebiete der thierischen Entwickelungsgesehichte 
eine grosse. Anzahl von Untersuchungen ausgeführt und hat 
ausser dem Hühnchen namentlich Knochenfische und Haifische 
herangezogen, um besonders die Verhältnisse der unbebrüteten 
Keime und die Vorgänge während der frühesten Entwickelungs- 
slufen klarzulegen. Mehren; Arbeiten histogenetisehen Inhaltes 
haben sich diesen angeschlossen. 

Auf Grund eines reichhaltigen und sorgfältig gesichteten 
Materiales, welches er allmählich gesammelt hatte, begann W i 1 - 
h e 1 m II i s im Jahre 1880 die Herausgabe seiner „A n a t o m i e 
menschlicher E m b r y o n e n“, deren 2. und 3. Lieferung 
1882 und 1885 folgten. Mit diesem gross angelegten Werk, in 
welchem zum ersten Male die embryonale Entwickelung der 
Körporformen und der Organe des Menschen in zusammen¬ 
hängender Weise an der Hand vorzüglicher Abbildungen und 
Modelle dargestellt wurden, schuf er eigentlich erst die mensch¬ 
liche Entwickelungsgesehichte, von der bis dahin nur einzelne 
Kapitel in wenig ausführlicher Form bearbeitet waren. Er hat 
diesem Buch später keine Fortsetzung mehr gegeben, sondern 
nur einige Organe in Aufsätzen und Monographien behandelt, 
und er versuchte in allen diesen Arbeiten unter anderem auch 
die postembryonalen Formen auf die embryonalen zurückzu¬ 
führen uiul das Verständnis-* jener dadurch zu fördern. Als die 
wichtigsten sind unter diesen Veröffentlichungen wohl diejenigen 
über die Entwickelung des Gehirns und Nervensystems zu be¬ 
zeichnen, führten sie ihn doch im Jahre 1886 dazu, seine schon 
früher mehrfach geäusserte Ansicht über die Entstehung der 
Rückenmarkswurzeln ausführlich zu begründen; an der Hand 
seiner Präparate legte er dar, dass ganz allgemein die Nerven¬ 
fasern Ausläufer der Nervenzellen sind und von ihnen aus- 
waehsen, sowie, dass die vorderen motorischen Rüekenmarks- 
wurzelfasern von innerhalb dos Marks gelegenen Zellen aus nach 
der Peripherie Vordringen, während die hinteren sensiblen Fasern 
ausserhalb dos Markes in den Zellen der Spinalganglien ihren 
Ursprung nehmen und von diesen aus erst sekundär in das 
Rückenmark hineinwachsen. Diese Lehre, welche Wilhelm 
II i s noch in mehreren späteren Arbeiten weiter ausführte, hat 
für die Folge noch weitere Bedeutung dadurch erlangt, dass si<* 
die durch Golgi, Rainony Cajal u. A. auf Grund ander- 
seitiger Untersuchungen am Nervensystem über die Verknüpfung 
der einzelnen Nervenolemento gewonnenen Anschauungen wesent¬ 
lich stützte und so die Umwälzung unserer Vorstellungen über 
das Nervensystem mit herheiführen half. 

Diese letzten Arbeiten führten ihn dazu, sich später in 
mehreren Aufsätzen und Reden auch mit der Morphologie des 
gesaimnten Nervensystems zu beschäftigen und für die Einthei- 
lung des Gehirns neue Gesichtspunkte aufzustellen, welche vor¬ 
nehmlich der vergleichenden Ent wickelungsgoschiehte entnommen 
sind. 

Kommen wir nun zu seinen Untersuchungen makroskopi¬ 
schen Inhaltes, so ist vor Allem noch zweier aus der Leipziger 
Zeit zu gedenken. In der zweiten Hälfte der 70 er Jahre be¬ 
gann er, Anfangs namentlich im Interesse de* Unterrichtes, Situs- 
präi-nrato in neuer eigenartiger und einwandfreier Form her¬ 


zustellen. Durch Injektion mit Chromsäurelösung und nachträg¬ 
liche Behandlung mit Alkohol wurden die Körper und einzelnen 
Organe so gut gehärtet, dass es möglich war, schichtenweise die 
einzelnen Bestandtheile zur Darstellung zu bringen, ohne dass 
sich ihre gegenseitigen Lagebeziehungen im Geringsten dadurch 
veränderten. Abgipsen der so erhaltenen verschiedenen Präparate 
desselben Körpers, sowie der einzelnen Organe, hielt dann die 
gewonnenen Formen fest und ermöglichte es auch schliesslich, 
zusammensetzbare Modelle zu schaffen. Er hatte dabei das 
Glück, in Herrn Gipsmodelleur Franz Steger einen ausser¬ 
ordentlich geschickten und für den Gegenstand begeisterten 
Mitarbeiter zu finden, der alle Schwierigkeiten der Objekte 
spielend überwand. Im Jahre 1878 berichtete er zum ersten 
Male über diese Modelle und über ihre Einzelheiten und wie-* 
daliei auch auf eine ganze Reihe von neuen Anschauungen hin, 
welche wir auf Grund derselben von der Form der Eingeweide 
gewinnen. Ein zweiter Aufsatz aus dem Jahre 1881 beschäftigte 
sich dann mit der Lage der Eierstöcke auf Grund derartiger Prä¬ 
parate; er konnte dabei im Wesentlichen die von den Gynäko¬ 
logen für den lebenden Körper gemachten Angaben auch für die 
Leiche an einwandfreiem Material bestätigen und schaffte somit 
endlich den langen Streit über diesen Punkt aus der Welt. 

So hat Wilhelm His mit dieser Methodik auch ein 
neues werthvolles Hilfsmittel für wissenschaftliche Untersuch¬ 
ungen geschaffen, von dem wir noch viele Aufklärung erwarten 
dürfen. Seit jener Zeit sind noch eine grosse Anzahl solcher 
und ähnlicher Gipsabgüsse und Modelle entstanden, besonders 
auch seitdem im Fonnalin ein noch brauchbareres Härtungs¬ 
mittel gefunden worden ist; die Leipziger anatomische Anstalt 
birgt eine reiche Sammlung derselben. Die meisten von ihnen 
sind auch in zahlreichen Wiederholungen angefertigt worden 
und finden sich in den verschiedensten in- und ausländischen 
Instituten; die ganze jüngere Generation von Medicinem hat 
sich an ihnen leichter klare Vorstellungen von der Form und 
von dem komplizirten räumlichen Ineinandergreifen der Organe 
verschaffen können, als es vordem der Fall war. Wir können uns 
heute keinen guten Unterricht ohne diese H i s - S t e ge Eschen 
Modelle denken. 

Am Ende des Jahres 1894 trat eine, ungewöhnliche Aufgabe 
an ihn heran, die ihn sofort in hohem Grade fesselte, und deren 
Lösung er in durchaus neuer und eigenartiger Weise versuchte. 
Anlässlich des Neubaues der Leipziger Johanniskirche tauchte 
der lebhafte Wunsch auf, die Grabstätte von Johann Se¬ 
bastian Bach wenn irgend möglich zu bestimmen, um die 
Gebeine an einen würdigen Aufbewahrungsort zu überführen. 
Die sehr unsichere Ueberlieferung bezeichnete nun zwar eine be¬ 
stimmte Stelle, doch Hessen sich keinerlei dokumentarische Unter¬ 
lagen dafür beibringen; es war nur bekannt, dass er in einem 
eichenen Sarg in einem sogen, flachen Grabe beerdigt worden sei. 
Nachgrabungen in der Umgebung der muthmaasslichen Stelle 
förderten nun auch einen solchen Sarg mit den Resten eines 
älteren Mannes (Bach starb im Alter von 65 Jahren) zu Tage, 
die darauf zu untersuchen waren, ob sie wohl die Gebeine Bach’s 
sein könnten. Dafür musste natürlich vorwiegend der Schädel 
herangezogen werden, dessen. charakteristische Form nicht zu 
einem Dutzendkopfe passte und zur weiteren Verfolgung der 
Aufgabe ermuthigte. Eine Vergleichung desselben mit den be¬ 
kannten B a e.h - Bildnissen ergab zunächst die. Möglichkeit der 
Identität, jedoch nicht mehr. Da griff Wilhelm His zu 
einem anderen Mittel. Von dem Gedanken ausgehend, dass die 
Möglichkeit der Echtheit ip eine Wahrscheinlichkeit, umgewan¬ 
delt würde, wenn es gelingen sollte, über den Schädel eine ähn¬ 
liche Porträtbüste von B a c h zu formen, bat. er Herrn Bild¬ 
hauer Prof. O. Seffner. einen hervorragenden Meister auf 
dem Gebiete der Porträtkunst, einen derartigen Versuch zu 
wagen. Zur Unterstützung desselben maass er bei 37 Leichen 
von Erwachsenen die. Dicke der Weichtheile an einer grossen 
Anzahl von Punkten des Gesichtes. Er stellte dabei fest, dass* 
für jede Stelle des Gesichtes eine gewisse Normaldicke, der 
Weichtheile angenommen werden kann, welche bei gesunden und 
wohlgenährten Menschen innerhalb verhältnissmässig enger 
Grenzen schwankt und etwas nach Alter und Geschlecht wechselt.. 
Nach den bei acht älteren Männern von mittlerer bis guter Er¬ 
nährung gewonnenen Mittelzahlen wurden nun auf den Gips¬ 
abguss des Schädels an den entsprechenden Stellen Punkte a;i- 


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9. -Juli 1901. 


MUENCIIENEK MEDICINISCHE WOCHEN SClliCl IT. 


114t 


gelegt, auf Ci rund deren der Künstler die Büste zu entwerfen 
hatte, und bei der die gefundenen Minium und Maxima als 
Spielraum bezeichnet wurden, innerhalb dessen er bei Ausführung 
seiner Arbeit variireu durfte. Mit diesen Beschränkungen und 
unter Berücksichtigung der vorhandenen Bildnisse schuf nun 
C. S c f f n e r einen ausserordentlich gelungenen Kopf, welcher, 
wie sich Wilhelm II i s ausdrückt, „die wesentlichen Eigen¬ 
schaften der uns zu Gebote stehenden Bilder von J. S. Bach 
in sich vereinigt, und der an Leben, sowie an charaktervollem 
Ausdruck jedes einzelne dieser Bilder übertrifft“, und die zur 
Prüfung der Angelegenheit niedergesetzte Kommission konnte 
„mit gutem Gewissen ihr Urtheil dahin äbgeben, dass die auf¬ 
gefundenen Gebeine höchstwahrscheinlich die von J o h a u u 
Sebastian Bach seien“. 

Bchliesslieh müssen wir noch der Arbeiten gedenken, welche 
Wilhelm II i s auf in- und ausländischen Kongressen, deren 
er eine grosse Anzahl besuchte, geleistet hat. Vor Allem ist er 
auch unter den Gründern der Anatomischen Gesellschaft zu 
nennen, und ist auf deren Wirksamkeit namentlich dadurch von 
grossem Einfluss gewesen, dass er die erste Anregung zu einer 
einheitlichen Gestaltung der anatomischen Nomenclatur gab. Er 
hat sich dann an der Berathung der 1889 für diesen Zweck ein¬ 
gesetzten Kommission eifrig betheiligt und nach Vollendung des 
Werkes auch im Jahre 1895 die Herausgabe desselben besorgt. 
Haften dieser Nomenclatur auch an einigen Stellen noch kleinere 
Mängel an, so hat sie sich doch sehr schnell im Inlande An¬ 
erkennung zu verschaffen gewusst, und auch das Ausland gibt 
mehr und mehr seine Bedenken gegen Einzelheiten des Ganzen 
wegen auf; sie ist ein grosser Schritt vorwärts zu dem von Wil¬ 
helm H i s angestrebten Ziele. 

Neben dieser ausserordentlichen reichen wissenschaftlichen 
und literarischen Thätigkeit — das Verzeichniss der Veröffent¬ 
lichungen von Wilhelm H i s umfasst weit mehr als 100 
Nummern — ging stets noch eine rege Lehrthätigkeit einher. 
Neben der Zahl der speziellen engeren Schüler ist die Menge 
derjenigen besonders gross, die seinen Vorlesungen gefolgt sind, 
seinen klaren, streng objektiven Worten gelauscht und seine 
schönen, mit grosser Kunstfertigkeit vor ihren Augen ent¬ 
worfenen Zeichnungen zu kopiren versucht haben, oder welche 
auf dem Präparirsaal seinen strengen Anforderungen an Gründ¬ 
lichkeit und Sauberkeit gerecht zu werden sich bemühten. Sie 
Alle verdanken ihm einen guten Theil ihrer wissenschaftlichen 
Ausbildung und vereinigen sich mit seinen engeren und weiteren 
Fachgenossen und Freunden in dem Wunsche, dass es ihm noch 
lange vergönnt sein möge, seiner Familie und seiner wissenschaft¬ 
lichen und lehrenden Thätigkeit in gleicher Frische, wie bisher, 
zu leben. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Dr. H. S. Frenkel - Heiden (Schweiz): Die Behandlung 
der tabiachen Ataxie mit Hilfe der Uebung. Kompensatorische 
Uebungstherapie, ihre Grundlagen und Technik. Mit 132 Ab¬ 
bildungen im Text. Leipzig, Verlag von F. C. W. Vogel. 
Preis 10 Mark. 

Vor 12 Jahren hat Fr o n k e 1 die ersten günstigen Resultate, 
welche von ihm hinsichtlich der Verwandlung uncoordinirter Be¬ 
wegungen in coordinirte mit Hilfe der Uebung erzielt worden 
waren, mitgetheilt, aber man darf wohl behaupten, dass die Kennt¬ 
nis und allgemeinere Anwendung der von ihm geschaffenen 
Methoden noch nicht sehr weit über den Kreis seiner neuro¬ 
logischen Fachgenosseu hinaus gedrungen ist und dass besonders 
da« Gros der praktischen Aerzte von den für die Behandlung 
Tabisdier so wichtigen Mittheilungen noch nicht hinreichend 
Notiz genommen hat. Es war daher die ursprüngliche Absicht 
des Verfassers, in diesem vorliegenden Werke eine zusammen¬ 
fassende Darstellung der von ihm für die Behandlung der Ataxie 
erprobten Uebungen zu geben. Diesem der Einführung der 
l’ebuugstherapie in der Praxis dienenden Zwecke ist auch der 
grössere Theil des Buche« gewidmet, welcher eine sehr eingehende 
Beschreibung aller Uebungen enthält, wie sie Fr. mit ausser¬ 
ordentlichem Scharfsinn und einer ungewöhnlichen Beobach¬ 
tungsgabe für die systematische Behandlung der Ataxie aus- 
gearbeitet hat; dieser specielle Theil gibt ferner auch genaue An¬ 
weisungen über die zu den Uebungen nöthigen Hilfsmittel, über 
die Aufsicht bei den zu übenden Patienten, über die Einrichtung 


der Lokalitäten, kurz über Alles lür den Praktiker Wissen wer tho. 
Her vorzuheben aus diesem Theile des Werkes ist insbesondere 
auch das Kapitel über die Mechanik der Körperbewegungen, das 
wegen seiner grundlegenden Bedeutung mit grösserer Ausführ¬ 
lichkeit behandelt ist, ferner aber auch die scharfe Verurtheilung, 
welche die Appnratotherapie der tabischen Ataxie von Seite 
anderer Autoren, insbesondere J a c o b und G o 1 d s e li e i d e r, 
durch den Verfasser erfährt. So detaillirt die Anleitung zu den 
Uebungen vom Verfasser gegeben ist, so ist doch für die zweck¬ 
mässige therapeutische Verwendung derselben ein tieferes Ein¬ 
dringen in das Princip der F r e n k e l’schen Methode unerläss¬ 
lich und es würde sich unzweifelhaft schwer rächen, oluie ein¬ 
gehende Kenntniss der physiologischen Grundlagen der Methode, 
dieselbe in der Praxis zu verwenden. Daher hat Verfasser einen 
ausführlichen theoretischen Theil der Darstellung der Technik 
vorausgescliickt. Dieser bespricht die verschiedenen Formen der 
Ataxie, den Begriff der Coordination und jenen der Z weck massig - 
keit in den Bewegungen des Körpers, das Wesen und die Ur¬ 
sachen der tabischen Ataxie. Um für die verschiedenen Unter¬ 
sucher eine Gleichartigkeit der angewandten Untersuchungs- 
methode zu schaffen, hat Fr. auch die von ihm geübte Unter¬ 
suchung der Sensibilität in seinem Werke eingehend geschildert, 
sowie die Prüfung auf Ataxie, wie er sie auszuführvn pflegt, 
genau angegeben. Das von Fr. 1896 zuerst beschriebene, und 
nach den weiteren Untersuchungen bei der Tabes regelmässig vor¬ 
kommende Symptom der Hypotonie der Muskeln, die in einer 
Herabsetzung des normalen Muskeltonus besteht, ist durch sehr 
charakteristische Abbildungen in dem Fr.’schen Werke illustrirt, 
wie überhaupt die zahlreich dem Texte beigefügten Reproduk¬ 
tionen von Photographien als sehr instruktiv und technisch ge¬ 
lungen bezeichnet werden müssen. 

Dass die Frenke l’sche Methode der Ataxiebehandlung 
durchaus nicht als ein Ausbau oder eine Systematisirung 
L e y d e n’seher Ideen angesehen werden kann, wird von 
ihrem Schöpfer in der historischen Einleitung des Werkes 
nachgewiesen, der einen inneren Zusammenhang des Prin- 
cips seiner Behandlungsmethode mit den von v. Leyden 
früher ausgesprochenen therapeutischen Ideen der Ataxiebohand- 
lung um so bestimmter ablehnt, als er in letzteren, nämlich in der 
Kompensirung der Ataxie durch Muskelarbeit, ein Princip er¬ 
blicken muss, das direct Gefahren in sich sehliesst. 

Das vorliegende bedeutungsvolle Werk sei dem Interesse der 
ärztlichen Kreise warm empfohlen. 

Grass mann- München. 


1. K r o g i u s - Helsingfors : Ueber die vom Processus 
vermiformis ausgehende diffuse eitrige Peritonitis und ihre 
chirurgische Behandlung. Jena, Fischer, 1901. 6 M. 

2. Sonnenburg: Pathologie und Therapie der Peri¬ 
typhlitis. Ein Lehrbuch für Aerzte und Studirende. 4. Auflage, 
Leipzig, V o g e 1, 1900. 12 M. 

Zur Perityphlitisfrage liegt, uns heute neben der in 4. Auf¬ 
lage erschienenen und zu einem „Jahrbuch“ von 408 Seiten heran¬ 
gewachsenen S o ii ii e n b u r g’sehen Monographie diq K r o - 
g i u s’sche Abhandlung vor. K. bespricht nur die diffuse, vom 
Wurmfortsatz ausgehende Peritonitis, geht natürlich dabei aueli 
auf sehr viele, die umschriebene Appendieitis betreffende Fragen 
eingehend ein. Zu Grunde gelegt sind der Arbeit 50 vom' Ver¬ 
fasser beobachtete Fälle von allgemeiner Wunufortsatzperitonitis. 
In dem ersten geschichtlichen Abschnitt gibt Verfasser einen 
sehr genauen Ueberbliek über die Entwicklung der Lehre von 
der Perityphlitis im Allgemeinen von «ler Mitte, des 18. Jahr¬ 
hunderts ab. 

Was die eigenen Beobachtungen des Verfassers anbetrifft, 
so ist zunächst das Resultat seiner bacteriologisehen Unter¬ 
suchungen sehr bemerkenswerth. Von den aeroben Bactericn 
hat er am häufigsten das Baoterium coli commune und ver¬ 
schiedene Arten von Diplococcen angetroffen. Gelegt ntlieh fand« n 
sich auch Bacillus pyocyaneus, Proteus vulgaris. Streptococcus 
pyogenes, niemals die pyogenen Staphyloooetren. In der Regel 
lag eine Infektion mit verschiedenen Bactericn vor. Völlig un 
studirt sind bisher noch die anaeroben Bactericn. deren Bedeutung 
für die Krankheit vielleicht ebenso gross ist. 

Der Zustand des Wurmfortsatzes ist. 1x4 46 der 50 Fälle be¬ 
kannt: 27 mal Perforation, 13 mal Gangraen, 6 mal einfache ent¬ 
zündliche Veränderungen. 


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1142 / MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. _ No. 28. 


Die sehr wechselnden pathologischen Befunde am Peritoneum 
lassen sich am natürlichsten in 3 Gruppen bringen: 1. Bauchfell¬ 
entzündungen ohne nennenswerthe Adhaesionen und ohne grössere 
Mengen flüssigen Exsudates (diffuse septische Peritonitis), 

2. reichlich serös-eiteriges bis rein eiteriges, meistens jauchiges 
Exsudat, ohne erhebliche Adhaesionen zwischen den Därmen, 

3. grössere oder kleinere abgekapselte Eiteransammlungeu 
zwischen den Därmen, mit fibrinös-eitrigen Adhaesionen. 

Bezüglich der klinischen Erscheinungen hat Verfasser be¬ 
sonders den Anfangssymptomen seine Aufmerksamkeit zuge¬ 
wendet und gibt werthvolle Winke, wie man schon in dem ersten 
Beginn der Erkrankung, die allein für den chirurgischen Eingriff 
günstige Aussichten bietet, eine bestimmte Diagnose stellen 
kann. Er erörtert genauer die Bedeutung der Schmerzen, der 
Druckempfindlichkeit, der straffen Spannung der Bauchmuskeln, 
des Erbrechens, des Aufstossens, des Siugultus, des Meteorismu^, 
des Fehlens der Peristaltik, des Gesichtsausdruckes, des schweren 
Krankheitsgefühls, der ikterisehen Färbung, der erschwerten 
Athmung, der gestörten Herzthätigkeit, der Temperatur. Die 
Differenz zwischen Achselhöhlen- und Aftertemperatur beträgt 
manchmal bis zu 3 0 C. 

Ohne chirurgische Behandlung ist die Prognose der diffusen 
Wurmfortsatzperitonitis eine durchaus ungünstige. Die Resultate 
der operativen Behandlung sind von K. in sehr werthvoller Weise 
zusammengestellt. Durch Zusammenzählen aller bekannt gewor¬ 
denen Fälle, die die gesammelten Erfahrungen einzelner Chi¬ 
rurgen betreffen, ergeben sich 680 Operationen mit 194 (28,5 Proc.) 
Heilungen. Beim Zusammenzählei i aller in der Literatur nieder¬ 
gelegten Fälle ergeben sich 294 Heilungen. Diese Zahlen muntern 
entschieden zur immer besseren Ausbildung der chirurgischen 
Behandlung auf. 

2. Wenn eine specielle Monographie, wie die Sonnen- 
burg’sche, nach 6 Jahren schon in 4. Auflage erscheinen kann, 
so ist das ein einzig dastehender Erfolg, der ein Zeichen ist so¬ 
wohl von der Wichtigkeit, die unter den Aerzten der Frage der 
Perityphlitis beigemessen wird, wie von der Vortrefflichkeit des 
S.’schen Werkes. Auch die Sonnenburg’sche Arbeit gründet 
sich im Wesentlichen auf eigene Erfahrungen, denen nunmehr 
nicht weniger als 600 Operationen zu Grunde liegen. 

In dem ersten allgemeinen Theil werden einige allgemeine 
Fragen (Terminologie, Typhlitis stercoralis) abgehandelt, und 
dann ein kurzer Ueberblick über das ganze Gebiet der Peri¬ 
typhlitis gegeben. Es finden sich da zum Theil Auszüge aus den 
späteren Ausführungen, so dass mehrfach Wiederholungen zu 
Stande kommen, Seite 94 und 95 finden sich fast wortgetreu 
auf Seite 339 und 340 wieder. 

Sonnenburg ist trotz aller Einwände auch in Bezug auf 
die Symptomatologie bei seiner Eintheilung in die Appendicilis 
simplex, perforativa und gangraenosa geblieben und führt diese 
Eintheilung mit grossem Geschick durch, indem er sogar für 
das freie Intervall Anhaltspunkte gibt, die einzelnen Formen 
auseinander zu halten. 

Der Frage der Spontanheilungen steht S. andauernd sehr 
skeptisch gegenüber. Die Thatsache, dass Spontanheilungen bei 
der P. perforativa Vorkommen, erkennt er an, er räth aber auch 
bei diesen Fällen, der Natur mit dem Messer in der Hand bei¬ 
zustehen. 

Der bedeutungsvollste Abschnitt ist derjenige über die patho¬ 
logische Anatomie. Hier haben uns die S.’schen operativen Er¬ 
fahrungen mit vielen völlig neuen Thatsachen bekannt gemacht, 
und in gewandter Darstellung läset S. die verschiedenen Krank¬ 
heitsformen und Komplikationen an uns vorüberziehen und er¬ 
läutert dieselben durch Einstreuung von charakteristischen 
Krankengeschichten und lehrreichen Abbildungen. 

Bezüglich der allgemeinen Peritonitis unterscheidet auch S. 
die peritoneale Sepsis, besser die peritoneale Toxinaemie genannt, 
die jauchig-eiterige und die progrediente, fibrinös-eiterige Peri¬ 
tonitis. 

Bezüglich der Therapie glaubt S. zu einer Verständigung 
nur auf Grund einer genauen anatomischen Diagnose gelangen 
zu können. 

Nachdem er im klinischen Theil die Symptomatologie sehr 
eingehend erörtert hat, stellt er folgende Grundsätze auf: Die 
Operation im freien Intervall ist der im Anfall vorzuziohen. Bei 
der Appendicitis simplex ist im Anfall eine Indication zum Ope- 
riren selten vorhanden. Bei der Appendicitis perforativa muss 


im Anfall mit strenger Auswahl der Fälle operirt werden. Bei 
der Appendicitis gangraenosa soll im Anfall stets und früh ope¬ 
rirt werden. Bei der Appendicitis perforativa und gangraenosa 
mit Komplikationen muss operirt werden. 

Im Allgemeinen hat S. seine Iudieationen bei der Appeu- 
dicitisperforation mit umschriebenem Abscess (der eigentlichen 
Perityphlitis) gegen früher eingeschränkt. Maassgebend für das 
operative Einschreiten sind das Verhalten des Allgemeinbefindens, 
des Fiebers, des Pulses und der örtlichen Symptome. Gleicht 
sich der Anfall nach 4—5 Tagen nicht aus, so soll man operireu. 
Der Wurmfortsatz soll immer mit entfernt werden, weil nur so 
alle Abscesse in der Umgebung des Fortsatzes erreicht werden 
können, und weil nur so eine Sicherheit für eine völlige Aus¬ 
heilung der Krankheit geschaffen wird. In ganz genauer Weise 
werden die entsprechenden Oj>erationsvorschriften gegeben. 

Auf ihre Einzelheiten, deren Kenntniss für jeden Chirurgen 
unerlässlich ist, kann leider hier nicht eingegangen werden. 

K r e c k e. 

H. de Rothschild: Bibliographia lactaria. Biblio¬ 
graphie generale des travaux parus sur le lait et sur l’allaite- 
ment jusqu’en 1899. Paris, Octave D o i n , 1901. 584 Seiten. 

Die Literatur über Milch- und Säuglingsernährung ist im 
Laufe der Zeiten dermaassen angewachsen, dass sie auch der auf 
diesem Gebiete Bewandertste nicht mehr vollkommen zu über¬ 
blicken vermag. 

R. hat sich nun der Mühe unterzogen, alle einschlägigen 
Arbeiten aus den letzten 4 Jahrhunderten in übersichtlicher Form 
und chronologischer Reihenfolge zusammeuzustellen. 

Im ersten Kapitel findet sich die gesammte Literatur aller 
Nationen über die Milch: Frauen- und Kuhmilch; Milch ver¬ 
schiedener Thierarten; Physiologie; Pathologie; Analyse der 
Milch; Bucteriologie; Hygiene und Gesetzgebung; Milch¬ 
fälschung; Diätetik und Therapie; Kumys und Kefir; Molken; 
sterilisirte und pusteurisirte Milch; kondensirte und konservirte 
Milch; Uebertragung von Krankheiten durch die Milch; Milch¬ 
industrie. 

Das zweite Kapitel bietet eine Uebersicht über die Literatur 
der Säuglingsernährung: Allgemeines über die Ernährung im 
frühen Kindesalter; natürliche und künstliche Ernährung; Milch- 
präparate und Ersatzmittel der Milch; Ammen; Uebertragung 
von Krankheiten beim Stillen; Saugflaschen. 

Das dritte Kapitel enthält eine Aufstellung der Erfindungen 
auf dem Gebiete der Säuglingsernährung: Erfindungen franzö¬ 
sischer, deutscher, englischer und amerikanischer Autoren. 

Ein alphabetisches Autorenregister vervollständigt das reich¬ 
haltige Werk, in dem nicht weniger als 8375 Arbeiten aufge¬ 
führt sind. 

Den Nutzen eines Buches wie des vorliegenden wird Jeder 
zu schätzen wissen, der einmal auf solch’ riesigem Gebiete ge¬ 
arbeitet und erfahren hat, wie viel kostbare Zeit sonst allein 
schon durch das Aufsuchen und die Zusammenstellung der 
nöthigen Literatur verloren geht. T r u m p p - München. 

M. Claude und Balthazard: La Cryoskopie des 
urines. Bailliere et Fils. 1901. Paris. 

Die Verfasser suchen in einem kurz gefassten Lehrbuche 
die Gesetze der Kryoskopie nach ihrem Erfinder R a o u 11. zu¬ 
sammenzufassen, die sich im Wesentlichen darauf stützen, dass 
in Wasser gelöste Körper den Gefrierpunkt der betreffenden 
Flüssigkeit erniedrigen und zwar nach dem Grade der Konzen¬ 
tration. Nach einer Beschreibung des von Raoult zu diesem 
Zwecke angegebenen Apparates gehen sie auf die bisherige spär¬ 
liche praktische Anwendung bei Herz- und Nierenkrankheiten 
in der Untersuchung des Urins über und thun, indem sie die neue 
Methode mit den bisherigen in Untersuchung der Funktions¬ 
tüchtigkeit der Nieren vergleichen, die praktische Ueberlegenheit 
der neuen Methode dar. Dr. Ziegler -München. 


Neueste Journalliteratur. 

1901. 


43. Bd. Heft 


Zeitschrift für klinische Medicin. 

1 und 2. 

1) E. v. L e y d e n: Zur Aetiologie des Carcinoma. 

Nach einem kurzen Ueberblick über die Thatsachen, welche 
zu (Junsten der parasitären Theorie des Carcinoms in’s Gewicht 
fallen, bespricht der Verfasser eigentümliche mikroskopische Be¬ 
funde, die er an Präparaten von Krebssaft und carclnomatösen 
Exsudaten erheben konnte. In einer grossen Reihe von Ascites¬ 
fällen mit zellrelchem Exsudat wurden Zellen mit amoeboider 




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9. Juli 1901. MIJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1143 


Bewegung gefunden, analog der 1897 publlcirten Leydenia Schau- 
dlnn. Wahrscheinlich gehören diese Zellen mit starken langen 
Ausläufern und schirmartigeu Ausbreitungen dem carcinomatöseu 
Ascites in charakteristischer Weise an und Verfasser hat. einige 
Male diesen Befund mit Erfolg diagnostisch verwerthet. 

ln anderen Fällen gelang es, im Carcinomsaft eigentümliche 
Zolleinschlüsse zu finden. Sie stellten sieh als bläschenartige Bil¬ 
dungen dar, im Protoplasma epithelartiger Zellen eingebettet, die 
Im Centrum einen sich lebhaft rotli färbenden Punkt enthielten. 
Sie erinnern an den Erreger der Kohlhernie genannten Pflanzeu- 
kiankheit (Plasmodiaphora Brassicae, Woronin). 

v. L. glaubt nicht, dass der Erreger des Carcinoms unter deu 
Hefepilzen zu suchen sei, sondern vermutet ihn in einem Proto¬ 
zoon. 

2) Friedmann - Berlin: Experimentelle Studien über 
die Erblichkeit der Tuberkulose. Die nachweislich mit dem Samen 
direct und ohne Vermittelung der Mutter auf die Frucht über¬ 
tragene tuberkulöse Infektion. Erste Mittheilung. (Aus dem 
hygienischen und anatomisch-biologischen Institut zu Berlin.) 

Zur Klärung der Frage, wie die conceptlonelle Uebertragung 
der Tuberkulose eines erkrankten Vaters auf die gesunde Mutter zu 
Stande komme, experimentlrte Verfasser in folgender Weise. Er 
lnjieirte gesunden Kaninchenweibchen direct nach der Begattung 
1—2 Tröpfchen einer Tuberkelbacillenemulsion in die Scheide. 
Nach 6—8 Tagen tödtete er sie und untersuchte die Embryonen 
in lückenlosen Serienschnitten. Ausnahmslos konnte er in diesen 
Tuberkelbacillen nachweisen, während die Organe des Mutter* 
thleres gesund waren. Hiemit ist der Beweis geliefert, dass Tu¬ 
berkelbacillen, die mit dem Sperma in die Vagina gelangen, ohne 
jede Vermittelung der Mutter in die Embryonen übergehen. 

3) Dorendorf - Berlin: Benzinvergiftung als gewerbliche 
Erkrankung. (Aus der II. medic. Klinik; Geh.-Itath Gerhardt.) 

Zwei Arbeiter aus einer Kautschukfabrik zeigten neben allerlei 
nervösen Störungen, die ungefähr dem Bilde einer Hysterie ent¬ 
sprachen, einen eigenthümliclieu Blutbefund, nämlich Vorhanden¬ 
sein von ockerfarbenen, auch schwarzen Pigmentkörnchen im 
Plasma, in den rothen Blutkörperchen und vereinzelten Leuko- 
eyten. Nachforschungen ergaben, dass das in der Fabrik zum 
Vnlkanlslren verwendete Chlor-Schwefel-Benzingemisch Ursache 
der vorliegenden, durch Inhalation entstandenen Vergiftung war, 
und zwar musste man nach dem Resultate von Thierversucheu 
annehmen, dass das Benzin der giftige Bestandteil des Gemisches 
ist. Chronische Benzinvergiftung ist wahrscheinlich häufiger als 
iuan annimmt. Verfasser gelang es, noch zwei weitere Fälle in 
der Poliklinik zu Gesicht zu bekommen, ebenfalls Gummiarbeiter. 

4) v. Czyhlarz und Marburg- Wien: Beitrag zur Histo¬ 
logie und Pathogenese der amyotrophischen Lateralsklerose. 
(Aus der I. nied. Klinik, Hofrath Nothnagel und dem neuro¬ 
logischen Institut, Prof. Obersteiner.) 

Histologische Analyse eines Falles, der in Folge intercurrenter 
Krankheit in einem verhältnlssmässig frühen Stadium zur Sektion 
kam. Die Einzelheiten müssen im Original uaehgeleseu werden. 

5) Albu-Berlin: Der Stoffwechsel bei vegetarischer Kost. 
(Aus dem physiologischen Institut Berlin.) 

Mltthellung einer Versuchsreihe an einer Vegetarierin sinnig¬ 
ster Observanz, die seit 6 Jahren nur von Grahambrod, Obst und 
Nüssen lebte. Die Stickstoffzufuhr betrug nur 5.4(1 g pro die 
(34.13 g Elwelss). Die Person war allerdings sehr klein uud 
schwächlich, so dass pro Kilo 0,9 g Eiweiss trafen. Es ist dies ein 
Beispiel eines normalen EiweissstofTweehsels im minimalsten Um¬ 
fang. wie es bisher noch nicht bekannt war. Interessant ist, dass 
die geringe Eiweissmenge durchaus nicht durch eine erhöhte Kohle- 
bydratzufuhr compensirt wurde, dagegen war die Fettzufuhr eine 
nnverliältnissmässlg hohe. 

Auch die strenge vegetarische Lebensweise entspricht den An¬ 
forderungen der Stoffwechselgesetze noch so weit, dass Leiten und 
Gesundheit dauernd erhalten werden können. Es lmt jedoch 
dieses Problem nur ein wissenschaftliches, kein praktisches Inter¬ 
esse. Die vegetarische Kost kann jederzeit durch eine bessere 
ersetzt werden und vom mediciniscben Standpunkte aus bestellt 
kein Grund, ihr als Ernährung für den gesunden Menschen den 
Vorzug zu gelten. 

6) Svenson - Kiew: Stoffwechsel versuche an Reconvales- 
centen. (Aus der medicinIschen Klinik zu Basel.) 

l'm die Art und Weise zu bestimmen, nach welcher sieb der 
Kegenerationsprocess während der Reconvalescenz nach akuten 
Krankheiten vollzieht, wurden eine Reihe von Stoffwechsel ver¬ 
suchen ausgeführt. Es wurde der N-Stoffwechsel und auch der 
Gaswechsel durch Respirationsversuche bestimmt. 

Beim Abdominaltyphus trat nach der Entfieberung eine Herab¬ 
setzung der Oxydationsprocesse von wechselnder Stärke ein. Der 
Kespirationsquotient war niedrig. Nach 10—14 Tagen kam eine 
allmähliche Steigerung des Gaswechsels mit hohem Respiratlous- 
quotienten. die nach Ablauf der Reconvalescenz allmählich wieder 
zu den Normalwerthen herabsank. Bei Reconvalescenteu von 
croupüser Pneumonie waren die Verhältnisse ähnlich, aber quanti¬ 
tativ nicht so ausgesprochen. Die bedeutende Zunahme des Körper¬ 
gewichtes in der Reconvalescenz erfolgt also nicht in Folge spar¬ 
samer Wlrthschaft des Organismus, sondern trotz erhöhter Ver- 
brennungsprocesse, well die Nahrungsaufnahme auf’s Doppelte und 
mehr gesteigert Ist. Der Gesunde würde bei gleicher Nahrungs¬ 
aufnahme noch mehr zunehmen, als der Reconvulescent. Der 
grössere Sauerstoffverbrauch macht sieb nicht bloss im nüchternen 
Zustand, sondern auch nach der Nahrungsaufnahme und bei 
Muskelarbeit geltend. 

Die kurzdauernde Herabsetzung der Oxydationsvorgänge un¬ 


mittelbar nach der Entfieberung darf nicht als Bestreben, öko¬ 
nomisch zu wirthschafteu, aufgefasst werden, sondern ist eine 
SchwUcheersclieinung. 

In der ersten Zeit der Reconvalescenz kann der N-Ansatz durch 
vermehrte N-Ausscheidung in Folge von Resorption von Oedemen 
oder entzündlichen Exsudaten verdeckt werden. Diese postkritische 
negative N-Bilanz ist besonders bei Pneumoniereconvalescenteu 
deutlich. 

7) T o b i e s e n - Kopenhagen: Ueber den diagnostischen 
Werth der W i d a l’schen Serumreaction bei Febris typhoidea. 

Die vom Verfasser an 350 Typhuskraukeu gemachten Er¬ 
fahrungen decken sich mit deu von vielen anderen Autoren ge¬ 
machten Beobachtungen. 

8) II. v. S c h r ö 1 1 e r - Wien: TJeber eine seltene Ursache 
einseitiger Recurrenslähmung, zugleich ein Beitrag zur Sym¬ 
ptomatologie und Diagnose des Offenen Ductus Botalli. 

Bei einem angeborenen Herzfehler mit linksseitiger Recur- 
renslähmung ergab die Sektion ausser einer Mitral-, Tricuspidal- 
uud Pulmonalendocarditis einen offenen Ductus Botalli. Der linke 
Recurrens war zwischen diesem und der Aorta eiugezwüugt uud 
atrophirt. _ 

9) A. Kayserling: Die Medicin Alcmaeons von Kroton 
(um 520 n. Chr.) 

Zusammenstellung alles dessen, was uns von und über Alc- 
maeon bekannt ist. Die Bedeutung dieses Arztes der vorhippo- 
kratischen Zeit beruht darin, dass er als Erster das Prineip 
wissenschaftlicher Forschung auf stellte und Schlüsse nur aus der 
unmittelbaren Beobachtung der Natur, nicht auf dem Wege philo¬ 
sophischer Speculatlon zog. Mit Hilfe anatomischer Unter¬ 
suchungen entdeckte er deu Zusammenhang zwischen Gehirn uud 
Sinnesorganen. Er erklärte deu Ausfall von Sinnesfunktioneu 
durch Unterbrechung der Leitung zwischen Gehirn und Eudorgau. 
Er stellte Thierexperimente au, um zu sehen, ob die Ansicht seiner 
Zeitgenossen richtig sei, dass der Samen aus dem Rückenmark 
stamme. Er eonstatirte endlich als Erster das Vorhandensein 
zweier verschiedener Arten von Blutgefässen im menschlichen 
Körper. Kerscheust einer. 

Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 25. 

Al. Jarotzny: Zur Methodik der klinischen Blutdruck¬ 
messung. (Aus dem Peter Paul-Hospitale zu St. Petersburg.! 

Verfasser betont die Wichtigkeit der Blutdruckmessungen und 
bespricht die verschiedenen klinischen Methoden. Er empfiehlt 
deu von Hill uud Harnard konstruiiteil Apparat, welcher sich 
durch seine einfache Einrichtung uuszeiclmet uud mit welchem 
zu luauipuliren sehr bequem ist. Der Apparat besteht aus einem 
ledernen Armband, welches an deu Oberarm ungelegt wird, au 
dessen Innenseite ein langes Gummikissen befestigt ist. Wenn 
das Armband angelegt ist, so umgibt das Kissen fast rings herum 
den Oberarm. Dieses Kissen kommunizirt mit einer Luftpumpe 
und mit. eiuem ziemlich grossen Metalimauometer. Nachdem der 
Apparat au den Oberarm angelegt Ist, beginnt man mittels der 
Pumpe Luft in deu Apparat einzupumpen. In eiuem gewissen 
Momente fängt der Zeiger des Manometers an, puisatorisebe Be¬ 
wegungen auszufüliren. In dem Augenblicke, wo die Pulsationen 
des Zeigers ihr Maximum erreichen, entspricht der am Manometer 
ubzulesende Druck dem mittleren Arteriendrucke. Erhöhen wir 
deu Druck im Armbnude noch mehr, so sehen wir, wie die Ex¬ 
kursionen des Zeigers sich zu vermindern beginnen und schliess¬ 
lich ganz verschwinden. Wenn wir jetzt das Ventil öffnen und die 
Luft allmählich herauszulassen beginnen, so sehen wir, wie mit 
der Abnahme des Druckes wieder Pulsationen erscheinen und 
wieder ihr Maximum erreichen. In diesem Momente kauu die 
vorher erhaltene Zahl kontrolirt werden. Der Versuch muss schnell 
vor sich gehen, wobei der Druck nicht mehr als 1—2 Minuten aus- 
geübt werden soll. Die Bestimmung ist ebenso einfach und rascher 
wie eine Temperaturmessung ausführbar. 

Der Durchschnittswert des Blutdruckes beim Sitzen beträgt 
in der Arteria bracbialis ca. 110—130 mm. Bei Nephritiden fanden 
sieb die höchsten Zahlen: 160 mm, bei Bielkolik 136 mm, bei Sclnver- 
krauken (Pneumonie, Phthise, Peritonitis) 72—94 mm, bei kompen- 
sirten Herzkranken 91—102 mm, bei Arteriosklerose 120 mm. 

W. Zinn- Berlin. 

Archiv für klinische Chirurgie. 64. Bd., 1. Heft. Berlin, 
Hirschwald, 1901. 

1) S c h J e r n 1 n g - Berlin: Die Schussverletzungen durch 
die modernen Feuerwaffen. 

Vortrag auf dem 30. Chirurgenkongress. Referat s. p. (591 
dieser Wochenschrift. 

2) K u k u 1 a: Die Blasennaht beim hohen Steinschnitte auf 
Grund bacteriologischer Untersuchungen des Harnes. (Böhmische 
chirurgische Klinik Prag.) 

Bel weiterer Verfolgung früherer Untersuchungen konnte K. 
bestimmte Indicationen für die Naht oder die Drainage der Blase 
auf Grund der bacterlologischen Harnuntersuchung aufstellen. 
Bei vollkommen sterilem Harn ist die komplete Blasonuaht in 
2 Etagen das beste Verfahren; bei Kindern ist die vollständig'* 
Hautnabt empfehlenswerte bei Erwachsenen, namentlich fetten 
Individuen, die Einführung eines Dochtes auf die Blasonuaht 
(wegen der schlechteren Sterllisirbarkeit der Haut). Dauerkatheter 
sind womöglich zu vermelden. Bei mit Cystitis komplizirteu Füllen 
hängt das Verfahren von dem bacterlologischen Harnbefund ab. 
Bei Harninfektionen durch wenig virulente Pilze (die Virulenz ist 
durch Thierversuche festzustellen) Ist die komplete Blasennaht zu 


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1144 «MUFNCHENF.R MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28. 


versuchen; bei Harninfektion durch stark virulente Mikroben ist 
die zweizeitige Methode des hohen Blasenschnittes mit Oystopoxis 
das sicherste Verfahren. Bei schweren durch Mischinfektion be¬ 
dingten Cystitiden ist. die zweizeitige Methode nach Vidai de 
Cassis, kombinirt mit Cystopexis nach Hasumowski. allein 
berechtigt. 

Bel allen schweren diphtlieritischen und exfoliativeu Cysti¬ 
tiden konnten Mischinfektionen naehgewiesen werden. 

Seit Befolgung dieser Grundsätze ist die Mortalität der Ope¬ 
ration von 30 Proe. auf 8 Proe. herabgegangen. 

3) Sprengel- Braunschweig: Zur Frühoperation bei akuter 
Appendicitis. 

Vortrag auf dem 30. Chirurgenkongress. Heferat s. p. 7<i7 dieser 
Wochenschrift. 

4) T i 1 m a n n - Greifswald: Zur Frage des Hirndrucks. 

Vortrag auf dem 30. Chlrurgeukougress. Referat s. p. 734 dieser 

Wochenschrift. 

5) K rö n 1 e 1 n - Zürich: Beiträge zur operativen Hirn¬ 
chirurgie. 

Vortrag auf dem 30. Chirurgenkongress. Referat s. p. 001 dieser 
Wochenschrift. 

0) E k eh o r n-Sundsvall (Schweden): Die Brüche des Meckel- 
Bchen Divertikels. 

Mittheilung eines Falles von Einklemmung eines Divertikels 
In einer Schenkelhernie (durch Operation geheilt) und ‘Zusammen¬ 
stellung von 22 Füllen aus der Literatur. Stürmische Erschei¬ 
nungen fehlen bei der Einklemmung des Divertikels, ebenso die 
Zeichen der Darmocelusion. Die lokalen Entziindungserschei 
nuugen treten später und weniger heftig auf als bei Einklemmung 
einer Darmschlinge. 

7) O e 1 s u e r: Anatomische Untersuchungen über dieLymph- 
wege der Brust mit Bezug auf die Ausbreitung des Mamma- 
carcinoms. (Anatomische Anstalt Breslau.I 

Durch Injektionsversuche l>ei Neugeborenen mittels der 
Gerota’schen Methode konnte O. konstant 2 Abzugswege der 
Lymphe aus der Brustdrüse nacliweisen: Erstens sendet die Milch¬ 
drüse mehrere starke Lymphgefiisse zu der Gruppe der Glandulae 
lymph. ant., die am lateralen Pectoralisraud gelegen ist. und dann 
weiter durch die Gl. subpectorules und subelaviae zum Truncus 
si'belavius, der in den Angulus venosns einmündet; zweitens be¬ 
gleiten ebenfalls normale, aber viel schwächere L.vniphstriing- 
diejenigen Blutgefässe, welche die Interkostalmuskeln hart am 
Sternum im 1. und 4. Interkostalraum durchbohren, ln's Thorax¬ 
innere und erreichen die Glandulae sternales; sie entsprechen «len 
von Hcidenhain und Kotter beschriebenen und mit Car- 
einomzellen embolisirt gefundenen Lymphgefiissen der Brust- 
musculatur. Im Peetoralis luajor wurzelude Lymphgefiisse konn¬ 
ten nicht nachgewiesen werden. 

8t B i 1 f i n g e r: Zur Frage von der Entstehung der trau¬ 
matischen Hernien. (Hospital z. iii. Geist in Sehwäb.-Gmüud.i 

Ein 18 jähriger Mann wurde vom Home eines Ochsen in die 
Fnterbauchgegend getroffen. Sofort nach der Verletzung fand sich 
dicht über «lern Llg. Poup. in der Mitte zwischen Symphyse und 
Spina a. s. ein für 3 Finger dureltgängiger Riss in der Baucli- 
niusculatur bei unversehrter Haut, durch den sieh beim Husten 
eine günseeigrosse Hernie vordrängte. Bei der Operation zeigte 
sieh Musculatur, äussere und innere Fasele eingerissen, das Peri¬ 
toneum intakt; der Bruchsack konnte durch Zug leicht auf das Dop¬ 
pelte vergrössert werden. 

int Anschluss an die Zusammenstellung einiger ähnlicher Fälle 
aus der Literatur folgert B„ dass echte traumatische Hernien nicht 
so ganz selten seien und dass sie auch an den natürlichen Bruch¬ 
wegen bisweilen vorkämen, obgleich das letztere nicht sicher er¬ 
wiesen esi. Die traumatischen Hernien entstehen nur durch dl recte 
schwere Gewaltein Wirkungen an der Stelle, wo die Gewalt «'in¬ 
gewirkt hat. 

0) v. Bruns und II o n s e 11 - Tübingen: Ueber die Anwen¬ 
dung reiner Karbolsäure bei septischen Wunden und Eiterungs¬ 
processen. 

Vortrüge auf dem 30. Chlrnrgenkongress. Referate s. p. 08.4 
u. 090 dieser Wochenschrift. 

10) Braun- Leipzig: Ueber Mischnarkosen und deren ratio¬ 
nelle Verwendung. 

Vortrag auf dem 30.Chimrgenkongress. Referat s. p. 724 dieser 
Wochenschrift. 

11) B 1 e r - Greifswald: Weitere Mitthellungen über Rücken- 
marksanaesthesie. 

Vortrag auf dem 30.Chirurgenkongress. Referat s. p. 724 dieser 
Wochenschrift. 

.12) Kleinere Mittheilungen. 

Tschudy - Zürich: Ueber Behandlung akuter Tracheal¬ 
stenose durch Trachealintubation. 

Bei «1er Operation einer riesigen Struma wurde beim Heraus¬ 
wälzen des Tumors plötzlich die Trachea verlegt; bei der Unmög- 
keit, zur Tracheotomie an die Luftröhre heranzukommen, wurde 
per os eine weiche Magensonde in «li«* Trachea eingeführt, mit 
gutem Erfolge. H e i u e k e - Leipzig. 

Centralblatt für Chirurgie. No. 25. 

No. 25. B a 1 a c e s c u - Bukarest: Sofortige Cystorrhaphie 
nach der Sectio alta (suprapubica). 

B empfiehlt aus Th. Jonneseo’s Klinik eine Methode, die 
er Cystorrhaphie par Imbrieation nennt, und die nach entspre¬ 
chender 8-—6 tägiger Vorbereitungskur (Snlol oder Urotropin inner¬ 


lich und Binsenspülungen mit 1:2000 Kali liypermang.-, glelcb- 
zeitig mit 1:5000 Argentum nitrie.-Lüsung, Bad. Entleerung des 
Rectums. Abrasiren und lokale Desinfektion) wie folgt ausgeführt 
wird: Es wird zunächst die Blase nochmals mit Bor oder Arg. 
nitr. 1 prom. während des Narkotisirens ausgespült und ganz ent¬ 
leert. sodann 6—10 cm lang an «1er Symphyse durch Haut und die 
Linea alba ineidirt, wonach man unter Auselnaiulerziehen der 
Muse, reeti und Durchtrennung der dünnen Fascia tranv. in den prü- 
veslcalen Raum gelangt, das lockere Fettgewebe mit 3 Fingern in 
der Richtung des oberen Wundwink«*ls abhebt und die Umschlags- 
falte «les Bauchfells ln den oberen Wundwinkel zieht. Hierauf 
löst man das Peritoneum von dem Vertex und ein wenig von der 
hinteren Wand der Blase ab. so dass die Blase mit 2 Catgut- 
scltllngeu oder Häkchen mit grosser Leichtigkeit zwischen 
die Hautwundränder in die Höhe gezogen werden kann 
(eine Ablösung der Blase von der hinteren Wand der Sym¬ 
physe \vir»i nicht vorgenommen). Unter Besehiitzung der Bauch- 
wunde «lurcli kleine steril«» Kompressen wird nun 2. die Blas«* 
durch «*in«> 4 cm lang«* Incision «ier Vertex schichtweise ge¬ 
öffnet. die Blasenwunde möglichst hoch gelullten und mit dem 
r. Zeigefinger nbgetastet. je nach Bedürniss zur Entfernung eines 
Steines etc. mit der Seheere erweitert; 3. wird der der linken Seite 
des Operlrten entsprechende Wumlrand der Blase mit Daumen 
und Zeigefinger erfasst und so nach uuss«*u umgeschlagen, dass 
er zu einem mit der Mucosa nach aussen schemlen Lappen wird, 
von dem nun durch 1— ly, cm vom Lnppenrand geführte Incision 
die Mucosa abgetragen wird. Hierauf wird zunächst die Mucosa 
vom unteren RInsenwundwinkel mit Cat gut No.O oder 00 fortlaufend 
vernäht, dann die Naht des Muskellappens ebenfalls von unten 
an mit Catgut No. 0 und gerader Nadel in der Welse ausg«*fiihrt. 
dass man letztere in die Muskellappenbasis von nussen einsticht, 
durch die Basisdicke weiter führt und in «1er Basis wieder aus- 
stieht. auf der anderen Seite in 3—4 mm Entfernung vom Wuml- 
rnnd von innen in die Muscularis wie«l«*r einsticht, die Nadel eben¬ 
falls durch die Muscularisdieke welterfülirt und aussticht und nun 
die Na«l«*l in einen« Nebenabstande von 5 mm von Neuem in die 
Miiskellnppcubasis ein-, durch die Basisilioke weiter und dann auch 
liier ausstiebt (worauf die Schlinge angezogen und auf der Aussen- 
seit«» «les Muskellappens geknotet wird) und so wird mit dem ab- 
gesohnittenen Faden weiter eine fortlaufende Naht angelegt, die 
den Museulariswuudraud der einen Seite an der angefrisebteu Basis 
des Muxkellapi>ens der anderen Seite bis zum oberen Winkel be¬ 
festigt, wobei hauptsächlich die beiden Blasen wund Winkel genau 
sebliessen müssen, zu welchem Zweck »lie erste Schlinge dieser 
Naht zunächst die etwas unterhalb des untereu WnmlWinkels ge¬ 
legene Muscularispartie erfasst und dort geknotet werden muss, 
damit «l(»r Wundwinkel unter «lein Musk«*llapp«*n zu liegen kommt, 
während beim oberen Wundwinkel die etwas oberhalb desselben 
gelegt no Muscularispartie gefasst und hierauf geknotet wird. 
Schliesslich wird der Muskellappen wie eine Art Deckel über dies«* 
Nnlitreihe gelegt und an der Blasenwandpartie, auf welcher der¬ 
selbe ruht, fixirt. wobei man ebenfalls am unteren Winkel beginnt, 
di * Nadel nach Art einer Le mlier l’schen Naht, in die Blasen- 
wandmnseularis ein- und aussticht und so fortlaufend vernäht, 
so «lass die blutende Fläche des Muskellappens mit der Blasenwand 
in innigste Berührung kommt und die letzte Naht reihe vor Allem 
die Mundwinkel vollständig ls*tl«»ckt. Di«* Bauch wunde wird mit 
der .1 o n n e s e «»'sehen Naht geschlossen. Verband angelegt und 
gl(*ich darauf die Blase mit Bor 4 proe. oder Arg. nitr. 1 prom. aus- 
gespiilt und «lie nächste Woche entweder 3 mal täglich mit Nelaton 
katheterisirt oder Verweilkatheter 1 «»lassen oder am häufigsten 
lässt B. die Patienten von Anfang an «lie Blase spontan entleeren. 
Bel normalem Verlauf wird «1er erste Verband erst nach S Tagen 
g«*w«'chselt. B. erzielt«* mit dieser Methode 11 rasche Heilungen 
und vindicirt ihr (gegenüber der Etagennnhti die meiste Sicherheit, 
da der ParallelIsmus zwischen den einzelnen ang.-nähten Schichten 
der Blasenwundränder dabei zum Verschwinden kommt und einer 
eventuellen Urininfiltration viel grüxs«*rer Widerstaml entgegen¬ 
gesetzt wird, auch den Patienten von Anfang selbständiges Urluiren 
gestattet werden kann. B. sieht durch die b«*tr«»flf**nde Methode 
den Wunsch naclr einer idealen Sectio alta erfüllt. 

No. 2G. F. C o 11 e y - Insterburg: Ein Versuch, die Behand¬ 
lung der Fseudarthrose zu vereinfachen. 

<\ empfiehlt Im Hinblick auf einen Fall von Vordenirmpseinl- 
arthrose, in dem die wegen Verdachts maligner Neubildung vor- 
genointuene Probeincision einen schweren Anfall von Delirium 
tremens zur Folge hatte und C. sich desshalb zu einer eingreifenden 
Operation nicht entschlossen konnte, die Injektion eines aus¬ 
gekochten, dünnflüssigen Breies von pulverlsirter, im Glühtopf 
frischgebrannter Knochenasche mit Gummi arabicum und destil- 
lirtem Wasser, von welcher Masse C. in dem betreffenden Fall 
von 4 zu 4 Wochen je 10 ccm injiclrte, so dass nach der fi. Iujee- 
tion feste Consolidntion erzielt war. C. verweist auf spätere, nach 
Abschluss dev betreffenden Thierversuche zu erstattende nähere 
Publlcation. 

H. S c h 1 o f f e r - Prag: Zur Technik der Phimosenoperation. 

Da die gewöhnliche CIrcumcisionsmethode den Nachtheil einer 
gewissen Verstümmelung, die Dorsalineision (Roser) einen cos- 
metIschen Nachtheil (Hcrabhängen der Vorhautlappen) hat, sucht«* 
Sch. diese Nachtheile durch eine In der letzten Zelt öfters aus- 
gefiihrte Operationsmethodo zu umgehen, indem er die Incision 
durch das äussere Blatt unter Spannung der Penishaut gegen die 
Wurzel hin schräg ausführte und dann die Durehtrennung des 
inneren Blattes nach der anderen Seite ebenfalls schräg ausführte 
oder nachdem er zuerst den Phimosenring einige Millimeter weit 


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9. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1145 


sagittal eingekerbt, dann erst die SchrUgschnitte ausführt; der 
sehnige Wuurispalt legt sich daun hinter den Sulcus coron. quer 
ln Gestalt eines verzogenen Rhombus und wird (nach Spaltung 
etwa sieh anspannender Gewebsstrange) vernäht. Nach der Naht 
ist das l'raeputium an der Vorderseite der Glaus etwas verkürzt, 
genügt aber zur Bedeckung. Die Erweiterung ist eine vollkom¬ 
mene, d. li. die Phimose beseitigt. S e h r. 

Archiv für Kinderheilkunde. 31. Bd., 5. u. 0. Heft. 

K. O p p e n h e i m e r - München: Ueber Säuglingsemährung 
durch unverdünnte Milch. 

Verfasser schildert seine guten Resultate, die er durch Er¬ 
nährung mit Vollmilch hei !>1 Säuglingen erhielt; davon war der 
grösste Theil länger als 4 Woehen unter Beobachtung, darunter 
gesunde, mageu-darm kranke mul atrophische Kinder. Gereicht 
wurde die Vollmilch manchmal schon von der 3. und 4. Leliens- 
wi.che an. O. gibt an. die Zunahme der mit Vollmilch genährten 
Kinder sei. grösser als die von O iimorer-Bledert für künst¬ 
lich genährte Kinder überhaupt berechnete; dabei wurde ein sehr 
guter Allgemeinhabitus. namentlich starke Musculatur. erzielt. 
Obstipation vermieden. Wichtig ist. (lass mau nur allmählich zur 
Vollmilch übergeht, und die Zahl der Mahlzeiten wie auch das 
Tagesquantuin nicht zu gross sei. Verfasser fordert zu weiterer 
Nachprüfung der Ernährung mit Vollmilch, als sehr einfach zu 
I «reitender Nahrung, auf; zahlreiche Tabellen und Kurven illu- 
striren seine Ergebnisse. 

A. Baginsky: Ueber die Indicationen und Contraindi- 
cationen des Aderlasses bei Kindern. (Referat, gehalten in der 
Sektion für Therapie auf dem XIII. Internat, medie. Congress in 
Paris.) 

B. kann zur Zeit nur 2 strikte, vitale Indicationen für den 
Aderlass aufstellen: I.ebeusbedrollende Zustände, die den Blut¬ 
kreislauf hindern, besonders durch Ueberfiillung des rechten 
Herzens; ferner Ueberladung des Blutes mit chemischen Zerfalls¬ 
produkten, die als Giftstoffe wirken und so namentlich (las Ontral- 
nervensystem schädigen können. Dies sind die Folgen einerseits 
von Pneumonien, eapillüron Bronchitiden, Herzfehlern, anderer¬ 
seits von Gehirnhyperaemieu. Nephritis mit üraemie. Contraindi- 
cation für den Aderlass gelten chronisch-hydraemische Zustände 
fiel Tuberkulose und Lues, schwere Digestionsstörungen und akute 
Infektionskrankheiten. Die Technik des Aderlasses weicht von 
der bei Erwachsenen nicht ab. 

Giovanni Berti- Bologna: Die Theorie von Haushalter 
und Thiry über die Blutknötchen der Herzklappen Neu¬ 
geborener. 

Controverse Uber die Anatomie der in Frage stehenden Blut- 
knüteben, welche nach Verfasser echte Gefässektasieu und Blut¬ 
cysten sind, während sie nach der Theorie von H. und Th. erst 
durch die systolischen Stösse des Ventrikels zu Stande kämen. 

R. F i s c h 1 - Prag: Neueres zur Pathogenese der Rachitis. 
Umfassende, Interessante Abhandlung, welche ein übersichtliches 
Bild über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Rachitis 
albt und ihre ganze Pathogenese kritisch beleuchtet. Viele der ge¬ 
läufigen Angaben über die englische Krankheit werden dabei als 
unrichtig erwiesen und die Pnzuläuglichkeit der verschiedenen, 
auch neuesten Hypothesen über das Zustandekommen der Rachitis 
dargethan; es ist daraus zu folgern, dass eine befriedigende Er¬ 
klärung über die Natur dieses Leidens (1er Zukunft Vorbehalten 
bleibt. Lichtenstein - München, 

i? 

_, Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 29. Bd., 

2. Heft. 1901. 

8» J. v. K (> s s a: Ueber die im Organismus künstlich erzeug¬ 
baren Verkalkungen. (Aus dem pliarmakolog. Institut der Ofen- 
IVster k. ungarischen thierürztl. Hochsehule.) 

Der nach dauernder Unterbindung des Nierenhllus (Gefässe 
und Ureter) Im Rindengebiet der Niere auftretende Kalk stammt 
nach K. aus dem (Jewebssaft der die Niere umgebenden Gewebe 
und dringt durch die permeabel gewordene Nierenkapsel hindurch 
in die Nierenrinde ein. Die gleiche Caleinifikation kann man auch 
experimentell durch gewisse chemische Einwirkungen erzielen; 
*o nicht nur (wie man früher allein annahm) bei Vergiftung 
mit Sublimat, sondern auch bei Einverleibung von A 1 o 1 n , 
B i b m u t h. subiiitricum. P b. a c e t i c u m und. wie Verf. 
nachweist, bei subkutaner Applikation von Cupr. sulfu r., sowie 
•Tod. Bei Jodoform fand K. eine ausgedehnte Verfettung 
und Verkalkung ln der Leber (!). während die Nieren frei waren. 

Die hochgradige Empfindlichkeit der Kaninchen bei diesen 
Versuchen beruht nach K. einerseits auf einer grösseren Empfind¬ 
lichkeit der Harnkanälchenepithelieu und andererseits auf dem 
grösseren Kalkgehalt des Kaninchenblutes. 

F. Wechsberg: Beitrag zur Lehre von der primären 
Einwirkung des Tuberkelbacillus. (Aus dem S e u c k e n b e r g - 
sehen Institut zu Frankfurt a. M.) 

Nach kritischer Sichtung der einschlägigen Literatur berichtet 
W. über seine an Kaninchen unternommenen Experimente (intra¬ 
venöse Injektionen hochvirulenter Reinkulturen-Einulsionen). Aus 
den mikroskopischen Befunden entnimmt W.. dass die spezifische 
Wirkung der Tuberkelbaeillen zu einer primären Sc h ii d i • 
gang der umgebenden Zellgebilde wie der Zwlschensubstnnzen 
führt (nach Ba u rn garten ist das erste Moment der formative 
Reiz anf die fixen Gewebszellen), die erst sekundär durch Fort¬ 
fall der Widerstünde (Weigert) eine Wucherung der vorhan¬ 
denen fixen Elemente auslöst. Dass dieses neu gebildete Gewebe 


weder Gefässe führt noch zum fertigen Bindegewebe wird, son¬ 
dern zumeist der Verkäsung anheimfällt, darin Ist ebenfalls die 
spezifische Wirkung der Tuberkelbaeillen zu erblicken. — Auf¬ 
fallend ist bei den vorliegenden Untersuchungen die frühzeitige Be¬ 
einträchtigung der elastischen Fasern der Gefässwandungen am Ort 
der Bacillenablagerung (schon 0 Stunden nach der Injektion). 

10) S. S a 11 y k o w: Beitrag zur Histologie der Entzündung 
der serösen Häute. (Aus dem patholog. Institut zu Marburg.) 

Die vorliegende Arbeit bringt in dieser schon viel bearbeiteten 
Frage nichts wesentlich Neues; auch S. bestätigt, dass das Fibrin 
an der Oberfläche der serösen Häute das Produkt einer Exsudation 
ist und nicht durch fibrinoide Degeneration des Bindegewebes der 
Serosa entstellt. 

11) E. V. Knape: Ueber die Veränderungen im Rücken¬ 
mark nach Resektion einiger spinaler Nerven der vorderen 
Extremität mit besonderer Rücksicht auf die Lokalisation 
der motorischen Kerne dieser Nerven. (Aus (lein pntlmlog. In¬ 
stitut der Universität zu Helsingfors.) 

K. resecirte an ganz jungen Hunden möglichst grosse Stücke 
der betr. Nerven (TJlnaris. Medianus. Radialis); die anatomische 
Untersuchung, die theils bald (20 Tage) theils spät (4(4 Jahre) nach 
der Operation vorgenominen wurde, ergab im Rückenmark eine 
durch Atrophie bedingte Verminderung der grauen Substanz und 
zwar am ausgesprochensten im Gebiet des Hinterhornes. dann im 
Zwischentheil und am wenigsten im Vorderhorn. N1 e sah K. 
degeneratlve Prozesse im Rückenmark, wie sie von anderen 
Autoren beobachtet wurden: dieselben treten nach K.'x Experi¬ 
menten hauptsächlich dann ein. wenn die betr. Nerven nicht re- 
seclrt, sondern ausgerissen werden, und sind demnach wohl durch 
mechanische Insulte bedingt, besonders wenn in der Nähe des 
Rückenmarks operirt wurde. 

Bezüglich der Schlüsse des Verf. auf die Lage der motorischen 
Kerne der betr. Nerven muss auf das Original verwiesen werden. 

12) R. Heinz: Ueber Blutdegeneration ufad Regeneration. 
(Aus dem pharmakolog. Institut der Universität. Erlangen.) 

Die vorliegende umfangreiche Arbeit sohliosst sich an frühere 
Untersuchungen des Verf. (Virch. Arch. Bd. 122» an: sie erstreckt 
sich auf die Vertreter der I» Wirbelthierklassen (Kaninchen. Huhn. 
Eidechse, Frosch, Karpfen) und beschäftigt sicli im I. Theil mit 
den morphologischen Veränderungen der rothen Blut¬ 
körperchen. wie sie durch Injektion der verschiedenen Blntgifle 
bewirkt werden. Der II. Theil enthält die Schicksale der 
durch die Blutgifte veränderten rothen Blutkörperchen: dieselben 
verschwinden nämlich nach einer bestimmten Zeit völlig aus dem 
Kreislauf und ihre Derivate finden sich beim Kaninchen. Huhn. 
Frosch und Eidechse in der Leber, Milz und Im Knochenmark ab¬ 
gelagert vor. beim Karpfen, wo der Prozess der Ablagerung sehr 
langsam vor sich geht, fast nur in der Milz. Zugleich mit dem 
Untergang findet eine mehr oder weniger rege Neubildung 
von rothen Blutkörperchen statt, mit der sich der III. Theil der 
vorliegenden Arbeit beschäftigt. Die Stätte der Neubildung ist 
bei dem Kaninchen. Hulin. Frosch und Eidechse das Knochenmark 
und zwar das sogen. Erythroblastengewebe desselben, beim Karpfen 
findet die Regeneration derselben in der Kopfniere statt. Der Er¬ 
satz ist am raschesten heim Hulin beendet, sehr langsam vollzieht 
er sich beim Frosch und Fisch. — Bezüglich der Einzelheiten muss 
bei der umfassenden Arbeit auf das Original verwiesen werden. 

Hermann Merkel- Erlangen. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 26. 

1) O. Moeli: Ueber die Familienpflege Geisteskranker. 

Die unter psychiatrischer Aufsicht, gedachte Familienpflege 

bietet für gewisse Kategorien von Geisteskranken Vorzüge vor der 
Anstaltsbehandlung in der vermehrten Anregung und der Er¬ 
haltung von für die Persönlichkeit wichtigen psychischen Vor¬ 
gängen. unter genügendem Schutz vor Schädlichkeiten. Sie kann 
an die Anstaltsbohnndlung sich anscliliessen oder von den An¬ 
stalten aus geleitet werden. Die Familienpflege kann zur Be¬ 
seitigung unrichtiger Vorstellungen über Geisteskrankheiten bei¬ 
tragen und beim Unterricht in der Psychiatrie hernngezogen 
werden. Für die umfangreichere Entwicklung einer von den An¬ 
stalten ganz losgelösten Familienpflege fehlen noch ganz wichtige 
Bedingungen, vor Allem eine behördliche Aufsicht durch fach¬ 
männisch gebildete Aerzte. Die Familienpflege ist besonders in 
Schottland schon in grösserem Maasstnbe durchgeführt, aber auch 
in kleinerem Umfange schon in anderen Ländern, auch ln Deutsch¬ 
land in Anwendung gezogen. 

2) B a o 1 z - Tokio: Ueber vegetarische Massenernährung und 
über das Leistungsgleichgewicht. 

Ofr. Referat über die Sitzung der Herl. med. Goselisch, am 
20. März 15)01 in No. 13 der Müneli. med. Woehenschr. 1001. 

3» H. S a 1 o m o nsohn- Berlin: Ueber einseitige Innervation 
des Stirnmuskels bei doppelseitiger totaler Oculomotorius¬ 
lähmung. Eine neue Ptosisbrille. 

Ofr. Referat pag. 1040 der Münch, med. Woclienschr. 1001. 
Der Artikel bringt auch eine Abbildung der beschriebenen Brille. 

■1) B. Le wy-Berlin: Rhinologische Mittheilungen. (Mit 
Demonstratiou.) 

L. demonstrlrte Schnitte einer hypertrophischen Schleimhaut 
der rechten unteren Muschel einer Patientin, welche an einer von 
der Nasenschleimhaut aus ausgelösten Reflexneurose gelitten hatte. 
Die Erscheinungen verschwanden nach Beseitigung der polypösen 
Wucherung des Naseninnem. Das betreffende Schleimhautstiiek 
zeigte einen ungewöhnlich grossen Reicht hum an Nerven. 2. Prä- 


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1146 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


parat: Nasenpolypen mit Charcot-Leyde n’ sehen Kristallen, 
welche Verfasser auch zu färben vermocht hatte. 3. Präparat: 
hyaline Ablagerungen in der Nasenschlei mkaut, L. verwirft die 
Meinung, dass es sich hier um Parasiten handeln könne. 

5) A. N o 1 d a - Montreux: Zur Tannoformbehandlung der 
Nachtschweisse der Phthisiker. 

Bei 12 Kranken hat Verfasser den von Strasburger ge¬ 
machten Vörschlag, die Nachtschweisse mit Tannoforra zu be¬ 
handeln. mit recht gutem Erfolge nacligeprtlft. Bei 8 leichteren 
Fällen verschwand der Schweins nach einigen Einreibungen gänz¬ 
lich mit Ausnahme eines einzigen. Bei den 4 übrigen schwereren 
Fällen erfolgte bei einem nur eine Besserung, bei 3 aber ein Ver¬ 
schwinden der Schweissbildung; besonders zu bemerken aber ist. 
dass bei diesen Letzteren mit dem Verschwinden des Schweisses 
auch das Fieber aufhörte. Den Einreibungen mit dem Tannoform- 
Talkpulver geht zweckmässig eine Waschung mit Franzbrannt¬ 
wein voraus. Grass mann - M buchen. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 2t». 1) G. Riehl- Leipzig: TJeber den Einfluss der Be¬ 

handlung syphiliskranker Mütter auf das Schicksal des Foetus. 

Verfasser gibt zunächst statistische Zusammenstellungen 
aus den Erfahrungen verschiedener Autoren, aus denen hervorgeht, 
dass die Kinder syphiliskrnnker Mütter in einem sehr hohen Grade 
durch die Erkrankung der Mutter gefährdet sind und dass auch 
eine Allgemeinbehandlung an diesem Verhiilniss nicht sehr viel zu 
ändern pflegt. Da der Tod oder die Erkrankung der Frucht häufig 
von der syphilitischen Erkrankung des Uterusinnem abhängt, be¬ 
sonders der Decidua oder Placenta, versuchte Verfasser durch eine 
lokale Behandlung des Uterus einen Einfluss auf den Verlauf zu 
gewinnen. Er ging in der Weise vor. dass er Vaginalkugeln 
mit 1 g Quecksilbersalbe in die Vagina und vor den äusseren 
Muttermund brachte und diese Behandlung möglichst während der 
ganzen Zeit der Schwangerschaft fortsetzte, daneben aber auch 
noch eine Allgemeinbehandlung durchführte. Der Erfolg war ein 
unerhofft günstiger, indem bol 33 Fällen sich eine Mortalität von 
nur 12 Proc., eine Morbidität von nur 21 Proc. ergab, also weit 
bessere Resultate, als sie bisher sich erzielen Hessen. Den gün¬ 
stigen Erfolg glaubt Verfasser auf Rechnung speciell der lokalen 
Behandlung setzen zu dürfen. Verfasser fordert zu Nachversuchen 
in der eingeschlagenen Richtung auf. 

2) C. H o e d 1 m o s e r - Wien: TJeber eine eigentümlich 
lok&lisirte Arthropathie bei einem an Syringomyelie und gleich¬ 
zeitiger Hypoplasie des Genitalapparates leidenden Individuum. 

Bei dem 59 jährigen Patienten, bei dem die Diagnose der 
Syringomyelie auf Grund der vorhandenen Atrophien und Sensl- 
bilitätsstörungeu einem Zweifel nicht unterliegen konnte, ent¬ 
wickelte sich eine Luxation des acromialen Eudes der linken 
(’lavicula, sowie eine Perforation des Acromio-Claviculargelenkes 
dieser Seite, was H. auf ein primäres Ergriffensein des Band¬ 
apparates durch troplioneu rot lache Einflüsse zurückführt. In 
diesem Falle war die Atrophie des Bandapparates von vollständige]' 
Loslösung der Clavicula vom Acromlou gefolgt. Die hypoplastische 
Beschaffenheit der Genitalien des Patienten darf wohl ln entwick¬ 
lungsgeschichtlichen Zusammenhang mit der Gllose des Rücken¬ 
marks gebracht werden. 

3) K. S t e r n b e r g - Wien: Kasuistische Mittheilungen. 

Die erste derselben betrifft eine 60 jährige Frau, bei welcher 

ein maligner Nebennierentumor in die Nierenvene eingedrungen 
war. in dieser und durch die unten» Hohlvene fortwuchs und so 
bis ln den n*chten Vorhof gelangte. Klinisch traten hauptsäch¬ 
lich Ascites und Ikterus hervor. Im 2. Fall war bei einer 70 jiihr. 
Pfründneriu ein Careinom des linken Leberlappens durch die Leber- 
veue und untere Hohlvene bis in das rechte Herz gewachsen. Die 
Geschwülste endigten in beiden Fällen im rechten Vorhof. in Form 
einer der Venenmündung frei aufsitzenden Geschwulst. Besonders 
der 2. Fall stellt eine grosse Seltenheit dar. Verfasser referlrt 
noch über ähnliche in der Literatur beschriebene Fälle. 

Grassmann - München. 

Italienische Literatur. 

Feruccio Schupfer: TJeber Myoklonien. 

Eine erschöpfende, durch vielfache Beobachtungen illustrirte 
und eine Menge neuer Anschauungen bietende Febersicht ver¬ 
öffentlicht in der März- und April-Nummer des Polielinico 1901 
der römische Autor über das obige noch der Klarstellung bedürftige 
Krankheitsgebiet. Wir wollen im Folgenden die wichtigsten 
Punkte der Arbeit andeuten: 

Die Myoklonie. welche nicht als abgegrenzte Krankheits- 
form sui generis zu definiren ist, darf nur als ein Krankheits¬ 
symptom angesprochen werden, welches bei den verschiedensten 
Krankheiten auftreten kann, sowohl als Kontraktion einzelner 
Muskeln als ganzer Muskelgruppen, wie auch als Kontraktion 
einzelner Muskelfibrillen und Muskelbündel. 

Auch die Myok.vmle, welche manche Autoren scharf von 
der Myoklonie trennen wollen, ist als eine besondere Form der 
Myoklonie aufzufnssen. 

Eine eigenthümliche Form von Myoklonie bietet die Fhorea 
Dubini. Als wichtige Unterscheidungsmerkmale werden angesehen 
folgende: 

Sie ist nicht familiär, aber endemisch. Sie befällt vorzugs¬ 
weise Individuen vom 7. bis 20. Jahre, verschont aber auch solche 


vorgeschritteneren Alters nicht. Sie zeigt die Prodrome einer In¬ 
fektionskrankheit, darauf Fieber, Milztumor, Albuminurie u. s. w.; 
sie nimmt einen akuten fast immer letalen Verlauf, und. wenn 
Heilung erfolgt, so ist diese eine vollständige. Die elektrischen 
Stösse ergreifen für gewöhnlich nur die eine Körperhftlfte und die 
epileptlformen Konvulsionen begleiten die Muskelvibrationen, 
gehen ihnen aber nicht vorher wie bei den Myoklonien. 

Die Chorea Dubini und die Myoklonia TJnverricht scheinen 
nicht identisch, vielleicht ist die eine die akute, die andere die 
chronische Form des gleichen Krankheitszustandes. 

Die familiäre epileptische Myoklonie ist. wenn auch in den 
Symptomen ähnlich, doch nicht identisch mit der Dübln l’schen 
Chorea: beide können sich ln endemischer Weise präsentiren und 
beide sind wahrscheinlich toxischer oder infektiöser Natur: bei 
beiden sind dieselben Partien des Nervensystems ergriffen. 

Im Febrigen gehören von den Fällen, welche von verschie¬ 
denen Autoren unter dem Namen Paramyoklonus multiplex ver¬ 
öffentlicht sind, einige zur Chorea, andere zu den Formen von 
Tic convulsiv, andere zur Hysterie, andere zu den rhythmischen 
Spasmen, welche vielleicht auch hysterischer Natur sind, andere 
zur Neurasthenie, andere zu verschiedenen Krankheiten, welche 
Laesionen der Cerebrospinalachse betreffen, wie Laeslonen der 
Roland’scheu Zone, die spinale Muskelatrophie, die chronische 
Poliomyelitis, die Syringomyelie. Noch andere gehören endlich 
zu den verschiedenen Psychosen. 

Nur wenige Fälle gibt es, welche man nicht In schon bekannte 
Krankheitsformen unterbringen kann; al>er. da es sich bei diesen 
nicht um eine vollkommene Uniformität dev Symptome. Ursachen 
etc. handelt, so darf bezweifelt werden, ob sie als besondere Krank¬ 
heitsform unter dem Titel essentieller Paramyoklonus aufzufassen 
sind. Einige dieser Fälle präsentiren sich in Folge von Infektions¬ 
krankheiten: Malaria. Diphtherie, Typhus und sind wahrscheinlich 
toxischer Natur wie die bei Uraemle. Blei- und QueeksUberintoxi- 
kntion beobachteten Myoklonien. 

F o r n a c a: Chorea nach Erysipel. 

Die Wichtigkeit der pyogenen Mikroorganismen für die Ent¬ 
stellung der Chorea ist vielseitig anerkannt. Erst nach Einführung 
der Lumbalpunktion ist es möglich, diesen Zusammenhang sicher- 
znstellen. So konnten in zwei Fällen in der medicinischen Klinik 
zu Turin Staph.vlococcen im Liquor cerebrospinal, nachgewiesen 
werden. In einem dritten Falle von Erysipel, wo Chorea hinzutrat 
und unter heftigen Erscheinungen einsetzte, hatte die Lumbal¬ 
punktion nicht nur einen günstigen therapeutischen Effekt auf 
die unruhigen Bewegungen und die Schlaflosigkeit, sondern sie 
ergab auch in der ausgezogenen Flüssigkeit die Anwesenheit von 
Streptococcen, allerdings von geringer Virulenz, welche aber als 
für die Chorea aetiologisch angesehen werden mussten. Bereits 
vorher waren Streptococcen im Blute wie im Urin nachgewiesen 
worden. 

F. führt die Statistik von T r i b o u 1 e t an. welcher feststellte, 
dnss in einem Drittel aller Fälle von Choren eine fieberhafte Krank¬ 
heit vorhorgegnngen sei und zwar habe es sich in erster Linie 
um Scharlach, in zweiter um Masern, in dritter um Erysipel ge¬ 
handelt. Vielleicht, sind bei allen drei Infektionskrankheiten pyo¬ 
gene Pilz«> die aetiologi8chen Agentien der Chorea, 

Zum Beweise dieser Behauptung ist allerdings noch eine 
längere Reihe von Lumbalpunktionen erforderlich. (Rif. med. 1901. 
No. 74.) 

Pellegrlnl: TJeber die Wirkung des Nitroglycerins bei 
Epilepsie. 

Dieselbe soll nach den Versuchen des Verfassers In einem 
grossen Provlnzial-Epileptikerhause derjenigen des Broms vorzu¬ 
ziehen sein, mindestens aber mit ihr konkurriren können und zu 
einer altemlrenden Behandlung mit der Bromtherapie auffordern. 
Tnconvenienzen will P. bei der Behandlung (die Dosis betrug 2 bis 
10 Tropfen einer alkoholischen 1 proc. Lösung pro die und in 
Wasser gegeben oder auch subkutan) im Gegensatz zu anderen 
Autoren nie gesehen haben. 

Die kurze Abhandlung P.’s stellt ausserdem die Literatur über 
die Wirkung des Nitroglycerin kurz zusammen, aus der hervor¬ 
geht. dass angioneurotische und anglospastlsehe Zustände, ferner 
Gefässerkrankung wie Arteriosklerose, auch Depressionszuständo 
der Herzthätigkeit zur Wirkungssphäre des Mittels gehören. 

F i e 1 d war der Erste, welcher Nitroglycerin nicht ohne Er¬ 
folg bei epileptischen Zuständen verwandte. (Rif. medlca 1901. 
No. 82.) 

M o r t i und P 1 a n c h e r: TJeber experimentelle H&emo- 
globinurle nach Harnstoffinjektion. (11 Morgagni. April 1901.) 

Die Autoren erzielten durch subkutane, besser noch durch 
intravenöse Injektion von Urea Haemoglobinurie mit nachheriger 
mehr weniger lange dauernder Albuminurie bei Kaninchen. Tn 
den Nieren kam es zu Blutungen in die Glomerall wie in die Tubuli: 
trotzdem blieb die Harnstoffausscheidung eine reichliche und dem¬ 
entsprechend auch die Wasserausscheidung. Eine diuretlsehe Wir¬ 
kung der Urea scheint aus diesen Experimenten hervorzugehen: 
auch noch längere Zelt nach einer Injektion bleibt die Wasser¬ 
ausscheidung durch die Nieren vermehrt. Bel den Thieren erwies 
sich 7 g als eine sicher tödtllche Gabe. 

G a h b i und N a d a 1 Ä: TJeber die haemolytische Eigen¬ 
schaft des Blutserums von Ankylostomakranken. " 

Die Autoren fanden bei ihren Blutuntersuohungen an Ankylo¬ 
stomakranken. dass 8 ccm des Serums genügen, um bei Kaninchen 
eine schwere Haematurio zu bewirken. Von 6 Kranken zeigten 
5 dieses Phänomen; hei einem, welcher noch im Anfang der Krank- 


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MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


9. Juli 1901. 


beit starnl, waren 11 ccm not h wendig. Das Llclit hat keinerlei 
Einfluss auf diese Eigenschaft des Serums; sie erhält sich mehrere 
Tage und ist nur in vitro nachweisbar. 

Schon früher hat ein Italiener, L u s s a n o , auf diese haemo- 
lytiselie Eigenschaft des Blutes bei Ankylostomiasis hingewiesen, 
löozzetta degli osped. etc. 1001, No. 48.) 

Guizettl: Ueber die Biologie des Typhusbacillus im 
menschlichen Körper. 

Aus dein pathologisch-anatomischen Institut von Parma ver¬ 
öffentlicht der Autor eine lange lteilie von Untersuchungsresultaten 
über das Vorkommen der Typhusbacillen beim Menschen unter 
Hcrilekxichtlgung der gesammten deutschen, französischen und 
italienischen Literatur über dieses Thema. 

Dass die Untersuchungsergebnisse nur Leichen entstammen, 
ist kaum geeignet, ihren Werth zu beeinträchtigen; die Leichen 
wurden möglichst früh oliducirt und in Kälte kouservirt. 

Der Ebert h'selie Bacillus, so restimirt G., tritt in weitaus 
«len meisten Fällen durch den Verdauungskanal in den Körper ein. 
Durch die Mesenterialdrüsen gelaugt er in den Ductus thoracicus 
und in den Kreislauf und somit in alle Organe und Gewebe. Aber 
man hat zu unterscheiden zwischen Durchgangsorganen, Elektiv- 
orgauen uud Ausscheiduugsorganen. Zu den Durehgangsorganen 
gehören die Mesenterialdrüsen, zu den Elektionsorganen nur die 
Milz und «las rothe Mark der Knochen. In der Milz wie iin rothon 
Knochenmark setzt der Bacillus sich fest und vermehrt sich. Da¬ 
gegen wird er von der Leber ausgeschieden durch die Galle und 
wie in der Lelwr, wird ln allen anderen Organen mit Einschluss 
des Blutes der Pilz für gewöhnlich zerstört uud von den Nieren 
zugleich zerstört und ausgeschieden. 

Bisweilen aber bleibt in einem dieser für gewöhnlich refrak¬ 
tären Organe der Pilz unzerstört und vermehrt sich. Erfolgt dies 
nur in einem Organe, weil die Resistenz desselben vermindert 
ist. so hat mau eine Typhuskomplikntiou. Erfolgt es in vielen 
Organen und Geweben, weil die allgemeine Resistenz der gesanuu- 
t«*n Organe und Gewebe herabgesetzt ist. oder weil es sich um 
eine abnorm hohe Virulenz d«*s Infektionsträgers handelt, so hat 
mau eine typhöse Septikaemie. 

Von den Veräntlerungen au den Peye r'sehen Plaques ist 
mit Sicherheit auzuuehmen, dass sie entstehen durch den Ueber- 
gang «1er Typhusbacillen aus dem Darm in die Lymplibahnen uud 
dass sie nicht sekundärer Natur sind. 

In Fällen von Recidlveu erschien es besonders bemerkens¬ 
wert h, dass «las Mark der langen Knochen in seiner ganzen Länge 
roth war und «lass der Typhusbaeillus in der ganzen Ausdehnung 
desselben angetroffen wurde. 

Ueber Fälle von Typhus ohne Darmbefund, ferner über die 
Befun«le tx'i Perforationsptudtonitis und iilier Untersuchungen 
lieireffend die angebliche Versehle«lenheit der Arten des Typlius- 
hacillns ln dem gleichen Falle.und von Fall zu Fall will der Autor 
binnen Kurzem in einer anderen Arbeit berichten, (il polielinico 
sezione medka, fase. 4 ti. 5, 1001.) 

8 11 v es tri: Zur trypsinerzeugenden Funktion der Milz, 
(rif. ined. 1901, No. 72 u. 73.) 

Ist die Milz als eine Drüse zu betrachten, deren inneres 
Seeretionsprodukt eine Rolle spielt? Rührt vielleicht ein Theil des 
im Bauchspeichel als Ferment enthaltenen Trypsins ans der Milz 
als Bildungsstätte her? 

Beide Fragen beantwortet 8. auf Grund seiner ira patho¬ 
logischen Institut zu Modena angestellteu Experimentalversuche 
mit „Nein". 

Nur durch ihre mechanischen Beziehungen zum kleinen ab¬ 
dominalen Kreislauf, indem sie grössere oder geringere Mengen 
Blutes zu den Gefilssen des Pankreas und Darmes gelangen lässt, 
kann die Milz einen Einfluss auf die grössere oder geringere Ab¬ 
sonderung des Bauch Speichels und des in Ihm Avirksameu Prlu- 
eips ausüben. 

’ 0 r t o 1 a n 1: Heber die D u r a n t e’schen Jodinjektionen 

\ b«i tuberkulösen Drüsentumoren. 

l>le allgemein bei Drüsentuberkulose als wirksam anerkannten 
Jodinjektionen erfreuen sicli in Italien durch die Autorität 
Dnrante’s einer besonderen methodischen Anwendung. Man 
injizirt nach D iirante, in die Drüsensubstanz oder auch an 
anderen Körperstellen 1—2 g einer Lösung von Glycerin, purissim. 
•fi. Gnajakol 2, .Tod. pur. 0.2. Jodkali 0.4; allmählich steigt man, 
indem man die Lösung verstärkt und zwar bis Jod. pur. 1.0 und 
Jodkali 2,0, während der Glycerin- uud Guajakolgelialt der gleiche 
bleibt. 

Auf dem letzten ItaJkmisehen Chirargenkongrosse betonlo 
Dorante, dass das Jod das einzige Mittel sei, welches durch 
seine Wirkung auf den Stoffwechsel die Vitalität der Gewebe gegen 
den Tubcrkelbaelilu? erhöht und sie in Stan«l setzt, siegreich «len 
Eindringling zu überwinden. So sähe man DrUsentumonui der 
Heilung zngeführt werden, welche kein chirurgischer Eingriff zu 
fiberwinden Im Stande sei. 

Nur Eines Ist bei dieser Kur vor allen Dingen nöthlg: das ist Be¬ 
harrlichkeit In der Anwendung. O. führt eine Reihe von Fällen an, 
in welchen über 100 Injektionen nöthlg waren und ein Unkundiger 
leicht an dem Erfolge hätte verzweifeln können. (11 Morgagni 
1801, April.) Hager- Magdeburg-N. 


1147 


Laryngo-Rhinologie. 

1) B o 11 o r m u n d - Dresden: Welche physiologische Be¬ 
deutung hat das Zäpfchen für die SingstimmeP (Arch. f. Laryngo- 
logie u. Rliinologie IUI. 12, Heft 1.) 

Einer hysterischen Sängerin war auf deren Wunsch die Uvula 
— wegen angeblich durch sie hervorgerufener Beschwerden — 
durch einen Arzt resceirt worden. Nach einiger Zeit verklagt«* 
Patientin den betreffenden Arzt, da sie dureli die Operation eine 
Schädigung ihrer Singstlnune erlitten habe. Autor, der s. Zt. als 
Zeuge und Sachverständiger vor Gericht geladen war, verbreitet 
sieh — anschliessend an diesen Fall — über Indieation und Contra- 
indieation dieser Operation von pathologischen und physiologischen 
Gesichtspunkten aus, b<*züglieh deren auf das Original verwiesen 
werden muss. 

2) Benno L e w y - Berlin: TJeber einen auffälligen Befund 
an den Nerven der Nasenschleimhaut bei nasaler Reflexneurose. 
(Ibkl.) (Mit 2 chromolithographischen Tafeln.) 

Bei 2 Fäll«*n von ausgesprochen nasaler Reflexneurose in Folge 
von Sehweilungszustjimlen der unteren Muscheln fanden sicli In 
den „abgetragenen Sclileimhnutstik-kclien ganz ausserordentlich 
zahlreiche und ziemlich «licke Nervenästclien ganz dicht unterhalb 
der freien Oberfläche verlaufend.“ Autor glaubt ln dem den nor¬ 
malen Verhältnissen nicht entspnvhenilen Befund eine Erklärung 
für diese Rellexneurosen zu fliulen, da „ein solcher, von einer nur 
etwa 0,3 mm «licken Schicht bed«*ckter. aus der doch nicht uner¬ 
heblichen Zahl von 4—10 Fasern bestehender sensibler Nervonnst 
ganz ausserordentlich leicht allerlei Reizungen ausgesetzt sei und 
«Imlurch zu recht erheblichen Reflexen Anlass geben könne, auch 
ohne «lass pathologische Veränderungen ln den Fasern selbst be¬ 
stehen.“ Unter Hinweis auf diesen bis jetzt no«“h nirgends in der 
einschlägigen Literatur verzeichneten Befund fordert Autor zu wei¬ 
teren diesb«»züglichen Untersuchungen auf. 

3) J u r a s z - Heidelberg: Zur Frage nach der Wirkung der 
Musculi thyreo-cricoidei. (Ibid.) 

Auf Grund anatomischer und physiologischer Erwägungen 
kommt J u r a s z zu dem Schluss, dass „die Thyreo-cricoidei, deren 
Ursprung zweifellos am Schildknorpel und der Ansatz am lting- 
knorpel zu suchen ist, keinen anderen Zweck haben können, als 
den Ileif des Ringknorpels an den unteren Rand des Seliihlknorpels 
anzunähern", dass also «1er Schildknorpel bei der Phonation als 
Punctum flxtim und der Ringknorpel als Punctum mobile zu be¬ 
trachten seien. Details müssen im Original eiugesehen werden. 

4) Gustav S p i e s s - Frankfurt a. AI.: Ein neuer Gesichts¬ 
punkt in der Behandlung des frischen Schnupfens. (Ibid.) 

Die Thatsache, dass «lie starke Sekretion beim frischen 
Schnupfen des Nachts, im Scldafe, sistirt, erklärt Verfasser dureli 
die ln Folge des Schlafes eintretende Herabsetzung der Vaso- 
motoren-Reflexerregbarkeit Dtose verminderte Reflexerregbarkeit 
müssen wir auch bei Tage — künstlich — zu erzeugen versuchen, 
um eine Verminderung des Sehwellungszustamles und damit der 
Sekretion liervorzurufeu. Als geeignetstes Mittel hat sich dem Ver¬ 
fasser «bis Orthoform — das nach Spiess auch durch die un¬ 
versehrte Schleimhaut des Halses und der Nase wirkt 
eventuell in gleichen Tlicilen in Verbindung mit Natr. sozojodol. 
2:10 bewährt. Da sich die katarrhalische Infektion meist im 
Nasenrachenraum zuerst lokalisirt uud von da aus in die Nase 
fortschreitet, andererseits in Folge der Schwellungszustände der 
Nase das Pulver in die tieferen Theilc des Cavums von vorne aus 
nicht hineingelangen kann, so empfiehlt Spiess die Einblasungen 
obigen Pulvers, die mehrmals täglich vorzunehmen sind, von der 
Mundhöhle aus in den Nasenrachenraum und von hinten her in 
das Cavura nasi. 

5) G 1 a t z e 1 - Berlin: Zur Differentialdiagnose des Primär¬ 
affektes auf der Mundschleimhaut. (Mit 1 Abbildung.) (Ibid.) 

Unter Mittheilung eines Falles von Initialsklerose auf «lerMund¬ 
schleimhaut erwähnt Autor die differentialdiagnostisch In Betracht 
kommenden Erkrankungen dieser Region: ,.l. llerp«*s buccalis, 
2. tuberkulöse Geschwüre, 3. sekundäre und tertiäre Lm'sformen, 
4. Znhngeschwüre und 5. die Mundseuche“ und bespricht deren 
Unterscheidungsmerkmale. 

0) Licht witz - Bordeaux: Die Heissluftbehandlung einiger 
Nasenaffektionen. (Mit 1 Abbildung.) (Annales des nmladles de 
l’oreille etc. 1901, No. 4.) 

L i e h t w 11 z berichtet gleichfalls über die therapeutische 
Verwerthung der Heissluftbehandlung bei einigen Sehleimhaut¬ 
affektionen der Nase (cf. diese Wochensehr. 1900. No. 43. S. 150.8, 
Referat No. 5). Der von ihm zur Erzeugung der heissen Luft kon- 
struirte Apparat ist in der Arbeit abgebihlet. Die Resultate der 
Behandlung waren recht befriedigende. 

7) Paul VI oll et: Die Behandlung der chronischen, diffus 
hypertrophischen Rhinitis mit submucösen Injektionen von 
Chlorzink. (Archives internationales «le laryngologie etc. 1901, 
No. 2.) 

Die von Hamm angegebene Methode besteht darin, dass in 
die mit 20proc. Cocain annesthesirten linieren Muscheln ein oder, 
wenn nötliig, mehrere Male ein halbes bis einige (Vntigramm 
einer 10 pro«*. Chlorzinklösung submuoüs lnjielrt werden. Vlollet 
prüfte diese Methode bei einer Reihe von auf vasomotorischer 
Basis beruhender Muschelhypertrophien nach und erzielte bei der 
Mehrzahl recht gute Erfolge. Er empfiehlt diese konservative 
Methode vor etwaiger Anwendung der Kaustik oder der partiellen 
Resektion, umsomehr, als die Reaktion auf die Injektionen meist 
eine geringe sei und bisweilen elue einzige Injektion zur Heilung 
genüge. 


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MUENCHENER MED1CINISCIIE WOCHENSCIIRIFT. 


No. 28. 


1148 


8) Champeaux: lieber den adenoiden Habitus. Der 
adenoide Habitus ist kein sicheres Zeichen für das Vorhanden¬ 
sein einer hypertrophischen Rachenmandel. (Ibid.) 

Unter dem Ausdruck „adenoider Habitus“ versteht man Jenen 
bekannten Symptomenkomplex, der sich meist bei Kindern zeigt und 
in variablen Formen folgendes Bild bietet: Blasses, hohlwangiges, 
annemisches Kind, schmale Nase (leptoprosop), behinderte Nasen- 
athmung, Muudathmung, Lippen breit und wulstig, schlechte Zahn¬ 
stellung, Thorax abgeflacht, bisweilen Skoliose, Halsdrüsenschwel- 
lungeu, Enuresis nocturna, Aprosexie etc. Dieser Ausdruck ist 
falsch, da einerseits bei Anwesenheit einer grossen Itachenmandel 
siimiutliche Erscheinungen fehlen können — in diesem Falle ist 
die Nasenathmung relativ frei, da die adenoiden Vegetationen mehr 
nach der hinteren Rachenwand zu sitzen und die Choauen frei 
lassen —, andererseits auch der ganze Symptoraeukomplex ohne 
eine hypertrophische Rachenmandel bestehen kann, umsomehr, als 
eine grosse Reihe dieser Symptome als Folge einer behinderten 
Nasenathmung sich zeigen können, deren Ursache in anderen 
Störungen (doppelseitige, hypertrophische Rhinitis, Nasenscheide¬ 
wandverbiegungen oder breite Leistenbildungen des Septums) zu 
suchen sind. Autor schlägt daher als Ersatz für „fades odönoidien“ 
den Terminus „facies d'obstruction nasale“ oder kürzer „facies 
nasal“ vor. 

9) M o u r e - Bordeaux: Behandlung der Nasenscheidewand- 
Deviationen. (Mit 12 Abbildungen im Text.) (Revue hebdomadaire 
de laryngologie etc. 1901, No. 13.) 

Bel Verbiegungen der Nasenscheidewand mit Kristn- oder 
Spinnbildung, oder bei gleichzeitig bestehender Luxation des vor¬ 
deren Septuratheiles operirt Autor zweizeitig. Zunächst beseitigt 
er mit einem in der Arbeit abgebildeten Osteotome die Kristu, 
bezw. resecirt vorher den luxirten Septumsknorpel. Erst nach 
vollständiger Abheilung dieser operativen Eingriffe, also ungefähr 
nach 1 Monat, schreitet M o u r e zur Geraderichtung der ver¬ 
bogenen Nasenscheidewand: Mittels zweier einen spitzen Winkel 

miteinander bildenden Schnitte_! — durch Einführung je einer 

Branche der von M o u r e angegebenen gebogenen Sclieere in jedes 
Nasenloch — wird der vordere Theil des Septums in horizontaler 
und vertikaler Richtung durchschnitten und damit vollständig mo- 
bilisirt. Eine ln das Nasenloch der deviirten Seite eingeführte, 
eigens konstrairte Metalltube dient dann zur Geraderichtung und 
Fixirung des Septums und verbleibt 8 Tage in der Nase. Das 
Resultat ist ein gutes, die Operation selbst besitzt im Vergleich 
zu der Methode von Asch mehrere Vorzüge. Bezüglich Details 
und Technik muss auf das Originnl verwiesen werden. 

10) Jacques und M i c li e 1 - Nancy: Die Thyreotomie bei 
gutartigen Tumoren des Kindesalters. (Ibid. No. 17.) 

Statt der änsserst schwierigen und oft unmöglichen intra- 
laryngealen Behandlung bei gutartigen Neubildungen im kindlichen 
Kehlkopfe (Papillomen etc.) empfehlen Autoren eine ausgedehntere 
extralaryngeale Therapie, in Form der Thyreotomie, die ein be¬ 
deutend besseres Resultat sowohl in operativer, wie in funktioneller 
Hinsieht gebe, als es nach den bisherigen Anschauungen der Fall 
zu sein scheine. 2 kasuistische Fälle zur Illustration. 

Hecht- München. 

Vereins- und Congressberichte. 

29. Deutscher Aerztetag 

in II i 1 d c s h e i m, am 28. und 29. Juni 1901. 

(Eigener Bericht) 

Dein Deutschen Aerztevereinsbund gehören gegenwärtig 
302 Vereine mit. 18 337 Mitgliedern an; vertreten sind auf dem 
Aerztetage 193 Vereine durch 175 Delegirte mit 16 473 Stimmen. 
Der Aerztevereinsbund hat demnach seit dem vorigen Jahre sich 
um 9 Vereine und 1751 Mitglieder vermehrt; auch die Betheili¬ 
gung am Aerztetage ist in diesem Jahre eine bessere, indem ein 
Mehr von 10 Vereinen und 1743 Mitgliedern vertreten und die 
Zahl der anwesenden Dclegirten um 57 gestiegen ist. 

I. Der Vorsitzende, Herr Prof. Dr. Löbker, begrüsst die 
zum ersten Male erschienenen Delegirten als Mitarbeiter und ge¬ 
denkt der seit dem letzten Aerztetage verstorbenen DDr. Kri¬ 
steller- Berlin, Asc h - Breslau, Wagner- Königshütte, 
R ö der- Würzburg, Mack- Braunschweig; einen besonders 
wannen NaclLruf widmet er den DDr. B r a u s e r - Regensburg 
und Ileusinger - Marburg. Die Versammlung ehrt das An¬ 
denken der Verstorbenen durch Erheben von den Sitzen. Sodann 
erwähnt der Vorsitzende die für den ärztlichen Stand wichtigsten 
Ereignisse des vergangenen Jahres, die Reorganisation des 
höheren Schulwesens, die Berechtigung zum medicinischen Stu¬ 
dium und die neue Prüfungsordnung, sowie die Streitigkeiten 
zwischen Aerzten und Krankenkassen; die Verwaltungsbehörden 
haben bei denselben keine einwandsfreie Stellung eingenommen, 
die Aerzte haben mit weiser Mässigung, standeswürdig und mit 
ehrlichen Mitteln gekämpft. Einstweilen sind die Aerzte noch 
auf Selbsthilfe angewiesen; die Errichtung eines Syndikats ent¬ 
spricht dem Bedürfnisse nach einem weiteren Ausbau der Organi¬ 


sation des Aerztcvereinsbundes; an dem Bestände des letzteren 
selbst und an der Einigkeit der Aerzte soll jedoch nicht gerüttelt 
werden, so begrüssenswerthe Vorschläge auch die neueren Bestre¬ 
bungen bringen. 

Der Regierungspräsident, Herr v. Philippsborn, sowie 
der Oberbürgermeister der Stadt Hildesheim, Herr Struck¬ 
mann, begrüssen den Aerztetag auf’s Freundlichste und heben 
die Bedeutung der ärztlichen Standesorganisution für die staat¬ 
liche und eommunale Verwaltung hervor. 

II. Den Geschäftsbericht erstattet Herr Wall ich s; er 
begründet die verspätete Aufstellung der Tagesordnung und 
theilt mit, dass er dio Geschäftsführung niederlegen werde. 

IIT. Bezüglich des Vereinsblattes spricht der bisherige Re¬ 
dakteur, Herr W a 11 i ch s, über die künftige Ausgestaltung des 
Vereinsblattes, das in der letzten Zeit häufiger erscheinen musste; 
die Verhandlungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen. 

Herr N e u b e r g e r - Nürnberg regt häufigeres Erscheinen 
des Vereinsblattes, womöglich alle 8 Tage. Deckung der Mehr¬ 
kosten durch Inserate und die Gründung einer Unterstützungs- uud 
Waisenkasse nach Art des IInmburger Centralanzeigers an. 

Herr Heulus - Berlin spricht unter Beifall der Versamm¬ 
lung das Bedauern über das Ausscheiden des Immer thiltigen und 
verdienstvollen Redakteurs und Geschäftsführers Herrn Wnllichs 
aus und hofft, dass er auch ferner noch ‘lange an den Verhand¬ 
lungen Theil nehmen könne. 

IV. Den Kassenbericht erstattete Herr II e i n z e. Im Jahre 
1900 betrugen die Einnahmen 72 851.84 M., dio Ausgaben 
49 738.91 M. Der derzeitige Vermögensbestand beträgt circa 
75 000 M. Der Voranschlag für 1901 sieht neben höheren Ein¬ 
nahmen auch grössere Ausgaben vor. 

Herr Meissner- Berlin findet im Voranschläge die Aus¬ 
gaben für das Voreinsblatt zu hoch und die Einnahmen aus dem¬ 
selben zu niedrig vorgesehen; ein Blatt mit 18 000 Abonnenten 
müsse durch Annoncen mehr Einnahmen erzielen, so dass nicht 
bloss die Kosten gedockt, sondern auch UelKjrsehilsse erzielt wer¬ 
den; der Kassenbericht möge künftig kaufmännisch erstellt werden. 

Herr Wal lieh s erwartet für 1901 noch keine Aeudorung 
im finanziellen Resultate, da das neu zu organlsirende Syndikat 
erst in einem späten Jnhresabsehnitte in’s Leben tritt. 

Herr Löbker erklärt die Frage noch nicht für spruchreif 
und sieht den HolTnungen des Herrn Meissner skeptisch gegen¬ 
über. da die geldbringendeu Anuoucen grosscutlieils abgewieseu 
werden müssen. 

V. Kommissionsberichte. 

a) Lebensversicherung; Da eine Sitzung der dies¬ 
bezüglichen Kommission nicht stattfand, ist zu diesem Punkte 
nichts zu berichten. 

b) Unfallversicherung. Der Referent, Herr Löb¬ 
ker, berichtet über dio Thätigkeit der Kommission. Hiernach 
haben sich die Verhältnisse zwischen Aerzten und Unfallver- 
siehorungsgcsellschaften friedlich gestaltet. Dio von beiden 
Seiten vorgebrachton Beschwerden waren gering an Zahl, un- 
orheblieh und konnte ihnen daher leicht abgcholfcn werden. Nur 
die Kölnische Unfallversicherungs-Aktiengesellschaft hält sich 
nicht an dio getroffenen Vereinbarungen und verwendet unzu¬ 
lässige Attostformulare. 

Herr B o n g a r t z - Karlsruhe beschwert sich darüber, dass 
die Vertrauensärzte nicht immer den behandelnden Aerzten zur 
Ivenntnlss gebracht werdeu. 

Herr Löbker ersucht bei Beschwerden um Mittheilung an 
den Vorstand des Geschäftsausschusses oder der betreffenden Kom¬ 
mission. 

c) Kurpfuscherei. Hiezu liegt dem Aerztetage ein 
von Herrn Weinberg- Stuttgart verfasster Bericht vor, wel¬ 
cher die Erhebungen des deutschen Aerztctagos über die Schäden 
der Kurpfuscherei gesichtet und statistisch verwerthet hat. Be¬ 
dauerlich ist, dass dio Aerzte sich viel zu wenig an diesen Er¬ 
hebungen betheiligten, auf 6313 Anfragen liefen nur 903 positive 
Auskünfte ein; gleichwohl sind dio ermittelten Zahlen der Kur¬ 
pfuscher wesentlich höher als bei der Erhebung des Kaiserlichen 
Gesundheitsamtes; ferner ist festgestellt, dass dio Kurpfuscherei 
überall im Zunohnien begriffen ist. lieber die persönlichen Ver¬ 
hältnisse der Kurpfuscher, dio zahlreichen nachgewiesenen 
Schädigungen an Leben und Gesundheit enthält der Bericht ge¬ 
naue Angaben; bemerkenswerth ist die starke Betheilig-ung der 
bayerischen Bader bei der Pfuscherei. Der Bericht kommt zu den 
Schlussfolgerungen, dass seitens der Behörden bis jetzt äusserst 
wenig gegen die Schäden der Kurpfuscherei geschehen ist, die be¬ 
stehende Gesetzgebung keine genügende Handhabe bietet und es 
in erster Linie im Interesse des Publikums und der Behörden 
liegt, der Kurpfuscherei wirksam entgegenzutreten. 


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Herr Llnilmann-Mannheim als Referent glaubt, dass eine 
Aenderuug der gegenwärtigen Gesetzgebung noch lange auf sieh 
warten lasse und empfiehlt. Innerhalb der Vereine den Kampf gegen 
die Kurpfuscher durch Bildung von Kommissionen und Anzeige an 
die Behörden aufzunebmen. 

Herr Becher- Berlin weist auf das erfolgreiche Vorgehen 
der Berliner Aerztekammer hin bezüglich der Titelführung der 
Kurpfuscher und deren prahlerischen Ankündigungen; durch Mit¬ 
theilung seitens der Staatsanwaltschaft über Anklagen gegen Kur¬ 
pfuscher sind die Vertreter der Aerztekammer in der Lage, den 
Gerichtsverhandlungen beizuwohnen. B. empfiehlt auch, die Ver¬ 
sammlungen und Vorträge der Kurpfuscher zu besuchen und stellt 
einen Antrag, wonach den ärztlichen Standesvertretungen wieder¬ 
holt die Bildung von Kommissionen zur Bekämpfung der Kur¬ 
pfuscherei anempfohlen wird. 

Herr K o r m a n n - Leipzig meint, der Besuch der Versamm¬ 
lungen, in denen Kurpfuscher Reden halten, werde nicht viel 
nützen, man habe meist nicht den Eindruck, als ob dieselben unter¬ 
legen seien. In Leipzig wurde bezüglich des Oxydonor Victory 
ein günstiges Urthell erzielt, im Kuhne-Process dagegen ein Miss¬ 
erfolg. 

Herr H ü f 1 e r - Chemnitz berichtet, dass dorten in Folge der 
Beziehungen der Aerzte zu den Zeitungen die wüsten Angriffe 
gegen die Aerzte eingeschränkt wurden; bei den Behörden war 
wenig Entgegenkommen zu finden; ein Bezirksrath rletli, die Kur¬ 
pfuscherei todt zu schweigen. 

Herr Franz- Selileiz fordert auf, den Kampf an allen Ecken 
und Enden aufzunehmen, dabei aber sich nach den lokalen Ver¬ 
hältnissen zu richten; vor Allem müsste man das Material sam¬ 
meln und Jedem einzelnen Kurpfuscher nachgehen; dabei stosse 
man auf die grössten Schwindler und finde, dass eine einfache 
Angina als Diphtherie behandelt wird, sogar die Frau eines Arztes 
Kurpfuscherei treibt u. s. w. Wer Kurpfuscher In öffentlichen Ver¬ 
sammlungen angreifen wolle, müsse zuvor deren Schriften gelesen 
haben. 

Herr P i z a - Hamburg hat über mangelndes Entgegenkommen 
der dortigen Behörden nicht zu klagen; die ersten Versuche, in 
öffentlichen Versammlungen aufzutreten, sind noch nicht sehr 
rühmenswerth, man muss sich auf diese Kampfesweise erst ein- 
iiben. Mit Energie muss man aber auch den Aerzten entgegen¬ 
treten. die zwar nicht Kurpfuscher zu nennen sind, die aber Kur¬ 
pfuscherei treiben und diese unterstützen. 

Herr Weckerling -Friedberg verweist auf die demnächst 
erscheinende Schrift von Ilermine Ludwig in Bunzlau: „Wie 
ltehandelt man seinen Arzt?“ Das Vorgehen der Aerzte wird im 
Publikum falsch aufgefasst, als ob Alles pro domo geschehe. 

Der Antrag B ec he Fs wird bei der Abstimmung ange¬ 
nommen. 

d) Krankenversicherung. Herr Landsberge r- 
Posen als Referent verweist auf die in Aussicht stehende Kran¬ 
kenversicherungsnovelle, die verschiedene Lücken ausfüllen soll; 
die Aerzte müssen ihrer längst feststehenden Meinung Geltung 
verschaffen, denn eine wirklich dauernde Abhilfe kann nur auf 
gesetzlichem Wege erreicht werden. Im Württemberger Land¬ 
tage war die Stellungnahme zur freien Arztwahl eine günstige. 

Auch hiezu liegt ein gedruckter Bericht vor: „Die Stellung 
der Aerzte bei den Krankenkassen. Thatsachenmaterial, zu- 
sauimengestellt im Aufträge des Geschäftsausschusses des 
Deutschen Aerztevereinsbundes.“ 

Herr M u g d a n - Berlin bemängelt eine Reihe von Unrichtig¬ 
keiten in dieser Arbeit, die desshalb eher Schaden als Nutzen bringe 
und desshalb besser ungedruckt geblieben wäre. 

Herr Landsberger - Posen: Der Bericht enthält das im 
ärztlichen Vereinsblatte niedergelegtc Material, von einem jungen 
Medlciner zusammengestellt; ein Beitrag zur Krankenkassenfrage 
ist er nicht 

Herr P f al z - Düsseldorf: Es ist zu wünschen, dass die Be¬ 
ziehungen der Kommission des Geschäftsausschusses zur Centrale 
für freie Arztwahl engere werden. 

Herr A 1 e x a n d e r - Berlin: Wenn die Kommission auch 
diesen Bericht abschüttelt, ist von ihrer Thätigkeit nicht viel übrig 
geblieben. Bei den Erhebungen aus Anlass der Novelle hätte sie 
in eine Besprechung vom ärztlichen Standpnukto aus eintreteu 
müssen: eine Centrale soll die Sache wirksam in die Hand nehmen. 

Herr L i n d m a n n - Mannheim: Die Mitarbeit der Aerzte bei 
solchen Erhebungen ist eine zu ungenügende, auch in grösseren 
Städten; wer arbeiten will, wird oft von seinen Kollegen im Stiebe 
gelassen. 

Herr D e a h n a - Stuttgart stellt Namens des Stuttgarter Be¬ 
zirksvereins den Antrag: 

..Der Deutsche Aerztevereinsbund wolle Schritte thun, dass 

bei Kassenpatienten das Ausstellen von mehr als einem Kranken¬ 
schein bei einem und demselben lionorirt werde und dass die 

Kosten von der betreffenden Kasse getragen werden“, 
und begründete ihn. Die Krankenkassenmitglieder haben häufig 
wegen ihrer Zugehörigkeit zu sog. Zuschusskassen (eingeschriebene 
Hilfskassen, private Vereinigungen etc.) ein zweites Zeuguiss vor¬ 
zulegen, in welchem nicht nur Krankheit und Erwerbsunfähigkeit 
einzutragen ist, sondern eine förmliche Kontrole des Kranken ver¬ 
langt wird. Von dem Letzteren ist die Bezahlung nicht zu er¬ 
langen, auch die Kasse verweigert dies, well die Mühe des Arztes 


zu geringfügig sei. Eine einheitliche Regelung auf dem vorge¬ 
schlagenen Wege ist daher nothvvendig. 

Herr Pfalz- Düsseldorf Ist zwar auch für die Honorirung 
im einheitlichen Sinne, jedoch nicht seitens der Krankenkassen; 
die lokalen Vereiue sollen das Weitere regeln. 

Bei der Abstimmung wird der Stuttgarter Antrag abgolehnt. 

e) Kommission für Niederlassung von Aerz¬ 
ten im Ausland. Der vorjährige Aorztetag hatte den Ge- 
schäftsausschuss beauftragt, die Einrichtung und Leitung einer 
Auskunftsstelle für Niederlassung deutscher Aerzte im Auslande 
in die Hand zu nehmen, und sich zugleich dahin ausgesprochen, 
dass mit dieser die Vermittlung der Schiffsarztstellen für 
deutsche Rhedereien verbunden werden möge. Namens des Ge- 
echäftsaussehusses berichtet Herr S e n d 1 e r - Magdeburg, dass 
bezüglich der Platzfrago Berlin und Hamburg konkurriren; für 
erstcres werde angeführt, dass im Auslande wenig Vakanzen ein- 
treten und ein besonderer Apparat nicht nothwendig sei; wenn 
jedoch dio Vermittlung von Schiffsarztstellen auch zur Thätig¬ 
keit dieser Centrale gehören solle, müsse man den Sitz in eine 
Seestadt verlegen. Hamburg erscheine durch seine ausgedehnten 
kaufmännischen Verbindungen der geeignetste Ort; Kenntniss 
von den Vakanzen im Auslande werde erhalten durch die aus¬ 
ländischen Filialen der grossen Geschäftshäuser oder die Consuln, 
weleho vom Reichskanzler zur Auskunftsertheilung angewiesen 
werden. Referent stellt den Antrag, den Sitz der Auskunftsstelle 
nach Hamburg zu verlegen; dieselbe soll unter der Oberaufsicht 
des Geschäftsausschusses stehen und eine regelmässige Verbin¬ 
dung mit demselben unterhalten, jedoch im Uebrigen eine selb¬ 
ständige Thätigkeit entfalten. 

In der Diseussion sprechen sich die Herren Alexander 
und Becher für Berlin, T h o s t und P i z a für Hamburg aus, 
dessen Aerztekammer bereit sei, die Leitung zu übernehmen. 
Herr Alexander wünscht Vertagung der Beschlussfassung 
bis zur Besprechung des Syndikats, mit dem eine Stellenvermitt¬ 
lung im Inlande verbunden sein soll. 

Der Antrag des Geschäftsausschusses wird mit überwiegen¬ 
der Mehrheit angenommen. 

f) Organisationskommission. Tm Vorjahre war 
der Geschäftsausschuss beauftragt worden, eine 5gliedrigc Kom¬ 
mission zu ernennen, welche die Frage der Errichtung eines Syn¬ 
dikates vorzubereiten hat. Die Berichterstattung übernimmt der 
Vorsitzende, Herr Löbker. Er schlägt vor, einen beamteten 
Generalsekretär mit einem Gehalte bis zu 8000 M. anzustellen; 
er hat seinen Sitz in Berlin zu nehmen und auf Privatpraxis zu 
verzichten; ihm liegt ob, die ärztlichen Stundesinteressen, dio 
ethischen sowohl als dio wirtschaftlichen, dauernd und energisch 
auch in der Oeffentlichkeit zu vertreten und gegen etwaige An¬ 
griffe zu verteidigen, die Geschäfte zu führen, das Vereinsblatt 
zu redigiren. Die Vorschläge der Berliner ärztlichen Standes¬ 
vereine, welche als Sitz der Geschäftsstelle Berlin und eingehen¬ 
dere Bestimmungen über deren Thätigkeit vorsehen, enthalten 
keine Widersprüche mit denen des Geschäftsauschusses, sic 
stellen eine Ergänzung derselben dar. 

Die Diseussion, bei der die angeregte en bloc-Annnhme 
der Vorschläge auf Widerspruch stösst, wird eine unerwartet lange 
und führt schliesslich zu einer unerquicklichen Gesehäftsordnungs- 
debatte. An der Debatte betheiligen sich die Herren W entscher- 
Thoru, Kormann - Leipzig, Alexander - Berlin, Dross- 
b a c h - Laufen, Müller- Zittau, Sondier- Magdeburg, P 1 z a - 
Hamburg, P f a 1 z - Düsseldorf, B e c h e r-Berlin, Franz- 
Schleiz, Streffer - Leipzig und der Referent. Ueber die Not¬ 
wendigkeit der Errichtung eines Generalsekretariates bestand 
nicht die geringste Differenz, wohl aber über dessen Sitz und da¬ 
rüber, ob die definitive Entscheidung über den Sitz vom Geschäfts- 
ausseliusse oder vom Aerztetage selbst getroffen werden soll. Das 
letztere entsprach dem Wunsche des Geschäftsausschusses und er¬ 
schien behufs rascher Durchführung der neuen Organisation noth¬ 
wendig; auch darüber war kein Zweifel, dass das Bureau nicht 
viel wandern soll und möglichst stabil gemacht werden muss. Hlu- 
sichtlieh des Sitzes sprach zu Gunsten von Berlin, dass dorten der 
Reichstag, der Bundesrath und der preussisehe Landtag tageu, 
viele höhere Behörden und Versicherungsgesellschaften ihren Sitz 
haben, die Mitglieder des Gesehüftsausseliusses ohnedies oft zu 
sonstigen Gelegenheiten (Aerzteknunuem, Reiehsgesundkeitsamt 
etc.) nach Berlin kommen und ein sonstiger Sitz die Verwaltung 
erschwert und vertlieuert und den persönlichen Verkehr mit den 
in Betracht kommenden Behörden, Abgeordneten und sonstigen 
einflussreichen Persönlichkeiten nicht' zur Entwicklung kommen 
lässt. Gegen Berlin wurde eingeweudet, dass bei der Zwietracht 
der Berliner ärztlichen Vereine der Generalsekretär keinen festen 
Rückhalt gewinnen könne und leicht von der einen oder anderen 
Partei in’s Schlepptau genommen werde; auch müsse mnn sich zu¬ 
vor über die Persönlichkeit des Geschäftsführers im Klaren seiu 


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1150 


MÜENC&ENEft MEDICtNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28 . 


uml mit ihm unterhandeln, da ein hiezu geeigneter Mann vielleicht 
gar nicht nach Berlin Ubersiedoln wolle. 

Bei der Abstimmung wird der Antrag Franz, die Wald 
des Ortes dem Geschiiftsauschusse zu überlassen, mit 85 gingen 
72 Stimmen der anwesenden Delegirten und bei der Abstimmung 
mittels Stimmzetteln mit 9404 gegen 5877 Stimmon der ver¬ 
tretenen Mitglieder abgelehnt, der Antrag Kormann, dem 
Generalsekretär eine auskömmliche Pension zuzusichern, mit 
Majorität und der Antrag des Geselliiftsausschusses, den Silz 
nach Berlin zu verlegen, mit überwiegender Mehrheit ange¬ 
nommen. Bei der Schlussabstimmung finden die vorgelegten 
Organisationsvorscldiigo nicht dem Wortlaute, aber dem Sinne 
nach'eine einstimmige Annahme, die für die weitere, dem Ge- 
selniftsaussehus.se übertragene Behandlung nur von Vortheil 
sein kann. 

VI. Stellung des Aerztevereinsbundes zum Leipziger 
wirtschaftlichen Verbände. 

Hiezu liegen vor: 

1. Der Antrag des Geschäftsausschusses: „Der 
deutsche Aerztetag beauftragt den Geschäftsausschuss, eines 
seiner Mitglieder zu delegiren, an der Verwaltung der Unter¬ 
stützungskasse des wirtschaftlichen Verbandes theilzunehmcn u . 

2. Die Anträge des Bezirksvereines M ü nche n, welche eine 
organische Verbindung zwischen dem Gesehüftsausschusse und 
dem Leipziger Verbände und Festlegung wichtiger statutarischer 
Bestimmungen erstreben. 

3. Der Antrag des Bezirksvereins Südfranken, welcher 
nicht nur eine Unterstützungskasse gegen die aus dem Krankcn- 
kassengesetz kommenden Schäden, sondern eine allgemeine grosse 
Unterstützungskasse (Wittwen- und Waisenkasse, Invaliditäts- 
Versicherung) zu errichten anstrebt. 

Der Referent, Herr W 1 n d e 1 s - Berlin, begründet die an¬ 
fänglich scharfe Stellungnahme des Geschüftsaussehusses, d e 
sieh nicht gegen den Zweck einer Unterstützung von Aerzten, 
die in Wahrung der Staudesinteressen gegenülwr Kranken¬ 
kassen materielle Verluste erlitten haben, richtete, sondern 
gegen die Art und Weise des Auftretens und das Leit¬ 
motiv der Streikidee. Einen Streik vom Zaune zu brechen, 
sei nicht vereinbar mit der Standeswürde; wenn es sich aber um 
Verthekllgungszwecke handle, wenn den Aerzten Unwürdiges zu- 
genuithet werde, da sei es nicht nur Recht, sondern auch Pflicht, 
sich mit dein Streik zur Wehr zu setzeu. Boi der gegenwärtigen 
Sachlage habe der Leipziger Verband zwar die grossen Steine des 
Anstosses, aber nicht «olle beseitigt; zu beanstanden seien noch die 
Punkte b—f des Leipziger Statutenentwurfs, welche sieh mit dem 
Stellennachweise, der Krankenkassenstatistik, der wirtschaftlichen 
Korrespondenz, der Warnung vor dem medleiulschon Studium und 
der Bekämpfung des Kurpfuschertums befassen; zu diesen 
Zwecken könne der Gesehäftsaussehuss keinen Delegirten ent¬ 
senden und sieh für immer binden; dies« Ziele gehörten von jeher 
zur Thiitigkeit des GcschUftsausscbusses, der Aerztovereinsbund 
müsse die oberste Instanz bleiben, hier dürfe keine Bresche gelegt 
worden, der Leipziger Verband solle sieh dem AerzteVereinsbund 
nnsehliessen, nicht umgekehrt. Die Entsendung eines Delegirten 
des Gosohiiftsausschusses zur Theilnnhme au der Verwaltung der 
Unterstützungskasse bitte er zu genehmigen, einmal des Friedens 
und der Einmütigkeit willen, dann wegen der Nützlichkeit und 
Notbwemligkelt einer organischen Verbindung und weil der Ver¬ 
band eine neue, fruchttragende Idee in die Wege geleitet habe. 
Weiterhin begrünst der Redner die Münchener Anträge und polo- 
misirt in scharfer Weise gegen den offenen Brief des Herrn 
Pfeiffer sen.-Weimar. 

Herr Krcckc - München vertritt die Anträge des dortigen 
ärztlichen Bezirksvereines, welche dem Autmge des Geschü fts¬ 
aussehusses grundsätzlich nicht widersprechen, vielmehr die Be¬ 
ziehungen zwischen Aerztovereinsbund und Leipziger Verband im 
Einzelnen regeln und ein möglichst enges Verhältnis* lierstellen 
wollen: Der Verband soll selbständig sein, aber unter Anlehnung 
an die Stnndesvereine und an den Aerztovereinsbund; er soll keinen 
Gegensatz zu letzterem, sondern eine Abtheilung desselben bilden; 
die Statuten und jede spätere Aonderung derselben bedürfen 
daher der Genehmigung des Aerztevereinsbundes; die Gründung 
einer Unterstützungskasse soll nicht den alleinigen, sondern den 
Hauptzweck bilden; die Unterstützungsfrage ist genauer zu regeln, 
ebenso die Beziehung des Verbandes zu den lokaleu Standesver¬ 
einen; ein Aufsiohtsrath ist zu bilden: im Falle der Auflösung 
soll das vorhandene Vermögen zu ärztlichen Wohlfahrtszwecken 
Verwendung finden. 

Herr D ö r f 1 e r - Weissenbnrg betont vor Allem die Notli- 
wendigkeit der Einmüthigkeit und Geschlossenheit; der Aerztetag 
müsse desshalb auch die wirthschaftlichcn Interessen der Aerzte 
kräftig vertreten; wenn der Leipziger Verband seine Ziele begrenze, 
solle man Ihn unterstützen, unter Umständen durch Einführung 
des Zwangsbeitrittes; die ethische Bedeutung der Unterstützung*- 
kasse s«i zunächst wichtiger nls die materielle; ausserdem aber 
solle der Aerztetag die Unterstützung der Wittwen und Waisen 
und die Invalidenversicherung in sein Programm einbeziehen, was 
Beniner in längerer Ausführung begründet. 


Auch sein Naehrodnor Herr B e n s o h - Berlin schweift vom 
eigentlichen Thema ab; ganz mit Kocht geisselt er die Gedanken¬ 
losigkeit und Indolenz der einzelnen Aerzte und Vereine, regt eine 
stärkere Betheiligung au der Versieherungskas.se für die Aerzte 
Deutschlands an und stellt «len Antrag, der Aerztetag wolle nochmals 
den Beitritt angelegentlichst empfehlen, reizt aber durch seine 
weiten Aushölungen die Ungeduld der Zuhörer und provoclrt mehr¬ 
fache Schlussrufe. 

Herr Alexander - Berlin stellt den Antrag vor dem letzten 
Worte des Geschäftsausschussantrages die Worte einzuschalten: 
„nach den Anweisungen des Geschü ftsaussehusses“ und begründet 
denselben damit, dass der Delegirte des Geschäftsausschusses be¬ 
stimmte Direetiven, ein imperatives Mandat haben müsse. 

Herr Hartmann- Leipzig erklärt, dass ihn nie und nimmer 
die Absicht geleitet lialie, eine Desorganisation des Acrztevereius- 
bundes herbeizuführen oder gegen letzteren eine feindliche Stel¬ 
lung eiuzunehmen, sondern dass er dem Bunde die fehlende Er¬ 
gänzung gehen wollte, nachdem die Stammorganisationen sich 
zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Aerzte nicht 
nls ausreichend erwiesen haben; iu Leipzig habe die Standesord- 
uung gegen die Streikbrecher versagt, der Ehrengerichtshof habe 
sie in II. Instanz von Schuld und Sühne freigesprochen. Der Auf¬ 
ruf <les Leipziger Verbandes habe den Geschäftsausschuss auf- 
gerüttelt und dein Aerztetag eine stärkere Betheiligung verschafft; 
der Delegirte möge sich au allen Arbeiten der Kasse, nicht bloss 
a:i der Verwaltung der Unterstützungskasse lietheiligen. 

Herr II ä u e 1 - Dresden sucht die Entscheidung des Elireu- 
gerlchtshofes in Sachen der Leipziger Streikbrecher zu recht¬ 
fertigen; soweit er sich dabei auf die Gewerbeordnung bezieht, 
bleibt er unverständlich, da die Frage nicht vom gewerberecht- 
liclien Standpunkte aus, sondern naeli der Staudesordnung zu be- 
urtlieilen ist. Im Uebrigen Ist er der Meinung des Geschäftsaus- 
schusses; ein obligatorischer Beitritt zum Leipziger Verbände ist 
den sächsischen Vereinen unmöglich. 

Herr S c h e r e r- Ludwigshafen verbreitet sieh über die Ziele 
des Verbandes und will demselben auch den Stellennachweis und 
die Knssenstatistik als Aufgabe zuweisen. 

Herr Landsberger spricht für den Antrag des Geschäfts- 
ausschusses mul für Ablehnung aller weiteren Anträge; der Aerzte¬ 
tag könne sieh auf letztere nicht .einlassen. 

Herr 1H p p e - Leipzig ist gleichfalls für den Antrag des 
Goschaftsausschusses, will Jedoch die wirtschaftliche Korre¬ 
spondenz dem Verbände erhalten wissen. Die Münchener Anträge 
findet er für sehr gut. jedoch nur in losem Zusammenhänge mit 
dem Anträge des Geschäftsausschusses: für deu Fall der Aunahme 
der Münchener Anträge schlägt er vor, die Forderung, dass die 
Satzungen des Verbandes und jede spätere Aenderung der Geneh¬ 
migung des Aerztevereinsbundes bedürfen, fallen zu lassen und 
dafür deu Passus einzusetzen, dass die Aenderungen der Satzungen 
nach Anhörung des Aerztetages getroffen werden. 

Herr G ö t z - Leipzig beantragt, der Aerztetag wolle den Bei¬ 
tritt zum Leipziger Verbände unter der Voraussetzung empfehlen, 
dass letzterer sieh auf die Unterst ützungskasse als Hauptzweck 
beschränkt und seine weitere Thätigkeit im Einvernehmen mit 
dem Geschäftsausschuss entfaltet. 

Herr N ä h e r - München hält es für nothwendig, dass der 
Aerzteverelnsbuud sich mit den Statuten des Leipziger Verbandes 
eingehender beschäftige, und vertritt nochmals die Münchener 
Anträge. 

Herr Wentscher -Thorn hält es auch für besser, dass der 
Aerzteverelnsbuud die Sache in die Hand nehme, denn es handelt 
sicli nicht um Beilegung eines Konfliktes, sondern um die Lösung 
eines Problemes; Zwangslieitritt hält er nicht für gut; mau soll« 
sich nicht auf die platonische Liebeserklärung des Geschäftsaus¬ 
schusses verlassen, soudern die Münchener Anträge annehmen 
und die Bestrebungen des Leipziger Verbandes unterstützen. 

Herr Landsberger - Posen ist nicht dafür, dem Verbände 
Bestimmungen zu machen, nachdem derselbe eine thntsäcliliche 
Existenz gefunden habe, man solle keine der beiden Seiten hiudeu; 
man lasse den Verband erst tbätig sein und warte seiue weitere 
Ausgestaltung ab. 

Herr Dörfler- Welssenburg zieht den Antrag des Rezirks- 
vereins Südfranken für dieses Jahr zurück und will ihn später 
wieder einbringen. 

Nach dem Schlussworte des Referenten, Herrn. W indels. 
wird der Antrag des Gosohäftsaussehusses mit allen gegen 
3 Stimmen angenommen. Der Antrag Gütz auf Empfehlung 
des Beitritts zum Leipziger Verbände wird abgclehnt, dagegen der 
Antrag B e n s c li auf Empfehlung der Contralhilfskasso an¬ 
genommen. Ueber die Münchener Anträge wird nicht nbge- 
stimmt, da die Mehrheit der Versammlung eine weitere Specifi- 
c.irung nicht beliebt. 

VIT. Wahl des Geschäftsausschusses. Die Wahl wird 
mittels Stimmzetteln vorgenommen, wobei zunächst 12 Mitglieder 
gewählt werden; dabei erhalten L ö b k e r 14 665 Stimmen, Leut 
13 273, Wallichs 12 207, Windeis 11929, Pi za 10 908, 
Landsberger 10 771, Krabler 10 586, II e i n z e 10 163, 
S e n d 1 c r 8349, Lindmann 8120, Näher 7220, P a r t s c h 
7123. Als 1. Vorsitzenden wählen diese 12 Mitglieder Herrn 
T> ö b k e r, als dessen Stellvertreter Herrn L e n t; cooptirt werden 
in den Gesehäftsaussehuss statutengemäss 9 weitere Herren, 


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9. Juli 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1151 


nämlich Becher, Deahna, Mayer - Fürth, Flor- 
schütz, Tiederaann, Rupp, Fritsch i, Hartman n - 
Hanau und D i p p e. Die Wahl des neueu Generalsekretärs wird 
in der nächsten Sitzung des Geschäftsausschusses vorgenommen. 

VIII. Die Genesungshäuser im Deutschen Reich. Dev 
Referent, Herr May er-Fürth, verbreitet sich unter Zugrund¬ 
legung statistischer Tabellen in sachlicher und zugleich inter¬ 
essanter Weise über dieses noch wenig bearbeitete Thema, über 
die Zweckmässigkeit und Leistungen der Genesungshäuser. 

Er nahm, um nur Einzelnes seiner Ausführungen herauszu¬ 
greifen, gegen die T kP ln ^--fUYn“r la ' >h “ Stellung 

ein; nuch wenn bei düP g^göUVV5ffrg~1tbltcfien kurzen Behandlung?- 
düuer wirkliche Heilungen in denselben noch nicht erzielt werden, 
so komme ihnen doch eine grosse humane und wogen der Erhal¬ 
tung der Arbeltsfähigk ett~7fue^i~*w iVDis'<Träftllche’ Bedeutung zu. 
Den Volksheilstätten macnenaRT TTenesu u gsh ä ü se r keine Kon¬ 
kurrenz, wenn auch beide ge gen die Tuberkulose ankämpfeu, die 
eine therapeutisch durch Behandlung Her "Krankheit in ihren An¬ 
fangsstadien, die andere prophylaktisch durch Kräftigung des 
Körpers und Stärkung der Widerstandsfähigkeit. In der Recon- 
valeecentenpflege stehe Deutschland hinter England zurück; bei 
uns müssen die meisten Kranken bis zur Herstellung der Arbeits¬ 
fähigkeit im Spltale bleiben. Es soll vor der Wiederaufnahme der 
Arbeit eine Zwischenstufe geschaffen werden, die den Genesenden 
reine Luft und gute Nahrung bietet; denn sie vertheuern durch 
ihr längeres Verbleiben die Krankenhauskosten, stören die Haus¬ 
ordnung und sind der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt, ausser¬ 
halb des Spitales aber Anden sie nicht, was sie brauchen. Der 
Wohlhabende kann zwar ln die Bäder gehen, der Arbeiter hat an 
der Krankenkasse und an der Versicherungsanstalt einen Rückhalt, 
aber dem Mittelstände fehlen die nöthlgen Mittel. Mit wenig 
Kosten den Besuch von Genesungshäusern zu ermöglichen, ist 
daher ein dringendes Bedtirfniss. Auch die Wöchnerinnenheime 
und die Kinderheilstätten reihen sich hier an. Im ganzen Deutschen 
Reiche bestehen bis jetzt 102 Genesungshäuser; davon 8 ausschliess¬ 
lich für Krankenschwestern und Diakonissinnen, 4 für Militärs: 
in Sachsen haben sich besonders die Krankenkassen um die Sache 
angenommen, anderswo sind es die Vereine, die Versicherungs¬ 
gesellschaften treten langsam heran, Fabriketablissements besitzen 
eigene Genesungshäuser. In Brückenau wird nächstens der Grund¬ 
stein zu einem Genesungsheim für Elsenbahnangehörige gelegt; 
es verlautet, dass in Bayern auch eine militärische Anstalt er¬ 
richtet werden soll. 

Dem Bedürfnisse der Spitalsentlastung ist noch zu wenig 
Rechnung getragen, viele Anstalten, auch Harlaching, gehen, was 
die Einrichtung und Kosten anlangt, weit über den Rahmen eines 
Genesungshauses hinaus. Auch grössere Städte brauchen keine 
grossen Genesungshäuser, diese können um so kleiner sein, je mehr 
sie den eigentlichen Reconvalescenten dienen. Die Baukosten 
brauchen gar nicht hoch zu sein, da ein bestehendes Gebäude leicht 
adaptirt werden kann; jede Opulenz soll vermieden werden; die 
Mittel reichen dann weiter und der Gegensatz zum Privatleben 
tritt nicht so grell hervor; gegenwärtig macht sich oben bei den 
Versicherungsanstalten ein UeberAuss, unten bei den Kranken¬ 
kassen eine, namentlich für die Aerzte, drückende Sparsamkeit 
geltend; zur Ausgleichung dieses Gegensatzes sollte unsere deutsche 
Gesetzgebung rascher Vorgehen. 

Bei der Aufnahme in die Genesungshäuser ist Hauptbeding¬ 
ung. dass keine besondere ärztliche Behandlung und keine be¬ 
sondere PAege nothwendig ist; das Hauptkontingent stellen die 
Bleichsüchtigen, die Blutarmen und die Nervösen. Erstaunlich ge¬ 
ring ist die Zahl der Erholungsbedürftigen nach Operationen. 
Chronisch Magenkranke haben schlechte Erfolge, well die beson¬ 
dere Ernährungsform nicht gut durchführbar ist; ausgeschlossen 
von der Aufnahme sollen sein Tuberkulöse, mit ansteckenden 
Krankheiten Behaftete und Alkoholisteu. 

Am Schlüsse seiner Ausführungen stellt der Referent folgende 
Thesen auf. die nach der Dlscussion einstimmige Annahme Anden: 

„Die Reconvale8centenpAege speciell durch Errichtung von 
Genesungshäusern hat im Deutschen Reich nicht den Aufschwung 
genommen, den sie beanspruchen kann. 

Häuser für erholungsbedürftige oder besserungsfähige chro¬ 
nisch Kranke, sowie für Genesende werden in grossen Städten 
und Indu8trlecentren mehr und mehr Bedürfniss. 

Krankenkassen und Versicherungsanstalten werden sich der 
Gründung nicht entziehen können. 

Genesungshäuser, die hauptsächlich der Spitalentlastung 
dienen sollen, sind von den Gemeinden in ihrem eigenen Interesse 
zn errichten. Auch der Staat wird sich betheiligen müssen und 
können. 

Stiftungen und wohlthätigen Vereinen ist auf diesem Gebiete 
besondere Gelegenheit gegeben, dem „Mittelstand“ Erholung und 
Heilung in Anstalten zu ermöglichen. 

Genesungshüuser können im Allgemeinen klein Bein. Sie 
können von mittleren Städten und kleinen Bezirken mit geringen 
Mitteln geschaffen werden, während die Lungenheilanstalten 
grosse Anstalten für umfangreichere Bezirke sein sollen. 

Das Volk — Arbeiter und Mittelstand — muss zur Benützung 
der Genesungshäuser erzogen werden. 

Die Fürsorge für die Familien der aufgenommenen Unbemit¬ 
telten muss intensiver geschehen als seither. 

Die Aerzte sind in erster Linie berufen, die Kranken erziehen 
zu helfen. Oft haben sie aber auch in Ihren Gemeinden EinAuss 


genug, um nach den aufgeführten Gesichtspunkten erfolgreich 
mitzuwirken an der wichtigen social-hygienischen Arbeit, den 
Kranken einer dauernden Genesung zuzuführen und ihn so vor 
neuer Erkrankung zu schützen.“ 

In der Dlscussion berichtet zunächst Herr W. Becher- 
Berlin über die vom Rothen Kreuz eingerichteten Erholungsstätten 
in der Jungferulieide für Männer und in Pankow für Mädchen 
und Frauen. Die Arbeiter werden auf Antrag des Kassenarztes 
der Erholungsstätte überwiesen, erhalten auf der Stadt- und Ring¬ 
bahn Arbeiterfahrkarten, verbleiben den Tag über im Freien, er¬ 
halten auf Kosten der Kasse Milch und Mittagessen und kehren 
Abends in die Stadt zurück. In Folge der einfachen Einrichtung 
der Erholungsstätten, der Lieferung der Baracken durch das Rothe 
Kreuz und des Entgegenkommens des PostAskus, der das Gebäude 
in Pankow unentgeltlich zur Verfügung stellt, sind die Kosten 
ausserordentlich geringe; die ganze Anlage für 150 Kranke lässt 
sich ungefähr für 3000 M. herrichten. 

Herr D i p p e - Leipzig hält die Fürsorge für die zurtick¬ 
bleibende Familie für sehr wichtig, damit die Kranken leichter 
und früher die Anstalten aufsucheu. 

Herr Lennhoff - Berlin weist darauf hin, dass die Berliner 
Erholungsstätten den kranken Arbeiter seiner Familie nicht ent¬ 
fremden, indem derselbe Abends nach Hause zurückkehrt und 
häuüg von seiner Familie draussen besucht wird und indem die 
Frauen oft ihre Säuglinge und Kinder den ganzen Tag bei sich 
behalten. 

Herr Bongartz - Karlsruhe berichtet über die Erfolge des 
von der Grossherzogin von Baden begründeten Genesungsheimes 
für rachitische und in der Entwicklung zurückgebliebene Kinder: 
Im Anschluss an ein Krankenhaus werden 12 Kinder den Sommer 
über ln einer besonderen Baracke auf genommen und verpüegt, 
ein anderer Tliell der Kinder verbleibt nur den Tag über dort und 
erhält Bäder, Massagen etc. sowie Verköstigung. Bis jetzt sind 
die Erfahrungen günstige. 

IX. Der Arzt als Gutachter. Der Referent, Herr Thiem- 
Cottbus, hat zwar nur die Stellung des Arztes als Gutachter 
im Invaliden- und Unfallversicherungsgesetze in seinen Vortrag 
einbezogen, hat aber dieses Thema in einer vorzüglichen Weise 
bearbeitet und alle den ärztlichen Stand berührende Fragen ein¬ 
gehend besprochen; das Nachlesen des Referates im Wortlaute 
ist daher angelegentlichst zu empfehlen. 

T h i e m erwähnt zunächst die gesetzlichen Bestimmungen, 
welche die sachverständige Thätigkelt des Arztes berühren, und 
führt aus, dass die vorgesehene Mitwirkung der Aerztedem Umfange 
ihrer Thätigkelt nicht entspricht Zunächst wendet er sich gegen 
die Handhabung des § 69 des Unfallversicherungsgesetzes, wonach 
„der behandelnde Arzt zu hören“ ist; der Sinn dieser Vorschrift ist 
nicht der, dass es dem Arzt bloss anheimgestellt ist. sich zu äussern, 
sondern er soll um sein Gutachten angegangen und dafürbezahlt wer¬ 
den. DieNothwendigkeit eines praktischen Unterrichtes derStudiren- 
den in der socialen Medicin wird eingehend dargelegt; bei Auswahl 
der Gutachter soll den Vorschlägen der Standes Vertretungen mehr 
EinAuss gewährt werden und es soll nicht ein Monopol der Amts¬ 
ärzte geschaffen werden; geeignete Sachverständige in Unfnllsachen 
können sie nur sein, wenn sie zugleich tüchtige praktische Aerzte 
sind. Mit dem Worte „Obergutachten“ wird viel Missbrauch ge¬ 
trieben, da ein als solches bezeichnetes oft nur ein 2. oder 3. Gut¬ 
achten ist. Sehr treffend sind die Rügen der ärztlichen Gutachten 
nach Form, Inhalt und Geist; hier müssen die Aerzte vor der 
eigenen Thüre kehren und die Fehler Einzelner auf decken und 
abstellen. Die Zeugnisse sind sorgfältig, klar und vollständig ab¬ 
zufassen; Gefälligkeitszeugnisse zu verpönen; der Arzt soll 
nicht falsche Humanität auf Kosten der Versicherungsanstalten 
treiben, nur Wahrheit und Gerechtigkeit sollen die Richtschnur 
seines Gutachtens bilden. Andererseits hat sich der Arzt vor 
übertriebener Slmulantenrlecherel zu hüten, meist handelt es sich 
nur um Uebertrelbungen. Die Nachuntersuchungen der Rentner 
im Umherziehen, die sog. „Reutenrazzias“ sind nicht nach dem 
Geschmack des Referenten. Ferner ist jede abfällige und wegen 
mangelnder Kenntniss der Anamnese ungerechte Kritik der voraus¬ 
gegangenen Behandlung oder der früheren Gutachten zu ver¬ 
meiden. Die mit grossem Beifall aufgenommenen Ausführungen 
des Referenten gipfeln in folgenden Thesen: 

„1. Die In § 69 des Gewerbe-Unfall-Verslcherungsgesctzes vom 
30. Juni 1900 enthaltene Bestimmung, gemäss welcher „der behan¬ 
delnde Arzt“ bei Ablehnung der Entschädigung oder Gewährung 
einer Theilrente „zu hören ist“, kann nur so aufzufassen sein, dass 
die betreffende Berufsgenossenschaft Ihn zur gutachtlichen Aeus- 
serung zu ersuchen hat. 

2. So lange nicht allen Aerzten auf der Hochschule und im 
praktischen Jahre die genügende Ausbildung ln der Begutachtung 
und Behandlung Unfallverletzter und Invalider zu Theil wird, 
sind die Sachverständigen bei den Schiedsgerichten der Arbeiter¬ 
versicherung nicht mit Rücksicht auf amtliche Stellung, sondern 
lediglich mit Rücksicht auf genügend wissenschaftliche Kennt¬ 
nisse und praktische Erfahrungen auf diesem Gebiete zu wählen. 

3. Als „Obergutachten“ sind nur solche Gutachten zu be¬ 
zeichnen, die zur Schlichtung von wesentlichen Meinungsver¬ 
schiedenheiten der Vorgutachter nothwendig werden. 

4. Den Aerzten wird vom Deutschen Aerztetage dringend an’s 
Herz gelegt, durch sorgfältige Ausstellung ihrer Gutachten ln 
einer nach Form, Inhalt und Beweisführung für Rentcnzahler und 
Richter verständlichen Weise ihrerseits jeder Veranlassung zur 


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MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


1152 


Klage and zur Missachtung Ihrer Zeugnisse den Boden zu ent¬ 
ziehen. 

5. Die abfällige Beurthellung, welche die ärztlichen Gutachten 
bisweilen in Invalldensachen durch Laiengutachter (untere Ver¬ 
waltungsbehörde) erfahren. Ist verletzend für die Aerzte und er¬ 
schwert deren Mitwirkung bei der Begutachtung Invalider. 

Es ist Pflicht der Versicherungsanstalten und Aufsichts¬ 
behörden, die Laiengutachter auf diese Ungehörigkelt hiuzu- 
weisen.“ 

In der Discussion bespricht zunächst Herr Pfalz-Düsseldorf 
die Art und Welse, wie die ärztlichen Sachverständigen in dem 
Elberfelder Militärbefreiungsprocesse l>ehnndelt wurden und bringt, 
nach ihm auch Herr P r ö b s 11 n g - Köln, eine Reihe von Einzel¬ 
heiten vor, die die lebhafteste Entrüstung der Versammlung er¬ 
regen (vergl. die betreffenden Ausführungen von Pfalz in No.450 
des Aerztl. Verelusblattes). Er stellt desshalb den Antrag: 

„Der 29. Deutsche Aerztetag spricht sein tiefstes Bedauern 
aus über die Art und Weise, wie den begutachtenden Aerzton 
im Elberfelder Militärbefreiungsproeess entgegen getreten 
wurde, und beauftragt den Geschäftsausschuss, den zuständige» 
Behörden von diesem Beschluss Kenntniss zu geben." 

Herr M u g d a n - Berliu begründet folgende von Herrn Leon- 
hoff eingebraehten Anträge: 

„Da die socialen Gesetze von jedem Arzt eine Gutachter- 
thiitigkeit verlangen. Ist es nöthlg, dass 

1. die Studlrenden Unterricht in allen Theilen der socialen 
Gesetzgebung (Kranken-, Unfall-, Alters- und Invaliditäts- 
Versicherung) erhalten; 

2. zu diesem Zweck an den Universitäten Beobachtungsab¬ 
teilungen — chirurgische und intern-neurologische — für 
zu begutachtende Renteusucher errichtet werden; 

3. für die praktischen Aerzte entsprechende Fortbildungs¬ 
kurse eingerichtet werden.“ 

Herr M unter- Berlin wendet sich gegen einzelne Ausführ¬ 
ungen des Referenten. Herr M a r c u s e - Berliu beantragt, den 
ersten Satz der 2. These zu streichen. Herr Landsberger- 
Posen Ist mit den Ausführungen des Referenten einverstanden, 
jedoch nicht mit These 2 und 4-; den Antrag Leunhoff wünscht 
er wegen seiner Bedeutung später als eigenen Berathungsgegen- 
staud zu behandeln; er ist auch gegen den Antrag Pfalz, da der 
Deutsche Aerztetag nicht das Forum sei, über deutsche Richter 
zu Gericht zu sitzen und da solche Beschwerden an den Reichstag 
oder Landtag zu adressiren sind. 

Herr Löbker bemerkt, dass der Antrag Pfalz sich nur 
gegen die Behandlung der Aerzte als Gutachter richte, nicht 
gegen die persönliche Behandlung der Einzelnen, und dass er dess- 
wegen die Resolution zugelassen habe. 

Herr Pfalz erklärt noch, dass er die Nebenumstände nur 
erwähnt habe, um die geschädigten Aerzte zu rehabilitiren. 

Nach dem Schlussworte des Referenten zieht Herr Lcnn- 
h o f f seinen Antrag zurück, der Antrag M a r c u s c wird ab¬ 
gelehnt, die Thesen des Referenten werden mit allen gegen 
5 Stimmen angenommen. Der Antrag Pfalz wird angenommen. 

X. Antrag des Bezirksvereins Stuttgart I: 

„Es möge der Deutsche Aerztevereinsbund bei der Reichs¬ 
regierung dahin vorstellig worden, dass die für Honorirung 
ärztlicher Gutachten für die Militärbehörden erforderlichen 
Geldmittel in den Etat eingestellt werden“. 

Herr Deahna - Stuttgart führt zur Begründung des An¬ 
trages an, dass von den Aerzton häufig Zeugnisse über den Ge¬ 
sundheitszustand und frühere Erkrankungen von Militärpersonon 
verlangt, aber nicht bezahlt werden, angeblich wegen Mangels der 
Gehlmittel. Herr F ritschi - Freiburg unterstützt den Antrag, 
welcher einstimmig angenommen wird. 

XI. Antrag Becher- Berlin: 

„Der Aerztetag besehliesst, an die Reichsregierung das 
Ersuchen zu richten, dass Personen mit dem schweizerischen 
Maturitätszeugniss auch nicht ausnahmsweise zum Studium 
der Medicin zugelassen werden; ebensowenig dürfen nicht¬ 
immatrikulationsfähige Personen zum Besuche der Kliniken 
zugelassen werden, indem dadurch der Kurpfuscherei Vor¬ 
schub geleistet wird“. 

Begründet wird der Antrag damit, dass das schweizerische 
Maturitätsexamen gegenüber unserem Gymnasialexamen minder- 
werthig sei und etwa unserem Einjiihrig-Freiwilligen-Examen 
entspreche; wenn aber die Frauen, um die es sich hier meist han¬ 
delt, zum Medioinstudium zugelassen werden, müsse man von 
ihnen auch die gleiche Vorbildung verlangen wie von den 
Männern; wenn der Staat die Frauen zulassen will, soll er auch 
die richtigen Bildungsstätten schaffen. 

Der Antrag wird ohne Discussion mit allen gegen 3 Stimm'n 
angenommen. 

Ausserhalb der Tagesordnung warnt Herr P f a 1 z - Düssel¬ 
dorf vor dem Abonnentenfang der Zeitschrift „Unfallversiche¬ 
rungspraxis“. 


Damit ist die reichhaltige und interessante Tagesordnung 
abgeschlossen. Der Vorsitzende, Herr Löbker, schliesst die 
Verhandlungen des Aerztetages mit einem kurzen Rückblick. 
Einmüthig sei in den Debatten und Beschlüssen auch des dies¬ 
maligen Aerztetages zum Ausdruck gekommen, dass derselbe zwar 
mit allen Kräften das materielle Wohl der ärztlichen Standes¬ 
genossen und wenn möglich noch besser als in der Vergangenheit 
fördern wolle, dass er aber dabei die Grenzen, welche durch die 
Ethik des ärztlichen Berufes gezogen sind, nicht überschreiten 
wolle und werde. Unzweideutig habe der Aerztetag auch durch die 
That gezeigt, dass die deutschen Aerzte sich in ihren Standesver¬ 
tretungen nicht in egoistischer Weise lediglich um ihre eigenen 
Interessen kümmern, sondern dass sie trotz aller Schäden, die 
ihnen aus der unglückseligen Lage und Handhabung der Gesetz¬ 
gebung erwachsen, bereit sind, unverdrossen auch an der Förde¬ 
rung des Staats- und des Volkswohles mitzuarbeiten. Ferner sei 
von dem diesmaligen Aerztetag in imposanter Kundgebung aus¬ 
gesprochen worden, dass die deutschen Aerzte nach wie vor in 
dem Aerztevereinsbunde die beste Organisation zur gemein¬ 
samen Vertheidigung ihrer Interessen erblicken, dass sie jeden 
Kollegen oder jede Vereinigung von Kollegen im Bunde oder 
mit diesem als Mitkämpfer herzlich willkommen heissen, dass 
aber ein Erfolg nur dann erwartet werden kann, wenn keine 
Mittel zur Anwendung kommen, welche die Einigkeit der Aerzte 
im Bunde gefährden könnten. So sei denn seine Hoffnung, dass 
trotz der bestehenden Meinungsverschiedenheiten durch die Ver¬ 
handlungen des Aerztetages die Einigkeit der deutschen Aerzte 
und der Bestand des Aerztevereinsbundes von Neuem gestärkt 
werde, nicht zu Schanden geworden. Er danke Allen, welche 
sieh um diesen gedeihlichen Abschluss des Aerztetages besonders 
verdient gemacht haben. 

Kurz zu gedenken ist noch des nichtofficiellen Theiles des 
Aerztetages. Am ersten Tage vereinigten sich nach Schluss der 
Ritzung die Theilnehmer zu einem gemeinschaftlichen Essen, 
am zweiten Tage bot die Stadt Hildesheim ihren Gästen ein 
Frühstück im Rathskcller. Alle Anerkennung verdienen das Ent¬ 
gegenkommen der Stadtverwaltung und die Liebenswürdigkeit 
des Oberbürgermeisters. Herrn Struckmann. Der Höhe¬ 
punkt der Feststimmung ward erreicht, als am ersten Abend auf 
dem alt ehrwürdigen Marktplatze die fröhlichen Zecher sich zu 
löblichem Thun versammelten. Es wurde mancher launige Toast 
gewechselt und der alten Häuser Hildesheims und der alten 
Häuser im Aerztevereinsbunde gedacht, aber jung klangen Allen 
aus der Kehle, die Studentenlieder: „Gaudeamus igitur“, „O alte 
Burschenherrliehkeit, wohin bist du entschwunden“. Die Er¬ 
innerungen an die eigenartigen Schönheiten Hildesheims und 
der animirende Verkehr mit den Kollegen wird allen Theil- 
nehmern des 29. Deutschen Aerztetages in angenehmer Erinne¬ 
rung bleiben. Dr. Carl Becker. 


X Versammlung der Deutschen Otolog. Gesellschaft 

in Breslau am 24. und 25. Mai 1901'). 

Die Versammlung, welche im Stadthause stattfand, wurde 
durch den Vorsitzenden Prof. Habermann - Graz eröffnet Die 
Herren Oberbürgermeister Bender, Stadtrath Steuer und Prof. 
Kümmel begrüssen die Versammlung. Die Gesellschaft hat eine 
Mitgliederzahl von 209 erreicht. Das Vermögen beträgt 3342 M., 
dem Fond für das in Würzburg zu errichtende v. Tröltsch- 
Denkmal wurden 1000 M. überwiesen, so dass derselbe 5176 M. be¬ 
trägt. 

Der Vorsitzende gedenkt des verstorbenen Prof. K u h n - 
Strassburg und erwähnt die erste Gründung eines Ordinariats für 
Ohrenheilkunde an einer deutschen Universität (Rostock). Es wird 
beschlossen, dem Herzog Johann Albrecht vou 
Mecklenburg eine Dankadresse zu überreichen. 

In der Sitzung am 24. Mai, Vormittags, wurden Referate er¬ 
stattet über den gegenwärtigen Stand der Lehre von der otogenen 
Pyaemie von den Herren Jansen- Berlin und Brieger- 
Breslau. 

Die Schlusssätze J a n s e n’s sind folgende: 

I. eine metasta'.Jsche Pyaemie durch sog. Ostoophlebitis oder 
iudireeter Resorption vom Knochen aus ist nicht sicher erwiesen. 

II. Bei der (nietastatischen) Pyaemie sind der Sinus und der 
Bulbus der Jugularis, eventuell der letztere nach Ausschluss des 
Sinus, als Ausgangspunkt der Infektion zu betrachten und aufzu¬ 
decken. 

III. Wenn bei Fieber die Indication zur Eröffnung des Warzen¬ 
fortsatzes vorliegt, so legen wir den Sinus frei. 


‘) Die Verhandlungen erscheinen bei Gustav Fischer, Jena. 


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9. Juli 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1153 


Specielle Indientlou zur Operation an den Blutgefässen: 

Die Unterbindung der Jugularis wird I. als erster Akt der 
Operation ausgeführt 1. bei zweifelloser Jugularisphlebltis, 2. bei 
schwerer Sepsis; II. nach der Freilegung des Sinus 1. wenn der¬ 
selbe gesund erscheint, keine perisinuösen Affektionen bestehen 
und die Pyaemie mit starken Temperaturschwankungen und 
Schüttelfrost verläuft, 2. bei Perityphlitis oder wandständiger 
Thrombose unter denselben Bedingungen. 

Der Sinus wird eröffnet: 

a) bei dem Nachweise von septisch zerfallenem Thrombus bei 
negativem Puuktionsbefunde, 

b) im Falle von Gangraen der Sinuswand, 

e) bei wiederholten Schüttelfrösten, starken Schwankungen, 
schlechtem Allgemeinbefinden, 

d) bei Neuritis optica. 

III. wird die Jugularis unterbunden nach der Eröffnung des 
Sinus a) wenn der septische Thrombus in unmittelbarer Nähe des 
Bulbus liegt oder gelegen hat, b) wenn nach Eröffnung des Sinus 
die Schüttelfröste nicht sistlren, die Temperatur keinerlei Abnahme 
zeigt. 

Der Nachweis einer Affektion der Sinuswand oder eines soliden 
Thrombus bedingt also nicht ohneWelteres eine Operation am Sinus 
oder der Jugularis, denn diese Affektionen kommen sehr häufig 
zur spontanen Ausheilung. 

Maassgebend ist der Charakter der Allgemeininfektion. Der 
sichere Nachweis einer diffusen eitrigen Meningitis ist zur Zeit eine 
Contraindication zur Operation. Der Nachweis von Eiter oder 
Coccen bei der Lumbalpunktion allein darf von der Operation nicht 
abhalten. 

Herr B r 1 e g e r: Die otogene Pyaemie hat keine einheit¬ 
liche Genese. Sie ist zwar in der grossen Mehrzahl der Fälle 
durch thrombophlebltische Processe tHlmblutleiter, Bulbus Jugu¬ 
laris) bedingt, daneben wird aber auch bei ausgesprochenem Bild 
der Pyaemie gelegentlich normales Verhalten ln allen Venen¬ 
bezirken gefunden. Der Vortragende berichtet über Sektions¬ 
befunde bei Pyaemie ohne Sinusthrombose. Die Allgemeininfektion 
kann durch rein bacterielle Embolien zu Stande kommen. Die 
Osteophlebitlspyaemie, von den Venen des Warzenfortsatzes aus¬ 
gehend, ist nicht bewiesen. In vielen Fällen von Pyaemie besteht 
wandständige Thrombose. Die obturirende Thrombose entsteht 
aus der wandständigen oder aus der Fortsetzung einer Thrombose 
von in den Sinus einmündenden Venen. 

Die Diagnose der otogenen Pyaemie kann nicht durch be¬ 
stimmte Temperaturen gestellt werden. Auch bei unkomplizlrten 
Eiterungen finden sich höhere Fieberbewegungen auf Tage hinaus. 
Fieber kann bei Sinusthrombose vollständig fehlen. 

Auch bei ausgesprochener Meningitis, beim Vorhandensein 
metastatischerLungenabscesse, bei Fällen mit schwerem, toxischem 
Verlauf ist operative Heilung erzielt Worden. Als Endziel der 
operativen Behandlung ist der Abschluss des Sinus in beiden Rich¬ 
tungen anzustreben. Die Ausräumung solider Thrombusmassen 
an den Enden des Thrombus ist zu widerrathen. 

Die Eröffnung des nicht vollständig verstopften Sinus ist mit 
der Gefahr der Luftaspiration verbunden. Die Kompression oder 
Unterbindung der Jugularis schützt vor dieser Gefahr. Die Unter¬ 
bindung der Jugularis gibt einen absolut sicheren Schutz gegen 
die Ausbreitung der Phlebitis in der Kontinuität der Vene. Die 
Gefahren der Ligatur vermindern sich, wenn der Unterbindung 
die Spaltung oder Excision des ligirten Abschnittes folgen kann. 

Discusslon: Herr Körner- Rostock stimmt mit den Re¬ 
ferenten überein, dass das von ihm aufgestellte Krankheitsbild 
meistens auf einer früher bei den Sektionen übersehenen wand¬ 
ständigen Thrombose beruhe. Das Auftreten pyaemlschen Fiebers 
und von Metastasen, wenn nur der Knochen mit seinen Gefässen 
krank ist, bedarf wohl weiterer Beobachtung und Klärung. 

Nach L e u t e r t - Königsberg soll nicht mehr otitische 
Pyaemie, sondern Sinusthrombose diagnostlcirt und dement¬ 
sprechend operativ vorgegangen werden. L. hält es für unwahr¬ 
scheinlich, dass die Thrombose des Bulbus der Vena Jugularis 
durch ein Uebergreifen der Entzündung der Paukenhöhle durch 
den Boden derselben auf den Bulbus verursacht wird. L. unter¬ 
bindet stets die Jugularis vor der Eröffnung des Sinus oberhalb der 
Vena faciei communis. Die Probepunktion wird verworfen. 

Herr Panse- Dresden hebt hervor, dass bei der Sektion die 
Thrombose übersehen werden kann. P. hat in einem Falle den 
8inns auf geschnitten, einen Tampon eingeschoben, ohne dass es 
ru Thrombose kam. In einem anderen Falle wurde die Sinuswand 
gesund befunden, dieselbe erkrankte nud trat tödtliche Pyaemie ein. 

Herr Leutert: Unkompllzlrte Warzenfortsatzempyeme, 
Subduralabscesse und Hirnabscesse machen kein hohes Fieber; 
Temperaturen über 39 0 müssen auf Sinusthrombose oder Meningitis 
bezogen werden. 

Nach der Erfahrung von Scheibe- München sind es meist 
Fälle von Influenza, welche zur Bulbusthrombose führen. 

Herr v. Wild- Frankfurt warnt davor, Pyaemie und Sinus¬ 
thrombose für denselben Begriff zu erklären. Allgemeininfektion, 
sogar wahre Pyaemie kann'ohne primären Eiterherd und ohne 
Thrombose entstehen (Anginen). Durch den Nachweis eines 
Thrombus ist keineswegs bewiesen, dass dieser der Ausgangspunkt 
der Allgemeininfektion war. Bei frühzeitig zur Operation kom¬ 
menden Allgemein!nfectionen soll man sich begnügen, den primären 
Herd auazurftumen. 

Von den Herren Schwabach, Ehrenfried, Alt, 
.Walldsett wird über einschlägige Krankheitsfälle berichtet 


Herr Jansen (Schlusswort) stimmt damit überein, dass die 
Fälle mit hohem kontinulrlichen Fieber die gefährlichsten sind 
und rasches Eingreifen erfordern. Bel solider Thrombose ohne All¬ 
gemeininfektion braucht nicht eingegriffen zu werden. In allen 
Fällen von Pyaemie konnte J. Slnuserkraukuugen feststelleu. Die 
Eröffnung des noch durchgängigen Sinus zu diagnostischeu und 
therapeutischen Zwecken wird von J. verworfen. J. gibt sodann 
eine statistische Uebersicht über seine Operationsfälle. 

Herr Brieger (Schlusswort): Sowohl experimentelle Unter¬ 
suchungen als die Beobachtungen an Kranken beweisen das Vor¬ 
kommen von Pyaemie ohne Thrombose. Vor Schematisiren muss 
gewarnt werden. Durch Unterbindung der Jugularis kann die 
Ausbreitung der Thrombose begünstigt werden. Einführung von 
Tampons in den Sinus bei der von Leutert empfohlenen Probe- 
incision muss zur Thrombose führen. 

2. Sitzung. 24. Mai, Nachmittags. 


3. Sitzung. 25. Mai. 

Herr P a n s e - Dresden berichtet filier das Endresultat von 
Coramis8lonberathungen über die Hörprüfung. Es soll mit 
Flüsterstimme (Residualluft, Zahlen) geprüft und die Luft- und 
Knochenleitung durch Stimmgabeln festgestellt werden. Die con- 
tlnulrliche Tonreihe ist nur für bestimmte Fälle nothwendig. 

Herr Alfred D e n k e r - Hagen: Das Monotremenohr in 
phylogenetischer Beziehung. 

D. demonstrirt Corrosionspräparate nach Semper-Riehm 
und Knochenpräparate des Gehörorganes von Echidna, Ornitho- 
rynchus und Varanus und wendet sich bei seinen Ausführungen zu¬ 
nächst gegen die Behauptung des Prof. Sixta, dass den Mono- 
tremen ein Os quadratum zukoinme. In Übereinstimmung mit 
dem niederländischen Zoologen von Bern m eien ist 1). der An¬ 
sicht, dass die von Sixta bei den Monotremen als Os quadratum 
^gesprochenen Knochenpartien bei Echidna einen Theil des 


Krankenvorstellungen und Demonstrationen. 

Herr Deutschländer - Breslau stellt einen Kranken 
vor, bei welchem die folgenden Komplikationen von Mittelohr¬ 
eiterung auf operativem Wege beseitigt waren: Parotisabscess. 
extraduraler Abscess am Sinus transversus und Vena Jugularis, 
Senkungsabscess in das Atlanto-occipitalgelenk. 

Derselbe stellt 4 Kranke mit Bhinosklerom vor. Dieselben 
stammen alle aus Oberschlesien. 

Herr Alt-Wien liefert einen Beitrag zu den musikalischen 
Hörstörungen durch Mittheiiung eines Falles von completer Tou- 
taubheit, bedingt durch beiderseitige Labyrintherkrankung nach 
Influenza. Dem Patienten erschien, während er eine Oper anhörte, 
die Musik plötzlich als unangenehmes Geräusch. Später hörte er 
die Musik überhaupt nicht mehr, kann nur den Rhythmus derselben 
unterscheiden. Einzelne auf dem Klavier angeschlagene Töne 
wurden gehört, Akkorde nicht, Stimmgabeln wurden links um 
y 2 Ton, rechts um 2 Töne höher gehört als normal. — Im Anschluss 
an diese Fälle berichtet A11 über eine Reihe von Versuchen mit 
Stimmgabeln bei Belastung des Trommelfells. 

Discussion: Herr B e r t h o 1 d - Königsberg beobachtete 
einen Fall, bei welchem nach Perforation des Trommelfells Doppel¬ 
töne, Diplacusis mouauralis. Innerhalb der Octaven c 1 bis c * auf¬ 
traten. 

Herr William Stern- Breslau demonstrirt eine continuir- 
liche Flaschentonreihe — Tonvariator. Der Ton wird erzeugt 
durch Anblasen von Flaschen, die Tonveränderungen entstehen 
dadurch, dass während des Anblasen ln den Flaschen von unten 
her Wasser nach einer bestimmten Gesetzmässigkeit zum Steigen 
oder Fallen gebracht wird. Der Tonvariator umfasst mit vier 
Flaschen das Tongebiet von 100 bis 1000 Schwingungen. 

Herr Berthold - Königsberg spricht über intranasale Va¬ 
porisation und demonstrirt die zu diesem Zwecke an dem Atmo- 
kauter von P i n c u s angebrachten Veränderungen, um denselben 
sowohl für die Nase als für die Kieferhöhle geeignet zu machen. 

Herren Peter und Hinsberg - Breslau demonstriren 
Bor n’sche Plattenmodelle zur Entwicklung der Nasenhöhle bei 
Säugern, Reptilien, Fischen und Amphibien. 

Herr Scheibe- München demonstrirt ein Messer zur Ab¬ 
tragung der Lateralstränge im Rachen. 

Herr K a y s e r - Breslau entfernte bei einem 12 jährigen 
Knaben einen Mandelstein von ungewöhnlicher Grösse (35 mm 
lang, 28 mm breit, 16 mm dick). 

Derselbe: Krankenvorstellung: Tuberkulöses Haut- 

Geschwür im äusseren Gehörgange. 

Herr B r i e g e r - Breslau: Demonstration eines Falles von 
primärer Schläfenbein tuberkulöse. Heilung nach Operation des 
Warzenfortsatzes. 

Derselbe demonstrirt ein Präparat eines Falles von , , 
Labyrinthentzündung. Plötzliche Ertaubung nach Infiuenzaotitis. 

Tod später an tuberkulöser Meningitis. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung efgTbf' tutulcr Verödung des Labyrinths durch Ivuochen- 
und Bindgewebsneubildung. 

Herr G o e r k e - Breslau: Demonstration mikroskopischer 
Präparate mit dem Skioptikon. 

1. Acusticustumoren. 2 Fälle von Flbrosarkom des Acustlcus, 
in dem einen Falle mit totaler Atrophie der Nervenfasern und der 
Ganglienzellen im Labyrinth, sowie Schwund des Corti’scheu 
Organs. 

2. Ohrpolypen. Histologische Details sind Im Arch. f. Ohren- 
heilk., Bd. 52, veröffentlicht. 


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1154 MTTENCHENER MEEICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28. 


Mastoids uud bei Ornlthorhynchus einen Theil des Squamosum dar- 
Btellen. 

Auch für die Behauptung S i x t a’s, dass die Fenestra vestibuli 
der Monotremen in der Naht der verbundenen Knochen Otosphenold 
und Pleurooccipitale liege, konnte D. an seinen silmmtlichen Prä- 
paraten keine Anhaltspunkte finden; er ist überzeugt, dass das 
Vorhofsfenster der Kloakenthiere ausschliesslich vom Petrosum 
umgrenzt wird. Ferner vermag D. auf Grund seiner Untersuch¬ 
ungen der Ansicht S i x t a’s, dass die Monotremen fast dasselbe 
knöcherne Gehörlabyrinth wie die Saurier besitzen, nicht beizu- 
stiramen. Die Wandungen der Labyrinthkapsel setzen sich nicht 
wie bei den Sauriern zusammen aus dem Otosplieuoid, Occipitale 
superius und Opistholicum, sondern das Labyrinth wird aus¬ 
schliesslich von dem Petrosum umschlossen. 

Auf Grund seiner eingehenden Untersuchungen kommt D. am 
Schlüsse seiner Ausführungen zu der Ansicht, dass das Monotremen- 
ohr eine Uebergangsform zwischem dem Gehörorgane der Mam¬ 
malier und Saurier darstellt, dass dasselbe jedoch, soweit es sich 
durch makroskopische Untersuchung feststellen lässt, dem Säuge¬ 
thierohre näher steht als dem Ileptilienohre. 

(Die Arbeit wird ausführlich veröffentlicht in „S e m o n , Zoo¬ 
logische Forschungsreisen in Australien und dem Malayischen 
Archipel. Gustav Fischer, Jena.“) 

Herr B ö n n i n g h a u s - Breslau: Beiträge zur Anatomie 
des Walohres. 

Herr C. Biehl-Wien: Der Verlauf des Vorhof nerven im 
Hirnstamme. 

Dem Schnecken- und Vorhofaste des Nervus acusticus s. oc- 
tavus (Ewald) kommen vollkommen verschiedene physiologische 
Funktionen zu. Ebenso sind auch die anatomischen Wege sowohl 
in der Peripherie als Im Ccntrnlorgaue getrennt. Die von B. an 
Pferden und Schafen angestellten Versuche beweisen, 1. dass es 
möglich ist, beim Schafe den Vorhofast des Nerv, oetavus intra¬ 
kraniell und i8olirt zu durchtrennen, 2. dass die als mediale Bahn 
benannten Fasern des Nerv, oetavus im Hirnstamme dessen vesti¬ 
bulären Antheil darstellen. 

Herr D e n n e r t - Berlin: Akustische Untersuchungen über 
Mittönen und die Helmholt z’sche Lehre von den Tonempfin¬ 
dungen. 

Dennert hat akustische Untersuchungen gemacht, um den 
Werth der H e 1 m h o 11 z’schen Hypothese über das Hören, die 
Resonanztheorie auf ihren grösseren oder geringeren Werth an 
Wahrscheinlichkeit zu prüfen. Zu diesem Zweck präcisirt er deu 
Unterschied zwischen Mittheilung des Schalls im engeren Sinn, 
dem Mittönen, wenn zwei Körper gleicher Abstimmung oder glei¬ 
cher speelfischer Erregbarkeit sind, und der Mittlieilung des Schalls 
im weiteren Sinne, wenn eine solche Beziehung nicht besteht. 
Körper gleicher Abstimmung bedürfen viel geringerer Schallkräfte 
zu ihrer Erregung und übertragen auch leichter, intensiver und in 
demselben Sinne Ihre Erregung auf einen anderen, mit dem sie 
ein Ganzes bilden. Dieser Unterschied wird auch an 
experimentellen Versuchen erläutert. Diese strenge Unter¬ 
scheidung sei nothwendig, weil die H e 1 m h o 11 z’sche Theorie 
auf der Mittheilung des Schalls im engeren Sinne beruht. Unter¬ 
suchungen über Mittheilung des Schalls überhaupt wie solche im 
engeren Sinne, wenn beide Körper sich in der Luft befinden, 
seien von verschiedenen Autoren mitgetheilt worden. D. hat dann 
auch die Mittheilung des Schalls im engeren Sinne experimentell 
nachweiseu können, wenn beide Körper sich in einer Flüssigkeit 
befinden, auch wenn der eine Körper, analog wie beim Hören, sich 
in der Flüssigkeit befindet, und zwar in fester und in Luftleitung. 
Am schwierigsten sei die Erregung von Resonatoren in Flüssig¬ 
keiten durch Körper in der Luft, leichter noch ist feste Leitung. 
Für letzteren Zweck, analog der Knochenleitung, sei ein äusserer 
llllfsapparat nicht erforderlich. Die Erregung von Körpern in 
Flüssigkeiten, analog dem Hören oder der Hörprüfung in Luft¬ 
leitung, sei aber sehr schwierig, weil Schallwellen der Luft schwer 
auf Flüssigkeiten übergehen. Mit Hilfe von drei physikalischen 
Thatsacben, die sich aus seinen Versuchen ergaben, sei es ihm 
gelungen, dieses zu erreichen. Er konnte eine Versuchsanordnung 
hersteilen, die im Prinzip und in der äusseren Anordnung eine 
merkwürdige Uebereinstimmung mit dem Paukenhöhlenmechanis¬ 
mus zeigt. In dem Umstande, dass die akustischen Untersuch¬ 
ungen Im Prinzip zu einer dem Paukenhöhlenmechanismus sehr 
ähnlichen Versuchsanordnung geführt haben, während Helm- 
h o 11 z umgekehrt aus dem anatomischen Verhalten des Pauken¬ 
höhlenmechanismus seine prinzipielle physiologische Bedeutung 
ableitet, sieht er eine weitere Stütze für die H e 1 m h o 11 z’sche 
Theorie, wie auch In dem Umstande, dass Resonatoren durch re¬ 
lativ geringere Schallkräfte zu erregen seien und leichter, inten¬ 
siver und in demselben Sinne auch die Erregung auf andere Körper 
übertragen, welche die gleiche speclfische Erregbarkeit besitzen, 
was von Wichtigkeit für die Frage der qualitativen Schallüber¬ 
tragung auf die Endausbreituug des Hörnerven ist. In dem Pauken- 
höhleumechaui8mus sehe er einen sehr zweckmässigen äusseren 
Hilfsapparat für eine bessere Uebertragung der Schallbewegungen 
der Luft auf die Labyrlnthtlüssigkeit und die darin befindlichen Re¬ 
sonatoren. Für die Uebertragung in fester Leitung, analog der 
Knochenleitung, sei ein äusserer Hilfsapparat nicht erforderlich. 

Herr P a n s e - Dresden: Wo entsteht der SchwindelP 

P. erörtert die drei verschiedenen Sinnesbahnen, durch welche 
der Mensch Uber sein Verhältnis zum Raume unterrichtet wird 
und auf welche Weise Täuschungen dieser Kenntnis — Schwindel 
— entsteht. 


Herr Berthold - Königsberg: Ueber entotische Töne. 

Der Vortr. hört in seinem linken Ohre den Ton c * seit Jahren 
bei jeder Bewegung beim Gehen, bei Kopfbewegungen, bei Druck 
auf’s Trommelfell. B. glaubt, dass es sich um Lockerung der Ge¬ 
lenkverbindungen zwischen den Gehörknöchelchen handelt 

Herr Habermann - Graz: Zur Entstehung der Taub¬ 
stummheit 

In einem Falle war die Taubheit hauptsächlich durch Ver¬ 
wachsung des runden Fensters und Fixation des Steigbügels be¬ 
dingt Im zweiten Falle bestand Verschluss des runden Fensters 
durch Hyperostose des Knochens, ovales Fenster frei. Im letz¬ 
teren Falle waren noch Hörreste vorhanden. 

Herr Scheibe- München: Zur Ostitis der LabyrinthkapseL 

Bei der Ostitis der Labyrinthkapsel, welche nach den neueren 
Untersuchungen die anatomische Grundlage der sog. Mittelohr¬ 
sklerose ist, lässt sich ausser Verdickung des Periosts, welche auf 
die Stelle der Knochenerkrankung beschränkt ist, keine wesent¬ 
liche Veränderung der Mittelolirschleimhaut nachwelsen. Sch. 
demonstrirt Präparate, welche in ihrem anatomischen Bau die 
gleiche Beschaffenheit zeigen wie bei Sklerose, bei welchen aber 
noch andere wesentliche entzündliche Veränderungen vorhanden 
sind. * 

Herr H a b e r m a n n - Graz: Ueber chronische Ostitis im 
Schläfenbein. 

H. berichtet über einen verhältnissmässig frischen Fall. Es 
fand sich r. ein Erkrankungsherd im Knochen am runden Fenster, 

1. am ovalen Fenster, ausserdem war die Paukenhöhlenschleimhaut 
verdickt (Spindelzellen, Biudegewebsueubllduug). Bis jetzt wurden 
von dem Vortragenden 13 ähnliche Schläfenbeine untersucht. 

Herr Hinsberg - Breslau: Ueber den Infektionsmecha¬ 
nismus bei Meningitis nach Stirnhöhleneiterung. 

In dem Fall des Vortragenden wurde eine allgemeine Menin¬ 
gitis durch die Eröffnung der Stirnhöhle ausgelöst, ohne dass bei 
der Operation ein Kunstfehler begangen wurde. Der Tod trat 
30 Stunden nach der Operation alu. Bel der Sektion fand sich 
kolossale Menge flüssigen Eiters Im Subduralraum. Das knöcherne 
Stirnhöhlendach, sowie die Dura über demselben war sehr hyper¬ 
aemisch, von feinen Gefässen durchsetzt, sonst intakt. Bei der 
mikroskopischen Untersuchung fanden sich einzelne Gefässe des 
Knochens thrombosirh Es ist anzunehmen, dass durch die 
lvnocheugefässe, welche von der Mucosa zur Dura führen, die 
Infektion stattgefunden hat. 

Herr Görke- Breslau: Ueber C&ries der Gehörknöchelchen. 

Bisher ist die Pathologie der Gehörknöchelchen fast aus¬ 
schliesslich an operativ gewonnenem Material studirt worden. 
Doch Ist zur Aufklärung und Beantwortung verschiedener Fragen 
pathologisch-anatomische Untersuchung von Sektionsobjekten er¬ 
forderlich. Die Ohren von 800 Fällen, die im Laufe der letzten 
Jahre im Allerheiligen-Hospital zur Sektion kamen, wurden unter- 
sucht und dabei Befunde erhoben, die nur zum Theil mit den¬ 
jenigen an operativ gewonnenen Objekten Uberelnstimmen. Die 
Gehörknöchelchen wurden zunächst mit dem stereoskopischen 
Mikroskop untersucht und dann in Serienschnitte zerlegt. Vor¬ 
tragender gibt dann eine eingehende Schilderung der histologischen 
Befunde und erörtert dann an der Hand der Sektionsergebnisse 
die Diagnose der „Gehörknöchelchencaries“ aus dem otoekoplschen 
Bilde. Demonstration von entsprechenden Lupenpräparaten, 
mikroskopischen Schnitten und stereoskopischen Mikrophoto¬ 
grammen. 

Herr M a n n - Dresden: Mucocele des rechten Siebbeine. 

Ein 39 Jahre alter Schlosser, der in der Jugend ein Kopf¬ 
trauma erlitten und vor ca. 20 Jahren Lues acqulrirt hat, bemerkte 
vor ca. 2 Jahren ein Heraustreten des rechten Auges und Ver¬ 
schlechterung des Sehvermögens. Die Beschwerden waren wech¬ 
selnd. Der Augenarzt constatirte Anfangs normalen Augenhinter¬ 
grund, allmählich aber stellte sich Stauungspapille ein und ein 
Herabsinken der Sehschärfe auf S = */ M . 

Mann fand am 6. April d. J.: rechter Bulbus stark nach 
aussen und vorn getrieben, im inneren Augenwinkel ein kirsch- 
grosser, grobelasti8cher Tumor. In der Nase, nach Abhebeu der 
mittleren Muschel mittels K i 11 i a n’schem Speculum: Siebbein¬ 
boden stark nach unten und medialwärts erweitert, Schleimhaut 
blass. 

Der Knochen wird erst mit der Sonde durchstossen, dann mitder 
Hartman n’schen Zange gefenstert. Der Inhalt ist chokoladen- 
farbig, syrupsdick, enthält keine Bacterien, aber so viel Chole- 
8teariu, dass seine Reindarstellung leicht gelingt. Die Cyste son¬ 
dert weiterhin kein Sekret ab. Bei der Operation sinkt der Bulbus 
tief in die Orbita zurück, schnappt aber in den nächsten Tagen 
beim Schnauben in die alte Lage zurück. Das Sehvermögen bessert 
sich rasch zur normalen Sehschärfe. Die Stauungspapille ver¬ 
schwindet, aber Neuritis bleibt noch zurück. 

Trotz der Anamnese scheint es sich um eine angeborene Anlage 
der Cyste zu handeln. In der Literatur sind nur 8 derartige Fälle 
vorhanden. Vor kurzer Zeit veröffentlichte Avellis einen im Archiv 
für Laryugologie. Er allein gibt einen rhinoskopischen Befund. 
Derselbe ähnelt dem vorliegenden. Der Fall beweist wie noth- 
weudig bei Tumoren der Orbita eine specialistlsche Untersuchung 
der Nase ist. 

Herr W e r t h e i m - Breslau: Vorstellung eines Patienten, 
bei welchem wegen doppelseitiger Stirnhöhleneiterung nach mehr¬ 
fachen operativen Eingriffen die Stirnhöhlen bis auf’s Ostium ver¬ 
ödet wurden. 


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9. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


115o 


Herr E h r e n £ r i e d - Berlin: Heber conservative und 
operative Behandlung der Mittelohreiterungen. 

Der Vortragende spricht sich in seinem Vortrage für die con- 
servntlve Behandlung der Mittelohreiterungen aus. 

Der Vorsitzende schllesst die Versammlung mit einem 
Pauk an die Stadt und das Lokalcomitß. Die nächste Versamm¬ 
lung wird Pflngsten 1902 in Trier stattfinden. 

Arthur Hartmann. 


Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 25. Juni 1901. 

Demonstrationen: 

Herr Flonski: Zwei Kinder mit geueralisirter Vaccine, 
einer gerade .letzt diagnostisch wichtigen Affektion, da eine Ver¬ 
wechslung mit echten Pocken, die z. Zt. hier Vorkommen, leicht 
möglich wäre. Das eine Kind hatte ekzematöse Stellen, welche 
vou den eigenen Impfpusteln aus iniizirt wurden; das andere hat 
sich anscheinend an seinem geimpften Geschwisterchen infizirt. 

Herr Gluck: Fülle von operativ geheilter tuberkulöser Peri¬ 
tonitis. welche er nach seiner Methode mit offener Wundbehandlung 
zur Heilung brachte. 

Tagesordnung: 

Herr Martin Hahn- München (a. G.): Heber einige Be¬ 
obachtungen während der diesjährigen Pestepidemie in 
Bombay. 

Vortragender will nichts absolut Neues bringen, sondern 
nur über Beobachtungen berichten, die er bei einem 2Vs monat¬ 
lichen Aufenthalte in Bombay und anderen Theilen Indiens an¬ 
gestellt hat. 

Die nächste Frage, die sich dem Arzte aufdrängt, ist, ob 
die gegenwärtige Art der Pestbekämpfung die richtige sei. Die 
grosse Ausbreitung, welche die Pest in Indien genommen hat, 
muss zu der Vermuthung führen, dass man von Anfang au nicht 
energisch genug vorgegangen sei. Dieser Gedanke wurde selbst 
von englischer Seite ausgesprochen und namentlich, mit dem 
Hinweise auf Aegypten begründet, wo die Abwehr der Pest in 
gleicher Weise gelang, wie etwa 1892 die der Cholera in Deutsch¬ 
land. 

Der fremde Arzt hat in den Pestspitälern ohne Weiteres 
Zutritt; man ist dort nicht so ängstlieh und kennt nicht die 
Bacillenfurcht, die bei uns so schöne Blüthen getrieben hat. 

Die Spitäler sind aber zum grössten Theil höchst mangel¬ 
haft; es fehlt besonders an Wäsche. Die Sauberkeit lässt darum 
viel zu wünschen übrig und dies, sowie der Umstand, dass die 
Angehörigen an den Betten die Pflege oft selbst vornehmen, auch 
für ihre kranken Verwandten zuweilen kochen, öffnet natürlich 
der Verbreitung der Krankheit Thür und Thor. 

Die Behandlung führt ein Hinduarzt, der von den kranken 
Eingeborenen bevorzugt wird. 

Die Transportmittel und die Ermittelung von Krankheits¬ 
fällen sind genügend gilt geregelt; letztere kann jedoch der Wahr¬ 
heit nur annähernd nahekommen, da doch noch manche Fälle 
verheimlicht werden. 

Die Isolation der Kranken kann nicht durchgeführt 
werden, dessgleichen nicht die Evacuation infizirter Wohn¬ 
ungen. da die dadurch entstehenden Unruhen nach Ansicht der 
Engländer eine grössere Gefahr für die Verschleppung bedeuten 
würden. 

Dass trotz aller Desinfektionsmaassnahmen die Pest auch 
in diesem Jahre zugenommen hat, rühre daher, dass in einem 
Reiche wie Indien mit seinen eigenthümlichen Sitten und Ge¬ 
bräuchen und Einrichtungen, europäische Desinfektionsmittel 
unzulänglich sind. Das ging noch in Aegypten, wo in den 
Hafenstädten europäische Anschauungen schon mehr unter die 
Bevölkerung gedrungen sind. In Europa würden die jetzt in 
Indien getroffenen Maassnahmen ohne Zweifel zur Hintanhaltung 
der Pest genügen, da es sich hier um assanirto Städte und eine 
hygienisch vorgebildete Bevölkerung handelt; aber damit ist 
nicht gesagt, dass man auch in Indien damit auskommt. 

reberhaupt ist mit der Kenntniss des Erregers für die Be¬ 
kämpfung einer Seuche wenig gewonnen, wie die Erfahrung 
hei der Malaria und Syphilis zeigt. Erster« wurde trotz be¬ 
kannten Erregers nicht unterdrückt und erst die neueren Forsch¬ 
ungen über den Uebertragungsmodus eröffnen einen hoffnungs¬ 
vollen Ausblick; umgekehrt ist bei der Syphilis der Erreger un¬ 
bekannt, aber der Uebertraguugsweg so gut bekannt, dass eine 


Bekämpfung dieser Seuche sehr wohl möglich wäre, wenn sich 
nicht sociale und ähnliche Schwierigkeiten in den Weg stellten. 

Der Uebertragungsmodus der Pest ist aber noch nicht ge¬ 
nügend bekannt. Die angeschuldigten Ratten spielen zwar viel¬ 
leicht im Anfang eine Rolle; später aber nicht mehr; da sind 
kleine Verletzungen der Haut beim Barfussgehon auf den Fuss- 
böden und durch infizirteGegenstände (Kinder erkranken häufiger 
am Munde und den oberen Extremitäten) die Ursache. Vortr. 
konnte auch nie eine todte, Pestbacillen enthaltende Ratte finden. 
Eine gewisse Herabminderuug der Erkrankungsziffer liesse sich 
vielleicht erzielen, wenn die Hindus Schuhe trügen. 

Die Schutzimpfung (Haffki n’s) wird in verhält- 
nissmässig grossem Maassstabe vorgenommen, das Resultat ist 
aber noch unsicher. Ein gewisser Schutz ist aber nicht von der 
Hand zu weisen. 

Man wendet jetzt das Pestheilserum zur Erlangung einer 
brauchbaren Statistik so an, dass man ohne Unterschied, jeden 
ins Spital eintretenden 2. Patienten damit behandelt ; dabei will 
man eine Ilerabminderung der sonst über 90 Proc. betragenden 
Sterblichkeit um (nicht auf) 12 Proc. erreicht haben. 

Eine allgemeinere Verwendung dieses Serums ist aber noch 
nicht möglich, da viel zu grosso Dosen nüthig (100 ccm Einzel¬ 
dosis, bis 1500 in der Gesammtdosis) und solche Mengen nicht 
herstellbar sind. / 

Die Aussichten auf ein wirksames Serum sind aber vorläufig 
gering, da es bis jetzt nur bacterieidcs Serum gibt und kein anti¬ 
toxisches. Die Post ist aber nach seinen Untersuchungen nur 
kurz vor dem Tode eine Sepsis, sonst eine T o x a e m i e. 

So muss eine Besserung der Zustände zunächst von einer 
Besserung der hygienischen Verhältnisse erwartet werden. Diese 
dürften aber nicht so schnell zu erreichen sein, da hiezu eine 
bessere Erziehung und Schulbildung des ganzen Volkes nüthig ist. 

Hans K o h n. 


Verein für innere Medicin in Berlin. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 24. Juni 1901. 

Fortsetzung und Schluss der Discussion zu den Vor¬ 
trägen der Herren J. Meyer, Stadelmann und Kaminer. 

Herr Fr. M e y e r: Seine und Michaelis’ Blutbefunde 
im Blute von an florider Phthise Erkrankten, seien trotz der 
Einwände und der negativen Befunde der Herren Stadelmann 
und Burchardt aufrecht zu erhalten. Die Differenzen erklärten 
sich aus dem verschiedenen Zeitpuukt der Blutuntersuchung, be¬ 
zogen auf den Exitus, und aus der verschiedenen Blutmonge. Es 
können auch bei einem und demselben Kranken bald positive, bald 
negative Befunde constatirt werden. Herr Lasker, der 
S tad el m an n’s Fälle publicirte. sei in der Bcurtheilung der 
Fälle zu rigoros gewesen. Er hält daran fest, dass das hektische 
Fieber nicht bloss eine Toxaemie, sondern auch eine Scptikaemie 
sein könne. 

Herr S. Cohn: Die von Teichmüller behauptete Be¬ 
deutung der eosinophilen Zellen konnte er a u dem i lptiTiftt-rtw 1 ' 
Tuberkulose-rollklhnk n f c Ti f bestätigen. 

' Herr Salomo n: Die Ausführungen des Herrn J. Meyer 
hätten keinen neuen Gedanken gebracht, mit Ausnahme des Vor¬ 
schlags der Aufstellung b e s ojuLar er Tuberkulose- 
ärzte.’ Dies sei aber ein durchaus zu verwerfender Gedanke. 

Herr M. Michaelis hält gegen die Herren Stadel mann und 
Burchardt die prognostische Bedeutung der 1>T ü .z o i» c« e -- 
t ion aufrecht und ist noch immer der Meinung, dass Phthisiker, 
welche die Diazoreaction geben, ungeeignet zur Aufnahme in eine 
Heimstätte seien. 

Herr A. Fracnkel: Er halte den Streit um das Vorkommen 
\-fm_Biikterien im Pinte von Ph thisikern für einen Streit um des 
Kaisers Bart. Es sei sicher, dass sie Vorkommen können, clxmso 
wie bei anderen Krankheiten; solche vereinzelte, abgesclnvüehte 
Baeterien hätten aber gar keine Bedeutung. Was die Misehinfek- 
tion anlange, so sei deren Vorkommen ausser Frage: er mache aber 
entschieden dagegen Front, dass man diese Mischinfektiou zur 
Erklärung aller möglichen Erscheinungen und auch des Miss¬ 
erfolges einer nntituberkulösen Behandlung und zur Erklärung des 
hektischen Fiebers heranziehen wolle. Er verstehe nicht, wie Je¬ 
mand dem Tuberkelbacillus die Fähigkeit, Fieber zu erzeugen, ub- 
sprechcn und doch zugleich glauben könne, dass das Tuberkulin 
eine fieberhafte Reaction liervorrufo. 

Herr v. Leyden: Seine früheren Ansichten über den Ein¬ 
fluss der Schwangerschaft auf das Befinden her/leidender Frauen 
halte er aufrecht Zur Frage der Schwangerschaftsunterbrechung 
hei phtliisisclieu Frauen bemerke er, dass auf alle F alle d o r 
Arzt zur TT u t e r b r e c h u n g d e r S c li w a n g e r s e h a f t 
berechtigt sei, dass jedoch viel auf die Stimmung der Pa¬ 
tientin ankomme, indem eine über die Schwangerschaft erfreute 


x- Al 


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1156 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


Frau weniger Gefahr laufe, eine Verschlimmerung der Tuberkulose 
zu erleben, als Im umgekehrten Falle eine bekümmerte. 

Herr A. Fraenkel: Die Frage der Schwangerschaftsunter¬ 
brechung sei nur von Fall zu Fall zu entscheiden, wobei es freilich 
dann für den Arzt recht schwer sein könne, wofür er sich ent¬ 
scheiden solle. Die plötzliche Verschlimmerung der Phthisen 
nach der Entbindung halte er für eine Folge der Aspiration von 
tuberkulösem Material aus kleineren Herden bezw. Favoriten unter 
den Anstrengungen und der forelrten Athmung beim Geburtsakt. 

Herr J. Meyer (Schlusswort): Die Ansichten Salomon's über 
die Aufstellung specieller Tuberkuloseärzte seien durch die Ein¬ 
richtung einer Universitätspoliklinik für Tuberkulöse in Berlin und 
ähnliche Institute in anderen Städten und die Mittheilung 
R u m p f’s. dass ihm aus Süd westdeut sehland drei Viertel un¬ 
geeignete Tuberkulöse zugeschickt werden, widerlegt. Trotzdem 
sei er nicht der Meinung, dass die praktischen Aerzto unfähig zur 
Stellung der Indication seien. 

Herr Stadelmann (Schlusswort): Dass die Herren M e y e r 
und Michaelis durch die in seinem Vortrage und der Discussion 
gebrachten Betlenken bekehrt würden, habe er nicht erwartet. Die 
Zukunft würde ergelien, wer Recht habe. Die Dlaxoreactlon 
sei für das Laboratorium eine interessante Reaetion, sie in die 
Öffentlichkeit hinauszutragen, sei verfrüht Die Schlüsse von 
Michaelis seien viel zu weitgehende. 

Vor der Anwendung des Pyranddons bei Tuberkulösen in den 
grossen Dosen, wie P. Jako b sie empfohlen, warne er wegen der 
grossen Gefahr des Collapses. Er weise nochmals auf die Salze 
des Pyrnmidons hin, die auch liesser seien, als dieses selbst. 

Herr Kam in er (Schlusswort): Bei den Tuberkulösen, 
welche von der Universitätspoliklinik für Tuberkulöse zur Auf¬ 
nahme in eine Heimstätte vorgcschlagcn wurden, fand sich niemals 
die Diazoreaction, umgekehrt war sie bei den Abgelehnten viel¬ 
fach vorhanden. Er glaubt, dass Iuitialphthisiker sie nicht zeigen. 

Hans lv o h u. 

Sitzung vom 1. J u 1 i 1901. 

Demonstrationen: 

Herr Litten: Präparat von voluminöser Embolie der 
Lungenarterie, ausgehend von Kugelthroniben im rechten Herzen. 
Vortragender erinnert bei dieser Gelegenheit an einen von ihm, 
als Assistenten F re rieh 8’ beobachteten und publieirten Fall von 
Verstopfung der Lungonarterle durch E c hino- 
e o c e u s 1» 1 n s e n. Ausser diesen fanden sich in jenem höchst 
merkwürdigen Falle nur verkalkte Eehiuoeoeeen in der Ilerzwand, 
so dass also die Herkunft der Embolie damals nicht ganz sicher 
gestellt werden konnte. Dass in diesem Falle das Blut, welches 
sich durch die dichtgedrängten Echinococcusblasen hindurch 
zwängen musste, nicht geronnen war. hatte L. zu der Annahme 
veranlasst, dass lebende Echinoeocousl»lasen in gleicher Weise ge- 
rinnungshemmend auf das Blut wirken, wie die lebende Gefiiss- 
intima. 

Tagesordnung: 

Herr Litten: Heber den Zusammenhang zwischen All* 
gemeinerkrankungen und solchen des Angenhintergrnndes. 

Litten hat als Erster im Jahre 1876 auf die bei septischen 
Prozessen vorkommenden Veränderungen im Augenhintergrund 
hingewiesen; worunter nicht die auch schon damals bekannten 
metastatischen Pnnophthalmien zu verstehen sind, sondern jene 
weissen punkt- und streifenförmigen Iferdchen in der Nähe der 
Pap. nerv. opt. und dio abwechselnd mit diesen vorkommenden 
Blutungen. 

Vortr. hatte in seiner damaligen Publikation angegeben, 
dass er sie in 80 Proo. der Fälle (von 35) beobachtet habe; dnss 
alle Fälle mit. positivem Augenl>efund tödtlieh verlaufen seien, 
dass alle Fälle einen rapiden Verlauf genommen haben und dass 
endlich dio Augenveränderungen erst kurz vor dem Tode aufge¬ 
treten seien. 

Seine damaligen Mittheilungen seien im (1 rossen und Ganzen 
vielseitig bestätigt worden, nur mit der Moilifizirung, dass diese 
Veränderungen nicht so häufig auftreten, wie Litten ange¬ 
nommen, sondern nur in ca. 30—40 Proe.; dass nicht alle Fälle 
tödtlieli verlaufen, sondern ein Theil trotz «1er Augenerschei- 
nungon zur Heilung kommt, wobei auch die Veränderungen in 
der Netzhaut wieder verschwinden, und endlich, dass solche Netz- 
hautveränderungen auch bei protrahirten Fällen zur Beobachtung 
gelangen. 

Auf Grund einer reichen Beobachtung in den letzten Jahr¬ 
zehnten kommt. Vortr. zu «lern Resultat«-, «lass jene von anderer 
Beite gebrachten Einschränkungen in der That berechtigt seien. 

Wenn die prognostische Bedeutung der erwähnten Augcn- 
lx-funde demnach auch eiuzuschränken sei, so halte er doch fest 
an «ler schon zuerst geäusserton Ansicht über ihre diagnostische 
Bedeutung, wobei man allerdings einige Versuche anzuwenden 
habe, um di«-se hei septischen Prozessen, B r i g h t’seher Krank¬ 
heit, pernieiöser Anaemie, Leukacmie, Diubctcs und Skorbut vor¬ 


kommenden Veränderungen richtig zu verwerthen und sie auch 
nicht mit Chorioidealtuherkeln zu verwechseln. Vortr. führt 
dies im Einzelnen aus und bespricht die histologischen Verände¬ 
rungen, welche er noch neuerdings wieder einer eingehenden 
Prüfung unterzog, ohne jedoch über die Natur der in Frage 
stehenden weissen Fk-eke ein sicheres Urtheil zu bekommen. Es 
scheint, dass es sieh um ein schnell gerinnendes Exsudat in die 
Nervenfascrsehieht hamh-lt. Warum diese Exsudation immer in 
«ler gleichen Schicht und in der Nähe der Papille stattfindet, 
bleibt, dabei unentschieden. 

1 lerr H. Strauss: Zur Funktionsprüfung der Leber. 

Die bisherigen Bestrebungen, einen Maassstab für die 
Funktionstüchtigkeit der Leber zu finden, waren 
erfolglos. Vortr. zog die entgiftende Wirkung der Leber 
und ihren Einfluss auf E i w e i s s e und Kohlehydrate 
in den Bereich seiner Untersuchungen, und zwar sollte die Wir¬ 
kung im Urin nachgewiesen werden. 

Zur Prüfung der entgiftenden Wirkung wurde auf 
Grund einerseits der Beobachtung, dass die Fettsäuren im 
Urin bei Loborkrankheiten erhöht sind und andererseits des Ex¬ 
perimenten, dass eine Seifenlösung, in die Pfortader injizirt, 
viel weniger giftig wirkt, als nach Injektion in eine Körperarterie, 
von Str. eine Probemahlzeit gegeben, welche an dem einen Tag 
20 g huttersaures Natron enthielt, an dem anderen aber ohne 
diesen Zusatz verabfolgt wurde. Es zeigte sich, dass in 6 vou 
8 Fällen mit huttersaurem Natron in der Mahlzeit bei Leber¬ 
kranken eine erhöhte Ausscheidung von Fettsäuren im Urin statt¬ 
fand. T)oeh will Vortr. hierauf nicht, viel Gewicht legen, da er 
auch hei anderen Erkrankungen eine Steigerung gesehen. 

Bezüglich d«-s Ei wei sscs sollte die von K o 1 i s c h vor¬ 
geschlagene Prüfung der Ammoniakausscheidung im 
Urin als Maassstal) dienen, doch Hess Vortr. diese ausser Betracht, 
da die von lv. vorgesehlngene Methode unsicher und nach seiner 
Meinung die Ammoniakauaschcidung nur im Verhältniss zur 
Säureausscheidung erfolgt. 

Die Kohlehydratprüf u n g, welche er im Verein mit 
Sachs vornahin, hatte ergeben, «lass leberkranke Menschen und 
«■ntl«-l)erte Frösche nach Einnahme grösserer Mengen von La«:vu- 
lose «Hose im Urin ausschieden. 

Bei Darreichung von 100 g Laevulose auf nüchternen Magen 
schieden von 29 leberkranken Menschen 26 Laevuloso aus, 
während von 58 nicht L-berkranken nur 6 dies thaten. Daraufhin 
halte er si«-h für berechtigt, zur Behauptung, dass für den Ver¬ 
brauch der Laevuloso die Ix-her eine bestimmende Rolle spielt 
und dnss die Laevuloso wohl geeignet sei zur 
Funktionsprüfung der Leber. 

Vortr. l>«-sprieht dann kritisch dio oben erwähnten Aus¬ 
nahmen von der Regel, für deren Giltigkeit er noch weiterhin 
das Beispiel von 2 Diabetikern anführt. Während Diabetiker 
ihnen zugeführte Laevuloso sonst als Dextrose ausscliciden, haben 
diese beiden leberkranken Diabetiker die zugeführto Laevulose 
ganz bezw. zu % als Laevuloso ausgeschieden. 

Von französischen Autoren war vielfach dio alimentäre 
Gl.vkosurio als Zeichen der Leberinsufficionz angeführt worden. 
Dies s«-i nicht zuzugeben. Die Differenz komme daher, dass die 
französischen Autoren zu ihren Versuchen Saccharose ver¬ 
wandten, welche im Darm in Dextrose und Laevuloso zerfällt. 

Vortr. geht dann auf den neuenlings betonten Alkohol- 
diabetes ein (G 1 e n a r d , Strümpell u. A.) und kommt 
zu «lern Schlüsse, dass weder der Schnaps, wie er früher schon 
ausgefiihrt, noch das Bier, wie er sieh durch Versuche an Bier¬ 
brauern überzeugte, im Stande ist, eine alimentäre Glykosurie 
hervorzu rufen. 

Der auffallende Unterschied in dem Verhalten der Dextrose 
und Laevuloso. erklärt sieh vielleicht dadurch, dass für die Dex¬ 
trose lx-i Erkrankung der Leber andere Organe vieariirend ein- 
treton können und cs wurden auch solche vicariirende Stellen 
von S a eh s für die Dextrose bei Fröschen gefunden, nicht aber 
für die Laevuloso. Hans Kohn. 

Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin. 

(Eigener Bericht) 

S i t z u n^g vom 27. Juni 1901. 

Herr B. Fraenkel: Vorstellung zweier Kranker mit fast 
vollständigem Glottis Verschluss ln Folge von Perichondritis cri- 
coidea, so dass eine Dauerkanüle getragen werden muss. Das 


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MtTENCHEttER MEDIOIÜttSCIlE WOCHENSCHRIFT. 


1157 


ö. Juli 1ÖÖ1. 


laryngoskoplselie Bild ln beiden Füllen das gleiche: Fehlen der 
respiratorischen Glottiserweiterung, Juxtaposition der Stimm¬ 
lippen und Kreuzung des Arykuorpel. Die Ursache der Peri- 
ehondritis in dem einen Fall Decubitalgeschwiir nach Typhus, ln 
dem zweiten Lues congenita. Demonstration pathologisch-ana¬ 
tomischer Präparate von Fällen mit der gleichen Erkrankung. 

Herr Meyer: Demonstration 1. einer Kranken mit melanoti- 
schem Sarkom der Pars oralis pharyngis, 2. zweier Männer, bei 
denen ein Carcinoma laryngis intralaryugeal in mehreren Sitz- 
angeu entfernt worden war, und von denen das eine 2 Jahre, das 
andere 2 Monate lang recidivfrei geblieben war. 

Herr Glatzel: Demonstration: 1. eines Spiegels für den 
Athembeschlag, 2. von Zeichnungen und Photographien zur Schil¬ 
derung der Form der äusseren Nase bei gesunden und krank¬ 
haften Zuständen. 

Herr Alexander:!. Vorstellung eines Kranken mit tumor¬ 
artiger, aufblasbarer Erweiterung der Appendix eines Mor- 
gagni’schen Ventrikels, 2. Demonstration von Präparaten 

von Nasenrachentumoren. 

Herr Finder: Demonstration pathologisch-anatomischer 

Präparate zur Histologie der Condylomata lata tonsillarum. 

K. Brandenburg - Berlin. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 11. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Lenhartz. 

(Schluss.) 

II. Discussion über den Vortrag des Herrn Lenhartz: 
Heber die septische und maligne rheumatische Endokarditis. 
(Der Vortrag ist an anderer Stelle d. No. abgedruckt.) 

Discussion: Herr Fraenkel bespricht die Aetiologie 
der Endokarditis. Wir kennen eine nicht bacterlelle E., bei welcher 
ein endarteriitischer Process auf das Klappengewebe übergreift, 
hier zu Einschmelzungsvorgängen, Verwachsung der Klappeusegel, 
eventuell zu Durchbruch führt Bei der Mehrzahl dieser meist 
jugendliche Individuen betreffenden Affektion ist Syphilis in der 
Anamnese; doch unterscheiden sich diese Formen nicht von den 
gewöhnlichen unter dem Endothel sich abspieleuden sklerotischen 
Processen. Demonstration von Präparaten. — Die maligne rheu¬ 
matische Endokarditis L i 11 e n's kann Fr. nicht anerkennen. 
El»enso wie die ulceröse ist auch die verrueüse E. durch patho¬ 
gene Mikroorganismen bedingt Man unterscheide eine mykotische 
beuigne Form von einer mykotischen malignen. Zu betoueu ist, 
dass nicht jede bei einem Tripperkranken auftreteude E. durch 
Gonococcen bedingt zu sein braucht. 

In klinischer Beziehung kommen als aetiologisehe Momente 
in Betracht: ln erster Linie rheumatische Erkrankungen, docli 
lange nicht so häufig wie meist angenommen wird. Doch bleibt 
der Rheumatismus das wesentlichste disponirende Element für 
die Lokalisirung von Mikroorganismen an den Herzklappen. Ferner 
bilden Eingriffe an der Urethra, Anginen (auch längst abgelaufenet, 
Pneumonie, langdauerude Eiterungsproeesse, z. B. Funiuculose, 
und gar nicht so selten Phthise bemerkeuswerthe aetiologisehe 
Punkte. Auf ein klinisches Symptom weist Fr. zum Schluss hin: 
die Hautblutungen, ln einer Anzahl daraufhin gerichteter Unter¬ 
suchungen gelang ihm 2 mal der Nachweis eines thrombosirten 
Gefässes. Das erklärt auch die Beobachtung, dass diese petechialen 
Blutungen sich nach 24 Stunden gelegentlich in stecknadelkopf¬ 
grosse Eiterungen umwandeln. 

Herr Bertelsmann bespricht die nach Bougirung, Kathe- 
terismus, Strikturenbehnndlmig auftretenden Endokarditiden. 
Mehrere Fälle von „Katheteriieber* hat er bacteriologisch unter¬ 
sucht. Einmal fanden sich Streptococcen Im Blut, die am nächsten 
Tage verschwunden waren. In einem anderen Falle ergab die bac- 
teriologische Untersuchung Proteus in Reinkultur. Vorherige Des¬ 
infektion der Harnwege ist demgemäss zu empfehlen. Der I'eber- 
tritt von Bacterien ln’s Blut bei Manipulation am Urogenitaltractus 
ist erklärlich, da bei Dilatationen etc. leicht Verletzungen der Cor¬ 
pora cavernosa oder periurethraler Venen erfolgen können. 

Herr Franke, Deutscbmann, Salomon besprechen 
die metastatische Ophthalmie und die Roth'sche Retinitis septica. 

Herr Jessen. Herr Lenhartz: Schlusswort. 


Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offlciellcs Protokoll.) 

Sitzung vom 4. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Curschmann. 

Schriftführer: Herr Braun. 

Herr W i 1 tu s demonstrlrt einen Patienten, der nach einer 
Btichverletzung der Vena raesenterica superior durch Laparotomie 
geheilt worden ist. Er spricht ferner über Entfernung von Fremd¬ 
körpern des Oesophagus vom Magen aus und über Leberruptur und 
demonstrlrt geheilte Patienten. 

Herr Flade spricht über Anwendung der Magensonde bei 
Ulcus ventriculi. (Der Vortrag wird ln dieser Wochenschrift ab- 
gedrnckt.) Discussion s. nächste Sitzung. 


Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in 
München. 

Sitzung vom 18. Dezember 1900. 
nerr M. Crem er: Heber den Begriff des Kernleiters 
nnd der physiologischen Polarisation. 

Vortragender hat früher — 2. Mai 1899, Sitzungsber. der 
Gesellseh. 1899, Heft 1 — eine Theorie der Nervenleitung skizzirt, 
die sich von den von anderen Seiten aufgestellten Kernleiter¬ 
theorien durch die Verwendung des Begriffes der physiologischen 
Polarisation unterscheidet. Definitionen wurden damals nicht 
gegeben. Mit Rücksicht auf eine kürzlich erschienene Arbeit 
von W. M. Strong — A pliysikal theory of nerve; Journal of 
Physiol. Vol. XXV, pag. 427 — erscheint cs zweckmässig, die3 
nachzuholen. Kernleiter im bisher gebräuchlichen Sinne ist jede 
Kombination zweier Leiter der Elektricität, die in einer 
„p o 1 a r i s i r baren“ Grenzfläche zusammenstossen. Einfachstes 
Beispiel ist der Matteucc i’sehe Kernleiter, ein Platindraht 
mit feuchter Hülle. Bei der mathematischen Behandlung der 
hierbei sich ergebenden Probleme wird dabei die Polarisation 
als ein Potentialsprung an jener Grenzfläche resp. an einer dort 
gelegenen unendlich dünnen Grenzschicht aufgefasst, wobei man 
die normal vorhandene Potentialdifferenz zwischen Metall und 
Elektrolyt nicht weiter zu berücksichtigen braucht. 

Diese Annahme ist aber nur eine mathematische Fiktion, 
die zur Erleichterung der Behandlung der Probleme eingeführt 
wird. Die eigentliche polarisatorische Veränderung betrifft 
jedenfalls ein Grenz Schicht von messbarer Dicke, ja 
sie betrifft in aller Strenge sogar den ganzen Kernleiter (selbst 
das Metall — Elektronentheorie! — nicht ausgenommen). Nur 
bleibt die Hauptveränderung auf eine sehr dünne Schicht be- 
schränkt. Immerhin aber dürfte es richtiger sein, von einer 
polarisirbaren Grenzschicht zu sprechen. Demnach können wir 
definiren: Ein einfacher (nicht vielschichtiger) Kernleiter ist eine 
Combination zweier Leiter der Elektricität, die in einer polarisir¬ 
baren Grenzfläche oder Grenzschicht zusammenstossen. Hierbei 
ist es nicht nothwendig, vorauszusetzen, dass diese Grenzschicht 
im gewöhnlichen Sinne leitet. Indem wir dann auch Nichtleiter 
zulassen, erscheint das Kabel nur als ein specieller Fall des Kern¬ 
leiters, wenn wir auch den Begriff der Polarisation entsprechend 
allgemeiner fassen. Diese besteht ja in nichts anderem als in 
einer Aendcrung einer Potentialdifferenz zu beiden Seiten unserer 
Grenzschicht durch Ströme senkrecht zu dieser. In der Regel 
denkt man hierbei an Leitungs- resp. bei Elektrolyten an Ionen¬ 
ströme, die die Grenzschicht durchsetzen, aber nichts hindert, in 
erweitertem Sinne auch Verschiebungsströme als polarisirende 
Ströme zuzulassen. Verbindet man nämlich eine Batterie mit 
den beiden Belegungen einer F r a n k 1 i n’schcn Tafel, so hat 
man sich früher vorgestcllt, dass der positive Strom an der einen 
Belegung beginnt, durch die Batterie zur andern fliesst und dort 
endet. Man hat die Ströme als „offen e“ betrachtet. Nach 
Maxwell gibt es aber nur „geschlossene“ Ströme und 
der Leitungsstrom im Draht wird durch einen Vorgang im Di- 
elektricum ergänzt eben durch den Verschiebungsstrom in den¬ 
selben, so dass also bei der Ladung der Tafel der „wahr e“ Strom 
stets geschlossen ist. Dieser und damit also auch der Verschie¬ 
bungsstrom in der nicht leitenden Zwischenschicht der Tafel kann 
daher sehr wohl im eben erörterten erweiterten Sinne als polari- 
sirender Strom aufgefasst werden. Wie man also den Kernleiter 
als Kabel mit polarisatorischer Ladung betrachten kann, so kann 
man umgekehrt das Kabel als Kernleiter mit polarisirendem 
Verschiebungsstrom auffassen. Man könnte daher die Frage zu¬ 
nächst völlig offen lassen, ob die polarisirenden Ströme im Nerven, 
die von sämmtlichen Kemleiterthcorien benöthigt werden, inner¬ 
halb der Grenzschicht durchaus Leitungs- resp. Ionenströme oder 
nicht zum grössten Theil Versehiebungsströme sind. Ganz kann 
man der letzteren auch beim gewöhnlichen Kernleiter nicht ent- 
rathen, so wenig sich Induktionswirkungen in aller Strenge aus- 
schliessen lassen. 

Auch B o r u 11 a uV) semipermeable Membran leitet je. nach 
den Eigenschaften, die man ihr beilegt, unter Umständen nur 
durch Versehiebungsstrom. Ich selbst neige allerdings zur An¬ 
sicht, dass es sich beim Nerven im Wesentlichen nur uni lonen- 
strömo handelt, denen gegenüber die Versehiebungsströme in 

‘) Pflüger’s Archiv Bd. 77, S. G2G. 


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1158 MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28. 


jedem Momente vernachlässigt werden können, obwolil sie nicht j 
in aller Strenge Null sind. In dieser Richtung vermag ich da¬ 
her in den S t r o n gschen Ausführungen keinen besonderen 
Fortschritt gegenüber dem bisherigen zu erkennen. Einen Punkt 
aber muss ich ganz besonders hervorheben. Die elektrischen Er¬ 
scheinungen, die mit der sogen. Errcgungsleitung im Nerven 
verknüpft sind, lassen sich nach meiner Ueberzeugung nicht be¬ 
friedigend erklären, wenn man im Uebrigen nur physikalische 
resp. physikalisch-chemische Polarisation in bisher bekannter 
Weise zulasst 2 ). Man muss nothwendig irgend ein physiologisches 
X, speeifiseho Zellthütigkeit etc. dazu nehmen. Hermann') 
lässt im Nerven physiologische Ströme nach Art der Induktions¬ 
ströme entstehen, während er die Polarisation nach demselben 
— angenäherten! — Grundgesetz, wie die physikalische vor sich 
gehen lässt. Boruttau deutet eine besondere physiologische 
Beweglichkeit der Ionen an und erzielt so ebenfalls physiologische 
Ströme nach Art der Induktion. Ich habe gegen beide Ansichten, 
soweit sie etwa mehr sein sollten als blosse Bilder, schwere Be¬ 
denken. Ich nehme im Gegensätze zu diesen Autoren an, dass 
in jedem Momente die bisher bekannten elektromotorischen 
Kräfte, wie sie durch Verschiedenheit in Konzentration und Be¬ 
schaffenheit der Ionen und damit zusammenhängende Ladungen 
bedingt werden, vollkommen ausreichen, um die Erscheinungen 
am Nerven principiell zu erklären. Ich brauche keine neuen 
elektromotorischen Kräfte. Ich nehme lediglich an, dass 
durch dio Ströme die chemische Zusammensetzung in bisher 
nicht aufzuklärender Weise geändert wird. Die Schwierigkeit, 
die bleibt, ist nach meiner Kernleitertheorie kaum grösser wie 
anderweitig in der Physiologie. Können wir doch nirgends den 
chemischen Vorgang bei der Zellthätigkeit völlig befriedigend 
aufklären. 

In diesem Sinne habe ich von der physiologischen Polari¬ 
sation gesprochen als einer solchen, die ihr eigenes Gesetz befolgt, 
d. h. es lässt sich der Vorgang nicht „ohneRest“ auf bekannte 
Lehrsätze der Physik resp. der physikalischen Chemie zurück¬ 
führen. Dass dabei Ladungsvorgänge, Konzentrationsverände¬ 
rungen etc., dio physikalisch durchsichtig sind, irgendwie mit- 
wirken, schliesse ich natürlich keineswegs aus*). Ich betrachte es 
aber andererseits geradezu als eine Aufgabe derNervenphysiologie, 
das Gesetz der physiologischen Polarisation festzustellen. Wären 
die Vorgänge so einfach wellenartig, wie man es gewöhnlich dar¬ 
gestellt findet, so wäre jenes Grundgesetz für diese Fälle wenig¬ 
stens schon gefunden. Es würde lauten 

ä c = c J > 

Aber so einfach verhält sich die Sache anscheinend nicht. Man 
muss ja auch vor allen Dingen daran festhalten, dass alle Ver¬ 
suche, das Protoplasma gewissermaassen in die Zwangsjacke ein¬ 
facher mathematischer Formeln zu zwängen, nur mit grösster 
Vorsicht aufzunehmen sind. Solche Formeln können immer nur 
den Werth ziemlich roher Annäherungen haben bei dem heutigen 
Stande unserer Kenntnisse wenigstens. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztekammer für die Provinz Brandenburg nnd den 
Stadtkreis Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 25. Juni 1901. 

Boi der Berlin-Brandenburger Aerztekammer hatte sich das 
Verfahren eingebürgert, in jeder einzelnen Sitzung die wichtigsten 
Gegenstände der Tagesordnung vorweg zu erörtern und die Be- 
rathung der anderen Punkte zu vertagen. Auf diese Weise geschah 
es, dass die vertagten Sachen seit Jahr und Tag auf der Tages¬ 
ordnung wiederkehrten. Um nun endlich einmal Tabula rasa zu 
machen, war am Tage der letzten Sitzung, am 15. Juni, eine Abend¬ 
sitzung in Aussicht genommen. Als der Vorsitzende diesen Plan 
zu verwirklichen im Begriffe war, wurde die Beschlussfähigkeit 
der Kammer in Zweifel gezogen und die Abeudsitzung vereitelt. 
Der lebhafte Wunsch, die so oft vertagten Sachen zu erledigen, 
bestimmte den Vorstand, trotz der Kosten von mindestens 1000 M., 
welche eine jede Sitzung beansprucht, eine solche alsbald anzube¬ 
raumen. Den Verhandlungen wohnt in Vertretung des verhin¬ 
derten Oberpräsidenten Regierungsrath v. Schumann bei. 

1. Geschäftliches. Der Vorsitzende, Geheimrath Becher, 
macht nähere Mittheilungeu Uber die Beschlussunfähigkeit in der 


*) Vgl. n. a. Biedermann: Elektrophyslol. S. 057, 713 u. f. 
*) Pflüger’s Archiv Bd. 75, S. 574. 

4 ) Vergl. W. Nernst: Gött Nachr. 1899, S. 104. 


vorigen Sitzung und über den inzwischen erfolgten Eintritt der 
Rechtskraft einiger Urtheile des Ehrengerichts. Dann schreitet die 
Kammer zur Wahl eines Vorstandsmitgliedes. In einem Schreiben 
an den Vorstand der Kammer hat uiimlich Herr Schaeffer 
mitgetheilt, dass er sich, da die Kammer den Abschluss oder die 
Verlängerung von Verträgen von Aerzten mit Krankenkassen, ln 
deren Statuten bestimmt ist, dass auch nicht approbirte Personen 
zur Behandlung erkrankter Knssenmitglieder zugelassen werden, 
für standesuuwürdig erklärt lmt, genöthigt sehe, sein Amt als 
Schriftführer niederzulegen. Die Wahl fällt auf Herrn Koss- 
ir. n n n (in Stichwahl mit Herrn Schaeffer). 

2. Ueber die ärztlichen Gutachten zur Aufnahme in dieV/ 
Lungenheilstätten. r\ 

Der Referent, Herr Braehmer, Vertrauensarzt der preussi- 
sclien Staatselsenbahnen, legt dar, wie durch das Zusammenwirken 
von Versicherungsanstalten und Krankenkassen das den ersteren 
gesetzlich zustehende Recht, das vorlnmgende Heilverfahren zu 
übernehmen, praktisch Verwertliung finde, und zwar vorwiegend 
bei den Lungenkranken. Die Krankenkassen der preussischeu 
Stnatsbahnen gewähren für Kuren in den Lungenheilstätten das 
Krankengeld ungekürzt. Ueber den Werth solcher Kuren lässt sich 
ein abschliessendes Urtlieil noch nicht abgeben; immerhin sei schon 
viel erreicht, wenn die Kranken für einige Jahre erwerbsfähig 
würden. Bel den preussischen Stnatsbahnen stellen sich die Er¬ 
folge so. dass von den einem Heilverfahren unterworfenen Lungen¬ 
kranken des Jahres 1898 bei Beginn des Jahres 1899 85 Proc. 
relativ geheilt und erwerbsfähig waren, im folgenden Jahre 73 Proc. 
und bei Beginn des Jahres 1901 noch 55 Proc. Dieser Erfolg hat 
der Stantsbahnverwaltung zum Bau von zwei Lungenheilstätten 
Veranlassung gegeben. Der Erfolg der Behandlung hängt zum 
grossen Theile von der Auswahl der Kranken ab. Für die richtige 
Auswahl ist in erster Linie maassgebend die Frage nach der Wahr¬ 
scheinlichkeit der Heilung mindestens bis zur Erwerbsfähigkeit. 
Die Beurthellung dieser Frage ist nicht leicht, zumal die ein¬ 
schlägigen Punkte noch nicht geklärt sind. Bis eine Klärung ein¬ 
getreten Ist, können die Versicherungsanstalten sich nicht mit einer 
kurzen ärztlichen Bescheinigung über die Nothwendigkeit einer 
Kur in den Lungenheilstätten begnügen; vielmehr stellen sie eine 
Reihe von Fragen, deren fachmännische Beantwortung Ihnen ein 
eigenes Urtlieil ermöglicht Herr Braehmer legt das von der 
Brandenburger Versicherungsanstalt ausgearbeitete Formular vor 
und geht die einzelnen Fragen durch, deren Beantwortung das 
ärztliche Gutachten darstellt. Die Bemühungen des Arztes müssen 
natürlich entsprechend honorirt werden. Die preussische Staats¬ 
bahnverwaltung zahlt 5 M. für das Attest Referent unterbreitet 
der Kammer folgende Anträge: 

1. Die richtige Auswahl der den Lungenheilstätten zu über¬ 
weisenden Kranken hängt in erster Linie von der Brauchbar¬ 
keit der ärztlichen Aufnahmeatteste ab. 

2. Es ist daher Pflicht der Aerzte, diese Atteste nach genauer 
Untersuchung gründlich und gewissenhaft auszustellen. Das 
von der Landes Versicherungsanstalt Brandenburg entworfene 
Formular erleichtert diese Ausstellung, indem es auf die zur 
Beurtheilung erforderlichen Punkte hinweist. Da brauchbare 
Aufnahmeatteste nächst dem Interesse der Kranken ln erster 
Linie dem Interesse der Versicherungsanstalt dienen, erklärt 
die Kammer es für eine Pflicht der Versicherungsanstalten, die 
Atteste angemessen zu honoriren und ermächtigt ihren Vor¬ 
stand, ein dahin gehendes Gesuch an die Versicherungsanstalt 
Berlin-Brandenburg zu richten. 

Herr II e n i u s bittet den Vorstand, darauf zu halten, dass 
die Atteste innerhalb des Kammerbezirkes nicht niedriger honorirt 
würden, als in anderen Kammerbezlrken; die Aerzte der Rhein- 
previnz erhielten für die sogen. „Lungenbogen“ 10 M. 

Herr Marcuse antwortet, der Vorstand werde ln dieser Be¬ 
ziehung thuu, was in seinen Kräften stehe. Die Anträge des Herrn 
Braehmer werden angenommen. 

3. Die Beitragspflicht der Aerztekammer zu den Kosten des 
Aerztekammer-Ausschusses. 

Der Referent, Herr Joachim, knüpft an ein Schreiben an, 
in welchem der Vorsitzende des Aerztekammerausschusses den 
Vorstand der Aerztekammer auffordert, zu den Kosten des Ehren¬ 
gerichthofes 5 M. pro Kammermitglied zu überweisen. Dieses 
Vorgehen gibt dem Referenten zur Erörterung folgender Fragen 
Veranlassung: 1. Hat der Aerztekammeraussehuss das Recht und 
die Pflicht, die Kosten für den Ehrengerichtshof zu bestreiten? 
2. Hat der Aerztekammeraussehuss die Berechtigung, die Art und 
Höhe des Beitrags jeder einzelnen Kammer zu den Kosten des 
Kammerausschusses festzusetzen V Die Erörterung dieser Fragen 
führt den Referenten zu folgenden Anträgen: 

1. Die Aerztekammer wolle beschlossen: Nach den bestehen¬ 
den gesetzlichen Bestimmungen fehlt dem Aerztekammeraus- 
scliuss die Zuständigkeit, die Kosten des Ehrengerichtshofes 
als Kosten des Aerztekammerausschusses auszuschreiben. 

2. Die Aerztekammer wolle beschlossen, den Vorstand zu be¬ 
auftragen, bei dem Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts¬ 
und Mediciualangelegenhelten Schritte zu thun, um eine Aende- 
rung der Kgl. Verordnung vom 6. Januar 1896 dahin zu erzielen, 
dass in Anbetracht der grossen Anzahl der Berlin-Brandeu- 
burgischen Aerztekammermitglieder und der dadurch hohen 
Beitragsleistung zu den Kosten des Aerztekammerausschusses 
die Abstimmungen im Aerztekammeraussehuss nach der Kopf¬ 
zahl der Mitglieder der einzelnen Kammern erfolgen. 

DO Anträge werden ohne Erörterung einstimmig ange¬ 
nommen. 


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9. Juli 1901. 


1159 


MUENCHENEE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


4. Die Eingabe des Vereinsbundes Deutscher Zahnärzte, be¬ 
treffend die Hilfeleistung der praktischen Aerzte bei Opera¬ 
tionen, welche von Zahntechnikern in Narkose ausgeführt 
werden. 

Der Referent. Herr Sch ne ff er, bemerkt, die Zahnärzte 
wünschten, «lass die Kammer ein Verbot aufstelle, im Gewerbe 
von Zahntechnikern behufs Vornahme von Operatiouen im Munde 
Narkosen auszufiihren. Der Gegenstand ist schon im Vorstand der 
Aorztekammer berat hon worden, und dieser hat seine Meinung da¬ 
hin ausgesprochen, dass im Allgemeinen praktische Aerzte die 
D'itung von Narkosen bei Zahnextmctionen, welche von Zahn- 
te«-hnlkem gemacht werden, nicht übernehmen dürfen, dass aber 
••ir.zelue Fälle, namentlich auf dem Lande und in den kleinen 
Städten, ln welchen Zahnärzte nicht wohnen, Vorkommen können, 
in denen die UelH*rnnhme der Narkose zulässig ist. Der Referent 
erhebt gegen dies«* Meinungsäusserung zwei Einwämle: 1. sind 
«iie Ausnnhmefülle. in denen selbst bei strengster Wahrung ärzt¬ 
licher Standeswiir<le die dem Zahntechniker gewährte Assistenz 
durchaus zulässig ist. in dem obigen Beschluss auch nicht an¬ 
nähernd erschöpft: in Verfolg einer Reihe von Atisnnlimefiillen 
gelangt man zu dem S«‘liluss. «lass die-Fassung des Vorstands- 
Ix'sehlusses. wie überhaupt jede allgemt'ine Fassung, sich verbietet, 
weil es unter «len Zahntechnikern v<*rschlodene Qualitäten gibt. 
Kr gibt eine ganze Reihe von Zahntechnikern, welche eine gute 
Ausbildung, z B. im Ausland«* Examen gemacht un<l <lie Appro- 
Imrion erhalten halten, mul di«* auch in moralischer Beziehung ein¬ 
wandsfrei sind. Mit diesen sin«l nicht zu vergleichen ungenügend 
rotgebildete und unanständiger Reklame huldigende Zahntech¬ 
niker. Der 2. Einwand des Referenten ri«*htet sich gegen die et¬ 
waige Absicht des Vorstandes, die Aerztekammer zu einem gleich 
o«ler ähnlich lautenden Votum zu veranlassen. Die Aerztekammer 
sei gar nicht Itefugt. solche generelle Verbot«* zu erlassen. di«*se 
Befugnlss stehe lediglich dem Ehrengerichte zu: und dann seien 
solche allgenteine Bos«*hlüsse gefährlich, deren Tragweite sei gar 
nicht zu übersehen. Es komme allein mul ausschliesslich auf 
«len einzelnen Fall an. Je nachdem «1er Fall beschaffen ist. kann 
«Iie dem Zahntechniker von Seiten «les Arztes gewährte Hilfe¬ 
leistung ein (lirectes Gebot «1er Menschlichkeit, eine völlig erlaubte 
Handlung oder ein strafwürdiges Verg«*hen sein. Referent be¬ 
antragt zu besehllessen: 

Die Berlin-Brandenburger Aerztekammer lehnt es ab. auf 
«las Gesuch der zahnärztlichen Vereinigung, betreffend das 
Verbot, Zahntechnikern zu asslstiren. einzugehen, da nicht die 
Aerztekammer. sondern das Ehrengericht das allein zuständige 
Forum für die Bcurtheilung derartiger Fragen ist 
Herr J a r i s 1 o w a k I tritt für das gewünschte Verbot ein. 
Herr Klnmanu empfiehlt, «len Beschluss der ostpreussischen 
Kammer anzunehmen, die sieh dahin ausgesprochen hat. «lass bei 
der geringen Anzahl von approbirten Zahnärzten im Kammer¬ 
bezirke eine ganz erhebliche Benachtbeiliguug des zahnleidenden 
Publikums eintreten würde, falls das Verbot, die Zahntechniker 
durch Narkotisiren u. dergl. zu unterstützen, strikt durchgeführt 
wer<k*n sollte, und die zu dem B«*schlusse gekommen ist: Bei einem 
Zahntechniker geschäfts- hezw. gewoliuheitsmässig die Ansführung 
von Narkosen zu übernehmen, ist nicht standesgemäss. Es muss 
dem Takte des einzelnen Arztes überlassen bleiben, ob er Im Ein¬ 
zelfalle bei den Zahntechnikern die Narkose leiten will. 

Herr Wiesenthal II beantragt, zu besehllessen: 

Die Aerztekammer erklärt «li«* Uebernahrae von Narkosen 
durch Aerzte bei Zahntechnikern für statthaft: 1. wenn die 
Zuziehung eines Zahnarztes nicht oder nur schwer zu ermög¬ 
lichen ist. 2. wenn gegen die berufliche oder moralische Quali¬ 
fikation d«*s Zahntechnikers begründete Einwendungen nicht 
erhoben werden können. 

Herr S.Marcuse bittet, den (imReferat des Herrn Schaef fer 
genannten) Beschluss des Kammervorstandes zum Beschluss zu 
erheben. 

Herr S. Alexander betont, dass bei Krankenkassen, z. B. 
denen mit freier Arztwahl. Zahntechniker zugelasseu sind und 
das« durch ein Verbot, wie es von den Zahnärzten gewünscht wird, 
die Kassenärzte ln eine eigentümliche Lage kämen. Redner em¬ 
pfiehlt. den Beschluss der schlesischen Kammer anzunehmen: 

Bei aller Sympathie für die Entwickelung und die Bestre¬ 
bungen d«-s zahnärztlichen Standes ist die Aerztekammer bei 
dem heutigen Stande der zahnärztlichen Verhältnisse nicht 
in der Lage, ein Verbot zu erlassen, wie es die zahnärztliche 
Vereinigung wünscht. 

Herr Munter beantragt Uebergang zur Tagesordnung. 
Der Antrag wird abgelebnt. 

Zur Annahme gelangt der Beschluss der schlesischen Kammer 
mit dem Zusatz:* 

Dementsprechend stimmt die Kammer auch dem Antrag 
Schaef fer in seinem erst«*n Thelle zu: Dl«* Aerztekammer 
lehnt es ab etc. wie oben. 

Der Sclilusstheil (die Begründung) des Antrags S «• h a e f f «* r 
wird abgelebnt. «lessgleichen der Antrag \V i <* s e n t li a 1 II. 

5. Bericht der Kommision zur Prüfung der Verträge mit 
Privatvereinigxmgen. 

Der Referent. Herr Mugdan, betont zunächst, dass geg«*n 
«las Verfahren der Bildung von Genossenschaften behufs Sicherung 
ärztlichen Beistandes Einwendungen nicht zu erheben seien. Da¬ 
gegen sei die Art und Weise der Beschaffung ärztlicher Hilf«* durch 
*»lebe Vereinigungen zu bekämpfen. Die Ilonorirung durch ein 
Pauschquantum darf nicht mehr geduldet werden: auf diese Weise 
geschehe es, dass die Honorlrung der Einzelleitung au die Mindest¬ 


sätze der Gebührenordnung lange nicht heranreicht, ein Unfug in 
Anbetracht der Thatsache, dass Mitglieder solcher Verbände ein 
Einkommen von 10 000 M. und darüber Jährlich haben. Die Hono- 
rirung durch eine Pauschalsumme ist nun mit dem System der 
flxirten Knssenarztstellen verbunden, so dass nur einige wenige 
Aerzte für den Verein thütig sind. Demgemäss komme man zu 
der Forderung, dass die einzelne Arbeitsleistung mindestens zu den 
Minimalsätzen der Gebührenordnung zu honorlren sei und dass 
alle Aerzte, die sieh dazu bereit erklären, zur Behandlung «*rkmnkter 
Verfinsmitglieder zugelasseu werden müssen. Nach «len Erfah- 
rurgen, die bei den Krankenkassen gemacht sind, sei es aber un- 
zweckmässlg. dass die Verbände «len Mitgliedern die Gesammt- 
mindesttnxe. «1. h. die volle Summe, welche «liese an den Arzt, zu 
zahlen haben, zurückerstatten. Das Kassenmitglied nimmt den 
Arzt viel häufiger in Anspruch, als es nötbig wäre, weil es nichts 
zu bezahlen hat; es bedenkt nicht, dass, was es verlangt. Geld 
kostet. Würde «las Kassenmitglied auch nur einen Tlieil der ent¬ 
stehenden Kosten zu erstatten haben, dann würde es nicht so oft 
Arzt und Apotheke in Anspruch nehmen, daun würde die Polyprag¬ 
masie der Aerzte einerseits, die entstehenden Kosten für Arzt und 
Apotheke andererseits herabgemindert werden. Dieses Verfahren 
verbietet sich bei den Krankenkassen, weil es dem Grundgedanken 
il«*s Krankenkassengesetzes widerspricht. Bei den privaten Ver¬ 
einigungen dagegen stehe seiner Anwendung nichts im Wege: die Mit¬ 
glieder sollten etwa ein Viertel des ärztlichen Honorars aus der 
eigenen Tasche bezahlen, so dass der Verband ihnen etwa drei 
Viertel zurückzuerstatten hätte. Referent beantragt: 

Die Aerztekammer wolle besehlless«*n: 

1. zu erklären, dass Verträge zwischen Aerztea und privaten 
Vereinigungen zur Beschaffung ärztlicher Hilfe (Snnitäts-. Ge¬ 
sundheit*-. Kranken-, Pflegevereinen) die Honorlrung der Einzel¬ 
leistung. und zwar niemals unter den Mindestsätzen der preus- 
sischen G«*bührenordnung. versehen müssen. 

2. Die Aerzte des Kammerbezirkes, welche solche Verträge 
abgeschlossen haben, aufzufordern, dieselben mit dem frühesten 
Termin, spätestens aber bis 1. Juli 1002 aufzulösen. 

Herr Kn eh ler beantragt, zu heschliesseu. die Thätigkeit 
der Vertrngskommission sei auf sümmtlicke Krankenkassen aus- 
zudohnen und durch Vermittlung des Aerztekammer-Ausschusses 
sei ein gleiches Vorgehen in allen anderen Kammerbezirken zu 
«*rstr<*ben. 

Herr Henlus, auf dessen Anregung M u g d n n seinem An¬ 
trag die Worte: „privaten Vereinigungen zur Beschaffung ärztlicher 
Hilfe“ hinzufügt, betont, wie die Verbände das ärztliche Honorar 
entrichten, ob mit oder ohne Inanspruchnahme der erkrankten 
Mitglieder, das sei eine Sache, die sie unter sich ahzumacheu 
hätten. Die Hauptsache sei. dass die Mindestsätze der Gebühren¬ 
ordnung gezahlt würden. 

Herr Munter macht als Mitglied der Vertragskommissiou 
ergänzende B«*merkungen zu «len Ausführungen des Referenten. 
Es sei zu begrüssen, dass wirtschaftlich schwache Personen sl«*li 
vereinigen, um iu Krankheitsfällen ärztliche Hilfe und Arzuei zu 
haben. Aber gegen die übertriebene Preisdrückerei müsse ener¬ 
gisch Front gemacht werden. Erstaunt sei er gewesen, zu selten, 
wie etwa nicht nur wirtschaftlich schlecht gestellte Kollegen, 
sondern auch gut situirte Aerzte an Verbänden tätig sind, die er¬ 
bärmliche Honorarsätze vergüten. Diese Herren sollte man von 
Ehrenämtern ln Vereinen ausschliessen. 

Die Anträge Mugdan und Kaehler werden angenommen. 

6. Ueber die Zulassung von Personen mit ausländischen 
Reifezeignissen zu den xnedicinischen Studien und Prüfungen. 

Der Referent. Herr K o s s in a n n . gebt von «ler Thatsache 
aus. dass zwei weibliche Personen, die eine bei der Prüfungs¬ 
kommission iu Freiburg, die andere bei der Kommission ln Halle, 
das medicinlsche Staatsexamen gemacht und die Approbation als 
Arzt erlangt haben. Beide hatten nur die schweizerische Fremden¬ 
maturität. die nicht einmal an die Reifeprüfung eines Realgym¬ 
nasiums h«-rnnreiche. so dass die Anforderungen selbst der neuen 
Prüfungsordnung nicht erfüllt worden wären. Die Zulassung der 
beiden Personen zur ärztlichen Prüfung widerspnx-he den gesetz¬ 
lichen Prüfungsvorschriften. Nach diesen Vorschriften ist der 
Meldung zur Prüfung der Nachweis beizufügen, „dass der Kandidat 
bei einer Universität des Deutschen Reichs die ärztliche Vorprüfung 
voliständigbestanden und demnächst noch mindestens vier Halbjahre 
dem metlicinischen Universitätsstudium gewidmet hat“. Die beiden 
weiblichen Kandidaten haben dies«* Verpflichtung. w«*Iobe keine 
Ausnahme zulässt, gar nicht erfüllen können. Ist ihnen trotzdem 
die Approbation ertboiit worden, so ist sie ohne Beachtung der ge¬ 
setzlichen Vorschriften, also gegen das Gesetz erthellt worden. 
Referent, beantragt, an den Reichstag eine Petition zu 
richten, dahingehend, f e s t z u s t e 11 e n . ob nicht die Er- 
t h e i 1 u n g der Approbation an di«* b e i «1 «* n w eih- 
liehen Kandidaten ungesetzlich ist und oh nicht 
die Approbationen zurückzu nehmen sei«* n. Ferner 
beantragt Referent, die Kammer möge bes«*hliesscn, den Minister 
zu ersuchen, zu veranlassen, dass Personen mit «ler 
schweizerischen Maturität auch nicht aus¬ 
nahmsweise zum Studium d «* r M e «1 i «• i n a n «I <* ät¬ 
schen Universitäten zugelasseu werden und 
dass n i c ht -1 m m a t r i k u 1 a t j o n s f ii h i k e Personen 
vom Besuche der Kliniken a u s z tt s «• h 1 i e s s e n 
sind. 

In der Discussion wird gegenüber der Aufrollung der Frauen¬ 
frage betont, es bandle sich um die Wahrung des Rechts, um das 
Prinzip der Gesetzlichkeit und der Gleichberechtigung der Ge- 


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1160 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 28. 


schlechter vor dem Gesetz. Diesen Standpunkt vertritt auch der 
Referent im Schlusswort. 

Herr Kossmann stellt folgende Anträge: 

Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den 
Stadtkreis Berlin ersucht die übrigen preussischen Aerztc- 
kammern. mit ihr gemeinsam dem Herrn Kultusminister ihre 
Ansicht auszuspreclien, dass die Anerkennung eines in der 
Schweiz erworbenen Maturitätszeugnisses behufs Zulassung 
zu den modieinlschen Prüfungen auch nicht ausnahmsweise 
zulässig ist. solange dasselbe nicht hinsichtlich der bei der 
Prüfung gestellten Anforderungen mit dem eines deutschen 
humanistischen Gymnasiums oder Realgymnasiums gleich¬ 
wertig ist und die Schweiz die Maturitätszeugnisse deutscher 
Gymnasien als gleichwertig mit den ihrigen nicht anerkennt: 
ferner dass die Zulassung nicht immatrikulirter bezw. nicht 
immatilkulationsfähiger Personen zu den raedicinischen Stu¬ 
dien den Unterricht stört und das Kurpfuscherwesen fördert. 

Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den 
Stadtkreis Berlin richtet an den hohen Reichstag die Bitte, 
festzustelh n. ob in einer Anzahl von Fällen die ärztliche Appro¬ 
bation seitens deutscher Regierungen im Widerspruch mit der 
reelitsgiltigen Prüfungsordnung, insbesondere unter Nicht¬ 
beachtung der Bestimmungen des § 4, alinea 1, Ziffer 1 und 8 
der Verordnung vom 2. Juni 1883 erfolgt ist. eventuell zu ver¬ 
anlassen. dass die betreffenden Approbationen auf Grund des 
§ 53, alinea 2 der Reichsgewerbeordnung zurückgenommen 
werden. 

Die Anträge werden gegen 8 von 9 Stimmen angenommen. 
7. Antrag des Herrn Privatdocenten Dr. Wcyl, betreffend 
die Feuerbestattung von Pest- und Choleraleichen. 

Wird vertagt. P. H. 

Nachtrag zum Bericht über die Sitzung vom 1». Juni: § G der 
Satzungen der Unterstützungskassen hat folgenden Zusatz erhalten: 

Bis zur Ausführung dieses Planes können den zu unserem 
Kammerbezirk gehörenden Aerzten, welche sich bei einer Ver¬ 
sicherungskasse versichern, Prämien theilweise oder ganz 
gewährt werden. 


Aerztlicher Bezirksverein Nürnberg. 

In der Sitzung vom 21. Juni führte an Stelle des erkrankten 
Herrn Ilofrath Beckh Herr Ilofratli Emmerieh deu Vorsitz. 
Mit grosser Freude wurde die Mittheilung des Vorsitzenden nuf- 
gcnommen, dass das Befinden des Herrn Hofruth Beckh durchaus 
zufriedenstellend sei und zu keinerlei Besorgnis« Anlass geben 
könne. 

Durch Erheben ehrte der Verein das Andenken an deu ver¬ 
storbenen Kollegen Herrn P ä e li t n e r sen. 

Den Hauptpunkt der Tagesordnung bildeten die Vorlagen zum 
Hildesheimer Aerztetage. Bezüglich des Leipziger Verbandes gab 
Herr Frankenburger ein eingehendes Referat und beantragte, 
dass die Delegirten des Nürnberger ärztlichen Bezirksvereins im 
Sinne von „Hauptzweck“ statt „alleiniger Zweck“ eintreten sollen. 

Herr Neuberger unterstützte diesen Antrag und bat um 
einstimmige Annahme. Der Antrag Frankenbur g.e r wurde 
einstimmig angenommen. 

Als Ersatzmann für Herrn Medicinalrath Merkel zum 
Aerztetage wird Herr Oberarzt Schuh aufgestellt. 

Sehr lebhafte Discussion veranlasst** das Kapitel: „Kranken¬ 
kassen“. Das Ansuchen der Ortskrankenkasse der polygraphischen 
Gewerbe und der Fabrikkrankenkasse der Elektrieitiitsgesellschaft 
vormals Schlickert & Co. auch bei ihren Kassen, wie bei der 
Geir.etndekrankcukasse. eine einjährige Carenzzeit für neu sich 
niederlassende Kollegen einzuführen, wurde mit grosser Majorität 
abgelehnt, ferner wurde die Vorstandschaft ersucht, der Gemeind«*- 
krankenknsse mitzutheilen. dass auch noch unter die Carenzzeit 
fallende Kollegen andere anstandslos zu vertreten berechtigt sind. 

N. 


Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

Der Streit zwischen Apothekern and Krankenkassen and 
sein Einfluss auf die Aerzte. — Pockenfälle in Berlin. — Stel¬ 
lung des Docentenvereins zum ärztlichen Fortbildungswesen. 
— Institut für russische Consultationen. 

Bei dem noch immer fortbostehonden leidigen Streit 
zwischen Apotheketibesitzern und Krankenkassen zeigt es sich 
nunmehr, dass durch ihn di«* Aerzte mehr, als es irgend Jemand 
ursprünglich annalun, in Mitleidenschaft gezogen werden; für die 
Fehler, welche hüben und drüben gemacht worden sind, haben 
wir schliesslich die Kosten zu tragen. Nachdem die Kranken¬ 
kassen den Bezug der dem freien Verkehr überlassenen Mittel 
aus Drogucngesehiiften beschlossen hatten, wurde den Aerzten 
ein Verzeichnis« dieser Mittel nebst einer Anweisung zu spar¬ 
samer Arzneiverordnung zugestellt. Die Form, in welcher die 
Anweisungen gegeben werden, sowie auch der sonstige Inhalt des 
Heftchens, welches nicht nur wegen der Farbe sei nee Deckels all¬ 


gemein als „das schwarze Buch“ bezeichnet wird, haben zu 
mancherlei Ausstellungen berechtigten Anlass gegeben, auch ist 
das Verzeichniss der freigegebenen Mittel nicht fehlerfrei; zur 
Beseitigung der vorhandenen Fehler ist denn auch sehr bald ein 
Nachtrag erschienen. Erwächst nun schon den Aerzten die recht 
lästige Aufgabe, bei ihren Verordnungen jedesmal erst nacli- 
zu°ehen, ob das betreffende Mittel vom Droguisten oder vorn 
Apotheker bezogen werden soll, und danach das passende Recept- 
formular auszusuchen, wobei Irrthümer unvenneidlich sind, so 
hat ein Eingreifen des Polizeipräsidenten in diesen Punkt des 
Streites vollends verstimmt. In einer an den Vorstand des 
„Vereins der froigewählten Kassenärzte“ gerichteten Mittheilung 
weist der Polizeipräsident darauf hin, dass es vorgekommen sei, 
dass auf den für die Droguengeschäfte bestimmten Formularen 
Verordnungen verschrieben worden seien, welche nur in Apo- 
theken abgegeben werden dürfen. Es würde ein-* Bestrafung der 
Zuwiderhandelnden Personen erfolgen, und die Kassenärzte soll¬ 
ten es vermeiden, dass die Droguisten durch derartige Verord¬ 
nungen zu Ucbertretungen der gesetzlichen Vorschriften gerade¬ 
zu hernusgefordert werden, „umsomehr, als auchim Ver¬ 
schreiben derartiger Recepte unter Umstän¬ 
den eine strafrechtlich verfolgbare Anstif¬ 
tung zu derartigen Ucbertretungen erblickt 
w e r d e n k n n n“. Also zu all’ den Scherereien, die uns der 
Streit schon gebracht hat, soll jetzt noch die freundliche Aussicht 
auf eine strafrechtliche Verfolgung winken. Es wird zwar für 
mehr als zweifelhaft gehalten, ob die juristische Auffassung des 
Polizeipräsidenten in dem letzten Theil seiner Ausführungen 
die richtige ist. Aber schon die blosse Möglichkeit oder die blosse 
Androhung eines Konfliktes mit dem Strafgesetz, auch wenn er 
noch so geringfügiger Natur ist, hat nichts Verlockendes, und 
darum wäre auch aus diesem Grunde eine Beendigung des 
Streites schon dringend zu wünschen. Tn dankenswerthor Weise 
bat der Vorstand des „Vereins zur Einführung freier Arztwahl“ 
seine Vermittlung nngeboten. die auch von beiden Parteien an¬ 
genommen wurde. Aber der während der Einigungsverhand¬ 
lungen gebotene Waffenstillstand wurde* von den Apothekern 
nicht respektirt. und das von ihnen schon vorher angekündigte 
Kampfmittel der Creditentziehung für kassenärztliche Recepte 
angewandt; dieser sehr unzeitige Schachzug wurde von den 
Krankenkassen mit dem Abbru<’h der Verhandlungen beant¬ 
wortet. Der Vorstand des Vereins zur Einführung freier Arzt¬ 
wahl. dessen uneigennütziges Bestreben von beiden Parteien 
dankbar anerkannt wird, hat sieh bereit erklärt, trotz alledem 
in seinen Bemühungen, eine Einigung herbeizuführen, nicht 
nachzulassen. 

Schliesslich ist auch die lokale Fachpresse, welche die Stan- 
dcsangelegenheiten vertritt, von dem Streit ein wenig infizirt 
worden, ln jeder Nummer sind Aufsätze: aus mehr oder weniger 
berufener Feder zu finden, welche das Recht der einen oder 
anderen Partei zu erweisen sich bemühen. Da die Discussion 
sich um ein Thema dreht, das dem rein ärztlichen Interesse ver- 
hältnissmässig fern liegt, so konnte es nicht ausbleiben, dass in 
den Erörterungen mitunter die nöthige Sachkenntniss und die 
nöthige Objektivität vermisst wird; die Auslassungen der ein¬ 
zelnen Verfasser, welche in den Streit cinzugreifen für nöthig 
gefunden hatten, haben Erwiderungen und diese wiederum Ent¬ 
gegnungen hervorgerufen, und die ganze* kleine Pressfehde hat 
dadurch einen etwas unerquicklichen Beigeschmack erhalten. 
Und schliesslich muss man sich fragen: Cui bono? Was gellt 
<*s uns im Grunde an, ob den Krankenkassen von den Apothekern 
ein Recepturrabatt gewährt wird oder nicht? Bei dem ganzen 
Streit, der ja früher oder später docli einmal zum Austrag 
kommen muss, sind die Droguisten der tertim gaudens und die 
Aerzte der tertius patiens. 

Tn den letzten Wochen sind in Berlin eine kleine Anzahl 
echter Pocken zur Beobachtung gekommen, und ein Fall, der 
ein noch nicht geimpfte« Kind von 6 Monaten betraf, ist letal 
geendet. Es sind selbstverständlich alle Vorsichtsmaassregeln 
gegen eine Verbreitung der Krankheit getroffen, dazu gehört 
auch eine dringliche Bekanntmachung des Polizeipräsidenten, 
nach welcher vorläufig die Anzeigepflicht der zur Meldung an¬ 
steckender Krankheiten verpflichteten Personen auch auf die 
Windpocken ausgedehnt wird, weil diese zur Zeit den Verdacht 
der echten Pocken erwecken können. Gleichzeitig wird auf den 


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9. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1161 


von Jahr zu Jahr abnehmenden Schutz der durch eine erfolg¬ 
reiche Impfung erworbenen Immunität hingewiesen und den in 
verseuchten Häusern oder in deren Nachbarschaft wohnenden 
Personen der dringende Rath gegeben, einem von Seiten der dazu 
beauftragten Kreisärzte an sie herantretenden Ersuchen, sieh 
von Neuem impfen zu lassen, Folge zu geben. Obwohl die kleine 
Epidemie noch nicht ganz erloschen ist, vielmehr in den letzten 
Tagen zwei neue Fälle bekannt geworden sind, ist von irgend 
welcher Beunruhigung der Bevölkerung nichts zu merken; dazu 
sind die Pocken für die jetzige Generation ein zu unbekannter 
(.iast, und dazu ist auch das Vertrauen auf die Wirkung der 
prophylaktischen Maassregeln ein zu grosses. 

Nachdem nunmehr das ärztliche Fortbildungswesen eine ein¬ 
heitliche Organisation erfahren hat, welche auf allen Seiten den 
wärmsten Sympathien begegnet, hat auch der hiesige Docenten- 
verein für Ferienkurse seinen ursprünglichen Widerstand gegen 
die neue Einrichtung formell aufgegeben. Wie noch erinnerlich 
sein wird, hatte, als die ersten Fortbildungskurse angekündigt 
wurden, der Doeentenverein seine Mitglieder auf einen Para¬ 
graphen der Statuten ganz besonders aufmerksam gemacht, nach 
welchem ihnen die korporative Betheiligung an der Abhaltung 
anderweitiger Kurse untersagt wird. In einer ausserordentlichen 
Generalversammlung wurde nun beschlossen, diesen Paragraphen 
uufzuheben und damit hat auch der Doeentenverein die Berech¬ 
tigung seiner Mitglieder, sich dem neu orgauisirten Centrnl- 
Comite für das ärztliche Fortbildungswesen anzuschliessen, an¬ 
erkannt. 

Die medicinischen Einrichtungen Berlins sind um eine neue 
bereichert worden, welche den Namen „Institut für russische 
Konsultationen“ führt. Diese etwas eigenthümliche Neu- 
gründung, welche unter Leitung eines Arztes steht, hat den 
Zweck, den zahlreichen Russen, welche alljährlich nach Berlin 
kommen, um die hiesigen Aerzte zu konsultiren und vielfach 
der deutschen Sprache nicht mächtig sind, als Führer 
zu dienen. Dass die Deutschland besuchenden Russen 
sich nicht in deutscher oder mindestens in fran¬ 
zösischer Sprache verständigen könnten, wäre eine bisher 
völlig unbekannte und sehr auffallende Thatsache. Den 
Namen der berühmten deutschen Aerzte erfahren sie sehr gut 
von ihren Hausärzten in der Heimath und den Weg zu ihnen in 
Berlin zeigt ihnen mit unfehlbarer Sicherheit der Hotelportier 
und der Droschkenkutscher. Das bei jeder Neugründung be¬ 
kanntlich stets vorhandene dringende Bedürfnis, das weder auf 
Seiten der konsultirten Aerzte noch auf Seiten der konsultirendeu 
Russen liegt, scheint somit vorzugsweise von dem Begründer em¬ 
pfunden zu sein. 

Berlin, den 27. Juni 1901. K- 


Verschiedenes. 

Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher. 
Der heutigen Nummer liegt das 114. Blatt der Galerie bei: Wil¬ 
helm H i s. Zn seinem 70. Geburtstage. Text siehe S. 1138. 

Therapeutische Notizen. 

Ueber die Tinctura Ferrl Athenstaedt (Ferr. oxyd. 
•«arvharat. solub. verum) bringt Kraus ln No. 16, 1901 der Allg. 
Wien. med. Ztg. einen kurzen Artikel, dem wir entnehmen, dass ln 
diesem Präparat das Elsen als alkalifreles Eisenoxyd-Saccharat, 
also in leicht verdaulicher, organisch-indifferenter, wasserlöslicher 
Bindung enthalten Ist Der Eisengehalt beträgt 0,2 Proc. metalli¬ 
sches Elsen oder ca. 0,4 Proc. Eisenhydroxyd. Die Ueberlegen- 
helt der Tlnct ferr. Athenstaedt vor ähnlichen Präparaten liegt in 
ihrer Alkalifreiheit Das Präparat wird gerne genommen und gut 
vertragen, wirkt sicher und Ist frei von üblen Nebenwirkungen. 

S. 

Ueber die Beeinflussung der blutbildenden 
Funktion des Knochenmarks durch therapeu- 
tUcheMaassnabmen sprach auf dem jüngsten Balneologen- 
Kongress Dr. Franz Müller- Berlin. Auf Grund seiner Unter¬ 
suchungen bestätigt er, dass das anorganische Eisen auf die Blut- 
blldung thatsäehlich einen günstigen Einfluss ausübt. Auch der 
Aderlass Ist ein prompt wirkendes Mittel, um die blutbildende 
Funktion des Markes anzuregen; wenn er in der Therapie eine 
gesteigerte Verwendung nicht finden konnte, so ist zu erwägen, 
dass er zuerst stets einen Verlust an den ohnedies oft schon spär¬ 
lich vorhandenen rothen Blutkörperchen setzt, somit in dem be¬ 
treffenden Falle die Frage offen bleibt, ob sein formativer Reiz 
den Verlust ln der That Uberkompensirt. Dagegen scheint es 
zweckmässig zu sein, durch Erzeugung vorübergehenden Sauer¬ 
stoffmangels in passender Dosirung ohne Blutentziehung die blut¬ 


bildende Thätlgkeit des Markes zu wecken. Es käme da In Be¬ 
tracht: die Einathmung von stlekstoffreieheu Gasgemischen und 
der Aufenthalt im Gebirge oder im pneumatischen Kabinet bei 
Luftverdünnung. (Deutsch. Med.-Ztg. 1901, No. 30.) P. H. 

Alkoholumschläge hat Dr. B u r w i n k e 1 - Bad Nau¬ 
heim in zwei Fällen von rechtsseitigem Pleuraexsudat, In 5 Fällen 
von subakutem und chronischem Gelenkrheumatismus, sowie in 
2 Fällen von Podagra mit vorzüglichem Resultat angewandt. Aller¬ 
dings wurden gleichzeitig Bäder, Diät und andere Heilfaktoren 
in Anwendung gezogen. Immerhin dürfte ein guter Tlieil des 
schnellen Erfolgs mit Sicherheit auf die Alkoholumschläge gesetzt 
werden. Wenig Nutzen brachten die Alkoholumschläge in einem 
Falle von Kreuzschmerzen bei einem Tabiker, ferner in einem 
Falle von Lähmung des rechten Armes nach einer Ilirnembolie 
und in einem Falle von veralteter Mastdarmfistel. (Allgem. med. 
Central-Ztg. 1901, No. 44.) P. H. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

Miinclieu, 9. Juli 1901. 

— Die E h r e u g e r 1 c h t s b e s t i m in u n g e u für die 
Sanitätsoffiziere, wie sie vor Kurzem für die preussische 
Armee und die ihr ungegliederten deutschen Kontingente ge¬ 
nehmigt wurden, sollen, der Allg. Ztg. zu Folge, in Bälde auch im 
bayerischen Heere zur Einführung gelangen. 

— Das k. Württemberg. Ministerium des Innern hat unterm 
21. Mal 1. J. eiilö" Verfügung über die W o h n u ngsa u f sicht 
erlassen (Württ. Korr.-Bl. No. 25). Hiernach wird eine ortäpolb- 
zeiliche Wohnungsaufsicht in den Städten und sonstigen Gemeinden 
von über 3000 Einwohnern eingeführt. Kleineren Gemeinden bleibt 
die Einführung durch ortspolizeiliche Vorschrift überlassen. Zu 
beaufsichtigen sind alle aus 3 oder weniger Wohnräumeu be¬ 
stehenden Wohnungen, alle Wohnungen, iu welche Schlaf¬ 
gänger gegen Entgelt aufgenommeu werden, alle zur ge¬ 
werbsmässigen Beherbergung von Fremden bestimmten Räume 
und alle Schlafgelasse der Im Hause des Arbeitgebers oder 
der Dienstherrschaft wohnenden Arbeiter, Lehrlinge und Dienst¬ 
boten. Die der Aufsicht unterliegenden Wohnungen sind 
mindestens alle 2 Jahre zu besichtigen, doch kann davon 
auf unbestimmte Zeit Abstand genommen werden, wenn die 
Polizei die Ueberzetiguug von dem fortdauernden ordnungs¬ 
gemässen Zustand und der ordnungsgemässen Benutzung der Woh¬ 
nungen gewonnen hat. Die Bestellung der mit der Vornahme der 
Wohnungsbesichtigungen zu beauftragenden Personen ist Sache 
der Gemeindeverwaltung; zu diesem Amte können auch Bedien¬ 
stete, welche einer technischen Ausbildung entbehren, wie Schutz¬ 
leute und Polizeidiener, verwendet werden. Die Verfügung stellt 
sodann gewisse Anforderungen fest, denen die Wohnungen ge¬ 
nügen „sollen" — der häutige Gebrauch dieses Zeitworts lässt 
darauf schliessen, dass die strikte Durchführung dieser Vorschriften 
nicht beabsichtigt wird — z. B. sollen iu Schlafgelassen auf jeden 
Erwachsenen mindestens 10 cbm, auf jedes Kind unter 14 Jahren 
mindestens 5 cbm Raum entfallen; jeder Wohn- oder Schlafrauin. 
jeder Abort und in der Regel auch jede Küche soll mindestens ein 
iu's Freie führendes Fenster haben etc. Die ärztliche Mitwirkung 
wird bei der Wohnungsaufsicht iu Württemberg nur iu sehr be¬ 
scheidenem Maasse in Anspruch genommen. Soll z. B. auf Grund 
einer von technisch nicht vorgebildeteu Bediensteten erhobenen 
Beanstandung eine polizeiliche Auflage von einschneidender Wir¬ 
kung erlassen werden, so „empfiehlt“ es sich, zuvor das Gutachten 
eines zum Staatsdienst befähigten Arztes einzuholen. Im Ucbrigeii 
werden die Oberamtsphysikate angewiesen, auf die Handhabung 
der Wohnungsaufsicht in den Gemeinden, insbesondere bei Vor¬ 
nahme von Visitationen, ihr besonderes Augenmerk zu richten. 

— Die sck jiinrztli chen .XJnte^ytTchungen der Dresdener 
Elementarschüler haKeiTefgeben, dass die Hälfte der Kinder anormal 
ist. Die ausgefüllten Fragebogen haben ein geradezu erschrecken¬ 
des Krankheilsbild ergeben. Dieser sehr ungünstige Gesundheils¬ 
zustand der Schüler hat die Dresdener Lehrerschaft veranlasst. 
Folgendes beim Magistrat zu beantragen: 1. Die schulärztlichen 
Untersuchungen des körperlichen Zustandes sollen allgemein, all¬ 
jährlich und nach völlig einheitlichen Gesichtspunkten vor¬ 
genommen werden, damit eine zuverlässige Statistik zum Besten 
der Schulgesundheitspflege aufgestellt werden kann. 2. Die mit 
chronischen Krankheiten behafteten Kinder sind während des 
Sommers so lange als nöthlg zum Gebrauche einer Kur zu be¬ 
urlauben. 3. Zur Ergänzung der dadurch bedingten Versäumnisse 
sind in allen grösseren Sehulgruppeu Nachhilfeklassen ein¬ 
zurichten. 4. Einrichtung von Schulbädern. (Voss. Ztg.) 

— Der ln Kol n zwischen der Mehrzahl der Krankenkassen 
und dem Apothekerverein seit rund 15 Monaten währende Rabatt¬ 
krieg ist nunmehr beendet. Er hat zu einem Siege der im Kranken¬ 
kassen verbände vereinigten Krankenkassen geführt. Die Kranken¬ 
kassen erhalten 15 Proc. Rabatt; die Handverkaufsartikel können 
von den Mitgliedern der Kasse nach Belieben aus den Apotheken 
oder aus Droguerien bezogen werden. Alljährlich wird die Hand¬ 
verkaufsliste einer Revision unterzogen unter Betheiligung von je 
3 Vertretern der Apotheker und der Krankenkassen. Der Vertrag, 
den jede einzelne Kasse für sich mit dem Apothekervereiu abzu- 
scbliessen hat, läuft bis Ende 1903 und dauert, sofern er nicht ge¬ 
kündet wird, ein Jahr weiter. Die hier aufgeführten Vortheile 
kommen auch den nicht am Streike bethelligt gewesenen Kranken¬ 
kassen zu Gute. 


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1102 MUENCTIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 28. 


— In dem Frocess des Dr. A 1 e x a n d e r - Berlin und der 
brandenburgJsch-berlinischen Aerzteknunner gegen die beiden Vor¬ 
sitzenden des deutschen Bundes der Vereine für naturgennisse 
Lebens- und Heilweise It. Gerling und G. Wagner weg. n 
Beleidigung, begangen durch die Herausgabe einer gegen die 
A 1 e x n n d e r’sche Schrift „Wahre und falsche Heilkunde“ ge¬ 
richteten Broschüre, wurden die Beklagten zu 50 M. Geldstrafe ver- 
urtheilt und auf Publikation des Urtheils in zwei Zeitungen, sowie 
auf Vernichtung der Broschüren erkannt. Das Urtlieil erkannte 
den beleidigenden Inhalt der Broschüre an, billigte den Angeklagten 
jedoch zu, dass sie in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt 
hätten. Benierkenswerth ist folgender Passus im Plaidoyer des 
Staatsanwalts Reiche: Die Schrift des Dr. A 1 e x a n d e r habe 
die Angeklagten unleugbar beleidigt. Den Angeklagten stehe nach 
der GeAverbeordnung das Recht zu, die Naturheilmethodo zu be¬ 
treiben, und Dr. Alexander habe daher über das Ziel hinaus¬ 
geschossen, als er die Angeklagten desswegen angrlff. Die Au¬ 
geklagten hätten daher auch das Recht gehabt, sich zu wehren, 
und in dieser Abwehr stehe ihnen in jeder Beziehung der Schutz 
des § 193 zur Seite. 

— In Dresden hat sich ein Verein für Aerzte- 
kurse gebildet, dem folgende Herren angehören: Dr. Hermanu 
Becker, Geh. Med.-Rath Dr. Buschbeck, Hofrath Dr. 
Cred6, Dr. Galewsky, Hofrath Dr. Ganser, Geh. Rath 
Präsident Dr. Günther, Professor Dr. His, Geh. Med.-Ratli 
Prof. Dr. Leopold, Med.-Ratli Dr. Lindner, Dr. M a n u, 
Hofrath Dr. Osterloh, Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Renk, Dr. 
Fritz Schanz, Privatdocent Dr. Schlossmann, Med.-Ratli 
Dr. Sch mal tz, Med.-Ratli Dr. Sehmorl, Hofrath Dr. Un¬ 
ruh, Geh. Med.-Itath Dr. W eher, Dr. Werther, Dr. W i e b o, 
PriA'atdocent Dr. Wolf. — Der Verein hat sich die Aufgabe ge¬ 
stellt, in öffentlichen und privaten Krankenanstalten und anderen 
wissenschaftlichen Instituten Dresdens 2 mal imJabrc Fortbildungs¬ 
kurse für praktische Aerzte abzuhaiteu, und zwar wird der erste 
Curaus, wie aus einer entsprechenden Ankündigung im Anzeigetlieil 
dieses Blattes ersichtlich ist, in der Zeit vom 7. bis 2ti. Oktober 1901 
statt finden. 

— Feber die im Laufe des Sommers beabsichtigten „Biider- 
Studieureisen" wird uns des Weiteren geschrieben: Aerztliche 
Biider-Studienreisen werden seit einigen Jahren unter der Leitung 
der Herren Prof. Dr. Landouzy und Dr. Carron de la Carrier»* 
in Frankreich mit ausgezeichnetem Erfolge gemacht. Es ist von 
zwei Seiten gleichzeitig der Gedanke angeregt worden, ähnliche 
Studienreisen auch iu Deutschland einzuführen. Der eine Plan 
geht aus von Herrn Professor Dr. A. B a g i n s k y. welcher die 
Firma Carl Stangen’s Reisebureau mit der geschäftlichen Aus¬ 
führung einer solchen Reise betraut hat. während er selbst die 
wissenschaftliche Führung übernehmen wollte, der andere Plan, 
von einem unter der Führung der Herren Geheimriithe Professor 
Dr v. Leyden und Professor Dr. Liebreich stehenden 
wissenschaftlichen Coniitö. welches eine Vereinbarung mit der 
Dampfergesellsehaft der Nordseelinie getroffen hat. Die von 
Herrn Professor Dr. A. B a g 1 n s k y und Carl Stange u's Itels.*- 
bureau veranstaltete Reise soll sich auf die in Mitteldeutschland 
befindlichen Soolbiider und Soolbad-Kinderheilanstalten erstrecken, 
während die von dem Comitfi in Aussicht genommene Reise im 
Anschluss an die Naturforscherversammlung die Nordseebäder zum 
Ziele hat. Die Reise nach den Soolbädern soll Anfang August, 
diejenige nach den Nordseebädern Ende September stattfinden. 
Die beiden Reisen werden daher ergänzend wirken und den deut¬ 
schen Aerzteu reichlich Gelegenheit bieten, diejenige Tour auszu 
wählen, welche dem Einzelnen besonders geeignet erscheint, seine 
Erfahrungen und Kenntnisse zu bereichern. Finden so in diesem 
Jahre zwei von einander völlig unabhängige Reisen statt, so ist 
nach den schon jetzt eiugeleiteten Vorbereitungen die Aussicht 
vorhanden, dass für die Folge eine Vereinbarung getroffen Averdeu 
wird, derartige Bäder-Studienreisen unter einheitlicher wissen¬ 
schaftlicher Leitung als eine dauernde Einrichtung zur Fortbildung 
der ärztlichen Kreise Deutschlands weiterzuführen. Ein Ziel, 
welches sicherlich in den betheiligten Kreisen auf's Wärmste 
herbeigewünscht werden dürfte. 

—- Am 27. v. Mts. fand die feierliche Eröffnung des Sana¬ 
toriums Luitpoldheim bei Lohr i. Spessart statt, einer 
Heilstätte für unbemittelte Lungenkranke, die von einem unter 
Vorsitz des Herrn Geheimrath v. Leube stehenden Verein ge¬ 
gründet wurde. Schon vor 7 Jahren, als es in Deutschland erst 
2 ganz kleine derartige Anstalten gab, war der Verein in's Leben 
getreten; doch hat es wegen ungünstiger äusserer Verhältnisse so 
lange gedauert, bis die heute stellende Musteranstalt ihrem Zweck 
übergeben werden konnte. 

- Pest Aegypten. In Zagazig sind vom 6. bis 13. Juni 
21 Erkrankungen und 11 Todesfälle an der Pest vorgekommen, 
dai unter 5 Erkrankungen und f> Todesfälle am 13. Juni. Am 
23. Juni wurde auch in Port Said ein Pestfall festgestellt; derselbe 
war aus Zagazig eingeschleppt. — Britisch-Ostindien. Provinz 
Burma. Im Hafen von Rangun war an Bord eines am 20. Mai von 
Kalkutta angekommeneu Dampfers ein Pestfall vorgekommen: 
ein anderer fieberkranker Passagier desselben Schiffes war kurz 
nach seiner Ueberführung in die zur Beobachtung verdächtiger 
Kranker hergerichtete Station gestorben. — Hongkong. Während 
der drei Wochen vom 27. April bis 18. Mai sind iu der Kolonie 
nacheinander 93—128—122 neue Erkrankungen an der Pest amt¬ 
lich bekannt geAvorden und 92—117—113 Pesttodesfälle beobachtet, 
es kamen also auf 343 gemeldete Krankheitsfälle 322 Todesfälle 
an der Pest. Auf die Stadt Viktoria entfielen von den 343 Erkran¬ 
kungen 270; von Europäern sollen bis zum 23. Mai 9 erkr ank t, und 


4 der Seuche erlegen sein, — Paraguay. Zu Folge einer Mitthei¬ 
lung vom 23. Juni war in Asuncion ein Fall von Pest festgestellt. 
— West-Australien. Während der am 18. Mai abgelaufenen Woche 
ist in der Kolonie noch 1 Pestfall vorgekommen, so dass am 
18. Mai, da kein Pestkranker starb oder als geheilt in Abgang kam, 
noch <5 Pestkranke in Behandlung waren, je 1 in Freemantle und 
Claremont, 4 in Perth. — Kapland. In der am 29. Juni endendeu 
Woche sind 14 Neuerkrankungen und 13 Todesfälle vorgekommen. 
Die Gesammtzahl seit Beginn der Epidemie beträgt 749 Erkran¬ 
kungen und 307 Todesfälle. 

— In der 25. Jahreswoche, vom 10.—22. Juni 1901, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Hagen mit 38,2, die geringste Bamberg mit 6,2 Todesfällen 
pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Ge¬ 
storbenen starb an Masern in Hagen, Kassel, Metz; an Diphtherie 
und Croup in Borbeck. . \ 

(Hochschulnach r ichten.) 

Breslau. Dem 2. Assistenzarzt an der hiesigen Universi¬ 
täts-Frauenklinik und -Poliklinik, Dr. med. Roland S t i c h e r, ist 
die Venia legendi für Gynäkologie und Geburtshilfe ertheilt 
worden. 

Erlangen. Durch eine Zuschrift des Dekans der med. 
Fakultät Erlangen, Prof. Fleischer, wird uns die in No. 27 
gebrachte Nachricht, betreffend die Vorschläge für die Chirurg. 
Professur ln Erlangen, als nicht zutreffend bezeichnet. (Die Nach¬ 
richt war uns von zwei verschiedenen Seiten gleichlautend zu¬ 
gegangen.) 

Heidelberg. Der Professor der Ohrenheilkunde Dr. Passow 
erhielt, vom Grossherzog von Baden den Orden vom Zähringer 
Löwen I. Kl. mit Eichenlaub. 

Jena. In der medicinischen Fakultät der hiesigen Uni¬ 
versität hat sich Dr Jul. A. Grober aus Bremen, Assistenzarzt 
an der medicinischen Klinik, habilitirt. 

München, ln der medicinischen Fakultät habilitirte sich 
der Assistent am pharmakologischen Institut Dr. med. Albert 
Jodlbauer mit einer Probevorlesung über den gegenwärtigen 
Stand der Eisenfrage. 

Rostock. Die Gesammtfrequenz an der hiesigen Univer¬ 
sität beträgt in diesem Semester 565. Darunter sind 127 Mediclner. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse iu MUnchberg. Be¬ 
werber um dieselbe haben ihre vorscliriftsmässig belegten Gesuche 
bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung. K. d. I.. bis zum 18. Juli 
1. Js. einzureichen. 

Befördert: Zum Assistenzarzt der Unterarzt Franz B ö c k 
im 4. Inf.-Reg. 

In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt I. KI. 
Dr. Wilhelm Weiler in Kellielm, seiner Bitte entsprechend, wegeu 
nachgewiesener physischer Gebrechlichkeit unter Anerkennung 
seiner langjährigen, treuen und eifrigen Dienstleistung. 


Morbiditätsstatistik d. InfectionskrankheitenfUr München 

in der 24 Jahreswoche vom 9. bis 15. Juni 1901. 

Betheiligte Aerzte 185. — Brechdurchfall 25, Diphtherie, Croup 
15, Erysipelas 8, Intermittens, Neuralgia interm. —, Kindbettfieber 
—, Meningitis cerebrospin. —, Morbilli 64, Ophthalmo-Blennorhoea 
neonat. 5, Parolitis epidem 1, Pneumonia crouposa 11, Pyaemie, 
Septikaemie —, Rheumatismus art. ac. 21, Ruhr (dysenteria) —, 
Scarlatina 20, Tussis convulsiva 9, Typhus abdominalis 2, Varicellen 
13, Variola, Variolois —, Summa 193. 

in der 26. Jahreswoche vom. 16. bis 22. Juni 1901. 

Betheiligte Aerzte 195. — Brechdurchfall 18, Diphtherie, 

Croup 8, Erysipelas 8, Intermittens, Neuralgia interm. 3. Kindbett¬ 
fieber -, Meningitis cerebrospin. 2, Morbilli 50, Ophthalmo- 
Blennorrhoea neonat. 6, Parotitis epidem. 2, Pneumonia crouposa 4, 
Pyaemie, Septikaemie —, Rheumatismus art. ac. 19, Ruhr 
uiysenteria) —, Scarlatina 18, Tussis convulsiva 20, Typhus 
abdominalis 2, Varicellen 11, Variola, Variolois —, Influenza —. 
Summa 171. Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 26. Jahreswoche vom 23. bis 29. Juni 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 4 (4*), Scharlach 1 (1), Diphtherie 
und Croup — (—), Rothlauf — (1), Kindbettfieber 1 (—), Blut¬ 
vergiftung Pyaemie — ,—X Brechdurahfall 3 (7), Unterleibtyphus 
1 (1), Keuchhusten 2 '2 1 , Cronpöse Lungenentzündung 1 (3), 
Tuberkulose a) der Lungen 30 >45\ bi der übrigen Organe 13 (9), 
Akuter Gelenkrheumatismus 1 il), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 4 3\ Unglücksfälle 5 (—\ Selbstmord 1 (1), Tod durch 
fremde Hand — i l). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 208 >,226), Verhältnisszahl anf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 21,6 (23,6), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,7 (14,9). 

*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. F. L| e h m ann In MtiirttD - Duck von H. k'übltbaler't Buch- und Kunatdruckerei A.G., München. 

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Öle ilünrh. Mc4. Wochenschr. erscheint wAchcntl. 
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mann, Ileustrasse 20. — Für Inserate nnd Beilagen 
an Rudolf Mosse, Promcua-leplulz 16. 


MED ICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Cb. Blonler, 

Freiburg 1. B. 


Herausgegeben von 

0. Bolilnger, H. Curschnann, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, H. v. Ranke, F. v. Wlnckel, H. v. Zlemssen, 

München. Leipzig. Berlin. Nürnberg Berlin. München. München. München. 


No. 29. 16. Juli 1901. 


Redaction: Dr. B. Spats, Ottostraue 1. 
Verlag: J. P. Lehmann. Henatmsse 20. 


48. Jahrgang. 


Origin alien. 

Aus dem hygienischen Institut der Universität München. 

Ueber ein krystailinisches Immunisirungsproduct. 

I. Mittheilnng. 

Von H. Büchner und L. Geret. 

Durch Bordet wurde zuerst die Aufmerksamkeit auf 
itnmunisirende Vorbehandlungen mit gelösten Eiweisssub- 
stanzen gelenkt, bei denen das Blutserum des vorbehandelten 
Thieres die specifische Befähigung erlangt, mit dem gleichen ge¬ 
lösten Eiweissstoff, der zur Vorbehandlung gedient hatte, ein 
Präeipitat zu liefern. Der leider bald nachher verstorbene 
Myers hatte in Fortsetzung dieser Forschungen unter anderen 
Ei weissstoffen auch das Pepton zu solchen Vorlielmndlungen ge¬ 
eignet befunden und u. a. angegeben, dass das Präeipitat in 
diesem Falle die Biuretreaktion nicht mehr gebe ‘). Hiedurch 
angeregt, wollte der Eine von uns (G.) den Versuch von Myers 
wiederholen und naehprüfen, wobei jedocli — anstatt des von 
Letzterem verwendeten unreinen käuflichen Witt e’sehen Pep¬ 
tons — ein nach Kühno’s Vorschrift in unserem Laboratorium 
hergestelltes reinstes Pepton zur Anwendung kam. Die 
Vorbehandlung von Kaninchen gelang nach einigen durch die 
Giftigkeit des Präparates fehlgeschlagenen Versuchen, und das 
erzielte Immunserum gab in der herkömmlichen Weise ein Prä¬ 
eipitat mit dem angewendeten Pepton, das jedoch unerwarteter 
Weise aus krystallinischen Gebilden, aus Globuliten 
bestehend sicli erwies. Die mehrfache Wiederholung dieses Ver¬ 
suchs ergab immer das gleiche Resultat; die Art der Gewinnung 
der Globuliten ist, nach den unten folgenden Angaben, eine ein¬ 
fache und sichere, und sollen daher die Eigenschaften dieses 
krystallinischen Immunisirungsproduetes, soweit uns dieselben 
vorläufig bekannt sind, in dieser Mitthoilung kurz beschrieben 
werden. 

Bezüglich der Giftigkeit unseres reinen Peptons sei bemerkt, 
dass intraperitoneale Injektion von 0,5 g des Präparats in lOproc. 
Lösung bei einem Kaninchen von 2500 g (= 0,2 Prom. des 
Körpergewichts) binnen 12 Stunden den Tod unter Krämpfen 
und mit starken Kontrakturen der Extremitäten herbeiführte. 
Ein zweites Thier wurde bei langsamer Injektion von 0,9 g Pept. 
puriss. in Einzeldosen im Verlauf von 6 Tagen sehr krank, die 
hinteren Extremitäten waren in starker Beugestellung voll¬ 
kommen steif. Am 8. Tag entzogenes Blut ergab ein grünlich 
gefärbtes Serum, das bei vorsichtigem Ueberschichten mit reiner 
Peptonlösung einen schwachen Globulitenniederschlag und zwar 
— wie dies immer der Fall ist — als 2—5 mm breiten, ring¬ 
förmigen Absatz an der Innenwand des Röhrchens, an der Be¬ 
rührungsstelle der beiden Flüssigkeiten lieferte. Das Thier lebte 
noch 20 Tage nach Beginn der Vorbehandlung, mit Kontrakturen, 
»ehr abgemagert. Sein Serum gab jetzt bei Mischung mit 2 proc. 
Peptonlösung (gelöst in physiologischer Na Cl-Lösung) eine 
staubige Trübung, welche nach 12 Stunden an der Glaswand 
als Globulitenniederschlag anhaftete. Bei Ueberschichten mit 
Peptonlösung binnen 12 Stunden Bildung des Globulitenringes. 

Hinzugefügt sei zur Kontrole, dass normales Kaninchenserum 


*) CentralbL f. Bacteriologie. Bd. 28. 1900. 
Wo. 29. 


bei Ueberschichten mit der gleichen Peptonlösung binnen 8 Tagen 
klar, unverändert und frei von Globuliten bleibt. 

Zwei weitere Kaninchen erhielten in 16 Einzelinjektionen 
durch 4 Wochen je 1,9 g Pept. puriss., das sie gut vertrugen. 
Die Sera der Thiere waren nicht grünlich, sondern normal ge¬ 
färbt, gaben aber mit Pepton nur schwache Globulitenbildung. 
Gleichfalls schwache Reaktion gab das Serum eines weiteren 
Thieres, welches bei Gesammt injektion von 1,5 g Pept. puriss. 
in 12 Einzeldosen innerhalb 3 Wochen an Krämpfen erkrankt 
war. 

Soweit waren die Ermittelungen gediehen, als sich eine 
neue Thatsaeho herausstellte, die unseres Erachtens besonders 
Interesse verdient. Es zeigte sich, dass nicht nur das Serum von 
Thieren, die mit Pepton (aus Rinderfibrin gewonnen) vor¬ 
behandelt waren, das Globulitenpräcipitat mit Peptonlösung 
liefert, sondern auch Serum von Kaninchen, die 
mit Rinderblut vorbehandelt sind. Und zwar ge¬ 
nügen schon ganz kleine Mengen Rinderblut zu dieser Vorbehand¬ 
lung, und der Zeitraum braucht nicht länger zu sein als 24 Stun¬ 
den. Ein paar Versuche mögen dies illustriren: 

Ein Kaninchen von ca. 2000 g erhält 5 ccm Rinderblut 
+ 5 ccm physiologische Na Cl-Lösung subkutan. Nach 24 Stun¬ 
den Blut entzogen. Das Serum zeigt bei Uebcrschichtung mit 
Rinderfibrinpeptonlüsung deutlich einen scharf abgegrenzton 
Globulitenring an der Glaswand, während das gleiche Serum bei 
Ueberschichten mit Itinderserum noch keine Spur von Reaktion 
gibt. Letztere Reaktion, die man bisher allein kannte, tritt also 
beim vorbehandelten Thier erst später in die Erscheinung, und 
zwar beträchtlich später. Nach Ermittelungen von Dr. M. Wilde 
in unserem Institut gab das Serum eines Kaninchens noch keine 
Reaktion auf Rinderserum nach subkutaner Injektion von 15 ccm 
Rinderblut, zeigte erst schwache Füllungswirkunjf, als nochmals 
25 ccm Rinderblut injicirt waren. Aber auch jetzt bcsass daJ» 
Serum noch keine speeifisch-haemolytische Wirkung für Rinder¬ 
blut, die erst nach Injektion von weiteren 25 ccm Blut, zugleich 
mit einer deutlich fällenden Reaktion auf Rinderserum her¬ 
vortrat. 

Dem gegenüber genügen, um ein für Globulitenbildung mit 
Peptonlösung geeignetes Serum zu erhalten, die geringsten 
Mengen von injicirtem Rinderblut. Das Serum eines Kaninchens, 
dem 3 ccm Rinderblut subkutan injicirt wurden, gab schon nach 
24 Stunden sehr starke Globulitenbildung. sofort beim Ueber¬ 
schichten mit Peptonlösung. Schon nach 2 Minuten be¬ 
gann die Präcipitatbildung. Das Serum des gleichen Thieres, 
vor der Rinderblutinjcktion entzogen, zeigte keine Reaktion 
mit Pepton. Am meisten überraschte uns. dass sogar das Serum 
eines Kaninchens, dem nur ein mit Rinderserum (1 Theil auf 
4 Theilo phys. Na Cl-Lösung) impriignirtcr Wattebausch steril in 
die Bauchhöhle eingesehoben war, nach 24 Stunden mit Pepton¬ 
lösung die Globulitenreaktion aufwies. 

Zur weiteren Kontrole sei erwähnt, dass normales Rinder¬ 
serum, mit Rinderfibrinpeptonlösung überschichtet. 3 Tage völlig 
klar blieb. Am 4. Tag kam an der Berührungsstelle eine iiusserst 
feine Trübung, die aber nach 8 Tagen fast wieder verschwunden 
war. Kein Wandbelag, keine Globuliten. Ebenso ferner ergab 
das. Serum eines mit 5 ccm Mcersehweinchcnblut (4- 5 ccm phys. 
Na Cl-Lösung) injicirten Kaninchens keine Reaktion mit Rinder¬ 
fibrinpeptonlösung. 


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Gobgle 






1164 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Aus letzterer Thatsache ergibt sich die Specifität der Re¬ 
aktion, d. h. die Begrenzung innerhalb der stofflichen Produkte 
der gleichen Thierspecies; umgekehrt müssten demnach die Pep¬ 
tone aus verschiedenem Ausgangsmaterial wohl als speeifiseh 
verschieden in ihrem Bau erachtet, werden. 

Einige Eigenschaften der Globuliten. 

Man gewinnt die Globuliten am einfachsten und sichersten 
dadurch, dass man Serum eines Kaninchens, dem 24 Stunden . 
vor der Blutentziehung etwa 5 ccm Rinderblut (+ 5 ccm ph.vs. ; 
Na Cl-Lösung) subkutan injicirt wurden, mit einer 2 proc. 
Rinderfibrinpeptonlösung vorsichtig iiberschichtct. Bei ruhigem 
Stehen bildet sich nach kurzer Zeit, sicher binnen 12 Stunden, 
ein festhaftender Ringbelag an der Berührungsstelle. Man giesst 
Serum und Peptonlösung ab, spült das Röhrchen mit Aq. dest. 
wiederholt und kann nun mit einer Platinöse die Globuliten von 
der Glaswand abschaben und mikroskopisch untersuchen. 

Oder man kann die Globuliten direkt unter dein Mikroskop 
entstehen lassen. Auf ein Deckglas werden mit Platinöse 2 kleine 
Tröpfchen von specifisehom Serum und Peptonlösung neben¬ 
einander gesetzt und durch Flüssigkeitsbrücke mit einander ver¬ 
bunden. Das Deckglas kommt, umgekehrt auf einen Hohlschliff. 
Die Globulitenbildung erfolgt an der Berührungsstelle beider 
Tropfen in wenigen Minuten und zwar ungemein reich¬ 
lich. Hatte man das Deckglas vorher in der Mitte mit einem 
Glasstab durch starkes Anreiben desselben rauh gemacht, so 
bilden sich an der rauhen Stelle ganz besonders rasch und viel 
Globuliten; aber je schneller die. Bildung, um so kleiner und un¬ 
vollständiger sind die Formen. Bei langsamer Bildung umge¬ 
kehrt kommt, es zu grossen, 20—30 p im Durchmesser halten¬ 
den, sehr deutlich eoneentriseh geschichteten, meist kugeligen 
oder ovoiden Globuliten. Die Bedingungen dieser langsamen 
Bildung grösserer Globuliten sollen in einer zweiten Mittheilung 
näher erörtert werden. 

Die gewöhnlichen kleinen Globuliten, wie sie bei Ueber- 
schichtung als Wandbelag auf treten, haben unregelmässig rund¬ 
liche, oft bohnen- oder nierenförmige Gestalt (indem zwei Indi¬ 
viduen mit einander verwachsen sind) und zeigen starken Licht¬ 
glanz. Ihr optisches Verhalten bei Untersuchung in wässrigem 
Medium entspricht demjenigen von Oeltropfcn, d. h. sie zeigen 
starke Lichtbrechung und erscheinen bei hoher Einstellung hell, 
bei tiefer dagegen dunkel. Die Grösse schwankt zwischen 2 bis 
4 ^ ; bei langsamer Bildung kommen im IJeberschichtungs- 
röhrchen aber auch grössere, anscheinend oft halbkugelige, häufig 
deutlich eoneentriseh geschichtete Formen vor, bis zu 10 f* im 
Durchmesser und mehr. Umgekehrt finden sich bei raschester 
Bildung der Globuliten, direkt unter dem Mikroskop, dieselben 
nur in Form feiner, glänzender Körner von etwa 1 h Durch¬ 
messer, oder, beim Anwachsen dann in ganz verschiedenen aben¬ 
teuerlichen kleineren und grösseren Formen, bei denen sich aber 
häufig ein Zusammengcsetztscin aus mehreren rundlichen Globu¬ 
liten noch erkennen lässt. 

Gegen chemische Rcagontien zeigen die 
Globuliten eine ganz ausserordentliche, ge¬ 
radezu verblüffende Widerstandsfähigkeit. 
Sie sind unlöslich und unveränderlich in coneentrirter heisser 
Salpeter- und Salzsäure und kalter coneentrirter Schwefelsäure, 
in coneentrirter Essigsäure, in Alkohol, in wirksamer Pepsin- 
Salzsäure bei 37" innerhalb 16 Stunden, werden nur von heisser 
coneentrirter Schwefelsäure angegriffen und allmählich gelöst, 
zeigen ferner eine ganz geringe Quellung in Aetzammoniak, 
eine etwas stärkere in Kalilauge, ohne sich jedoch in letzterer zu 
lösen. Sie geben weder die M i 11 o n’sehe, noch die Biuret- 
reaktion, selbst nicht nach Kochen mit Kalilauge. Sie färben 
sich weder mit Fuchsin, noch mit Eosin oder Sudan III, wohl 
aber schwach mit Pikrinsäure, intensiv gelb mit Jod (Jodtinktur), j 
Beim trockenen Erhitzen der wiederholt gewaschenen Globu- i 
liten zeigt sieh Geruch nach verbranntem Horn, die Substanz 
bräunt sich vorübergehend und es hinterbleibt ein Aschenskelet, 
welches die Form der Globuliten unverändert wiedergibt, nur den 
Lichtglanz vermissen lässt.. Dieses Aschenskelet ist unlöslich in 
coneentrirter Salzsäure. Trotzdem muss angenommen werden, 
dass das Aschenskelet wesentlich aus Kalksalzen besteht, da bei 
Behandeln der Globuliten mit heisser coneentrirter Schwefelsäure 
und nachherigem Zusatz von Wasser sich Krystalle von Calcium¬ 
sulfat ausscheiden. 


No. 20. 

Nach dem ganzen Verhalten könnte man fast zweifeln, oh 
die Globuliten überhaupt aus organischer, und nicht vielmehr 
lediglich aus anorganischer Substanz bestehen. Allein, abgesehen 
von den Erscheinungen beim trocknen Erhitzen, spricht doch die 
Färbbarkeit mit Jod Wogegen, und dann vor Allem die Ent¬ 
stehungsweise, da unsere 2 proc. Lösung von reinem Pepton nur 
geringe Mengen von Mineralsalzen enthält. 

ln einer demnächstigen weiteren Mittheilung soll gezeigt 
werden, wie die Auffindung des geschilderten krystallinischeu 
Immunisirungsproduktes geeignet ist, ein neues Licht auf den 
bisher so dunklen Vorgang der Immunkörpcrbildung im Organis¬ 
mus zu werfen. 

Aus Dr. S i e g e r t’s Ambulatorium für kranke Kinder in 

Strassburg. 

Erfahrungen mit der nach v. Düngern gelabten 
Vollmilch bei der Ernährung des gesunden und kranken 
Säuglings.*) 

Von Dr. F. Siegert. 

Jeder Schritt vorwärts auf dem so mühevollen Weg der 
künstlichen Ernährung gesunder und kranker Säuglinge, wie der 
Heilung der Verdauungsstörungen des ersten Lebensjahres, dart 
allgemeiner Beachtung der Aerzte gewiss sein. 

Je grösser deren eigene Erfahrung, um so klarer das Bewusst¬ 
sein, dass allgemein bei den Verdauungsstörungen der Säuglinge, 
ganz besonders aber in den heissen Sommermonaten, alle ärzt¬ 
lichen Bemühungen nur zu oft erfolglos bleiben, trotz der Unter¬ 
stützung durch intelligente Priege. 

So lange es allerdings an Deutschlands Universitäten nur 
ausnahmsweise dem Arzt während seiner Ausbildung möglich ist. 
gesunde oder auch nur kranke Säuglinge an der Brust, ja selbst 
nur "bei künstlicher Ernährung klinisch beobachten zu können, 
so lange er an vielen Universitäten nicht einmal Vorlesungen 
über die Krankheiten des ersten Letansjahres hören kann, so lange 
braucht und darf er sich keinen Vorwurf darüber machen, da-s 
er unvorbereitet auf eine seiner häufigsten Angaben, die ratio¬ 
nelle Behandlung kranker Säuglinge, zur Ausübung seines Be¬ 
rufs übergehen muss. Durch die Verhältnisse gezwungen, muss 
er lehren, was zu lernen nicht in seiner Macht lag, angesichts 
einer Gruppe von Krankheiten, welche alljährlich '/„—'/, aller 
Neugeborenen im ersten Lebensjahr verschwinden lässt. Doch, 
wenn nicht Alles täuscht, wird der Beginn des neuen Jahr¬ 
hunderts darin eine gründliche Besserung bringen, weil Aerzte 
und Laien anfangen, eine solche zu fordern. 

Gestatten Sie mir, nach dieser wohl zeitgemässen Einleitung 
kurz zu berichten über eine Art. „Humanisirung“ der Kuhmilch, 
wie man die Labung derselben und das mechanische Beseitigen 
der groben Käsegerinnsel durch Versehiitteln vor der Verab¬ 
reichung an das Kind nennen könnte. Durch diese Behandlung 
wird die Kuhmilch in einem wesentlichen Punkt der Frauenmilch 
ähnlich. 

Seit Jahren glaubte man die Haupt unterschiede der Leist¬ 
ungen der Frauenmilch und Kuhmilch durch ihre verschiedene 
chemische und physikalische Beschaffenheit erklären zu müssen, 
in der neueren Zeit, noch durch die Veränderung der Eiweiss¬ 
körper der Kuhmilch bei der wegen des hohen Bacteriengchaltes 
nöthigen intensiven Sterilisation. Der Caseification bei der Lab¬ 
gerinnung wurde dagegen geringe Bedeutung zugeschrieben. 
Dass aber grobe Käsegerinnsel den gesunden und noch viel mehr 
den erkrankten Säuglingsmagen mechanisch reizen und der Ver¬ 
dauung den grössten Widerstand entgegen setzen, wird von Nie¬ 
mand bestritten. Den Umstand ferner, dass die Kuhmilch sofort 
im Säuglingsmagen in dicken Klumpen gerinnt, während ganz 
allmählich die Frauenmilch die zur Gerinnung nothwendige neu¬ 
trale resp. saure Reaktion erreicht, und auch dann nur feinflockig 
gerinnt, findet man als störendes Element für das normale che¬ 
mische und mechanische Funktioniren des Magens kaum irgendwo 
betont, während gerade die geringe anatomische und funktionelle 
Entwicklung des Säuglingsmagens ihn auch gegen leichtere 
Störungen empfindlich macht. 

So war es ein glücklicher Gedanke von Dünger n’s *), die 
alte von Biedert 5 ) 1869 angeschnittene, aber wieder auf- 

*) Vortrag, gehalten lm unterelsässischen Aerztevereln zu 
Strassburg am 14. VI. 1901. 


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16. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


llüö 


jagebone Frage der Bedeutung der Labgcriunung für die Ver¬ 
dauung der Kuhmilch nochmals aufzunehmen und das Resultat 
viner Untersuchungen scheint sich mir beim gesunden wie 
kranken Säugling zu bestätigen. 

v. Düngern und sein Mitarbeiter Proescher sahen 
im Gegensatz zu Biedert, sowie zu Esche rieh und 
v. Walter*) eine ebenso rasche Verdauung der nach Labung 
und gründlicher Versehüttelung der Verdauungssalzsäure aus- 
gesetzten Kuhmilch, wie der Frauenmilch. Auch einige Versuche 
mit gesunden Neugeborenen (V o e m c 1) und kranken Säuglingen 
(S t a 1 e w s k i) gaben günstige Resultate. 

So schien mir eine eingehende Prüfung der Angaben 
v. Dünger n’s besonders angesichts der abweichenden An¬ 
sichten Bieder t’s und E s c h e r i e h’s und v. W a 1 t e r’s noth- 
wendig. 

Auf Grund eigener sechs monatlicher Ver¬ 
suche bezeichne ich die durch v. Düngern vor- 
geschlagene Labung der Kuhmilch vor der 
Aufnahme als ein werthvolles Verfahren zur 
Ernährung gesunder wie kranker Säuglinge. 

Dasselbe verdient eine ganz allgemeine Kenntniss. 

Nur wenige Beobachtungen aus der praktischen Erfahrung: 

1. Frühgeburt im 1). Monat von weniger als 30t>o g An¬ 
fangsgewicht. nimmt bei unzureichender Mutterbrust in 5 Wo¬ 
chen ab bis zu 2050 g. Beikost von täglich ‘5 mal: gelabte Voll- 
inileh 90 g. Wasser 15 g. Nach 0 Tagen - 2010 g. Brust versagt 
gänzlich. Nun 6 mal täglich 120 g geiahte Vollmilch, 15 g Wasser. 
Vuderuin Zunahme von 580 g in G Tagen. Dauernde blühende 
Entwickelung. 

2. Gesunder Neugeborener erhält neben ganz unzu¬ 
reichender Brust vom 3. Lebeustag an: 0 mal 45 g gelabte Voll¬ 
milch. 15 g Wasser. Zunahme bis zum 8. Lebeustag -f llo g. 
Biust und gelabte Milch bis zum 30. Tag, Zunahme 710 g. Dann 
15: ust allein. In der 11. Lebenswoche nur 4- 50 g, in der 12. Woche 
-- 0. Desshalb als Beikost: 4 mal täglich: 00 g gelabte Vollmilch. 
Zunahme ln 3 Tagen: 200 g. in 0 Tagen: 370 g in 10 Tagen: 500 g. 
Wiegt mit 4 Monaten 6900 g. 

Glänzender sind die Erfolge bei kranken Säuglingen. 

3. 3 monatliches Kind mit Pseudo-Pylorusstenose. 
Gewicht 4750 g. Unstillbares Erbrechen bei Kuhmilch seit der 
< iehnrt. Geiahte, a u f g e s c li ii 11 e 1 t e Kuhmilch so¬ 
fort vertragen! Verdauung tadellos. Zunahme ln 22 Tagen 

- 625 g. in weitereu 4 Monaten Gewichtsverdoppelung. 

4. Congenitale Hypertrophie der drei Ton¬ 
sillen und unstillbares Erbrechen auch der Frauen¬ 
milch. Daneben gelabte Milch. Gewicht mit 11 Wochen: 5050 g. 
An.nie versagt. Jetzt 6 mal täglich: 120 g gelabte Vollmilch, 30 g 
Wasser. Zunahme ln 4 Wochen: 905 g. ln weiteren 4 Wochen: 
OSO g. Dann ungelabte Kuhmilch gut vertragen. 

5. Atrophie wegen verkehrter Ernährung nach längerer 
Dyspepsie. Gewicht mit 2 y 2 Monaten: 3400 g. Jetzt 0 mal pro die: 
gelabte Vollmilch 100 g. Wasser 20 g. Zunahme in 0 Wochen: 
1540 g. Kräftiges Kind. 

6. Atrophie. Pertussis seit der 7. Lebenswoche.' Ge¬ 
wicht mit 2 Monaten:, 32S0 g. Behandlung wie bei 5., ausserdem 
Kucliinin 0,15, 3 mal täglich. Zunahme in 4 Wochen 570 g. dann 
l**i (5 mal pro die Milch 120 g, Wasser 30 g in 5 Wochen 4 - 1910 g. 
Tertussis verläuft günstig. 

7. Hochgradigste Rachitis schon mit 2 Monaten. 
A t r 0 p I e. D I f f u 8 e Bronchopneumonie. Gewicht mit 
2 Monaten: 2800 g, bei der Geburt ca. 3500 g. Seit 0 —8 Tagen 
fetzige, grüne, stinkende Stühle. Erbrechen. Moribund. Prognose 
infaust. Als letzter Versuch gelabte Vollmilch 75 g. Wasser 15 g. 
Das Brechen sofort beseitigt. Stühle werden langsam besser. Zu¬ 
nahme in der ersten Woche -f- 30 g, in der 2. Woche 4 - 120 g, in 
der 3. Woche 4- 200 g. Pneumonie geheilt, gute Entwickelung. 

8. S k 1 e r e m. Atrophie. Gewicht mit 3 Monaten 2850 g. 
Verminung: 5 mal pro die 120 g gelabte Vollmilch. Zunahme in 
8 Tagen: 350 g. in weiteren II Tagen 500 g. Nneli l’hlmosen- 
operation im Spital Abnahme um 100 g in 7 Tagen. Wieder gelabte 
Vollmilch. Zunahme in 14 Tagen 4 - 520 g. 

Mein Assistent, Dr. Langstein, wird über eine Reihe 
unserer Versuche, die sich bereits auf ca. 50 belaufen, im Jahr¬ 
buch für Kindcrheikunde eingehend berichten. Auf 
Grund derselben empfehle, ich Ihnen, meine Herren, die nach 
v. Düngern gelabte Kuhmilch zur Verwendung sowohl als 
• inzige Nahrung wie beim allaitement mixte des gesunden, wie 
kranken Säuglings; ferner bei älteren Kindern und Erwachsenen, 
wo Kuhmilch wegeft „Druck im Magen“ oder Erbrechen zurück¬ 
gewiesen wird. Auch bei katarrhalischen Zuständen und bei 
Ulcus vcntriculi ist sie anzuwenden. Nur muss heim Säugling 


") In dieser Wocheusehr. 1900, No. 48. 

: t Biedert: Inaug.-Dissert. Giessen 1809. 

*1 E s e h e r i c h mul v. W a 1 1 h c r: Jalirb. f. Kindcrhcilk. 
ISÜI. Bd. 32. 


die unverdünnte Milch in entsprechend kleiner Menge verwendet 
werden, die beim schwer oder chronisch magendarmkranken 
Säugling bis auf 50, selbst 30 g herunter zu gehen hat. 

Zur Labung empfiehlt sich folgendes, etwas modificirtes 
Verfahren. 

Die nach Förster krankheitskeimfrei gemachte oder die 
stcrilisirtc Vollmilch — bei sehr bedenklichen Fällen 
vorübergeh <; n d aber ungekochte, f r i s c h g e m o 1 - 
kene Milch — wird bei Körpertemperatur in der Trink¬ 
flasche gelabt durch Zusatz einer Messerspitze von dem nach 
v. D u n g e r n in den Höchster Farbwerken hergestellten 
„P e g 1 : i 11 “, dem an Milchzucker gebundenen sterilen Lab¬ 
ferment. Eine Messerspitze genügt für 200 g Milch. Nach ein¬ 
maligem Umschütteln wird die Flasche in warmes Wasser von 
40 0 C. zurückgestellt bis zur Gerinnung in etwa 5—10 Minuten. 
Alsdann wird, wo dies nötliig erscheint, Wasser, Ralnn, Schleim, 
Eigelb etc. zugesetzt und das Gerinnsel durch kräftiges Schütteln 
derart beseitigt, dass Flocken makroskopisch kaum noch sichtbar 
sind, dann die Milch bei Körpertemperatur verabfolgt. 

Pausen von 3—3 Vs Stunden zwischen den Mahlzeiten sind 
bei dieser Ernährung, wie überhaupt bei jeder im ersten Lebens¬ 
jahr dringend zu empfehlen, ein Liter pro die soll vor dem 
8. Monat nicht gegeben und im ersten Lebensjahr nicht über¬ 
schritten werden. Schon nach etwa 4 Wochen dauernder Ver¬ 
wendung der gelabten Vollmilch pflegt diese auch uugelabt gut 
vertragen zu werden. 

Erwähnen möchte ich noch, dass in den ersten Lebensmonaten 
öfter Neigung zur Obstipation bei Ernährung mit unverdünnter 
Kuhmilch eintritt. Zusatz von Rahm oder Milchzuckerlösung 
bringt oft Abhilfe, sicherer aber die viel zu wenig gewürdigte, 
von Heu b 11 er wieder empfohlene Massage. Ihn anderes Ver¬ 
fahren, Vollmilch bei Brechdurchfall oder akuter Gastritis, bei 
ITyporaesthesie der Magenschleimhaut und anderen Verdauungs¬ 
störungen Säuglingen beizubringen, liegt bisher nicht vor. 

Die alte Vorschrift.: „Milch weg“ beim akuten Brechdurch¬ 
fall haben wir im Ambulatorium oft mit bestem Erfolg durch 
Verordnung von unverdünnter Kuhmilch in’s Gegentheil ver¬ 
kehrt. In vielen Fällen aber erweist es sieh allerdings als nötliig, 
zunächst auf diätetischem und medieamentüsem Wege vorzugehen, 
dann aber kann unvermittelt unverdünnte Milch mit glänzendem 
Erfolg verabreicht werden ’). Misserfolge kommen vor, aber sehr 
selten, und auf Grund der bisherigen Erfahrung empfehle ich das 
v.Dunger n’sclie Verfahren allen Aerzten auf’s Eindringlichste. 

Zu wünschen bleibt nur. dass ein tadelloses Präparat zur 
Labung, wie es in Höchst, jetzt dargestellt, wird, zu viel billigerem 
Preise hergestellt und auch dem ärmsten Haushalt zugänglich ge¬ 
macht wird. 


Aus der mcdicinisehcn Klinik in Jena (Prof. Dr. Stintzing.) 

Zur Kenntniss der Tenacität des Scharlachgiftes. 

Von Dr. Felix Lümmel, I. Assistenten der Klinik. 

Eine eigenartige und praktisch bedeutungsvolle Eigenschaft 
des noch unbekannten Seharlachorregers ist seine ausserordent¬ 
liche Tenacität. die ihn im Gegensatz zu den Erregern der 
Masern und der meisten anderen Infektionskrankheiten befähigt, 
trotz anscheinend ungünstigen Verhältnissen ansteekungsfähig 
zu bleiben. 

Uebe.r die Lebensdauer, genauer gesagt über die Dauer der 
Infektiosität des Seharlaehcontagiuins liegt eine ziemlich reiche 
Kasuistik vor. deren Beweismittel aber häufig einer strengeren 
Kritik nicht Stand halten, da es meistens nicht, gelingt, unbe¬ 
kannte Infektionsgelegenheiten mit einiger Sicherheit auszu- 
sehliessen. So erscheint z. B. W. Boeek’s 1 ) Mittheilung, dass 
eine abgeschnittene Haarlocke eines an Sehurlaeh gestorbenen 
Kindes nach 20 Jahren ihre Infektiosität auf’s Unheil vollste er¬ 
wies, keineswegs zwingend beweiskräftig, da eine anderweitige 
Infektion der befallenen Kinder nicht mit einiger Sicherheit aus¬ 
geschlossen werden kann. Vogl 2 ) berichtet in seinen Mitthci- 
lungen über die Münchener Kaseruepidemien, dass die Türken- 
kasemc in zwei durch ein Jahrzehnt getrennten Sehurlachepidc- 



/ 


‘) Die maximale Zunahme in 7 Tagen betrug bei derartigem 
Vorgehen 740 g. 

’) eil. nach J ürgensou. Nothnagel’« spee. Path. u. Ther.. 
IV. Bd.. III. Theil, II. Abth. 

: ) V o g 1: Münch, ined. Wocheusehr. 1895, S. 949. 


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G’oogl 




11»H3 


MUENCTIENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29. 


mien tai Weitem die grösste "Morbidität aufwies, und zieht daraas 
den Schluss, dass „lokale Verhältnisse dein Auftreten des Schar¬ 
lach förderliche Bedingungen zu setzen vermögen“. Da aber eine 
neue Einschleppung von Scharlach stattgefunden hatte, so konnte 
nicht angenommen werden, dass etwa dio Keime der ersten Epi¬ 
demie persistirt hätten. Dagegen Ist in einigen von Murchi- 
son*) mitgetheilten Fällen ein langdauerndes Haften virulenten 
Scharlachgiftes in einwandfreier Weise nachgewiesen. In einem 
Falle wurde nach Verlauf von 4 Monaten ein Kind sofort von 
Scharlach befallen, als es aus dem isolirenden Landaufenthalt in 
die gründlich gereinigte Wohnung zurückkehrte, in der vor dieser 
Zeit eine Scharlacherkrankung vorgefallen war. Hagenbach- 
B u r c k h a r d t *) theilt mit, dass im Baseler Kinderhospital in 
einem Zimmer während lVs Jahren 9 Scharlachfälle, immer von 
Neuem, auftraten, während im übrigen Hause nur 4 Ansteck¬ 
ungen erfolgten. 

Beinahe den Werth eines physiologischen Experiments hat 
die Entwicklung eines Scharlachfalles, der im Folgenden kurz 
mitgethcilt werden soll. 

In einem kleinen, von anderen (lebäuden etwas abliegenden 
Er/.iebungslnstitut für schwerhörige und ertaubte Kinder erkrankte 
am 10. X. 1000 ein Knabe au Scharlach und wurde an demselben 
Tag in unsere Klinik verbracht, kehrte daun am 17. XI. 1000 ge¬ 
heilt in das Institut zurück. 21 Tage später erkrankte sein Zimmer- 
genösse Willy an Scharlach, wurde in das Isolirzimmer verbracht 
und von hier am nächsten Tage in die Klinik verlegt. Am 10. I. 1001 
geheilt entlassen kehrt Willy ln das Institut, zurück und verkehrt 
mit den übrigen Insassen desselben, ohne dass eine neue Ansteck¬ 
ung eintrat. Das Isolirzimmer wurde wenige Tage nach Willy'« 
Aufenthalt mit Formalin ln freilich nicht einwandfreier Weise 
desinfizlrt, dann wurde es während des ganzen Winters von einem 
10 jährigen Mädchen bewohnt, das sich dauernd unter den übrigen 
Hausgenossen bewegt»*. Nach gründlicher erneuter Reinigung 
vor Ostern wird am 9. IV. der 9 jährige Sohn des Directors. Karl, 
in «ins Zimmer gelegt und verbringt hier die Nächte bis zum 
15. IV. 1001, um dann wieder in das vorher bewohnte Zimmer 
zurüekzukehren. Am 20. IV. 1901, also am 12. Tage nach Beziehung 
des ehemaligen Isolirzimiuers und am 133. Tage, also mehr als 
4 Monat»*, nach Willys Aufenthalt in diesem Zimmer erkrankt 
Karl an Scharlach. 

Wenn man tauchtet, dass die Zöglinge der Institute in 
diesem selbst ihren Seliulunt»*rrieht genossen und durch ihr («<*- 
hörb-.iden mehr noch wie durch Hausordnung und lokale Ver¬ 
hältnisse vom Verkehr mit anderen Menschen abgeschlossen 
waren, und ferner bedenkt, dass we»l»*r kurz vor, noch nach Karl’s 
Erkrankung Seharlaelifälle weder in »l«»r Anstalt noch auch sonst 
in J»*na und Eingehung verkamen, so ist eine andere Infektions¬ 
quelle als das Isolirzimmer wohl völlig ausgeschlossen. Die Person 
des Selmrlaehrokonval«*se»-ntenWilly kann nicht »ler Ansteckungs- 
lu*r»l gewesen s«*in; in di«*sem Fall»* hätte die Scharlaeherkrankung 
früher eingesetzt und sieh wohl auf mehrere d»*r (nur zum kleinen 
Theil schon scharlaehkrank gewesenen) Kinder erstreckt. 

Es ergibt sich somit die Thatsaehe, «lass das Scharlach- 
eontagium in «lein Zimmer 133 Tage lang ansteckungsfähig go- 
hliehen ist. 

Von Interesse ist dabei ausserdem, dass in unserem Fall 
»•henso wie in dem «»tan erwähnten von II ag «> n h a ch-B u r ck- 
lin rd t in einem Hause ein mit Scharlach infizirtes, täglich von 
sehnrlacliimmunen Hausgenossen benütztes Zimmer sich befinden 
konnte, ohne »lass ausserhalb dieses Raumes ein»* Ansteckung 
auch stark empfänglicher Individuen vorkam. 

Es liegt darin ein neuer Beweis, wie selten »lie Ansteckung 
durch dritte gesunde Pers»in*n <><l*>r durch infizirte Oehrauehs- 
gegenstiinde vorkommt. Dem, «ler hei Betrachtung des Infektions¬ 
herganges „quantitativ denkt“ 5 ), d. h. die Menge des aufgenom- 
meiien Infektionsstoffes in Rechnung zu zi»*h»*n geneigt ist, muss 
»*s ohne Weiteres einl»*ueht»*n, dass die flüchtige Berührung mit 
einer gefunden Vermittdungsperson oder einem Gebrauchsgegen- 
stand nicht annähernd dieselbe Infektionsmögliehkeit bietet, als 
«‘in stundenlanger Aufenthalt, in einem infizirten Raum. Wie 
wenig begründet daher die weitverbreitete Furcht vor Scharlnch- 
iitartrngung durch die Acrzte ist, führt auch dieser Fall wieder 
vor Augen. 


*) Mnrchlson: The Lnneet 1304. II. Vol. 

*) Jahrbuch f. Klnderheilk. Neue Folge. Bd. XXIV. 
s ) K. v. V 1 e r o r d t, cit. nach J ürgensen. 


Ueber combinirtes Empyem der Gesichtshöhlen.*) 

Von Privatdocent Dr. P. Braunachweig. 

Die Erkrankung der Nebenhöhlen der Orbita beansprucht 
ein hohes augenärztliches Interesse, ein höheres, darf man viel¬ 
leicht hinzufügen, als ihnen im Allgemeinen zu Theil wurde. 
Diese Höhlen Italien weder eine besondere Tkätigkeit zu ver¬ 
richten, noch lx*herbcrg»*n sic* wesentliche Organe, vielmehr dienen 
sic lediglich als pneumatische Räume und bezeugen schon durch 
ihren einfachen Aufbau — eiu Schleimhautpolster einfacher Art 
auf knöcherner Unterlage — eine gewisse funktionelle Bedeu- 
tungslosigkeit, daher wird ein grosser Theil der von ihnen 
ausgehenden Krankheitsproccssc erst dann Gegenstand der Auf¬ 
merksamkeit, wenn solche entweder mit besonderer Heftigkeit 
cinsotzcn un«l Störungen dos Allgemeinbefindens hervorrufen, «xler 
wenn sie durch Uebergreifen auf Nachbarorgane von höherer 
Bedeutung diese in Mitleidenschaft ziehen. Bis dahin ist dio 
Diagnose einer Erkrankung wegen der verstärkten Lage der 
Höhlen, wogen «1er Unmöglichkeit einer directen Untersuchung 
und in Folge des häufigen Fehlens charakteristischer Symptome 
meistens eine recht schwierige, oft nicht möglich. Erst wenn 
die Augenhöhle, eventuell die Nase in den Bereich des Leidens 
gczog»*n ist, gelingt es gewöhnlich unschwer, den verborgenen 
primären Krankheitsherd und den Ort seiner Entstehung zu ent¬ 
decken. Zwar könnte auch gelegentlich eine primäre Erkrankung 
der Orbita eine Nctanhühle ergreifen, doch ist das ein bisher noch 
nicht sicher gestelltes Vorkommnis« gegenüber dem so häufig 
beglaubigten umgekehrten Verhalten: primäre Erkrankung der 
Nebenhöhle, sekundäre »ler Augenhöhle. Dass die Erkrankungen 
der Stirnhöhle in erster Linie die Orbita mittatheiligen, ist aus 
mechanischen und anatomischen Gründen leicht verständlich; 
weit seltener ist die Higlunorshöhle und «las Siebtainlabyrinth, 
und sehr selten die Keiltainhühle d»*r Ausgangspunkt des Orbital- 
leidens. Dagegen beobachtet man, dass bisweilen gleichzeitig 
oder nacheinander mehrere Höhlen erkranken, z. B. Stirn- und 
Siebtainhöhle. eh»* die Orbita ergriffen wird. Es wir»l eine solche 
Kombination abhängig sein davon, dass das 2 Höhlen trennende 
Gewebe, insbesondere der Knochen, möglichst dünn ist, ferner 
von der unmittelbar«»!! Verbindung durch Blutgefässe, vou der 
für die Woit»*rverbreitung günstigsten Lago der zuerst oder am 
meisten erkrankten Stelle und von anderen, durchaus nicht immer 
mit Sicherheit festzustellenden Umständen. Schon mit Rücksicht 
auf die Aetiologi»; und den Krankheitsverlauf wird man das 
oft nicht genau ergründen können. Was letzteren anbelangt, so 
dürfen wir für die häufigste Form, die chronisch-entzündliche 
Erkrankung <l»*r Stirnhöhle, eine, meistens sehr lange Dauer an¬ 
nehmen, die sieh über Jahr«*, selbst über Jahrzehnte erstrecken 
kann; innerhalb di»*ser Zeit treten einzelne, durch Nachschübe 
der Entzündung lnxlingte Attaken auf, jedoch weder in allen 
Fällen, noch regelmässig. Dabei kann das Leiden das ganze 
Leben hindurch auf die Stirnhöhle beschränkt bleiben. Erkrankt 
der Sinus im Anschluss an akute Prooosse in akuter Form, was 
seltener geschieht, so stellen sich gewöhnlich Schmerzen. Ein¬ 
genommenheit des Kopfes, Fieber, Druckschmerz und Aehn- 
lictas ein, um mit dem Nachlassen der Entzündungserschoinung<-n 
meist wieder zu verschwinden, ohne dass das Leiden desshalb 
zur H««ilung kommt. Die klinische Unterscheidung beider 
Formen lässt sieh nicht durchführen, ist auch insofern von ge¬ 
ringerer Bedeutung, als beide ohne nachweislichen Unterschied 
der Frequenz die Orbita befallen oder verschonen. 

Die Art und W»*ise, wie dio Erkrankung der Stirnhöhle auf 
die Orbita übergeht, ist verseilie»l»*n. Eine Periostitis der Stirn¬ 
höhlenwand kann durch Woiterwandern das Periost der Orbita 
erreichen, oder eine durch primäre Schleimhauterkrankung «los 
Sinus erweichte Knochenpartie, wird eingeschmolzen und so eine 
directo Verbindung beider Höhlen hergestellt, durch welche 
Sekrete und Entzündungsprodukte in die Orbita gelangen; auch 
kann auf dem W«‘ge der Metastase durch Blut- und Lympli- 
gefnssc ein eitriger Process verschleppt werden. Indessen handelt 
es sich nicht immer um entzündliche Vorgänge, vielmehr winl 
schon die einfache Ausdehnung einer Stirnhöhle, durch sich ver¬ 
mehrendes, nicht entzündliches Sekret, wenn der ausführende 
Gang, der Ductus naso-frontalis unwegsam geworden ist, eine 


*) Nach einem im Verein der Acrzte zu Halle a. S. g»*haltenen 
Vortrage. 


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16. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDTCTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1167 


Beengung und Funktionsstörung der Gebilde der Orbita zur Folge 
haben. Auch für die Unterscheidung zwischen dem sog. Hydrops 
der Stirnhöhle und deren Anfüllung durch Eiter fehlen uns bis 
jetzt die genauen klinischen Merkmale. 

Eine sekundäre Entzündung der Orbita tritt auch nach 
Durchbruch eines Hydrops auf. scheint also nicht an das Vor¬ 
handensein einer primären eitrigen Entzündung des Sinus ge¬ 
bunden. Indessen lässt sich bei dem unmittelbaren Zusammen¬ 
hang von Nase und Stirnhöhle und dem wohl stets vorhandenen 
Reichthum der ersteren an Entzündungserregern annehmen, 
dass selbst der anscheinend reinste Hydrops immer noch infektiös 
und kaum jemals keimfrei ist 

Tn dem so überaus häufigen Nasenkatarrh haben wir 
die reichste Quelle für Entzündungen der Nebenhöhlen, vor Allem 
des Stimsinus zu erblicken. Das schliesst selbstredend nicht aus, 
dass der Sinus erkrankt, die Nase gesund befunden wird; die 
Nasenschleimhaut, die sich krankhafter Produkte jederzeit mit 
Leichtigkeit entledigen kann, kehrt viel rascher zur Norm zurück, 
die bei Weitem ungünstiger ausgestattete Stirnhöhle — in Bezug 
auf die so oft vorkommenden Recessus, die räumlichen Verhält¬ 
nisse und die leicht zu versperrenden Abflusswego — dagegen 
bedarf einer längeren Zeit, um zu gesunden, und wenn die Ent¬ 
artung der Schleimhaut weit vorgeschritten ist, wenn dauernder 
Kontakt mit Eiter immer von Neuem entzündlichen Reiz aus- 
nbt. dann wird schliesslich die um das vielfache verdickte, ihres 
Schleimhautcharakters völlig verlustig gegangene Membran nie¬ 
mals wieder normal werden können. 

Die Vermittelung durch einen Nasenkatarrh wird auch für 
die Fälle in Anspruch zu nehmen sein, in welchen eine Sinus¬ 
erkrankung im Anschluss an eine Infektionskrankheit sich ent¬ 
wickelt. Auch für die Verletzungen, die in der Aetiologie nur 
eine untergeordnete Rolle spielen, ist meines Erachtens der Um¬ 
stand nicht gebührend berücksichtigt., dass zwar die zahlreichen 
Traumen der vorderen Wand der Stirnhöhle durch stumpfe Ge¬ 
walt später nicht mehr nachweisbar sind, dass ein Knochenbruch 
oder eine Fissur für sich allein selten eine Entzündung des 
Nachbargewebes hervorruft, dass aber in der Stirnhöhle durch 
die Verbindung mit der Nase mehr als an anderen Körper- 
steilen die Komplikation einer Knochenverletzung durch das 
Hinzutreten einer Entzündung begünstigt wird. 

Auch in dem hier mitzutheilenden Krankenbericht wird ein 
Sturz auf die Nase besonders erwähnt; lässt sich auch Genaueres 
über dessen Bedeutung nicht sagen, so besteht doch kein Grund, 
einen Zusammenhang mit dem Empyem rundweg in Abrede zu 
stellen; ihn zu erweisen dürfte allerdings, wie hier, so in den 
seltensten Fällen gelingen. 

Dass nicht nur der eitrige Katarrh, sondern auch andere 
mit eitriger Absonderung einhergehende Erkrankungen der 
Nasenschleimhaut zur Sinuserkrankung führen, lehrt eine Mit¬ 
teilung Kuhn t’s. wonach syphilitische Exuleerationen der 
Muscheln und des Septums eine eitrige Sinuserkrankung nach 
sich zogen, sowie die von K u h n t citirte Beobachtung De- 
m a r q u a y’s, wo nach Entfernung von Nasenpolypen Erysipel 
auftrat, sämmtliche Geeichtshöhlen erkrankten und nach dem an 
eitriger Meningitis erfolgten Tode mit Eiter gefüllt gefunden 
wurden. 

Dass die eitrige Sinuserkrankung in einer beträchtlichen 
Anzahl von Fällen, entweder direct oder auf dem Umweg einer 
Orbitalcellulitis das Cavum cranii erreicht, und unter dem Bilde 
der eitrigen Meningitis oder eines Hirnabseesses 
zum Tode führt, ist bekannt; indessen sollen uns hier lediglich 
die orbitalen und ocularen Symptome beschäftigen. Dabei glaube 
ich mich bezüglich der sog. funktionellen Störungen mit deren 
blosser Erwähnung begnügen zu dürfen, da die Entstehung und 
das Wesen der hierunter verstandenen Gesichtsfeldeinschrän¬ 
kungen, befundloser Amblyopien und asthenopischer Erschei¬ 
nuntren keineswegs geklärt ist. 

Nach Ziem beruhen solche Störungen auf Stauungsvor¬ 
gängen in den die Orbita im grössten Theile ihres Umfanges um¬ 
gebenden Nebenhöhlen und einer consecutiven Hyperaemie des 
Opticus, der Chorioidea und der Ciliarfortsätze. Sowohl im Opti¬ 
cus als auch in der Retina könnten dann Hemmungen des Blut¬ 
umlaufs, und damit erschwerte Funktion nicht ausbleiben. Dem¬ 
gegenüber verweist Kuh nt auf das häufige Fehlen derartiger 
Komplikationen gerade da, wo man sie in Folge besonders hoch¬ 


gradiger Stauung sicher erwarten müsste. Er leugnet die Bedeu¬ 
tung der Stauung nicht, sieht aber „den Hauptfaktor für die 
Hervorbringung aller funktionellen Störungen in der Resorption 
von eitrigen oder foetiden Massen aus den erkrankten Höhlen 
und in einer dadurch erzeugten Art von Intoxikation“. Die 
früher zur Erklärung dieser dunklen Vorgänge allgemein in An¬ 
spruch genommene Reflextheorie, wonach es von den Endausbrei¬ 
tungen des in der kranken Schleimhaut gereizten Trigeminus 
zu einer Uebertragung der Reize auf den Sehnerven käme, ist als 
unzulänglich auf gegeben. 

Verhält-nissmässig harmlos und für das Sehorgan am wenig¬ 
sten gefährlich ist die Betheiligung des Oberlides, wenn ein Sinus¬ 
empyem nach aussen durchbricht, was gewöhnlich in der Nähe der 
Mittellinie und etwa im Bereich des Ansatzes des oberen Lides 
geschieht. Die Sinusfistel führt allmählich zu einer Anhef¬ 
tung und Verlagerung des Lides derart, dass dessen 
inneres Ende nach oben gezogen und ektropionirt wird; dadurch 
leidet zu gleicher Zeit der Lidschluss, die nicht mehr hinreichend 
geschützte Hornhaut wird gefährdet, es bilden sich Geschwüre 
u. dergl. Zur Lösung des an die knöchernen Ränder der Fistel 
fest angewaehsenen Lides genügt, deren Ausschabung oder Aus¬ 
kratzung nicht, auch das Ausschneiden der erkrankten Partie 
und die periostale Abhebelung gibt keinen dauernden Erfolg, 
wenigstens nur so lange, bis es zu erneutem Durchbruch des Eiters 
und damit wieder zur Fixirung des Lides kommt; doch sollte 
das letztere Verfahren immer dann angewendet werden, wenn 
die Radikaloperation des Empyems nicht beabsichtigt ist, ver¬ 
schoben werden soll oder vom Patienten verweigert wird. 

Liegt die Perforationsstelle am Boden des Sinus, so gelangen, 
wenn es sieh um ein Empyem handelt, eiterige Massen unter 
und hinter das Oberlid; dieses schwillt, an, und zwar, je nach 
der Menge und Virulenz der eingedrungenen Massen, in allen 
Abstufungen vom leichten Oedem bis zu mächtigem Umfang 
und brettharter Konsistenz, so dass es bis über das Unterlid hinab¬ 
reicht. 

Während die Lidschwellung sich ohne erhebliche Beflrängung 
des Augapfels frei entwickeln kann, leidet, dieser, wenn das 
Orbitnlgewehe entzündlich anschwillt, sehr leicht und sehr rasch, 
nur selten beschränkt sich eine solche Entzündung auf das Lid, 
meistens bewirkt der aus dem Sinus herahfliessende, in den hin¬ 
teren Orbitalraum sieh ergiesse.nde Eiter eine bisweilen rapide 
ansteierende Anschwellung der Gewebe. Dadurch leidet die Be¬ 
weglichkeit. indem erstens die Muskeln grössere Massen zu be¬ 
wältigen haben, als sie es vermöeren. zweitens aber ihre Scheiden 
und ihre Substanz selbst infiltrirt und so bewegungsunfähig 
werden. In Folge dessen sieht man auf der Höhe eines solchen 
Proeesses den gesammten Orhitalinhalt in eine starre unbeweg¬ 
liche Masse verwandelt, in deren Mitte der Augapfel fest einge¬ 
keilt steht. 

Ob sich ein Exophthalmus entwickelt oder nicht, wird 
von dem Sitz und der Ausbreitung der Schwellung abhängen; er 
bleibt niemals aus. wenn der hintere Abschnitt der Orbita, die 
jenseits des Bulbusäouators gelegenen Theile sieh ausdehnen; 
seine Höhe wechselt, sie. ist meistens nicht so bedeutend, dass der 
Augapfel von den Lidern nicht mehr bedeckt werden kann, er¬ 
reicht aber zuweilen enorme, Grade. 

Eine V erschiebung des Augapfels beobachtet man nur 
in den Anfangsstadien einer Orbitalentzündung, wenn also nur 
ein umschriebener Bezirk geschwellt ist, und den Augapfel ab¬ 
drängt. Diese Dislokation findet, entsprechend dem gewöhnlichen 
Beginn der Schwellung im oberen inneren Winkel der Orbita, 
nach der entgegengesetzten Richtung, d. h. nach unten und aussen 
stnlt. Ebenso wird sie durch eine. Verdickung der Knochenwand, 
z. B. hei circumseripter Periostitis oder durch die Vorwölbung 
einer '■ktntischen Nehonhöhlenwand hervorgerufen. Tn allen 
diesen Fällen wird durch die mechanische Behinderung, mitunter 
auch durch gelegentliche directe Affektion eines Muskels die Be¬ 
weglichkeit nach der betreffenden Seite beeinträchtigt. 

Von ungleich grösserer Wichtigkeit für das Sehorgan sind 
diejenigen Veränderungen, die am Sehnerven und in der Netz¬ 
haut auft roten. Schon eine kurzdauernde Kompression des Nerven 
in seinem orbitalen Verlaufe genügt, um ihn schwer zu schädigen 
oder, was öfter geschieht, ihn gänzlich zu zerstören. Das Re¬ 
sultat ist dann Sehnervenatrophie mit meist vollständiger Er¬ 
blindung. Mit Rücksicht auf solche Fälle, in denen eine nicht 


No. 29. 


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MUENCIIENER MEDICINTSCIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29. 


sehr bedeutende Quetschung des Nerven gleichfalls in Atrophie 
ausging, bin ich geneigt, daneben auch eine toxische Erkrankung 
durch putride Stoffe anzunehmen. Wenigstens dürfte dio An¬ 
wesenheit solcher auf die Entstehung der Y eränderungen 
des Augenhintergrundes von wesentlichstem Einfluss 
sein, vorausgesetzt, dass diese nicht durch Druck von Seiten der 
Umgebung erzeugt werden, also mechanischen Ursprungs sind. 
Alle Uebergänge von geringer Trübung der Papillengrenzen und 
leichter Ausdehnung der Gefässe bis zur typischen Stauungs¬ 
papille lassen sich verfolgen. Ein Freibleiben des ocularen Seh¬ 
ne rvenepdes gehört zu den Seltenheiten. 

Der Umstand, dass der vordere Theil des Auges, und am 
meisten die am stärksten exponirto. Cornea unter der Einwirkung 
des die Ernährung hemmenden Drucks, durch die Last der fest 
.an sie gepressten Lider und durch den Kontakt mit Eiter bis¬ 
weilen Nekrosen und Ulcerationen erfährt, leitet eine weitere 
Reihe von Störungen ein, als deren gefürchtetes Endglied die 
eiterige Einschmelzung der Cornea und die deletäre Panophthal- 
mitis erscheint, falls dieser zu ihrer Entwickelung genügend Zeit 
verbleibt. Die directe Verbindung mit dem Schädelraum gestattet 
den einmal in die Orbita gelangten Eitererregern das Weiter- 
wandem auf das Gehirn und seine Häute so bequem, dass der 
Kranke oft vorher an eiteriger Meningitis oder Himabscess zu 
Grunde geht. 

Der hier gegebene kurze Ueberblick über die Betheiligung 
der Orbita an entzündlichen Erkrankungen der Nebenhöhlen be¬ 
ansprucht nicht erschöpfend zu sein, er mag aber hinreichen, 
um die Wichtigkeit dieser Affektionen, vorzüglich die des Stirn¬ 
sinus für die Entstehung von Augenleiden zu beleuchten. Von 
der Diagnose soll nicht ausführlicher die Rede sein; die haupt¬ 
sächlich in Betracht kommenden Punkte ergeben sich aus der 
folgenden, in mehrfacher Hinsicht, wie es mir scheint, bemorkens- 
werthen Krankengeschichte. 

W., stud. phii., 22 Jahre alt, hat ausser einer Mandelcliph- 
therle Im Alter von 5 Jahren Erkrankungen nicht durchgemaoht. 
Etwa im gleichen Alter erlitt er durch Sturz auf die Nase eine Ver¬ 
letzung der Nasenwurzel, doch konnte nicht festgestellt werden, 
ob eine Verletzung des Knochens damit verbunden war. Neujahr 
1889 trat eine Anschwellung im oberen inneren Winkel des rechten 
Auges auf, es bildete sich eine Geschwulst, die von einem Arzte 
mittels einfachen Schnitts entleert wurde. Ende 1891 erschien 
ganz plötzlich an derselben Stelle eine neue Anschwellung, die von 
dem als Consillarius hinzugezogenen Professor Pagenstecher- 
Wiesbaden als Hydrops der rechten Stirnhöhle erklärt wurde, wie 
Ich seiner freundlichen brieflichen Mittheilung entnehme. Der 
behandelnde Arzt entleerte den Inhalt durch Punktion, und es 
blieb Alles ruhig bis zum August 1900. Nach einer heftigen Er¬ 
kältung schwoll der innere obere Winkel rechts plötzlich unter 
lebhaften Schmerzen stark an. bei Dmck auf den geschwollenen 
Bezirk ergoss sich eine klebrige Flüssigkeit in die Nase, oder sie 
floss aheh durch die Nase ab. Während in der nächsten Zeit die 
Schmerzen, die in der Augenhöhle besonders quälend waren, unter 
Umschlägen verschwanden, wurde die Schwellung bald geringer, 
bald stärker; auf Druck kamen eitrige Massen in den Hals, auch 
gelegentlich durch die Nase, gleichzeitig stellten sich dumpfe 
Schmerzen in der rechten Stirnhälfte ein; Fieber aber und sonstige 
Störungen des Allgemeinbefindens traten ebenso wenig wie 
früher auf. 

Status praes.: Patient ist ein sonst durchaus gesunder, 
gut entwickelter Mann mit ausgesprochenem BreltschädeL Die 
ganze rechte Gesichtshälfte erscheint etwas voluminöser. Dreier- 
1 e i Veränderungen fallen sofort in's Auge: 1. Die rechte Stirn¬ 
seite tritt mehr hervor, hauptsächlich im medialen Theil, min¬ 
destens um etwa 1 cm. Die höchste Partie, ziemlich rund, mehrere 
Centimeter im Durchmesser, ist etwas dunkler roth gefärbt, schon 
bei geringem Flngerclruck recht empfindlich, die Haut selbst etwas 
geschwollen. 2. Das rechte Auge steht tiefer und etwas nach 
aussen; es gelingt leicht, Doppelbilder hervorzurufen, besonders 
beim Blick nach links und oben. Das Verhalten der Bilder lässt 
auf ein mechanisches Hinderniss im oberen inneren Winkel der 
Orbita schliessen. Ein geringer Exophthalmus schien vorhanden 
zu sein, konnte aber nicht genauer bestimmt werden. 3. Das obere 
Augenlid ist geschwollen, die Lidspalte dadurch verschmälert, am 
meisten in der nasalen Hälfte. Die genauere Untersuchung ergibt, 
dass einmal die Lidhaut selbst verdickt ist, ohne entzündet zu sein, 
dass sie ferner durch dahinter liegende umfangreiche Massen 
weiter vorgeschoben ist. Diese gehören zum Theil dem knöchernen 
Orbitalrande an, der ungefähr von der Insertion des Ligamentum 
nmthi intemum an aufgetrieben und wulstig gerundet ist. Nir¬ 
gends lässt sich der normale scharfe Itand durchfühlen, erst nach 
aussen von der Mitte geht die wulstige Begrenzung rasch in die 
kantig zugeschärfte Uber. 

Etwas nach aussen von der Incisura nervi supraorbitalis und 
nach hinten von dieser ist der Knochen leicht höckrig und verdickt; 
cs entspricht diese Stelle ungefähr dem Eintritt einer elastischen, 
gutabgrenzbaren Geschwulst, die am oberen inneren Endedes Daches 
sich in die Orbita hineinschiebt, sie ist rundlich, mehr als bleistift¬ 


stark und erstreckt sich nach aussen hinten; anf Druck verkleinert 
sie sich etwas. Die Thränenleitung ist nicht gestört, doch be¬ 
richtet Pat., dass bei Druck auf die Geschwulst sich oft Flüssig¬ 
keit in die Nase ergossen hat, die früher schleimig, in den letzten 
Monaten gelblich-eitrig gewesen. Die elektrische Durchleuchtung 
ergibt abgeschwächten Reflex der rechten Stirnseite, während ein 
Helligkeitsunterschied der Kieferhöhlen nicht besteht. Die Nase 
Ist normal. 

Operation am 23. No v. Die rechte Augenbraue wird 
rasirt, Narkose. Am inneren Ende des Augenbrauenbodens wird 
mit spitzem Messer direct auf den Orbitalrand vorgegangen und 
auf diesem nach der Schläfe zu ein Schnitt von ca. 4 cm Liinge 
angelegt; die ziemlich reichliche Blutung wird theils durch Ab¬ 
drehen der spritzenden Gefässe, theils durch Compression bald 
gestillt. Dann wird das Perlost auf dem Orbitalrand durchtrennt 
und nach der Augenhöhle und nach der Stirn zu mit dem Raspa- 
torium leicht abgehebelt. Der ganze Knochenrand ist hier aüf- 
getrieben, abgerundet, nirgends scharfkantig. Ein zweiter auf den 
ersten fast senkrechter Schnitt von etwa gleicher Länge wird vom 
selbigen Ausgangspunkt nach oben und zwar so geführt dass er 
medial von der auf getriebenen Partie der Stirnhöhle verläuft Der 
dadurch gebildete winklige Stirnhautlappen wird eiüsdhliefesüeh 
des Periost abpräparirt, in die Höhe geschlagen und so mit 
scharfem Haken festgehalten. Die Prominenz tritt jetzt als fast 
kreisrunde, etwa zweimarkstückgrosse Erhöhung deutlich hervor; 
in ihrer Mitte schimmert eine dunkle Masse durch den Knochen 
hindurch. Dort wird mit rundem MelsSel ein 1 cm Durchmesser 
haltendes Loch ausgeschlagen. Die knöcherne Lamelle ist ausser¬ 
ordentlich dünn, kaum kartenblattstark und gibt beim Aufsetzen 
des Meisseis mit leicht knitterndem Geräusch nach. An dem mit 
der Pincette entfernten Knochenblättchen haftet du’nkelblaurotne 
verdickte Schleimhaut; ln die Oeffnung stellt sich sofort gelber, 
fadenziehender, vollständig homogener, dickfliessender Elter. • Da 
die Sondenuntersuchung eine weite Ausdehnung des eröffneten 
Sinus nach allen Seiten hin erkennen lässt, der völlig vom Eiter 
erfüllt ist, wird die Abtragung der vorderen Wand sofort ln An¬ 
griff genommen, mit geradem Meissei die vordere Lamelle des 
Stirnbeines in der Ausdehnung von ca. 3X3 cm fortgeschlagrpn, 
der Eiter herausgespült, die sulzige Schleimhaut mit scharfem 
Löffel, Pincette und Wattetupferh fortgenominen oder weg¬ 
gewischt; sie haftete an keiner Stelle fest am Knochen, Hess sich 
vielmehr überall mit der grössten Leichtigkeit entfernen. Die 
Mnasse der so freigelegten Stirnhöhle — die Hinterwnnd ist. ge¬ 
sund. nirgends perforirt, von leicht welliger Oberfläche — sind 
folgende: Diaineter frontnlis 40 mm. sagittalls 15—20 mm, verti- 
calis 35 mm. 

Nun wird mit biegsamer Sonde eine sorgfältige Abtastung 
samnitlieher Wände vorgenommen, dabei macht sich eine weitere 
Hinwegnahme des Knochens nach der Mittellinie zu nothwendig, 
weil die Sonde hier so tief elndfang, dass zu befürchten war, es 
wäre die linke Stirnhöhle mit ergriffen. Indessen ergab sich, dass 
eine Communleation nicht bestand, sondern lediglich eine starke 
Verschiebung des beide Höhlen trennenden Septums nach links 
und zwar um wenigstens 1 y 2 cm. Nach dem unteren inneren 
Theile, der Gegend des Ausführungsganges des Ductus naso-frou- 
talis Hess sich die Sonde mehr , als 7 cm .ohne Widerstand vor¬ 
schieben. Die vereiterten Siebl>einzellen werden in weitem Um¬ 
fange ausgeräumt, soweit sich überhaupt Eiter zeigt. Es gelingt 
sodann — Patient ist inzwischen soweit erwacht, um herab¬ 
laufende Flüssigkeit auswerfen zu können — den Ausführungsgaog 
selbst aufzufinden. Sodann wird der Orbitalthell des Empyems 
ausgeräumt. Unter dem Periost, etwas nach innen von der Mitte 
des Augenhöhlendaches, von diesem — von vorn nach hinten ge¬ 
rechnet — etwa 1 cm weit entfernt, stösst der Finger auf eine 
starke knöcherne Rauhigkeit, die wallartig eine bleistiftdicke 
Perforation umgibt. Der ganze Knochenrand mit Einschluss dieser 
Stelle wird mit Lue rischer Knochenzange abgebrochen, so dass 
mindestens 1 y t cm vom vorderen Krtnde des Orbitaldaches in 
Wegfall kommt. Auch nach der Gegend des Thränenbeins hin 
wird enibiöHster Knochen fortgenommen, säimntliclie Ränder so¬ 
dann sorgfältig geglättet. Da eine Leiste, welche die freigelegte 
Stirnhöhle temporal absclillesst, nöch verdächtig erscheint, wird 
sic vorsichtig f ortgeschlagen und dadurch ein weiterer eitergefüllter 
flacher Recessus von der Gestalt eines gleichseitigen Dreiecks,, mit 
etwa 1 >/ 2 cm Seitenlänge freigelegt. Damit wächst der frontale 
Durchmesser der Stirnhöhle auf über 5 cm. Durch den Ductus 
na 80 -frontalis wird ein ziemlich’ starkes Drainrohr ln die Nase ge¬ 
leitet und, nachdem der Hautlappen zurückgeklappt und genäht 
ist, in der Ecke der Wunde befestigt. Verband. Dauer der Opera¬ 
tion 1 % Stunden. Kura darauf erbricht Pat. blutig gefärbte 
Massen. Dann ungestörtes Wohlbefinden. Abends 37.1° Tem¬ 
peratur. Die Nachbehandlung beschränkte sich auf täglich- eirr- 
maiigeu Verbandwechsel, währenddessen durch den Draiu mit 
dünner Subllmntlösung gespült wurde. Da nach 3 Tagen durch 
Hals resp. Nase nichts mehr abfloss, so wurde der Drain rasch 
gekürzt und. nachdem inzwischen die Nähte entfernt waren und 
W. nach 12 Tagen nach Hause entlassen war, fortgelassen. In 
etwa 3 Wochen war auch die Drainstelle verheilt. 

Nach 4 Monaten zeigte sich die rechte Stlmhälfte. einschliess¬ 
lich des Orbitalrandes, lin Profil deutlich, aber weder auffallend, 
noch weniger entstellend, etwas eingesunken. En face war ein 
Unterschied gegen links überliaupt nicht wahrzunetamen, mit der 
einzigen Ausnahme, dass die Augenbraue nur sehr langsam uach- 
wuchs. wenn sie auch genügend dicht war, um den horizontalen 
Schnitt zu verdecken. 


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36. .Tuli 1901. 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSOSRIET. 


1169 


Die Behandlung der Gesichtshöhlenerkrankungen fällt 
je nach der vorwiegenden. Betheiligung der einzelnen Bezirke 
dem Chirurgen, dem Rhinologen oder dem Augenarzt zu, viel¬ 
leicht trägt der hieraus mit Nothwondigkeit sich ergebende 
Mangel an Einheitlichkeit der Beurtheilung die Schuld daran, 
dass auch bezüglich der Therapie die Meinungen und Vorschläge 
weit auseinander gehen. Für die Augenheilkunde hat Kuhnt*) 
in seiner ausgezeichneten Monographie an der Hand eines grossen 
Krankenmaterials unter eingehender kritischer Würdigung der 
einschlägigen Gesichtspunkte diese Einheitlichkeit geschaffen, 
die klinische Wichtigkeit nachdrücklich hervorgehoben und eiu 
neues radikales Operationsverfahren mitgetheilt. Das Wesent¬ 
liche des Verfahrens besteht in der principiellen Wegnahme der 
ganzen vorderen Sinuswaud und der gesammten 
kranken Schleimhaut, beziehentlich in der gleichzeitigen 
Abtragung auch der unteren Wand. 

Den Hauptvortheil der Methode erblicke ich darin, dass der 
Krankheitsherd in seiner ganzen Ausdehnung zur Ausräumung 
kommt, dass unter steter Kontrole des Auges operirt wird bei 
bester Uebersichtlichkeit des Terrains, dass sie trotz des gefor¬ 
derten Eindringens in alle erkrankten Winkel, Buchten und 
Nachbarhöhlen einfach und schonend ist, dass sie den heute gü¬ 
tigen chirurgischen Forderungen entspricht und endlich hervor¬ 
ragend gute kosmetische Resultate liefert. Die früher allgemein 
geübte Ausschabung der Höhle durch die Fistelöffnung ist ein 
Nothbehelf, der zwar zur theihveisen Entleerung des Eiters aus-'" 
reicht, der aber auch seine grossen Gefahren birgt, wenn z. B. 
an der hinteren Wand des Sinus eine Perforation direct in den 
Subduralraum führt, was man niemals vorher wissen kann. 
Ebenso unvollkommen und gefährlich ist die Benutzung des 
Ductus naso - frontalis zur Einführung von Löffelsonde, Troikart 
u. ähnl. schon deeshalb, weil die Erreichung des Sinus auf diesem 
Wege durchaus nicht immer gelingt, die Lamina cribrosa, 
Thränenbein und Siebbeinzelleu eher getroffen werden können, 
als der in Lage und Proportionen so ungemein variable Stirn¬ 
ainus. 

Der Einwand, dass man dabei ganz im Dunklen arbeitet und 
nur auf das so leicht täuschende Gefühl angewiesen ist, lässt sich 
theilweiae auch gegen J a n s e n’s scheinbar sclionendere Methodo 
erheben: er eröffnet die Stirnhöhle durch Fortnahme der unteren, 
orbitalen Wand, und lässt die vordere stehen, so dass der 
Sinus zwar ausgeräumt, aber in seiner Form erhalten bleibt. 
So gute Resultate in kosmetischer Hinsicht dem 
Verfahren nachgerühmt werden, so kann e» die nothwendig zu 
verlangende totale Befreiung des Sinus von allem Krankhaften 
doch nicht gewährleisten. 

Dadurch, dass man nach Kuhnt auch die Ränder des Sinus 
abträgt, vermeidet man die Entstehung von tief eingezogenen 
Dellen in der Stirn, um so eher und um so leichter, je flacher 
die Höhle ist; auf die Ausdehnung in frontaler Richtung kommt 
es fast gar nicht an. So erklärt es sich, dass gerade nach der 
Abtragung von sehr grossen Höhlen die Entstellung auffallend 
gering ist, wenn man eine leichte Abflachung der Stirn über¬ 
haupt so bezeichnen darf, die übrigens so unbedeutend sein kann, 
dass sie nur in der Seitenansicht zu bemerken ist, aber selbst in 
ihren höheren Graden nie den abscheulichen Anblick gewährt, 
wie das bekannte, tief trichterförmige Loch in der Stirn. Die 
von Grüne rt zur Vermeidung desselben vorgeschlagene Aus¬ 
füllung der Höhle mit Haut scheint mir sehr beachtenswerth, 
doch müsste m. E. der ganze Raum vorher radikal entleert 
werden; leider schrumpfen derartig untergeheilte Hautstücke 
gewöhnlich ziemlich stark. 

So wenig ich geneigt wäre, für alle Sinuserkrankungen das 
Kuhnt’sche Verfahren in Vorschlag zu bringen, so kann ich 
für die Empyeme, insbesondere die mit Orbitalleiden komplizirten, 
dasselbe als überaus zufriedenstellend wärmstens empfehlen. 


*) lieber die entzündlichen Erkrankungen der Stirnhöhlen 
and Ihre Folgecustände. Wiesbaden 1896. 


Aus der Klinik des Herrn Hofrath Prof. Dr. Schinzinger 
zu Freiburg i. B. 

Oie Narkose des Herrn Dr. Schneiderlin. 

Von Dr. med. B. Korff in Freiburg i. B. 

Vor einem Jahre erschien in den „Aerztlichen Mittheilungen 
aus und für Baden“ eine Arbeit des Horm Dr. S ch n e i d e r 1 i u, 
derzeit Hilfsarzt an der Heilanstalt Enunendingon, betitelt: Eine 
neue Narkose. In dieser Arbeit schrieb Dr. Schneiderlin, 
dass ihn die Unannehmlichkeiten und die Gefahren bei den bis¬ 
herigen Lachgas-, Aether- und Chloroformnarkosen, sowie die 
Schwierigkeit der Anwendung der auch nicht für alle Fälle an¬ 
wendbaren Sc h 1 e i c h’schen Infiltrationsanaesthesie veranlasst 
hätten, nach einem neuen Narkoticum zu suchen und zwar unter 
Zugrundelegung folgender Forderungen: 

1. Das Narkoticum als solches darf nicht lebensgefähr¬ 
lich sein. 

2. Es darf der Kranke nicht durch allerlei Manipulationen 
bei der Narkose gequält werden. 

3. Muss die Narkose eine kontinuirliehe sein; Brechen, 
Husten etc- seien auszuschliessen. 

4. Die Folgezustände dürfen nicht unangenehme oder gar 
gefährliche sein. 

Dr. Schneiderlin fügt dann, bescheiden genug, hinzu, 
dass der Zufall ihn in seiner psychiatrischen Thätigkeit eine 
neue Methode der Narkose finden liess. Er beobachtete, wie 
schon Andere vor ihm, dass durch Scopolaminum hydrobromicum 
(Merck) und Morphin, zusammen injizirt, aufgeregte Kranke 
beruhigt wurden und er beschloss, die bei dieser Medikation er¬ 
zielte Narkose bei chirurgischen Fällen in Anwendung zu ziehen. 

Es gelang ihm in verschiedenen Fällen: Entfernung von 
Lymphoma colli, Adenoma mammae, chron. Abscess der Mamma, 
Pes varus (Resoctio tali), Amputatio cruris, Atherom von Wall¬ 
nussgrösse, Amputatio femoris, Extractio dentis, Nasenpolypen 
ohne weiteres Narkoticum durch Injektionen von wechselnden 
Dosen von Scopolamin und Morphin die nothwendigen opera¬ 
tiven Eingriffe schmerzlos zu vollziehen. 

Schneiderlin empfiehlt bei der Anwendung der Soopo- 
lnmin-Morphinnarkosc folgende Punkte zu beachten. 

1. Vorsichtiges Ausprobircn der Dosis, er fängt mit 3 dmg 
Scopolamin hydrobromicum (M e r c k) und 1 cg Morphin an, 
wiederholt nach 1—2 Stunden die Dosis oder gibt probeweise am 
Abend vor der Operation diese und am nächsten Tage eine höhere 
Dosis. Er schreibt dann, so kann man nach 2—4 maligem Aus- 
probiren die für die Operation nüthige Narkose zu Stande 
bringen. Dabei soll sich die Gesammtdosis nach der voraussicht¬ 
lichen Dauer der Operation richten. Ich will hier gleich be¬ 
merken, dass diese Art des Verfahrens mir der schwache Punkt 
zu sein scheint. 

Dieses Ausprobircn am jeweiligen Falle steht nicht im Ein¬ 
klang mit der oben angeführten No. 2 der Forderungen Dr. 
Schneiderli n’s. 

Auf Ausprobircn der richtigen Dosirung lassen sich ängst¬ 
liche Naturen nicht ein. Auch gibt diese Art der Darstellung 
den Kollegen Bedenken, bei dem immerhin in seinen Wirkungen 
wenig gekannten Medikamente die Methode nachzuprüfen. Ich 
halte es daher für besser, bestimmten' uniforme Regeln für die 
Verordnung zu gehen und zunächst einmal eine mittlere gleiche 
Dosis Soopolamin-Morphin zu geben und in Fällen, in denen 
diese Menge zur Erzielung der vollständigen Narkose oder Un¬ 
empfindlichkeit nicht genügt, das Defizit durch Chloroform zu 
decken. 

2. Injektion der Lösungen an verschiedenen Stellen. 

3. Warte man nach der Injektion VA —2 Stunden. 

4. Verwendung frischer Lösungen. 

In dringenden Fällen räth Schneid erlin, gleich höhere 
Dosen von 5—8—10 dmg Sc. und 2—3 cg Morphin zu verwenden. 

Sehneiderlin beruft sich bei der Ausführung über die 
Ungefährlichkeit seiner Methode darauf, dass Morphin und Sco¬ 
polamin in gewissem Sinne Antagonisten (Morphin verlangsamt 
Respiration, Scopolamin beschleunigt sie; Morphin verlangsamt 
Herzthiitigkeit, Scopolamin Ix-schleunigt sic; Morphin lähmt die 
sensiblen, Scopolamin die motorischen Nerven), sich in ihrer nar- 
kotisirenden Wirkung zu unterstützen scheinen, und entnimmt 

2 * 


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1170 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29. 


aus der Weite der Pupillen die überwiegende Wirkung des einen 
oder des anderen Mittels auf das betreffende Individuum. 

Während und nach der Narkose sollen unangenehme Reiz¬ 
erscheinungen, Brechen, Kopfschmerzen etc. nicht verkommen, 
ebensowenig gefährliche Herz- und Nierenerkrankungen. 

Zur Vorsicht will ich hier gleich hinzufügen, dass es in 
jedem Falle gerathen ist, auf Aussetzung der Athmung durch 
Herabsinken des Zungengrundes zu achten und dass eventuell 
sofort die Athmung zu unterstützen ist, auch für längere Zeit 
nach der Operation bis der Patient wieder völlig klar bei Bewusst¬ 
sein ist. Bei uns war allerdings bei 80 Fällen ein Eingreifen 
in dieser Richtung nicht nöthig. 

Soweit Dr. Schnoiderlin. Nach Lesen seines Artikels 
hörte ich von Herrn Dr. Stroomann in Freiburg, dass auch 
er bei einzelnen kleinen Operationen die Methode in geringer 
Dosirung in Anwendung gezogen und meistens zufrieden gewesen 
sei, doch habe die von ihm angewandte Dosis von 0,0003 Sc. 
+ 0,01 M. nicht immer genügt. In anderen Fällen sollen bei 
Anwendungen von anderer Seite Misserfolge vorgekommeh sein, 
meistens wohl weil der Patient für sich höhere Dosen als die 
angewandten erforderte und man nicht lange genug die schein¬ 
bar hohen Dosen des noch wenig bekannten Mittels anwenden 
wollte. Die Empfänglichkeit des einzelnen Individuums für 
Sc. -f- M.-Wirkung spielt dabei jedenfalls eine grosse Rolle. 

Zunächst suchte ich in der Literatur nach weiteren Be¬ 
merkungen über die Natur und die Wirkung des Scopolamins. 
Ich fand die wesentlichen in den Berichten von E. M e r c 
Jahrgang 1893, 94 und 95. Scopolamin ist darnach ein nach 
E. M e r c k's Berichten 1894, laut den Untersuchungen von 
Schmidt (Arch. d. Pharmak. 1894, pag. 409) und von Merck, 
mit dem seit längeren Jahren aus dem Hyoscyamus dargestellten 
Iiyoscin identisches Alkaloid. Es wird nach dem Vorgang von 
A. Schmidt in Marburg aus der Wurzel von Scopolia atro- 
poides hergestellt. Nach Angabe von Prof. K o b e r t hat das¬ 
selbe der Atropinwirkung entgegengesetzte Eigenschaften, wirkt 
auf die Gehirnrinde nicht wie Atropin reizend, sondern lähmend, 
und entgegen dem Atropin pulsverlangsamend. 

Von Raehlmann ist das Scopolamin als ausgezeichnetes 
Mydriaticum und Antiphlogisticum bei kranken Augen em¬ 
pfohlen worden, dem Atropin mindestens gleichwerthig. Nach 
ihm soll es in übermaximalen Dosen Trockenheit im Halse er¬ 
zeugen. Nervöse Unruhe mit Röthung des Gesichtes und fre¬ 
quentem Pulse wie bei der Atropinanwendung hat R. nicht be¬ 
obachtet. Es wirkt 5 mal stärker als Atropin auf die Augen¬ 
museula tur. Die Dauer der Wirkung ist die gleiche. Diese 
Wirkungen wurden von Bell jarmin off, Kostislaw, 
A. Peters, v. Krüdener, Illig und Anderen bestätigt. 

Nach Ernst ist das Scopolamin als brauchbares Be¬ 
ruhigungsmittel in Dosen von 0,25—1,0 mg subcutan bei den mit 
Aufregungszuständen verbundenen Psychosen empfohlen. Bei 
längerem Gebrauch soll nach ihm Gewöhnung eintreten. Von 
Beier Szalay ist das Sc. in der Ofcu-Pcster Landesirren¬ 
anstalt angewandt und als Hypnoticum imbrauchbar, als Seda¬ 
tivum dagegen in jedem Falle bewährt gefunden. Dosis 1,0 bis 
2,0 mg. Schädliche Nebenwirkungen konnten nach ihm nicht 
beobachtet werden. 

Dr. K r a p o 11 - Bonn äussert sich in brieflicher Mittheilung 
an E. M e r c k, dass „selbst bei den unruhigsten Kranken die Be¬ 
ruhigung innerhalb 10—15 Minuten eintrat und wenn das Mittel 
Abends beigebraeht wurde, meist für die ganze Nacht anhielt. 
Bei einigen Kranken stellte sich starkes Durstgefühl ein. Der 
Puls war bei allen Kranken etwas beschleunigt, die Pupillen am 
folgenden Morgen erweitert. Collapserscheinungen habe ich nicht 
beobachtet, doch ist l>ei älteren Leuten Vorsicht geboten.“ Dosis 
'/,—2 mg pro dosi. Da das Scopolamin von allen Schleimhäuten 
ungemein schnell resorbirt wird, kann es auch per anum ge¬ 
geben werden. 

Wir sehen, dass die verschiedenen Angaben mehrere Wider¬ 
sprüche enthalten, alle aber sind einig über die beruhigende Wir¬ 
kung und die Imgefiihrliohkeit des Mittels. Und beide« soll 
nach Dr. Schneid erlin durch den entsprechenden Zusatz 
von Morphin noch erhöht werden. Er rechnet auf 0,0003—4 
Scopolamin 0,01 Morphin. 

Tch beschloss dann nach Besprechung mit meinem verehrten 
Chef, Herrn llofrath Prof. Dr. Schinzinger, die 


Dr. Schneidorli n’sche Methode iu einer allerdings etwas 
modifizirten Weise in Anwendung zu bringen. Wir gingen zu¬ 
nächst, wie schon oben angeführt, von dem Grundsätze aus, die 
Methode möglichst einfach und uniform zu gestalten. Wir be¬ 
gannen in der ersten Zeit mit 3 dmg Sc. + 1 cg M. 2 mal in 
2 stündigen Pausen gegeben, später erhöhten wir diese Dosis 
auf 4 dmg Sc. -f- leg M. 2 mal. Während nun aber S chnei¬ 
de r 1 i u die Dosis soweit steigern wollte, dass Sc. + M. allein 
genügen, gaben wir, vorläufig, Va —1 Stunde nach der zweiten In¬ 
jektion, falls noch keine genügende Anaestheeie vorhanden, soviel 
Chloroform auf Tropfmaske, als genügte zur Narkose. Man 
könnte nun einwenden, dass dieses ja fast die alte Morphin- 
Chloroformnarkose sei, nur komplizirter, aber das ist nicht der 
Fall. Der Patient braucht, wie wir uns in einer grossen Anzahl 
von grösseren Operationen überzeugt haben, vielleicht nur ein 
paar Tropfen Chloroform, höchstens jedenfalls ein Drittel der 
Menge, die man ohuo Sc. + M. in ähnlichen Fällen brauchte. 
Man kann die Menge Chloroform ,die im einzelnen Falle noch 
erforderlich ist, nur abschützen, aber wir haben die sichere Ueber- 
zeugung gewonnen, dass man mit einer minimalen Menge Chloro¬ 
form auskommt, und damit ist doch schon ein Bedeutendes ge¬ 
wonnen. 

Sollte es sich, wie an anderer Stelle behauptet und be¬ 
schrieben werden wird, heraussteilen, dass man Sc. -f- M'. ruhig 
in höheren Dosen, als Dr. Schneiderlin als höchste Dosis 
(0,001) annahm, geben kann, so werden wir auch darin weiter 
. gehen, nur wollten wir uns nicht von vornherein zu sehr auf das 
Feld des experimentellen Versuches begeben und vor Allem dem 
Grundsätze konservativer Chirurgie: Nil nocere, treu bleiben. 

Unbefangen behaupten wir, dass in den Fällen, in denen 
Chloroform zugesetzt wurde, die Chloroformmenge eine sehr ge¬ 
ringe war, schätzungsweise l / 10 -—'/, der Menge, die ohne Sc. + M. 
erforderlich gewesen wäre. Ein grosser Vortheil ist es, dass der 
Patient von der qualvollen Empfindung, die sonst gewöhnlich zu 
Beginn der Betäubung eintritt, nichts zu bemerken scheint. Bei 
langsamer Auwendung schläft er, wenn Chloroform angewandt 
wird, ruhig weiter. Erbrechen während der Narkose kam nie vor. 
Die Operationen verliefen äusserst ruhig und ungestört. Ruft 
man die Patienten während der Operation oder nachher laut an, 
so wachen sie meistens auf, reagiren, um gleich wieder weiter zu 
schlafen. Eine Hauptannehmlichkeit kommt aber nach der 
Operation: Zu Bett gebracht, schläft der Patient stundenlang 
bis zu 12 Stunden nach der Operation, hat keine postoperativen 
Schmerzen und wirft sich nicht umher. Das ist für die Ver¬ 
klebung und Heilung der Wunde, sowie für die Abwehr einer 
Nachblutung ein sehr wichtiger Punkt. 

Fast alle Patienten wachen auf mit der Frage, wann sie 
nun operirt würden. 

Beim Erwachen oder doch bald nachher waren alle im Stande 
trotz der massigen Menge Chloroform etwas Vichywasser, dann 
Suppe oder Kaffee etc. zu nehmen. Die folgende Nacht ist zwar 
ohne festen Schlaf, aber nicht unruhig und nach einem Tage ist 
alles wie zuvor. Appetit und Verdauung normal. Herzthätigkeit 
und Athmung ungestört. Nierenreizungen nicht beobachtet. Folge¬ 
erscheinungen mit 1 Ausnahme nie vorgekommen. Da trat für 
24 Stunden ein Puls von 46 auf. Pupillen reagiren nach 10 bis 
24 Stunden wieder normal. 

Wir haben auf diese Weise 80 Fälle behandelt. 

Lymphoma colli 5 Fälle. Peritonlt. perforatlv. Appendicitis 
5 Fälle. Vulnus antibrach, dextr. Entfernung von GlasstUck. Naht. 
Haeinorrlioldeu. Tuberculos. reg. symphys. sacrolllac. mit Sen- 
kuugsabscess in der Lumbalgegend. Amput. crurls wegenGangraen. 
Luxat tibiae compllcat resect. tibiae. Phlegmone fern. sin. 5 Fälle. 
Osteoinyclit. ehron. tubercuL phalang. prim. Tubercul. testieul. 
sin. et funlcul. spermat eastratio. Gonitis tuberculosa. Arthrek- 
tomie. Hydrocele mltExclslo. Carcin. cut reg. crur. von Handgrösse. 
Carcin. uas. Sarcom. maminae 2 Fälle. Carcinotn. luaimn. mit 
Axillarlsnusrüumung 5 Fälle. Fibroadenom maminae 2 Fälle. 
Mastitis sin. Pauaritium 4Fälle. Pirogof f’sOperation 4Fälle. Ent¬ 
fernung von Schrotkörnem aus Grundphalanx digit indic. dextr. 
Cholecystitis purulenta calculosa 3 Fälle. Sectio alta. Entfernung 
von 9 Blasensteineu bei 77 jähr. Manne. Phimosis 2 Fälle. Bur¬ 
sitis praepatell. 3 Fälle. Carcinom. lyniphoglandulae tuberculos. 
coli. Ostitis calcanei. Resectio calcls. Amputat. cruris. Fractur. 
complicat. femoris resect. tib. et flbul. Periostitis maxill. Infer. 
2 Fälle. Carcinom. recti. Exstirpatio recti, colostomia lliac. sin. 
Carcin. labil infer. 2 Fälle, 82 und 69 Jahre alt Carcin. oesophag. 
Gastrostomla nach W itzel. Sarcom. reg. supra- et infraclavlcul. 
Rcposit. fract. condyL lnt hum. mit Luxat capit radll. Carles 
caput liuineri. Resectio nach Laagenbeck. Carles tars. et 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1171 


16. Juli 1901. 


metatars. ped sin., alt 8 J. Psoltis, alt 7 J. Vuln. art. genu sin. 
septic. amput. femorls. Hallux valgus mit eiteriger Bursitis. Luxat. 
subcoracold. humeri mit Fract tub. major, 70 J. Sarcom. parotidis. 
Periostitis oss. ilei. Carles oss. metatars quart. 

ln allen Fällen waren wir mit der Wirkung zufrieden. Tu 
7 Fällen haben wir unter Scopolamin- und Morphinwirkung 
allein operirt, einige Male mit oberflächlicher Zuhilfenahme des 
Aetliersprays. Einrichtung einer Schulterluxation, Abnahme von 
Fingern, grosses Lippencarcinoin mit Plastik. Herausnahme 
eines Lipoma mal. reg. dext., sowie eines Haemangioma sub oculo 
dextr. von Grösse einer Nuss. 

Die Methode ist ja noch nicht nach aller Richtung durch- 
probirt, sie befindet sich erst im Anfangsstadium, es werden an 
anderer Stelle, wie ich höre, weit höhere Dosen mit sehr gutem 
Erfolge angewandt, dann meist olme Chloroform. Wir konnten 
uns vorderhand nicht dazu verstehen. Doch werden wir jetzt 
noch unseren Erfahrungen ohne Bedenken auf 0,0004 als erste, 
0.0004 als zweite und eventuell 0,0004 als dritte Dosis mit je 0,01 
Morphin und IVa—2 ständigen Pausen übergehen. Die Dosis 
Morphin haben wir vorderhand als 0,01 festgehalten, doch könnte 
man auch darin ja weitergehen. 

Zweck dieser Zeilen ist wesentlich, auf die wenig beachtete 
Methode des Herrn Dr. Schneid erlin hinzuweisen. Sei es 
nun, dass dieselbe nach einer oder der anderen Seite mo^ifizirt 
wird, ein sehr guter Kern scheint in ihr zu stecken. Ziel fernerer 
Beobachtungen muss es sein, die Methode weiter zu entwickeln, 
unparteiisch zu prüfen und einen möglichst einfachen für alle 
Fälle passenden Modus der Anwendung zu finden. 

Bei Kindern von 7—10 Jahren haben wir verschiedentlich 
0,0001—2 Sc. und Va— '/* cg M. angewandt mit bestem Resultat. 

Aeltere Leute zeigten sich ebenso empfänglich und zeigten 
keine störenden Begleit- oder Nacherscheinungen, nur bei einem 
älteren Mann (82 Jahre) traten für 24 Stunden nach der Ope¬ 
ration Unruhe, Verwirrtheit auf, die am nächsten Tage von 
selbst verschwand. 

Bei einem anderen älteren Manne, bei dem der betr. Kollege 
Schwierigkeiten gehabt hatte, da er denselben wegen Arterio¬ 
sklerose und Potatorium nicht ehloroformiren wollte und bei dem 
die Repositio einer Lux. humeri nicht gelang, gelang es bei An¬ 
wendung von Sc. und M. sehr leicht ohne Weiteres nach Mothe- 
Rust. ohne Chloroform. Pat. befand sich nach dem Eingriff 
ausgezeichnet. 

Die Art der Ausführung gestaltet sich in der Klinik des 
Herrn Hofrath Schinzinger bei Erwachsenen und nicht 
dringlichen Fällen folgendermaassen: 

Nach Vorbereitung des Pat. wird Morgens 7 Uhr ein flüssiges 
Frühstück (Milch, Kaffee oder Thee) gegeben. Um V 2 9 Uhr 
erste Dosis 0,0004 Sc. und 0,01 M. Um V» 11 Uhr zweite In¬ 
jektion an anderer Stelle von gleicher Dosis. Bei Patienten, die 
nach ihrer Individualität geeignet scheinen und noch Schmerz¬ 
gefühl äussern, dritte Dosis um 12 Uhr. Eine Stunde nach 
zweiter resp. dritter Injektion Operation, eventuell mit Zuhilfe¬ 
nahme von einer kleinen Dosis Chloroform, guttatim auf ge¬ 
wöhnlicher Flanellmaske. Bei der von nun an anzuwendenden- 
grösseren Seopolaminmenge, Steigerung der Gesammtdosis bis 
0,0012 wird das Chloroform wohl noch seltener und in noch ge¬ 
ringeren Mengen anzuwenden sein. Ob man besser und bequemer 
gleich von Anfang eine kleine, nach 2 Stunden eine Dosis von 
0,0000—8 anwenden kann, das wird die Erfahrung lehren. 

Die Scopolamin-Morphin-Narkose des Dr. Schneid erlin 
ist jedenfalls einer unbefangenen Beurtheilung würdig und nach 
den bisherigen Erfahrungen, die wir und Andere gemacht haben, 
zur Nachprüfung als ungefährlich zu empfehlen. 


Ein Fall von Luxatioclaviculae sternalis duplex congenita. 

Von Prof. F. Klaussner in München. 

K r ö n 1 e i n citirt (Die Lehre von den Luxationen. 
Deutsche Chirurgie, Lief. 26, 1882) nur drei Autoren, die Mit- 
theilungcn über angeborene Luxationen im Stemoclavicular- 
g(lenke geben: Chaussier, Vernouil und Heusinger. 
Die Berichte der ersten Beiden (V ernouil: Gaz. des Iiop. 
68 u. 70, 18t 6 und Verneuil: Discours aux eleves sages-femmes, 
Paris 1812) waren mir leider nicht zugänglich. Heusingor 
fVircli. Arch. Bd. 39, IL lieft, S. 341) erzählt von einem 
15 Jahre alten Schreiber, bei dem eine Luxation beider Claviculae 
No. 29. 


am stemalen Ende vorhanden war, welcher Zustand jedoch weder 
ihm noch seiner Mutter aufgefallen war. Eine Belästigung hatte 
er hierdurch nicht, konnte im Gegenthcil seine Arme sehr gut 
gebrauchen und „war stark wie einer“. Patient, an Diabetes und 
Pleuritis leidend, verstarb. Die Autopsie ergab hinsichtlich der 
Luxation, „da-s alle Faserbänder, besonders dieVerstärkungsfasern 
der Kapsel, aber auch des Lig. interclav., costoclav. und rhomboid. 
(abnorm lang) ungewöhnlich staik entwickelt waren. Der Synovial¬ 
sack w T ar weit, Zwischenknorpel ungewöhnlich dick, fester wie ge¬ 
wöhnlich mit dem Schlüsselbein verbunden. Die Synovialkapsel 
zwischen Schlüsselbein und Brustbein ungewöhnlich weit und 
schlaff“. 

Der von mir beobachtete Fall ist folgender: 

Anna S., 9 Jahre alt, ist das einzige Kind gesunder Eltern. 
Das normal, aber graeil gebaute Mädchen weist eine abnorme La¬ 
gerung und Beweglichkeit des sterualen Theiles beider Claviculae 
auf, die nach Angabe der Eltern seit Geburt bemerkt wurde, in 
letzter Zeit Jedoch erst bemerkbarer hervortrat. 



Bei ruhigem Stehen des Kindes und gerader Hnltung springt 
das sternale Ende des Schlüsselbeins beiderseits, besonders bei leichter 
Abduetiousstellung der Arme, deutlich hervor, recliterseits derart, 
dass die Clavicula ungefähr der Hälfte ihrer Länge entsprechend 
lu ihren Konturen direct unter der Haut prägnant vortritt und 
die ganze sternale Gelenkfiüclie sich deutlich emporhebt (totale 
Luxation), linkerseits so, dass nur ungefähr die Hälfte der letzteren 
sich vonvölbt (Subluxation). In dieser ungezwungenen Stellung 
beträgt der Abstand der beiden Gelenkflächen von einander 3,5 cm; 
bei starker Adduction der Oberarme verringert sich derselbe auf 
1,5 cm; bei äusserster Abduction vergrüssert er sich auf 0,0 cm. 
Die Länge der beiden Schlüsselbeine ist gleich (10,5 cm), ihre Form 
normal. 

Die bei der gegenseitigen Annäherung der Arme auftretende 
Luxationsforin entspricht zunächst der der Luxatlo suprastemalis, 
um bei extremster Adduction und gleichzeitigen Rotationsbeweg¬ 
ungen in die der Luxatlo prästerualls überzugehen; dies gilt nament¬ 
lich für die rechte Clavicula, deren Gelenkkapsel beträchtlich er¬ 
weitert ist. 

Diese letztgenannte Luxatlousart kann sehr leicht durch dl- 
recten Zug von hinten nach vorne mittels an der Clavicula ein¬ 
gehakten Fingers erreicht werden. 

Die Fibrocartilago interarticularis ist weder in Ruhestellung 
des Gelenkes noch bei Ausführung von Bewegungen abzutasten. 

Trotz der Schlaffheit beider Stemoclavleulargelenke sind die 
Arme in keiner Weise in ihrer Funktion gestört. 

Das acromiale Ende des Schlüsselbeines ist mit der Scapula 
in normaler Weise verbunden; eine Lockerung der Haftbänder be¬ 
steht hier nicht. 

Eine nach 5 Jahren wieder vorgenommene Untersuchung ergab, 
dem Wachsthum des Kindes entsprechend, den gleichen Befund, 
wie oben beschrieben. 

Patientin verrichtet jegliche häusliche Arbeit ohne Beschwerde. 

Nachdem eine Funktionsstörung in keiner Weise besteht, liegt 
ein dringlicher Grund zu einem operativen Eingriffe nicht vor; doch 
wäre voraussichtlich durch Anlegung von Silberdrahtuiibten eine 
gute Fixation der luxirten Claviculae zu erreichen. 


Chirurgische Mittheilungen. 

Von Dr. A. Iloepfl, Knappschafts-Oberarzt in Hausham. 

I. Solitärer Lebern bscess — Heilung durch 
Operation. 

Solitäre Lebernbscesse sind in unserer Zone eine solche Selten¬ 
heit, dass, wie Albert sagt, viele der erfahrensten Kliniker nie 
einen gesehen haben, desshalb dürfte die ausführlichere Mittheilung 
des folgenden Falles von Interesse sein. 

Die Bauersfrau M. L., 3(> Jahre alt, liess mich am 18. April 
1899 rufen, nachdem sie schon ungefähr G Wochen hindurch an 
Appetitlosigkeit, grosser Mattigkeit und Neigung zu Schweisseu 
und während der letzten 5 Tage, seit welcher Zeit sie bettlägerig 
war, auch an heftigem Fieber und starken Schmerzen im Unter¬ 
leib. besonders der rechten Bauchgegeud gelitten hatte. Sie war 

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1172 


MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. No. 29. 


Mutter von sechs gesunden Kindern und selbst früher stets ge¬ 
sund und kräftig gewesen. 

Bel meinem ersten Besuch war der Status: 

Sehr abgemagerte, schlecht aussehende Frau. Temperatur 38 8, 
Puls 1(.'0. Herz und Lungen ohne Befund. Das Abdomen dem 
gesunkenen Ernährungszustand entsprechend eingefallen. Die 
Leber erweist sich durch Palpation und Percussion besonders ln 
Ihrem rechten Lappen sehr vergrössert. Obere Grenze desselben 
5. Kippe. Der untere Rand reicht in der Mummlllarlinie ca. 2 Finger¬ 
breiten unter die Nabelhöhe herab, verläuft von da horizontal bis 
fast zur Medianlinie, um hier ziemlich senkrecht nach oben um¬ 
zubiegen und oberhalb des Nabels in den schief ansteigenden des 
linken Leberlappens überzugehen. Auffallend ist die starke An¬ 
näherung des rechten Leberluppens an die Bauchdecken, besonders 
in der Mammillarlinie und etwas ausserhalb derselben, wodurch 
das rechte Hypochondrlum etwas vorgewölbt erscheint. Die Pal¬ 
pation der Leber verursacht keine Schmerzen, Ikterus besteht 
nicht. 

Bei meinem zweiten Besuche am 20. IV. war der Befund 
der gleiche. In der rechten Mammillarlinie in Nabelhöhe erschien 
die Leber unmittelbar hinter der Bauchdecken fühlbar, von etwas 
gewölbter Oberfläche, prall elastisch, nicht fluktulrend. Ein länger 
dauernder Fingerdruck, nuf diese Gegend ausgeübt, hiuterlioss 
eine leichte Vertiefung in der Haut, welche ich auf collaterales 
Oedem der Bauchdecken zurückführte. 

Unter solchen Umständen erschien mir die schon beim ersten 
Besuche gefasste Vermuthung eines hier ln der Tiefe befindlichen 
Leberabscesses so begründet, dass ich mit Einwilligung der I’at. 
sofort eine Probepunktion mittels einer langen Explorationsnadel 
vornahm. In der Tlint wurde in der Tiefe von etwa 7 cm ein kaum 
fliesseuder, dicker, grauweisser Eiter aspirirt, der sich mikro¬ 
skopisch als aus Eiterkörperchen. Detritus und zahlreichen Mikro- 
coeceu bestehend erwies. Lel>erzellen waren darin nicht vor¬ 
handen. 

Am nächsten Tage nahm Ich unter der freundlichen Assistenz 
von Herrn OlxTstabsarzt Dr. F r u t h, der, zufällig in der Gegend 
anwesend, gerne bereit war, mich zu der Patientin zu begleiten, 
die Laparotomie vor. Vorher machten wir nochmals eine Prolx*- 
punktlon. Ein Punktlousst ich, etwas neben dem ersten geführt, 
traf keinen Eiter, während ein zweiter, genau ln der Richtung wie 
am vorigen Tage ausgeführt, wieder solchen zum Vorschein 
brachte. 

Es wurden nunmehr die Bauchdecken über der Leber, der 
Abscessstelle entsprechend, durchtrennt. Nach Eröffnung dos Peri¬ 
toneums erscheint die bläulich ausseheude Leberoborfliiche und 
erweist sich als mit dem Peritoneum nicht verwachsen, der ein¬ 
geführte Finger fühlt mehrere Centimeter nach abwärts den Loher¬ 
rand. Zum Zweck der Erzielung von Verwachsungen werden 
zwischen Leber und Parletalperitoneum an den Rändern der In- 
cisionswunde Jodoformgazestreifen eingelegt; die Wunde wird 
durch einen zwischen dieselben gelegten Jodoformgazetampon offen 
erhalten. 

In den nächsten 6 Tagen unverändertes Befinden. Temp. 38,8 
bis 35),0. P. 100. 

Am 27. IV. Entfernung der Jodoformgnze, wonach die Leber¬ 
oberflüche lm Grund der Wunde sichtbar wird. Der untersuchende 
Finger lässt allenthalben das Bestehen von Verwachsung zwischen 
Leberolierfläche und Bauchwand erkennen. Eine durch den frei¬ 
liegenden Thell der Leberoberflüche senkrecht eingefülirte Punk¬ 
tionsnadel trifft 3»/„ cm hinter derselben auf Eiter, welcher sofort 
durch einen dicken Troicnrt entleert wird. Der Eiter ist gramveiss, 
ganz dick und zähe, so dass er kaum heranstiiosst. im Ganzen 
entleeren sich ly. bis 2 Esslöffel voll. Durch den Troleart wird ein 
elastischer Katheter eingeführt, welcher nach Entfernung des 
ersteren als Drain liegen bleibt. 

Der weitere Verlauf war keineswegs ein ganz glatter. 

In den ersten Tagen nach der Eröffnung des Abscesses be¬ 
standen noch Abendtemperntureu von 39, bei geringer Besserung 
des Appetites und subjektivem Wohlbefinden. In den nächsten 
Wochen bei täglichem Verbandwechsel und mässiger Eiternbsonde- 
ruug Abendtemperaturen von 37,5 bis 38,5 mit Morgenremissionen 
bis 36,5 in axilla. 

Das Lebervolumen verkleinerte sich rasch, am 4. Mai über¬ 
ragte der rechte Leberlappen die Fistelöffnung nach unten noch 
um ly, cm und reichte nach links nur mehr bis zu einem Abstand 
vom Nabel von 2 cm, lag jedoch in der rechten Mammillarlinie 
dou Bauchdeeken noch sehr nahe an. Konsistenz weich. 

Am 21. Mai wurde die Patientin In das mir unterstellte Knapp- 
schaftskrankenhaus verbracht, da ihr Ernährungszustand sich 
nicht lieben wollte, was Ich zum Theil ungünstigen äusseren Ver¬ 
hältnissen zuselirieb, und ich auch wegen Schwierigkeiten beim 
Einführen der Drainröhre und den abendlichen Temperntursteigo- 
rungen, die ungenügenden Eiterabfluss befürchten Hessen, au Er¬ 
weiterung des Fistelganges mittels Thermokauter dachte. 

Hier besserte sich trotz noch mehrere Wochen lang fort¬ 
bestehender Temperaturerhöhungen das Allgemeinbefinden ziem¬ 
lich rasch, der Appetit vermehrte sich. Es war so recht augen¬ 
scheinlich, wie günstige Wohnung»-. Pflege- und Ernährung»- 
Verhältnisse im Stande waren, das chirurgische Wirken zu unter¬ 
stützen. 

Trotz wiederholter Schwierigkeiten bol dom Einführen der 
Drainage, die weiterhin durch Jodoformgazestreifen ersetzt wurde, 
wurde eine Erweiterung des Fistelganges nicht mehr nöthig. 


Nach weiteren 4 Wochen war die Patientin endlich gänzlich 
fieberfrei und konnte etwas aufstehen. Die Elterabsonderung war 
gering, der Eiter wurde mehr schleimig. 

Am 27. Juli verlies» Patientin das Krankenhaus mit einer noch 
bestellenden Fistel, aber normal grosser lieber. 

In den Darmpartieu unterhalb des kranken Leberthelles waren 
zu dieser Zeit wiederholt verstärkte peristaltische Bewegungen 
durch die Bauchdecken sichtbar, die jedenfalls Folge einer Ad¬ 
häsion mit der unteren Leberoberfläche waren, Störungen in den 
Darmfunktionen wurden jedoch dadurch nicht verursacht. 

Eine spärlich Eiter entleerende Fistel blieb noch % Jahre laug 
bestehen. 

Als Abschluss der Krankheitsgeschichte führe Ich den Status 
vom 1. Oktober 1900 an, welehen ich bol einer Vorstellung der Frau 
in meiner Sprechstunde konstatirte: 

Aussehen blühend, reichliches Fettpolster, Nabelumfang 89 cm. 
Umfang der Oberschenkel 00 cm! Unterleib von normaler Form 
und Konsistenz. In rechter Mammillarlinie, Nabelhöhe, eine hori¬ 
zontal verlaufende Narbe, ca. 0 cm lang, ln der Mitte eingezogen, 
lieberdämpfung normal, unterer Rand dem Ripjieubogeu ent¬ 
sprechend, 2 Q-uerfinger oberhalb der Narbe. Vom vorderen Rand 
des Rippenbogens, welcher ca. 0 cm von der Medianlinie entfernt 
ist, zieht der untere Leberrand in normaler Weise schief nach 
links aufwärts. In der Medianlinie Ist der untere Leberrami etwas 
oberhalb der Mitte zwischen Processus xiphoideus und Nabel. 

Es erübrigt noch einige Worte über die vermuthliclie Ursache 
des Processes anzufilgen. Wie schon erwähnt, war Patientin 
früher, ihrer Angabe nach, stets gesund gewesen. Insbesondere 
hatte keinerlei Leiden des Dnrmtniktus, weder Gallensteine, noch 
Dysenterie, noch sonst ein eitriger Dannprozess bestanden. 

Im Januar des Jahres war in der Familie ein Junger Dienst- 
! bete an Osteomyelitis der Tibia erkrankt: derselbe war längere 
Zeit, nachdem schon eine Jauche secernirende Knochenfistel ent¬ 
standen war. von der Patientin verbunden worden. Vielleicht ist 
cs möglich, dass hierbei der lnfektionsstuff. der sich weiterhin in 
der Leber abhigertc. in den Kreislauf gelangt ist. ohne an seiner 
Eingangspforte erheblichere Erscheinungen zu veranlassen. 

II. Blasen scheidenfistel Operation — Unter¬ 
stützung d er Heil u n g d*u rch B a uclilag e. 

M. B., 33 jährige Bergmannsfrau von Miesbach, hatte seit 
einer vor 5 Jahren durchgomaehten schweren, durch Zangennppli- 
kntion beendeten Geburt mit nachfolgender schwerer Beckenzell- 
gewebsentziiudung eine Blasenscheidenfistel, wegen tvelcher sie 
sieh im Jahre 1S9K in das Knappschaftskrankenhaus aufnehmen 
Hess. 

Damaliger Status: Blass aussehende, kräftige Person. Scheide 
in ihrem oberen Theil narbig verengt, Scheidengewölbe nicht mehr 
vorhanden. Poitio klein, nach oben und links verzogen, kaum fühl¬ 
bar. Am Uebergayg der vorderen Lippe in die Scheide eine 
erbsongrosse, in Narbengewebe eingebettete Fistel. 

Nach mehrtägiger Jodoformgaze-Glycerintamponade gelingt es. 
die Portio und den oberen Seheident heil genügend herabzuziehen, 
um die Fistel nach F r i t s c h’aclier Methode mittels Lappentrans- 
pluutation zu nähen. 

Der sofortige Erfolg war ein ganz guter, jedoch zeigte sieh 
nach Entfernung der Fäden am 7. Tage einer derselben mit Harn- 
krystallen inkrustirt und blieb nach seiner Entfernung eine steck- 
uadelkopfgrosse Fistel zurück. 

Die Fistel wurde wiederholt mit Lapis geätzt, ohne Erfolg. 

Im Jahre 185)9 entschloss sich Patientin zur Wiederholung der 
Operation. Im Juli und September wurde die schwer sichtbare 
Fistel seitlich augefrischt und genäht, jedesmal ohne Erfolg, woran 
sowohl die Unzugänglichkeit ihrer Lage, als die narbige Umgebuug 
Schuld trug. 

Am 29. Oktober wurde (lesslialb unter Zuziehung von Herrn 
Dr. Ashton ln München nach abermaliger vorheriger Jodoforin- 
gaze-Glycerintamponade eine sehr gründliche Operation: Aus¬ 
schneidung des die Fistel umgebenden Narbengewebes, Abpräpari- 
rung (1er Blasen- von der Scheideuschleimhaut, Zurückschieben 
der ersteren und exakte Naht der Wuudränder der Scheiden¬ 
schleimhaut vorgenommen. 

Nach Beendigung der Operation schien es uns vorübergehend, 
als ob noch etwas Flüssigkeit durch den untersten Wnmlwinkel 
durchsickcre. doch kam bei weiterer Beobachtung keine solche 
mehr zum Vorschein und glaubten wir desshalh uns getäuscht zu 
haben, umsomehr als die Nähte anscheinend sehr genau schlossen. 
Es wurde ein Jocloforingazetampon eingelegt und Patientin ange¬ 
wiesen, stündlich zu uriuiren. 

30. X. Urinmenge normal. Der Jodoformgazetampon wird 
gewechselt, der entfernte Ist feucht durchtränkt, von etwas uri- 
nöseni Gerüche. Es wird ein Nelatonkatheter in die Binse ein¬ 
gelegt, der aber wegen starken Reizes nach einer Stunde wieder 
entfernt werden muss. 

1. XI. Bei Erneuerung des Tampons zeigt sich der entfernte 
wieder urinös durchtränkt. Die Wunde ist anscheinend gut ge¬ 
schlossen. 

Angesichts dieses neuerdings drohenden Misserfolges mit dem 
Falle sehr liesehäftigt, kam ich auf den Gedanken, zum Zwecke der 
Ausschaltung des auf die Wumle drückenden Urlnes die Patientin 
konsequente Bauchlage einnehmen zu.lassen. Diese wurde streng 
durchgeführt und Patientin angewiesen, so häufig wie möglich 
den Urin zu entleeren. 


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1173 


16. Juli 1901. 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Der Erfolg war vorzüglich. Am nächsten Tage war der Tam¬ 
pon trocken und blieb es auch weiterhin. Am 7. Tage wurden die 
Nähte entfernt. Hiehel zeigte sich, dass ein kleiner Theil der 
Wunde an Ihrem unteren Ende nicht per primain geheilt war; son¬ 
dern gvauulirte. Die Bauchlage wurde desshalb noch einig«» 
Wochen fortgesetzt. Die granulirende Stelle verkleinerte sich all¬ 
mählich. jedoch war noch am 1. April 11)00, an welchem Tage 
Patientin aus dem Krankenhause entlassen wurde, eine steckuadel- 
kopfgrosse bei Berührung blutende, granulirende Stelle sichtbar; 
erst am 17. April war diese ganz geheilt. 

Nach diesem Verlauf ist wohl sicher anzunehmen, dass der 
Erfolg der Operation im vorliegenden Falle durch die Durchführung 
konsequenter Bauchlage sehr wesentlich unterstützt, wenn nicht 
überhaupt durch sie entschieden wurde. 

Bei Durchsuchung der Literatur fand ich. dass diese so nahe-- 
liegende Idee keineswegs neu, sondern schon von E 1 s ii s s e r zur 
Heilung einer Blasenscheidentistel angewendet worden ist, der 
eine Kranke 9 Wochen lang bei miisslger Diät auf «lern Bauche 
liegen Hess und sie in 12 Wochen heilte (VViuckel: Krankheiten 
der weiblichen Harnröhre und Blase). Sie scheint aber keim* 
weiter*» Anwendung gefunden zu haben, wenigstens ist die Methode 
in den gebräuchlichsten Lehrbüchern nicht erwähnt. 

III. Netzcyste eines dreijährigen Kindes — 
Heilung durch Laparotomie. 

Ein 3 jähriges Bergmannskind, J. M., aus tuberkulös l>e- j 
lasteter Familie. litt bei gutem Allgemeinbefinden und Fieberlosig- 
keit an seit 1 Jahr bestehendem, allmählich zunehmendem Ascites, j 
Im Januar 1900 vergrösserte sich derselbe dermaassen, «lass 
Nahrungsaufnahme und Athmung dadurch in hohem (Inule be¬ 
einträchtigt wurden und die Eltern sich zur Operation entschlossen. 

Status: Miissige Abmagerung und Blässe. Lungen ohne Be¬ 
fund. Abdomen im Liegen abgeplattet, sein* vergnüssert, ergibt 
Fluktuationsgefühl und mit der Lage sieli verändernde, einem 
freien Ergüsse entsprechende Dämpfung. Fieber besteht nicht. 
Diagnose: Tuberkulöser Ascites. 

Operation am 15. Februar 1900. 4 cm langt» Incision oberhalb 
des Nabels. Nach Eröffnung des Abdomens drängt sich sofort eine 
dünnwandige, blau schwärzliche, mannskopf grosse Cyste heraus. 
Dieselbe ist mit einer schleimigen, dunkelbraunen, fast, schwärz¬ 
lichen Flüssigkeit gefüllt, welche entleert wird. Es zeigt sich hei 
Verfolgung Ihres Ursprunges, dass sie dem eystiseh entarteten 
Netz entspricht, von welchem sich au ihrem oberen Ende noch vom 
Dickdanu abgehende Beste finden. 

Nach partienweiser Ligatur der letzteren wird die Wandung 
der entleerten Geschwulst entfernt und das nunmehr ganz zu¬ 
sammengefallene Abdomen geschlossen. 

Heilung per priruam. Die Erholung erfolgte merkwürdig 
rasch und das Kind Ist seitdem ganz gesund und frisch. 

Die Wandung der Cyste envies sich bei der mikroskopischen 
Untersuchung als nur aus Bindegewebe und Fett bestehend, der 
Struktur des Netzes entsprechend. 

IV. InipermeableOesophagusstriktur — Heilung 
durch Gastrostomie und S o u «1 i r u u g ohne E n d e. 

Das 4 Jahre alte Bergmannskind J. S. von Miesbach hatte 
sich vor 2 Jahren durch Schlucken einer Lauge eine Verätzung 
der Speiseröhre mit daran anschliessender Striktur zugezogen. Es 
konnte seitdem nur Flüssigkeiten und auch diese nur langsam 
schlucken. Nach dem Trinken kam es häufig zum Erbrechen von 
Kesten. Es war vor einem Jahr schon zu mir gebracht worden, 
ohne dass mir die Einführung einer Sonde gelang. Die Gastro¬ 
stomie war damals nbgelehnt worden. 

Am 20. Mai 1900 wurde der Knabe zum Zwecke nochmaliger 
Sondirung und eventueller Operation in das Knappschnftskrnnkeu- 
haus aufgenommen. Da der Ernährungszustand noch ein ziem¬ 
lich günstiger und‘die Aufnahme von Flüssigkeit fortgesetzt mög¬ 
lich war, wurde mehrere Wochen lang mit Sonden. Kathetern. 
Wnchsbougies und Darmsaiten die Bougirung versucht, ohne zu 
gelingen. Bei Bougirungsversuchen wurde Jedesmal Milch und 
Schleim regurgitirt. Auch die dünnsten Darmsaiten, einzeln aus 
einem bis zur Striktur eingeführten Bohre vorgeschoben, drangen 
nicht durch die verengte, 15 cm von der Zahnreihe entfernte, in 
Bifurkationshöhe befindliche Stelle. Desshalb am 28. Juni Gastro¬ 
stomie. 

Chloroformäthernarkose. G cm langer Hautschnitt im linken 
Eplgasfrium parallel dem Rippenbogen, Durchtrennung von Muse, 
rectus, Fase, transvera, Peritoneum. Ein Zipfel der Mngenwaud 
wird vorgezogeu, mit dem Peritoneum eireulür vernäht, nach 
6 Tagen eröffnet. 

Die weitere Ernährung erfolgt auschliesslich durch die Magen¬ 
fistel. 

Nach Verlauf von 8 Wochen gelingt es, nachdem vorher ver¬ 
geblich versucht worden war, eine Sonde von der Knrdin aus durch 
die Striktur zu schieben, ohne Schwierigkeit, von oben eine Darm¬ 
saite durch dieselbe in den Mögen zu bringen. Dies«? wird von der 
Magenflstel aus mittels einer gebogenen Sonde hervorgeholt, an 
ihr unteres Ende ein Seidenfaden geknüpft und mittels Zurück¬ 
ziehens der Darmsaite zum Munde herausgeführt. Sein oberes 
und unteres Ende wird aussen zusammengeknüpft. 

Die Erweiterung durch Sondirung ohne Ende gelang zwar 
langsam, aber mit geringen Schwierigkeiten. 


Erst wurden dickere Fäden und Fadenbündel mittels des eiu- 
gelegten Fadens durch die Speiseröhre gezogen und zur Erweite¬ 
rung liegen gelassen. Später wurden mittels des Ltütuugsfadons 
allmählich immer dickere Drainröhren eingeführt, die jedesmal 
2 Stunden liegen blieben. Die Ernährung fand seit September 
wieder auf natürlichem Wege statt. Zur Zeit ist der Faden noch 
lielassen. um von Zeit zu Zeit daran ein jetzt leicht gleitendes. 
14 nun dickes Drain durch die Striktur uachziehen zu können. Der 
kleine Patient kann gegenwärtig wieder Alles schlucken. Di«* 
Magenfistel hat sich bis auf eine enge, durch den Faden offen er¬ 
haltene Stelle geschlossen, es ist. kein Zweifel, dass sie nach tlessiui 
Entfernung sich gänzlich stdiliessen wird. 

Welchem Umstände ist es wohl zu danken, dass die Dannsaite, 
welche vorher nicht durchzubringen war. 8 Wochen nach der Op«»ra- 
tion mit Leichtigkeit durchgebracht werden konnte? Bekanntlich 
tritt diese günstige Erscheinung nach Gastmstomie häufig ein. 

Ich habe mir di«»se Frage in folgender Weise beantwortet: 

Die Striktur war jedenfalls auch vor der Operation genügend 
weit, dass eine Darmsaite hätte durchgeführt werden können, 
sonst hätte das Kind auch keine Milch mehr schlucken können.— 
Durch die anstaueuden lngesta war jedoch die Speiseröhre ober¬ 
halb der Striktur nusgebuchtet, worauf auch das nach dem Trinken 
folgende Erbrechen, sowie das Regurgitiren der Flüssigkeiten bei 
den Sondirungsversuchen zurückzuführen war. Die Sonden und 
Darmsaiten fingen sich in der so entstandenen Ausbuchtung, 
vielleicht wurde bei leerer Speiseröhre der Eingang der Stenose 
durch die Falten der gedehnten Schleimhaut vollständig verlegt. 
Durch eingeführte Flüssigkeiten wurden die Wandungen dieser 
Ektasie gedehnt und der Eingang in die Striktur frei. Durch 
die 8 wöchentliche Ausschaltung «ier Speiseröhre schrumpfte die 
Ektasie mit ihren Schleimhautfalten und wurde der Eingang der 
Stenose für die Saite passirbar. 

Ich erlaube mir noch einen kleinen Kunstgriff beizufügeu, 
mittels dessen es mir nach schon eingetretener bedeutender Ver¬ 
engung der Fistel mit gross«*r Leichtigkeit gelang, den durch ein 
Versehen ohne Nachfülming eines zweiten lierausgeglitteneu Faden 
durch einen neuen zu ersetzen. 

Es wurde eine in der Mitte nhgohogene Dannsaite mit «Ier 
Ahhiegungsstelle voraus durch die Fistel in den Magen eingeführt 
und durch Nachs<-hiel>en jeder der beiden parallel liegenden Hälften 
aus ihrem vorderen Theile im Magen eine Schlinge gebildet. Die 
zweite von oben herabgeführte Saite, mittels welcher der neue 
Faden durchgeführt werden sollte, fing sich in dieser Schlinge 
und wurde mit ihr durch die Fistel hervorgezogen. 


Aus der orthopädischen Heilanstalt des Dr. mc*d. A. Schanz 

in Dresden. 

Das Redressement schwerer habitueller Kyphosen. 

Von I)r. A. Scha n z. 

Habituelle Kyphosen erreichen, so häufig dieselben sin«l, im 
jugendlichen Alter selten hohe Grade. Die gebräuchliche Therapie 
ditsir Deformitäten ist desshalb auch nur auf die leichteren Fälle 
zugeschnitten; sie. besteht in «1er Anwendung von Massage und 
Gymnastik, von mlressiremlen Manipulationen und von porta¬ 
tiven Apparaten. Mit di«*sor Therapi«» erreicht man in «len 
weitaus meisten Fällen volle Resultate, wenn die unbedingt er¬ 
forderliche Ausdauer in der Behandlung vorhanden ist. Aber 
es gibt «loch auch Fälle, die ein«*r solchen Behandlung wider¬ 
stehen ;es sind di«»s die schweren fixirten habituellen Kyphosen. 
Wenn diese Fälle auch selten sind, so sind sie doch von grosser 
praktischer Wichtigkeit, weil sie ausserordentlich verunstaltend 
wirken. 

Diese Fälle sind ebenso, wie in vielen anderen Beziehungen, 
so auch bezüglich der Therapie, in eine Parallele zu stellen mit 
den schweren habituellen Skoliosen. Auch bei den schweren 
Skoliosen erreichen wir mit der Anwendung von Massage und 
Gymnastik, mit dem Gebrauch portativer Apparate und rcdres- 
sirender Manipulationen keine Resultate, die uns befriedigen 
können. Erst das Redressement gibt uns, wenn dasselbe anwend¬ 
bar ist, auch bei schwersten Skoliosen gute Resultate. Bei der 
nahen Verwandtschaft von habitueller Skoliose und habitueller 
Kyphose ist zu erwarten, dass durch Anpassung des Skolioscn- 
redreseements an die habituelle Kyphose in schweren Fällen 
dieser Deformität ebenso gute Resultate erreicht werden können, 
wie bei schweren Skoliosen. 

So stellt sich «lie Frage: lassen sich die Prinzipien des Sko¬ 
liosenredressements auf die bezeichneten Fälle von habituell«!- 
Kyphose übertragen, und wie werden diese Prinzipien dabei 
modifizirt? 

Bei «1er Behandlung schwerer Skoliosen haben wir zwei In¬ 
dikationen zu erfüllen: erstens haben wir den die Deformität 
erzeugenden Prozess auszutilgen und zweitens haben wir die von 

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1174 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29. 


diesem Prozess geschaffene Deformität zu korrigiren. Diese 
selben Indikationen haben wir bei der Behandlung schwerer 
Kyphosen. Auch hier haben wir die Austilgung eines defor- 
mirenden Prozesses und die Korrektion einer vorhandenen De¬ 
formität zur Aufgabe. 

Bei der Skoliose hat sich als zweckmässig erwiesen,diese beiden 
Aufgaben in der Reihenfolge anzugreifen, dass zuerst die Korrek¬ 
tion der Deformität erfolgt und dass nach dieser die Austilgung des 
skoliosirenden Prozesses in AngrifF genommen und damit zugleich 
dem nach Redression drohenden Recidiv entgegengearbeitet wird. 
Dieselben Gründe, welche bei der Skoliose diese Reihenfolge be¬ 
dingen, sind für die Kyphose gegeben. Auch hier sind die Maass¬ 
nahmen, welche für die Vorbeugung des Recidivs zweck¬ 
entsprechend sind, vielfach dieselben, wie die, welche uns zur 
Austilgung des deformirenden Prozesses gute Dienste leisten. 
Es ist darum auch hier zweckmässig, diese beiden Aufgaben 
zeitlich vereint in AngrifF zu nehmen. Das geschieht, wenn 
wir zuerst die Korrektion der Deformität ausführen und dann 
die Maassnahmen treffen, welche gegen den deformirenden Pro¬ 
zess und das Recidiv gerichtet sind. 

Die Korrektion der skoliotisehen Deformität erfolgt bei An¬ 
wendung des Redressements derart, dass zuerst die Wirbelsäule 
mobilisirt wird, dann korrigiren wir die Verbiegung durch for- 
cirte Extension, gegebenen Falles unter Anwendung von seit¬ 
lichen Zügen. Die so hergestellte Korrektionshaltung fixiren 
wir endlieh durch einen Gipsverband, welcher von den Trochan- 
teren bis auf den Hals reicht. 

Bis hierher werden wir genau ebenso verfahren, wenn wir 
uns die Korrektion einer schweren Kyphose zur Aufgabe gestellt 
haben. Auch in diesem Falle müssen wir zuerst die kontrakte 
Wirbelsäule beweglich machen; auch hier werden wir am ein¬ 
fachsten die forcirte Extension zur Herstellung der Korrektions¬ 
haltung verwenden. Durch einen auf den Scheitel der Krüm¬ 
mung geübten lordosirenden Druck werden wir die Korrektion 
erhöhen. Der Gipsverband wird ebenso wie bei der Skoliose, von 
den Trochanteren bis auf den Hals reichen; denn nur so können 
wir die Wirbelsäule in ihrer ganzen Ausdehnung unter unsere 
Gewalt zwingen. Das Gips k o r s e t leistet nicht Genügendes, 
weil es den oberen Theil der Wirbelsäule freilässt. 

Die Erfahrung, dass man bei Skoliosen 3—4 Tage nach 
Anlegung des Gipsverbandes durch Wiederholung des Redresse¬ 
ments eine weitere Besserung des Korrektionsresultates erzielt 
und dass eine zweite Wiederholung in derselben Zeit noch eine 
weitere Besserung gibt, wird man sich bei der Kyphoseredression 
zu Nutze machen können und entsprechend verfahren. 

Wenn bis hierher der Weg für die Behandlung der Kyphose 
ganz parallel lief dem für die Behandlung der Skoliose, so 
kommen wir jetzt an einen Punkt, wo eine Divergenz eintritt. 
erfreulicher Weise stellen sich die Verhältnisse bei der Kyphose 
günstiger. Es handelt sich um die Länge der Zeit, welche der 
Gipsverband liegen bleiben muss. Bei der Skoliose wie bei der 
Kyphose müssen wir den Verband liegen lassen, bis das Re¬ 
dressionsresultat durch einen portativen Apparat festgehalten 
werden kann. 

Für den portativen Apparat liegen die Verhältnisse aber 
bei der Kyphose wesentlich günstiger als bei der Skoliose. 
Während wir nicht, im Stande sind, einen direkten Druck von 
der Seite her auf die Wirbelsäule auszuüben, können wir einen 
solchen von rückwärts her wirken lassen. Während wir bei der 
Skoliose in Folge der anatomischen Verhältnisse nicht im Stande 
sind, durch portative Apparate einen korrigirenden Druck auF 
die Höhe der Krümmung zu geben, sind wir bei der Kyphose 
in viel günstigerer Lage, weil ein vom portativen Apparat ge¬ 
leisteter Druck auf die gewünschte Stelle übertragen werden 
kann. Wird durch diesen Umstand das Gebiet des portativen 
Apparates überhaupt ein viel grösseres als bei der Skoliose, wird 
vor Allem dadurch das Gebiet, welches dem Redressement zu¬ 
fällt, hier enger als dort, so fällt besonders dieser Umstand in 
die Waage, wenn wir die Zeit bestimmen sollen, wie lange beim 
Redressement der Gipsverband liegen bleiben soll. Diese Zeit 
wird wesentlich geringer sein können als bei der Skoliose, da 
wir dem der Kyphose gegenüber wirksameren portativen Apparat 
eine grössere Aufgabe zutheilen können als bei der Skoliose. 
Wir können uns mit einer wesentlich kürzeren Zeit für den 
Verband begnügen. Brauchen wir bei der Skoliose im Allge¬ 


meinen 12 Wochen, so werden bei der Kyphose 4—8, im Durch¬ 
schnitt 6 Wochen genug sein. Wir können also unseren Patienten 
eine Anzahl Wochen ersparen, welche dieselben niemals zu den 
schönsten ihres Lebens zählen. 

Der portative Apparat, den wir nach Abnahme des Ver¬ 
bandes anlegen, muss den Zweck verfolgen, erstens entlastend 
für die Wirbelsäule zu wirken und zweitens eine korrigirende 
Wirkung im Sinne der Korrektion der Deformität zu entfalten. 
Diese Absicht erreichen wir — das sei zuerst festgestellt — 
nicht mit den bekannten hosenträgerartigen Geradehaltern, die 
so viel für die Behandlung von habituellen Kyphosen empfohlen 
werden. Diese Geradehalter üben einen Zug von den Schultern 
nach abwärts und erhöhen dadurch die Belastung der Wirbel¬ 
säule, welche durch den Apparat herabgesetzt werden soll. Sie 
wirken also unseren Absichten direkt entgegen. Der Normal¬ 
apparat für die fraglichen Fälle wird ein Stützkorset, sein, 
welches in besonders schweren Fällen für die erste Zeit mit einer 
Kopfstütze zu armiren ist. Als Redressionsvorrichtung bringt 
man an dem Korset einen Gummizug an, welcher voh den Arm- 
stiitzen über die Höhe der Rückenkrümmung läuft. Natürlicli 
darf das Korset, wenn dieser Zug etwas wirken soll, kein starres 
sein. 

Dieselben Absichten wie bei der Skoliose werden wir bei 
der Kyphose mit dem Gipsbett verfolgen. Wir halten in dem¬ 
selben den Patienten während der Nacht in Korrektionsstellung. 

Die. weiter zu treffenden Maassnalunen. welche die Vor¬ 
beugung des Recidivs und die Austilgung des deformirend' /i 
Prozesses erstreben, sind wieder durchaus parallel mit. den im 
entsprechenden Stadium bei der Skoliose zu treffenden. Ihr 
Ziel ist hier wie dort die Herstellung einer normalen Trag¬ 
fähigkeit der Wirbelsäule. Diese Maassnahmeiii aufzuzählen 
ist unuöthig, es sind dieselben, welche uns bei der Behandlung 
leichterer Fälle gute Dienste leisten. Ihre konsequente Amven- 
dung ist nicht nur im Stande, dem Recidiv vorzubeugen und den 
primären deformirenden Prozess auszutilgen, sie ermöglicht auch 
gegebenen Falles das durch das Redressement erreichte Resultat 
auszubauen. 

Dass man auf dem hier gezeichneten Weg in der That *u 
Resultaten gelangen kann, die auf anderen Wegen nicht zu er¬ 
reichen sind, will ich durch Anführung eines besonders mar¬ 
kanten Falles belegen. 

Fräulein S. S., 18 J., aus D. kam ln meine Behandlung am 
15. Oktober 1898, nachdem schon 3 jüngere Geschwister von mir 
an Skoliose 2 Grades behandelt worden waren und wurden. Die 
Patientin war seit 4 Jahren in mehreren hellgymnastischeu An¬ 
stalten behandelt worden. Trotzdem hatte die Deformität nicht 
ab-, sondern zugenommen. Den Befund bei Beginn meiuer Be¬ 
handlung zeigt Fig. 1. Die Wirbelsäule war so fest flxlrt, dass 


weder aktiv noch passiv eine auch nur annähernd normale Hal¬ 
tung erzeugt werden konnte. Die Mobilisation machte grosse 
Schwierigkeiten; erst Mitte Februar 1899 waren wir so weit, dass 
die Anlegung des Gipsverbandes erfolgen konnte. Derselbe wurde 
2 mal nach je 4 Tagen gewechselt. Das Redressionsresultat fand 
seinen Ausdruck ln einer Längenzunahme des Körpers von 4 y a cm. 




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16. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1176 


Der Verband wurde nach 5>/ 2 Wochen abgeuomnien. Dann erhielt 
Patientin ein Ililftbtigelkorset mit redressirendem Gummizug. Eine 
Kopfstütze wurde nicht nöthig. Dazu wurde noch ein redres- 
sirendes Gipsbett gegeben. 

Die weitere Behandlung bestand in Gymnastik, Massage und 
redressirenden Manipulationen. Auf diese Weise gelang es nicht 
nur, das Resultat der Redression festzuhaltcn, sondern auch noch 
eine weitere annehmbare Besserung zu erzielen. Dass das Re¬ 
sultat als gut und auch als Dauerresultat bezeichnet werden kann, 
zeigt Fig. 2. eine Photographie, die 2 Jahre nach dem Redressement 
aufgenommen ist. 


Oie Beleuchtungsanlagen in den Erziehungs- und 
Unterrichtsanstalten. 

Das k. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und 
Schulangelegenheiten hat sieh veranlasst gesehen, eine sachver¬ 
ständige Prüfung jener Gesichtspunkte herbeizuführen, welche 
für die öffentlichen und privaten Erziehungs- und Unterrichts- 
anstalten bei der Wahl zwischen Gasglühlicht und elektrischem 
Licht nach dem dermaligen Stande der Beleuchtungstechnik in 
Betracht zu kommen haben. 

Zu diesem Behufe wurde zunächst der k. Generalarzt z. D. 
Dr. K. S eggel in München um Erstattung eines Referates an¬ 
gegangen, welchem Ersuchen derselbe in bereitwilligster Weise 
entsprach. Das von ihm abgegebene Gutachten wurde dann der 
medicinischen Fakultät der k. Universität München zugeleitet, 
die sich demselben in besonderer gutachtlicher Ausführung (Ver¬ 
fasser: k. Universitätsprofessor Dr. O. Evcrsbusch) anschloss. 
Lediglich bei einem Punkte der dem Dr. Segge l’schen Gut¬ 
achten am Ende beigefügten Schlussfolgerungen ergab sich hie¬ 
bei eine Abweichung. Eine weitere Erörterung führte aber auch 
hier zu einer Uebereinstimmung beider Referenten, die auch die 
endgiltige Redigirung der schon erwähnten Schlussfolgerungen 
zusammen Vornahmen. 

Nachstehend folgt der Wortlaut der vorliegenden Gutachten 
und Aeusserungen: 

I. Gutachten des k. Generalarztes Dr. Seggel über die 
Beleuchtungsanlagen in den Erziehungs- und Unterrichts¬ 
anstalten vom 22. Juni 1900. 

Von der künstlichen Beleuchtung muss vom Standpunkt der 
Hygiene nach Erlsmann 1 ) verlangt werden, 

1. dass das Licht reichlich und gut vertheilt sei, 

2. dass Temperatur und Zusammensetzung der Luft nicht 
wesentlich altcrirt werden, 

3. dass die Wärmestrahlung der Lichtquellen eine möglichst 
geringe sei, 

4. dass das künstliche Licht im Auge keine Reizzustände und 
keine Ermüdungserscheinungen hervorrufe, ferner sollen 

5. mit der Beleuchtung keine' Gefahren für Leben und Ge¬ 
sundheit im Allgemeinen verbunden sein, und endlich ist cs vom 
rein praktischne Standpunkt noch nothwendig, 

6. dass das künstliche Licht, bei möglichst grossen Vorzügen 
in hygienischer Beziehung, möglichst billig zu stehen komme. 

Von diesem Standpunkte aus sollen nun die verschiedenen 
Lichtquellen betrachtet werden. 

Ausgeschlossen werden von vornherein als den wichtigsten 
obigen hygienischen Forderungen nicht genügend: Petroleum; 
Leuchtgas: Schnitt- und Argandbrenner und kommen bei dem 
jetzigen Stand der Beleuchtungstechnik für öffentliche Erziehungs¬ 
und Unterrlchtsanstalteu nur das Aue r’sehe Gasglühlicht und das 
elektrische Licht in Frage. 

Von den beiden Arten des elektrischen Lichtes ist das Glüh- 
licht nur als d 1 r e c t e s, das Bogenlicht nur als lndlrectes 
verwendbar, während das Aue r’sclie Gasglühlicht sich in beiden 
Arten verwenden lässt. 

Die Beleuebtungsfrage spitzt Blcli daher dahin zu: Welche 
Art von Beleuchtung Ist vorzuziehen: 

1. die directe oder die indlrecte, 

2. durch A u e r’sches Gasglühlicht oder eine der beiden elek¬ 
trischen Lichter? 

Alg directe Lichtquellen kommen elektrisches Glüh- und 
Aue risches Gasglühlicht, als Indlrecte elektrisches Bogen- und 
Auerisches Gasglühlicht zum Vergleich. 

Als directe Lichtquelle hat das Aue rische Gasglühlicht vor 
dem elektrischen Glühllcht folgende Vorzüge: es vertheilt das Licht 
gleichmässlger und beleuchtet die mehr seitlich vou ihm gelegenen 


’) Die hygienische Beurtheilung der verschiedenen Arten künst¬ 
licher Beleuchtung, mit besonderer Berückslchtgung der Llclit- 
vertheilung. Referat ln der XXLV. Versammlung des D. Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege, mltgetheilt ln der deutschen 
Vierteljahrsschrift dieses Vereines, XXXII. Bd., 1. Heft. 

No. 29 


Plätze bessert, es hat überhaupt grössere Helligkeit — nämlich 
5G Meterkerzeu gegen IG event. 32 Meterkerzen des elektrischen 
Lichtes — bei geringerer Wärmestrahlung: 1,37 Caiorien gegen 
2.53 des elektrischen Lichtes (Forderung 1 uud 3). Dagegen hat 
das Gasglühlicht den Nachthell, dass bei ihm grössere Wärme¬ 
abgabe durch heisse Gase uud Wasserdampf an die Zitnmerlufl 
stattfindet als bei dem elektrischen Licht. Wärmeabgabe ist im 
Gegeusatz zu Wärmestrahlung, welche hauptsächlich durch di«* 
dunkeln Strahlen des Lichtes b«*dingt wird, als Wärmotransport 
aufzufassen. 

Da nun aber bei dem Gasglühlicht die unvollkommenen Ver¬ 
brenn ungsprodukte. welche sonst ln mit Gas beleuchteten Räumen 
den üblen Geruch der Luft und deren gesundheitsschädliche Wir¬ 
kungen bedingen, ganz oder wenigstens zum grössten Theil in 
Wegfall kommen und die Temperaturerhöhung der Zimmerluft 
gegenüber dem elektrischen Licht keine erhebliche ist. die Tem¬ 
peraturerhöhung, sowie die ebenfalls geringe Luftverderbuiss 
durch .Sauerstoffentzug und Kohlensilurebildung überdies durch 
rationelle Lüftung der Räume beseitigt werden kann, so fällt dieser 
Nachtbeil gegenüber den Vortheilen nicht in das Gewicht. 

Auch glaube Ich nochmals darauf liinwelsen zu müssen, dass 
beim Gasglühlicht trotz grösserer Wärmeabgabe an die Zimmer¬ 
luft die Wärmestrahlung eine geringere ist als heim elektrischen 
Licht. 

Ein wesentlicher Nachtheil des Gasgliihlichtes Ist allerdings 
die etwas umständlichere Bedienung (Anzüudeu. Reinigung der 
C.vlinder etc.), dagegen sprechen wieder sehr zu Gunsten des Gas- 
glühlichtos die geringeren Kosten, worauf ich noch später zu 
sprechen kommen werde. 

Ich wende mich nun zur Frage: Ist für grössere Arbeits¬ 
räume, Schulzimmer, Hör- und Arbeitssäle die iudireot«* oder 
directe Beleuchtung vorzuziehen? 

Das directe Lieht, hat den einzigen Vortheil, dass es bei ge¬ 
nügender Anzahl Flammen eine bessere Platzbeleuchtung, d. 1. 
grössere Helligkeit für die Arbeitsfläche gibt. Dagegen macht 
sieh bei ihm die Wärmestrahlung und die Blendung in störender 
Welse geltend. Die Wärmestrahlung, welche hauptsächlich durch 
die dunkeln Strahlen des Lichtes bedingt wird, verursacht 
Trockenheit im Auge, Empfindung einer unangenehmen Spannung 
an der Stirn, Hitze im Kopf, sich steigernd zu Kopfschmerz. Die 
Blendung, welche einerseits durch den Glanz’) der Flamme, 
andererseits durch die chemischen — kurzwelligen, violetten und 
ultravioletten — Strahlen bedingt wird, schadet nicht nur durch 
Blutüberfüllung der Binde- und Netzhaut, soudern erfordert auch 
in Folge der Uebermüdung der Netzhaut immer grössere Helligkeit. 

Wärmestrahlung uud Blendung können durch geringere Höhe 
der Flamme und konische, wenig Licht durchlassende Schirme 
vermie«len werden. Hiebei macht sich jedoch der Umstand störend, 
dass, da alles Licht durch die Schirme auf die Arbeitsfläche ge¬ 
worfen wird, der übrige Raum relativ dunkel, und Je heller jene 
beleuchtet Ist, um so grösser der Kontrast zwischen Platz- uud 
Raumbeleuchtung wird. Dieser Kontrast wirkt aber, da viele 
Schüler die Gewohnheit haben, beim Nachdenken oder wenn sie 
zerstreut arheiteu, den Blick in den dunkeln Raum zu richten, 
sicher reizend auf die Netzhaut. In Hörsälen und beim Anschau¬ 
ungsunterricht ist diese Art von directer Beleuchtung, bei welcher 
eine Lampe für höchstens 2 Schüler ausreicht, überhaupt nicht 
angängig, ebenso nicht, wenn die Schüler theils sitzend, theils 
am Stehpult arbeiten. 

Wählt man statt undurchsichtiger Schirme Lampenglocken 
von Milch- oder Ueberfangglas und bringt die Lampen höher an. 
so ist der Raum wohl gut beleuchtet uud es genügt auch für 
3—4 Schüler eine Lampe, es werden aber, wenn eine grössere Zahl 
vou Lampen vorhanden Ist, die hinten Sitzenden, insbesondere aber 
die Beaufsichtigenden und Lehrer dadurch geblendet. Auch geht 
dabei viel Licht für die Platzbeleuclitung, d. i. die indlcirte Hellig¬ 
keit durch die auf den Arbeitsplatz fallende Lichtmenge und zwar 
bis zu GO Proc. verloren. Bel Verwendung von Augenschtltzern 
— Kugeln, konusartige Schirme, mit der weiten Oeffnung nach 
oben — geht besonders Helligkeit für die seitlichen Plätze ver- 


■) Prüfungen mit dem neuen C o b irischen Liehtprüfer für Ar¬ 
beitsplätze haben ergeben, dass bei dem im k. Erzieliungsiustitutc 
für Studirende eiugeftihrten elektrischen Glühlichte von IG Kerzen- 
Stärke an der hellbeleuchtetsten Pultstelle zunächst der Lampe 
zwar eine Helligkeit vorhanden ist, welche sieh massiger Tages¬ 
beleuchtung nähert, dagegen GO cm von der Lampe entfernt, also 
ln einer Entfernung, wo z. B. die abgewendete Seite des Lexikons 
bei einem links sitzenden sich präparirenden Schüler sich be¬ 
findet — je 2 Zöglinge benützen ein von einer Lampe erhelltes 
124—144 cm breites Pult —, die Beleuchtung keine ausreichende 
mehr ist. Bei Gasglühlicht ist dagegen die Beleuchtung in der 
genannten Entfernung noch genügend, es können mit dem 
C o h irischen Lichtprüfer noch 20 vierstellige Zahlen in y s Minute 
gelesen werden. 

*) Unter Glanz versteht mau die von der Flächeneinheit (qmm) 
ausgehende Lichtmenge. DerGlanzdesclektrischcuGlülilichtcs ist da¬ 
her grösser als der des Gasglühlichtes und beträgt «las Siebenfache 
eines gleich hellen Argandbrenners. Dagegen ist <li«* Blendling 
durch die kurzweiligen Strahlen beim elektrischen Glühlicht, «la 
cs sehr arm an solchen Strahlen ist, wenig«*r zu fiir«*l»b*n. Sehr 
schädlich würde aber in dieser Richtung das «1cm Si»nn«*nli«*ht 
sich am meisten nähernde elektrische üogenlicht bei «lirecter An¬ 
wendung sein. 

4 


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1176 


MUEN CHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29. 


loren und betrügt der Verlust, selbst bei den zweekmässigstcn 
Augenschützern, denen aus mattirtein (Hase, 30 Proc. 

Bei der indirecten Beleuchtung werden nun Blendung und 
Wärmestrahlung der Lichtquellen nicht mehr empfunden und 
zeichnet sich dieselbe vor der directen noch durch folgende Vor¬ 
züge aus: 

1. Ist die Beleuchtung eine viel gleichmässigere und ist ins¬ 
besondere eine richtige Vertheilung dos Lichtes ohne störende 
Schattenbildung und den hievon abhängigen relativen Lichtmangel 
möglich. Bei direeter Beleuchtung gewähren nämlich, wenn nicht 
jeder Schüler seine eigene Lampe hat, die Schatten von Kopf, 
Händen oder (Jerüthen einem beträchtlichen Tlieil der Schüler 
weniger Licht als die photometrische Messung im leeren Schul¬ 
zimmer ergibt. Der Verlust an Licht beträgt nach Pelzer 
10—HO Proc. und mehr, und zwar sind die Schatten um so stärker, 
je heller die directe Beleuchtung ist. Beispielsweise wurde nach 
I»r. Boubnoff) eine Platzhelligkeit von S.2 Meterkerzen durch 
den vom Kopf des schreibenden Schülers auf das Heft geworfenen 
Schatten auf 4.0 Meterkerzen reducirt und im Halbschatten der 
schreibenden Hand ist die Beleuchtung des Heftes nur mehr gleich 
2.0 Kerzen und im vollen Schatten der schreibenden Hand sank sie 
sogar auf Li» Kerzen. 

Durch die ausgedehnten Versuche Erisma n n's, dargestellt 
in Diagrammen, ergibt sich ferner, dass bei direeter Beleuchtung 
von der Platzhelligkeit beinahe zwei Drittel verloren gehen, so¬ 
bald sich die Schüler hinsetzen und Schreibstellung einnehmen. 


Directe Beleuchtung ist im Schulzimmer also nur passend bei 
Aufstellung kleiner Einzellampen mit ausschliesslich linksseitigem 
Licht und schützendem Schirm, es wäre dies aber wegen der Luft¬ 
verschlechterung nur mit elektrischem Licht durchführbar und 
dazu die theuerste Beleuchtungsart. Der starke Kontrast zwischen 
Dunkelheit des Baumes und der hellen Flächenbeleuchtung, wenn 
überdies noch ein helles weisses Papier reüektlrt, würde, wie schon 
erwähnt, diese Beleuchtungsart au und für sich nicht empfehleus- 
werth machen. 

Für kleinere Privatinstitute und in kleineren Studirzimmeru 
kann jedoch directe Beleuchtung durch Gasglühlicht dann in An¬ 
wendung gezogen werden, wenn ein jedesmaliges Umstellen der 
Tische bezw. Pulte nicht zu grosse Umstände macht. Werden 
diese nämlich, wie ich es in einem hiesigen Privatinstitute gesehen 
habe, nach den 4 in rechten Winkeln zu einander stehenden Iiich- 


'□ 

tungen um die in massiger 
Höhe angebra: hte Flamm ‘ ge¬ 
stellt, so erhalten sämmtliche 
Schüler das Licht von links 
und entstehen kaum störend“ 
Schatten, ja es reicht sogar 
eine Flamme für 8 Schüler 

! n 

aus. 




G 


□ □ 


Die Vertheilung der Sitze 
um die Lampe ergibt neben¬ 
stehende Zeichnung A. Für 
die Tagesbeleuchtung ist na¬ 
türlich wieder ein Umstellen 
der Tische bezw. Pulte erfor¬ 
derlich. 


' Es lässt sich nun aller¬ 

dings nicht verkennen, dass 
bei der indirecten Beleuch¬ 
tung, woIkü das von den Wänden und der Decke reflek- 
tlrte Licht wirkt, ein nicht unbeträchtlicher Theil des diffusen 
Lichtes durch Absorption im Raum verloren geht. Dieser Verlust 
wird zwischen 20 und 40 Proc. berechnet, in Wirklichkeit ist er 
Jedoch nicht sehr erheblich, wie sich aus folgender Zusammen¬ 
stellung Kris m a n n's '-) ergibt. Dieselbe ist für gleiche Licht¬ 
quellen, nämlich 0 Gasglühlampcu in einem Schulzimmer von 
00 qm Fläche l«‘rechnet. 

Es betrug nämlich die durchschnittliche Platzbeleuchtung 
in Meterkerzen 


a'' b c) 

die beste die geringste die durchsclinittl. 
Bei direkter Beleuchtung: 25,3 9,7 17,:» 

„ indirekter 19,1 13,3 10,2 

Allerdings sind demnach die günstigsten Plätze bei direeter 
Beleuchtung nicht unerheblich besser beleuchtet und hat. auch die 
durchschnittliche Beleuchtung noch einen etwas höheren Kerzen¬ 
werth, dafür sind aber die ungünstigsten, von der Flamme ent¬ 
fernteren Plätze bei direeter Beleuchtung schlechter lreleuchtet 
als itei indirecter und haben nicht einmal das von der Hygiene ge¬ 
forderte Mindestmnass von 10 Meterkerzen. Bei der indirecten Be¬ 
leuchtung tritt dagegen an einzelnen Plätzen, und zwar gerade 
für die ungünstig gelegenen, eine kleine, aber nicht unwesentliche 
Steigerung der Helligkeit ein. es findet überhaupt, wie Eingangs 
hervorgehoben, eine gleichmässigere Vertheilung des Lichtes statt 
und ist überdies die bei direeter Beleuchtung die Platzhelllgkeit 
beeinträchtigende Schattenbildung nicht mehr störend. 

Der subjektive Eindruck ist bei der indirecten Beleuchtung 
ungemein wohlthuend. da man nicht durch den Glanz greller Licht¬ 
quellen geblendet wird. Die über den ganzen Raum gicichmässig 
verbreitete Helligkeit mag allerdings auf den ersten Augenblick 
als ungenügend erscheinen, sie erweist sich aber bei der Lese- und 


9 Nach Erismann 1. c. 
l ) E rismann 1. c. 


Schreibprobe als vollkommen ausreichend und wird nach kurzer 
Angewöhnung als das Auge schonend und in der Folge nicht er¬ 
müdend empfunden. 

Die indlrecte Beleuchtung wurde zunächst dadurch hergestellt, 
dass durch unter den Lampen angebrachte undurchsichtige Re¬ 
flektoren siimmtliches Licht an die Decke und den oberen Theil 
der Wände geworfen wird und von dort reflektirt den Raum be¬ 
leuchtet. Dieser Art von Herstellung Indirecter Beleuchtung wird 
besonders von Prof. Renk") vorgeworfen, dass hiebei die Arbeit*- 
siiie in eine obere sehr hell beleuchtete und eine untere dunkle Zone 

— beide scharf von einander getrennt — gethellt werden. Renk 
stand nämlich bei seinen im Auditorium des hygienischen In¬ 
stituts in Halle mit Metallreflektoren gemachten Versuchen noch 
kein Gasgliililicht, sondern nur 4 Regenerativbreuner zu Gebote 
und erhielt er hiebei zwar alle sonstigen Vorzüge der indirecten 
Beleuchtung, aber die Helligkeit auf den Tischen, welche bei di¬ 
reeter Beleuchtung — im unl>esetzten Auditorium ohne Seliatteu 

— 20 Meterkerzeu betragen hatte, wurde um fast % vermindert 
und somit ungenügend. Renk wählte daher statt der undurchsich¬ 
tigen Metallreflektoren anfänglich solche von Milchglas, in der 
Form der gewöhnlichen Augenschützer, welche auch Licht direct 
durchtreten lassen, und später aus äusseren Gründen Lampen¬ 
glocken aus Ueberfangglas. 

Auch Prausnitz 1 ) empfiehlt als Reflektoren Schinne aus 
Milchglas, auf einer Messingplatte ruhend, mit unterer Oeffnuug 
von <» cm, oberer von 25 cm und mit Seitenhöhe von 14,5 cm. 

P r n u s n i t z rechnet ein Gasglühlicht auf 12 qm bei 3.03 in 
Höhe und gibt an, dass die Entfernung der Lampen von der Wand 
etwa die Hälfte der Entfernung der Lampen von einander be¬ 
tragen und in 4—3 m hohen Räumen die Lampen etwas tiefer ge¬ 
hängt werden sollen, wobei man dasselbe Resultat in Bezug auf 
Platzhelligkeit erhalte. Er hält diese Beleuchtungsart für die ge- 
eignetste zur Erhellung von Auditorien und Schulzlmmern. sowie 
von Arbeitsräumen, in welchen der einzelne Arbeiter keiue sehr 
feine Arbeit auszuführen hat und eine gleichmiissige Lichtmenge 
ohne Schattenbildung vorhanden sein soll, doch erhielt Praus¬ 
nitz geringere Platzhelligkeiten, als man sie sonst zu fonlern ge¬ 
wohnt ist. und lH‘gniigt sich mit einer Helligkeit von 7—8 Kerzen 
als einer guten, Ja er erklärt sogar eine von 10 Meterkerzeu für 
eine sehr gute. Allenfallsigen Einwänden begegnet er unter an¬ 
deren Gründen auch damit, dass mit Erfüllung höherer Anfor¬ 
derungen an Licht durch mehr Flammen auch die schädlichen 
Nebenwirkungen der künstlichen Beleuchtung (s .weit es sich nicht 
um elektrisches Licht handelt) entsprechend vermehrt werden. 

Eris m a n n verlangt dagegen eine Flüchenlielligkeit von 
20 Meterkerzen für feine, von 12—15 für gröbere Arbeiten, als Mi¬ 
nimum 10 Meterkerzen und begründet diese seine Auschnuung, wie 
es scheint mit Recht, durch die Versuche U h t h o f f’s ’). welche 
ergeben, dass bei Helligkeit von '/„ Meterkerze Sehschärfe bei 
Helligkeit von l Meterkerze Sehschärfe allerdings schon y 2 . daun 
aber nur langsam steigend, bei Helligkeit von 10 Meterkerzeu 
Sehschärfe erst -li. und normale Sehschärfe erst bei 100 Meter¬ 
kerzen erreicht wird. 

E rlsman n hält überdies eine Kombination des indirecten 
Lichtes mit dem directen, wie sie ja bei Anwendung durch¬ 
scheinender Milchglasreflektoren gegel»en ist, da. wo Schatteu- 
hildung störend wirkt, also da wo geschrieben, gezeichnet wird 
I u. «lergl., nicht riithlich und zieht undurchsichtige Metallscliirine 
als Reflektoren den Milchglasschirmen vor. Die obere Fläche der¬ 
selben sei weiss emaillirt oder binnk polirt. 

Im hiesigen k. Erziehungsiustitute für Studirende wurde nun 
, auf meinen Antrag, da die 1887 vor Erfindung des Aue r’sehen 
Gasglühlichtes eingeführte directe Beleuchtung mit elektrischem 
, Glühlicht zeitweise nicht funktiouirte, im Jahre 1897 neben dieser 
I die gemischte Beleuchtung nach Renk eingeführt. Unter Be- 
' uützuug der aus früherer Zeit vorhandenen Gasleitung wurden 
I in jedem Museumssaale 20 Auer-Gnsglühllchter mit Iaimpen- 
I kugeln aus Ueberfangglas in solcher Höhe ange¬ 
bracht, dass der obere Cylinderrand (»0 cm von 
der Decke entfernt war. Die Decken wurden 
mit mattweisser Farbe angestrichen, die Wände erhielten 
eine grüne, allerdings nicht genügend helle Bemalung, die grossen 
Fenster werden durch welsse Vorhänge als gute Reflektoren be¬ 
deckt. Betritt man einen derart beleuchteten Saal, so empfindet 
man. wie für die indirecte Beleuchtung schon hervorgehobeu, einen 
I ungewöhnlich wohlthuenden Eindruck, namentlich empfindet man 
I es angenehm, dass auch die an den Wänden hängenden Karten 
hell beleuchtet sind — das Gleiche würde auch bei einer Wandtafel 
der Fall sein —, der Beaufsichtigende kann die Zöglinge tiber- 
j blicken, Niemand wird durch den Glanz der im Raum vorhandenen 
relativ vielen Flammen geblendet und alle anwesenden Personen. 
I auch die am Stehpult arbeitenden, sind vor der Einwirkung der 
j strahlenden Wärme wegen der grossen Entfernung der Flammen 
! geschützt. 

Aber trotzdem dass die Beleuchtung in Anbetracht von 
20 Flammen für 40 Zöglinge bezw. Plätze bei einer Bodenfläche 
von 113 qm und einer Höhe von 3,85—3,70 m eine aussergewöhnlich 


i •) Renk: Die neue Beleuchtung der Universitätsauditorien 
! in Halle a. S. Berlin 1894. A. Hirschwald, 
i ') Kermauner und Prausnitz: Untersuchungen über 
■ indirecte (diffuse) Beleuchtung von Schulzimmern. Hörsälen und 
Werkstätten mit A u e r’schein Gasglühlicht Archiv f. Hygiene. 
XXIX. Bd.. S. 107 u. f. 

i ') Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, Bd. XXXII. 


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16. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1177 


reichlich bemessene Ist, Ist die Platzbeleuchtung doch nur eine 
gerade genügende. 

Eh lässt sich nicht verkennen, »hiss durch die die Lichtquelle 
ganz umso liliessenden Laiupenkugeln zu viel Licht verloren geht. 
Die Prüfung mit dem C o li n’schen Lichtprüfer ergab nämlich, 
dass zwar auf allen Plätzen 20—24 vierstellige Zahlen in Vs Minute 
gelesen werden können, doch vermögen dies nur Zöglinge mit sehr 
guten Sehschärfen und nach Verschiebung auch nur e i u e s Hauch¬ 
glases sind auch diese es nicht mehr iin Stande. Gegenüber der 
directen Beleuchtung mit dem elektrischen Glühlichte, dessen 
Vorzüge und Nachtheile ich Eingangs erwähnt habe, macht sich 
aber in sehr angenehmer Weise der Umstand geltend, dass wie der 
ganze Raum, so auch die Arbeitsfläche ganz glelchmässig, insbeson¬ 
dere die Itandtheile der breiten Doppelpulte ebenso hell beleuchtet 
sind, als deren Mitte. 

I>a bei solchen Lampenkugeln ebenso wie bei Mllchglas- 
schirmen netten indireetem Lichte auch directen Licht zur Wirkung 
kommt, so treten die Schatten mehr hervor nls bei rein indirecter 
Beleuchtung mittels undurchsichtiger Reflektoren, es ist jedoch 
der auf weissem Papier erzeugte Schatten der schreibenden Hand j 
verschwommen und daher nicht so störend als bei directcr Be¬ 
leuchtung. 

Stelle ich nun zwischen den Mittheilungen von Renk und 
P r a u s n i t z einerseits und denen von Eris m a u n und von 
Baurath Buscheck 0 ) in Wien andererseits gemachten einen 
Vergleich, so scheint mir die indireete Beleuchtung mittels un¬ 
durchsichtiger Metallreflektoren doch den Vorzug zu verdienen, 
um so mehr als auch meine eigenen Beobachtungen im Erziehungs- 
Institut nicht ohne Weiteres zu Gunsten der gemischten Beleuch¬ 
tungsart sprechen. 

Es haben nämlich sowohl E r i s m n n n als B u s c li e c k mit 
einer geringeren Zahl von Lampen bessere Platzbeleuchtung er¬ 
hallen als Renk, Prausnitz und ich. Die Ergebnisse von 
Erisuiaun habe Ich schon beispielsweise mitgetheilt. Buscheck 
erhielt bei 0 Auerlampen mit Metallreflektoren in einem Schnl- 
zimiuer mit 54 qm Fläche und 40—50 Schülern fast genau wie 
K r i s m a n n 19.00 Meterkerzen auf dem günstigsten und 15,3 Meter¬ 
kerzen auf dem ungünstigsten Platze nls Flächenbeleuchtung und 
keiner von beiden erwähnt den von Renk gerügten, übrigens 
nicht bei Versuchen mit Auer-Gasglühllcht gefundenen Kontrast 
zwischen der Beleuchtung im oberen Raume des Zimmers gegen 
deu unteren. 

I>r. Burgerstein stellt diesen Kontrast als auffällig auf 
mein Befragen auch entschieden in Abrede. 

Halte ich dagegen, dass ich bei 20 Lampen auf 40 Zöglinge 
und 113 qm Fläche, also bei einer Lampe auf 5.0 qm, eine gerade 
genügende Beleuchtung erhalten habe, so spricht auch noch die 
Kosteuerspamiss für die Metallreflektoren. 

Voraussetzung für die rein Indireete Beleuchtung ist nun: 
ilellblelben der Decke und des oberen Drittels der Wände durch 
uiattwelssen Anstrich, der je nach Heizmethode und Fussboden- 
•pialitüt (Russ und Staub) alle 2 oder 3 Jahre erneuert werden 
muss und sehr helle Bemalung des übrigen Theiles der 
Wände. Auch die Thüren- und Fensterrahmen uiiisscu weiss be¬ 
malt und die Fenster selbst, da bei Nacht dunkel, durch weisse - 
Vorhänge liedeckt werden. Ferner müssen die Schirme an Ihrer 
eiteren Fläche Immer blank gehalten bezw. entsprechend oft nb- 
gewiseht und geputzt werden. Es entsteht dadurch etwas mehr 
Arbeit, nuch muss erwähnt werden, dass das Anzünden der Lampen 
mit Metallreflektoren etwas umständlicher ist. als «lerer mit Milcli- 
glasschirmen oder Glaskugeln, da man die zurileksehlagende 
Flamme nicht sieht. 

Die Nebenkosten sind überhaupt bei indirecter und gemischter 
Beleuchtung etwas höher als bei direeter, dafür sind aber, wenig¬ 
stens l)ol rein indirecter Beleuchtung, weniger Flammen bei 
gleich guter Platzbeleuchtuug erforderlich. 

ln einem Zimmer z. B., welches bei 9 m Länge und 0 m Breite 
51 qm Fläche hat und worin 40—50 Schüler an Subsellien oder 
20 an grösseren Pulten sitzen, würden für indireete Beleuchtung 
0 (Jasglühlichter (1:9 qm) mit Metallreflektoren ausreichen, wäh¬ 
rend «llrecte Beleuchtung sowohl bei Subsellienanoninuug für 
5o Schüler als für 20 an Pulten sitzende Schüler, wenigstens 
lo Lampen erfordern würde. Bei gemischter Beleuchtung mittels 
du rehreheinender Schirme würden allerdings ebenfalls 10 Laiup.ui 
erfonlerlicb, diese aber der directen Beleuchtung weit vorzuziehen 
rein. 

Es wäre noch anzufügen, «lass sich das Glühlicht schon an 
und für sich durch seine Kegelform, mittels deren es den grössten 
Tlieil des von ihm ausgehemien Lichtes nach oben ausstrahlt, für 
imllreete Beleuchtung eignet. 

Oh rein indireete oder gemischte Beleuchtung vorzuziehen 
sei, hängt ausser von den Kosten auch von der Bestimmung des zu 
erleuchtenden Raumes ab. In llörsiilen, ferner da wo Anschau¬ 
ungsunterricht ertheilt und an die Tafel geschrieben wird, kann 
der gemischten Beleuchtung der Vorzug gegeben werden, während 
sieh für Räume, in welchen geschrieben und gezeleimet wird, die 
rein indireete Beleuchtung besser eignet. Diese letztere Art von 


°) Mitgetheilt in der Österreich. Monatsschrift für Gesundheits¬ 
pflege. XV. Bd„ Heft 5, worauf ich durch das freundliche Ent¬ 
gegenkommen des Hygieneschriftstellers Herrn Dr. Leo Burger¬ 
stein aufmerksam gemacht wurde. 


indirecter Beleuchtung mittels Casglilhlicht wird nuch von dem 
französischen Arzt Dr. Dargelos sehr gerühmt. 10 ) 

Störend für lmlirecte Beleuchtung überhaupt sind eiserne 
Träger an der Decke, da sie Schatten werfen und nun die refl«*k- 
tlrende Wirkung der Zimmerdecke nicht so voll wirken kann, wie 
das hei einer ebenen Decke der Fall ist. Ebenso beeinträchtigen 
Stützsäulen, Pfeiler und Mauerbogen, wie z. B. in einem Saale des 
S t e 1 1 e n’schen Institutes in Augsburg, die volle Wirkung der 
indirecten Beleuchtung. Auch ist zu bemerken, dass sich die In¬ 
direete Beleuchtung für Zeichnen nach Gipsmodellen nicht eignet. 
«1a mau hier bestimmte reine Schatten haben muss. Ferner ist 
indireete Beleuchtung nicht auzuratlien, wenn ein relativ grosser 
Raum wegen ungenügender Tagesbeieuchtung eines Theiles «les- 
selbeu nur zum Tlieil mit Bänken besetzt ist, wie z. B. in einem 
Sehulsaal im Nymphouburger Mädcheninstitut. Hier ist cntwi'dir 
dlreeteBeleuchtung durch Gasgliihlh-ht am Platze oder die indirec e 
müsste durch elekrisches Bogenlicht bewirkt werden. 

Diese Art hulirecter Beleuchtung verdient wohl auch den Vor¬ 
zug vor der mittels des A u e r’schen Gasglühliehtes in sehr Imhon 
Räumen von 5 und mehr Meter Hülm. Andernfalls wäre hier die 
gemischte Beleuchtung der rein indirecten vorzuziehen, da wir 
durch I'rausnltz wissen, dass bei s«*iner Beleuelituugsart die 
Höhe des Saales auf die Platzhelligkeit nicht von Einfluss ist. 

Nachdem nun die Frage, ob dlreete oder indireete Beleuch¬ 
tung vorzuziehen sei, im Allgemeinen zu Gunsten d«»r letzteren 
entschieden sein dürfte, ist noch die weitere Frage zu beantworten: 

Ist «las Gasgliihliclit oder «las elektrische Bogenlieht mehr ge¬ 
eignet? 

Das Bogenlieht hat. vor dem Gasglühllcht den Vortheil d<*> 
elektrischen Lichtes ülierhaupt voraus, indem es k«*im> Luftv«*r- 
schlechterung durch Sauerstoff verbrauch und Kohlensäureent- 
wkklung bewirkt und geringere Bedienung erfordert, dazu noch 
den besonderen Vortheil hat, «hiss es sich bei grösst«*r Lichtstärke 
in seiner Zusammensetzung «lein Tageslicht am meisten uälmrt, 
und zwar iu noch höherem Grade als das Gasglühlicht. 

Dieses zeichnet sich bei rechtzeitiger Erneuerung «les Strumpfes 
durch Stetigkeit des Brennens gegenüber dem elektrischen Bogen- 
licht aus. Gelingt cs der Technik, die Schwankungen beim Bogen- 
liclit noch vollständig zu beseitigen, so vereinigt dieses all«* Vor¬ 
züge einer künstlichen Beleuchtung für Arbeitsräume, natürlich 
in Indirecter Verwendung, in sieh. Es ist. «lies um so mehr zu hoffen, 
als jetzt schon hei Anschluss an eine kräftige Centrale mit Wechsel¬ 
strom Schwankungen nicht mehr bestehen oder «loch nur minimal«* 
sind. Hiefiir kann die Beleuchtung in den llörsiilen der hiesigen 
technischen Hochschule, im v. S t e 11 e n’schen Institute in Augs¬ 
burg und in ver8«*lded«*nen hiesigen Fabrik- und Vergnügungs- 
«tablissements dienen, so insbesondere in einem Saale d:*s 1. Stockes 
in der Angustinerwirtlisehaft. Die Beleuchtung dieses letzteren 
muss geradezu als eine ideale, dein Tageslicht auss:*ror«l«*ntlicb 
nahe kommende bezeichnet werden, da si«*, trotzdem sie der Be¬ 
stimmung «les Lokales gemäss eiue «llrecte ist, nicht blendend 
wirkt. 

In dcrDiscusslon über das Eingangs angeführte Thema iiu-sert 
sich Stadthaurath Emil M a y e r - Stuttgart dahin: 

..Nach ausgedehnten Versuchen mit den verschiedenen Arten 
der künstlichen Beleuchtung halte man mit den elektrischen Bogen¬ 
lampen die beste Erfahrung gemacht, positive Kohle oben, mit 
grossen, weiss omailllrten Blechschirmen von 50—70 cm Durch¬ 
messer. Bel Versuchen mit verschiedenen Lampen habe sich «li«: 
K «"> r t i n g - M a 11 li i e s s e n - Lampe als die geeignetst«* er¬ 
wiesen. Nachdem diese Lampe ln der gewerblichen und obliga¬ 
torischen Fortbildungsschule zu Stuttgart, in welch’ letzterer 
nicht nur Zeichnen-, sondern auch anderer Unterricht gegeben 
werde, eiugeführt ist. sei man damit ausserordentlich zu¬ 
frieden. In einem Zimmer mit <»0_S0 qm Grund¬ 
fläche seien 2 solche Lampen mit <5 Ainpt'restävke. in kleineren 
Zimmern je eine Bogenlanmpe mit 8—10 Ampf>r<>. Bei Zimmern 
mit nur 1 Lampe hänge diese ln der Mitte: bei 2 Lampen sei di«* 
Länge der Decke in vier Theile getheilt und am 1. und 3. Theil- 
puukt eine Lampe aufgehängt. Zwei Bogenlamptm von 0 Amper«* 
entsprechen dem Kostenaequivalent, von 12 Glühlampen, während 
erstere eine bedeutend intensivere Helle ergeben.“ 

Auch im hygienischen Ilürsaalc der Universität Freiburg, wel¬ 
cher bei 87.30 qm Fläche uud 4.9 m Höhe durch 2 Bogenlampen 
von 10 Ampere (S c li u c k e r t’sches Modell für Schulen mit unten 
angebrachten, Iu vielseitigen Pyramiden ungeordneten Refl«*ktoren) 
beleuchtet wird, wird die äusserst ghdehiuässige Beleuchtung als 
von wohlthiitigster Wirkung auf die Augen rühmend liervor- 
gchobou. 

Die Wagschale scheint sich demnach zu Gunsten der in- 
diveeten Beleuchtung mittels des elektrischen Bogenlichtes zu 
neigen. Es sind jedoch noch die Kosten dieser Beleuchtungsart. 
der Erwägung zu unterziehen, uud zwar ist diese Frag«* ein«* der 
wichtigsten. Denn wie P rausuitz sehr richtig bemerkt, ist der 
Werth einer hygienischen Einrichtung, welche für weitere Kreise 
bestimmt ist. vor Allem davon abhängig, ob die Kosten derselben 
eine allgemeine Einführung gestatten. 

Die Kosten für das elektrische Bogenlieht stellen sich nun 
allerdings höher als für das Gasglühlicht, doch nicht so erheblich, 
als man im Allgemeinen anzunehmen gewohnt ist. Bei den Kosten 
muss man untors«*h«*iden zwischen Kosten für Einrichtung im-l. 
Lampen und Schirme, Reinigung bezw. Instandhaltung und für 


Eelairage nrtificicl «les sallcs dV'ttid«* A Fahle de la lumh'ri* 
diffuse. Aimalcs d’liygiene publique, T. XXXVI, p. U»5. 

4* 


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MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29. 


die Beleuchtung selbst. Hiezu kommen noch die Kosten für all- 
jährliehc Zimmorreinigung bezw. häutigere Erneuerung des 
Zimmernnstriches; diese sind jedoch für beide Beleuchtungsarten 
die gleichen und können daher ausser Berechnung bleiben. 

Baurath Buse heck“) stellt — umgerechnet in Mark — 
folgenden Kostenanschlag auf: 


Flächen- 
mum in 
Metern: 


Beleuctatungsart: 


Zahl der 
Lampen: 


* 04 Gasglühlicht G 

56 Elektr. Bogen- 2 

licht 


Geldbetrag 

für 

100 Brcnn- 
s t unden: 
12,87 
34,25 


Einrichtungs- Jäbrl. Kosten 
kosten für der Bedienung 
ein Lehr- und Instand- 
limmer: haltung: 

2H4.71 4G,50 

313,74 39,10 


Dieser Berechnung zu Folge würde das elektrische Bogen¬ 
licht beträchtlich höher zu stehen kommen als das Gasgliihlieht. 
es dürften jedoch, da diese Berechnung noch aus dem Jahre 1897 
stammt, in welchem in Wien noch keine Centrale bestand, die 
Kosten für das elektrische Bogenlicht sich inzwischen beträcht¬ 
lich herabgemindert haben. 

Einer anderen Berechnung vom gleichen Jahre zu Folge (citirt 
in der Deutsch. Vierteljahressclir. für öffentl. Gcsundheitspfl. 
XXXII. Bd., Heft 1, S. 3G) wurden von Wedding für Berlin 
folgende Kosten für die Brennstunde bei einer Helligkeit von 
100 Kerzen angegeben: 


Elektrisches Bogenlicht. 2.G Pfennig, 

Gasgliihlieht. 5,5 „ 

Petroleumglühlicht. 5,0 „ 

Elektrisches Glühlicht.20,7 „ 

Leuchtgas-Argandbrenner.23,8 „ 

Nach dieser Zusammenstellung wäre das elektrische Bogen¬ 
licht sogar billiger als das Gasgliihlieht. Mit Sicherheit aber lässt 
sich daraus entnehmen, dass die beiden Lichtquellen, welche in- 
directe Beleuchtung ermöglichen, zugleich die billigsten sind, dass 
das elektrische Gltihlicht viel tlieuerer ist und die auch vom hygie¬ 
nischen Standpunkt aus zu verwerfenden Lichtquellen, nämlich die 
offene Gasflamme und der Argnndbrenner, wenn sie genügende 
Beleuchtung geben sollen, zugleich die theuersten sind. 

Bei Acetylenbeleuchtung ist noch nicht jede Gefahr aus¬ 
geschlossen. Es wurde daher von dieser Beleuchtungsart ganz 
abgesehen. Sein Preis wird zwischen 13.5 und 5.3 Pfennige für die 
Brennstunde bei 100 Normalkerzen Helligkeit angegeben. 

Bei der Entscheidung der Frage, ob Gasglühlicht oder elek¬ 
trisches Bogenlicht, scheinen mir daher zunächst folgende Um¬ 
stände In’s Gewicht zu fallen: 

1. Welche Beleuchtungsquelle bereits installirt ist. Ist also 
Gasleitung schon vorhanden, wird man sich wohl für das Gasglüh¬ 
licht entscheiden. 

2. Ortsüblicher Preis des elektrischen Stromes und des Gases. 

3. Anschluss an eine kräftige Centrale mit Wechselstrom. 

Ausserdem kommt noch zu berücksichtigen, ob die Bedienung 

besondere Kosten verursacht, ln einem Institute oder Pensionate, 
z. B. in welchem eine solche vorhanden ist, würde dieser Umstand 
zu Gunsten des Gasglüldichtes sprechen, da die Bogenlampen sach¬ 
verständige Behandlung erfordern. (Schluss folgt.» 


Ueber die septische Endocarditis. 

Von Prof. H. Lcnhartz, 

Director des Eppendorfer Krankenhauses in Hamburg. 
(Schluss.) 

Einige Beispiele aus meiner Beobachtungsreihe mögen diese 
Verhältnisse beleuchten. 



Staphylorooeen Kiulocardills der 
i’iilmonalkliifipen (Piiuor i Mon.) 
1‘rotilnimi lii der Vegetationen. 


u ) 1. C. 


1. Ein junger Student T. 
wurde einige Wochen, nachdem er 
sieh die Harnröhre gequetscht 
hatte, von einem heftigen Schüttel¬ 
frost befallen, der sieh Im Laufe 
von G Wochen etwa 7 mal wieder¬ 
holte. Er musste sieh ilesshalb, 
ganz gegen seine frühere Gewohn¬ 
heit schonen, konnte die Kneipe 
nicht mehr besuchen und kehrte 
Weihnachten 1899 nach Hause 
zurück. Seinen Angehörigen und 
Bekannten fiel das veränderte 
schlechte Aussehen des jungen, 
früher sehr frischen und flotten 
jungen Mannes sofort auf. Er 
war aber nicht dazu zu bringen, 
sieh andauernd in’s Bett zu legen, 
obwohl mehrere unregelmässige 
Schüttelfröste eintraten. Erst als 
diese täglich folgten und 1 oder 
2 mal Ansteigen der Temperatur 
um 3—5° herbei führten, blieb er 
im Bett. Ich sah den Kranken mit 
Herrn Kollegen St.; es konnte kein 
Zweifel obwalten, dass es sich um 
eine septische Endocarditis 
an der I* u 1 in o n a 11 s handelte. 
Der sehr blasse Kranke bot ein in¬ 


tensives Geräusch an deren Auscultationsstelle dar, ferer einen 
grossen, 3 Finger breit den Rippenrand überragenden M 11z- 
tumo r. Die am Tage nach dem ersten Consilium ausgeführte 
bacteriologisehe Untersuchung des Blutes ergab reichlich Sta¬ 
phylo c o e c e n. Die Krankheit zog sich über 3 y g Monate hin: 
in den letzten Wochen hörte das hohe intermittirende Fieber ganz 
auf, und es trat eine schwere Nephritis mit allgemeinen 
Hydrops hinzu. 

Bel der Autopsie fanden wir eine mächtige thrombotische 
Wucherung au der zerstörten Pulmonalklappe (s. Flg. 2). Im Blut 
und Thrombus Staphylococcen. Schwere parenchymatöse Nephritis, 
mehrere blande Infarkte in der Milz, ein kleiner vereiter¬ 
ter Infarkt in der Lunge. 

2. Die 31 jährige Frau St. erkrankte am 29. Dezember 189(5, 
4 Tage nach der letzten normalen Entbindung mit Schüttelfrost 
und Fieber, das sich in den nächsten Wochen alle 2—3 Tage wieder¬ 
holte. Nach 14 Tagen stand sie auf und musste nuu ab und zu 
wieder das Bett hüten. Erst von Anfang Februar war sie dauernd 
bettlägerig. Sie blieb bol uns vom 9. Februar bU zu Ihre ui 
am 2(3. Juni 189(5 erfolgten Tode uud hatte in dieser Zeit 
22 schwere Schüttelfröste und 17 kürzere Frostanfälle. Sie bot 
andauerndes, bisweilen nur schwaches Fieber dar, hatte ab und zu 
Schmerzen in den Gliedern, flüchtige Exantheme und ln den letzten 
D/ a Wochen schwere Nephritis und Neigung zu Blutungen. 

Im lebenden Blut wurden (gewöhnliche) Strepto¬ 
coccen nachgewiesen. Die Autopsie ergab schwere uleeröse 
und verrueöse Endocarditis an der Mitralis (s. Fig. 3). Die zum 
Tlioil bohnengrossen graugelbeu, morschen Vegetationen setzten 
sieh auf die Vorhofsfläche bis zur Einmündung der Pulmonalvenen 
fort, während sie In den Ventrikel bis zu den Papillarmuskeln 
reichten. 

Fig- 



Streptococcen-Kiuloe.inliiis der Mitralis. (Krankl»cltsilaiicr 5 Monate ) 

1 

Ausser einem kleinerb sengrossen Abscess in 
der Wand des linken Ventrikels fanden sieh nur zahlreiche 
b 1 a u d e Infarkte in der MHz uud schwere Nephritis hnemor- 
rhagien. 

3. Bei dem vorher schon flüchtig berührten Falle Sophie S. 
begann die Krankheit eltenfails (10 Tage) nach einer normalen Ent¬ 
bindung mit einem Schüttelfrost. Das Mädchen kam 4y s Wochen 
später (am 5. Juni 1898) zu uns und blieb die folgenden 
4% Monate bis zum Tode ln unserer Behandlung. Die Kranke 
sah blass aus. hatte aber wochenlang nur wenig unter dem un¬ 
regelmässigen Fieber zu leiden, Insbesondere blieben In 
den ersten 13 Wochen unserer Beobachtung die 
Fröste gauz aus. Diese steUten sieh erst in den letzten 
3y 2 Wochen in heftigster Weise ein. Die Diagnose der septischen 
Endocarditis an der Mitralis war gesichert durch das von Anfang 


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IG. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1179 


au vorhandene systolische Spitzengeräusch. die Blässe, 
Schwäche, den fühlbaren grossen Milztu mor und den 
während der ganzen Beobachtungszeit geführten Nachweis von 
(gewöhnlichen) Streptococcen Im Blut. 

Die Autopsie ergab ausgedehnte Endocarditis au der Mitralis 
mit zahlreichen mächtigen polypösen Erhebungen, die dichte 
Streptoeoecenrasen enthielten: sonst war ausser blanden In¬ 
farkten in der Milz (und Itetlnablutungen) nichts Besonderes zu 
linden. 

4. Das ebenfalls oben schon erwähnte 33 jähr. Kindermädchen 
Auguste T. stand vom 6. November 1900 b i s 13. Februar 
1901 in unserer Behandlung. Sie war mehrere Wochen vor der 
Aufnahme mit allgemeinen Beschwerden und Ziehen in den 
Gliedern erkrankt und zunächst von dem behandelnden Arzte als 
Hysterien angesehen. Bei der Aufnahme erschien sie blass 
und matt und zeigte ein lautes systolisches Spitzengeräusch. Die 
sofort vorgenomniene Blutkultur Hess nach 2 Tagen deutliche 
Kolonien des kleinen Streptococcus wachsen. Ueber die weiteren 
Rlntuntereuchungen ist oben schon berichtet. 

Während der etwa 14 Wochen langen Beobachtung im 
Krankenhaust» bot die Kranke ein sehr mildes Fieber dar, mit 
Rectumteinperaturen von 38—39 oder 37—38. Sie war meist ganz 
heiter und ohne Beschwerden, hatte nie Fröste, ab und zu Ziehen 
in den Gliedern, an 3 Tagen flüchtige Schwellung in beiden 
Knieen, etliche Tage Erscheinungen von Aphasie und rechtsseitige 
Krämpfe, in der letzten Woche schwere Nephritis und dauernd 
starken Milztumor. 

Die Autopsie ergab ausser der ulcerösen Endo¬ 
carditis an der Mitralis vielfach blande oder haemor- 
rhagisehe, nirgends vereiterte Infarkte ln Milz und Nieren, 
schwere haemorrliagische Nephritis, vielfach Blutungen in anderen 
Organen und umschriebene Encephalitis. 

5. Die 43 jährige Fr. E. kam am 10. April 1900 zu uns und 
starb am 13. April Früh. Sie war auf dem Transport in’s Kranken¬ 
haus von linksseitiger Lähmung betroffen, snli verfallen aus und 
war völlig bewusstlos. Man erfuhr, dass sie am 20. Januar plötz¬ 
lich mit Schüttelfrost und Schmerzen im Leib erkrankt und 14 Tage 
später von einem frühreifen Kinde entbunden war. Es hatten sich 
mehrfach Schüttelfröste wieder eingestellt, bei denen die Tempera¬ 
tur selten höher als bis 39 stieg; meistens schwankten die Tempera¬ 
turen zwischen 37 und 38,5. 

Da die Kranke ein lautes systolisches Spitzen- 
geräusch und grossen fühlbaren Milz tu mor dnr- 
!>ot. wurde sofort die Blutkultur angelegt. Es wuchsen 
aus 20 ccm etwa 2000 Keime. Bel der Autopsie fand man 
Embolie der Art. foss. Sylvii d. mit Erweichung des rechten 
Schläfen- und Scheitellappens. Klare Flüssigkeit im Iler/.beutel. 
Heber bohnengrosse, morsche, thrombotische 
Auflagerungen an Mitralsegeln und Vorhofs¬ 
wand. grosser Milztumor mit haemorrhaglschen und nnaemisclien 
Infarkten. Zahlreiche gleichartige in den Nieren. Auf allen 
Schnitten durch die Embolie in Nieren, Milz und Hirn d lebt e 
Massen zarter Streptococcen. 

6. Der 47 jährige F. L. erkrankte nach einer Nachtfahrt von 
Berlin nach Hamburg im März 1900 mit Hals- und Glieder¬ 
schmerzen. Er blieb 2 Tage zu Hause und machte dann, um die 
milden Knochen etwas gelenkiger zu machen, 2 mal eine grössere 
Radeltour von 30—50 km. Er erhofte sich aber nicht und fiel in 
den nächsten Wochen seinen zahlreichen Freunden durch sein 
schlechtes Aussehen derartig auf. dass sie ihm den Hausarzt zu- 
ffihrten. Dieser fand bei der ersten Untersuchung am 29. März 
ein diastolisches Geräusch am Brustbein und schlechteres Aus¬ 
sehen des vorher sehr urwüchsigen Kranken. Er empfahl grössere 
Schonung. Im April hatte der Kranke einige Tage Schmerzen Im 
linken Unterschenkel und in der Gegend des linken Schulterblattes, 
auch schwitzte er häufiger des Nachts. Vom 2. bis 
5. Juni war er zur Erholung in Helgoland, fühlte sich aber recht 
elend und wurde von Woche zu Woche kraftloser. Er batte bis 
dahin nie Fröste, wohl aber ganz vereinzelte Temperatur¬ 
erhöhungen bis 39 gehabt 

Vom 20. Junibiszudemam 16. Augusterfolgten 
Tode habe ich den Kranken häufiger mit dem Hausarzt gesehen: 
er bot dauernd ein lautes diastolisches Aortenge¬ 
räusch und mächtigen Milztumor dar. Er klagte 
ab lind zu über stärkere Beengung und zunehmende Kraftlosigkeit. 
Die Temperaturen erreichten ln der ganzen Be¬ 
obacht ungs zeit nur 11 mal die Höbe von 39—39.5; 
sie schwankten in der Regel zwischen 37,5—38.6. Niemals traten 
Fröste ein und nur an einigen Tagen wurde über lebhafte, um¬ 
schriebene Schmerzen an der Tibia und am Aeromion geklagt, 
zweimal traten kleine Embolien an Fingern und Zellen auf. 

Leider durfte ich erst unmittelbar nach dom Tode Blut eut- 
ru-hmen: es wuchsen kleine Streptococcen der oben be- 
schrielienen Art. Die Autopsie ergab starke Zerstörungen der 
hinteren Aortenklappe und mächtige, bröckelige, gelbe Auflage¬ 
rungen auf den übrigen, besonders der rechten Klappe. Die Auf¬ 
lagerungen setzen sich auf das Endocard des linken Ventrikels und 
auf die Ventrikel fläche des Aortensegels der Mitralis fort. D i c 
Milz mä chtig gross mit einem haemorrhaglschen 
nnd einem vereiterten klelnwallnussgrosseu 
Infarkt. 

M. H.! Die angeführten Beispiele dürften genügen, um den 
Beweis dafür zu erbringen, dass es eine chronisch v e r - 

No. 29. 


laufende septische Endocarditis gibt, die 
nichts mit einem malignen Rheumatismus zu 
thun hat, sondern durch die bekannten sep¬ 
tischen Krankheitserreger hervorgerufen 
w i r d. Durch die Blutuntersuchung gelingt es, schon 
im Leben diese Diagnose zu sichern. Das ist ein wesentlicher 
Fortschritt gegen früher. Wir haben liei den chronischen Fällen 
meist nur die Staphylo- und Streptococcen, 1 mal aber auch den 
Pneunioeoceus gefunden, und der von uns genauer untersucht •. 
durch Gonococcen erzeugte Fall dauerte ebenfalls bis zu 
8V 2 Wochen. 

Wir haben oben schon hervorgehoben, dass in manchen 
Fällen, selbst bei mächtiger Entwicklung der Vegetationen das 
Geräusch völlig fehlen kann. 

Ich selbst habe dies bisher nur bei mehreren akuten Fällen 
erlebt, bei denen uns erst die Autopsie die Gegenwart zum The.il 
mächtiger thrombotischer Massen auf den zerstörten Klappen 
vorführte. 

Dass aber auch bei chronischem Verlauf das 
H e r z g e r ä u s e h f e li 1 e n kann, hat mich die Mittheilung 
eines Falles gelehrt, di»; ieli unserem verstorbenen Kollegen 
l)r. B ii 1 a u verdanke. 

Es handelte sieh um eine 30 jährige Apothekersfrau, die seit 
einigen Monaten, bevor Dr. B. sie (am 19. Febr. 1894) sah, an 
schwachem, remittlrendeiu Fieber und kurzem Husten ge¬ 
litten hatte. Sie sah blass aus. objectiv war ausser massigem, 
feinem Katarrh RHU nichts nachweisbar. Die Kranke wurde 
nach Montreux geschickt, blieb dort 8 Wochen und kehrte In viel 
schlechterem Zustande zurück und klagte über Schmerzen im 
ltüekon und ln den Beinen. Auf der Rückreise hatte sie Prof. 

1 m m e r m a n n konsultirt, der eine dissemiuirte Tuberkulose dia- 
gnostieirte. Am 9. Juli fand Dr. B. das Ilerz verbreitert, die 
T ö n e schwach, aber rein. Ueber den Lungen nichts Abnormes. 
Milz stark v e r g r ö s s e r t, den Ripjienbogen über 4 Finger¬ 
breite überragend. — Unter zunehmender Schwäche ging die 
Kranke am 10. August zu Grunde. 

Die Autopsie ergab an den A o r t a klappen des schlaffen und 
erweiterten Herzens grosse Auflagerungen. Die hinter«* ist voll¬ 
ständig zerstört, durch warzige Massen ersetzt. Die linke und 
rechte mit gelblichen Throinbusmassen bedeckt. In der Milz 
mehrere kleine frischt*, in der r. Niere ältere Infarkte. 

Ebenso wenig wie Dr. B ülau möchte ich daran zweifeln, 
dass es sich hier um eine chronische septische Endocarditis ge¬ 
handelt hat. Monatelang fortbest eilende.« unregelmässiges Fieber, 
Schmerzen in den Beinen, zunehmende Schwäche und grosser 
Milztumor hatten ohne alle Erseheinung«*n von Seiten des Her¬ 
zens das Krankheitsbild beherrscht und die Autopsie ergab aus¬ 
schliesslich eine Kudocarditis ulcerösen Charakters. 

Von klinischer Bedeutung ist, dass das Herzgeräuseh hier 
während des monatelangen Verlaufs gefehlt hat, obwohl die 
Autopsie beträchtliche Zerstörungen an den Klappen kennen 
lehrte. Ganz ähnliche Verhältnisse hat üeubner beschrieben. 
Tn seinem 2. Fall, der sieh Jahre hinzog. war erst sub finem 
ein deutliches systolisches Geräusch an der Herzspitze zu hören, 
obwohl die Autopsie uleeröse Endocarditis ergab. Allerdings 
waren in diesem Falle nur unbeträchtliche Auflagerungen vor¬ 
handen. 

M. IT.! Wenn meine bisherige Darstellung und die Deutung 
unserer Fälle richtig ist, so wird man nothwendiger Weise vor die 
Frage gestellt, ob es überhaupt eine maligne rheumatische Endo¬ 
carditis gibt. Ich möchte diese Frage bejahen, da wir in 

2 Fällen, die einen ziemlich gleichartigen Verlauf wie die oben 
I beschriebenen zeigten, weder aus dem lebenden und dem Leichen- 
! blut, noch aus den Auflagerungen einen Coeeus im Ausstrich naeh- 
! weisen oder züchten konnten, und weil die sorgfältigste IJnter- 
j «Hebung der veränderten Klappen an zahlreichen Schnitten nicht 

| die Spur von Ructcrieu ergeben hat. Aber zwei Fälle bedeuten 
j nicht viel und können es m. E. noch nicht rechtfertigen, dass 
; man mit Sicherheit eine maligne rheumatische Form der 
j Endocarditis aufstellt. 

Es erübrigt noch, auf einige Fragen kurz einzugehen. 

| die sieh auf den Fieberverlauf bei den verschiedenen Mykosen 
| und die Diagnose und Prognose der septischen Endocarditis he- 
i ziehen. Bekanntlich hat man vielfach die Neigung gehabt, eine 
I Strepto- und Staphylococcenkurve aufzustellen. Für nicht we- 
J nige Fälle trifft es wohl zu, dass bei der Strcptocoeeen-Endo- 
i enrditis der intennittirende. hei der Staphylomykose der mehr 
kontinuirlichc Fiebertypus vorherrscht. Die Ausnahmen sind 
al>er so zahlreich, dass man jener Lehre doch keine vollgiltige 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29. 


Berechtigung zuspreehcn kann. Bei der oben erwähnten Staphylo* 
eoccen-Endooarditis des Studenten beobachteten wir monatelang 
das schönste intermittirende Fieber und bei mancher akuten 
Streptocooeensep.-is eine echte Continua. Bei unseren Pneuino- 
coecen- und Gonocoeeenfällen endlich herrschte der unregel¬ 
mässige, hoch intermittirende und remittirende Fiebertypus vor. 

Die Diagnose der septischen Endoearditis ist mit einiger 
Sicherheit nur dann zu stellen, wenn man ein deutliches 
Herzgeräusch hört. Ist dies vorhanden, so wird man bei gleich¬ 
zeitigen Fieber- und sonstigen Allgemeinerscheinungen um so 
mehr an die septische Klapi>cnerkrankung denken müssen, wenn 
ein deutlich fühlbarer Milztumor besteht. In den akuten Fällen* 
sind oft noch andere septische Krankheitsherde nachweisbar: 
Panophthalmie, Gelenk- und Muskeleiterungen, Haut- und Netz¬ 
hautblutungen u. s. f. Bei den chronischen Fällen kommt ausser 
dem Herzgeräuseh vor Allem die Blässe, Kraftlosigkeit, Reissen 
und der fast stets vorhandene Milztumor in Betracht. F ii r d i e 
Deutung beider Formen ist aber die bacterio- 
logische Blutuntersuchung mit aiu wichtig¬ 
sten. Ihr Werth ist oben einwandfrei erwiesen. 

Wenn von 38 Fällen nur 4 mit dem Leben davonkommen, 
so ergibt sich von selbst, wie ernst die Proguo ae zu stellen 
ist. Immerhin lehrt die Thatsache, dass ich ausser dem oben er¬ 
wähnten Falle von gonorrhoischer Endoearditis 3 andere Kranke 
gesunden sah, dass man die Hoffnung nicht verlieren darf. Der 
eine dieser Kranken wurde in 10 wöchentlicher Krankheit von 
6—7, der andere von 35 Schüttelfrösten in der gleichen Zeit be¬ 
fallen, der dritte hatte 65 Schüttelfröste in 5 Monate langer 
Krankheit überstanden und fast tägliche Temperaturanstn*ge bis 
40 und 40,5® C. 

Recht deprimirend wirkt die Beobachtung jener Fälle, aus 
deren Reihe oben einige Beispiele mitgotheilt. worden sind. Wenn 
man einen Kranken nach dem andern zu Grunde gehen sieht, 
obwohl die Temperaturen wochenlang nur milde auftreten und 
die Kranken selbst nur wenig leiden, so wird einem die Ohnmacht 
der ärztlichen Kunst solchen Fällen gegenüber hart zu Gemüthe 
geführt. Und cs ist besonders zu betonen, dass die Kranken fast 
durchweg verloren sind, obwohl wir mit ihren verderblichen 
Krankhcit-kcimcn (dem Streptococcus parvus oder gracilis) 
Mäuse und Kaninchen kaum vernichten können. Hoffen wir, 
dass wir auch hier dem schönen Ziele unseres Berufes näher 
kommen, zu helfen und zu heilen. 

Bis jetzt ivt es wie gesagt mit der Therapie sehr übel 
bestellt. Ein specifisches Mittel steht uns gegen die verschiedenen 
Coccen noch nicht zur Verfügung. Insbesondere muss ich be¬ 
tonen, dass uns das M a r m o r e k’sche Serum in allen Fällen, 
wo es sich um Infektionen durch den gewöhnlichen Streptococcus 
handelte, nicht nur völlig im Stich gelassen, sondern nur eine 
Verschlechterung der Kranken herbeigeführt hat. Gleichwohl 
wird es unsere Aufgabe sein, ein wirksames Heilserum zu er¬ 
forschen. So lange uns dies noch nicht geboten werden kann, 
sind wir darauf angewiesen, rein symptomatisch zu verfahren 
und vor Allem bestrebt zu sein, das Herz und die Gesammt- 
konstitution möglichst bei Kräften zu erhalten. Von inneren 
Mitteln, wio Phenacetin, Salicyl, Antipyrin und Chinin sahen 
wir keinen Erfolg. 

Literatur. 

1. Litten: Zeltsehr. f. klin. Med. II. 1881. — 2. Virchow: 
(.'es. Abhandlungen. — 3. Helberg: Virch. Arch. 1869. 56. Bd. — 
4. Kleb«: Arch. f. experim. Pathologie. 9. Bd. — 5. Köster: 
Virch. Arch. 18S6. 103. Bd. — 6. Orth: Ebenda. — 7. P h 111 p o - 
w 1 c z: Wiener modle. Blätter. 1885. No. 22/23. - 8. Wyssoko- 
witsch: Centralbl. f. d. med. Wissenseh. 1885. No. 33. Virch. Arch. 
18S6. 103. Bd. — 9. Ribbert: Deutsch.med.Wocbenschr. 1885. No.42. 
Fortschr. d. Mod. 1886. 1. — 10. E. Fraenkel u. Saenger: Virch. 
Arch. 1887. 108. Bd. - 11. Welchse-lbaum: Centralbl. f. Bact. u. 
Parasitenk. 1887. -- 12. Leube: Speclelle Diagnose der inneren 
Krankheiten. — 13. Litten: Berl. klin. Woehensehr. 1899. No. 28 
und 29. Vcrhamll. d. Kongr. f. Inn. Med. 1900. - 14. Slttmann: 
Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1894. 53. Bd. -- 15. O. Fraentzel: 
Vorlesungen über d. Krankheiten d. Herzens. 1889. -- 16. llcub- 
ner: Deutsch. Arch. f. klin. Med. 181*9. Bd. 64. -- 17. Loeb: 
Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1900. Bd. 65. —. 18. Bozzolo: Rl- 
fonn. medical. 1889. — 19. Singer: Berl. klin. Wochensehr. 1899. 
No. 33. — 20. Wassermann: Eilend». No. 29. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Privatkrankenanstalten. 

Von Dr. jur. Biberfeld in Hamburg. 

Unter einer Privatkrankenanstalt versteht man eine Einrich¬ 
tung. welche zum Zweck hat. Kranken neben der ärztlichen Be¬ 
handlung zugleich auch die erforderliche Verpflegung und Beher¬ 
bergung zu gewähren 01> die Art, ln welcher der Kranke Obdach 
und Beköstigung empfängt, von bestimmten medlelidsehen Ge¬ 
sichtspunkten aus geregelt Ist, so dass auch sie das Heilverfahren 
fördern soll, oder ob derartige Rücksichten nicht obwalten, ist un¬ 
erheblich, dagegen wird das Schwergewicht gerade darauf gelegt, 
dass der Kranke ln der Anstalt zugleich ein Unterkommen linde, 
mithin vor allen Dingen dort des Nachts schlafe. So lange gerade 
dieses Moment nicht gegcl>en ist, kann auch von einer Privat¬ 
krankenanstalt im Sinne des Gesetzes nicht die Rede sein. An¬ 
dererseits wird das Vorhandensein einer solchen dadurch nicht auf¬ 
gehoben, dass Wohnung und Verpflegung von einer anderen Person 
alH dem l>ehandelnden Arzte gereicht wird, wofern nur zwischen 
Beiden eine Uebereinstlmnnmg besteht, wonach die Patienten des 
Arztes bei jenem Dritten Aufnahme linden. Die Sache ist daun 
so anzusehen, wie wenn Beide, der Arzt und der Dritte, gemein¬ 
schaftlich die Privatkraukeuaustalt betreilieu würden. Auf eine 
Stufe mit. den Privatkrankenanstalten finden wir in § 30 der 
Gew.-O. die Privat-Entbindungs- und die Privat-lrrenanstalteu 
gestellt. Der Unterschied zwischen dies«*» drei Unternehmen 
liegt klar zu Tage: Die Privatkrankenanstalt bezweckt die Besei¬ 
tigung körperlicher Leiden oder, wo eine solche nicht möglich ist, 
doch thunlicbst die Milderung dersell>en. Bel der Entbindungs¬ 
anstalt dagegen kommt es lediglich darauf au, einer Frauens¬ 
person diejenige ärztliche Behandlung und zugleich auch Ver¬ 
pflegung augedeihen zu lassen, welche durch ihre Niederkunft 
und die Folgen derselben geboten erscheinen. Bei eiuer Privatlrren- 
nnstalt endlich gehört die Verfolgung von Heilzwecken nicht zum 
Wesen der Sache, es ist vielmehr sehr wohl denkbar, dass das Be¬ 
streben hierbei lediglich darauf gerichtet wird, den Kranken für 
die Allgemeinheit unschädlich zu machen oder doeli die Wartung 
und Verpflegung desselben Angesichts der dntnit verbundenen 
Schwierigkeiten und sonstigen Unzuträglichkelten den Angehörigen 
abzunehmen. 

Gemeinschaftlich aber ist allen drei Arten von Unterneh¬ 
mungen zunächst, dass sie concessionsp flieh tig sind. 
Grundsätzlich besteht ein Anspruch für den Unternehmer darauf, 
«lass ihm diese behördliche Genehmigung, die von der höheren 
Verwaltungsbehörde ausgehen muss, ertheilt werde, wofern nicht 
besondere Umstände vorliegen, welche die Verweigerung als ge¬ 
rechtfertigt erscheinen lassen. Diese Versagungsgründe sind im 
Gesetze selbst erschöpfend normirt. Nicht erforderlich ist. dass 
der Unternehmer eine approbirte Medieinalpersou. also ein Arzt, 
sei, wie denn ja auch äusserst zahlreiche derartige Anstalten von 
Laien, oft auch ohne Zuziehung eines Arztes, geleitet werden. 
Dagegen verlangt das Gesetz, dass der Unternehmer In Beziehung 
auf die Leitung oder Verwaltung der Austalt zuverlässig 
sei. indess ist das Vorhandensein dieser Eigenschaft zu seinen 
Gunsten so lange anzuuehraen, als nicht „Thatsachen“ vorliegen, 
welche seine Unzuverlässigkeit darthun. Die maassgebende Praxis 
hat nun diesen Begriff der Unzuverlässigkeit ausserordentlich weit 
ausgedehnt und sie erblickt wohl auch mit vollem Rechte Anhalts¬ 
punkte für das Fehlen dieser Voraussetzung In Beziehungen, die 
mit dem Heilverfahren nicht das Mindeste zu thun haben. So 
z. B. wurde ein Antrag abschlägig lieschieden. weil der Coneessions- 
sucher, ein Kurpfuscher, mehrfach unter der Anschuldigung der 
Kuppelei gestanden hatte und nur aus formalen Gründen frei¬ 
gesprochen worden war. Nicht minder auch Ist als hinlänglicher 
Ablebnungsgrund angesehen worden, dass ein Unternehmer wegen 
Abtreibung der Leibesfrucht vorbestraft war, und wiederum in 
einem anderen Falle, weil er in gröblicher Weise alR Kurpfuscher 
durch die Anpreisung seiner Heilmittel und die falsche Vorspiege¬ 
lung von angeblich überraschenden Heilerfolgen sieh des Betruges 
schuldig gemacht hatte. Dass der Inhalier einer Heilanstalt diese 
sell)8t leite, wird nicht verlangt, es genügt wenn er das Heilver¬ 
fahren in kundige Hände legt, und endlich reicht es auch sogar 
aus, wenn er zu diesem Zwecke sich eines Kurpfuschers bedient. 
Nur wo es sich um eine Privatentbindungsanstalt bandelt, verlangt 
das Gesetz, dass die zur Leitung berufene Hebamme im Besitze 
„eines Prtifungszeugnlsses der nach den Landesgesetzen zustän¬ 
digen Behörde“ sei. Eine Hebamme also, die dies Zeuguiss nicht 
erworben hat oder die es nachträglich wegen ihrer Unzuverlässig¬ 
keit u. dergl. wieder verloren hat, erscheint gesetzlich von vorn¬ 
herein als ungeeignet zur Erlangung der Coucession. Die Ableh¬ 
nung darf al>er niemals gestützt werden auf eine blosse „Besorg- 
niss“, sondern es müssen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des 
Gesetzes „Thatsachen“ vorliegen. Ganz allgemein äussert sich in 
dieser Beziehung ein Urtheil des preussiseheu Oberverwaltungs- 
geriehts vom 12. Mai 188U, woselbst es heisst: „Kann dem Antrag¬ 
steller nachgewiesen werden, dass er bei anderen Gelegenheiten 
dem Gesetze ungehorsam gewesen und die zum Schutze der öffent¬ 
lichen Interessen von den Behörden getroff« uen Anordnungen 
ausser Acht gelassen hat, so fehlt eine genügende Gewähr dafür, 
dass er sich nicht aucli bei dem beabsichtigten Gewerbebetriebe 
eines ähnlichen, das öffentliche Wohl gefährdenden Verhaltens 
schuldig machen werde". Natürlich Ist nicht nflthlg, dass dleseThat- 
sache, welche auf die Annahme der Unzuverlässigkeit gestützt 


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16. Juli 1901. 


MURNCHENFR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1181 


wird, den Charakter einer strafbaren Handlung besitze, es wurde 
demnach ln Baden zutreffend ein abweisender Bescheid auf ein 
Conce8sionsge8nch desshalb als gerechtfertigt erachtet, weil der 
Antragsteller kurz vorher seines Postens als Assistent eines Kli¬ 
nikers wegen gröblicher Nachlässigkeit enthoben worden war, 
nicht minder auch hat das k. sächsische Ministerium des Innern 
durch Erlass vom 22. Januar 1889 aus der Art der Krankenunter¬ 
suchung und des Heilverfahrens, wie sie hinsichtlich eines Unter¬ 
nehmers festgestellt worden war, auf den völligen Mangel ärztlicher 
Fachbildung und Zuverlässigkeit geschlossen. 

Hie Voraussetzung der sittlichen und Intellektuellen Zuver¬ 
lässigkeit des Unternehmers ist aber das einzige persönliche 
Moment. An dieses reiht unser Gesetzestext (§ 30 der Gew.-O.) 
weitere Erfordernisse, die im allgemeinen Interesse aufgestellt 
sind, um dadurch die Gewähr zu schaffen, dass die Kranken in 
geeigneten Räumen untergebracht werden und dass durch den Be¬ 
trieb der Anstalt keine Gefahr für das gemeine Wohl entstehe. 
Auf diese Erwägung ist es zurückzuführen, wenn das (Jesetz an¬ 
ordnet. dass die Concession zu versagen sei, 

„wenn nach den von dem Unternehmer einzureichenden Be- 
sclireibungen und Plänen die baulichen uud sonstigen tech¬ 
nischen Einrichtungen der Anstalt den gesundheitspolizeilichi n 
Anforderungen nicht entsprechen“. 

Es ergibt sich aus der Fassung des Wortlautes demnach die Mög- 
keit, dass eine Concession auf den Betrieb einer Krankenanstalt 
schon erthellt werden kann, bevor die entsprechenden Baulichkeiten 
selbst aufgeführt sind; die Entscheidung erfolgt alsdann lediglich 
auf Grund der vorgelegten Zeichnungen, selbstverständlich aber 
unter der Voraussetzung, dass die Räumlichkeiten selbst in keiner 
Beziehung von diesen Plänen und Beschreibungen nbweieben. 
In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Verfahren zur Erthellnng 
einer Concession für solche Anstalten erheblich zum Vortheil des 
Antragstellers von demjenigen Verfahren, in welchem die Geneh¬ 
migung zum Wirthschaftsbetrleb erstrebt wird. Wenn das (Jesetz 
von baulichen und technischen Einrichtungen spricht, so ist dieser 
Ausdruck nach der übereinstimmenden Auffassung der Recht¬ 
sprechung als zu eng gefasst anzusehen, uud desshalb hat die Be 
hörde auch die örtliche Lage der Anstalt zu prüfen und sie versagt 
die Genehmigung danu z. B., wenn der Grund uud Boden, auf 
welchem das Anstaltsgebäude errichtet werden soll bezw. sich 
schon befindet, von sanitärem Standpunkte aus zu Bedenken Anlass 
bietet. Ebenso bildet es einen Versagungsgrund, wenn In der Nach¬ 
barschaft sich gewerbliche Anlagen lieflnden, welche nachtbeilig 
auf die hygienische Beschaffenheit der Anstalt und anf sonst 
maassgel>ende Momente elnznwirken vermögen, wie etwa ein 
grosses Hammerwerk oder eine chemische Fabrik. 

Soll die Anstalt nicht in einem eigens diesem Zweck dienenden 
(lebäode untergebracht werden, sondern in einem Mietlishause, in 
welchem auch andere Personen wohnen, die zu der Anstalt selbst 
in keinerlei Beziehung stehen, so muss die Gewähr dafür vor- 
hai'den sein, dass dnreh den Betrieb der Anstalt für die Mit¬ 
bewohner dieses Hauses keine erhebliche Nachthelle oder Gefahren 
liervorgenifen werden können. Man beachte hier aber wohl, dass 
«las (Jesetz nur „erhebliche Nachtheile oder Gefahren“ berück¬ 
sichtigt wissen will, Unbequemlichkeiten irgend welcher sonstiger 
Art. oder auch nur geringe Gefahren und Nachtheile können 
demnach den Ansschlag nicht geben. Wenn also z. B. eine Schank- 
eoneesskH» desshalb unter Umständen nicht erthellt wird, weil das 
für de;* Betrieb in Aussicht genommene Gebände in unmittelbarer 
Nähe vor öffentlichen Anstalten sich befindet, für die eine solche 
Nachbarschaft nicht angemessen erscheint, wie etwa die Nähe von 
«Jerlelitegebänden, von Kirchen n. dergl., so kann von einem solchen 
Versagungsgründe in Ansehung der hier in Rede stellenden Unter¬ 
nehme:! nicht die Rede sein. Es kommen auch hier wenigstens 
nicht in Betracht die Interessen der in den angrenzenden oder 
gegenüber hegenden Häusern wohnenden Personen, sondern ledig¬ 
lich die Mitbewohner des Gebäudes selbst. 

Auf weitere Kreise wird nur danu Rücksicht genommen, 

„wenn die Anstalt zur Aufnahme von Personen mit an¬ 
steckenden Krankheiten oder von Geisteskranken bestimmt ist 
nnd durch ihn* örtliche Lage für die Besitzer oder Bewohner 
der liennebbnrtea Grundstücke erhebliche Nachtheile oder Ge¬ 
fahren hervorrufen kann". 

Solchen Besorgnissen kann begegnet werden durch den Nach¬ 
weis. dass die erforderlichen Vorkehrungen getroffen worden 
seien, um schädliche Einwirkungen oder gar Gefahren von Erb¬ 
lichkeit anszuschllessen. Auch hier bleiben unerhebliche Nach- 
theHe nnd Gefahren, vor allen Dingen aber blosse Unannehmlich¬ 
keiten ohne Einfluss auf die Entscheidung. 

Ob nach der einen oder anderen Beziehung ein hinlänglicher 
Ablehnung*grund gegeben sei, entscheidet die Behörde nach 
freiem Ermessen; sie ist aber angewiesen, so weit es sich um 
Punkte handelt, die das Interesse der In demselben Hause oder in 
der Nachbarschaft wohnenden Personen wahrnehmen sollen, vor 
der Entscheidnng die Orts-Polizei- und Gemeindebehörde zu hören. 
Gebunden ist die zuständige Stelle an die Auslassung dieser Organe 
nicht, einer Erklärung derselben kommt daher lediglich der Werth 
eines Gutachtens zu. 

Schliesslich sei noch in diesem Zusammenhänge hervorgehoben, 
«lass dte Bedflrfnissfrage nicht zu erörtern ist, die behördliche Ge¬ 
nehmigung darf also nicht desshalb versagt werden, weil bereits 
eine ausreichend grosse Anzahl von Anstalten ähnlicher Art vor¬ 
handen sei. während, wie man welss, dies Moment gerade für die 
Ertheitang von Wirthschaftsconcessionen häufig ausschlaggebend 
ist. Endlich erwähnt das Gesetz auch nicht, dass der Unternehmer 


den Besitz ausreichender Mittel uachweisen müsse, wie dies ge¬ 
fordert wird, wenn einem Concessi« usgesuche zur Errichtung einer 
Bühne u. dergl. entsprochen werden soll. Dass al>er zerrüttete 
VermögensYerhältnisse oder notorisch völlige Mittellosigkeit unter 
Umständen auch als Thatsache gelten kann, aus welcher die Un¬ 
zuverlässigkeit des Unternehmers in Bezug auf die Leitung der 
Ai.stnlt gefolgert zu werden vermag, darf als selbstverständlich 
angesehen werden. 


II. 


Von einem völlig verschiedenen Standpunkte aus sind Privatanstal¬ 
ten der hier in Frage kommenden Art zu betrachten auf Grund des 
neuen Handelsgesetzbuches. Der Inhaber einer solchen Anstalt 
kann nämlich unter gewissen Voraussetzungen seit dem Inkraft¬ 
treten des neuen Handelsgesetzbuches die Eigenschaft als Kauf¬ 
mann erlangen und demgemäss verpflichtet sein, als Kaufmann 
seine Firma eintragen zu lassen. Es heisst nämlich In § 2 a. a. ().: 

„Ein gewerbliches Unternehmen, das nach Art und Umfang 
einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb 
erfordert, gilt . . . als Handelsgewerbe im Sinne dieses Ge¬ 
setzbuches, sofern die Firma des Unternehmers in das Handels¬ 
register eingetragen worden ist. Der Unternehmer ist ver¬ 
pflichtet, die Eintragung nacli den für die Eintragung kauf¬ 
männischer Finnen geltenden Vorschriften herbeiznführen.“ 
Der Sinn dieser Gesettfesstelle ist demnach folgender: So bald 
eine Privatkraukeuanstalt u. dergl. nach Art uud Umfang wie ein 
kaufmännischer Betrieb eingerichtet ist, muss der Inhaber dieses 
sein Unternehmen in das Firmenregister eintragen lassen, und 
durch diesen Akt der Eintragung erwirbt er die Eigenschaft als 
VoUkaufmann. Wann aber sind die Voraussetzungen für die Ein¬ 
tragungspflicht selbst gegeben? Das Gesetz stellt hier zwei Er¬ 
fordernisse auf. an deren Vorhandensein es seine Anwendbarkeit 
knüpft: Der Betrieb der Anstalt muss einmal nach seiner A r t. 
sodann aber nach seinem Umfange nach denselben Gesichts¬ 
punkten geregelt sein, wie ein kaufmännisches Unternehmen. Was 
zunächst den Umfang anlangt, so ist hierüber sehr wenig zu sagen: 
Eine ganz kleine Anstalt, die von Haus aus nur darauf berechnet 
ist, eine sehr beschränkte Anzahl von Personen, vielleicht nur zwei 
oder drei Patienten, gleichzeitig anzunehnien, scheidet eben wegen 
ihres geringen Umfanges von vornherein aus dem Kreise der 
eintragspflichtigen Unternehmen aus, wenn sie auch seihst ln den 
bescheidensten Dimensionen concessionsbedürftig bleibt. ganz 
ebenso, wie ein ln so beschränkten Grenzen geführter kauf¬ 
männischer Betrieb nicht unter die Norm des Handelsgesetzbuches 
fällt Aber auch die Art des Betriebes muss die kaufmännische 
Signatur tragen. Wesentlich für jedes kaufmännische Unter 
nehmen ist die Entfaltung eines Creditsystems, d. h. die Hinzu¬ 
ziehung und Nutzbarmachung fremder Mittel zur Fortführung des 
Unternehmens. Natürlich ist hierbei nicht daran zu denken, dass 
Kaufmann nur derjenige Inhaber einer Krankenanstalt sei, der die 
Mittel für seine Unternehmungen sich ganz oder zum Theil ander¬ 
weitig verschafft hat, sondern das. was das Gesetz meint, gehl 
dahin, dass zur Veranschaulichung bezw. zur Flxirung der Ver¬ 
bindlichkeiten und Ansprüche, die sich aus dem Geschäftsbetriebe 
ergeben, also um das Debet lind Credit in Ordnung zu halten, eine 
regelmässige und systematische Buchführung gehandhabt werde. 
Es gehören hierher alle diejenigen Einrichtungen, welche das Kauf¬ 
mannsgewerbe herausgebildet hat zur Erzielung von Ordnung und 
Ueherslclit, um alle bei dem Betriebe beteiligten Personen, die 
Hilfskräfte und den Unternehmer selbst und damit auch seine 
Gläubiger vor denjenigen Nachtheilen zu schützen, welche die 
mangelnde Ordnung und Uebersichtllchkelt in Gefolge haben kann. 
Zu diesen Einrichtungen gehört nicht nur die bereits erwähnte 
Führung von Büchern, sondern auch die Aufbewahrung der ein¬ 
gehenden, die Coplrung der ausgehenden Briefe, die Sonderung der 
einzelnen Betriebszweige u. dergl. Wesentlich wird demnach z. B. 
u. a. das Vorhandensein eines grösseren Wartepersonals sein, sowie 
die Entfaltung einer gewissen acquisitntorlschen Thiltigkeit zur 
Heranziehung neuer Patienten, als etwa im Wege öffentlicher 
Anzeigeu u. s. w. Entscheidend ist auch das Prineip der Arbeits¬ 
teilung: So lange der Unternehmer in seiner Person den kauf¬ 
männischen und zugleich den ärztlichen Leiter darstellt, so lange 
er in beiden Beziehungen keinerlei Hilfskräfte bedarf zur Be¬ 
wältigung der ihm gestellten Aufgabe, auch mit einem ganz gering¬ 
fügigen Wartepersonal anskonnnt, wofür vielleicht lediglich die 
in seinem Familienkreise vorhandenen Arbeitskräfte ihm genügen, 
so lange ist selbstverständlich von einem kaufmännischen Betriebe 
nicht die Rede. Die nöhe des Gewinns wiederum kann den Aus¬ 
schlag nicht geben, es ist denkbar, dass Jemand nur sein- wenige 
Patienten anf nimmt, von denen oder für die er aber, sei es wegen 
ihres hohen Standes oder sonst aus einem Grunde ausserordentlich 
grosse Honorare bezieht, während der Betrieb selbst sich ausser¬ 
ordentlich einfach abwickelt. Unerlässlich endlich aber ist die 
Absicht auf die Erzielung von Gewinn; wenn Jemand eine Privat¬ 
krankenanstalt begründet, nur in der Absicht, um sich Material 
für seine wissenschaftlichen Forschungen zu beschaffen, so kann 
dies niemals als ein Unternehmen angesehen werden, das nach den 
Regeln eines kaufmännischen Betriebes zu beurtliellen wäre. 
Treffen aber die hier angeführten Voraussetzungen zu, so entsteht 
für den Unternehmer die Verpflichtung, die Anstalt in das Firmen¬ 
register eintragen zu lassen, uud das (Jericht hat die Macht, ihn 
durch Ordnungsstrafen zur Erfüllung dieser Pflicht an/.ulialten. 
Besitzt das Unternehmen nun zwar die Eigenschaft eines kauf¬ 
männischen Betriebes, Ist aber die Eintragung unterbllelwn. so 
ist der Inhaber auch noch nicht Kaufmann geworden. Der Akt 


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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 20. 


de? Eintragung selbst begründet für ihn erat diese Eigenschaft 
mit allen ihren rechtlichen Consequeuzen. Zu diesen gehört vor 
allen ] »lugen die Pflicht der geordneten B u c h f ii h r - 
u n g. Mag sich dieselbe auch schon vorher als ein thatsiichliches 
Bedürfnis» erwiesen halten, so zwingt das tJesetz jetzt den l'nter- 
,’hiuer, diesem Bedürfnisse in ausreichender und gehöriger Weise 
zu entsprechen. Der Inhaber einer in das Firmenregister ein¬ 
getragenen Anstalt hat demnach nicht nur über Soll und Haben in 
einer Welse Buch zu führen, die einen Ueberblick Uber seine je¬ 
weilige Vermögenslage gestattet, sondern er muss auch jedes Jahr 
eine Bilanz ziehen, er muss die eingehenden Briefe aufbewahren, 
• Ile abgehenden kopiren und er unterliegt, wenn er dies unterlässt, 
im Falle eines Zusammenbruches seines Vermögens den in der 
CoLcursorduung hierfür angedrohten Strafen. Es ergeben sieh 
aber aus der Kaufmannsqualität noch weitere und wichtige liechl.s- 
wirkungen. Die Sonderstellung eines Kaufmanns im Rechte führt 
es mit sich, dass Willenserklärungen, die dieser abgibt, ihre ver¬ 
bindliche Kraft erlangen, auch ohne dass die sonst für Rechts¬ 
geschäfte derselben Art bestehenden Form Vorschriften erfüllt 
worden wären. Dies gilt namentlich für die Leistung von Bürg¬ 
schaften, für die Abgabe eines Sclmldanerkenntnisses und eines 
Schuldversprechens, wobei natürlich immer vorausgesetzt werden 
muss, dass derartige Verbindlichkeiten eingegangen worden sind 
im Zusammenhänge mit dein Geschäftsbetriebe. Da aber stellt das 
Handelsgesetzbuch eine allgemeine Vermuthimg dahin auf, «lass im 
Zweifel jedes Rechtsgeschäft, das ein Kaufmann eingeht, anzu¬ 
sehen ist als im Betrieb eines Gewerbes erfolgt. Die Consequenz, 
die hieraus sich ergibt, veranschaulicht sich an Rügendem Beispiel: 
Nehmen wir an, der praktische Arzt A. besitze eine Privatkranken- 
anstalt, und es sei dies Unternehmen in das Firmenregister ein¬ 
getragen worden. Er leiste nun für einen Dritten Bürgschaft und 
erkläre die Ucbernahme derselben lediglich mündlich, während im 
allgemeinen bürgerlichen Verkehr die Bürgschaftsleistung gütiger 
Weise schriftlich erfolgen muss. Wird er nun hieraus in Anspruch 
genommen, so muss er gegen sich die Vermuthung gelten lassen, 
dass er in seiner Eigenschaft als Kaufmann gebürgt hübe, so dass 
also dieser Akt, trotz des Mangels au Schriftlichkeit, ihn zur 
Zahlung verpflichtet, und es ist seine Aufgabe, im Processe den 
Richter davon zu überzeugen, dass jene Bürgschaftsleistung von 
Ihm ohne Zusammenhang mit seinem Geschäftsbetriebe erfolgt sei, 
etwa lediglich aus Gefälligkeit gegen einen nahen Verwandten, 
einen Studienfreund u. dergl. Abschlüsse ferner, die unter «len ge¬ 
gebenen Voraussetzungen der Inhaber einer Anstalt mit sciuen 
Lieferanten macht, stellen sieh rechtlich als zweiseitiges 
Handelsgeschäft dar. Es ergibt sich daraus zunächst, «lass 
aus solchen Geschäften der Anstaltsunternehmer, wenn er mit der 
Erfüllung seiner Verbindlichkeiten in Verzug geräth, Verzugszinsen 
nach dem handelsrechtlichen Satze, also in Höhe von 5 Proc., und 
nicht nach dem allgemeinen bürgerlichen, der nur 4 Proc. beträgt, 
zu zahlen hat. Weit wichtiger und häutiger aber wird Folgendes 
dabei praktisch: Wenn Jemand im bürgerlichen Verkehr etwas 
kauft, so bleibt ihm eine Frist von t> Monaten, um innerhalb der¬ 
selben mit Erfolg die mangelhafte Beschaffenheit des ihm vom Ver¬ 
käufer gelieferten Gegenstandes zu rügen und hierauf die vom Ge¬ 
setz ihm eingeräumten Ansprüche zu gründen. Wenn jedoch ein 
zweiseitiges Handelsgeschäft vorliegt so muss «ler Käufer zur Er¬ 
haltung dieser Ansprüche den Kaufgegenstand sofort nach Em¬ 
pfang desselben prüfen und ebenso unverzüglich dem Verkäufer 
Anzeige von etwa vorhandenen Mängeln machen, sonst gilt die 
Waare, mag sie auch völlig unbrauchbar sein, «hmnocli als ge¬ 
nehmigt. Mau denke sieb den Fall, dass der Inhaber einer Kranken¬ 
anstalt für die Zwecke derselben ein grösseres Quantum Wein 
gekauft hat. Sobald die betreffenden Fässer «Hier Flaschen bei 
ihm eingelien, hat er sie unverzüglich auf ilire ordnungsmässige 
Beschaffenheit hin zu untersuchen und wenn sieh Fehler in dieser 
Hinsicht heraussteilen, so muss «*r «li«*s ohne jede Säumnis» zur 
Kenntnis» des Verkäufers bringen. Würde er hierbei auch nur um 
einen Tag in Verzug geratben, so würde die Waare als von ihm 
genehmigt gelten, und wenn sie noch so ininderwerthig wäre, so 
müsste er dennoch den vollen vereinbarten Preis dafür bezahlen. 
Wäre aber die Bestellung erfolgt für seinen Privatbedarf, hätte er 
als«» den Wein gi'kauft, um ihn in seinem Hausstande zu ver¬ 
wenden, so würde er in dieser Beziehung nach den Regi'lii des 
Bürgerlichen Gesetzbuches zu beurtheilen s«ün; er könnte also 
innerhalb von 0 Monaten nach Empfang des Weines denselben zur 
Verfügung des Verkäufers stellen oder mit Rücksicht auf die 
mimlerwerthige Beschaffenheit des Weines eine angtnncsscnc 
Herabsetzung «les Kaufpreises erwirken, oder endlich unter Rück¬ 
gabe der mangelhaften Waare die Nachlieferung einer ein wands¬ 
freien verlangen. Auch hier greift jene gesetzliche Vermuthung 
Platz, und es wird demnach Im Zweifel angenommen, dass Be¬ 
stellungen, die «ler mit Kaufmauusqunlität ausgestattete Inhaber 
einer Krankenanstalt macht, im Zusammenhang mit diesem seinem 
Geschäftsbetriebe geschehen seien. Will also, um das eben ge¬ 
wählte Beispiel anzuknüpfen. der Käufer deu Wein wegen mangel¬ 
hafter Beschaffenheit desselben zur Verfügung des Verkäufers 
stellen, obwohl er die Untersuchung und Mangelanzeige nicht so¬ 
fort nach Empfang der Waare vorgenommen hat. so kann er «lies 
nur dauu erreichen, wenn er nachweist, dass der Wein nicht in der 
Anstalt verwendet werden sollte, sondern für die private Haus¬ 
haltung bestimmt war. 


III. 

Endlich ist noch eine dritte Frage hier zu erörtern, nämlich 
die Haftung des Inhabers einer Anstalt für 


Schäden, die seine Angestellten einem Patienten 
«Hier sonst einer dritten Person zugefügt haben. Was 
diesen Punkt anlangt, so bleibt es hierin.»! völlig unerheblich, ob die 
Anstalt in «las Firmenregister eingetragen worden ist, «»der nicht, 
ja, es bleibt auch ohne Einfluss auf die rechtliche Beurtheiluug. 
ob der Unternehmer im Besitze der behördlichen Genehmigung is: 
oder ob er derselben entbehrt. Maassgebend ist die Bestimmung 
des § 831 B.G.B., wo ungeordnet wird: 

„Wer einen Anderen zu einer Leistung bestellt, ist zum Er¬ 
sätze des Schadens verpflichtet, den der Andere in Ausführung 
der Verrichtung einem Anderen widerrechtlich zufügt. l»i«- 
Ersatzpflicht tritt nicht ein. wenn der Geschäftsherr bei der 
Auswahl der bestellten Personen und, s«>fern er Vorrichtungen 
oder Geräthsehafteu zu besehaffen oder die Ausführung der Ver¬ 
richtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder Leitung die 
im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der 
Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein 
würde." 

Die in dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze gelangen im 
Wesentlichen auch zur Anwendung, wenn es sieh um die strafrecht¬ 
liche Verantwortlichkeit «les Leiters einer Austalt für eine Körper¬ 
verletzung handelt, die ein Patient durch das Verhalten eines An- 
staltsheamten erlitten hat. Gleichviel also, ob in Frage kommt ein 
Anspruch auf Ersatz für eine Vermogensbeschädigung, die aut 
ein Versehen eines Angestellten zurückzuführen ist, oder ob der 
Staat strufgeriehtlich dieserhalb eiusehreiteu will, immer wird der 
Leiter der Anstalt grundsätzlich zur Verantwortung herangezogen. 
Zu seiner Verthekiiguug jedoch gestattet ihm das Gesetz den Nach¬ 
weis, dass er bei der Auswahl seines Hilfspersonals mit der erfor¬ 
derlichen Sorgfalt zu Werke gegangen sei. Der Gegner braucht 
als«» nicht «larzutliun, dass «len von ihm in Anspruch Genommenen 
«ler Vorwurf einer sogenannten culpa in eligendo treffe, sondern 
«Ile Beweislast ruht hier auf dem Beklagten, der seinerseits deu 
Richter davon zu überzeugen haben wird, dass hinsichtlich seiner 
Fähigkeiten sowohl wie seiner Zuverlässigkeit das Personal be¬ 
rechtigten Anforderungen genüge bezw. dass er ohne eigenes Ver¬ 
schulden einen Mangel in dieser Hinsicht nicht zu erkennen ver¬ 
mocht habe. Ob im gegebenen Falle dieser Nachweis als erbracht 
anzusebeu sei, ist natürlich Thalfrage, d. h. die Entscheidung hie¬ 
rüber hängt stets von den konkreten Umständen ab. Handelte es 
sieli beispielsweise um das Versehen eines Assistenten, so wird 
der mit der Klage angegriffene Anstaltsleiter mit Erfolg sieh 
darauf berufen können, «lass jener eine approbirte Medicinalperson 
sei, schon längere Zeit als Assistent seinen Beruf ausübe und si«-li 
bisher stets als zuverlässig erwiesen habe. Würde sein Gehilfe 
«lie wissenschaftliche Vorbildung nicht abgeschlossen haben oder 
noch nicht über eine hinreichende Erfahrung verfügen und wäre 
ihm dennoch in einem schwierigen Falle die selbständige Behand¬ 
lung des Kranken anvertraut worden, so könnte sieh den hieraus 
entstehenden Folgen der Leiter der Anstalt natürlich nicht ent¬ 
ziehen, denn is wäre alsdann seine Sache gewesen, jede einzelne 
Handlung und Muassnulime seines Untergebenen zu überwachen 
und die Ausführung von seiner vorher einzuholenden Genehmigung 
abhängig zu machen. Analoge Gesichtspunkte sind festzuhalten 
in Bezug auf das Wärterpersonal. Hat ein Angestellter dieser 
Kategorie z. B. ein Versehen begangen im Zustande der Trunken¬ 
heit, so muss der Leiter der Anstalt, um der Klage mit Erfolg zu 
begegnen, nach weisen, dass er Veranlassung hatte, den betreffenden 
Beamten als einen nüchternen Mann anzusehen, und dass er strenge. 
Vorschriften erlassen habe, durch deren Befolgung solche Vor¬ 
kommnisse ausgeschlossen werden sollten, und endlich auch, dass 
es an der uöthigen Kontrole über die Wärter auch in dieser Hin¬ 
sicht nicht gefehlt habe. Das Gesetz macht aber die an der Spitze 
einer solchen Anstalt stehende Fersou nicht nur verantwortlich 
für das Verhalten der Angestellten, sondern sie muss auch auf- 
konuueu für solche Schäden, die zurückzuführen sind auf ein«» 
mangelhafte Beschaffenheit der Vorrichtungen und Geräthsehaften, 
die dem Betriebe dienen. Der verantwortliche Leiter einer An 
stalt hat demnach dafür Sorge zu tragen, dass auch in dieser Be¬ 
ziehung den berechtigten Anforderungen Genüge geschehe. Würden 
z. B. bei einer Operation Instrumente verwendet werden, die nach 
dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft als veraltet au- 
zusehen sind oder die in Folge allzu langen Gebrauchs nicht mehr 
gehörig funktioniren, so Hessen sieh hieraus Schadenersatzan¬ 
sprüche des Verletzten allerdings begründen, während wiederum 
etwa für ein zufällig« 1 * Versagen irgend eines Apparates, der sonst 
vollkommen in Ordnung war. niemand aufzukommen haben wird. 
Maassgebend bleibt immer, wie das Gesetz es zum Ausdruck 
bringt, „dass die lm Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet" 
worden sei. Es wird im Streitfall demnach die Aufgabe des Rich¬ 
ters sein, durch Anhörung von Sachverständigen festzustelleu. 
ob der fragliche Vorgang diese verkehrsübliche Diligenz vermissen 
lässt oder nicht. Der Sprachgebrauch des Gesetzes unterscheidet 
mehrfach sehr genau zwischen der „erforderlichen“ und der „im 
Verkehr erforderlichen“ Sorgfalt. Wo von den ersten die Rede 
ist. da genügt es nicht, wenn der Verpflichtete sich darauf beruft, 
dass Andere, die als hinlänglich pflichtgetreu gelten, auch kein 
grösseres Maass von Sorgfalt aufwenden, sondern es wird von ihm 
verlangt, dass er alles «las, was nach Lage der Sache überhaupt 
möglich war, getlinn habe. So grosse Auforderungen stellt in 
unserem Falle das Gesetz nicht, es begnügt sich mit dem Aufgebote 
der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, mag auch darüber 
hinaus ein grösseres Maass von Vorsicht objectlv möglich sein. 

Die praktischen Folgen die sich hieraus ergeben, liegen klar zu 
Tage: Es gibt mancherlei Vorkehrungen, von denen mau in der 


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16. Juli 1901. MUENCHENER MEDlCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1183 


Kegel Abstand nimmt, weil sie nur ganz ausnahmsweise sich als 
erforderlich erweisen, die daher unterlassen zu haben nicht un¬ 
bedingt als Vorwurf augerechnet werden kann. Nicht das Menschen- 
mögliche, sondern das allgemein Uebliehe ist zu leisten. 

Eutscheidend ist also, was nach den in deu betheiligteu Ver¬ 
kehrskreisen, also bei erfahrenen Aerzton. als erforderlich und 
zugleich ausreichend gilt und was als unzureichendes Maass von 
Soigfalt aufgefasst wird. 


Referate und Bücheranzeigen. 

H. S a r f e r t: Die operative Behandlung der Lungen¬ 
schwindsucht. Leipzig 1901, J. A. Barth. 68, VIII Seiten. 
•> Tafeln. 

Die interessante Arbeit dürfte schon vor längerer Zeit ab- 
geschlossen sein; denn die neueste Literatur (etwa seit 1895) ist 
nicht mehr verworthet. Das macht sich vielfach bemerkbar; be- 
'••nders ungern vermisst man dio Besprechung der wichtigem 
neuen A rbeiten von Quincke, T u f f i c r, Terric r u. A. 

Verf. geht von dem Bestreben aus, einigen Lungenkranken 
mit Cavemeu ihre Lebensdauer wenigstens erträglich zu ver¬ 
längern. Gerade die Cavernen sind ja die Sammelplätze der 
zahlreichsten und verschiedensten Keime; von hier aus entsteht 
••ft Fieber, auch durch Aspiration neue Infektion. 

Verf. hat den Caverneninhalt von Leichen (21) weissen 
Mäusen intraperitoneal eingespritzt; Exitus nach höchstens 
3’> Stunden; bei 18 Thiercn im Blut Bacterien, meist Pnoumo- 
•tccus Fraenkel. Weiterhin suchte er durch Injektion von 
Tuberkelbacillen und später von Eitererregern Cavernen zu er¬ 
zeugen, war aber nicht so glücklich, wie P r u d d e n. Die auf 
eine septische Phthise hinweisenden Blutbefunde (Verfassers Be¬ 
funde an Leichen sind, wie er selbst sagt, nicht l>eweisend), die 
Frage der Heredität, der Infektion etc. wird gestreift. — Nun 
präzisirt Verf. die Grenze seiner chirurgischen Behandlung der 
(ausschliesslich) tuberkulösen Cavernen. Die Operation ist ge¬ 
rechtfertigt, wenn die Caverne nur theilwoise und ohne Erleich¬ 
terung für den Kranken sich entleeren kann, wenn dabei fort¬ 
schreitender Zerfall des Lungengewebes mit Fieber statthat und 
Patient immer mehr herunter kommt (anderseits wird gerathen, 
womöglich in fieberfreier Zeit zu operiren). Das übrige Lunge u- 
cottvbe darf „nicht zu hochgradig erkrankt“ sein, dio übrigen 
Organe „nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen sein“. — Es 
fdgen sehr sorgfältige Angaben über frühere experimentelle und 
therapeutische Versuche der Lungenchirurgie, besonders über die 
Ojierationsfälle von Sonnenburg (deren Nachbehandlung 
dem Verfasser grösstentheils oblag). Verf. gibt zu, da^s die bis¬ 
herigem fs. o.) Erfolge wenig ermuthigend sind. Doch sind hie- 
für zum Theile die antiseptischen Ausspülungen, die. ungenügende 
Auswahl der Fälle, die ungenaue Lagebestimmung der Cavernen 
verantwortlich zu machen. 

Verf. hat nun durch Versuche an Leichen eine Operation* • 
iru-thode ausgearbeitet: Zuerst Freilegung und Abtragung der 
zweiten Rippe vom Stemalansatz bis in die Axilla; dann wird 
die Lunge bis zur Spitze (unter Umständen auch nach abwärts 
bis zur dritten Rippe) mit der flachen Hand „mit ziemlicher Ge¬ 
waltanwendung“, extrapleural vom Brustkorb losgeschält (bei den 
in Betracht kommenden Fällen sind stets solide pleuritische Ver¬ 
wachsungen vorhanden; Ohlorzinkpasto bringt solche übrigens 
nicht sicher hervor); nunmehr wird durch Palpation die Lage 
und Grösse der Hauptcavemen bestimmt (Probepunktion ist über¬ 
flüssig bezw. unsicher) und hierauf die Caverne mit Messer oder 
Paquelin breit eröffnet (geringe Blutung). „Pleurofissur“. Ob in 
der Caverne verlaufende Blutgefässe unterbunden werden sollen, 
wird unentschieden gelassen. Weiterhin wird (ohne antiseptische 
Ausspülung) fest und ausgiebig tamponirt, wobei die Expekto¬ 
ration nicht behindert wird. Schliesslich folgt die Gesohichto 
eines in dieser Weise (zweizeitig) operirten Falles. Die Operation 
verlief typisch; der weitere Verlauf war günstig; die Cavernen- 
wände bedeckten sich mit Granulationen und verengten sich zu 
einem engen Kanal; Entfieberung, Besserung des Allgemein¬ 
befindens. Weitere Angaben, speziell über den physikalischen 
Befund, fehlen. — Die Tafeln sind wenig deutlich, die Druck¬ 
fehler ziemlich zahlreich (auch unter den Autorennamen Litt- 
mnun statt Sittmann). Pischinger. 


Menge: Die Therapie der chronischen Endometritis in 
der allgemeinen Praxis. Mit 4 Abbild. Berlin 1901, II i rsch- 
w a 1 d. S.-A. Arch. f. Gynäk. Bd. 33, lieft 1 u. 2. 

Wie aus dem Titel ersichtlich, ist die Arbeit des bekannten 
Autors an den praktischen Arzt gerichtet, in dessen Domaine 
seiner Ansicht nach dio Behandlung der chronischen Endo¬ 
metritis wegen ihrer grossen Verbreitung und ihrer socialen Be¬ 
deutung gehört. 

Zunächst erörtert M. die Frage: Wann soll überhaupt eine 
Endometritis behandelt werden? Ist zur Beseitigung der Be¬ 
schwerden immer eine lokale Behandlung erforderlich? 

Nur die E. ehron. soll behandelt werden, die wirklich Be¬ 
schwerden macht und den Organismus direct oder indirect 
schädigt. 

Die auf constitutioneller Basis beruhende E. erfordert zu¬ 
nächst lediglich eine rein causale Behandlung, während die 
lokale als unterstützendes Moment eventuell herangezogen wer¬ 
den kann. 

Bei neuropathisch veranlagten Frauen kann eine belanglose 
E. die Rollo eines psychischen Traumas spielen. 

Gelegentlich ist es schwierig zu entscheiden, oh die E. Folge 
oder Ursache der körperlichen Unterbilanz ist. 

Die gonorrh. E. bedarf stets und möglichst frühzeitig der 
lokalen Behandlung, auch aus socialen Gründen; sie tritt auf als 
E. ehr. gonorrh. (infektiös) und postgonorrh. (nicht infektiös). 

Die allgemein beliebte Auskratzung des Uterus — die M. 
überhaupt eingeschränkt wissen will — bei ehron. E. empfiehlt 
sich aus vielfachen Gründen nicht für die allgemeine Praxis, die 
Sondenuntersuchung unterbleibt besser, und auch deu 
Schultz o’schen Probetampon hält AL für entbehrlich. 

Kombinirte Untersuchung, Speculumbetraehtung und ge¬ 
naue Anamnese sichern in den meisten Fällen die Diagnose; un¬ 
klare Fälle sollen therapeutisch möglichst. unl>erührt dem Special¬ 
arzt überwiesen werden. Für den Praktiker ist die Trennung in 
E. cervic. und corp. überflüssig, stets soll das ganze Endometrium 
angegriffen werden. 

M. theilt die ehron. E. der Hauptsache nach in eine haemor- 
rhagisehe und in eine hypersokretorische Form ein, die beide in 
verschiedene Unterabtheilungen zerfallen, die zum Theil durch 
die Aetiologie, zum Theil durch die Symptome bedingt sind: 
E. ehron. post partum, post abortuni, bei Chlorose, E. sen. etc. 
Die E. tubercul. und exfol. bleibt wegen ihrer Seltenheit un¬ 
berücksichtigt. Nicht erwähnt sind die Fälle oft. schwerer 
haemorrhflgischer K. die nach perversem geschlechtlichen Verkehr 
gelegentlich eintritt und leicht sogar zur Diagnose „Carcinom“ 
Veranlassung gibt; hier besteht die Therapie lediglich in der Auf¬ 
klärung der erkrankten Frau. (Rcf.) 

Im zweiten Theil der Arbeit wird vom Standpunkt des prak¬ 
tischen Arztes aus der ganze umfangreiche therapeutische Appa¬ 
rat, der bei der Behandlung der ehron. E. in Frage kommt, einer 
kritischen Betrachtung unterworfen. M. gelangt zu dem Urtheil, 
dass nur die Anwendung stärkerer Caustica raschen und guten 
Erfolg verspricht. Auf Grund jahrelanger Erfahrungen empfiehlt 
er als bestes Mittel die intrauterine Anwendung von 25, 30 und 
50 proc. Lösungen des officinellen Formalins in Wasser; hiernach 
erlebt man weder Blutungen, noch Koliken, noch Stenosen oder 
Ohliterationcn. Die Aetzschorfe stossen sich leicht ab und neigen 
wenig zur baeteriellen Zersetzung, im Gegensatz zu den Chlor¬ 
zinkschorfen. Als bestes Mittel, den Arzneistoff zu appliziren, 
bezeichnet M. die von ihm angegebenen, mit Watte umwickelt«*.!», 
sondenförmigen Stäbchen; diese werden aus einer Hartgummi- 
seheibe in bestimmter Krümmung geschnitten, ihre Oberfläche 
ist völlig glatt vierkantig und verjüngt sich nach der abgerunde¬ 
ten Spitzo zu. Die Sonden sind sehr elastisch, leicht, dünn, 
sterilisirbar und werden durch das Aetzmittel nicht angegriffen. 
Ihr billiger Preis gestattet dem praktischen Arzt die Anschaffung 
in grösserer Zahl (hoi Schädel in Leipzig zu beziehen). Mehr, 
als bisher üblich, betont M., dass die zur Verwendung kommend«* 
Sonde plus Watte keimfrei sein muss. Er erreicht dias in höchst 
einfacher Weise, indem er die vollständig armirten Sonden in 
einen luftdicht abschliessharen Glascylinder stellt, der bis zur 
Flöhe von 7 cm mit 30—50 proc. Formalinlösung gefüllt ist; der 
aus der Flüssigkeit herausragendo Sondctistiel wird durch die 
F'ornmlindämpfe ebenfalls in kurzer Zeit keimfrei gemacht. Zur 
intrauterinen Actzung, die mit allen Cautelen (Einstellung der 


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11Ö4 


MtlENCHENEfc MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 2ö. 


Portio,am besten iiuTrelatspcculum oder dem von Neugobauer, 
Auswischen des äusseren Muttermundes etc.) ausgeführt werden 
muss, sind 2—3 Sonden nüthig. Zum Scliluss wird vor den 
äusseren Muttermund noch ein kleiner Jodoformgazestreifen ge¬ 
legt.. Führt 1—2 malige Aetzung nicht zum Ziel, st» liegen Kom¬ 
plikationen vor, die spceialistische Weiterbehandlung nothwemlig 
machen. 

Nicht indieirt ist die intrauterine Formalinätzung bei intra- 
oder extrauteriner Gravidität, akuter und subakuter Uterus¬ 
schleimhautgonorrhoe, akut und chronisch entzündlichen Ver¬ 
änderungen der Utcrusmusculatur, der Adnexe und des Peri¬ 
metriums, submueüs entwickelten Myomen, Placentar- und 
Uterussehleimhautpolypen, malignen und tuberkulösen Verände¬ 
rungen der Uterusmucosa. 

Den Schluss der anregend geschriebenen Arbeit bilden einige 
Pemorkungen gegen Sänger und betreffen die meines Er¬ 
achtens von M. mit Recht hervorgehobene Unterscheidung 
zwischen Caustieis mit gutem und mit mangelhaftem l)es- 
infektionsvermögen, sowie die Frage nach der Durchführung der 
strengen Asepsis in der Sprechstundengynäkologio, für die M. 
warm ein tritt. 

Die Jx'ktüre der Menge’schen Arbeit ist jedem Gynäko¬ 
logen, nicht nur dem allgemeinen Praktiker, an den sic in erster 
Linie gerichtet ist, zu empfehlen. Max II c n k e 1 - Berlin. 

Prof. C. Schlösser - München: Die für die Praxis beste 
Art der Oesichtsfelduntersuchung, ihre hauptsächlichsten 
Resultate und Aufgaben. Sammlung zwangloser Abhandlungen 
aus dem Gebiete der Augenheilkunde, herausgegeben von Vos- 
s i U s. Halle a. S. 1901, Carl M a r h o 1 d. 

Heft 8 des III. Randes dieser die allgemein ärztlichen Inter¬ 
essen Itesonders berücksichtigenden, in zwanglosen Ilcften er¬ 
scheinenden Zeitschrift bringt eine Abhandlung von Professor 
('. Schlösser in München: „Die für die Praxis beste Art der 
Gesicht-sfelduntersuchung, ihre hauptsächlichsten Resultate und 
Aufgaben.“ 

Von der gewiss richtigen Ansicht ausgehend, dass die Unter¬ 
suchung dt« Gesichtsfeldes der Augen die feinste Nervenunter- 
suchung am Lebenden bildet und für den Augenarzt eines der 
wichtigsten diagnostischen Hilfsmittel ist, gibt Verf. eine Be¬ 
schreibung der hiebei einzuschlagendeu Methode und empfiehlt 
als vorteilhafter das binoculäre Perimetriren, d. h. zuerst biu- 
ocular mit blauer und rotlier Marke zu perimetriren und erst im 
Bedarfsfälle die Untersuchung mit Weiss und den anderen 
Farben noch anzuschHessen. Das Verfahren bei der binoeularen 
Untersuchung besteht darin, dass das nicht untersuchte Auge 
durch Vorsotzen eines in der Komplomentärfarbo gewählten 
Glases (für blaue Marke gelb, für rothe grün und umgekehrt) 
ausgeechaltet wird. Der Ansicht des Verfassers, dass diese Me¬ 
thode besonders zum Nachweis eines centralen Skotoms und zur 
genaueren Differenzirung des Gesichtsfeldes eines Auges im ge¬ 
meinschaftlichen Gesichtsfeld beider Augon zweckmässig sei und 
überhaupt die Untersuchung des Gesichtsfeldes erleichtere, kann 
nur beigC8timmt werden, doch ist die bisherige im Allgemeinen 
genauere Untersuehungsart nicht unnöthig gemacht. 

Im Anschluss an die Schilderung der verschiedenen anderen 
Methoden der Gesichtsfelduntersuchung gibt Verf. noch eine 
Beschreibung des normalen Gesichtsfeldes und schildert die ver¬ 
schiedenen Modalitäten des pathologischen bei Veränderungen 
der percoptibeln Fläche, bei Veränderungen in der Leitung und 
im Centruin, von denen die wichtigsten ausführlicher dargestellt 
und anatomisch begründet werden. — Wie überhaupt die Einzel¬ 
darstellungen der Eingangs angeführten Sammlung, zeiclinet sich 
auch die Schlösse Fache Arbeit durch klare zusammen fassende 
Darstellung aus und kommt einem praktischen Bedürfnisse in 
erwünschtester Weise entgegen. Seggel. 

Ha ab: Atlas der äusseren Erkrankungen des Auges. 

München 1901, J. F. Lehman n. 2. Auflage. Mit 80 farbigen 
Abbildungen. Preis 10 Mark. 

Derselbe bildet den XVIII. Band der rühmlichst bekannten 
Lehman nVhen Handatlanten und ist von einer kurzen präg¬ 
nanten Darstellung der Pathologie und Therapie der äusseren 
Erkrankungen des Auges mit besonderer Berücksichtigung der 
diagnostischen Merkmale begleitet. Dieser Grundriss ist ganz 
vortrefflich geeignet, den Studirenden und Aerzten, welche sich 


hier Rath erholen wollen, das richtige Erkennen dieser Er¬ 
krankungen zu erleichtern, da die von Künstlerhand hergesteilten 
und mittels Chromolithographie vervielfältigten, au der Hand des 
erläuternden Textes leicht erkennbaren Abbildungen charakte¬ 
ristische Darstellungen geben. 

Die 2. Auflage erfuhr durch 6 Tafeln mit 8 farbigen Ab¬ 
bildungen, welche die früheren zum Theil noch übertreffen, und 
eine Figur im Texte eine Vermehrung und hat dadurch noch er¬ 
höhten Werth gewonnen. Seggel. 

G u d e r’s gerichtliche Medicin für Mediciner und Juristen. , 
II. Auflage. Unter Berücksichtigung des Bürgerlichen Gesetzy^\ 
buehos, des Unfall-Versicherungs- und des Alters- und Invali¬ 
ditätsversicherungsgesetzes bearbeitet von Dr. P. Stolper in 
Breslau. Leipzig, J. A. Barth, 1900. Preis M. 6.75. 

Das (Jude r’sche Werk, dessen Inhalt sich auf die einzelnen 
Gebiete der gerichtlichen Medicin, ausserdem auch auf die staat¬ 
liche Unfall- und Invaliditätsvcrsicherung erstreckt, ist in seiner 
ganzen Art bearbeitet wie die (Jompendien der übrigen medi- 
cinisehen Disciplincn; es hat hiedurch gewisse Vortheile, aber 
auch seine vielen grossen Nachtheile. Aerzte, die im Drange der 
Praxis zum Studium eines grösseren Werkes über gerichtliche 
Medicin keine Zeit finden, aber noch vor den Vorbereitungs¬ 
kursen zum Physikatsexamen sich einigermaassen über Umfang 
und Inhalt der gerichtlichen Medicin orientiren wollen, mögen 
sieh das (Jude r’sche Werk anschaffen; erlernen werden sie ge¬ 
richtliche Medicin durchaus nicht, noch viel weniger kann es 
der praktische Gcrichtsarzt als zuverlässigen Rathgeber ver¬ 
wenden. Erläuternde Abbildungen, sowie Literaturangaben zur 
Orientirung in schwierigen Fällen fehlen vollständig, die Ab¬ 
fassung ist zu kurz, zu summarisch und daher geeignet, irre zu 
führen, viele technische Ausdrücke sind ohne weitere Erläuterung 
oder vor dem Studium eines grösseren Werkes unverständlich, 
wie denn überhaupt Excerpte in der Regel mehr für den Ver¬ 
fasser als für Andere von Werth sind. 

Im Einzelnen seien noch folgende Punkte erwähnt: Auf 
S. 10 findet sich der Passus: In der gerichtlichen Hauptverhand¬ 
lung sollten nicht die schönen Worte eines Plaidoyers, nur That- 
sachen sollten das IJrtheil eines Sachverständigen beeinflussen. 
Wie bekannt findet das Plaidoyer doch immer erst nach Schluss 
der Beweisaufnahme, also nach der Vernehmung der Sacli- 
verständigen statt und es gehört zu den grössten Seltenheiten, 
wenn nach «lern Plaidoyer die Sachverständigen noch einmal ge¬ 
hört werden. 

Gegen die Begutachtung der Vornahme einer Exhumirung 
sollte man sich nicht so ablehnend verhalten, wie dies Verfasser 
auf S. 51 thut; man kann doch niemals die Ergebnisslosigkeir 
einer Exhuination mit nachfolgender Sektion Voraussagen. Beim / 
Kapitel der Fruchtabtreibungen kann Referent der Auffassung 
nicht recht geben, dass ein einmaliges vorsichtiges Sondiren nicht 
im Stande sei, den Abort herbeizuführen (S. 83); auch der Ver¬ 
fasser muss wohl gleicher Meinung sein, da er die Anwendung der 
Uterussonde zwecks Untersuchung bei Verdacht auf Schwanger¬ 
schaft als einen Kunstfehler bezeichnet (S. 73). 

Dass ärztliche Atteste in Unfallversicherungssachen nur 
nach Kenntnissnuhme der Akten und nur ausnahmsweise auf 
Ersuchen des Renten Bewerbers ausgestellt werden sollen, darin 
ist dem Autor gewiss beizupflichten, aber nicht darin, «lass dies 
ein Arzt keinesfalls gegen Bezahlung thun dürfe, wie wiederholt 
und in Sperrdruck ausgeführt wird. Die Annahme einer Be¬ 
zahlung für eine ärztliche Mühewaltung lässt doch nicht auf Be¬ 
fangenheit oder Mangel an Gewissenhaftigkeit schlieesen. Bei 
dem Abschnitte der Unfallgesetzgebung ist die im vorigen Jahre 
erfolgte gesetzliche Neuregelung noch nicht berücksichtigt. Das 
Invalidenversicherungsgesetz ist gar zu kurz skizzirt. In der 
Auffassung, dass das Gesetz den Versicherungsanstalten die 
säinmtlichen Kosten für die ärztlichen Atteste auferlegt, muss 
sieh der Verfasser durch die jüngst ergangene Entscheidung des 
Reiehsversieherungsnmtes berichtigen lassen. 

Dr. Carl Becker. 


Neueste Journalliteratur. 


Ceutralblatt für innere Medicin. 1901. No. 27. 

O. Freund: Zur Methodik des Peptonnaehweises im Harn 
und tn Faeces. (Aus der k. k. Krankenanstalt Rudolf Stiftung ln 
Wien.) 


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16. Juli 1901. 


MUENCHRNER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 11,*5 


Bei dem Nachweis des Pepton (richtiger der Albumosen) kann 
durch den Urobilingehalt des Harns eine Biuretreaktion vorgo- 
täuscht werden. Es handelt sich desshall» darum, eine Methode 
zu finden, welche das Urobilin vollständig entfernt, ohne zugleich 
einen Verlust an Pepton zu bedingen. Die Methode besteht darin, 
den mit Essigsäure angesäuerten Urin mit Bleiacetat auszufällen, 
aufzukochen und warm zu flltriren und in dem Filtrate durch Zu¬ 
satz von Lauge einen Niederschlag von Bleioxydliydnit zu er¬ 
zeugen: das Filtrat des letzten Niederschlages ist vollkommen 
urobilinfrei. Der Verlust an Albumosen ist hierbei ein sehr ge¬ 
ringer (6 Proc.), wie der Verfasser durch Kontroluntersuchuugen 
feststellte. IUe Probe wird am besten in folgender Weise aus- 
gefflhrt: Man nimmt 10 ccm Harn, säuert mit 2—3 Tropfen 20 proc. 
Kssigsäure an, ftlgt 5 ccm 20 proc. Bleizucker- oder Bleiessiglösung 
zu. kocht ordentlich auf und flltrirt Dem Filtrate wird, so lange 
ein Niederschlag entsteht, Kalilauge zugegeben, dann einmal auf¬ 
gekocht und illtrirt. Mit dem alkalisch reagirenden Filtrate wird 
durch Zusalz verdünnter Kupfersulfatlösung die Biuretrenktion 
augestellt. In den Faeces wird die Reaktion in entsprechender 
Weise vorgeuommen. W. Zinn- Berlin. 

Centralblatt fbr Gynäkologie. 1901. No. 26. 

L. S i e b o u r g - Barmen: Beitrag zur Behandlung des 
Pruritus vulvae. 

S. lässt seine Prurituskranken Morgens und Abends mit Seife 
und kaltem WnRser die befallenen Partien circa 5 Minuten lang 
waschen. Bei verletzter Schleimhaut verordnet er folgende Salbe: 
Rp. Cocain 2.0, Orthoform 1.5, Menthol 0,5. Add. carbol. 1.0 ad 
20.0 Vaselin. — Bel chronischem Pruritus und Intakter naut wird 
folgende Mischung nufgetragen: Rp. Spirit. Ruscl 50.0, Add. 
sallcyl. 0.5, Resordn 1,0. — Bel renitenten Fällen empfiehlt S. sub¬ 
kutane Injektionen von Cocain und Karbol, resp. ln letzter Zeit 
Hautinfnsionen von physiologischer Kochsalzlösung ln Mengen 
bis zu V, Liter. S.’s Erfahningen sind noch nicht gross, seine Er¬ 
folge aber „so schön“, dass er seine Methode weiter empfehlen 
möchte. 

No. 27. 

1) H. Fuchs-Kiel: Bemerkungen zur Zestokausis. 

Die Zestokausis ist. von Plncu* als mildere Anwendungs- 
form der Thermokausls für äussere Anwendung an der Portio, 
sowie für Intraeervicale und intrauterine Aetzung empfohlen 
worden. F. hat das Verfahren probeweise bei Erosionen auge¬ 
wendet. wobei 3 mal auch der Cervlcalkatarrh mit behandelt wurde. 
Rin günstiger Einfluss auf die Vaglnalisirung war nicht zu ver¬ 
kennen. dagegen entstand ln .einem der genannten 3 Fälle eine 
■■oncentrische Stenoslrung des Halskanals, ln einem anderen Falle 
profuse Eitersekretion mit akut entzündlicher AfTektlon beider 
Adnexe. F. hält daher die Zestokausis für ein leicht zu ent¬ 
behrendes. unsicheres und nicht immer unbedenkliches Verfahren, 
das im Degensntz zur Atmokausis nicht zu empfehlen sei. 

2) A. Mackenrodt - Berlin: Die Radikal Operation des 
Gebärmutter-Scheidenkrebses mit Ausräumung des Beckens. 

M. berichtet über die verschiedenen Operatlonsverfahren. 
die er für die Totalexstirpation erprobt hat Es sind 4 ..Etappen“, 
in denen sieh sein Verfahren seit Januar 1899 entwickelt hat. Nach 
der 1. Methode wurde einmal unter 4 Fällen die Vene verletzt, wo- 
ranf der Tod an Luftembolie nach 2 Stunden eintrat. Nach der 
1. Methode ergab sich unter 5 Fällen die unnöthige Gefährdung 
«•Ines Ureters. Nach der 3. Methode wurden 5 Fälle operirt. 1 ge¬ 
nas. 4 starben an Sepsis. Die 4. Methode hat sieh bisher in 
ß Fällen als lebensslchcr erwiesen. Die letztgenannte ist eine recht 
komplizlrte abdominale Operation, deren Einzelheiten Im Original 
nacheelesen werden müssen. Ob sie wirklich, wie M. meint, allein 
berufen ist. ..die abdominale Carclnomoperntion ans dem gefähr¬ 
lichen Wirrsal der Technik auf eine gesicherte Bahn zu bringen“, 
müssen erst weitere Erfahrungen lehren. J a f f £ - Hamburg. 

CentraTbtatt für Baoteriolncie. Paraxitenlmpde und In¬ 
fektionskrankheiten. 1901. Bd. 19. No. 22. 

1) C. Rijkm&nn -Utrecht: Heber Enzyme bei Bacterien 
and Schimmelpilzen. 

Verfasster untersuchte eine Reihe von Raeterien auf Ihre 
raseinspaltende, haemolytlsche. amylolytische 
oder diastattsche und fettspaltende Eigenschaft und 
machte dabei die Beobachtung, dass die Fähigkeit. Gelatine 
Mi verflüssigen. Hand ln Hand geht mit der Fähigkeit, 
faseln *n lösen. Um beides gleichzeitig beobachten zu können. 
cmnflehR er M 11 c h a g a r. Der um die Kolonien entstehende 
helle Hof verräth alsdann, dass der betreffende Organismus auch 
Gelatine verflüssigen kann. 

Die haemolytlsche Wirkung Ist jedoch nicht immer 
hei d e n Bacterien vorhanden, welche Gelatine verflüssigen. Das¬ 
selbe gilt auch von den dlastatlsehen Enzymen und den 
I.ipasen. Hier sind es neben den Bacterien auch die Schimmel¬ 
pilze. welche A m y 1 n m und Fette nmwandeln können. 

2) N. Solowjew: Das Balantidium coli als Erreger chro¬ 
nischer Durchfälle. 

Nach den Beobachtungen von Solowjew muss die allge¬ 
meine Annahme, dass Balantidlnm coli nur auf der Ober¬ 
fläche der Schleimhaut angetroffen wird, als Irrig angesehen 
werden. Der Parasit durchdringt vielmehr alle Schichten der 
Darmwand und bringt ganz charakteristische Ve linden:nren dort 
hervor. Damit erklärt sich auch die Hartnäckigkeit des Leidens. 


3) P. Th. Müller-Graz: Ueber die Antihaemolysine nor¬ 
maler Sera. 

Die Resultate lassen sich folgendennaasseu zusanunenfassen: 

Eine Reihe von normalen Seren vermag Kaninchenblui 
vor der haemolytischen Einwirkung des Entcnseruiim zu schützen. 

Diese antlhaemolytlsclien Fähigkeiten treten vielfach erst nach 
Inaktiviruug der gedachten Sera zu Tage. Es enthalten allerdings 
aueii die aktiven Sera die betreffenden Antihaemolysine. sie 
werden jedoch durch die gleichzeitige Anwesenheit von knniuchcii- 
blutlösenden Substanzen verdeckt. 

Die autihaemoly tischt’ Kraft beruht darauf, 
K o in p 1 e m ent zu binden. 

4) B. Bann er manu - Bombay: Some aspects of plague 
inoculation. 

No. 23. 

1) A. E d i u g t o n - Kapstadt: Battenpest. 

Bei einer Krankheit, die in Kapstadt unter den Ratten aus¬ 
gebrochen war, wurden Organismen gefunden, welch«* ein ziem¬ 
lich polymorphes W achstlium (kurze Stäbchen) z«*igtmi 
und nur für Meerschweinchen und Tauben pathogen waren. 
Kaninchen erkrankten nach den Injektion nicht 
und die Einspritzungen solcher Kulturen verlieh ihnen auch keinen 
Schutz gegen eine nachträgliche Infektion mit Bultonenpest. 

Es ist diese Krankheit nach «1er Ansicht des Verfassers keim* 
Pest gewesen und «*s wird empfohlen, als Thlere zum Experiment 
filr Pest nicht nur Meerschweinchen, sondern auch Kaninchen zu 
benützen. 

2) M. R ra u n - Königsberg: Zur Revision der Trematoden 
der Vögel. II. (Schluss folgt.) 

3» B. G a 11 i - V a 1 e r i o und P. Narbel: Etudes relatives 
& la malaria. Lea larves d’Anopheles et de Culex en hiver. 

Die Beolmchtungeu der Verfasser ergaben, dass die Larven 
von O u 1 «* x und Anopheles in gefrorenen Tümpeln über¬ 
wintern können. 

4) R a n s «»in «* und A. F o u I e r t. o n: Ueber den Einfluss des 
Ozons auf die Lebenskraft einiger pathogener und anderer Bac¬ 
terien. 

Das trockene Ozon, wie «*s in der Natur vorkommt, ist ni«-ht 
im Stunde, eine schädliche Wirkung auf «lie Bacterien uusiib«*n zu 
können. R. O. Neuinunn - Kiel. 


Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 27. 

1) U. It o s e - Strassburg i. E.: Ueber paroxysmale Tachy¬ 
kardie. (Schluss folgt.) 

2) II. G u 11 ni a n n - Berlin: Bericht über die in der Poli¬ 
klinik während der Zeit vom 18. Dezember 1809 bis 10. April 
1901 mit intravenöser Injektion von Hetol (Länderer) be¬ 
handelten Lungen- und Larynxtuberkulosen. 

Verf. gibt zunächst cln«*n kurzen U«*lH*rblick üln*r die iia«*li 
Ilctolinjektioncn g«*wonnem*u Befunde lx*tr«‘ffs vorül»ergehen«h*r 
Vermehrung d«*r weissen Blutkörperchen und «1«*r nach vorschi«*- 
«l«*iien Autoren an Riesenzellen und TulH*rkeln vor sich gehenden 
Veränderungen, welche auf eine Uimvaliung. Abkapselung und 
spätere Vernarbung des Tuberkels hinauslaufen. Die Zusammen¬ 
stellung d«*r von nnderen Seiten gemachten Beobachtung«*!! lässt 
erkennen, dass diellotolinjektionen im Allgemeinen einen günstigen 
Einfluss bei nicht zu weit vorgeschrittener Tuberkulös«* ausüben 
können, ohne erhebliche schädliche Nebenwirkungen zu äussern. 
Genau nach den Vorschriften Landerefs wurden an d«*r 
K l* a u 8 e’schen Klinik seit längerer Zeit an 33 Patienten Injek- 
tionen vorgenommen. Die bei Kehlkopf tuberkulöse zu erzielenden 
Veränderungen wurden an durch Curettement gewonnenen Stück¬ 
chen histologisch untersucht (Cordes). 1 Fall wurde geheilt, 
10 Fälle wurden gebessert. Im Allgemeinen konnte das Befinden 
der Phthisiker längere Zeit günstig beeinflusst werden, auch wenn 
schliesslich kein guter Ausgang eintrat. Die Dosirung des Hetols, 
«las ein werthvolles Mittel in der B«*handlung der Tuberkulös«* 
darstellt, muss eine vorsichtige sein: eine giftige Wirkung kam 
nicht zur Beobachtung. Verf. empfiehlt, die Hetolbehandlung ln 
allen Fällen beginnender TulK*rkulose zu versuchen. 

3) G ra l»o wer-Berlin: Die Förderung der Medicin durch 
die Laryngologie. 

Der Artikel eignet sich nicht zu kurzem Auszug. 

4) Landgraf: Bemerkungen zu einem Pall von Aorten¬ 
aneurysma. 

Bel der Beurthetlnng therapeutischer Erfolge gegenüber 
Aortennnaeurysmen spielt die Besserung von Stiimnbandlähn«- 
nngen eine grosse Rolle. Die auf Drucklähmung beruhenden 
StlmmhRRdläbmungen können znrückgehen. Uebrigens unt«*rilegon 
die Dmckerschelnungen oft Schwankungen. Verf. lieschreibt eln«*u 
an einem 43 jähr. Offizier beobachteten Fall. In welchem «*r «lie 
Diagnose auf Aneurysma der Brustaorta mit Druck auf «li<* 
Trachea und den linken R«*currens. sowie auf Be«*inträchtigung 
der Circulation in der linken Carotis und Subclavia gost«*llt. halt«*. 
Bel diesem Kranken bildete si«*li die Recurrcnslähmung ln eitle 
PostiensUihmung um. die Stimme wurde wieder völlig klar, «11«* 
Athmungs- und Herzl>eseh werden versehwamlen. D«*r Tumor ist 
aber noch in der Brust des Kranken nachweisbar. 

Grassmann - München. 



Devtsehe medieinisebe Wochenschrift. 1901. No. 26. 

1) Waldeyer: Topographie des Gehirns. 

Nach einem Vorträge in der anatomischen Sektion des 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1J.8G 


*Xin: Internationalen modieinischen Congresses in Paris. Fort¬ 
setzung folgt. 

2 ) Ernst Z i o m k e - Berlin: Zur Unterscheidung von Men¬ 
schen- und Thierblut mit Hilfe eines speciflschen Serums. 

Die an der Unterrichtsanstalt fiir Staatsarznei künde der Uni¬ 
versität Berlin angestellten Versuche ergaben nach allen Rich¬ 
tungen eine Bestätigung des praktischen Wertlios und der Vor¬ 
lässigkeit der gleichzeitig von Uhlenhuth und Wasser¬ 
mann-Schütze entdeckten Serumreaktion. 

3) E. S t a d e 1 in a n n - Berlin: Klinische und therapeutische 
Untersuchungen bei Phthisis pulmonum. (Schluss aus No. 25.) 

III. lieber eosinophile Zellen im Sputum. IV. Guacamphol 
gegen die Schweisse der Phthisiker. V. Pyramidon und seine Salze 
gegen die Temperatursteigerungen bei Phthisikern. 

4) Robert B e h l a - Luckau: Ueber „Cancer ä deux“ und In¬ 
fektion des Krebses. 

Ueberslchtliches Referat über den heutigen Stand der Wlssen- 
Hehaft liezüglich der Ansteckungsfähigkeit des Krebses mit einer 
Zahl von 10 Fällen des „Cancer ü deux -1 . davon 14 eigener Be¬ 
obachtung. Nach Ansicht des Referenten ist das Dogma von der 
Nlehteontagiosität des Krebses nicht länger aufrecht zu erhalten. 

f»> Oscar Ad ler-Prag: Biologische Untersuchungen von 
natürlichem Eisenwasser. 

In dieser vorläufigen Mittheilung gibt A. an. dass es ihm ge¬ 
lungen sei, in einer Art spirillenförmiger Mikroorganismen die 
Ursache der raschen Zersetzung von Kisenwässern. auf welche 
B i n z in No. 14 der Deutsch, med. Wochensehr, aufmerksam ge¬ 
macht hat. zu finden. 

<*) L. S e e 11 g m a n n - Hamburg: Trauma und Extrauterin¬ 
gravidität. 

Unter Hinweis auf 4 binnen kurzer Zeit bei ihm zur Behand¬ 
lung gekommene Fälle betont S. die aetiologischc Bedeutung 
des Traumas fiir das Entstehen der Extrauterinschwangerschaft. 
In jedem dieser Fälle war ein heftiger Sturz auf das Gesäss die 
di recte Veranlassung. 

7) Sociale Medicin und Statistik: 

Arthur Ru pp In: Hat der Vater oder die Mutter auf die 
Vitalität des Kindes den grösseren Einfluss P 

Aufschluss über diese Frage gibt die Statistik der zwischen 
Christen und Juden geschlossenen Mischehen und der in ihnen 
vorgokommonen Geburten, bezw. Todgeburten. R. beantwortet 
<1 io Frage dabin. dass dem Manne der ausschlaggebende Einfluss 
auf die Vitalität des Kindes zuzuschreiben ist. 

No. 27. 

U B e 11 m a u n - Heidelberg: „Chlorakne“, eine besondere 
Form von professioneller Hauterkrankung. 

B. beschreibt eine Form der Chlorakno. welche er bei einer 
grösseren Zahl von Arbeitern einer chemischen Fabrik beobachtet 
bat. Die Betreffenden waren bei der Reinigung und Ladung der 
sogen. Säurethürine, welche zur Herstellung der Salzsäure dienen, 
beschäftigt und bestand das Charakteristische der Erkrankung 
in einer fast über den ganzen Körper, auch den behaarten Titel 1 
desselben, verbreiteten Comedonenbildung, einer sclumitzlggrauen 
Pigmentirung des Gesichts und trockener rauher Haut. Die Ur¬ 
sache der Chlorakno wird in der Beimischung gechlorter Theer- 
derivnte zu den Salzsätiredämpfen vermnthet. Da jedoch die 
Aetiologie noch keineswegs klar und weder die Therapie, noch 
die Prophylaxe befriedigende Resultate nufwelst, sind weitere 
Beobachtungen ntttlilg. 

2) A. C i p o 1 11 n a - Genua: Ueber den E<nfluss einiger Sub¬ 
stanzen auf die T r o m m e r’sche Probe. 

Tn dem chemischen Laboratorium des pathologischen Instituts 
der Universität Berlin angestellte Untersuchungen ergaben, dass 
nicht nur das Kreatinin als die Ursache der ..gelben“ T r o in m o r- 
sclien Probe (Niederschlag von Kupferoxyduihydrat) anzusprcchen 
ist. wie N e u m a y e r zuerst gefunden bat, sondern d:\ss ausser 
anderen, allerdings nur in concentrirtor Form wirkenden Stoffen, 
auch dom Guanidinkarbonat, dom Glykooynmln und Glyko- 
cyamtdin in 1—2 prom. Lösung diese Eigenschaft zukommt. 

31 Alb. Kowarskl - Berlin: Ueber den Nachweis von 
pflanzlichem Eiweiss auf biologischem "Wege. 

Die im Institut für modlcinisclie Diagnostik in Berlin nn- 
eestellten interessanten Versuche. welche analog dein von 
Wassermann. U h 1 e n h u t h n. A. beschriebenen Verfahren 
mit pflanzlichen Eiweisskörpern arbeiteten, ergaben, dass auch 
diese eine Bildung von Antikörpern hervomifen können, dass die 
selben jedoch unter sich nicht so verschiedenartig zu sein scheinen, 
wie die animalischen. 

41 S c h n e 11 e - Berlin: Ein Fall von Sepsis mit Otitis und 
Sinusthrombose, beginnend mit den Erscheinungen des Gelenk¬ 
rheumatismus. 

Kasuistische Mittheilung. 

51 Waldeyer: Topographie des Gehirns. (Fortsetzung 
aus No. 2fi.) 

Gl S. M u n t e r - Berlin: System und therapeutische Ver- 
werthung der Wärmezufuhr und Wärmestauung. (Schluss folgt.1 

Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin zu Berlin. 
Referat siehe diese Wochenschrift No. 1. pne. 4L 

F. Lacher- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg. No. 13. 

Rud. Burckhardt: Zum 70. Geburtstage von Wilhelm 
H i s. Literarisches und Biographisches. 


No. 29. 


R. S t i e r 1 i n- Winterthur: Ueber Darmocclusion. Kasuisti¬ 
sches und Kritisches. (Schluss folgt.1 

Johannes S e i t z - Zürich: Zum Chloraethyltod. 

Vertheidignug dieser Diagnose (cf. Referat in der Münch, med. 
Woehenschr. No. !). p. 3541. PI sch in ge r. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 27. li It. Schmidt - Wien: Ueber diaphoretisches Heil¬ 
verfahren bei Osteomalacie. 

Nach einem kurzen Ueberblick über die bei dieser Erkrankung 
gebräuchlichen therapeutischen Methoden theilt Verf. 2 Fälle mit. 
beide typische puerperale Osteomalacie betreffend, von denen 
der eine sich in einem weit vorgeschrittenen Stadium befand 
und auch Beckenveränderungen aufwies. Es kamen Heissluft¬ 
bäder mittels des Apparates PliGnix il l’air ehaud zur Anwendung. 
Nach 9 Heissluftbädern konnte ln dem ersten Falle schon eine 
Besserung des Ganges mit Sicherheit konstatirt werden: nach 
ungefähr 1 Monat war die Patientin, welche vorher nur einige 
Schritte im Krankenzimmer hatte machen können, soweit her- 
gestellt, dass sie ohne Unterstützung über die Stiege gehen konnte. 
Audi in dem schweren zweiten Fall war der Erfolg ein derart 
guter, dass die Kranke ihre häuslichen Geschäfte alle wieder ver¬ 
richten konnte. Die Art der Wirkung scheint dem Verf. darin zu 
liegen, dass durch Erzeugung einer intensiven diffusen Haut- 
hypernomic eine Entlastung ln den hyperaemisch gestauten Gefäss- 
bezfrken des Periost- und Knochenmarkes herbeigeführt wird. 
Möglicher Weise handelt es sich auch um Ausscheidung organ'schey 
Säuren im Sehweiss. Trotzdem die Pathogenese der Osteomalacie 
noch nicht aufgeklärt ist, kann also doch mit Erfolg die Behand¬ 
lung in Angriff genommen werden. 

2) G. Alexander- Wien: Zur Aetiologie der Tubenmittel- 
ohrerkrankungen (2 Fälle funktioneller Störung der Tube nach 
Oberkiefer resektion). 

Bei der ersten Patientin erschienen 4 Wochen nach der wegen 
Oberkiefercnrcinom ausgeführten Resektion Gehörstörungen mit 
den objektiven Erscheinungen dos TnbenverschUißsos, gegenüber 
welchen ein Dauererfolg der Behandlung nicht erreicht werden 
konnte: bei der zweiten Kranken traten entsprechende Erschei¬ 
nungen schon nach 2 Wochen ein. Es handelte sich in beiden 
Fällen um einen sekretorischen Katarrh der Tube, dessen Ent 
stehung nach Anschauung des Verf. so zu denken ist. dass di* 
Ventilation der Tube durch den Tensor voll pnlntini nicht me'.r 
richtig zu fnnktloniren vermag, sobald durch die Oberkiofcrresek- 
tion der Ansatzpunkt dos Muskels -am hinteren Rande des harten 
Gaumens lädirt worden ist. Es empfiehlt sich daher, bei diesen 
Operationen womöglich eine schmale Knochen span ge am hinteren 
Oborkioferrnnd zu erhalten, um der für die Lüftung der Tub • 
not li wendigen Aponenrosis palatinn nicht ihren Stützpunkt zi 
nehmen. 

3) K. S te r n her g - Wien: Kasuistische Mittheilungen. 

Verfasser beschreibt einen bei der Sektion eines 70 jährigen 

Mannes erhobenen Befund, betreffend ein verkalktes Haematom 
in der Milz, das wie ein Tumor dem Organ eingelagert war. sowi • 
die histologischen Einzelheiten an der Milz, welche beginnend- 
anivlolde Degeneration zeigte. Wahrscheinlich stellte das Milz 
nmylnld ln diesem Falle nur den Beginn einer allgemeinen Ämy 
loidose dar. Verf. glaubt aus seinem Befunde nnohwolsen /.n 
können, dass vereinzelt auch die Zellen der Milzpulpa der amv 
loiden Degeneration nnhoimfnllen können. 

Grass mann - München. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 23—25. J. Englisch- Wien:. Ueber die plastische Ver 
härtung der Schwellkörper des Gliedes. 

Febers ich t über 105 Fälle aus der Literatur mit verschiedene.* 
aetiologischen Momenten. woruntorOicht und Blennorrhoe an erste- 
Stolle stehen und 3 eigene Fälle mit ausführlicher Kranken¬ 
geschichte. ■ ) 

No. 2(1. M. B e n e d 1 k t - Wien: Zur Tuberkulosefrage. 

Anlässlich des britischen Tiiberkuloseoongressos richtet I*. 
einen offenen Brief an Professor C 1 i f f o r d A 1 h n 11. Er läs«t 
es sich nicht nehmen, dass mit jeder Anhäufung von Tuberkulösen, 
sei es in Kurorten, sei es in grossen Sanatorien, beträchtliche Ge 
fahren für die Weiterverbreitung verbunden sind. Man solle 
keine grossen opulenten Paläste für die Kranken errichten, son¬ 
dern an geeigneten Orion kleine Kolonien, deren Auflassung oder 
Zerstörung ohne grossen Verlust erfolgen könne. Ferner sollen 
die gesammelten Summen nicht nur für die Errichtung der An 
stalten. sondern auch für deren Betrieb berechnet sein und tlieil 
weise dazu Verwendung finden, um den Kranken durch Unter 
Stützung der Familien Ersatz für die verlorene Krwerbsfühlgkeit 
zu bieten und mittellosen Kranken freie Aufnahme gewähren z* ! 
können. 

No. 27. W. La t z k o - Wien: Beitrag zur Therapie ver¬ 
schleppter Querlagen. 

L.’s Vorfahren beruht auf dem Principe der Simpso n’sehon 
Spondylotomio. es bestellt in transversaler Durchselmeidung des 
mit Haken flxirten kindlichen Rumpfes nach vorheriger Eröffnung 
des Tboraxrnumes und Entfernung der Bnistorgnne unter 
..kletterndem“ Nach greifen mit Zangen. Die Indieation geben jene 
Fälle, welche bol drohender Uterusruptur und tiefstehender 
Schulter den Hals zur Decapltatlon unzugänglich machen. 


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16. Juli 1901. MUENCIIKNKR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1187 


J. A n t a 1 - Ofen-Pest: Beiträge zur Behandlung der Zahn¬ 
karies. 

Die bekannte Thatsaehe, dass bei der bisherigen Behandlung 
gar nicht selten nach Füllung eines cnriösen Zahnes erneuter 
Schmerz und Entzündung sich einstellt, welche die Erhaltung des 
Zahnes gefährdet, erklärt Verfasser damit, dass vor der Füllung 
die tiefliegenden Entzündungsprocesse in den Dentinkanälchen 
nicht genügend bekämpft, die tieferen Schichten der Zahnsuhstanz 
nicht sterilisirt werden. Die Aetzmittel sind hierfür ungeeignet, 
dagegen entspricht dem Zwecke sehr gut eine 1 proc. Lösung von 
Thymol in Ol. amygdal. dnlc., 24 Stunden mit Tampon ln die vor¬ 
bereitete Zahnhöhle eingebracht. 

Wiener klinische Rundschau. 

No. 20—24. A. M u r r 1 - Bologna: Ueber Broncedlabetes. 

Eine 59 jährige Frau aus den dürftigsten Verhältnissen ge¬ 
langte mit den Zeichen des Diabetes mellitus und ausgeprägter 
Broncefärbung dev Haut und Mundschleimhaut zur Beobachtung. 
Volle Wiederherstellung mit Rückbildung der Pigmentanomalie. 
Bei den bisher als Broncedlabetes veröffentlichten Fällen war stets 
auch eine interstitielle Hepatitis vorhanden, die bei dieser Kranken 
fehlte. Es würde also, wenn auf vorliegenden Fall auch die Dia¬ 
gnose Broncedlabetes zutrifft, folgen, dass die Hepatitis nicht notli- 
wendig zum Symptomenkomplex derselben gehört und auch aetio- 
logisch nicht das ausschlaggebende Moment ist. Als solches ist 
M. geneigt, eine allgemeine Dystrophie der Zellelemente anzu¬ 
nehmen. Der Prognose scheint erst die Hepatitis die bisher regel¬ 
mässig beobachtete schlechte Wendung zu geben. 

No. 24—20. E. Stransky- Wien: Ueber eonjugirte Em¬ 
pfindungen. 

Es muss hier genügen, anzuführen, dass St. an sich und 
anderen Personen konstatirt hat, wie ein bestimmter Juckreiz, 
an einer bestimmten nautstelle applicirt, zu gleicher Zeit auch an 
einer sich gleichbleibenden entfernten Stelle — vorzugsweise der¬ 
selben Körperhälfte — als gleicher Reiz mitempfunden werden 
kann. Eine Reihe von Beispielen solcher Conjugatiou, welche 
theils übereinstimmende Befunde an verschiedenen Personen, theüs 
grosse individuelle Abweichungen erkennen lassen, sind tabel¬ 
larisch aufgeführt. Eine gewisse Analogie mit den Beziehungen 
zwischen Nase und Genitalien, wie sie F1 i e s s und Schiff 
fanden, liegt nahe. Aehnliche Untersuchungen hat bezüglich der 
Schmerzempfindung vor Jahren schon Kowalowsky gemacht, 
deren Resultate nicht in allen Punkten mit denen St.’s überein¬ 
stimmen. 

No. 25. G. II o 1 z k n e ch t und R. Kienböck: Zur Tech¬ 
nik der Röntgenaufnahmen. 

Die Verfasser betonen zunächst die Fortschritte der Technik 
durch Einführung der „regenerirbaren Röhren“ und die Erfahrung, 
dass eine gewisse, nicht zu grosse Penetrationskraft der Strahlen, 
für die Erzielung guter Aufnahmen vorausgesetzt werden muss. 

Für gute Resultate wichtig und zu wenig beobachtet ist mög¬ 
lichste Ruhe des Objektes, welche durch bequeme Lagerung, 
event. Narkose, kurze Expositionsdauer erreicht wird. Um die 
vielfach sehr störenden Athmungsbewegungen auszuschalten, ist 
es oft von grossem Vortheil, zur Aufnahme einen Zustand künst¬ 
licher Apnoe zu benutzen, der eintritt, wenn man einige Zeit ge¬ 
häufte tiefe und rasche Inspirationen machen lässt und der mehr 
als 1 Minute nnhnlteu kann („respiratorische Stillstandsaufnahme“). 

Prager medicinische Wochenschrift. 

No. 25. E c k s t e I n - Teplitz: Ueber die Anwendung der 
Kopfzange bei Steisslagen. 

Die lege artis angelegte Kopfzange hat E. ln 3 Fällen gute 
Dienste gethan. Die Zange soll nicht die Extraktion des Steissos 
liesorgen. sondern denselben nur zugänglicher für die manuelle Ex¬ 
traktion machen. Die indieirenden Momente liegen In langer Ge¬ 
burtsdauer ( 30 -—100 Stunden), Missverhältnis des Kindes zum 
mütterlichen Becken. Rigidität der mütterlichen Weichtheile. Bei 
abgestorbener Frucht dürfte durch das Verfahren eine Infektion 
eher vermieden werden, als durch die Erweiterung der Anulöffnuug 
mit der S i e b o 1 d’schen Scheere und Extraktion mit dem Kranio- 
k lasten. 

No. 2G. H. H a m m e r - Brünn: Alkohol und Tuberkulose. 

Die Sektionsbefunde von narbig ausgeheilter Lungentuber¬ 
kulose bei chronischen Alkoholisten geben dem Verfasser Anlass, 
zu erörtern, ob nicht bei Tuberkulose der Alkohol, unter dessen 
Einwirkung es in verschiedenen Organen zur Bindegewebsbildung 
kommt, auf die Ausheilung gerade durch diese Bindegewebsbildung 
fördernd ein wirkt Inwieweit dem Alkoholmissbrauch als solchem 
gegenüber anderen socialen Schäden ein besonderer Einfluss auf 
die Ausbreitung der Tuberkulose zugeschrieben werden muss, 
dürfte schwer zu entscheiden sein. 

M. B o n <11 - Iglau: Die klinischen und anatomischen Augen- 
hintergrnnderkrankungen eines Falles von Leukaemla lienalis. 

Nach anfänglich normalem Befund des Augenhintergrundes 
entwickelte sich bei dem 34 jährigen Kranken allmählich zu¬ 
nehmend eine schliesslich enorme Ausdehnung der Venen, die 
sich deutlich schlängelten. Abgesehen von einigen kleinen weiss¬ 
gelben Mecken und einer Blutung wies die Farbe des Augenhintev- 
grundes keine Aenderung auf. Die früher als charakteristisch an¬ 
gegebene hellgelbe Verfärbung des ganzen Fundus fehlte, wie das 
von neueren Untersuchem häufiger festgestellt worden ist. Aus 
«lern mikroskopischen Befund verdient hervorgehoben zu werden 


die Erweiterung der perivasculären Lympliräume, Pigmentwuehe- 
ruug und Thrombose der Retinalvenen. B e r g e a t - München. 

Englische Literatur. 

Malcolm Morris: Das Ekzem in seiner Beziehung zum 
Alter. (Lancet, 4. Mai 1901.) 

Verfasser beginnt seine Arbeit mit dem Ausspruch, dass von 
allen Hautkrankheiten das Ekzem die am meisten studirte tunl 
am wenigsten erkannte sei. Er gibt dann eine Uelierslcht über die 
verschiedenen Formen der Krankheit und ihre Behandlung beim 
Säugling, jungen Kinde, im Pubertätsalter, beim Erwachsenen, 
bei der Frau in den klimakterischen Jahren und im Greisenalter. 
Beim Säugling entsteht ein nusgebreitetes Ekzem des Kopfes oft 
durch Vernachlässigung eines kleinen seborrhoischen Ausschlages, 
der bald nach der Geburt nuftritt. Diese Seborrhoe entsteht 
häufig durch zu energisches Waschen mit reizenden Seifen: man 
benutze desshalb nur literfettete Seifen und vermeid.* jed? Reibung, 
dasselbe gilt, wenn schon ein seborrhoischer Ausschlag vorhanden 
ist. Ferner vermeide man das Tragen von Kappen und anderen 
Kopfbedeckungen, ganz besonders im Hnuse. Zur Beseitigung des 
seborrhoischen Ausschlages dient eine schwache Sehwefelsalhe. 
Derartige Kinder dürfen nicht geimpft werden, da aus dem 
trockenen seborrhoischen Fleck oft sofort nach der Impfung ein 
akutes Ekzem entsteht, das über deu ganzen Körper fortschreitet. 
In anderen Fällen sind es die Masern oder die Anwesenheit von 
Eingeweidewürmern, die zu dieser akuten Verschlimmerung An¬ 
lass geben. In allen diesen Fällen gebe man innerlich kleine Dosen 
von Kalomel. Lokal behandelt man das akute Stadium zuerst mit 
Bor- und Zinkstreupulvern, die ln Mullsäckchen applizlrt werden 
(dadurch wird die Krustenbildung eingeschränkt), dann mit ..Zink- 
crOme“, einer Mischung von Zink. Lanolin. Olivenöl und Kalk- 
wasser; diesem Crfäno, der dem Liniment, calc. ähnlich 
ist. kann mit Vortheil Ichthyol zugefügt werden. Der CrOme wird 
auf dünne Leinwandstreifen gestrichen und die ganz? ekzematöse 
Fläche damit bedeckt und leicht lmndaglrt; diese Streifen müssen 
häufig erneuert worden und wirken stark austrocknend. Sobald 
das schuppende Stadium erreicht ist. wird statt des Crfmes weisse 
Praecipitntsalhe verwendet. Diese Ekzeme der Säuglinge haben 
grosse Neigung zum Recidiviren und es ist sehr wichtig, eine völlige 
Heilung herbeizuführen, da sonst das Ekzem leicht chronisch wird, 
und für das ganze Leben bestehen kann. Auch die Ekzeme etwas 
älterer Kinder beginnen meist mit einem seborrhoischen Ausschlag 
des Kopfes oder Gesichtes, der ebenso zu behandeln Ist. wie der 
der Säuglinge. Keinesfalls dürfen solche Kinder die Schule be¬ 
suchen, Ist das Ekzem ziemlich akut, so bleiben die Kinder am 
besten zu Hause, bei mehr chronischen, rocidivirendon Fällen mit 
DrüsenschWellungen (Skrophulose) tlint ein Aufenthalt an der 
See gute Dienste. Das Zahnen der Kinder hat nach Verfassers 
Meinung keinen Einfluss auf den Verlauf der Ekzeme. 

Das Ekzem in der Pubertät tritt meist als Xeroderma auf und 
befällt die Ellenbogen und Kniebeugen. Die Behandlung besteht 
ln prolongirteu Bädern und nachträglicher Applikation von Wasser 
und Glycerin 5 zu 1. Auch Zinkcreme mit Zusatz antiseptiseher 
Mittel thut gute Dienste. Eine andere Form des Ekzems tritt 
in diesem Lebensalter alternirend mit asthmatischen Anfällen und 
Attaken von Arthritis rheumnt. auf. Man behandelt es innerlich 
mit Zinc. valer. und Chinin. 

Die akuten, nässenden Ekzeme der Erwachsenen erfordern, 
wenn sie allgemein sind. Bettruhe und leichte Diät ohne Alkohol. 
Theo und Kaffee. Den Stuhl regelt man mit Kalomel. Innerlich 
gehe man kleine Dosen von Stibium tartar., die man zuerst häutig 
wiederholt. Diese üusserst akut auftretenden universellen Ekzeme 
müssen als „nervo storms“ als Neurosen aufgefasst werden. 
Aeusserllch pudert man die ganze befallene Haut dick mit Zink¬ 
oxyd und Bor ein. Häufig heilt das Ekzem unter der Antimon- 
behnndlung in wenig Tagen ab, es bleibt jedoch ein sehr quälendes 
•Tucken übrig, gegen das die üblichen Mittel machtlos sind. Manch¬ 
mal hilft eine Badekur, z. B. in Schinzrmch: bei dem akuten und 
subakuten Stadium ist die Behandlung mit Mineralbädern zu unter¬ 
lassen. Gewobnheitsmässiger Alkoholgenuss ist eine häufige Ur¬ 
sache rooidivlrender Ekzeme und sollte man stets den Alkohol ver¬ 
bieten. Intertrigo im akuten Stadium erfordert Bettruhe und 
schwache nntiseptische Umschläge, später verwendet man 
schwache Schwefelsalben. Die im Gefolge von Varicen auftroten- 
den Ekzeme werden am besten mit Zinkleim behandelt: gegen die 
chronischen Plaques, die man so oft an den Unterschenkeln findet, 
versuche man Salicyl und Resorcin. versagen diese Mittel, so gehe 
man zu Pyrogallus und Cbrysarobin (liier. 

Unter den Ekzemformen, die um die Zeit der Menopause auf 
treten, ist das akute Ekzem des Kopfes und Gesichtes woilnus am 
häufigsten (75 Proc. aller Fälle). Dieses Ekzem, sowie die Kon¬ 
gestionen, die es so oft begleiten, werden am besten bekämpft durch 
den innerlichen Gebrauch des Ichthyols. Lokal behandelt man mit 
stärkeren Schwefel- und Resorcinsalben. Sehr gefährlich ist «las 
Ekzem der Greis«*, das den Schlaf hindert, den Appetit raubt und 
durch das quälende Jucken die Kranken nicht selten zum Selbst - 
mord treibt. Das einzige Mittel, das in diesen Fällen von Nutzen 
ist, scheint Opium zu sein und man kann alten Leuten getrost 
Opium geben, selbst wenn sie sich an das Mittel gewöhnen, ist «lies 
dem quälenden Juckreiz mit allen seinen üblen Folgen vnrzuzielion. 

Sir. T. Lander Brun ton: Die Wirkung des Arsenik 
während der kürzlich beobachteten Epidemie von Arsenikver- 
giftung. (Ibid.) 


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1188 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 29. 


B r u n t o n, der als einer der Mitglieder der von der Regierung 
nach Manchester gesandten Kommission die Epidemie von Poly¬ 
neuritis genau studiren konnte, hält es für unzweifelhaft erwiesen, 
dass allein das im Bier l>etindliche Arsenik die Ursache der Er¬ 
krankungen war. Die Symptome, die auf Arseuikvergiftung zu- 
rttckzuführen sind, werden in dieser Arbeit genau geschildert, sie 
werden in digestive, kutane und nervöse eingetliellt. Neben Haut¬ 
pigment irungen und Keratosis waren Schmerzen und LiiInnungen 
die Ilanptsymptome, diese Symptome stimmen völlig mit denen 
überein, die bei der Massenvergiftung in Hyfcres (Wein) beobachtet 
wurden. 

F. J. Poynton und Alexander Paine: Weitere Unter¬ 
suchungen über akuten Rheumatismus, (lbld.) 

Im Anschluss an frühere Untersuchungen (Lancet, 22. und 
29. Sept. 1900) ist es den Verfassern gelungen, aus rheumatischen 
„nodules“ bei 2 Fällen rheumatischen Fiebers einen Diplococcus 
in Reinkultur zu züchten. Impfung dieser Reinkultur auf ein 
Kaninchen erzeugte bei diesem Pcricarditis, Entzündung der Herz¬ 
klappen und Polyarthritis; ferner gelang es. aus dem Gelenk - 
exsudat des kranken Kaninchens denselben Diplococcus wieder 
rein zu züchten. Sie halten diesen Diplococcus für den Erreger dos 
akuten Gelenkrheumatismus. Bei einem der geimpften Kaninchen 
gelang es. einen Symptomenkomplex zu erzeugen, den die Verfasser 
für Choren nnsehen. Das Thier war äiusserst ..nervös“ und hatte 
leichte Zuckungen der Extremitäten und des Gesichtes. Im Ge¬ 
hirne dieses Kaninchens fand man dieselben Diplococcen in der 
Pia rnater und in dem Endothel der Rindencapillaren. Ferner ge¬ 
lang es den Verfassern nachzuweisen, dass sowohl l>eim Menschen 
(Perieardialerguss). wie auch bei den Versuehsthiereu, die Diplo¬ 
coccen häufig in den polymorplionucleiiren Leukoeyten liegen, und 
sie halten desslialb die beim Rheumatismus vorhandene Lenko- 
oytose für ein Schutzmittel des Organismus. Auf Grund klinischer 
Erfahrungen und nach Thierexperimenten halteu die Verfasser es 
für unwahrscheinlich, dass der akute Gelenkrheumatismus eine be¬ 
stimmte Incuhationsperiode hat, meist tritt die Krankheit 2 bis 
3 Tage nach der Ansteckung auf; sehr häutig scheinen die Tonsillen 
als Eingangspforte für die Krankheitserreger zu dienen. Das 
Fieber, das die Krankheit begleitet, scheint schon vor dem Auf¬ 
treten «1er lokalen Erscheinungen vorhanden zu sein. Schliesslich 
geben die Verfasser noch ihre Beobachtungen über die Erzeugung 
von Erkrankungen des Herzens durch den besagten Diplococcus; sie 
konnten häutig ausser Gelenkorgüssen Entzündungen und Vege¬ 
tationen auf den Klappen, sowie Erweiterungen und Verfettungen 
des Muskels erzeugen. Die Arbeit ist durch einige Abbildungen 
illustrirt. 

Anthony A. Bowlby und J. F. S t e e d m a u: Ein Fall von 
perforirtem Ulcus ventriculi mit Schüttelfrösten. (Ilüd.) 

Der Fall bietet so viel des Interessanten, dass er auch an 
dieser Stelle referirt zu werden verdient. Das 27 jülirige Mädchen 
erkrankte ganz plötzlich am 13. November mit heftigen Leih¬ 
seh merzen uud Erbrechen. Am folgenden Tage schieu sie recht 
wohl, aber am 15. batte sie bald nach einander mehrere sehr heftige 
Schüttelfröste und eine Temperatur von IOC. 0 F. Zugleich wurde 
der Bauch aufgetriebeu und empfindlich. Die bald darauf unter¬ 
nommene Operation zeigte ein perforirtes Magengeschwür an der 
vorderen Wand in der Nähe der Kardla. Dasselbe wurde ge¬ 
schlossen und der Bauch durch trockenes Tupfen von Verunreini¬ 
gungen (geronnene Milch und Flüssigkeit) befreit. Der Bauch 
wurde 3 Tage lang drninlrt. I)le Recouvalescenz war gut. bis 
plötzlich am 4. Dezember wieder heftige Leihschmerzen und Uebel- 
keit auftraten. Dabei waren namentlich die unteren Partien des 
Bauches stark aufgetrieben. Eine Laparotomie unterhalb des 
Nabels ergab reichlichen blutig gefärbten Erguss in der Bauch¬ 
höhle. Fast der ganze Dünndarm war in der Tiefe des Douglas 
adhaorent und von links nach rechts ,,en masse“ gedreht, so dass 
ein grosser Volvnlus bestand. Es gelang, die Adhäsionen zu 
trennen und den Volvnlus nufzudrehen: die Därme wurden dann 
noch von 2 Divisionen aus entleert und die Bauchhöhle gauz ge¬ 
schlossen. Es erfolgte vollkommene Heilung. 

A. E. W rlglit: Ueber die Resultate der Schutzimpfungen 
gegen Typhus, welche im Jahre 1901 in Cypem und Aegypten 
vorgenommen wurden. (Ilüd.) 

Von 20*19 ungelmpften Soldaten erkrankten (iS und starb, n 10 
an Abdominaltypbus (2.5 resp. 0,4 Proc.), von 720 geimpften er¬ 
krankte 1 und starb 1 (0,14 resp. 0.11 Proc.); zum genaueren Ver¬ 
ständnis» dieser Zahlen ist noch hiuzuzufügen. dass unter den als 
ungeimpft bezeichueten 2009 Mann sich eine ganze Anzahl be¬ 
fanden. die im Jalire 1899 geimpft worden waren: da keiner von 
diesen an Typhus erkrankte, so geben die von diesem Gesichts¬ 
punkte aus lietnichti'ten Zahlen ein noch günstigeres Bild für den 
Nutzen der Impfung. 

Charles A. Bailance: Die operative Behandlung der im 
Gehirn gelegenen Abscesse. (Lancet. 25. Mal 1901.) 

Di«* Arbeit des auf dem Gebiete der Hirnchirurgie bekannten 
Verfassers würde bedeutend angenehmer zu lesen sein, wenn sie 
nicht mit poetischen Citaten gespickt wäre. Von Lucretius bis 
Chaucer. Shakespeare, Milton und Goethe hat Verfasser gesucht, 
um durch mehr weniger passende Verse diese wissenschaftliche 
Arbeit zu würzen. Als Anaestheticum wird Chloroform empfohlen. 
Morphium und das in England sonst so viel empfohlene Strychnin 
sollen vor Eröffnung der Dura nicht gegeben werden. Die Narkos > 
muss mit ilusserster Vorsicht geleitet werden, da nicht selten ganz 
unvermuthet Stillstand «1er Athmung auftritt. Zur Eröffnung des 
Knochens benutzt Verfasser nur den Trepan, die so gewouuoue 


Oeffnung wird durch Säge oder Kuocbenzange erweitert: stels 
sollte die Oeffnung so gross sein, dass auch der tiefste Punkt des 
Abscesses durch sie draluirt werden kanu. Die Dura rnater wird 
am besten durch einen Lappenschnitt eröffnet; den Abscess sucht 
resp. eröffnet man durch Einstecheu eines spitzen Bistouris. Die 
enthärte Abseesshöhle kann man mit schwachen, autiseptischen 
Lösungen auswasclien. doch müssen zuvor 2 Draluröhreu einge¬ 
führt werden, um «len völligen Rückfluss des Antiseptieuins zu ge¬ 
währleisten. Ist die Abseesshöhle gross, so empfiehlt es sich oft, 
ein Stück der Hirnrinde zu entfernen, um eine bessere Drainage 
zu ermöglichen. Die einmal gut eiugefülirten Drains lasse man 
Tage lang unberührt liegen und kürze sie nur ganz allmählich. 
Bei sehr tief liegenden Abscessen der Kleinhirns muss man zn- 
w«*ilen einen Probetroicar benutzen, stets lasse man dann die 
Kanüle sofort liegen, da es oft unmöglich ist, nach Entfernung 
derselben ein Drain einzuführeu. Während der Nachbehandlung 
achte man besonders auf «len Stuhl uud sorge durch Quecksilber 
oder Kolo«juinten mit Hyoscyamus für reichliche Entleerung. 
Hernia oerebrl ist stels eine Folge von Sepsis uud wird am best« n 
durch einen sterilen Druckverbaml laüiandelt, direkt auf das G.- 
Jiirn legt man Proteetiv oder GoldschlUgerhäutchen. Recidive 
durch Wlcderanfüllung des Abscesses oder durch Bildung eines 
neuen sind häulig, namentlich im Kleinhirn, oft wird durch die¬ 
selben eine Meningitis vorgetäuscht und die beste Zilt für eine 
Operntioil versäumt. 

Mayo Robson: Die chirurgische Behandlung des Magen¬ 
geschwürs. (lbid.) 

Obwohl dem Chirurgen vorwiegend die schwersten Fälle von 
Magengeschwür zur Behandlung überwiesen werden, so weist doch 
<li«* chirurgische Behandlung nur ein«* Sterblichkeit von 5 Proc. auf. 
während 25 Proc. der intern behandelten Fälle sterben. Man soll 
desslialb den Chirurgen häutiger zu Käthe ziehen, namentlich daun, 
wenn unter innerlicher Behandlung die Besserung nur langsam fort- 
sch reitet oder wenn buhl Recidive auf treten; als ultimum refuglum 
s«>llte «lie chirurgische Behandlung nicht dienen, da die kacliek 
tischen, halbverhungerten Kranken natürlich grosse Operationen 
schlecht vertragen. Es ist ganz unnöthig. vor der Operation länge 
Zeit Magenspülungen vorzunehmen, die wenig helfen und den 
Kranken nur schwächen. Isst der Kranke nur sterilisirte Nahrung 
und hält er den Mund und die Zähne rein, so wird der Magen¬ 
inhalt bei der Operation aseptisch gefunden. 12 Stunden vor der 
Operation gibt man die letzte Mahlzeit, 2 Stunden vorher wäscht 
man den Magen aus und 1 Stunde vorher verabreicht man ein 
Nährklysma. Kurz vor der Operation gibt man dem Kranken 
10 Tropfen Litiuor Stryelmiae subkutan, während der Operation 
wird er in Watte gewickelt. Verf. beschreibt dann die verschie¬ 
denen in Frage kommenden Operationen und erläutert sie durch 
zahlreiche Krankengeschichten. Das Magengeschwür zu entferne», 
isl meist überflüssig, zuweilen jedoch wird es uöthig. besonders 
dann, wenn sich die Blutung nicht stillen lässt o«ler wenn entzünd¬ 
liche Infiltrationen um das Geschwür (Pylorus) eine maligne Neu¬ 
bildung vortiinsclit. Meist ist die Gastro-Enterostomie angezeigt, 
sie stellt, durch Drainage den Magen ruhig und erlaubt dem <;«*- 
schwül* «lie Heilung. Er lievorzugt die hintere Operation und näht 
häufig iil«or einem dccalcinirten Knochenring. Die hintere Ope¬ 
ration schützt am sichersten vor dem ..Circulus vitiosus". Von 
40 so operlrten Kranken verlor er nur 2. Pylorophistik darf nur 
selten angewandt worden, niemals bei noch bestehender Ulcera- 
tion. da sonst rasch ein Recldlv auftritt, Fälle von spasmodlseher 
St« nose oder geringer annulärer Stenose werden zuweilen (lau¬ 
ernd g«*bessert. Verf. operirte 24mnl auf diese Weise mit 2 Todes¬ 
fällen unter den ersten 12 Operationen. Gnstrolysis oder die IJis- 
ung von Verwachsungen hat Verf. 50 mal ohne Todesfall unter¬ 
nommen. Die Dehnung «les Pylorus nach Hahn oder Loreta 
hat Verf. mehrmals ausgeführt, doch traten meist nach kurzer 
Zeit Recidive auf. 13 mal operirte Verf. wegen Snnduhrtnngens 
und heilte 12 Kranke. In 0 Fällen operirte er zur Stillung der 
Magenblutung, 5 Heilungen. Im Ganzen hat Verf. 177 Operationen 
am Magen nusgefiihrt wegen nicht bösartiger Erkrankungen des¬ 
selben und 105 Kranke gehellt (93.2 Proc.). Zum Schlüsse empfiehlt 
Verf. wariu sein Knochen,.bobbin“, über dem er näht. Es hat sich 
ln dieser grossen Anzahl von Magen-, sowie ln sehr zahlreichen 
Darmoperationen auf das Beste bewährt. 

W. J. S in y 1 y: Das untere Uterinsegment und der Contrac- 
tionsring. (Brit. Med. Journ.. 18. Mai 1901.) 

Verf. führt in «len anatomischen und physiologischen Bemerk¬ 
ungen, die dem eigentlichen praktischen Tbeil der Arbeit voraus¬ 
gehen, aus, dass es noch immer unmöglich ist. eine bestimmte De¬ 
finition des unteren Uterinsegmentes zu geben, des Theiles der 
Gebärmutter, „der vor der Geburt dem Corpus und nach ihr dom 
Cervix gleicht“. Im dritten Stadium der Gehurt muss man das 
untere Uterinsegment genau beobachten, sobald die Plnceuta den 
oberen Tbeil des Uterus verlassen hat und in das untere Segmeut 
eingetreten ist, wird dasselbe nusgedehut und kann leicht oberhalb 
der Pubes gefühlt werden, cs gleicht dann der ausgedehnten 
Blase. Der Fundus steigt zur selben Zeit über den Nabel empor 
und die Nabelschnur tritt vor die Vagina. Dies Ist die richtige 
Zeit, um die Plnceuta zu entfernen; meist y 3 Stunde nach der Ge¬ 
burt des Kindes. Erfüllt das untere Uterinsegment seine Arbeit 
gar nicht oder nur unvollkommen, so treten allerlei unangenehme 
Zufälle < in. wie zu frühes Sprengen der Blase und ungenügende 
Erweiterung «les Os. Umschliesst das untere Segment den vor¬ 
liegenden Tlieil fest, so verhindert es sowohl das Ausfliessen des 
Fruchtwassers wie auch den Vorfall «1er Nabelschnur. Bei Pla- 
eenta praevia, die ja auch im unteren Segment ihren Sitz bat. 


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16. Juli 1903. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1189 


empfiehlt Verf. das Sprengen der Eihäute und H«»nmt erziehen 
eines Kusses, sobald dies möglich ist. Die Operation soll in der 
sonst ln England nicht üblichen Rückenlage vorgenommeu werden, 
da die Seitenlnge den Lufteintritt in die Venen begünstigt. Unter 
Umstünden muss das Kind zuerst gewendet werden und geschieht 
dies am besten durch die äussere oder die bipolare Wendung nach 
Hraxton 11 l c k s. Die Vagina ist vorher nach Kräften zu rei¬ 
nigen. doch sind alle giftigen Antiseptica zu vermeiden. Die Ge¬ 
burt des Kindes wird der Natur überlassen. Hat der Kopf schon 
den Muttermund passlrt, so lege inan die Zange an, lässt das Os 
noch nicht zwei Finger durch, so lege mau einen Kolpeurynter 
ein, beide Fälle scheinen Uusserst selten vorzukommen. Bei der 
Ituptur des Uterus ist das untere Segment der am häutigsten be¬ 
theiligte Tlieil und häutig ist es die zur Wendung eingeführto 
Hand oder die Zange des Geburtshelfers, die die Ruptur herbei¬ 
führt. Steht also der Kontraktionsring in der Höhe des Nabels 
oder noch höher, ist der darülierllegende Abschnitt der Gebär¬ 
mutter hart und sind Kindestheile In ihm kaum zu fühlen, während 
der untere Abschnitt sehr gut die Tlieile durchfühlen lässt, so Ist 
die < Jefahr der Ruptur sehr gross. Zuweilen ist der Kontrakt ions¬ 
ring auch die Ursache der Dystokie und es ist nöthig. ihn durch 
Einführung der Finger resp. der ganzen Hand zu erweitern. 

Herbert R. Spencer: Die Gefahren und die Diagnose dar 
Beckenendlage und ihre Behandlung durch äussere Wendung 
am Ende der Schwangerschaft, (lbid.) 

Die Gefahren der Beckenendlage für das Kind sind ausser¬ 
ordentlich gross, viele Kinder sterben durch Kompression der Nabel¬ 
schnur (die so nahe am vorliegenden Tlieil ansetzt), durch Zer¬ 
quetschungen der Bauch- und Brustorgaue, andere werden schwer 
geschädigt durch Blutungen ln die Hoden und ln die Muskeln der 
Beine; nie sollte der „Prager Handgriff“ angewendet werden, der 
für viele Blutungen in den lvopfuicker verantwortlich zu machen 
ist; dann entstehen häufig Lähmungen im Gebiete des Plexus 
hrachialis. Kuoehenbrttche, Bünderzerreissungen; Beckenbrüche 
kommen durch die „barbarische“ Anlegung der Zange am Steiss 
vor. Sehr häufig brechen die Schlüsselbeine, wenn die Finger über 
«lie Schultern greifen, um den Kopf zu extrahiren. Die Diagnose 
der Beckenlage sollte wenn möglich stets durch äussere Unter¬ 
suchung allein gestellt werden. Fühlt oder sieht man deutliches 
Stosseu im oberen Bauchabschnitt, so liegt wohl immer der Kopf 
vor. Auskultirt man, so hört man die kindlichen Herztöne bei 
Beckenlage meist über einem Punkte, der oberhalb der Mitte einer 
vom Fundus zu den Pubes gezogenen Linie liegt. Die Seite, auf 
der man am besten hört, entspricht meist dem Kücken des Kindes. 
Die Palpation hat zuerst festzustellen, ob die Längsachse des Uterus 
der Lüngsaelise des mütterlichen Körpers entspricht, ob also das 
Kind überhaupt mit einem Pol vorliegt. Verf. gibt dann genaue Vor¬ 
schriften, wie mau den harten, ballotirenden Kopf von dem weiche¬ 
ren Steiss unterscheiden kann. Die Behandlung hat womöglich in 
frühzeitiger äusserer Wendung auf den Kopf zu bestehen. Verf. 
selbst hat häufig zwischen 7 1 /, und S‘/ 2 Monaten gewendet und von 
<i Fällen der Privatpraxis kein Kind und keine Mutter verloren. 
Nachher müssen die Schwangeren Binde tragen, auch muss von 
Zeit zu Zeit nachgesehen werden, ob das Kind noch iu Kopflage 
liegt. Die beste Zeit für die Operation ist iu der Mitte des 8. Monats. 
Bei Zwülingsschwangersehaft, plattem Becken, todtem Kinde, Pla- 
ceuta praevia und Missbildungen des Uterus ist die Wendung nicht 
statthaft. Um diese frühzeitige Wendung zu ermöglichen, müssten 
Schwangere natürlich iu den letzten Monaten der Schwangerschaft, 
häufiger untersucht werden, was aus vielen Gründen der Pro¬ 
phylaxe zu empfehlen wäre. 

A. Marmaduke S hei Id: Ueber Cysten der Brustdrüse. 
(Ihid.) 

Iin Anschluss an einige gut beobachtete Fälle setzt Verf. die 
grossen Schwierigkeiten der Differentialdiagnose zwischen tlef- 
litgcnden Cysten und Carcinomen der Mamma auseinander. Er 
empfiehlt warm die Probepunktion; handelt es sieh um eine Cyste 
mit klarem Inhalt, so kann mau versuchen, dieselbe durch In¬ 
jektion von Karbolsäure zur Heilung zu bringen, stet* schneide mm 
auf den venmitbeten Tumor ein und entferne nicht gleich die ganze 
Brust. 

E. N. N a s o n : Bemerkungen zur Analyse von 5000 Krebs¬ 
todesfällen. (Ibld.) 

Bei dem grossen Interesse, das auch in Deutschland augen¬ 
blicklich «1er Krebsstatistik eutgegengebrneht wird, sei auch an 
dieser Stelle auf diese Ariieit hingewiesen. Die 5000 Fälle betrafen 
1837 Männer und 3018 Frauen (in 145 Fällen fehlte Angabe des 
Geschlechtes). Bei der Frau werden meist Krebse des Uterus «Hier 
der Brust beobachtet, beim Manne solche des Verdnuungstmetus. 
I)k* Zunahme des Krebses unter Männern scheint viel grösser zu 
seiu als unter Frauen und liegt dies vielleicht daran, dass die 
Idagnose der Eikrankungen des Verdauungskanales eine verhält- 
nissuiässig neuere Errungenschaft ist. das« ferner von Jahr zu 
Jahr mehr Sektionen und Operationen vorgenonimen werden; alles 
dies erklärt die häufigere Erkennung des Carcinoms bei Männern 
ln der heutigen Zeit; dann sind die Resultate der Operationen au 
»len weiblichen Geschlechtsorganen weit besser geworden und viele 
krebskranke Frauen werden gehellt, so dass die Krebssterblichkeit 
unter den Frauen nicht so bedeutend zugeuommen hat wie unter 
den Männern. 

Crnwford Reu ton: Die chirurgische Behandlung der 
Appendidtis. (Brlt. Med. Journ., 25. Mai.) 

Bei der katarrhalischen Form der Appendlcitis empfiehlt Verf. 
anfänglich konservativ vorzugehen; heisse Umschläge, Mastdarm- 
eingicssungen, bei heftigen Schmerzen Morphium subkutan besei- 


seitigen meist rasch die Symptome. Nach dem zweiten Anfall em¬ 
pfehle mau eine Operation, warte aller womöglich ab. bis alle ent¬ 
zündlichen Erscheinungen zurückgegangen sind. Verf. empfiehlt den 
Einschnitt durch deu äusseren Rand des ltectus zu macheu; 1m»- 
steheu sehr schwer zu trennende Adhäsionen, so erzwinge man 
nicht die Entfernung des Wurmfortsatzes, da die Laparotomie 
allein oft. Heilung bringt. (Diese Ansicht dürfte wohl bei zahl¬ 
reichen Chirurgen auf Widerstand stossen. lief.) In vielen Fällen 
tritt aber schon heim ersten Anfall die zweite Form der App.-ndi- 
dtis auf, hei der es zur Bildung eines Exsudates kommt, stets unter¬ 
suche man vom Rectum aus, da Eiteransaiumluugen häufig sich in 
das Rectum vorwölben und durch dasselbe entleert werden müssen. 
In jedem Falle muss der Erguss eröffnet werden, sowie Fieber meh¬ 
rere Tage lang fortbesteht; die Appendix wird in diesen Fällen 
nur entfernt, wenn dies leicht möglich ist. Die Probepunkt Ion 
der Schwellung verwirft Verf. als unsicher und gefährlich. Fälle 
von gnngraonöser Appendlcitis müssen sofort operlrt werden, die 
infizirte Bauchhöhle wird gründlich ausgewaschen und von meh¬ 
reren Stellen aus drainirt. 

W. F. Adams: 206 Operationen wegen Steines. (Ihid.) 

Verfasser hat ln 2 Jahren 4 Monaten, die er in Indien ver¬ 
brachte, Gelegenheit gehabt, 200 mal wegen Steines zu operiren. 
Die Operation der Wahl ist für ihn die Litholapaxie, nur bei 
schweren Veränderungen der Blase und Nieren, bei impermeablen 
Strikturen und Del zu bedeutender Grösse oder Härte des Steines 
greift er zum Messer und zwar macht er daun die perineale Opera¬ 
tion. Die suprapuhisehe Operation scheint ihm zu gefährlich, da 
man in Indien nur schwer aseptisch operiren kann. Von 353 Litho¬ 
trypsien 1m* i männlichen Personen, deren Alter zwischen 1 y, und 
81 schwankte, starheu nur 3, von 30 perinealen Lithotomien (Alter 
zwischen 2 und 75) starben ebenfalls 3. Auch hei den kleinsten 
Knaben gelang es stets, ein Lithotr.vpter 0—8 zu passiren, zum 
Auswaschen benutzte Verfasser Kanüle 7. Bei Knaben über 
14 Jahren konnte mau stets grosse Instrumente wie hei Er¬ 
wachsenen gebrauchen. Vor der Einführung spritze man die 
Urethra voll Oel und schmiere alle Unebenheiten des Instrument, s 
mit Seife aus. 

Herbert T. Herrin g: Eine Methode zur Sterilisirung von 
weichen Kathetern. (Ihid.) 

Genaue Beschreibung und Abbildung eines sehr einfachen, 
kleinen Apparates, mit dessen Hilfe es gelingt, 12 weiche Katheter 
in 20 Minuten zu sterilisiren und zugleich mit sterilem Paraffin 
eiuzufetten und so getrennt atifzulnnvahren. Der Apparat ist be¬ 
sonders für deu Gebrauch von Kranken lM*stiinmt. die auf die Be¬ 
nutzung von Kathetern angewiesen sind und die sich leicht 12 Ka¬ 
theter sterilisiren können, elue Anzahl, die für 24 Stunden aus- 
reichen dürfte. 

Robert Win. MacKenna: Die bösartige Degeneration der 
Chorionzotten, Syncyticma malignum. (Edinburgh Medical Journ., 
Mai 1001.) 

Sehr sorgfältige Studie über diese Krankheit, gute Zusammen¬ 
stellung der einschlägigen Literatur. Verfasser hält die Krankheit 
für eine maligne Entartung der Zellen, welche die Chorionzotten 
auskleiden, die Decidua serotina wird erst nachträglich ergriffen. 
Die Retention von Plaeentarresten oder von Theilen einer Trauben¬ 
mol»» liedeutet eine ernste Gefahr für die Frau, da sich häufig aus 
Urnen ein Syncytiom entwickelt. Der Uterus ist desslmlb stets 
auszukratzen und das Ausgekratzte genau zu untersuchen, wenn 
nach Schwangerschaft, Abort oder Molenbildung Blutungen auf- 
treten. Findet man Spuren der Krankheit, so sind der Uterus 
und «lie Adnexe so bald wie möglich zu entfernen. Als Ursache 
der Zelldegeneratlon sieht Verf. ein lrritatives, bisher allerdings 
unbekanntes Toxin an, das im Blute kreist. 

Cecil H. Leaf: Eine neue Behandlung inoperabler Mamma- 
carcinome. (Ihid.) 

Besteht ein inoperabler Sclrrhus oder das Kecidi* eltes solchen, 
so will Verf. versuchen, den Krebszellen und dem Krebssafte «len 
Weg durch die Lvmphhahneu abzuschneiden und hofft er, auf diese 
Weise die Kranke vor Metastasen in inneren Organen zu bewahren 
und das Leben zu verlängern. Er benutzt dazu ein Instrument, 
das ähnlich g«»forntt ist wie die Maske eines .Tunke r’schen Chloro- 
formirungsappnmtes. Dies Instrument wird nach einem Abdruck 
der Brust gemacht und cs ist wichtig, dass ein möglichst grosser 
Ring von gesundem Gewebe um das Careinom herum mit unter 
das Instrument kommt. Nun wird durch eine Luftpumpe die Luft 
ausgesogen und dadurch sollen die Lymphgönge abgesperrt werden. 
Das Instrument, «las alle halbe Stunden wieder ausg«*pumpt werden 
muss, soll Tag und Nacht getragen werden, doch gibt Verf. zu. 
dass <li«?s unmöglich ist, immerhin hat er eine Kranke dazu ge¬ 
bracht, es 15 von den 24 Stunden zu tragen. Weder die Kranken¬ 
geschichten von 3 im Londoner Krebshospitale auf diese Weise 
behandelten Frauen noch die beigefügten Illustrationen haben den 
ltefer. für die Methode erwärmen können. 

G. A. Gibsou: Der Kremasterreflex und Ichias. (Ihid.) 

Sowohl bei schweren auf einer Neuritis beruhenden Fällen 
von Ischias als auch bei leichten sogen. Neuralgien dieser Gegend 
fand Verf. den Krcmasterreflex der befalhmen Seite erheblich ver¬ 
stärkt. Am besten ruft man den Reflex hervor, indem man auf 
den unteren, inneren Theil des Scarpa'scheu Dreiecks einen 
Druck ausübt. Da der Nervus isckhulicus timjor und der Nervus 
genito-crurnlis keine Anustomosc bilden, so nimmt Verf. an. da^s 
die Segmente des Rückenmarkes oberhalb des luiiilm-siiciiil n 
' Markes bei der Ischias iu einem Zustande ungewöhnlicher Reizbar* 
I kelt sich befinden. 


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1190 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 29. 


Free man: Entfernung der unteren Extremität und eines 
Tbeiles des Beckens wegen eines periostalen Sarkomes des 
Femur. (Annalcs of Surgery, März 1901.) 

Bol der Seltenheit mit der diese Operationen nusgeführt 
werden, sei es mir erlaubt, hier kurz auf diesen Fall liinzuweisen. 
Ks handelte sich um ein ganz enorm grosses, sehr rasch wachsendes 
Sarkom, die Operation (die der K o c h e r'sehen Methode nachge¬ 
bildet ist) gelang und es erfolgte Heilung, die über IG Monate kon- 
statirt wurde. (Befer, hat vor einigen Jahren mit bestem Erfolg * 
wogen sehr ausgedehnter Tuberkulose bei einem .">4 Jahr. Manne 
die linke Beckenhillfte snmuit unterer Extremität entfernt.) 

Edwin Bram well: Ueber Myasthenia gravis. (Scottish 
Modle, and Surgic. Jouru., Mai 1901.) 

Viele Fälle dieser Erkrankung sind unter dem Namen 
asthenische Bulbarparalyse beschrieben worden, doch ist. dieser 
Name zu verwerfen, da die Symptome durchaus nicht auf die 
Bulbärmuskeln beschränkt sind, sondern sogar Fälle Vorkommen, 
in denen die Extremitäten allein ergriffen sind. Die Prognose der 
Krankheit ist im Allgemeinen schlecht, da etwaigen Besserungen 
meist bald Verschlechterungen folgen. Die Behandlung muss im 
Fernhalten Jeder körperlichen und geistigen Erregung bestehen. 
Die Nahrung muss sehr sorgfältig zerkleinert werden, da grössere 
Bissen leicht im Halse stecken bleiben und Erstickung herbei¬ 
führen. Schwacher galvanischer Strom scheint nützlich zu sein, 
der faradische verschlechtert die Myasthenie sofort. Massage nutzt 
nichts, ebenso keines der bekannten Nervina oder Tonica. Bei 
schweren dyspnoischen Anfällen muss man künstliche Athmung 
einleiten, sie und Sa uerstoffeinat Innungen, sowie Kochsalz- 
infusionon wirken oft lebensrettend. 

Anuandale und Bruce: Ein Fall von Lam'.nsktomie 
wegen Lähmung durch Druck auf die Nervenwurzeln. (Ibid.) 

Ein 28 jähriger Mann fiel die Treppe hinunter und zog sich 
eine Lähmung der linken unteren Extremität zu, ausserdem be¬ 
stand Anaesthesie im Gebiete des 12. Thorneicus, der 3 Lumbal- 
und des 1 Sacralnerven. Später kam noch Lähmung des rechten 
Unterschenkels und Fusses hinzu mit Hyperaesthi sie der ge¬ 
lähmten Muskeln. Da nur der Bogen des 12. Dorsalwlrb.ds mög¬ 
licher Weise auf alle diese Nerven drücken konnte, so schritt man 
17 Monate nach dem Unfall zur Operation und fand nach Ent¬ 
fernung von 3 Wirbelbögen und Dornfortsätzeu, dass wirklich das 
Rückenmark durch den Bogen des 12. Dorsalwirbels deutlich ein¬ 
gedrückt und verschmälert war. Der Kranke Überstand die Ope¬ 
ration gut und nach und nach stellte sich die Funktion der ge¬ 
lähmten Theile völlig wieder her. Ob es sich um eine Fraktur 
des Wirbelbogens oder nur um clironisch-periostitische Verdickung 
gehandelt hatte, Hess sich am Präparate nieht. mehr feststellen. 

D’Arcy P o w e r: Ueber dringende Abdominalfälle, die 
während der letzten 6 Monate zur Beobachtung kamen. (Medic. 
C'hronlcle, Mai 1901.) 

Unter anderem linden sich in der recht Interessanten Arbeit 
3 Fälle von perforiroudem Magengeschwür, von denen 2 geheilt 
wurden und der dritte, weil schon moribund, nicht mehr operirt 
wurde; ferner zwei Fälle von Zerreissung der Milz, von denen 
der eine durch die Operation geheilt wurde; es gelang, den Riss 
iu der Milz zu tamponiren, als nach 3 Tagen der Tampon entfernt 
wurde, stand die Blutung und die Bauchwunde wurde völlig ge¬ 
schlossen. Im zweiten Falle wurde ebenfalls tamponirt, diesmal 
jedoch ohne Erfolg, da die Milz sehr zerfetzt war. Auch in einem 
Falle von Zerreissung der Leber gelang es, durch Tamponade des 
Leberrisses die Blutung zu stillen und die Kranke zu heilen. 

E. F. Trevel y a n: Ueber Heilung der Meningitis cerebro¬ 
spinalis. (Ibid.) 

Verf. hat zwei Fälle von Heilung dieser meist als unheilbar 
angesehenen Krankheit beobachtet. Bei ehiem 15 jährigen Knaben 
handelte es sich um einen sporadischen Fall, das IG jährige eben¬ 
falls geheilte Mädchen gehörte zu einer Epidemie von 13 Fällen, 
von denen 12 starben. 

James Kcrr: Ueber 50 Fälle von Tabakamblyopie, die im 
Jahre 1900 zur Beobachtung kamen. (Quarterly Medical Journ., 
Mai 1901.) 

Meist handelte es sich um Leute, die die in England übliche 
kurze Pfeife rauchten und etwa 3 Unzen schweren Tabaks per 
Woche gebrauchten; meist trat bald Heilung durch Aufgeben des 
Rauchens auf. 

George Lorimer: Gicht in Beziehung zu Plumbismus. 
(Ibid.) 

Von 69G typischen Gichtfällen, die Verfasser im Devonsliire 
ITospital sah, zeigten 80 (11 Proc.) Symptome der Bleivergiftung. 
Während desselben Zeit raumes wurden 772 Personen aufgeuommen. 
deren Beruf sie der Bleivergiftung aussetzte und die au Gelenks- 
verüudcrungen. aber nicht an Symptomen der Bleivergiftung litten. 
Es scheint, als wenn durch den Plumbismus der Ausbruch der 
Gicht beschleunigt werde; oft erkranken schon recht Junge Leute 
unter diesen Umständen an typischer Gicht. Der Einfluss der 
Erblichkeit macht sich bei der Gicht der Bleivergifteten sehr wenig 
geltend, verlaufen die beiden Krankheiten zusammen, so fehlt fast 
nie eine beträchtliche Verminderung der rotlien Blutkörperchen. 
Die Gichtanfälle unter diesen Umständen sind meist nicht sehr 
akuter Nahrung, sondern verlaufen meist asthenisch und führen 
bald zu chronischen Gelenk Veränderungen. Hautveränderungen 
Hilden sich bei der Gicht der Bleivergifteten nur sehr selten, ebenso 
wenig Veränderungen an den Augen. Sehr häufig sind dagegen 
Veränderungen der Gefässwäude „arterio-cnpillary fibrosis“ 
und Atherom und wohl dadurch bedingt chronisch-interstitielle 


Nephritis. Auf Grund dieser Unterschiede kann man nach Ver¬ 
fassers Ansicht wohl zwischen erworbener Bleigicht und ange¬ 
borener gewöhnlicher Gicht unterscheiden. 

J. I\ z u m Busch- London. 

Holländische Literatur. 

Prof. W. Koster: Beitrag zur Kenntniss der Ophthalmo- 
malacie. (Weekblud van hot Ncederlandsch Tydselirift voor 
Genooskunde, No. 17.) 

In dem vorliegenden Falle, in welchem alle Symptome der 
zuerst von Graefe beschriebenen sehr seltenen Erkrankung, 
auch essentielle P b t h i s i s b u 1 b 1 genannt, vorhanden 
waren, wurde schliesslich als Ursache eine feine Bulbusfistel ge¬ 
funden. 

W. J. Vetter, klin. Assistent am „Binnen-Gasthuis“, Amster¬ 
dam: Ein Fall von Situs in versus viscerum mit Komplikationen. 
(Ibidem. No. 19.) 

52 jähriger Mann mit der klinischen Diagnose: Aorteninsuf- 
flclenz, Dilatation, Mitrnlinsuflieienz, chronische Nephritis nud 
Arteriosklerose zeigte ausserdem obengenannte Abnormität. 

Prof. J. Veit-Leyden: Der Kaiserschnitt aus relativer In- 
dication. (Ibidem No. 20.) 

Während für die absolute Iudicatlon des Kaiserschnittes 
unter den Gynäkologen vollständige U ebereinst im mung herrscht, 
ist dies, so notlnvendig es wäre, für die relative Indieation 
noch bei Weitem nicht der Fall. 

Der Kaiserschnitt aus relativer Indieation 
darf überhaupt keine Mortalität geben! Diesen 
Satz will Veit zu beweisen versuchen. Die Sicherheit unserer 
Autiseptik und die Verbesserung der Technik haben diese Ver¬ 
änderung in unserer Auffassung über den Kaiserschnitt be¬ 
wirkt. Je besser also die statistischen Resultate, desto aus¬ 
gedehnter die Indieation für die Operation. Verfasser hat 
darum auch, als er zum dritten Male mit Olshausen die 
Herausgabe des S c h r ö d e r’sehen Lehrbuches leitete, in Ueber- 
einstlmmung mit Diesem iu genanntem Werke die Definition dev 
Indieation etwas geändert. Der Satz, der früher lautete: „Wenn 
das Kind lebt und die Entbindung auf natürlichem Wege ohne 
Opferung des kindlichen Lebens nicht möglich ist, u u d w e n n 
die Mutter die Operation wünsch t“. Ist jetzt ver¬ 
ändert in: „wenn das Kind lebt und wenn die Geburt nicht mög¬ 
lich ist ohne Operationen, welche die Frucht verkleinern und 
tödteu. Die Indieation wird hauptsächlich durch 
den Arzt gestellt.“ Der Geburtshelfer hat also iu erster 
Linie zu bestimmen, was geschehen soll, selbstverständlich immer 
mit Einwilligung der Mutter, — er hat dann aber auch die volle 
Verantwortung zu tragen. Er muss daher in einem bestimmten 
Falle sicher sein, dass die Prognose für Sectio caesarea günstig ist 
und muss beurtheilen können, wovon dieselbe abhängt. Bevor 
dies näher ausgeführt wird, bespricht V. einige Punkte der von ihm 
geübten Technik. Er zieht die Schleie h’sche Lokalanaesthesie 
der Chloroformnarkose vor und hat diese bereits 4 mal angewandt. 
Gründe: Der nachtheilige Einfluss des Chloroforms auf die Uterus¬ 
kontraktionen wird ausgeschlossen, die Vorbereitungen zur Ope¬ 
ration werden abgekürzt und man braucht weniger Assistenz. 
Kr sieht ferner ab von einer Eventratiou des Uterus und glaubt 
dadurch die Autiseptik sicherer zu gestalten. Entgegen dem Vor¬ 
schläge von Fritsch, die vordere llteruswand o.uer eiuzu- 
schneiden, gibt er dem medianen Längsschnitte den Vorzug. 

Die Gefahren des Kaiserschnittes bestehen in der drohenden 
Blutung und der Infektion. Erstere war iu seinen ope- 
rirten Fällen niemals bedenklich, immerhin soll man mit der Ope¬ 
ration warten, bis Wehen vorhanden sind. Die drohende Gefahr 
der Infektion zwingt uns vor Allem, Kaiserschnitte, wenn irgend 
möglich, nur ln den Kliniken nuszuführen und solche in 
Privatwohnungen möglichst zu vermeiden. Obwohl die Frage 
der Autoinfektion noch nicht gelöst ist, hält Verf. doch eine Vagina, 
die nicht entzündet ist und während der letzten 3 Wochen vor der 
Operation nicht von fremden Händen berührt wurde, für ungefähr¬ 
lich. Er nimmt daher die Schwangeren schon 3 Wochen vor der 
Niederkunft in die Klinik auf und enthält sich während dieser 
ganzen Zeit jeder vaginalen Untersuchung. Von den lm Ganzen 13 
von ihm aus relativer Indieation ausgeführten Kaiserschnitten 
wurden 11 auf diese Weise ohne Todesfall zu gutem Ende gebracht. 
Verf. schliesst seine Ausführungen, die sich auch auf die Bespre¬ 
chung der künstlichen Frühgeburt, die Symphysiotomie und Per¬ 
foration erstrecken, mit dem Satze: Der Rath zur Sectio 
caesarea mit relativer Indieation muss schon 
während der Schwangerschaft gegeben werden. 

Dr. G. van Wayenburg und Dr. MacGillavry : 
Hirntumor, Operation, Heilung. (Ibidem. No. 23.) 

35 jährige Virgo, seit einem Jahre leidend an Kopfschmerzen, 
Brechen, Bewegungsstörungen in Annen und Beinen. Vergesslich¬ 
keit, wechselnder Stimmung, zuweilen Schwindel, zeigt bei Auf¬ 
nahme folgende Symptome: Bewegungsstörungen im rechten Arm 
und Bein, Pharynxanacsthesie, erhöhtePatellarreflexe, aufgehobene 
Plantar- und Bauchreflexe. Nach Hg-Kur leichte Besserung, die 
aber nicht anhielt. Später traten auf: Angstanfälle. Selbstanklagen 
etc., Stauungspapille. Muskelsinnstörung» n. Die Diagnose lautete 
auf: Tumor cerebri der linken motorischen Rlndenregiou, medial 
begrenzt durch den Sulcus longitudinalis, nach hinten durch den 
Gyrus postcentralis, nach unten durch das unterste Viertel des 
Sulcus Rolaudl, nach vorn übergreifend zum Vorderhirn. Ope¬ 
ration durch Dr. MacGillavry nach vorhergegangener Tri- 


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16. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1191 


iiujrulatlon nach der Methode von Winkler. Der rothe. welche 
Tmnor (Saikom) liest zwischen Dura und der durchwes intakten 
Pia in dem durch die erste und zweite Frontnlwinduns und den 
Gyrus praecentralis geformten Winkel. Er wird mit dem Finger 
stumpf abpräparirt und entfernt. Schon eine Stunde uaoh der 
Operation tritt eine vollständige Restitutio ad integrum ein. 

G. W. J. lVestermann: Mittheilung über einen Fall von 
Invagination des Processus vermiformis. (Ibidem. No. 24.) 

Es handelte sich um ein 0 jähriges Mädchen mit recidivirender 
Intussuseeption. Durch Operation wird der grösste Theil des 
Kolon ascendens. das Coecum und ein Stück des Ileum entfernt, 
bas Präparat besteht aus 20 cm Dünndarm und 15 cm Dickdurin. 
Die geschwollene und blnurothe Schleimhaut des Dickdarmes zum 
Theil von der Unterlage losgelöst. Submueosa und Museulnris 
o*dematös. erstere mit Pseudomembranen bedeckt. Die Valvula 
Katiliini stellt offen und ragt trichterförmig ln das Cot eum hinein. 
Der Processus vermiformis ist umgestülpt und ragt ebenfalls in 
das Coecum hinein. Er ist G cm lang und von der Dicke eines 
Zeigeli ugers. 

Ein Fall von Invagination des Processus vermiformis ist wohl 
bis jetzt noch nicht in der Literatur vermeldet. 

Prof. W. Koster: Ein Fall von Conjunctivitis patriflcans. 
(Ibidem, No. 22.) 

Der erste Fall in der Holländischen Literatur von dieser von 
Leher beschriebenen seltenen Augenaffektion. 

L. M. Metz und Dr. II. J. Lyckla m a a N y e li o 11: 
lieber die sogenannte Gasphlegmone. (Mittheilung aus dem 
Krankenhaus am Coolsingel. Rotterdam.) (Ibidem. No. 23.» 

Die Kasuistik dieser seltenen Komplikation wird liier um 
weif* re G Fälle vermehrt. 

I>r. dir. Fohmers: Parametritis aktinomvcotlca. (Aus 
der gytiiiknlog. Klinik zu Leyden.) (Ibidem, No. 2(5.) 

Nachdem vor IS Jahren Zeman n den einzigen bisher be¬ 
kannten Fall von Parametritis aktinomycotiea veröffentlicht Int 
iMedizinische Jahrbücher 1SS3). werden hier 2 weitere mitgetlieilt. 
der eine von 1S97. der andere von P.HH. Der ersten* endigte nach 
langer l>auer letal, im zweiten ist zwar seit der Operation der 
Turner verschwunden, doch besteht z. Z. noch zuweilen Fieber 
und scheint die Erkrankung noch nicht behoben zu sein. 

^ 1 Dr. Scliloth - Bad Brückenau. 

Inaugural-Dissertationen. 


10 . 

11. 

12 . 

13. 

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15. 


17. 

18. 

19. 

20 . 


Universi tät Berlin. Ende März bis Juni 1901. 

S e li u 1 z c Ilans: l'eber moral insanity. 

Wunsch Max: Multiple congenitale Kontrakturen. 

F 1 e m ni in g Otto: Haemorrhagische Apoplexie. 

J o s 1 p o w 1 c 1 Simon: Die Grenzen der normalen Körper¬ 
temperatur des Menschen nach oben und unten. 
Lipliawsky Semjon: Neuroinyosltis et ataxia alkoholica. 
nirsch Max: Ueber den Transport von ansteckenden 
Kranken in Berlin. 

Borcbert Friedrich: Beiträge zur Lungenchirurgie. 

Appel Johannes: Die Ergebnisse der baeteriologischcn 
Untersuchung pleuritischer Exsudate und deren diagnostisch« 
und therapeutische Bedeutung. 

M e n d e 1 8 o n Alfred: Ueber vaginale Exstirpation bei Tubar- 
gravidltiit. 

Franke Ernst: Behandlung und Ausgänge von 44 Depres- 
sionsfrakturen am Schädel aus der chirurgischen Universitäts¬ 
klinik zu Berlin. 

Jab lotse hkoff Georg: Statistische Beiträge zur Aetiologlj 
des Diabetes mellitus und iusipidus. 

Löwen sohn Meische-Wolff: Der Kumys und seine An¬ 
wendung liei der Lungentuberkulose. 

L1 b 1 n Wladimir: Die Facialisliihmung bei Neugeborenen. 


Universität Bonn. Juni 1901. 

19. Trautmann Heinr.: Myom und Schwangerschaft. 

Universität Erlangen. Mai und Juni 1901. 

11. Herbst Julius: Zur Kasuistik der Defekte in der Ventrikel 
Scheidewand des Herzens. 

12. Uohland Karl: Ueber den Nachweis von Blut (Blutfarb¬ 
stoff) in Sekreten und Exlcreten des menschlichen Körpers, so¬ 
wie in forensischen Fällen mit Hilfe der Alm 6n- Schön - 
b e i n’schen Reaktion. 

13. Rank Bodo: Ueber einen Fall von geheilter Ilydro-Pyo- 
uephrose. 

Universität Freiburg i. B. Juni 1901. 

16. Abraham Karl: Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des 
Wellensittichs (Molopsittacus undulatus). 

17. Luxenhofer Jos.: Seltenere Komplikationen bei Masern. 

Universität Giessen. Juni 1901. 

24. Löh rer Hermann: Ueber Verletzungen der Lider und 
Thnineuorgane, mit besonderer Berücksichtigung der Thrilnen- 
sackverletznngen. 

25. Lommel Fritz: Ueber angeborene Irisanomalien (Reste der 
Pupillarmembran. Villositates congeultae strati retinalis). 

26. Sweet J. Edwin: Die Mischgeschwülste am unteren Ende 
des Urogenitalapparates der Kinder. 

27. Hohn Joseph: Beitrag zur Exstirpation des Ganglion Gasseri. 

28. Sch link Nicolnus: Ein Beitrag zur Kasuistik der Augen- 
erkrankuDgen bei Diabetes mellitus. 


Universität Greifswald. Juni 1901. 

24. Brodbeek Carl: Ueber Fettembolie. 

Universität Halle. Juli 1901. 

24. D6r6koff Nicolaus: Ein Beitrag zur Keuutuiss der circum- 
scripten M uskeigmnmatu. 

25. Fr lt sehe Ernst: lieber Sanduhrmagen. 

2(5. Kachlet* Martin: lieber Fremdkörper In den Luftwegen. 

27. Martin Ernst August: Zur Pathologie der Placenta. 

28. W111 e Georg: Ein Fall von Chyluserguss in Brust- und 
Bauchhöhle. 

Universität Heidelberg. Mai 1901: Nichts erschienen. 

Juni 1901. 

9. Hof fner Carl: Schwangerschaft «Veränderungen ausserhalb 
der Genitalsphäre. 

Universität Jena. Juni 1901. 

12. Bode Alfred: Beitrag zur Lehre vom Hydroceplialus internus. v 

13. Werner Carl: Zur Aetiologie der Spitzentnberkulose. -—\- 

14. ,T aehne Arthur: l'eber diabetische und senile Gangrncti. 
insbesondere über den Ausgang der Amputationen nach der¬ 
selben. 

15. Nitzsche Ernst: Beiträge zur Kenntniss der Augen¬ 
erkrankungen bei Diabetes mellitus. 

Universität München. Juni 1901. 

53. Kuschel Richard: l’eber Resultate bei Nervennähten. 

54. Jeggle Caspar Max: Ueber die Wirkung des Chelidotiium 
majus hei Carcinom. 

55. Ra mis Ibrahim Ali Bey: Zur Kenntnis« der akuten geilten 
Leiteratrophie, insbesondere der dabei beobachteten Regenera¬ 
tion «Vorgänge. 

50. II a n s Adolf: Zur Kasuistik der Skrotalgangraen im Anschluss 
an Urethritis. 

57. B o d e n s t e i n e r Friedrich: Beitrag zur Kenntniss d-s 
Morbus Basedowii. 

58. Grnshc y Rudolf: Ueber Verbrennungen. 

59. Wies Hans: Prognose der Hasensehartenoperationen (Bei¬ 
trag zur Statistik der Hasensehartenoperationen der chirur¬ 
gischen Klinik München). 

(k*. Bock F.: Die kroupöse Pneumonie auf der 1. med. Klinik 
und Abtheilung des Herrn Gelieimraths v. Ziemssen in den 
Jahren 1892— 05 inel. 

61. Wiedemann Albert: Typhus abdominalis auf der I. m?di- 
cinisclieu Klinik und Abtheilung des Herrn Geheimraths 
v. Ziemssen in den Jahren 1895 mit 1899. 

02. Maier Max: Ueber Darmblutung bei Abdominaltyphus. 

Eine Statistik der in den Jahren 1880—9G auf der I. med. Klinik 
beobachteten Fälle. 

63. Fischer Carl: Ein Fall von Kugelthrombus. 

04. B o 11 y Joseph: Ueber einen Fall von Wirbelfraktur mit sekun¬ 
därer Rückeiimarkslaesion. 

05. Noll Ludwig: Zur Differentialdiagnostik traumatischer Ver¬ 
letzungen des Conus medullaris und der Cauda equina. 

00. Oberreit Fritz: Ein Fall von Horncysten nach miliar¬ 
papulösem Syphilid. 

07. Peltz Kurt: Die Krankheiten der Leiter und der Gallenwege 
auf der I. med. Klinik und Abtheilung des Herrn Gehelmrath 
v. Ziemssen in den Jahren 1890—95. lncl. 

08. Laufen b e r g Jakob: Ueber eine Dermoidcyste am Sternum. 

09. Kost Paul: Ein kryptogener Fall von idiopathischer Hcrz- 
liypertrophie. 

70. Weinberg Rudolf: Ueber primäre Sarkome des Magens. 

71. Scliloed er Karl: lieber freie Gelenkkörper. 

Universität Bostock. Mai—.Juni 1901. 

9. Bernsdorf Alfred: Die Schwankungen des Grund Wassers 
und der Grundwassertemperaturen während der Zelt vom 
Sept. 1899 bis Dez. 1900 nach den Beobachtungen im hygie¬ 
nischen Institut zu Rostock. 

10. Beulshausen Friedrich: Zur Kenntniss der Ursache des 
Klebrig werden« von Brot. 

11. Hübner J.: Zur Pharmakologie des Kobalts mit besonderer 
Berücksichtigung seiner Verwendung als Gegengift hei Blau¬ 
säurevergiftung. 

12. Simonis Adolf: Statistische Untersuchungen über die Di¬ 
phtheriebewegung in Rostock von 1884 bis 1895. 

13. Vietinghoff-Scheel. Eduard Frhr. v.: Ein Beitrag 
zur experimentellen Erforschung der Wirkung und des physio¬ 
logisch-chemischen Verhaltens der Oxalsäure und ihres neu¬ 
tralen Natriumsnlzes. 

14. Keil Albert: Ueber die sogenannte „Körnige Entartung“ der 
rotlien Blutkörperchen bei Vergiftung mit Blei, Thallium, 

Kupfer. Kobalt. Arsen und Kohlenoxyd. 

15. Lau Carl: Ueber vegetabilische Blutngglutlnine. 

10. Pro sch Gustav: Beiträge zur Kasuistik und zur Lehre der 
ektopischen Schwangerschaft. 

Universität Strassburg. Juul 1901: Nichts erschienen. 

Universität Tübingen. Juni 1901. 

14. Arnos Julius: Ueber vaginale Ovariotomie. 

15. Haarland Max: lieber Bindehauttransplantation. _v 

1(5. Gross Paul: Ueber stricturirende Darmtuberkulose. —- 

17. Hartmann Adolf: Ein Fall von tuberkulöser Darmstenuse. — - 


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1192 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


18. Hayil Heinrich: Ein Full von chronischer halbseitiger Bulbäv- 
parnlyse. 

11). Henk e Otto: Ein Beitrag zur Kasuistik der sympathischen 
Ophthalmie. 

20. M u nd t Richard: Ueber Careinoinentwiekelung in Fihro- 
myoinen des l’terus. 

21. Sigel Julius: Bemerkungen zu den blindenstatistischen Ar¬ 
beiten aus der Ttiblnger Kliuik. 

22. Sigwa rt Walter: lieber die Einwirkung der proteolytischen 
Fermente Pepsin und Trypsin auf Mllzbrandbacilleu. 

23. Wulff Alfred: lieber die Iteductionsfühigkcit der Bacterien 
einschliesslich der Aunerobien. 


Vereins- und Congressberichte. 
Berliner medicinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 10. Juli 1901. 

Herr William Levy demonstrirt einen neuen transportablen 
Fusshalter. 

Herr Alexander stellt einen Manu vor, bei dem eine 
starke Verwölbung des linken falschen Stimmbandes zu scheu 
ist. welche durch exspirntorisehen Lnftelntritt in den Sinus 
Morgagni zu Stande kommt, dessen Appendix in Folge einer alten 
hietischen Narbe sackförmig erweitert ist. Itechts dieselbe Ab¬ 
normität in sehr geringem Maassc. 

Tagesordnung: 

Besprechung einer internen Vereinsangelegenheit. 

Dr. S e e k 1 m a n n. 


Verein für innere Medicin in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 8. J u 1 i 1901. 

Herren Michaelis und Jacob zeigen die Präparate eines 
Falles von Endocarditis ulcerosa gonorrhoica aortica, der schon 
während des Indiens als solcher dingnosticirt war, und in dem auch 
die Züchtung der Gouococcen aus den Auflagerungen der Herz¬ 
klappen gelang. Die Diagnose gründet sich auf die besondere 
Form und häufig intracelluläre Lagerung der Coccen, die Eutfärb- 
barkeit nach Gram und die Kulturfähigkeit nur auf bestimmten 
Nährböden. Der Fall verlief in kaum 2 Monaten nach dem iu- 
fizlrendeu Coitus letal. Seit dem ersten derartigen Fall, den 
v. L eyde n 1893 vorstellte, sind etwa 5!) Fälle bekannt gewordeu. 

Herr A 1 b u stellt einen Fall von Carcinoma ventriculi vor. 
Die vierjährige Dauer der Beschwerden Hess au eine gutartige Ge¬ 
schwulst denken, die Operation durch Lcxer ergab aber ein 
faustgrosses Adenocnrcinom. Gegenüber vielfach noch vor¬ 
handenen Anschauungen betont A1 b u, dass Sarelne im All¬ 
gemeinen nur bei gutartigen Stenosen im Mageninhalt zu finden ist. 

S t r a u s s bestreitet dicB. 

Herr Gerhardt zeigt ein von Ta 11 qu ist in Kuno- 
1» e r g's Klinik eingeführtes Verfahren, den Haemoglobingehalt 
des Blutes zu bestimmen. Ein Blutstropfen wird auf ein Filtrir- 
papier bestimmter Art gebracht und seine Farbe mit der einer bei¬ 
gegebenen, sorgfältig hergestellten Farbeuskala verglichen. Die 
Methode soll für die Sprechstunde durchaus genügen, ist aber nur 
bei Tageslicht brauchbar. 

Herr Alfred Rothschild: Beitrag zur Kenntniss ge¬ 
rinnselartiger Gebilde im Urin. 

Ein 59 jähriger Mann schied mehrmals nach voraufgegangener 
Haematuric gerinnselnrtige Gebilde mit dem Urin aus. Die Ge¬ 
rinnsel hatten die Länge eines kleinen Fingers, entsprachen in der 
Dicke etwa dem Ureter, waren glasig durchscheinend und sehr 
elastisch. Erst spät konnte ein Niereutumor gefühlt werden. Die 
Operation ergab ein Kleseuzellensarkom am oberen Pol der Niere, 
in die Geschwulst waren gerinnselartige Gebilde? eingelagert. eben¬ 
so in den sehr erweiterten oberen Theil des Ureters. Die chemische 
Natur der Gebilde konnte nicht sicher festgestellt werden, aus 
Fibrin bestanden sie nicht. 

Herr Lippmann: Ueber einen Fall von traumatischem 
Scharlach. 

Ein klüftiger Knabe erhielt bei einer Schlägerei einen heftigen 
Schlag auf die* linke Wange. Darauf Kopfschmerzen, am nächsten 
Tage hohes Fieber, schliesslich follikuläre Angina, typisches Scliar- 
lachexnntlietn, das auf der linken Seite begann. Abheilung unter 
starker Schuppung. Eine Ansteekuugsgelegeuhelt war nicht eruir- 
bar, mul Verfasser nimmt an, dass dieser Scharlach ausgegangen 
ist von einem latenten Herde in der linken Tonsille, den der Knabe 
von einem früher sicher Uberstandenen Scharlach zurückbehalten 
batte. Das Trauma hatte die Mobilisirung des Herdes veranlasst. 

J a p h a - Berlin. 


No. 29. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 6. März 1901. 

Vorsitzender: Herr C. Fraenkel. 

Herr Braunschweig: Ueber kombinirtes Empyem 
der Gesichtshchlen, mit Krankcnvorstollimg. (Der Vortrag er¬ 
scheint an anderer Stelle dieser Nummer.) 

B e s p r e r h u n g: Herr Leser fragt an. oh der Vortragend;* 
sein Verfahren für alle Empyeme der Stirnhöhle oder nur für 
solche empfohlen wissen wolle, die in die Augenhöhlen vorbrechen, 
und betont, dass sich auch ihm sehr sorgfältiges Vorgehen und 
breite Eröffnung jedes Itecessus, die zuweilen mehrfach vorhanden, 
unbedingt nütliig zum endgiltigeu Ausheilen dieser Processe ge¬ 
zeigt halte. 

Herr B r a u n s e h w e i g beantwortet die Finge des Vor¬ 
redners dahin, dass er sein Verfahren vorzüglich für korubinirte 
Empyeme empfehle. 

Herr R a m m s t e d t glaubt, dass man im Allgemeinen mit 
der einfacheren Art der Operation nuskommen könne, nämlich mit 
Aufmeisselung der unteren Stirnhöhlen wund; wenigstens sprächen 
dafür die Erfahrungen der chirurgischen Klinik. 

Herr Frese: 2 Fälle von Lepra, mit Krankenvorstellung. 

Vortragender gibt einen kurzen historischen Ueberblick über 
das Auftreten der Lepra und bespricht dann ihre verschiedenen 
Erscheinungsformen, ihre pathologische Anatomie und Aetiologie. 
Tm Anschluss daran erfolgt die Vorstellung der beiden an Lepra 
leidenden Kranken. Es handelt sich um eine 37 jährige Frau uml 
ihren 13 jährigen Sohn. Dieselben sind aus Surabaya auf Java 
gebürtig: ersten* entstammt einer Miseblingsfamilie. Der Vater 
des Knaben ist Deutscher und ebenso wie ein älterer Bruder des 
Patienten gesund. Die Familie ist vor 5 Jahren von Java nach 
Merseburg (Prov. Sachsen) iiliergesiedelt, wo die Erkrankung der 
Frau, die bereits in Java begonnen hatte, erhebliche Fortschritte 
gemacht hat. Zur Zeit bietet Patientin vorwiegend das Bild einer 
Lepra tuberosa dar, doch finden sich auch ausgedehnte Seusibili- 
tätsstöruugen au Beinen und Annen. Temperatur- und Schmerz¬ 
sinn sind dabei stärker geschädigt als die Tastempfindung. Der 
Knabe ist wahrscheinlich erst in Deutschland von seiner Mutter 
iutizirt worden. Er leidet an der maculo-anaesthetischen Fonn der 
Lepra. Seit 2 Jahren haben sich allmählich Muskelatrophieu uml 
Sensibiiitätsstörungen au den Hiimlen ausgebildet. Seit % Jahren 
bestellt ein maculüses Exanthem, das am stärksten im Gesicht aus¬ 
geprägt ist. Die Feststellung der Natur der Erkrankung erfolgte 
Anfang dieses Jahres und führte zur Ueberweisung der beiden 
Patienten an die medicinische Klinik zu Halle. Bel der Frau 
fandeu sich zahlreiche Leprabacillen in den theilweise zerfallenen 
Gesichtsknoten, ausserdem waren sie im Blute nachweisbar; hier 
lagern sie stets zu Häufchen zusammengeballt und waren regel¬ 
mässig grossen e 1 n kernigen Zellen au- resp. eingelagert. Das 
Protoplasma der letzteren enthielt keine Granulationen und batte 
sehr undeutliche Ivontouren. Bel dem Knaben waren lepröse Ge¬ 
schwürssekrete nicht vorhanden. Weder in 2 excidlrten Haut- 
stückchen, noch im Inhalt künstlich erzeugter Hautblasen noch 
endlich im Exantlicmblut konnten leprabacillen nachgewiesen 
werden. Erwühnenswerth ist bei beiden Kranken dasBesteben einer 
erheblichen polyuueleören neutrophilen Leukocytose. Bel dem 
Knaben fandeu sicli 14 500. bei der Frau sogar 32 800 Leukocyten 
im Kubikmillimeter (bei Letzterer betrug Hb nach Fleischt 
— 40 Proc.. N = 2 930 000). Bei der Frau bestand eine leichte 
chronische Nephritis. Im spärlichen Urinsediment waren niemals 
Leprabacillen nachweisbar. Fieber war bei beiden Kranken nicht 
vorhanden. 

Auf ministerielle Verfügung hin erfolgt in den nächsten Tagen 
die Uelierführung der beiden Patienten in das Lepraheim bei 
Memel. 

Bes p rech u n g: Herr C. Fraenke 1: An der Kontagiosl- 
tät der Krankheit könne man nach manchen in der Literatur 
niedergelegten Beobachtungen, die geradezu den Charakter eines 
Experimentes tragen, nicht mehr zweifeln; auch die Einschleppung 
der Lepra in unserer Zeit nach den Sandwichinseln und dem Ivap- 
lande durch eingewanderte Chinesen und Indier spräche ganz in 
dem gleichen Sinne. Immerhin sei die Ansteckungsgefahr aber 
doch eine relativ recht geringe, und es bedürfe jedenfalls einer 
hochgradigen Empfänglichkeit, um die Lepra zu ncquirlren. 

Was die Frage der Verbreitung der Leprabacillen im Gewebe 
angehe, so sei die von den hervorragendsten Sachverständigen 
längere Zeit bestrittene Ansicht von Unna, dass die Bacterien 
nicht In den Zellen, sondern in erweiterten Lymphgefässen ihren 
Sitz hätten, nach neueren Untersuchungen für manche Fälle doch 
wohl zutreffend. Es finden sich eben beide Möglichkeiten ver¬ 
wirklicht. 

Herr Seeligmüller hat in dem Vortrage des Herrn F r e s e 
die Erwähnung der M orva n'sehen Krankheit vermisst, welche 
in Küstenländern, z. B. in der Normandie, keineswegs selten be¬ 
obachtet wird und wohl mit der Lepra identisch ist. obwohl die 
Differentialdiagnose von Syringomyelie, wenigstens in den Au- 
fangsstadlen der Krankheit, einige Schwierigkeiten hervorrufen 
kann. 


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16. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1193 


Herr v. Mering wirft die Frage auf, ob man nach dem 
neuen Reichsseuchengesetz eine Verbringung der Kranken in das 
Lepraheini bei Memel auch gegen ihren Willen erzwingen könne. 

Herr R 1 s e 1 führt aus der Literatur noch einige besonders 
beweisende Fälle auf für die Uebertragbarkeit der Lepra und be¬ 
richtet ferner über die Scliicksnle der im Mittelalter in Halle be¬ 
findlichen Leproserie. deren Reste als Gebäude bis zum Jahre 1S."»0 
bestanden. ' • 

Herr Fraenkel ist der Meinung, dass die von Herrn 
v. Mering gestellte Frage ohne Zweifel bejaht werden müsse. 
Das Reichsseuchengesetz gebe uns die Möglichkeit, gerade Lepra¬ 
kranke dem Hospitnlzwange zu unterwerfen, und daraus leite sich 
mit logischer Konsequenz die weitere Folgerung ab, dass das be¬ 
treffende Hospital auch die nötldge Gewähr gegen eine weitere 
Verschleppung der Affektion biete. Das treffe aber in diesem Falle 
nur für Memel zu und danach müsse in diesem Sinne auch in der 
Praxis verfahren werden. 

Die Syringomyelie und ebenso auch die M o r v a n’sche 
Krankheit haben nach dem Ergebniss der neueren einschlägigen 
Forschungen mit Lepra nichts zu thun. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 25. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Lenhartz. 

I. Demonstrationen: 

1. Herr Wiesinger spricht unter Demonstration von 
2 Patienten ül>er die Dauerresultate nach totaler Dannausschal¬ 
tung. Bei beiden Patienten liegt die Operation etwa 0 Jahre zu¬ 
rück. Beim 1. Fall — 17 jähriges Mädchen, tuberkulöser Tumor 
coeci mit Stercoralflstel — war die Resektion wegeu Verwachsung 
der Dannselilingeu unmöglich und wurde daher die totale Aus¬ 
schaltung so ausgeführt, dass das Ucum in der Nähe des Coecum 
durchschnitten, der distale Theil verschlossen, der proximale 
axial in das ebenfalls durchschnittene Colon trnnsversum, und zwar 
in dessen distalen Theil eiugenäht wurde. Die Kothlistel, durch 
welche die ausgeschaltene Schlinge mit der Aussenwelt eommuni- 
cirte, entleerte bald nur etwas glasigen Schleim und besteht noch 
Jetzt, ohne die Trägerin zu geniren. Der Coecaltumor Ist fast ganz 
verschwunden. Patientin ist dauernd wohl und hat sich inzwischen 
verheirathet. 

Fall 2. 31jährige Frau. Ausschaltung des Colon trausversum 
et descendens und eines Theils der Flexuru sigmoiden wegen chro¬ 
nisch-entzündlicher Zustände dieser Darmtlieile. Totale Occlusion 
1 y 2 Monate nach der Ausschaltung, nachdem inzwischen die Se¬ 
kretion durch Spülungen minimal geworden ist. Verbindung des 
Colon ascendens mit der Flexura sigmoiden. Seitdem völliges 
Wohlbefinden. Gewichtszunahme, Arbeitsfähigkeit. Der Fall ist 
um so bemerkenswerther, als er der einzige in der Literatur vor¬ 
handene ist, bol welchem so lange (<> Jahre!) totale Occlusion be¬ 
steht. Die 3 anderen bekannten Fälle mit primärer Occlusion 
sind aus verschiedenen Gründen aus dieser Kategorie wieder aus- 
gesthieden. 

2. Herr Franke bespricht und demonstrirt au 2 Männern 
die Westphal-I* ilt z'schen Pupillenphänomene, die in einer 
Verengerung der Pupille bei Orblcularlsschluss und 
Orbicularisspannüng bestehen und die man am besten 
bei träge reagirenden, weiten oder mittelweiten Pupillen beobachtet. 
Bei Gesunden ist die Erscheinung selten. Bei Kranken ist die para¬ 
doxe lteaction ganz häufig zu bemerken. West p li a 1 und Piltz 
haben Anfang 18!)!) fast gleichzeitig auf dieses Symptom hin- 
gewiesen und statistische Belege darüber gegeben. 

II. Vortrag des Herrn Sinell: Geistig zurückgebliebene 
Kinder und ihre Behandlung. 

Vortragender gibt einleitend eine Reihe von Definitionen 
fiir Idiotie und Jmbecillität, wie sic von alten und modernen 
Psychiatern aufgestellt sind. Idiotie ist von geistiger Schwäche 
zu trennen. In der ersten Gruppe findet man idiotisch-blöd- 
sinnige und idiotisch-bildungsfähige Individuen. In Bezug auf 
Prognose (quond sociale Stellung) und Therapie verhalten sich 
beide llnuptgTupiK-n fast gleich, ebenso ist das somatische 
Moment nicht in differentiell-diagnostischer Weise zu verwerthen. 

I nter Idiotie ist eine angeborene oder in früher Jugend er¬ 
worbene chronische Gehimerkrankung zu verstehen, die wohl die 
Erwerbung von Sinneseindrücken, nicht aber die selbständige 
Bildung von AllgemeinbegrifTcn gestattet. Die daraus resultircn- 
den Störungen betreffen das motorische, sensorielle und intellce- 
tuello Gebiet. Nur die Prüfung des Intelleets gibt differentiell- 
diaimostisehe Anhaltspunkte zwischen Idiotie und geistiger 
Schwäche, zwischen welchen, wie Vortragender hervorhebt, selbst¬ 
redend fliessende ITebergänge Vorkommen. Das sieht man vor 
Allem in den sog. Hilfsschulen für geistig zurückgebliebene 
Kinder. Sehr wichtig ist die frühzeitige Erkennung dieser Zu¬ 
stände, da eine frühe Erziehung naturgemäss sehr wichtig ist. 
AI« Frühsymptome erwähnt Vortragender, dass solche Kinder 
schlecht saugen, viel schreien, grosse Unruhe oder eine auffallende 


Indolenz zeigen, bisweilen blind und taub sind, bisweilen auch nur 
so scheinen. Unter Imbeeillität ist nicht ein geringer Grad von 
Idiotie zu verstehen. Unter den Imbecillen findet man häufig 
moralisch Defekte, antisoeiale Elemente. Wichtig ist für die 
Prüfung eines geistig zurückgebliebenen Individuums der vor¬ 
handene Grad der Aufmerksamkeit, ob sie spontan oder an- 
erzogen; ferner der Farbensinn, die Hörfähigkeit, die oft nur 
scheinbar schlecht ist, weil die Aufmerksamkeit fehlt, weiter der 
Tast- und Geruchsinn. Das mangelhafte Muskclgefühl ist die 
Ursache für die motorische Schwäche, die Ungeschicklichkeit 
mancher Idioten. In somatischer Beziehung ist endlich auf (las 
Vorhandensein von adenoiden Vegetationen zu achten. Ob deren 
Entfernung — die nie von dem die Erziehung übernehmenden 
Arzte zu geschehen hat — in therapeutischer Beziehung Resultate 
aufzuweisen hat, will Vortragender dahingestellt sein lassen. 

Möglichst frühzeitig ist mit der systematischen Erziehung 
zu beginnen. Dieselbe soll möglichst im Hause, in der Familie 
statt finden, da durch den Verkehr mit der Aussenwelt das Lernen 
erleichtert wird. Dazu gehört natürlich eine grosso Geduld und 
aufmerksamste Ueberwachung. Eino Anstaltsbehandlung ist 
immer nur Nothbehelf: die Anstalt soll eigentlich nur als Asyl 
für völlig verblödete Idioten in ihr Recht treten. Die Erziehung 
besteht im Wecken der Aufmerksamkeit, in systematischem 
Sprachunterricht, in Ausbildung des motorischen Apparates. Zu 
beachten sind ferner: Ruhe, Fernhalten alles Störenden, gutes 
Vorbild, Vermeidung von körperlichen Strafen. Bezüglich des 
Erreichbaren muss man sieh vergegenwärtigen, dass die Idiotie 
als solche unheilbar ist. Man kann aber aus Idioten durch Er¬ 
ziehung Menschen machen, die mit einer gewissen Selbständigkeit 
zu leben verstehen und sogar einige Handfertigkeiten erlernen. 
Der Imbccille ist, da ihm nio zu trauen ist-, ständig zu über¬ 
wachen, wenn er auch weit mehr durch Erziehung zu leisten 
vermag als der Idiot. 

Diseu8sion: Herr M a r r bespricht die Ei uHclitupgeii.d'.' r 
..Hilfsschulen“ für die Sehwaelibefühigten, von denen in Hamburg 
zur Zotf rr ’bostPtlüTl, die dell - Volksschulen ungegliedert sind. 
Kinder, die in der untersten Klasse der Normalschule in 2 Jahren 
nicht das Jahrespensum erlernt haben, werden der Hilfsschule 
überwiesen. Hier wird zunächst durch eine Aufnahmeprüfung 
die Sprache, der Farben-, Formen- und Zahlensinn festgestelll. 
Auf den Gang eines solchen Examens geht Vortragender ausführ¬ 
lich eiu. Etwa y s Proe. der Volkssehulkinder erweist sich schwach- 
befähigt und findet daher in der Hilfsschule Aufnahme. Diese 
— in Hamburg on. JiOO Kinder — zeigen häutig Missbildungen. 
Schädeldeformitäten, Lähmungen, fehlerhafte Zahnhildung. 
NasonrachenvegetatIonen. Sprachstörung (etwa 80 Proe.). Der 
Erfolg der Hilfsschulen ist ein ganz eminenter: 72 Proe. der aus 
ihnen liervorgegangeneu Schiller werden vollständig. 1!) Proe. 
theilweise erwerbsfähig. Der Rest erweist sich als nicht bildungs¬ 
fähig. Die Lehrer haben Sprachkurse dureligeniaeht, uni auf diese 
Störungen besonders erziehlich wirken zu können. M. erwähnt 
dann, dass der Besuch der Hilfsschule die Einstellung iu’s Militär 
aussehliesst, ausserdem auch uoeh gewissen Schutz vor dem Straf¬ 
gesetz nach sieli zieht. 

Herr Buehholtz luncht darauf aufmerksam, dass es zwi¬ 
schen moralisch Schwachen (inoral insanityi und Imbcoilleu keinen 
Untorseiiied gehe. Die Entfernung der Minderbegabten ans den 
Schulen ist nicht nur für diese seihst ein Gewinn, da ihre Er¬ 
ziehung individueller nugepackt werden kann, sondern vor Allem 
auch für die gesunden Kinder, deren weitere Förderung ohne Rück¬ 
sicht auf die geistig zurückgebliebenen geschehen kann. 

Herr E m hden ermahnt, sieh in Fällen von Idiotie an Myx- 
oedenia infantile und an Ileredosyphilis zu erinnern, da man in 
diesen beiden Kategorien glänzende therapeutische Erfolge erzielen 
kann. Kr macht ferner auf die Kinder mit Pseudoschwachsinn 
aufmerksam, hei denen eine Vernachlässigung unter elenden 
häuslichen Verhältnissen und mangelhafte Erziehung Schwach¬ 
sinn vortiiusohon. Eine gross«* Zahl der in den Hilfssehulen ge 
besserten Fälle gehört in diese Kategori«*. Der Werth dieser 
Schulen ist ein ungeheurer, auch vom Publikum anerkannt. Die 
Fürsorge des Staates für Idioten ist «*in immer noch nicht überall 
erfülltes Desiderat. 

Herr Sa enger erwähnt u. a. als in prophylaktischer Hin¬ 
sicht wichtige Momente die Ehen zwischen Blutsverwandten mul 
die Zeugung im Rausch. 

Herr Engel mann hält eH für üuss(*rst wichtig, dass der 
Sprachunterricht, der geistig zurückgehli«»benon Kinder unter ärzt¬ 
licher Uobenvnehung stattfände. Die Entfernung der adenoid n 
Vegetationen ist nur angezeigt, wenn sie Atlmrang und Hörfähig¬ 
keit behindern. 

Herr S i n e 11: Schlusswort. W e r n e r. 


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1194 

Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg. 

(Ofticielles Protokoll.) 

Sitzung vom z 1 . Mai 1 90 1 . 

Vorsitzender: Herr Edlefson. Schriftführer: Herr .Just. 

Herr Delbanco zeigt den Ixodes ricinus, den gemeinen 
Holzbock. Derselbe belsst sieh nm Menschen mit Vorliebe am 
Skrotum, wie auch in diesem Falle, fest. Der betr. Herr hatte 
sich während einer Radtour in einem Gehölz niedergelegt. Die zu 
einer Blase von der Grösse einer grauen Bohne angeschwollene 
Zecke hatte nach Angube des Pat. schon über drei Wochen am 
Skrotum gesessen. Für die Therapie kommt einzig in Betracht, 
dass das Thier betäubt werden muss, um es zum Loslassen zu be¬ 
wegen. Delbanco verbreitet sich noch kurz über die einzelnen 
für die menschliche Pathologie in Betracht kommenden Zecken¬ 
arten. 

Discussion: Herr Deutschmann sah die gleiche 
Zecke einmal am Augenlide und musste das Thier mit Chloroform 
tödteu, um es leicht extraldren zu können. 

Herr S i m m o n d s: Ueber Spätstörungen nach Tracheo¬ 
tomie. 

Von Störungen nach vollständiger Verheilung der Tracheo- 
tomiewunde kommen in Betracht: 1. Seitliche Einengungen, 

2. (iranulationsgeschwülste, 3. Narbenstrikturcn. Da Traeheo- 
tomiewunden nie mit. Wiederherstellung des Knorpels heilen, 
bleibt eine geringere Resistenz des Knorpelringes an seinem vor¬ 
deren Bogen. Der Knorpel knickt hier ein, wenn seitlich ein 
Druck cimvirkt, also besonders bei Strumenbildung. An Gips- 
ausgüssen kann man das gut nachweisen, und speciell an dem 
einen vorgelogten Luftröhrenausguss von einem Manne, der 
mehrere Jahre zuvor tracheotomirt war, später öfter an Stridor, 
chronischem Bronchialkatarrh und Emphysem litt, ist die eircum- 
seripte Einengung der Trachea am Orte der Operation sehr auf¬ 
fällig, während die Schilddrüse nur massig vergrößert ist. Da~s 
diese Einengungen gelegentlich zu ernsten Störungen Anlass 
geben, geht, aus Mittheilungen von Ranke, Schulz u. A. 
hervor. Stenosirende Granulationspolypen halte ich im Gegen¬ 
satz zu den Angaben vieler Chirurgen und Laryngologen für 
etwas sehr Seltenes. Unter vielen hundert Tracheotomien, die 
ich selbst behandelt oder mit beobachtet habe, unter vielen hun¬ 
dert Sektionen tracheotomirter Individuen habe ich jetzt zum 
ersten Male eine Trachealstenose durch Granulationsbildung ge¬ 
sehen. Ich kann daher die Anschauung, dass Granulations¬ 
polypen eine häutige Ursache erschwerten Deeanulements sein 
soll, nicht theilen. Der Fall, über welchen ich berichte, betraf 
ein 4 jähriges Kind, welches im Januar wegen Diphtherie 
traeheolomirt und bald geheilt entlassen wurde. 2 Monate später 
bekam es Varicellen, einen starken Bronchialkntarrh und Athem- 
beschwerden; bevor Hilfe kam, erstickte das Kind. Bei der 
Autopsie fand ich am unteren Rande der linearen Narbe einen 
erbsengrossen Granulationstumor, der eine starke Stenose hervor¬ 
gerufen hatte. Schwellung der Schleimhaut und Sekret- 
anhiiufung hatten dann die Erstickung veranlasst. Narbcn- 
strikturon nach Tracheotomien sind selten, da die Patienten mit 
ausgedehnter Nekrose der Knorpel und der Schleimhaut meist 
Schluckpneumonien erliegen. 

Discussion: Herr F r ii n k e 1 lmt nur einmal eiuen Gra¬ 
nulationspolypen nach Tracheotomie gesehen als zufälligen Leich *ii- 
befund. Etwas grösser sei die Zahl (1er narbigen Strictureu, di«; 
im Bereiche des unteren Kanülenendes durch Knorpeluekrose ent¬ 
stehen. 

Herr W I e 8 1 n g e r glaubt, dass die Granulatiouspolypen 
häufiger seien, aber als Erscheinung am Lebenden nicht auf dem 
Leiehentiscb, wenn diese Polypen auch nicht die häufigste Ur¬ 
sache erschwerten Deeanulements seien, sondern hierbei narbige 
Strieturen und Knorpelerweieliungen oft die Schuld tragen. 

Herr Lauenstein glaubt, dass die seit einigen Jahren 
eingeführte Verkürzung der Kanüle um 1—l>/ 2 ein sehr segens¬ 
reich wirke. 

Herr Fränkel betont, dass seine Erfahrungen auch am 
Lebenden gemacht sind. 

Herr S 1 m in o n d s: Meine Erfahrungen über das Vorkommen 
von Granulationspolypen stammen nicht allein vom Sektionstisch 
her. Ich habe etwa HM) mal diphtheriekranke Kinder traeheo- 
ton'irt; dort wo das Decanulement sich verzögerte, waren nicht 
die Granulationen, sondern, wie lnrvngoskopiseh sieh feststellen 
Hess. Störungen in der Thiitigkeit der Kehlkopfmuskeln daran 
Schuld. Ebenso war auch bei der Autopsie mehrerer Kinder, bei 
welchen die Kanüle nicht zu entfernen war und welche uach 
längerer Zeit an anderen Krankheiten starben, nichts von Granu¬ 
lat ionspolypen zu finden. 

Herr Sonheim: Ueber die Entwicklung der elastischen 
Fasern in der foetalen Lunge. 


No. 29. 

Vortragender hat 24 Föten untersucht von 4 cm Länge bis 
in dio letzten Stadien der Foetalzeit und einige Kinder im ersten 
Lebensmonat. 

Auf Grund der histologischen Untersuchung gelangt Vor¬ 
tragender zu folgenden Resultaten: 

1. Die Entwicklung des elastischen Gewebes in der foetalen 
Lunge beginnt im 3. Monat und ist beendet mit der Geburt. 

2. Das elastische Gewebe tritt in der foetalen Lunge in fol¬ 
gender Reihenfolge auf: 

Gcfässe, grosse Bronchien und Knorpel, mittelgrosse Bron¬ 
chien, Pleura, kleine Bronehien und Alveolen. 

3. Als Vorstufen des elastischen Gewebes sind scharf kon- 
tourirte, stark lichtbrcehende, nach Weigert nicht tinctions- 
fähigo Bindcgewebsfibrillen aufzufasson. 

4. Man kann aus der Anordnung der elastischen Fasern in 
der Lunge, aus ihrer Stärke und Tinctionsfähigkeit bestimmte 
Rückschlüsse auf das Alter des betreffenden Foetus machen. Da 
dio elastischen Fasern noch in faulen Früchten gut darstellbar 
sind, kann diese Methode für gerichtsärztliche Praxis von Werth 
sein. 

(Der Vortrag erscheint in extenso in den Mittheilungen 
aus den Hamburger Staatskrankenhäusern.) 

Discussion: Herr Unna fragt, ob bei den Untersuch¬ 
ungen sich ein Schluss auf die Art der Entstehung des elastischen 
Gewebes ergeben habe, die bei der Haut umstritten sei (amorph als 
Tröpfchen, Kugeln oder als feinste Fädchen) Ferner wünscht 
U. zu wissen, ob sich Unterschiede in den erlangten Resultaten 
bei Anwendung der W e i g e r t’sehen und der l T u n a - T ä n z e r - 
sehen Methode ergeben haben. 

An Vnrhen hat U n nn bewiesen, dass elastisches Gewebe nur 
entsteht, wo es sieh nicht um permanenten Druck, sondern um 
Druckschwankungen handelt — also in der Umgebung von Ue- 
fässen —, und fragt, ob Gleiches iu der Lunge der Fall sei. 

Herr Simmonds erwidert Herrn Unna, dass Unter¬ 
schiede ln Bezug auf die erlangten Resultate bei Anwen¬ 
dung der W e i g e r t'sehen und der Unna-Tänze r’scheu 
Methode nicht erkennbar sind. Er weist ferner auf die grosse Re¬ 
sistenz des elastischen Gewebes gegen Fäulniss hin; noch nach 
lnehrwöehontlichem Faulen lassen sich diese Fasern durch Fär¬ 
bungen gut darstellen und daher sei iu der Tliat die Feststellung 
des Alters eines Foetus aus Theilen einer faulen Lunge möglich 
und gelegentlich vielleicht auch praktisch sei. 

Herr Edlefsen: Zur Aetiologie der Rachitis. (Wird 
an anderer Stelle veröffentlicht.) 


Medicinisch-naturwissenschaftl. Gesellschaft zu Jena. 

(Section für Heilkunde.) 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung v o in 3. Juni 1901. 

Herr Wagenmann besprach 3 in der Augenklinik zu Jena 
beobachtete Fälle unter Demonstration der entsprechenden Prä¬ 
parate und im ersten Fall auch mit Kranken Vorstellung. 

1. Exophthalmus pulsans des rechten Auges mit Erblindung 
des Auges längere Zeit nach Unterbindung der Carotis com¬ 
munis. 

Das enucleirte Auge konnte pathologisch-anatomisch unter¬ 
sucht werden. Der Patient war bereits in einem früheren Stadium 
der Erkrankung der medicinischou Gesellschaft vorgestellt. 
(Sitzung vom 11. I. 1000.) 

Der pulsiivndc Exophthalmus war kurze Zeit nach eluem 
Revolverschuss in die rechte Schläfe aufgetreten. Ausserdem be¬ 
stand Lähmung des Abducens und des Oculomotorius. Auch das 
linke Auge zeigte einen beginnenden Exophthalmus pulsans. 
Visus r. S = */».», 1- S = 7t.- Die Kugel konnte durch Röntgen- 
Strahlen nachgewiesen werden. Sie sass noch im Bereich der Or¬ 
bita. wahrscheinlich im Keilbeintiügel oder auf der Grenze des 
Keilbeins und Jochbeins; sie batte offenbar den Schädelraum nicht 
eröffnet. 

Da Digitalcompression nur vorübergehend Besserung brachte, 
wurde am 17. Januar 100 O in der chirurgischen Klinik die rechte 
Carotis communis unterbunden. Die Heilung verlief glatt. Das 
Kraukheitsbild wurde durch die Unterbindung wesentlich ge¬ 
bessert. Der Exophthalmus der rechten Seite nahm etwas ab, die 
spontanen Pulsationen hörten auf, nur beim Eindrücken des Bulbus 
fühlte man noch Pulsationen. Links verschwand der Exophthal¬ 
mus pulsans vollkommen und ist seither nicht wiedergekehrt; auch 
beim Eindrücken des Bulbus in die Orbita sind Pulsationen nicht 
zu fühlen. Das starke Sausen im Kopf hörte auf. später machte 
sieh nur ein leichtes Blasen wieder bemerkbar. Die Oculomotorius¬ 
lähmung ging zurück. Die Abduccnslühmuug blieb bestehen. 

In der allerletzten Zeit bemerkte Patient deutliehe Pulsationen, 
wenn erden Nasenrücken mit zwei Fingern fasst und leicht drückt. 
Nach der Unterbindung der Carotis communis trat in Folge von 
ungenügendem Lidsolduss, der besonders durch einen starken che* 
motisclien Wulst der Conjmietiva btilbi veranlasst war. leichter«* 
Trübung der Cornea auf. das Sehvermögen sank auf ®/ ri . I)ess- 
halb wurde Anfang Februar 1000 der Coujunctivalwulst exeidin. 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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16. Juli’ 1901. 


MUENCHENER MFDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


und die Lidspalte verengert und die Operation nach einiger Zeit 
wiederholt, da Inzwischen der Exophthalmus wieder etwas zu¬ 
genommen hatte. Damals war der ophthalmoskopische Befund 
bis auf Ausdehnung der Venen normal. 

Im Laufe der nächsten Monate nahm die Prominenz des 
rechten Auges langsam wieder zu, ohne dass aber Pulsationen 
sichtbar wurden. In Folge von Insufficienz des Lidschlusses trat 
ein Haches Ulcus corneae auf, das aber bei Behandlung mit 
Sublimat und feuchtem Verband heilte. Das Sehvermögen sank 
auf Fingerzählen in 2 m Entfernung. Die untere Homhauthälftc 
wurde leukomatüs und xerotisch, das Epithel verdickt und verhornt, 
zudem wurde die Comea-Skleralgrenze leicht ektatisch. 

Im November lüOO hatte die Xerosis der Cornea und Con- 
junctiva nach unten zugenommen, der Exophthalmus war stärker, 
die Lidspalte schloss nur knapp, die Pupille war mittelweit, oval, 
reactionslos. Man erhielt kein rothes Licht mehr mit dem Augen¬ 
spiegel aus dem Augeninnern. Totale Amaurose war eingetreten. 
Auch weiterhin nahm der Exophthalmus stetig zu, die Prominenz 
betrug, vom Orbitalrand aus gemessen, 3 cm, eine Schutzbrille 
konnte nicht mehr getragen werden, das Auge störte den Patienten 
so, .dass er auf die Entfernung des Auges bestand. Die Enucleation 
wurde am 20. Januar 1901 ausgeführt. 

Die anatomische Untersuchung des Auges ergab flache Netz¬ 
hautabhebung am hinteren Pol des Auges mit Kesten von Blu¬ 
tungen hinter der abgelösten Membran, Glaskörperabhebung, Glas- 
kürperschrumpfung und Neubildung von Gefässen in dem ver¬ 
dichteten Glaskörpergewebe, sowie Keste von Blutungen. Ausser¬ 
dem fanden sich Zeichen von beginnendem Glaukom, vor Allem ein 
ringförmiges Intercalarstaphylom mit Durchtrenuung der inneren 
Scleralschichten und Ablösung der Descemc t’schen Membran. 
An der Hornhaut fanden sich narbige Veränderung der Oberfläche 
und ausgedehnte Epithelveränderungen (Verdickung, Verhornung). 

Die genauere Beschreibung des Befundes wird demnächst in 
einer Dissertation veröffentlicht. 

2. Noma am Auge (symmetrische Gaugraen der Lider und 
der Thränensackgegend). 

Am 21. Mai 1000 wurde ein 6 Wochen altes Kind in die Augeu- 
klinik zu Jena gebracht, weil sich seit 14 Tagen ein rasch zu¬ 
nehmendes Geschwür am rechten Auge gebildet hatte und das 
linke Auge ebenfalls zu erkranken anling. Das Kind war sonst 
gesund, wohlgenährt und kräftig. In der rechten Thränensack¬ 
gegend fand sich ein fast 2 cm tiefes Geschwür mit steil abfallen¬ 
dem Rand von ca. 2 cm Durchmesser, innen auf den Nasenrücken 
und oben nach der Augenbrauengegend zu sich erstreckend und 
aussen auf beide Lider übergreifend. Die Reaktion aiii Gpschwürs- 
rand auffallend gering. Der Geschwürsrand erschien; inissfaTben, 
graugelb und schwärzlich verfärbt. Der Bulbüs war nahezu in¬ 
takt die Sklera in grosser Ausdehnung freigelegt und oberflächlich 
ulcerirt. 

Am linken Auge fand sich der Beginn des Prozesses in Ge¬ 
stalt eines von der Thränensackgegend aus in die untere und obere 
Lidfurche sich erstreckenden oberflächlichen Hautgeschwürs mit 
graugelber Membran bedeckt 

Die Ulceration ging Anfangs trotz energischer desinflzlrender 
Lokalbehandlung und Allgemeinbehandlung weiter, kam aber dann 
anscheinend zum Stillstand und flng an sich zu reinigen, besonders 
rechts. 

Dabei traten aber rechts vielfach Blutungen auf. Durch zu¬ 
nehmende Entkräftung, Anaemie und zuletzt auf tretende Broncho¬ 
pneumonie erfolgte der Exitus letalis nach ca. 14 Tagen. 

Der Prozess muss als eine von der äusseren Haut ausgehende 
ektogene Infektion aufgefasst werden. Bel wiederholter bacterio- 
logischer Untersuchung waren Diphtheriebacillen nicht nachweis¬ 
bar, ebenso konnte Milzbrand und Rotz ausgeschlossen werden. 
Fiir Lues fand sich ebenfalls kein sicherer Anhaltspunkt. Bei 
der bacteriologischen Untersuchung Hessen sich im Deckglas¬ 
trockenpräparat nur Coccen nachweisen. Bei Züchtung wuchsen 
einige Kolonien Stäbchen, die aber sicher keine Diphtheriebacillen 
waren. 

Die histologische Untersuchung des Auges und des Geschwüres 
ergab eine flache Ulceration der Sklera, weit in die Orbita reichende 
Ulcerationen mit geringer eiteriger Infiltration und mässlger Fibrin 
ansscheldung in der Umgebung, dagegen mit starker Neubildung 
jungen Bindegewebes, und mit spärlichem Detritus und Resten 
von Haemorrhagien auf dem Geschwürsgrund. Die Reaktion des 
Nachbargewebes gering. In den Schnitten Hessen sich stellen¬ 
weise zahlreiche Coccen auffinden. 

Auch dieser Fall wird ln einer Dissertation ausführlicher mit- 
gethellt 

3. Doppelte Perforation des Auges durch Schussverletzungen. 

Der Vortragende besprach die zweimalige Perforation des 

Auges durch grosse und kleine Projektile und demonstrirte zuerst 
ein Präparat von Lochschuss des Auges durch eine Revolverkugel. 
Die bei einem Selbstmordversuch von vom herabgefeuerte Kugel 
war innen unten am Llmbus eingetreten, die Cornea parallel zum 
Cornealrand in grösserer Ausdehnung einreissend und war nach 
Durchsetzung und Zertrümmerung des Bulbusinhalts dicht neben 
dem Optlcns ausgetreten und durch die Orbita ln das Gehirn weiter 
gegangen. Die Sklera war glatt durchschlagen. Das Präparat 
war gewonnen, well zum Freilegen des Schusskanals die Orbita 
exenterirt werden musste. 

Sodann wurde ein Fall von doppelter Perforation des Auges 
durch ein kleineres Projektil mitgetbellt Die Diagnose der zwei¬ 
maligen Perforation konnte sofort gestellt werden, well an dem 
verletzten Auge deutlicher Exophthalmus, sowie totale Bxternus- 


1195 

lähmung bestand und weil cerebrale Symptome, mehrmaliges Er¬ 
brechen und Kopfschmerz, Vorlagen. 

Die Schrotkugel war durch das linke obere Lid 4 mm ober¬ 
halb des Limbus in den Bulbus eingetreten und hatte Haemopli- 
thalmus veranlasst. Die Bulbuswunde wurde gereinigt, die Con- 
junctiva darübergeuiibt. Es bestand sofort vollständige Amaurose. 

Die Röntgeuuutersuchung ergab, dass das Projektil in der 
Tiefe der Orbita steckte, wahrscheinlich ln der Orbitalwand selbst. 
Wegen heftiger Schmerzen und cyklitischer Reizung musste das 
Auge nach ca. 2 Wochen enucleirt werden. Dabei zeigte sich der 
Externus mit dem hintereu Skleralabschnitt lnnigst verwachsen. 
Unter dieser Verwachsung lag die hintere Perforation in der Sklera 
nach unten aussen vom Opticus. 

Der Bulbus wurde schräg aufgeschnitten, so dass der Schnitt 
durch Ein- und Ausschussöffnüug fiel. Auf dem Durchschnitt 
sieht man in fast allen Theilen des Bulbus Reste von Blutungen, 
die vordere Perforationsstelle klafft y a , die hintere 1 mm, beide 
sind in Vernarbung begriffen. Am Einschuss findet sich ein 
Kolobom der Iris und des Ciliarkörpers und geringe Linsenver¬ 
schiebung. Die Netzhaut ist total trichterförmig abgehoben. Den 
Glaskörper durchziehen haemorrhagische Stränge. 

Die nähere Beschreibung des Präparates erfolgt In einer 
Dissertation. 

Herr Grober: Tetanus chronicus. (Demonstration.) 

Ein 12 jähr. Junge machte im September 1000 einen typischen 
traumatischen Tetanus durch. An eine nach dem akuten Stadium 
einsetzende Pause in den Muskelkontraktionen mit fast völligem 
Schwinden der anderen Symptome schliesst sich das Jetzige Krank¬ 
heitsbild, das seit November 1900 ungefähr das gleiche geblieben 
ist. Straffe Muskelkontrakturen am ganzen Körper, Opisthotonus, 
nur Kopf, Hände und Füsse sehr wenig beweglich. Ausge¬ 
sprochener Trismus, Risus Sardonicus. Sensibilität und Reflexe 
normal; die elektrische Erregbarkeit für beide Ströme ln Muskel 
und Nerv herabgesetzt 

Bei sehr erschwerter Pflege (Nahrungsaufnahme mittels 
Schlauch) Therapie völlig ohne Erfolg, wahrscheinlich Binde- 
gewebswuclieruDg. 

Gleiche B'ülle sind nur von de Brun aus Beyrut bekauut 
gegeben; eine ausführliche Veröffentlichung wird demnächst er¬ 
folgen. 


Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offizielles ProtokoU.) 

Sitzung vom 18. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Curschmanu. 

Schriftführer: Herr Braun. 

Discussion über den Vortrag des Herrn F1 a d e (siehe 
vorige Sitzung): Anwendung der Magensonde bei Ulcus ven- 
triculi. 

Herr v. Criegcrn: M. H.! Zu den Ansichten, die uns Herr 
Kollege F1 a d e in der vorigen Sitzung über die Anwendung der 
Magensonde bei Ulcus ventriculi vorgeführt hat, möchte Ich kurz 
ln Folgendem meinen eigenen, thellwelse abweichenden Stand¬ 
punkt kennzeichnen. Bel der Bewerthung der Gefährlichkeit des 
Verfahrens hat uns Herr Fl ade aus der Literatur Fälle von 
gelegentlich sogar tödtlicher Blutung mitgetheilt Ich hätte gern- 
gesehen, dass daraus die nöthige Consequenz schärfer gezogen 
worden wäre. Diese lautet: das Verfahren ist contralndicirt, wenn 
nicht Alles für eine eventuell nöthig werdende Laparotomie vor-, 
bereitet ist, da es keine andere sichere Möglichkeit gibt, eine 
Magenblutuug zu stillen. Also scheidet das Verfahren aus dem 
diagnostischen Apparat der allgemeinen Praxis aus und bleibt der 
chirurgischen Klinik Vorbehalten, und die Fälle sind so auszu¬ 
wählen, dass dieser Eingriff gerechtfertigt Ist. Vielleicht wird 
dann Mancher überhaupt eine Probelaparotomie vorziehen. Meiner 
Ansicht nach wird auch die diagnostische Bedeutung der Magen- 
saftuntersuebung bei Ulcus veutricull weit überschätzt. Zu¬ 
nächst die des procentualen Salzsäuregehaltes. Ich hatte einen 
Patienten mit Ulcusbeschwerden; sein Magensaft war wechselnd, 
bald anacid, bald hyperacld. Ich nahm eine strenge Ulcuskur- vor, 
die bei dem äusserst herabgekommenen Manne nur mit Hilfe 
künstlicher Ernährung — Nährklystiere . und subkutane Oel- 
infusionen — möglich war. Es trat voller Erfolg ein. Ein Jahr 
später hatte der Patient wieder die gleichen Beschwerden; bei der 
Aufblähung zeigte sich ein Sanduhrmagen. Herr Kollege Göpel 
entfernte die harte, derbe Narbe und wieder trat voller Erfolg ein. 
Jetzt kommt der Unglücksmensch nach Jahresfrist wieder mit 
den gleichen Beschwerden. Nun sagen Sie mir einmal nach dem 
Befunde des Magensaftes; hat der Mann ein Ulcus, eine Narbe, 
oder hat er nur hysterische Beschwerden? Wenn überhaupt, lässt 
sich das doch nur durch die fortlaufende Beobachtung entscheiden: 
Der Mann Ist anaemisch, hat desswegen herabgesetzten Salzsäure¬ 
gehalt; dabei hat er eine Magenneurose (Schmerzen, Hyperacidität) 
— ob die anatomischen Veränderungen, Ulcus und Narbe, Folge 
oder Ursache der Neurose sind, ist nach unseren heutigen Kennt¬ 
nissen unsicher — jedenfalls entspricht der Siiuregrad des Magen¬ 
saftes nur dem Boden, auf dem sich das Ulcus entwickelt, nie aber 
der anatomischen Veränderung als solcher. Dann die Bedeutung 
gelegentlicher Blutbeimengungen. Alte Leute mit solchen sind des 
Carclnoras dringend verdächtig. Ich bekam einst eine alte Frau 
mit der Diagnose: Magenkrebs. Der Palpationsbefund war un- 


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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRITT. 


No. 29. 


lide 


sicher. Sie brach trotz regelmässiger Spülungen und Diät hüuüg, 
und kam ganz gehörig herunter. Ich fand gelegentlich kleine, 
sicher nicht arteflcielle Blutungen und setzte die SpUIungstherapie 
voll lleberzeugung fort. Aber schliesslich ergab die auch hier 
wieder souveräne fortlaufende Beobachtung Verlaufseigenthüm- 
lichkeiten, die nicht zum Carcinom stimmen wollten. Wegen 
gleichzeitig bestehender Leberschwellung begann Ich nun die Be¬ 
handlung ihres Alteremphysems; und richtig, jetzt heilte die Frau, 
nahm an Gewicht zu —bei alten Leuten bekanntlich ein seltenes 
Glück — und Ist nun seit 2 Jahren geheilt. Ich hatte also einen 
Stanungskatarrh für ein Carcinom gehalten, und alle Mageusaft- 
nntersuehuugen der Welt waren nicht im Stande gewesen, diesen 
doch recht bedeutungsvollen lrrthum aufzuklären! Dann die 
Differentlaldiagnose zwischen Carcinom und Ulcus bei jungen 
Leuten. Haben Sie bei Jemanden Ende der zwanziger oder An¬ 
fang der dreissiger Jahre Verdacht, dass ein Ulcus kein gewöhn¬ 
liches U. peptleum sei, sondern carcinomatöser, oder neuerdings 
(Petruschky) auch tuberkulöser Natur, so halten Sie sich 
doch nicht mit zweifelhaften Methoden auf, während deren An¬ 
wendung die schönste Zeit vergeht, sondern Sie schicken den 
Mann zum Chirurgen wegen einer Probelaparotomie. Wann soll 
man diesen Verdncht haben? Wieder nicht auf Irgend einen 
Mageii8aftbefuud hin, sondern aufmerksam gemacht durch den 
abweichenden Verlauf. Das kann ja mitunter lange dauern, aber 
man kann eben ausser in den typischen Schulfällen die Dlaguost? 
innerer Krankheiten nicht forciren, sondern die Beobachtung wird 
immer der Lehrmeister des Internisten bleiben. Hier hilft recht 
oft da8 Auftreten von Knöcheloedemen, meist vom Kranken ganz 
unbemerkt, zuerst am Abend der Arbeitstage, wo man ihn selten 
zu Gesicht bekommt; bei Ausschluss anderer Ursachen kann das¬ 
selbe recht gut für latentes Carcinom verwendet werden. Endlich 
glaube ich, dass man auch die therapeutischen Leistungen der 
Magensonden überschätzt. Dilatationen, Carcinome u. dergl., also 
die alten Indicationen Kussmau l’s, sind ihr Anwendungsgebiet. 
Bei Ulcus habe ich keinen Nutzen von ihr gesehen, nur von Ulcus- 
kur oder von der Operation. Hier Ist es vielleicht auch am Platze, 
gegen ihre fortgesetzte Anwendung beim chronischen Magen¬ 
katarrh zu sprechen. In der Minderzahl der Fälle, in der man 
wirklich einen chronischen Katarrh erkennen kann — und da gibt 
es wohl nur einen beweisenden Befund: den von reichlichem 
dünnen Schleim im nüchternen Magen, bei Abwesenheit von Rho¬ 
dankali — hat man stets eine greifbare Ursache des Katarrhs vor 
sich: Intoxication (besonders Alkohol), Stauungen, endlich Kache¬ 
xien aller Art (Der idiopathische chronische Magenkatarrh scheint 
nach den Beobachtungen unseres poliklinischen Materials eine 
grosse Seltenheit zu sein.) Hier heisst es: Cessante causa cessat 
effectus. Einen Arteriosklerotiker mit Stauuagskatarrh kann man 
Jahre lang mit Spülungen behandeln, ohne den allergeringsten 
Nutzen; und leider geschieht es trotzdem noch oft genug. In der 
grossen Mehrzahl der Fälle handelt es sich wohl nicht um Katarrh, 
d. h. eine anatomische Veränderung, sondern um funktionelle 
Störungen. Auch diese haben recht oft ihre bestimmte Ursache, 
Infektionen (Phthisis incipiens!) und Intoxicationen. Von letzteren 
ein interessantes Beispiel: Eine Familie schlief eng gedrängt in 
einem kleinen Schlafzimmer; im Winter trat bei mehreren Mit¬ 
gliedern morgendliches Erbrechen und Dyspepsie auf. Die Wahl 
des grösseren bisherigen Wohnzimmers zum zweiten Schlafzimmer 
änderte das Bild mit einem Schlage. Man kann hier recht wohl 
eine Kohlensäure Vergiftung als Ursache der Funktionsstörung an¬ 
nehmen. Was hätten hier regelmässige Magenspülungen — die 
übrigens schon vorgenommen worden waren — für Zweck gehabt! 
Anders bei der grossen Menge der Funktionsstörungen auf rein 
nervöser Basis: hier sind die Spülungen wohl berechtigt, nur sei 
man sich bewusst, keine örtliche Magenbehandlung, sondern eine 
Suggestionstherapie auszuüben. 

Herr F 1 a d e: Wenn Herr v. Criegern dem Vortragenden 
entgegnet, dass er aus den von ihm geschilderten, durch die Son- 
dirung gesetzten Gefahren nicht die richtige Konsequenz gezogen 
habe, die doch in dem Verwerfen der Sonde bei Ulcus bestehen 
müsse, dass er vielmehr der Sonde einen zu weiten Spielraum bei 
Diagnose und Therapie des peptischen Ulcus zugestehe, so kann 
daR nur auf einem weitgehenden Mlssverständniss beruhen. Viel¬ 
mehr glaubt Vortragender in deutlicher Weise seinen Standpunkt 
dahin präcisirt zu haben, dass bei Ulcus die Sonde nicht in An¬ 
wendung zu ziehen sei. Die diagnostischen Vortheile sind — ab¬ 
gesehen von der Differenz!mng gegen Carcinom und Phthisis 
mucosae — sehr illusorisch. Zur Therapie braucht man die Sonde 
bei unkompllzirtem Ulcus überhaupt nicht. Die Gefahren bei ihrer 
Anwendung sind durchaus nicht gering zu achten. Und wie ln 
gelegentlicher Bemerkung der Vortragende in seinen Ausführungen 
gegen die kritiklose Anwendung des Schlauches bei nahezu allen 
Magenerkrankungen polemislrt hat, so hat er sich bezüglich der 
chronischen Gastritis ausdrücklich dahin ausgesprochen, dass hier 
zu Spüluugen wegen der meist normalen Motilität, abgesehen viel¬ 
leicht von der Gastritis raucipara, ein Grund überhaupt nicht vor¬ 
liege. 

Herr Curschmann demonstrirt einen Phthisiker, bei dem 
sich nach einem Hustenanfall ein ausgedehntes Hautemphysem 
an Kopf, Hals und Brust eingestellt hat und bespricht die Aetio- 
logie und die nach seinen Erfahrungen stets günstige Prognose 
dieses Zufalls. 

Herr Riehl demonstrirt: 

1. Einen Infanteriesoldaten aus dem Lazareth des Herrn 

Stabsarztes Dr. Fischer. Der Kranke zeigt in grosser Aus¬ 


breitung am Stamm und thellweise an den Extremitäten Lichen 
EcrophuloBorum in typischer Form. Drüsenschwellungen und 
irgendwelche Anzeichen von Tuberkulose innerer Organe fehlen. 

2. Einen Fall von universellem Pemphigus chronicus mit in¬ 
tensiver Pigmentirung und ausgebreiteter Papillombildung an alleu 
Kontaktstellen der Haut, am Halse, Nackeu, Achselhöhle, Geni¬ 
tale, Kniekehle etc. 

R. t>espricht die Diagnose des Falles, der als Pemphigus pru 
riginosus lnigonneu, später durch massenhaftes Auftreten 
schlapper, bis kirschgrosser Blasen zum Bilde des Pemphigus 
foliaceus geführt hat und unter Arsenwirkung zur Ueberhäutung 
gelaugt ist, welche nun au vielen Stellen ähnliches Aussehen bietet, 
wie ausgebreitete Akantliosis nigricans. (Der Fall wird später 
ausführlich beschrieben werden.) 

3. Einen 48 jährigen Mann, bei welchem seit September 1900 
Geschwülste und Geschwüre in grosser Zahl am Genitale, den Ober¬ 
schenkeln und der Bauchhaut entstanden sind. Der Process be¬ 
ginnt mit Knotenbildung im Subkutangewebe und der Pars reti¬ 
cularis cutis: die circa erbsengrossen, rasch wachsenden Knoten 
sind von unveränderter Haut bedeckt, verschieblich und mässlg 
derb; haselnussgrosse Knoten zeigen bereits bräunliche oder livkle 
Verfärbung der sie bedeckenden Haut, ragen deutlich über das 
Niveau und zeigen im Centrum Fluktuation. Es erfolgt rasch 
Durchbruch, es entsteht ein Geschwür mit unregelmässiger, nekro¬ 
tisch belegter Basis, scharfem, braunrötlillchem, etwas derbem 
Rande von beinahe kreisförmiger Gestalt, welcher bis in die Sub¬ 
cutis reicht. Die Ulcera wachsen durch Fortschreiten des In- 
tiltratsaumes und folgenden Zerfall bis auf 5—7 cm Durchmesser. 

Die Drüsen in inguine sind geschwilrig zerfallen; der scharf- 
begrenzte Defekt nimmt beiderseits die ganze Leistenbeuge ela 
und reicht 5—7 cm in die Tiefe. Am oedematösen Genitale mehrere 
ähnliche Geschwülste und Ulceratiouen. Beide unteren Extremi¬ 
täten sind hochgradig oedematös. Pnt. kachektlsch. Innere Or¬ 
gane nicht nachweisbar verändert. 

R. bespricht die Differentialdiagnose und berichtet, dass er 
Sarkomatosis oder Mykosis fungoides vermuthet hat. 

Die histologische Untersuchung ergab als Diagnose Epi- 
thelialcarcinom. (Der Fall wird ausführlich beschrieben werden.) 

Herr R i e c k e demonstrirt Präparate von Vlacin und be¬ 
richtet über die weiteren damit gewonnenen Erfahrungen und Re¬ 
sultate. 

Herr V ö r n e r bespricht die bisher bekannt gewordenen Cul- 
tur- und Impfexperimeute mit den pathogenen Schimmelpilzen 
der Haut, demonstrirt Kulturen auf verschiedenen Nährböden dek 
Pilzes der Pityriasis versicolor, des Mikrosporon furfur. Ferner 
demonstrirt Herr Vörner Reinkulturen des Mikrosporon mlnu- 
tissimura, des Er**gers des Erythrasma Bärensprun g’a be¬ 
schreibt die Bedingungen, unter welchen der Pilz auf verschiedene!! 
Nährböden wächst. Ausführliche Mittheilung erfolgt später. 

Herr R i e c k e demonstrirt einen Apparat zur SteriliBirung 
lokal anaesthesirender Flüssigkeiten. (Der Apparat wird aus¬ 
führlich beschrieben werden.) 

Herr Riehl hält den angekündigten Vortrag: Heber Ver¬ 
erbung der Syphilis und Therapie. (Erscheint an anderer Stelle 
ausführlich.) 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Offlcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. März 1901. 

Vorsitzwider: Herr Carl Koch. 

1. Herr Stich demonstrirt das Sektionspräparat eines ver¬ 
kalkten Leberechinococcus. 

2. Herr C n o p f sen. beobachtete bei einer sonst gesunden 
38 jährigen Dame ein Erythema exsudat., das unter heftigem 
Brennen am rechten Oberann begann, sich nach 24 Stunden auf 
den Vorderarm ausdehute. dann auf den linken Oberarm über¬ 
sprang und nach 24 Stunden auch den linken Vorderarm ergriff. 
Begleitet wurde diese Hauterkrankung unter kurzdauernden sub- 
febrilen Erscheinungen von Erythem des Mundes, grosser Hin¬ 
fälligkeit und Schwäche und vorübergehenden Schüttelfrösten. 
Nach einer 24 stündlgen Pause verlief der gleiche Process ln gleich 
typischer Weise auch auf beiden Uuterextremitäten. Der Vor¬ 
tragende sucht die Ursache der auffälligen Erkrankung in dem 
Genuss eines überreifen Käses, den Patientin einige Tage vorher 
in kleinen Portionen zu sich genommen hatte. 

3. Herr Raab: Heber das runde Magengeschwür. 

Sitzung vom 21. März 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

1. Herr Herbst demonstrirt äswei durch Operation gehellte 
Fälle von tuberkulöser Peritonitis. 

2. Herr Fraenkel berichtet über 2 Fälle von subkutaner 
Leberzerreissung, bei denen er im letzten Jahre bald nach der 
Verletzung die Laparotomie vorgenommen hat. Vor Mittheilung 
der Krankengeschichten geht Vortragender ausführlich auf das 
Krankheitsbild und den Verlauf der subkutanen Leberrupturen 
ein. Ebenso wie dies in den letzten Jahren von Terrier und 
Anoray, Schiatter etc. hervorgehoben wurde, glaubt auch 
Vortragender, dnss die Prognose der Leberzerrelssungen nur durch 
ein frühzeitiges Operlren ln Zukunft gebessert werden 


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16. Juli 1901. 


MTTENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1197 


Wune. Ein grosser Theil der Verletzten gehe an der primären 
Blutung zu Grunde; ln dieser Hinsicht könne, wenigstens in einem 
Theil der Fälle, durch ein aktives Vorgehen Hilfe gebracht werden. 
Die intraperitoneale Blutung bringe, ausser der Gefahr der Ver¬ 
blutung, auch noch die der Infektion; denn es handle sich um 
Pfortaderblut, das nach Langenbeck, König etc. als ein 
mehr oder minder infektiöses Material anzusehen sei. Auch auf 
die, durch einen event Galleerguss erwachsenden Gefahren wird 
hingewiesen. Dies Allee dränge darauf hin, Blut und Galle mög¬ 
lichst bald aus der Bauchhöhle zu entfernen, sowie ein weiteres 
Ergiessen derselben in den Peritonealraum womöglich durch ent¬ 
sprechende Versorgung der Leberwunde zu verhindern. Zur Ver¬ 
sorgung der Leberwunde wird bei glattrandigen Rissen die Naht, 
bei gequetschten Rissen und Zertrümmerungsstellen die Tampo¬ 
nade empfohlen; zumeist wird eine Kombination beider Methoden 
Dothwendig sein; auch nach der Lebernaht -soll überdies die ge¬ 
nähte Stelle mit einem nach aussen zu leitenden Tampon bedeckt 
werden. Als Symptome, welche eine Frühdiagnose besonders för¬ 
dern. erörtert Vortragender die Kontraktur der Bauch¬ 
decken, den lokalen Druckschmerz, die paroxysmlsch auftreten¬ 
den Schmerzen im Abdomen überhaupt, das allmähliche Flaclier- 
werden des Pulses; event den Schulterschmerz, leichtes Ansteigen 
der Rectaltemperatur etc. In zweifelhaften Fällen ist. wenn ein 
ernster Verdacht auf subkutane Leberruptur bezw. lntraabdomi- 
nelle Organzerreissung überhaupt besteht, die Probelaparo¬ 
tomie geboten. 

F a 11 1. 31 jähriger Dienstknecht, am 2. V. 1900 durch Huf¬ 
schlag gegen den r. Rippenbogen verletzt, 7>/ 2 Stunden später in’s 
Krankenhaus eingeliefert worden. Pat. stark collablrt; Zeichen 
innerer Blutung; Bauchmusculatur kontrahirt, Abdomen sehr 
druckempfindlich; in den abhängigen Partien Dämpfung, die sich 
auf Lagewechsel aufhellt; I/ebergegend bei Palpation besonders 
empfindlich. Nachdem alsbald die Diagnose auf Leberruptur ge¬ 
stellt worden war, wird sofort die Laparotomie vorgenommen: 
Längsschnitt ln der Linea alba mit Beifügung eines Querschnittes 
nach rechts hin. Im Abdomen eine grosse Menge flüssigen Blutes, 
das ln Strömen hervorstössfc, sowie Coagula. Im unteren Tlieile 
des r. Leberlappens ein ca. 8 cm langer, die ganze Parenchymdicke 
durchsetzender Riss, der noch blutet; daneben einige oberfläch¬ 
liche Risse. Naht der Risse mit stumpfen Nadeln. Reinigung der 
Bauchhöhle. Naht ül>er Tampon. — Kochsalzinfusionen. 

20 Stunden nach der Operation Exitus. Bei der Sektion 
zeigten sich die Ränder der genähten Risse gut aneinander liegend, 
eine Nachblutung hatte nicht stattgefunden, keine Zeichen von 
Peritonitis. Pat war offenbar in Folge der primären enormen 
Blutung zu Grunde gegangen; vielleicht wäre Pat., wenn er früher 
in ärztliche Behandlung bezw. zur Operation gekommen wäre, vor 
dein Verblutungstode zu bewahren gewesen. 

Fall 2. 24jähriger Tiefbauarbeiter, am 22. XI. 1900 circa 

1 m tief hinabgestürzt mit der r. Brustseite gegen eine Elsen¬ 
schwelle aufgefallen. Bald darauf in’s städt. Krankenhaus einge¬ 
liefert. Bei der Aufnahme besteht deutliche Kontraktur der 
Bauchmusculatur; Schmerzen in der Lebergegend, die zur rechten 
8chulter ausstrahlen; kein besonderer Collnps, keine Zeichen 
innerer Blutung. Puls relativ gut. Im Verlaufe der nächsten 
Standen Zunahme der Schmerzen, die auch anfallsweise im ganzen 
Abdomen auf treten; allmähliches Schlechterwerden des Pulses, 
Ansteigen der Rectaltemperatur bis 38,3. Desshalb 11 Stundeu 
nach der Verletzung Probelaparotomie: Iin Abdomen eine sehr 
grosse Menge dunklen, flüssigen Blutes und Coagula. Zur Frei¬ 
legung der Leber wird auf den Medianschnitt ein grosser Quer¬ 
schnitt nach rechts hin aufgesetzt. Der rechte Leberiappen ist fast In 

2 Theile zerrissen durch eine grosse Ruptur, welche den Lappen iu 
seiner ganzen Dicke und fast ganzen Höhe durchtrennt; ausser¬ 
dem mehrere kleinere Querrisse und Zerquetschungsstellen. Naht 
de* Längsrisses mit stumpfen Nadeln und dickem Catgut, Tampo¬ 
nade der übrigen Verletzungsstellen. Reinigung der Bauchhöhle 
mit Kompressen; Naht der Bauchwunde bis auf die Tamponstelle. 

Patient erholte sich nach der Operation; ca. 2 Wochen nach 
derselben trat leichter Ikterus auf, der nach iy 2 bis 2 Wochen ver¬ 
schwand und anf eine traumatische Hepatitis zurückzuführeu sein 
dürfte. Ca. ly a Tage nach der Operation trat ausserdem eine 
schwere PneumoDle auf, deren Verlauf ein sehr verzögerter war, 
da Patient an Lungentuberkulose leidet. In Folge des starken 
Horten» ist es znr Bildung eines Baucbbruches in der Operations- ( 
narbe gekommen, der durch eine Bandage gut zurückgehalten 
wird. Am 13. III. Ist Patient aus dem Krankenhause entlassen 
worden. 

Vortragender hat bisher 22 Fälle iu der Literatur ver¬ 
öffentlicht gefunden, bei denen wegen subkutaner Leberzerreis- 
ming die primäre Laparotomie vorgenommen wurde. Hiervon 
sind 13 Fälle geheilt worden. Unter den letzteren flmlen sich ver¬ 
schiedene Patienten, welche mit allergrösster Wahrscheinlichkeit 
ohne Operation der primären Blutung erlegen wären; auch der 
oben geschilderte Fall 2 Ist In dieser Welse zu beurtlielleu. 

(Die Arbeit wird demnächst in extenso ln den Beitr. z. klln. 
Chlr. veröffentlicht werden.) 

3. Herr Heuberger demonstrirt 2 Präparate wegen Gonor¬ 
rhoe exstlrpirter pimirethraler Gänge. 

4. Herr Kiefer bespricht den Stammbaum eines hereditär 
mit Tuberkulose und Alkoholismus weitgehend belasteten 
Patienten. 

5. Herr Karl Koch demonstrirt'; 


a) Das Präparat eines Lymphangioms cysticum colli con- 
genitum, von einem 4 Wochen alten Kinde stammend. 

b) Das Präparat eines Lymphangioma praeput. bei einem 
1 Jahr alten Kinde. 


Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik. 

(Offlcielles Protokoll.) 
vSitzung vom 20. Juni 1901. 

Herr F 1 a t a u demonstrirt mikro- und makroskopische Prä¬ 
parate: 1. einen Uterus von einer 48 Jährigen I. Para mit einem 
kaum 2 Pfennigstück grossen Adenocarcinom der Corpusschleim- 
haut; 2. einen durch multiple Interstitielle submucöse Myomknoten 
mächtig vergrösserten Uterus von einer 20jährigen 0 Para, dessen 
vaginale Exstirpation, trotz Morcellements wegen einseitig-unsym¬ 
metrischer Entwickelung sehr erschwert war; sie gelang erst, als 
in Erinnerung an den jüngsten Vorschlag D ö d e r 1 e 1 n’s die 
Ilemtsektion der hinteren Uteruswand vorgenommen wurde. 

Herr Flatau referirt ferner über das Buch Max Schüller’s: 
Die Parasiten im Krebs und Sarkom des Menschen. Wenn auch 
der Referent den W’unsch S c h ü 11 e r’s billigt, dass inan die Kritik 
erst dann einsetzen lassen solle, wenn man auf den angegebenen 
Wegen Nachuntersuchungen angestellt habe, so kann er doch 
einen gewissen Skeptlcismus nicht unterdrücken. 

Herr Helbing II behandelt in ausführlichem Vortrage 
Aetiologie, Pathologie, Anatomie, Diagnose, Prognose und Therapie 
der akuten und chronischen Kieferhöhlenentzündungen. 


Unterelsässischer Aerzteverein. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 14. Juni 1901. 

Vorsitzender: v. Recklinghausen. 

Herr Siegert hält einen Vortrag Uber die Erfahrungen 
mit naoh v. Dan gern ham&nisirter Kuhmilch bei der Er¬ 
nährung gesnnder nnd kranker Säuglinge. 

(Erscheint in extenso an anderer Stelle dieser Nummer.) 

Herr Adrian demonstrirt das Skelet eines 3 >/ 2 Monate 
alten Mädchens mit angeborenem Defekt einer Oberschenkel- 
diaphyse. Ein Längsschnitt dieses Knocheus zeigt zwei Knochen- 
kerne, von denen der eine der Diaphyse, dey audere der untereu 
Epiphyse anzugehören sclieint Beide Knochenkerne waren auf 
Grund des Radiogramms nicht vermutliet worden. 

Sodann stellte er 2 momentan auf der M a d e 1 u n g’schen 
Kliuik anwesende Fälle von Defekten der Oberschenkel vor. Der 
erste betrifft den von Weinreich in seiner Dissertation (Strass- 
burg 1897) beschriebenen Fall. Das nunmehr 7 jährige blühende 
Mädchen zeigt ausser dem hochgradigen Defekt noch angelioreiie 
Luxatlou des Hüftgelenks derselben Seite. Bei dem zweiten Fall, 
einem 13 jährigen, intelligenten, kräftigen Jungen, Ist die Miss¬ 
bildung mit einem Strahldefekt derselben Extremität — Fibula. 
V. Metacarpnlkuoehen, V. Zehe — und Enddefekten sämmtlicher 
Extremitäten combinlrt. 

Die Fälle werden nebst 43 weiteren aus der Literatur dem¬ 
nächst in den Brun s’schen Beiträgen ausführliche Bearbeitung 
finden. ... 

Herr Ehret demonstrirt am Präparat ein hochsitzendes 
Oesophaguscarcinom. Das fläeheuhafte Geschwür nimmt die vor¬ 
dere Wand des Oesophagus in (1er Höhe des Larynx und des oberen 
Thells der Trachea ein. Zwischen dem Gesebwürsgrund nnd der 
Trachea feine Perforationsöffnungen. Erhebliche Geschwulst¬ 
massen fehlen. Keine Verengerung des Oesophagus ln Folge des 
earcinomatösen Geschwürs. Dersellie war sogar an der erkrankten 
Stelle erweitert. Das Carcinom verlief bei Fehlen der üblichen 
Erscheinungen des stenoeirenden Oesophaguscarclnomes unter dem 
Bild einer linksseitigen Stiminbnndlühmung. Vorübergehend be¬ 
stand auch eine Parese des rechten Stimmbandes. Der 72JRhr. 
Pdtient ging schliesslich an doppelseitiger Pneumonie zu Grunde. 

2. Ein Fall von geheilter Lebercirrhose wird ausführlich 
in dieser Wochenschrift erscheinen. 

Discusslon: Herr v. Recklinghausen kann diese 
Beobachtung nicht als beweisend anerkennen. Herr Ehret will 
mit „Heilung“ nur das Schwinden aller klinischen Symptome be¬ 
zeichnen. 


Phy8ikali8cti-medicini8che Gesellschaft zu WDrzüurg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 27. Juni 1901. 

1. Herr Seifert demonstrirt einen 52 jährigen Manu mit 
Naevus molluscifonnis. Die Nase und besonders die Oberlippe 
sind ausserordentlich vergrössert, letztere hängt über die Unterlippe 
und das Kinn herunter, so dass mau vom Mund zunächst gar niehts 
sieht. Wange, Stirn und Augenlider sind mit vielfachen Mollusc. 
flbr. von verschiedener Grösse besetzt. Auch das Zahnfleisch des 
Oberkiefers und der harte Gaumeu nehmen an den Veränderungen 
Theil. 

2. Herr Römer: Der gegenwärtige Stand der Immunität»- '- v - 

forschnng. ' 

Der Vortrag ist zu einem kurzen Referat nicht geeignet 


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1198 


MTTENOHENER ‘MEPTCTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Sociätä mädicale des höpitanx. 

Sitzung vom 2. und 17. Mal 1901. 

Wi d a 1 wandte statt der Intralumbalen die von Slcard 
empfohlene (siehe diese Wochenschrift No. 23 d. J., S. 953) epi¬ 
durale Cocaininjektion an und hatte damit ln einigen Fällen (von 
Ischias, Interkostalneuralgie und heftigen Magenschmerzen in Folge 
von Magengeschwür) vollen Erfolg; der epidurale Raum sei durch 
das leicht unter der Haut zu fühlende Kreuzsteissbeingelenk ohne 
Schwierigkeit für die Injektion zugänglich. 

-Fa 1 sans berichtet über einen vollständigen Misserfolg dev 
lumbalen Punktion und dann der Injektion von i/ 2 . später 1 cg 
Cocain ln einem Fall von tabetischen Magenkrisen, bei welchen 
vorher schon alle anderen Mittel vergebens versucht worden waren. 

Chantemesse theilt eine umfassende Statistik bezüglich 
der Behandlung mit Diphtherieheilserum mit. welche beweist, 
dass die Injektionen möglichst frühzeitig gemacht werden sollen, 
d. h. schon bei blossem Piphtherieverdaeht und nicht erst, wenn 
die klinische oder gar bacteriologische Diagnose feststeht. Nach 
den zahlreichen Erfahrungen der letzten Jahre kann man sagen, 
dass die Seruminjektionen gefahrlos sind. Schliesslich geht die 
persönliche Erfahrung C’h.’s dahin, dass das Heilserum, welches 
schon lange in den Flaschen steht und kleine Flocken Fibrins ent¬ 
hält, völlig wirksam ist und seltener Erytheme hervorruft als das 
frische Serum. 

Sitzung vom 24. Mai 1901. 

Pierre Marie bespricht die Wirkung der Lumbalpunktion 
hei der Draemie und erklärt nach seinen Erfahrungen, dass die¬ 
selbe gegen einige nervöse Symptome der Uraemie, besonders 
gegen die Kopfschmerzen, gute Dienste thun kann, aber nur unter 
der Bedingung, dass die uraeraische Intoxlcation nicht zu alt oder 
zu tiefgehend sei.. Die mit Convulsionen verbundene Uraemie 
scheine jedenfalls für die Lumbalpunktion nicht zugänglich. 

C o m b y und Oadaud lenken auf Grund dreier beobach¬ 
teter Fälle die Aufmerksamkeit auf die gonorrhoische Peritonitis 
der kleinen Mädchen, welche ziemlich häufig sei. aber in Vergessen¬ 
heit zu gerathen drohe; man sei zu sehr von der Appendicitls ein¬ 
genommen. Wenn ein mit Vulvovaginitis behaftetes Kind eine 
akute Peritonitis hat« so müsse man an die Beziehungen der beiden 
Krankheiten denken. Die Weiterverbreitung der gonorrhoischen 
Infektion von Vulva und Vagina aus auf das Bauchfell vollzieht 
sich sehr leicht durch den Uterus und die Trompen. 

B a b i n s k i und Nageotte besprechen die Cytodiagnose 
des Liquor cerebrospinalis, welchen sie bei 120 Individuen unter¬ 
sucht haben. Bei denjenigen, die kein objektives Zeichen einer 
organischen Nervenerkrankung darboten, war das Resultat stets 
ein negatives. Im Gegentheil war es regelmässig positiv ln den 
zahlreichen untersuchten Fällen von Tabes und allgemeiner Para¬ 
lyse; B. und N. halten daher den Nachweis von Zellelementen im 
Liquor cerebrosp. für ein sehr wichtiges Mittel zur Erkenntnis« der 
Tabes oder progressiven Paralyse ln Fällen, wo die Diagnose noch 
sehr ungewiss ist 

Sociätä de Pädiatrie. 

Sitzung vom 14. Mai 1901. 

Die Thyreoidbehandlung im Kindesalter und speciell bei zurück¬ 
gebliebenen Kindern (Infantilismus). 

Guinon glaubt, dass die mangelhafte Entwicklung (infan¬ 
til istnus) nicht nur auf Störungen in der Sehilddrüsensekretionund 
chronischen Infektionen XTuberkulose. Malaria) und Intoxicatlonen 
beruht, sondern dass es noch "eineTtMtie anderer Ursachen, welche 
in Veränderungen des haematopoetischen Systems beruhen, gibt. 
Welches jedoch auch die Ursachen seien, so sei in allen Fällen 
von Wachsthums- und Entwicklungshemmung, also wenn auch 
keine Veränderung der Schilddrüse direct nachzuweisen sei, die 
Thyreoidbehandlung angezeigt. 

V a r 1 o t rühmt den Erfolg der Schilddrüsenpräparate bei 
Kryptorchismus: beim klassischen Myxoedem ebenso wie bei Adi¬ 
positas leisteten dieselben oft Wunder und stehe deren Indicatlon 
unerschütterlich fest (Anführung behandelter Fälle). 

Apart erklärt, dass die Schilddrüsenbehandlung auf den 
gesammten Stoffwechsel und auf die Hoden speciell einwirke. Er 
führt, den Fall eines Kindes mit Kryptorchismus an. welches 11 
Monate mit Schilddrüse behandelt worden ist und bei welchem 
man in der Tiefe des Leistenringes ein Testikel fühlt, welches man 
vorher nicht bemerken konnte. 

(Die weitere Discussion des Themas wird auf die nächsten 
Sitzungen verschoben.) 

Netter bringt eine sehr ausführliche Arbeit über die pro¬ 
phylaktische Einimpfung von Heilserum bei Diphtherieepidemien, 
worin er den hohen Werth dieser Impfung, deren Anwendungs¬ 
weise und Vortheile vor der Isolirung beleuchtet und den Vortlieil 
hervorbebt, welchen die Verallgemeinerung dieser Praxis hätte: 
er betrachtet sie als ein heroisches Mittel, die Weiterverbreitung 
der Diphtherie zu verhüten. (Discussion vertagt.) 

Prosper Merklen und L e s n e besprechen die Methylen¬ 
blau-Probe bei den Säuglingen, die zwar in diesem Alter schwie¬ 
riger zu handhaben wie bei Erwachsenen, aber doch werthvolle 


No. 29. 


Aufschlüsse über die Permeabilität der Nieren und die Funktion 
der Leber geben kann. , 

Mauclaire behandelte einen Fall von Hodentuberkulose V 
bei einem Erwachsenen mit Ligatur des Samenstranges, es trat ^ 
vollständige, seit 1 Jahr nun anhaltende. Heilung ein; der andere 
Hoden scheint eine Art kompensatorische Hypertrophie erfahren 
zu haben. 

Sociätä de Thärapeutique. 

Sitzung vom 22. Mai 1901. 

L e r e d d e spricht über die Lichttherapie des Lupus; die \J 
Methode von Finsen bedeute einen grossen Fortschritt in der 
Lupusbehandlung, aber der Apparat Finse n’s ist zu kostspielig' 
und erfordert sehr ausgedehnte Sitzungen. Der von L o r t e t kon- 
struirte Apparat ist einfacher, der Kranke befindet sich ganz nahe 
der Lichtquelle, und man erhält damit die charakterischen Re¬ 
aktionen, welche das F i n s e n’sche Dispositiv erst nach 1 Stunde 
erzeugt, schon nach 10 Minuten. L. hat in einem Falle mit diesem 
Apparate von Lortet völlige Heilung erzielt. 

Auch Baudouin hat denselben mit Erfolg im Spitale 
St. Louis verwendet. Weniger günstig wie beim Lupus vulgaris 
waren die Erfolge beim Lupus erythematosus und noch weniger 
bei der Alopecle und beim Epitheliom. B. glaubt in Summa, dass 
die wenig ausgedehnten, frischeren und noch nicht behandelten, 
Fälle von Lupus sich besonders zur Behandlung nach Finsen 
eignen; es gelingt, sie in 3—4 Sitzungen günstig zu beeinflussen. 

D e s n o s erzielte bei der Dysurie in Folge von Prostata¬ 
hypertrophie gute Resultate mit der galvanokaustischen Behand¬ 
lung nach B o 111 n i und den Verbesserungen von Freuden- 
b e r g: reservirt dieselbe aber nur für die Fälle geringen oder 
mittleren Grades von Dysurie und bei jüngeren Individuen, wo 
die Kontraktilität der Blase noch erhalten ist, also nicht für die 
hochgradigen Fälle und die Altershypertrophie der Prostata. 

Stern. 


XXI. Oberrheinischer Aerztetag 

zu Freibnrg i. B. nm 25. Juli 1901. 
Tagesordnung: 

VormittagsBesuehderUniversitätsklinikon. 
7—8 Uhr: Augenklinik — Herr Geh. Rath M a n z. 8—9 Uhr: 
Gynäkologische Klinik — Hetr Geh. Rath H e g a r. 9—10 Uhr: 
Medicinische Klinik — Herr Geh. Rath B ä u m 1 e r. 10—11 v, Uhr: 
Chirurgische Klinik — Herr Hofratli Kraske. Von 11V, bis 
12V, Uhr: Besuch des durch einen Neubau für Infektionskrank¬ 
heiten erweiterten nilda-KlnderhospItnls (Albertstrasse 21). wo¬ 
selbst Herr Hofrath Thomas den seinem Vortrag über „Anaemla 
nseudoleucaemlca infantum“ zu Grunde liegenden Fall demon- 
striren wird. Auch die Herren Prof. Kill in n (Laryngoloeiseho 
Klinik und Poliklinik. Albertstrasse 9). Prof. Bloch (Otlatrische 
Klinik. Albertstrasse 7). Prof. Jakobi (Dermatologische Klinik. 
Albertstrasse 4) und Prof. Ritschl (Orthopädisches Institut. 
Albertstrasse 4) werden tim diese Zeit Demonstrationen halten. 
Von 12%—12% Uhr: Gelegenheit zu gemeinschaftlichem Frühstück 
in der Restauration ..Zum Franzlsknner“. Friedrichstrasse 3. 

Präcis 1 Uhr Sitzung im Hörsaal der Ana¬ 
tomie. Vorträge: 1. Herr Med.-Rath F ritschl: Referat über 
den diesjährigen deutschen Aerztetag in Hildesheim. 2. Herr 
Geh. Hofrath Ziegler: Ueber die Verbreituncswelse der Malaria. 
3. Herr Hofrath Thomas: Ueber Anaemla pseudoleucaemlca 
infantum. 4. Herr Dr. W. S a c h s - Mülhausen i. E.: a) Ueber 
Darmnusschaltung: b) Demonstration eiims Blasenphantoms. 

Um 3 Uhr gemeinschaftliches Festessen im 
H ö t e 1 „Victoria“ (Eisenbahnstrasse). 

Zu zahlreicher Theilnnhme an dem XXI. Oberrheinischen 
Aerztetag werden hiermit alle im Oberrheingebiet wohnenden 
Herren Kollegen freundlichst eingeladen. Eine persönliche 
Einladung findet nicht mehr statt. 

Freiburg i. B.. den 6. Juli 1901. 

Der Verein Freiburger Aerzte: 

Prof. Dr. P. Kraske, Vorsitz. Prof. Dr. Treupel, Schriftf. 


Auswärtige Briefe. 

Römische Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Die „Societä Lancisiana“ in Rom. — Tumor des Stirn¬ 
lappens. — Weitere Folgen der Sutura cordis. — Hyster¬ 
ektomie. — Intubatio laringea. 

Per Wunsch, die Thätigkcit der medicinischen Gesellschaften 
"Roms au« eigener Anschauung kennen zu lernen, führte mich im 
verflossenen April eines Abends in das "Krankenhaus San. Giacomo, 
wo sich in einem grossen Saale die Mitglieder der „Societä Lan¬ 
cisiana degli ospedali di Roma“ (Lancisi’s Gesellschaft der 
römischen Krankenhäuser) alle 14 Tage zu versammeln pflegen, 
j Der Saal war gut besucht; am Präsidententisch sass Prof. Mar- 
chiafava, der junge und hervorragende Lehrer der patho- 


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16. Juli 1901. 


MUENCHENEIi MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1199 


logischen Anatomie, von dessen hochinteressanten Vorlesungen 
ich schon mehrfach in früheren Korrespondenzen berichtete und 
dessen Gelehrsamkeit nur von seiner ausserordentlichen Liebens¬ 
würdigkeit übertroffen wird, und Dr. Garofalo, der Sekretär 
der Gesellschaft, welcher nicht nur als Arzt, sondern auch als 
Schriftsteller in ärztlichen Kreisen geschützt ist und der, unter 
dem Pseudonym: Dr. C a y u s — leider nur zu selten — die 
zahlreichen Leser der römischen medicinischen Zeitschrift „II 
Policlinico“ mit seinen trefflichen, tiefsinnigen Abhandlungen 
erfreut. — Die Vorträge des betr. Abends waren zum Theil hoch¬ 
interessant und ich will dosshalb hier den verehrten deutschen 
Kollegen die verschiedenen Redner vorstellen und in Kürze über 
ihre Referate berichten. 

Der erste Redner war Prof. Sciaraanna, der, ehemals 
Professor der Neurologie, jetzt den Lehrstuhl für Psychiatrie 
an der römischen Universität innc hat. Unermüdlicher Forscher, 
hat er sich durch seine Arbeiten und Entflockungen auch ausser¬ 
halb Italiens einen guten Ruf geschaffen. Er berichtete über 
einen Fall von Tumor des Stirn lappe ns. 

Im Oktober 1900 suchte der Patient zum ersten Male Ililfe 
in dir psychiatrischen Poliklinik. Der Kranke, der nie syphi¬ 
litisch war, klagte über heftigen Kopfschmerz, Krämpfe, Ohn- 
machtsanfälle und Erbrechen. Dio Krämpfe stellten sich täg¬ 
lich 3—4 mal ein, der auf die Stirngegend lokalisirte Kopf¬ 
schmerz war wahnsinnig, unerträglich und machte sich als 
dumpfes Druckgefühl bemerkbar. Der Kranke zeigte bei der 
Untersuchung rechts Hypokinesis der oberen Extremität, des Ge¬ 
sichts und der Zunge, eine leichte Dysarthrie beim Aussprechen 
langer und schwerer Worte, keine Spur von Worttaubheit oder 
cortieale sensorische Aphasie, aber ziemlich bedeutende Störungen 
beim Schreiben, besonders, wenn er spontan oder nach Diktat 
schrieb. Seinen Namen vermochte er ziemlich gut zu schreiben, 
aber bei anderen Worten machte er erst, verschiedene Versuche 
und schrieb schliesslich das betreffende Wort unvollständig und 
unleserlich. Beim Schreiben nach Diktat war die Schrift etwas 
geläufiger, aber ungleichmäßig, gross und undeutlich. Beim 
Abschroiben zeigten sich dieselben Störungen, wenn auch in ge¬ 
ringerem Maasse. E xner und Oha rcot haben, obwohl D e j o- 
ri ne und Andere dem widersprachen, ein motorisches, graphi¬ 
sches ('ontrum angenommen; auch Redner stimmte dieser An¬ 
nahme bei und stellte die Diagnose, dass in unserem Fall eine 
Laosion unterhalb der Hirnrinde die Leitungsbahnen, welche die 
verschiedenen Gohirncentron mit dem motorischen, graphischen 
Centruin verbinden, unterbrochen hatte. In dem in Rede stelieiw. 
den Fall war keine Seelenblindheit vorhanden, so dass man an¬ 
nehmen musste, das Sprachopticuscentrum sei unzerstört. Der 
Schriftstörungen, der Hypokinesie und der leichten Dysarthrie 
wegen glaubte der Vortragende eine umschriebene Laesion an¬ 
nehmen zu müssen, welche in dem linken Stimlappen, oder ge¬ 
nauer ausgedrückt, in der subcorticale.n Substanz in der Nähe 
der zweiten Stirnwindung, mit. Alteration oder Kompression der 
Centrifugal-Bahnen, die von der zweiten Stirnwindung oder viel¬ 
leicht auch vom Fuss der dritten Stirnwindung abgehen, ihren 
Sitz habe. 

Bei der Autopsie fand man einen Tuberkelknoten, dessen 
Lage in der weissen Substanz, etwa 1—2 mm von der Hirnrinde 
entfernt, thatsäclilich der Diagnostik entsprach. Die Grösse 
des Tuberkclknotens betrug 4 cm in der Länge, 3 cm in der Breite 
nnd 3 cm in der Höhe. Die Wichtigkeit dieses Falles besteht 
darin, dass durch ihn zum ersten Male nekroskopisch demonstrirt 
wird, was Cha rcot nur theoretisch annahm; nämlich, dass 
in der zweiten Stirnwindung ein motorisches, graphisches Cen¬ 
trum existirt. 

Der zweite Referent war der junge, sympathische Professor 
Parlavecchio, der als gewandter Redner über die weiteren 
Folgen der Sutura cordis sprach. Er stellte einen Mann vor, 
den er 2 Jahre 9 Monate früher wegen einer Stichwunde am 
Herzen operirt hatte. Der Verletzte war während der Nacht in’s 
Krankenhaus gebracht worden und da die Wunde nicht sehr 
heftig blutete, dachte man Anfangs an keine Verletzung des 
Herzens und der Patient wurde daher erst acht Stunden, nach¬ 
dem er den Stich erhalten hatte, operirt. Die Stichwunde be¬ 
fand sich im linken Ventrikel und war 3Vz cm lang. Die Wunde 
zeigte diese Form V wie ein V und der R«dn«r glaubte diese 
eigenartige Form nicht einer Drehbewegung des Messers, sondern i 


der Ilerzkontraktion während das Messer in der Wunde stak, zu- 
schreibcn zu müssen. Mit anderen Worten, während das Messer 
fest in der Hand des Angreifers und im Herzmuskel lag, eine 
Stichwunde im Fleisch des Herzens verursachend, kontrahirte 
das Herz sieh sogleich nach dom Stich, dadurch schnitt sich das 
Fleisch auf der Schneide des festliegenden Messers und durch 
diese Kontraktion des Herzens erhielt die Wunde die beschrie¬ 
bene Form. 

Als der Chirurg das Herz durch Resektion der fünften Rippe 
und Vergrösserung der Pericardiumswunde blosslegte, sprang das 
Blut in grosser Menge aus der Herzhöhle, d. h. dem linken Ven¬ 
trikel und Redner verglich die Art, wio das Blut aus der Wunde 
strömte, mit jener, wie das Wasser dem engen Hals einer umge¬ 
stürzten Flasche entströmt; d. h. in rhythmischen Bewegungen 
und grosser Menge. Dio Naht bestand aus vier Punkten des 
Herzmuskels und die Heilung vollzog sich per primam. 

Seitdem ging der Mann wie früher seinem Beruf nach, er 
vermied auch schwere Arbeiten nicht und ist trotzdem völlig 
gesund geblieben. Das Ilcrz behält seine richtige Lage, die 
Grösse ist normal, die Töne sind rein, rhythmisch, ohne Geräusch 
irgend welcher Art oder Synechieerseheinungcn. Auch während 
der schwersten Arbeiten hatte der Patient nie Beschwerden, nie 
Brustbeklemmungen, nie Schmerzen am Herz verspürt; auch 
war der Puls immer regelmässig und normal. Man kann also 
behaupten, dass die Ilerznaht im Verlaufe von ca. drei Jahren 
keinerlei schlimme Folgen gezeigt hat. 

Der Vortragende knüpfte noch einige* wichtige Bemerkungen 
an diesen Fall und wies besonders darauf hin, dass die Physio- 
Pathologio des Herzens noch sehr lückenhaft sei. Warum kann 
z. B. ein einfacher Nadelstich in’s Herz den plötzlichen Tod her- 
boiführen, während eine gewaltige Schnittwunde in dem 
einen Ventrikel, die sogar die Klappe und das Septum spaltet, 
dem Verwundeten erlaubt, seinen Angreifer noch zu verfolgen 
und dann ohne naehtheiligo Folgen verheilt? Warum verursacht 
ein Stich, der ausser der Wand des Ventrikels auch das Septum 
durchbohrt, nicht, dass sich das Blut der beiden Ventrikel durch 
diese Wunde vermischt? 

Der dritte Redner des Abends war Dr. LaTorrc, ausser¬ 
ordentlicher Professor der Gynäkologie an der hiesigen Univer¬ 
sität. Fr sprach über eine sehr wichtige Frage, nämlich über 
die Hysterektomie bei Woehonbettficber. Er behandelte das Ar¬ 
gument mit besonderer Gewandtheit und das Interesse der Zu¬ 
berer war um so reger, als auch verschiedene Herren an der Dis- 
eussion tlieilnahmen. Ich will mich hier darauf beschränken, 
kurz über das zu berichten, was der Redner mit zahlreichen aetio- 
logischen, baeteriologisehen, anatomisch-pathologischen und kli¬ 
nischen Beweisen demonstrirte. 

Das Kindbettfieber wird nicht durch einen, sondern durch 
verschiedene Krankheitskeime verursacht; die Krankheit ent¬ 
steht in der Scheide oder in der Gebärmutter, auf welche Organe 
sie in den verschiedenen Fällen kürzere oder längere Zeit, be¬ 
schränkt bleibt und von wo aus sie sieh erst späterhin auf die 
anderen Organe verbreitet. Redner ist gegen die Hysterektomie, 
bei welcher die Todesfälle 42 Proc. betragen; er beschränkt sich 
auf eine lokale Desinfektion und erzielt mit derselben 90 Proc. 
Heilungen. Die Desinfektion der Geschlechtsorgane führt der 
Vortragende in der Weise aus, dass er die Schleimhaut der Gebär¬ 
mutter mit einem von ihm erfundenen Löffel abkratzt. Der 
Handgriff dieses Löffels ist hohl und bildet eine Art Röhre, durch 
welche während der Operation eine antiseptische Lösung auf dio 
abgekratzten Partien fällt und dieselben soghji^h reinigt-. Manch¬ 
mal sinkt das Fieber sogleich nach dieser Operation, selten sind 
2—3 Abkratzungen nötliig. Der Redner stellte zwei Frauen vor, 
die von ihm vier- bezw. fünfmal auf diese Weise operirt worden 
waren. Er betont besonders, dass dio Reinigung der inneren 
Fläche der Gebärmutter eine vollständige sein muss, denn so 
lange sich noch gereizte Stellen an derselben befinden, sinkt das 
Fieber nicht. Wo diese Methode nicht, helfe, werde aueh die 
Hysterektomie nicht helfen. Prof. LaTorrc bringt ausserdem 
die Eisblase auf den Unterleib zur Anwendung und sucht die 
Kräfte der Kranken durch Ohinapränarato und alkoholische Ge¬ 
tränke zu heben und erzielt auf die Weise, wie gesagt, 90 Proc. 
Heilungen. 

Zuletzt sprach Dr. Egi d i . Spezialarzt für Kehlkopfkrank- 
heiten, über Tntubatio laryngca. Er entwarf zuerst in Kurzem die 


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1200 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCIIENSC1IK1FT. 


No. 29. 


Geschichte dieser Operation, die iin Jahre 1857 von Bouohut 
oing«fithrt wurde. Aber ihre eigentliche Verwendung beginnt 
erst mit O’Dw.vcr im Jahre 1884, als die erste Heilung erzielt 
wurde, ln Italien wurde die* Intubation zum ersten Male im 
Jahre 1889 vom Vortragenden angewandt. Die Meinungen 
schwankten zwischen dieser Operation und der Tracheotomie, 
aber die Entdeckung des Beb ri n g’sehen Serums war ein gün¬ 
stiges Moment für die Intubation und Redner sagt, der Luft- 
röhronsehnitl. sei nur noch in besonderen Fällen anzuwenden. 
Sogar lx'i Säuglingen verwandte Egidi die Intubation und 
nährte während dieser Zeit das Kind mit Gelatine, welche gerne 
genommen wurde und keine Störungen verursachte. Er konnte 
auf diese Weise die Kanüle in einem Fall elf Tage lang im Kehl¬ 
kopf lassen. Der Redner zeigte auch eine einfache, nach seinen 
Angaben angefertigte Zange, durch welche die Intubation eine der 
einfachsten und gefahrlosesten Operationen geworden ist und 
von jedem Arzt ausgeführt werden kann, wenn kein Spezialist 
zur Iland und die Noth gross ist; so z. B. ausser bei Diphtheritis 
der Luftröhre, bei Oedema glottidis. 

In einem späteren Brief werde ich nochmals auf die Thätig- 
keit, die Zahl und Stärke der nuxliciniselien Gesellschaften Roms 
zurückkommen und auch über die römische medieinische Presse 
belichten. Doch jetzt ist das Studienjahr zu Ende und die 
Ferien halten begonnen; mögen sie allen Kollegen die nöthige 
Ruhe und Erholung bringen, damit sie alle mit frischen Kräften 
das neue Arbeitsjahr beginnen können, und dann auf fröh¬ 
liches Wiedersehen im nächsten Jahre, meine lieben deutschen 
Kollegen! Dr. Giov. G a 11 i. 


Verschiedenes. 

Therapeutische Notizen. 

Während jetzt der Markt mit neuen Arzneimitteln über¬ 
schwemmt. wird, die ja gewiss t heil weise grosses Interesse h*an- 
spruehen. möchte ich in Folgendem zuuiiehst ein Medieanient be¬ 
sprechen. welches zwar im Allgemeinen zu den alten gerechnet 
wird, aber im Vergleich zu seinen gleichnamigen Vorgängern doch 
eine Verbesserung in Wirkung und Anwendung zu sein scheint. 
Das Ergotin hat ja vor dem Pulvis secalis eornuti den Vorzug, 
dass es das ganze Jahr hindurch seine Wirksamkeit hehiiit, 
während das letztere nur frisch, d. li. in den Herbstmonaten, mit 
Erfolg zu gebrauchen ist. Nun glitt cs eine grosse Anzahl ver¬ 
schiedener Fluidextraete des Ergotins und jeder Frauenarzt hat 
ein Präparat, welchem er den Vorzug vor andern glitt. Am 
häufigsten wird wohl das E.vtr. fluid. Secalis eornuti des Arznei¬ 
buches verordnet, aber ich halte die Erfahrung gemacht, dass ge¬ 
rade dieses nicht selten mit seiner Wirkung im Stiche lässt. Da¬ 
durch veranlasst, hatte ich ein neues Präparat, Krgot in 
Fromme in vielen Fällen versucht, und bin mit demselben so 
zufrieden gewesen, dass ich kein anderes mehr verwende. Zu¬ 
weilen wirkt dasselbe auch da, wo andere Ergotinpräparate ohne 
Erfolg gegeben worden waren, wenn icli natürlich auch nicht be¬ 
haupten kann und will, dass es in jedem Fall seine Schuldigkeit 
gethan hätte. Die Wirkung des Ergotin hängt ja eiten, was die 
Blutstillung aus dem Uterus betrifft, von so viel verschiedenen 
Faktoren ab. dass es durchaus nicht Wunder nimmt, wenn das eine 
«Hier andere Mal das Mittel versagt. 

Am besten bewährt es sich hei Blutungen post abortum und 
partuiu, bei denen die Muskolcontractionen des Uterus rasch und 
sicher herboigefiihrt wurden und zwar kam ich meist mit. der 
inneren Darreichung aus. Dann hatte ich gute Erfolge bei klimak¬ 
terischen Blutungen, einige Male in Fällen, die mit Ilydrastis und 
Ktyptiein vergeblich behandelt worden waren. Grundsätzlich und 
mit der gewünschten Wirkung verabreiche ich das Mittel nach 
Ausschabungen der Gebärmutter wegen der verschiedensten Ur¬ 
sachen während der ersten 3 Tage nach dem Eingriff. 

Bei Myomen des Uterus es zu erproben, fehlte mir leider die 
<felegeuheit. weil Myomkranke in die Krankenhäuser ja immer 
zur Operation geschickt werden, die inonatelange Anwendung des 
Ergotins in diesen Fällen demnach nicht angängig ist. 

Ein Theil Ergotin Fromme entspricht genau 5 Theilen Secale 
eornutum; die Maximaleinzeldosis beträgt 0,4, die Maximaltnges- 
dosis 1.5. Zu Injektionen werden 0,1—0,4 unverdünnt oder ver¬ 
dünnt mit abgekochtem Wasser in die Spritze gezogen. Ich gal» 
innerlich gewöhnlich 2—3 mal täglich 7 Tropfen in Wasser. 

Ein Ergotinprä parat soll folgenden Anforderungen genügen: 

1. Den vollen Gehalt der Droguo an dem wirksamen Alcaloid 
d'ornutin) enthalten und dadurch eine absolut genaue Dosirung 
ci möglichen, 

2. alle giftig wirkenden Bestandtlieile des Mutterkorns nicht 
mehr enthalten. 

3. lange Zeit haltbar sein. 

Diesen Fordeningen soll das Ergotin Fromme nach Angabe 
des Erfinders genügen. Aus demselben sind Farbstoffe und 
sonstige Extractivstoffe, die in anderen Mutterkornpräparaten oft 
in ziemlich grosser Menge vorhanden sind und dann allerhand 
Nebenwirkungen hervorrufen, nach Möglichkeit entfernt. „Durch 


seine stets glcichmüxsigc Stärke dürfte dasselbe vor der Roh- 
drogue, die in ihrem Gehalt an wirksamem Alkaloid nicht stets 
berchtigten Anforderungen genügt, den Vorzug verdienen." 

Meine Beobachtungen entsprechen dem Gesagten. Das 
Ergotin F r o m m e wirkt g 1 e i c h m ä s s i g g u t, i e li 
h a 1» e nie s c h ä <11 i c h e N e 1) e n w i r k u n g e n b emcrkl 
und es ist länger haltbar, als die meist e n ä li n - 
lieh e li Prä p a r a t e. 

Dass cs ziemlich rein Ist und unwillkommene Nebenwirkungen 
nicht zeigt, geht auch aus der Thatsache hervor, dass bei ein r 
starken Blutung nach Ausräumung eines Aborts im 3. Monat ver¬ 
sehentlich (nach Analogie mit dem gewöhnlichen Extr. Secali< 
fluid um) 2 ganze Spritzen Ergotin Fromme subkutan verabreicht 
wurden, ohne dass die geringste schädliche Folge eingetreten wäre. 

Hervorlieben möchte ich auch noch, dass nie an der In- 
j e k t i o n s st o 11 c unangenehme R e i z e r s ch e i u u u g e n 
li crvorgeriifen w urdon, was im < Jegcusatz zu anderen 
Präparaten bemerkenswert h erscheint. 

Das Mittel wird in Halle hei C a e s a r & Loretz hergestellt, 
ist zwar ziemlich theuer, braucht ja aber auch in entsprechend 
geringeren Mengen verordnet zu werden. 

Dr. W111 h a u e r • Halle a. S. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 16. Juli 1901. 

— Zum Zweck der Sammlung von Beiträgen für die Rudolf 
V i r e h o w - S t i f t u n g, die, wie schon gemeldet, zur Feier von 
Virehow's SO. Geburtstag auf die Summe von 200 000 Mü l; 
gebracht werden soll, hat sich in München ein (’omitc g-bild. i. 
Die Sammlung haben eröffnet die Münchener anthropologische 
Gesellschaft mit 100 M., Prof. .loh. Ranke mit 50 M. und das 
Herausgeber-Collegium der Miincli. med. Woehensehr, mit 30t> M. 
Weitere Beiträgt* wollen baldigst an Dr. Beruh. Spatz. Otto- 
Strasse 1. gerichtet werden. 

— in Halle a. S. haben vor Kurzem zwei Damen. Fräulein 
Irma Klausner und Fräulein Else v.d. Leyden aus Berlin, 
die Beide das Reifezeugnis» eines reiehsdeutsohen Realgymnasiums 
erworben haben und ordmmgsiiiiissig zehn Halbjahre an reichs- 
deutschen Universitäten die Heilkunde studirt haben, nach be¬ 
standener ärztlicher Staatsprüfung die „Approbation als Arzt" 
erhalten. Sie sind die ersten legitimen weiblichen 
Aerzte in Deutschland. Es versteht sich wohl von selbst, dass 
sie von ihren männlichen Kollegen als gleichberechtigt zu behau 
dein sind und dass diese Gleichberechtigung auch in der Zulassung 
zu den ärztlichen Vereinen ihren Ausdruck linden muss. 

— Die Entscheidung des prenss. Kultusministers, wonach zur 
B (* s t e u e r u n g d u r e h d i e A e r z t e k a m in e r n auch Per¬ 
sonen heranzuziehen sind, die zwar die Approbation als Arzt he 
sitzen, den ärztlichen Beruf aber nicht mehr nusüben (s. unter 
„Amtliches"), wird in der Fachpresse sehr abfällig besprochen. 
Auch wir halten die Entscheidung auf die Dauer nicht für durch¬ 
führbar. Da wir aber unsere Aufgabe nicht darin erbliekeu, die 
Interessen Derjenigen zu wahren, die* dem ärztlichen Stande ent¬ 
sagt Italien — di«* von der Entscheidung B«*tro(Teiien (zu «lenen u. A. 
auch der frühere Landwirthschaftsminster Dr. v. L u eins ge 
hört) werden «lies seihst zu tlnin wissen — so li«*gt für uns keit: 
Grund vor. uns für die Aufhebung der Entscheidung, «lie ja für 
die von den A<*rztekammern zu begründenden Wohlfahrtscin- 
riehtungen äuserst günstig ist. zu ereifern. 

— Im Grossherzogtlium Hessen wird die Einführung der 
L «* i t* li «* n s e li a u «1 u r e li a p p r o b i r t e A e r z t e lieah- 
sichtlgt. 

— Auf dem 16.Balueologcucmigress wurde beschlossen, dem am 
22. Dezember 1880 verstorbenen Dr. Rrohmer ein Denkmal zu 
setzen. Ein aus dem Vorstand d«*r halneol«>gischen Gesellschaft 
und iles Tuborkulost*c«)iigr<*ss«*s bt*st«*h<*n<h*s, durch zahlreich«* 
ander«* Notabilitäten erweitertes Count«'* fordert alle M«*nsch«*ii- 
fr«*und«*. insbesondere die Kolh*g«*n des Wrstorbenon und Alle, 
welch«* ihm zu Dank verpflichtet sind. auf. dieses Unternehmen 
durch Boiträg«.* freundllchst unterstützen zu wollen. DU*Si*ll>«*n 
nimmt Herr Baiupiier Eugen Landau in Berlin. Wilhtdm- 
strasse 71. entgegen. 

— Das Preisgericht der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Volks li ii der hat d«*u besten für d«*n öffentlichen 
Vortrag geeigneten Abhandlungen über Volksbätler zwei erste 
Preise zuerkannt, und zwar «lcu Herren Dr. E. Bäum er. Arzt 
für Hautkrankheiten in Berlin, und Dr. Gustav Poelchan. 
praktischer Arzt in (.Tiarlottenburg. Einige weitere Arbeiten 
wimlen augekauft. Unter Verwerthung dos durch die Prtdsbewer- 
bung gewonmuien Vortragsmaterials beabsichtigt «lie Deutsche 
Gesellschaft für Volksbäder vom nächsten Herbst au eine R«»ih<* 
von Wanderv«irträg«*n im ganzen Deutschen Reiche zu veranstalten. 
Eine Haupt Versammlung «l«*r I>«*utschen Ges«*llschaft für Volks 
liiider findet im Oktober «ls. Js. in Berlin statt. Amneltlungen zu 
Vorträgen mul zur MitglU'dsehaft (von 3 M. pro Jahr an) werden 
an die Geschäftsstelle, Berlin NW., Karlstrasse 19. erbeten. 

— Als ein Opf«*r seiner Wissenschaft kann der kürzlich in 
Bt*rlin verstorb«*iu* Physik«*r Clausen bezeichnet werden, «lev 
durch seine in «ler Urania veranstalteten vorzüglichen Röntgcn- 
Vorfiihrungen in weiteren Kreisen bekannt geworden ist. In Folge 
dieser seiner Tliiitigkeit entwickelte sich nämlich eine chronische 
Verbrennung der Haut der einen Hand, deren Folgen schliesslich 
die Amputation der ganzen oberen Extremität nothwendig machte. 


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16. Juli 1901. MUENCHENKK MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIET. 1901 


beider erfolgte im Anschluss an den zunächst gut überstamleneii 
Eingriff wenige Tage später der tödtliclie Ausgang. Der traurige 
Fall lehrt, dass der Experimentator heim Arbeiten mit Köulgcii- 
stnihleu die peinlichste Sorgfalt heohaehten muss, um sich vor 
Laesiouen der Hautdecke zu schützen. Allg. med. Centr.-Ztg. 

-- Au anderer Stelle dieser Nummer veröffentlichen wir das 
Programm des XXI. Oberrheinischen Aerztetags in 
Fiviluirg i. 15. am 25. ds. Mts. Es wird dazu bemerkt, dass das 
Programm zugleich als Einladung für alle im Oherrheingebict 
widmenden Aerzte gilt und besondere persönliche Einladungen von 
jetzt ab nicht mehr ergehen. 

— Pest. Türkei. Am 22. Juli ist in Stambul ein Pestfall 
iVstgestellt worden. Ferner wurden unter dem 5. Juli 2 weitere 
Fälle in dem Stadttheil Kaszimpascha und dem italienischen 
Hospital gemeldet. — Aegypten. Vom 14. bis 21. Juni sind in 
Zagazig 18 neue Erkrankungen und 6 Todesfälle au der Pest fest- 
gostellt, in Minieh 2 Erkrankungen und in Mansurah ein alsbald 
tödtlich verlaufener Krankheitsfall, ferner in Alexandrien am 
18. Juni ein neuer Fall, nachdem daselbst vom 7. April bis 17. Juni 
4 Personen an der Test erkrankt und gestorben waren. Vom 
21. bis 28. Juni wurden in Zagazig 10 neue Erkrankungen (und 
4 Todesfälle) augezeigt, in Miuieh 1 (1;, in Alexandrien 2 (1), in 
Port Said 1 (1). — Britisch Ostindien. In der Präsidentschaft 
Bombay wurden vom 18. bis 24. Mai 8'J8 Neuerkrankuugeu und 
700 Todesfälle, während der folgenden, am 31. Mai abgelaufenen 
Woche 8(51 Neuerkrankungeu und 717 Todesfälle au der Pest fest¬ 
gestellt. Im laiufe des Monats Mai hat also von Woche zu Woche 
sowohl die Zahl der neu gemeldeten Erkrankungen (1371)—1150 
—81)8—8(51), wie auch die Zahl der Pesttodesfälle (1004—Oll)—700 
—717> erheblich abgeuommeu. — Kupland. Die Epidemie geht 
immer mehr zurück; nur wenige Fälle werden wöchentlich noch 
gemeldet. 

— In der 2(5. Jahreswoehe, vom 23. bis 29. Juni 1001, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Stettin mit 38,0, die geringste Remscheid mit (5,1 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Masern in Essen, Fürth, Kassel, Mül- 
lmiiu a. Rh., an Luterleibstyphus in Pforzheim. 

(Hochschulnachrichten.) 

Frei bürg i. B. Die medicinlsche Fakultät der hiesigen 
Universität hat den Khan Balladur N. II. Choksy, Uospital- 
director in Bombay, zum Ehrendoctor ernannt. 

Jena. Der Geheime Med.-Ruth Prof. Pr. Seidel, der über 
Pharmakologie an unserer Universität las, wird mit dem Winter¬ 
semester seine Lehrthätigkeit elnstelleu. Prof. Dr. S t i n t z i u g, 
Direktor der medicinischen Klinik, wird über Pharmakologie lesen. 

Rostock. Prof. G r a s e r wird dem Ruf an die Universität 
Erlangen als Nachfolger v. II e i n e k e’s Folge leisten. Gelegent¬ 
lich der Uebernaluue des hiesigen Stadtkrankenhauses von der 
Grossherzogi. Regierung wurden die bisherigen I. Assistenten der 
medicinischen und chirurgischen Klinik, Privatdocent Dr. Kühn 
und Privatdocent I)r. E h r i c li, Sekundärärzte der genannten 
Kliniken. 

Strassburg. In der med. Fakultät habilitirte sich mit 
einer Antrittsvorlesung über das Thema: „Die uekrobio- 
tischen Metamorphosen der E p i d e r m i s z e 1 1 e“. 
Herr Dr. F. W ei den reich für Anatomie, Embryologie und 
vergleichende Anatomie. 

Wien. Als Privatdocent an der Universität habilitivt: 
Dr. Rudolph Kraus für allgemeine und experimentelle Patho¬ 
logie au der medicinischen Fakultät. 

(Berichtigung.) Das Referat über meinen in der 
7. Sitzung des 30. Congresses der Deutschen Gesellschaft für Chi¬ 
rurgie ln Berlin gehaltenen Vortrag (Münch, med. Wochenschr. 
No. IS vom 30. April), das ln die meisten medicinischen Zeit¬ 
schriften Ubergegangen ist, möchte ich folgendermaasseu richtig 
stellen: Ich habe über die operative Behandlung 
der p e r i o e s o p h a g e a I e u und mediastiu alci 
Phlegmone gesprochen und dabei unter anderen eines 
Falles Erwähnung gethan, in dem es mir gelang, den 
mediastinalen Abscess, der in der Thorax- 
höhle bis zur 5. linken Rippe nach abwärts 
reichte, durch die Eröffnung vom Halse her 
•co Ha re Mediastinotomie) zur Ausheilung zu bringen. 
I**r Abscess war entstanden durch eine Perforation des Oeso¬ 
phagus, 3 cm unter dem Jugulum. Die Erscheinungen waren 
unmittelbar nach einer 3 Tage vorher In der Heiniath der Patientin 
wegen einer Laugenstrictur vorgenommenen Sondirung des Oeso- 
phagua auf getreten. 

Innsbruck, lü. Juli 1901. Prof. v. Hacker. 

In No. 2(5, S. 1071 (M a n g o 1 d t, Projektion von Röntgen 
bildern) ist In Sp. 2, Z. 1(5 u. 17 v. o. zu lesen: „des Kopfes aus 
der Pfanne, statt „und der Pfanne“; ebenda Z. 29 v. o.: „Erweite¬ 
rung“ statt „Erkrankung“; ebenda S. 1072, Sp. 1, Z. 1 v. o. „Ad¬ 
duktion“ statt „Abduktion“. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Landsheck Albert, nppr. 189.8. zu Ur- 
springen, B.-A. Marktheldenfeld. Mayer Michael, appr. 1894, zu 
Kiiiipar, B.-A. Wlirzburg. 


Verzogen: Dr. Julius Blumenthal von Wiirzburg nach 
München. Dr. Karl Pinko von Würzburg nach Kirtorf in Ober- 
liessrn. Dr. Franz Schierel li von Kimpur nach Mannheim. 

Ernannt: Zum I. Assistenzarzt und Oberarzt der Kreisirreu- 
austalt Gabersee wurde der II. Assistenzarzt der Heil- und Ptiege- 
anstalten bei Kaufbeureu, Oberarzt Dr. Hans Köhler, ernannt. 

Erledigt: Die Bezirksur/.(stelle I. Klasse in Kelheim. Be¬ 
werber um dieselbe haben ihre vorsehriftsmässig belegten Gesuche 
bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, Kammer des Innern, bis 
zum 25. Juli 1. Js. cinzurelchen. 


Briefkasten. 

Herr Dr. W. in W. Sie beschweren sieli mit Recht über die 
Zudringlichkeit, mit welcher ein Wörishofener Verlag den Aerzten 
eine Kneipp-Broschüre unter Beifügung einer Liquidation von 
1 M. zusendet, dabei „auf die Bequemlichkeit vieler Aerzte spe- 
kulireiid, die lieber zahlen, als die Broschüre zurüeksehieken“. 
Man braucht aber, wie Sie selbst richtig bemerken, die Broschüre 
weder zu bezahlen, noch sich mit der Zurücksendung derselben 
zu bemühen. Man lässt sie einfach bei sieli liegen, bei der Ab¬ 
sender sie uhholen lässt. 


Amtliches. 

tP r e u s 8 e n.) 

Die bisher strittige Frage, ob und wieweit nicht prakti- 
eirende Aerzte zu den Umlagen der Aerztekanunern heran- 
gczogen werden können, ist jetzt durch folgenden Erlass des 
Ministers Studl. den der Vorsitzende des Hessen-Nnssauisehen 
Kammer zur Kenntnis» der übrigen Aerztekammern bringt, ent¬ 
schieden worden: 

Der Minister der geistlichen, Unterrichts¬ 
und Mediclnal-Angelegenheiten. 

M. No. 1737. Berlin, 13. Juni 1901. 

Auf den Bericht vom 8. M ä r z 1901. — No. 1745. — 

Die Frage, ob die, eine ärztliche Thätigkeit nicht ausübenden 
approbirten Aerzte gleichwohl verpflichtet, sind, zu den von den 
Aerztekammern ausgeschriebenen Umlagen beizutriigen, ist zu be¬ 
jahen. Nach § 49, Absatz 1 des Gesetzes vom 25. November 1899. 
betr. die ärztlichen Ehrengerichte u. s. w. (G.-S. S. 5(55). ist jede 
Aorztekammer befugt, von den wahlberechtigten Aerzten des 
Kaniuierbezirks einen von ihr festzusetzenden jährlichen Beitrag 
zur Deckung des Kostenbedarfs zu erheben. Wahlberechtigt sind 
nach § 4 der Verordnung, betr. die Einrichtung einer ärztlichen 
Stnudesvertretung vom 25. Mai 1887 (G.-S. S. 109) in der Fassung 
der Verordnung vom 23. Januar 1S99 (G.-S. S. 17) alle im Bezirk«* 
der Aerztekammer wohnhaften approbirt«*n Aerzte, welche An¬ 
gehörige des Deutschen Reiches sind, und sieli im Besitze der 
bürgerlichen Ehrenrechte befinden, mit alleiniger Ausnahme «ler 
Militär- und Marineärzte und der Militär- und Marine¬ 
ärzte des Beurlaubtenstandes für «li«* Dauer ihrer Ein¬ 
ziehung zur Dienstleistung. Die Wählbarkeit und damit 
zusammenhängend die Beitragspflicht ist hiernach unabhängig von 
«lein Umstande, ob der zur Aerztekammer ««‘hörige approbirtc Arzt 
seine ä rat liehe Kunst thatsächiicli ausübt oder nicht 10s ist ferner 
in dem G«*setze vom 25. November 1.899 keine Bestimmung ent¬ 
halten, nach welcher etwa die Beitragsptiicht auf das aus der Aus¬ 
übung der ärztlichen Kunst entspringende Einkommen beschrankt 
wäre. 

Ebenso wenig sind endlieh die aus den BiMfrägen zu be¬ 
streitenden Ausgaben auf solche beschränkt, welche ausschliesslich 
den prakticirenden Aerzten zu Gute kommen; es sollen im Gegen- 
theil die Einnahmen der Kasse nach § 50, No. 4 «l«*s erwähnten Ge¬ 
setzes zur Bestreitung der von der A(‘ratekamliier lmschlossenen 
Aufwendungen für Angelegenheiten des ärztlichen Standes 
dienen, und zwar, wie die Motive ergehen, inbsesondere zur Er¬ 
richtung von Unterstützungs- und Pensionskassen für Aerzte und 
ihre Hinterbliebenen. 

Eine Verzichtleistling auf die ärztliche Approbation, mit der 
Wirkung der Befreiung von der Umlagepfiieht. halte ich in Ueher- 
einstinimung mit Euerer Excellenz für recht lieh unzulässig. 

Euere Excellenz ersuche ich ergebenst, hiernach auf di«* zu 
rück folgend«* Beschwerde des Dr. R. zu W. Entscheidung zu 
treffen. 

gez. S t u d t. 

An den Herrn Ober-Präsidenten zu Cassel. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München 

in der 27. Jahreswoche vom 30. Juni bis 5. Juli 1901. 
Betheiligte Aerzte 197. — Brechdurchfall 27 (14*), Diphtherie, 
Croup 12 (11), Erysipelas 12 (12), Intermittens, Neuralgia interm. 

— (1), Kindbettüeber - (2), Meningitis cerebrospin. — t—\ 

Morbilli 41 (56), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 2 3\ Parotitis 

epidem. — (3), Pneumonia crouposa 7 i,8\ Pyacmie, Septikaemic 

— (—) ( Rheumatismus art. ac. 23 (18), Ruhr (dysenteria) — (—\ 

Scarlatina 21 (15), Tussis convulsiva 20 :2l\ Typhus abdominalis 
6 (2), Varicellen 7 (18), Variola, Variolois Influenza — (U, 

Summa 178 (184\ Kgl. Bezirksarzt Dr Müller 


*) Die elngeklnimnerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Digitized by 1^.000 le 





1202 


MtmttCÜEtffift MEDIcmiSCltE WOCHENSCimrFT. No. 20. 


Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee 

für den Monat Mai 1901. 


Iststärke des Heeres: 

68 667 Mann, — Invaliden, 207 Kadetten, 145 Unteroff.-Vorschüler. 


1. Bestand waren am 

30. April 1901: 

Mann 

Invali¬ 

den 

Kadetten 

Unter- 

Offlzler- 

vor- 

schüler 

2263 

— 

2 

5 

2. Zugang: 

im Lazareth: 
im Revier: 

1 in Summa: 

1320 

3688 

5008 

— 

4 

8 

12 

7 

7 

Im Ganzen sind behandelt: 

°/oo der Iststärke: 

7271 

105,9 

_ 

14 

67,6 

12 

82,7 

3. Abgang: 

dienstfähig: 

°/oo der Erkrankten: 
gestorben: 

°/oo der Erkrankten: 
invalide: 

dienstunbrauchbar: 
anderweitig: 
in Summa: 

4945 

680,1 

18 

2,5 

40 

38 

306 

5347 

— 

9 

642,9 

9 

7 

583,3 

2 

9 

4. Bestand 
bleiben am • 
31. Mai 1901: 

[ in Summa: 

1 °/oo der Iststärke: 

1 davon im Lazareth: 1 
l davon im Revier: | 

1924 

28,0 

1334 

590 

— 

1 5 

24,1 

3 

1 2 

3 

20,7 

3 


Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten 
an: Blutvergiftung (Pyaemie) 3, Unterleibstyphus 6, Lungentuber¬ 


kulose 1, Gelenkrheumatismus (kompli/.irt mit Entzündung des Herz¬ 
beutels und der Herzinnenhaut) 1, Hirnhautentzündung 2 (davon 
1 im Anschluss an Mittelohreiterung), Gehirnerweichung nach Ge- 
fässverstopfung in Folge von geschwüriger Entzündung der Herz¬ 
innenhaut 1, croupöser Lungenentzündung 3, Abscessbildung in 
der linken Lendengegend 1. 

Ausserdem ist noch 1 Mann ertrunken (Unglücksfall — wahr¬ 
scheinlich Herzlähmung — beim Baden), 2 Mann endeten durch 
Selbstmord (durch Erhängen). 

Der Gesammtverlust der Armee durch Tod betrug demnach im 
Monat Mai 21 Mann. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 27. Jahreswoche vom 30. Juni bis 6. Juli 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 3 (4*), Scharlach — (1), Diphtherie 
und Croup — (—), Rothlauf — (—), Kindbettfieber 1 (1), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 2 (—). Brechdurahfall 2 (3), Unterleibtyphus 
1 (1), Keuchhusten 1 (2':, Crouprtse Lungenentzündung 2 (1), 

Tuberkulose a) der Lungen 26 (30', b) der übrigen Organe 8 (13), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (1), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 1 (4), Unglücksfälle 6 (5,, Selbstmord^ (1), Tod durch 
fremde Hand 1 (—). 

Die Ge8ammtzahl der Sterbefälle 203 (208j, Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 21,1 (21,6), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 13,6 (12,7). 


•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Morbiditätsstatistik der Infectionskrankheiten in Bayern: April 1 ) und Mai 1901. 


Regierungs- 



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20 


Be völkerungsziffern*): Oberbayern 1'323,447, Niederbayern 678,684, | 
Pfalz 831,583, Oberpfalz 563,867, Oberfranken 607,903, Mittelfranken 816,656, Unter- 
franken 660,758, Schwaben 713,616. — Augsburg 89,109, Bamberg 41,820, Hof 32,782, 
Kaiserslautern 48,306, Ludwig.shafeu 61,905, München 499,969, Nürnberg 261,022, 
i*irmasens 30,194, Regensburg 45,426, Würzhnrg 76,497. 

Einsendungen fehlen aus der 8tadt Hof und den Aemtern Bergzabern, Hof, 
Stadtstelnaeh, Wunsledel, Neustadt a./A , Ebern, Hofhelm, Königshofen, Würz¬ 
burg und Oberdorf. 

Höhere Eckrankungszahlen (auaser von obigen Städten) werden gemeldet 
aus folgenden Aemtern bezw. Orten: 

Diphtherie, Croup: Epidemie ln Oberlelterbach (Staffelstein), 12 beh. 
Fälle; ferner ln Michelbach (Alzenau), gutartig, 22 beh. Fälle; Stadt- und Land¬ 
bezirke Bayreuth 19, Kulmbach 14 beh. Fälle. 

Influenza: Abnahme der Epidemie In den Aemtern Pirmasens (im A.-G. 
Dahn) und Donauwörth. Stadt- und Land bezirke Paasau 29, Forcbheim 34, Aemter 
Altötting 36, Vllsblburg 21. Sehwelnfurt 32 beh. Fälle 

Intermlttens: 1 Fall, aus der römischen Campagna eingescbleppt, im 
ärztl. Bezirke Kolbermoor (Aibling). 

Meningitis cerebrospinalis: 2 Fälle (1 tödtlicb) am gleichen Tage, 
ohne nachweisbaren Zusammenhang, in Iggelheim (Ludwigshafen); Stadt- und 
Landbezlrk Forchbeira 3 beh. Fälle 

Morbilli: Fortsetzung der Epidemien ln den Bezirken Pfaffenhofen (Im 
A-O. Geisenfeid, 142 beb. Fälle, vielfach mit Tussis compllclrt; Traunstein (Im 
A -G Trostberg, Schulschluss ln Truchtlaching, 69 beh. Fälle ; Ludwigshafen (im 
nördlichen Theile der Stadt, 209 beh. Fälle, nur 15 über 6 Jahie alte Kranke); 
Kusel (in Welchweiler. Horschbach und Oberalben), Landau 1 d Pf. (In der Stadt 
I-andau), Memmingen lin Stadt und Land 60 beh. Fälle); Kempten (lm Land¬ 
bezirke In Franenzdl und Muthmannshofen; 42 beh. Fälle). Epidemisches Auf¬ 
treten ferner in den Aemtern München I (im ärztl. Bezirke Ismaning 68 beh. 
Fälle), Passau (in Passau und Umgebung), Viechtach (neuerdings Im Bezirke, in 
Kollnburg), Neumarkt (lm ärztl. Bezirke Sulzbürg), Oberuburg (ln Klingenberg, 
Köjlfeld und Erlenbach). Stadt- und Landbezirk Lindau 46, Bez -Amt Regens- 
bu rg 85 beb. Fälle. 

Parotitis epidemica: Neuerdings epidemisches Auftreten ln den 
Aemtern Alzenau (In Schimborn) und Donauwörth, (in Harburg neben Tussis, 
leicht); Epidemie ferner In Treidelheim (Neuburg a/D.) und in der Stadt Nörd- 
lingen (unter 1 bis 10jährigen Kindern). 

Pneumonia crouposa: Stadt- lind Landbezirk 8chwabach 47, Aemter 
Zweibrücken 51, Hcrsbruck 74 beh. Fälle. 

Ruhr, dysenteria: Aerztl. Bezirk Neuötting -Altötting) 8, Bez.-Amt 
Zweibrücken 4 beh. Fälle. 


Tnssls convulsiva: Fortsetzung der Epidemien ln den Aemtern Freising, 
Pfaffenhofen (Im ärztl. Bezirk Gelsenfeld neben Masern), Vilshofen (ln Aidenbach, 
61 beh. Fälle); Epidemie im Amte Viechtach im Erlöschen. Epidemisches Auf¬ 
treten ferner ln den Aemtern Altötting (ln den ärztl. Bezirken Neuötting und 
Tiissllng, 48 beh. Fälle), Landsberg (in Dlessen und Set. Georgen) von München 
eingeschleppt, Wegscbeid eingeschleppt aus dem Bezirke Passau, zunehmende 
Verbreitung), Pirmasens (In allen Ortschaften des A.-G. Dahn), StalTelstcin (in 
Uetztng), Eichstätt (in Böhmfeld, Hitzhofen und Llppertshofen), Herabruck Im 
ärztl. Bezirk Lanf, 27 beh. Fälle), Scheinfeld (über den ganzen Amtsbezirk ver¬ 
breitet, gutartig), Donauwörth (in Harburg, neben Parotitis). Bez.-Amt Zwei¬ 
brücken 48 beh. Fälle. 

Typhus abdominalis: Fortsetzung der Epidemie in Waldmünchen, 
(4 beh. Fälle ln Waldmünchen, t auswärts); Aemter Landau 1/Pf. 4 (davon 3 ln 
einer Familie in Landau), Neuburg a/D. 6 (davon 4 in Karlshuld), Zweibrücken 
und Kempten je 4 beh. Fälle. 

Varicellen: Häufige Erkrankungen im 8tadt- und Landbezirke Kaisers¬ 
lautern, ferner im A.-G. Lauingen (Dillingen), keine ärztliche Hilfe begehrt. 

Variola, Varlolois: 1 Fall ln Kornau (Sonthofen). Vom Vormonate 
nachzutragen 12 Fälle im Amte Gunzenbausen, die Mitglieder einer wandernden 
8cbirmmacherfamilie betreffend. 

Milzbrand: 1 Fall ln Schneppenbach (Alzenau), bei Section einer milz¬ 
brandkranken Kuh acquirlrt. 

lm Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender 8tatiatlk wird um 
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20 des auf den Berichts¬ 
monat folgenden Monat«) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehlanzeigen 
ersucht, wobei anmerkungswelse Mitthellungen über Epidemien erwünscht sind. 
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswerth, dass Fälle 
aus der sog. Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Grenz¬ 
amtes oder dem K. Statistischen Burean unter Ausscheidung nach Aemtern an¬ 
gezeigt werden. 

Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen tu portofreier Einsen 
dang an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Bezirksärzte 
zu erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. Sammelkarten als za 
Elnzelneinsendungen der Amts- und praktischen Acrzte, welche ln letz¬ 
terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle znsammengesteUt aal 
je 1 Karte pro Monat nebst altenfallslgen Bemerkungen über Epidemien etc. zu: 
Auzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht von Einsendung sog. Zähl 
blättchen oder Sammelbogen absusehen. Allenfalls in Händen befind¬ 
liche »ng. Postkarten wollen aufgebranoht, jedoch durch Angabe der Zahl 
der behandelten Influenzafälle ergänzt and unter Umschlag elngesandt werden. 


•) Nach dem vorläufigen Ergebnisse der Volkszlhlung vom 1. Dezember t9öö. — ‘) Einschliesslich einiger seit der lauten Veröffentlichung (No. 21, 1901) 
eingelaufener Nachträge. — *) lm Monat April 1901 einschliesslich der Nachträge 1405 — *) 14. mit 17. bezw. 18. mit 22. Jahreswoche. 


Verlag von J. F. La hmann in München. — Druck von K. 


Mflhlthaler'a Bncb- und Kunatdrackeret A.O., Manchen. 

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>8 





































Wo Münch. Med. Woehenschr. erscheint wöchentl. 
ln Nummern von durchschnittlich 6-6 Bogen. 
Preis ln Deutsch), u Oest.-Ungarn vlerteljflhrl. 6 JL, 
Ins Ausland 7.60 JL Einzelne No. 80 -4. 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind zu adrcsslren: Für dlo Iicdactioa 
Ottostrasse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬ 
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen 
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. 




EDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Cfe. Baumler, 0. Bollinger, H. Curschmann, 

Freiburg I. B. München. Leipzig 

No. 30. 23. Juli 1901. 


Herausgegeben von 

C. Gerhardt, 6. Merkel, J. i. Michel, 

Berlin. Nürnberg Berlin. 

Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasae 1. 
Verlag: J. F. Lehmann. Heastraase 20. 


H. i. Ranke, 

München. 


F. v. Winckel, H. v. Ziemssen, 

München. München. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der II. medicinischen Universitätsklinik in Berlin. Director: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Gerhardt. 

Chinasäure und Gicht. 

Von Dr. de la Camp, Assistent der Klinik. 

J. Weiss theilte vor 2 Jahren Versuche mit Chinasäure 
mit, deren Ergebniss eine Verminderung der liarnsäureaussehei- 
dung beim Mensehen nach Darreichung dieser, selbst in grossen 
Mengen von 20—30 g gut vertragenen Säure und eine gleichzeitige 
Vermehrung der normaliter nur in geringer Menge ausge- 
sebiedenen Hippursäure besagte. Demgemäss prüfte und empfahl 
er als therapeutisches und prophylaktisches Mittel für die harn¬ 
saure Diatliese, insbesondere die Gicht, eine Verbindung derselben 
mit einem bisher als „Giehtmittel“ empfohlenen Salz, dem Lithion 
citrieum, unter dem Namen Urosin. Die von ihm gefundene Er¬ 
scheinung der verminderten Harnsäureausseheidung nach Ein¬ 
führung von Chinasäure erklärte er durch die Annahme einer ver¬ 
minderten Ilarnsäurebildung im Körper und gedachte durch die 
Kombination der Chinasäure mit einem diuretisch wirkenden 
Mittel einen doppelt günstigen therapeutischen Erfolg zu erzielen. 
In ähnlicher Absicht wurde eine weitere Chinasäureverbindung, 
Chinasäure und Piperazin, Sidonal genannt, hergestellt und von 
Blumen thal und Lewin in seinen Stoffwcchseläusserungen 
untersucht, und endlich ein Präparat, das Chinasäure und Uro¬ 
tropin enthielt, das Chinotropin, das von Nicolai er geprüft 
wurde. 

Wenn nun auch trotz mannigfacher, auf eingehenden Unter¬ 
suchungen sich aufbauender Theorien und vieler als richtig an¬ 
erkannter Thatsaehen eine exakte Erklärung des Wesens und der 
Aetiologie der Gicht keineswegs besteht, so musste doch ein 
Mittel, das ein Symptom der Gicht, pathologische Harnsäure¬ 
ablagerungen, in irgend einer Weise beeinflussen konnte, zu kli¬ 
nischen und zu Stoffwechselversuchen auffordern. Allerdings 
musste man sich der Inkonstanz der Harnsäurevermehrung oder 
-Verminderung im Urin vor, während und nach dem Gichtanfall 
bewusst bleiben, musste zweitens die Harnsäurebiklung aus reich¬ 
lich Harnsäure bildender, nucleinreicher Nahrung und aus den 
aus dem Körpergewebe sich bildenden Purinkörpern unterscheiden 
und drittens neben der erwarteten Harnsäureverminderung im 
Urin anderweitige Stoffwechseländerungen, also speciell die 
Hippursäureausscheidung beachten. Vornehmlich die Unter¬ 
suchungen von H i 8, der den Verbleib von saurem hamaaurem 
Natron, das er in Gelenk und Bauchhöhle einspritzte, und die 
Reaction des Körpers auf diese Injektionen, die sich in einer Ent¬ 
zündung und einer Aeusserung der Harnsäure als Gewebsgift be¬ 
kundeten, untersuchte, Ressen auf eine Rolle der Harnsäure bei 
der Entstehung der akuten menschlichen Gicht schliessen, wenn 
auch Thierkörperexperimente nur vorsichtige Rückschlüsse auf 
menschliche pathologische Verhältnisse gestatten. So zeigte 
Richter, dass bei Vögeln experimentell durch chromsaures Kali 
hervorgerufene Hamsäureablagerungen auf Herzbeutel, Leber, 
Plcora, dem Darmüberzug nicht entstanden bei gleichzeitigen 
Gaben von Sidonal oder auch Chinasäure allein. Nach Weiss 
Hieilten, wie schon oben erwähnt, im vorigen Jahre Blumen- 
tha 1 und Levin Stoffwechaelversuche beim Menschen mit 
30 


Chinasäure mit. Von 4 Versuchen konnten 2 als deutlich positiv 
hinsichtlich der erwähnten Wirkung der Chinasäure bezeichnet 
werden, allerdings nur, wenn gleichzeitig die Harnsäureausschei¬ 
dung durch hamsäurebiklende Nahrung (Thymus) vermehrt und 
dann durch Chinasäure beeinflusst wurde. Der 3. Versuch fiel 
völlig negativ trotz Thymusdarreichung aus und der 4. Versuch 
nach der Ansicht Blumenthal’s desshalb negativ, weil bei 
der auf reine vegetabilische Nahrung gesetzten Patientin (Arthri¬ 
tis urica) die geringe Harnsäureausseheidung wegen der ver¬ 
minderten Harnsäurebiklung nicht hatte beeinflusst werden 
können, während sie bei Darreichung von Thymus allerdings 
Differenzen gezeigt habe (einer der beiden positiven Versuche). 
Bezüglich der Erklärung der Chinasäureeinwirkung drückt sich 
B. sehr vorsichtig aus: gegen eine vermehrte Lösung der Harn¬ 
säure, die Richter annehme, scheine zu sprechen, dass China¬ 
säure im Reagensglaso nicht Harnsäure löse; gegen eine ver¬ 
minderte Bildung aber die Inkonstanz der Versuche. B. experi- 
mentirte mit Sidonal, Urosin und Chinotropin. Ueber die ver¬ 
mehrte llippursäureausscheidung, die W o i s s ja an Stelle der 
verminderten Harnsäureausseheidung gesetzt haben wollte, fehlen 
speciollere Angaben. Dagegen geht aus den Versuchen weiterhin 
hervor, dass Gaben von Benzoesäure, wie auch schon \V T e i s s und 
Lewandowski gezeigt hatten, die Ilarnsäureausfuhr nicht 
verminderten. 

Diesen zum Theil positiven Resultaten stehen andere gegen¬ 
über. Weintraud hatte inkonstante Resultate, Lewan¬ 
dowski völlig negative. Schlayer theilte 2 Fälle mit, in 
denen er nach Gaben von 4 g Sidonal eine erhebliche Abnahme 
der Harnsäureausseheidung sah; allerdings wurde nur je eine 
Harnsäurebestiinmung vor und nach dem Sidonalgebrauch ge¬ 
macht, und dazwischen lag eine längere Zeit. Im Juli vor. Jahres 
veröffentlichte Nicolaier seine experimentellen Erfahrungen 
über Chinasäure und Benzoesäure. N. kam auf Grund von 3 an 
Gesunden angestellten Versuchsreihen zu dem Resultat, dass die 
Chinasäure die Harnsäureausseheidung nicht vermindere, im 
Gegentheil sogar (in 2 Fällen) vermehre. Neben Chinotropin 
wandte er Sidonal an. „Bei unseren Versuchspersonen“, sagt er 
zusammenfassend, „hatten demnaeh alle hippursäurebildenden 
Verbindungen (Chinotropin, Sidonal, Chinasäure, benzoesaures 
und zimmtsaures Natron), die wir betreffs ihres Einflusses auf die 
Harnsäureausseheidung untersuchten, keine Verminderung der¬ 
selben zur Folge, es bestand also bei ihnen jedenfalls nicht, wie 
angenommen wird die Wechselwirkung zwischen Hippursäure und 
Harnsäure derart, dass eine Vermehrung der Hippursäure im 
Harn, wie sie nach Darreichung dieser Verbindungen statthat, 
eine Herabsetzung der Harnsäureausseheidung bewirkt.“ N. ver¬ 
zichtete auf die Bestimmung der Hippursäure, da es ihm nur auf 
die Harnsäureausseheidung ankam. Die Werthe der Harasäure- 
ausseheidung, die er bei seinen Versuchen fand, waren häufig 
an verschiedenen Tagen recht differente. Aus 2 Zahlen 0,4148 
und 0,5971 das Mittel 0,5059 und aus 4 Zahlen 1,2150, 0,8030, 
0,6308 und 0,4631, von denen die erstere beinahe das 3 fache der 
letzteren beträgt, das Mittel 0,7779 als Verhiiltnisszahl in Be¬ 
rechnung zu ziehen, ist natürlich immer misslich. Auf Grund 
der mitgetheilten günstigen klinischen Berichte und seiner Er¬ 
fahrungen über die harnsäurelösenden Eigenschaften des Uro¬ 
tropins empfiehlt N. jedoch speciell das Chinotropin zur weiteren 
Prüfung. 

1 


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J204 MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30. 


Neben diesen keineswegs übereinstimmenden Mittbeilungen 
über die Wirkuntren der Chinasäure im menschlichen Organismus 
auf Grund von Stoffweehseluntersueliungen sind nun von einer 
grössereren Reihe Autoren durchaus günstige klinische Ergeb¬ 
nisse veröffentlicht (v. L e y d e n, E w a 1 d, R. Fraenk e 1, 
Goldscheider, J. Mayer, Sternfeld, S a 1 f e 1 d, 
Mylius u. A.) und zwar handelt es sich um verschiedene Ver¬ 
bindungen der Chinasäure, meist V ros in und Sidonal. 

Nach allem Gesagten erschien es angebracht, weitere Unter¬ 
suchungen über Chinasäure anzustcllen. Zu meinen Stoffweehsel- 
versuehen verwandte ich das von der chemischen Fabrik auf 
Aktien (vorm. E. Schering) bergest dito Chinasäure-Präparat 
Chinotropin, das in mehrfacher Beziehung aus weiter unten an¬ 
geführten Gründen bevorzugt zu werden verdiente. 


Die Fabrik stellte uns 2 Präparate zur Verfügung, ein 
Chinotropin II, das 2 Molecüle Chinasäure und 1 Molecül Uro¬ 
tropin und ein Chinotropin III, das 4 Molecüle Chinasäure und 
1 Molecül Urotropin enthielt. 

Das Präparat wurde stets ohne jede unangenehmen Nebeur 
Wirkungen genommen; als oberste Grenze wurden 7,5 Chino¬ 
tropin II (entsprechend 1,5 g Urotropin) gewühlt, im Uebrigen 
zwischen 5 und 6 g (dem Sidonal entsprechend) gegeben. — Die 
Harnsäure wurde nach der Ludwig-Salkowsk i’schen Me¬ 
thode bestimmt, die Hippursäure nach der von Blumcuthnl 
angegebnen Methode im Versuch 1, 3 und 5, nach der Bunge- 
S e h m i e d e b e r g’sohen Methode im Versuch 2. Zur Bestim¬ 
mung der Harnsäure wurden stets Doppeluntersuchungen ausge¬ 
führt. 


V e r s uch I Chlorosis levis. 


- — —-— 

■— — - - 

- - — — 


— - — 




Tag Medikation 

rriimicngr 

Spec. 

Gewicht 

X 

1 larnsäure 

Phosphor*) ! 

Stuhl 

Diät 







Trockenkolli 116 g 

Täglich: 






| 

5,6724 X 

V l-i 1 Milch 

1 0 

2500 

1017 

19,32 

0,924 

4,65 

6,2524 Phosphor 
18,368 Fette 

200 g Brod 

2 0 

20 0 

1017 

16,184 

o,777 

3,78 

im Mittel pro Tag: 

200 g Fleisch 





2,8362 N 

3,1262 Phosphor 

120 g Schrippen 







9,184 Fette 

100 g Reis 







Trockenkoth 160 g 

80 g Eier 

3 ,6g Chinotropin II 

2500 

ioi <; 

18,41 

0,9995 

4,30 

8,32 X 

40 g Caeao 

4 

2500 

1017 

17,5 

0,8892 

4,25 

8,144 Phosphor 

27,312 Fette 

20 g Zucker 

5 1 „ 

2220 

1018 

10,56 

0,6976 

3,74 

im Mittel pro Tag: 
2,03 X 

1 Fl. Selters. 

6 

2500 

1018 

18,9 

0,8295 

4,2.5 

2,036 Phosphor 








6,823 Fette 








Trockenkoth 110 g 







| 

5,61 N 


7 | 0 

2800 

1017 

17,87 

. (',8643 

4,7u4 | 

6,5175 Phosphor 


8 | 0 

2500 

1018 

18,76 

0,8925 

4,7 ! 

25,575 Fette 
im Mittel pro Tag: 


9 0 

2G01 

1017 

17,9816 

0,7644 

4,472 j 

1,87 N 

2,1725 Phosphor 



. 





8,525 Fette 



*) Nach Neumann In Periode I Harnsäure durchschnittlich pro Tag: 0,8 05 

„ „ U „ „ „ „ 0,8539 

„ „ UI „ „ „ „ 0,8104 


Am 2. Tag Hippursäure unter 0,3 
„ 5. „ „ über 2,0 

p n 9 

ff * * V >t K 


(Versuch II u. III siehe nächste Seite ( 


Im Versuch 1 handelte cs sich um ein wegen leichter Chlo¬ 
rose in Behandlung befindliches Mädchen, das während des Kran¬ 
kenhausaufenthaltes ständig zutiahm und geheilt entlassen wurde. 
Es erhielt eine reichliche gemischte Nahrung, wie aus der bei¬ 
gegebenen Diät ersichtlich ist und befand sich bis auf einen Tag 
(Tag 5) im Stickstoffglcichgewicht. Wahrscheinlich ist an diesem 
Tage, an dem alle 3 Faktoren: Stickstoff. Harnsäure und Phos¬ 
phor geringer waren, ein geringer Tlieil des Harns verloren ge¬ 
gangen. Im Versuch 2 und 3 handelte cs sich um zwei akute 
Gichlfülle, welche jedoch nicht, wie in dem negativen Versuch 4 
von Blumenthal, vegetabilische, sondern gemischte Diät 
erhielten. Die Temperaturen, die in den Tabellen enthalten sind, 
gehen einen Begriff von dem Abklingen des akuten Gichtanfalls. 
Der Kranke des Versuchs 2 war ein 44 jähriger Arbeiter, der 
seit 13 Jahren an Gicht litt. Am 3. Tage des erneuten, die Fuss- 
gelenke, rechte Schulter und das linke Handgelenk betreffenden 
Anfalls wurde mit dem Stoffwechselversuch begonnen. Der 
Kranke des 3. Versuchs war ein 46 jähriger Handelsmann, der 
gleichfalls seit langen Jahren an Gicht laborirte und oft das 
Krankenhaus nufsuehen musste. 

Bei dem ersten Kranken fand sich niemals Eiweiss im Urin, 
bei dem zweiten nur vorübergehend während der akuten Anfälle. 

Hieran anschliessend möchte ich noch eine weitere Bestim¬ 
mung der Harnsäure bei einem dritten akuten Gichtiker 
(56 jnhr. Silberarbeiter) mittheilen, dessen ITarn-äureverhHltnisse 


allerdings in den betreffenden Perioden nur au je 1 Tage geprüft 
wurden. 


T a 1) e 11 e 4 



1 | 

X Harnstoff | 

i 

Phos¬ 

phor 

Harn¬ 

säure 

Vor der 1. Chinolropinperiode 

11,7 

28,0 

i Harnstoff N : 

13,16 

! 

' [ 

0.59 

Während der 1. ('hinoiropin- 
periode .5 Tage lang je 8,0 g 
Chinotropin 1P. 

15,1 

28,8 

2,.i5 

1,04 

Zwischenperiode von 5 Tagen 

j 

— 

1 ~ 

1 

Während der 2. Chinotropin- 
Periode (3 Tage lang je 8,0 g j 
Chinotropin 11 >. 

14,014 

1 

» 

i 

0,1701 

Xnchperiode. 

14,414 — 

. — 

j <»,492 


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23. Juli 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1205 


■Versüc h II Arthritis urica. 


Tag 

! 

] Medikation 

! 

rrinmenge 

Spoc | 

Gewicht 

I 

X 

Harnsäure | 

Phosphor 

Stuhl 

Temperaturen 

Morgens it.Ahils. 

i 

i 

C 

ü ~ 

1 

, o 

1600 1 

1016 

9,128 

i 0,6132 

1,66 


37,0' 38,9 

048,11 

•) 

1 0 

2300 

1008 

3,2936 

0,777 

2,624 1 

Trockenkoth 437 g 

37,6 37,0 ' 

1139 

3 

0. 

3000 

1009 

16,212 

0,78 

0,75 

13.11 X , 

37.2 38,0 

1873 

4 

0 

2000 

1011 

12,806 

0,6552 

1,02 

57,2907 Phosphor 

37,4 37,8 

2070 

:t 

(1 

2100 

1009 

11,701 

, 0,4506 

0,88 

52,003 Fette 

37,2 37,2 : 

1 2286 

6 

0 

2500 

1010 

16,0 

0,7875 

2,0 i 

im Mittel pro Tag: ! 

36,8 37,2 

2677 

7 

o 

20C0 

1011 

13.44 

i 0,462 

0,76 

1,311 N 

36,8 37,0 

2286 

8 

0 

| 3600 

1009 

14,968 

0,6577 

1,604 1 

5,729 Phosphor 

36,8 37,5 

2418 

9 

! 0 

j 2000 

1010 

10,69 

i 0,419 

0 9 1 

5,20 Fette 

36,8 37,5 

2492 

10 

. 0 

1 3300 

1009 

14,506 

0,783 

0,99 


36,7 37,6 

2485 

11 

2,5 g 

3600 

1008 

12,146 

5.5367 

1,26 


36,8 37,0 

2304 

12 

t’hinotropin 11 

, 4100 

1008 

15,498 

| 0,5854 

1,845 

Trockenkoth 218 g , 

36,4 37,4 

2441 

13 


3400 

1010 

13,804 

o,i; 06 

1,598 

10,6 X 


2419 

14 

t ” 

| 2400 

1007 

16,19 

i 0,2822 

1,162 

'2,7042 Phosphor 


2660 

15 

5 g 

2800 

10t >8 

15,96 

1 0,5115 

1,456 

42,51 Fette 


2341 

1« 


! 2800 

1009 

15,052 

I 0,488 

1,736 ! 

im Mittel pro Tag: , 


v.646 

17 


2600 

1010 

12,084 

1 0,4477 

2,21 ; 

1,06 X 


2629 

IS 

0,5 g 

3600 

1009 

15,4224 

! 0.5518 

2,196 { 

3,270 Phosphor 

o 

20h5 

Kl 


3200 

1010 

16,0384 

0,6384 

2,08 

4,251 Fette 

r 

2975 

10 

1,5g 

i 3000 

1010 

12,18 

, 0,4725 

2,13 


z • 

2911 



I 



| 

1 

, 1 

Trockenkoth 122 g 










5,67 X 

| 


21 

0 

3000 

1009 

9,912 

, 0,4221 

1,35 

16,165 Phosphor 


2920 

22 

0 

3000 

1008 

10,416 

0.4152 

1,29 ! 

20,044 Fette 


2901 

13 

0 

3000 

1010 

14,448 

t 0,4851 

2,10 j 

im Mittel pro Tag: 


2870 

24 ' 

0 

1 34U0 

1011 

19,6612 

0,6426 

3,196 | 

1,42 N 


2783 

i 


i 



i 

i i 

4,041 Phosphor 



1 






i 

5,011 Fette 




In Periode I Harnsäure durchschnittlich pro Tay: 0,6385 

„ „ II ,, „ „ „ 0,5120 ' Hippiirsäuro 0. 

„ „ IU „ „ ,, 0,4912 


\ ? e r s u c h III Arthritis urica. 


Tag 

• 

Medikation 

Urin- 

Spec. 

(Je- 

X 

Harn¬ 

säure 

. 

Phos¬ 

phor 

Stuhl 

Temperat-Jr 

Diät: 

Täglich: 



wicht 


Gesummt 

Im Mittel 


1 

0 

2200 

1013 

, 

11,7656 

0,3234 

1,738 

1,98 

(Trockenk. 101 g 
) 4,141 N 

pro Tag 
2,071 
4,232 
20,149 

nur 37° 

100 g Brod 

80 g Butter 

130 g Schrippen 


<> 

U 

2200 

1013 

12,628 

0,5821 

| 8,4638 Ph. 

(40,2990 F. 

l> 

»» 

i 



80 g Rindlleiso 

3 

6g Chinotropin III 

2400 

1015 

13,306 

0,5141 

1,752 

(Trockenk 185 g 

1,66 

3,919 

21,009 


80 g Käse 


4 


2600 

1013* 

14,9968 

0,5317 

0,5885 

1,404 

6,66 N 


2 1 Milch 


5 


2200 

1016 

17,0*32 

2,464 

15,678 l*h. 


1 1 Kaffee 

- 80 g 

6 

II 

2200 

1016 

17,1248 

0,5515 

2,772 

184,036 F. 

unter 37 ü 

1 fl. Selters 

Rindfleisch 

7 

0 

2000 

1015 

16,24 

0,514 

2,18 

(Trockenk. 116 g 
4,524 N 

111,194 Ph. 
(44,573 F. 

1,508 



1 - 70 g Brod 

8 

0 

2000 

1014 

16,294 

0,5434 

2,03 

3,731 



9 

0 

2200 

1014 

17,2612 

0,6208 

2,156 

14,858 




10 

7,5g Chinotropin 11 

2500 

1013 

17,64 

0,6425 

2,325 

(Trockenk. 172 g 
6,192 N 

118,429 Ph. 
(61,232 F. 

2,064 

M 

-f- 7>o 1 Cognac 

— 30 g Brod 
, — 45 g „ 

11 


2600 

1012 

14,9968 

0,6027 

1,976 

6,143 

20,411 


4 - Vio l „ 

12 

II 

2200 

1013 

16,016 

0,5405 

1,672 

1» 

+ Vto 1 „ 

13 

0 

2500 

1013 

16,87 

0,6930 

2,0 

(Trockenk. 112 g 
4,256 X 

11,312 Ph. 
(38,36 Fette 

1,418 

3,771 


4 - 7io l „ 

1 - : 0 g „ 

14 

0 

24t 0 

1013 

15.2768 

0,5140 

2,084 


4- 7>« i „ 

1 - W g „ 

15 

O 

2600 

1013 

17,0352 

0,4849 

1,95 

12,79 

1» 

+ 2 > i „ 

- 20 g „ 


• Eibrochen 1 Itn Erbrochenen: 1.S69& N. 


Durchschnittliche Harnsänremengo Periode I: 0,4517 


V: 0,5639 


II: 0,5485 
III: 0,5594 
IV: 0,5952 


Hippursäure: Am 2.Tag: ca. 0,2 g 
>, 5- ,, „ ‘*-',0 g 

„ 12. „ „ 3,2 g 

„ 15. „ /.wischen 0,;> u. 0,7 g. 


Im Versuch 2 erhielt ich nacli der Bungo-Schmie d e - 
bergVchen Methode nur geringe Spuren von llippursiiure, die 
quantitativ nicht Is-stiinuibar waren, im Versuch 1, 3 und 5 nach 
der Bl u me n t h a 1 - S a 1 k o w s k i’sclien Methode die ange¬ 
gebenen. Es ist der negative Ausfall wohl auf die Mängel der 


erst ereil Methode zu beziehen, wie in jüngster Zeit auch von 
Le w i n und vorher von W c i n t r a ud betont wird, dass höchst 
selten im Aetherriiekstand Ilippursiiurekrvstalle austielen. — 
Die ganzen Resultate der 3, resp. 4 Versuchsreihen lassen sich 
nun in wenigen Worten zusanmienfassen: Es fand niemals durch 

1 * 


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1206 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. 


die in grösseren oder kleineren Mengen eingeführte Chinasäure 
eine nachweisbare Beeinflussung der Harnsäureausscheidung 
statt, während die Hippursäureausscheidung in den Chinasäure¬ 
perioden erheblich vermehrt war. .Es konnte also jedenfalls nicht 
eine Wirkung der Chinasäure, in dem Sinne konstatirt werden, 
dass die Harnsäureausscheidung vermindert und dafür nun die 
Hippursäure verröehrt im Harn erscheine. L e w i n setzt sich in 
seiner neuen Arbeit über den Iiippursäurestoffwechsel des Men¬ 
schen mit den mitgetheilten bisherigen diesbezüglichen Resul¬ 
taten auseinander und meint, eine Ansicht, wie sie Lewan- 
d o w s k y vertritt, dass mangelnde Harnsäureverminderung nach 
Benzoesäuregenuss gegen den Einfluss der Chinasäure auf die 
Harnsäurebildung spreche, brauche keineswegs richtig zu sein, 
selbst dann nicht, wenn alle eingeführte Benzoesäure als Hippur¬ 
säure ausgeschieden würde. Bereits Bunge habe diesbezüglich 
bemerkt, dass es nicht in unserer Macht liege, die Benzoesäure 
zur bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort gelangen zu lassen, 
wo sie das Glykocoll vor seiner Vereinigung mit der Cyansäuro 
zur Harnsäuresynthese abfangen könne. Ausserdem sei es wohl 
denkbar, dass die erst aus Spaltung und Oxydation komplizirterer 
Verbindungen entstandene Benzoesäure von den Zellen, in denen 
das Glykocoll entsteht, leicht zur Bildung von Hippursäure ver¬ 
wendet werden, die fertig eingeführte dagegen zurückgewiesen 
werden könne. 

Der Ansicht W e i n t r a u d’s, dass beim Abbau der Nucleine 
Hippursäure- und Harnsäurebildung verschiedene Processe seien, 
stimmt L. zu, nicht aber der, dass ein solcher Zusammenhang 
auch nach Sidonal nicht vorhanden sei, wenigstens nicht in dem 
Maasse, wie ihn Weiss nach Chinasäure annehine. L. meint, 
vielmehr, Chinasäure verhalte sich vielleicht anders als andere 
aromatische Körper, die nach der Fäulniss von Eiweissstoffen 
entstehen. Die betreffenden Schlusssätze der L.’schen Arbeit 
lauten: „Nach dem Genuss von Chinasäure ist. die Hippursäure¬ 
ausscheidung vermehrt, zu gleicher Zeit in vielen Fällen die 
Harnsäure vermindert. Es ist desshalb anzunehmen, dass die 
Möglichkeit eines Parallelismus in der Ausscheidung beider, wie 
Weiss annimmt, vorhanden ist. Bei Gicht und Diabetes ist 
die Hippursäureausscheidung an sich nicht von der Norm ab¬ 
weichend, dagegen bei Perityphlitis stark vermehrt.“ 

Aus den verschiedenen Resultaten der verschiedenen Autoren 
und auch aus der verschiedenen Deutung, die die Resultate er¬ 
fahren haben, geht zunächst hervor, dass die Verhältnisse im 
menschlichen Körper sich keineswegs erkennbar gestalten. So 
lange die Synthese, der gesammte Abbau und Umbau der Harn¬ 


säure in allen seinen Phasen und Möglichkeiten, die örtlichen 
und zeitlichen Entstehungsweisen, ferner die alleinige oder haupt¬ 
sächliche Rolle der Nieren bei der Hippursäurebildung nicht fest¬ 
steht, kann das gegenseitige Verhältniss, sowie die Beeinflussung 
der beiden Endprodukte durch künstlich hervorgerufene Um¬ 
stände (Darreichung von Medikamenten etc.) nur in ihrem End¬ 
stadium, d. h. wie sich beide im Harn verhalten, und zweitens 
nur in jedem Einzclfalle besonders beobachtet werden. Darum ist 
es auch wohl vornehmlich nicht möglich, ein Mittel einer speziellen 
Einwirkung auf die Harnsäure halber u. 8. w. durchgängig anzu¬ 
empfehlen. Und vollends unhaltbar dürfte eine Empfehlung eines 
„spezifischen Gichtmittels“ sein. Ist es einstweilen nicht mög¬ 
lich, die Verhältnisse im normal funktionirenden menschlichen 
Organismus zu übersehen, so ist es doppelt unmöglich, 
die Harnsäure im gichtisch erkrankten Körper, sei es in 
ihrer Bildung, sei es in ihrer Löslichkeit oder ver¬ 
mehrten Ausscheidung beeinflussen zu wollen, da uns die 
Rolle der Harnsäure bei der menschlichen Gicht einstweilen 
schleierhaft ist, und auch irgendwie verwerthbare Differenzver¬ 
hältnisse beim Verlassen des Körpers im Urin kaum vorliegen. 
Daher das Missverhältniss zwischen der Zahl theoretischer Er¬ 
klärungen und empfohlener Gichtmittel einerseits und der Zahl 
der Erfolge andererseits. Erinnert sei an dieser Stelle noch an 
zwei Mittel, deren erstes, das Chinin, die Harnsäureausscheidung 
in erheblicher Weise vermindert, aber keineswegs als Gichtmittel 
sich einführen konnte, während das andere, das salicylsaure 
Natron resp. die Salicylsäure, die Harnsäureausscheidung im 
Gegentheil vermehrt und trotzdem manchmal bei Gicht guten 
Einfluss haben soll. Immerhin ist aber eins festzuhalten: bei 
der Gicht hat die Harnsäure wohl einigen aetiologischen oder 
symptomatischen Werth, in der Chinasäure besitzen wir ein 
Mittel, das unter Umständen, nämlich vor Allem dann, wenn 
gleichzeitig eine im Uebermaass zu Harnsäurebildung veran¬ 
lassende Nahrung gegeben wird (Thymus) oder wenn der Körper 
dauernd abnorme Mengen Harnsäure ausscheidet, wie beispiels¬ 
weise bei der Leukaemie, die Harnsäureausscheidung vermindern 
kann unter gleichzeitiger, stets nachweisbarer Vermehrung der 
Hippursäureausscheidung. 

An dieser Stelle sei über einen Fall von schwerer myelogener 
Leukaemie (17 jähriger Kaufmann) berichtet, an dem zunächst 
die enorme Harnsäure- und Hippursäureausscheidung ohne Me¬ 
dikation und zum zweiten die Verminderung der ersteren und die 
weitere Steigerung der letzteren durch Gaben von Chinasäure be- 
merkenswerth sind. 


Tabelle 5 Leukämie. 


Tag 

Medikation 

! 

i 

i l'rinmenge 

8pcc. 

Gewicht 

N 

Harnsäure 

| Ilippursäure 

1 

Alloxurbasen* 

1 

n 

1 

1000 

1017 

| 

9,464 

0,819 



2 

0 

2000 

1013 

12,048 

1,034 

— 

— 

3 

G g (’hinotropin II 

— 



l i 

Verlust 


4 


2000 

1016 

14,56 

0,7056 

— 

— 

5 


2000 

1013 

10,628 

0,7224 

— 

— 

6 

„ 

2000 l 

1017 

13,16 

1,2222 

5,9696 

0,0113 

7 

» 

2200 

1016 

15,030 j 

1,1088 

— 


8 

0 

2000 

1014 

15,92 

1,260 

_ 

_ 

9 

0 

2000 

1015 

15,176 

1,5162 : 

— 

— 

10 

0 

2000 j 

1017 

14,728 | 

1,3524 j 

3 783 

— 




A r 

ihang: 




11 

0 

! 1600 

1012 

_ 

! _ 

0,1842 

_ 

12 

0 

' 1400 

1014 

— 

_ 

0,6012 

_ 

13 

0 

1600 

1015 

— 

— 

; 0,1043 

_ 

14 

0 

12C0 

1016 

— 


0,52 27 

_ 

15 

0 

1400 

1017 

— 


0,5381 

_ 

iß 

0 

1800 

1017 

— 


0,3544 

_ 

17 

0 

1600 

1020 

— 

— 

| 0,3699 



* n. Salkowski. 


Es war zur Zeit des Versuches geringes remittirendes Fieber 
zwischen 36,8 und 37,8 vorhanden. 

In Betracht zu ziehen wären auch noch die Fieberverhältnisse 
an sich, wie sie ja beim akuten Gichtanfalle sich bieten. Eine 
an sich durch das Fieber veranlasste vermehrte Harnsäureaus¬ 
scheidung würde eine weitere Komplikation bieten '). In Fieber¬ 


zuständen wäre die Chinasäurewirkung demnach noch speziell zu 
beachten. 


3 ) Daher ist im Versuch II auch wohl die Harnsäureausscliel- 
dung in der Periode I um ein Geringes grösser, als in Periode 11 
und III. 


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23. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHEN SCHRIFT. 1207 


Bei der erwiesenen Unschädlichkeit der Chinasäure selbst 
in grossen Mengen ist somit wohl die klinische Prüfung des 
Mittels einstweilen empfehlenswert!) und allein maassgebend. 

Zahlreiche günstig lautende Urtheile liegen vor. Auch auf 
der 11. medieinischcn Klinik wurden verschiedene Gichtkranke 
mit Chinasäure behandelt. Die drei Kranken, deren Stoffwechsel¬ 
versuche oben mitgetheilt wurden, erklärten eine Linderung ihrer 
Beschwerden nach der Darreichung von Chinotropin und auch 
»•ine Abkürzung ihrer Anfälle (4 resp. 6 und 7 Tage) zu bemerken. 
Sic waren hei früheren Anfällen bereits mit einer anderen Reihe 
..< licht mittel 4 * behandelt (Lysidin, Piperazin, Lithion etc.) uml 
waren wohl im Stande ein vergleichendes Urtheil abzugeben. Eine 
licsoiidere Modifikation der Schwellung, des Fiebers u. s. w. war 
nicht zu konrtatiren. In einem weiteren hartnäckigen Gicht fall 
ihat bei einem erneuten Anfall Urosin gute Dienste, während cs 
allerdings in einem anderen Falle trotz dreiwöchentlicher Dar¬ 
reichung völlig versagte. -— Nicht nur zwischen chronischer und 
akuter Gicht ist wohl zu unterscheiden, sondern auch die ein¬ 
zelnen Fälle, reagiren scheinbar auf das Mittel verschieden. 

Jedenfalls hat es einstweilen noch nicht den Anschein, als 
ob die Chinasäure, wie Anfangs behauptet wurde, ein „typisches 
Mittel gegen Gicht sei, wie «las Natron salieylie. gegen den Ge¬ 
lenkrheumatismus und das Chinin gegen die Malaria“. 

Eine weitere Frage ist nun die Art der Darreichung und die 
Dodrung der Chinasäure. Da seihst 20—30 g ohne jede Unan¬ 
nehmlichkeit und üble Folgen genommen werden können, so wird 
man kaum eine obere Grenze festzusetzen brauchen, immerhin 
nach den bisherigen Erfahrungen mit 5—6 g nuskommen. — Da 
die Chinasäure nun lediglich wegen ihrer unter gewissen Um- 
fänden beobachteten Einwirkung auf die Harusäiureaussehei- 
dung. die durch eine Verminderung der Harnsäurehildung be¬ 
dingt sein soll, gegeben wird, so erschien es zweckmässig, sie mit 
'ii'om Präparat zu kombinirrn, das harnsiiurelösendo Eigen¬ 
schaften uiul zwar nicht im Thierkörper oder im Reagensglase, 
sondern im menschlichen Organismus zeigte. — Zwei experi¬ 
mentell«« ^Arbeiten über „Giehtmittel“ liegen aus der neueren 
Zeit vor von Ortowski und Richter. Ersterer prüfte 
Frotropin, Lysidin, Piperazin, Natr. bicnrbonic. und Uricedin 
!*<-i der harnsauren Diathese und betont mit Recht den Unter- 
.-«•lii«'d, den man zwischen Ilarnsiiurekonkrementcn in den Harn- 
w. gen und den in irgend einem anderen Körpertheilc (z. B. Ge¬ 
lenk) lokalisirten Ablagerungen zu machen habe. Zunächst cx- 
pomnentirte O. mit wilden Tauben, bei denen durch Chroinsäure- 
injektionen JfamsHureablagerungcn erzeugt waren, und zeigte, 
dass allein das Piperazin, entsprechend den früheren Versuchen 
von Bios ent hal und M e i s e 1 s die Ilarnsäureablagerungen 
beeinflusste. ..Freilich können die negativen* Ergebnisse“, so fährt 
«■r fort, „welche ich mit Urotropin und Urioedin erhalten habe, 
keine entscheidende Bedeutung haben, da sio vielleicht darauf 
beruhen, «lass diese beiden Mittel im vergifteten Taubenkörper 
ihre gewöhnlichen Umwandlungen, kraft welcher sie eine ham- 
üiurelösende Eigenschaft erhalten, nicht durchmaehcn können.“ 
Wie früher N i c o 1 a i e r, konnte nun auch O. zeigen, dass Uro- 
fropin nach seinem Pnssiron durch den menschlichen Körper 
d'in Harne grosse hamsäurelösende Eigenschaft mittheile, 
während Lysidin, Piperazin, Uricedin, Natr. bic. von keinem 
Einfluss auf die harnsäurelösende Eigenschaft waren. Diese 
Eigenschaft des Urotropins beruhe auf seiner Zersetzung im Or¬ 
ganismus und Abspaltung des Formaldchy«ls, der mit der Ilnrn- 
•■.Mire juisseror«lonflieh leicht lösliche Verbindungen, die leicht 
'■ 'i verschiedenen Manipulationen sich zersetzen, bilde. Rieh- 
t «• r. «1er in seinem Aufsatz nichts von dieser Wirkung des Uro- 
’ri'i'ins erwähnt, hat. das Ridonal hei C’hromtaubcn geprüft und 
‘«•breibt vor Allem der Chinasäure den positiven Effekt zu (Ver¬ 
hinderung der Ablagerungen bei gleichzeitigen Gaben von 
Chromsäure und Sidonal, sowie Chinasäure allein). Bezüglich 
fler in den Nieren abgelagerten Urate fand er, dass auf diese 
Sidonal so gut wie gar nicht auflösend wirkte; im Gogentheil, 
mich wo makroskopisch sonst nicht die geringsten Uratablnge- 
ruiigen bei Sidonalthieren gefunden wurden, strotzten die 
Nieren von Harnsäure, genau so, wie die der unbehandelten 
Oiromthiere. R. sehliesst im Hinblick auf die gleichen Er¬ 
fahrungen Ortowski’s, dass im Sidonal das Piperazin die 
harnsäurelösende Wirksamkeit innerhalb der Harnwege beein¬ 
trächtige, während nach seinen Versuchen Chinasäure allein die 

No 30. 


harnsauren Ablagerungen in den Nieren unverkennbar beein¬ 
flusse. 

Hieraus ergeben sich bei aller Reserve der Anwendung von 
Thierversuchen auf die Verhältnisse im menschlichen Organis¬ 
mus neue Schwierigkeiten. Immerhin scheint das chinasaure 
Urotropin Vortheile zu haben. 

Da das Urotropin schon im Organismus zersetzt wird und 
Formaldehyd bildet und daher leichtlösliche Harnsäureformalin- 
verbinduugen ermöglicht, wird es nicht nur bei llarnsäurekou- 
kremeiiten in «len Harnwegen, wo es allein Vortheil bietet, ver¬ 
wendbar, sondern auch bei sonstigen Ilarnsäureablagerungen 
weiterhin vornehmlich zu prüfen sein. Eine Dosis von 7 Vs g 
des von Sehering hergestellten Chinotropins II, das 1 Vs g 
Urotropin und 6 g Chinasäure enthält, ist die anzurathende. 
st«*ts gut vertragene Dosis. Jedesmal, wenn ich darauf unter¬ 
suchte, konnte ich im frisehgelassenen Harn der mit Chinotropin 
Behandelten Formalin nachweisen. Der Urin, der vorher oft 
hochgradiges Hamsäuresedimcnt enthielt, wurde meist schon 
am 2. Tage klar gelassen. 

Chinasäure, resp. Chinotropin, können als bisher bert- 
begründete Giehtmittel nach allem Gesagten zu weiteren kli¬ 
nischen Versuchen empfohlen werden. Daneben wird inan aber 
von einer diätetischen Behandlung und ferner einer Behandlung 
mit kohlensauren Wässern, in der Weise, wie sie jüngst wieder 
von Iv 1 e in p e r e r begründet und empfohlen ist, nicht absehen 
wollen und können. Grösser scheinen noch die Chancen für das 
Chinotropin für die harnsauren Konkremente zu sein. 

Die einschlägige Literatur musste desshalb so eingehend 
besprochen und theilweise wörtlich citirt werden, weil über di«? 
bisher vorhandenen Resultate und deren Deutung sonst kaum 
eine Uebersicht zu erlangen ist- 

Die Schlusssätze meiner Ausführung würden folgender- 
mnassen lauten: 

1. Die Chinasäure beeinflusst keineswegs regelmässig in er¬ 
kennbarer Weise die Ilarnsüureahseheidung von Gesunden und 
Giehtikera bei gemischter Nahrung. 

2. Eine erhebliche Hippursäurevennehrung ist stets nach¬ 
weisbar. 

3. Nach den bisherigen Erfahrungen scheint verminderte 
Harnsäureabseheidung im Harn durch Chinasäure viel mehr in 
den Fällen veranlasst zu werden, bei denen gleichzeitig eine be¬ 
deutende Menge harnsäurebildendc Nahrung (Thymus) eiugcführt 
wird, oder der Organismus ständig grosso Harnsiiuremcngen 
ausscheidet (Leukacinie). 

4. Die an und für sich schon unklaren Verhältnisse von Harn¬ 
säure- und Ilippursäurebildung, -Umbildung u. s. \v\, sowohl 
örtlicher wie reciproker Art, werden völlig unübersichtlich bei 
der menschlichen Gicht, weil hier die Rolle der Harnsäure un¬ 
bekannt ist, und zweitens Thier und Reagcnsglasversuehe nicht 
ohne Weiteres auf den menschlichen Organismus übertragen 
werden können. 

5. Trotzdem scheinen die einstweilen allein maassgehen¬ 
den klinischen Erfahrungen für die Chinasäure bei der Gicht¬ 
therapie zu sprechen. 

6. Chinasäure ist seihst in hohen Dosen unschädlich. Ein 
empfchlonswerthcs Präparat ist das ehinasaurc Urotropin, Chino¬ 
tropin genannt, weil das Urotropin sieh im menschlichen Orga¬ 
nismus zersetzt und Formaldehyd bildet. Mit letzterem soll «li<? 
Harnsäure leicht lösliche Verbindungen eingchen. 

7. lnsb(»sondcro Ikm llarnkonkreinenten wäre «las Clinmlr<»pin 
klinisch weiter zu prüfen. 

Litcratu r: 

v. Leyden: Emährungstlierapie. — II i s: Das Verhalten 
der Harnsäure und Ihrer Salze. 18. Congress für innere Mcdiciu 
11*00. — Freud welle r: Experimentelle Untersuchung über di«* 
Entstehung «ler Gichtknoten. Deutsch. Arch. t. klin. Med. No. Gl*. 
1. u. 2. Heft. — Stekel: Zur Pathologie der Gicht. Wien. med. 
Woehensehr. 1001. 8. — Wiener: Ueber synthetische Harnsäure¬ 
bildung im Thielkörper. Congress für innere Medioin 1001. -- 
Klein pe rer: Beitrag zur Erklärung harnsaurer Niederschlag.* 

, im Urin. Aus dem ehern. Laborat. des Instituts für mcdic. Dia¬ 
gnostik. Zeitschr. f. diät. u. pliysikal. Therapie B«l. V. 1, Uhu. 
Berlin. — Nicolai er: Experimentell«*s und Klinisches über 
Urotropin. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 38, 1809. — Nicolai e r und 
Ilagenberg: Deher Chinotropin. Oentralbl. f. ShiffWechsel- u. 
Verdauungskrankh. ItMXl, No. G. — Weiss: Ein«* neue Mcihode 
der Behandlung der harnsauren Diathese. B«*rl. klin. Woi'h'-nsehr. 

No. 14. Die Chinasäure als Antiarthritlcum. Verlmudi. «i«*r 

2 


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MUENCHENFR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. 


1208 


Gcsellsch. deutsch. Naturforscher u. Aerzte, München 1899. II, 1, 

2. Hälfte. S. 54. lloppe-Seyler's Zeitschr. f. physiol. Chemie 
Hd. XXV, IS!>8, Bd. XX VII, 1899. Die Erfolge der Urosinbehand- 
lung bei harnsaurer Diathese. Verliandl. des 18. Cougress f. innere 
Med. 1900. — B 1 u tu e li t h a 1: Fel>er Sidonai, ein neues Gicht- 
mittel. Medio. Woche 19110. 12. III. — Blum e n t h a 1 n. L e w i n: 
I'cbcr Sidonai. Therapie der Gegenwart 1900, No. 4. — Schlayer: 
Erfahrungen über Sidonai bei Gicht. Therapie der Gegenwart 1900, 
Xo. 5. — Sch m i ed e n: Tlierapie der Gegenwart N. 0. — B 1 u - 
inenthal: Feber die Ausscheidung der Harnsäure nach Har¬ 
ri ichung von Chinasäure. Chariten analen XXV. — Richter: 
Feber die experimentelle Prüfung sogen. Gichtmittel u. s. w. 
Chnriteannnlen XXV. Feber experimentell erzeugte Harnsäure- 
ablagerungen und ihre Verhinderung. Verhandl. des Vereins für 
innere Med. in Berlin. XX, S. 125. — Lewandowsky: Versuche 
über den Einfluss der Benzoesäuren auf die Ilarnsiiurebllduug. 
Zeitschr f. klin. Mcdlcin, Bd. 40. 3 u. 4, 1900. — Ortowski: Ver¬ 
gleichende Fntersuchuugen über Urotropin, Piperazin, Lysidin. ; 
Fricodin und Natr. bicarb. bei der lianisauren Diathese. Zeitsehr. 
t'. klin. Med. Bd. 40, 11KH». — Bin inenthal: Zur Methode der 
llippursiiurebestimmung. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 40. — Le¬ 
win: Beiträge zum llippursäurestoffWechsel des Menschen. Zeit¬ 
schr. f. klin. Med. Bd. 42. 1901. — M U 11 e r-Erlangen: Centralbl. j 
f. Physiologie No. 25. — Mylius: Thorap. Monatsh. 1900, No. 12. 
— Adler: Deutsch, med. Wochen sehr. 1901, 0. — Sternfeld: 
Die Chinasäure, ein neues Heilmittel gegen Gicht. Münch, med. 
Wochenschr. 1901, 7. — Salfcld: Zur Behandlung der Gicht mit 
Chinasäure. Münch, med. Wochenschr., April 1901. 

Während der Drucklegung dieses Aufsatzes erschien iu No. 20 
dieser Wochenschr. eine weitere kurze Mittheilung von Weis», 
laut der nach Gaben von 880 g Aepfel mit Schalen an e I n e m Tage 
verminderte llanisäureausscheidung statt hatte; 3 weitere Versuche 
ä 4 Tage, in denen einmal 500 ccm Cognac, zweitens 8 Citronen 
und das dritte Mal 800 g geschälte Aepfel gegeben wurden, zeigten 
keine bezügliche Abweichung. 


Aus dem Laboratorium der niedicinisclien Klinik von Geh. Rath 
Prof, Dr. v. Lcube in Würzburg. 

Ueber die Speicheiverdauung der Kohlehydrate im 

Magen. 

Von Dr. llcnsay, Arzt in Mainz. 

Welchen Antheil an der Verdauung der Kohlehydrate der 
Speichel nimmt, und welchen er dem Pankreassnfte überlässt, 
darüber gehen zur Zeit noch immer die Anschauungen der 
Autoren auseinander. Und auch bei denen, die diesen Antheil 
für bedeutend halten, finden sieh doch nirgends genaue Angaben 
darüber, wie viel von den Kohlehydraten, die in einer Weise ge¬ 
nommen werden, welche unserer gewöhnlichen Nahrungsaufnahme 
entspricht, verarbeitet sind, wenn sic den Magen verlassen, d. h. 
in den Wirkungsbereich des Pankreas treten. 

Dieser Frage näher zu treten, war der Zweck nachfolgender 
Versuche, zu denen mir Herr Privatdoccnt I)r. Johannes Müller 
die Anregung gab, wofür ich ihm ebenso sehr zu Dank verpflichtet 
bin, wie für die mir in allen Phasen der Arbeit in liebens¬ 
würdigster Weise gewährten Rathschläge. 

Die heute herrschende Ansicht über die genannte Frage wird 
am besten eharakterisirt durch die Worte Neumeister’s 
(Lehrbuch der physiolog. Chemie, 2. Aufl. 1897, png. 287): „Der 
Mundspcichel könnte wohl in Folge seines Ptyalingehaltes die 
Stärke und das Glykogen*verändern, aber die Zeit seiner Ein¬ 
wirkung während des Kauens ist viel zu kurz für eine in Betracht 
kommende Zuekerbildung. Denn so bald die stärkehaltigen 
Speisen in den Magen befördert sind, hört die Einwirkung des 
Ptyalins schnell auf, weil sie durch den sauren Magensaft sistirt 

wird.daher erklärt es sieh, dass selbst nach reichlichem 

Genuss von Stärkekleister nur Spuren von Zucker vorhanden 
sind. I) i o c hämische Funktion des Speichels 
ist also bei m M e n s e h e n g a u z u u w e seil 1.1 i c li.“ 
Brücke (Sitzungsber. d. Wiener Akad., Bd. 65 III, pag. 145, 
1872) fand bei seinen Untersuchungen an Hunden, selbst nach 
reichlicher Stärkefütterung, stets nur Spuren von Zucker im 
Magen. Boas und Ewald (Yirehow’s Archiv, Bd. 102 u. 104) 
benutzten bei ihren ausgedehnten Versuchen eine 1 proc. Stärke¬ 
abkochung, von der sie 500—lüOO ccm zu trinken gaben. Sic; 
fanden dabei etwa 0,5 Proc. Zucker nach */, Stunden als Höchst¬ 
wert!!. Traubenzucker wurde nur in Spuren, dessen Vorstufen 
jedoch, Achroodextrin und Maltose, reichlicher gefunden. Die 
Frage, ob von diesen Vorstufen des Traubenzuckers etwas resor- 
birt sei, lassen sie offen unter Anerkennung der Wichtigkeit, ihrer 
Beantwortung. H. Straus* (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 29. 
1876) untersuchte den Inhalt des Magens bei Menschen auf rechts¬ 


drehende Substanzen und fand iu Fällen von geringer Säure¬ 
sekretion beträchtliche Werthe (bis über 20 Proc. Rechtsdrehung 
als Dextrose ausgedrückt). Auf die absolute Grösse der Kohle¬ 
hydratverdauung lassen die. Versuche aber keinen Schluss zu, da 
ja der Mageninhalt in unkontrolirbarer Weise dureh Verdünnung 
(Magensekretion) oder Resorption verändert werden kann. 
W e i n s t e i n\s Versuche (Experimentelle Untersuchungen über 
die Bedeutung des Mundspeichels, Inaug.-Diseert., Würzburg 
1899), die für eine sehr ausgiebige und dabei sehr rasche Wirkung 
des Muiidsjieichols sprechen, und Lehman n's Versuche 
(Sitzungsberichte der Physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg 
1900, S. 40), welche W o i n s t e i n’s Versuche bestätigen, machen 
es wahrscheinlich, dass die Am.vlolysc im Magen nicht so un¬ 
bedeutend ist, als es allgemein noch angenommen wird. 

Diese hier angeführten Arbeiten erschöpfen durchaus nicht 
die ganze einschlägige Literatur. Sie. stellen vielmehr Repräsen¬ 
tanten der wichtigsten hierüber laut gewordenen Meinungen dar. 

Um mir ein Urtheil über die im Mund und Magen des 
Menschen stattfindende Ainyloi.vse zu verschaffen, folgte ich einem 
Vorschläge von Johannes Müller und bestimmte eine gewisse 
Zeit nach einer kohlohyd rat reichen Mahlzeit im Mageninhalt 
das Verhältnis» der gelösten zu den ungelösten 
Kohlehydraten. 

Dieses Verhältniss kann durch genossene Flüssigkeit oder 
Magensaftsekretion nicht verändert werden, und da auch die 
Resorptionsfähigkeit des Magens für Zucker und Dextrin nach 
den vorliegenden Versuchen (v. Morin p) keine liedeutende zu 
sein scheint, so gestattet es einen ziemlich guten Einblick in die 
erfolgte Am.vlolysc. 

Unsere Versuche wurden in der Weise angestellt, «lass die 
Versuchspersonen, durchweg Mädchen im Alter von 18 bis 21 
Jahren, welche sieli einer vollständig regelmässigen, ungestörten 
Verdauung erfreuten, und deren Salzsäuresekretion sieh bei Ver¬ 
abreichung eines Probefrühstücks als normal hatte eruiren lassen, 
dos Morgens nüchtern eine bestimmte Menge Mehl- bezw. Reis¬ 
brei erhielten. Dabei wurde grosser Werth gelegt auf den Wohl¬ 
geschmack des Breies und dieser daher mit Fleischextrakt, 
Fleischbrühe und Butter zubereitet. Denn nach unserer An¬ 
schauung kann unsere Frage ebensowenig durch Benutzung eines 
einfachen, ungewürzten Stärkekleisters, der schnell und mit 
Widerwillen hinuntergewürgt wird, geprüft werden, wie dureh 
einen Reagensglasversueh. Gerade der Wohlgeschmack der Speis : 
liefert uns diejenige Menge eles Speichels, elio den natürlichen 
Verhältnissen entspricht, und um diese*, nicht um künstlich ge¬ 
schaffene, war es uns zu thun. 

Der Mageninhalt wurde nach einer bestimmten Zeit so voll¬ 
ständig als möglich txprimirt unel der Rest durch Auswaschen 
zu Tage gefördert. Mit Ausnahme von wenigen Kubikcentimetern 
eles Exprimirten, die zur Säurebestinunung benutzt wurden, wurde 
alle wieeier erhaltene' Magenflüssigkeit sofort dureh Zusatz von 
HCl ad 2 Proc. angesäuert, um ein Weitergehen des Verzucke- 
| rungsproeesses zu vermeiden. Dasselbe geschah auch mit der 
kleinen zurückge*lialteilen Probe sofort nach eler Aciditätsbestiru- 
mung. 

Die gesammte Menge wunle filtrirt und Filtrat, sowie Filter- 
rückstand, welch’ letzterer mehrfach ausgewaschen wurde, unter 
Zusatz von I1C1 ad 10 Proc. 5 Stunden lang auf dem Wasserbad** 
gekocht. 

Der Zucker wurde bei allen Versuchen nach der von L e h - 
m u n n angegebenen jodomotrischen Weise bestimmt. 

Selbstverständlich wurde der zu den Versuchen verwandte 
Brei jedesmal auf seinen Gehalt an gelösten und ungelösten 
Kohlehydraten in der nämlichen Weise geprüft. Die von vorno¬ 
herein darin befindlichen, dureh das Kochen während der Be¬ 
reitung gelösten Kohlehydrate wurden stets durch Auswaschen 
und Abfiltriren einer bestimmten Menge mit. nachfolgender voll¬ 
ständiger Verzuckerung des Filtrates bestimmt. 

Tabelle I sieh« nächste Seit'.*.! 

A us T n h t* 1 1 e T ergibt sieh, dass i n d e n 
darin enthalten e n V e r s u e h e n durchweg s e h v 
grosse Mengen und jeden falls grössere Mengen 
von Stärk e als z u e r \v a r t e n stand, durch 
1 Speie h dwi rkung g e 1 ö st gefunden w urdo n. 

Wenn wir mit unserer Methode auch nur das Verhältniss 
! der gelösten zu den ungelösten Kohlehydraten in einem gewissen 


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•Ä -lull 1001. 


MTTENCTTENFR MF.DTCTNTSCIIE WOCHENSCHRIFT. 


120 !) 


Tabelle I. 




Der eingeführte Brei 


i Der ausgeheberte Brei 


Qeaanunt- 

menge 

Menge der 
gesammten Kohle¬ 
hydrat« 

Menge der gelösten 
Kohlehydrate 
(Amidulin) 

Dauer des 
Versuchs 

Aclditlt 

Menge der 
gesammten 
Kohle¬ 
hydrate 

= % der 
ein- 

geführten 

J Menge der 
gelösten 
Kohle¬ 
hydrate 

= % d cr 
gesammt 
aus¬ 
geheberten 
Kohlebydr. 

Menge der 
ungelösten 
Kohle¬ 
hydrate 

= 7„ der 
gesammt 

aus- 

geheberten 

Kohlehydr. 

1. 

350 

30,62 = 8,748 °/o 

3,0716 = 0,932 °/o 

*/a Stunde 

Keine freie HCl 

0,0133 % Ge- 

sammt Aeid 
(Lakmus) 

17,295 

56,48 

10,284 

59,4 

| 7,0114 

40,6 

0 

350 

»1 


% Stunde 

0,04 °/o freie HCl 

0,1368 Gesammt 
Acidit. (Lakmus; 

15,292 

49,9 

12,136 ; 

1 

79,6 

3,056 

20,4 

3. 1 

328 

o' 

iO 

II 

v—* 

£ 

5,4 = 1,65 °/o 

‘/a Stunde 

Keine freie HCl 

0,0584 °/o Ge¬ 
summt Aeid 
(Lakmus) 

11,0619 

54,8 

7,86 

71,1 

3,2 

28,9 

4. 

550 

25,685== 4,67 °/o 

8,9 = l,G2°/o 

'/a Stunde 

Keine freie HCl 

0,044 °/o Ge¬ 
sammt Aeid. 
(Lakmus) 

18,239 

71,25 

11,85 

61,8 

6,43 

35,2 

5. 

430 

26,01 = 6,05 °/o 

4,85 = 1,13 °/o 

'/a Stunde 

Keine freie IIC1 

Ges. Arid. 
0,055 °/ # Lakmus 
0,077 % Phenol¬ 
phthalein 

4,185 

1G,08 

2,815 

67,3 

1,37 

32,7 

6. 

40) 

23,9« = 5,95 °/„ 

2,279 = 0,53 o/o 

'/2 Stunde 

0,13 % freie HCl 
(Günzburg) 

Ges Aeid. 
0,219 % Lakmus 
0,249 % Phenol¬ 
phthalein 

6,06 

25,2 

4.44 

73,2 

1,62 

26,8 


Momente der Magenverdauung feststellen können, so ist es doch 
erlaubt, aus den so gewonnenen Zahlen auf die Verdauung der 
ganzen eingeführten Stärkemenge zu schliessen. Denn wir 
wissen, dass der Speichel sehr schnell wirkt (W c i n s t e i n und 
Lehmann), darum werden wir kurz nach dem Essen des 
Breies die grösste Menge amylolytischer Produkte erwarten 
dürfen; in den späteren Zeiten kann das Verhältnis» durch Re¬ 
sorption von Zucker schon zu Ungunsten des Antheils gelöster 
Produkte verschoben sein. Die. Acidität des ausgeheberten Breies 
ist in den meisten Versuchen eine sehr niedrige. Wir schieben 
das auf den Fettgehalt des Breies, da Fett nach den Versuchen 
von Ewald und Boas (1. c.) die HCl-Sekretion verlangsamt. 
Man könnte sagen, wegen der niedrigen Acidität ist die Amylo¬ 
lyse so gut von Statten gegangen; dagegen spricht aber, dass 
auch im Versuche 6 mit 0,13 Proc. freiej HOI und 0,25 Proc. 
Besammt-Acidität (als HCH ausgedrückt) eine starke Amylolyse 
■dattgefundon hat. 

Um festzustellen, an welchem Punkte der Verzuckerung 
innerhalb der Dextrinreihe die gelösten Kohlehydrate angelangt 
-eien, wurde in einigen Versuchen eine bestimmte Menge des 
Filtrates auf 80 Proc. Alkoholkonzentration gebracht und der 
dabei entstandene Dextrinniederschlag abfiltrirt. Der Alkohol 
des Filtrates wurde vorsichtig verdampft und der Rückstand in 
der oben beschriebenen Weise verzuckert und bestimmt. Dabei 
ergab sich, dass von den gelösten Kohlehydraten über die 
Hälfte, ja bis zu zwei Drittel aus Maltose und der Maltose sehr 
nahestehenden, durch 80 proc. Alkohol nicht mehr fällbaren Dex¬ 
trinen (Isomaltose, Maltodextrin etc.) und der Rest, aus dem 
Amylum näher verwandten Dextrinen bestand. In Versuch 5 
kamen auf 1,93 Dextrine erster 0,885 solche der zweiten Art; 
in Versuch 6 auf 2,256 erster 2,184 der zweiten Art. In diesen 
beiden Versuchen wurde verhältnissmässig wenig von den ein¬ 
geführten Kohlehydraten wieder zu Tage gefördert, 16,08 Proc. 
und 25,20 Proc., während sich das Verhältnis» der gelösten zu 
den ungelösten Kohlehydraten durchaus im Rahmen der übrigen 


Versuche hält. Ich glaube jedoch nicht, dass etwas im Wege 
steht, diese Maltosezahlen auch auf die übrigen Versuche anzu¬ 
wenden. 

Mehrfach untersuchten wir auch auf Dextrose, indem wir 
das Filtrat mit salzsaurem Phenylhydrazin und Natr. aeetic. er¬ 
hitzten. Wir konnten nie das Ausfallen von Glukosazonkrystnllen 
vor dem Erkalten bemerken und finden uns hierin in Ucber- 
ein.Stimmung mit allen früheren Untersuchern, die hierauf ihr 
Augenmerk gerichtet haben. 

Noch ein weiterer Punkt erübrigt, der zur Klar.-tellung der 
Versuchsreihe zu erörtern wäre, nämlich, wie die in dem ver¬ 
abreichten Brei schon enthaltenen, gelösten Kohlehydrate in 
Rechnung zu setzen wären. Und da möchte ich doch hervor¬ 
heben, dass diese stets nur als Amidulin nachgewiesen werden 
konnten. Es mussten also auch sie fast noch den ganzen Weg 
der Dextrinisirung zurücklegen und dürfen sie darum nicht ein¬ 
fach als schon metamorphosirt abgezogen werden. Allerdings 
hat dies mit einem ganz kleinen B nicht heil zu geschehen, der ja 
für die erste Etappe nicht der Ililfe des Speichels bedurfte. 
Jedenfalls zeigen die Versuche zur Evidenz, 
dass die wichtigste Aufgabe des Speichels 
nicht auf physikalischem Gebiete liegt, und 
dass seine cliemisc h e Funkt i o n n i e h t n u r 
nicht unwes e n 1.1 i e h , s o n d itii g a n z h e r v o r - 
ragend wichtig ist. 

Da unserer Arbeit die Absicht zu Grunde laj?, den Umfang 
der Amylolyse möglichst genau festzustellen, so musste unser Be¬ 
streben auch darauf gerichtet sein, naehzuforsehen, ob und wie¬ 
viel der gelösten Kohlehydrate von der Magemvaud resorbiri 
würden. Und um so näher liegend war das Bestreben, al* 
v. Mering uns in seiner durch ihre Einfachheit so gei-t • 
reichen Methode endlich ein Mittel an die Hand gegeben batte, 
absolute Resorptionswerthe für den Magen fest zulegen, v. M. 
vereinigte, nachdem feststand, das* Fett vom Magen nicht rc- 
sorbirt wird, die Zuokerlösung, deren Ke-orpt ion-werhältni'* im 


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1210 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. 


Magen er studiren wollte, mit Eigelb zu einer Emulsion genau 
bestimmter Zusammensetzung. Diese führte er in den Magen 
ein und bestimmte an einer nach einer gewissen Zeit ausge¬ 
heberten beliebigen Menge auf’s Neue die Zusammensetzung. 
Hatte sich nun das Verhältniss von Zucker zu Fett zu Gunsten 
des letzteren verschoben, so konnte man daraus einen Schluss 
auf die Grösse der Zuckerresorption machen. 

Auf diesem Wege suchten auch wir unserem Ziele näher 
zu kommen. Leider haben, wie die folgenden Zahlen zeigen, 
die diesbezüglichen Versuche kein befriedigendes Resultat er¬ 
geben, was durch die V o 1 h a r d’sehe Arbeit seine Erklärung 
findet. Da, wie Johannes Müller nachgewiesen hat, das Ei¬ 
gelb ein diastatisches Ferment besitzt, das gar nicht unbedeutende 
Mengen von Stärke zu verzuckern im Stande ist, so verbot es sich 
für uns, wie v.Meringes mit seiner Zuckerlösung thun konnte, 
damit zu arbeiten. Die innigste und auch verhältnissmüssig kon¬ 
stanteste Mischung von Stärke und Fett erhielten wir durch Zu¬ 
satz von Butter zu dem Brei. 

Tabelle II enthält die Fettzahlen für die Versuche 3 und 4 
der Tabelle I, in denen ebenso wie in den übrigen dem Brei 
Butter zugesetzt war. 

Tabelle II. 




Der eingefiihrte Brei 


Der ausgeheberte Brei 


P a> 
5 ee 

P c 

<£ S> 

S 2: 

5 | 

■ Fettgehalt 

Menge der 
Kohle¬ 
hydrate 

I m 3 a 

« N IO 

ISS.C 

Dauer des 
\ ersuchs 

Fettgehalt 

(3 P 
«2 

£5 

•C£ 

Menge der 
Kohle- j 
li yd rate 

% der ein¬ 
geführten 

£5-5 

Söj? 

.fi JS 
t- c o 

® öS 

lila 

328 

5,2881 

= 1,61 °/o 

20,172 
=6,15 o/o 

1 

3,82 

*/2 Stunde 

2,586 

49 

i 

11,0619 

■>4,8 

1 

4,27 

IVa 

550 

i 

13.915 
=2,53 o/o 

25.685 
=4,67 o/o 

1 

l'84 

*/2 Stunde 

8,463 

60,9 

18,279 

71,1 

1 

2,23 


Wenn die unumgänglichen Fehlerquellen sich dabei in er¬ 
laubten Grenzen gehalten hätten, so hätte das Verhältniss von 
Fett zu Kohlehydrat sich nicht in der Weise verschieben dürfen, 
wie es thatsächlicli der Fall war. Dank der Unresorbirbarkeit des 
Fettes von Seiten des Magens hätte bei dem ausgeheberten Brei 
— falls kein Zucker hier resorbirt wurde — sich dasselbe Ver¬ 
hältniss finden müssen, wie bei dem eingeführten. Oder aber, 
es wurde Zucker resorbirt, dann musste sich das Verhältniss zu 
Gunsten des Fettes verschieben. Aber keines von beiden trat 
ein. Vielmehr fand sich schliesslich weniger Fett im Verhältniss 
zu Kohlehydraten als vorher. Beifügen möchte ich hier, dass 
die angegebenen Werthe für Fett (Bestimmung im Soxhlet- 
schen Aetherextraktionsapparat) und für Zucker auf Grund von je 
zwei Parallelvcrsuchen gefunden wurden, deren Ergebnisse sich 
vollständig innerhalb der erlaubten Unterschiedsgrenzen hielten. 
(Versuch 3: der eingeführte Brei enthielt: Fett I. 1,61 Proe., 
II. 1,61 Proc. Ges. Kohlehydrate I. 6,18 Proc., II. 6,12 Proc. 
Die ausgeheberte Magenflüssigkeit enthielt: Fett I. 1,189 Proc., 
II. 1,199 Proc. Gelöste Kohlehydrate I. 3,44 Proc., II. 3,44 Proc. 
Ges. Kohlehydrate I. 4,865 Proc., IT. 4,84 Proc. — Versuch 4: 
der eingeführte Brei enthielt: Fett I. 2,51 Proc., II. 2,53 Proc. 
Ges. Kohlehydrate I. 4,67 Proc., II. 4,67 Proc. Die ausgeheberte 
Magenflüssigkeit enthielt: Fett I. 1,77 Proc., II. 1,83 Proc. 
Gelöste Kohlehydrate I. 2,59 Proc., II. 2,63 Proc. Ges. Kohle¬ 
hydrate I. 3,84 Proc., II. 4,20 Proc.) 

Als meine Arbeit an diesem Punkt angelangt war, erschien 
in der Münch, mcd. Wochensehr. 1900, No. 5 u. 6, ein Aufsatz 
von Vo 1 h a r d, der v. M e r i n g’s Versuche an einer grösseren 
Zahl Gesunder und Kranker nachgeprüft hatte. Auch V o 1 - 
hard konstatirte in vielen Fällen eine Verschiebung des Ver¬ 
hältnisses von Fett zu Zucker im umgekehrten Sinne als er¬ 
wartet wurde und konnte feststellen, dass die von v. Me ring 
vorgeschlagene Zucker-Eigelbemulsion im Magen ihren Emul¬ 
sionscharakter verlor, sich schichtete, und dass diese Schichtung 
durch eine recht beträchtliche Fettspaltung hervorgerufen war. 
Natürlich verliert die v. M e r i n g’sche Methode der Resorptions¬ 
prüfung ihren Werth, falls sich die V o 1 h a r d’schen Angaben 
bestätigen sollten. Namentlich mit Rücksicht auf die Vol- 
h a r d’schen Angaben muss ich desshalb auch die Möglichkeit 
zugeben, dass in meinen Fettversuchen eine Störung der Emul¬ 


sion eingetreten ist und dass hierbei Fettspaltung eine Rolle 
spielte. Auch kommt wahrscheinlich die stärkere Adhaerenz des 
Fettes an den Wänden des Magens und der Sonde in Betracht, 
denn bei unseren Versuchen fiel uns oft auf, dass die den Fett¬ 
brei enthaltenden Gefässe sich mit einer deutlichen Fettschicht 
bedeckten. Ein weiteres Verfolgen der Frage der Resorption 
der Kohlehydrate war mir aus äusseren Gründen nicht möglich. 

Zum Schlüsse erlaube ich mir, Herrn Geheimrath Prof. Dr. 
v. I.eube, der mir in liebenswürdigster Weise das Versuchs¬ 
material zur Verfügung stellte und die Arbeiten mit grossem 
Interesse verfolgte, meinen verbindlichsten Dank hierfür aus- 
tfuspreehen. 


Aus dev kgl. chirurgischen Klinik zu München. 

Ueber Bauchoperationen ohne Narkose.*) 

Von Privntdoc. Dr. Adolf Schmitt, I. Assistent der Klinik. 

Die Anwendung der lokalen Anaesthesie hat einen Umfang 
angenommen, den noch vor wenigen Jahren wohl kaum Jemand 
erwartet haben mag. Wir können jetzt sagen, dass eine Reihe 
von Operationen mit gutem Erfolg noch ausführbar geworden ist, 
die man früher aus Furcht vor den Gefahren der allgemeinen 
Narkoso ablehnen zu müssen glaubte, oder an die man nur mit 
geringen Hoffnungen auf Erfolg herantrat. Gerade bei gewissen 
Bauehoperationen scheint mir das zuzutreffen, bei Operationen 
an Patienten, die durch Erkrankungen des Magens oder Darmes 
in ihrer Ernährung stark gelitten haben, in ihrem allgemeinen 
Kräftezustand bis auf ein Minimum von Widerstandskraft re- 
ducirt sind, oder solchen, die durch hohes Alter, Erkrankungen 
der Lungen, des Gefässsystems u. s. w. bei Anwendung der all¬ 
gemeinen Narkose in Verbindung mit grösseren operativen Ein¬ 
griffen besonders am Bauch im höchsten Maasse gefährdet er¬ 
scheinen. 

Solche von vornherein schon ungünstig gelagerte Fälle sind 
es denn auch hauptsächlich, bei denen wir von der Allgemein¬ 
narkose, wenn irgend möglich, absehen und von der lokalen An¬ 
aesthesin Gebrauch machen. Bei der weit überwiegenden Anzahl 
der Fälle von Bauchoperationen leiten wir aber noch die All¬ 
gemeinnarkose ein; doch glaube ich, besonders nach den Er¬ 
fahrungen der letzten Zeit, dass die lokale Anaesthesie bei Bauch¬ 
operationen nicht mehr wie bisher bloss auf die schlechtesten, un¬ 
günstigsten Fälle beschränkt werden wird, auf die elendesten 
Kranken, denen man eine Allgemeinnarkose überhaupt nicht melir 
zumuthen darf, sondern dass sie in Zukunft auch in manchen 
Fällen Anwendung finden wird, welche nach ihrem ganzen Zu¬ 
stande recht gut noch narkotisirt werden könnten. Freilich 
glaube ich nicht, dass wir es dahin bringen werden, wie 
Schleich hoffte, bei Bauchoperationen die allgemeine Narkose 
vollständig auszuschalten. F ür manche Menschen ist es eben doch 
ein recht wenig angenehmer Gedanke, sich wachen Sinnes in den 
Bauchcingeweiden herummanipuliren zu lassen. Das aber möchte 
ich auch nicht behaupten, dass die Ausführung einer lang- 
dauernden Bauchoperation nicht auch an die Energie und den 
guten Willen des Kranken gewisse Ansprüche stellte; bis jetzt 
wenigstens sehe ich jnir die Kranken doch noch recht genau an, 
denen ich die Ausführung der Laparotomie ohne Narkose vor¬ 
schlage, wenn ich unter Berücksichtigung ihres Gesammt- 
zustandes die Wahl zu haben glaube zwischen Narkose und 
lokaler Anaesthesie. Ich halte mich auch nicht für berechtigt, 
den Kranken eine absolute Schmerzlosigkeit bei 
lokaler Anaesthesie in Aussicht zu stellen, wenn ich ihnen auch 
sagen darf, dass die Schmerzen und Beschwerden während der 
Operation ohne Narkose gering sind im Verhältniss zu den Ge¬ 
fahren der Allgemeinnarkose und zu deren Folgen, die ja 
gerade bei Buuchoperationen oft recht stark und für den Kranken 
keineswegs ungefährlich sind. Ich erinnere nur an das, die Kran¬ 
ken nach Laparotomien doch oft enorm belästigende und schmerz¬ 
hafte Erbrechen, die gerade hier oft gegebenen Schwierigkeiten 
der Expectoration und die mit beiden verbundene Gefahr der 
Bronchitis und Pneumonie. Einigermaassen vernünftige und 
ruhigem Zuspruch zugängliche Kranke entschlicssen sich, so viel 
ich beobachten konnte, leicht, sich ohne Narkose operiren zu 
lassen, insbesondere Frauen und solche Kranke, die schon früher 
einmal die Misslichkeiten der Narkose aus irgend einem Grunde, 

*) Nach einem Vortrage im ärztlichen Verein zu München. 


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23. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICTNI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


1211 


1 B. Untersuchung in Narkose vor der eigentlichen Operation, 
an sich gekostet haben. 

Als Anaesthesiningsmittel benütze ich bei den Bauchopera¬ 
tionen fast ausschliesslich Cocain in 1 proc. Lösung. Nur wenige 
Fälle sind mit Schleich’scher Infiltration oder Nirvanin operirt 
worden. Ich habe niemals üble Nach- oder Nebenwirkungen von 
der Anwendung des Cocains gesehen, auch nicht bei den vielen 
anderen, zum Theil grossen und langdauemden Operationen; wir 
haben z. B. Amputationen von Extremitäten, aasgedehntere Ge¬ 
schwulst- und Lupusexstirpationen und insbesondere fast alle 
Kropfoperationen unter Cocainanaesthesie gemacht. Die Menge 
des verbrauchten Cocains ist eine verhältnissmässig geringe; die 
Uaximaldosis (0,06) wird nur sehr selten erreicht; meist kommen 
wir mit der Hälfte oder wenig mehr auch bei Eröffnung des Ab¬ 
domens aus. Die Art der Anwendung ist ungemein einfach: Es 
wird mittels Pravaz’scher Spritze zunächst nur in die Haut 
und das Unterhautzellgewebe eingespritzt. Dabei wird so selten 
wie möglich eingestochen und die einmal eingestochene Kanüle 
m ihrer ganzen Länge ausgenützt. Für die Injektionen in der 
Ausdehnung des geplanten Hautschnittes werden gewöhnlich 
3 Pravaz’sche Spritzen 1 proc. Cocainlösung verbraucht; zu¬ 
weilen noch eine weitere Spritze zur Infiltration der Musculatur 
bezw. Fascie. Ich mache gewöhnlich die ganze Infiltration vor 
dem ersten Hautschnitt fertig und war nur in wenigen Fällen 
genöthigt, auch nach dem Hautschnitt nochmals einzuspritzen; 
auf das Bauchfell selbst und die Eingeweide wird kein Cocain 
gebracht. Die Einfachheit der Anwendung, die Schnelligkeit in 
der Ausführung der Injektion und die rasche Herabsetzung der 
Schmerzhaftigkeit, das Fehlen der starken, die Orientirung doch 
manchmal recht erschwerenden Gewebsinfiltration lassen uns 
gegenüber dem S ch 1 e i c h’schen Verfahren der Cocain¬ 
anaesthesie den Vorzug geben. Dabei aber muss das Verdienst 
S c h 1 e_i c h’s, uns die Möglichkeit auch so grosser Operationen 
unter lokaler Anaesthesie überhaupt gezeigt zu haben, rückhalt¬ 
los anerkannt werden. 

Die Zahl meiner unter lokaler Anaesthesie ausgeführten 
Bauchoperationen ist ja im Verhältniss zu den Zahlen anderer 
Chirurgen nicht sehr gross, eben weil wir bei der weit überwiegen¬ 
den Zahl der Fälle narkotisiren, sie erlaubt aber doch vielleicht, 
die Berechtigung, die Bauchhöhle ohne Allgemeinnarkose zu 
eröffnen, darzulegen und einige Schlüsse bezüglich der Empfind¬ 
lichkeit der verschiedenen Bauchorgane und bezüglich etwaiger 
störender Ereignisse bei der Anwendung der lokalen Anaesthesie 
zu ziehen. 

Unter Fortlassung der kleineren Operationen (kleinere Ge¬ 
schwülste der Bauchdecken, Hydrocelenoperationen u. s. w.) 
möchte ich folgende Bauchoperationen anführen: 10 Gastro¬ 
enterostomien (meist wegen carcinomatöser Pylorus¬ 
stenose), 1 Gastroplastik (gutartige Verengerung des 
Pylorus), 3 Gastrostomien (Carcinom des Oesophagus), 
5 Anus praeternaturalis (Ileus, Darmversohluss), 
4Probelaparotomien (wegen Verletzungen), 5 incar- 
cerirte Hernien, 1 incarcerirte Nabelhernic 
(mit Darmreeektion), 2 perityphlitische Abscesse, 
31Iarnblasensteine. 

Zu diesen Operationen ist kurz Folgendes zu bemerken: Die 
Gastroenterostomien und die Gastrostomien betrafen ausnahms¬ 
los, ebenso wie die wegen Darmverschluss mittels des Anus 
praeternaturalis operirten Fälle, auf’s Aeusserste herab- 
gekommene Kranke. Ein Patient mit Gastrostomie (nach 
W i t z e 1) wegen Carcinom der Speiseröhre, das auf den Pharynx 
hinübergegriffen hatte, starb am Tage der Operation an Ent¬ 
kräftung, obwohl die Operation nur 15 Minuten gedauert hatte 
und ganz schmerzlos, ohne jeden Blutverlust verlaufen war, trotz 
Kampher- und Kochsalzinfusion. Die Probelaparotomien wurden 
bei Kranken mit Verletzung des Unterleibes, bei denen eine 
sichere Diagnose bezüglich der Verletzung innerer Organe nicht 
gestellt werden konnte, gemacht. Die Nabelhernie war schon 
7 Tage eingeklemmt; 40 cm Darm, total gangraenös, mussten 
bei der sehr schwachen und an Fettherz leidenden Kranken re- 
»cirt werden. Die Operation dauerte in Folge der enormen Ver¬ 
wachsungen des Nabelbruches (Recidiv nach Operation vor 

2 Jahren) fast 2Va Stpnden; die Patientin ging 3 Tage nach der 
Operation an Herzschwäche zu Grunde. Auch die Operationen 
der incarcerirten Hernien, der Blasensteine und perityphlitischen 

Na 30 


Abscesse betrafen entweder alte Leute, mit Atherom der Arterien 
u. s. w., oder Patienten, die durch die Krankheit selbst in hohem 
Grade geschwächt waren. 

Berücksichtige ich wesentlich die eigentlichen Laparo¬ 
tomien, so ergibt sich bezüglich der Ausführbarkeit der Opera¬ 
tionen und der Schmerzhaftigkeit der einzelnen Organe kurz 
Folgendes: Es kommt vor, dass die Bauchmuskeln nicht 
zum Erschlaffen gebracht werden können, vor Allem, wenn sie 
durch das Auseinanderziehen mit Haken u. s. w. gereizt werden. 
Ich glaube, dass der dabei gleichzeitig am Bauchfell stattfindende 
Zug eine wesentliche Rolle spielt. Das starke Pressen der Patien¬ 
ten ist für den Fortgang der Operation natürlich in hohem 
Grade störend und vermehrt auch die Schmerzen für den Kranken 
so, dass wohl manchmal (in meinen Fällen bis jetzt allerdings 
nur einmal) noch während der Operation die Einleitung der 
Narkose erforderlich werden kann. Nach meinen bisherigen 
Erfahrungen ist nicht festzustellen, dass durch Injektion von 
Cocainlösung in die Bauchmuskeln selbst, dieses Pressen sich 
wesentlich beeinflussen lässt. 

Das Bauchfell (Peritoneum parietale), das ich niemals 
bis jetzt durch Injektion zu anaesthesiren versucht habe, ist für 
das Schneiden mit Messer und Scheere, sowie für das Fassen 
mit Klemmen offenbar nur wenig empfindlich; dagegen tritt so¬ 
fort und zwar anscheinend recht intensiver Schmerz auf, sobald * 
das Peritoneum gedehnt oder gezerrt wird. Man kaun 
grosse Strecken der Bauchhöhle mit der Hand abtasten, ohne 
nennenswerthe Schmerzen zu erregen, dagegen ist der Z u g an 
den zur Fixation des Peritoneums angelegten Klemmen und ins¬ 
besondere das Einstopfen und Herausziehen von Kompressen 
aus der Bauchhöhle, offenbar wegen der damit verbundenen Zer¬ 
rung schmerzhaft. Geht man sehr vorsichtig zu Werke, so lassen 
sich gewöhnlich die Schmerzen auf ein Minimum reduciren. 

V erwachsungen des Bauchfelles mit den Eingeweiden, 
Strangbildungen u. s. w., stören wegen der mit ihrer Lösung ver¬ 
bundenen Schmerzen meistens sehr; doch habe ich wiederholt auch 
ausgedehntere Verlöthungen und Stränge gelöst, ohne besondere 
Schmerzen zu erzeugen, vorausgesetzt, dass ich stärkere Zerrung 
und Dehnung vermeiden konnte. Im Allgemeinen glaube ich. ist 
anzurathen, lieber zu narkotisiren, wenn man axisgedehntere Ver¬ 
wachsungen mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit vor der 
Operation annehmen muss. 

Wie sich die Operationen bei entzündetem Bauchfell 
gestalten, darüber vermag ich ein sicheres Urtheil nicht abzu¬ 
geben, da ich nur 2 perityphlitische Abscesse, die intraperitoneal 
lagen, ohne Narkose eröffnet habe. 

Auch hier, glaube ich, wird in der Mehrzahl der Fälle die 
Narkose nicht zu umgehen sein, da sich die Art und Axisdehnung 
der vorzunehmenden Operationen nur selten mit einiger Wahr¬ 
scheinlichkeit voraussehen lassen und das entzündete Peritoneum 
gegen stärkere Berührungsreize sehr empfindlich sein dürfte. 

Der Magen und der Darm sind für Schneiden, Stechen 
und Nähen, für das Fassen der Gefässe mit Klemmen u. s. w. 
ganz unempfindlich. Die bei Gastroenterostomie z. B. nothwendi- 
gen Schnitte in Magen und Darm, das Anlegen von 3 Reihen von 
Nähten rufen nicht den geringsten Schmerz hervor. Dagegen ist 
z. B. bei der Gastroenterostomia retrocolica das Aufklappen des 
Magens, Dickdarmes und Netzes und das bei stärkerer Aus¬ 
dehnung des Magens zuweilen erschwerte Aufsuchen der Durch¬ 
trittsstelle des Duodenums manchmal schmerzhaft, offenbar wegen 
der Zerrung am Bauchfell und Mesenterium. 

Auch das Abbinden des Mesenteriums bei Darmresektion 
scheint schmerzhaft zu sein, während das Netz offenbar nur sehr 
wenig empfindlich ist. Es kann, wenn nur starke Zerrungen an 
ihm vermieden werden, leicht auch in grossen Mengen nach viel¬ 
fachen Unterbindungen abgetragen werden (bei Hernien z. B.) 
ohne dass Schmerzen entstehen. 

Das Einschneiden der Harnblase ist offenbar so gut wie 
schmerzlos, nur das Abstreifen des Peritoneums von der vorderen 
Blasenwand, das Auseinanderziehen der Wundränder der Blase 
und eine erschwerte Extraktion des Blasensteines können, wenn 
auch offenbar nicht sehr bedeutende, Schmerzen verursachen. 

Es ergibt sich demnach, wie ich schon angedeutet habe, dass 
eine absolute Schmerzlosigkeit in der Art, wie sie bei der all¬ 
gemeinen Narkose eintritt, bei der Anwendung der lokalen An¬ 
aesthesie sich durchaas nicht in allen Fällen erreichen lässt; 
doch sind in der Mehrzahl der Fälle die Beschwerden verhältniss- 

8 


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1212 


No. 30. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


massig so gering, dass man sie den Kranken, ohne diesdben über 
Gebühr und zwecklos zu quälen, ganz gut zumuthen darf im 
Hinblick auf den grossen Vortheil, welchen die Vermeidung der 
allgemeinen Narkose für den schwachen Kranken mit sich bringt. 
Denn dass bei derartigen Kranken die Narkose als solche 
eine Schädigung für das Herz und durch das Erbrechen, den 
Husten etc. eine erhebliche und oft schädliche Belästigung be¬ 
deutet, leuchtet ohne Weiteres ein. 

Der Wunsch, die besonders durch die Aetliernarkose bei 
Laparotomien doch recht häufig auftretenden Komplikationen 
von Seiten der Athmungsorgane, Bronchitis, Pneumonie zu ver¬ 
meiden, ist einer der Hauptgründe für die Anwendung der lokalen 
Anaesthesie bei Laparotomien. Nun mag es vielleicht über¬ 
raschen, dass dieser Wunsch auch bei lokaler Anaesthesie nur 
unvollkommen sich erfüllen lässt. Von den 10 ohne Narkose aus¬ 
geführten Gastroenterostomien haben 2 Patienten schwere 
Lungenorkrankungen nach der Operation aequirirt. Einer der¬ 
selben, ein 56 jähriger Mann mit grossem Magencareinom und 
totaler Pylorusstenose, bei dem gleichzeitig Atherom der Arterien 
mässigen Grades bestand, bekam am 4. Tage nach der völlig glatt, 
ohne jeden Schmerz und ohne Erregung für den Kranken ver¬ 
laufenen Gastroenterostomie eine schwere doppelseitige Längen- 
•entzündung, an der er 9 Tage nach der Operation starb. Der 
Kranke hat nach der Operation nicht mehr erbrochen, die 
Magendünndarmfistcl funktionirte in dieser Zeit tadellos. Der 
zweite Kranke war ein 27 jähriger Phthisiker mit wahrscheinlich 
carcinomatöser, vielleicht auch narbiger, auf dem Boden eines 
Ulcus entstandener hochgradiger Stenose des Pylorus — eine 
sichere Diagnose war hier, wie in manchen Fällen von Pylorus¬ 
stenose, auch nach Vorziehen des kleinapfelgros9en Tumors nicht 
möglich; die zahlreichen derb infiltrirton, harten Drüsen, welche 
eine Exstirpation des Tumors nicht räthlich erscheinen Hessen, 
sprachen ja entschieden für Carcinom, können aber auch wohl 
nach Ulcus verkommen **). Dieser Patient erkrankte, 8 Tage post 
operationem, nach welcher er nur einmal geringe Mengen etwas 
blutig gefärbten Mageninhalts erbrochen hatte, an einer Pleuro¬ 
pneumonie mit ausgedehntem serösen Exsudat. Ich weis» nicht, 
ob man diesen Fall der Operation als solcher zur Last legen 
darf, da es sich um einen an Lungentuberkulose leidenden Kran¬ 
ken handelte, glaube aber, dass man wohl von einer ungünstigen 
Beeinflussung durch die Operation sprechen darf. Wäre der 
Kranke narkotisirt worden, würden wir wohl zweifellos einen 
grossen Theil der Schuld der Chloroform- oder gar der Aether- 
narkose zuschieben. 

Bei den übrigen Bauchoperationen sind Erscheinungen von 
Seiten der Lungen in irgend welch’ nennenswerthem Grade nicht 
aufgetreten. Der Procentsatz von 2 Pneumonien in Bezug auf 
die Gesammtzahl der Laparotomien wie ganz besonders in Bezug 
auf zehn Gastroenterostomien erscheint jedoch als recht hoch 
und könnte den Hauptvortheil, den wir von der Vermeidung der 
Narkose durch Anwendung der lokalen Anaesthesie erwarten, 
leicht als illusorisch erscheinen lassen. Man könnte sogar — 
und das ist in der That schon geschehen — die Frage aufwerfen, 
ob nicht am Ende durch die Injektion von Cocain oder irgend 
einer anderen anaesthesirenden Lösung Pneumonien hervorge¬ 
rufen werden könnten; denn auch andere Chirurgen haben nach 
Bauchoperationen unter lokaler Anaesthesie Pneumonien auf- 
treten sehen und Gottstein (Chirurgen-Kongress 1898) be¬ 
rechnet die in der M i k u 1 i cz’schen Klinik beobachteten Lungen¬ 
erkrankungen nach lokaler Anaesthesie auf 13 Proc., die nach 
Chloroformnarkose aufgetretenen Lungenerecheinungen 
aber im Jahre 1895/96 auf 5,8 Proc. und in den Jahren 1896/98 
gar nur auf 1,8 Proc. Es wäre aber falsch, aus diesen Procent¬ 
sätzen einen Schluss in dem eben erwähnten Sinne zu ziehen. 
Dafür fehlt trotz der ungemein ausgedehnten Anwendung der 
subkutanen Injektionen von Cocain, Schleich’scher Lösung 
u. s. w. doch jede Analogie und wir müssen uns wundern, warum 
z. B. bei den vielen grossen Kropfoperationen ohne Narkose nicht 
auch Pneumonien auf treten, wo doch die Menge des injicirten 
Mittels mindestens ebenso gross ist. wie bei den Bauchoperationcn. 
Ich glatibe.dass dioUrsaehen.die ich vorhin schon angeführt habe, 
liier in Betracht kommen, insliesondere der Umstand, dass es eben 
die allerelendesten, schwächlichsten Kranken sind, bei welchen 

*■*) Das gegenwärtige gute Allgemeinbefinden spricht vielleicht 
eher für die Annahme einer narbigen Stenose. (Amu.bci der CoiTect.j 


wir bis jetzt die lokale Anaesthesie bei Laparotomien vorwiegend 
benutzt haben, also meistens ältere Leute, die entweder schon 
eine Störung von Seiten der Bronchien, der Lungen oder des 
Gefässsystenis haben und die zu solchen Erkrankungen natur- 
gemäss leichter geneigt sind, umsomehr als sie durch die meist 
maligne Erkrankung im Abdomen in ihrem ganzen Kräftezustand 
erheblich rcducirt sind; sie haben nun überdies Wunden in der 
Bauchwand, wodurch jeder Hustcnstoss schmerzhaft wird, sie 
unterdrücken den Husten, husten nicht aus, müssen ständig auf 
dom Rücken zu liegen und so kommt es leicht zu hypostatischen 
und unter den gegebenen Bedingungen wohl auch zu infektiösen 
Pneumonien, die sich, wie die Dinge nun einmal liegen, wohl 
niemals ganz werden vermeiden lassen, ob man nun in Narkose 
oder mit lokaler Anaesthesie operirt. 

Um Dehnungen und Zerrungen des Bauchfells und damit 
Schmerzen nach Möglichkeit zu vermeiden, wird man bei localer 
Anaesthesie im Allgemeinen etwas langsamer operiren müssen 
als bei allgemeiner Narkose; ob die hiedurch bedingte etwas länger 
dauernde Abkühlung der Baucheingeweide (es handelt sich aller* 
dings nur um eine relativ kurze Zeitdifferenz) ungünstig bezüg¬ 
lich der Entstehung von Lungenerkrankungen bei Laparotomien 
ohne Narkose einwirkt, vermag ich nicht zu entscheiden; jeden¬ 
falls suchen wir unsere Kranken durch Einhüllen in warme 
Tücher, gewärmten Operationstisch, Bedecken der Eingeweide 
mit warmen feuchten Kompressen nach Möglichkeit vor Abküh- 
lufig zu schützen. 

Zweifellos haften dem Verfahren, Bauehoperationen ohne 
Narkose auszuführen, noch viele Mängel an und es lassen sich 
auch bei aller Vorsicht weder alle Beschwerden für den Kranken 
während der Operation, noch alle nachtheiligen, sonst wesentlich 
der Narkose zur Last gelegten Folgezustände bis jetzt vermeiden; 
allein das scheint mir, wie ich schon erwähnte, festzustehen, dass 
man eine Reihe von operativen Eingriffen an den Bauehorganen 
bei Anwendung der lokalen Anaesthesie noch ausführen kann 
und darf, die sonst zum Naehtheile der Kranken aus Furcht vor 
der allgemeinen Narkose hätten unterbleiben müssen. 


Beitrag zur palliativen Behandlung inoperablen Gebär¬ 
mutterkrebses. 

Von Professor Dr. Fr. Torggler in Klagenfurt. 

Wenn ich auch noch immer bei Behandlung inoperabler 
Utcruscarcinome Anhänger der 1883 von S a e n g e r (Jodoform¬ 
pulver) eingeführten und besonders von Fritsch (Bortannin) 
warm empfohlenen Troekenbehandlung, speciell der Anwendung 
des von mir seinerzeit angerathenen Kohlenjodoformpulvers ge¬ 
blieben bin, so zwang uns die grosse Zahl derartig trauriger Fälle, 
weitere Mittel zu versuchen, um die nauptbeschwerden: Blutung, 
Ausfluss, Schmerzen zu beseitigen, wenigstens erträglicher zu 
machen. 

Und wahrlich gross ist die Zahl unserer inoperablen Uterus- 
carcinome, denn — sehen wir von Mackenrodt, der die 
höchste Operabilitätszahl (92,9 Proc.) verzeichnet, ab — während 
Doederlein und Olshausen nur 50,1 resp. 54 Proc. in¬ 
operabler Fälle Unterkommen, steigt dieser Procentsatz bei Win¬ 
ter auf 57, bei Kaltenbach auf 60, im Maria-Theresien- 
spital Wien auf 63, bei Pfannenstiel auf 64,6, bei Thorn 
auf 65, bei Pernice auf 74,5, bei Kezmaraky 
auf 78, bei Fehling auf 75—80, bei Fritsch (Bres¬ 
lauer-Zeit) auf 80,5, bei Akontz auf 86,6, bei Baecker 
auf 90, bei Lapschin auf 90,3, bei uns auf 92! 
Nur Gusserow und Groom überholten diese Ziffer, da 
Eraterer (nach Krukenberg) nur 5 Proc., Letzterer 
6 Proc. der zugegangenen Uteruscarcinome operirte. Ob diese 
grosse Verschiedenheit der Operabilitätsziffer blos von der Nei¬ 
gung des Operateurs die Indicat ionsgrenzen enger oder weiter zu 
ziehen abhängt, wie Doederlein annimmt, ist hier nicht zu 
erörtern. Ich glaube aber, persönlich nicht besonders rigoros zu 
sein; allerdings fordere ich, um einen Fall' als operabel zu be¬ 
zeichnen, dass die in Narkose vorgenommene Untersuchung per 
vaginam et per rectum eine gewisse Beweglichkeit dee Uterus, 
sowie das Fehlen carcinomatöser Infiltration der Parametrien 
und der l.ignmenta cardinalia ergibt, glaube jedoch weiter, dass 
auch die Art des zugehenden Materials bezüglich der 
Opera! i<mszi Ihr sehr ausschlaggebend ist, je nachdem, ob 


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23. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1213 


cs aus einer grösseren Stadt oder, wie bei uns, haupt¬ 
sächlich vom Lande stammt. Auf diesen Umstand weist 
Winter hin, und führt z. B. an, dass in Berlin 
die Operabilität sich von 19 auf 63 Proc. gehoben hat. In meiner 
allg. Krankenhausanstalt (und darauf ist auch Gewicht zu legen, 
weil sicher in Privatheilanstalten eine viel grössere Zahl Opera¬ 
tionsfähiger aufgenommen wird) gelangten in den letzten 5 Jahren 
(1896—1900) unter 2097 gynäkologischen Kranken 274 Gebär¬ 
mutterkrebse zur Behandlung (228 in der Abtheilung und 46 im 
Ambulatorium). Diese Frequenz (über 13 Proc.!) ist sehr gross, 
A k o n t z weist z. B. 5,7, v.Erlach-v. Woerz3,3 und D o e - 
d e r 1 e i n 2,7 Proc. aus. Geeignet zu einer Radicaloperation 
waren von unseren Fällen nur 22, aber bloss 14 Hessen eine 
solche zu. Es mussten mithin 260 einer palliativen und sympto¬ 
matischen Therapie unterzogen werden. Diese Behandlung um¬ 
fasst das objektive Symptom des Ausflusses, sei es Blutung, sei es 
Fluor, und das subjektive des Schmerzes. Blutung sowohl als 
Ausfluss kommen in ziemlich gleicher Frequenz vor; ob aber 
Blutung vorerst und dann Fluor, der durch Menge, Schärfe oder 
Geruch die Kranke quält, sich zeigt, das hängt hauptsächlich vom 
Sitze der Erkrankung ab, Carcinoma colli blutet im Allgemeinen 
«stärker und früher, als Corpuskrebs. In unseren meist vernach¬ 
lässigten Fällen handelt es sich nahezu immer um die Klage über 
„Fluss“, wohl meist um Carcinomjauche in engerem Sinne. Dess- 
halb lag uns vor Allem daran, diesen Scheidenausfluss zu ver¬ 
mindern und dessen oft entsetzlichen Geruch zu bekämpfen. Sind 
wir uns auch klar, durch Ausschabung und Verschorfung der 
Carcinommassen am schnellsten der Jauchung Herr zu werden, 
so erfordern doch Umstände verschiedener Art, die Patientin vor 
der palliativen Operation vom Ausflusse zu befreien oder minde¬ 
stens eine ausgiebige Verminderung desselben zu erstreben. 

Am besten dafür erwies sich mir im Laufe der Jahre das 
Wasserstoffhyperoxyd (Hydrogcnium per- 
oxydatum = H, O,). Dieses Mittel, bereits 1818 von The- 
n a r d entdeckt und von S t o e h r (1867) einem sehr genauen 
Studium unterzogen, wonach Blut- und Eiterkörperchen eine 
Schrumpfung und selbst eine Zerstörung erfahren, eiternde Bu¬ 
bonen äusserst rasch heilen sollten, fand trotzdem keinen rechten 
Eingang in die Therapie, wohl wegen dessen leichter Zersetzlich¬ 
keit und hohen Preises. Mich veranlasst« eine aus der Klinik 
Billroth hervorgegangene Arbeit des damaligen Operations¬ 
zöglings v. Dittel, die 11,0,-Lösung bei inoperablen Carcinomen 
zu versuchen, weil dort angegeben war, dass H, 0,-Lösungen 
Tumorengewebe härter zu machen, zur Schrumpfung zu bringen 
scheine, ausserdem besitze dieses Mittel eine antiseptische Wirk¬ 
samkeit und vermindere eitrige Sekretion. Freilich glaubt 
Dittel sich auf Grund einiger Thierversuche eher für als gegen 
die Giftigkeit der H, 0,-Lösung aussprechen zu sollen. Nachdem 
wir in unserer gynäkologischen Abtheilung seit 1895 dos Hydro¬ 
gen ium superoxydat. und zwar nicht wie D i 11 e 1 in 2 proc., son¬ 
dern in 12 proc. (Gewichtsprocente) Lösung in vielen Fällen ver¬ 
sucht hatten, erbat ich mir Ende 1896 im „Vereine der Aerzte 
Kärntens“ aus, einen Bericht über die gemachten Erfahrungen 
erstatten zu können, verbunden mit dem Ersuchen, es möchten 
Kollegen in ihren Specialfächern ebenfalls diesbezügliche Ver¬ 
suche anstellen und darüber berichten. Erst im Mai 1897 geschah 
diese Berichterstattung, in welcher Meusburger darauf hin¬ 
wies, dass H, O, das Wachsthum kräftiger Staphylococcenrein- 
kultur verhindere, dass es Oosporenkulturen vernichte. Mit gutem 
Erfolg gebrauchte Schludermann H, O, bei Mittelohr¬ 
katarrhen und bei Stomatitis mercurial.; Brugger bei Alveo- 
larblennorrhoe; Herbst bei Fussgeschwüren; Purtscher 
bei Thränen sacklei den. hingegen mit geringerem Erfolge bei Con¬ 
junctivitis, höchstens bei den Formen von Conjunctivitis wie sie 
nach Pulververletzung Vorkommen und bei stark belegten Ilorn- 
liautg*-schwüren. Da ich persönlich verhindert war,berichtete mein 
damaliger Assistent Schnii d ausführlich über die ausgedehnte* 
Verwendung von H, O, in der Gynäkologie und kam zum Re¬ 
sultate, dass wir bei Kolpitis gonorrhoic. und bei Metrorrhagien 
fast gar keinen Erfolg, massigen bei Kolpitis simpl. und bei den 
verschiedenen Endometritiden, aber vorzüglichen bei putriden 
Carcinomen fanden und zwar hauptsächlich wegen seiner des- 
odorisirenden Wirkung und wegen der Fähigkeit, schmerzlos ulce- 
rirende Wunden zu reinigen. 

Diese guten Erfahrungen haben sich uns in den letzten 


Jahren *) immer wieder gezeigt und finden wir dieselben bestätigt 
durch A. Martin, der Spülungen mit blose 3 proc. Wasserstoff¬ 
superoxyd als besonders gut desodorisirend empfiehlt.. 

Für weitere Anwendung von H, O, kann ich mich auf Grund 
der oben angeführten Erfahrungen nicht mehr entschliessen, 
trotzdem in den allerletzten Jahren über Verwendung und Werth 
dieses Mittels mehr veröffentlicht worden ist, hauptsächlich in 
ausländischer, wenig in deutscher Literatur. Dafür ist allerdings 
die letzte deutsche Publikation von H o n s e 11 (1900) aus der 
Tübinger chirurgischen Klinik, dessen Vorstand v. Bruns kurz 
vorher warm für H, O, eingetreten ist, äusserst werthvoll, weil 
experimentell und klinisch die Verwendbarkeit eingehend und 
streng wissenschaftlich in wunderbarer Weise bearbeitet wird. 
Ziehe ich aus dieser und anderen Arbeiten nur die Verwendung 
von H 2 0, in der Gynäkologie hervor, so wird neuerlich — früher 
schon von Noble und E m m e t u. A. — auf Grund der L u c a s- 
Championnier e’schen Mittheilungen dieses Mittel als Anti- 
septicum und Desinfektionsmittel der Vagina, des Uterus und des 
Operationsfeldes empfohlen von Thiriar und von Tissot. 
Letzterer weist auch auf die haemostatische Wirkung hin; ihm 
ist diesbezüglich bereits Petit vorausgegangen, Platon und 
Sztampke folgen nach. Zu Spülungen gegen gynäkologische 
Affektionen im Allgemeinen wandte H,0, Bonnet 1895 an. 
Dezanneau, der H,0, zu Verbänden bei gynäkologischen 
Operationen gerne verwendet, will bei intrauteriner An¬ 
wendung Auslösung von Uteruskontraktionen beobachtet haben 
und befürwortet desshalb dessen Gebrauch bei Atonia 
uteri! Aber, wie erwähnt, trotz dieser vielfachen An¬ 
empfehlungen, welche alle die ungiftige, antiseptisehe, 
haemostatische oder desodorisirende Eigenschaft hervorhebcu, 
blieb ich beim alleinigen Gebrauch des HO, behufs 
rascher Reinigung jauchiger oder gangraenescirender Gebär¬ 
mutterkrebse stehen. Nach guter Einstellung der carcinomatösen 
Stelle in einem beliebigen Speculum wird dieselbe soweit als mög¬ 
lich mittels Tupfer gereinigt, hierauf die Wunden mit von 12 ge- 
wiehtsprocentiger (= 39,9 voluniprocentiger) H,0,-Lösung trie¬ 
fender Jodoformgaze tamponirt und belegt, ln dem Augenblicke, 
in welchem das Wasserstoffhyperoxyd mit der wunden Fläche in 
Berührung kommt, entsteht eine sehr reichliche, grossblasige 
Schaumbildung durch Sauerstoffentwicklung. Um diese Katalyse 
möglichst zu erhalten, lege ich immer noch einen grossen trocke¬ 
nen Jodoformgazestreifen darauf in die Vagina und lasse diese 
Tampons 2, 3 bis 4 Tage liegen. Jedesmal nach dem ersten Tam¬ 
ponwechsel ist ein noch so penetranter Geruch geschwunden, 
copiöse Sekretion lässt nach und bald sehen wir granulireude 
Stellen statt des jauchigen, putriden Gewebszerfalls; bei jeder 
neuen Applikation von 11,0, ist die Schaumentwicklung geringer 
und gibt uns dadurch gewissermaassen einen Fingerzeig, wie sich 
das Geschwür reinigt. So starke Lösungen, nämlich 12 proc., 
während sonst meist 1—3 proc. verwendet werden, da Honsell 
das 3 proc. Wasserstoffsuperoxyd bezüglich seiner baetericideu 
Kraft dem 1 prom. Sublimat als gleicliwerthig an die Seite stellt, 
gebrauchen wir, weil die Ungiftigkeit des 11,0, von den neueren 
Autoren nachgewiesen wurde. Wenn v. Dittel und vor ihm 
Neudoerfer Vergiftungserscheinungen beobachteten, so 
liegt die Ursache wohl im Umstande, dass damals H,0, nicht ab¬ 
solut säurefrei, nicht chemisch rein, wie das jetzige war oder dass, 
wie Honsell annimmt, eine Gasembolie die Todesursache bil¬ 
dete. Gerade* die durch Blut, Eiter und Sekret herbeigeführte 
hochgradige Zersetzung des H,0, in Sauerstoff und Wasser macht 
selbst konzentrirten Lösungen unmöglich, Reizungs- oder Läh¬ 
mungserscheinungen hervorzurufen, der Sauerstoff verliert mit 
der Bildung der Gasblasen rasch seine spezifischen Eigenschaften, 
die energische Katalyse bietet einen gewissen Schutz gegen seine 
Einwirkung (A. Schmidt). 

Die antiseptisehe Kraft spielt bei der palliativen Behandlung 
inoperabler Carcinomc kaum eine Rolle und gehe ich desshalb 
auf selbe nicht näher ein, wohl al>er müssen wir die von allen 
Autoren erwähnte Eigenschaft als Desodorans betrachten. Nach 
Bruns handelt es sich dabei nicht um die antibacteriellc Wir¬ 
kung auf die Eiterbacterien, sondern eher um eine spezifische 
Wirkung auf die Anaeroben, namentlich gegen die Fäulniss- 
produkte. Dazu ergaben die experimentellen Versuche Honsel l's. 


*) Siehe meine Mittheilungen aus den Abthellungen f. Geburts¬ 
hilfe u. Gyuilkologie. 




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1214 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30. 


dass bei energischer Sauerstoffabspaltung die desodorierende 
Wirkung des H,0, stärker als bei träger Zersetzung ist. Trotz¬ 
dem aber dürfte die mechanische Einwirkung ausschlaggebender 
sein, als die chemische, weil der sich explosionsartig bildende 
Schaum das keimhaltige Sekret, die Blutgerinnsel, kleine Gewebs- 
partikelchen u. s. w. mit sich fortreisst, die Wunde dadurch rei¬ 
nigt, eine Stauung der Carcinomjauche verhindert, wodurch eine 
weitere Zersetzung der flüssigen Absonderung vermindert wird. 
Nicht bestätigen unsere Erfahrungen eine grössere haemostatische 
Wirkung. Wenn diese Eigenschaft schon seit längerer Zeit — 
Pflüger z.B. wies 1875 nach, dass das Blut zersetzend auf 
HjO, einwirke und desshalb dasselbe gerinne — bekannt ist, so 
fehlte bisher eine einwandfreie Erklärung der Blutgerinnung. 
H o n s e 11 führt die momentane Fibringerinnung auf rein physi¬ 
kalische Momente zurück, nämlich auf eine „Quirlung“ des Blutes 
durch die rasch entstehenden Gasblasen. In unseren Fällen von 
Uteruscarcinom sowohl, als bei Metrorrhagien, bedingt durch 
Endometritis hypertrophicans, post abortum u. s. w. war die blut¬ 
stillende Einwirkung dieses Mittels eine so geringe, dass wir 
später darauf kein Gewicht mehr legten. Falls wirklich die Quir¬ 
lung des Blutes das einzige veranlassende Moment der Blutstil¬ 
lung ist, so begreifen wir leicht, warum bei ulcerirten Portio- 
carcinomen H,0, kein gutes Haemostaticum bildet, nicht aber, 
warum diese Eigenschaft bei intrauterinen Blutungen fehlt. Im 
ereteren Falle ist selbst die stärkste Quirlung zu gering, um auf 
die ausgebreiteten, grossen und oft tiefgreifenden blutenden 
Wunden gerinnend einzuwirken. Freilich nach Seydeler’s 
Versuchen, der vergleichende Untersuchungen mit Liquor ferri 
sesquichlor. anstellte und fand, dass beide Mittel gleich schnell, 
gleich sicher, aber 11,0, reinlicher wirke, müssten wir auch da 
eine prompte Blutstillung erwarten. 

Wenn nun die carcinomatösen, ulcerirten Partien in so über¬ 
raschender Weise gereinigt, das nekrotische Gewebe zerstört 
worden sind, ja das H,0, auf das Gewebe als Excitans im guten 
Sinne eingewirkt hat, so schliessen wir beinahe immer — ausser 
es waren eine Vesico- oder Rectovaginalfistel bezw. ein Durch¬ 
bruch in den Douglas zu befürchten — eine Palliativ-Operation 
an. Dieselbe besteht gewöhnlich in möglichster Ausschabung der 
carcinomatösen Maassen, Abtragung frei beweglicher Fetzen mit 
Scheere, Stillung der Blutung durch Glüheisen oder Paquelin, 
seltener durch Atmokauter, Ausstopfung des so geschaffenen 
Wundtrichters mittels Fächertampon von Jodoformgaze (50proc.), 
die 4—6 Tage liegen bleibt. Die Nachbehandlung — das Wich¬ 
tigste! — bestand meist im „trockenen Verfahren“ und zwar in 
Anwendung von Jodoformkohlenpulver. 

Seit 4 Jahren aber erwies sich mir als sehr gut um die 
Wundhöhle trocken zu erhalten, selbe der Verkleinerung und einer 
Vernarbung zuzuführen, das F ormalin (Formaldehydum so- 
lutum = HC HO). Mit Ausnahme über Verwendung zu Des- 
infektionszwecken liegen bezüglich klinischer Verwendung wenig 
Berichte über dieses Mittel vor. In die Gynäkologie dürfte 
v. Winckel (1894) es eingeführt haben, da er eine lOproc. Lösung 
des circa 40proc. Sehering’s Formaldehyd zu Intrauterin- 
Behandlung verwendete. Seit beiläufig derselben Zeit gebraucht 
es Menge und zwar ausschliesslich zur Behandlung chronischer 
Endometritis in etwas stärkerer Konzentration (30—50 Theile 
Formaldehyd : 70 rosp. 50 Theile Wasser). Seine erste Empfehlung 
dieses Mittels geschah in der Gesellschaft für Geburtshilfe zu 
Leipzig (18. April 1898) und findet jetzt noch weitere Besprechung 
im Archiv für Gynäkologie (1901). Auch G r a e f e und die 
S a e n g e Fache Klinik (F ü t h) wenden es gegen dasselbe Leiden 
an; im Jahre vorher berichten Stouffs, Jacobs und 
van Hassel über Formalingebrauch zur Irrigation eiternder 
Höhlen, besonders der Uterushöhle, und finden, dass es sehr gut 
desodorisirt. Fell gebraucht es intravaginal gegen puerperale 
Septikaemie und Gerstenberg ist wohl der Erste, der das 
im verdünnte Formalin intrauterin gegen Endometritis verwendet. 
Erst in allemeuester Zeit finde ich erwähnt, dass mit diesem 
Causticum inoperable maligne Tumoren verätzt werden: M a c 
F e e 1 y ein Larynxepitheliom mittels Injektionen, R a n al¬ 
le 11 i einen exulcerirten Uterustumor und v. H e r f f inoperable 
Carcinome durch Abtupfung. Wie vorhin gesagt, gebrauchen 
wir seit 4 Jahren nach palliativen Carcinomoperationen beinahe 
ausschliesslich dieses Medicament. 

Nach Entfernung des Fächertampon wird der Wundtrichter 


gut in ein Speculum (meist NeugebaueFs) eingestellt, mittels 
trockener Tupfer gereinigt und dann in den Krater durch einige 
Zeit (5—10 Minuten) ein in Formalin getauchter Wattetara pon 
eingelegt. Die ersten Male gebrauchen wir 4proc. (d. h. 10 g 
der 40proc. Originallösung zu 90 g Aqu. dest»), dann lOproc. 
(25 g der Originallösung : 75 g Wasser) oder meist 40proc. i. e. 
reines Schering’sches Formaldehyd. Dabei ist genau zu achten, 
dass nichts von der ätzenden Flüssigkeit in die Vagina abläuft, 
was am besten verhindert wird durch Auf trocknen mit Watte¬ 
bauschen und durch vorsichtiges Abspülen. Gesunde Scheiden¬ 
schleimhaut, besonders am Introitus, verträgt die geringste Spur 
selbst des verdünnten Formalin schlecht, da dasselbe ätzt und 
stark brennt. Damit auch die nachher stattfindende Absonderung 
kein Brennen bereiten kann, legen wir vor der Wundhöhle in die 
Vagina eine lockere Jodoformgaze. Der sich bildende Schorf ist 
so stark als bei Anwendung von 60proc. Chlorzink. In 6, 8 bis 
10 Tagen stösst sich der Formalinschorf ab, die Wunde erscheint 
trocken; nach der zweiten, sicher nach der dritten Applikation 
ist schon eine Mumifikation des Gewebes eingetreten, die Wund¬ 
höhle verkleinert, das Sekret im Verschwinden. Blutungen nach 
Abstossung oder schonender Entfernung des Aetzschorfes sahen 
wir selten, eher konnten wir beobachten, dass das Formalin eine 
nicht geringe haemostatische Wirkung, wie wohl jedes kräftige 
Aetzmittel, ausübt. Ausser dass Formol als caustisches Medi¬ 
cament in diesen Fällen ausgezeichnet wirkt, kommt noch dessen 
Eigenschaft als Desinfektionsmittel in Betracht, denn jetzt haben 
wir es mit einer durch Abschabung herbeigeführten frischen 
Wunde zu thun. 

Die antibacterielle Eigenschaft ist eine sehr starke, dadurch 
wird sicher das Wundsekret vollkommen desinfizirt, jede resorp- 
tive Giftwirkung fehlt aber, mindestens in unserer Anwendungs¬ 
weise. Innerlich genommen können starke Dosen, wie die Fälle 
von K1 ü b e r (nach welchem ein Schluck) und von Zorn (bei 
dem 30 ccm getrunken wurden) zeigen, Vergiftungserscheinungen 
herbeiführen. Dass nach Entfernung der carcinomatösen Massen 
und Verätzung des Wundkrater der penetrante Geruch aufhört, 
schiebe ich mehr der Verminderung und Desinfizirung des Se¬ 
kretes zu, als dass ich dem Formol eine spezifisch desodorisirende 
Wirkung zuschreibe, wie dem Wasserstoffsuperoxyd. 

In mehr als 150 Fällen haben wir dieses Aetzmittel mit sehr 
zufriedenstellendem Erfolge angewandt: Jauchung und Blutung 
hören auf; das Gewebe mumifizirt; die Sekretion vermindert sich, 
der üble Geruch schwindet. Nur konnten wir in einigen Fällen 
nach Aetzung mit unverdünntem Formaldehyd leichte Schmer¬ 
zen, aber nie peritonitische Reizerscheinungen beobachten. 

Weil wir Anstaltsärzte nur selten in der Lage sind, den 
traurigen End verlauf dieser unrettbaren Fälle selbst mitzubeob¬ 
achten, ist auch mir nicht möglich, über die Dauererfolge dieser 
Behandlungsmethode zu berichten, aber trotzdem glaube ich auf 
Grund der mehrjährigen Erfahrung sowohl die Anwendung des 
Hydrogenium peroxydatum als des Formaldehydum solutum em¬ 
pfehlen zu dürfen, insbesondere in der Absicht, auf dass in 
anderen Anstalten weitere Versuche angestellt werden. 

Quellen: 

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Aich. f. Gynäk. Bd. 53, p. 58. — Bonnet: Bulletins de la soc. 
obstetr. 1895. — Bruns: Berl. klln. Wochenschr. 1900. No. 19. — 
Croom: Brlt. med. Journ. 1898, 19. November. — Dezan- 
ncau: De l’eau oxygöuöe. Thöse de Paris 1899. — D 111 e 1: Wien, 
klln. Wochenschr. 1890, No. 24. — D o e d e r 1 e 1 n: Arch. f. Gynäk. 
1901, Bd. 63, p. 3. — Emmet: Centralbl. f. Gynäk. 1893, No. 43. 
p. 1003. — Erlach-Woerz: Radicalhellung des Gebärmutter¬ 
krebs. Wien, Seidel & Sohn, 1901. — Fehling: Lehrbuch der 
Frauenkrankheiten. Stuttgart, Enke, 1893, p. 364. — Fell: 
Australasien Med. Gazette 1899, No. 210, p. 102. — Fritsch: 
Die Krankheiten der Frauen. Braunschweig, Wreden, 1900. p. 332. 
Füth: Centralbl. f. Gyn. 1898, No. 52, p. 1432. — Gersten¬ 
berg: Ibld. 1900, No. 34, p. 889. — Graefe: Ibid. 1898, No. 52, 
p. 1434. — Hassel: Ibid. 1897, No. 7, p. 202. — Her ff: Ency- 
klopödie d. Geburtsh. u. Gyn. 1900, p. 342. — Honsell: Beitr. z. 
klln.Chir. 1900, Bd.27, p.127.— Jacobs: Centralbl.f.Gyn. 18ö7,No.7, 
p. 202. — Kaltenbach: Berl. klin. Wochenschr. 1889, No. 18—19. 
— Klüber: Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 41. — Kruken- 
b e r g: Berl. klin. Wochenschr. 1896, p. 514. — Lapschin: Wrnt- 
schebnyja Sapiski, No. 3. — Lucas-Champonniöre: Bull, 
de l’acad. de m6d. 1898, Dez. — Derselbe: Bull, de la soc. de 
Chirurg. 1900, No. 3. — Mac Fell y: Brit Med.-Journal 1899, 
No. 2013, p. 273. — Mackenrodt: Zeltschr. f. Geburtsh. u. Gyn., 
Bd. 29, p. 157. — Martin A.: Handbuch d. Gyn. von J. Veit 1899, 
Bd. III, p. 488. — Menge: Centralbl. f. Gyn. 1898, Na 52, p. 1434. 


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23. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1215 


— Derselbe: Arch.f.Gyn. 1901, Bd.63, p.343— Neudoerfer: 
Wiener med. Presse 1886, No. 18—19. — Noble: Med. news 1891, 
April,p.403. — Olshausen: Zeltsehr. f. Geburtsh. u. Gyn., Bd.23. 
Pernlce: Arch. t. Gyn., Bd. 43, p. 382. — Petit: Bull, de la 
soc. obstetr. 1895. — Pfannenstiel: Centralbl. f. Gyn. 1901, 
No. 15. — Pflüger: Pflüger's Arch. 1875, Bd. 10. — Platon: 
Ann. de gyn. et d’obstetr. 1900. — Ranalletti: La Riforma med. 
1900, Nov. — Säen ge r: Centralbl. f. Gyn. 1883, No. 49, p. 785. — 
Schmidt A.: Pflüger’s Arch. 1871, Bd. 6, p. 510. — Seydelcr: 
Wasserstoffsuperoxyd als blutstillendes Mittel. Inaug.-Dissertation, 
Leipzig 1897. S i n e t y: Ann. de gyn. et d’obstetr. 1882. — Stoehr: 
Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1808, p. 421. — Stouffs: Centralbl. 
f. Gyn. 1897, No. 7, p. 201. — Sztampke: Przeglad lekarski 1900, 
No. 40. — Thlrlar: Semaine med. 1899, No. 51. — Thorn: 
Münch, med. Wochenschr. 1897, p. 1247. — T1 s s o t: Gaz. des 
hOp. 1899, No. 101. — Torggler: Bericht Uber die Thätlgkelt 
der geb.-gyn. Klinik zu Innsbruck. Prag 1898. p. 238. — Der¬ 
selbe: Mittheilungen aus den Abthellungen f. Geburtsh. u. Gyn. 
Klagenfurt 1S99. p. 15. — Derselbe: Monatsschr. f. Geburtsh. 
u.Gyniik. 1900, Bd. 11, p.401. — Winckel: Münch.med. Wochenschr. 
1894. p. 009. — Wi nter: Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gyn. 1900, Bd. G3, 
p. 509. — Zorn: Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 40. 


Zur Entstehung und Behandlung der Phlegmonen im 

Rachen. 

Von Dr. L. Grünwald in München. 

M. II.! Wor von uns erinnert sich nicht noch aas seiner 
Anfängerzeit der peinlichen Spannung, in welche ihn, viel mehr 
noch als seine Patienten, die Erwartung des Momentes versetzte, 
in dem ein „Peritonsillarabscess“ reif, d. h. die Eiteransammlung 
unter der Oberfläche deutlich wurde! Ist es doch immer ein un¬ 
behagliches Gefühl, vor jenem Moment innerhalb des nur centi- 
meterweit geöffneten Mundes mit spitzem Messer, in einer Gegend 
nicht weit der grossen Halsgefässe und verhältnissmässig hilflos 
bei etwaigem Eintritt stärkerer Blutung zu arbeiten. 

Um so freudiger wird wohl Mancher seiner Zeit die Ver¬ 
öffentlichung K i 11 i a n’s *) begrüsst haben, in welcher die leichte 
Erreichbarkeit der Abscesse von der Fossa supratonsillaris aus 
mittels der Sonde geschildert wurde. Ich habe damals auf Grund 
gleicher Erfahrungen und gleichen Vorgehens das Verfahren 
noch empfehlen zu sollen geglaubt 3 ) und hinzugefügt, dass ein 
peritonsillärer Abscess, dessen Aufsuchung vori der Fossa supra- 
tonsillaris aus nicht gelingt, überhaupt gar nicht von der Mandel 
ausgegangen sei. Heute möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf 
dio Verschiedenheit der Formen richten, in welchen Rachen- 
abseesse je nach ihrem Ursprünge sowohl anatomisch als klinisch 
sich darstellen und vor Allem eine Umgestaltung der Benennung 
in richtiger orientirendem Sinne anstreben. 

Was man gemeiniglich Peritonsillarabscess, ja sogar Mandel- 
abscess nennt, ist ja gar keiner. Folgt man (wie damals vorge¬ 
schlagen) dem Wege des Eiters von seinem Ursprung, so findet 
sich, dass die gewöhnliche „Angina phlegmonosa“ nichts anderes 
ist als eine supratonsilläre Phlegmone. 

Die Entzündung verläuft im Winkel zwischen den beiden 
oberen Enden der Gaumenarkaden, bei grösserer Ausdehnung 
zwischen den beiden Mucoeaplatten des Gaumensegels; die In¬ 
fektion erfolgt in dem Recessus (s. Fossa) supratonsillaris, dessen 
tiefe Bucht den Eutzündungserregern als Schlupfwinkel dient, 
von dem aus sie, besonders aus stagnirenden Sekretresten u. dgl., 
leicht in das überaus lockere supratonsilläre Bindegewebe ein- 
dringen können. Wird der Abscess an seiner oberen Durchbruch¬ 
stelle, dem Locus necessitatis gespalten, so besteht dio Gefahr 
neuer Entzündung nach wie vor. Recidive der „Rachenphleg¬ 
mone“ sind ja nichts Seltenes. Die Eröffnung vom Infektionsort 
aus dagegen gewährt ausser ungefährlicher und leichter Zu- 
gängigmachung noch den Vortheil, durch Spaltung des Recessus 
die Möglichkeit neuer Erkrankung wesentlich zu verringern. 

Zur Unterscheidung von den nachher zu erörternden anderen, 
allerdings selteneren Formen möchte ich noch hervorheben, dass 
dieser, gewöhnlichste, Supratonsillarabscess folgende 
Kennzeichen bietet: Kieferklemme als Zeichen des Ueberganges 
der Entzündung auf die dem supratonsillären Gewebe benach¬ 
barten Muse, pterygoidei, Schwellung und Röthung der einen 
Seite des weichen Gaumens, häufig mit Oedem der oberen Hälfte 
der Gaumenbögen, besonders des vorderen, sowie der Uvula, g e - 

•) Nach einem Vortrage in der Münchener laryngo-otolog. 
Gesellschaft. 

') Münch, med. Wocheuschr. 1896. 30. 

*) Ebenda No. 38. 

No. 30. 


ringe oder gar keine Schwellung der Mandel, 
welche sogar oft hinter dem entzündeten Arcus palatoglossus ganz 
verborgen ist. 

Etwas ganz anderes ist der wirkliche 

Peritonsillarabscess, 

in der That eine Rarität gegenüber jener alltäglichen Phleg¬ 
mone. Dieser spielt in dem die Mandeln von aussen und 
vorne umgebenden Bindegewebe, kennzeichnet sich durch 
Schwellung, eventuell Oedem, besonders des vorderen Gaumen¬ 
bogens und hat verschiedene Ursachen, meist wohl Fremdkörper¬ 
infektion oder Zahnerkrankungen. Eine der leichteren, nicht 
zu Abscedirung führenden Entzündungen dieser Stelle ist das 
Oedem durch Dentition des Weisbeitszahnee, welches in einem 
»Strange vom letzten unteren Alveolus zum Arcus palatoglossus 
führt. 

Als instruktives Beispiel der sehr seltenen peritonsil¬ 
lären Phlegmone dagegen möge folgender Fall dienen: 

Ein 20 Jähriges Mädchen hat seit 2 Tagen linksseitige Hals¬ 
schmerzen. Die Oeffnung des Mundes zur Besichtigung 
ist zwar etwas schmerzhaft, gelingt aber nahezu zur 
normalen Welte. Der linke vordere Gaumenbogen Ist stark 
geröthet und geschwollen, ebenso die linke untere Gaumensegel¬ 
partie, Uvula frei, ein leicht oedematöser Strang ^ieht gegeu 
den Alveolus des linken unteren 2. Mahlzahnes hin. Dieser letz¬ 
tere ist plombirt und mitunter schmerzhaft, der 1. Molaris zeigt 
Kronendefekt. Die Extraktion beider fördert keinen Eiter, nur 
furchtbaren Foetor. Dagegen dringt die Sonde nach geringem 
Druck durch die Hinterwand des letzten Alveolus ln eine tiefe 
Höhle im Bindegewebe des vorderen Gaumenbogens und desVelum. 
worauf eine Incision quer durch den oedematösen Strang viel 
foetiden Eiter entleert. 

Hier sehen wir als besonders charakteristisch: den Wog des 
Eiters vom infizirenden Zahn aus zum Gaumen durch den oede¬ 
matösen Strang markirt, weiter: die Mandel nicht geschwollen, 
die Kieferklemme wenig entwickelt. 

Ein anderes Beispiel peritonsillärer Entzündung, aber mit 
Ausgang von oben, nämlich vom Nasenboden in’s Velum hinein, 
auf erysipelatöser Grundlage, habe ich bereits ausführlich 
a. a. O.*) beschrieben. Auf die Quelle der Entzündung wies hiebei 
die von Anfang bestehende gleichseitige Nasenverstopfung hin. 
Tn beiden Fällen aber wurde damals noch die Aufmerksamkeit 
auf anderen als gewöhnlichen Ursprung der „Rachenphlegmone“ 
erst durch das Misslingen des Eiternachweisos im Velum gelenkt, 
Nach unseren heutigen Kenntnissen müsste schon das Abweichen 
der Symptome und erst im Nothfalle die Nichterreichbarkeit 
von Eiter durch die Fossa supratonsillaris, zur Differential¬ 
diagnose anregen. 

Hier möchte ich nur beiläufig auf jene Fälle, welche trotz 
typischen Infiltrates über der Mandel und auch am Velum keine 
Eiteraüffindung ermöglichen, hinweisen, auf die erysipela- 
töse Rachenentzündung. Ich habe zweimal, als mit 
der Sonde kein Eiter zu erreichen war, diese Diagnose gestellt 
und sie durch weiteren Verlauf bestätigt gefunden. Es war viel¬ 
leicht kein Zufall, dass beide Male keine Kieferklemme bestand, 
entsprechend dem bekanntlich mehr oberflächlichen Verlauf des 
Erysipelinfiltrates. 

Eine andere, ebenfalls sehr seltene Form des Absceeses in 
der Tonsillargegend ist der eigentliche 

Mandelabscess. 

Dieser spielt sich in der Substanz der Mandel ab und charak- 
terisirt sich dementsprechend durch starke Schwellung 
dereinen Mandel und Fehlen stärkerer Kiefer- 
klemme. Letzteres Symptom ist wohl das auffälligste für 
den kundigen Beobachter. Während sehr heftiger einseitiger 
Schmerz, Unmöglichkeit, auch nur Flüssiges zu schlucken und 
eine bis zu 39,5 steigende Continua mit starkem Kräfteverfall 
genau das Bild der supratonsillären Eiterung erwarten lassen, 
ist man erstaunt, den Patienten den Mund weit aufreissen und 
im Rachen zwar dio eine Mandel stark „hypertrophisch“, aber 
nur minimale Schwellung und Röthung ihrer Umgebung zu 
sehen. Dagegen ist ihre Oberfläche mitunter zerklüftet und 
im Anfänge der Affektion wohl auch auf den Lacunen eitrig 
resp. fibrinös belegt, als Zeichen, dass die vorliegende Affektion 
sich einer vielleicht schwereren laeunärcn Angina angeschlossen, 
vielleicht einer ganz gewöhnlichen Form derselben, nur durch 
anatomisch günstige Verhältnisse den Ucbergang auf das Binde- 

3 ) Lehre von den Naseueiterungeu. 1896, S. 184. 

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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. 


gewebe ermöglicht hat. Das hohe Fieber im Einklang mit den 
einseitigen Beschwerden lässt uns nun doch an Eiter den¬ 
ken ; wir greifen zur Sonde — aber nicht zu einer mit aufwärts 
gebogenem Ende, sondern zu einer entgegengesetzt gekrümmten 
— und sehen unserem Eindringen von der Fossa supra- 
tonsillaris aus nach unten, also in das Mandelgewebe 
hinein sofort Blut und Eiter nachfolgen und zwar mitunter 
rahmigen grauen Eiter, sobald ihm nämlich nekro¬ 
tische Theilchen des Mandelparenchyms beige¬ 
mengt sind. Die subjektive Erleichterung erfolgt sofort, wie der 
Eröffnung des gewöhnlichen Supratonsillarabsceeses, auch hier, 
aber — sie hält nicht immer an, denn der Abscess ist nicht un 
seinem tiefsten Punkte, im Gegentheil, er ist von oben eröffnet 
worden und so bleibt uns denn, wenn das Fieber wi oderauf treten, 
wenn die Eiterung nicht sofort sistiren sollte, noch eine Aufgabe: 
die Spaltung der Vorderwand des Abscesses bis zu seinem Grunde. 
Die, sehr begreifliche, Unkenntniss dieser Verhältnisse und Ver¬ 
nachlässigung letzteren Vorgehens hat mir Gelegenheit zur Be¬ 
obachtung eines 

chronischen Mandelabscesses, 
einer ausserordentlichen Rarität in unseren bisherigen Beobach¬ 
tungen verschafft. 

Ein ca. 30 jähriger, sonst sehr gesunder Herr (Militär) hatte 
ein halbes Jahr zuvor eine akut einsetzende heftige Halsentzündung 
duichgemacht, welche mit einem plötzlichen Eiterauswurf endete. 
Seitdem aber entleerte er, besonders des Morgens und wenn er 
hinter dem linken Kieferwinkel einen Druck austibte, beträchtliche 
Eitermengen. In der That sah man auch, besonders beim Würgen 
und bei Druck auf jene Stelle, über dev linken Mandel Eiter ab- 
fliessen, ebenso wenn man eine Sonde am unteren Ende der Fossa 
supratonsillaris nach aussen führte. Das Ende derselben gelangte 
in eine Lacune des oberen Pols der Mandel, ausserdem aber in einen 
tiefen Recessus zwischen den oberen Enden der Gaumenbögen. In 
mehreren Sitzungen (Pat. war von auswärts und konnte sich nur 
ln längeren Zwischenräumen vorstellen) wurden diese Hohlräume 
theils mit Scheere und Messer, theils galvanokaustisch in flache, 
offene Mulden verwandelt. Trotzdem haben in den durch Narben- 
retractlon sich bildenden kleinen Hohlräumen noch wiederholte 
Eiterretentiouen stattgefunden. 

Beiläufig nur möchte ich erwähnen, dass dieser Fall nichts 
mit den gewöhnlichen Ansammlungen von Eiter und Eiterpro¬ 
dukten (Konkrementen) in den Mandellacunen zu thun hat. 
Diese finden in den präformirten, sehr viel kleineren Hohlräumen 
statt, machen allerdings auch genug Beschwerden, besonders 
durch üblen Geruch und kleine Blutungen, sowie Paraesthesien. 

Zu der durch sie ebenso, jedoch viel häufiger, wie durch die 
Mandelabscesse, veranlassten Mandelschlitzung habe ich mit 
gutem Erfolge von dem beifolgend abgebildeten Messerchen Ge¬ 
brauch gemacht. 



Ein dem der gewöhnlichen Phlegmone täuschend ähnliches 
Bild bietet die, auch nicht gerade häufige 

akute Retronasalphlegmone, 
deren Bild ebenfalls a. a. O.'), S. 183, geschildert, hier nur kurz 
gestreift werden möge. Dabei kann der Rachen, soweit direkt 
sichtbar, ganz frei sein, obgleich neben heftigem Fieber und 
grosser Prostration starke Schlingbeschwerden bestehen. Diese 
mögen wohl oft schon Ursache zur Diagnose einer „rheu¬ 
matischen“ Halsentzündung gewesen sein. Auch kann Betheili¬ 
gung des Velum am Oedem und Infiltrat über den wahren Sitz 
der Entzündung hinwegblicken lassen. 

Wenn nicht früher schon, so wird zum Schluss die dann 
durch die Nase stattfindende Eiterentleorung 
über den wahren Herd orientiren, nachdem schon die Gering¬ 
fügigkeit der Rachensymptome im Einklänge mit der immer be¬ 
stehenden starken und gewöhnlich einseitigen Nasenverstopfung 
im Stande waren, die Aufmerksamkeit nach oben zu lenken. 

Gelegentlich verschwinden bei diesen so verborgen lokali- 
sirten Phlegmonen alle Lokalsymptome gegenüber dem schweren 
typhösen Allgemeinzustand: Benommenheit, starke Prostration, 
sogar Meteorismus und Zungenzittem neben hoher Continua. 
Abgesehen von Verwechselung mit Abdominaltyphus etc. sind 
es, beim deutlicheren Vorhandensein von Rachensymptomen, 
solche Fälle, die dann in den Bereich von Senator’»') 

*) Berl. klin. Wocbensclir. 1885. 


infektiöser akuter Phlegmone 
gezogen werden. Allen Fällen, welchen unter diesem Schlagwort 
beschrieben, resp. später dahingerechnet worden sind, ist ja neben 
einem verhältnissmässig geringen Befund an den Halsorganen 
der schwere Allgemeinzustand mit häufig plötzlich erfolgendem 
tödtlichen Ausgang gemeinsam, so dass Senator und bereit¬ 
willige Nachfolger ohne Weiteres ein neues und einheitliches 
Krankheitsbild sehen zu sollen glaubten. Ich habe mich mit 
dieser Annahme nie befreunden können. Abgesehen von septi¬ 
schen Phlegmonen der Extremitäten, bei denen die Vergiftung 
des Organismus noch vor der richtigen Entwickelung der lokalen 
Entzündung tödtlich wirkt, ist Erstickungstod bei an sich noch 
nicht genügend verschlossenen Luftwegen uns doch von der sep¬ 
tischen Diphtherie her schon ganz genügend bekannt. Auch bei 
ihr hat man gelegentlich Tracheotomien gemacht, um nachher 
den Kehlkopf noch relativ frei und keinen Nachlass der Suffo- 
cationserscheinungen (Cyanose, angestrengtes und röchelndes 
Athmen, minimaler Puls) zu sehen und Niemanden ist es noch 
eingefallen, diese Erscheinungen anders als durch Herzschwäche 
in Folge der Schwere der Vergiftung zu erklären. Es ist kein 
bischen anders mit den als S e n a t o r’sche Phlegmone bezeich- 
neten Fällen. Mitten im Verlaufe der nicht so arg bedrohlich 
erscheinenden Rachen- und Kehlkopfsymptome tritt Dyspnoe und 
Herzschwäche, oft ganz plötzlich der Tod ein, jedenfalls aber 
sind auch bei gutem Ausgang alle Anstrengungen nothwendig, 
um dem Organismus über die imminente Gefahr hinwegzu¬ 
helfen. So und so oft lässt sich nun nachweisen, dass die be¬ 
treffenden Patienten schon von vornherein unzureichende Herz¬ 
kräfte zur Ueberwindung der Infektion besessen, so in 2 Fällen 
Senators, in dem S c h ä f f e r’s (das Herz war nochmal so 
gross als normal; die Herzmusculatur sehr verdünnt, verfettet), 
bei Cruveilhier, Dübler, Virchow (Potatorium resp. 
chronisches Lungenleiden) oder dass sie dem rekonvalescenten 
Herzen zuviel zumutheten (Tod während des Rauchens einer 
Pfeife in der Rekonvalescenz, B a r u c h). Der letztere Todesfall 
erinnert frappant an die Beobachtungen postdiphtherischer 
V aguslähmung. 

Das Auffälligste ist den Beobachtern wohl immer der Kon¬ 
trast der leichten Stenosenerscheinungen am Kehlkopf mit der 
unverhältnissmässig grossen, ja zum Tode führenden Dyspnoe 
gewesen. 

Dass das Herz auch bei geringerer Stenose schon mehr in 
Angriff genommen wird, als gewöhnlich, ist aber sicher und ein 
schon vorher krankes oder durch die Schwere der Infektion be¬ 
reits mitgenommenes Herz wird schon durch diese ver¬ 
mehrte Inanspruchnahme zum Streik veran¬ 
lasst werden können. So sehen wir Erstickung, durch 
Herzinsufficienz, schon in einem Stadium der Stenose auftreten, 
das lango noch nicht zur mechanischen Erstickung zugereicht 
hätte. 

Ich will Ihnen in Kurzem eine sehr instruktive Beobachtung 
vorführen, bei der augenscheinlich der Herztod eingetreten wäre, 
wenn nicht das, nicht sehr hochgradige, Athmungshindemiss be¬ 
seitigt worden wäre. 

Ein 31 jähriger, recht kräftiger Mann (Gastwlrth) war vor 
4 Tagen mit Schwellung lm Rachen und gleichzeitig aussen am 
Halse erkrankt, welch’ letztere zuerst unter dem Kehlkopfe sass, 
dann beiderseits aufstieg. Schluck- und leichte Athembeschwerden. 
Kräfte noch ziemlich erhalten, bei auffällig bleichem Aussehen. 

Kiefersperre; Schwellung am Gaumensegel und der linken 
Mandelgegend. Eine enorme brettharte Schwellung zog sich wie eine 
Ripsencravate vom linken Ohr über den Hals bis zum Sternum, 
dann zum rechten Kieferwinkel. Mehrere, thellwelse präparirende 
Ineislouen durch das enorm starre Infiltrat waren erfolglos, bis 
endlich unter der Fasele vor dem Schildknorpel ein Esslöffel stark 
foetiden Eiters gefunden wurde. Das war um 7 Uhr Abends. 
Patient war nach dem Eingriff ganz wohl. Um 11 Uhr Nachts 
wieder geholt, fand ich Ihn bewusstlos, bleich, cyauotisch, mit 
kaltem Schweiss bedeckt, röchelndes stenotisches In- u. Exspiriren, 
Puls beschleunigt. Kampher und Hochlagerung der Beine brachten 
das Bewusstsein wieder, so dass ich laryngoskoplren konnte: Epi¬ 
glottis frei, doch starke Schwellung der aryepiglottischen Falten. 
Starkes Vorziehen des Unterkiefers Hess die 
Athmung frei werden, doch kehrte beim Nachlassen die 
Stenose sofort wieder, so dass ich bei neuerdings schwindendem 
Bewusstsein rasch den ersten Schnitt durch einen Lappenschnitt 
nach rechts erweiterte, das Lig. conicum durchschnitt und eine 
Kanüle einführte. Die Athmung wurde dann ruhig, doch blieb der 
Puls am folgenden Tage noch sehr klein und frequent. Obgleich 
ein Theil der Abscesswand gangraenüs wurde, erholte sich aber 
der Puls unter kräftiger Alkoholzufuhr bis zum übernächsten Tage 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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zur Frequenz von 60—70 und am 0. Tage konnte auch die Kanüle 
entfernt werden. 

Wir sehen hier deutlich, wie das Herz eines Potator strenuus, 
durch die akute Infektion weiter geschwächt, dem Insult der 
verhältnissmässig leichten Stenose nicht mehr Stand zu halten 
vermag, wir.sehen die Herzschwäche noch nach dem freien Ab¬ 
fluss des Eiters und Aufhören der Stenose anhalten, so dass die 
Remission des Pulses erst am übernächsten Tage eintritt, sehen 
dann die bedrohliche Cyanose nicht durch Kehlkopfstenose, 
sondern durch die in halber Bewusstlosigkeit erfolgende Aspira¬ 
tion des Zungengrundes im Verein mit der Herzschwäche be¬ 
dingt. 

Ist nun diese Schwere der Infektion mit der consecutiven 
Herzschwäche etwas so besonderes, dass wir ein Recht hätten, 
mit besonderer Betonung von acuter infektiöser Phleg¬ 
mone zu sprechen? Abgesehen davon, dass es wohl überhaupt 
keine anderen als infektiöse Phlegmonen gibt, so ist die Schwere 
der Infektion schon immer bei der gewöhnlichen supratonsillären 
Phlegmone auffällig. Man weiss, wie kräftige Leute dabei nach 
wenigen Tagen schwankende Kinder werden. Und es ist das er¬ 
klärlich, wenn man denkt, wie der Eiter hier eingepresst in 
starres Gewebe, nahe den Hauptgefäss- und Nervenstämmen des 
IIalse6, besondere des N. vagus, ununterbrochen zur Resorption 
von Toxinen führt. 

Auch ist es nicht gerade die Leichtigkeit des Lokalbefundes 
gegenüber der Allgemeininfektion, welche eben nur diese Gruppe 
von Entzündungen von anderen unterscheidet; sehen wir doch 
auch bei der Diphtherie Herztod eintreten, obgleich die locale 
Entzündung noch nicht zu schweren Erscheinungen ge¬ 
führt hat. 

Was sollen un9, wird wohl mancher von Ihnen fragen, diese 
theoretischen Betrachtungen: ob infektiöse Phlegmone oder ein 
anderer Name, das ist wohl ein Streit um Kaisers Bart. Und 
doch nicht ganz. Denn nehmen wir diesem Krankheitsbilde durch 
Analyse seiner Bedingungen das mystisch Unheimliche, so kommen 
wir zu dem praktisch sehr wichtigen Ergebnisse: bei jeder Ent¬ 
zündung an und im Halse, welche Eiterbildung vermuthen lässt, 
möglichst frühzeitig und intensiv nach dem Eiterherd zu suchen. 
Die Auffindung desselben wird um so leichter gelingen, wenn 
man nach systematischer Erwägung der Einzelsymptome, deren 
Bewerthung vorstehende Erörterung zu erleichtern hofft, mög¬ 
lichst dem Wege der Entstehung des Eitere folgt. 

Eine Pflasterbinde für kleinere Wundverbände, als 
Ersatz für Mull- und Cambricbinden.*) 

Von Dr. Karl Gerson in Berlin. 

Oft muss man Verbände machen in einer Ausdehnung, die 
in gar keinem Verhältniss steht zur Kleinheit der Wunde. So 
z. B. an Bauch, Brust, Genick und Oberschenkel, sowie an den 
Gelenken. Handelt es sich um eine schon geheilte Wunde, deren 
dünner, frischer Epithelüberzug nur noch kurze Zeit einer 
schützenden Decke bedarf, so genügt zur Befestigung des auf¬ 
gelegten Schutzstoffes (Mullstoff oder Watte) ein einfacher Heft¬ 
pflasterstreifen. Ist aber eine Wunde zu verbinden, deren Hei¬ 
lung Wochen und fast täglichen Verbandwechsel erfordert, so 
wird ein zur Fixirung des Verbandstoffes benutzter Heftpflaster¬ 
streifen viel von seiner Klebkraft schon beim ersten Verband¬ 
wechsel verlieren und beim zweiten durch einen neuen Streifen 
ersetzt werden müssen. Dies rührt daher, weil die beiden Enden 
des Heftpflasteretreifens beim Verbandwechsel durch öftere Be¬ 
rührung mit den Fingern viel von ihrer Klebkraft verlieren. Da¬ 
zu kommt noch, dass das die Wunde dockende Verbandmaterial, 
besonders Watte, in feinen Theilen die Pflastermasse auch peri- 
pherwürts bedeckt und deren Klebkraft aufhebt. Andererseits 
ist auch durch Reibung der Kleidungsstücke ein solcher Heft¬ 
pflasterverband gefährdet. Um nun einen Heftpflasteretreifeu 
wochenlang zum Wund verbände brauchbar zu erhalten, habe ich 
denselben an einem zugespitzten Ende mit 2 Bändern — 
elastischen oder unelastischen — versehen lassen. Eine solche 
Pflasterbinde legt man nun folgendermaassen an: Man zieht zu¬ 
nächst die Schutzgaze von der Pflasterbinde ab und klebt dann, 
ca. 10 cm vor der Wunde beginnend, auf die mit Aether entfettete 

•) Demonstration ln der Berliner medic. Gesellschaft vom 
12. Juni 1901. Zugleich als „Berichtigung“ des Referates in dieser 
Wochenschr. No. 25, 8. 1033. 


Haut das eine Ende der Pflasterbinde. Letztere wird nun über 
die vorher mit Verbandstoff regelrecht bedeckte Wunde weitor- 
geführt und möglichst so, dass der Rest den Anfang der Binde 
wieder bedeckt. Ist die Binde dazu zu kurz, so klebt man den 
Rest direkt auf die normale Haut; in beiden Fällen bindet man 
die Bänder, das eine nach rechts, das andere nach links um das 
verletzte Glied schlingend, in einer Schleife zusammen. Stärkeres 
Anspannen der Binde ist bei ihrem Anlegen zu vermeiden. Zum 
Verbandwechsel resp. Freilegung der Wunde löst man die Schleife 
und nur das mit den Bändern versehene Ende der Binde, 
während das breite Endo bis zur Heilung der Wunde haften 
bleibt; nach Versorgung der Wunde legt man die Binde wieder 
an. Bei grösseren Wundflächen benutzt man 2 Binden, die mit 
schmalem Saume einander decken. Indem das breite Endo der 
Binde bei jedem Verbandwechsel bis zur definitiven Heilung der 
Wunde haften bleibt, wird die Klebkraft dieses Theiles der Binde 
wochenlang erhalten und ganz ausgenutzt. Aber auch das mit 
den Bändern versehene Bindenonde verliert wenig von seiner 
Klebkraft, weil dasselbe, ohne mit den Fingern in Berührung 
zu kommen, durch Züg an den Bändpm gelöst wird. Sollte 
dennoch nach mehrwöchigem Gebrauche die Klebkraft des Bin¬ 
denendes nachlassen, so wischt man die etwa auf der Pflaster- 
mosse klebenden Wattefasern mit Aether sanft ab und ebenso 
die Haut. Durch dieses Abwischen mit Aether entfernt man 
nur die oberste Schicht der Pflnstermasse, die nun, nach schnellem 
Verdunsten des Aethera an der Luft, ihre alte Klebkraft wieder¬ 
erlangt hat. Die Bänder geben der Binde noch einen besonderen 
Halt, indem sie dieselbe fest auf das Verbandmaterial gedrückt 
halten und ihre Reibung an den Kleidern verhindern. Feuchte 
Umschläge können gleichfalls mit der Pflasterbinde fixirt werden. 
Hauptbedingung ist freilich für die Brauchbarkeit der Binde, 
dass die mit der Pflastermasse unmittelbar in Berührung kom¬ 
mende Haut nicht entzündet oder sonstwie.verändert ist. Daher 
ist bei Unterschenkelgeschwüren auf varicöser Grundlage die 
Pflasterbinde unbrauchbar, weil hier meist die ganze Haut des 
Unterschenkels durch den Druck der strotzenden Venen ver¬ 
dünnt und chronisch entzündet ist. Im Uebrigen aber haben 
Vs Jahr lang fortgesetzte Versuche die Vorzüge der Pflasterbinde 
hinlänglich dargethan, die auch von Herrn Karewski - Berlin 
bestätigt wurden. Diese Vorzüge vor den üblichen Mull- und 
Cambricbinden sind hauptsächlich: Grosso Zeitersparnis« beim 
Anlegen des Verbandes und Verbandwechsel, Bequemlichkeit für 
Arzt und Patienten, Unmöglichkeit des Verrutschens und lange 
Brauchbarkeit der Binde. Die Pflasterbinde wird unter dem 
Namen „S i m p 1 e x b i n d e“ von der chemischen Fabrik 
P. Beiersdorf & Co. in Hamburg hergestellt. Bei Gelenk¬ 
verbänden ist behufs Erhaltung freier Beweglichkeit der Gelenke 
die elastische Pflasterbinde (conf. K. Gerson: Elastische 
Pflasterbinden; Therapie der Gegenwart, Februar 1901) der Sim¬ 
plexbinde vorzuziehen, dessgleichen bei Asthmatikern, die eines 
Brustverbandes bedürfen. Wer dio beängstigende Athemnoth der 
Asthma- und Emphysematiker einmal beobachtet hat, die ihnen 
ein starrer Bindenpanzer aus Mull oder Cambricbinden oft ver¬ 
ursacht, der wird den einfachen elastischen Bindenverband zu 
würdigen wissen, der jeder Ausdehnung des Thorax nacligibt 
und seiner Athmung freien Spielraum lässt. 


Die Beleuchtungsanlagen in den Erziehungs- und 
Unterrichtsanstalten. 

(Schluss.) 

II. Gutachtliche Aeusserung der medicinischen Fakultät 
München (Verfasser: k. TIniversitätsprofessor Dr. Evers- 
husch) vom 28. November 1900. 

Den ln dem Gutachten des k. Generalarztes Dr. S e g g e 1 vom 
22. Juni 1900 ausgeführten Darlegungen können wir auf Grund 
reiflicher Erwägung aller In Betracht kommenden Umstünde Im 
Allgemeinen nur beistimmen, so dass wir es unterlassen dürfen, 
bereits Gesagtes nochmals zu wiederholen. 

Auch die an die sorgfältige Begründung angefügten Schluss¬ 
folgerungen decken sich der Hauptsache nach mit den Anschau¬ 
ungen. die wir uns über die vorwürflge Frage gebildet haben. 

Wir dürfen dabei wohl auch darauf hinweisen, dass diese 
nicht allein auf theoretischer Grundlage beruhen, sondern auch auf 
praktischer Erfahrung, wie sie u. A. auch einem von uns 
(Eversbusch) aus seinem früheren Wirkungskreis zu Gebote 
steht. 

So wurde Im Jahre 1S98 die künstliche Beleuchtung des Hür- 
sanles der Erlanger Universitätsklinik für Augeu- 

4* 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. 


kranke erstmalig mit Auerllcht durchgeführt in der von Pro¬ 
fessor Dr. Prausnltz - Graz 1J ) angegebenen Art: „möglichst 
hoch aufgehangene Beleuchtungskörper mit kegelförmigen Licht¬ 
schirmen, die mit der weiten Oeffnung nach oben angebracht das 
ausgestrahlte Licht zum grösseren Theil nach oben werfen, zum 
kleineren Theil direct nach unten durchlassen.“ 

Da sich die Beleuchtung auf das vortrefflichste bewährte, 
wurden in der gleichen Welse ln Erlangen in demselben und in 
dem darauffolgenden Jahre der Hörsaal des hygleniscli- 
bacterlologischen Institutes, derjenige im phar¬ 
makologisch-poliklinischen Institute und sechs 
Hörsäle, darunter die grossen Auditorien 1 und 

9 des Universitäts -Kollegiengebäudes beleuchtet. 

Ueber den der maligen Zustand der neuen Einrichtungen 
liegen uns folgende Berichte vor: 

Der Direktor des erstgenannten Institutes, Prof. Dr. II e i m, 
schreibt am 14. Nov. d. Ja.: „Mit der Hörsaalbeleuchtung bin ich 
recht zufrieden. Die Plätze haben genügende Helligkeit und 
werden nicht durch merkliche Schatten beim Schreiben etc. beein¬ 
trächtigt.“ 

Professor Dr. Penzoldt tlieilt am 12. Nov. 1. Js. mit. dass 
die Beleuchtung des Hörsaales lm pharmakologisch-poliklinischen 
Institute auch jetzt noch, d. h. über Jahresfrist, unverändert gut 
funktionirt, „was wohl daher kommt, dass die Glühstrümpfe ruhig 
stehen und wenig abgenutzt werden. Klagen über Reizung der 
Augen und Ermüdungserscheinungen sind mir nicht zu Ohren 
gekommen.“ 

Der Verwaltungsausschussreferent für das Beleuchtungs¬ 
wesen der Universität Erlangen, Professor Dr. K o 1 d e, stellte 
Anfangs dieses Monats „noch einmal, soweit es ihm möglich war, 
Umfrage bei Kollegen und Studenten an. Sie sprachen sich über 
die neue Beleuchtung in den oben erwähnten Hörsälen des Uni¬ 
versitäts-Kollegiengebäudes sehr günstig aus. Sie haben ferner¬ 
hin keinerlei unangenehme Erscheinungen, Reizzustiinde u. s. w., 
beobachtet. Dnsselbe muss ich bestätigen. Ich lese jetzt den 
zweiten Winter in einem so beleuchteten Raum.“ Bemerkt sei 
hiezu, dass alle bisher aufgeführteu Hörsiile eine lichte Höhe von 
4,35 bis 5,0 m besitzen. 

Ferner wurde 1897/98 diese Beleuchtungart in allen Vor¬ 
trags- und Zeichensälen, sowie in dem Kunst¬ 
stickereisaal der k. k. Staatsgewerbeschule zu 
Graz eingerichtet, also in Lehrriiumen, in denen Architektur¬ 
zeichnen, kunstgewerbliche Arbeiten der ver¬ 
schiedensten und denkbar feinsten Art ausgeführt 
werden. Laut XXIII. Jahresbericht dieser Anstalt (vergl. S. 9 und 

10 für das Schuljahr 1898/99) „hat sich die Installation des Auer- 
sehen Gasglühlichtes vortrefflich bewährt und entspricht die 
jetzige künstliche Beleuchtung dieser Lokalitäten allen Anforde¬ 
rungen, welche vom Standpunkt der Hygiene an eine solche ge¬ 
stellt werden müssen.“ 

Auch ln einer Zuschrift vom 15. Nov. d. Js. hebt der Direktor 
dieser Staatsgewerbeschule, Professor L a n z 11, hervor, dass sich 
die Beleuchtung ausserordentlich bewährt hat, und bei dem Ge¬ 
brauche sich keinerlei Missstände ergeben haben. „In den Zelcheu- 
sälen wirkt diese Beleuchtung so vorzüglich, dass sie geradezu der 
Tagesbeleucbtung überlegen erscheint.“ 

Alle diese Berichte erscheinen uns insofern belangreich, als 
sie geeignet sind, die sogen, gemischte Beleuchtung als 
vollkommen brauchbar für die verschiedenen Arten des 
Unterrichtes (Anschauungs-, Schreib- und Zeichen¬ 
unterricht) zu kennzeichnen; wenn auch zuzugeben ist, dass die 
rein indirecte Beleuchtung mittels Metallreflek-, 
t o r e n, soweit es sich lediglich um den Beleuchtungs¬ 
effekt handelt, bei vergleichsweiser Installirung an den von 
uns erwähnten Stellen durch ihre Gleichmässigkeit die gemischte 
zweifellos noch übertroffen hätte. 

Jedoch ist nicht ausser Acht zu lassen, dass bei der Verwen¬ 
dung von Metallrellektoreu ganz erheblich mehr Licht ge¬ 
braucht wird, als bei der von Milchglasschirmen. Es sind also, 
wenn elektrisches Bogenlicht nicht ln Betracht kommt — was 
jedenfalls Metallschirme erfordert — die Kosten erheblich höher. 
Auch ist keinesfalls zu unterschätzen, dass bei dem Gebrauch von 
Metallreflektoren die Verunreinigung der Luft und die Steigerung 
der Temperatur in dem betreffenden Raume dem Mehrverbrauch 
von Auerllcht entsprechend bedeutender sein werden. 

Ein weiterer Uebelstand der Metallschirme ist, dass ihre 
Innenfläche von unten nicht sichtbar ist. Die mehr oder minder 
starke Absetzung von Staub auf derselben entzieht sich also der 
directen Beurthellung, und dürfte sich somit dem Beaufsichtigungs¬ 
personal die Nothwendigkeit einer Reinigung der zudem schlecht 
zugänglichen Metallschirme zumeist erst dann gebieterisch auf¬ 
drängen, wenn sich als Folge der Staub- etc. Ansammlung eine 
erheblichere Einschränkung des Lichteffektes 
herausstellte. 

Wir müssen daher bei Verwendung von Auerllcht 
die gemischte Beleuchtung der rein indirecten 
als praktisch ebenbürtig erachten, da sie mit ge¬ 
ringeren U n te rh al t s k o s te n verknüpft und frei 
Ist von den eveut. durch grösseren Gaskonsum 


,r ) Archiv für Hygiene, Bd. 28, und Journal für Gasbeleuchtung 
1897, S. 577. 


bedingten Nebenwirkungen, sowie gemäss den bis¬ 
herigen Erfahrungen allen Anforderungen genügt, wenn 
andere einmal die Lampen in genügender Zahl angebracht 
bezw. auch gut vertheilt sind, und andererseits der Anstrich 
der Decken und der oberen Theile der Wände In der im vorliegenden 
Gutachten des Generalarztes Dr. S e g g e 1 (vergl. S.—) angegebenen 
Weise — nach den Erfahrungen in Erlangen wjire ein An¬ 
strich mit Magnesia alba besonders vortheilhaft — bethätigt 
wurde. 

Es empfiehlt sich dabei die Anbringung von sogeuannteu 
Permanentbrennern, die zu Beginn der betref¬ 
fenden Sch ul periode äuge zündet und erst nach 
Beendigung derselben wieder ausgelöscht wer- 
d e li. Der damit verknüpfte minimale Mehrverbrauch an Gas — 
nur für die Unterrichtsstunden ist das die volle 
Flamme gewährende Ventil geöffnet — wird mehr 
denn reichlich aufgewogen durch die bei jedesmaliger Anzündung 
der Auerlampe stattflndeude Erschütterung des Lichtstrumpfes 
und die daraus resultirende Abbröckelung der Imprägnirungsmasse, 
die dementsprechend einer früheren Abnützung des Lichtstrumpfes 
mit der damit verbundenen Verminderung des Beleuchtungs¬ 
effektes Vorschub leisten. 

Handelt es sich um Lehrräume, in denen auf einer 
feststehenden Wandtafel Demonstrations¬ 
zeichnungen oder grössere Zahlenreihen, so- 
w i e Schreibproben den Schülern vorgeführt zu werden 
pflegen, möchte sich ausserdem zur Verstärkung der Helligkeit 
die Anbringung eines aus Blech gefertigten, an der gegen die 
Hörer zu gerichteten Aussenfliiclie mit schwarzem Lack, an den 
gegen die Tafel zu sehenden Innenflächen mit weisser Lackfarbe 
gestrichenen und mit weissem Lack Überzug versehenen Reflektors 
empfehlen, der mit mehreren Auerlampen versehen ist (vergl. Ab¬ 
bildung B, (.5, D). 


Abbildung B. Abbildung C. 



Abbildung' D. 



n Wand-Tafel-Reflektor, Ansicht von vorn, 

<’ ,, ,, senkrechter Durcl schnitt, 

D ,, „ Ansicht von oben. 

Diese Einrichtung erwies sich in dem Höreaal der Erlanger 
Universitätsaugenklinik bei mehrjährigem Gebrauch als äusserst 
zweckmäsig. Ebenso funktionirt die seit Kurzem in dem Hörsaal 
der hiesigen Uuiversitätsaugenklinik angebrachte gleiche Einrich¬ 
tung auf das Beste. 

Schliesslich erklären wir ausdrücklich unsere Zustimmung zu 
den im Gutachten des k. Generalarztes Dr. Seggel aufgestellten 
Grundsätzen mit Ausnahme der No. 1, welche nach unserer Auf¬ 
fassung folgendermaassen zu lauten hätte: 

(Folgt eine Formulirung der Ziffer 1 der den Dr. Seggel- 
sehen Schlussfolgerungen am Ende beigefügten Reihenfolge.) 

Als Nachtrag bringen wir noch einige Grundrisse von Hör- 
sälen Erlanger Institute In Vorlage, die darthun, in welcher Weise 
die als Beispiele angeführten Beleuchtungselnrlchtungen des Ge¬ 
naueren zur Verwirklichung gebracht wurden (s. die Grundriss¬ 
zeichnungen E». 


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MUENCHENER MEDICINISC1IE WOCHENSCHRIFT. 


121 !) 


23. Juli 1901. 

Skizzen über die Hörsäle in der kgl. Universität Erlangen, in welchen gemischt indirecte Beleuchtung 

angebracht ist. 


1. Hör*aal in der kgl. Augenklinik. (Nordlage.) 

Decke mit Zinkwelu, Wände von Decke aus anf eine Höhe von 2,86 m mit 
weissein Emaillack und die übrige Höhe von 1,66 m als Sockel in brauner Oel¬ 
farbe gestrichen. 


Grundriss. Schnitt. 



2. Höraaal im pbarmakologiacben Institut. (Nord-Ost-Lage.) 

Decke mit Zlukweiss, Wände von Decke aus 8,20 m hoch mit weissem Emaillack, 
die übrige Höhe von 1,36 m als 8ockel ln brauner Oelfarbe gestrichen. 


Grundriss. Schnitt. 



m. Gemeinsame Aeuuenwg der beiden Referenten 
Dr. Segge 1 und Dr. Eversbusch vom 1. Mai 1901 
mit den Dr. S e ggel’schen Schlussfolgerungen in ihrer end- 
giltigen Redigimng. 

Nachdem zwischen den beiden vorliegenden Gutachten nur 
bezüglich des Vorzuges der gemischt lndirecten Beleuchtung mittels 
A u e r’schen Glühlichtes gegenüber der rein indirecten eine diver- 
girvnde Ansicht besteht, so haben wir uns gegenseitig benommen, 
uiu weun möglich zu einem völlig gleichen Ausspruch in den 
Schlussfolgerungen zu gelangen. 

Wir sind zu diesem Zweck Uberelngekommen, die strittige 
Frage durch einen hygienischen Fachmann experimentell prüfen 
ru lassen, da wir beide eigene Erfahrungen nur über die gemischt 
Indirecte Beleuchtung und zwar mit reichlich bemessener Anzahl 
von Auerlampen (Verhältniss etwa 1:6 qm Bodenfliiche) gemacht 
hatten und wir uns hinsichtlich der rein indirecten Beleuchtung 
Mangels eigener Erfahrung auf die Mitthellungen Anderer ge¬ 
stützt haben. Zudem hatte Professor Eversbusch über die 
mi'iseht indirecte Beleuchtung — wie anzunehmen, in Folge 
besserer Gaseinrichtung — sehr günstige, Generalarzt S e g g e 1 
weniger günstige Beobachtungen gemacht Für letzteren waren 
ferner zwei Gründe bestimmend, sich mehr zu Gunsten der rein 
indirecten Beleuchtung auszusprechen, nämlich 

1. Professor Prausnitz, der Verfechter der gemischt In¬ 
direkten Beleuchtung, stellt ln seiner im Segge l’schcu Gutachten 
angeführten ersten Abhandlung, entsprechend seinen damaligen 
H'lligkeitsprüfungen, sehr geringe Anforderungen an die Platz- 
Iielliekeit nämlich nur eine solche von 7—8 Meterkerzen, während 
*"‘*t allgemein 10 Meterkerzen als Minimum gefordert werden. 
• >l>erdies genügt selbst diese Helligkeit nicht zum einwonds- 
fre+en Lesen von Karten und alten Wörterbüchern etc. 

2. Berichteten sowohl der als Autorität ln Beleuchtungs¬ 
frage geltende Hygieniker Professor E r 1 s m a n n wie die im 
Gutachten angeführten Wiener Beobachter Buscheck und 
Burgerstein über grössere Helligkeit der Plätze bei rein 
lodirecter Beleuchtung und lassen ihren Mittbeilungen überdies 
entnehmen, dass bei der rein Indirecten Beleuchtung weniger 
Auerlampen nothwendig sind. 

Professor der Hygiene Prausnitz In Graz hat sich nun 
auf unser Ersuchen in dankenswertester Weise der grossen Mühe 
unterzogen, beide Beleuchtungsarten experimentell zu prüfen und 
zwar führte er dies 

1. in vergleichender Welse in dem früheren Versuchszimmer 
dos alten hygienischen Institutes ln Graz, nun aber unter 
höherem Gasdruck, der bei Auerlampen von grossem Ein¬ 
fluss auf die Helligkeit ist, und 

2. durch Kontrolversuche in den Wiener Normalschulzimmern, 
Aber deren Beleuchtung Bascheck und Burgersteln 
•o Günstiges berichtet hatten, aus. 


3. Hörsaal III im Collegienbaas. (Nordlage.) 

Decke mit Zinkweis, Wände von Decke aus aut 3,3t m Höhe abwärts mit Zinlc- 
weiss, Sockel 1,70 m hoch mit hellbrauner Leimfarbe gestrichen. 
Grundriss. Schnitt. 



4. Höraal im hygienisch-bakteriologischen Institut. (Nordlage.) 

Decke mit gewöhnlicher Kalkweiss, Wände von Decke abwärts auf 2,66 m Höhe 
in heller Tou-Lelmfarbe mit Fries und Linien. Sockel 1,70 m hoch mit hellbrauner 
Oelfarbe gestrichen. 

Grundriss. Schnitt. 



P r a u s n 11 z's ganz objektiv gemachte und berichtete Ver¬ 
suche lassen nun entnehmen, 

ad 1. dass bei höherem Gasdruck die Helligkeits¬ 
messungen für die gemischt indirecte Beleuchtung bessere Resul¬ 
tate ergaben, nämlich statt 8,9 Meterkerzen im Jahre 1897 nuu 
13,8 Meterkerzen im Mittel und bessere als bei rein indirecter Be¬ 
leuchtung mit Bleckschirmen, ferner 

ad 2. dass die Mittlieilungen der obengenannten Wiener Be¬ 
obachter über die Helligkeit der Arbeitsplätze bei rein indirecter 
Beleuchtung nicht richtig sind, indem zwar die Helligkeit der 
Plätze sich ein wenig Uber das Mittel der zuerst von Pr. beob¬ 
achteten (8,9 Meterkerzen) erhebt, wenn die Blechschirme neu und 
glänzend sind, aber weit unter dasselbe sinkt, wenn die Schirme 
nach längerem Gebrauch durch den unvermeidlich abgesetzten 
Staub matt geworden sind. Die Beleuchtung sei dann eine völlig 
ungenügende. 

Nach unserer Beider endgiltigen und nunmehr vollständig 
übereinstimmenden Anschauung gelangten wir dann zu nach¬ 
stehenden gemeinsamen 

Schlussfolgerungen. 

Die hygienischen Anforderungen an eine künstliche Beleuch¬ 
tung sind: 

1. Die Luftverderbnlss durch Sauerstoffentzug und durch Pro¬ 
dukte der vollkommenen und unvollkommenen Verbrennung der 
Leuchtstoffe soll möglichst gering sein. 

2. Durch die künstliche Beleuchtung darf keine wesentliche 
Temperatursteigerung durch die heissen Verbrennungsgase und 
W'asserdämpfe im beleuchteten Kaum verursacht werden. 

3. Die Wärmestrahlung der Lichtquellen (dunkle Strahlen) muss 
eine möglichst geringe sein, auch müssen Lichtquellen, die einen 
grossen Glanz besitzen oder durch Vorherrschen der kurzwelligen 
(chemischen) Strahlen Blendung verursachen, dem Auge entrückt 
sein. 

4. Ein Zucken der Lichtquellen — abwechselnde Zu- und Ab¬ 
nahme der Lichtintensität — darf nicht stattflnden, die Lichtquelle 
muss überhaupt von konstanter Intensität sein. 

5. Neben genügender Flächenbelllgkelt der Arbeitsplätze — 
10 Meterkerzen für gewöhnliche, 15—25 Meterkerzen für feinere 
Arbeiten — soll auch eine gute nicht kontrastirende Raumbeleuch¬ 
tung bestehen und soll überhaupt eine glelchmässlge Verthellung 
des Lichtes ohne störende Schattenhlldung vorhanden sein. 

Hiezu tritt noch die weitere Forderung, dass die Kosten der 
Einrichtung und des Betriebes keine zu hohen seien, die Beleuch¬ 
tung möglichst billig sei. 

Nach diesen Grundsätzen ist von künstlicher Beleuchtung 
mittels Petroleum u ) und Leuchtgas ln Form von offenen (Schmetter- 

“) In Anstalten, ln welchen Gas und elektrischer Strom nicht 
erhalten werden kann, müsste allerdings auf das Petroleum zu- 


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1220 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30. 


lings-) Flammen und Argandbrennern überhaupt abzusehen und 
erhält die indirecte Beleuchtung vor der dlrecten den Vorzug. 

_ Die indirecte Beleuchtung, welche- darin beruht, dass das den 
Beleuchtungskörpern entströmende Licht nicht direct zu den ein¬ 
zelnen Flätzen gelangt, sondern durch Reflektoren entweder ganz 
oder nur theilwelse nach der Decke und nach den Wänden ge¬ 
worfen und von dort aus nach allen Richtungen vertheilt wird, 
erfordert etwas grössere Einrichtungs- und Nebenkosten. Letztere 
sind dadurch gegeben, dass bei indirecter Beleuchtung, um das 
Licht besser reflektlren zu können, die Decke und die oberen zwei 
Drittel der Wände, ebenso ThUren und Fensterrahmen einen An¬ 
strich mit welssem Emaillack oder dem billigeren Zinkweiss, der 
Sockel der Wände (unterstes Drittel) einen braunen bezw. hell¬ 
braunen Anstrich mit Oel- oder Leimfarbe erhalten '*) und dieser 
Anstrich je nach Heizmethode und BodenbeschafTenheit (Rauch 
und Staub) alle 2—3 Jahn? erneuert werden muss, auch müssen 
die bei Nacht dunklen Fenster dichtgewirkte, weisse Vorhänge er¬ 
halten. Dazu treten dann noch die etwas höheren Kosten für Rei¬ 
nigung und Instandhaltung der Schirme da wo Arbeitspersonal hie- 
für nicht schon zur Verfügung steht. 

Die direete Beleuchtungsform erfordert dagegen grösseren 
Gas- und Stromverbrauch wegen der erforderlichen grösseren Zahl 
von Lampen, da höher hängende ungeschützte Lampen, bei wel¬ 
cher Anordnung die Zahl nicht grösser zu sein brauchte, als bei 
Indirecter Beleuchtung, einerseits durch Blendung, andererseits 
durch die Schattenbildung störend wirken. 

Die Reihenfolge, In welcher künstliche Beleuchtung 
sich bei dem jetzigen Staude der Beleuchtungsfrage empfiehlt, ist 
demnach folgende: 

1. Auer’sches Glühlicht als indirecte Beleuch¬ 
tung ,s ) und zwar in erster Linie 

a) als gemischt indirecte mittels kegelförmiger Milch¬ 
glasschirme, unter der Flamme angebracht und mit der weiten 
Öeffnung nach oben gerichtet (oberer Durchmesser 25, unterer 0, 
Höhe 12,5 cm) in Räumen, die mindestens 3 m Höhe haben; 

in zweiter Linie 

b) als rein indirecte mittels Metallreflektoreu mit oben 
blauk glänzender (polirter) oder weiss emaillirter Fläche (obere 
Öeffnung von 00 cm und Neigung von 22° ln Räumen, die nicht 
höher sind als 4 m. 

Die unter a und b angeführte Art der Beleuchtung ist die 
billigste, da die etwas grösseren Einrichtungskosteu durch den 
geringeren Gasconsum ersetzt werden, und empfiehlt sich besondere 
da, wo schon Gasbeleuchtung besteht. Bei beiden Arten von Re¬ 
flektoren ist Auerlicht auf ü—12 qm Bodenfläche, je nach Verwen¬ 
dung des Raumes für feinere oder gröbere Arbeiten, für Zeichensäle 
oder Auditorien zu rechnen. Ausserdem ist die Zahl der Lampen 
noch abhängig vom vorhandenen Gasdruck. Der Beleuchtungs¬ 
körper soll Ira Mittel 3 m (zwischen 2,5 und 3,5 m, je nach Höhe 
des Raumes) Uber dem Fussboden angebracht sein. Von Wichtig¬ 
keit ist ferner die richtige Vertheilung der Lampen. 

2. Elektrisches Bogenlicht 1 *) als indirecte Be¬ 
leuchtung mittels grosser Metallreflektoren oder der neuen 
Sch ucker t’schen Bogenlichtlaternen. Diese Beleuchtungsart 
gibt das intensivste, dem Tageslicht am meisten gleichkommende 
Licht und tritt an erste Stelle, wenn bei Anschluss au eine kräftige 
Centrale mit Wechselstrom gleichmässlges Brennen sicher ge¬ 
stellt ist. Die Kosten der Einrichtung sind nicht höher als bei 
der erstangeführten Beleuchtungsart und auch der Geldbetrag für 
den Gesammtkonsum kein erheblich höherer, bei billigem elek¬ 
trischem Strom unter Umstünden sogar geringer. In sehr hohen 
Räumen — von 5 m und mehr Höhe ist das elektrische Bogenlicht 
dem Aue r’sclien Glühlicht vorzuziehen. Erforderlich ist eine 
Lampe von 10 Ampöre auf 43 qm Fläche, 2 Lampen von 6 Ampöre 
auf 50—G0 qm Fläche. Das Bogenlicht erfordert sehr aufmerk¬ 
same Bedienung. 

3. Aue r’sches Glühlicht ln Form der dlrecten Beleuch¬ 
tung mit Augen8Cliützern oder Schirmen, empfiehlt sich in Räumen, 
welche nur zum Tlieil benützt werden oder bei einer kleineren 
Anzahl von Schülern, ferner da, wo nach Gipsmodellen gezeichnet 
wird. 

4. Das elektrische Glühlicht in Form der dlrecten 
Beleuchtung, kann Anwendung finden unter gleichen Verhältnissen 
wie das A u e r'sche Glühlicht sub 3, steht hinter demselben aber 
zurück, da es sich dem Tageslicht weniger nähert als dieses und 
etwas mehr Wärmestrahlung hat, namentlich aber, well es ganz 


rückgegriffen werden und wäre hier das nicht theuere Petroleum- 
gliihiicht in Betracht zu ziehen. 

“) InZimmern, welche sehrhellesTageslichthaben(SUdlage etc.) 
und ln denen das glänzende Weiss der Decke und Wände an sonnigen 
Tagen Blendung verursachen würde, empfiehlt sich inattweisser 
Anstrich der Decke und des oberen Drittels der Wände und sehr 
hellgrüner des übrigen Thelles der Wände. Entsprechend der 
geringeren Reflexwirkung ist die Zahl der Lichtquellen dann etwas 
zu erhöhen. 

“) In Hörsälen mit feststehenden Wandtafeln, Insbesondere in 
solchen, in denen die Wandtafel zur Aufnahme von Zeichnungen, 
Zahlenreihen und Schriftmustem dient, empfiehlt sich eine be¬ 
sondere Beleuchtung der Wandtafel mittels einer mit Auerlicht 
beleuchteten Reflektoreinrichtung, die vor den oberen Theilen der 
Wandtafel angebracht wird. 

,e ) Elektrische Bogenlampen müssen, auch wenn sie zu in- 
diiveter Beleuchtung dienen, eine schützende Hülle haben. Am 
zwcckmässigsten sind die sogen. Holophanglocken. 


erheblich tlieurer ist als das Auerlicht (das elektrische Glülilicät 
ist auch theurer als das elektrische Bogenlicht). Dagegen empfiehlt 
sich das elektrische Glühlicht gegenüber dem Aue rischen da¬ 
durch, dass es die Temperatur des Raumes nicht erhöht, die Luft 
nicht verschlechtert und am leichtesten zu bedienen ist. 

Die ereteren beiden Vorzüge hat auch das elektrische Bogen¬ 
licht vor dem Auerlicht in indirecter Anwendung. Letzteres er¬ 
fordert daher gegenüber dem elektrischen Lichte häufigere Lüf¬ 
tung der Räume. 


Referate und Bücheranzeigen. 

A. v. Strümpell: Ueber den medicinisch-kliniflchen 
Unterricht. Sondernbdruck aus der Festschrift der Universität 
Erlangen zur Feier des 80. Geburtstages des Prinzregenten Luit¬ 
pold von Bayern 1901. 

Für den vielfach ungenügenden Ausfall der ärztlichen Appro¬ 
bationsprüfung findet Verfasser den Grund zum Theil darin, 
dass das eigentliche Studium unter dem „Studententhum“ oft 
schwer leidet, und dass sich dem akademischen Studium manche 
junge Leute zuwenden, die für diesen schwierigen Beruf über¬ 
haupt nicht geeignet sind. Andererseits ist aber auch die jetzige 
Organisation des medicinischen Unterrichts nach mancher Rich¬ 
tung unzureichend. So treten die Studirenden in die medi- 
cinische Vorprüfung (Tentamen physicum) und daher auch in das 
klinische Studium mit ungenügenden Kenntnissen ein, nament¬ 
lich in Bezug auf die Chemie, aber auch mit mangelhafter Vor¬ 
bildung in der Anatomie und Physiologie. Es muss daher die 
Studienzeit vor dem Eintritt in die Kliniken um ein Semester ver¬ 
längert und möglichst vollkommen und methodisch ausgenützt 
werden. Um dies zu erreichen, soll nach St.’s Ansicht die Vor¬ 
prüfung getheilt, und zwar am Ende des 3. Semesters eine natur¬ 
wissenschaftliche Prüfung (in Physik, Chemie, Botanik, Zoologie) 
am Ende des 5. eine solche über Anatomie und Physiologie ab¬ 
gehalten werden, an die sich eine praktisch-chemische Prüfung 
anschliesscn könnte. Durch entsprechende Steigerung der An¬ 
forderung in dem 2. Theile der Vorprüfung würde die nochmalige 
Prüfung in Anatomie und Physiologie im Rahmen des Appro¬ 
bationsexamens entbehrlich werden. Durch eine weise Ver¬ 
theilung des Lehrstoffes könnte eine Ueberbürdung vermieden 
werden. Verfasser stellt einen genauen Studienplan für die 
ersten 5 Semester auf, nach welchem auf die Woche nur 20 bis 
24 Stunden Vorlesungen und Kurse kommen. Bei dieser Ein- 
theilung würde den Studirenden noch Zeit bleiben, allgemeinere 
Interessen, wie geschichtliche, literarhistorische, kunstgeschicht¬ 
liche etc. Studien, zu pflegen und sich insbesondere mit Geschichte 
der Philosophie, Psychologie, Sozialwissenschaft, technischen 
Wissenschaften zu beschäftigen und im Zeichnen auszubilden. 
Im Anschluss hieran macht der Verf. beherzigenswertho Vor¬ 
schläge für die Handhabung der praktischen Kurse in der Ppysik, 
Chemie, Physiologie und Anatomie. 

Nach bestandener Vorprüfung soll der Studirende nicht als¬ 
bald Kliniken besuchen, vielmehr soll das sechste Semester durch 
Vorlesungen über allgemeine Pathologie und klinische Propae- 
deutik (allgemeine klinische Symptomatologie undüntersuchungs- 
melhoden), sowie durch einen praktischen Kurs der letzteren, ev. 
auch durch eine Vorlesung über allgemeine Chirurgie ausgefüllt 
sein. Im 7. Semester hat sodann der Besuch der Kliniken zu be¬ 
ginnen, wobei die medicinische Klinik den Grundstock der gc- 
sammten ärztlichen Ausbildung bilden muss. Verf. führt des 
Weiteren aus, wie der klinische Unterricht nach seiner Ansicht 
gehandhabt werden soll; er hält die Zahl von drei Semestern für 
die medicinische wie für die chirurgische Klinik bei der Fülle des 
zu bewältigenden Stoffes für unumgänglich nothwendig. Zur Er¬ 
gänzung des Unterrichtes in der Klinik, deren Schwerpunkt Str., 
wie er eingehend begründet, in der wissenschaftlichen und nicht 
in der praktischen Unterweisung erblickt, müssen praktische 
„Kurse“ und der poliklinische Unterricht dienen. Der letztere 
ist nur für die älteren Semester bestimmt, die bereits die klini¬ 
schen Semester hinter sich haben; zwei poliklinische Semester 
sollen obligatorisch sein. Bei guter Einrichtung und ausreichen¬ 
der Benützung des poliklinischen Unterrichts, der in das 10. und 
11. Semester fallen würde, wäre nach des Verfassers Ansicht die 
Einführung eines „praktischen Jahres“ nicht nothwendig. 

Nach einigen Bemerkungen über den Unterricht in der chi¬ 
rurgischen, gynäkologischen, ophthalmiatrischen Klinik und den 
verschiedenen Specialfächera ko mm t. Verf. zu der Forderung 


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23. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1221 


eines 12 semesterigen Gesammtstudiums (unter Vermeidung des 
praktischen Jahres) und stellt einen Lehrplan für die 7 klinischen 
Semester auf. 

Schliesslich fasst Str. seine Verbesserungsvorschläge in 
folgenden Sätzen zusammen: 

1. Einführung eines systematisch geordneten 
Studienplans für den gesammten medicinischen Unter¬ 
richt und Sorge für eine genügende Einhaltung desselben. 

2. Gründlichere Vorbildung der Studirenden für den 
klinischen Unterricht durch Verlängerung der Studienzeit bis 
zur ärztlichen Vorprüfung auf 5 Semester. Einführung von 
praktischen Kursen in allen vorbereitenden Hauptfächern, vor 
Allem in der Chemie. 

3. Zweitheilung der ärztlichen Vorprüfung. Der 
erste Theil (Physik, Chemie, Botanik, Zoologie) wird an’s Ende 
des dritten Semesters gelegt, der zweite Theil an’s Ende des 
fünften Semesters. 

4. Einführung eines klinisch-propaedeutischen 
Semesters und bessere Organisation des klinisch-propaedeu¬ 
tischen Unterrichts. 

5. Ausdehnung des klinischen Unterrichts auf 
6 Semester, unter welcher Bedingung allein die Einfügung der 
Specialkliniken in den allgemeinen Studienplan möglich ist. 
Ergänzung der mehr wissenschaftlich-theoretischen Ausbildung 
in den Kliniken durch gut organisirte praktische Kurse 
und durch ausgiebige Verwerthung des poliklinischen 
F nterrichts. 

Mag man auch in einzelnen Punkten, z. B. in der Zwei¬ 
teilung der ärztlichen Vorprüfung, anderer Meinung sein wie 
der Verf., so wird man doch den meisten seiner wohldurchdachten 
Ausführungen unbedingt zustimmeu. Wie den Referenten, so 
wird es manchen akademischen Lehrer und praktischen Arzt 
interessiren, die in ansprechender Darstellung niedergelegten An¬ 
schauungen des Erlanger Klinikers kennen zu lernen. 

S t i n t z i n g. 

M. Hofmeier: Handbuch der Frauenkrankheiten. 

Zugleich als 13. Auflage des Handbuches der Krankheiten 
der weiblichen Geschlechtsorgane von Karl Schroeder. 
Leipzig, F. C. W. Vogel, 1901. 

Das Schroede rische Lehrbuch erscheint in dem vor¬ 
liegenden Bande in 13. Auflage. II o f m e i e r, welcher nun 
zum 5. Male die Herausgabe dieses bewährten Lehrbuches be¬ 
sorgt hat, hat es mit Recht nicht mehr für angängig gefunden, 
das Werk unter Schroede ris Namen herauszugeben, da in 
den 14 Jahren seit Schroederis Tode die Gynäkologie wohl 
in allen ihren Theilen derartige Wandlungen durchgemacht hat, 
dass es unumgänglich nothwendig ist, dass der Herausgeber, den 
veränderten Verhältnissen entsprechend, persönlich zu den ein¬ 
zelnen Fragen Stellung nimmt. Dabei sei aber sofort besonders 
hervorgehoben, dass es Hofmeier in trefflicher Weise ge¬ 
lungen ist, die der Neuzeit entsprechenden Aenderungen in pietät¬ 
voller Weise durchzuführen, wie es bei den wissenschaftlichen 
und persönlichen Beziehungen des Herausgebers zu dem ursprüng¬ 
lichen Verfasser des Werkes nicht anders zu erwarten war. So 
ist von dem ursprünglichen S c h r o e d e rischen Werke nicht 
nur das Gerüste, sondern auch ein grosser Theil des Textes 
stehen geblieben, wobei durch zahlreiche Aenderungen und Zu- 
thaten in den einzelnen Kapiteln das Lehrbuch eine durchaus 
moderne Form gewonnen hat. 

Ebenso ist besonders anzuerkennen, dass es trotz der gründ¬ 
lichen Umarbeitungen dem Herausgeber gelungen ist, den Um¬ 
fang des Lehrbuches nicht wesentlich zu vermehren, so dass einer 
der Hauptvorzüge des Schroede rischen Buches, die Prägnanz 
und Klarheit des Ausdrucks mit kompendiösem Umfang des 
Buches, trefflich gewahrt bleibt. 

Dass das Lehrbuch, nachdem es aus dem Rahmen deä 
v - Z i e m 8 s e n’schen Handbuches herausgenommen ist, nun¬ 
mehr unter dem Titel eines Lehrbuches der Frauenkrankheiten 
erscheint, ist sachlich durchaus gerechtfertigt. Für die Um¬ 
arbeitung selbst bezw. für die entsprechende Ausstattung des 
Buches bürgt der Name des Herausgebers und Verlegers. Wir 
zweifeln nicht, dass es dem Herausgeber gelungen ist, das alt¬ 
bewährte Schroede rische Werk in seiner neuen Form der 
deutschen Literatur auf lange Jahre zu erhalten. 

F r o m in e 1. 


V. Oven, Oberstleutnant und Chef des Generalstabes des 
VIII. Armeekorps: Taktische Ausbildung der Sanitätsoffiziere. 

Mit Skizzen im Text, 1 farbigen Signaturtafel und 2 Karten. 
Zweite verbesserte Auflage. Berlin 1901, Verlag von R. Eisen¬ 
schmidt, Verlagsbuchhandlung für Militärwissenschaft im 
Armee- und Marine-Hause. 

Bis vor Kurzem war die Ausbildung der Militärärzte eine 
rein fachwissenschaftliche, seit einigen Jahren jedoch findet der 
Gedanke praktische Anwendung, den Militärärzten in eigens zu 
diesem Zwecke angeeetzten Versammlungen, sei es in Gestalt von 
Kriegsspielen oder Uebungsrittcn Gelegenheit zu geben, den 
Rahmen näher kennen zu lernen, in dem sie im Kriege ihres 
Amtes zu walten haben. 

v. Oven hat im Jahre 1898 einen Ausbildungscursus mit 
Sanitätsoffizieren des Gardecorps, welcher im Winter mit Kriegs¬ 
spiel begann und im Frühjahr mit einem 3 tägigen Uebungsritt 
endete, geleitet. Dieser Kurs gab O. seinerzeit die Anregung 
zur Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit. Gegenwärtig liegt 
bereits die zweite Auflage vor uns. 

In eigenen Kapiteln sind behandelt: der schriftliche Ver¬ 
kehr, das Kartenlesen und Krokiren, die Kriogsgliederung und 
Truppeneintheilung, Bagagen, Munitionskolonnen und Train, 
Marschtiefen und Aufraarschzeiton, Befehlsertheilung. 

Anschliessend an diese Kapitel finden wir Anhaltspunkte 
zu einem dreitägigen Kriegsspiel und einem dreitägigen Uebungs- 
ritt. 2 Karten im Maassstabe von 1:200 000 des Terrains der 
Hebungen sind dem Werkchen beigegeben. 

So sehen wir in Ovon’s „Taktischer Ausbildung“ in ge¬ 
drängter Kürze die Hauptlehren der Truppenführung niederge¬ 
legt und erscheint dieses Buch als Grundlage für Vorträge an 
Militärärzte über Taktik ganz besonders geeignet. 

S e y d e 1. 


Magnus: Augenärztliche Untemchtstafeln. Für den 

akademischen und Selbstunterricht. Breslau 1900, J. M. Kern 
(Max Müller). 

Heft XXI. Baas: Anatomie der Hornhautentzündung und 
des Hornhautgeschwürs. Preis 8 M. 

Mittels 20 Abbildungen mikroskopisch-anatomischer Präpa¬ 
rate auf 12 Tafeln gibt Verf. eine treffende Darstellung dieser 
für die Praxis wichtigsten Homliauterkrankungen. Die Ab¬ 
bildungen sind gut wiedergegeben, wenn sie auch theilweise etwas 
schematisch gehalten und nicht ganz genau dem mikroskopischen 
Präparate entsprechend die Details geben. Jedenfalls erfüllen sie 
durch ihre beträchtliche Vergrösserung den vom Herausgeber in 
das Auge gefassten Zweck, zur Demonstration für ein grösseres 
Auditorium zu dienen. 

Heft XXn. Pichler: Der Faserverlauf im menschlichen 
Chiasma. Mit 12 Tafeln. Preis 7 M. 

Verf., dem wir schon eine sehr werthvolle Mittheilung über 
die Untersuchung des menschlichen Chiasma nach der Marchi- 
methode verdanken, gibt zunächst eine überaus klare Darstellung 
der verschiedenen Methoden, den Faserverlauf im Nervensystem 
überhaupt und im Sehnerven insbesondere nachzuweisen, dann 
schildert er in ebenso kurz zutreffender Weise die anatomische 
Lage des Chiasma und den Verlauf der Sehnervenfasem in dem¬ 
selben, welcher neben Schlingenbildung im Allgemeinen das Bild 
des Strohmattengeflechtes zeigt, auf Grund seiner in horizontalen 
und D i m m e ris in Frontalschnitten gefertigten nach M a r c h i 
behandelten Präparate. Auch die Commissursysteme G ud d en’s. 
Meynort's und F orel’s finden Berücksichtigung. 

Eine kurze Beschreibung der sehr sorgfältig ausgeführten 
Tafeln, von denen 1—10 nach den Horizontalschnitten Pich- 
1 e ris No. 12 nach den Frontalschnittcn Dimmeris gezeichnet 
sind und Tafel 11 den Faserverlauf im Chiasma schematisch, den 
Frontalschnitten der Tafel 12 correspondirend, darstellt, erläutert 
das Verständniss der an und für sich etwas komplizirten Verhält¬ 
nisse in sehr erwünschter Wbisc. Die Anschauung von der nur 
tlieilweisen Kreuzung der Sehnenfasern im Chiasma findet durch 
die Arbeit Pichle ris eine weitere unanfechtbare Begründung. 

S eggel. 

Neueste Journalliteratur. 

Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 28. 

W. v. M o r a c z c w s k 1 - Karlsbad: Indikanurie, Oxalurie 
und Diabetes. 


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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1 


No. 30. 


Verfasser stellt Betrachtungen an über das gleichzeitige Vor¬ 
kommen von Indikanurie, Oxalurie und Diabetes und setzt die Be¬ 
ziehungen dieser drei pathologischen Zustände auseinander. Eine 
Analogie zwischen mangelhafter Oxalsäureverbrenming und 
mangelhafter Zuckerverbrennung scheint durch die in beiden 
Fällen auftretende Indikansteigerung angedeutet zu sein. Den 
theoretischen Erwägungen beabsichtigt der Verfasser die experi¬ 
mentelle Prüfung durch Untersuchung von Diabetikerblut nach- 
folgen zu lassen. W. Zinn- Berlin. 

Centralblatt für Chirurgie. No. 27 u. 28. 

No. 27. P. Müller-Dresden: Zur Topographie des Pro¬ 
cessus vermiformis. 

Bei dem event nöthigeu Suchen nach dem Wurmfortsatz lassen 
die gewöhnlichen topographischen Angaben im Stich. Bei einer 
durch Adhaesionen etc. sehr erschwerten Appendicitis operativa 
wurde Rupprecht auf die Lagebeziehung der Abgangsstelle des 
Wurmfortsatzes zu den Taenien des Coecums aufmerksam; der 
Proc. vermiformis entspringt dort aus dem Coeeum, wo die 3 vom 
Kolon herabstelgeuden Taenien sich am Coeeum treffen (ohne dass 
die Lage des Taenienschulttpunktes eine ganz konstante wäre), 
ln praxi empfiehlt es sich event., der nach vorne gelegenen Taenia 
Uberu zu folgen, d. h. wenn nach Eröffnung der Bauchhöhle der 
Processus in Adhaesionen etc. steckt, sucht man diese Taenia auf 
und arbeitet sich, ihr als Richtschnur folgend, durch Adhaesionen, 
Exsudate nach der Appendix durch. M. konnte auch In allen 
schwieligen Verwachsungen stets die Taenia libera deutlich sicht¬ 
bar herauspräparlren und als Wegweiser benutzen. 

Bergma nn - Sulzbach (Saar): Darmblutung nach Expo¬ 
sition incarcerirter Hernien. 

Mittheilung eines betr. Falles vom sogen. Schnitzle Fachen 
Typus, d. h. grosse, rel. kurz incarcerirt gewesene Hernie, nach 
deren Reposition (Herniotomie) bald (nach 4 Stunden) starke Darm¬ 
blutung nuftrat. Betr. Erklärung dieses Symptomes möchte sich 
B. der N 1 c a i s e’schen Ansicht anschliessen, dass die zuerst ln der 
Schleimhaut des incareerirten Darmes sich geltend machenden 
Ernährungsstörungen die Arterienwandungen so schädigen, dass 
diese für den neu andrängenden arteriellen Blutstrora passirbar 
werden und so eine arterielle Darmblutung entsteht. 

No. 28. Sprengel- Braunschweig: Zur Methodik der 
Appendicitisoperation. 

Sp. hat das früher vielfach bei dieser Operation empfundene 
Gefühl der Unsicherheit (besonders wenn man im Anfall operirt 
und sieh nicht darauf beschränkt, den Eiterherd zu entleeren, son¬ 
dern den Processus selbst entfernen will) rasch verloren, seit er 
bei dieser Operation principiell die Methode der stellen Becken¬ 
hochlagerung anwendet Er führt den Schnitt au der Aussenseite 
des Rectus (womöglich mit Spannung der Epigastrica) und erzielt 
dabei freieste Ueberslcht. Die Umgebung wird durch Tampons 
geschützt. Der Eiter wird, wenn in kleiner Quantität vorhanden, 
ausgetupft; bei grösserer Menge läuft er über die Tampons ab, die 
danach ganz oder theilwelse nusgewechselt werden. Ist deut¬ 
licher Abscess vorhanden, so dringt der untere Theil des Bauch¬ 
schnittes in den Abscess ein, der letztere wird entleert und sorg¬ 
fältig tamponirt, worauf die Operation mit Eröffnung der ge¬ 
sunden Bauchhöhle, Tamponade derselben, Freilegung und Ent¬ 
fernung des Processus von oben her in typischer Weise fortgesetzt 
wird; schliesslich werden die Tampons entfernt, die Bauchdecken 
in 3 Schichten mit Seidennähten vereinigt. Auch bei der Operation 
im Anfall verwendet Sp. ausnahmslos Gummihandschuhe. 

W. S a c h s - Mühlhausen: Eine seltene Indication zur sa- 
cralen Exstirpation der Gebärmutter. 

Mittheilung eines Falles, in dem Ankylose beider Hüftgelenke 
in Adduktion und Flexionsstellung im Gefolge von Arthritis de- 
formans den vaginalen Weg und die sehr tiefe Fixation des Uterus 
die Exstirpation vom abdominalen Weg aus unthunllch erscheinen 
liessen und desshalb die sncrale Exstirpation vorgenommen wurde, 
deren Heilung durch einen im Gefolge der langen Seltenlagerung 
aufgetretenen liandtellergrosseu Carbunkel der Trochantergegend 
verzögert wurde. Sehr. 

Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 28. 

1) Ferd. K 1 e i n e r t z - Stuttgart: Ein Fall von abnorm 
langer Retention des gegen Ende der Schwangerschaft abge¬ 
storbenen Foetus. 

Es handelte sich um eine 3S jährige Frau, die G mal geboreu 
und 1 mal abortirt hatte. (Jegen Ende der 7. Schwangerschaft 
traten uraemische Symptome mit hochgradiger Albuminurie auf. 
Der Foetus starb hierauf ab, der Eiweissgehalt ging zurück, aber 
die Geburt trat im erwarteten Zeitpunkt nicht ein. 3 Monate 
später und 5 Monate nach dem Absterben der Frucht stellte sich 
blutiger Ausfluss ein, worauf K. die künstliche Entbindung zuerst 
von der Vagina und, als dies misslang, durch Sectio caesarea 
vornahm. K. fand eine nekrotische Placenta und einen macerlrten 
Foetus von ca. 8 Monaten. Heilung. 

2) A. R i e c k - Altona: Bemerkungen zu dem Aufsatze von 
Dr. Hermann Pape: „Ein Fall von Sectio caesarea nach 
Vaginaefixation“. 

Nur die hohe Vaginiflxur kann nach R. so gefährlich werden, 
dass eine Sectio caesarea in Frage kommen könnte. Seit 1807 wird 
aber, die hohe Vaginiflxur kaum mehr gemacht. R. verweist auf 
S 9 in* im Erscheinen begriffene Arbeit über diesen Gegenstand, 
die sieh auf das Material der A. Marti n'sehen Klinik stützt, 
und citlrt 3 Fälle, die denen P a p e's i^nilog waren, aber ohne 


Kaiserschnitt beendet wurden. Die Kinder gingen dabei allerdings 
zu Grunde. Statt des Kaiserschnitts kommt neuerdings übrigens 
der von Riihl empfohlene vordere Sclielden-Uterusschnitt mehr 
in Frage, der ein schonenderes und ungefährlicheres Verfahren bei 
hohen Vaginiflxuren mit extremster Geburtsstöruug abgibt 

J a f f 6 - Hamburg. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 28. 

1) G. Fraenkel und G. S o b e r n h e i m - Halle a. S.: Zur 
Frage der Zomotherapie. 

Unter letzterer wird das von französischen Autoren an¬ 
gegebene Verfahren verstanden, Tuberkulose mit sehr reichlichen 
Mengen rohen Fleisches zu behnndeln, womit angeblich sehr gute 
Erfolge zu erzielen waren. Die Verf. haben nun die Tliierexperi- 
mente nachgeprüft, welche Jenem Verfahren zu Grunde gelegt 
worden sind, kamen aber zu ganz entgegengesetzten Resultaten, 
wie die französischen Autoren. Sie machten Kontrolversuche au 
Hunden und Ratten und zwar mit genau abgemessenen Mengen 
des zur Anwendung gelangenden Infektionsstoffes. Es zeigte sich, 
dass von einer Ueberlegenheit der Fleischfütterung vor gemischter 
Kost für die tuberkulös gemachten Thlere gar keine Rede sein 
kann. Eine experimentelle Basis für obiges Verfahren fehlt also. 

2) H. K o e p p e - Giessen: Zur Kryoskopie des Harnes. 

Aus den Resultaten der mitgetheilten Untersuchungen ist be¬ 
sonders Folgendes hervorzuheben: Bei der Gefrierpunktsbestim- 
muug des Harnes ist zu berücksichtigen, dass sowohl die Harne 
beider Nieren verschieden sein können, als auch zwischen Harneu 
von zeitlich verschiedener Sekretion bedeutende Unterschiede be¬ 
stehen; der aus der Blase entleerte Harn stellt also ein Gemisch 
von verschiedenen Harnen dar, was eben für die Beurthelluug 
der Reaktion und der molecularen Concentration berücksichtigt 
werden muss. Ganz wesentlich bei den Gefrierpunktsbestimmungeu 
ist es dnher, den Harn der beiden Nieren getrennt aufzufangen. 
Bemerkenswert!! ist vor Allem auch die Angabe des Verf., dass 
die Reaktion des menschlichen Harnes am Morgen in der Regel 
sauer ist, am Vormittag in eine alkalische umschlägt, daun vor 
dem Mittagessen wieder sauer wird, um Abends und Nachts wieder 
sauer zu sein, nachdem auf das Mittagessen alkalische Reaktion 
vorhanden gewesen war. 

3) H. Gutzmann - Berlin: Ueber Behandlung der Aphasie. 

G. weist in seinem Vorträge darauf hin, dass bei den Sprach 

Übungen Aphatischer von den Elementen der Sprache ausgegangen 
werden muss und die einzelnen Laute systematisch geübt worden 
müssen. Ferner ist wichtig. Schreibübungen mit der linken Hand 
vernehmen zu lassen, um das rechte Gehirn für die Spraehlaut- 
bewegungen vorzubereiten. Auch die tactilen und optischen Em¬ 
pfindungen müssen für die Erlernung der Sprache herangezogen 
werden. Die auch bei langem Bestände der Aphasie noch zu er¬ 
zielenden Resultate sind sehr ermutliigend. 

4) Sturmann: Doppelbildung der unteren Nasenmuschel. 

Mittheilung eines Falles, bei welchem auf der linken Seite 

3 Muscheln zu sehen waren/ Es ist wahrscheinlich, dass eine 
Hemmungsbildung vorliegt, indem im Embryonalleben eine Bil¬ 
dung des Muschelbeines nachweisbar ist, welche den vorhandenen 
Befund zu erklären geeignet ist. 

5) U. Ro 8 e - Strnssburg: lieber paroxysmale Tachykardie. 

Verf. theilt einen typischen Fall paroxysmaler Tachykardie 

mit, dessen klinische Einzelheiten eingehend besprochen werden. 
Mit Rücksicht auf die über die Affektion aufgestellten Theorien 
ist es besonders von Interesse, dass im vorliegenden Falle eine 
Dilatation des Herzens während des Anfalles nicht beobachtet 
werden konnte; gleichwohl aber wurden Erscheinungen von Herz¬ 
schwäche während des Anfalles festgestellt. Der mitgetheilte Fall 
ist im Ganzen sehr geeignet, die Auffassung des paroxysmalen 
Herzjngens als einer centralen Neurose zu stützen. Die angewandte 
Therapie hatte auch in diesem Falle keinen ersichtlichen Erfolg 
auf die Dauer und das Eintreten der Anfälle. 

Grassmann - München. 

Deutsche medieinisehe Wochenschrift 1901. No. 28. 

1) Max W o 1 f f - Berlin : Demonstration von Präparaten 
tuberkulöser Thiere nach Hetol- (Zimmtsäure-) und Igasol- 
behandlung. 

Nach einem Vortrage, gehalten im Verein für innere Medicin 
zu Berlin am 17, Juni 15)01. Referat, siehe diese Wochenschrift 
No. 2G, pag. 1075. 

2) Hermann v. 8 c li rö 11 e r - Wien: Zur Aetiologie und 
Therapie tiefsitzender Stenosen der Luftröhre. 

Die fiir den Chirurgenkongress in Berlin bestimmt gewesene 
Mittkeilung gibt unter Beschreibung eines Falles einen Beitrag zur 
Kenntniss der Lokalisation und des Verlaufes der Tuberkulose 
der Luftröhre, sowie einen Beweis für operatives Vorgehen mittels 
der direkten Bronchoskopie und einer unter Anwendung dieser 
Methode exakt auszufübrenden Dilatation au umschriebener Stelle 
des untersten Trachealabschuittes. 

3) M. S a n d e r - Frankfurt a. M.: Heber transitorische 
Geistesstörungen auf hysterischer Basis. 

Mittheilung von vier charakteristischen Fällen. Im Schluss¬ 
wort wird darauf hingewiesen, dass durch rechtzeitige Erkenuuug 
dieser Zustände als pathologisch mancher Selbstmord verhütet 
werden kann. 

4) W a 1 d e y e r: Topographie des Gehirns. (Schluss aus 
No. 27.) 


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MUENOHENEK MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1223 


23. Juli 1901. 


5) S. M u n t e r- Berlin: System und therapeutische Ver- 
werthung der Wärmezufuhr und Wärmestauung. (Schluss aus 
No. 27.) 

6) Aus der ärztlichen Praxis: 

a) Alexander Simon - Wiesbaden: Zur Behandlung des Heu¬ 
asthmas. 

Beschreibung eines Falles von Heufieber, in welchem das 
Atropin als souveränes Mittel erprobt wurde. 

b) Htihnerfauth jun. - Eisenach : Ueber Vergiftungs¬ 
erscheinungen in Folge innerlichen Gebrauches von parfiimirtem 
Glycerin. 

Interessante Beobachtung an der eigenen Person. Die In¬ 
toxikation entstand durch den Gebrauch (Rectaleiusprltzung) von 
Glycerin, welches vom Droguisten mit Maiglöckchenextrakt par- 
füuiirt w’orden war. (0,2 Proc. Extract. Convailaria rnajal.) 

F. Lacher- München. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 28. 1) S. J e 111 n e k - Wien: Blitzschlag und elektrische 
Hochspannung. (Schluss folgt) 

2) M. I n f e 1 d - Wien: Zur Kenntniss der bleibenden Folgen 
des Migräneanfalles. 

In dem von dem Verf. beschriebenen Falle litt die 29 jährige, 
im Uebrigen gesunde Patientin seit ihrem 12. Lebensjahre an 
Migräneanfällen; während eines solchen trat plötzlich eine Läh¬ 
mung der rechten Körperhälfte auf und zwar ohne dass die Kranke 
das Bewusstsein verloren hätte. Die Erscheinungen dieser Läh¬ 
mung bildeten sich fast vollständig zurück, allein nach 1 Monat 
traten Krämpfe in der rechten oberen Extremität auf, in ihrem 
Charakter in der Mitte zwischen Athetose und Chorea stehend. 
Verf. nimmt einen Herd im linken Sehhügel an und verwendet zur 
weiteren Erklärung des Falles die in Jüngster Zeit von Spitzer 
über die Genese der Migräne aufgestellte sogen, mechanische 
Theorie. Letztere supponirt eine relative oder absolute Stenose 
des Foraruen Monroi als Grundlage der Auslösung der Migräne¬ 
anfälle. Auf ihre Einzelheiten kann hier nicht eingegangeu 
werden. 

3) K. Stich- Leipzig: Therapeutische Nachrichten. 

Verf. berichtet zunächst über die an der Leipziger chirur¬ 
gischen Klinik angewendeten Werthbestimmungen des chirur¬ 
gischen Nühmaterials. Es wird dort die Zugfestigkeit und Knoteu- 
festigkeit des Materials besonders mit Rücksicht darauf unter¬ 
sucht, ob diese Eigenschaften durch die Sterilisation wesentlich 
beeinflusst werden. Ferner beschreibt er Büchsen für die Couser- 
vlrung und Aufbewahrung des Heftpflasters; endlich Maximal- 
thermometer für die Kontrole der Sterilisation. Letztere hat der¬ 
selbe ln No. 28 d. W. bereits beschrieben. 

Grassmann - München. ■ 

Französische Literattu. 

L. R 6 m y - Liege: Beitrag zum Studium des Typhus und 
seine« Bacillus. (Annales de l’Institut Pasteur, März 1901.) 

In diesem Thelle seiner Untersuchungen kommt R 6 m y zu 
einem neuen Verfahren, den Typhusbacillus aus dem W'asser zu 
Isoliren, was er ln praktischer Hinsicht für ausserordentlich wich¬ 
tig hält. Der Bacillus coli scheint Ihm Insofern ein wichtiges 
Reaktionsmittel zu sein, als dessen Anwesenheit ln den zur 
Nahrung dienenden Wässern jene des Typhusbacillus mit Wahr¬ 
scheinlichkeit annehmen Hesse. Der Nachweis dies letzteren muss 
sich also vor Allem auf ein Isollrungsverfahren von anderen 
8aprophyten, besonders dem Bacter. coU gründen und ist bei 
diesen Experimenten wiederholt daran zu erinnern, dass die im 
Wasser vorkommenden Typhusbacillen an andere Lebensbeding- 
nngen gewöhnt, wie die in den Laboratorien gezüchteten, dass 
sie an eine wenig hohe Temperatur gewöhnt sind, ja eine solche 
von 37* für sie schon verderbUch sein kann. Von den beiden 
IsolirungBmethoden, der direkten und der indirekten (nach mehr¬ 
fachen Uebertragungen auf geeignete Nährböden) hält R. die 
eretere für praktischer, besonders wenn die Organismen schon ab¬ 
geschwächt sind. Nach den Untersuchungen, welche R. sowohl an 
Fluss- wie an Gebrauchswasser angesteUt hat, kommt er nun 
auch zu dem endglltigen Resultate, dass der Bac. coli und der 
Typhusbacillus neben einander Vorkommen und zwar häufig In 
den Gewässern, von welchen Typhuserkrankungen ausgegangeu 
sind, dass also beide Bacterlenarten keine Laboratoriumsprodukte 
sind. Das beste Mittel, die Natur eines Keimes, welcher die 
morphologischen und kulturellen Eigenschaften des E b e r t h'scheu 
Bacillus besitzt, als Typbuserregers zu beweisen, ist ferner die 
Ueberimpfung auf Meerschweinchen; dieselbe Ist unnöthig, weun 
diesem Keime gegenüber das experimentelle Autltypbusserum eine 
hohe Agglutinationskraft besitzt. 

C a 1 m e 11 e und G u 6 r 1 n - Lille: Untersuchungen über die 
experimentelle Vaccine. (Ibid.) 

Die Ueberimpfung von Lymphe auf das Kaninchen ist immer 
von einer confluirenden Eruption kleiner, an Lymphe sehr reicher 
Pusteln gefolgt, weun man Acht hat, die Vaccine nur einfach über 
die frisch rasirte Haut auszubreiten und nicht ln die Scariflcatiouen 
direkt einzuspritzen. Das Kaninchen ist ein vortreffliches Kontrol- 
thler, welches ermöglicht, die Virulenz der von Kälbern oder 
Kindern entnommenen Vaccine ebenso wie die von alter, kouser- 
virter Glycerinlymphe festzustellen. Die Vermehrung der viru¬ 
lenten Elemente der Vaccine scheint sich beim Kaninchen in 
keinem anderen Organe wie in der Haut zu bewerkstelligen. Das 


sind die hauptsächlichen, für die Praxis wichtigen Ergebnisse der 
beiden bekannten Forscher. 

Octave G e n g o u - Lüttich: Ueber den Ursprung der Alexine 
aus dem normalen 8erum. (Ibid., April 1901.) 

G. hat wiederum eine Reihe von Experimenten ausgeführt, 
welche, der Theorie von Metschnikoff entsprechend und ent¬ 
gegen der Anschauung B u c h n e Fs, zu dem Schlüsse führen, dass 
die Leukocyten nicht nur die Alexine des normalen Serums er¬ 
zeugen, sondern dieselben auch so lange enthalten, als Ihre nor¬ 
malen Lebensbedingungen ln der Blutflüssigkeit nicht verändert 
werden. Bei der Ratte, deren Blutserum eine so ausgesprochen 
bactericide Wirkung gegenüber dem Milzbrandbacillus besitzt, Ist 
dieses Alexin analoger Welse Im circuUrenden Plasma nicht ent¬ 
halten. Es scheint also G. wiederum bewiesen, dass der Kampf 
gegen die Bacterien im lebenden Organismus vollständig den 
welssen Blutkörperchen zukommt. 

Sacquepee: Veränderlichkeit der Agglutinirbarkeit des 
Typhusbacillus. (Ibid.) 

Man kann im Wasser oder bei Typhuskranken selbst BacUlen 
finden, welche vollständig all’ die bekannten Charaktere des 
Typhusbacillus tragen, aber die Agglutinirbarkeit gar nicht oder 
nur in geringem Massse oder auch ln erhöhtem Grade besitzen. 
Letzteres kommt nur in mässlgem Grade und vorübergehend vor 
und Ist von wenig Bedeutung. Eretere Bacterien werden von S. 
eberthlfonne genannt, sie bilden sich im Reagensglas spontan ln 
authentische, leicht agglutinirbare Typhusbacillen um. Anderer¬ 
seits lässt siel) der typische E b e r t h’sche Bacillus, lange Zelt 
ln Berührung mit einem lmmunisirten Organismus gehalten, all¬ 
mählich immer weniger vom Serum agglutiniren und verhält sich 
schliesslich wie die sogen, eberthiformen. Dieses doppelte, gegen¬ 
teilige Experiment lässt schllessen, dass letztere eine Form des 
Typhusbaelllus repräsentiren, welcher durch langen Aufenthalt in 
einem infleirten oder lmmunisirten Organismus verändert, also 
nur eine Angewöhnungserecheinung Ist 

Pierre Marie: Ueber Substanzverluste durch Zersetzung 
im Gehirn und andere höhlenartige Zustände in demselben. 
(Revue de mödecine, April 1901.) 

M., seit mehreren Jahren Chef einer grossen Abtheilung alter 
Leute, wo Hemiplegie ein häufiges Ereigniss Ist, batte die Er¬ 
fahrung gemacht, dass dieselbe meistenteils nicht durch eine 
Gehirnblutung oder -Erweichung, sondern durch die sog. Lücken¬ 
bildung im Gehirn zu Stande kommt. Dieselbe zeigt sich in Form 
kleiner Höhlen mit mehr oder weniger unregelmässigen Kontouren, 
das Gehirngewebe scheint in diesem Umfang zerrissen und zer¬ 
stört. Es können eine oder auch mehrere, 8—10 und mehr solcher 
Defekte ln beiden Himhälften Vorkommen. Daneben sind meist 
die Ventrikel erweitert,, besteht Atrophie der grauen Kerne. Bel 
der Entstehung dieser Substanzverluste spielt nicht nur das Alter, 
sondern gleichzeitige Arteriosklerose eine grosse, wenn nicht die 
wichtigste Rolle. Unter 50 Fällen ferner, wo diese Defekte lm 
Gehirne nachgewiesen werden konnten, waren zudem 23 mal noch 
Blutungen oder Erweichung vorhanden. Das klinische Bild dieses 
Zustandes ist das der unvollständigen Hemiplegie (beiderseitig): 
keine Hemianaesthesie, keine Hemianopsie, keine völlige Aphasie, 
aber eine Art Dysarthrie und Dysphagie, die Psyche etwas, aber 
nicht sehr stark alterlrt Im Allgemeinen handelt es sich hier um 
das erste Stadium der pseudobulbären Paralyse. Das mittlere Alter 
der Betroffenen war 61 Jahre. Mehrere Scbiaganfälle mit 
wechselnden Intervallen sind das Charakteristische dieses patho¬ 
logischen Zustandes, Im Durchschnitt trat der Tod 4 Jahre nach 
dem ersten Anfall ein; In 7 Fällen jedoch erst nach 10—34 Jahren. 
Differentialdiagnostisch kommen für M. besonders ln Betracht die 
sog. siebartige Beschaffenheit des Gehirns (siehe Abbildungen) und 
der schwammartige Zustand desselben, welch’ letzterer zweifel¬ 
los nur Leichenerecheinung (Porose cerebrale) sei. 

Nlclot und Marotte: Die Angina und Stomatitis mit 
den fuaiformen Bacillen. (Vincent) (Ibid.) 

Vincent war der Erste, welcher (1896) in einer Studie über 
Hospitalbrand erklärte, dass er dieselben pathogenen Mikroorganis¬ 
men: flintenähnliche Spirillen und Bacterien bei gewissen Arten von 
Angina mit ulcerösem Typus gefunden habe. In vorliegender 
Arbeit, welche sämmtliche (60) über diese Affektion. erschienenen 
Publikationen ln Betracht zieht bringen die Verfasser auch auf 
Grund ihrer eigenen 16 Fälle eine genaue, mit reichen bacterio- 
logischen Untersuchungen gestützte Beschreibung dieses Hals- 
leldens. Das Praedllectlonsalter für dasselbe scheint die Jugend 
zu sein, besondere das männliche Geschlecht prädlsponirend wir¬ 
ken Tabaksgenuss, die Entwicklung des Weisheitszahnes, schlechte 
Zähne, Syphilis, merkurielle Stomatitis. Was die Angina be¬ 
trifft, so entwickelt sie sich unter geringem Fieber (höchstens 39 •), 
die funktionellen Störungen sind gering, weder Schmerz, noch wirk- 
Uche Dysphagie, höchstens Schluckbeschwerden sind vorhanden. 
Bei der Inspektion sieht die Affektion einem Schankergeschwür 
ähnlich, an einer oder beiden Mandeln oder auch tiefer sitzend. 
Der Speichelfluss ist meist vermehrt, die Drüsen geschwollen, 
schmerzhaft. Bei der Stomatitis ist ebenfalls erhöhter 
Speichelfluss vorhanden, Gefühl von Brennen im Munde und die 
Kauthätigkeit ist erschwert. Greift man nicht zur rechten Zeit 
ein, so werden die Zähne locker und die Ulceration geht von den 
Lippen auf die Wangen Uber, wo sie lange Zelt bestehen bleibt 
Recidive des Leidens sind häufig, der erste Ausbruch dauert 8—10. 
die späteren 14 Tage bis 3 Wochen. Die Prognose ist lm All¬ 
gemeinen eine gute, die Behandlung besteht in Gurgelung mit Bor¬ 
oder Saueretoffwasser, 2 mal tägUche Bepinselung mit Jodtinktur, 
auch innerlich KaL chloricum. Die Affektion hat oft so frappante 


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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHEIET. 


No. 30. 


Aehnllchkeit mit Syphilis und Diphtherie, dass nur die bacterio- 
logische Untersuchung alle Zweifel heben kann. Der Bacillus 
fusiformis ist ein im Centrum verdickter, an seinen Enden ver¬ 
dünnter Mikroorganismus von 10—12 p Lilnge, nach allen Metho¬ 
den, besonders aber mit Gentianaviolett, Fuchsin und Thlonin filrb- 
bar. Zu den Impf versuchen eignen sich Kaninchen und Meer¬ 
schweinchen; dieselben, deren Resultate, sowie die 10 von N. und 
M. beobachteten Fälle sind genau beschrieben (tabellarische Zu¬ 
sammenstellungen). Epidemiologisch ist noch wichtig zu kou- 
stntiren, dass die Affektion hauptsächlich in der Armee und im 
Kindesalter vorkommt 

Vaney - Lyon: Malaria und Moskitos. (Ibid.) 

Zusammenfassung der Forschungsergebnisse der letzten Jahr.», 
genane Beschreibung der für die Malariaübertragung wichtigsten 
Moskitoart, des Anopheles (claviger); Bemerkungen über die, aller¬ 
dings nur relative Immunität der Neger gegenüber der Malaria 
und über die Art der Chininwirkung. 

B u 8 q u e t: Intermittirende nervöse Störungen in Folge von 
Malaria. (Ibid., Mai 1901.) 

Dieselben, einen 28jährigeu Soldaten betreffend, sind be¬ 
sonders motorischer (Krämpfe, epileptische und Zitterbewegungen) 
Natur, späterhin auch Lähmungserscheinungen (Harn- und Stuhl¬ 
abgang unfreiwillig). B. glaubt, dass der Malariaparasit durch 
seine Anwesenheit in den kleinen Gefässeu von Gehirn und Rücken¬ 
mark, diese abnormen Störungen des Nervensystems hervorgerufen 
habe — im Blute des Patienten waren zahlreiche Plasmodien 
während der Anfälle gefunden worden. 

Dopt er: Eine Herpes zoster-Epidemie. (Ibid.) 

Die 3 Fälle, welche kurz hintereinander 3 im gleichen Zimmer 
lnstallirte Soldaten betraf, sind für D. die Bestätigung früherer 
Publikationen, wonach es sich beim Herpes zoster um eine reine 
Infektionskrankheit epidemisch kontagiöser Natur zuweilen han¬ 
deln kann. 

Sabourln: Vergleichende Studien über die Menschen- 
und Schweineleber. (Ibid.) 

S. hofft mit dieser vergleichend-anatomischen Arbeit, deren 
Einzelheiten nur vermittels der beigegebenen 34 Zeichnungen ver¬ 
ständlich sind, die Kenntnlss der intrahepatischen Circulation, über 
welche wir bis jetzt nur sehr mangelhaft unterrichtet seien, be¬ 
reichert zu haben. 

Marfan: Die chronische Nephritis im Kindesalter, An¬ 
wendung der Cryoskopie zu ihrem Studium. (Presse mßdicale 
1901, No. 34.) 

In den meisten Fällen von chronischer Nephritis im Kindes- 
nlter ist nach M. keine erkennbare Ursache vorhanden und dieselbe 
selten die Folge einer akuten Entzündung des Organs, hat viel¬ 
mehr meist von Beginn an den schleichend-chronischen Charakter. 
Gewöhnlich besteht reichlich Albuminurie, massige Polyurie, aus¬ 
gesprochene Blässe der Haut und mehr oder weniger ausge¬ 
sprochenes Anasarka. Definitive Heilung ist selten, der Verlauf 
ein sehr langwieriger, oft 10, 15, ja 24 Jahre sich hinausziehend. 
Die ausgeprägten Erscheinungen der Nephritis treten anfallsweise 
auf, bis in einem solchen Anfall der Tod sich einstellt, was aber 
selten schon in der Kindheit der Fall ist. Von den neueren 
Methoden nun, welche die Diagnose der Nephritis erleichtern 
können: Bestimmung der Ilarntoxicltät, die Methylenblauprobe und 
die Gefrierpunktsbestimmung ist nach M.’s Ansicht die letzte die 
für den praktischen Arzt geeignetste. 3 Serien von Experimenten, 
welche von B e r n a r d au den Kranken M a r f a n’s mit der 
Kryoskople ausgeführt wurden, sind näher beschrieben; die Resul- 


filtration, gefolgt von der Bildung Übrinösen Exsudats, Jene der 
Sehnenknoten nur diffuse Infiltration des Bindegewebes. Da« 
Myocard ist hochgradig entzündet und Sitz einer sehr inteusiven, 
diffusen Infiltration. Dieser histologische Befund zeigt eine be- 
merkenswerthe Uebereinstiinmung der Knötchen mit den Ver¬ 
änderungen am Herzen. Verfasser kommen daher zu dem prak¬ 
tisch wichtigen Schlüsse, dass man bei Kindern, welche im Ver¬ 
laufe eines Rheumatismus subkutane Kuotenbildungen zeigen, 
immer mit der Möglichkeit der Myocarditis und deren schlimmen 
Folgen rechnen muss. Was nun diese specielle Form des Rheuma¬ 
tismus betrifft, so scheint, dass sie die eigentlichen serösen Häute 
(Gelenke oder Pericard) nicht angreift, sondern sich auf Kosten 
des Bindegewebes (interstitielles des Myocards. der gestreiften 
Muskeln, perltendinöses Gewebe, Periost) lokalisirt; diese binde¬ 
gewebig-interstitielle wäre also der eigentlich serösen Form des 
Rheumatismus gegenüberzustelleu. Wegen der gleichzeitig vor¬ 
handenen Chorea wurden Gehirn- und Rückenmarkscentreu 
mikroskopisch untersucht nach Nlssl, aber im Gegensatz zu 
anderen Autoren (Dana, B a 1 z e r) gar nichts Abnormes ge¬ 
funden. 

It e y - Aachen: Pathogenese des Pavor nocturaus im Kindes¬ 
alter. (Ibid., Mai 1901.) 

Auf eine grosse Reihe von Erfahrungen gestützt, kommt Ver¬ 
fasser zu folgenden Schlüssen: 1. Das nächtliche Erschrecken 
und Angstgefühl entwickelt sich und wird immer verursacht durch 
Beilinderung der Athmung und des Blutkreislaufes, welche ent¬ 
weder direkten oder reflektorischen Ursprungs (adenoide Vegeta¬ 
tionen. einfache Rhinitis, andererseits Verdauungsstörungen) ist 
Bejde Arten sind nur die Folge einer langsamen und prolongirten 
Kohlensäurevergiftuug, wodurch auch all' die Begleitsymptome er¬ 
klärt sind. Eine Trennung von idiopathischem und sympto¬ 
matischen Pavor noctumus ist daher nach lt. nicht mehr angängig. 

H. Vegas und Dan. C ran w e 11 - Buenos Ayres: Die 
Hydatidencysten und Ihre Behandlung in Argentinien. (Revue 
de Chirurgie, April 1901.) 

In den städtischen Krankenhäusern von Buenos-Ayres war 
eine auffallende Zunahme der Fälle von Hydatidencyste zu kon- 
statiren: von 23 im Jahre 1890 auf 173 im Jahre 1898; diese Krank¬ 
heit ist jetzt besonders häufig in Argentinien und Uruguay, 
während sie in Mexico, Centralamerika, Brasilien und Chile un¬ 
bekannt oder sehr selten ist. Die ausgedehnten Viehwirthschaften 
(über 8 Millionen Hornvieh und 52 Millionen Schafe) 
und die beträchtliche Zahl von Hunden (zur Wache) sind an 
ersterem Zustande schuld, da nach veterinärärztlichem Be¬ 
richte 40 Proc. des Hornviehs, G0 Proc. der Schweine mit Echino- 
coccen behaftet sind. Die Mortalität, welche durch diese Cysten 
beim Menschen verursacht wird, beträgt 11 Proc.. beinahe alle 
Organe können davon ergriffen werden; die höchste Mortalität ent¬ 
spricht den multiplen Bauch- und Gehirncysten. Die beste Be¬ 
handlungsmethode ist die sog. Taschenbildung (Marsupialisation) 
mit Entleerung des Inhaltes und Drainage, die Heilung erfolgt 
damit langsamer, aber sicherer. Die Extraktion der Mutter¬ 
membran mit Naht und ohne Drainhge sei nur ein Ausnahme¬ 
verfahren bei Gehirn- und äusseren, stark adliaerenten Cysten. 

Lecöne: Ein neuer Fall von primärer Tuberkulose derv^ 
Parotis. (Ibid.) j\ 

Den 8 in der Literatur bekannten Fällen fügt L. einen weiteren v 
hinzu, welcher einen 29 jährigen Commis betraf; die Diagnose war 
nur durch die mikroskopische Untersuchung der exstirpirten Ge¬ 
schwulst möglich. Es erfolgte übrigens glatte Heilung. 


täte stimmen mit den durch die anderen Methoden gewonnenen 
überein. Was die Therapie des Leidens betrifft, so ist die Milch¬ 
diät auf längere Zeit nur selten, durcliznführen und können in 
mässigen Mengen Eier, frisches Fleisch, Geflügel, grünes Gemüse 
zugefügt werden, vorausgesetzt, dass die häufig wiederholte Urin- 
.Untersuchung keine Vermehrung des Eiweissgelialtes zeigt. Nimmt 
die Diurese ab, so kann man die Diuretica: Laktose und Theo¬ 
bromin anwenden. Digitalis soll für den Fall reservirt bleiben, dass 
ausgeprägte Herzschwäche eintritt; bei uraemisclien Erscheinungen 
ist Aderlass das beste Mittel. 

Dom. Sau ton: Ist die Lepra ansteckendP (Presse mödicale 
1901, No. 48.) 

Diese Frage wird vom Verfasser zwar in positivem Sinne be¬ 
antwortet, r.ber er kommt auf Grund seiner Nachforschungen doch 
zu dem Resu.inte, dass diese ansteckende Wirkung nur selten wirk¬ 
lich 8tattflndel und hygienische Maassnahmen, vor Allem Reinlich¬ 
keit, dieselbe völlig aufheben können. Unter den zahllosen Fällen 
von Lepra, welche S. durchstudirte, fand er nur 70 Beobachtungen 
wirklicher, direkter Uebertraguug. 

E. Weill und Galavardin - Lyon: Rheumatische 
Knotenbildungen an Periost und Sehnen mit histologischer 
Untersuchung; plötzlicher Tod durch akute interstitielle Myo¬ 
carditis. (Revue mensuellc des maladies de l’enfauce, April 1901.) 

Bei Kindern kommt es ziemlich häufig vor, dass die typische 
Lokalisation des Rheumatismus an den Gelenken fehlt und durch 
Aequivalente ersetzt ist, zu welchen besonders die Endocarditis, 
der Muskelrheumatismus, die subkutane Knotenbildung gehört. 
Der vorliegende Fall war ein derartiger: bei dem 7 jährigen Mäd¬ 
chen waren nebeneinander folgende Erscheinungen, ohne dass je¬ 
mals eine Gelenkaffektion bestanden hätte, aufgetreten: Muskel- 
rlieun atismus, eine Chorea mittlerer Schwere, Knotenbildungen 
aii den Sehnen der Extensoren und Flexoren der Hand, der Finger, 
am Periost der Malleolen und schliesslich eine Interstitielle Myo¬ 
carditis, die nach ca. V/, Monaten den Tod herbeiführte. Die histo¬ 
logische Untersuchung der Knoten am Periost zeigte leichte In¬ 


Le Fort-Lille: Experimenteller Beitrag zur Fraktur des 
Oberkiefers. (Revue de Chirurgie, Februar, März und April 1901.) 

Eine sorgfältige, mit zahlreichen Leichenversucheu gestützte 
Arbeit, welche den Beweis erbringt, dass die schweren Brüche der 
Gesichtsknochen ziemlich einfachen Gesetzen In ihrer Form unter¬ 
liegen, gemeinsame Ohnmktere nufweisen und auf eine kleine An¬ 
zahl wohl bestimmter Typen zurückgeführt werden können. Die 
Kenutniss der möglicher Welse vorkommenden Veränderungen 
wird in hohem Grade die genaue Diagnose der Frakturen erleich¬ 
tern, welche nach 1 e Fort nur zu oft unerkannt bleiben zum 
Schaden der Patienten und zuweilen des Chirurgen. 

Maurice Boureau: Beobachtungen über 1200 Chloroform¬ 
narkosen. (Revue de Chirurgie, Mai 1901.) 

B. ist, wie jetzt wohl alle Narkotiseure. Anhänger der Tropfen- 
n ethode. Er benützt niemals eine Maske, sondern ein zusammen- 
gelegtes Tuch (oder Kompresse), welches Anfangs einige Oentlmeter 
vom Gesicht entfernt gehalten und immer näher demselben ge¬ 
bracht wird; es werden immer nur 4—5 Tropfen aufgeträufelt. 
Im Allgemeinen tritt nach 8—10 Minuten mit 8—10 ccm die 
Anaesthesie ein, durchschnittlich sind 35—40 ccm für die erste 
und 25—30 oem für die zweite Stunde nöthig; besonders wenig 
Chloroform brauchen die mit Gehirntumoren oder anderen Gehim- 
erk rank ungen Behafteten, bei welchen eine Kranlotomie nöthig 
ist. B. glaubt, dass es für die Chloroformnarkose keine Kontra 
Indikation gibt: er habe sie bei Kindern im Alter von 3 Monaten, 
bei alten Leuten von 85 Jahren und bei äusserst Kachektischen 
angewandt, selbst die Schwangerschaft bildet keine Ausnahme, 
ebenso wenig wie Emphysem, Nieren- und selbst Herzkrankheiten, 
hoi welch’ letzteren das Chloroform besser ertragen werde als die 
Aer/.te im Allgemeinen glauben; es genüge, in solchen Fällen nur 
recht langsam und vorsichtig zu narkotisiren. 

Vincent-Lyon: Dauererfolge der Tarsoplasie mit dem 
Osteoclast bei hochgradigem Klumpfuss. (Ibid.) 

V. hat 204 Fälle mit dem von Robln-Moilift re erfun¬ 
denen und von Ihm selbst verbesserten Osteoclast behandelt un d 


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23. Juli 1901. 


MTTENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1225 


lrt mit den theilweise 8, 10 und 12 Jahre zurückdatirten Erfolgen 
sehr zufrieden: niemals folgte auf den Eingriff Knochen- oder 
(Jelcnksentzündung am Fusse; Funktion wie Form desselben ge¬ 
stalteten sich höchst vortheilhaft Wichtig ist, die Kinder nicht 
vor ly,—2 Jahren zu operlren, sie dann lange zu masslren und 
gut gearbeitete Stützapparate noch Jahre hindurch tragen zu 
lassen. Stern- München. 


Vereins- und Congressberichte. 

Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offlcielle8 Protokoll.) 

Sitzung vom 23. Februar 1901. 

Tagesordnung: 

Herr v. Mangoldt: Projektion von Röntgenbildern mit 
besonderer Berücksichtigung der Erkrankungen der Hüfte. 

(Schluss aus vor. Sitzung; s. No. 26.) 

Discusslon: Herr Hübner bespricht einen Fall begin¬ 
nender Synovialtuberkulose, der ihm von Herrn v. Mangoldt 
zugewiesen wurde und der unter Anwendung von Jodoformein¬ 
spritzungen innerhalb eines halben Jahres völlig ausheilte. Im 
Anschluss daran wird die Methode und Prognose der konservativen 
Behandlung ausführlich erörtert. So soll die Jodoformglycerin¬ 
emulsion en masse und unter starkem Druck ausgeführt werden, 
dabei soll die Stauungsbyperaemle in Anwendung gezogen werden. 
Durch einige Zahlen aus der Breslauer chirurgischen Klinik wird 
das illustrirt, die die sehr günstigen Erfolge der konservativen Be¬ 
handlung ergeben. 

Herr A. 8 c h a n z: Bel allen unschätzbaren Vortheilen, die uns 
die Röntgenphotographie für die Diagnose gibt, gibt sie uns auch 
zwei grosse Gefahren. Die erste ist die Versuchung, Zufälligkeiten 
in der Photographie, die bei den grossen Platten nie fehlen, als 
Zeichen pathologischer Veränderungen anzusprechen. Die zweite 
Gefahr ist die Falschdeutung auf der Photographie sichtbarer Ver¬ 
änderungen. Eine solche Falschdeutung scheint durch Herrn 
v. Mangoldt die auf manchen Photographien zu sehende Ver¬ 
kürzung und Verdickung des Schenkelhalses bei Coxitlkern er¬ 
fahren zu haben. Dieser Verkürzung und Verdickung liegt nicht 
eine ebensolche anatomische Veränderung zu Grunde; sie ist viel¬ 
mehr die Aendernng des Projektionsbildes, welche durch Aussen- 
rotatlon der Hüfte erzeugt wird. Auf den Photographien konnte 
das auch aus der Differenz des Schattens des kleinen Trochanter 
auf gesunder und kranker Seite erkannt werden. 

Herr v. Mangoldt: Herrn Hübner gestatte Ich mir zu 
erwidern, dass gerade darin der wesentliche Fortschritt besteht, 
daRS wir durch die Röntgenphotographie ln die Lage gesetzt sind, 
den Sitz der tuberkulösen Herde Im Knochen bestimmen zu können. 
Bei der Gelenktuberkulose sind aber die Kuochenherde die 
Hauptsache; gelingt es, diese zu entfernen, oder unschädlich 
zu machen, so hellt der Welchthellfungus, wovon ich mich oft 
genug überzeugt habe, im Laufe der Zeit von allein aus. Es er¬ 
scheint mir also logisch und konsequent, von dieser Erkenntniss 
ans geleitet nach dem Röntgenbild die einzelnen Knochenherdc 
zu bestimmen und sie durch Anbohrung mittels Bohrers für die 
Kanülenspitze und die Injektion von Jodoformglycerin zugängig 
zu machen. Ein zu starker Druck Ist bei der Injektion zu ver¬ 
melden wegen der Gefahr der Verschleppung des tuberkulösen 
Virus ln die Nachbarschaft und des eventuellen späteren Aus¬ 
bruches von Miliartuberkulose. 

Auf die Einwendungen von Herrn Schanz möchte Ich ent¬ 
gegnen, dass es bet einem Projektionsvortrag mit gegen 100 Bildern 
bei Darstellung der dlfflcilen, ausserordentlich schwierigen Ver¬ 
hältnisse von der Hüfte ganz natürlich ist, dass bei der Pro¬ 
jektion der Bilder, namentlich für den Fernersitzenden die feinen 
Details nicht so scharf zu Tage treten, wie auf der Orlglnalplatte 
ond den Abzügen derselben und dass man sich allerdings da in 
der Deutung der Anfangscoxitls leicht Irren kann, zumal wenn 
man, wie der Vortragende, bei der Demonstration seitlich von 
dem Bilde steht. 

Dass ein Schenkelhals mehr verdickt und verkürzt erscheint, 
wenn das Bein bei der Photographie verdreht war, und 
der Schenkelhals nicht mehr ln der Frontalebene stand, ist un¬ 
zweifelhaft Ich habe aber darauf hingewiesen, dass zur Fest¬ 
stellung der Diagnose einer Anfangscoxitls mehrere Symptome 
Zusammenkommen müssen, um diese zu sichern, und möchte hier 
noch einmal betonen, dass auch leb diese Diagnose nur dann für 
einwandsfrei halte, wenn sich neben der Verdickung und Ver¬ 
kürzung des Schenkelhalses gleichzeitig eine grössere Durchlässig¬ 
keit des Kopfes für die Röntgenstrahien, eine Verbreiterung der 
Msrkhöhle und eine Verdünnung der Cortiealis im Scbenkelschaft 
findet. Wo solche Verhältnisse nebeneinander bestehen, kann es 
keinem Zweifel unterliegen, dass ein Krankheitsproeess vorliest, 
•Ir r eben den Träger an dem normalen Gebraucli und der normahm 
Belastung des betreffenden Beines behinderte, und dass diese Er¬ 
krankung die Ursache zu diesen Knochenverüuderungen abge¬ 
sehen bat 

Hinsichtlich des zweiten Punktes, dass gutsitzende Gell 
•pparate bei der Behandlung der Ooxltis von Vornherein in An¬ 
wendung gezogen, die Kinder vor dem Bettalechthum schützen und 


dass die Kinder dnriü auch besser ausheilen, muss leb erklären.- 
dass ich darin Herrn Schanz nicht beistimmen kann, insofern 
eben gerade l>ei zu früh angewandten Gehapparaten der Zustand 
der Coxitls sich häufig verschlechtert und wir aus diesem Grund- 
wiederholt bei Kindern, denen wir gleich vom Anfang an die 
Gehapparate gegeben hatten, gezwungen waren, wieder auf die 
grössere Ruhigstellung des Gelenkes Im Gipsverband oder iin Lage- 
rungsapparat zurückzukommen. 

Der Ihnen von mir vorgeführte Lagerungsapparat soll Ja ge¬ 
rade das Bettslechtlium vermeiden, indem er einen bequemen 
Transport der Kinder ln der frischen Luft, das Hineinsetzen im 
federnden gut gepolsterten Wagen, Bäder gestattet unter Beibe¬ 
haltung des Prinzips der grösstmögliehsten Uuhigstellung des Ge¬ 
lenkes bis zum Ablauf der akuten Erscheinungen, wie ich dies in 
meinem Vortrag besprochen habe. Diese Sicherheit gewähren aber 
selbst die bestsitzenden Gehapparate nicht, indem die Ruhigstelluug 
des Gelenkes Immerhin nur eine ungenügende Ist 

Herr v. Mangoldt berichtet 

a) über zwei von ihm ln letzter Zelt ausgeführte ausgedehnte 
Magenresektionen wegen Carcinom. lind demonstiirt die zuge¬ 
hörenden Präparate. 

In dem ersten Fall handelte es sich um einen JO jährigen 
Arbeiter, der seit einem Jahre Magenbesch werden hatte und im 
Zustand höchster Entkräftung wegen eines ausgedehnten Carcinom 
dos PylortiB mit hochgradiger Stenose desselben Im November v. Js. 
mittels Resektion der Geschwulst und Exstirpation der Zu- 
gehörenden bereits inflzirten Lymphdrüseu im grossen und kleinen 
Netz und ln der Winkelknickung des Duodenums behandelt 
wurde. Der Kranke, der bei seiner Aufnahme IM Pfand wog. 
nahm ln der ersten Zeit nach der Operation noch um 10 Pfund ab, 
erholte sich dann rasch und wiegt heute, y 4 Jahr nach der Ope¬ 
ration, 133 Pfund, hat also 49 Pfund an Körpergewicht zugo- 
nommen. (Vorstellung des Kranken.) 

In dem zweiten Falle handelte es sich um eine 54 jährige Frau 
mit ausgedehntestem Carcinom der vorderen und hinteren Magen¬ 
wand ohne Pylorusstenose und ohne anscheinende Drüseninfektion. 
Bel dieser Kranken wurde Anfang Januar d. Js. der Magen zu 
circa % entfernt Auch diese Frau genas. Ihr Körpergewicht 
betrug vor der Operation 93,5 Pfund, sank dann auf 87 Pfund und 
beträgt zur Zeit 98 Pfund. 

Beide Fälle legen uns von Neuem die Frage vor, ob wir 
selbst in so vorgeschrittenen Fällen nicht besser thäten, die Magen- 
resektion zu machen au Stelle der in solchen Fällen zumeist ge¬ 
übten Gastroenterostomie. 

b) Vortragender demonstrirt sodann seinen neuen Lagerungs¬ 
apparat für RückgTatsverkrümmungen, der auf dem Prinzip be¬ 
ruht der langsamen Redie^sion der verkrümmten Wirbelsäule durch 
Extension des Körpers auf einer vorstellbaren schiefen Ebene in 
Verbindung mit einer Druckkraft von unten gegen die Wirbel¬ 
säulenverkrümmung. Zu letzterem • Behufe werdeu unter das 
Lagerungskissen des Körpers auch Rollen oder Holzstücke in 
Form von verschieden hohen und breiten Cylindersegmenten unter¬ 
geschoben. Um einen guten Erfolg zu erzielen, ist vorsichtige 
Dosirung der angewandten Kräfte, sorgfältigste Hautpflege, um 
Druckstellen zu vermeiden. Voraussetzung. 

Dieser Lagerungsapparat hat sich ihm bewährt bei rachiti¬ 
schen Verkrümmungen der Wirbelsäule kleiner Kinder, bei frischer 
Spondylitis, sowie als Lagerungsstütto für Skoliotlsche während 
der Nacht. Im letzten Falle muss durch Unterschieben von koni¬ 
schen Stützen unter das Lagerungskissen diesem die entgegenge¬ 
setzte Fliichenkrtimmung der vorhandenen Skoliose gegeben 
werden. 

Discusslon: Herr A. Schanz: Dem Lagerungsapparat des 
Herrn v. Mangoldt gdfcenüber bietet das korrigirende Gipsbett 
wesentliche Vorthelle, besonders ist. der Patient im Gipsbett viel 
sicherer zu flxiren, die erstrebten Druck Wirkungen treffen stets den 
gewollten Punkt. Bel Möglichkeit von Bewegungen im Apparat 
kommt die Gefahr der Druckwirkung auf falsche Orte. Das Gips¬ 
bett Ist billig herznstellen, der Patient leicht darin zu transportiren. 

Herr v. Mangoldt: Auch in diesem Punkt bedauero 
ich. Herrn Schanz nicht beistimmen zu können. Es 
ist zwar richtig, dass GIpsl>etten genau nach der Körperform ge¬ 
arbeitet, dem Körper genauer anllogen werden, als dies mein 
Lagerungsapparat thut. Aber. m. H.. Gipsbetten sind nur in den 
Kliniken zu machen, ihre Herstellung erfordert ausserordentliche 
Hebung, .ihre Haltbarkeit ist begrenzt, ihr Gewicht ist schwer. 
Ihre redresslrende Kraft nicht zu vergleichen mit der zu doslrenden 
redresslrenden lebenden Kraft meines Lagerungsapparates. Ge¬ 
rade dieser Lagerungsapparat ist i»estimmt zum Gebrauch für den 
praktischen Arzt, da die betreffenden Kinder bei Ihrem chronischen 
Leiden nicht immer ln Kliniken verpflegt und behandelt werden 
können. Die Kinder liegen nach meiner Erfahrung gern auf diesem 
Apparate, und die Eltern haben mir wiederholt versichert, dass 
sie nach dieser Lagerstätte zurückverlangten, wenn sie daraus ge-, 
nommen wurden. 

Der Einwand, dass sich die Kinder auf dem Lagerungsapparat 
nach Belieben herumdrehen können. Ist hinfällig, dem; dann werden 
sie durch den Befestigungsgurt über Brust. Becken, Beine ge¬ 
hindert, auch könnte man nöthigen Falles die Kinder wie beim 
Gipsbett mittels Binden auf dem Lagerungsapparat flxiren. Ich 
h^be dies aber bisher nie erlebt und nicht nöthig gehabt. I»le 
redressirende Kraft des Apparates ist sehr beaciitenswerth. sie 
hat nach 8—4 wöchentlicher Anwendung bereits ln einigen Fällen- 
eine wesentliche Körperverlängerung durch Abflachung dee Buckels 


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1226 MUENCJHENER MEDIOINI8CHE WOOHENSCHRIFT. No. 


und Streckung der Wirbelsäule zur Folge gehabt Ich glaube, dass 
der Ihnen vorgefübrte Lagerungsapparat das leistet was man von 
Ihm erwarten kann, das heisst bei frischer Spondylitis: Verhütung 
eines erheblichen Buckels, bei bereits bestehendem, noch nicht zu 
festem Buckel: langsame Besserung desselben, bei rachitischen 
Curvaturen der Wirbelsäule kleiner Kinder: Aüsheilung, wenn 
gleichzeitig eine zweckmässige antirachitische Behandlung einge¬ 
leitet wird, bei frischen Skoliosen Besserung, wenn er neben der 
übrigen Behandlung gegen Skoliose des Nachts als Lagerungs¬ 
apparat angewandt wird. 

Herr Paul Seifert: lieber nervöse Unfallerkrankungen, 
deren Symptomatologie, Untersuchung und Beurtheilung (mit 
Krankenvorstellung). 

Vortragender entwirft zunächst eine allgemeine Skizze des 
Krankheitsbildes bei Unfallneurosen und bespricht dann in aus¬ 
führlicher Weise mit Zugrundelegung eigener Beobachtungen 
die einzelnen Krankheitssymptome, die psychischen Anomalien, 
die Schwindel- und Krampfzustände, die verschiedenen mo¬ 
torischen Reizzustände, die Störungen der Sensibilität und 
Sinnesfunktionen, die krankhaften Erscheinungen von Seiten 
des Herzens und der Gefässe, insbesondere bei Arterio¬ 
sklerose. — Darauf geht er auf die Untersuchungsmethoden 
und gutachtlichen Beurtheilungen derartiger Unfallkranker 
näher ein mit besonderer Berücksichtigung der Simulations¬ 
frage, der sogenannten „Begehrungsvorstellungen“, des Abschätz¬ 
ungsverfahrens der Arbeitsfähigkeit etc. 

Er bespricht ferner die Prophylaxe der Unfallneurosen 
durch geeignete psychische Behandlung, den besonders wichtigen 
Einfluss der Arbeit und die Nothwendigkeit einzurichtender 
A rbei temach weise. 

Im Anschluss berichtet Vortragender über einen bemerkens- 
werthen Fall von schwerer Unfallhysterie. 

Ein 28 jähriger Markthelfer, hereditär nicht belastet, auch 
nicht luetisch oder Alkoholist, erlitt am 5. Dezember 1892 dadurch 
einen Unfall, dass er auf abschüssiger Strasse zum Fallen kam 
und ein mittelschwerer Handwagen über ihn wegfuhr. Patient 
war kurze Zelt bewusstlos und weiss vom Unfall nur soviel, dass 
er auf den Hinterkopf und die linke Schulter gefallen sei. Der 
Verletzte war wochenlang bettlägerig, klagte hauptsächlich über 
Schmerzen im Hinterkopf und der ganzen linken Körperseite, 
zeigt melancholisch-hypochondrische Verstimmung und allgemeine 
Körperschwäche. 

4 Monate nach dem Unfall tritt plötzlich ein hysterischer 
Dämmerzustand ein; Patient ist dabei stundenlang bewusstlos, 
vollständig reactlonslos, did Augen sind starr, ohne Reflex, 
geschlossen. Von Zeit zu Zeit werden die Augenlider 
erhoben, er erkennt die Umgebung und vorgehaltene Gegen¬ 
stände; aber nur mit dem rechten Auge. Die Haut am 
ganzen Körper, ausser am Kopf, Ist völlig anaesthetisch 
und analgetisch. Dieser Zustand dauert 2 Tage an. Der Kranke 
erholt sich im Allgemeinen wieder, aber es war dazugetreten: 

1. Eitle vollständige hysterische Amaurose des linken 
Auges. Hell und dunkel, vorgehaltene Finger sind nicht zu unter¬ 
scheiden, Pupillenreaktion auf Licht normal, Augenhintergrund 
normal (Augenarzt Dr. G. Becker). 

2. Eine scharf abgegrenzte linksseitige Hemianaesthesie und 
Analgesie der Haut und Schleimhäute. 

3. Eine sensorielle Hemlanaesthesle - des Gehörs, Geschmacks 
und Geruchs linkerseits. 

4. Eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung auf dem 
rechten Auge. 

Dieser Symptomenkomplex ist bis heute, 
also 8 Jahre, dauernd bestehen geblieben. 

2 Jahre nach dem Unfall erfolgte im Anschluss an eine leichte 
Mandelentzündung wiederum ein schwerer hysteroepileptischer An¬ 
fall mit nachfolgendem hysterischen Mutismus. Völlige Sprach¬ 
losigkeit bei voller geistiger Klarheit. Nach 2 Tagen plötz¬ 
liche Wiederkehr der ganz normalen Sprache. 

4 Jahre nach dem Unfall: Erneuter, einige Stunden dauernder 
Anfall mit nachfolgender totaler beiderseitiger Taubheit 
und Stummheit Die Taubheit dauert 19 Tage, die Stummheit 
73 Tage. 

Kurze Zeit darauf nach einem Anfall plötzliche heftige 
Schmerzen in der Magengegend und Erbrechen von 2 Esslöffel 
dunkelrothen Blutes (hysterisches Blutbrechen). 

6 Jahre nach dem Unfall: Hysterische Lähmung des linken 
Armes. Allmähliche Besserung derselben. 

Dieser Fall beweist, welch’ schweres hysterisches Krankheits¬ 
bild sich manchmal nach einem verhältnissmässig geringen Un¬ 
fall und zwar erst nach Monaten entwickeln kann und wie hart¬ 
näckig und jeder Behandlung unzugänglich die einzelnen hyste¬ 
rischen Symptome sein können. 

Ausserdem demonstrirt Vortragender einen Kranken mit 
hysterischer Monoplegie des linken Arms nach Unfall. 

In diesem Falle handelt es sich um einen bisher gesunden, 
85 jährigen Kranken, welcher am 4. Februar 1899 dadurch einen 
Unfall erlitt dass er sich durch Fall auf einer Treppe eine Kon¬ 


tusion der linken Schulter und des Kopfes zuzog Keine Bewusst¬ 
losigkeit, keine äussere Verletzung. Darauf mässige Schwellung 
des linken Schultergelenks und längere Zeit Schmerzen bei jeder 
Armbewegung. Nach Ablauf dieser Entzündungserscheinungen 
tritt allmählich eine motorische Lähmung des ganzen linken Arms 
ein. Dass es sich dabei um eine hysterische Monoplegie handelt, 
beweist deutlich der sdit einem Jahre unverändert bestehende Be¬ 
fund, welchen Vortragender demonstrirt: 

Der linke Arm hängt wie ein lebloser Körper schlaff herab, 
ohne jede Muskelspannung. Passive Bewegungen sind ln allen 
Gelenken gut ausführbar. Von aktiven Bewegungen Sind zur Zeit 
nur möglich: ein geringes Beugen im Ellbogengelenk, ein Beugen 
der Hand Im Handgelenk um 90° und Strecken derselben, ein 
Beugen der Finger bis zur geballten Faust; ein Spreizen und 
Schliessen der Finger. Händedruck links bedeutend abgeechwächt 
(30° Dynamometer). 

Im Uebrlgen vollständige Unfähigkeit, den Arm zu heben und 
zu bewegen. 

Berührungen der Haut des linken Arms mit dem Finger, 
kalten Gegenständen, der Nadel werden durchgehende als abge¬ 
stumpft, gegen rechts, empfunden, deutlicher ausgeprägt ist die 
Gefühlsstörung im Bereich der Hand und des Unterarms bis 10 cm 
oberhalb des Handgelenkes; wo sie manschettenförmig abzu¬ 
grenzen ist Der Nervenplexus am Hals und die Nerveu am linken 
Arm sind auf Druck nicht empfindlich oder entzündlich verändert, 
ebenso wenig die Musculatur des Arms. Keine Spur von Muskel¬ 
schwund am ganzen Arm nachweisbar. Umfang in verschiedenen 
Höhen des Ober- und Unterarms beiderseits gleich. Die elektrische 
Prüfung ergibt faradlsch und galvanisch keinerlei Abweichungen 
der Erregbarkeit der Nerven und Muskeln des linken Arms von 
der Norm. Keine Spur von Entartungsreaktion. 

Discusslon: Herr Putzer: Gestatten Sie mir nur 
als praktischem Arzt, dem Herrn Vortragenden meinen Dank und 
meine volle Uebereinstimmung mit seinen so -wichtigen und inter¬ 
essanten Ausführungen zum Ausdruck bringen zu dürfen. Auch 
mich bat die Erfahrung gelehrt, dass es bei der heute wohl all¬ 
gemein gütigen Auffassung der traumatischen Neurose als einer 
funktionellen Störung, welche durch einen physischen und psychi¬ 
schen Schock hervorgerufen wird und das Centralorgan unseres 
Nervensystems direct oder indirect trifft, oft nicht und nur um 
funktionelle Zustände als solche, sondern um moleculare und 
feinste Veränderungen Im Centralnervensystem dabei handeln 
dürfte. Dafür sprechen u. A. die von dem Herrn Vortragenden be¬ 
sprochenen. objectiven Krankheitserscheinungen, denen Ich noch 
aus eigener Erfahrung folgende hinzufügen möchte und zwar: 
1. die Pupillendifferenz, 2. eine Verbreiterung der Vena centralis 
Retinae, Ja selbst Netzhautblutungen (Retinitis haemorrhaglca), 
3. transitorischen Diabetes u. a. objective Erscheinungen mehr. 
Ich möchte mir daher gestatten, stets daran zu erinnern, auch bei 
anscheinend negativem Befund, Jedoch bei Anwesenheit der meist 
immer konstatirten intensiven Kopfschmerzen, Schwindel, Flim¬ 
mern vor den Augen und Congestlvsymptomen den Augenhinter¬ 
grund mit Hilfe des Augenspiegels zu untersuchen. Ich glaube 
dem Herrn Vortragenden auch darin beistimmen zu müssen, dass 
gerade die angeborene oder erworbene Individuelle Prädisposition 
durch Alkohol, Atheromatose, Lues u. a. Schädlichkeiten dazu bei¬ 
tragen kann, selbst die feinsten Veränderungen der Gefässe und 
Nerven herbeizuführen. Schmaus hat experimentell bereits 
beobachtet, dass Erschütterungen des Rückenmarks, ohne gröbere 
anatomische Laesion des Organs, ein Absterben der Nervenfasern 
mit Quellung und Degeneration des 'Achsencylindere herbeiführen 
kann. Auch an einigen Beobachtungen fehlt es nicht, welche be¬ 
wiesen, dass eine Erkrankung und Veränderung der feinsten Hini- 
gefässe, besondere bei gleichzeitigem Alkohclismus oder Athero¬ 
matose bei der traumatischen Neurose Vorkommen kann. Ich 
möchte daher den Umstand, dass vielleicht unsere heutigen Hilfs¬ 
mittel der Untersuchung noch nicht ausreichen, auch dem betr. 
beschädigten Kranken beitreten und behaupten, dass die Sorgen 
um die künftige Existenz, die langwierige Unsicherheit bezüglich 
der Höhe der Entschädigung u. a. m. ungemein ungünstig auf den 
Gemtith8zustand des Betreffenden wirken und selbst eine ent¬ 
sprechende Entschädigung durch die höchste Rente noch kein 
genügendes Aequlvalent für den Verlust des täglichen Verdienstes 
sein dürfte. Betreffs der Therapie möchte ich nur betonen, dass 
ich bedaure, wenig oder nichts darüber gehört zu haben und dass 
es mir wichtig genug gerade der sogenannten Naturheilraethode 
gegenüber erscheint, dass wir praktischen Aerzte uns der An¬ 
wendung der Hydrotherapie bei traumatischer Neurose mit beson¬ 
derem Erfolge bedienen und dass diese ebenso wie die aktive und 
passive Gymnastik, neben den Nägel l’schen mechanischen Hand¬ 
griffen, wesentlich zur Heilung der genannten Erkrankung bei¬ 
trügt! 

Herr F. Schanz möchte die Angaben des Vorredners nicht 
unwidersprochen lassen, dass er bei traumatischer Hysterie Er¬ 
weiterung der Netzhautvenen und Blutungen ln der Netzhaut ge¬ 
funden habe, das Auge sei später erblindet. Derartige Befunde 
würden direct gegen traumatische Hysterie sprechen, bei der sich 
keine Veränderungen im Augenhintergrund finden. 

Herr Ganser weist darauf hin, dass die Simulation von trau¬ 
matischer Neurose nichts Häufiges sei; man muss den subjectivea 
Beschwerden der Kranken besondere Aufmerksamkeit schenken, 
besondere bei den Klagen über Kopfschmerzen. Bezüglich des 
Zeitpunktes, wann soll der Erkrankte die oder wenigstens eine 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1227 


23. Juli 1901. 


leichte Arbeit wieder aufnehmen, soll man sehr wohl erwägen, 
dass oft gut ernährte und scheinbar leicht erkrankte Patienten 
trotzdem eben wegen ihres gesunkenen Willens zur Arbeit patho¬ 
logischer Weise keinen Antrieb hal>eu. Für solche Kranke ist 
eine Anstaltsbehandlung besonderer Art nothweudlg. 

Herr Paul Seifert betont, dass für die theilweise Arbeits¬ 
fähigen zweifellos die allmähliche Gewöhnung an die Arbeit der 
wichtigste Ueilfaktor sei und dass es die hauptsächlichste Auf¬ 
gabe des Arztes sei, durch Aufbietuug seines ganzen psychischen 
Einflusses den Kranken zur Wiederaufnahme der Arbeit zu be¬ 
wegen. Durch ruhiges Zureden, durch Stärkung des Selbstver¬ 
trauens. durch ernste Ermahnung Hesse sich oft viel erreichen. 

Andererseits müsse aber auch, womöglich durch Gesetz, für 
geeignete Arbeitsgelegenheit gesorgt werden. 


Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 4. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr C. Lauenstein. 

Schriftführer: Herr H a f f n e r. 

I. Demonstrationen : 

1. Herr C. Lauenstein: 36jähr. Manu mit Lymphpenis. 
Der Herr hatte 1887 Gonorrhoe, 1892 wurde ihm im Kölner Bürger¬ 
spital, nachdem Anfangs von anderer Seite eine bestehende Leisten¬ 
drüsenschwellung als auf Syphilis beruhend angenommen war, 
beiderseits eine Operation in der Leiste gemacht, von der tiefe 
Narben zurückgeblieben sind. Die Schwellung des Penis begann 
unmittelbar nach der Operation und hat kontinuirlich zugenommen. 
Sie betrifft die Schafthaut und das Praeputium; an der r. Seite ist 
sie geringer wie an der 1. Seite und in Folge dessen siebt der Penis 
so aus, als ob er schraubenzieherartig von links nach rechts ge¬ 
wunden wäre. Ein intermittirender Abfluss von Lymphe besteht 
nicht, aber es bestehen an der 1. Seite des Penisschaftes zahlreiche 
warzenartige, höckerige Protuberanzen, die wohl als Hypoplasie 
de-* Cutispapillen In Folge von Lymphstauung aufzufasseu sind. 
Die Glans ist nicht geschwollen. L. hält in diesem Fall die Affek¬ 
tion für ursächlich bedingt durch die Unterbrechung des Lymph- 
abflusses nach der Leiste hin und will ganz in der gleichen Weise, 
wie er dies früher In einem Falle von Lymphskrotum und Lymph¬ 
penis mit ermunterndem Erfolge gethan hat, die geschwollenen 
Partien durch neu gebildete feine Kanäle mit dem Lympligefäss- 
geblete der Bauchhant in Verbindung setzen. 

Herr H a f f n e r zeigt Präparate von einem 45 jähr. wegen 
Totalquerläsion des Bückenmarks nach Fraktur im 12. Brust¬ 
wirbel (Paraplegia inferior, Incontinentia alvi et urinae) im Hafen¬ 
krankenhaus behandelten und dortselbst nach 1 jährigem Kranken¬ 
lager verstorbenen Schauermann: a) Blase, Ureteren, 
Nieren, deren Schleimhaut sich im Zustande diphtberitiseber 
Entzündung befindet. In dom erweiterten Nierenbecken liegen, 
von stinkendem Elter umspült, zahlreiche bis erbsengrosse Trippel- 
Phosphat-Concremente, die auch in vivo nach >/» jähriger Dauer 
des Krankenlagers radiographisch nachgewiesen waren. Diese 
Fülle von Bückenmarksverletzung mit Betentio, später Inconti¬ 
nentia urinae, böten, wenn die Patienten wie im vorliegenden Falle 
lange genug lebten, die günstigste Gelegenheit, die Entwicklung der 
aufsteigenden Pyelitis mit Concremcntbildung au der Hand der 
Urinuntersuchung, der Kurve und Böntgenphotographie zu ver¬ 
folgen. b) Die Arterien der unteren Extremität, die 
in starre Böhren verwandelt sind, während das ganze übrige 
Arteriensystem vollkommen frei ist. Die Grenze befindet sich an 
beiden Femoralarterien ziemlich in gleicher Höhe, einige Centi- 
meter unterhalb des Abganges der Profunda. Da die Aufhebung 
der Sensibilität ihre Grenze ungefähr in der gleichen Höhe hat, 
glaubt der Vortr. ln Analogie mit anderen trophischen Störungen 
auch für die Gefiisserkrankung, die er als Arteriosklerose an- 
spricht, einen directen ursächlichen Zusammenhang mit der Rücken¬ 
marksverletzung annehmen zu dürfen. 

Discussion: Herr Simmouds: Das Vorkommen von 
Nierensteinen bei Individuen, welche eine Wirbelsäulenfraktur 
lange überleben, ist ein recht häufiges und ich habe die Concre- 
mente bei den Sektionen regelmässig angetroffen, wenn mehrere 
Monate oder längere Zelt verflossen waren. In manchen Fällen 
traf Ich mächtige, verzweigte Phosphatsteine, die das ganze Nieren¬ 
becken ausfüllten und in alle Kelche Fortsätze ausschickten. 

Herr E. Fränkel hält nach Besichtigung der Präparate 
die Gefässerkrankung an den unteren Extremitäten für eine mit 
KnJknblagerung einhergehende Erkrankung der Media, die mit 
Atheromatose nichts zu thun habe. Die Intima sei vollständig 
glatt. Er habe derartige Fälle, wo mit Vorliebe die Feinoral- 
arterien befallen waren, mehrfach gesehen. Von der Kücken¬ 
marksverletzung sei die Gefässerkrankung unabhängig. 

Ferner betheiligen sich au der Discussion, die sich im Weiteren 
um die Frage nach dem Zusammenbang von Kückeumarksver- 
letzung, Cystitis und Pyelitis dreht, die Herren Lauenstein, 
K d 1 e f 8 e n und Wiesinger. 

3. Herr E. Fränkel zeigt im Anschluss an die Demon¬ 
stration des Herrn Simmouds ln der vorigen Sitzung 4 Prä¬ 
parate von Stenose nach Tracheotomie. Nur iu einem einzigen 
Falle hat er eine Granulationsgeschwulst als Ursache geseheu. 

4. Herr S c h 1 e 1 p berichtet über eiuen Fall von Melaena 
neonatorum. 

Ein 7 l /z Monate alter Foetus musste wegen Asphyxie rasch 
nach der durch Wendung erfolgten Geburt abgenabelt werden. 


24 Stunden darauf trat Blutung aus dem Munde auf, die nach 
8 Stunden zum Exitus führte. Sektionsbefuud: Abuorm weites 
Offenbleiben des Ductus Botaili, Atclectase beider Lungen mit 
Ausnahme der vorderen Lungenränder, Blutausammlung im Magen 
und Darm. Auf der Magenschleimhaut ca. 40 kleinste Erosionen, 
von denen 2 stecknadelkopfgross waren und tiefer gingen. Nabel¬ 
vene frei von Throniben. 

Discussion: Herr Slmmonds: Die Melaena neona¬ 
torum — in diese Gruppe gehört der vorgestellte Fall — ist ein 
Symptomenkomplex, der sehr verschiedenen Ursachen seinen Ur¬ 
sprung verdanken kann. Am häufigsten zwar handelt es sich, wie 
in dem vorgestellten Fall, um Erosionen der Mageuduodenal- 
Schleimhaut, es kommen aber auch andere Ursachen vor. In 
einem derartigen Falle traf ich eine angeborene Atresie 
des Duodenum au der Papille mit enormer Ektasie von Duo¬ 
denum und Magen; da mag das Erbrechen die Blutung unterhalten 
haben, ln einem zweiten Falle fand ich eiuen schweren Herz¬ 
fehler eiuen vollständigen Defekt des Septum; dort lagen 
also schwere Circulationsstörungeu vor. Kurzum die Aetiologie 
der Melaena ist keine einheitliche. 

Herr K a w k a berichtet über einen von ihm beobachteten Fall 
von Melaena neonatorum. 

II. Discussion zu dem Vortrag des Herrn Edlef- 
sen: Zur Aetiologie der Rachitis. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 28. J a n u a r 1901. 

Vorsitzender: Herr Bardenheuer. 

Schriftführer: Herr F. C a h e n. 

Herr D r e y e r stellt einen Patienten mit welchen Schankern 
der Harnröhre vor. 

Vor etwa 3 Jahren hat Herr Kollege Max Müller hier die 
Präparate Ducrey’scher Bacillen gezeigt die er aus Urethral¬ 
sekret gewonneu hatte. Ich bin heute iu der gleichen Lage und 
zeige Ihnen gleichzeitig die Uretbralschauker, die so nahe am 
Oriflcium extemum uretlirae sitzen, dass man beim Auseinander¬ 
ziehen der Lippen desselben einen Theil der Schanker sehen kann. 
4 Tage nach einem Beischlaf begann bei diesem Patienten sich 
Ausfluss aus der Harnröhre mit Schmerzen beim Uriulreu ein- 
zustellen, so dass Patient der vor einigen Jahren einmal an einer 
Gonorrhoe gelitten hat, glaubte, wieder eine solche erworben zu 
haben. Ich fand indess In dem serösen Sekret keine Gonococcen. 
Beim Versuch der Uretliroskopie fiel ich, so zu sagen, auf ein Ge¬ 
schwür, das einige Millimeter vom Oriflcium entfernt an der linken 
Urethralwand sass. Dasselbe hatte Bohnengrösse und zeigte, nach¬ 
dem man den Eiter entfernt hatte, feine, frischrothe Granulationen, 
einen etwas gef ranzten, leicht überstellenden Rand und hatte also 
das typische Aussehen eines Ulcus molle. Iu beideu Leisten waren 
liaselmissgrosse, leicht druckempfindliche Drüsen vorhanden. Seit 
vorgestern hat sich nunmehr auch auf der rechten Urethralwand 
ein gleiches Ulcus, eiu Abklatsch des ersten, entwickelt, und die 
Drüsen in der rechten Leiste sind beträchtlicher geschwollen und 
stärker druckempfindlich. Für die Differentialdiagnose kommen 
hauptsächlich der Mangel an Gonococcen, fernerhin die vom Pat. 
genau lokalisirte Schmerzhaftigkeit während des Urinirens, die 
schon Anfangs bei noch geringer Sekretion vorhandene leicht oede- 
matöse Beschaffenheit der Urethrallippen ohne jede Schwellung der 
Glans, die gegenüber dem Verhalten bei Gonorrhoe ausgeprägtere 
Schmerzhaftigkeit der Lymphdrtiseu, die wässerig-seröse Be¬ 
schaffenheit des Sekretes und mikroskopisch auch der nicht sehr 
reichliche Eiterzellengelialt in Betracht. Die schonende Anwen¬ 
dung des Urethroskops ist unbedenklich und nicht zu unterlassen. 
Den Ducrey’schen morphologisch ähnliche Bacillen kommen 
zweifellos in der Harnröhre auch sonst vor. Ihr Aufflnden ist 
desshalb ohne Kultur, die neuerdings Bezangon, Griffou 
und Le Sourd auf Gelatine und Kaninchenblut- 
serum wieder gelungen ist. nicht ausschlaggebend für die Dia¬ 
gnose. Zur Heilung dienen Jodoformstäbchen. 

Herr Keller: Neuere pathologisch-anatomische Unter¬ 
suchungen bei der sogen. Mittelohrsklerose. 

Bei einer grösseren Zahl von Fällen sogen, chronischen 
trockenen Mittelohrkatarrhs findet sich als einziger makroskopi¬ 
scher Befund eine knöcherne Ankylose zwischen Stapes und 
ovalem Fenster. Bisher glaubte man, einen chronischen periosti- 
tischen Process als Ursache jener Veränderung annehmen zu 
müssen, neuere Untersuchungen von Politzer, Bezold, 
besonders aber von Sieben in ann - Basel haben dagegen dar- 
gethan, dass es sich hierbei um völlig andere Vorgänge handelt, 
deren Wesen in der Umwandlung der kompakten knöchernen 
Labyrinthknpsel in spongiösen Knochen besteht, wobei das Periost 
selbst nicht betheiligt ist. Dieser Process ist nicht auf den 
Rahmen dos ovalen Fensters beschränkt, wenngleich dies dir 
Priidilcctionsstelle ist, findet sich vielmehr häufig in kleineren 
cireumscripten Herden über die ganze Labyrinthkapsel vertheil:.. 
Derselbe nimmt seinen Ausgangspunkt von den H a v o r s’seh* n 
Kanülen, welche sich labyrinthwärts erweitern und ausser mit, 


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1228 


MTTENOlIENKR MEDTOTNTSOIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. ;'.o. 


Rhit- und Lymphgefässen mit Zollen erfüllt.sind, welche einer¬ 
seits als Osteoklasten die Resorption des Knochens unter dem 
Bilde der II o vv s li i p’sehen Laeunen bewerkstelligen, anderer¬ 
seits als Osteoblasten neuen, spongiösen Knochen auf bauen, Vor¬ 
gänge, welche mit den normalen Knoehemvachsthuinsverhiilt- 
nissen in Vergleich zu stellen sind. Der Verlauf ist durchaus 
chronisch, oft das ganze lieben bis zum hohen Alter hindurch ver¬ 
laufend, während dessen neben völlig ungebildetem fertigen 
Knochen sieh immer noch llerdo junger osteoider Knochenneu¬ 
bildung nachweisen lassen. Vortragender weist bezüglich der 
Natur der eigeuthümlichen Affektion auf die Vermuthung 
Siehenman n’s hin, dass es sich vielleicht um die nachträg¬ 
liche Entwicklung von Knorpelresten in der knorplig priifonnir- 
ten Labyrinthkapsel handle, sowie auf die geringen Aussichten 
für ein erfolgreiches therapeutisches Einschreiten. Auch die 
innere Darreichung des Phosphors, welcher von Sieben- 
m a n n mit Rücksicht auf die Eigenschaft desselben, die Bildung 
der Spongiosa beim wachsenden Röhrenknochen hintanzuhalten 
und statt dessen Corticalis zu bilden, empfohlen worden ist, hat 
bisher keine günstigen Resultate aufzuweisen. 

Herr Huismans: 

1. lieber Morbus Addisonii. (Ist in No. 16 dieser Wochen¬ 
schrift abgedruckt.) 

2. Ein Beitrag zur Kasuistik der mediastinalen Erkrank¬ 
ungen. 

3. Ueber Wege und Arten der Infektion. 

(2 und 3 werden anderweitig veröffentlicht.) 

Herr Auerbach: Ueber Pleuritis pulsans. 

Bei einem 40 jährigen Manne zeigte die linke, um 5 cm 
gegen die rechte erweiterte Thoraxhälfte vom 2. Intereostalraum 
bis zum Rippenbogen rhythmische, mit dem Herzschlag synchrone 
starke Pulsationeu bei einem bis zur 3. l£ipi>o reichenden ab¬ 
geschlossenen pleuritischen Exsudat und stark nach rechts ver¬ 
schobenem Herzen. Nach Entleerung von 3 Liter einer hell- 
serösen zellarmen Flüssigkeit verschwand die Pulsation. 
Während das Phänomen der Pulsation bei Empyemen häufiger be¬ 
obachtet wird (Fuchs konnte bis 1897 52 Fälle aus der Litera¬ 
tur sammeln) ist es bei serösem Exsudat im Ganzen bisher nur 
in 3 Fällen erwähnt (Fräntzel und Ziehmann: Path. u. 
Thor. Bd. IV, 2; Keppler: Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1887. 
Bd. X, L. 1 und L e p i n e, ref. im Centralbl. f. klin. Mod. 1897, 
29). Die Bedingungen, unter denen die Thoraxpulsation zu Stand*; 
kommt, sind: Noch kräftiger Herzstoss, hohe Exsudatspannung, 
die einerseits das Herz ad maximuni verdrängt, andererseits eine 
Erschlaffung resp. Lähmung der Intcrcostalmuskeln hervorge¬ 
rufen hat. Die zuweilen beobachtete Zerstörung der Costalpleura 
bei eiterigem Exsudat würde die Dehnbarkeit der Intereostal¬ 
muskeln noch begünstigen. Eine Reihe von Umständen, 
die die Spannung des Exsudats zu steigern geeignet sind, 
oder die der Verschiebung des Herzens nach rechts entgegen¬ 
arbeiten, wirken auf das Zustandekommen der Pulsation be¬ 
günstigend. Sie sind aber nicht Conditio sine qua non, wie die 
einzelnen Autoren annehmen (begleitendes pericardiales Ex¬ 
sudat: Traube; Anwesenheit von Gas: Fereol; Verwachsung 
des Pericards mit Herz und Brustwand und Zwerchfell: Broad- 
bont; Verwachsung der comprimirten Lunge mit Herzbeutel: 
Comby). In unserem Fall stand das nach oben abgeschlossene 
Exsudat dadurch unter hohem Druck. Im Allgemeinen dürfte 
Boclere Recht haben, der die physikalischen Bedingungen 
für die Uebertragung der Herzpulsation auf die Thoraxwand 
durch einen linken Pleuraerguss darin sieht, dass der Widerstand 
der rechten Mediastinalwand (rechte Wand des Pericards) die 
Resistenz eines mehr weniger grossen Theils der linken Inter- 
costalräumo übertrifft. Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung 
eine Beobachtung B c cl e r e’s bei einem Manne, der bei kleinem 
linksseitigen Pleuraexsudat ohne jede Verschiebung des Herzens 
starke Pulsation der unteren 2 Drittel de» linken Thorax sah. 
Aber der Kranke hatto eine hochgradige Trichterbrust und das 
Herz lag nach vorno und rechts fest eingezwängt in einer 
knöchernen und knorpeligen Zelle. Mit Ausnahme eines Falles 
von Geigel und des von Keppler betrafen alle Fälle von 
Pleuritis pulsans die linke Thoraxhälfte. Es dürfte dies wohl 
durch die Lage des Herzens resp. die Richtung der Herzachse be¬ 
dingt sein, indem von der Herzspitze aus die Pulsation durch das 
Exsudat fi.rtgeleitct wird. Bei rechtsseitigem Exsudat wird die 


Spitze immer weiter nach links geschoben. Bei linksseitigem 
findet, nach Eich borst die llcrzverschiebung derart statt, 
dass das Herz in toto nach rechts hinübergedrängt, wird, während 
eine Drehung um die Längsachse und Verschiebung der Herz¬ 
spitze in den rechten Thorax nur ausnahmsweise vorkomnu. 
Nach Untersuchungen von Cardi aber (ref. im Centralbl. f. 
klin. Mod. 1899, 25) verlagert sich das Herz nach rechts in seiner 
Totalität im ersten Stadium, dann al>er bildet die Ven. cava iuf. 
einen Widerstand gegen die weitere Rechtsbewegung und zugleich 
einen Stützpunkt, um den eine Drehung stattfindet, so dass die 
Lage des Herzens umgedreht wird und von links oben nach rechts 
unten geht. Bestätigen sich diese Versuche durch die Radio¬ 
skopie, so wäre zu erwarten, dass bei linksseitiger Pleuritis pul¬ 
sans diese Umdrehung durch irgend welche Umstände, z. B. durch 
intra- oder extracardiale Verwachsungen gehindert würde. 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 4. April 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

1. Herr Krakenberger: Ein Fall von geheilter Bauch¬ 
felltuberkulose. 

Derselbe berichtet über die Krankengeschichte eines 
40 jährigen Eisenbahnoberexpeditors. Beide Eltern au Lungen¬ 
schwindsucht gestorben. Patient war als Kind klein und schwäch¬ 
lich, vom 15. Jahre au bessere Entwicklung. 3 Jahre beim Militär. 

Am 4. November 1900 plötzliche Erkrankung an heftigen Leib- 
schmerzen. Pleuritis exsudativa dextra. Punktion. Am 8. De¬ 
zember gebessert aus dem Krankenhaus entlassen. Am 12. De¬ 
zember neuerliche Erkrankung unter den gleichen Erscheinungen 
wie zuerst. Heftigste Leibschmerzen. Kontinuirllches Fieber. 
Abdomen aufgetrieben, äusserst druckempfindlich. Am 15. De¬ 
zember Abgang eines haselmissgrossen Gallensteins. Fieber bleibt. 
Am 24. Dezember Ascites nachweisbar. Starke Anschwellung der 
Milz. 20. Dezember: Pleuritis exsudativa sinistra. Aspirin, 
Priessnitz. Allmähliches Verschwinden aller Symptome. Ent¬ 
lassung als geheilt am 15. März, Patient nimmt seinen Dienst 
wieder auf. 

Besprechung der Symptomatologie der Peritonitis tubereulosa, 
Diagnose, Prognose, Therapie. Vortragender kommt zu dem 
Schlüsse, dass man erst dann operiren solle, wenn die subjektiven 
Beschwerden (Spannungsgefühl, erschwerte Athmung etc.) zu der 
Operation drängen. 

In der Dlscussion bemerkt Herr Friedr. Merkel: Die 2 Fälle 
von Bauchfelltuberkulose, über welche von ihm in der Zeitsehr. 
f. Gelnirtsh. u. Gyn. Bd. 39 berichtet wurde, leben beide und sind 
vollständig gesund. Der erste, operirt 4. IX. 1895; der zweite, 
operirt 3. IV. 1890, also 5 und (5 Jahre lang beobachtet. Der 3. Fall 
betraf ein 19 jähriges Mädchen, welches neben der abgesackten 
Bauchfelltuberkulose noch ausgedehnte Zerstörungen auf der 
Lunge hatte. Die Operation brachte wesentliche Bessrung; ein 
halbes Jahr später Exitus letalis an der Tub. pulm. Im 4. Fall 
handelte es sieh um einen Ascites tub. von 12 Liter bei einem 
43 jährigen Mann mit Spitzendämpfuug links. Laparotomie; so¬ 
fortige Besserung, nach 5 Tagen rapider Verfall mit hohem Fieber. 
Exitus nach 8 Tagen. Sektion ergab akute Miliartuberkulose der 
Lungen; Peritonealtuberkulose ln Rückbildung. 

Neuerdings kam ein Fall ln Behandlung, der in mehrfacher 
Hinsicht Interesse bietet: 23 jährige I. Para; Entbindung vor einem 
halben Jahre ohne Kunsthilfe; hereditär schwer belastet. Bald 
nach der Entbindung begann die Frau zu kränkeln, allgemeine 
Altmagerung. Bauchumfaug zunehmend. 32 Wochen nach der 
Entbindung zugezogen, konstatirte er ein linksseitiges pleu- 
ritlselies Exsudat, fast bis zur Lungenspitze reichend. Leib 93 cm 
Nabelumfang. Die linke Uuterbauchgegeud ausfüllend, oberhalb 
der Symphyse, sich etwas nach rechts erstreckend, ein abgesacktes 
Exsudat. Operativer Eingriff abgelebnt. Schmierseif enbehaud- 
lung abwechselnd mit Jodtinktur; innerlich Fe und Ol. jec. as. 
Nach 6 Wochen Pleuraexsudat nur noch handbreit hoch; Leib- 
umfnng nur 79 cm Nabelumfang. Links noch etwas Resistenz 
aber allmählich sich aufhellender tympanitischer Percussionston. 
Also Spontanheilung bezw. mindestens Besserung! 

Hinsichtlich Spontanheilung bietet ein Fall noch Interesse, bei 
dem es sich um vollständige Rückbildung von Sarkommetastasen 
handelte. 42 jährige Frau, NulUpara, seit einem Vierteljahr rasche 
Zunahme des Leibes von 83 cm auf 90 cm. Doppelseitige Ovarial¬ 
tumoren; bei der Laparotomie, 27. XL 1900, Entfernung der beiden 
Ovarialcystosarkome von Mannskopf- und Fnustgrösse. Meta¬ 
stasen vom Netz mitentfernt; weitere Knoten Im Mesenterium und 
Douglas bis Eigrösse zurückgelassen. Nach einem halben Jahre 
blühendes Aussehen der Frau (27. III. 1901), bimanuell nichts 
Krankhaftes mehr zu fühlen. 

2. Herr Friedrich Merkel l>erichtet, veranlasst durch die 
in den Monat sh. f. Geburtsh. u. Gyn. Bd. XIII, 3 veröffentlichte 
Arbeit von Späth, über seine mit Antipyrinsalol gemachten Er¬ 
fahrungen, angewandt zu intrauterinen Aetzungen. Auf Grund 
von 20 hicniit behandelten Fällen wird bestätigt, dass es in einer 
Reihe von einfachen Blutungen ln Folge Ersohlnffungsznständen 


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23. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1229 


der Uterusmusculatur gute Dienste geleistet habe. Er glaubt Je¬ 
doch. dass genule wie seinerzeit das Ferripyriu aueli jetzt das 
Autipyrinsnlol sich keine grosse Verbreitung erobern dürfte, da 
durch iiitere und starke Aetzniittel, Jodtinktur, Chlorziuk elc.. 
gleiche Erfolge erzielt werden können. 

3. Herr Friedrich Merkel demonstrirt folgende Präparate 
und gibt die hiezu gehörigen Krankengeschichten: 

a» Frau M., 55 Jahre alt, steril, Menopause seit 5 Jahren, in 
den letzten Jahren abgemagert l*ei stets wachsendem Leib: dieser 
in der linken Seite, besonders olierhalb des Nabels, stark hervor¬ 
gewölbt. Husches Wachstliuni: Nabelumfang 89 cm, nach 
14 Tagen 91 cm. Hechts von Leber bis handbreit oberhalb des 
Lig. Poupnrt. tympanitischer Ton: links seitlich grosswellige Flue- 
uiatiou. Hechts fühlen sich die Tumoren hart knollig an. Tumor 
bis unter den Hippenbogen reichend. Portio in Kreuzbein- 
aushöhlung klein, hart. Der vordere Beckenraum ausgefüllt 
durch festgeklemmte harte, knollige Tumoren. Die am 27. UI. 19i»i 
ausgeführte Laparotomie ergab: Geringer Ascites; linksseitiges 
I’olycystouia ovaril inel. Flüssigkeit 4300 g Gewicht. Nach dessen 
Abtragung Mobilisirung des myomatöseu Uterus durch Abschnilrcn 
der Ligamente: Spalten und Abschieben des Peritoneums im vesien 
uterinen Kaum und Douglas; Abklemmen und Unterbinden der 
lteidcn Uterinae; Abtragen des myomatöseu Uterus. 1300 g. Rotro- 
Iteritoneale Stiel Versorgung; fortlaufende Naht des Peritoneums. 
Schluss der Hauchwunde. Ganz glatter, afebriler Verlauf. 

b) Frau I\., 43 Jahre alt, III. Para, letzte vor 13 Jahren. 
Perl«nie früher regeliuiissig stark; in den letzten 3 Monaten fast 
nie aussetzende Blutungen. Kreuzschnterzen; hartnäckige Obsti¬ 
pation. Senkung der vorderen Vaginalwand. Portio bis zum In¬ 
troitus vagluae reichend. Uterus besteht aus einem vielknollig<*n. 
fil*»r kimlskopf grossen Tumor, schwer beweglich; Lig. rot. zu tasten; 
allgemeine Atmende. Elend, Puls 100—120; Kopfschmerzen; Urin 
ohne Klweiss und ohne Zucker. Am 29. III. 1901 Operation. Um- 
schneiden der Portio; Abbinden der beiden Uterinae; Eröffnen des 
Peritoneums vorn und hinten; Ilerabdrüngen des Tumors durch 
die hintere Oeffuung. Morcellement, bis der Uterus in toto sich 
herabzleheu lässt: Abklemmen der Ligamente mit Klammern, 
rechtes Ovarium mitentfernt. Glatter Verlauf. 

c) Fr. G., 22 jährige II. Para, seit % Jahren Zunahme des 
Leil>es. Menses regelmässig. Bauchumfang 103 cm; linksseitiger 
Ovnrientumor bis unter den Hippenbogen reichend. 4. IV. 1901: 
Ovariotonde, Cyste entfernt, 14 Liter Inhalt, Verwachsungen mit 
der Lel>or. Hechtes Ovarium, klein cystisch entartet, mitentfernt. 

4. Herr Friedrich Merkel demonstrirt die Röntgeu- 
aufnahme des Acardius acephalus, der vor 4 Wochen vorgezeigt 
wurde. Aus derselben geht hervor, dass oberhalb des 1. Lenden- 
wirl>els eine Abschnürung stattgefunden hat; vom letzten Brust- 
wirlH*l ist nur ein kleiner Knochenkem zu erkennen. Becken, 
Oberschenkel- und Unterschenkelkuochen in ziemlich normaler 
Kernlage: an beiden Füssen nur einzelne Knoeheukerne sichtbar. 

5. Herr £ h r m a n n berichtet über einen Fall von Gallen- 
steiniieus. 

Gallensteinileus ist eine relativ seltene Erkrankung, weil die 
meisten Gallensteine zu klein sind, um einen Darm Verschluss 
herbei führen zu können. Ein Stein von solcher Grösse, dass da¬ 
durch eine Obliteration des Darmes herbeigefülirt werden kann, 
kommt natürlich meistens nicht durch die Gallengänge und 
Ductus elioledochus in den Darm, sondern nach Bildung einer 
Gallenblasendarmfistel, was auch bei dem von ihn» beobachteten 
Falle vorlag. 

Es handelt sich um eine 53 jährige Castwirthsfruu, welche in 
der Jugend Typhus hatte, später an ltetrofiexio Uteri litt. Vor 

2 Jahren traten zum ersten Mal Gallensteinkolikeu auf, die sich 

3 mal innerhalb eines Jahres wiederholten. Im September vorigen 
Jahres fiel>erhafte Erkrankung mit Anschwellung und Druck- 
empfindlichkelt ln der Leber und Gallenblase. Datier des Fiebers 
und der Schmerzen mit Unterbrechungen ca. (» Wochen. Ver¬ 
schwinden des Tumors in «lei* Gallenblusengegend, d. li. Perforation 
eines Steines von der Gallenblase in den Darm. Neuerlich«» Er¬ 
krankung an Gallensteiukolik nach ülterreichlicher Mahlzeit von 
1 Monat. Das Erbrechen wurde allmählich faeeulent. «*s gehen 
keine Flatus und Faeces mehr ab; dabei nur geringe Druck- 
empfindlichkeit älter dem Nabel, fast völliges Fehlen des Meteoris- 
inns. wie dies für Galleustelnlleus charakteristisch. Dagegen 
sehr schlechter Puls, subnormale Temperatur, Kräfteverfall. Trotz 
Magenspülung und hohen Darmelugiessungen kein Nachlass des 
faeeuleuten Erbrechens, keine Flatus, kein Stuhl. 

Operation erst am 5. Tage nach Beginn des Erbrechens ge¬ 
stattet. 

Entfernung eines 28.2 g schweren Gallensteiues aus dem 
Ilcuin. ea. 1 m unterhalb des Pylonis. Danach vollständige Heilung. 

Der Fall Ist bemerkenswerth: 1. durch die richtige Dlngnoscn- 
stellung vor der Operation. 2. durch die Grösse des Steines (0 : 3 cm», 

3. durch den Erfolg trotz später Operation. 

In der D i s e »i s s 1 o n spricht Herr Ottmar Müll e r, der 
«li<» Operalion ausgeführt hat. kurz über dieselbe: Wegen der 
schlechten Verfassung, in «1er Pat. sieh befand, wurde von einer 
Allgeineinnnrkose abgesehen und die S c li 1 e I e h’sche Anaesthesic 
gewählt. Dieselbe musste allerdings dem Chloroform während 
der kurzen Dauer des Intraperitonealen Eingriffs weichen. Das 
IIliHleriiiss wurde sehr rasch gefunden und durch Im-isioii des 
wtnig alterlrteii Darmes entfernt. Dnnnunht in 3 Etagen. S«»hluss 
<I**r Bauchhöhle. in der eine grossere Meng«» Kochsalzlösung zniäiek- | 
gelassen war. Die verhältuissmässig rasche Erholung führt 1 


Redner auf tägliche Magenspülung — es bestand noel» mehrere 
Tage hindurch völlige Dnrmlühmung — und subkutane Koehsulz- 
infusion zurück. Entlassung der vollkommen bescliwt*rdefr«»l«*n 
Pat. nach 3 Wochen. 


Rostocker Aerzteverein. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung v o in 11. M a i 1901. 

Herr A x e n f e 1 d nimmt das Wort zu folgender Demon¬ 
stration: 

Echinococcus orbitae, o p c r i r t m i t de r K r o e ii 1«»i n - 
s c 1»«» n t e in )> o r ä r e n H e s e c 11«» n d e r ii u s s «» r e n O r - 
bitulwand. Bei einem 3 jährigen, von Herrn Dr. Fahrlelus- 
Gievesmiililen «ler Klinik zugewiesenen Knaben hatte sich iiuu»r- 
hall» von 3 Monaten ohne alle Schnn»rz«»n ein liochgnuligcr Ex¬ 
ophthalmus d«»s n»<‘ht( > n Auges entwickelt, «ler w«»g«»n s«»ln«*r Rich¬ 
tung und «ler ho«’hgradig«»u S«»hst«önmg auf eine Geschwulst im 
Musk«*ltlichter zu beziehen war und in erster Linie eines „Sch¬ 
nei veutumors“ venlächtig orscliieu. Die Operation nach K roen- 
1 «* i n ergab alH»r einen tauiH»neigrosscn Ecl»iu«x»oc«-us, «h*r d«»n 
Sehnerv«»n zwar von aussen her umlagerte, aber nicht mit Ihm 
zusainmenhing. Nach Eröffnung der ziemlich «l«»rbcn hiude- 
gewebigen Kaps«»l Hess sieh der uuiloeuhm» Parasit, in dessen 
Innern llakenkräuze nicht gefunden wurden, leicht herauszielu»n. 
Von einer Totalex stinkt Gun «ler ganzen bin«lt»gewi»hlg«»n Kapsel 
wurde Abstand genommen, weil der Rectus externns und d«»r Iteet. 
superior ganz in dersellieu aufgegangen waren; es wurde nur eiu 
Siiiek resecirt, «Ile Höhle ausgekratzt und dann der Knoeheiikeil 
reponiit; nur an» unteren Wumlende wurde ein Tampon eingelegt, 
um eine etwaig«», von «ler Kapsel und der ausg«»tr«»t<»nen Eeliino- 
(*<'ec<»iitlüssigk«»it befürchtete entzündliche Sekretion zu l»es«»itig«»n. 
I )«;«»li wiinle Vortrngemler in Zukunft ruhig p«*r prlinain die ganze 
Wutnle schliessen, da k«»ii»erlel entzündliche Erscheinungen ein¬ 
traten. 

Der Exophthalmus ist geschwunden, «las Sehveninügen wi«»«I«»r 
auf Fiugerzählen In 3 n» gestiegen, die aus «i«»r Zeit des Kxopli- 
thalmus stammenden Miiskeilälimungeu sind in <l«*r Hiickbildnng 
b« griffen. 

D«»r Fall ist der 2. in dem echino«-occ«‘ni , eicln*n Me«»kl«»nbnrg 
und zeigt damit die Selt«*nln»it der Lokalisation in der Orbita (der 
erste wurde vor ca. 30 Jahren von Zehend er lM*obavlit<*t». Die 
gesummte Kasuistik der letzten 100 Jahre beläuft sieb auf etwa 
70 Fälle. 

Es zeigt sich von Neuem, wie unsicher die Diagnose „S«»h- 
n«»rventumor“ ist, «lesshalb ist nur eine Opernti«*nsmetl»ode \vh» die 
K r o e u 1 e 1 n’sclie, die hier zun» ersten Mal bei «»inen» Echino¬ 
coccus ang«»waimt wurde, für die tiefen Oi»bitalpro«»esse am Platz, 
weil dies«»lbe vor der elgentlicb«*n Exstirpation einen sicliereu 
IVlierblick gewährt. Das alte Verfahren, zunächst von innen her 
den Sehnerven am Foramen optiouni zu durchtrennen, dann «len 
Tumor unt«*r Drehung <h»s Bulbus zu entwickeln, zu exstlrpiren 
und «las Auge zu reponiren, ist ganz allgemein zu v«»rwerf«»n, weil 
«Ile Diagnose des ..S«‘l»n«»rv«»ntuniors** nie ganz sleln»r ist. 

Um bei der K r o e nie! n'sel»«»n Operation das sich immer 
winler vorlegen«!«» F«»ttgew«»lH» zurückzulmltcn. hat V«*rtrag«»n«l»»r 
besondere ..O r b 11 a I p 1 a 11«» n“ von H. W 1 n «11 e r - Berlin 
anfertigen lass«*»», welehe «len Ueb«»rblick w<»s«»iitH«»h erl«»icl»t«*rn 
mul ihm auch bei 2 anderen Fällen gute Dienste l«»istcten. 

Die genauere Beschreibung dieses Falles wird ii» «ler Disser¬ 
tation von Herrn Stephan geschehen. 

In «ler sich nnscl»liesscn«l«»n Discussion tritt Herr 
Graser clx-nfalls für die K r «n» n 1«»1 n'sche Operation ein. 
w«»il iH<»s<»Nm» ohne gross«» Schwierigkeiten auszuführt‘n sei mul 
«»inen genauen TVberbliek über «las Operationsf«»lil g«»statte. Was 
«li«» Zurücklassung «ler Kapsel «les E«»l»ii»oeo«»eus betreffe, so für«*hte 
«*»•. «lass es zur Bildung el»»«»s Ilaeinatoms be/.w. «»hier Cyste 
kommen könne, was nach längerer Z«*it vielleicht den Erfolg der 
Operation in Frag«» st«»lle. Je<l«»ufalls plaidire er für Drainag«» 
und empfehle für «H.'soIIh» Glasdrains. w«*lel»«» w«»g«»u der gi'öss«»» - «»»» 
Reinlichkeit und der g«»ringeren R*»izlmrk«»it si«-h sehr bi»wälirt«*n. 

II«»rr Stock (Assist«»nt an der Universitätsaugeuklinik), be- 
ri«»htet über einen Fall von Fseudotuberkulose der Iris b«»l einem 
13jähr. Mäd«»lien. h«»r\«»»•gerufen durch ein«» Anzahl kleiner Holz- 
splitt«»r. Das Kind war mit «»hier Weide in sein linkes Auge g«>- 
st«.clien word«»u. Na«-l»dem der Bulbus 14 Tage lieinalit» reizlos 
g«»wcs«»n war. entwickelten sieb nach dieser Zeit Knötchen auf der 
Iris, die klinisch für Tul»«»rkcl gclmltcn wunlcn. B«*i «ler patlio- 
logiseli-anatoiuischcu Untersuchung fand sich in jinlein «ler Knöt- 
«•hen ein aus Pfianzenzellcn lK»steln*n«lt»r Fivnnlkörper. Um «lies«»»» 
Köriier war eine stark«» kleinzellige Infiltration und «»pitheloide. 
zum Tlieil Hies«»nz«»IU»n. zu sehen. Glaskörper. Retina und 
Cl»orioi«l« , a beinah«» frei von Entziin(lmigs«>rscl»ci»ning«»n. dagegen 
besteht starke Neuritis optica mit V«>rw«ülbuug «ler Pupllh». Vor¬ 
tragender bringt dies«» Neuritis als Feriiwlrkuug «l«*s Eiitzünduugs- 
pi»)««sses im v«u , d«»ren BullMisabselinitt mit diesem in Zusuiiinn'ii- 
hang. Ob Toxine, die von Baet«»rieu «»rz«»ugt werden (In den Prä- 
paiaten «liesos Falles k«tnuteu keine Bact«»ri«‘li nacligewiesen 
werdeni, <>«!«• r reiz«»n«l«» Substanz«*!», die aus «len Fr«‘uidk<"»rpcni 
seihst stamnii'i». «li«» N«»uritis h«»rvorhring<»u. «h»i , ill»«»r soll der Tlii«*»*- 
vci'sin-l» Anskmift geben. -- Uob«*r das Resultat dieser I‘»»t«•»•- 
sin innig« l» wild später iiorii lilcl w«»r«len. 

Daran s« iiiie-si si« l» «»ine Denionsti-aiion «1«»r hioi/.n geliöriy«»u 
mikroskopischen l’riiparatc an. 


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1230 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30. 


Sitzung vom 8. Juni 1901. | 

Nach der Eröffnung der Sitzung nimmt zuerst Herr Körner 
das Wort zur Demonstration einiger Rhinolithen und bespricht 
die Entstehung derselben. Wahrscheinlich handelt es sich stets 
um inknistirte Fremdkörper. In zwei Füllen war der Fremd¬ 
körper ohne Weiteres zu erkennen, da ihn die Kalkkruste erst in 
dünner Lage überzogen hatte; es war das eine Mal ein Schuhknopf, 
dicht besetzt mit mohn- bis hlrsekorugrossen Kalkklüinpcbeu, das 
andere Mal ein Leinwandstreifen, der durch die Inkrustation steif 
geworden war und sich wie Glaspapier anfühlte. 

Sodann folgt Herr Graser mit dem von ihm angekündig 
ten Vortrag über Darmdivertikel. Unter Vorlage zahlreicher 
Abbildungen, Photogramine und mikroskopischer Präparate he- ■ 
richtet G. über seine ausgedehnten Untersuchungen in Betreff der 
falschen Divertikel in der F 1 e x u r a s i g m o i d e a. 
Während man früher diese Divertikel für seltene Vorkommnisse 
hielt, ist cs dem Vortragenden gelungen, in kurzer Zeit eine ganze 
Reihe von Anfangsstadien dieser Störung aufzufinden und einige ! 
Aufschlüsse über die Entstehung derselben zu geben. Die Divcr- j 
tikel sind Ausstülpungen der Darmschleimhaut I 
durch die Museulatur; die Schleimhaut folgt dabei den | 
Durchtrittsstellen der Blutgefässe; die Wege für den Durchtritt I 
werden in solchen Fällen besonders gut vorgebahnt sein, i n ; 
denen die Lücken für den Durchtritt der Ge- ; 
fasse besonders weit sind, also bei lange dauermh r i 
Stauung in den Venen, welche mit einer dauernden Erweite- 1 
r u n g, aber wechselnden Füllung dieser Gefässo verbunden ist. i 
Nachdem die hemienähnlichc Vorstülpung der Schleimhaut bis | 
in die Subserosa vorgedrungen, tritt in dieser leicht eine kolbigo 
Erweiterung durch stagnircuden Koth ein; in diesen Erweite¬ 
rungen erfährt dann die Schleimhaut leicht eine starke Schädi¬ 
gung durch Druck und Infektion, die zur Verschwärung und zum 
Durchbruch führen kann, ähnlich wie bei der Epityphlitis. Aber 
auch wenn der Durchbruch nicht durch die Serosa hindurch er¬ 
folgt, kann durch die Anwesenheit des Kothcs im subserösen 
Gewebe eine intensive Entzündung mit Bildung von Adhäsionen 
und narbigen Verziehungen entstehen. Auch für diese Folge¬ 
zustände besitzt G. bereits eine grössere Anzahl beweisender Be¬ 
funde. (Näheres siehe Münch, med. Wochensehr. 1899, No. 22.) 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Acad6mie de mädecine. 

Sitzung vom 28. M a 1 1901. 

Huchard bespricht den Zusammenhang von Neuralgien 
und latenten Aneurysmen der Aorta. Die letzteren, an der 
Aorta descendens und abdominalis gelegen, würden oft nicht er¬ 
kannt, weil sie sich Monate und Jahre lang durch Schmerzen 
kundgeben, die man häufig einfachen Neuralgien, einem Rheu¬ 
matismus, Lumbago, Neurasthenie, ja einer Angina pectoris 
u. a. m. zuschreibt. Die Art des Schmerzes, der genau lokalisirt 
Averden sollte, habe übrigens etwas ganz Charakteristisches bei 
Aneurysmen. Auch die liöntgenogrnphie kann von grossem Yor- 
thell sein; eine frühzeitige Diagnose ermöglicht eine Behandlung, 
die sehr oft zur Heilung führt: Ruhelage, Milch- und vegetarische 
Diät, .Todmedication. II. führt als Beweis die Rüntgenbilder eines 
frühzeitig erkannten und so behandelten Falles vor. 

Fournlcr ist der gleichen Ansicht wie II. und bringt eben¬ 
falls einen sehr früh erkannten und durch die spocilisehe Behand¬ 
lung geheilten Fall von Aortenaneurysma. 

Sitzung vom 11. J u n 1 1901. 

Budin bespricht auf Grund einer statistischen Zusammen¬ 
stellung von G 11 e 11 a und Balestre die Kindersterblichkeit 
in Frankreich. Diese Arbeit zeigt, dass dieselbe bei Kindern 
unter 1 Jahr eine ganz erschreckende ist; in Paris betrügt sie 145 
auf 1000 Sterhefälle, ln Rouen 251, ln Lille 291, in Dünkirchen 342, 
im Mittel in den Städten Frankreichs 1(57. Die Diarrhoe (Cholera 
infantum) ist die Hauptursache dieser Mortalitiit.und zwar vor 
Allem in den heissen Monaten. Diese Kinderdiarrhoe könnte völlig 
verschwinden, wie die Erfolge an den SüuglingsstatIonen von 
Variot, de Rothschild, Dubrisay lehren. Nach der Diarrhoe ver¬ 
ursacht die Lungenentzündung die grösste Sterblichkeit und zwar 
besonders in den Wintermonaten. Es geht weiter aus der an¬ 
geführten Arbeit hervor, dass diese hohe Mortalität durch geeignete 
Mnassmihmen bedeutend reducirt Averden kann; das beweist die 
grosse Verschiedenheit der Kindersterblichkeit in den A'ersehie- 
denen Departements, sie wechselt von der einfachen bis zur mein* 
als doppelten Zahl. Addirt man die Todesfälle kleiner Kinder in 
ganz Frankreich, so kommt man zur enormen Ziffer von 3 'mhki. 
was 20 Jahre später 15 WO Soldaten weniger gälte. 


Nach Fonrnier spielt die Syphilis eine grosse Rolle bei 
der Kindersterblichkeit, in syphilitischen Familien sterben circa 
50 Proc. der Kinder im ersten Lebensjahr. Viele Todesfälle von 
Kinderatrophie sind auf Syphilis zurückzuführen und wären zu 
vermeiden, wenn die Mutter sich Avührend der Schwangerschaft 
gehörig behandeln Hesse. 

Budin Ist derselben Ansicht, alter man muss nicht nur die 
Mutter während der Schwangerschaft, sondern auch das Kind 
nach der Gehurt autisyphilitlsch behandeln. B. könnte völlig 
kräftige Kinder zeigen, welche im Zustand vorgeschrittener syphi¬ 
litischer Kachexie zu ihm gebracht Avorden sind. 

Bel der Entvölkerung Frankreichs und der Wichtigkeit dieser 
Frage hält Laveran die Mittheilung B u d 1 n’s für sehr be- 
nchtenswertli und dem Minister des Innern sei darüber Bericht zu 
gelten, was einstimmig beschlossen Avurde. 

Riehe berichtet über die Arsenikvergiftungen, welche zu 
Manchester d urrii Bi e r hervorgerufeu worden seien. Die Zahl 
der Vergiftungen betrug 4182 mit 300 Todesfällen. Zur Fabrikation 
des betreffenden Bieres wurden weder Hopfen noch Malz, son¬ 
dern G ly kose verwandt, Avelelie mit einer unreinen, arsenikhaltigen 
SchAvofelsäure dargesteilt worden Avar. Der Bericht bringt weitere 
Interessante Einzelheiten über die zahlreichen, in England ge¬ 
bräuchlichen Bierfälschungen. In Liverpool existirt eine Fabrik 
künstlichen Hopfens, von Moussirpulvern u. s. av.; man hat in 
manchen Bieren bis 4 mg Arsenik pro Liter gefunden. 

Soci6t6 de Pädiatrie. 

Sitzung vom 11. Juni 1901. 

Zur Präventivbehandlung mit Diphtherieheilserum. 

Ausset erklärt, die gute Wirkung der prophylaktischen 
Impfung mit Heilserum könne nicht mehr bezweifelt werden. Seine 
Erfahrung ist auf mehr als 500 Impfungen gegründet und er zögert 
nun nicht mehr, dieselben In der Privatpraxis unzuAveudeu. Es ist 
niemals zu spät zum Handeln, gewisse Formen von sehr toxischer 
Diphtherie sind, auch wenn am ersten Tage gespritzt wird, noch 
immer sehr gefährlicher Natur, die prophylaktische Impfung Avird 
den Ausbruch solcher - Fälle hindern. 

Barbier glaubt nicht, dass dieselbe so sehr Avirksam sei; 
vielmehr kämen auch hei Schutzimpfung viele Diphtheriefülle vor. 

Netter gibt zu, dass die Schutzimpfung keine absolute Im¬ 
munität erzeuge, sie beschränke aber in hohem Maasse die Mög¬ 
lichkeit der Ansteckung. Er glaubt nicht zu übertreiben, wenn er 
sagt, dass ein Kind, in Berührung mit einem Diphtheriekraukeii. 
Avenigstens 10 Proc. Wahrscheinlichkeit habe, die Diphtherie za 
aeqiiiriren. Nach N.’s Statistik haben unter 32 484 Kindern, die 
prophylaktisch geimpft Avurdcn, mitten in einem Diphtherieherd 
nur 192 die Krankheit aequirirt, das sind 0 auf 1000. Die Schutz¬ 
impfung soll sicherlich nicht die anderen Maassregeln verhindern, 
aber sie vermindert durch die geringere Zahl der Inlielrten deren 
Schwierigkeiten sowohl bezüglich der Isolirung als der Des¬ 
infektion. 

Comby hält die Schutzimpfung für absolut unschädlich und 
sehr Avirksam, und wendet sie stets auch in der Prhratprnxis an. 
ohne die bacteriologische Untersuchung ahzuAvarten. 

Sevestre hält zwar ebenfalls die Prüveutivimpfungon für 
gefahrlos, aber immerhin können geAvisse Nebenerscheinungen da¬ 
mit verbunden sein, wie Hautausschläge u. s. a\\ Wenn es daher 
möglich ist, die gesunden Kinder neben den kranken 2 mal hu 
Tage (Morgens und Abends) zu sehen, so vermeidet S. die Schutz¬ 
impfung, andernfalls, und Avenn der geringste Zweifel besteht, be¬ 
eilt er sich, dieselbe zu machen. 

Im Anschlüsse an" diese Discusslon Avird folgende Resolution 
gefasst: „Die Gesellschaft der Kinderärzte ist der Ueberzeugung. 
dass die Präventivimpfungen mit Diphtherieheilserum keine ernste 
Gefahr bieten, und dass sie mehrere Wochen hindurch Immunität 
ln der grössten Mehrzahl der Fälle bieten; sie empfiehlt daher deren 
Amvendung dann. Avenn ein Diphtheriefall unter mehreren Kindern 
ausgebrochen oder Avenn eine genügende, strenge Ueberwachung 
nicht möglich ist". 

SocietS medicale des hopitaux. 

Sitzung vom 7. und 21. J u n i 1901. 

Zur Cytodlagnose der Geisteskrankheiten. 

S e g 1 a s und N a g e o 11 e halten hei einer Anzahl Geistes¬ 
kranker den Liquor cerebrospiualis untersucht uud weder bei vor¬ 
zeitiger Demenz, noch hei chronischem Alkoholismus, noch bei 
einer opileptiformen Attaque Lymphocytose gefunden, hei 5 Kran¬ 
ken jedoch, wo schon vor der Punktion die allgemeine Paralyse 
gewiss oder Avahrscheinlich Avar, bestand in ausgeprägter Weise 
die Lymphocytose. 

Joffroy hebt als wichtigsten Punkt dieser ganzen Frage 
jenen hervor, oh es die Lymphocytose ermöglicht, vorzeitig die Dia¬ 
gnose der allgemeinen Paralyse zu stellen; in der That glaubte J.. 
dass dies in einem Falle gelang, avo noch keine Augen- und keine 
Sprachstörung vorhanden Avar. 

I» u p r 6 und Dfivaux fanden ebenfalls nur hei Paralytikern 
eine Lymphocytose — in 2 solchen Fällen war grosser Zellreich¬ 
thum im Liquor cerebrospinalis vorhanden, während bei (j anderen 
Kranken (senile Demenz, delirirendo Melancholie u. s. av.) die Oyto- 
diagnose stets negativ Avar. Der hohe Worth derselben zur Unter- 
I Scheidung der Gehirukrankheiteii, avo die Meningen betheiligt sind. 


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23. Juli 1901. 


MT7ENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1231 


wie der progressiven Paralyse, von jenen, wo dies nicht der Fall 
ist, ist also ein zweifelloser. 

Widal empfiehlt, im Allgemeinen nicht mehr als 3, 4, höch¬ 
stens 6 ccm des Liquor cerebrospin. zu entnehmen. Um die mög¬ 
lichen. unangenehmen Zufälle, wie Kopfschmerz, Schwindelgefühl. 
Erbrechen zu vermelden, muss mau den Kranken empfehlen, nach 
der Punktion mit niedrig gehaltenem Kopf einen Tag ruhig liegen 
zu bleiben. Auch ist es wichtig, ganz feine Nadeln zu gebrauchen, 
damit nicht eine zu grosse Oeffnung ln der Dura mater entsteht 
und der Liquor cerebrospinalis nach Aussen fllesst. W. glaubt, 
dass die geringste chronische Erkrankung der Hirnhäute sich 
durch Lymphocytose manifestlrt. Man beobachtet zwar manchmal 
meningitische Erscheinungen (Meningismus nach Duprf), wie 
z. B. beim Typhus, aber das negative Resultat der Cytodlagnose 
zeigt in solchen Fällen, dass es sich nur um funktionelle Störungen 
handelt, ohne dass die serösen Hirnhäute ergriffeu sind. 

Laignel-Lavastine berichtet über die Zählung der 
Lymphzellen, welche er an dem Liquor cerebrosp. von 40 Kranken 
vorgenommen hat. In 21 Füllen von allgemeiner Paralyse hat er 
gefunden, dass die Gesammtmenge der Leukocyten pro ebmg 
ungefähr 5 beträgt, aber oft auf 23 und 30 am Anfang oder Ende 
der Krankheit steigen kann. In 4 anderen Fällen von allgemeiner 
Paralyse fand er nur 0,5 Leukocyten auf 1 ebmg. Bei anderen 
Affektionen, wie tuberkulöser Meningitis, Tabes, Alkoholintoxl- 
eation war ebenfalls Lymphocytose vorhanden. IJebrigens hatte 
L. konstatirt, dass in Folge einer ersten, normalen Liquor cerebro¬ 
spinalis ergebenden Punktion sich eine geringe Leukoeytose ent¬ 
wickelt hat, und frägt sich, ob die Oytoreaktion nicht eine so sen¬ 
sible ist, dass ein einfacher aseptischer Einstich genügt, um sie 
hervorzurufen. 

E t i e n n e - Nancy bespricht den allgemeinen Typus der 
Staphylococcen-Septikaeinie. Dieselbe kann von einer Angina 
aus, einem Furunkel, einem Abscess, einem osteomyelitischen Herd, 
einem Mammaabscess aus entstehen. Man kann eine perakute, 
eine akute und eine prolongirte Form dieser Septikaemie unter¬ 
scheiden. Hohes Fieber profuse Schwelsse, hochgradige Ab- 
geschlagenheit sind die Hauptsymptome dieser Infektion. Bei der 
Autopsie findet man nichts wie die gewöhnlichen Veränderungen 
der intensiven Infektionen, aber das Blut, kurz nach dem Tode 
aus dem Herzen entnommen, wimmelt von Stapliylococcen. Auch 
zu Lebzeiten gestattet nur die Blutuntersuchung, die Diagnose zu 
stellen, während kein klinisches Zeichen die Stapliylococcen- von 
der Streptococcenlufektlon unterscheidet. 

L a u n o i 8 und Camus theilen 3 Fälle von gutartiger 
Meningitis mit cyklischem Verlaufe mit Die Krankheit trat 
bei Jungen I,euten ohne Vorläuferstadium auf. Die Defervescenz 
stellte sich stets am 9. Tage ein, vorübergehend waren die Sebueu- 
reflexe verschwunden. Lähmung der Blase vorhanden; die Heilung 
trat ohne weitere Folgen ein. Der ganze Verlauf des Leidens 
sprach für eine Pneumocoeceninfektion. 

T r i b o u 1 e t erlebte einen ähnlichen, mit Heilung endenden 
Fall, wo Jedoch 8 Tage lang Koma bestanden hatte. 

Sociitt de Th6rapeutique. 

Sitzung vom 12. und 26. Juni 1901. 

Das Diuretin und Agurin. 

Das Theobromin wurde durch die Verbindung mit Natr. sall- 
cyl.-Diuretln ersetzt, weil es, sonst vorzüglich als diuretisches 
Mittel wirkend (direkt auf die Nieren), als einzigen Fehler seine 
schwere Resorbirbarkelt hat. Das Diuretin nun reizt die Ver¬ 
dauungswege, während die doppeltessigs. Nat r.-Verblndung 
des Theobroinins, das Agurin, diesen Uebelstand nach d’Eströe - 
Brüssel nicht hat. Dasselbe ist sehr leicht löslich, 4 mal weniger 
kanstlscb als das Diuretin, bildet eine krystnllinisehe, hygro¬ 
skopische Substanz, enthält mehr Theobromin als das letztere und 
zersetzt sich leicht im Organismus. In der Dosis von 0,25 bis 1 g 
pro Tag verabreicht, hat es, ohne den Magendarmkanal zu reizen, 
eine sehr ausgesprochene diuretische Wirkung, welche mehrere 
Tage anbält und sich nicht nur durch Vermehrung des Urins, son¬ 
dern auch des Harnstoffs und der Harnsalze dokumentlrt Wie alle 
anderen Medikamente, welche die Diurese durch direkte Wirkung 
auf die Niere anregen, ist das Agurin ohne Einfluss bei Nephritis, 
wo das Epithellum ergriffen ist, aber es vermehrt in diesen Fällen 
nicht die Albuminurie, wird also auch von der kranken Niere gut 
vertragen. 

Mathien hat an 6 Patienten mit 13 ergriffenen Gelenken 
völligen Erfolg mit der galvanischen Behandlung der Arthritis 
blennorrhagica gehabt. Meist in 3—4 Tagen, d. h. in 2—0 Sitzungen 
von >4 ständiger Dauer, in einem Falle jedoch erst in 14 Sitzungen, 
trat die Heilung des sonst so hartnäckigen Leidens ein. Die Stärke 
des 8tromes schwankte von 20—50 MA, je nach dem Fall. 

Pep in und Lebourcq empfehlen als neues Jodeiweiss- 
präparat das Jodogenol = Jodnlbuininpeptonat; es hat in allen 
Fällen, wo die Jodmedicntion lndicirt war, vollen Erfolg gegeben, 
und zwar auch dann, wenn die metallischen Jodverbindungen ohne 
Wirkung waren. Stern. 


Aus den englischen medicinischen Gesellschaften. 

' Chelsea Clinioal Society. 

Sitzung vom 12. März 1901. 

Ueber die Beziehungen des akuten infektiösen Bheumatismus 
zu den chronisch rheumatischen und rheumatoiden Affektionen 

vom klinischen und pathologischen Standpunkte aus. 

A. E. Garrod: Diese Frage ist noch weit entfernt vou 
einer bestimmten Beantwortung, und die Entscheidung zwischen 
den widerstreitenden Meinungen ist um so schwieliger, als meist 
nur klinische Beobachtungen zur Begründung vorliegeu. G. unter¬ 
scheidet 4 verschiedene Formen der chronischen rheumatoiden 
Arthritis: 

1. Die fusiforme, mit spindelförmiger Verdickung der Ge¬ 
lenke, namentlich der proximalen interphalangealen Fingergelenke 
und des Handgelenkes. Hiebei sind die Knochen nicht verdickt, 
die Auftreibung beruht nur auf Anschwellung der Weielitheile 
und Flüssigkeitsansammlung in den Schleimbeuteln. Diese Form 
befällt gewöhnlich Junge I/eule im Alter von 30 Jahren oder 
weniger, ist oft mit Anaemie verbunden, zuweilen mit Fieber ein¬ 
hergehend; ergreift verschiedene Gelenke oft in schneller Reihen¬ 
folge. bewirkt Muskelatrophie, keine Osteophyten. 

2. Die k n o t e n b i 1 d e n d e Arthritis, meist bei älteren 
Frauen, betrifft die terminalen Interphalaugealgelenke, vorzugs¬ 
weise aber auch das Carpo-metacarpalgelenk des Daumens und 
führt zu einer ausgesprochenen Verdickung des Knochens an den 
Gelenkenden. Diese Schwellungen sind nicht spindelförmig, son¬ 
dern knollig und ziemlich scharf abgesetzt. Das Allgemeinbefinden 
leidet nicht. Manchmal sind auch die Kniee betheiligt, und man 
fühlt bei Bewegungen deutliches Knacken. 

Als 3. Form findet sich namentlich bei jugendlichen Indi¬ 
viduen die verkrüppelnde Arthritis mit geringer Ver¬ 
dickung der Gelenke, aber hochgradiger und barocker Verbiegung 
derselben. Mau findet dabei Osteophyten unter der Haut als 
kleine, scharfe Vorsprünge. Die Prognose ist schlecht. 

4. ist zu unterscheiden die monartikuläre Form 
mit Ergriffensein von nur einzelnen Gelenken, namentlich den« 
Knie, bei älteren Leuten. Ob diese chronischen Arthropathien mit 
dem akuten Gelenkrheumatismus aetiologlsch Zusammenhängen, 
erscheint mehr als zweifelhaft. Vorläufig ist die Entscheidung der 
Frage noch durch einen Mangel an anatomischen Untersuchungen 
erschwert. Obductionsbefunde, welche G. zu Gebote standen, 
zeigten verschiedentliehe Abweichungen vou dem als das klassische 
Bild beschriebenen Befund mit faserigem und abgeschliffenem 
Knorpel, osteophytischen Wucherungen. Eburnisation der Knochen¬ 
enden u. s. w. Bemerkenswert!! ist noch die Aehuliehkeit der 
knotenförmigen Arthritis der alten Leute mit den trophlselien 
Gelenkaffektionen bei Tabes und Syringomyelie, sowie anderer¬ 
seits auch bei Gicht (H e b e r d e u'sche Knoten). 

Poynton und Paine haben bei 14 Fällen von akutem 
Gelenkrheumatismus einen Diplococcus gewonnen, der auf flüssigen 
Medien kettenförmig und auf festen Nährböden in Staphylococcen- 
nmssen auswächst. Sie halten es ftir wahrscheinlich, dass die von 
anderen Forschern beschriebenen Mikroorganismen mit den ihrigen 
Identisch sind, und dass die bestehenden Unterschiede durch Ver¬ 
wendung anderer Nährmittel bedingt Beien. An Kaninchen er¬ 
zeugten sie damit ganz analoge Veränderungen wie bei mensch¬ 
lichem Gelenkrheumatismus. Sie haben diesen Diplococcus bei 
Patienten auch im Urin nachgewiesen, und bei tödtlichen Fällen 
wurden häufig Veränderungen im Parenchym der Nieren, nament¬ 
lich an den Tubulis contortls angetroffen. 

Macnamara vertheidigt die Ansicht eines toxischen Ur¬ 
sprungs der rheumatoiden Arthritis. Septische Infektion vom 
Uterus her könne zu Gelenkentzündungen führen, ebenso wie 
Gonorrhoe und Lepra. Bei einer 25 Jährigen Frau hat er eine von 
den eiterhaltigen Zahnalveolen ausgehende septische Infektion 
zu Deformirung und Fixation verschiedener Gelenke führen 
sehen. 

Banantyue weist auf die Fälle von Rheumarthritis acutn 
hin, die der Behandlung trotzen und nachher den Typus der rheu¬ 
matoiden Arthritis annehmen. Er erklärt sie als eine Doppel¬ 
erkrankung. Er hat auch einen Mikroorganismus nachgewiesen, 
der aber nach Beschaffenheit und Lebensgang von dem Poyn- 
t o n’schen sich unterscheidet. 

Ebenso hat Hewlett einen anderen Infektionskeim, einen 
Bacillus gefunden. 

W. A. L a n e glaubt, dass viele Fälle als rheumatisch be¬ 
zeichnet werden, die in Wirklichkeit nur auf Traumen beruhen. 

Duck worth weist darauf hin, dass manche wirklich gich¬ 
tische Gelenkaffektioneu ohne Weiteres gar nicht von denen der 
rheumatoiden Arthritis zu unterscheiden sind. Exostosen und 
Ankylosen finden sich aber bei ersteren Leiden, nicht dagegen bei 
letzteren. In manchen Fällen kann man die Erscheinungen kaum 
anders als durch die Annahme einer Vermischung von wirklicher 
infektiöser Rheumarthritis mit echter Gicht erklären. Ein wirk¬ 
licher Zusammenhang zwischen ersterer Affektion und rheuma¬ 
toider Arthritis ist bisher nicht erwiesen worden. In vielen Fällen 
sind die Erscheinungen und der Verlauf nur durch den vielfach 
bekämpften Begriff Diathese zu erklären. Philipp!. 


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1232 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 30. • 


XVII! Hauptversammlung des Preussischen Medicinal- 
beamten-Vereins 

zu Berlin am 13. und 14. September 1901. 
Tagesordnung: 

Donnerstag, den 12. September, 8 Uhr Abends: Gesellige 
Vereinigung zur Begrtissuug bei Sedlmayr (Friedrichstr. 172). 

Freitag, den 13. September, 9 Uhr Vormittags: Erste 
Sitzung im Festsaal des Savoy-HOtels. 1. Eröffnung der Ver¬ 
sammlung. 2. Geschäfts- und Kassenbericht: Wahl der Kassen- 
revisoren. 3. Die Dienstobliegenheiten des Kreisarztes nach der 
neuen Dienstanweisung. Referent: Herr Med.-Rath und Kreis¬ 
arzt Dr. F i e 111 z ln Halle a. S. 4. Experimentelle mikroskopische 
Studien zur Lehre vom Erhiinguugstode. Referent: Herr Dr. 
P 1 a c z e c k . Nervenarzt in Berlin. 5. Aus dem hygienischen 
Institut zu Hamburg (Direktor: Frof. Dr. Dunbar): Theorie und 
Praxis der Grundwasserenteisenung mit Demonstrationen. Refe¬ 
rent: Herr Dr. Wol f f. prakt. Arzt in Harburg a. Elbe; pro phy- 
sicatu approbirt. — 3 Uhr Nachmittags: Festessen im Savoy- 
HOtel. — 9 Uhr Abends: Gesellige Vereinigung bei Sedlmayr 
(Friedlichst r. 172). 

Sonnabend, den 14. September, 9 Uhr Vormittags: Zweite 
Sitzung Im Festsaale des Savoy-HOtels. 1. Heber die Schut'/.- 
bezw. Desinfektionsmaassregeln wiihrend des Bestehens einer ge- 
meiugefiilirlichen Krankheit. Referent: Herr Med.-Ratli Prof. Dr. 
W er n ick e, • Direktor des hygienischen Instituts in Posen. 

2. Die aus der Unfallversicherungs-Gesetzgebung erwachsenden 
besonderen Pflichten des ärztlichen Sachverständigen. Referent: 
Herr Dr. Paul Stolper ln Breslau, pro physicatu approbirt. 

3. Vorstandswahl und Bericht der Kassenrevisoren. 4. Zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose. Referent: Herr Kreisarzt Dr. Krause 
in Sousburg. — Nach Schluss der Sitzung: Gemeinschaftliches 
Mittagessen im „Franziskaner“. Betreffs der nachfolgenden Be¬ 
sichtigung bleibt nähere Bestimmung Vorbehalten. — 9 Uhr Abends: 
Gesellige Vereinigung. 


Uebcrsicht II 


Untersuchungsgegenstände 

(Proben) 


Zahl 


Bezeichnung 


1574; 

430 

3140 

Ü70! 

161lj 

1689; 

4200 

II8gI 

2798; 

557 

812 

105:6 

95 

112 

936 

'1430' 

15G4| 

2751' 

584 

4096 

32 


A. Nalirungs- und 
Genussmittol und 
Gebrauchsgcgcn- 
stä n de. 

Bier. 

Branntwein und Likör 

Brod. 

Cacao, Chocolade . . 
Coneerven .... 

Essig. 

Fabrikate aus Mehl 
und Zucker . . . 

Farben. 

Pette (Bott., Schmalz etc.« 
Fruchtsäfte u. Limon. 
Gebnmchsgegenstände 

Gewürze. 

Hefe. 

Honig. 

Käse. 

Kaffee, Kaffeeanrrogale . 
Kochgeschirre . . . 

Mehl. 

Metallgerflthe . . . 

Milch und Rahm . . 
Mineralwasser . . . 


Hl 

2 S 2 

U n te r s nc 1 1 ungsgegen St ä n d e 
(Proben) 

v * a 

■«sS 


Zahl 

Bezeichnung 



2 

Obstwein. 



51 

Petroleum .... 

1 


162 

Speiseöl . ; . . . 

3 


235 

Thee. 

12 

271 

43 

412 

11 

142 

547 

776 

48 

258 

120 

1662 

Wasser. 

589 

791 

6650 

Wein, Most .... 
Wurst- und Fleisch- 
waaren. 

125 

728 

797 

Zucker und Symp 

41 

1816 

Sonstige Gegenstände 

301 

55085 

Summa A 

B. Technische 
Analysen. 


140 

51 

Laktodensimeter . . 

1 

279 


Leuchtgas .... 

— 

12 

2571 Sonstige Gegenstände 

44 

4 

85 

386 

30.t 

Summa B 

4J 

321 

95 


Zusammenstellung 

' 

180 

55985 

Summa A 

6392 

510 

308 

„ B 

49 

2 

56293 

Gesammtsumme 

6411 


Verschiedenes. 

Die Geschäfte der öffentlichen Untersuchungs-Ansta 1 teil 
für Nahrungs- und Genuss mittel für das Jahr 1900. 

Uebersicht I. 


Untersuchung«- 


Bezeichnung der Auf¬ 
traggeber 

a 

V O 


§ bc 
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62 , 

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(Proben) 

Zahl der 

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3 


5 

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7 

8 

9 

10 


I. Königliche Untersuchungsanstalten: 

a) Erlangen. 

18007 | 1372612379 = 13,2°/o'; 65 | 17678 | 264 1128 | — | 12 | 708 

b) München. 

18579 | 31392 |2081‘)= 11,2% 47 | 18336 ( 196 | 180 | 2 | 29 | 563 

c) Würz bürg. 

14ö29 | 13730 11311 = 9,3% | 25 ] 13732 | 272 | 25 | — | 19 | 415 

II. Gemeindliche Untersuchungsanstalten: 

d) Nürnberg. 

2910 | 2350 ,394 = 13,5% | 10 | 2771 | 129 |14l | —| 2 7 I — 

e) Fürth. 

1075 | 1012 | 42 = 4,0% | 2» | 1028 | 27 | 1 |—| 7 | — 

III. Kreis-Untersuchungsanstalt: 

f) Speyer. 


1693 ' 1362 J 234 = 13,8% | 33 

1311 | 

349| 21 

1 — 1 16 

| 245 

56293 , 63572 j 6411=11,4%% 200 ; 
Im Vorjahre (18,7%) 621) 

54856 | 

1237 496 ! 

|(438) 

j 2 j 110 

|(109). 

1931 

(1979) 


*) Dazu kommen noch 14 38 Fälle von Verfehlungen gegen ober- und orts- 
polizeilicho Vorschriften und 3G5 Fälle von Verfehlungen in Bezug auf Arzneien 
und Gifte. 

*) Werden die auf 1662 Wasseruntersuchungen treffenden 689 Beanstandungen 
aiisgescliieden — weil es sich hier nicht um Verfehlungen gegen das Nahrungs¬ 
mittelgesetz oder damit in Zusammenhang stehende Gesetze handelt —, so 
reducirt sich der Proccntsatz der Beanstandungen auf 10,7%. 


Frequenz der Schweizer medicluischen Fakul¬ 
täten im Sommersemester 3901: 

Aus dem Aue andern 

Kanton Knntonen Ausländer Summa Total 


M. W. M W. M. W. M. W 

Basel. 53 1 69 3 12 — 134 4 138 

Bern. 65 2 70 4 39 184 174 190 364 

Genf. 32 1 55 1 96 166 183 168 351 

Lausanne... 39 — 30 — 37 64 106 64 170 

Zürich. 55 3 122 6 43 76 220 85 305 


Total für das Sommersemester 1901 an allen schweizerischen 
Universitäten 1328 (817 511), worunter 611 (590-f-21) Schweizer. 

(Sommer 1900: 1201 (798 + 403), darunter 617 (597 -f 20) Schweizer: 
Winter 1900/1901: 1375 (836 -f 539), worunter 637 (516 -f 21 > 
Schweizer.) 

Basel mit 13, Bern mit 13 (11 2». Genf mit 2, Lausanu*- 

mit 6 (1 -)- 5) und Zürich mit 16 )14 -f- 2) Auditoren. Ausserdem 
(ienf mit 31 Schülern und 2 (1 -}-1) Auditoren der zahuürztliehcu 
Schule. (Corr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte.» 

Therapeutische Nottaen. 

D j a m b o e. Die Firma Caesar & Loretz in Halle 
verarbeitet eine Drogue, welche viel zu wenig bekannt 
ist und die eine gerechte Benchtung verdient, nämlich die 
Djamboeblätter. Versuche damit wurden im Jahre 1894 
von Hügel in der Würzburger Poliklinik angestellt und in 
der Münchener medie. Wochenschrift No. 29 veröffentlicht. Ich 
entnehme seinem Bericht Folgendes: Die Djamboeblätter werden 
von den Eingeborenen Java’s als Hausmittel gegen die Durchfälle 
der Cholera asiatica angewendet: S o 1 e r e d e r - München hat 
sie als Blätter von Psydium Guajava Raddi bestimmt. Ber¬ 
the r a u d (1888) fand darin 12 Proc. Tannin, 30 Proe. Calcium¬ 
oxalat und 2 Proc. eines eigentümlichen Harzes, welchem eine 
Wirkung gegen Wecliselfleber zukommen soll. 

Die neueste Analyse ergab für 100 g Djamboeblätter: 

Tannin 8,3 g, 

Harz 10,1 g, 

CalciumoxaJat 2,75 g. 

100 g Blätter auf 1000 g Tlnctura vinosa (1:10) verarbeitet, 
also mit Wein einfach ausgezogen, ergaben 7,6 g Tannin, kein 
Harz (weil dieses vom Wein nicht gelüst wird), während 100 g 
Extractum fluidum (1 :1), ein durch Percolation mit 70 Proc. Spi¬ 
ritus im Verhältnis« 1:1 gewonnenes Extrakt nur 5,38 g Tannin, 
dagegen 0,61 g Harr, enthält. 

Hügel hebt dann hervor, dass, nachdem die vollständige 
Ungiftigkeit des Mittels erwiesen war, es bei mehreren hundert 
Fällen von akuter Gastroenteritis der Kinder angewandt wurde 
mit dem Erfolg, dass die stärksten Diarrhöen und anhaltendes Er¬ 
brechen sich auffallend raseli besserten. Auch schwere akute 
Gastroenteritis der Erwachsenen wurde (erst 0,3 Kalouiel, dann 
Djamboe) günstig beeinflusst, ebenso erwies es sich als promptes 
Stonmebicum bei Dyspepsien. Beim chronischen Mngendnmi- 
katarrh war die Wirkung keine so rasche, aber nach einiger Zeit 
doch eine günstige. Nicht minder besserten sich auffallend rasch 
Diarrhöen bei Phthisikern, auch wenn Opium und andere Ad- 
stringentien wirkungslos waren. Anwendung iui Infus und als 
Fluidextrakt. 


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23. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1233 


Robert hatte mit <ler weinigen Tinktur bei tuberkulösen 
Diarrhöen keinen Erfolg, während auch ihn die Anwendung des 
Fluidextraktes sehr befriedigt hatte. 

Diese Verschiedenheit der Wirkung ist möglicher Weise aut' 
die Verschiedenheit des Gelialtes an Tannin und Harz bol beiden 
Präparaten zurttckzuführen. 

Seitdem habe ich keine Veröffentlichung über Djamboe finden 
können und ich möchte desslialb das Präparat durch diese Zeilen 
der unverdienten Vergessenheit entreisseu. 

Hervorzuheben ist in erster Linie seine völlige Ungiftigkeit. 
Durch ein Versehen eines Gehilfen wurden auf 2 mir verabreichten 
Flaschen die Etiketten verwechselt, so dass ich meinem eigenen 
an Darmkatarrh erkrankten, damals 1 >/ s Jahre alten Knaben 
statt des beabsichtigten Djamboeweins einige Tlieelöffel des (10 mal, 
stärkeren) Fluidextraktes verabreichte, ohne dass die geringste 
nachtheilige Wirkung beobachtet werden konnte. Nur der Ge¬ 
schmack war ein recht schlechter, während der Wein von «lern 
Kleinen ebenso wie von allen anderen kleinen und grossen Pa¬ 
tienten gern genommen wurde. 

Ich will als Beispiel nur ganz kurz 3 Krankengeschichten von 
1—2 jährigen Kindern nnfiihren, die sämmtlicli die gleiche Be¬ 
obachtung zeigen. 

G. W., 1 i/ 2 Jahre alt, erkrankte ohne Erbrechen an akutem 
Magendarrakatarrh und erhielt zunächst 5 Pulver Knlorael 0,015 
innerhalb 11/ 2 Tagen. Die Milch wurde weggelassen und zunächst 
nur Kufeckemehl und Eiweisswasser verabreicht. Dann bekam 
der Kleine 4 mal täglich 0,4 Tannalbin mit dem Erfolg, dass die 
Zahl der Stuhlgänge auf 5 am Tag zurüekging, doch blieb derselbe 
noch ganz dünn und enthielt viel Schleim. Da dieser Zustand noch 
3 Tage anhielt, wurde nun Djamboewein gegeben und dieser be¬ 
wirkte in kurzer Zeit breiigen Stuhlgang, Milch wurde wieder 
vertragen und der Appetit war bald wieder völlig normal. 

Kind H., 1 Jahr alt, erkrankte an Brechdurchfall, welcher 
schon 3 Tage bestand, ehe ich um Rath gefragt wurde. Die Be¬ 
handlung war die gleiche, wie oben, es trat aber nur vorüber¬ 
gehend Besserung ein, bald waren die Stühle wieder zahlreich und 
wässerig und das Kind wurde hinfällig und schwach. Auch dieses 
Kind erhielt aus Versehen den Extract statt des Weins und war 
nach 2 Tagen seinen Darmkatarrh los und hatte blühenden Appetit. 

Kind II., 1 Vs Jahre alt, leidet schon seit 5 Tagen an Brech¬ 
durchfall und Ist kolossal zusammengeklappt. Das Brechen ver¬ 
schwindet nach Ivalomel, die Stühle bleiben aber sowohl nach 
Tannalbin, als auch nach Ratanliia mit Opium zahlreich (12 iu 
24 Stunden) und enthalten reichlich Schleim und Blut. Das Kind 
verfällt zusehends. Die Eltern sind iu grösster Sorge. Nach Ein¬ 
gehen von Djamboewein verringern sich die Stühle am nächsten 
Tag auf 4, um übernächsten auf 2. werden breiig, das Kind be¬ 
kommt wieder Appetit und ist nach 3 Tagen wohlauf. 

Recht bemerkenswert!» ist die Krankengeschichte eines Kol¬ 
legenkindes, G. K., 1 y 2 Jahre alt, welches schon seit längerer Zelt 
an Diarrhöen gelitten hatte, ohne dass das Allgemeinbefinden er¬ 
heblich gestört gewesen wäre. Es waren schon die verschiedensten 
Mittel eiugegebeu worden, ohne einen Dauererfolg zu erzielen. In 
der Abwesenheit des Vaters erkrankte das Kind nun ernstlich, 
erbrach alle Nahrung, hatte fast stündlich einen wässerigen, reis¬ 
wasserähnlichen Stuhlgang und hohe Temperaturen, schlief nicht, 
schrie fortwährend, sah zum Erbarmen blass und verfallen aus. 
Tannalbin, Wismuth hatten schon früher versagt und halfen auch 
jetzt nichts; das Kind wurde so schwach, dass der Vater aus Tyrol 
herbeitelegraphirt werden musste, weil ein zugezogener Kollege 
und ich den Zustand für recht ernst erklärten. Jetzt begann ich 
mit Djamboewein und gab stündlich bis 2 stündlich einen Klnder- 
lö.ffel; die kleine Kranke nahm ihn gern und erbrach nichts mehr; 
nach 2 Tagen waren die Stuhlgänge seltener, Nahrung wurde ge¬ 
nommen und behalten und als der Vater ankam, war die Patientin 
auf den» Wege der Besserung und wurde unter Beibehaltung des 
Medleament8 noch während 8 Tagen gesund und erholte sich 
langsam. 

Ich habe daun noch einige Male bei akuten Darmkatarrhen 
der Kinder den Djamboewein ohne vorherige Darreichung von 
Kainniel versucht, war aber nicht befriedigt davon und gab auch 
Erwachsenen immer erst 0.3 Ivalomel. 

Besonders gut wirkt der Djamboewein bei chronischen 
Darmkatarrhen; schon nach wenigen Tagen hörten die 
Duichfülle auf und ein appetiterregender Einfluss 
war nicht zu verkennen. 

Der letztere ist l-ühmend hervorzuheben und man kann un¬ 
bedenklich die Djamboeblätter als Stomacliic um 
an sehen, denn ich habe wiederholt das Mittel bei Kindern mit 
dem besten Erfolg in diesem Sinn gegeben, ohne dass sie an Darm¬ 
katarrh, wohl aber an Magenstörungen litten. 

Die wirksame Substanz der Drogue ist zweifellos das Tannin; 
inwieweit die Harze eine Rolle spielen und ob noch andere Stoffe 
ln Betracht kommen, entzieht sich meiner Beurtheilung. 

Die Djamboe kommen in folgenden Formen in Gebrauch: 

1. Folia Djamboe subt. pulv. 1—2 stündl. für Kinder 0,5, für 
Erwachsene 1,0 (es gibt aucl» Tabletten zu % g). 

2. Inf. Djamboe (5: 80 mit 20 Syrup) 1—2 stündl. für Kinder 
1 Tlieelöffel, für Erwachsene 1 Esslöffel. 

3. Tet. Djamboe vinos. (1:10) 1—2 stündlich für Kinder 1 Thee- 
kinderlöffel. für Erwachsene 1 Esslöffel. 

4. Extr. Djamboe fluid (1:1) 1—2 stündl. für Kinder 20 Tropfen, 
für Erwachsene 30 Tropfen bis 1 Theelöffel (für Erwachsene am 
besten in Cofpuic, für Kinder in Wein). 

Ich selbst habe gewöhnlich die Tct Djamboe vlnosa gegeben; 


da diese aber ziemlich theuer ist, empfiehlt es sich eventuell, das 
Fluidextrakt oder Iufus zu verordnen. 

Jedenfalls möchte ich ratheu, mit deu Djamboepräparaten 
einen Versuch zu machen; ich bin überzeugt, dass das Mittel siel» 
viele Freunde erwei-ben und viel Nutzen schaffen wird. 

Dr. Witthauer - Halle a S. 

Bezüglich der Ivlimato- und Balneotherapie der 
Herzkrankheiten ist I)r. M. Bohrend- Badeuweiler der 
Meinung, dass ein klimatisch bevorzugter und geschützt gelegener 
Mittelgebii-gskurort iu Folge seiner natürlichen Terraineigen¬ 
schaften sich bei den einfacheren Degenerationen des Myocards, 
dem Mastfettherz und den compeusirten Klappenfehlern äusserst 
günstig bewähren würde und sich ganz besonders gut z»r Nach¬ 
kuren nach einer Xnulielmer, Ivissinger oder Marienbader Kur 
eignet. In Folge seiner sehr gescliützen Lage, die dabei hoch genug 
ist, um Kreislauf, Athmung und Stoffwechsel anregend beein¬ 
flussen zu können, seiner natürlichen Ausstattung mit einer in¬ 
differenten Therme und mit einer grossen Anzahl theils ebener, 
theils allmählich ansteigender, gut gepflegter Wege dürfte sich der 
Inmitten der herrlichsten Waldungen gelegene Schwarzwaldkurort 
ganz besonders für diese Zwecke eignen. Dank dem liberalen 
Entgegenkommen der grossherzoglichen Regierung ist seit dem 
vorigen Jahre die Einrichtung getroffen, dass neben Kefir und 
Molken eine Auzuhl Brunnen in ihrer natürlichen Wärme hier 
zum Ausschank gelangen, so dass in den Fällen, in denen eine 
Indien tion vorliegt, eine Karlsbader, Kissinger oder Emser 
Brunnenkur gleichzeitig gebraucht werden kann. Dement¬ 
sprechend wird auch seitens der Hotels und grösseren Pensionen 
dafür Sorge getragen, dass, was Comfort und Verpflegung dieser 
Kranken betrifft, die weitgehendsten Ansprüche erfüllt werden 
können. (Allg. Med. Central-Ztg. 1901, No. 44.) P. H. 

Pulvorinhalatlon. Schenk- Köln a. Rh. empfiehlt 
für die akuten und chronischen Affektionen der Luftwege und der 
Lunge»» als Neuestes seine seit längerer Zeit geübte und erprobte 
Inhalation von Medicainenten In fester Form, in Slauhform und 
behauptet, dass sich mit derselben wesentlich bessere Resultate 
erzielen lassen, als mit den anderen Methoden. Die Medieameute. 
welche zur Inhalation verwendet werden, sind Je nach der Indi- 
cation verschieden. Vorzugsweise kommen zur Anwendung: 
Natrium bicarbonicuui, Alumen ustum, Aeid. boricum, Tiuct. 
Myrrliae. Acid. tannlcum, Jodoform. Ol. nientli. plp., Ol. cinnan» 
etc.: als Constituens dient Saccharum album oder Amylum trit. 
Die Application erfolgt mittels eines von E. II o f I u s - Duis¬ 
burg a. Ith. hergestellten Pulverinlialationsapparates und rechnet 
Sei», je 1 g Pulver auf 100 AtliemzUge. Als Beispiele der Medi- 
cation seien folgende Vorschriften citirt: 

Itp.: Acid. tunnic. 1,0 

Jodoform 0,5 

Sacch. alb. a I 20,0 

mf. pulv. subtiliss. 

S. 2—3 mal täglich 10—30 AtliemzUge. 


oder 

Rp.: Nat*\ bicarb. 


Tinct. Myrrliae ää 2,5 
Sacch. alb. ad 20,0 

oder 

Rp.; Ol. menth pip. gtts. III 


Ol. cinnatn. gtts. II 

Sacch. alb. ad 20,0 


mf. pulv. subtiliss. 

S. 2—3 mal täglich 20—50 Atliemzüge. 

(Deutsch, med. Wochenscbr. Thernp. Beilage.) F. L. 


Tagesgeschichtliche Notizen, 

München, 23. Juli 1901. 

— Man schreibt uns aus Berlin: Auf dem Tnberkulose- 
congress, der In diesen Tagen — vom 22.—2(5. Juli — in London 
tagt, wird dem Vernehmen nach Geheimrntli Prof. Roh. Iv o c h 
Mittheilungeu machen über neue Versuche, die er in der tier¬ 
ärztlichen Hochschule dahier gemeinsam mit Prof. Schütz an¬ 
gestellt hat. Aus den Ergebnissen dieser Versuche soll hervor¬ 
gehen, dass die menschliche Tuberkulose von der 
Perlsucht der Rinder verschieden ist und dass Rinder für 
das Gift der menschlichen Tuberkulose nicht empfänglich sind. Die 
ebenso wichtige als schwierige Frage, wie es mit der Empfäng¬ 
lichkeit des Menschen für das Virus der Rindertuberkulose steht, 
soll durch grössere Versuchsreihen Ihrer Lösung näher gebracht 
werden. 

— Die Harben-Medallle, die vom Royal Institute of 
Public Health in London für dieses Jahr an Prof. Robert Koch 
ln Berlin verliehen worden Ist, wird dem deutschen Gelehrten in 
London in öffentlicher Sitzung am 24. Juli überreicht. 

— Die deutsche Heilstätte ln Davos wird li»i 
November d. J. eröffnet werden und minderbemittelten deutschen 
Lungenkranken, d. h. solchen, welche nicht ln der Lage sind, die 
Kosten einer mehl-monatlichen Kur ln einer der Anstalten für 
Wohlhabende zu bestreiten, und für welche andererseits ln den 
Volksheilstätten nicht der Platz ist, Aufnahme gewähren. Das 
Wohlthätigkeitsunternehmen, für welches viele hervorragende 
Kliniker und Aerzte elngetreteu sind, steht unter dem Ehrenvorsitz 
des deutschen Gesandten in Bern, Dr. A. v. B ü 1 o w Exc. und 
des Bayerischen Ministerresidenten ln Bern, Graf Ed. Mont- 


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1234 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30. 


gelas, Vorsitzender ist der deutsche Vizekonsul in Davos. 
Burehard. Als Chefarzt ist Stabsarzt a. D. Dr. B recke be¬ 
rufen, welcher mehrere Jahre die Heilstätte Grabowsee geleitet 
hat. — Die Anstalt liegt am Nordende des Davoser Thals bei der 
Bahnstation Wolfgang, nach N., O. und W. durch Berge und 
Fichtenwald geschützt, nach Süden offen, mit freiem Ausblick auf 
den See und den Kurort, ist nach den Plänen des deutschen 
Ingenieurs Wetzel in Davos erbaut und wird zunächst für 
SO Kranke eingerichtet. 

— Einer Mittheilung der Augsb. Abeudztg. zu Folge hat sich 
der Kaiser vom Justizmiuister eingehenden Bericht über den Ver¬ 
lauf und das Ergebniss des letzten M i 11 1 ä r b e f r e 1 u u g s - 
1 » rocciisps in E 1 b e r f e 1 d erstatten lassen. Auch an hoher 
Stelle habe die auch auf dem Deutschen Aerztetag gerügte Be¬ 
handlung der angeschuldigten Aerzte, speclell des 7 Wochen lang 
in Untersuchungshaft befindlichen Dr. S c li u 11 z o - Köln, gegen 
den dann später das Verfahren eingestellt wurde, sehr verstimmt. 
Der Minister des Innern habe alsbald ilie strengste Untersuchung 
angeordnet und einen höheren Medleinalbeamteu nach Köln ent¬ 
sandt. um über die eingebrnehten Beschwerden Recherchen anzu¬ 
strengen. Heute stelle bereits fest, dass in der kommenden Reichs¬ 
tagssession der Minister über diese Vorgänge von Rednern zweier 
Fraktionen werde interpellirt werden. 

— Zu dem Beschlüsse des Deutschen Aerztetags. au die Reichs¬ 
regierung das Ersuchen zu richten. ..dass Personen mit dem 
schweizerischen Maturitätszeugniss auch nicht ausnahmsweise zum 
Studium der Medicin zugelasseu werden“, bemerkt das Kor¬ 
respondenzbin tt für Schweizer Aerzte: „Nicht nur Jeder schweize¬ 
rische Akademiker, sondern jeder gebildete Angehörige unseres 
Landes überhaupt, muss Uber diese schimpfliche Behandlungsweise 
empört sein. Wir hoffen und glauben, dass das gleiche Gefühl auch 
die zahlreichen Lehrer deutscher Abkunft, welche an unseren 
schweizerischen Lehranstalten wirken, beherrsche und sie zu einem 
Protest gegen dieses unwürdige Vorgehen des Deutschen Aerzte- 
tages veranlasse; den meisten derselben wird es auch bekannt sein, 
dass die .Anforderungen der schweizerischen Maturitätsprüfung 
denjenigen der deutschen mindestens gleichwerthig sind.“ — Schon 
der Titel, den das Korr.-Bl. seiner Notiz gibt: „Boykott der schwei¬ 
zerischen Medielnstudirenden durch den Deutschen Aerztetag“. 
deutet auf ein Missverständnis hin. Es handelt sich keineswegs 
um eine gegen schweizerische Medicinstudireiule gerichtete Maass- 
nahrne, sondern es soll offenbar nur verhütet werden, dass Damen 
auf Grund eines schweizerischen Maturitätszeugnisses sich in 
grösserer Zahl zum Studium der Medicin au deutschen Uni¬ 
versitäten drängen. Man kann gewiss über die Zweckmässigkeit 
des Hildesheimer Beschlusses sehr verschiedener Meinung sein, 
er gibt jedoch keinen begründeten Anlass zu der Entrüstung, die 
sich im Korr.-Bl. ausspricht. 

— Die Frequenzziffern der schweizerischen medleinischen 
Fakultäten, die wir an anderer Stelle dieser Nummer abdruckeu, 
ergeben die interessante Tlmtsache, dass an der Universität Bern 
die weiblichen Mediciner mit PJO gegen 174 männliche 
die Mehrheit haben; in Genf studiren UW Frauen neben 
183 Männern; an den anderen schweizerischen Universitäten ist 
die Zahl der Medicinerinnen geringer, aber immer noch recht 
erheblich; nur Basel weist sehr wenige <4; Medicinerinnen auf. 
Von den 511 im Ganzen in der Schweiz studirenden Frauen sind 
nur 21 Schweizerinnen. Auch im Deutschen Reich ist die Zahl 
der weiblichen Medielnstudirenden im laufenden Semester recht 
beträchtlich: Im Ganzen (nach einer Statistik der Deutsch, med. 
Wochenschr.) 95, worunter 39 Reichsdeutsche, 50 Ausländerinnen; 
die höchsten ZifFem haben Berlin (25), Leipzig (24), Freiburg i. B. 
(IS) und Halle (32). 

— Das Reichsversicherungsamt hat an die Vorstände der Iu- 
validenverslcheruugsanstalten und der auf Grund des Invalhlen- 
versieherungsgesetzos bestehenden besonderen Kassenelurich- 
tungen ein Rundschreiben gerichtet, das die Ausdehnung 
der II eilbehandlungs bestreb ungen auf Ge¬ 
schlechtskrankheiten von Versicherten betrifft. Das 
Reiehsversiclierungsamt erklärt es darin für erwünscht, dass die 
Versicherungsträger, soweit dies noch nicht geschieht, in gleicher 
Weise wie auf sonstige Leiden ihr Augenmerk in Zukunft auch auf 
die sachgeinässe Heilbehandlung von Geschlechtskrankheiten, und 
zwar thuuliehst in Verbindung mit den Organen der Kranken¬ 
versicherung, lenken. Die Behandlung solle wegen der An¬ 
steckungsgefahr und wegen der auch im Interesse der Versiche¬ 
rungsanstalten liegenden baldigen und sicheren Heilung der Kran¬ 
ken regelmässig in geeigneten Krankenhäusern stattümlen. 

— Der Verband der Aerzte Deutschlands zur 
Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen 
gibt bekannt, dass nach § 7 der Satzungen für das Geschäftsjahr 
1901/1902 der Vorstand aus folgenden Herren besteht: Dr. Hart¬ 
mann- Leipzig-Connewitz, Vorsitzender: Dr. G ö t z - Leipzig- 
Plagwitz, stellvertr. Vorsitzender; Dr. Hirschfeld - Leipzig- 
Neust., Eisenbahnstr. 31, Kassierer; Dr. G ö h 1 e r - Leipzig, Zeitzer- 
strasse 49, Schriftführer; Dr. Bach, Dr. D i p p e, Dr. D o u a 1 i e s, 
Dr. M e j e r, Professor Dr. Schwarz. Dr. Walther. Der 
Aufsichtsrath besteht aus den Herren: Dr. B i e r m e r - Magde¬ 
burg, Dr. L e w y - Berlin. I)r. Ponndorf - Weimar. 

— Die Berliner medicinische Gesellschaft hat den Bau eines 
Virchow- Hauses als dauernde Erinnerung an den hel-vor¬ 
stehenden 80. Geburtstag ihres Ehrenpräsidenten beschlossen. 
Der Bauplatz wird auf Antrag der Stadtverordnetenversammlung 
von der Stadt Berlin hergegeben werden. Als Baukapital stehen 
Jetzt schon etwa 150 000 Mark zur Verfügung. 


— Die Pariser anthropologische Gesellschaft beschloss auf 
W a 1 d e y e r's Einladung, an «1er Feier von Virclio w's 
achzigstpui Geburtstag durch eine Abordnung theii- 
zunehmen und dem Jubilar eine grosse goldene Ehreumüuze zu 
überreichen. 

— Zum dirigirenden Arzt der Lungen Heilanstalt 
des Niederrheinischen Verbandes für Duisburg, Essen, Ruhrort 
und Mülheim wurde der bisherige 1. Assistenzarzt der medi- 
ciuischen Klinik zu Jena, Herr Dr. Fritz Köhler aus Elberfeld, 
gewühlt. 

— Pest. Türkei. In Stambul ist seit dem 2. Juli ein weiterer 
Pestfall festgestellt worden. — Aegypten. Vom 28. Juni bis zum 
5. Juli sind in Zagazlg 10 neue Erkrankungen (und 5 Todesfälle) 
zur amtlichen Kenutniss gekommen, in Minieli 0 (0), in Alexandren 
1 (0). Iusgesammt sind in Aegypten vom 7. April bis 5. Juli 81 Er¬ 
krankungen mit 35 Todesfällen an der Pest zu verzeichnen ge¬ 
wesen. — Britisch - Ostindien. In der Präsidentschaft Bombay 
wurden vom 1. bis 7. Juni 749 Erkrankungen und 575 Todes¬ 
fälle, während der folgenden, am 14. Juni abgelaufenen Woche 
081 Erkrankungen und 521 Todesfälle au der Pest festgestellt. In 
der Stadt Bombay wurden in den beiden Wochen vom 2. bis 
15. Juni 118 bezw. 77 Neuerkrankuugcn und 107 bezw. 09 Pest- 
todosfülle gemeldet; ausserdem wurden 274 bezw. 205 SterbefUllc 
als pestverdächtig bezeichnet. Die Gesummtzahlen der Gestorbenen 
betrugen 914 und 721. — Brasilien. In Rio de Janeiro sind am 
5. Juli 3 Pestfiille amtlich festgestellt worden. — Queensland. Nach 
den amtlichen Ausweisen sind in den 3 Wochen vom 5. bis 
25. Mai 5 Erkrankungen (kein Todesfall), 2 (1), 1 (1) festgestellt 
worden. In der am 31. Mai abgelaufeneu Woche sollen 3 Neu- 
erkraukuugen mit 2 Todesfällen beobachtet worden sein. 

— In der 27. Jahreswoche, vom 30. Juni bis 0. Juli 1901. 
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Stettin mit 38,7, die geringste Sehüueberg mit 9.9 
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Masern in Essen, Fürth, Karlsruhe, 
Kassel, Posen. 

— Ein neues Organ für physiologische Chemie wird von Prof. 
Franz Hofmeister in Strassburg 1 «‘gründet. Es erscheint im 
Verlag von Fr. V i e w e g & Sohn in Braunschwelg unter dem 
Titel: B e i t r ii ge zur c li eiuischen Physlologl e und 
Pathologie. Zeitschrift für die gesummte Biochemie. I)h* 
neue Zeitschrift soll der zunehmenden B«Ml«*utung. welche die 
Chemie für Physiologie und Pathologie, wie für die Klinik und die 
Bacteriologle in den letzten Jahren g«‘Wonneu hat gerecht werden. 
Sie wird in zwanglosen Heften erscheinen, von denen 12 einen 
Band bilden. Preis pro Band 15 M; jährlich 2 Bände. 

— Im Verlage von Ulrico Ilocpli in Mailand erscheint unter 
dein Titel „Manna li Ilocpli“ eine Sammlung medicinischer 
Oompendien kleinsten Formates, aber in guter Ausstattung und 
reich illustrirt. Bisher sind erschienen: C o u 11 i a u x, lgiene della 
bocca e dei «lenti; IMzzini. Microbiologia, perchö e eonie dobbiamo 
difendesei dai microbi; M a j n o n 1, Massagio; Stecchi e Gar- 
di ui, Chirurgia operatoria und Calliano, Soccorsi d’urgenza. 

(Hochschulnachrichten.) 

Heidelberg. Es habilitiren sich Dr. Julius He gen er 
für Ohrenheilkunde mit einer Probevorlesung: „Ueber die Ent¬ 
wicklung der chirurgischen Behandlungsmethoden der Ohrerkran- 
kuugen“, und Dr. Martin Jacoby für Pharmakologie ujit einer 
Probevorlesung: „Ueber die erworbene Immunität als toxiko¬ 
logisches Problem“. 

(Todesfall.) In Bremen starb der Direktor des bacterlo- 
logischen Staatslaboratoriums, Dr. Heinrich Kurth. 41 Jahre alt. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. Karl D ö p k e, appr. 1893, zu Bamberg. 
Dr. Alexander L e s s o r, appr. 3897, in Nürnberg. 

Abschied bewilligt: Den Oberärzten der Reserve Dr. Alois 
Lorenz (AschafTenburg) wurde behufs Uebertritts in die Kaiser¬ 
liche Marine und Dr. Rudolf E x n e r (Hof) behufs Uebertritts 
in die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika das erbetene 
Ausscheiden aus dem Heere bewilligt. 

Gestorben: Dr. Ludwig Elsen berge r, 40 Jahre alt, ln 
München. Dr. Friedrich W e g s t e i n, 31 Jahre alt, prakt. Arzt 
in Würzburg. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während de.- 28 Jahreswoche vom 7. bis 13. Juli 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 2 (3*), Scharlach — (— \ Diphtherie 
und Croup 2 (—), Rothlauf — ( —), Kindbettfieber 2 (1), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) — (2). Brechdurahfall 5 (2), Unterleibtyphus 
1 (1), Keuchhusten 1 (l), Croupöse Lungenentzündung 1 (2), 

Tuberkulose a) der Lungen 35 (26), b) der übrigen Organe 7 (*), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 2 (1), Unglücksfälle 5 (6), Selbstmord — (2), Tod durch 
fremde Hand — (l). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 195 (203), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,3 (21,1), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 13,3 (13,6). 


*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


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(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Ch. Bimlir, 0. Bolliigar, H. CursckniBii, 

Freibur* 1. B. München. Leipzig 


Heraasgegeben von 

C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, 

Berlin. Nürnberg. Berlin. 


H. v. Ranke, F. i. Wlackel, 

München. München. 


H. t. Zleassee, 

München. 


No. 31. 30. Juli 1901. 


Redmction: Dr. B. Spate. Ottostraace 1. 
Verlag: J. F. Lehmann. Heustrasse 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der psychiatrischen Klinik zu Strassburg. 

lieber Schlängelung und Erweiterung der Retinal- 
gefässe.*) 

Von C. Fürstner. 

Vor fast 20 Jaliren habe ich eine eigentümliche Veränderung 
des Augenhintergrundes beschrieben '), die immerhin zu den sel¬ 
teneren gehören dürfte, da sie mir selbst trotz recht zahlreicher 
ophthalmoskopischer Untersuchungen erst jetzt wieder begegnet 
ist, da auch von anderen Beobachtern, speziell Augenärzten, nur 
ganz vereinzelte Belege dafür beigebracht worden sind, die über¬ 
dies nach mehrfacher Richtung hin von meinem Befunde dif- 
feriren. 

In meinem ersten Fall, der eine 37 jährige Frau betraf, war 
bei völlig klaren Medien beiderseits vom Augenhintergrund ein 
scharfes Bild zu gewinnen, die Papille erwies sich durchaus normal, 
namentlich war keinerlei Niveaudifferenz zwischen Opticus und 
Retina zu erkennen, siimmtliche Gefässe hoben sich auffallend 

plastisch ab, sie schienen 
nach vorn, nacli dem Glas¬ 
körper zu mehr als gewöhn¬ 
lich hervorzutreten. Arterien 
und Venen waren von der 
Papille an beträchtlich er¬ 
weitert und ungemein ge¬ 
schlängelt bis fast an die 
Peripherie, die Farbe der 
Arterien namentlich war 
dunkler als gewöhnlich, 
Pulsation nicht erkennbar, 
die Gefässwandungen er¬ 
schienen ungewöhnlich breit. 
Pas Bild der Papille er¬ 
innerte au ein von dunklen 
i/ocken uuigebenesGorgoueu- 
baupt. Von anderweitigen 
Symptomen, welche die 
Krauke bot, seien hervor¬ 
gehoben mehrfache Blut¬ 
ungen aus der Nase, aus¬ 
gedehnte Varicen an beiden Beinen, Vergrösserung des Herzens nach 
rechts und links, systolisches Geräusch an der Aorta, zweiter 
Ton verstärkt, von fast metallischem Klange, ausserdem sprechen 
Erscheinungen für das Bestehen von zwei Hirnherden. Der Augeu- 
splegelbefond blieb während der Krankheitsdauer der gleiche, es 
entwickelten sich weder Schwellungen an der Papille, noch traten 
Blutungen auf. 

Unsere Annahme, dass ln diesem Falle eine aus¬ 
gedehnte Erkrankung des Gefässsystems vorliege, wurde 
durch die Obduktion und später durch die mikroskopische 
Untersuchung durchaus bestätigt; die Gefässe der Hiru- 
basis, der Rinde, des Auges, die Femorales, die Renales, die Mes- 
araica superior, alle wiesen bald cireumskripte, bald diffuse Ver¬ 
änderungen auf bei sehr verschiedener Intensität; das Lumen 
der Mesaraica superior z. B. war bis auf einen schmalen Schlitz 
verengt. Die Prüfung der histologischen Details ergab keine völlige 
Identität mit den von H e u b n e r beschriebenen Veränderungen 
der Endarteriitis luetica, es war auch anamnestisch Lues nicht 
mit Sicherheit nachweisbar, ebenso wenig entsprachen die Befunde 
der Arteriitis obliterans Friedlände Fs. Der Hauptsitz der 
Proliferation, die zum grösseren Theil aus Spindel-, zum kleineren 
Tbeil aus Rundzellen bestand, war zwischen Fenestrata und Media; 
im Uebrigen war aber die Betheiligung der drei Häute eine ganz 

•) Nach einem auf der Versammlung südwestdeutscher Neuro¬ 
logen und Irrenärzte zu Baden-Baden 11)01 gehaltenen Vortrage. 

») Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 30. 

No, 31. 



verschiedene, bald war ausschliesslich die Retina betheiligt, in der 
MuBcularis und Adventitia lagen nur vereinzelte Rundzellen, an 
anderen Schnitten war die Betheiligung der Muscularls weitaus am 
stärksten, in einer dritten Serie erschien die Adventitia als Prä- 
dilectlonsstelle. Was speciell die Gefässe des Auges anging, so 
wies die Arteria ophthalmlea eine erhebliche Einlagerung zwischen 
Fenestrata und Media auf, an den Ciliar- und Retinalgefässen war 
die Endarteriitis unbedeutend, die beiden anderen Häute erwiesen 
sieh aber stark l>etheiligt. Die Capillaren der Hirnrinde waren 
zum Theil verstopft, zum Theil waren die Wandungen mit 
Rundzeilen inflltrirt, ebenso waren die Gefässe an der Basis in 
ihrem Lumen partiell verengt. Die beiden Hirnherde waren em- 
bolischen Ursprungs. Ich erklärte mir das Augenspiegolbild ein¬ 
mal mit den Veränderungen an der Ophthalmlea, an den kleineren 
Gefässen des Auges und endlich durch die veränderten Druck- 
und Elastizitätsverhältnisse in den Gefässwandungen und im Ge¬ 
hirn. Die dunkle Färbung dachte ich mir bedingt durch Capillaren, 
welche die Proliferation durchzogen. 

Der Fall lehrte, dass auch bei Fehlen von Lues eine diffuse 
Arteriitis mit Betheiligung der Augengefässe vorkommt, an der 
die drei Häute in ganz verschiedenem Grade participiren. Die 
Frage, ob der eigenthümliche Augenspiegelbefund für die Dia¬ 
gnose verwerthet werden könne, musste zunächst unbeantwortet 
bleiben. 

So sehr ich nun in der Folgezeit auf analoge Bilder fahndete, 
konnte ich doch erst vor einigen Monaten den gleichen Befund 
erheben; Erweiterungen mässigen Grades, die ausschliesslich die 
Venen betrafen, Hessen sich häufiger konstatiren. 

Am 13. II. 1901 wurde ein 5G jähriger Mann vollkommen be¬ 
wusstlos ln die Klinik gebracht. Eine Bisswunde an der unteren 
Flüche der Zunge machte es in hohem Grade wahrscheinlich, dass 
ein Anfall stattgefunden hatte. Puls regelmässig, 85 Schläge. 
Pupillen gleich, reagirend.Patellarreflexe lebhaft,rechts etwas mehr 
gesteigert. Am Augenhintergrund fiel mir sofort die ungemein 
starke Schlängelung und korkzieherförmige Erweiterung der Ar¬ 
terien und Venen auf und zwar gleichmässig an beiden Augen; 
diesellre erstreckte sich von der Papille, die vollkommen normal 
war, bis fast an die Peripherie; auch- hier erschienen die Gefässe, 
insbesondere die Arterien, auffallend dunkel. Pulsation war nicht 
erkennbar, an der Retina im Uebrigen keinerlei Anomalie, nament¬ 
lich keine Strichelung, keine Blutungen, die auch im weiteren 
Verlaufe ebenso ausgeblieben sind wie Veränderungen an der 
Papille. 

Das Sensorium klärte sich allmählich auf. Der Kranke konnte 
das Voraufgehen eines Anfalls bestätigen, eine leichte rechts¬ 
seitige Parese, Steigerung des Patellarreflexes auf derselben Seite, 
rechtsseitige Hemiopie, Anarthrie und ein leichter Grad von moto¬ 
rischer Aphasie sprachen dafür, dass in der linken Hemisphäre 
ein Herd gesetzt worden war. Diese Symptome bildeten sich all¬ 
mählich weiter zurück, es ist jetzt uocii die Hemiopie, Tremor in der 
rechten Hand und intellektuelle Schwäche uachweisbar. Von 
Störungen Im Gefässsystem ist nur liervorzuhebeu, dass der Puls 
links beträchtlich schwächer erscheint als rechts. 

Ueher Störungen beim Sehen will Patient nicht zu klagen 
haben. 

Unter Berücksichtigung des früher beobachteten Falles, 
namentlich auch der beide Male bestehenden cerebralen Herd¬ 
affektion, glaube ich auch in dem zweiten Falle eine Gefäss- 
erkrankung diagnosticiren zu dürfen. 

Auch hier wird sich aber die Frage ergeben, ist der Augen¬ 
spiegelbefund durch die Gefässerkrankung bedingt? und weiter: 
wie ist letztere histologisch und aetiologisch aufzufassen ? 

Dass es sich hei der vorliegenden Veränderung nicht, um 
arteriosklerotische Vorgänge handelt, erscheint mir zweifellos. 
Spricht doch schon die Seltenheit des Augenbefundos gegenüber 
der grossen Frequenz auch schwerer arteriosklerotischer Ver¬ 
änderungen gegen diese Auffassung und nicht minder die Er- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE-WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


fdhrung? dass bei hochgradiger Arteriosklerose der Augenbefund 
ein anderer zu sein pflegt, es waren in meinem ersten Falle aber 
auch die anatomischen Veränderungen an den Gefässen des Auges 
den arteriosklerotischen nicht gleichzustellen. Was sodann die 
syphilitische Erkrankung der Augengefässe angeht, so liegt be¬ 
züglich derselben bisher nur sparsames Material vor; Bach hat 
die Meinung vertreten, dass an den grossen Gefässen mehr eine 
Betheiligung der Adventitia und Intima, bei den kleineren mehr 
der Intima allein zu konstatiren sei, dagegen war in meinem 
ersten Falle die Lokalisation insofern eine andere, als auch an 
den kleinen Gefässen Mesarteriitis und Periarteriitis erkennbar 
war. Uhthoff bezeichnet diese Veränderungen als immer¬ 
hin seltene; beiden Autoren ist aber vor Allem trotz der bestehen¬ 
den Gefässveränderungen nicht ein ophthalmoskopisches Bild 
begegnet, das dem von mir beobachteten analog wäre, und 
Rumpf bezeichnet sogar sehr enge Arterien als charakteristisch 
für Lues. Dass in meinen beiden Fällen Syphilis auch 
anamnestisch nicht nachzuweisen war, sei nochmals hervorge¬ 
hoben. Für eine Endarteriitis chronica diffusa, welche in den 
Augen lokalisirt ist, stellt Markow folgende Befunde als cha¬ 
rakteristisch auf: periodische Funktionsstörungen, Verengerung 
der Arterien, Erweiterung der Venen, keine Stränge längs der 
Gefässe, keine Haemorrhagien, niemals ein Uebergang in athero- 
matöse Veränderungen. Dass die anderweitig bemerkbaren 
Störungen im Circulationsapparat allein nicht genügend sind, 
um den Augenbefund zu erklären, leuchtet ein. 

Nun ist in den letzten Jahren mehrfach die Ansicht ver¬ 
treten worden, dass die Schlängelung und Verbreiterung der 
Arterien und Venen oder, was weitaus häufiger, der Venen allein, 
auf congenitale Störungen zurückzuführen sei. In dem pracht¬ 
vollen Atlas von Oe 11 er findet sich zunächst eine Tafel E, 
Tab. VI, deren Darstellung, soweit die Gefässe in Betracht 
kommen, meine Befunde ziemlich übereinstimmend wiedergibt 
(Oeller spricht von einer Tortuositas vasorum), nur war in 
meinen Fällen die Betheiligung der Arterien weitaus beträcht¬ 
licher, und ausserdem konnte Oeller einen den Sehnerven um¬ 
gebenden schmalen grauen Hof und von ihm nach der Peripherie 
zu ausstrahlende hellgelbe und graue Radien konstatiren, die bei 
meinen Bildern fehlten. Arterien und Venen verändert stellt 
ferner Frost dar. Auf einer anderen Abbildung O e 11 e Fs 
(C, Tab. VII) sind lediglich die Venen erweitert und geschlängelt. 
Ferner hat L e w i n ’) jüngst einen Fall publicirt, der, einseitig, 
nur an dem linken Auge Erweiterung und Schlängelung der 
Arterien und Venen bot, während das rechte Auge normal war. 
L e w i n vergleicht das Augenspiegelbild, ebenso wie ich in 
meinem ersten Falle, mit einem Medusenhaupte, ohne übrigens, 
ebenso wie seine Fachgenossen, meiner Publication Erwähnung 
zu thun. Erheblich häufiger sind die Fälle, wo lediglich die 
Venen erweitert und geschlängelt sind und zwar ist die Verände¬ 
rung bald eine diffuse gleichmässige oder es liegt mehr circum- 
scripte Knäuelbildung vor. Hierher gehören die Fälle von 
Magnus, Jacobi, Mackenzie, namentlich von Gloor 1 ); in dem 
von Letzterem beschriebenen Falle waren an beiden Augen die 
Netzhautvenen verbreitert und geschlängelt und zwar besonders 
in den peripheren Abschnitten, die Arterien dagegen waren 
dünn, es bildeten sich Blutungen, gleichzeitig handelte es sich 
um eine Lungenaffektion, die auch in anderen analogen Fällen 
bestand und mit mehr oder weniger erheblichen Circulations- 
störungen einherging. Die Meinung, dass diese Gefässverände¬ 
rungen congenitaler Natur seien, stützte sich vor Allem auf die , 
Beobachtung, dass sie sich gern bei Hypermetropen zeigten, 

L a n d o 11 sprach die Meinung aus, dass die Retinalgefässe sich 
in einer präexistirenden Falte entwickelten, dass bei Hyper- 
metropie der Bulbus kleiner sei und dass aus diesem Grunde 
die Gefässe sich nicht in voller Länge entwickeln könnten, dass 
es desshalb zu Schlängelungen käme. Einer derartigen dirocten 
Abhängigkeit der Schlängelung von der Hvpermetropie wider¬ 
spricht aber die Thatsache, dass die Gefüssveriinderung auch an 
einem Auge beobachtet wurde (L e w i n), dass Gloor die Erwei¬ 
terung der Venen auch bei Myopie konstatirte. Damit würde 
die Möglichkeit, dass die Gefässveränderungen trotzdem congeni¬ 
taler Natur seien, noch nicht ausgeschlossen werden. 


*) Arch. f. Augenbeilk., Bd. 38. 
') Arch. f. Augenbeilk., Bd. 85. 


In dieselbe Kategorie würden dann auch wohl die Verände¬ 
rungen gehören, die Nottbeck als Scheinneuroretinitis be¬ 
zeichnet hat. 

Nach den vorstehenden Erörterungen würden sich ergeben 
Fälle, wo doppelseitig Arterien und Venen erweitert und ge¬ 
schlängelt erscheinen. Das längere Fortbestehen dieser Verände¬ 
rung, ohne dass sich weitere Anomalien hinzugesellen, würde 
für den congenitalen Ursprung sprechen können. Mein erster 
Fall würde aber den sicheren Nachweis erbracht haben, 
dass mit einer solchen constanten Verbreiterung und Schlänge¬ 
lung trotzdem Hand in Hand gehen können Veränderungen der 
Gefässwände; in meinem zweiten Falle würden gleichfalls für 
diese Kombination zahlreiche Momente sprechen. An zweiter Stelle 
würden Fälle in Betracht kommen, wo nur einseitig die Ge- 
-fiissveränderungen vorliegen. Darüber nun, ob die Erweiterung 
und Schlängelung der Arterien und Venen congenitalen Ur¬ 
sprungs sind, ob die Erkrankung der Gefässwände lediglich eine 
Komplikation darstellt und andererseits über die Frage: werden 
durch die Erkrankung der Wände die Elastizitätsverhältnisse so¬ 
weit geändert, dass Schlängelung und Erweiterung reeultirt, 
werden erneute anatomische Untersuchungen Aufschluss geben 
müssen, für welche vielleicht den Neurologen und Irrenärzten sich 
eher geeignetes Material ergeben dürfte als den Ophthalmologen. 
Ebenso w'ird die Frage zu prüfen sein, auf welches Agens ist die 
Gefässerkrankung zurückzuführen. Auf die Möglichkeit einer 
primären Erkrankung der Netzhautgefässe hat schon Elschnig 
hingewiesen. 

Wesentlich umfangreicher ist die Gruppe von Fällen, wo 
ausschliesslich die Venen verändert sind, wo circumscripte 
Knäuelbildungen oder diffuse Erweiterungen und Schlängelungen 
bestehen. Der Einfluss von anderweitigen Störungen im Kreis¬ 
lauf, z. B. Lungenerkrankungen, wird hierbei oft genug erkenn¬ 
bar sein; die Deutung dieser Gruppe wird überhaupt auf viel 
geringere Schwierigkeiten stossen, als die der ersten, weitaus 
weniger frequenten. 

Aus der kgl. Universitäts-Frauenklinik in Halle a. S. 

Ueber vaginale Punktion und Incioion.*) 

Von Privatdoccnt Dr. K. Franz, I. A^ifctelf&rzt. 

Es ist nicht in allen Fällen gynäkologischer 'Erkrankungen 
möglich, durch die Anwendung der üblichen UntSrsuchungs- * 
methoden, insbesondere durch die bimanuelle Untersuchung, zu 
einer sicheren Diagnose zu gelangen. Für diese Fälle wäre es 
erwünscht, ein diagnostisches Hilfsmittel zu besitzen, das ein¬ 
fach und ungefährlich in seiner Anwendung und sicher in seiner .' 
Wirkung die üblichen Methoden der Untersuchung ergänzen i 
könnte. So ein Mittel ist die Punktion. Von dem interneu 
Medieiner und dem Chirurgen vielfach in Anwendung gezogen, 
stellt sie bei einer Reihe von Gynäkologen nicht besonders in 
Geltung. 

Veit 1 ) warnt vor der Probepunktion von der Scheide aus. Er 
hält diese Untersuchungsmethode für gefährlich. Es sei schwierig, 
den Genitalkanal vollständig aseptisch zu machen oder dauernd 
aseptisch zu halten. Desswegen seien Infektionen möglich. Zu¬ 
dem könnten naheliegende Därme verletzt werden. Man gewinne 
mit der Punktion nichts für die Diagnose und nichts für die 
Therapie. Denn es sei nicht werthvoll, zu wissen, ob ein Tuben¬ 
tumor Schleim oder Eiter enthalte. Sei es hei der Palpation 
zweifelhaft, ob ein Beckentumor ovariell oder tubar sei, so könne 
man durch die Punktion auch keine Entscheidung treffen. 

Martin’) meint, dass, abgesehen von den nicht vermeidbaren 
Neben Verletzungen, bei der Probepunktion das Ausfliessen oder 
Nichtausfliessen von irgend welcher Flüssigkeit aus dem Trokar 
noch keinen Anhaltspunkt über den Inhalt des punktirten Ge¬ 
bildes gibt. Flüssige Massen entleeren sich nicht durch den 
Probetrokar, die einzelnen Kammern desselben Gebildes enthalten 
verschiedenen Inhalt, die ausfliessenden Flüssigkeiten sind so 
zweideutig, dass die Exactheit der Diagnose dadurch nicht ge¬ 
fördert wird. 


*) Nach einem Vortrag, gehalten im Verein (1er Aerzte zu 
Halle a. S. am 19. Juni 1901. 

') Gynäkologische Diagnostik, 1899. 

’) Die Krankheiten der Eileiter, 1895. 


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80. Juli 190L 


MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


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Nach Winter*) ist die Probepunktioü ein diagnostisches 
Hilfsmittel, welches durch eine genaue Palpation ersetzt werden 
kann und soll. Die Probepunktion ist trotz antiseptischer Yor- 
sichtsmaassregeln nicht ungefährlich, da aseptische Tumoren, 
Hydrosalpinx und Blutgeschwülste durch dieselbe inficirt werden 
und vereitern können oder Pyosalpiiixe einen Theil ihres Inhalts 
in die Bauchhöhle entleeren können. Da ausserdem weder durch 
Ablassen von Blut noch von Eiter mit Bestimmtheit ausgesagt 
werden kann, ob dieselben innerhalb der Tube oder neben ihr 
gesessen haben, so sind die Resultate der Probepunktion für eine 
genaue Diagnose unbrauchbar. Man thut am besten für die Er¬ 
kennung von Tubentumoren auf dies Hilfsmittel zu verzichten. 
Bei der Differentialdiagnose zwischen eitrigem und serösem 
pelveoperitonitischen Exsudat mit Haematocele ist die Probe¬ 
punktion, bei der es sich in diesen Fällen nur um eine Durch¬ 
stechung des hinteren Scheidengewölbes handelt, aseptisch aus¬ 
geführt, ohne Nachthoil und sie hilft am sichersten zur Diagnose. 
Doch soll sie auch in diesen Fällen ein Nothbehelf der Diagnose 
sein. 

Winternitz*) widerräth bei der Difforentialdiagnose 
der Haematocele die Punktion. 

F ritsch*) räumt der Punktion bei der Differentialdiagnose 
zwischen Ovarialtumoren und allen Tumoren des Douglas- 
schen Raumes, wie Haematocelen, Exsudaten, Para-, Perimetritis 
u. s. w., eine berechtigte Stelle ein, wenn alle anderen dia¬ 
gnostischen Mittel erschöpft sind. Er räth, zur Punktion eine 
Pravaz’sche Spritze zu nehmen. Die Natur der aspirirten 
Flüssigkeit ist für die Diagnose verwendbar. 

F ehling*) möchte für die schwierigen Differential¬ 
diagnosen zwischen Tubenerkrankungen und Tubarabort mit 
Haematocele die diagnostische Punktion nicht entbehren. In 
ähnlicher Weise spricht sich Küstner*) aus. 

Ein ganz besonderer Freund der vaginalen Punktion ist 
Landau*). Er hält die Punktion für ein ganz vorzügliches 
Hilfsmittel in der Diagnostik, besonders der Tubensäcke. Er 
wendet die Probepunktion methodisch an, um zu erkennen, ob 
der vorliegende Tumor solid oder cystisch ist, ebenso da, wo die 
Art der vorliegenden Cyste nicht klar ist. Er hat niemals auch 
nur den geringsten Nachtheil von der Punktion beobachtet. 

M. H.! Diese kurze, durchaus nicht erschöpfende Anführung 
der Anschauungen, die über den diagnostischen Werth der 
Punktion bestehen, mag genügen, Ihnen zu zeigen, dass ihr Werth 
nicht allgemein anerkannt ist, dass die Einen sic für nutzlos 
und gefährlich halten, Andere wiederum sie als willkommenes 
diagnostisches Hilfsmittel schätzen. Bei dieser Gegensätzlichkeit 
der Meinungen mag es desshalb berechtigt erscheinen, einmal an 
einem grösseren Material zu untersuchen, was eigentlich die 
diagnostische Punktion zu leisten im Stande ist und was für 
Mängel ihr gerechter Weise nachzusagen sind. 

Ich habe zu dem Zwecke die Krankengeschichten derjenigen 
Fälle, bei denen in den letzten 7 Jaliren (solange die Klinik unter 
F e h 1 i n g’s Leitung stand, vom 1. April 1894 bis 31. März 1901) 
zu diagnostischen Zwecken punktirt wurde, durchgesehen und 
möchte mir nun erlauben. Ihnen die Resultate dieser Zusammen¬ 
stellung vorzutragen *). Ich habe im Ganzen über 81 Fälle zu 
berichten. In der grössten Mehrzahl der Fälle handelte es sich 
um Tumoren, die entweder vollständig oder doch zum grössten 
Theil im D o u g 1 a s’schen Raume lagen, direct über dem 
hinteren Scheidengewölbe, dies mehr oder weniger vorbuchtend. 
Nur bei 13 Fällen sassen die Tumoren mehr seitlich vom Uterus 
und erstreckten sich nur mit einem geringen Theil ihrer Masse 
hinter den Uterus in den D o u g 1 a s’schen Raum. Aus diesen 
Thatsachen geht schon hervor, bei welchen Fällen die dia¬ 
gnostische Punktion anzuwenden ist, nämlich bei Fällen, wo mit 
Leichtigkeit gerade vom hinteren Scheidengewölbe punktirt 
werden kann. Die sich daraus ergebende Einschränkung ihrer 
Anwendung wird noch klarer werden, wenn wir die Fälle nach der 
Diagnose ordnen, die vor der Punktion gestellt wurde. 

•) Lehrbuch der gynäkologischen Diagnostik. 189(5. 

*) V e 1 fs Handbuch der Gynäkologie, III, 2. 3899. 

1 ) Die Krankheiten der Frauen. 1900. 

•) Lehrbuch der Frauenkrankheiten, 1900. 

9 Deutsch, med. Wochenschr. 1894, 51. 

*) Archiv f. Gynäkologie, Bd. 40. 

*) 8. a. Paul Scheibe: Beitrag zur diagnostischen vagin. 
Punktion in der Gynäkologie. Inaug.-Dlss., Halle 1901. 


Es handelte sich um Haematocele retrouterina in Folge von 
unterbrochenen Tubargraviditäten 20 mal, um tuboovarielle Tu¬ 
moren 16 mal, Pelveoperi ton itis exsudativa 16 mal, um Abscesse 
im Douglas nach Operationen oder auf der wahrscheinlichen 
Grundlage einer Appendicitis 10 mal, um Pyosalpinx 5 mal, um 
rotrouterine Tumoren ohne sichere Diagnose 4 mal, um Para- 
metritis 3 mal, um Haematom des Lig. lat. 2 mal, um Parovarial- 
tuinoren 2 mal, um Ovarialtumoren 2 mal und um einen intra¬ 
ligamentären, diagnostisch ganz unsicheren Tumor lmal. 

Was hat nun in diesen Fällen die diagnostische Punktion ge¬ 
leistet, wie oft hat sie die ursprüngliche Diagnose bestätigt, wie 
oft sie verbessert und wie oft hat sie als diagnostisches Hilfs¬ 
mittel im Stich gelassen? 

Die Diagnose wurde durch die Punktion 56 mal bestätigt, 
darunter 13 mal bei Tubargravidität mit Haematocele und 15 mal 
bei eitrigen Adnextumoren bezw. pelveopcritonitischen Exsudaten. 

5 mal wurde eine zweifelhafte Diagnose gesichert und genau 
festgestollt. 10 mal musste die ursprüngliche Diagnose geändert 
werden und zwar 6 mal die Diagnose Tubargravidität mit 
Haematocele in Pelveoperitonitis exsudativa, 1 mal die Diagnose 
Pelveoperitonitis exsud. in Haematocele, 1 mal Pelveoperitonitis 
exsud. in Ovarialkystom, 1 mal tuboovarieller Tumor in Haemato¬ 
cele und 1 mal tuboovarieller Tumor in Pelveoperitonitis exsud. 
Demnach leistet also die diagnostische Punktion besonders bei 
der Differentialdiagnose zwischen Tubargravidität mit Haemato¬ 
cele und entzündlichen tuboovariellen Tumoren oder pelveoperi- 
tonitischen Exsudaten besonders gute Dienste. Und hier ist sie 
um so werthvoller, als gerade diese Differentialdiagnose besonders 
schwierig ist; denn diese Erkrankungen der Tuben und Eier¬ 
stöcke bezw. des Beckenperitoneums und der Haematocele ver¬ 
laufen klinisch gar oft in ganz gleicher Weise und bieten gar 
oft denselben Palpationsbefund. 

In 6 Fällen war das Ergebniss der Punktion zweifelhaft und 
sogar irreführend, insofern als 4 mal trotz des späteren Nach¬ 
weises von Eiter nur seröse Flüssigkeit punktirt wurde. 

In 4 Fällen war die Punktion vollständig ergebnisslos. 

Es fragt sich nun, warum in diesen Fällen die Punktion im 
Stiche gelassen hat. Die Ursachen können ungeeignete Fälle, 
ungenügende Technik und ungenügendes Instrumentarium ge¬ 
wesen sein. Bei 2 Fällen, bei denen die Punktion kein Resultat 
gab, handelte es sich einmal um ein altes Exsudat und einmal um 
einen knolligen Tumor im Douglas. Das waren also ungeeignete 
Fälle. Denn bei soliden Tumoren muss natürlich die Punktion, 
die doch Flüssigkeit nachweisen soll, fehlschlagen. Nebenbei be¬ 
merkt ist bei soliden Tumoren die Probepunktion wegen der 
grösseren Infektionsgefahr gefährlicher als bei cystischen und 
überflüssig, da man zwischen soliden und cystischen Tumoren 
besser durch die Palpation entscheidet. 

Bei 2 weiteren Fällen, die später sicher das Vorhandensein 
von Eiter ergaben, verlief die Punktion ebenfalls resultatlos. 
Hier muss es sich also um einen Fehler in der Technik gehandelt 
haben oder um ungoeignete Instrumente. Entweder ist man mit 
der Nadel nicht tief genug eingegangen oder die Nadel hat die 
Flüssigkeit nicht durchfliessen lassen. Es empfiehlt sich dees- 
lialb, zur Punktion nicht zu enge und möglichst lange Hohlnadeln 
zu gebrauchen, die mit der äusseren Hand bequem geführt werden 
können. Die Nadel soll 15—20 cm lang sein, so lang, dass ihre 
äussere Oeffnung ausserhalb des Scheideneinganges liegt, auch 
wenn die Nadel tief in den Tumor ein gestochen wird. Das 
scheint mir für den Erfolg der Punktion sehr wichtig zu sein. 
Die ,von Landau angegebene Punktionsnadel entspricht allen 
diesen Anforderungen. Zur Punktion geht man mit 2 Fingern 
einer Hand in’s hintere Scheidengewölbe, sucht sich die weichste 
und tiefste Stelle des Tumors auf und sticht nach oben in den 
Tumor gegen den Beckeneingang zu. Steht die Flüssigkeit im 
Tumor unter einem bestimmten Druck, so wird die Flüssigkeit 
von selbst auslaufen. In manchen Fällen mag auch ein gut funk- 
tionirender Snugapparat (Dieulafoy z. B.) an die Nadel angosetzt 
werden, mit dem man aspirirt. Doch glaube ich nicht, dass ein 
solcher Apparat dringend nothwendig und sehr nützlich ist. Im 
seitlichen Scheidengewölbe zu punktiren, soll man vermeiden, da 
man seitlich sehr leicht die A. uterina anstechen kann. Dass 
natürlich die ganze Punktion unter der strengsten Asepsis und 
Antisepsis nach Desinfektion der Scheide mit ausgekochten In¬ 
strumenten und desinficirtcr Hand ausgeführt werden muss, be- 

1 * 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


darf keiner weiteren Auseinandersetzung. Beobachtet man alle 
diese Vorschriften, so werden Misserfolge selten sein. Dass sie 
Vorkommen, beweisen 4 Fälle von uns. Hier würde nur seröse 
Flüssigkeit punktirt, obwohl später die Anwesenheit von Eiter 
sicher nachgewiesen wurde. In einem Falle hatte man statt des 
Pyosalpinx ein cystisch degenerirtes Ovarium punktirt. Bei den 
anderen Fällen scheint man eben nicht zu den Eiterstellen ge¬ 
kommen zu sein. Vor solchen Missgeschicken kann man sich 
kaum schützen. Man kennt sie aber und weiss, dass man sich 
nicht immer auf die Punktion verlassen kann. Dass einmal eine 
Untersuchungsmethode im Stiche lässt, ist nicht ernst zu nehmen, 
denn dieser Mangel haftet allen Methoden an. Bedeutungsvoller 
wäre, wenn das richtig wäre, was manche Gegner der Probe¬ 
punktion sagen, dass sie gefährlich sei. 

Unter unseren 81 Punktionen haben wir 5 Fälle, bei denen 
sich nach der Punktion leichte Fiebersteigerungen (1 mal mit 
Schüttelfrost) für einen oder 2 Tage einstellten, die jedoch ohne 
jeden Nachtheil für die Patientin verliefen (diese Fälle betreffen 
3 mal eitrige Adnextumoren, 1 mal PaTametr. purul. und 1 mal 
Haematocele retrouterina). 

Nur in einem Falle scheint die Punktion von Naohtheil ge¬ 
wesen zu sein. Es handelte sich um einen cystischen, anscheinend 
intraligamentären Tumor rechts und hinter dem Uterus, ihm 
dicht anliegend. Die Probepunktion ergab 500 ccm Blutwasser. 
Am nächsten Tage Abends Temperatur von 40,0; das Fieber 
dauert an und der nach der Punktion verschwundene Tumor 
erscheint allmählich wieder; zugleich entwickelt sich ein pelveo- 
peritonitisches Exsudat. 8 Tage nach der Punktion wird vom 
hinteren Scheidengewölbe incidirt und reichlich stinkender Eiter 
entleert Nach 20 Tagen wird Patientin geheilt entlassen mit 
einem nussgrossen harten Rest des ehemaligen Tumors. Hier j 
scheint also wirklich die Punktion die Ursache einer Infektion 
gewesen zu sein. 

In einem zweiten Falle bleibt es zweifelhaft, ob die Punktion 
an dem üblen Ausgange der Erkrankung schuld gewesen ist. 

Es handelte sich um einen Fall von doppelseitigem Adnex¬ 
tumor. Die Frau kam fiebernd in die Klinik. Nach 2 Tagen wird 
von der Scheide punktirt und 1 oem seröse Flüssigkeit gewonnen. 
Das Fieber besteht unvermindert fort. Am 16. Tag nach der 
Punktion stellen sich peritonitische Symptome ein, zwei 
Tage später Exitus an diffuser Peritonitis. Es ist kaum wahr¬ 
scheinlich, dass hier die Punktion zur Entstehung der Peritonitis 
Veranlassung gregeben hat, doch ihr jeden Einfluss mit aller Be¬ 
stimmtheit abzusprechen, ist auch nicht angängig. Es wäre ja 
immerhin denkbar, dass durch die Punktionsöffnung in den Eiter¬ 
tuben etwas infektiöses Material in die Bauchhöhle gekommen 
und die Infektion bedingrt hätte. 

Jedenfalls zeigen die 5 ersten und diese beiden zuletzt er¬ 
wähnten Fälle, dass die Punktion mit grosser Vorsicht ange¬ 
wendet werden muss und dass es nicht berechtigrt ist, sie für 
durchaus gefahrlos zu halten. 

Wir können also nach dem Gesagten den diagnostischen 
Werth der Punktion in Kurzem so zusammenfassen. Die vaginale 
Punktion ist ein willkommenes Hilfsmittel in der Diagnose von 
Geschwülsten, die vornehmlich im D o u g 1 a s’schen Raum liegen 
und vom hinteren Scheidengewölbe für die Punktionsnadcl 
leicht zugänglich sind. Sie leistet besonders gute Dienste bei 
der Diagnose tubarer Geschwülste, seien sie entzündlicher Natur 
oder durch Störungen tubarer Graviditäten bedingt, und der 
Pelveoperitonitis exsudativa. Die Punktion ist mit allen Kautelen 
der Asepsis und Antisepsis auszuführen. 

An die Punktion wurde von den 81 Fällen 35mal die Incision 
vom hinteren Scheidengewölbe aus angeschlossen. 

Gestatten Sie mir, m. H., dass ich Ihnen einige Worte über 
diesen therapeutischen Eingriff sage. 

Es handelte sich in diesen Fällen ausschliesslich um Tu¬ 
moren, die vollständig oder zum grössten Theil in der hinteren 
Douglastasche sassen, direkt über dem hinteren Scheidengewölbe 
und so von hier aus leicht zugänglich waren. Die Fälle betreffen 
retrouterino Haematocelen im Anschluss an Tubargraviditäten 
8 mal, pelveoperitonitische Exsudate 16 mal, davon 7 nach opera¬ 
tiven Eingriffen, pelveoperitonitische Exsudate mit tuboovariellen 
Tumoren 2 mal, Douglasabscesse (wahrscheinlich von Appen- 
dicitis herrührend) 4 mal, Pyosalpinx mit Parametritis 1 mal, 
Parumetritis 1 mal, tuboovarielle Tumoren 3 mal. 


Von diesen Fällen wurden durch die Incision 20 vollständig 
geheilt, 11 wurden gebessert, 2 blieben ungeheilt und 2 starben. 
Auf die einzelnen Fälle vertheilen sich die Heilungen, Besse¬ 
rungen und Todesfälle folgendermaassen: • Fiebernde Haemato¬ 
celen 4, geheilt 1, gebessert 2, ungeheilt 1 (später noch Ent¬ 
fernung der schwangeren Tube durch Laparotomie nöthig); fieber¬ 
freie Haematocelen 4, geheilt 1, gebessert 2, gestorben an Ver¬ 
blutung 1. Pelveoperitonitische Exsudate 16, geheilt 12 (davon 
7 pelvcoper. Exsud. nach Operationen alle geheilt), gebessert 3, 
gestorben 1 an Pyaemie. Pelveoperitonitische Exsudate mit tubo¬ 
ovariellen Tumoren 2, gebessert 1, ungeheilt 1. Douglasabscesse 
(wahrscheinlich von Appendicitis herrührend) 4, sämmtliche ge¬ 
heilt. Pyosalpinx mit Parametritis 1, geheilt, Parametritis 1, ge¬ 
bessert. Tuboovarielle Tumoren 3, geheilt 1, gebessert 2. 

Man sieht also, dass weitaus die besten Resultate die un- 
komplizirten Absccsse im Douglas geben, seien sie pelveoperitoni¬ 
tische Exsudate in Folge von Infektion bei Operationen oder 
auf der Basis einer Blinddarmentzündung entstanden. Diese 
Fälle wurden alle geheilt. Die Ursache dieser guten Erfolge ist 
ohne Weiteres klar. Sobald der Eiter abgelassen ist, heilt die 
Höhle, sofern man nur für den dauernden nachträglichen Eiter¬ 
abfluss Sorge trägt, aus, weil keine Quelle erneuter Infektion 
da ist. Anders liegen die Verhältnisse, wenn bei tuboovariellen 
Tumoren incidirt wird. Hier tritt eine definitive Heilung nach 
der vaginalen Incision seltener ein. Hier bleiben natürlich die 
entzündlich veränderten Tuben oder Ovarien zurück und können 
immer wieder den Anlass zu erneuter Infektion geben. So musste 
in einem Falle, wo die Incision nur eine Besserung erzielt hatte, 
nachträglich noch die vaginale Radikaloperation vorgenommen 
werden, weil Schmerzen und Eiterung wieder in alter Stärke 
auftraton. 

Noch ungünstiger als bei tuboovariellen Tumoren ist der 
Erfolg der Incision bei Haematocele retrouterina in Folge 
extrauteriner Gravidität. 

Bei Haematocelen gewinnt man mit der Incision kaum etwas. 
Man schafft nur Gelegenheit zu Infektion der Bluthöhle, die 
nachher auch ohne Infektion nicht rascher ausheilt als wenn man 
gar nichts gemacht hätte. Dabei ist sie sehr gefährlich, wie 
ein Fall beweist, dor an Verblutung nach der Incision ge¬ 
storben ist. 

Die Incision bei Haematocele ist nur in den Fällen berech¬ 
tigt, wo es sich um verjauchte oder septisch infizirte Blutergüsse 
handelt, die durch Laparotomie zu operiren man sich wegen der 
möglichen Infektion des Peritoneums scheut. 

Ich habe versucht, die Dauerresultate der vaginalen Incision 
festzustellen und die operirten Frauen schriftlich gebeten, sich 
mir vorzustellen oder mir einen beigefügten Fragebogen zu be¬ 
antworten. Von 6 habe ich schriftlichen Bescheid erhalten und 
7 haben sich mir vorgeetellt. Von diesen 13 klagt nur eine über 
Schmerzen, bei der wegen Pyosalpinx und Parametritis incidirt 
wurde. Alle Anderen sind vollständig gesund. 

Bei den 7 Fällen, die ich untersucht habe, fanden sich 4 mal 
keine Reste der alten Erkrankung, zweimal zeigte sich eine 
stärkere Verdickung der Douglasfalten. Dies waren alles Fälle 
unkomplizirter Abseesse im Douglas. Bei einem Falle, der 
wegen retrouteriner Haematocele operirt wurde, fanden sich 
beiderseits Fixationen um Tuben und Ovarien, doch keine sub¬ 
jektiven Beschwerden. 

Auch hier zeigen sich wieder die besten Resultate bei den 
unkomplizirten Abscessen im Douglas. Wir werden demnach 
gerade in diesen Fällen die vaginale Incision als einen erfolg¬ 
reichen therapeutischen Eingriff vornehmen können. Da er sehr 
einfach ist und, wie Sie gesehen haben, in ausgewählten Fällen 
absolut sicher, so mag er dem praktischen Arzte besonders em¬ 
pfohlen werden. 

Noch ein kurzes Wort über die Technik der vaginalen In¬ 
cision. 

Man punktirt zunächst unter Leitung des Fingers vom hin¬ 
teren Scheidengewölbe aus an der Stelle, die am deutlichsten 
fluktuirt und am tiefsten nach abwärts steht. Läuft der Tumor¬ 
inhalt durch die Nadel ab, dann legt man das hintere Scheiden¬ 
gewölbe frei, fasst die Portio mit einer Kugelzange und zieht sie 
nach vorn und oben. Dadurch wird die Scheidenschleimhaut um 
die stecken gebliebene Punktionsnadel gut gespannt. Nun kann 
! man neben der Punktionsnadel mit dem Messer die Scheideu- 


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MUENCUENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1239 


30. Juli 1901. 


Schleimhaut seicht einschneiden. Man kommt dann leichter mit 
einer spitzen Komzange durch die Scheiden wand in den Sack. 
Zu diesem Eingriff ist das von Landau angegebene Instrument 
sehr geeignet. W T ird nun die Kornzauge gespreizt und das Bohr¬ 
loch erweitert, fliesst gewöhnlich im Strom der Tumorinhalt ab. 
Ist es nothwendig, die so entstandene OefFnung noch mehr zu er¬ 
weitern, so kann das leicht mit Seheere oder Messer geschehen. 
Ist der Tumorinhalt abgelaufen, dann wird in den leeren 
Sack ein Balkendrain aus Gummi röhren eingelegt und neben 
diesem Drain die Höhle mit Jodoformgaze, wenigstens für den 
ersten Tag, ausgestopft. Bei der Nachbehandlung ist darauf zu 
achten, dass der Drain gut durchgängig bleibt. Zu dem Zwecke 
kann vom 3. oder 4. Tag an durch den Drain die Höhle mit 
leichten Antisepticis ausgespült werden. Ist der Drain verstopft, 
so muss er herausgenommen und neu eingelegt werden. Am 
Ende- der ersten Woche kann dann ein dünnerer Drain an Stelle 
des ersten treten. Wann der Drain ganz weggelassen werden 
soll, lässt sich nicht auf den Tag angeben. Man lässt ihn dann 
weg, wenn die Höhle klein genug geworden ist, dass keine Re¬ 
tention iIrres Inhalts mehr zu fürchten ist. Die Heilungsdauer 
nach solchen vaginalen Incisionen beträgt 2—3 Wochen. 

Ich glaube, dass der praktische Arzt, der ja im Allgemeinen 
keine grosse Hebung in vaginalen Operationen haben kann, mit 
dieser Methode auch ohne geübte Assistenz sehr gut zurecht- 
konur.t und erfreuliche Resultate erzielt. 


Aus dem hygienischen Institute der Universität Wien. 

Ueber specifische Blutveränderungen nach Harn- 
injectionen. 

Kurze Mitthoilung von Dr. A. Schattenfroh, Assistent am 

Institute. 

Untersuchungen, ob durch Injektionen von Harn 
einer fremden Thierspecies specifische Veränderungen im Blute 
der vorbehandelten Thiere hervorgerufen werden, haben zu einem 
positiven Resultate geführt. Ich theile in Kürze dieselben 
mit und berühre hiebei in keiner Weise theoretische Gesichts¬ 
punkte, die wohl zweckmässig erst nach Erweiterung der Unter¬ 
suchungen aufgestellt werden können. 

Einer grösseren Anzahl von Kaninchen wurde theils Men¬ 
schenharn, thcils Ziegen- und Pferdeharn in 
grösseren Mengen subkutan injicirt; die Thiere erhielten in 2 bis 
3 tägigen Intervallen im Ganzen 120—150 ccm Harn einverleibt. 
Zur Kontrole wurde gleichzeitig einigen Kaninchen aktives 
bezw. inaktives Ziege nscrum in annähernd derselben 
Menge und bei Beobachtung derselben Versuehsbcdingungo.n 
subkutan eingespritzt. 

Es hat sich nun herausgestellt, dass das Serum von 
mit Menschon- und Ziegenharn behandelten Thieren 
starke lösende, bezw. agglutinirende Eigenschaf teil 
gegenül>er den rothen Blutkörperchen der betreffenden 
Thierspecies gewann. Insbesondere war dies für das Serum aus 
Menschenharn der Fall, indem hier die Unterschiede gegen¬ 
über dem Verhalten normalen Kaninchenserums, bezw. Serums 
von mir mit anderen Harnen behandelten Kaninchen, die so gut 
wie keine globuliciden Eigenschaften auf Menschen blutkörperchen 
blassen, besondere prägnant hervortraten. Das Blutserum eines 
mit Pferdeharn vorbehandelten Thieres hatte keine deutlich 
erkennbaren haemolytischen oder agglutinirenden Eigenschaften 
erworben ’). 

Praecipitine und „A ntikomplemente“ fehlten 
im Serum der mit Ziegenharn injizirten Thiere, indem bei Ver¬ 
setzen der Sera mit normalem Ziegenserum keine spocifischen 
Fällungen gesehen wurden, und auch die starke globulioide Wir¬ 
kung normalen Ziegenserums auf Meereehweinchenblutkörper- 
ehen durch Zusatz von Ziegenharnserum in keiner Weise be¬ 
hindert wurde. Dcssgloichen fehlten im Menschenharnserum 
Praecipitine. 

Ganz andere war die Beschaffenheit des Serums der mit 
aktivem be.zw. inaktivem Ziegenserum behandelten Kaninchen. 
Hier waren grosse Mengen von „Antikomplcmcnton“ 
(wieder hinsichtlich der Wirkung des Ziegenserums auf Moer- 
-ehweiuehenerythr»wyteil) und P r ä e i p i t i n e n gebildet, 

'• Erhitzen des Injizirten Mensehonhams auf 100° C. durch 
5 Minuten verhinderte das Entstellen der speeitlschen Hneino- 
Iysine. 

No. 13. 


während Hacraolysine völlig fehlten, und auch 
Agglutinine kaum entstanden sein dürften. 

Es besteht demnach ein interessanter Gegensatz zwischen der 
Wirkung des Harns und des Serums, der vielleicht zu Auf¬ 
klärungen über das Wesen der verschiedenen specifisch auslösen¬ 
den Substanzen der Körperflüssigkeiten führt. 

Vielleicht lassen sieh auch noch in anderer Hinsicht Kon¬ 
sequenzen aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen ziehen. 
Zu denken wäre jetzt schon daran, zur Gewinnung der specifischen 
Sera für die forensische Blutdiagnose (Deutsch) Mon- 
schenharn statt Menschenblut zu verwenden, dessen 
Beschaffung doch gewiss geringeren Schwierigkeiten begegnet. 

Ich hoffe, bald über Fortschritte berichten zu können. 


Aus dem Institute für spez. Pathologie der Universität Pavia 
(Direktor: Prof. L. Devot o). 

Isoagglutinine und Isolysine menschlicher Blutsera.’") 

Von Dr. M. Ascoli, Assistent am Institute. 

Nach der Entdeckung von B e 1 f a n t i und C a r b o n e , 
dass «las Blutserum von Thieren, die mit Blut einer anderen 
Species behandelt worden sind, eine hohe Toxicität für letztere 
erlangt, haben die klassischen und grundlegenden Untersuchungen 
von Bordet, Ehrlich und Morgenrot h über Haemo- 
lysine, die schönen Arbeiten von Metsclinikoff, v. Dün¬ 
gern, Lnndsteiner, Moxtor und verschiedener anderer 
Forscher das Studium eines neuen und ausgedehnten Gebietes 
der biologischen Wissenschaften eröffnet: das Studium der speci- 
fischtn Zellgifte. 

Diese neue Richtung hat in kurzer Zeit eine vielseitige Ent¬ 
wickelung erhalten, hat neues Licht auf alte Fragen geworfen, 
neue Fragen aufgerollt und stellt zur Zeit eines der interessan¬ 
testen und meist versprechenden Kapitel der Pathologie und 
Physiologie dar. 

Ehrlich und Morgenroth 1 ) erforschten weiter auf 
experimentellem Wege wie sieh der thierische Organismus gegen¬ 
über der Einführung von Gewebselementen, die derselben Thier¬ 
art entstammen, verhält und erbrachten den Beweis, dass im 
Blutserum von Ziegen, die mit Ziegenblut behandelt worden sind, 
Isolysine auf treten, d. h. Substanzen, welche die rothen Blut¬ 
körperchen anderer Ziegen aufzulösen im Stande sind. 

Was die isolytischon und isoagglutinirenden Eigenschaften 
des menschlichen Blutserums nnhelangt, so beobachtete M a r a - 
gliano schon im Jahre 1892'), dass in verschiedenen Krank¬ 
heitszuständen das Blutserum die Erythrocyten anderer Indi¬ 
viduen verändern und zerstören kann. 

Lnndstpiner 1 ) wies auf die Agglutinationsfähigkeit 
de; sel!>en nicht nur thierischen, sondern auch menschlichen rothen 
Blutkörperchen gegenüber hin und fand diasc Eigenschaft im 
Blutserum Schwerkranker besondere ausgeprägt. 

Donat h‘) fand die Agglutinationsfähigkeit des Blutserums 
in verschiedenen Fällen von Chlorose erhöht. 

II a 1 b a n c ) verglich die isoagglutinirenden Eigenschaften des 
foetalen und mütterlichen Serums und kommt zum Schlüsse, 
dass das Agglutinationsvermögen das kindlichen Blutserums nicht 
abhängig zu sein scheint von dem des mütterlichen. 

L o Monaco 1 und P a n i c h i 6 ) fanden, dass das Blut¬ 
serum Malnriakranker ausgesprochene isoagglutinirende Wirkung 
besitzt. 

Ich fasse im Folgenden kurz meine Untersuchungen über 
die isoagglutinirenden und isolytischen Eigenschaften mensch¬ 
licher Blutsera zusammen, die ich an 17 gesunden Individuen 
und 97 kranken unserer Klinik angestellt habe. 

Zur Gewinnung des Serums wurde das Blut aus einer Arm¬ 
vene in eine sterile Spritze aufgesaugt, darauf in Eprouvetten 
gerinnen lassen; die Blutkörperehenaufsehwemmungen wurden 
mittels dicker, durch Nadelstich dem Ohrläppchen entnommener 
Blutstropfen hergestellt; diese wurden in 0,85 Proc. NaOl-Lüsung 
aufgefatigen, defibrinirt, ceiitrifugirt, nochmals mit Koehsalz- 

*) Nach zwei, am 5. Januar und am 5. Juli 1901, In der inedic. 
Gesellschaft zu Pavia gehaltenen Vorträgen. 

*) Uerl. kliu. Woeliensehr. 1900. No. 21. 

5 ) Sitzungsber. d. X. Kongr. f. hm. Medie. Leipzig 1*92. 

3 ) < Vntralbl. f. Racteriol. 1000, 1hl. IX. No. 10. 

*) Wiener klin. Wochenselir. 11MM*. No. 22. 

Wien. kliu. Woeliensehr. 1900, No. 24. 

') Sitzungsber. d. Accad. d. Lineei — 10. Dez. li>00 — Uoiu. 


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XITF.XCTIEXF.il MF/DTCTXTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


lösung gewaschen und darnach in derselben im Verhältniss von 

1 Bodensatz : 40 NaCl-Lösung zu den haemolytischen und in 
doppelter Verdünnung zu den Agglutinationsversuchen sus- 
pendirt. 

Je eine Oese des Serums als solchen und des im Verhältnis3 
von 1:5, 10 etc. verdünnten, wurde zu je einer Oese der Blut¬ 
körperchenaufschwemmung .auf Deckgläschen hinzugesetzt; die 
Beobachtung geschah im hängenden Tropfen sofort und nach 
verschiedenen Zeiträumen; am folgenden Morgen, nach circa 
18 Stunden wurde protokollirt, ob Agglutination stattgefunden 
hatte oder nicht. 

In den Kontroltropfen mit der einfachen Aufschwemmung 
rother Blutkörperchen in Kochsalzlösung bleibt die Agglutination 
natürlich regelmässig aus; gewöhnlich senken sich die vollständig 
freien rothen Blutkörperchen nach einer gewissen Zeit auf den 
Boden des Tropfens; es genügt dann, den Objektträger ein paar 
Mal zu schütteln, um die Blutkörperchen wieder frei in der 
Flüssigkeit suspendirt zu sehen. 

Bei Zusatz verschiedener Sera kann man hingegen eine ganze 
Reihe von Agglutinationsstadicn beobachten; die rothen Blut¬ 
körperchen sind mehr oder weniger geschädigt und verändert, bil¬ 
den Häufchen von verschiedener Grösse, kleben mehr oder weniger 
fest aneinander, es wechselt die Anzahl der freien Blutkörperchen, 
manchmal erscheint die Agglutination unter dem Bilde der be¬ 
kannten Rollenbildung. 

Zu den haemolytischen Versuchen wurden gewöhnlich 
Serum und Blutkürperehenaufsehweminung in Probierröhrchen 
zu gleichen Theilen gemischt; die Röhrchen kamen auf circa 

2 Stunden in den Brutschrank bei 37 °, wurden währenddem 3 bis 
4 mal durchgeschüttelt und daraufhin bis zum folgenden Morgen 
in den Eisschrank gestellt. 

Aus den Versuchen mit den Blutsera der 17 untersuchten 
gesunden Individuen geht nun hervor, dass dasselbe im Stande 
sein kann, die eigenen rothen Blutkörperchen, sowie diejenigen 
anderer gesunder Individuen zu agglutiniren. 

Die Agglutinationsfähigkeit normaler Sera variirt bei den 
verschiedenen Individuen, ist aber gewöhnlich schwach aus¬ 
geprägt, so dass sie in den im Verhältniss von 1:20 verdünnten 
Sera kaum je noch hervortritt. 

Was die Isolysine anbelangt, so war bei den 17 normalen 
Sera, die ich auf das Blut verschiedener gesunder Individuen 
wirken liess, indem ich Blutkörperchensuspension und Serum 
zu gleichen Theilen mischte, die Lösung in den meisten Fällen 
gleich Null; in einer geringen Anzahl habe ich eine Spur von 
Lösung beobachtet; und in sehr spärlichen Fällen endlich war 
leichte Lösung (Rosa-Färbung der Flüssigkeit nach Senkung der 
Blutkörperchen) vorhanden. 

Die rothen Blutkörperchen verschiedener Individuen sind 
— wie übrigens schon II a 1 b a n hervorgehoben hat — gegen¬ 
über der isoagglutinirenden und isolytischen Wirkung der Sera 
verschieden empfindlich; es gibt rothe Blutkörperchen, die durch¬ 
schnittlich (natürlich aber nicht gegenüber allen anderen Sera) 
leicht agglutinirbar und löslich sind, andere weniger. Besonders 
leicht agglutinirbar und löslich habe ich die rothen Blut¬ 
körperchen oft bei mehreren primären und sekundären Anaemien 
gefunden. 

In Bezug auf die pathologischen Fälle, bei denen ich das 
Blutserum in dieser Richtung untersucht habe, erzielte ich, 
was die Anwesenheit von Isolysinen und die Zunahme der Iso- 
agglutinine anbelangt, negatives Resultat bei 5 Chlorosen, 2 Fällen 
von Anchylostomn duodenale, 1 Loberabscess (mit ausgesprochenem 
Ikterus), 3 akuten Gelenkrheumatismen, 3 Fällen von exsudativer 
Pleuritis, mehreren Bronehialkatarrhen, verschiedenen akuten 
und chronischen Magenkatarrhen, 2 Bleivergiftungen, 1 akuten 
und 2 chronischen Nephritiden. 

Dagegen habe ich stark agglutinirende und auch isolytische 
Sera in 2 Fällen von Magenearcinom, einer wahrscheinlichen 
A d d i s o n’schen Krankheit, einer Pneumococceninfektion mit 
multiplen. Lokalisationen (siehe Pneumonie) beobachtet; ich 
gehe nicht näher auf diese Fälle ein, weil es sich um Krank¬ 
heiten handelt, die ich nur in geringer Anzahl zu beobachten Ge¬ 
legenheit hatte. Etwas länger werde ich mich bei 3 Infektions¬ 
krankheiten aufhalten, von denen mir ein grösseres Beobach¬ 
tungsmaterial zur Verfügung stand; ich meine die Pneumonie, 
den Abdominaltyphus und die Tuberkulose. Bei der letzteren 
habe ich oft, auch in Anfangsstadien, das Blutserum befähigt 
gefunden, die rothen Blutkörperchen anderer Individuen zu 


lösen und intensiver und in stärkerer Verdünnung als die nor¬ 
malen Sera zu agglutiniren. 

Auch bei Pneumonikern, oft in Fällen, in denen Urobilin 
im Harne nachgewiesen werden konnte, habe ich isolytische 
Eigenschaften im Blutserum vorgefundeu; in einem Falle war 
Isolysin im Serum nach der Krisis vorhanden, während es in 
der fieberhaften Periode nicht nachgewiesen werden konnte, trotz¬ 
dem ich das Serum auf das Blut derselben Individuen wie nach¬ 
her wirken liess. In einem anderen Falle konnte ich in ver¬ 
schiedenen, von Woche zu Woche entnommenen Blutproben 
eine graduelle Abnahme des Isolysins feststellen, bis es 
nach 5 bis 6 Wochen vollständig verschwunden war. Auch 
das Blutserum Typhuskranker besitzt oft starke isoaggluti- 
nirende, sowie isolytische Eigenschaften. Bei einigen dieser 
Sera ist es mir nun gelungen, nachzuweisen, dass das unter¬ 
suchte Isolysin, analog den Isolysinen, die man auf experimen¬ 
tellem Wege bei Versuchstieren hervorbringen kann, aus zwei 
Componeuten bestand, von denen die eine, thermostabile Com- 
ponente (E h r 1 i c h’s Zwischenkörper, B o r d e t’s substance 
sensibilisante) der Erhitzung auf 56 0 während 20 Minuten wider¬ 
stand, während die andere, thermolabile, durch Erhitzen auf 56" 
verschwand und auch in nicht isolytischen Sera anwesend war; 
es war mir nämlich gelungen, durch Zusatz von frischem, mensch¬ 
lichem, an und für sich nicht isolytischem Serum, ein isolytisches, 
durch Erhitzen auf 56° inaktivirtes Serum zu reaktiviren. — In 
anderen Fällen ist mir die Reaktivirung, trotzdem ich auch frische 
Blutsera verschiedener Individuen hinzufügte, vollständig miss¬ 
lungen. Was die Beziehungen zwischen den Isoagglutininen und 
den den Typhusbacillus agglutinirenden Substanzen anbelangt, so 
findet man oft Sera, die im Stande sind den Typhusbacillus noch 
in hohen Verdünnungen zu agglutiniren, während die isoaggluti- 
nirende Wirkung nur schwach ausgeprägt ist und umgekehrt; 
ich habe in dieser Richtung noch folgenden Versuch wiederholt 
ausgeführt: Impfung eines Röhrchens, welches steriles, inakti¬ 
virtes menschliches Typhusscrum enthielt, mit Typhusbacillen; 
nachdem sich die Kultur entwickelt hatte, verglich ich die iso- 
agglutinirende Fähigkeit derselben mit derjenigen desselben, aber 
nicht geimpften Serums: Ein Unterschied in der Agglutinations¬ 
fähigkeit war nicht vorhanden. Denselben Versuch und mit dem 
gleichen Resultate habe ich mit dem Serum eines Pneumonikers, 
das ich mit Pneumococeen geimpft hatte, angestellt. 

Auch in einigen Malariafällen, in Bestätigung der Befunde 
von Lo Monaco und Panielii, habe ich das Blut ausgesprochen 
isoagglutinirend und isolytisch gefunden. Ich will hier besonders 
hervorheben, dass Isoagglutinine und Isolysine nicht constant in 
den erwähnten Krankheitszuständen aufzufinden sind und dass 
es rathsam ist, das Serum auf Blutkürperehensuspensionen ver¬ 
schiedener Individuen wirken zu lassen, da, wie ich früher be¬ 
merkte, dasselbe Isolysin nicht den Erythrocyten eines jeden 
Individuums gegenüber wirksam ist. Die isoagglutinirende Wir¬ 
kung ist natürlich von Fall zu Fall verschieden; sie kann noch 
in den im Verhältnis« von 1:100 und stärker verdünnten Sera 
hervortreten; in Bezug auf die Isolysine kann bei Mischung- von 
Serum und Blutkörperchenaufschwemmung zu gleichen Theilen, 
nach Senkung der Erythrocyten, die Flüssigkeit duukelroth ge¬ 
färbt sein. 

Weiterhin war es angezeigt, die isoagglutinirenden und iso- 
lytischen Eigenschaften von Ex- resp. Transsudaten und Blut¬ 
serum, die von denselben Individuen stammten, vergleichend zu 
prüfen. Aus meinen Untersuchungen geht hervor, dass die ag¬ 
glutinirende Wirkung metapneumonischer, tuberkulöser, pleu- 
ritischer Exsudate, sowie peritonealer Exsudate tuberkulöser, 
neoplastischer Natur und die von Blascnpflasterexsudaten un¬ 
gefähr gleich ist der agglutinirenden Wirkung des Blutserums 
des Individuums, von welchem das Exsudat stammt; und wenn 
das Blutserum auch isolytische Eigenschaften besitzt, so können 
diese manchmal, aber nicht constant, auch im Exsudate nach¬ 
gewiesen werden. Was die Transsudate anlangt, so habe ich nur 
zwei zur Verfügung gehabt; ihre isoagglutinirende Wirkung 
wich kaum von derjenigen des Blutserums ab; aber ihre geringe 
Anzahl verbietet mir jede Verallgemeinerung. 

Es fragt sich nun, ob die ausgesprochenen isoagglutinirenden 
und isolytischen Eigenschaften der Blutsera von Individuen, die 
von verschiedenen Krankheiten befallen sind, mit den eventuellen 
in’s Blutserum gelangten Produkten der jeweiligen Krankheits¬ 
erreger im Zusammenhänge stehen. . Die oben erwähnte That- 
sache, dass man in gewissen Fällen nachweisen kann, dass die 


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30. Juli 1901. 


MUENCITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1241 


Isolysine aus zwei Componenten bestehen, und dass sie nach 
Inaktivirung durch Zusatz von frischem normalem Serum reakti- 
virt werden können, schliesst es — wenigstens für diese Fälle 
— aus, dass es sich um von den jeweiligen Krankheitserregern 
producirte Substanzen handle. Uic isoagglutinirenden und iso¬ 
lytischen Eigenschaften des Blutserums lassen vielmehr in diesen 
Fällen a priori folgende zwei Deutungen zu: entweder stellen sie 
eine direkte, durch die Anwesenheit von verschiedenen Krank¬ 
heitserregern hervorgerufene Reaktion des Organismus dar oder 
eine indirekte in Folge der von der Krankheit bedingten Zer¬ 
störung und folgenden Resorption von Blut oder anderen Ge- 
websel einen teil. Ich habe nun versucht, einen Beitrag zur 
Klärung dieser Frage auf experimentellem Wege zu bringen. 
Ehrlich und Morgen rot h, die in ihrer grundlegenden 
Arbeit über Isolysine dieses Feld der Forschung eröffnet, haben 
das Auftreten von Isolynen und Isoagglutininen im Blutserum 
nach Injektion von Blut, das von Individuen derselben Thier- 
speeies, nicht vom Individuum selbst stammte, nachgewiesen; 
experimentelle Bedingungen, die in der menschlichen Pathologie 
kaum ein Analogon finden dürften. Ausserdem durch den schon 
erwähnten Umstand, dass manchmal Isolysine im Serum von 
Kranken auftraten, deren Ham Urobilin enthielt, veranlasst, 
spritzte ich Kaninchen wiederholt ihr eigenes, durch Aderlass 
gewonnenes, defibrinirtes und mit dem gleichen Volumen destil- 
lirten Wasser versetztes Blut intraperitoneal ein; ich führte durch 
wiederholte Einspritzungen bis 150 ccm und mehr der Flüssig¬ 
keit ein. 

Das Blutserum von normalen, frischen Kaninchen ist nicht 
im Stande, die rothen Blutkörperchen anderer Kaninchen zu 
lösen, noch in höheren Verdünnungen als von 1:20 zu aggluti- 
niren. Bei einigen der behandelten Kaninchen hatte nun das 
Blutserum die Fähigkeit erlangt, die rothen Blutkörperchen 
anderer Kaninchen zu lösen und auch im Verhältnis von 1: 50, 
1:100 und mehr verdünnt, zu agglutiuiren. Bei Mischung von 
Serum und Blutkörperchenaufschwemmung hatte die Flüssigkeit 
nach Senkung der Blutkörperchen eine deutlich rothe Farbe; 
rothe Blutkörperchen noch anderer Kaninchen hingegen waren 
dem Isolysin gegenüber unempfindlich. — Ich will hier aus¬ 
drücklich hervorheben, dass dieser Versuch bei Weitem nicht 
in allen Fällen positiv ausfällt: An verschiedenen Kaninchen ist 
die wiederholte und reichliche Einspritzung des eigenen Blutes 
spurlos vorübergegangen. Dies entspricht auch den für die 
menschliche Pathologie beobachteten Verhältnissen, wo auch in 
Krankheitszuständen, in denen sicherlich Ilaematolyse statt¬ 
gefunden hat, nicht constant Isolysine im Serum auftreten. 

Es geht jedenfalls daraus hervor, dass die Injektion und Re¬ 
sorption des eigenen Blutes im Serum der so behandelten Thiere 
das Auftreten von deutlichen Isolysinon und Isoagglutininen be¬ 
dingen kann, wobei natürlich nicht im geringsten ausgeschlossen 
ist, dass möglicher Weise auch andere Faktoren oder die Ein¬ 
führung anderer Gewebselemente des eigenen Organismus zu 
demselben Resultate führen können: Ich erinnere diesbezüglich, 
dass v. Düngern 7 ) durch Behandlung von Kaninchen mit 
Trachealepithel von Rindern, sowie mit Kuhmilch von diesen ein 
Serum erhielt, das auch haemolytisehe Eigenschaften gegenüber 
Rinderblut besass und dass Moxter dasselbe Resultat mittels 
Injektion von Stierspennatozoen erzielte. 

In Folge der iso- und autoagglutinirenden Eigenschaften des 
menschlichen Blutserums bietet sich nun die Frage, ob nicht 
auch die Rollenbildung, welche nach Austritt des Blutes aus 
den Blutgefässen stattfindet, mit jener Fähigkeit im Zusammen¬ 
hang steht: Wenn nämlich die Rollenbildung nur von der Form 
biconcaver Scheiben der Erythrocyten abhinge, so müsste sie auch 
in anderen Flüssigkeiten, welche die Form der rothen Blut¬ 
körperchen nicht verändern, z. B. in der physiologischen Koch¬ 
salzlösung stattfinden: nun beobachtet man keine Rollenbildung 
bei rothen Blutkörperchen, die mit 0,85 proc. Kochsalzlösung ge¬ 
waschen und in derselben aufgeschwemmt sind, trotzdem ihre 
Form hier nicht verändert ist. Aus diesem Grunde bin ich der 
Meinung, dass zwei Faktoren bei der Rollenbildung mitwirken: 
einerseits die agglutinirende Wirkung des Serums, welche die 
Annäherung und Zusammenklebung der Blutkörperchen bewirkt, 
andererseits die besondere Form biconcaver Scheiben der rothen 
Blutkörperchen, in Folge welcher die einander genäherten Blut- 

*) Münch, med. Wochensehr. No. 38, 1899. 


körperehen die besondere Anordnung in Rollen annehmen. 
S h a 11 o ck, citirt von M y e r s "), scheint einer ähnlichen Deu¬ 
tung zuzuneigen; ich bin aber nicht im Stande, mir darüber ein 
klares Urtheil zu bilden, da mir das Original nicht zugänglich war. 

Ich hebe endlich gerne hervor, dass zwei hervorragende fran¬ 
zösische Beobachter, Camus und P a g n i e z’), unabhängig von 
mir, in einer, kurze Zeit nach meiner ersten Mittheilung der 
Societe de Biologie vorgelegten Arbeit zu den meinigen ähn¬ 
lichen Resultaten gelangt sind, und halte es für zweckmässig, für 
ähnliche Untersuchungen die von mir angewandte, übrigens gar 
nicht neue Technik derjenigen von Lo Monaco und Pa n i c h i, 
die einfach 2 Blutstropfen verschiedener Individuen nachein¬ 
ander auf einen Objektträger fallen lassen und diesen sofort mit 
dem Deekgliischcn bedecken, und derjenigen von Camus und 
Pagniez, die das Agglutinationsphänomen in Uhrgläsern 
studiren, vorzuziehen. Denn es kommt bei diesen Untersuchungen 
einerseits darauf an, sich nur des Serums zu bedienen, um die 
Anwesenheit von Erythrocyten des Individuums, welches das zu 
prüfende Serum liefert, zu vermeiden; und andererseits kann 
man durch die mikroskopische Beobachtung im hängenden 
Tropfen genauer geringere Grade von Agglutination feststellen, 
die der Betrachtung in Uhrgläsern entgehen können. Zur grösse¬ 
ren Genauigkeit ist es endlich nützlich, wie es Camus und 
Pagniez üben, die rothen Blutkörperchen mit der Kochsalz¬ 
lösung zu waschen, bevor man sie in derselben aufschwemmt, um 
sie von ihrem eigenen Blutserum zu befreien. 


Aus Dr. C o h n h e i m’s Poliklinik für Magen- und Dnrm- 
krankheiten in Berlin. 

Weitere Mittheilungen über Pankreon. 

Von Dr. Locb, ehemaligem Assistenten der Poliklinik, 
Spezialarzt in Wiesbaden. 

Die therapeutischen Bestrebungen bei der medikamentösen 
Behandlung derjenigen Magenkrankheiten, welche sich objektiv 
in einer Herabsetzung oder Aufhebung der absondemden Funk¬ 
tion dieses Organs äussern, bewegen sich naturgemäss in der 
Richtung, durch eingeführte Mittel die geschwächte Funktion 
zu unterstützen bezw. die verloren gegangene zu ersetzen. 

NormalerWeise läuft der physiologische Vorgang der Magen¬ 
verdauung so ab, dass die Ingesta durch die verflüssigende und 
lösende Einwirkung des sauren Magensekretes, ohne besondere 
Einwirkung auf ihre chemische Konstitution, in breiig-flüssiger 
Form den Magen verlassen, um nun im Darme in alkalischer 
Reaktion sofort vom Pankreassekret wirksam in Angriff ge¬ 
nommen zu werden. 

ln allen Fällen, wo die Abseheidung dos sauren Magensaftes 
mit seiner lösenden verflüssigenden Eigenschaft vermindert oder 
aufgehoben, muss die Nahrung, nachdem sie den Pylorus passirt, 
in ganz oder fast unveränderter Konsistenz mit der zarten Darm¬ 
sehleimhaut in Berührung kommen, um hier erst dem Ver- 
flüssigungs- und Verdauungsprozess gleichzeitig unterworfen zu 
werden. 

Dass dieser nicht physiologisch ablaufende Vorgang, bei 
dem die Schleimhaut fortwährend einem anormalen Reiz durch 
grobe Speisepartikel ausgesetzt ist, je nach Empfindlichkeit und 
Konstitution de« betreffenden Individuums über kurz oder lang 
zu subjektiven und objektiven Störungen führen kann, ist wohl 
einleuchtend. 

In der That sehen wir derartige Fälle, bei welchen 
die Klagen der Patienten in Druck, Völlegefühl, unange¬ 
nehmen Sensationen im Epigastrium kürzere oder längere Zeit 
nach der Mahlzeit ohne direkte Schmerzen, bestehen, und wo 
die objektive Magenuntersuchung ein völliges Aufgehobensein 
oder starke Verminderung der salzsauren Magenabscheidung 
nachweist. 

Warum diese Zustände von sogen. Apepsie oder Achylie 
(Einhorn) manchmal von hartnäckiger Verstopfung, manch¬ 
mal von Diarrhöen begleitet sind, ist wohl schwer zu erklären, 
bemerken will ich jedoch, dass wir in der Poliklinik den Ein¬ 
druck gewonnen, dass die Grundursache, die zum Versiegen der 
salzsnuren Sekretion geführt, dabei von sehr erheblicher Be¬ 
deutung ist. Die durch toxische Ursachen, Alko- 

•) Centralbl. f. Bacterlol. Bd. 28, 1900, No. 8/9. 

*) Comptea rendua de la Soc. de Blol. 1901, No. 9. 8. März. 

2 * 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


hol und Tabak, bedingten Störungen gehen ge¬ 
wöhnlich mit Diarrhöen, die aus anderen Ur¬ 
sachen entstandenen häufig mit Obstipation 
einher, wenn auch daneben Fälle ohne jede wesentliche 
Störung der Entleerung in Erscheinung treten. 

Bei diesen hier geschilderten Verhältnissen lag der Gedanke 
nahe, dem geschwächten bezw. funktionsuntüchtigen Magen so 
zu Hilfe zu kommen, dass er einen den Darm nicht reizenden 
Chyinus präpari rte. 

Da wir durch Salzsäuregaben, mit oder ohne Pepsin, thera¬ 
peutisch in diesem Sinne nicht genügend wirksam Vorgehen 
können, weil wir auf dem Wege der Arzneigabe nicht solche 
Mengen Säure einführen können, wie zur Verflüssigung der 
Nahrung nötliig, und wie dem normalen Magensaft entspricht, 
so drängte sich der Gedanke auf, dass es eine grosse Unter¬ 
stützung für den angestrebten Zweck sein müsse, wenn es ge¬ 
länge, das mächtig wirksame Pankreassekret resp. seine Enzyme 
therapeutisch so verwerthen zu können, dass sie bereits im Magen 
ihre Wirkung beginnen könnten, um sich dann iin Darme zu 
voller Wirkung zu entfalten. 

Versuche, die in dieser Richtung schon vor einer Reihe von 
Jahren mit einem von der Chrm. Fabrik „Ithenania“ in Aachen 
dargestellten ..Pancreatin“ unternommen worden, fielen nicht zur 
vollen Zufriedenheit aus, weil das Präparat schon in schwach- 
saurer Lösung sich unbeständig erwies, und die Wirksamkeit 
seiner Enzyme dabei fast sofort zerstört wurde. 

In neuester Zeit hat nun diese Fabrik ein „Pankreon“ ge¬ 
nanntes Präparat dargestellt, das sich bei der eingehenden Prü¬ 
fung bis zu 5 Stunden gegen den sauren Magensaft widerstands¬ 
fähig erhielt und dessen Anwendung daher bei stark herabgesetz¬ 
ter und aufgehobener Salzsäuresekretion des Magens wohl erfolg¬ 
reich erscheinen konnte. 

Ueber das Mittel selbst, das von Gockel- Aachen, zu Folge 
einer Veröffentlichung im Centralbl. f. Stoffwechsel- u. Ver- 
dauungskrankh., 1. Jahrg., No. 11, bereits in 34 Fällen mit übei- 
wiegend günstigem Erfolge bei geeignet erscheinenden Störungen 
angewendet worden und worüber auch W e g e 1 e - Königsborn 
in No. 14 derselben Zeitschrift sieh günstig geäussert, fasse ich 
mich kurz. 

Pankreon ist ein grauröthliches feines Pulver von etwas 
eigenthiimlich nussartigem, nicht unangenehmem Geschmack, 
das im Wasser und verdünnten Säuren unlöslich, schon bei leicht 
alkalischer Reaktion sich löst. Die Dosis beträgt für Erwachsene 

3 mal täglich 0,5 in Pulver oder Tabletten, kurz vor der Mahlzeit 
oder während derselben genommen, für Kinder 0,1—0,15 am 
besten aus praktischen Gründen in Pulverform verrührt. 

Wir haben nun dieses Pankreon, das nach seinen Eigen¬ 
schaften einestheils bei nicht vorhandener HCl-Sekretion in dein 
durch den Speichel schwach alkalisirtcn Mageninhalt direkt 
wirksam sein kann, anderntheils bei geringer Säuroproduktion 
resp. bei der Acidität der eingeführten Nahrung unverändert in 
den Darm übergeführt wird und dort die Darm Verdauung der 
mangelhaft gelösten Ingcsta wirksam zu unterstützen geeignet 
ist, ausschliesslich bei einem Symptomenkomplex angewandt, wo 
diese Vorbedingungen am reinstem gegeben waren. 

Ich meine bei der „Achylia gastrica“, jenem Zustande, wo 
neben der erloschenen HCl-Sekretion auch eine entsprechende 
Ilerabininderung oder vollkommene Aufhebung des Pepsinogens 
und des Labzymogens sich nachweison lässt, wobei ich unberück¬ 
sichtigt liess, ob die Achylia durch anatomische Veränderung 
der Magenschleimhaut, d. h. durch Gastritis atrophicans, durch 
toxische, oder nervöse Einflüsse hervorgerufen worden. 

Ich habe nun in der Dr. Cohn hei m’schen Poliklinik für 
Magen- und Darmleidende in Berlin 13 Falle mit Pankreon be¬ 
handelt, den grössten Theil derselben mehrere Wochen hindurch 
gepau beobachtet und bis zu 100—125 Pulvern theilweise ver¬ 
abreicht. 

Von diesen 13 Fällen von Achylia gastrica waren 

4 mit Diarrhöen vergesellschaftet, davon betrafen 3 zugestandene 
Alkoholiker, bei zweien bestand theils keine oder nur unwesent¬ 
liche Störung der Stuhlentleerung, in den übrigen 7 Fällen Ver¬ 
stopfung bis zu den höchsten Graden, wo überhaupt seit Jahren 
nur noch durch Einläufe und Purgantien Stuhlgang erzielt 
worden. 

Der Aotiologie nach liess sich die Achylia in 4 Fällen auf 
die toxische Alkoholeinwirkung zurückführen, in einem Falle auf 


No. 31. 

organische Veränderung der Magenschleimhaut, wahrscheinlich 
beginnendes Carcinom, in 3 Fällen auf den maasslosen Gebrauch 
von Purgantien, in einem Falle auf den Jahre lang bestehenden 
absoluten Zahnmangel, in den übrigen 4 Füllen auf Störungen 
im nervösen Apparate des Magens bei auch sonst stark neuro- 
pathisohen Personen. 

Dus Resultat der Behandlung war bei 9 Fällen ein gutes, bei 
2 Fällen war eine Besserung zu konstatiren, 2 Fälle zeigten 
keinen Erfolg. 

Um meine Beobachtungen über die Einwirkung des Pankreon 
bei der mit Diarrhöen verbundenen Achylia gastr. zuerst zu be¬ 
richten, so waren von den 4 derartigen Fällen 2 von einem vollen 
Behandlungserfolge gekrönt, und zwar gerade die Fälle von 
schwerer langdauernder Diarrhoe bei Alkoholikern, wo die Unter¬ 
suchung der Faeces unverdaute Speisebröckel und Sehnenfetzen 
ergaben. 

Der dritte, nicht durch Pankreon gebesserte Fall betraf eine 
Frau von (JO Jahren, die bei absolutem Zahnmangel seit 
10 Jahren, seit etwa 6 Jahren an profusen Diarrhöen litt, deren 
starker, mikroskopisch nachgewiesener charakteristischer Schleim 
gehnlt für eine Enteritis chronica sprach. 

Wenn auch hier durch Pankreongaben anfänglich subjektiv 
ein Nachlassen der schmerzhaften Sensationen im Epigastrium 
zu verzeichnen war, so wurde doch erst durch längere Zeit fort¬ 
gesetzten Tauocollgcbrauch, verbunden mit entsprechenden diä¬ 
tetischen Maassnahmen, eine sehr wesentliche Besserung bis auf 
2 breiig-weiche Entleerungen täglich bei guter Gewichtszunahme 
erzielt. 

Der 4. Fall betraf einen Alkoholiker, der nach anfänglich 
i angegebenem wesentlichen Besserbefinden nach 14 tägiger Be¬ 
handlung sich der weiteren Beobachtung entzog und den ich als 
gebessert ansehe. 

Von den erfolgreich behandelten 2 Fällen möge hier eine 
Krankengeschichte in kurzem Auszüge Platz finden: 

3!) jähriger Pferdebalinscliaffner, seit 1 Jahr 4 mal täglich 
Durchfall, Früh immer 2 mal hintereinander, ganz dünn, häutig 
sofort nach der Mahlzeit, unverdaute Brockel enthaltend, Kollern 
und Gurren im Leibe, fortwährend schmerzhafte Sensationen im 
Eplgastricum, Wehgefühl ln der Bauchgegeud, wenig Aufstosseu, 
kein Erbrechen. 

5. II. 1901. Gut genährter Mann ohne Jeden Palpationsbefund. 
P.-F. schlecht chyinlflc. Congo. G.-A. = 6. Labzym. und Peslnog. 
fehlen gänzlich. 

Therapie: Breidiät, Pankreon. 

11. II. Pat gebessert, Drücken vor dem Magen verschwunden. 
Appetit gut, 2 mal täglich Stuhlgang, noch dünn, früh hinter¬ 
einander. 

23. II. Besserung aller subjectiven Symptome. Stuhl 2 mal 
täglich, sehr wenig, ohne Fetzen und Brockel. 

21. III. Auf Anfrage berichtet Patient, dass es ihm voll¬ 
kommen gut gehe. 

In weiteren 7 Fällen war ein guter Erfolg von Pankreon- 
gebrnueh zu verzeichnen und zwar 4 mal bei Fällen, die mit 
starker bis hochgradigster Obstipation verbunden waren, bei 
denen in 3 Fällen die Achylia auf dem maasslosen Gebrauch von 
Purgantien, in einem auf neuropathischer Basis beruhte, bei einer 
mit allgemeiner Enteroptose behafteten Frau. 

Ferner waren 3 mal Störungen der Entleerung nicht, vor¬ 
handen, und die Aehylie beruhte je einmal auf nervöser Basis, 
auf organischer Magensehleimhautorkrankung (beginnendes Car¬ 
cinom ?) nnd auf toxischer Basis, Alkohol- und Tnbakmissbraueh 
(Kauen) verbunden mit schlechtem Gebiss. 

Ehe ich diese 7 Fälle einer kritischen Betrachtung unter¬ 
ziehe, erwähne ich noch die angegebenen 2 Fälle, wo eine ein¬ 
wandsfreie Pankreomvirkung sich nicht feststellen liess. 

Einer betrifft, eine. Hysterien mit neurotisch-gastrischen Be¬ 
schwerden und Achylia auf nervöser Basis, der andere eine sehr 
geschwächte anaemisehe Frau mit mangelhaftem Gebiss, die seit 
10 Jahren ihre Obstipation mit Abführmitteln bekämpfte. 

Im ersten Falle wurde nach Pankreongebrauch von der übri¬ 
gens in gutem Ernährungszustände befindlichen Frau eine Besse¬ 
rung angegeben, in letzterem trat anfänglich auch Besserung ein, 
der schlechte Appetit hob sich etwas, dann aber entzog sich die 
Frau weiterer Beobachtung und eine spätere Nachfrage ergab, 
dass ihre alten Beschwerden noch vorhanden. 

Teh betrachte dcsshalb den ersten Fall als gebessert, den 
zweiten als ohne Erfolg behandelt. 

Die noch zu erörternden 7 erfolgreich mit Pankreon be¬ 
handelten Fälle, die ihrer Actiologie nach bereits betrachtet sind, 


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30. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1243 


boten das Gemeinsame, dass sich schon nach verhältnissmässig 
kurzem Gebrauch des Mittels das subjektive Befinden der Patien¬ 
ten in wesentlicher Weise besserte. 

Fast durchgehends wurde ein Aufhören der unangenehmen 
Sensationen angegeben und dafür ein Gefühl der Leichtigkeit 
iu der Magengegend empfunden, womit in den Fällen der Stuhl¬ 
verhaltung bald eine Besserung der Entleerung einherging. In 
2 Fällen, von denen einer mit besonders schlechter Geschmacks¬ 
empfindung verbunden war, der andere mit Paraestheaien der 
Lippen, der Zunge und des Oesophagus, Gefühl von Dicksein, 
Pelzigsein, Empfindung für die herabgleitenden lngesta, ohne 
dass sonst eine Nervenerkrankung nachweisbar war, ver¬ 
schwanden diese Symptome sehr bald. 

Objektiv konnte allerdings nur 2 mal unter längerem Pan- 
kreongebrauch eine Veränderung des Mageninhaltes nach P.-F. 
festgestellt werden, indem der bis dahin immer achylische In¬ 
halt wieder freie Säure zeigte, ob allerdings post hoc ergo propter 
hoc, wage ich nicht zu entscheiden. 

Zwei kurze Berichte mögen liier ihren Platz finden, ein Fall, 
wo bei guter subjektiver Besserung objektiv keine Einwirkung 
sich nachweisen liess, ein anderer, wo abgesehen von günstigster 
Beeinflussung des Allgemeinbefindens und der Obstipation wieder 
freie HCl erschien. 

1. Frau M., 45 Jahre. Achylia gastrlca. Enteroptose. Pat. aus 
neuropathischer. hereditÄr belasteter Familie, selbst »europatbiscli. 
Nieren beiderseits palpabel, Angstgefühl und Druck nach dem 
Essen, Stuhlverstopfung. G.-A. des P.-F. ^ 0. 

Nach anfänglich erfolgloser Thex-apie mit H. CI. und Klssinger 
Itakoczy Pankreon, davon etwa 100 Pulver. Stuhlgang we¬ 
sentlich gebessert, ebenso Angstgefühl und Zittern. Auf Druck- 
gefühl des Magens bisher wenig Einwirkung. 

Objective Mageninhaltsuntersuchung lässt keine Wirkung er¬ 
kennen. 

3. III. P.-F. Congo—. Tropäolin—. G.-A. = 10. Labzyin. '/ 4u -f 
Kuchengerinnung, l / ua -f- Flockengerinnung. Pepsinverdauuugs- 
probe 25 Proc. 

Rückstand (nach Mathieu-Reymond von Cohnlicim 
inodificirt) 282 cbcni. 

4. III. P.-F. mit 0,5 Pankreon, total achylisch. Cougo —. 
Trop.—. G.-A. = 8. Labzym. '/«+ K.-G., '/«+ F.-G. Pepslu- 
verdauung 28 Proc. 

Rückstand 310 ccm (bei 400 ccm Wasser und 1 Welssbrod). 

15. IV. Unter weiterem Pankreougebrauch Befinden erheb¬ 
lich gebessert, snbjective Beschwerden fast verschwunden. 

2. Frau P., 48 Jahre. Achylia e purgantibus, Obstipatio 
chronica. 

Seit 10 Jahren Missbrauch von Klystleren, 1—2 Liter täglich 
Abführmittel. 

Jetzt Flatulenz, Kollern im Leibe, Schleimabgaug, Drücken, 
Vollsein lm Magen, Aufstossen, kein Erbrechen, Durstgefübl, 
schlechter Geschmack, Aufgetriebensein des Leibes, 14 Pfund ab- 
grnommen. Gewicht 104 Pfund. Keine Palpationsergebnisse. 
Laparotomienarbe von Ovarialoperatlon rechts. Obere Gebiss¬ 
platte. 

12.11. P.-F. schlecht chyiniflo. G.-A.:ö. Labzym. '/« + K.-G.. 
7»-f F.-G. Pepsinverdauung 20 Proc. 

Therapie: Pillen, von Extr. nue. vomic. u. Extr. Bellodon. 
Gastrltla-Obstlp.-Diät. Darmelektrlsatlon. Nach kurzer Besserung 
der subjektiven Beschwerden schon nach 8 Tagen wieder der alte 
Znstand. Daher am 

24. II. Pankreon. 

28. II. Appetitregung, Besserfühlen, Aufstossen und Hoch- 
kt-mmen von Speisen noch vorhanden. Keine Schmerzen mehr. 
Stuhlgang Ist spontan eingetreten. 

4. III. Wohlbefinden, guter Appetit, Aufstossen hat bedeutend 
nachgelassen, kein Erbrechen, spontaner Stuhlgang bis 3 mal täg¬ 
lich, ohne Diarrhoe, ohne Jegliche Beschwerden. Pat. glaubt von 
Pankreontherapie diese gute Wirkung zu haben. Flatus gehen 
leicht ab, subjectlv grosse Euphorie. 

6. III. P.-F. mässig chymiflc. G.-A. = 16. Dimethylamldoazob. 
schwach positiv. Pepsin 60 Proc. 

7. III. P.-F. mit 0,5 Pankreon leidlich gut chymiflc. G.-A.: 
20. I,abz. */•+ K.-G. Pepsin 70 Proc. 

11. III. Stuhl regelmässig. Appetit gut, keinerlei Beschwerden. 

18. III. Andauerndes Wohlbefinden, erhebliche Gewichts¬ 
zunahme, Euphoria summa. 

Bei den übrigen 5 Fällen handelte es sich einmal um einen 
amerikanischen Kollegen, der seit 10 Jahren mit Obstipation be¬ 
haftet, alle möglichen Purgantien gebrauchte, der bei wesentlicher 
Besserung aller Beschwerden innerhalb 4 Wochen durch Sana¬ 
toriumbehandlung und 125 Pankreonpulver um 12 Pfd. zunahm, 
dessen Stuhlgang spontan regelmässig wurde und wo wieder eine 
Spar freie HCl zu konstatiren war. 

Der nächste Fall betrifft eine 50 jährige Dame, die unter 
i'aukreongebraueh Beschwerden und Obstipation verlor, der dritte 
31 


ciuen Mann in den 50 er Jahren, bei dem Verdacht auf Neopl. 
malign. besteht, wo sich Appetit und Beschwerden besserten uud 
eine Gewichtszunahme festzustellen war. 

Im 4. Falle hatten wir es mit einer auf nervöser Basis be¬ 
stehenden Achylia zu thun, wo bei dem etwa 40 jährigen Manne 
die abnormen Sensationen auf Lippen, Zunge und Oesophagus 
sehr bald verschwanden und bei gutem Appetit und Verdauung 
innerhalb 4 Wochen die Sensationen von Druck und Völle im 
Epigastriuin sich verloren hatten. 

Den letzten auf alkoholischer Basis, ohne Diarrhoe, entstan¬ 
denen Fall theile ich auszugsweise mit, da er anfänglich auch 
mit HCl uud Itakoczy Ixehandelt, später Pankreon bekam. 

7. I. 59 jähriger Arbeiter. Abus. spirit. et tabne. (Kauen) zu¬ 
gegeben. 

Seit 1 Jahr Magenbeschwerden, Druck nach dem Essen, Ge¬ 
fühl von Unbehagen, wenig Aufstossen, kein Erbrecheu, wenig 
Stuhlgang täglich, keine Verstopfung oder Diarrhoe, Appetit 
schlecht, abnorm schlechter Geschmack, Gebiss defekt. 

P.-F. total achylisch. G.-A. = 5. Behandelt mit HCl und 
Itakoszy bis 23.1. Appetit etwas gebessert, Druck wenig ge¬ 
ringer geworden. 

Am 23.1. Pankreon. 

29.1. fühlt sich „sehr schön“, hat Appetit, Gefühl der Er¬ 
leichterung in der Mngeugegend (bisher 15 Pulv.), schmerzhafte 
Sensatiouen sind vollkommen verschwunden. 

Stuhlgang regelmässig 2 mal täglich, breiig weich. 

4. II. Fühlt sich fortgesetzt wohl, gar keine Beschwerden 
mehr. 

5. II. P.-F 1 . gut verflüssigt, ohne Säure. Cougo—. Labz.—. 

Pepsin —. 

11. II. Ständig guten Appetit und Stuhlgang. Vollkommen 
beschwerdefrei. 

Ziehe ich das Facit »aus diesen 13 von mir beobachteten 
Fällen, so war in 9 Fällen ein unzweifelhafter Erfolg des an¬ 
gewandten Mittels feststellen, uud zwar sowohl in Bezug auf 
die subjektiven Beschwerden, als auch objektiv auf die Störungen 
der Stuhlentleerung, mögen sie nun in Diarrhöen oder Obsti¬ 
pation sich geäussert haben. 

Objektiv auf die Veränderung des Chymus eine Einwirkung 
festgestellt zu haben, wage ich nicht zu behaupten, wenn auch in 
2 Fällen eine Wiederkehr der HCl-Produktion sich zeigte; viel¬ 
leicht aber sind die subjektiv guten Erfolge doch auf eine durch 
das Mittel hervorgerufene moleculäre Veränderung des Chymus 
zurückzuführen, deren Nachweis nur den uns heute zu Gebote 
stehenden Prüfuugsmethoden nicht zugänglich. 

Ich glaube iu dem Pankreon eine Bereicherung unseres 
Arzneischatzes erblicken zu dürfen und das Mittel bei der 
„Achylia gastrica“, dein von mir zur Untersuchung speciell heran¬ 
gezogenen Symptomenkomplexe einer Beobachtung und Nach¬ 
prüfung empfehlen zu können. 

Herrn Kollegen Dr, C o h n h e i m für die freundliche Ueber- 
lassung des Materials und seine Unterstützung bei der klinischen 
Beobachtung meinen verbindlichsten Dank an dieser Stelle aus¬ 
zusprechen, ist mir eine angenehme Pflicht. 


Urininfiltration in der Geburtshilfe.*) 

Von Dr. F. Horn, Frauenarzt in Köln a. Rh. 

M. H.! Folgender Fall, dessen Vorgeschichte ich der Liebens¬ 
würdigkeit eines Kollegen verdanke, dürfte als einzig in der 
Literatur dastehender einiges Interesse bieten. 

Frau S. aus Köln, 31 jährige IV. Para. Seit dem 16. Jahre 
regelmässig, 4 wöcheutlicb, 5—6 Tage menstrulrt, stets gesund, 
nur als Kind litt sie an englischer Krankheit. 1. Geburt: Zange, 
2. normal, 3. Frühgeburt. Letzte Menstruation Anfangs Februar. 
Wehenanfang 7. XI. Vorm. 8 Uhr; erste Untersuchung Nachm. 
3 y» Uhr: Blase erhalten, Muttermund dreimarkstückgross, Kopf 
beweglich Uber dem Beckeneingang, I. Scbädellage; Conj. 
diagou. 11. Blasensprung 11 Uhr Abends. 

8. XI. Vorm. 5 Uhr Verlangsamung der kindlichen Herztöne 
bis 102. Dabei war trotz mässig starker Wehen der Muttermund 
erst handudlergross. Kopf fest im Beckeneingang. Starke Kopf¬ 
geschwulst; grosse Fontanelle rechts vorn. Bel der Untersuchung 
ging durch Kindspech verfärbtes Fruchtwasser ab. y 2 6 Ubr 
Vorm. Anlegen der Zange und Extraction in Vorderhaupts¬ 
lage, die ungefähr y g Stunde gedauert haben soll, aber absichtlich 
ohne grössere Gewaltanwendung durchgeführt wurde. Erfolg¬ 
reiche Wiederbelebungsversuche bei dem schwer asphyktisclien 
Kinde. Nach y 2 Stunde Entfernung der Placenta nach Credö; 
2 Spritzen Ergotin. Sick. Temperatur vor der Geburt 37,2°, nach 


•) Vortrag, gehalten In der Nlederrheinlsch-westphälischeu 
Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie. Sitzung vom 
28. April 1901 zu Düsseldorf. 

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No. 31. 


1244 MUENOHENEB MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


derselben 36,7° (ln der Achsel). Das Kind starb am 9. XI. Vorm. 

6 Uhr an den Folgen der Asphyxie; seine KopfumfUnge: hört/.. 
37 cm, occlp.-menL 39; subocclp.-front. 36 cm. Am Abend des 

8. XI. musste die Patientin katheterislrt werden, da sie kein Wasser 
machen konnte. Auffallend war dem Kollegen die geringe Menge 
des so gewonnenen Urins und die Blutbeimischung. Sehr wenig 
Wochenfluss. 1,0 Sulfonal; 0,05 Oplumsuppositorium. Temp. 37,3“, 
Puls 90. 

9. XI. Morgens 37,5°, Puls 88. Abends 37.7°, Puls 82. Uterus 
1 Finger unterhalb des Nabels. 3,0 Pulv. secal. cornut P r 1 e s s - 
u i t /'scher Umschlag auf den Leib. 2 mal katheterlsirt. Der 
Morgenurin sah nicht mehr so blutig aus, so dass schon eine Besse¬ 
rung der „B 1 a s e n q u e t s c h u n g“ angenommen wurde. Sub¬ 
jektives Wohlbefinden. . 

10. XI. Morgens 36.9* Puls ruhig; Abends 37,0 °. Puls ruhig. 
Patientin hatte Stuhl und entleerte dabei angeblich Urin, so dass 
nicht katheterlsirt wurde. Das Uriniren soll auch desswegen 
schwer kontrolirbar gewesen sein, weil die Frau — eine kleine, 
«licke Person — erklärte, den Urin der bestehenden Schmerzhaftig¬ 
keit wegen unter sich gehen lassen zu wollen. Die Unterlagen 
rochen stark nach Urin. 

11. XI. Morgens 36,8°, Mittags 37,5, Puls 160; Abends 38,0“. 
Puls 164. Uterus 1 Finger unterhalb des Nabels. Mittags zeigte die 
Wöchnerin im Vergleich zum 2. Tage eine auffallende Veränderung, 
die vor Allem den bisher ruhigen, kräftigen Puls betraf; auch war di;? 
Athmung etwas beschleunigt, das Gesicht etwas gerötliet. Da die 
Frau kurz vorher aufgestauden war, um ausserhalb des Bettes 
Stuhl zu machen, so wurde die Veränderung hauptsächlich darauf 
zurückgeführt (Embolie?). Auf die Aufforderung hin, Urin zu 
entleeren, lless sie spontan eine kleine Menge hellblutig gefärbten 
Wassers. Daraufhin untersuchte ich mit dem Kollegen die l’a- i 
tienlin gemeinschaftlich. Wir fanden Abends y 2 8 Uhr, dass der I 
Gesichtsausdruck der Wöchnerin etwas benommen war, doch gab ; 
sie noch klare, vernünftige Antworten. Es fällt auf, dass sie sich 
öfters au den Kopf fasst. Bel Druck auf den Unterleib klagt sie 
über Schmerzen an der vorderen Uterus,wand, an der Abgangsstellc 
der beiden Llgg. lat. und besonders in der Blasengegend. Uterus- 
fundus knapp 2 Finger unter dem Nabel, gut contrahlrt Keine 
Verletzung an Cervix oder Vagina. Pupillen mittelweit, reagireu 
prompt Temperatur 38,0°; Puls 164. Der Katheter entleert al¬ 
kalisch riechenden, dunkel grünlich-rothen Urin, mit Schleim¬ 
fetzen durchsetzt; denselben Urin fand man in den Vorlagen. 
Urin war locbialsekretdurchtränkt, die Lochien rochen iiriuös. 

Diagnose: Blasengebärmutterflstel, septische Urlninflltra- 
tion des paraveslcalen Gewebes post partum. 

Prognosis: pessima. 

An einen Eingriff war nicht mehr zu denken, auch jede interne 
Therapie musste versagen. 

13. XI. Morgens 8 Uhr lag die Patientin in völlig benommenem 
Zustande ruhig da. Gesichtsausdruck und -Farbe unverändert. 
Athmung etwas beschleunigt, Puls Uber 100, leicht unterdrückbar. 
Schmerzempflndung Kusserst sich nur bei starkem Druck auf die 
linke Seite des Unterleibes. In diesem komatösen Zustande starb 
Patientin gegen 3 Uhr. 

Urinbefund: stark alkalisch; es setzt sich im Spitzgins 
reichliches, fadenziehendes, schleimiges Sediment ab, ln dem sich 
mikroskopisch grosse Mengen rother Blutkörp«?rchen, vereinzelte 
Leukocyten, ziemlich reichliche Detritusmassen finden und Blasen- 
epithelien, an einzelnen Stellen gruppenweise zusammenliegend, 
vereinzelte Sargdeckelkrystalle. 

Sektionsbefund (leider wurde eine allgemeine Sektion 
nicht gestattet): Bei Durchtrennung der Bauchmuskeln fällt die 
leicht grünliche Verfärbung auf. Bei Lichtauffall sieht man auf 
der Schnittfläche einen geringen Flüssigkeitsstrom herunterfliessen, 
der deutlich Uringeruch hatte. Das Cavum Ketzii graugrünlich 
gefärbt, nach Urin riechend. Starke Urindurchtränkung und Ge- 
websaufquelluug vom paraveslcalen Bindegewebe aus nach oben 
zu den Bauchdecken ziehend. Nach Herausnahme der Geschlechts- 
thcile wird der Uterus, um das Präparat zu schonen, durch den 
Fundalsclinitt eröffnet. Im Uteruscavum geringe Placentar- und 
Eihautreste, sonst gute, frische Thromben. Keine Peritonitis. 
Auf «1er hinteren unteren Blasenwand liegen dicke, fetzige Mem¬ 
branen; die Blasenschleimhaut zeigt in der Umgebung mehrfache 
blutige Sugillationen. Ungefähr 3 cm oberhalb und etwas seitlich 
von der Einmündungsstelle des rechten Ureter befindet sich eine 
etwa sondenknopfgrosse nekrotische Stelle, die sich trichterförmig 
In die Tiefe erstreckt. Mit der Sonde gelangt man bequem ln der 
Richtung nach rechts hinten unten und seitlich ln die Cervix. 
Die Eiumündungsstelle ln die Cervix liegt gut 2 cm oberhalb des 
Orifieium ext. uteri und hat hier die Grösse einer Erbse, ebenfalls 
von nekrotischem Gewebe umgeben. Das Periost des rechten 
horizontalen Schambeinastes war an der hinteren Seite in Mark- 
stückgrösse abgehoben, so dass der Knochen frei lag. Keine Rauhig¬ 
keiten oder Exostosen am Knochen des Schambeines. 

Was nun die Diagnose dieses Falles anbetrifft, so verliefen 
die ersten 3 Wochenbettstage ohne nennenswerthe Erscheinungen 
unter dem Bilde einer „Blasenquetschung“ in Folge des andauern¬ 
den Druckes des Kopfes (resp. der Zangenlöffel). Am 4. Tage 
sehen wir eine Schwerkranke hoffnungslos (ich sehe Pat. zum 
ersten Male). Der Kontrast zwischen dem kleinen Puls (160!) 
und der massigen Temperatursteigerung, der Anblick der 
Kranken, das Fassen an den Kopf, die leichte Benommenheit. 
Druckern pfindliehkeit dee Uterus und seiner Umgebung wiesen i 


auf schwere akute Sepsis. Der unwillkürliche Abgang des Urins 
aus der Scheide (neben dem in Folge Sphinkter¬ 
lähmung unwillkürlich auf normalem Wege ablaufenden 
Urin), andererseits di«.* Lochialdurchtränkung des Kathete rharn-s 
lassen als Ursache dieser Sepsis acutissima eine Verletzung der 
unteren Harnwege erkennen, von der aus — vennuthlich erst am 
4. Tage, frühestens Ende des 3. — das angrenzende Bindegewebs- 
lnger mit Urin (vom Lochialsekret zersetzt) durch tränkt wurde. 
Die vollkommene Vermengung von Urin und Lochialsekret in 
Scheide sowohl wie in Blase gab als Sitz der Verletzung Blas«- 
und Uterus (d. h. Cervix) an in Form einer unvollkommenen 
oder gestörten Kommunikation, zwischen beiden Organen. 

An eine Therapie war, als ich die Pat. zu Gesicht bekam, 
nicht mehr zu denken. Wäre die Allgemeininfektion nicht eine 
so schwere gewesen, so hätte man «len gangraenöseu Process viel¬ 
leicht noch einhaltcn können durch möglichst frühzeitige (1) und 
möglichst tiefe und multiple Einschnitte in dio infiltrirten Ge- 
webe von der Vagina und besonders vom Bauche her, ausgiebige 
Drainage, prolongirte antiseptische Irrigationen, Vollbäder etc. 
Die denkbar ergiebigste Abflussmöglichkeit und Drainage würde 
durch die Totalexstirpation gegeben sein, wobei allerdings die 
Gefahr der Infektion des eröffneten Peritoneums eine nicht ver- 
nu’idbare gewesen wäre. Ausserdem kämen intern hohe Ohinii:- 
dosen, Alkoholica in Betracht und Mittel, um die Alkalescen/. 
des Urins möglichst zu hindern. 

Die Aetiologie imseres Falles fällt mit der Aetiologie der 
Blasencervixfisteln zusammen, auf die ich hier nicht weiter ein¬ 
zugehen braucha Es fragt sich: Ist die Verletzung spontan, 
d. h. durch den lang dauernden Druck des eingekeilten Schädels, 
oder durch Trauma, durch die Zange, entstanden. Abge¬ 
sehen davon, «lass die Zangenextraktion von geschickter Hand 
und nicht forcirt ausgeführt wurde, gilt es als feststehend, dass 
«ler Procentsatz der Fisteln, die aktiv, direct, durch Trauma, 
violent entstehen, viel geringer ist als der, welcher spontan 
entsteht, bezw. auf Nichtsthun oder auf Fahrlässigkeit zurück¬ 
geführt werden muss (F r i t s c h). 

Wir nehmen also an, dass das langdauernde Verharren des 
Schädels im Beekenoingang. derart, dass die vordere Cervical- 
wnnd und die entsprechende Stelle der Blasenwand nebst ihrem 
Zwischengewebe bis zur Ischaemie und Nekrose gepresst wurden, 
zur Fistelbildung nach Ablauf der üblichen 3 Tage führte. 
Warum ist nun der Verlauf unserer puerperalen Blasencervix¬ 
fistel entgegen der bisherigen Anschauung mit Urininfiltration 
komplizirt gewesen ( Man könnte auf den Gedanken kommen, 
dass dasselbe Trauma verschieden auf die verschieden starken 
Gewebe gewirkt habe, «lass es also das muskelreichere Cervix- 
gewebe nicht so stark habe schädigen können wie das zartere, 
muskelsehwächere Blasengewebe. Doch wäre es dann nicht wun¬ 
derbar, dass wir bei Blaseneervixfisteln nicht häufiger Urininfil- 
trntiop fänden, da ja die Vorbcxlingungen dazu stets erfüllt 
wären! Und eine ungleiche Einwirkung dt*s Trauma auf Blase 
und Cervix anzunehmen, dazu berechtigt nichts. Kuochenrauhig- 
keiten an dem Schambein fanden sich bei der Sektion nicht. 
Es bleibt also, meines Erachtens, nur noch die Annahme übrig, 
dass der zur Ausbildung gekommene Fistelkanal einen mehr oder 
weniger dauernden Verschluss erlitten hat; so dass der Anfangs 
ungehinderte Abfluss des Urins durch die Fistel in die Cervix 
unterbrochen wurde, der Urin staut sich vor dieser Verschluss- 
steile und durchträukt natürlicher Weise das umliegende nach¬ 
giebige Bindegewebe. 

Dieser Verschluss de* Kanales wird zum Theil zu erklären 
sein durch Kontraktionen des in Rückbildung begriffenen Uterus 
in puerperio. Doch einerseits wissen wir aus der Physiologie der 
Geburt, dass die Cervixmusculatur sich sehr passiv verhält und 
kaum aktiv in Betracht kommt, andererseits müssten etwaige 
stärkere Kontraktionen doch häufiger bei Blasenuterusfisteln zum 
Verschluss und zur Urininfiltration führen, was ein Blick in die 
Literatur widerlegt. Es folgt, dass die Uteruskontraktionen nur 
unterstützend für den Verschluss gewirkt haben können. 
Eine direkte Verstopfung des Kanals durch ein vom Uterus aus 
ein geschwemmtes Placentarrestchen oder durch kleine Blutcoagula 
fand sich nicht. Und als Hauptursache lässt sich, meiner An¬ 
sicht nach, nur die Richtung der Fistel ansehen, die sich nach 
der Seite hin erstreckte, so dass eventuellen Uteruskontraktioneu 
eine grössere Angriffsfläche des schräg in die Cervix einmiinden- 


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MUENCHENER MEDICINTSCIIE WOCHENSCHRIFT. 


1245 


30. Juli 1901. 

den Kanales Kegeben wurde, als wäre der Verlauf der Fistel in 
gerader Richtung von vorne nach hinten gewesen. Dass also 
dieser ziemlich lange, schräg verlaufende 
Fistolk anal durch Rlickbildungsprocesse des 
Ftfrus verzerrt, abgeknickt oder verschlossen wurde, und 
•lass der hierdurch sich anstauende Urin das lockere Nachbar¬ 
gewebe durchtränkte, glaube ich für wahrscheinlich halten zu 
müssen. Durch die Wechselwirkung der Zersetzung von Lochial- 
sokret und Urin, die ja beide — allerdings in verschiedener Rich¬ 
tung — die Fistel passirten, kommt es nun zu dieser akutesten 
Sepsis, die in IVa Tagen zum Tode führt, bevor an den Bauch¬ 
decken oberhalb der Symphyse sich der im Cavum Retzii an- 
sammelnde Urin äusserlich als Geschwulst geltend machen 
konnte. 

Therapeutisch können wir leider wenig aas dem Falle lernen, 
weil, sobald die Diagnose klar ist, wohl fast immer dann schon 
durch die äusserst gefährliche Vermischung von LochiaLsekret. 
und Urin im vorletzten Zellgewebe unaufhaltbare gangraenösc 
Sepsis besteht, die joden Eingriff zwecklos macht. Wenn aber 
gegebenen Falles die Sepsis noch nicht allgemeiner Natur ge¬ 
worden ist, und die lokale Störung noch das Bild beherrscht, dann 
dürfen wir uns natürlich nicht an die therapeutischen Vorschrif¬ 
ten bei puerperalen Urinfisteln halten, die die Fistel als „noli 
me tangere“ ansehen lassen wollen. Nur energisches chirur¬ 
gisches Eingreifen, wie gesagt, hat jetzt Zweck; nicht mit inneren 
Mittelchen oder antiseptischen Spülungen ist etwas zu hoffen. 

Ein Analogon zu diesem Falle fand ich in der ganzen Litera¬ 
tur, soweit sie mir zur Verfügung stand, nicht, (auch nicht in der 
Geschichte der Symphyseotomie, wo es vielleicht am ehesten zu 
erwarten gewesen wäre). Vermuthlich sind analoge Fälle unter 
der Diagnose „Sepsis“ gegangen, ohne dass die Aetiologie ge¬ 
nügen«! erkannt und berücksichtigt ist. 


Ueber einen Fall von Chromsäure-Vergiftung. 

Von Dr. Han9 v. Baeyer. 

Am Vormittag des 24. I. 1900, 8>/ 2 Uhr. brachte der Ausgeher 
Franz Grimm Mineralwnsserllnschen in eine Apotheke zu Mün¬ 
chen und legte dieselben seinem Aufträge gemäss selbst in den 
Keller. Nachdem der Provisor die Anzahl der Flaschen festgestellt 
und sich entfernt hatte, bot die Magd Anna Trinkerl, welche die 
Lagerung der Flaschen zu überwachen hatte, dem Grimm einen 
Schnaps an. Der letztere wusste zwar, dass der Apothekenbesitzer 
Dr. H. die Verabreichung von Schnaps bei einer derartigen Ge¬ 
legenheit verboten hatte und es war ihm sogar kurz vorher von dem 
Lehrling ein solcher verweigert worden, indessen konnte er dem 
Anerbieten der Magd nicht widerstehen und Hess sicli von derselben 
<ü»e grosse, breite und schwere Flasche reichen, welche nach 
'hrer Meinung Schnaps enthielt. Zum Unglück des Grimm war 
aber in Folge des Verbotes seitens des Dr. II. die Schnapsflasche 
«mfernt und an ihre Stelle eine ähnliche Flasche mit Induktions- 
flussigkelt *) gestellt worden. Nachdem Grimm 2 mal je einen 
kräftigen Schluck getrunken hatte, ging er über «lie Kellerstiege 
hinauf. Trinkerl hörte Ihn auf der Stiege ausspucken und 
<1a sie dachte, der Schnaps könne nicht so schlecht sein, dass man 
ihn nosspucken müsste, versuchte sie mit der Zunge den Inhalt 
«ler Flasche und bemerkte sofort, dass in der Flasche kein Schnaps 
sei. sondern eine scharf brennende FliisigkeR. Grimm kam 
indessen mit einem weiteren Korb Flaschen herunter und frag, 
was sie ihm gegeben hätte, denn er hielte es nicht mehr aus vor 
Sehmerzen; sie theilte ihm mit, dass sie sich soeben überzeugt 
hätte, dass sie sich getäuscht habe. Grimm begab sich dann in 
die Apotheke, um Hilfe zu suchen. Es wurde dem Griinm sofort 
Kalkwasser. Milch und Eier gegeben, was zum Erbrechen führte. 
Nachdem Grimm noch eine Stunde ln der Apotheke geblieben war, 
fühlte er sich besser und fuhr um 9% Uhr nach Hause. 

Der behandelnde Arzt, Herr I)r. H e 1 g 1, gab in seinem Gut¬ 
achten Folgendes an: 

Am 24. I. 1901 Mittags wurde Ich zu Franz Grimm, Ausgeher, 
Z'-rufen. Die Anamnese hatte ergeben, dass Grimm, der Früh noch 
gesund gewesen sein soll, ln einer Apotheke durch unglückliche Ver¬ 
wechslung Gift getrunken hat und von Jenem Augenblick an heftig- 
brennende Schmerzen vom Schlunde bis zur Magengrube und fort¬ 
währendes Erbrechen bekam. 

Stat praes.: Die Lippen des Grimm waren welss, die Schleim¬ 
haut der Mundhöhle zeigte weisseu Belag, das Gesicht war blass 
und eingefallen, die Augen liegen tief in den Höhlen, die Pupillen | 
waren etwas erweitert. Die Haut war kühl, der Puls klein, frequent ' 
und etwas unregelmässig. Dabei war Grimm sehr unruhig und 
hatte heftige Krämpfe an den Beinen, die sich namentlich am 
Tage sehr steigerten. Grimm hatte dabei ein fast konstantes 
Erbrechen, d. b. ln ganz kurzen Zwischenräumen. Die erbrochene 
HQssigkelt hatte einen starken, etwas fauligen Geruch. Am 2. Tag 


M Dtp unsren. ..Tndnktionsflüssigkelt“ dient zur Füllung von 
• b ktiiscln-n Induktionsapparaten. 


untersuchte ich den Urin, der sehr viel Eiweiss enthielt. Es sei be¬ 
merkt, dass später gar kein Urin entleert wurde und eine hart¬ 
näckige Obstipation bis zum 30. I. vorhanden war. Grimm hatte 
bis zum Tode ein unstillbares Erbrechen, die erbrochene Flüssig¬ 
keit war bräunlich gefärbt und mit Epithelial- und später Schleim¬ 
hautfetzen gemengt. Da selbst die geringste aufgenommene Flüs¬ 
sigkeit wieder erbrochen wurde, wendete ich ernährende Klystiere 
an, aber trotzdem tmt der Tod am 30. I. 1900 durch Herzlähmung 
ein, nach meiner Ueherzeugung in Folge Jener am 24. I. Vormittags 
getrunkenen Induktionsflüssigkeit, welche oben genannte Sym¬ 
ptome hervorbrachte. 

Sektion am 31. I. 1900. 

Protokoll, gezeichnet von Prof. Dr. Moritz H o f m a n n. 

1. Der männliche Leichnam ist 170 cm lang und gehört einem 
gut genährten, etwa 26 Jahre alten Mann an. 2. Todteustarre ist 
in den oberen Gliedmassen zum grössten Theil gelöst, in den un¬ 
teren noch vorhanden. Am Rücken der Leiche und an den hin 
tereu Seiten der unteren GUcdmaassen finden sich zusammen¬ 
hängende graublaue Todtenfleckeu. Die vorderen Hauchdecken 
sind in der Leistengegend schmutzig graugrün verfärbt. 3. Die 
Augen sind in den Augenhöhlen weit zurückgesunken, die Horn¬ 
häute schwach getrübt, die Pupillen auf beiden Seiten gleich und 
massig erweitert. 4. Der Mund steht offen, die Zunge liegt hinter 
den Zahnreihen. Die Schleimhaut der Lippen ist graublau, an der 
inneren Seite braungelb und eingetrocknet. Die Schleimhaut des 
Zahnfleisches zeigt blassgrüue Farbe. 

Bauchhöhle. 5. Das Unterhautfettgewebe ist graugelb, 
die Musculatur braunroth und sehr trocken. 6. Beim Durch¬ 
schneiden der Bauchdecken ist ein speclfiscber Geruch nicht wahr- 
zuuehmen. 7. Das Netz bedeckt die DUundarmschlingen. Der 
Dünndarm Ist durch Luft ziemlich stark ausgedehnt, äusserlich 
blassgrauroth und glänzend. 8. Der höchste Stand des Zwerchfells 
entspricht rechts dem 4. und links dem 5. Rippenzwisehenraum. 
9. Die Milz ist 10>/ 2 cm lang, 7 cm breit und l'/ 2 cm dick, die 
Kapsel schwach gerunzelt, das Gewebe grauroth und stark er¬ 
weicht. 10. Der Bauchfellüberzug der Leber ist glänzend, das Ge¬ 
webe der Leber brüchig, aus den durchschnittenen Blutgefässen 
der Leber entleert sich sehr viel dunkles flüssiges Blut. 11. Nach¬ 
dem der Magen über der Mündung und der absteigende Theil d'-s 
Zwölffingerdarmes doppelt unterbunden war, wurden die Därme und 
die Speiseröhre zwischen den Unterbinduugsstelleu durchschnitten 
und der Magen uneröffuet aus der Leiche herausgenommen. 12. Per 
Magen ist mässig ausgedehnt, die Wände graugelb, die an d r 
kleinen Krümmung verlaufenden Blutgefässe sind sehr stark ge¬ 
füllt und treten als starke Wülste hervor. 13. Der Magen enthält 
ungefähr 100 g einer schwarzbraunen dünnen Flüssigkeit. Blaues 
Lackmuspapier wird von dem Mageninhalte rotli gefärbt. Die 
Schleimhaut des Magens zeigt gelbe Farbe, an der Mündung und 
der kleinen Krümmung sind die Blutgefässe der Magenschleim¬ 
haut bis in ihre kleinsten Verzweigungen angefüllt. An einigen 
Stellen von der Grösse eines silbernen 20 Pfg.-Stüekes ist an der 
Mageumiindung die Schleimhaut mit grauweissen. abziehbaren 
Häutchen bedeckt. Die Schleimhaut des Magens ist geschwellt 
und getrübt. 14. Der obere Theil des Zwölffingerdarmes enthält 
schwarzbraunen Schleim. Die Blutgefässe des Zwölffingerdarmes 
sind erheblich gefüllt, «lie quer verlaufenden Falten treten als 
stark hervorragende Wülste hervor. Dicht unter dem Pförtner 
finden sich in der Schleimhaut des Zwölffingerdarmes etwa 
thalergrosse, schwarzbraune, sich derb anfühlende Stellen. Die 
Seit leimhaut ist theil weise abgestossen, der Bauchfellüberzug des 
Zwölflingerdarmes ist an der betreffenden Stelle «lunkelschwarz- 
brnunroth gefärbt. 15. Die Schleimhaut des Dünndarms ist enorm 
geschwollen und verdickt; der obere Theil des Dünndarms mit 
hellgraugelbem Schleim, der untere mit ziemlich viel dünner grau¬ 
gelber Flüssigkeit gefüllt Die Schleimhaut dos Darmes z«ügt au 
einzelnen Stellen rothe Stellen, die von Gefässinjoktion horrühren; 
die einzeln stehenden Drüsen in der Nähe der Klappe sind sehr 
stark geschwellt und mit einem schmalen rothen Saum umgeben. 

16. Der Dickdarm enthält ziemlich viel hellgelben breiigen Koth. 
Im unteren Theil des Dickdarmes zeigen die Kotliballen gramveisse 
Farbe. Im Blinddarm und aufsteigenden Tlieile des Dickdarnics 
ist die Schleimhaut theilweise intensiv gerötliet und geschwellt. 

17. Die linke Niere ist 14 cm lang, 7 cm breit und 3 cm «lick. Die 
Kapsel der Niere löst sich leicht ab; die äussere Seite der Rinden- 
substanz blassgrauroth, die Rindensubstanz bis zu l>/ 2 cm breit, 
quillt über die Schnittfläche hervor und fühlt sich sehr weich an. 

18. Die rechte Niere Ist von dersell>en Beschaffenheit wie die linke. 

19. Die Harnblase enthält einige Tropfen grauweissen Schleims. 
Die Schleimhaut der Harnblase blassgrauroth. 

Brusthöhle. 20. Die beiden Lungen sind mit der Brust¬ 
wand verwachsen, die linke mehr als die rechte. Die Brustfell¬ 
säcke sind leer. 21. Der Herzbeutel enthält einige Tropfen einer 
blassgelben, durchsichtigen Flüssigkeit. 22. Das Herz ist mässig 
verbreitert und fühlt sich sehr weich an. An der Iliuterseite der 
Herzkammern bemerkt mau eine grössere Anzahl von punktför¬ 
migen Blutaustritten. 23. Die rechten Herzhöhlen enthalten sehr 
viel schaumiges Blut und ein grosses Speckhautgerinnsel. Di. 
linken Herzhöhlen enthalten dunkles flüssiges und geronnenes Bin . 
24. Die halbmondförmigen Klappen sind schlussfähig. Die .Mus¬ 
culatur des Herzens ist grauroth und sehr mürbe. Die innere Aus¬ 
kleidung des Herzens ist etwas verwachsen. 25. Die linke Lunge 
fühlt sich durchaus welch an und knistert bol Betastung. Auf der 
Schnittfläche ist das Lungengewebe lm oberen Lappen hellroth. 
im unteren dunkolbrauuroth. Auf die Schnittfläche durch die oIhmvii 

a m 


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1246 MTJENCHENER MEDICIN 18 CHE WOCHENSCHRIFT. No. 31. 


und unteren Lappen der beiden Lungen ergiesst sich ziemlich 
dunkelrotlies, schmieriges Blut und etwas schaumige Flüssigkeit. 
20. Die Luftröhrenüste der Lungen enthalten schmieriges ziilies 
Blut, die Schleimhaut der Luftröhre ist dunkelblauroth verwaschen. 
27. Von der Lunge und von dem Herzen werden Stücke in das 
Gefäss No. 3 gelegt. 28. Die Schleimhaut der Zunge ist mit einem 
dicken gerunzelten Belage bedeckt. Dieselbe fühlt sich hart und 
derb an und ist verdickt. 29. Die Schleimhaut des Hachens ist mit 
zähem Schleim bedeckt, die Schleimhaut geschwellt und geröthet. 
30. ln der Speiseröhre findet sich etwas graugelber zäher Schleim, 
ln der Mitte löst sich die Schleimhaut der Speiseröhre in zusammen¬ 
hängenden Fetzen ab, die darunter liegenden Blutgefässe sind sela- 
stark gefüllt. 31. Der Kehlkopf und der obere Theil der Luftröhre 
enthalten etwas blutiggefärbten Schleim, die Schleimhaut der Luft¬ 
röhre ist blassroth. 

K o p f h ö h 1 e. 32. Die innere Seite der weichen Schüdeldecken 
ist blassroth. Die äussere Seite des Schädeldaches graugelb. XI. Die 
äussere Seite der harten Hirnhaut ist mit sehr viel zerfliesseudcn 
Blutpunkten besetzt. 34. Der obere Liingsblutleiter enthält ziemlich 
viel dunkles flüssiges Blut 35. Die weiche Hirnhaut ist erheblich 
getrübt, die Blutgefässe derselben stark gefüllt. 30. Die seitlichen 
Gehirnkammem sind leer. Die Adergeflechte dunkelblauroth. 
Auf die Schnittfläche der Marksubstanz des Gehirns treten sehr 
viele zerfllessende Blutpunkte hervor. 37. Die Blutleiter an der 
Schädelbasis enthalten ziemlich viel dunkles flüssiges Blut. Das 
Gehirn fühlt sich derb an. 

Anatomische Diagnose. 

Acute toxische Stomato-Pharyngitls, des¬ 
quamative nekrotisirende Oesophagitis. toxi¬ 
sche Gastroenteritis mit haemorrhagi sehen 
Erosionen des Zwölffingerdarms und Blut¬ 
erguss ln den Magen und oberen Dünndarm. 
Akute parenchymatöse Nephritis; subepiear- 
diale Ecchymosen des Herzens. 

Vorläufiges Gutachten. 

Der Tod des Obducirten kann durch Vergiftung mit 
Schwefelsäure herbeigeführt worden sein. 

Chemische Untersuchung der Leichentheile. 

16. Februar 1900. 

Da im Anfang der Untersuchung die Vergiftung irr- 
thümlicher Weise als durch H, S0 4 hervorgerufen betrachtet 
wurde, suchte Herr Prof. II i 1 g e r nur nach freier II, SO,. Er 
schreibt: 

In Anbetracht des Umstandes, dass dem Vergifteten Neutrali¬ 
sationsmittel gereicht worden waren, und dass er noch eine Zeit 
lang nach der Vergiftung weiterlebte, bot die chemische Unter¬ 
suchung von vornherein so gut wie keine Aussicht auf Erfolg. 

Beim Besichtigen der Organe mit der Lupe waren auf¬ 
fallende Fremdkörper u. 8. w. nicht zu bemerken. Der Inhalt der 
Gefässe 2 (Dünndarm nebst Inhalt). 3 (Theile von Leber, Milz, 
Nieren, Herz und Lunge) und 4 (Theile von Gehirn und Ober- 
8chenkelmusculatur) besass neutrale, der von Gefäss 1 (Magen 
nebst Inhalt, Zwölffingerdarm nebst Inhalt, Speiseröhre und 
Zunge) schwach saure Reaction; Methylviolett wurde von keiner 
der Flüssigkeiten entfärbt, ebensowenig war mit Baryumchlorid 
eine Schwefelsäurereaktion zu erhalten. 

Zur Untersuchung auf H, S0 4 , die etwa durch den Weingeist, 
mit dem die Organe übergossen waren, esterlflcirt hätte sein 
können, wurden die Flüssigkeiten aus jedem der 4 Gefässe für sich 
abgegossen, im Vakuum bei niederer Temperatur eingeengt und die 
Rückstände mit Wasser behandelt. Die Filtrate gaben nach An¬ 
säuerung mit HNO, mit Baryumchlorid keine Reaktion. Die 
Rückstände wurden dann mit Kalilauge längere Zeit im Wasserbad 
erwärmt, worauf die mit HNO, übersättigten Filtrate ebenfalls 
mit Baryumchlorid keine Reaktion gaben. Die Organe wurden 
dann weiter noch direct mit Wasser ausgezogen, wobei die Filtrate 
gleichfalls keine Reaktion auf freie Schwefelsäure gaben. 

Die chemische Untersuchung der vorliegenden Leichentheile 
des Grimm hat somit keine Anhaltspunkte für das Vorhanden sein 
freier ILSO* darin ergeben. Dieser negative Befund schliesst in¬ 
dessen nicht aus, dass trotzdem freie H,S0 4 ursprünglich vorhanden 
gewesen sein kann, da Neutralisationsmittel in Anwendung kamen 
und der Tod erst einige Zeit nach stattgehabter Vergiftung eintrat. 
Der Nachweis gebundener H,SO« kann nicht als Beweis für das 
Vorhandensein freier H, S0 4 angesehen werden, da Sulfate nor¬ 
male Bestandtheile des Organismus sind. 

Erst am 2. April wurde von Herrn Bezirksarzt Dr. Müller 
darauf hingewiesen, dass die Induktionsflüssigkeit ausser H, SO, 
noch andere Bestandtheile enthält. 

Am 12. April wies Herr Apotheker Dr. v. Pieverling 
nach, dass fragliche Flüssigkeit hergestellt war aus: 

30 Theile Kaliumbichromat, 

4 Theile Quecksilbersulfat, 

40 Theile Schwefelsäure, 

400 Theile Wasser. 

Kaliumbichromat und Schwefelsäure zersetzen sich nach 
folgender Gleichung: 


KaCniCb -f- 2 Hi SO i = 2 KHSO* -f 2 CrOs -|- HO 
296 2 X 98 2 X 136 2 X >01 

Daraus folgt, dass 30 g Dichromat 20 g Schwefelsäure ge¬ 
brauchen; da nun 40 g Schwefelsäure in der Lösung enthalten 
waren, so ergibt sieh, dass letztere 20 g freie Schwefelsäure, ge¬ 
löst in 400 g Wasser enthalten hat. 

Da nun Grimm zwei kräftige Seldueke zu sich genommen 
hat (ein Schluck — 35 ccm gerechnet.), so entspricht dies 70 ccm 
Induetionsflüssigkoit. In 70 ccm Flüssigkeit sind annähernd 
enthalten: 

3,5 g Chromsäure, 

3,5 g Schwefelsäure in 5 proe. Lösung, 

0,7 g Quecksilbersulfat. 

Aus dieser Berechnung der Zusammensetzung der Induc- 
tionsfliisigkeit ersehen wir, dass in toxikologischer Hinsicht vor 
Allem das sehr giflige Chrom in Betracht kommt. Aber auch 
dem Quecksilber darf in vorliegendem Falle eine schädliche Wir¬ 
kung nicht ganz abgesprochen werden. Die freie Schwefelsäure 
ist auch nicht, zu vernachlässigen, da die letale Dosis auf 4—5 g 
(Kobort 1 ) geschätzt wird, und Grimm etwa 3.5 g zu sich 
genommen hat. 

Toxikologie der Chromsäure und ihrer Salze. 

Die. ('Ihre m säure unterscheidet sich von den Mineral¬ 
säuren dadurch, «lass die Chromate ähnlich giftig wirken, wie dir* 
Säure selbst (J aksch 1 ) und dasselbe Krankheitsbild liefern. 
Das chromsaure Blei wirkt etwas langsamer, weil es schwer lös¬ 
lich ist. Chromsaures Eisenoxyd (Sideringelb) ist wogen seiner 
Unlöslichkeit ganz ungiftig. Nach Böcourt und Cheva¬ 
lier*) soll das neutrale chromsaure Kali weit weniger giftig 
sein und nicht ätzen wie das saure Salz und die Säure selbst. 

Das Chrom in seiner 6 werthigen Form ist äusserst giftig; 
so kommt es nach Eingabe von 0,03 g Kaliumbichromat schon in 
den ersteu Tagen zu Beängstigung, Sehmerz in der Herzgrube, 
Trockenheit im Munde und Erbrechen, nach 0,05—0,1 g in kurzer 
Zeit heim Menschen zu Brechreiz, Erbrechen, Kolikschmerzen 
und Abführen, hierauf Mattigkeit, Rospirationsbeschwerden und 
Pulsverlangsamung. 

Nach höheren Gaben: Zunge und Rachen schwellen an. 
können gell) oder graugrün (Reduktion der Chromsäure) gefärbt 
sein. Gelbes, blaugraues oder grünes Erbrechen, später blutig, 
tlieilweise mit Fasern der Magenschleimhaut gemischt. KopiÖM* 
Durchfälle (Choleraform). Angst., grosse Schwäche, Durst. 
Schmerzen iin Leib, besonders im Anfang in der Herzgrube, 
später in der Nierengegend. Krämpfe der Unterextremitäten. 
Ikterus, Cyanose, Dyspnoe, Collaps. Puls ist klein, fadenförmig 
aussollend. Haut kühl oder heiss. Es wurden auch Temperatur¬ 
erhöhungen beobachtet, der Harn ist spärlich, enthält Eiweiss 
und auch Blut. Bei chronischem Verlauf meist Anurie in Folge 
von Nioreninsufficienz, durch akute Nephritis hervorgerufen. 

Anatomisch fand man Schwellung und gelbe, grau¬ 
grüne oder grüne Verfärbung der Mundschleimhaut. Oesophago? 
Schleimhaut im unteren Theil braunroth injicirt. Magenschleim¬ 
haut hyperaemiseh, mit Ecchymosen besetzt, besonders im Kar- 
dinlahsehnitt, stellenweise abgelöst und geschwürig zerfressen. 
In Dünn- und Dickdarm Ilyperaemie und Ecchymosen. Leber 
und Hcrzmusculatur fettig degenerirt, Endocarditis, Cystitis. 
Das Blut, ist oft bräunlich (Methaemoglobinspectrum) und flüssig. 
Bronchien können entzündet sein. Fast immer parenchymatös* 
Nephritis (Chromniere von Kabierske 4 ). Von Interesse 
ist, dass auch die 100 mal weniger giftigen Chromoxydabkönnn- 
linge dasselbe Bild in den Nieren hervorrufen (Pandrr '). 
Später gesellt sich auch eine interstitielle Nephritis hinzu. 1" 
seltenen Füllen war das Resultat bei der Sektion negativ. 

Die chronische Vergiftung ist charakterLirt 
durch: Ekzematöse Ausschläge der Haut, tiefgreifende Ge¬ 
schwüre an Haut und Schleimhaut, Perforation der Nasensehei de - 
wand, Kachexie, Dyspepsie, Gastroenteritis (oft ähnlich der 
Dysenterie), chronische Nierennffektionen (Entzündung, Atro¬ 
phie), Bronchitis. 

’) Intoxicationen 1893. 

*) Die Vergiftungen: Nothnagel’s Handbuch. 

*) Annales d’hygiene publ., t. 20, 1863. 

4 ) Inaug.-Diss. Breslau. 1880. 

6 ) Arbeiten des pharmakologischen Instituts in Dorpat. 188S. 
II, pag. 33. 


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50. Juli 19Ö1. 


MtTEttCHEttER MEDlCtNlSCHE WOCHENSCHRIFT. 


i247 


Was die Toxikologie des Quecksilbersulfates betrifft, so sind 
mir nähere Beschreibungen von Vergiftungen mit Quecksilber¬ 
sulfat nicht zugänglich gewesen, doch dürften die Symptome 
durch dieses Quecksilbersalz hervorgerufen, sich nicht unter¬ 
scheiden von den Erscheinungen einer Sublimatvergiftung 
(Kobcrt 1 ), Lewin 7 ): Puls klein, unregelmässig, frequenter. 
Erschwerung der Atlimung. In einem am achten Tage tödt- 
lich verlaufenden Falle (Scheidenausspülungen mit 2 Liter V^proc. 
Lösung) war das Lungengewebe ziemlich blutreich, in beiden 
Unterlappen schlaff, roth pneumonisch hepatisirt; die Mittel¬ 
lappen und die unteren Theile rechts in lobulären Herden ver¬ 
dichtet. In den verdichteten Partien zeigten sich vielfach punkt¬ 
förmige, gelbliche, citerähnliche Stellen. Die Mundschleimhaut 
schwillt au, das Zahnfleisch röthet sich, wird schmerzhaft und 
blutet leicht. Ein schmierig graugrüner Belag findet sich auf 
demselben und den anderen Mundgebilden. Geschwüre, Foetor 
ex ore, Lockerwerden der Zähne und Ausfallen. Zunge wird dick, 
auch borkig, empfindlich, schmerzhaft, an der Uuterfläche und 
den Seiten grauweisse Flecke, später Geschwüre; ebenso die 
Tonsillen. 

Druck auf das Epigastrium schmerzhaft. Durchfälle. Kolik¬ 
artige Schmerzen. Tenesmus. Darmblutungen. Es erkranken 
mit Vorliebe die unteren Darmabschnitte, Kolon und Dünn¬ 
därme. In einem Fall fand sich vom Ileum an eine schwer 
diphthcritisch - haemorrhagische Affektion. In einem anderen 
Falle zeigten sich nur im Ileum eino gewisse Zahl stark ge¬ 
schwollener Stellen. Herdenweise auftretende bis tlmlergrosso 
graugelb gefärbte Verschorfungen, die selbst perforiren. 

Nach anfänglicher Polyurie folgt Verminderung des Harns 
und Anurie, die 3—4 Tage bis zum Tode nnhält. Harn ist sehr 
oft ciwoisshultig. Die Nieren gross, schlaff, bleich, Oorticalis ge¬ 
schwollen, stellenweise beinahe weiss, undurchsichtig verkalkt. 

Vergleichen wir nun die Symptome unseres Falles mit den 
Erscheinungen, die durch Chromsäure oder Quecksilbersulfat¬ 
vergiftungen hervorgerufen werden, so können wir keine scharfe 
Grenze ziehen, was jenem oder diesem Gifte zuzuschreiben ist. 
da beide Gifte sich in ihren Wirkungen sehr ähnlich sind. 

Vielleicht, dass die Befunde an der Lunge und dem unteren 
Theil des Dickdarms ihre Ursache in der Quecksilbervergiftung 
finden. Auch in den Nieren wird das Quecksilber eine gewisse 
Rolle gespielt haben, wenn wir einer Betrachtung von L e w i n ) 
folgen: 

„Eine entzündete oder blutige Schleimhaut begünstigt die 
Resorption. Eine krankhaft veränderte. Niere wird durch hinoin- 
gelangtes Quecksilber schneller funktionsunfähig als eine gesunde. 
Anaeinisehe Zustände, Herzverfettung, Herzschwäche und grosse 
Blutverluste schaffen eine verminderte Widerstandsfähigkeit der¬ 
selben und desswegen ein Ucberhnndnchmcn der Quecksilber¬ 
nebenwirkung.“ 

In seinem Verlauf und seinen Symptomen stimmt unser Fall 
mit Ausnahme der anhaltenden Verstopfung vollkommen mit 
früher beschriebenen Chromsäurevergiftungen überein. Ver¬ 
stopfungen bei Chromsäurevorgiftungen fanden wir in der Litera¬ 
tur nur 2 mal. 

In einem von Groth‘) beschriebenen Falle trat die Ob¬ 
stipation erst nach einiger Zeit auf und zwar nachdem reichlicher 
Durchfall vorangegangen war. In einem Falle von Leopold') 
ist das Blei mit Sicherheit als Ursache dieser abnormen Er¬ 
scheinungen aufzufassen. Auch in unserem Falle ist sicher an- 
zunehinen, dass die Stuhlverhaltung nicht durch Chrom bedingt 
war, ebenfalls nicht durch Quecksilber, da auch dieses, wie wir 
gesehen haben, Durchfall erzeugt, sondern allein Folge der 
Schwefelsäurevergiftung war. Diese Wirkung der »Schwefelsäure 
kommt bei Vergiftung mit derselben in der Regel zur Beobach¬ 
tung (Boehm"). 

Was die Therapie anbelangt, die in dem Eingangs er¬ 
wähnten Falle unmittelbar nach der Vergiftung angewe.ndet 
wurde, so dürfte sie nicht ganz zweckentsprechend gewesen sein, 

*) 1. c. 

Nebenwirkungen .der Arzneimittel, 3899. 

•) ref. in Schmidts Jahrbuch 1880, Bd. 185. 

•> Vierteljahressehr. f. ger. Med. Bd. 27, 1. 

’*) Handbuch der Intoxicatione», Ziemssen’s Handbuch. 

"> Contribution i\ l’Gtude, phys. et toxicol. de quelques pre- 
parntlous chromßes. Paris 188ß. 

No. 3L 


obwohl sie in den meisten Lehrbüchern empfohlen ist. Neutrali¬ 
sationsmittel, Eier, Milch etc. können bei Chromsäurevergif¬ 
tungen keine wesentliche Gegenwirkung hervorrufen, da sie nicht 
wie die Chromsäure schnell in’s Gewebe eindringen können. 

Ich möchte hier auf eine Angabe von V i ron ”) hinweisen, 
der als Gegenmittel das wenig giftige Natrium¬ 
sulfit empfiehlt. Diese Substanz bildet in Gegenwart von 
Säure (Magensäure) sofort schweflige Säure, die, wie die Chrom¬ 
säure, sehr schnell das Gewebe durchsetzt, und letztere zu dem 
300 mal (Pan der 12 ) weniger giftigen schwefelsauren Chrom 
redueirt. 

Für die freundliche Ucberlassung des Falles und namentlich 
auch des Aktcnmaterials gestatte ich mir Herrn Dr. Moritz II o f - 
mann, k. Universitätsprofessor und Landgerichtsarzt dahier, 
besten Dank abzustatten. 

Anmerkung: Bel der gerichtlichen Verhandlung des 
Falles vor dem Landgericht München I wurden der Apotheker und 
sein Provisor von der Anklage wegen fahrlässiger Tödtung frei- 
gesprochen; die Magd erhielt 14 Tage Gefänguiss. 


Wattepinsel als Ersatz für die gewöhnlichen Augen¬ 
pinsel. 

Von Dr. O. Neustättcr, Augenarzt in München. 

Wenn man die gewöhnlichen Haarpinsel zur Augcnbehundlung 
ln einer der Asepsis oder nur der Reinlichkeit entsprechenden 
Welse verwenden will, muss man, wie dies von Hirschberg 
gefordert wird, für jeden Kranken, eventuell sogar für jedes • 
Auge (»Inen eigenen Pinsel haben. Diese Maassnalime ist weder 
billig, noch handlich. Will man Ordnung halten, so muss jeder 
Patient seinen Pinsel fortnehmen und wieder mitbringen. Ausser¬ 
dem muss jeder Pinsel nach dem Gebrauch desinlizlrt werden. 
Da man dieselben nicht kochen kann, müssen hiezu Sublimat- eto.- 
Jiüsungen verwendet und in diesen die Pinsel einige Zeit belassen 
werden, nachdem man sie vorher ausgewaschen; diese geben mit 
den angewandten Mitteln Niederschläge, auch wenn der Pinsel 
trocken geworden. Desslialb muss nach der Desinfektion noch 
mit sterilem Wasser ausgewaschen werden; was die Procedur noch¬ 
mal verlängert; dann erst kann man den Pinsel mit fortgeben. 

Es ist klar, dass nur unter Aufwand von unverhnltuissmüssig 
viel Zeit, Mühe und Aufmerksamkeit diese allein saubere Methode 
du rehgeführt werden kann, dass sie aber eben wegen dieser grossen 
Ansprüche niemals allgemein durchgeführt werden wird. Wollte 
man bei Kassenpatienten die Methode durchführen, so würden 
buhl Reklamationen wegen der Ausgaben für Pinsel erfolgen. 

Ihn den Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu geheu, haben 
viele Aorzte die Pinsel ganz abgesclmfft und tropfen 
die Augenwasser ein. Die Einpinselung scheint mir aber 
doch eine Anwenduugsform zu sein, die man nicht ganz b e i 
Seite setzen kann noch soll. Bietet sie doch die Möglichkeit 
schärferer Lokallsining der Auftragung, ferner einer leielit 
schwächer oder aber auch bedeutend stärker zu gestaltenden Do- 
sirimg und schliesslich einer gleichzeitig nuszuführenden Massage 
«ler Bindehaut. 

Der Ersatz nun. auf den ich hier hinweisen und zu dessen 
allgemeinem Gebrauch leli auffordern möchte, ist ein sehr ein¬ 
facher. Wahrscheinlich sind schon andere Kollegen auch auf 
diesen Ersatz gekommen; ich kann mich allerdings nicht entsinnen, 
ihn Irgendwo gesehen oder von ihm gelesen zu haben, was dafür 
spricht, dass er keinesfalls in grösserer Verbreitung angewandt 
wird. Dieser Ersatz ist der „Wattcplnsel“. 

Ein solcher Wattcplnsel ist jeden Augenblick leicht herzu¬ 
stellen und nichts anderes als ein kleinster gestielter Wattetupfer. 
Im Nothfall nimmt man ein schwedisches Streichholz oder sonst 
einen kleinen Holzspahn, hölzerne Zahnstocher etc. und wickelt 
um deren Enden ein klein wenig Watte, die man vorher schon 
In kleine Stückchen geschnitten hat. Namentlich bei infektiösen 
Katarrhen empfiehlt sieh diese Art, weil man den ganzen Pinsel 
nach der Benützung verbrennen kann. Für gewöhnlich benütze 
ich sonst Glasstäbchen mit, aber auch ohne Knöpfehen am Ende, 
um das man nach leichter Befeuchtung durch Eintauchen in 
Wasser die Watte gut wickeln und flxiren kann. 

Mau kann die Form eines wirklichen Pinsels hersteilen; dies 
empfiehlt sieh, wenn mau viel Flüssigkeit aufsaugen und lu's Auge 
bringen will; für diesen Zweck wird man die Wntte auch locker 
wickeln, ebenso wenn mau nur zart über die Conjunctivn streichen 
will. Festeres Andrehen empfiehlt sich, wenn ein rauheres Auf¬ 
trägen, eine Massage mit dem Einstreichen verknüpft werden soll. 

Diese Wattepinsel haben einen Vortheil, der den biegsamen 
Pinseln aus Haaren abgeht: dass mau nämlich leicht mit Ihnen 
ln die obere Ueber gangsfalte und in die E cken d e r 
L idco m in i s s u r gelangen kann. Namentlich für die Massage 
bei Trachom ist dies von Vortheil. Gerade In den Ecken gelingt 
es meist sehr schwer, die Trachomkörner wegzumnssiren, weil der 
mit den Fingern gehaltene Wattebausch zu dick Ist oder man 
I keinen genügenden Druck nusiiben kaun, wenn man Um zuspitzi. 
Diese Erfahrung werden alle, die sich mit Trachomln-handlung 


>=) Arbeiten des pharmakologischen Instituts zu Dorpat, 1S.S*, 
II, pag. 33. 

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1248 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 51. 


länger abgeben mussten, bestätigen können. Gerade hier erweist 
sich ein dünner hart gedrehter Wattepinsel als sehr brauchbar. 

Mit diesen sterilen Wattepiusein kann man auch direkt in die 
Fläschchen eintauclien, braucht nicht für jeden Fall neue Flüssig¬ 
keit in ein Schälchen herauszugiesseu. 

Ich glaube, die Vortheile des Wattepinsels, namentlich, was 
Reinlichkeit anlangt, sind so einleuchtend, die einfache 11er- 
steilungsweise, die Ivostenlosigkeit, die gute, wie gezeigt ausge¬ 
dehntere Verwendbarkeit gegenüber dem Haarpinsel so für ihn 
einnehmend, dass diese Anregung genügen wird, um ilnu allge¬ 
meiner zur Einführung zu verhelfen. Hat man doch auch bei 
Kehlkopf und Nasenbeliandlung den Pinsel grossentheils durch 
Watte ersetzt, obwohl hier der Pinsel gewisse Vorzüge besitzt, 
was beim Augenpinsel nicht der Fall ist. 

Erwähnen möchte ich noch, dass ein solcher Wattepinsel in 
sehr vielen Fällen von Fremdkörpern auf der Hornhaut 
genügt, um dieselben zu entfernen. Nadel oder Meissei benütze 
man nur für Fälle, wo der Fremdkörper festsitzt und durch 
Abwischen mittels des Wattepinsels sich eben nicht entfernen 
lässt 1 ). Es wird rathsam sein, für diese Fälle (len Wattepinsel 
vorher ln Sublimat 1:3000 zu tauchen oder ihn zu kochen, um 
sicher aseptisch vorzugehen. 


2 ) Ein entsprechendes Verfahren empfiehlt auch Praun, wie 
ich nachträglich in seiner Monographie über die Verletzungen des 
Auges sehe. 


Ueber ein subjectives Symptom bei Pericarditis 
exsudativa. 

.Von Dr. med. und phil. Peter Pregowski in Heidelberg. 

Vor ca. 2 Jahren habe ich, wie auch ein cousultirter Professor 
festgestellt hatte, eine Pericarditis mit Exsudatbildung (lurch- 
gemacht; die Temperatur war niemals grösser als 37,2 ’. 

Doch schon einige Zeit vorher, ohne den Charakter und die 
Form meiner Krankheit zu kenuen, empfand ich ein eigen tliüm- 
liehes Gefühl in der Herzgegend, dem ich Anfangs wenig Beach¬ 
tung, später aber, nachdem die Diagnose auf ein „Exsudat“ fest¬ 
gestellt war, viel mehr Aufmerksamkeit und Wertli geschenkt 
linbe. 

Das Gefühl war etwa folgendes: So oft ich in Bettlage auf 
die rechte Seite mich legen wollte, hatte ich die Empfindung, als 
ob eine Last auf das Mediastinum, nach dem Corpus Storni zu. 
sicli hiuiiberliige und nach unten, d. h. nach der rechten Seite, 
dränge, 

Dieses Symptom versuchte ich damit zu erklären, dass die 
Flüssigkeit vermöge ihrer Schwere beim Uebergange auf die rechte 
Seite einen Druck ausüben müsse. 

Mit dem Verschwinden des Exsudats verschwand auch dieses 
Gefühl. Hinzufügen möchte ich noch, dass mich dieses Phänomen 
meistens dann gestört hatte, wenn ich am meisten des Schlafes 
bedurft hatte, wo meine Gedanken entfernter denn je davon waren, 
um an Krankheit des Herzens zu denken, was also den Einfluss 
einer Autosuggestion ausscliliessen dürfte. 

Indem ich die Herren Kollegen auf dieses Symptom liinweise, 
bitte ich sie zugleich, selbst nachzuforschen, ob dasselbe coustant 
ist, und die näheren Umstände festzustellen, unter denen jene Sen¬ 
sation auf tritt und zwar in erster Linie den Eiutiuss des Cha¬ 
rakters und der Menge des Exsudats. 


Oleum cinereum gegen Syphilis. 

Von Dr. Maul in Rosenheim. 

In No. 27, 1901, der Münch, med. Wochensclir. warnt Herr 
Dr. S t e r n - München in seinem Vortrag: „Ueber Injek¬ 
tionskuren bei Syphilis“ vor der Anwendung des ü 1. 
cinereum auf Grund eigener schlimmer Erfahrungen. 

Um die Misskreditlruug eines der am sichersten und ange¬ 
nehmsten wirkenden Mittel gegen Syphilis zu verhindern, fühle 
ich mich veranlasst, meine Erfahrungen mit intraglutaealen 
Injektionen von ü J. einer, denen des Herrn Kollegen Stern 
eutgegenzustellen. Es handelt sich hier nicht um die Beweis¬ 
führung für die gute Wirkung dieser Injektionen, sondern um die 
Feststellung, duss sich die von Herrn Stern beobachteten Uebel- 
stäude sein- wohl vollkommen vermeiden lassen. 

Ich nehme Bezug auf 2 Fälle, deren Behandlung ln die jüngste 
Zeit fällt und die ich den beiden von Herrn Stern ungerührten 
gegenüberstelle. 

Von der Erwärmung der Emulsion habe ich bei allen Ein¬ 
spritzungen abgesehen, ohne durch irgend eine Störung auf die 
NotliWendigkeit derselben aufmerksam gemacht worden zu sein; 
das Präparat hatte Zimmerwürme. 

Da mir noch recht gut die schrecklichen Klagen der Patien¬ 
ten nach K a 1 o m e 1 Injektionen in Erinnerung sind, war ich an¬ 
genehm überrascht, als mir nach Einspritzung von Ol. einer, 
der Kranke versicherte, nach dem Nadelstich, der mit der scharfen 
Kanüle keinen nennenswertheu Schmerz verursacht hatte, nichts 
weiter mehr zu verspüren. Auch im weiteren Verlauf stellten sielt 
keinerlei Beschwerden ein. So wenig war lokale Reaktion auf¬ 
getreten, dass ich nach 4 Tagen — in diesem Intervall wurden die 
Injektionen durchschnittlich wiederholt — fast nie mehr genau 
feststellen konnte, wo die vorausgegaugene Einspritzung gemacht 
worden war. Dabei betone ich ausdrücklich, dass ich 14 Injek¬ 


tionen ln einem Bereich von höchstens 4 qcm gemacht habe, ohne 
dass der Patient.Beschwerden beim Gehen, Liegen oder Sitzen 
verspürt hätte. 

Zweimal jedoch traten heftige Beschwerden auf, bestehend 
lu Schmerzen, Rüthung und Infiltration; zur Eiterung kam es nicht. 

Da ich bei der ersten dieser beiden, durch üble Folgen ausge¬ 
zeichneten Injektionen, bei der ich eine ganz frisch bereitete Emul¬ 
sion zum ersten Male verwendet hatte, eine neue Kanüle benützt 
hatte, dachte ich an eine Infektion durch diese und sterilisirte 
dieselbe. Nach der nächsten Einspritzung dieselben Klagen. 

Nun erinnerte ich mich daran, dass ich die letzterwähnte 
Emulsion nicht, wie dies bei der früheren geschehen war, sterili- 
sirt hatte. Sofort nahm Ich die Sterilisirung der Emulsion vor. 
und hatte die Genugthuuug, schon die nächste und ebenso alle 
folgenden Injektionen wieder vollkommen reaktionslos verlaufen 
zu sehen. Diese günstigen Verhältnisse beobachte ich auch bei 
dem Falle, den ich gegenwärtig noch in Behandlung habe. 

Entgegen der Warnung des Herrn Kollegen Stern möchte 
ich vielmehr als Präparat für die Anwendung des Quecksilbers 
mittels Injektion das Ol. einer, in erster Linie empfehlen, voraus¬ 
gesetzt sachgeinässo Asepsis und Verwendung der richtigen und 
sterilisirten Komposition, wie sie Neisser angibt als Oleum 
cinereum benzoatuni. 

Ich lege die Misserfolge des Herrn Kollegen Stern vor 
Allem der unzwoekmüssigen Komposition des Ol. einer, zur Last: 
oh die Emulsion vor dem Gebrauche sterilisirt worden ist, gibt Herr 
Stern nicht an. 

Ich ratho dringend jedem Kollegen, der Versuche mit 01. 
eine r. machen will, genau nach Neisse r’s Vorschrift das Prä¬ 
parat herstellcn zu lassen und dasselbe selbst noch zu sterilisiren; 
nur dann werden unangenehme Zufälle sicher vermieden werden. 

Werden nur Mengen von 10, höchstens 15 g verordnet, so ge¬ 
nügt nach meinen Erfahrungen eine einmalige, vor der ersten In¬ 
jektion vorgenommene Sterilisation vollkommen. 


Bemerkungen zu „Zur Behandlung der Unterschenkel¬ 
geschwüre“ von Dr. Wal bäum. 

Von Dr. O. Schulze in Cottbus. 

Zu meiner grossen Freude habe ich aus W a 1 b a u m’s Be¬ 
richt gesehen, dass auch anderwärts mit der Kompberbehandlung 
der Untersclienkelgeschwüre gute Erfolge erzielt werden. Nur 
möchte ich, um Irrthiimer zu vermeiden, erklären, warum ich 
nicht, wie Walbau m, den Kampherwein vornehmlich empfahl. 

Gleich im Anfang meines Aufsatzes in No. 12 erklärte Ich. 
dass ich hauptsächlich solche Fälle im Auge habe, die mau 
ambulant behandeln muss. Selbstverständlich halte auch ich Bett¬ 
ruhe für das Beste. Leider kann mau diese sehr häutig nicht 
durchsetzen, am ehesten noch bei Kasseukranken, fast nie bei 
Landleuten und Mitgliedern der Armenkasse, wenigstens bei den 
hiesigen Verhältnissen. Diese I^eute bringt man auch nicht dazu, 
dass sie jeden 2. Tag zum Arzt gehen, sie kommen dann gar nicht. 
Ich konnte darum den Kampherwein meist nicht auwendeu. 
Selbst aber kann man den Patienten, wie W a 1 b a u tu schreibt, 
die Anlegung des Verbandes nicht überlassen. Ich musste dies 
aber meist, daher wohl die Klagen über Schmerzhaftigkeit des 
Kampferweins. 

In solchen Fällen, wie ich sie im Auge hatte, ist dann natür¬ 
lich diese Behandlung ungeeignet. Bei Bettruhe und der Möglich¬ 
keit, dass der Arzt selbst den Verband anlegt, halte auch ich den 
Kampherw'ein für besser, besonders auch sauberer. 

Meine von W a I b a u in abweichenden Ansichten erkläreu 
sich also aus der verschiedenen Art unseres Krankenmaterials, 
in der Sache selbst, denke ich, stimmen wir überein. Mich sollte 
es freuen, wenn auch Andere diese Behandlung versuchten, die 
eine oder andere, je nach Lage des Falles. 


Die Hygiene im antiken, päpstlichen und modernen 

Rom. 

(Offener Brief an Herrn Geh. Med.-Rath Dr. Oscar Schwartz 

in Köln.) 

Sehr verehrter, hochgeschätzter Herr Geheimrath! 

Mit grossem Interesse las ich Ihren Artikel in No. 25 dieser 
Woeheuschr. über „Die gesundheitlichen Zustände 
der europäischen Grossstädte in alter und 
neuester Zeit“ und da Sie mir die Ehre erweisen, sich dabei 
hauptsächlich mit meinem in No. 8 d. Wochenschr. erschienenen 
römischen Brief, bezw. meinen daselbst geäusserten Ansichten ssu 
beschäftigen, halte ich es für meine Pflicht, Ihnen hier möglichst 
umgehend zu antworten. Allerdings muss ich mir das Recht Vor¬ 
behalten, event. später nochmals auf diese Frage zurückzukommen, 
da ich erst nach meiner Rückkehr nach Italien Gelegenheit haben 
werde, meine Behauptungen ziffernmässig zu erhärten. Also: 
Audiatur et altera pars! 

Die drei Hauptpunkte meines Briefes waren folgende: Im 
antiken Rom herrschte das Princip: Salus popull supreina 
lex esto, im päpstlichen Rom setzte man dagegen den Wahl¬ 
spruch: Alles für den Himmel, während man im modernen 
Rom sich wieder zur alt-römischen Anschauung bekennt. Die 
Wahrheit dieser drei Sätze muss sich Jedem aufdrängen, der 


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30. Juli 1901. 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1249 


längere Zelt ln Rom lebt und die drei grossen Geschichtsabseimitto 
der ewigen Stadt vom hygienischen Standpunkt aus betrachtet. 
Mir schienen sie wenigstens, als Ich meinen Brief schrieb, so klar 
und ln die Augen springend, dass Ich nur ganz kurze, oberfläch¬ 
liche Belege dafür angab. 

So erwähnte Ich als Beweis dafür, dass Im alten Rom die 
Hygiene sehr hoch stand, nur die Aqua marcla. d. h. die schöne 
noch heute existirende, altrömische Wasserleitung und die gross¬ 
artigen Thermen, deren Ruinen noch jetzt den imposantesten Ein¬ 
druck machen. 

Für die Vernachlässigung der Hygiene im päpstlichen Rom 
schien mir am besten die allgemein und durch den Engel auf dem 
Mauseoleum Hadrians und die zahlreichen Votivkirchen zum Aus¬ 
druck gebrachte Anschauung zu sprechen, dass Krankheiten und 
Epidemien nicht als Folge menschlicher Nachlässigkeit und Igno¬ 
ranz zu betrachten seien, sondern als Strafe des Himmels, dass man 
sich also dagegen in keiner Weise auflehnen dürfe, sondern nur 
durch Gebet und Busse die erzürnte Gottheit versöhnen könne. 

Als Beweis dafür, dass man im modernen Rom. natürlich 
soweit als es die veränderten socialen Zustände erlauben, wieder 
dem alten Princip: Salus populi suprema lex zu folgen sucht, ver¬ 
wies Ich auf die neuen, breiten Strassen. Plätze. Gärten etc. und 
auf die Sterblichkeitsstatistik, die im Jahre 1872 41.8 Todesfälle, 
im Jahre 1899 aber nur mehr 15.1 pro Tausend aufwies. 

Ich glaube, dass dies Alles meine Behauptungen zur Genüge 
l>egründe. aber nun ersehe ich aus Ihrem Aufsatz, dass Sie, sehr 
geehrter Herr Kollege, anderer Meinung sind. Ich will also das 
Versäumte uachholen und Ihnen und jenen Herren Kollegen, die 
gleich Ihnen denken, bessere Beweise zu bringen suchen. 

Willireud Ihres Aufenthaltes in Rom sind Sie gewiss durch die 
Ruinen des Palatin und des Forum ronmnum und der Thermen 
gewandert und diese Ruinen haben sicher auch zu Ihnen so deut¬ 
lich gesprochen, dass Sie Im Geiste die wunderbaren Hängegärten, 
die gros8artigen Basiliken uud gewaltigen Thermen neuerstanden 
vor sich sahen. Sie werden daun wohl auch in die Cloaca mnssima 
hinabgestiegen sein und dort den Geist der alten Römer bewundert 
halten, die ein Werk schufen, das noch heute als Wunder der 
hygienischen Baukunst gilt. Beim Anblick der heutigen Oam- 
pagnn romana haben Sie vielleicht auch mit Wehmuth der herr¬ 
lichen Villen und Gärten gedacht, welche dieselbe ehemals 
schmückten. Um sich endlich eine genaue Vorstellung eines römi¬ 
schen Hauses zu verschaffen, sind Sie wahrscheinlich auch nach 
Pompeji gefahren, wo die Asche des Vesuvs die Häuser der Alten 
so gut für uns bewahrt hat. Ich will hier nur absclireiben. was ich 
zufällig vor etlichen Tagen in einer deutschen Zeitschrift las: „Die 
..weitaus grösste Wichtigkeit besitzt Pompeji, weil es uns die ge- 
..naueste Kenntniss des römischen Privathauscs vermittelt. Das 
..römische Haus war ein Iunenbau. Eine behagliche Wohnung 
„hatte Jenseits der Eingangspforte ein rechtwinkelig gestaltetes 
„sogen. Atrium, eine Art Hof mit einem nach innen geneigten, auf 
„Balken oder Säulen ruhenden Dach, von dem das Regenwasser in 
„ein ln der Mitte des Bodens angebrachtes Bassin herabflel. Zur 
„Rechten und Unken des Atriums lagen Schlafzimmer und Wirtli- 
„schaftsräume. Dem Eingang gegenüber erblickte man das 
„Tablinum. ein gegen das Atrium ganz geöffneter viereckiger 
„Raum. Durch denselben konnte man auf den zweiten Hof, das 
„sogen. Peristyl sehen, von dem das Tablinum nur durch eine 
„niedere Brüstung getrennt war. Dasselbe bildete die eigentliche 
..Privatwohnung der Familie und bestand meist aus einem kleinen 
„Garten oder einem von Blumenbeeten umrahmten Wasserbecken, 
„das von einem Säulengang umschlossen war.“ 

Also in jedem Haus gab es Garten. Springbrunnen und Bad. 
ganz abgesehen von den schon so oft erwähnten öffentlichen 
Bädern. Dass es an Wasser nicht fehlte, beweisen wohl die zahl¬ 
reichen Leitungen, die ausser den noch heute ln Betrieb befind¬ 
lichen bestanden. Die Strassen waren gerade und im Verhältnis« 
zu den niedrigen Häusern sehr breit, wie man am Forum und in 
Pompeji sieht; auch der heutige Gorso, ehemals via lata stammt 
Ja noch aus der Roma antica. Wenn man endlich noch bedenkt, 
dass die leglslazlone romana so viele sanitäre Restimmungen auf¬ 
weist, dass sie zusammen genommen eine Art von Sanitätsgesetz 
bilden, so kann man gewiss nicht behaupten, dass die Hygiene den 
Alten unbekannt war oder erst während der letzten Jahrzehnte 
entstanden ist. Es ist doch auch allgemein bekannt, dass 
die Alten die Göttin Hygieia (und daher der Name Hygiene) auch 
in zahlreichen Tempeln verehrten. 

Kommen wir nun zum päpstlichen Rom. Die Geschichte lehrt 
uns Immer wieder, dass ein neues politisches System nie auf dom 
alten weiterbaut, sondern dass es verachtet, und zerstört, was die 
Vorgänger geschaffen haben, oder deren Einrichtungen in sich 
selbst zerfallen lässt. Im ausgedehntesten Maasse geschah dies 
auch, als das Christenthum an Stelle des Heidenthums an die 
Herrschaft kam. Es war natürlich, dass die Christen Alles ver¬ 
achten mussten, was von den Heiden kam; die Tempel Hess man, 
wenn sie nicht, wie z. B. das Panteon. direkt ln christliche Kirchen 
verwandelt -wurden, zerfallen und nahm das kostbare Material 
dann zum Bau für Kirchen und Pnliiste: aus den Thermen wurden 
die kunstvollen Wannen. Stühle u. dergl. genommen, um als Tauf¬ 
becken, als Schmuck der Kirchen uud der Paläste geistlicher 
Würdenträger zu dienen, das Colosseum wurde Jahrhunderte lang 
als Steingrube angesehen und lieferte das Material zur Faqade 
der Peterskirche und zahlreichen anderen kirchlichen, wie welt¬ 
lichen Bauten, kurz — quod non fecerunt Barbari, Bar- 
barin 1 (und andere Päpste!) fecerunt. 


Das gleiche Schicksal hatten auch die hygienischen Ein¬ 
richtungen der Alten; als die Wasserleitungen, welche die Bäder 
speisten, von den Feinden zerstört waren, dachte kein Papst 
daran, sie wieder herzustellen, sondern man bemühte sich, wie ge¬ 
sagt, nach Kräften, die Bäder zu plündern und zu zerstören, das 
Baden selbst war verpönt und es entstanden Mönchsorden, deren 
Regeln nur e i n m a 1 pro Jahr ausnahmsweise ein Bad gestatteten, 
aber beileibe nicht bei nacktem Körper! Und wer hat nicht von 
jenem Heiligen gehört, der hauptsächlich desshalb in den Ruf 
der Heiligkeit kam, weil er alle möglichen Schmarotzer mit grösster 
Geduld auf seiner Ilaut ertrug, ohne sie zu verjagen? Gewiss eine 
Art christlicher Selbstverleugnung, aber dieselbe konnte natürlich 
nicht so weit, getrieben werden, dass ganz Rom ohne Wasser blieb 
und desshalb mussten die Päpste, „der Noth gehorchend, nicht dem 
eigenen Trieb“, die öfter zerstörten altrömischen Wasserleitungen 
wenigstens theilwoise wieder herzustellen, wobei sie dann die alt»; 
Acqua Traiana, Vergine etc. Jeweils nach sich selbst benannten, 
doch ist meines Wissens die Acqua marcla immer Acqua rnarcia 
geblieben. 

Dass diese Herstellungen übrigens nothdiirftig und schlecht 
genug ausgeführt wurden ist ebenfalls in Gregorovlus’ Ge¬ 
schichte der Stadt Rom im Mittelalter zu lesen. 
Verdursten konnte man eben auch die Römer des Mittelalters nicht 
lassen, denn wenn es sich um Lebensbedürfnisse handelte, konnten 
sie bekanntlich selbst den Päpsten recht ungemüthlich werden. Die 
Kanalisation aber Hess man gänzlich verfallen; Niemand dachte 
daran, sie wieder herzustellen. Noch vor 30 Jahren war in Rom 
die Strasse der Ort für Alles und dem Rogen blieb es überlassen, 
den Unrath in den Fluss zu schwemmen. Noch heutzutage kann 
man in dou Vierteln, die ich als „mustergiltig“ für das päpstliche 
Rom genannt halte, TTeberreste dieser alten Unsitte antreffen. 

Es gehl aber meines Erachtens nicht an. Rom mit anderen 
Städten des Mittelalters zu vergleichen; jene entstanden Im Geiste 
der Zeit und konnten nur diesem gerecht werden, aber in Rom 
waren nicht nur die grossnrtigsten Vorbilder für hygienische Ein¬ 
richtungen vorhanden, sondern sie hätten auch sämnitliche (wie 
die Wasserleitungen! mit etwas gutem Willen und geringen 
Opfern weiter nutzbar gemacht werden können. Es war auch 
nicht nüthig, mit Rücksicht auf die Befestigungsiuauorn die Häuser 
aufeinander zu schachteln, denn innerhalb der alten Mauern war 
leerer Raum genug; es war nicht nüthig. das berüchtigte Ghetto, 
in dem die zahlreichen Juden kaum zu athmen vermochten, bis in 
die neueste Zeit bestehen und der italienischen Regierung die Be¬ 
seitigung dieses Seuchenherdes zu überlassen, von dem Gregorovlus 
in seinen „römischen Figuren“ ein sehr anschauliches, aber nicht 
angenehmes Bild entwirft. 

Was endlich meine Bemerkung über die römische Campagnu 
betrifft, so weisen Sie. verehrter Herr Geheimrath, dieselbe zurück, 
indem Sie drei Päpste nennen, die etwas für die Nutzbarmachung 
derselben thaten. Aber scheint es Ihnen nicht auch, als ob unter 
den etlichen hunderten von Päpsten diese drei eigentlich nichts 
sind, als die Ausnahmen, welche die Regel bestätigen? Und selbst 
diese drei, mit welchen Mitteln und mit welcher Ausdauer ver¬ 
folgten sie ihr Ziel? 

Gewiss verlange ich nicht, dass die Päpste die Geldsummen, 
die von aller Welt nach Rom kamen „f iir Chinin u n d Mos¬ 
kitonetze“ ausgeben sollten, wenigstens nicht bevor diese 
beiden Mittel existlrten, aber da diese „für Kirchen und 
Missionen gespendeten Gelder“ doch so oft und oft 
ganz anderen Zwecken dienten, hätte man meines Erachtens ebenso 
gut. etwas davon zur Nutzbarmachung der Campagna verwenden 
können. Aber ich las. wie gesagt, in einem historischen Werke - - 
und noch heute findet mau im Volk diese Meinung verbreitet —. 
dass die Päpste die Campagna absichtlich unkultivirt Hessen, damit 
die Pilger, nachdem sie erst das unwirthllche T-and durchzogen 
hatten, die inmitten desselben Hegende herrliche Stadt umso mehr 
bewunderten. 

Sie meinen nun, durch meine Behauptung, dass die Päpste 
Alles thaten. um die Stadt zu schmücken, widerspräche ich selbst 
meiner Schilderung von den luft- und lichtlosen Strassen etc. 
Mit niehten. Man wahrte einfach den Schein. Auch dieses Princip 
ist den Römern in Fleisch und Blut übergegangen und ich muss 
oft genug Leute, echte Römer, untersuchen, die mit Gold und 
Geschmeide behängt sind und dabei am Körper vor Schmutz 
starren. Dasselbe war beim päpstlichen Rom der Fall. Ich habe 
bis jetzt keine Stadt gesehen, die so zahlreiche und grossartige 
Mouumentalbrunuen, Denkmäler und prächtige Kirchen besitzt, 
wie Rom, aber dieser Schmuck hat doch nichts mit Hygiene zu 
schaffen! 

In Bezug auf die Schulen vermag Ich momentan nicht mit 
Zahlen zu dienen: ich will gern die von Ihnen angegebenen Ziffern 
anerkennen, aber Sie werden auch zugeben müssen, dass solch«* 
Einrichtungen sich nur nach ihren Erfolgen beurtheilen lassen 
und in dieser Beziehung Hegen die Dinge sehr ungünstig, wenn 
man bedenkt, dass 1870 meines Wissens noch mehr als die Hälfte 
der römischen Bevölkerung Analphabeten waren. 

Heber meine statistischen Angaben bezüglich der Mortalität 
in Rom sagen Sie „dazu gehören m ehrcre Jahre hin¬ 
durch wiederholte TIntersuchunge n“. Gewiss. H«*rr 
Geheimrath, „einzelne Jahrgänge können hier nicht 
maassgebend sein“, aber eine durch 28 Jahre fortgesetzte 
Statistik erlaubt uns doch wohl, einen Schluss zu ziehen. Die 
Tabellen des „Bolletino demografico" weisen im Jahre 1872 ein«-* 
Sterblichkeit von 41.S Brom, auf und diese Ziffer sank im Laufe 

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1250 


MUKNCIIENF.lt ME DIC IN ISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31 


dieser 28 Jahre a 11 in 5i h 1 i e h auf 1.1,1 Prom.. obwohl gleichzeitig 
die Bevölkcrungsznlil von 277 0.82 (1872) auf .112 423 (1899) stieg. 
Es sind also nicht ..einzelne Jahrgänge“. die loh lieniusgivifo, 
sondern eine dauernde, r e g e 1 m ä s s i g e Verminde¬ 
rn n er der Mortalität während 28 Jahren. Die Epidemiologie leint 
uns aber, dass solche Thatsachen nicht dem Zufall zu danken sind, 
sondern dem Willen und den Leistungen des Menschen. 

Sie weisen auch auf die häufigen Kriege und deren Folgen 
als erste Ursache der schlechten hygienischen Zustände im Mittel- 
alter hin und gewiss war Rom. wie überhaupt Italien, wie kein 
anderes Land bis in die jüngste Zeit von diesen Plagen helm- 
gesucht. Aber abgesehen davon, dass die Schönheit, des Landes 
alle Völker anlockte. so dass die Dichter darüber klagten, dass 
Hallen so von der Natur bevorzugt sei (Italia. Italia! o tu oui 
fco la sorte — Dono infeliee di bellezza —singt Fi 11 c a i a). war 
es doch eben wieder in erster Linie das Papstthum und seine 
Folgen, welches die meisten dieser Kriege hervorrief, so dass cs. 
selbst Ihrer Meinung nach, auch Indirekter Weise die Ursache der 
schlechten Zustände war. 

Und desshalb drängte sieh mir beim Lesen Ihres Artikels der 
Gedanke auf. dass Sie im Grunde dieselbe Meinung vertreten, wie 
Ich. und dass wir schliesslich alle Hehle, obwohl verschiedenen 
Wegen folgend, zu demselben Ziel und Schluss gelangen. 

lieber den dritten Tunkt meines Briefes, das moderne Rom. 
will ich heute nicht mehr sprechen, denn ich habe die Geduld d *r 
geschätzten Leser und den Raum der Zeitung schon über Gebühr 
in Anspruch genommen: gestatten Sie nur noch eine Bemerkung 
und eine Einladung. Meine Ansicht ist. dass keine andere Sbidt. 
die sich modernisiren will, solch gewaltige Schwierigkeiten zu üb um¬ 
winden hat. als Rom. denn nicht nur di«* Archäologen aber Länder, 
sondern auch eine Anzahl anderer Leute kiimnfen gegen jede Ver¬ 
änderung in Rom. So sagte mir z. B. kürzlich eine Engländerin 
(und ich sah sie genau daraufhin an. oh sie nicht etwa scherze!), 
dass Rom eine alte Stadt bleiben sollte, summ* dem Schmutz, den 
engen Strassen, den Analphabeten etc., sonst habe es keinen It-dz 
mehr. Auch die Klerikalen, die zahlreich im Gemeinderath ver¬ 
treten sind, bekämpfen aus leicht erklärlichen Gründen alles Neu«', 
das entstellen soll oder entstehen könnte. 

Alier wenn Sie. sehr verehrter Herr G«>lioiinrath. meiner herz¬ 
lichen Einladung Folge leisten und mich nächsten Winter in Rom 
aufsuchen wollen, dann will Ich mich bemühen. Ihnen zu zeigen, 
dass in den 30 Jahren des neuen Regiments die ewige Stadt trotz 
Allem und Allem in hygienischer Beziehung riesige Fortschritte 
gemacht hat. Dr. Giov. G a 11 i. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Max Schüller: Die Parasiten im Krebs und Sarkom des 
Menschen. Mit 3 Tafeln und 64 Abbildungen im Text. Jena, 
Verlag von Gust. Fischer, 1901. 

Fast alle bisher über die parasitäre Theorie des Krebses bezw. 
des Sarkoms Angestellten Forschungen beschränkten sich auf den 
mikroskopischen Nachweis vermeintlicher Parasiten im Ge¬ 
schwulst gewebe. Nur in relativ wenigen Arbeiten, wie z. B. in 
denen von Nils Sj übring und Leopold ist auch die Redo 
von einer Züchtung der fraglichen Krebserreger und einer experi¬ 
mentellen Ucbertragung der betreffenden Kulturen auf Thicre. 
Keine dieser experimentellen Untersuchungen hatte jedoch bis 
jetzt zu einem sicheren positiven Resultat geführt, indem ent¬ 
weder die dabei erzielten Resultate vou anderer Seite keine Be¬ 
stätigung finden konnten, oder aber, wie bei den Versuchen Leo - 
p o 1 d’s, überhaupt gar keine richtigen Gewächse, sondern nur 
entzündliche Granulationsgeschwülste erzeugt worden waren. 

Schüller will nun durch ein besonderes Kulturverfällen 
die wirklichen Erreger des Krebses und des Sarkoms gefunden 
haben. Das höchst einfache Verfahren besteht darin, dass lebend- 
warm und aseptisch entnommene GeschwuLststückchen in ein 
wohlverschlossenes Reagensglas verbracht und dann iu den 
Thermostaten gestellt werden. Nach einiger Zeit beobachtete 
Schüller dann die Entwicklung eigentümlicher Mikro¬ 
organismen von gelblicher Färbung und ausgesprochener Kapscl- 
bildung. Die gleichen Gebilde sah Verfasser auch in Schnitten 
von vom Menschen stammenden Carcinomen und Sarkomen. In- 
jizirte er die ,.Kulturen“ Kaninchen, so entwickelten sich nach 
seiner Angabe bei den Versuchstieren typische krebsige Wuche¬ 
rungen in epithelialen Organen, wie z. B. in den Nieren, krebsige 
Infiltration von Lymphdrüsen u. s. w., in manchen Fällen unter 
gleichzeitiger Entwicklung von Sarkomgewebe. 

Liest man die Beschreibungen Schüller’s von den ex¬ 
perimentell erzeugten Geschwülsten, so stimmen manche derselben 
so genau mit dem histologischen Verhalten eines wirklichen 
Krebses überein, dass unbedingt der Glaube erweckt werden kann, 
S c h ü 11 e r sei es tatsächlich gelungen, durch seine „Parasiten“ 
Krebs experimentell zu erzeugen, und man wird in diesem 


Glauben noch bestärkt, wenn man namentlich die Figuren 44, 
45 und 54 seiner Arbeit betrachtet. 

Ich bat daher Herrn Prof. Schüller, mir seine Original- 
Präparate, welche seinem Werke zu Grunde gelegt sind, zur Be¬ 
sichtigung zu überlassen, damit ich mich durch eigene Anschau¬ 
ung von den geschilderten Befunden überzeugen könnte. Herr 
Prof. Schüller hat meiner Bitte sofort in liebenswürdigster 
und dankenswertester Weise entsprochen. 

Zu meinem Bedauern muss ich aber hier mittheilen, dass in 
den S c h ü 11 e loschen Präparaten n i c li t s, g u r n i c h t s c n t- 
halten ist, was auch nur entfernt an ein Carci- 
n o in oder Sarkom erinnerte; nichts als entzündliche 
Neubildung, kleinzellige Infiltration mit Plasmazellen u. s. w. 
Die von Schüller abgebildeteu lloruporleu vermocht© ich 
nicht zu entdecken, ebensowenig irgend Jemand, dem ich die 
Präparate vorlegte. Die vermeintlichen Parasiten 
waren stets auf die Präparate aufgestreut, 
niemals im Gewebe und erweckten sofort den Verdacht 
auf Verunreinigungen, bestehend aus pflanzlichen Zellen. Pro¬ 
fessor Soleroder erklärte die radiär gestreiften Kapseln für 
sog. Steinzellen, welche vollkommen die gleiche Struktur und 
die gleichen Polarisationserscheinungen der Kapselmembran oi- 
kennen lassen. Bei weiteren Untersuchungen fand ich, dass die 
radiär gestreiften Schüller’schenParasitcnkapselu 
von mit sog. T ü p f e 1 k n n ä 1 o n verseil e u cn Stein- 
zellen, wie sie aus den dunkel gefärbten 
Lücken eines jeden Flaschenkorkes leicht 
herauszuschaben sind, sieh durch absolut 
nichts unterscheiden, so dass cs gar keinem 
Zweifel unterliegen kann, dass es sieh ledig¬ 
lich um s o 1 c h o h a n d e 11. Au c h die übrigen von 
Schüller beschriebenen Parasiten formen sind 
grössten thoils mit Korkzellen identisch. 

Interessant ist cs, «lass mein Assistent Dr. F ii r n r o h r in 
einem mikroskopischen Präparat, welches vor einigen Wochen aus 
dem llarnscdiment eines Blascnkrebskranken nugefertigt worden 
war, nachträglich ebenfalls die S c h ü 11 c Fachen „Parasiton- 
kapseln“ fand: Das Sediment war in einem mit Kork ver¬ 
schlossenen Glas dem pathologischen Institut zugeschickt 
worden. — 

Schüller seihst hat übrigens auf die grosse Aehnlichkeit 
der von ihm für Parasiten gehaltenen Gebilde mit Korkzellcn 
hingewiesen. Wenn er sie gleichwohl für wirkliche Parasiten 
hielt, so begründet er diese Auffassung unter Anderem damit, 
dass er keine Cellulosereaktion an den Gebilden beobachten 
konnte und dieselben „den ersten zoologischen und botanischen 
Autoritäten“ der Berliner Universität unbekannt gewesen sein 
sollen. Was das Fehlen der Cellulosercaktion betrifft, so ist aber 
zu bemerken, dass ausgebildete Stein- und Korkzellen überhaupt 
nicht die Cellulosercaktion geben. Das Fehlen dieser Reaktion 
schliesst daher in keiner Weise aus, dass die S c h ü 11 e Fsehen 
vermeintlichen Parasiten thatsächlieh Korkzellen sind, von wel¬ 
chen sie mikroskopisch absolut nicht untcrsehie«len werden 
können. Hauser. 

N. Melnikow-Baswedenkow, Privatdocent der 
Universität Moskau: Studien über den Echinococcus alveolaris 
sive multilocularis. Histologische Untersuchungen. Mit 6 Tafeln 
und 94 Fig. Jena, Fischer, 1901. 295 pp., gr. 8° (14 M.). 

Diese als 4. Suppl.-Heft der Z i e g 1 e r’sehen Beiträge er¬ 
schienene Arbeit verdient neben den wichtigen Schriften 
H. Vierordt’s (1886) und A. P o s s e 1 t’s (1900) alle Be¬ 
achtung. Der Autor hat eine grosse. Anzahl von Präparaten mit 
grösster Sorgfalt histologisch durchforscht und bietet uns hier die 
in mancher Hinsicht überraschenden Resultate. 

Nachdem die Kasuistik (p. 10—160) abgehandelt ist, wobei 
die feinsten mikroskopischen Einzelheiten berücksichtigt werden, 
folgt die Parasitologie des Alveolarechinococcus beim Menschen 
(p. 161—181), die allgem. Pathologie (p. 182—196), die spec. 
pathol. Anatomie (p. 197—216), Statistik und Geographie (p. 217 
bis 230). Zu deu 215 Fällen, welche Pos seit, angeführt hat, 
bringt unser Autor noch 20, so dass zur Zeit die Summe 235 
beträgt, wovon gegen 25 Proc. aus Russland. Eine kritische Uebcr- 
sicht über die Literatur (p. 231—239), die Semiotik, Aetiologie 
und Therapie (p. 240—257), das Vorkommen bei Thieren (p. 258 


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30. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISC1IE WOCHENSCHRIFT. 


1251 


bis 273), ein Schema der anatomischen und experimentellen Unter¬ 
suchung, ein Literaturverzeiehniss schliesscn das Werk. 

Die Hauptergebnisse gipfeln darin, dass der aus dem Darm 
in die Leber gelangte Embryo sich zu einem vielkammerigen 
( Iiilinknäiiel entwickelt, der einer reifen Proglottis entspricht. 
Der A1 veolarechinocoecus pruducirt ovoide Embryonen und Seo- 
lices (besser Scolcees), während die Hydatidenblase des einkamme- 
rigeu E. nur Scoleees bringt. Den Ausdruck „Embryonen“ wird 
man beanstanden, da es sich bei dem E. alveolaris doch nur um 
ungeschlechtliche Fortpflanzung handelt. 

Verfasser vergleicht die Vermehrung seines Echinococcus mit 
derjenigen der Trematoden, bei denen sich allerdings in den 
Miracidien junge Thiere erzeugen. Immerhin wird es auch hier 
heissen: Omne simile claudicat. 

Zur Erklärung der reizenden und nekrotisirenden Wirkung 
(centrale Uleeration) wird ein Toxin angerufen, was sein Ana¬ 
logon in den reizenden Stoffen anderer Helminthen findet. Auch 
die Geschwulstbildung bei dem Alveoliir-E. lässt sich mit der 
kürzlich von Aakanazy- Königsberg bei Distoma felineum in 
der Leber gefundenen Neoplasie vergleichen. 

Von grossem Interesse ist die leider nur kurze Erwähnung 
(p. 220) eines primären Alveolar-Echinococcus der Milz bei einer 
Kranken des Obuchow'sehcn Spitales zu Petersburg. 

Reziiglich des Zwischenwirthes spricht sich Verf. nicht be¬ 
stimmt aus. Die Verschiedenheit von Taenia Echinococcus von 
Siebold wird scharf betont. Einstweilen werden wir aber an 
der Möglichkeit fcsthalten, dass vielleicht die beiden Eehinococcu-> 
formen Varietäten einer Art sind. Wollen wir aber zwei ver¬ 
schiedene Speeies vermuthen, so müssten wir uns erinnern, dass 
bei E. alveolaris nicht gerade in Canis familiaris die zugehörige 
Taenie zu suchen wäre. Bekanntlich sind aber die bisherigen 
Fütterungen mit E. alveolaris nur am Ilund gemacht worden. 

Pebrigens fällt cs auf, dass ausgezeichnete Forscher, wie 
(1. Hauser (Primärer Echinococcus der Pleura und der Lunge 
mit Entwicklung multipler Metastasen, namentlich im Gehirn. 
Erlangen und Leipzig 1901) und A. Possei t. (in Zeitschrift für 
Heilkunde, XXI, 1901) die Embryonen unseres Autors nicht ge¬ 
funden haben. Hoffen wir auf baldige Bestätigung seiner höchst 
inteiessanten Angaben. J. Ch. Huber- Memmingen. 

Schmidt-Rimpler : Augenheilkunde und Oph¬ 
thalmoskopie. Leipzig 1901, S. Hirzel. 

Dieses nunmehr schon in 7. Auflage erschienene sehr be¬ 
liebte Handbuch hat wieder eine Verbesserung und Mehrung er¬ 
fahren und zwar besonders dadurch, dass die Verletzungen des 
Augapfels und eine sehr praktische Anleitung zur Beurtheilung 
der Herabsetzung der Erwerbsfähigkeit bei Betriebsunfällen in 
einem Schlusskapitel angefügt wurden. 

Wenn auch Verf., ausgehend von der in den Vordergrund 
gestellten Augenspiegeluntersuchung eine von anderen Lehr¬ 
büchern etwas abweichend«) Eintheilung getroffen hat, und da¬ 
durch manches Zusammengehörige', wie z. B. Chorioiditis ex¬ 
sudativa und eiterige Chorioiditis, getrennt behandelt wurde, so 
macht doch die klart* übersichtliche Darstellung des erfahrenen 
l>*hrers und Arztes das Werk ebenso für Studirende als prak¬ 
tische Aerzte zum Nnchsehlagen und zur Selbstbelehrung sehr 
geeignet. Es möge in dieser Hinsicht das zusammenfassende 
Kapitel über die Actiologie und Behandlung der Amblyopien und 
Amaurose, sowie die Abhandlung über die Erkrankungen der 
Augenmuskeln hervorgehoben werden. Mustergiltig ist über¬ 
haupt die Besprechung der Behandlung der Augenkrankheiten, 
welche neben werthvoller Anleitung zum entschiedenen thera¬ 
peutischen und operativen Eingreifen doch auch eine weise Be¬ 
schränkung anempfiehlt, wobei insbesondere auf die Operationen 
an der Iris hingewiesen werden soll. 

Die Anleitung zur Augenspiegeluntersuchung ermöglicht cs, 
die I'ebung mit dem Ophthalmoskope zu vervollkommnen und 
find die beigegebenen zwei Farbendrucktafeln mit Bildern des 
normalen Augenhintergrundes und der wichtigsten pathologischen 
^ eränderungen desselben wenigstens zur allgemeinen Orientirung 
ganz geeignet. 

Speziellen Werth hat das Lehrbuch für Militärärzte, da bei 
den in Betracht kommenden Anomalien stets die einschlägigen 
Bestimmungen der Heerordnung über die Diensttaugliclikeit in 
Fugsnoten angeführt sind. S o g g e 1. 

Xo 31. 


E1 s c h n i g: Stereoskopisch-photographischer Atlas der 
pathologischen Anatomie des Anges. Wien und Leipzig 1901, 
Wilhelm B r a u m ii 11 e r. 1. Lieferung. Preis 4 M. 

Auf 16 Tafeln finden sieh 19 Bulbi, theils in ihrer äusseren 
Form — deren je 3 neben einander zum Vergleiche eines emme- 
tropisehen und hochgradig myopischen Auges — theils auf 
Durchschnitten so vorzüglich dargestellt, dass dadurch die Be¬ 
trachtung der Präparate seihst fast völlig ersetzt ist und eignen 
sieh somit die Abbildungen, welche mit jedem Stereoskope zur 
plastischen Anschauung gebracht werden können, sowohl zum 
Enterrieht als zur Seihstbelehruug. 

Der Atlas soll in 4 Lieferungen ä 16 Tafeln erscheinen 
und bietet die reiche Priiparntensammlung der I. Wiener Augen¬ 
klinik von Prof. Schnabel die Gewähr, dass die folgenden 
Lieferungen gleich hohes Interesse bieten werden. 

S e g g c 1. 

Prof. M. Kaposi: Atlas der Hautkrankheiten. 376 Chromo- 
tafeln. Wien und Leipzig. Willi. Braumüller. Preis broch. 
68 M. 

In keinem andern Zweig der Medicin sind bildliche, und 
zwar farbige, Darstellungen für das Studium so unentbehrlich, wie 
in der Dermatologie, weil für die Anschaulielunaehung der feinen 
Unterschiede, auf die es hier oft ankommt, das geschriebene 
Wort nicht ausreicht. Daher gibt es auch auf keinem Gebiete 
so zahlreiche Bilderwerke, von den plastischen Nachbildungen, 
Moulagen etc. ganz abgesehen. Der jetzt fertig vorliegende Atlas 
des Wiener Dermatologen kann den Anspruch erheben, mindestens 
das umfassendste Werk seiner Art zu sein. Es kann sieh zwar, 
was die künstlerische Vollendung der Tafeln betrifft, mit 
manchem anderen älterer und neuerer Zeit, vor Allem mit. 
II e b r a’s berühmten Werk und mit dem kleineren Atlas von 
Mraeek nicht messen, es übertrifft al>er durch die grosso Zahl 
seiner Tafeln alle weit an Vollständigkeit. Das reiche Material 
der Jv a p o s Eschen Klinik, bezw. ihrer noch von Hebra an¬ 
gelegten reichen Lehrmittelsammlung, «las die Vorlagen für den 
Atlas lieferte, hat es ermöglicht, nicht nur alle Krankheiten, 
auch die sei teilen, darzustellen, sondern auch die verschiedenen 
Modifikationen, in denen einzelne Affektionen nach Lokalisation, 
Ausbreitung, Entwicklung«- und Küekbildungsphascn sieh zeigen 
können, in verschiedenen, oft zahlreichen Bildern zur Anschau¬ 
ung zu bringen. So finden sieh z. B. von Akne 16, von Ekzem 13, 
von Erythem 13, von Herpes zoster 11, von Liehen ruber 14, 
von Lupus vulgaris 13, von Lupus erythematosus 10, von Lupus 
der Schleimhaut 14 Tafeln. Da die Tafeln überdies, wenn auch, 
wie erwähnt, ihre künstlerische Ausführung zu wünschen übrig 
lässt, das Charakteristische jedes einzelnen Falles prägnant her¬ 
vorheben und dem Beschauer sofort ein richtiges Bild der dar¬ 
gestellten Affektion gehen, so kann der Atlas als eine sehr werth¬ 
volle Bereicherung der dermatologischen Unterrichtsmittel be¬ 
zeichnet werden. 


Neueste Journalliteratur. 


Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1901. 70. Bd. 

3. u. 4. Heft. 


11) P. F. Sch w e n n - Kiel: Ein Beitrag zur Pathogenese 
der Pnralysis agitans. (Alis dem stiWlt. Kmnkenhause zu Kiel.) 

Trotz dos typischen Krnnkheitsbihles ist die anatomische 
Grundlage der Paralysis agitans noch recht wenig bekannt. Scli. 
berichtet über einen Fall, den er r» .1 all re beobachten konnte, wobei 
sieli weder im Gehirn noch Rückenmark irgend welche patho¬ 
logische Veränderungen fanden. Dagegen fanden sich in 
y 4 Stunde post mortem ausgeschnittenen Muskelstückehen ..die 
länglichen Bindegewebskerne in den lnterstitien der einzelnen 
Muskelfasern deutlich vermehrt, während die Muskelfasern selbst 
unverändert waren“. Auf Grund dieses Befundes, der übrigens 
auch von anderer Seite wiederholt erhoben wurde, glaubt Verfasser 
an eine imiseulüro Pathogenese der Pnralysis ngit., ganz besonders 
führt er die zunehmende Rigidität der Museulntur, sowie die Pro¬ 
pulsion un,d Repulsion darauf zurück. 

12) K. Hirsch: Vergleichende Blutdruckmessungen mit 
dem Sphygmomanometer von Basch und dem Tonometer von 
Gärtner. (Ans der medlcinlschen Klinik des Herrn Gehehnrnth 
v. Z 1 e m s s e n in München.) 

Dem für den täglichen Gebrauch am Krankenbett an erster 
Stelle stehenden Basch’sclien Blutdruekmesser wurde vorüber¬ 
gehend dieser Platz strittig gemacht durch den G.'sehen Tono¬ 
meter, dessen Hauptvorzug darin bestehen sollte, dass zur Beur- 
theiluug der Höhe dos Blutdrucks bei demselben der feinste 
menschliche Sinn, der Gesichtssinn, thätig sein müsse, bei dem 


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1252 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


B.’scben Instrument aber (1er grobe, individuell sehr verschiedene 
Tastsinn. Zur Entscheidung dieser Frage stellte Iv. vergleichende 
Untersuchungen an, die durchaus zu Gunsten des B.'sehen Instru¬ 
mentes ausfielen. Die Messungen mit Basch wurden in der be¬ 
kannten Welse an der Art. temp., dicht oberhalb des Jochbogens 
an der Linea sendclrcularls gemacht, die gefundenen Werthe nur 
zu Vergleichen an derselben Person benützt; die Messung erfolgte 
stets an der gleichen Stelle. Die gefundenen Werthe sind natür¬ 
lich höher, als der Wirklichkeit entspricht — Blutdruck -f- die durch 
Haut. Weichthelle und Gefiisswand bedingten Widerstände. 

Mit dem G.'sehen Tonometer wird der Blutdruck an der Art. 
digitalis gemessen; der Finger wird durch einen pneumatischen 
Bing bis zur Anacmie comprimirt. dann lässt man mit dem Druck 
nach, bis sich die Fingerbeere plötzlich wieder rät hot. und der in 
diesem Augenblicke vorhandene Druck wird abgelesen. Ab¬ 
gesehen von der verschiedenen Dicke der Finger verschiedener 
Individuen, die natürlich bei gleich weit e in p u e u m a - 
tischen Ring verschiedene Resultate ergeben müssen, wechselt 
das Ergehn iss schon nicht unerheblich, je nachdem man ver¬ 
schiedene Finger der gleichen Person wählt, ob rechte oder linke 
llaud, insbesondere treten solche lokale Blutdruckschwankungen 
auf in Folge lokaler Reize, z. lt. wenn man die Hände in kaltes 
oder warmes Wasser hält. Von den gefundenen Werthen sind 
ebenso wie bei Basch die Weichtheilwiderstiinde abzuziehen. 

Um mit dem Tonometer brauchbare Werthe zu erhalten, 
müssen alle diese Kautelen berücksichtigt werden. Dadurch wird 
er für den täglichen Gebrauch zu umständlich und zeitraubend, 
so dass gerade hiefiir Basch unbedingt den Verzug verdient. 

13) M. Burckhardt - Davos-Dorf: Untersuchungen über 
Blutdruck und Puls bei Tuberkulösen in Davos. (Mit 20 Kurven.) 

Der Blutdruck wurde mit dem G.'sehen Tonometer bestimmt, 
wobei stets die Mittelwerthe von 4—G Ablesungen notirt wurden, 
und zwar unter verschiedenen äusseren Bedingungen (Ruhe, Arbeit, 
nach den Mahlzeiten, verschiedenen Tageszeiten), die Kranken 
selbst nach dem T u rban’schen Beispiele in 3 Gruppen eingetheilt. 
die Pulszahl wurde stets während der Liegekur bestimmt. Es 
ergab sich mit dem Fortschreiten der Lungenphthise ein Sinken 
des Blutdruckes und ein Steigen der Pulsfrequenz in Folge allge¬ 
meiner Entkräftung, besonders im III. Stadium, wohl weniger in 
Folge einer Vagnsstörung. als vielmehr durch nervöse Störung 
toxischen Ursprungs, bedingt durch das tuberkulöse Virus. 

14) F. F r a n k e - Braunschweig: Ueber ein typisches In¬ 
fluenzasymptom, die Influenzaangina und über die Influenza¬ 
zunge und Influenzamilz. (Mit 2 Abbildungen im Text und 
Tafel IX.) 

Nach F. ist die Influenzaangina ein typisches, ziemlich regel¬ 
mässig auftretendes und daher diagnostisch wichtiges Zeichen. 
Er versteht darunter eine eigenthümliche, streifenförmige Rötliung 
nur des vorderen Gaumeubogens mit oft schweren subjektiven 
Erscheinungen, die in vielen Fällen wochen- und monatelang nach 
dein Ueberstehen der Influenza erhalten bleibt, und bei jedem 
neuen Anfalle fast ohne Ausnahme wieder deutlich wird, ein 
Locus minimae resistentiae. Der Streifen soll zwischen 1—7 mm 
breit sein; nach dem Zäpfchen zu. das von der Röthe stets ver¬ 
schont bleibt, ist er etwas breiter, die Rötliung selbst Ist meist 
sehr lebhaft, manchmal ganz auffällig dunkelblaurotli. Der an¬ 
grenzende Zungentlieil. der äussere Gaumentheil bleiben frei, meist 
auch die Mandeln. Subjektive Symptome können fehlen, sind in 
anderen Fällen sehr heftig, besonders ein „Sehnürgefilhl“, das 
selbst zu Angstzustiinden führt. Fast ebenso häufig ist die Schwel¬ 
lung der vorderen Zungenpapillen = Influenzazunge, die meist nicht 
in den ersten Tagen auftritt und dosshalb häufig übersehen wird. 
Nicht selten, besonders in chronischen Fällen, findet sich ein Milz¬ 
tumor (Influenzamilz), was prognostisch wichtig ist, da in solchen 
Fällen Recidive häufig und die Genesung eine langsame ist. 
Neben der Behandlung mit Antinervinis und tonisirenden Mitteln 
Ist die Vermeidung von Abkühlung am wichtigsten, selbst Um¬ 
betten und Waschen soll Anfälle unter Umständen horvorrufen. 
Verfasser ist geneigt, bei verschiedenen Krankheitsbildern, bei 
denen man Mangels einer Aetiologie an Lues oder Tuberkulose 
denkt, eher einen Zusammenhang mit Influenza anzunehmen, 
ausserdem auch bei manchen Neurasthenikern, chronischen Darm¬ 
katarrhen. chronischem Rheumatismus. Den eingestreuten 
Krankengeschichten kann überzeugende Beweiskraft nicht zu¬ 
gesprochen werden. Die Pseudoappendicltis nervosa, die Pseudo¬ 
peritonitis, deren Abhängigkeit von Influenza hauptsächlich auf 
Grund der Angina und Zungenpapillen F. annahiu, sind kaum all¬ 
gemein anerkannte Krankheitsbilder. Auch die Annahme, dass es 
sich ln vielen Fällen von Heilung der Arteriosklerose durch Jod- 
knlium um eine Pseudoarteriosklerose auf Iuflueuzagrundlage 
handelt, wird weuig Anklang finden. 

15) Z n n d y: Beiträge zur Lehre von der Lipaemie und vom 
Coma diabeticum nebst Angabe einer einfachen Methode zur 
Feststellung abnorm hohen Fettgehaltes im Blut. (Aus der 
kgl. medic. Universitätsklinik zu Göttingen.) (Mit 1 Abbildung 
auf Tafel IX.) 

Unter den Stoffwechselanomalien hat die Lipaemie (Fettblut) 
noch wenig Beachtung gefunden, so (lass zur Zeit eine zahlen- 
mässige Grenze, bei der der physiologische Fettgehalt des Blutes 
zur Lipaemie wird, nicht angegeben werden kann. Desshalb nimmt 
Z. Lipaemie nur dann an. „wenn das Blut gewisse, mit dem Auge 
wahrnehmbare Veränderungen zeigt, die nur auf Fett zu beziehen 
sind“. Sie kann entstehen durch andauernde Steigerung der Fett¬ 
zufuhr. durch Nichtverbrennung des in normaler Menge ein¬ 
genommenen Fettes, z. B. in Folge Herabsetzung des Stoffwechsels 
nach Intoxicationen, durch gesteigerten Zerfall von Körperfett, 


durch abnorme fettige Degeneration von Körperzellen. Diese 
4 Möglichkeiten kommen für den Diabetes in Betracht, sie wirken 
wahrscheinlich zur Erzeugung der Lipaemie zusammen, ln 
2 schweren Fällen von Diabetes sah Z. bei Entuahme einer Blut¬ 
probe aus dem Finger einzelne punktförmige, weisse Stellen, be¬ 
sonders schön bei der Untersuchung im hängenden Tropfen, wo 
sich zwischen Deckglas und Blut die Fettschicht angesammelt 
hatte. Die mikroskopische Untersuchung ist, um Täuschungen 
zu entgehen, nöthig; wenn es sich um Fett handelt, sieht mau stets 
eine staubige Beschaffenheit des Blutwassors ln Folge 
der minimalen, massenhaften, diffus verthellteu, eigenthümlich 
glänzenden Fettpartikelchen. Die eingehende chemische Unter¬ 
suchung des einen Diabetikers, der im Koma starb, hatte 
P. Fraenkel von der gleichen Klinik ausgeführt; das Blut des¬ 
selben enthielt G.43 Proc. Fett. 

IG) W. Lange: Ueber eine eigenthümliche Erkrankung 
der kleinen Bronchien und Bronchiolen (Bronchitis et Bronchio¬ 
litis obliterans). (Aus dem pathologischen Institut des Stadt- 
krankenhauses Dresden-Friedrichsstadt.) 

Im Anschluss an Pneumonie kann sich, wenn eine Resolution 
des fibrösen Exsudates ausbleibt, eine mehr oder weniger voll¬ 
ständige Obliteration der Alveolen ausbilden in Folge Organisation 
des Fibrins. Als Mutterboden des organisirenden Bindegewebes 
betrachten die Einen die Alveolarwand, Andere glauben an eine 
vorwiegende Betheiligung der Bronchiolen, von denen aus das 
Bindegewebe in die Alveolen einwächst. L. bespricht nun aus¬ 
führlich den anatomischen Befund von 2 Fällen, in denen klinische 
Beobachtung und makroskopische Betrachtung einer akuten Miliar¬ 
tuberkulose entsprachen, während die mikroskopische Unter¬ 
suchung eine chronische Entzündung der Endausbreitung fast des 
ganzen Bronchialbaumes ergab, ohne dass sich weder klinisch, noch 
anatomisch eine Pneumonie nacliweisen liess. Durch Organisation 
des zeilig-fibrinösen Exsudates von der epithelentblüssten Bron¬ 
chialwand aus war eine Verengerung bezw. ein völliger Verschluss 
der Lumina entstanden, so dass bei der ausgebreiteten Erkrankung 
durch Behinderung der Respiration (1er Tod eintrat. 

17) E. Deetz: Ueber Darmgries. (Aus dem pathologischen 
Institut dos Stadtkrankenhauses Dresden-Friedriclisstadt.) 

I). bereichert die sehr spärliche Kasuistik über die Bildung 
von sandartigen Konkrementen im Darm um einen neuen Fall. 
Es handelte sich um einen 50 jährigen Manu von gesunder, kräf¬ 
tiger Konstitution, der unter den Erscheinungen von Nierenkolik 
erkrankte, ohne dass sich ein diesbezüglicher Befund ergab. Da¬ 
gegen wurden zur Zeit der Anfälle mit dem Stuhle saudartige 
Massen entleert, deren anorganischer Rückstand aus phosphor¬ 
saurem und oxnlsaurem Kalk bestand. Die Aetiologie ist noch 
völlig dunkel; Im vorliegenden Falle ist der Kranke nach einer 
Karlsbader Kur und strenger Diätregelung anfallsfrei geblieben. 

18) A. Petzold: Die Behandlung der croupösen Pneu¬ 
monien nach den vom 1. April 1897 bis 30. September 1900 
beobachteten Fällen. (Aus der inneren Abtheilung des altstädter 
Krankenhauses zu Magdeburg.) (Mit 1 Kurve.) 

Die von Aufrecht inaugurirte Behandlung der Pneumonie 
mit subkutanen Chinininjektionen hat sich bewährt. Wenn auch 
der anatomische Process in der Lunge selbst durch Chinin nicht 
beeinflusst wird, so war es doch in allen kompliclrten Fällen von 
so unverkennbar günstigem Einfluss auf das Allgemeinbefinden, 
dass es Verfasser geradezu als eine Art Antitoxin gegen das Diplo- 
coccengift betrachtet. Allerdings werden dadurch die durch die 
Pneumonie selbst bedingten Komplikationen nicht verhütet, ins¬ 
besondere ist es ohne Einfluss auf Ikterus und Nephritis; von der 
symptomatischen Behandlung ist ausserdem noch entsprechender 
Gebrauch zu machen (gegen Seitenstechen Morphium, bei Delirium 
tremens Chloralhydrat, bei Aliorten intrauterine Spülungen, bei 
Schwüchez istünden Excitautien etc.) Indicirt Ist die Behandlung 
mit Chinin bei allen Pneumonien, die Personen über 15 Jahre be¬ 
treffen, wenn darunter, nur in sehr komplizirten Fällen. So lange 
Gefahr besteht, soll täglich eine Injektion gemacht werden, wozu 
man bei Erwachsenen 0.5 g Chinin hydrochlor. gebraucht, bei Per¬ 
sonen zwischen dem 10.—15. Lebensjahre 0.25 g. Wegen der re¬ 
lativ grossen Menge der Injektionsflüssigkeit — das Chinin hydro¬ 
chlor. löst sich im Verliültniss 1:34 Aq. dest., so dass 17 g Flüssig¬ 
keit für eine Injektion uötliig sind — empfiehlt es sich, als Injek¬ 
tionsstelle die Seitentlieile des Abdomens zu wählen, wo das Zell¬ 
gewebe ganz besonders locker ist und die Flüssigkeit leicht auf¬ 
nehmen kann. Neben peinlicher Sauberkeit ist darauf Gewicht zu 
legen, dass sich die Nadel wirklich im subkutanen Gewebe befindet, 
weil sonst leicht Absccsse entstehen. 

19) Besprechungen. B a m li e r g e r - Kronach. 

Centralblatt für innere Medicin. 19Ö1. No. 29. 

Siegfried Rosenberg: Ueber die Beziehungen zwischen 
Galle und Hippursäurebildung im thierischen Organismus. (Aus 
dem tliierpbysiologiseheu Institut der kgl. landwirthscbaftlichen 
Hochschule zu Berlin.) 

Zimmer mann hatte kürzlich (diese Woclienschr. No. 26) 
angegeben, dass ein Individuum, in dessen Darm keine Galle ge¬ 
lange, nicht mehr im Stande sei, eingegebeue Benzoesäure in 
Hippursiiure umzusetzen. Z. schloss daraus, dass die Galle, uud 
zwar speciell deren Glykocholsäure, die einzige Quelle des zur 
Hippursäuresynthese nöthigen Glykokolls biide; vollkommene 
Acliolle eines Organismus mache diesen unfähig, aus Benzoesäure 
Hippursäure zu bilden, wie umgekehrt Hippursäurebildung eiu 
Beweis dafür sei, dass Galle in den Darm gelange. Verfasser 
prüfte die Untersuchungen Zimmcrmann’s nach an einer 


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30. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1263 


kleinen Hündin, welcher vor einigen Monaten nach partieller Re¬ 
sektion des Ductus choledochus eine Gallenblasenfistel angelegt 
war. Das Thier erhielt in zwei Versuchen Benzoesäure in der 
Nahrung. Beide Male wurde im Urin neben Benzoesäure eine 
nicht unbeträchtliche Menge Hippursäure gefunden. Verfasser 
hält demnach diu Ansicht Zimmermann’s für unrichtig. Auch 
der absolut galleufreie Organismus ist nach Rosen borg im 
Staude, aus Benzoesäure Hippursäure zu bilden. Und daraus 
muss dann wieder weiter gefolgert werden, dass nicht die Galle 
allein die Quelle für das zur Hippursäuresynthese nüthige Glyko- 
koll sein kann, sondern dass für dasselbe noch eine andere Quelle 
im Organismus vorhanden sein muss. Zinn- Berlin. 

Archiv für klinische Chirurgie. 64. Bd., 2. Heft. Berlin, 
Hirschwald, 1901. 

13) Kröülein: Totale Oberkieferresektion und Inhalations- 
narkose. 

14) J o rd a u - Heidelberg: Die operative Behandlung der 
U teruscarcinome. 

15) Schuchardt - Stettin: lieber die paravaginale Methode 
der Exstirpatio uteri und ihre Enderfolge beim Uteruskrebs. 

10) Dührssen - Berlin: Die vaginale Koeliotomie als Kon¬ 
kurrenzoperation der ventralen Koeliotomie auf Grund von 
875 Fällen. 

20) H e n 1 e-Breslau: Ueber Pneumonie und Laparotomie. 

21) Haegier- Basel: Ueber Ligatureiterungen. 

22) Franke- Braunscbweig: Ueber die Exstirpation der 
krebsigen Bauchspeicheldrüse. 

23) K e 11 i n g - Dresden: Ueber den Mechanismus der akuten 
Magendilatation. 

24) B o r c h a r d t - Posen: Zur Frage der Gastrostomie. 

25) Ahrens - Bonn: Ueber einen Fall von foetaler Inclusion 
im Mesokolon ascendens. 

27) Kröülein: Gepaarte Projektile. 

28) K o c li e r: Bericht über ein zweites Tausend Kropf- 
excisionen. 

29) C a s p e r - Berlin: Fortschritte der Nierenchirurgie (nach 
gemeinschaftlichen Untersuchungen mit P. F. Richter). 

Die Referate über vorstehende Arbeiten finden sieb in dem 
Bericht über den 30. Chirurgenkongress, No. 16—19 dieser Wochen¬ 
schrift. 

IT) Lotbeissen: Zur Technik der Nerven- und Sehnen¬ 
naht. (Chirurgische Klinik Innsbruck.) 

L. empfiehlt zum Schutze der Nahtstellen an Sehnen und 
Nerven Röhrchen aus Gelatine, die in 2 proc. Formalinlösung ge¬ 
härtet sind. Die Röhrchen, die durch trockene Hitze sterilisirbar 
sind, heilen bei aseptischem Verlaufe reaktionslos ein; durch die 
Dauer der Einwirkung des Formalius kann die Zelt ihrer Resorp¬ 
tion beliebig gewählt werden und zwar erfolgt bei einer Härtung 
von 24 Stunden die Auflösung nach 4 Wochen, bei Härtung von 
3 v 24 Stunden nach 2 Monaten u. s. w. 

18) Ehrhardt: Ueber Gallenresorption und Giftigkeit der 
Galle im Peritoneum. (Chirurgische Klinik Königsberg.) 

Bei Kaizen und Hunden wurde der Choledochus oder Hepa- 
ticusäste durchschnitten und die Galle nach Versorgung des peri¬ 
pheren Endes in’s Peritoneum geleitet; die Tliiere gingen nach 2 
bis 6 Tagen unter Ikterus, Krämpfen, Hautblutungeu zu Grunde; 
die Sektion zeigte wenig gallige Flüssigkeit im Bauchraum, den 
Ductus thoracieus mit galligem Inhalt gefüllt, das Peritoneum 
reizlos. 

E. folgert daraus, dass es eine specifische Gallenperitonitis 
nicht gibt und dass der Tod durch Vergiftung des Organismus 
durch die resorbirten Gallenbestandtboüe bedingt ist. Bei gleich¬ 
zeitiger Infektion des Bauchfells kann die Cholnemie ausbleibeu, 
da die Resorption in Folge der Entzündung des Peritoneyras ver¬ 
zögert ist. Bei Verletzungen der Gallenwege beim Menschen Ist 
die Aufsuchung und Naht der Verletzung oder wenigstens die 
Ableitung der Galle mittels Drainage augezeigt. 

19) S t e m p e 1 - Breslau: Ueber die Gefahren der Gas¬ 
heizungsanlagen. — Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der 
Haemogloblnurie. 

SL berichtet über seine eigene Krankengeschichte: es handelte 
sich um 2 heftige Attaquen von Haemogloblnurie, die akut unter 
Schüttelfrost elnsetzten und jedesmal auftraten nach länger dauern¬ 
den Operationen in einem kleinen aseptischen Operationsraum. 
Die Erkrankung war verursacht durch Eiuathmuug der Ver¬ 
brennungsprodukte eines Gasofens, der der Warmwasserbereitung 
diente; die Gasflammen brannten bei mangelhaftem Luftzutritt 
und entwickelten vorwiegend Acetylen. 

26) Franke- Braunschweig: Zur Aetiologie und Therapie 
des angeborenen Plattfusses. 

Bei einem mit Pes equinovarus der anderen Seite kombinirten 
■lugeborencu Plattfusse legte F. die Sehne des Tibinl. post, zum 
Zwecke der Verkürzung frei, fand sie iudess fest mit ihrer Scheide 
verwachsen. Die dann ungeschlossene Freilegung der Sehne des 
Tib. ant. förderte einen abnormen Ansatz auf dem Rücken des 
1. Keill>eins und des 1. Metatarsus zu Tage. Auf Grund dieses 
nicht anders als durch eine primäre Entwicklungsstörung zu deu¬ 
tenden Befundes venmithet F., dass Entwicklungsstörungen der 
Mnsculatur und wohl auch <les Knochengerüstes in der Aetiologie 
des kongenitalen Plattfusses — wahrscheinlich auch der übrigen 
Fussdeformitäten — eine bedeutende Rolle spielen, im Gegensätze 
*u der „Drucktheorie“. Die Verwachsung der Sehne des Tibial. 


post, deutet F. als die Folge einer durch Druck beim Gehen ent¬ 
standenen Sehnenscheidenentzündung: er räth desshalb zur Vor¬ 
sicht bei Anwendung von Schienen und Plattfusselnlagen beim 
kindlichen und namentlich beim angeborenen Plattfuss und em¬ 
pfiehlt dringend die Verkürzung der Sehne des Tib. post., die auch 
dann angezeigt ist, wenn eine falsche Insertion der Tib. ant.-Sebne 
vermutliet werden kann. 

30) v. H a c k e r : Zur operativen Behandlung der peri- 
oesophagealen und mediastinalen Phlegmone nebst Bemerk¬ 
ungen zur Technik der collaren und dorsalen Mediastinotomie. 

(Auszugsweise vorgetragen auf dem 30. Chirurgenkongress.) 

v. H. ist es gelungen, eine perioesopbageale und mediastinale 
Phlegmone nach Sondenperforation iin Brusttheil des Oesophagus 
durch Ineision und Drainage des Mediastinums vom Halse aus zur 
Heilung zu bringen; die Behandlung wurde Anfangs In Becken¬ 
hochlagerung durchgeführt, der Eiter mittels Heberdialnage abge¬ 
leitet; die Anlegung einer Magenfistel war vorausgesehiekt worden. 
Die Ausdehnung der Eiterliöhle im Mediastinum konnte durch 
endoskopische Untersuchung, sowie durch die Röntgenaufnahme 
festgestellt werden, letzteres nach Einführung eines dicken Drain- 
rohrs oder Füllung der Höhle mit Jodoforinglycerin. 

Die Perforation des Oesophagus konnte durch die „Commuui- 
eationsprobo“ nachgewieseu werden, nämlich durch Einführung 
eines mit 2 proc. Lösung von Ferroeyanknlium getränkten Tam¬ 
pons in die Wundhöhle und Trinken einer Lösung von Ferr. citr., 
wobei sich Berliner Blau au der Perforatiousstelle bildete. 

v. H. hält In derartigen Fällen die Eröffnung des Mediastinums 
vom Halse aus zunächst für angezeigt und will eine Gegenöffnung 
am Rücken nur dann anlegen, wenn kein deutlicher Rückgang der 
Erscheinungen eintritt. 

Bezüglich der Technik der collaren Mediastinotomie empfiehlt 
v. H. den Schnitt am Iunenrande des Sternocleidomast. und Vor¬ 
dringen zwischen Schilddrüse und grossen Gefässen. Bei Abseess- 
eröffunngen vom Rücken aus erhält man durch Resektion vou etwa 
4—0 cm langen Stücken von 3—4 Rippen und zwar von der Ge¬ 
lenkverbindung zwischen Rippe und Querfortsatz nach auswärts, 
genügend freien Zugang; heim Zurückschiehen der Pleura bis an 
die Vorderfläche der Wirbelsäule ist eine Pleuraverletzung nicht 
immer zu vermeiden. H e i n e k e - Leipzig. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 59. Bd., 5. u. 6. Heft. 
Leipzig, Vogel, 19ül. 

18) S t i e d a: Zur Geschichte der circularen Pylorektomie. 
(Chirurg. Klinik Königsberg.) 

Im Anschluss an die von R y d i g 1 e r geltend gemachten 
Prioritätsansprüche hat St. die einschlägige Literatur genau ge¬ 
prüft und kommt zu dem Schluss, dass kein Grund vorliegt, den 
Namen B i 11 r o t h vou der circulären Pylorusresektion zu trennen, 
hei aller Anerkennung von R y d 1 g i e r*s Verdiensten. 

19) Rostoschny: Zur Kasuistik der Darmausschal¬ 
tungen. (I. Chirurg. Klinik Wien.) 

34 Fälle, 18 theilweise, 16 völlige Ausschaltungen. Die häu¬ 
figste zur Operation zwingende Erkrankung war eine solche des 
Coecuihs, lui Ganzen 24. Die völlige Ausschaltung soll im All¬ 
gemeinen gemacht werden: bei nicht zu ausgedehnter Erkrankung, 
wenn dieselbe entzündlicher Natur ist, und das Befinden des 
Kranken eine längere Operation zulüsst; hei malignen Neu¬ 
bildungen soll im Allgemeinen die theilweise Ausschaltung ge¬ 
macht werden. Näheres über die sehr bemerkeuswerthen Einzel¬ 
heiten kann leider nicht angegeben werden. Die Erfolge waren im 
Allgemeinen befriedigende, zum Theil ausgezeichnete. 

20) II ü h s c li e r - Basel: Weitere Mittheilungen über die 
Perimetrie der Gelenke. 

Verfasser hat die schon vor einigen Jahren begonnenen Unter¬ 
suchungen über die Perimetrie der Gelenke weiter fortgesetzt Der 
von ihm angegebene Apparat ist ähnlich wie das Perimeter der 
Augenärzte konstruirt, die erhaltenen Bewegungsfelder werden auf 
die Gesichtsfeldschemata aufgezeichnet. Die Untersuchungen be¬ 
trafen das Handgelenk, Ellenbogengelenk (Beugung und Supi¬ 
nation), Schultergelenk (Hebung, Rotation), Fussgelenk (Beugung, 
Supination». Es ist kein Zweifel, dass derartige Untersuchungen 
für eine Reihe von Kranken von hoher Wichtigkeit sind. Ins¬ 
besondere werden sie sich hei der Untersuchung Unfallverletzter, 
zur Beurtheilung der Fortschritte in der Behandlung nützlich er¬ 
weisen. Bei Lähmungen kann man durch Aufnahme des fara- 
dischcn Erregungsfeldes genau die Betheiligung der einzelnen 
Muskeln erkennen; besonders wichtig ist das hei Untersuchung der 
paralytischen Fussdeformitäten. Auch hei der Beurtheilung des 
Plattfusses muss der Perimetrie eine Bedeutung zuerkannt werden. 

Dus Perimeter ist bei K n ö h e 1 & Laubschner iu Bas-4 
zu haben und kostet 100 M. 

21) P r e u s s - Berlin: Chirurgisches in Bibel und Talmud. 

Verfasser hat mit grossem Fleiss unter sorgfältigem Quellen¬ 
studium eine Reihe von sehr interessanten chirurgischen That- 
sachen aus Bibel und Talmud zusammengestellt. Er bhrichtet uns 
über einige Instrumente, nennt die damals bekannten Erkran¬ 
kungen und Verletzungen, analysirt u. a. den „Stieli in die Seite 
Jesu", beschreibt einige bekannte künstliche Glieder und zählt 
eine Reihe von Pilastern und sonstigen Mitteln zur Wundbehand¬ 
lung auf. In dieser lückenlosen Zusammenstellung ist wohl zum 
ersten Male eine Uebersieht über die Chirurgie des jüdischen Alter¬ 
thums gegeben worden. 


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1254 


MUENCUENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 31. 


22) Möllers: Ueber die Bedeutung von Morel-La¬ 
va 116 e's D6collement traumatique ln der Friedens- und 
Kriegschirurgie. 

In gewandter Darstellung gibt Verfasser eine gute Schilderung 
der genannten, seiner Ansieht nach noch lange nicht genug ge¬ 
würdigten Verletzung. Auch weist er auf die kriegschirurgische 
Bedeutung der Erkrankung hin. 

23) Harris und H e r z o g - Chicago: Ueber Splenektomie 
bei Splenomegalie primitive (Anaemia splenica). 

Als charakteristische Symptome der Anaemia splenica be¬ 
zeichnet Verfasser die progressive Auaemie. die Volumszunahme 
der Milz, das Fehlen einer echten leukaemiselien Blutbeschaffen- 
heit bei einer Verminderung des Haemoglobingehaltes. Die Ver¬ 
fasser haben 2 derartige Fülle mit Milzexstirpation behandelt und 
erhebliche Besserung erzielt. Die histologische Untersuchung der 
Milz ergab, dass es sich Im Wesentlichen um eine Hyperplasie der 
Endothelien handelte. Von diesen vermehrten Endothelion kann 
man annehmen. dass sie Zerstörer der rothen Blutkörperchen sind. 
Im Zusammenhang damit Hesse sich dann auch die günstige Wir¬ 
kung der Milzexstirpation erklären. 

Im Ganzen sind bisher 11) Splenektomien bei primärer Spleno¬ 
megalie ausgeführt. 14 derselben sind geheilt, 4 gestorben, in 
einem Falle ist das Resultat ungewiss. 

24) Ohl: Kasuistischer Beitrag zur Hydrocelenoperation 
nach Winkelmann. (Krankenhaus Braunschweig.) 

Verfasser empfiehlt wärmsten» die genannte Operation (Um- 
krempelung der Tuniea vaginalis propria um den vorgezogenen 
IIo<len) auf Grund von 11) günstig verlaufenen Fällen. 

25) G e I p k e: Kasuistische Mittheilungen aus dem Kanton¬ 
spital Baselland. 

1. Tetanus traumaticus. schwerer Fall, geheilt nach intra- 
cranieller und intravenöser Seruniinjektiou. im Ganzen 140 g. 

2. Temporäre Oberkiofem-scktion nach W e 1* e r wegen eines 
retromaxillaren Tumors. 

3. Ilirnabscess Im Bereich der linken (Vntralwindung. Läh¬ 
mung des rechten Armes und Epilepsie. Trepanation, Heilung. 

4. Schädelbruch. 

5. Nierenexstirjmtion wegen Tuberkulose. 

(5. Magenresektion. 

2<i) I’ayr: Ein gut funktionirender Verschlussapparat für 
den sacralen After nach Resectio rectL (Chirurg. Klinik Graz.) 

Ein Ledergurt, durch Hosenträger gehalten, umgibt die Taille. 
Von der Vorderseite dieses Gurtes zur Ilinterseite geht ein Kaut- 
schuckschlauch, auf dem an entsprechender Stelle die genau aus- 
modellirte Lederpellotte mit Gummiüberztig befestigt ist. 

Krecke. 

Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 20. 

1) A. Dührssen - Berlin: Ueber eine einfache und sichere 
Prolapsoperation. 

Es handelt sich um die bereits 1898 von D. empfohlene Vagini- 
fixatlou, die nach D.’s Ansicht nicht genügend beachtet worden isi. 
Die von anderer Seite, speeiell von Gebhardt, gegen die Opera¬ 
tion erhobenen Einwände und Bedenken weist I). zurück. Die 
Technik ist dieselbe, welche in seinem gynäkologischen Vade- 
mecum, 7. Auflage, beschrieben ist. 

2) Alfred Goenner- Basel: Experimentelle Untersuch¬ 
ungen über die Giftigkeit des Urins. 

G.’s Versuche haben bisher zu keinem abschliessenden Resul¬ 
tat geführt, so dass wir auf ein eingehendes Referat verzichten. 
Seine Versuche machte er an Kaninchen und Mäusen mit dem Urin 
normaler Schwangerer und Wöchnerinnen, sowie von Eklamp- 
tisclien. Letzterer zeigte auffallend geringe Giftigkeit, im Gegen¬ 
satz zu Schuhmacher, welcher denselben enorm giftig fand. 
G. erklärt dies aus der verschiedenen Art der Berechnung, vor 
Allein dadurch, dass S. nicht den „urotoxischen Coeticienten" be¬ 
rechnet hat, so dass die beiden Versuchsreihen sicli ohne Weiteres 
nicht vergleichen lassen. J a f f 6 - Hamburg. 

Archiv für Hygiene. 40. Bd. 3 Heft. 1 90 1 . 

1) A. Celli-Rom: Die Malariaepidemiologie nach den 
neuesten biologischen Forschungen. 

In Italien sind die schweren Tertianafor m e n die 
verbreitetsten. Leichtere Tertianaformen kommen 
mehr in nördlichen Distrikten vor. Quarta na findet sich nur 
spärlich. Ausserdem sind doppelte Malariainfektionen ziem¬ 
lich häufig, selbst dreifache nicht allzu selten. 

Es stellt fest, dass dort, wo M a 1 a r i a vorkommt, auch 
Anopheles anzutreffen. Wo letztere sich findet, braucht nicht 
nothwendlg Malaria zu sein. Die (’ ulexarten sollen, wie 
Celli behauptet, nicht an der Mnlariaverbreitung Autheil haben. 

l’eberall wo stagnirende Gewässer und Sumpf Vegetationen 
sich linden, kann Anopheles Vorkommen, mit Ausnahme von salz- 
und schwefelhaltigen Wässern. Ein Lieblingsaufenthalt für die 
Stechmückenlarven sind die Reisfelder, während gewöhn¬ 
liche Bewässerungsanlagen den anliegenden Orten nicht gefährlich 
werden können. Der vielgepriesene E ukal y p t u s und die 
Pinien sind im Sommer ausgezeichnete Aufenthalte für Ano¬ 
pheles. 

Die jährlichen Malariaepidemien sind wechselnden perio¬ 
dischen Gesetzen in den einzelnen Zonen unterworfen, die aber in 
jeder Zone konstant sind. Man kann den Typus Nordeuropas. 
Oberitaliens, Roms und der südlichen Provinzen unterscheiden. 


Wo die leichte Malaria vorherrscht, speeiell die leichte oder 
Frühllngstertiana. fängt die Epidemie früher au, und umgekehrt. 

Die Lebensgewohnheiten der Stechmücken stehen im Zu¬ 
sammenhang mit der Mahulaepidemie. 

Die Infektion der Anopheles durch Saugen an kranken Men¬ 
schen dauert während der ganzen Epidemieperiode. Die Verhält¬ 
nisse, welche sich im Winter bei den Anopheles abspielen, sind 
noch nicht ganz genau bekannt. 

2) A. Celli: Die neue Malariaprophylaxis. 

Cell i, der von der Ansicht ausging, dass eine einseitige 
Maassnahme gegen die so lange bekannte Malaria nicht zum Ziele 
führen würde, hat im Lauf der Zeit eine Reihe von prophylak¬ 
tischen Mitteln empfohlen, von denen als recht brauchbar an¬ 
erkannt werden konnten: das C hin! n und der p e r sö n 1 i c he 
Schutz gegen den Stich durch Netz«*. Alle übrigen 
eliemischen Mittel, wie Räucherungen. Anstriche mit desinfiziivn- 
den Lösungen, Besprengung mit. Terpentin, Petroleum, Säuren 
u. s. w. führten nicht zu dem gewünschten Ziele. 

Celli schreibt «lein Chinin eine bedeutsame Wirkung zu. will 
ab»*r die Dosen viel höher gogelien wissen, wie K o e h es empfiehlt, 
weil seiner Meinung nach der S«'hutz nach so geringen Dosen au« h 
zu gering sei. Des Verfassers neueste prophylak¬ 
tische Maassnahme beruht aber auf dem Schutze der P «* r- 
soiip n und «1er H ä u s e r vor den Belästigungen der Stechmücken 
durch Netze. Er hat in grossem Maassstabe Versuche äugest eilt 
aut «len berüchtigten Eisenbahnlinien Pervara und Ponte¬ 
gal er a. weiter in Latium, in der Provinz Salerno uml 
F o g g i a. welche alle zu grosser Zufriedenheit ausgefallen sind. 
Wenn daneben noch für die Desinfektion des Blutes uml 
p a s s e li d e A s s a n i r n n g s u m p f 1 g e r G e g e n «1 e n ge¬ 
sorgt wird, so kann eine allgemeine Volksprophylnxe errei«d)t 
w«*r«l«*n und «'s ist daun möglich, «lie Malaria von solchen Orten 
gänzlich auszurotteu. 

3) E. Martini: Die Süsswasserbrunnen der Helgoländer 
Düne. 

Es gibt auf der kleinen Snnddline von Helgoland 3 Brunnen, 
der Brunnen von B r e d a u auf der Nordhälfte, der Gemeinde- 
h r uüiip n und der T h a t e n’sche Brunnen auf der Südhälft«», 
welche Süss w asser enthalten. Es ist dies um so auffallender, 
als die Düne ja nur aus Saud besteht und von Meerwasser allseitig 
umspült wird. Es muss daher nng«*nommeu werden, dass das Süss- 
wasser zum allergrössten Theil N i e d e rschlags w asser ist. 
welches auf einer u n d u r c h 1 ii s s i g e n T h o n s c h i c h t stellt 
und dass diese Thonschieht muldenartig zu behlen Seiten sich er¬ 
hebt, denn sonst würde von der Seite Seewasser in die Brunnen 
hineinsickern können. 

Der G e in e i n <1 e b r u n n e n enthält kein gerade günstiges 
Trink wasser: Spuren von Ammoniak und Salpetersäure und 
reichliche Mengen Kochsalz. Dagegen liefert der Thaten'sehe 
Brunnen, ein a b e s s i n i s c h e r. für die Helgoländer Verhält¬ 
nisse ein ganz vorzügliches Wasser. Der Kochsalzgehalt 
betrügt nur «l«*n 100. Theil des Seewassers, auch ist es frei von 
Ammoniak und Salpetersäure. 

Da dies Wasser das beste auf ganz Helgoland ist, so ist man 
auch der Frage über eine event. Wasserversorgung von diesem 
Brunnen aus näher getreten. Es dürfte aber, seihst wenn ge¬ 
nügend Wasser vorhanden sein sollte und durch mehrere Brunnen 
geholten werden könnte, die ltedeutende Anlage auf der kleinen 
unsicheren Sandinsel sich nicht realislren lassen. 

R. O. N e u m a n n - Klei. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 2'J. PJOl. No. 24 u. 25. 

No. 24. 1) M. F u n k - Brüssel: Der Vaccine- und Variola- 
erregei? 

Nach den Mittheilungen des Verfassers scheint es in der That 
gelungen zu sein, den Erreger der Vaccine und Variola zu 
ermitteln. Es ist ein Parasit, der den Protozoen zuzurechuou ist 
und als S p o r i d i u m v a c c i n u 1 e bezeichnet wird. Dieser Or¬ 
ganismus findet sich in dem Saft der Variola in 2 Hauptformen: 
Einmal als Cysten, dann aber auch als freie Spore n. 

Die Untersuchung wird am besten ausgeführt im hängenden 
Bouilkmtropfen, dem % Lymphe «Hier Variolapustelsaft zugesetzt 
ist. Die Organismen sammeln sich alsdann ain Boden des Tröpf¬ 
chens. 

Da eine Reinkultur wie bei «len Bakterien nicht möglich er¬ 
scheint, so werden die Err«»ger mittels eln«*s besonderen Verfahrens 
angereiehert und zur Infektion b«»nutzt. Es gelang heim Kall) «li' 1 
charakteristisch«»!! Pusteln und an«»h Immunität zu er¬ 
zeugen. 

Wrfasser hält V a r I o 1 a und V a e c i n e für identische Affek- 
t Ionen. 

2) M. Braun: Zur Revision der Trematoden der Vögel II. 

Arbeit rein systematischen Inhalts. 

No. 25. 1) W. Rull m nnn - Münch«*n: Ueber einen in Erde 
und Fehlboden vorkommenden sporenbildenden Bacillus. 

Der l)«'schrlcl«ene Organismus ähnelt dem Typhus in man- 
«•her morphologischen und biologischen Eigenschaft, ist aber grund¬ 
verschieden «lurch die sehr realst e n t e n 8 p o r e n. Er winl 
mit «lern Namen Bacillus terrestris sporigenes be¬ 
nannt. 

2) L o m m e 1 - Giessen: Eine aus Darminhalt gezüchtete 
Hefeart. 


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30. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


3) Ar. Cache-Warschau: De la culture du bacille de diph- 
th^rie croissant en Als ramiflfis. 

Verfasser beobachtete ausserordentlich lange Fadenb 11- 
(1 u n g mit echter V e r z weis: u n g. 

4t A. K ra u sz- Ofen-Pest: Ueber eine bisher nicht bs- 
schriebene Hühnerepizootie. 

In einem Hühnerhofe brach eine eigcnthümliche Hülmerkrank- 
heit aus. die durch iinportirte italienische Hühner eingeschleppt 
worden war. 

Die Hühner wurden plötzlich soumolent. blieben auf einem 
Flatz stehen ohne sich zu bewegen. Dann bildete sicli unter den 
Augen ein Oedem, die Augen secernirten eine eitrig-gelbe Flüssig¬ 
keit. alsdnun bekamen die Hühner Krampfanfälle, das Gefieder 
wurde aufgobraust und in 10—15 Minuten verstürben sie. 

Der pathologische Befund ist nicht besonders hervortretend; 
übei-all. besonders im Gehirn, starke Hyjieraeniie. 

Aus dem Blut und in den Kulturen konnten nur w e 18 s e 
Staphylococceu gesehen und gezüchtet werden. 

Die Impfung mit diesen Organismen bei gesunden Hühnern 
war aber erfolglos. Auch durch Verfütterung gelang die Infektion 
nicht. 

Die Bekämpfung der Seuche wurde durch Desinfektion der 
Ställe und Käfige leicht und bald erreicht. 

5) v. Din stow: Taenia asiatica, eine neue Taenie des 
Menschen. 

Die Taenia stammt aus Ascliabad im asiatischen Russ¬ 
land (Nordgrenze von Persien) und hat nur in einem Exemplar 
dem Verf. zur Verfügung gestanden. Sie ist 29.8 cm lang. Mit 
den bis jetzt bekannten acht verschiedenen Taenien, die beim 
Menschen Vorkommen, ist sie nicht identisch. 

Co Ferrui und Cano Brusco: Versuche zur Malaria¬ 
prophylaxis. 

Es wurden Kopfbedeckungen aus Leder angefertigt, an denen 
vor dein Gestellt und hinter dem Nacken Drahtgitter mit. feinen 
Maschen befestigt waren. I 

Zum Versuch verwandten die Verfasser 10 Leute, von denen j 
8 mit Kapuzen geschützt wurden, 8 dagegen ungeschützt blieben, j 
Der Versuch wurde ln einer gefürchteten Malariagegend, in Le 1 
C a nnet e ausgeführt, wobei die Leute 8 Tage lang Nachts dort 
zubringen mussten. 

Von den Geschützten wurde Niemand krank, während von 
deu nicht Geschützten 5 vom Wechsellieber befallen wurden. 

7) T. Oshida: Eine neue Methode zur Einimpfung de3 
Hundswuthgiftes und zum Herausnehmen des Rückenmarks. 

Bisher musste das Kaninchen, um mit Wuthgift inücirt zu 
werden, trepanirt werden, andererseits musste man. um das 
Rückenmark zu erhalten, den ganzen Wirbelkanal aufmeisseln. 

Oshida verbesserte diese Methoden insofern, als er das 
Wuthgift durch das Fora m o u o p t i e u m mittels F r a v a z’- 
sclier Spritze injizirte und das Rückenmark ln der Weise heraus 
Itekam. dass er das Rückgrat vom Hals Dis zur Lendeugegend 
durchtrennte und das Rückenmark mittels eines Stabes heraus■ 
presste. 

Er empfiehlt seine Methoden, weil sie sichtliche Vortheile 
bieten. , 

8) E. Iv 1 e i n - London: Zur Kenntniss und Differentialdia¬ 
gnose einiger Anaerobien. 

Verfasser bespricht die differentlaldiagnostlschen Merkmale 
vou Bacillus b u t y r i c u s, Bacillus e u t c r i t i d i s 
s I» o r o g e n e s. Bacillus c a d n v c r i s s p o r o g e n e s und 
einem vierten Organismus, den er Bacillus m u e o s u s nennt. 

Letzterer Name ist aber bereits vergeben für einen von Z 1 m - 
nn-rmanu aus schleimigem Wasser isolirten Bacillus. Klein 
isi also genöthigt, seinen Organismus umzutaufen! lief. 

th P ra u n - Luxemburg: Einfacher Apparat zur Entnahme 
von Wasserproben aus grösseren Tiefen. 

R. O. Neu in ann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 29. 

1) W. N a g e 1 - Berlin: Zur Entwicklung und Perforation 
des nachfolgenden Kopfes. 

Bei einer 32 jährigen I. Para fand Verfasser eine Verengerung 
im geraden Durchmesser des Beckeneingangs, das Kind in erster 
Schädel In ge mit nach links abgewichenem Kopf. Das Kind war 
M Beginn der Operation bereits abgestorben. N. wendete auf «ID* 
Küsse, der Kopf trat aber gar nicht, in's Becken ein, so dass die 
Perforation des Kopfes äusserst schwierig schien. Nun liess N. 
das Kind an den beiden Füssen und mit nach vom gerichtetem 
Bauch stark nach vorn gegen den Bauch der Mutter heben, worauf 
es ohne zu grosse Schwierigkeit gelang, die Perforation des Kopfes 
am Hinterhaupt zu machen und die Extraktion zu bewerkstelligen. 
Das lieben des kindlichen Rumpfes gegen den Bauch der Mutter 
hat sich also in diesem Falle sehr gut bewährt, so dass der Hand¬ 
griff fiir ähnliche Lagen Empfehlung verdient Verf. geht noch 
auf die Geschichte dieses und ähnlicher Handgriffe ein. 

2i P. Kehre- Berlin: Beitrag zur Lehre über die Tabes bei 
den Weibern. (Schluss folgt.) 

3) M. H n li n - München: Ueber einige Beobachtungen bei der 
diesjährigen Pestepidemie in Bombay. 

f'fr. Referat png. 1155 der Müncli. med. Wochenschr. 1901. 

4» H. Hirschfeld - Berlin : Ueber Veränderungen der 
multinucleären Leukocyten bei einigen Infektionskrankheiten. 

Dieselben bestehen nach Verf. darin, dass die neutrophilen 
Granulationen bei einigen Infektionskrankheiten eine Aeuderung 


1255 


der Färbbarkeit ln der Richtung erleiden, dass sie sich lm Gegen¬ 
satz zu dem hei Gesunden vorhandenen Verhältnlss mit Methylen¬ 
blau deutlich blau färben. Verf. fand dieses Verhalten fast kon¬ 
stant bei Pneumonien, Masern mit Bronchitis, bei Scarlatina, bei 
hoch fiebernden Phthisen. Die Veränderungen beginnen meist auf 
der Höhe des Fiebers. Ferner fand Autor bei Methylenblau- und 
Methylenblnu-Kosiufärbuug im Protoplasma der neutrophilen 
Leukocyten meist am Rand der Zelle, aber auch In der Mitte der¬ 
selben ein oder mehrere kugelrunde bis länglich-elliptische Körper¬ 
chen, deren Natur vorläufig noch nicht aufgeklärt ist. 

G r n s s m a n n - München. 

Deutsche medieinische Wochenschrift. 1901. No. 29. 

1» E. v. L e y d e n - Berlin: Ein gehellter Fall von Tetanus. 

Demonstration, gehalten in der Sitzung des Vereins für innere 
Medicin In Berlin am 17. Juni 1901. Referat siehe diese Wochen¬ 
schrift No. 20, pag. 1075. 

2» Her hold: Vier Fälle von Tetanus. 

Krankengeschichte von 4 im Feldlazaretli IV in China be¬ 
obachteten Fällen, HÜiumtlich mit letalem Ausgang. 

3) Klein e-Berlin: Ueber die Berliner Pockenerkrankungen. 

Aus dem Verlauf der im Mai-Juni dieses Jahres in Berlin be- • 

obaehteten kleinen Poekenepldemie ergibt sich, dass blosse Iso- 
liruug der Krankt n und eine Vaccination der tingeimpften Personen 
der nächsten Umgehung nicht genügt. Nur durch die Impfung 
bezw. Revacclnation sämmtlicher Personen der betroffenen Häuser, 
sowie aller mit dem Kranken in Berührung gekommenen, ohne 
Ausnahme, ist die Garantie einer völligen Beseitigung der Infek¬ 
tionsgefahr gegeben. 

4) A. II I p p i u s - Moskau: Ein Apparat zum Pasteurisiren 
der Milch im Hause. 

5) W a l rl e y e r: Topographie des Gehirns. 

Schluss des Artikels aus No. 20, 27 und 28. Siehe das Referat 
über den internationalen metliclnisclien Kongress in Paris Im 
Jahre 1900. 

Oi Justin d e L i 11 e und Ix>u!s J u 11 i e n: Ein neuer Syphilis¬ 
bacillus. 

In der Aendende de MMeeine ln Paris berichteten die Autoren 
im 2. Juli 1901 über die Entdeckung eines neuen Syphilisbacillus. 
Derselbe ist. polymorph, bald kurz, bald fadenförmig, mit abge¬ 
rundeten Extremitäten, ohne kolblge Anschwellung und besitzt 
Eigenbewegung. Er entfärbt sieh nicht liei Anwendung der 
Gram’sehen Methode und lässt sich am besten mit Osmhuusäure 
tixiron. 

Folgende Schlussfolgerungen werden aufgestellt: 

1. Der Bacillus ist nachweisbar bei allen Syphilitikern im flo- 
riden Stadium. 

2. Die Agglutinationsreaktion fällt beim Kranken stets positiv, 
beim Nichtluetiker negativ aus. 

3. Die am Thiere nach der Einimpfung beobachteten Sym¬ 
ptome sind den beim Menschen konstatirten vergleichbar. 

4. Den Bacillus fixirt das Alcxin der mit syphilitischen Pro¬ 
dukten gehupften Thiere. 

5. Seine Einimpfung bleibt bei bereits luetisch intizirten In¬ 
dividuen erfolglos. 

0». Beim Menschen wie beim Thiere verschwindet der Bacillus 
mit dem Tode. F. Lacher- München. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 29. 1) A. S t r u be 11: Ueber den Einfluss der Nahrung 

auf den zeitlichen Verlauf der experimentellen Uraemie nebst 
einigen Bemerkungen über die Ernährungstherapie beim 
Menschen. 

Verf. hat Kaninchen die Nieren exstlrplrt und konnte vor 
Allem im Gegensatz zu anderen Autoren feststellon. dass die 
Uraemie am Tldere nicht unter dem Bilde einer Narkose verläuft, 
sondern sehr oft von heftigen Krämpfen begleitet ist. Die Ver¬ 
suche an 18 Hunden ergaben das Resultat, dass die Nahrung einen 
Einfluss auf den zeitlichen Verlauf der Uraemie heim Hunde in 
dem Sinne ausübt, dass reichlieh mit Kohlehydraten gefütterte 
Thiere länger leben als solche, die mit Ehvelss oder Fett oder un¬ 
genügend oiler gar nicht genährt wurden. Die Uraemie des Hundes 
scheint in ihrem Wesen von der des Menschen nicht verschieden 
zu sein, so dass sich für die Therapie der Rath ergibt, bei drohender 
Uraemie. aber auch sonst bei akuter oder chronischer Nephritis 
eine reine Kohlehydrat- oder wenigstens vegetabilische Kost von 
Zeit zu Zeit, etwa ein- bis zweimal im Jahre durchzuführen. Die 
Kost hätte also einer umgekehrten Diabeteskost zu entsprechen. 

2) R. Kraus-Wien: Ueber diagnostische Verwerthbarkeit 
der specifischen Niederschläge. 

Letztere haben nach den Ausführungen des Verf. die nämlich > 
diagnostische Bedeutung wie die Agglutination seihst. Das homo¬ 
loge ngghitinircmle Koiiserum gibt mit Filtraten des zugehörigen 
Kolistammes speeifische Niederschläge. Das agglutinirendc Cholera- 
scrum, welches typische Niederschläge in Choleratiltraten zu er¬ 
zeugen vermag, gibt mit Filtraten von Vibrionen, die von Cholera- 
seruni nicht agglminirt werden, keine Niederschläge. Die weiteren 
Elnzolnheiten müssen im Original elngeselien werden. 

3» 8. .T e 11 i n e k - Wien: Blitzschlag und elektrische Hoch¬ 
spannung. 


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1256 


MUEN CHEN ER MEDICIN1SCIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


Verf. berichtet eingehend Uber die an 10 Menschen und 
2 Thieren, welche vom Blitz getroffen worden waren, gemachten 
Beobachtungen. Die mltgetheilten Befunde sind begleitet von 
Skizzen der Hautveriinderungen, welche au den Blitzgetroffenen 
zur Erscheinung gelangen. Die Brandwunden der Haut, hervor¬ 
gerufen durch Blitzschlag, sowie hochgespannte technische Elek¬ 
trizität, werden nach den Darlegungen des Verf. nicht allein durch 
Flammenwirkung erzeugt, sondern auch, und manchmal sogar 
allein, durch elektrische Durchleitung des Gewebes bei grossem 
inneren Widerstande. Bei den Kaninchen, welche J. mit Hilfe 
starker Ströme unter Beobachtung eigener Kautclen tödtete, fanden 
sich, wie auch schon K r a 11 e r angab, hauptsächlich nur die 
Zeichen des Erstickungstodes. Die sogen. Blitztigureu an der Haut 
stellen nach J. theils ein Erythem, theils eine Extravasation in die 
Haut dar. Für die Wirkung der elektrischen Ströme ist nicht die 
Spannung allein, sondern besonders die Stromstärke ausschlag¬ 
gebend, vor Allem eben die Art und Weise, wie dem Strom Zu¬ 
tritt zum Körper verschafft wird, was sich ja schon eklatant bei 
den missglückten Hinrichtungsversuchen in Amerika erwiesen hat. 

Grassmann - München. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 27 u. 28. J. C s 6 r 1 - Ofen-Pest: Der gegenwärtige Stand 
der Enteroptosefrage. 

Nach einer kurzen Uebersicht bestätigt C. seinerseits die 
Häufigkeit des Stille r'sehen Costalzeichens und betont, dass 
nach seiner Beobachtung bei Enteroptose die Lenden Wirbelsäule 
zumeist eine auffallende lordotische Krümmung aufweist. Da¬ 
durch wird die Körperhaltung nach vorne übergebeugt, die Schwer¬ 
linie vor die Hiiftachse projielrt, das intraabdominale Druckgleich¬ 
gewicht gestört. Mit Rücksicht ferner auf das graeile Skelett, den 
langen Thorax solcher Individuen kommt C. zu dem Schluss, 
„dass die enteroptotische Neurasthenie sich vorzugsweise in einer 
eigenthiimlicheu pathologischen Anlage des Knocheusystems 
manifest! rt“, 

No. 27 u. 28. E. Mandl-Wien: Ein Fall von Gangraen 
der beiden unteren Extremitäten im Wochenbett- 

Einschlägige Fälle sind noch sehr wenige beschrieben und 
finden in den Lehrbüchern kaum Erwähnung. Verfasser berichtet 
über einen solchen, wo eine 23 jühr. kräftige Frau bei der spontan 
verlaufenen ersten Geburt einen eompleten Dammriss erlitt und 
sich ein kleines puerperales Geschwür zeigte. Am 7. Tage er¬ 
krankte sie an linksseitiger, am 11. an rechtsseitiger Thrombo¬ 
phlebitis. Vom 13. an zeigten sich beiderseits an den Beinen 
Zeichen von Gangraen, welche sich links auf einige oberflächliche 
Stellen beschränkte, rechts dagegen nach 2 y 2 Monaten die Ampu¬ 
tation über dem Knie erforderlich machte. Alle Venen und 
Arterien erwiesen sich auf der Wundfläche völlig verstopft. Die 
Aetiologie ist durchaus nicht aufgeklärt. Möglicher Weise liegen 
in solchen Fällen öfters die ersten Anfänge und Ursachen in der 
Zeit der Gravidität, wie es bisweilen auch schon während der¬ 
selben zu Gangraen gekommen ist. Kurz sei noch erwähnt, dass 
derartige unglückselige Vorkommnisse wiederholt den Arzt unver¬ 
dienter Weise vor Gericht gebracht haben. 

No. 27 u. 28. A. S c h e n k - Wien-Kolberg: Die Therapie der 
Lungentuberkulose mittels Stauungshyperaemie. 

Verfassers Verfahren besteht zunächst in der auch von 
Anderen geübten Schräglagerung des Patienten mit Tiefstellung 
des Kopfes und Rumpfes und Elevation der Beine. Ausserdem 
wird um den Thorax eine Art Jacke angelegt, die aus Gummi¬ 
schläuchen zusammengesetzt ist (nach Art der L e i t e r’sclien 
Röhren), durch die mau warmes Wasser von 45° C. und mehr 
strömen lässt, während der übrige Körper unter ganz leichter Be¬ 
deckung und durch öftere Abwaschungen kühl erhalten wird. Be¬ 
sonders gerühmt wird das grosse subjektive Wohlbefinden und die 
lebhafte Steigerung der Expectoratiou bei dieser Procedur. Event, 
werden noch weitere mehr oder weniger energische hydrothera¬ 
peutische Maassnahmen eingeschaltet. Daneben lässt man den 
Patienten die übrigen bewährten Heilfaktoreu. ausgiebige Er¬ 
nährung, Freiluftlage, aber nur bei trockenem Wetter etc. zu Theil 
werden. 

Wiener medicinische Presse. 

No. 24—26. R. P o 1 a c c o - Mailand: Diagnostische und 
therapeutische Versuche über den Abdominaltyphus. 

• Durch die hohe Sterblichkeit (etwa 22 Proc., darunter fast die 
Hälfte Personen unter 20 Jahren), welche er in früheren Epidemien 
bei symptomatischer und Chiuinbehandlung erleid hat, wurde P, 
veranlasst, sich einer veränderten Behandluugsweise zuzuwenden. 
Nach einigen anfänglichen Kalomeldosen wird regelmässig Ichtlr*- 
form, bis zu 3 g täglich bei Kindern, 5—6 g bei Erwachsenen dar¬ 
gereicht, die Gaben werden erst mehrere Tage nach der Ent¬ 
fieberung langsam vermindert. Bei den schweren Fällen bei 
längerem Fortbestand hoher Temperaturen und Betheiligung der 
Lunge treten Ichthyolbäder hinzu: 00 g Ammon, sulfoichthyol. pro 
Bad. Abkühlung auf 24“ R„ 10—15 Minuten Dauer, im Ganzen 
2—0 Bäder mit 1 bis 2 tägigen Pausen. P. ist mit den Erfolgen 
sehr zufrieden, er berechnet für 37 Fälle eine Mortalität von 
5.4 Proc. In dem lelithoform sieht er das wirksamste Darmanti- 
septicum. seine Anwendung reduzirt den Meteorismus, verhindert 
das Auftreten von Delirien und Sopor. Die Bäder setzen die Tem¬ 
peratur energisch, bis zu 2", herab, vermindern Pulsfrequenz und 


Blutdruck, ebenso die Athemfrequenz, zeigen beruhigende schlaf¬ 
bringende Wirkung. Alles in Allem gibt P. dieser Behandlungs¬ 
weise entschieden den Vorzug vor der „veralteten“ sym¬ 
ptomatischen Therapie. 

No 20. L. Kleinwächter: Einige Worte über eine sehr 
selten zu beobachtende krankhafte Komplikation der Gravidität. 

lieber das Entstehen einer Para- und Perimetritis während 
einer Gravidität und dem Einfluss derselben auf den Ablauf der 
Schwangerschaft scheinen noch gar keine Beobachtungen vorzu¬ 
liegen. K. kam in die Lage, neben einer Gravidität des 3. bis 
4. Monats eine ziemlich ausgedehnte Parametritis und Perimetritis 
zu diagnosticiren, die von heftigen Metrorrhagien und wehen¬ 
artigen Schmerzen und geringen Teinperatursteigerungen begleitet 
war. Unter rein symptomatischer Behandlung, wobei Viburu. 
prunifolluu) zur Beseitigung der vorzeitigen Welienthätigkeit 
günstig wirkte, schwanden die Beschwerden und die objektiven 
Erscheinungen. Geburt und Puerperium verliefen später in jeder 
Hinsicht normal. Die Aetiologie des Falles blieb unklar. 

Prager medicinische Wochenschrift. 

No. 27—29. /-R. Hammerschlag - Schlan: Ueber die 
Therapie der Lymphadenitis tuberculosa. 

H. berichtet über die günstigen Erfahrungen, die er bei nicht 
vereiterten tuberkulösen Lymphomen der Halsregion mit Jodo- 
formglycerinlnjoktionen in die Rlndenscldclit der Drüse gemacht 
hat, und gibt für die Ausführung derselben in’s Einzelne gehende 
Vorschriften. Mit durchschnittlich 6, in längeren Zwischenräumen 
vorgenommoueu Injektionen hat er oftmals selbst beträchtliche 
Schwellungen zum Schwinden gebracht. Das ungefährliche Ver¬ 
fahren kommt vor Allem da in Betracht, wo eine Operation nicht 
zugegeben wird, hat aber auch eine Berechtigung darin, dass die 
blutige Exstirpation doch nicht ohne Gefahren ist. unschöne Nar- 
beu zurücklässt und in der Erwägung, dass bei Erkrankung der 
Cervicaldrüsen fast durchgeheiuls auch die Bronchial- oder Mesen¬ 
terialdrüsen afflzirt sind, welche sich doch einer radikalen Thera¬ 
pie entziehen. Bergeat - München. 

Englische Literatur. 

Thomas D. Sa v 111: Akroparaesthesie, Erythromelalgie, 
Sklerodaktylie und andere angioneurotische Störungen. (Lancet, 
1. Juni.) 

Im Anschluss an eine Reihe interessanter Krankengeschichten 
sucht Verfasser eine Art von Klassifizirung für die verschiedenen, 
in der Ueberschriflt genannten Störungen aufzustellen und ihre Be¬ 
ziehungen zur R a y n a u d'schen Krankheit nachzuweisen. Er 
theflt die vasomotorischen Störungen ein in: 1. vasodilatatorische. 
a) Frühstadium (verläuft chronisch), Anfälle von Röthung mit 
brennenden und zuckenden Paraestheslen, kongestive Akropar¬ 
aesthesie. b) Spätstadium (verläuft ebenfalls chronisch), es ge¬ 
sellt sich eine nach und nach dauernd werdende Schwellung hinzu, 
Erythromelalgie. Wird der Process akut, so tritt gewöhnlich 
feuchte Gangraen ein, eongestive Form der Itaynau d'schen 
Krankheit. 2. Vasoconstrictorisclie Formen, al Frühstadium (vou 
chronischem Verlauf). Anfälle vou Blässe und Blutleere der 
Hände, verbunden mit Ameisenkriechen, Frickeln, Gefühl vou Ab- 
gestorbeusein; ischaeinisehe Akroparaesthesie. b) Spütstadium 
ebenfalls chronisch), manchmal gesellt sich Verdickung der Haut 
und des Unterhautzollgewebes hinzu (Sklerodaktylie). Werden 
diese Formen akut, so gehen sie in die synkopische Form der 
lt a y n a u d'schen Krankheit über. Alle diese Formen kommen 
in etwa 90 Proc. der Fälle bei Frauen vor und zwar meist im 
Pubertütsalter und dann im Klimakterium, sie sind häufig mit 
Migräne und anderen vasomotorischen Störungen vergesellschaftet. 
Namentlich die vasodilatatorischen Formen sind der Behandlung 
mit Brompräparaten sehr zugänglich, auch der konstante Strom 
bringt, wenn er lange Zeit hindurch angewendet wird, oft Nutzen. 

William Hunter und A. W. Nuttall: Die Bacteriologie 
der sporadischen Cerebrospinalmeningitis, (lbid.) 

Die Verfasser haben 10 Fälle bacteriologisch untersucht und 
zwar wurde bei 9 Fällen noch während des Lebens die durch Lum¬ 
balpunktion gewonnene Flüssigkeit untersucht, ln allen lü Fällen 
fand sich ein Diplococcus, der morphologisch und biologisch durch¬ 
aus dem Weichsel bau m’sclien Diplococcus intracellularis 
menlngitidis glich; zuweilen fand sich der Diplococcus in Rein¬ 
kultur vor, während er in anderen Fällen mit Influenza oder 
Tuberkelbacillen vergesellschaftet war. Klinisch und pathologisch 
bietet die sporadische Cerebrospinalmeningitis durchaus das Bild 
der sog. „hinteren Basilarmeningitis“, und cs scheint ziemlich fest 
zu stehen, dass beide Krankheiten als eine einzige aufzufassen siud 
und dass sie durch den Diplococcus Weichselbaum bedingt 
werden. 

A. B reue r: Die operative Behandlung des Comealastigma- 
tismus. (Ibid.) 

Verfasser empfiehlt zur Behandlung namentlich des liyper- 
metropischen Astigmatismus warm punktförmige Galvanokaustik 
der Cornea. Die erzielten, durch Zeichnungen illustrirten Resul¬ 
tate müssen im Originale nachgelesen werden. 

E. Klein: Ueber die agglutinirende Wirkung des Pest¬ 
blutes. (Ibid.) 

Verf. fand, dass frische Gelatinekulturen des Pestbacillus eine 
gute Salzemulsion geben, an welcher mit Leichtigkeit ein Agglu- 
tiniren mit dem Blute von früher pestkranken Ratten uachgewiesen 
werden kann. Ferner stellte er bei Meerschweinen folgenden Zu- 


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30. Juli 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1257 


stand her: Zuerst lnjlzirte er den Thleren bei 70° C. 10 Minuten 
laug sterilisirte Agnrkulturen des Pestbacillus; spilter injl/.irte er 
lebende Pestkulturen, die bei den Thleren Krankheit und Bubonen 
hervorriefen, sie aller nicht tödteten. Das Blut der so vorberei¬ 
teten Thlere zeigte nach 14 Tagen agglutiniremle Wirkung auf 
Pestbacillen der verschiedensten Herkunft. Mit keinem anderen 
Blute und mit keinen anderen Bacterien konnte Agglutination her- 
vorgorufen werden, so dass Klein das Verfahren zu diagnostischen 
Zwecken empfiehlt. 

D. Louis Claims: Die agglutinirende Eigenschaft des 
Blutserums bei Pest. (Ibid., 22. Juni 1001.) 

Die Reaktion ist von grosser Wichtigkeit, da es im Beginn 
der Krankheit oder bei milden Füllen oft sehr schwer ist, Pest¬ 
bacillen durch Punktion eines vielleicht tief liegenden, kleinen 
Bubos zu gewinnen: ebenso sind die Bacillen schwer zu erhalten, 
sobald der Bubo einschmilzt. Die agglutinirende Wirkung dos 
Blutes jedoch nimmt mit dem weiteren Verlaufe der Krankheit 
rapid zu und gibt positive Resultate, auch daun noch, wenn Ab- 
inipfunsreu aus den Bubonen steril bleiben. Den Höhepunkt er¬ 
reicht die Agglutinationsfilhigkeit etwa in der 0.—7. Woche, doch 
erhält sie sich in allmählich vermindertem Maassc bis in (len 
f». Monat. Die genau beschriebenen Beobachtungen und TTnter- 
»uchuugsmethodeu des Verfassers studirte er während der jüngsten 
Epidemie ln Glasgow. 

Robert H utchlnson: Zuckerfreie Milch als Nahrung für 
Diabetiker. (Ibid.) 

Die vom Verf. angegebene Milch kann in steriler Form von 
Clay. Paget & Co., 23 Ebury Street. London SW. bezogen werden 
und wird vom Verf. sowohl in der Spital- wie in der Privatpraxis 
sehr viel und mit grossem Nutzen angewendet. Die Milch schmeckt 
fast wie fette, normale Milch und kann rein oder mit Mineral¬ 
wasser getrunken werden; natürlich kann und soll sie auch zum 
Kaffee. Theo. Kakao und zum Bereiten von Puddingen verwendet 
werden. Bei einem Konsum von etwa 2 Litern werden 990 Calorlen 
gebildet. Verfassers Speisezettel bei strenger Diät ist folgender: 
Zum Frühstück Speck, Rührei mit viel Butter. Fisch und Butter¬ 
sauce oder kaltes Fleisch, geröstetes Protenbrot, Milchkaffee. Zum 
Mittag dünne Suppe, fetter Fisch mit Butter. Fleisch und Gemüse 
mit Buttersauce, Cröme aus Eiern und zuckerfreier Milch, Käse 
mit Protenbrot und Wasserkresse. Als Getränk Whisky und 
Wasser oder ein „trockener“ Wein. Zum Abend Bouillon. Eier 
(am (testen als Omelette mit viel Butter). Fisch, kaltes Fleisch, 
Protenbrot, Käse und Salat, der mit viel Oel angemacht ist. Als 
Getränk zuckerfreie Milch, die auch zwischen den Mahlzeiten ge¬ 
trunken wird, bis 2 Liter am Tage verbraucht sind. 

A. E. Porter: Der Werth der Antitoxinbehandlung in der 
Prophylaxe der Diphtherie. (Ibid.) 

Der Gesundheitsrath von Chelmsford und Maldon hat seit 
einiger Zeit l>eschlossen. den Aerzten des Distriktes eine Gratifi- 
cation zu zahlen für jeden Fall von Schutzimpfung gegen Diph¬ 
therie, den sie im Hause einer von Diphtherie befallenen Person 
an der Umgebung derselben vornehmen, nur muss der Gesundheits- 
iK-amfe vorher davon benachrichtigt werden. Seit dieser Bekannt¬ 
machung wurden die praeventiven Impfungen an 130 Personen 
in 24 Familien vorgenommen und es folgte in keinem Falle eine 
weitere Infektion. Von 24 Familien mit einer ungefähr gleich 
grossen Zahl von Mitgliedern erkrankten vor der Einführung der 
Schutzimpfung '/* der Mitglieder, wie Verf. durch übersichtliche 
Tabellen nachweist. Verf. verwendet zur Schutzimpfung 500 Ein¬ 
heiten eines hochkonzentrirten Serums (1 ccm) und hat keinerlei 
üble Nebenwirkungen erlebt. 

David N e w m a u und Henry Rutherfurd: Zwei Palle 
von Luxation der Patella nach oben resp. unten. (Ibid., 22. Juni 
1901.) 

Diese Formen der Luxation scheinen überaus selten zu sein 
und werden sie in deu Lehrbüchern nicht beschrieben sein. Sie 
können wahrscheinlich nur entstellen, wenn die Kniescheibe von 
einem heftigen Schlage in vertikaler Richtung entweder aufwärts 
oder abwärts getroffen wird. In beiden Fällen betraf die Ver¬ 
letzung Junge Männer. Bei der Luxation nach oben gelang es 
leicht, die Patella in Narkose zu reponiren. Im zweiten Falle ge¬ 
lang die genaue Diagnose uur mit Hilfe der Skiagraphie und die 
Reduktion nur auf blutigem Wege nach Eröffnung des Gelenkes. 
Es konnte dabei festgestellt werden, dass die Quadricepssehue, ob¬ 
wohl stark ekehymosirt, doch unzerrissen war. Dies macht den 
Fall zu einem sehr seltenen, da in den Lehrbüchern die Luxationen 
nach oben und unten gar nicht erwähnt oder ausgeschlossen wer¬ 
den. da sie nur sekundär in Folge der Zerreissung des Sehnen- 
apparates zu Stande kommen. Dies ist aber, wie Verfassers Fall 
selgt. durchaus nicht nöthlg. Beide Fälle wurden mit gut beweg¬ 
lichem Knie entlassen. 

G. M e r v e i 11 e u x: TJeber die Anwendung des Yersin’- 
•eben Pestsernms in Bäunion. (Brlt. Med. Journ., 22. Juni 1901.) 

Ende November 1900 brach unter den Ratten ln Rßuuion eine 
grosse Sterblichkeit aus, am 1. Dezember erkrankte der erste 
Mensch an sicher festgestellter Pest. Am 13. Februar wurde der 
letzte Pest fall gemeldet, am 20. Februar starb der letzte. Im 
Ganzen erkrankten G7 Personen, davon 53 im Hafen. Von diesen 
53 Formen zeigten 35 die bubonische Form, G die pneumonische 
Form und bei 4 traten Bubonen und Lungenerscheinuugen zu¬ 
sammen auf. Die Gesammtsterblichkeit betrug 71,69 Proc. 15 der 
53 Fälle wurden mit Ye r s 1 n’schem Serum behandelt (subkutan 
nnd intravenös), 9 genasen, 6 starben; die Sterblichkeit der spe- 
zlflich Behandelten betrug 40 Proc. gegenüber 84,21 Proc. der nicht 


Behandelten, dabei ist noch zu bemerken, dass eine Anzahl von 
Fällen zu spät der spezifischem Behandlung unterworfen wurden. 
Merveilleux hält die günstige Wirkung der Serumbehandlung 
für sicher erwiesen. 

David Drummond: Ein Fall von prolongirtem Stupor 
oder von Katalepsie. (Nortliumberl. and Durham Med. Journ., 
Januar 1901.) 

Ein 20 Jähriger Kaufmann wurde mit folgender Anamnese in 
das Hospital aufgenommen; Schon während der vergangenen zwei 
Jahre war der Kranke allmählich immer reservirter und schweig¬ 
samer geworden, vor 7 Wochen hatte er plötzlich sein** Beschäf¬ 
tigung aufgcgelten und sich nur noch mit Bibellesen beschäftig», 
bald darauf verweigerte er die Nahrung und verliess das Bett 
nicht mehr. Ende März 1900 verfiel er lu den jetzt bestehenden 
stilporösen Zustand. Der Grossvater starb im Irrenhaus, ein 
Bruder durch Selbstmord. Der sehr abgemagerte, nnnemische 
Kranke lag mit offenen, gleichsam in die Ferne blickenden Augen 
da und nahm keinerlei Notiz von der Umgebung. Die Glieder 
waren kalt uml schlaff und boten Beweguiigsversuchen keluerlel 
Widerstand dar. Olierflilchliche und tiefe Reflexe waren kaum 
wahrnehmbar; cs bestand Inkontinenz der Blase und des Darmes 
und grosse Neigung zur Bildung von Dekubitalgesehwüreii. Der 
Puls betrug 100, die Temperatur war normal; selbst der stärkste 
faradische Strom der im Krankenhause vorhandenen Batterien er¬ 
regte keine Zuckung beim Patienten, der monatelang völlig tliuil- 
nalimslos dalag. Es gelang, Nahrung in den Mund zu bringen, 
die reflektorisch geschluckt wurde. Nach 7 Monat** dauerndem 
Kranksein begannen sich die ersten Zeichen von Besserung be¬ 
merkbar zu machen und jetzt ist er auf bestem Wege, gesund zu 
werdeu. 

Geo. H. S a v a g e: Der Gebrauch und der Missbrauch des 
Belsens bei der Behandlung Geisteskranker. (Journal of Mental 
Science, April 15)01.) 

Verfasser spricht zuerst davon, dass viele Geisteskranke auf 
Reisen geschickt werden, damit der Arzt oder die Umgebung des 
Kranken ein Zeit lang Ruhe hat, ferner wird viel gesündigt 
ln dem Bestreben, deu Kranken womöglich vor dem Irrenhaust* 
zu bewahren und gnnz besonders vor den legalen Umstündlieh- 
keitou, die in England mit der Ueberführuug in eine Austalt oder 
seihst in ärztliche Privatpflege verbuuden sind. Vielfach werden 
Seereisen für Depressionszustände verordnet, doch eigueu sicli die¬ 
selben nur für die allerlelchtesten Formen, wie sie durch Liebes¬ 
kummer, Nichtbestelien einer Prüfung u. a. m. hervorgerufen 
werden. Schwer Melancholische werden auf der See nicht besser, 
die Neigung, Selbstmord zu begehen, wird sogar meist stärker, 
da das Wasser stets zum Hineinspringen reizt. Noch viel un¬ 
günstiger wirken Laudreisen und der Aufenthalt in fremden 
Städten, wo sich die Kranken „zerstreuen“ sollen. Zuweilen wirken 
Reisen gut in der Reconvalescenz von Geisteskrankheiten, doch 
droht auch dann noch stets das Gespenst des Suicidlums. Kranke, 
die an Erregungszuständen leiden, selbst Hysterische, sollen auf 
keinen Fall auf Reisen geschickt werdeu, ebenso wenig, wie 
Kranke mit Grössenwahn. Ganz besonders schädlich wirken 
Reisen auf die an Demeutia paralytica leidenden Kranken. Nur 
bei leichten Formen von Monomanien, wie sie gelegentlich nach 
akuten Infektionskrankheiten Zurückbleiben, thun Seereisen manch¬ 
mal gute Dienste. 

H. Lewis Jones: Der Nutzen allgemeiner Elektriflkation 
in der Behandlung gewisser Formen von Geisteskrankheiten. 

(Ibid.) 

Nachdem Verfasser sich davon überzeugt hatte, dass die Be¬ 
handlung im elektrischen Bade, z. B. bei Rachitischen, vorzüg¬ 
liche Erfolge aufzuweisen hat. versuchte er sie auch bei Geistes¬ 
krankheiten und zwar besonders bei Depressionszustilnden. Er 
benutzte den sinusoiilalen Strom eines Wechselstromdynamos und 
badete meist täglich. Sowohl er selbst, wie zwei ihm befreundete 
Leiter von Irrenhäusern, Dr. R. J o n e 8 und Dr. G o o d a 11, hatten 
namentlich mit Fällen von Melancholia attonita überraschend gute 
Erfolge. 

Joseph Shaw Bolton: TJeber krankhafte Veränderungen 
bei Dementia. (Ibid.) 

Auf Grund vieljähriger Studien, über die Näheres im Original 
nachzuleseti ist, kommt Verfasser zu dem Schlüsse, dass die Dicke 
der Schicht der Pyramidenzelleu mit dem Grade der vorhandenen 
Amentia oder Dementia bei einem Kranken wechselt. Die mikro¬ 
skopischen Gehirnveründerungen, die bei Geisteskranken nachzu¬ 
weisen sind, richten sich ganz allein nach dem Grade der vor¬ 
handenen Demenz und sind völlig unabhängig von der Zeit, durch 
welche der Irrsinn bestanden hat. 

George A. R o r i e: Irrsinn nach Influenza. (Ibid.) 

Auf Gruud von 08 Fällen, die Verfnsser im Westmoreland 
Asylum beobachten konnte, stellte er fest, dass die Geisteskrank¬ 
heit sowohl sehr bald, wie auch erst nach längerer Zeit der Iu- 
fluenza folgen kann, und dass namentlich Leute ergriffen werden, 
die durch Vererbung oder durch Excesse iu baccho et venere prä- 
disponlrt sind. Kein Lebensalter scheint besondere dlspouirt zu 
sein; meist handelt es sich um melancholische Zustände mit stark 
ausgesprochenen Selbstmordgedanken; mnniakalische Zustände un 1 
Dementia paralytica kommen seltener vor; allen Störungen gemein¬ 
sam ist die grosse geistige Verwirrung und Stupidität, was auf 
eine Autolntoxication durch Iufluenzatoxlne schliesscu lässt. Di«* 
Fülle von Melancholie und akuter Manie bieten eine gute Proguus**. 
Befällt die Influenza schon vorher geisteskranke Pcrsoucn, so 
führt dies gewöhnlich nicht zu einer Verschlimmerung «los Irrsinns. 


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1258 


MUENCHENER MEDICINISCHE W O CHEN SCHRIFT. 


No. 31. 


David F örrier uud AUlren T «me r: Experimentelle Ver¬ 
letzungen der Corpora quadrigemina bei jungen Affen. (Bram. 
Spring 1901, Bd. 43.) 

Die Schlussfolgerungen, die die Verfasser aus ihren Versuchen 
ziehen, sind rein negativer Art. Betraf die Verletzung wirklich 
nur die Ganglien der ('oi*i>ora quadrigemina, so traten keinerlei 
bleibende Störungen auf. selbst wenn die <ianglien völlig entfernt 
wurden. Tremor, Ataxie, Gesichtsstörungen etc., die manchmal be¬ 
merkt wurden, sind lediglich auf zufällige Verletzungen des in der 
Nähe liegenden Kleinhirns und anderer Hirutheile zu beziehen. B.dm 
Menschen uud beim Affen haben die Vierhiigel nur eine sehr ge¬ 
ringe funktionelle Bedeutung, während sie hei Fischen, Fröschen 
und Vögeln sehr wichtig uud desslialb auch stärker entwickelt 
sind. 

Morton P r i n e e: Ueber Durchschneidung der hinteren 
Spinalwurzeln zur Beseitigung des Schmerzes bei einem Falle 
von Neuritis des Plexus brachialis; Aufhören des Schmerzes in 
der befallenen Gegend; spätere Entwicklung einer Brown- 
S 6 q u a r d’schen L ähm ung in Folge der Laminektomie; un¬ 
gewöhnliche Vertheilung der Wurzelanaesthesie; späteres theil- 
weises Zurückkehren der Sensibilität. (Brain.. Bd. 43, S. IHi.i 

Dem langen Titel ist nur hinzuzufiigen, dass es sich um einen 
Mann handelte, der in Folge eines Fnfalls den linken Radius brach 
und sich eine Lähmung des ganzen Armes zuzog. Fs bestanden 
enorme Schmerzen im Daumen und Zeigetinger, für welche 3 mal 
Operationen am ltadinlis und an Aesten des Plexus brachialis 
vorgenommen wurden (wahrscheinlich Nervendehnungen, die aber 
ganz erfolglos bliebeni. Als er in Verfassers Behandlung kam. 
waren die Schmerzen so unerträglich, dass Verfasser die hintere 
Wurzelresektion des (». und 7. (’erviealnerven anrieth, die von 
M uii ro vorgenommen wurde. Die Schmerzen hörten sofort nach 
der Operation auf, doch trat eine leichte B r o w n - S 6 q u a r d'sehe 
Lähmung auf. Näheres über diesen sehr interessanten Fall muss 
im Originale nachgelesen werden, wo zahlreiche Abbildungen das 
Verständnis» der eigenartigen Störungen der Sensibilität erleich¬ 
tern. 

Dunean G r e e n 1 e e s und Carrlugton P urvi s: Ueber 
Friedreich’sche Lähmung. (Ibid.) 

Genaue Beschreibung zweier Fälle bei Geschwistern mit 
gründlicher mikroskopischer Untersuchung des Centralnerven¬ 
systems. 

J. Edward Squire: Die frühe Erkennung der Lungen¬ 
tuberkulose. (Medical Magazine, Juni 1901.) 

Zu den ersten Symptomen, die den Arzt zur Untersuchung der 
Lungen zwingen sollten, gehört Anaemic. Störungen des Appetits, 
ferner Hypertrophie der Tonsillen und Rachenmandel, Abmage 
rung, leichte Temperatursteigerungen. Die Anwendung des Tu¬ 
berkulins zu diagnostischen Zwecken hält Verfasser für unerlaubt, 
da es die Lungenherde „erweicht“. Die Skingrapliie in den Händen 
eines geschickten Untersuchers gibt oft guten Aufschluss Uber 
kleine Herde in der Lunge; die Hauptsache aber ist und bleibt eine 
häutige sozusagen prophylaktische Untersuchung der Lungen aller 
irgendwie schwächlichen oder kränklich aussehenden Personen, 
die wegen allerlei Beschwerden zum Arzt kommen. 

John Lindsny Steven: Tägliches cerebrales Erbrechen von 
6monatlicher Dauer, bedingt durch ein Adenom des Kleinhirns, 
das auf den 4. Ventrikel übergegriffen hatte. (Glasgow Medical 
Journal. Juni 1901.) 

Der Uebersehrift ist nur noch hinzuzufügen, dass es sich um 
einen 0 jährigen Knaben handelte, dessen Hauptleiden das fort¬ 
gesetzte Erbrechen war. das schliesslich zum Tode führt«*. 

H. Olipliaut Nicholson: Eklampsie und die Schilddrüse. 
(Scottish Medical and Surgical Journal. Juni 1001.) 

Ohne auf theoretische und hypothetische Speculationen dos 
Verfassers näher eingelien zu wollen, sei hier nur erwähnt, dass 
er die Eklampsie auf einen Ausfall oder eine Verminderung der 
HclillddrUsenfuliktlon bezieht uud demgemäss anrätli. sowohl im 
prüeklnmptischen Zustande, als auch im Anfall Schilddrüsensaft 
zu verabreichen, im erstereu Falle genügt es, 0,3 2—3 mal täglich 
zu geben, im Anfalle jedoch injicirt man stündlich 10 Tropfen 
des frischen oder lö des ofticinellen Saftes der Schilddrüse sub¬ 
kutan. In zwei Fällen, in denen er die Behandlung mit Professor 
Ballantyne versuchte, hatte er guten Erfolg. 

Fr. Parkes Weber: Fettsucht, Uebergewicht und Lebens¬ 
versicherungen. (Medical Magazine, Juni 1901.) 

Verfasser, der Versicherungsarzt für eine grosse Gesell¬ 
schaft ist. hält dafür, dass fette Personen meist nicht zur Ver¬ 
sicherung oder wenigstens nicht ohne Erhöhung der Prämie, ge¬ 
eignet sind. Was das Verhältnis des Gewichts zur Grösse an- 
langt. so glaubt er, dass sehr grosse und fette Leute eine schlech¬ 
tere Prognose bieten, als mittelgrosse fette Personen. Von grosser 
Wichtigkeit ist in jedem Falle eine längere Beobachtungsdauer, 
da Zunahme des Gewichtes auf alle Fälle die Versicherung uus- 
schliessen sollte. Als Durchschnittsgrösse nimmt W eher mit 
Greene 5 Fuss 8 Zoll an, ein solcher Mann soll zwischen 1Ö0 
und 102 Pfund wiegen (je nach dem Lebensalter), für jeden Zoll 
darüber oder darunter addire oder subtrahire man 5 Pfund. Han¬ 
delt es sich um kräftig gebaute Leute mit guter persönlicher oder 
Familiengeschichte uud mit regelmässigen Lebensgewohnheiten, 
so darf das Durchschnittsgewicht um 2Ö bis 30 Proc. überschritten 
werden. Melden sich fette Leute, die über 00 Jahre alt sind, so 
sind sie ohne Weiteres auszuschllessen. Bei Frauen scheint Fett¬ 
sein eher vertragen zu werden, als bei Männern, auch unterziehen 
sie sich leichter diätetischen Kuren. Sehr wichtig ist in jedem 


Falle die Familiengeschichte, stammt der Fette aus einer fetten, 
aber trotzdem langlebigen Familie, so ist die Prognose besser, als 
wenn in der Familie Fülle von Tod durch Diabetes, Herzmuskeler¬ 
krankungen und Lungenerkrankungen in frühem Alter vorkamen. 
Deutet die Familiengeschichte auf Tuberkulose, so Ist ein massig« s 
Urberge wicht eher von guter Vorb«*d«*utuug. Zuweilen ist die 
Fettsucht nur als eine vorübergehend«* Störung anzuseln*«, so in 
«l**ii Füllen, in denen sie sich nach sehw«*ren Krankheiten (Typhus) 
od«*r auch nach schweren Entbehrungen (wie nach der Belagerung 
von Paris) eiustellte. Besteht gleichzeitig Emphysem, Asthma od«*r 
Erkrankungen des Kreislaufapparates, so ist die Versicherung ab- 
zulidinen. Besonders ist auf Diabetes zu achten und eveiit. eine 
Probe vorzuuelimen, ob un«l wann eine alimentäre Glykosurie ein- 
tritt, 30—40 Proc. aller hereditärfetten Personen und lö Proc. der 
an erworbener Fettsucht leidenden zeigen früher oder später Dia¬ 
betes. Schliesslich kann man auch fette IVrsonen veranlassen, 
sich vor der dettnitiven Entschließung «ler Wrsicherung einer Kur 
zu unterziehen und man kann je nach dem Ausfall derselben seine 
Entscheidung treffen. 

Chahner.s Watsou: Die Pathogenese der Tabes und ver¬ 
wandter Erkrankungen des Rückenmarkes. (Brit. Med. Jour».. 
1. Juni 1901.) 

Verfass«*!* glaubt auf Grund seiner Untersuchungen annehmen 
zu müssen, «lass «’s si« h hei «ler Tabes nicht um primäre I>«*gencia- 
tioii. «les Nervensystem«*« handelt, sondern um Veränderungen in 
und um die Gefüsswiinde; die Verümlerungen im Neuron sind dann 
b«*<l!ngt durch lokale Störungen der Blutzufuhr. Das Ganze ist be¬ 
dingt durch eine chronische Autoiutoxi«*ation und die Gefüssver- 
üuderungeii siud allgemeiner Natur, nur vielleicht im Rückenmark 
<*twas mehr vorgeschritten. Näheres über die pathologisch-histo¬ 
logischen Untersuchungen, die Verfasser am Rückenmark eines au 
Tabes verstorbenen Pferdes, sowie von Früh- und Spätfällen v«m 
menschlicher Tabes vorgonommeu hat, müssen im Originale naeh- 
gclcscu werden. 

Farquhar Blizzard: Sektionsbefund von einem Falle von 
hypertrophischer, pulmonaler Osteoarthropathie. (Ibid.) 

Verfasser, «ler Arzt an dem bekannten Ilospital f«»r the l’ara- 
lysed and Epileptic ist, hat einen typischen Fall dieser Krank¬ 
heit seeirt uud das Nervensystem nach «len neuesten und voll¬ 
kommensten Methoden durchuntersucht, doch war der Befund ein 
völlig negativer. 

II. W. Syers: An welchem Punkte hört man am besten 
das durch Insufficienz der Aortenklappen bedingte Geräusch? 
(Ihid.) 

Während in «len meisten Lehrbüchern angegeben wird, dass 
man das in Frage stehende Geräusch am bestell uml lautesten 
im 2. Intercostalraum rechts neben dem Sternum hört, sucht Ver¬ 
fasser nnchzuweiscn, dass es hier nur in etwa 5 Proc. der Fäll«* 
am besten gehört wird, am lautesten hört man es gewölinlieli in der 
Milte des Brustbeins, dicht über dem Schwertfortsatz und dann 
über dem 2. Intercostalraum links vom Sternum. Häutig genug 
sind diese Geräusche sehr weich und schlürfend und werden über¬ 
sehen, weil man im 2. Intercostalraum rechts nach ihnen horcht. 

Lewis C. Bruce: Klinische und experimentelle Unter¬ 
suchungen über Dementia paralytica. (Brit. Med. Journ., 
29. Juni 1901.) 

Auf Grund zahlreicher, im Original nachzulesender Unter¬ 
suchungen kommt Wrfnsser zu «lern Schlüsse, «lass di«? Dementia 
paralytica durch Toxine hervorgerufen wird, welche vom Mageu- 
Darmknnal aus wirken. Wahrs«*heiiilich handelt es sieh um eine 
Mischinfektion mit verschiedenen Bneterien. doch scheint den Coli- 
bacillen eine sehr wichtige Rolle ziizukommen. Verfasser hat dann 
Versuche anstellt mit einem Serum, das er aus dem Blute eines 
im Stadium der Remission befindlichen Paralytikers gewonnen 
hatte und er glaubt, durch subkutane Injektion dieses Serums bei 
Fällen von progressiver Paralyse gute Erfolge erzielt zu habe». 
Wie Verfasser glaubt, beruht die günstige Wirkung des Serums 
darauf, dass es die Colibaolllen ngglutinirt und er stellt dessliaih 
augenblicklich Versuche mit Serum an. das von einem gegen Coli- 
bacillen iuimunisirten Pferde stammt. 

Ford Robertson: Beobachtungen über die Pathogenese 
der Dementia paralytica. (ibid.) 

Auch Robertson ist auf Grund vieler Beobachtungen zu 
dem Schlüsse gekommen, dass die Dementia paralytica auf eine 
Aut«>intoxl«*ation vom Magou-Darmkanal zurückzuführen ist. Es 
handelt sich um die Bildung vermehrter Bacterientoxine durch den 
Wegfall «lor die übermässige Entwicklung der Darmbaeterieu hem¬ 
menden Faktoren; die Toxine erzeugen proliferative und degeueia- 
tive Störungen in den Gefässen des Ceutralnervensystemes und 
zwar werden zuerst die am besten mit Blut versorgten Hirutheile 
ergriffen, weil die Wände ihrer Gefässe am meisten mit «len To¬ 
xinen in Berührung kommen. Auch die Tabes dorsnlis ist auf 
eine ähnliche Autointoxication zurttckzufUhren; die Syphilis ist 
zum Zustandekommen beider Krankheiten in der Weise behilf¬ 
lich, «lass sie die natürliche Immunität verändert und zwar wahr¬ 
scheinlich durch Zerstören der leukoblastisehen Funktion des 
Knochenmarkes. Die Behandlung der Tabes und der Paralyse muss 
sich auf das Auffinden geeigneter Antitoxine werfen und zwar hält 
Verfasser dies für aussichtsvoll, da wahrscheinlich nur wenige 
Bactcrienfonnen bei der Bildung der Toxine betheiligt sind. 

Halliburton uud McKendrick: Eine Untersuchung 
über die Pathologie der gastrischen Tetanie. (Ibid.) 

Die Verfasser hatten Gelegenheit, einen der seltenen Fälle zu 
untersuchen, in denen ein schwerer tetanischer Zustand im An- 


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30. Juli 1901. 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1259 


Schluss an eine Mngenerwelterung nuftrat. Der Kranke wurde 
gastroentcrostomlrt und gehellt; aus dom Magensaft konnten die 
Verfasser eine toxische Substanz gewinnen, die bei Thicron ein 
erhebliches Fallen des Blutdrucks und eine Verlangsamung der 
Ilcrzthiitigkeit hervorrief: der Arbeit ist eine ausführliche Lltora- 
ttiriilier8icht über die ln Frage stellende Krankheit beigefügt. 

Langdon Brown: Haematurie in Folge von Urotropin¬ 
gebrauch. (Brlt. Med. .Tourn.. 15. Juni 1901.) • 

A. Griffith. W. A. Mllllgan und T. L. Forbes: 
Haematurie nach Urotropin gebrauch. (Brlt. Med. Journ., 29. Juul 
1901.) 

Bs handelt sich ln diesen kasuistischen Mitthol laugen um 
Fülle, von Haematurie. die 4 mal 1 Woche nach Beginn der Be¬ 
handlung. 1 mal nach .3 Tagen nuftrat und stets mit Brennen in der 
Hl:Iso und dem Gefühl von Unbehagen eingeleitet wurde. Nach 
Aussetzen des Mittels hörte die Blutung sofort auf. im 1. Falle 
kehrte sie wieder, als der Kranke noch einmal Urotropin einnahm. 
Ks handelte sich 3 mal um Tvphusreconvalescenten, bei denen das 
Mittel zur Steriiisirung des Urins gegeben wurde. 1 mal um eine 
leichte Gystitis. 1 mal wird keine Krankheit angegeben. Das Blut 
«<•11 aus der Blase gekommen sein; die Dose war eine mittlere und 
wurde das Mittel stets mit ziemlich viel Wasser genommen; 
T.angdon Brown hält übrigens die Haematurie für du seltenes 
Kreignlss. da er l*ei 15 Fällen sie 3 mal beobachtete. (Allzu selten 
würde Referent das nicht neunen.) 

James S t e w a r t: Bericht über 620 Fälle von Abdominal¬ 
typhus. (Brit. Med. Journ.. 15. Juni 1901.) 

Vom 1. Januar 1894 bis 31. Dezember 1900 wurden im Royal 
Victoria Hospital zu Montreal 020 Fälle von Abdominaltyphus be¬ 
handelt: es starben von diesen 34 oder 5.4 Proc.. die Sterblichkeit 
in den einzelnen Jahren schwankte zwischen 0 (1890 mit 72 Fällen) 
und 9.3 Proc. (1897 mit 75 Fällen). Aus der sehr Interessanten 
Analyse der Fülle kann hier nur Weniges hervorgehoben werden. 
Perforation, Blutung und Intoxication waren für die meisten 
Todesfälle verantwortlich: die beiden erstoren verursachten zu¬ 
sammen 58.8 Proc. aller Todesfälle. Bel 11 Fällen von Perforation 
wurde in 8 Fällen eine Operation versucht, jedoch jedes Mal ohne 
Krfolg. seit Abschluss der Arbeit wurde jedoch ein weiterer Fall 
lanarofomirt. und zwar mit glücklichem Ausgang. DU» Operation 
sollte womöglich innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Per¬ 
foration unternommen werden, leider aller ist die Frühdiagnose 
••ft schwierig, ja unmöglich. Zuweilen täuscht eine einfache (nicht 
iHTforative) Peritonitis die Perforation vor und führt, zur Opera¬ 
tion: dies passirte dem Verfasser einmal, obwohl keine Perforation 
gefunden wurde», kam der Kranke durch. Treten im Verlauf des 
Typhus Schmerzen und Dmekeinpfindlichkeit im Bauche auf und 
Is-sleht eine deutliche Leukoeytose (alles dies heim Fehlen anderer 
Komplikationen), so soll man eine Probelaparotomie vornehmen. 
Hei Darmblutungen ordnet Verfasser die grösste Ruin» an, ferner 
erhöht er das Fassende des Bettes und wendet mit Leite rischon 
Röhren Kälte auf den Bauch an. Die Nahrungsaufnahme per os 
wird womöglich gänzlich aufgehoben; als Medleament wird nur 
Opium verordnet. Unter den (>20 Fällen wurde 7 mal Gholecystitls 
• 1.12 Proc.) beobachtet. 1 Fall starb und zwar kurz nach einer 
Lipanitomie. Iw»! welcher man die Gallenblase voll Steine und 
Fiter gefunden hatte. Von den übrigen 0 Fällen genasen 2 mit 
und 4 ohne Operation, bei beiden Operlrten wurden zahlreiche 
Steine in der Gallenblase gefunden. Wahrscheinlich war die Zahl 
der Gholecystitisfälie ln Wirklichkeit eine grössere, da noch bei 
einer ganzen Anzahl von Fällen Ikterus, allerdings ohne weitere 
8vmptome auftrat. Reeidive traten bei 9 Proc. der Fälle auf. ihre 
Dauer betrog zwischen 7 nnd 42 Tagen, in 7 Fällen wnr das Rcol- 
div schwerer als der primäre Typhus. Ein Patient erkrankte 
•» Monate nach überstnndenem Typhus wiederum an Typhus, nach¬ 
dem er in der Zwischenzeit eine Scarlatina durehgemaeht hatte. 
Seit 1897 wurde die Widal’sohe Reaktion in jedem Falle ver¬ 
sucht und ob gelang auch ln 370 Fällen 302 mal ein positives Re¬ 
sultat zu erzielen. In 2 Fällen gab die Reaktion schon am 3. Tage 
rin positives Resultat. In einem bacteriologiscli slcbergestellten 
Falle, der in der 2. Krnnkheitswoohe an Sepsis starb, fanden sich 
Mne Geschwüre iin Darm. Die Behandlung bestand In sorg¬ 
fältigem Baden sobald die Temperatur 102.4 0 F. überschritt, etwa 
*3 Proc. aller Fälle wurden während der ganzen Dnuer der Krank¬ 
heit gebadet. 

T. J. Maclngan: Die chirurgische Behandlung des Typhus 
abdominalis. (Ibid.) 

Die Berechtigung, wegen eines perforirten Ulcus typhosus eine 
Prolielaparotnmle vorzunehmen, dürfte heute nicht mehr bezweifelt 
Genien, nachdem eine Reihe von sonst sicher verlorenen Fällen 
auf diese Weise geheilt worden sind. Verfasser will aber noch 
rine andere Klasse von Fällen In das Bereich dos chirurgischen 
Könnens ziehen, nämlich die Fälle, ln denen meist am Ende der 
3. Woche eine Darmlähmung auftrltt und sich Im Coecum und Kolon 
rine grosse Menge jauchigen Stuhles und ausgestossenar Fetzen 
•insammelr. Diese Kranken gehen durch Vergiftung zu Grunde 
uni will Verfasser durch Anlegung eines Cocenlaftcrs ei neu Vcr- 
'urii zu ihrer Rettung machen; praktisch erprobt hat er seinen 
Vorschlag noch nicht. 

R. T. Hewlett und H. Montague Murray: Eine gewöhn¬ 
liche Quelle diphtheritischer Ansteckung und ein Mittel zur 
Verhütung. (Ibid.) 

Von 385 Kindern, die wegen äusserer oder innerer Leiden (aber 
ohne Verdacht auf Diphtherie oder Halskrankheiten) In das Vio- 
'oria-Kinderhospital in London aufgenommen wurden, zeigten 58 


(15 I’roo.) den K I e b s - L ö f f 1 e rischen Bacillus. 92 (24 Proc.) den 
Pseudodiphtheriebacillus. Bei jedem Kinde wurde hei der Auf¬ 
nahme eine bncteriologische Untersuchung des Rachenschleimcs 
vorgenonunen. Meist handelte es sich um Kinder unter 2 Jahren. 
Die Verfasser empfehlen auch hei kleinen Kindern eine sorgfältige 
Mundpflege mit dcsinficireuden Wässern. J. P. zum Busch. 


Vereins- und Congressberichte. 

Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 22. Juli 1901. 

Demonstrationen: 

Herr Theodor Mayer: Fall von tuberösem Pemphigoid 
nach Jodgebrauch. (Jod ln den Pemphigusblason nadigewiesen.) 

Herr Ewald: Präparat von kirschgrossem Tuberkel im 
Pons, Intra vitnm diagnostlzlrt. 

Herr Stein: Frau, deren frühere Sattelnase korrigirt ist 
durch eine subkutane Parafflnprothese nach Gersuny. Vor 
Anwendung am Menschen hat St. das Vorfahren an zahleichen 
Thicron nusprobirt; er glaubt auf Grund seiner Versuche an- 
uehiueti zu können, dass das Pamftln. dessen Schmelzpunkt am 
besten zwischen 40 und 50 Grad liegt, mit der Zeit resorlürt wird, 
aber bis dahin so von Bindegewebe durchwachsen ist. dass die 
ursprüngliche Form bleibt. 

D i 8 o u s s 1 o n: Herr Eckstein. Herr Stein. 

Herr Jacobson: Mädchen mit Emoyem der Highmors¬ 
höhle; durch Arrosion des Knochens Vorwölbung der Mundhölilou- 
und Nasonbodenschloiniliaut. 

Tm Anschluss an eine Zeitungsnotiz über den Vortrag 
TCocb’s auf dein Tuberkulosokomrress in London bestätigt Herr 
V i r c b o w die von Koch aufeestellte These, dass sich die 
Menschen tuberkulöse von der Thiertuborkulose. speeiell der 
Rindertuberkulose, unterscheidet und dass sie auf Rinder nicht 
übertragen worden kann; V i r e b o w bemerkt noch, dass er den 
ersten Satz dieser These schon vor vielen Jahren aufgestellt, halte. 
Was die Frage anbelange, oh Thiertuborkulose auf Menschen 
übertragen werden könne, so könne man zwar durch direkte Ex¬ 
perimente darüber keine Klarheit schaffen, indoss sei er mit 
Koch der Meinung, dass man in der Furcht vor Ansteckung 
durch Milch. Kiiso und Fleisch tuberkulöser Rinder in den 
letzten Jahren viel zu weit gegangen sei. Doch halte er auf 
Grund seiner Präparate die 'Behauptung Kocli’s fiir über¬ 
trieben, dass eine Hebertragung der Rindertuberkulose auf den 
Menschen nicht in Frage komme. 

Tagesordnung: 

Herr Ol eck zeigt ein Präparat, von teratoider Misch¬ 
geschwulst, entfernt, durch Laparotomie; Heilung nach 10 Taget». 
Vorstellung mehrerer Kinder, die er vor 5 resp. 4 Jahren an 
schweren tuberkulösen und eiterigen Peritoni¬ 
tiden operirt und mittels seiner Methode der offenen Nach¬ 
behandlung der Bauchhöhle geheilt habe. Letztere Methode sei 
heute Gemeingut der Chirurgen geworden. 

D 1 s e u s s I o n: Herr Israel erklärt, dass die übliche Me¬ 
thode der Behandlung von Peritonitiden mit der Methode des 
Herrn Gl eck, die er für überflüssig hält, nichts gemein hals*. 

Herr Gleck: Herr Israel habe Ihn missverstanden. 

Max S e c k 1 m a n n. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 1. Mai 1901. 

Vorsitzender: Herr C. F r a e n k e 1. 

3. Herr Harnack; Ueber einen besonders bemerkens- 
werthen Fall von Brechweinsteinvergiftung. 

Vortragender berichtet zunächst über den Thatliestand, der 
seiner Mittheilnng zu Grunde liegt. Ein dem Trunk ergebener 
Laboratoriumsdiener stellt in Gefahr, desshalb seine Stelle zu ver¬ 
lieren und seine Frau begibt sich aus diesem Grunde zu einem 
Drogenhändler, um hier ein Mittel gegen Trunksucht zu erhalten. 
Es wird ihr ein gewöhnliches Fläschchen, in dom sich angeblich 
1 g B r e e h w e i u s t e 1 n in 15 g Wasser gelöst befinden 
sollte, mit der Vorschrift verabfolgt, dem Manne 3 mal täglich 
15—25 Tropfen ohne den Bodensatz in Bier zu verabreichen. 

In Folge dessen nimmt der Ehemann nun an den 3Tagen Nach¬ 
mittags je 25 Tropfen. Schon nach dem ersten Male fühlte er sich 
unwolil, klagte über Erbrechen. Leibschmerz. Durchfall. Appetit¬ 
losigkeit. Schwindel u. s. f.: nach der zweiten Benutzung der Mo- 
dicht fällt er durch seine gelbe Gesichtsfarbe und das angegriffene 
Aussehen auf. Nach dem dritten Male endlich bekommt er im 
Laboratorium einen plötzlichen Anfall, wirft sich zu Boden, ruft: 
„Adieu, adieu“, streckt sich lang aus und stirbt. 

D e r h i n z u g e r u f e n e Arzt stellt ohne w eitere 
Untersuchung (!) die Diagnose auf Selbstmord 


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1260 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


durch Cyankallumverglftnng (!), und die Beerdigung 
wurde daraufhin gestattet 

In Folge einer Darlegung des ganzen Sachverhalts durch die 
Frau des Verunglückten vor dem Blreetor desjenigen Laborato¬ 
riums. in dem derselbe beschiiftigt gewesen war, schöpfte dieser 
aber Verdacht: er brachte die Sache zur Anzeige bei der Staats¬ 
anwaltschaft. und etwa 4 Wochen nach dem Tode wurde die Leiche 
wieder exhumlrt. 

Doch Hessen sich weder Cyankalium noch Antimon noch son¬ 
stige derartige Gifte bei der chemischen Analyse nachweiseu, da¬ 
gegen konnte man des benutzten Fläschchens mit dem nicht ver¬ 
brauchten Rest der Lösung noch habhaft werden und wenigstens 
auf diesem Wege einige Klarheit gewinnen. 

Der Drogist wurde wogen fahrlässiger Tödtung 
und wegen Uobortretung der gewerblichen Vorschriften ange¬ 
klagt. und Vortragender zum Oborgutachter ernannt. 

Die Fragen, um die es sich handelte, waren die folgenden: 

1. War der Beschuldigte zur Verabreichung des Weinsteins 
In-irehtigt? Antwort: In keinem Falle, da Brechweinstein selbst 
in der Apotheke ohne ärztliche Verordnung nicht verabfolgt 
werden darf. 

2. War die Form, in der das Mittel ausgehändigt wurde, 
eine besonders unzweckmässige und gefährliche? Ohne Zweifel, 
da es sich uni eine übersättigte, einen überschüssigen Bodensatz 
liefernde Lösung handelte, und so eine genaue Dosirung an sich 
schon unmöglich wurde. Auch war nicht einmal ein Tropffläsch¬ 
chen, sondern eine gewöhnliche Medicinflasche benutzt worden. 
Aber auch bei der Abwägung der Substanz muss ein grobes Ver¬ 
sehen vorgekommen sein, da sich 1 g Brechweinstein in 15 g 
Wasser ohne jede Schwierigkeit löst. Ausserdem fanden sich 
in dein Fläschchen, aus dem bereits 9 g Flüssigkeit entnommen 
waren, thoils gelöst theils als Bodensatz noch mehr als 1 g des 
Giftes: es müssen also ursprünglich über lVs g vorhanden ge¬ 
wesen sein. 

3. Welche Mengen giftiger Substanz sind thatsächlich zur 
Anwendung gelangt? Hier kommt Vortragender auf den eigent¬ 
lichen Kern seiner Ausführungen, auf die Frage der Tropfen¬ 
gewichte. Mit. vollem Recht erklärt er, dass selbst die Aerzto 
von den wirklichen Tropfengewichteu vielfach keine richtige 
Vorstellung haben. Das Tropfengewicht hängt, abgesehen von 
mannigfachen zufälligen Verschiedenheiten, vor Allem von der 
Tropf fläche ab: es ist grösser, wenn die Flüssigkeit vom 
Rande eines gewöhnlichen Fläschchens, als wenn sie aus einem 
Tropfschnabel tropft. 

Der Gericht.sarzt im vorliegenden Falle, nahm an, dass auf 
1 g der von dem Drogisten verabfolgten Brechweinsteinlösung 
ca. 15—20 Tropfen kämen. Das erwies sich bei einer nachträg¬ 
lich von II. angestcllten Prüfung als ganz irrig. Auf 1 g kamen 
von einer aus gewöhnlichen Fläschchen getropften Lösung von 
Tartarus st.ibiatus im Verhältnis» von 1:15 durchschnittlich 
nicht viel mehr als 7 Tropfen. Der Verstorbene hat also etwa 
3 mal 0.2 g genommen. 

4. Haben diese Giftmengen im vorliegenden Falle die Ge¬ 
sundheit geschädigt? 

Hierüber ist zu sagen, dass die von den Angehörigen her¬ 
rührende Krankheitsschilderung genau einer typischen Brech- 
weinstein-(d. h. Antimon)Vergiftung und auch der Höhe der Gift¬ 
gabe entspricht. 

5. Waren diese Giftmengen eventuell tödtlich? Hätte dies 
ein ärztlicher Sachverständiger voraussehen können oder müssen? 

Die besonders in England und Frankreich gemachten Er¬ 
fahrungen beweisen, dass 0,6 g Brechweinstein, in 2 Portionen 
ä 3 dg genommen, einen Erwachsenen tödten können, auch 
wenn sie, was im vorliegenden Falle gar nicht auszuschliessen 
ist nicht mit Arsen verunreinigt sind. Natürlich muss diese 
Wirkung nicht eintreten. Man hat Fälle erlebt, wo 6 und 
selbst 15 g überlebt worden sind. 

Unsere Aerzte werden freilich ohne besondere Vorstudien ge¬ 
neigt. sein, die Frage 5 zu verneinen. Denn im Arzneibuch 
für das Deutsche Reich steht als Maximaldosis 0,2 bezw. 0,5 ver¬ 
zeichnet. Vortr. ist im Ganzen kein Freund der Maximaldosen- 
tnhello, er meint, dass sie leicht dazu verleitet, iibergrosso Gaben 
zu verordnen, weil im Gedächtniss die Maximaldosis mit dem 
Namen des zugehörigen Mittels eng verbunden haften bleibt. 
Mindestens ist eine gründliche Revision der Maximaldosen ge¬ 
boten. 

6. —8. Ist der Tod thatsächlich durch das von dem Ange¬ 
schuldigten verabfolgte Mittel verursacht worden und hätte dann 


das Gift unbedingt in der Leiche gefunden werden müssen? Ist 
der Tod durch besondere körperliche Zustände begünstigt ge¬ 
wesen, sind Anhaltspunkte für eine andere Todesursache, speziell 
Vergiftung mit Oyankalium, vorhanden? 

Die letzte Frage zuerst betrachtend, spricht Vortr. nur seine 
lebhafteste Verwunderung darüber aus, wie bei dem Fehlen aller 
charakteristischen Merkmale ein Arzt die Diagnose, Cyankalium¬ 
vergiftung, Selbstmord, ausspreclien konnte. Mit Sicherheit ist 
die Todesursache überhaupt nicht ermittelt. 

Seltsam ist das Fehlen von Antimon, das doch sicher im 
Körper gewesen ist, und unzerstörbar ist, in den untersuchte 
Leichentheilen. Man hätte eventuell auch die Knochen und 
etwa vorhandenen Ham untersuchen müssen. Fehlte das Anti¬ 
mon wirklich, so kann cs nur durch die der Fäulniss entsprechen¬ 
den Flüssigkeitsbewegungen herausgekommen 9ein. 

Recht wahrscheinlich hat förderlich auf den Tod das Fett¬ 
herz des Verstorbenen gewirkt. 

Das Gericht kam bezüglich der fahrlässigen Tödtung zu 
einem, wie nicht anders zu erwarten war, freisprechenden ür- 
theil. 

Bemerkt sei indess, dass ein ärztliches Arbitrium und Super- 
arbitrium, letzteres .sogar mit Sicherheit, Tod durch Antiraou- 
vergiftung angenommen hatten. 

4. Herr C. Fraenkel: lieber den biologischen Nach¬ 
weis des Arsens. 

Vorfüln-ung und Beschreibung des zuerst von dem italieni¬ 
schen Forscher G o s i o 1891 empfohlenen, neuerdings von ver¬ 
schiedenen Seiten naehgeprüften und mit Erfolg angewandten 
Verfahrens zum Nachweis kleinster Arsenmengen mit Hilfe des 
Penieillium brevieaule. Dieser Schimmelpilz hat die Fähigkeit, 
aus Nährböden der verschiedensten Art, so namentlich Brotbrei, 
die Arsen enthalten, dieses zu zersetzen, und stark nach Knob¬ 
lauch riechende, vielleicht in die Reihe der sogen. Arsine, d. h. 
organischer Arsen Verbindungen gehörige, flüchtige Verbindungen, 
zu erzeugen. Dabei tritt diese Reaktion nur ein, wenn eben 
Arsen, aber nicht wenn z. B. Antimon, Wismuth und andere 
ähnliche Substanzen vorhanden sind und besitzt daher eine spe¬ 
zifische Bedeutung. Der Nachweis erfolgt durch den Geruch, 
und bei den grossen Schwankungen, denen das Riechvermögcn 
der einzelnen Menschen unterliegt, liegt hierin eine gewiss 
Schwäche des Verfahrens. Indessen hat sich die Methode in 
der Praxis doch schon mehrfach auf das beste bewährt. 

Besprechung: Herr H a r n a c k hebt hervor, dass für 
eigentlich forensische Zwecke, bei denen es hauptsächlich auf 
quantitave Bestimmungen ankomme, das Verfahren doch 
immer nur als ein Hilfsmittel zur raschen Orlentlrung werde 
dienen können. Auch sei mit der Gefahr zu rechnen, dass die 
ausserordentlich empfindliche Methode schon Arsenmengen werde 
nachweisen können, wo von einer absichtlichen oder zufälligen 
Einführung der letzteren bei Lebzelten gar nicht die Rede sei. 
diese vielmehr anderen Ursprungs seien. 

Herr Fraenkel erwidert, dass das Arsen nach unseren bis¬ 
herigen Kenntnissen doch ln der Natur keineswegs so verbreitet 
sei, wie z. B. etwa das Kupfer und also die von Herrn H. eben 
hervorgehobene Gefahr eines Irrthums ln dieser Richtung aus¬ 
geschlossen erscheine. Der Mangel quantitativer Resultate sei ohne 
Weiteres auzuerkennen. Diesem Nachthell ständen aber sehr 
grosse Vorzüge gegenüber: Jede Vorbereitung der betreffenden 
Substanzen für die Untersuchung werde entbehrlich, alle Arsen¬ 
verbindungen würden ln gleicher Welse zersetzt und namentlich 
eine so rasche Scheidung arsenhaltiger und arsenfreier Proben 
möglich, wie auf keinem anderen Wege. 

Herr Genzmer macht auf eine Mittheilung aufmerksam, 
die jüngst durch die Zeitungen gegangen sei und nach der man 
in allen Organen und Geweben des menschlichen Körpers, beson¬ 
ders der Schilddrüse, nicht unerhebliche Quantitäten von Arsen 
gefunden habe. 


Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg. 

(Offlcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Edlefsen. Schriftführer: Herr Just. 

Herr Jochmann berichtet: 1. Ueber einen Fall von echter 
Osteomalacie, der im Eppendorfer Krankenhaus zur Beobachtung 
kam. Es handelte sich um eine 37 Jähr. Gastwirthsfrau, die wegen 
Schmerzen in den Hüften und im Kreuz In’s Krankenhaus kam. 
Während einer y 2 jährigen Beobachtungszelt sank bei der Frau 
das Sternum ein, die Frau wurde kleiner, es bildete sich eine 
Kyphose aus. Ferner trat eine doppelseitige Spontanfraktur des 
Femurhalses auf. Ausserdem entwickelte sich linkerseits ein 
haemorrhagisclies Glaukom. Die Beckenverhältnisse blieben nor- 


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$0. Juli 19Ö1. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1261 


mal, da die Frau frühzeitig bettlägerig geworden war. Es be¬ 
stand ferner eine Nephritis mittleren Gnides. Der Fall ist von 
Interesse aus verschiedenen Gründen. Einmal gehört Osteomalacie 
in Hamburg zu den grössten Seltenheiten. Ferner steht dieser Fall 
ausser jedem Zusammenhänge mit Schwangerschaft oder Puer- 
periimi. Die Frau hat 2 Kinder gehabt, das jüngste vor 11 Jahren. 
Interessant ist ausserdem, dass hier die klinische Diagnose be¬ 
stätigt und gestützt wurde durch das Rüntgenbild, auf welchem 
man deutlich die papierdünue Substantia com pacta der Ober¬ 
schenkelknochen, sowie die Knochenerweichung am Becken er¬ 
kennen konnte. 

Ob ein Zusammenhang besteht zwischen dem in diesem Falle 
zur Entwicklung gekommenen Glaukom und der Osteomalacie, 
vielleicht bedingt durch die gleichen vasomotorischen Störungen 
Lässt der Vortragende dahingestellt. 

Sehr wichtig ist in diesem Falle das Vorhandensein von ganz 
auffallend grossen Mengen von Albumosen im Harn. Der Urin 
cuthielt ausserdem 2 Prom. Albuinen. Albumosurie ist ver¬ 
schiedentlich bei Osteomalacie beobachtet; meist aber war dieselbe 
bedingt durch multiple Myelome. In diesem Falle gelang es auch 
luit Sicherheit die Albumosen im Blut nachzuweisen. 

Die Frau ging zu Grunde an einer rechtsseitigen Oberlappen¬ 
pneumonie. Der Sektionsbefund bestätigte die Diagnose: echte 
Osteomalacie.. 

Herr Jochmann demonstrirt 2. ein primäres Leber- 
carcinom, das bei einer 45 jährigen Frau zur Entwicklung gelangt 
war und klinisch keine weiteren Symptome als eine geringe Ver- 
grüsserung der Leber und geringen Ikterus verursacht hatte. Die 
Frau starb an einer frischen Endocarditis. Pathologisch-ana¬ 
tomisch gehörte der Krebs zu der massiven Form des primären 
Lebercarcinoms und ging, soweit das zu erkennen war, von den 
1/cberzellen aus. 

Discus8ion: Herr Deutschmann: Es gibt bis Jetzt 
keine Augenbefunde bei Osteomalacie in der Literatur, gegen den 
Zusammenhang der Augenveränderung mit der Nephritis spreche 
das von D. beobachtete Fehlen der weissen Plaques und das links¬ 
seitige haemorrhagiscbe Glaukom. Wenn es gelingen sollte, die 
Osteomalacie als Infektionskrankheit nachzuweisen, so sei dev 
Befund der Osteomalacie zuzurechnen. 

Herr Simmonds berichtet über die Untersuchungen des 
italienischen Forschers Morpurgo, der bei Ratten eine der 
Osteomalacie ähnliche, durch Mikroben verursachte Erkrankung 
beobachtete. Aus der menschlichen Pathologie sind ähnliche Be¬ 
funde nicht bekannt. 

Herr Jochmann: Die bacteriologische Untersuchung des 
Blutes fiel negativ aus. 

Herr Reuter demonstrirt eine grössere Anzahl von Malaria- 
präparaten der Tertiana- und Tropicaform mit sehr schöner Chro¬ 
nistin färb ung. Es ist ihm nach einer grossen Anzahl von Ver¬ 
suchen gelungen, den bei der Romanowsk y’schen Färbung 
wirksamen Farbstoff zu Isoliren, chemisch rein darzustellen und 
mit Hilfe eines sehr einfachen und absolut sicheren Färbever¬ 
fahrens praktisch verwendbar zu machen. Redner hat den von 
Rosin eingeschlagenen Weg der Reindarstellung der Methyleu- 
blau-EosinVerbindungen weiter verfolgt und auch auf die Um¬ 
setzungsprodukte des Methylenblaus ausgedehnt, welche bei Ein¬ 
wirkung von Alkalien aus letzterem entstehen. Wenn man 
wässerige Lösungen des reinen Methylenblau med. pur. Höchst 
mit kohlensuuren Salzen etc. schwach alkalisch macht und einige 
Zeit lang bei erhöhter Temperatur, 50 0 C., stehen lässt, so werden 
sie leicht rotbstichig und geben beim Ausschütteln mit Chloroform 
die von Kocht beschriebene Rothreaktiou. Das Methylenblau 
erleidet also unter Einwirkung schwacher Alkalien bei erhöhter 
Temperatur eine langsame Umsetzung, deren Endprodukt das im 
Handel erhältliche, von Unna eingeführte polychrome Methylen¬ 
blau darstellt. 

Letzteres ist nur unter Zusatz von Säuren mit Eosin ausfäll¬ 
bar uud seine EoslnVerbindung, in Alkohol und Wasser löslich, 
nicht zur Chromatinfärbung verwendbar. Das polychrome Me¬ 
thylenblau geht beim Ausschütteln mit rother Farbe in Chloroform 
über und färbt sich dann lsollrt unter Einwirkung der Luft blau. 
Jedenfalls zeigt seine Gegenwart an, dass die Reifung der Me- 
tbylenblaulösuug bis zur Bildung des Endproduktes fortgeschritten 
ist Auf die Zwischenglieder kommt es nun an. Der Vortragende 
unterscheidet davon zwei. Der eine dieser beiden Körper ist im 
Wasser so gut wie unlöslich und scheidet sich bei der Reifung 
in Form feiner Krystallnadeln aus, welche eine tief schwarzblaue 
Farbe besitzen. Durch Abfiltriren kann man dies nicht näher 
untersuchte, nur ln geringen Mengen gebildete Produkt leicht von 
dem zweiten, für die weitere Bearbeitung allein ln Frage kommen¬ 
den Farbstoff trennen. Letzterer ist im Wasser leicht löslich, 
unterscheidet sich vom gewöhnlichen Methylenblau in Bezug auf 
»eine Farbe gar nicht. Erst wenn mau ihn mit einer wässerigen 
Eosinlösung ausfällt, bekommt man einen amorphen, sehr feinen 
Niederschlag (ohne vorherigen Säurezusatz resp. Neutralisation), 
welcher Im Wasser vollkommen unlöslich, ln feuchtem Zustande 
auf dem Filter gesammelt, eine dunkelrothe Farbe besitzt 

Wenn man das ln Frage kommende Produkt des Methylen¬ 
blaus als ein A-(lkali)Metbylenblau lm Gegensatz zum P-(oly- 
chrouien)Methylenblnn bezeichnet so handelt es sich also bei der 
Chromat!nfBrbung der Malariaplasmodien um elneA-Methylenblau- 
Kostnverblnduug, welche den allein wirksamen Farbstoff darstellt. 
Das polychrome Methylenblau-Eoein geht natürlich bei dieser Dar¬ 


stellungsmethode mit durcli’s Filter, da es nur ln saurer Lösung 
ausfällt 

Man kann das A-Methylenblau-Eosin mit Wasser auf dem 
Filter bequem reinigen, es unterscheidet sich vom gewöhnlichen 
Methyleublau-Eosln durch seine rothe Färbt* in feuchtem und durch 
eilten ausserordentlich lebhaften grünen Metallglanz in trockenem 
Zustande. Der Vortragende gibt zum Vergleich verschiedene 
Proben der nach seiner Methode hergestellten Farbstoffe in Sub¬ 
stanz herum. 

Das A-Mcthylenblau-Eosln ist in absolutem Alkohol im Ver- 
hältniss 1:500 mit dunkel geutiunablauer Farbe löslich, die Lösung 
ist dauernd und unveränderlich haltbar. Zum Färbei) mischt man 
20—30 Tropfen der alkoholischen Lösung mit 20 ccm Wasser und 
übergiesst damit die in den Farbschälchen liegenden Präparate. 
Färbedauer — 12 Stunden. Störende Niederschläge werden dureli 
kurzes Ausschwenken der Präparate in absolutem Alkohol voll¬ 
kommen entfernt, ohne dass die Färbung selbst darunter zu leiden 
braucht. Die Präparate färben sich erst im Augenblick der 
Fällung uud Niederschläge. sind daher prinzipiell nicht zu ver¬ 
meiden. 

Der Vortragende weist zum Schluss noch einmal auf die Ein¬ 
fachheit uud Sicherheit des ganzen Verfahrens hin, welches vor¬ 
aussichtlich die bisherigen Malariafärbemethoden völlig verdrängen 
wird, falls mau den Farbstoff erst im Handel wird bekommen 
können. 

Die letzthin im Centralblatt f. Bacteriologie uud Parasiteu- 
kunde von L. Michaelis veröffentlichten Untersuchungen über 
„Das Methylenblau und seine Zersetzungsprodukte“ stimmen in 
manchen Punkten mit den Erfahrungen des Vortragenden überein. 
Ob aber der von Michaelis als Azurblau bezeichnete Farb¬ 
stoff derselbe ist, dessen Eosinverbindung vom Vortragenden 
dargestellt uud verwandt wurde, erscheint zweifelhaft, zumal 
Michaelis das Azurblau als wesentlichen Bestandteil des 
polychromen Methylenblaus (Unna) bezeichnet. Weitere Unter¬ 
suchungen müssen in diesem Punkte Klarheit schaffen. 

Discussion: Herr Unna fragt den Vortragenden, ob nach 
seiner Meinung die rothe Färbung au den Gebrauch des Eosins 
gebunden sei. ln diesem Falle wäre das Eosiu nicht durch andere 
saure Farben ersetzbar, wohl aber falls die rothe Färbung nur von 
einem Derivat des Methylenblaus herrühre. 

Herr N o c h t betont den grossen Fortschritt, den R. mit 
seiner Methode erreicht habe. 

Herr Reuter hat orange- und andere saure Farbstoffe zur 
Erzielung des Niederschlages im polychromen Methylenblau ver¬ 
sucht. Es gibt eiuen Niederschlag, der jedoch für die Färbung 
nicht wirksam ist. It. betont, dass der Farbstoff nur im Moment 
des Ausfallens färbt, wie dies Unna auch schon für andere Anlliu- 
farbstoffe bewiesen habe. Nach seiner Meinung sei es die Eosiu- 
Methylenblaulösuug, welche das Chromatiu färbt 

Herr N o c h t hat öfter Junge Parasiten mit gewonunchem 
Methylenblau sich färben selten, doch sei dies nur Zufall. 

Herr Pappenheim betont, dass möglicher Weise Unter¬ 
schiede zwischen eosinsaurem Methylenblau und oruugesuurew 
Methylenblau bestehen. Eosin ist als Carbonsäure ein sehr echter 
uud intensiv färbender Körper. Er wird duher dem Methylenblau 
nur in geringen Quantitäten zugesetzt, d. h. der sich bildeude neu¬ 
trale Farbkörper ist in einem Ueberschuss der basischen Kompo¬ 
nenten gelöst. Orange dagegen ist als helle Disuifosäure stark 
diffundirend und unecht; in solchem Fall pflegt mau den neutralen 
Farbstoff in einem Ueberschuss des sauren gelöst zu halten. Es 
dürfte sich daher in letzterem Falle um eine triaclde Verbindung 
des Methylenblau handeln, bei der 3 N-Atome der Farbbase au 
je ein Oraugemolecül gebunden sind. 

Der Neutralkörper vermehrt sieh dann in dem neutrophilen 
Substrat mittels der freien ?V?phophoren Sulfogruppen. Es handelt 
Sich also eigentlich um Bindung eines Farbstoffs von besonders 
grossem Molecül, wie denn ja neutrophile Granulationen bei 
mancher Metbylenbiau-Eosiufürbuug sieb singulär mit dem sauren 
Farbstoff allein färben lassen; ja, stärker erhitzt, nehmen sie 
aus dem Triacid auch nur die im Ueberschuss vorhandenen sauren 
Komponenten auf, ebenso wie schwächer erhitzte eosinophile Gra¬ 
nula bei Triacidfärbuug sieh mit fuehsiusulfosaurem Methylgrüu 
violett färben. 

Dagegen findet die neutrale Farbsalzbildung im anderen Falle 
wahrsebeiulieh so statt, dass 1 mal Eosin mittels freier Hydroxyl- 
bezw. Carboxylgruppen 2 mal Methylenblau au den lmidogruppeu 
derselben bindet. 

Dieser neutrale Farbkörper fuugirt als schwach basisches, 
hochcomplexes, schwerlösllches Farbsalz, welches sich mit dem 
Substrat mittels seiner noch disponiblen 4 Amidogruppen vermehrt. 
Dieser Farbkörper könne daher mit dem oraugesaureu Methylen¬ 
blau nicht ln Parallele gebracht werden. Herr R. müsse, um die 
Nothweudigkeit des Eosin zu erweisen, Versuche, etwa mit Fluo- 
rescelu oder Corullin austeilen. 

Hinsichtlich der Bedeutung der rothen C'hromatiufürbuug sei 
diese verschieden von der des Schleims uud der Mastzellenköruer. 
Letztere färbten sich ja schon im polychromem Methylenblau bezw. 
dessen rother Komponente ohne Zusatz von Eosiu. P. fragt, wie 
sieh die Malariaparasiten einem Toluidiublau-Eosingcmisch gegen¬ 
über verhalten. 

Zur Erklärung der Schleim- uud Mastzellemnetaehromasie 
gegenüber polychromem Methylenblau müsse mau berücksichtigen, 
dass hierbei eine rothe Komponente aufgenommen wird, welche in 
Methylenblau entstanden ist, wenn dieses mit Alkalien behandelt 


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126Ö MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 31. 


war. Welcher Natur diese rothe Komponente sei, sei schwer zu In dieser ganzen schwierigen Frage steht für Unna bisher nur 

entscheiden. Zur Erklärung müsse man aber jedenfalls das ana- soviel mit Sicherheit fest, dass das M astzelle nroth und 

löge Verhalten mit anderen metachromatischen Farbstoffen mit das Malariarot h zwei verschiedene Körper sind. Hierin ist 

heranziehen. I?ei Färbung mit Toluidinblau werden die y-Granula U n n a durch die neue Färbung von Ke u t e r und die Nuance der 

und der Schleim ohne Weiteres roth, d. h. ohne dass das Toluidm- damit erzielten Kothfärbung noch bestärkt worden, er neigt sich 

blau vorher alkalisch gemacht worden wäre. Kothfärbung ent- auch der Erklärung von Iteuter zu, dass ln dem Malaria¬ 
steht aller, wenn mau im Keagensglas der Toluldiublautösuug roth eine Kombination von Eosin mit einem Me- 

Alkali zusetzt. Die basophilen (sauren) y-Granula haben also den thylenblauderivat vorliegt 

basischen Farbstoff wie ein alkalischer Körper beeinflusst. Herr Keuter bestätigt die morphologischen Beobachtungen 

Dieselbe Beeinflussung zeigen siimmtliche violetten basischen des Herrn P. Uber Nucleoide und Blutplättchen. Bel Anfertigung 

Farbkörper, so Methylviolett (Kosanilin), Thionin (Thinzin), Kresyl- der Präparate halte man sich vor Allem vor der Einwirkung des 

violett tOxazin), N'eutralviolett (Eurhodiu), Amethyst (i'henaziu). Wassers zu hüten, und daher die Präparate im Exslccator aufzu- 

iin Gegensatz dazu entsteht bei vielen rotheu basischen Färb- bewahren. Ein Gemisch von Toluidinblau und Eosiu färbt das 

stoffen eine gelbe Metachromasie der y -Granula und des Schleims, Chromutiu der Malariaparasiten nicht. 

so bei Neutralroth, chemischreinem Safraniu, bei Pyronln uud Herr Noeht betont nochmals, dass die Granula der Masi- 

Anidiuroth. Sie fehlt bei Fuchsin, welches die Mastzelleuköruer zellen und das Cliromatin der Plasmodien auch seiner Meluuug 

in rolher Nuance aufnehmen. nach sicher vou 2 verschiedenen Farbstoffen gefärbt werden. Nach 

Es könnte sein, dass die gelbe Metachromasie der rothen einigen Monaten haben selbst im Exslccator aufbewuhrte l'rä- 
Farbbasen darauf beruht, dass ihre freie Carbinolbase als solche parate keine Färbung mehr gegeben. 

aufgenommen, d. h. ohne chemische Salzbildung physikalisch ver- nerr fraenkei: ueoer tertiäre Dünndarmsyphilis. 

ändert wird. Behandelt man nämlich das basische Farbsalz Neu- ju. H.i Das Präparat, ilas ich innen vorlege, bcuint eine 

iralroth mit Alkali, so wird es gespalten, indem sich Alkali mit der Erkrankung, be/.üglicn deren unsere ivenutnisse, namentlich ai 

Salzsäure des Farbsalzes verbindet und die gelbe Carbinolbase in klinischer Hinsicht, noch recht luokenhait siuu. Es einsiumnu 

Freiheit gesetzt wird. Dasselbe geschieht, wenn die „alkalisch einem 06 Jahre aiten Herrn, bei welchem sich lnnerliaiu der letzicu 

reagirenden“ Schleimsubstanzeu mit den rotheu Farbsalzeu be- Monate seines Hebens ziemlich akute Erscheinungen einer Be¬ 
handelt werden. Die Färbung der Mastzelleukörner ist säureecht, hiuderung der Darmpassage eingestellt hatten, die schliesslicu eiueu 

d. h. wird durch nachträgliche Einwirkung von Essigsäure sowohl operativen Eingnit erioruerlieu macnteu. Bei der Eaparotoune 

wie anorganischen Säuren, nicht zerstört. Glycerin zerstört die ergaben sicn uurch sehr teste Verwachsungen des entraukteu 

Mastzellenfärbung völlig; Alkoholbehaudlung hebt bloss die Meta- jiuuuuarmabschinites mit der Umgebung ausserorüeuuiclie 
chromasie auf, die Färbung bleibt. Die Carbinolbase des Fuchsin {Schwierigkeiten, welche nur durch Kesekuou eines verhältniss- 
ist völlig farblos. Aelinlicn löst sich Kresofuchsiu in Wasser mit massig grossen Darmstückes überwunden werden konnten, 
rotlier harbe, in Alkohol mit blauer. Nur in alkoholischer Lösung j_*as rrupurat gelangte mit der Diagnose „stenosiremies Düuu- 

aber färbt es Elastica und zwar blau, iu wässeriger dagegeu darnicarciuom" zur Untersuchung. Au dem aufgescüuittenen Dann, 
Schleim roth. der schou bei der Operation au einer biene eiugerissen war, be¬ 

ides Verhalten ist ein ähnliches, wie das der polygenetischen uierkie man 1. entsprechend dem eben erwähnten, 20 cm uuicr- 
Beizenfarbeu, deren Nuance je nach der Natur des Beizmittels halb des zu führenden Schenkels gelegenem ltiss die Darmwuud 
wechselt. Dies erklärt sich nach Witt iu ähnlicher Weise, wie circular iu einer Breite vou ö cm nekrotisch, missfarben schwavz- 
das Aufscliiitteln eines Körpers (Jod) aus wässriger Lösung, etwa lieh, gegen die Umgebung nirgends demarkirt, in uas Lumen wan- 
durcli Chloroform, wobei ja ebenfalls ein Farbwechsel eiutrllt. arug hiueiurageud. Der nekrotische Process setzt eich auf den 

orcein ist ein saurer ivörper uud zwar ist das sogen, neutrale uuuiittelbar angrenzenden Theil des Mesenteriums fort, welches 

Orceiu elue freie violette Farbsäure. ln diesem tärbt sich das Col- seinerseits in etwa haudtellergrosser Ausdehnung gesellwulsturtig 

lagen, ferner die Endkolbeu des Strahlenpilzes roth, den Farbstoff luhitrirt erscheint, wahrend der zu dem mltexstirpirteu, gesuudeu 

wie eine Säure beeinflussend, die normalen Pilzrasen iudess blau, Theil des Darms gehörige Mesenterlalabscünltt normale Verüuii- 

Jhu wie ein Alkali beeinflussend, d. h. nur hier ist Salzbilduug ein- nisse aufweisL \ cm unterhalb des nekrotischen Daruiwand 

getreten. Versetzt man das Orceiu mit Alkali uud tärbt daun mit nhschniits bettndet sieb 

ueiu blauen Farbsalz, so nimmt das oxyphile (basische) Collagen 2. eine beetartige, 1 cm breite, quer zur Längsachse des 

deu Farbstoff nach wie vor iu rüthlicher Nuance auf, d. h. es ist Darms gestellte Erhabenheit von gleicher Farbe wie die umgebende 
chemische Spaltung des Farbsalzes elngetreleu, aber nicht che- Schleimhaut, ö cm vou dem obenerwähnten Herd zeigt 
mische Bindung der iu Freiheit gesetzten freien Farbsäure seitens 3 . nie Schleimhaut ein rauhes, durch grauweisse Stippeheu 

des Substrates. bedingtes Aussehen, beinahe zu völligem Verstricheusem der 

Das Keratin dagegen, das bei Behandlung mit neutralem oder K e r k r 1 n g’sclieu Falten. 35 cm weiter abwärts endlich betindet 
angesäuerten Orcein ungesäuert bleibt, nimmt orcelnsaures Alkaii 

als solches in blauer Nuance auf. 4 . ein eirculär verlaufendes, 1 y 3 cm breites Geschwür mit 

Die gelbe Eupittousüure ist ebenfalls eine freie zweibasische speckigem Grunde und diesen nur wenig überragenden, leicht wail- 
Farb8üure, die blaue Salze uud Lacke bildet. Trotzdem färbt sic artigen Kändern. 

iu saurem Bade sowohl Seide, wie die viel schwächer saure (mehr jjie histologische Untersuchung ergab entsprechend der bcet- 

oxyphile) Wolle gelb. Es tritt also keine chemische Salzbilduug artigen Erhabenheit die Anwesenheit eines grauulatiousartigen, die 
ein. Ziuugebeizte Faser färbt sie dagegeu unter chemischer gesummte Mucosa und Subinucosu durchsetzenden, sich ohne 
Luckbildung blau; dessgleicheu färbt sie die Wolle uud Seide im scharfe Grenze in die normale Umgebung erstreckenden Gewebes, 
amiuouiakaiischen Bado blau, d. h. es wird das eupittousaure «Jas (jj e norinaleu Gewebsbestaudthelle der Darmwuud hier voll- 
Alkali als solches nufgenommen. ständig substitulrt hatte. Irgend welche die Diagnose eines Our 

Alle die erwähnten Punkte zeigen, vou wie mannigfaltigen ciuoms berechtigende Belunue fehlten. Ganz besonders iustruk- 
Faktoren ein Färbungsvorgang abhängen kann, wie schwierig tive Bilder lieferten die auf die Darstellung des elastischen Uo- 
daher die Deutung ist, die vou l>ull zu Full getroffen werden muss, wehes der Darmwand gerichteteu Färbungsnietboden, 
du mau keineswegs den Färbeprocess nach einer einzigen Formel ich möchte hierbei ganz besonders eine Modittcatiou der 

erklären kann. Man muss ausser der Gbromatopbiiie des Bub- U u n a - T ä n z e Fschen Orceinmethode empfehlen, deren ich midi 
Btrates und der Natur des Farbstoffes berücksichtigen die* jetzt seit 3 Jahren bediene, und welche in einer G e g e u f ä r b u ng 
chemische Keaktion des Substrates, ob mit Farbsalz oder freiem m j t Litblon-Carmlu uud Pikrinsäure besteht; dabei 
Princip, iu wässriger oder alkoholischer Losung, in alkalischer oder wird die ürceinf ärbung zwischen die Vorfärbung 
ungesäuerter Farbtiotte gefärbt wird, uud mau muss die Oxy- mit Lithiou-Carmiu und die Nachbehandlung 
dations- uud Zersetzuugsprodukte, die Carbinole und melirsäurigen der mit Orcein tiuglrten Schnitte mit Pikriii- 
Salze genau kennen, um jeden Farbwechsel auf seine Natur hin säure-Alkoliol eingeseboben. (Zu absolutem Alkohol werden 
genauer deuteu zu können. einige Tropfen kouzeutrirter wässeriger Pikrinsäure zugesetzt) 

Schliesslich macht P. darauf aufmerksam, dass ferner auch Hie elastischen Elemente erscheinen au so hergestellten Präparate» 

noch die Blutplättelien roth gefärbt sind, sowie jeue als Kernreste nahezu schwarz, und heben sieb auch in noch so zellreichem Ue- 

oder Nucleido zu bezeichnenden Biuueukörper iu den Dellen der wehe gegenüber deu auf gelbem Grunde roth gefärbten Zellkerne» 

rothen Blutscheibeu, die bei der gleichen Färbung auch schou auf’s schärfste ab. 

Maurer gesehen hat und die iu deu aufgestellten Präparaten Bel Anwendung dieser Methode gelang vor Allem der Nacli- 

ausserordentiieh häutig uud deutlich zu seheu sind. Auf deu gene- weis sehr hochgradiger, sowohl Arterien als Veneu betreffender 
tischen Connex zwischen diesen Nucleoiden und deu Blutplättchen Gefässveränderungou. Dieselben charakterlslrteu sich an den 
hatte P. bereits am 23. III. In der Biolog. Sektion des ärzti. Vereins letzteren entweder als obllterirende, das Lumen auf’s Aeusserste 
Hamburg biugewiesen (s. Münch, med. Wochensehr. 1001, No. 24). beengende prolil’erireude Endopblebitis oder es bandelte sieb um 

Herr Unna hat ebenso wie Vortragender gefunden, dass die eine Durchwachsung der gesammteu Veneuwaud mit den gleichen 

polychrome Methylenblaulösuug nur sehr wenig alkalisch sei. grauulatiousartigen Massen, welche, wie bereits erwähnt, die 

Sie werde ja auch nur mit kohlensau rem* Alkali gemacht und zöge Darminnenwand im Bereich der beetartigeu Erhabenheit durch- 

au der Luft GO, an. Ihre Alkalescenz entspräche daher nur der- setzt hatten. Vielfach war die Veneuwaud bis auf einzelne clr- 

jenigen einer entsprechenden Lösung vou koblensaurem Natrou. culiir verlaufende Lagen elastischer Fasern zerstört und nur durch 

Dies sei nicht unrichtig, da neuerdings von Michaelis die das Erhaltensein dieser als frühere Vene kenntlich geblieben. 

Gegenwart von Methyleuroth iu der polychromen Lösung wegen Die geschilderten Veränderungen betrafen nun nicht die ge- 

deren Alkalescenz als unmöglich hiugestellt sei. Seine eigene Er- sainmteu zu deu erkrankten Darmschuitteu gehörenden Vene» 

klärung des ltoths als eines Roth aus Methylenazur und Arterien, sondern immer uur einzelne Aeste und diese nicht an 

habe aber ebenfalls Bedenken, da die bisher allein als roth be- allen Stellen ihres Verlaufs. 

kauute Azurbase in dem säurefesten und gegen Alkali sehr em- Genau den gleichen Verhältnissen begegnete man bei Unter- 

ptindlicheii Mastzelleurotli nicht vorhanden sein könne. Buchung von Stücken, die dem nekrotischen( sub 1 beschrielmuen) 


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30. Juli 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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AbBcbnitt des Dünndarms entsprachen und von Theileu, welche 
dem (sub 4 erwähnten) Ulcus entnommen waren. Hier wur es nur 
zu einem Zerfall der innersten, gegen das Darmlumen gerichteten 
Schichten des lnflltrirenden, granulationsartigen Gewebes ge¬ 
kommen. 

Auch in dem tumorähnlichen Theil des Mesenteriums erwies 
sich die geschwul8tnrtlge Beschaffenheit bedingt durch eine Durch¬ 
setzung des Mesenteriums mit einem Gewebe von dem gleichen 
Typus wie das in den erkrankten Darmtheilen vorhandene, ln 
klassischer Weise traten auch hier die in den kranken Darm- 
abschnitten beobachteten Gefässveriinderungen zu Tage. 

Die letzteren fanden sich endlich auch in einer mituntersuch¬ 
ten mesenterialen I^j-mphdriise, welche ausserdem eine enorme 
Ektasie des marginalen wie retrofolllkulären Lymplislnus aufwies. 

Auf Grund der mitgetheilten Thatsachen und zwar 1. der 
Lokalisation der beschriebenen D a r m Verände¬ 
rungen ln den obersten Abschnitten des Jeju¬ 
num und 2. der durch das Mikroskop festgestellten Befunde, 
welche sich auf den Nachweis eines verschiedene 
Stellen des Jejunum sowohl als des zugehörigen 
Mesenteriums drehsetzenden, zum Theil ge- 
sehwürig zerfallenen granulationsartigen (Je¬ 
web e s und auf die Konstatirung schwerer, sowohl Ar¬ 
terien als besonders Venen betreffender, oben 
genauer charakterislrten Gefäss Veränderungen beziehen, 
stehe ich nicht an, die Diagnose hier auf eine gummös-ulceröse 
Erkrankung des Dünndarms zu stellen und damit einen weiteren 
Beitrag zu dem so interessanten Kapitel der erworbenen Darm¬ 
sepsis zu liefern. 

Die anatomischen und histologischen Befunde an dein vor¬ 
liegenden Präparat decken sich namentlich nach der histologischen 
Seite so vollständig mit denen eines anderen Falles von acquirirter 
Magendannsyphilis, über denen ich Ihnen vor 3 Jahren einmal ein¬ 
gehend berichtet habe (cfr. Sitzungsber. d. biolog. Abtli., Jahrg. 
1898, p. 136 und Vircliow’s Archiv CIA', p. 507), dass ich bezüglich 
aller weiteren Details darauf verweisen kann. 

Nach der klinischen Seite unterscheidet sich der heut** 
erörterte Fall sehr wesentlich von jenem eben ungezogenen, 
insofern er uns mit einer neuen Gefahr der Syphi¬ 
lis für (len Darm vertraut gemacht und uns darüber belehrt 
hat. dass es untordem Einfluss der Lues zu Kanali- 
s a t i o n s s t ö r n n g e n im Darm kommen kann, welche für 
deu betreffenden Patienten verhiinguis&voll werden können. Die 
richtige Beurlheilung dieser Zustände und ihre differential- 
diagnostische Unterscheidung von bösartigen, zur Stricturbildung 
im Darme führenden Neubildungen ist, wenn überhaupt möglich, 
sicher nicht leicht. Man wird Jedenfalls gut thun, auch bei älteren, 
erst recht aber bei jüngeren Patienten mit Erscheinungen, welche 
auf eine Ina Verlauf des Dünndarms bestehende Stenose hlnweisen. 
besonders dann, wenn der Verdacht auf Tuberkulose auszu- 
sehlies8en ist. auf lates in der Anamnese zu fahnden und einen 
entsprechenden therapeutischen Versuch zu machen. 

Herr Stamm: Heber Spasmus nutans bei Kindern. 

St. verfügt über 8 eigene Beobachtungen, 5 der Kinder hatten 
das erste Lebensjahr eben vollendet, 2 standen noch im ersten, 
und 1 bot die Erscheinungen erst mit 2% Jahren. Unter Spasinus 
nutans wird ein die ersten Lebensjahre befallendes, häufig mit 
Schiefhaltung des Kopfes verbundenes krampfartiges Nicken, 
Drehen oder Wiegen des Kopfes verstanden. Die Rumpf- und 
Extremitätenmusculatur ist stets unbetheiligt, dagegen ist nahe¬ 
zu regelmässig beim Spasmus nutans die Augenmusculatur be¬ 
fallen. Nystagmus, in St.’s Fällen nur horizontaler Art, war 
in einem Falle einseitig, in einem Falle, bei dem die Nick¬ 
bewegungen erst 14 Tage bestanden, gar nicht vorhanden. Pu¬ 
pillenreaktion und Augenhintergrund stets normal. Tn einem 
Falle wurde Tbränen der Augen beobachtet. Keine auf ein cen¬ 
trales Leiden hinweisende Symptome. 

Der Nystagmus nahm an Intensität zu, wenn inan die Kinder 
fixiren lies« oder die Kopfbewegungen hemmte. Zeitweise fiel 
ein eigentümlich starrer, leerer Blick auf, wie er hei Leuten 
zu sehen ist, die „mit offenen Augen träumen“, d. h. nicht fixiren. 
Die Augen sind dabei nach einer Seite hin eingestellt und die 
Kopfbewegungen pflegen dann am stärksten zu sein. Bewusst¬ 
seinsverlust ist nicht vorhanden. In allen Fällen wurde ange¬ 
geben, dass die Kopfbewegungen zeitlich zuerst aufgetreten und 
dass dann auch das Augenzittern bemerkt wurde. Allen Fällen 
gemeinsam war ferner das Bestehen augenfälliger Rachitis. 
Sämmtliche Kinder bis auf eines, welches sich der Behandlung 
entzog, sind in kurzer Zeit geheilt und haben sich normal ent¬ 
wickelt. 

Streng zu unterscheiden von diesem, absolut gutartig ver¬ 
laufenden Spasmus nutans sind die Fälle, welche als Salaam- 
krämpfe, Epilepsia oder Eklampsia nutans zu bezeichnen sind, 
und die stets einhergehen mit cerebralen Störungen, mit Kräm¬ 
pfen der Rumpf- und Extremitätenmusculatur, Bewusstlosigkeit, 
und die häufig Lähmungen, Epilepsie und Idiotie hinterlassen. 


| Zu Verwechslungen kann ferner der in der Jugend erworbene 
I oder congenitale Nystagmus führen, der bisweilen auch combinirt 
I ist mit Schiefhaltung und Bewegungen des Kopfes, ln solchen 
i Fällen ist der Nachweis einer inneren oder äusseren Augen¬ 
störung und der Verlauf der Erkrankung von differentialdia- 
gnostischer Wichtigkeit, Leute mit congenitalem oder juvenilem 
Nystagmus haben mit seltener Ausnahme zcitlebends daran zu 
leiden, Kinder mit Spasmus nutans werden bei geeigneten Maass¬ 
nahmen schnell geheilt. St. theilt einen Fall von juvenilem Ny¬ 
stagmus rotatorius mit, der einen 7 jährigen intelligenten Knaben 
betraf, welcher in der ersten Jugend eine centrale Macula corneae 
acquirirt hatte und dauernd den Kopf nach einer Seite hin ge¬ 
neigt hält. 

Bei der Besprechung der verschiedenen, in der Literatur ver- 
zeichneten aetiologischen Momente, wie Dentition, Wurmreiz, 
dyspeptische Störungen und Traumen widerlegt St. die Theorie 
R a u d n i t z’s, welcher den Spasmus nutans analogisirt mit dem 
Nieden’schen Nystagmus der Bergleute und ihn abhängig 
macht von dem Blickrichten. Wie der Bergmann im dunklen 
Raume zu fixiren gezwungen ist, so soll auch der im düsteren 
Zimmer liegende Säugling so andauernd das etwa einfallende 
Licht fixiren, dass er nystagmisch wird. 

Das einzige, in allen Fällen vorhandene und sicher nachweis¬ 
bare aetiologische Moment ist die Rachitis. Mit der Schädel¬ 
rachitis verknüpfte fluxionäre Störungen an den Gehirn¬ 
häuten etc. müssen, wenn auch bisher eine Lokalisationsmöglich¬ 
keit fehlt, für das Entstehen des Spasmus nutans verantwortlich 
gemacht werden. Die fast specifisch wirkende Phosphortherapie 
unterstützt diese Annahme auf’s kräftigste. 

Herr Simmonds: Heber die sog. foetale Rachitis. 

In der letzten Discussion sprach ich die Ansicht aus, dass 
in der Aetiologie der Rachitis neben hygienischen Missständen die 
| hereditären Verhältnisse die allerwiehtigste Rolle spielten, dass 
j bei hereditär belasteten Individuen unter den günstigsten socialen 
Bedingungen, bei einwandfreier Ernährung diese Krankheit gar 
I nicht selten zur Beobachtung kommt, wenn die Eltern an Rachitis 
! gelitten hatten, dass umgekehrt in raehitisfreien Familien trotz 
j Ungunst äusserer Verhältnisse wesentlich seltener das Leiden her- 
! vor!ritt. Ich betonte aber, dass ich dube nur eine ererbte 
• Disposition zu dieser Erkrankung im Auge hätte, keines- 
[ falls aber das Bestehen einer eongenitalen Rachitis dabei voraus- 
j setzte. Trotz regelmässig fortgesetzter anatomischer, zum Theil 
1 auch histologischer Untersuchungen meines reichen Sekt.ions- 
! materials habe ich noch keinen Fall gesehen, wo ich mit Sieher- 
j heit Rachitis beim Neugeborenen angetroffen hätte und ich 
schliesse mich der Ansicht derjenigen an, welche eine con¬ 
genitale Rachitis für etwas extrem Seltenes 
halten. 

Was in früheren Zeiten für foetale Rachitis gehalten wurde, 
ist längst als eine eigenartige Entwicklungsstörung des Skelets 
i erkannt, worden, die man, je nachdem die mangelhafte Knochen- 
bildung einer unvollkommenen periostalen oder e n chon¬ 
dralen Osteogenese beruht, als Osteogenesis imper¬ 
fecta oder als Chondrody strophi e bezeichnet. In beiden 
j Fällen bleibt die Längenentwicklung der Extremitäten hinter der 
I Norm zurück, im ersten Falle sind die Knochen weich und 
brüchig, im zweiten besitzen sie normale Konsistenz. K auf- 
mann unterscheidet nun 3 Gruppen der Chondrodystrophia 
foetalis: 1. die C h. hypoplastica, bei welcher die Epiphyse 
klein bleibt, 2. die C h. malaeiea, die sich durch Erweichung 
j des Knorpels auszeichnet. 3. die C h. hypertroph ica, die 
j sieh durch starke Verdickung der Epiphyse kennzeichnet, und 
äusserst selten ist. Die nunmehr folgenden Projektionsbilder 
zeigen Ihnen je einen Fall von Ch. hypoplastica und C h. 
hypertroph ica. An den Röntgenbilderu und den Abbil¬ 
dungen der einzelnen Knochen erkennen Sie in beiden Fällen die 
starke Verkürzung der Knochen, daneben im zweiten Falle die 
Auftreibung der Epiphysen, die besonders an den unteren Ex¬ 
tremitäten stark hervortritt, die abnorme Gestaltung des stark 
verengten Beckens und die Einknickung von Femur und Tibia. 
An den Mikrophotographien sehen Sie, dass das Wesentliche des 
Proeesses in einer abnormen enchondralen Knoohenbildung be¬ 
steht, dass die Knorpelzellsäulenhildung an der Epiphysengrenze 
völlig fehlt, dass Knorpel und Knochen unvermittelt an einander 
i grenzen, dass im ersten Falle sich bisweilen periostale Biude- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


gewebsstreifen zwischen beiden einschieben, dass im zweiten Falle 
an manchen Orten reichlich Bildung von Höhlen mit einem 
myxomähnlichen Inhalt anzutreffen ist. die Uebergänge zu der 
malaeischen Form darstellen. In das Gebiet des foetalen Cretinis- 
lnus gehören die Fälle nicht. Der Gesichtsausdruck ist nicht 
eretinhaft, das Nasenbein ist nicht eingezogen, die Synchondrosis 
sphenooccipitalis ist nicht verknöchert, die Schilddrüse ist makro¬ 
skopisch wie mikroskopisch normal, die bald nach der Geburt ver¬ 
storbenen Kinder stammen aus gesunden Familien, die Haut Ut 
nicht abnorm fettreich, die Zunge nicht, vergrössert — kurzum, 
nichts spricht für Cretinismus. Auf Grund dieser und 
fremder Erfahrungen halte ich es nicht für 
berechtigt, die sog. foetale Rachitis mit- foe- 
t a 1 e rn Cretinismus oder „foetalcm Myxoede m“ 
zu ident ificiren. (Die beiden Fälle werden mit Abbil¬ 
dungen publicirt in den Fortschr. auf d. Geb. d. Röntgenstrahlen, 
Bd. IV, Heft 5.) 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Soci6t6 de Biologie. 

Sitzung vom 25. Mal und 1. Juni 1901. 

Ueber die subarachnoidale und epidurale Rachicocainisation. 

La borde studirte den Mechanismus der analgesiremlen 
Wirkung des Cocains und konnte sich durch Versuche überzeugen, 
dass dasselbe nicht direkt auf die Nervenelemente oder -Stränge 
eiuwirkt. Wenn man eine Cocaininjektiou in den Muskel macht, er¬ 
hält man eine viel vollständigere Anaesthesie des Gliedes, als wenn 
mau das Cocain unter die Haut injicirt; auch ist die Anaesthesie auf 
ersterem Wege eine viel ausgeprägtere. Wenn man andererseits 
die Wirkung des Cocains auf die Ohren eines Kaninchens studirt, 
welchem der Sympathicus der einen Seite entfernt worden ist. so 
lKX>bachtet man, dass das Cocain eine energische gefüsszusammen- 
ziehende Wirkung hat und seine schmerzstillende Einwirkung der 
letzteren parallel ist. 

H a 11 i o n glaubt nicht au diese Art der Cocainwirkung, son¬ 
dern das Cocain beeinflusse direkt alle lebenden Elemente, es 
reizt sie in schwacher und lähmt sie in starker Dosis. Aber ein 
uhd dieselbe Dosis, welche für das eine Organ stark wirkt, ist für 
ein anderes nur schwach; auf diese Weise ist es zu erklären, dass 
die gleiche Dosis gleichzeitig Lähmung des sensitiven Nerven¬ 
apparates und Erregung der Gefüssvasokonstriktoren hervorruft, 
die Anaemie der betreffenden Gegend tritt also neben der Analgesie 
auf, aber beherrscht sie nicht. 

B r o c a r d hat die Methode der epiduralen Injektionen (nach 
Sieard) anatomisch, physiologisch und klinisch untersucht und 
1<> Fälle von verschiedenen neuralgischen Schmerzen an den 
Unterextremitüten behandelt, ohne jemals einen unangenehmen 
Zufall erlebt zu haben. Der Schmerz hört oft sehr rasch auf und 
die Analgesie kann mehrere Stunden bis 3 Tage anhalteu. Die 
Punktion muss etwas über einer Linie, welche die beiden unteren 
Tuberkel des Canalis sacralis verbindet, gemacht werden; die 
Nadel wird 1—2 cm tief eingestossen und ca. 4 ccm einer >/ 2 proc. 
Cocainlösung werden injicirt. Die Wirkung dieser Art Injektionen 
scheint auf reflektorische Gefässeinflüsse, welche den epiduralen 
Veuenplexus betreffen, zurückzuführen zu sein. 

T u f f I e r und M i 1 i a n halten die Lumbalpunktion 
für ein gutes diagnostisches Mittel in zweifelhaften 
Fällen von Schädelfraktur — die Flüssigkeit ist röth- 
lich, fleischfarben, mikroskopisch als ltlut erkennbar; bei unbe¬ 
deutender Haemorrhagie kann jedoch dieses Symptom fehlen. 

Cbipault wandte sowohl die subarachnoidale wie die epi¬ 
durale Rachicocainisation an; bei ersterer mit der sacrolumbalen, 
nicht der lumbalen Art der Injektion, wodurch die Flüssigkeit 
in sicherer Weise in den unteren Subarachnoidalramn gelangt, ohne 
die Gefahr, Nervenelemente zu verletzen. Nach seiner Erfahrung 
ist diese Art derCocainanaesthesie contraindicirt bei allen Eingriffen 
der Nerveuchimrgie (Immobil isations verband. Nervendehnung) 
wegen der Misserfolge und der Zufälle, welche das Cocain auf die 
kranken Nervencentren bewirken kann. Der epiduralen Methode 
haften diese Nachtheile nicht an und Ch. rüth auf Grund seiner 
anatomischen Untersuchungen, die Injektionen so zu machen, dass 
der Patient den Kopf nach abwärts (Trendelenb u r g'sche 
Position oder Suspension) hält und die Nadel nicht 1, sondern 
5 cm tief in den Canalis sacralis eingestochen wird. Auf diese 
Weise konnte Ch. nicht nur eine Hüftgelenksresektion, sondern 
zahlreiche andere chirurgische Operationen an Perineum, Rectum 
und den Unterextremitüten vornehmen. Nachdem übrigens beim 
Hunde die Methode eine ausgedehnte Analgesie gegeben hatte, 
glaubt Ch., dass sie auch beim Menschen unter technischen, je 
nach den anatomischen Bedingungen vorgenommenen Modi¬ 
fikationen in ausgedehntestem Maasse Anwendung finden wird. 

S t e r n. 


Aus den englischen medicinischen Gesellschaften. 

Harveian Society of London. 

Sitzung vom 7. März 1901. 

Iritis gonorrhoica. 

J. G r i f f i t h erklärt die Gonorrhoe für eine ganz gewöhn¬ 
liche Ursache der Iritis; sie übertreffe als aetiologlsches Moment 
die Syphilis ganz entschieden, trotzdem letztere im Allgemeinen 
als der häufigste konstitutionelle Faktor angesehen wird. Es 
handele sich dabei nicht um eine zufällige Komplikation, sondern 
um einen thatsächlichen Folgezustand, ebenso wie die gonor¬ 
rhoischen Gelenkaffektiouen. Viele Fälle werden ihrem ursäch¬ 
lichen Zusammenhang nach nicht erkannt, weil sie oft erst sehr 
spät nach der Primäraffektion hervortreten; dieselben werden dann 
wegen ihrer Neigung zum Recidiviren als rheumatisch diagnosti- 
cirt. Unter anderen kasuistischen Mittheilungen erwähnt G. eines 
Patienten, bei dem nach gonorrhoischer Panophthalmie der einen 
Seite Iritis gonorrhoica am anderen Auge auf trat, ohne dass Pat. 
jemals an Urethritis gelitten hatte. 

S. S t e p li e n s o n weist darauf hin. dass die Iritis resp. 
Cyklitis manchmal Jahre lang nach der syphilitischen Infektion 
Auftreten kann. Er selbst hat eine Zwischenzeit von 19 Jahren 
beobachtet. Ebenso tritt Iritis manchmal sehr spät als Folge¬ 
krankheit nacli Malaria hervor. 

Demnach erscheinen die G.'sehen Ausführungen vom theore¬ 
tischen Standpunkte aus ganz plausibel. 


Auswärtige Briefe. 

Briefe aus Ostasien. 

Von Oberarzt Dr. Mayer. 

IV. (Vergl. d. W. Nr. 22.) 

Peking, 25. Mai 1901. 

Peking liegt 30 km vom Gebirge entfernt noch in der grossen 
Lössebene, welche sich vom Golfe von Tschili bis hart an den 
Rand des Grenzgebirges gegen die Mandschurei hinzieht. Die ge¬ 
waltige Grundfläche, welche von Mauern umschlossen wird, zer¬ 
fällt in die zwei bekannten Theile der Mandschu- und Chinesen¬ 
stadt. Diese unterscheiden sich schon äusserlich, wie ein Blick 
von den Mauern zeigt, dadurch, dass das Viereck der Mandschu- 
stadt fast vollständig mit Häusern bebaut ist; das ist entschieden 
der ältere Theil. Die Chinesenstadt ist nur in dem zwischen der 
Chunchimün- und der Hadamänstrasse gelegenen Bezirk voll¬ 
ständig bebaut. Südlich der Walderseestrasse liegen nur im west¬ 
lichen Theile zusammenhängende Häuserviertel. Die Nordwest- 
und Nordostocko, und der ganze Süden, letzterer abgesehen von 
den 2 Tempeln des Himmels und des 1. Ackerbauers, sind offenes 
Land, auf welchem sich eine geringe, ackerbautreibende Bevölke¬ 
rung befindet. Westlich des Tempels des 1. Ackerbauers er¬ 
strecken sieh bis an die Mauern die Gräberfelder der ärmeren 
Klassen, unregelmässig über die ganze Landfläche vertheilt. 

Ein weiterer Unterschied zwischen derMandschustadt und dem 
bebauten Theil der Chinesenstadt ist der, dass in ersterer fast 
jedes Haus in seinen Höfen entweder einzelne Bäume oder einen 
Garten einsehliesst. so dass die Mandsehustadt vom Kohlenhügel 
aus einem grossen Garten gleicht. Die Strasscnanlage, soweit von 
einer solchen gesprochen werden kann, ferner die Bauart der ein¬ 
zelnen Hauser ist ebenfalls in der Mandsehustadt bedeutend 
l>osser. Die kleinen, niedrigen Häuser, die engen, schmutzigen 
liefe und namentlich die Lehmhütten findet man viel weniger. 
Als besonderer Stadttheil in der Mandsehustadt ist bekanntlich 
die Kaiserstadt vorhanden. Die eigentlichen Palastgebäude der¬ 
selben machen jedoeh nur die Hälfte des von der rothen Mauer 
umzogenen Gebietes aus. Es sind das die Vorhöfe vor der ver¬ 
botenen Stadt, diese selbst, mit dem hinter ihr liegenden Kohlen¬ 
hügel, und ein langes, schmales, wieder von Mauern umgebenes 
Viereck, welches die Lotosteiehe umschliesst, an denen die kaiser¬ 
lichen Paläste und Tempel gelegen waren. Die übrige Kaiserstadt 
ist von Quartieren eingenommen, welche, bis dicht an die Palast- 
mauern reichend, an schlechter Bauart und Unsauberkeit dem ge¬ 
ringsten Viertel in der Chinesenstadt nichts nachgeben. 

Peking liegt an keinem grösseren Flusse. Es ist merk¬ 
würdiger Weise gerade zwischen die 2 wasserreichen Läufe dos 
Shaho und Ilun-ho hineingebaut, ohne auch nur von einem 
Nebenfluss beider berührt zu werden. Der einzige, zur trockenen 
Jahreszeit vorhandene Wasserlauf, welcher in die Stadt hinein¬ 
führt. ist ein von dem See von Wan-shou-shan hergeleiteter 
Kanal, denn der auf den Karten eingezeichnete Flusslauf, der von 


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30. Juli 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1265 


Sze-wang-fu her die Stadt erreichen soll, ist trocken. Auch diu 
auf deu Kurten zu hndeudeu Kanüle, Seen und JJiicku in der 
Stadt und längs ihrer Mauern sind nur theilweise vorhanden. 

L)er Kanal von Whan-ahou-shan gelangt vor dem Nordwest¬ 
thor der Mandschustadt in den Mauergraben. Sein Wasser läuft 
dann längs der Nordmauer, gibt kurz vor dem westlichen Nord¬ 
thor einen Theil ab durch einen durch die Nordmauer gehenden 
Kanal, erweitert sieh unterhalb der Brücken der beiden Nord- 
thore zu kleinen Weihern, läuft dann um die Nordosteeke dev 
Mandschustadt weiter längs der Ostmauer und geht in dem öst¬ 
lichen Winkel zwischen Mandscliu- und Chinesenstadtmauer in i 
den Tung-tshou-Kanal über. An der Nordostecke der Mauer der 
Chinescustadt hat dieser einen Ueborfall, dessen Ueberwasser in 
dem Graben zunächst der Ost- und dann der Südseite der 
( hinesenstadtmauer weiter läuft, um daim etwas oberhalb der 
Südwestecke der genannten Mauer zu versickern. Nahe dieser 
Ecke liegt ein kleiner, sumpfiger Weiher, von dem ein kurzer Ab¬ 
lauf in der gleichen Gegend des Stadtgrabens verschwindet. Der 
oben erwähnte, durch die Nordmauer gehende Kanal, an dessen 
Abgangsatelle der Stadtgraben durch ein Steinwehr zu einem 
kleinen See gestaut ist, speist innerhalb der Mandschustadt zu¬ 
nächst einen grossen Sumpfweiher. Dieser hat seinen Abfluss 
in einem Kanal, der 2 kleinere Sumpfweiher mit Wasser versorgt; 
von ihnen geht durch ein dicht bewohntes Viertel ein weiterer 
Kanal zu 2 hart nahe der Nordwestoeke der Kaiserstadt ge¬ 
legenen Teichen, deren südlichem der die Kaiserstadtmauer 
durchbrechende Kanal zu den Lotosteichen entstammt. Naive 
der Südostecke der Mauer des Winterpalastes befindet sich au dem 
südlichsten Lotosteich ein Wehr, aus welchem überströmendes 
Wasser in einen Graben gelangt, der in den grossen Graben vor 
dem zweiten Südthor der Kaiserstadt mündet. Aus diesem kann 
das Wasser durch einen unter der Kaiserstrasse führenden Kanal 
in den Graben gelangen, welcher sich längs der Tatarenmauer 
hinzieht. Hierdurch ist dieser Graben von Chien-män an in öst¬ 
licher Richtung feucht. Er mündet in den Tung-tshou-Kanal 
östlich des Thores an der Nordostecke der Chinesenstadt. 

Im Süden der Chinesenstadt findet man auf den Karten 
wiederum mehrere seenartige Gebilde eingezeichnet. Zur 
trockenen J ahreszeit trifft man, vom südlichen Westthore kom¬ 
mend, einen Sumpfweiher links, und 3 Sumpfweiher rechts 
der Strasse; in gleicher Weise, vom südlichen Ostthore kom¬ 
mend, je einen schmalen Sumpfweiher zu beiden Seiten des 
Weges. Alle übrigen Wasserbecken sind entweder ausgetrocknet 
oder enthalten an ihren tiefsten Stellen eine höchst übelriechende 
Lacke. 

Es geht von Peking die Sage, dass es ein vorzügliches Kanal¬ 
system gehabt habe, welches leider durch ein Erdbeben zerstört 
worden sei. Reste einer ehemaligen ausgedehnten Kanalisirung 
findet man allerdings in der ganzen Stadt. Beginnt man an der 
Abgangsstelle des Lotosseekanales, so findet man längs der ganzen 
Nordmauer keine Ausmündung eines weiteren Kanales. Längs 
der Ostmauer münden, jeweils 100 m südlich, an beiden Thoren 
gemauerte Kanäle in den Stadtgraben, welche beim Durchbruch 
durch die Mauer durch ein doppeltes Fallgatter geschlossen sind. 

In der Ostecke zwischen Mandschu- und Chinesenstadt konnte 
das Wasser des Tung-tshou-Kanales durch ein Mauerthor in den 
Graben am Tartarenwall geleitet werden. Die Stelle ist jetzt 
durch ein Steinwehr geschlossen. Längs der Ostmauer der 
Chinesenstadt münden 3 gemauerte Kanäle oberhalb, und 2 unter¬ 
halb des Ostthores in den Graben; ein weiterer an der Südmauer, 
dicht am südöstlichen Thore; 2 zwischen letzterem und dem 
Mittelthor; 3 zwischen dem südwestlichen Thore und der Süd¬ 
westecke der Mauer; an der Weetmauer der Chinesenstadt einer 
dicht am Thore. In der Westecke zwischen Mandschu- und Chi¬ 
nesenstadt befindet sich, wiederum in der Verlängerung des 
Stadtgrabens der Mandschustadt, ein grosses, durch Fallgatter 
geschlossenes Wasserthor. Längs der Westmauer der Mandschu¬ 
stadt mündet kein Kanal. Durch die Tatarenmauer treten 
4 Kanäle durch Mauerthore in den Graben. Die sämmtlichen ge¬ 
nannten Kanalmündungen sind zur Zeit trocken. Verfolgt man 
nun die Kanäle auf der inneren Seite der eben bezeichneten 
Stellen, so verlaufen sie, in der Mauerung meist gut erhalten, 
einige Meter senkrecht nach einwärts von der Mauer, um sich 
dann zu theilen. Die Mauerung besteht aus Backstein und ent¬ 
spricht der üblichen chinesischen Bauart: eine solide Wand innen 


und aussen und dazwischen Kleinschlag; gedeckt sind sie mit 
grossen Strinplatti n . Auf dem Boden liegt wenig Sand. Die 
Mauerung des Bodens ist grösstem he ils verschwunden. Auch die 
grossen Theilkaniile 1 asseu sich noch an der Ostmauer der 
Mandschustadt und an der Tatarenmauer ein Stück weiter ver¬ 
folgen. Die Strassonkanäle würden, da der Fuss der Mauer über¬ 
all tiefer lugt als das Niveau der betreffenden Strasse, mit einem 
Knick in die genannten Endkanäle münden. Diese Stelle ist 
überall, wo sieh die Kanäle so weit verfolgen liessen, eingestürzt 
und verschüttet. 

Die sämmtlichen Strassen von Peking sind mit Kanälen ver¬ 
sehen gewesen. Die Hauptstrasseil hatten deren 2, und zwar zu 
beiden Seiten «lieht an der Häuserreihe. Mau sieht diese Kan.il*- 
noch vielfach in mehr oder minder gut erhaltenen Resten, durch 
die Veränderungen, welche die Hauptstrassen im Laufe der Zeit 
erfahren haben müssen; ein grosser Theil der letzteren besteht 
nämlich in einem hohen Strassendamm in der Mitte, zu dessen 
beiden Seiten sich tiefe Mulden befinden; am Rande der Mulden, 
zum Theil hoch über dem Niveau des Strassenkörpers sieht mau 
nun die zerfallenen Kanalroste; die Häuser liegen gewöhnlich 
noch höher. Es scheint demnach, als ob der schlecht gebaute 
Strassenkörper durch Einwirkung sowohl des Regens, wie des 
! Verkehrs immer mehr verbraucht wurde, und so die Anfangs 
I in seiner Tiefe gelegenen Kanäle zu Tage treten lässt. 

In den Nebenstrassen existirte nur ein Kanal; derselbe 
hatte an verschiedenen Stellen aufgemauerte Oeffnungen, durch 
welche die Haus- und Regenäbwüsser hineingelangten, llaus- 
anschlüsse scheinen auch im Kaiserpalast nicht existirt zu haben. 
Die kleinen Kanäle liegen nun umgekehrt wie die grossen, zum 
Theil sehr tief unter dem jetzigen Niveau der Strassen. Um zu 
ihren Decksteinen zu gelangen, muss oft 4—5 m Boden ausge¬ 
hoben werden: In den kleinen Gassen wurde eben auf den Schutt 
des einen Hauses immer wieder ein anderes aufgebaut und da¬ 
durch erhöhte sich das Erdreich. Die Höhe der grossen Mauer- 
Kanäle beträgt zwischen 1,70 und 1,80 m; die der Kanäle in deu 
Hauptstrassen 1,30—1,50 in, in den Nebenstrassen ungefähr 
1,00 m. Hat man eine genügende Menge von Kanälen in einem 
Stadtviertel aufgedeckt, wie es im deutschen Theil der Chinesen- 
stadt, im nördlichen Theil des amerikanischen Viertels, sowie 
im Pe-tang durch die Franzosen geschah, so macht man die Ent¬ 
deckung, dass in der Kanalanlage von einem System keine Rede 
gewesen sein kann. Es verlaufen nämlich die Kanäle z. B. in 
der Walderseestrasse, Lazarethstrasse, Königsberger- und Prä¬ 
fekturstrasse parallel nebeneinander, ohne dass ein Verbindungs- 
kanal zwischen ihnen zu finden war. Die Kanäle der Seiten¬ 
strassen mündeten zwar in die oben bezeichneten Strassen. Je¬ 
doch geht von der Königsbergerstrasse kein Ablauf zu dem Graben 
am Tatarenwall, was doch das Nächstliegende wäre. Vielmehr 
soll die ganze Chinesenstadt ihre Abwässer nach Süden entleeren, 
wie der chinesische Kanalverständige versicherte. Es wurden 
jedoch von den Amerikanern zu einem von ihnen südlich der 
Walderseest.ru sse aufgedeckten grossen Kanal ebenso wenig Ver¬ 
bindungen gefunden. Bei einer Besprechung der Mandarine, 
welche früher mit der Kanalreinigung beauftragt waren und die 
auf der Präfektur zusammengerufen wurden, um in den deutschen 
Vierteln die Kanäle benutzbar zu machen, stellte sich Folgendes 
heraus: Die Kanäle wurden in den kleineren Strassen alljährlich 
im April aufgedeekt und ausgeräumt, und zwar in der Weise, 
Hass die Arbeiter im Akkord arbeiteten, indem sie für die jeweils 
10 chinesische Fuss lange Strecke bezahlt wurden. Es wurden 
an einer beliebigen Stolle eines Kanals zwei 10 Fuss von einander 
entfernte Löcher von der Strasse heruntergegraben und von 
diesen sollte die Reinigung nach beiden Seiten fortgesetzt werden. 
Bei dem nach diesem System probeweise bei einigen Kanälen 
im April dieses Jahres vorgenommenen Reinigungsversuch stellte 
sich heraus, dass dieselben zur Hälfte mit Unrath gefüllt, dann 
aber bald mit festem Erdreich derartig ausgestopft waren, dass 
eine durchgehende Reinigung seit langer Zeit nicht mehr stat.' 
gefunden haben konnte. Die Mandarine gaben dann auch mit 
verständnisvollem Schmunzeln zu, dass zu einer vollständigen 
Reinigung der Kanäle nicht genügend Geld vorhanden g«-we.»cii 
sei. Die grösseren Kanäle seien überhaupt fast alle eingotiirzi. 

Die Kanäle sind eben gegenwärtig nur noch eine Reihe von 
Versitzgruben; da ihnen zur trockenen Jalireszeit das nöthige 
Wasser zur Spülung fehlte, ihre Mauerung von jeher undicht. 


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1266 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


ihr System planlos war, konnten sie höchstens zur Regenzeit eine 
einigennaussen zweckmässige Wirkung entfalten. 

Schon oben ist erwähnt, dass nur in einem Theile der west¬ 
lichen Mandsehustadt, einem Theile der Kaiserstadt, sowie dem 
Süden der Chinesenstadt offene Wasserflächen gegenwärtig exi- 
stiren. Zur Deckung des Wasserbedarfs ist die ganze übrige 
Stadt auf Grundwasser angewiesen. Jedoch auch die den ge¬ 
nannten Wasserflächen anliegenden Bezirke entnehmen ihr Trink¬ 
wasser au« Brunnen. Jede grössere Wohnungsanlage hat auf 
ihrem eigenen Grundstück ein oder mehrere Brunnen. Die 
weniger Bemittelten könnten ihr Nutzwasser aus den in fast 
allen kleineren und in sämmtlichen grösseren Strassen reichlich 
vorhandenen Brunnen entnehmen. Man findet jedoch, dass die 
meisten dieser Brunnen nicht oder nur wenig im Gebrauch sind, 
dass vielmehr in allen Stadttheilen einige Brunnen sich einer 
besonderen Abnahme erfreuen. Die Zufuhr des Wassers in die 
Häuser hat eine förmliche Erwerbsklasse herausgebildet. Man 
trifft in allen Strassen die einrüderigen Karren der Wasser¬ 
fahrer, welche ihr Wasser ausrufen, und bei denen jeder einiger- 
maassen Begüterte um einige Kesclx seinen Hausbedarf deckt. 
Die reichsten Chinesen lassen ihren gesummten Bedarf aus den 
Brunnen in der Südwest- und Südostecke der Chinesenstadt 
fahren. Dieses Wasser gilt hier als das beste und wird tlieuerer 
bezahlt als das andere. 

Pumpbrunnen kennen die Chinesen nicht. Es existiren aus¬ 
schliesslich Schachtbrunnen; dieselben, ringförmig gebaut, haben 
eine Weite von VA —3 in. Sie werden in der Weise angelegt, 
dass ein rundes Loch in die Erde gegraben wird, bis zur ersten 
wasserführenden Schicht. Diese wird VA —2 m tief noch aus¬ 
gehoben, hierauf der Boden geebnet und nun ohne Weiteres der 
Schacht mit Ziegelsteinen aufgemauert. Die Abdeckung nach 
oben geschieht durch eine oder mehrere grosse Steinplatten, in 
denen sich je nach der Weite des Brunnens ein oder mehrere 
Löcher befinden. Auf diese Löcher wird noch ein 20—30 cm 
hoher Steinring, gewöhnlich aus einem Marmorstück, aufgesetzt. 
Während aus weniger benutzten Brunnen das Wasser in gefloch¬ 
tenen Eimern an Stricken emporgeholt wird, haben vielbenutzte 
Brunnen entweder ein Gestell mit Rolle, über die zwei Eimer 
auf und nieder gleiten oder eine Winde, mit der ein ständiger 
Arbeiter das Wasser in Eimern heraufholt und in bereitstehende 
Steintröge giesst, aus denen einerseits die Reit-, Zug- und Trag- 
thiero ihren Durst stillen, andererseits die Waseerfuhrwerke ihren 
Bedarf decken. 

Die Entfernung der menschlichen, thierischen und wirt¬ 
schaftlichen Abfälle aus den Häusern erfolgt in verschiedener 
Weise. Zunächst befinden sich auf den meisten Höfen der 
kleineren Wohnhausanlagen, sowie auf den Wirthschaftshöfen 
der grösseren, gemauerte Versitzgruben, in welche ein Theil 
der Abfälle geschüttet wird, darunter speciell die menschlichen 
Ausscheidungen, welche aus den Aborten dorthin geschafft 
werden. Der chinesische Abort ist sehr einfach gebaut. Er wird 
in eine enge Hofenge verlegt. Der Boden ist mit Ziegelsteinen 
gedeckt; an der zur Anlage bestimmten Stelle befinden sich 
mehrere Rinnen nebeneinander, zwei Ziegelsteine tief, einen 
breit und drei bis vier lang. Ist die Rinne gefüllt, so wird der 
Inhalt ausgeschaufelt und in die Versitzgruben gebracht. Der 
Harn versickert in den Boden der Aborte. Im Winterpalast, der 
verbotenen Stadt und im Sommerpalast war in den für die kaiser¬ 
liche Familie bestimmten Aborten vor der Rinne theilweise noch 
ein Querbrett angebracht. Ausser diesen in den Häusern 
befindlichen gibt es in allen Stadtvierteln noch öffent¬ 
liche Aborte. Sowohl die Exkremente der letzteren, 
wie die Massen in den Versitzgruben werden von besonderen 
Unternehmern gesammelt und in Holzkübeln abgefahren. Das 
Wasch- und Spülwasser wird in grösseren Häusern theilweise in 
Thontöpfe gegossen, aus denen es wiederum abgefahren wird. 
Kleinere Haushaltungen giessen es einfach auf die Strasse. — 
Auch der Stallmist wird aus den Häusern entfernt. Man be¬ 
gegnet allerorts Kulis, welche ihn in offenen geflochtenen Doppel¬ 
körben auf Tragstangen fortschaffen. Anderseits entledigt man 
sich überflüssiger Mengen wiederum dadurch, dass man sie auf 
die Strasse wirft. Dass gelegentlich der Chinese seine Bedürf¬ 
nisse auf der Strasse erledigt, ist bekannt. Ein Ritt innerhalb 
oder ausserhalb an der Stadtmauer lässt allenthalben Personen 
in der charakteristischen Stellung sehen. Namentlich ausserhalb 


No. 31. 

der Stadtthore, wo die verschiedenen Kameel- und Wagentrans- 
porto u. s. w. halten, haben sich längs der Strassen ganze 
Berge von Unrath gesammelt. Durch die oben genannten Ab- 
fuhrunternehmer wird der Unrath theilweise direkt an die feld- 
und gartenbautreibende Bevölkerung in und ausser der Stadt 
gebracht; theilweise erst nach einer Vorbehandlung, welche mau 
namentlich längs der Aussenseite der Ost- und Nordmauer der 
Mandschuhstadt, beobachten kann. Der Unrath wird hier ausge¬ 
breitet und an der Sonne getrocknet und erst dann weiter ver¬ 
kauft. Es entwickelt sich natürlich in dieser Gegend ein ganz 
entsetzlicher Geruch. Dass die Abfälle ausserdem auch noch 
in die Reste der Kanäle geschüttelt werden, soweit dieselben noch 
Oeffmingen besitzen und der flüssige Theil im Boden versickert, 
ist schon oben erwähnt. — Für die Vorstädte Pekings und die 
den Thoren nahegelegenen Stadtheile ist die grosse Sammelstelle 
für Unrath der Stadtgraben, ganz gleich, ob er trocken oder 
feucht ist. Er verbreitet daher einen pestilenzialischen Geruch. 
Dabei wird aus ihm da« Wasser zum Berieseln der Felder und 
Gärten genommen, indem längs des Graben seichte Schächte 
angelegt sind, aus denen das Sammelwasser hochgezogen wird. 
Die Gemüse werden im Kanal gereinigt, bevor sie zum Markte 
kommen. Nahe den Brücken sieht man allenthalben eifrig die 
Wäscherinnen von Kleidungsstücken beschäftigt. 

Es wurde schon erwähnt, dass sich im Südwesten der 
Chinesenstadt die Gräberfelder der ärmeren Bevölkerung be¬ 
finden. Jede einigermaaksen bemittelte Familie hat dagegen ihre 
eigene Begräbnissstätte, die entweder auf dem Besitzthum liegt, 
oder es haben sich merhrere verwandte Familien zusammengethan 
und einen Begräbnissplatz ausserhalb der Stadt gekauft. Der¬ 
selbe wird mit Bäumen bepflanzt und mit einer Mauer umzogen. 
Vor ihm ein Thor aus Holz oder aus Stein errichtet und eine 
Gedenksäule, bestehend aus einer Schildkröte, die einen hohen, 
viereckigen Stein trägt, das Ganze von einer Kuppel überdacht. 
Die Reichen Pekings, namentlich die Angehörigen des Hofes, 
haben ihre Gräber meist weit ab in engen Gebirgsschluchten 
und versehen mit oft prächtigen Tempeln und Parkanlagen. Eine 
der grossartigsten ist der Bi-jun-see, der bekannte Marmor¬ 
tempel bei Sze-wang-fu. Nach dem Reichthum des Todten 
richtet sich Sarg und Grabhügel. Auf den Gräberfeldern in der 
(- hi 1 Kronstadt sind die Särge aus ganz dünnem, schlechtem Holz 
lose zusamengenagelt, und nur so weit in der Erde versenkt, dass 
sie eben wieder mit Erde bedeckt werden können. Je begüterter 
der Verstorbene, aus desto mächtigerem und feinerem Holz ist 
der Sarg und desto grösser der Grabhügel, welcher ihn deckt. 
Bei Angehörigen des Hofes ist der Hügel gewöhnlich vollständig 
übermauert. 


Skizze der Wasserläufe und Kanäle in Peking. 



durchbrüche. 

1. Cunchi-Män. 

2. Ohien-Män. 

3. Hada-Män. 

4. Präfekturstrasse. 

5. Commandanturstrasse. 

6. Hadamftnstr&sse 

7. Kaiserstrasse. 

8. Chunchimänstrasse. 


9. Walderseeetrasse. 

10. Tempel des 1. Ackerbauers. 

11. Tempel des Himmels. 

12 Verbotene Stadt. 

13. Berg der Hauptstadt (Kohlenhügel). 

14. Winterpalast. 

16. Peh-tang. 


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SO. Juli 1901. 


Verschiedenes. 

Therapeutische Notizen. 

I>ns Ergebnis« Huer einjährigen Anwendung des Menthol- 
Jodols bol Erkrankungen der Nase, des Kuchens und des Kehl¬ 
kopfes formulirt I>r. J o r i s - Korredo folgondermaassen: 1. Das 
Menthol-Jodol riecht sehr angenehm, da der Jodgeruch durch den 
des Methols vollkommen verdrängt ist. 2. Das Menthol-Jodol be¬ 
sitzt antiseptische Eigenschaften in demselben oder vielleicht in 
»wh höherem Grade als Jodol. 3. Das Menthol-Jodol zeichnet sich 
durch eine eigentümlich erfrischende und schmerzstillende Wir- 
kung aus. 4. Ferner Ist das Mittel wegen seiner fein krystailisirten 
Form ein ideales Mittel zu Einblasungen. f>. Das Menthol-Jodol 
ruft keine Störungen in der Verdauung hervor. (Ivlinisch-therap. 
Wochensehr. 1901, No. 15.) p. H. 

Zur Behandlung des Wangenkrebses empfiehlt 
Dr. Kichavd Schweizer-Moskau eine Methode, die ziemlich 
günstige Resultate ergehen soll. Sie besteht darin, dass man nach 
Entfernung des Gangraonöseu die ganze nomatöse Oberfläche mit 
dem scharfen Löffel ausschaht, mit Borsäure oder Kalium per- 
ntanganicum durchspült, die Wunde mit Jodoform einreibt und 
schliesslich einen trockenen Verband applicirt. Gelingt es nicht, 
beim ersten Maie alles Gangraeuöse zu entfernen, so wird die 
Wunde nach Einreibung mit Jodoform mit Wattebäuschclien, die 
nur 0.1 Kalium poruinnganicum-Lösuug getränkt sind, bedeckt 
und am nächsten Tage die Ausschabung wiederholt. Das letztere 
muss in denjenigen Fällen, In denen die Gangruen weiter schreitet, 
mehrmals wiederholt werden. In die Wunde wird täglich 1—2 mal 
Jodoform geriehen und sorgfältig öfters mit einer Lösung von 
Kalium pcrmunguuicum durchspült, bis sie sich mit gesunden 
Granulationen bedeckt. Gleichzeitig wird man besondere Auf¬ 
merksamkeit der Ernährung der Kranken und der Desinfektion 
der Luft schenken. Mau muss die Kinder mit allen möglichen 
Mitteln zun» Essen veranlassen. (Allg. medlc. Central-Ztg. 1901, 
No. 45—40.) P. H. 

v Beim Hus ten der PJt.th i-e-lk e r und beim Keuch- 

-\ husten hat sfcTT L Ur tTf^Paris mit gutem Erfolge einer Kom¬ 
bination von Heroin mit Brnmoforin bedient. Phthisikern 
gibt er von einem Syrup, der auf den Theelöffel 0,005 g Her. hydro- 
«•hior. und 0.15 g Brompform enthält, täglich 4—G Theelöffel; der 
Husten lässt wesentlich nach, Erbrechen und Schlaflosigkeit 
schwinden. Auch bei Asthma wie bei Angina und Laryngitis 
leistete der Syrup. event. ln Milch genommen, gute Dieuste. 

Keuchhustenkranke Kinder bekommen während 24 Stunden 
Im Alter von 2—4 Jahren einen Theelöffel des Syrups auf 5 Thee¬ 
löffel Syr. balsaxn. tolut., Im Alter von 9—10 Jahren 2 Theelöffel 
auf 3 Theelöffel Syr. balsam. tolut. und im Alter von 1—2 Jahren 
V, Theelöffel auf einen Kaffeelöffel. (L’Ind6peudance m6dieale, 
No. 48, 1900.) P. H. 

Bei Gelegenheit der Influenza -Epidemie, die im No¬ 
vember und Dezember 1899 in New-York wüthete. machte Di*. 
Richy ausgiebigen Gebrauch von Salophen. Die Epidemie 
zeichnete sich durch den rheumatischen Charakter der Erkrank¬ 
ungen aus. die zwar keine Gefahren für das Leben dnrboten. je¬ 
doch mit äusserst heftigen Erscheinungen einhergingen. Der An¬ 
fall setzte gewöhnlich mit Schüttelfrost, darauffolgendem Fieber, 
Schmerzen in» Kreuz, Kongestion in Rachen und Lungen ein und 
machte den Eindruck einer schweren infektiösen Erkrankung. 
Verf. schickte die Kranken sofort in’s Bett und gab ihnen zu¬ 
gleich 1,0 Salophen. In kurzer Zelt folgte gewöhnlich eine profuse 
Scliweisssekretion. die durch Verabreichung von wannen Ge¬ 
tränken unterhalten wurde. Wenige Dosen von Salophen ge¬ 
nügten fast stets, um die schweren Kraukheitsersclieinungen zu 
beseitigen. 

Ausserdem verwendete Verf. das Salophen hei Kopfschmerzen 
anf rheumatischer Diathese, hei durch Anhäufung von Harn be¬ 
dingten Neuralgien gleichfalls mit Erfolg. Ferner erzielte er 
mittels einiger Salophendosen Linderung der Schmerzen in einem 
Kalle von schwerer hartnäckiger Ischias. Geradezu als Specilicum 
dürfte nach Verf. das Snlophen bei Tonsillitis betrachtet werden, 
besonders der der kleinen Kinder. Letzteren verordnet man das 
Salophen am besten mit etwas Zucker. Auch bei Scharlach hut 
'las Salophen ln der Kegel gute Resultate ergeben. (Buffalo Medlcul 
Journal, 1901, Vol. 40, No. 7.) P. H. 

m In verschiedenen Fällen von Lungenerkrankung, da 

runter auch in mehreren Fällen bereits vorgeschrittener 
Tuberkulose, hat Dr. G o 1 d m a u n - Wien mit dem „K opp- 
schenGua] a k o ik a lksyru p“ recht schätzenswerthe thera- 
pciT H s a b« Kpfoflfg~PfzieIt Das mlueFwird am vorthellhaftesten ln 
der Weise verordnet, dass man es täglich, je nach der Intensität der 
Erkrankung, mit einem Kaffeelöffel voll angefangen, der Indi¬ 
vidualität des Patienten angemessen, allmählich steigernd bis 
3—5 Kaffeelöffel voll täglich, in einem kleinen Glas Zuckerwasser 
vermischt, beliebig vor oder nach dem Essen nehmen lässt. Ein 
besonderer Vorzug des Präparats ist der, dass es von jedem ein¬ 
zelnen Kranken, auch von verwöhnten Kindern, willig und gern 
genommen wird, mit seinem angenehmen Geschmack weder Ekel 


1267 

noch Widerwillen verursacht, auch lange Zeit hindurch sehr gut 
und ohne irgend welche schädliche Nebenwirkung zu verursachen, 
vertragen wird, so dass man es unbeschadet die längste Zelt fori- 
gehrauchen kann, was hei der Behandlung der langwierigen 
Tuberkulose von grosser Wichtigkeit ist. Die Kranken bekamen 
bedeutend gebesserte und regere Esslust, bei gut fuuktionirender 
Verdauung, einen ruhigeren und ungestörten Schlaf; es besserte 
sich ihr Allgemeinbefinden und ihr Aussehen in sehr befriedigender 
Weise. (Deutsch. Mediciual-Ztg. 1901, No. 42.) I». H. 

Zur Behandlung der Syphilis mit c a c o d .Vi¬ 
sa u rem Ilg. Brocq hat nach einen» Bericht in der fran¬ 
zösischen Gesellschaft für Dermatologie und Syphiligiaphle 
(Sitzung von» 4. Juli ds. Js.) seit einem Jahr dies Mittel in zahl¬ 
reichen Fällen angewandt. Das reine Produkt, welches sauer, aber 
sehr giftig und schmerzhaft ist. wurde bald verlassen und dafür 
von F r a i s s e ein neutrales, mit etwas Natrium und Jodnatrluni 
vermischtes Präparat hergestellt. Dasselbe ist sehr dauerhaft, bei 
120 u sterilisirbar und enthält pro Cuhikcentimeter 4.7 mg Queck- 
silberbljodnt und 4 eg Na caeodyl; die Lösung ist wässerig, voll¬ 
kommen klar. Sie wurde zur Injektion in der Dosis von 1—2 ccm 
angewandt. Der Sei»mene Ist. gleich Null oder gering und im All¬ 
gemeinen entstehen nur Knoten, wenn die Injektion zu oberflächlich 
iu die Haut gemacht wird. Als Nebenerscheinung traten einmal 
Pigmentirung. einige Male Stomatitis und Diarrhoe auf. Im All¬ 
gemeinen schien Hg-J-Gacodylat sein* wirksam gegen alle syphi¬ 
litischen Erscheinungen, ebensowohl des Sekundär- wie des Tertiär¬ 
stadiums, besonders aber bei allen Syphilitikern mit gleichzeitigen 
Schwächezuständen und Neurasthenie. Die Verbindung der Arseu- 
mit der Quecksilberdarreichung gibt in manchen Fällen bessere 
Resultate als die einfache Ilg-Beliaudluug. wesshalb auf die Vor- 
theile dieses neuen Mittels aufmerksam gemacht werde. (Bulletin 
mödicale 1901, No. 53.) St. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 30. Juli 1901. 

— Dem soeben erschienenen Rechenschaftsbericht 
über die Verwaltung des Pensionsvereins für 
Witt w c n und Waisen bayerischer A e r z t e pro 
1900 entnehmen wir folgende Daten: Die Zahl der Mitglieder be¬ 
trug 429 ordentliche (darunter doppelt versicherte G) und 14 Ehren¬ 
mitglieder; die Zahl der Pensionäre betrug am Jahresschlüsse: 
273 Wittwen, 77 Walsen und 21 Doppelwaisen, in Summa 371. — 
An Pensionen wurden ausbezahlt 57 043 M., mit Hinzurechnung 
der Dividende (10 I’roc.) = G2 730 M. — Ausser den Staatszu¬ 
schüssen Im Betrage von 8430 M. flössen dem Verein an Schen¬ 
kungen und Ix*gnten zu = 7430 M. Das Vereinsvermögeu hat sich 
um 11195 M. erhöht und betrug am Schlüsse des Jahres 1235377 M. 
Die durch die Geueralversarnmlung im Jahre 1900 beschlossenen 
Reformen (Erhöhung der Jahrespenslou auf 300 M., Aufhebung 
der Eintrittskapitalien, Ermöglichung einer Nachversicherung) 
haben sich im laufenden Vereinsjahre bereits dahin geiiussert, dass 
72 Mitglieder eine Nachversicherung allgeschlossen haben und dass 
die Zahl der neu eingetreteuen Mitglieder sich gegen die Vor¬ 
jahre erfreulich gesteigert hat. In Bezug auf die Bedin- 
gungendes Eintritts verweisen wir auf No. 13, 1901, dieser 
Wochenschrift (S. 505) und bemerken, dass der Beitritt in den 
ersten 3 Jahren nach der Verlieirathung ohne Weiteres erfolgen 
kann und dass nach Ablauf dieser Frist ein amtliches ärztliches 
Zeugniss über körperliche Gesundheit beizubringen ist. An¬ 
meldungen sind zu richten an die Kreisausschüsse oder au den 
Geschäftsführer des Vereins, Herrn Hofrath Dr. M a r t i u s, 
Soflenstrasse 5c iu München. 

— Hochherziges Legat. Die vor Kurzem dahier ver¬ 
storbene Oberstabsarztenswittwe Katharina Deppisch hat mit 
ihrem vor einigen Jahren verlebten Ehegatten, Dr. Otto Dep- 
•plsch, den Pensionsverein für Wittwen und 
Waisen bayerischer Aerzte zum Universalerben ihrer 
Hinterlassenschaft, eingesetzt. An Legaten hat der genannte 
Verein den Betrag von 10000 M. an den Verein zur Unter¬ 
st ützuug invalider hilfsbedürftiger Aerzte in 
Bayern in Nürnberg, sowie den Betrag von 2000 M. an das 
städtische Waisenhaus in München hinauszube- 
zalilen. Nach Abrechnung dieser Vermächtnisse verbleibt dem 
Pensionsverein für Wittwen und Walsen bayerischer Aerzte der 
ansehnliche Betrag von ca. 38 000 M. Ehre dem Andenken des 
edlen Ehepaars! 

— Bezüglich der Führung der mit akademischen 
Graden verbundenen Titel bestimmt eine königliche 
Allerhöchste Verordnung vom 12 d. M., was folgt: „§ 1. Bayer. 
Staatsangehörige, die ausserhalb des Deutschen Reiches einen aka¬ 
demischen Grad erwerben oder erworben haben, bedürfen zur 
Führung des damit verbundenen Titels die Genehmigung des 
Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegon- 
heiteu. Das Gleiche gilt für Nichtbayern, die in Bayern ihren 
Wohnsitz Italien oder in Bayern zu Erwerbszwecken sieh auf- 
halten. § 2. Gegenwärtige Verordnung tritt mit dem Tage Ihrer 
Verkündigung int Gesetz- und Verordnungsblatt in Kraft. Per¬ 
sonen, die vor diesem Zeitpunkt einen akademischen Grad aussor- 


MUENCIIENER MEDIOINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


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1268 Beilage zur Münchener medicinisehen Wochenschrift. No. 31. 


halb des Deutschen Reiches erworben haben, haben die erforder¬ 
liche Genehmigung binnen 3 Monaten einzuholen.“ 

— Zu der in No. 1, 1900 d. W. veröffentlichten „Belehr u n g 
ii b er di e 1’ e s t“ wird durch KegieTungsentschlU*HHung vom 
12. v. Mts. nachgetragen, dass als chemische Desinfektionsmittel 
an Stelle der In jener Belehrung bezeiclmeten Lösungen von Subli¬ 
mat (1 Protn.), Karlwdwasser (3 Proc.) Kresolseifenlösting zu treten 
haben: „verdünnte Karbolsilurelösung (3 Proc.) auf die Hälfte 
verdünnt es Iv resol wa sser". 

— Die H u f e 1 a n d i s e h e Gesellschaft hatte für «las 
Jahr 1901 zwei Preisaufgaben ausgeschrieben: 1. Einfluss des Salz¬ 
gehaltes der Trinkquellen nuf die Blutbeschaffenheit. 2. Beein¬ 
flussung des Gefüsstonus und der Blutstromgeschwindigkeit durch 
thermische und mechanische Reize. Bezüglich der ersten Auf¬ 
gabe wurde einer experimentell-wissenschaftlichen Arbeit des 
Herrn Dr. H. Dünsch m a n u in Wiesbaden der volle Alvarenga- 
preis von 800 M. zuerkanut. Leber das zweite Thema hatte Herr 
Privatdocent Dr. Priedel Pick in Prag eine Arbeit eingereicht, 
welche aber aus Zeitmangel nicht zu Ende geführt war. Aus 
diesem Grunde konnte ihm der sonst wohlverdiente Preis nicht zu¬ 
gebilligt werden. Er wurde jedoch durch eine besondere Anerken¬ 
nung und eine Ehrengabe von 500 M. ausgezeichnet. 

— Am 2. und 3. August findet in der Aula des pädagogischen 
Universitäts-Seminars in Jena die III. Versammlung des 
A 11 g e m e 1 n e n deutsch e n Vereins f ii r Ivin d e r - 
forsch ung statt. Das Programm enthält u. a. Vorträge von: 
Prof. Dr. H o f f a - Würzburg: Die mcdicinisch-pädagogische Be¬ 
handlung gelähmter Kinder; Erziehungsinspektor Pi per-Dall¬ 
dorf: Ueber psychopathische Kinder: a) mit moralischen Defekten, 
beruhend auf Schwachsinn; b) mit einseitiger Begabung, beruhend 
auf Erblichkeit; Hofrath Prof. Dr. B i n s w a n g e r - Jena: lieber 
Hysterie im Kindesalter; Regierungs- und Medicinalrath Prof. Dr. 
L e ubus c her- Meiningen: Ueber die Schularztfrage. Prak¬ 
tische Ergebnisse der schulärztlichen Thätigkeit. 

— Pest. Frankreich. Auf dem von Ostaslen in Marseille 
oingetroffenen Dampfer „Laos“ von der Compagnie des Messageries 
Maritimes sind bis zum 11. Juli 14 arabische Heizer au der Pesi 
erkrankt und davon 4 gestorben. Von diesem Dampfer war be¬ 
reits ln Suez ein arabischer Heizer, dessen Erkrankung sich als 
Pest herausgestellt hat, dem Kninkenhause übergeben worden. — 
Türkei. Bezüglich der beiden Pestfälle in dem Stadttheil Kas- 
zimpasclm uud dem italienischen Hospital ist festgestellt, dass 
dieselben auf das Stadtviertel Topliane zurückzuführen sind. Es 
wird vermuthet, dass die Krankheit durch ägyptische Schiffe ein¬ 
geschleppt worden ist, welche dort in grosser Zahl zu ankern 
pflegten. In Stambul wurde am 10. Juli Im Stadttheil Galata 
ein neuer Pestfall festgestellt, im Stadttheil Balat wurden Tags 
darauf 2 derartige Erkrankungen gemeldet Einer Mittheilung 
vom 10. Juli zu Folge sind auf Chios mehrere pestverdächtige 
Fälle, darunter 1 Todesfall, beobachtet. — Aegypten. Vom 5. bis 
12. Juli sind in Zagnzig 3 neue Erkrankungen (und 2 Todesfälle), 
in Alexandrien 2 (1), in l'ort Said 2 (0) augezeigt worden. — 
Britisch-Ostindien. In der Präsidentschaft Bombay wurden in der 
Woche vom 15. bis 21. Juni 042 Erkrankungen und 492 Todes¬ 
fälle an der Pest gemeldet. In der Stadt Bombay zählte man 
vom 10. bis 22. Juni 01 Pesterkraukungen und 49 Todesfälle; 
ausserdem wurden 107 Sterbefälle als pestverdächtig bezeichnet; 
die Gesamnuzahl der Gestorbenen bezifferte sich auf 043. — 
Hongkong. In der Kolonie sind in den drei Wochen vom 18. Mai 
bis 8. Juni 200—215—101 neue Pesterkraukungen und 187—207—155 
Pesttodesfälle amtlich bekannt geworden. Vom 1. Jan. bis 12. Juni 
wurden Im Ganzen 1170 Erkrankungen (darunter 18 bei Europäern) 
mit 1111 Todesfällen angezeigt. — Mauritius. In der Zeit vom 
10. Mal bis 0. Juni wurden uuf der Insel 2 Erkrankungen und 

1 Todesfall an der Pest festgestellt. — Kaplaud. Während der 
am 15. (bezw. am 22.) Juni endenden Woche waren dem Pest 
hospital In Kapstadt 7 (4) Kranke, darunter 3 (0) Europäer, über¬ 
geben worden. Am 15. (22.) Juni befanden sich 79 (09) Kranke 
im Hospital, darunter 7 (2) Eingeborene; als pest verdächtig 
standen au diesem Tage 13 (10) unter Beobachtung, nachdem bei 

2 (0) derselben im Laufe der Woche Pest festgestellt war. Am 
22. Juni befanden sich in den contact camps noch 522 Personen 
unter Beobachtung. Die Zahl der bis zum 22. Juni festgestellten 
Pesterkraukungen wird nuf 735, diejenige der Pesttodesfälle auf 
354 angegeben. In l’ort Elizabeth wurde In der Zelt vom 10. bis 
22. Juni 1 Pestkranker dem Hospital zugeführt; die Zahl der 
Pesttodesfälle betrug 3. — Queensland. In der am 8. Juni ab¬ 
gelaufenen Woche sollen 3 Pesterkrankungen und 2 Pesttodes- 
fülle vorgekommen sein. Es wird befürchtet, dass die Seuche 
sich in Brisbane einnistet. 

— In der 28. Jahreswoche, vom 7.—13. Juli 1901, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Frankfurt a. O. mit 45,4, die geringste Bamberg mit 7.4 
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Masern in Borbeck, Metz. 

(Hochschulnachrichten.) 

Erlangen. Der ordentliche Professor an der Universität 
Rostock Dr. Ernst Graser wurde zum ordentlichen Professor 
der Chirurgie und Direktor der chirurgischen Klinik In der meili- 
cinischen Fakultät der k. Universität Erlangen ernannt. Dr. phil. 
et raed. Otto A i c h e 1 hat sich für Geburtshilfe und Gynäkologie 
habilitirt. 


Gott in gen. Der Oberarzt der psychiatrischen Klinik 
Dr. W. Weber, hat sich mit einer Prol>evorlesung „über die Be¬ 
ziehungen der geistigen Störungen zu sonstigen körperlichen Er¬ 
krankungen“ für das Fach der Psychiatrie habilitirt. 

Jena. An der hiesigen Universität hat sich Dr. Haus 
Berger in der medicinisehen Fakultät habilitirt. 

Rostock. Der Ordinarius für Augenheilkunde au der 
hiesigen Hochschule, Prof. Dr. Axenfeld, der auch die oph¬ 
tha! mologische Universitätsklinik leitet, hat einen Ruf nach Frei- 
bürg i. B. als Nachfolger des Ilofraths Prof. Dr. M a n z erhaltet). 
Es ist indes» noch zweifelhaft, ob Prof. Axenfeld diesem Rufe 
folgen wird. 

Würz bürg. Habilitationen. Am 20. Juli habilitirte sieh 
Dr. Jacob Ried Inger für Chirurgie, am 23. Juli Dr. Wilhelm 
Seitz für Physik und am 2(5. Juli Dr. Paul Römer für Augen¬ 
heilkunde. 

Florenz. Habilitirt: Dr. G. Daddi für Neurologie, l)r. 
C o m b a für Paediatrie, Dr. C. Biondi für gerichtliche Medioin. 

Paris. Der Professor an der medio. Fakultät zu Lille. 
Dr. d (* I. apersonne, wurde zum Professor der ophthahno- 
logisclien Klinik ernannt. 

Lyon. Dr. Weill wurde zum Professor der Kinderklinik 
ernannt. 

Sydney. Nach der Deutsch, med. Wochensehr. Ist der 
Lehrstuhl für pathologische Anatomie an der Universität 
in Sydney vakant und soll neue I»(‘setzt werden. Das jährliche 
Gehalt In «trägt 18 (MH>; nach 20 jähriger Dienstzeit erhält der Be¬ 
treffende 8000 M. jährlich. Als Reisekosten (von Amerika oder 
Europa) werden 2000 M. bewilligt. Die Bewerl»er dürfen nicht 
älter als 40 Jahre sein. Zeugnisse etc. sind bis zum 14. September 
an den Generalagenten für Neu-Südwales, London SW, Victorla- 
strect 9, eiuzusendeu. 

(Berichtigung.) Boi der Statistik der Medicinstudiren 
dou auf S. 1120 in No. 27 dieser Wochenschrift hat sich hinsichtlich 
der Strassburger medicinisehen Fakultät ein Irrthum eiuge- 
schlichen: in den beiden letzten Reihen darf es nicht heissen 128 
und 2(57, sondern 144 und 283. 


Personalnachrichten. 

(B a y e r n.) 

Niederlassung: Dr. Otto Pi sc hing er, approb. 1890, als 
dirigirender Arzt der Lungenheilstätte Luitpoldhehn bei Lohr. 

Kommandirt: Der Oberarzt. Dr. Rossnitz des k. 8. Fehl- 

Erledigt: Die Bezirksarztsstelle I. Klasse in Mainburg ist 
zu besetzen. Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsuiässig 
belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, Kammer 
des Innern, bis zum 10. August 1. J. elnzureiehen. 

Art.-Reg. vom 1. August ds. Jrs. ab auf die Dauer eines Jahres 
zum physikalisch - therapeutischen Institut des städt. Kranken¬ 
hauses München 1. d. I. 

Ordensverleihungen: Das Ritterkreuz 1. Klasse des Militiir- 
verdienstordens dem Generalarzt Dr. Z o 1111 s e h, Corpsarzt des 
III. Anm*eeorps; dem Oberarzt Dr. Bürger, Regimentsarzt im 
17. luf.-Reg.; das Ritterkreuz 2. Klasse dem Stabsarzt Dr. Kai¬ 
ser, Bataillonsarzt im 3. Iuf.-Iteg. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München 

in der 29. Jahreswoche vom 14. bis 20. Juli 1901. 
Betheiligte Aerzte 191. — Brechdurchfall 20 (22*), Diphtherie, 
Croup 10 (14;, Ervsipelas 11 (20), Intermittens, Neuralgia interm. 
1 (1), Kindbettfiebor 1 (3), Meningitis cerebrospin. — (D, 
Morbilli 31 .(374, Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 4 (ü), Parotitis 
epidom. — (3), Pneumonia crouposa 6 (7), Pyaemie, Septikaemie 

— (—), Rheumatismus art. ac. 13 (9), Ruhr (dysenteria) — (— \ 
Scarlatina 9 (13), Tussis convulsiva 18 (23), Typhus abdominalis 

— (5), Varicelien 12 (13), Variola, Variolois 1 Influenza —(U, 

Summa 137 (177). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 29 Jahreswoche vom 14. bis 20. Juli 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 1 (2*), Scharlach — (—), Diphtherie 
und Croup 3 (2), Rothlanf 2 (—), Kindbettfieber — (2), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) — (—). Brechdurchfall 7 (5), Unterleibtyphus 
2 (1), Keuchhusten — (l), Croupöse Lungenentzündung — (l), 
Tuberkulose a) der Lungen 28 (3 >), b) der übrigen Organe 12 (7), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 5 (2), Unglücksfälle 1 (5), Selbstmord 1 (—), Tod durch 
fremde Hand — (—). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 200 (195), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,8 (20,3), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,3 (13,3). 


•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


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Beilage zu No. 31 der Münchener medicinischen Wochenschrift. 


73. Versammlung 


deutscher Naturforscher und Aerzte in Hamburg 

vom 22. bis 28. September 1901. 


Allgemeine Tagesordnung. 

Sonntag, den 22. September. 

Morgens 10 Uhr: Sitzung des Vorstandes der Gesellsehn ft 'Im 
Concertlinus Hamburg. (Speisesaal.) 

Morgens 11 Uhr: Sitzung des wissenschaftlichen Ausschusses im 
Concerthaus Hamburg. (Speisesaal.) 

Morgens 12 Uhr: Gemeinsame Sitzungen: 

a) des Vorstandes der naturwissenschaftlichen Ilnuptgrupp.? 
und der Einführenden und Schriftführer der naturwissenschaft¬ 
lichen Abtheilungen (Speisesaal); 

b) des Vorstandes der medicinischen Hauptgruppe uud der 
Einführenden und Schriftführer der medicinischen Abthei¬ 
lungen (Hochzeltssaal). 

Nachmittags 3 Uhr: Gemeinsames Mittagessen der Mitglieder des 
Vorstandes und des wissenschaftlichen Ausschusses der Gesell¬ 
schaft. der Vorstände der beiden Hauptgruppen und aller Ab¬ 
theilungen, sowie der Mitglieder aller Ausschüsse im Uhlen- 
horster Fährhaus. 

Nachmittags 3 Uhr: Blumenkorso des Allgemeinen Alster-Klubs auf 
der Aussenalster zu Ehren der Versammlung; Abfahrt von 
der Alsterlust; freier Zutritt daselbst gegen Vorzeigung 
der Theilnehmerkarte; auf vorherige Meldung werden Plätze re- 
servirt. 

Abends 8>/ 2 Uhr: Begrüssung der Gäste im Concerthaus Hamburg. 

Montag, den 23. September. 

NIorgens 10 Uhr: Erste Allgemeine Versammlung im grossen Saal** 
des Concerthauses Hamburg. 

1. Begrüssungsanspracbeu. 

2. Vorträge der Herren Lecher- Prag. Hofmeister- 
Strassburg und Boverl -Würzburg. 

Nachmittags: Abthellungssitzungen. 

Abends 7 Uhr: Zwanglose Zusammenkunft im zoologischen Garten. 
(Concert von 6 Uhr ab; festliche Beleuchtung des Gartens.» 

NB. Der Besuch des zoologischen Gartens ist den Theil- 
nehmern gegen Vorzeigung ihrer Festkarte während der Woche 
vom 22. bis 28. September stets unentgeltlich gestattet. 

Von Deutschlands Grossloge II des Guttempierordens sind die 
Theilnehmer auf Montag, Abends 7 Uhr, zu einem Herbstfeste 
mit Ball im Sagebierseben Etablissement, Drehbahn 15/23, ein¬ 
geladen worden. (Karten in der Haupt-Geschäftsstelle zu 1 M.) 

Dienstag, den 24. September. 

Morgens: Abthellungssitzungen. 

Nachmittags: Abthellungssitzungen. 

Aliends 7>/ 2 Uhr: Empfang durch K. H. Senat ln den Festsälen des 
Rathbauses; an diesem Empfange werden jedoch mir so viele 
Mitglieder der Versammlung theilnchmen können, als der Baum 
gestattet 

Die Direktion der Hamburg-Amerika-Linie ladet ebenso ein*? 
grössere Zahl von Tlieilnehmem an Bord einiger ihrer grossen 
Dampfer ein; Abfahrt 5 Uhr von den St. Paull-Landuugs- 
briieken. 

Wer der letzteren Einladung folgt, knnn an dem Empfange im 
Bnthhaus nicht thellnehmen. 

Mittwoch, den 25. September. 

Morgens 8 y 2 Uhr: Geschäftssitzung der Gesellschaftsmitgüeder im 
Theatersaal des Concerthauses Hamburg. 

Morgens 10 Uhr: Gesammtsltzung beider Hauptgruppen, im grossen 
Saale des Concerthauses Hamburg. Verhandlungstliema: Die 
neuere Entwicklung der Atomistik (Ionen, Gas-Ionen und Elek¬ 
tronen). 

Referenten: K a u f m a n n - Göttingen. G e i t e 1 - Woifen- 
bfittel, Paul- Tübingen, H i s jun. - Leipzig. 

Nachmittags: Abtheilungssitzungen. 

Aliends 6‘/ 2 Uhr: Festessen im zoologlsclien Garten. 

IH*r „Verein abstinenter Aerzte des deutschen Sprachgebiet es’* 
hält seine Jahresversammlung im Anschluss an die Versamm¬ 
lung deutscher Naturforscher und Aerzte ab und hat dieselbe 
auf Mittwoch den 25. September, Morgens 8 Uhr, in der Turn¬ 
halle der Volksschule Seilerstrasse 41/43 angesetzt. 

Donnerstag, den 26. September. 

Morgens 9 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der medicinischen 
IJaiiptgruppe im grossen Saale des Concerthauses Hamburg. 
Verhandlungsthema: Die Schutzstoffe des Blutes. 

Referenten: Ehrlich- Frankfurt a. M., Gruber- Wieu. 


Morgens 10 Uhr: Gemeinschaftliche Sitzung der naturwissenschaft¬ 
lichen Hauptgruppe in Horuhardt’s Coneertsaal, gegenüber dem 
Concerthaus Hamburg. Verhnndlungsthemnta: 

Morgens 10 Uhr: Ost wald - Leipzig: Katalysatoren. 

Morgens 11 Uhr: Der gegenwärtige Stand der Deseendenz- 
lelire. 

Referenten: Hugo de V r 1 e s - Amsterdam, Koken- 

Tübingen, Ziegler- Jena. 

Nachmittags: Abtheilungssitzungen. 

Abends 7*/ 3 Uhr: Concert und Ball Im Sngebierscheu Etablisse¬ 
ment, Drehbahu 23. 

Freitag, den 27. September. 

Morgens 10 Uhr: Zweite Allgemeine Versammlung im grossen Saale 
dos Concerthauses Hamburg. 

1. Vorträge des Herrn Cursclimann - Leipzig, Nernst- 
Güttlngen, Rolnke- Kiel. 

2. Sehlussansprachon. 

Nachmittags: Erforderlichen Falls noch Abtheilungssitzungen. 
Hafenrundfahrt, Elbfalirt nach Blankenese, Abfahrt 2 Uhr von 
den St. Panli-Landungsbrückeu. (Festliche Beleuchtung der 
Elbufer bei der Rückkehr.) 

Abends 9 Uhr: Abschiedsfeier im Concerthaus Hamburg. 

Sonnabend, den 28. September. 

Fahrt nach Helgoland; Abfahrt 8 Uhr Morgens von (len St. Pauli- 
Landungsbrücken. Sonstige Ausflüge, Besichtigungen u. dergl. 
werden erst im Tageblatt augezeigt werden. 

Erläuterungen und Mittheilungen. 

Die Jahresversammlungen Deutscher Natur- 
f o r s c li e r u ii *1 A ** r z t *? werden von der „G csellschaft 
Deutscher Naturforscher und Aerzte“ einberufen; jedoch ist die 
Thellnnhmc daran von der Mitgliedschaft der Gesellschaft unab¬ 
hängig. 

Die Erledigung aller geschäftlichen Angelegenheiten der 
Versammlung in Hamburg erfolgt ausschliesslich in der Haupt- 
Geschäftsstelle, vom 15. Juli ab bis Freitag den 20. September 
Neueburg 6, II. Stock, von Sonnabend den 21. September an in 
der Vorhalle von Homhardt’s Concertgarten, gegenüber dem 
Concerthaus Hamburg, St. Pauli. 

Mitglieder der Gesellschaft können alle Diejenigen werden, 
welche sich wissenschaftlich mit Naturforschung uud Mcdicin be¬ 
schäftigen. 

Anmeldungen zur Mitgliedschaft haben schrift¬ 
lich beim Schatzmeister der Gesellschaft, Dr. Karl Lampc- 
V 1 s c h e r in Leipzig (an der Bürgerschule 2), zu erfolgen. J e - 
d o e h w erden vo m 15. Juli ab a nch ln der Haupt- 
Geschäftsstelle in Hamburg Anmeldungen vor- 
gemerkt. 

Die Mitglieder haben, soweit sie an der Versammlung 
thellnehmen, einen V ersa in ml ungs beitrag von M. 15 zu 
zahlen. 

Durch die Zahlung dieses Versammlungslioitrags erwerben die 
Mitglieder zugleich das Recht auf unentgeltliche Zusendung der 
„Verhandlungen" der Hamburger Versammlung. Für diejenigen 
Mitglieder, welche das Entgelt für den Bezug der Verhandlungen 
bereit» an den Schatzmeister der Gesellschaft liezaldt. haben, er- 
nnissigt sich der Versammlungslieitrag auf M. 9. 

Die Mitgliedskarte und eventuell «lie Quittung des Schatz¬ 
meisters über den bereits gezahlten Betrag für die Verhandlungen 
ist mitzubringen. 

Wer auf der Versammlung als Mitglied beitritt, hat ausser¬ 
dem noch den Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr mit M. 5, 
somit im Ganzen M. 20 zu bezahlen. 

Theilnehmer an der Versammlung kann, auch ohne Mitglied 
der Gesellschaft zu sein. Jeder werden, der sich für Naturwissen¬ 
schaften und Mcdicin intcrossirt. 

Dies«? Theilnehmer an der Versammlung haben einen V er¬ 
sa in m lungsbeitrag von M. 20 zu entrichten. Gegen eine 
weitere Zahlung von M. 0 erhalten dieselben ebenfalls «li«* ..Ver¬ 
handlungen“ zugosondot, wenn sie sieh in ein«* in der Haupt-Ge¬ 
schäftsstelle aufliegende Liste einzeichnen. Die Verhandlungen 
werden den dazu Berechtigten einige Zeit nach «ler Versammlung 
von «ler Gesellschaft zugestellt. D«*r allgemeine T li «* i 1 der 
Verhandlungen («lie Reden und Vorträge der bohlen allgemeinen 
Sitzungen enthaltend) wir«l allen Th«*iln«*linu*rn unentgelt¬ 
lich zugcsamlt. 


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1270 Beilage zur Münchener medicinischen Woohenschrift. No. 31. 


Zur Legitimation während der Versammlung dient für alle 
Mitglieder und sonstigen Theilnehmer die Thellnebmer- 
karte. Diese berechtigt zum Bezug des Festabzeichens, des in 
5 Nummern erscheinenden Tageblattes, der Festgaben und son¬ 
stigen Drucksachen, sowie zur Theilnahme an den Festlichkeiten 
und wissenschaftlichen Sitzungen (nicht zugleich auch an der Ge¬ 
schäftssitzung.der Gesellschaft, für welche die Mitgliedskarte als 
Legitimation dient), und ferner zur Entnahme von Damen- 
karten zum Preise von je M. 6. 

Interims-Theilnehmerkarten, welche auf der Versammlung in 
der Haupt-Geschäftsstelle gegen endgiltige umgetauscht werden 
müssen, sind vom 15. Juli ab gegen Einsendung von 
M. 15.— für Mitglieder, resp. 

M. ü.— für Mitglieder, welche den Beitrag für die Verhandlungen 
schon bezahlt hal>en, 

M. 20.— für Theilnehmer, welche keine Mitglieder sind, resp. 

M. 20.— falls diese auch die Verhandlungen zu beziehen wünschen, 
M. 6.— für Damen 

von der Hauptgeschäftsstelle zu erhalten. 

Zur Vermittelung von Wohnungen ist ein Ausschuss ln 
Thütigkeit getreten, der vom 15. Juli ab Anmeldungen entgegeu- 
nimmt. Man Wolle sich zu diesem Zwecke der beigefügten Post¬ 
karte bedienen. Die Adresse ist ausschliesslich: Wohnungs¬ 
ausschuss der 73. Versammlung Deutscher Na¬ 
turforscher und A e r z t e, Hauptgeschäftsstelle 
Hamburg, Neueburg 0. 

Es wird bemerkt, dass eine grössere Zahl von Gasthofzimmern 
zu Preisen von M. 2.50 bis M. 7 pro Nacht und Bett einschl. Früh¬ 
stück angeboten sind, ludess ist dies bei dem starken sonstigen 
Fremdenverkehr Hamburgs bei Weitem nicht ausreichend. Der 
Ausschuss empfiehlt daher sehr, I’rivatwohnungeu zu nehmen, 
die in guter Beschaffenheit und bequemer Lage zum Preise 
von M. 2.50 bis M. 5 einschliesslich Frühstück zur Ver¬ 

fügung stellen. — Wünsche, betreffend die Lage der 
Wohnung in der Nähe der Sitzungslokale, wird der Aus¬ 

schuss soweit wie möglich berücksichtigen; es wird jedoch darauf 
hingewiesen, dass die Verkehrsmittel der Stadt sehr entwickelt und 
billig sind, so dass auch eine etwas entferntere Lage der Wohnung 
keine besonderen Schwierigkeiten mit sich bringt. 

ln den Dienst der die Versammlung besuchenden Dame u 
wird sich ein aus Damen und Herren bestehender Ausschuss 
stellen, dessen besondere Aufgabe es sein wird, den Theilnehme- 
rinnen während der fachwissenschaftllchen Sitzungen eine an¬ 
regende Unterhaltung zu bieten. 

Die Damen erhalten ihr Festabzeichen und können an allen 
programmmässigen Festlichkeiten, an den allgemeinen Sitzungen. 
Besichtigungen und Ausflügen gegen Vorzeigung ihrer Dainenkarte 
bezw. der auf Grund derselben vorher auszugebenden Specialkarten 
tlieilnelimeu. 

Die allgemeinen Versammlungen, sowie die Gesammtsitzung 
beider Hauptgruppen am Mittwoch finden im grossen Saale 
des Concerthauses Hamburg, St. Pauli, Seiler¬ 
strasse 1, statt. Von den gemeinschaftlichen Hauptgruppen- 
sitzuugen am Donnerstag findet die ruedicinische ebenfalls in 
diesem Saale, die naturwissenschaftliche in dem gegenüber¬ 
liegenden Saale von Hornhardfs Concertgarten 
statt. 

Die Abthellungssitzungon werden theils ebenfalls im Con- 
certhaus Hamburg, theils in den Hörsillen der 
wissenschaftlichen Anstalten und den Kranken- 
li ;i usern, theils in der dem Concerthause nahe liegenden 
St. Pauli-Realschule, S e i 1 e r s t r a s s e 42, und der ge- 
genü berge legeuen Volksschule, Seilerstrasse 41/43, 
sowie ln der ebenfalls benachbarten O b er-Realschul e 
vor dem Holstenthore, endlich im Realgymnasium 
in der Altmanustrasse abgehalten. 

Die Ausgabe aller Drucksachen, Karten, Festgaben u. dergl. 
erfolgt in der Hauptgeschäftsstelle. 

Im Concerthaus Hamburg wird von Morgens bis Abends ein 
Postamt zur Annahme und Ausgabe von gewöhnlichen und ein¬ 
geschriebenen Briefschaften, sowie zur Annahme von Telegrammen 
und zum Verkauf von Postwerthzeichen geöffnet sein; postlagernde 
Sendungen sind dahin unter dem Vermerk „Postamt Con¬ 
certhaus Hanibur g" zu richten. Auch Telephone werden 
zur Verfügung stehen. Neben einem allgemeinen Schreibzimmer 
wird ferner ein besonderes für die Vertreter der Presse im Con¬ 
certhaus Hamburg reservirt. 

Alle näheren Angaben, sowie alle weiteren Hinweise, die für 
die Versammlungsbesucher von praktischer Wichtigkeit sind, 
werden im Tageblatt veröffentlicht, das täglich Morgens von 
S l'hr ab in der Hauptgeschäftsstelle zur Ausgabe gelangen wird. 
Dasselbe wird ausserdem in seiner ersten Nummer die Satzungen 
und die Geschäftsordnung der Gesellschaft und weiterhin täglich 
das Programm des betr. Tages, eine Aufzählung der am vorher¬ 
gehenden Tage gehaltenen Vorträge unter Nennung des Vor¬ 
tragenden und des Gegenstandes seines Vortrages, sowie ein 
möglichst vollständiges Verzeichnis» de r 
T h e i I n e h m er und ihrer Wohnungen enthalt e n. 
Zur Er m ö g 1 i c h u n g dieser u n b e d ingt notli- 
wendigen Vollständigkeit ergeht an alle 
T h e I I n e h m e r d i e d ring e n d e B i 11 e, bei L ö s u n g 


der Thellneh merkarte, bezw. Umtausch der 
Interimskarte Namen, Wohnort und hiesige 
Wohnung, sowie später etwa eintretende Ver¬ 
änderungen der letzteren in die in der Haupt¬ 
geschäftsstelle aufliegendeu Präsenzlisten 
mit deutlicher Schrift einzutragen. 

Mit der Versammlung sind mehrere Ausstellungen 
verbunden, nämlich solche für Itöntgenapparate aller 
A rt, für chirurgische und verwandte Einrich¬ 
tungen und Apparate und für Erzeugnisse Ham¬ 
burg i s c h e r optischer und feinmechanischer 
Werkstätten. Die Röntgennusstellung wird Im Physi¬ 
kalischen Staatslaboratorlum an der Jungiusstrasse, die chirur¬ 
gische in der Turnhalle der Realschule in der Seilerstrasse 42 und 
die Hnmburgische Ausstellung auf der Galerie des Lichthofes der 
Oberrealsehule vor dem Holstenthor stattfinden. Der Besuch 
dieser Ausstellungen Ist unentgeltlich. 

Die Anmeldungen für das Festmahl (Mittwoch ß >/ 2 Uhr, 
Preis M. G ohne Wein) werden bis spätestens Dienstag Nach¬ 
mittag erbeten. 

Diejenigen Herren Vorstands- und Ausschussmitglieder, sowie 
Einführende und Schriftführer der Abtheilungeu, die sich an dem 
am Sonntag, den 22. September stattftndendeu gemein¬ 
samen Mittagessen zu bet heiligen gedenken, wollen dies 
bis spätestens Sonnabend, den 21. September, durch Post¬ 
karte an die Hauptgeschäftsstelle melden. 

Eine grössere Zahl von Ausflügen und Besichtigungen Ham- 
burgischer und Altonaer Museen, Krankenhäuser, wissenschaft¬ 
licher und hygienischer Institute, sonstiger öffentlicher Gebäude, 
industrieller Anlagen u. dergl. unter sachkundiger Führung sin-l 
in Aussicht genommen. Näheres hierüber wird in der ersten 
Nummer des Tageblattes mitgetheilt werden. 

Elienso werden im ersten Tageblatt Zeit und Ort derjenigen 
gemeinsamen Mittagessen oder sonstigen Zusammenkünfte au¬ 
gezeigt werden, welche von einzelnen Abtheilungeu veranstaltet 
werden. 

E. Ii. Senat und die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt 
Hamburg haben die Mittel bereit gestellt, um allen Theilnehmem 
an der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aer/.to 
eine bleibende Erinnerung in Form einer Festschrift: „Hamburg 
in naturwissenschaftlicher und medicinischer Beziehung" über¬ 
reichen zu können. Die Geschäftsführung hofft, dass der Inhalt 
dieser Schrift unsere Gäste überzeugen wird, dass der gewaltigen 
Entwickelung unserer Stadt in Handel und Gewerbe, Schifffahrt 
und Industrie auch in wissenschaftlicher Hinsicht wie ln den 
Fragen der Gesundheitspflege eine ebenbürtige Entwickelung zur 
Seite geht. 

Ausserdem wird den ärztlichen Theilnehmern abseiten des 
Krankenhauskollegiunis ein neuer Band der Jahrbücher der llam- 
burgischeu Krankenanstalten und abseiten des Medicinalkollegiums 
eine Schrift über di*- Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im 
U>. Jahrhundert gewidmet werden. 


Programm der wissenschaftlichen Verhandlungen. 

I. Allgemeine Versammlungen. 

im grossen Saale des Concerthauses Hamburg. 
Montag, den 23. September, Morgens 10 Uhr. 

E. Lee her-Prag: Ueber die Hertz'sehe Entdeckung elek¬ 
trischer Wellen und deren weitere Ausgestaltung. — F. Iloi - 
me i s t e r- Strassburg: Der chemische Hausrath der Zelle. — 
Th. Bo v e r i - A\ iirzburg: Das Problem der Befruchtung. 

Freitag, den 27. September, Morgens 10 Uhr. 

H. C u r s c li m a n n - Leipzig: Mediciu und Setwerkehr. — 
W. N e r n s t - Göttingen: Ueber die Bedeutung elektrischer Me¬ 
thoden und Theorien für die Chemie. — J. Keinke-Kiel: Ueber 
die in den Organismen wirksamen Naturkräfte. 

II. Gesammt-Sitzung beider Hanptgruppen. 

im grossen Saale des Concerthauses Hamburg. 

Mittwoch, den 25. September, Morgens 10 Uhr. 

V e r h a n d 1 u n g s t h e m a : 1 )ie neuere Entwickelung der 
Atomistik (Ionen, Gas-Ionen und Elektronen). 

‘Referenten: W. K u u f m a n n - Göttingen: Die Entwickelung 
des Elektronenbegriffs. — II. G e i t e I - Wolfenbüttel: Ueber die 
Anwendung der Lehre von den Gas-Ionen auf die Erscheinungen 
der atmosphärischen Elektrizität. — Th. P a u 1 - Tübingen: Die 
Bedeutung der louentheorie für die physiologische Chemie. — 
W. II i s jun.-Leipzig: Die Bedeutung der louentheorie in der 
klinischen Mediciu. 

III. Sitzungen der Hauptgruppen und der Abtheilungen. 

(Bildung und Eröffnung der Abtheilungen, Montag, den 23. Sep¬ 
tember, Nachmittags 3 Uhr.) 


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30. Juli 1901. 


Medldnische Hauptgruppe. 

I. Gemeinschaftliche Sitzung der medicinischen Hauptgruppe 

unter Vorsitz des Herrn Geh.-Rath Prof. Dr. N a u n y n - Strassburg. 

Sonnentag, den 26. September, Morgens 9 Uhr, 
grosser Saal des Concerthauses Hamburg. 
Ehrlich- Frankfurt und Gruber- Wien: Die Schutzstoffe 
des Blutes. 

II. Gemeinschaftliche Sitzungen einzelner Abtheilungen. 

Auf Aufforderung der Gesellschaft für Kinderheilkunde: 
y. B o k a y - Ofen-Pest und S i e g e r t - Strassburg: Intubation und 
Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode. 

Einladende Abtheilung No. 17. Eingeladene Abtheilungen 
No. 14, 15, 20. Sitzungslokal: Volksschule, Sellerstr. 41/43, Turn 
halle. Sitzungszeit: Dienstag, 24. September, Morgens K>/ 2 Uhr. 

B. Auf Aufforderung der deutschen pathologischen Gesell¬ 
schaft: v. Baumgarten-TUblngen: Die pathologisch-histologische 
Wirkung und Wirks amke it XuberkelbacllTua —-Orth-Göt¬ 
tingen: Welche morjjnölbglschen Veränderungen können durch 

\Tuberkelbacillen erzeugt werden? ---- 

Einladende Abtheilung No. 13. Eingeladene Abtheilung No. 14. 
Sitzungslokal: Volksschule, Sellerstr. 41/43. Sitzungszeit: Dienstag, 
24. September, Morgens 11 Uhr. 

C. Von der Geschäftsführung vorbereitet: 1. Quincke- 
' Kiel und Garrö - Königsberg: Chirurgische Behandlung der 

"A Lungenkrankheiten. 

Einladende Abtheilung No. 14. Eingeladene Abtheilungen 
No. 13, 15, 17. Sitzungslokal: grosser Saal des Concerthauses 
Hamburg. Sitzungszeit: Dienstag. 24. September, Morgens 8'/ 2 Uhr. 

2. Jordan- Heidelberg: Ueber die Entstehung von Tumoren, 
Tuberkulose und anderen Organerkrankungen nach Einwirkung 
stumpfer Gewalt unter Ausschluss von Frakturen, Luxa-* 
tlonen, Hernien und traumatischen Neurosen. 

Einladende Abtheilung No. 15. Eingeladene Abtheilungen 
No. 13, 14, 23, 24. Sitzungslokal: grosser Saal des Concerthauses 
Hamburg. Sitzungszeit: Dienstag, 24. September, Vormittags. 

3. K ro neck er- Bern: Innervation des Säugethierherzens. 

Elinladende Abtheiluug No. 14. Etngeladeue Abteilungen 

No. 12, 13. Sitzungslokal: grosser Saal des Concerthauses Ham¬ 
burg. Sitzungszeit: Mittwoch, 25. September, Nachmittags 2 Uhr. 

4. Licht- und Röntgen-Therapie. Klenboeek R-Wien: 
Therapeutische Technik. — G ro u v e n - Bonn: Lupus vulgaris 
und Skrophuloderma. — Sjögren T.-Stockholm: Lupus erythe¬ 
matodes, Ulcus rodens, Cancrold. — Schiff- Wien: Haarerkrank¬ 
ungen. — Hahn R.-Hamburg: Ekzem, Psoriasis, Akne, Prurigo. — 
Schürmayer - Hannover: Die Schädigungen durch Röntgen¬ 
strahlen und die Bedeutung unserer Schutzvorrichtungen. — Der¬ 
selbe: Die forensische Bedeutung der Röntgenverbrennungen. — 
Bang S.-Kopenhagen: Lichttherapie. — Strebei - München: Die 
Brauchbarkeit des Induktionsfunkenlichtes in der Therapie. — 
Müller G. J.-Berlin: Weitere Erfahrungen über Aktinotherapie. 

Einladende Abtheilung No. 21. Elngeladene Abthellungen 
No. 14. 15, 24. Sitzungslokal: Logenhaus, Welckerstrnsse. Sitzungs¬ 
zelt: Donnerstag, 26. September, Nachmittags 2 Uhr. 

I). Sitzung der T u b exk ulose - Kommission unter 
Vorsitz von Herrn Professor Hüö'p'p'e-Prag. Brun stlow O.- 
Rostock: Ein Fall von Kniegelenkstuberkulose und seine Behand- 
• lung mit Koeh’schem Tuberkulin neuer Art (T. K.). — Friede- 
berg-Wiesbaden: Moderne Forderungen der Familienfürsorge.— 
G eb h a rd - Lübeck: Ausdehnung der Iuvaliditätsfürsorge auf 
Frauen und Kinder. — L 1 e b e - Braunfels: Beschäftigung der 
Kranken in den Heilstätten. — M a rt i u s - Rostock: Ueber die 

/ \ Konstitution bei Tuberkulose. — N ä g e 1 s b a c h - Schöneberg: 

Ruhe nnd Bewegung in de r Ph thlseotheraple. — Petruschky- 
y Danzig: Ggf Tf u gw i w a rt ige BtH nd der diagnostischen und thera- 
peutischeu Tnberkulinbehnndlung. — Sprengel - Brnunschwelg: 
Welche Fälle von sogen, chirurgischer Tuberkulose eignen sich 
für die Behandlung in den Heilstätten? — W e i c k e r - Görbers- 
/■ dort: Die bisherigen Dauererfolge der Hellstättenl>ehandlung. 

Eingeladene Abtheilungeu No. 14, 25. Sitzungslokal: Volks¬ 
schule, 8eilerstr. 41/43, Turnhalle. Sitzungszeit: Donnerstag. 26. Sep¬ 
tember. Nachmittags 2 Uhr, event auch Freitag, 27. September. 
Nachmittags 2 Uhr. 

E. Sonstige gemeinschaftliche Sitzungen: 1. S p i e s s - Frank¬ 
furt a. M.: Asthma, Heufleber und verwandte Zustände. 

Einladende Abtheilung No. 20. Eingeladene Abtheilungen 
Xo. 14. 15, 18. Sitzungslokal: Realschule, Sellerstr. 42. Aula. 
Sitzüngszeit: Donnerstag, 26. September, Nachmittags 2 Uhr. 

2. P a n s e - Dresden: Ueber Schwindel. 

Einladende Abtheilung No. 20. Eingeladene Abthellungen 
X'o. 14. 15. 18, 19. Sitzungslokal: grosser Saal des Concerthauses 
Hamburg. Sitzungszelt: Dienstag. 24. September, Vormittags. 

3. K e 11 i n g - Dresden: Besichtigung der Speiseröhre und des 
Magens mit biegsamen Instrumenten. — Horowltz- Düsseldorf: 
Ein neues Gastroskop. 

Einladende Abtheilung No. 14. Eingeladene Abtheilung No. 15. 
Sitzungslokal: Eppendorfer Krankenhaus. Sitzungszeit: Montag, 
23. September, 4 Uhr Nachmittags. 

Es behalten sich vor Einladungen ergehen zu lassen: 
Abtbeilnng 14 zu: H i s • Leipzig und P a u 1 - Tübingen: Die 
harnsauren Ablagerungen des Körpers und die Mittel zu Ihrer 
Lösung. — Ke issig-Hamburg: Umfang und Bedeutung der 
populären medicinischen Literatur. 


1271 

Abtheilung 16 zu: St ratz C. H.-IIaag: Einige neue Gesichts¬ 
punkte über den Einfluss der Rassen auf Körperform und Kleidung 
der Frau (mit Lichtbildern). — S e 11 h e i m H.-Frelburg I. B.: Ent- 
wickelungsstöniugen. — Schatz Fr.-Rostock: Thema aus dem 
Gebiet der Anthropologie Vorbehalten. 

Abtheilung 17 zu: It 111 e r - Berlin: a) Die Behandlung 
schwächlicher Kinder. b) Die Behandlung rachitischer Ver¬ 
krümmungen (mit Demonstration). 

Abtheiluug 18 zu: Säen ge r A.-lIamburg: Neurologische Er¬ 
fahrungen auf dem Gebiete der Rückenmarks- und lliruchinirgie. 

Abtheilung 19 zu: F e 11 e h e u f e 1 d - Lübeck: Welche Rolle 
spielt bei der Grössenschätzung die Form des Gesichtsfeldes? 

Abtheilungen 20 und 22 zu: Wlnckler- Bremen: Fälle von 
nasalen Nebenhöhlenerkrankungen. (Demonstration und Kranken- 
vorstellung.) — Pflüger- Hamburg: Demonstration von Röntgen* 
bildern bei Kieferhöhieuempyem. — P a r t s c h - Breslau: Der den¬ 
tale Ursprung des Empyems der Kieferhöhle. — Hachse- Leipzig: 
Ueber DifTerentialdiagnose und operative Behandlung des Antrum- 
Empyems. 

m. Sitzungen der einzelnen Abtheilungen. 

12. Abtheilung: Anatomie, Histologie, Embryologie und Physio¬ 
logie. 

1. Bum-Wien: Weitere Beiträge zur Muskelmechanik. — 

2. C a m e re r-Stuttgart: Ammotiiakausseheidung im Urin. -- 

3. G a u 1 e - Zürich: Neues von den trophisehen Kräften des Orga¬ 
nismus (mit Demonstrationen). — 4. G r i e s 1) a c h - Mühlhausen- 
Basel: a) Ein neues Nervenfär1>emlttel. b) Ueber Blutgerinnung, 
e) Slnnessebärfe bei Blinden. — 5. v. Koelllker - Würzburg: De. 
inoiistration von Präparaten Uber die Medulla oblongatn von 
Omithorliynchen und Echidna. —-6. S 11 e d a - Königsberg: Talg¬ 
drüsen. — 7. W a 1 d e y e r - Berlin: Thema Vorbehalten. 

8. W e 1 s s - Königsberg: Die Synergie von Accoimnodation, Po 
plllenreaction und Convergenz. 

Die Abtheiluug ist elngelnden: Von Abtheilung 9 (Botanik) der 
naturwissenschaftlichen Hauptgruppe zu: J o s t - Strnssburg: 
Uel>er die Heizporeeption in der Pflanze (Referat). — Neraf e- 
Prag: Die Beziehungen zwischen den statischen Organen und dem 
reizleitenden Fibrillensystem bei den Pflanzen. — Zacharias- 
Hamburg: Ueber Kinoplasma. Von Abtheiluug 10 (Zoologie) der 
naturwissenschaftlichen Ilauptgruppe zu: Ahlhorn- Hamburg: 
Ueber die gegenwärtige Lage des biologischen Unterrichts au den 
höheren Schulen. Von Abtheiluug 14 zu: K r o u e c k e r - Bern: 
Die Innervation des Säugethierherzens. 

13. Abtheilung: Allgemeine Pathologie und pathologische 
Anattnriie. 

(Zugleich Sitzung der Deutschen pathologischen Gesellschaft.) 

1. A s e h o f f - Göttingen: a) Pseudotuherkulo.se heim Neu¬ 
geborenen und ihr Erreger, b) Ueber die Missbildung der Zunge 
bei der Agnatliie. — 2. u. 3. v. Baumgarten - Tübingen. Orth- 
Göttlngen: Histologische Wirkungen des Tuberkelbaelllus. — 

4. v. B a u m g a r t e n - Tübingen: a) Mikroskopische Untersuch¬ 

ungen über Ilaemolyse. b) Ueber experimentelle Lungouphthise. 
— 5. B e n e k e - Braunschwelg: Ueber die Adenoflbrome der 
Mamma. — (5. C h i a r 1 - Prag: Ueber gliomatöse Entartung des 
Trnetus und Bulbus olfaetorius bei Glioma cerebri. — 7. Borst- 
Wiirzburg: a) Zur Kasuistik der Teratome, b) Wachsthum und 
Verbreitungswelse autonomer Tumoren. — 8. E r n s t - Zürich: 
Kleinere Mittheilungen. — 9. v. H a u se m a n n - Berlin: Zur 
Pathologie des Pankreas. — 10. II ö 1 s o h e r - Tübingen: Ueber die 
DliTerenz der, histologischen Wirkung echter und säurefester 
IWuiioMiberkelhactllPTi. — 17. Israel- Berlin: Beiträge zur Eut- 
zündtmgsiehro." — 12. Kraus- Graz: Organverfcttung. — 

13. Kretz- Wien: Mitteilungen Uber Baeteriaemle. — 14. Nau- 
w e r c k - Chemnitz: Zur Entstehung der Dermoide des Eierstocks. 
—15. Pappenhelm - Hamburg: Demonstration mikroskopischer 
Präparate. — 16. P o n f 1 c k - Breslau: a) Sclerosis cerebri. 
1» Lymplmngitis der Leber. — 17. R e d d i n g i u s - Groningen: 
Ueber die phagocvtären Erscheinungen bei der Entzündung des 
Kaninehennetzes. — 18. S a 11 y k o w - Groningen: Ueber Muskel¬ 
eiterungen. — 19. Schmidt- Strassburg: Die Herkunft der Psam¬ 
mome und Sarkome der Dura mater. — 20. Sternberg - Wien: 
Die durch pathogene Blastomyeeten im Thierkörper hervor¬ 
gerufenen Veränderungen. — 21. Wolchselbaum - Wien (im 
Aufträge der deutschen patholog. Gesellschaft): Was ist als Dys¬ 
enterie zu bezeichnen? — 22. W i n k 1 e r - Breslau: Placentar- 
lnfarkte. — 23. Z i e g 1 e r - Freiburg I. Br.: Thema Vorbehalten. 

Die Abtheiiung ladet ein: die Abtheilung 14 zu: v. Baum- 
gar t e n - Tübingen. O rt h - Güttingen: Morphologische 'Wir¬ 
kungen der Tuberkelbnoillcn. Die Abtheilung ist eingeladen: von 
Abtheilung 15 zu: .Tor da »^He idelber g: Die Entstehung von Tu¬ 
moren. Tuberkulose umränderen OrganefTvTfthkungen nach Ein¬ 
wirkung stumpfer Gewalt unter Ausschluss von Frakturen. Luxa¬ 
tionen, nernien und traumatischen Neurosen. 

14. Abtheilung: Innere Medicin, Pharmakologie, Balneologie und 

Hydrotherapie, Geschichte der Medicin. 

1. B ä u m 1 e r - Freiburg: Thema Vorbehalten. — 2. B i n 1 - 
Klssingen: Versuche zum Mechanismus der antiseptlschon Wir¬ 
kung. — 3. B o n n e - Flott heck: Suggestionsl>eh»iidlung in der 
täglichen Praxis, besonders bei Alkohollsten. — 4. B r i e g e r- Ber- 


Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift. 


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Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift. 


No. 31. 


lln: Die hydrotherapeutische Behandlung ln der Privatpraxis des 
Arztes. — 5. Burwinkel - Nauheim: Zur therapeutischen Ver¬ 
wendung des Aderlasses. — 6. Curscbmnnn - Leipzig: Die Be¬ 
handlung grösserer Herzbeutelergüsse. — 7. Edel- Würzburg: 
Neue Gesichtspunkte für die Bekämpfung von Albuminurien. — 
8. Eulenburg - Berlin: Gehirnerkrnnkungen nach elektrischem 
Trauma. — 9. F 1 e 1 n e r - Heidelberg: Indikationen und Kontra¬ 
indikationen für die Wisnuitlibehandlung des Magengeschwürs. — 

10. Franke- München: Algeoskopie. — 11. Gerhardt- Berlin: 
Thema Vorbehalten. — 12. H 1 s - Leipzig und P a u 1 - Tübingen: 
Die liaru8auren Ablagerungen des Körpers und die Mittel zu ihrer 
Lösung. — 13. H o r o w 11 z - Düsseldorf: Ein neues Gastroskop. 

— 14. Jolles-Wien: Nene chemische Methoden der klinischen 
Blutuntersuchung (mit Demonstrationen). — 15. Katz und 
Winkler- Wien: Ueher die Beziehungen zwischen Pankreas und 
Milz. — 16. K e 11 i n g - Dresden: Besichtigung der Speiseröhre und 
des Magens mit biegsamen Instrumenten (mit Demonstrationen). 

— 17. Kok- Borkum: Die Ursachen der vielen Misserfolge, welche 
sich jährlich in den Kuren an der Ostsee zeigen. — 18. Krehl- 
Grelfswald: Thema Vorbehalten. — 19. K r o n e <• k e r - Bern: 
Innervation des Säugethierherzens. — 20. L a q u e r - Wiesbaden: 
Arsenwirkung. — 21. M e n d e 1 s o h n - Berlin: Der Tiefstand des 
Herzens. — 22. O e s t re 1 c h - Berlin: Die Wirkung des Opiums 
auf den Darm. — 23. P i o r k o w s k 1 - Berlin: Typhusdiagnose 
aus Faeces (mit Demonstrationen). — 24. v. P o e li 1 - St. Peters¬ 
burg: Die Nervenüberreizung als Ursache von Autointoxikationen. 

— 25. P o 1 1 a t 8 c h e k - Karlsbad: Zur Palpation der Bauchorgane. 

— 20. Reissig- Hamburg: Umfang und Bedeutung der populör- 
medicinlschen Literatur. — 27. R o s e n f e 1 d - Breslau: Thema 
Vorbehalten. — 28. S c b e 1 e n z - Wehlheiden-Kassel: Thema Vor¬ 
behalten. — 29. S c h 1111 n g - Leipzig: Die Verdaulichkeit der 
Speisen nach mikroskopischen Untersuchungen der Faeces. — 
30. Schütze-Bad Ivösen: Fundamentalsätze der Hydrotherapie. 

— 31. S t i n t z 1 n g - Jena: Ueber Neuritis. — 32. Umber- Berlin: 
Das Verlniltniss von Zucker- und Stickstoffausscheidung beim Ei- 
welsszerfall lm Diabetes. 


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Die Abtheilung ladet ein: die Abtheilung 12 zu: Kronecker- 
Bem: Innervation des Säugethierherzens. Die Abtheilung 15 zu: 
K e 11 i n g - Dresden: Besichtigung der Speiseröhre und des Magens 
mit biegsamen Instrumenten. — II o r o w i t z - Düsseldorf: Ein 
neues Gastroskop. Die Abtheilung ist eingeladen: von Abthei¬ 
lung 13 zu: v. Baumgarten -Tübingen und Orth-Göttingen: 
Morphologische Wirkungen der Tuberkelbacillen. Von Abtliei- 
lnng 15, bu: J o r d a n - Heidelberg: Ueber die Entstehung von Tu¬ 
moren. Tuberkulose und anderen Organerkrankungen nach Ein¬ 
wirkung stumpfer Gewalt unter Ausschluss von Frakturen, Luxa¬ 
tionen. Hernien und traumatischen Neurosen. Von Abtheilung 17 
zu: v. B o k a y - Ofen-Pest und S l e g e r t - Strassburg: Intubation 
und Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode. — Von 
Abtheilung 20 zu: Spiess - Frankfurt n. M.: Asthma. — Panse- 
Dresden: Ueber Schwindel. Von Abtheilung 21 zu den Vorträgen 
über Licht- und Röntgentherapie. Zu der Sitzung der Tuberkulose¬ 
kommission. Die Abtheilung, behält sich vor, einzuladen zu den 
Vorträgen von: Hls und Pani (No. 12) und Reissig (No. 26). 
Dlejenicen Herren, welche Vortrüge ans der Geschichte der Medi- 
cin zu halten wünschen, werden gebeten, sich an Herrn Direktor 
D e n e k e zu wenden. 


15. Abtheilung: Chirurgie. 



1. A Ibers-Schönberg-Hamburg: Die Anwendung des 
elektrolytischen Unterbrechers im Röntgenarmaraentarium (mit 
Demonstrationen). — 2. v. Brainann - Halle: Thema Vorbehalten. 
— 3. C a s p e r - Berlin: Beitrag zur Diagnostik in der Nieren¬ 
chirurgie. — 4. Helferlch- Kiel: Bemerkungen über' plastisch.* 
Chirurgie. — 5. H o f f a - Würzburg: Experimentelle Begründung 
der Sehnenplastik. — 6. .7 o r d a n - Heidelberg: Die Entstehung 
von Tumoren, Tuberkulose und anderen Organerkrnnknngen nach 
Einwirkung stumpfer ‘Gewalt unter Ausschluss von Frakturen. 
Hernien, traumatischen Neurosen. — 7. K ö 111 k e r - Leipzig: 
Aetlier-Chloroformnarkose. — 8. K o 11 m a n n - Leipzig: a) De¬ 
monstration urologiseher Instrumente. 1)) Complementäre Intra- 
urethrotomie. — 9. Kuhn-Cassel: Zur Transplantation. — 

10. L e x e r - Berlin: Zur Operation des Ganglion Gasseri. — 

11. L o e w e n h a r d t - Breslau: Funktionelle Nierendiagnostik. — 

12. Lorenz-Wien: Ueber die unblutige Behandlung des ange¬ 
borenen Schiefhalses. — 13. M a r w e d e 1 - Heidelberg: Wander¬ 
niere und Gallensteine. — 14. v. M 1 k u 1 i c z - Breslau: Chirur¬ 
gische Erfahrungen über das Magencarcinom. — 15. Miiller- 
Aaclien: Zur chirurgischen Behandlung der Venenthrombosen. — 

16. R 1 e d 1 n g e r - Würzburg: Ueber willkürliche Verrenkung des 
Oberarms. — 17. S a r f e r t - Berlin: Die Eröffnung von Lungen¬ 
höhlen. — 18. S c h a e f e r - Breslau: Ueber Binsenoperationen 
ohne Narkose und Anaestheticn. — 19. S c h e d e -Bonn: Rücken¬ 
markstumoren und ihre chirurgische Behandlung. — 20. S c h 1 a g - 
1 n t w e 11 - München—Bad Brückenau: Kritik der B o 11 i n i’schen 
Operation an 150 Experimenten und 82 Präparaten von Prostata¬ 
hypertrophie aus der Sammlung G u y o n des Hospitals Noeker in 
Paris. — 21. S c h irc h ar d t - Stettin: Thema Vorbehalten. — 
22. S t r a u s - Frankfut a. M.: Zur funktionellen Nierendiagnostik. 
— 23. V u 1 p i u s - Heidelberg: Ueber die Behandlung von Kon¬ 
trakturen und Ankylosen des Kniegelenks. — 24. Zucker¬ 
kand 1 • Wien: Ueber Blasensteinoperationen. 

Projektionsapparate, Epidiaskop und Mikroskope stehen zur 


Verfügung. Für die Benutzung des Projektionsapparates wird die 
vorherige Angabe der Plattengrösse erbeten. 

Die Abtheilung ladet ein: die Abtheilungen 13,14, 23 und 24 zu: 
Jordan- Heidelberg: Entstehung von Tuberkulose, Tumoren und 
anderen Organerkrankungen nach Einwirkung stumpfer Gewali 
unter Ausschluss von Frakturen, Hernien, traumatischen Neurosen. 

Die Abtheilung ist eingeladen: von Abtheilung 14 zu: Quincke — 
Kiel und G a r r ö - Königsberg: Chirurgische Behandlung der 
Lungenkrankheiten. Von Abtheilung 17 zu: v. Bokay-Of<:i- 
Pcst uud Siegert - Strassburg: Tracheotomie und Intulmtiou iei 
Diphtherie seit der Seruraperiode. Von Abtheilung 21 zu: Vor¬ 
trägt* über Licht- und Röntgentherapie. 

16. Abtheiluug: Geburtshilfe und Gynäkologie. 

1. E v e r k e - Bochum: a) Meine Erfahrungen ü» er Kaiser¬ 
schnitt. b) Demonstrationen. — 2. F a 1 k - Hamburg: Thema Vor¬ 
behalten. — 3. F re u n d - Berlin: Thema Vorbehalten. — 

4. v. GuCrard und Schulze-Vellinghausen -Düssel¬ 
dorf: a) Demonstrationen, b) Traubenmolenbildung bei extrauto 
rinor Schwangerschaft. — 5. H e 1 n r i c li - Bremerhaven: Opera¬ 
tionen grosser Bauchbrüche. — 6. Hoehne-Kiel: Demonstra¬ 
tionen. — 7. Kantarowicz -Hannover: Die Alkoholtherapic 
der puerperalen Sepsis. — 8. Knorr- Berlin: Tumoren der weib¬ 
lichen Blase und deren endovesicnle Entfernung (mit scioptischen 
Demonstrationen). — 9. K r o e n I g - Leipzig: Zur Therapie der 
Extrauteringravidität. — 10. L o m e r - Hamburg: Zur Therapie 
wiederholter Aborte und der Frühgeburt todter Kinder. - 
11. M a 11 li a e 1 - Hamburg: Demonstrationen. — 12. Ri eck- 
Altona: Demonstrationen. — 13. Schaeffer - Heidelberg: n> In- 
dividualisirende Gesichtspunkte bei der Behandlung der Fehlgebur¬ 
ten. b) Nicht drainirendes Nahtmaterial. — 14. Schatz- Rostock: 
n) Die Hinterscheitelbeinlagen, b) Thema aus dem Gebiet der 
Anthropologie Vorbehalten. — 15. S e 11 h e 1 m Freiburg 1. B.: 
Entwicklungsstörungen. — 16. S e m o n - Danzig: a) Geburtsbe¬ 
hinderung durch Ovarialtumor. Ovariotomia abdominalis Intra 
partum, b) Demonstration. Erkrankung der Plaeeuta. und Hem- 
mungsblldung des Foetus. — 17. St ratz-Haag: Einige neue Gog^j 
sichtspunkte über den Einfluss der Rassen auf Körperform 
Kleidung der Frau (mit Lichtbildern). — 18. Thorn - Magdeburg: 
Die praktische Bedeutung der Laktationsatrrphle. — 19. Werth- 
Kiel: a) Die Erhaltung der Ovarien bei Myomotomle, vaginaler 
Utcrusexstirpation und Adnexoperationen, b) Demonstrationen. — 
20. W i n t e r n i t z - Tübingen: a) Das Bad als Infektionsquelle, 
b) Demonstrationen. 

Die Abtheilung behält sich vor, einzuladen zu den Vorträgen 
von: Schatz (No. 14), S e 11 h e 1 m (No. 15), S t r a t z (No. 17). 

17. Abtheilung: Kinderheilkunde. 

(Zugleich Sitzung der Gesellschaft für Kinderheilkunde.) 

1. und 2. v. B o k a y - Ofen-Pest S I e g e r t - Strassburg: In¬ 
tubation und Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode. 
— 3. B a g i n s k y - Berlin: Scharlachnierenentzündung. — 

4. Camerer- Stuttgart: Die chemische Zusammensetzung des 
kindlichen Körpers. — 5. Flachs- Dresden: Praktische Gesichts¬ 
punkte zur Säuglingsernährung. — 6. Ganghofner - Prag: Zur 
Diagnose der Tetanie lm ersten Kindesalter. — 7. Gutzmann- 
Berlin: Die diätetische Behandlung nervöser Sprachstörung im 
Kindesalter. — 8. H e u b n e r - Berlin: a) Chorea, b) Kurze Be¬ 
merkung über die Kuhmilchfaeces des Säuglings. — 9. Hoch¬ 
singer-Wien: Das sogenannte Drüsenfieber. — 10. Länge- 
Leipzig: Thema Vorbehalten. — 11. Müller- Berlin: Beitrag zur 
Statistik der Dlphtherlemortalität in Deutschland. — 12 . Pfaund¬ 
ler - Graz: Thema Vorbehalten. — 13. v. Ranke- München: Zur 
Behandlung des narbigen Kehlkopfverschlusses nach Intubation 
und sekundärer Tracheotomie. — 14. R i 11 e r - Berlin: a) Die Be¬ 
handlung schwächlicher Kinder, b) Die Behandlung rachitischer 
Verkrümmungen (mit Demonstrationen). — 15. Schlossmann- 
Dresden: Der Phosphorstoff Wechsel des Säuglings. — 

16. v. Starck-Kiel: a) Infantiler Skorbut, b) Das Vorkommen 
aceidenteller Ilerzgeräusche in den ersten Lebensjahren. — 

17. T r u m p p - München: a) Versuche zu der Verbesserung der 
Intubationstechnik, b) Das fernere Schicksal des überlebenden 
tracheotomirten und lntubirteu Kindes. 

Die Abtheilung ladet ein: die Abthellungen 14, 15 und 20 zu: 
v. B o k a y - Ofen-Pest S i e g e r t - Strassburg: Intubation und 
Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode. Die Ah- 
theilung ist eingeladen: von Abtheilung 14 zu: Q u 1 n c k e - Kiel. 
G a r r (• - Königsberg: Chirurgische Behandlung der Lungenkrank^ 
hoiton. Die Abtheilung behält sich vor, einzuladen zu: Ritter 
(No. 14 b). 

< 

18. Abtheilung: Neurologie und Psychiatrie. 

1. Aschaffe n b urg - Halle a. S.: Berufsgeheimuiss (§ 30' 
Slr.-G.-B.) und Psychiatrie. — 2. B e c k e r - Baden-Baden: Eine 
neue elektive Achsencylinderfärbung. — 3. Binswanger -Jena: 
Zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Tabo-Paralyse- — 

4. B o e 11 i g e r - Hamburg: Die Maladie dos tics Impulsifs. — 

5. Bonhöfer - Breslau: Zur prognostischen Bedeutung der sogen, 
katatonischen Symptome. — 0. B r u n s - Hannover: Chorea elec¬ 
trica. — 7. Buch holz - Hamburg: Geistesstörungen bei Arterio¬ 
sklerose. — 8. D i n k 1 e r - Aachen: Ein Fall von Schädeltrauma 
mit nachfolgender Verblödung. — 9. Embdeu - Hamburg: Zur 


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30. JuE 1901. 


Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift. 


1273 


Kenntnis» der Aleiall Vergiftungen. — lü. Friedläuder- Frank¬ 
furt a. M.: Aphasie und Demenz. — 11. H 11 z 1 g - Halle a. S.: Hirn- 
phj Biologisches. — 12. H o f f m a n n - Düsseldorf: Epilepsie und 
Mjoklonie. — 13. J o 11 y - Berlin: Die Indikationen des künstlichen 
Abortus bei der Behandlung von Neurosen und Psychosen. — 

14. Leppmann - Berlin: Die Kriminalität der Unfallverletzten. — 

15. Lilienstein - Bad Nauheim: Demonstration eines Apparates 
zur physikalischen Diagnostik innerer Organe. — 16. M u s k e n s - 
Haag (Holland): Untersuchungen über segmentaleGefiihlsstörungeu 
an Tabetikern und Epileptikern (Demonstration mit Projektions¬ 
laterne). — 17. Nonne- Hamburg: Klinische und anatomische 
Beiträge zur diffusen Carcinoinatose der Pia des Ceutraluerveu- 
aystems. — 18. P u t z e r - Bad Königsbrunu (bei Köuigsteiu): 
Diätetisch - physikalische Behandlung der Magen - Darmatonie. — 

19. Ra ec k e - Tübingen: Zur Lehre von der Hypochondrie. --- 

20. Säen ge r-Hamburg: Neurologische Erfahrungen auf dem 
Gebiete der Rückenmarks- und Hiruchirurgie. — 21. Schuster- 
Aachen: Behandlung allgemeiner Kinderkonvulsiouen. 

Die Abtheilung ist eingeladen von Abtheilung 20 zu: Panse- 
Dresden: Ueber Schwindel. — S p i e s s - Frankfurt a. M.: Asthma. 
Die Abtheilung behält sich vor einzuladen zu: Saenger (No. 18). 

Während der Kougresswoche werden im Eppendorfer Kranken- 
hause auf der Abtheilung von Dr. Nonne eine grössere Reihe 
ausgewählter Fälle von Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten den 
Thellnehmern der Abtheilung zur Untersuchung zur Verfügung 
steben. 


19. Abtheilung: Augenheilkunde. 

1. Cohn- Breslau: Ueber Schielen. — 2. Feilchenfeld- 
Lübeck: Welche Rolle spielt bei der Grösseuschätzung die Form 
des Gesichtsfeldes? — 3. Goldzieher - Ol'en-Pest: Therapie des 
Trachoms. — 4. Hummelsheim -Bonn: Zur Untersuchung des 
Llchtsinns. — 5. Ij I e b r e c h t - Hamburg: Arteriosklerose und Seh¬ 
nen-. — 6. Seydel-Schleswig: Das Seheulernen Blindgeborener, 
mit Erfolg Operirter. 

Die Abtheilung ist eingeladen von Abtheilung 20 zu: Pause- 
Drvsden: Ueber Schwindel. Die Abtheilung behält sich vor einzu¬ 
laden zn: Feilchenfeld (No. 2). 


20. Abtheilung: Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten. 

1. A v e 111 s - Frankfurt a. M.: Gibt die vergleichende Physio¬ 
logie eine Antwort auf die Frage nach dem proportionalen Vermilt- 
nlss zwischen der Gesangleistung und dem Bau des Singorgancs?— 
2. Brügelm a nn-Berlin: Aetiologie und Symptomatologie des 
Asthma — 3. Coen-Wien: Die Behandlung der Sprachstörungen 
beim Wolfsrachen. — 4. G o r d e s - Berlin: Die Behandlung chro¬ 
nischer Mittelohr-Katarrhe (Sklerosen) mit Luftverdünnuug. — 

5. Dem me-Berlin: Gefässanomalien in der Pharynxgegend. — 

6. Fink- Hamburg: a) Demonstration eiues Instrumentes zur 
aseptischen Tamponade der Nase, b) Eine neue Methode zur Be¬ 
handlung des Heuflebers und verwandter Affektionen. — 7. F 1 a - 
tau-Berlin: Das habituelle Tremollren. Beobachtung über die 
Erscheinungen und die Behandlung dieser Stimmstörung. — 
8. Franke-Hamburg: Die Betheiligung der Augen bei der Er¬ 
krankung an Heufieber. — 9. Friedrich - Kiel: a) Nystagmus 
bei Ohrenkrankheiten, b) Weitere Beobachtungen über den dia¬ 
gnostischen Werth der elektrischen Akustlcus - Reaktion. — 
10. Gleis s-Hamburg: Die Zwerchfellathmung beim Singen und 
Sprechen. — 11. Gutzmann - Berlin: Der Zusammenhang von 
Sprachstörungen mit Fehlern und Krankheiten der oberen Luft¬ 
wege — 12. H a r t m a n n - Berlin: Die Schwerhörigkeit in der 
Schole. — 13. H o f f in au u - Dresden: a) Fall von primärer 
Tuberkulose des Schläfenbeins, b) Fall von Septicaemie nach 
Ohreneiterung. — 14. Jansen- Berlin: Operative Eingriffe am 
Ohr und Schwindel. — 15. K i 11 i a n - Freiburg i. Br.: Thema Vor¬ 
behalten. — 16. Klemperer und S e h e i e r- Berlin: Ueber 
Hhlnosklerom und Ozaenabacillen. — 17. Körner- Rostock: Das 
primäre Carcinom im Schläfenbeine. — 18. Kümmel-Breslau: 
Operative Behandlung und Komplikationen beim Stimhöhlon- 
empyem. — 19. M ey e r-Hamburg: Demonstrationen und Vor¬ 
stellung von Kranken. — 20. M ö 11 e r - Hamburg: Chronischer 
Sehleimhautpemphlgus der oberen Luftwege. — 21. Ostmann- 
Marburg: a) Art und Verlauf der Hörstörung bei der akuten per- 
foratlven Mittelohrentzündung. b) Die äusserlich sichtbareu 
Zeichen der Entzündung des Mittelohres und des Warzeufortsatzes. 
c) Die Betheiligung des Nervus facialis beim Lauschen (Demon¬ 
stration am Skioptikon). — 22. Pan s e- Dresden: Schwindel. — 
23. Pflüger - Hamburg: Demonstration von Röntgenblldem bei 
Kieferhöhlenempyem. — 24. Reinhard - Cöln: Ein Fall von 
chronischer Mittelohrentzündung, komplizirt durch Schädelfraktur, 
gehellt — 26. Robinson -Baden-Baden: Inhalations- und Pneu- 
nutotherapie bei chronischen Erkrankungen der Trachea und der 
Bronchien. — 26. R o s e n b e r g - Berlin: Zur Behandlung der 
Ooryia vasomotoria. — 27. v. S c h rö 11e r- Wien: a) Seltener 
Fall von Aktinomyko8e im Bereiche des Halses, b) Elgenthüm- 
lieber 8ondirungsbefund der Nase. — 28. S c h w a r t z e - Halle: 
Thema Vorbehalten. — 29. S p 1 e s s - Frankfurt a. M.: Asthma, 
Heufleber und verwandte ZnstÄnde. — 30. Weil- Hamburg: Der 
“ikroskopisebe und bakteriologische Befund im Nasenschleim der 
H*ofleberpatlenten. — 31. W1 nc k 1 e r-Bremen: a) Modiücatiou 
oer Radikaloperation der Mittelobreiterung, b) Fälle von nasalen 
Nebenhöhlenerkrankungen. Demonstration und Krankenvorstel- 
•oug. 82. Wolf f-Metz: Aetiologie und Therapie der Ohr- 
fcrtlnache. 


Die Abtheilung ladet ein die Abtheilungen 14, 15 und 18 zu: 

S p 1 e 8 s - Frankfurt a. M.: Asthma, Heufleber und verwandte 
Zustände. Die Abtheilungen 14, 15. 18 und 19 zu: Panse- 
Dresden: Schwindel. Die Abtheiluug ist eingeladen von Abthei¬ 
lung 17 zu: v. B o k a y - Ofen-Pest und S i e g e r t - Strassburg: 
Intubation und Tracheotomie bei Diphtherie seit der Serumperiode. 

Die Abtheilung behält sich vor eiuzuladen zu: Pflüger (No. 23) 
und WInckler (No. 31). 

21. Abtheilung: Dermatologie und Syphilidologie. 

1. Bang- Kopenhagen: Lichttherapie. — 2. Bender - Wies¬ 
baden: Die Aetiologie des Ekzems. — 3. B 1 a s c h k o - Berlin: 
a) Thrombophlebitis nodularis syphilitica; b) Die Abortivbehand¬ 
lung der Gonorrhoe. — 4. Bockhart - Wiesbaden: a) Die Aetio¬ 
logie des Ekzems, b) Die Behandlung der Sklerodermie. — 

5. B o n n e - Kleiu-Flottbeck: Die klinische Bedeutung des Ekzema 
seborrhoicum Unna. — 6. C h o t z e n - Breslau: Injektionsbehand¬ 
lung der Syphilis. — 7. Freund-Wien: Dermatomyasis. — 

8. G a 1 e w s k y - Dresden: a) Operative Behandlung der Plaques 
indurCos (Penisknochen). b) Beitrüge zur Therapie der Sklero¬ 
dermie. c) Therapeutische Mittheilungen über die Verwendung der 
Silbersalze in der Dermatologie. — 9. Grouven - Bonn: Röntgen 
bei Lupus vulgaris und Skrophuloderma. — 10. Hahn- Hamburg: 
Röntgen bei Ekzem, Psoriasis, Akne, Prurigo. — 11. H e u s s - 
Zürich: Ein neues Antiekzematosum. — 12. Hochsing e r - Wien: 
Hereditäre Frühsyphilis ohne Ekzem. — 13. Jakobsohn - Ber¬ 
lin: Die Verwendbarkeit der Tricoplaste. — 14. Kienboeck- 
Wieu: Therapeutische Röntgentechnik. — 15. Kollmann- 
Leipzig: a) Klappen, Taschen und Stränge der männlichen Harn¬ 
röhre. b) Demonstration urologischer Instrumente, c) Intra- 
urethrotomie bei weiten Strlkturen. — 16. Kulisch- Halle a. S.: 
Thema Vorbehalten. — 17. L a s s a r - Berlin: Zur Therapie des 
Caucroids. — 18. M r a c e k - Wien: Syphilitische Mutter und ihr 
Kind. — 19. M U 11 e r - Wiesbaden: Syphilis gummosa der Nase. 

— 20. M U 11 e r - Berlin: Weitere Erfahrungen über Aktino- 
therapie. — 21. N e u b e rg e r-Nürnberg: Mittheilungen zur 
Gonorrhoetherapie. — 22. Notthaft - München: Die Verwendung 
höherer Temperaturen bei der Gonorrhoebehandlung (mit Demon¬ 
strationen). — 23. Richter - Berlin: Der innerliche Gebrauch von 
Jodtinktur an Stelle von Jo<lkalI. — 24. Rille- Innsbruck: Thema 
Vorbehalten. — 25. Schi ff-Wien: Röntgen bei Haarerkran¬ 
kungen. — 26. S c h u s t e r - Aachen: Zur Klärung des Rheuma¬ 
tismus gonorrhoicus. — 27. Schürmayer - Hannover: a) Die 
Schädigungen durch Röntgeustralileu und die Bedeutung unserer 
Schutzvorrichtungen, b) Die forensische Bedeutung der Röntgeu- 
verbrennungen. — 28. S j ü g r e n - Stockholm: Röntgen bei Lupus 
erythematodes. Ulcus rodens, Cancroid. — 29. Strebei - München: 

Die Brauchbarkeit dos Induktionsfuukenlichtes in der Therapie. 

— 30. W i n k 1 e r - Wien: Die Behandlung von Hautkrankheiten 
mittels statischer Elektricitüt. 

Die Abtheilung ladet ein die. Abtheilungen 14 und 15 zu den 
Vorträgen über Licht- und Röntgentherapie. Referenten: 1. Bang- 
Kopenhagen: Lichtherapie. — 2. Grouven-Bonn: Lupus vul- ,V 
garis und Skrophuloderma. — 3. Hahn- Hamburg: Ekzem, Psoria- A. 
sis, Akne, Prurigo. — 4. K i e n b o e c k - Wien: Therapeutische 
Technik. — 5. Schiff- Wien: Haarerkrankungen. — 6. Schür- 
m a y e r - Hannover: a) Die Schädigungen durch Röutgeustrahlen 
und die Bedeutung unserer Schutzvorrichtungen, b) Die forensische 
Bedeutung der Uöntgenverbreunungen. — 7. S j ö g r e u - Stock¬ 
holm: Lupus erythematodes, Ulcus rodens,'Caucroid. — 8. Stre¬ 
bei-München: Die Brauchbarkeit des Induktionsfunkeiilichtes 
in der Therapie. — M ü 11 e r - Berlin: Weitere Erfahrungen über 
Aktinotheraple. 


22. Abtheilung: Zahnheilkunde. 

1. Apffelstaedt - Münster i. W.: a) Brückeusystein eigener 
Erfindung (Kastensystem), b) Ober- und Unterkieferresektioneu 
(Prothesen). — 2. Bauchwitz - Stettin: Sensitives Dentin und 
seine Behandlung mit Kohlensäure (mit Demonstrat) — 3. F roh- 
rn a n n - Berlin: Neuere Beitrüge zur Infiltrationsanaesthesle bei 
Zahuextraktionen. — 4. Gerhold - Wien: Demonstration neuer 
Instrumente. — 5. Greve - Magdeburg: Alveolarpyorrhoe. — 

6. Hahn- Breslau: Die Zahnfleischtistel und ihre Behandlung. — 

7. II e r b s t-Bremen: u) Fortschritte in Kronen- und Brücken¬ 

arbeiten. b) H e r b s t’sche Goldfüllungsmethoden. c) Demonstra¬ 
tion meiner in Paris ausgestellt gewesenen Präparate_8. Jessen- 

Strassburg i. E.: Die Bedeutung der Zahnpflege für da» Volks¬ 
wohl. — 9. K e r s t i n g-Aachen: Abnutzung der Zähne. — 
10. Llppold Jun. - Rostock i. M.: Kurze Mittheünngen Uber 
meine Thätlgkeit als Zahnarzt beim ostaaiatischen Expeditions¬ 
corps. — 11. M a m 1 o k - Berlin: Die Anwendung von J e n k 1 n’s 
Porzellanemaille ln einigen besonderen Fällen. — 12. Morgen¬ 
stern - Strassburg i. E.: Projektionsvortrag über einige strittige 
Fragen aus der Histologie und Entwicklungsgeschichte der Zähne. 
— 13. P a rt s c h - Breslau: Der dentale Ursprung des Empyems 
der Kieferhöhle. — 14. R o e m e r - Strassburg L E.: Ueber Pulpa¬ 
polypen mit mikroskopischen Demonstrationen. — 15. Sachse- 
Leipzig: a) Demonstration des Dr. Braon e’schen Narkosen¬ 
apparates für Mischnarkosen. b) Wurzelspitzenresektion und Be¬ 
handlung chronischer Alveolarabscesse. c) Differentialdiagnose 
und operative Behandlung der Antrumempyems. — 16. W i t z e 1 - 
Jena: Thema Vorbehalten. — 17. W 11 z e 1 - Dortmund: a) Klefer¬ 
brüche und deren Behandlung, mit Demonstration von Apparaten, 
b) Angeborene und erworbene Gaumendefekte, c) Demonstration 
von Pneumatikobturatoren (eigene Konstruktion) nach operativen 
Eingriffen. 


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1274 


Beilage zur Münchener medicinischen Wochenschrift. • 


Die Abtheilung behält sich vor einznladen zu: Partsch 
(No. 13), Sachse (No. 15). 

23. Abtheilung: Militär-Sanitätswesen. 

1. D ü in 8 - Leipzig: Epileptische Dämmerzustände in der 
Armee. — 2. Fischer- Berlin: Die Behandlung der Bauchschuss- 
wunden im Felde. — 3. Helfe rieh - Kiel: Das Verhalten der 
Knochen bei Streifschüssen aus modernen Kriegswnffen. — 

4. H e r h o 1 d - Paotingfu: Thema, betreffend die auf dem Kriegs¬ 
schauplatz in China gemachten Erfahrungen, Vorbehalten. — 

5. V a rg e s-Dresden: Truppenernüliruug im Kriege. 

Die Abtheilung ist eingeladen von Abtheiluug 15zu: Jordan- 
Heidelberg: lieber die Entstehung von Tumoren, Tuberkulose und 
anderen Organerkrankungeu nach Einwirkung stumpfer Gewalt 
unter Ausschluss von Frakturen, Luxationen, Hernien und trauma¬ 
tischen Neurosen. 

24. Abtheilung: Gerichtliche Medicin. 

1. H a be r d a - Wien: a) Die Form der Schädelverletzungen 
an Neugeborenen, b) Kleinere Mittheilungen. — 2. Placzek- 
BerlinW.: Herz Verletzung und Haematoperikard.—3. Schäffer- 
Bingen: Thema Vorbehalten. — 4. S a e n g e r - Hamburg: Con- 
träre Sexualempflnduug. — 5. Stubenrath - Wiirzburg: Ver¬ 
gangenheit und Zukunft der gerichtlichen Medicin in Deutschland. 

— 6. S t u m p f - Würzburg: Der pathologische Rausch in straf¬ 
rechtlicher Hinsicht 

Die Abtheilung ist eingeladen von Abtheilung 15 zu: Jordan- 
Heidelberg: Ueber die Entstehung von Tumoren, Tuberkulose 
und anderen Organerkrankungen nach Einwirkung stumpfer Ge¬ 
walt unter Ausschluss von Frakturen, Hernien und traumatischen 
Neurosen. Von Abtheilung 21 zu: den Vorträgen über 
die Licht- und Röntgentherapie. 

25. Abtheilung: Hygiene, einschliesslich Bacteriologie und 

Tropenhygiene. ( 

1. B a g i n s k y - Berlin: Isollrhospitäler und Mischinfektionen. 

— 2. B r i e g e r - Berlin: Ueber die wirksamen Bestaudtheile der 
deutsch-ostafrikanischen Pfeilgifte. — 3. C o h n - Breslau: Der 
Zeitungsdruck vom augenärztlichen Standpunkte betrachtet. — 
4. E r 1 8 m a n n - Zürich: a) Die Zusammensetzung und der Nähr¬ 
werth der Hungerbrode in Russlaud (mit Demonstrationen), b) Der 
Nährwerth der Schülersuppen in Zürich. — 5. E r n s t - Zürich: 
Bacterienstrukturen. — 0. F i s c h e r - Kiel: Zur Aetiologie der 
sogen. Fleischvergiftungen. — 7. F ü r s t - Berlin: Zur Prophylaxis 
•les Nikotinismus und Koffeinismus. — 8. Grassberger - Wien: 
Ueber die Buttersäurebacillen. — 9. G r i e s b a c h - Miihlhausen- 
Basel: Die Aufgaben der Schulhygiene. — 10. Kruse - Bonn: Der 
jetzige Stand der Dysenteriefrage. — 11. Lode- Innsbruck: Die 
Absterbebedingungen einiger Schimmelpilzsporenarten. —12. Moro- 
Graz: Biologische Beziehungen zwischen Milch und Serum. — 
13. N e 1 s b e r - Frankfurt a. M.: Staphylomykosen. — 14. N 1 e d e r- 
Stadt- Hamburg: Die Milch, insbesondere sogen. Kindermilch. — 
15. PI eh n-Davos i. d. Sch.: Einige neue Probleme der Malaria¬ 
forschung. -- 10. Ru ge-Kiel: Irrthiimer in der Malariadiagnose 
und ihre Vermeidung. — S ft r k ft n y - Craiova-Itumänien: Die 
Antherozoiden der Variola. — 18. S c h e u b e - Greiz: Die vene¬ 
rischen Krankheiten in den warmen Ländern. — 19. Scheurlen- 
Stuttgart: a) Der Stand der Abwasserreinigungsfrage auf Grund 
praktischer Versuche in Württemberg, b) Beobachtungen und 
Untersuchungen über die pathologische Anatomie und Bacterio¬ 
logie der epidemischen Schweisskrankheiten. — 20. S c hot¬ 
te 1 i u s - Freiburg i. Br.: Versuche über sterile Ernährung von 
Hühnchen und ilbei die Bedeutung der Darmbacterien. —- 
21. Schürmayer - Hannover: Der Keimgehalt der Nährpräpa¬ 
rate und dessen hygienische und klinische Bedeutung (mit De¬ 
monstration von Kulturen und Photogrammen). — 22. Weig- 
mann-Kiel: Die Anwendung und die Art der Durchführung der 
Pa8teurisirung im Molkereigewerbe. — 23. W e y 1 - Charlottenburg: 
Anwendung des Ozons in der Hygiene. 

Die Abtheilung ist eingeladen zu der Sitzung der Tuberkulose¬ 
kommission. 

20. Abtheilung: Thierheilkunde. 

1. D i e c k e r h o f f - Berlin: Die intravenöse Injektion von 
Arzneipräparaten bei den Hausthieren. — 2. E b e r 1 e i n - Berlin: 


Ueber die chronische, deformirende Entzündung der Zehengelenke 
des Pferdes (mit Demonstration). — 3. G 1 a g e - Hamburg: Die Be¬ 
deutung der flüchtigen Schwefelverbindungen der Muskulatur für 
die Fleischhygiene. — 4. Hoffmann - Stuttgart: Deutsche 
Pferdezucht — 5. Jess- Charlottenburg: Mitthellungen über Im¬ 
mun islrungsversuche. — 6. Immiger-München: Thema Vorbe¬ 
halten. — 7. Kaiser- Hannover: Thema Vorbehalten. — 
8. L ü p k e-Stuttgart: Die neue Geflügelseuche. — 9. Lydtin- 
Baden-Baden: Thema Vorbehalten. — 10. M a y r - München: Vieh- 
gewährschaf t nach dem B. G.-B. — 11. Peter- Angermünde: Die 
Tuba Eustachiana des Pferdes im normalen und pathologischen 
Zustande. — 12. R a e b i g e r - Halle: Der ansteckende Scheiden- 
uud Gebärmutterkatarrh der Rinder. — 13. Sussdorf-Stuttgart: 
Thema Vorbehalten. 

27. Abtheilung: Pharmacie und Pharmakognosie. 

1. Beruegau - Hannover: Mittheilungen über eine Reise 
nach Westafrika. — 2. Dieterich - Helfenberg (bei Dresden): 
Die Werthbestimmuug der Canthariden nach dem Deutschen 
Arzneibuch IV. — 3. Niederstadt - Hamburg: a) Kardamomen 
aus den deutschen Kolonien, b) Thema Vorbehalten. — 4. P a r t • 
heil- Bonn: a) Borsäure und eine neue gerichtsanalytische Be¬ 
stimmung derselben. b) Zur Kenntniss des Butterfettes. — 
5. S c h ä r - Strassburg i. E.: a) Saponinhaltige Fischfangpflanzen. 

b) Beobachtungen Uber aktlvirende Einwirkungen von reduzirenden 
I Substanzen, sowie von colloidalen Metallen auf gewisse Oxy¬ 
dationsmittel. — 0. T h o m s - Berlin: Arbeiten aus dem pharm.- 
eliem. Institut der Universität Berlin. — 7. T s c h i r c h - Bern: 
Thema Vorbehalten. — 8. Z e 11 n e r - Hannover: Ueber moderne 
Nährmittel. 

Nachtrag. 

Während des Druckes angemeldete Vorträge: 

Für Abtheilung 14: A 1 e x a n d e r - K a t z - Hamburg: Der 
gegenwärtige Stand der Krebsfrage. 

Für Abtheilung 14; Unterabtheilung: Geschichte der Medicin: 
1. B 1 o c li - Berlin: Bemerkungen über die medicinische Schrift- 
stellerei des Alterthums. — 2. E p h r a i m - Berlin: a) die Ge¬ 
schichte der Salpeterindustrie, b) Die Bedeutung der Geschichte 
für die Technik. — 3. F u c h s - Klotzsche (bei Dresden): Was 
bietet der Anonymus Parisinus Neues. — 4. G e r s t e r - Braunfels 
(bei Wetzlar): Die Rolle der Hysterie im Hexen wesen. — 5. Györy- 
Üfen-I’est: Der Morbus huugaricus, — 6. Jackschath - Pollno'v 
Un Pommern): Thema Vorbehalten. — 7. Kahlbaum - Basel: Die 
Entdeckung des Kollodiums. — 8. Kossman n-Berlin: Kritisches 
zur Bestimmung des Zeitalters, in welchem einige medicinische 
Autoren griechischer Sprache (Aetius. Moschion, Kleopatm 
lebten. — 9. Neuburger-Wien : Thema vorbelialten. — 
10. P a g e 1 - Berlin: a) Die Analogie der Gedanken in der medi- 
cinischen Geschichte, b) Galen als Medicolilstorlker. — 11. Rüge- 
Kiel: Sanitäre und hygienische Zustände auf Seeschiffen im 17. 
und 18. Jahrhundert. — 12. S c h ä f e r - Remscheid: Die Stellung 
des Dichters Jung-Stilliug in der Augenheilkunde seiner Zeit. — 
13. S t i e d a - Königsberg: Ueber Intibulatiou bei Griechen uu»l 
Römern. — 14. S u d h o f f - Hochdahl: a) Hohenheim’s chirurgische 
Schriften, b) Zur Geschichte der Lehre von den kritischen Tagen. 

c) Ueber eine neue Organisation der deutschen Historiker der 
Medicin und Naturwissenschaften. — 15. We g s ch e i d e r-Berliu: 
Ueber Aetius Buch XVI. — 16. Kotelmann - Hamburg: Luther 
und Leo X. als Brillenträger. — 17. Schimmelbusch - Hoch¬ 
dahl: Der Grundirrthum in v. Krafft-Ebing’s P s y ch o p a t h ia 
s e x u a 1 i s historisch und philologisch betrachtet. 

Für Abtheilung 15: B a d e - Hannover: Das modellirende Re¬ 
dressement schwerer Skoliosen. Für Abtheilung 16: Koss¬ 
man n - Berlin: a) Ueber die Grenze zwischen Mutter und Kind 
in der Placenta. b) Ueber Ovario-Carcinom. Für Abtheilung 21: 

1. B e c k - Ofen-Pest: Tinktorielle Injektion der interepithelialen 
und Bindegewebslymphräume der Haut und der Cornea. — 

2. B e r g - Frankfurt a. M.: Seltene Komplikationen eines Kar¬ 
bunkels. — 3. M ü 11 e r- Wiesbaden: Moderne Jodtherapie bei 
Lues. — Freund- Wien: Verschiedene Strahlungen als thera¬ 
peutische Faktoren. — 5. Euler gen. Rolle-Wien: Röntgen¬ 
therapie. Thema Vorbehalten. Für Abtheilung 25: Gärtner- 
Jena: Ein neues Haemoglobinometer. Für Abtheilung 27: Ga¬ 
da m e r - Marburg: Die Alkaloide der Corydalis cava. 


Verlag von J. F Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler'a Buch- und Kunatdruckerel A.G., München. 


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Dlo Manch. Med. Wochcuschr. cncholut wüHicntl. Tl ,|"1 T"\T/ - STTT7I'\TT7IT} 7n*end'ineen sind tu adreiafran: Fflr dloRodacüoa 

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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

Cli. BiiRler, 0. Bollliger, H. Curschmann, C. 6erhirdt, 6. Merkel, J. i. Michel, H. v. Baake, 

Freiburg I. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. 


No. 32. 6. August 1901. 


Redaction: Dr. B. Spats, Ottostraaae 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustraase 20. 


F. i. Winckel, H. i. Zlenssen, 

München. München. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus dem hygieuischen Institut der Universität München. 

Ueber ein krystallinisches Immunisirungsproduct. 

Von H. Büchner und L. G e r o t. 

n, Mittheilung.*) 

Seit unserer ersten Mittheilung waren wir bestrebt, dio 
nähere Natur der dort beschriebenen Globuliten zu ermitteln, was 
auch gelang. Das Resultat ist etwas unerwartet, dürfte aber des 
Interesse*» nicht ganz entbehren. In Anbetracht der ausserordent¬ 
lichen Widerstandsfähigkeit der Globuliten gegen chemische Re- 
agentien war in der I. Mittheilung bereits die Möglichkeit an¬ 
gedeutet, dass es sich um rein anorganische Bildungen handeln 
könnte. Diese Möglichkeit halten wir jetzt für zutreffend und 
nehmen an, dass die organischen Stoffe in den ausgewaschenen 
Globuliten, deren Vorhandensein sich beim Erhitzen auf dem 
Platinblech kundgibt, lediglich aus Einlagerungen bestehen. Die 
Globuliten selbst dagegen bestehen im Wesentlichen aus Baryurn- 
sulfat. 

Der Baryt stammt, wie sicli geigte, aus dem nach Kühn c’s 
Vorschrift horgostellten Pepton, bei dem ein geringer Bnryt- 
gohalt auch einem sorgfältigen Beobachter leicht entgehen kann. 
Prüft man nämlich eine konzentrirtc, schwach barythaltige Pep- 
t'adösung vorsehriftsmässig durch Zusatz von ganz wenig 
Schwefelsäure auf Anwesenheit eines Bestes von Baryumsalz, 
so entsteht zunächst kein Niederschlag; wartet 
inan jedoch 12—24 Stunden, so bildet sich in derselben Lösung 
nachträglich ein schwacher weisslicher Bodensatz, der aus 
Globuliten von Baryumsulfat besteht’) Aller¬ 
dings haben diese Globuliten ein etwas anderes Aussehen, als die 
bis dahin von uns beobachteten, sie sind vorwiegend oval und von 
ziemlich gleichmässiger Grösse, nicht kugelig und nicht deutlich 
konzentrisch geschichtet. Gleichwohl muss auf Grund des noch 
i! i t zu t hoi lenden angenommen werden, dass es sieh in beiden 
Fällen um wesentlich gleichartige Bildungen handelt, die nur 
durch die verschiedene Entstehungsweise, verschiedenartige Ein¬ 
lagerungen u. s. w. gewisse Modifikationen auf weisen. Uebrigens 
war cs für uns ganz neu, dass Baryumsulfat überhaupt in Form 
von Globuliten zu krystallisiren vermag. 

Obwohl somit unsere Globuliten aus Baryumsulfat bestehen, 
sind sie dennoch in gewissem Sinne als „Immunisirungsprodukt“ 
zu bezeichnen. Sie entstehen nämlich vorwiegend, wie in der 
I. Mittheilung bereits dargelegt wurde, bei Ucberschichten von 
Sem in eines vorbehandelten Thieres mit (barythaltiger) 
Peptonlösung, selten aber, und dann stets in viel geringerem 
Mansse, bei Uelwrsohiehtou von normalem Serum mit der 
gleichen Lösung. Der Grund wird unten angegeben werden. 

Um diesen Punkt nochmals zu prüfen, wurde eine Anzahl 
von Kaninchen vorbehandclt mit kleinen Mengen Blutes von 
Schwein, Pferd, Ziege, Hammel, Rind, Meerschweinchen. 
Sämmtliehe Sera gaben bei Ucberschichten mit einer 2proe. 
L'^ung von barythalt.igem Pepton sofort Trübung au der 
Beiührungsschichte und schon nach 4 Stunden den, in der I. Mit- 

‘t Vergleiche diese Woehenschr. 1001, No. 20. 

0 Unser IVpton enthielt 4,0 Proc. der Trockensubstanz an 
BaO. 

No. 32. 


theilung beschriebenen, charakteristischen Ring von Globuliten 
an der Wandung der Röhrchen. Von 11 Kontrolversuchen da¬ 
gegen, theils mit normalem Serum verschiedener Kaninchen, 
theils mit normalem Rinderserum, ergaben 8 ein völlig negatives 
Resultat, d. h. überhaupt weder Trübung noch Globuliten. Nur 
bei 3 Kaninchen zeigte das normale Serum beim Ucberschichten 
mit barythaitigor Peptonlösung zwar auch*keine sofortige Trü¬ 
bung, wohl aber nach längerer Zeit die Bildung eines 
schwachen Globulitonringcs. Vesshall) diese Thier«* sieh 
abweichend von den anderen verhielten, vermögen wir vorläufig 
nicht anzugeben. Immerhin bleibt ein prinzipieller Unterschied 
zwischen vorbehundeltem und nicht vorbehandeltem Serum be¬ 
stehen. 

Aus dem soeben Mitgetheilten geht nun allerdings hervor, 
dass die Globulitenbildung nicht, wie wir Anfangs dachten, als 
eine speei fische Reaktion aufgefasst werden dürfe. Wir 
waren zu dieser Ansicht seiner Zeit durch einen Versuch der 
Vorbehandlung mit Meorsehwcinchenblut veranlasst worden, hei 
dem das Serum, ganz entgegen der jetzt festgestellten Regel, 
die Globulitenbildung verweigerte. Die Globulitenbildung ist 
vielmehr nur eine Keaotion darauf, ob «las Serum von einem, 
mit Injektion von Pepton oder Blut verschriener Thiersorten 
v o r h e h a n d e 1 t e n Thierc eiitslammt. Wahrscheinlich werden 
die verschiedenartigsten, zur Vorbehandlung ünzuwendcmlcn Ki- 
weisssubstanzen in dieser Beziehung «las gleiche. Resultat ergehen. 
Denn offenbar handelt cs sieh um eine ganz generelle Eig«*nsohaft 
der Sera vorbehandelter Thiere, und diese kann nach Maassgabe 
der lieschriebcnon Reaktion wohl nur in einem Mehrgehalt. 
solchen Serums an Schwefelsäure resp. Sulfat 
liegen 1 ). 

Zur näheren Begründung seien folgende Thatsachen ang«;- 
fühvt: 

1. Normal«“» Rinderserum, dem je Volum versehhslen 
abgestufter Lösungen von Natrium sulfat zugeset/.t 
wurden, gibt heim Uel>«*rschiehten mit barythaltiger Pepton- 
lösung den liekannten Globuliteuring; und Ztvar ist. dies der 
Fall beim Gehalt an Natriumsulfat von 1:500, 1:5000, 1:50 000 
und 1:100 000 (hei letzteren beiden nur spurenweise und später 
auftreteml). Normales Kinderserum ohne Zusatz von Natrium¬ 
sulfat gibt mit der gleichen barythnltigon Peptonlösung keinen 
Globuliteuring. 

Hieraus dürfte hervorgehen, «lass normales Serum in der 
Regel entweder gar keine oder nicht genug Schwefelsäure 
resp. Sulfat enthält, um mit barythaltigern Pepton die Globuliten 
zu liefern. Das Serum eines mit Blut vorbohamlelten Thier s 
dagegen e n t h ii 1 t die <*rforderliehe Sulfatmenge (s. <>.). 

Zur Anstellung dieser empfindlichen «lifferenlial-<liagii<rti- 
sehen Reaktion zwischen normalem und vorlx-handeltem Serum 
ist. aber die Anwesenheit von Pepton — ausser den» 
Baryt — durchaus erforderlich. Blosse wässerige Barytlösung 
genügt, nicht. wi«> folgender Wrsucli lehrt: 

2. Eösmigen von Barvumneetat und Baryumehlorid in phys. 
Na(’l-I.öisuiig, und zwar entsprechend «lein Gehalt einer lOpro-. 

') I>le obige Annahme ist zunächst die wahrscheinlichste. Im 
al»er auch ander«* Möglichkeiten d«*nkhar sind, so stehen wir in: 
ItegrilT. «lie Schwel'elsäure direkt zu bestiinmcn. und werdcu 
darüber später .Mittheilung inaclmn. 

I 


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1276 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


Peptonlösung (mit 4,6 Proc. Barytgehalt der Trockensubstanz) 
an Baryum, geben bei Uebersdüchtung 

a) auf vorbeli andcltos Kaninchenserum (durch In¬ 
jektion fremden Blutes) sofort starke Trübung an der Be¬ 
rührungsschichte, später Globuliten-Ring und -Bodensatz; 

b) auf normales Rinderserum ebenfalls sofort Trübung, 
später Globulitenring und Bodensatz. 

Eine einfache wässerige Lösung von Baryumsalz ist also 
differential-diagnostisch unbrauchbar; es muss die eigentüm¬ 
liche Niederschlag verhindernde Wirkung des Pep¬ 
tons hinzukommen, um den Unterschied zwischen normalem und 
vorbehandeltem Serum erkennen zu lassen, jene bis dahin un¬ 
bekannte Wirkung, die überhaupt daran Schuld war, dass der 
Gehalt an Baryum in unserem Peptonpräparat übersehen 
worden war. 

Wenn nun aber zu schliessen ist, dass im Serum vorbehan¬ 
delter Thiere ein Plus an Sulfat zugegen sei, so entsteht natür¬ 
lich die weitere Frage nach der Ursprungsstätte dieses Sulfats. 
Unsere Ansicht geht dahin, dass es sich hiebei um eine be¬ 
stimmte Lebensäusseruug der Leukocyten 
handelt, wobei Schwefelsäure zur Bildung 
und Ausscheidung gelangt. Dieser Schluss scheint 
uns gerechtfertigt durch folgende weitere Versuchsresultate: 

3. Man bedarf nämlich gar nicht des Blutes oder Serum 
eines Thieres, es genügt die blosse Anhäufung von Leuko¬ 
cyten an einer Körperstelle, um bei Anwesenheit von baryt- 
lmltiger Peptonlösung massenhafte und sehr charakteristische 
Globuliten zur Entstehung gelangen zu lassen. Zu diesem Behuf 
werden gläserne Spindelröhrchen, wie man sie zu chemotaktischen 
Versuchen seit lange benützt hat, etwa 5 cm lang und 5 mm 
an der weitesten Stelle im Durchmesser haltend, mit steriler 
10—20 proc. Lösung von barythaltigem Pepton gefüllt, bakterien- 
frei unter die Haut von Kaninchen eingeschoben; dann wird 
etwas entfernt von der Einschubstelle die eine Spitze des Röhr¬ 
chens subkutan abgebrochen. Nach 2—4 mal 24 Stunden findet 
sich an der freien Mündung des abgebrochenen Endes der 
Spindelröhre der bekannte, 2—4 mm lange weissgelbliche, ziem¬ 
lich derb konsistente Leukoeytenpfropf, der aber bei mikroskopi¬ 
scher Untersuchung diesmal — im Gegensatz zu anderen be¬ 
kannten Fällen — den überraschenden Befund zahlloser, 
zwisch e n d e n L e u k o c y teil eingebetteter, 
meist sehr gross entwickelter, konzentrisch 
geschichteter Globuliten ergibt. 



Wir haben bisher etwa 10 Spindolröhrohon eingeführt, 
immer mit gleichem Erfolg, vorausgesetzt, dass die Peptonlösung 
konzentrirt genug war — 2 proc. Lösung ist hier ungenügend — 
und dass die Röhrchen lange genug unter der Haut verweilt 
hatten. 48 Stunden sind für Bildung grösserer Globuliten das 
Minimum. Nach 36—40 Stunden findet man nur kleinere For¬ 
men und nach 18—24 Stunden nur Leukocyten und keine 
Globuliten. 

Barytfreies Pepton ergab zwar Ansammlungen von 
Leukocyten in den Spindelröhrchcn, aber keine Globuliten. 
Zweifellos handelt es sich also um die gleichen Globuliten aus 
Baiyumsulfat, wie wir sie bisher beim Ucbe.rschieilten von baryt- 
haltiger Peptonlösung auf vorbehandeltes Serum entstehen sahen. 
Dass dieselben hier in den Spindelröhren meist besonders schön 
und gross entwickelt und deutlich geschichtet sind, erklärt sich 
aus der wesentlich langsameren und allmählicheren Bildung. 


Nach 24 Stunden können schon ganz erhebliche Leukocyten- 
pfröpfe in den Röhrchen da sein; zu dieser Zeit aber haben wir 
noch keine Globuliten in denselben auffinden können. Es scheint, 
dass die Leukocyten erst längere Zeit an Ort und Stelle ver¬ 
weilt und ihre chemische Thätigkeit ausgeübt haben müssen, 
bevor nennenswerthe und zur Bildung von Globuliten hinläng¬ 
liche Mengen von Sulfat durch sie zur Ausscheidung gelangen. 

Zur richtigen Beurtheilung dieser Verhältnisse sei hervor¬ 
gehoben, dass die Spindelröhrchen, da nur das eine Ende ab¬ 
gebrochen wird, vollständig von der Pcptonlösung erfüllt bleiben; 
von letzterer Lösung kann nur eine ganz kleine Menge, welche 
in der abgebrochenen Spitze enthalten war, mit dem Gewebe in 
direkten Kontakt kommen. Die übrige, im Röhrchen restirende 
Lösung wird dagegen schnell genug durch den sich bildenden 
derben Leukoeytenpfropf vom Kontakt mit der Gewebsflüssigkeit 
abgesi>errt. 

Der Gedanke, es könnte durch allmähliche Resorption von 
Peptonlösung aus dem Spindelröhrchen eine Vorbehandlung des 
Thieres, wie bei Injektionen von Pepton (s. I. Mittheilung) zu 
Stande kommen, ist somit auszuschliessen. Vielmehr sind offen¬ 
bar die Leukocyten selbst, bei ihrem Kontakt mit barythaltigeni 
Pepton, für die Bildung der Globuliten verantwortlich zu machen. 

Durch folgende weitere Versuchsanordnung wird die näm¬ 
liche Thatsache bewiesen: 

4. Ein Kaninchen erhält 2 ccm sterile Aleuronat- 
emulsion in die Pleurahöhle. Das sich bildende lcukocytenreiche 
24 ständige Exsudat ergab, nach Verdünnen mit gleichviel phys. 
NaCl-Lösung und Abcentrifugiren der Zellen, bei Ueberschich- 
tung mit barythaltiger Peptonlösung sofort Trübung an 
der Grenzschichte und alsbald Bildung eines Globu¬ 
liten r i n g e s , mindestens so stark, ja stärker sogar als das 
Serum eines mit Pepton oder Blut vorbehandelten Thieres. 

Von welcher Art ist nun diese Lebensthätigkeit der Leuko¬ 
cyten? Nach unserer Anschauung dürfte es sich dabei um Auf¬ 
nahme und intracelluläre Verdauung von Eiweiss- und eiweiss- 
artigen Stoffen handeln. Durch Metschnikoff wurde 
zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass in den Leukocyten 
der Warmblüter der, phylogenetisch uralte, intracelluläre Er- 
nährungs- und Verdauungsmodus noch heuto sich festgehalton 
findet. Andererseits hatte der Eine von uns seiner Zeit, nach¬ 
dem er die Chemotaxis der Leukocyten durch Bacterienprotcine 
aus getödteten und extrahirten Baeterienzcllen zuerst nachge¬ 
wiesen — bis dahin kannte man eigentlich nur Anlockung durch 
lebende Bacterien — gleichzeitig auf die chemotaktische Lock¬ 
wirkung von Pflnnzencoseinen, sowie aller künstlich modifizirten 
und denaturirten Eiweissstoffo aus thierischen Geweben (z. B. 
Alkalialbuminat aus Leber, Muskel u. s. w.), übrigens auch von 
reinstem Knochenleim, Hemialbumoso etc. aufmerksam gemacht. 

Eine solche Erscheinung lässt sich kaum anders deuten, 
als dass der Leukocyt auch im Stande sei, von jenen Substanzen 
gewisse Anthoile in sein Inneres aufzunchmen. Eine blosse An¬ 
lockung lebender Zellen, ohne dass Nahrungsreize oder der Zweck 
einer Resorption behufs Beseitigung der fremden Substanz dabei 
in Betracht kommen, erscheint bei der allgemeinen Zweckmässig¬ 
keit der Organisation kaum annehmbar. Man darf dabei nicht 
vergessen, dass N-freie Substanzen, wie z. B. Stärke, nicht 
chemotaktisch auf Leukocyten wirken. Wenn aber etwas von 
den anlockenden Substanzen vom Leukocyten aufgenommen wird 
—ähnlich wie Bacterien und leblose Körnchen verschiedenster 
Art vom Leukocyten thatsächlich und sichtbar aufgenommon 
werden — dann muss bei dem energischen Chemismus der Louko- 
eyten, der sich in der Bildung von Alexinen einerseits, von 
faserstoffartiger Substanz andererseits äussert, eine, wenigstens 
theilweiso Zersetzung di»*ser auf genommenen Stoff«* stattfinden, 
wobei cs nicht auffallend sein kann, einen Thcil des Schwefel- 
gehalts der zersetzten Eiweissstoffe in Form von Schwefelsäure 
auftreten zu sehen. 

Wenn also in den vorhergehenden Versuchen bei Einführung 
von Pepton oder Blut oder Pflanzencasein eine Vermehrung der 
Sulfate in den Siiften des Körpers sieh geltend machte, so dürfte 
dies auf Aufnahme der genannten Substanzen durch Leukocyten 
und thcil weise Zersetzung derselben mit Abspaltung des Schwefels 
in Form von Schwefelsäure zu beziehen sein. 

Der Nachdruck scheint uns hiebei weniger auf der Abspal¬ 
tung der Schwefel sä u re zu liegen, als vielmehr auf dem Nach- 


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G. August 1901. 


MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1277 


weis der Aufnahme der genannten Eiweiss- und eiweissartigen 
Substanzen durch die Leukocyten und zwar desshalb, weil dieser 
Vorgang mit dem Immunitätsproblem Zusammenhänge Ein¬ 
führung der verschiedensten Ei weisskörper in den Organismus 
wird von letzterem mit Bildung spocitischer Immunkörper be- 
antwortet. Aber Niemand weiss: wo, in welchen Zellenarten 
diese Immunkörper zur Bildung gelangen? Jetzt wissen wir, 
dass Leukocyten nicht nur durch die verschiedensten Eiweiss¬ 
körper chemotaktisch angelockt werden, sondern auch Antheile 
davon in ihr Inneres aufnehmen, da sonst dio Schwefelsäurc- 
abspaltung nicht zu begreifen wäre. Demnach ist es am wahr¬ 
scheinlichsten, die Leukocyten auch als die Er¬ 
zeuger der Immunkörper zu betrachte n. 

Diese Betrachtung erlaubt übrigens noch eine Erweiterung. 
Es war nämlich nicht genügend, wenn seiner Zeit der Eine von 
uns als chemotaktisch anlockend auf Leukocyten, ausser den 
Bacterienproteinen, auch die Pflanzencaseine und modifizirte 
thierisehe Eiweisskörper bezeichnete. Gegenwärtig, auf Grund 
unserer heutigen Erfahrungen müssen wir sagen, dass ganz 
allgemein allo aus einem artfremden Orga¬ 
nismus herstammenden Eiweis s- und eiwoiss- 
artigen Stoffe als Lockreiz auf die Louko- 
cyten einer bestimmten S p c c i e s wirken. Bei¬ 
spielsweise wirkt normales Rinderscrum im Körper des Kanin¬ 
chens kräftig positiv chemotaktisch auf dessen Leukocyten. 
Dürfen wir nun nach Obigem annehmen, dass von solchem 
Kinderserum Antheile durch die Leukocyten aufgenommen 
werden, und ifi Analogie ebenso bei anderen artfremden Eiweiss¬ 
körpern, dann entsteht Zusammenhang in unseren Kenntnissen, 
da wir andererseits nach bisherigen Erfahrungen sohliessen 
dürfen, «lass •auch alle artfremden Eiweiss- und eiweissartigen 
Stoffe zu spezifischen Vorbehamllungcu und Immunkörper¬ 
bildung sich geeignet erweisen. 


Aus der Leipziger chirurgischen Klinik (Geheimrath Prof. 

Dr. T r e n d o 1 e n b u r g). 

Zur Frage der Gefässverletzungen der Radix 
mesenterii. 

Von Privatdocent Dr. W i 1 jn s. 

Verletzungen an der Wurzel des Mesenteriums, die den Chi¬ 
rurgen zwingen, einen oder mehrere der in der Mesenterialwurzel 
verlaufenden grösseren arteriellen oder venösen 
Gofiissstiimme zu unterbimk*n, sind, nach den enorm spiir- 
li<-hen Mittheilungen der Literatur zu sohliessen, äusserst selten. 
Bei der Bedeutung jedoch, welche diese Gefüssstiinimo für die 
Ernährung des Darmes und damit für das Leben des 
Verletzten haben, ist im gegebenen Falle einer derartigen Ver¬ 
letzung die genaue Kenntniss des Gefässverlaufes dieser Stelle 
unbedingtes Erfordemiss. 

Stich- oder Schuss Verletzungen werden diejenigen 
Formen der Läsionen sein, bei denen für einen operativen Ein¬ 
griff günstigere Chancen vorlicgen. Verursachen breite Kon- 
tu>ionon des Bauches, bei Ueberfahrenwerden, beim Hinein- 
gerathen zwischen 2 Puffer, bei Stoss, Hufschlag etc., Zer- 
reissungen am Mesenterialansatz, so sind nach unseren Er¬ 
fahrungen in der Regel schwerere Rupturen der grossen par¬ 
enchymatösen Organe oder Darmläsionen als komplizirende, oft 
tödtliehe Verletzungen neben der Mesenterialverlotzung vor¬ 
handen und beherrschen das Bild. 

Bei dem Falle, welcher die Veranlassung zu den nachfolgen¬ 
den Studien über Mesenterialläsionen gab, handelt es sich um eine 
Stichverletzung der Mesenterialwurzel mit einem breiten Meissei. 

Ein 18 jähriger Schlosser hatte in der Absicht, einen 2 cm 
breiten scharfen Meissei auf einen Stiel aufzudrücken, 
den Meissei so gegen den Bauch gestemmt, dass der Stiel gegen 
den Thürpfosten angedrückt wurde, während die Schneide gegeu 
ihu gerichtet war. Um sich nicht mit der Schneide zu verletzen, 
hatte er sie auf einen Knopf seines Anzuges aufgestützt. 

In dem Moment, wo Patient sich nun mit dem ganzen Körper¬ 
gewicht gegen die Meisseischneide stemmte, rutschte die 
Schneide von «lern Knopf ab und fuhr ihm in den Leib. 
Er zog sich den Melssel sofort selbst wieder heraus und 


glaubt, dass der Melssel etwa in einer Länge von 10—12 cm 
Im Leibe gesteckt habe. 

Patient, der sofort heftige Leibschmerzen empfand, wurde 
ohne Verzug in die Klinik gebracht. % Stunden nach der Ver¬ 
letzung lag er schon auf dem Operationstisch. 

Status: Patient sieht blass anaomisch aus, er windet sich un¬ 
ruhig hin und her vor Schmerzen im Leib. Das Gesicht ist ängst¬ 
lich gespannt. Das Abdomen ist etwas eingezogeu, die B a u c li - 
«lecken bretthart gespannt. Druck auf «leu Leib ist überall 
schmerzhaft. Der C’remaster ist beiderseits kontrahirt. Der Puls 
100, weicher als normal, aber noch ziemlich voll. 

Percutoriscli ist festzustellen, dass in beiden abhängigen Par¬ 
tien des Abdomens eine deutliche, massig ausgedehnte D ä m - 
p f u n g vorhanden ist, die bei Lagewechsel sich langsam ändert. 
Die Leberdümpfung ist vorhanden. Patient hat weder Aufstosseii 
noch Erbrechen gehabt. Die Temperatur ist normal. 

In der Mitte zwischen Nabel und Proc. x i p li o i d e s 
findet sich 2 ein nach links von der Linea alba eine horizontal ge¬ 
stellte scharfe SohnittölTnuug, deren Ränder glatt sind. Aus der 
Tiefe blutet es wenig. 

Da auf Grund genannter Symptome an einer inneren Ver¬ 
letzung. Blutung, eventuell Magen- oder D a r m Ver¬ 
letzung nicht zu zweifeln war, wurde sofort lnparotomirt. 

Nach Umschneidung der Hautwunde wurde in der Linea alba 
eine 10 cm lange lncision gemacht. 

Zunächst fand sich im linken Leber lappen 2 cm vom 
Rande entfernt ein etwas zackiger. 2 '/, cm langer Einstich. 
Die Blutung aus diesem Stich wurde durch eine Seideunaht ge¬ 
stillt. Auf der Rückseite der Leber zeigte sich ein gleich¬ 
artiger Ausstich, der ebenfalls geuiiht wurde. Magen und 
Kolon transversum waren intakt. 

Schon während der kurzen Versorgung (1er Leberwunden 
quoll reich lieh dunkles Blut unterhalb des Netzes 
zwischen den Diiundariusclilingen hervor. Die Ineision wurde 
nach unten verlängert, das Netz mit dem Querkolon nach oben 
geschlagen. Es zeigt sicli darauf, dass das Blut aus der 
Gegend des Mesenterialansatzes hervorkam. Trotz¬ 
dem die Dünndarnischlingen jetzt auseinandergezogen und das 
Mesenterium so weit als möglich zugänglich gemacht wurde, ge¬ 
lang es zunächst nicht, über den Ursprung der Blutung sich 
genauer zu orientiren, «la immer ein See von Blut auf 
der verletzten Stelle stand, der von unten wie von 
einer Quelle gespeist wurde. Kaum war die Ilaupt- 
blutmenge wieder entfernt, so füllte sich der Trichter sofort wieder 
von unten. 

Erst als mit dem Finger die Gegend, aus der die Blutmenge 
kam, gegen die Unterlage angepresst wurde, kam die Hauptblutung 
etwas zum Stehen: zog man nun stärker am Mesenterium, so lioss 
sich die blutende Stelle besser übersehen. 

Wenn nach Zug am Darm das Mesenterium angespannt war, 
so war der im Mesenterium dicht bei der Radix vor der Para 
borizontalis inferior des Duodenum gelegene horizontale Schnitt 
in ein rundliches Loch ausgezogen, in das man zwei Fingerkuppen 
bequem hineinlegen konnte. Die die Blutung beherrschenden 
Finger fühlten direkt die Pulsation der Aorta, welche gleich unter 
dem Schnitt des Mesenteriums verlief. 

Entfernte man den komprimlrendeu Finger für kurze Zeit, 
so sah man, dass im Wundrand des Mesenterialschnittes mehrere 
grössere Gefiisse bluteten. Die Blutung schien meist venös zu 
sein, «loch war eine genaue Orieutirung natürlich nicht möglich. 

Ich überlegte zunächst, ob ieh durch Umstechung ver¬ 
suchen sollte, die Blutung zu stillen oder die blutenden Gefiisse 
einzeln zu fassen. Da es wegen der unmittelbaren Nähe der 
Aorta sowie wegen der Tiefe, in der man hätte umstechen müssen, 
schwierig war, eine Naht anzulegen, fasste Ich die G e f ii s s e 
mit Schiebern. 

Auch die Möglichkeit, dass bei einer Umstechung durch die 
Nähte noch intakte Mesenterlalgefiisse mitgefasst und verschlossen 
und die Gefahr der Darmgangraen damit vermehrt würde, verau- 
lasste mich, keine Umstechung zu versuchen. 

Es mussten an dem Wundrand insgesammt 13 Schieber an¬ 
gelegt werden, bevor die Blutung stand. Nachdem der Schieber¬ 
haufen in der Bauchwunde drinsteckte, füllte er so den Trichter 
aus, dass eine nachträgliche Unterbindung nur äusserst schwierig 
gewesen wäre. 

Die 13 Schieber wurden desshalb in Gazebinden eingeschlagen 
und blieben, trotzdem sie mit ihrer Spitze direkt der Aorta 
aufsnssen und bei jeder Pulsation in die Höhe gehoben wurden, 
liegen. Die Bauchwunde wurde soweit wie möglich darauf ver¬ 
einigt. 

Die ganze Operation hatte von Beginn der Narkose bis Schluss 
der Bauchnaht % Stunden gedauert. 

Patient war sehr anaemisch, Puls klein: 130. Sofortige Koeh- 
salzinfusion von 1 Liter. Der Puls erholt sich danach. 

Mit Rücksicht auf die Grösse der Gefässe, die fast an dev 
Radia mesenterii unterbunden waren, hatte ich mit ziemlicher 
Wahrscheinlichkeit eine Darmgangraen erwartet und zugleich 
gefürchtet, dass die 13 auf der Aorta pulsirenden Schiolier, die 
zusammen über 600 g wogen, eventuell eine Usur der Aorten- 
wand bedingen könnten. 

Glücklicher Weise waren beide Befürchtungen nicht zu¬ 
treffend. 

I* 


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1278 


MUENCHENEß MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Der Patient klagte relativ wenig über die Belästigung und 
den Druck durch die Schieber. In den ersten Tagen sickerte 
noch etwas Blut neben den Schiebern heraus. Am zweiten Tage 
gingen die ersten Blähungen ab. Der Puls war noch 132, leicht 
noch zu unterdrücken. Temp. 37,8. Am dritten Tag wurden die 
Schieber möglichst schonend in kurzer Narkose entfernt. Die 
Blutung stand. 

In den ersten Tagen war die Sekretion noch sehr reichlich, 
sie Hess dann aber schnell nach. Der grosse Trichter, in dem 
die Schieber gesteckt hatten, verkleinerte sich dadurch, dass der 
Magen und Kolon nach unten, die gut verklebten Darinschlingen 
sich nach oben schoben. 

Eine kleine Verhaltung störte auf 2 Tage den sonst fieber- 
losen Verlauf. 

Nach 6 Wochen war die Höhle geschlossen, nach ü Wochen 
wurde Patient mit einer Bauchbinde, um Hemienbildung zu ver¬ 
hüten, geheilt entlassen. 

Von Seiten des Darms hat sich nie eine Störung gezeigt. 

Das Interessante, des Falles liegt in Folgendem: Es hat sich 
unzweifelhaft um eine Verletzung der grösseren V enen- 
s t ii m m e der Vena mesontcriea superior in der Höhe der P a r s 
horizontalis duodeni inferior gehandelt. Die ar¬ 
terielle Blutung war gering, sicherlich ist der Stamm der Art. 
niesenteriea superior intakt geblieben, dagegen liegt es nahes eine 
Verletzung des Stammes der Vena inesenteriea superior anzu¬ 
nehmen, die angeblich Kobs o n ') schon einmal ohne üble Folgen 
für den Darm unterbunden hat. 

Es wirft sich damit von selbst die Frage auf, kann der Stamm 
der V c n a mesenterica superior ohne Gefahr für den Darm beim 
Menschen unterbunden werden? 

Fassend auf dem von Robson operirten Fall stellt, wie 
es scheint, die Thatsache fest., dass beim Menschen eine Unter¬ 
bindung olincGangr a e n des Darmes möglich ist. Kxpcri- 
m e n t e 11 ist die Frage, ob die Ve n a ohne Gefahr unterbunden 
worden kann, nicht geprüft. 

Es finden sich in der Literatur nur Studien und Beiträge 
über Unterbindung der Art. mesenterica superior, deren Resul¬ 
tate ich kurz vorausschicken werde. 

Die Studien, welche von Litten, Madelung, R.v- 
dygior, Tantini, Zesas, Orccehi a und Chiarella, 
Becker 1 ) an Hunden und Kaninchen über Laesionen und 
Unterbindung der Mesenterialgefässe angestellt, ergaben, abge¬ 
sehen von einigen für den Chirurgen praktisch unbedeutenden 
Differenzen, Folgendes: Unterbindung des Stammes 
der Art. mesenterica superior hatte ohne Aus¬ 
nahme Gangraen des Darmes vom Duodenum bis 
Kolon transversmn zur Folge. Dieser Befund wird uns ver¬ 
ständlich, wenn wir die Versorgung des Darmes rekapituliren. 
Das ganze Darmrohr wird mit Ausnahme der ersten Hälfte des 
Duodenum und unteren Rectalpartie durch die Art. mos. sup. 
und inf. versorgt. Die Art. mosent. inferior versorgt 
mit ihren Aesten 1. der A. coli ca sin ist ra das Kolon des- 
cendens, 2. den Art. sigmoideae das Kolon sigmoideum 
und 3. der Art. haomorrhoidalis superior den 
grössten Thoil des Rectum. Aus der Art. mesent. superior 
entspringen 1. Art., pankreatico-duodenalis inf. 
für die untere Hälfte des Duodenum, 2. Art. iloo- 
eoliea für das Ende dis lleum, das Co ec um und den An¬ 
fang des Kolon aseendens, 3. Art. colica d extra für 
Kolon ascendons, 4. Art. colica m e d i a für Kolo n 
transversnm, endlich entstehen von der linken Seite der 
Arterie 10—18 Art. intestinales für Jejunum und 
lleum. 

Da die Anastomosenbildung dieser Arterien untereinander, 
besonders im Gebiet der Art. intestinales, eine ziemlich aus¬ 
gedehnte ist. so sind Verletzungen einzelner der genannten 
Arterienäste für die Ernährung des Darmes nicht gefährlich und 
haben in der Regel, da durch die Anastomosen der Darm versorgt 
wird, keine Gangraen des zugehörigen Darmstücks zur Folge. 
Auch die Experimente genannter Autoren bestätigen am Thiere 
diese für den Menschen bekannte Thatsache. 

’) Robson: Brtt. med. Journ. 1.897. 10. Juli. 

Literatur siehe bei Wolf f: Inaug.-Diss. Leipzig 1891. 
Ein Fall von schwerer Mesenterialverletzung. 


No. 32. 


Während also Verletzungen kleiniy arterieller Gefässstämme 
im Mesenterium für den Darm irrelevant sind, ist die Ver¬ 
letzung des Mesenterium am D a r m a n s a t z von 
grosser Bedeutung für die Darmernährung, und zwar geht der 
Dann, wie uns sowohl dio Thierexperimente, als auch die Studien 
menschlicher Verletzungen lehren, gewöhnlich in der ganzen 
Ausdehnung, in der er vom Mesenterium losgelöst wird, zu 
Grunde. 

DioKcnntniss dieser ThatSachen verpflichtet den Chirurgen, bei 
A b r e issung <1 e s Mos e n t. e r i u m s vom Darm da s 
ganze i s o 1 i r t e Darm stück zu reseciren, während bei 
Laesionen des Mesenterium weiter vom Darm ent¬ 
fernt. meist unbekümmert um das Schicksal dis Darms, dev 
Chirurg einfach den Riss oder Schnitt im Mesenterium nähen 
und sehliessen kann. Eine Unterbindung dis Stammes der 
Art. mesent. sup. hat immer ausgedehnte Darmgangraen 
und Tod zur Folge. Bei Operationen am Mesenterialansatz mus< 
also die Arterie unbedingt geschont werden. Ob man event. bei 
| Verletzungen mit der Gefiissnalit Erfolge erreichen wird, darüber 
I liegen noch keine Erfahrungen vor. 

Unterbindung der Art. mesenterica inf. hatte beim Hunde 
nach den Experimenten von Orecehia und Chiarella keine 
<langmen des zugehörigen Diekdarms zur Folge. 

Der angeführten Thatsache, dass Verschluss dis Stammes 
der Art. inesen teriea superior eine Gangraen des Darmes in 
grosser Ausdehnung bedingt, scheinen einzelne Beobach¬ 
tungen am Menschen zu widersprechen. Deckart ") hat 11*00 
6 Fälle von Thrombose oder Embolie der Arteria mesenterica 
superior zusammengestellt, die nicht tödtlieh verliefen. Bei den 
3 ersten Fällen ist cs unsicher, ob der ganze Stamm verstopft 
war, bei den 3 anderen, Karelier, V i r c h o w, C h i e n e, fand 
sieb allerdings später die Art. mos. sup. in einen Strang ver¬ 
wandelt. jedoch lagen hier abnorme Verhältnisse vor. Sicher 
ist cs in keinem Fall bestimmt, dass der Stamm der Art. mos. sup. 
plötzlich durch einen Embolus in diesen Fällen obturirt worden 
ist. Viel wahrscheinlicher ist es, dass bei diesen Fällen der Ver¬ 
schluss entweder allmählich oder durch fortschreitende Thrombo- 
sirung oder dadurch, dass mehrere kleine Nachschübe von Em¬ 
bolien auf traten, eingetreten ist. Treten schubweise Verschlüsse 
einzelner Aeste der Mesenterialgefässe auf, so haben die Col- 
lateralbahnen Zeit, sich zu entwickeln, um die zur Dannernährung 
nöthige Blutmenge zu liefern. Bei plötzlichem, totalem Ver¬ 
schluss reichen die Anastomosen, welche dio Art, mesent. sup. 
durch die Pancreatioo-duodenalis inferior mit der Coeliaca, und 
durch dieColica media mit der Mesenterica inferior hat, nicht aus, 
um das grosse Darmgebiet zu versorgen. Der Darm wird nekro¬ 
tisch. Die genannten Fälle können also diese Thatsache nicht 
umstossen. 

Für die Unterbindung der grossen Venen- 
s t ii m m e, die uns hier im Zusammenhang mit unserem Fall 
in erster Linie interessirt, gilt im Allgemeinen dasselbe wie für 
den Verschluss der Arterien, jedoch scheinen! bezüglich der 
Unterbindung der Vena mesenterica superior 
die Verhältnisse anders zu liegen, als bei der Arterie, denn auf 
Grund eines Falles von Robson, der angeblich den Stamm 
der Vena mesenterica superior ohne Schaden für den Darm unter¬ 
band, wird in der Literatur diese Angabe als beweisend in der 
Frage angesehen. So z. B. schreibt Deckart S. 547: Nach 
einfacher Unterbindung grösserer Vencnstämmo erfolgt jeden¬ 
falls keine Darmgangraen, wie ein Fall von Robson beweist. 

Recapituliren wir kurz dio für die vorliegende Frage wich¬ 
tigen anatomischen Daten: Die Vena mesenterica superior 
entspricht in ihrer Theilung und Anastomosirung der gleich¬ 
namigen Arterie; nur statt der Art, pancreatica duodenalis geht 
als oorrc-spondirendes Gefäss die Vena gastroepiploica dextra in 
die Vena mesenterica hinein, welche durch ihre Anastomosirung 
am Magen mit der Vena gastroepiploica sinistra eine Conununi- 
cation mit der Vena lienalis und dadurch mit der Pfortader ver¬ 
schaffen kann. Die Vena mesenterica superior ent¬ 
steht aus den Venae intestinales, Vena colica media, Vena colica 
dextra, Vena ileoeolica und gastroepiploica sinistra. Die Vena 
mesenterica superior bildet hinter dem Pankreas, mit dein sie 
sich mit der Vena lienalis vereinigt, die Pfortader, wie auf der 
Skizze ersielitlich- 

J ) D o c k n r t: Ucker Thrombose und Embolie «Irr Mesenterinl- 
gefiisse. Grenzgebiet f. Clilr. u. inn. Modle. 1900, i$. 511. 


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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1279 


6. August’ 1901. 

Die Vena mesenterica inf. entspricht völlig der gleichnamigen 
Arterie, sie mündet in die Vena lienalis oder in den Winkel, in 
dem Superior und Lienalis «ich treffen und die I’fortader bilden. 

Beiliegendes Bild zeigt die 
Entwicklung des ganzen Pfort¬ 
aderstammes, deren genaues 
Studium zur Beurtheilung der 
Bedeutung der Unterbindung 
der Vena mesenterica superior 
nothwendig ist. 

Erörtern wir an der Hand 
der Abbildung die Art und 
Stelle an der in dem Fall von 
R o b s o n und in unserem 
die grossen venösen Gcfiiss- 
stärmne unterbunden worden sind, so ergibt sich Folgende«: 

Der Patient, welchen Robson operirte, hatte sich das 
scharfe Ende einer Feile in den Leib gostossen. Das Instrument 
war etwas oberhalb des Nabels und fast in der Mittellinie ein¬ 
gedrungen. Welchen Weg die Feile genommen hat, ist aus dem 
Operationsbefund nicht genau zu ersehen. Dass sie angeblich 
den Magen mitgetroffen, ohne ihn zu perforiren, würde dafür 
sprechen, dass die Feile durch das Mesokolon zwischen Magen 
und Kolon durchgegangen und dort das Mesenterium getroffen 
hatte, also etwa wie in unserem Fall, nur war bei meinem Pa¬ 
tienten der Einstich in die Bauehdeckep weit höher, etwa in der 
Mitte zwischen Schwertfortsatz und Nabel, bei Robson etwas 
über dem Nabel, ln unserem Fall hat «1er Meissei das Mesen¬ 
terium etwa in der Höhe des unteren Duodenalsehenkels getroffen. 
Wie auf dem Bild ersichtlich, priisentirt sich dort die obere 
Mesenterial veno schon als ein kräftiges (Jofäss, das etwa in der 
Höhe des unteren Duodenalsehenkels die Vena colica dextra auf¬ 
nimmt. Ich nehme, also nach Lage der Sache an, dass in unserem 
Falle in der (»egend, wo die Vena colica dextra in die ni<*senterioa 
superior eintritt, das Mescnt«»rium verletzt war und dort die Ge- 
füase mit den Schiebern gefasst worden sind. Ob die Vena colica 
dextra mit durchtrennt war oder nicht, ist nicht mit Sicherheit 
zu sagen. Kann nun, und das ist der springende Punkt unser«»r 
Erörterung, an genannter Stelle von dem eigentlichen Stam in e 
«ler Vena mesenterica superior g«‘sprochen werden. 
Oberhalb der in unserem Falle verletzten Stelle münden in die 
Vena mesenterica superior von rechts die Vena pancreatiea duo- 
denalis, die Vena gastroepiploica uml von links, wie auch auf dem 
Bilde ersichtlich, noch kleine V e n a e intestinales von den 
olieren Dünndarmsehlingen. Diese letzteren kleinen Venen 
münden zum Theil erst hinter dem Pankreas in die obere Mesen¬ 
terialvene. Es ergibt sieh daraus, dass eine Unterbiinlung der 
Vena mesenterica superior unterhalb der unteren Pankreaagrenze 
oder etwa in der Höhe des Eintritts der Vena colica dextra 
stricte genommen keine Unterbindung des Stammes d««r Vena 
mesenterica ist. Den eigentlichen Stamm kann man nur hinter 
oder unterhalb des Pankreas unterbinden. 

Schon aus dieser einfachen Betrachtung folgt, da*« Rob¬ 
son, da er mit Rücksicht auf die tiefe Lage des Einstiches in 
seinem Fall wahrscheinlich noch tiefer die Vene unterbunden 
hat als ich, gar nicht, den eigentlichen Stamm der Vene, ver¬ 
schlossen hat. Die auf den Fall Robson sich aufbauende 
Schlussfolgerung, dass man den Stamm der V e n a in e s e u - 
terica superior ohne Gefahr für den Darm unter¬ 
binden könne, hat daher den Boden verloren. Die Behauptung 
bedarf neuer Beweist». 

In der Literatur habt» ich keine Experimente über dieses 
Thema gefunden, die. vorliegenden Studien Vx'fassen sieh immer 
nur mit der Arterienunterbindung. 

Die Unterbindung des Stammes der Vena mesenterica 
superior ist beim Kaninchen nach meinen Untersuchungen sehr 
leicht auszuführen. Gleich nach der Unterbindung sieht man an 
den Därmen schon eine bläuliche Verfärbung. Das Kaninchen 
»tirht nach wenigen Stunden. Es findet sieh dann eine haemor- 
rhagische Infareirung fast des ganzen Dünndarms, beginnend 
am Jejunum, 15 cm vom Duodenum entfernt bis fast an das 
Coecum. 

Am Hund, wo man am besten oberhalb des Pankreas. v«»n 
der Pfortader anfangend, den Stamm der Vene uufsueht. ist 
die Unterbindung etwas schwierig. Während beim Kaninchen 
die Gefässvertheilung etwa der des Menschen entspricht, mündet 

No. 3?. 



beim Hund die Vena mesenterica inf. ziemlich tief in die Vena 
mes<*nterica superior. Man muss also von der Pfortader an dem 
Stamm der Superior noch bis unter die Eintrittsstelle der In¬ 
ferior gehen und unterbinden. Die Vena findet man am besten, 
wenn man das frei bewegliche Duodenum nach links herüberlegt; 
dann sieht man den Stamm sofort. 

Ein Hund in der Weise operirt, starb nach 10 Stunden, ein 
anderer nach 8 Stunden. Es fand sich eine ausgedehnte haemor- 
rhagisehe Infareirung von der Mitte dos Duodenums bis über das 
Coecum hinaus. Die Vena war ebenso wie beim Kaninchen 
strotzend gefüllt mit Blut. 

Unterbindung des eigentlichen Stammes 
der Vena mesenterica superior ist also für 
den Darm beim Thierc und wohl auch beim 
Menschen nicht g 1 e i e h g i 11 i g. Man darf dess- 
halb den Stamm hinter und oberhalb des Pan¬ 
kreas, wo er mit Vena mesent. inf. und lienalis die Pfort¬ 
ader bildet, nicht unterbinden, auch bei Operation 
am P a n k r e a s k o p f hat man also darauf Rücksicht zu 
n e h men. 

Der Fall Robson und der hier mitge t heilte be¬ 
weisen nur, dass eine Unter bi ndungder Vena mesen¬ 
terica superior in der Höhe des unteren Duo¬ 
denalschenkels, also nach abwärts vom Pan¬ 
kreas, keine Darmgangraen zur Folge hat, was 
ich übrigens an Hunden experimentell bestätigen konnte. 


Aus dem pathologischen Institute in Zürich 
(Direktor: Prof. Dr. Paul Ernst.) 

Zur Duplicität maligner protopathischer Tumoren. 

Von Dr. Richard Leo Grünfeld, gew. Volontärassistenten 
de9 Instituts. 


Die umfangreiche Literatur «ler letzten Dezennien in der 
Krebsfrage und -Statistik enthält vereinzelte Anguben über Fälle 
von multip«-ln primären Careinomen; zuerst wurden siimmtliehe 
Fälle, bei welchen sieh neben einem primären Krebs auch eine 
schwer zu deutende Metastase fand, hiehergezählt, dergleichen 
«lie Impfeareinonie durch Uebertragung von Geschwulstpartikel¬ 
ehen auf einen der Krebsentwieklung günstigen Boden, ferner 
Reeidive, die Jahre lang nach operativer Ihnlung des ersten 
Tumors in homologen oder heterologen Organen auf traten. Die 
meisten Fälle b«»trnfen mehrfache Haut- und Lippenkrebse, Därm¬ 
en rcinome,Rus»-.Th(er- und Paraffinkrebse, ferner solche, die auf 
d«»ni BoJen eines Xeroderma pigmentosum Kaposi entstanden 
waren, endlich eine kleine Anzahl von zwei gleichzeitig beob¬ 
achteten hi st« »genetisch verschiedenen Cnreinomcn in zwei vor- 
sehiod<‘iien Organen, welche erfahrungsgemäss zu protopathischer 
Krebsentwieklung g« , neigt sind (Haut. Darm, Mamma, Ovarien). 
Die älteren Angaben der Autoren (v. Winiwarter, K a u f - 
in a n n etc.) sind in den ausführlichen Publikationen Schi in - 
m e 1 h u s c h’s und Buch e r’s genau angeführt, zusammen g«.*- 
stellt und kritisch beleuchtet, so dass ich hier füglich auf «litss- 
beiden letztgenannten Forscher verweisen kann. Di«» ersten syste¬ 
matischen Postuhite für die Rntsehoidung, oh in einem Fall«» 
«*in multipler Primärkrebs bei einem Individuum vorli«»ge oder 
nicht, stammen von B i 11 ro t. h aus dem Jahre 1889. Zur Si«‘h«r- 
stcllung der Diagnose for«l«*rt er, dass 

1. beide Careinome eine verschiedene anatomische Struktur 
haben; 

2. jc*d«»s d«»r Careinome histogenetisoh vom Epithel des 
Mutterbodens ahzuleiten sei; 

3. j«*«l<»s seine eigenen Metastasen mach«». 

Gleichzeitig, und offenbar unabhängig von B i 11 r o t h. 
unterscheid«‘t Kicks «lie Multiplicitiit <lt*r Careinome von «ler 
Metastasenbihlung, welch’ letztere Art bei seh«»inbnr fehlendem 
primären Krebs leicht ein«» genuin«» Multiplicitiit Vortäuschen kann, 
indem auch er d«n v«»r<‘inz« , lten Beobachtung«*!! <li<*ser <lopp«‘ltcii 
primären N«‘oplasnien skeptisch g<»genül>«‘rsteht, im Banne der 
V i r c h o «'schon Lohn», «lass nur ein Tumor als primärer, «lie 
anderen als Metastasen aufzufass«m seien. 

Die kleine Zahl der Dublikation«»n eiuseh]ägig«»r lh-ohaeh- 
tuiigen lässt *‘s begreifen, «lass B i 1 1 r o t h’s Forderungen durch 
fast ein Jahrzehnt als maassgelxuid aufgefasst wimleu. l>is 
Bücher mit der Ansicht hervortrat, «las; di - Erfüllung s’imm»- 


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1280 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 32. 


licher Postulate B i 11 r o t li’s die Duplicität primärer Carci- 
nome wohl sicherstelle, hingegen aber auch, wenn Punkt 1 und 3 
fehle, gleichwohl jedes der Carcinome autochthon sein könne. Er 
fasst daher zwei Carcinome bei einem Individuum als primär auf, 
obgleich die beiden (lokalisirt im Kolon deseendens und Magen) 
qualitativ von einander nicht verschieden sind (eylinderzelligc 
Schleimkrebse). Ebenso spricht er ein Carcinom der rechten 
Mamma, das sich 6 Jahre nach der Exstirpation eines links¬ 
seitigen Brustdrüsenkrebses vorfand, als primäre Neubildung im 
homologen Organ an. Diese Anschauung scheint sich allerdings 
nicht Bahn gebrochen zu haben, denn alle späteren Autoren, die 
sieh mit dieser Frage beschäftigten, theilen den Standpunkt 
B i 11 r o t h’s, so dass man die erwähnten Bedingungen als Grund¬ 
lage bei der Beurtheilung der in Rede stehenden Frage auf- 
fassen kann. So beschreibt Cordes ein destruirendes Adenom 
des Magens heben einem Pflasterzellenkrebs am Fusso, II a n se¬ 
in ann ein Adenocarcinom des Magens gleichzeitig mit einem 
Cancroid der Portio vaginalis Uteri, Lannois und Cour- 
mont einen Duodenal- und Oesophaguskrebs, O. Israel ein 
Cylinderzellencarcinom der Gallenblase neben einem Cancroid 
des Pankreaskopfes. Auch Lubarsch kommt in seinem 
Sammelreferate „Hyperplasie und Geschwülste“ auf dieses Thema 
zu sprechen, welches dann sein Schüler W alter in einer aus¬ 
führlichen Darstellung, auf die ich noch zurückkommen will, 
erschöpfend behandelt. Ausserdem finden sich neuerdings An¬ 
gaben über ein solides Adenocarcinom des Fundus Uteri neben 
einem malignen cystisehen Adenom der Cervix (E c k a r d t.), ein 
Plattenepitheleareinom der Cervix bei Carcinoma villosum 
eylindroepitheliale beider Tuben (H o f b a u e r), bilaterales 
Mammacarcinom (Albert) und symmetrisches atypisches „Epi¬ 
theliom“ beider Nebennieren (Carriere und Dolearde). 

Gehört nun schon der multiple primäre Krebs im Verhält¬ 
nisse zu der grossen Verbreitung dieser Neubildung zu den 
grössten Seltenheiten ‘), wie es auch allseits, speciell von K1 e b s 
und Hansemann zugegeben wird, so ist der Befund von zwei 
malignen Tumoren, die nicht derselben Art angehören, ein noch 
vereinzelterer. In der mir zugänglichen Literatur fand ich da¬ 
rüber nur sehr wenige Angaben. Walter tlieilt die multipeln 
bösartigen Neoplasmen ein in Fälle 

1. von multipeln, durch Krebszellenimplantation entstan¬ 
denen Carcinomen; 

2. von doppelseitigen Carcinomen in gleichartigen Organen 
(symmetrische Carcinome — Systemerkrankung); 

3. von multipeln primären Carcinomen, a) in denselben, b) in 
verschiedenen Organen; 

4. von multipeln primären Sarkomen verschiedener Organe; 

B. von Kombination verschiedenartiger Neubildungen, a) in 

demselben, b) in verschiedenen Organen. 

Soweit es sich um die Kombination verschiedenartiger Neu¬ 
bildungen handelt, konnte er 6 Fälle berücksichtigen, die im 
Folgenden aufgezählt werden mögen: 

1. Fall Becker: Ulcus rodens des linken Nasenflügels; 
nach Exstirpation desselben traten ungefähr gleichzeitig auf ein 
Melanosarkom der Wange und ein Cancroid an Auge und Ohr. 

2. Fall N iebergall: Carcinoma epitheliale papillare und 
Fibrosarkoma reticulo-eellulare i>olyposum in ein und demselben 
Uterus. Gleichzeitig fand sich in diesem Organe noch ein Myom 
und einige Schleimpolypen. 

3. Eigene Beobachtung: Spindelzellensarkom des Magens 
mit Carcinom der Speiseröhre. 

4. Pankreascarcinom und multiple primäre Leberangio- 
sarkome. 

5. Fall Kretz: Endotheliom der Dura mater und Carcinom 
des Oesophagus. 

6. Lipomyosarkom beider Nieren, Psammom (vielleicht 
Psammomsarkom) des Gehirns und Cylinderepithelkrebs des 
Magens. 

Ein Pendant zu dem Falle Niebergall fand ich bei 
Emanuel (Rundzellensarkom im Uteruskörper und diffuse, 
ndenocarcinomatösc Wucherung in der Uterusmueosa) und 

*) Es sei hier z. B. nur erwähnt, dass Belliger in einem 
Zeitraum von 10 Jahren in dem Materiale einer Station — dem 
Züricher pathologischen Institute — 325 Carcinome fand, was, wie 
sich aus den Protokollen ergibt, auf 4325 Leichen — 8 Proc. dar- 
stellt, darunter keinen Fall von doppeltem Primärkrehs. 


stimme ich Walter bei, indem ich für diesen Fall, wie er für 
den Fall Niebergall mit ihm eine besondere neoplastische 
Disposition des Uterus annehme. Ferner beschreibt Hause¬ 
rn a n n : ) ein Carcinoma ventrieuli bei einem an Glioma eerebri 
verstorbenen Individuum, sowie ein ulcerirtes Myxom des Magen-; 
neben einem zellreieJien Sarkom der Leber, von deren Zusammen¬ 
hang er sich nicht sicher überzeugen konnte. Weitere ein¬ 
schlägige Beobachtungen konnte ich nicht eruiren. Es erschien 
daher angezeigt, den im Nachstehenden beschriebenen Fall einer 
eingehenderen Untersuchung zu würdigen: 

Die Krankengeschichten, für deren Ueberlassung ich den 
Herren Professoren Eich hörst und Wyder an dieser Stelle 
bestens danke, ergeben in gedrängtem Auszuge Folgendes: 

Frau L. B. von A., 30 jährige Hausfrau. Gesunde Familie, 
Pat. gesund bis Frühjahr 1900. Im Mai Darmkolik, Schmerzen 
im Unterleib, Kreuz und Oberschenkeln, später tägliche, oft mehr¬ 
malige Anfälle krampfartiger Schmerzen in der seitlichen Unter¬ 
bauchgegend. Im Oktober Untersuchung durch einen Arzt. Dieser 
dachte an Tubarubort und empfahl ihr, sich in die Frauenklinik 
aufnehmen zu lassen. Dort fand man keine Anzeichen für Abort, 
hingegen palpirte man eine brettharte, den Douglas ausfülleude 
Resistenz hinter dem Uterus, die sich nach links hin erstreckte. 
Häutig Brechreiz, mitunter Erbrechen. Ende Oktober traten 
kleinere und grössere Sugillationen an verseiliedeneu Hautstellen 
auf. vereinzelt auch Nasenbluten, so dass man die Pat mit der 
Diagnose Morbus maculosus Werlhofii auf die medicinische Klinik 
trausferirte. Hier wurde folgender Befund notirt: 

Pat. gross, kräftig. Haut blass. Ueber dem Kreuzbein, der 
rechten Darmbeinschaufel und in der rechten Kniekehle blaugriin 
verfärbte Sugillationen. Ueber dem Sternum rotlie und braune 
Pünktchen, die aussehen, wie durch Blutung entstanden, unter dem 
Fingerdrucke nicht erblassend. (.’entruni au manchen Flecken 
welss. Keine Oedeine. Sensorium frei, Kopf frei beweglich, Zunge 
kaum belegt, Rachen frei, im Augenhlntergrund beiderseits keine 
Blutungen. Flache Struma, Cervicaldrüsen links etwas singe- 
schwollen. Thorax gut gewölbt, symmetrisch, gleich lauter 
Lungenschall vorne, vesicul. Inspir., unbestimmtes Exspir., keine 
Rasselgeräusche. Rechts Dämpfung in der Regio iufrascapularis. 
dortselbst Athmungsgeräusch und Stiminfremitus abgescliwiioht. 
Puls leidlich gefülit, etwas beschleunigt massig gespannt. 84 in 
der Minute, Respiration ruhig, vorwiegend eostal, 24—28. Tem¬ 
peratur 37,0. manchmal Steigerungen bis höchstens 38.6. Pupillen 
eng. Oonjunetiven blass, an den sichtbaren Schleimhäuten keine 
Blutungen. Rechter Ventrikel dilatirt. links von der Tricuspidalis 
ein lautes, fauchendes, systolisches Geräusch. Ueber dem Bulbus 
ein fortgeleiteter systolischer Ton. Leber scliliesst mit dem Rippen¬ 
bogen ab, Milz nicht vergrössert Nieren leicht druckempfindlich. 
Untere Bauchgegeud leicht tympanitlsch, bei tiefem Druck in der 
Blasengegend etwas Empfindlichkeit, sonst nicht schmerzhaft 
Uterus nach vorne und links seitlicli verdrängt, hinter demselben 
ist der botigla s’sche Raum durch eine pralle, nicht sehr schmerz 
hafte Masse ausgefüllt. Oberschenkel bei Bewegung schmerzliaf* 
Patellarrellox nicht auszulösen, kein Fussklonus, Plantarreflex 
normal. Keine Paraestliesieu. Tast-, Ort-, Temperatur-, Sehmerz- 
und Muskelsinn, wie Blasen- und Mastdarmfunktionen intakt. Die 
Kraft, in beiden Beinen Vermindert, links mehr als rechts. 

Blutbefund: Blut wässerig serös, rotlie Blutkörperchen 
gleich gross, gut geformt, mit gutem Gelbton, stehen weit aus¬ 
einander, wenig Fibrin, wenig Blutplättchen, vereinzelte kern¬ 
haltige rothe. 

Zahl der rothen Blutkörperchen 3 592 000, der weissen 12 100. 
Spoeif. Gewicht 1043, Haemoglobin 70 Proc. 

Ilanimonge normal, spec. Gewicht 1010, Harn gelb, trüb, 
sauer, kein Ei welss, kein Zucker. Indicau nicht vermehrt, Eisen- 
clilorid- und Diazoreaktion negativ. Im Sediment grosse, gelbe 
rosettenförmige Krystallp. 

Am 21. November ziemlich starkes Nasenbluten, Pat. schluckt 
viel Blut, erbricht dann bis 500 ccm hell rothen Blutes. Puls wird 
beschleunigt und klein, Verdacht auf Mugenblutung, Ergotin, Eis, 
Gelatine. Im Stuhl kein Blut (Telcliman n). Blutbefund: Rotlie 
1 508 000, welsse 8200, Haemoglobin 21 Proc. 

Am 24 November Blutungen in der Nähe der Mundwinkel. 
Haemoglobin 25 Proc. 

I. Dezember: In der letzten Zeit Blut im Urin nachweisbar, 
in der Retina rechts ausser- und oberhalb der Papille eine kleine 
stichförmige Blutung. 

II. Dezember: Kräfteverfall, Benommenheit. 

12. Dezember: Exitus letalis. 

Die. am Todestage von Prof. Dr. E r n s t vorgenommene 
Sektion ergab im Auszuge Folgendes: 

Auffallend blasse, anaemisehe Leiche. Stattliches Fettpolster. 
Blasse, mürbe Musculatur. Ueber dem rechten Trochanter eine 
handtellergrosse, liaemorrhagische, bläuliche Hautstelle. Im Fett¬ 
gewebe über dem Herzen einige abgeblasste, fleckige Blutungen. 
Im linken Pleuraraum etwas Erguss, wenig getrübt, rechts etwas 
mehr, hier mit Fibrinflocken gemengt. Herzblut dünn, blass, wässe¬ 
rig, von geringer Färbekraft. Herzspitze wird nur vom linken 
Ventrikel gebildet, trotzdem ist der rechte Ventrikel etwas er¬ 
weitert. Papillannuskol blass, gelblich, Kommen ovale offen. In 


*) 1. c. 


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1281 


MUFNCI1ENEU AIEDK’lNLSGllE WOCHENSCHRIFT, 


G. August 1001. 

I»»»i«1cii Vorhüfon blasst: Gerinnsel. I’apillurmuskcl und Trabokol 
zeigen sehr ausgesprochen«: Gitterzeiclinuug. Klappen zart, unter¬ 
halb des Klnppeuringes der Aorta noch einige punktförmige 
llaeiuorrliagien. Die Drüsen des Lungenhilus sehr gross, über dem 
Bronchus ein ptiaumengrosses Paket. diesell)en sind aussen 
lmeinorrhagisch marmorirt. während die Schnittfläche schieferig 
ist. Linke Lunge pigmentaria, blass, nur an der Spitze etwas 
Anthrakose. Hronchialscldeiinlmut sehr blass, starkes Oodem, 
etwas grösser«» Derblieit. Im Unterlappen eine relativ blutreiche, 
dichtere, nicht ganz luftleere Stelle, darüber trübe, matte Pleura, j 
Hechts spricht sich diese Pleuritis stärker aus durch Fibrinleisten I 
auf den Kirsten der Lappen. Grosse Anaemie und Pigment«rinutli. | 
Starkes Oedein. Untcrlappon «lerber, nirgends luftleer oder in- j 
tiltrirt. Auch hier grosse Ililusdriisen. Milz 10 , (P/ a , 4. Leichter 
Stich in’s bräunliche, deutliche M a 1 p i g h i'sche Körperchen. 
Pulpa nicht überquellend. An den oberen Dannpartien deutllclie 
Zimmtfärbe, in querverlaufenden Streifen ungeordnet Im Ver¬ 
laufe »1er lhiuchaorta da uml dort harte, geschwellte Drüsen. 
Nebennieren gross, mit deutlicher Pigmentschicht. Nieren hart, 
blass, keine streitige Färbung der Markkeg»»!. Auf der Schleim¬ 
haut »l«»s recht»»u Nierenbeckens Koste punktförmiger Blutungen. 
Gallenblase enthält sehr viele kleine Steinchen, blass. hellg»»lb, 
facettirt. Keine Uleera, keine Decubitusstellen. Leber gross, 
hart, Schnittfläche bräunlich, acinöse Zeichnung verwaschen. 
Durch den Darm schimmert schwärzlich grüne Färb»» (gallig), 
keine Zeichen einer Darmblutung. Im kleinen Hecken überall, 
namentlich nach links, eine harte Resistenz. Rechts lässt sich i 
Blase un»l Uterus umgreifen, links liegt das Rectum vor. infiltrirt j 
uml in eine starre Röhre umgewandelt. An »lein aufgeachnittenen ! 
Rectum fällt vor Allem eine sehr stark v«»rdickto Muscularls auf, ! 
nach olien Immer dicker werdend (4 -7 nun), weiss, diffus intiltrirt. 
Zwar ist kein eigentlicher Tumor vorhnmlcn, der sich abgrenzen 
licss«». alter «lit» Schleimhaut wölbt sich h»öck»»rig und wulstig in 
Längsfalten vor. Das Lumen ist verengt, die Iuliitnition hat eine 
Ausdehnung von circa 10 cm in die Länge. Die Museulatur sieht I 
aus wie Fisch fleisch und zeigt an mehreren St«»llen schleimige Be- 
s«-liaff<»nlieit. Ovarien gross, in beiden «»inzeine linsengross.: Cysten. | 
Blas»» und Uterus ohne Veränderungen, Douglas nach re«»lits ver¬ 
löt het durch solide Verwachsungen. Der linke Psoas ist von 
mehrereu Knoten durchsetzt. Im Magen Flüssigkeit, es iind«*t 
si»»h ein»* Reihe oberflächlicher, linsen- bis erbsongmsser Ge- 
si hwiire, w»»lchen allemal eine stärker infiltrirte 1‘artie entspricht. 
Fines derselben hat sogar einen wallartigen Rami. In hehlen mitt- 
ler»»n S<»häd«*lgrulicn fast symmetrisch. extradnral,- auf der Dura- 
ansseiifliiche sitz«»nd, polsterfönnige Neubildungen von markigem 
Charakter und haemorrhagisch«»r Beschaffenheit. Sie gralien sich 
in die Klipp»* der mittleren Schädelgruiie ein. s»> dass sie eine 
il<‘iitli(’l) walirnehiuhare Lo«*keruug d»*s Knochens bewirken. Sohr 
gr««ss»» Hypopliysis, deutlich «»ine vordere markige, bräunlich ge¬ 
fleckte Partie. Die hintere Satt»»ll«»line wackelig. Feste Adliaercnz 
»h»r Dura au »ler Schädelinnenfläehe. Schädel tief, doliclioceplml, 
mit ti»»f«»n G«»fässfun»hen. Gehirn sehr blass, in der weissen Sub¬ 
stanz sporatlisch kleine haeinorrhagische PUnktehen, weniger in 
der grauen Substanz, Kleinhirn, Pons und Modullu. Tliyreohlea 
»leutlieh vergrössert, Colloidstnima. 

Anatomische Diagnose: Carcinoma rccti (diffus infiltriromfc* 
Form), Ucbergaiig auf Peritoneum, Verlöthung des Douglas und 
Metastasen im Magen. Ext rad uralt» Tumoren in den vorderen 
Partien «ler mittleren Sehädelgrube mit lacunärer Erosion d«»s 
Knochens. Paehymeningitis hac*morrliagica interna. Spärlich 
•lisseminirto Blutungen in Gross- und Kleinhirn, wie in der Haut.. 
Starke Anaemie, fettige Gitterzeiehnung und Blitzfiguren in der 
Wandung des ganzen linken Ventrikels. Auffallende Pigmcnt- 
armuth der Lungen. Beginnen» 1«; Pneumonie in beiden Unter¬ 
lappen. Zahlreiche facettirto Cholestearinsteine in der Gallen¬ 
blase. 

Was mm zunächst die mikroskopische Bestätigung der 
makroskopischen Diagnosen anlangt, so g«»lang es, im Herzmuskel 
»He fettige Degeneration in Form der bekannten Schihlerhaus- 
rimiren mit Hilfe von Osmium auf’s Schönste nachzuweisen. In 
d«n Lungen fand sich Lcuk«>»»yteninfiltration in beiden Unter- 
lappt*n, links mehr ausgesprochen als rechts. T)ie Leber zeigt 
Hacitiosidcrosis (Reaktion mit Ferroeyankali-Salzsäure). 

Die Paehymeningitis hacinorrhagica ist wohl als Thcilcr.-ehci- 
mmg »ler allg<»iiieiiic*n haem«>rrhagis<»hcn Diathcse in Folg«: der 
Anaemie aufzufassen. Etwas s»»hwicrig(»r sind die Blutungen 
in der Haut, an Pericard und Nierenbecken, wie im Gehirn /.u 
deuten. Klinisch wurde in Berücksichtigung «ler Ilautblutungen, 
des Blutbefundes, sowie d«*r Hcsistcnz im I) o u g 1 a s’sehen 
Raum, di«* man als Ilaematocele retrouterinu ansprach, Morbus 
maeulosus Werlhofii angeuomiuon. Andererseits ist es ja be¬ 
kannt, dass Blutungen bei Carcinom nicht zu den Seltenheiten 
gehören und auch «lie zuletzt aufgetretene stichförmige retinale 
Blutung dürfte wohl in diesem Sinne aufzufassen sein. Die ' 
Anaemie erscheint durch die Krebskachexie genügend erklärt. 

Der Tumor des Mastdarms wurde in Eormnlin und nachher 


in Alkohol gehärtet, mehrere Stücke von verschiedenen Stellen 
in (Vlloidin »»ingebettet und nach verschiedenen Methoden ge¬ 
färbt. Selbstverständlich wurden sowohl Längs- als Quer- uu»l 
Tangentialschnitte untersucht. 

Im mikroskopischen Bilde fällt vor Allem die intakte 
Schleimhaut auf. Die Gcschwulstmasse dringt zwar bis an die 
Musculnris mucosae vor, respektirt aber Epithel und Tunica 
propria vollkommen, während sie sich in den submucösen, den 
Schleimhaut falten entsprechenden Ausbuchtungen ausbreit»»t. 
Auch di»» Funktion der Darmschleimhaut in der Aus»lehnung des 
Tumors ist nicht gestört, denn nirgends fehlen die Bocherzellen 
und der von ihnen produeirto, durch Thionin leicht nachweisbare 
Schleim. Die übrigen Schichten der Darmwand präsentiren sicii 
durchsetzt von einer Tumormass»*, welche einen deutlich alveo- 
lärcn Bau zeigt uiul zunächst durch die wesentliche Differenz 
des Zelleharakters an verschiedenen Stellen imponirt. Man findet 
einerseits dicht gedrängt stehende, kleine, rundliche Zellen mit 
grossen Kernen, theilweisc mit vermehrtem Chromatingehalt, 
oft ohne scharfe Contouren, andererseits grössere Zellen mit 
hellem Protoplasma und wandständigen, platten Kernen; durch 
ihr Verhalten gegen Haematoxylin oder Thionin verrathen diese 
letzteren Zellen deutlich ihren Schleimcharakter. Es scheint, als 
ob »lie kleinen, dichten Kerne die jugendlichen Formen der Ge- 
sehwulstolemeiite darstellten, welche wohl durch Schloimbildung 
in die Si»»g«»lringform übergehen. Diese Siegelringzellen liegen 
reihenweise ungeordnet, so dass man auf »len verschiedenen 
Schnitten lange Züge solcher Gebilde nachweisen kann. Be- 
somkrs charakteristisch ist das Verhalten der Tumorzellen zu 
«ler Musculatur, am deutlichsten dureli die van Gioson’sehe 
Färbung nachweisbar. Anfänglich sieht man noch eine Flan- 
kiruiig der Gesehwulstzellen durch langgestreckte Spindelkerne, 
späterhin eine Ausbreitung nach allen Richtungen ohne Um¬ 
säumung, so «lass die Muskelschichte keilförmig auscinamlorge- 
drangt wird. Auch hier findet man die kleinen, runden Zellen 
gleichsam als Pioniere der Sehleinizellen. Fettgewebe, Ncrveu- 
seh»»i»l«»n und Seros« erscheinen mehr oder weniger von der Go- 
sehwulstmass«: durchwachsen, ebenso wie die Gcfässseheiden 
nicht verschont bleiben, indem sich auch hier die Zellen einzeln 
vorzuschieben scheinen. An einigen Stellen hat das Sohloim- 
geweln: Kalk aufgenommen, wie man durch deutliche Uebergangs- 
bilder in einer Geschwulstalveole ersehen kann, doch fand sieh 
diese Imprägnation nur spärlich. Kerutheilungsfiguren konnte 
ich nur sehr vereinzelt finden. 

Von den Metastasen dieses Tumors untersuchte • ich einig»? 
Lung«»nhilusdrüsen, solche von der Bifureation der Trachea und 
eine aus dem Museulus psoas, ln allen diesen Metastasen fand 
sieh eine vollständige Ueberoinstimmung des histologischen Cha¬ 
rakters. Das Gewebe erscheint hier mehr oder minder substituirt 
durch eine Geschwulstmasse, deren Elemente völlige Analogie 
zeigen mit denen des Roetaltumors. Die klarsten Bilder liefert 
die Doppelfärbung mit Haematoxylin und Eosin. Die lichtblau 
gefärbten Siegelringzellen, liier etwas dichter angeordnet als im 
Primärtumor, aber auch weiter ausgebreitet, heben sieh von dein 
Bindegewebe und den zahlreichen, meist dünnwandigen Gefässen 
ab, in deren Lumen man die Kerne der jugendlichen Zeitformen, 
hart beieinanderstehend, leicht kenntlich durch die dunklen? Blau¬ 
färbung, nachweisen kann. Auch hier nur sehr spärlich«? Mitosen. 
Der Schleinicharaktcr dieser Tumoren, der übrigens schon makro¬ 
skopisch in’s Auge fiel, sowie die vollständige Analogie der Ele¬ 
mente mit denen der Mastdanng«»schwulst lässt diese G«jschwülstc 
wohl zweifellos als Metastasen des Tumors im Rectum auffassen. 
Einen sehr beinerkenswertheu Befund ergab «lie Untersuchung 
der bes<»hri«»bonenMageng»'bilde, die makroskopisch als Geschwüre 
imponirten, jedoch durch ihren wallartigen Rand und die derbe 
Infiltration schon hei der .Sektion den Verdacht erweckten, dass 
hier Metastasen des primären Mastdarmtuinors vorlägen. In 
«l»:r That konslatirt man nu«*h hier Geschwulstalvoolen von »lern 
nämlichen Bau wie in der Rectalwand, allerdings nicht so diffus 
nusgebreitet, sondern spärlicher disscininirt, während das nor¬ 
male Zwisehengewebc praevalirt. In «len Alveolen erg»:ben sich 
auch hi«;r die Uebergangskilder von der grosskemigen Zelle in die 
Siegelringform, in einzelnen sind direkt verschiedene Stadien 
dieser Umwandlung wahrnehmbar. Die Mueosa erscheint au«»h 
hier frei, die Serosa hingegen wohl auch ergriffen, doch z»»igt 
sich weilor makro- noch mikroskopisch irgend welches Einwnch-eu 

2 »‘ 


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1282 


No. 32. 


MUF.NCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


eines eventuellen retrobust rischen Tumors von den metustatiseh 
ergriffenen Drüsen aus. 

Nach der vorstehenden Schilderung steht es wohl ausser 
Zweifel, dass wir es mit einem Carcinoma reeti mit Gallertbildung 
zu thun haben, jener alltäglichen Neubildung, die man fast als 
Paradigma gewisser Darmkrebse ansehen kann. Der Charakter 
als (iallertcarcinom ist gerade in dieser Lokulisation nicht auf¬ 
fallend, da sich nach der Statistik Klei n’s über 992 Carcinom- 
fälle unter 78 Rectalearcinomen 10 Gallertkrebs«.*, d. h. 12,8 Proc. 
ergaben. Dass die Umgestaltung in die Gallertform sowohl an 
den primären, wie sekundären Careinomen vorkommt, in der 
Regel abhängig von der Schleimbildung der wuchernden Kpi- 
thelien, ist nach unseren Bildern, an «lenen man die Umwand¬ 
lungsformen der gewucherten Drüsenepithelien an Primärtumor 
und Metastasen sehr gut verfolgen kann, nur zu bestätigen. Die 
Auffassung, «lass die Zellen mit hyperchromatischen Kernen als 
Vorstadien der Schleimbildung anzusehen seien, liegt allerdings 
nahe genug. Von hohem kasuistischen Interesse ist dagegen der 
seltene Befund der Magentumoren, die man direkt als Metastasen 
ansprechen muss. Ein sekundärer Tumor der Urngthung, der 
durch die Semsa in die Magenwand hätte einwachsen können, 
war makroskopisch an keiner, den Infiltraten entsprechenden 
Stelle oder der Umgebung nachw«*isbar und auch mikroskopisch 
zeigt sich an der Serosa keine Stelle, die auf eine solche Ent¬ 
stehung der Tumoren schliessen li«*sse. Vielmehr spricht die- Iso- 
lirung der Geschwulstalveolen, die Anordnung des Tumorgewebes 
in denselben Schichten wie im Primärtumor, sowie der Befund 
von Krebszellen in den Gefiissen wohl unbedingt fiir einen Trans¬ 
port der Geschwulstclemente auf dem Wege der Blut- oder 
L.vmphbahn. I)i«*se Ausnahme bestätigt- durch ihre Seltenheit 
die altbewährte V ireh o w'sehe Regel, «lass fast alle diejenigen 
Organe, welche eine grosse Neigung zu protopathischer Ge- 
sebwulstbildung zeigen, eine sehr geringe Nc'igung zu metasta¬ 
tischer b<>sitzen und umgekehrt. Dies beweist auch die ein¬ 
schlägige Literatur. Weigert, G rawi t. z und Z a h n, welche 
sich anlässlich ähnlicher Befunde mit diesem Thema beschäf¬ 
tigten un«l je eine kleine Statistik aufstellten, sowie insbesondere 
de Castro, welcher 25 Fälle, darunter 3 eigene und die von 
Török und Wittelsliöfer zusammenstellte, erklären ein¬ 
stimmig die grosse Seltenheit dieser deuteropathischen Gc- 
sehwulstbildung. Uebrigens fand de Castro in 56 Proc. der 
Fälle von sekundärem Magenkrebs *las primäre Careinom im 
Oesophagus und C ordes fand sogar in dem Eingangs erwähnten 
Falle Magenmetastasen eines destruirenden Magenadenoms. Diese 
kleine Zahl allein genügt schon, um sekundäre Magencarciuome 
zu seltenen Vorkommnissen zu stempeln und an <k.*r Virehow- 
schen Regel festzuhalten. Andererseits ist, wie ich glaube, der 
Befund der Magenmetastasen in unserem Falle vollständig ein¬ 
wandsfrei, da er sämmtlichen Postulaten der Autoren, nämlich «ler 
scharf circumscripten Abgrenzung der Knoten, der Multiplicitiit 
derselben und endlich d*r Ausschliessung einer eingewucherten 
Lymplulrüsenges«-hwulst, nachkommt. 

Bei der Obduktion fanden sich ferner, wie erwähnt, Tumoren 
in der mittleren Schädelgrube, und es lag nahe, dieselben eben¬ 
falls als Metastasen des Mastdarmkrebses anzusprechen. Allein 
schon eine flüchtige Untersuchung derselben mit Hilfe des Ge- 
friermikrotoms ergab ein gänzlich differentes Bild, was, um dies 
gleich vorwegzunehmen, eigentlich den Anstoss zu einem ein¬ 
gehenden Stmlium dt« Falles gab. 

Die Schädelbasis wur«le herausgemcissclt, in Salpetersäure 
und Formel entkalkt, einzelne, später anzuführende Partien in 
Alkohol gehärtet und in Celloidin eingebettet. An dem gehär¬ 
teten Präparate wurde dann zunächst ein Medianschnitt angelegt, 
ferner Frontal- und Sagittalsehnitte durch beide Hälften und 
hiebei folgende Ausdehnung de« Tumors not-irt: 

Der Tumor hat hauptsächlich die mittlere Schä«lelgrube er¬ 
griffen, in der vorderen zeigen sich nur die letzten Ausläufer vor 
dem Lirnbus sphenoidalis liegend, die hintere Grube ist voll¬ 
ständig fr«*i von Tumoren. In d«*r mittleren Schädelgrubc sind 
wieder vorwiegend die neben der Sellu tureica befindlichen Ge¬ 
bilde, sowie die Gegend des Processus elinoidei posteriores be¬ 
fallen. Die Optici und Carotiden bleiben von den Tumoren ver¬ 
schont. Nach unten setzen sich die Geschwülste in die Keilbein¬ 
höhle fort, ohne jedoch die Wandung der die Höhle begrenzenden 
Knochen zu zerstören, die Tumormasse windet sich vielmehr 


gleichsam durch die Spalten und Lücken durch, hie und da eine 
ganz oberflächli«*he Usur der von ihr passirten Knochen be¬ 
wirkend. Der Knochen ist dort durchsetzt von feinen, kleinen 
Löchern, die ihm das Aussehen des angenagten verleihen. Da¬ 
bei ist der Zusammenhang der Tumormassen mit dem Knochen 
jetloch kein so fester wie mit der Dura mater. Das Siebbeiu ist 
völlig frei. Nach vorne timlen sich die Tumoren entlang der 
Crista orbitalis, zunächst links eine ovale, lVs m lange, 1 cm 
breite und 4 mm hohe Anhäufung, die am gehärteten Präparate 
höckerige Beschaffenheit angenommen hat. Rechts findet sich 
ein ähnlicher, aber kleinerer Tumor etwas weiter entfernt von 
d«*r Mitt«‘llinie. Verfolgt man die Crista weiter gegen die Peri¬ 
pherie des Sclnülels, so stösst man rechts wie links auf mehrere 
kleinere Plaques bis zu Haselnussgrösse, überall von analoger 
Beschaffenheit wie die eben beschriebenen, aber nirgends in kon- 
tinuirlieher Anordnung, sondern stets getrennt durch normale 
Dura. Auch hier zeigt sich die Arrosion d«?s Knochens, wenn 
auch nicht so ausgesprochen wie in den grösseren Tumoren. Die 
haomorrhagisehe Beschaffenheit, die bei der Sektion konstatirt 
wurde, ist an dem gehärteten Präparate nicht mehr wahrzu¬ 
nehmen. Die Hypophysis ist in ihrem vorderen Abschnitte leicht 
entfernbar, «ler hintere Theil erscheint in die Geschwulst mit in¬ 
begriffen, der Stiel der Hypophyse ist nicht zu konstatiren. 

Mikroskopisch wurde zunächst die theilweise mit dein Ge¬ 
hirn entfernte vordere Hypophyse* untersucht. Es fand sich hier 
ein der Norm entsprechendes Bild, die drüsigen Elemente viel¬ 
leicht etwas hyp<*rplastisch, ferner eine scharfe Abgrenzung «les 
Organs durch Bindegewebszüge. Nur in einem einzigen Gefässe 
liegen mehrere Zellen, die den sofort zu beschreibenden Ge- 
schwulstelementen völlig analog sind. Die hintere Hypophyse, 
das heilst «iie Stelle, wo sich dieselbe befinden sollte, erscheint 
substituirt durch Tumormassen, die nur eine s«-hmale Brücke 
als Verbindung mit dem vorderen Antheil der Hypophyse frei- 
lassen. Die Umgebung dieser Partie ist vollständig in Ge¬ 
schwulstgewebe umgewand«*lt. Der am meisten hervortretemle 
Zug desselben-ist der Zellivichthum und zwar setzt sich das G«- 
wcIk* aus kleinen Zellen zusammen, die ungefähr die Grösse der 
w« issen BlutküriMTchen erreichen, meist mit grossem, granulirtcin 
Protoplasmaantheil und sehr dichter Anonlnung. Dieselben 
liegen meist in Nestern zu 10—30 beisammen, welche wieder 
«lurch ein Zwischengewebe von fibrillärer Struktur von einander 
getrennt sind. Dieses Gerüst bestellt hauptsächlich• aus anasto- 
mosirenden, dünnwandigen Gefässen, die deutliche Wucherung 
d«*s Endothels aufweisen. Die Endothelwucherung tritt gegen - 
über d«*r Bindegewebsvermehrung entsehieden in «le:i Vorder¬ 
grund, so dass si«*h eine alveoläre Anonlnung der gewucherten 
Endothelien ergibt, gleichsam als Hülle für die Zellnester. Auch 
die verschrienen Phasen der Umwandlung der platten Endothel¬ 
zellen in die cubisehe Form sind an manchen Stellen «leutlich 
nachzuweisen, während es erst speeifiseher Färbungsmethoden, 
namentlich der van G i e s o n’schen und der Rosi n’schen Modi¬ 
fikation der E h r 1 i c h\sch<*n Färbung bedarf, um die Ver- 
zw«‘igung feinster Fas<*rn zwischen den einzelnen Tumorzellen 
erkennen zu lassen. Aber auch mit diesen Methoden ist cs nicht 
gelungen, allerorten die feinfibrilläre Substanz nachzuweisen, da 
manchmal die Zellen direkt anoinanderstossen. Ueberall aber 
konstatirt. man die enge Beziehung der Geschwulstclemente zu 
d«*n Gefässen. Der umgebende Knochen erscheint von dem 
Tumor in Form der laeuniiren Erosion alterirt und fast auf 
jedem Schnitte kann man in den H o w s h i p’schen Lacunen 
Uicscnzellen (Osteoklasten) neben den vordringenden Tumorzellen 
nnchweisen. An einzelnen Stellen ist die Erosion schon so weit 
vorgcschritten, dass nur mehr eine «lünne Knochenlamelle die 
Kontinuität aufrecht erhält, an anderen sieht man ein abge¬ 
sprengtes Knochenstückchen, rings umgeben von Geschwulst- 
z«*llen. Ganz analoge histologische B«*schaffenheit boten die 
übrigen Knoten, deren ich 3 untersuchte. Auch war nirgends 
ein Stadium vorhanden, welches man als Metamorphose des 
Tumorgewebes bezeichnen könnte, speeiell gelang es mir nicht, 
irgendwo sternförmig verästelte Zellen oder gar eine schleimige 
Grundsnbstanz nachzuweisen. 

Di«-se Bilder nicht fertigen wohl die Diagnose Endo¬ 
thel i o m. Berücksichtigt man den Bau des Tumors, die Zu¬ 
sammensetzung aus Zellen, Gefäs.-en und feinfaseriger Zwischen¬ 
substanz um die Zellen, welche ja nach allgemeinen Anschauungen 


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6. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1283 


als specifisch für die sarkomatösen Tumoren gilt, ferner den engen 
Zusammenhang zwischen Zellen und Gefässen, sowie die völlige 
Ueberein8timmung der Bilder mit den diesbezügl. Beschreibungen 
von R i b b e r t und Ziegler, so erscheint diese Bezeichnung 
für den Charakter dieser Tumoren vollständig am Platze. Ob 
der Tumor seinen Ausgangspunkt in der Dura mater oder in 
dem hinteren Antheil der Glandula pituitaria genommen, kann 
ich nicht entscheiden. Die Geschwulstbildung ist in dem grössten 
Tumor links längs der Crista sphenoidalis ebenso weit vorge¬ 
schritten wie in der Hypophysengegend, und das Fehlen jeglicher 
sekundären Veränderung, aus deren Grad man Provenienz und 
Altersdifferenz aufklären könnte, erschwert diese Differential¬ 
diagnose gewiss erheblich. In der Literatur finden sich nach der 
neuen Statistik K ö h 1 e Fs über 37 Fälle von Hypophysen¬ 
tumoren 8 Sarkome dieses Organs, darunter jedoch kein einziger 
von dem Charakter des Endothelioms oder der ihm verwandten 
Geschwülste. Meist sind dieselben überdies von dem vorderen 
drüsigen Antheil des Hirnanhaugs ausgegangen, wie auch nach 
Weichselbaum die vordere Hypophysis bei den Neubild¬ 
ungen dieses Organs prävalirt. Ein sekundärer Tumor der 
Glandula pituitaria wird nur einmal erwähnt und zwar von 
B o y c e und B e a d 1 e s *), welche 3000 Hypophysen unter¬ 
suchten und hiebei 10 mal Neubildungen in dem Organe fanden, 
zumeist Adenome und Cysten. Im Uebrigen sind die Tumoren 
der Hypophysis in der Literatur durch eine Reihe kasuistischer, 
systematischer und statistischer Arbeiten registrirt, von denen 
ich hier nur die Publikationen von Weigert, Weichsel¬ 
baum, Breitner, Heusser 4 ), v. Hippel, Schöne¬ 
mann, Ingerman n*, Lev y, Gutsche und Gut an¬ 
führen will. Auch wird dem Himanhang und seinen Tumoren 
mehr Bedeutung beigelegt, seitdem man die Entstehung der 
Akromegalie in einen ursächlichen Zusammenhang mit Erkrank¬ 
ungen dieses Organs gebracht hat, wie dies speeiell seitens fran¬ 
zösischer Autoren in dem letzten Dezennium geschieht. Auch 
die Frage, ob eine Beziehung zwischen Hypophysis und Thy¬ 
reoidea, d. h. eine gegenseitige Stellvertretung oder altruistische 
Beziehungen bestehen, ist geeignet, diesem von der Pathologie 
durch lange Zeit etwas stiefmütterlich behandelten Organe mehr 
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die hintere Hypophyse, haupt¬ 
sächlich aus Gefässelementen zusammengesetzt, könnte wohl ganz 
gut den Mutterboden für unsere Geschwulst abgegeben haben, 
allein die Entscheidung wird auch dadurch erschwert, dass Endo- 
theliome der Dura mater, eines Gewebes, das ja schon „in der 
Norm die enge Beziehung von Gefässwand und Endothelien auf- 
weist*), zu den häufigsten Geschwülsten gehören und ebenfalls 
leicht genetisch mit den Elementen des Mutterbodens Zusammen¬ 
hängen können. Auch die klinische Beobachtung kann uns keine 
Auskunft geben über den Ausgangspunkt des Tumors, da alle 
Symptome, welche von den verschiedenen Autoren, insbesondere 
von Heusser und Gutsche, für die Hypophysentumoren 
angegeben worden sind, so auch die Sehstörungen in Folge Kom¬ 
pression der Optici, in unserem Falle fehlten. Allerdings ver¬ 
laufen wieder andererseits viele Hypophysentumoren im Leben 
symptomlos, wie z. B. Ribbert ein wallnussgrosses Adenom 
als zufälligen Leichenbefund beschreibt. Dessgleichen sind die 
Endotheliome der harten Hirnhaut selten von dem Umfange, 
dass sie klinisch zur Diagnose führende Symptome verursachen, 
so dass wir von klinischer Seite keine Anhaltspunkte erhalten. 
Jedenfalls ist es mir gelungen, Gesehwulstelemente in einem Ge- 
fässe der vorderen Hypophyse, die von den Tumormassen leicht 
isolirbar war, nachzuweisen. Ist diese Zollanhäufung in einem 
Gefässe auch nicht als Metastase anzusprechen, so kann man sie 
wenigstens als Anlauf zur Metastasenbildung in diesem, sonst 
nicht zu deuteropathischer Geschwulstbildung disponirten Organe 
auffassen, während die kleineren Geschwulstplatten an der Dura 
bereits als metastatischo Tumoren aufzufassen sind. 

Im Uebrigen ist die Frage, ob Dura, ob Hypophysis den Aus¬ 
gangspunkt der Neubildung an der Schädelbasis darstellen, von 

*) Es handelte sich um eine Metastase eines Brustdrüsenkrebses 
iu der Bella turcicn, die auch die Glandula pituitaria ergriffen hatte. 

In dem Falle Heusser war übrigens die Patientin wegen 
Carcinoma recti operirt worden und am selben Tage im Collaps 
gestorben. Auch hier fand sich ein nichtdiagnosticirter Hypo- 
physistumor (Lymphosarkom), doch liegt leider keine Beschreibung 
des Mnstdarmtumors vor. 

») K 1 b b e r t: 1. e. S. 132. 

No. 32. 


sekundärem Interesse. Es ist vielmehr zu entscheiden, ob hier 
zwei genuine Primärtumoren vorliegen oder nicht. Die Literatur 
hat bisher nur Postülate für doppeltes Primärcarcinom auf¬ 
gestellt und zwar in Form der Eingangs erwähnten Billroth- 
schen Punkte. Wenn wir also die erste und die dritte dieser 
Forderungen auch auf unsere Frage, d. h. die Duplicität ver¬ 
schiedener bösartiger, protopathischer Neoplasmen über¬ 
tragen und statt der Ableitung vom Epithel des Mutterbodens 
eine genetische Beziehung jedes Tumors zu seinem Mutterboden 
überhaupt verlangen, sowie überdies für jeden der Tumoren einen 
anderen Charakter der autonomen Neubildung, so dürfte die Ent¬ 
scheidung in den meisten Fällen keine Schwierigkeiten bereiten. 

Auf unseren Fall angewendet, liegt die verschiedene ana¬ 
tomische Struktur eines Gallertcarcinoms und eines Angio-Endo- 
thelioms auf der Hand, zumal sich in sümmtlichen untersuchten 
Metastasen des einen Tumors Schleimgewebe fand, von welchem 
in keinem duralen Tumor auch nur eine Spur nachzuweisen war; 
ferners begründet durch die völlige Verschiedenheit der Zellen 
und ihres Verhaltens zum Zwischengewebe. Auch den anderen 
Anforderungen entspricht der Fall, wie ich glaube bewiesen zu 
haben, nach jeder Richtung. Das Vorhandensein metastatischer 
Tumoren im Magen verleibt ilun übrigens erhöhtes kasuistisches 
Interesse, dessgleichen die Aelmlichkeit mit dem von Kretz 
beschriebenen, oben erwähnten Falle. 

Die Frage nach der Ursache der Coexistenz zweier maligner 
Neubildungen bei einem Individuum muss man wohl so lange 
vertagen, bis in die dunkle Aetiologio der Sarkome und Carcinome 
überhaupt etwas Licht gebracht worden ist. Ob nun das gleich¬ 
zeitige Auftreten mehrfacher verschiedener Tumoren ein rein 
zufälliges ist, wie Ziegler annimmt, oder im Sinne Coliii- 
heim’s mehrfache embryonal präformirte Herde supponirt 
werden sollen, oder endlich nach K 1 e b s eine allgemeine Dis¬ 
position. welche unter dem Einflüsse äusserer Ursachen an 
mehreren Stellen zur pathologischen Gewebsentwicklung führt, 
ist aus der kleinen Zahl der bisherigen einschlägigen Beobach¬ 
tungen noch nicht zu entscheiden. Jedenfalls wird es angezeigt 
sein, alle hierhergehörigen Fälle einer genauen Untersuchung 
zu unterwerfen und der Zweck dieses bescheidenen Beitrages ist 
erreicht, wenn diese Zeilen zu weiteren Nachforschungen in der 
angegebenen Richtung auffordern. 

Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem 
hochverehrten Lehrer und Chef, Herrn Prof. Dr. P. Ernst in 
Zürich, für dio gütige Ueberlassung des Falles und die wirk¬ 
same Förderung bei der Bearbeitung desselben meinen wärmsten 
Dank auch an dieser Stelle auszusprechen. 

W i e n, im März 1901. 

Literatur: 

v. Wlniwarter: Beiträge zur Statistik der Careiuome. 
Stuttgart 1878. — O. Kaufmann: TJeber Multiplieitüt des pri¬ 
mären Carcinoms. Virch. Arcli. Bd. 75, S. 317. — Schimmel- 
busch: Ueber multiples Auftreten primärer Carcinome. Langen- 
beck’s Arch. Bd. 39, H. 4, S. 8G0. — Bücher: Zur Kasuistik 
und Beurtheilung der multiplen Carcinome. Ziegler's Beiträge. 
Bd. 14, S. 71. — Billroth: Allgem. Chirurg. Pathologie und 
Therapie. 1889. S. 908. — Klebs: Die allgem. Pathologie, II. Thcil. 
Jena 1889. — Cordes: Ein kasuistischer Beitrag zur Multiplicitiit 
der primären Carcinome. Virch. Arch. Bd. 145, S. 422. — Hanse¬ 
mann: Die mikroskopische Diagnose bösartiger Geschwülste. 
Berlin 1897. S. 87. — L a n n o i s und Courmont: Note sur la 
coexistence de deux cancers primitifs etc. (Revue de möd. 1894, 
pag. 291.) Ref. Centralbl. f. Pathologie. VI, S. 71. — O. Israel: 
Sitzungsbericht der Berliner med. Gesellschaft. Centralbl. VII, 
S. 438. — Lu bar sch: Hyperplasie und Geschwülste. Lubarsch- 
Ostertag, Ergebnisse II. Bd. 1895, S. 495 ff. — M. W a 11 c r: Ueber 
das multiple Auftreten primärer bösartiger Neoplasmeu. Langen- 
beck's Arch. Bd. 53, S. 1. — E c k a r d t: Zur Kasuistik mehrfacher 
epithelialer Neubildungen am Uterus. Arch. für Gyuükol. LV, 
1898. — Hof bauer: Ueber primäres Tubeucarciuom. Arch. f. Gyn. 
LV, 1898. — Ed. Albert: Ueber bilaterales Mammacarcinoni. Wien, 
med. Wochenschr. XLIX, 1899. — Carriöre et Del6arde: 
Sur un cas d’flpithflioma atypique symötrique des capsules sur- 
rßnales. Arch. de M6d. experim. 1900. — B e 11 i g e r: Ueber die 
Entstehung der Metastasen beim Carcinorn. Inaug.-Diss. Zürich 
1897. — Niebergall: Sarkom, Carcinorn, Myom und Schleim¬ 
polypen bei ein und demselben Uterus. Arch. f. Gynäk. Bd. 50. 
S. 129. — Kretz: Zwei maligne Neubildungen iu einem Indi¬ 
viduum etc. Wiener klin. Wochenschr. 1893, No. 11. — E m a n u e 1: 
Ueber gleichzeitiges Vorkommen von Carcinorn und Sarkom im 
Uteruskürper. Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäk. XXXIV. 18!**;. 

S. 1._F. K 1 e i n: Ueber Gallertcarcinome. Inaug.-Diss. München 

1895. _ Vircliow: Die krankhaften Geschwülste. Bd. 1. S. 09. 

— Weigert: Onkologlsehe Beiträge. Virch. Arch. Bd. 07, S. 513— 

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1284 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Grawltz: lieber Krebsmetastasen im Magen. Virch. Areb. 
Bd. 86, S. 159. — Zahn: Ueber einige Fillle seltener Geschwulst¬ 
metastasen. Virch. Arch. Bd. 117, S. 30. — de Castro: Ueber 
das sekundüre Magencarcinom. Inaug.-Diss. Berlin 1890. — 
Ribbqrt: Lehrbuch der pathologischen Histologie. Bonn 1896. 
S. 126 ff. — Z i e g 1 e r: Spezielle Pathologie. Jena 1898. S. 383 ff. — 
Köhler: Ueber Hypophysentumoren. Inaug.-Diss. Freiburg 1897. 

— Weichselbaum: Zu den Neubildungen der Hypophysis. 
Virch. Arch. Bd. 75, S. 444. — Boyce und Beadles: Citirt 
nach Köhler. — Weigert: Zur Lehre von den Tumoren der 
Hirnanhänge. Virch. Arch. Bd. 65, S. 219. — Breitner: Zur 
Kasuistik der Hypophysentumoren. Virch. Arch. Bd. 93, S. 367. — 
Hcusser: Ein Beitrag zur Kasuistik der Ilypophysistumoren. 
Virch. Arch. Bd. 110, S. 9. — v. Hippel: Beitrag zur Kasuistik 
der Hypophysistuinoren. Virch. Arch. Bd. 126, S. 124. — Schöne¬ 
in an n: Hypophysis und Thyreoidea. Virch. Arch. Bd. 129, S. 310. 

— Ingermann: Zur Kasuistik der Hypophysistumoren. Inaug.- 
Diss. Bern 1889. — Levy: Ein Beitrag zur Kasuistik der Hypo- 
physistymoren. Inaug.-Diss. Heidelberg 1890. — Gut: Ein Bei¬ 
trag zur Kasuistik der Hypophysistumoren. Inaug.-Diss. Zürich 
1899. — Gutschc: Zur Pathogenese der Hypophysistumoren etc. 
Inaug.-Diss. Erlangen 189-1. — Bibbert: Ein Tumor der Hypo¬ 
physis. Virch. Arch. Bd. 90. S. 539. — Ziegler: Allgemeine 
Pathologie. Jena 1898. S. 379. 


Ueber Sarkombehandlung mittels der Röntgen¬ 
strahlen.*) 

Vorläufige Mittheilung von Dr. Carl Heck, Professor der 
Chirurgie in New-York. 

Pat., ein 30 Jähriger, kräftiger Küfer, will schon seit etwa 
15 Jahren einen schwarzen Fleck (vielleicht ein Muttermal) an 
seinem linken äusseren Knöchel bemerkt haben, welcher sich vor 
einem Jahr zu einer Warze verbildete. Dieselbe wuchs und wurde 
gegen Ende November vorigen Jahres empfindlich. Die Oberfläche 
fing an wund zu werden uud so verorduete sich Put. KarlwlMder. 
Erst um die Weihnachtszeit, als die anfängliche Wiirze die Grösse 
eines Apfels erreicht hatte, konsultirte Pat. einen Kollegen, welcher 
die Güte hatte, ihn an meine Abtheiiuug im St Mark’s-IIospital zu 
verweisen. 

Der Status praesens am 24 Dezember war folgender: Kräftiger, 
wohlgebauter Mann von gesundem Aussehen. (Pat. ist Potator, Fa¬ 
miliengeschichte gut, Lues au8zuschllessen.) Ueber dem iiussereu 
linken Knöchel befindet sich einapfelgrosser Tumor von mässigharter 
Konsistenz, dessen Oberfläche ein rauchgraues Kolorit zeigt und 
der aus der Konfluenz einer Anzahl kleiner Warzen hervorgegangon 
zu sein schien. Die Geschwulst lässt sich von ihrer Basis nicht 
verschieben. In der Inguinalgegend lässt sich eine taubeneigrosse 
Drüse nachweisen. 

Die Diagnose lautete zunächst auf Lymphangiosarkom. Die 
Amputation war sofort in Erwägung gezogen worden; da dieselbe 
jedoch von dem Patienten sowohl als seiuen Angehörigen rundweg 
nbgelehnt wurde, so begnügte ich mich mit einer bis auf das 
Periost reichenden Exstirpation der Geschwulst und der Entfer¬ 
nung der Leistendrüse. Die Heilung war in wenigen Tagen vol¬ 
lendet und Patient verliess das Hospital. 

Die mikroskopische Untersuchung der exstirpirten Geschwulst, 
ergab das Vorhandensein von Pigment und so wurde es klar, dass 
es sich um eine der bösartigsten Formen des Sarkoms, nämlich 
um ein Melanosarkom, handelte. 

Nach 6 Wochen kehrte Pat. zurück. Es zeigte sich nun am 
äusseren Knöchel dieselbe Geschwulst wieder, mit dem Unterschied, 
dass sie breiter und flacher erschien und dass sich an ihrem Rande 
einige erbsengrosse, blauschwarze Knollen befanden, welche man 
mit Haemorrhoidalknoten vergleichen konnte. In der Inguinal¬ 
gegend hatte sich ein Drüseukonvolut von der Grösse eines Gänse- 
eies entwickelt. Es wurde abermals exstirpirt. Patient entzog siel» 
nach 2 Wochen wiederum der Behandlung und zeigte sich nach 
Verfluss von weiteren 4 Wochen mit einem Recidiv, welches mit 
etwa 30 mehr oder minder grossen, traubenfönnigen. tiefblau- 
schwarzen Knollen besetzt war, von denen die grösseren bei leiser 
Berührung leicht bluteten. In der Leiste hatte sich eine Geschwulst 
von Gänseeigrösse gebildet. Auf der Innenfläche des Beins, nament¬ 
lich entlang der inneren Wadengrenzeu, waren einige Dutzend 
Krollen entstanden, welche denen der Geschwulst völlig glichen 
und in ihrem Grössenverhältniss zwischen einer Kirsche und einem 
Stecknndelkopf rangirteu. Bei der nochmals wiederholten Exstir- 
pntion zeigte sich folgender mikroskopischer Befund: Alveolärer 
Charakter und Pigmenteiulagerung sowohl in den grossen Zell¬ 
nestern als in den kleinen Zellen des StUtzgewebes. Färbung eines 
Präparates mit Haematoxyiin mul Eosin und eines zweiten mit 
van Giesou. 

Eine Amputation wäre nun eher durchzusetzen gewesen, aber 
in Rücksicht auf die. Metastase in der Inguinalgegend konnte 
man sich jetzt von derselben auch nicht mehr viel ver¬ 
sprechen. 

Es wurde nunmehr die Serumbehandlung in Erwägung ge¬ 
zogen, welche, trotzdem sie sich in meinen Händen bei relativ 
häufiger Anwendung nie bewährt hatte, in einem so verzweifelten 


*) Vortrag mit Kraukcndemonstration in der Deutschen Medi- 
cinischcn Gesellschaft der Stadt New-York am 6. Mai 1901. 


No. 32. 


Fall doch wohl immer wieder verdient, versucht zu werden. Da 
kam mir gleichzeitig der Gedanke, einen Versuch mit den 
Röntgenstrahlen zu machen. 

Die ausgezeichneten Resultate, wie sie bei der Behandlung 
von Lupus und anderen Hautaffektionen von Albers-Schön¬ 
berg und II o h n in dieser Woehenschrift, von Schiff und 
Freund, Zionissen, Kümmell, Mühsam. Hol¬ 
land, Schenkel, J u t a s s y und Noisscr anderweitig 
berichtet wurden, waren auch von mir bestätigt worden (siehe 
Nachtrag zu meinem Lehrbuch „Fractures with an nppendix on 
the practical use of the Röntgen rnys“, Saunders & Co., London 
und Philadelphia und „Irrthümor der Röntgenographie“, Deutsch. 
Med.-Ztg. 1900, No. öl). Audi habe ich mich von der Heilung 
eines Epithelialkrebses durch Rontgenstrahleu völlig überzeugt. 

Ohne nun irgend welche kühne Hoffnungen zu hegen, be¬ 
gann ich den nach der dritten Exstirpation gebliebenen Defekt 
zu bestrahlen, zuerst 10, dann 20. dann 30 und zuletzt 45 Minuten 
lang. Patient verspürte nach 45 Minuten lang dauernden Sitz¬ 
ungen ein längeres Kriebeln im ganzen Unterschenkel. Bis heute 
wurde die Bestrahlung sieben Mal in 2—3 tägigen Intervallen 
ausgeführt. Nachdem s<»ohs Wochen vergangen sind, hat sieh 
nicht bloss keine Spur eines Reeidivs an der Knöchelstelle sehen 
lassen, sondern, mirabile dictu, eine Anzahl der mclanotiseheu 
Knollen der Wade, namentlich die, welche der Bestrahlung am 
nächsten lagen, sind the.ils völlig vernarbt-, theils geschrumpft. 

Die Leistendriisengesehwulst wuchs während dieser Behand¬ 
lung weiter und ist es meine Absicht, dieselbe morgen abermals 
zu exstirpiren und dann ebenfalls baldigster intensiver Bestrah¬ 
lung auszusetzen. Wie ich schon andeutete, hin ich weit entfernt, 
kühne Erwartungen an meinen Versuch zu knüpfen. Sie werden 
denselben jedoch in einem so verzweifelten Falle, seihst wenn 
er völlig resultatlos gehlieben wäre, gerecht fertigt, finden, denn 
im schlimmsten Lalle wäre meine Mühe einfach umsonst ge¬ 
wesen. Nun ist aber die Thatsaehe nicht wegzuleugnen, dass 
im Gegensatz zu dein früheren Verlauf nach vorhergehenden 
Exstirpationen nicht nur kein Recidiv eintrat, sondern ausge¬ 
prägtes Sarkomgewebe, ohne jeden Eingriff chirurgischer Natur 
v eruarb t. e. Der Einfluss der Strahlen ist. also klar bewiesen. 
In wie weit er freilich in toto reicht, ist dadurch nicht demon- 
strirt und werden weitere Versuche darüber Klarheit schaffen 
müssen. 

Ich wage nur noch darauf hinzuwoisen, dass, seitdem 
Ilcidenhain beim Maminacareinom das Vorhandensein von 
Krebszellen unterhalb der Faseie nachgewiesen hat. wirChirurgen 
daraus die praktische Nothwendigkeit. gezogen haben, den M. pec- 
toralis mnjor oder doch mindestens seine oberste Schicht zu ent¬ 
fernen, da wir von der Entfernung der makroskopisch sichtbaren 
Kvebspartien allein keine Heilung erwarten. 

Sind die Krebszellen so weit vorgedrungen, dass sie dem 
Messer nicht mehr zugänglich sind, so haben wir ein baldiges 
Recidiv zu fürchten. Wenn wir nun ein Mittel besässen, welches 
nach ausgedehnter Exstirpation die tiefen Gewcbsschichten durch¬ 
dringend noch diese ausserhalb des Messers ansässigen Krebs¬ 
zellen erreicht und womöglich zerstört oder ihr Wachsthum 
hindert, dann würden wir der Tndicntio morbi absolut ent¬ 
sprechen. 

Und wenn der parasitäre Charakter des Carcinoms sich be¬ 
weisen lässt, so wäre die Wirkung eines derartig antiparasitärcu 
Mediums, wie es die Röntgenstrnhleu bis zu einem gewissen 
Grade sind, sehr verständlich. Dieselbe Perspektive lässt sich 
wohl auch beim Sarkom vertreten. 

Dio therapeutische Wirkung der Röntgenstrahlen ist uns 
noch ein Buch mit sieben Siegeln. So viel aber lässt sich wohl 
sicher behaupten, dass sie sui generis ist und sich keineswegs mit 
der kauterisirenden Eigenschaft des P n q u c 1 i n’schen Appa¬ 
rates oder gar dem obligaten Senfpflaster vergleichen lässt. 

Die Verbrennungsfrago scheint mir hei einem malignen Fall 
von untergeordneter B(*deutung zu sein. Die mangelhaften 
therapeutischen Resultat«?, welche von manchen Forschern be¬ 
richtet wurden, dürften sich wohl auf die Angst vor zu grosser 
Intensität der Strahlen zurückführen lassen. Will man eine 
starke Wirkung erreichen, so muss man schon einen starken 
Strom riskiren; der Patient soll aber von diesem Risiko von 
vornherein unterrichtet. werden. 


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6. August 2901. 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1285 


(Uri der Revision dieser Arbeit, drei Wochen nach der De¬ 
monstration, ist der Defekt am Knöchel gänzlich geheilt, also 
nach neun Wochen kein Recidiv. Die Inguinalgeschwulst wurde, 
wie oben in Aussicht genommen, Tags nach der Vorstellung ex- 
stirpirt und wird nunmehr das Wundterrain ebenfalls mit 
Röntgenst.rnhlen behandelt. Den Bericht über das weitere 
Schicksal des Patienten behalte ich mir vor.) 


Aus dem Elisabethkrankenhaus in Cassel. 

Beitrag zur Ausräumung der Gallenwege nach Rose 

Von Dr. Krug, Assistent der Klinik. 

In der „Deutschen Zeitschrift für Chirurgie 1898“ publicirte 
Kose in einer Abhandlung über die „Ausräumung der Gallen¬ 
blase an Stelle der Exstirpation der Gallenblase und der Chole- 
doehotomie“ zwei ebenso interessante wie werthvolle Fälle von 
Ausräumung de« Choledochus per cholecystotomiam, ein Ver¬ 
fahren, das jedenfalls geeignet erscheint, gelegentlich die Chole- 
dochotomio — nach Kohr die schwierigste Operation, die je 
am Menschen ausgeführt worden ist — einzuschränken, und in 
manchen Fällen überflüssig erscheinen zu lassen. 

Im ersten Falle handelte es sich lim eine 31 jährige Frau, die 
schon seit 7 Jahren an Magen krumpfen mit Gelbsucht in den 
letzten Jahren — war natürlich die nicht dingnosticirte Chole- 
lithiasis — litt. 

Operation am 1. November 1897. Nach Entfernung von 
21 Steinen wird der grösste, im Aufangstheil des Choledochus 
sitzende Stein mit einem feinen, löffelartigen Instrument ent¬ 
wickelt. worauf sofort als eine angenehme Quittung ein Strom 
Galle aus der Gallenblase schiesst. 

Der zweite Fall betrifft eine 53 Jährige Frau, die schon seit 
Jahren au Gallensteinen litt. Auch liier timlet sich bei der Opera¬ 
tion an derselben Stelle wie im vorigen Fall ein grosser Chole¬ 
dochusstein. Auch dieser wird durch den Gallenblasensteinschnilt 
herarsgeliolt, nachdem 72, bis 13 mm grosse Steine schon extrahirt 
sind. 

In der Literatur scheint ein weiterer Fall bis jetzt noch nicht 
publieirt zu sein, wie ein Studium von Kehr’s „Die chirurgische 
Behandlung der Gallensteinkrankheit“, des „X. Jahresberichts 
der Kehr-Khode n’schen Klinik“ und Iv e h r’s „Anleitung 
zur Erlernung der Diagnostik der einzelnen Formen der Gallen- 
steinkrankheit“ ergibt. 

Nur ein Fall von Kehr — „Die chirurgische Behandlung 
der Gallensteinkrankheit“ 1899, p. 207 — könnte entfernt ein 
Analogon darstellen, vorausgesetzt, dass der Stein wirklich im 
Choledochus sich befand, eine Frage, die Kehr selbst offen lässt, 
indem er sagt: „Wo der Stein gesessen hat, ist nicht mit Be¬ 
stimmtheit zu sagen; es ist möglich, dass er im Choledochus sass 
und durch den erweiterten C-ystikus sich in die Gallenblase 
diiieken liess.“ 

Dagegen ist vor einiger Zeit am Elisabeth-Krankenhaus — 
dirig. Arzt Herr Dr. Kuhn — ein Fall zur Operation gekommen, 
der im Sinne R o s e’s typisch ist und einen kleinen Beitrag zu 
dem oben erwähnten operativen Modus proccdendi liefern könnte. 

Der Fall ist. kurz folgender: 

Frau G„ t»7 Jahre, aus Kassel, nufgenommen im Mai 1900. 

Anamnese: Vater starb an Lungenentzündung. Mutter an 
Schlaganfall. 2 Schwestern und 1 Bruder starben an unbekannten 
Krankheiten. 2 Geschwister leben und sind gesund. 

Pat. will früher an Blattern, Kinderkrankheiten und Magen¬ 
geschwür gelitten haben. (Dieses Magengeschwür war jedenfalls 
schon die nicht diagnostlcirte Cholelithiasis). Menses regelmässig, 
ohne Beschwerden verlaufen, zum letzten Mal mit 42 Jahren. 

Seit einer Iteihe von Jahren leidet Pat. an Schmerzen im 
Rücken und in der rechten Abdominalseite. Kurz vor Weihnachten 
1899 bekam Pat. zum ersten Mal Erbrechen, Frieren und heftige 
Schmerzaufälle. Diese Anfälle wiederholten sich täglich, bis Ende 
Mai 1900, wo ein ungefähr 12 Stunden dauernder intensiver Anfall 
in Erscheinung trat, worauf Pat. in die proponirto Operation ein¬ 
willigte. 

Status: Gradier Körperbau, geringes Fettpolster. Pat. kommt 
ndt intensivem Ikterus zur Aufnahme. Hautjucken. Lunge und 
Herz ohne bemerkenswerthe Befunde. 

Alidomen: Leber gross, Rand deutlieh fühlbar, ziemlich hart, 
stumpf, glatt. In der Gegend der Gallenblase deutliche rundliche 
Resistenz von glatter Oberfläche, die Stelle auf Druck sehr empfind¬ 
lich. Die übrigen Partien des Ahdomei s sind hell, welch, ohne be¬ 
sondere Empfindlichkeit. 

Stühle ganz weiss; Urin: starke Gallenfurbstoffrenktion. 

Diagnose: Chronischer Choledocliusversobluss. 

Operation: Schnitt im rechten Rectus. Gallenblase hühnerei- 
gross, in Adhaeslonen eingebettet. Die letzteren werden gelöst. 
Punktion der Gallenblase. Etwa 30 ccm serös-eitriges Fluidum 
werden entleert. Die Palpation ergibt zunächst einige Steine in 
der Gallenblase, dann rosenkranzförmig angeordnet einige in der 


Tiefe im Cysticus und Choledochus. Incision der Gallenblase nach 
Schutz der Umgebung. Es werden 10 erbsengrosse Steine aus der 
Gallenblase entleert, dann unter kombinirter Abtastung des Cysti¬ 
cus, wobei ein Finger auf der Aussenseite des Cysticus ln der 
Bauchhöhle sich befindet, 3 Steine der Reihe nach aus dem Cysticus 
nach vorsichtiger Lockerung in die Gallenblase geschoben und von 
da heransgeholt. Um die Verhältnisse nun näher zu klären, 
namentlich den Choledochus dem Auge zugänglich zu machen, 
wird der Querschnitt durch den Rectus ausgeführt In dem jetzt 
sehr gut zugänglichen Choledochus werden 2 weitere erbsengrosse 
Steine entdeckt, die ebenfalls gelockert, durch komblnirte Hand¬ 
griffe durch den Cysticus gebracht und von der Gallenblase aus 
entfernt werden können. Jetzt durfte man die Wege frei glauben, 
aber eine nun vorgenommene Sondirung zeigte, (lass eine solche 
Annahme ein sehr verhängnissvoller Irrthum gewesen wäre. Die 
Sonde gelangt in den Choledochus, stösst aber dann auf ein Hinder¬ 
niss, das zur genauen Abtastung des Ganges bis zu seiner Mün¬ 
dung in den Darm herausfordert. Die Palpation eruirt dann i u 
der Wand des Duodenums, also sichtlich direkt 
vor der Papille ln der Ampulle, einen erbsen¬ 
grossen, rundlichen Stein, der sehr schwer auffindbar 
und noch schwerer erreichbar Ist. Auch dieser letzte Stein wird 
gelockert; durch komblnirte Handgriffe gelingt es, ihn zurückzu- 
schiebeu und nach vieler Mühe von der Gallenblase aus zu ex- 
trahiren. Jetzt sind die Wege frei. Einnähen der Gallenblase, 
Drainage mittels eines dicken Rohres. 

Die folgenden Tage läuft viel Galle. Wundverlauf glatt. 
Nach 20 Tagen wird der Drain entfernt. Die Fistel bleibt noch 
einige Wochen offen, dann schllesst sie sich spontan. 

Ein solcher Fall dernonstrirt so rocht deutlich, welchem inte- 
grirenden Faktor hei Gallensteinlaparotomien die penibelst« 
Palpation, verbunden mit genauester Son¬ 
dirung darstellt. 

Wäre man in dem oben beschriebenen Fall nicht in der pein¬ 
lichsten Weise vorgegangen und hätte man nicht mit der Sonde 
auch die schworst zugänglichen Stellen explorirt, so wäre der 
letzte und wichtigste Stein nicht seiner Verborgenheit entrückt 
worden. Das letzte Resultat wäre eine vollständige Zwecklosig¬ 
keit der Operation gewesen, die Gallenfistel hätte sich natürlich 
nie geschlossen und der chronische Ch'oledochusverschluss hätte 
nach wie vor der Patientin die intensivsten Kolikanfälle verur¬ 
sacht. 

Daraus ergibt sich zur Evidenz die Nothwendigkeit ein¬ 
gehendster Sondirung. 

Diese Frage hat mein hochverehrter Chef, Herr Dr. Kuh n, 
bereits erschöpfend in einer ausführlichen Arbeit — conf. Münch, 
med. Woehenschr. 1901, No. 3 — erörtert. Es ist dort schon be¬ 
merkt, dass cs sich jeder Operateur zur Regel machen soll, die 
einzelnen Gänge, wenn äusserst möglich, zu sondiren. Der Opera¬ 
teur darf sich nicht damit begnügen, eine imponirendo Menge 
Steine aus der Gallenblase zu extrahiren, sondern es ist seine vor¬ 
nehmste Pflicht, allseitig freie Gänge zu schaffen. 

Die Sondirung kann, ausser mit den gewöhnlichen Sonden, 
auch mit den Kuh n’schen Spiralsonden versucht werden. Diese 
letzteren Sonden haben nämlich den Vorzug, leicht und ohne be¬ 
sonderes Maltraitement der Gallenwege in die Tiefe zu gleiten 
und jeder Krümmung und Knickung des Ganges sich rasch und 
sicher zu accommodiren. 

Ein derartiger Modus procedendi wird bald die sogen. Reci- 
dive aus der Welt schaffen und auch Diejenigen eines besseren 
belehren, die an der Wahrheit der Worte L e i c h t e n s t e r n’s 
noch zweifeln, der da sagt: „Manche scheinen anzunehmen, dass 
ein Individuum, welches Gallensteine besitzt, daher auch fort¬ 
während in Gefahr schwebe, neue Gallensteine zu erzeugen; 
Andere halten auch an dem Satze fest, dass vorhandene Gallen¬ 
steine an sich die Bildung neuer begünstigen. Und doch ist 
Beides nicht wahrscheinlich. In der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle ist die Bildung von Gallensteinen ein einmaliger Vorgang, 
der sich das ganze übrige Leben nicht mehr wiederholt. Dies 
lehrt am besten die Beschaffenheit der Gallensteine, welche in 
der Mehrzahl der Fälle bei demselben Individuum sämmtlich von 
annähernd gleicher Grösse, gleicher physikalisch-chemischer Be¬ 
schaffenheit, somit, wie diese Kennzeichen lehren, höchst wahr¬ 
scheinlich gleichzeitig entstanden, gleichalterig sind. Ent¬ 
schieden seltener trifft man bei einem und demselben Individuum 
2 oder mehrere Sorten von Gallensteinen und in diesen Fällen 
dürfte der Schluss erlaubt sein, dass sich zu verschiedenen Zeiten 
Gallensteine gebildet haben, wovon die gleiche Sorte der gleichen 
Bildungszeit angehört.“ 

Das sog. Recidiv ist demnach weder ein Analogon zu dem 
recionären, noch zu dem kontinuirlichen Recidiv ei ms malignen 


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1286 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 32. 


Neoplasmas, sondern basirt auf Konkrementen, die auf dem 
Status quo ante operationem verbleiben und natürlich auch dann 
noch, wenn der grösste Theil der Steine per cystotomiam ent¬ 
fernt ist, denselben Symptomkomplex hervorrufen, wie er vor 
der Operation bestanden hat. Derartige Phänomene sind nichts 
Anderes, als der Ausdruck einer mangelhaft durchgeführten 
operativen Behandlung. 

Uebrigens ist die Möglichkeit eines wirklichen Recidivs nicht 
ganz von der Hand zu weisen. Aber jedenfalls sind solche Fälle 
Raritäten ') ersten Ranges und die Thatsache, dass die kolik¬ 
artigen Schmerzen nach manchen Operationen keinen Nachlass 
zeigen, ist das beste Kriterium dafür, dass weder ein neuer Pro- 
cess sich entwickelt, noch ein alter eine Exacerbation erfahren 
hat, sondern der mangelhafte Erfolg lediglich dem Modus pro- 
eedendi zur Last zu legen ist. 

Das Sondiren mag manchmal auf unüberwindliche 
Schwierigkeiten stossen. Behauptet doch selbst Kehr, dass 
auch der Chirurg, dessen Tastsinn auf das Feinste ausgebildet 
ist, niemals im Stande sei zu sagen, ob alle Steine entfernt sind 
oder nicht. Aber meistens wird eine Exploration mit der Sonde 
möglich sein, jedenfalls in einer grösseren Zahl von Fällen, als 
man bisher angenommen hat. Die Mäande r’schen Schlänge¬ 
lungen des Cysticus braucht man nicht zu fürchten, denn sie 
fehlen, wie Rose sagt, oft ganz. Und dann hat Courvoisier 
statistisch schon lange bewiesen,'dass selbst die Choledochussteine 
in der Gallenblase entstehen. Mithin sind dann sowohl Cysticus 
wie Choledochus oft soweit dilatirt, dass sie eine Sondirung ge¬ 
radezu provociren. 

Die Thatsache, dass man selbst Konkremente, die sich tief im 
Choledochus etablirt haben, per cystotomiam extrahiren kann, ist 
natürlich cum grano salis und mit einer gewissen Restriction 
hinzunehmen. Doch dürfte Kehr zu weit gehen, wenn er be¬ 
hauptet, dass es sehr selten gelinge, Steine aus dem Choledochus 
durch dem Cysticus in die Gallenblase zurückzudrücken. 

Die Conditio sine qua non für die Ausräumung der Gallen¬ 
wege durch die Cystotomie ist, dass die Steine eine gewisse Grösse 
nicht überschreiten. 

Die Choledochotomie ist nicht zu pmgehen bei enorm grossen 
und bei fest abgekapselten Steinen, wie schon Rose bemerkt. 
Der im ersten Fall von Rose in Betracht kommende Stein 
war ein ungefähr 12 mm Polyeder, der Stein dos zweiten Falles 
hatte einen Umfang von 5 cm, eine schon imponirende Grösse. 
Das Konkrement unseres Falles war gut erbsengross. 

Die Steine R o s e’s sind demnach weit grösser als der des 
oben beschriebenen Falles, doch sassen sie beide im Anfangstheil 
des Choledochus, während unser Konkrement direkt hinter der 
Papille den Choledochus obturirte. Dieses Momeut verleiht 
unserem Fall etwas Besonderes und macht ihn der Publikation 
noch mehr werth. 

Zum Schlüsse sei es mir eine angenehme Pflicht, meinem 
hochverehrten Chef für die gütige Ueberlassung de« Materials 
meinen ergebensten Dank auszusprechen. 


Ueber Wundbehandlung. ) 

Von Dr. Friedrich Haenel in Dresden. 

Obwohl die Grundsätze der aseptischen Wundbehandlung 
schon vor 2Vz Jahrtausenden bekannt waren und obwohl sie im 
Kampfe mit der gerade auf diesem Gebiet üppig wuchernden 
Vielgeschäftigkeit sich im Lauf der Zeiten immer wieder von 
Neuem Geltung zu verschaffen wussten, haben wir doch erst in 
unserem Zeitalter Dank den modernen Hilfsmitteln, Mikroskop 
und Bacterienkultur, angefangen, eine wissenschaftliche Basis 
für unsere Wundbehandlung zu schaffen. Aber auch wir sind 
zunächst empirisch verfahren; erst nachdem wir, klinischen Er¬ 
fahrungen folgend uns durch die Polypharmacie der Antiseptik 
zu der Aseptik durchgerungen hatten, hat die fortschreitende Er- 
kenntniss von den histologischen Vorgängen bei der Wundheilung, 
von den bactericiden Eigenschaften der Gewebe, von den Ein¬ 
flüssen der Antisoptica auf die Gewebe u. s. w. den Weg, den wir 
tastend im Dunkeln zurückgelegt hatten, nachträglich und theil- 
weise noch recht nothdürftig erhellt. 

') Vergl. Hahn: Wie verhält es sich mit den Recidiven bei 
unseren Gallensteinoperationen. Archiv f. klln. Med. Bd. Gl. 

*) Aus einem Vortrag, gehalten in der Gesellschaft fllr Natur- 
nnd Heilkunde am 9. Februar 1901. 


Nachdem ich bereits vor zehn Jahren über die damals ver- 
hältnissmässig junge Aseptik an derselben Stelle gesprochen 
habe (vergl. Jahresbericht der Gesellschaft für Natur- und Heil¬ 
kunde in Dresden 1891/92) war ich bemüht diese Methode weiter 
auszubilden und habe im Ganzen bei über 8000 Operationen und 
bei zahlreichen accidentellen Wunden, insgesammt bei ungefähr 
12 000 Patienten konsequent das aseptische Verfahren ange¬ 
wendet, d. h. das Verfahren, welches die Unversehrtheit der Ge¬ 
webe möglichst wahrt, die Anwendung chemischer Mittel daher 
auf das äusserste Maass beschränkt und die physikalischen Fak¬ 
toren in den Vordergrund stellt. 

Mit unseren sogen, aseptischen Maassnahmen richten wir 
uns in erster Linie gegen die Kontaktinfektion. 

Gegenüber der Bedeutung dieser Infektionsquelle kommt die 
Luftinfektion, auch wenn ihr in jüngster Zeit von einigen Seiten 
wieder grössere Wichtigkeit zugesprochen worden ist, nicht in 
Betracht, wenigstens so lange nicht, als wir unsere Wunden in 
sauberen, staubfreien, insbesondere vor Staubaufwirbelung ge¬ 
schützten Räumen anlegen und verbinden. Die Keime, die etwa 
aus der Luft auf die Wunde herabfallen, werden ohne chemische 
Beihilfe von den Zellen und Säften des Körpers eliminirt. Das 
können wir um so mehr annehmen, als dabei ein für das Zustande¬ 
kommen der Infektion nicht unwichtiges Moment fehlt, nämlich 
der Druck, der bei der Kontaktinfektion sicher eine grosse Rolle 
spielt und ferner als es sich bei den Luftkeimen nur um isolirte, 
weniger entwickelungsfähige Keime handelt (Friedrich, Langen- 
beck’s Archiv, Bd. 59). Es bedarf also zur Unschädlichmachung 
der Luftkeime nicht der von manchen Seiten wenigstens als ein¬ 
malige Schutzmaassregel angewendeten antiseptischen Irrigation, 
auch nicht der Irrigation mit physiologischer Kochsalzlösung. 
Ich habe seit 13 Jahren die Wundausspülung vollkommen unter¬ 
lassen. 

Die Vermeidung der Kontaktinfektion ist, soweit es sich 
um die mit der Wunde in direkte und indirekte Berührung kom¬ 
menden leblosen Gegenstände handelt, durch Anwendung hoher 
Temperaturen ohne Weiteres erreichbar. (Auskochen der Instru¬ 
mente, die während der Operation trocken liegen bleiben — 
Dampfsterilisation von Verbandstoffen, Wäsche, Bürsten u. s. w.). 
Nicht die gleiche Sicherheit ist zu erzielen bei den mit der Wunde 
in innigste Berührung kommenden und andererseits septische 
Stoffe am leichtesten aufnehmenden Händen des Arztes, sowie 
der Haut des Operationsfeldes. 

Darüber, dass keine Desinfektionsmethode eine Keimfreiheit 
der Hand gewährleistet, dass aber eine für die praktischen 
Zwecke genügende Keimarmuth der Hand durch gründliche 
methodische Desinfektion zu erreichen ist, besteht heute kaum 
mehr ein Zweifel. 

Auch meine und meiner Assistenten Untersuchungen be¬ 
stätigen diese Ansicht. Diese Erkenntniss, dass die Hand mit 
Sicherheit nicht keimfrei zu machen ist, hat uns aber nicht dazu 
geführt, einen sterilisirbaren Ueberzug für die Hand zu suchen, 
sondern dazu, mit vermehrtem Aufwand an Sorgfalt und Zeit, 
an die Händedesinfektion zu gehen und auch die Prophylaxe 
der Hände in höherem Grade als früher uns angelegen sein zu 
lassen. Was die letztere anlangt, so ist sie in doppelter Be¬ 
ziehung wichtig, in mechanischer und bacterieller Hinsicht. 

Die alte Erfahrung, dass eine wohlgepflegte, glatte Hand sich 
leichter reinigen und desinficiren lässt, als eine rissige, rauhe 
Hand, ist durch bacteriologische Untersuchungen vielfach be¬ 
stätigt (Hägler u. A.), ferner der Nachweis, dass die kleinen 
Unebenheiten der Haut, Risse, Schrunden, Falten u. s. w., die 
hauptsächlichsten Schlupfwinkel der Bacterien sind, führt die 
Wichtigkeit der Handpflege, speciell des Glättens der Haut 
durch Einfettung u. s. w. und durch die jüngst von Hägler 
empfohlenen, auch von mir schon lange benützten Bimastein- 
reibungen, vor Augen. 

Die Prophylaxe in bacterieller Beziehung erfordert Ver¬ 
meidung von Berührung septischer Stoffe sowohl im Operations¬ 
und Verbandszimmer als auch im täglichen Leben ausserhalb 
der Berufsarbeit, Schutz der Hände durch undurchlässige Gummi¬ 
handschuhe bei Operationen in inficirten Geweben, bei Unter¬ 
suchungen im Rectum u. s. w., strenge Desinfektion unmittelbar 
nach etwa doch erfolgter Infektion. 

Dass die auch gründlichste mechanische Reinigung der 
Hände allein nicht genügt zur Entfernung der Keime an der 


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6. August 1901. ' MUENCHENER MEDICINISCHE "WOCHENSCHRIFT. 1287 


Hand, ist u. a. aus dem Hagle r’sehen Russ- oder Tuscheversuch 
sehr anschaulich zu erkennen. Bei den in den verschiedensten 
Modifieationen angestellten Versuchen ist uns weder mit Seife 
und Bürste, noch mit Seifenspiritus, noch mit Schleie h’scher 
Marmorseife, noch auf irgend eine andere Weise eine genügende 
Reinigung in einer für die Praxis verwendbaren Zeit gelungen. 

Das Tragen von sterilisirten Zwirnhandsehuhen gewährleistet 
nur so lange Keimfreiheit, als die Hand troeken bleibt, eignet 
sieh desshalb nicht für den Operateur und die bei der Wunde 
betheiligten Assistenten. Dagegen sind die Handschuhe für die 
bei der Operation nur indirekt beschäftigten Hände, die nicht 
mit Wundflüssigkeit, Lösungen u. s. w. in Berührung kommen, 
am Platz. Viel grösseren Schutz geben natürlich undurchlässige 
Handschuhe. Dieselben bei infektiösen Wunden, Untersuchungen 
des Darmes etc., als Schutz gegen die Infektion der Hand zu 
verwenden ist im Sinne der Prophylaxis, wie schon gesagt, em- 
pfehlenswerth. Sie sind sehr leicht zu reinigen, brauchen, wie 
auch meine Versuche bestätigen, nach Berührung septischen 
Materials nicht ausgekocht, sondern nur abgespült und ab- 
gewaschen zu werden, um wieder eine keimfreie Oberfläche zu 
haben. Dass aber auch diese Handschuhe eine strenge, unermüd- 
liehe, methodische Durchführung der Händedesinfektion nicht 
entbehrlich macht, ergibt sich schon aus der Zereissbarkeit und 
Empfindlichkeit der Handschuhe gegen Verletzungen mit Haken, 
Nadeln, Pincetten u. s. w. 

Dass wir ferner durch Einschränkung der Zahl der helfenden 
Hände die Fehlerquellen verringern, dass wir alles Hineingreifen 
in die Wunde vermeiden sollen, vielmehr uns der Haken und 
Pincetten und bei stumpfem Präpariren der Tupfer bedienen, ist 
eine aus der Erkenntniss der Händegefahr sich von selbst er¬ 
gebende Forderung. 

Wir haben, nachdem wir früher die verlängerte Für¬ 
bringe r’sche Methode der Häudedesinfektion benützten, uns 
in letzter Zeit der Scifenspiritusdesinfektion allerdings unter 
Beibehaltung der vorhergehenden energischen Behandlung mit 
Heisswasser, Seife und Bürste zugewandt und zwar in erster 
Linie desshalb, weil diese Methode die Hände weniger anzu¬ 
greifen scheint und damit prophylaktisch besonders werthvoll ist. 
Unsere auf 75 Fälle gestützten Untersuchungen ergaben in 
58 Proc. der Fälle Keimfreiheit. 

In dem Bestreben, alle die beim Operateur liegenden Infek¬ 
tionsquellen zu verschliessen, ist man nicht bei den Händen 
stehen geblieben, sondern hat vermittels aseptischer Gesichts¬ 
und Kopfmasken, Bartbinden u. dergl. die in der Exspirations¬ 
luft und beim Sprechen aus der Mundhöhle mitgeschleppten 
Keime, sowie die an herabfallenden Haaren und Schuppen 
haftenden Keime auszuschalten gesucht. Wir halten bei sonst 
genügender Pflege von Bart- und Haupthaar, Mundhöhle u. 8. w. 
und bei äusserster Beschränkung des Sprechens während der 
Operation alle diese die Tcelinik nur erschwerenden Dinge für 
entbehrlich. Bei den alten Indern galt die Vorschrift für die 
Aerzte, Haare und Nägel kurz zu tragen und seinen Körper rein 
zu halten. 

Als Unterbindungs- und Nahtmaterial verwende ich, nachdem 
ich früher Oatgut gebraucht hatte, seit 6 Jahren ausschliesslich 
Seide. Bei grösserer Festigkeit und Haltbarkeit der Ligaturen 
und Nähte ist die Seide völlig keimfrei zu machen. Sie muss 
aber vor nachträglicher Infektion durch die Hände des Opera¬ 
teurs geschützt werden. Auf der glatten Oberfläche des Catguts 
oder des Drahtes haften Keime allerdings weniger leicht als auf 
der rauhen Oberfläche des Seidenfadens, der sich mit Keimen 
vollsaugen kann. Das kommt erst recht i« Betracht, weil die 
Fäden, ehe sie geknotet in die Tiefe der Wunde versenkt werden, 
in innigste Berührung mit den Händen, dem unzuverlässigsten 
Faktor in unserem aseptischen System gebracht werden. Faden- 
eiterungen sind fast immer Folge ungenügender Händedesinfek- , 
tion. Die Seidenligaturen sind, wie auch von andereren Seiten 
hervorgehoben ist, ein Prüfstein für die Aseptik der Hände. Bei 
grösseren Operationen soll der Anlegung der Ligaturen und der 
Naht eine nochmalige Desinfektion der Hände vorangehen. 

Was die Frago der Drainirung aseptischer Wunden betrifft, 
so sehliesso ich die Wunden völlig durch die Naht, wenn die Blu¬ 
tung völlig gestillt ist und die Operation nicht zu lange gedauert 
hat. Sind jedoch die Wundverhältnisse in irgend einer Hinsicht 
komplizirt, so wird, und zwar gewöhnlich durch einen Gaze- 

No. 32. 


streifen, drainirt, event. theilweise tamponirt. Die früher öfters 
geübte Sekundärnaht habe ich, als den Ansprüchen der Aseptik 
nicht genügend, wieder aufgegeben. 

Beim Verband, für den Mull das geeignetste Material ist, 
kommt ausser der Kompression und Fixation vor allen Dingen 
das Princip der Aufsaugung und Austrocknung in Betracht, das 
erßtere da, wo Sekretion zu erwarten ist, namentlich bei drainirten 
Wunden, das letztere bei völligem Nahtverschluss. 

Die Austrocknung gibt die beste Bürgschaft für Asepsis. 

Es ist experimentell erwiesen (P r e o b a j e n s k i), dass Ver¬ 
bände, die eine pulverförmige Substanz enthalten, schneller aus¬ 
trocknen als andere in Folge der Vergrösserung der Verdunstungs- 
fläclie. 

Es handelt sich daher bei Anwendung antiseptischer Pulver 
in erster Linio um physikalische Vorgänge. Ich benütze zur Zeit 
Airol, früher Wismuth, habe vor Jahren Versuche mit pulveri- 
sirtem Kaffee, neuerdings mit sterilisirtem Streusand angestellt, 
die denselben Erfolg ergaben, wie pulverförmige Antiseptica. 

Was die Behandlung der infizirten Wunden anlangt, so ver¬ 
neine ich die Frage, ob mit antiseptischen Mitteln eine Des¬ 
infektion der Wunde erreicht werden kann. Meine auf der 
Wiener Naturforscherversammlung mitgetheilten Ergebnisse von 
Thierversuchen sind jüngst von v. Eicken (Beiträge zur klin. 
Cliir., Bd. 24) im Wesentlichen bestätigt worden. Durch der¬ 
artige Thierversuche allein lässt sich die Frage jedoch nicht ent¬ 
scheiden, auch nicht durch die bisher vorliegenden bacteriologi- 
schen Untersuchungen des Sekretes während aseptischer Behand¬ 
lung einerseits und antiseptisoher Behandlung andererseits. 
Durch grosse Reihen von Erfahrungen am Krankenbett und am 
Operationstisch ist die Frage eher zu beantworten. 

Unserer Uebcrzeugung nach kommt es in erster Linie auf 
physikalische Bedingungen an, auf freien Abfluss der Sektrete, da¬ 
mit Entlastung der Gewebe vom Druck, Richtung des osmotischen 
Stromes aus der Wunde in den Verband; demnach sind breites 
Offenhalten der infizirten und infektionsverdächtigen Wunden, 
Eröffnen aller Nischen und Taschen, Verhütung jeder Sekret- 
retention, Vermeidung jeder mechanischen Laesion des infizirten 
Gewebes, Anlegung eines .gut saugenden Verbandes, rechtzeitige 
Erneuerung desselben die treffenden Maassnahmen. 

Nach diesen Principien bin ich bei fast 8500 infizirteu 
Wunden verfahren und habe sie möglichst von Antisepticis frei 
gehalten, sie jedenfalls niemals ausgespült. 

In Fällen, wo ein längeres Liogenbleiben der Tampons oder 
wenigstens seiner untersten Schichten wünschenswerth oder wo 
eine Desodorirung angezcigt ist, wird Jodoformgaze Verwendet. 
Dabei ist die Idee maassgebend, dass das Jodoform der Zersetzung 
des in die Gaze aufgenommenen Sekretes entgegentritt. Auf die 
Eitercoecen der Wunde hat das Jodoform jedenfalls keinen Ein¬ 
fluss. Aus ähnlichem Grund wird bei feuchten Verbänden, die 
bei manchen eiternden Wunden, bei Entzündung der Wundränder 
wegen ihrer schmerzlindernden Wirkung und wegen der grösseren 
Aufsaugefähigkeit nicht zu umgehen sind, die essigsaure Thon¬ 
erde in 1 proc. Lösung bevorzugt. Die antiseptische Wirkung 
erstreckt sich dabei nur auf den in den Verband aufgesogenen 
Eiter. Bei mehreren Serien von Versuchen mit physiologischer 
Kochsalzlösung oder mit Tavel’scher Lösung zeigte sich, dass 
hinsichtlich Grnnulationsbildung, Sekretion, Vernarbung der 
essigsauren Thonerde kein Vorzug zukam, dass aber die Haut 
weniger durch dieselbe macerirt wurde. 

Bei der grossen Verschiedenheit, der in Behandlung kom¬ 
menden Wunden hinsichtlich Art und Ausdehnung der bereits 
bestehenden Infektion muss ein zusammenfassendes Urtheil über 
den Einfluss einer Behandlungsmethode auf den Heilungsverlauf 
inficirter Wunden vielen Einwürfen begegnen. Zu einer ein- 
wandsfreien Statistik gehören sehr grosse Zahlenreihen, genaue 
Feststellung der individuellen Verschiedenheiten der einzelnen 
Fälle, bacteriologische und histologische Untersuchungen und 
Kontroluntersuchungen in jedem einzelnen Fall. Kurz, es muss 
ein Apparat in Bewegung gesetzt worden, der mir nicht immer 
zur Verfügung stand. 

Dio relative Häufigkeit aber einer Wundkrankheit, des 
während der Behandlung auftretenden Erysipels kann einen ge¬ 
wissen Maassstab für die Würdigung der Behandlungsmethoden 
geben. Während ich in dem genannten Zeitraum 34 Fälle von 
Erysipel in Behandlung zu nehmen hatte, ist diese Wundkompli- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


kation nur in 9 Fällen während meiner Behandlung und zwar 
nur einmal im direkten Anschluss an eine Operation (Fistel¬ 
spaltung), in den anderen Fällen während der Nachbehandlung 
hinzugetreten (1 mal nach Fistelspaltung in der Leistengegend, 

1 mal nach Verbandwechsel bei Mastitis ausserhalb der Anstalt. 

2 mal nach Verbandwechsel bei granulirender Kopfwunde, lmal 
bei einem exulcerirten inoperablen Mammacarcinom, letztere 

3 Fälle poliklinisch behandelt und von Schweetemhänden ver¬ 
bunden, ferner 4 mal im Kinderhospital, osteomyelitische Fistel, 
Halsdrüsenabscess, granulirende Wunde am Arm und Achsel¬ 
höhle). In allen Fällen von Erysipel trat Genesung ein. 

Es kam also in 0,11 bezw. 0,075 Proc. der von mir behandelten 
Fälle während der Behandlung zur Entwickelung eines Erysipels. 


Ueber die Anwendung der Magensonde bei Ulcus 
ventriculi.*) 

Von Dr. W. Flade, Spezialarzt für Magen- und Darm¬ 
krankheiten in Leipzig. 

M. H.! In einer im Jahre 1883 im Deutsch. Arch. f. klin. 
Med. veröffentlichten Arbeit spricht Leube sich sehr präzis 
über den diagnostischen Werth der Magensondirung au9; es heisst 
dort wörtlich: Was den letzteren Punkt betrifft (nämlich die 
Anwendung der Sonde zu diagnostischen Zwecken), so habe icb 
schon vor 11 Jahren zuerst auf die grosse Bedeutung der Magen¬ 
sondirung in diagnostischer Beziehung im Gegensatz zu der bis 
dahin einzig üblichen therapeutischen Verwendung der Magen¬ 
sonde aufmerksam gemacht. Damals auf ein kleines Gebiet be¬ 
grenzt, hat sich das Feld der zu genanntem Zwecke benützten 
Sondirung immer mehr erweitert, so stehe ich nicht an zu er¬ 
klären, dass ich bei fast allen Magenkranken — Ulcuskranke aus¬ 
genommen — seit Jahren ohne Sondirung überhaupt keine Dia¬ 
gnose mehr mache und dass ich es für unmöglich halte, ohne 
dieses Manöver nähere Einsicht in das Verhalten des kranken 
Magens im einzelnen Falle zu gewannen. 

Seine volle Bedeutung hat der citirte Ausspruch Leube's 
wohl erst in der Folge erhalten, als namentlich Ende der 80 er 
Jahre eine fast übergrosse Anzahl von Arbeiten erschien, die 
mit manchem vagen Begriffe aufräumte und für die neueren 
Anschauungen auf dem Gebiete der Magen - Darmpathologie 
grundlegend geworden sind. Man studirte eingehend den Pro- 
cess der chemischen Verarbeitung zugeführter Nahrung, sowie 
den Ablauf ihrer Weiterbewegung nach dem Darme unter nor¬ 
malen Verhältnissen und gewann dadurch eine gesicherte Grund¬ 
lage für die Beurtheilung pathologischer Verhältnisse. Man 
ging dem Begriffe des Magenkatarrhs scharf zu Leibe und engte 
ihn auf den ihm zukommenden verhältnissmässig beschränkten 
Raum ein, lernte Atonie und Ektasie scharf unterscheiden, ent¬ 
deckte das Kvankheitsbild der Gastrosuccorrhoe, ganz abgesehen 
von der Klärung der Anschauungen, die in dieser Epoche über 
die Sekretionsvcrhültnisse bei Care, ventriculi in seinen verschie¬ 
denen Formen, über Bedeutung der Milchsäure für die Pylorus¬ 
stenose und noch so manche andere Frage erreicht wurde. Die 
fast unausbleibliche Folge des Aufschwungs, den die Kenntniss 
der Magenchemie unter physiologischen und pathologischen Ver¬ 
hältnissen in Folge dieser Arbeiten nahm, war die, dass sich eine 
etwas einseitige Werthschätzung des rein chemischen Resultates 
einer diagnostischen Mageninhaltsprüfung breit machte; nament¬ 
lich aber führte die Leichtigkeit, mit der sich unser heutiger 
weicher Gummischlauch bei einigem guten Willen bei den meisten 
Patienten einführen lässt, in therapeutischer Beziehung zu einer 
Polypragmasie, die ich als genügend begründet nicht ansehen 
kann. 

Es kann nun in dem Folgenden nicht meine Aufgabe sein, 
mich über Nothwendigkeit und Zweckmässigkeit der Anwendung 
der Magensonde bei den Magen-Darmerkrankungen im Allge¬ 
meinen zu verbreiten; ich muss mich auf ein abgegrenztes Ge¬ 
biet beschränken und will versuchen, Ihnen auf Grund der 
Literatur, namentlich der letzten 20 Jahre, ein Bild der Wechsel¬ 
beziehungen zwischen Magensonde und Ulcus ventriculi zu geben. 

In den gebräuchlichsten Lehrbüchern über Magenkrankheiten 
ist mit mehr oder weniger Bestimmtheit fast durchweg der Stand¬ 
punkt vertreten, dass bei Ulcua die Magensonde, von einzelnen 

*) Vortrag, gehalten am 4. Juni 1901 ln der Medicinischen 
Gesellschaft zu Leipzig. 


Ausnahmen abgesehen, nicht in Anwendung zu ziehen sei. Dem¬ 
gegenüber steht eine grosse Anzahl von Arbeiten sehr beachtens- 
werther Autoren, bis in die letzte Zeit, die sich mit dem Ablauf 
der motorischen und namentlich chemischen Funktionen des mit 
Ulcus behafteten Magens beschäftigen — die sich selbstverständ¬ 
lich nur mit der Magensonde studiren lassen — und die ihre 
Resultate durchaus nicht nur für wissenschaftlich interessant, 
sondern auch für diagnostisch und therapeutisch bedeutsam an¬ 
gesehen wissen wollen. Bei diesem sich in der reichhaltigen 
Ulcusliteratur überall aufdrängenden Widerspruche schien es mir 
wünschenswerth, folgende Fragen näher zu beleuchten und, wenn 
möglich, zu bestimmter Stellungnahme zu denselben zu gelangen: 

1. Was ist zur Sicherung der Diagnose auf Ulcus ventriculi 
pepticum von der Anwendung der Magensonde zu erwarten? 

2. Ist die Anwendung der Sonde bei Verdacht auf Ulcus 
überhaupt erlaubt, bezüglich werden die dabei eventuell in Frage 
kommenden Gefahren aufgewogen durch die zu erwartende Siche¬ 
rung der Diagnose? 

3. Brauchen wir die Magensonde bei Ulcus ventriculi zu 
therapeutischen Zwecken, und wie steht es hier bezüglich mög¬ 
licher Gefahren? 

1. Was ist zur Sicherung der Diagnose auf Ulcus ventriculi 
pepticuni von der Anwendung der Magensonde zu erwarten? 

Die Art meiner Fragestellung sagt Ihnen schon, dass es sich 
bei meinen Betrachtungen nicht um die Fälle handeln kann, in 
denen bestehende typische Erscheinungen Zweifel an der Dia¬ 
gnose nicht aufkommen lassen; es kommen im Gegentheil nur 
die häufigen Fälle in Frage, die neben Ulcus noch manche andere 
Diagnose zulassen. Solche Patienten klagen über Druck, 
Schmerzen, Magenkrämpfe, bald bestimmt lokalisirt, bald aus- 
strahlend; die Empfindungen stehen oft in keinem oder nur 
sehr lockerem Zusammenhänge zur Nahrungsaufnahme. Bei nüch¬ 
ternem Magen besteht entweder derselbe Drude, oder wenigstens 
unbehagliches Gefühl; die Appetenz schwankt vom Normalen 
bis zur Anorexie; gelegentlich wird über Kopfdrude und andere 
nervöse Symptome geklagt, über Aufstossen, mangelhafte Stuhl¬ 
verhältnisse etc. Erbrechen fehlt entweder ganz oder tritt regel¬ 
los in die Erscheinung. Bei derartigen Krankheitsbildem ist 
unter Umständen die Differentialdiagnose gegen Erkrankungen 
des Gallentraktus, gegen nervöse Gastralgien, gegen die mit 
Alteration des Sekretionsapparates einhergehenden nervösen 
Magenstörungen, gegen Carcinora, gelegentlich sogar gegen 
Gastroptose und die sogen. Gastritis atrophicans ausserordentlich 
schwer. Da hier die gewissenhafteste äussere Untersuchung im 
Stiche lassen kann, schlug man andere Wege ein, zu deren Ver- 
ständniss einige kurze Bemerkungen über die Aetiologie des 
Ulcus pept. unerlässlich sind. 

Die ältere Anschauung, dass das Ulcus pepticum das Produkt 
der Wechselwirkung zwischen saurem Magensaft und vermin¬ 
derter Alkalinität des Blutes sei, eine Ansicht, die noch 1889 
durch v. Sohlern in einer Arbeit vertreten wird, ist heute fast 
allgemein verlassen. Der Nachweis von Riegel, dass auch 
in der Tiefe der normalen Magenschleimhaut saure Reaktion 
besteht, die Existenz von Geschwüren in tieferen Darmpartien, 
vielfache Blutuntersuchungen, die Feststellung, dass normale 
Magenschleimhaut ganz eminente Säuregrade vertragen kann 
und viele andere Momente sprechen dagegen. Germain S 6 e 
erklärt nach den Berichten der Pariser Akademie 1893 diese 
Theorie für abgethan; die neueste Literatur erwähnt sie nur aus¬ 
nahmsweise. Indessen knüpft auch die Theorie, die heute die 
allgemein anerkannte ist, an die verdauende Thätigkeit des saun® 
Magensaftes an, nur sucht sie das begünstigende Moment nicht 
in veränderten Alkalinitätsverhältnissen, sondern in gewissen 
Alterationen der Ernährung der Magenschleimhaut in Folge Ver¬ 
legung oder Erkrankung der zugehörigen Gefässe. Bereits vor 
50 Jahren haben Virchow und Rokitansky es aus¬ 
gesprochen, dass ein Ulcu9 erst dort entstehen könne, wo der 
verdauenden Wirkung des Magensaftes dadurch Thür und Thor 
geöffnet sei, dass durch irgend welche krankhafte Prooesse des 
Gefässsystems die Lebensfähigkeit des betreffenden Schleimhaut¬ 
distriktes heruntergesetzt oder ganz verloren gegangen sei. Eine 
grosse Anzahl anderer Forscher hat diese Ansicht bestätigt und 
zum Theil sehr detaillirte Beweise geliefert. So veröffentlichte 
zuerst Merkel 1866—69 drei genau durchforschte Fälle, in 


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6. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1289 


denen er einmal Embolie der kleinsten Magenarterien, dann 
Atheromatose, Aneurysmenbildung und Amyloidentartung als 
Basis der Geschwürsbildung nachwies. Die späteren grund¬ 
legenden Arbeiten C o h n h e i m’s sind bekannt. Zwei inter¬ 
essante Arbeiten von W illneben und Decker aus den 
Jahren 1886 und 1887 haben mit Glück das aetiologische Moment 
für das traumatische und das sogen. Köchimienulcus in derselben 
Richtung gesucht, d. h. in einer primären Alteration der Er- 
nährungsverhällnisse des betreffenden Bezirkes. Auch die Hypo¬ 
these T a 1 m a’s, dass die zur Entstehung des Ulcus nöthigo 
Störung herbeigeführt werde durch reflektorische Krämpfe und 
dadurch veranlasst« arterielle Anaemie, betritt schliesslich ähn¬ 
liche Bahnen. Vor allen Dingen wird aber durch die von 
V irchow und seinen Gesinnungsgenossen verfochtene Theorie 
klar, warum gerade das weibliche Element besonders häufig au 
Ulcus leidet und wieso Anaemie und Chlorose die Disposition 
erhöhen. Weiter auf diese Verhältnisse einzugehen, ist mir hier 
nicht möglich. 

Damit nun die eben kurz berührten Emährungshemmungcn 
nicht bloss zu einem allmählichen Absterben kleiner Schleimhaut¬ 
distrikte, zu anatomischen Substanzverlusten führen, deren Aus¬ 
heilung von den Rändern her leicht möglich wäre, sondern zu 
einem wirklichen Ulcus pepticum im klinischen Sinne, können 
wir bei unserer Erklärung der Mitwirkung des aktiven Magen¬ 
saftes nicht entrnthen. Es tritt hier also ein zweites Moment 
hinzu, das sich mit dem Magenschlauche genauer studiren lässt 
und uns jetzt etwas eingehender beschäftigen soll. 

Es kann darüber kein Zweifel herrschen, dass in der Schleim¬ 
haut eines Magens, dessen feinere Arterien durch Verlegung oder 
Erkrankung stellenweise die Ernährung der zugehörigen Partien 
stören, oder völlig aufheben, ein Ulcus im anatomischen Sinne, 
d. h. ein Substanzverlust, ohne Mitwirkung anderer Momente 
entstehen kann. Im Gegentheil darf man wohl mit Recht an¬ 
nehmen, dass derartige Ulcera gar nicht selten sind, dass sie aber 
ohne wesentliche Beschwerden oder unter unklaren Symptomen 
verlaufen, wahrscheinlich schnell, eventuell ohne wesentliche 
Narbenbildung heilen, je nachdem die supponirte Ernährungs¬ 
störung sich auf einen kleinen Bezirk lokaliairt, und die um¬ 
gebende, leicht sich regenerirende Epithelschicht intakt geblieben 
ist. Unter dem Ulcus ventriculi im klinischen Sinne wird aber 
nicht bloss ein Substanzverlust an sich verstanden, sondern ein 
Defekt, der die ausgesprochene Tendenz zum Vorwärtsschreiteu 
hat, zum Vordringen in die Tiefe mit seinen möglichen schweren 
Folgeerscheinungen, und der, ganz abgesehen von allen sub¬ 
jektiven Erscheinungen, der endgiltigen Heilung starken Wider¬ 
stand entgegensetzt. Zur Erklärung dieser klinischen Erschei¬ 
nungen ziehen wir, wie erwähnt, die Mitwirkung des Magensaftes 
heran, und zwar begnügen sich die meisten Forscher nicht mit 
dem Magensekret an sich, sondern verlangen einen besonders 
sauren und aktiven Magensaft. Sie stützen sich dabei auf eine 
grosse Anzahl von Arbeiten, die sich mit den Abweichungen 
der Sekretion bei entstehendem oder bestehendem Ulcus be¬ 
schäftigen. Wir können heute die einschlägigen Verhältnisse 
trotz mannigfacher Verschiedenheiten in den Ansichten Ein¬ 
zelner für im Wesentlichen geklärt ansehen. 

Fast sämmtliche namhafteren Forscher, die sich in den 
letzten 20 Jahren mit der Krankheit der Digestionsorgane be¬ 
schäftigt haben, haben eigene Beiträge zu der vorliegenden Frage 
geliefert, oder in kürzeren gelegentlichen Bemerkungen ihre 
Stellung dazu präcisirt. Ich will nur die hauptsächlichsten aus 
der ersten Kategorie anführen: zu ihnen gehören v. d. V e 1 d e n, 
Riegel, Ewald, Krokiewicz, Korzynski, Ja- 
worski, Schneider neben einer ganzen Anzahl von Autoren 
von Dissertationen, von denen ich nur Schaumlöffel, 
Vogel, Rotschild, Grüne nennen will. Dass die be¬ 
treffenden Autoren nur Fälle zu ihren Untersuchungen heran¬ 
gezogen haben, in denen in der Diagnose ein Zweifel nicht auf- 
kommen konnte, ist selbstverständlich. — v. d. Velden unter¬ 
suchte bei 3 Patienten bereits 8, bezüglich 10 Tage nach einer 
Blutung. Riegel läset zumeist längere Zeit vergehen, ehe er 
eine Sondirung wagt; in der neueren Arbeit von Schneider 
vom Jahre 1897 sind auch ausgesprochen chronische Fälle mit 
verwerthet. Was die gefundenen Werthe betrifft, so schwanken 
die Aciditätszahlen, wie das nicht anders zu erwarten, ziemlich 
beträchtlich. Je nach der Anordnung des Versuches, der Art der 


angewendeten Probemahlzeit, dem Ernährungszustände und der 
gewohnten Lebens- und Ernährungsweise des Patienten mussten 
die Werthe verschieden ausfallen, ganz abgesehen davon, dass 
einzelne Autoren durch Bestimmung der Gesammtacidität ihre 
Aufgabe für gelöst erachten, andere detaillirt die einzelnen Fak¬ 
toren bestimmen, während wieder andere sich mit Ausdrücken 
wie „subacid“, „hyperacid“ etc. begnügen. 

Bei den 3 oben bereits erwähnten Patienten mit floridem 
blutendem Ulcus fand v. d. Velden Säurewerthe, die die nor¬ 
male Grenze beträchtlich überschreiten. Einer bereits 1885 ver¬ 
öffentlichten Arbeit lässt Riegel 1886 die Resultate von 
,272 Einzeluntersuchungen bei 31 Ulcusfällen folgen und stellt 
dabei fest, dass „durchweg in allen Fällen ein abnorm hoher, 
meistens zwischen 0,3 und 0,4 schwankender, nicht selten noch 
höherer Procentsatz an Säure vorhanden war“. Krokiewicz 
hält es für allgemein bekannt, dass beim runden Magengeschwür 
der „saure Katarrh ein ständiges Symptom ist“. Korczynski 
und Jaworski veröffentlichten 1886 und 1891 ihre Resultate, die 
auf der Untersuchung von 27 Ulcuskranken basirten. Sie fanden 
„in hohem Grade hypersekrete Magen mit einer von HCl her¬ 
rührenden kontinuirlichen Hypersekretion“, doch muss dabei in 
Betracht gezogen werden, dass bei 13 ihrer Patienten wirkliche 
Ektasie bestand, so dass diese Verhältnisse sich nicht ohne 
Weiteres auf das unkomplizirte Ulcus übertragen lassen. 
Vogel hat 39 sichere Ulcusfälle untersucht, um stets Hyper¬ 
acidität zu finden; dasselbe Resultat veröffentlicht Grüne in 
seiner 1889/90 erschienenen Dissertation von 29 Patienten. Zu 
ähnlichen Schlüssen gelangen Rotschild, Schaumlöffel 
und viele andere Autoren. 

Wenn gegenüber solchen Zahlen die Kasuistik auch eine An¬ 
zahl von sicher bewiesenen Ulcusfällen anzuführen vermag, in 
denen keine HCl-Sekretion bestand, oder in denen sie während 
des chronischen Verlaufs allmählich versiegte, wie in dem Falle 
von Krokiewicz und anderen von Ewald, Klemperer 
und Boas, wie weiterhin in Fällen E d i n g e r’s, in denen 
Amyloidentartung die Basis für das Ulcus abgab, so will das nicht 
allzuviel sagen. Die in dieser Hinsicht auffallendsten Zahlen 
finden sich bei S c h n e i d e r. Er fand unter 38 von Ulcus heim¬ 
gesuchten Patienten nur in 18—19 Proc. der Fälle Hyperacidität 
und sogar in nahezu 37 Proc. seiner Fälle Anacidität. Trotzdem 
pflichtet er ausdrücklich der Ansicht bei, dass das Ulcus mit 
starker oder vermehrter Salzsäuresekretion einhergehe und er¬ 
klärt seine auffallenden Resultate damit, dass in einem bedeuten¬ 
den Theile seiner Fälle komplizirende Verhältnisse, wie Ektasie, 
chronische Peritonitis, Anaemie etc. das Verschwinden der 
Drüsenfunktion bedingten. 

Dass abgesehen von der durch Circulationsstauung ermög¬ 
lichten Selbst Verdauung für einzelne Ulcera auch andere Ent¬ 
stehungsmöglichkeiten in Frage kommen — man hat auch hier 
von bacteriellen Einflüssen gesprochen — ist wahrscheinlich, wie 
ja auch das syphilitische und tuberkulöse Magenulcus eine Son¬ 
derstellung einnimmt; indessen kann ich hier auf diese Speziali¬ 
täten nicht eingehen. 

Nach alledem können wir heute als erwiesen ansehen, dass 
bei der grossen Mehrzahl der Ulcusf älle gesteigerte Aciditätsgrade 
nachweisbar sind. 

Woher diese Erscheinung kommt, ist hier nicht der Ort 
detaillirt zu besprechen. Ich glaube weder an eine primäre Hyper- 
acidität oder Hypersekretion, wenigstens für die Mehrzahl der 
Fälle nicht, noch an den primären sauren Katarrh, von dem 
Krokiewicz spricht. Es scheint mir viel wahrscheinlicher, 
die veränderten Säure- und Sekretionsverhältnisse als sekundär 
auf dem Wege nervöser Beeinflussung durch das bereits etablirto 
Ulcus, zu erklären. Doch wie man sich auch zu der Frage der 
causalen und zeitlichen Aufeinanderfolge von Ulcus und Hyper- 
neidität stellen mag, uns interessirt hier vor Allem die Thatsache, 
dass in einer grossen Zahl der Fälle hyperacide Werthe that- 
sächlich bestehen und durch die Sonde nachweisbar sind. 

Neben dieser Hyperacidität und den durch dieselbe bedingten 
Verhältnissen bezüglich der Verarbeitung von Stärke- und Ei¬ 
weissnahrung im Magen, vermag die Sonde gelegentlich auch 
dos Bestehen einer Blutung aufzudecken, deren Nachweis auf 
andere Weise unmöglich war. Wie viele Geschwüre mit Blu¬ 
tungen einhergehen, die sich weder per os dokumentiren, noch 
auch durch genaueste Untersuchungen der Faccc3 sich erweisen 

4 * 


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MUENCIIENER ME DICIN TSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


lassen, entzieht sich natürlich einer genaueren Feststellung, doch 
machen mannigfache Erfahrungen des Pathologen und Klinikers 
es sehr wahrscheinlich, dass derartige Fälle ziemlich häufig sind. 

Wenn in den Arbeiten Riege Fs, Fl ei ne Fs und vieler 
anderer Autoren von der Aufdeckung kleiner Blutungen vielfach 
die Rede ist, so rongiren diese Fälle hier insofern aus. als bei 
ihren Patienten die Uleusdiagnosc stets bereits vorher feststand. 
Von solchen Fällen, wo ein Befund von Blut aus dem herauf¬ 
geholten Mageninhalte ohne vorher gesicherte Diagnose erhoben 
wurde, liegen mir nur 2 Fälle von E i n li o r n vor. Der Haupt¬ 
grund für diese verschwindend kleine Zahl ist wohl darin zu 
suchen, dass Sondirungen mit der Absicht und Voraussetzung, 
eine so geringe Blutung, dass sie sich anderweit gar nicht doku- 
montirte, nachzuweisen, überhaupt nicht ausgeführt worden sind, 
und dass andererseits dort, wo man zunächst an einen Blutbefund 
gar nicht dachte, die angewandte Technik für den Nachweis 
kleiner Blutungen in vieler Beziehung ungünstig war. Es ist 
nach meiner Auffassung wohl auch nicht ohne Bedeutung, dass 
die beiden citirten Fälle gerade von Einhorn veröffentlicht 
worden sind, der bekanntlich mit dem von ihm angegebnen 
Mageneimerchen arbeitet. Ich halte es für wahrscheinlich, das* 
das Eimerchcn, am Boden des Magens hinschleifend, eher ge¬ 
eignet ist, Blutreste mit an’s Tageslicht zu fördern, als die Sonde., 
die man bei dem Verdachte auf Ulcus unwillkürlich nie weiter 
einführen wird, als unbedingt nöthig, und die man vorsichtig 
sofort entfernt, sobald man nur einige Kubikcentimeter Inhalt 
erhalten hat. 

Legen wir uns nun die Frage vor, inwieweit der Befund von 
Blut im Mageninhalt und der Nachweis erhöhter Säurewerthe, 
bezüglich kontinuirlicher Magensaftsekretion, für die Diagnose 
auf Ulcus poptieuin von Wichtigkeit ist, so wird der Werth des 
Blutbefundes ohne Weiteres einleuchten. Wenn wir absehen von 
gewissen Raritäten, wie es Blutergüsse in Folge von Varicen des 
Magens, solche im Gefolge hochgradiger Stauungen im Portal¬ 
gebiete, sog. vicariirende Blutungen oder hysterische Blutungen 
doch immerhin sind, so beweist der Befund von Blut im Magen 
— arteficielle Blutungen müssen natürlich stets ausgeschaltet 
werden können — das Vorhandensein eines ulcerativen Processes 
im Magen. Es fällt also die Nothwendigkeit der Differentialdia¬ 
gnose gegen alle oben angeführten Erkrankungsformen weg, mit 
Ausnahme der gegen Carcinom. Gelegentliches Parallellaufen 
dieser Krankheiten mit Ulcus muss dabei selbstverständlich stets 
im Auge behalten werden. Was die Differenzirung gegen Carci¬ 
nom betrifft, so muss zunächst betont werden, das3 wir aus Form 
und Aussehen des etwa gewonnenen Blutes irgendwelchen Schluss 
an sich nicht ziehen können. Das bekannte „kaffeesatzartigo 
Aussehen“ dieser Blütreste beweist durchaus nichts für Carcinom; 
es ist vielmehr nur ein Zeichen dafür, dass das Blut durch längere 
Zeit den Wirkungen der Verdauungsvorgänge im Magen aus¬ 
gesetzt war, und zwar während einer Zeitdauer, die wir zumeist 
nur bei einer wirklichen Ektasie im klinischen Sinne finden. Ob 
diese Ektasie einen gutartigen oder bösartigen Proc.ss zur Grund¬ 
lage hat, darüber kann uns der Blutbefund an sich absolut nicht 
aufklären; hierzu brauchen wir nothwendig eine genaue Unter¬ 
suchung der Sekretionsverhält nisso der Magenschleimhaut, von 
deren diagnostischer Verwendbarkeit für unser vorliegendes 
Thema im Folgenden die Rede sein soll. 

Wir haben oben die Behauptung als erwiesen hingestellt, 
dass in der Mehrzahl der Fälle von Magengeschwür gesteigerte 
Aciditätsgrade nachweisbar sind. Es wird sich nun darum han¬ 
deln. ob und inwieweit diese Thatsache bei der Diagnose in 
zweifelhaften Fällen verwerthet werden kann, bezw. ob bei den 
Erkrankungen, die gelegentlich zur Verwechslung mit Ulcus 
führen können, bezüglich der .Sekretion ähnliche oder wesentlich 
verschiedene Verhältnisse vorliegen. 

Wenn wir mit .Taworski und Korczynski annehmen 
wollen, dass bei Ulcus nicht nur gesteigerte Säuregrade während 
des Verdauungsaktes vorhanden sind, sondern auch eine kon- 
tinuirliehe Sekretion sauren Magensaftes zumeist stattfindet, so 
wird vermittels der Sonde eine exakte Differentialdiagnosc gegen 
Gnstrosuceorrhoe nicht zu stellen sein. Fis ist sehr wohl denkbar, 
dass ein Ulcus derart reizbaren Zustand verursacht, dass dauernde 
Sekretion sauren Magensaftes bestellt; andererseits gibt es 
zweifellos eine reine Gastrosuccorrhoe ohne causalen Zusammen¬ 
hang mit Ulcus, wenn rir» auch nicht häufig ist. Beide Krdnk- 


heitsformen würden ein so ähnliches, bezw. sich deckendes Son- 
dirungsresultat ergeben, dass wir am besten thun, auf dasselbe 
kein grösseres Gewicht zu legen. 

In gleicher Weise wird es unmöglich sein, auf das Resultat 
einer Aciditätsbestimmung und der dazu gehörigen Beobach¬ 
tungen eine Differentialdiagnosc dort aufzuhauen, wo* die Be¬ 
schwerden an die der Gastroptose erinnern. Derartige F'älle sind 
gar nicht so selten. Druck, saures Aufstossen, Schmerzen, stark 
saures Erbrechen mit sofortiger Flrleiehterung, wechselnde Appe- 
titvorhältnisse machen in atypischen Fällen die Diagnose 
schwierig genug, und dabei muss immer im Auge behalten werden, 
dass neben einer Magensenkung Ulcus bestehen kann. Wo man, 
namentlich bei heruntergekommenen Individuen, durch künst¬ 
liche Aufblähung des Magens die Kontouren genügend zu Gesicht 
bekommt, oder pereutorisch bestimmen kann, wird sieh meist ge¬ 
nügender Anhalt über die Verhältnisse gewinnen lassen. Wo 
aber etwaige Verwachsungen die Entfaltung des Magens hin¬ 
dern, wo aus anderen Gründen, und namentlich eben Wegen Uleu-t- 
verdnelit, die Aufblähung kontraindicirt ist, oder wo in F’olge 
von Inkontinenz des P.vlorus es zu einer Aufblähung gar nicht 
kommt, kann die Ditferentialdiagnose unmöglich worden. Wenn 
Leube anräth, in zweifelhaften Ulcusfällen die Diagnose von 
dem günstigen oder ungünstigen Ausgange einer exakten Ulcus- 
kur abhängig zu machen, so muss zugogel>en werden, dass uns 
leider oft ein anderer Weg nicht offen steht; aber gerade für 
unsere Fälle bleibt dieser Weg ein gewagt«« Experiment, da die 
mit einer L e u b «-'sehen Kur nothwendig verbundene Unter¬ 
ernährung eine etwa bestehende Ptose nur im ungünstigen Sinne 
becinilussen wird. Fis wäre sehr werthvoll, wenn uns das Resultat 
einer Mageninhaltsprüfung hier genügenden Anhalt gäbe; aber 
diese Hoffnung ist illusorisch, denn sei es, dass in gewissen Fällen 
die Thätigkeit der Magendrüsen hei dem ohnehin zumeist 
schwächlichen Individuum von vornherein alterirt war, oder dass 
die Drüsen durch das Alter des Processes ihre Arbeitsfähigkeit 
nach und nach eingebiisst haben, so wird man doch in der Mehr¬ 
zahl der Fälle von Ptose über die Norm steigende Drüsenthätig- 
keit finden, wie die meist gleichzeitig bestehende Atonie erklär¬ 
lich macht; wir werden gelegentlich sogar auf eine kontinuirliche 
Magensaftsekretion stossen, auf die ja Jaworski so grossen 
Werth für die Uleusdiagnosc legt. Wir finden also auch hier aus 
dem Mageninhalte nichts heraus, was mit einiger Sicherheit 
zwischen Ulcus und Ptose unterscheiden liesse. 

Wie schwer es ferner sein kann, sog. nervöse Gastralgien 
von Ulcus zu trennen, ist hinlänglich bekannt. Mir selbst wird 
ein Fall im Gedächtniss bleiben, den ich gelegentlich der Ver¬ 
tretung meines Chefs unter die Hand bekam. Fis handelte sich 
um eine seit wenigen Jahren verheirathete, in guten Verhält¬ 
nissen befindliche jüngere Dame, die über Magenschmerzen 
klagte. Dieselben gingen stets von einem bestimmten Punkte 
aus, wurden als „brennend“ bezeichnet und schienen nicht ganz 
unabhängig von der Nahrungsaufnahme zu sein. In der Nacht 
wurde der Schlaf durch Schmerzattaquen unterbrochen. Appetit 
war nicht alterirt, Flrbreehen bestand nicht. Patientin war gracil 
gebaut, ziemlich anaemisch, bot aber sonst nichts von Bedeutung, 
ausser einem in der Mittellinie lokalisirten, eng umgrenzten 
Druckpunkt, der bei ganz geringer Impression zu lauten Schmerz- 
äussenmgen und dem bekannten Verzerren des Gesichtes Anlass 
gab. Die Ulcusdiagnose schien mir so berechtigt, dass ich Patien¬ 
tin sofort zu einer typischen Kur veranlasste. Später erfuhr ich, 
dass Ewald kurz vorher bei der Patientin dieselbe Diagnose 
gestellt hatte. .Ungeachtet dieser Rückenstärkung musste ich sie 
doch nach 3 Wochen als falsch zurückziehen. ; Die durchaus exakt 
durehgeführte Ulcuskur misslang vollkommen; ich kam, was 
anamnestisch nicht zu eruiren gewesen war, immer mehr dahinter, 
dass die Schmerzanfälle sich nur dann nach der Nahrungsauf¬ 
nahme richteten, wenn gleichzeitige psychische Erregungen 
irgend welcher Art eintraten. Obwohl objektiv Lago und Em¬ 
pfindlichkeit dos Selunerzpunktes die gleiche blieben, musste ich 
meine Diagnose doch fallen lassen, nachdem ich, zweimal wegen 
besonders schwerer Schmerzen telephonisch gerufen, die Schmer¬ 
zen nach kurzem Zuspruch oder gleidhgiltiger Unterhaltung 
schwinden sah. Schliesslich wurde es typisch, dass die Schmer¬ 
zen in Gegenwart des Arztes schwanden und die Diagnose der 
nervösen Gastralgic drängte sich von selber auf. Ein daraufhin 
völlig verändertes Fknähiungsregime und Bndenufrnthalt an der 


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6. August 1901. 


MIT EN ClIEN ER MEDICINLSCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Ostsee waren von ausgezeichnetem Erfolge. Trotz dieser sehr 
lehrreichen Erfahrung, wird mir heute gelegentlich die Differen- 
tialdiagnose prima vista nieht leichter; und ein Abwarten, wie 
sich die Dinge weiterhin gestalten werden, befriedigt den Wunsch 
nach möglichster Exaktheit wenig, ist in vielen Fällen aus äusse¬ 
ren Gründen nicht durchführbar und wird schliesslich, ähnlich 
wie bei der l’tose, den Gesammtorganismus eher schädigen als 
ihm nützen. Wer nun die Resultate verfolgt, die sich bei der¬ 
artigen nervösen Gastralgien aus der Ausheberung des Magen¬ 
inhaltes ergeben, wird sehen, dass da von irgend welchem Typus, 
der eine exakte Scheidung gegen die Sekretionsverhältnisse bei 
I leus pepticum zuliesse, nichts zu finden ist. In vielen Fällen 
stützen wir die Diagnose der nervösen Gastralgie gerade auf das 
Fehlen jeder für uns nachweisbaren Abweichung in der sekre¬ 
torischen und motorischen Leistungsfähigkeit des Magens. In 
anderen ist namentlich der Ablauf der Drüsenfunktion stark 
alterirt. Wenn man beobachtet., wie häufig namentlich bei 
anaemischen und nervös reizbaren Individuen auf der Höhe der 
Verdauungsarbeit erhöhte. Säurewerthe gefunden werden, so wird 
man sich durch diesen Befund an sich nicht zur Diagnose des 
Ficus drängen lassen. Die Arbeiten von Maurer, Grüne, 
Ri tter und Hirsch, Lenhartz und Anderen auf diesem 
Gebiete sind sehr lehrreich. Eine neuere Arbeit EI s n e r's 
ans dem B o a s’schen Laboratorium weist auf die Schwankungen 
hin. die die Drüsenthätigkeit bei menstruirenden Frauen erleidet 
und zwingt zu grosser Vorsicht bei Verwerthung dt» Sondirungs- 
resultatcs. 'Aus dem ein- oder mehrfachen Befunde erhöhter 
Säurewerthe in solchen fraglichen Fällen die Diagnose zu Gun¬ 
sten von Ulcus stellen zu wollen, ist jedenfalls unzulässig; es 
würde solchem Befunde höchstens bei wochen- und monatelanger 
Beobachtung ein gewisses Gewicht zuzuschreiben sein, da ja be¬ 
kanntlich es oft genug vorkommt, dass bei nervösen Affektionen 
der durch Tage hindurch erhobene Befund hoher Säurezahleu 
gefolgt ist von einem gelegentlich recht schnellen Abfall dieser 
Werthe bis zur Anacidität. Für die tägliche Praxis möchte ich 
nach alledem folgende Stellung vertreten: Hyperacide Werthe 
werden nicht gegen Neurose sprechen; subacide oder normale 
Werthe werden, mit höchster Vorsicht verwerthet, höchstens in 
solchen Fällen die Ulcusdiagnose miwahrscheinlich machen, wo 
die Krankheitserscheinungen jüngeren Datums sind. 

Eine ähnlich geringe Rolle spielt die Sonde dort, wo es gilt, 
Ulcus pepticum und Cholelithiasis zu differenziren. In einer in 
Virehow’s Archiv von Leva veröffentlichten Arbeit über das 
Verhalten der Magenfunktionen bei verschiedenen Leberkrank¬ 
heiten ist der Standpunkt vertreten, dass bei Cholelithiasis der 
Gehalt des Mageninhaltes an HCl entweder normal oder etwas 
vermindert sei. Das letztere wird namentlich dort der Fall 
sein, wo in Blut und Gewebe übergetretene Galle die Thätigkeit 
der Drüsen hemmt, wie die Analogie des Magenbefundes bei 
Ikterus catarrhalis beweist. Indessen kommt gerade in diesen 
Fällen eine Differentialdiagnose ernstlich nicht in Frage. Bei 
Patienten, die eine merkliche Gallenstauung nicht bieten, wird 
die Drüsenthätigkeit der Magenschleimhaut nur dort vermindert 
sein, wo parallele Processe innerhalb der Drüsonschicht oder in 
der Gesammtkonstitution des Körpers liegende Gründe das be¬ 
dingen. In dem Handbuch der Leberkrankheiten von Quincke 
und lloppe-Seylor von 1899 ist bei Besprechung der Diffe¬ 
rentialdiagnose zwischen Ulcus und Cholelithiasis der Magen¬ 
inhalt überhaupt nicht erwälmt; er bietet eben keine irgendwie 
typischeren Verhältnisse. Der Befund von Galle im Magen ist 
bekanntlich auch nicht ausschlaggebend für Gallenleiden, da er 
l>ei Ulcus mit schwerer Brechneigung gar nicht selten erhoben 
werden kann. Andererseits kommt es nach dem, was ich gesehen 
habe, recht häufig vor, dass das frisch Erbrochene von Patienten, 
die an Cholelithiasis leiden, exorbitant hohe Säuregrade aufweist. 
Gerade durch das quälende Würgen sind solche hohe Aciditäts¬ 
zahlen unschwer zu erklären, wenn man nicht nebenbei annehmen 
will, dass auf nervösem Wege die Arbeit der Magendrüsen an¬ 
gespornt wird, oder dass zeitweilige motorische Störungen ihr zu 
Grunde liegen, in ähnlicher Weise, wie ich mir die vermehrten 
Säurewerthe bei Ulcus erkläre. Hält man daran fest, dass gerade 
die Fälle die Differentialdiagnose besonders nothwendig machen, 
in denen die Beschwerden nicht die Form typischer Anfälle 
haben, in denen dauernd Schmerz, Druck, Erbrechen etc. bestellt, 
m wird man zugeben müssen, dass der auf die Magenschleimhaut 


wirkende Reiz, der zu erhöhter Arbeit führt, bei solchen Fällen 
verkappter Cholelithiasis ebenso besteht, wie bei Ulcus, voraus¬ 
gesetzt, dass man sieh nicht der Ansicht anschliesst, nach der die 
bei Ulcus häufig nachweisbare Hyperacidität das Produkt eines 
primären oder sekundären Katarrhs ist. Es wird also mindestens 
gewagt bleiben, die Diagnose Cholelithiasis oder Ulcus, wo sic 
durch andere Mittel nicht sicher zu stellen ist, etwa durch 
Eruirung des Mageninhaltes entscheiden zu wollen. 

Eine bei Weitem wichtigere Rolle als bei den bisher be¬ 
sprochenen Erkrankungen spielt der Säurebefund dort, wo wir 
vor die NothWendigkeit gestellt sind, Ulcus gegen Carcinom ab- 
zugrenzen. Seit der ersten Publikation v. d. Veldon’s vom 
Jahre 1879 hat die Frage, nach der Drüsenthätigkeit bei Carcinom 
des Magens die Forscher sehr intensiv beschäftigt. Und wenn 
auch die Hoffnung, in der Anacidität de» Mageninhalts, bezüglich 
in dem Fehlen freier Salzsäure ein untrügliches Zeichen für den 
malignen Process gefunden zu haben, bald aufgegeben werden 
musste, so wissen wir heute doch, dass nicht weniger als 80 bis 
90 Proe. der Careinomfälle in einem Stadium, wo sie ärztliche 
Hilfe nachsuchen, an starkem Säuredefizit leiden. In der dritten 
Auflage seines Handbuches vom Jahre 1896 sagt Boas: „Leider 
ist dasFehlen freier Salzsäure, wie die zunehmenden Erfahrung. 1 !! 
der letzten Jahre gezeigt haben, ein ebenso wenig für Krebs des 
Magens charakteristisches Zeichen, als es etwa umgekehrt die 
Superacidität für Ulcus ist“. Dieser Satz ist im Sinne der 
Krebsdiagnose unanfechtbar, da es eben noch andereErkrankungs- 
fonnen genug gibt, wo durch lokale oder allgemeine Ursachen 
die Drüsenfunktion beinträchtigt ist. Wo es sich aber nicht allein 
um die Frage handelt, ob Krebs oder kein Krebs, sondern wo die 
Frage präzis lautet: Krebs oder Ulcus? dort bleibt der Säure¬ 
befund ausserordentlich wichtig. Die Einschränkung für diese 
Behauptung liegt einmal darin, dass, wie oben bereits erwähnt, 
ganz vereinzelte Ulcora sieh bei subaeidein Mageninhalte ent¬ 
wickeln. und dass sieh eine nicht unbeträchtliche Zahl von Fällen 
findet, wo das längere Bestehen von Ulcus je nach seiner Lokali¬ 
sation, oder gewisse Folgeerseheinungen des Ulcus allgemeiner 
Natur, ein Ilerahsinken der Aciditätszahlen verursachen; sie 
liegt weiterhin in der Thatsache, dass einzelne Carcinome bis zu 
letzt freie Salzsäure, die Ulcuscarcinome häufig sogar im Ueber- 
sc.huss aufweisen. Ich will Sie nicht mit den neueren ausführ¬ 
lichen Arbeiten, unter denen liier besonders die von Rosen heim 
und Schneider zu verwerthen sind, und mit dem überreich¬ 
lichen Zahlenmaterial ermüden, aber der Satz, dass die eben er¬ 
wähnten Einschränkungen nicht allzuschwer in’s Gewicht fallen, 
lässt sich wohl mit gutem Rechte vertheidigen. Einzelne Fälle 
werden eben nach wie vor jedem Versuche einer prompten 
Differcnzirung spotten und sich höchstens bei längerer Beob¬ 
achtung entscheiden lassen. Derjenigen Fälle, bei denen anfäng¬ 
lich für malign gehaltene Tumoren sich unter ausschlaggebender 
Beobachtung des Sondirungsresultates als mehr oder weniger 
harmlose Schwielen, die ihr Bestehen einem alten Ulcus ver¬ 
dankten, entpuppten, und der sich darauf aufbauenden schönen 
Operationsresultate werden sich namentlich die Herren Chirurgen 
erinnern. Streng genommen gehören diese Fälle indessen nieht 
in diese Besprechung. Um nicht weitschweifig zu werden, möchte 
ich mich mit diesen skizzenhaften Sätzen über die Differential- 
diagnose zwischen Ulcus und Carcinom begnügen und hoffe, dass 
ich in dem hier in Frage kommenden Zusammenhänge trotzdem 
nicht missverstanden werde. 

Ich fasse das bisher Gesagte in folgenden Sätzen zusammen: 

Bei der Mehrzahl der Fälle von Ulcus pepticum sind ge¬ 
steigerte Aciditäts-Grade nachweisbar. Diese Thatsache spielt 
eine ausschlaggebende Rolle bei Abgrenzung gegen Phthisis 
mucosae und ist weiterhin von grosser Bedeutung bei Differen- 
zirung gegen Carcinom. Wo es sich etwa um Atonie, Gastro- 
ptose, Cholelithiasis handeln könnte, ist aus dem Befunde er¬ 
höhter Acidität irgend welcher bündige Schluss nicht zu ziehen. 
Bei Abgrenzung gegen Neurose kommt diesem Befunde höchstens 
bei längerer Beobachtungszeit eine geringe Bedeutung zu. Der 
an sieh sehr interessante Befund verstärkter Drüsenthätigkeit 
hei Ulcus bringt, uns also nur dort, wesentliche differential- 
diagnostische Vortheilo, wo die Krankheitsorseheiinnigen evenf. 
auch die Diagnose Carcinom oder Gastritis atrophicans zulassen 
würden. Gelegentlicher Blutbefund sichert die Diagnose eines 
ulecrativen Processes, der an sieh ebenso gut. durch Carcinom, 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 



wie durch Ulcus verursacht sein kann. Unter gleichzeitiger Be¬ 
achtung der Sekretionsverhältnisse wird er zu einem ausschlag¬ 
gebenden Merkmale werden können, wenn man mit Sicherheit 
eine arteficielle Blutung ausschalten kann. 

(Schluss folgt) 


Beiträge zur Behandlung der motorischen Aphasie 
nach cerebralen Störungen. 

Von Dr. V i d a 1, Specialarzt für Sprachstörungen in München. 

Während die aphasischen Störungen in diagnostischer und 
symptomatologisclier Beziehung eines der bestbearbeiteten Gebiete 
der medicinischen Wissenschaft darstellen, hat die Therapie dieser 
Störungen auffälliger Weise bisher nur sehr wenig Beachtung 
gefunden. Es besteht noch vielfach in ärztlichen Kreisen die 
Ansicht, dass diese Zustände unheilbar seien, wenn sie sich unter 
der üblichen Allgemeinbehandlung nicht bessern. In dem all¬ 
gemein verbreiteten Lehrbuche von Strümpell ist neben der 
Anwendung von Bädern, Elektricität etc. die direkte Inangriff¬ 
nahme der Aphasie gar nicht erwähnt. Und auch in dem um¬ 
fangreicheren Handbuche von Penzoldt-Stintzing finden 
sich nur kurze Angaben. Der Einzige, welcher sich in neuerer 
Zeit mit dieser Frage eingehend beschäftigt hat, ist H. Gutz- 
m a n n (Arch. f. Psychiatrie 1896) und auch er verfügt nur über 
eine geringe Anzahl von Fällen. Obwohl nun seine Resultate 
sehr ermuthigend zu weiteren Versuchen waren, so scheinen sie 
doch nur wenig Beachtung gefunden zu haben, zum Theil wohl, 
weil sie erschienen sind in einer Zeitschrift, welche nur von einem 
kleinen Kreise von Specialisten gelesen zu werden pflegt *). In 
wie hohem Maasse aber Gutzmann von dem Resultate seiner 
Bemühungen befriedigt war, geht hervor aus der Schlussbetrach¬ 
tung in seinem Werke: „Vorlesungen über die Störungen der 
Spracho“. Es heisst dort, er habe durch den Erfolg ausserordent¬ 
lich ermuthigt, nur bedauert, nicht öfter in die Lage gekommen 
zu sein, die Uebungen bei solchen Kranken anzuwenden. 

Thatsächlich gibt es auch weinige Gebiete, welche dem 
direkten Eingreifen des Arztes oft ein so lohnendes Feld eröffnen, 
wie die motorische Aphasie. Und die Dankbarkeit des Patienten, 
der von einem sprachlosen, dem Verkehre entzogenen Menschen 
zu einem sprechenden umgewandelt wird, ist eine grosse. 

Ich muss hier nun gleich auf einen Einwand edngehen, 
welcher sicher von vielen Seiten gemacht werden wird, dass 
nämlich die Aphasie, wo sie geheilt wurde, sich auch ohne Be¬ 
handlung von selbst gebessert hätte. Allein schon Gutzmann 
hat an einer Reihe von Fällen die Unrichtigkeit dieser Annahme 
bewiesen. Obwohl bei 5 seiner Patienten die Aphasie seit 
3 Monaten bis 10 Jahren unverändert bestand, so besserte sich 
dieselbe doch mehr oder weniger rasch unter seiner Behandlung. 
Meine Fälle bestanden zwar nicht so lange Zeit. Aber es liess 
sich leicht beobachten, dass die Besserung der Patienten in Bezug 
auf ihr Sprachvcrmögen gleichen Schritt hielt mit der Behand¬ 
lung, und dasß sie immer nur diejenigen Laute und Lautver¬ 
bindungen zu sprechen vermochten, welche geübt waren, andere 
dagegen nicht. Es beweist dieses doch zum Mindesten, dass sich 
die Sprachstörung ohne direkte Behandlung, wenn überhaupt, so 
doch sicher wesentlich langsamer gehoben hätte. 

Nach allem Gesagten dürfte es wohl genügend gerechtfertigt 
erscheinen, wenn ich das Resultat einer Reihe von Beobachtungen 
über die Behandlung Aphasischer mittheile und zum Schlüsse 
auf einen besonders interessanten Fall etwas näher eingehe. 

Schon oft haben einige Aerzte versucht, aphasische Pa¬ 
tienten einzelne Laute und Worte nachzusprechen und auf diese 
Weise erlernen zu lassen. Der mangelhafte Erfolg dieser Be¬ 
mühungen war aber die "Ursache dafür, dass sie bald von weiteren 
Versuchen absahen. Thatsächlich habe ich mich auch davon 
überzeugt, dass man ohne ein systematisches Vorgehen nichts 
erreicht. Die Hauptsache ist, dass man herausfindet, wo eigent¬ 
lich der Fehler zu suchen ist. Wir haben z. B. einen Kranken 
vor uns, der einige Worte zu sprechen vermag, andere wieder 
nicht, der z. ß. die Zahlen 16 und 17 herausbringt, die scheinbar 

•) Anmerkung bei der Korrektur: „Inzwischen Ist noch 
ein Aufsatz von Gutzmann über denselben Gegenstand er¬ 
schienen (ßerl. klln. Wochenschr. 1901, No. 28, S. 739), In welchem 
er zu ähnlichen Resultaten kommt wie Ich. Nur empfiehlt er 
noch als Vorübung eine Art Gymnastik der Sprachwerkzeuge. 
welche mir auch als recht praktisch erscheint." 


viel leichteren 11 und 18 dagegen nicht. Wir bemühen uns 
lange vergeblich um eine Erklärung für dieses auffällige Ver¬ 
halten. Endlich bemerken wir, dass dem Betreffenden särnmt- 
liche Vokale und zwar nur im Anlaute fehlen, dass er ebenso 
wenig die Worte Ente, Engel, Anton zu sprechen vermag. Damit 
ist aber auch der Schlüssel für eine erfolgreiche Behandlung 
gegeben. Man übt jetzt die fehlenden Laute und Lautreihen 
nach den Gesetzen der Sprachphysiologie ein. Häufiger noch als 
die Vokale fehlen die Konsonanten des zweiten und dritten Arti- 
culationssystemes ganz oder theilweise. Das „ch“ und „k“ z. B. 
sind nur höchst selten vorhanden. Andererseits ist mir auch ein 
Fall vorgekommen, wo nur die scheinbar sehr leichten Lippen¬ 
laute „p, b, f, w“ fehlten. 

Sehr wichtig für einen guten und schnellen Erfolg ist es, 
dass man den Patienten von vomeherein daran gewöhnt, genau 
auf den Mund des Vorsprechenden zu achten. Damit er aber 
auch an sich selbst die Bewegungen kontroliren kann, ist der 
Gebrauch des Spiegels unerlässlich. 

Ueber Schreibübungen mit der linken Hand, welche Gutz¬ 
mann warm empfiehlt zur Unterstützung bei der Ausbildung 
eines neuen, rechtsseitigen Sprachcentrums, fehlen mir Erfahr¬ 
ungen, da ich der Ansicht war, dass das Erlernen des Schreibens 
mit der linken Hand für die meisten Aphasischen, die doch 
gebrechlich oder in höherem Alter zu sein pflegen, eine zu grosse 
Anstrengung bedeute. 

Das Wesentlichste für die Prognose ist die Art der Sprach¬ 
störung. Die besten Aussichten bieten die rein motorischen 
Aphasien, während die anamnestischen wegen der damit ver¬ 
bundenen Gedächtnissschwäche naturgemäss den Bemühungen 
des Arztes grösseren Widerstand entgegensetzen. Rein sen¬ 
sorische Aphasie kommt selten zur Beobachtung. Ich muss hier 
auf Grund meiner Erfahrungen den Ansichten von K u s 8 m a u 1 
entgegentreten, welcher den einfachen Erinnerungsaphasien eine 
bessere Prognose gibt, als den ataktischen. Nach meinen Be¬ 
obachtungen ist gerade die Störung des Gedächtnisses ein sehr 
erschwerender Umstand. Es sind mir wiederholt Patienten zu 
Gesicht gekommen, welche keine motorische, sondern eine reiu 
amnestische Aphasie besassen, welchen aber etwas beizubringen 
aus demselben Grunde sehr schwer fiel. Sie sprachen zwar das 
Wort Stuhl, wenn man es ihnen vorsprach, richtig nach, ver¬ 
standen auch genau die Bedeutung des Wortes; wies man aber 
nach einer Stunde auf den Stuhl und fragte sie nach der Be¬ 
nennung, so hatten sie das Wort wieder vergessen; und selbst die 
ausdauerndsten Bemühungen hatten keine erheblichen Resultate. 
Ein Kranker dieser Art konnte zwar, wenn man auf einen Pan¬ 
toffel wies, für diesen die Bezeichnung „Schlappschuh“ sagen, 
zeigte man ihm dann einen einfachen Lederschuh, so konnte er 
sich für diesen der einfacheren Bezeichnung „Schuh“ nicht ent¬ 
sinnen. Ein anderer Kranker dagegen, welcher fast kein Wort 
zu sprechen vermochte, wegen motorischer Störung, erlangte in 
wenigen Wochen fast die ganze Sprache wieder, weil ihn das 
Gcdächtniss nicht im Stiche liess, und er, was er gelernt hatte, 
nicht leicht wieder vergass. 

Ein weiterer Punkt, der öfter Schwierigkeiten bereitet, ist 
der, dass die Patienten stärkere geistige Anspannung in Folge 
der vorangegangenen Apoplexie nicht vertragen. Einen Fall 
meiner Behandlung mit rein motorischer Aphasie, der Anfangs 
sehr günstige Fortschritte machte, musste ich entlassen, weil 
jedesmal, selbst nach kurzdauernden Uebungen, starke Kopf- 
selimerzen auftraten. 

Zinn Schlüsse möchte ich einen recht interessanten Fall noch 
etwas näher besprechen: 

Herr F., 62 Jahre alt, erlitt Anfang April 1901 eine Embolie des 
Gehirns. Nach Rückkehr des Bewusstseins zeigte sich, dass nur 
eine leichte Verlangsamung des Denkens und eine erhebliche 
Sprachstörung geblieben waren. 8 Tage später sah Ich den Patien¬ 
ten und konstatlrte folgenden Befund: In der Unterhaltung ver¬ 
mag er nur wenige Worte vollständig messend zu sprechen, manche 
nur unter vielfachem Anstossen und andere überhaupt nicht. Er 
Ist daher gezwungen, ständig Bleistift und Papier bei der Hand 
zu haben, um sich zu verständigen. Die Schriftsprache Ist ebenso 
wie das Verständniss für das Gesprochene und das Gedächtnis» 
fast gar nicht gestört. Besonders auffällig Ist folgende Erschei¬ 
nung: Lasse Ich den Patienten die Zahl 18 sprechen, so vermag 
er es nicht. Es geht aber sofort, wenn er die Zahlenreihe hersagt, 
auch gibt er an, dass die Zahl auf 17 folge, vor 19 komme und auf 
französisch dlx-huit heisse. Trotzdem vermag er die einzelne Zahl 
18, auch wenn man sie Ihm wiederholt vorsagt, nicht nachzu- 
gpreeben. Ueberhaupt zeigt sich die Aphasie weniger in der frau- 


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6. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1293 


söslscben als ln der deutschen Sprache, und oft vermag er den 
französischen Ansdruck anzugeben, wo Ihm der deutsche fehlt. 
Am auffälligsten Ist es, dass Ihm manche Worte im Zusammen¬ 
hänge gar keine Schwierigkeiten bereiten, die er einzeln nicht 
einmal nachzusprechen vermag. 

Die weitere Untersuchung ergibt ein Fehlen einzelner Vokale 
(e, I) und der meisten Explosiv- und Reibelaute des zweiten und 
dritten Articulationssystemes. An der ersten Artlculatlonsstelle 
fehlen nur die Reibelaute. Solche Worte, ln denen die genannten 
Laute nicht Vorkommen, bildet er ganz normal. 

Bel der Behandlung begann Ich damit, dem Kranken zunächst 
die Elemente der Lautbildung beizubringen, Indem Ich ihn die 
beim Sprechen In Betracht kommenden Lippen-, Kiefer-, Zungen- 
und Kehlkopfbewegungen an mir und an sich selbst studlren lless. 
Dann ging Ich zu den Vokalstellungen und den Lippenlauten Uber, 
welche alle noch gut sichtbar sind. Weiter beobachtete ich kein 
ganz systematisches Vorgehen, sondern hielt es für besser, die 
Laute einzuüben, wie sie sich zufällig ergaben. Fand sich bei der 
Uebnng des Explosivlautes „A“, dass statt desselben das „sch“ 
gebildet wurde, so habe Ich dieses zunächst festgehalten, bis Ich 
wieder auf das „A“ zurückkam. 

Nach Einübung der einzelnen Laute ergab sich eine weitere 
Schwierigkeit bei der Verbindung derselben zu Silben, und nament¬ 
lich mehrsilbige Wörter mit Konsonantenanhäufungen erforderten 
eine grosse Geduld. Besonders hinderlich war der Umstand, dass 
der etwas sonderbare alte Herr sich nicht dazu verstehen wollte, 
die Worte Anfangs langsam zu sprechen, sondern Immer gleich 
zu der schnellen messenden Rede überzugehen strebte, wobei er 
natürlich leichter anstiess. 

Der Erfolg der Behandlung zeigte sich darin, dass er sich 
schon nach 2 Wochen leidlich ln der Unterhaltung auszudrücken 
vermochte und nur noch bei schweren Worten anstiess. Nach 
5 Wochen erkannte man das Uberstandene Leiden fast nur noch 
an einer etwas zögernden Sprache, wie sie sich vielfach bei Apo¬ 
plektikern findet und an geringen Schwierigkeiten bei den aller- 
konipllzirtesten Worten. 


Zwei Fälle von Karbolgangraen. 

Von Knappschaftsarzt Dr. Fischer in Castrop. 

Wenn ich durch die Veröffentlichung zweier Fälle von 
Karbolgangraen die Kasuistik derselben hiermit bereichere, so 
geschieht dies hauptsächlich wegen der familiären Beziehungen, 
die zwischen den beiden davon betroffenen Patienten bestehen. 

Es handelt sich um ein Brüderpaar, das wegen geringfügiger 
Fingerverletzung ein und dieselbe im Handverkauf .aus der Apo¬ 
theke käuflich erworbene Karbollösung ohne ärztliche Verordnung 
sich applizirte. 

1. August M., 24 Jahre, Bergmann, zog sich am 20. II. 01 
durch Ritzen an einem spitzen Eisen am rechten V. Finger eine 
kleine Wunde zu, die er mit einem dünnen, ln Karbolwasser ge¬ 
tunkten leinenen Lappen lose verband. 

Bel der 1. Konsultation am 22. II. 01, Abends, folgender 
Befund: Die beiden Endglieder des Fingers mumlflzirt; Demar¬ 
kationslinie ln der Höhe des I. Interphalangealgelenkes; an Volar¬ 
seite ca. 8 cm lange oberflächliche Wunde. Sonst gesund und 
niemals krank gewesen. 

2. Gustav M., 25 Jahre, Bergmann, quetschte sich am 7. II. 01 
den linken II. Finger zwischen Förderkorb und Thorklinke, achtete 
die hierbei erlittene unwesentliche Wunde und Lockerung des 
Fingernagels in den ersten Tagen nach der Verletzung nicht, um 
erst am 20. II. mit derselben Karbollösung durch zweimalige An¬ 
wendung ln derselben Welse wie oben eine „raschere Heilung“ 
zu erzielen. 

Befund am 28. II., Morgens, bei der 1. Konsultation: Die beiden 
Endglieder vertrocknet, brandig; Demarkationslinie ln Höhe des 
I. Interphalangealgelenkes; Nagel thellwelse losgelöst, unschein¬ 
bare Wunde an Dorsalseite. 

Sonst gesund und nie krank gewesen. 

In beiden Fällen, die zeitlich so rasch einander folgten, wurde 
trotz der nur geringfügigen Welchtheilverletzuug und trotz der 
nur kurze Zelt währenden Applikation des Karbolwassers schliess¬ 
lich die Exartikulation der verletzten Finger erforderlich, die beide 
Brüder zu Unfalllnvaliden machte. Der Anfangs meinerseits ge¬ 
hegte Verdacht auf eine vom Apotheker zu stark abgegebene 
Karbollösung konnte zerstreut werden durch eine genaue Titration 
der gebrauchten Lösung, die eine Konzentratlou von 1,7 Proc. 
ergab. 

Zieht man in Betracht, dass beide Brüder sonstiger körper¬ 
licher Mängel entbehrten, dann liegt, so scherzhaft es auch klingen 
mag, der Gedanke an eine „familiäre Idiosynkrasie gegen Karbol¬ 
säure“ sehr nahe. 

Für ärztliche Kreise ist die üble Begleiterscheinung der Kar¬ 
bolumschläge wohl eine allbekannte Thatsache, ein überwundener 
Standpunkt, und es werden durch die vielen bisher veröffent¬ 
lichten Fälle von Karbolgangraen die Herren Kollegen und 
früheren Anhänger der Karbolumschläge wohl vor deren An¬ 
wendung genügend gewarnt sein; aber leider ist in Laienkreisen 
immer noch der Glaube an die unfehlbar wirkende Heilkraft 


dieses fast in jeder Familie zu findenden Allheilmittels zu tief 
und festgewurzelt, und wird auch wohl nicht eher zerstört werden, 
bis endlich das Verbot der Abgabe auch des offic. 3 proc. Karbol¬ 
wassers im Handverkauf von maassgebender Stelle eingeführt 
werden wird. Dass dieser Forderung bisher noch so wenig Gehör 
geschenkt wurde, ist allerdings sehr bedauerlich und kaum zu 
verstehen. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Jahrbuch der praktischen Medicin. Kritischer Jahres¬ 
bericht für die Fortbildung der praktischen Aerzte. Heraus¬ 
gegeben von Dr. J. Schwalbe in Berlin. Jahrgang 1901. 
Stuttgart, Verlag von E. Enke, 1901. Preis 10 M. 

Das bekannte Werk, das hiemit in seinem 23. Jahrgange 
erscheint, prnsentirt sich innerlich und üusserlich in wesentlich 
veränderter Gestalt. Nicht nur, dass e6 in e i n e m geschlossenen 
Bande von 560 Seiten, nicht mehr in einzelnen Heften vorliegt 
und der Preis eine wesentliche Reduktion erfahren hat, was für 
seine Verbreitung in den Kreisen der praktischen Aerzte auch 
ein Moment von einiger Bedeutung werden dürfte, ist in die Zahl 
seiner Mitarbeiter eine Anzahl neuer hervorragender Autoren 
eingetreten, welche im Verein mit den früheren die vollste Garan¬ 
tie bieten, dass der Herausgeber die von ihm angestrebten Ver¬ 
änderungen im Inhalte seines so verdienstvollen Ueberaichts- 
werkes auch in bester Weise wird durchführen können. Die ein¬ 
zelnen Aufsätze sind nicht mehr wie früher in loser Form ein¬ 
fach referirt, sondern jeder Abschnitt ist von seinem Bearbeiter 
zu einem in sich abgerundeten und zu einem zusammenhängen¬ 
den Ganzen verschmolzenen Sammelreferat gestaltet, die Re- 
ferirung weniger wichtiger Arbeiten ist unterlassen, so dass dem 
Leser dieser unnütze Ballast zu lesen erspart bleibt, auch alle rein 
theoretischen Arbeiten sind ausgeschieden worden, so dass in 
knappster Form dem nachschlagenden Arzte ein Bild des im 
Laufe des Jahres geschehenen Fortschrittes entgegentritt. Die 
Eintheilung des gesammten Stoffes ist umgestaltet. In der jetzt 
geschaffenen Form ist das S c h w a 1 b e’sche Jahrbuch ein ganz 
ausgezeichnetes Fortbildungsmittel für jeden Arzt, der sich über 
den Weitergang seiner Wissenschaft unterrichten will. Es ver¬ 
dient die vom Herausgeber erhoffte weitere Verbreitung im her¬ 
vorragenden Maasse. Grassmann - München. 

Ad. Schmidt und J. Strasburger: Die Faeces des 
Menschen im normalen und krankhaften Zustande mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der klinischen Untersuchungs¬ 
methoden. Berlin 1901, Verlag von August Hirschwald. 

1. und 2. Abschnitt: Die makroskopische und mikroskopische 
Untersuchung der Faeces, von Prof. Ad. Schmidt. 

Nach einigen Bemerkungen über die allgemeine Zusammen¬ 
setzung der Faeces und Methodik der Untersuchung, aus der 
die von beiden Autoren angegebene „P r o b e d i ä t“ hervorzu¬ 
heben ist, bespricht Schmidt ausführlich die makro¬ 
skopische, darauf die mikroskopische Unter¬ 
suchung der Faeces. Er verfolgt dabei die Absicht, 
einmal das gesammte auf diesem Gebiete zur Zeit existirende 
wissenschaftliche Material als Unterlage für die weitere 
Forschung zusammenzustellen, zugleich aber eine den Be¬ 
dürfnissen des Praktikers entsprechende Dia¬ 
gnostik zu schaffen, soweit dies heute möglich ist. Diesem 
doppelten Zwecke kommt die sehr übersichtliche Anordnung des 
Stoffs zu Gute, indem bei jedem Punkt schlieeslich die diagnosti¬ 
schen Gesichtspunkte im Zusammenhang abgehandelt werden. 

Und gerade in dem bisher von keiner anderen Seite in 
solchem Maasse durchgeführten Versuch einer diagnostischen 
Vorwerthung der gemachten Befunde ist wohl die hauptsäch¬ 
lichste Bedeutung der S c h m i d t’schen Monographie zu er¬ 
blicken. Die der Diagnostik gewidmeten Abhandlungen zeigen 
zwar von Neuem, wie lückenhaft unser Wissen auch heute noch 
ist, sie lassen aber doch die nicht unwesentlichen Fortschritte 
erkennen, die gerade die letzten Jahre und nicht zum Wenigsten 
die Arbeiten S c h m i d t’s selbst und seiner Schüler gebracht 
haben. 

Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht möglich, es ge¬ 
nüge hervorzuheben die Bedeutung der Ausscheidung von 
Muskel - und Bindegewebsresten, der verschiedenen 


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1294 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 32. 


Formen der Fettausscheidung, die Kritik der ein¬ 
zelnen Arten des Schleims, die manche ältere An¬ 
gaben beseitigen dürfte. 

Welche Fülle von Material in dem 1. Hefte der Schmidt- 
StrasburgerVehcn Koprologie enthalten ist, zeigt, schon ein 
flüchtiger Vergleich mit dem Kapitel „Faeces“ unserer Lehr¬ 
bücher. 

So dürfen wir den folgenden Heften mit Interesse entgegen¬ 
sehen. Schütz- Wiesbaden. 

Dr. med. Johann K a 1 a b i n - Moskau: Beiträge zur Frage 
über die Behandlung der entzündlichen Erkrankungen der Ge¬ 
bärmutteradnexe mit dem galvanischen und dem faradischen 
Strome. Jena 1901. Verlag von Gustav Fischer. 

Der Verfasser schreibt über die Verwendung der Elektriei- 
tiit bei der Behandlung der verschiedenen Entzündungsformen 
der Gebärmutter und deren Adnexe, deren erste Fälle von den 
amerikanischen Aerzten M u n d e, Martin u. A. veröffentlicht 
wurden. 

Der wohlthätige Einfluss des galvanischen Stromes sei durch 
dessen chemische Wirkung zu erklären. 

Munde wendet Elektricität seit 1875 an und behandelt alle 
Fälle von Entzündung der Gebärmutter und Adnexe galvanisch, 
ehe er zur Laparotomie schreitet. Bei Eierstockentzündungen 
heilen äussere, abloukcnde Mittel nach Mund e’s Beobachtungen 
niemals, während die elektrische Behandlung vortreffliche Wir¬ 
kung erzielt. 

An der Hand eines überraschend reich zusammenge.-ieilten 
Auszuges der einschlägigen Literatur, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung von A p o s t o 1 i's Beobachtungen, weist der Verfasser 
an 410 Fällen, welche fast- das gesummte Gebiet der weiblichen 
Genitalerkrankungen umfassen, die im Grossen und Ganzen 
vorzüglicho Wirkung der elektrischen Behandlung nach. Nur bei 
Pyosalpinx räth er von derselben entschieden ab. Hier sind in 
24 Fällen 5 Verschlimmerungen und 1 Todesfall eingetreten, 
wesshalb hier unbedingt operirt werden müsse. Der Autor kommt 
dann ausführlich zu den Resultaten der von ihm angewandten 
Elektrotherapie, mit welcher er sich seit 1886 beschäftigt. Die 
von ihm angeführten Fälle sind seiner Privatpraxis von 1886 bis 
1898 entnommen. 

Salpingitis und Salpingo-Oophoritis behandelte er mit dem 
konstanten Strom nach Apostoli, wobei er der vagino-abdomi- 
nalen Galvanisation (30 MA) den Vorzug gab. Diese Verwendung 
stärkerer Ströme, sowie die intrauterine Galvanisation ver¬ 
anlasst« oft Zunahme von Schmerzen, wesshalb er diese» Ver¬ 
fahren ganz aufgegeben hat. Als vaginale Sondenelektrode be¬ 
nutzt er die modiflzirte Sondenelektrode Apostoli’s, deren 
Modell im Jahr«' 1886 nach seinen Angaben von der Firma 
R a »umow & Schiller in Moskau angefertigt wurde. Die 
Sonde wird vor der Anwendung mit hygroskopischer Watte um¬ 
wickelt und mit dcstillirtem Wasser befeuchtet. Man führt diese 
Elektrode in das der kranken Tube entsprechende Gewölbe ein. 
Sind beide Tuben angegriffen, so wird die Sonde in der einen 
Sitzung in das rechte, in der folgenden, in das linke Gewölbe ge¬ 
setzt. Die Sitzungsdauer schwankt zwischen 7 und 15 Minuten. 

Als Bauehelektrodo benutzte er Apostoli’s Lehmelektrode. 
Die Sitzungen wurden einen Tag um den anderen vorgenommen 
uiid die Zahl derselben beträgt 15—30, doch wurde vollständiges 
Schwinden der Geschwulst, nach diesen Sitzungen nicht be¬ 
obachtet. 

Zur Galvanisation l>enutzt Verfasser die portative Batterie 
von S p a m e r und den Galvanometer von G a i f f e. 

Der wnhlthiitigo Einfluss dos konstanten Stromes beruht 
nach Verfasser auf 1. der Kontraktion der Tubenwände sowie 
Effusion ihres Inhaltes in das (’avum Uteri und die Vagina, 

2. auf elektrolytischer und 3. auf bactericider Wirkung. 

Die chronischen Entzündungen behandelt Verfasser mit dem 
faradischen Strom (portativer Apparat von Taube). 

Eine genaue Analyse der einzelnen Fälle würde zu weit 
führen, dieselben sind in den Seiten 178 bis 215 enthalten. 

Aus den Fällen, welche der Verfasser selbst behandelte, 
kommt es zu folgenden Schlüssen. 

1. Die Behandlung von Salpingitis und Salpingo-Oophoritis 
mit «lern konstanten Strome führt zur völligen oder fast völligen 
Heilung. 


2. Pyosalpinx erfordert einen chirurgischen Eingriff. 

3. Die Blutungen bei Salpingo-Oophoritis hören bei der vagi¬ 
nalen Galvanisation (Stromstärke 39 MA) auf. Aufhören der 
Blutung hängt von der Kauterisirung der inneren Oberfläche 
dev Gebärmutter nicht ab. 

4. Salpingitis und Salpingo-Oophoritis von Fibromyoraen 
der Gebärmutter oder des breiten Bandes begleitet, sollten 
besser der elektrischen Behandlung nicht unterworfen werden. 

5. In vielen Fällen von Oophoritis (mehr als dio Hälfte der 
zusammengestellten) kann die Anwendung des galvanischen oder 
des faradischen Stromes zur völligen Heilung führen. 

6. Die Anwendung des konstanten Stromes zur Heilung von 

Salpingitis et. Salpingo-Oophoritis blennorrhoiea führt in vielen 
Fällen zu einem Erfolge (11 von 42 in den Tabellen zusammen- 
gestellten Fällen). l)r. Gustav W i e n e r - München. 

Neueste Journalliteratur. 

Archiv für klinische Chirurgie. C3. Bd., 4. Heft. Berlin, 
!1 irsuh wald, 1901. 

29) Kukula: Untersuchungen über Autointoxicationen bei 
Darmocclusionen. «Böhmische chirurgische Klinik Prag.) 

J)ie Experimente Iv.'s dienten zur Klärung der Frage, oh die 
bei Ileus zu beobachtenden Allgcmeiiierscheinungeu, das sogeu. 
Finkleinnnmgst.vphoid. durch Autoiutoxicatloii hervorgerufen 
seien. Der theils vou Menschen mit Ileus, thells von Tlilercn mit 
künstlich erzeugtem Dannversohhiss gewonnene Darmluhnlt 
wurde keimfrei gemacht und verschiedenen Thiercn subkutan, 
iutravnsculiir oder intraperitoneal ein verleibt. Dadurch konnten 
constant Vergiftungssyinptome hervorgerufen werden, die den 
l>ei Menschen mit Ileus auftretenden IntoxJcationserscheinungen 
glichen. K. entscheidet demnach die Anfangs gestellte Frage in 
bejahendem Sinne. 

Als der beste Weg zur Gewinnung der toxischen Substanz* n 
erwies sieh die Alkoholextraction, doch war eine genauere Prä- 
cisirung derselben unmöglich; K. ist geneigt, den Darmgaseu. 
dem Schwefelwasserstoff und Methylineivaptan eine bedeutende 
Bolle zuzuschreiben. 

301 H. I. orenz; Unsere Erfolge bei der Badikalbehand- 
lung bösartiger Mastdarmgeschwülste. <1. chirurgische l'ui- 
versitütsklinik Wien.) 

Ausführlicher Bericht über 1ÖX seit ISST operirte Fälle. L. 
berechnet lt> Proc. Dnuerhoilungeii. Genaueres muss im Original 
nachgesehen, werdi n. 

31) B e e 1 y - Berlin: Zur Stumpfbildung bei Amputationen 
und Exarticulationen der oberen Extremitäten. 

Beschreibung eines Falles von intrauteriner Kxartlculation 
der Hand. Der Arm des jetzt 17 jährig« n Mannes endigte in 
einen rüsselförudgeu Weichtheilfortsatz. der nach allen Seiten b- 
weglieh war und sich durch seine hervorragende Gebrauchsfähig¬ 
keit auszeichnete. Die Sehnen der sehr gut entwickelten Vorder 
arnnniiskeln setzten sicli ln der Haut des Biissels au und ermög¬ 
lichten so dessen gute Beweglichkeit. 

32» Bork: Beitrag zur Kenntniss der Nierenkapsel¬ 
geschwülste. (Gynäkol. Abtliellung des Krankenhauses der 
Elisa bet hinerinnen in Breslau.» 

Beschreibung von 2 eigenen, glücklich op.-rirten Fällen und 
Zusammenstellung der Literatur. B. fasst seine Ausführungen 
folgendennnsKcn zusammen: Die Nicrenknpselgeschwdlste sind 
entweder Idpomo bezw. Flbrollponn* «xl«*r Myxtdipome. seltener 
Sarkome. Die Lipome sind gutartig»*, die Sarkome selbstreden»! 
bösartige Neubildungen, die Myxolipoine stehen auf der Grenz«*. 
Die Niere ist. in allen Fällen von Nicreukapselgeschwillston als 
gesund befunden worden. Die Exstirpation der Geschwulst lässt 
sich meistens mit Erhaltung des harnhildenden Organs bewerk¬ 
stelligen. 

34) Arthur E. Barker- London: Zur Frage der Patellarnaht. 

B. näht prinelpiell alle frischen Fülle in »len ersten Stunden 
nach der Verletzung. Durch Einstich in der Mitte des Ligani. 
patellae wird zuerst der Bluterguss entleert, «hum mittels einer 
besonderen Nadel ein Mctnlldraht. um die Enden beider Bruch¬ 
stücke liermngeführt und geknotet, so dass die Bruchstücke in 
einer Drnhtschllnge ruhen. Möglichst bald wird mit Bewegungen 
begonnen. Der Draht soll nach 3 - 4 Monaten entfernt werden. 
B. hat bisher 21 Fälle mit sehr gutem Uesultat operirt. 

35» M. S o h m 1 d t - Cuxhaven: Ueber Hyperemesis lacten- 
tium, ihr Verhältniss zur „congenitalen hypertrophischen 
Pylorusstenose“ bezw. zum Pylorospasmus und ihre chirurgische 
Heilbarkeit durch Ueberdehnung des Pylorus. 

Ein Fall von ..unstillbarem Biiiiglingsei-brechen** konnte durch 
Dehnung des Pylorus vom Magen aus zur Heilung gebracht 
werden. Soli, sicht «larin »len Bew»*is. dass die von Pfaundler 
vertreten«* Ansicht richtig ist. «lass nämlich eine eongenital«* 
Pylorusliypertrophie nicht exist irt. somh-rn in den publieirten 
Füllen nur vorg«*tüuscht wurde durcli einen Spasmus der Bing 
inuscuhitur dos Pylorus. die d«*n In-kannten Kraiupfziistünden der 
Kurdin, «les Afters u. s. w. analog ist. Gegen interne Behand¬ 
lung renitent«* Fälle von Hypemm»sis laetentium. die chirurgische 
Intervention erfordern, sind (wenigstens zunächst) mit l>lH*r- 
«lehuuitg d«*s Pylorus. nicht mit Gastroenterostomie zu behandeln. 
Die Dehnung darf nicht unbegrenzt übertrieben wenlen und hat 


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6. August 1901. MTJEN CHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1293 


<lie normalen Pylorusdurchmesse rgrössen für die verschiedenen 
Silugllngsalterestufen zu berücksichtigen. 

33) Payr: Weitere Mittheilungen über die blutige Re¬ 
position veralteter Hüftgelenksverrenkungen bei Erwachsenen. 
(Chirurgische Klinik Graz.) 

30) Derselbe: Ueber conservative Operationen am Hoden 
und Hebenhoden. (Sectionsschnitt des Hodens bei akuter 
Orchitis). 

37) v. B r u n s - Tübingen: Ueber die Endresultate der Castra¬ 
tion bei Hodentuberkulose. 

38) Baumgarten -Tübingen: Ueber experimentelle Uro¬ 
genitaltuberkulose. 

Die Referate über vorstehende Arbeiten finden sich in dem 
Bericht über den 30. Chirurgencongress No. 16—19 dieser Wochen¬ 
schrift. ^--- H e i n e k e - Leipzig. 

Centralblatt für Chirurgie. No. 29 u. 30. 

No. 29. C. Hofmann: Die Beleuchtung und Besichtigung 
der Speiseröhre mittels Oesophagoskops von der Kardia aus, 
retrograde Oesophagoskopie. 

Mittheilung eines Falles von ira Anschluss an einen ver¬ 
schluckten Nagel aufgetretener Striktur, wegen der behufs retro¬ 
grader Erweiterung eine Magenflstel in der Direction auf die 
Kardia zu angebracht worden war. Mit dem Oesophagoskop liess 
sich von oben aus der Rand einer narbig granulireuden Stelle 
sehen und führte H. desshalb das Oesophagoskop von der Magen¬ 
flstel durch die Kardia in den Oesophagus. Bei dem gleichzeitigen 
Vorschieben einer Sonde vom Munde aus konnte diese als eint 
oberhalb der narbigen Stelle eine divertikelartige Ausstülpung vor¬ 
wölbend und in ihr stecken bleibend leicht festgestellt werden 
und erscheint solch’ comblnirte Untersuchung geeignet, in der¬ 
artigen zweifelhaften Fällen Aufschluss zu geben. Diese retrograde 
Oesophagoskopie lässt sich in all’ den Fällen ausführen, in denen 
eine Castrostomose so wie so gemacht werden muss, vor Allem 
auch dann, wenn letztere als Voroperation vorausgeschickt wird 
(W 11 z e 1, H e 1 f e r i c h). 

No. 30. B. G o 1 d b e r g - Wildlingen: Cystoskopische Er¬ 
fahrungen. 

G. thellt kurz seine Erfahrungen mit dem Cystoskop mit. Bei 
keinem seiner 21 FäUe von Blasengeschwülsten war die Cysto- 
skopie unmöglich, manche Blasengeschwülste sind nur cysto- 
skopisch diagnosticirbar, bei den meisten hiedurch Ausbreitung. 
Form etc., kurz das Detail zu erkennen, das ohne Cystoskop ver¬ 
schleiert bliebe; fast stets wird die cystoskopische Untersuchung 
Vorbedingung operativen Eingreifens darstellen. Bei Blaseu- 
steinen ist nur in ca. der Hälfte der Fälle die Cystoskople erforder¬ 
lich; mit den tastenden und greifenden Instrumenten sind die 
Blasensteine fast stets zu erkennen, zur Vermeidung von Miss¬ 
griffen bei Steinen in Geschwulstblasen und bei inkrustirten Ge¬ 
schwülsten (Fälle, die 10 Proc. des von G. beobachteten Materials 
ausmachen) Ist die Cystoskople geboten. Bei Tuberkulose ist die 
grosse Gefahr event Infektion durch das Cystoskop zu berück¬ 
sichtigen. Von 55 Fällen von Tuberkulose bedurften nur 7 der 
Cystoskople. G. empfiehlt, in Blasen, die schon bei geringer Ein¬ 
spritzung sich contrahiren, vor der Einführung des Cystoskops 
50 ccm einer 5 proc. Antipyrinlösung zu bringen und 10—20 Min. 
zu belassen, da man weder durch Cocain, noch durch Allgemein¬ 
narkose eine solche Unempfindlichkeit der Blase für Ausdehnung 
herbeiführen kann. Vor Anzünden des Lichtes soll man sich durch 
entsprechende schonende Schiebungen und Drehungen über die 
longitudinalen, transversalen und sagittalen Durchmesser orien- 
tiren. Bel zur Infektion disponlrenden Zuständen (akuten Reten¬ 
tionen, Haematurien, Tumoren, Tuberkulosen) soll man eine In¬ 
jektion von i/j—1:1000 Lapislösung nachfolgen lassen. Sehr. 

Jahrbuch für Kinderheilkunde. 54. Bd. Heft 1. 

1) Ernst Schiff: Heuere Beiträge zur Haematologie der 
Heugeborenen. (Aus der geburtshilfl. Klinik in Grosswardeiu.) 

Untersuchungen über das speciflsche Gewicht des Blutes der 
Neugeborenen, die zu dem Schluss führen, dass dasselbe im Laufe 
der ersten 10 Lebenstage gleichmässig lm Ganzen um 0,010 ab¬ 
nimmt. Diese Abnahme hängt mit der durch die Vorgänge bei der 
Geburt hervorgerufenen abnormen Steigerung des specifischen 
Blutgewichtes am ersten Lebenstag zusammen. (Schluss folgt 
hn 2. Heft) 

2) v. E h 11 n g e r: Zur Kasuistik der Haemophilie im 
8äuglingsalter. 

Ein Fall von tödtlicher Blutung aus dem rechten Conjunctival- 
sack bei einem dreiwöchentlichen Kinde. 

Im Anschluss an die Wiedergabe seiner Beobachtung erörtert 
Verfasser noch 68 Fälle aus der russischen Literatur. 

3) Kllmmer: Genügt unsere Milchkontrole und wie ist 
dieselbe durchzuführen, um den nothwendigsten Ansprüchen 
der Hygiene Rechnung zu tragen f 

Wiederholung dessen, was mit Recht als Ideal immer wieder 
gefordert wird, um zu einer gesunden, möglichst tadellosen Kuh¬ 
milch zu gelangen. Theorie und Praxis werden allerdings auf 
diesem so viel erörterten Gebiete nie ganz übereinstimmen. 
(K o c h’s aufsehenerregende Mittheilung auf dem Londoner Tu- 
berknlosecongress wird die Producenten von Säuglings- etc. Milch 
nicht gerade für die Forderungen K 11 m m e Fs einnehmen.) 

4) Jan Raczynski: Ueber Tuberkulose bei Kindern. 
Häufigkeit und Verbreitung der Tuberkulose bei Kindern. Be¬ 
merkungen über ihre Diagnose. 


Angaben Uber die Häufigkeit der Tuberkulose bei den in der 
Krakauer Universitäts-Kinderklinik behandelten Kindern, gefolgt 
von der Erörterung der diagnostischen Schwierigkeiten. Ver¬ 
wendung von künstlichem Serum statt des Tuberkulins (H u t i n e 1 
und S i r o t) ist ganz unzuverlässig zu diagnostischen Zwecken, 
ebenso die Untersuchung des Blutes auf Bacillen. 

Literaturbericht. Bepsrechungen. 

S 1 e g e r t - Strassburg. 

Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. Bd. II, 

Heft 3. 

Freudenthal - New-York: Ueber einige neuere Bestre¬ 
bungen in der Phthisiotherapie. 

Es ist nicht richtig. Lungenkranke nur oder vorwiegend mit 
Liegekur zu behandeln. In den Liegehallen, wo die Kranken dicht, 
gedrängt zusammenliegen, entsteht schlechte Luft. Aber auch 
abgesehen davon empfiehlt sich allzulange Liegekur nicht, da die 
dadurch erzeugte „Inaktivitilt“ der Kranken diesen uicht dienlich 
ist. „Wir dürfen nicht vergessen, dass durch rationelle Arbeit 
in guter gesunder Luft, wovon ich späterhin sprechen werde, der 
Appetit sieh wesentlich vermehrt und dadurch ein tonisirender 
Effekt erzielt wird, der allen Funktionen des menschlichen Körpers 
zu Gute kommt. Wir verlieren Eiweiss durch die Arbeit, aber 
wir gewinnen mehr durch die vermehrte Nahrungsaufnahme des 
Patienten.“ Mancher Kranke wird durch zu langes Liegen geradezu 
geschädigt. Dies gilt für reiche Leute, die nicht wissen, was 
Arbeit und Hunger ist, aber auch für Anne, Stubenhocker, Bureau¬ 
schreiber u. dergl. Besonders aber ist zu beachten, dass die Tuber¬ 
kulose eine tropho-neurotlsche Erkrankung ist, und „ein tropho- 
neurotischer Patient muss nicht nur wohl genährt werden, sondern 
er will auch beschäftigt sein“. 

F. verbreitet sich dann über diese ebenso wichtige, wie schwie¬ 
rige Frage, bei deren Behandlung wir von der neueren Nerven- 
therapie (G r o h m a n n) sehr viel lernen können. Dass die 
Kranken gegen Lohn arbeiten sollen, dass sie zur finanziellen 
Unterhaltung des Sanatoriums beitragen sollen, sind Punkte, denen 
die Heilstättenärzte nicht zustimmen, sicher dagegen dem Wunsche 
F.’s, dass der Berufswechsel einmal aus der Sphäre der Phraseo¬ 
logie in die der Thatsachen umgesetzt wird, damit nicht bei Hun¬ 
derten durch Rückkehr in die schlechten Berufs- oder häuslichen 
Verhältnisse der Erfolg wieder eingerissen wird. Glückliches 
Amerika, in dem es, wie F. sagt, möglich zu sein scheint, eine 
Freiluft-Kolonie Lungenkranker zu gründen. Auf amerikanische 
Verhältnisse bezieht sich auch der Rest des Aufsatzes. 

(Ich möchte dagegen protestiren, dass F. ohne Einschränkung 
von einer „forcirten Ruhekur“ spricht, „wie sie heutzutage üblich 
ist“; da ich selbst in meiner Heilanstalt ebenso wie eine Reihe 
anderer Heilstättenärzte die Liegekur keineswegs forcire, sondern 
im Gegentheil auf angepasste nach dem Ende zu aUmählich sich 
steigernde Beschäftigung der Kranken den grössten Werth lege. 
Ich darf schon jetzt auf mein zur Hamburger Versammlung der 
Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte zu gebendes Re¬ 
ferat über diese Frage hinweisen.) 

In derselben Nummer wird Uber den Aufsatz von Larseu 
referirt: Bemerkninger om behandlingen af lunge- 
tuberculose. (Norsk Magazin for Laegevideuskaben. 1900. 
No. 12.) Es heisst da: „Die beste Atheragymnastik sei geregelter 
Gang ln frischer Luft und es sei zu wünschen, dass neben dem 
„Ruhebett“ auch die „dicksohligen Stiefel“ wieder In ihre Rechte 
eingesetzt würden.“ 

Duhourcau - Cauterets: A. propos de la zomotherapie. 

In diesem kurzen Diseurs empfiehlt Verfasser die An¬ 
wendung rohen Fleischsaftes. 

Ad. C z e r n y - Breslau: Ein Vorschlag zur Abgrenzung des 
Begriffes „Skrophulose“. I 

„Ich halte es weder für nothwendig noch für ein leichtes 
Unternehmen, den alten Ausdruck Skrophulose aus der klinischen 
Nomenklatur zu entfernen, halte es aber für dringend erforderlich, 
dass wir uns darüber einigen, was wir unter diesem Ausdrucke 
zusammenfassen. Ich schlage desshalb vor. alle pathologischen 
Zustände, welche entweder durch bacteriologische oder histologische 
Untersuchungen als tuberkulöse erkannt sind, Tuberkulose und 
nicht mehr Skrophulose zu nennen.“ „Ich bezeichne als Skrophu¬ 
lose eine Konstitutionsanomalie, welche sich aus einer Reihe be¬ 
stimmter Krankheitssymptome an Kindern vorläufig nur klinisch 
— nicht pathologisch-anatomisch — diagnostiziren lässt, und welche 
darum besondere Bedeutung beansprucht, weil solche Individuen 
sehr leicht tuberkulösen Infektionen anheim fallen.“ Wirkliche 
Skrophulose wird nach dieser Scheidung meist bei Säuglingen be¬ 
obachtet. Sie tritt auf als Milchschorf, meist bei fetten Kindern, 
als Prurigo, beide oft von sekundären Kratzinfektionen begleitet; 
ferner als starke Behaarung zwischen den Schulterblättern, an 
den Ellenbogen und an den Oberschenkeln, sowie als abnorm 
lange ClUen, sodann als Phlyktaenen und als Landkartenzunge, 
als circuläre Carles der Zähne, als Hyperplasie der lymphoiden 
Gewebe, als wiederholte Erkrankungen der Luftwege, endlich als 
allgemeine Blässe der Hautdecken. Natürlich kommen diese For¬ 
men nicht alle gleichzeitig vor. Bemerkenswerth ist deiL gegen 
Coxnet gerichtete Schluss, dass nach dem gegenwärtigen Staude 
der Forschungen auf dem Gebiete der Immunität und Disposition 
wir in der Lage sind, auch die Disposition für Skrophulose in einer 
Alteration der chemischen Zusammensetzung des kindlichen Orga¬ 
nismus zu suchen. „Von chemischen Untersuchungen sind die 
nächsten Fortschritte in der Erkenntniss des Wesens der Skrophu¬ 
lose zu erwarten, und nicht die histologische und pathologisch- 


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MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


nuntoiuis«-lic, sondern die chemische rntersuchung ist «Irr Wc;. 
auf welchem wir Vordringen müssen, um der Lösung der schwie¬ 
rigen Frage von der Disposition näher zu kommen.” 

Alfred v. Sokolowski - Warschau : Statistisches, be¬ 
treffend gewisse Momente, welche zur Lungentuberkulose ver¬ 
anlagen (Vererbung, Brustfellentzündung, Missbrauch von 
Alkoholgetränken, Syphilis). 

Die Vererbung, die zur Grundlage eine Keilie von verschieden¬ 
artigen organischen Fehlern hat. die von Alters her von vielen 
Autoren für solche Krankheltsfaktoren angesehen werden, die die 
Entstehung der Lungentuberkulose und ganz besonders ihre here¬ 
ditäre Form bewirken, kommt in rund 25 Proe. der Fälle vor 
und bewirkt dann einen schleunigen und schweren Verlauf der 
lv rankheit. 

Brustfellentzündung ist nicht immer tuberkulöser Herkunft, 1 
ist aber, ln 3 Proc. der Fälle vorkoinmend, als mit zur Tuberkulose 
dlsponirend zu betrachten. Ebenso erhöht Alkoholmissbrauch di»* 
Disposition. Er wird bei armen (Hospital-)Kranken bei 30 Proe., 
bei reichen Leuten bei 0.84 Proc. beobachtet (V lief.). Ebenso dls- 
pouirt Syphilis zur Tuberkulose. 

A. N a u in a n n - Bad Reinerz: Beitrag zu Lungenblutungen. 

Nach Ausschaltung aller mit Klappenfehlern, Ilaemophilie und 
Arteriosklerose behafteten Kranken konnte N. die Beobachtung 
W o 1 f f’s und W e i c k e r's nicht bestätigen, dass vornehmlich 
grosse Patienten von Blutungen befallen würden. 

Julian M a rc u 8 e - Mannheim: Die Entwicklung der Lehre 
von der Lungenschwindsucht vom Alterthum bis zur Neuzeit. 

Ausführlicher historischer Artikel. 

E 1 k a n - Blankenfelde (bei Berlin): Was ist rationeller für 
die Schwindsuchtsbekämpfung, Anstaltspflege oder offener 
Kurort P 

Eine Frage, die wohl längst zu Gunsten der Heilanstalten be¬ 
antwortet ist. 

A. Haentjeus, Direktor der Heilstätte Putten in Holland: 

Die Bewegung für geschlossene Heilstätten für Tuberkulose 
in Holland. 

M. W a s se rm a n n - Meran: Der Kampf gegen die Tuber¬ 
kulose in Oesterreich. 

Markl-Wien: Statistischer Bericht über die Sammel¬ 
forschung, betreffend die Erkrankungen an Tuberkulose im 
Mftnnschaftsatande des k. und k. Heeres in den Jahren 1895, 
1808 und 1897. 

A. Hartmann - Basel : Ueber Körpergewichts Verände¬ 
rungen erholungsbedürftiger Kinder in der Baseler Kinder- 
'heilstätte Langenbruck. 

Liebe- Waldhof Elgershausen. 
Archiv für Hygiene. 40. Bd. 4 Heft. 1 DO 1. 

1) A. Strose her-Leipzig: Konservirung und Keimzahlen 
des Hackfleisches. 

Verf. hat verschiedene im Handel befindliche Konservesalzt*, 
in denen Borsäure, schwefelige Säure und Chlor- 
uatrium enthalten ist, in ihrer Wirkung auf gehaektes 
Fleisch unterzogen, den Bacteriengehalt bestimmt und anderer¬ 
seits auch eigene Versuche mit schwefligsaurem Salz und Hack¬ 
fleisch augestellt. 

Es lässt sich sagen, dass die Konservesalze wohl zu¬ 
nächst günstig wirken auf die Farbe des Fleisches, viel¬ 
leicht auch, wie cs von anderer Seite ebenfalls bereits konstatirl 
wurde, im Anfang eine sehr geringe bacterieuhemmonde Kraft 
äussern, dass sie aber die Entwickelung und Ver¬ 
mehrung der im Fleische vorhandenen Keime 
nicht vollständig hindern können. 

Der ungeheure Keimgehalt des Fleisches, der sieh im Mittel 
ln einem Gramm auf 18 559 000 Keime beläuft, kann durch 
saubere Manipulation auf weniger als 1000 000 herabgedrückt 
werden. 

Da hierauf die Konservesalze keinen Einfluss haben und die 
Schwefligsäure enthaltenden Salze ausserdem noch 
schädlich wirken, so sollten sie verboten werden. 

2) W. B roh nie:. Ueber die Widerstandsfähigkeit der 
Choleravibrionen und Typhusbacillen gegen niedere Tempera¬ 
turen. 

Die zu untersuchenden Kulturen wurden als Bouillon- 
kulturen in einer Mischung von Eis und Schnee ge¬ 
halten. Es zeigte sich, dass die Cholera nach 57 Tagen 
bei —16 0 noch lebend nachgewieseu wurde. Trotz 40 maligem 
Gefrieren und Wiederaufthauen waren doch einzelne Exemplare 
noch am Leben. Die Typhusbacterieu verhielten sich aller 
noch resistenter. Sie lebten noch nach einem fortdauernden Froste 
von 140 Tagen. Nach 40 maligem Aufthnuen und wieder Zuge¬ 
frieren Hessen sie sieh ebenfalls noch weiter züchten. 

3) Büchner, Fuchs und M e g e 1 e - München: Wir¬ 
kungen von Methyl-, Aethyl- und Propylalkohol auf den 
arteriellen Blutstrom bei äusserer Anwendung. 

Die sehr interessanten Untersuchungen, die. um eine ganze 
Reihe Fragen zu beantworten, in mannigfacher Weise angestellt 
wurden, ergaben, dass die Alkohole, besonders die höheren 
Alkohole bei Applikation auf die Haut als Reizmittel 
wirken, aber nicht die Haut durchdringen. Dieser Reiz erklärt 
sieh durch die wasserentzieh ende Kraft und die Ge¬ 
rinn u n g s w irkuug des Alkohols. 

Der Effekt der Reizung besteht in einer lokalen Erweiterung 
der Blutgefässe, besonders der arteriellen und ist abhängig 
von der Konzentration des Alkohols. 


In dieser cheiniseh-physiknlischeu Wirkung weicht der Alkoli.il 
ganz erhelilieh ab von der innerlichen Wirkung. Die Gift¬ 
wirkung des A 1 k o li o 1 m o 1 e k ii 1 s bleibt bei der 
ilnsserllchen Anwendung ganz ausser Betracht. 
Bringt man beim Menschen am Unterarm einen Alkoholver¬ 
band an, so beobachtet mau eine Drucksteigerung in der 
ltadialis, die beim gewöhnlichen feuchtwarmen Verband aus¬ 
bleibt. 

Mit der Drucksteigerung steigt die zugeführte Blutmenge und 
damit wird eine erhöhte Zufuhr von bacter leiden Ale¬ 
xinen herbeigeführt, welche auf die tiefer liegenden Iufektions- 
processe einwirken können. 

-1) A. H e g e 1 e r - München: Einfluss der chemischen Es- 
action auf die bactericide Serumwirkung. 

Aktives Knniuchensenun wird ln seiner bactericide» 
Leistungsfälligkeit gegenüber Typhusbacterieu sowohl durch kleine 
Dosen Alkali wie Säur e nicht nachweisbar verändert. Wenn 
jedoch die saure Reaktion deutlich sichtbar wird, so geht 
die bactericide Wirkung des Serums vollständig verloren. 

Inaktives Serum verhält sich insofern anders, als bc- 
j reit« kleinste Zusätze von Natriumkarbonat genügen, um 
eine direkt hemmende Wirkung auf die Vermehrung von Typhr.s- 
baeterien auszuüben. 

5) lt. Trommsdorff - München: Können von lebenden 
Leukocyten Alezine secernirt werden? 

Verf. prüfte die von Laschtschouko gemachten Beob¬ 
achtungen, dass man mit einem fremdartigen Serum im Staude 
sei, aus den Kauiuelienleukoeyteu Alexine auszuschetdeu, nach, um 
alsdann noch den einen fraglichen Punkt, oli solche extrahirfc 
j Leukocyten noch am Leben seien, festzustelleu. 

Er bediente sieh des Hunde-, Pferde-, Kinder- 
j serums. Im Wesentlichen vermochte er die Versuche Lasch¬ 
te c h e u k o’s zu bestätigen und konnte auch nachweisen, dass 
thatsächlich die Leukocyten noch am Leben waren. 

Daraus seiiliesst Verf., dass die lebenden Leukocyten die bae- 
tericiden Substanzen abgeben und mit grösster Wahrscheinlichkeit 
als die Produzeute n d e r A lexine bezeichnet werden 
können. R. O. Neumann - Kiel. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. Heft 1. 1901. 

1) K. Jassnlger - Ofen-Pest: Der Pneumococcus Fried¬ 
länder als Erreger der eitrigen Meningitis cerebrospinalis. 

Der F r i e d 1 ä n d e r’s e he Organismus wurde in typi¬ 
scher Weise sowohl aus dem Eiter im Ausstrichpriiparat als auch 
durch die Kultur bei diesem Fall von CerebrospinnUneniugitis 
nachgewieseu. Für Mäuse waren die Reinkulturen pathogen. 

Verfasser nimmt an. dass der Ausgangspunkt für die Menin¬ 
gitis eine Infektion der Keilbeluhöhle gewesen sei. 

Der Name Pneumococcus sollte für den Fraenkel’ 
sehen Streptococcus lanceolatus reservirt bleiben, 
nicht aber auch für das typische Stilbche u, deu Fried- 
1 ii n d e r'schen Organismus benutzt werden. Ref. 

2) G. Joch mann: Zur Aetiologie des Keuchhustens. Er¬ 
widerung auf die von Dr. Karl Spengler in No. 18 dieser 
Zeitschrift publizirten Bemerkungen. 

3) J. de Haan und G. G r i j n s - Woltevrcden: Eine neue 
endoparasitäre Acaride. 

Im Gegensatz zu der Annahme, dass Acariden nicht als 
Endoparasiten Vorkommen, konnten die Verfasser bei der Sektion 
eines Affen (Cyuoeepbalus) zeigen, dass ln dessen Lungen der¬ 
artige Milben nebst ihren Larven aufzufinden waren. 

Es waren Thierehen von 0,7 bis 0.8 nun Länge, die in einer 
Höhle, welche mit einer Kapsel aus fibrillärem und elastischem 
Bindegewebe bestand, eingebettet waren. 

In Folge ihrer Lebensweise sind einzelne Organe verkümmert. 

Bei der Bestimmung wurde diese Milbe als eine verwandte 
Art der Thlere erkannt, welche in den Luftwegen der Seehunde 
leben. Sie lieisst Pueumonyssus »lmicola. 

4) Marx: Zu der Mittheilung „Ueber Sporenfärbung“ von 
Alex. Klein. 

Marx erkennt das Prioritätsrecht Klei n’s in dieser 
Frage au. R. O. Neumann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. i90i. No HO 

1) F. M a r 11 u s - Rostock: Das Vererbungsproblem in der 
Pathologie. (Schluss folgt.) 

2) E. Mendel: Zur Lehre von der Schwefelkohlenstoff¬ 
vergiftung. 

('fr. Referat png. 866 der Münch, med. Worhensehv. 1901. 

3) F. M e y e r - Berlin: Ueber chronische Pentosurie. 

Bezüglich derselben ergaben die bisherigen Beobachtungen. 

dass sie vom Diabetes mellitus vollständig zu trennen ist. aber 
selbständig neben (lein letzteren verkommen kann. Es sind bisher 
nur 4 Fälle von reiner Pentosurie veröffentlicht, welchen Verf. 
einen 5. anfiigeu kann. Der Kranke, den die Mittheilung des 
Verf. betrifft, war ein 39 jähriger, neurastheniseber, stark ftbge- 
magerter Kaufmann, bei dem übrigens eine grosse* Toleranz für 
Kohlehydrate bestand, indem die Pentosurie durch reichliche Zu¬ 
fuhr von Kohlehydraten sich nicht steigern Hess. Der Nachweis 
erfolgte durch die sogen. Orcinprolie. Ihre Vornahme ist h» 
Original näher angeführt. 

4) E. H o e n n i e k e - Sonnenstelu i. S.: Die Häufigkeit des 
Herpes zoster. 


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6. Au gus t 1901._ MtTENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1297 


Au der M. Joseph'schen Poliklinik in Berlin wurden während 
, RH Zostererkrankunpen beobachtet. Durch den Ver¬ 

gleich mit anderen Zusammenstellungen kommt Verf. zu folgenden 
uesultnten; Die Häufigkeit der Zostererkrankung entspricht un¬ 
gefähr 1 Proc. der Hautkrankheiten; am meisten kommt Zoster 
vor zwischen 15—30. Jahre, im Alter ist Zoster eine Seltenheit. 
An neu einzelnen Körperregiouen ist die Zostereruption um so 
häufiger, je mehr Nervenstiimme die Region hat; eine Ausnahme 
macht das Trigemiuusgebiet durch auffiUlig starke Betheiligung. 
da eben dieser Nerveubezirk besonders vielen Schädlichkeiten aus- 
gesetzt ist. Die beiden Körperliälften werden ziemlich gleich- 
iniissig oft befallen; Zoster bilateralis ist selten. Als Berufskrank¬ 
heit erscheint der Herpes zoster bei Aerztcn und Pflegepersonal, 
.me l’radisposition anderer Berufe ist bisher nicht zu eruireu. Der 
sporadische Zoster ist über das ganze Jahr ziemlich gleichmässig 
vertheilt; die Zeit der Zosterepidemien fällt auf Frühjahr und 
Herbst. 

5) P. Fe h re - Berlin: Beitrag zur Lehre über die Tabes 
bei den Weibern. 

Verfasser bringt eine eingehende Besprechung von 47 Fällen 
von Tabes bei Weibern und analvsirt hauptsächlich die actio- 
logischen Verhältnisse an denselben. Er kommt im Wesentlichen 
zu folgenden Schlussfolgerungen. Im Allgemeinen sind für die 
Tabes bei Frauen die nämlichen aetiologischen Momente und zwar 
in annähernd demselben Umfange geltend, wie bei den Männern 
I uter allen Umständen spielt die Syphilis in der Aetiologle der 
Tabes bei den Weibern eine eminente Rolle, sei es als unmittel¬ 
bare Ursache, sei es als depotenzirendes Moment. Puerperale 
Zustände bei den tabischen Frauen scheinen den Zustand ver¬ 
schlimmern zu können. Mit der Zunahme der Svphilis und der 
wirthscliaftlichen Betätigung der Frau scheint sie jetzt häufiger 
1abisch zu erkranken. G r a s s m a u n - München. 

Deutsche medieiuische Wochenschrift. 1901. No. 30. 

1) Wilhelm Ebstein - Güttingen: Die Untersuchung des 
Mastdarms von aussen und deren therapeutische Verwendung. 

E. weist darauf hin, dass das Rectum, wenn es durch Kotli- 
massen einigermaasseu stark ausgedehnt ist, sehr leicht durch die 
bedeckenden Weiehtlieile von aussen palpirt werden kann. Man 
fühlt dasselbe in der Huken Seite der Gesiissspalte als einen reich 
lieh daumendicken Wulst, welcher, lateralwärts von der Steiss- 
lsdnspitze beginnend, sich bis zum Anus erstreckt. Therapeutisch 
lässt sich diese Beobachtung in zweierlei Weise verwenden. Ein¬ 
mal zur mechanischen Entleerung des im Rectum stagnirenden 
Da i n. Inhaltes mittels Streichen und Drücken von oben nach uuteu, 
eine Manipulation, die ebenso einfach und sauber, als reizlos 
ist. von den Patienten selbst mit Leichtigkeit ausgeführt und in 
hartnäckigen Fällen eventuell durch ein vorausgehendes Oel- 
klysma unterstützt weren kann, ln zweiter Linie kann aber auch 
durch systematische Massage dieses unteren Rectumabsehnittos 
eine Kräftigung der Darmmusculatur erzielt werden. 

2) Friedrich Vö 1 ck e r-Heldelberg: Das Wesen der Schüller- 
schen Krebsparasiten. 

In dieser ans der Czern y’sohen Klinik stammenden Arbeit 
wird in höchst prosaischer Weise der Nimbus des S c li U 11 e r’schen 
Krebsparasiten zerstört, indem V. die von Schüller be¬ 
schriebenen Kapselformen als einfache Korkzellen erklärt, welche 
aus dem zur Herstellung des Präparates verwendeten und durch 
den Pfropfen verunreinigten Oele stammen. 

3) Sigmund Pförringer - Breslau: Bimsteinalkoholseife in 
fester Form als Desinflciens für Haut und Hände. 

Diese Bimsteinalkoholseife ist entstanden durch eine Com- 
hination des einerseits dem V o 11 b r e c h t’sclien Seifenspiritus in 
fester Form und der Schleie h’sclieu Marmorstaubseife, bezw. 
der S iinge r’schen Sandseife andererseits zu Grunde liegenden 
Princips und scheint nach den vorliegenden lmcteriologischen 
Prüfungsresultaten ihrem Zweck vollauf zu entsprechen, Indem 
sie namentlich für den Land- und Feldarzt ein gutes und ver¬ 
lässiges Desinflciens, bequem ln Anwendung und Transport, bildet. 

4i ü Illen hu tli- Greifswald: Weitere Mittheilungen über 
die praktische Anwendung meiner forensischen Methode zum 
Nachweis von Menschen- und Thierblut. 

Nachprüfungen forensischer Fälle, welche den praktischen 
Werth der Methode vollauf bestätigen, nebst, einigen Mittheilungen 
über die Gewinnung hochwertiger Sera und die speoilisehe Wir¬ 
kung derselben. Zum Schlüsse erwähnt U. noch, dass das Serum 
»4nes Menschenblutkaninchens auch im menschlichen Sperma und 
in citerhaltigem Sputum (von Tuberkulösen) Trübung hervorruft, 
so dass die Reaktion für menschliches Elweiss spocifisch ist. 

5) K u rth - Bremen: Ueber typhusähnliche, durch einen 
bisher nicht beschriebenen Bacillus (Bacillus bremensis febris 
gastricae) bedingte Erkrankungen. (Schluss folgt.) 

<i) A. Hlppi us-Moskau: Ein Apparat zum Pasteurisiren 
der Milch im Hause. (Schluss aus No. 29.) 

Der von II. construirte Apparat, auf dessen Beschreibung hier 
nicht näher eingegangen werden kann, ist eine Modifikation des 
Soxhletappamtes und liefert durch eine zweistündliche Pasteuri- 
sirung (60—70° C.V mit nachfolgender fractionirter Pasteurislrun"- 
liei Therinophortemperatur (50—60° U.) eine Milch, welche 
weder im Geschmack, noch im Nährworth und in der Verdau 
lichkeit ln irgend einer Weise geschädigt ist. 

7» Hoppe-Köln: Ueber multiple Gesichts- und Binde- 
bautblutungen. 

Während die wenigen, bisher in der Literatur beschriebene» 
Fälle von multipler Gesichts- und Bimlehnulhlutung die Folge¬ 


erscheinung schwerer Traumen waren, bildete In dem von H. be¬ 
obachteten Falle forcirtes Erbrechen (aus Furcht vor Pilzvergif¬ 
tung) die Ursache der Haemorrhagie. Unter Umständen könnte 
also dieser Zustand auch vorsätzlich erzeugt werden und ist dem 
nach der Nachweis eines stattgehabten Traumas (im Sinuc des 
Unfallgesetzes) durch das Vorhandensein dieser subkutanen Bltil- 
austritte nicht ohne Weiteres gegeben. 

S) M. B ö h m - Friedrichroda: Mittheilungen über eine fami¬ 
liäre Kupfervergiftung. 

Interessante Mittheilung aus der ärztlichen Praxis. Eine 
Grünspauvergiftmig und zwar nicht in Folge von zersetzten 
Nahrungsmitteln, sondern direkte Metallvergiftung mit Kumu¬ 
lativ Wirkung bei einer Familie von 4 Personen. 

F. L a c li c r - München. 

Correspondenzblatt flir Schweizer Aerzte. 3l.Jahrg. No. 14. 

R. S 11 e r 11 n - Winterthur: Ueber Darmocclusion. Kasusti¬ 
sches und Kritisches. (Schluss.) 

An der Hand von 14 lehrreichen Krankengeschichten zeigt 
Verf.. dass die schlechten statistischen Erfolge bei Darmocclusion 
bedingt sind vor Allem durch perakute Fälle, durch maligne Tu¬ 
moren mit mehrfacher Stenoseubildung, durch Darmlähmuug. 
durch komplizirte Verwachsungen (Ileus postoperativus; hier kann 
manchmal Enteroanastomose retten), besonders oft aber durch zu 
späte chirurgische Behaudlung, die tlieilweise aus ungenügender 
Diagnose der Art der Occlusion folgt, endlich durch die Gefahren 
der Narkose, welche durch Schleie li'sehe Anaesthesie zu er¬ 
setzen Ist. 

1. Gallensteinileus; in einem Fall umfasste ein Strang einen 
Thell der Oberfläche des Kolon von hinten her, wodurch wiederholt 
bei Dannstöningen (Blähuug) eine Verengerung, schliesslich in 
akutem Verlauf ein völliger Verschluss eiutrat; in einem anderen 
Falle konnte eine fast nichts mehr entleerende Colostomieflstel 
nicht geschlossen gehalten werden, da sofort (durch Bin hungern 
die Darmpassage unterbrochen wurde. 

H il b e r 11 n - Zürich: Ueber den Dammschutz. 

„Mit der linken Hand halte Ich während der Wehe den Kopf 
zurück und dehne in der Wehenpause die vorderen Weiehtlieile 
und schiebe sie nach hinten. Mit der rechten Hand verhindere ich 
die übermässige Ausdehnung des Dammes, indem ich zangenförmig 
die hintere Hälfte der Vulva umgreife, dehne den Saum in der 
Wehenpause durch Zurückziehen über den Kopf, halte während 
der Wehe den Kopf zurück und dränge Ihn ln der Wehenpause 
nach vorne durch Einwirkung des Druckes hinter dem grössten 
Schädelumfang.“ 

11 ü r 11 m a n n - Unteraegerl: Beitrag zur Therapie des 
Keuchhustens. 

Verf. tritt für hygienische Behandlung (reichliche Ernährung, 
viel Schlaf, Reinlichkeit, freie Luft) und vorsichtige Wickelbehaud- 
lung ein. Verschleppung der Krankheit durch Dritte ist nicht so 
selten. 

A. Schoenemann - Bern: Entprechen die jetzt gebräuch¬ 
lichen Aethermasken den Grundprincipien der Hygiene P 

Verf. wendet sich gegen die gebräuchlichen Aethermasken, 
welche einen Gasaustausch mit der äusseren Luft, kaum zulassen, 
und empfiehlt seine schon 1893 beschriebene Aetherperspirations- 
maske aus Glas, mit Respirationslöchern und einem mit Gaze zu 
überziehenden Einsatz von Drahtgeflecht. P i s c li i u g e r. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 30. 1) J. Donat h und K. Landsteluer- Wien: 

Ueber antilytische Sera. 

Die Verfasser untersuchten die Beziehungen zwischen den 
wirksamen bacteriolytischen uud haemolytischen Stoffen des Blutes 
und den Zellen desselben Thferes, indem sie durch Injektion ver¬ 
schiedener Zellarten Sera erzeugten, die ebenso wirkten wie auti 
lytische Sera. So entstand durch Injektion von gewaschenen 
Hundeblutkörporehen bei Kaninchen ein Serum, welches die bac- 
tericide und haemolytischo Wirkung von normalem Ilundeserum 
in hohem Grade beeinträchtigte; Serum von Menschenmilch bei 
Kaninchen erzeugte ein Serum, welches lu intensiver Weise die 
Lösung von Bacterien und Blutkörperchen durch Menschenserum 
hemmte. Achnliclies gelang durch Injektion von Lymphdriisen- 
brei. Durch die augewemlete Art der Untersuchung konnten ver¬ 
wandte Stoflfanordmingen ln den Zellen einerseits, in dem Serum 
andererseits aufgefunden werden, die für die betreffende Thier- 
speeies bis zu einem gewissen Grade specifisch sind. 

2) E. R. v. Karajan- Wien: Drei Beiträge zur Pathologie 
des Ductus omphalomesentericus und des Meckel’schen Diver¬ 
tikels. 

Bol dom ersten der mitgethciltcn Fälle, einen 20 jährigen 
Studenten betreffend, wurde eine Wurnifortsatzaffektion und all¬ 
gemeine Peritonitis angenommen; es fand sich aber ein persistenter 
Ductus o.-m.. der am Nabelende obliterirt war und sich entzündet 
hatte; ferner bestand eine Koinpressionsstenose »les Dickdarms 
durch einen Strang. Es erfolgte Heilung. Im zweiten Falle fand 
sich bei der Operation des 38 jährigen Patienten ein Mee köl¬ 
sches Divertikel, das atn IMekdarmgekröse angewachsen war und 
innere Ineareerafinn verursacht hatte. Die Situation ist. ohne die 
dem Original lieigegebcm* Zeichnung schwer verständlich. liier 
erfolgte tödtlielii r Ars gang, im dritten Falle fand sich h<‘i der 
Kndiknicpcrntinn einer rechtsseitigen Leistenhernie ein im Brrn-Ii 


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1298 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


sack festgewachsenes Dlvertic. Meckel. Letzteres wurde abge¬ 
tragen und es trat Heilung ein. 

3) O. C li 1 a r 1 - Wien: Die Krankheit des k. und k. Hof- 
schauspielers Fritz Krastel. 

Die Mittheilung der Krankengeschichte ergibt, dass eine 
typische croupöse Pneumonie des rechten Uuterlappens zunächst 
vorlag, die Lösung sich verzögerte und immer wieder neue Ent¬ 
zündungsherde auftraten: später wurden Influenzabacilleu Im 
Sputum gefünden. Die Pneumonie ging schliesslich in die Bil¬ 
dung kleiner Abscesse mit Induration in der Umgebung aus. 
Fatient wurde geheilt. Grassmann - München. 

Belgische Literatur. 

van Cauipenhout und Dryepondt - Brüssel: Ueber 
Haemoglobinurie. (Journal medical de Bruxelles, 29. Juni 1901.) 

Die Verff. haben mehrere Jahre im Cougo-Freistaat gewohnt 
und haben viele Fülle von Fieber mit Haemoglobinurie beobachtet. 
Sehr genau geben sie die klinischen Wahrnehmungen wieder, 
und untersuchen ganz besonders die Frage, ob die Haemoglobinurie 
mit der Malaria in Zusammenhang stehe, oder ob sie wirklich, wie 
K o c h selbst geglaubt hat, von einer Chininvergiftung t>ei einem 
Malariakranken verursacht sei. Die Verf. haben beobachtet, dass eine 
Abkühlung der Luft, wie das in gewissen Gegenden häutig vor- 
kornrat, nicht selten dem Anfall von Blutharn vorangeht. In 
mehreren Fällen wären Plasmodien im Blute vorhanden, in anderen 
Fällen jedoch nicht Chinin ist nicht die Ursache des Anfalls, 
wenn es in miissigen Gaben verabreicht worden ist. Während des 
Anfalls, bei Kranken mit Plasmodien, war der Gebrauch dieses 
Mittels gewöhnlich nützlich. Wenn man sich aber erinnert, auf welch’ 
unsinnige Weise Chinin von den Europäern gewöhnlich gebraucht 
wird, muss man doch zugeben, dass diese Substanz öfters eine 
Art chronischer Vergiftung erzeugt. Dass bei solchen Individuen 
ein Anfall von Haemoglobinurie leicht elntritt, wird Niemand 
leugnen. 

Die Verfasser ziehen aus ihren Beobachtungen folgende 
Schlüsse: Wenn das Blut des Kranken keine Plasmodien enthält, 
darf während des Anfalls von Blutharn kein Cliiuiu verabreicht 
werden. Die Haemoglobinurie ist keine selbständige Krankheit, 
sie ist nur ein S.vmptomenkomplex, der durch mehrere Ursachen 
bedingt^ werden kann, z. B. eine abnorm grosse Chiniugabe bei 
einem geschwächten oder besonders empfindlichen Patienten, eine 
Abkühlung, Syphilis u. s. w. 

M. C. Schuyten: Ueber die Veränderungen der Muskel¬ 
kraft bei Kindern während der Schuljahre. (Paedologisch Jaar- 
boek, Antwerpen, de Nederlandsche boekhandel, 1901.) 

Verfasser hat genaue und zahlreiche dynamometrische Prü¬ 
fungen an Kindern der Stadtschulen unternommen. Die Kinder 
hatten Alle genau dasselbe Alter, die Messungen (4845) wurden 
unter genau vergleichbaren Umständen unternommen. Es stellte 
sich heraus, dass die mittlere Arbeitskraft bei allen Kindern 
regelmässig sinkt in den Monaten Januar, Februar, März, steigt 
im April, Mal, Juni, stark sinkt Im Juli, August, September (die 
Experimente sind in der Ferienzeit spärlich) und steigt im Ok¬ 
tober. November, Dezember. Die psychische Kraft folgt denselben 
Regeln nicht. 

D a n d o i s - Löwen: Spätere und langdauernde Beschwerden 
nach Cocainisation der Medulla. (Journal de Chirurgie, 1901, 
No. 4.) 

Bei einem kachektischen Kranken wurde eine Cocalnein- 
spritzung nach Bier vorgenommen. Die Operation (eine Urethro- 
tomie) gelang vollständig; der Kranke hatte keine besonderen 
Symptome bis am 9. Tage: da entstand eine vollständige Paraplegie 
der beiden unteren Extremitäten, zu gleicher Zeit mit einem 
starken Erregungszustand, Delirium und maniakalischen Erschei¬ 
nungen. Es bestand kein Fieber. Allmählich besserte sieh der 
Zustand, und nach einem Monat war Alles wieder normal. Verf. 
glaubt, dass die Cocaineinspritzung als die alleinige Ursache dieses 
Anfalles anzusehen sei. 

Lauwers - Kortryk: Die Gefahren von Morphiumeinspritz¬ 
ungen nach der Chloroformnarkose. (Journal de Chirurgie, März- 
April 1901.) 

L. hatte einen Kranken unter Chloroformnarkose operirt; die 
Carotis externa rechts war gebunden, und ein Polyp aus dem 
Pharynx entfernt worden. Nach der Operation war der Kranke 
sehr unruhig und es wurde ihm 1 cg Morphium eingespritzt. 
Eine halbe Stunde später Koma. Athemstillstand. L. machte in 
der Eile eine Tracheotomie und es gelang Ihm, durch lokale 
Beizung der Trachenlschleimliaut, die Athembewegungen wieder 
zu erwecken. 

L. F o q u e t: Ist Alkohol ein BlutgiftP (Journal medical de 
Bruxelles.) 

Allgemein ist die Ansicht verbreitet, Alkohol sei ein Blutgift. 
Sie beruht auf einigen groben Wahrnehmungen, welche nicht ent¬ 
fernt den physiologischen Bedingungen entsprechen. Im Organis¬ 
mus nämlich dringt das Gift langsam durch den Dann ein; es 
wird allmählich verbrannt, und grosse Mengen sind im Blute nie¬ 
mals vorhanden; ein Excess au Alkohol übt beim Thier eine 
schädigende Wirkung aus. Diese Verhältnisse werden beim 
Menschen niemals verwirklicht Verfasser hat das Blut mehrerer 
Kranken aus der psychiatrischen Klinik untersucht, bei welchen 
Alkoholmissbrauch die aetiologisohe Ursache der Geisteskrankheit 
war. In keinem dieser Fälle, selbst kurz nach der Aufnahme, 
konnte ein abnormer Zustand des Blutes nachgewiesen werden. 

L. D e k e y s e r: Ein besonderer Fall von Syringomyelie, 
wahrscheinlich syphilitischen Ursprungs. (Journal medical 
de Bruxelles, 1901, No. 13.) 


No. 32. 


Der Kranke hatte die zwei ersten Perioden der Lues vor 
3 Jahren durchgemacht. Nach dieser Zelt fühlte er starke bren¬ 
nende Schmerzen an der grossen Zehe des rechten Fusses; die 
Zehe entzündete sich und bildete rund um ihre Wurzel eine eiterige 
ringförmige Wunde. Am ganzen Fuss bestand Oedem, und es 
öffneten sich mehrere Fisteln. Eine chirurgische Behandlung (der 
Schnitt war ganz schmerzfrei) brachte nach verhältnlssmässlg 
kurzer Zeit Heilung. Bald darnach entwickelte sich derselbe Zu¬ 
stand am anderen Fuss. Die Sensibilität ist vollständig auf¬ 
gehoben auf der unteren Seite der Zehen beiderseits; es besteht 
auch eine weniger ausgedehnte Analgesie. Beide Füsse sind iu 
allen ihren Theilen für Wärme vollständig unempfindlich. Die 
Röntgenbilder zeigen Veränderungen, welche bloss mit Miss¬ 
bildungen verglichen werden dürfen, wie sie in Fällen von Lepra 
und Syringomyelie (Maladie de Morvan der Franzosen) Vorkommen. 
Lepra ist nusgeschlossen. Der Verf., welcher sehr eingehend die 
Literatur bespricht, glaubt, dass er mit einem Fall von Syringo¬ 
myelie zu thun gehabt habe. Die Höhlenbildung in der Medulln 
soll hier von einem syphilitischen Process bedingt worden sein. 
Die Syringomyelie ist also weniger eine besondere Krankheit, als 
ein von verschiedenen Ursachen bedingter Symptomenkomplex. 

V. Scheuer und R. Wybauw: Spa; passä, präsent, 
avenir. (Brüssel 1901.) 

In diesem Buch, dessen II. Theil im Journal mödical de 
Bruxelles, 4. April erschien, legt Dr. Scheuer in Form 
eines offenen Briefes an seinen Freund und Nachfolger seine An¬ 
schauungsweise über die Anwendung der Elsenwässer nieder. 
Seine langjährige Praxis in diesem Badeorte hat ihn überzeugt, 
dass die Bleichsucht nicht bloss unter den gewöhnlichen klassischen 
Zügen besteht, sondern auch ln weniger ausgesprochener Form 
(Fonnes frustes) auftritt. Viele Neuralgien, viele sogen, rheuma¬ 
tische Schmerzen weichen nach einer ernst durchgemachten Elsen¬ 
kur. Die Anaemie hat sehr oft als erste Folge eine allgemeine 
Erschlaffung der glatten und gestreiften Muskelfasern, daher die so 
häufigen Dilatationen am Magen, am Blinddarm, am Herzen u. s. w. 
Diese Erscheinungen bat Verf. bei einem Fall von akuter Chlorose 
(nach einem Schrecken) so schnell eintreten sehen, dass er sie mehr 
vom Nervensystem, als von einer primären Ernährungsstörung aus¬ 
gehend ansieht. 

W. schlhjsst sich der Ansicht von v. Noorden an: Die 
Bleichsucht sei bedingt durch eine Unfähigkeit der blutbildenden 
Organe, ihre Funktion auszuüben. Die ganze Elsentherapie hat 
also keinen anderen Zweck, als einen genügenden Reiz auf die 
blutbildenden Zellen wirken zu lassen. Andere Faktoren wirken 
im selben Sinne: die Hydrotherapie (Douchen) und die Stahlbäder. 
Verf. erklärt die Wirkung dieser verschiedenen Proceduren auf 
Blut und Nervensystem für identisch, bloss verschieden in dem 
ersten Eindruck, den sie auf den Patienten ausüben. Dieses be¬ 
weist er auf Grund seiner Beobachtungen und Sphygmogramme. 

E. I m p e n s : Lösliche Verbindungen des Theobromin. 
(Arch. intern, de pharmacodynamie, 1901.) 

Die Untersuchungen des Verfassers haben folgende Resultate 
ergeben: Das Theobromin hat unter allen xanthischen Substanzen 
den grössten Werth als Diureticum; die Verbindung von salicyl- 
saurera oder benzoesaurem Natron hat keinen nützlichen Effekt. 
Natrontheobromin wirkt caustlsch. Diese Wirkung wird beseitigt, 
indem man Theobromin mit essigsaurem Natron verbindet (Agurin). 
Diese Substanz hat gar keine Nebenwirkung auf Herz, Gefässe 
und Nervensystem, sie wirkt schwach diuretisch. Der diuretlsche 
Effekt dieser Verbindung wurde durch klinische Untersuchungeu 
ln Brüssel bestätigt. In Oblaten oder in Tabletten wird die Sub¬ 
stanz ohne Beschwerden leicht vertragen. 

R. Wybauw- Bad Spa. 


Vereins- und Congressberichte. 

Der Tuberkulose-Congress in London. 

Von Dr. J. Meyer, Vol.-Arzt der II. med. Universitätsklinik 

in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

I)or „British Congress on Tuberculosis for the prevention 
of Consumption“, welcher vom 22.—26. Juli in London tagte, 
hat in Folge der von Robert Koch aufge6tellten Behauptungen, 
betreffend die Nichtidentität des menschlichen Tuberkelbacillus 
n.it demjenigen des Rindes, eine ungewöhnliche Bedeutung er¬ 
langt. Es soll desshalb zuerst in diesem Referat ein Auszug des 
K o c h’schen Vort rages und daran anschliessend der beiden 
anderen öffentlichen Vorträge (Brouardel, McFadyean) 
gegeben werden, in einem zweiten Artikel folgen die besonders 
interessanten Discussionen, welche in den einzelnen Sektionen 
des Congresses über grössere Themata (Klima, Sanatorien, 
Tuberkulin) abgehalten worden sind. 


I. Robert Koch: Die Bekämpfung der Tuberkulose imv/ 
Lichte der Erfahrung, welche bei der Bekämpfung anderer 
Infektionskrankheiten gemacht worden ist. 

Erst seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus kann mau sich 
von der Natur der Tuberkulose eine klare Vorstellung machen 
und versuchen, in erfolgreicher Weise gegen diese Volksseuchc 
vorzugehen. Dabei darf man allerdings nicht iu den Fehler ver- 


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6. August 3901. 


1290 


MUENCHEXER MEDIZINISCHE WOCH EX Seil RI FT. 


fallen, zu glauben, duss alle Seuchen gewissermaassen nach 
einem Schema zu bekämpfen sind, die neueste Zeit hat gelehrt, 
dass man gegt n jede Seuche individuell Vorgehen muss, und zwar 
sind die M nassreg«: ln abhängig von der Aetiologie der betreffen¬ 
den Krankheit. Als Beispiele für diesen Satz führt Koch die 
Maas«regeln an, welche zur Zeit gegen Beulenpest, Cholera, Toll- 
wuth und Lepta ergriffen werden. Kr macht besonders darauf 
aufmerksam, dass auf (»rund eine.*» neuem (iesetzes in Norwegen 
nur die schwersten Fälle von Ix*pra isolirt werden. 

. Will man ul.-o erfolgreich gegen die Tuberkulose als Volks* 
krankheit Vorgehen, so muss man sich vor Allem klar werden, auf 
welchem Wege der Mensch sieh mit Tuberkulös«* infizirt. 

Die Infektion betrifft in der grössten Zahl der Fälle die 
Lungen und geschieht auf dem Wege der Einathmung. Schwind¬ 
süchtige werfen einen ait Tuberkelbacillcn sehr reichen Auswurl 
nus. dieser wird entweder unmittelbar, in feinste Tröpfchen ver¬ 
theilt, von anderen Menschen eingeathmet oder mischt sich dem 
Staube bei, trocknet ein und gelangt so staubförmig in di»' 
Lungen. 

Die Erblichkeit spielt in der Aetiologie der Tuberkulös«* nur 
eine ganz geringe Rollo und, obwohl der thatsiiehlicho Beweis 
geliefert ist, «lass eine Lebertragbarkeit. de» Keimes von den 
Elt« ru auf das Kind möglich ist, so ist dieser Fall doch ausser¬ 
ordentlich st lten und kann bezüglich der Ergreifung praktischer 
Maassregeln völlig ausser Acht gelassen werden. 

Als dritte Möglichkeit dt»r Infektion mit Tuberkelbaeillen 
hat man bisher die Uebertragung der Rintlertuberkulose auf den 
Menschen angesehen. Koch glaubt durch seine zusammen mit 
Schütz- Berlin unternommenen Thierversuclie nachgewiesen 
zu haben, dass eine Identität des Tubcrkelbacillu» dos Menschen 
mit demjenigen des Rindviehes nicht besteht. Koch hat eine 
Reihe von Versuchen gemacht, welche zeigen, dass der Tuberkel- 
ba**illus d»*s Menschen nicht auf Rindvieh und Schweine über¬ 
tragbar ist. 

Neunzehn Stück junges Rindvieh, bei welchen durch vor¬ 
herige Tuberkulininjektion die völlige Gesundheit nnchgewu-scn 
word» n war, wurden mit menschlichen Tuberkelbacillcn infizirt, 
welche theils aus Reinkulturen stammten, theils im Auswurf von 
Schwindsüchtigen suspendirt waren. Die Infektion geschah ent¬ 
weder in <1 «t Weise, dass man den Thieren Sputum zu fressen 
gab oder dass man theils subkutan, theils intraperitoneal, theils 
in «lie Jugularvene Bacillenmaterial einspritzte. Keines di«*s«*r 
Thier«* erkrankte, und lK*i der nach 6—8 Monaten gemacht«*» 
Sektion zeigte es sieh, dass die Thicre keine Spur von tuberku¬ 
löser Veränderung innerer Organe hatten, nur an den Einstich- 
steilen fanden sieh einige, kleine, Tuberkelbacillcn enthaltende 
Eiterherde, wie man dies aueh beobachtet, wenn man abgvtü»ltet<* 
Kulturen injizirt. Machte man «len Kontrolversuch, indem mau 
dem Rindvieh Bacillen der Rindertuberkulos«; injieirte o«l«*r das- 
selbe auf irgend einem aml«*rcn Wege mit Rindertuberkulos«* in¬ 
fizirt«*, so erkrankten die Thiere bald unter hohem Fieber, mager¬ 
ten stark ab und starben zum Theil. Bei «Um IJeberlcbemlen 
wur«le nach 3 Monaten die Sektion vorgenommen, welche starke 
tuberkulöse Veränderungen d«*r inneren Organe ergab; speciell 
zeigte es sieh, «lass, wenn* man Bacillen der Rindertuberkulose 
in «lie Bauchhöhle injicirt hatte, die für Rindertuberkulose so 
charakteristischen Veränderungen an Bauchfell und Netz «um¬ 
standen waren. 

K och fütterte 6 Schweine mit Auswurf von schwindsüchti¬ 
gen Menschen, bei 6 anderen Schweinen mischte er dem Futt»*r 
Bacillen der Rindertuberkulos«' bei. Die ersten 6 Schweine 
blieben gesun«l, bei ihrer Sektion fanden sieh keine tuberkuhösen 
Veränderungen, ausgenommen „hier und da einige kleine Knoten 
in «len Nackenlymphdrüscn und in einem Fall einige Knoten in 
den Lungen“. 

Die mit Rindertuberkulose gefütterten Thiere zeigten 
sämmtlieh schwere tuberkulös«* Veränderungen an ihren Lungen. 

Aehnliehe Versuche wurden mit gleichem Erfolge an Eseln, 
(iä nsen und Schafen vorgenommen. 

Aus den Ergebnissen dieser Versuche scheint hervorzugehen, 
dass die menschliche Tuberkulose nicht auf das Rind etc. über¬ 
tragbar ist. 

Wie verhält cs sich nun mit der Uebertragbarkeit der Rinder- 
tubtrkulose auf den Menschen? Hier lassen sich naturgemäs» ! 
keine Experimente in vivo machen, man muss daher versuchen. 


der Lösung «liescr Frage mittelbar näher zu kommen. Die in 
Gmssstädten getmssene Milch um! Butter enthält, wie jetzt fc.-.t- 
steht, grösst* Mengen von Tuberkelbacillcn, es müssen daher nach 
Aufnahme dieser Nährmittel «*in grosser Theil «ler Mens«*hen an 
primärer Darmtuberkulose erkrank»n. Diese Krankheit ist aber, 
wie eine grosse Zahl von Statistiken b »weist, ausserordentlich 
selten, und man kann sich sehr leicht vorstellen, dass die ab und 
zu auftretend«»!! Fälle von Darmtuberkulose durch »len mensch¬ 
lichen Tubcrkelhncillus hervorgerufen wer»len, welcher auf irg»*n»l 
eine Weise in «len Mund und von dort mit dem Speichel ver¬ 
mischt in «l«»n Darm gelangt ist. 

..I e h m ö c li t t* d a h e r »1 i e. B «* «1 e u t u n g <1 «* r In¬ 
fektion mit Milch, Butter und F 1 «* i s c h tuber¬ 
kulösen Viehes nicht für priissor prncliten, als 
d i e j e n i g e <1 e r Vererbung «1 «• r Kr a n k h eit, u n »1 
i e h halt e «* s «1 a h e r n i <* h t f ii r r ii t h 1 i e h. g e g e n d i «* 
Rindertuberkulose irgend welche Mauas r e g «* 1 n 
zu ergreifen (I tho.reforc «lo not «1 e e m a «1 v i s a b 1 «• 
t o t a k o an y m «• asurcs a g a i n s t i t).“ 

.I)cr einzige wesentliche Infektionsweg bleibt daher die In¬ 
halation d«*s Auswurfes von Schwindsüchtigen in die Lungen 
Wenn es an und für sich einfach erscheint, sieh gegen die Ver- 
streuung d»*s Auswurf es in der Weis»* zu schützen, «lass »lie 
Sehwimlsüchtigcn ungehalten werden, ihren Auswurf in ge¬ 
eigneter Weise unschädlich zu machen, v > ist die Durchführung 
dieser Aufgabe genuin in den niederen Klnssmi, welche von «ler 
Schwindsucht ganz besonders ergriffen sind, besonders in Folg«* 
der mangelhaften hygi«*nischen Wohnungsverlniltiiisse. in Folge 
des dichten Zusammenl«*bens der P»*rs«men eine ausserord«*ntlioh 
schwierig«*. Eine wesentliche Manssreg« 1 im Kampfe gegen die 
Tuberkulose als Volkskrankheit ist daher die* Besserung «ler 
\Volinuiigsv»*rhiiltnisse, «lie Einführung wohiiungshygii*iiis«*h»'r 
Muassregeln. 

Weiterhin sollte man für «lie an vorgerückter Schwindsucht 
leidend«»!! Patienten, welche für ilm* Mitim*useh<*n in Folg«* Au»- 
streuciis ihres Auswurfes eine grosse (Jefahr bieten, hcsomlere 
Hospitäler bauen, und so lange «lies ni«*ht angängig ist, besonder«* 
Abtheilungen in den schon bestehenden Krankenhäusern für die¬ 
selben abzweigi»!!. 

Anzeigepflicht ist für diejenigen Fälle von Lung«*n«chwiiHl- 
sueht, welche in Folge ihrer socialen Lage «lie nothweiidig(*n Vor- 
siehtsmaassregeln nicht ausführen können, «“iH'iifalls erfonlerlieh. 
Aueh soll, wenn ein Sehwindsüehtig«».r g«*storhen ist. die Des¬ 
infektion tles von ihm bewohnte» Raum«»» vorg«*nommeii wenlen. 
ln «ler Ausführung all«»r <li«»ser Maassreg<*ln hat die St mit N«*w- 
York unter «l«»r Leitung von B i g g s ein g«»rad«*zu mustergiltiges 
Beispiel gegelien. 

Was die Lling«*nh«*ilstätten betrifft, so stellt sieh Koch 
dieser Bewegung keineswegs entgegen, warnt aber vor Leber- 
sehätzung ihrer Bedeutuiig, da immerhin nur ein g«*ring«*r Brueli- 
thcil von Tuberkulösen in Heilstätten bchnn«l«*lt werdt»n kann. 

Koch ist «ler Ucbcrzcugung, «lass bei Durchführung aller 
obengenannten prophylaktischen Maassrcgeln uml bei Aus¬ 
nutzung «ler auf anderen Gebieten gewonnenen Erfahrung ein 
zielbewusster Kampf gegen die Tuberkulose zum Siege führ«*u 
muss. 

(Fortsetzung folgt.) 

Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin. 

(Blgener Bericht.) 

Sitzung vom 18. Juli 1901. 

Herr M o s s e: Vorstellung «»Ines Fall«»s vonPharynxcarcinom, 
ausgehend vou «l«*r recht«»» Mandel, und eines Falles von multipler 
Cystenbildung hu Kehlkopf. 

Herr Keller: Demonstration eines «lmvh Laparotomie ent- 
fernten Uterus myomatosas mit Cervixearclnom und l’yosalpinx. 

Herr Martens: Demonstration des Sputums eines Fall«*» 
von Lungenaktinomykose. 

Herr StrausB: Klinische Demonstration zur trauma¬ 
tischen Tabes. 

Bei einem Arbeiter 2 Jahre nach <l«»m Sturz in ein«* Grube mit 
dem linken Bein Auftreten von Ataxie und Alunag«*rung. vor¬ 
wiegend am linken Bein. retiektoris«*lie I’upill«*nstarre und I*Yhl«»n 
«ler Patellarreflexe. Sofort nach «lern Fnfall war von dem Arzt«* 
ausser PupillemUtTerenz nichts Krankhaftes gefuuil«*» worden. 
Inft'ktiou und Erkältung nbgcleugnet. 

Dlscussion: Herr Bernhardt h:*ht die Sehwi«*rigk«*i» 
hervor. <1«»ii tahis«*h«*n Pro«*«*ss aus einem Trauma zu erklären. Er 
hält für wahrscheinlich, dass eine sehlumm«*n;d«* Tah«*s durch einen 


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MUKNU1II-:NEU MKDK'I NIKUllK WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


Unfall augefa«*ht werde. In diesem Fall«* s«*i ausserdem auch 1 h* 1 
der Frau des Kranken Fehlen der Schneiirellexo festgestellt. 

Herr O p p e n h e i m steht der Diagnose traumatischer Tabes 
skeptiseli geg<*niib«*r. 

Herr H o in a k glaubt nicht, dass ein gesunder Mensch durch 
Trauma Tabes bekommt, aber wohl, dass eine bestehende Com- 
pensation der tahisehen Erscheinungen durch einen Unfall auf¬ 
gehoben werden könne. 

Herr Senator nimmt an. dass bei dem Bestehen einer Dis¬ 
position zu Tabes durch ein Trauma die Tabes hervorgerufen 
worden könne. 

Herr Krummacher: lieber Placenta praevia. 

Vortragender weist auf die Gefährlichkeit der Wendung bei 
IMaeenta praevia hin, da hierbei leicht Cervixrisse in dem 
morschen unteren Uterinsegment entstehen. Die Wendung hat 
mit besonderer Vorsicht, zu geschehen, zur Vorbereitung empfiehlt 
sieit das Einlegen eines Kolpeiiryntcr. Die Extraction darf nicht 
umuittclhar angeschlossen werden. 

K. 1» r a u d e nburg- Berlin. 


Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitz u n g v o in 24. J u n i 1901. 

Herr v. Kryger berichtet über konservatives Operations¬ 
verfahren bei myelogenen Knochengeschwülsten. 

Bei einem Mann«* wurde ein kI«*infuustgross«*s Sarkom im 
unteren Ende des Humerus in der Weise entfernt, dass das untere 
Drittel des Humerus bis auf eine dünne äussere Spange, die den 
äusseren Kondylns trägt, resecirt wurde. Heilung mit etwas be¬ 
weglichem (Jelenk. 

Bei einem jungen Mädchen wurde das untere Drittel des 
Femur (10 ein) wegen eines myelogenen Sarkoms im Kondylus 
internus abgetragen. Der Stumpf des Femur wurde in eine ent¬ 
sprechend gross ausgomeisselte Höhle der Tibia eingelassen. Die 
Heilung ist noch nicht ganz abgeschlossen. Die Kranke geht in 
einem Uipsverband umher. 

Das Verfahren hat den Nachtheil, dass die Sorg«* wegen des 
Reeidivs weit grösser als hei der Amputation, andererseits hat 
man «len grossen Vortheil, dass «lie Krank«*n sich früher ent- 
scliliessen. ein«*n Eingriff vornehmen zu lassen, und ihnen die, 
wenn auch in veränderter Form erhaltenen Gliedmassen mehr 
nützen als die schönsten Apparate. 

Derselbe bespricht ferner einige Dunkle, die in der operativen 
Behandlung der Magenleiden von Wichtigkeit sind. Wiederholte 
Beobachtungen haben gezeigt, welchen Erfolg selbst hoi grossen, 
weithin verwachsem ‘11 Magencareinomen noch die Gastroentero¬ 
stomie hat. Krank«* mit d«*n schwersten Kclcutionserscheinungcn. 
auf «las A'Missersto heruntergekommen, erholen sich ungemein 
rns«-h nach «lein Eingriff, nehmen Dis zu 25 Pfund an Gewicht zu 
und. was «lie Hauptsache ist, erfreuen sieh noch 1—1</ 3 Jahr«* wirk- 
li« heil Wohlseins, obwohl die Geschwulst sich langsam weiter ent¬ 
wickelt. Glänzend sind die Dauererfolge bei narbigen Pylorus¬ 
stenosen. Da zuweilen grosse Mag«*ng«*sehwillst«* bei Eröffnung 
«lc.s Leibes in überraschender Weise noch beweglich und ohne viel 
Metastasen gefunden werden, nachdem die klinische Untersuchung 
eher das Gegen!heil auuehmen lioss, rechtfertigt sieh auch in 
solch«*!! Fällen die Probeineision. Die St«>rbliehkeit ist um Vieles 
geringer geworden, zumal naelid«*m das früher so oft aufgetretene 
rtegurgitireu und gallige Erbrechen nahezu ganz geschwunden ist. 
Es fällt diese günstige Wendung zusammen mit der Aemlerung des 
Operationsverfahrens. Es wird jetzt an «1er Erlanger Klinik aus¬ 
schliesslich die Gastroenterostomie nach v. Hacker (Ketroeoli« -a) 
gemacht, statt der Antee«dica mu-h W ö 1 f 1 <> r. 

Eine für den Arzt wie für den Kranken wesentliche Ver«*in- 
faehung hat die Nachbehandlung erfuhren. Ausspülungen nach 
«ler Operation sind die grössten Ausnahmen, während sie früher 
r«*g«*lmüssig zur Anwendung kamen. Ein«* Qual für alle Tlieilc. 
Während sonst 10- 14 Tage «lie strengste Diät nach «ler Operation 
b«*oba«-lit.et wurde, wird nun möglichst bald wirklich Nährendes 
zugeführt. Vom zweiten Tage an Milch und Eier, nach 7 Tagen 
meist schon Fleisch. Dabei ist nie im Geringsten Nachtlieillges 
b«*«»baeht<*t wonlen. Die Kranken sind weit früher über d«»n b<>- 
«I roh liehen Hnngcrzustand lilnw<*gg<*k«»inm<*n als sonst. Mancher 
hat »la<lur«*h «lie zur T'eherwindung der Operationsfolgen uoth 
w«*ndige Wi«l«*rs1andskraft erhalt«*n. 

Herr L. R. Müller: lieber die Innervation der Blase, 
des Mastdarms und des männlichen Geschlechtsapparates. 

Auf Grund von klinischen Beobachtungen ist M. zur Uobcr- 
/«•ugung gekommen, «lass «lie nervösen Deut reu, in den«*n «lie 
Urin- und «lie. Stuhlentlccrung und «lie Erektion ausgelöst werden, 
nicht, wie. bisher allgemein angenommen wurde, im untersten 
Theil d«*s Rückenmarks gelegen, sondern im s y m p a t h i s c h e n 
XYrvengeflecht des Beckens zu suchen sind. Dur«*h eine Reihe* 
von Thierversuchen konnte diese Vermuthung bestätigt werden. 
Bei Hunden. den«*n «l«*r unterste Th«*il des Rückenmarks «lurch 
Operation entf«mit ist. kommt es zu ganz regelmässiger, aller- 
«liiigs vom Willen unaMiiingiger Urin- um! Stuhl«*iitl«*crung; h *i 


! solchen Thicrcn konnte auch wiederholt Erektion beobachtet 
I werden, nur die Ejaculation «les in den hinteren Theil der Harn¬ 
röhre ergossenen Samens ist in Folge «ler Lähmung der quer¬ 
gestreiften und vom untersten Theil des Rückenmarks inner- 
! virten Musculatur des Ischio- und Bulbocavernosus behindert. 
Der Same träufelt langsam aus der Harnröhre ab. 

Herr Aichel: 

n) Demonstration eines neuen elektrischen Thermokauters. 

In <I«*r Behandlung «les inoperablen (’areiuoms des Uterus 
, konnte bisher die alte Behandlungsart der Verschorfung durch 
[ das Glii hei sen von keiner anderen Methode verdrängt \verd«*n. 
i «la nur durch sie «lie Blutungen auf längere Zeit zum Stillstand 
gebracht werden können. 

| Dies«* Methode führt«* sich aber in der Praxis nicht ein. da 
sii* zu umständlich Ist, sic kann fast nur in Kliniken zur Au 
I Wendung gelangen. 

A i <• li e 1 hat daher «lurch die Firma It einiger. G e I« - 
i hört & Schall. Erlangen, einen «•lektrischcn Thermokauter h«*r- 
: stellen lassen, an dein eine Eis«»nhülse. «lie vorn G nun. seitlich 
I 3 mm stark ist. zur Weissglut erhitzt wird, 
i Da der Thermokauter dauernd «lurch «len Strom In Weissglut 
I erhalten wird, ist «lie Tiefenwirkung eine sehr starke. 

Bei einmaliger Einführung d«*s Instrumentes erreicht inan di«*- 
^ seihe Tiefenwirkung wie bei der sonst nothweudigen Benutzung 
i einer Heilte von Glüheisen. 

Die Vortheile des Instrumentes sind folgende: 

1. Kürze «ler Operation. 2. Vermeidung von Ncb«*nv«*rbreim- 
ungen. da nur «lie Kuppe. nicht «ler Hals, glüht. 3. die Anwendung 
j von Eisspiilimgen kommt in W«*gfall. 4. der Operateur braucht 
' keine Assistenz. 5. nach «ler Operation Sehmerzfreiheit, G. nahezu 
völliges Fehlen von Ausfluss nach «ler Operation. 

bi Parametritis und Ischuria paradoxa. 

A i e li «* 1 beruhtet über eine Frau von 45 Jahren, «lie er zum 
erst«*!! Mal im Januar 19 <m> b«*lmn<b*lt«*. 

Die Frau klagt«* über heftig«* Schmerzen im Leib, fort währen 
■ «len Harndrang, tropfenweise abtliessemlen Urin. 

Di«* Blas«* stand mit ihrem’ Grunde 3 Finger über dem Nabel. 
| Das Einführen ein«*s Katheters gelang schwer unter Ausführung 
j einer Spirahlrchung. 

Di«* Gebärmutter war durch derbe parametrane Sträng«- 
hart an der rechten Beckenwand befestigt. 

Nach 14 tägiger Massage waren di«* Stränge hddlicli weich, 
«lie Gebärmutter lag nahezu in der Mittellinie, die Kranke war 
beseliwerdet'r«*i. Urinentleerung erf«dgt«* spontan. 

(> Woelien später kam Pat. wied«»r mit «len glei«*l»«*n H**- 
sehwerd«*n. Der Befund war derselbe wie vor G Wochen, di-* 
para)!n*tran«*n Stränge liatteu sieh wleiler zusammen gezogen. 

Abermalig«* energisch«; Behandlung mit Massage. Die Kraul;«* 

] konnte nach 4 Wochen heseh\v«*r«l«*fr«*i entlassen werden, «ler 
Uterus lag in d«*r Mittellinie, die Sträng«* im rechten Parametrium 
waren weich und nachgiebig. Spontane Urinentleerung. 

Die Kranke hat sich nunmehr nach 15 Monaten wieder vor- 
g«*sl«*lit. ist. gesund. Die Gebärmutter liegt in «ler Mittellinie. 

Aichel ist es nicht b«*kannt, «lass in Folge pars tuet rauer 
Exsudate mit Gi'härmutterverhigerung eine Ahknickung «ler Harn¬ 
röhre he«»baeld«*t worden wäre, die das Bild «ler Ischuria paradox.*» 
v«*ranlasst. Dass ll«*ilung allein durch Massage erfolgt wäre, war 
nicht erwart«*t worden. 


Verein Freiburger Aerzte. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 24. Mai 1901. 

1 Icrr v. Kahlden: Demonstration pathologisch-ana¬ 
tomischer Präparate. 

M. II.! I. Ich lege Ihnen hier zunächst eine miinnskopf- 
grosse G<*s«*hwulst vor. w«*lche re«*hts von dem nur wenig 
v«?rgrössert«*n Ut«*nis liegt, sich aber von diesem üb«*rall 
gut abgivnzen lässt. Ovarlum und Tube, sowie das Mes- 
ovarium sind ebenfalls frei, es handelt sich um einen 
«ler in neuerer Z**it häutiger ls*schri«*bem*n Tumoren des 
Ligamentum lat um, und zwar um ein F i b r o ni y o in. 
Die Geschwulst. Iiat sich, wie Sie sehen, bei der 42 Jahre alten 
Frau im unteren Theile «l«*s Ligaments entwickelt; mikroskopisch 
handelt «*s sich um ein Fibromyoin mit zahlreichen, ausgedehnten 
Lymphgofässen. 

II. P r i m ii r «* r B r o n c h i a 1 k r e b s, «ler sich ln Form eines 
gleichmässigen Inliltrat«*s in der ganzen Peripherie des rechten 
llauptbrouchus entwi«*k«*lt hat. Si«> sehen hier zahlreiche Meta¬ 
stasen in beitlen Nier«*n, in beiden Nebennieren und In der Leber. 
14 Tag«* vor dem 'l’ode d«*s Krank«*n waren im rechten Schulter- 
gelenk ziemlich h«*ftige S«-hm«*rzen aufgetreten. Als Ursache der¬ 
selben erkeiin<*ii Sie eine flache Metastase in der Gelenkkapsel, von 
der ich Ihnen auch mikroskopische Präparate ausgestellt habe. Ks 
handelt sich um ein typisches CarClnom mit Nestern von vor¬ 
wiegend eubischeiii Epithel. 

III. M a n n sf a ii s t g r os ser, primärer Krebs de r 
B a u c hspelcheldrüse bei einem 50 Jahre alten Manne. 

IV. Di«* pilzförmige G«*schwillst, welche Sie hier auf dein 

mittleivu Theil«* «les Brustbeins sehen und welche einen Durch- 
lm-sM r veil 8 7 cm hat, war bei einem GS Jahre alten Manne 


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6. August 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1301 


gunfc langsam gewachsen. Sie war Anfangs von beweglicher llaut 
Ulterzogen, während diese jetzt auf der Höhe der (Jesehwulst zu 
(1 runde gegangen ist. Der Träger der Geschwulst war einige Zeit 
vor seinem Tode von einer Spontanfraktur des rechten Ober¬ 
schenkels befallen worden, als deren Ursache Sie eine Metastase 
der Geschwulst in das Knochenmark des Femur erkennen. Die 
mikroskopischen Präparate, welche ich von der Primärges -hwulst 
und von der Knochenmetastase aufgestellt halte, zeigen, dass die 
Geschwulst ein Endotheliom ist. welches aus regelmässigen 
Nestern und Strängen von rundlichen Zellen mit hellem Proto¬ 
plasma zusammengesetzt ist. Zwischen den Nestern befindet sich 
ein ganz zartes Stroma. Ausser der Metastase im rechten Ober¬ 
schenkel sehen Sie die Leiter uoeh vollständig durchsetzt von 
sekundären Knötchen und ein fast faustgrosser Tumor liegt im 
Periost der linken G. Rippe, nur locker mit dieser verbunden. 

V. Rundliches, scharf abgogrenztes Sarkom mit grau- 
rotlier Schnittfläche in der linken Hemisphäre einer 
GS Jahre alten Frau. Der Tumor durchsetzt die ganze Mark- 
siibstanz und hat das Dach des Seitenveutrikels etwas nach unten 
und links verschoben. Mikroskopisch erkennen Sie an dem aus¬ 
gestellten Präparat ein gegen das Hirngewebe ausserordentlich 
scharf abgegrenztes Rundzelleusarkom mit sehr zahlreichen, zart- 
wandigen Gefässen. 

VI. Der Riiekenmarkstuinor stammt von einer 
:H» Jahre alten Frau. Er nimmt, wie Sie sehen, das ganze llals- 
niark ein, erst im unteren Abschnitt desselben werden Theile der 
Vorderhörner sichtbar. Sie überzeugen sieh ferner auch durch 
Vergleich mit den ausgestellten mikroskopischen Präparaten, dass 
die Geschwulst nirgends eine Verbindung mit den RUckenmarks- 
lniuten hat. Es handelt sich vielmehr um einen rein intramedul¬ 
lären Tumor und zwar uin ein zellreiches Fibrom. 

VII. In dieser Lunge eines 3'/ 2 Jahre alten Kindes sehen Sie 
in der Arterla p u 1 m o n a 11 s, dicht unter ihrem Anfaugstheil, 
2 stark erbsengrosse Aneurysmen. Ihre Wand ist verdickt, 
nach der Seite grenzen sie unmittelbar an einen in Zerfall und 
Ilöhlenblldung begriffenen Käseherd. Derartige Aneurysmeu in 
rtilierkulösen Lungen sind hei Erwachsenen keine Seltenheit, 
während im frühen Kindesalter bis jetzt nur wenige beschrieben 
worden sind. In einer Reihe von Fällen kommen sie multipel vor, 
einmal sind 32 rosenkrnnzfürmig aneinaudergereihte gezählt 
worden. 

VIII. Ferner lege ich Ihnen das Herz eines 4t! Jahre alten 
Mannes vor. Dasselbe zeigt genau im Bereich des Septum 
nicmbranaceum ein etwa wnllnussgrosses Aneurysma, 
welches hauptsächlich gegen den rechten Vorhof hin sich vor¬ 
wölbt. Spureu von früherer Endoearditis sind nicht vorhanden, 
die Anamnese weist auch auf keine sonstige Infektionskrankheit 
bin, welche das Herz hätte in Mitleidenschaft ziehen können. 
I»a auch Sklerose der Kranzarterien fehlt, so ist mit Rücksicht auf 
die Lagebeziehung zu dem Septum membranaceum wohl am wahr¬ 
scheinlichsten, dass es sich um eine angeborene Veränderung 
liuudelt. 

IX. Rechtsseitige Herzhypertrophie, daneben auch 
linksseitige starke Hypertrophie, verbunden mit hochgradiger 
Stenose und frischer Endoearditis der Mitralklappe. 

X. Vena spermatica einer Frau in mittleren Jahren. 
Im Anschluss an eine Laparotomie ist daJ* Gefüss in seiner ganzen 
J Jingo throinbosirt und zu stark Daumendicke ausgedehnt. 

XI. Diese Niere einer G8 Jahre alten Frau hat im Anschluss 
an eine alte Fyelouephritis unbekannter Aetiologle schwere Ver¬ 
änderungen erfahren. Das Organ ist hochgradig verkleinert, es 
hat eine Länge von 5 cm, eine Höhe von 2'/ 2 cm und eine Dicke von 
2 >/i cm. Zum grössten Theil wird sein Durchschnitt eingenommen 
von einer mit eingedicktem Eiter gefüllten Höhle. Nach dem 
otieren Pol zu Ist noch etwas festes Gewebe vorhanden, welches 
von kleineren alten, eingedickten Eiterherden durchsetzt ist. Von 
Nierengewebe ist keine Spur mehr zu erkennen. 

XII. Auch diese Niere eines Gl Jahre alten Mannes ist in 
Folge einer Pyelonephritis calculosa hochgradig geschrumpft. 
Die Rinde ist von einer Reihe eingedickter Abscesse durchsetzt, von 
Nierengewebe ist in der Rinde nichts mehr zu erkennen, auch die 
Mnrksubstanz ist fast vollständig zu Grunde gegangen und durch 
«•ine Fettwucherung vom Nierenbecken her substituirt. Die Niere 
«ler anderen Seite ist kompensatorisch vergrössert und zeigt in 
2 Kelchen des Nierenbeckens noch bohnengrosse Konkremente. 

XIII. Dieser Dlckdarm stammt von einem G7 Jährigen Manne. 
Namentlich in den unteren Partien sehen Sie alte, gVreiuigle dys¬ 
enterische Geschwüre. In den oberen Partien kombiuirt 
«Ich mit der Geschwürsbilduug eine sehr ausgesprochene Ente 
r i 11 b membranncen. Die Psemlomembraneu sln«l in fester 
Verbindung mit der Schleimhaut und ragen in einer Länge von 
2 5 cm in das Darmlumen herein. Aus den aufgestellten mikro¬ 
skopischen Präparaten überzeugen Sie sich, dass in der Membrau- 
hihluug nicht nur das Epithel der Schleimhaut, sondern an vielen 
Stellen «Ile ganze nekrotische Schleimhaut und die gauze Sub- 
nnioosa aufgegangen sind. 

XIV. III r n a b 3 c e s s nach Otitis media. 

XV. Dieses Blasend! vertikel von aussergewöhnlicher 
Grösse bildet einen Zufälligkeitsbefuud aus der Leiche eines 
2G Jahre alten Mannes. Sie sehen, dass das Divertikel hinter der 
Blase gelegen Ist, dass «*s mit dieser durch eine kaum bleifeder- 
dicke, runde Oeffnung kommunlzirt, dass es ferner am gehärteten 
Präparat mehr wie die doppelte Grösse der Blase besitzt, denn es 


hat einen Querdurchinesser von 9 und einen Liingendurchmesser 
von 14 cm. 

XVI. Schliesslich möchte ich Ihre Aufmerksamkeit mich für 
diese sehr ausgesprochene Gastritis phlegmonosa erbitten. 
Dieselbe hat sich im Anschluss an eint’arcinom der grossen f'urvatur 
entwickelt, fast Im Bereich des ganzen Magens ist die Wand auf 
das 3—4 fache «l«*r Norm verdickt und hauptsächlich im Bereich der 
Subnuicosa von einem sulzig-eit«*rigon Infiltrate eingenommen. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 15. Mai 1901. 

Vorsitzender: Herr C. F r a e n k e 1. 

Vor der Tagesordnung: 

3. Herr Oraefe legt ein mannskopfgrosses Ovarialkystom 
vor, dessen Stiel 2 mal tortpiirt war. Es stammte von <*iner Pa¬ 
tientin, welche vor 23 Jahren von anderer Seite bereits einmal 
ovariolomirt worden war. Nach 2 Geburten hatte sieh in der Baueli- 
narbe und neben derselben in einem Sticbkaual -- es war. wie da¬ 
mals üblich, mit Silbordrnht durc hgreifend genäht worden — eine 
Hernie gebildet, welche im Laufe der Jahre die Grösse eines Apfels 
erreicht hatte. Ab und zu waren an derselben Beschwerden auf 
getreten, welche aber stets spontan oder nach leichtem Massiren 
durch die Patientin selbst verschwunden waren. Letztere er¬ 
krankte, nachdem sie Tags zuvor noch cin«*n weiten Spaziergang 
gemacht, plötzlich an Uebelkeit. und Schmerzen in der Bruehgegend 
und Stuhlverhaltung. Abführmittel wurden auf eigene lland. 
aber erfolglos genommen. Nach 24 Stunden fand Vortragender 
das Abdomen stark meteoristisch aul'gctrieben, den Bruch em¬ 
pfindlich, in demselben neben Netzknollen eine Darmsclilluge, die 
reponirt wurde. Danach vorübergehende Besserung. Am folgen¬ 
den Tage öfters Erbrechen, kein Stuhl, keine Blähungen. Patientin 
verlegte die Schmerzen jetzt in die Gegend unterhalb und seitlich 
des Bruches, wo auch — eine genaue Palpation war bei der Druck¬ 
empfindlichkeit des Abdomen und dem Metoorismus unmöglich — 
eine undeutliche Resistenz zu fühlen war. Der vaginale Unter¬ 
suchungsbefund lieL gänzlich negativ aus. Combinirt konnte aus 
den angegebenen Gründen nicht untersucht werden. 

Da nach weiteren 24 Stunden das Allgemeinbefinden sieh ver¬ 
schlechtert hatte und noch keine Flatus ubgegangeu waren, sollte 
Patientin in das Diakonissenhaus übergeführt werden. Kurz 
zuvor hatte sie, wie schon mehrmals, im Laufe der letzten Tage, 
wieder einen hohen Einlauf genommen. Als sie aufstand, um sich 
anzuklelden, gingen plötzlich reichliche Blähungen ab, ebenso nach 
der Ueberführung. Trotzdem verschlechterte sich «1er Zustand, 
so dass die Kranke nun seihst auf die Operation drang. Ehe die¬ 
selbe ausgeführt wurde, stieg die Temperatur auf 39“, Puls 140. 
Die Annahme, dass die Krankheitserscheiuimgen von der Ilernic 
ausgingen, war fallen gelassen, dagegen eine Dannknickung durch 
Verwachsung mit dem alten Stiel vermuthet. 

Bei der Coellotomie fand sich nun nach Abbindung einiger 
Netzadhaesionen iin kleinen Becken und Beiseitedrängung der 
Därme ein blauschwarzer Tumor, das torquirte Kystom. Nach 
seiner Entfernung wurden noch die beiden Bruchsäcke excidirt. 
nach Lösung und theilweiser Resektion der mit ihnen verwachsenen 
Netzknollen. Dreifache Etagennaht, Fasele mit Silkworm. Schon 
am nächsten Tag fiel die Temperatur auf 38.3 Vom 3. Tag an 
fieberloser Verlauf. 

Graefe weist darauf hin, wie häufig Stieltorsion ovarieller Tu¬ 
moren zu Fehldiagnosen, besonders auf Perityphlitis und Peritonitis 
Veranlassung gibt. Der vorliegende Fall wurde nicht richtig ge¬ 
deutet, da eine genaue, besonders kombinirte Untersuchung wegen 
des Meteorismus und der Druckemplindliehkeit nicht möglich war. 
und die Bauchhernie anfänglich der Ausgangspunkt der Be¬ 
schwerden zu sein schien. 

Bei dem zweiten Präparat handelte es sich um einen tu baren 
Fruchtsack etwa der 8. Woche. Die Put. seihst hatte geglaubt, 
sie habe abortirt. Ein schnell bis auf Gänseeigrüsse wachsender 
Adnextumor sprach für Extrauterinschwangerschaft. Bei der 
('oeiiotomic ergab sich ein auffallender Befund: eine Geschwulst, 
welche im ersten Augenblick ganz als Darin- bezw. Mesenterial 
tumor impouirte, hoch oben au die Linea innoniinata reichend. 
Der Douglas völlig frei von Verwachsungen und Blut. Sehliess 
lieh fand sich an der Basis der Geschwulst eine bläulich:-, eyslisehe 
Vorwölbung, hei deren Lösung der Finger in einen Ilaeinaioeeleu 
sack fiel, «len eine winkelig abgeknickte und mit den Schenkeln 
verwachsene Darmschliugc seliaalenfönnig überdachte. Aus 
räunumg der Blutgerinnsel. Abtragung des tu baren Fnn-hlsarkes. 
Genesung. 

Graefe hat einen derartigen seitlich Indien Sitz einer llae 
matocele bisher nie gesehen. Für gewöhnlich sind dieselben 
wenigstens zum Theil retrolltcrin. 

Tagesordnung: 

4. Herr Prof. Leser: Erfahrungen über Behandlung und 
Prognose bösartiger Geschwülste. (Der Vortrag erscheint unter 
den Originalien dieser Wochcnsehr.) 

Besprechung. Herr Geh. Rath Weber bemerkt, dass 
«•Ine Laparotomie zu diagnostischen Zwecken an sieh gewiss ein 
pfehlenswerth erscheine, da es vor allen Dingen darauf ankoinine. 
beim Bestehen eines Krebses frühzeitig die Diagnose zu stellen 
mul damit einen erfolgreichen operativen Eingriff zu «*rniögliehen. 
Oft wird eben gar zu leicht der Krebs zu späi erkannt, oder mit 


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MÜENCHENF/R MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 32. 


1302 


gekehrt ein andersartiger Tumor als Krebs unbesprochen. Ahe/ 
mau muss trotz alledem die Frage auf werfen, ob denn eine solche 
Laparotomie in der Tliat so ungefährlich sei. wie Vortragender dies 
behauptet. 

Herr F ries will zu der Empfehlung des Vortragenden, bei 
Zungenkrebs die ganze Zunge zu entfernen, erwähnen, dass dieser 
Eingriff, über dessen Xothwendigkeit in allen Fällen er sich un¬ 
geachtet einiger Zweifel kein Unheil erlauben will, keineswegs 
eine so erhebliche Verstümmelung und allgemeine Schädigung 
bedeute, wie man dies zunächst wohl vermutlien könne. Er be¬ 
schreibt einen von Flügge (Arcli. f. Psychiatrie u. Xervenkrankh. 
Rd. XI) aus der (Jöttiuger Irrenanstalt veröffentlichten und später 
von ihm selbst beobachteten Fall, in dem eine Geisteskranke sich 
(ohne Instrument) in nicht ganz aufgeklärter Weise (Fingernägel. 
Zähne. Torsion?) die Zunge an der Wurzel abgerissen hat und 
doch schon nach verhältnissmässig kurzer Zeit, indem der in zwei 
Wülsten sich erhebende Roden der Mundhöhle einen Theil der 
Zungenfunktion ül>ernahm. die Möglichkeit wieder gewann, zu 
sprechen und sich dabei — auch Fremden gegenülter — durchaus 
verständlich zu machen. Das Anfangs erschwert gewesene 
Schlucken geschah später mühelos. 

Herr Fränkel hebt hervor, dass ln Amerika die sogen. 
C o 1 e y'sche Flüssigkeit, d. h. auf dem Wege der Filtration sterili- 
slrte Ivulturtlüssigkeit des Bacillus prodigiosus. allein oder im 
Verein mit einer solchen des Streptococcus pyogenes liel Behand¬ 
lung inoperabler Krebse nicht selten mit angeblich gutem Erfolge 
benutzt wird. E m m e r i c li’s Krebssemm lialx* auf diese Be¬ 
zeichnung nur insofern Anspruch machen können, als es aus dem 
Serum von Thieren (Schafen) bestanden hätte, die mit virulenten 
Streptococcen inficirt worden seien. Dagegen hätte es sich nicht 
etwa, wie man vielleicht vermutlien könnte, um das Serum von 
immuuisirten Thieren und die Wirkung irgend welcher Autistotfe 
gehandelt. In Wahrheit habe also die Verwendung des Krebs¬ 
serums eine andere Art. der Einimpfung lebender Streptococcen 
dargestellt. Bei der letzteren muss aber ln der Tliat mit der grossen 
Gefährlichkeit eines solchen Eingriffes gerechnet werden, da Viru¬ 
lenz der Krankheitserreger und Empfänglichkeit des mensch¬ 
lichen Körpers anssorordontliehen Schwankungen unterliegen. 

Herr Lese r erwähnt noch, dass die Zunahme der Krebsfälle, 
die ln den letzten Jahren festgestellt, sicherlich nicht nur eine 
absolute, sondern auch eine relative und procentisclie sei. Man 
erblickte im Krebse daher vielfach eine eigentliche Kultur¬ 
krankheit. Auch geographisch verhalte sich die 
Krebskrankheit, worauf Czerny 1909 hingewiesen habe, ver¬ 
schieden und nehme z. R. nach dem Süden hin ab; schon im Süden 
Italiens und in Sicllien sei Krebs sehr selten und im Xordeti 
Afrikas kämen Krebserkrankungen nur l>ei Eingewanderton vor. 

Herr Holländer bestätigt dies nach seinen Erfahrungen 
In Südafrika, wo der Krebs bei der laudsässigen Bevölkerung ver¬ 
hältnissmässig sehr selten sei. Das gelte z. B. auch für den Lippen¬ 
krebs. obwohl die Buren l>ekauntlieh eifrige Itaucher sind und die 
Pfeife während des ganzen Tages kaum jemals aus dem Munde 
lassen. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 25. Februar 1901. 

Vorsitzender: Herr Bardcnhoue r. 

Schriftführer: Herr F. Ca hon. 

Herr Dreesmann tlieilt zunächst 2 Fälle von Darm- 
invagination mit. die durch operative Behandlung gehellt wurden. 
Der erste Fall betraf ein Kind von 8 y» Monaten, welches am 
27. XII. 1000 Abends in das St. Vlncenz-Krankeuhaus aufgenommen 
wurde. Nachdem an diesem Tage Morgens zunächst noch nor¬ 
maler Stuhlgang erfolgt war. ging bald darauf blutiger Schleim 
ab. und es erfolgte dann im Laufe des Tages nach Jeder Nahrungs¬ 
aufnahme blas Kind erhielt ,die Brust) Erbrechen. Wiederholte 
Einläufe brachten keine Besserung und es wird desslialb am Abend 
zur Laparotomie geschritten. Vor der Operation konnte der Sitz 
der Imagination, da weder Auftreibung noch Dmckempfindlich- 
keit. noch eine Resistenz naehzuwelsen war. nicht, mit Sicherheit 
bestimmt werden. Es fand sieb etwa 10 cm Ilemn in's Kolon 
aseendens Invnginirt. Die P<*slnvnglnatIon gelang ziemlich leicht. 
Das lleum oberhalb der Imagination war auf eine längere Strecke 
hin zu einen dünnen Strang eontrahlrt. Da das Kind stark colln- 
birt war, erhielt es in der folgenden Nacht stündlich 0.5 Ol. catuph. 
injicirt. Am anderen Morgen erfolgte normaler Stuhl, und verlief 
dann die Heilung ungestört. 

Der 2. Fall, dem 1. analog, betraf einen Knaben von 
4 «4 Jahren. Derselbe hatte am 20. X. 1801 zuerst einmal Leib- 
schmerzen geklagt, fühlte sieh aber weiterhin gesund. Am 23. I. 
trat unter Schmerzen Abführen ein. am 24. I. Abgang von Blut 
und Schleim. Die Operation der Imagination, die vom Rectum 
aus eben noch palpabel war. fand nach vergeblicher interner Be¬ 
handlung am 25. 1. statt, 15 cm Kol. transvers. waren in das Kol. 
«leseend. invaginirt. Die D«*slnvagination war etwas schwieriger. 
•*s entstanden hierbei 3 Risse in «ler Seros», die genäht wurden. 
Auch hier war der Dann oberhalb «l«*r Imagination krampfhaft 
eontrahlrt. Der Verlauf war etwas gestört durch hin und wieder 
auftretende Darmstörungen. Die Heilung erfolgte auch hier per 
primam. 


Aus diesen beiden Fällen geht hervor, dass man bei der ln- 
vagiuatlon nicht lange zögern soll mit der Laparotomie. Sobald 
Innerhalb der ersten 12 Stunden die gewöhnlichen Mittel nichts ge¬ 
fruchtet haben, ist ein längeres Abwarten nicht gerechtfertigt. Die 
Gefahr der Operation, rechtzeitig ausgeführt, ist auch bei kleinen 
Kiudern offenbar keine bedeutende. 

Auffallend war ln beiden Fällen die starke C-ontraetion des 
Darmabsehnittes oberhalb der Invagination. wodurch auch das 
Fehlen des Meteorismus erklärt wird. Dies Fehlen des Meteoris¬ 
mus kann, wenn der Abgang von Schleim und Blut nicht beobacht -t 
wird, leicht zu falscher Diagnose Veranlassung geben. 

2. zeigt Herr Dreesmann das Präparat eines gangrae- 
nösen Wurmfortsatzes. Derselbe stammt von einer 20jährigeu 
Patientin, welche am 3. Tage der Erkrankung lediglich mit Rück¬ 
sicht auf die Verschlechterung des Pulses (140 pro Min.) operirt 
wurde. Der Wurmfortsatz lag in der freien Bauchhöhle etwas 
unterhalb des Nabels. Massige Mengen trübseröser Flüssigkeit 
wurden gleichzeitig aus der Bauchhöhle entleert. Die Wunde 
wurde tnmponirt und Patientin genas. Das Präparat beweist, dass 
ln einzelnen Fällen die Operation sehr früh elnsetzen muss, wenn 
«las Leiten der Patientin gerettet werden soll. 

Redner bespricht dann noch kurz die Indlcation zur Opera¬ 
tion b«>i der Perityphlitis. Die Indlcation ist nicht schwierig und 
kann auch kaum Meinungsversehledenlieiteu hervorrufen, wenn 
ilieselbe auf den pathologisch-anatomischen Befund baslrt Ist. 
Sobald Elter da Ist, mag derselbe im Wurmfortsatz o«ler ln dessen 
Umgebung sich befinden, muss operirt werden, weil uns eiten kein 
Mittel zu Gebote stellt, um den ohne Operation möglichen günstigen 
Ausgang mit Sicherheit herbelzuführen. Ob Eiter allerdings da 
Ist. Ist im einzelnen Falle nicht immer leicht zu entscheiden. Es 
ist das Sache der Erfahrung un«l der genauen Beobachtung vor 
Allem des Pulses. Ist am 5. Tage bei rationeller Therapie (Eis. 
Ruhe, event. Opium) noch Fieber vorhanden, wird vor Allem eine 
Verschlechterung des Pulses bemerkt, so Ist ein Eiterherd als 
sicher auzunclimen. 

3. «lemonstrirt Redner das durch Darmresektion gewonnen- 
Präparat einer K iclit e r'sehen Darmwandhernie. Die betr. 
Patientin. 08 Jahre alt, wurde am 4. XL 1900 in's Krankenhaus 
aufgenommen, «la in den letzten Tagen ohne besondere Besch win¬ 
den eine Anschwellung ln «ler rechten Lelsteng«>gen«l nufgetreten 
war. Bei der Aufnahme fand sich ein hühnereigrosser Abseess 
über den) Llgam. I’ouparti; das Allgemeinbefinden war ungestört, 
kein Erbrechen, kein Fleb«*r, keine Tympanle; Stuhlgang war noch 
am Tag«' vorher erfolgt. Bel der Incisiou am folgenden Tage 
enth*«'rte sich fäkal ri«H-hender Eiter: Im Grunde der Abseesshölile. 
unterhalb «les Lig. Poup. war gangraenöse Dannwand zu erkennen. 
Mit Rücksicht auf das gute Allgemeinbefinden wurde von weiteren 
Eingriffen vorläufig Abstaml genommen und die Wunde tnmponirt. 
In der Absicht, einige Tage später die Dnriuresektion auszufüliren. 
Da aber am folgenden Tag«* Erbrachen nuftrat und «He Puls- 
fra«iu«*nz sich auf 140 steigerte, wurde die Bauchhöhle durch einen 
Querschnitt oberhalb der Lig. Poup. enöflfnet. Hierbei konnte deut- 
licli eonstntirt w«*r«len, dass nur ein Theil der Darmwaudung sich 
in «len Schenktdkanal «ünstiilpte. Nach Spaltung des Lig. Poup. 
konnte «He den etwa drei markst tick grossen Dannwandbruel» <*ut- 
baltynde Dnrmsclilinge gelöst und in Ausd«*hnuug von 8 em reseelrt 
werden, wobei an «l«»r Sehnürfuralie ein Einriss erfolgt«'. Direct«* 
Vereinigung der I lärmenden mit Murphy knöpf. Theil weise Xalit 
und Tamponade «ler Wunde. Weiterhin guter Verlauf. Der 
Murphyknopf wurde nach 14 Tagen entleert. Der Darmwandbruch 
nahm etwa % «ler Clrcumf«*ranz «les Darmroliras «*ln, war in ganzer 
Ausdehnung gnngraeiuös und der Perforation nahe: mit der Um¬ 
gebung war er leicht v«*rkl«*bt. 

Redner erwähnt noch «•Inen analogen Fall, den «*r vor 
5 Jahren bei einer jüngeren Patientin beobachtet hat; hier konnte 
nach Eröffnung <l«*s Bruchsack«*s «lic Darmwundhernie, die di«>- 
selbe Gross«* wie im vorigen Falle hatte, repouirt werdeu. Audi 
hier ungestörte Heilung. 

Im Anschluss an «lies«* beiden Fälle bespricht Redner die Aetio- 
logie di«*ser II1 e li t e r’schen Darm wandbrüche unter besonderer 
B«*zugnahme auf «lii* Arbeiten von II o s e r, K ö u i g. Kor h e r. 
Riedel. Föderl u. A. Der Auffassung von Föderl glaubt 
Redner sieb ganz auschliess«*n zu können. Zum Schlüsse wird 
noch lies«»uders die Forderung It i «* «1 e l's lx*tont, dass bei Ver¬ 
dacht. auf Danmvandbruch. d. h. wenn lx*i einem vorhandenen 
Bruch «li«* Kothpassage nicht ganz aufgehoben ist, kein«* unblutige 
Reposition versucht wenlen «liirfe. sondern stets wegen der Gefahr 
der Perforation «l«*r Darmwandheruie Herniotomie mit nach- 
folgemler R<*positiou r«*sp. Rem*ktion gemacht werden müsse. 

Herr Andr. Stiel gibt einen Ucberblick über den gegen¬ 
wärtigen Stand «1er Fragt* lx*tr. die anatomischen nnd klinischen 
Zeichen der Stirnhöhleneiterung, erläutert, an der Hand 
mehrerer Fälle die Schwierigkeit der Diagnose der sog. latenten 
Sinuseiterungen zumal der durch andere Nebenhöhleneiterungn 
eoinplieirten und bespricht die Therapie einschliesslich der ver¬ 
schieden en Operationsverfahren. 


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0. August 1001. 


MUENCIIEN ER MEDIO I NI SCIIE WOClt EN SOII RI FT. 


100 .) 


Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offlclellea Protokoll.) 

Sitzung vom 2. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr Curschmann. 

Schriftführer: Herr Braun. 

Herr Marchand berichtet über einen vor Kurzem im 
pathologischen Institut zu Leipzig seeirten Fall von malignem 
Chorion-Epitheliom. Leider fehlte in der Anamnese jeder Hin¬ 
weis auf einen kürzlich vorausgegangeueu Abort oder eine Geburt, 
doch war der anatomische Befund so charakteristisch, dass ein 
Zweifel an der Diagnose ausgeschlossen ist. 

Nach freundlicher Mittheilung des Herrn l)r. M e i s e n b u r g, 
Assistenten an der Klinik des Herrn Goli.-U. Curschmann, 
war die Verstorbene (Fr. K., 43 Jahre alt) früher gesund und 
hatte 9 gesunde Kinder geboren. Seit \\ Jahr bestand Husten, 
seit 8 Wochen mit blutigem Auswurf. Seit einiger Zeit trat zu¬ 
nehmende Schwäche im rechten Arm auf, am 18. Mai hei 
einem Spaziergang plötzlich Schwäche im rechten Bein, am 11). früh 
war der rechte Arm und das rechte Bein vollständig gelähmt, die 
Sprache und das Gesicht frei. Kopfschmerzen traten nur zuletzt 
zuweilen auf, häutig auch Uebelkeit. 

Die angeblich stets regelmässigen Menses kamen zuletzt vor 
14 Tagen. 8 Tage zu früh, und etwas heftiger als gewöhnlich. 

Bei der Aufnahme im Krankenhaus (5. VI.) war die rechte 
Seite schlaff gelähmt, die Reflexe gesteigert, Fussklonus. Der 
Facialis war vollkommen frei, die Pupillen gleich weit, prompt 
reagireud: die Sensibilität für feine Berührung in der ganzen 
r«*chte» Körperhälfte etwas abgeschwächt. 

An der linken Seite des Abdomen fanden sich zwei kleine 
Tumoren, über dem «‘inen war diellaut livid verfärbt (Entstehungs- 
zoit unbekannt). 

Seit dein 11. VI. wurde zunehmende Benommenheit konstatirt: 
wiinlerholtes Erbrechen. Pupillenreaktion besonders rechts sehr 
träge. Enorme Reflexsteigerung rechts; Stauungspapille. Am 
14. VI. vollständige Benommenheit, Stiche in die linke Seite rufen 
schwache. Stiche in die rechte Seite gar keine Bewegungen hervor. 
Reflexe auf links stark gesteigert. Tod am 14. VI. Abends. 

Diagnose: Wahrscheinlich mctastatischer Hirntumor. 

Die Sektion (15. VI.) ergab zunächst das Vorhandensein 
von zwei etwa kirschgrossen Knoten ln und unter dem Unterhaut- 
gewebe des Abdomen an der linken Seite, die auf dem Durchschnitt 
bräunlichroth, anscheinend grüsstentheils aus coagulirtem, ver¬ 
färbtem Blut bestanden. 

Die Innenfläche des Schädeldaches war etwas rauh; die Dura 
mater beiderseits stark gespannt, die Windungen der Gross- 
liirnhemisphilre beiderseits stark abgeplattet, am stärksten 
im Bereiche des mittleren Theiles der linken Hemisphäre, welcher 
gleichzeitig weich, fast schwappend und gelblich verfärbt war. 
Auf einem Horizontalschnitt zeigte sich die ganze linke Hemi¬ 
sphäre sehr stark verbreitert (7.5 cm zu 5,5 rechts), ihre Substanz 
stark gequollen. Auf einen Frontalschuitt in der Gegend der 
< cntralwindungen kam ein schwach abgegrenzter dunkelbraun- 
rotlier Knoten von 1,8 cm Durchmesser zum Vorschein, der die 
Oberfläche an einer kleinen Stelle erreichte; die Gehirnsubstanz 
iu der Umgebung gequollen, gallertig welch, oedematüs und Intensiv 
gelblich. 

Auf anderen Durchschnitten fanden sich noch mehrere ähn¬ 
liche kleinere Knoten von genau derselben Beschaffenheit in beiden 
Hemisphären des Gehirns. Beide Lungen waren an der Ober¬ 
fläche mit stark hervorragenden, aber mit glatter Pleura bedeckten 
Knoten besetzt, die ebenso auf den Durchschnitten in grosser 
Anzahl zum Vorschein kommen; die meisten scharf begrenzt, über 
die Schnittfläche prominirend, meist von bräunlichrother Farbe, 
mit helleren Stellen ln der Mitte. Die Grösse der Knoten wechselte 
zwischen der einer Erbse und einer Kirsche; einige waren umfang¬ 
reicher. Am hinteren Umfange des Herzens fanden sich einige 
kleine grnurötliliehe Einlagerungen ln der Wand des linken Ven¬ 
trikels, dessen Höhle eine grnurötliliehe, thrombusartige, konische 
Masse enthielt, die vom unteren Tlieil des Septums ausging, und 
an der Basis mit einer weichen, blassgrauen Einlagerung in der 
Museulatur zusammenhing. Die Leber war mit sehr zahlreichen 
Knoten von sehr verschiedenem Umfang durchsetzt, die zum 
Tlieil an der Oberfläche, besonders am hinteren Theil des rechten 
Lappens, sich vorwölbten, und auf dem Durchschnitt dasselbe 
hrüunliclirothe, in der Mitte mehr graugolblich-flccklge Aussehen 
zeigten, wie die grösseren Luugenknoten. Einige kleinere 
Knoten fanden sich ln der linken Niere, eine grössere 
Zahl auch in der Darmwand, und zwar sowohl Im 
Dünn- als im Dickdarm, wo sie die Schleimhaut nach innen vor¬ 
wölbten. Die grössten dieser Knoten, etwa vom Umfang eines 
Zehnpfennigstückes, waren an der Oberfläche schmutzig verfärbt, 
ulcerirt. Der Uterus war stark vergrössert durch einen seinen 
Fundus einnehmenden Geschwustknoten, der an dem rechten Um¬ 
fang sich nach hinten vorwölbte und gleichzeitig mit mehreren 
rundlichen Vorsprüngen in das rechte Ligamentum latum hinein¬ 
ragte. Daran schlossen sich stark erweiterte varleöse Venen. Im 
linken övarium fand sich ein kleines, aber noch deutlich gelb¬ 
lich gefärbtes Corpus luteum. Die Innenfläche der nach links ver¬ 
schollenen Uterushöhle war mit ziemlich glatter, aufgelockerter 
Schleimhaut ausgekleidet, nur in der Nähe des linken Tubenwinkels 
fand sich eine weiche, dunkelrothe Hervorragung. Der durch die 
Hauptgeschwulst bedingte Vorsprung war an der Oberfläche nicht 


ulcerirt; die bräunlichrothe, tlirombusähulicbe Masse des Tumors 
reichte bis nahe an die Oberfläche. Im unteren Tlieil der Vagina, 
unweit oberhalb des Orilicium, fand sich ein stark hervorragender 
Knoten von der Grösse einer kleinen Kirsche, der an seinem 
unteren Umfang tief ulcerirt war, ein zweiter kleinerer Knoten, 
mit glatter Schleimhaut bekleidet, sass weiter oberhalb etwa in 
der Mitte. 

Die mit Hilfe des Herrn l)r. Ui sei. Assistenten am Institut, 
vorgenommene mikroskopische Untersuchung ergab 
im Ganzen sehr Übereinstimmende Befunde an allen betheiligtcn 
Organen. Uebernll bestand die Hauptmasse der Gescbwuist- 
knoten aus tliroiubusartigen Gcriuuuugsproduktcn, Fibrin mit 
rothen Blutkörperchen, während vorwiegend in den peripherischen 
Theileu die noch gut erhaltenen, sehr charakteristischen Go- 
schwulstmassen zum Vorschein kamen. Einige der kleineren 
Knoten, besonders in den Nieren, bestanden noch aus reiner Ge- 
schwulstiuasse. Diese Hess ln allen Organen mit grosser Deutlich¬ 
keit — schon bei frischer Untersuchung, sowie an den gefärbten 
Schnitten — die bekannten, sehr unregelmässig gestalteten, viel- 
kernigen Syncytiuminassen und die dazwischen gelagerten, dicht¬ 
gedrängten, hellereu, isolirteu Zellen erkennen, die vom Vor¬ 
tragenden und von Anderen vielfach beschrieben worden sind, 
und die vollkommenste Uebcreinstiimnung mit den beiden 
Schichten des Chorionepithels in früheren Entwicklungsstudicii 
darbieten. Nur in den Luugenknoten war die Anordnung der Gc- 
scliwulstmassen etwas weniger deutlich, grüsstentheils in Folge 
degenerativer Veränderungen. Die Auskleidung des Uterus zeigte 
unregelmässig gewucherte, ziemlich spärliche DrüseuseliHincho in 
einem zellenreichen Schieimhautgewebe, welches sielt durch diese 
Beschaffenheit deutlich als in Regeneration befindlich erwies --- ein 
Befund, der im Zusammenhang mit dem Vorhandensein eines 
älteren Corpus luteum zweifellos auf einen vor einiger Zeit statl- 
gehahteti puerperalen Zustand hindeutete. 

Der Vortragende legte ausserdem noch einen Tlieil einer Gross- 
hirnhemisphäre und einer Niere mit Geschwulstknoten von der¬ 
selben Beschaffenheit wie im vorigen Falle vor, die von einem noch 
in Marburg seeirten Falle stammten. Auch hier war nach den Er¬ 
scheinungen während des Lebens ein Gehirntumor angenommen 
worden. Die Sektion ergab ausser einem solchen (im hinteren 
Theil der rechten Grosshirnhemisphäre) zahlreiche Lungenknoten 
und Knoten iu der linken Niere, die durch Ihre Beschaffenheit 
sofort die Annahme veraulassten, dass es sich nur um Ciiorioii- 
Epitlieliom handeln könne. Der etwas vergrösserte Uterus ent¬ 
hielt jedoch keine Spur einer Geschwulst, wohl aber liess er deut¬ 
liche Zeichen einer noch bestehenden decidualen Umwandlung er¬ 
kennen. Weitere Nachforschungen ergaben, dass bei der Ver¬ 
storbenen einige Monate vorher eine Blasenmole ausgeräumt 
worden war. Derartige Fälle von zahlreichen Metastasen ohne 
eigentlichen Primärtumor erklären sich leicht, wenn man berück¬ 
sichtigt, dass die Geschwulstbildung durch Eindringen von Chorion¬ 
zottenresten mit wuchernden Epithelzellen in die Venen zu Stande 
kommt, die überall hin verschleppt werden können, ohne dass sie 
sich im Uterus selbst festzusetzen und weiter zu entwickeln 
brauchen. Derartige Fälle sind von Schmorl beobachtet worden. 

Discussion; Herr Zweifel weist darauf hin, dass vor 
11 Jahren in der geburtshilflichen Gesellschaft zu Leipzig zum 
erstenmal von Sänger ein Fall dieser jetzt als Carcinoma syn- 
cytiale erkannten Neubildung veröffentlicht worden sei. Um die 
Kranken durch Operation retten zu können, sei eine möglichst früh¬ 
zeitige Diagnose des Leidens nötliig. In jedem Fall von Abortus 
mit Nachblutung sind daher wiederholte diagnostische Uterus- 
ausschalmngou angezeigt. In einem von Herrn Z. beobachteten 
Fall ergab die erste Ausschabung und mikroskopische Unter¬ 
suchung ein negatives Resultat. Bald darauf erfolgte eine Lungen¬ 
blutung und die Kranke starb an ihren Metastasen. 

Herr Krönig: Es muss das Bestreben des Klinikers sein, 
bei diesen so ausserordentlich malignen Geschwülsten die Diagnose 
möglichst frühzeitig zu stellen. Es ist dies dadurch zu erreichen, 
dass wir hei Blutungen, welche nach einer Blasenmole Auftreten, 
eine Probenuschahnng des Uterus vornehmen. Leider ist trotzdem 
bisher in fast allen Fällen die operative Entfernung des ergriffenen 
Uterus zu spät ausgeführt worden; die Frauen sind sehr bald nach 
der Operation an Metastasen iu den verschiedenen Organen zu 
Grunde gegangen. 

Es erschien aus Untersuchungen in der Schaut a’sehen 
Klinik anfänglich eine Besserung in Bezug auf frühzeitige Dia¬ 
gnose einzutreten, insofern N e u m a n n daselbst die Behauptung 
aufstellte, man könne aus dem histologischen Verhalten der Binsen¬ 
mole allein schon zwischen gutartigen und malignen Blasen¬ 
molen, welche zu einem Chorioepitlielioma führen würden, unter¬ 
scheiden; speeiell hielt er einen retrograden Transport syneytinler 
Massen in das Stützgewebe der Zotten als charakteristisch für eine 
maligne Blusenmole. Er glaubte, dass man unter gewissen Ver¬ 
hältnissen berechtigt sei, aus dem mikroskopischen Befund der 
Blasenmole die Indikation zur sofortigen Entfernung des puer¬ 
peralen Uterus ableiten zu dürfen. 

Ich möchte mich selbst diesen Befunden gegenüber skeptisch 
verhalten und möchte Marchand fragen, welchen Standpunkt 
er in dieser Frage vertritt. 

Herr Marchand glaubt nicht, dass cs möglich sei. histo¬ 
logisch frühzeitig eine maligne Blasenmole von einer gutartigen 
zu unterscheiden. 

Herr Trendelenburg fülirte einen Gjährigen Knaben 
vor, bei dem er eine angeborene vollständige Blasen-Harnröhreu- 


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1304 MUENCIIENER M EDI CT N1S CTIE WOCHENSCHRIFT. No. 32. 


spalte mit Ektopie der Blase durch sein Verfahren der Synchon- 
drosentrennung und direkten Vereinigung der Spalträuder zum 
Verschluss brachte. Die letzten Fisteln sind geheilt, der Knabe ist 
im Stande, den Urin auch im Stehen und Umhergehen 1—1 >/ 2 Stun¬ 
den zurückzuhalten und dann willkürlich in kräftigem Strahl zu 
entleeren. Die Menge des zurückgehaltenen Urins beträgt 4b bis i 
70 ccm. Ein so vollständiges Resultat, wie in diesem Falle, wurde j 
bisher nicht erzielt. Im Anschluss deinoustrirte T. photographische 
Abbildungen von anderen geheilten Fällen, bei denen vollständige I 
Uontinenz aber nicht erreicht worden ist und desslialb ein Com- 
pressorium getragen werden muss. 

Herr Marchand legte ferner den Uterus einer an 
Eklampsie verstorbenen 18 jährigen 1‘uerpera vor, der sich durch 
eine mangelhaft abgelöste, ungewöhnlich wulstige Verdickung 
der Decidua auszeichnete. Das Hauptinteresse besitzt der Uterus ; 
aber dadurch, dass nur das rechte Ovariuin vorhanden ist. während j 
das linke mit Einschluss des Lig. latum und des grössten Theils , 
der Tube fehlt. Von dieser ist nur ein kurzer, 3cm langer Stumpf I 
vorhanden, welcher kaum frei hervorragt und an seinem Ende i 
in ein feines Fädehen ausläuft. Es entsteht hier die Frage, ob es | 
sich um einen congenitalen oder um einen erworbenen Defekt ; 
handelt. Das Vorhandensein eines kurzen Tubenrestes spricht I 
an sich bereits für den letzteren. Bei genauer Besichtigung fand ! 
sich denn auch in der Tiefe des Douglas’sclien Raumes zwischen | 
Bindegewel sadhaesioneu theilweise verborgen, ein harter länglicher ! 
Körper von etwa 1,5 cm Länge, der grüsstentheils verkalkt war, j 
und jedenfalls das in früherer Zeit abgeschnürte, nekrotisirte und ; 
am Peritoneum ilxirte Ovariuin darstellte. 

Zur Erläuterung des Vorganges der Abschnürung legt Vor¬ 
tragender die Abbildung eines früher von ihm in Marburg be¬ 
obachteten ähnlichen Falles von einem an Diphtherie verstorbenen 
.Mädchen von wenigen Jahren vor. Auch hier fand sich an Stelle 
der linken Tube ein kurzer Stumpf, der in seiner Form ganz dein 
hier vorliegenden entsprach. Vom grossen Netz ging ein an 
seinen Enden fadenförmig gedrehter feiner Strang aus. an dem 
das stark vergrösserte, in einen dunkelbräunliehen. etwas ge¬ 
falteten, eystisohen Körper umgewandelte Ovariuin hing. Augen¬ 
scheinlich hatte hier eine Abschnürung durch den feinen Nutz¬ 
st rang, blutige Infiltration und vollständige Abtrennung statt¬ 
gefunden. Nach Durchrelssung des Stranges und Fixirung des 
Ovariuin am Peritoneum würde ein dem vorliegenden ganz ähn¬ 
licher Zustand sich ausgebildet haben. Vortragender verweist auf 
die analoge Dislocation. Abschnürung und Fixirung der Milz 
i Wanderinilz) au einer entfernten Stelle der Peritonealhöhle, z. I». 
in der Regio ileocoecalis, von der er ebenfalls ein Beispiel be¬ 
obachtete. (Beschrieben in der Dissertation von Chr. Schütte, 
Marburg 1895.) 


Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offlcielle8 Protokoll.) 

Sitzung vom 9. Mai 1901. 

Vorsitzender: Herr S e n d 1 e r. 

Herr Enke demonstrirt: 

1. Einen Fall von typischem Mikrocephalus bei einem 
50 jährigen Manne. Es wird die pathologische Anatomie kurz be¬ 
sprochen. Der Kranke hat ausserdem verkümmerte Gesehleehts- 
thelle von der (»rosse derer von Neugeborenen. Penis ist 2'/ 2 cm 
lang, federkieldick; entsprechend klein das Skrotum; in demselben 
die Hoden als erbsengrosse harte Gebilde zu fühlen. Urinlasseu 
normal; niemals ErectJoneu oder Samenabfluss. Patient ist da¬ 
bei mittelgross, körperlich wohlgebildet, geistig etwas schwach. 

2. Einen 20 jährigen Menschen von infantilem Körperbau, 
Waisenkind. Im 12. Jahre erkrankt mit Oedemen an den Beinen, 
bald darauf wurde der Leib dick. Er hatte nie Schmerzen, keinen 
Ikterus, Schlaf und Appetit immer gut. 1898 Aufnahme in die 
städtische Armenanstalt. Befund: Schwächlicher Körper, Haut 
weiss, Schleimhäute blass-bläulich. Zunge feucht, Lungen gesund, 
Sehnenreflexe vorhanden, weinerliche Stimmung, kein Fieber. 
Halsvenen erweitert und pulsirend, Hautvenen am ganzen Thorax 
bis fast zum Nabel stark erweitert und geschlängelt einige davon 
p u 1 s i r e n d. auch auf dem Kücken derartige Ektasien. Herz 
vergrüssert, oben Dämpfung unter der 3. Rippe, seitlich bis zum 
rechten Stemalrand. Starkes systolisches Geräusch an der Spitze, 
verstärkter 2. Pulmonalton, manchmal (nicht beständig) systo¬ 
lisches Blasen an der Tricuspidalis, über der Basis des Herzens 
sieht man einen Stoss, der Systole etwas voraufgehend. Puls 88, 
regelmässig. Leib stark aufgetrieben, Nabel vorgewölbt, Leber 
sehr gross, bis handbreit unter dem Rippenbogen fühlbar, Milz 
stark vergrüssert, reicht fast bis zur Mittellinie. In der späteren 
Zelt allmähliche Besserung, jetzt Leber und Milz bedeutend kleiner, 
die Herzgeräusche variiren, manchmal hört man gar keine Ge¬ 
räusche, sondern normale Töne. Die übrigen objektiven Sym¬ 
ptome sind heute noch dieselben. Diagnose: Wahrscheinlich im 
12. Lebensjahre Endocarditis. welche besonders die Mitralis und 
die Tricuspidalis betraf, wegen letzterer Affektion das seltene 
Phänomen des Veuenpulses. 

3. Einen Gallenstein von Hühnereigrösse und -Form. 35 g 
schwer, per anuni entleert von einer 52 jährigen Frau. 4 Wochen 
vorher perityplilitische Erscheinungen, früher litt sie an „Magen¬ 
drücken“ ohne Ikterus. Der sehr grosse Stein kann natürlich nur 
durch Druckgangraen direkt in den Darm gelangt sein. 

4. Einige Nierensteine (zufälliger Sektionsbefund) von 39 g 
Schwere. Dieselben sehen aus wie Korallenbäumchen und haben 


Kelche und Becken glatt ausgefüllt, deren getreuen Abguss sie 
wiedergeben. 

Herr Joh. Lange demonstrirt: 

1. Einen Bruchsack der Linea alba. Vor einigen Jahren hatte 
die Patientin wegen multipler interstitieller Myome eine supra- 
vaginale Uterusamputatiou überstanden mit nachfolgender Baueli- 
deekeneitemng. Soweit L. in Erfahrung bringen könnt«*, waren 
die Bauchdecken nur durch entspannende Seidennähte und Catgut- 
Hautnaht vereinigt worden. Sehr bald hatte sich im unteren 
Drittel der Narbe ein Bruch gebildet, der mit der Zeit die Dimen¬ 
sionen eines Kinderkopfes angenommen hatte. Die Bruchpforte 
konnte L. bequem mit geballter Faust passiren. Dass ein der¬ 
artiger Bruch erhebliche Beschwerden verursacht, ist leicht ver¬ 
ständlich. Da Patientin sich vorerst zur Operation nicht eut- 
schliessen konnte, wurde versuchsweise eine Bandage mit Pelotten 
angefertigt und angelegt. Wie zu erwarten, wurde selbige nicht 
vertragen und so wurde der Bruchsack entfernt. Glatte Heiluug 
per primam. 

L. hat in den letzten Jahren bei über 50 Laparotomien keine 
Stichkanaleiterungen gesehen. Gegen früher hat er in der Vor¬ 
bereitung der Bauchdecken eine A«*nderung insofern eintreteti 
lassen, als er unmittelbar vor der Operation, nachdem Bad. Rn- 
siren, Sublimatpriessnitz schon am Tage vorher besorgt war. den 
Leib mit Aether abreibt, dann mit Sublimat 1:2000 bürstet und 
hierauf 5 Minuten lang mit S c li 1 e i c li'scher Marmorseife und 
messendem sterilem Wasser bearbeitet. Die Hände werden ebenso 
<*rst in stehendem Wasser mit Schleichseife, dann Sublimat und 
dann in messendem Wasser mit der Seife gereinigt. Die Erfolge 
dieser Art Reinigung lassen nichts zu wünschen übrig. 

2. Uterus myomatosus, Stieltorsion eines subseröseu Myoms: 
Cystoma ovarii. Abdominelle Totalexstirpation. Heilung. Patientin. 
47 Jahre, unverheimthet, bemerkte vor einigen Jahren Knollen int 
Leib, welche in letzter Zeit erheblich an Grösse Zunahmen, ohne 
jedoch irgend welche nennenswerthen Beschwerden zu verursachen. 
Wegen sich steigernder Schmerzen in der linken Seite wird L. am 
1. Mal konsultirt. Er konnte neben einer gedämpften festen Ge¬ 
schwulst, die links 17, rechts 12 cm über die Symphyse hinauf¬ 
reicht und mit «lern Uterus verwachsen ist. eine apfelsiuengrosse 
Geschwulst nach weisen. Dieselbe ist ln geringem Grade unter 
lebhaften Schmerzen beweglich. Adnexe konnten nicht deutlich 
gefühlt werden. Der Douglas ist von einer Geschwulst völlig aus¬ 
gefüllt. Da die Schmerzen sich trotz Bettruhe etc. steigerten, so 
schritt man zur abdominellen T«>talexstirpation, die nur insofern 
eine Besonderheit bot, als L.-das Peritoneum über dem im Douglas 
gelagerten Myom spalten musste, tim den Tumor aus dem kleinen 
Becken entwickeln zu können. Das Myom hatte sich genau an 
Stelle der hinteren Uteruswand entwickelt, an welcher das Peri¬ 
toneum diese verlässt und auf den Beckenboden sich umschlägt. 
Auf diese Welse war das Peritoneum vom Beckenboden abgelöst. 
Die Heilung verlief bis jetzt ungestört. Das Präparat zeigt deut¬ 
lich die Schntirfurehe des nach vorn gedrehten gestielten, sub¬ 
serösen Myoms. Bel dieser Drehung hat es von oben her auch 
die Tube abgekuickt. Tube und Myom zeigen erhebliche Stauungs¬ 
erscheinungen. Das Ovarium der anderen Seite ist zu einem 
Cystom entartet. 

Herr Lohsse demonstrirt das Präparat der rechten Niere 
und der Harnblase eines Mannes, bei dem die linke Niere und der 
linke Ureter vollkommen fehlten. 

Die rechte Niere ist bedeutend vergrüssert, übrigens ohne 
pathologische Veränderungen. ln der Blase fehlt links die 
Ureterenmilndung und der llreterenwulst. 

Herr S e n d 1 e r : Mitteilungen zur Chirurgie der 
Gallenwege. 

Vortragender bespricht an der Hand von 8 in den letzten 
Wochen ausgeführten Gallensteinoperationen die Indikation (1er 
einzelnen Eingriffe, speciell der Cholecystektomie und Chole- 
eystostomie. Die meist sehr eingreifenden, sämmtlich an Frauen 
vollzogenen Operationen, welche sich auf 3 Cholecystektomien, 
3 Cholecystostomien, 1 Choledochotomie und 1 Laparotomie zur 
Lösung peritonealer Strangbildungen vertheilen, sind sämmtlich 
ohne Zwischenfall in Genesung ausgegangen. Im Anschluss an 
die Mittheilungen werden die betreffenden Präparate demonstrirt. 

An der Discussion betheiligen sich die Herren 
T sehmarke und B 1 e n c k e mit einigen Bemerkungen über 
das Photograplilren der Gallensteine mittels Röntgenstrahlen. 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

' (Officlelles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. April 1901. 

Vorsitzender: Herr Goldschmidt. 

1. Herr Neuberger stellt einen Fall vor von Lichen 
ruber planus mit Komplikation von Lichen chron. liypertropbic. 
bei einem jungen Mann, ferner einen Fnll von Sarkomatoäis am 
Oberarm. 

2. Herr Marx demonstrirt das durch Obduktion gewonnene 
Präparat einer Invaginatio ileocolica und referirt die zugehörige 
Krankengeschichte. 

Am 8. IV. 01, Morgens, 1. Konsultation, wobei durch die Unter¬ 
suchung dos 5 monatlichen, männlichen Brustkindes nichts Ab¬ 
normes nachgewiesen werden konnte. Anamnestisch war nur ein- 


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6. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


n nliges Erbrechen während der Nacht angegeben worden. — 
Abends 2. Konsultation, da das Kind wiederholt erbrochen habe, 
auch sei der Stuhl mit Blut und Schleim untermischt. Unter¬ 
suchung ergibt weder Schmerzhaftigkeit uocli Auftreibung des 
IamIh's; kein Fieber. Untersuchung per rectum ergebnisslos. -- 
Am Morgens, wird berichtet, dass das Kind noch zweimal er- 
broclieu habe, auch sei jetzt reines Blut mit wenig Schleim ver¬ 
mischt abgegangen. Schlaf gut. — Abdomeu auch heute nicht 
empfindlich, nicht aufgetrieben. Temperatur 38.3. Sonst nihil. 
I>nrniIrrigation mit 1 Liter öproc. essigsaurer Thonerdelösung, 
wobei der Darmschlauch widerstandslos ca. 25 cm weit eingeführt 
wird. — Bis Abends noch zweimal Erbrechen gallig gefärbter 
Massen. Im Stuhl wenig Blut, mehr Schleim. Puls leidlich. 
Temp. 38,5. Abdomen nicht schmerzhaft, nicht aufgetrieben. 
Links vom Nabel ein wallnussgrosser, rundlicher Tumor von 
massig fester Konsistenz. 

Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Invaginatlo, wesshalb die Eltern 
von der Kotliwendlgkeit einer Operation bei der geringsten weiteren 
Verschlimmerung unterrichtet werden. Nachts 3 Uhr zu dem 
Kinde gerufen findet lief, das Kind bereits todt vor. Die Unter¬ 
suchung des Abdomens post mortem ergibt an Stelle der am Abend 
zuvor vorhanden gewesenen rundlichen wallnussgrossen Geschwulst 
einen grösseren, bügclförmig gestalteten, um den Nabel herum 
gelegenen, massig harten Tumor. 

Die Sektion bestätigte die Diagnose. 

3. Herr Port jun. berichtet über die Operation einer Kiemen- 
gangüstel und einer Kiemenfistel. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, G. August 1901. 

— Iu der Dienstanweisung für die Kreisärzte slud Ver¬ 
sammlungen der Kreisärzte und K r e i s a s s i s t e n z- 
ä r z t e der einzelnen Regierungsbezirke unter dem Vorsitze des 
Uegieruugsmedicinalrathes vorgesehen, ln diesen Versammlungen 
soll über gesundheitlich wichtige Fragen berathen werden. Der 
Minister der Medicinalangelegenheiten bestimmt in einem Erlasse 
an die Regierungspräsidenten, dass die erste dieser Versammlungen 
tliunlichst bald stattflndet. Besprochen werden sollen die neuesten 
grösseren Medicinalgesetze und Verordnungen, das Kreisarztgesetz, 
«las Reichsseuchengesetz und die Dienstanweisung für die Kreis¬ 
ärzte. Für jeden dieser Gegenstände soll ein Berichterstatter und 
ein Mitberichterstatter bestellt werden. Empfohlen wird, dass der 
Regierungspräsident den Verhandlungen beiwohne. Dem Ermessen 
des Regierungspräsidenten ist es anheim gegeben, ausser den 
Medici na lbeam ten, nämlich den Mitgliedern des Medieinalkollegi- 
ums, den Kreisärzten, den Geriehtsürzteu. den mit der Walir- 
licbiming der kreisärztlichen Obliegenheiten beauftragten Stndt- 
ürzteu und den Kreisassistenzärzten, Verwaltungsbeamte, llui- 
««•rsität sichrer, angesehene Civil- und Militärärzte zu den Ver¬ 
sa mmluiigen einzuladen. Dagegen wird Werth darauf gelegt, dass 
von denjenigen Aerzten des Bezirkes, welche die kreisärztliche 
Prüfung bestunden haben, möglichst viele an der Versammlung 
thcilnehtuen. Die Versammlung braucht nicht am Kegierungs- 
hauptort abgehalten zu werden; es kann dafür auch ein anderer 
Ort des Bezirkes, wenn er bequemer erreichbar ist, gewählt werden. 
Die Versammlung soll nicht mehr als einen Tag dauern. Den 
ausserhalb des Versammlungsortes wohnenden Medicinalbeamteu. 
«lie an der Versammlung theilnehmen, werden Reisegelder und 
Tagegelder aus den Personalbedürfnissfonds der Regierung gezahlt. 

— Ueber «las Verfahren 1) e 1 der Entlassung ge¬ 
fährlicher Geisteskranker aus den ö f f e n t. - 
1 i c li «*n Irrenanstalt «• u bestimmen «ler preuss. Mlnlst«*r 
der M»*«licinnlangel«*g(*nheiten und der Minister des Innern in 
ciiicin Erlass an die Oberpriisideuten: „Das Verfahren bei der 
Entlassung gefährlicher Geisteskranker aus den öffentlichen Irren¬ 
anstalten genügt, wie die Erfahrung gezeigt lmt, den Interessen 
«ler öffentlichen Sicherheit nicht. Es ist vielmehr erforderlich, 
«lass die P«ilizeili<*hörd«*u vor «ler beabsichtigten Entlassung einer 
nach ihrem Vorleben als gefährlich zu erachtenden Person gehört 
w«*r«len und ihnen Gelegenheit gegeben wird, etwaige Bedenken 
znm Ausdrwk zu bringen, welche aus dem Vorteilen und «l«*u 
ganzen wlrtlisehnffliehen und Familienverhältnissen, namentlich 
au«1i aus denjenigen, in welche «ler zu Entlassende demnächst 
• introten wird, g« gen die Entlassung sprechen. Eine solche 
Aetiss«*rung kann für die Anstaltshltuiig. «ler «lies«» Verhältnisse 
oft unbekannt s«1n werden, sowohl im Allgctmlneu wie mit Rück¬ 
sicht auf § S32 BGB. nur erwünscht sein. Ferner ist «*s «»rfonler- 
li«1i. «lass von der Entlassung ein«*s Kranken, l>ei dem un«1i s«1nem 
Vorhin*« ein«» Gefährdung der üffcntlklien Sielierlieit in Frage 
kommt, der Polizeibohönle sofort Naehrielit gegeben wird, damit 
sä* im Stande ist, die erforderlichen Maussregein zu treffen. Die 
oiierprä«identen werden ersucht,, zu veranlassen, dass g«*istcs 
kranke auf Gnmd <l«*s § 51 StGB, frelgesprochene oder auf Grund 
di-s § 2**3 StPO, ausser Verfolgung g«*s«*tzte Personen und geistes¬ 
kranke Verbrecher, IkI «lenen der Strafvollzung ausg«*setzt ist. 
sofern dicaen Personen ein Verbrechen oder ein nicht ganz gering¬ 
fügiges Vergehen zur Last gelegt ist — diejenigen auf Veran¬ 
lassung der Polizeibehörde aufgenomineuen Geisteskranken, bei 
«lenen die Polizeibehörde ausdrücklich das Ersuchen um Mlt- 
tiieilung von der beabsichtigten Entlassung gestellt hat — sonstige 
nach Ansicht des Anstaltshlters gefährliche Geisteskranke aus 
•len öffentlichen Irrenanstalten nicht entlassen werden, bevor «lein 
Laudrath, in Stadtkreisen der Ortspolizeibehörde des künftigen 


Aufenthaltsortes und, wenn dieser ausserhalb Preusseus liegt, 
der gleichen für den Ort der Anstalt zuständigen Behörde — Ge¬ 
legenheit zur Aeusserung gegeben ist. Die Leiter der Anstalten 
werden den genannten Behörden unter Mittheilung «l«‘s Materials 
zur Beurtheilung des Kranken, lnsbesondt're eines eingehenden 
ärztlichen Gutachtens, «lie beahsichtigte Entlassung mitzutlicilcn 
haben un«l werden über sie erst na«*h Eingang der Aeusserung 
der Behörden oder nach einer Frist von drei Wochen seit deren 
Benachrichtigung Entscheidung treffeu dürfen. Auch werden sie 
diese Behörden von der Entlassung sofort zu benachrichtig« 1 !! 
haben. Einer Aenderung des Reglements der öffentlichen Irren¬ 
anstalten bedarf es zu diesem Zwecke nicht, es genügt vielmehr, 
wenn die erforderlichen Anordnungen im Verwaltungswege ge¬ 
troffen werden.“ 

— Das k. Stnatsminlsterlum des Innern warnt in einer an 
die k. Regierungen, Kammern des Innern, gerichteten Ent 
Schliessung vor «lern Ankauf und Gebrauch des Haarfärbe¬ 
mittels „Teiuture Afrieaine“, welches Paraplienylendiamiu ent¬ 
hält und von stark giftiger Wirkung ist. In letzter Zeit sind 
wiederholt Erkrankimgsfälle mit Vergiftuiigserscheinuiigen in 
Folg«» Benützung dieses Mittels vorgekommen. Die Benennung 
des Haarfärbemittels wechselt sehr und ist «lesslialb grösste Vor¬ 
sicht beim Bezug von Haarfärbemitteln allgezeigt. 

— Die Abfahrt der Theilnehmer an der ersten ärzt¬ 
lichen Studienreise ln die Nordseebäder erfolgt 
am 28. September Morgens 8 Uhr von Hamburg nach Helgoland 
und zwar mit dem Salondampfer „Prinzessin Heinrich“ der Nord¬ 
seelinie. Am nächsten Tage Mittags 1 Uhr erfolgt die Abfahrt 
nach Sylt via Hörnum, Ankunft in Westerland 5 Uhr. Der 30. Sep¬ 
tember wird auf Sylt verbracht. Am 1. Oktober Mittags 1 Uhr 
Abfahrt nach Amrum via Hörnum. Ankunft daselbst 4 Uhr Nach¬ 
mittags. Am nächsten Morgen Früh 7 Uhr Abfahrt nach Wyk 
auf Föhr, woselbst der Dampfer um 8 Ulir aulegt. Mittags 1 Uhr 
«lesseiben Tages Welterfahrt nach Kuxhaveu, Ankunft daselbst 
5 Uhr 30 Min. Am 4. Oktober wird von Norderney ein Ausflug 
nach Juist unternommen. Am 5. Oktober verlässt der Dampfer 
Norderney bereits um 5 Uhr 30 Min. Früh und langt um 10 Uhr 
Vormittags vor Borkum an. Am G. Oktober erfolgt die Abfahrt 
Früh 6 Uhr 30 Min. nach Wilhelmshaven. Hier benutzen die Theil- 
liehmer einen Zug der Oldenburglschen Stnatsbahn, um nach Caro¬ 
linensiel zu gelangen und mittels Wattdampfer die Inseln 
Wangeroog und Spikeroog zu besuchen. Am 7. Oktober treffen die 
Theilnehmer Vormittags wieder ln Wilhelmshaven ein und gehen 
an Bord der „Prinzessin Heinrich“, welche um 10 Uhr Vormittags 
nach Helgoland abdampft. Ankunft daselbst um 1 Uhr. Am 
8. Oktober, 11 Uhr Vormittags, erfolgt die Heimreise. Der Dampfer 
trifft um 7 Ulir in Hamburg ein, so dass «len Theiinehmern die Be¬ 
nutzung des Südkurirzugcs ermöglicht ist. Alle Einzelheiten über 
«lie während des Verweilen« in den Badeorten zu treffenden 
Arrangements werden demnächst bekannt gegeben. Es sei noch 
bemerkt, dass an der diesjährigen Studienreise Damen nicht theil- 
uclimen können. 

— Die Abtheiluug für freie Arztwahl des Aerztlicben Bezirks¬ 
vereines München hat am 1. Juli d. Js. mit der Betriebskninkeii- 
kasse der Elektrizitütsgesellsohaft vormals Erwin Bubock, G. in. 
b. II., in München einen Vertrag behufs Einführung «ler freien 
Arztwahl abgeschlossen. Die Honorirung erfolgt nach den Mindest¬ 
sätzen der ärztlichen Gebührenordnung. 

— Pest. Türkei. Am 23. Juli wurde ln Stambul 1 Pest¬ 
todesfall gemeldet. — Aegypten. Vom 12. bis 10. Juli wurden iu 
Zagazig 2 Erkrankungen un«l 1 Todesfall festgestellt. — Britisch- 
Ostiudien. In der Präsidentschaft Bombay wurden in «ler Woche 
vom 22. bis 28. Juni 0GG Pest«»rkrankungen und G07 Pesttodesfälle 
gemeldet. Für <li«> Stadt. Bombay belief sich iu der Zeit vom 23. 
bis 20. Juni die Zahl der Pestfälle auf G0, diejenige der Pestto«l«*s- 
fiille auf 04. ln Karachi ist die IVst zu Folge einer Mittheilung 
vom 4. Juli nahezu erloschen. — Kaplaml. In der am 20. Juni 
allgelaufenen Woche wurden ln der ganzen Kolonie 12 Pest- 
erkrankungen gemtldet (darunter 4 in Port Elizabeth). 

— ln der 20. Jalireswoclu». vom 14.—20. Juli 1001. hatten von 
deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterblichkeit 
Mülheim n. Rh. mit 57,0, die geringste Osnabrück mit 12,9 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Maseru iu Borbeck, Essen, Fürth, Karls¬ 
ruhe, Offeubach. 

tH o c h s c li u 1 n a c li r i c li t e n.) 

Heidelberg. Dr. Kotiert Gau pp habilltirte sieh am 
1. August für Psychiatrie mit einer Probevorlesung über: „Di«* 
Paraimiafrag«*.“ — Der Senat hat. auf ein«* Eingabe «ler hiesigen 
Kliniker hin bestimmt, dass zum me«lieiiiis« heu Studium nur s«il«4u* 
Ausländer zugelassen wer«!«*», «lie «In d«*m deutschen Abiturhuiten- 
exiimen gleich zu achtendes Examen b«*stainlen haben. Ferner 
soll ein Verzehlmiss derjenigen ausländischen M«*<li«1ner in den 
Kliniken ausgehängt wenlen, welche berechtigt sind, zu prak- 
tizircu. 

Jena. Der Prtvat<loe«*nt Dr. H. Klonka ln Breslau hat 
die an ihn ergang«»ne Berufung als nusserordentliclmr Professor 
für Pharmakologie an die hiesige Universität nngtuuiinmcn. Damit 
berichtigt, sich «He in N«i. 20, S. 1201 dieser Woeheiis«1irift ent¬ 
haltene Nachricht b«*tr. Prof. S t i n t z 1 n g. 

Königsberg. Bei «ler hiesig«*!! Universität hat eine 1 »aim*. 
Frl. Etliel Blume die Approbation uls Arzt envorlieu. Im v«*r- 
li«issenen Semester waren 2 Damen an der mcdicinischen Fakultät 
iuscribirt. 

L «* 1 p z i g. An der hiesigen Dniv«*rsitäl hat. sieh «ler Assist<*M 
uu der Uuiversitiitsfruuenklinik Dr. med. II. Fiith mit einer 


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l^oß _ _ MÜENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. No. 32 . 


Vorlesung über die Augenentzündung der Neugeborenen als Privat¬ 
dozent lmbilitirt. 

M ii n c li e n. Per ordentlielie Professor an der k. Universität 
und erster Konservator der anatomischen Anstalt des Staates. Ge¬ 
heimer Rath Pr. Karl Wilhelm Kitter v. K u p f f e r, wurde wegen 
zurückgelegten 70. Lebensjahres auf Ansuchen in seiner Eigen¬ 
schaft als Professor von der Verpflichtung, Vorlesungen abzu¬ 
halten, entbunden, in seiner Eigenschaft als Konservator in den 
dauernden Ruhestand versetzt und demselben bei diesem Anlässe 
in Anerkennung seiner ausgezeichneten Leistungen im akademi¬ 
schen Lehramte, sowie auf dem Gebiete der Wissenschaft der Ver¬ 
dienstorden vom hl. Michael 2. Klasse verliehen. 

(Todesfälle.) 

Am 28. vor. Monats verschied in seiner Villa zu Ischl Im 
70. Lebensjahre Prof. Pr. Herrn. Freiherr v. Widerhofer, 
Vorstand der Universitäts-Kinderklinik in Wien. Pie Kunde von 
diesem Todesfälle wird ln den weitesten Kreisen, auch ausserhalb 
Oesterreichs, Trauer und Theilnahme hervorrufen; war doch 
v. W iderhofer nicht allein ein hervorragender Meister seines 
Faches, der durch seinen ärztlichen Scharfsinn und seine um¬ 
fassende Erfahrung die Kinderheilkunde nach vielfältiger Richtung 
hin bereichert hat — er war auch eine wahrhaft edle und liebens- 
wertlie Persönlichkeit, die auf Jeden, dem es vergönnt gewesen, 
dem trefflichen Manne näher zu treten, ihren Zauber ausübte. 
Was v. W iderhofer in langjähriger, praktischer und lehr¬ 
amtlicher Thätigkeit, was er auf literarischem Gebiete geleistet 
hat, wird von berufenerer Seite eingehend gewürdigt werden. 


Personalnachrichten. 

(Baye r u.) 

Verzogen: Pr. Karl Plstory von Arberg. Rez.-Amt Feuchf- 
wangen. nach Daher in Preussen. Pr. Bernhard Frye von Fürth 
naeh Nürnberg. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheiten für München 

in der 30. Jahreswocho vom 21. bis 27. Juli 1901. 

Betheiligte Aerzte 198. — Brechdurchfall ö5 (20*), Diphtherie, 
Croup 17 (lu), Erysipelas 8 (11), Intermittens, Neuralgin intenu! 
1 (1), Kindbettfieber — (1), Meningitis cerebrospin. 1 , 

Morbilli 28 (31), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 3 (4), Parotitis 
epidein. 1 (—), Pneumonia crouposa (» (h), Pyaemie, Septikaemie 
1 (—), Rheumatismus nrt. ac. 15 (13), Ruiir (dysenteria) — , 

Scarlatina 7 (9), Tussis convulsiva 18 (18), Typhus abdominalis 
1 (—), Varicellen 10 (12), Variola, Variolois — (1), Influenza 1 (—, 
Summa 152 (137). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 30. Jahreswoche vom 21. bis 27. Juli 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 1 (1*), Scharlach 1 (—), Diphtherie 
und Croup 2 (3), Rothlauf — (2), Kindbettfieber 1 (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 1 (—). Brechdurchfall 8 (7), Unterleibtvphiis 
— (2), Keuchhusten 4 (—), Croupöse Lungenentzündung 3 ■ 
Tuberkuloso a) der Lungen 23 (28), b) der übrigen Organe G (12, 
Akuter Gelenkrheumatismus — ( —), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 4 (ö), Unglücksfälle 4 (1), Selbstmord 2 (1), Tod durch 
fremde Hand — ( —). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 189 (200), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 19,G (20,8), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,1 (11,3). 


*) Pie eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Morbiditätsstatistik der infectionskrankheiten in Bayern: Mai 1 ) und Juni 1901. 


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Bevölkerungsziffern*): Oberbayern 1*32»,447, Niedcrlmvcra 678,584, 

Pf alz 8.71,538, Oberpfalz 553,857, Oberfrimken 607,903, Mittelfrankcn 815,556, llnter- 
franken 650,758, Schwaben 713,515. — Augsburg 89,109, IJnmbcrg 41,820, Hof 32,782, 
Kaiserslautern 48,.106, Lud wigshafen 61,905, München 499,959, Nürnberg 261 022 
Pirmasens 30,194, Regensburg 45,426, Würzburg 75,497. 

Einsendungen fehlen aus den Aemtnrn Bogen, Kehnti, Ansbach, Feucht- I 
"«Ingen, Neustadt a./A , Ilofheiin Königshofen, Würzburg, N’cuburg a./D. und 
Oberdorf. 

Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet I 
au« folgenden Aemtern bezw. Orten: 

Influenza: Stadt- und Lundbczirkc Erlangen 18, Forchhelm und Mem¬ 
mingen je 11, Aemtcr Altötting 37 (hievon 27 Im ärztl. Bezirk Neuötting', Vils- I 
biburg 22, Naila 12, ärztl. Bezirk Lnulngen iDillingen) 14 bell. Fälle. 

Morbilli: Fortsetzung der Epidemie in der Stadt Ludwigshofen (nun¬ 
mehr uber'die ganze Stadt und die Vororte Friesenheim und Mundcnhclm ver- ' 
breitet; 179 lieh. Fälle, davon 28 das 1., 116 das 2.-5, 15 das 6. Lebensjahr, 

20 über 6 .fahre alte Kranke betr), ferner in tlen Aemtern München I (ärztl. 
Bezirk(Ismaning), Pfaffenhofen (A G. Geisenfeid, bes. Gemeinde Hottenegg; 98 i 
lieh. Fälle), Passim (ärztl. Bezirk Ttttling), Kusel (nunmehr in Kusel selbst), 
1,’imluu i. i’f. (Stadt Laudnu, tiomcitiden Ilbesheim, Wollmesheim, (»rossfischlingeu), , 
Nemniirkl (ärztl Bezirk Sulzbiirg), Kempten (Höhe tu Altusried. Abnahme in 1 
krauenzel) und Miithmaiinshofen), endlich im Stadt- u. Lundbezirke Memmingen 
(98 lieh. Fälle). Epidemisches Auftreten ferner in den Aemtern Erding (in 3 Ge¬ 
meinden), Freising (in 5 Gemeindet)), Rosenheim (Gde Ha'fing), \ ilshofen (in 
Aidenbach neben Tussis), Germer>heim (in Rheinzabern), Ludwigshnfen (in Mut¬ 
terstadt und Böhl), Neustadt a./H. «in Neustadt selbst), Alzenau (in Königshofen 
n/K I, Miltenberg (Gde. Weilbach), Ochsenfuit (in Stadt Aul). M bell. Fälle), Iller - 
tissen (in Vohringcn und 5 Gdn. des A.-G Babenhausen) und Sonthofen (iu 3 Ge¬ 
meind,»; 70 beh Falle). Epidemie in Gde. Erlach (Lohr) erloschen Stadt- u j 
Landbezirk Lindau 42, Aemter Fraukcntbal 34, Zweibrüeken 20 beh. Fälle. 

Parotitis epidemica: Fortsetzung der Epidemie in der Stadt Nord- , 
lingen; Epidemie in Harburg (Donauwörth) erloschen. 

Ruhr, dysenteria: Aerztl. Bezirk Neuötting (Altötting) 9 beh. Fälle. , 

Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemie In den Aemtern Alt- 
ötting (43 beh. Fälle), Freising (nunmehr in der Stadt selbst, 31 beh. Fälle), ; 


I.andsberg (in 3 Gemeinden, 35 beb. Fälle), Vilsliofen (in Aidenbach neben Ma¬ 
sern, 37 heb Fälle), Staffelstein (In Stnffclslcin und 2 weiteren Gemeinden). Epi¬ 
demien ferner in den Aemtern Kbersberg (in Ebersberg und 3 weiteren Gemein¬ 
den), Ingolstadt (in Reieherlshofen, 32 beh Fälle), Mühldorf (in den ärztl. her 
Kraiburg und Neumarkt, 28 beh. Fälle), Pfaffenhofen (in Pfaffenhofen, 18 heil 
Fälle), Passau (im ärztl Bezirk Hutthunn, 43 beh. Fälle), Ludwigshafen (in Alt¬ 
rip und Oggersheim), l’egnilz (in Woggnst Schulschluss), Stadtsteinach (in Eppen¬ 
reuth und Rugendorf, beginnend in Marktlcugast), Lohr (Schulschluss in Parten 
stein), Schweinflirt (in Heidenfeld), Wertiugen (in Heimcrtingen) und Zusina»- 
hausen (ln 3 Gemeinden). Epidemie in Harburg (Donauwörth) erloschen. Aemter 
Pfarrkirchen und Regen, A -G. Ilassfurt, je 20 beh. Fälle. 

Typhu« abdominalis: Fortsetzung der Epidemie im Bezirke WaM- 
münchen, 7 Erkrankungen. Aerztl. Bezirk Röthenbach (Hcisbruck) 3 beh. lalle 

Varicellen: Epidemisches Auftreten In Germersheim. 

Variola: 3 Fälle (genesen) in Neunburg v./W., 1 Full in Lauingen (1**1 
lingen). 

Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird tun 
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Berichts¬ 
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehlanzeigen 
ersucht, wobei anmerkungsweise Mittbeilungen über Epidemien erwünscht sind 
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswertb, dass Fälle 
aus der sog Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Grenz¬ 
amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern an 
gezeigt werden. 

Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen *u portofreier Einsen 
düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Bezirksärzte 
zu erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. Sammelkarten als zu 
Einzelnelnsenduncen der Amts- und praktischen Aerzte, welcho in let* ( 
terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle znsammengestellt auf 
je 1 Karte pro Monat nebst alieufallslgcn Bemerkungen iibor Epidemien etc. zm 
Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht von Einsendung sog. Zähl 
blättchen oder 8 a m m e 1 b o g e n abzusehen. Allenfalls ln Ilanden befind 
liehe sog. Postkarten wollen aufgebraucht, jedoch durch Angabe der Zahl 
der behandelten Influenzafälle ergänzt und unter Umschlag eingesnndt werden 


•) Nach dem vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1900. — *) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 29, 1901 
eingelaufener Nachträge. — *) Im Monat Mal 1901 einschliesslich der Nachträge 131t — *) 18 mit 22 bezw. 23. mit 26. Jahreswoche. 


Verlug von i. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerci A.G., München. 


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DIo Münch. Med. Wochen«chr. erscheint wAcheotl. 
ln Nnmmern Ton durchschnittlich 6—6 Bogen. 
Prols ln Deui'chl. u Oeet.-Dng&rd vlertelj&hrl. 6 Jl, 
Ins Ausland 7.60 JL Einreine No. 80 -4. 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind r,n adressiren: Tür die Bodactlon 
Ottostrasse 1. — Für Abonnement an J. K. Leh¬ 
mann, Heustras'o 20. — Für Inserate nnd Beilagen 
an Rudolf Mosse, Promcnadcplats IG. 


MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FOR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Herausgegeben von 

CI. Bftonler. 0. Bolllnger, H. Corscbmann, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, H.». Ranke, F. i. Wlnckel, H. t. Zierassen, 

Freibarg I. B. München Leipzig Berlin. Nürnberg Berlin. München. München. München. 


No. 38. 13. August 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasee 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse £0. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Erfahrungen über bösartige Geschwülste, insbesondere 
Uber Carcinome.*) 

Von Prof. Dr. E. Loser in Halle. 

M. H. 1 Als die Aufforderung an mich herantrat, in unserem 
Verein einen Vortrag zu halten, bin ich derselben um so lieber 
gefolgt, als mich schon seit längerer Zeit eine Frage beschäftigte, 
von der ich annehmeu kann, dass die Erörterung derselben auch 
allgemeines Interesse bei Ihnen wachrufen werde; ich meine die 
malignen Tumoren. Jedoch musste ich bald einsehen, dass es 
nicht angängig ist, im Rahmen eines Vortrages von etwa 1 Stunde 
alle malignen Geschwülste in die Besprechung zu ziehen und dess- 
halb beschränke ich mich im Wesentlichen auf die carcino- 
matösen Neubildungen. 

Es ist für einen Chirurgen, der in der Praxis steht, von 
grossem Werth, wenn er eiumal stille steht und zuriickbliekt auf 
den Weg, den er gegangen ist, um sich zu fragen, was er erfahren 
und gelernt und was er geleistet hat. Und welches Gebiet der 
chirurgischen Thütigkeit könnte da mehr anziehen, als die bös¬ 
artigen Geschwülste? Wissen wir doch, dass dieselben eine sich 
immer mehr ausbreitende Krankheit sind, dass z. Zt. etwa jähr¬ 
lich derselben 40 000 Menschen erliegen und müssen wir doch 
immer und immer wieder uns sagen, dass wir über das eigent¬ 
liche Wesen dieser Erkrankungen noch sehr wenig wissen. 

Mein Material ist nicht sehr gross und Sie werden da auch 
nicht voraussetzen, besonders Neues von mir zu liörcn; immerhin 
glaube ich einige Punkte erörtern zu können, welche auch allge¬ 
meines Interesse bei Ihnen beanspruchen dürfen. Ein Kranken¬ 
material, welches nicht, gerade über Tausende von Fällen ver¬ 
fügt, kann dennoch über Mancherlei Auskunft, geben, zumal, 
wenn, wie bei dem ineinigen, dafür gesorgt ist, dass genaue 
Krankengeschichten geführt werden, wenn möglich nicht nur 
bis zum Tage der Entlassung der Patienten aus der Behandlung, 
sondern auch noch weiterhin, eventuell bis zum Tode. — Schon 
Billroth liat es ausgesprochen, dass es geradezu eine Redens¬ 
art ist, wenn inan davon spricht, man habe diese oder jene Ope¬ 
ration hunderte Mal gemacht. Ganz erstaunlich ist cs, wie die 
Zahl der Fälle zusaminenschrumpft, wenn man einmal genau 
revidirt. 

Vom 1. Oktober 1890 bis dahin 1900 habe ich in tote 529 
Kranke mit Geschwülsten untersucht bezw. behandelt. Hiervon 
sind als Patienten mit bösartigen Geschwülsten 392 notirt 
und zwar 206 Männer, 166 Frauen und 20 Kinder unter 10 Jahren; 
es herrschen also hierbei die Männer gegenüber anderen Stati¬ 
stiken, in welchen meistens die Frauen prüvaliren, vor. Aber 
dies ist auf’s Natürlicliste daraus zu erklären, dass ich Frauen 
mit malignen Tumoren der Geschlechtsorgane, abgesehen von 
der Brustdrüse, nicht behandelte und demnach diese grosso Zahl 
Frauen abgeht. Nur kurz bemerke ich, dass sich diese 392 bös¬ 
artigen Tumoren folgendermaasson gruppiren: 15 Fälle von Chon¬ 
dromen, 37 Fälle von malignen Lymphomen bezw. Lympho¬ 
sarkomen, 78 Fälle «x'hter Sarkome, 12 Fälle von Adenomen, 
33 Fälle voll Kystomen und 217 Fülle von Carciiionien. 

•) Nach einem Vortrage, gehalten im Aerztllohen Verein zu 

Halle am 14. V. 1901. 

No. 88. 


Wenn ich auch weiss, dass eine Statistik, um gut genannt 
zu werden, eine ganze Reihe von Momenten genau anführen muss, 
so muss ich doch im Wesentlichen darauf verzichten, um ihre 
Zeit nicht allzusehr in Anspruch zu nehmen. Ich möchte nur 
betonen, dass ich unter den Snrkoinfiillen 9 von solchen des 
Magens und Darmes und 33 Fälle von Sarkomen an den Extremi¬ 
täten finde. Was die Carcinome angeht, so sind, abgesehen von 
33 Gesichts-, namentlich Lippencarcinomen, von mir 92 solcher 
an Hals-, Rücken- und Brustdrüse, 60 von Magen-Darm- bezw. 
Mastdarmeareinom und endlich 14 Fälle von Carcinomen der 
Harn- und Geschlechtsorgane oi>erirt. 

Will man sich nun klar werden, was man eigentlich erreicht 
hat. wie viele Patienten einen wirkliehen Vortheil von der Ope¬ 
ration gehabt haben, so muss man vor allem wissen, wie der be¬ 
treffende Chirurg Indikationen zur Operation stellt. Denn, m. 
IT., keineswegs ist dieser Punkt gleichmässig, und es leuchtet 
a priori ein, dass derjenige Arzt, welcher zum Grundsatz hat, alle 
Fälle, die auch nur noch eine Spur von Hoffnung ergeben, dass 
man durch Operation ihr J.A*ben erhalten, d. h. zu verlängern 
vermag, zu operiren, scheinbar, aber auch nur scheinbar, 
schlechtere Resultate quond mortem et valetudinem hat, als der 
Arzt, der nur solche Fälle operativ angreift, welche ihm alle 
Chancen zum Erfolg zu bieten scheinen. 

letzteren Standpunkt nahm z. B. vor einigen Jahren noch 
Olshausen ein, der auf dem 96er Phirurgenkongress den 
resumirenden Satz aufstellte, nur dann ein Uterusearcinom zu 
operiren, wenn durch die Untersuchung festgcstellt würde, dass 
es noch nicht zu einer Infiltration der Parametrien (Hier der 
Lymphdriisen gekommen ist. Habe ich auf dem letzten Kongress 
richtig verstanden, so hat Olshausen diesen strengen Stand¬ 
punkt verlassen und stellt, jetzt die Indikation zur Operation 
weiter. 

Ich selbst operire jeden Fall, der auch nur ein«* minimale 
Hoffnung zum Erfolg gibt. Und dabei leiten mich folgende 
Gründe. Einmal ist. es selten möglich, ja in vielen Füllen un¬ 
möglich. absolut sicher fest zustellen, dass eine radikale Operation 
nicht mehr angängig ist-. Dann aber rettet man Ihm solchem 
Grundsatz, wie die Erfahrung lehrt. Manchen, der unoperirt 
sicher verloren ist. Und endlich ist im Allgemeinen der Tod. 
zumal wenn der Patient bald nach dem Eingriff stirbt, ein 
weniger unangenehmer und jedenfalls ein schnellerer, als wenn 
sieh der Kranke unoperirt noch monatelang quält. 

Unter diesen Verhältnissen operire ich. Und nun habe ieli 
zu erkunden versucht, wie denn meine Resultate sind, sowohl im 
Allgemeinen, als auch hinsichtlich der Mortalität und liinsicht- 
lich der Recidive. Ich habe desshalb brieflich von diesen 392 
Kranken Auskunft erbeten und im Ganzen Antwort iit 
305 Fallen theils von den Kranken, theils ihrer Umgebung er¬ 
holten. Aber die brieflichen Auskünfte, waren trotz genauer 
Fragestellung so mangelhaft, dass ich dieselben nur insofern 
als maassgebond benutzen kann, dass ich dadurch bestimmt, er¬ 
fahren habe, dass von den 305 Fällen jetzt noch 78 ohne jede 
Beschwerde am Lclnm sind, also etwa 19 Proo., \*(»rausgesetzt, 
man nimmt an, dass die 99 Patienten, welche, nicht antworteten, 
gestorben sind. Leider war cs nicht möglich, genau festzustellen, 
wie viele von diesen Operivten Recidive, Metastasen etc. haben. 
Wenn man nun bodenkt. dass unter diesen Uehcrlebeiideu auch 
solche sind, die bereits vor 11 Jahren opcrirl -dnd. so kann man 


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1308 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


nicht leugnen, dass diese Resultate überraschend günstige sind. 
Ich selbst war auf’s höchste erstaunt. Da es. aber unmöglich ist, 
heute bei der beschränkten Zeit Alles, das bei dieser verhältniss- 
mässig mangelhaften Statistik noch interessirt, noch zu betonen 
und zu erörtern, so will ich nur auf einige Punkte eingehen. 

Was zunächst die Art bezüglich den Sitz der Geschwulst 
angeht, so befinden sich unter diesen dauernd Geheilten 9 Fälle 
von Lippen- bezw. Wangencarcinom, 16 Fälle von Brustdrüsen - 
carcinom, 29 Fälle von Magendarm- bezw. Mustdarmcarcinom, 
3 Fälle von Hodencarcinom und 2 Fälle Nierencarcinom. Be¬ 
merkenswerth ist, dass sich unter den Lebenden kein Kranker 
von Zungencarcinom und Oesophagusearcinom l>efindet. Die 
übrigen Fälle erstrecken sich auf maligne Tumoren der Extremi¬ 
täten. Von diesen 78 Fällen lebten im 

12. Jahr nach der Operation noch 2, 


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Bevor ich zu erörtern suche, ob es möglich ist. Gründe zu 
finden, welche diese günstigen Resultate zu erklären im Stande 
sind, will ich zunächst Einiges zur Aetiologie der Krebse 
bei tragen. 

M. H.! Dass wir es beim Careinom, wenigstens bei 
mehreren Gruppen von Carcinom, mit einer Infektions¬ 
krankheit zu tliun haben, dieser Ansicht schliesse ich 
mich immer mehr an. Schon die sicheren Beobachtungen 
von direkten Uebertragungen eines Carcinoms auf eine 
Partie gegenüberliegenden Gewebes lässt ja wohl, kaum eine 
andere Deutung zu. Ein Beispiel einer solchen Infektion 
möchte ich kurz anführen. Ich operirte einen Kranken 
mit Carcinom der linken Zungenhälfte. Der Mann blieb 
4 Monate gesund. Er kam daun wieder mit einem ulcerirten 
Rocidiv des Zungenstumpfes. Genau aber der Stelle dieses 
ulcerirten Recidivs gegenüber hatte sich am weichen Gaumen 
im linken Arcus palatoglossus ein Carcinom, also ein Impf- 
carcinom, entwickelt. Der Fall ist von einem meiner Assistenten 
genau beschrieben und wird in kurzer Zeit publicirt werden. 
Derlei Fälle von Impfinfektion bei Carcinom hat wohl jeder be¬ 
schäftigte Chirurg beobachtet. 

Aber es muss sich doch um eine Infektion besonderer Art 
handeln, mag es sich nun um Coccidien, Blastomyceten oder 
andere Organismen handeln. Ob die in der kürzlich publicirten 
Arbeit von Schüller als Erreger der Krebs- und Sarkom¬ 
krankheit beschriebenen Organismen in der That diese sind, 
bleibt weiteren Kontroluntersuchungen zur Entscheidung über¬ 
lassen. Denn es bleibt für unsere jetzige Auffassung von Infek¬ 
tion noch unerklärlich, dass bei der Metastasenbildung nicht 
nur ganz fremdartige Zellen auftreten, sondern auch, dass diese 
Zellen denselben Bau dort entwickeln, wie der primäre Krebs. Man 
denke nur an die gar nicht seltenen Metastasen eines Mamma- 
carcinoms im Knochen des Schenkelhalses, wo sich fast charakte¬ 
ristische Bilder der normalen Milchdrüse entwickeln. Das ist 
doch etwas ganz anderes als die typischen mikroskopischen Bilder, 
wie sie z. B. die Tuberkelinctastaseu liefern. Da sind doch nur 
Zellen und Zellenbildungen, welche das mikroskopische Bild auf¬ 
bauen, die überall Vorkommen und Vorkommen können. Eine 
Milchdrüse kann aber nicht im Knochen entstehen und sich auf¬ 
bauen, ohne dass ganz besondere Verhältnisse dabei eine Rolle 
spielen. 

Was nun die bekannten Betrachtungen über häufig 
wiederkehrende Reize als prädisponirende Momente 
zur Carcinornbildung angeht, so habe ich dafür auch mehrfache 
Beispiele, ebenso wie solche von einem einmaligen starken 
Trauma, prädisponirend zur Sarkombildung. 

Ich möchte als ein Beispiel derartiger Carcinomentstehung 
in Folge häufig wiederkehrenden Reizes folgenden Fall anführen. 
Ein junger Mann kam zu mir wegen eines durch Reibung der 
unbequemen Stiefelkappe erzeugten Ulcus. Tn kurzer Zeit 
heilte dasselbe. Das erneute Tragen des unbequemen Stiefels 


erzeugte wiederum ein Geschwür; und in der Weise ging es noch 
3 mal fort, bis der Kranke über Schmerzen in der Leistengegend 
klagte. Die Exstirpation der Schenkeldrüsen führte zur Diagnose 
„Carcinom“, und musste die Ablatio cruris gemacht werden. 
Aehnliche Reizbildungen kennen wir ja auch als Ursache der 
Krebserkrankungen beim Schornsteinfeger- und Paraffinkrebs. 
So leicht sich nun dieser Begriff des Reizes als ursächliches 
Moment bei der Carcinomausbildung einstellt, so bleibt es doch 
immerhin wieder wunderbar, dass nun nicht etwa die ganze ge¬ 
reizte und erkrankte Fläche carcinomatös wird, sondern dass die 
Erkrankung nur an einer ganz bestimmten Stelle 
circumscript beginnt und nicht im ganzen gereizten Gebiet 
auf einmal. Es müssen doch wohl auch ganz bestimmte Verände¬ 
rungen im Gewebe sein, die dazu disponiren. 

Auch die zweifellos feststehende, gar nicht so seltene Be¬ 
obachtung von Heredität maligner Tumoren macht die Er¬ 
klärung der Infektion schwer, denn in der Weise, wie etwa bei 
der Tuberkulose, da man wohl annehmen kann, dass die tuber¬ 
kulösen Eltern die Kinder direkt inficiren, ist es beim Carcinom 
wohl nicht. 

Wenn es nun auch erklärlich ist, dass viele Forscher ihre 
Aufgabe darin finden, den Erreger der Krebskrankheit kennen zu 
lernen — bis jetzt sind alle Untersuchungen ergebnissloe gewesen, 
auch die jungst auf dem Chirurgenkongress von dem Schweden 
Nils Sjöbring publicirte scheint es zu sein — so meine ich, 
dass dem klinischen Arzte diese Aufgabe wohl auch zufällt; für 
ihn aber viel wichtiger scheint mir zu sein, zunächst dort thätig 
zu sein, wo wir wenigstens einen Weg vor uns sehen, etwas weiter 
zu kommen, d. i., die diagnostischen Hilfsmittel 
zu vervollkommnen. Denn, m. H., mit der Diagnose des 
Carcinoms sieht es nach meiner Ansicht noch grösstentheils recht 
traurig aus. Schon ist in vielen Fällen da, wo wir die erkrankt« 
Fläche sehen und beobachten können, die Diagnose Krebs nicht 
leicht; ich erinnere an die Schwierigkeiten, den Moment fest¬ 
zustellen, da ein bis dahin gutartiges Ulcus cruris carcinomatös 
entartet; selbst mikroskopisch ist es da zuweilen nicht durchaus 
möglich; ich erinnere an das Lippen carcinom, das von Beginn 
an unter ärztlicher Kontrole stand. Wiewohl meiner Ansicht 
nach hier eine klinische Erscheinung uns in den meisten Fällen 
den Weg zeigt, d. i. die dem malignen Tumor eigenthümlichc 
Neigung, sich in der Umgebung zu verbreiten, in die umgebenden 
Gewebe hineinzuwachsen und damit das Symptom der Infil¬ 
tration und alsbaldigen Fixation mit der Umgebung her¬ 
beizuführen; eine, gewisse Starrheit, Unbeweglichkeit dee sonst 
normal beweglichen Organes macht den Fall des Carcinoms sehr 
verdächtig. Wenn die Haut über einer Mammageschwulst nicht 
mehr verschieblich, nicht mehr faltbar ist, denkt der Chirurg 
sofort an malignen Tumor; dem Laryngologen ist die Beobach¬ 
tung, dass das bis dahin bewegliche Stimmband sich fixirt und 
starr wird, ein wichtige« diagnostische« Hilfsmittel. 

Ist also in solchen Fällen die Diagnose oft nicht leicht, so 
scheint dieselbe mir sehr viel schwieriger, ja bisweilen unmöglich 
da zu sein, wo wir das erkrankte Organ nicht unmittelbar sehen 
und die Erkrankung beobachten können. 

Hievon möchte ich heute nur zwei Gruppen von Carcinomen 
innerer Organe herausgreifen, von denen die eine in den letzten 
Jahren immer mehr in die Behandlung des Chirurgen übergeht, 
die andere schon lange Zeit ausschliesslich chirurgisch behandelt 
wird; aber beide, wie ich meine, noch lange nicht zahlreich und 
früh genug chirurgische Hilfe in Anspruch nehmen, d. i. das 
Carcinom des Magens und Dünndarms einerseits und 
das Mastdarmcarcinom andererseits, also häufige Car- 
cinome; ich sehe ganz von den malignen Tumoren der anderen 
inneren Organe, Niere, Gallenblase, Pankreas und Harnblase ab. 

Meiner Ansicht nach liegt die Diagnose des Magen- 
und Diinndarmcarcinoms noch recht im Argen; dass 
man es freilich erkennt, wenn ein Tumor deutlich palpirbar ist, 
wenn sich Erscheinungen der Unwegsamkeit im. Lumen dieser 
Organe einstellen und wenn die Ernährung schon so leidet, dass 
man fast von Cachexie sprechen muss, mm, m. H., das erscheint 
wohl selbstverständlich, obwohl auch dann noch keineswegs dia¬ 
gnostische Irrthümer ausgeschlossen sind. Aber, wenn in diesem 
Stadium der Erkrankung ein Patient dem Chirurgen überwiesen 
wird, dann ist es meistens zu spät. Die mesenterialen Lymph- 
drüsen sind bereits weithin inficirt, die Verwachsungen mit der 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1309 


13. August 1901. 


Umgebung durch peritoneale Adhaesionen so fest und so flächen¬ 
haft, dass man nur selten an eine radikale Exstirpation denken 
kann. 

Wir müssten lernen, das Carcinom im Magen und Dünndarm 
zu dingnosticiren, bevor es solche Fortschritte gemacht hat. So 
weit ich dies zu berurtheilen vermag — ich bin gern bereit, von 
den zahlreich anwesenden Vertretern der inneren Medicin zu 
lernen —, scheint dies bisher fast unmöglich. Ich wüsste 

wenigstens sonst keine Erklärung für die Thatsache zu 

finden, dass dem Chirurgen meistens diese Patienten 
erst in diesem späten Stadium überwiesen werden; bin 

ich doch weit • entfernt davon, anzunehmen, dass die 

inneren Mediciner . noch heute auf dem Standpunkte 
stehen, einen an malignem Tumor erkrankten Menschen 
erst dann dem Chirurgen zuzuschicken, wenn alle anderen Mittel 
vergeblich waren, gleichsam als ultima ratio; obwohl ich ge¬ 
stehen muss, dass mich hin und wieder diese Furcht beschleicht. 
Nun, m. II., Denjenigen, die so denken, brauche ich nur vor¬ 
zuhalten, »lass von Patienten, die in diesem hohen Krankheits¬ 
stadium zu mir zur Operation gekommen sind — 18 im Ganzen —- 
noch 6 leben, darunter 2 Kranke, an denen bereits vor 6 und 
5 Jahren der Eingriff — Exstirpation des erkrankten Magen- 
abschnittes — gemacht wurde; Fälle, da schon mesenteriale 
Lymphdrüsen erkrankt waren und mitentfernt werden mussten 
«»der da schon ausgedehnte Verwachsungen bestanden. Ich meine, 
«lass diese Zahlen für sich sprechen. Um wie viel Ix'sser wären 
nun die Resultate, wenn wir die Kranken früher zur Unter¬ 
suchung und Operation erhielten! 

Welche Symptome berechtigen aber zur 
Diagnose Magenkrebs? Zuweilen hilft hier die 
Aetiologie, indem erfahxungsgemäss sich oft in den Rändern 
«■ines früheren vernarbten Ulcus ventriculi Carcinom ausbildet. 
Rasche Abmagerung, Belegtheit der Zunge, gestörte Ver¬ 
dauung, Gefühl von Fülle und Drude in der Magen¬ 
gegend nach der Mahlzeit, Aufstossen, Alles dies sind Er¬ 
scheinungen, die ja bei Magen ca rci nom Vorkommen können, 
aber weil sic auch bei anderen Magenerkrankungen sich ein¬ 
stellen, nicht als charakteristisch anzusprecheu sind. Wichtiger 
ist schon das häufige Erbrechen kaffeesatzähnlicher und choco- 
ladenfarbiger Massen, aber auch dieses Symptom kommt zuweilen 
bei Ulcus ventriculi simplex vor. Ferner kommt in Betracht der 
mikroskopische Nachweis von Blutgehalt im Erbrochenen und die 
chemische Haeminprobe. Aber auch diese Bestimmungen können 
keinen Anspruch auf pathognomonische Bedeutung, ebensowenig 
wie der Nachweis dee Fehlens der freien Salpetersäure und An¬ 
wesenheit von Milchsäure machen, da letztere auch keineswegs 
konstant ist. Die in den letzten Tagen von Boas publizirte 
Meth«>de des mikroskopischen Nachweises von Blut im Er¬ 
brochenen und in den Faeces ist jedenfalls als Fortschritt zu be- 
grüssen, da sie uns in den Stand setzt, relativ frühzeitig auf 
einen ulcerirenden, d. h. Blutung hervorrufenden Process zu 
fahnden. Und selbst die Palpation eine« Tumors ist nicht immer 
konstant, ich erinnere an die allerdings nicht sehr häufige in- 
filtrirende Form des Magenkrebses; und was endlich die Erweite¬ 
rung des Magens angeht, so kommt dieselbe durchaus nicht selten 
bei einer Reihe gutartiger Proeesse vor. 

Ganz ähnlich, fast noch unsicherer, steht es mit der Er¬ 
kennung eines Dünndarmkrebses. 

Im Beginne kann also, meiner Ansicht nach, die Diagnose auf 
Magen- und Dünndarmcareinom nur eine Wahrs«*heinlichkeit,s- 
diagnose sein; wird aber in dieser Zeit nicht operativ einge¬ 
schritten, so vergeht die beste, die günstigste Zeit unbenützt. 

Diese Gründe sind es, m. H., welche mich veranlassen, hier 
auszusprechen, dass es einerseits Pflicht der Aerzte ist, viel früher, 
als bisher geschehen, und viel häufiger bei schweren Magen- und 
Darmerkrankungen den Chirurgen zuzuzieheu und andererseits 
Pflicht des Chirurgen ist, in jedem nur zweifelhaften Falle eine 
diagnostische Laparotomie vorzuschlageu. Dieser 
Eingriff erlaubt uns, nicht nur mit eigenen Augen das erkrankte 
Organ zu sehen, sondern es auch zu palpiren und damit in fast 
absolut sicherer Weise die Diagnose zu stellen: es ist ein maligner 
Tumor da oder er ist nicht da. Mehr Worte bedarf es wohl nicht, 
den Werth dieses Eingriffes darzustellen. Was nun aber die 
Frage nach der Gefahr angeht, die eine solche diagnostische 
Laparotomie mit sieh bringt, so kann ich versichern auf Grund 


meiner eigenen Erfahrungen, dass eine solche bei Asepsis eine be¬ 
sondere Gefahr nicht involvirt. Im letzten halben Jahre habe 
ich in meiner Klinik 33 Laparotomien gemacht, ohne dass auch 
nur in einem Falle dem Patienten aus der Laparotomie Gefahr 
erwachsen wäre. 

Ergibt die Eröffnung der Bauchhöhle, dass kein Tumor da 
ist, so schliesst man mittels 3 facher Naht die Wunde und nach 
8—10 Tagen ist letztere verheilt; stellt sich heraus, dass ein 
Tumor vorhanden und operabel ist, so exstirpirt man ihn; ergibt 
sich jedoch, dass es schon zu spät ist, dass von einer radikalen 
Operation nicht mehr die Rede sein kann, nun dann erlöst man 
den Kranken durch die sofort anzuschliessende Gastroentero¬ 
stomie von seinen Qualen und verlängert ihm oft, jedenfalls aber 
erleichtert man ihm den Rest des Lebens. Wenn wir bedenken, 
dass ein Drittel aller Carcinome auf den Magen kommen, so ver¬ 
stehen wir schon allein hieraus, dass der Werth eines solchen 
Vorgehens auf der Hand liegt. — 

Nicht viel besser, m. H., scheint es mit der Diagnose 
Mastdarmcarcinom zu sein; denn wie sollte man sich 
anders erklären können, dass so viele dieser unglückseligen Men¬ 
schen so spät zur Operation kommen! Unter den mancherlei Sym¬ 
ptomen, die bei einem an Mastdarmkrebs Leidenden Vorkommen, 
möchte ich dreierlei als besonders diagnostisch verwerthbar her¬ 
vorheben : einmal den WechselzwischenVerstopfung 
und diarrhoischem Stuhl. Bei derartigen Klagen, 
namentlich bei einem Lebensalter zwischen 35—50 Jahren muss 
man sehr vorsichtig werden; jedenfalls den Stuhl, der zuweilen 
gar nicht kothhaltig ist, wiederholt mikroskopisch und makro¬ 
skopisch untersuchen. Ferner ist wichtig der Nachweis von Blut 
im Stuhl; nicht als wenn dasselbe sich sogleich makroskopisch 
bemerkbar machte, nein, man muss mikroskopisch und nament¬ 
lich jetzt nach der neuen von Boas angegebenen Methode darauf 
untersuchen. Aber auch wenn das Blut sich aus haemorrhoidalcr 
Erkrankung ohne Weiteres erklären liesse, rathe ich drittens, 
keinesfalls die Digitaluntersuchung zu unterlassen; denn nur sie 
sichert uns vor diagnostischen Fehlem und wie oft begleitet ein 
Carcinom eine haemorrhoidale Erkrankung. Die Digitalunter¬ 
suchung muss jedoch — und dies scheint mir betonenswerth — 
in jedem Falle, da man nicht sofort zu einer zweifellosen Diagnose 
kommt, in Narkose gemacht werden; nur dann findet man die 
hochsitzenden Tumoren, nur dann kann man auch alsbald sich 
über Operationsfähigkeit und Wahl der Operationsmethode ent¬ 
scheiden. Und wie bei Magencarcinom, ebenso ist bei Mastdarm¬ 
carcinom nur eine frühzeitige Diagnose von lehensrettender Be¬ 
deutung. Ich habe 42 Mastdarmcarcinom« 1 operirt, darunter zum 
Theil solche, die bereits anderwärts 1, 2, ja 3 mal wegen Recidiv 
operirt waren und von diesen 42 Operirten leben jetzt noch 14, 
davon einige bereits 7, ja 8 Jahre nach dem Eingriff. 

M. H.! Es würde mir zur Genugthuung gereichen, wenn 
Sie aus dem Besprochenen die Ueberzeugung mit nähmen, dass das 
Bestreben des Arztes und Klinikers, will er mehr als bis jetzt dieser 
furchtbaren Krankheit entgegenwirken, dahin gehen muss, die 
Diagnose des Carcinoms nach der Richtung zu vervoll¬ 
kommnen, dass diese unseligen Patienten früher dem operirenden 
Arzte übergeben werden, damit Letzterer mit freieren, nicht so 
gebundenen Händen an seine Arbeit gehen kann. Sie dürfen ver¬ 
sichert sein, die besseren Resultate werden ni«iht ausbleiben. 

Und diese Ueberlegung führt mich noch zu ein paar Worten 
über die Behandlung der Carcinome. Zweierlei ist. es, das 
mir bei den Operationen der Chirurgen an Carcinomkranken auf¬ 
gefallen ist, einmal, dass man, meiner Ansicht nach, viel zu wenig 
gesucht hat, aus der Erfahrung, der Heidenhain zuerst be¬ 
gründende Worte lieh, dass nämlich die häufigen Recidivo bei 
Mammacarcinom daher kommen, dass in der Fascie, unterhalb 
derselben und in den Brustmuskeln mikroskopische Herde liegen, 
die selbst bei radikaler Amputatio mammae Zurückbleiben. Nutzen 
für die an anderen Körperstellen und Organen loknlisirten (’arci- 
noiue zu ziehen; und zweitens, dass man bei einzelnen Carcinom- 
«»perationen viel zu viel mit scharfen Instrumenten arbeitet. 

Wie beim Mammacarcinom, so ist auch bei anderweitigen 
Careinomen diese Aussaat mikroskopischer Herde als thatsiichlieh 
unzunehmon; man muss daher z. B. beim Lippenkrebs nicht nur 
das si<-ht.bar Erkrankte entfernen, sondern auch die Umgebung 
und Unterlage weithin mit fortnehnn'n. man muss nicht nur die 
kranken Lymplalrüsen, sondern auch die Verbindungsbahnen, das 

1 * 


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1310 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33 


verbindende Gewebe mit exstirpiren. Allerdings wird dadurch der 
Eingriff schwieriger, eingreifender und auch die nachfolgende 
Plastik vielleicht weniger schön; aber die Heilerfolge sind auch 
zweifellos besser. Seitdem grundsätzlich in meiner Klinik hei 
Lippeneareinom die ganze Lippe entfernt wird, wozu man sieh 
um so leichter entschliefst, als die Langen b ec k’sehe Plastik 
in kosmetischer und funktioneller Beziehung nichts zu wünschen 
übrig lässt, sind örtliche Reeidivo nicht mehr vorgekommen; es 
handelt sich bis jetzt um 9 Fälle. Aehnlichos gilt von den anderen 
('arcinomen, namentlich vom / u n g e n e arci n o in; bei diesem 
prognostisch so verderblichen Ix'hlen werden wir meines Er¬ 
achtens nur dann Erfolge haben, wenn wir von partiellen Exstir¬ 
pationen ganz absehen, und nach sichergestcllter Diagno-c 
sofort die ganze Zunge, exsti rpiren. Gerad«* 
In i diesem beweglichen und fast ununterbrochen bewegten 
Organe ist das Versprengtsein von mikroskopischen Herden 
sehr natürlich. Und was das spätere funktionelle Resultat 
angeht, so ist dasselbe immer besser, als man anzunehmen 
geneigt ist; denn hier zeigt sich die grossartige, plastische 
Kunst, der Natur, welche durch Herüberziehen von (ieweben 
aus «lein Mundboden und der Schleimhaut der Wangen 
nach Exstirpation der Zunge fast eine, neue bildet. Unwillkür¬ 
lich oder unabsichtlich vielleicht folgen wir obiger Forderung 
bei der Operation der Magen- und Darmkrebse; denn hier nimmt 
man immer weit im Gesunden weg und auch bei der Entfernung 
der Lymphdriisen bleibt man weit entfernt vom Kranken. Nicht 
zum Kleinsten dürften sieh hieraus die günstigen Erfolge dieser 
Eingriffe selbst, bei im Allgemeinen fortgeschrittener Erkran¬ 
kung erklären. 

Was das stumpfe Vorgehen angeht, so ist dasselbe ja zum 
Theil im Besitz der Chirurgen; so z. B. macht man allgemein 
wohl die Exstirpation des Mastdarmearcinoms, nachdem man die 
eröffnenden 1 lautschnitte angelegt, stumpf, indem man mit 
den Fingern, unterstützt durch die geschlossene Oooper’sehe 
Scheero sich weit entfernt vom Erkrankten allmählich hoch 
arbeitet und damit den Tumor von seiner Umgebung löst. So 
weit als angängig, ist dieses Verfahren auch bei der Exstirpation 
anderen Orts gelagerter Oareinome nachzuahmen. Bei der Ex¬ 
stirpation careinoinatiüser Lymphdriisen am Halse oder in der 
Leistenbeuge gehe ich, und mit mir wohl die meisten Chirurgen, 
ähnlich vor. Nachdem der Ilautsehnitt die Grenze der Erkran¬ 
kung kennen gelehrt hat, lege ich das Messer fort und suche, 
stumpf die careiuomat«Ösen Lymphdrüscu, am besten in toto zu 
isoliren und zu entfernen; nicht nur ist. die Blutung eine zweifel¬ 
los geringer« 1 , auch die Exstirpation ist meist eine vollkommenere, 
da der immer anwesende Finger st«'ts <lie Grenze des Kranken, 
des infiltrirt. harten Gewebes fühlt und dadurch lehrt, in respekt¬ 
voller Entfernung davon zu bleiben. Wenn auch das Careinom 
regellos in die Umgebung wächst, so gr<‘ift es ohne Frage leichter 
dahin über, wo es «len geringeren Widerstand findet; es verbreitet 
sich also in einem von Faseien begrenzten Raume, wie es am Halse 
der Fall ist, leichter und früher nach oben und unten, als cs die 
Faseie durchwachst. 

Mögen nun zum Theil sich aus diesem Vorgehen die verhält- 
nissmässig guten Resultate ergeben, zum Theil sind sie ganz ge¬ 
wiss mitveranlasst durch, die systematische N a c h b e h a n «1 - 
1 u n g, welcher ich die von mir operirten Krebskranken unter¬ 
ziehe. Jeder derartigo Kranke ist verpflichtet, sich in regel¬ 
mässigen Zwischenräumen, die sieh mit der Länge der Zeit ver¬ 
größern. Anfangs aber 8—10 Wochen nicht übersteigen, bei mir 
wieder vorzustellen, mag er sich auch noch so gesund fühlen. 
Nur dann, wenn man so vorgeht, ist man auch im Stande, einen 
Patienten vor Recidiven zu schützen. Denn nur der Arzt ist im 
Statute, frühzeitig ein Recidiv, mag es sich als minimale Ver¬ 
härtung in der Narbe oder in ihrer Umgebung, mag es sich durch 
die Infiltration oder Fixation bis dahin freier Gewebe anzeigen, 
zu erkennen und dann auch sofort dagegen oinzuschrciten. Demi 
nach meiner Erfahrung bietet eine Operation wegen Recidiv nur 
«lann Aussicht auf Erfolg, wenn sie sehr bald nach den ersten 
Anzeichen desselben gemacht wird. Dazu kommt man aber nur, 
w«*nn man selbst regelmässig revisoriseh untersucht.; auf solche 
Weis«* habe ich mehrere Damen definitiv gerettet, von «knien 
eine 3, ja eine sogar 5 Recidivoperationen durchgemacht, hatte, 
bis sie dauernd gesund wurden. Auf die Beobachtung von Seiten 
des Operirten allein sollte mau sich unter keinen Umständen 
verlassen. 


Zum Schlüsse füge ich noch einige Worte über meine Stel¬ 
lung hinsichtlich d«*r Behandlung von nicht mehr radi- 
k a 1 o peri rbar e n Krebskranken an. Ich bin ganz derselben 
Meinung, der Ozcr n y auf dem vorjährigen Kongress Worte lieh, 
dass es nicht nur eine gewiss«* Grausamkeit involvirt, sondern 
auch ein sehr grosser Fehler ist, wenn wir Arzte den nicht mehr 
operablen Kranken dieaes andeut«*n und sie sich selbst, überlassen. 
M. II.! D«*r Kranke benrtheilt im seltensten Falle seine Lage 
richtig — selbst der erkrankte Arzt ist oft dazu nicht im Stande 
— und er sucht Hilfe und Rettung da. wo er sie zu finden glaubt. 
Desshalb gehen sie zu den sog. Naturheilkundigen. zu 
Pfus«*hern etc.; fast in jedem Menschen steckt im Inneren Nei¬ 
gung zum Wunderglauben und warum sollte' sieh «ler Kranke 
scheuen, zum Pfuscher, zu diesem Wundermann zu gehen, wenn 
ihn sinn Arzt, aufgegeben hat? Ich halte es für mindestens eben¬ 
so schwer, wenn nicht schwieriger, einen inoi>crablen Krebs¬ 
kranken zu behandeln, als grosse Radikalopcrationen vorzu¬ 
nehmen. 

Nun steht uns eine Anzahl Hilfsmittel, ganz abgesehen von 
den möglichst bis zu allerletzt aufzuhebemlen Narkotieis. zu Ge¬ 
bote, die zum Theil operativer Natur, zum Theil Arzneimittel 
sind. Wie segensreich beim inoperablen Magencarcinom die 
Gastroenterostomie, beim Dünndannearcinom die Entero-Entero- 
stomie und beim inoperablen Mastdarmcarcinom die Kolo- 
stomie wirkt, das weiss wohl nur Der ganz zu beurtheilen, 
der viele solcher Patienten behandelt hat.. Aber auch die kräfte¬ 
erlahmenden und lästigen jauchigen Absonderungen können wir 
oft durch energische Kauterisathmim nach Ausschabungen be¬ 
seitigen oder doch mildem, mögen wir nun dem Ferrum eandens 
(P a q u e 1 i n) oder der Chlorzinkpaste den Vorzug geben. Selbst 
die Impfung mit Streptococcen behufs Erzeugung eines Erysipels 
oder die Injektion von Streptococeensterilisaten nach Cole.v 
können wir als Hilfsmittel bei der Bekämpfung dieser todbringen¬ 
den Erkrankung ansehen. Auch Jodpinselungen — energisch und 
häufig wiederholt — sind im Stande bei flächenhaften Metastasen, 
z. B. den Ilautseirrhen nach Mammacarcinom und «len Cancer 
en euirasse Stillstand, ja Rückgang zu bringen. 

Wenn wir bedenken, dass ohne Frage die Krebskrankheit 
in europäischen Ländern in Zunahme begriffen ist — nach dem 
Süden nimmt sie rapide ah, und in Algier erkranken nur Euro- 
pä<*r an Krebs —, dass die Sterblichkeit an derselben wächst — 
in Preussen vergrössert sie sich nach genauer Statistik jährlich 
um 0,17 auf 1000 Einwohner — so verstehen wir, dass wir Aerzte 
suchen, unsere Waffen, so wenig wirksam sie im Allgemeinen 
auch sind, dieser verheeremlen Krankheit gegenüber zu schärfen 
un«l zu vermehren. 

Das Vioform, ein neues Jodoformersatzpräparat. 

Von Dr. Krecke in München. 

Es gehört heutzutage ein gewisser Muth dazu, ein neues 
Jo«loformersatzpräparat zu empfehlen. 20 Jahre behauptet jetzt 
das Jodoform seine herrschende Stellung unter den Mitteln zur 
Wundbehandlung, und noch keines der zahlreichen empfohlenen 
Ersatzpräparate hat ihm seinen Rang streitig zu machen ver¬ 
mocht. Das Jodol, das Aristol, das Airol, das Nosophen, das 
Lorctin und wie sie sonst alle heissen, haben es wohl zu vorüber- 
geheiiden Empfehlungen in der Literatur gebracht, eine weit¬ 
gehende praktische Bedeutung hat jedoch keines dieser Mittel 
zu erlangen vermocht, und wenn man gelegentlich in den grossen 
chirurgischen Krankenanstalten persönlich sich Umschaut, v« 
fimlet man überall «las Jodoform als das zuverlässigste Mittel 

fasi ausschliesslich angewendet. 

Auch der Schreiber dieser Zeilen hat wiederholt die neu 
empfohlenen Präparate *.«uf ihre Vorzüge gegenüber «lern Jodo¬ 
form geprüft, er hat aber Ihm allen alsbald die weiteren Versuch.* 
auf gegeben und ist reumütliig immer wieder zum Jodoform 

zurüekgekehrt. Di«* grossen Vorzüge des Jodofi.r m s. 

«1 i e v ö 11 i tr e T r «» e k e n li a 11 u n g der Wunde, die F ern* 

1, a 1 t u n g einer I li f e k t i <» u und die günstige Beein¬ 
flussung der tuberkulösen Processe, sind eben von 
keinem amleren Präparate au«*h nur annähernd erreicht, worden- 
Es konnte t o nicht ausbleiben. «lass j«*«h* Empfehlung ««ihm neuen 
Ersatzmittels auf vielen Seiten starken Aeusserungen des 
Zweifels begegnete und dass die Neigung zur Prüfung eines 
neuen Präparates »*>!-** immer geringere wurde. 



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13. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1311 


Und doch ist de; Wunsch, über ein Ersatzmittel des 
Jodoforms zu verfügen immer bestehen geblieben. Wenn 
ja auch die giftigen Wirkungen des Jodoforms durch vorsichti¬ 
gere Dos innig desselben, besonders durch ausschliessliche Ver¬ 
wendung desselben in Form von Gaze, sich mit einer an Sicher¬ 
heit grenzenden Wahrscheinlichkeit vermeiden lassen, so ist C3 
doch immer wieder der imangenehme Geruch des Mittels, der 
stets von Neuem das Verlangen nach einem Stellvertreter rege 
macht. Es soll ja allerdings Leute geben, die den Geruch des 
Jodoforms über Alles schätzen und dasselbe sogar als Schnupf¬ 
pulver verwenden, das ist sicherlich aber nur eine ganz kleine 
Minderheit, der grossen Mehrzahl der Aerzte sowohl wie der Laien¬ 
welt ist der Jodoformgeruch etwas sehr Unsympathisches, wenn 
nicht Widerliches. Wie oft bekommt man von den Kranken 
zu hören: „Ach bitte, Herr Doktor, nur kein Jodoform, ich kann 
mich sonst nirgends sehen lassen“; und Jeder, der das zweifel¬ 
hafte Vergnügen gehabt hat, im Theater oder Concert neben 
einem nach Jodoform duftenden Jüngling zu sitzen, weiss die 
Berechtigung dieser Forderung zu würdigen. 

Im Sommer vorigen Jahres erschien nun die Veröffent¬ 
lichung von T a v e 1 - Bern: Bacteriologisches und 
Klinisches über Vioform (Deutsch. Zeitschr. f. Chir., 
55. Bd., 5. u. 6; Heft). Dieselbe berichtete in so objektiver und 
doch zugleich vertrauenerweckender Weise über ein neues pulver- 
förmiges Antisepticum, dass ich alsbald einen Versuch damit zu 
machen beschloss. 

Seit Juli 1900, also seit ungefähr 11 Monaten, habe ich das 
Präparat bei den verschiedenartigsten chirurgischen Affek¬ 
tionen verwendet. Während ich im Anfang noch hin und wieder 
bei besonders wichtigen Fällen zum Jodoform griff, habe ich seit 
nunmehr 6 Monaten überhaupt kein Jodoform mehr bei dev 
Wundbehandlung benützt. Um es gleich vorweg zu sagen, das 
Vioform ist ein Mittel, das durchaus berufen 
erscheint, das Jodoform in jeder Weise zu er¬ 
setzen. 

Das Vioform ist seiner chemischen Konstitution nach als 
Jodchloroxychinolin zu bezeichnen und wird von der 
Baseler chemischen Fabrik dargestellt. Es ist von ganz neutralem 
Charakter, da die saure Natur der Hydroxylgruppe durch die 
basische des Chinolins sozusagen aufgehoben wird. Es ist von 
gelblicher Farbe und vollkommen geruchlos. 

Die bactcriologische Prüfung wurde von Tavel 
im Verein mit Tormarkin nach bestimmten Gesichtspunkten 
vorgenommen, und betraf im Wesentlichen die entwicklungs¬ 
hemmende und die bacterientödtende Wirkung. Gleichzeitig mit 
dem Vioform wurden Kontrolversuche mit Jodoform und Loretin 
ausgeführt. Die die bacterientödtende Wirkung behandelnden 
Versuche ergaben keine gut brauchbaren Resultate. In Bezug 
auf die Entwicklungshemmung erwies sich das Vioform bei der 
direkten Wirkung dem Jodoform und Loretin weit überlegen; in 
Bezug auf regionäre Wirkung zeigte sich als bestes das Loretin, 
und in Bezug auf Femwirkung erwiesen sich Jodoform und Vio¬ 
form gleich gut, während das Loretin überhaupt keine Fern¬ 
wirkung erkennen liess. Da für die antiseptischon Pulver die 
direkte entwicklunghemmende Eigenschaft die Hauptsache ist, 
so muss nach Tavel unter den 3 angegebenen Pulvern dem 
Vioform der Vorrang gegeben werden. 

Toxikologische Untersuchungen wurden an 
Thieren in der Weise angestellt, dass denselben Vioform sub¬ 
kutan injizirt wurde, unter ständigen Kontrolversuehen mit Jodo¬ 
form und Loretin. Die Versuche lehrten, dass das Vioform in 
sehr grosser Dosis subkutan vertragen wird, so dass es dem Jodo¬ 
form und Loretin entschieden überlegen ist. Bei intraperi¬ 
tonealer Injektion ist seine tödtlicho Dosis der des Jodoforms 
etwa gleich. Bei subkutaner Injektion entstanden bei Dosen von 
0,5 g an Geschwülste mit steril-eitrigem Inhalt (chemotaktische 
Wirkung). 

Die klinische Verwendung des Vioforms geschah 
in der Weise, dass das Pulver einmal als Schutzmittel bei ge¬ 
schlossenen, meist drainirten Wunden angewendet wurde, dann 
in Form von Gaze oder Brei in Wunden und zumal bei tuber¬ 
kulösen Wunden. Die Ergebnisse der Vioformbchandlung waren 
ganz ausgezeichnete, und zumal bei den tuborkulöscn Affektionen' 
waren dieselben besonders gute. T. fasst sein Urtheil dahin zu¬ 
sammen, dass er da9 Vioform für das beste Ersatzmittel des Jodo- 
No. 33. 


forms hält Bei nicht tuberkulösen Wunden wirkt 
es noch besser wie das Jodoform und bei tuber¬ 
kulösen ist es demselben zweifellos eben¬ 
bürtig. 

Bei meinen eigenen Versuchen mit der Vioformbchandlung 
bin ich insofern etwas anders vorgegangen wie Tavel, als ich 
bei den vollkommen durch die Naht geschlossenen Wunden das 
Vioform nicht angewendet habe. Bei solchen Wunden habe ich 
schon seit langer Zeit jede Bestreuung mit einem Antisepticum 
grundsätzlich vermieden. Die Resultate sind auch ohne eino 
solche Bestreuung (lurchaus günstige und würden meiner An¬ 
sicht nach durch ein neues Mittel nicht verbessert werden. Nur 
bei solchen Wunden, bei denen die Gefahr einer Verunreinigung 
durch Körpersekrete gegeben ist, scheint eine Vioformbehandlung 
angezeigt. Darauf werde ich noch später zurückkommen. 

Zum Beweise für die Entbehrlichkeit eines antiseptischen 
Pulvere bei vollkommen geschlossenen Wunden möchte Ich nur 
hervorheben, dass von 19 aseptischen Laparotomien keine einzige 
auch nur die geringste Störung des Wund Verlaufes aufzuweisen 
hatte, dass bei 29 grösseren und kleineren Geschwulstexstir¬ 
pationen, bei denen die Wunde vollkommen durch die Naht ge¬ 
schlossen wurde, vollkommen primäre Heilung eintrat, dass ebenso 
4 Osteotomien und Knochen nähte durchaus reaktionslos verliefen 
und dass nur bei 14 Herniotomien zweimal eine leichte Eiterung 
der Operationswunde eintrat. Die beiden Fälle von Störung des 
Wundverlaufes erklären sich dadurch, das» in dem einen Falle 
der kleine Patient mit seiner nicht desiuficirten Hand während 
der Operation in die Wunde hineingriff und dass in dem anderen 
Falle es sich um die Exclsion einer grossen Bauchwandhernie mit 
starker Diastase der ltecti bei ilnor sehr fettreichen Dame handelte. 

Ausgezeichnete Dienste hat mir aber das Vioform geleistet 
bei allen den Wunden, bei denen eine Tamponade zweck¬ 
mässig erschien, besonders auch bei tuberkulösen Wunden. Die 
Anwendung des Vioform geschah fast ausschliesslich in 
Form der Vioformgaze. Die Gaze wurde in meiner Anstalt 
in der Weise hergcstellt, dass 50 g Vioform mit 200 g Glycerin, 
200 g sterilisirtem Wasser und 100 g Alkohol zu einer Emulsion 
verrührt wurden, und dass mit dieser die vorher stcrilisirton 
Gazebinden imprägnirt wurden. 

Der Prüfstein für ein jedes neue Mittel sind die Opera¬ 
tionen in der N ähe des Afters. Bekanntlich ist durch 
die Jodoformtamponade die Operation des Rcctumcarci- 
n o m s zu einer weit ungefährlicheren gemacht worden, da die 
Jodoformgazo eino Infektion der W T unde mit fast absoluter 
Sicherheit vermeidet. In dieser Hinsicht hat sich nun bei 5 von 
mir ausgeführten Rcetumexstirpationen die Vioformgaze durch¬ 
aus ebenbürtig erwiesen. Der Wundverlauf war in keiner Weise 
ein anderer. Auch bei Anlegung eines Anus praeternatu¬ 
ralis und bei 5 Operationen von Haemorrhoiden- und 
Maatdarm-V orfall hat sich das Vioform durchaus be¬ 
währt und die Wundheilung befördeit. Recht günstig war ferner 
der Verlauf nach 5 Exstirpationen der Mastdarmfistol. 

Es trat in allen Fällen rasch und schnell eine Reinigung 
und Verkleinerung der oft sehr grossen Wunden ein, und die 
völlige Vornarbung erfolgte in allen Fällen ohne Störung. Die 
Vortheile, die wir dem Jodoform zuschreiben, sind ja bekannt¬ 
lich die, dass es die W T unde trocken legt und eine Infektion ver¬ 
hindert. Ganz dasselbe leistet das Vioform: Schon beim ersten 
Verbandwechsel zeigte sich die Wunde von gutem Aussehen, mit 
gar keinen oder nur ganz geringen Schorfen bedeckt. Eine In¬ 
fektion trat nie ein. 

Auch bei Operationswunden, die der Gefahr einer Ver¬ 
unreinigung durch Urin ausgesetzt waren, hat sich das 
Vioform als ein durchaus sicheres Mittel erwiesen. 

4 Fälle von Phimosen Operationen und 4 ausge¬ 
dehnte Plastiken an den weiblichen Genital¬ 
organen verliefen durchaus glatt in kürzester Zeit. Hier war 
die Nahtlinic einfach mit Vioform bestreut worden. Anfügen 
möchte ich hier gleich, dass bei 6 Auskratzungen der 
U terushöhle die Vioform-Gaze sich als ein durchaus zweck¬ 
mässiges Tamponademittel bewährt hat. Von den 6 Auskratz¬ 
ungen wurden 2 wegen chronischer Endometritis, 3 wegen Car¬ 
ei lfom und eine wegen Abortus vorgenommen. Bei einem Car- 
cinom-Fall fiel es auf, dass der heftige jauchige Geruch, der vor 
der Auskratzung bestand, bei Entfernung der Gazo vollkommen 
verschwunden war, im Gegensatz zu dem widerlichen Geruch, 
der einem so oft hei Herausnahme der Jodoformgaze entgegen¬ 
strömt. 

2 


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1312 


MTJENOHENER MEDICINISCHE 'WOCHENSCHRIFT. 


Nö. 33. 


Vielleicht veranlassen diese Beobachtungen die Facli-Gynii- 
kologen, auch ihrerseits dem Vioform eine grössere Aufmerksam¬ 
keit zu schenken. Nach einer vaginalen Uterus-Exstirpation hat 
sich die Vioformgaze-Tamponade ebenfalls durchaus sicher er¬ 
wiesen. 

Recht günstig gestaltete sich des weiteren die Verwendung 
der Vioformgaze-Tamponade bei allen den Operationen, nach 
welchen eine zeitweiligeTamponade oder ein längeres 
Offenhalten der Wunde zweckmässig erschien: So vermochte 
die Vioformgnze nach der Exstirpation eines Gehirntumors, 
wo eine Tamponade nothwendig war, durchaus sicher die Infek¬ 
tion zu verhüten; ebenso nach einer Trepanation wegen 
Meningea-Blutung. 

Auch nach hohem Blasenschnitt bei einem sehr fett¬ 
reichen Mann mit primärer Blasenuaht sicherte die Vioform- 
gaze eine durchaus glatte Heilung der Wunde, ebenso in 3 Fällen 
von Urothrotomia externa. Hervorheben möchte ich 
weiter, dass bei 4 grösseren Plastiken im Gesicht 
die Vioformgaze sehr gute Dienste leistete, ebenso bei 9 Radikal - 
Operationen des eingewachsenen N agels. Bei den letz¬ 
teren Fällen heilte die Wunde in der Regel unter einem Ver¬ 
bände in 8 Tagen. 

Ganz ausgezeichnet wurden unter Vioformgaze-Tamponade 
die Wundverhältnisse bei allen den Operationen, wo es sich uiu 
die Incision kleinerer oder grösserer Eiter¬ 
herde handelte. 2G Panaritien heilten nach ausgiebiger 
Incision anstandslos unter Vioformgaze-Tamponade und es war 
auffallend, zu sehen, wie schnell eine Reinigung der eiterig be¬ 
legten Wundhöhle eintrat. 

Ebenso günstig war der Verlauf bei 9 Phlegmonen 
und 38 Fällen von Furunkel, kleineren und grösseren A b - 
sc essen, vereiterten Atheromen u. ähnl. 

5 Bubo-Exstirpationen verliefen unter Vioform- 
gaze-Tamponade durchaus glatt und ebenso war bei 7 Fällen 
von umschriebener und allgemeiner Peritonitis die Vioform¬ 
gaze-Tamponade der Jodoformgaze-Tamponade durchaus gleich- 
werthig. Weiter stand das Vioform dem Jodoform in keiner 
AVcise nach bei der Behandlung von eiterigen Knochen- 
höhlen: 9 Sequestrotomien heilten durchaus glatt, 
ebenso 2 Empyeme der Stirnhöhle, 2 der Kiefer- 
h <" h 1 e , 2 der Pleurahöhle und 3 Kiefereiterungen 
am Alveolarfortsatz. In einem Fall von Aufmeisselung des 
W arzeufort. satzes, den Herr Kollege Scheibe in 
meiner Anstalt operirte, war die Vioformgaze-Tamponade eben¬ 
falls von günstigem Einfluss auf den Wundverlauf. 

Auch 5 Fälle von ausgedehnter eiteriger M a s t i t i s wurden 
nach der Incision unter Vioformgaze in verhältnissmässig kurzer 
Zeit geheilt. 

Bei Ulcus molle hatte ich zweimal Gelegenheit, das Vio¬ 
form als Streupulver anzuwenden. Die Heilung der Ge¬ 
schwüre war eine ebenso prompte wie beim Jodoform; besonders 
in dem einen Falle, in dem es sich um recht ausgedehnte Ge¬ 
schwüre und um eine schankrös gewordene Phimosen-Operations- 
wunde handelte, war die Wirkung des Vioform eine recht auf¬ 
fällige. Beide Patienten waren sehr dankbar, dass ich ihnen 
den unangenehmen Geruch des Jodoforms erspart hatte. 

Als Streupulver wurde das Vioform auch bei 19 Fällen von 
Ulcus cruris benützt. Die Wirkungen des Vioforms waren 
hier zum Theil ganz wunderbare. Allerdings wurde es immer 
in Verbindung mit Zinkleimverbänden angewendet, und es ist 
zweifellos ein Theil der günstigen Wirkung auf den Zinkleim 
zurückzuführen. Ganz sicher ist aber auch, dass in den ohne 
Vioform behandelten Fällen der Erfolg ein weniger günstiger 
war, und besonders muss hervorgehoben werden, dass das Vioform 
nie die unangenehmen Ekzeme hervorruft, wie ich sie früher bei 
Jodoformbehandlung der Unterschenkelgeschwüre gar nicht so 
selten beobachtet habe. Bei der langen Zeit, die die Behandlung 
eines grossen Untcrschcnkelgeschwüres beansprucht, kann es na¬ 
türlich nicht ausblciben, dass viele Patienten ungeduldig werden 
und aus der Sprechstunde wegbleiben. Im Allgemeinen war ich 
aber doch erstaunt, wie viele mit Ausdauor wiederkamen, und 
wie bei den geduldigen Patienten alle Geschwüre, auch solche 
von Zwei- und Dreimarkstückgrösse, schliesslich vollständig ge¬ 
heilt wurden. 


Bei den tuberkulösen Erkrankungen vollends 
war der Erfolg der Vioform-Behandlung ein entschieden sehr 
auffälliger. Im Ganzen wurden 28 Fälle der verschiedensten 
tuberkulösen Affektionen, besonders von Knochen- und Gelenk¬ 
tuberkulose mit Vioformgaze behandelt. Da es sich bei meinen 
tuberkulösen Patienten vornehmlich um Kinder handelt, und 
ich in der Behandlung derselben sehr konservativen Grundsätzen 
huldige, so erklärt es sich, warum nur relativ wenig Fälle der 
blutigen Therapie überwiesen wurden. 

Den Eindruck habe ich aber sicher bekommen, dass die 
Vioformgaze-Tamponade nach erfolgter Operation den Heilungs¬ 
verlauf ausserordentlich günstig beeinflusst. Ein sehr schwerer 
Fall von Handgelenkresektion bei einem 56 jährigen Mann, bei 
dem eigentlich die Amputation gemacht werden Bollte, wurde 
unter Vioformgaze-Tamponade bis auf eine ganz unbedeutende, 
kaum linsengrosso Fistel geheilt. Ebenso günstig verlief eine 
schwere Coxitis bei einer 25 jährigen Frau, je ein Fall von 
Ellbogengelenks- und Schädeltuberkulose bei 10 jährigen Kindern. 

Sehr viel Fälle stehen noch in Behandlung, zumal solche 
mit vielfachen Erkrankungen, und es liegt in der Natur der 
Sache, dass auch zahlreiche ungünstige Fälle darunter sind; 
aber ich muss nochmals wiederholen, dass im Allgemeinen die 
Ergebnisse zum mindesten nicht schlechtere sind, wie bei der 
J odoform-Behandlung. 

Eine Injektion einer Vioform-Glycerin- 
Emulsion in ein tuberkulöses Gelenk habe ich nur einmal 
ausgeführt und leider dabei das Auftreten einer Eiterung erlebt. 
Ich kannte damals die T avoPschen Versuche noch nicht genau 
und musste mich nachher überzeugen, dass T a v e 1 schon auf 
die starken chemotaktischen Wirkungen des Vioforms 
bei subkutanen Injektionen hingewiesen hatte. Bei dem er¬ 
wähnten Falle, es handelte sich um eine Spina ventosa bed einer 
25 jährigen Näherin, trat wohl völlige Heilung ein, ich habe 
aber dann doch weiterhin von den Vioform-Injektionen Abstand 
genommen. Ich sehe darin allerdings auch keinen Nachtheil, 
um so weniger, als ich auch von den Jodoforminjektionen als 
meiner Ansicht nach vollkommen entbehrlich und für die 
Patienten höchst unangenehm, gänzlich zurückgekommen bin. 

Im Ganzen sind bisher 195 Kranke von mir mit Vioform 
behandelt worden, und ich kann im Allgemeinen nur die Ergeb¬ 
nisse Tavel’s bestätigen. Hervorheben möchte ich noch be¬ 
sonders, dass sowohl allgemeine als örtliche Nebenwirk¬ 
ungen niemals beobachtet wurden. Das Fehlen der 
örtlichen Nebenerscheinungen machte sich besonders insofern 
bemerkbar, als nie auch die leiseste Spur eines Ekzems, wie es 
doch beim Jodoform so häufig ist, zur Entwickelung kam. 

Fügen wir noch zu diesem Vortheil hinzu den der völligen 
Geruchlosigkeit des Vioforms, so müssen wir sagen, dass es in 
glücklicher Weise alle die Nachtheile vermeidet, die die Ver¬ 
wendung des Jodoforms zu einer oft so unangenehmen geetalteu. 

Berücksichtigen wir weiterhin, dass das Vioform dem Jodo¬ 
form an Wirkung nicht nur nicht nachsteht, sondern es manchmal 
noch übertrifft, so können wir hoffen, in ihm endlich den wahren 
Jodoformersatz gefunden zu haben: Es sorgt für eine gute 
Trockenlegung der Wunde, es verhindert die Infektion in 
Fällen, wo nach Lage der Wunde eine solche leicht möglich 
wäre, 'und wirkt entschieden heilungsbefördernd nach der Ope¬ 
ration der tuberkulösen Erkrankungen. 


Aus dem hygienischen Institute der Universität Wien. 

Zur Rauschbrandfrage. 

Von A. Schattenfroh und R. Grassberger, Assistenten 
am Institute. 

In No. 50, 1900 und No. 2, 1901 dieser Wochenschrift haben 
wir unter anderem über Untersuchungen betreffend die Aetiologie 
des Rinderrauschbrandes berichtet. In letzterer Beziehung wurde 
erwähnt, dass wir als ausschliesslichen Erreger des Rausch¬ 
brands ein in die Gruppe der „unbeweglichen“ Buttersäure- 
bacillen gehöriges Clostridium mit all’ den für dieselben charakte¬ 
ristischen Eigenschaften ansehen. 

Vor allem dieEigenthümlichkeiten einer grösseren Anzahl von 
in den verschiedensten Laboratorien unter dem Namen „Rausch¬ 
brandbacillus“ fortgezüchteten Kulturen, die wir zu untersuchen 
in der Lage waren, sowie der Umstand, dass die in der Literatur 


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13. August 1901. 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1313 


über die Aetiologie des Rauschbrands vorfindlichen Angaben und 
Beschreibungen auf dieselben gut zu passen schienen, waren für 
uns maassgebend, den Befunden der Literatur wenig Vertrauen 
entgegenzubringen und dieselben durchgehende für irrthümlich, 
beziehungsweise nicht einwandfrei zu erklären. 

Besonders fiel für uns in’s Gewicht, dass seit Ehlers 
(1884) Niemand von den Autoren über die charakteristischen 
Formen der Rauschbranderreger (mit Granulöse beladene Stäb¬ 
chen uud Clostridien) berichtet hatte. Niemand die diesbezüglich 
von diesem Forscher erhobenen Befunde — die gleichwohl be¬ 
sprochen wurden und in die Literatur übergingen — bestätigte, 
oder aber denselben auf Grund von kritischen Untersuchungen 
widersprach. Von ausschlaggebender Bedeutung aber war, dass, 
während wir stets unbewegliche Bacterien als Rausch- 
brandeareger züchteten, sämmtliche Autoren (ausgenommen 
Ehlers) von der Beweglichkeit derselben sprechen. 

Wir konnten nach all’ dem von vornherein nicht annehmen, 
unsere Befunde mit jenen der Literatur, wenn auch nur mit 
einigen derselben in Uebereinstimmung zu bringen und unter- 
liessen desshalb eine genauere Nachprüfung der vorliegenden 
Versuche. 

Ausgedehntere Studien sowie private Mittheilungen be¬ 
lehrten uns nun, dass unter dem Forschungsmateriale zweifellos 
eine Sichtung vorzunehmen ist, in dem Sinne, dass zwar die in 
den meisten Instituten als Rauschbrandreinkulturen gezüchteten 
Stämme zur Gruppe des „fäulnisserregenden“ Buttersäurebacillus 
gehören und mit dem Rauschbrandprooesse nichts zu thun 
haben 1 ), dass jedoch zweifellos einigen Autoren die echten 
Rauschbranderreger — freilich ohne klare Erkenntniss ihrer 
charakteristischen Eigentümlichkeiten — bekannt waren und 
von denselben wohl auch in Reinkultur (wenigstens gelegentlich) 
gezüchtet wurden. 

So konnten wir die von Prof. Kitt uns in den letzten 
Monaten freundlichst übersandten Photogramme zweifellos als 
solche von Reinkulturen echter Rauschbrandbacillen erkennen, 
und auch Kitasato und den französischen Forschern gegen¬ 
über möchten wir den Vorwurf, als ob dieselben niemals mit Rein¬ 
kulturen gearbeitet hätten, nicht länger mit Bestimmtheit auf¬ 
recht erhalten. 

In letzterer Beziehung ist ein endgiltiges Urtheil überhaupt 
nur schwer möglich, da die Beschreibungen der Literatur durch¬ 
wegs der biologisch-chemischen Seite entbehren, zudem eine 
Reihe von Merkmalen mehreren Anaerobeu zukommen kann, und 
überdies die Autoren nur in den seltensten Fällen sich der 
Plattenkulturmethode bedienten. 

Unter den von uns selbst erhobenen Befunden, deren Würdi¬ 
gung für uns hinsichtlich der geänderten Beurtheilung der 
Literatur maassgel>end war, ist die Thatsache besonders horvor- 
zuheben, dass der Erreger des Rauschbrandes 
nicht, entsprechend unseren ersten Angaben, 
unter allen Umständen unbeweglich, geisellos 
ist, sondern unter bestimmten Verhältnissen deutliche, oft leb¬ 
hafte Eigenbewegung besitzt und Geiseln trägt. 

Durch die besondere Art unserer Züchtung einerseits, sowie 
die Kulturmethode der Autoren andererseits, erklären sich die 
einander scheinbar widersprechenden Resultate. 

Im Nachfolgenden berichten wir kurz über den jetzigen 
Stand unserer Forschung, soweit es zur Aufklärung der Leser 
nöthig erscheint. 

1. Der Rauschbrandbacillus ist ein echter Buttersäure¬ 
bacillus; er vergährt Kohlehydrate unter Buttersäurebildung und 
lagert zur Zeit seiner Versporung in der Leibessubstanz Granu¬ 
löse ab. 

2. Dem Rauschbrandbacillus kommt ein 
doppelter Formen-, gleichzeitig Entwick¬ 
lungskreis zu. 

Während der eine in morphologischer Hinsicht durch das 
Auftreten von Sporen, Bildung von Clostridien und Granulöse 
gekennzeichnet ist, umfasst der zweite nur sporen- und 
granulosefreie Stäbchen. Während die Individuen 
der Sporengeneration geiseltragend und beweglich 
sind, sind die Stäbchen der asporogonen Generation goisellos 
und unbeweglich und gleichen völlig den „unbeweglichen“ 

’f Auch die von N e n c k I und Blenstock analyslrteu 
„Kauschbrandkulturen“ gehören hierher. 


Buttersäurebacillen. Zur Zeit unserer Publikationen konnten 
wir in Reinkultur nur den sporenfreien Entwick¬ 
lungskreis studiren. 

3. Auch in Bezug auf das Aussehen der Kulturen ist zwischen 
Sporen- und asporogener Generation ein wesentlicher Unterschied 
ausgesprochen, so insbesondere hinsichtlich des Aussehens 
der Kolonien in Zuckeragar und Zuckergelatine. Während 
die „Clostridienkolonien“ besondere Eigonthümlichkeiten auf¬ 
weisen, sind die Kolonien der sporenfreien Generation von jenen 
des unbeweglichen Buttersäurebacillus nicht zu unterscheiden. 

4. Auch hinsichtlich des Chemismus sind weitgehende Unter¬ 
schiede zwischen sporen tragender und sporenfreier Generation ge¬ 
geben. Vor Allem ist die Pathogenität der Clostridicnkulturen eine 
viel ausgesprochenere und bei wiederholter Uebertragung derselben 
länger anhaltende, als jene der Stäbchen. Auch das pathologische 
Bild ist in beiden Fällen ein ganz verschiedenes. 

Während die Clostridien haemorrhagisches Oedcm mit spär¬ 
licher bi9 reichlicher Gasansammlung hervorrufeu (Rausch- 
brand), erzeugen die Stäbehen bei Meerschweinchen entweder 
das typische Bild der Gasphlogmone 1 ) oder jenes des 
malignen Oedems. 

5. Sporengenerationen und asporogene Kulturen erzeugen in 
Zuckerpeptonbouillon derselben Zusammensetzung und unter den 
gleichen Bedingungen verschiedene Stoffwechsel- bezw. 
Gährprodukte. Insbesondere soll hervorgehoben werden, 
dass die charakteristischen Rausch brandtoxine*) nur 
von den Clostridiongenerationen produzirt worden, 
während die Stäbchen in viel geringerem Grade Gifte bil¬ 
den, die sich in ihrer Wirkung auf den Thierkörper anscheinend 
auch in qualitativer Hinsicht unterscheiden. 

Aus Dextrose bilden die Sporengenerationen ausser den Gasen 
gelegentlich ausschliesslich Buttersäure, während die asporo- 
genen Wuchsformen von letzterer Säure stets nur geringe Mengen, 
doch grosse Mengen Milchsäure (Rechtsmilchsäure) entstehen 
lassen. Dem entsprechend greifen die Stäbchen in der Kultur 
dargebotene Milchsäure nicht an, während die Clostridien- 
Generation unter bestimmten Bedingungen 
Milchsäuro vergährt. 

6. Stäbchen- und Clostridiengeneration sind durch bestimmte 
Kulturverfallren in einander überzuführen; leichter gelingt dies 
für letztere, während sporonfreie Generationen nur schwer wieder 
die Fähigkeit der Sporenbildung erlangen. 

Gelegentlich gehen beide Typen spontan in einander ül>or. 

Ueber ein neues Immunisirungsverfahren bei Rindern wer¬ 
den wir erst später, nach Abschluss der Versuche, berichten. 


Aus der Münchener chirurgischen Klinik (Prof. Dr. v. An ge rer). 

Zur Atropinbehandlung des Ileus. 

Von Dr. H. Geb eie. 

In den verschiedenen Fachblättern und nicht am wenigsten 
in der Münch, med. Wochenschr. wurde in letzter Zeit die An¬ 
wendung des Atropin bei Ileus lebhaft empfohlen. Die Mit¬ 
theilungen basiren jedoch meist nur auf der Beobachtung eines 
oder zweier Fälle und sind nicht genau und ausführlich genug, 
um einer eingehenden Kritik Stand zu halten. Die Mehrzahl der 
Autoren faset nur den Sammelbegriff Heus in’s Auge, ohne die 
einzelnen Krankheitsbilder, welche einen Ileus nusmachen, im 
Besonderen zu berücksichtigen und ohne eine präcisere, wenn 
auch nur wahrscheinliche Diagnose, auf Grund der Anamnese 
und des objektiven Befundes zu stellen. Von der Diagnose muss 
aber immer die Therapie abhängen, wenn nicht schwere Fehler 
herbeigeführt werden sollen. 

Wenigstens ist steta der dynamische von dem mechanischen 
Ileus auseinander zu halten. Dies ist auch in der Mehrzahl der 
Fälle möglich. 

Beim paralytischen oder spastischen Ileus nun ist cs an¬ 
gezeigt, zu inneren Mitteln zu greifen. Am meisten angewandt 

*) Die Verwandtschaft des Rauscbbrandbnclllus und der Bac¬ 
terien der Gasphlegmone, die ja gleichfalls BuUereüurebaoillcn 
sind, tritt hierin besonders zu Tage; dieselbe üussert sich auch noch 
ln anderer Hinsicht, indem manchen Stämmen von Gasphlcginone. 
bacillen ein ähnlicher Dimorphismus zukommt wie den ituusch- 
brnudbncillen. 

*) Wir konnten durch ein bestimmtes Verfahren mit Sicherheit 
Toxine gewinnen, von denen 0,01 g Kulturliltr.it Meerschweinchen 
bei subkutaner Injektion in 24 Stunden tödtoten. 

2 * 


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1314 


No. 33. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


wird Opium, in neuerer Zeit kommt Atropin vielfach in Ge¬ 
brauch. Neben der Ruhigstellung des Darmes in Folge Lähmung 
der Nervenendigungen der glatten Musculatur bedingt Atropin 
eine gleichmässige Vertheilung des meteoristisehen Druckes und 
wahrscheinlich auch eine Herabsetzung der Darmsekretion. Doch 
verursacht Opium häufig schwere Magen-Darmverstimmungen 
und wirkt dasselbe den nothwendigen Einläufen, eventuell auch 
den milden Laxantien, welche zuweilen ganz zweckmässig sind, 
direkt entgegen. Atropin hinwiederum führt leicht zu Intoxica- 
tionen, namentlich bei 0,003—0,005 g pro dosi, wie meist em¬ 
pfohlen wird. So werden von vielen Autoren (Bo fing er, 
II ä in i g, Höchtlen, Lüttgen, Ostermaier, Simon) 
hochgradige Aufregungszustände, Delirien, llallucinationen, ab¬ 
wechselnd mit tiefer Bewusstlosigkeit, starkes Durstgefühl, Be¬ 
hinderung im Schlingvermögen, Sehstörungen, Schwindel nach 
Applikation von Atropin angegeben. Der schwerste Vorwurf 
erwächst aber beiden Mitteln dadurch, dass das Krankheitsbild 
sehr oft auf .längere Zeit getrübt wird und eine richtige Be- 
urtheilung des Falles von Tag zu Tag ausgeschlossen ist. Mor¬ 
phium, das ebenfalls den Darm prompt ruhig stellt, ohne in seiner 
Wirkung so lange nachzuhalten wie Opium und Atropin, ist da 
weitaus vorzuziehen. 

Bewähren mag sich Atropin bei einfacher schwerer Copro- 
stase, welche ileusähnlicho Symptome hervorrufen kann — um 
eine solche dürfte es sich auch in vielen der mitgetheilten Fälle 
gehandelt haben — und bei Affektionen, die unter dem Bilde 
eines sekundären reflektorischen Enterospasmus verlaufen, also bei 
Darmfunktionsstörungen im Anschluss an Gallenstein-, Nieren¬ 
steinkolik, an Cardialgio u. s. w. In diesen Fällen genügen auch 
nach Ostermaier kleine Dosen des Mittels (Va mg Morgens 
und Abends). 

Für den mechanischen Ileus bedeutet Atropin noch weniger 
einen Fortschritt wie für den dynamischen. 

Atropin bei der speciellen Form des Strangulationsileus an¬ 
zuwenden, ist direkt ein Kunstfelder. Wie soll eine wirkliche 
Abknickung oder Abschnürung, eine Einklemmung oder Achsen¬ 
drehung des Darmes durch Atropin beeinflusst werden? Dies 
ist theoretisch unmöglich und praktisch in keiner Weise be¬ 
wiesen. Nur Gogentheiliges ist sicher bestätigt. Der von 
Marcinowski mitgcthcilto Fall, in dem es sich um eine 
rechtsseitig eingeklemmte Leistenhernie handelte, nach deren 
Reposition Ileuserscheinungcn auftraten, ist nicht rocht klar 
(Reposition en bloc?) und beweist nichts. Sehr bezeichnend ist 
die Art, wie Prölss in seinem Fall aus allgemeinen Sym¬ 
ptomen, die bei jedem Ileus bestehen (frequenter Puls, Stuhl¬ 
vorhaltung, theilweise kothiges Erbrechen, Auftreibung und 
diffuse Empfindlichkeit des Leibes) folgende Schlüsse zieht: 
„Es ist für mich keine Frage, dass 1. ein Zustand von Darm- 
abklemmung bestand, 2. dass Belladonna ihn beseitigte, 3. dass 
die Laparotomie in ihren Anforderungen an die Kräfte der 
Patienten leicht zu hoho Ansprüche gestellt hätte, weil die Lo¬ 
kalisation der Abklemraung unklar war.“ Dagegen berichtet 
B o f i n g e r über eine Frau mit einer eingeklemmten Schenkel¬ 
hernie, die im Anschluss an die Atropinbehandlung ad exituin 
kam. Die Hernie war von Anfang an diagnosticirt, aber nach 
dem Befund nicht als Ursache des bestehenden Ileus angenom¬ 
men. Nachdem sich Atropin als nutzlos erwies, wurde die Hernie 
doch operirt und es fand sich eine Incarceration mit Gangraen 
der abgeschnürten Dünndarrcschlinge. Bofinger sagt wört¬ 
lich : „Ich habe mich bei einer sehr zweifelhaften Diagnose, durch 
die über Atropinwirkung bei Ileus berichteten günstigen Er¬ 
fahrungen verleitet, bestimmen lassen, eine Operation hinaus¬ 
zuschieben, die 24 Stunden vorher vielleicht noch das Leben 
hatte retten können. Von der unangenehmen Komplikation 
nach der Operation (Aufregungszustiinde), die ich ebenfalls auf 
Rechnung des Atropin setze, will ich dabei ganz absehen.“ 
Hoch t len gab einer Frau mit Ileus ebenfalls nutzlos Atropin. 
Die Sektion ergab peritonitischc Verwachsungen des Colon trans- 
versum (Flcxura clextra et sinistra). Bätsch, ein eifriger 
Verfechter des Atropin bei Heus, erwähnt einen Fall, bei dem 
die Patientin nach 7 Tagen erst zur Operation kam. Die Opera¬ 
tion ergab eine Einklemmung einer 30 cm langen Dünndarm- 
sehlinge durch einen parametritischen Strang. Drei Atropin¬ 
injektionen von je 0,005 waren der Operation vorausgegangen 
und hatte die Patientin nach jeder Einspritzung Erleichterung. 


Bätsch sagt selbst: „Hier hat das Atropin nicht wirken 
können und gewiss hätte in diesem Fall eher zur Laparotomie 
geschritton werden müssen.“ Die Behandlung des Strangulations¬ 
ileus kann nur eine chirurgische sein und wird Atropin, welches 
den ohnehin gelähmten Darm wenn möglich noch mehr lähmt, 
nur den letalen Ausgang herbeiführen. Die von Bätsch an¬ 
lässlich des eben mitgetheilten Falles aufgestellto Behauptung, 
dass Atropin die Gangracn dos eingeklemmten Darmes hinaus¬ 
schiebe, bedürfte des exakten Nachweises und rechtfertigt die 
Anwendung des Mittels bei Strangulationen des Darmes jeden¬ 
falls nicht. 

So bleibt nur noch die andere specielle Form de« mecha¬ 
nischen Ileus, der Obturationsileus, übrig. Kann nun auch die 
Anwendung des Atropin beim stenosirenden Tumor keine an¬ 
haltende Besserung oder gar Heilung erzielen, so sollte dies bei 
der lnvagination und Occlusion durch freie Körper (Koth-, 
Gallensteine etc.) angenommen werden. Hier gilt jedoch noch 
mehr, was schon beim dynamischen Ileus betont wurde. Mau 
täuscht mit Atropin so und so oft über den Ernst der Lage 
hinweg und versäumt die richtige Zeit zum operativen Eingriff 
Das Krankheitsbild wird dadurch verdeckt, dass die subjektiven 
und objektiven Beschwerden (wie Schmerzen, Erbrechen, Auf¬ 
treibung des Abdomens) zum Theil nachlassen, während die 
Stuhlverhaltung u. a. mehr anhält; ganz plötzlich tritt das mehr 
minder stürmische Bild von neuem auf und die Katastrophe 
bricht gleich einem Blitzstrahl aus heiterem Himmel rapid 
herein. Dies lehrt ein Fall, der am 8. VII. 1. Js. in Behand¬ 
lung der chirurgischen Klinik kam. 

D. L., Rentiere, 72 Jahre alt. 

Anamnese: Patientin gibt an, schon seit Jahren an Ob¬ 
stipation zu leiden. Früher soll sich auch einmal mehrere Tage 
lang Erbrechen neben ütuhlverhaltung gezeigt haben. Am 30. VI. 
1901 erkrankte Patientin, nachdem sie sich bereits 2 Tage voraus 
unwohl gefühlt hatte, unter diffusen Schmerzen im Leib, voll¬ 
ständiger Has- und Stuhlverhaltung und Erbrechen galliger Massen. 
Noch am Abend des gleichen Tages soll das Erbrechen kotblg ge¬ 
worden sein. Die stürmischen Erscheinungen hielten unter Zu¬ 
nahme der Auftreibung des Abdomens, der körperlichen 
Schwäche etc. trotz Wickelungen. Einläufe u. 8. w. bis zum 4. VII. 
an, so dass an einen operativen Eingriff gedacht wurde. Patientin 
bekam nun vorher noch als ultimum refuglura 3 mal eine Injektion 
von Atropin sulfur. (ä 0,001). Von 4. VII. an soll jetzt Besserung 
olngetreteu sein. Patientin erbrach kaum mehr. Der Leib wurde 
weicher und konnte sieh Patientin tagsüber sogar kurze Zeit ausser 
Bett halten. Die Patientin galt als gerettet, Stuhl erfolgte aller¬ 
dings immer noch nicht. Am 7. VII. Morgens setzte das stürmische 
Bild, das hei Beginn der Erkrankung bestand, wieder akut unter 
ausserordentlich starkem Kothorbrecben ein. Bei dem von Stunde 
zu Stunde schlechter werdenden Befinden der Patientin erfolgte 
am 8. VII. die Einweisung derselben ln die Klinik. 

Status: Ernährungszustand nicht reduzirt, Patientin colla- 
birt. Temperatur 35,8. Puls 120, sehr klein. Athmung ober¬ 
flächlich, Sensorium frei. Fortwährender Singultus. Daneben be¬ 
steht „Ueberlaufen“ flüssig kothlger Massen. 

Ilerz miissig verbreitert. 

Lungen ohne besonderen Befund, nur untere Lungengrenzen 
am oberen Rand der 4. Rippe und wenig verschieblich. 

Abdomen glelchmässig aufgetriebeu. Nirgends Dämpfung 
nachweisbar. Leberdämpfung 1 >/, Qucrtinger Uber dem Itippeu- 
bogen in der Mammlllarliuie. Diffuse, mässige Druckempflndllch- 
keit. welche nur in der Hegend des Nabels stärker ist. Bnich- 
pforten frei. Von einer Darmperistaltik nichts zu sehen und zu 
fühlen. Die Untersuchung des Rectums ergibt auch nichts Ab¬ 
normes. 

Diagnose: Obturationsileus, wahrscheinlich Dickdarm¬ 
tumor. Die sofort vorgenommene Magennusspülung ergibt V/ 2 Liter 
kotbige Flüssigkeit. 

Da bei dem Zustand der Patientin an eine länger dauernde, 
eingreifende Operation nicht zu denken ist, wird die Anlegung 
einer Kothfistel ln’s Auge gefasst und um 4 y 3 Uhr nach Iujektiou 
vou 0 ccm Ol. camphor. in leichter Aetheruarkose die Laparotomie 
vorgenommeu. 

Therapie: 15 cm langer Schrügschnitt in der Ileocoecnl- 
region. Nach Durchtrennung der Bauchdecken (wobei kaum mehr 
ein Tropfen Blut flicsst) stellt sieb in die Peritonealwunde livid 
I verfärbter, stark geblähter Dünndarm ein. Dabei ist Abfluss einer 
! geringen Menge trüben, kotliig riechenden Exsudats uud Austritt 
j l'aeeulent riechender Hase zu konstatiren (Peritonitis). Coeeum. 
j Colon ascendens erweisen sich leer und gehörig. Appendix frei. 

Der 30 cm über der Ileocoecalklappe gelegene, oben erwähnte 
| Lünndannnbselmitt ist ganz ohne Turgor, zundrig, so dass an die 
Einnähung dieses Darmstückes bezw. Anlegung einer Kothfistel 
nicht gedacht werden kann. Zudem zeigt sich bei Entwicklung des 
geblähten Dünndarms, dass 25 cm oberhalb (vom unteren Ende 
der gangmonösen Partie gerechnet) wieder gesunder Darm vor 
liegt. Dosshalb wird der kranke Darm nach aussen gelagert. Bel 
der Entwicklung des erkrankten Darms reisst dieser an einer Stell 
ein und Koth entleert sich in grosser Meuge nach aussen. Der 


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33. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


331 ." 


Riss wird Ubernäht. Als Ursache der Gangraen flndet sich ein 
wallnussgrosser Kothstein, welcher durch Einschnitt mit dem 
Thermokauter entfernt wird. Diese DarmöfTnung bleibt erhalten. 
Theiiweiser Verschluss der Wunde. Einpackung des kranken 
Darm stücke« in warme Kochsalzkom pressen. Tueli verband. 
1 I.iter subcutane Kochsalzinfuslon. 

Patientin, die schon vor der Operation nahezu pulslos war, 
ist trotz weiterer Kamplierinjektionen und Kochsalziul'usiou und 
trotzdem der operative Eingriff nur 25 Minuten datierte, ganz er¬ 
schöpft. Abends 8y a Uhr Exitus letalis. 

S e c t i o n: Pathologisch-anatomische Diagnose: Oeclusions- 
ileiis durch Kothstein. Fibrinöse diffuse Peritonitis. Adipositas 
cordis. Sklerose der (’oronargefiisse. Miissige Hypostase in beiden 
Lungen. 

Auf der rechten Abdominalsehe 15 cm lange Schnittwunde, 
aus welcher ein eröffnetes Darmstück vorragt. Bei ErölTnung des 
Abdomens entweicht unter starkem Druck stellendes (Jas. Das 
gross« Netz ist hinaufgesehlngen. Viscerales Peritoneum geröthet, 
leichter Fibrinbeschlag. Darmschlingen etwas untereinander ver¬ 
klebt. In der freien Bauchhöhle ausserdem eine geringe Menge 
faeculent riechender Flüssigkeit. Die erwähnte vorgelagerte Darm¬ 
schlinge entspricht etwa einer Stelle 30 cm oberhalb der Klappe. 

Im Magen etwas faeculent riechende, bräunliche Flüssigkeit. 
Mucosa erweicht. In der Umgebung der bläulich durchscheinenden 
Veuen deutliche Diffusion. Unteres Iieum in Ausdehnung von 
25 cm schwärzlich verfärbt. Wandung sehr zerreisslich. Auf der 
Höhe der nekrotischen Darmpartie liegt erwähnte Oeflfnung. Im 
Mesenterium streifenförmige Blutuugen. Keine Substanzverluste 
der Mucosa nachweisbar. 

Dieser eine ungünstige Kall sagt mehr, als viel«; andere 
günstige, nicht genau beobachtete und unkontrolirbaro Fälle. 
Das Atropin hätte nach den zahlreichen rühmenden Berichten 
bei dem nicht einmal grossen Stein wirken müssen. So ist durch 
Atropin nur die ganze ernste Situation verschleiert worden und 
die Frau 4 Tage später zur Operation gekommen, als projektirt 
war. 4 Tage früher wäre, die Operation hei den glatten Verhält¬ 
nissen gelungen. 

Ein derartiger Misserfolg gibt zu denken und empfiehlt 
keineswegs das beim Ileus vielgepriesene Atropin. 

Ist ein inneres Mittel beim Ileus, speoiell 
beim paralytischen Ileus, an ge zeigt, so ist 
Morphium dem Atropin vorzuziehen, andern¬ 
falls, d. i. heim eigentlichen anatomiscli- 
mechanischen Ileus, kommt nur der chirur¬ 
gische Eingriff in Betracht. Daneben liei jeder 
Form des Ileus sind Magenausspülungen und Einläufe von 
mehreren Litern Oel (Ol. olivar., Ol. Ricini) pro dosi, nach Um¬ 
stünden auch 70—100 g Ol. olivar. innerlich, mehrmals täglich 
gegeben, sehr zweckmässig. 

Nun soll nicht verschwiegen werden, dass die Stellung einer 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose, noch mehr aber einer exakten Dia¬ 
gnose in manchen Fällen unmöglich ist. Dann ist aber die Probe¬ 
laparotomie doch sicherer und korrekter als die Applikation eines 
Mittels, mit dem man den Ausgang nie voraussieht und nur Va 
banque spielt. Solches gestatten höchstens Verhältnisse, die für 
eine Operation absolut ungünstig und verzweifelt liegen. 

Der Vorwurf der Internisten aber, dass die bisherigen 
chirurgischen Resultate beim Ileus schlechte seien, ist nicht stich¬ 
haltig und nur darin begründet, dass die Patienten eben immer 
schon meist zu spät in die Hände des Chirurgen kommen, ein 
Fehler, der durch das Atropin sicher nicht behoben, sondern nur 
verstärkt wird, besonders bei der vielfach kritiklosen Anwendung, 
die das Mittel gefunden. 

Zum Schlüsse sage ich meinem hochverehrten Chef, Herrn 
Prof. Dr. v. An ge rer, herzlichen Dank für die Ueberlassung 
des lehrreichen Falles. 


Literatur. 

Bätsch: Münch, med. Wocheusehr. 1900, No. 27. — Bo 
flnger: Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 17. — Hämig: 
Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 23. — Höcht len: Münch, 
med. Wochenschr. 1901, No. 12. — LUttgen: Münch, med. 
Wochenschr. 1900, No. 48. — Marcinowski: Münch, med. 
Wochenschr. 1900, No. 43. — Ostermaier: Münch, med. 
Wochenschr. 1900, No. 49. — Pro iss: Münch, med. Wochenschr. 
1900, No. 35. — Simon: Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 12. 


Ein Fall von Darmverschluss durch einen Gallenstein, 
erfolgreich behandelt mit Atropin. 

Von Dr. Frank H. Pritchard in Monrocville, Ohio, U.S.A. 

Seit mehreren Monaten habe ich in diesem Blatte mit warn 
sendem Interesse die Berichte über die Erfolge der Atropinbeliand- 
iung bei Ileus gelesen. Die Resultate sind so ungemein günstig 
gewesen, mit so wenigen Ausnahmen, dass man entweder dal tit¬ 
sch wärmen oder Verdacht schöpfen muss, dass nur die günstigen 
Fälle berichtet werden. 

Jedenfalls scheint es, als ob endlich ein Mittel in die iland 
des Landarztes gegeben wäre, womit er diese schweren Fülle 
aus ihrem fast hoffnungslosen Zustande retten könnte, ohne sie 
den Gefahren eines operativen Eingriffes auszusetzen. Wer iiat 
nicht solche Fälle gehabt, wo mit dem endlosen Klystiereu, heissen 
Einschlägen und innerlichen Arzneimitteln endlich doch nicht.«, 
erreicht wurde, und als schliesslich die Erlaubnis zu operlren er 
theilt wurde, der Kranke für den Eingriff zu schwach war. Vor 
kurzer Zeit batte ich Gelegenheit, diese Behaudlungsweise zu ver¬ 
suchen. 

Patient, ein Bauer von 02 Jahren, ein starker Manu, doch 
etwas heruntergekommen durch übermässiges Trinken von 
Whiskey, ist seit Jahren zahnlos und genöthigt, seine Speisen 
huihgekuut zu verschlingen. Er ist gesund gewesen bis vor 
2 Jahren, wo er an einem starken Anfall von Gallensteinkolik er¬ 
krankte, mit ziemlicher Schwellung der Leber, die etliche Monate 
dauerte, und von leichter Gelbsucht, Verdauungsstörungen, Ge¬ 
fühl von Schwere und Schmerzhaftigkeit auf Druck begleitet war. 
Die Schmerzen wurden beseitigt durch eine Einspritzung von Mor¬ 
phin t'/ 4 Gram und kamen nicht wieder. Doch er hat von Anfang 
des Frühjahrs bis ziemlich in den Sommer hinein gekräukeh. 
Immer wieder klagte er Uber eine empündliche Stelle in der Gallen- 
blnseugegcnd, was aber endlich verging. Seitdem ist er ziemlich 
gesund gewesen. Er hat sieh seitdem im Essen und Trinken sein* 
miissig gehalten. Er ist englischer Abstammung. 

Am 5. Juni 1901 kam er zu mir in die Sprechstunde, wobei er 
über Schmerzen im Unterleibe klagte, hauptsächlich im linken 
Hypochondrium, die paroxystisch zu- und abnehmend waren. Er 
hatte sicli ein paar Mal erbrechen müssen; das Erbrochene war 
gallig. Er hatte Stuhl denselben Morgen gehabt, aber seit einer 
Woche hat er bemerkt, dass der Stuhl nicht so frei und reichlich 
wie früher war. Und auch schon länger bat er Schmerzen im 
Unterleib gehabt, ich untersuchte ihn und fand weder Bruch noch 
Geschwulst. Alle Inneren Orguue waren normal; lieber von nor¬ 
maler Grösse. Kein Fieber; Puls 80, gute Spannung, mit Gefühl 
beginnender Arteriosklerose, ln der letzten Zeit batte er viel 
trockenes Brod und gekochten Schinken gegessen. Ich gab ihm 
t-lilorodyne, 10 Tropfen alle 2 Stunden, zur Linderuug der Schmer 
zeu; rietli ihm, sieh mit Seifenwasser zu klystieren und heisse Um¬ 
schläge auf den Leib zu legen. Um 11 Uhr Vormittags des näch¬ 
sten Tages kam er zu mir in einem elenden Zustande: die Hände 
waren kalt, (las Gesicht bleich, die Zunge braun und trocken. Er 
berichtete, dass er mehrere Male grünliche Flüssigkeit erbrochen 
hatte, die nicht nur übelriechend war, sondern ekelhaft schmeckte 
wie Koth, und obgleich die Schmerzen geringer wären als den Tag 
vorher, befand er sich viel schlechter und schwächer. Weder Stuhl 
noch Winde gingen ab. Sein Leib war nicht besonders aufgebläht. 
Kein Tumor zu fühlen. Nichts im Mastdarm fühlbar, obgleich er 
merkwürdig ausgedehnt zu sein schien — „ballooned“, wie die 
Engländer sagen. Puls 80, Temperatur normal. Ich schickte ihn 
nach Hause mit der Mahnung, sich sofort zu legen, einen heissen 
Umschlag auf den Unterleib zu legen und »icli wieder zu klystiereu. 
Innerlich bekam er Strychnin ’/i» Uran und Hyoseiauiin-Dional- 
tabletten, alle 2 Stunden. Es war kein Zweifel, dass eine Darm- 
verschliessung vorlag. Ich nahm eine Darmobturation au, ver¬ 
ursacht durch Kothstauung wegen seines mangelhaften Gebisses. 
Um 5 Uhr Nachmittags besuchte ich ihn wieder. Er hatte die 
innerlichen Mittel zwar eingenommen, aber mit grösster Mühe bei 
sich behalten, ln 5 Minuten nach meiner Ankunft erbrach er 
wenigstens 2 Quart grün-gelblicher Flüssigkeit von einem ekel 
haften Gerüche, woruaeh er sich besser befand. Indem ich eiusalt, 
dass keine Rede davon seiu konnte, Arzneien einzunehmcu, üelen 
mir die Berichte der glänzenden Wirkung von Atropin bei Darm¬ 
verschluss ein. Ich spritze ihm sofort '/ w Gran Atropinsulfat 
unter die Haut ein, gab noch ein Klystier, mit der Anweisung, 
dass er es so lange als möglich halten sollte. Ich kehrt«; um 8 Uhr 
Abends zurück. Er war ruhiger, sein allgemeiner Zustand besser, 
hatte nicht mehr erbrochen und hat das Klystier behalten. Bis 
jetzt kein Stuhl noch Winde. Das entleerte Klystier zeigte keine 
Spur von Koth. Er erhielt '/i*w Orati Atropin hypodermatisch, im 
Ganzen '/ a Gran, in vier Stunden. Mich erinnernd an den Artikel 
des Herrn Dr. Adam über die seböneii Erfolge von kombinirtem 
Gebrauch des Olivenöl innerlich mit gleichzeitiger Einspritzung 
des Atropin bei ähnlichen Zuständen, gab ich ihm 2 Unzen des 
Gels ein. zur selbigen Zeit noch 3 Unzen dort lassend, mit der 
Weisuug, es vor dem nächsten Morgen cinzunehmeu. Das Oel 
erbrach er nicht. 

Den folgenden Morgen, des vierten Tages, besuchte Ich «len 
Kranken, sehr interessirt zu schell, wie diese Behandlungsweise 
gewirkt halte. Ich war erfreut einen sehr dankbaren Patienten 
zu Anden, denn er hatte gegen Morgen Andeutungen eines An¬ 
kommenden Stuhles gehabt. Zuerst kam ein harter, dann mehrere 
dünnflüssige und stinkende Stühle, worunter viel Oel zu sehen 


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No. 33. 



1316 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


war, aber merkwürdiger Weise noch dazu ein grosser gelbbräun* 
lieber Gallenstein, von der Grösse einer Wallnuss, mit einem 
kleinen Höcker auf einer Seite. Er war eiförmig, ungefähr 1 Zull 
lang, % Zoll breit und nicht ganz so dick. Beim Versuch, ihn 
durchzusügen, brach er in mehrere Stücke, wobei ich ersah, dass 
er sozusagen aus einer Schale mit einem dunkleren, schwärzlich¬ 
braunen Kern, wie eine Nuss in einer Schale, bestand. 

Ich schreibe den Erfolg ganz dem Atropin und dem Olivenöl 
zu, obgleich ich zur selben Zeit auch Hyoscyamiu augewendet 
hatte, welches eine ähnlich wirkende Arznei ist. Klystiere in 
diesem Zustande zu geben, hat scheinbar wenig Hoffnung auf 
Wirkung. Die Atroplnbehandluug des Ileus scheint des Versuches 
würdig, aber noch dazu möchte ich auch die Meinung des l)r. 
Adams bestätigen über die Nützlichkeit der kombinlrten An¬ 
wendung des Oleum olivarum und Atropin. 

Schon lauge vor der Veröffentlichung dieser interessanten 
Fälle von Ileus und ähnlicher Zustände, wo Atropin gebraucht 
worden ist, habe ich ein Gemisch von Atropin und Morphin als 
eine örtliche Einspritzung in die Nähe des Leistenriuges bei ein¬ 
geklemmten Inguinal- und Skrotalbrüchen gebraucht, ln den 
meisten Fällen nach halbstündigem Warten habe ich den Bruch 
repouiren können. 

Noch ein interessanter Punkt bleibt. Wie ist es, dass dieser 
Gallenstein in den Darm gelangte ohne Schmerzen zu machen. 
Nach Nothnagel musste er sich langsam seit dem Kolikanfall 
von vor zwei Jahren von der Gallenblase hinein uleerirt haben. 

Ich habe kein Delirium nach dem Atropin bemerkt; der Puls 
hob sich auf 120 und der Hals wurde trocken. 


Ileus und Atropin. 

Von Dr. Aronheim in Gevelsberg i. W. 

ln der Nacht vom 12. auf den 13. Juli wurde ich um 1 Uhr zu 
dem Werkmeister W. 11. gerufen. Derselbe hatte Abends bei 
bestem Wohlbefinden sein Abendbrot, bestehend aus Kaffee, Brat¬ 
kartoffeln und Fleisch, verzehrt, war um 10 Uhr zu Bett gegangen 
und um Mitternacht aus tiefem Schlafe, klagend über heftigste 
Schmerzen in der linken Itegio iliuca erwacht. 

Der Kranke ist 51 Jahre alt, mittelgross, von gutem Er¬ 
nährungszustände, guter Musculatur und kräftigem Knochenbau. 
Er hat vor Jahren eine schwere Verletzung des linken Auges erlitten 
und ist auf diesem Auge blind; soust ist er niemals ernstlich krank 
gewesen; Bruch und Bruchunlage besteht nicht. Er hat, so lange 
er zurückdenkeu kann, jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen 
genügende Entleerung, und ist auch am 12. Juli Stuhlgang Mor¬ 
gens in „gewohnter" Weise vorhanden gewesen. Der Kranke klagte 
über unerträgliche Schmerzen links, eine Hand breit vom Nabel; 
auf Druck vergrüsserteu sich die Schmerzen so sehr, dass ich von 
einer eingehenderen Untersuchung Abstand nahm. Die übrigen 
Stellen des Abdomen waren schmerzlos und Welch. Noch bevor 
ich eine Morphiumeinspritzung machte, wurden die zu Abend ge¬ 
nossenen Speisen erbrochen. Die Morphiumeinspritzung brachte 
keinerlei Linderung, so dass ich noch ein Pulver von 0,015 Mor¬ 
phium und kleine Eisstückchen nehmen liess. Auf den Leib ver- 
ordnete ich heisse Salzwasserumschläge. Am nächsten Morgen 
0 Uhr war der Zustand derselbe wie in der Nacht. Erbrechen war 
nochmals in der Nacht und am Morgen früh um 0 Uhr eingetreten. 
Die Schmerzen bestanden nur links vom Nabel, und fühlte man 
hier eine handtiächengrosse, resistente Dämpfung darbietende 
Stelle. Puls war voll, 72 Schläge in der Minute, Temperatur 37,5 C. 
Stuhlgang war nicht erfolgt; Winde nicht abgegangen. Meteoris¬ 
mus bestand nicht. Statt der heissen Umschläge verordnete ich 
einen Eisbeutel aufzulegen, der anscheinend besser vertragen 
wurde. 

Mittags: Status idem; hinzugekommen war aber ein den 
Kranken sehr belästigender Singultus. Ein applizirtes Klystier 
aus Wasser, Glycerin lief klar, ohne jede Beimischung wieder ab. 

Abends waren die Schmerzen erträglicher geworden; ein 
zweites Klystier hatte aber ebenfalls keinen Stuhl erzielt. Flatus 
fehlten. 

Am 3. Tage, Sonntag den 14. Juli, besuchte ich Patient uui 
8 Uhr Vormittags; seine Familie gab an, dass die Nacht sehr un¬ 
ruhig gewesen sei; Schlaf sei wegen der Schmerzen gar nicht ein- 
getreteu, stöhnend habe Patient sich stets hin und her geworfen. 
Erbrechen sei in der Nacht nach jedem Schluck Wasser aufge¬ 
treten. Puls etwas beschleunigt., aber noch voll, Temperatur 
37,8° C. 

Während der Kranke auf Befragen den Tag vorher keinerlei 
Darmbewegungen vorspürt hatte, gab er jetzt an, dass sich die¬ 
selben lebhaft eingestellt, er könne das „ltumoren“ deutlich hören. 

Trotz wiederholter Klystiere: kein Stuhl, keine Flatus. Da 
mir nun die Diagnose Ileus sicher zu sein schien, zog ich Herrn 
Kollegen I) ö r k e n zu und machte in Uebereinstimmuug mit 
diesem eine Injektion von 0,003 Atropin, sulfur. subkutan links 
vom Nabel. Eine Stunde nach der Injektion: Abnahme der 
Schmerzen in der linken Regio iliaca; Klagen über Trockenheit lin 
Schlunde, Vergrösserung der rechten Pupille ad maximum. Offen¬ 
bar aber sujektives Besserbefluden. 

Nachmittags 4 Uhr besuchte ich den Patienten wiederum; bei 
meinem Eintritt in’s Krankenzimmer zeigte mir die Frau des 
Patienten freudig einen fast bis zum Rande mit fest-weicliem 
Kothe gefüllten Nachttopf und gab an. dass diese massige, ent¬ 
setzlich stinkende Entleerung, spontan 3 Uhr Nachmittags er¬ 
folgt sei. 


No. 33. 


Der Kranke befand sich sofort nach der Entleerung bedeutend 
erleichtert. Am 17. Juli erfolgte wiederum mit Hilfe eines leichten 
Abführmittels Entleerung und heute am lü. Juli befindet sich 
Patient vollständig auf dem Wege der Besserung. 

Also abermals ein Fall von paralytischem Ileus, verursacht 
durch Kothansammlung und beseitigt durch eine Injektion von 
0,003, der Tagesmaximaldosis von Atropluum sulfuricum. 


Ein Fall von transitorischer Blei-Amaurose. 

Von Dr. Friedrich P i n c u s , Augenarzt in Köln a. Rh. 

M. H.! Seitdem Tauquerei des Planches in seinem 
im Jahre 1839 erschienenen klassischen Werke über Bleivergift¬ 
ungen ') die bei diesen auftretenden Augenstöruugeu in sehr ein¬ 
gehender Weise behandelt hat, ist die Keuntniss dieser Affek¬ 
tionen durch kasuistische Mittheiluugen und zusammenfassende 
Besprechungen in erheblicher Weise bereichert worden. Ich 
nenne unter letzteren nur das Kapitel, welches Leber diesen 
Erkrankungen im Haudbuehe von Graefe-Saemisch s ) ge¬ 
widmet hat, ferner die kurze, aber inhaltreiche Arbeit von 
II i r s e h b e r g *), die Veröffentlichungen von Stood*) und 
v. Schröder 1 ). Immerhin kommen derartige Augenstörungen 
selten genug zur Beobachtung, um es schon desshalb berechtigt 
erscheinen zu lassen, uueh jetzt noch die Kasuistik durch Mil¬ 
theilung einzelner Fälle zu erweitern, um so mehr jedoch, wenn 
sie geeignet sind, zur Klärung derjenigen Fragen beizutragen, 
welche auf diesem Gebiete noch umstritten sind und der Lösung 
harren. 

Vor kurzem Zeit hatte ich nun Gelegenheit, einen Fall von 
transitorischer Amaurose in Folge Bleivergiftung zu beobachten, 
der sehr bemerkenswerthe Züge darbot, und über den ich Iluien 
daher heute berichten möchte. 

Krankengeschichte: Arti 24. Dezember 1000 wurde icii 
von einem Kollegeu ersucht, den 35 jährigen Franz v. F., Arbeiter 
in einer Destillation, zu untersuchen, welcher, seit 8 Tagen wegeu 
rnässig heftiger Leibschmerzen, völliger Stuhlverstopfung, Appetit¬ 
losigkeit, allgemeinem Uebelbefiuden und zeitweiligem Erbrechen 
zu Huuse liegend, vor 3 Tagen plötzlich völlige Erblindung beider 
Augen bemerkt hatte; erst diese hatte ihn veranlasst, ärztliche 
Hilfe nachzusucheu. Derselbe Kollege hatte den Patienten im 
August desselben Jahres gleichfalls wegeu hartnäckiger Stuhlver- 
stopfuug mit massigen Leibschmerzen und Störung des Allgemein¬ 
befindens behandelt; nach Regelung des Stuhlganges durch die 
üblichen Mittel (Kalomel, Klystiere etc.) hatte sich der Patient 
schnell erholt; er soll jedoch nach seiner eigenen Angabe in der 
Zeit 20 Pfund an Gewicht abgenommen haben. Soust soll er stets 
gesund gewesen sein, aber immer blass ausgesehen haben 

Ich fand einen anaemischeu hinfälligen Mann mit schmalem 
Gesicht, sonst leidlichem Ernährungszustände. Psychisch war er 
vollkommen klar, antwortete auf alle Fragen langsam, aber rich¬ 
tig, und zeigte sich über seine Umgebung, seine Krankheit etc. 
völlig orientirt. Die Untersuchung der Augen ergab einen in jeder 
Beziehung normalen objektiven Befund. Namentlich sei hervor¬ 
gehoben, dass die Pupillen von normaler Welte waren und prompt 
auf Lichteiufall reagirten, und der Augenspiegel keinerlei Verände¬ 
rungen im Augenhintergrunde erkennen liess. Die Prüfung des 
Sehvermögens ergab, dass dasselbe völlig erloschen war; bei wech¬ 
selndem Bedecken und Oeffneu der Augen wurden ganz unsichere 
Augaben über Erkennen von Lichtschein gemacht, der Schein 
einer Lampe wurde nicht wahrgenommen. Ueber die Art des 
Eintritts der Erblindung gab Patient an, dass er vor 3 Tagen am 
Vormittag, aus leichtem Schlummer erwacht, nichts mehr erkannte; 
anfangs hat er dies für Schwäche gehalten und der Erscheinung 
kein besonderes Gewicht beigelegt, bis ihn das Anhalten der Er¬ 
blindung doch aus seiner Gleichgiltigkeit und Sorglosigkeit auf¬ 
rüttelte. Ausser Kalomel hatte der Patient keinerlei Medikamente 
etc. eingenommen; die Frage nach irgend welcher Beschäftigung 
mit Giften (abgesehen von den zur Erklärung des Krankheitsbildes 
ja nicht in Betracht kommenden Spirituosen) wurde verneint. 
Mein Verdacht richtete sich zunächst hauptsächlich auf einen 
uraemischen Zustand, wenn auch der Patient mit Ausnahme des 
zeitweiligen Erbrechens keine sonstigen uraemischen Symptome 
darbot; jedoch ergab die Urinuntersuchung völlig normalen 
Befund. 

Am nächsten Tage, dem 25. XII., war das Allgemeinbefinden 
viel besser. Die Leibschmerzen hatten nachgelassen, das Er¬ 
brechen aufgehört, Stuhlgang war jedoch noch nicht erfolgt. Am 
Abend hatte Patient zum ersten Male wieder den Lichtschein der 
Lampe und der Kerzen am Weihnachtsbaum wahrgenommen. Die 
Prüfung ergab eine schon recht weitgehende Wiederherstellung 

*) Vortrag, gehalten im Allgemeinen ärztlichen Verein zu Kölu 
am 22. April 1901. 

') Tanquerel des Planches: Maladies de Plontb. 
Paris 1839. 

9 Graefe-Sae misch: Handbuch, Bd. V. 

3 ) Berl. klln. Wochenschr. 1883, 8. 529. 

4 ) Arch. f. Ophtlialm., Bd. XXX. 3. 

j Arch. f. Ophtlialm.. Bd. XXXI, 1. 


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MUENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1317 


13. August 1901. 

de» Soli vermögen»; Patient erkannte die Ulir und las kleinen 
Druck. Das Gesichtsfeld war, soweit es sich in grober Weise 
mit Haudbewegungen aufnehmen liess. normal, namentlich be¬ 
stand keine Hemianopsie. Merkwürdiger Weise konnte Patient 
trotz seines ganz guten Sehvermögens die ihm vorgehaltenen 
Finger nicht zählen: er behauptete, sie deutlich zu sehen, zählte 
aber meist falsch; ebenso erging es bei der Aufforderung, die An¬ 
zahl einiger Ihm vorgezeigter Gegenstände nnzugeben. Weiterhin 
ergab sich, dass er manche yelne Gegenstände in grosser Ent¬ 
fernung richtig erkannte, andere dagegen, auch wenn sie ihm dicht 
vorgehalten wurden, falsch benannte (z. B. Glas als Stockgriff. 
Salzfass als Uhr u. dergl.). Wurden ihm die Objekte in die Hand 
gegeben, so berichtigte er seinen Irrthum sofort. Als ich ihn 
fernerhin fragte, ob er seinen Rock sähe — derselbe hing am Fuss- 
onde des Bettes über dem einen Bettpfosten —, bejahte er dies und 
fügte hinzu, sein Kind habe denselben umgenommen: thatsächllch 
stand letzteres an dem anderen Bettpfosten am Fassende. Es 
fanden sich also ganz eigentümliche Associationsstörungen und 
Illusionen, die an das bekannte Bild der Seelenblindheit erinnerten. 
Dabei war Patient sonst vollkommen klar und zeigte, abgesehen 
von seiner übrigens auch späterhin In gleicher Weise vorhandenen 
Indolenz und geringen Intelligenz nicht die geringste Störung seines 
psychischen Zustandes. 

Da sich mir mittlerweile doch der Verdacht auf Bleivergiftung 
aufgedrängt hatte, so befragte ich den Patienten nochmals genau 
nach der Art seiner Beschäftigung, und es stellte sich nunmehr 
heraus, dass seine Thätigkeit in der Destillation darin bestand, 
die Fässer mit Bleiroth (Mennige) anzustreichen, und zwar that 
er dies »eit etwa 6 Jahren. Er gab zu. sich seit 5 Jahren schwächer 
zu fühlen und häufig Anfälle von krampfartigen Lelbschmerzen. 
die jedoch meist nicht sehr heftig waren, gehabt zu haben: ferner 
habe er im letzten Jahre einige Wochen lang an Schmerzen in 
beiden Schultern gelitten, die von selbst vergingen. Ein Blick auf 
das Zahnfleisch zeigte das Vorhandensein eines stark ausgebildeten 
Bleisaumes: sonstige Symptome. Lähmungen. Anaesthesien waren 
nicht nachzuweisen. 

Am 26. XII. war das Allgemeinbefinden bedeutend besser, 
nachdem auch am Tage vorher reichliche Stuhlentleerung erfolgt 
war. Patient hat anscheinend normales Sehvermögen, erkennt 
und benennt Alles richtig, hat aber in der Nacht Gesichtshalluci- 
natlonen gehabt; er sah Gesichter. Thiere, die sich um ihn be¬ 
wegten. war sich aber darüber klar, dass dies Täuschungen wären. 

Aehnliche Hallucinatlonen traten auch in der nächsten Nacht 
auf. Am 27. XII. liest Patient kleinsten Druck, zählt die Finger 
richtig, gibt aber an, dass dieselben sich manchmal plötzlich ver¬ 
zerrten und auf ihn zuzukommen schienen. 

Am 29. XII. steht der Patient auf; er fühlt sich wieder völlig 
wohl, hat auch nur noch einmal während kurzer Zeit Gesichls- 
hallucinatlonen gehabt. 

Erst am 6. I. 1901 stellte er sich mir in meiner Sprechstunde 
vor. nachdem er am 31. XII. wieder zu arbeiten angefangen hatte: 
er füllt jetzt Fässer ab und hat mit Bleifarben nichts mehr zu thun. 
Es ist mir nun zum ersten Male möglich, eine genaue Funktions- 
Prüfung vorzunehmen; dieselbe ergibt völlig normalen Befund. 
S — 1, Gesichtsfeld für Weiss und Farben normal. Patient sieht 
viel besser aus, fühlt sich vollkommen wohl und kräftig. Die an 
diesem Tage wiederum wie auch vorher einige Male vorgeuommene 
Untersuchung des Urins ergibt völliges Freisein von Eiweiss und 
Formbestandtheilen. 

Den gleichen Befund ergaben Nachuntersuchungen am 
13. Januar und am 21. April. 

M. H.! Fassen wir das Wesentliche an der in ihrem Ver¬ 
laufe soeben geschilderten Augenaffektion zusammen, so handelt 
es sich um eine plötzlich aufgetretene, vier Tage anhaltende 
völlige Erblindung beider Augen mit erhaltener Pupillenreaktion 
und negativem Spiegelbefunde, welche sich unter Auftreten 
eigenthümlicher Associationsstörungen, Illusionen und Halluci- 
nationen auf dem Gebiete des Sehens in kurzer Zeit bis zur 
Wiederherstellung der normalen Augenfunktionen zurückbildete. 

Fragen wir, was dieser Amaurose, zu Grunde lag, so werden 
wir die. Ursache, da die nächstliegende Annahme einer Uraemie 
angesichts des normalen Harnbefundes auszuscliliessen ist, in der 
bei dem Patienten sicher bestehenden chronischen Bleivergiftung 
suchen müssen. Als zweifellose sonstige Symptome der letzteren 
brauche ich aus dem Krankheitsbilde ja nur die Bleikoliken (als 
solche ist natürlich auch die früher bei dem Patienten beobachtete 
Erkrankung der Verdauungsorgane aufzufassen), den Bleisaum, 
ferner die vorausgegangenen Arthralgien, sowie den leichten 
Grad von Bleikachexie aufzuführen. Zum Zustandekommen 
dieser chronischen Tntoxication bot die Beschäftigung des Pa¬ 
tienten reichliche Gelegenheit, zumal er eingestandenermaaseen 
oft seine Mahlzeiten auf der Arbeitsstätte einnahm, ohne vorher 
die Hände zu reinigen, was übrigens auch bei bester Absicht 
wegen des festen Haftens der klebrigen Bleifarbe stets nur in 
mangelhafter Weise möglich war. So hat er während mehrerer 
Jahre seinem Organismus das Blei auf dem häufigsten Wege, 
dem per os, zugeführt. 


Die bei Bleivergiftung vorkommenden Augenstörungen hat 
die neuere klinische Forschung unter Benutzung der ophthal¬ 
moskopischen Beobachtungen in mehrere Gruppen ganz ver¬ 
schiedenartiger Krankheitsbilder eingetheilt. Leber') unter¬ 
scheidet deren vier, und zwar: 

1. Die plötzlich auftretenden Erblindungen mit oder ohne 
Erhaltung von Lichtschein, mit meist erhaltener Pupillenreaktion 
und negativem Spiegelbefunde, welche nach mehrtägigem Be¬ 
stehen schnell zur völligen oder fast völligen Heilung kommen; 
ein Krankheitsbild, dessen Aehnlichkeit mit der uraemischcn 
Amaurose ganz unverkennbar ist. 

%. Die allmählich zunehmenden Amblyopien mit freiem oder 
beschränktem Gesichtsfelde oder centralem Skotom, bei denen 
man mit dem Augenspiegel das Bild der Ilyperaemie von Papille 
und Netzhaut nachweisen kann; also jedenfalls retrobulbäre Ent- 
zündungsproeesse im »Sehnerven. 

3. Die ausgeprägten Neuritiden und Papillitiden mit meist 
ungünstigem Ausgange, sehr häufig in völlige Erblindung. 

4. Die bei Bleinephritis unter dem Bilde der Retinitis 
albuminurica auftretenden Netzhautveränderungen. 

Es ist klar, dass diese letzte Gruppe eigentlich kaum hieher 
gehört, da es sich bei ihr um nichts anderes handelt, als die so 
häufig bei Nephritis beobachtete, für diese charakteristische Nelz- 
hautveränderung, nur dass hier die Erkrankung der Nieren zu¬ 
fällig auf einer Bleiintoxication beruht; es ist daher berechtigt, 
dass man diese Gruppe bei der Betrachtung der Augenstörungen 
durch Bleiintoxication nur flüchtig berührt, oder sie ganz aus¬ 
scheidet. Einem ähnlichen Schicksal schien die erste Gruppe 
der nur sehr selten zur Beobachtung kommenden transitorischen 
Amaurosen verfallen, in die zweifellos unser Fall einzureihen ist. 
TJnd das kann nicht Wunder nehmen, wenn wir bei den meisten 
genau beobachteten Fällen dieser Art. lesen, dass zur Zeit des An¬ 
falles Albuminurie bestand. Vermisst wurde dieselbe nur in den 
Fällen von Haase'), Samelsohn*) und Lu brecht"), 
die sich jedoch von den übrigen insofern unterscheiden, als bei 
ihnen ophthalmoskopische Veränderungen nachweisbar und die 
Pupillenreaction aufgehoben war, und die daher vielleicht, streng 
genommen, nicht in diese Gruppe zu rechnen sind. In dem Falle 
von Hirschler 10 ) -wurde der Urin nicht untersucht. Dagegen 
bestand in den typischen Fällen von TI irschberg"), Schu¬ 
bert“) und Günsburg“) zweifellos Bleinephritis, so dass 
man os recht wohl verständlich findet, wenn diese Autoren die 
Amaurose 'als eine urnemische auffoseten. Und so lesen wir auch 
bei Knies“) in seinem Lehrbuch: „Sogenannte Amblyopie und 
Amaurosis saturnina, d. h. entsprechende Sehstörung ohne Be¬ 
fund, welche früher sehr häufig diagnosticirt wurde, dürfte gegen¬ 
wärtig kaum noch diagnosticirt werden. Entweder ist. ein ob¬ 
jektiver Befund erst nach einiger Zeit nachweisbar, z. B. die 
Atrophie nach sogen, retrobulbärer Neuritis, oder die Sehstörung 
ist derart, dass sie auch ohne sichtbaren Befund doch eine ganz 
bestimmte Diagnose zulässt, wie eine nalbblindheit oder eine 
uraemische Sehstörung. Die „vorübergehende“ Amaurosis 
saturnina möchte wohl beinahe immer eine uraemische gewesen 
sein.“ Dem gegenüber ist nun hervorzuheben, dass in unserem 
Falle bei wiederholter Urinuntersuchung niemals auch nur eine 
Spur Albumen gefunden worden ist, dass also hier die Nephritis 
als Bindeglied fehlte. Allerdings könnte man mir einwenden, 
dass es auch Nephritiden ohne Albuminurie gibt; aber ich sehe 
nicht ein, wesshalb man lediglich der Theorie zu Liebe, dass diese 
Amaurosen als uraemische aufzufassen seien, in einem Falle, in 
dem niemals pathologische Bestandtheile, weder Eiweiss, noch 
Formel einen te, im Urin gefunden wurden, annehmen soll, dass 
es sich hier um eine Nephritis ohne Albuminurie gehandelt habe; 
schliesslich ist nicht zu vergessen, dass die uraemische Amaurose 
nach Ansicht der neueren Autoren doch mit. grösster Wahrschein¬ 
lichkeit auf die Giftwirkung irgend welcher zurückgehaltener 


c ) Graefe-Sae misch: Handbuch, Bd. V. 

T i Klin. Monatsbl. f. Augenhellk. 1807. 

Klin. Monatsbl. f. Augenhellk. 1873. 

’) Berl. klin. Woehenschr. 1884. 

'*► Wien. med. Woehenschr. 1896. 

") Berl. klin. Woehenschr. 1883. 

’-) Aerztliehes Intelllgenzbl. 1880. 

'■) Arch. f. Augenheiik., XX, 3. 

H ) Beziehungen des Sehorgans und seiner Erkrankungen 
u. s. w., S. 348. Wiesbaden 1893. 

3* 


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1318 

St«*fTweelisclpro<lukto. zurüekgefiihrt werden muss, und dass es 
recht, wohl verständlich ist, dass auch einmal das Blei an sich 
die gleiche Giftwirkung entfalten mag. Und so werden wir 
doch nicht umhin können, für Fälle diesen- Art den allerdings 
unbestimmten Namen „Amaurosis satumina“ hci/.ubchalten. 

Interessanter und schwieriger gestaltet sieh die Frage nach 
dem Silz des die Erblindung verursachenden Krankheitsproecsses, 
nach dem Orte, an dem das Gift, seinen Angriffspunkt gefunden 
hat. Wir werden hier vor die gleichen, viel umstrittenen Fragen 
gestellt, wie bei der ja ganz analogen uraemiseheu Amaurose. 
Während liier die einen Autoren eine Affektion der Sehfelder 
der Hirnrinde, in Folge speeifischer Gift Wirkung auf* die 
Ganglienzellen oder in Folge voriiliergohenden Oeilems der Hirn¬ 
rinde vennuthen. neigen sich die anderen mehr der Annahme 
einer oedematäsen Durchtränkung der Sehnerven, bezw. eines 
ITydrops der Sehnervenscheideu zu. Zur Entscheidung dieser 
Frage 15 ) wurde von Albreeht v. G raef e zuerst das Vorhanden¬ 
sein resp. Fehlen der Pupillenreaktion heran gezogen, indem er 
den Satz aufstellte, «lass erhaltene Pupillenreaktion mit Sicher¬ 
heit auf die Hirnrinde als Sitz des pathologischen Processen hin¬ 
wiese, da nur dann der Pupillenroflexbogen, der seine, höchste 
Stelle in den primären Opticusganglien erreiche, ungestört 
bleiben könne, dass andererseits bei Beeinträchtigung dos Reflexes 
der Sitz unterhalb der Optieusganglien zu suchen sei. Jedoch 
wurde diese so einleuchtende Theorie in neuerer Zeit mannig¬ 
fach erschüttert, und zwar durch Mittheilungen über Fälle 
von Erblindung ln*i Meningitis mit erhaltener Pupillenreaetion. 
bei denen sieh trotzdem im weiteren Verlaufe atrophische Er¬ 
scheinungen an der Papille (‘instellten, namentlich aber durch 
die Arbeiten von Heddaeus 1 "). welcher hierbei auf der "Be¬ 
obachtung von Fällen mit Erblindung eines Auges und er¬ 
haltenem Pupillenreflex fusste. die sich nun allerdings mit der 
v. G r a o f eschen Ansicht schlechterdings nicht vereinen lassen. 
Zur Erklärung dieser Erscheinungen wurde das Vorhandensein 
besonderer Pupillarfasern im Sehnerven angenommen, die 
resistenter als die eigentlichen Sehfasern sein sollten. 

Ist auch diese Frage noch als eine offene zu betrachten, so 
ist es doch unverkennbar, dass die Bedeutung dos’Pupillenreflcxes 
für die Lokalisation der Erblindungen wesentlich vermindert 
worden ist. Wir werden desshalh auch in unserem Falle nicht 
allein auf Grund des Erhaltenbleibens des Reflexes die Diagnose 
auf Rindenblindheit, mit. Sicherheit stellen können, sondern uns 
fragen müssen, ob nicht, auch andere Symptome vorhanden waren, 
die einen Schluss auf den Sitz der Affoktmu erlauben. Und in 
diesem Sinne nmchte ich mit aller Entschiedenheit die eigen- 
thürnlichen Assoeiationsstörungin, di« Illusionen und TTalluoi- 
nationen verwerthon. welche während des Abklingens der Roh¬ 
störung in die Erscheinung traten. Ich schilderte, wie der Pa¬ 
tient bei gutem Sehvermögen nicht «1 ic Anzahl der ihm gezeigten 
Finger oder anderer Objekte angeben konnte, wie er manche 
ihm wohlbekannte Gegenstände durch den G(*siehtssinn allein 
nicht richtig zu erkennen vor mochte, wie er sie falsch benannte 
und seines Irrthums erst beim Betasten gewahr wurde, wie er 
weit von einander entfernte Objekte dicht beieinander sah. kurz 
«lie Erscheinungen, welche uns an «las bekannte Bild der Soolen- 
blindheit erinnerten, und web-be sieh nur auf eine Störung der 
Assoeiatiousverbindungen einzelner Theilo der Oeeipitalrinde 
unter einander liezw. mit. anderen Thcilen des Rindengebietes 
zurüekführen lassen. Teh erwähnte ferner die Gesiehtshalluei- 
uationen, welche ebenso bestimmt auf Reizungsvorgänge in den 
Ganglienzellen des Reheentrums bimveisen. Dabei möchte, ich 
lM*s<uiders betonen, dass der Patient sonst keinerlei Symptome 
psychischer Störung darbot. wie sie wohl bei Eneophalopathin 
saturnina beobachtet werden, «lass si«*h vielmehr die Lähmungs- 
uud Reizung^i-rseheinungen lediglich auf d«*n Gesichtssinn l><- 
s«‘hränkten. Jedenfalls haben wir angesichts solcher Symptom«* 
wold sicher «las Hecht, in unserem Falle eine Rindenblindheit 
anzunehmen, was ich gerade gegenüber S t o o d") und 


’ 5 ) Eine eingehende Behandlung «lieser Fragen findet sieh bei 
Kolli mann: Feber die transitorische Erblindung bei t’raemi«*. 
Herl. klin. Woehensehr. 1804. S. (iOI. 

*■*> E. Heddaeus: Klinische Studien über die Beziehungen 
zwischen rupillarreaktion uud Sehvermögen. Inaug.-Diss.. Halle 
]SSn. 

1. e. 


No. 33. 

v. Schröder 15 ) hervorheben möchte, welche von dem Hydrops 
der Rehnervenseheiden als Ursache der transitorischen Blei- 
amaurose wie. von «'twas Selbstverständlichem sprechen. Auch 
für die l.«*hre. von «1cm Zustandekommen der analogen urae- 
misehen Amaurosen ist ein solcher Fall, der bestimmte Anhalts¬ 
punkte für «lie Annahme einer Rindenblindhcit bietet, nicht ganz 
ohne Bedeutung, wenn ich auch weit davon entfernt bin, aus 
der einen Beobachtung so allgemeine Schlüsse zu ziehen, wie 
es z. B. Ro t h in a n n ,0 ) in einer Besprechung «1er uraemischen 
Amaurosen gethan hat, in der er auf Grund eines Falles, der 
noch dazu ein von dem üblichen durchaus abweichendes Bild 
bot. ganz allgemein den Satz aufstellt, die uraemischen Amau¬ 
rosen seien peripherer Natur, bedingt durch Oedem «1er Opticus- 
scheitlen. Wahrscheinlich dürfte hier wie dort die Wahrheit in 
der Mitte liegen, insofern als klinisch fast gleiche oder doch 
verwandte Züge darbietende Krankheitsbildor auf verschieden¬ 
artige pathologische Vorgänge zurückzuführen sein könnten. 
Wenigstens dürften aus dem Gebiete der transitorischen Bl«*i- 
amauros(‘ii die schon oben erwähnten Fälle von Haas«*, 
S a m e 1 s o h n, Lubrcch t, die wohl die Acuität des Auf¬ 
tretens und die gute Prognose mit den besprochenen Kranklmits- 
bildern gemeinsam hatten, jedoch ophthalmoskopische Verände¬ 
rungen und Aufhebung der Pupillenreaktion aufwiesen und 
z. Th. nicht, ganz folgenlos ausheilten, in das Gebiet der akut 
verlaufenden retrobulbären Proeesse zu weisen seien, in das die 
ersten beiden schon Stood eingeordnet hat. 

M. H.! Zum Schlüsse noch einige Worte über die Prognose 
uud Therapie der transitorischen Bleiamaurosen. Mag auch *Ii«* 
Bedeutung des Erhaltenseins der Pupillenreaktion für die Dia¬ 
gnose des Sitzes der Affektion noch so sehr erschüttert sein, so Bi 
«loch der Werth dieses Symptoms für die Stellung der Prognose 
allgemein anerkannt. Auch in unserem Falle hat sieh die alte 
Erfahrung bewahrheitet, dass die plötzlich auf tretenden Amau¬ 
rosen mit erhaltenem Pupillenreflex eine durchaus günstige 
Prognose bieten. 

Was die Therapie angeht, so brauche ich auf die Behandlung 
der Bleivergiftung ja nicht einzugehen; bei so schweren Sym¬ 
ptomen. wie sie unser Patient darbot. dürfte die völlige Ent¬ 
fernung aus der gefährlichen Thätigkeit wohl unbedingt, ge¬ 
boten sein und auch nicht auf Widerstand von Seiten des Pa- 
fienton stossen. Dem Erblindungsanfallo an sieh stehen wir 
durchaus machtlos gegenüber, eine Thatsache, die Naunyn”) in 
seiner Besprechung der Bleivergiftungen mit der Umschreibung 
misdrückt: „Der überwiegende Erfolg des expectativen Ver¬ 
fahrens ist nicht zweifelhaft.“ Nun, man kann unserem Patienten, 
der bei völliger Erblindung «lrei Tage wartete, bis er einen Arzt 
zu Rathc zog. das Zeugnis* nicht versagen, dass er dieses expecta- 
tive Verfahren in reichlichem Maasse angewandt, hat. Und auch 
der überwiegende Erfolg blieb nicht aus, indem die Amaurose in 
dem gewöhnlichen Zeiträume von 4 Tagen von selbst zur 
Heilung kam. 


Künstliches Gebiss im Oesophagus. 

Von Dr. med. Bätsch in Gmssenhain. 

Merkwürdiger Welse bekam ich einen Fall von Steckenbleiben 
eines künstlichen Gebisses im Oesophagus in Behandlung, als ich 
gerade eine diesbezügliche Abhandlung von Dr. Qu ad flieg 
in No. 4 der Münch, med. Wochenschr. gelesen hatte. Es wurde 
mir am 25. Januar früh aus dem Krankenhause telephonirt. dass 
soeben ein Mann eingeliefert sei, der in der vergangenen Nacht 
sein künstliches Gebiss verschluckt habe. Derselbe habe grosse 
Schmerzen und fortwährendes Würgen, durch welch’ letzteres 
blutig-gestreifter Schleim entfernt würde. Ich verordnete zunächst 
telephonisch s / 2 stündlich einen Esslöffel Olivenöl einzunehmen In 
der Absicht, die Wundschmorzen zu lindern und die Oosophagus- 
Sclileimhaut durch starkes Einfetten für die bevorstehenden Mani¬ 
pulationen gleitend zu machen. Dann suchte ich auf meinem 
Besuchsrundgange den Spezialarzt, für Zahn- und Mundkrank¬ 
heiten, Herrn Dr. v. G., auf, bei dem ich mich persönlich davon 
überzeugte, dass Gebissplatten von vulkanlsirtem Kautschuk gar 
nicht aufzulösen und sehr schwer zu zerbrechen sind. Es war 
also fast gar keine Aussicht vorhanden, die Platte im Oesophagus 
zu verkleinern, zumal da jeder feste Untergruud fehlte. 

Nun untersuchte Herr Dr. A. auf meine Veranlassung den 
Patienten mit seinem Röntgenapparat. Da aber Kaiitsehukplatten 
keinen Schatten geben, so war nur die Möglichkeit vorhanden, die 


1S > 1. c. 

1. c. 

“i v. Z i e m s s e u’s Handbuch, Bd. XV. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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13. August 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1319 


an die Platte angeklehten Zähne sichtbar zu machen. Das «dang 
nicht. Ursache: Von vorn der Herzschatten, von hinten Wirbel- 
säulenschatten, seitlich Rippenschatten. Was letzteren aubelangt, 
so wäre es ein ganz besonders glücklicher Zufall gewesen, wenn 
die wenigen und winzigen Zähne durch die Zwischenrippcnräuine 
hätten sichtbar gemacht werden können. Desshalb ist. wie auch 
Q u a d f 11 e g behauptet, der Nutzen des Itöntgenapparates bei 
Fremdkörpern im Oesophagus gering, bei künstlichen Gebissen 
aber mit Kautschukplatten gleich Null. 

Um y 3 12 Uhr fand ich dann den Patienten im Krankenhause. 
Das Einnehinen von Olivenöl hatte den Erfolg gehabt, dass die 
Schmerzen nachgelassen hatten, und dass das Würgen weniger 
geworden war. Die Anamnese ergab Folgendes: Fabrikarbeiter II. 
hatte am 24. Januar einen vergnügten Abend verlebt und schlief 
darauf sehr fest. In der Nacht, erwachte er plötzlich durch heftige 
Schmerzen im ltachenraum und Athemnoth. ohne dass er aber 
ganz zur Besinnung kam. Es folgte nun ein Würgen und Schlucken, 
das längere Zeit andauerte und ihn schliesslich gänzlich munter 
machte. Nun fühlte er ganz deutlich einen sehr heftigen Schmerz 
ungefähr in der Mitte der Speiseröhre. Die Athemnoth war vorüber, 
aber jegliches Hinuuterscliluckeu, auch von Wasser und Speichel, 
war unmöglich. Patient wurde durch andauerndes sehr schmerz¬ 
haftes Wllrgeu gequält. 

H. gab an. das Gebiss mit Kautschukplatte schon einige Jahre 
zu tragen. Er hätte an der Platte ursprünglich 5 Zähne gehabt, 
die drei seitlichen Zähne seien ihm aber abgefallen, so dass nur 
die iH'iden vorderen geblieben wären. Ausserdem hätte die Platte 
in der letzten Zeit sehr locker gesessen. Die Platte habe ZAvei 
Kautscliukklammern. Irgend einen Itiss oder Defekt an der Platte 
ha Im» er nicht bemerkt. 

Die Inspektion ergab, dass an den Seitenwaudungen des 
Rachens nicht unlu-deutende Schleimhautrisse vorhanden waren, 
die auch theilweise die Uaclienmusculatur durchsetzten. Ich ging 
zunächst mit der Olive ein und batte das Glück, in einer BJnt- 
fernung von 3G cm von der Zalinreilie auf das Gebiss ganz sicher 
und breit aufzustossen. Hieraus schloss ich. dass das Gebiss 
in geradem VerhäJtnlss nach unten g(*gangen war, dass also die 
Zähne nach oben standen. Nun führte ich einen Münzenfänger 
zwischen Zähne und Oesophagus durch, was ganz leicht gelang, 
wohl in Folge des Einfettens. Das Oel war übrigens das Einzige, 
was hinunterfloss, während Speichel und Wasser wieder hernus- 
gewürgt wurde, eine Erscheinung, die durch die mechanischen 
Eigenschaften des Oels erklärlich ist. Es glückte mir ferner, mit 
dem Münzenfänger den unteren - scharfen Rand des Gebisses fest¬ 
zunehmen. Nun schob ich oben das Fisehbein seitwärts und er¬ 
reichte. dass unten der Münzenfänger auch nach der entgegen¬ 
gesetzten Seite glitt. Ich hoffte, hierdurch das Gebiss auf die 
schmale Seite zu drehen. Das gelang mir nicht. Auch der Ver¬ 
such mit der anderen Seite misslang. Im Gegeutlieil entstand 
starkes Würgen und Entleerung von Blut. Ich drehte daher den 
Münzenfänger um seine Achse und zog ihn vorsichtig wieder 
heraus. Es war mir klar, dass sich die Kautschukklammern fest in 
die Schleimhaut eingebaggert hatten, trotzdem ich durch den seit¬ 
lichen Zug dies vermelden wollte. Nachdem ich nun dem Pa¬ 
tienten einige Ruhe gelassen und ihm 2 Esslöffel Olivenöl ein¬ 
gegeben hatte, fragte ich ihn. ob er noch einmal einen Versuch dos 
Hinunterstossens des Gebisses aushalten wolle oder ob ich gleich 
di-* Gastrotomie und die Entfernung des Gebisses nneli Quad- 
flieg, die ich ihm erklärte, vornehmen sollte. Patient erklärte 
mir. noch einmal den Versuch des Hinunterstossens aushalten zu 
wollen. Ich schob nun ein gut geöltes, starkes Bougie mit dem 
dicken Ende (1 cm Durchmesser) ein, schob es seitwärts (wie 
ober, bei dem Münzfänger) und machte in Intervallen stark 
drückende Bewegungen. Nach etwa 10 Intervallen fühlte ich ein 
Krepitiren und Ausweichen der Sonde. Nun schob ich das Bougie 
in die Mitte, hob dasselbe ln die Höhe und kam beim Hinunter- 
stossen glücklich auf die Zähne. Ich schob In Intervallen weiter, 
und ein kurzer Widerstand und Schmerzensschrei des Patienten 
gab mir die Gewissheit, dass das Gebiss durch die Kardla in den 
Magen gelangt sei. 

Sofort vorgenommene Versuche mit Wasserschlucken und der 
dicksten Olive zeigten deutlich, dass nun der Oesophagus frei sei. 
Meinem nunmehrigen Vorschläge, die Gastrotomie nusführen und 
das Gebiss sofort direkt aus dem Magen entfernen zu lassen, ent¬ 
sprach der Patient nicht, sondern bat mich zu versuchen, das Ge¬ 
biss auf natürlichem Wege zu entfernen. Ich musste diesem 
Wunsche nnchkommen. 

Am ersten Tage Hess iöh dem Patienten, da er beim Schlucken 
heftige Rachenschmerzen hatte, durch eine weiche Magensonde 
literweise dicken Mehlbrei eingiessen. Am zweiten Tage vermochte 
Patient schon nebenbei etwa 1 Liter Sauerkraut hinunter zu 
schlucken. Am dritten Tag überwnnd er schon 2 Liter Wirsing¬ 
kraut neben dem Mehlbrei. Am vierten Tage konnte ich schon die 
Magensonde weglasseu, da die Rachenmusculatur nun wieder ganz 
gut funktionlrte. Patient stopfte nun in sich hinein abwechselnd 
Sauerkraut. Wirsingkraut, Kohlrüben. Grütze, kurz was sich an 
einhbllenden Gemüsen nur erdenkeu liess. Dabei fühlte er sich 
sehr wohl, hatte kein Fiel>er und keine Schmerzen. Ich unter¬ 
suchte den Patienten, sowie dessen massige Entleerungen täglich. 
Kollege A. war so freundlich, den Patienten Jeden 3. Tag zu durch¬ 
leuchten. ohne je die beiden Zähne zu entdecken. Endlich, am 
9. Februar, bat mich Patient, ich möchte Ihn doch entlassen, da ei 
sich soweit wohl fühle und für seine Familie etwas verdienen 
wolle. Er versprach mir, meinen Verordnungen pünktlich nach- 
zukommen und bei den geringsten Beschwerden zur Operation 
nntreten zu wollen. Da ich Patienten als intelligent und gewissen- 

No. 31. 


haft kannte, entliess ich ihn am 9. Februar Nachmittag. Patient 
verhielt sich auch, wie ich von seinem Fabrikdirektor hörte, 
musterhaft. Er installirte einen Nachtstuhl in seiuer Woliuung 
und einen in der Fabrik. Einen anderen Ort suchte er überhaupt 
nicht auf. 

Diese Gewissenhaftigkeit wurde denn auch am 15. Februar 
mit Erfolg gekrönt. 

Gegen y s 3 Uhr Nachmittags bekam Patient plötzlich heftigen 
Stuhldrang und hatte dann «las Gefühl, als wenn ein riesiger 
Ivothballen den After pnssirte. Es folgten ungeheure Massen von 
Koth nach. Patient hatte sofort das Gefühl, dass in dem Kotli 
das Gebiss abgegaugen sei. Unter Zulauf vieler Mitarbeiter wurde 
nun der Koth unter der Wasserleitung untersucht und das Gebiss 
mit Triumph «lein Koth entzogen. Pati«*nt ttlierbrachte mir das¬ 
selbe sof<*rt in die Sprechstunde, das Nähere erzählend. Die 
Breite der Gaumenplatte betrug 4.(5. die Tiefe 2.2 cm. Die ein«* 
Klammer fehlte. Ich verinuthe. «lass «liese bei dem Hiuuuter- 
stoss«*n des Gebisses abgelm>ch«*n ist. da «lie Klammer sich viel¬ 
leicht zu f«*st in eine Schleimhaut falte eingelmggert hatte. Ob 
die Klammer nun nachträglich abgegangen, ob sie vielleicht noch 
in «1er Schleimhaut des Oesophagus steckt, «las entzieht sich jeder 
Beobachtung. Jedenfalls wäre an letzteres bei etwa entsteheutlen 
Beschwer«leu im Oesophagus zu denken und hiernach operativ 
vorzugelieu. Augenblicklich lehnt Patient naturgemäss jedeu 
Eingriff zur Beantwortung dieser Frage ab. 

Es möge mir noch eine ganz kurze kritische Bemerkung ge¬ 
stattet sein. Ich muss gestehen, dass mir der Gedanke des Ent¬ 
fettens des Oesopiiagus und des seitlichen Ziehens resp. Stosseus 
nicht erst in dem Moment d«?r Behandlung gekommen ist, son¬ 
dern schon bei Lesen der Arbeit von Quadflieg. Ob ich. 
ohne die Arbeit gelesen zu haben, auf denselb«*n Gedanken ge¬ 
kommen wäre, weiss ich nicht. Vielleicht doch! Jedenfalls hat 
mich seine Arbeit im richtigen Moment zum Nachdenken an¬ 
geregt, was ich ihm sehr danke. Ich bin überzeugt, das3 Quad¬ 
flieg bei seiner letzten Traktion unbewusst mit der Pinzette 
seitlich abg«'glitten ist und das Gebiss seitlich gefasst hat. Denn 
nur durch seitliches Stellen de« Gebisses ist dasselbe in den 
engen Theilen des Verdauungskanals fortzubewegen. Davon 
habe ich mich durch Besichtigung sehr vieler Gebisse bei Kollegen 
v. G. überzeugt. 

Dass es mir nicht gelingen konnte, das Gebiss auch sei t- 
1 i c h in die Höhe zu ziehen, ergibt die Form desselben. Zu be¬ 
denken ist, dass ich keine Ahnung von der Gestalt des Gebisses 
und dessen Klammern hatte. Der Versu«*h war aber erlaubt. Dass 
bei seitlichen« Stossen die Klammer abbmch, war ein Glücks- 
umstand, der die Sache beschleunigte. Ich bin aber überzeugt, 
dass, auch ohne dieses Ab rechen, das Gehiss dureh Stoss von 
oben, resp. durch Ziehen von unten nach Gastrotomie, wenn 
es nur seitlich geschah, f«»lgeu musste. 

Und ich würde auch heute wiod«*r zuerst versuchen, 
das (Jebiss mit dem Münzenfänger seitlich nach oben zu richten 
und es nach «>bon horauszuziehen. Denn es liegt, stets die Mög¬ 
lichkeit vor, dass die Klammern sieh nicht in eine Sehleimhaut¬ 
falte des 0««ophagu9 einhaken und sieh dort durch stärker«'* 
Ziehen fest einbaggern. Ein vorsichtiger Versuch in dieser Rich¬ 
tung ist daher ganz sicher gerechtfertigt. Schliesslich bemerke 
ich noch, dass ich die von Quadflieg vorgoschlagene Ope- 
ration, den Oesophagus von hinten her durch Rippenresektion 
zu eröffnen und Fremdkörper aus demselben zu entfernen, an 
der Leiche versucht habe, und fand ich hierbei, dass diese Ope¬ 
ration für einen halbwegs geübten Chirurgen ganz leicht aus¬ 
führbar ist. Man darf nur die Rippenstü«*ke, welche man reseeirt, 
nicht zu kurz bemessen, um nachher bequem nähen zu können. 


Beitrag zur Ischias syphilitica und ihrer Behandlung. 

Von Dr. A. N i e w e r th in Hildesheim. 


In No. 27 vom 2. JuU 1901 der Münch. me«l. Woelienselir. ver¬ 
öffentlicht Dr. Mendel-Essen 3 Fülle von Ischias syphilitica, 
ln denen er von einer energischen Injektionskur mit Hydr. snli- 
cylic. prompten, schnellen und guten Erfolg sah. Lediglich um 
seine Ausführungen zu bestätigen, gestatte ich mir kurz ül>er 
einen gleichen Fall zu berichten, den ich kürzlich ln meiner Praxis 
zu behandeln und zu heilen Gelegenheit hatte. 

Der Kranke, jetzt 33 Jahre alt, hatte sich vor 9 Jahren luetisch 
inflelrt, hatte nach seinen Angaben schon eine mehrmalige Iminc- 
tions- und Injektionskur gebraucht, war ln Aach«*n gew«*scn und 
glaubte sich von seiner Syphilis geheilt. Inzwischen hatte er g«>- 
heirntliet; die aus der Ehe entsprossenen Kinder — der älteste 
IviialK* ist bereits 5 Jahre alt — zeigen keine Anzeichen von 
hereditärer Lues, auch hat niemals ein Abort stattgefunden. Ende 
August vorigen Jahres wurde ieli Früh zu dem Kranken gerufen, 
da er plötzlich Nachts sehr heftige Schmerzen im rechteu B«4u 
bekommen hatte. 


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1320 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33. 


Ich fand den Patienten wimmernd im Bette liegend, jede Be¬ 
wegung des rechten Beines sorgfältig vermeidend, das Bein im 
Kniegelenk schwach flektirt. Deutliche Druckpunkte Messen eine 
heftige Ischias erkennen. Ich applicirte eine Morphiuminjektion, 
vcrordnete feuchtwanne Umschläge und verschrieb, da mir die 
Vorgeschichte bekannt war, eine Jodkalimixtur 20:100. 

Der Erfolg dieser Behandlung war durchaus negativ; ich sah 
mich die nächsten Tage genötliigt. Morgens früh und Abends spät 
die Morphiuminjektionen zu wiederholen, um die Schmerzen 
einigermaassen zu lindern. Eine Besserung war nicht erreicht. 
Am 4. Tage entschloss sich der Patient auf mein Zureden, trotz 
heftiger Schmerzen, ein Dampfbad zu nehmen; der Erfolg war 
eine Exacerbation der an und für sich schon heftigen Schmerzen, 
die mich veranlasste, zu einer anderen Behandlung überzugehen. 
Ich hatte inzwischen am linken Bein des Patienten einen Sub- 
stanzverlust der Haut entdeckt, der auf Befragen seit 14 Tagen 
bestand, wenig belästigte, aber nicht zur Heilung kam. Ich hielt 
auch hier die Syphilis für die Ursache und verordnete Emplastr. 
Hydrarg. Dr. Boyersdorf!’. 

Zugleich injicirte ich eine Pravazspritze der Ilydrarg. salieylic.- 
Paraffinemulsion in die Glutaealmusculatur der rechten Seite. Ich 
l>emerke dabei, dass ich zur Behandlung Syphilitischer stets obige 
Emulsion verwende und mit dem Erfolge stets zufrieden war. 

In diesem Falle nun war die Wirkung eine ebenso prompte, 
wie in den von Mendel beschriebenen. Die Schmerzen Messen 
im Laufe des Tages nach; die Nacht war ruhig und brachte den 
längst ersehnten Schlaf. Die Schmerzen Messen in den nächsten 
Tagen immer mehr nach, so dass der Kranke am 4. Tage nach der 
Injektion fast schmerzfrei war und aufstand. Eine länger fort¬ 
gesetzte Injektionskur brachte denn auch völlige Heilung des 
syphilitischen Ulcus am linken Oberschenkel, das sich unter dem 
Gebrauch von Jodkali nicht bessern wollte. 

Ich kann mich damit in allen Punkten den Ausführungen des 
Herrn M e n d e 1 anschliessen und den Herren Kollegen rathen, ein¬ 
tretenden Falles zum Quecksilber zu greifen. Es ist auffallend, 
wie schnell es seine Wirkung entfaltet. Das nächst liegende war 
jedenfalls eine Jodkalimedikation, da meines Erachtens an tertiäre 
Lues zu denken war. Dieses Mess aber völlig im Stich. Da das 
verordnete Dampfbad eine überaus heftige Exacerbation der 
Schmerzen veranlasste, glaube ich an einen akut entzündlichen 
Process denken zu müssen und es bestand in dieser Beziehung 
eine gewisse Analogie, meiner Erfahrung nach, zu manchen Fällen 
von Ischias auf gichtischer Grundlage, in denen auch Dampfbäder 
odev heisse Packungen schlecht vertragen wurden. 


Prioritätsanspruch auf den ersten Nachweis von 
Typhusbacillen im Gallenblaseninhalt und auf die 
Erklärung der Ursache von den Typhusrecidiven. 

Von Dr. Gustav Fii tterer in Chicago. 

Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder die Bemerkung 
gemacht, dass in Arbeiten, welche das Vorkommen von Typlms- 
baclllen in der Gallenblase berühren, C h i a r i, dessen Arbeit 1804, 
6 Jahre nach der meiuigen erschienen ist, als Derjenige angeführt 
wird, welcher zuerst Typhusbacillen im Gallenblaseninhalt nach¬ 
gewiesen hat. C li i a r i’s Name und seine Llteraturangnben werden 
immer wieder von Solchen wiederholt, die sich augenscheinlich die 
Mühe sparen wollten, selbst die Literatur zu durchforschen. Wenn 
wir in selbstloser Weist; arbeiten, um unser Seherfleiu zum Fort¬ 
schritte des allgemeinen Wissens beizutragen, so übernehmen wir 
freiwillig allerlei Pflichten, aber auch gewisse Rechte. Es wird 
zum Beispiel unser Recht und unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass 
die Früchte unserer Arbeiten nicht unbekannt und unbenutzt liegen 
bleiben, denn würden wir das nicht thun, dann wäre unser Streben 
nutzlos gewesen, und wir selbst würden bald unbefriedigt aus der 
Reihe Derer austreten, welche es als ihre hohe Pflicht betrachten, 
wenigstens zu versuchen, unsere Kenntnisse zu erweitern. 

Solche IÜberlegungen sind es. welche mich veranlassen, einen 
Prioritätsanspruch zu veröffentlichen, der ja eigentlich nicht nöthig 
sein sollte, der aber doch zur Nothwendigkeit geworden ist. Auch 
der Vorsichtigste übersieht beim Durchgehen der Literatur leicht 
Arbeiten, die er nur zu gerne gelesen hätte, aber nicht finden 
können oder übersehen, und ich möchte fast sagen, systematische 
Vernachlässigung sind doch zwei sehr verschiedene Dinge. 

Mein Prioritätsanspruch bezieht sich auf Folgendes: 

Im Jahre 1&S8 hal>e ich in Verbindung mit Herrn Dr. B. Anton 
In No. 19 der „Münch, med. Wochenschr.“ eine kleine Arbeit ver¬ 
öffentlicht („Untersuchungen über Typhus abdominalis“) in welcher 
drei Fälle von Typhus mitgetheilt und beschrieben wurden. Im 
ersten oder klinischen Theile der Arbeit theilte Herr Dr. Anton 
die Ergebnisse klinischer Beobachtung eines Typhusfalles und den 
baeteriologischen Befund bei einer den Fall komplizirenden Paro¬ 
titis mit. Im zweiten, anatomisch-bacteiiologischen Theile, welcher 
von mir allein bearbeitet wurde, wird dann Folgendes gemeldet: 

Fall I. Befund von Typhusbacillen im Gehirn, der Milz, 
Leber, in den Mesenterialdrüsen; Staphylococcus aureus in allen 
diesen Organen, mit Ausnahme der Meseuterialdrüsen. 

Es war dieses derselbe Fall, welcher im ersten Theile klinisch 
beschrieben wurde und auch ich fand die Parotis von Stapliylo- 
eocceu durchsetzt, welche besonders die Ausführungsgänge der 
Drüse ausfüllteu, durch die sie zweifellos von der Mundhöhle 
hereingedrungen waren, um dann von hier aus eine Allgemein¬ 
infektion, also eine Mlschinfektlon zu veranlassen. 


Fall 2. Typhus. Nachweis von Typhusbacillen in der Dann¬ 
wand, in den Mesenterialdrüsen, der Leber, der Milz, Nieren, 
Lungen und im Hamblaseulnhalt. „Mehrere Impfungen aus dem 
Gallenblasenlihalt ergaben gleichfalls durch die weitere Unter¬ 
suchung, welche stets in derselben sorgfältigen Weise mit Gelatine¬ 
platten , Gelatinestichkulturen, Kartoffelkulturen und mikro¬ 
skopischer Untersuchung gefärbter Deckglaspräparate vorge¬ 
nommen wurde, das gleiche Resultat.“ 

Fall 3. Wiederum Nachweis von Typhusbacillen in Rein¬ 
kultur im Gallenblaseninhalt. 

Das waren also 2 Fälle, ln denen zum ersten Male nach¬ 
gewiesen wurde,: Erstens, dass beim Typhus Typhusbacillen 
in der Gallenblase Vorkommen; zweitens, dass die Galle sie 
nicht tödtet, denn sie wurden ja gezüchtet. 

Da die richtige Deutung neuer Befunde erst Eigenthumsrechte 
verleiht, so sei es mir gestattet, hier wörtlich meine Deutung, 
wie sie an Ort und Stelle gegeben wurde, anzuführen. 

„Von den in der Galle nachgewiesenen Typhusbacillen nehme 
ich an, dass sie die Leber passirt haben, durch diese ausgeschieden 
worden sind und dass sie, mit der Galle in den Darm gelangt, 
dort unter sonst günstigen Bedingungen, wobei natürlich auch an 
inzwischen eingetretene Veränderungen, welche der Ansiedelung 
hinderlich sind (Immunität) gedacht werden muss, wieder im 
Stande gewesen waren, die ihnen zukommenden pathogenen Eigen¬ 
schaften zu äussern. Früher öfter wiederholte Ver¬ 
suche haben mir gezeigt, dass Mikroorganismen 
v e r h ii 1 1 n i s s m ä s s i g leicht die Leber p a s s i r e n“ etc. 

Ferner: „Die Galle scheint keine in Frage kommende anti¬ 
parasitäre Wirkung zu haben, und es ist eine Ausscheidung von 
Mikroorganismen durch die Leber und mit der Galle sicher nicht als 
eine wirkliche EUminirung aus dem Körper anzusehen“ etc. 

Ich glaube, das ist Alles sehr deutlich gesagt. Im Laufe der 
Jahre habe ich mir redlich Mühe gegeben, mich weiter von der 
Richtigkeit des Angeführten zu überzeugen, und eigene Arbeiten 
sowohl als diejenigen Anderer haben meine Beobachtungen und 
Schlussfolgerungen bestätigt. 

Ich beanspruche also Prioritätsrechte: 

1. Für den ersten Nachweis, auch mittels Kulturverfahrens, 
von Typhusbacillen im Gallenblaseninhalt von Leichen au Typhus 
Verstorbener. 

2. Für die Deutung dieser Befunde als Ausscheidungsprocess 
vom Blutstrom durch die Leber. 

3. Für die logische Schlussfolgerung, dass durch späteres 
Hineingelangen von lebenden Typhusbacillen von der Gallenblase 
in den Darm die Typhusrecidive erzeugt werden. Etwas Anderes 
kann man doch wohl aus meinen oben angeführten Worten nicht 
gut scliliessen. wo es heisst: „und dass sie (die Typhusbacillen), 
mit der Galle ln den Darm gelangt, dort unter sonst günstigen 
Bedingungen“ etc. „wieder im Stande gewesen wären, die ihnen 
zukommenden pathogenen Eigenschaften zu äussern“. 

Ich glaube, dass ich durch Obiges genügend festgestellt habe, 
dass meine Prioritätsansprüche berechtigt sind. 


Ueber die Anwendung der Magensonde bei Ulcus 
ventriculi. 

Von Dr. W. F 1 a d e, Spezialarzt für Magen- und Darm- 
krankheiten in Leipzig. 

(Schluss.) 

2. Ist die Anwendung der Sonde bei Verdacht auf Ulcus über¬ 
haupt erlaubt, bezüglich werden die dabei eventuell in Frage 
kommenden Gefahren aufgewogen durch die zu erwartende 
Sicherung der Diagnose? 

Bei den oft so schwer zu entziffernden pathologischen Vor¬ 
gängen innerhalb der Sphäre des Verdauungstraktus werden wir 
jedes diagnostische Hilfsmittel begrüssen, selbst dann, wenn sein 
Werth, wie in unserem Falle, ein nur relativer ist, doch muss 
der selbst in wenig günstig liegenden Fällen zu erwartende Nutzen 
stets die Gefahren überwiegen, die bei Anwendung dieses Hilfs¬ 
mittels möglicher Weise zu gewärtigen sind. Das führt uns zu 
der oben von mir in folgender Weise formulirten zweiten Frage: 

Ist die Anwendung der Sonde bei Verdacht 

aufülcusüberhaupterlaubt, bezüglichwerde ii 

die dabei eventuell in Frage kommenden Ge¬ 
fahren aufgewogen durch die zu erwartende 
Sicherung der Diagnose? 

Mit anderen Worten: welche Gefahren bietet die Anwendung 
des Magenschlauches bei möglicher Weise vorhandenem Ulcus; 
wie hoch sind diese Gefahren einzuschätzen; kann man sie igno- 
riren, oder überwiegen sie den zu erwartenden Nutzen? 

Dass wir bei Patienten, die an peptischem Ulcus leiden, mit 
ganz bestimmten Gefahren zu rechnen haben, falls wir den Magen¬ 
schlauch einführen, leuchtet von vornherein ein. Nach C. G e r - 
har dt tritt Verblutungstod in 3—5 Proc. und Tod durch Per¬ 
foration in nicht weniger als 13 Proc. der Fälle von Ulcus ein. 


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13. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


D e b o v e und R 6 m o n d geben die gleichen Zahlen an. 
L. Müller fand bei 120 Ulcusfallen 35 mal Blutungen, darunter 
14 mit tödtlichem Ausgange. Nach einer anderen Arbeit steigt 
die Perforationszahl bis 18 Proc. Dass die Gefahr des Eintrittes 
solch’ unglücklichen Ereignisses durch Einführung des Schlauches, 
sei es in Folge der unausbleiblichen Erregung und Würgbeweg¬ 
ungen, sei es in Folge unmittelbarer Berührung mit der Magen- 
waud, wachsen muss, wird unbefangener Weise Niemand leugnen 
wollen. Dementsprechend perhorrescirt L e u b e nach wie vor 
jede Anwendung des Schlauches bei Ulcus, wenn sie nicht durch 
besondere Verhältnisse erzwungen wird. Riegel und seine 
Schule sind weniger streng. Ewald und Gerhardt haben 
Beide lange Zeit den Standpunkt L e u b e’s vertreten, um ihn 
aber weiterhin mehr und mehr fallen zu lassen. Es ist dies¬ 
bezüglich eine Discussion zwischen den Autoren über einen von 
Ewald gehaltenen Vortrag aus dem Jahre 1886 interessant, 
in dem Beide ihre Ansicht dahin aussprechen, dass namentlich 
bei älteren Geschwüren die Perforationsgefahr so gering sei, 
dass man eine vorsichtige Anwendung des Schlauches wohl ris- 
kiren könne. 

Der Versuch einer exakten Statistik und kritischen Zu¬ 
sammenstellung der in der Literatur niedergelegten Fälle, bei 
denen sich wegen bestehenden Ulcus in Folge Anwendung des 
Magenschlauches eine gefahrbringende oder gar tödtliche Blutung 
oder eine Perforation ereignet hat, ist mir nicht geglückt, da 
die bezüglichen Angaben in den einschlägigen Arbeiten zumeist 
für solchen Zweck zu unvollständig waren. 

Die Durchsicht der Publikationen hat aber in mir die Ueber- 
zeugung befestigt, dass die Gefahren der Schlaucheinführung bei 
Ulcus beträchtliche sind, und dass es sehr am Platze ist, ein¬ 
dringlich vor ihr zu warnen. Diese Warnung steht in einem 
gewissen Gegensätze zu der geringen Anzahl von Publikationen, 
die in dem hier zu verlangenden Sinne exakt genug sind, um 
beweiskräftig zu sein, und ich werde den Beweis für die Berech¬ 
tigung meines Satzes wesentlich indirekt zu führen haben. Dass 
die Kasuistik so wenig umfangreich ist, liegt nach meinem Dafür¬ 
halten nicht daran, dass nicht mehr pasßirt wäre, oder wenigstens 
nicht bedeutend mehr passiren würde, wenn man sich allgemeiner 
der citirten Auffassung von Ewald und Gerhardt an- 
schliesst; ich suche die Gründe vielmehr in Folgendem: Man 
kann wohl mit Recht sagen, dass der Magenschlauch auch heute 
noch ein Instrument ist, dessen Werth für die Diagnose in der 
allgemeinen Praxis viel zu gering geachtet wird. In Folge dieser 
weitgehenden Unterschätzung einerseits, der Vielseitigkeit seiner 
Beschäftigung andererseits wendet der Praktiker den Schlauch 
in demselben Maasse entschieden zu wenig an, als leider seine 
Benützung von vielen Spezialisten auf unserem Gebiete zweifellos 
übertrieben wird. Die Folgen solcher Uebertreibung von Seiten 
Derjenigen, die sich spezieller mit den Verdauungskrankheiten 
beschäftigen, werden aber dadurch wett gemacht, dass sie bei 
Patienten, die den Verdacht auf Ulcus hervorrufen, heute noch 
fast durchweg nach dem L o u b e’schen Rezepte handeln, nach 
dem ein Ulcuskranker ein noli me tangere ist. Die Riege l’scho 
Ansicht und die von Ewald und Gerhardt hat bis heute 
in der Praxis noch nicht viele Anhänger. Dass somit die Zahl 
besonders alarmirender Vorkommnisse nicht gerade reichlich ist, 
kann zugegeben werden, doch ist zu berücksichtigen, dass so 
mancher Fall aus naheliegenden Gründen der Veröffentlichung 
entgeht. Nach meiner Meinung sind Schädigungen viel häufiger, 
als offiziell bekannt wird. Es braucht sich ja durchaus nicht um 
ünglücksfälle zu handeln, die den Tod mit grösserer oder ge¬ 
ringerer Sicherheit im unmittelbaren Gefolge haben. Wir wissen, 
dass es langsam blutende Geschwüre genug gibt bei Individuen, 
denen auch geringster erneuter Blutverlust zur unmittelbaren Ge¬ 
fahr werden kann. Es handelt sich hier entweder um Blutung 
aus kleinen Gefässen oder mehr flächenhafte Blutungen oberfläch¬ 
licher Geschwürsbildungen, wie sie z. B. Dieulafoy für sehr 
häufig und für das Vorstadium tiefgreifender Ulcerationen hält, 
die sich selbst bei difficilster Stuhluntersuchung der direkten 
Beobachtung nur zu häufig entziehen. Es ist sicher, dass bei 
den schwer stillbaren Blutungen aus weitgreifenden Geschwürs¬ 
flächen die Anwendung der Sonde bedeutsamen Schaden anrichten 
muss, wenn er uns auch nicht immer unmittelbar sichtbar vor 
Augen tritt. Jedenfalls bleiben diese Fälle bei der statistisch fest¬ 
stehenden Häufigkeit der Ulcera, die nur geringe Symptome 
setzen, und unter dem Bilde schwerer Anaemie verlaufen, sehr 


1321 


bedeutsam. Das Ereigniss einer Perforation, sofern es durch 
Manipulationen hervorgerufen sein sollte, wird ja der Diagnose 
nicht entgehen; dass aber Perforationen, die man erst nach 
Stunden oder längerer Zeit zu sehen bekommt, namentlich dort, 
wo es unmöglich ist, eine gute Anamnese zu erheben, oft genug 
unter dem Namen der Peritonitis dunklen Ursprungs laufen, ist 
bekannt. Die Fortschritte der Chirurgie ermöglichen uns immer 
öfter die Ausgangspforte zu erkennen und führen uns dann ge¬ 
legentlich erschreckend deutlich die Gefahr vor Augen, der wir 
glücklich entronuen sind, wenn wir die Einführung des Schlauches 
wegen Verdachtes auf Ulcus unterlicssen. 

Einige Zahlen aus der Literatur für die Häufigkeit spontaner 
Verblutungen und für die Perforation habe ich bereits genannt. 
Hier will ich noch die Zuhlen L e u b e’s anführen, die er ge¬ 
legentlich als Produkt älterer und neuerer Statistiken gibt: er 
fand für Verblutungstod 3—5 Proc., für Perforation 6—7 Proc. 
der Erkrankungsfälle; genau dieselben Resultate, wie sie unter 
anderem auch Welch angibt. Nach Einigen steigt, wie be¬ 
reits erwähnt, die Zahl der Perforationen bis 13 Proc., ja bis 
18 Proc. Fenwick gibt an, dass mindestens 40 Proc. der 
Ulcera mit Blutungen einhergehen. 

Der erste Fall direkter Schädigung durch Anwendung des 
Magenschlauches bei Ulcus ist 1870 von W i e s n e r veröffent¬ 
licht. Obwohl die damals noch allgemein übliche Anwendung 
der Pumpe etwas modifizirte Verhältnisse setzt, citire ich folgende 

Stelle aus seiner Arbeit: „.auch kann ich nicht verhehlen, 

dass in Tübingen bei einein Kranken mit Ulcus rotundum, bei 
dem schon am Tage vorher ein kleiner nekrotischer Fetzen in 
dem Ausgepumpten sich befand, und der sich gegen das aus¬ 
drückliche Verbot bei eintretenden Schmerzen selbst ausgepumpt 
hatte, kurz nach der Operation eine bedeutende Magenblutung 
eintrat. Ob dieselbe in der angegebenen Weise entstanden ist 
— gemeint ist die Aspiration von Schleimhaut durch Anziehen 
des Stempels — ist allerdings nicht zu konstatiren, doch scheint 
Vorsicht durchaus geboten.“ 

Im Anschluss an Ausspülungen bei bestehendem Ulcus sind 
bedeutende Bltutungen u. A. von Cornillon und von 
Michaelis beobachtet worden. Ob der Erstere die Ursache 
in der zu schnellen Entfaltung der Magenwände durch das ein¬ 
strömende Wasser oder in dem Kontakt der Sonde mit der 
Magenwand findet, ist praktisch von geringer Bedeutung. Auch 
in dem Falle Michaelis’ kann der erwähnten Entfaltung der 
Magenwände ein gewisses Verschulden zugeschrieben werden und 
zwar in Folge einer Kohlensäureaufblähung. Haemorrhagien 
im Anschluss an Ausspülungen bei Ulcus erwähnt auch 
Fl einer. Riegel äusserst sich über seine Erfahrungen 
folgendermaassen: „Absichtlich habe ich nur bei etwas älteren 
Fällen die Ausheberung vorgenommen; bei frischem Ulcus, zumal 
wenn dasselbe an der Cardia seinen Sitz hat, halte ich die Aus¬ 
heberung für nicht ganz gefahrlos. Bei 2 Fällen von frischerem 
Ulcus, die wir jüngst ausheberten, erfolgte unmittelbar nach der 
Ausheberung eine wenn auch nur geringe Blutung. Selbstver¬ 
ständlich darf man hier nur die weichen elastischen Nelaton- 
schen Sonden zur Ausheberung verwenden . . “ etc. Das9 es in 
praxi sehr oft unmöglich ist, ein frisches Ulcus von einem älteren 
zu unterscheiden, dass ferner die G e r h a r d t’scho Forderung, 
mit der Diagnose Ulcus zugleich eine genaue Bestimmung des 
Sitzes der Affektion zu verbinden, oft genug unerfüllt bleiben 
muss, nimmt der Geltung der obigen Sätze Riegel’s für die 
tägliche Praxis — und gerade auf sie sollten meine Ausführungen 
zugeschnitten sein — ein gut Theil ihrer Bedeutung. Bei kli¬ 
nischen Beobachtungen können solche Unterscheidungen allen¬ 
falls gemacht werden, doch wird auch hier stets mit der Unsicher¬ 
heit zu rechnen sein, der wir nun einmal im Hinblick auf die 
Bestimmung von Lage und Alter der Geschwürsbildung unter¬ 
liegen. Der citirte Fall Cornillon’s ist auch in einer Arbeit 
von Germain S c e benutzt, der ihm einen ähnlichen Fall von 
Duguot anreiht. Frei übertragen lautet, die fragliche Stelle 
etwa folgendermaa.ssen: Ich habe seit langer Zeit eindringlich 
gewarnt vor der Gefahr, einen Bluterguss hervorzurufen, oder 
eino Perforation zu verursachen. Auch Leube hat ebenso wie 
ich auf diese Gefahr und eine, solche Unvorsichtigkeit hin¬ 
gewiesen. Die, jüngere Schule hat diese Stellungnahme in s 
Lächerliche gezogen und es waren Unglücks!alle, ja der lod 
mehrerer Kranker nöthig, um diese Vermessenheit zu rächen. 

4 * 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


1322 


Seitdem, glaube ich, hat man auf solche brutale Manipulationen 
verzichtet.“ 

Mein Beweisinatcrinl mag numerisch wenig bedeutsam sein, 
immerhin scheint es mir schwerwiegend genug, um einen Be¬ 
griff von der stets drohenden Gefahr zu geben; denn es ist doch 
zweifellos, dass auch diejenigen Fälle, in denen eintretende 
Blutungen als „gering“ und „leicht stillbar“ bezeichnet, in der 
Literatur nur als Nebensachen gestreift werden, bei an sich schon 
anaemischen Individuen ihre grosse Bedeutung haben. Wir 
wissen ferner nicht, in wie viel Fällen die Einführung des 
Schlauches Haemorrhagien verursacht, die nicht elementar genug 
sind, um sich äusserlich zu dokumentären, die aber durch immer¬ 
währende Nachschübe den Organismus auf’s Höchste gefährden, 
ja den Tod herbeiführen können. 

Das zweite in seinen Folgen bedeutend verhängnissvollere 
Ereigniss, mit dessen Eintritt wir bei ulcerativen Processen des 
Magens stets rechnen müssen, ist die Perforation. Auch hier ist 
in der Literatur keine Arbeit auffindbar, die das Ereigniss einer 
Perforation im unmittelbaren Anschluss an die Einführung des 
Magenschlauches zum Gegenstand hätte. Die Gründe dafür 
mögen dieselben sein, wie die, die beim Suchen nach durch die 
Sonde verursachten Blutungen zu nur bescheidenen Resultaten 
führten: Der und jener Fall wird nicht veröffentlicht sein und 
im Allgemeinen nehmen Diejenigen, die mit der Magensonde viel 
umzugehen gewohnt sind, heute noch den bekannten Standpunkt 
Leub e’s ein. Die Ansicht von Ewald und namentlich von 
Gerhardt, dass besonders bei älteren Geschwüren der Mageu¬ 
schlauch ein ungefährliches Instrument sei, hat sich offenbar 
weitere Anerkennung bisher nicht errungen — und, wie ich 
meine, sehr zum Glück der in Frage kommenden Patienten. 

Zu dieser Stellungnahme vcranlasste mich die Durchsicht 
der einschlägigen Arbeiten von chirurgischer Seite, namentlich 
aus den letzten Jahren. Bei dieser Durchsicht habe ich mir 
folgende Fragen gestellt: Welcher Art waren die unmittelbaren 
Ursachen der Perforation? Handelte es sich um sogen, frische 
Fälle, oder bestand das Ulcus durch lange Zeit hindurch? War 
die Diagnose auf Ulcus vor der Katastrophe gestellt, war es ins¬ 
besondere vorher möglich, bestimmten Anhalt für die Lokalisation 
des Gesehwürsproeesses zu gewinnen? Welchem Alter und Ge- 
schleehte gehörten die Patienten an? 

Die Frage nach der unmittelbaren Veranlassung des Durch¬ 
bruches sollte mir einen Anhalt dafür geben, ob der durch Ein¬ 
führung des Schlauches gesetzte Insult der fraglichen spontanen 
Ursache etwa aequivalent zu erachten sei, wobei der persönlichen 
Auffassung freilich ein grosser Spielraum gelassen ist. Der 
Werth der Feststellung, ob chronisches oder akutes Ulcus, ist im 
Hinblick auf die erwähnte Auffassung mancher Autoren, dass 
man bei chronischem Ulcus ohne Gefahr soudiren könne, ohne 
Weiteres ersichtlich; ferner musste die Feststellung vorheriger 
präciser Diagnose bezüglich der Lokalisation schon desshalb 
wichtig sein, weil nach allen Statistiken die Lokalisation an der 
kleinen Curvatur und namentlich an der vorderen Wand besonders 
zur Perforation prädisponirt. War schliesslich die Diagnose auf 
Ulcus überhaupt nicht zu stellen gewesen, hatte es sich um 
vage Beschwerden gehandelt, wie sie gelegentlich auch anderen 
Magenerkrankungen zukommen können, so war das desswegen 
von wesentlichem Interesse, weil dann oft genug die Einführung 
des Schlauches ohne jedes Besinnen erfolgt, und weil gerade in 
solchen Fällen die latent« Gefahr, mit der immer zu rechnen 
ist, besonders in die Augen springt. Was die Geschlechter be¬ 
trifft, so ist das Ueberwicgen des weiblichen Geschlecht« in der 
Ulcusstatistik feststehend. Es ist ferner seit Langem bekannt, 
dass das Ulcus bei Frauen viel öfter perforirt als bei Männern. 
Es wäre demnach vielleicht nicht unbedingt nöthig gewesen, 
nochmals auf die Verhältnisse einzugehen, wenn mir nicht daran 
läge, ausdrücklich festzustellen, dass das Einführen des Magen- 
sehlnuches bei Frauen, die einen nicht unzweideutigen Sym- 
ptoinenkomplex bieten, bei Weitem gefahrvoller ist als bei 
Männern, ja dass man gut thut, bei Behandlung magenkranker 
Frauen, wenn möglich, die Sonde ausser Spiel zu lassen, falls 
nicht ein Ulcus mit gewisser Sicherheit ausgeschlossen werden 
kann. 

Die Angaben über den unmittelbaren Anlass zur Katastrophe 
sind vielfach recht kurz. Wir finden Wendungen wie „plötz¬ 
lich“, ohne jede weitere Bemerkung; oder „ohne Ursache“, oder 


„nach massigem Frühstück“, „nach einer Mahlzeit“, oder „bei 
leerem Magen, 4 Stunden nach letzter Mahlzeit“; einmal ist 
notirt: „plötzlich im Schlafe, 5 Stunden nach letzter Mahlzeit“. 
Barling gibt in einer 1895 veröffentlichten Arbeit über 31 
bis dahin operirte Fälle als häufigere Ursachen Bücken, Niesen 
und Heben von Lasten an. In einem Falle trat bei einer Magd 
die Perforation ein, während sie die Kuh melkte. „Mehrfache 
starke Mahlzeiten“ sind in einer Arbeit von Barker, der 
7 Perforationsfälle, sämmtlich bei jungen Dienstmädchen, publi- 
cirt hat, als auslösende Ursachen beschuldigt. Andere Autoren 
nennen Treppensteigen und sonstige brüske Bewegungen. Von 
„grosser Anstrengung“ oder „Ausfüllung schwerer Arbeit“ ist nur 
in wenigen Fällen die Rede. Man kann wohl sagen, dass in der 
Mehrzahl der Fälle der für die Perforation erforderliche Anstoss 
ein ganz geringgradiger ist. Selbst bei leerem Magen im Schlafe 
ist Perforation beobachtet worden; es genügte also die durch die 
Athmung verursachte Bewegung und Druckdifferenz, die spon¬ 
tanen Bewegungen innerhalb der Unterleibshöhle, vielleicht auch 
ein im Schlafe vorgenommener Lagewechsel, um zur Katastrophe 
zu führen. Auch für die sonst genannten Ursachen fällt der 
Vergleich mit den Vorgängen, wie sie sich beim Einführen des 
Magen Schlauches abspielen, meines Erachtens sehr zu Ungunsten 
dieser Manipulation aus. Das krampfhafte Arbeiten der Bauch¬ 
decken summirt sich hier noch mit den Eigenkontraktionen 
der Magenmusculatur, wie sic durch den sie berührenden Fremd¬ 
körper ausgelöst werden, ganz abgesehen von der Möglichkeit 
direkter Berührung von Uleusfläche und Sondenspitze. Selbst 
dort, wo ich den Rachen vor Anwendung des Schlauches anaesthe- 
sire. bleibt dio durch die Einführung gesetzte mechanische 
Irritation mindestens ebenso gross, wie sie für die zahlreichen 
Fälle abgeschätzt werden kann, wo eine unvorhergesehene Be¬ 
wegung, Treppensteigen, Bücken des Körpers etc., als Ursache 
in Betracht kommen, oder gar für die Fälle, wo wir den Durch¬ 
bruch in der Nacht bei leerem Magen in gewissem Sinne als 
„spontan“ bezeichnen können. Und diese anscheinend geringen 
Ursachen sind, wie wir oben sahen, bei Weitem die häufigsten. 
Dass „besonders schwere Arbeit“, wie sie in einigen Fällen als 
auslösendes Moment für Perforation angeführt ist, unmittelbarer 
und gefährlicher wirken kann, als die Einführung des Schlauches, 
mag ohne Weiteres zugegeben werden, ja selbst eine Ueberfüllung 
des Magens mit Speisen kann durchaus schwerer in’s Gewicht 
fallen. 

Praktisch hat nun die Gefahr, die nach meiner Auffassung 
bei Uleuspatienten durch Einführung des Instrumentes gesetzt 
wird, dort keine Bedeutung, wo die Perforation aus heiterem 
Himmel einlritt, oder wo die Symptome derart sporadisch und 
geringgradig auf traten, dass ärztlicher Rath nicht eingeholt 
wurde. Indessen wenn auch die zur Perforation führenden Fälle 
vielfach sehr schnell und recht oft ohne Beschwerden verlaufen, 
ist die Zahl der chronischen Fälle und derjenigen, die in Folge 
schwerer Schmerzen und anderer Erscheinungen zu ärztlicher 
Behandlung führen, doch noch gross genug. So sind 1896 von 
W e i r und Foot 78 Perforationsfälle veröffentlicht, die alle 
vorher Magenerscheinungen aufwiesen. Von den erwähnten 
7 Patientinnen B a r k e r’s litten 6 an Ulcuserscheinungen. Eine 
Zusammenstellung der Bemerkungen über die Magensymptomc 
vor dem Durchbruch aus den neueren Arbeiten, die sich nament¬ 
lich in der englischen Literatur zahlreich finden, gibt das 
bunteste Bild. Da heisst es: „vorher nicht magenkrank“, „ausser 
Magenschmerzen nach dem Essen niemals irgend welche Zeichen 
von Ulcus“, „litt seit ungefähr 3 Wochen an Magenerschein- 
ungen“, oder „hatte alle Erscheinungen eines Magengeschwürs“, 
„längere Zeit Erscheinungen eines Magenulcuß“, „hat 
seit zwei Jahren Symptome eines Ulcus“, „seit Langem 
Ulcuserscheinungen“, „ein Jahr wegen Ulcus in Behandlung“, 
„nach jahrelangen Erscheinungen von Ulcus“, schliesslich ein 
Fall, in dem die Symptome seit 30 Jahren bestanden. 

Die recht häufige Wiederkehr der Angabe, dass seit langer 
Zeit bestehende Ulcera zum Durchbruch gekommen sind, ist auf¬ 
fallend und widerspricht der Ansicht von Ewald und Ger¬ 
hardt. Die Bildung schützender Verwachsungen wird eben 
nicht allein durch den chronischen Verlauf gewährleistet, son¬ 
dern ganz besonders kommt hier die Lage der Geschwürsbildung 
in Frage. Etablirt sich das Geschwür an einer Stelle des Magens, 
die durch eigene Beweglichkeit, oder durch die der Umgebung 
es zu festeren Verwachsungen nicht kommen lässt, so muss auch 


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13. August 1901. 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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bei chronischem Verlaufe des Leidens die Perforationsgefahr 
sehr bedeutsam bleiben. Diese Stelle ist die vordere Magenwand, 
bekanntlich die Prädilektionsstelle aller Perforationen, und an 
dieser Stelle vermag noch so langes Bestehen von Ulcuserschei- 
nungen den endlichen Ausgang in Perforation nicht einmal mit 
Wahrscheinlichkeit hintanzuhalten. Der Satz von der 
relativen Ungefährlichkeit der Schlauchein¬ 
führung bei chronischem Ulcus gilt für die 
Ulcera der vorderen Magenwand und nächst- 
dem für die der kleinen Curvatur in der Nähe 
der Kardia entschieden nicht, er gilt vor allen 
Dingen nicht, wenn es sich hier um Frauen 
in jugendlichem Alter handelt, die auch nach 
meinen Zusammenstellungen bezüglich der 
Perforation da,s männliche Geschlecht durch¬ 
aus überwiegen. Am ruhigsten werden wir den Magen¬ 
schlauch- anwenden können, wenn ein chronisches Ulcus an der 
hinteren Wand sitzt. Mit diesem Satze ist aber so lange nur 
wenig geholfen, als die Bestrebungen, mit der Diagnose „Ulcus“ 
zugleich bestimmte Angaben über seine Lokalisation zu geben, 
zu so wenig befriedigenden Resultaten geführt haben wie bisher. 
Lage des Schmerzpunktes, der zeitliche Eintritt der Schmerz¬ 
attaquen, der Wechsel der Schmerzen bei verschiedener Lagerung 
und Stellung des Körpers ermöglichen uns gelegentlich präcisere 
Angaben, es gelingt namentlich dadurch Ulcera, die dem Pylorus- 
theile angehören, von denen, die in der Nähe der Kardia liegen, zu 
unterscheiden. Aber weiter lässt sich die Bestimmung der Lokali¬ 
sation nur ausnahmsweise führen. Wie oft gerade das Geschwür 
der vorderen Magenwand völlig symptomlos verläuft, oder nur 
sehr zweideutige Erscheinungen verursacht, ist bekannt. Auch 
dor^ wo günstige Umstände es zulasson, diese letztere Lokalisation 
festzustellen, bleibt man zumeist im Dunkel darüber, ob sich ein 
Durchbruch vorbereite oder nicht. Leube erklärt in diesem 
Zusammenhänge einmal eine vorgeschlagene prophylaktische 
Operation für in der Regel nicht erlaubt, da die Diagnose auf 
drohende Perforation nicht einmal mit Wahrscheinlichkeit ge¬ 
stellt werden könne. Wie oft hartnäckig bestehende unbestimmte, 
oft freilich wenig hochgradige Magenerscheinungen nach erfolgter 
Perforation sich als Erscheinungen eines Ulcus an der vorderen 
Magenwand nachträglich ausweisen, bestätigt unter anderen 
auch eine Arbeit von B a r 1 i n g, in der der Autor darauf hin¬ 
weist, dass die Symptome vielfach zu gering seien, um zur 
Schonung aufzufordem. Dass der Wunsch, gerade in zweifel¬ 
haften Fällen durch Gewinnung des Mageninhaltes in der Dia¬ 
gnose weiterzukommen, für manchen Fall gerechtfertigt ist, gebe 
ich trotz meiner Ausführungen im ersten Theile zu, doch halte 
ich die Einführung des Sclilaucheä für zu gefahrvoll, um ihr 
ausser bei seltenen Ausnahme!üllen, das Wort zu reden. 

Ob ich hier übrigens den Schlauch einführe, um Mageninhalt 
zu gewinnen, ob ich ihn, mit dem Glühliimpehen armirt, zur Be¬ 
leuchtung benutzen will, ob ich nach Applikation des Schlauches 
dio sog. Sondenpalpation auszuführen gedenke, wird praktisch 
unter dieselben Gesichtspunkte fallen. Auch die Aufblähung mit 
Kohlensäure wird in unserem Falle geradeso zu beanstanden sein, 
wie das Eiublasen von Luft mit Ililfe des Schlauches. 

Als Resultat der vorstehenden Ausführungen möchte ich 
folgende Sätze hinstellen: Die Einführung eines 
Magenschlauches bei Bestehen eines Ulcus 
ist durchaus keine harmlose Manipulation. 
Wenn auch die Provocation abundanter Blu¬ 
tungen verhältnissmiissig selten stattfindet, 
so sind doch die in der Zeiteinheit unbedeu¬ 
tenden, aber lange andauernden und schwächen¬ 
den Blutverluste, die namentlich bei grossen 
Geschw iirsflächen durch die Sonde gesetzt 
werden können, eine nicht gering zu achtende 
Schädigung. Die Gefahr aber, eine Perfora¬ 
tion zu veranlassen, ist bei Geschwüren an der 
vorderen M a g e n w a n d, die. wegen ihrer unbe¬ 
stimmten Symptome den Wunsch nach Unter¬ 
suchung des Mageninhaltes nahe legen 
können, ausserordentlich gross. Wo also Ver¬ 
dacht auf Ulcus besteht, namentlich wo sein 
etwaiger Sitz an der vorderen Wand in Frage 
kommt und es sich um weibliche Patienten in 


jüngeren Jahren handelt, ist für Denjenigen 
die Einführung des Schlauches unstatthaft, 
der sich den Ausführungen des ersten Theiles 
anschliesst, denen zu Folge die diagnostische 
Ausbeute aus der Untersuchung des Magen¬ 
inhaltes bei dem Verdachte auf einen G e - 
schwürsprocess nur gering zu veranschlagen 
ist. In gleicher Weise ist die künstliche Auf¬ 
blähung des Magens mit Luft oder Kohlen¬ 
säure zu verwerfen. 

3. Brauchen wir die Magensonde bei Ulcus ventriculi zu thera¬ 
peutischen Zwecken, und wie steht es hier bezüglich möglicher 

Gefahren ? 

Wenn nun auch durch vorstehende Sätze meine Stellung¬ 
nahme zu der therapeutischen Anwendung des Magenschlauches 
bei floridem Ulcus implicite bereits gekennzeichnet ist, so will 
ich doch — schon der Vollständigkeit halber — noch kurz auf 
dieselbe eingehen, so gering auch der Kreis Derjenigen sein mag, 
die ihr das Wort reden. 

Denkbar ist hier die Anwendung des Schlauches nach 2 Rich¬ 
tungen hin: einmal zur Entleerung des Magens von mehr oder 
weniger stauendem und Schmerz auslösendem Speiseninhalte, be¬ 
züglich von den Produkten katarrhalischer Entzündung, deren 
innerer Zusammenhang mit dein Bestehen eines Ulcus ja von ver¬ 
schiedenen Seiten betont wird, und zweitens behufs Applikation 
von Medicamcnten. 

Der Wunsch, die Entleerung des Magens so schnell wie mög¬ 
lich herbeizuführen, kommt jedem Arzte unwillkürlich, wenn er 
zu schweren Gastralgien gerufen wird, die sich in der üblichen 
Weise an eine copiöse oder unzweckmässige Mahlzeit ange¬ 
schlossen haben. Trotz der betleutenden Vortheile, dio hier die 
Sonde zweifellos haben würde, wird sie zu diesem Zwecke wohl 
kaum von irgend einem Autor, von gewissen extremen Fällen 
abgesehen, ernstlich empfohlen, v. Zicmssen weist ausdrück¬ 
lich darauf hin, dass dort, wo besondere Erscheinungen beschleu¬ 
nigte Entleerung des Magens indiziren, uns andere Mittel zur 
Verfügung stehen, die theilweise auch sonst zu dem bei Ulcus 
ventriculi angewendeten Apparate gehören. Da schwere Schmerz¬ 
anfälle weniger von der direkten Reizung der ulcerirten Fläche, 
als von reflektorischem krampfhaftem Verschlüsse der Magen- 
ostien herrühren, so wird die Lösung dieser tetanischen Kontrak¬ 
tionen zunächst zu erstreben sein. Ein Versuch, durch die Auf¬ 
nahme warmen Wassers einen ausgiebigen Brechakt zu provo- 
ziren, wird sich zumeist rechtfertigen lassen. Die hierdurch 
gleichzeitig erreichte Verdünnung des sauren Mageninhaltes wird 
in gleicher Weise durch die Anwendung von Carlsbader Brunnen 
erreicht werden, der ja ausserdem seine direkte Wirkung auf be¬ 
schleunigte Entleerung geltend macht. Lokale Applikation von 
Wärme wird weiterhin das Ihre thun, und schliesslich würde ich 
in solchen Fällen der subkutanen Anwendung von Morphium schon 
des«? wegen das Wort reden, weil sie gleichzeitig anerkannter 
Maassen die etwa bestehende übermässige Drüsenthätigkeit herab¬ 
zustimmen vermag. Die Anwendung des Schlauches wird nach 
meinem Dafürhalten höchstens für extreme Fälle berechtigt sein, 
bei denen man mit der unmittelbaren Gefahr einer Perforation 
glaubt rechnen zu müssen. Ich selbst habe Fälle dieser Art, 
bisher zu beobachten nicht Gelegenheit gehabt. 

Was ferner die Entleerung katarrhalischen Schleimes betrifft, 
so kann ich eine Indikation dazu nicht anerkennen. Die Ansicht 
von Jaworski und Anderen, dass der Katarrh eine häutige 
Basis für die Entstehung von Geschwüren bilde, halte ich für un¬ 
richtig. Auch die Pathologen — ich weise hier namentlich auf 
eine Veröffentlichung von Langerhnns hin — erklären den 
Uebergang von katarrhalischen Erosionen in wirkliche Geschwürs¬ 
bildungen von der Art. eines peptischen Ulcus für ein Unieum. 
Dass andererseits ein Geschwür mehr als geringe lokale katar¬ 
rhalische Erscheinungen in der zunächst umgebenden Schleim¬ 
haut verursachen sollte, gilt nur für vereinzelte Fälle. Ein 
„Nebeneinander“ von Katarrh und Ulcus mag gelegentlich einmal 
einen Kausalnexus vortäuschen; wessbalb aber in diesen seltenen 
Fällen die Nothwendigkeit von Spülungen eintreten sollte, i>t 
mir nicht recht klar. Ich halte dafür, dass bei chro¬ 
nischen Katarrhen in der bedeutenden Mehr¬ 
zahl der Fälle die Spülung schon d c s s h a 1 b 


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1324 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


nicht am Platze ist, weil sich der Magen meist 
rechtzeitig, oft sogar vorzeitig entleert. Nur 
eine ganz exceptionello Schleimbildung, die 
zu dauerndem U e b e 1 b e f i n d e n und unablässi¬ 
gem Heraufwürgen von Schleim führt, kann 
mich zu Ausspülungen veranlassen. Einen der¬ 
artigen Katarrh in Verbindung mit Ulcus habe ich bisher noch 
nicht gesehen. 

Schliesslich die Einverleibung von Medikamenten! In einer 
1896 erschienenen Arbeit von Reale über Ausspülung des 
Magens mit Lapislösung ist der Gedanke angeschnitten, dass 
diese Spülung auch bei Ulcus von Vortheil sein könne. Eigene 
Versuche hat der Verfasser darüber nicht angestellt, es sind mir 
auch Erfahrungen anderer Autoren in dieser Frage nicht be¬ 
kannt geworden. Derjenige der die Einführung eines Medika¬ 
mentes mit der Magensonde, und zwar des Wismuth, am meisten 
verfochten hat, ist F1 e i n e r. Derselbe lässt Dosen von 10—20,0 
Bismuthum subnitricum in warmem Wasser suspendirt in den 
Magen einlaufen. Liegt kein Bedenken gegen den Verbleib des 
Wassers im Magen vor, oder verträgt der Patient die Sonde 
schlecht, so wird sie gleich nach der Prooedur zurückgezogen, 
andernfalls bleibt der abgequetschte Schlauch 5—10 Minuten 
liegen, und man lässt nach dieser Zeit das inzwischen klare Sus¬ 
pensionswasser wieder abflicssen. Bei frischen Geschwüren, oder 
bald nach stattgehabten grösseren Blutungen wendet F 1 e i n e r 
seine Eingiessungsmethode nicht an, wie er denn durchaus zur 
Vorsicht räth. Er gibt in derselben Arbeit zu, dass ihm mehr¬ 
fach kleinere Hacmorrhagien vorgekommon sind; das Miss¬ 
geschick einer grösseren Blutung sei ihm bisher noch nicht be¬ 
gegnet. Der Vorzug der Aufnahme des Wismuth auf diesem 
komplizirten Wege vor dem natürlichen kann doch wohl nur in 
dem Gedanken begründet sein, dass sich das unter einem gewissen 
Drucke eingegossene Medikament so gleichmiissiger vertheile, 
die Geschwürsfläche sicherer treffe. Indessen hat Matthes 1804 
in einer eingehenden experimentellen Arbeit nachgewiesen, dass 
es gleichgiltig sei, wo sich das Pulver zunächst niederschlage, 
da man es nach kurzer Zeit gleichmässig vertheilt überall an 
der Magenoberfläche nachweisen könne. Es sei demnach auch 
die Gepflogenheit F 1 e i n e Fs, den Patienten während der Ein- 
giessung eine solche Stellung einnehmen zu lassen, dass die 
Magengegend, in der der Sitz des Ulcus vermuthet wird, am 
tiefsten zu liegen kommt, völlig unnöthig. Bestätigen sich diese 
Angaben von Matthes, so wird der Schlauch hier völlig ent¬ 
behrlich, und es wird gleichgiltig sein, ob ich das Wismuth 
in Suspension verabreiche. Man wird mit demselben Rechte 
das Medikament trocken oder mit so geringer Quantität von 
Wasser nehmen lassen können, dass eine wesentliche Belastung 
des Magens nicht zu befürchten ist. Es ist zweifellos, dass das 
in der Praxis viel angewendete Wismuth bei gewissen Reiz¬ 
zuständen des Magens beruhigend wirkt, wobei freilich die Wir¬ 
kung verschiedener Zusätze abzuziehen ist, die vielfach gleich¬ 
zeitig verordnet werden. Das Wismuth aber als Specificum 
gegen Ulcus betrachten zu wollen, geht meiner Meinung nach 
nicht an. Bei schweren Ulcuserscheinungen, die anderen, exakt 
durchgeführten Kuren bisher getrotzt haben, habe ich endgiltige 
Resultate von der reinen Wismuththerapie nie gesehen. Die 
Sonde zu seiner Applikation zu verwenden, halte ich, ganz ab¬ 
gesehen von der Matthe s’schen Arbeit, aus denselben Gründen 
für ungerechtfertigt, aus denen ich ihre Einführung zu dia¬ 
gnostischen Zwecken widerrathe. 

Mit diesen wenigen Worten scheint, mir das Wesentliche 
über die therapeutische Anwendung dt« Magenschlauches gesagt, 
wenn ich auch hier, wie in meinen gesammten Ausführungen 
mich auf das primäre, unkomplizirte Ulcus beschränke. Dass 
für den Internisten der Magensehlauch bei der häutigsten Folge¬ 
erscheinung dos Ulcus, der Ektasie, das souveräne Hilfsmittel ist, 
lx>darf heute, kaum der Erwähnung. Auch die Anwendung von 
Eiswassorspülungen bei schweren Blutungen mit oder ohne Zu¬ 
satz von Medikamenten, wie sie Ewald vorgeschlagcn hat, 
bleibt von meinen Ausführungen unberührt. 

Ich nehme, wie die Herren sehen, gegen¬ 
über der Anwendung des Magen schlauch es 
bei floridem peptischen Ulcus eine recht 
negative Stellung ein. Ich glaube, denselben 
zu therapeutischen Zwecken, abgesehen von 


den erwähnten Blutungen, durchaus entbehren 
zu können und halte andererseits seine dia¬ 
gnostischen Vortheile für zu gering, um ihm 
gegenüber die Gefahren in Kauf zu nehmen, 
die zweifellos recht beträchtliche sind. Der 
Magenschlauch hat nach meiner Meinung über¬ 
haupt nicht in Anwendung zu kommen, wo der 
Verdacht auf Ulcus ventriculi berechtigt er¬ 
scheint, ebensowenig wie bei mancher anderen 
Magenerkrankung, bei der er heute noch viel¬ 
fach ohne genügende Indikation verwendet 
wird. 


Zur Trockenluftbehandlung bei chronischen Mittelohr¬ 
eiterungen. 

Von Dr. med. Lautenschläger, Ohrenarzt in Charlotten¬ 
burg. 

Bemerkung zu der Arbeit von Dr. med. Hecht ln No. 24 der 
MUucli. med. Wochenschr. 

ln der 24. Nummer dieser Wochenschrift vom 11. Juni 1901, 
welche mir durch einen ungünstigen Zufall erst heute ln die 
Hände kam, veröffentlicht Herr Dr. med. Hecht in München 
Versuche, die er mit heisser Luft bei chronischen Mittelohreite¬ 
rungen angestellt hat. Seiner Arbeit schickt er die bis Jetzt über 
diesen Gegenstand erschienenen Mittheilungen voraus, übersieht 
jedoch dabei meinen bereits am 2. Juni 1900 beim Congress 
Deutscher Ohrenärzte in Heidelberg gehaltenen und in den „Ver¬ 
handlungen der Deutschen otologischen Gesellschaft“ abge¬ 
druckten Vortrag über diesen Gegenstand. 

Wie aus dem Vortrag ersichtlich ist, waren schon damals 
meine Versuche weiter gediehen und meine Hilfsmittel voll¬ 
kommener, als die von Andrews und Hecht. Die seitdem 
von mir gewonnenen weiteren Erfahrungen behalte Ich einer 
späteren Veröffentlichung vor, heute möchte ich nur, mit dem 
Hinweise auf meinen Vortrag. Einspruch dagegen erheben, dass 
die Arbeit des Herrn Hecht vielleicht hier und dort als der Aus¬ 
druck des gegenwärtigen Standes der Trockeulufttheraple an¬ 
gesehen wird. 


Geschichtliches zur Behandlung des Darmverschlusses 
mit Belladonnapräparaten. 

Von Hugo Schulz in Greifswald. 

Die vielfachen Mittheilungen aus der ärztlichen Praxis, die 
in neuester Zeit im Anschluss an die Veröffentlichung von Bätsch 
über die Zweckmässigkeit der Anwendung von Belladonnapräpa¬ 
raten und des Atropins bei Fällen von Darmverschluss wechselnder 
Ursache In der Literatur veröffentlicht wurden, legten den Ge¬ 
danken nahe, die geschichtliche Entwickelung dieser Therapie 
etwas eingehender zu studiren. Die Ergebnisse dieser Studieu 
möchte ich im Folgenden bringen. Ich muss aber gleich vou 
vornelierein bekennen, dass es mir trotz allen Suchens in dem 
literarischen Material unserer Universitätsbibliothek nicht ge¬ 
lungen ist, mit Sicherheit festzustellen, wer zuerst den Gedanken 
in die Tbat umgesetzt hat, Belladonuapräparate bei Ileus oder ein¬ 
geklemmtem Bruch zu versuchen. 

Der Zeit nach die ältesten, eingehenderen Angaben zu unserem 
Thema fand ich bei Rademacher. Er beruft sich wie wir 
gleich sehen werden, auf eine Mittheilung des Franzosen Du- 
pouget. Ueber diesen habe ich leider nur wenig in Erfahrung 
briugen können. Im „Magazin der ausländischen Literatur der 
gesammten Heilkunde" vou G e r s o n uud J u 11 u 8 findet sich 
im 3. Bande der neuen Folge vom Jahre 1832 die Angabe, dass 
ein gewisser Fuzet-Du pouget in der „Revue mödicale", 
November 1831 „Ueber die Anwendung des Extractum Beliadonnae 
auf den Leisteuring um die Zurtickbringung des eingeklemmten 
Bruches zu erleichtern“ mit gleichzeitiger Angabe von 4 Kranken¬ 
geschichten geschrieben habe. Die Originalarbeit steht mir nicht 
zur Verfügung, woher Du pouget seine Wissenschaft hatte, 
lässt sich also zunächst nicht weiter feststellen. Hören wir zu¬ 
nächst K a d uniache r. Er sagt im zweiten Bande seiner 
„Erfnhrungslieillehre“ auf Seite 121 der dritten Ausgabe in einer 
Anmerkung: 

„I)le von der Revue mödicnle in eingeklemmten Brüchen 
empfohlene und von Du pouget erprobte Belladonna hat mir 
in 3 Fällen nicht bloss gute, sondern wirklich überraschende 
Dienste geleistet: in allen 3 Fällen machte sie die Taxis unnöthig. 
Einer dieser Fälle, der einen Jüngling betraf, war so ernsthaft, 
dass der erfahrene Wundarzt, wegen der sehr schmerzhaften 
Spannung des Bruches, die Taxis vorläufig nicht zu versuchen 
wagte. Der zweite Fall betraf einen 70 jährigen Mann, dessen 
grosser, alter, verwachsener Bruch eingeklemmt war, bei dem 
der Wundarzt vergebens die Taxis versucht und mich desshalb 
zu Käthe rief. Begreiflich konnte die Belladonna den verwach¬ 
senen Bruch nicht in die Bauchhöhle zurückbringen, aber sie hob 
doch in kurzer Zeit die Einklemmung, denn da ich den Kranken 


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13. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1325 


drei Stunden nachher besuchte, fand ich ihn nicht bloss frei von 
Schmerz und Erbrechen, sondern Ich sah Ihn im Bette sitzen und 
ganz gemächlich eine Pfeife Tabak rauchen. Der dritte Fall be¬ 
traf auch einen 70 jährigen, ausserstädtisclien Mann mit einem 
verwachsenen Bruche, an welchem noch kein Wundarzt die Taxis 
versucht. Ich verschrieb gleich die Belladounasalbe, und wie ich 
nach zwei Stunden ihn sah, waren schon die Zufälle der Ein¬ 
klemmung gehoben." 

„Es mag drei oder vier Jahre sein, seit ich zuerst über diesen 
Gegenstand etwas gelesen; mir, obgleich ich die Chirurgie nicht 
übe, schien die Sache von grosser Wichtigkeit. Bis jetzt (im 
September 1836) habe ich gelegentlich mit drei unterrichteten 
Wundärzten und mit einem Medicochirurgo darüber gesprochen, 
aber alle vier wussten davon nichts. Vor Kurzem las ich die 
ausführliche Recension einer ausführlichen Abhandlung über die 
Brüche, und auch in dieser war von der Belladonna nicht einmal 
«lie Rede. — Mir scheint das Praktischnützliche unserer heutigen 
Literatur sinkt, in der Springflutli des Unnützlichen gar leicht zu 
Boden und entzieht sich den Blicken Derer, die desselben hoch- 
bedürftig wären." 

Rademacher, dessen Schlusssatz man heute getrost mit 
unterschreiben kann, hat, wie aus seinen Worten hervorgellt, die 
Belladonna in Salbeuform äusserlich angewandt. Bei einer anderen 
Gelegenheit, wo er über den Gebrauch desselben Mittels bei 
krampfhaftem Verschluss des Mastdarmes redet, äussert er sich 
über die Zusammensetzung und Anwendung der Salbe: 

„Ich lasse eine Salbe von zwei Drachmen Schmalz und einer 
halben, auch wohl einer ganzen Drachme Belladounaextrakt fünf- 
bis sechsmal tags äusserlich in die Mündung des Afters einreibeu. 
Einspritzungen würden wohl noch besser sein, da aber das Mittel 
zu den heftig wirkenden gehört und man nicht wissen kann, wie 
lange es in dem Mastdarm verweilen wird, so lässt sich auch 
die richtige Gabe nicht gut bestimmen, es könnte in manchen 
Fällen mehr wirken, als einem gerade lieb sein möchte." 

In Deutschland scheint, nach Rädern ach er’s Bericht, zu 
Anfang des verflossenen Jahrhunderts der Gebrauch der Bella¬ 
donna bei DarmafTektlouen so bedenklicher Art, wie der oben er¬ 
wähnten, ganz unbekannt gewesen zu sein. Die doch für jene 
Zeit in therapeutischer Hinsicht sicherlich noch maassgebenden 
grösseren Werke aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts enr- 
halten auch keine Angaben, die hier heranzuziehen wären. Dev 
ausführliche Kommentar van Swieten's zu B o e r h a a v e’s 
Aphorismen bringt über die Belladonnatherapie nichts, obwohl 
er sich sonst eingehend mit der Behandlung des Ileus und ver¬ 
wandter Darmleiden beschäftigt. Dasselbe gilt von Friedrich 
Hoffmann’s grosser „Medicina rationalis systematica“, und 
ebenso wenig fand ich in dem, damals gleichfalls viel gelesenen 
Werke, den „Opera medica" des Engländers Sydenham. 

Aus dem dritten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts 
habe ich, leider nur referirt, noch zwei Angaben gefunden. Die 
erste betrifft eine Mittheilung aus Hufeland’s Journal vom 
Jahre 1836, wonach ein gewisser Harrius Belladonnaklysmen 
mit Erfolg bei Ileus angewandt hat. Es ist das zweifellos der¬ 
selbe Autor, von dem mit leichter Namensänderung A. F. Hecker 
Im ersten Bande seiner „praktischen Arzneimittellehre“ sagt: 
„H a n 1 u s empfiehlt Belladonnaklystiere besonders bei Ileus. 
Sic stillten oft schnell das Erbrechen und bewirkten Oeffnuug.“ 

Dann enthält das „Southern medical and surgical Journal“ 
in der Novembernummer von 1837 noch eine, im 9. Bande von 
F r I c k e und O p p e n h e i m’s „Zeitschrift für die gesammte 
Medicin“ refertrte Mittheilung, nach der ein ungenannter Autor 
Radix Belladonnae im Klysma gegen „Darmeinschnürungen“ an¬ 
gewandt hat. 

Ob die Hahneman n’sche Schule damals schon der Bella¬ 
donna sich bei Darmverlagerungen bedenklicher Art bedient hat, 
kann ich wegen Mangels an literarischem Material aus jener Zelt 
nicht feststellen. Das im Jahre 1847 herausgekommene grosse 
Sammelwerk von Trinke und N o a c k hat aber eine Stelle 
Uber die Verwendung der Belladonna. Es heisst dort auf S. 244: 
„Bei Brucheinklemmungen sind unbeschadet der enosmischen 
Anwendung der Belladonna auch gleichzeitig Klystiere aus 1 bis 
2 Tropfen der Tinktur auf 4 Unzen Wasser rathsam, welches 
Verfahren Jedenfalls den Extraktelnreibungeu auf der Bruchstelle 
vorzuziehen ist, well letztere, auch wenn das Extrakt, anstatt mit 
Fett, mit Honig vermischt worden, die Stelle so klebrig machen, 
dass die Taxis dadurch erschwert oder unmöglich gemacht wird." 
Es erscheint passend, wenn ich an dieser Stelle der Vollständigkeit 
wegen gleich die Anschauungen folgen lasse, die 20 Jahre später 
J. Kafka in seiner „Homöopathischen Therapie“ Bd. 1, S. 662 
über denselben Gegenstand niedergelegt hat. Es heisst dort: 

„Wir wenden Belladonna bei äusseren Incarcerationen an, 
wenn die eingeklemmte Stelle gegen die leiseste Berührung sehr 
empfindlich ist und noch keine Zeichen des Motus peristalticus 
inveraus vorhanden sind, wenn ein hoher Grad von Erethismus 
nervosus vorwaltet, und wenn die Kranken theils in Folge der 
8chmerzen, theils in Folge der Angst keinen Augenblick ruhig sich 
verhalten. Tritt nach 5—6 Gaben, viertelstündlich verabreicht, 
keine Besserung ein, so reichen wir Atropin, sulphuric. 2.-3. 
(1—0,1 proc. Lösung) auf dieselbe bekannte Welse. Es versteht 
sich von selbst, dass man die Taxis hierbei nicht vernachlässigen, 
. aber auch nicht mit Gewaltanwendung vollbringen darf. Häufig 
gelingt die Reposition schon nach wenigen Gaben von Belladonna 
oder Atropin, während sie früher nicht zu Stande gebracht werden 
konnte.“ — Auch bei krampfhafter Darmstrlctur ist, nach dem¬ 


selben Autor, in geeigneten Fällen Belladonna oder deren Alkaloid 
mit Vortheil anzuwenden, wohingegen er bei inneren Einklern- 
mungen, Achsendrehungen und Invagiuation von dieser medi- 
cameutellen Behandlung ebenso wenig sicheren Erfolg sah, wie 
von jeder anderen und als Ultimum refugium die Laparotomie 
anrüth. 

Aus dem Jahre 1841 besitzen wir eine Krankengeschichte, 
mitgethetlt von Becker in Casper’s „Wochenschr. für die ge¬ 
sammte Heilkunde“ S. 94. Eine 48 Jahre alte Frau leidet au 
Ileus inflnmmatorius. der, nach allen Regeln der Kunst l>ehandelt, 
keine Neigung zur Besserung zeigt. Seit fünf Tagen kein Stuhl¬ 
gang, in den letzten Tagen ununterbrochenes Erbrechen kothartiger 
Massen. 

„Ich war eben im Begriff“, sagt Becker, „das laufende 
Quecksilber als letztes Refugium, zu dem ich jedoch ohne beson¬ 
deres Vertrauen griff, anzuwenden, als ich mich der Behandlung 
des Dr. Harrius über den Nutzen der Belladonnaklystiere im 
Ileus erinnerte. Ich entschloss mich schnell zur Anwendung der- 
sell>en, liess ein Klystier aus einer Drachme Rad. Belladonnae be¬ 
reiten und appliziren. Schmerz und Erbrechen Hessen schnell nach, 
und nach einer halben Stunde erfolgte die erste Leibesöffnung, 
welche stark mit Blut vermischt war.“ — Die Patientin genas 
l>el weiterer Behandlung. Becker fügt übrigens noch besonders 
hinzu, dass Zufälle von Narkose nach der Anwendung der Bella¬ 
donna gar nicht zur Beobachtung kamen. 

In derselben Zeitschrift veröffentlichte im Jahre 1843 
G. Schwabe seine Erfahrungen mit Belladonna. Er berichtet 
über drei günstig verlaufene Fälle, bei denen gegen Ileus Bella¬ 
donnaklystiere, aus der Wurzel hergestellt, angewandt wurden. 
In einem ausführlicher berichteten Fall kam es zu Intoxikations¬ 
erscheinungen, die indess ohne weiteren Nachtheil nach einigen 
Stunden wieder verschwanden. In der oben erwähnten Zeitschrift 
von F r i c k e und Oppenheim findet sich im 18. Bande vom 
Jahre 1841 noch ein Aufsatz von A. Droste: „Passio iliaca und 
Belladonna wider selbige“. Er enthält ausser einer längeren, mehr 
theoretisch gehaltenen Besprechung noch die Beschreibung dreier 
Fälle, einer von Ileus, zwei von eingeklemmter Hernie, die ein 
Dr. Lamby beobachtet und Droste zur Verfügung gestellt 
hatte. In allen 3 Fällen wirkten Belladonnaklystiere erfolgreich. 
Ausserdem findet sich bei Droste auch der literarische Nach¬ 
weis günstiger Erfahrungen mit Belladonna von Wagner 
..Hufeland’s Journal der praktischen Heilkunde“ 1836, dann von 
Wotraber, ebenda 1837 und von N. Meyer aus der 
„Preussisclien Vereinszeitung“ 1838, No. 10. Endlich liegen 
aus dem vierten Decenuium noch zwei Angaben aus eng¬ 
lischen Lehrbüchern vor. Payne empfiehlt in seiner „Ma- 
teria medica“ vom Jahre 1848 das Extractum Belladonnae ln 
Salbenform bei eingeklemmten Brüchen. P e r e i r a sagt in seinem 
von B u c h h e i m übersetzten „Handbuch der Heilmittellehre“ 
S. 315 des II. Bandes: „Bei eingeklemmten Brüchen hat man die 
Belladonna angewendet, um eine Erschlaffung der Bauchmuskeln 
hervorzubringen.“ 

Aus den fünfziger Jahren finden wir zunächst eine Bemerkung 
zu unserem Thema bei Mitscherlich. In seinem „Lehrbuch 
der Arzneimittellehre“ 1851, S. 405 heisst es: „Bel krampfhaft ein¬ 
geklemmten Brüchen wendet man Atropin und Belladonna sowohl 
äusserlich als innerlich oft mit Erfolg an.“ Besonders zahlreich 
sind aber aus demselben Jahrzehnt die Mittheilungen aus der 
französischen Literatur. Leider muss ich dieselben nach Referaten 
wiedergeben. Aber dieser, sonst nicht gerade angenehme Umstand 
ist, wie sich bald zeigen wird, in diesem Falle von Nutzen, weil 
er darthut, wovon unter Umständen die weitere Verbreitung einer 
therapeutischen Methode oder aber auch, wie das bei der Bella¬ 
donnabehandlung der Fall gewesen ist, ihre gänzliche Vernach¬ 
lässigung abhängig werden kann. Wenn ich den folgenden Ab¬ 
schnitt nicht streng chronologisch behandele, so geschieht es, 
um Wiederholungen zu vermelden. 

Fonssagrives behandelte mehrere Fälle von Colica 
nervosa schwerster Art erfolgreich mit Belladonna. Bestätigt 
werden seine Angaben durch Beau Jean, Tersec, Congit 
und L e b o n (Gazette hebdomadaire 1857, Bd. 4). 

David empfiehlt Tinctura Belladonnae gegen Herala in- 
carcerata (Gazette des höpitaux 1857. No. 20). 

Lame bringt in der „Revue tliörapeutique du Midi“ 1855 
4 Fälle eigener Beobachtung. Das Referat, wie auch die Recension 
derselben entstammt der nämlichen Feder, die auch die eben 
genannten Arbeiten zu behandeln hatte. Es findet sich auf S. 221 
des 88. Bandes von Schmidt’s Jahrbüchern und lautet wie folgt: 

„Werfen wir die Frage auf, ob die Chirurgie zur Zeit ein 
Mittel besitzt, welches bei Brucheinklemmung die Einklemmung 
zu heben im Stande ist, ohne die Beihilfe des Messers zu bedürfen, 
so müssen wir mit Nein antworten. Ist die Taxis mehrfach er¬ 
folglos versucht worden, so rathen die Praktiker, namentlich wenn 
die Einklemmungssymptome an Intensität zunehmen, zu operiren. 
Verfasser (Lnrue ist gemeint), glücklicher wie seine Vorgänger, 
glaubt die gefährliche Klippe, die Operation, umgehen zu können 
und bringt vier Beispiele, in welchen die Herniotomle unvermeid¬ 
lich schien und doch durch methodischen inneren Gebrauch des 
wässerigen Belladonnaextrakts vermieden wurde.“ 

„1. Eine 61 jährige, magere Frau, die seit 14 Jahren eine 
rechtsseitige Schenkelhernie von mässiger Grösse, mit Darmuetz¬ 
inhalt, die sich leicht reponireu liess. besass, wurde den 17. Febr. 
1852 nach einer heftigen Anstrengung von Leibsehmerzen befallen 
und bemerkte, dass die Hernie unbeweglich sei und dass die 
Schmerzen von derselben auszugehen schienen. Ruhe und Um¬ 
schläge milderten die Schmerzen nicht, nach 2 Tagen wurde Ver- 


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1320 • MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33. 


fnsser gerufen, der tlle Hernie massig gespannt aber hartnäckig 
den Taxisversuchon widerstehend fand. Trotz dem energischen 
(iebranche eingreifender Mittel (wahrscheinlich Bäder und Abführ¬ 
mittel» wurde der Zustand in den folgenden 5 Tagen immer be¬ 
denklicher. der Leib trieb sich auf, die (iosiehtszügo verfielen, 
der Puls wurde fadenförmig. KothbnK-hen trat ein u. s. w. Ver¬ 
fasser schlug die ITemlotomic vor. die von der Patientin zurück¬ 
gewiesen wurde. Puter diesen Umständen verordnete Verfasser 
eine Mixtur von 20 cg Extraetum Belladonnae aquosum, 00 g 
Wasser mul 30 g Orangenblüthensyrup. von welcher er alle 
10 Minuten einen Kaffeelöffel voll verabreichen Hess. Unter dem 
Gebrauche dieser Mixtur, die im Verlauf des Tages genommen 
wurde, milderten sich allmählich die Einklemmungssymptome, der 
Athein wurde tief, das Brechen hörte auf, der Puls schlug voll, 
und als gegen Abend Verfasser die Bntchgesehwillst betastete, 
schlüpfte sie unter seinen Fingern in die Bauchhöhle. Nach einigen 
Tagen war die Kranke völlig hergestellt und bediente sich nun¬ 
mehr zur Sicherung eiues Bruchbandes." 

,.2. Eine 70 jährige Frau mit einer grossen rechtsseitigen 
Xchenkelhomio. die oft schwer zurückging, seit 20 Jahren bestand, 
allmählich sich vergrössert hatte, und zumeist Darm enthielt, 
wurde im September 1852 von Kinklemmungssymptomen befallen, 
die rasch an Heftigkeit Zunahmen. Verfasser fand die Patientin 
nach 2 Tagen in einem kläglichen Zustande, die gespannte Bauch¬ 
geschwulst widerstand allen Taxisversuchen. Die angegebene 
Mischung mit wässerigem Belladonnaextrakt bewirkte auch hier 
innerhalb 0 Stunden, dass die Bauehgosehwulst sich wie von selbst 
zurückzog. Die Kranke genas bald und legte ein Bruchband an. 
Als sich im Jahre 1 855 die Einklemmung in Folge des mangelhaft 
gewordenen Bruchbandes wiederholte, führte Belladonna wiederum 
zum Ziel." 

„Die Beobachtungen 3 und 4 sind ebenso kurz geschildert und 
bedürfen keiner besonderen Erwähnung." 

„Verfasser hält sich zu folgenden Schlüssen berechtigt: 1. Die 
nach und nach verabreichte Quantität von 20 cg Extr. Beilad. 
aquos. reicht stets hin. um den beabsichtigten Erfolg zu erzielen. 
2. Nie tritt ein Zustaud von auffallender Narkose ein, der die 
Wirkung vermindern könnte. 3. Das Brechen, Aufstossen und die 
Schmerzen hören schon nach den ersten Löffeln auf, die Kranken 
zu quälen. Wenn auch schon Andere, wie P a e i n i, M a g 1 i a r i, 
D e b reyn e u. A. auf die günstige Wirkung der Atropa Bella¬ 
donna aufmerksam gemacht haben, so misst sich Verfasser das 
Verdienst bei, dieses Mittel so formulirt und methodisch in An¬ 
wendung gebracht zu haben, dass es alle anderen Mittel weit 
hinter sieh zurücklässt.“ 

„Sind die Beispiele des Verfassers, wie stark zu bezweifeln, 
wirklich wahr, so ergeben sie nichts Anderes, als dass zuweilen 
die Eiuklemmungssymptome durch Narkotlsirung zum Nachlass 
gebracht werden, und dass dann die vorher vergeblich versuchte 
Taxis geliugt. Wer sich des Chloroforms zur Erleichterung der 
Taxis öfters bedient hat, wird auch Fälle aufzuwelsen haben, wo 
In der Chloroformnarkose die Ueposition ziemlich leicht erzielt 
wurde, allein in ebenso vielen, vielleicht in noch mehr Fällen hat 
man Gelegenheit, sich zu überzeugen, dass auch das Chloroform 
fehlschlägt. Au ein solch«** Fehlschlagen eines ähnlich durch 
Narkotisirung wirkenden Mittels denkt aber Verfasser gar nicht; 
Belladonna muss helfen, denn sie hat ja in 4 Fällen geholfen, und 
merkwürdiger Weise, der Bruch hat sich unter Einwirkung der 
Belladonna gewlssermaassen von selbst zurückgezogen. Wir aber 
rathen einem jeden Arzte, ja nicht auf das spontane Zurlickziehen 
eines eingeklemmten Bruches durch Belladonna zu warten, wo keine 
Zeit zu verlieren ist, und halten uns auch überzeugt, dass Niemand 
die dreisten Behauptungen des Verfassers für baare Münze 
nehmen wird.“ 

Soweit das Bef erat und die Reeenslon. Ich bemerkte schon, 
dass die oben erwähnten anderen französischen Autoren demselben 
Kritiker in die Feder gerathen sind. Dasselbe Geschick hat 
ferner noch A d e t de It o s e v i 11 e lietroiTen. der in der „Gazette 
des liöpitaux“ 18(51 iil>er erfolgreiche Anwendung von Belladonna 
bei eingeklemmter Hernie berichtete. Auch die vereinzelt da¬ 
stehende Meinungsäuserung des Deutschen J. Hoppe in der 
„preussisclieu Vereinszeitung“ vom Jahre 1851), der die Möglichkeit 
einer günstigen Beeinflussung von eingeklemmten Brüchen durch 
Belladonna zugibt, ist von demselben ltecensenten abgeführt. Es 
ist nicht meine Aufgabe, die Itecension der Laru e’schen Fälle 
selbst noch zu rdeensiren, ich überlasse das gern Jedem, der sie 
ohne Voreingenommenheit durchliest. Ich habe sie auch nur dess- 
halb so ausführlich gebracht, weil sie lehrt, wie eine abfällige 
Kritik in einem so viel gelesenen Blatte, wie es die Schmidt'sclien 
Jahrbücher sind, auf weitere Kreise wirken kann. Der Doktrinaris¬ 
mus hat da einmal wieder einen Triumph gefeiert, dessen Folgen 
die späteren Angaben Fleming’s in „Edinburgh med. Journ.“ 
Bd. 8 über die Brauchbarkeit der Belladonna und des Atropins 
bei hartnäckiger Obstruction kaum abzuschwächen vermochten. 
Ebenso geringen Erfolg hat der bekannte Wiener Pharmakologe 
Schroff gehabt, der 1873 in seinem Lehrbuche der Pharmako¬ 
logie den Satz ausspricht: „Bei krampfhafter Einklemmung der 
Gedärme, so namentlich bei Nabelbrüchen, bei Ileus, sah ich von 
grösseren Gaben (Belladonna) die günstigste Wirkung.“ — Er em¬ 
pfiehlt weiterhin zum Inneren Gebrauche eine Tinktur aus einem 
Theile der trockenen Wurzel der blühenden Pflanze zu 5 Theilen 
Spiritus. Die Dosis ist 1—10 Tropfen. 

Für die Anwendung der Belladonna spricht sich schliesslich 
noch lt. Köhler im II. Bande seines „Handbuches der spoc. 
Therapie“ 1868, 8. 210 aus. Es heisst da: „Bei der erregenden 
Wirkung schon kleiner Gaben Atropin auf den Sympathicus be¬ 


greift man die bisweilen ausgezeichnete günstige Wirkung der vou 
Bretonneau und nach ihm vou Trousseau dringend em¬ 
pfohlenen Belladonna oder des Atropins (Martin); theoretisch 
passt sie bei der vorliegenden Form der Verstopfung (es ist von 
hartnäckiger Obstructio alvi die ltede). empirische Regeln fehlen." 
Die Benutzung von Belladonna bei Ileus erwähnt R. Köhler 
weiterhin auch, aber nur mehr beiläufig. 

Das Ende dieser geschichtlichen Notizen, die, wie wohl nicht 
noch besonders zu bemerken, auf Vollständigkeit keinen Anspruch 
erheben können, mögen noch zwei Urtheile bilden, die rein theo¬ 
retischen Erwägungen entstammen. H. Köhler bespricht die 
Anwendung der Belladonna bei den in Frage stehenden Darui- 
aSektionen in seinem „Handbuch der physiologischen Therapeutik" 
187(5, 8. 1015 mit folgenden Worten: 

„Endlich hat man auch Ileus und incarcerlrte Hernien, Dank 
der Eingangs erwähnten Wirkung der Belladouua auf die iutra- 
imisculäreu motorischen Nerven heilen zu können geglaubt. 
Roll on de St. Foix (Bull, de Tlierap. X. 1836) und aus 
neuester Zeit L a r u e (Gazette de liöpitaux 53. 55, 1872i und 
G a 111 e i e r (Bull. gön. de Tlierap. LXXX. 13, 1873) haben in der 
Thnt Fälle dieser Art beschrieben. Dass Ileus dadurch Irgendwie 
alterirt wird, müssen wir bestreiten; bei eingeklemmten Hernien 
wirkt die eingeriebene Belhulonnasallie in erster Linie lokal 
annestheslrend, so dass die Taxis weniger Schmerzen macht, der 
Kranke fügsamer wird und somit die Reimsitlon erleichtert wird: 
die Erschlaffung spastisch kontrahirt gewesener Muskeln durch das 
Mittel hat jedenfalls an den erlangten günstigen Erfolgen nur ge¬ 
ringen Antheil.“ 

Husemann endlich stellt ln seinem „Handbuch der ge¬ 
summten Heilmittellehre“ 1883, S. 1089 fest, dass „kaum ein¬ 
zusehen ist, wie Bellmlonuaklystiere oder gar die Einreibung von 
Belladonnasalbe bei incareerlrten Hernien wirken soll.“ 

Für die Entwickeluugsgeschlclite «1er Pharmakotherapie ist ein 
Objekt, wie das vorliegende, ebenso interessant, wie bedeutungs¬ 
voll. Ein Arzneimltel wird aus Irgend einer Indieatlon heraus für 
eine bestimmte Krankheitsgruppe empfohlen und benutzt. Die 
praktische Erfahrung bestätigt dessen Brauchbarkeit. Eine ge¬ 
wisse Zeit lang bleibt das Mittel in der Hand der Aerzte, es kommen 
neben guten auch schleckte Resultate bei seinem Gebrauche heraus. 
Das ist selbstverständlich: Wir haben keine Panaceeu und werden 
sie nie besitzen. Ist das erkrankte Organ nicht fähig, in nutz¬ 
bringender Weise auf den Arzneireiz reagiren zu können, dann 
versagt das Arzneimittel. Aber die ersten 40 Jahre des vorigen 
Jahrhunderts haben doch das gelehrt, dass die Belladonna für be¬ 
stimmte Darnmffektiouen werthvoll sein kann. Jetzt setzt die 
Theorie ein. Da das theoretische Wissen zur Zeit nicht ausreichte, 
die praktisch bestätigte Wirksamkeit der Belladonna genügend zu 
erklären, wurde der grosse Fehler gemacht,, von vornherein über¬ 
haupt die Möglichkeit abzustreiten, dass die Belladonna in der ge¬ 
wünschten Weise leistungsfähig sich erweisen könne. Die Theorie 
hat ihre Grenzen, innerhalb deren sie sich nach Belielien bewegen 
kann. Sobald sie diese überschreitet, leidet die Praxis. Anstatt 
einfach einzugestehen: Unser Wissen langt zur Zeit noch nicht 
aus, die Beobachtungen zu erklären, die bei Anwendung eines 
Ar/neistoffes am Krankenbette gemacht werden, dekretirt die 
Theorie von oben herunter: An den ganzen Beobachtungen ist 
nichts daran, denn sie lassen sich nicht erklären. Man wird zu¬ 
geben. dass darift eine ganz besondere Art von Logik steckt. Es 
ist die reine Dogmatik, die sich auf solcher Grundlage ent¬ 
wickelt. Sie bedeutet in der Medicin und ganz besonders auf dem 
Gebiete der Pharmakotherapie einfach Stillstand und aus ihm 
heraus Rückschritt. Den Schaden hat die Praxis und das auf sie 
angewiesene Krankenmaterial. Und kommt dann nach geraumer 
Zeit die Wahrheit doch wieder nach oben und bestätigt, wie Recht 
damals die Praktiker hatten, als sie den von der Theorie ver- 
Avorfenen Weg gingen, so ist doch eine schöne Zeit verloren, die 
nicht wieder eingebracht werden kann. Grade bei solchen Fragen, 
wie die ist, die uns hier beschäftigt, ist die Aufgabe der Theorie 
ganz genau gegeben: Von der Erfahrung der Praxis ausgehend, 
hat sie ihr ganzes Wissen und Können dahin zu concentrireu 
herauszubekommen, wesshalb es möglich ist, dass sich eine Arznei- 
Avirkung so gestaltet, wie die Praxis es lehrt. Ein solches Hand 
in Hand gehen beider Arten wissenschaftlichen Arbeitens behütet 
die Pharmakotherapie ebenso vor dem rohen und unwissenschaft¬ 
lichen Empirismus, wie vor der Gefahr, sich durch eine unge¬ 
nügend entwickelte Theorie eiues Materiales berauben zu lassen, 
das in so manchem Falle, wie das tägliche Leben des Arztes ihn 
mit sich bringt, seine Leistungsfähigkeit hätte erweisen können *>. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Hugo Starck: Die Divertikel der Speiseröhre. Mit 

2 Abbildungen im Text. Leipzig 1900. Verlag von F.C.W. Vogel. 
206 Seiten. 

Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, durch eine 
Sammlung des gesammten klinischen und pathologisch-anatomi¬ 
schen Materials über die Oesophagusdivertikel von Neuem auf 

*) Beim Lesen der Korrektur erhalte ich nocli einen Aufsatz 
A'on O. v. Bolten stern, „Aerztllche Monntschrift“ 1901, No. 7. 
über Atropinbehnndluug des Ileus, ln dem sich die Angabe findet, 
dass 1788 der bekannte General-Chirurge T h e d e n sebou gegen 
Ileus Belladonna nngeAvendet hat. DerVollständigkeit halber möge 
diese Mittheilung hier noch Platz finden. 


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13. August 1901. MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 1327 


dies** wichtige uml interessante Krankheit näher einzugchen, das 
Ncuorforschte zu dem Bekannten und Altbewährten zu tragen 
und so unter Berücksichtigung und Abwägung alter und neuer 
Ansichten eine zusammenhängende Darstellung über das ganze 
die Oesophagusdivertikel berührende Gebiet zu geben. Durch die 
eigene klinische Beobachtung mehrerer Fälle aus der medicini- 
schen Klinik und durch das Studium pathologisch-anatomischer 
Präparate aus dem pathologischen Institut in Heidelberg hatte 
der Verfasser Gelegenheit, wichtige neue Beiträge zur Lehre von 
den Divertikeln der SjM'iseröhre zu liefern. 

Zunächst werden die T r a c t. i o n s d i v e r t i k e 1 be¬ 
sprochen. Die verhältnissmässig grosse Häufigkeit wird betont, 
seitdem durch die grundlegende Arbeit von Zenker und 
Ziems sen die Aufmerksamkeit hierauf gelenkt wurde. Die 
Tnietionsdivertikel haben ihren Sitz ausschliesslich an der vor¬ 
deren oder seitlichen Oesophaguswand in der Höhe der Bifur- 
cation oder direkt darunter, ein Verhalten, welches in dem Ur- 
sprung «1er Divertikel von pathologisch veränderten bronchialen 
und trachenlen Lymphdrüscn (Anthracose. (-halicose) aus seine 
Erklärung findet. 

95 Divertikel wurden bei männlichen, 69 bei weiblichen 
Leichen gefunden. Die Diagnose ist bisher in keinem Falle 
intra vitam gestellt worden. Vielleicht ist. hier von der Oeso- 
phagoskopie Besseres zu erwarten. Der Verlauf ist meist sym¬ 
ptomlos, wie auch zwei eigene Fälle des Verfassers lehren. Die 
(»«-fahr der Tractionsdivcrtikol liegt besonders in der Möglichkeit 
einer Perforation (10 Pme.) des Divertikels und der Infektion 
«ler Fmgi-bung d«*s Oesophagus mit Entzündungserregern aus 
«ler Speiseröhre, ferner in «ler Möglichkeit der Entstehung von 
Carcinom und in «l«*r Ausbildung von Tractions-Pulsionsdiver- 
tikeln. Die Therapie wird si«h — für die Zukunft die Diagnose 
vorausgesetzt — in Anbetracht, der Lago un«l <]«>r Natur «ler 
Tractionsdivertikel auf die Hygiene der S|>eiscaufnähme he- 
M’hranken müssen. 

Den grössten Theil «l«*r Monographie nehmen die weit wich 
tiger«*u P u 1 s i o ii s «1 i v e r t i k e. I (Zenker), phnryngo-oesn- 
phageale Pulsions«livertikel, ein. Puter Z e n k er’sehen Pulsions¬ 
divertikeln verst«>ht Stare, k sackförmig«“ Ausstiilpungi-n 
«ler hinteren oder seitlichen Schlundwand an der Grenze 
von Schlund und Speiscnölm*, welche durch einen kon- 
tinuirliehen Tnneiulrnck entstanden oder weiter ausgebildet 
worden sind (pharyngo-oesophagi'ale Pulsionsdivertikel). Der 
Verfasser verfügt über 7 eigen«* Fälle. (Die selten verkom¬ 
menden pharyngealen Pulsionsdivertikel werden kürzer be- 
spr*H-ln'ii. genauer am Schluss «lie «» e s o p h a g e a 1 o n Pulsions- 
«livertikel.) Die erste Ursache «Fr Z e n k e r’sehen Pulsions- 
divertik«*l kann in «lein koutinuirliehen Andrängen «ler Speisen 
«»der in einem akuten Trauma (ohne grösseren Schleimhautdcfckt) 
liegen. Das Divertikel ln« teilt. in seinen ersten Anfängen in ein<>r 
mir lei«*hten Ausstülpung der Wand, später in einem saek- 
fönnigen Anhang. 

Das umstrittene Kapitel der Aetiologie «ler Zenker- 
M-hen Pulsionsdivertikel winl eingehend erörtert. Verfasser lehnt 
«lie Theorien «ler «•ongenitalen Entstehung ab und begründet aus¬ 
führlich die Richtigkeit «l«»r mechanischen Theorie eines er¬ 
worbenen Leidens. Die Pulsi«»nsdivcrtikel sind ein seltenes Vor¬ 
kommnis. Die Tabelle iilx*r sämmtliehe btvehriehene Pulsions¬ 
divertikel (Zenker) umfasst 93 Fälle, die Tabelle der pharyn¬ 
gealen Divertikel 6 Fälle. Die Z c n k e r’sehen Pulsionsdivertikel 
kommen bei Männern weit häufiger vor als Inn Frauen. 

Na«-h der „Anatomie“ folgt Symptomatologie 
ui:«l Diagnose. Ein vollständiges Krankheitsbild wird zu¬ 
nächst. in sehr anschaulich«?!* Weise entworfen, wie es einem 
•sliweren Falle mit Ausgang in Hungertod entspricht. Die Sym¬ 
ptom«* werden eingetheilt- 1. in Prodromalerseheinung«'n und 
2. Symptome «les Divert ikclsaekes fa) direkte* Symptome: 
Suin»sen«TScheinung«*n, Art des Essens, Regurgitation. Hals- 
g«-*eh willst, Halsg«*räusche, S<*hmerzen, Foetor ex ore; b) indirekte 
Symptom«*: Druck auf Umgebung, Sehhickbeseliword«*n, Re- 
*l»irationsstörungen, Kopfcnngcstioncn, diffuser Brustschmerz]. 
Ks folgen: AUgemcinlxdindcn, Komplikationen. Für die Dia¬ 
gnose ganz besomlers wichtig ist die Anamnese (Beginn, Sic* 
noscnerschci innigen,Wanderung dos Hindernisses, Regurgitation. 
Essmethode). Der Untersuchungsbefund erstreckt sich auf «lie 
Ifalsgeschwulst, die Resultate der Percussion, Oesophagoskupic, 


Sondirnng, Röntgenphotographi«', Durchleuchtung mit Ein- 
h o r n’sehor Lampe. Tu einem einigermnasson vorgeschrittenen 
Fall ist heute die Diagnose intra vitam sicher zu stellen, währeml 
früher «lie Bestätigung dersellxm durch die Sektion verlangt 
wur«le. 

D«*r folgende Abschnitt lautet: Prognose und Thera¬ 
pie. Die früher sehr schlechte Prognose ist unter d«*r chirur¬ 
gischen Behandlung bedeutend besser gewor«l«*n. Bis jetzt sind 
13 Heilungen liekannt; all«* stammen aus den l«*tzt«*n 13 .lallreu. 
D«*n Divertikelkranken ist unbedingt- «li«' Op«*rati«>n zu rat-hen. 
deren Mortalität, allenlings noch etwa 20 Pme. beträgt.. Di" 
symptomatische Behandlung verdient jc«loeh eingehende Berü«*k- 
siehtiguug für die nielit wenigen Fälle, welche die Operation ver- 
weigern. Die Hehandluug der Stenose mit d«*r Sonde ist zuerst 
zu nennen; si«> bezweckt, die. Schwelle des Divertikels nach unten 
zu drängen, «len Eingang in «len Oesophagus zu erweitern, und 
zur Fütterung zu dienen. Die Anwendung der Sonde orfonlert 
Vorsi«*ht un?l Ge'«*hi«*k. Bei der Indieatio morbi kommt fast, nur 
die Operation in Betracht. Die vers«*hi«*dene.n Methrxlen: Gastro¬ 
stomie. Exstirpation und Gastrost«nni<‘, Resektion. Invaginatiou ' 
werden ausführlich hesproch«*n. Am häufigsten (15 mal mit 
4 Tndoj»fäll«'iil wurde «lie R «• s <* k t i o n ausgeführt. (N i eh a u s, 
Bergmann. Kocher u. A.). Unter 24 0|>erirten im Ganzen 
sind 8 Todesfälle: in den letzten Jahren sind die Resultate weit 
besser als fviih«*r. Tn den operativ geheilten Füllen ist. «ler Effekt 
fiir «lie Kranken «-in ausg«*zei«*hneter. 

Der letzte Ahs**hnitt. enthält. die Bespivchung «ler «» e s o p h a 
goalen P u 1 s i <» n s<1 i v e r t i ke 1. die ihren Sitz im Verlauf 
des Oesophagus zwischen <»lw*rom Faid«* und Kardia haben können. 
Die oesophagealen Pnlsionsdiv«*rtikel sind bisher am wenigsten 
beachtet \vor«len. Bish«*r sind 27 F'älle lx“kannt, denen St. noeli 
« inen bisher nicht lx*sehri«*benen Fa 11 aus d<*m pathologischen 
Institut zu Heidelberg hinzufügt. Die Aetiologie ist wahr¬ 
scheinlich nicht cinh«*itlich. Die Entstehung aus Tractmns- 
divertikeln (Traetions-Pulsioimlivertikel) ist. für «lic Mehrzahl 
«ler Fälle anzunehmen; «li«' Möglichkeit einer «•ongenital« , n An- 
lag« 1 ist aber hier zuzug«*hen. Der Sitz ist. in der vorderen oder 
seitlichen Wand. 14 F'älle sind klinisch lieoba eiltet. davon 4 durch 
die. Sektion bestätigt. Das klinische Bild der Krankheit gleicht 
demjenigen «1«*r Z e n k e r’sehen Divertikel. Di«’ Diagnose* ist 
schwierig, sie wird g«‘stellt durch besondere Verfallr«*n «l**r 
Sondpiiiinter.-indiung. Di«* Prognose ist kein«? günstige, woun- 
gl«*ich Besserungen crrcieht werden. Die Flxstirpation «los Rn«*kes 
käme au«*h hier in F’rag«*. Bei der bisher heohaehteten geringen 
Zahl <l«*r Fälle harren n«x*h manche. F'rag«*n «ler Lösung. 

Das T, i t «• l* aturverzoi c huiss umfasst, nach J ahr- 
gängen übei*si«*htlieh geordnet, wohl alle Arbeiten über Divertikel 
der Speiseröhre. 

Das Studium des Buches zeigt dem Leser, dass der Verfasser 
seine Aufgabe in vorzüglicher Weise gelöst hat. Wir halten ein" 
Monographie vor uns. welche das gesammte Gebiet d«*r Divertikel 
«ler Speiseröhre in ers<*hüpfon«ler Weise behandelt. Di«'ser Zw«*ig 
«ler Pathologie hatte seit der Publikation von Zenker und 
Ziem sse n keine eingehende Bearlxütung gefunden, obwohl 
di»s«'s Gebiet ein grösseres Interesse verdient, als ihm vielfach 
«•ntgogengebracht wird. Das Werk des Autors zeigt uns in an- 
s«‘.haiili«*her Weise, «lass seitdem auch hier erfreuli«*he Fortschritte 
genmehf wurden, an wel«*hcn «*r seihst Mitantheil hat. Wir h« - 
griissen in dein Werke eine sehr fleissige Arlx*it. welcher in 
unserer Literatur «lie verdiente Würdigung gebührt. 

W. Z i n n • Berlin. 

Prof. Dr. Hofmeister in Tübingen: Verbandtechnik. 
Tübingen. La u pp’sehe Buchhandlung. 1901. Und: 

P. H. van Eden, Direktor des Krankenhauses in T/eu- 
warden: Verbandlehre. Mit einem Vorwort von Prof. 
A. Naratli in Utrecht. Jena, Verlag von (Just. Fischer. 
1901. 

Diese beiden Bücher sind fast zu glei«*h«*r Z«*it ers«*hieii«‘ii. 
Hof meiste Fs Verhandte«*hnik. ein handliches Büchlein v«m 
106 Seiten und mit 107 Abbildungen, ist so recht für den Stu- 
direuden und angehenden Arzt berechnet. Festerem bringt «*s. 
„um ihn an ein exaktes Arbeiten zu gewöhnen“, «li«* S«*hulverl»iindc 
mit peinlicher G«*nauigkeit, d«*m Arzte „das praktisch Frprobte 
in knapper und doch gründlicher Form“. Van Eden’s Vcr- 


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MTTENCHENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


1328 ' 

lwmllchrc ist ein stattliches Ruch von 19;” Seiten mit. 225 Ab¬ 
bildungen, das, wie Verfasser wünscht, nicht bloss dem prak¬ 
tischen Arzte und Studirenden, sondern auch Krank<*npflegern 
und -pfle^rerinnen als Rathffeber dienen soll. 

Beide Bücher bieten neben den allgemein üblichen klassischen 
Verbänden eine Reihe von verschiedenen technischen Maass- 
nahmen, die sieh den Autoren im Laufe der Jahre, als besonders 
geeignet erprobt haben. Hofmeister liess die Abbildungen 
von einem Zeichner in lmlhschematisolier Weist* anfertigen; der 
Verband wird hiemit der Art dargestcllt. wie er bei idealer Aus¬ 
führung sein soll. Ausserdem wurden — wie schon in älteren 
Werken zu sehen — die Bindengänge mit Zahlen versehen, um 
so das Anlegen des Verbandes zu erleichtern. 

Van Eden’» Buch erfreut sieh in seinem Vaterlande 
Holland jetzt, wie aus Karat h’s Vorrede zu entnehmen ist, 
allgemeiner Verbreitung und verdankt diesen Erfolg „in erster 
Linie seinen fast durchgehend» prachtvollen, instruktiven und 
dabei naturwahren Abbildungen“. Sit* sind Reproduktionen 
photographischer Aufnahmen von Verbänden, die van Eden 
selbst angelegt hat und denen der Text „mehr oder weniger als 
Erläuterung“ hinzugefügt ist. Auch Referent, der diese Art der 
Reproduktion in seiner Verbandlehre zum ersten Male amvandte. 
kann nicht umhin, die Vorzüglichkeit der grössten Anzahl der 
Bilder lobend zu erwähnen. Klnussner. 

Synoptische Tafeln zur Diagnostik der Herzklappenfehler, 
nebst anatomisch-physiologischen Schematas des Circulations- 
apparates für Aerzte und Studirende. Bearbeitet und ge¬ 
zeichnet. von Dr. L. Vorstädter. 5 Tafeln mit 27 kolorirten 
Schematas, darunter ein transparentes und ein verschiebbares 
zur automatischen Einstellung der Diagnosen. Berlin 1901. Ver¬ 
lag von A. H i r s c h w a 1 d. 

Verfasser stellte sieh zur Aufgabe, sünnntliehe- Elementar¬ 
kenn tnis.-e. welche zur physikalischen Untersuchung des Herzens 
unentbehrlich sind, darunter auch die dazu gehörigen anatomisch- 
physiologischen Daten schematisch zur raschen Orientirung für 
Aerzte und Studirende «larzustellen. Man muss diese Absicht 
jederzeit bei der Bcurtheilung des Buches sich vor Augen halten, 
um gegen dasselln* nicht ungerecht zu werden. Denn das „Sche¬ 
ma! Lehe“ tritt an demselben allerorten stark in den Vordergrund 
und besonders lxim ersten Anblick der einem Ziehbilderbuch 
iiusserlich verwandten Tafel, mittels welcher man im Nu die Aus- 
eultationspliaenomene bei den verschiedenen Herzklappenfehlern 
sieh einstellen kann, wird der Autor nicht sehr viele so ernst¬ 
hafte Leser seines Buches finden, «lass sie eines Lächelns sich ent¬ 
halten können. Für Anfänger halte ich derartige Dinge für aus- 
gezcichneto Mittel, um sich des Denkens in gefährlichem Grade 
zu entwöhnen; für R«*p«*.titionszweck«* kann man ja ein Auge zu- 
<1 rücken. Sehr hübsch ist dagegen die schematische Darstellung 
einer Herzevolution dem Autor gelungen: sie fördert direkt das 
Verständnis.» des Vorganges. Auch die schematischen Tafeln 
4 und 5 sind ganz instructiv ausgefallen. Hinsichtlich des natur- 
gomäss knapp gehaltenen Textes möchte ich noch einige Einzel¬ 
heiten erwähnen: die vom Verf. vertretene Th«*orie über die Ent¬ 
stehung des Herzspitzenstosses entspricht den neuesten Anschau¬ 
ungen nicht, ebenso wenig bekennt sieh Verf. zu der jetzt wohl 
am Besten begründeten Theorie von der Automatic des nerz- 
musk«ls. sondern ist noch Vertreter der Herzganglientheorie. 
D«*r Satz, dass reim* Hypertrophie des Herzens keine Vcrgrösse- 
rung der Herzdiimpfung hervorrufen kann, darf auch als im 
Widerspruch mit den Anschauungen sehr vieler Autoren be- 
zciehnet werden. Der Anhang über «lie Sphvgmomanometrie und 
der sehr dürftige Torso über die speeielle Pathologie der Herz¬ 
krankheiten am Schluss«* des Buche» ltcdürftcn einer Erweiterung 
oder des M eg falle«. Auch harren viele Druckfehler des Stiftes. 
Das Buch wird seine Liebhaber finden. 

O r a s s m n n n - München. 

Neueste Journalliteratur. 

Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 30. 

A. 4 o I 1 «• s - Wien: Ersatz für die Kjeldalbestimmung im 
Harn für klinische Zwecke. 

Verfasser gibt durch eine volumetriseln* Sticksioft’bestiininung 
einen Ersatz für «li«> etwas umständliche und zeitraubende Kjeldai- 
melhode. Das Vorfahren des Verfassers beruht auf der Oxydation 
«1«*» Prins mit Pormanganatiösung in schwach saurer Lösung iu 


der Siedehitze bis zum Bestehenbioiben der Ilothfärbung. darauf 
folgender Neutralisation und Entwicklung des Stickstoffs in einen« 
Azotometer mit Schüttolgefäss. Zieht man die quantitativen Stick- 
stoffverlüiltnisse im Harn in Erwägung, so findet man. dass diese 
Substanzen, nämlich: Harnstoff, Harnsäure, Purinbasen, Ammo¬ 
niak. Hippursäure. Oxalursäure, Karbonsäure, Allantoin. mehr als 
90 Pro«*., wahrscheinlich 95 Proe. des gesammten im Harn ent- 
lialteneii Stickstoffs ausmaolien. Es bleibt also nur ein sehr kleiner 
liest von Substanzen übrig, die dem Nachweise mit der Methode 
des Verfassers entgehen. Er Hat eine Reihe von Bestimmungen 
mit seinem Verfahren und nach Iv j e 1 d a 1 ansgeführt und In einer 
Tabelle zusammengestellt. Man ersieht daraus, dass seine Methode 
thnl sächlich annähernd richtige und für klinische Zwecke meist ge 
niigeml genaue Wortlie ergibt. W. Zinn- Berlin. 

Centralblatt für Gynäkologie. IDol. No. 30 u. 31. 

No. 30. 1) Oscar P o 1 a n o - Greifswald: Eine neue Methode 
der Behandlung chronischer Beckenexsudate. 

Die Methode besteht in der Heissluftbehnndluug. 
für die P. einen eigenen Apparat anfertigen liess. Die Methode 
empfiehlt sieh vor Allem bol chronischen Beckenexsudaten: 1*. 
verwendete sie ausserdem bei Infiltration der Bauchdeeken nach 
Laparotomie, Oedem der Labien bei einer Gravida, Hysterie un«l 
Aktinomykose. Neben der objektiven Besserung war vor Allem 
das fast momentane Aufhören vorhandener Schmerzen auffällig. 
P. lässt Anfangs 20 Minuten bei 120° schwitzen, steigt in den 
nächsten Tagen und kann nach 8 Tagen selbst empfindliche Frauen 
:: i Stunden lang 139—ISO” aussetzen. Die sohweisstreibende Wir¬ 
kung ist kolossal. Nach der Abtrocknung erhalten die Frauen 
ein Handtuch mit Watte um den Leib und bleiben eine Stunde 
lang im Bette. 

2« Wilhelm L e u b e - Konstanz: Ueber Nabelschnurversor¬ 
gung der Neugeborenen. 

L. empfiehlt folgendes Verfahren: Nach dem Bade wird die 
Nabelschnur >/. cm vom Hautrande entfernt mit einem dicken 
ratgutfaden (No. 91 unterbunden in der Art. dass nach Setzen 
der 2 ersten Knoten mit dem Faden nochmals um die Nabelschnur 
horumgeganeen wird und auf der entgegengesetzten Seite 2 weiten* 
Knoten fest geschnürt werden. Darauf wird über der Ligatur 
die Nabelschnur kurz nbgcschnittou. Der Stumpf wird mit 
Diachylonpuder bestäubt und mit st«*riler Watte verbunden. Von 
100 also behandelten Kindern ist nur ein einziges mit Fungus 
umbilicalis entlassen worden: Nachblutungen kamen nie vor. 
Das einzige Bedenken g«*gen die Methode ist das event. Uebcr- 
selien einer Omphalocele congenita, worauf also stets geachtet 
werden muss. 

3) P. Mathes-Graz: Die Gefrierpunktserniedrigung des 
mütterlichen und kindlichen Blutes. 

Nach Volt’s Untersuchungen besteht eine vermehrte De¬ 
pression im kindlichen Blute, somit eine erhöhte molekulare Coa- 
centration «lesseiben. Krön lg und Füth kamen zu abweichen¬ 
den Resultaten. M. wiederholte die Untersuchungen V e I t’s. fand 
jedoch nur Differenzen von höchstens 0.03°: in einigen Fällen lag 
sogar der Gefrierpunkt des kindlichen Blutes höher als der des 
mütterlichen. M. kann sich daher den V e i fachen Schlussfolge¬ 
rungen ebenfalls nicht anschlicssen. 

41 .7. A. A tu a n n - München: Bemerkungen zu Macken- 
r o d t’s Aufsatz: „Die Radikaloperation des Gebärmutter¬ 
scheidenkrebses mit Ausräumung des Beckens“ in d. Bl. No. 27, 
p. 789. (Rcf. in der Münch. m<*d. TVochonschr. No. 29. p. 1189.1 

Richtigstellung einiger Angaben von Mackenrodt üb>*r 
A.’s extraperitoneale, bezw. transperitoneale Methode der Ex¬ 
stirpation des oareinonmtösen Uterus. 

No. 31. D .W. Z a » g e m e i » t er - Leipzig: Geber eine 
seltene Art von Dammrissen (Vulvaporrhexis). 

Z. beobachtete in 2 Fällen bei Primiparis kompllzlrte Damm 
risse, die ihm geeignet erscheinen zur Erklärung für die Ent¬ 
stellung von centralen Dnmniruptur«*n. Es handelte sich jedesmal 
um «*ine Abreissung d«*s Vulvarings. Damm und Labien, von dem 
Vaginalrohr vor dem TTvmen einerseits und vom Analring anderer¬ 
seits. Die Brücke zwischen Damm- und Onerriss blieb stehen. 
Die Entstehung denkt sieh Z. durch eine Abreissung der Scheid.’ 
von der Vulva, dadurch Verschiebung der Vulva nach vorn. oben. 
Verlängerung des Dammes und Abreissung desselben vom Anal¬ 
ringe. Z. sehlägt vor. dies-* Rupturen als „Vulvaporrhexis“ 
zu bezeichnen. 

21 P i o t r o w s k i - Krakau: Die Verwendung des Protar- 
gols zur Verhütung der Augeneiterung Neugeborener. 

P. hat schon früher das Protargol in 20 proe. Lösung gegen 
Bleimorrhoea neonatorum empfohlen. Da Zweifel diese Lö¬ 
sung wi'geii der dadurch hervorgerufenen Reizerseheinungen ver¬ 
worfen hat. machte P. jetzt mit einer 10 proe. Lösung Versuche, 
«lie sehr zufriedenstellend nusfielen. Unter 1030 Fällen sanken 
die Reizerseheimmgen von 39 Proe. auf 10 Proe.. wobei «li*‘ 
Reaktion nie länger als 3 Tage währt«*. Sekundärkatarrhe be¬ 
obachtete P. nur in 1.2 Pme. der Fälle. Die Anwendung geschah 
derartig, dass unmittelbar nach der Geburt nach vorheriger Reini¬ 
gung «b*r Augenlider mit 3 proe. Borlösung der Conjunetlvalsack 
gründlich mit 10 proe. ProtnrgollOsung «lurchspült wurde. Nach 
P. ist das Protargol in 10 proe. Lösung berufen, den Höllenstein 
zu ersetzi-ll. 

31 L a u b e n b u rg-Remscheid: Zur Behandlung der chro¬ 
nischen Metritiden. 


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13. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1329 


L. empfiehlt von Neuem die lokale Blutontzichuug als gutes 
Mittel gegen chronische Metritis, wie sie von S p i e g e I b e r g. 
Schröti e r, F r i t s e h u. A. stets geloht worden ist. Kr maelit 
1»—(i tiefe, longitudinale Schnitte durch jede Muitermuudslippc. 
lasst etwas nachhiuten und tamponirt dann mit .foiloformgaze. 
Auch Ini allgemeinen flrculationsstörungen, Neuralgien und Dys¬ 
menorrhoe ist «Ile lokale Blutentziehung von Erfolg. Neue <le- 
sichtspunkte bringt L.’s Arbeit übrigens nicht. 

4» Mnrk G e r s c h u n - Kiew: 2 Fälle von Missbildung des 
weiblichen Genitalsystems. 

2 Fälle von angeborenem Defekte der inneren Genitalien; 
im 1. Fall (22 jährigds Mädchen) bestund noch ein 4 cm langer 
Blindsack als Vagina; im 2. Falle (2(1 jährige Arbeiterin» fand si.-!i 
nur eine schlaffe Schleimhautfalte an Stelle des Introitus vagina«*. 
Die Kectalnntersuclmug ergab in beiden Füllen Fohlen jeglicher 
innerer Genitalien. Beidemal waren Molimina menstrualia od *r 
irgend welche vicarlirende Blutungen nicht vorhanden. 

J a f f C* - Hamburg. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1 9U l 
Bd. 37. 3. Heft. 

1) W. S 11 b e r s c h tu i d t - Zürich: Ueber Aktinomykose. 

Auf Grund von Literaturstudien und S selbstbeobnclitePn 
Fülle kommt Verfasser zu dem Schluss, «lass die bisherige An¬ 
nahme, die Aktinomykose sei eine specilische, «lutvh einen 
einzigen Organismus hervorgerufene Krankheit, falsch sei, 
irnlern eine Keihe verschiedener Erreger im Stunde seieu, das 
typische Kraukheitsbild hervorzurufen. 

Kein einziger von seinen isolirten Stämmen entspricht in 
seinem morphologischen Verhalten dem von Bo ström bosrhrit* 
lienen. Auch mit den von Israel uu«l Wolf beschriebenen 
Stämmen ist nur eine gewisse Aehnllehkeit vorhanden. Silber- 
Schmidt glaubt, schon jetzt 3 verschiedene Typen von einander 
unterscheiden zu können. 1. Aerobe, mit dem Nährboden fest 
verwachsen, Gelatine verflüssigend. 2. Aerobe, mit dem Nähr¬ 
boden nicht verwachsen, ohne Ausläufer, Gelatine nicht ver¬ 
flüssigend. 3. Anaerobe, Ausläufer in den Nährböden, kein Wacln- 
tümu auf Gelatine. Nebenbei zeigen die Stämme aber auch noch 
eine erhebliche Variabilität; so dass ihre Abgrenzung gegen 
einander schwer wird. 

Die A e t i o 1 o g i e ist immer noch dunkel. Mischt n t' c k - 
t i o u e n scheinen bei der Krankheit keine wesentliche Bolle zu 
spielen. 

2> Aldo C a s t e 11 a u i - Florenz: U9ber das Verhältniss der 
Agglutinine zu den Schutzkörpern. 

Ueber die Frage, ob zwischen der Entwicklung des A g g 1 u - 
tinations- und des 1 m m u u i s i r u u g s v e r m ö g e n s im 
lebenden Körper ein gewisser Parallelismus, der von einig« 1 !! 
Autoren angenommen wird, besteht, stellte Verfusser Versuche 
an Kaninchen au, vermochte diese Annahme aber nicht zu be¬ 
stätigen. Wohl können Tliiere, die mit Kulturen eines Organismus 
geimpft sind, in Ihrem Serum Agglutiuiue entwickeln, brauchen 
jedoch keine Schutzkörper gleichzeitig zu bilden. Es geht auch, 
falls Agglutlnatlous- und Schutz vermögen g 1 e 1 c h z e i t i g ge¬ 
bildet sind, ersteres früher verloren. 

3> Symanskl - Königsberg: Einige Desinfektionsversuche 
mit einem neuen Desinflciens „Lysoform“. 

Lysoform, dessen genaue chemische Zusammensetzung 
noch nicht bekannt g«!geben ist, scheint vor dem Lysol «len Vor- 
tliell der Ungiftigkeit voraus zu haben, wenn auch seine Des- 
iufektiouskraft die des Lysols nicht ganz erreicht. Die Versuche 
zeigten, dass Milzbrandsporen in 3proc. Lösung in 8 Stun¬ 
tion abgetödtet wurden. Staphy lococcen Im Eiter starben 
in 2 proc. Lösung in 5 Stunden. Intraperltoneule Einverleibung des 
Lysoform in kleinen Mengen tödtete die sehr empüudlicheu M eer- 
s c h w e i n c h e u. Mäuse blieben am lieben. 

4) Markl-Wieu: Weitere Untersuchungen über die Pest- 
toxine. 

Die neuen Untersuchungen M a r k l’s stimmen mit seinen 
früher gefundenen Resultaten überein und ergebeu im W«*sent- 
liclien Folgendes: In Bouillonkulturen bilden sich unter aeroben 
Verhältnissen aus frisch isolirten Pestbacterieu stets lösliche 
Gifte. Es Ist möglich, durch vorsichtige Einführung steigender 
Mengen Pestgift, Giftigkeit hei Thieren herbeizuführen. Zur Ge- 
wiimung solclien autitoxischeu Serums empliehlt sich die 3. I»is 
4. Woche nach der letzten Toxineiuspritzung. 

Immunisirt man mit abgetödteten Bacterien und 
Toxinen zugleich, so erreicht man ein antiinfektiöses 
und auch antitoxisches Serum, ln den Pestflltraten scheinen 
sich 2 verschiedene Pestgifte zu Anden, denn wenn das Filtrat auf 
70* erwärmt wird, dann ist es nur noch giftig für Ratten, Ka¬ 
ninchen und Meerschweinchen, Mäuse dagegen bleiben am Leben. 
Trotzdem sind sie miteinander verwandt. Audi mit solchen er¬ 
hitzten Filtraten lässt sich ein antitoxisches Serum gewinnen. 

5) L. Kabino witsch - Berlin: Die Infektiosität der Milch 
tuberkulöser Kühe, die Sicherstellung der bacteriologischen 
Diagnose, sowie die praktische Bedeutung des Tuberkulins für 
die Ausrottung der Bindertuberkulose. 

Nach den bisher bekannten Beobachtungen und Experimenten 
m«iss als feststehend angenommen werden, dass Tuberkelbacillcn 
durch die Milch auch übertragen werden können von solclien 
Kühen, bei «lenen es klinisch nicht möglich ist. Tuberkulose f«*st- 
zustellen. Eine Feststellung der Krankheit in so früher Zeit ge 
liugt aber durch «Ins T u b e r k u 1 i u, und daher ist es diesem 


Mittel allein Vorbehalten, über eine evenl. Infektiösiiiit der 
milchenden Kühe Aufschluss zu geben. 

Wenn da Inn- die Tub«*rkulinimpfung überall eingefülirt wird, 
und die darauf i-oagir«*ud<*n Mih-htliiere ausgesclialt«*t. werclen. 
so kann auch eine Ausbreitung der Krankheit unter anderen 
Tliieivn, z. Ii. den Seliweiiu-n, vorgehcugl w«‘rden. 

bi Bongert-Berlin: Corynethrix pseudotuberculosis murium, 
ein neuer pathogener Bacilxus für Mäuse. Beitrag zur Pseudo¬ 
tuberkulose der Nagethiere. 

Bef einer Scudi«* geringelt Umfanges fand Verfasser bei der 
Sektion der Mäuse in «len Organen knötelieiibiKleude l’roeesse vor, 
aus denen er einen sieh nach Gram färbenden Organismus iso- 
lirt«*, der sieh in sehr vielen Punkten mit «lern Pseudodipli- 
t h e r i e b a «• t e r i u m «leckt. Kr ist ebenso leicht auf den ge¬ 
wöhnlichen Nährböden züchtbar, unterscheidet sich aln*r «lurdi 
seine Patliogenität. 

Wenn Verfasser auf Grund «ler gebildeten Verzweigungen 
«len Organismus mit «lein Namen (’ o r y n «* t b r i x p s e u «i o 
tubrmilosis murium bezeichnen möchte, so scheint «las 
dem Referenten v«*rf«*hlt. da wir für diese Art Bact«*rien mit Ver¬ 
zweigungen bereits den Namen Cory liebui-tffiuiii be¬ 
sitzen. 

7) W Ilde- .München: Ueber das Verhalten der bactericiden 
Kraft des Kaninchenserums bei der Milzbandinfektion. 

Diese Arbeit wendet sieh lniui>l such lieh gegen (’ouradi's 
Auffassung, «ler im G«*geusatz zu Büchner und seinen Schülern 
den Nachweis geführt zu buben glaubte, dass durch intravenöse 
Injektion einer Aufschwemmung von Milzhmn<lbu<-iilcn die bac- 
t«*ricide Kraft des Kaniiieheiisorums lür .Milzbraiidlmeilleii nieiil 
aufgehoben w ird. 

W i 1 «1 e führte nun den Nachweis an Kaninchen, dass dann, 
wenn sich Milzhrumlhacilieu im Blut nach weisen lassen, die ba<- 
terieide Kraft desselben entweder schon ganz vernichtet oder tloeli 
in rapider Abnahme In griffen ist. Dies trifft in der Agonie zu. 
in der das Blut mit Bacillen überschwemmt ist. Ferner zeigte er. 
«lass im Blut eines Hundes sich „A n t i - K a n i u c h e u a 1 e- 
x i n" bildet, nachdem längere Zeit aktives Kanim-henserum 
injicirt wurde. Ein mit diesem Autlserum behandeltes Kaninchen 
erlag der gleichzeitigen Infektion mit wenig Milzbramlbueilleu, die 
für ein Koutroltliicr unseliädlieh war, woraus die Be«l«*utuug der 
S«-hutzstotTe auch für die Miizhi-untlinfektiou der Kuuinclien klar 
hervorgeht. 

8) Th. M i r «> n «• s c u - Berlin: Ueber das Vorkommen von 
tuberkelbacillenähnlichen Bacterien in menschlichen Faeces. 

Der säurefeste Organismus wurde im Stuhl Typhuski-aiiker 
gefunden und stimmt«* mit «l«*n schon bekannten völlig ilbei-ein. 
Selm» Pathogenität war nur gering. 

R. O. N e « in a n n - Kiel. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 29. No. 2(i. 1901. 

Enthält «las Register zu No. 2i). 

Bd. 30. 1901. Heft 2. 

1) Arthur M e y e r - Marburg: Ueber die Verzweigung der 
Bacterien. 

Verf. geht von der Ansicht aus, dass die Bacterien im System 
der Pflanzen ln die Nähe der A s c o m y c e t e u gestellt werden 
müssen und in Folge dessen von Pilzen mit verzweigten Hyphen 
absünnmen würden. Es wäre daher nicht unmöglich, dass «lic 
Fähigkeit der Verzweigung bei einzelnen Arten erhalten g<- 
blieben sei. 

Die von mancher Seite gemachte Angabe, «lie Verzweigungen 
seien nur Krankbeitserscheiuungon, sucht Meyer zu widerlegen 
durch Beobachtungen an einem sporeutrageuden Bari) 
lus —• Bacillus coliaerens Gottheil —, bei w«»loliein im 
J ugendstaiiiu in Verzweigungen b«*obachtet wurden. 

Der Versuch, durch iigeudw«*lclu* Modifikationen des Nähr¬ 
bodens diese Astbildung regelmässig zu erhalten, misslang, so 
«lass angenommen werden muss, dass innere Gründe die Zweig- 
blldung veranlassen. Vielleicht geschieht es durch irgend einen 
äusseren Reiz gerade zu einer Zeit, in welcher bei den Vorfahren 
«ler Bacterien die Bildung des verzweigt«*u Mycels statt fand. 

Da also nach Meyer die Möglichkeit vorliegt, «lass dies bei 
allen noch nicht als verzweigt bekannten Bacterien Vorkommen 
kann, so müssten alle die n 1 c h t s p o r «* n t r a g «• n d c n v «• r - 
zweigten Organismen, wie z. B. Diphtherie .amd_T«iw*rk4d«s<^' 
einfach zu der Gattung Bacterin m zu 'j-«*chii«*n sein. 

Aus praktischen Gründen scheint es aber vorläufig wohl 
noch am Platze, die verzweigten Bacterien von «len gewöhnlichen 
Stübeh<*n abzutrennen, da die Diagnose sicherlich dadurch er¬ 
leichtert wird. Siehe z. B. das Genus Aktinouiyccs: R n. 

2) E. B e r t a r e 11 i und U. (' a l a m i <1 a - Turin: Ueber die 
ätiologische Bedeutung der Blastomyceten in den Tonsillen. 

Einige Autoren haben die Blastomyceten, die häufig 
in den Tonsillen gefunden wurden, als Erreger der tonsilläreii 
Hypertrophie angesproclien, im Gegensatz zu anderen, die nur in 
«lein Vorhandensein einen zufälligen Befund erblickten. Verfasser 
untersu«-hten f>0 Tonsillen, darunter 12 normale, die übrigen waren 
hypertrophisch. Nur 4 mal gelang die Kultur, während in «len 
Sclinitfpräpara teil immer blustnmycesni-tige Gebilde gc.-ehen 
wurden. Da keiner der is«dirten Organismen besonders pathogen 
war, um! dieselben auch in normalen Tonsilleu verkommen, s«> 


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1330 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33. 


kommen die Verfasser zu dem Schluss, dass man ihnen keine be¬ 
sondere aetiologische Bedeutung beimesseu darf. 

o) 1*. Th. Müller- Graz: lieber Agglutination der Bacterien. 

Polemik gegen L ö w und E m m e r i c h, welche behaupteten, 
in alten Pyoeyaneuskulturen seien die aggiutinirendeu Substanzen 
vorgebildel, sie brauchten also nicht erst im Thierkürper gebildet 
zu werden. 

Müller glaubt dagegen, dass die Bodensatzbildung in allen 
Kulturen nichts mit echter Agglutination zu thun hat. 

K. O. N e u m a n n - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. tUUl. No. 31. 

1) E. M e y e r - Tübingen (Kiel): Zur Klinik der Puerperal¬ 
psychosen. 

Referat cfr. pag. SOS der Müneli. med. Wochensehr. l'JOl. 

2) M. T li i e m ich- Breslau: Ueber Enuresis im Kindesaiter. 

Verl', verwirft die Anschauungen, welche die Enuresis als 

aus einer Muskelschwäche stammend Itetracliteu, oder sie über¬ 
haupt als ein lokales Leiden auffassen. Nach seiner Ansicht ist 
die Erkrankung durchaus als ein Symptom der Hysterie au- 
zuseheu. l>ie meisten an Enuresis leidenden Kinder stammen von 
neitrupathisehen Eltern ab, bei den Kindern selbst können nicht 
selten andere hysterische Stigmata aufgefunden werden; ein 
weiterer Beweis für die hysterische Natur ist das öfters zu be¬ 
obachtende Auftreten in Epidemien; auch die Erfolge der Therapie 
sind am besten zu verstehen, wenn eine zugrundeliegende Hysterie 
in Rechnung gesetzt wild. Am besten bewährt sieh therapeutisch 
die Entfernung aus der gewohnten Eingebung, die lsoliruug der 
erkrankten Kinder, namentlich die schmerzhafte Kanalisation. 
Hie Erfolge anderweitiger Therapie sind fast stets mit Suggestion 
zu erklären. 

3) A. 1) ü h r s s e n - Berlin: Zur Priorität des vaginalen 
Kaiserschnitts. 

Aufreclithaltung der Priorität der genannten Operation geg< n- 
iibor Ae eo n ei; zum Referate sieli nicht eignend. 

4 ) K. M a r t i u s - Rostock: Das Vererbungsproblem in der 
Pathologie. 

Gegenüber den populären Vorstellungen über die Vererbung, 
sowie den extremen Kordelungen der Rnssehygieniker, welche be- 
liuls Verminderung weiterer Degeneration des menschlichen Ge¬ 
schlechtes bis zu dem Verlangen Notgedrungen sind, alle Degeiie- 
i'irten der Nachkommenschaft halber zur Kastration zu verur- 
theilen, erörtert M. unsere wirklichen Kenntnisse über die Vor¬ 
gänge und Gesetze der Vererbung, welche eben noch lange nicht so 
weit gediehen sind, um derartige Korderungen als irgendwie be¬ 
rechtigt erscheinen zu lassen. Die jetzigen Kenntnisse zeigen, 
dass Spermatozoon und Eizelle hinsichtlich der Vererbung gleich- 
massig in Rechnung gezogen werden müssen. Verl, glaubt per¬ 
sönlich an die Möglichkeit einer allerdings äusserst langsam 
wirkenden Artabwandlung durch Zuerwerb neuer günstiger oder 
ungünstiger vererbbarer Eigenschaften. Kür die Frage der Ver¬ 
erbung ist vor Allem die Benutzung einer neuen Wissenschaft - 
lieheu Statistik, besonders der wissenschaftlichen Genealogie, 
uötliig, wie eine solche durch Lorenz jetzt in’s Lehen gerufen 
worden ist. Bezüglich der interessanten Einzelheiten wird auf 
das Original verwiesen. 

5) R. V 1 r c h o w - Berlin: Ueber Menschen- und Binder- 
tuberkulöse. 

V. constatirt zunächst, dass die K o o h • S e h ii t z'sehen 
Präparate durthun, dass Infektionsmassen, die mit grosser Vor¬ 
sicht aus menschlichen Schwindsuchlsprodukten gewonnen waren, 
bei den Versuehsthieren keine mit Perlsuclit vergleichbaren Er¬ 
scheinungen hervorgerufen haben, ln den Behauptungen darüber, 
wie selten Kindertuberkulose auf Menschen übertragen werde, ist 
K o e h nach Verf. wohl zu weit gegangen. Dass Rinder- und 
Menschentuberkuiose sieh von einander unterscheiden, hat V. 
schon vor Jahren angegeben. Nach V’. soll nichts Tuberkulose 
genannt werden, was nicht die pathologisch-anatomisch dilfereii- 
zirteu Tuberkel darbietet. Das Vorhandensein der Tuberkel- 
bacillen allein kann nach V. nicht als maassgebend bezeichnet 
werden. Die Bacteriologeii vernachlässigen vor Allem auch den 
l'instand, welche Quantität von Infektionsmaterial aufgeuommcii 
werden muss, um zu einer Infektion zu führen. 

Grassmanu- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg. No.l 5 

Armin H u b e r - Zürich: Ueber Irrwege bei der Diagnose 
der Perityphlitis. (Vortrag, gehalten in der Frühjalirsversamm 
Ring l'.*ol der Gesellschaft der Aerzte des Kantons Zürich.) Schluss 
folgt. 

H. v. \V y ss -Zürich: Ein ärztliches Votum zum Gesetz¬ 
entwurf des schweizerischen Civilgesetzbuchs. 

Zu einem kurzen Referat nicht geeignet. 

P i s e h i n g e r. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 31. 1) K. Bild Inger: Ueber die Ausscheidung des 

Chloroforms aus den Bespirationsorganen. 

Mittels eines einfachen Apparates, dessen Schema im Original 
eingezeichnet ist, hat Verf. den Chloroformgehalt der Exspiratious- 
luft bei Operirten untersucht, mit Hilfe der Isocyauphenylprobe. 


Es zeigte sich, dass in der Regel die Exspirationsluft dur**li 
24 Stunden und länger Chloroform enthält, ln einigen Fällen 
konnte es mehrere Tage lang nachgewiesen werden. Das Sputum 
scheint besonders geeignet, das Chloroform zurüekzuhalten. Auf 
dies lauge Verweilen des Chloroforms, l>e sonders im Schleim, ist 
auch wohl l'ebeisein und Erbrechen zurüekzuführen. Der Ein 
athmting von Essig kann ein Nutzen nicht zugesprochen werden. 

2) R. Krau s-Wien: Ueber das Vorkommen der Immun- 
haemagglutinine lind Immunhaemolysine in der Milch. 

Aus der Arbeit seien folgende Schlusssätze augeführt: Immun 
hacniolysine küuneii iu der Milch der Immuntliiere, in deren 
Serum Iinmuiiliaemolysin vorhanden ist, nicht nachgewiesen wei¬ 
den. Immunhaemagglutinine werden durch die Milchdrüse aus 
geschieden; Immunhaemolysine werden durch die Milchdrüse uml 
durch die Niere nicht ausgeschiedeii; dieselben können durch die 
Muiter auf die Jungen übertragen werden; Immunhaemagglutinine 
werden durch die Säugling nicht übertragen. 

3) A. K r o k i e w i c z - Krakau: Beitrag zur Lehre vom 
Aneurysma aortae. 

Verfasser bespricht die Symptomatologie beim verschiedenen 
Sitze des Aortenaneurysmas und berichtet daun über einen, eineu 
•17 jährigen Mann betreffenden Fall, bei dein die Annahme, dass 
ein Aneurysma des rechten Vorhofes vorliege, aus verschiedenen 
Gründen nahelag. während die eingehende Analyse zeigte, dass 
ein am Bulbus, knapp oberhalb der Kluppen sitzendes Aneurysma 
der Aorta nse. vorliegen müsse, das sich im Herzbeutel und über 
den rechten Vorhof ausgebreitet, haben musste. Die Sektion be¬ 
stätigte diese Annahme. Aetiologiseli kommt Lues in Betracht: 
Gclatincinjcktiouon nützten iu dem mitgetheilten Falle nichts. 

4) G. Kaiser: Vorläufige Mittheilung über einige kleinere 
Neuerungen auf dem Gebiete der Photographie und Therapie 
mit Böntgenstrahlen. 

Verfasser berichtet kurz über Anwendung eines Bleitrichters 
zum Konzentriren der Strahlen und die Benützung farbiger 
Röhren, durch welche eine Keizerscheiuung der Haut vollkommen 
vermieden werden soll. Grass in a ti n - München. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 30 u. 31. E Ii r m a n n - Wieu: Erfahrungen über die 
therapeutische Wirkung der Elektricität und der X-Strahlen. 

Das elektrolytische Verfahren, welches bei richtiger Anwen¬ 
dung nur auf die Papille und Haarscheiden beschränkt werden 
kann und keine Narben lässt, ist bei der Behandlung kleiner Naevi 
und umschriebener 11 ypertrichosis Immer noch das empfehlen*- 
worthere Verfahren, bei grossen Naevis und ausgedehnter Hyper 
trieliosis wird man die rascher wirkeude Röntgenbehandlung vor- 
zieheu. Schmerzhaft ist die letztere nicht weniger als das elek¬ 
trische Verfahren, ausserdem ist die Möglichkeit torpider Ge¬ 
sell wil re wohl zu bedenken. 

No. 30 u. 31. L. G 1 ü e k - Sarajevo: Ueber den. leprösen 
Initialaffekt. 

Für «lie Annahme H a n s e n s und M U n c li's, dass die Lepra, 
wie die Syphilis, von einem Primäraffekt ihren Ausgang nimmt, 
mehren sieh die beweisenden Beobachtungen. 

So hat man eine Hebertragung der Lepra gelegentlich der 
Vaeeiiuition gesehen, in Niederländisch Indien soll iu vielen Fällen 
die erste Infektion an den Füssen gelegentlich kleiner Verletzungen 
zur Entwicklung kommen. Der bei l^epra häutig verkommenden 
NaseiHTkraiiktmg misst Verfasser nicht die weittragende, auch 
aetiologische Bedeutung bei, wie Stick er, hat. aber gleich diesem 
einen Fall beobachtet, wo mit aller Wahrscheinlichkeit wirklich 
ein Primiiraffekt in der Nase bestand. Oft bilden einzelne rotlu* 
Flecken der Haut, welche zu anacsthetisehen Plaques werden, 
anseheinend die erste Lokalisation der Krankheit. Die Versuche, 
durch operative Entfernung des Primäraffektes die Lepra zu 
roupiren, waren bisher erfolglos, doch ist noch nicht feststehend, 
dass eine Aligeuieininfektion jedesmal schon vorliegt, wenn der 
Primäraffekt manifest wird. 

No. 25- 31. A. L u r 1 a - Chicago: Die Bedeutung der Narkose 
in der modernen Chirurgie. 

Zu kurzem Referat uieht geeignet. 

Wiener medicinische Fresse. 

No. 30. M. B o n d 1 - Iglau: Ueber die Indikationen zur 
Operation des Altersstaares. 

Mit Bezug auf die Bedürfnisse der Praxis fasst B. seine An¬ 
sicht wie folgt zusammen: Eine im Anatomischen reife Cataracta 
hat iu der Regel nicht als operationsreif zu gelteu, wenn das audere 
Auge noch normale oder fast genaue Sehschärfe hat. Eine (’ata- 
racta ist erst operationsreif, wenn am besseren Auge die Seh¬ 
schärfe weniger als Mi beträgt, es ist aber dann nicht uothwendig. 
dass die Linse schon ganz undurchsichtig geworden ist (ana¬ 
tomische Reife). 

No. 2« u. 30. H. Goldman: Die Behandlung der N 
Lungentuberkulose mit Ammonium sulfoichthyolicum, combi- / 
nirt mit Creosotum carbonicum. 

Bei Darreichung von „Ichtliosot‘*pi!len (je 0,10 Ammon, sulfo- 
ichth. und 0,4 Creosot.. carhon.), von 3 bis auf 12 Stück 
pro Tag steigend, sah Goldman bei einer grösseren Zahl 
von Kranken recht befriedigende Ergebnisse bezüglich Hebung 
des Allgemeinbefindens, wie auch Rückgang der objektiven und 
subjektiven Lungenerscheinungen. 


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13. August 1901. 


MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1331 


No. 31. Stuparich - Triest: Degeneratio cerea musculi 
pectoralis majoris d ex tri traumatica. 

Im Gegensatz zur Infektiösen Ist die traumatische Form der 
Erkrankung viel seltener. Ein 47 jähriger, übermässig ange¬ 
strengter Arbeiter erkrankte unter lebhaften Schmerzen ln der 
rechten Brustmuskulatur an einer ln der vorderen Grenze der 
Achselhöhle sitzenden Geschwulst. Eine Probelnclslon führte zu 
der Diagnose, welche auch mikroskopisch festgestellt wurde. Nach 
einigen Wochen trat bedeutende Besserung ein. 

Prager medicinische Wochenschrift. 

No. 30 u. 31. L. S c h w a r z - Prag: Zur Behandlung des 
Coma diabeticum. 

Bel einem Kranken der Pribra m’schen Klinik gelangten 

3 typische Komaanfälle zur Beobachtung, von denen 2 nach ziem¬ 

lich kurzer Dauer sich ausglichen, nach Verfassers Uoberzcugung 
Dank der Therapie, welche in der Darreichung von 70 bezw. 50 g 
neutrallslrter Gluconsäure (gluconsaureu Natrons) bestand. 
Zwischen den Anfällen erhielt Patient reichliche Mengen Natr. bi- 
carb., 20—30 g täglich. Dem dritten Anfälle, bei dem grosse Soda- 
nrengen gegeben wurden, aber keine Gluconsäure, da der Vorrath 
ausgegangen war, erlag der Kranke. An demselben war ferner 
zu beobachten, dass während des Komas eine bedeutend (bis zum 
Vierfachen) vermehrte Acetonausscheidung durch die Athmung 
stattfand. Auf Zufuhr von Butter, Speck oder Kindsfett stellte 
sich mit Regelmässigkeit eine ganz erheblich vermehrte Aceton¬ 
aasfuhr ein. Bergeat- München. 

Oti&trie. 

Franz Alexander: Anatomische Untersuchungen über 
Geschwülste des äusseren Ohres. Mit 3 Abb. (Univ.-Ohrenkl. 
Strassburg.) (Zeltsehr. f. Ohrenheilk., 38. Bd., 4. Heft.) 

Genaue histologische Untersuchung von 3 Fibromen, 1 tuber¬ 
kulösen Granulationsgeschwulst, 1 Angiom, 3 Endothellomen, 
5 Carclnomen und 1 Atherom. Die meisten Fälle sind auch kli¬ 
nisch beobachtet. 

O. K ö rn e r-Rostock: Küstenklima und Hyperplasie der 
Hachenmandel. (Ibid.) 

Die neue Untersuchungsreihe bestätigt das Ergebniss der 
früheren, dass adenoide Vegetationen am Meere beträchtlich 
häufiger Vorkommen als im Binneulande. Die Kinder mit 
adenoiden Vegetationen nahmen in dem Seehospitz weniger an 
Gewicht zu als die anderen. Desshalb sollten sie vorher operirt 
werden. 

Ernst Barth- Brleg: Zur Kasuistik der Mastoidopera- 
tionen bei konstitutionellen Krankheiten. (Ibid.) 

I. Fall von Diabetes bietet nichts Besonderes. II. Fall von 
Gicht. Einen Tag nach der Aufineisselung des Warzentlieils 
bei akuter Mitteluhreiterung trat unter hohem Fieber ein Gicht¬ 
anfall im Gelenk der grossen Zehe und gleichzeitig Entzündung 
der Umgebung der Wunde ein, welche überaus schmerzhaft war 
und mit der Gelenkaffektion zurückging. Im Verlaufe der nächsten 
Woche noch zwei Gichtar.fälle mit Infiltration der Umgebung der 
Wunde. III. Ein neuer Fall von tuberkulöser Mittelohreiterung 
mit Ausgang in Heilung. Verschluss der Trommelfellperforation. 
Hörweite für Flüstersprnche 6 m. 

Fr. B e z o 1 d - München: Ueber Fehlerquellen bei der Unter¬ 
suchung des Taubstummengehörs. Nachträge zum „Hörver¬ 
mögen der Taubstummen“. (Ibid.) 

Die Hörprüfung g( hört zu den schwierigsten Aufgaben des 
Ohrenarztes. Besonders schwierig gestaltet sie sich bei der Unter¬ 
suchung der Taubstummen. B e z o 1 d macht auf die Fehler¬ 
quellen aufmerksam, welche sich einschleichen können und bei 
einigen Untersuchern thatsäclilich eingeschlichen haben, und 
gibt Rathschläge zu ihrer Abhilfe. 

Paul M a n a s s e: Zur pathologischen Anatomie des inneren 
Ohres und des Hörner 7en. I. Mittheilung. (Univ.-Ohrenkl. Strass¬ 
burg.) (Ibid., 39. Bd., 1. Heft.) 

Fall I. Ertaubung eines 43 jährigen Phthisikers. Multiple 
graue Degenerationsberde im Nervus acusticus beiderseits bei in- 
tactem Labyrinth und Mittelohr. 

Fall II. 35 Jahre alter Luetiker. Seit Jahren beiderseits ner¬ 
vöse Schwerhörigkeit. Periostitis chronica des Labyrinthes und 
Lymphome im Nervus acusticus beiderseits. Die Schwerhörigkeit 
war mässig gewesen, so dass der Patient seine Funktion als 
Militärbeamter bis zu seinem Tode hatte ausüben können. 

Georg Kien: Ueber Retropharyngealabscesse nach eitriger 
Mittelohrentzündung. (Aus derselben Klinik.) (Ibid.) 

4 Fülle dieser seltenen Komplikation, 3 durch akute, 1 durch 
chro : sehe Mittelohreiterung (Nekrose) hervorgerufen. In einem 
Falle- bestand ausserdem noch eiu Senkungsabscess hinter dein 
Muscul. stemocleldomast. Ein Fall war kompllzirt mit gangmcncs- 
cirender Pneumonie. Es kann hohes Fieber bis 40 u bestehen, 
bevor die Schwellung im Rachen zu sehen ist. Die Behandlung 
bestand in Aufmrisseluug des Warzentlieils und Erweiterung der 
Coinimmfcntion zwischen demselben und dem Retropharyngeal- 
ahscoss, sowie in Eröffnung des letzteren vom Rachen aus. Alle 

4 Frille sind geheilt. 

Herinanu Preyslng: Neun Gehirnabscesse im Gefolge von 
Ohr- und Naser.erkrankungen. (Univ.-Ohrenkl. Leipzig.) (Arch. 
f. Ohrenheilk., 51. Bd., 4. Heft.) 

Auf Grund von 8 otitiseben und 1 rhinitisclien Ilirnabscess 
bestätigt Preyslng den K ö r n e r'sehen Satz, dass in der Regel 
Veränderungen in der Dura über den Mittelohrrüumen vorhanden 
Bind, und räth dementsprechend, bei Verdacht auf Ilirnabscess die 


Dura genau abzusuchen und die Eröffnung von der Operations- 
wuude aus vorzunehmen, wie dies bereits von verschiedenen Opera¬ 
teuren empfohlen ist. 

B e z o 1 d: Weitere Bemerkungen über „die bei der akuten 
eitrigen Mittelohrentzündung vorkommenden Trommelfell- 
zapfen, deren Therapie und histopathologische Struktur“. (Ibid.) 

Die mammaähnlichen ‘Wucherungen sind immer central per- 
forirt. Sie bestehen aus Granulationsgewebe und sind zum Theil 
mit Epidermis überzogen. Die Hauptmasse des Granulations¬ 
gewebes wird von der gewucherten Schleimhautschicht des 
Trommelfells geliefert, doch betbeiligt sich an seiner Bildung wahr¬ 
scheinlich auch dessen Cntisschicht Die central perforirten 
Wucherungen entstehen nur bei gesundem Organismus und zwar 
meist bei spontanem Durchbruch im hinteren oberen Quadranten 
des Trommelfells, wenn die Eiterung stark und anhaltend ist. Da 
die Wucherung zwar an und für sich ein Heilungsvorgang ist. 
aber im vorliegenden Falle den Ausfluss des Sekretes hindert, wird 
sie mit der Schlinge abgetragen. Eventuell wird eine zweite Oeff- 
nung im hinteren unteren Quadranten angelegt. 

Victor Hammerschlag: Die rheumatischen Affektionen 
des Gehörnervenapparates. (Ibid.. 52. Bd., 1. u. 2. Heft.) 

12 Fälle aus der Literatur und 2 eigene, bei denen nach Er¬ 
kältung eine Affektion des Hörnervennpparates tlieils isolirt, tbeils 
in Verbindung mit Facialis- und Trigeminuslähmung eintrat. Die 
Affektiou kann zurilekgeben. Die anatomische Grundlage ist un¬ 
bekannt. 

F. Grossmann: Ueber den Einfluss der Radikaloperation 
auf das Hörvermögen. (Univ.-Ohrenkl. Berlin.) (Ibid.) 

Von 212 Ohren hörten nach der Radikaloperation mit Extrak¬ 
tion der beiden grösseren Gehörknöchelchen 44 Proc. besser, 
24 Proc. schlechter und 32 Proc. unverändert. Ist das Hörvermögen 
vor der Operation sehr herabgesetzt, und sind Hindernisse für die 
Schallleitung (Polypen u. s. w.) vorhanden, so ist eine Besserung 
zu erwarten, ist das Gehör noch relativ gut und besteht kein 
Hinderniss für die Schallleitung, so ist eine Verschlimmerung zu 
befürchten. 

Bei 4 Fällen mit Erhaltung der Köchelcheu war das Resultat 
für das Gehör günstiger, ebenso bei denjenigen doppelseitigen 
Fällen, bei welchen die nichtoperirte Seite durch konservative Be¬ 
handlung geheilt wurde, auf der nlchtoperirten Seite. 

Max G o e r k e: Pathologisch-anatomische Untersuchungen 
von Ohrpolypen. (Abth. f. Ohrenkranke u. s. w. im Allerheiligen- 
Hospitale Breslau.) (Ibid.) 

Auf Grund der genauen Untersuchung von ca. 200 Ohrpolypen 
wird der Gegenstand erschöpfend behandelt. Zu kurzem Auszug 
nicht geeignet. Zur Literatur sei bemerkt, dass auch der Referent 
einige Fälle von Ohrpolypen mit Haaren beschrieben hat. ln 
einem Falle G o c r k e's fanden sich als Uuieuin bei intaktem 
Trommelfell Im Innern der entzündeten Mittelohrachleimhaut 
Cholesteatomlamellen. Bezüglich der Genese dieses Falles sei 
darauf aufmerksam gemacht, dass aus der B e z o 1 d’sehen Klinik 
ein Fall von Cholesteatom des Mittelohres mitgetlieilt worden ist, 
bei dem die Trommelfellperforation sich nachträglich ge¬ 
schlossen hat. 

Hölscher: Kann die mögliche Insufficienz der gesunden 
Vena jugularis interna eine Gegenindikation gegen die Unter¬ 
bindung der erkrankten bei otitischer Thrombose des Sinus 
sigmoideus bilden? (Univ.-Ohrenkl. Tübingen.) (Ibid.) 

L i n s e r hat auf Grund von 2 Todesfällen nach einseitiger 
Unterbindung der Drosselvene bei Operationen am Halse betont, 
dass die Jugularisunterbindung bei zu grosser Enge der anderen 
Jugularis gefährlich ist und durch Hirnoedem zum Tode führen 
kann. Unter 1022 von ihm untersuchten Schädeln bestand eine ab¬ 
solute Enge des Venenlochs — d. li. dasselbe war 3—4 mal enger 
als das der anderen Seite — 29 mal. 

Bei den Ohroperationen ist die Gefahr gering, weil der Hirn- 
druck in Folge vorheriger Eröffnung des Schädels nicht so sehr 
ansteigen kann. Bel tlirombosirtem Sinus ist ein Einfluss über¬ 
haupt nicht vorhanden. 

Victor Ham merschlag: Zur Kenntniss des otitischen 
Himabscesses. (Univ.-Ohrenkl. Wien.) (Monatsschr. f. Ohrenheilk. 
1901, No. 1.) 

H. hat die Statistik R ö p k e’s vom Jahre 1898 (142 Fälle) aus 
der Literatur um 53 Fälle vermehrt und kann im Allgemeinen die 
bisher bekannten Thatsachen in Bezug auf Alter, Geschlecht des 
Patienten und Symptomatologie bestätigen. Betreffs der Aetiologie 
stellt er fest, dass die Abscesse bei akuter Mittelohreiterung häuti¬ 
ger sind, als man früher nnnnlnn (25 Proc. aller Fälle), und dass 
überraschender Weise die Prognose bei der akuten Eiterung 
schlechter ist, als bei der chronischen. Die Prognose ist günstiger 
bei der Eröffnung vom Warzenfortsatze als von der Schläfen¬ 
schuppe aus und am günstigsten hoi Eröffnung von beiden Stellen 
aus, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Anzahl der nach 
der letzteren Methode operirton Fälle (18» noch klein ist. 

D. II e 1 m a n n - Warschau: Ueber die Bedeutung des Bacillus 
pyocyaneus bei der Entstehung der „primären croupösen Ent¬ 
zündung“ des äusseren Gehörganges, zugleich ein Beitrag zur 
Kenntniss der pathogenetischen Wirkung dieses Mikroorganis¬ 
mus. (Privatklinik des l)r. Guranowski.) ilbid. No. 3.» 

In den 3 untersuchten Fällen fand sich der Bacillus pyo- 
cyaiieus. II. nimmt au, dass dieser Bacillus die Ursache der Otitis 
oxt. erouposa ist. Nach den Untersuchungen des Referenten aber, 
welche dem Verfasser entgangen sind, kann diese Krankheit auch 
durch andere Mikroorganismen hervorgenifen werden. 

Albert Bing-Wien: Ueber Schallleitung und deren Be¬ 
ziehung zur Hörprüfung mit Uhr und Stimmgabel. (Ibid., No. 5.» 


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1332 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33. 


Biug sucht zu beweisen, dass die Knoclieuleitung nicht 
crnniotymimnal, sondern molecular ohne Vermittlung des Sebull- 
leitungwippurates stattiindet. Zur Erklärung des Webe r'scben 
Versuches (Lateralisiruug vom Scheitel nach dem verschlossenen 
Ohre) halt er nur die M a c h*8che Theorie vom behinderten Sehall- 
abilusN für plausibel und bekämpft die B e /. o 1 d'sche von der 
Fixirung des Sehallleitungsapparates. Gegen die letztere führt er 
au, dass der Weber'aclie Versuch auch gelingt., wenn mau die 
Muschel nur mit der llolilhand uinschlicsst, wobei es nicht zur 
Spannung der Gehörkuöchelchenkette komme, Referent kann 
diese Angabe nicht bestätigen uml findet im Gegentheil, dass der 
Ton abgeschwä<‘ht wird, wenn man die Muschel z. B. mit einem 
Trinkglas umschliesst. 

Gegen die Z i m ui e r m a n n'sche Theorie, dass die Gehör¬ 
knöchelchen nicht zur Fortpflanzung des Schalles, sondern zur 
Accomniodation dienen, spreche unter anderem die gros.su rtigc 
Leistung des riionograplien. 

A. .1 urasz- Heidelberg: Ein Schleimpolyp, ausgehend vom 
rechten Tubawulst. (Ibid., No. <!.) 

Diese Lokalisation ist bisher noch nicht beobachtet worden. 

.1. II erzfei d- Berlin: Ein neuer Trepan zur Exci9ion eines 
Trommelfellstücks (Myringektomie). (Ibid.) 

Das Instrument ist bei W i n d 1 e r in Berlin zu beziehen. Die 
Operation ist ohne Narkose kaum auszuführen. 

S e li e i l» e - München. 


Vereins- und Congressberichte. 

Der Tuberkulose-Congress in London. 

Von Dr. J. Meyer, Vol.-Arzt der II. med. Universitätsklinik 

in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

II. 

II. Brouardel: Die von den verschiedenen Mächten 
ergriffenen Mittel zur Bekämpfung der Tuberkulose. 

Es steht fest, dass die Tuberkulose vermeidbar und in den 
Frühstadien heilbar ist. So überzeugt die Aerztewelt von dieser 
Thatsache auch ist, kann die Allgemeinheit daraus nur Nutzen 
ziehen, wenn diese Wahrheit Allgemeingut geworden. Die Ver¬ 
breitung dieser Keuntniss ist eine der Hauptaufgaben der Tuber¬ 
kulosebekämpfung. Die „National Association of Prevention of 
Consumption etc.“ hat in England zu diesem Zwecke Flug¬ 
blätter in ungeheuerer Zahl vertheilt („Milch und Tuberkulose“, 
„Frische Luft und Ventilation“ etc.); in Deutschland wer¬ 
den diese Bestrebungen besonders von Ilcilstättenvereinen ver¬ 
wirklicht; in Norwegen, Belgien und anderen Ländern hat man 
denselben Weg betreten. In den Vorträgen, Broschüren etc. soll 
aber nicht nur die von Schwindsüchtigen ausgehende Gefahr aus- 
einnndergesetzt, es soll vielmehr gleich gezeigt werden, 
dass unter Innehaltung gewisser Maassregeln der Umgang mit 
einem Tuberkulösen gefahrlos ist. Man soll keine „Tuberculo- 
phobie“ züchten. 

L>ie Gefahr ist der Auswurf des Kranken, und alle Maass¬ 
regeln müssen in erster Linie darauf gerichtet sein, diese In¬ 
fektionsquelle zu eliminiren; in Amerika, in Sydney und an 
anderen Orten ist man mit harten Gesetzen vorgegangen, in 
Europa ist man weniger streng. 

So unschädlich ein in einem zweckmässigen Spucknapfe auf- 
gefnngener Auswurf, so gefährlich ist derselbe, wenn er, nuf die 
Erde geworfen, eintrocknet und verstäubt; doppelt gefährlich, 
wenn in den dunkeln, überfüllten Räumen der Armen das Sonnen¬ 
licht die Bacillen nicht vernichten kann. Darum helle, genügend 
geräumige Wohnungen für die unteren Klassen! Hier muss die 
scciale Gesetzgebung wie die private Unternehmung helfen. In 
England sind in der That seit 1851 in diesem Sinne eine Reihe 
von Gesetzen erlassen und durchgeführt worden, und ähnliche Be¬ 
strebungen machen sich in anderen Ländern geltend. 

Die unhygienischen Verhältnisse der Wohnungen rufen nicht 
nur durch Infektion Erkrankungen an Schwindsucht hervor, sie 
leisten auch der Verbreitung der Krankheit dadurch Vorschub, 
dass sie die in den dunkeln Räumen aufwachsenden Kinder zur 
Tuberkulose prädisponiren: 

„On n c na i t p a s t u b e r c u 1 e u x, m a i s t u ber¬ 
eu 1 i s a b 1 e!“ 

Die dürftige Wohnung verleidet dem Familienvater den Auf¬ 
enthalt in derselben während seiner freien Stunden, die schlechte 
Wohnung ist der Agent der Kneipe, die Kneipe der Agent der 
Schwindsucht! 

Tn der Tliat beweisen die Statistiken aller Länder, dass die 
Alkoholisten einen grossen Theil der Tuberkulösen ausmaeheu. 


Der Kampf gegen den Alkoholismus, die Verbreitung der Kennt- 
niss von der Gefahr des Alkohols ist eine wesentliche Waffe in 
unserem Kampfe. 

Aber die socialen Bedingungen verlangen, dass der Einzelne 
nicht nur zu Hause, auch bei der Arbeit und beim Aufsuehen der¬ 
selben mit vielen Anderen, zum Theil Schwindsüchtigen zu- 
summenkoinmt. Bisher sind noch Arbeitsräume, Schule, Kaserne, 
Bureau, Wagen, Eisenbahn, Hotel ergiebige Infektionsgelegeu- 
heiten. 

„Diese Gefahr des gemeinsamen Lebens ist der Tribut, 
welchen wir für die Fortschritte der Civilisation zahlen müssen.“ 
Dagegen wappnen kann man sich durch allgemeine Stärkung des 
Körpers (Seehospitäler, Arbeitergärten). 

Um den grossen, von Seiten der Milch und des Fleisches perl- 
siiehtigen Rindviehes herrührenden Gefahren vorzubeugen, muss 
durch gesetzliche Ueberwachung des Schlaehtgewerbes und des 
Milchvertriebes das Volk beschützt werden, wie dies auch schon 
zweckmässig in den verschiedensten Ländern durchgefiihrt wird. 

Neben der Vorbeugung der Tuberkulose ist die Behandlung 
derselben und die Frage ihrer Heilbarkeit von besonderer Be¬ 
deutung. Schon ITippokrates hat gesagt, in ihren frühen Stadien 
ist die Schwindsucht heilbar, und es ist wichtig, dass die Aerzte- 
schaft von der Wahrheit dieses Wortes durchdrungen werde. 
Sodann müssen die Acrzte diese Ueberzcugung auch auf die von 
ihnen behandelten Patienten übertragen. Den an beginnender 
Lungentuberkulose leidenden Kranken soll das Wesen ihres 
Leidens fürderhin nicht mehr verheimlicht, sie sollen vielmehr 
darauf aufmerksam gemacht werden, dass bei einer frühzeitigen 
Behandlung ihrer Krankheit ihre Gesundheit völlig wiederher¬ 
gestellt würde. 

Um nun die Frühdiagnose der Lungentuberkulose in der 
grossen Masse des Volkes stellen zu können, ist eine Einrichtung 
von besonderer Bedeutung. Es müssen in allen grossen Orten, 
wie es zum Theil in Deutschland schon geschehen ist, Polikliniken 
für Tuberkulöse errichtet worden, für deren Gründung und Be¬ 
trieb besondere Vereine und Philanthropen zu sorgen haben. Aehn- 
lich wie in Deutschland ist in Lille durch Herrn Calmette 
ein „Dispensaire antituberculcux Emile Roux“ errichtet worden. 
Aehnliehe Bestrebungen machen sich in Paris und in anderen 
Städten geltend. 

Unter den in die Poliklinik kommenden Patienten müssen 
diejenigen, welche für Iloilstättenbehandlung geeignet sind, aus- 
gefucht und in Heilstätten gesandt werden. Brouardel schil¬ 
dert nun genau die in Deutschland durchgeführte Organisation 
der Heilstättenbewegung und im Anschluss daran gibt er eine 
Uebersicht über die in anderen Ländern bestehenden Heilstätten. 

Zum Schlüsse weist er auf die Wichtigkeit der Maassregeln 
in öffentlichen Anstalten und im Verkehrsleben hin (Anzeige- 
pfiieht, Desinfektion). 

G e r h ard t dankt dem Redner für seine Ausführungen über 
die Ursachen und die Hllfsursaehen der Lungentuberkulose und 
erklärt, dass Grossbritunnlen auf dem Gebiete der öffentlichen 
Gesundheitspflege allen anderen Ländern voranscbreitet. 

III. McFadyean: Tuberkelbacillen in der Kuhmilch V 
als Infektionsquelle für die Tuberkulose des Menschen. 

In dem ersten Theil seiner Ausführung tritt McE adyenn 
den Behauptungen Koch’s entgegen. 

Koch hat etwa Folgendes gesagt: Die bei Rindertuberkulose 
gefundenen Bacillen sind virulenter für das Rindvieh als die 
Tuberkelbacillen des Menschen. Die Differenz ist so ausge¬ 
sprochen, dass man sie differentialdiagnostisch zur Bestimmung 
der Ai*t des Bacillus benutzen kann. Wenn die Bacillen der 
Rindertuberkulose beim Menschen Tuberkulose erzeugen würden, 
so müsste ein grosser Theil der Milch und Butter perlsüchtigen 
Viehes geniessenden Menschen an primärer Darmtuberkulose er¬ 
kranken. Da letztere Krankheit jedoch äusserst selten ist, so 
kann man in praxi von der Uebortragbarkoit der Rindertuberku¬ 
lose auf den Menschen Abstand nehmen, und Maassregeln zur 
Eliminirüng dieser Infektionsquelle sind unnöthig. 

Gegen diese Behauptungen erwidert McFadyean Fol¬ 
gendes : 

Wahrscheinlich halten die Tuberkelbacillen des Menschen eine 
geringere Virulenz als die des Rindes und werden daher letzteres 
nicht leicht infiziren können. Nun ist aber der Tuberkelbacillus 
des Rindviehs nicht nur für das Rind, sondern auch für eine 
grosse Reihe anderer vierfüssiger Säugethiere (Pferd, Hund, 
Schaf etc.) virulent, und da die Erfahrung lehrt, dass, wenn der 


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13. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1333 


Bacillus eines Thicres nicht nur für dieses Thier, sondern auch für 
eine grosse Reihe anderer Thiere virulent ist, dass dann derselbe 
auch bei Menschen die betreffende Krankheit hervorruft, so ist 
es auch sehr wahrscheinlich, dass der Bacillus der Rindertuber¬ 
kulose auch bei Menschen krankheitserregend wirkt. 

Sodann ist es absolut noch nicht sicher gestellt, dass der 
Bacillus der Rindertuberkulose einen anderen Yiruleuzgrad be¬ 
sitzt, als derjenige der menschlichen: denn einmal ist es leieht 
möglich, dass der Rinderbacillus beim Passiren des menschlichen 
Körpers an Virulenz verliert und zweitens besteht schon zwischen 
den Bacillen einer einzigen Art eine grosse Differenz in Bezug 
auf ihre Virulenz. 

Was nun die Frage der primären Darmtuberkulose betrifft, 
so weicht die englische Statistik von der seitens Koch citirten 
darin ab,, dass man solche Infektionen in etwa 29 Proc. der Fälle 
gefunden hat. 

Zweitens lässt sich sehr oft bei der latenten Entwicklung 
und dem schleichenden Verlauf der Krankheit die primäre In¬ 
fektionsstelle nicht mehr feststellen, und drittens ist man all¬ 
gemein gewöhnt, alle Fälle der bei Kindern so häufigen Tabes 
mesenterica auf den Genuss von bacillenhaltiger Milch 
zurückzuführen. 

Zusammenfassend äussert sich der Redner folgendermaassen: 
„Die Grösse der Gefahr kann nicht dadurch festgestellt werden, 
dass man etwa konstatirt, wie viel Menschen auf dem eben ge¬ 
nannten Wege jährlich infizirt werden, oder wie viel Procent der 
Menschen, welche überhaupt an Tuberkulose erkranken, durch den 
Genuss von Material perlsüchtigen Viehes erkrankt sind. Aber 
gleichzeitig ist die Thatsache der grossen Gefahr des Genusses 
solchen Materials über allen Zweifel erhaben, da gegenwärtig noch 
Milch ein Vehikel ist, durch welches oft Tuberkelbacillen in den 
menschlichen Körper eingeführt werden.“ 

Redner geht nun zu den Maassregeln über, welche zur Be¬ 
kämpfung dieser Gefahr geeignet erscheinen. 

1. ist die Verbreitung der Kenntniss dieser Gefahr besonders 
Unter dem ländlichen Volke besonders wichtig, wie dies schon die 
Englische landwirtschaftliche Gesellschaft und die National 
Association for the Prevention of Consumption besorgen. 

2. ist die diagnostische Tuberkulinimpfung der Rinder von 
hoher Bedeutung, obwohl es nicht verhehlt werden kann, dass die¬ 
selbe unter verschiedenen Bedingungen keine einwandfreien Re¬ 
sultate liefert. Periodische Untersuchung durch Inspektoren 
würde zur Erkennung des erkrankten Viehes sehr viel beitragen. 
Ausserdem wären von besonderer Bedeutung obligatorische An¬ 
zeigepflicht der an Eutertuberkulose erkrankten Milchkühe und 
zugleich Bestrafung im Unterlassungsfälle; sodann das Verbot, 
Milch von Kühen, welche an Eutertuberkulose oder an anderen 
Zeichen von Tuberkulose leiden, zum Verkauf zuzulassen. 

Die Inhalation von Tuberkelbacillen des Menschen ist sicher¬ 
lich die Hauptinfektionsquelle für den Menschen, aber gleich¬ 
zeitig können wir dem Milchmann nicht erlauben, uns Tuberkel¬ 
bacillen zu verkaufen, selbst wenn wir überzeugt sind, dass, wie 
in Koch’s Versuchen, „wir nur hier und da einige kleine Knoten 
in unseren Nackenlymphdrüsen und einige wenige Tuberkel in 
unseren Lungen zu befürchten haben“. 

I) 1 s c u s s 1 o n. In der Dlseusslon, an welcher sich die 
Herren Earl Spencer, Browne, Nocard, Hamilton, 
Itavenal, Crookghand, Woodliead betheiligten, wurde 
ungefähr Folgendes festgestellt: 

Trotz der hohen Bedeutung, welche Koch sich auf dem 
Gebiete der Bacteriologie erworben hat, muss vorläufig seiner 
Theorie, dass der Tuberkelbacillus des IUndes sich auf den 
Menschen nicht übertragen lässt, auf Grund der bisherigen Ver¬ 
suche und Erfahrungen mit aller Energie widersprochen werden, 
nud die bisher zur Vermeidung der Uebertragung der Kinder¬ 
tuberkulose auf den Menschen allerwürts getroffenen Maassregeln 
müssen mit vollem Nachdruck und in ganzem Umfange aufrecht 
erhalten werden. 

/ Discussion über das Thema: „Der diagnostische und 
\/ therapeutische Werth des Tuberkulins.“ 

A Heron: Die Benutzung des Tuberkulins in der Mediein ist 

J V dadurch allgemein dlskreditirt worden, dass 

1. das Tuberkulin in ungeeigneten Fällen angewendet worden 
Ist, 2. zu hohe Dosen gegeben worden sind, 3. man nicht erst nach 
Konstatlrung normaler Temperatur noch mindestens 24 Stunden 
mit Ausführung der Einspritzung gewartet hat, 4. die Dosis bei 
der Behandlung zu schnell gesteigert worden ist, 5. Aer/.te wie 
Publikum grosses Misstrauen gegen die Behandlung gezeigt haben. 

Nach seinen Erfahrungen ist das Tuberkulin ein vorzügliches 
diagnostisches Hilfsmittel und hat sich bei einer grossen Zahl 
vou Tuberkuloaefüllen und einigen Fällen von Lupus gut bewährt. 


Koliert Koch: Kr hat in etwa 3000 Fällen zu diagnostischen 
Zwecken die Tulierkulin-Injektion gemacht und in etwa 00 Proc. 
der Fälle positiven Erfolg erzielt. Belm Menschen ist die Reaktion 
sicherer als beim Thier. Er fügt Einiges über die Methode hinzu. 

Koch behandelt, mit Tuberkulin nur in frühen, nicht kompli- 
zirten und eine normale Temperatur zeigenden Fällen von Lungen¬ 
tuberkulose. 

Bei dieser Auswahl der Fälle hat er stets Heilung beobachtet. 
Er empfiehlt Wiederholung der Kur nach einigen Monaten. (Inter- 
vnlläre Behandlung vou Pet rusch ky.) 

Man fange mit kleinen Dosen an und steige langsam ln der 
Dosiruug. 

Nach Eintritt der Iteaktion warte man einige Tage vor der 
Wiederholung der Einspritzung. 

Douglas P o w c 11 macht darauf aufmerksam, dass die grösste 
Zahl der Fälle Fieber böten und Im Koc h’sclieu Sinne „kompli- 
zirte“ Fälle seien. 

Osler erkennt zwar die Güte und Gefahrlosigkeit des Tuber¬ 
kulins zu diagnostischen Zwecken an, verwendet es zur Behand¬ 
lung jedoch nur in einer sehr limitirten Zahl vou Fällen. 

B. Friinkel: Was die Behandlung betrifft, so hat er 
in ausgesuchten Fällen Dauerheilung erzielt, es gehört dazu be¬ 
sonders Geduld und sehr vorsichtiges Steigern der Dosis. Dia¬ 
gnostisch gibt das Mittel günstige Kesultate. und seine An¬ 
wendung ist hei sehr frühen, sonst nicht zu diagnostizirenden 
Fällen von besonderer Bedeutung, da gerade die Frühdiagnose 
eine sehr schöne Bedingung des günstigen Erfolges der Behand¬ 
lung darstelle. 

D e n y s - Louvaln hat Hunde mit Tuberkelbacillen infizirt 
und dieselben nach der Injektion zum Thell mit Tuberkulin be¬ 
handelt. Während die nicht mit Tuberkulin behandelten Thiere 
bald starben, wurde bei den anderen der Tod „verzögert**, und 
man fand Bildung von Tuberkeln als „mauifestatlon de la r6- 
sistauee de l’organisnie“. 

Denlson - Denver (Verein. St.) berichtet über seine mit 
Tuberkulin gemachten Erfahrungen. 

W i 111 a m s - Brompton: Diagnostisch leistet das Koch¬ 
sehe Mittel Hervorragendes. Zur Behandlung ist es un¬ 
brauchbar und gefährlich. Frühfälle werden durch die übliche 
Ileilstätr.enhehnndlung gehellt, ln schon etwas mehr vorgeschrit¬ 
tenen Fällen bringt das Tuberkulin die Menschen herunter, ruft 
geradezu Cavemenbihlung hervor. 

MacCall Anderson - Glasgow; Zur Diagnose — und bei 
Behandlung chirurgischer Tuberkulose — eignet sich das Mittel. 
Bei Inneren tuberkulösen Processen ruft es Verschlimmerung her¬ 
vor. die vielleicht auf noch unbekannte Ursachen zurilek- 
zuf(Ihren Ist. 

F r a n c e - Claybury: Bei 75 Irrsinnigen hat er den dia¬ 
gnostischen Werth des Tuberkulins untersucht. Die¬ 
jenigen. welche keine positive Tuberkulinreaktiou hatten, zeigten 
auch klinisch und post mortem keine Zeichen von Tuberkulose, 
. während bei den positiv reaglrendeu Kranken sichere Zeichen 
von Tulierkulose zu finden waren. Hiermit ist der Be¬ 
weis des hohen Werthes des Tuberkulins za 
diagnostischen Zwecken erbracht. 

V i v a n t - Moute-Carlo und S q u i r e - London fragen, oh es 
denn gleichgiltig sei, ob mau zu diagnostischen Zwecken ent¬ 
weder von menschlichen oder Rinderbaclllen gewonnenes Tuber¬ 
kulin benutze, da doch dieselben nicht identisch seien. 

Möller- Belzig: Die Tuberkulininjektion ist in Heilstätten 
zu diagnostischen Zwecken nöthig, wenn man sicher 
sein will, nur Tuberkulöse in den Anstalteu zu haben und wenn 
man frühe, unklare Fälle erkennen will. Therapeutisch 
ist bei individueller Behandlung auch der Erfolg des Tuberkulins 
günstig, von der Behandlung in Lungenheilstätten darf jedocii 
nicht abgesehen werden. 

Otis- Boston macht darauf aufmerksam, dass ein geringer 
Procentsatz der Syphilitischen auf Tuberkulin reagirt. 

Huggard- Davos hat schlechte Erfahrungen mit Tuber¬ 
kulin gemacht. 

Museum. Eine grosse Zahl von Präparaten und Gegen¬ 
ständen, welche auf das Thema des Congresses Bezug haben, 
sind unter Leitung und Dank den Bemühungen des Herrn 
W. J o b s o n Home zu einem Museum vereinigt worden; ein 
190 Seiten starker Katalog diente zur Führung. Als deutsche 
Aussteller sind zu nennen: Das Keichsgesundheitsaint, das Reichs¬ 
versicherungsamt, das Heilstättencomite, das Koc h’sche Institut 
und Herr Prof. B e n d a. 

Resolutionen des Congresses: 

Der Auswurf des Menschen ist der Hauptvcrhrcitcr der 
Schwindsucht; es erscheint wichtig, die Unsitte des Au-spuckens 
cinzusehränken (Spueknüpfe etc.). A n z e i g e p f 1 i c h t ist 
empfehlenswerth. Die Errichtung von L ungenh eilst ätten 
ist nothwendig. „Allo bisher gegen die Verbreitung 
von Milch und Fleisch p e r 1 s ü e h t i g e n Viehes 
gerichteten Manssregeln sind in vollem Um¬ 
fon ge aufrecht zu er halten; immerhin sind die 
Koch’s eben Versuche nachzuprüfen.“ Die Er- 
I richtung eines Internationalen Comites erscheint 


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1334 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


wünschcnswerth. Die Beachtung und Bekämpfung der Neben- 
ursnchen der Tuberkulose, wie Alkobolgonuss, ist dringend 
nothwendig. Die Regierungen sollen wohlthätige Stiftungen, 
1'bilant.ropen etc. darauf binweisen, sich der Bekämpfung der 
Tuberkulose anzunebmen, insbesondere Specialpolikliniken zu er¬ 
richten. Auf dem nächsten Congress soll die Frage der indi¬ 
viduellen Disposition zur Tuberkulose in den 
Vordergrund gestellt werden. 


Altonaer Aerztlicher Verein. 

(Officlelles Protokoll.) 

Sitzung vom 22. Mai 1901. 

Vorsitzender: Herr Wa 11 i c h s. 

Schriftführer: Herr Henop. 

1. Herr Grüneberg bespricht unter Demonstration eines 
Patienten das Krankheitsbild der chronischen Darmerweiterung, 
das er in Analogie setzt zu dem Bilde der MagenerWeiterung, so¬ 
wohl was die aetiologisehen Momente als auch was das Krank¬ 
heitsbild und die Therapie anbetrifft. 

Der «jährige Knabe, der seit 3 Monaten sich im Altonaer 
Kinderhospital aufhält, leidet seit seiner Geburt an Obstipation. 
Niemals von selbst Stuhlgang. Vom 2. Lebensjahre ab Darm¬ 
blähungen, die durch ärztlicherseits verordnete Maassnahmen, wie 
Klysmata, Einläufe immer wieder beseitigt werden konnten, seit 
l‘/ 3 Jahreu dauernd nicht zu beseitigende Darmauftreibung. 
Bauchumfang 93 cm — 53 cm normal — Hochstand des Zwerch¬ 
fells. Erhöhte Athmungsfrequenz. Die Koutouren des um circa 
das Dreifache geblähten Dickdarmes deutlich sichtbar, ebenso peri¬ 
staltische Bewegungen. Percussion ergibt überall tympnuitischen 
Darmschall, die Palpation zeigt nirgends eine Itesisteuz, nirgends 
einen Tumor. 

G. nimmt an, dass bei dem Fehlen anderer in Betracht kom¬ 
mender Momente, es sich hier um eine Erweiterung des Dick¬ 
darmes handle, die auf einer Atonie des Darmes beruhe, die 
wiederum durch eine eventuell angeborene Stenose im unteren 
Theil des Dickdarmes hervorgerufen werde. Das in den Mast¬ 
darm eingeführte Glasbougie stösst an seiner Spitze auf eine an¬ 
scheinend engere Stelle. Als begünstigende Momente zur Herbei¬ 
führung eines derartigen Zustandes glaubt G. auch die Schwäche 
der Bauchmuskulatur nnsehen zu müssen, die bei dem Patienten 
sehr ausgeprägt ist. Auf diese Momente wurde auch der thera¬ 
peutische Plan aufgebaut. Täglich hohe Einläufe, Bauchmassage 
bei einliegendem Darmrohre, Massage und Faradisatlon der Bauch¬ 
decken, gymnastische Uebungen haben nicht nur den Appetit des 
Patienten gehoben und die Kräfte gebessert, sondern haben auch 
eine Abnahme des Leibesumfanges um 30 cm zu Wege gebracht, 
so dass auf eine allmähliche Restitutio gehofft werden kann. 

Discusslon: Herr König weist darauf hin, dass in 
seltenen Fällen monströse Blindsäcke und Verdoppelungen 
des Kolon Vorkommen, welche langsam wachsende Vergrösse- 
rung des Leibesumfanges durch Kothstauung machen, deren Ent¬ 
leerung zeitweise Besserung gibt. Einen Fall sah er auf dem 
Sectioustisch (von Cordua als Dissertation 1892 aus dem O r t h’- 
schen Institut in Göttingen beschrieben). Eine neuere Arbeit von 
G r o h 6 befindet sich in der Deutsch. Zeitsehr. f. Chir-, Bd. 57. 
Die Annahme einer Striktur scheint ihm nicht einleuchtend, 
da die Therapie die Entleerung grosser Kothmassen in dem 
Grüneberg’schen Falle bewirkte. Dagegen ist die Atonie ein 
wesentlicher Faktor, abnorme Länge des Mesenterium kann dazu¬ 
kommen. K. sah in der v. Bergman n’schen Klinik einen ähn¬ 
lichen Fall durch Entleerung grosser Kothmassen vorläufig zur 
Heilung kommen. Ein anderer: 3 jähriger Knabe, mit kolossal 
aufgetriebenem Leib und Ileuserscheinungen, wurde von v. Berg¬ 
mann operirt: Der Dickdarm, vor Allem die Flexur war kolossal 
aufgebläht und hing weit in’s kleine Becken hinunter — da, wo 
das lange Mesosigmoideum aufhörte, war eine förmliche Al»- 
knlekung vorhanden. Der Patient überstand die Resektion dieser 
Partie nicht, bei der Sektion wurde nichts als diese eigenartigen 
Verhältnisse des Mesenteriums gefunden. (Rad ecke, Iuaug.- 
Dlss., Berlin 1896.) Die von Grüneberg eingeleitete Behand¬ 
lung hält K. für richtig, nur wo sie versagt, könnte eventuell eine 
seitliche Anastomose zwischen erweitertem und collabirtem Darm 
(unterster Theil der Flexur) in Frage kommen. 

Herr Grüneberg meint, dass zwar die von Herrn König 
erwähnten angeborenen Missbildungen des Kolon nicht absolut 
auszuschliesseu wären, jedoch würden derartige Abnormitäten ja 
nur durch die Autopsie zu beweisen sein. G. ist nicht geneigt, im 
vorliegenden Falle von vorneherein daran zu denken, sondern 
näher läge nach den erwähnten Symptomen die oben gegebene Er¬ 
klärung des Krankheitsbildes, zumal, wie erwähnt, beim Eingehen 
mit einem etwa 15 cm langen Glasbougie in den Mastdarm sich 
eine engere Stelle bemerkbar mache, die dem Vordringen 
Schwierigkeiten entgegenstelle. Diese Stenose könne bei Gelegen¬ 
heit vorübergehend ein absoluter Verschluss werden oder auch nur 
härteren Kothmassen die Passage verlegen. Erst wenn dieselben 
durch Wassereinläufe erweicht werden, ginge eine, wenn auch 
unvollständige Entleerung vor sich. Derartige durch Jahre hin¬ 
durch immer wieder von Neuem eintretende Kothstauungen mit 
Entwicklung von Gasen genügen nach Analogie der Magenerweite¬ 
rung seines Erachtens zur Erklärung des Krankheitsbildes. 


Nachtrag. Eine gewisse Aehnllchkeit mit dem be¬ 
sprochenen scheint ein Fall von Lennander zu haben, über 
den im Centralbl. f. Chir. 1901, No. 20, referirt worden ist. Es 
handelte sich dort allerdings um eine angeborene Dilatation und 
Hypertrophie der Flexura sigmoidea bei einem 4 jährigen Kinde, 
ln diesem Fnlle wurde laparotoinirt und cs zeigte sich eine kolossal 
ausgedehnte Flexur, die die grösste Aehnlichkeit mit einem Magen 
hatte. Da keine sichtbare Ursache für diese Dilatation zu finde» 
war, so wurde dieselbe als Innervatiousstörung aufgefasst und 
durch elektrische Klysmata, die 3 Jahre lang fortgesetzt wurden, 
allmählich vollkommen normale Verhältnisse herbeigeführt. 

2. Herr H u e t e r: Ueber einen Fall von pialem Epidermoid 
der Schädelbasis. 

Der Fall betrifft einen 43 jährigen Mann, der in bewusstlosem 
Zustande in das Krankenhaus eingeliefert wurde und nach einem 
Aufenthalt ,von 7 Tagen daselbst verstarb. Anamnestisch nicht 
das Geringste bekannt. Bald nach der Aufnahme traten mehrfach 
allgemeine Krämpfe von ca. 10 Minuten Dauer und von epilepti- 
formem Charakter auf, das Bewusstsein war dauernd erloschen. 
Nach 2 Tagen Delirien, der Kranke redete viel sinnloses Zeug und 
machte deu Eindruck eines Alkoholdeliranten. Nach einer Besse¬ 
rung von kurzer Dauer Tod. 

Bei der Sektion fanden sich lobuläre Pneumonieherde in bei¬ 
den Unterlnppen, Fettnekrose des Pankreas und ein grosser Ge¬ 
hirntumor. Bei der Herausnahme des Gehirns zeigte sich an der 
Basis in der linken mittleren Schädelgrube eine Geschwulst von 
der Grösse eines mittelgrossen Apfels, die von dem Gehirn uud 
seinen Häuten theil weise bedeckt war und ln den centralen Ab¬ 
schnitten frei der Schädelbasis auflag, ohne mit ihr verwachsen zu 
sein. Der Tumor bestand aus eigentümlichen, trockenen, brücke- 
ligen Massen, die sich sehr leicht von einander lösten. Sie be¬ 
stehen aus dünnen geschichteten Membranen und haben stellen¬ 
weise sehr schönen Perlmutterglnuz. Die frische mikroskopische 
Untersuchung ergab feine, kernlose Plättchen uud zahllose Cholo- 
stearinkrystalle. Am Gehirn befindet sich an der Basis links eine 
tiefe Höhle, welche den hinteren Abschnitt des Stimlappens und 
den vorderen des Schläfenlappens einnimmt, somit die S y 1 v’sche 
Grube in der Mitte einscliliesst uud sich nach aussen bis zu den 
lnselwindungen erstreckt, während sie nach Innen bis zum vor¬ 
deren Rand des Pons reicht. Die Reste der Geschwulst sind den 
weichen Häuten aufgelagert uud stellenweise finden sich noch 
tiefe Buchten der Gehirnoberfläche, die mit Tumor erfüllt sind. 
In der Medianlinie und zwar an der Stelle, wo die Pia vom vor¬ 
deren Rand des Pons die Substant. perfornt. posterior überzieht, 
fand sich eine Geschwulstperle fest mit der Pia verwachsen. 
Schnitte von dieser Stelle ergaben eine mehrschichtige, wellig ver¬ 
laufende Lage von cubischem Epithel, die der Pia aufsitzt, 
während sich auf der anderen Seite das verhornte Epithel an- 
sclillesst. Im Bereich der noch nicht verhornten Epithelien fanden 
sich sehr schöne Keratoliyalinkugeln. Letzterer Befund Hess die 
Diagnose „Cholesteatom“ (piales Epidermoid nach Bostroem) 
in exakter Weise stellen. 

3. Herr König demonstrirt das Präparat eines hochsitzen¬ 
den Rectumcarcinoms. welches zu einer Blasendarmfistel geführt 
und nur durch die Blaseuerscheinuugen sich bemerkbar gemacht 
hatte. Bei dem bis daliiu gesuudeu 43 jährigen Offizier traten 
Blasenbeschwerden mit Blutungen akut auf, mit Schüttelfrost, 
nach 14 Tagen im Manöver wiederholt. Ausspülungen erzielten 
Besserung. Aber 4 Wochen später Abgang von Flatus, endlich 
von Ivoth durch die Harnröhre. Jetzt auch häufiger Stuhlgang. 
Bei der Untersuchung konnte man nichts von einem Tumor fühlen, 
welcher doch die grösste Wahrscheinlichkeit für sich hatte. Cysto- 
skopie durch den kothig-blutigen Urin unmöglich. 

Da die Umstände zu einer Operation drängten, wurde am 
9. XI. 1900 vom Kreuzbein aus vorgegaugen, in der Hoffnung, hier 
an die Erkrankung heranzukommen. Von hinten wurde die Blase 
eröffnet, in ihrem obersten hinteren Theil eine harte Geschwulst 
gefunden, fest verwachsen mit der höchsten Partie des Mastdarins, 
alles zusammen fest im Becken eingekeilt. Au Entfernung 
war nicht zu denken. Um etwas zu thun, was den in der Blase 
stagnirendeu Ivoth wieder fortschaffen und der sonst sicher ein¬ 
tretenden Pyelonephritis Vorbeugen würde, wurde tief unten eine 
arteficielle Anastomose zwischen Blase und Rectum beschlossen. 
Ihrer Anlegung in der von Frank empfohlenen Weise mit dem 
Knopf setzte die Dicke der Wand unüberwindliche Schwierig¬ 
keiten entgegen, sie wurde mit der Naht vollendet. — Das Car- 
cinoni nahm seinen Fortgang. Nach ca. 2 Monaten nöthigte cs 
zur Anlegung eines Anus praeternaturalis, der Tod erfolgte CTage 
nach dieser II. Operation. 

Bei der Sektion fand sich die Blase nur etwa wallnussgross, 
ohne Eiterung; Ureter, Nierenbecken und Nieren ganz normal. 
Aus der Blase führte 1. eine tiefgelegene Fistel ln den Mastdarm 
oberhalb vom Anus, 2. eine ganz hochgelegene, von harter Car- 
cinommasse umgebene, in den Darm am Uebergang vom Rectum 
in die Flexur. Aus dieser führte ein tiefer carcinomatöser Trichter 
in jene Fistel. (Adenocarcinom.) In der LebeT Metastase. 

Bemerkenswerth sind: 1. die ersten Symptome, die nur auf 
die Blase hinwiesen, 2. das Ausbleiben einer Infektion der 
oberen Harnwege, das nur durch deu permanenten Abfluss des 
kothhaltigen Harns und der Kotlibröckel erklärt wird; dafür hat 
sich die Rectovesicalanastomose bewährt 

Die beste Operation wäre von Anfang an ein hoher Anus 
praeternaturalis gewesen, dessen Anlegung in der ersten Zeit Je¬ 
doch aus äusseren Gründen sich verbot. 


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13. August 1901. MITENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1335 


4. Herr H e n o p spricht über «len derzeitigen Stund der 
Frage der Säuglingaernährung, im B<*s«mderen über die Naieli- 
t helle anhaltender MilcliHterilisirung. und demonslilrt den 
o P |* e n 1» e i in e r*sehen PasteurtslrungHiipparat. bei tiessen An- 
wtndiiug er auch mit wenig verdünnter uuu-li dem 4. Monat 
uiiverdiinntert Kuhmilch sehr gute Erfolge erzielt hat. 

r». Herr Wichmann: Ueber Carcinom der weiblichen 
Urethra. 

Eine 4M jährige Frau kommt in die Poliklinik, weil im Laufe 
einiger Monate In «1er Lei steil beug«* eine (»»»schwillst g«*wachs«*n 
sei. Hleii-hzeitig sei starke Abmagerung autgetreten. Hie liiirte 
des I>rüseiipackets und das thtdlweisc Verwacltsens«*in li«*ss an 
(’atviunin. wahrsch«>inlh*h am <ienitalapparat. denkeu. An «l*»r 
Portio fand sich eine etwas zweifelhaft Mtixsehenile Erosion. di<* 
alwr lad anatomischer Untersuchung sich als nicht carcimunatös 
herausstellte. Auffallend war das eig<*nthündicli zackige, starre, 
wie mit Curunkeln besetzt«' Oritlclum exteruuin nrethra«*. Hei 
der nigltaluntersucliung unterschied sl«*h die Hegend der Harn¬ 
röhre ungemein durch ihre Hilrte von der K«*sist«*nz «l«*s normalen 
llamWihreuwulstcs. Es handelte sich also um «du primiires Harn- 
nihrencandnoiu. • 

Bei «ler Operation zeigte sich, dass das Carcinom etwa 1 cm 
vor der Blase Halt gemacht hatte. Hier wurde «inere Amputation 
«ler Urethra vorgenommen. 

Die Anfangs l>est«diende Inkontinenz lH'Hs«*rt«» siel« später so¬ 
weit. dass 2öo—Mt Kt ccm in der Blase gelullten werden konnten. 
Allgemeinla'tindeti war lad «ler Entlassung erltehlhdi g«d>essert. 
Besonders möchte i«di hemerken. «lass die Patientin ausser über 
..den Knoten“ in «ler Leisteubcug«» keinerlei Klagen vorge¬ 
bracht hat. 

I > i s <• u s s l o n: Herr M. F r a u c k. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung v «» nt 11. M ii r z. 1901. 

Vorsitz.cmlcr: Herr II oc h h a u s. 

Schriftführer: Herr F. (’ahen. 

Herr Minkowski demoustrirt: 

1. «dnen Fall von Stenose der Aorta an der E nmündungs- 
stelle des Ductus Botalli (Isthmus aortae p«*rsistersi. 

Bei «l«*m 23 jälirigen Patienten, der wegen einer akuten Hron- 
«ddtis iu's Hospital iiufgeiioiumcn war. füllt z.uiündist ein stark 
sichtbares P u 1 s i reu der A r t e r i «• n a m Hals «• u n <1 
«len oberen Extremitäten auf. «las im ersten AngenblVk«* 
an eine Insufticienz «ler Aortenklappen erinnert. l>o«di zehdmei 
sieh der Puls durch «du«* ungewöhnlich holt«* Spannung aus. Das 
Spbyginogramin zeigt ein steiles Ansteigen, alter ein langsames 
Abfallen «ler Pulskurv«* mit sehr ausgeprägten Elnsticitüts-whwau- 
knngen. An «lern S]di.vgtnoiminom«'t«*r von lli vii-Hocd ergiitt 
sich eine Steigerung «1 1 * s Blutdrucks in den Armnrlerien 
auf mehr als 300 nun. Im (»egensatze dazu ist «l«*r Puls an 
«ler Femoralis kaum und an «len Tiblnl«*s u n «1 
I’ e r «» ii «* a e g a r n i c li t z u fühl «* n. so dass sich hier eint* 
Bestimmung «les Blutdrucks mit d«*m K i v a - U «> c* e i's«*li**n Ap- 
parat ülxwbaupt nicht ausfühi'eu lässt. Es lässt si«di ferner eine 
sehr «leutlielie E r w eite r u n g «1 e r «• o 11 a t e r a 1 e n A r - 
I e r I «■ ii li a li n e n nnchweisen. Namentlich fällt «ii«* ungewölm- 
iicli«* Auflehnung der AA. transversa«* colli, der dorsales scapula«* 
und «1er nmmmariae auf. die mau mit ihren .Vesten in allen Inter- 
costHlriiinnen pulsiren sollen kann. Am Proc«.*ssus xyplioideus mul 
zwischen «len Schulterblättern lassen sieli hleistiftdicke Arterien 
verfolgen, über welchen an einzelnen Stell«*» deutliches Schwirre» 
und blasende Geräusche wnhrznuelunen sind. Am Herzen ist 
ein systolisches Her ii u s «• h lu'irbar, welches bei «>bi*r- 
flä« , hli«dn*r Untersuchung fast den Eindruck «dnes diastolischen 
macht, da es sich n i «• h t u n m i t t e 1 b a r a n «1 eu erst «* u 
Ton a u sch li esst, sondern erst naeli einer kleinen Pause ein- 
setzt. Dadun-li ist die M«"»glichkcit d«*r Verwechslung mit einer In- 
suffleienz «ler Aortenklappen n«K*h näher gerückt. Indessen lässt 
»•* sich constatiren. «lass das Geräusch mit dem verstärkten 2. Tone 
ahwhiiesst. Dieses Geräusch ist auch im lnt«*rs«'nimlari'num nid»«*n 
«ler \Virl»elsiiule sehr «leutlieh iiörbar. Der verstärkte und ver¬ 
breiterte Herzstoss überragt im 5. Intemistnlmnm etwas die 
Mnmmiilarlinic. «Ile Herzdämpfung ist nur nach links etwas ver¬ 
breitert. 

Die Diagnose der bis j«*tzt schon in «*a. 120 Sekt ionsfällen 
na«-ligewiesen«*n. Jetlcxdi nur seiten Intra vitam erkannten Affektion 
dürfte in diesem Falle dimdiaus sicher s«*in. Die Leistungsfähig¬ 
keit «Jos Patienten ist durch sein Leiden nicht h«*eiutrii«*ditigt. Doch 
je» die Prognose iniinerhin mit Vorsicht zu stellen. Die durch¬ 
schnittliche I<ebens«latier «ler bisher beobachteten Fälle lieträgt zwar 
M4 Jahre, «lie höchste sogar UP Jahn*. Es ist jedoch bem<*rk«*ns- 
werth. dass in den meisten Fällen «ler tödtllclu* Ausgang im Alter 
von 20—40. also In den Jahren «ler grössten Arbeitsleistung <*rfoigt 
ist. Verhältnissmässig häutig (in 13 Fällen) war «lersellie «lurcli 
Ruptur «b*r Aorta herbeigeführt. Auch Apoplexien sind wie«l«*r- 
bolt beobnclitet. Die grössere Inanspnichnalime «ler ll«*rzkraft 
hat auch ln diesem Falle bereits zu einer Hypertrophie des linken 
Ventrikels geführt. Die Blutversorgung der unterhalb «ler Stenose 
eehgeneu Tbeile scheint durch die Colinteralen in ausreichendem 


Maasse statt zu finden. 1U«* Nier«*nfunkti«m ist intakt geblieben. 
Der Urin ist normal'). 

2. Präparate von Myommetastasen in Lungen, Leber und 
Muskeln. 

Die Präparat«* stammen von einer 43 jährigen Frau, an w«*l«*lu*r 
vor 2 Jahren eine Totalexstirpation «les Uterus wegen <*irn*s Filiro- 
myoms ausgefillirt. war. Die Patientin klagte s« i it längerer Z<*it 
üb«*r Schmcrz«*n im rt*« , ht«*n B«*in. woselbst im Vastus «*xt«*rnus 
ein gäus«*eigross«*r Tumor gefühlt werden könnt«*. Später traten 
Luig«*ners«*h«*lnung«*n hinzu. Dämpfungen. Hass«*lg(*räus«*he. Ex¬ 
pektoration eines hiieinorrhugischen Sputums. Es wurden Meta 
stasen «Ungunstizirt. zunächst j«*«locli Zw«*if«»l an der Diagnose des 
M>oms g«*h«*gf. Lokal war ein Ktnadiv nicht na«diwi*lsbar. 

Di«* Sekti*m crgali in den Lungen und «1er Leber melm , i«* grau- 
wcissc. d«*rb«>. scharfiims«*hri«>benc Knoten von Has«*lnuss- bis 
Khduapfelgriisse. die. elsuiso wie «li«* <5«*s«diwulst in der Oher- 
selicnkelmtisciilnttir. si«*li 1 mm der mikroskopischen Unt«*rsucliung 
als re ine Lei«» m y o m «* «>rwl« S!*n. Sie lwstanden durchweg 
aus spindelförmigen Z«*il«*u mit langem stäbcln*nfönnigen Kern, 
«li«* in Bünd«*ln von vemdiUxhuier Dicke angc«»r«liu*t und nur wenig 
von Bin<leg«*w«*be durchsetzt waren. 

Es existirt in der Literatur nur «*in einziger sicherer Fall 
dieser Art. «ler von O r t li untersucht und von K r i s «• h c in eln«*r 
(Jöttingcr Diss«*rtation 18N2 hi*schrii»h«*n ist. Ausserdem nur nocli 
ein zw<*if«*lhaft«*r Fall von K 1 e b s. Sonst sind glatte Muskeln in 
luetastatisclicii Tumoren nur noch in «*in paar Fäll«*n von Myo- 
sarkonu n gefunden. • 

Die Beobachtung«*!! von solchen Metastasen gutartiger Tu¬ 
moren — «li«* wohl nur auf <*iin* \Viii*hi*rnng «l«*r v«*rsi-ld«‘pptcn 
Goschwulstzell«*». ni«*lit ah«*r auf eine Metaplasie der Zellen «l«»r 
iiiücirten Gewebe zurückg«*fülirt werden kann — sind nicht ohne 
Bedeutung für «li«* ganze Lehn* von «l«*r Metastasonbildung. Scholl 
I ('oli u heim sticht«* ähnliche Beobachtungen, wie sie bei Enclion- 
«Iromen. Myxomen, Fibromen. («altertkröpfen gemacht waren, zu 
(«linsten seiner Ansi«'lit zu v«*rwertlicii, dass «*s ni«*ht «lie Bc- 
s«*lui ffenliolt der Geschwulst. sondern das Verhalten des übrig«*» 
Organismus ist. welclie den gutartigen o«l«*r bösartigen Charakter 
«'liier (Jeschwulst, bestimmt. In neuerer Zeit ltat b«*s«m<lers Lu¬ 
ll »i r s «• li dies«* (’ «> b n li «* i m’schc Tlicori«* ausz.ugcstalten g«*si*«'ht. 
Audi er geht zunächst dnv«m aus. «lass im Prim-ip Jeiler patlm- 
logischen Nculiildung «II«*Fähigkeit «ler Metastasirung zugeschrieben 
| w«*r«l«*n muss, falls nur Elemente «lerselbon i’i «li«* Blut- o«l«*r 
Lymphbahn gelangen. Im Allgeimdiien al»«*r genügt «li«* einfnclit* 
Verachleppung «ler Zellen mich nicht zur M«*t»stus«>nhilduiig. Di«* 
v«*rs«*hieppten Zellen w«*r«lcii zuniiciist aufg«*löst und rcsorbirl. 
Bei «ler Auflösung «lieser Zellen w«*rd«*n aber Stoffe frei. weh-hi* 
«Ii«* Widerstandsfähigkeit «l«*s Organismus licralizitsetzen vermögen. 
Au«*h l»«*i «l«»n iMisartigen G«*s«*hwülsten führen zunächst nh-lit all«* 
; v«*rs«*hl<*ppfen Zellen zur MiMastnseiihlldung. W«*il aber «lie bös¬ 
artigen Geschwülste in F«ilgi* ihr«*r bi*sonder«*ii Struktur immer 
von N«*uem zur Verachleppung «ler Zellen Anlass gehen, so häufen 
sich allmählich jene schädlichen Substanzen im Organismus imm«*r 
mehr an. so dass cs schliesslich <lo«*h zu einer schrankenioscu 
; Wuchening der verschh'ppten Zellen kommt. B«*i «len gutartig«*u 
; Tumoren ist die Verschleppung vou Zellen sehr viel sclt»*»er. und 
> daher kommt «*s hei ihueii nur ausnahmsweise zur Metastas«*»- 
hihlung. So ist «leim zu guter Letzt zwar der allgemein«* Zustand 
<l«*s Organismus für die M«*tastns«*ubildung eutscheid<‘lid. dies«*r 
Zustand aber ist seinerseits wieder abhängig von «l«*r Natur «ler 
primären Neubildung. 

Diese Th«*orie bietet offcnliar gewiss«* Analogien mit den 
I modernen L«*hr«*n von «1er Infektlou, Immunität und Prädis]M»sitiou. 
I die man mit Hilfe von Hypothesen noch weiter durchführen 
I könnte. Mail braucht«* dabei nhdit anzun«‘linu*u. «lass «li«* ({«•- 
j schwülste s«*ll»st parasitären Ursprungs sind. Vielmehr steht der 
i Annalime nichts im Weg«*, dass die Gesell wulstzelle» seihst di«* 
Holle der Parasiten übernehmen, und «lass die Schutzkräfte des 
Organismus diesen Zellen gcgenült«*r sich in ähnlicher W«*is«* b.*- 
thätigeu könnten, wie g«*g«*niilM*r «h*n Bakterien l»«*i den Infektioiis. 
krankheiteii. 

3. Präparate von Metastasen in den supraclaviculsren 
Lymphdrüsen bei einer primären Neubildung in der Prostata. 

Der betreffen«!«* Patient, «*in HO jähriger Mann. l»«*i weh-liem 
si«*h seit einigen Monaten Digestlonsstörungeii eing«*stellt liatteii. 
«lie zu schwerer Kachexie führten, zeigte ls*i d«*r Aufnahme neb«*» 
einem massigen Ascites, ein grosses Pin-ket harter und vcrgi-össo t «*r 
Lyiii]»li«lrtlseii iilK*r «ler linken Clavikel. Die Uiiterauchung des 
Mag«*iiinhalts ergab das Fehlen von Salzsäure, «las VorhaiiihMisciu 
von Milchsäure und die Anwesenheit von zahlreichen Bact«*ri«*ii. 
Es bestand ausserdem eine leichte Cystitis. DI«* Prostata erschien 
massig vergrössert. aller in ihrer Configuratiou nicht v«*räinl«*rt. 

Bei d«*r Sektion fand si«*h am Magen nur «*im* chrouis'4i * 
Oastritis. Ausser ein«*iu Strange intiltrirt«*r r«*trop«*riton<*alcr 
Drüsen, war von NVuhlldungou zunächst nichts weiter mu-li 
\\«*isbar als «*inig«‘ orhscngnissc Kiiötch<*n auf «ler Harnblasen 
Schleimhaut in der (legend «l«*s Trigonum. Dies«* Knöichen zeigt n 
i unter «lern Mikroskop «*iii«*ii <'lgeiitiiümlicli<*n drüsigen Ban. «I«*r an 
«las tubulöse OcwcIh* «*in«*r Ni«*n* «•rimn'rt. Als der Ausgangs¬ 
punkt der Neubildung muss die Prostata angeselien wenlt-n. da* 
makroskopisch nur «las Bild einer einfn«*lu*n Hypertroplii«* «lar- 
bietet. an mikrosk«»pisch«*n Präparaten ai»«*r eine deutlich«* car. i 

') Nachtrag: Naeli Eingabe von o.l Mctliyleiil>laii war «l«*r 
Iiaiu vou der 2.—90. Stunde blau gefärbt. 


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1336 


MIT KN CHEN KR MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


noinntö.se Degeneration erkennen lässt. Es handelt sieh also um 
ein primäres Adenocarcinom der Prostata. 

Dass die von Virchow als charakteristisch filr Magen- 
«nrciiiome hesehrleltenen Metastasen in «len linksseitigen supra 
«•lavieulnreu Lymplidrüsen aneh hei amleren Ahdomimilgeschwül- 
sten Vorkommen können, ist vor einiger Zelt in einer Pariser These 
von T r o i s i e r eingehender erörtert worden. 

Herr Hoppe: Der Lichtprüfer für Arbeitsplätze von 
Cohn. 

Vortragender betont die Bedeutung gut beleuchteter Arbeits¬ 
plätze als wesentliches Verhütungs- und Bekämpfungsmittel der 
Kurzsichtigkeit, und erläutert die Handhabung des ,.Li«*hr- 
priifors“, welcher ohne besondere Vorke-iuituisso auch dem Laien 
gestattet, sieh schnell und leicht ein zutreffendes TTrtheil zu 
bilden über die Yorworthbark«‘it eines Platzes als Arbeitsstätte. 

In «1er Discussion Ixmierkt Herr Pröbsting, dass 
(’» h n’s Miniinalforderuug einer Platzhelligkeit. von 10 Meterkerzen 
viel zu gering sei. und Helligkeiten von 30 Meterkerzen technisch 
unschwer ermöglicht werden könnten. 

Herr Klein II demonstrirt das Verfahren von Win gen, 
die Helligkeit der Arbeitsplätze eines Sehulzimmers vergleichend 
da rzusteilen unter Benutzung lichtempfindlichen Papl«*rs. 


Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

* (Offlclellee Protokoll.) 

Sitzung vom 23. M a i 1901. 

Vorsitzender: Herr Sondier. 

Vor der Tagesordnung demonstrirt H«*it Koch einen Fall I 
von Ankylose der Brust- und Lendenwirbelsäule, di«* wahrseholn- 
lieh hervorgenifen ist durch einen chronisch deformireudeu nrtliri- 
tischen Proeess. 

Darauf zeigt Herr Sen dl er im Anschluss an seinen in der 
v«»rig«*n Sitzung gehalt«*ncn Vortrag ein neues Präparat einer durch 
die Cholecystektomie gewonnenen Gallenblase. 

Sodann hält Herr Richter seinen angekündigten Vor- . 
trag: Heber die Indikationen zum Trommelfelhchnitt. 

Vortr. gibt zunächst, einen Feherblic.k über die historische 
Km Wickelung des Trominelfcllschnittcs. S<*it ihrer ersten Aus- , 
führung. so legt er dar, habe die Operaiion stets an dem Mangel 
scharfer Indikationen oder an dem Missverständnis* derselben 
gekrankt und sei schliesslich bei immer seltener und zweifelhafter 
werdenden Erfolgen völlig in Misskredit gcruthen. Es sei das 
grosse Verdienst »S e h w a r t, z e’s gewesen, die Para «•eiltest: durch j 
seine 1867 erschienene Arbeit ..Studien und Beobachtungen über j 
die. künstliche Perforation des Trommelfelles“ der Vergessenheit 
entrissen und ihre Indikationen auf «lern Boden pathologisch- 
anatomischer Forschung von Neuem aufgehaut zu haben. Nach 
Besprechung <l«*r einschlägigen Anatomie unterzieht der Vortr. 
«lie Reihe der im Laufe «1er Z«.*it von den verschiedensten Autoren 
aufgestellten Operationsanzeigeii einer Prüfung. Bis in die Mitte 
des 19. Jahrhunderts sei die Pannmmese hauptsächlich zur Ver¬ 
besserung; des Gehörs uuternomiuen worden. 

Die Verengerung «1er Tuba Kustnchii, sowie die Abnormi¬ 
täten dej* Trommelfelhnembran und ihrer Spannung können heu¬ 
tigen Tages nur in den seltensten Fällen als ausreichende Indi- j 
kation angesehen werden. 

Auch die Erfüllung der Pauke mit Exsudaten — akuten 
wie chronischen — berechtigen nur dann zur Eröffnung, wenn 
bei dem Allgemeinzustnnd des Körpers di«* spontane Resorption 
unter schonen«leren Maassnalunen nicht zu erwarten sei. Dies 
gelte auch für die akut «mtziindlmhen Proe«*sse und Exsudate 
in der Paukenhöhle. Eine unabvveisliche Indikation bestehe nur > 
bei Sekretverhaltung«-n in Fällen akuter und chronischer Eite¬ 
rung; hier erhalte d i«* Indikation vital«* Bedeutung. Von diesem i 
Gesichtspunkte aus müsse man auch di«* sogen. Sehwartze’sche 
Indikation betrachten, welche den Trommel fellschnitt. fordert 
..als antiphlogistisches Mittel hei Mvringitis acuta, wo eine hoch¬ 
gradige Schwellung <l«*s dunkelblaurothen Trommelfell«**, am 
stärksten im hinteren, olteren Quadrant«*n, besteht neben unerträg¬ 
lichen Schmerzen“. Nach Ansicht «les Vortr. sei «lies«* Affektiou 
aufzufassen als eine selbständige Entzündung des Kuppelraumes 
mit oder ohm* Betheiligung <!«■* eigentlichen Cavum tvmpani. 
Fine rechtzeitige Entlastung dieses Raumes durch energischen 
Schnitt der Membrana Haeeida s<*i dringend indizirt, um die aus 
diesen Affektionen eiitstchcmlcn, wegen ihrer deletären Ausgänge 
so beachtenswert hen ehronisehen Eiterungen mit Fistel am oberen 
Pol des I rommelfolles zu verhüten. — (iogvnüber den ange¬ 
führten seien die sonst noch aufgcstclltcn Imlikatinnen (proba- 
torisehe, vorbereitende u. a.) ohne Bedeutung. 


An der Discussion betheiligt sieh Herr Kretsch 
in a n n. 


Aerztlicher Verein Nürnberg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. M a i 1901. 

Vorsitzender; Herr Carl Koch. 

1. Herr Friedrich Merkel demonstrirt 2 Präparat»*, «liv 
«Inreli Operation gewounen wurden: 

hi Ovarialtumor, stammt von einer 21jährigen PrhuipHi;i: 
Eiitbiiidmig \or itl Wochen, seitdem stete Zunahme des LpIIh* 
bis zu !I7 ein: einfache Operation, langer Stiel, •% gedreht, glatter 
Verlauf. 

h) XJterusmyom, stammt von einer 47 jährigen I. Para. Ri¬ 
ndts im Jab'«* 18X7 wurde ein missgrosser Knoten an der linken 
Fl«>ruskante naehgewieseii. In den letzten 2 Jahren zunehmend«* 
B«*s« , bwerden, insbesondere ständig Leibsehmerzen und hart 
liiiekig«* Obstipation. Leibumfang 97 y s cm, Tumor rechts bis 
unter «len Ripppnhogen reichend; im vorderen Scheideugewölls* 
ein faustgrosser Knollen zu fühlen. Laparo-Myotomie narii 
Ol s hausen, glatter Verlauf. 

2. Herr Carl Koch berichtet lib«*r einen von Ihm operirten 
kolossalen eystlsehen Tumor der rechten Olierbauebgegend. welcher 
zum Inhalt 9 Liter einer tlieerartigen Flüssigkeit hatte. Die Dia 
gnos«* Hess sieh auch bei der Operation nicht ganz sicher stellen; 
doch ist es das Wahrscheinlichste, dass es sich um elue haemor- 
rhagische Pankreascyste handelte. Die Krankengeschichte ist 
kurz folgende: 

.Ockonom aus Neureuth. 50 Jahre alt. hat seit Januar 

1901 im l T nterl«*ib zu klagen und zwar Uber Schmerzen und Stuhl 
besehwerdeii. Einmal sollen in der letzten Zeit auch ileusartig«* 
Erscheinungen dagewesen sein. Seit Ende Januar wurde auch 
eine (««‘schwulst im Leibe in der r«*ehten Oberbauehgegend >**- 
merkt. die sieh verhältnissmässig rasch vergrösserte. während der 
Kranke immer mehr von Kräften kam. 

Stat. praes. Magerer, auffallend bleicher Mann. Die sicht 
baren Schleimhäute nahezu blutleer, insbesonder.» die Conjunctiveu 
ganz blass. Die ganze rechte 01>erbauehgegend stark vorgewölbt 
durch einen mächtigen Tumor, der sieh rechts nach der Lenden- 
gegend zu fortsetzt und nach links bis zur Parasternallinie, wo >-r 
an den Rippenbogen angrenzt, sieh erstn*ekt. Oben reicht er bi< 
unter den Rippenbogen hinauf und nach abwärts nimmt er noch 
die obere Hälfte der rechten Fnterbauchgcgend ein. Die Ober- 
Hache «1er Geschwulst ist glatt und erscheint kugelig gewölbt: 
nur ln der rechten Pnrasternallinie zieht eine seichte Furche ütor 
sie senkrecht von oben nach unten. Die untere Begrenzung Ist 
gleichfalls kugelig, nirgends ein scharf« r Rund. Feber der ganzen 
<I«'s«*hwulst absolut gedämpfter Schall, der sich na«*h oben in die 
Leberdiimpfung anscheinend fortsetzt. Di«* <*t>ere Dämpfung* 
gr.*iize ist vorn am oberen Rand «1er 4. Rippe, hinten ani oben*» 
Rand der 8. Rippe. Palpation ergibt pralle Elastieität; der unten* 
Leberrand nicht durehzufüblen; bei der Athnmng verschiebt sich 
«lie Geschwulst nicht. 

Am 29. April Operation in (’hloroformnarkose. Längsschnitt 
zunächst dem lateralen Rande «l«*s Muse. reet. auf der rechten 
Seite. Bel der Eröffnung des Peritoneums stellt sieh sofort die 6 - 
schwulst ln die Wunde ein. Es zeigt siel» al*er über Ihrer Ober- 
fläche n«K*h ein ziemlich leicht verschieblich«« peritoneales Blatt, 
durch welches hindurch querzieliende Blutgefässe zu sehen sind. 
Spaltung dieses Blattes'durch einen ea. 10 cm langen Längsschnitt: 
dadurch wird die etwas verdickt«* (’ystenwand freigelegt. Darauf 
Vernähen der Schnittränder dieses so gespaltenen Perltonealblatte* 
mit den Rändern der Schnittwunde des Peritoneum parietale durch 
fortlaufende Nabt, so dass ein vollständiger Abschluss gegen <li*' 
freie Bauchhöhle geschallen wird. Ein vorher noch gemachter 
Versuch, die Geschwulst nach allen Selten nbzutasteu. misslingt.. 
da man nirgends über die Grenzen derselben ohne Erweiterung 
«les angelegten Baueliselmittes hinausreleht»»» kann. Die Leber 
kann weder gesehen no«*h gefühlt werden. Nach der Vernähuug 
«les periton«*al«*n Feberzugs der Cyste mit dem Peritoneum parie¬ 
tale Punktion und Ausheberung einer nahezu schwarzen, tlieer- 
artigen Flüssigkeit in der Menge von 9 Liter. Schon nachdem eine 
geringe Menge Flüssigkeit entleert ist. bessert sieh die Athmuug. 
«lie anfänglich sehr mühsam g«*w«*seu, und wird Immer freier, je 
mehr Flüssigkeit uusfliesst. Nachdem ea. (5—7 Liter Flüssigk«*it 
ausgeflosseii. wodurch der Fntcrleih kahnförmig einsinkt, wiril 
«li«* Cystenwand ineidirt und der noch vorhandene Rest der Flüssig¬ 
keit. durch grosse Tupfer entfernt. Die in die Höhle eingeführt** 
Hand kann nach oben weit unter «len Rippenbogen lilnaufgreifeti. 
liiiit«*!) die Nr«*r«\ in d«*r Mitte «li«* Wirbelsäule und Aorta abtnsten. 
Darnach wird mit dt*r Exstirpation der Cyste begonnen, dies ge¬ 
lingt mit «ler vorderen Wand zicmlh'h leicht; es werden nur wenige 
Fnterbindungeii mötliig. Je m«*br mau aber nach hinten gelangt, 
desto sch wer« *r lässt sich der Balg mehr liervorz^hen un«l desto 
r« , i<*liliel»er wird auch die Blutung, so dass von einer vollständigen 
Exstirpation, die auch hei «ler enormen Grösse der Geschwulst 
eine allzu grosse Wundhöhle hinterlassen hätte, Abstand g«‘ 
nominell wird. Der hcrauspräparlrte Theil des Cystenbalges wird 
abgetmg« n. «l«*r noch stehen gebliebene in die Hautwunde pIu- 
gonälit. Drain. Tamponade. Der Kranke hat die Operation gut 
überstanden. 


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13. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1337 


Die mikroskopische Untersuchung der entleerten Flüssigkeit 
ergab nur die Bestand«heile des Blutes, die des exstirpirten Cysten¬ 
balges, der an seiner inneren Fläche leicht granulirt erschien, im 
Uebrigen aber glatt war, Hess nichts Charakteristisches erkennen, 
insbesondere waren Epithellagen nicht wahrzunehmen. 

Der bisherige Verlauf nach der Operation war im Ganzen ein i 
guter. 

3. Herr Landau berichtet über einen von L a n z be¬ 
schriebenen Fall von Fibroma molluscum und demonstrirt eine 
Abbildung desselben. 

4. Herr Neukirch referirt über einen Patienten mit einem I 
grossen perltyphlltischen Abseess, i>ei dem auftretende Ileus- I 
erschelnungeu erfolgreich mit Atropin bekämpft wurden. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Acad6mie des Sciences- 

Sitzung vom 17. Juni 1001. 

Anwendung der Bierhefe zum Studium des Grundwassers. 

Miquel wendet seit l»/ 2 Jahren reine Bierhefe an. um zu 
beweisen, dass der Erdboden keine reinigende Kraft auf das 
Wasser hat; dieses Mittel kann auch gebraucht werden, um Com- 
iuunikationen zwischen Oberflächen oder tiefer liegendem Wasser , 
mit Quellwasser u. s. w. festzustellen. Das betreffende Wasser 
muss natürlich zuvor untersucht werden, ob es nicht schon den 
Saccharomyces cerevlsiae enthält; die im 10—20 fachen Volumen 
Wasser aufgelöste Hefe, wovon je nach Umständen 10, 20 und 
mehr Kilo nöthlg sind, wird ln das Wasser geworfen und um sie 
an Irgend einer beliebigen Stelle wiederzutiuden, das verdächtige 
Wasser in Kolben, welche verzuckerte Bouillonpepton enthalten, 
segelten. Nach 24—48 Stunden werden die Kolonien des Saccharo¬ 
myces cerevis. und auch sehr bald eine energische Alkoholfermen¬ 
tation sich entwickeln. M. fand, dass die liefe nicht merklich an 
Lebensfähigkeit auch nach langen unterirdischen Wanderungen 
einbüsst und dass man sie noch am Ende von über 1«M» km langen 
Wasserläufen und nach einem Aufenthalt von mehr als 2 Monaten 
entweder in diesen oder im Innern des Bodens wieder naehweisen 
konnte. 

Sitzung vom 24. Juni 1901. 

Die lokale Anaesthesie mit den häufig unterbrochenen Strömen 
in der Zahnheilkunde. 

R e g u i e r und D i d s b u r y stellten mit den Strömen nach 
«l'A rsouval. d. i. häuüg unterbrochenen Strömen von hoher In¬ 
tensität (100—150 MA) und mit speciellen Elektroden diesbezügliche 
Versuche an und kamen zu folgenden Ergebnissen. Die Extraction 
der Schneidezähne ist mit der Anwendung der Elektricität fast 
immer eine schmerzlose, ebenso die der Eckzähne, bei deu Molaren 
ist das Resultat ein wechselndes, die ersten Mabiziilmc sind meist 
leicht zu anaesthesiren, die letzten weniger leicht; ebenso geben die 
mit Periostitis behafteten Zähne wechselnde Resultate. Die Dauer 
«ler Applikation des elektrischen Stromes beträgt 5 Minuten, die¬ 
selbe ruft keine unangenehme Nebenwirkung oder sekundäre Re¬ 
aktion hervor. 

Ster n. 


Verschiedenes. 

Öcul a r l u m. Seit einiger Zt^t hat sich, wie wir einer 
Mittheilung des Pressausschusses des ärztlichen Bezirksvereius 
München entnehmen, in München wie auch in anderen deutschen 
Städten ein Brilleugesohüft unter dem wohlklingenden Titel 
„Oenlarium“ etnblirt, welches „kostenlose Augenuutersuchung 
zwecks Verordnung passender Augengläser durch eigens an- 
gestellte Augenärzte“ in Zeitungen und Plakaten anpreist. Nach¬ 
dem schon aus Mittheilungen der Schlesischen Aerztecorrespondenz 
•►ekauut war, dass die reklamliaften Ankündigungen des „Ocu- 
lariuin“ mit grosser Vorsicht aufzunehmen seien, so dass der Bres¬ 
lauer ärztliche Verein es mit der ärztlichen Ehre unvereinbar 
erklärt hat, an diesem Institut thätig zu sein, hielt es auch der 
ärztliche Bezirksverein München für angebracht, über die „eigens 
Angestellten Augenärzte" Erhebungen zu pflegen. Diese ergaben, 
dass die eigens augestellten Augenärzte repräsentirt sind durch 
einen jüngeren Arzt, Namens Frankel, welcher augibt, seine 
angenärztllche Ausbildung in Würzburg bei Herrn GeheimratU 
Professor Michel erhalten zu haben. Auf eine Anfrage bei 
diesem erfolgte die Antwort, dass er sich an einen Herrn dieses 
Namens überhaupt nicht erinnere. Der betreffende Herr isi also 
jedenfalls kein Augenarzt im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern 
praktischer Arzt; wenn auch jeder prakt. Arzt gesetzlich das Recht 
hat, Augenheilkunde zu treiben, so versteht man doch Im Publi¬ 
kum unter Augenarzt einen Specialisten, welcher nach Erlangung 
seiner Approbation als Arzt doch längere Zeit hindurch an einer 
Augenklinik als Assistent thätig wur und es gilt, unter den Aer/teu 
mit Recht als unanständig und unzulässig, sich Specialist zu 
uennen, ohne eine solche besondere Vorbildung. Wenn also das 
..Oeularium“ von eigens ungestellten Augenärzten spricht, so 
können wir darin nur eine Irreführung des Publikums erblicken. 
Was übrigens die angeprieseneu dichroiuatIschen Augengläser des 
Professors aus Persien betrifft, so dürfte Uber die Vorzüge der¬ 
selben unter Sachverständigen wohl nur eine Meinung bestehen 
uod zwar die, dass sie dem Verkäufer nützlich sind. Das Ge- 
wbäftsgebahren des Oculariums, sowie das Verhalten des Arztes, 


der sich in den Dienst eines derartigen Unternehmens stellt, dürfte 
damit genügend gekennzeichnet sein. Das letzter«* ist. ganz ab¬ 
gesehen davon, dass es Ansehen und Interessen des ärztlielieii 
Standes verletzt, um so bedauerlichen, als es in unserer Zeit 
zweifellos moralische Pflicht Jedes Arztes ist. dem unlauteren 
Wettbewerb in jedem «leidet der Heilkunde entgegenzutret«*n. 

Unanständig e r P r a x i s e r w e r h. Von kollegialer 
Seite geilt uns das nachstehende, an bayerische Apotheker ge¬ 
richtete Circular eines Arztes zu. «las in «ler Timt verdient, 
niedriger gehängt zu werden, wesslmlb wir es hier zum Abdruck 
bringen. 

München, Jägerstrasse 3 b. deu. 

Geehrter Herr Apotheker! 

Entschuldigen Sie, geehrtester Herr Apotheker, gütigst, wenn 
ich — obwohl persönlich unbekannt — mich an Sie wende. 

Suche einen einigermaassen einträglichen Arztposteu, wo¬ 
möglich mit Ilandapotlieke, und wäre für diesbezügliche Mit¬ 
theilung sehr dankbar; selbstredend würde ich mich coutractlich 
verpflichten, bei allen Bestellungen nur Ihre Apotheke zu be¬ 
denken; ausserdem können Sie sich versichert halten, dass meine 
Roeeptur nicht kärglich sein würde. 

Bin 33 Jahre alt, katli.; la. amtliche Referenzen stehen mir 
zur Verfügung. 

Indem ich beiderseits ehrenwörtliclie Diskretion vorausseiz«\ 
zeichne ich in Erwartung baldmöglichster Mittheilung 

Ergebenst 

Dr. F. S e d 1 in a i r, Balinarzl. 

Therapeutische Notizen. 

A s p i r i n it n d Di o n in bei K i u d e r k r a n k li «* i t e n. 

Da über die Wirkung dieser beiden Präparate bei Kimlern bisher 
noch keine Beobachtungen vorliegen, sind die von U. Gott- 
schalk in der Kindeipoliklinik von II. N e u m a n n - Berlin an 
gestellten Versuche von Interesse. 

Das Aspirin erwies sich hiebei in Dosen von \\—>/ 2 S bei 
Kindern in deu ersten Lebensjahren als dem salicylsaureu Natron 
mindestens gleichwertig. Das licobaehtote Material umfasst 
3<» Kinder, davon 20 mit Influenza, die übrigen mit rheumatischen 
Affekt innen und Uliorea. Nebenerscheinungen. Mageustörungen 
u. s. w.. wurden nicht beobachtet. IM«* Maximaldosis betrügt bei 
grösseren Kindern 2—3 g pro die. Die Anwendung in Tabletten 
form empliehlt sich schon der Billigkeit wegen. 

Was das Dion in betrifft, so fand «w liei 52 Perliissisfälien 
Anwendung und erwies sich hier, wenn auch nicht als Speeiiieiim. 
so doch als sehr werthvolles und unschädliches Xarkolieuni. «las 
in seiner Wirkung zwischen Morphium und Codein stellt und eben¬ 
falls keine Nebenerscheinungen iui Gefolge hat. Die Anwemlnng 
erfolgte in Dosen von >/ 2 mg bei einjährigen, 1 mg bei zweijährigen 
und steigend bis zu 5 mg b«*i achtjährigen Kindern und zwar in 
Form einer Lösung von 0,01—0,02—0.1 auf .loti.o dreistündlich ein 
The«- bis Kinderlöffel voll. Sobald Schlafwirkung eiulritt, ist die 
Dosis etwas herabzusetzen. (Therap. Beilage der Deutsch, med. 
Woelionschr.) F. L. 

Gegen Nachtschweis d - « !« ■ -B. h. t h 1 s i k e r haben \/ 
sich nach Mittheilung von N o 1 d a - Montreux-St. Moritz Ein- 
roibungen von Tanuoform bewährt Das Tannoform-Streu- V 
pttlver (1 Tannoform auf 2 Talcum venetum) wird einfach mit der 
flachen Hand In die Haut (der Brust, in schweren Fällen der 
Brust, des Nackens und des Rückens) eingerleben, die einge¬ 
riebenen Partien werden Morgens und Abends behufs Reinigung 
der Ausführungsgüuge der Schweissdrüsen mit Franzbranntwein 
abgerieben. R. S. 

Zur Behandlung der Unterschenkelgeschwür«.*. 

Schon seit über Jahresfrist habe ich die mir vorkommenden Fälle 
von ITnterschenkelgeschwiircn mit Kamp her behandelt und 
zwar in Form einer Salbe, deren Recept mir durch die Güte eines 
älteren Apothekers übermittelt worden war. Ich verschrieb dar¬ 
nach: 


Camplior. trit 

0,3, 

01. oliv. 

2,0, 

Liqu plumb. äset. 

2,0, 

Ungt. Hydrarg. praes alb. 

3t>,0, 


m. f. uugt. etc. 

Ich wählte diese Salbenform, du es sich in meiner Praxis 
lediglich um ambulante Fälle handelte, bei «lenen der Erwerbs¬ 
verhältnisse wegen eine Bettruhe nie, eine relative Schonung kaum 
zu erzielen war. Waren doch von meinen 4 Patientinnen, die uii«*li 
wegen des Ulcus eruris eonsultirten 3 Wäscherinnen resp. Plätte¬ 
rinnen, die nicht aussetzen durften, ohne für diese Zeit brodlos 
zu sein. Die Geschwüre waren zum grossen Theil arg vernach¬ 
lässigt, oft von einem Längendurchmesser von 10—14 cm. 

Der Erfolg war. trotz der geringen Schonung, ein recht guter, 
nämlich völlige Heilung in einem Falle, in 3 anderen Heilung und 
ITeberliäutung bis auf etwa zehnpfennigstückgrosse Stellen. Schon 
nach 3 tägiger Behandlung begauneu gesunde Granulationen sich 
zu bilden. 

Ich lialt«* obiges Resultat für um s<> bemerk«;nsw«-rtlh*i\als ein»* 
nach Auflegen der S:ilb«-iiläppeli«*ii. 

Ich halte obiges Resultat um so henmrkeuswortlier. als eine 

5. Patientin, die ich vor Keniituiss des Kamplierreeepls mit Liqu. 


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1338 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 33. 


nlumin.m-ctic. uml I>«»rmntolpudenmg behandelte», nur ganz geringe 
Besserung zeigte uml noch heute tingehellt i.st, nachdem sie sich 
der so wenig erfolgreichen Behandlung entzogen hatte. 

Dr. Bank- Arns wähle. Nm. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 13. August 1JWH. 

— Das (' e n t r a 1 c o m i t e f ii r das H r z 11 i e h e F ort - 
bi 1 d u u g s w e s e n ln I'reiis« e n veranstaltet, im Winter 
1901/1902 eine Keilte von unentgeltlichen Fortbildungskursen und 
Vorträgen für praktische Aerzte in Berlin. Fs werden 15» Kurse 
aus allen (Jebieten der Medicln abgehalten, von denen j«*«ler 
3—3 Monate «lauert. Die Vortragsreihe lmtrifft das <J«»bi«»t der 
ärztlichen Kriegswissenschaft. Zur Theilnahine au «len Fort- 
blhlungskursen und Vorträgen ist jeder in Berlin und Umgegend 
praktleireinle Arzt gegen Lösung einer nicht übertragbaren Karte 
berechtigt. Für «lieselbe wird eine Fiuschreibgebiihr von 3 M. 
für jeden einzelnen Kurs und die vollständige Vortragsreihe — er¬ 
hallen. Die Kartell, welche als Legitimation dienen, sowie die 
Verzeichnisse der Fortbildungskurse und Vorträge siud im Direc- 
tionsburenu der Charit«'» zu erhalten. Schriftlichen Bestellungen 
siud ein frankirtes Ctinvert mit der A«lress«> <l«»s Bestellers und 
die Finsclirelbegebiihr für die gewünsclit«»n Karlen beizufügen 
tili Briefmarken «nler «lurch Post an Weisung, nicht in Metallgehl 
im Couvert.». Alle schriftlichen Bestellungen und etwaige Post¬ 
anweisungen sind zu s«»nden an: Herrn ltechnungsrath Trau«». 
Kgl. Charitf». NW., l'nterhaumstrasse 7. Siimmtliclu für «las 
Centralcomitß bestimmten Zuschriften, welche sieh nh»ht auf di«» 
Bestellung von Karten otler Verzeh-hnlssen bi»zh»heii. sind zu 
richt«»n an das Bureau des C«»iitrah»omit(*s z.H. «les Schriftführers 
K. K u t u e r. W., Steglltzerstrass«» .71 (vom 1. Oktal »er an: W.. 
Flsslmlzstrasse 13). 

---■ Auf «l«»r Naturforsch«»rvcrsammlung In Hamburg soll die 
(1 r ii n «1 u u g ei n «* r D euts «• h «* n G «» s «• 11 s c li a ft f ii r 
Orthopädie lierath«»n werden. Namens einer Anzahl hervor- 
ragemh'r «leutsch«»r Orthopäden erlässt Dr. H «» e f t m a n- 
Königsberg eine Einladung an alle diejenigen Kollegen, die sich 
für diesen Zweig der Chirurgie interesslreii. sich zu einer «lles- 
beziiglichen Bes|>rechung am Montag «len 33. September 1. .1. im 
Fppendorfer Krankenhaus«», im Anschluss au «lie Naclnnittags- 
sitzung, eluzurtmlcii. Ein Aufruf liegt «1cm Programm der Natur- 
forscherversnuinilung bei. 

— Der Grossherzog von Oldenburg hat den vom Landg«»ri«»h! 
zu Lübeck am 30. Oktober v. .Is. w«*gen fahrlässiger Tödtuug zu 
3 Jahren Gefängniss venirtliellten praktischen Arzt Dr. Busch 
in S«»hwartau begnadigt. Dr. Busch hatte bekanntlich 
einem an Breididuivhfall «»rkrankt«»n Kinde ein«- grössere Dosis 
Opiumtinktur veror«lnot, weh»he nach dem Gutachten «l«»r Sach¬ 
verständigen «l«»n Tod d«»s Kindes zur Folg«» hatte. 

— Der Geh. Sanitätsrath Dr. Fried rieh Körte in Berlin 
feierte am 0. «ls. sein dt» jähriges Doctorjubiliium. 

— Pest. Grossbritaiinien. Bei «len in Plymouth vom Dampfer 
..Ormuz“ nbgcson«l«*rten beiden Krauki>n hat sich der Ver»la«-ht 
auf I*est nach dem Krgebniss der ba«»teriologisclieii T'ntersu«»hurg 
nicht bestätigt. — Britisch-Ostlndicn. In der Präsidentschaft Bom¬ 
bay wurden in der am 5. Juni endenden Woche 13i»l P«*st erkrank- 
uugen uml 081 Pestto<lesfäIle gemeldet, ln «ler Stadt Bombay 
zählte mau vom 30. Juni bis (5. Juli 84 Erkrankungen und 07 p.»st- 
todesfiille. — Türkei. In K«>ustautiu«>pel sind in der Zeit vom 
33. bis 34. Juli (5 weitere Pest fülle festgestcilt worden. — Aeg.vpt »n. 
Vom 11». bis 30. Juli wurden in Zagazig 3 Pesterkrankung.»n 
(1 Todesfall), in Alexandrien 4. in Port Said 1 fcstg«»st«»Ili. - 
Philippinen. In Manila war die Pest zu F«dge einer Mittheilung 
vom 13. Juni im Zunehnien begriffen. — Japan. Auf dem britis«»lu»n 
Dampfer ..Empr«*ss of China”. w«»l«»her am 5». Juni v«»n Hongkong 
ülH»r Shanghai in Nagasaki einlief, zeigten b<»i der Ankunft zwei 
«•hinesis«»he Passagiere pestverdächtige Krank ticiisersehclmingcii. 
l»i«* Kranken wurden gelandet und in das Hospital «ler Ouarjin- 
tänestation g«»schafrt; einer von ihnen ist am 14. Juni nachge- 
wies«»nermaass«»n an Pest gestorben. Von dem Dampfer war be- 
reits in Shanghai ein Passagier gelandet, weh-her daselbst an Pest 
verst«>rben ist. — Kaplaiul. In «ler am (!. Juli abgelaufelieu Woche 
wurden in der ganzen Kolonie 8 Erkrankungen augezeigt: ge¬ 
storben sind 4 Kranke, einschliesslich 3 auf gefundener Leichen. 
Es befanden sich am <5. Juli no«»h .75» (13) Kranke in Behandlung 
und als post verdächtig unt«w Beobachtung 13 (01. nachdem bei 
1 Pb Krank«»n im Laufe «ler Woche Pest festg«»stellt worden war. 

«juccnsland. In «len beiden Wo«»hen vom 3.7. Mai bis 8. Juni 
sind nach den amtiicht»n Ausweisen 3 Erkninkungeu (3 Todesfall«*). 

1 ii) angezeigt worden. — Britiseh-OstindU»!». In Kalkutta «*r- 
kraukteii 1.7 P«»rs«»nen an P«»sf und starln»!! 14. 

— In der 30. .lalir«»swo«-he. vom 31.—37. Juli 1901, hatten von 
deutsch«»!! Städten über 4<» ooo Eiuwoliner die grösst«» Sterbli«»hk«»it 
Posen mit 45».7. die g«»ringste Solingen mit 5).1 Todesfällen pro 
Jahr uml looo Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller Gt»storb«»nen 
starb an Diphtherie und Croup in Kn ml »erg. 

(Hochs eh u Inach richten.) 

Berlin. Privat<lo«»«*nt Dr. med. Burg hart, Assistent «l«»r 
II. med. Klinik, ist zum Oberarzt der inneren Abtheilung d«»s 
städtisch«»!! Louisenhospitals in Dortmund berufen worden. 

G i e s s e n. Habilitirt: Dr. F. Volliar «1. Assistent der m«»d. 
Klinik für innere Medicln. 


L i 11«». D»*r Professor «ler externeu Pathologie an «i«»r med. 
Fakultät zu Lilh». Dr. Bau dry. wunle auf Ansuchen an Stell«. 
«l«»s nach Paris berufenen Prof. Dr. de Ln personne zum 
Professor der ophthalinoskopisclieu Klinik «»mannt. 

St. Petersburg. Ilabilitirt: Dr. K. Peters für Pii«l 
iatrie an d«»r niilitärmedicinischen Akademie. 

P h i 1 ii d e 1 p h i a. I>r. »Fr. K. P a c k a r «1 wurde zmii Pro¬ 
fessor «ler OhivulieilkuiKle ernannt. 

Prag. Der Prlvat«lo«»ent für Chimrgie an der <*zeehIschen 
m«»«l. Fakultät Dr. O. Kukula wurde zum a. o. Pro/essor er¬ 
nannt. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Erledigt: Di«» Bezirksarztesstellen I. Klasse ln Kitzingeti uni 
Tinunstein sind in Eri«‘«liguug gekommen. Bewerlier um «iie- 
sellien haben Um» vorsehriftsmässig belegten Gesuelie 1 h» 1 «ler 
ihnen Vorgesetzten kgl. Uegjerung, Kammer «l«»s lnn«»rn. l»is zum 
38. August 1. Js. einzureichen. 

In den Ruhestand versetzt: l>«»r Bezirksarzt I. Klsssc. 
Dr. Joseph S <• li m i «1 t in Kitzingen. s«»iner Bittt» entsprecheml. 
wegen imehgewies« ner Krankheit uml hiedureli btslingter Dienst« s- 
unfählgkcit auf die Dauer eines Jaiires. 

In den «lauernden Ruhestand versetzt: Der Btzirksur/t 
I. Klasse. Medleiualrath Dr. Emil (Jessele in Traunstein, seiner 
Bitte entspm-heiul. wegen ziirü«»kgelegten 70. I Lebensjahres. unter 
Aiierk<»nmmg seiner langjälirigen ausgezeichneten Dienstleistung 

Versetzt: Der Assist«»uzarzt Dr. Adolf F 1 e i s «* li m a n n «ler 
Reserve (Ludwigsiia fein in «len Frietlensstand il«»s 33. (nf.-Reg. 

Befördert: Zu Assistenzärzten «lie Unterärzte Wilhelm Brünn 
im 13. Inf.-Ueg.. Dr. Otto Kot t im 8. Inf.-Keg.. Ludwig Köckl 
im 31. Inf.-Keg. 


Amtlicher Erlass. 

(Bayern.) 

Bekanntmachung, 

Die Prüfung für den ärztlichen Staatsdienst im Jahre 1902 betr. 

K. Staatsministerium des Innern. 

Nach Maassgab«» «l«»r §§ 1 u. 3 der Kgl. Allerhöchsten Ver¬ 
ordnung vom ii. Februar 187(5, «lie Prüfung für den ärztli«*ln»n 
Staatsdienst lictreffend (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 301) wird 
für «las Jahr 15103 eiue Prüfung für den ärztlichen Staat»ulieiixt 
abireiiaiten w«»rden. 

Die Gesuche um Zulassung zu «l«»rselb<»n sind unter Vorlage 
«h»r Original«» <l«»s Approbationszeugnisses und d«»s Doctor- 
diploms «ler niedi(‘Uiisclien Fakultät einer Universität «les dentwlien 
Reiches bei Vermeidung des Ausschlusses voll der Prüfling 
spätestens bis 30. September 1. Js. bei jener Krelsregieruirg. 
Kammer «l«»s Innern, eiuzureichen, in deren B«»zirk der «lermallg»» 
Widmsitz «l«»s Gestieltst «»Hers sich liefindet. 

Im Gesuche Ist zugleich «lie Adresse für die seinorzeltige Zu¬ 
stellung des Zulassmigs<lekret<‘s g«»nau aiizugeben. 

71 ii li c l! e n. «len 38. Juli 15)01. 

Dr. Frhr. v. Feilitzsch. 


Morbiditätsstatistik d. InfectionskrankheitenfUr München 

in der 31 Jalircswoclus vom 23 Juli bis 3. August 1901. 

Rethciligte Aerzte 187. — Brechdurchfall 30 (j 5*), Diphtherie, 
Croup 4 (17), Erysipelas 6 (8), Intermittens, Nenralgia interm. 
1 (|), Kindbettfieber - (—), Meningitis cerebrospln. — (1), 
Morbilli 3o (28 , Ophlhalmo-Blennorrhoea neonat. — (3\ Parotitis 
epidem 3 ^ 1), I'neiiiuonia cronpoRa 9 (■•), Pyaemio, Septikaenuie 
— (1), Rlieumatismus art. ac. (1.7), Rulir (dysenteriu) — (-> 
Scarlatina 8 (7), Tussis convulsiva 12 (18), Typbus abdominalis 
1 (1), Varicellen 12 (10), Variola, Variolois 1 (—), Influenza — (D, 
Summa 123 (152). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in Manchen 

während «lei 31. .Tahreswoclie vom 28. Juli bis 3. August 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 982. 

Todesursachen: Masern 2 (1*), Scharlach — (t), Diphtherie 
und Croup 1 (2), Rol.hlauf — ( —), Kindbettfieber — (1), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) - (I) Brechdurchfall 10(8), Unterleibtypbus 

1 (--), Keuchhusten 2(4), Croupöse Lungenentzündung 1 «.3), 
Tuberkulose a) der Lungen 23 (23), b) der übrigen Organe 2 (6), 
Akuter Gelenkrheumatismus — andere übertragbare Krank¬ 

heiten 1 (4), Unglflcksfälle 8 (4), Selbstmord — (2), Tod durch 
fremde Hand — (—). 

Die Gcsammtzahl der Sterbefälle 181 (189), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen lö,8 (19,6), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,7 (11,1). 


•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. K I.ehmaun ln München. — Druck von K. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerel A.G., München. 


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Dio Mönch. Med. Wochenschr. erscheint wSchentl. 
ln Mommera von durchrehnlttlU-h 6—6 Bogen. 
Preis ln Deatxchl. u Ocet.-Üngern vlerteljihrl. 9 JL, 
Ina Ansland 7.50 JL Einzelne No. 81 4- 


MÜNCHENER 


Znscndungen sind zn adresstren: Für dlo Bodactlon 
Ottosirasae 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬ 
mann, Heastrasse 20. — Für Inserate nnd Beilagen 
an Rudolf Mosse, Promcnadcplatx 16. 


M ED ICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Heraasgegeben von 

Cb. Blnnler, 0. Bolllnger, H. CurscbnaoR, C. ßerhirdt, 6. Merkel, J. y. Michel, H. y. Ranke, F. y. Wlackel, H. y. Zleassee, 

Freibarg I. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. München. 


No. 34. 20. August 1901. 


Rednction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 10. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der Züricher chirurgischen Klinik. 

Zwei Fälle von durch Naht geheilten Stichverletz¬ 
ungen des Zwerchfells. — Transdiaphragmatische 
Leber- und Nierennaht. 

Von Prof. Dr. Carl Schiatter, Secundararzt der Klinik. 

In der Gesellschaft der Aerzte der Stadt Zürich habe ich 
vor einigen Jahren einen Patienten mit einer Thoraxstichver¬ 
letzung vorgestellt, welchem aus der Pleurawunde heraus ein 
faustgrosses Stück Netz prolabirte. Es gelang mir nach Er¬ 
weiterung der Thoraxwunde, das vorgefallene Netz durch die 
Zwerchfellwunde hindurch in die Bauchhöhle zu reponiren und 
die Zwerchfellwunde durch 6 Seidennähte zu schliessen. 

Da ich mich bei der Publikation jenes Falles') mit den 
Zwerchfellverletzungen eingehender beschäftigt habe, beschränke 
ich mich heute nur darauf, dem spärlichen diesbezüglichen 
kasuistischen Material zwei weitere Fälle anzureihen, von welchen 
der eine wegen der schweren Komplikation mit Leber- und 
Nierenstich ein ganz besonderes Interesse verdient. 

Seit der Veröffentlichung meines Falles sind von Schmidt ) 
— als Fortsetzung der 1880 von Lacher zusammengestellten 
Statistik von 36 Fällen — 53 weitere Stichverletzungen des 
Zwerchfells aus der gesammten Literatur gesammelt worden. 
Bei der Durchsicht seiner Tabellen fällt eine eigentümliche 
ethnographische Verbreitung dieser Verletzungsart auf. Mit 
wenigen Ausnahmen sind es italienische Chirurgen, welche über 
derartige Verletzungen zu berichten wissen. Die unglückselige 
italienische Volkssitte des Messerziebens im Streite lieferte den¬ 
selben das Material, und meine eigenen Beobachtungen habe ich 
acch nur der hierzulande besonders starken Vertretung der 
italienischen Arbeiterbevölkerung zuzuschreiben. 

Die beiden Krankengeschichten lauten kurz gefasst fol- 
gendermaassen: 

I. Fall. F. E., 24 Jahre, Buchdrucker, Zürich, wurde am 
Ostersonntag den 15. April 1900, Abends y s 12 Uhr beim Durch¬ 
schreiten der Ortschaft Adlikon von Italienern grundlos über¬ 
fallen, bekam zuerst einen heftigen Schlag auf den Kopf und gleich 
nachher einen Stich ln die rechte Seite. Er sank sofort zu Boden, 
wurde dann später von Bauern aufgehoben und ln ein Haus ge¬ 
tragen. Der herbeigerufene Arzt deslnflzirte die Wunde, legte 
4 Seidennähte und einen Nothverband an und schickte den Patien¬ 
ten am nächsten Morgen y 2 ll Uhr ln das Kantonsspital Zürich. 
Auf dem Transport soll Patient noch viel Blut aus der Wunde ver¬ 
loren haben. Eine Stunde nach der Verletzung trat einmaliges 
Erbrechen ein. 

Aufnahmestatus. Sehr anaemischer, gut gebauter 
junger Manu; Lippen und Hautfarbe äusserst blass; Sen- 
sorium frei; Puls klein, Frequenz 100; Respiration 50, ziemlich 
ruhig. Die rechte Thomxseite bleibt bef der Athmung zurück. 
Hinten rechts Dämpfung, welche bis zum 7. Brustwirbel reicht. 
Herzbefund normal. Abdomen flach, etwas eingezogen, Baueh- 
decken gespannt, besonders der rechte Rectus abdomlnis, keine 
Druckempflndllchkeit, eine undeutliche Dämpfung auf der rechten 
Abdominalsette. 


') Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte 1895. No. 12. 

S c h 1 a 11 e r: Zur chirurgischen Behandlung der Zwerch¬ 
fell rupturen. 

*) Ucber die Verletzungen des Zwerchfells mit scharfen In¬ 
strumenten. Dias. Strassburg. 1898. 

No. 34. 


Lokalbefuud und Therapie. Nach der Entfernung 
der draussen angelegten Nähte zeigt sich in der rechten mittleren 
Axillnrllnle zwischen der 9. und 10. Rippe eine horizontal ver¬ 
laufende, 2,8 cm lange, etwa 12 mm weit klaffende Wunde mit 
scharfen Rändern. Nach Desinfektion derselben und Auseiuander- 
ziehen der Wundrilnder erkennt man die 9. Rippe mit der 
Ihr angehörenden Art lntercostalls ebenfalls 
scharf durchtrennt. Bel jedem Athemzuge pfeift Luft 
durch die Wunde ein und aus. In der Wundumgebung befindet 
sieh subkutanes Emphysem. 

In Aetliernarkose wird die 9. Rippe in einer Ausdehnung von 
ea. 10 cm reseeirt find in der Richtung des Hautschnittes die 
Pleurawunde erweitert Der Lungenrand kommt nicht zu Gesicht, 
da die rechte Lunge eingesunken Ist. Aus der Pleurahöhle ent¬ 
leert sieh fortwährend koagullrtes Blut. In dem der Thora x- 
wunde entsprechenden Zwerchfe 11 abschn111 
findet man ebenfalls e 1 n e 3 cm 1 a n'g e Stichwunde. Die¬ 
selbe wird bis auf ea. 8 cm erweitert. Aus derselben entleert sieh 
von der Abdominalhöhle her reichlich Blut. Der durch die Zwerch¬ 
fellwunde eingeführte Finger findet am seitlichen Leberrand einen 
stark blutenden, randständigen, ea. 2y 2 cm den 
Leberrand einkerbenden Schnitt und nach unten 
davon eine zweite, kleinere, etwa 6 mm breite, die Leber 
nicht penetrlrende Wunde. Von diesen beiden Leberstich¬ 
wunden blutet die grössere, hintere sehr stark. Die Blutung 
aus derselben wird vorläufig dadurch gestillt, dass der Leber¬ 
lappen nach oben vorn an den Rippenpfeiler angedrückt wird. 
Nun erst zeigt sich ln der dahinter liegenden rechten Niere 
ebenfalls eine Stich wunde. Mit I^eichtigkelt lässt sich 
der Zeigefinger c a. 8 cm tief in dieselbe einführen. Die Blu¬ 
tung aus dieser Wunde Ist auffallend gering. In der freien Bauch¬ 
höhle zeigt sich besonders auf der rechten Seite viel flüssiges 
und ca. 100 ccm koagullrtes Blut. 

Mit kleinen Sublimattupfern werden die Leber- und Nieren¬ 
stichwunden deslnflzlrt. Die Nierenwunde wird durch 
5 tief geführte Nierenparenchymnähte, die 
grössere Leberstichwunde durch 4 Parenchym- 
Kapselnähte, die kleinere durch eine Naht ge¬ 
schlossen. Daraufhin steht die Blutung vollständig. 
Nachdem noch die Bnuchhöhle mit Stieltupfern von 
dem ausgeflossenen Blute gereinigt worden, wird die 
Zwerchfell wunde durch eine Reihe Seiden- 
knöpf nähte geschlossen. Die Wunde der Pleura 
costnlis wird ebenfalls durch Seidenknopfnähte vollständig ver¬ 
einigt und schliesslich die Hautwunde in ganzer Ausdehnung ver¬ 
näht, ohne dass ein Drain eingelegt wird. 

Im Urin zeigte sich kein Blut, nur mikroskopisch lassen sich 
einzelne Blutkörperchen nachwelsen. 

23. April 1900. Patient hat nie irgend welche Symptome von 
Selten des Abdomens, wie perltonltische Reizung, Erbrechen, 
Meteorlsnms oder Dämpfung gezeigt. Ebenso hat sich die Pleura 
ganz reaktionslos verhalten. Die Dyspnoe Ist von Stunde zu 
Stunde zurückgegangen, die Athemfrequenz In wenigen Tagen auf 
normale Höhe zurüekgesunken. Die Dämpfung besteht immer 
noch bis zur mittleren Axillarlinie. Die höchste Temperatur 
während dieser ersten Woche war 38,2 0 C. (am zweiten Abend 
nach der Operation). Die Wunde ist per primam gehellt. Die 
Huutnühte werden heute entfernt. 

9. Mal 1900. Die Dämpfung ln den hinteren, unteren Par¬ 
tien hat abgenonimou. Patient steht heute zura ersteu Male auf, 
fühlt sieh vollständig boschwerdefrei. 

Am 1(5. Mai 19<»0 verlässt Patient das Spital als vollständig 
geheilt. 

Bel der Vorstellung des Patienten am klinischen Aerztetng der 
Gesellschaft der Aerzte des Kantons Zürich am 2(5. Juni 1901 zeigt 
sich der Patient ln vollkommen gesundem Zustande und berichtet, 
er hätte seit dem Spltalaustritte l>ereits grosse Bergtouren ohne 
die geringsten Beschwerden ausgeführt. 

II. Fall. Der 17jährige Schreiner N. J. von Zürich be¬ 
gleitete den vorigen Patienten F. K. (I. Fall» und wollte demselben 
bei dem Itnlienerüberfnll zu Hilfe eilen, als er ebenfalls von einem 
gegen Ihn kommenden Italiener einen Stoss gegen den rechten 

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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


Rippenpfeiler erhielt. Da er sah. dass er der Uebermacht der 
Italiener unterliegen müsste, ergriff er die Flucht und bemerkte 
hierbei, .dass er stark blutete und Äthemnoth bekam. In einer 
Wlrthsehnft des midisten Dorfes konnte er Unterkunft bekommen. 
Am folgenden Morgen wurde ein Arzt gerufen, welcher sofortige 
Transferirung des Verletzten in’s Knntousspital jinordnete. 

N. langte Morgens y 2 ll Uhr auf der chirurgischen Klinik 
au. Bei der Ankunft des Patienten wnr der Nothverband stark 
mit Blut durchtriiukt, Erbrechen war nicht eiugetreten, dagegen 
lag noch starke Dyspnoe vor. 

Aufnnhmcbetund. Der kräftig entwickelte junge 
Mann zeigt eine blasse, leicht cyauotische Gesichtsfarbe, beschleu¬ 
nigte, oberflächliche Athmuug, Frequenz 50. Puls 88, regelmässig. 
Seusorium frei. Die rechte Thoraxseite bleibt bei der Respiration 
etwas zurück. Die Auskultation ergibt abgeschwächtes Athmen 
über der rechten Lunge. Perkutorisch ist hinten rechts Däm¬ 
pfung zu konstatiren, welche bei leichter linker Seitenlage die 
hintere rechte Axillarlinie nicht überschreitet. Kein Hustenreiz, 
kein Auswurf. Patient klagt über Stechen in der Wuudgegend. 
Keine Besonderheiten des Circulatiousapparates. Abdomen kaum 
gewölbt, nirgends druckempfindlich, Seiteupartien nicht gedämpft, 
keine Resistenzen. Urin klar. 

Lokalbefund und Therapie. In der rechten Main- 
millarlinle befindet sich im 7. Intercostalraum eine horizontal ver¬ 
laufende. 18 mm lauge, 5 mm weit klaffende, scharf geränderte 
Wunde. Die Wundumgebung ist sugillirt, Hautemphysem ist 
nicht nachweisbar. 

Gründliche Desinfektion in Aetheruarkose. Es zeigt sich eine 
Fortsetzung des Stichkanales zwischen der 7. und 
8. R I p p e in die Pleurahöhle hinein. Die Wunde wird durch einen 
11 cm langen, auf der 8. Rippe geführten Schnitt erweitert und die 
8. Rippe in einer Ausdehnung von t> cm (4 cm Knochen, 2 cm Knor¬ 
pel) subperiostal reseeirt. Nach Erweiterung der Pleurawunde 
ist iu dem vorliegenden Komplementärraum die Lunge nicht sicht¬ 
bar. Das steil aufsteigeude Zwerchfell liegt der Pleura 
eostalis an und zeigt in Exsplrationsstelluug eine dem Stichkanal 
entsprechende, ca. 3 cm lange, theils scharf gerän¬ 
derte, theils zerfetzte Schnittwunde. Die elnge- 
fiihrte Sonde findet das Peritoneum nicht eröffnet, ln 
der Zwerchfellwunde wird-ein auffallend stark blutendes Gefäss 
sichtbar. Dasselbe kann gefasst und unterbunden werden. Die 
Zwerchfellwunde wird durch 4 Seidenknopf- 
nähte geschlossen. Nach Entfernung der Blutcougula aus 
der Pleurahöhle wird ein Jodoformgazedrain in die Pleurahöhle 
eingelegt und die übrige Pleura eostalis- und die Hautwunde durch 
NÜlite bis auf die Drainstelle vereinigt. Cynnose und Dyspnoe 
Maren etwas stärker als vor der Operation. 

Krankengeschichte. 25. April 1900. Die Dyspnoe 
hat sehr rasch nachgelassen. Am 2. und 3. Tage nach der Ope¬ 
ration sind leichte Temperatursteigerungeu, einmal bis 38,4° C., 
eingetreten. Der weitere Verlauf war afebril. Beim heutigen 
Verbandwechsel zeigt sich die Wunde reaktionslos geschlossen. 
Der eingelegte Gazestreifen und die Nähte werden entfernt. 

13. Mai 1900. Die Drainstelle ist bis auf eine kleine Granu¬ 
lation geschlossen. Die Perkussions- und Auskultatlonsverhült- 
uisse der Lungen sind beiderseits gleich, normal. Patient steht 
heute zum ersten Male auf. 

Am 19. Mai wird er geheilt und vollkommen beschwerdefrei 
entlassen. 

Beim Studium beider Krankengeschichten mag vielleicht die 
Frage aufgeworfen werden, welche Symptome mich zur Frei¬ 
legung des Zwerchfells veranlasst hätten. Mit Sicherheit war ja 
nur eine PleuraeröfFnung nachzuweisen und dem Operateur steht 
gev’iss nicht das Recht zu, ohne Weiteres bei jeder Eröffnung 
der Brusthöhle die Wunde zu erweitern, um über die Beschaffen¬ 
heit des Zwerchfells Aufschluss zu erhalten. Die Diagnose der 
Zwerchfellverletzungen kann ja, falls dieselben dem Auge oder 
dem tastenden Finger zugänglich sind, oder sogar vorgefallene 
Eingeweide darauf hinweisen, eine äusserst klare und einfache 
sein; in anderen Fällen ist sie eine ausserordentlich schwierige, 
oft. ohne Erweiterung der äusseren Wunde geradezu unmögliche. 
Symptome von Seiten der sich an die Verletzung anschliessenden 
Zwcrchfellhernien, wie Erbrechen, percutorische und ausculta- 
tcrische Phänomene sind ausnahmsweise auftretende Erschei¬ 
nungen. Eine vorliegende Dyspnoe kann verschieden gedeutet 
werden. Fehlen dabei noch genauere anamnestischc Angaben 
über die Länge des verletzenden Instrumentes und dio Richtung 
des geführten Stosses, so bleibt der Chirurg in einer höchst 
fatalen Lage. Er weiss, dass die Prognose der nicht operativ 
behandelten Zwerchfellverletzungen eine äusserst traurige ist. 
Unter den 33 Fällen, die Frey auffinden konnte, starben 2d, 
meist an Incarcorntion der vorgefallenen Eingeweide; er be¬ 
rechnet die Mortalität auf 87,8 Proc. Von 43 operativ behandelten 
Fällen der S e h m i d t’schen Statistik starben nur 6 = 12 Proc., 
und diese alle innerhalb weniger Stunden. 

Diese Zahlen sind nicht zu missdeuten, sie weisen uns auf 
den Werth einer möglichst raschen operativen Hilfe hin und 


wohl auch auf die Pflicht, in suspecten Fällen — dem Vorschläge 
P o 8 t e m p s k i’s folgend — mit dem gut desinficirten Finger 
in die Wunde einzugehen und das Zwerchfell abzutasten, auch 
wenn dazu eine Erweiterung der äusseren 
Wunde nothwendig werden sollte. 

In meinen beiden Fällen, ganz besonders beim ersten, lagen 
einige Erscheinungen vor, welche eine Mitverletzung des Zwerch¬ 
fells verdächtig machten. Die äusseren Wunden hatten ihren 
Sitz in den unteren Thoraxpartien, lagen also noch im Bereiche 
der Zwerchfellwölbung, ferner war aus der durchschnittenen 
Rippe zu schliessen, dass der Messerstoss sehr kräftig und dess- 
halb wohl auch in die Tiefe geführt worden war. Bei beiden Ver¬ 
letzten war ein Bluterguss in die Pleurahöhle nachzuweisen, 
welcher zwar auch einer verletzten Lunge entstammen konnte. 
Die verdächtigsten Symptome aber waren im Falle I die starke 
A n a e m i e, welche bei der beschränkten Dämpfungszone kaum 
einer Lungenblutung zugeschrieben werden durfte, und das 
Brechen. 

Auf welche Weise in der Leber des Erstverletzten zwei Stich¬ 
wunden zu Stande kommen konnten bei nur einer Zwerchfell¬ 
und Nierenwunde, ist mir unklar geblieben. Die Lage der 
Wunden lässt die Annahme einer Ein- und Ausstichöffnung 
nicht zu. Die variirende Lage der Leber in den verschiedenen 
Respirationsphasen muss wohl zur Erklärung herbeigezogen 
werden. Der kräftig geführte Stich wird zuerst Leberrand und 
Niere durchdrungen haben und beim Zurückziehen des Messers 
kann die anders eingestellte Leber (vielleicht bei heftigem plötz¬ 
lichem Pressen) ihre zweite Laesion erlitten haben. 

Auch bei diesem Anlasse haben wir uns von der bereits in 
einer früheren Arbeit *) hervorgehobenen prompten blut¬ 
stillenden Wirkung der Lebernähte auf profuse 
Lc-berblutungen überzeugen können. Seit der Publikation jener 
5 Fälle von (in Bezug auf die Blutung) erfolgreich ausgeführter 
Lebernaht hat sich uns diese Blutstillurigsmethode in weiteren 
5 Fällen von Lcberverletzungen auf’s beste bewährt. 

Im 2. Falle, wo der Stich nach Durchtrennung des Zwerch¬ 
fells gerade vor dem Peritoneum Halt machte, überraschte mich 
die unvermuthet starke Blutung aus einem Zwcrchfellgefäss. 

Den Zutritt zur Zwerchfellwunde verschaffte ich mir in 
meinem früheren Falle durch blosse Erweiterung der Thorax¬ 
wunde, in den beiden letzten Fällen wurde die Resektion einer 
Rippe nothwendig. Postcmpski und Rydygier em¬ 
pfehlen die Bildung von grossen, aus Wcichtheilen und Knochen 
bestehenden, aufklappbaren Thoraxwandlappen. Ferra resi hat 
diesen Weg eingeschlagcn, um bei einer, meinem ersten Falle 
ähnlichen Verletzung die Leber durch die Zwerchfellwunde hin¬ 
durch nähen zu können. In zwei anderen Fällen hat er nach 
dieser Voroperation dio transdiaphragmatische Milznaht aus¬ 
geführt, ebenso Impallomeni. Manara lind Amantc 
nähten in der auf diese Weise freigelegten Pleurahöhle den vor¬ 
gefallenen verletzten Magen und das laedirte Kolon transversum. 


Aus dem Allgemeinen Krankenhause zu Hamburg-Eppendorf. 

(Abtheilung von Oberarzt Dr. Rumpel.) 

Typische Albumosurie bei echter Osteomatacie. 

Von Dr. Georg Jochmann und O. Schümm. 

Eine ausgedehnte Literatur existirt über die sogen. Pep- 
tonurie, d. h. über das Vorkommen ei weisshaltiger Körper im 
Urin, welche nicht durch Hitze gerinnen und auch durch ihr 
sonstiges Verhalten sich von den Albuminen unterscheiden. 

Seitdem uns W. Kühne über die nächsten Spaltungs¬ 
produkte der Ei weisskörper unterrichtete und mit dem Namen 
Pepton einen Eiweissabkömmling bezeichnete, der als das aller¬ 
letzte Produkt der Verdauung von Eiweissstoffeu aufzufassen ist, 
erhob sich die Frage, ob das, was man bislang als Peptonurie 
bezeichnet hatte, nun wirklich eine Ausscheidung von Peptonen 
im Sinne Kühn e’s sei. Durch Untersuchungen von Stadel- 
mann. Devot o, Senator u. A. wurde die ziemlich all¬ 
gemein anerkannte Thatsache festgestellt, dass eine echte Pep¬ 
tonurie so gut wie gar nicht vorkommt, dass vielmehr die bei der 
sogen. Peptonurie ausgeschiedenen Einweissstoffe in der Mehr¬ 
zahl der Fälle als Vorstufen von Peptonen, als Propeptone oder 
Albumosen aufzufassen sind. Man bezeichnete daher Alles, was 

*) S c li 1 a 11 e r: Die Behandlung der traumatischen Leber- 
Verletzung. Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. XV, Heft II. 


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2Ö. August 19Ö1. 


MÜEftCSEftEll MEDtClNISCHE WOCHENSCHRIFT 


bisher unter dem Namen Peptonurie gegangen war, nunmehr 
meist als Albumosurie. 

Wir unterscheiden nach Kühne Heteroalbumose, Prot- 
albumose und Deuteroalbumose, je nach dem Grade der Hydra¬ 
tation. Die ersten beiden bezeichnet man als primäre Albumosen, 
die dritte als sekundäre. Eine vierte Albumose, die Dysalbumose, 
ist coagulirte Heteroalbumose. 

Bei den verschiedenartigsten Krankheiten sind Spuren von 
Albumosen im Ham gefunden worden, bei Pneumonie, eitriger 
Pleuritis, Meningitis cerebrospinalis, bei Osteomyelitis und vieleu 
anderen Erkrankungen, immer aber nur vorübergehend und meist 
in sehr geringer Menge. 

Verfolgen wir die in der Literatur beschriebenen Fälle von 
Albumosurie, so finden wir, dass man sich meist darauf be¬ 
schränkte, das Vorhandensein von Albumosen zu konstatiren, 
ohne genauer zu untersuchen, zu welcher von den oben genannten 
4 Gruppen der jeweils gefundene Eiweisskörper zu rechnen 
sei und ohne den Versuch zu machen, ihn rein zur Darstellung 
zu bringen. 

Genauer differenzirt wurde die Art der gesehenen Albumose 
in den Untersuchungen von Krchl und Mat.thes, welche 
feststeilten, dass im Ham fiebernder Menschen sich fast immer 
eine weit vorgeschrittene, zur Gruppe der Deuteroalbumose ge¬ 
hörige Albumose vorfindet. Ferner findet ein sorgfältiges Ein¬ 
gehen auf die Art der gefundenen Albumose in denjenigen 
Publikationen statt, welche von dem sog. Bence-Jone s’schen 
Körper handeln. 

Dieser Bence-J one s’sche Körper ist eine der Hetero¬ 
albumose ähnliche, äusserst merkwürdige Substanz. Kommt die¬ 
selbe in grösserer Menge über Wochen und Monate hinaus kon¬ 
stant im Harne vor, so spricht man nach Huppert von 
typischer Albumosurie. 

Es existiren in der Literatur, soweit uns bekannt, bisher 
7 Fälle, welche typische Albumosurie zeigten. 

Der erste Fall stammt aus dem Jahre 1848 und ist von 
H. Bence-Jones und Maclntyre beschrieben worden. 
Der Kranke litt an den Erscheinungen der Erweichung der 
Rippenknochen. Die Sektion bestätigte die Diagnose. Es han¬ 
delte sich um echte Osteomalacie der Rippen. 

Erst im Jahre 1883 finden wir einen zweiten Fall beschrieben 
und zwar von W. K ü h n e. Es handelte sich um einen 40 j ähr. 
Mann, der von S t o k v i s beobachtet wurde. S t o k v i s schreibt 
darüber an K ü h n e: Es ergibt sich wohl mit Bestimmtheit, dass 
es sich hier um akute Osteomalacie der Rückenwirbel mit Kom¬ 
pression der Medulla spinalis handelte. 

Der dritte Fall ist von Kahler und Huppert be¬ 
schrieben. Die Sektion ergab: multiple Myelome der Rippen 
und Wirbelkörper. 

Bei einem vierten Falle von R i b b i n k fanden sich nach 
S t o k v i s und Zeehuisen im Periost, im Bindegewebe in 
den Muskeln und an den serösen Häuten zahlreiche stecknadel- 
kopf- bis faustgrosse Sarkome. Die Knochen enthielten als 
Mark eine rothe gallertige Masse und waren ausserordentlich 
brüchig. 

Der fünfte, von M a 11 h e s beschriebene Fall verlief klinisch 
ebenfalls unter dem Bilde der Osteomalacie. Es fanden sich bei 
der Sektion myelogene multiple Chondrosarkome des Thorax¬ 
skeletes. 

Während bei dem sechsten Fall, der von Byrom-Bram- 
well und Noel Pa ton beschrieben wurde, ausser der Albu¬ 
minurie nichts Pathologisches sich fand, ergab die Sektion bei 
dem siebenten Fall, den Ros in im Jahre 1897 beschrieb, das 
Vorhandensein von myelogenen Rundzellensarkomen des Rumpf¬ 
skeletes. 

Es bestand also in 6 Fällen von typischer Albumosurie 
Knochenerweichung und zwar 4 mal bedingt durch multiple 
Myelome. (Wir verstehen unter Myelomen multiple, vornehm¬ 
lich in den Knochen des Rumpfes und des Schädels auftretende 
myelogene Sarkome.) 

Bosin hatte desshalb, ebenso wie Ma 11he s und vor 
ihnen Kahler, eine gewisse Berechtigung, anzunehmen, dass 
die multiple myelogene Sarkomatose des Rumpfskelets mit der 
massenhaften Auscheidung der Albumosen in Beziehung zu setzen 
sei. Und es lag dio Schlussfolgerung nahe, bei den Fällen, in 
welchen die Diagnose schwankt zwischen der durch multiple 
Myelome bedingten Knochenerweichung und echter Osteomalacie, 


1341 


in dem Auftreten typischer Albumosurie ein differential- 
diagnostisches Moment zu erblicken, welches die Annahme mul¬ 
tipler myelogener Sarkomatose des Thoraxskeletes rechtfertigt. 

Diese Annahme war um so begründeter, als in vielen Fällen 
von echter Osteomalacie die Albumose nicht gefunden wurde, ob¬ 
gleich von verschiedenen Untersuchern, so von v. Jaksch, 
Senator u. A. sorgfältig daraufhin untersucht worden war. 

Da von den 7 in der Literatur beschriebenen Fällen von 
Albumosurie 4 durch die Sektion erwiesene Fälle multiple Mye¬ 
lome waren, so war man, um das Auftreten der typischen Albu¬ 
mosurie, der differentialdiagnostischen Bedeutung wegen, allein 
für die multiple Sarkomatose des Rumpfskeletes zu reserviren, 
zu der Auffassung gedrängt, auch die übrigen 3 Fälle von 
typischer Albumosurie seien multiple Myelome gewesen. 

Bei dem von Kühne beschriebenen Fall, der von S t o k v i s 
mit Sicherheit als akute Osteomalacie hingestellt wurde, mangelte 
leider ein Sektionsbefund, ebenso wie bei dem Fall von Noel 
P a t o li, po dass man im Hinblick auf die Autopsicergebnisse der 
übrigen Fälle von typischer Albumosurie leicht annehmen konnte, 
auch hier seien multiple Myelome im Spiele gewesen, umsomehr, 
als eine klinische Unterscheidung der durch Sarkome bedingten 
Malacie der Knochen und der echten Osteomalacie meist grosse 
Schwierigkeiten bereitet. 

Der einzige Fall, dessen Sektionsbefund mit Sicherheit echto 
Osteomalacie ergab, war der von Bence Jones. Derselbe 
wurde von Kahler u. A. trotzdem per analogiam zu den mul¬ 
tiplen Myelomen gerechnet und zwar mit der Begründung, das3 
er nicht genügend mikroskopisch untersucht worden sei. 

Es finden sich noch 2 weitere Fälle von Osteomalacie in der 
Literatur, bei welchen Albumosen im Harn konstatirt wurden, 
ohne freilich genauer auf die chemische Natur derselben einzu- 
gehen. In dem einen von Langendorff und Mommsen 
im Jahre 1877 beschriebenen Fall war jedoch nach Rosin die 
chemische Untersuchungsmethode nicht einwandsfrei und bei dem 
anderen von Raschken 1894 publizirten Fall fehlte die histo¬ 
logische Untersuchung und Bestätigung der Diagnose. 

Es galt demnach bis heute das Auftreten typischer Albu¬ 
mosurie als pathognomonisch für multiple Myelome. 

Aus diesem Grunde dürfte es von Interesse sein, von einem 
Fall von typischer Albumosurie zu berichten, der nach Va jähriger 
klinischer Beobachtung im Hamburg-Eppendorfer Krankenhauso 
zur Sektion kam und bei dem die klinische Diagnose echte Osteo¬ 
malacie durch die Autopsie und eine genaue mikroskopische 
Untersuchung der erkrankten Knochen bestätigt wurde. 

Der Fall soll ausführlicher, gleichzeitig mit den genaueren 
pathologisch-anatomischen Daten und den Befunden der histo¬ 
logischen Untersuchung, sowie mit den eingehenderen chemischen 
Belegen an anderer Stelle publizirt werden. Wir beschränken 
uns desshalb auf das Wichtigste. 

Es handelte sich um eine 37 jährige Gastwlrthsfrau, welche 
hol Ihrer Aufnahme In’s -Krankenhaus Im November 1900 über 
heftige Schmerzen In der Wirbelsäule klagte und nicht mehr im 
Stande war zu gehen, da, wie sie angab, ihre Beine sie nicht mehr 
tragen wollten. Es wurde damals ausser einer lebhaften Druck¬ 
empfindlichkeit der Lendenwirbel eine Nephritis konstatirt. Der 
Urin war sauer und enthielt 0,2 Proc. Albumen (nach Esbach 
bestimmt), einzelne granullrte Cylinder, wenig Epithelien, verein¬ 
zelte I.eukocyten, viel harnsaure Salze. 10 Tage nach ihrer Auf¬ 
nahme bildete sich am Brustbein eine Vorwölbung ln der Höhe der 
II. bis IV. Rippe. In den nächsten Monaten prägte sich diese 
Vorwölbung Immer mehr aus. Der Kopf sank immer mehr nach 
vorn; die Frau wurde sichtlich kleiner. Nach y 2 jähriger Be¬ 
obachtung hatte sich das Bild enorm verändert. Es hatte sich 
ausser den genannten Veränderungen eine Kyphose der Brust- 
und Lendenwirbelsäule Entwickelt. Ferner war eine doppelseitige 
Spontanfraktur des Femurhalses aufgetreten. Ausserdem hatte 
sich auf dem linken Auge ein haeraorrhagisches Glaukom ent¬ 
wickelt und rechts fanden sich zahlreiche Netzhautblutungen. Die 
Frau ging zu Grunde an einer Pneumonie des rechten Obcr- 
lappens. 

Die durch die klinische Beobachtung bedingte und durch das 
Röntgenblld unterstützte Diagnose auf echte Osteomalacie wurde 
durch die Autopsie bestätigt. 

Hochgradige osteomalacische Veränderungen fanden si< h 
namentlich an der Wirbelsäule, wo von den Wirbelkörperu fast 
nichts übrig geblieben war, als eine himbeergölEenrtige pulpöso 
Markmasse, die nach oben und unten von den gut erhaltenen 
Zwischenwirbelscheiben und nach den Seiten von einem papier¬ 
dünnen Rest der grössteuthells entkalkten kompakten Substanz 
begrenzt war. Ferner fand sich typische Knochenerweichung int 
Sternum, In den leicht mit der Seheere sehneidbaren Rippen, sowie 
in den Beckenknochen und den langen Röhrenknochen. 

1 * 


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Ho. 34. 


1342 


1 


Mikroskopisch fand sich in den am meisten veränderten 
Knochentheilen. so in den Wirbelkörpern und den Beckenknochen 
ein fast gänzlicher Schwund der Spongiosabälkchen. Dort, wo 
solche noch vorhanden waren, sah man deutlich die „osteo- 
malneisehen Silume“, Streifen entkalkten Knocheugewebes an den 
Rändern der Knoelienbülkchen. Ferner sah man an der Grenz¬ 
zone von kalklosem gegen kalkhaltigen Knochen vielfach jene 
körnig-krümmeligen Stellen, die als Reckll ngliausen'sche 
Gitterfiguren beschrieben werden. Namentlich ln der Substantia 
eorapaeta der langen Röhrenknochen sah man eine ungemein reich¬ 
liche Bildung von perforirenden Kanälen, ferner eine mächtige Er¬ 
weiterung der Knochenriiume. Das Knochenmark war ein äusserst 
zellreiches, lymphoides Mark, ilas stark hyperaemlsch war und 
vielfach Blutungen und Blutpigment enthält. 

Ausserdem fand sich bei der Sektion eine rechtsseitige Ober¬ 
lappenpneumonie und eine Nephritis interstltialis et parenchyma- 
tosa mit geringer Amyloidentartung. 

Ein Zusammenhang mit Schwangerschaft und Wochenbett be¬ 
stand in diesem Falle nicht. Die Frau hatte 2 mal einen Partus 
durchgemacht, das letzte Mal im Jahre 1880. 

Wühreud der letzten Wochen ihres Lebens schied die Patien¬ 
tin einen Urin aus, dessen Verhalten von dem eines gewöhnlichen 
Elwclssharnes wesentlich verschieden war. Wie die eingehende 
Untersuchung ergab, enthielt derselbe beständig eine erhebliche 
Menge eines eigentümlichen, der Gruppe der Albumosen zuzu- 
zählenden Eiweisskörpers s ). 

Der trübe sauere Harn lieferte nach dem Flltriren eine klare, 
bräunlich-gelbe Flüssigkeit, welche annähernd 0,7 Proc. Eiweiss¬ 
stoffe enthielt. Der filtrirte Harn zeigte folgendes Verhalten: 

1. Bei sehr allmählichem Erwärmen trübte er sich bei 53°. 
Beim lnnelialten dieser Temperatur wurde die entstandene Trü¬ 
bung rasch stärker, so dass nach einigen Minuten die Flüssigkeit 
ganz von Flocken durchsetzt war. Bei weiterem Erwärmen bis 
auf 100° verschwand die Ausscheidung nicht merklich. Siedend 
liltrlrt war die Flüssigkeit klar, trübte sich aber beim Abkühlen 
erst milchig und schied allmählich einen starken Niederschlag 
aus; je nachdem die Flüssigkeit während des Erkaltens geschüttelt 
wurde oder nicht, war derselbe im ersteren Falle eigentümlich 
faserig, im letzteren Falle mehr flockig. Wurde die Flüssigkeit 
jetzt auf gekocht, so löste er sich; beim Abkühlen erschien er 
wieder. 

2. Beim Aufschichten des Harns auf Salpetersäure entstand 
ein starker weisser Ring; beim Umschütteln blieb die Flüssigkeit 
stark getrübt. 

3. Zusatz von Essigsäure und Ferrocyankallumlösung erzeugte 
einen starken Niederschlag, der beim Aufkochen nicht merklich 
verschwand. Die heiss filtrirte Flüssigkeit trübte sich jedoch beim 
Abkühlen stark, klärte sich beim Aufkochen und trübte sich wieder 
beim Erkalten. 

4. Bei Zusatz von Salpetersäure in der Kälte entstand ein 
sehr starker weisser Niederschlag, der sich schnell rosa färbte. 

5. Der aufgekochte Harn klärte sich bei sofortigem Zusatz 
von y„ Volumen Salpetersäure nicht, sondern färbte sich nur 
vorübergehend roth und wurde dann tief gelb. Die heiss filtrirte 
Flüssigkeit war klar, trübte sich aber beim Abkühlen und schied 
allmählich einen sehr starken Niederschlag aus, welcher sich beim 
Erhitzen löste. Im Sieden war die Flüssigkeit vollständig klar, 
beim Erkalten erschien der Niederschlag von Neuem. 

6. Er gab die M i 11 o n’sche Reaktion. 

7. Er gab die Bluretreaktion. 

8. Mit dem gleichen Volumen gesättigter Kochsalzlösungen 
versetzt, blieb er klar, nach darauffolgendem Zusatz von etwas 
Essigsäure entstand sogleich ein starker Niederschlag, der beim 
Aufkochen nicht merklich verschwand. Die heiss filtrirte klare 
Flüssigkeit schied aber beim Abkühlen einen starken Niederschlag 
aus, der sich beim Erhitzen löste. Im Sieden war die Flüssigkeit 
klar, beim Erkalten erschien der Niederschlag von Neuem. 

9. Durch Zusatz von Essigsäure in kleinster Menge bis zum 
doppelten Volumen wurde er nicht getrübt. Belm Aufkochen 
schied der mit etwas Essigsäure versetzte Harn einen starken 
Niederschlag aus; das heisse Filtrat konnte sich beim Erkalteu 
je nach dem Gehnlte an Essigsäure mehr oder weniger stark 
trüben oder auch klar bleiben. Eingetretene Trübungen ver¬ 
schwanden leicht beim Erhitzen. 

Belm Kochen mit alkalischer Bleilösung schwärzte er sich. 

11. Durch Sättigen mit Ammoniumsulfat ln der Kälte Hessen 
sich aus dem vorher mit wenig Essigsäure versetzten Harn die 
Eiweisskörper vollständig aussalzen. In der ausgesalzenen Flüssig¬ 
keit Hess sich weder durch die Biuretprobe noch durch Tannin¬ 
lösung eine Spur von Albumose oder Pepton (Kühn e) naeh- 
weisen. Die ausgesalzenen Eiweisskörper lösten sich zum grossen 
Theile in Wasser auf. Die Lösung wurde zur Entfernung beige¬ 
mengten Albumins bei schwach saurer Reaktion aufgekocht und 
filtrirt. Das Filtrat gab starke Biuretreaktion und die für Albu¬ 
mose typische Salpetersäurereaktion. 

12. Der durch wiederholtes Erwärmen und Abfiltriren der 
bei verschiedenen Temperaturen bis einschliesslich 100° entstan¬ 
denen Niederschläge von allem Gerinnbaren befreite Harn stellte 


*) Ob der Urin der Kranken den betreffenden Körper schon 
früher enthalten hat, lässt sich leider nicht feststellen. Nach¬ 
gewiesen haben wir die Anwesenheit des letzteren erst, als wir 
nach Feststellung der Diagnose den Urin einer genauen Unter¬ 
suchung unterzogen. 


eine bräunlich-gelbe, schwach sauer reagirende Flüssigkeit dar, in 
der sich weder beim Aufkochen noch beim Erkalteu eine Trübune 
bildete. Dass diese Flüssigkeit trotzdem noch eine beträchtliche 
Menge albumoseartiger Substanz enthielt, beweist ihr nachstehend 
beschriebenes Verhalten: 

a) Durch Ferrocyankallumlösung allein wurde sie nicht ge¬ 
trübt, bei darauffolgendem Essigsäurezusatz entstand sogleich ein 
starker Niederschlag, der sich beim Erhitzen leicht löste. Die 
Flüssigkeit war beim Aufkochen klar, beim Erkalten erschien 
der Niederschlag wieder. 

b) Durch äusserst geringen wie auch durch stärkeren Essig- 
säurezusatz entstand keine Trübung. 

c) Sie gab starke Biuretreaktion. Da sie an sich bräunlich- 
gelb war, entstand bei Zusatz von Natronlauge und Kupfersulfat¬ 
lösung eine brnunrothe Farbe. 

d) Mit dem gleichen Volumen gesättigter Kochsalzlösung ge¬ 
mischt blieb sie klar; bei darauffolgendem Zusatz von Essig¬ 
säure entstand ein starker Niederschlag, der sich beim Aufkochei 
löste und beim Erkalten wieder erschien. 

e) 3 ccm der Flüssigkeit wurden tropfenweise mit iusgesammt 
7 Tropfen Salpetersäure versetzt. Der erste und zweite Tropfen 
erzeugten eine starke, beim Bewegen des Reagensglases sogleich 
verschwindende Trübung. Beim Zusetzen der weiteren Tropfen 
entstand eine starke bleibende Ausscheidung, die sich beim Er¬ 
hitzen löste. Im Siedep war die Flüssigkeit klar, es war keine 
Spur abgeschiedener Eiweissflöckchen vorhanden. Beim Erkalten 
entstand ein starker Niederschlag, der sich bei neuerlichem Auf¬ 
kochen löste und beim Erkalten wieder erschien. 

f) Ein Thell derselben wurde möglichst genau ueutralislrt, 
wobei die Reaktion schwach amphoter blieb. Die entstandene 
geringe Trübung wurde abfiltrirt und das klare Filtrat bei ge¬ 
wöhnlicher Temperatur mit Steinsalz gesättigt. Dabei entstand 
eine deutliche Ausscheidung, welche abfiltrirt und nach dem Aus¬ 
waschen mit gesättigter Kochsalzlösung in Wasser gelöst wurde. 
Die durch Zusatz mehrerer Tropfen Salpetersäure zu dieser Lösung 
bewirkte Ausscheidung löste sich beim Auf kochen und erschien 
beim Erkalten wieder. Das Filtrat von der vorher durch Steinsalz 
allein bewirkten Ausscheidung gab beim Erwärmen einen Nieder¬ 
schlag, der sich beim Aufkochen nicht löste. Die heiss filtrirte 
klare Flüssigkeit trübt sich beim Erkalten nicht; auch nach Zu¬ 
satz von salzgesättigter Essigsäure blieb sie in der Kälte und 
beim Kochen klar. 

13. Zusatz des gleichen Volumens Alkohol erzeugte einen 
starken flockigen Niederschlag. Im Filtrat entstand auf Zusatz 
des mehrfachen Volumens Alkohol nochmals eine, allerdings viel 
schwächere. Ausscheidung. Wurde die erste Alkoholfällung (nach 
möglichstem Entfernen des Alkohols durch Filtration und Ab¬ 
pressen des Niederschlags mit Fliesspapier) mit Wasser ange¬ 
rieben und nach äusserst schwachem Ansäuern mit Essigsäure 
aufgekocht, so löste Bich ein grosser Theil. Das heisse Filtrat 
schied beim Erkalten einen starken grauweissen Niederschlag a,us. 
Beim Vermischen der Flüssigkeit mit dem gleichen Volumen Alko¬ 
hol vermehrte sich der Niederschlag noch erheblich. Nach dem 
Abfiltriren und Abpressen mit Fliesspapier löste sich derselbe beim 
Anreiben mit Wasser in kurzer Zelt zum grossen Theile auf. 

Das Filtrat war klar, schwach gelblich und gab folgende 
Reaktionen: 

a) Durch Ferrocyankallumlösung wurde es nicht getrübt, bei 
Zusatz von Essigsäure zu dieser Flüssigkeit entstand sogleich ein 
starker Niederschlag, der sich beim Aufkochen löste und beim 
Erkalten wieder erschien. 

b) Mit dem gleichen Volumen gesättigter Kochsalzlösung ver¬ 
setzt trübte es sich nicht, wohl aber bei nachfolgendem Zusatz 
von Essigsäure; die entstandene Ausscheidung löste sich beim Auf¬ 
kochen der Flüssigkeit und erschien beim Erkalten wieder. 

c) Durch sehr wenig Salpetersäure wurde es nur vorüber¬ 
gehend getrübt, Zusatz von mehr Salpetersäure erzeugte einen 
bleibenden starken Niederschlag, der beim Aufkochen vollständig 
verschwand, beim Erkalten wieder erschien, beim Aufkocheu 
wieder verschwand und beim Erkalten von Neuem ausflel. 

d) Mit konzentrlrter Natronlauge gemischt wurde es durch 
Zusatz einiger Tropfen 1 proc. Kupfersulfatlösung intensiv roth- 
violett gefärbt. 

Da das beschriebene Verhalten des Urins die Anwesenheit 
eines zur Gruppe der Albumosen gehörenden Eiweisskörpers er¬ 
geben hatte, versuchten wir aus einer grösseren Menge dee Urins 
die Substanz möglichst rein darzustellen und zu identifiziren. 

Zu dem Zweck wurden mehrere Liter des Urins mit etwa 
gleichviel Alkohol gefällt, der Niederschlag höchst sorgfältig mit 
Alkohol gewaschen, mit Fliesspapier abgepresst, mit kaltem 
Wasser extrahirt und die Lösung aufgekocht und filtrirt, um sie 
von belgemeugtem Albumin nach Möglichkeit zu befreien. Durch 
Fällen des Filtrates mit gleichviel Alkohol, Auskochen des abfll- 
trirten und abgepressten Niederschlags mit Wasser, und endlich 
durch Dlalysiren dieser Lösung wurde die Substanz soweit ge¬ 
reinigt, dass sie nach dem Trocknen bei 110 0 2,73 Proc. Asche ent¬ 
hielt. 

Die beim Auskochen erhaltene heiss filtrirte neutrale 
Lösung trübt sich beim Erkalten zunächst milchig. All¬ 
mählich schieden sich Gerinnsel In der Form grosser Fasern und 
Fetzen aus. Bein» Erwärmen klebten dieselben am Glase, lösten 
sich aber allmählich auf, so dass die Flüssigkeit im 8ieden voll¬ 
ständig klar war. Beim Erkalten wurde sie milchig und es bll- 


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20. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1343 


deten sich dicke Gerinnsel. Durch mehrmaliges Flltriren der 
kalten Flüssigkeit Hess sich eine nnr noch sehr schwach opales- 
clrend getrübte Lösung herstellen, welche starke Albumosen- 
reaktlon gab. Sie gab ferner die Biuretreaktion und die Reaktiou 
von Adamklewica ln ausgeprägtem Maasse. Durch Dialyse ge¬ 
reinigt, enthielt die Substanz Schwefel, Eisen und Phosphor. 
Histon konnten wir nicht nach weisen. 

Bel der Verdünnung mit Pepsinsalzsilure lief eite sie eine klare, 
Pepton (Kühne) enthaltende Lösung. Auch nach mehrtägiger 
Digestion bei 40* blieb dieselbe klar; die Abscheidung einer 
Gallerte, wie sie Matthes*) beobachtete, fand nicht statt. Viel¬ 
leicht ist diese Differenz gegenüber dem von Matthes beschrie¬ 
benen Eiweisskürper darauf zurückzuführen, dass uns für den 
Verdauungsversueh leider nur noch eine geringe Menge Substanz 
zur Verfügung stand. 

Äussere Umstände machten es uns zu unserem Bedauern un¬ 
möglich. gleich nach erfolgter Feststellung der Albumosurie mit 
dem Sammeln des Urins zu beginnen. Vom 13. Mal 1001 ab konnten 
wir denselben sammeln und erhielten etwa 4 Liter. Leider starb 
die Frau schon am 19. Mal 1901, Abends 7 Uhr. Am 20. Mai, 
Mittags 1 Uhr, also 18 Stunden nach dem Tode, entnahmen wir 
dem Herzen und den grossen Gefässen vorsichtig eine grössere 
Portion Blut. Dasselbe (222 g) wurde sofort mit 230 g Wasser 
verdünnt, mit Essigsäure schwach angesäuert und bei gewöhn¬ 
licher Temperatur mit soviel reinstem, pulverlslrtem, neutralem 
Ainmonlumsulfat versetzt, dass nach vollständiger Sättigung noch 
eine reichliche Menge ungelöst war. Am nächsten Morgen (21. Mai) 
wurde die Flüssigkeit ültrirt, der Filterinhalt mit so viel abso¬ 
lutem Alkohol verrieben, dass das Gemisch zwei Liter betrug und 
in verschlossener Flasche aufbew'ahrt. In dem Filtrat von der 
ursprünglichen Ammoniumsulfatfällung liess sich nach geeigneter 
Konzentration keine Spur Pepton (Kühne) nach weisen. Aus der 
unter Alcohol nbsolutus 3 Wochen lang aufgehobenen Ammonium¬ 
sulfatlösung konnten wir eine weisse Substanz Isoliren *), welche 
sich wie eine Deuteroalbumose verhielt. Sie löste sich leicht in 
Wasser von gewöhnlicher Temperatur mit neutraler Reaktion und 
wurde daraus durch das gleiche Volumen Alcohol absolutus schnee- 
welss gefällt Die wässerige Lösung trübt sich beim Kochen und 
beim Erkalten nicht. 

Durch Essigsäure, ebenso durch Salpetersäure, wird sie nicht 
getrübt. 

Belm Erwärmen mit etwas Salpetersäure färbt sie sich gelb. 
Durch Ferrocyankaliumlösung, ferner durch das gleiche Volumen 
gesättigter Kochsalzlösung wird sie nicht getrübt. Wird die 
wässerige Lösung mit dem gleichen Volumen gesättigter Koch¬ 
salzlösung und darauf mit etwas Essigsäure versetzt, so entsteht 
foglelch ein starker, flockiger Niederschlag, welcher sich beim 
Erhitzen löst; die lm Sieden klare Flüssigkeit scheidet beim Er¬ 
kalten den Niederschlag wieder aus, beim Erhitzen löst er sich 
von Neuem u. s. w. — Die wässerige Lösung lässt sich bei ihrer 
neutralen Reaktion durch Ammoniumsulfat bei gewöhnlicher Tem¬ 
peratur vollständig aussalzen. Sie gibt Intensive Biuretreaktion 
(starke Rotliviolettfärbung). Durch ihr Verhalten gegen Ferro- 
eyankalium einerseits, gegen Salpetersäure audererseits unter¬ 
scheidet sich die Substanz von dem Histon. 

Die mltgethellten. Beobachtungen zwingen zu der Annahme, 
dass die von uns in einem Falle von echter Osteomalacle aus dem 
Urin Isolirte Substanz Identisch ist mit dem sogen. Bence- 
Jones’schen Körper, wie Ihn nach Bence-Joues in erster 
Linie Kühne eingehend beschrieben hat. 

Die Substanz verhält sich wie eine Albumose. Ob sie iden¬ 
tisch ist mit der von Matthes beschriebenen und von Ihm 
als Nucleoalbumose bezelchneten Substanz, konnten wir leider aus 
Mangel an Material nicht feststelleu. 

Ferner gelang es uns, bei unserem Falle von echter Osteo- 
malacie auch lm Blute eine Substanz aufzuflnden, die nach ihrem 
Verhalten als eine Albumose, und zwar als eine Deuteroalbumose, 
zu bezeichnen ist Das Auftreten derselben im Blut konnte um 
so weniger überraschen, als dasselbe theoretisch vorausgesetzt 
werden musste, da Ja einerseits nach Neumeister Albumosen, 
die auf irgend eine Welse in die Blutbahn gelangt sind, stets im 
Harn zur Ausscheidung kommen und andererseits in diesem Falle 
sich kein Anhalt bot zu der Annahme, dass Albumosen in den 
Nieren oder ln den ableitenden Harnwegen hätten gebildet werden 
können. 

Nach all’ Diesem scheint uns dieser Fall einer gewissen Be¬ 
deutung nicht zu entbehren. Er beweist das Auftreten des 
Benco-Jone s’schen Körpers, das Vorkommen typischer Albu¬ 
mosurie bei echter Osteomalacie. 

Bei den 8 Fallen, den unserigen mit eingeschlossen, wo 
typische Albumosurie in der Literatur beschrieben wurde, war 
4 mal Knochenerweichung vorhanden, bedingt durch multiple 
myelogene Sarkomatose, 3 mal wurde die klinisch angenommene 


*) Verhandlungen des Kongresses für Innere Medlcln, 
XIV. Kongress 1800, S. 47C. 

*) Zur Isollrung dieser Substanz gelangten wir, indem wir 
die von Matthes (Berl. klin. Wochenschr. XXXI. 1894. S.533) 
befolgte Methode anwandten. 

No. 34, 


Malacie von späteren Beurtheilem per analogiam auf dieselbe 
Ursache zurückgeführt, weil Autopsieergebnisse fehlten. Ein 
Mal, nämlich in unserem Fall, ist der Beweis der echten Osteo¬ 
malacie durch die mikroskopische Untersuchung erbracht. 

Wir haben damit festgestellt, dass die Albumosurie nicht 
direkt in Beziehung zu setzen ist zu dem Auftreten multipler 
Myelome» wie das Kahler und R o s i n gethan haben, sondern 
dass dieselbe ebenso auch bei echter Osteomalacie auftreten kann. 
Eine differentialdiagnostische Bedeutung für cfie Unterscheidung 
der multiplen Sarkomatose des Rumpfskelets und der echten 
Osteomalacie kommt demnach der typischen Albumosurie 
nicht zu. 

Wenn Rosin in seiner Arbeit die Frage aufwirft, ob etwa 
die Albumosen in den Geschwulstmassen der Myelome selbst 
gebildet werden, um dann durch den Harn ausgeschieden zu 
werden, so sind wir der Ansicht, nachdem wir das Auf¬ 
treten typischer Albumosurie auch bei echter Osteomalacie kon- 
statirten, dass nicht die Tumormassen der Myelome es sind, 
welche das Erscheinen des Bence-J one s’schen Körpers be¬ 
dingen, sondern vielmehr, dass die beiden Krankheiten eigen- 
thümlichen lebhaften Wucherungs- und Zerfallsvorgänge im 
Knochenmark bei der Bildung der Albumosen eine Rolle spielen. 

N achschrift. Nach Beendigung dieses Manuskripts kam 
uns ein Referat *) zu Gesicht, welches einen von Rostoski in 
der Physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Würzburg über 
„Albumosurie und Peptonurie“ gehaltenen Vortrag betraf. In 
diesem glaubt Rostoski die Ausscheidung des Bence- 
Jone s’schen Eiweisskörpers im Harn bei Fällen multipler Mye¬ 
lombildung im Knochenmark von der Albumosurie trennen zu 
müssen und spricht sich ferner gegen eine Identifizirung des 
Bence-J one s’schen Körpers mit der Heteroalbumose aus. 
Rostoski führt an, dass in seinem Falle „ein bei 55—56 0 ent¬ 
stehender Niederschlag sich auch nicht spurenweise in der Hitze 
wieder löste“, während auf das gegentheilige Verhalten bisher 
immer der Hauptnachdruck gelegt sei. In Anbetracht der Kürze 
des Referats lässt sich nicht erkennen, ob die von Rostoski 
beobachtete Substanz wirklich der Bence-Jone s’sche Körper 
war, und wir sind desshalb nicht in der Lage, uns darüber ein 
Urtheil erlauben zu dürfen, in unserem Falle jedoch löste 
sich der beim Erwärmen des Harns auf 53—56 0 entstandene 
Niederschlag nach dem Abfiltriren und Abpressen zum grossen 
Theil schon in Wasser von gewöhnlicher Temperatur (die Lösung 
gab die Albumosereaktionen). Beim Aufkochen mit Wasser löste 
er sich sogar nahezu vollständig, bis auf eine minimale Opales- 
cenz. Diese Lösung trübte sich beim Erkalten stark; durch Zu¬ 
satz einer genügenden Menge Salpetersäure zu der trüben Lösung 
entstand ein starker Niederschlag, der sich beim Erhitzen löste, 
beim Erkalten wiedererschien, beim Erhitzen wieder verschwand 
und beim Erkalten von Neuem auftrat. Ebenso deutlich gab die 
Lösung die übrigen Albumosereaktionen. Wir müssen also auf 
Grund unserer Beobachtungen die früheren Angaben bestätigen, 
wonach der Bence-Jones’sche Körper die Eigenschaft be¬ 
sitzt, nach seiner zwischen 50 und 60° erfolgten Ausschei¬ 
dung bei stärkerem Erhitzen der ihn enthaltenden Flüssigkeit 
wieder in Lösung zu gehen. 


Aus dem Institute für specielle Pathologie der Universität Pavia 
(Direktor: Prof. L. D e v o t o). 

Ueber die Bildungsstätte der Lysine. 

Von Dr. M. As coli, Assistenten am Institute und A. Riva. 

Die jüngst erschienene Mittheilung von Donath und 
Landsteiner 1 ) über antilytische Sera veranlasst uns, kurz 
über Untersuchungen, die wir in derselben Richtung und mit 
ähnlicher Versuchsanordnung im Laufe dieses Jahres ausgeführt 
haben und zum Theile noch fortsetzen, zu berichten. Die bisher 
gewonnenen Resultate sind von unserem hochverehrten Chef, 
Herrn Prof. D e v o t o, in seiner am 15. Juni gehaltenen Schluss¬ 
vorlesung 2 ) angeführt worden. 

Bekanntlich hat Metschnikoff schon seit längerer Zeit 
die.Theorie der leukocytiiren Abstammung der .Serumalexine auf- 


*) Münch, metl. Wochenschr. 1901. Jahrgang 48. S. 111". 
’) Wien. klin. Wochenschr., 25. Juli 1901. 

’) Milano 1901. 

2 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


gestellt und seine Schule hat mit vielem Scharfsinn, Eifer und 
Ausdauer in einer Reihe von Arbeiten diese Ansicht verfochten; 
verschiedene andere Forscher (Schattenfroh, Löwit, 
Rail, Jakob u. A.) haben sich auf Grund eigener Versuche 
derselben Anschauungsweise angesehlo9sen; Büchner aus¬ 
genommen sind die deutschen Schulen hingegen, jene R. Pfeif- 
f e r’s an der Spitze, viel weniger geneigt, diese Auffassung zu 
thcileu; Pfeiffer steht ihr noch immer, wie aus der neuesten, 
aus seinem Laboratorium stammenden Arbeit von Rad- 
ziewski*) hervorgeht, schroff gegenüber. 

Bei unseren Versuchen sind wir nun von folgendem Ge¬ 
dankengange geleitet worden: Hundeserum übt bekanntlich eine 
intensive haemolytischc Wirkung auf die rothen Blutkörperchen 
des Kaninchens aus. Das Blutserum von frischen Kaninchen 
besitzt einen schwachen Gehalt an diese Lösung verhindernden 
Substanzen. Ist es nun, analog den schon von E h r 1 i c h, B o r - 
<1 e t experimentell erzeugten Antilysinen, möglich, durch Be¬ 
handlung von Kaninchen mit Hundeblutserum den Gehalt ihres 
Serums an Antilysinen beträchtlich zu erhöhen? Und wenn dies 
der Fall ist, gelingt es weiter, dasselbe Resultat durch Injektion 
von lTundeloukocyten zu erzielen? 

Bei positivem Ausfälle der Versuche ist nun der Rückschluss 
gestattet, dass dieselben haemolytischen Substanzen, welche die 
Bildung der Antilysine im Blutserum der mit Hundeserum be¬ 
handelten Kaninehen horvorgerufen hatten, auch in den injizirteu 
Leukoeyten vorhanden waren, und da wir beim Antreffen der¬ 
selben Substanz (in diesem Falle Lysin) in Zellen und Blutserum 


wohl die zelligen Bestandtheile des Organismus als die Ursprungs- 
statten der in den Säften vorhandenen ansehen müssen, so konn¬ 
ten wir dann annehmen, dass die Leukoeyten thatsächlich Ly&ine 
enthalten; ob diese aus den lebenden Leukoeyten in das'Blut¬ 
serum als eine Sekretion übertreten, wie Buchnerea annimmt, 
oder ob dieser Uebergang nach der Auffassung M e t s c h n i - 
kof f’s erst nach ihrem Tode stattfindet, können diese Versuche 
nicht entscheiden, ebensowenig wie sie nicht im Geringsten aus- 
schliessen, dass auch andere Gewebselemente gleichfalls Lysine 
enthalten können. 

Die Leukoeyten wurden aus pleuritischen und peritonealen 
Aleuronatexsudaten von Hunden gewonnen; die Exsudate wurden 
zur Entfernung ihres flüssigen Antheiles centrifugirt, die Flüssig¬ 
keit abgegossen; der Bodensatz in 0,85proc. Kochsalzlösung auf¬ 
geschwemmt, und diese Operation wurde 3mal wiederholt; blu¬ 
tige Exsudate wurden nicht verwendet; mikroskopisch waren in 
den Exsudaten vorwiegend polynucleäre Leukoeyten vorhanden. 

Das Experiment bestätigte nun thatsäclilich unsere Voraus¬ 
setzungen, denn sowohl das Serum der mit Blutserum, als der 
mit Leukoeyten behandelten Kaninchen besass eine beträchtlich 
höhere antilytische Wirkung als das Serum normaler Kaninchen 
gegenüber dem Hundeblutserum. Und das gleiche Resultat er¬ 
zielten wir auch durch die Injektion von Lymphdrüsenpresssaft 
entbluteter Hunde. Wir lassen beispielsweise einige Versuchs¬ 
protokolle folgen. Was die Methodik betrifft, so wurden die Ver¬ 
suche nach den von Ehrlich für solche Untersuchungen an¬ 
gegebenen Vorschriften ausgeführt. 


Tabelle I. 


Kaninchen, Kopf roth (= K. K. r), 1580 g 

4. IV. 15 ccm frisches Hundobiutsorura 
intraperitoneal 
25. IV. dessgleichen 
3. V. Blutprobe; das Serum wird zu 
folgenden Versuchen verwendet: 


1 ccm öproc.Kanincbenblulkürpcrchen- 
aufschwemmung (=Kblaufschw.) 
0,3 ccm Blutserum (K. K. r.) 

0,2 ccm fr. Hundeblutserum 
Lösung = 0 


Kaninchen, Bücken roth (= K. R. r.), 2080 g 

4. IV. Id ccm Hunde - Leukocytenauf- 

schwemmung (entspr. ca. 45 ccm 
Exsudat) intraperitoneal 

5. IV. 10 ccm dto. (entspr. 65 ccm Exs.) 

intraperitoneal 

15. IV. 4 ccm dto. (entspr. 25 ccm Exs.) 
intraperitoneal 

25. IV. 10 ccm dto. (entspr. 80 ccm Exs.) 
intraperitoneal 

3 V. Blutprobe; das Serum wird zu 
folgenden Versuchen verwendet: 

1 ccm 5 proc. Kblaufscbw. 

-f- 0,5 ccm Blutserum (= K. R. r.) 

-j- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 
Lösung = Spur 


Kaninchen, Brust roth (= K. B. r.), 1820 g 

1. VI. HnndelymphdrflsenprösB8aft(ent- 
spr. ca. 7 g Lympbdrflsen) sub¬ 
kutan 

8. VI. dessgleichen 

25 VI. dto. (entspr. ca. 10 g Lymphdr.) 
subkutan 

29. VI. dto. fentspr. ca. 9 g Lymphdr.) 
subkutan 

3. VII. Blutprobe; das Blutserum wird zu 
folgenden Versuchen verwendet: 


1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 

-f- 0 f 3 ccm Blutserum (= K- B. r.) 
-j- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 
Lösung = 0 


c 

IS 

o 


c 

o 


14 


1 ccm 6 proc. Kblaufschw. 


1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 


-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 


-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 

ö 

Lösung = komplet 

G 

0> 

Lösung = komplet 

H 

V 

1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 

o 

hl 

1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 

o 

hl 

-f- 0,3 ccm normalesKaninchenHerura(= 

a 

4- 0,5 ccm (=± n. Kser.) 

♦». 

a 

n. Kser.) 

o 

-j- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 

o 

-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 

Lösung = komplet 

w 

Lösung = fast komplet 



1 ccm 5 proc Kblaufschw. 
-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 
Lösung = komplet 

1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 
-f- 0,3 ccm (= n. Kser.) 

+ 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 
Lösung = komplet 


Derselben Versuchsanordnung haben sieh, wie schon erwähnt, 
gleichzeitig mit uns Donath und Land st ein er bedient 
und sind zu demselben Resultate gelangt; ähnliche Experimente 
hat in derselben Richtung auch W assermann ausgeführt und 
in einer kürzlich, als unsere Versuche in dieser Beziehung schon 
abgeschlossen waren, erschienenen Arbeit (Zeitschr. f. Hygiene, 
18. Juni 1901) veröffentlicht. Wassermann injizirte Meer¬ 
schweinchen Kaninchenleukoeyten und erhielt von ersteren ein 
Serum, welches die lytische Wirkung des Kaninchenblutserums 
auf Ziegenerythrocyten aufhob. 

Da nun die Lysine, wie Bordet und Ehrlich es nachge¬ 
wiesen haben, aus 2 Substanzen, Zwischenkörper (substance sensi- 
bilisatrice) und Komplement (alexine), bestehen, und die Injektion 
von Blutserum einer Thierart in den Körper eines Individuums 
einer anderen »Species das Auftreten von Antikörper im Blut¬ 
serum desselben hervorruft, welche gegen beide Komponenten der 
Lysine wirksam sind, so ergibt sich die Frage, gegen welche der¬ 
selben die durch Injektion von Leukocytenaufschwemmungen und 
von Lyinphdrüsenpresssaft produzirten Antilysine ihre Wirkung 
entfalten; denn diese könnte ebensowohl auf der Anwesenheit im 


a ) Zeitsclir. f. Hygiene u. Infektionskrankh; Bd. 37, Heft 1. 


betreffenden Antiserum von Antizwischenkörper, als von Anti¬ 
komplement allein, respektive von beiden gleichzeitig beruhen. 

W assermann gibt an, dass das von ihm in der angeführ¬ 
ten Weise erhaltene Serum ein antikomplementäres ist, weil das 
Ziegenblutkörperehen nicht lösende Gemisch von Kaninchenblut¬ 
serum und inaktivirtem Blutserum entsprechend behandelter 
Meerschweinchen durch Zusatz von Komplement reaktivirt wurde. 
Donath und Landsteiner berichten, dass die Wirkung 
ihres antilytischen Serums auf seinen Antikomplementgehalt zu¬ 
rückzuführen ist, olrne in ihrer vorläufigen Mittheilung auf die 
Versuchsanordnung, welche sie zu diesem Schlüsse führte, näher 
einzugehen. 

Im Wasserman n’schen Versuche (a. a. O. S. 191) be¬ 
stand nun der Zusatz von Komplement, welcher die lytische Wir¬ 
kung der inaktiven Mischung wiederherstellte in Zusatz von 
frischem Kaninchenserum; bei dieser Versuchsanordnung ist aber 
nicht auszuscliliessen, dass der im Kaninchenserum gleichzeitig 
vorhandene Zwischenkörper den Eintritt der Lysis hervorgerufen 
habe, so dass der aus diesem an sich ganz exakten Versuch ge¬ 
zogene Schluss, dass sein in Rede stehendes Serum ein antikom- 
plementäres ist, unserer Ansicht nach nicht ganz eindeutig ist 
und zur Entscheidung der Frage, ob daß nach Leukoeyten inj ck- 


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tionen bei Thieren gewonnene Serum ein antikomplementäres ist, 
weitere Argumente wünschenswerth erscheinen. 

Wir haben deäshalb versucht, unserer inaktiven Mischung 
von Hündeblutserum und Blutserum von mit Ilundeleukocyten 
Und Lymphdrüsenpresssaft behandelten Kaninchen ihre lytische 
Eigenschaft auf Kaninchenblutkörperchen durch. Zusatz von 
Zwischenkörper ohne Komplement, nämlich durch Zusatz von er¬ 


wärmtem Hundeblutserum wiederzugeben; gelang die Reakti- 
virung, so bewies der Versuch, dass im geprüften Serum Anti- 
komplement nicht vorhanden war; fiel er negativ aus, so war der 
Thatsache, dass 4er Zusatz von Zwischenkörper allein die Lösung 
nicht wieder hervorrief, zu entnehmen, dass Antikomplement im 
Serum thatsächlich existirtc. Und wie aus den folgenden Ver- 
suchsprotokollep hervorgeht, ist dies letztere auch der Fall. 


Tabelle If. 


(Dieselben Kaninchen und Abkürzungen, wie in Tabelle I.) 



1 ccm & proc Kblaqfschw 


I ccm 6 proc. Kblaufschw. 


1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 

-4 

- 0,3 ccm Blutserum (= K. K. r.) 

4 

1 ccm Blutserum (= K R. r.) 

4 

- 0,3 ccm Blutserum (= K. B. r.) 

4 

- 0,2 ccm Ir. Hündeblutserum 

4 

- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 

4 

- 0,2 ccm fr. Hundqblutserum 

4 

- 0,8 ccm inäktivirtes Hundebluteerum 

-t 

1 ccm inaktivirteB Hündeblutserum 

4 

1 ccm inoktivirtes Hundeblutserum 


Lösung = 0 


Lösung = 0 


Lösung = 0 


1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 


1 ccm 6 proc. Kblaufschw. 


1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 

a 

-f- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 

c 

4* 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 

c 

4- 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 


Lösung = komplet 


Lösung = komplet 


Lösung = komplet 

£l 

1 ccm 5 proc. Kblaufschw 

U - 

1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 

U • 

1 ccm 5 proc. Kblaufschw. 

c 

-4- 0,3 ccm Blutserum (= K. K. r) 

c 

-f- 1 ccm Blutserum (= K. R. r) 

a 

-4- 0,3 ccm Blutserum (= K. B. r.) 

14 

-f- 0,2 Ccm fr. Hundeblutserum 

14 

4- 0,2 ccm fr. Hundeblutscrum 


4 - 0,2 ccm fr. Hundeblutserum 

LüÄung = 0 

Lösung = 0 


Lösnng = 0 


Um weiter zu erforschen, ob das Serum der behandelten 
Kaninchen ausser dem Antikomplemente auch Antizwischcn- 
körper enthielt, haben wir ngch den von Müller 4 ) angegebenen 
Methoden versucht, eine komplementreiche Flüssigkeit ohne 
Zwischenkörper zu erhalten, um mit dieser festzustellen, ob nach 
Zusatz von Komplement allein zu dem oben angegebenen Ge¬ 
mische Lösung eintritt, was auf Abwesenheit von Antizwischen- 
körpem hindeuten würde, während beim Ausbleiben der Lösung 
auf das Vorhandensein von Antizwischenkörper zu schliessen 
wäre. Aber weder ist es uns gelungen bei Hunden durch wieder¬ 
holte intraperitoneale Aleuronat- oder Bouilloninjektionen den 
Kpmplementgehalt ihres Serums deutlich zu erhöhen, wie übrigens 
Müller selbst angibt, dass dies nicht konstant stattfindet, noch 
hat uns die versuchte Trennung von Zwischenkörper und Kom¬ 
plement durch Bindung des ersteren an Erythrocyton in der 
Kälte, wo die Lösung aüsbleibt, in diesem Falle zum Ziele 
geführt. 

Die Entscheidung dieser Frage, sowie die Mittheilung der 
Resultate von Versuchen mit dem Blutserum von mit Presssaft 
verschiedener Hundeorgane behandelter Kaninchen, die wir im 
Gange haben, behalten wir uns für eine weitere Mittheilung vor. 


Aus der inneren Abtheilung der Kahlenberg-Stiftung zu 
Magdeburg. 

Ein Fall von hochgradiger Rechtsverlagerung des 
Fferzftrs ftt Folg« rechtsseitiger Lungenschrumpfung. 

Von Dr. II. L o h s s e, Assistenzarzt. 

Bisher sind nur wenige Fälle von erworbener Dextrokardic, 
in denen also das ursprünglich an normaler Stelle gelegene 
Herz durch pathologische Proceese im Thoraxraum nach rechts 
verlagert worden war, beschrieben worden. In Folge dessen 
herrscht bis auf den heutigen Tag darüber keine Uebereinstim- 
mung unter den Autoren, wie man sich die Lage des Herzens 
und seiner einzelnen Theile zum Thorax in diesen Fällen zu 
denken habe, zumal da auch Sektionsbefunde in sehr geringer 
Anzahl bekannt geworden sind. 

Die spärliche Kasuistik und der Umstand, dass der vor¬ 
liegende Fall eine ganz enorme Verlagerung des Herzens vor¬ 
stellt, rechtfertigen seine Veröffentlichung. 

Die wichtigste Frage, über die bisher eine Einigung unter 
den Autoren noch nicht erzielt ist, dreht sich darum, ob sich 
die Herzspitze bei der Verlagerung nach rechts wendet und nach 
rechts von der Basis zu liegen kommt, oder ob die Spitze links 
von der Basis liegen bleibt und somit das ganze Organ in toto 
nach rechts verlagert wird. 

Diese Frage zu klären ist unser Fall wohl geeignet, ins¬ 
besondere, wenn wir den von Garnier beschriebenen Sektions¬ 
befund von einem ganz ähnlichen Falle mit berücksichtigen. 

Ria 28 Jahre alter Kaufmann leidet angeblich seit 7 Jahren 
an einer chronischen Lungenaffektion. Fälle von Lungentuberku- 

*) Centralbl. f. Bacterlologle 1001. 


lose sind bei seinem Grossvater und einer Tante vorgekommen, 
mit der er zusammen im elterlichen Hause gelebt hat. 

Die Symptome seiner Krankheit bestanden in Husten, Aus¬ 
wurf und Mattigkeit. Ausserdem magerte Patient erheblich ab. 

Eine Kur ln Reinerz besserte seine Beschwerden, beseitigte 
sie aber nicht, so dass Patient Ende Oktober 1803 zu einer längeren 
Kur nach Davos ging. 

Von hier kehrte er Mai 1894 trotz mehrerer Influenznanfällc 
und einer starken Blutung bedeutend gebessert zurück. 

Die nächsten Jahre hindurch wechselte der Gesundheits¬ 
zustand. Patient hielt sich nacheinander in Hannover, London, 
dann zur Kur in Hastings an der SUdküste Englands auf. 

Schliesslich nahm er wieder eine Stellung in London an. Da 
ihm der Aufenthalt aber gar nicht bekam, ging er nach Bucnos- 
A.vres, von wo er Mitte 1900 sehr erschöpft und liebernd unch 
Magdeburg zurückkehrte. 

Pntient will nie Brustfellentzündung gehabt haben. Auch in 
Davos ist ärztlicherseits eine solche nicht konstatlrt worden. Die 
einzige Veränderung, die sein dortiger Arzt — Hofrath V o 11 a n d 
i— feststellte, war, wie mir dieser brieflich mitthellte, eine tuber¬ 
kulöse Affektion des r. Unterlappens. 

Derselbe Arzt hat damals auch eine Anomalie in der Lnge 
des Herzens nicht uachweisen können. Die Pulsation des Herzens 
auf der rechten Seite hat Pat. erst vor Kurzem selbst gemerkt. 
Subjektive Beschwerden von Seite des Herzens und der Gefiisse 
sind nicht dagewesen. 

Nachtschweisse hat Pat. selten gehabt. Sie waren stets von 
geringer Intensität. 

Status praesens. Der Pat. ist von grosser, schlanker 
Figur, wenig entwickelter Muskulatur; das Fettpolster ist fast 
völlig geschwunden; die Haut ist gelblich-grau; im Gesicht etwas 
dunkler und ausgesprochen kachektisch. 

Die sichtbaren Schleimhäute sind auaemisch, blass. Die Tem- 
peraturkurve zeigt geringe Schwankungen der Körperwärme um 
38° herum. 

Der Puls ist etwas beschleunigt, aber regelmässig und kräftig. 

Die Pulswelle ist auf der rechten Seite etwas höher als auf 
der linken. 



Radialpuls rechts. 



Rndinlpuls links. 

Im Gesicht fällt das starke Ilervortreten der Backenknochen 
im Gegensatz zu den eingefallenen Augenhöhlen und Wangen auf. 

Die Schleimhaut des Larynx ist anaciulseh, aber sott' t ohne 
pathologische Veränderungen. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


Die Zunge Ist rein. 

Der Hals ist schlank und mager. 

Der Thorax ist lang und sehr unsymmetrisch gebaut 

Die linke Seite Ist ausserordentlich stark gewölbt die Inter- 
costalräume sind deutlich sichtbar. 

Im Gegensatz dazu Ist die rechte Thoraxhälfte stark einge¬ 
zogen, besonders in den unteren Partien. Die Fossa supraclavi- 
cularls und Infraclavlcularls Ist hier sehr stark ausgeprägt Die 
Intercostalräume sind deutlich verengt besonders ln den unteren 
Abschnitten des Thorax. 

Der Umfang der linken Thoraxseite beträgt 43, der der 
rechten 38 cm. 

Bel der Athmung bewegt sich die linke Seite ausgiebig, die 
rechte schleppt deutlich nach. Die untere Partie der r. Thorax¬ 
hälfte Ist fast unbeweglich. 

Die r. Schulter steht etwas tiefer als die linke; die Wirbel¬ 
säule ist lm Brusttheil schwach nach rechts umgebogen. 

Rechts vom Sternum im IV. Intercostalraum fast in der vor¬ 
deren Axillarllnie sieht man Pulsationen; ebenso lm V. Intercostal- 
rnum etwas rechts von der Parasternallinie. 

Die mehr rechts gelegene ist 11 cm, die mehr links gelegene 
2 cm vom r. Sternalrande entfernt. 

Die Percussion ergibt links vorn sehr hellen und lauten, nicht 
tyinpanitischen Schall, ebenso ln der Seitenwand. 

Auch auf dem Sternum ln seiner ganzen Ausdehnung ist heller 
und lauter Schall. Das gleiche ist der Fall rechts neben dem 
Sternum und zwar lm Bereiche eines dem rechten Sternalrande 
parallelen Streifens Nach unten zu wird dieser Streifen rechts 
von der Herzdämpfung begrenzt. Seine Breite beträgt an der 
IV. Rippe 4, an der VI. 2 cm. 

Links Ist eine Dämpfung, speciell ln der Herzgegend, nicht 
nachweisbar. 

Auf der rechten Seite findet sich ln der Fossa supraclavlcu- 
larls absolute Dämpfung, in der Fossa infraclavlcularls gedämpfte 
Tympauie bis abwärts zur IV. Kippe. 

Iller beginnt die absolute llerzdämpfung, die nach unten 
ohne Grenze In die Leberdämpfuug übergeht (s. d. Zeichnung). 



Die obere Grenze der Herzdämpfung verläuft so, dass sie 
etwa in der vorderen Axillarllnie beginnend am unteren Rande 
der IV. Rippe entlang läuft. 

Ca. 4 cm vom rechten Sternalrande entfernt erreicht sie Ihr 
Ende. 

Die linke Grenze der llerzdämpfung verläuft Von diesem End¬ 
punkte seimig ab- und medlanwärts zur VI. Rippe. Ca. 2 cm 
vom rechten Sternalrande entfernt erreicht sie ihr Ende. 

Die rechte Grenze der Herzdämpfung geht ln eine die rechte 
Seltenwand des Thorax einnehmende absolute Dämpfung Über. 

Hinten links ist Überall sehr heller und lauter Schall. Die 
untere Lungengrenze Ist an der XI. Rippe zu linden. 

Rechts Ist der Schall ln der Fossa supraspinata und im rechten 
Thell des Interscapularraumes tympanitisch. 

Von der VI. Rippe ab Ist der Schall absolut gedämpft. 

Die Auscultation ergibt an der ganzen linken Thoraxhälfte 
sehr lautes, scharfes Vesiculärathmen. Rechts ln der Fossa supra- 
elavlcularls verlängertes Exspirium mit wenig Rasselgeräuschen. 
Dessgleichen ln der Fossa Infraclavlcularls ebenfalls ohne nenneus- 
werthe Rasselgeräusche. 

Hinten in der Fossa suprnsplnata verschärftes Exspirium 
mit amphorischem Beiklang und spärlichen klingenden Rassel¬ 
geräuschen. 

Im rechten Thell des Interscapularraumes verschärftes Ex¬ 
spirium ohne Rasseln. 

Von der VI. Rippe ab ist kein Athmungsgeräusch mehr hör¬ 
bar, dessgleichen nicht in der rechten Seitenwand. 

Der Stlmmfreinltus Ist im rechten The» des Interscapular- 
munres bedeutend verstärkt, von der VI. Rippe ab aufgehoben. 

Im ganzen Bereich der Herzdämpfung sind die Herztöne deut¬ 
lich und rein hörbar. Der I. Ton ist stärker accentuirt als der II. 

Das Sputum ist schleimig-eiterig, geballt und reich an 
Tuberkelbacillen. 


Bel der Durchleuchtung des Thorax ist auf der 1. Seite des 
Thorax kein Herzschatten nachweisbar. Die ganze rechte Seite 
nimmt ein sehr dunkler Schatten ein, ln dem Details nicht zu 
unterscheiden sind. 

Nach dem soeben mitgetheilten Krankenbefund steht es 
zunächst fest, dass der Patient an einer tuberkulösen Affektion 
der Lunge leidet. Der Sitz dieser Veränderungen ist der rechte 
Lungenflügel, der in seiner ganzen Ausdehnung ergriffen ist. 

Uns interessirt hier besonders die pathologische Verände¬ 
rung, die in den unteren Partien der Lunge, also im rechten 
Unterlappen besteht. Hier befindet sich der Krankhoitsprocess 
im Ausgangsstadium. Die Lunge ist durch Entwicklung von 
narbig indurirtera Bindegewebe geschrumpft. 

Die Schrumpfung ist sehr charakteristisch entwickelt und 
steht in engem Zusammenhang mit der Verlagerung des Herzens. 
Ein wesentlicher Befund ist die nachweislich bestehende ad- 
haesive Pleuritis, die sich regelmässig bei chronischer Lungen¬ 
schrumpfung findet und die wahrscheinlich auch bei der Ver¬ 
lagerung des Herzens und beim Zustandekommen der Verände¬ 
rungen am Thorax eine Rolle spielt. 

Aus dem objectiven Befund: absolute, sehr resistente 
Dämpfung r. h. unten und seitlich bei aufgehobenem Athem- 
geräusch und Stimmfremitus geht das Vorhandensein pleu- 
ritischer Schwarten hervor. 

Sehr auffällig ist die rechts unten bestehende Einziehung 
der Thoraxwand und die Verschmälerung der Intercostalräume 
besonders im Vergleich zu der bedeutenden Wölbung der linken 
Thoraxhälfte. 

Ebenso deutlich ausgeprägt ist die Verziehung des Mediasti¬ 
nums nach der Seite der Schrumpfung, die auf dieselbe Art 
und Weise zu Stande kommt, wie die Deformität der kranken 
Thoraxhälfte. 

Wir erkennen das Vorhandensein dieeer Veränderung an 
der Verlagerung des Herzens und am Verhalten der linken ge¬ 
sunden Lunge. 

Bei einseitiger diffuser Lungenschrumpfung befindet sich 
die gesunde Lunge regelmässig im Zustande vicariirenden Em¬ 
physems. Dies trifft bei unserem Falle ganz besonders zu. Das 
Emphysem ist hier so hochgradig, dass die linke Lunge weit 
über den rechten Stornalrand hinüberragt. 

Es soll nun noch kurz erörtert werden, durch welche Kräfte 
die Verlagerung des Herzens und Mediastinums bewirkt wird. 
Diese Kräfte sind: 

1. Der Zug, der durch die narbig schrumpfende Lunge resp. 
die Pleuraschwarten ausgeübt wird. 

2. Der Druck der sich ausdehnenden gesunden Lunge, der 
auf der einen Seite die stärkere Wölbung der betreffenden 
Thoraxhälfte bewirkt, auf der anderen die Verlagerung des 
Mediastinums mit bewerkstelligt. 

Natürlich wird mit dem Mediastinum zugleich auch das 
Herz verlagert, was in unserem Falle in ganz ungewöhnlich 
hohem Maasse der Fall ist. 

Der Befund gibt hierüber folgenden Aufschluss. Links 
fehlen Herzdämpfung, Herztöne und Spitzenstose vollkommen. 
Dessgleichen finden wir bei Durchleuchtung des Thorax links 
keine Spur eines Ilerzschattens. 

Dagegen sind auf der rechten Seite Herzdämpfung, Herz¬ 
töne, sowie vom Herzen herriihrende Pulsationen deutlich nach¬ 
weisbar. 

Das Ergebnis« der Röntgenuntersuchung zwingt uns zu 
dem Schluss, dass das Herz in der rechten Thoraxhälfte liegt. 
Ueber den Grad der Verlagerung und der Lage der einzelnen 
Theile des Organes gibt sie uns desswegen keinen Aufschluss, 
weil sowohl das Herz, als auch die dasselbe umgebende ge¬ 
schrumpfte Lunge einen einzigen dunklen Schatten geben, in 
dem Details nicht zu unterscheiden sind. 

Wie wichtig indessen die Anwendung dieser Methode in 
derartigen Fällen ist, zeigt eine von Gaillard gemachte Be¬ 
obachtung. 

Bei einem Phthisiker, »er eine Pleuritis durchgemacht hatte, 
fanden sich rechts vom Sternum im II. u. III. I.-R. Pulsationen. 
Links fehlten alle Zeichen der Anwesenheit des Herzens. Die 
linke Lunge war stark gebläht. Gaillard, der auf Grund dieser 
Erscheinungen eine Rechtsverlagerung des Herzens annahm, wurde 
durch die Durchleuchtung des Thorax dahin belehrt, dass das 
Herz nicht verlagert, sondern nur von der stark emphysematosen 
linken Lunge verdeckt war. Die starre Masse der lndurlrten 
rechten Lunge hatte die Ilcrzpulsationen zur rechten Thoraxwand 


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20. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCIIRIFT. 


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geleitet, wo sie an der angegebenen Stelle sichtbar wurden, wie 
es Gaillard ausdrücklich hervorhebt. 

Wir müssen also auf andere Art und Weise zu einer 
Vorstellung über die Orientirung des Herzens zu kommen ver¬ 
suchen. 

In erster Linie ist es nun wichtig, festzustellen, ob wir im 
vorliegenden Falle eine angeborene oder erworbene Dcxtrokardie 
vor uns haben. 

Es ist hier nicht schwer, darüber in’s Klare zu kommen. 
Wir haben es zweifellos mit einer erworbenen Dextrokardie zu 
thun. Der Patient ist während seines Davoser Aufenthaltes von 
seinem dortigen Arzt, Hofrath Volland, oft und eingehend 
untersucht worden, ohne dass, wie ich aus freundlichst er¬ 
statteten brieflichen Mittheilungen Vollend’» erfahren habe, 
eine Anomalie in der Lage des Herzens konstatirt wurde. Das 
Herz lag damals also an normaler Stelle. 

Nun hat der Kranke in den 7 seitdem verflossenen Jahren 
eine rechtsseitige Pleuritis und eine Schrumpfung des rechten 
unteren Lungenlappens erworben. Ausser linksseitigen pleu- 
ritischen Exsudaten, linksseitigem Pneumothorax und Mediasti- 
naltumoren führt gerade die rechtsseitige adliaesive Pleuritis 
reep. die damit verbundeno Lungenschrumpfung erfahrungs- 
gemäsa häufig zur Rechtsverlagerung des Herzens. Damit ist der 
Zusammenhang der pathologischen Processe ohne Weiteres klar. 

Das ursprünglich an normaler Stelle befindliche Herz ist 
durch den Zug der schrumpfenden rechten Lunge nach rechts 
verlagert worden. 

Gegenüber dieser Sachlage kommt eine Differentialdiagnose 
gegen einen Situs viscerura inversus und eine angeborene isolirte 
Dextrokardie gar nicht ernstlich in Frage. 

Gegen den ersteren spricht schon das Vorhandensein der 
Leber auf der rechten, der Milz auf der linken Seite. 

Bei der zuletzt genannten, sehr seltenen Form der congeni¬ 
talen Dextrokardie liegt die Herzdämpfung rechts genau sym¬ 
metrisch zu der normalen auf der linken Seite. 

In unserem Falle ist aber die Herzfigur der normalen an¬ 
nähernd congruent. 

Es ist somit über allem Zweifel erhaben, dass wir es hier 
mit einer erworbenen Dextrokardie zu thun haben. 

Wie ist nun das Herz orientirt? 

Schon aus dem objektiven Befund können wir gewisse 
Schlüsse in dieser Hinsicht ziehen. 

Zunächst bieten uns die auf der rechten Seite nachweis¬ 
baren Pulsationen einen Anhaltspunkt. Die eine liegt im 
IV. Intercostalraum fast in der vorderen Axillarlinie, die zweite 
iin V. Intercostalraum in der Parasternallinie. Beide sind 9 cm 
von einander entfernt, was ungefähr der Länge des Herzdurch¬ 
messers, gemessen von der Basis bis zur Spitze, entspricht. 
(Auch beim Vergleich dieser Distanz mit dem Durchmesser der 
Faust des Patienten kommt man zu dem gleichen Ergebniss.) 
Betrachtet man ferner die Form der Herzdämpfung, die der 
normalen nahezu congruent, wenn auch grösser ist (also „ähn¬ 
lich“ im mathematischen Sinne), so kann man sich dem Ein¬ 
druck nicht entziehen, dass das Herz, ohne die Lage seiner ein¬ 
zelnen Theile wesentlich verändert zu haben, nach rechts herüber¬ 
gewandert ist und an der durch die Dämpfung und die Pulsation 
bezeichneten Stelle der Brustwand anliegt. Zieht man überdies 
in Betracht, dass die Herztöne an der mehr links gelegenen 
Pulsation (im'V. Intercostalraum in der Parasternallinie) am 
lautesten sind und dass hier der I. Ton den II. an Stärke über¬ 
trifft, so wird es höchst wahrscheinlich, dass die an diesem 
Punkte wahrnehmbaren Pulsationen von der Spitze herrühren. 

Zur Gewissheit wird diese Vermuthung, wenn wir uns den 
Mechanismus der Verlagerung klar machen. Wie schon erwähnt 
wird das Herz durch den Zug der schrumpfenden rechten und 
den Druck der vicariirend emphysematosen linken Lunge nach 
rechts dislocirt. Versucht man bei einem Kaninchen, wo die 
Befestigung de« Herzens so locker ist, dass Dislocationen leicht 
gelingen, das Herz nach rechts zu verlagern, so bleibt, wo auch 
immer das Maximum der verlagernden Kraft einwirkt, die Spitze 
stets mehr links als dio Basis. Acltere Autoren hatten an¬ 
genommen — und diese Annahme ist auch heutzutage noch 
immer nicht völlig verlassen —, dass die Spitze sich nach rechts 
drehe, wahrend die Basis an ihrer Stelle liegen bleibe. Die Spitze 
sollte also der beweglichste Theil des Herzens sein. Das ist in¬ 
dessen nicht der Fall. 

No. 34. 


Wenn man an der Leiche den Herzbeutel eröffnet und das 
Herz völlig freigelegt hat, dann 1 kann man allerdings die Spitze 
beliebig nach rechts verlagern, auch ohne Dislocation der Basis. 
Andors bei unverletztem Perikard, das das Herz enganliegend 
umschliesst und damit den Effekt von aussen auf das Herz wir¬ 
kender Kräfte von der Befestigung des Herzbeutels abhängig 
macht. 

Die Befestigung des Perikards ist nun am stärksten an der 
Herzspitze, wo es durch straffes, sehniges Bindegewebe an das 
Centrum tendineum des Zwerchfells angeheftet ist. 

Viel weniger stark ist die Fixirung an der Basis, dio nur 
durch laxes, übrigens fetthaltiges Bindegewebe mit der Wirbel¬ 
säule verbunden wird (H y r 11). 

Es ist hieraus nicht schwer abzuleiten und entspricht den 
Ergebnissen der Versuche an der Leiche, dass bei einer Dis¬ 
lokation des Herzens nach rechts die Basis mehr verlagert werden 
wird als die Spitze. 

Es kommt so, da Basis und Spitze Theile eines gemeinsamen 
Ganzen sind, zu einer Rotation der Basis um die Spitze, d. h. 
während die Spitze nicht dislocirt wird tritt dio Basis mehr 
nach rechts, das obere Ende der Horzachso tritt also tiefer und 
der Winkel, den Herzachse und Horizontalebene mit einander 
bilden, wird kleiner. 

So gestaltet sich der Vorgang beim geringen Zug. Wird nun 
dio verlagernde Kraft grösser, so kommt es zur Verlagerung des 
ganzen Herzens in der eben geschilderten Orientirung. 

Der Vorgang der Verlagerung setzt sich also aas 2 Bewe¬ 
gungen zusammen, dio wahrscheinlich zeitlich zum Theil zu¬ 
sammenfallen und nicht streng getrennt sind: 

1. Rotation der beweglicheren Basis um die durch den Herz¬ 
beutel fixirte Spitze, damit Tiefertreten der Basis. Vermehrte 
Neigung der Ilerznchse gegen die Horizontale. 

2. Verschiebung des Herzens in toto nach rechts. 

Man kann sich diese Vorgänge am Kaninchen und an der 
menschlichen Leiche ohne Schwierigkeit klar machen. Die Be¬ 
stätigung der soeben gemachten Darlegung finden wir in einer 
von B a r d im Jahre 1894 publicirten Arbeit, in der dieser Autor 
aus klinischen Beobachtungen zu demselben Ergebniss kommt. 
Ferner und namentlich aber in einem von G a r li i o r in Nancy 
veröffentlichten Sektionsbefunde. 

Der betr. Patient hatte Im Jahre 1870 eine rechtsseitige Pleu¬ 
ritis durcligemaeht und seitdem beständig an Husten und Aus¬ 
wurf gelitten. 

Er kam wegen einer linksseitigen fibrinösen Pneumonie zur 
Beobachtung. Aeusserllch war am Thorax nur eine wenig stärkere 
Wölbung der linken Thoraxseite und ein gewisser Tiefstand der 
rechten Schulter wahrnehmbar. 

Eine Skoliose der Wirbelsäule felüte. 

Auf der rechten Thornxseite weniger ausgiebige Athern- 
bewegungen als auf der linken. 

Die weitere Untersuchung ergab eine fibrinöse Pneumonie des 
linken Dnterlappens, auf der rechten Seite unten alte pleuritlsche 
Schwarten. Dazu l>estnnd Emphysem der liuken Lunge. 

Auf der linken Seite fanden sich keine Zeichen für die An¬ 
wesenheit des Herzens. Iler/pulsatlonen waren nachweisbar im 
Epigastrium und im V. Intercostalraum rechts circa eine Finger¬ 
breite nach links von der vorderen Axillarlinie. 

Die Herztöne waren etwas nach innen von der Mammllla 
am deutlichsten hörbar. 

Es bestand also nach dem Ergebnis» der klinischen Unter¬ 
suchung eine Dextrokardie. Dabei war es zweifelhaft, ob der 
Zustand nngcl>oren oder erworl»en war. 

Der Kranke starb und nun wurde folgender Sektionsbefuud 
festgestellt: 

Die rechte Thoraxhälfte war von dem verlagerten nerzen 
eingenommen, dessen Spitze nach links schaute und unter dem 
unteren Ende des Sternum« lag. Der recht« Vorhof und der 
Anfangstheil der Aorta lagen der Brustwand an und zwar au 
der Stelle, die den ganz nach rechts gelogenen Pulsationen im 
V. Intercostalraum entsprach. 

Die Neigung der Ilerzachse gegen die Horizontulebene war 
bedeutender als ln der Norm. 

Der untere Theil der Luftröhre war nach rechts abgebogeii, 
der rechte Bronchus enger als der linke. 

Der Aortenbogen war stark abgehackt, seine Krümmung 
weniger stark als sonst. 

„Er hat sich gewissermaassen abgerollt. um der Bewegung 
des Herzens nach rechts zu folgen, so dass er verlängert er¬ 
scheint.“ 

Die (absteigende) Bmstaorta verlief schräg von rechts oben 
nach links unten, die linke Carotis und Subclavia schräg nach 
links oben. 

Die rechte Lunge war geschrumpft, die Pleura mit «licken 
Schwarten belegt. Der linke Oberlappen war stark gebläht, der 
linke Untorlappen pneumonisch inliltrirt. 

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1348 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 31. 


Der Thorax erschien nach Herausnahme seines Inhaltes un¬ 
symmetrisch, derart, dass die rechte Seite kleiner war als die 
linke. 

Geringe (iiusserlich nicht bemerkbare) Rechtsskoliose der 
Wirbelsäule im Brusttheil. 

Ilera nicht vergrössert, Länge und Breite je 11 cm. 

Wir brauchen diesem Befunde, der den theoretischen Voraus¬ 
setzungen durchaus entspricht, wohl nichts weiter hinzuzufügen. 

Es füllt uns nunmehr nicht schwer, die in unserem Falle ob¬ 
waltenden Verhältnisse in der Orientirung des Herzens zu be- 
urthcilen. 

Demnach werden wir die mehr nach links gelegene Pulsation 
im rechten V. I.-R. als von der Spitze herriihrend ansprechen, 
die mehr nach rechts gelegene im IV. I.-R. als von der Basis aus¬ 
gehend. Letztere ist also aus dem II. I.-R. in den IV. herab- 
gerückt, die Neigung der Herzachse zur Horizontalebene also 
stärker als in der Norm. Das Herz ist somit in toto ohne wesent¬ 
liche Aenderung in seiner Orientirung nach rechts hinüber¬ 
gelagert worden. 

Zum Schluss noch ein Wort über die Folgen der Herz¬ 
verlagerung für die Circulation. 

Wesentliche Störungen sind bisher nicht beobachtet.. Auch 
in unserem Falle fehlen bis auf den Unterschied in der Höhe der 
beiden Radialpulse Circulationsstörungen vollkommen. 

Von ihrem Zustandekommen können wir uns nach dem Gar- 
nier’schen Sektionsbefunde, der die erhebliche Zerrung, welche 
die Aorta mit den abgehenden Arterien erfährt, deutlich illustrirt, 
eine Vorstellung machen. Fernerhin ist diese Störung gering, 
wenn man bedenkt, wie hochgradig die anatomischen Verände¬ 
rungen der Gefässo sind. Wir müssen wohl annehmen, dass bei 
der langsamen Entstehung der Verlagerung eine langsame, ge¬ 
nügende Anpassung an die neuen Verhältnisse zu Stande 
kommen kpnn. 


Kompressionsthrombose der linken Vena anonyma 
bei Perikarditis und über den Befund von einseitigem 
Hydrothorax. 

Von Dr. Peter v. Zezschwitz in München. 

In einer Dissertationsarbeit erörtert Rehn 1 ) einen Fall von 
Venenkompression durch retrosternale Struma, bei welchem nach 
Aufbietung eines enormen Collateralkreislaufs der äusseren 
Brust- und epigastrischen Venen unter geeigneter Therapie (Jod) 
Rückbildung erfolgte. Thrombose des Gebietes der oberen Hohl¬ 
vene war nicht völlig auszuschlieseen. Aehnlich gelagert ist ein 
Fall von W. Z a w a d z k i ’), wobei die besondere hypertrophirten 
unteren, seitlichen Lappen der Struma auf die Venae anonymae 
und subclaviae drückten. „Diese besessen ausgedehnte Throm¬ 
ben, besonders an der Stelle der Einmündung des Ductus thoraci- 
eu«, wodurch eine bedeutende Stauung im Lymphgefässsystem 
und consecutiv Entleerung von Chylus in die serösen Höhlen 
herbeigeführt wurde.“ Es können, abgesehen von tiefer Kropf¬ 
entwicklung (Struma substernalis) und anderen im vorderen 
oberen Mediastinalraum sich ausbreitenden Tumoren, Erkran¬ 
kung des hinter demselben befindlichen Aortenbogens und des 
Herzbeutels, dessen Duplicatur nach Luschka in einer 
schrägen, die Vena anonyma sin. kreuzenden Linie an dem vor¬ 
deren Umfang des Aortenbogens angeheftet ist, zu Verschluss der 
Venen führen. 

Raumverdrängung als solche spielt hierbei nicht die ent¬ 
scheidende Rolle. Einen Beleg dafür haben wir unten in einem 
Beispiel von Aneurysma neben Perikarditis, wobei die obere Hohl¬ 
vene und linke Anonyma der Konvexität eines sehr bedeutenden 
Sackes zu einem Band ausgezerrt folgt, trotz gleichzeitigen 
Druckes von Seiten des begleitenden Perikardialexsudates 
dennoch ihr Lumen freibehält. Ueberhaupt haben umfangreiche 
Ergüsse der serösen Höhlen, insbesondere perikardiale, selbst 
wenn sie durch schnelle« Ansteigen im Brustraum expansive Wir¬ 
kung entfalten — auch grössere Infiltrate, Lymphome u. dergL —, 
nicht nothwendig Thrombose der eingeengten Venen zur Folge, 
sondern es werden dieselben, soweit möglich, in der Richtung des 

’) Rehn: Dissertation. Marburg 1875. 

'■) W.Zawadzkl: Beitrag zur Pathologie der Entleerung von 
Chylus in seröse Höhlen. Gazeta lekarska No. 0, 1891 (Vircho w- 
Hirsch, 1891, II, S. 1204). 


geringsten Widerstandes, nach der oberen Brustapertur vorge¬ 
schoben werden. 

Ausschlaggebend ist bekanntlich das Verhalten der Gefäss- 
waml und es wird hier von wesentlicher Bedeutung, 1. ob ein 
entzündlicher Prozess vorhanden und welche Art desselben 
die vorherrschende ist; 2. ob ein Grundleideu mit maligner 
Proliferation vorliegt, welches die Gefäsewand zu durch¬ 
setzen im Stande ist*). 

Von der Seltenheit der Thrombose in genanntem Gefäss- 
gebieto macht man sich eine Vorstellung, wenn man aus der 
jüngeren Literatur die Statistik Bargebuhr’s 4 ), sowie Rot- 
m a n n’s') von Fällen von Verschluss des Ductus thoracicus in 
Betracht zieht. Da die Ursache — wie meistens — in Thrombose 
gelegen ist, welche dann von der V. anonyma in die Subclavia 
sich erstreckt, handelt es sich vorwiegend um Fälle von Carci- 
nomatose, Lyinphosarcom, und auch derer sind nur wenige publi- 
zirt. Sehr selten und in der Literatur vereinzelt ist Kom¬ 
pressionsthrombose als Folgeerscheinung von perikardialem Ex¬ 
sudat, deren Entstehen unter der Vereinigung zweier Drucksäulen, 
von Seiten eines perikardialen und pleuralen Ergusses, ersicht¬ 
lich wird. 

Zunächst meine eigene Beobachtung: 

Am 29. Juni 1900 hatte ich den 34 Jährigen Schuhmacher 
L. P. an der äussersten Stadtgrenze zu besuchen und fand 
den schwer Erkrankten im Bett aufgerlchtet sitzend, auf den 
1. Arm gestützt ängstlichen Ausdrucks. Die Gesichtsfarbe bräun¬ 
lich mit oyanotisclier Tömmg, erinnernd au Rronoe; die Venen 
au Schläfen, Stirne. Augen, Hals auffallend hervor tretend, ge¬ 
schlängelt: Jugulares ansehwelleud. Erweiterte Pupillen. Ortho¬ 
pnoe in kurz absetzenden Zügen. Puls 320, klein, gleiehmässig. 

Thorax von kurzem, gedrungenen Bau, in den oberen Partien 
die Haut venös verfärbt und auffallend turgescent, gespannt; 
ebenso am 1. Arm. Der Schall ober- und unterhalb der 
1. Clavlcula gedämpft; r. voller lauter Schall bis zur Lebergrenze. 
L. beginnt absolute Dämpfung an der 3. Rippe und reicht vom 
Sternum bis unterhalb der Axilla nach dem Rücken. R. v. überall 
vesicuiärcs, scharfes Athmungsgeräusch. L. v. o. Rasselgeräusche, 
besonders unterhalb Clavlcula, und nbgeschwächtes Athmen. 
welches weiter unten nach der Axilla in bronchiales übergeht. 
Hinten Schenkelton bis zur Mitte der Scapula; oberhalb derselben 
gedämpft tympanitlsch mit abgeschwächtem Athmen, Rhonchl; 
nach unten aufgehobenes Athmungsgeräusch; aufgehobener Pec- 
toralfremitus. It. h. bis zur XI. Rippe lauter Percussionsschall. 
Lungengrenze verschieblich, unten feuchtes Rasseln. 

Herz. Vorne reicht die an der 3. Rippe 1. beginnende Zone 
absoluter Dämpfung bis zum r. Sternalmnd und überschreitet 
unten denselben nach rechts. Spitzenstoss nicht fühlbar. Herz¬ 
töne nirgends zu hören. Keine Reibegeräusche. 

Leib etwas aufgetrieben. Leber um Handbreite den Rippen¬ 
bogen überragend. Geringes Oedem an beiden Füssen. Kein 
Fieber. 

Die Anamnese, nach und nach gewonnen, ergibt: Vor 
17 Jahren H u f s c h 1 a g an die Herzgegend, vorübergehende Be¬ 
wusstlosigkeit, jedoch nur kurzes Krankenlager; seither stets 
rüstig. Letztes Weihnachten ein von Athemnoth, Kopfschmerz 
und starkem Stechen links in der Seite begleitetes. 3—4 Tage 
währendes Fieber, welches der behandelnde Arzt für I nfluenza 
erklärte. Ostern darauf leitet Husten und Athemnoth die seitdem 
bestehende, von Zeiträumen der Besserung unterbrochene Erkran¬ 
kung ein. In dieser Zeit wurde in der Poliklinik Herzbeutel¬ 
entzündung constatlrt. Seit. 10 Tagen stärkere Athemnoth 
und bläuliche Gesichtsfarbe, doch wird noch ambulant ärztlicher 
Rath erholt, bis der Patient das Bett zu verlassen nicht mehr im 
Stande ist. 

Die bisherige diuretische Behandlung wird beibehalten, da 
kein Harn vorhanden, ohne dass die Blase überfüllt war. Im 
Uringefäss etwas Hamsäureniederechlag. Eine spätere Probe 
zeigt negative Eiwelss- und Zuckerreaktion. — Die Annahme von 
Perikarditis, nahegelegt durch das mit dem Puls contrastlrende 
Verhalten der Herztöne, wird in den nächsten Tagen bestärkt durch 
die Zunahme der Dämpfuugszone nach r. u., sowie durch die Ver¬ 
schiebung derselben nach r. bei Lagerung auf die r. Seite, was 
nur unter starker Athemnoth gelingt. Dagegen ist im 2. Inter- 
costalraum 1. vom Sternum auch bei starker Percussion eine 
Dämpfung von nur Fingerbreite zu constntlreu. 

7. VII. Verlauf völlig fieberfrei, durch diuretisclien Wein, 
Morphium und Kampherinjektion bisher günstig beeinflusst Da 
das Exsudat der 1. Pleura bisher noch gestiegen, wird am 9. VII. 
2 Querfinger unterhalb Scapula % Liter stark getrübter, 
gelblieh-röthlicher, in den oberen Schichten deutlich lu’s Grüne 
fluorescirender Flüssigkeit aspirirt. Herztöne hierauf leise 
hörbar. 


*) Von Allgemein Wirkung (Kachexie) ist hier Abstand ge¬ 
nommen. 

‘) Bar gebühr: Chylöse und chyliforrae Ergüsse in den 
grossen serösen Höhlen. Deutsch. Arch. f. kllu. Med., Bd. LIV, 
1895. 

s ) Rot mann: Feber fetthaltige Ergüsse In den grossen 
serösen Höhlen. Zeitschr. f. kliu. Med., Bd. XXXI, 1897. 


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20. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1349 


17. VII. Trotz bedeutender Erleichterung nur schwache 
Diurese; Harn eiweisshaltig. Oedem der Beine mit vorangehendem 
Auftreten von zahlreichen Petechien. Etwas Ascites. Die venöse 
Stauung, welche In den oben bezeicbneten Partien unverändert 
fortbestanden, beginnt auch am r. Arm. Haemorrhagische Sputa. 
R. h. u. mässige Dämpfung, Rasselgeräusche. 

19. VII. Abermalige Aspiration von etwa 1 Liter der gleichen 
Flüssigkeit aus der 1. Pleurahöhle unter erheblicher subjektiver 
Besserung. Pulsfrequenz stets erhöht, ca. 120, mit kleinen, ziem¬ 
lich gleichen Wellengipfeln, wird durch Digitalis wenig reduclrt. 

Am 25. VII. wird einwärts der l.v. Axillarlinie Im V. Intercostal- 
raum 1 y 4 Liter Flüssigkeit entleert; Beschaffenheit die gleiche, 
nur bei Beginn etwas Blutzutritt Man fühlt mit dem Troikart 
(P o t a i n - F r il n t z el) durch Anlegen der Spitze deutliche Herz- 
palpitationen. Nach der Entleerung nur geringe subjektive Er¬ 
leichterung. 

30. VII. Da bei den dürftigen Verhältnissen des Kranken 
der Mangel an Pflege nach dem nun ausgedehnten Anasarka sich 
immer mehr fühlbar macht, wird die Ueberführung in das 
Krankenhaus ermöglicht 

Mit der Wahl der Thoracocenteee an einer einwärts der vor¬ 
deren Axillarlinie befindlichen Stelle war es möglich, einen in 
der Tiefe in das Bereich fallenden perikardialen Erguss zugleich 
mit dem pleuralen abzulassen und es wäre damit der vitalen 
Forderung entsprochen, d. i. in diesem Falle den hintangehaltenen 
diastolischen Bewegungen des Herzens wieder Spielraum zu ver¬ 
schaffen. ln facto war es nicht so. Denn einmal blieb jeglicher 
Effekt auf die Circulation aus. Sodann stimmte der Charakter 
der Flüssigkeit mit der früher entzogenen völlig überein, in der 
Farbe sowohl, als in der stark ausgesprochenen zelligen Trübung, 
während Fluorescenz schon das 2. Punctat nicht mehr deutlich 
zeigte. Die bei dem letzten anfänglich beobachtete Blutspur mag 
von dem Stichkanal herrühren. 

Sein eigenthümliches Gepräge erhielt der Fall durch die der 
oberen Brustppertur entstammende, in Hals, Kopf und linken 
Arm, theilweise in netzartiger Anordnung auslaufende Venen¬ 
ektasie, deren nächste Ursache erst in der Klinik festgestellt 
wurde. Die Stauung wie9 offenkundig auf den oberen Media- 
stinalraum hin, was anfänglich mich bestimmte, neben Peri¬ 
kardial- und Pleuraerguss fraglichen mediastinalen Tumor zu 
notiren. Da die Perkussion nach oben und nach rechts unten 
vom Sternum keine abundante Ansammlung von Flüssigkeit im 
Herzbeutel vermuthen liess, andererseits aber der schnell sieh 
ausdehnende, relativ viel bedeutendere Erguss der Pleurahöhle, 
bei der Punktion nicht sanguinolent, sich als rein entzündlich 
charakterisirte, so waren die Erscheinungen auf ein entzünd¬ 
liches Agens zurückzuführen. 

Der lange Zeit zurückliegende Unfall konnte nur als vorauf¬ 
gegangene Gewebsschädigung in Betracht kommen, ward übri¬ 
gens erst durch spätere Nachforschung bekannt. Ich habe vor¬ 
nehmlich Tuberkulose in’s Auge gefasst, wofür natürlich nicht 
der physikalische Befund am linken Oberlappen, welcher offenbar 
Kompressiousatelektase, zu verwerthen war. (Die späteren hae- 
morrhagischen Sputa bekundeten nur die sich mehrende Herz¬ 
schwäche durch Infarktbildung, speciell im rechten Unterlappen.) 
Für Tuberkulose, deren Beziehung zu Perikarditis, besonders bei 
chronischem Verlauf, mir nicht neu und von einem gleichzeitig 
beobachteten Falle zweifellos tuberkulöser Herkunft vertraut 
war, sprach das 3 Monate zuvor in der Poliklinik oonstatirte 
Auftreten der Erkrankung, vielleicht das von Fieber und Seiten¬ 
stechen begleitete, noch frühere Einsetzen derselben [Influenza]'’). 

Patient wurde in die Abtheilung des -Herrn Geheimrath 
v. Ziemssen aufgenommen und ich verdanke dessen gütigem 
Entgegenkommen den dortigen Befund, von dem nur das Haupt¬ 
sächliche hier folgt. 

Kräftig gebauter Mann ln schwer afflcirtem Zustand. Cyanose 
am Rumpf und an den Extremitäten, links etwas stärker. Hoch¬ 
gradig pralles Oedem an der linken Brusthälfte. L. Thoraxhälfte 
enorm erweitert. Vorn 1. reicht die Dämpfung nach r. bis finger¬ 
breit über den r. Sternalrand und endigt oben in der Gegend des 
r. ßtemoclavleulargelenks. H. nach der Achsel zu ganz entfernt 
bronchial klingendes Athemgeräuscb. Auf der Höhe der Inspiration 
zuweilen feines Knistern. Pectoralfremitus aufgehoben. Sputum 
schleimig, stark haemorrhaglsch. Herzdümpfung lässt sich nach 
keiner Seite hin bestimmen wegen der absoluten Dämpfung Uber 
der L Lunge. Spltzenstoss Ist nicht zu fühlen. Die Herztöne 
nicht hörbar. Puls enorm klein und weich, kaum fühlbar. 

In der 1. Supraclaviculargnibe befühlt man eine sträng- 
artige Verdickung, die sich entsprechend dem Verlauf der 
V. Jugular. ext am Halse nach aufwärts verfolgen lässt Eine 
weitere strangartige Verdickung, etwa dem Verlauf der 
V. thy reoldea entsprechend, zu fühlen. 

*) 8. o. Anamnese. 


Im centrifugirten Sediment des Urins einzelne Niereu- 
epithelien, Cyliuder, Leukocyteu. 

Diagnose: Tumor mediastinalis (?). Pleuritis exsudativa sin. 
Perikarditis (?). Thrombose der Ven. Jugul. ext., anonyma und 
thyreoldea. 

31. VII. Erbrechen von ca. 4 Liter dünnflüssiger, Kaffeesatz 
enthaltender Flüssigkeit; sonst Befund unverändert 

2. VIII. Exitus letalis. — Sektion Herr Prosector Dr. Dürck. 

Sektionsbefuud'): Mittelgrosse männliche Leiche. Re- 
ducirte Ernährung. Dunkel cyanotlsche Gesichts- und Halshaut. 
Auch an Rumpf und oberen Extremitäten intensiv bläuliche zahl¬ 
reiche dunkle Flecken. Genitalien und Extremitäten sehr oede- 
matü8. Fettpolster an Brust und Bauch nahezu geschwuuden. 
Musculatur oedemntös. Aus der Bauchhöhle entleert sich leicht 
getrübte, reichlich gelbe Flüssigkeit, ca. 2>/ a —3 Liter. Leber hand¬ 
breit vorliegend. Zwerchfell 1. 7. Rippe, r. V. lntercostalraum. 

Sehr stark ausgedehnte Halsveueu. Beim Eluselineiden reich¬ 
lich dunkles, flüssiges Blut. Nach Wegnahme des Sternums Herz¬ 
beutel mehr als handbreit vorliegend. L. Pleurahöhle stark aus¬ 
gedehnt und gefüllt mit 5 Liter trüber, grauröthlicher 
Flüssigkeit. L. Lunge platter Strang, gegen Wirbelsäule gepresst; 
r. Luuge abwärts verwachsen; y 2 Liter Flüssigkeit. Herzbeutel 
sehr stark ausgedehnt, ca. 400 ccm schwarzes, flüssiges Blut, 
einige grosse, dunkle Fibrinflocken. An der Basis des Herzens 
vlsc. und parietal, perikard. Blatt fest verbunden. 

L. Lunge in platten Gewebsstrang zusammengezogen. Faltige 
Pleura. Schlaff musk. Konsistenz, luftleer, zäh. Schnittfläche 
dunkelbraunroth; Gefässstümpfe vorstehend, Bronchialstämme, 
auch die grösseren komprimlrt. R. Lunge voluminöser. Pleura des 
Unterlappens fibrös verdickt. Ober- und Mittellappen durch¬ 
feuchtet, komprimlrt. Unterlappen besser lufthaltig, weicher, an 
Zwerchfellfläche und scharfem Rand dreieckige, dunkle, luftleere, 
scharf umschriebene Herde mit glatter Schnittfläche. In Bronchien 
blutig ting. Sekret. 

Herz. Nach Entleerung der perikard. Höhle Herz selbst sehr 
klein, an Basis mit schwärt. Perikard verlöthet, auch übriges 
Perikard sehr verdickt und mit lamellösen, fibrinösen Auflage¬ 
rungen bedeckt R. Vent sehr klein, nahezu leer. Septum nach r. 
hinübergedruckt. Endok. durchsichtig. Pulmonalkl. frei bewegt 
Obere Hohlvene durchgängig. Abgangsstelle der Jugu¬ 
lar. sin. wandständ. graugeschichtet. Thrombus, 
ebenso an Abgangsstelle .d. Thyroidea. Thyreoid. Inf. d. 
frei durchgängig. L. ist V. juguL u. subcla v.') vollstän¬ 
dig thrombosirt. Oberhalb derselben setzt sich 
der Thromb. in Jugul. int. fort. Thyreoid. i n f. d. 
vollkommen thrombosirt. L. Vent sehr kleines Lumen 
und eng. Papillarmuskeln sehr kurz und gedrungen. M u s k u 1. 
ohne Veränderung. Endokard durchsichtig. L. Vorhof 
weit; flüss. Blut. Herzohr nicht abnorm. 

Magen stark ausgedehnt Mucosa schmutzig graubraun im- 
bibirt. Ileum blutige Massen. Dickdann Faeces und Blut. Auf 
der Höhe der Falten dunkel Injlcirte Plaques mit dunklem Blut 
Imbibirt. Coecum- und Kolonschleimhaut kupferig diffus ge¬ 
schwellt mit schwarzen Blutaustritten durchsetzt. 

Am Ende der Cava inf. vor der Theiluug ein grauroth ge¬ 
schieht. wandständ. Thrombus, der sich noch etwas 1. in Uinc. 
commun. verfolgen lässt. Unter Lig. Poup. au Uiaca 2 klappen- 
ständ. in's Lumen eiuragende Thromben, auch sonst in V. fern. d. 
mehrfach in d. Nähe d. Klappen befind!. Thromben. L. ln Fein, 
mehrfach das Lumen vollst. verengende Thromben. 

Treber vergrössert. zäh, derb. Olierfl. glatt Schulttfl. leichte 
Unebenh. Acini zieml. deutlich. Beiden Nieren Kapsel abziehbar. 
Mark u. Rinde injieirt Glomeruli blutigrothe Punkte. Auf- 
steigende Gefüsse u. Marksubst. purpurroth. 

Anatom. Diagnose: Chron. fibröse Perikarditis u. theilw. Ob- 
literatlon der Perlkanllalhühle. Akute haemorrhag. fibrinöse Peri¬ 
karditis. Kompressionsthrombose der Vena anonyma, jugular. int. 
u. Thyreoid. inf. sin. Multiple mnrnnt. Thromben in Cav. inf., 
Iliac. u. den Femorales. Hochgradiger Ilydrotliorax links mit 
vollst Kompressionsatelektase der ganzen 1. Lunge. Multiple 
haemorrhag. Infarkte im r. Unterlappeu, Stauungsmilz, -Leber. 
-Nieren. Stauuugskatarrh des Magens und Darms mit terminaler 
Diapedcsisblutung. Hydrops ascites. Anasarka. 

Mit dem Sektionsbefund sind drei wichtige Punkte gegeben, 
deren Beziehung zu einander überraschende Consequenzen er¬ 
öffnen: 1. Kompression als Ursache für die vorhandene 
Thrombose der Anonyma, 2. Hydrothorax an Stelle^du* 
erwarteten Pleuritis, 3. ein kleines, intaktes Herz. War 
einseitig links isolirter Hydrothorax — mit 5 Liter 
links gegen Vs Liter rechts! — abhängig von der Kompression 
durch den perikarditischen Erguss, so stand dem entgegen ein 
intakter Herzmuskel, ein bei Annahme rein lokaler Stauung 
widersprechender Faktor*). War Hydrothorax hingegen ab¬ 
hängig von der Thrombose als lokale Venen- und Lymphestauung, 
so verlangte die bei dem massigen Umfange — 400 ccm — des 
perikardialen Exsudates nicht erklärte Thrombose die Annahme 


0 Die Ueberlassuug desselben verdanke ich der Güte des 
Herrn Prosektors Dr. Dürck. 

') Abgang8stello der Subclavia? 

*) It o s e n b a c h, s. a. u. 

3* 


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1350 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


entzündlicher Entstehung der letzteren. Und das war nicht 
der Fall. 

Thatsächlich war, soweit die thrombosirte Strecke reichte, 
die Venenwand durch alle Schichten von Entzündung frei und, 
da der Thrombus nach Farbe und Schichtung, sowie nach der 
weiten Verzweigung zu schliesscn, älteren Datums sein musste, 
so handelte es sich um Stagnationsthrombose ,0 ) in Folge Kom¬ 
pression. Immerhin liegen in dichter Nähe des Vorhofs in Folge 
der Grösse der Stromgesehwindigkeit und continüirlicher Druek- 
schwankung die Verhältnisse innerhalb der Blutbahn nicht 
günstig für Thrombosenbildung. Man begreift daher, wie ausser¬ 
ordentlich selten es dazu kommt. Auch zeigen die wenigen aus 
der Literatur verfügbaren Parallelfälle "), dass neben Druck von 
aussen und Verlegung de« Lumens sich desorganisirende 1= ) Ein¬ 
flüsse (Kachexie) auf das Verhalten des Blutes oder der Gefäss- 
waml geltend machen. Dass bei Entzündung seröser Siieke noch 
«•in besonderer Umstand in Betracht kommt., nämlich die. den¬ 
selben mit der Intima der Gefässe gemeinsam zukommenrle 
Eigenschaft, mit Endothel bekleidet zu sein ia ), mag nebenher 
nicht unerwähnt bk-iben, weil bei den GefiLssen ja sicherlich die 
chemische Funktion mit dem Endothel verbunden ist, Gerinnung 
zu behindern. 

Es ist also bei der Scdtenheit tliesor Thrombose im All¬ 
gemeinen das Zusammenwirken verschiedener Faktoren im Auge 
zu behalten; meiner Meinung nach genügt — ganz abgesehen von 
dem anatomischen Nachweis — einfache Kompression, die Patho¬ 
genes«! vorliegenden Falles zu erklären, allerdings unter be- 
somlerer Druckwirkung, welche von zwei Seiten statthatte. Doch 
sei hier anschliessend ein von Herrn Proseetor Dr. Al brecht 
froumlliehst mir zur Verfügung gestelltes Protokoll M ) eingefügt, 
welches als Gegenstück zu meinem Fall gelten. kann, als ung«?- 
wöhnlicher Befund im Uebrigcn für sich selbst spricht. Wir 
können nur die für uns wichtigsten Bruchstücke gelxm. 

Klüftig gebaute männliche Leiche in ziemlich gutem Er- 
nährungszustaiule. Leichtes thileiu. Thorax gut gwölbt (28 cm 
hoch). Abdomen geringe Menge Flüssigkeit. Zwerchfell 1. 7., r. 
G. Rippe. 

Herzbeutel liegt in einer Breite von 23. Höhe vou 21 cm vor. 
Mit dem Sternum in dessen r. Hälfte in der Höhe der 2. u. 3. Rippe 
eine bläuliclirotb verfärbte Partie im Herzbeutel lm Umfang eines 
Fünfmarkstückes verwachsen. Bel Eröffnung des Herzbeutels 
eutleeren sich 900 ccm einer dunkel chokoladefarbenen mit fibri¬ 
nösen Fäden untermengten, etwas trüben Flüssigkeit. 

Lungen beiderseits ziemlich ausgedehnt verwachsen; in den 
abhängigen Theilen thells freie, thclls im Bindegewebe gelegene 
Flüssigkeit. 

Die von unten her eröffnete Aorta erweitert mit unregelmässi¬ 
gen Verdickungen und Kalkeinlngcrungen. lm Anfangstheile der 
Brustaorta, etwa 2 cm unterhalb des Arcus beginnend, eine fünf- 
markstückgrosse Partie verdünnter, von atheromatösen Ge- 
sclnvürchen durchsetzter Wand. Der Arcus erscheint ln seinem 
Ende eben für «leu Daumen durchgängig und wie «lurch einen 
Wall verengt Daran schllesst sich ein fast mannskopf- 
grosser, prall gefüllter, an einztdnen Stellen derb resistenter, 
aneurysmatiseber Sack, welcher mehrere mit flüssigem Blute reich¬ 
lich gemengte Cruor- und Speckgerinnsel enthält. Gegen die 
Klappen zu verjüngt sich die Aorta, wieder mit wallartigera Rande 
sich absetzend, zu einem 3% cm im Durchmesser haltenden Sacke, 
in «lessen Grunde die leicht verdickten, vollkommen schlussfäliigcn 
Aortenklappen liegeu. 

Hera beide Vent verbreitert, Consistenz schlaff. Beide Blätter 
des Perikards rothbraun und braungrau verfärbt und überlagert 
von reichlichen, tlieils fester anhaftenden, fibrinösen Auflage¬ 
rungen. R. Vent. mehr als gänseeiweit. Musk. nur lm vordersten 
Abschnitt«' verdünnt, sonst kräftig ausgebildet. R. Vorhof von fast 
der Grösse einer Weiberfaust, Wand dünn, in der oberen Hälfte 
sein Lumen «lurch «len aneurysmatischen Sack stark verengt; noch 
mehr dasjenige der V. cav. sup., sowie der V. nnonyma, welche 
beide auf eine grosse Strecke entlang der Kon¬ 
vexität «lesSnck es verlaufen. Im Anfangstheile der V. cav. 
sup. zeigt dieselbe entsprechend der Oberfläche des Sackes 
streifig verdickte und etwas getrübte Intima. Im 
Uebrigcn sind die Venenwände ohne Besonder¬ 
heiten. L. Kammer von der Weite eines grossen Hühnereies, 
Endokard durchsichtig. Mitralis für 2 Finger durchgängig, im 
Aortenzipfel geringgradig verdickt, in der 1. Klappe derbe einge¬ 
lagerte Kalkplatte. Musk. des 1. Vent. stellenweise verdünnt, von 
schlaffer Konsistenz. L. Vorhof nicht erweitert, Wand etwas ver- 

10 ) S. a. v. Recklinghausen a. a. O. 

") S. a. oben. Ferner Or raerod -M arge t: Transactlons of 
the pathol. Society of London 1808, Vol. XIX, p. 199. — Martin: 
Transactlons of the pathol. Society of London, Vol. XLII, p. 93. 

11 ) Eisenschlitz: Wien. klin. Rundschau 1895, No. 50 
u. 51 (Ein Fall von Thrombose der Anonyma bei Nephritis). 

**) Rosenbach u. a. Aut. 

14 ) Bisher noch nicht veröffentlicht. 


dickt. Die Abgangsstellen der rechten Pulmonalvenen ziemlich 
stark verengert, kaum für einen kleinim Finger durchgängig. 

L. Lunge von welcher Konsistenz, in der Spitze indurirter 
Herd, überall lufthaltig. R. Lunge von erhöhter Konsistenz, iw 
der Spitze kirschgrosse Narbe; unter der -Oberfläche des Unter- 
lappeus einige atelektat. Partien. 

Es war also an einer kleinen Stelle Endophlebitis, aber nicht 
Thrombose, an der Vene nachgewioscn worden, obgleich es sich 
ura Pression eines so grossen Sackes, an welchem das Gefast 
lange Zeit wie an einem Ballon aufgezogen war, handelte. An 
beiden Venen, cava und anonyina, entfaltete sich der Druck in 
schräger Richtung, von unten und hinten her, wie bei meinem 
Patienten, nur dass bei diesem der atolektatischo Oberlappen 
unter Mitwirkung der Perikarditis der sich ausdehnenden Pleura¬ 
höhle als Puffer dient«!. — Bei grösserem Perikardialerguss (von 
700—900 ccm Inhalt an) wird oberhalb der grossen Gefässe im 
ersten Intereostalraum ein wurstförmiger Fortsatz vorgestülpt, 
wie wir aus den Leichen versuchen S c h a p o 8 c h n i k o f f s |; ) 
entnehmen; b«“i 400 e«*m — unser Fall — beginnen erst die Hohl- 
riiume «les Herzens zusammengedrückt zu werden. Auch die 
Verwachsung der Perikardinlblätter, die an der Basis des 
Iterzens vorgefunden wurde, musste sich eh«*r als Behinderung 
für eine Ausdehnung nach oben geltend machen. Nach Allem 
war seitens der Perikarditis, welche, trotz Reerudeseirung dem 
Patienten ambulante Bt'handlung gestattete, an Kompression der 
V. anonyma wohl nicht zu denken. 

Die Pathogenese würde sich nun ohne Umschweife glatt er- 
ledigon lassen, wenn entsprechend der Krankengeschichte, welche 
auf einen schnellen Umschlag der Situation hinweist, das 
llinzutreten einer Pleuritis bestätigt, und nicht — des negativen 
Befundes wegen an der Scrosu — auf Hydrothorax erkannt 
worden wäre. So müssen wir uns mit diesem beschäftigen und, 
weil der Sachverhalt ohne Weiteres nicht begreiflich wird, habe 
ich zu zeigen, dass sekundäre, aus Pleuritis erwachsene Zustände 
Hydrothorax vortäuschten. 

Es entsteht tlic Frage, ob cs überhaupt linksseitig isolirten 
Hydrothorax gibt. In der That würde es sich um ein bemerkens- 
werthes Beispiel eines solchen handeln, da die linke Lunge nur 
noch als plattgedrückter Strang neben der Wirbelsäule sich vor¬ 
gefunden, während das geringe rechtsseitige Transsudat (Vi Liter) 
als von späterer Herkunft zum allerletzten Status gehörte. 
Rosenbach, welcher früher 10 ) schon und neuerdings") dieser 
Frage näher getreten ist, hat der bisherigen Anschauung, Pleura¬ 
exsudate seien stets doppelseitig, Einschränkung auferlegt. In 
einer Reihe von Beobachtungen, ist von ihm einseitig lokalisirtcr 
Hydrothorax festgestellt; nur war das immer die rechte") 
Seite und beruhte stets auf Ileramuskelerkrankung. Der Zu¬ 
sammenhang ist folgender: Schlechte Ansaugung seitens des 
Herzens (Dilatation des rechten Ventrikels) vermindert das Ab¬ 
strömen des Blutes aus der Vena cava. Die Circulationsstörung 
trifft in erster Linie den Kreislauf der Leber. Findet mm Be¬ 
einträchtigung der Exspiration 10 ) — mangelnde vis a tergo — 
statt, so wird schon durch den geringen Ausfall an positivem 
Capillardruck in den Venenbezirken der Pleura Gelegenheit zu 
Stauung und Transsudation gegeben. 

Rosenbacli schreibt darüber: „Wenn durch die Herz¬ 
schwäche der. Venendruck in der Cava höher wird als sonst, so 
wird mir oder zuerst in einem Gebiet, «lessen Vene «lie un¬ 
günstigsten Druck- resp. Einstrüimmgsverhültnisse ln die 
Cava hat, der Abfluss gestört, sei es, «lass «lie Eimnüuduugsstelle, 
wie das bei stärkerer Füllung der Vene leicht geschieht, etwas 
verlagert «xlor weniger elastisch ist, sei es, dass die capillaren 
Triebkräfte in dem betreffenden Quellgebiete aus irgend einem 
Grunde schwächer sind. z. B. wegen beginnender Degeneration des 
Pnienehyms. oder — für «lie Lunge — bei ungenügender Expiru- 
(Ion. Dann wird das Venenblut in diesem Bezirke stagniren, wie 
das Wasser eines Nebenflusses, der gut gefüllt, aber mit relativ 
schwachem Gefälle bei der Mündung in «len besonders stark ge¬ 
füllten und reissenden, d. h. stark gespannten Hauptstrom 
anlangt.“ 


15 ) Schaposchnlkoff: Zur Frage über Perikarditis. Mit¬ 
theil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1897, II. Bd., 2. Hrit, 
S. 102 u. f. 

,a ) Rosenbach: Eulenburg’s Realencykl. 1880 u. 1896, 
Notlinagel’s spec. Path. u. Ther. 1894: „Erkrankungen des Brust¬ 
fells“. 

1T ) Diese Wochenschrift 1901, No. 14. 

ll! ) Prof. Rosenbach hatte die Güte, mir dies ausdrücklich 
zu bestätigen. 

’*) Z. B. ln Folge Behinderung der Zwerchfellexcursionen. 


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20. August 1901. 


MUENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1351 


Die Verhältnisse, die wohl selten so liegen, sind also nur 
der rechten Seite angepasst und für grössere Ansamm¬ 
lungen, wenigstens auf einen langen Zeitraum, berechnet. Der 
linken Seite eigentümlich ist nach Rosenbach eine der Be¬ 
obachtung sich leicht entziehende Transsudation, welche von 
der Dilatation des linken Ventrikels und Atelektase des linken 
Unterlappcns herrührt, wesshalb davon hier keine Rede sein kann. 

Noch ist einem Einwurf zu begegnen: das Perikardialexsudat 
möge durch Absperrung (Kompression) der Pulmonalvenen 
Hydrothorax der linken Seite verschuldet haben. Eine unmög¬ 
lich haltbare Annahme, da man zunächst nicht einsehen kann, 
wesshalb dann die rechten Pulmonalvenen, deren Lagerung vor 
der Wirbelsäule das Ausweichen in der Sagittalebene behindern 
und sie hiedurch hydraulischem Druck innerhalb oder ausserhalb 
des Herzbeutels mehr aussetzt als die seitliche Lage der linken, 
frei geblieben wären. Weil ferner die Folge der Kompression, 
Thrombose innerhalb der ganzen linken Lungenhälfte, unter 
starken Haemorrhagien als tödtliche Komplikation unver¬ 
kennbar geblieben wäre. Ausserdem können Rückstauungen auf 
dem Woge der Anastomosen, welche die Pulmonalvenen mit den 
Pleuralvenen verbinden, durch die vielen Abflusswege nach der 
Vena hemiazygos hin und die Lyraphbahnen hinreichend wieder 
ausgeglichen werden. Schnelles Ansteigen des Niveaus, welches 
wir als Bedingung für die Kompressionsthrombose der Vena 
a n o n y m a forderten, wird auch so keinenfalls erklärt. 

Die preeäre Seite des Falles — die Frage, wie man sich zu 
der Thrombose der V. anonyma zu stellen habe — wird wesentlich 
vereinfacht, wenn wir an der klinischen Diagnose Pleura¬ 
exsudat festhalten. Die von Anfang an konstatirte starke 
T riibung der Flüssigkeit — auch an der Leiche wird der 
2Vt Liter betragende Hydrops ascitee heller befunden, als der 
doppelt so grosse Inhalt der 1. Pleura —, die bei der ersten Punk¬ 
tion beobachtete deutliche Fluorescenz, welche wir auf die 
Anwesenheit mit Schleim verklebter Zellaggregate, auch ver¬ 
fetteter Zellen beziehen, sind an und für sich Beweis reichlich 
zelliger, an Eiterbildung streifender Exsudation. 

Für das TJebergreifen der Entzündung von dem Peri¬ 
kard ist von Bedeutung die Wahl der li n k e n Seite. 
Nicht allein, dass bei Perikarditis im Einklang mit 
der Lage und Aktion des Herzens die Entzündung der 
linken Pleura überwiegend im Vergleich zu derjenigen 
der rechten vorkommt, zeigt auch ohne Berechnung zu Peri¬ 
karditis linksseitige Pleuritis eine absolut höhere Ziffer als 
rechtsseitige. Die Tragweite des mechanischen Momentes neben 
der Zugänglichkeit der Lymphspalten erhellt ferner aus der That- 
sache, dass umgekehrt sehr häufig Entzündung des Herzbeutels 
von linksseitiger Pleuraerkrankung eingeleitet wird. Als Vor¬ 
läufer der Perikarditis nimmt Pleuritis nach Duchek") unter 
allen aetiologischen Faktoren den ersten Platz ein. 

So stehen nach meiner Meinung gesicherte Argumente zur 
Verfügung, unsere klinische Beurtheilung des Falles zu unter¬ 
stützen. Es wird damit nicht berührt, dass unter Zunahme der 
Herzschwäche und Desorganisirung") gleich der allgemeinen 
Hydropsie ein Stauungstranssudat sich dem Pleuraexsudat bei- 
gesellte, sowie dass die unter dem gleichen Einfluss sich aus¬ 
breitende Thrombose ihrerseits durch Stauung, eventuell Be¬ 
hinderung des Abfliessens von Chylus und Lymphe (Ductus 
thoracicus **) zu der kolossalen Ansammlung von Flüssigkeit und 
Fmgestaltung des anatomischen Befundes beigetragen hat. 

Auffällig bei der wohl zweifellos erwiesenen Eindeutigkeit 
des flüssigen Substrates muss, wenigstens für das unbewaffnete 
Auge, das Fehlen von Auflagerungen und verdickten Stellen an 
beiden Blättern der Pleura erscheinen und es bleibt damit ein un¬ 
gelöster Rest der uns obliegenden Aufgabe übrig, worüber nur 
mikroskopische Untersuchung oeteris paribus ähnlicher Befunde 
aufklären könnte. 

Zum Schlüsse sei es gestattet einer klinisch bemerkens- 
werthen Erscheinung, deren Beziehung zur Lage des Herzens 

*9 Ducbek: Zur Aetlologle der Perikarditis. Wien. med. 
Wochenschr. 1859, No. 15 u. 16. 

*9 Vergl. die vielen marantischen Thrombosen. 

**) Die Anastomosen der Chylusgefässe sind derart, dass, wenn 
man trotz der logischen Bedenken den Hydrothorax im Wesent¬ 
lichen auf Verschluss des Ductus thoracicus zurückführen wollte, 
nach Analogie solcher Fälle Ascites eine hervorragende Rolle 
gespielt haben müsste. 

No. 34. 


innerhalb des Herzbeutels in unserem Falle ersichtlich ist, in 
Kürze Erwähnung zu thun. Ich meine das Symptom, dass jedes¬ 
mal bei Verkleinerung des Pleurainhaltes unmittelbar nach 
der Punktion die zuvor unhörbaren Herztöne deutlich vernehm¬ 
bar werden und dieselben mit Anwachsen der Pleuradämpfung 
wieder verschwinden. 

Zur Erläuterung der räumlichen Verhältnisse füge ich die 
Abbildung**) eines Brustquerschnitts bei, welcher sich mit 
unserem Befund an der Leiche fast genau deckt. 




1. Oesophagus. 2. Aorta. 8. Vena eava Inf. 4. Hepar. 6. Cor. 


Es ist bei derselben der Kontour der linken Pleura, welcher 
den Herzbeutel umgrenzt, stärker markirt, um zu zeigen, wie 
der Druck des ausgedehnten Pleurasacks die Flüssigkeit im Herz¬ 
beutel von links nach rechts abdrängt, während das Herz in der 
Richtung nach vorn und hinten in dem mit Flüssigkeit gefüllten 
Raum die Mitte einhält. 

Das bezeichnete Symptom beweist, dass das Pleuraexsudat 
dazu beigetragen hat, die Schallleitung der Herztöne nach der 
Brustwand (Sternum) zu verhindern und die Dichte des Herz¬ 
beutelergusses an und für sich nicht allein die Ursache bildete. 
(Bekanntlich braucht letztere nicht gross zu sein, um die Herz¬ 
töne nicht mehr wahrnehmen zu lassen.) Man sieht aus der Ab¬ 
bildung, wie insbesondere der vorgestossene vordere Pleurarand 
als Druckpunkt sich geltend macht. Da die Herztöne sogleich 
nach der Punktion vernehmlich werden, so kann man mit Recht 
folgern, dass durch das Zurücktreten dieser Partie eine Aus¬ 
gleichung des Niveaus der Perikardialflüssigkeit nach links hin 
stattfindet und dass ferner das Herz sich dem Sternum 
nähert. 

Nach den Versuchen SchaposchnikofPs**) kommt 
das Herz, so lange der Zusammenhang mit dem Gefäsebogen 
nicht durchschnitten ist, entgegen der speoifischen Schwere ober¬ 
halb der Flüssigkeit im Herzbeutel zu liegen, es pendelt nach 
vorn. Auch in unserem Falle, wie das Auftreten jenes Symptoms 
nach Ablassen des Pleuraexsudates zeigt, dürfte für die Lagerung 
des Herzens die Tendenz, sich der vorderen Brustwand zu nähern, 
angedeutet sein. Sicher liegt im Allgemeinen bei gleichzeitig 
vorhandenem linksseitigen grossen Pleuraerguss das Herz in 
dem mit Flüssigkeit gefüllten Perikardialsack nicht nach vorn, 
wie auch sonst die Lehre, dass das Herz seiner Schwere gemäss 
in der Perikardialflüssigkeit nach hinten sinke (Friedreich, 
Riegel, Bauer), für viele Fälle imbestritten bleibt. 


lieber eine Art trachealer Haemoptoe.*) 

Von Dr. Georg Avellis in Frankfurt a.M. 

Den Kaufmann B. kannte ich seit Jahren als gesunden Mann, 
der den Radfahr- und Bergsport regelmässig und vernünftig be¬ 
treibt, seinen eigenen kleinen Garten selbst bearbeitet und be¬ 
pflanzt, nüchtern und solide lebt. Er ist verbelrathet, hat einen 
gesunden Knaben und ist ausser einem „chronischen Magen¬ 
katarrh“, der freilich Jahre lang gedauert haben soll, nicht ernst¬ 
lich krank gewesen. Er ist jetzt 41 Jahre alt, gross, breitschultrig, 

*) Nach Plrogoff: % natürlicher Grösse (Querschnitt an 
der gefrorenen Leiche). 

*9 8. o. 

•) Vortrag, gehalten auf der VIII. Versammlung südd. 
Laryngologen in Heidelberg. 

4 


e 



1352 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 34. 


von frischer Hautfarbe und besitzt guten Appetit. Sein Körper¬ 
gewicht hat ln den letzten Jahren langsam zugenommen. Vor 
einigen Jahren behandelte Ich Ihn an nasopharyngitisclien Be¬ 
schwerden und zeitweiser Heiserkeit. 

Jetzt klagt er über Bluthusten. Derselbe trat zum ersten 
Mal nach einer grossen Radtour auf und dauert schon 
sechs Wochen in der Art. dass er Morgens beim Aufwachen 
mit leichtem schmerzlosen Hustenstoss einige dunkle, nicht mit 
Schleim vermischte Blutklümpchen aushustet. Nach einigen 
llustenstössen werden die blutigen Sputa liellroth. ohne Schaum, 
und hören meist nacli 1—2 Stunden, manchmal früher, manchmal 
später, auf. Nachts nie Husten, e b ensowenig am Tag e. 
Nur zu der Zeit, als das Blut nusgeworfen wird, bestellt überhaupt 
Hustenreiz. Sonst völliges Wohlbetinden. Die Untersuchung der 
Brust ist in Jeder Hinsicht negativ. Sputum zunächst nicht vor¬ 
handen. Später wurde dasselbe von Geh. Medicinalrath Weigert 
untersucht und frei von Tuberkelbacillen befunden. 

Die Nase zeigt normale Beschaffenheit, keine Blutgefäss- 
enveiterungen. auch keine Blutreste, dossgleichen der Nasen¬ 
rachenraum, der Pharynx und Hypopharynx, ebenso der Kehlkopf, 
Zahnfleisch gesund, blutet nicht auf Reiben und Suckeln. Zungen 
grund ohne Varicon. Nirgends Anzeichen eines Geschwüres oder 
eines Fremdkörpers. Stimme rein, Schlucken frei. 

Nach diesem ersten Befund war es also nicht möglich, den Ort 
der Blutung festzustellen. Ich gab dem Patienten auf, sofort 
zu mir zu kommen, sobald sich die ersten Blutspuren zeigten, 
da nach seiner Erfahrung bis zum Beginue meiner Spreehtstunde 
die Blutung stets aufhörte. Ich sah und untersuchte Herrn B. in 
den nächsten Wochen etwa 20 mal mit allen Hilfsmitteln der rhlno- 
logisehon Technik. Niemals fand ich Blut ln der Nase, dem 
Rachen, dem Munde, nur einmal zwei feine Blutstreifen auf.der 
Kelilkopfhlnterwnnd. Dieser Befund liess die doppelte Deutung 
zu: der Ort der Blutung konnte unterhalb der Glottis zu suchen 
sein und oberhall), denn diese Blutstreifen konnten auch von 
horuntergeflossenem Blut herrühren. 

Eines Morgens kam Herr B. wieder, nachdem sich 10 Tage 
lang keinerlei Blutspuren gezeigt hatten und war ernstlich auf¬ 
geregt. Das nusgehustete Blut war reichlicher als sonst, liellroth. 
zusammen vielleicht 1 y, Esslöffel. Ich suchte nochmals die oberen 
Luftwege ab, ebenso wie die Lunge, und fand nichts. B. fürchtete 
Jetzt ernstlich für seine Gesundheit und liess sich von mir nur 
schlecht beruhigen. Er consultlrte darauf einen anderen Arzt, 
der die Blutung für eine Lungenblutung erklärte. Er verordnete 
folgendes Regime: Bettruhe. Eis. nicht mehr Radeln. Berg¬ 
steigen. nicht mehr im Garten arbeiten, wenig Treppensteigen, 
viel Liegen und in einigen Wochen ausserhalb eine Kur für 
Lungenkranke im Schwarzwald. Nun wusste Patient nicht mehr 
aus noch ein. Tch hatte ihm. ln der TTeberzeugung. dass keine 
Lungenkrankheit vorlag. Alles erlaubt, der zweite Arzt Alles ver¬ 
löten. Er wurde hypochondrisch: neurasthenisch war er schon 
vorher, und bekam melancholische Verstimmung und Arbeits- 
nnlust. Schliesslich kam er wieder zu mir und wollte ..lieber an 
Schwindsticht sterben“, als auf alle Bewegung, seinen Garten 
und Spazlrtouren verzichten. Die verminderte Bewegung hatte 
Kopfdruck, Stuhlbeschwerden und. wie ich auf mein Befragen 
erfuhr, auch Ha e morrholden zum Vorschein gebracht. 

Patient erzählte mir bei dieser Gelegenheit, als ich über die 
Entstehung der Haemorrhoiden mit ihm sprach, die Geschichte 
seines früheren ..Magenleidens“. Es war vor. 14 Jahren auf der 
Reise in einer kleinen Stadt, als er beim Koffernuspacken einem 
plötzlichen Schmerz im rechten Hypoehondrium spürte. Zugleich 
trat StulilVorhaltung ein. Der befragte Arzt verordnete Opium 
und rieth ihm. nach Hause zu reisen. Tn Frankfurt ordinirte der 
Arzt eine längere Kur mit Ricinus und noch stärkeren Abführ¬ 
mitteln. Dieses Abführen dauerte 14 Tage lang (!). Darnach 
stellte sich ein hoher Grad von Darmträgheit ein. so dass Pntient 
mehr als 10 Jahre lang an den stärksten Beschwerden der Stuhl 
Verstopfung litt Sein Magen wurde ..verstimmt“. Kopfdruck 
und andere nervöse Beschwerden stellten sich ein und Jed^r Tag 
brachte ihn — oft stundenlang — ln eine Situation, wo er mit 
künstlichen Mitteln fKlystieren. Turnen. Massage etc.l müh¬ 
selig harten Stuhlgang erzielte. Dabei kam es auch zu haemor- 
rhoidalen Blutungen ’). 

Diese Krankengeschichte verrieth aLo, dass eine lange 
Stauung im Körper des Kranken bestand, die zu TTaemor- 
rhoiden führte und deren Natur mit sich brachte, dass Pntient 
täglich Jahre lang hindurch stark pressen musste. 

Der Gedanke lag demnach nahe, in diesem Umstande die 
Ursache für die Blutung aus den Luftwegen zu suchen. Die 
theoretische Ueherlcgung in Verbindung mit der bisherigen 
Krankenbeohachtung könnte zu folgender Annnahme führen: 

Die chronische Obstipation bewirkt Stauung der Venen an 
allen möglichen Gebieten, vor Allem auch in der Nase, dein 
Pharynx, dem Zungengrund etc. Das starke Pressen könnte 
aber an einem gewissen Orte eine Art Praed ilert inn = - 


‘) Sein Bruder leidet seit seinem 21. Jahr ebenfalls an 
Haemorrhoiden nnd ist deeswogen jetzt operirt worden. Es scheint 
also familiäre Anlage vorhanden zu sein. 


stelle für die Zerreissung von oberflächlichen erweiterteu 
Venen verursachen. 

Welches ist diese Stelle? 

Wenn Jemand stark presst, so schliesst er nacli tiefer In¬ 
spiration falsche und wahre Stimmlippen fest aneinander und 
erhöht darauf den allmählich ansteigenden intraabdominelleu 
Druck, indem er unter anderem das Zwerchfell möglichst tief 
stellt. 

Ist die Phase, der Bauchpressung abgelaufen, so fahren die 
Stimmlippen rasch auseinander, der feste Glottisschluss hört 
plötzlich auf und die oingepresste Luft fliegt mit oft 
lautem Geräusch aus der Luftröhre heraus. Die rasch 
herausströmende Luft muss aus physikalischen Gründen 
eine gewisse Ansaugung auf die nachgiebigen Theile der 
sie umgebenden Wand ausüben. 

Wo ist wohl diase Ansaugung am stärksten resp. wo müsste 
ihre Wirkung am deutlichsten zum Ausdruck kommen? Der 
Traehealbaum ist ein Kanalsystem, deasen Rauminhalt sich 
durch die Theilung der Aeste vergrössert. Wenn 
ein rasches Abströmen von Luft aus dem Gesammtrauin 
stattfindet, so wird nach dem physikalischen Gesetz die Aus- 
f 1 u s s g e s ch w i n d i g k e i t. an der Stelle am grössten 
sein, wo der Kanal am engsten ist. 

Am engsten ist der Traehealbaum an dem Kehlkopf ende, 
also vor seiner Theilung, demnach wird dort die Ansaugung der 
hernusstürzenden Luft eine besonders kräftige Wirkung auf die 
Elemente der Schleimhaut ausiiben können, ähnlich der be¬ 
kannten Wirkung beim Inhalationsappnrat, wo der hervor- 
stiirzendo Dampf eine Ansaugung auf das Steigrohr im Glas¬ 
schälchen ausiibt. Diese häufige, durch Jahre täglich öfters 
wiederholte Wirkung könnte also leicht eine Erschlaffung 
der durch die vorhergehende Pressung gestau¬ 
ten Venen wände herbeiführen und gelegentlich zu 
einer Zerreissung derselben führen. 

Diese theoretische Ueberlegung vernnlasste mich, bei (loni 
Patienten nochmals sorgfältig die Venen der obersten Traelieal- 
sehleimhaut zu lnsplclren, wobei leb nun. weil Ich Jetzt wusste, 
was ich suchen wollte, an den oberen vorderen Zwlsehenrim:- 
rüumen eine blanrothe. sammtartige Schleimhaut entdeckte, auf 
der einzelne annähernd dem Ring parallellaufende, astartlg ver¬ 
zweigte, dunkelblaurotbe Adern zu sehen waren, ähnlich den 
Venen an der typischen Stolle an der vorderen Nasenscbeldewand. 
die Kiesselbach als die Praedilectionsstelle für Nasenbluten 
entdeckt lmt. Immerhin bedeutete dieser Befund nicht viel, bis 
zu dem Tage, als Pntient früh am Morgen gerade wiederum zur 
Untersuchung vor mir sass und nachdem ich Nase und Rachen 
nbgcsucht hatte, in meiner Gegenwart hustete und mir die 
blutige Expectomtion zeigte. Ich griff sofort zum Kehlkopf¬ 
spiegel und konnte nun feststellen, dass die Blutung aus den 
obersten, vorderen Rlngvenen der Luftröhre 
stammte. Dort sass ein Tropfen Blut, der langsam nach unten 
nbfloss und nach dem Husten sich erneuerte. 

Die objektive Beobachtung hatte also erhärtet, dass die in 
Frage stehende TInemoptoe eine tracheale Haemoptoe war. 

Damit war die günstige Prognose schon gegeben. Zugleich 
aber lag der Gedanke nahe, die „Praedilection »stelle 
der trachealen Haemoptoe“ zu behandeln wie den 
Locus Kiesselhachii am Septum nasi, niimlieh die erweiterten 
Venen zu verätzen. Unter Coeainanaesthesie liess sieh der kleine 
J'h’ngrifF leicht bewerkstelligen, indem eine an die Ronde ge¬ 
schmolzene Chromsiiureperle angedrüekt. wurde. Eine zeitweilige 
Heilung ist dadurch erzielt worden, später kamen die Blutungen 
wieder und zwar, wie Patient erzählt, regelmässig nach dem 
Coitus! (?) 

In der deutschen Literatur findet sich über dieses Kapitel 
so gut. wie nichts. Moritz Schmidt schreibt: Er habe 
dreimal Blutungen aus der Trachea gesehen, gibt aber keine 
weitere Erläuterung zu diesem Ratze. Im Handbuch der Laryngo- 
logie sind Tracheavaricen und ihre Folgen gar nicht er¬ 
wähnt. Nur, wie ich später fand, besitzt die italienische Litera¬ 
tur zwei Aufsätze, die dieses Kapitel besprechen: Mas sei be¬ 
schreibt. unter dem Titel: „Sul eronico catarro tracheale emor- 
rngieo“ (18HS) siimmtlicho Anzeichen der Tracheablutungen, wie 
ich sie zu skizziren versuchte. Er erklärt die Blutungen 
aus einem haemorrhagisehen Luftröhrenkatarrh, obwohl seine 
Krankengeschichte keine Symptome von Luftröhrenkatarrh er¬ 
gehen und seine Abbildungen der blutenden Tracheastellen genau 
so aussehen wie die von mir beobachteten Tracheavaricen. 


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20. August 3901. 


Ferner publizirte P i s e n t i in Perugia zwei Fälle von Blutungen 
aus Tracheavaricen, die unter dem Titel: „Intoro a due casi 
di catarro tracheale emorragico“ beschrieb. Bei seinen Fällen 
suchte und fand er Varicen an den Beinen, Haemorrhoiden in 
der Familie, Nasenbluten etc., er spricht geradezu von „una de- 
bolezza eriditaria dei vasi venosi“, einer erblichen Schwäche 
desVenensystems. 

Von der erblichen Schwäche des Venensystems leitet er die 
Erscheinung ab, dase bei gewissen Leuten auch aus den Tracheal- 
venen Varicen und auch Blutungen aus denselben entstehen 
können. 

Wie weit in meinem Falle eine hereditäre Minderwerthigkeit 
des Venensystems vorliegt, habe ich versäumt, zu erfragen, da 
ich die italienischen Arbeiten erst jetzt, „auf der Suche nach 
Literatur“, kennen lernte. Jedenfalls erklärt die sehr hartnäckige 
Verstopfung in Verbindung mit Haemorrhoiden eine persönliche 
Disposition zu Varicen, abgesehen von der erblichen Anlage. 

Da ich keinerlei Zeichen von Tracheakatarrh fand, ebensowenig 
die italieuischen Autoren (eine Traclieitis haemorrhagica sicca 
[acuta und chronica] sicht ganz anders aus und ist auch stets 
von Husten begleitet), so halte ich die Bezeichnung „haemor- 
rhagischer Luftröhrenkatarrh“ für diese Art Fälle für weniger 
zutreffend als „blutende Tracheavaricen“. 

Endlich scheint mir (M a s 8 e i’s Abbildungen bestätigen 
meine Annahme), dass als Prädilektionsstelle für die 
blutenden Traclieavaricen die oberen vorderen 
Zwischenringräume anzusehen seien und auch eine örtliche 
11 o h a n d 1 u n g ders< Ilten Erfolg versprechen könne. 


Erwiderung auf den Artikel des Herrn Dr. Maul: 
„Oleum cinereum gegen Syphilis“ 

(ln No. 31, 1901, dieser Wochenschrift). 

Von Dr. Stern in München. 

In Erwiderung auf obengenannten Artikel (in No. 31 dieser 
Wochenschrift) muss ich in erster Linie hervorheben, dass nicht ich 
der Urheber der „unzweckmiissigen“ Zusammensetzung des Ol. 
einer, bin, sondern dass Prof. Lang ln Wien und eine Reihe ganz 
hervorragender Pariser Specialärzte, wie Julllen, Thibiörge, 
Besnier — was auch ganz deutlich aus meiner Arbeit hervor¬ 
gebt — dieses Präparat in zahlreichen Füllen angewandt und, als 
allen anderen löslichen und unlöslichen Quecksilberverbindungeu 
vorzuziehen, warm empfohlen haben. Besonders aus den Dls- 
cnsslonen in der Pariser dermatologischen Gesellschaft war in dev 
That anzunehmen, dass dieses reine Oleum cinereum ein vorzüg¬ 
liches Mittel sei; um so erstaunter war ich, dass es die von mir 
erwähnten grossen Uebelstände (Infiltrate und Abscesse) stets mit 
sich brachte und fühlte Ich mich natürlich verpflichtet, in meinem 
Berichte, der in erster Linie für die, allgemeine Praxis treibenden 
Aerzte bestimmt war, auf diese unangenehmen Folgen hinzuweiseu. 
Das von Herrn Dr. Maul angewandte Präparat Ist nun ein ganz 
anderes, in völlig verschiedener Weise, wie das Ol. einer., her¬ 
gestelltes: Der Vortheil des Benzoequecksilbers soll nach Neu- 
mann (in Drasche’s Bibliothek d. gesummten medic. Wissen¬ 
schaften, venerische u. Hautkrankh., S. 391) in der ausserordentlich 
feinen Vertheilung der minimalen metallischen Bestandthelle 
liegen, während beim L a n g’schen Präparate sich grosse Queck¬ 
sliberkügelchen mit der Lupe nachweisen lassen sollen. Neu- 
mann hat aber trotzdem von diesen Injektionen Abstand ge¬ 
nommen. Herr Dr. Maul hätte daher ebensowohl noch eine Reihe 
anderer Quecksilberverbindungen, die alle durchzuprobiren ich 
bei Vorhandensein einiger durchaus nur zu empfehlender doch 
nicht wagen wollte, als dem Ol. einer, überlegen anführen könneu 
(vor Allem das von Neisser und seinen Schülern benützte 
Hydrarg. sallcyl. und da» H. thymolico-aceticum). Ich werde 
übrigens nicht verfehlen, baldigst das von Herrn Dr. Maul so 
warm empfohlene OL einer, benzoat. anzuwenden und zwar genau 
In der von ihm angegebenen Weise; wenn es sich wirklich als 
solches Ideal für die subkutane Quecksilbereinverleibung erweisen 
sollte, so würde ich darüber ausserordentlich erfreut sein und nicht 
versäumen, über diese Resultate dereinst zu berichten. 


Vergleichende Untersuchungen über die Leistung ver¬ 
schiedener Inhalationssysteme. 

Von Alfred Wassmuth in Monsheim (Rheinhessen). 

Unter vorstehender Ueberschrift ist in No. 26 der „Münch, 
med. Wochenschr.“ vom 26. Juni 1901 eine längere Arbeit dos 
Herrn Professor Dr. Rudolf Emmerich zum Abdruck gelangt, 
welche mehr wie geeignet ist, ganz falsche Vorstellungen über 
die Leistungsfähigkeit der bisher gebräuchlichen Inhalations¬ 
apparate hervorzurufen, insbesondere bei denjenigen Herren 


Aerzten, welche nicht in der Lage sind, jene Leistungsfähigkeit 
durch eigenen Augenschein an Ort und Stelle zu prüfen. 

Es sei mir dosshalb gestattet, etwas näher auf die Ausführ¬ 
ungen des Herrn Professor Emmerich einzugehen und Di¬ 
verses richtig zu stellen. 

Zunächst kann ich ganz allgemein behaupten, dass entgegen 
der Annahme des Herrn Prof. Emmerich nicht Diejenigen 
sich einer „groben Täuschung“ hingegeben haben, welche des 
Glaubens waren, „die diehten, den luhalationsraum erfüllenden 
Staubwolken beständen aus nassem, d. h. aus Flüssigkeitströpf¬ 
chen zusammengesetztem Nebel“, sondern dass Herr Prof. Em¬ 
merich mit seiner Entdeckung, dieser „Nebel“ werde durch 
„massenhaft niederfallende Kochsalzkrystalle“ vorgotäuscht, in 
einem merkwürdigen Irrthum befangen ist. 

In meinen Inhalationsräumen kann sieh jeder Arzt und 
auch jeder Laie, wenn er einen Blick durch das Mikroskop wirft, 
vergewissern, dass die zerstäubten scheinbaren Sooletröpfchen 
wirkliche Tröpfchen und keine Krystalle sind. Aus welchen 
Gründen Herrn Prof. Emmerich das Missgeschik passirt ist, 
hier etwas anderes zu sehen, wie Viele, Viele vor ihm, ist mir ein 
Räthsel, dessen Lösung nur dann möglich erscheint, wenn man 
annimmt, dass mein Apparat im Münchener Krankenhaus 1. d. I. 
zur Zeit, als Herr Prof. Emmerich seine Untersuchungen vor¬ 
nahm, nicht vorschriftsmiissig bedient worden oder anderweitig 
in seiner Funktion gestört gewesen ist. Zu dieser Annahme ver¬ 
leitet u. a. die Angabe des Herrn Prof. Emmerich: 

„Führt man in einen Inhalationsraum pro Stunde 40 cbm 
in obiger Weise bereiteter Pressluft von 15° C., so wird dieselbe 
den in der Luft schwebenden Flüssigkeitströpfchen ca. (12,76X40) 
Vs Liter Wasser entziehen. Wenn also in der Stunde nur V» Liter 
Kochsalzlösung in diesem Raum zerstäubt wurde, so kann die 
Luft (wie dies im C 1 aEschen, Reitz’sehen und Wassmuth- 
sehen luhalationsraum auch der Fall ist) nur Kochsalzstaub, aber 
keinen Flüssigkeitsnebel enthalten.“ 

Von einem halben Liter zerstäubter Soole pro Stunde 
kann unter normalen Verhältnissen bei meinem Apparat gar keine 
Rede sein. Wenn derselbe so arbeitet, wie er arbeiten soll, so 
kommen 3—5 Liter Soole in Betracht, welche durch je einen 
meiner Apparate stündlich als feinster „Flüssigkeitsstaub“ der 
Luft im Inhalationsraum zugeführt werden. 

Herr Prof. Emmerich führt für die Richtigkeit seiner 
Entdeckung den Beweis an, dass kein „Nebel“ zu sehen und auf 
zahlreichen, au verschiedenen Stellen exponirten Objektträgern 
kein einziges Tröpfchen zu constatiren ist, wenn Wasser statt 
Kochsalzlösung 14 Stunde lang in meinem luhalationsraum zer¬ 
stäubt wird. Diese Angabe ist mir ebenfalls räthselhaf11 In 
meinem Inhalationsraum zu Münster am Stein habe ich kürzlich 
Wasser aus der Trinkwasserleitung zerstäubt und war nach Ver¬ 
lauf einer viertel Stunde der „Nebel“ genau so wahrnehmbar, 
wie bei Soolezerstäubung; gleicher Weise fanden sich auch auf 
Objektträgern, an verschiedenen Stellen exponirt, zahlreiche 
kleinste Tröpfchen vor. Mit dem Beweis des in München aus¬ 
gebliebenen „Nebels“ bei Zerstäubung von Süsswasser ist also 
nichts anzufangen. 

Sehen wir nun, wie es mit dem weiteren Beweis des Herrn 
Prof. Emmerich bestellt ist. Der Herr Professor schreibt: 

„Einen schlagenden Beweis dafür, dass im Wassmuth- 
scheu Inhalationsraum die Luft nur Kochsalzstaub, aber keine 
Tröpfchen enthält, gibt das Verhalten der relativen Feuchtigkeit. 
Während dieselbe beim B u 11 i n g’schen Zerstäuber schon in 
3—4 Minuten 100 Proc. erreicht hatte, so dass also die Luft sehr 
rasch mit Wasserdampf gesättigt war, stieg dieselbe nach 
V* ständiger Funktion des Wassmuth’schen Zerstäubers nur 
von 74 auf 80 Proc. u. s. w.“ 

Darnach wird also bei Benutzung des B u 11 i n g’schen Ap¬ 
parates die Luft im Inhalationsraum bereits nach 3—4 Minuten 
vollständig mit Feuchtigkeit gesättigt, was mir durchaus nicht 
für die Güte dieses Apparates zu sprechen scheint. Denn erstens 
würde nach Verlauf von bereits 3—4 Minuten die gesättigte Luft 
eine Verkleinerung der nachschwebenden Tröpfchen nicht zu¬ 
lassen, und zweitens müssten die Inhalanten sich höchst un- 
gemüthlieh fühlen, da ein Aufenthalt in einer bis zu 100 Proc. 
mit Feuchtigkeit gesättigten Luft wegen der erschwerten Trans- 
spiration zu den sogen. Unerträglichkeiten des Lebens gehört. 
Tn meinem Inhain tioiwnunn würde ein Steigen bis zu 100 Pr.»-, 
aus oben angeführten Gründen als ein grosser Nachtheil iinzti- 

4 * 


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1354 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


sehen sein und wird ein solches glücklicher Weise auch durch die 
eigenartige Konstruktion meines Apparates vermieden. Immer 
normale Funktion vorausgesetzt, aspirirt mein Apparat stünd¬ 
lich ca. 900 cbm Luft von draussen, lässt diese die beiden Wasser¬ 
kegel im Luftzuführungsrohr und im Apparat passiren und dann 
mit den feinsten Tröpfchen gleichsam als kalten Wasserdampf in 
den Inhalationsraum austreten. In demselben Verhältniss, in 
welchem die Luft von draussen in den Inhalationsraum ein¬ 
strömt, zieht die verbrauchte, ausgeathmete Luft aus letzterem 
durch Oeffnungen am Fussboden ab und ist es klar, dass der 
Luft, welche solchergestalt den Inhalationsraum passirt, gar nicht 
die Zeit gegeben ist, sich mit Wasserdampf vollständig zu sättigen. 
Nach Angabe des Herrn Prof. Emmerich ist der Wass- 
m u t h’sche Inhalationsraum in München 72 cbm gross und 
kommt somit bei Zuführung von 900 cbm Aussenluft ein 12 Va- 
maliger Luftwechsel pro Stunde in Betracht. Diese Anordnung, 
welche Herrn Prof. Emmerich gänzlich entgangen zu sein 
scheint, bürgt dafür, dass der Raum in vorzüglichster Weise 
ventilirt wird und dass gleichzeitig den fortwährend zur Zer¬ 
stäubung gelangenden Tröpfchen die Möglichkeit gewährt bleibt, 
Wasser in Gasform an die Luft abzugeben, ihr Volumen und Ge¬ 
wicht also zu verkleinern; um wie viel oder wie wenig, wird 
lediglich durch den relativen Feuchtigkeitsgehalt der Aussenluft 
bestimmt. Auf jeden Fall sprechen aber die thatsächlich in 
Wassmu th’schen Inhalationsräumen bei normaler Funktion 
des Zerstäubungsapparates vorhandenen Flüssigkeitströpfchen, so¬ 
wie das von Herrn Prof. Emmerich erwähnte Sättigungs¬ 
deficit dafür, dass die Tröpfchen ihr Wasser nicht vollständig in 
Gasform an die Luft abgeben, dass also auch von n u r in der 
Luft schwebenden Salzkrystallen keine Rede sein kann. 

Würde Herrn Prof. Emmerich’s Behauptung zutreffen, 
so müsste man nach Verlauf eines Vormittags, sagen wir nach 
vierstündiger Zerstäubung, bei Anwesenheit eines Apparates, ca. 
ein Pfund Salz auf dem Fussboden zusammenfegen können. 
Dass ich nicht übertreibe, zeigt folgendes Rechenexempel. Jeder 
meiner Apparate zerstäubt pro Stirn de, wie oben angegeben, 

3—5 Liter Soole, durchschnittlich also 4 Liter. Jedes Liter 
enthält 30 g Salz, 4 Liter also 120 g, was in 4 Stunden einer 
Produktion von 480 g Salz entsprechen würde. In Reichenhall, 
wo 12 Apparate von mir tagtäglich im Sommer arbeiten, müssten 
sich somit jeden Mittag ca. llVa Pfund vorfinden, resp. so viel 
weniger, als an Krjstallen während des Vormittags eingeathmet 
worden ist. Von solchen Ansammlungen des Kochsalzes in meinen 
Inhalationsräumen hat aber bisher kein Mensch etwas bemerkt, 
und von den „feinen, scharfkantigen und spitzen Kochsalz- 
krjstallen“, welche nach Herrn Prof. Emmerich „fort¬ 
während auf die Schleimhaut der Nase, des Rachens und des 
Kehlkopfes niederhageln“, ebensowenig, was eine Erörterung der 
„Möglichkeit einer Schädigung der Schleimhäute durch den Koch¬ 
salzstaub“, von welcher Herr Prof. Emmerich am Schlüsse 
seiner Arbeit spricht, wohl kaum erforderlich erscheinen lässt, 
ganz abgesehen davon, dass die Bekleidung der Schleimhaut 
unserer Athmungswege — das Wimperepithel mit seiner Schleim¬ 
schicht — Verletzungen des Zellenleibes der Schleimhaut durch 
solch’ feinste Krystalle schwerlich zulassen würde. 

Noch einen Punkt möchte ich berühren: 

Meiner unmaassgeblichen Meinung nach hätten die „ver¬ 
gleichenden Untersuchungen“ des Herrn Prof. Emmerich 
unter möglichst gleichen Verhältnissen stattfinden müssen. Nach 
den eigenen Angaben des Herrn Professors fasste aber der Raum, 
in welchem der B u 11 i n g’sche Apparat aufgestellt war, 28 cbm, 
der C 1 aPeche Raum 27 cbm, der Wassmuth’sche Raum da¬ 
gegen 72 cbm. Es musste also mein Apparat das mehr als 
2 V 2 fache leisten, als die anderen. Sodann kommt es sehr darauf 
an, ob die Untersuchungen mit den verschiedenen Zerstäubern 
zu gleicher Zeit oder zu verschiedenen Zeiten bei verschiedenem 
relativem Feuchtigkeitsgehalt der Aussenluft angestellt und an 
welchen Plätzen die Objektträger zum Auffangen der Flüssig¬ 
keitströpfchen exponirt worden sind. Wie verschieden in der 
Zahl die Tröpfchen, alias Kochsalzkrystalle, durch ganz natür¬ 
liche Ursachen — Luftbewegung im Inhalationsraum etc. — 
fallen, geht aus der Tabelle des Herrn Prof. Emmerich her¬ 
vor. Im ClaPschen Inhalationsraum (27 cbm) fielen bei Reitz’- 
soher Zerstäubung auf ein Quadrntcentimoter 1600 Krystalle, 
im Wassmuthraum (72 cbm) dagegen bei der gleichen Zer - .] 


stäubung 3000 Krystalle, in einem mehr als um das 2 Va fache 
grösseren Raum also beinahe die doppelte Zahl Krystalle. 
Sonderbar berührt auch das unter 3. erhaltene Resultat, dass 
nämlich bei einem Fallen von 

1600 Krystallen auf ein Quadratcentimeter.1,8 mg, 

3000 Krystallen auf ein Quadratcentimeter dagegen nur 1,0 mg. 
Kochsalz im Gefäss (f) gefunden worden sind. C 1 a r, welcher 
mit nur 1000 Krystallen bei der Zählung paradirt, lässt sogar eine 
Kochsalzmenge von 2,6 mg im Gefäss (f) zurück. Meine 
300 Krystalle pro Quadratcentimeter, welche der Aufstellun g nach 
zuletzt an die Reihe kamen, fanden möglicher Weise die nur 
0,3 mm (!) weite Röhre (c) bereits ganz verstopft vor und die 
Magenpumpe saugte vielleicht die Luft an irgend einer oder 
mehreren der 14 Verbindungsstellen des Einathmungsapparates, 
welche im Laufe des Experimentes undicht geworden waren. 
Hiermit Hesse sich auch erklären, dass 31% Liter Luft 
innerhalb 5 Minuten diese 0,3 mm weite Röhre (c) passiren 
kennten. — Soweit ich übrigens über den menschlichen Kehl¬ 
kopf orientirt bin, stellt derselbe der Luft für ihren Durchtritt 
einen ganz anderen Schlitz zur Verfügung, als er durch die 
Capillare (c) gegeben ist. 

Ich will es mir versagen, auf weitere Einzelheiten ein¬ 
zugehen, dagegen aber die Mittheilung machen, dass ein an¬ 
gesehenes hygienisches Institut auf meine Veranlassung mit 
neuen Untersuchungen beschäftigt ist, welche die Richtigkeit 
meiner Behauptung erweisen dürften, dass nämlich nicht Die¬ 
jenigen die „Getäuschten“ sind, welche bisher an den „Flüssig¬ 
keitsnebel“ geglaubt haben, sondern der Herr Professor, dessen 
„Krystallnebel“ schwerlich sonstwo zur Beobachtung gelangen 
wird. 


Die gesundheitlichen Zustände der europäischen 
Grossstädte in alter und neuester Zeit 

(Vergl. No. 25 u. 31, 1901, dieser Wochenschrift.) 
Schlussbemerkungen von Geh. Med.-Rath Dr. Oscar Schwartz 

in Köln. 

Herr Dr. Glov. G a 111 erklärt ln seinem in No. 31 an mich 
gerichteten offenen Briefe, dass die drei Hauptpunkte seines be¬ 
treffenden römischen Briefes gewesen seien: Im antiken Rom 
herrschte das Princip: Salus popull suprema lex esto, im päpst¬ 
lichen Rom habe man dagegen den Wahlspruch gesetzt: Alles für 
den Himmel, während man im modernen Rom sich wieder zur alt- 
röniischen Anschauung bekenne. 

Meines Dafürhaltens steht nun die Salus popull als oberstes 
Gesetz in keinem Widerspruch mit dem päpstlichen Wahlspruch: 
Alles für den Himmel, da die Menschen auch nach dem katho¬ 
lischen Katechismus nur auf Erden sind, um in den Himmel 
zu kommen, dies aber wieder nur möglich ist durch Befolgung der 
göttlichen Gebote, welche die Liebe zum Nächsten, also auch die 
Beförderung des Gemeinwohls, der Salus populi vorschreiben. Die 
Päpste würden sich also als ehemalige Staatsregenten einer 
grossen Pflichtwidrigkeit schuldig gemacht haben, wenn sie nichts 
für die öffentliche Gesundheit, Beseitigung der Malaria, gutes 
Trinkwasser, Krankenanstalten, Schulen u. s. w. gethan hätten. 
Dass dieser von Dr. G a 111 den Päpsten gemachte Vorwurf abso¬ 
lut unbegründet ist, glaube ich durch anerkannte historische 
Autoritäten und meine eigene Erfahrung nachgewiesen zu haben. 
Schon Papst Hadrian (771—795) gründete auf den fieberfreien 
Hügeln der Campagna Amsledlungen, die sog. Domus cultae, von 
denen, wie von einem geschützten Centrum, die Arbeiter das um¬ 
liegende Land bebauen konnten. Dem Beispiele des Papstes 
Hadrian folgten die späteren Päpste bis zum 14. Jahr¬ 
hundert, wo sie genöthigt waren, Ihren Sitz nach Avignon zu 
verlegen, und dadurch die gegen die Malaria gerichteten 
Gründungen, deren Ruinen sich noch jetzt in der Umgebung 
Roms befinden, vernichtet wurden. Die von dem zuletzt die welt¬ 
liche Herrschaft führenden Papst Pius IX aus Afrika zum Kampfe 
gegen die Malaria herbeigerufenen Trappisten sind bekanntlich 
noch jetzt mit dieser schwierigsten hygienischen Aufgabe be¬ 
schäftigt. Nachträglich ist mir aber auch noch ein amtlicher Be¬ 
richt des Senatsmitgliedes Luigi Torelli vom 30. Juni 1SS2, 
die Carta di Malaria dell’ Italia zugegangen, nach welchem diese 
Seuche noch jetzt in 69 Provinzen des römischen Reichs von den 
Niederungen des Po, den Pontinlschen Sümpfen, den Maremmeu 
Toscanas bis nach Sicilien hinab in der Form der Malaria debole, 
grave und gravissima herrscht und ln der Zeit von 1875—79 nicht 
weniger wie 58 761 malariakranke Soldaten in die Hospitäler auf¬ 
genommen werden mussten. Ungezählt bleibt die Zahl der armen 
Arbeiter, die unter den ungünstigsten Wohnungsverhältnissen und 
ungenügender Ernährung an Malaria und auch an einer anderen 
Seuche, der Pellagra, erkrankten. Die Ausführung des Gesetzes 
betreffend Austrocknung der Sümpfe und Bonification der Lände¬ 
reien stösst auf die grössten Hindernisse wegen der Selbstsucht 
und Habgier der Grundbesitzer, wodurch die Zahl der auswandem- 
den Arbeiter der Gavona sich fortwährend steigert, 1886 nicht 


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20. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT; 


1355 


weniger wie 67 832 Köpfe betrug. Dass die italienische Regierung 
diese grossen sanitären Uebelstüude verschuldet, beziehent¬ 
lich die suprema lex der salus populi vernachlässigt habe, 
möchte Ich nicht behaupten, weil ich es nicht be¬ 
weisen kann. Jedenfalls ist aber der regierende Papst 
unschuldig. Der Vorwurf, welchen Dr. G a 111 dem päpst¬ 
lichen Rom macht. Alles, was das antike heidnische Rom ge¬ 
schaffen, verachtet und zerstört zu haben, widerspricht dem Zeug- 
niss uubetheJligter Geschichtsschreiber. So erklärt der heidnische 
Geschichtsschreiber Zoslmus (Histor 5, c. 38, 41, S. 301 u. 306), 
dass er kein Beispiel von Zerstörung eines heidnischen Tempels 
durch Christen anzuführeu wisse. Bekanntlich ist in Rom das 
Chrlstenthum nicht als neues politisches System durch 
Gewaltmittel, sondern durch das Martyrium von Millionen Be- 
kennern, die für ihre Ueberzeugung und ihren Glauben freiwillig 
in den Tod gingen, als neue Religion begründet worden. 
Dass wir die Erhaltung der klassischen römischen und griechi¬ 
schen Literatur hauptsächlich den christlichen Klöstern ver¬ 
danken, wird auch Dr. Galli aus der Geschichte der wissen¬ 
schaftlichen Heilkunde erfahren haben. 

Was die im Laufe von 28 Jahren allmählich von 41,8 auf 15.1 
gesunkene Sterblichkeitsziffer der Stadt Rom betrifft, so kann ich 
nur wiederholen, dass nach meiner langjährigen Erfahrung eine 
vergleichende, den Anforderungen exakter Wissenschaft ge¬ 
nügende Sterblichkeitsstatistik der europäischen Grossstädte nur 
auf Grundlage einer amtlichen, sachkundig ausgeflihrten Leichen¬ 
schau geliefert werden kann, nach gleich massigen Vorschriften 
über Lebensalter und Todesursachen der Verstorbenen. Da die 
Todesfälle der Kinder im ersten Lebensalter, der Fremden In 
Kranken-, Entblndungs- und Findelanstalten die Sterblichkeits¬ 
ziffer wesentlich beeinflussen, müssen die Todesbescheinigungen 
auch entsprechende Angaben Uber die Helmath der Verstorbenen, 
die Ernährungsweise der Säuglinge durch Muttermilch oder künst¬ 
liche Nahrungsmittel enthalten. In den vom englischen Gesuud- 
heitsbeamten John Sykes erhobenen, ln meiner letzten Ab¬ 
handlung (No. 25) mitgethellten Sterblichkeitsziffern der euro¬ 
päischen Länder hatte Norwegen die günstigste Ziffer von 16, 
Italien die ungünstigste von 28,3 pro 1000. In Ländern, wo das 
durch die Natur gebotene Selbststillen der Kinder durch die Mütter 
noch als Regel gilt, oder die frische, ungekochte Thieriuiicli auch 
für die arme Bevölkerung möglichst billig und l>eqnein beschafft 
werden kann, wird sich auch die Kindersterblichkeit in miissigen 
Schranken halten. Der von Dr. Galli in einem früheren Briefe 
erwähnte, in Neapel Morgens und Abends stattündeude Auftrieb 
\ on milchgebenden Ziegen in die Strassen, von welchen die Be¬ 
wohner der Grossstadt, die sich nicht selbst Milchthiere halten 
können, in sorgfältig gereinigten Gefässen frische Ziegenmilch 
gegen Baarzahlung zu kaufen Gelegenheit haben, kann aus hygie¬ 
nischen Gründen nur empfohlen werden. Die Verunreinigung der 
Strassen durch Ziegen könnte durch entsprechend gewählte Stand¬ 
orte leicht vermieden und die Gemüseabfülle, durch welche die 
Strassen verunreinigt werden, Hessen sich als Ziegenfutter ver- 
werthen. 

In meinem, gelegentlich der deutschen Naturforscherversamui- 
lung zu Frankfurt a. M. 1896 In der hygienischen Sektion ge¬ 
haltenen Vorträge über die Vorzüge ungekochter Ziegenmilch als 
Nahrungsmittel für Kinder, habe ich nachzuweisen mich bemüht, 
dass die Thiermilch durch das allgemein übliche längere Kochen 
(Sterilisiren) an Nahrhaftigkeit und Verdaulichkeit verliere, durch 
die spätere Analyse von Baginsky, Sommerfeld, Sebe- 
11 n, Zweifel und anderer Forscher ist nachgewiesen, dass die 
Thiermilch schon durch einfaches Kochen, noch mehr durch an¬ 
haltendes Erhitzen auf den Siedepunkt erhebliche physikalische 
und chemische Veränderungen erleide, die Eiweisskörper zum 
Theil gerinnen, der organisch an dieselben gebundene Phosphor 
sich abspalte, der Milchzucker sich zersetze und die Fette ihren 
normalen Emulsionszustand verlieren, Geschmack und Farbe der 
Milch sich verändern. Leider können Ziegen nur von Arbeiter¬ 
familien oder Anstalten gehalten werden, die über geeignete Stall¬ 
ungen, Gärten und zur Pflege der Ziegen bereitwillige Frauen 
oder Dienstboten verfügen. Die Versorgung der heutigen Gress¬ 
städte mit vollwerthiger Thiermilch, als dem für Jung und Alt 
wichtigsten Nahrungsmittel, stösst erfahningsgemäss auf grosse 
Schwierigkeiten, gibt namentlich in ungünstigen Jahrgängen bei 
ungeeigneter und ungenügender Fütterung zu den für die Guts¬ 
besitzer unangenehmsten Beschuldigungen und Bestrafungen An¬ 
lass, sowie auch künstliche Verfälschungen durch Zusatz von 
Wasser und Entziehung des Fettgehaltes nicht selten Vorkommen. 
Die aus entfernten Ziegenmolkereien ln Berlin bezogene frische 
Ziegenmilch wurde nach den von mir eingezogenen Erkundigungen 
mit 50 Pf. das Liter bezahlt, die Kuhmilch in hiesiger Stadt mit 
20 Tf. pro Liter, Preise, die für kinderreiche Arbeiterfamilien zu 
hoch sind. 

Der herzlichen Einladung des Kollegen Galli, ihn Im näch¬ 
sten Winter In Rom aufzusuchen, würde ich gerne Folge leisten 
und würde es mich dann sehr befriedigen, wenn er mir dort 
Arbeiterwohnungen zeigen könnte, die nicht nach dem Muster des 
von ihm so einladend beschriebenen Patrizierhauses in Pompeji, 
sondern nach dem Muster des Hauses Nazareth mit Wohn- und 
Schlafraum, Kochraum, Werkstätte, Garten und Stallung ver¬ 
sehen wären. Wenn Herr Dr. Galli mich hier mit seinem Be¬ 
suche beehren wollte, würde ich als Mitglied des hiesigen Bau- 
vereln* für Arbeiterwohnungen gerne bereit sein, ihm eine grössere 
Anzahl von zufriedenen Arbeiterfamilien bewohnter Häuser zu 
a-lgen. 


Referate und Bücheranzeigen. 

J. A. Rosenberger: Heber chirurgische Eingriffe bei 
Blinddarmentzündung, speziell über die Art und die Bedeu¬ 
tung des operativen Vorgehens während des Anfalls. Würz¬ 
burger Abhandlungen aus dem Gesammtgebieto der praktischen 
Mcrliein, 1. Bd., 7. Heft, 1901. 

Die Arbeit beginnt zunächst mit allgemeinen Bemerkungen 
über die Operation in der anfallsfroien Zeit, die nach Thunlich- 
keit von allen Chirurgen angestrebt wird. Häufig sind aber auch 
zwingende Gründe vorhanden, während des Anfalls zu operiren, 
beispielsweise bei einer Eiteransammlung; hier handelt es sich 
nur um Behebung der momentanen Gefahr; dem Eiter ist Ab¬ 
fluss zu verschaffen. In solchem Falle sollte die Entfernung des 
Wurmfortsatzes erst in zweiter Linie in Betracht kommen. 

Entfernung des Wurmfortsatzes in der an¬ 
fallsfreien Zeit. 

Für die Ausführung dieser Operation werden einige zweck¬ 
mässige Winke zur Auffindung des Proc. vermifonn. gegeben,, 
sowie weitere Maussnahmen zur Technik und Nachbehandlung 
dieses Eingriffes besprochen; eingehend wird auch der Bauch- 
brüeho gedacht, die nach R. durch zweckmässige Bandagen am 
besten zu vermeiden sind. 

Operation während des Anfalls. 

Dem Beispiele Anderer, bei Eiteransammlung im kleinen 
Becken vom Damme aus zu eröffnen, will R. nicht Folge leisten; 
er geht in Hinblick auf die Toleranz des Peritoneums in vielen 
Fällen stets von der Bauchwand ein; er eröffnet das Peritoneum, 
doch macht er die Incision nicht so breit, wie sie zur Entfernung 
<3es Wurmfortsatzes nöthig ist; es wird dabei von der Erwägung 
ausgegangen, den während des Anfalls gesetzten Entzündungs¬ 
produkten Abfluss zu verschaffen. 

Dieser Eingriff ist ein ungefährlicher; bei grösseren Inci- 
sionen muss doch in Betracht gezogen werden, dass mau den 
Wurmfortsatz meistens nicht findet, wenn man nioht den ge¬ 
fährlichen Weg des Ilerumsuehens im infizirten und pathologisch 
veränderten Gewebe gehen will; auch die Folgen von Koth- 
fisteln u. a. möchte R. so vermeiden. 

R. wurdo in den letzten 6 Jahren in 45 Fällen zwecks Ent¬ 
scheidung eines operativen Eingriffs zu Rath gezogen; 20mal 
hat er operirt, 25 mal einen Eingriff abgelehnt; meist waren es 
schwere Fälle. Von den 20 Operirten gingen 4 zu Grunde, die 
Prognose war hier vorher absolut infaust. 16 sind geheilt; bei 
9 hievon entleerte sieh nach der Incision, ausser einigen Tropfen 
hellen, geruchlosen Serums bei einigen, keinerlei Sekret weiter; 
bei zweien von diesen kam es hinterher zu spontan und bald 
verheilenden Kothfisteln. 

Die Zeit der Erkrankung schwankte von 2 Tagen bis zu 
5 Monaten; 3 Patienten sind bis jetzt wieder erkrankt, von denen 
einer starb, ein anderer, wiederholt operirt, noch an Fisteln 
leidet. 

Von den 13 gesund Gebliebenen sind 4 vor Jahresfrist., die 
übrigen vor 1% bis zu 5 Jahren und 4 Monaten operirt. 

Von den 25 Nichtoperirten ist es bis jetzt in keinem Falle 
zur Entfernung des Wurmfortsatzes gekommen, obwohl bei 
einigen hievon eine solche Operation angezeigt gewesen wäre. 

Der Eingriff, wie er von R. geübt wird, besteht in einer 
3—6 cm langen Incision mit nachfolgender Einlegung eines oder 
zweier Drains; fehlen Tumor und Dämpfung, so wird der Schnitt 
am MacBurney’schen Punkte, parallel dem Poupart’schen 
Bande, sonst in der Mitte über dem event. Tumor, gemacht. Nach 
Durchtrennung der oberflächlichsten Bauchwandschichten wird 
stumpf bis zur Bauclihöhlo vorgedrungen, das Peritoneum event. 
mit Hohlsonde o. a. geöffnet. 

R. operirt auch, wo immer es nöthig ist, in der Privatpraxis, 
auf dem Lande, oft unter schlechten äusseren Verhältnissen. Er 
beschreibt die von ihm hiebei durchgeführte Anti- bezw. Asepsis. 
(Diese ist einwandsfrei und nachahmensweri h. Ref.) 

Der Zeitpunkt zuin Eingriffe muss dem Ermessen, des 
Opcrireuden anheimgestellt werden; grosser Werth ist dabei auf 
dio Beschaffenheit des Pulses und die jeweiligen Dann verbal 1 ' - 
nisse zu legen (Durchgängigkeit). 

Schlusssatz: „Der grosse Theil der an Perityphlitis erkrank¬ 
ten Patienten heilt auch noch ohne Operation und bleibt höchst 


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1366 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


walirscheinlich auch von Recidiven verschont. Die operative Be¬ 
handlung bedeutet einen, vielfach lebensrettenden, Fortscliritt. 
Die Incision in die Bauchhöhle, wie von R. zumeist geübt, ist 
ein ungefährlicher, auch von weniger geübten Operateuren leicht 
auszuführender, als prophylaktisch zu bezeichnender Eingriff, 
dem grossen Einschnitt an Wirkung nicht nachstehend. In den 
bekannten schlimmen Fällen mit allgemeiner Peritonitis, Sepsis, 
oder sonstigem foudroyanten Verlauf ist die Prognose eine sehr 
infauste. 

R. hat sich vor Allem die Aufgabe gestellt und wie es 
scheint auch glücklich durchgoführt, die Indikation zur Ope¬ 
ration der Appendicitis nur gegebenen Falles, mit saehgemässer 
Einschränkung zu stellen. Dal>ei huldigt er bei den therapeu¬ 
tischen Maassnahmen dem alten Grundsätze: „Nihil nocere!“ 
Er will die Operation einfach, aber, wie seine Erfolge zeigen, 
«loch auch wieder sicher gestaltet wissen. 

Sehr gerne wird man sich mit R. einverstanden erklären, 
wenn er sagt,, dass man auch ausserhalb eines Krankenhauses 
oder einer Anstalt mit der nöthigen Technik und Assistenz eine 
solche Operation sehr wohl durchführen kann; seine Erfolge be¬ 
weisen dies. 

Der praktische, weniger geübte Arzt mag aus dieser Arbeit 
manche nützliche Lohre ziehen, Indikationsstellung und Technik 
findet er u. a. dort zur erspriessliohen Nachahmung. Es wird 
«lesshalb schliesslich noch ganz l>esonders auf das Original ver¬ 
wiesen. (Lief.) K r o n a c h e r - München. 

Adam Politzer, ord. öffentl. Professor in Wien: Lehr¬ 
buch der Ohrenheilkunde. Vierte, gänzlich umgearbeitete Auf¬ 
lage. Mit 346 Abb. Stuttgart, Ferd. Enke, 1901. Preis 17 M. 

Mit grossem Geschick hat Politzer es verstanden, in der 
neuen Auflage «len Fortschritten, welche die Ohrenheilkunde 
in den letzten Jahren gemacht hat, gerecht zu werden. Nitdit 
nur bei der Radikaloperation und bei den endokraniellen Kom¬ 
plikationen, sondern in jiidern Kapitel sind die wichtigsten Fort- 
sohritte berücksichtigt worden, wobei der Verfasser immer seine 
eigene Erfahrung mitsprechen lässt. Die neue Auflage ist in 
der That gänzlich umgearbeitet und als Lehrbuch auf das Beste 
zu empfehlen. Scheibe - München. 

Bibliothek V. C 0 1 e r. Sammlung von Werken aus dem 
Bereiche der medicinischen Wissenschaften, mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der militärmedklinischen Gebiete. Herausgegeb« n 
von 0. Schjeming. m Verlag von A. Hirschwald. 

Mit dem Erscheinen der Bibliothek v. Coler wurde dem 
um diellebung dt«Militärsanitätswesens hochverdienten General¬ 
stabsarzt der preussischen Armee, Prof. Dr. v. Coler, anlässlich 
seine« 70. Geburtstages seitens der Militärärzte, sowie der aus 
ihren Reihen hervorgegangenen und mit ihnen in steter Be¬ 
rührung stehenden Universitätslehrer eine besondere Ehrung be¬ 
reitet. Von der Sammlung sind jetzt 6 Bände erschienen, weitere 
werden in zwangloser Folge ausgegeben. Jeder Band, der ein¬ 
zeln käuflich ist, enthält die monographische Bearbeitung eines 
bestimmten Themas aus dem Gesammtgebiet der Medicin, da¬ 
runter befinden sich auch Gegenstände, die keineswegs aus¬ 
schliessliches militärisches Interesse haben, sondern für jeden 
praktischen Arzt und Hygieniker von hoher Wichtigkeit sind. 

Band 1. P. K ü b 1 e r: Die Geschicht6 der Pocken und 
der Impfung. Mit 12 Abbildungen im Text und einer Tafel. 
8 Mark. 

K ü b 1 e r gibt einen kurzen, aber doch erschöpfenden Ueber- 
blick über die Verbreitung der Pocken und die Entwicklung des 
Impfwesens. Nach einer Schilderung des Krankheitsbildes der 
Pocken und der Forschungen über Ursprung und Alter derselben 
wird in fesselnder Weise die Verbreitung der Pocken im Mittel- 
alter, im Jahrhundert der Reformation, sowie im 17. und 18. Jahr¬ 
hundert geschildert. Bei der Besprechung der Impfung werden 
auch dio verschiedenen Streitfragen auf diesem Gebiete in 
ruhiger und sachlicher Weise erörtert. Im Schlusskapitel 
„Tmpfung und Pocken in der neuesten Zeit“ gibt Verfasser eine 
Uebersicht über den derzeitigen Stand der Frage, wobei beson¬ 
ders auch die Schilderung der neueren Forschungen über die 
Natur des Poekcnkeimc's, sowie der Bestrebungen zur Verbesse¬ 
rung d«'r Lymphe von Interesse ist. Das durchweg interessante 
Werk ist mit 12 Abbildungen und einer Tafel, die Häufigkeit der 


Pockentodesfälle in den Staaten Europas während des Zeitraum«-. 
1S93—1897, darstellend geschmückt. 

Band II. E. v. Behring: Diphtherie (Begriffsbestim¬ 
mung, Zustandekommen, Erkennung und Verhütung.) Mit 

2 Abbildungen im Text. 5 Mark. 

Das vorliegende Buch ist als Fortsetzung der vor 8 Jahren 
vom Verfasser publicirten Geschichte der Diphtherie anzusehen. 
Im I. Kapitel erörtert v. Behring die Begriffsdefinitionen 
von Diphtherie in verschiedenen Zeiten und von Seiten der ver- 
schiedenen pathologischen Anatomen, bei denen immer noch ein,- 
Sprachverwirrung über den Gebrauch der Bezeichnungen Diph¬ 
therie und Croup herrscht. Nachdem wir wissen, dass di.- 
Breton n ea u’sche Diphtherie eine aetiologisch gut begründete 
Krankheit ist, sollte man für die diphtherieähnlichen, aber niclii 
durch die Klebs-Löffler’schen Bacillen erzeugten Krank¬ 
heitsformen die Bezeichnung „Diphtheroid“ wählen. Nur diese 
Bretonneau - Löffle Fache Diphtherie wird, wie v. Beh¬ 
ring von neuem betont, durch das Diphtherieeerum beeinflusst. 
Weiterhin bespricht Verfasser die Diphtherieaetiologie an Hand 
der grundh^g«?ndeu Arbeit von Loeffler vom Jahre 1884. 
welche ausführlich wiedergegeben ist und im Anschluss daran 
die neueren Untersuchungen über das Diphtheriegift, seiiu- 
Constitution, seine Wcrthbestimruung u. s. w. Im zweiten 
Kapitel gibt Verfasser eine eingehende Kritik des Berichtes der 
Breslauer Diphtherie-Untersuchungsstation von Neisser und 
Hey mann (Klin. Jahrbuch 1899) und bespricht die Bezieh¬ 
ungen der bactcriologischen Diphtheriediagnose zu hygienischen 
Maassnahmon, wie Wohnungsdesinfektion, Isolirung und Aii- 
zeigopflicht. Sowohl den Centralstellen für bacteriologische Dia¬ 
gnose, wie diesen hygienisch-prophylaktischen Maassnahmen 
misst Verfasser wenig praktischen Werth bei; er hält vielmehr 
die konsequent durchgeführte antitoxintherapeutische Diph- 
therieprophylaxis für sich allein schon ausreichend, um der 
Seuche Horr zu werden. 

Band III. B u 11 e r s a c k: Nichtarzneiliche Therapie 
innerer Krankheiten. Skizzen für physiologisch denkend«- 
Atirzte. Mit 8 Abbildungen im Text. 4 Mark. 

„Die Therapie ist die subjektivste aller Künste.“ Diesen 
Satz stellt Verfasser mit Recht an die Spitze seines Buches, 
denn nirgends so wie beim Arzt ist die Person und die Leistung 
auf’s engste verknüpft und erscheint andererseits das Material, 
das sich d<un Arzte darbietet, als ein Individuum mit seinen be¬ 
sonderen Ansprüchen, Vorstellungen und Wünschen. Zum Ver- 
ständniss dieser Individualität des Kranken und zu der darauf 
gebauten Therapie bedarf es vor Allem aber gewisser physio¬ 
logischer Anschauungen, welche Verfasser zunächst bespricht. 
Der thierischo Organismus ist nicht nur ein Nebeneinander von 
anatomischen Systemen, sondern ein auf’s Feinste regulirter und 
sich regulirender Reaktionsnpparat. Die verschiedenen inneren 
und äusseren Reize, die die einzelnen Organe treffen, rufen Re¬ 
aktionen hervor und so ist auch der Patient, zu dem der Arzt 
gerufen wird, nicht bloss ein Fall etwa von Lebercirrhose oder 
Lungentuberkulose, sondern ein Gesammtorganismus und ab 
solcher die Resultante aus den verschiedenen Einwirkungen aus 
jüngster wie aus zurückliegender Zeit. Der Endzweck der Thera- 
pio ist, die verschiedenen Organ- oder Gewebssäfte unter sich in’s 
Gleichgewicht zu setzen und zwar können wir zur Herstellung 
dieses Gleichgewicht«« entweder von aussen nach innen 
(Pharmakologie, Hydrotherapie, Elektridtät, Lichttherapie u. a.) 
oder von innen heraus (Beeinflussung der Psyche) zu wirken 
suchen. Welche dieser Heilmethoden angewendet werden soll, 
hängt von der Individualität des Kranken und noch mehr von 
jener des Arztes ab. In kurzen Zügen bespricht Verfasser zu¬ 
nächst besonders eingehend die Psychotherapie, dann die thera¬ 
peutische Anwendung des Lichtes, des Wassere, die manuelle und 
gymnastische Behandlung und endlich die Anwendung höheren 
und moderen Luftdruckes, wobei immer wieder auf die physio¬ 
logischen Gesichtspunkte bei der praktischen Anwendung hiu- 
gewiesen wird. Die Lektüre des originellen, äusaeret anziehend 
geschriebenen Buches, das durch seine zahlreichen Citate von der 
aussergewöhnlichen Belesenheit des Verfassers, namentlich auch 
in der älteren medicinischen Literatur zeugt, bietet einen grossen 
Genuss uml ist jedem „physiologisch denkenden“ Arzt dringend 
zu empfehlen. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1357 


20. August 1901. 


Baiul IV. F. Trautmann: Leitfaden für Operationen 
am Gehörorgan. Mit 27 Abbildungen im Text. 4 Mark. 

In kurzen Zügen schildert Verfasser die Technik der Opera¬ 
tionen am Gehörorgan, sowie ulle dabei in Betracht kommenden 
pathologischen Veränderungen. Zur näheren Erläuterung sind 
überall kasuistische Mittheilungen eingeflochten; ausserdem er¬ 
leichtern zahlreiche instruktive Abbildungen das Studium des 
Buches. t 

Band V. H. F i s c h e r: Leitfaden der kriegschirurgischeji 
Operationen. Mit 56 Abbildungen im Text. 4 Mark. 

Das Buch stellt einen Instrukti<nisleitfadon für Kriegs- 
eiiirurgen dar. Die («rundlag«» desselben bildet der Satz: Das 
Schicksal des Verwundeten hängt von dem Arzte, ab, dom er zu¬ 
erst in die Hände fällt. Bei der Wundpflege im Felde muss jede 
auf subjektivem Ermessen beruhende Willkür durch bindende 
Instruktionen ausgeschlossen sein und die Aerzte im Frieden 
schon auf einfache und gesicherte Methoden derselben so eingeübt 
werden, dass sie in der unbeschreiblichen und erdrückenden Noth 
«ler Verbandplätze, während der Schrecken der Schlacht ohne 
Verzug und ohne Besinnen wissen, welche Ililfe und wie sie diese 
in jedem einzelnen Falle zu leisten haben. Das Material hiezu 
hat Verfasser übersichtlich zusammengetragen, wobei auch die 
neuesten Erfahrungen de« kubanischen und südafrikanischen 
Feldzuges verwerthet sind. Das durchwegs klar geschriebene 
Buch enthält zahlreiche Abbildungen der Operationsmethoden. 

Band VI. N. Z u n t z und Schumburg: Die Physio¬ 
logie des Marsohes. Mit Abbildungen, Kurven im Text und 
einer Tafel. 8 Mark. 

Das vorliegende Buch ist das Resultat vieljähriger mühe¬ 
voller Untersuchungen der Verfasser. Bei der Bedeutung des 
Marsche» für das gesammte Kriegswesen sind alle Bestrebungen, 
welche die Physiologie und die Hygiene des Marsches zu klären 
und zu fördern suchen, von der grössten Wichtigkeit. Die Ver¬ 
fasser besprechen den Einfluss des Marsches auf einzelne Funk¬ 
tionen des Körpers (Puls, Herz und Leber, Blut, Athmung, 
Körperwärme, Nerven und Muskeln, Harn), sowie» besonders ein¬ 
gehend den Einfluss des Marsches auf den Stoff- und Kraft- 
wechsel. Ueberall begegnen wir einer Fülle von Thatsachen, die 
ebenso für den Militärarzt und Physiologen wie für den Offizier 
von der grössten Wichtigkeit sind. 

Dieudonnc - Wiirzburg. 

Neueste Journalliteratur. 

Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 45. Band, 
3. Heft. Stuttgart, F. Enke. 11)01. 

1) R. Schaeffer- Berlin: Heber einen Fall von Impf- 
recidiv in der vorderen Bauchwand. 

Der Fall betraf eine 52 Jährige Frau, der vor 4 Jahren doppel¬ 
seitige maligne Ovarialtumoren entfernt worden waren. 3 Jahre 
später bemerkte Patientin zuerst einen kleinen Knoten in der 
Bauchnarbe, der sich allmählich zu einer über fnustgrossen Ge¬ 
schwulst vergrössert hatte. Bel der Entfernung fand S. das Peri¬ 
toneum an allen Stellen spiegelnd, ohne jedwede Auflagerung. 
Heilung ungestört. Die mikroskopische Untersuchung ergab 
typisches Adenocarelnom, genau analog dem Befund«? au den 
früher exstlrpirten Ovarialtumoren. 

Sch. erklärt den Fall für ein echtes Impf rocidl v und 
verwerthet denselben zur Bestätigung der vielfach angefochtenen 
ljpbre solcher Recidive, die zuerst von Olshauseu und W i n - 
t e r eingehend begründet worden ist. Nach eingehender Be¬ 
sprechung der gegenteiligen Ansichten betont Sch., dass spontane 
metastatische Recidive in der vorderen Bauch wand nach Ovnrial- 
careinom extrem selten sind und derartige Recidive daher be- 
somlers geeignet erscheinen, als Stütze für die Impfbarkeit des 
t'arcinoms zu dienen. In seinem Falle erblickt er die Beweiskraft 
für diese Lehre in folgenden Punkten: 

a) Ort des Recldlvs — Bauchdeckenrecidlv; 

b> Uebereinstimmung des Baues der exstlrpirten Ovarien und 
«l«*s Recldlvs; 

c> Isolirthelt des Bauchdeckenrecidivs bei völliger Intaktheit 
des Peritoneums; 

d) das Herausholen der brüchigen. zerfall«*n«»u Kivbsmasseu 
liei der ersten Operation erkläre «len Vorgang eln«»r Verimpfung 
auf das Ungezwungendste. 

2) Constnntin J. B u c u r a - Wien: Heber die plastische Ver¬ 
wendung des in die Scheide gestürzten Uteruskörpers bei Pro¬ 
lapsen. 

Wert heim hat im Jnhre 1899 folgende Opera tionsmethode 
ffir Prolaps angegeben: Nach Anfrischung der vorderen Vaginal- 
uaml wird der Uteruskörper aus einem vorderen Coellotomle- 
•chnitte umgestülpt und mit seiner Vorderfläche an die Wund¬ 
fläche angenäht. Den Schluss der Operation bildet eine Perlneo- 
nnjesiv. Nach dieser Methode hat W. bis jetzt 16 Fälle operirt. 
über deren Resultate B. berichtet Der subjektive Erfolg war ln 


i allen Fällen befriedigend. Der Uterus war fest haftend geblieben, 
die Vagina stets lang und eng, also völlig funktionsfähig. Ein 
Recidlv war nur ln einem Falle cingetreten. Die Methode hat also 
das geleistet, was man sich von Ihr versprochen. Sie sehliesst ein 
Wiederauftreten der Cystocele völlig aus und elhnlnirt kein ein¬ 
ziges Genitalorgan. Die Menstruation bleibt bestehen, «Ile Vagina 
funktionsfähig. Die einzige Bedingung ist Sterilität die eventuell 
durch Tubenresektion künstlich erzeugt werden kann. 

3) Felix Franke- Rraunsehwelg: Dilatirende Dauerdrai¬ 
nage des Uterus zur Behandlung der Endometritis und Dys¬ 
menorrhoe, inbesondere bei Stenose der Cervix. 

Die Drainage des Uterus bei Stenose und Endometritis ist 
schon vielfach empfohlen, aber bald wieder aufgeg«»ben worden. 
Di«> Dilatation mit Jodoformgaze erwies sich als zu gefährlich, 
Glas- und Guramiröhreu halten sich nicht Im Uterus. F. empfiehlt 
nun ein V«*rfahren, «las in 2 Fällen gute Dienste leistete. Er er¬ 
weiterte die St«»nose durch eine grösser«* Zahl discldiremlev 
Schnitte, führte dann ein über eine Sonde liingsgespnnntes Drain 
rohr in den Uterus, wodurch Jene Schnitte unter «lauernder Dila 
tatlon des (’erviealkanals zur Verheilung kamen, und liefestigt«* 
das Rohr durch 2 Nähte an «lie Cervix. Zum Schluss leichte Tam¬ 
ponade der Scheide. In beiden Fällen war «ler Erfolg gut. 

4) Catharine van Tusseu brock - Amsterdam: Fragmente 
aus dem zweiten Stadium der menschlichen Placentation. 

Eine entwicklungsgeschichtliche Studie, boslrt auf einem 
Material von 7 Abortiveiern, die. meist in toto mit der R«*flexa aus- 
gestossen. Iin Stadium sich befanden, wo Rcflexu und Vera n<s*li 
nicht verklebt sind, ferner von einem exstlrpirten graviden Uterus 
im 2. bis H. Monat und von 2 Durchschnitten durch den ganzen 
Fracht sack bei 2 jungen Fällen von Tubargravldität. Wir müssen 
uns an dl«*ser Stelle begnügen, einige besonders inhuvssant«» Er¬ 
gebnisse der fleisslgen Arbeit herauszuheben. 

Die Umbildung der primitiven ln die dlseohle Placenta is« 
ungefähr im Anfang d«»s 6 Monats vollendet. Die Ueflexn Ist 
dann fast ganz verschwunden. Die Re«luktion der Zotten auf der 
Seite der Reflexa Ist Folge d«»r Obliteration der Intervillösen Räume 
zwischen Chorion und Reflexa. Die Cot.vledonen entstehen da¬ 
durch. dass die Oberfläche der Serotina der Expansion d«»r foe- 
talen Placenta einen unglelehmässigen Widerstand leistet. Das 
Verschwinden der L a n g h a n s'schen Zellschicht auf den Zotten 
findet dadurch statt, dass diese Zellen sieh zwischen das Syn- 
cytluin schieben. Die Zellschicht leistet also «len Dienst von Er- 
gänzungsmaterial für das S.vncytium. 

5) W. Beckmann-St. Petersburg: Einige klinische Be¬ 
obachtungen über Uteruscarcinom. 

Die Bt»obachtuiigen B.’s. die er an einem Material von 226 
Kranken anstellte. betreffen das Alter, die Zahl «ler Geburten, die 
Dauer der Krankheit und den Eintritt des RecUlivs. Das Meist«* 
ist bekannt. Aus dem letzten Abschnitt sei folgemles hervor¬ 
gehoben: Mehr als «lie Hälfte der Kranken war schon 3 Monate 
nach der Radikaloperation wieder krank: 2 Jahre nach der Op«»ra- 
tlon waren nur weniger als 10 Proc. noch gesund. Die palliativen 
Operationen verwirft B. durchaus. Je weniger die Krebs¬ 
geschwulst berührt wird, desto b«*sser für die Kranken. Am 
lx*sten helfen noch häutige Vaginalausspülungen mit Sublimat, 
Kali hypermangan. oder Creolin. 

6l Sticker- Breslau: Händesterilisation und Wochenbetts¬ 
morbidität. 

St. versucht in dieser, auf einem grossen klinischen Material 
basirenden Arbeit die Frage zu lösen, ob die Woelieubettinfektlon 
nur von den Händen des Geburtshelfers oder auch von der 
Kreissenden selbst aus zu Stande kommt? Er verwendete hier¬ 
zu 2400 Fälle der Breslauer Frauenklinik, von denen 1200 unter 
Hände d e 8 1 u f e k 11 o n entbunden waren, 1200 dagegen unter 
Hände Sterilisation, letzteres mittels der von Friedrich 
empfohlenen sterilen Gummihandschuhe. Nach ausführlicher Be¬ 
schreibung der an der Breslauer Klinik üblichen Technik bringt 
St. Paralieltabelleu der Vorhandschuh- und nandsehuhperlo<le. 
Daraus ergab sich zunächst, dass eine nur geringe Verbesserung 
der Morbidität durch völlige Ausschaltung der Hnudkeime erzielt 
wurde, sowie dass trotz Ausschaltung der letzteren noch eine rela¬ 
tiv hohe Morbiditätsziffer zurückblieb. Die Handkeime des Ge¬ 
burtshelfers sind somit sicher nicht die einzigen Erreger der 
Puerperalinfektion. Auch nach Einführung der Handschuhe wurde 
noch 10,5—12,1 Proe. Wochenbettsniorbldität beobachtet, für die 
eine Infektion von der Geburtswunde aus angenommen werden 
musste. Die etwaigen Einwände gegen seine Schlussfolgerungen 
widerlegt St durch die verschiedensten Tabellen, die er aus seinem 
Material zusammenstellt. Er gelangt zu dem Resultat, dass die 
Ursache des Puerperalfiebers sicher nicht bloss an den Hilndeu 
des Geburtshelfers, sondern sogar in der weit überwiegenden 
Mehrzahl der Fälle, wenigstens ln Breslau, an d«»r Kreissenden 
selbst zu finden ist Zur Verhütung dess«‘ll>en sin«l also sowohl 
die Mikroben an unseren Händen, als auch diej«*nig«*n an «ler 
Kreissenden zu eliminlrcn. Das Princip «ler geburtshilflich«*» 
Desinfektion hat daher aus einer Kombination von Iländeasepsis 
«los Geburtshelfers und Genitalautisepsis der Kreissenden si«*li zu¬ 
sammenzusetzen. U«*brigens möchten wir jedem Arzt«* «las 
Studium der sorgfältig gearbeiteten, lehmüchen Origlnalarbeit 
empfehlen. J a f f $ - Hamburg. 

Gentralblatt für Gynäkologie. I9ul. No. 32. 

1) Ludwig P 1 n c u s: Der Quecksilberluftkolpeurynter. Kol- 
peuryntermassage. 

Der Quecksilberluftkolpeurynter wurde von P. für die von 
Ihm empfohlene Belaatungslagerung angegeben und wird jetzt von 


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1358 


MIJENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


Neuem empfohlen. Er ermöglicht die graduelle Intravaginale Be- 
uud Entlastung, sowie eine fast gefahrlose, ambulante Behand¬ 
lung chronischer Exsudate. Er eignet sich besonders für para- 
metrltisclie und alle tief im Becken sitzende Exsudate von aus¬ 
gesprochen chronischer Beschaffenheit. Die Einzelheiten des 
Apparates, der von llahn & Liichel in Danzig zum Preise von 
M. 12.50 zu beziehen, mögen an der Zeichnung im Original nacli- 
gesehen werden. Der Apparat eignet sich auch, wenn mit Luft 
gefüllt, zur Massage, von P. als „Kolpeuryntermnssage“ be¬ 
zeichnet. Letztere findet Anwendung bei Itelzzustünden ln den 
Boekenmuskeln, den Vorstufen des Vaginismus, den Folgen des 
Präventivverkehrs, bei Erschlaffungszustiinden im Genital* 
schlauch, bei chronischer Obstipation und zur Anregung und Ver¬ 
stärkung von Geburtswehen. 

2) L. II u p p e r t - Bielitz: Behandlung des Vaginismus 
mittels Xolpeurynters. 

B. hat von der Kolpeurynterbeliandlung bei Vaginismus sehr 
gute Resultate gesehen. Die Einführung gelang nach Coenini- 
sirung des Introitus schmerzlos: nach 2—3 wöchentlicher Behand¬ 
lung konnte ein Speculum von 3 cm Durchmesser schmerzlos ein¬ 
geführt werden. In der Mehrzahl der Fälle trat kurz nach Be¬ 
endigung der Behandlung Conception ein. Auch bei gleichzeitigen 
entzündlichen oder gonorrhoischen Erkrankungen l>ewührte sieh 
der lvolpeurynter gut. J a f f 6 - Hamburg. 

Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. Bd. 11. 
HoFt 4. 

Festnummer für den britischen Tuberkulosekongress. Mit 
Bildern des Königs von England und der Hauptmitarbeiter des 
Kongresses. 

Hermann W e b e r - London: Methode und Individuum in 
der Behandlung der Tuberkulose. 

Der Verfasser weist nach, dass man auch die Luft, das Klima, 
die Ruhe und Bewegung und vor Allem die psychische Beein¬ 
flussung Lungenkranker nicht schematisch anwenden darf, son¬ 
dern dem Individuum angepasst dosiren muss. 

B. F r a e n k e 1 - Berlin: Asyle für Tuberkulöse. 

ln dem zur Jahresversammlung des deutschen Centralcomitös 
für Lungenheilstätten in Berlin gehaltenen Vorträge geht 
F r a e n k e 1 von dem Grundsätze aus. dass die Absonderung der 
Tuberkulösen „die oberste und wichtigste Bedingung Jeder Pro¬ 
phylaxe“ sei, Ja, dass sie das erfolgreichste Mittel sei, um die 
Verbreitung dieser Krankheit zu verringern. Wird schon diese 
Voraussetzung keinesfalls allseitige Zustimmung finden, so erst 
recht nicht der praktisch gar nicht durchzuführende Gedanke, 
schwerer erkrankte Tuberkulöse „für ihr ganzes Leben“ in diese 
Asyle zu sperren. Zwei Gründe sollen den Kranken zu diesem 
freiwilligen lebendigen Begräbniss veranlassen: die Furcht, seine 
Familie anzustecken, und der wirtschaftliche Ruin der An¬ 
gehörigen. So sieht die Sache theoretisch aus. Praktisch besteht 
weder bei dem Kranken, noch bei den ihn doch meist liebenden 
Angehörigen so grosse Ansteckungsfurcht, und der wirtschaft¬ 
liche Ruin ist kaum grösser, wenn der Kranke noch daheim Ist, 
als wenn eine Familie mit 5 Kindern bei „vollem Krankengelde“ 
(und mehr werden auch die Asyle nicht geben) nach Abzug der 
Miethe mit M. 1.50 pro Woche auskommen soll. Die Kosten für 
die Asyle, deren Errichtung sicher ohne Zwangsraaassregeln recht 
empfehlenswerth ist, sollen Staat und Gemeinde tragen. 

Rufenacht W a 11 e r s - London: Sanatorium Treatment of 
Consumptives In Great Britain and Ireland. 

Eine Uebcrsicht über den Stand der Heilstättenbewegung in 
England. 24 Volksheilstiitten bestehen, w-eitere 9 sind geplant. 
Für zahlende gibt es 35 Anstalten, 3 sind geplant. (Walters 
spricht und schreibt deutsch. Trotzdem Ist der Artikel englisch 
geschrieben. Während andere Völker sich Jetzt ihre Tuberku¬ 
losezeitschriften ln ihrer Sprache schaffen und gar nicht daran 
denken, deutsche Aufsätze aufzunehmen, ist es der Deutschen 
Zeit8clir. f. Tuberkulose Vorbehalten geblieben, ihren deutschen 
Lesern ln Jeder Nummer englische und französische Artikel vor- 
zusetzen. Die deutschen Aerzte sollten unbedingt gegen eine 
derartige Ausländerei opponiren. Denn wenn auch Viele englisch 
und französisch zu lesen verstehen, so werden dies doch wohl die 
Wenigsten so fliessend thun, dass sie nicht viel mehr Zeit auf der¬ 
artige ausländische Artikel verwenden müssten. Es liegt gar kein 
Grund vor, dass nur wir Deutschen uns fremdsprachliche Artikel 
in unseren Fachzeitschriften gefallen lassen müssen. Ref.) 

B a r a d a t- Cannes: Considärations sur la Tuberculose et 
sur son traitement. 

Ein Artikel, der die gewöhnlichen Maassnahmen gegen Tuber¬ 
kulose, die Sanatorienfrage, Hetol, Serumtherapie u. s. w. be¬ 
spricht, ohne besonders Neues zu bringen. 

Agnes B1 u h m - Berlin: Geber den Einfluss der Luft¬ 
temperatur auf die Temperatur der Mundhöhle nebst Be¬ 
merkungen über das Messen im Munde. 

Eine Untersuchung über Temperaturmessungen, deren Er- 
gebniss in folgenden Sätzen niedergclegt ist: „Die Temperatur 
der Mundhöhle ist abhängig von der Temperatur des umgebenden 
Mediums, indem niedrige Temperaturen des letzteren ein Sinken 
der Temperatur der ersteren bewirken. Die Grösse dieses Sinkens 
ist weder proportional dem absoluten Stand der Ausseutemperatur, 
noch der Differenz zwischen Zimmer- und Aussentemperatur; 
immerhin hat eine geringe derartige Differenz ein geringeres Sin¬ 
ken der Mundhölilentemperatur zur Folge als eine hohe. Die 
Beeinflussung der Mundhöhlentemperatur durch die Aussen¬ 
temperatur ist individuell verschieden. In der kalten Jahreszeit 
Ist beim Messen Tuberkulöser Im Munde während der Liegekur 


der Einfluss der Lufttemperatur In Rechnung zu ziehen und es 
sind den erhaltenen Resultaten einige Zehntelgrade hinzu zu 
zählen.“ (Dass wirklich Differenzen von 0,5® hierbei vorkouimeu. 
scheint doch der Nachprüfung zu bedürfen. Uebrigeus bin ich bei 
Jahrelangen zahlreichen Achselhöhlemessungen noch nie auf 
Schwierigkeiten gestossen. Ref.) 

D. K u t h y - Ofenpest: MacCormac. 

Kuthy hat entdeckt und belegt durch zahlreiche Citate, dass 
MacCormac und auch ein Dr. B u r g e s schon vor Brehmor 
die hauptsächlichsten Principlen der Freiluftbehandlung Lungen¬ 
kranker aufgestellt haben. (Die Schriften von MacCormac 
und B u r g e s finden sich übrigens schon erwähnt und verwendet 
in Paul Nlcmcyer'g medicinischen Abhandlungen aus dem 
Jahre 1872/73. Ausserdem hat auch Geheimrath Schuch ardt- 
Gotlni in seinem Aufsatz: „Zur Geschichte der Anwendung des 
Höhenklimas (Gebirgsklimas) behufs Heilung der Lungenschwind¬ 
sucht (Lungentuberkulose)“ (S.-A. a. d. Jahrbüch. d. kgl. Akad. 
gemeinn. Wissensch. z. Erfurt, N. F., II. XXIV) ausführlich dar 
gelegt, dass schon früher eine Reihe anderer Aerzte die Freiluft 
behandlung gekannt und empfohlen haben, besonders Klinge 
in St. Andreasberg (1700—1840), Hrockmann in Klausthal 
aber auch Lenti n, Koch in Laichingen u. A., wie denn über¬ 
haupt diese Arbeit höchst interessant zu lesen ist. Das Verdienst 
B r e 1» in e r’s wird dagegen immer bleiben, diesen vereinzelt da¬ 
stehenden Ansichten die heutige allgemeine Geltung verschafft zu 
haben. Ref.) 

Martin F 1 c k e r - Iieipzig: Ueber die Serumreaktion bei 
Tuberkulose. 

„Nach der von A r 1 o 1 u g und C o ur mont angegebenen 
Methode der Serumreaktion bei Tuberkulose können vergleichbare 
und eindeutige Resultate nicht erhalten werden, da u. a. die zu 
ngglutinirende Kultur in verschiedenen Händen und schon in der 
Hand eines und desselben Beobachters eine zu grosse Labilität 
| besitzt. Von beträchtlichem Einfluss auf den Ausfall der Reaktion 
| und das zeitliche Auftreten des Agglutinationsphänomens ist die 
1 Zahl der zu agglutinirenden Tuberkelbacillen. Die Frage der 
Brauchbarkeit einer Serumdiagnose bei Tuberkulose überhaupt ist 
erst zu lösen, wenn grössere Versuchsreihen mit vergleichbarem 
Material und einer in qualitativer und quantitativer Hinsicht 
gleichmüssigen Testkultur der Beantwortung dienen.“ 

R o e p k e - Belzig: Die Anlage und Führung des Kranken¬ 
journals in der Heilstätte Belzig. 

Mit vielen Worten und reichlichem Weihrauch für alle zur 
Heilstätte Belzig in Beziehung stehende Aerzte wird das dort 
übliche Untersuchungsformular sowie die Untersuchungsmethode 
beschrieben. 

S. A. K n o p f - New -York: Ein Aufruf zur Gründung einer 
deutschen Lungenheilstätte für Gross-New-York, als Zweig der 
New-Yorker und Brooklyner deutschen Hospitäler. 

Ueberslchten über die Tuberkulosebewegung ln Russland 
(F e 1 d t - St. Petersburg). In Dänemark (Saugmann - Vcjlel- 
fjord), in Norwegen (Rambech, Böttcher), ln Italieu 
(Meyer- Nervi). 

Sehr ö d e r: Ueber neuere Medikamente und Nährmittel 
bei der Behandlung der Tuberkulose. 

Schmieden: Lungenheilstätte der Pensionskasse für die 
Arbeiter der Preussisch-Hessischen Eisenbahngemeinschaft zu 
Niederschreiberhau in Schlesien. 

Freymuth: Lothringisches Sanatorium Alberschweiler. 

Liebe- Waldhof Elgershausen. 

Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 34. Bd.. 
2. Heft. 1901. 

H. Heilbronner - Halle: Ueber die transcorticale moto¬ 
rische Aphasie und die als „Amnesie“ bezeichnete Sprach¬ 
störung. 

Die als transcorticale motorische Aphasie bezeichnete Sprach¬ 
störung Ist ausgezeichnet durch Verlust des Spontansprechens bei 
erhaltener Fähigkeit, nnchzusprechen und erhaltenem Sprachver- 
sländniss. In dem vom Verfasser beobachteten Falle war dieser 
i Symptoraenkomplex durch eine grob organische Laeslon (rechts¬ 
seitige Hemiplegie) hervorgerufen. Doch sprechen die vorliegenden 
Befunde dafür, dass die Störung ausserhalb sowohl des motori¬ 
schen wie des sensorischen Rindenspracheentrums gelegen Ist, 
und sich durch eine Unterbrechung von Associationsbahnen er¬ 
klären lässt. Bezüglich der übrigen werthvollen Beiträge zu der 
vielfach noch unklaren Lehre von der Aphasie und der bemerkens¬ 
wertheu Vorschläge zur Technik der Prüfung von Sprach¬ 
störungen muss auf die Origlnnlarbeit verwiesen werden. 

K. Petrön-Lund: Ueber den Zusammenhang zwischen 
anatomisch bedingter und funktioneller Gangstörung (besonders 
in der Form von trepidanter Abasie) im Greisenalter. (Schluss. 
Vergl. das Referat auf S. 116, No. 3 d. Wochenschr.) 

Der Verfasser nimmt an, dass die von ihm beschriebene senile 
Gehstörung im Gefolge von leichteren Bewegungsstörungen auf- 
trltt, die organisch durch Arteriosklerose lm Gehirn, an den peri¬ 
pheren Nerven oder ln den Gefässen der unteren Extremitäten 
bedingt sind. Daran schliesst sich erst die hysterische Vor¬ 
stellungskrankheit an, welche sich als eine Abasie von theils Inter- 
mittirendem, theils trepldantem Charakter äussert 

M. Sander- Frankfurt a. M.: Beiträge zur Aetiologie und 
pathologischen Anatomie akuter Geistesstörungen. (Mit drei 
Tafeln.) 

In einigen Fällen von Delirium acutum konnte der Nachweis 
einer Einwanderung von Mikroorganismen, vorzugsweise Stapbylo- 


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20. Anmut 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1359 


cortcen. auch Pneumococcen und Influenzabacillen, in’s Gehirn ge¬ 
bracht werden. Hauptsächlich liegt aber die Ursache der akuten 
Geistesstörung in einer schweren toxischen Schädigung des 
Gehirns, deren histologisches Bild bei tödtlich, ohne psychotische 
Erscheinungen verlaufenen Infektionskrankheiten zwar auch ge¬ 
funden wurde, aber doch, besonders in Hinsicht auf die Zellen¬ 
erkrankung, weniger ausgeprägt war. Von diesen infektiösen 
Formen des Delirium acutum unterscheitlet der Verfasser eine 
andere Gruppe von Fällen, in denen eine Autolntoxicatiou 
in Folge von Erschöpfung oder durch Funktionsstörungen drüsiger 
Organe die Geistesstörung auslöst Das Auftreten choreatischer 
Symptome bei diesen Erkrankungen wird auf Mitbetheiligung des 
Kleinhirns zurück geführt. 

R n e c k e - Tübingen: Die Gliaveränderungen im Kleinhirn 
bei der progressiven Paralyse. (Mit einer Tafel.» 

In 15 Fällen von progressiver Paralyse hat der Verfasser das 
Kleinhirn nach Weigert’s Methode der Gliafürbung untersucht, 
und gefunden, dass die Gliawucherung von der Peripherie her 
nach innen fortschreitet. So wird von der herdweisen, die Um- 
gelmng der Gefasst* lievorzugcndcn Erkrankung zuerst die Mole- 
celarsehieht. l>esonders um tlie P u r k 1 n j e’sclien Zellen, befallen, 
dann die Kümerschieht- und zuletzt am wenigsten das Marklager. 
Eine Beziehung der Processi* im Kleinhirn zum Verhalten der 
Kelinenreflexe liess sieh nicht, naehweisen. ebensowenig zu den 
paralytischen Anfällen, deren. Zusammenhang mit Thalamus¬ 
herden wahrscheinlicher ist. 

L. II a j ö s - Ofen-Pt*Kt: Ueber die feineren pathologischen 
Veränderungen der Ammonshörner bei Epileptikern. (Mit zwei 
Tafeln.'» 

Mit Hilfe der X 1 s s Usehen Zellfärbung fand der Verfasser ln 
4 Fällen von Epilepsie ausgesprochene Veränderungen der 
Amiuonshömer. gekennzeichnet durch schon makroskopisch wahr¬ 
nehmbare sklerotische Atrophie mit* Hypergllomatose. Sklerose, 
körnigen Zerfall und seröse Gedunsenheit der Ganglienzellen. 
Fr sieht darin neben der reichen Gefüssneubildnng den Ausdruck 
eines seht* langsamen cncoplnültischen Eutzünduugsvorgungcs. 

M. Pro bst-Wien: I. Ueber arteriosklerotische Verände¬ 
rungen des Gehirns und deren Folgen. (Mit zwei Tafeln.» 

IX» Ueber das Gehirn der Taubstummen. 

III. Zur Kenntniss der disBeminirten Hirn-Kückenmarks¬ 
sklerose. 

Kasuistische Mittheilungen mit eingehenden anatomischen Be¬ 
funden. 

E. M e y e r - Tübingen: Zur Pathologie der Ganglienzelle, 
unter besonderer Berücksichtigung der Psychosen. (Mit zwei 
Tafeln.) 

Der Verf. hat die Veränderungen an den Riesenpyramiden- 
zeüen der Ceutralwindungen bei verschiedenen Psychosen be¬ 
schrieben. Das Ergebnis Ist, dass es für einzelne aetiologlsclio 
Momente keine speclflscben Zellveränderuugen gibt, dnss auch im 
Allgemeinen der Grad der Zellalterntlou nicht der Schwere der 
psychischen Erkrankung entspricht. Das Gangllenzellenbild kann 
nicht zu Irgend einer Deutung des betreffenden Falles verwerthet 
werden und muss als das Produkt aus den der Zelle innewohnenden 
Eigenschaften und den äusseren Krankheitsursachen betrachtet 
werden. 

M. Cohn- Knttowitz: Ueber Ponsblutungen. (Mit einer 
Tafel.) 

ln beiden hier mitgetlieilten Fällen fehlten dem klinischen 
Bilde die sonst häufig beobachteten eplleptlformen Krämpfe, 
(teidemale war nur die Hälfte des ventralen Brückentheils ln der 
Pymiuidenbahn geschädigt und zwar im ersten Falle durch eine 
Flachblutung. die zu gekreuzter Extremitäten- und Hypoglossus- 
iähmung geführt hatte, im zweiten Falle durch multiple Capillar- 
blutungen uel>en einem Erweichungsherd im vorderen Thetl der 
inneren Kapsel. 

O. Heubncr- Berlin: Ueber einen Fall multipler Bücken¬ 
marksgliome mit Hydrocephalus internus. (Mit 7 Zinkographien.) 

Im Anschluss an ein schweres Trauma durch Fall entwickelte 
sich bei einem 7 jährigen Mädchen unter häutig wieder kehrenden 
tonischen Krämpfen der oberen Extremitäten allmählich eiu 
Hydrocephalus internus und schlaffe Paraplegie der Beim*, zu¬ 
letzt auch Lähmung des rechten Arms. Die Autopsie ergab im 
Rückenmark, besonders im Dorsnltheil, eine Reihe hintereinander 
liegender miteinander nicht zusammenhängender Geseliwulsthenle 
verschiedenen Alters (Gliome) und Sklerose der Hinterstränge 
«Jliose». Der Verfasser hält die ausserdem gefundene Lepto- 
meningitis mit Hydrocephalus internus für eiue Folgeerscheinung 
der Geschwulstbildung im Rückenmark. 

W. S e i f f e r - Berlin: Das spinale Sensibilitätsschema zur 
Segmentdiagnose der Kückenmarkskrankheiten. (Mit 19 Zinko¬ 
graphien.) 

Der Verfasser hat aus den Arbeiten von Kocher, Head 
and Wlcbmann eine praktische Consequenz gezogen, indem er 
versuchte, „ein geeignetes, vervielfältigtes Schema zu geben, in 
welches die klinischen Sensibilitätsbefunde möglichst genau ein¬ 
getragen werden können und in dem die Grenzlinien der spinalen 
Segmentgebiete, soweit irgend thunlich, angegeben sind“. Er hat 
so dem Neurologen, dem Internen und dem Chirurgen ein brauch¬ 
bare» Hilfsmittel für die wissenschaftlich und in sehr vielen 
praktischen Frauen sehr wichtige topische Diagnostik des Rücken¬ 
marks zum Handgebrauch am Krankenbett geboten. Die Schemata 
«ind nicht überladen und ermöglichen durch die Wiedergabe einer 


grösseren Zahl von annähernd festen Punkten der Körperober¬ 
fläche eine recht genaue Eiuzeiclinuug. 

F. J o 11 y - Berlin: Kede zur Eröffnung der Jahres¬ 
versammlung des Vereins deutscher Irrenärzte und zur 
Einweihung dee Hörsaals der neuen psychiatrischen und 
Nervenklinik in der kgl. Charitö am 22. April 1901. 

J a m l u - Erlaugen. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bti. 30. No. 3. 1901. 

1) Iv. N a k a u i s h I - München: Ueber den Bau der Bac- 
terien. (Fortsetzung folgt.) 

2» M o r e n o - Madrid: Eine neue Art von Ascobacillus, ent¬ 
deckt im Wasser des Lozayakanals bei Madrid. 

I>eu im Kanalwasser gefundenen Organismus nannte 
M o reno Ascobacillus a q u a t i 11 s. Es ist. einer von den 
verhältnissmässig selten verkommenden stark schleimblldenden 
Bacterien, denen keine pathogenen Eigenschaften zuzukommen 
scheinen. Nach M o v c n o's Beschreibung Ist er von ähnlichen, 
bis Jetzt bekannten Organismen verschieden. 

3) C. Ilarrison-Canada: The agglutinating sübstance. 

Bd. 30, No. 4. 

1) K. N n k n n i k li i - München: Ueber den Bau der Bac¬ 
terien. (Schluss folgt.» 

2» Silbers c h m 1 d t - Zürich: Ueber den Befund von 
spiessförmigen Bacillen (Bac. fusiforme Vincent) und von Spi¬ 
rillen in einem Oberschenkelabscess beim Menschen. 

In dem Eiter einer nekrotischen Phlegmone des ganzen Ober¬ 
schenkels. der mit einer Lungenerkrankung des Patienten in Zu¬ 
sammenhang gebracht werden konnte, fanden steh die in der 
Literatur schon mehrfach erwähnten spiessförmigen Bac¬ 
terien, die Vincent als Bac. fusiforme bezeichnete. 
Daneben konnte noch eine Menge Spirillen, wie sie bei An¬ 
gin«* u oft zu finden sind, naehgewt«*sen werden. 

Die weitere Fortzilcktung gelang nur ln einigen Generationen 
in flüssigen Nährböden, am besten noch in 1 proe. Essigsäure¬ 
bouillon. 

Beim Veilmpfen auf Tlilere konnte eine Putkog«*nität konsta- 
tirt werden, Jedoch Steigerung der Virulenz war nicht naclizu- 
weisen. 

Es hat den Anschein, als ob diese Art Organismen nicht in 
den Rahmen der unverzweigten Bacterien gehörten. 

3) M. L ü li e - Königsberg: Zwei neue Distomen aus indischen 
Anuren. 

4» P. R o s a - Bologna: Beitrag zur Bereitung einiger kultu¬ 
reller bacteriologischer Nährböden. 

Nach Besprechung der bis jetzt angewandten Nährböden bei 
Züchtung der Gonorrhoe schlägt Rosa einen Nährboden 
aus Fleisch von Kindern, die bei der Geburt gestorben 
waren, vor. Es soll darauf das Waclistlium der Gonococcen er- 
sprlessllcli sein. R. O. Neumann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 32. 

1) Grunow - Kiel: Ueber Anwendung subkutaner Gelatine¬ 
injektionen zur Blutstillung. 

Bei den mitgethellten Versuchen wurden Injektionen von 
2 g G«*lat.ine auf 100 phys. Kochsalzlösung verwendet und davon 
meist 200 g täglich in die Haut dt*s Oberschenkels mittels Gebläse 
Injicirt. Es werden die Erfolge bei 27 behandelten Fällen mit- 
getbellt. Verf. räth, neben Gelatine auch die übrigen bekannten 
Haomostatlca lu Anwendung zu ziehen, wie er auch in den be¬ 
handelten Fällen von Lungenblutungen, Darm- und Magen¬ 
blutungen, Nieren- und Blasenblutungen getliau liat. Die Erfolge 
machten den Eindruck, dass «len Injektionen eiu gewisser günstiger 
Einfluss zuzuschreiben ist. doch müssen die Injektionen längere 
Zeit fortgesetzt werden. Fieber wurde als Nebenwirkung fust in 
allen Fällen beobachtet, doch kamen ernstlichere Störungen durch 
die Gelatineiujektionen nicht zur Beobachtung. Die Möglichkeit 
eiuer günstigen Wirkung beruht ltekaimtlleh auf einer Steigerung 
der Gerinnungsfähigkeit dt*s Blutes durch die Gelatine. 

2) M. B e rn h ard t - Berlin: Notiz über Mitbewegungen 
zwischen Lid- und Nasenmuskulatur. 

Die Erscheinung, über welche Autor berichtet, besteht darin, 
dass beim Blinzeln mit den Augen, beim leichtesten gewöhnlichen 
Lidschluss synchron an beiden Nasenflügeln, seltener einseitig, 
ln*i vielen, sonst ganz gesunden Menschen eine Mitbcweguug be¬ 
obachtet werden kann, welche sich als leichtes Heben der Nasen¬ 
flügel. auch als eine Erweiterung des Naseneingangs darstellt. 
B. hat die Erscheinung bei ca. 15 Proc. der darauf untersuchten 
Menschen gefunden. In Bezug auf die Erklärung ist Verf. der 
Ansicht, dass es sich hiebei um praeformlrte anatomische Ver¬ 
hältnisse handelt, welche durch die speclelle Anordnung der 
Muskeln in den einzelnen Fällen diese Mitbewegung ermöglichen. 

3) P. Mendel- Berlin: Ueber Staroperationen bei Hoch- 
betagten. 

Während früher die Reclinatlon häufig bol alten Leuten als 
normales Verfahren geübt wurde uud noch heute stellenweise em¬ 
pfohlen wird, betont M. nach den an der Hlrschberg'sehen 
Klinik gemachten Erfahrungen, dnss auch bei Hochbetagten die 
Extraktion als die zweckmässige Operationsweist* allein in Be¬ 
tracht zu kommen habe. Unter 1945 KcrusturnuszU'liimgen 
waren die Krnnkeu ln 34 Fällen über SO Jahre alt. Nur in einem 
einzigen Falle war der Verlauf nicht ganz regelrecht. In allen 
übrigen waren die Erfolge auch hinsichtlich der Sehkraft ganz 
befriedigend. Das hohe Alter an sich gibt also noch keine uu- 


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33*30 


MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


günstige Prognose für eine Staroperation; doch ist für die Ope- 
rirten die grösste Sorgfalt und unablilssige Ueberwaehung uöthig. 
Bei grosser Unruhe der Kranken braucht man von einer Narkose 
durchaus nicht in allen Füllen abzustehen. Die Erfolge waren 
auch hinsichtlich ihrer Dauer durchaus günstige. 

4) K. B o n h ö f f e r - Breslau: Zur Pathogenese des Delirium 
tremens. 

Cfr. Referat pag. 801) der Münch, nied. Wochenschr. 1901. 

5) O. Maas: Ueber Veränderungen im Centralnerven¬ 
system nach Unterbindung der Schilddrüsengefässe. 

Die mitgetheilten Befunde beziehen sich auf Experimente 
an Hunden. Bei allen untersuchten Fällen fand sich Degeneration 
der Markscheiden iin Rückenmark, im Gehirn degenerirte Fasern 
im hinteren Liingsbündel, sowie auch bei längerer Dauer der Be¬ 
obachtung Degeneration in den Pyramiden aufwärts bis in die 
Fentralwiuduugen. ' G r a s s m a n n - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 31 u. 32. 

No. 31. 1) A. Praenkel. E. Stade mann, C. B e n d a: 
Klinische und anatomische Beiträge zur Lehre von der Akro¬ 
megalie. 

Vorträge, gehalten im Verein für innere Medlein zu Berlin 
am 1. und 29. April 1901. Referat siehe diese Wochenschrift 
No. 19. pag. 708. Fortsetzung folgt. 

2) Th. Rumpf-Bonn: Ueber einige Störungen der Herz¬ 
funktion, welche nicht durch organische Erkrankungen be¬ 
dingt sind. 

R. berichtet zunächst, über einen Interessanten Fall von 
Wanderherz, welcher im Anschluss au eine forcirte Entfettungs¬ 
kur aufgetreten war und durch Wiederaufnahme der früheren 
I.ebensweise im Verlauf einiger Jahre wieder mit sarnint den 
Störungen, welche es im Gefolge hatte, verschwand. Weiterhin 
bespricht. R. den Einfluss des Zwerchfellstandes und dessen Be¬ 
ziehung zu Gasanhäufungon im Magen- und Darmkanal, sowie 
den Einfluss reflektorischer Reize und uuzweckmässiger Lebens¬ 
weise. 

3) K u r t li - Bremen: Ueber typhusähnliche, durch einen 
bisher nicht beschriebenen Bacillus (Bacillus bremensis febris 
gastricae) bedingte Erkrankungen. (Schluss aus No. 30.) 

In dieser letzten Arbeit des vor Kurzem in blühendem Alter 
verstorbenen Direktors des bakteriologischen Instituts in Bremen 
wird an der Ilaml von 5 ausgewählten, klinisch und bakterio¬ 
logisch eingehend beobachteten Fällen als Erreger der nach Ent¬ 
stehung und Verlauf typhusverdächtigen, gegen die W i d a l’sche 
Probe jedoch sich negativ verhaltenden Erkrankungen eine neue 
Bacillenform festgestellt, welche sich mikroskopisch wie kulturell 
von dem Typhusbacillus und dem G ä r t u e r’sehen Bacillus enteri- 
tidis trotz vieler Aehnlichkeiten deutlich differenziren lässt 

4) Ernst U u g e r - Berlin: Beitrag zu den posttyphösen 
Knocheneiterungen. 

Kasuistische Mltthellung. 

5) F. H e r r m a n n - Wiborg (Finnland): Sechsfache Fraktur 
des rechten Unterschenkels, komplizirt mit Embolie der Pulmo¬ 
nalarterie. 

Interessante Mittheilung aus der ärztlichen Praxis. 

(i) Militärsanitätswesen: 

M a 11 h a e i - Danzig: Ueber den Alkohol als Stärkungs¬ 
mittel. 

Zusammenstellung der neuesten Erfahrungen auf diesem Ge¬ 
biete. 

7) Epidemiologie: 

Schwienin g-Berlin: Mittheilungen über die Verbreitung 
von Volksseuchen. 

Nach den Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amtes. 

No. 32. 1) P. R o e m e r- Giessen: Der gegenwärtige Stand 

der Immunitätsforschung. (Schluss folgt.) 

2) Rudolf Rosemann - Greifswald: Ueber den Einfluss des 
Alkohols auf die Harnsäureausscheidung. 

Die bei einer an Alkohol nicht gewöhnten Person ange- 
stellten Untersuchungen ergaben, dass der Alkohol die Harnsäure¬ 
ausscheidung nicht beeinflusst. Folgerungen dieses Befundes, der 
nicht recht übereinstimmt mit der Rolle, welche die Erfahrung 
dem Alkohol in der Aetiologie der Gicht zuertheilt, werden nicht 
gezogen. 

3) Richard M ii h s a m - Berlin: Zur Differentialdiagnose der 
Appendicitis und des Typhus. 

Interessante Krankengeschichte eines Falles, von typhösem 
Geschwür des Coeeums, das sowohl der Entstehung wie dem 
Untersuchungsbefund nach eine frische Appendicitis vortäuschte. 
Durch die in Folge der falschen Diagnose unternommene Operation 
wurde eine Perforation des Geschwürs vermieden und ging der 
weitere Verlauf des Abdominaltyphus normal vor sich. Ausgang 
ln Heilung. 

4) A. Fraenkel. E. Stadel mann und C. Ben da: 
Klinische und anatomische Beiträge zur Lehre von der Akro¬ 
megalie. (Fortsetzung aus No. 31, Schluss folgt.) 

5) Stein hausen - Hannover: Ueber die Grenze der Er¬ 
hebungsfähigkeit des Armes in ihrer physiologischen und 
klinischen Bedeutung. 

Durch anatomische Studien und zahlreiche Beobachtungen 
am Lebenden kommt St. zu einer von der bisherigen Lehre ver¬ 
schiedenen Erklärung des Mechanismus der Armhebung. Auf die 
Details der Arbeit kann hier nicht näher eingegangen werden. 

0) H. B e r t r a m - Meiningen: Zum Kapitel der forcirten 
Taxis. 


Mittheilung von 4 Instruktiven Fällen aus der ärztlichen 
Praxis, in welchen durch forcirte Taxis der lncarcerirten Hernie 
eine Reductio falsa erzeugt worden war. Durch rechtzeitige 
Operation gelang es jedoch jeden der 4 Fälle zur Heilung zu 
bringen. 

7) E. Kirsch- Magdeburg: Ein einfaches verstellbares 
Lagerungsbett gegen Skoliose. 

Therapeutische Mittheilung, siehe Referat diese Wochen¬ 
schrift 1900, No. 49, pag. 1714. 

8) P r ü m e r s - Posen: Die Pest in Alt-Damm 1709. 

Feuilletonistischer Aufsatz. 

9) S c h u 11 e s - Jena: Krampfadern und Beruf. 

Einen interessanten Beleg zu den von Spencer in der 
Deutsch, med. Wochenschr. 1901, pag. 155 gebrachten Aas 
füllrungen geben die von dem Autor gelegentlich der Musterung 
der Gestellungspflichtigen ahgestellten Untersuchungen, nach wei¬ 
chen von den vorwiegend stehend Beschäftigten 12.7 Proc. er¬ 
weiterte Venen und Krampfadern aufwiesen, während der Pro- 
centsatz bei den Berufsarten, welche abwechselnd stehende und 
gehende Beschäftigung erfordern, 4,8, bei den mehr Sitzenden 2,2 
und den nur im Sitzen Beschäftigten 0 Proc. betrug. ■ 

F. Lacher - München. \j ! 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 32. 1) W. Türk -Wien: Arterieller Coll&teralkreislanf 
bei Verschluss der grossen Gefässe am Aortenbogen durch de- 
formirende Aortitis. 

Der mitgetheilte Fall ist ausgezeichnet sowohl durch die Aus¬ 
dehnung und Vollständigkeit der Gefässverschlüsse, als durch dh: 
Verbreitung und das klinische Hervortreteu des Collateralkreis- 
laufes. Bei dem 44 jährigen Kranken, einem Bäckergehilfeu, er¬ 
schienen die sämmtlichen Gefässe für die obere Körperhälfte, für 
den Kopf, wie für die Extremitäten, fast oder thatsächlich ganz 
pulslos, während Brust-Bauchnorta und die Femomlarterien ganz 
kräftig pulsirten. Der ganze Stamm, namentlich auf der Rück¬ 
seite, war bedeckt von stark erweiterten, geschlängelten und 
kräftig pulsirenden arteriellen Gefiissen, ln welchen das Blut von 
der unteren Körperhälfte zur oberen strömte. Die Diagnose 
lautete auf chronische Aortitis auf luetischer Basis mit Ver¬ 
legung der AbgaugS8tellen der Anonyma, sowie der linken Sub¬ 
clavia und Carotis, kleines sackförmiges Aneurysma am Aorten¬ 
bogen mit Compresslon des linken Recurrens. Der Kranke starb an 
Perforation des Aneurysmas. Die Sektion bestätigte die Einzel¬ 
heiten obiger Diagnose. 

2) v. Wagner - Wien: Gutachten der medicinischen Fakul¬ 
tät in Wien. Alcoholismus chronicus. Todtschlag, verübt an 
der eigenen Frau. In der Haft Abstinenzdelirien. Ver- 
urtheilung. 

Zu weiterem Referate nicht geeignet 

3) A. Halle- Leipzig: Ein Beitrag zur Kenntniss des Xero¬ 
derma pigmentosxun. (Fortsetzung folgt.) 

Grassmann - München 

Italienische Literatur. 

Ueber Malaria, ein für italienische Verhältnisse immer wich¬ 
tiges Thema, handelt eine ganze Nummer von il policlinico Sezione 
Medlca 1901, No. 37. Auser einem Prioritätsstreit zwischen 
G r a s s i und Ros s. welchen wir absichtlich übergehen, finden 
wir die im italienischen Parlament von Baccelll geltend ge¬ 
machten Gesichtspunkte ln Bezug auf die öffent¬ 
liche Prophylaxe gegen die Seuche. B. warnt vor 
der allzugrosson Betonung der Bekämpfung zweier Faktoren der 
Krankheit, 1. e. des an Malaria erkrankten Menschen und der Uu- | 
schädlichmachung der die Malaria übertragenden Insekten. Nach j 
wie vor bleibe die Melioration des Grund und Bodens die Haupt¬ 
sache, und namentlich kleinere Teiche, Lachen und Grüben in der j 
Nähe menschlicher Ansiedelungen, welche leicht nuszufüllen 
seien, müssten mehr wie bisher in prophylaktischer Beziehung 
berücksichtigt werden. Eine Uebertmgung der Krankheit auch 
ohne Hilfe der Insekten hält B. für möglich, z. B. eine solch« 1 
durch Trinkwasser. Hier führt er die viel dlscutlrte Erkrankung 
von Soldaten auf dem Schiffe Argo 1834 an. welche angeblich nur 
durch schlechtes Trinkwasser erfolgt sein soll. (? Ref.) Auch für 
die zahlreichen mit Malaria behafteten Individuen, welche sich 
gegen Chinin refraktär erweisen, müsse gesorgt werden und sie 
müssten für die Verbreitung der Keime unschädlich gemacht 
werden. 

Eine zweite von dem Marchiafav a’schen Institut ln Rom 
uusgegangene Arbeit handelt über die Variationen der geformten 
Elemente im Blut der Malariakranken. 

Dieselben erweisen sich in den kleinen Gefiissen der Haut | 
und ln den Venen abhängig nicht nur von dem Kaliber des Ge- ! 
fiisses und der Blutconcentratlon, sondern auch von den Cir- 
culationsstörungen In den Inneren Organen, wie sie für schwere 
Mnlarlaanfillle charakteristisch sind. Eine annähernde Schätzung 
dos Effektes des Malariaanfalles auf die Zusammensetzung des 
Blutes ist nur dann möglich, wenn das Fieber seit einigen Stunden 
nufgehört hat und wenn die Resultate der Zählung In den Venen 
und kleinen Gefiissen die gleichen sind. 

Panlchl betont in einer Abhandlung über Dysarthrien und 
Myasthenie, durch Malaria bedingt, dass es verschiedene bio¬ 
logische Bedingungen der Malariaparaalten und eine verschiedene 


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20. August 1901. 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1361 


Virulenz gibt. Anders sei es nicht zu verstehen, dass es niemals 
bei den Frühlingsformen der Malaria pernlciöse Symptome gebe, 
obwohl bei der Tertiana-Frühlingsform die Parasiten reichlicher 
!m Blute vorhanden sein könnten, als bei den Sommer-Herbst- 
formen. Diese letzteren perniciösen Formen könnten die 
schwersten Symptome bieten, Ja selbst zum Tod führen, bei einer 
ganz geringen Anzahl von Parasiten und unter progressiver Ab¬ 
nahme derselben. 

Grixonl: Ueber ein besonderes Gerinnungsphänomen, 
welches das Blut von Malariakranken bewirkt. 

Eine für die Diagnose wie für die Prophylaxe gleich wichtige 
Entdeckung will G. Im grossen MIlitHrhospltal zu Bologna gemacht 
haben. 

Wenn man zwei Tropfen Blut von zwei Malariakranken unter 
einem Objektglas zusammenbringt, so bemerkt man binnen 
kürzester Frist, schon nach 1 Minute, dass die rothcn Blut¬ 
körperchen sich nähern, zusammengrupplren und kleine Häufchen 
bilden. Oft bewahren sie das normale Aussehen, oft verändern sie 
sich, zergehen und lftssen das Haemoglobln austreten. Sie bilden 
immer Häufchen von 5 bis zu 80 uud 100 Erythrocyteu von be- 
merkenswerther Zähigkeit. Niemals bemerkt man ein rothes 
Blutkörperchen allein, welches sich von diesen Klümpchen abseits 
hält. Die Leukocyten betheiligen sich an dieser Klümpchen¬ 
bildung nie. Ferner wird die Säulen- und geldrollenfönnige An¬ 
ordnung der rothen Blutkörperchen, wie sie sich im normalen 
Blute findet, niemals angetroffen. 

Diese eigentümlich agglutinlrende Eigenschaft übt nun das 
Blut eines Malarikers sowohl auf das Blut eines normalen 
Menschen aus, als auch auf das eines an irgendwelcher Infektions¬ 
oder anderen Krankheit leidenden. So lange das Phänomen zu 
constatlren ist. ist eine Malaria als nicht sicher geheilt, wenn auch 
als latent zu betrachten. Das Chinin Ist Im Stande, sowohl In 
vitreo, als auch In den malarlakrankeu Organismus eingeführt, 
diese agglutinlrende Wirkung zu verhindern. 

Bel keiner anderen Infektionskrankheit will G. eine ähnliche 
Eigenschaft des Blutes gefunden haben, mit alleiniger Ausnahme 
des Blutes von Typhuskranken, welches durchaus gleiche Wirkung 
haben soll. 

Das Phänomen soll bei schwacher Vergrösserung sehr leicht 
uud schon binnen einer Minute wahrnehmbar sein, Ja sogar auch 
makroskopisch am Bluttropfen binnen 10 Minuten. Lo Monaco 
und P a n 1 c h 1 sind nach G.’s Angaben die Ersten, welche auf 
dies Agglutinationsvermögen des Malarikerblutes aufmerksam ge¬ 
macht haben. (Gazzetta degli osped. 1901, No. 57.) 

M u r r 1: Ueber Bronzediabetes. 

M. schildert einen Fall von Bronzediabetes und kommt be¬ 
züglich dieser Krankheitsform zu folgenden Schlüssen (Riv. crit. 
d. CI. med. 1901, 11 u. 12): 

Diabetes und bronzeartige Hautverfärbung können gemein¬ 
sam Vorkommen, auch ohne Lebercirrhose. In diesen Fällen Ist 
die Krankheit nicht der Ausdruck einer Hepatitis pigmentaria. 

Das klinische Bild des Bronzediabetes hat zur Ursache eine 
Hepatitis pigmentaria. Diese letztere führt zum Ascites, zur Gelb¬ 
sucht. zum MUztumor, zu anhaltenden Verdauungs- und Er¬ 
na hrungsstörungen und zum Tode; aber es gibt auch eine sehr 
seltene Form von Bronzediabetes, bei welcher die Hepatitis fehlt 
und bei welcher Heilung möglich Ist. 

Die häufige Vereinigung der 3 Phänomene: Diabetes, Zer¬ 
setzung des Blutpigments und Lebercirrhose rührt nicht von einer 
gemeinsamen Ursache her, aber alle 3 sind der Ausdruck einer 
tiefen Stoffwechselstörung. 

Die Hepatitis kann eine durch Alkohol bewirkte sein uud dies 
Moment begründet die Seltenheit des Bronzediabetes beim weib¬ 
lichen Geschlecht: überhaupt kann häufig ein Symptom der Sym- 
ptomentrias fehlen und so das Krankheitsbild ein unvollständiges 
sein. 

Sehr häufig finden sich, wie Anschütz konstatirte, ln 
Fällen von Bronzediabetes Laeslonen des Pankreas, aber, da es 
auch Fälle gibt ohne solche Laeslonen, ln welchen die Glykosurie 
die gleiche Ist, so muss für solche eine allgemeinere Ursache der 
Entstehung des Leidens festgehalten werden. 

Wenn man dem Ursprung der 3 miteinander verknüpften, 
die Krankheit konstituirenden Symptome nachforscht, so kommt 
man rationeller Weise zur Hypothese einer allgemeinen Dystrophie 
der zelligen Elemente des Körpers, bedingt durch die lange Ein¬ 
wirkung stoffwechselstörender Ursachen und sich äussernd durch 
Abnahme gewisser Funktionen, namentlich also derjenigen, die 
Kohlehydrate zu verbrennen, und ferner durch gewisse Eigen- 
thümlichkeiten, namentlich der beiden, einerseits die färbenden 
Elemente des Blutes anzuziehen und zu fixlren, andererseits eine 
Vermehrung des Bindegewebes zu veranlassen, welche besonders 
in der Leber die Form einer interstitiellen Entzündung annimmt. 

Nach den letzteren Veränderungen in der Leber richtet sich 
auch die Prognose der Krankheit: sie ist im Allgemeinen .schlecht, 
und um so ungünstiger, Je weiter die Hepatitis fortgeschritten ist. 

B e 111: Ueber einen schweren Fall von tuberkulöser Poly¬ 
serositis, durch Laparotomie geheilt. (Gazzetta degli osped. 1901, 
No. 51.) 

Mit Rocht betont der Autor die Möglichkeit bei der obigen 
multiplen und meist auf Tuberkulose beruhenden Form der Ent¬ 
zündung seröser Häute durch Laparotomie die Prognose zu ver¬ 
bessern. Er sah- ln Folge derselben auch das Pleuraexsudat sich 
schnell vermindern, die Ernährung sich bessern, das Körper¬ 


gewicht um 10 kg zunehmen und einstweilen vollständige Genesung 
eintreten. 

Catterina: Klinisch-anatomische Studien über ein peri¬ 
theliales Haemoangiosarkom des weichen Gaumens, (il poli- 
clinico Sezioue cliirurglca, Mai T901.) 

Das Cylindrom ist eine Geschwulstform, charakterisirt durch 
endotheliale und peritheliale Zellproliferationen: man kann in ihm 
fibröses, myxomaiöses Gewebe und hyaline Bildungen finden. 
C. stellt anlässlich der Beschreibung seines typischen Falles dieser 
Geschwulstform die gesammte Literatur der Medicin über dieselbe 
zusammen. Hager- Magdeburg-N. 

Inau^ural-Dissertationen. 

Universität Bonn. Juli 1901. 

20. Bonhoff Hermann Franz: Traunm in Beziehung zur Syringo- 
myelitis. 

21. Schultz August: Ein kasuistischer Beitrag zur Nitrobenzol¬ 
intoxikation. 

22. No6 Waldemar: Ueber einen bemerkenswerthen Fall von 
Geistesstörung. 

23. Schaefer Hugo: Ueber Molluscum contagiosum und seine 
Bedeutung für die Augenheilkunde. 

Universität Breslau. Juni und Juli 1901. 

13. Schneider Heinrich: Die normale Temperatur bei initialer 
Lungentuberkulose in Ruhe und Bewegung. 

14. Schikora Ernst: Zur Kenntniss der Gallenfarbstoffe in den 
Faeces der Säuglinge. 

15. Manteufel Kurt: Ein Beitrag zur Statistik der Penis- 
carcinome. 

IG. Bork Leo: Beitrag zur Kenntuiss der Nierenkapsel¬ 
geschwülste. 

17. Oelsner Ludwig: Anatomische Untersuchungen der Lymph- 
wege der Brust mit Bezug auf die Ausbreitung des Mamma¬ 
en rclnoms. 

18. Clusius Alfred: Ein Beitrag zur Kasuistik der krypto¬ 
genetischen Septicopyaemie. 

19. Sticher Roland: Händesterilisation und Wochenbettmorblll- 
tät. Ein Beitrag zur Aetlologie der Puerperalinfoktion. 

20. Lewin Salo: Ueber Nervennaht, Nervendehnung und Nerven¬ 
lösung peripherer Nerven. 

21. Ilauffe Hans: Ein Beitrag zur Kenntniss der Leberkolik 
durch Echinococcus hepatis. 

22. Schöngarth Adolf: Ueber die Eröffnung der grossen 
Körperhöhlen bei Rippentuinoren. 

23. Krischke Georg: Ein Beitrag zur Lehre von den tödtlichen 
Ausgängen bei Ohrerkrankungen. 

24. Heyn Arthur: Ueber disseminirte Nephritis baclllaris Tuber¬ 
kulöser ohne Nierentuberkel. 

25. Falk Hermann: Beitrag zum Studium des Dermographismus. 
2G. Neustadt Georg: Ueber das Empyema Necessitatis der 

Gallenblase. 

Universität Freiburg. Juli 1901. ' 

18. Epstein Berthold: Zur Kasuistik der Stichverletzungen 
des Unterleibes. Mit einigen Bemerkungen Über die operative 
Behandlung der akuten diffusen Peritonitis. 

19. Katsurada Fujiro: Zur Lehre von den sogen. Dermoidcysten 
oder Embryomen des Eierstocks. 

20. R e n s i n g Franz: Ueber Rachitis sera sive adultorum. 

21. Bremer Josef: Zur osteoplastischen Behandlung vou De¬ 
fekten des einen Knochens am Vorderarm oder Unterschenkel 
unter Hinzuziehung des betr. Nachbarknochens. 

22. Lu ck liar dt Albert E.: Ueber Variabilität und Bedingungen 
der Farb8toffbildung bei Spaltpilzen. 

23. Blecbschmidt Eugen R.: Ueber einen Fall von Leber¬ 
cirrhose mit Milztumor in Jugendlichem Alter. 

24. Baszynski Sally: Ueber die Fibrome der Bauchdecken. 

25. A 111 an d Wilhelm: Zwei Fälle von Tumor praecornealis nach 
Episkleritis. 

Universität Glessen. Juli 1901. 

29. Richter Karl: Ueber die operative Behandlung der Achsen¬ 
drehung des Dünndarms. 

30. Mou malle Joseph: Zur Kasuistik der Sehnerven Ver¬ 
letzungen. 

31. Bergen tlial Karl: Ueber Glykosurie und alimentäre Gly¬ 
kosurie bei Cholelitliiasis. 

32. Levy Simon: Zur Behandlung Hornhautstaphyloms. 

33. Dann e in n n u Adolf: Bau, Einrichtung uud Organisation 
psychiatrischer Stadtasyle. Betrachtungen über eine zeit- 
gemüsse Verbesserung der Fürsorge für Geistes- uud Nerven¬ 
kranke. (Habilitationsschrift.) 

34. Zalewsky Hans: Die Gonitis chronica deformans dos 
Tferdes. (Vet.-med. Dissert.) 

Universität Halle. Juli 1901. 

29. Dransfeld Emst: Ueber Verreukungsbrüche der Maileolea. 
.30. Klausner Irma: Ein Beitrag zur Aetlologie der multiplen 
Sklerose. 

31. von der Leyen Else: Ueber Plasmazollen ln pathologisch 
veränderten Geweben. 

Universität Heidelberg. Juli 1001. 

10. Alberti Adolf: Zur Kasuistik der sympathischen Ophthal¬ 
mitis. 


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MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCTTENSCHRIFT. 


No. 34. 


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88. K1 e 1 n s c hm 1 d t Theodor:. Zur Kenntnlss der Medlnstinal- 
tumoren. 

89. Kunk Friedrich: Ein Fall von Verblutung, die für septische 
Peritonitis gehalten wurde. 

90. Schuelder-Slevers Richard (5.: Ein Beitrag zur Dia¬ 
gnostik der primären Tuberkulose des weiblichen Hurnsy Steins. Jv— 

91. v. Baeyer Hans: Feber Chromsäurevergiftung. ' 

92. Müller Joseph: Feber congenitale Saeraltuinoren. 

93. II o 1 z i n g e r Jakob: Feber ein Fibrom des Ductus liepatlcus. 

94. Niemeyer Albert: Ein Fall von Lymphangioma cysticum 
cougenitum colli. 

95. Schmitt Haus: Zur Kasuistik der Pseudoleukaemie. 
(Staphylococcensepsis mit Endokarditis und Uebergaug iu 
Pseudoleukaemie nach recidivireudem Erysipelas faciei!) 

96. Himmelreich Otto: Die durch Lues und Gonorrhoe her- 
vorgerufenen Gelenkerkrankungen und ihre Differeutial- 
diagnose. 

97. Dinglreiter Josef: Ueber traumatische eitrige Meningitis. 

Ein Fall von Spätinfektion. (Tod 5 Monate nach der Verletzung.) 

98 Schnitze Kurt: Ein Beitrag zur Ilistogenese des Myo- 
sarkoms. 

99. B res sei Max: Feber plötzlichen Tod bei Pleuritis exsudativa 
in Folge von Thrombose der Arteria pulmonalis. 

160. Hoch er Wilhelm: Ein Beitrag zur Kasuistik der multiplen 
Exostosen. 

101. Z i in m e rin n n n Theodor: Feber zwei Fälle von krypto¬ 
gener Septicopyaemie. 

102. Bratz Alfred: Ein Fall von retrobulbärem Sarkom der 
Orbita. 

103. HIngsamer Emeran: Eiuige seltenere Fälle von Herz¬ 
aneurysma. 

104. Jacobson Richard: Feber die Wirkung fluorescireuder 
Stoffe auf Flimmerepithel. 

105. Stuben voll Fritz: Beiträge zur Kasuistik der Meningitis 
cerebrospinalis. 

100. Gazert Hans: Feber Tetanus. 

107. Seegert Paul: Entstehung und Ausgang subphrenischer 
Gasabscesse. 

108. Falk Alfred: Feber den Nachweis von Arsen. 

109. Key hl Emst: Ueber primäre Darm tuberkulöse.- 

Universität Strassburg. Juli 1901. 

20. Neuhäuser Hugo: Beitrüge zur Lehre vom Descensus der 
Keimdrüsen. I. Theil: Die Beckendrehuug. 

21. Kratzenstei n Siegmund: Febersicht der Theorien über 
die Pathogenese der symphatlselien Entzündung." 

22. Haenlsch Fedor: Fremdkörper iu der Stirn- und Oberkiefer¬ 
höhle. 


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Universität Jena. Juli 1901. 

Groeber J.: Die Resorptionskraft der Pleura. 

H e y u-Cohn Paul: Experimentelle und mikroskopische 
Studien über die Unterbindung der Uretereu. 

Universität Kiel. Juni und Juli 1901. 

D i n n e n d a h 1 August : Zur operativen Behandlung der 
Coccygodynie. 

Mock Johannes: Ueber einen Fall von ausgedehnter Gallen- 
blasenzerstörung in Folge von Gallensteinen. 
Fassbender August: Ein Fall von Kompressionsfraktur 
des oberen Tibiaendes mit Subluxation der Tibia nach aussen. 
K relpe Curt: Ein Fall von Heruia diaphragmatica congenita 
dextra spuria. 

West ermann August: Zur Kasuistik der Schussverletz¬ 
ungen des Schädels. 

Kühle Heinrich: Zur Nachbehandlung der Staaroperationen. 

5 p i e 1 m a n s Max: Ueber das Vorkommen von Muskelinter¬ 
position bei Frakturen und die in dem interpouirten Muskel¬ 
gewebe zu beobachtenden feineren Veränderungen. 
Kleinertz Richard: Zwei primäre Krebse der Gallenwege. 
II a rtma n n Otto: Feber einen Fall von Hydreuceplialocele 
und Verwachsung derselben mit dem Amnion placentale. 

Ra tlije Richard: Ein Fall schwerer septischer Infektion mit 
folgender ausgedehnter Gangraen der Oberlippe und rechten 
Gesichtshälfte. Melo- und Clieiloplastik. 

Al brecht Heinrich: Ein Fall von Scharlach mit Interessan¬ 
ten Nebenbefunden. 

Schwarze Paul: Ein Fall von multiplen Thrombosen bei 
Typhus mit Erscheinungen der akuten Bulbürparalyse. 
Auer Max: Feber bacilläre Pneumonie. 

Stolze Ernst: Ein Fall von fast nusgetragener Tuben- 
schwangerschaft nebst einem Beitrag zur Operationsstatistik 
der vorgerückten Tubenschwnngerschaften. 

Müller Fritz: Kasuistischer Beitrag zur Indikation und 
Ausführung der Knochennaht bei Frakturen. 

Bleck mann Felix: Feber primären Echinococcus der 
Pleura. 

Krause Johannes: Ein Fall von primärem Krebs des Duo¬ 
denum. 

Eisen borg Hermann: Zur Kenntniss des kindlichen Dia¬ 
betes. 

Universität Marburg. Juli 1901. 

Bor r mann Rob.: Das Waclisthum und die Verbreitungs¬ 
wege des Magencarcinoms vom anatomischen und klinischen 
Standpunkt. Habil.-Schrift. 

Fett Karl: Feber Wiederholung von Eklampsie bei ein und 
derselben Person ln verschiedenen Schwangerschaften. 
Kaiser Felix: Zur Behandlung der Pleuritis exsudativa 
serosa mit Snlicylsüure. 

Kran e p u h 1 Theodor: Zur Unterbindung der Arteria carotis 
communis. 

Meyer Paul: Feber Ursachen, welche das Stllleu verbieten, 
insl>esoudere das Stillen nach schweren Blutverlusten in der 
Geburt. 

Plan ge Virgil: Beitrag zur Frage der Typhusagglutinin¬ 
bildung. 

Zaubitzer Hans: Studien über eine dem Strohinfus ent¬ 
nommene Aiuoebe. 

Universität München. Juli 1901. 

Brügge mann Robert: Ein Fall von Verblutung in Folge 
Perforation einer Übersehenkelarterie in der Wandung eines 
luterinuseulüren Abscesses. 

Rosen bäum Joseph: Das Vorkommen von Erysipel in der 
chirurgischen Klink und im chirurgischen Krankenhaus Mün¬ 
chen 1. I. während der Jahre 185)1—97. 

Ewelt Wilhelm: Drei Fälle von Melanosarkom. 

Minder lei n Friedrich: Beitrag zur Kasuistik der Oeso- 
pliagusperforation. 

Hund hausen Friedrich: Pankreasapoplexie und Fett- 
ge websnekrose. 

Ziegler Gustav Adolf: Feber den Verlauf der Nachgeburts¬ 
periode in 1000 Fällen nacheinander. 

Bert bei Friedrich: Ein Fall von offenem Foramen ovale 
mit Persistenz der Vena cardinalis sinlstra und anderen Ano¬ 
malien des Venensystems. 

II ö v e r Otto: Ein seltener Fall von Magenkrebs mit sekundärer 
Lungengangracn. 

W a g n e r Joseph: Die Exstirpation eines Nebennierentumors, 
der für einen Ovarialtumor gehalten wurde. 

6 reim er Kaspar: OetTentliche Gesundheitspflege gegen zu¬ 
nehmende Morbidität, namentlich des Nervensystems. 

P escatore Max: Feber Perforation des Oesophagus durch 
verschluckte Fremdkörper. 

Rudolph Julius: Feber einen Fall von Vergiftung durch 
Einat Innen von Terpentinüldäinpfen. 

II a rd e r Hermann: Feber einen seltenen Fall von Verätzung 
des Oesophagus durch Laugenstein, komplizirt mit Aorten- 
perforatlon. 

Ba er mann Gustav: Feber ein Fibroinyom des rechten 
Ligamentum rotunilum. 

Keelig Haus: Feber zwei Fälle von tuberkulösem Pneumo¬ 
thorax. 

Schocnfeld Ilugo: Klinische Erfahrungen mit dem neuen 
Hypuoticum lledonal. 


Vereins- und Congressberichte. 

Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung v o m 5. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr C. Fraenkeh 

1. Herr Nebelthau berichtet über einen Fall*) von Phos- 
phorvergiftung im Anschluss an die Darreichung von Phos- 
phorleberthran. 

Es handelt sich um ein männliches Kind von 2 Jahren und 
2 Wochen, welches sich in gutem Ernährungszustände befand, 
aber mit Erscheinungen von Rachitis behaftet war. Dem Kinde 
wurde Phosphorlebert hran 0,01:100.0. täglich 2 TheelöfFel voll ver¬ 
ordnet. Von diesem erhielt der Junge noch am selben Tage, am 
21. Mal Abends, einen, an den beiden folgenden Tagen je 2 und 
am 24. Mai Morgens einen Theelöffel. also 6 Theelöffcl ln 60 Stun¬ 
den vorschriftsmüsslg verabreicht. Bereits am 23. Mal Abends 
bemerkte die Mutter Gelbfärbung der Haut am ganzen Körper des 
Kindes. Daraufhin wurde ihr am 24. Mai auf Anfrage in der 
chirurgischen Klinik geheissen, den Leberthran auszusetzeu. Die 
Gelbfärbung bestand In den folgenden Tugen in gleicher Weise 
fort, zugleich war der Urin stets „roth“. Erbrechen wurde nicht 
beobachtet, dagegen zugleich mit dem Ikterus Durchfall ln massi¬ 
gem Grade. Am 3t). Mai. genau eine Woche nach Auftreten des 
Ikterus, traten plötzlich schwere Erscheinungen auf. Schmerzen 
im Leib, besonders rechts, starke Hitze, verminderte Urinsekretion 
und Verstopfung; letztere schon 1—2 Tage früher. Das Kind 
wurde jetzt, am 31. Mai. dein Elisabeth-Krankenhaus zugeführt 
und von Horm Kollegen Aldclioff folgender Befund erhoben: 

Sehr kräftiges, gut genährtes Kind, Haut des ganzen Körper 8 * 
ebenso die der Conjunctiven und Skleren wie auch der Schleim¬ 
häute citronengelb gefärbt. Die Haut fühlt sich kühl.an; jede Be¬ 
rührung wird schmerzhaft empfunden. Durch die gelbe Färbung 
der Wangen schimmert ein leichtes Roth durch. 

Keine Exantheme und Oedeme. 

Puls voll, ruhig, etwas unregelmässig, nicht beschleunigt. 

Temperatur 30.1 in ano. 

Athnmng leicht beschleunigt, etwas ächzend. 

Das Gesicht schmerzhaft verzogen, die Augen etwas ein* 
gefallen, Pupillen über mittelweit, reagfren nicht auf Lielitclnfall, 
ebenso Corneareflexe erloschen. 


*) Der Fall ist ausführlich von Herrn Dr. Johannes Franke 
in seiner Dissertation, Halle 1901. mitgetheilt. - 


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20. August 1901. 


MUENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


13G3 


Keine Deviation der Augenachsen. 

Die Lippen blassgelblich. Mund halb geöffnet. 

Thorax: Lungen und Herzbefund bietet nichts Bemerkens¬ 
wert hes. 

Abdomen: In geringem Maasse gleichmiissig auf getrieben, 
weich, druckempfindlich, keine Dämpfungszonen. Magen per¬ 
kutorisch nicht vergrössert, stark dagegen der linke Leberlappen. 
Das Abdomen Ist druckempfindlicher als der übrige Körper, speciell 
ist es die Lebergegend, so dass schon auf leise Berührung der¬ 
selben das Kind laut und geradezu geilend aurschrelt. Im An¬ 
schluss daran treten tetanische Streckkrämpfe auf: die Extremi¬ 
täten werden steif fortgestreckt, der Rücken opisthotonisch zurück- 
gelKigen. Milz nicht palpabel, nicht vergrössert. Während das 
Kind auf dem I'ntersuchungstisch liegt, lässt cs dunkelgefärbten, 
ikterischeu Harn ln ziemlich reichlicher Menge. 

Auf «rund dieses Krankheitsbildes und der Angabe von Selten 
der Mutter, dass das Kind als Medicament Leberthran mit einem 
Zusatz erhalten habe und seitdem krank geworden sei, wurde bei 
Herrn Kollegen Aldehoff der Verdacht rege, dass eine Intoxi¬ 
kation vorliegen könnte und zwar eine Phosphorvergiftung. Dieser 
Verdacht wurde zur Gewissheit durch Feststellung der Thatsache, 
dass dem Kinde Fhosphorleberthran verordnet war. Herr Kollege 
Aldehoff hatte die Güte, die Universitätspoliklinik von dem 
Vorfall zu benachrichtigen. Der Assistent der Poliklinik fand Je¬ 
doch das Kind bei seinem Besuch bereits todt Das Kranklieits- 
bild hatte sich bis zu dem um 4 Uhr erfolgten Tode nicht wesent¬ 
lich geändert. Eine Stunde vor dem Tode trat schwarzes Erbrechen 
auf. 

8 e c 11 o n: Gut genährte kindliche Leiche, Starre, Todten- 
flecke. 

Herz: Ziemlich gross, rechter Ventrikel schlaff, linker gespannt, 
auf dem Perlcard vereinzelte Petechien, Musculatur auf Durch¬ 
schnitt graurotli, Eudocard und Intima der Aorta gelb imblbirt. 
Klappen intakt. 

Lungen: Bieten keine wesentlichen Abnormitäten. 

Leber: Von annähernd normaler Grösse, zäher, fester Kon¬ 
sistenz, auf Durchschnitt Ikterisch, wenig blutreich; Schnittfläche 
glatt, von gelblich-röthlicher Farbe, Peripherie der Acinl gerüthet, 
Centrum mehr gelblich gefärbt 

Gallenblase: Enthält wenig grünlich gefärbten Schleim, 
Schleimhaut oedematös, geschwellt röther als normal, im Gallen¬ 
gang nichts Abnormes nachweisbar. 

Milz: Nicht vergrössert 

Magen: Von entsprechender Grösse, seröser Ueberzug und 
Schleimhaut gelblich verfärbt Inhalt eine mässige Menge von 
Schleim. 

Darm. 1. Dünndarm: Im unteren Thell ist die Schleimhaut 
geschwellt, Follikel und P a y e r’sche Plaques treten hervor. In¬ 
halt etwas gelbbraune Faeces und Schleim. Vor der Bau hi n*- 
schen Klappe stärkere Schwellung und Röthung der Schleimhaut. 

2. Dickdarm: Enthält braunrotlie, blutige, schleimige Massen, 
der unterste Theil ist noch viel stärker mit blutig-schleimigen 
Massen gefüllt Die Schleimhaut des Dickdarms ist geschwellt, 
ebenso die dazu gehörigen Drüsen, Gefässc erweitert, massenhafte 
capilläre Blutungen. 

Niere: Ziemlich gross, Konsistenz vermehrt, Kapsel leicht ab¬ 
ziehbar. Rinde etwas verbreitert, Pyramiden duukelschwarzroth, 
Bich sehr deutlich abgrenzend. 

Als besonderes Ergebniss weiterer mikroskopischer Unter¬ 
suchung an gefärbten Schnitten dürfte horvorgehoben werden, 
dass eine Wucherung der Zellen der interlobulären Gallengänge 
stattgefunden hatte, ähnlich wie e6 Meder in seinem V. Falle 
bei akuter gelber Leberatrophie feststellep konnte. 

Der klinische Verlauf und die pathologischen Veränderungen 
der Organe Hessen, zusammengenommen mit der Thatsache, dass 
sich die Erkrankung des Kindes direkt an den Gebrauch von 
Phosphor unschloss, die Diagnose einer akut verlaufenden Phos¬ 
phorvergiftung als gesichert erscheinen. 

Die verorefnete Dose entsprach einer Menge, welche unzählige 
Male schadlos verabreicht ist und verabreicht wird. Es drängte 
sich nun selbstverständlich angesichts der von uns sicher nach¬ 
gewiesenen Vergiftung die Frage auf, ob in diesem Falle von 
Seiten des Apothekers eine grössere Menge Phosphor verabreicht 
war, als die Signatur angab. Die genaue Untersuchung des ver¬ 
abfolgten Phosphor-Leberthrans auf seinen Phosphorgohalt war 
daher dringend geboten. Die mühsame Arbeit wurde von Herrn 
Dr. Kugel nach Anweisung von Herrn Gcheimrath Vo 1 h a r <1 
gütigst ausgeführt und zwar in etwas modifizirter Form nach 
Scherer. 

Zuerst wurde durch Vorversuche festgestellt, dass vorgelegte 
Jod-Jodkaliumlösung und nachheriges Einleiten von Chlor die 
Oxydation des überdestillirten Phosphors einfacher und ebenso 
vollständig bewerkstelligt, wie die Silberlösung und Oxydation 
mit Königswasser nach Scherer. Zweitens wurde durch Kontrol- 
vereuche mit einer 0,01 proc. Phosphor-Lebertliran-Lösung fest- 
gestellt, dass von dem in dem Leberthran enthaltenen Phosphor 
uur nach dem beschriebenen Verfahren in das Destillat über¬ 


ging. Sodann wnrdc die Untersuchung von 60 ccm der Phosphor- 
Leborthran-Lösung, welche dem Kinde verabreicht war, nach der¬ 
selben Methode vorgenommen. Es fanden sich von der zu er¬ 
wartenden Menge, welche 0,005 betrug, zwei Fünftel, 0,002 g als 
freier Phosphor im Destillat wieder, ein Fünftel, 0,001 g als Oxyd 
im Fett. Ein weiterer beträchtlicher Rest Phosphor musste also 
in nähere Verbindung mit den Fetten des Lebcrthrans getreten 
sein. Beim Versuch Hessen sich aus denselben noch 0,00033 g 
Phosphor abspalten und gewinnen. Die Gesammtmenge des ge¬ 
fundenen Phosphors, 0,0034 g, blieb mithin um 0,0016 g hinter 
der vorgeschriebenen Menge zurück, ein Manko, welches sich 
wohl vorwiegend aus der Unvollkommenheit der analytischen 
Methode erklären mag. Mit aller Bestimmtheit war, wie Herr 
Gcheimrath V o 1 h a r d sich ausdrückt, somit nachgewiesen, dass 
der verordnete Phusphor-Leberthran keinesfalls mehr als die vor- 
gesehricbcne Menge Phosphor enthalten hat. 

Aus der mitgetheilten Beobachtung geht also als bemerkens- 
werthe Thatsache hervor, erstens, dass ein Kind, welchem Phos- 
phor-Leberthran in der landläufigen Verordnung 0,01 :100 zwei¬ 
mal täglich 1 Theelötfel, ordnungsgemäss verabreicht war, an 
einer akuten Phosphorvergiftung zu Grunde ging; zweitens, dass 
sich im Leberthran eine beträchtlich geringere Menge wirksamen 
Phosphors befindet, als die Verordnung angibt, dass also mit 
anderen Worten in Wirklichkeit durch noch kleinere Mengen 
Phosphor Vergiftungserscheinungen herbeigeführt wurden, als wie 
auf Grund der gemachten Verordnung berechnet und vermuthet 
wurde. 

Letztere Thatsache dürfte besonders für die Beurtheilung 
der fürPhosphor festgesetzten Maximaldose, welche pro Dosi 0,001, 
pro die aber 0,003 beträgt, von grösster Bedeutung sein und zu 
grosser Vorsicht bei der Verordnung des Phosphora mahnen. 
Demgemäss dürfte auch hier hervorgehoben werden, dass 
die Verordnung Phosphor 0,01 auf Leberthran 100 Morgens und 
Abends 1 Thoelöffel für Kinder bis zum 8. Jahre im Vcrhältniss 
zur bestehenden Maximaldosis in der That zu hoch gegriffen 
erscheint. Es wüurde damit das Kind im Tage 1 mg Phosphor 
erhalten, pro Dosi V* mg, welche Menge die Hälfte der für einen 
Erwachsenen erlaubten Dosis repräsentirt. 

Bei einem Kind von 2 Jahren dürfte doch höchstens der 
5. bis 6. Theil von der Dosis, welche für einen Erwachsenen er¬ 
laubt ist, gegeben werden. Zur Zeit also höchstens ein bis zwei 
Zehntel-Milligramm. Diese Dosis wird also beträchtlich durch 
die für Phosphor übliche Verordnung überschritten. Wie wichtig 
es ist, auf diesen Punkt hinzuweison, erhellt aus der Beobachtung 
des von uns mitgetheilten Falles, in welchem 3 mg innerhalb 
60 Stunden verabreicht, den Tod des Kindes herbeigeführt haben. 
Wenn auf der einen Seite nun Kassowitz festgostellt hat, 
dass 2 mg Phosphor pro dio bei Kindern über ein Jahr voll¬ 
kommen tolerirt werden, so hat er andererseits selbst darauf hin¬ 
gewiesen, dass V 2 mg Phosphor pro die für Kinder bis zu 8 Jahren 
vollkommen ausreiche, um gute Erfolge zu erzielen. Ich sehe 
mich veranlasst, im Anschluss an diesen Fall den Phosphor von 
nun an in bedeutend geringerer Menge zu verabfolgen als bisher, 
indem ich in Zukunft zunächst 0,001 Phosphor auf 100,0 Leber¬ 
thran zweimal täglich einen Thoelöffel verordnen werde, wie 
auch von Grosse angegeben wird, und die Dosis nöthigonfalls 
erst 8teigem werde, wenn ich mich davon überzeugt, dass keine 
unliebsamen Nebenwirkungen auftreten. 

Besprechung: Herr Pott kann sich der Ansicht des 
Vortragenden, dass der* Phosphorleberthran bei der Behandlung 
der Rachitis unentbehrlich sei, nicht anschliessen. Er hat ebenso 
gute Erfolge mit dem einfachen diätetisch-hygienischen Verfahren, 
guter Ernährung, Bädern, Aufenthalt der Kinder im Freien u. s. f. 
erzielt. 

Herr Nebelthau möchte den Phosphor doch nicht missen: 
Er betrachtet ihn als ein ähnliches Reizmittel wie das Arsen, das 
die Zellen zur Konsolidirung von KnocliengewelK» anrege. 

Herr G e n z m e r betont zwar die Nothwendigkeit einer diä¬ 
tetisch-hygienischen Behandlung, hat al>er vom Phosphor elxMifalls 
günstige Wirkungen gesehen, die er in der gleichen Weise wie Herr 
Nebelthau erklären möchte. 

2. Herr Nebelthau theilt im Anschluss an diese medi- 
cinale Phosphorvergiftung noch folgende Beobachtungen mit, 
welche er über die Wirkungen des Arsens an einem mit sog. 
Mykosis fungoidea behafteten Patienten in der medieinischcn 
Klinik zu Marburg machen konnte. 

Die Krankheit hatte siel» im Verlaufe von 10 Monaten zu dem 
ausgesprochenen Bilde der Mykosis fuugoides entwickelt. Es be- 


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1364 


MUENCHENER MEDICINTSCTIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31. 


standen zahlreiche Tumoren auf der Ilaut, dazwischen diffuse 
Infiltrate, die an Ihrer Oberfläche rothbraun gefärbt waren. 

Zur Beseitigung der Tumoren und Infiltrate wurde die An¬ 
wendung subkutaner Injektionen von Arsen beschlossen und zwar 
kam eine 1 proc. Lösung von Natrium arsenlcosum nach den Vor¬ 
schriften von Ziemssea zur Verwendung. Die Anfangsdosis 
betrug 0,25 ccm dieser Lösung. Es wurden im Ganzen innerhalb 
12 Tagen 8 Injektionen gemacht und die Dosis bis zu 0,G ccm ge¬ 
steigert. 

Unter dieser Behandlung schienen die bestehenden Drüsen¬ 
schwellungen sich nur etwas zu verkleinern; während die Knoten 
ln der Haut der Brust, des Abdomens und beider Beine bedeutend 
an Grösse abuahmen und sich schlaffer als früher anfühlten. 

Die PIgmentirung der Haut nahm eine dunkelblau¬ 
violette Farbe an, während die nicht pigmentirten Hautstellen, so 
besonders die Hände und Fusssohlen demgegenüber einen liusserst 
blassen Farbenton zeigten. Patient klagte jetzt häufig über sehr 
starke Kopfschmerzen. 

An der Pulmonalis und an der Herzspitze war ein deutliches 
systolisches Geräusch zu hören, und der erste Ton an der Herz¬ 
spitze war schwächer als der zweite. Gleichzeitig wurde während 
der Arsenbehandlung vom 23. bis 29. XII. eine beträchtliche Aus¬ 
scheidung freier Harnsäure im Urin beobachtet und am 28. XII. 
das Vorhandensein einer schweren Auaemie festgestellt. Während 
am 3. XII. noch gute Blutverhältnisse konstatirt waren — die Zahl 
der rothen Blutkörperchen betrug 4 800 000, der Haemoglobingehalt. 
nach Gowers bestimmt, 95 Proc. —, wurden jetzt nur 970000 
rothe Blutkörperchen und 10 400 welsse gezählt und ein Haemo¬ 
globingehalt von 20 Proc. festgestellt. 

Diese Beobachtungen Hessen daran denken, dass In der That 
die Arseninjektion zwar einen günstigen Einfluss auf die Tumoren 
ausgeübt, aber gleichzeitig die BlutWschaffenheit ungünstig be¬ 
einflusst habe und die Ursache für die Ausscheidung der Harnsäure 
gewesen sei. 

Zunächst musste natürlich nun die Beseitigung des schweren 
anaeniischen Zustandes versucht werden, was, wenn auch nur lang¬ 
sam und in geringem Grade, unter Eisenbehandlung etc. gelang. 
Allerdings wurden nie so günstige Bedingungen für die Blut- 
beselia(Tenholt wieder hergestellt, wie sie der Patient noch Anfang 
Dezember dargeboten hatte. 

Da nun bis zum 30. Januar unter Besserung der auaemischen 
Erscheinungen sich wieder eine beträchtliche Zunahme der Knoten 
und Schwellungen auf der Haut eingestellt hatte, besonders aber 
auch die Schwellung der Tonsillen einen bedenklichen Grad an¬ 
genommen hatte, wurde beschlossen, wiederum mit subkutanen 
Injektionen von Arsen das Wachsthum der Tumoren zu beein¬ 
flussen und dabei genau das Verhalten des Blutes und der Harn¬ 
säuren usscheidung zu beobachten. 

Es wurden in der Zeit vom 31. Januar bis zum 0. Februar, 
also in 7 Tagen, 6 Injektionen von Natrium arsenicosum gemacht 
und zwar 3 mal 0,2, 1 mal 0,3 und 2 mal 0,4 ccm der 1 proc. Lösung 
von Natrium arsenicosum. 

Mit der Einleitung der Arsenkur trat wiederum ein beträcht¬ 
licher Schwund der Tumoren ein; gleichzeitig aber auch eine be¬ 
trächtliche Verschlimmerung des Blutbefundes, welcher den Zu¬ 
stand schwerer Auaemie mit Vermehrung der Lymphocyten auf¬ 
wies. Mit dem Schwund der Tumoren und der zunehmenden 
Auaemie erreichte die Harnsäureausscheidung eine Höhe, wie sie 
an den vorhergehenden Tagen nicht gesellen worden war. Die 
Tagesmenge stieg von durchschnittlich 0,5 g auf 1,52 g. 

Nach dem Aussetzen der Arseninjektion ging zunächst die 
Harnsäureausscheidung zurück, während sich allerdings eine Ver¬ 
besserung des Blutbefundes nicht mehr einstellte, vielmehr eine 
gleichmässige Verminderung der Blutkörperchen und des Haemo- 
globlns bis zum Tode anhielt. Vor demselben trat noch einmal 
eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung ein, die am Todestage 
ihren Höhepunkt erreichte. 

Im Anschluss an diese Beobachtung weist Vortragender 
darauf hin, dass die Beeinflussung der Tumoren durch Arsen¬ 
injektionen bei Mykosis fungoides auch in diesem Falle, ähnlich 
wie in dem Koebne Fachen, eine sehr bomerkenswerthe war 
und desshalb aüch in Zukunft indicirt ist. Jedoch bedarf es da¬ 
bei einer sehr vorsichtigen Anwendung des Arsens. 

Gleichzeitig muss dabei das Blut einer sehr sorgfältigen Be¬ 
obachtung unterzogen werden, damit nicht von dieser Seite her, 
d. h. durch eine Arsen Vergiftung, wie sie bereits von Karewski 
eingehend geschildert ist, neue Gefahren für das Leben des 
Patienten geschaffen werden. 

Es wird sich empfehlen , auch der Ausscheidung der Harn¬ 
säure in einem solchen Falle seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. 
Eine Vermehrung derselben, auf die Vortragender durch den 
reichlichen Ausfall grösserer Mengen freier Harnsäure aufmerk¬ 
sam wurde, dürfte unter Umständen als ein beachtenswerthcs 
Warnungszeichen aufzufassen sein. 

(Schluss folgt.) 


Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr S e n d 1 e r. 

Vor der Tagesordnung stellt Herr Blencke 3 Fälle von 
kongenitalem Oberschenkeldefekt vor mit den dazu gehörigen 
Röntgenaufnahmen. Es sind die 3 Arten der vorkommemlcu 
Defekte vertreten: 1. hochgradige Atrophie und hochgradige Ver¬ 
kürzung des Femur mit geringen Veränderungen am centralen 
Ende desselben auf der rechten Seite eines sonst wohlgebildeten 
5 jährigen Mädchens. 2. Hochgradiger partieller Defekt beider 
Femora — es ist vom Femur beiderseits nur ein kleines Rudiment 
vorhanden — bei einem 9 jährigen, sonst wohlgebildeten Mädchen. 
3. Vollständiger Defekt beider Femora bei einem 3 Monate alten 
Mädchen, bei dem beiderseits nur Tibia, 3 Tarsalknochen, links 2, 
rechts 1 Zehe vorhanden sind. (Die Fälle werden ausführlich be¬ 
schrieben werden ln der Zeitschr. f. orthopaed. Chir.) 

Herr Thorn spricht 1. über die Therapie der Gesichts* 
lagen. (Der Vortrag wird in extenso in der Münch, med. Wochen- 
sclir. erscheinen.) 

2. zur Prognose der ascendirenden Gonorrhoe. 

Die rückläufige, gegen das Vieloperiren gerichtete Bewegung 
in der Gynäkologie fange allgemach an, auch gegen die operative 
Therapie der ascendirten Gonorrhoe anzukämpfen. TL liabe 
schon vor vielen Jahren an dieser Stelle gegen die Uebertrei- 
bungen der N o e g g e r a t loschen Lehren Front gemacht und 
stets einer konservativen Behandlung der gonorrhoisch erkrankten 
Adnexe gehuldigt. Eine kürzlich erschienene vortreffliche Arbeit 
Krönig’s aus der Leipziger Klinik gebe ihm vollkommenen 
Anlass, dies Thema neuerlich anzuschneiden, das eine ganz be¬ 
sondere Bedeutung für die Grossstädtc habe. Wenn nun auch 
zu hoffen sei, dass man sich allgemein zu einer günstigeren Auf¬ 
fassung der Prognose der ascendirenden Gonorrhoe bekehren 
und dass die Zahl der abdominalen und vaginalen Adnexexstir¬ 
pationen und „Beckenausräumungen“ immer mehr in Zukunft 
eingeschränkt werde, so dürfo dabei nicht das Bestreben, die 
Prophylaxe in einer dem Kulturstaat würdigeren Weise zu ge¬ 
stalten, erlahmen. Wie mangelhaft diese in Folge einer falschen 
Prüderie der gesetzgebenden Organe sei, lasse sich z. B. besonders 
bei unserer Schifferbevölkerung erkennen; aber auch gauz all¬ 
gemein habe die gonorrhoische Erkrankung in unserer Stadt nach 
Th.’s Erfahrung nicht nur relativ, sondern absolut mit dem Wach¬ 
sen des Verkehrs zugenommen. Th. sehe relativ viel Frühstadien 
der Gonorrhoe, deren Asccndiren durch geeignete Maassnahmen 
in vielen Fällen verhindert werden könnte, wenn auch von der 
Abortivbehandlung im Allgemeinen nicht viel zu halten sei. Das 
Orificium internum bilde, wie für alle Mikroben, auch für den 
Gonococcus die Grenze, die er nur unter gewissen Bedingungen 
überschreite. Das Asccndiren erfolge im Besonderen zur Zeit 
der Menses und im Frühwochenbett, nicht selten auch durch un¬ 
geeignete Enchcirosen, z. B. durch unvorsichtige Aetzungcn der 
Cervicalmueosa und durch Sondiren und Curettiren. Der Sonden* 
gebraueh ohne exacte Vorsichtsmaassregeln müsse überhaupt in 
der Gynäkologie auf ein Minimum beschränkt werden, umsomehr, 
als die Ausbildung der combinirten Untersuchung ihu immer 
überflüssiger gemacht habe. Wenn irgend möglich stecke man 
die Frischinficirte in’s Bett und gebe den Ehemann in Behand¬ 
lung; man müsse durchaus beiden Theilen die Consequenzen 
einer Vernachlässigung der therapeutischen Vorschriften zu Ge- 
müthe führen und dem Inficirenden seine Verantwortung klar 
machen, um Exacerbationen resp. Reinfektionen nach Möglich¬ 
keit vorzubeugen. Habe der Gonoeoccus das Endometrium cor¬ 
poris Uteri erreicht; so sei auch jetzt noch eine Abheilung ohne 
Invasion der Adnexe möglich; nur hüte man sich vor einer zu 
frühen lokalen Therapie; nicht die gonorrhoische, sondern erst 
die postgonorrhoische Endometritis gestatte im Allgemeinen eine 
lokale Behandlung. Auch nach dem Vordringen des Gonococcus 
in die Tuben und auf’s Perimetrium sei eine völlige Restitutio 
mit Erhaltung der Concoptionsfähigkeit möglich, wie auch 
K r ö n i g bestätige. Die frische Erkrankung der Adnexe täusche 
den Unerfahrenen nicht selten; die scheinbare Grösse der Tuben¬ 
tumoren erwecke in ihm zu leicht den Eindruck der Irrepara- 
bilität. Selbst bei anscheinend schwerer peritonitiseher Reizung 
und starker Schwellung der Tuben sehe man bei absoluter Bett¬ 
ruhe und antiphlogistischer Behandlung ganz gewöhnlich ein 
rasches Zurückgehen der bedrohlichen Erscheinungen. Ganz er¬ 
staunlich sei oft das rapide Abschwellcn der Tuben; dies komme 

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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1365 


20. Aügust 1901. 


daher, dass die gefühlten Tumoren nicht'sowohl stark durch 
Flüssigkeit resp; Eiter gefüllte Tuben, als vielmehr peritubaro 
Exsudationen, Serocelen und adhaerente Darmschlingen gewesen 
seien. Die Invasion des Peritoneums durch den Qonococcus 
bringe so gut wie nie Lebensgefahr, so bedrohlich auch die peri- 
tonitischen Symptome sein möchten, und es sei dringend vor der 
voreiligen Laparotomie zu warnen, wie man denn überhaupt 
B u m m zustimmen müsse, dass die gonorrhoische Erkrankung 
beim Weibe kaum jemals eine Gefährdung des Lebens bedinge. 
Wenn auch durch Wertheim die Fähigkeit des Qonococcus, 
in’s Myometrium vorzudringen, nachgewiesen sei, so müsse man 
doch das Vorkommen einer rein gonorrhoischen Parametritis 
anzweifeln; komme es zu einer parametritischen Exsudation, so 
beruhe sie eher auf Mischinfektion. Naturgemäss heile nur ein 
Theil der ascendirten Gonorrhoen mit völliger Restitutio ab, die 
grosse Mehrzahl behalte Veränderungen der Tuben, des Peri¬ 
toneums, des Uterus, der Därme etc., aber bei vielen dieser 
Kranken stelle sich im Laufe der Jahre bei geignetem Verhalten 
eine relative Heilung ein, die vielfach die völlige Arbeitsfähig¬ 
keit wieder herstelle. Das bezeuge evident auch K r ö n i g’s der 
arbeitenden Klasse angehöriges Material, das in 90 Proc. bei 
exspectativer Behandlung innerhalb 5 Jahren die Arbeitsfähigkeit 
ergab. Auch was die Sterilität betreffe, so stimmten Th.’s Er¬ 
fahrungen durchaus mit denen Bum m’s und K r ö n i g’s darin 
überein, dass auch in diesem Punkte von manchen Autoren stark 
übertrieben sei. 

Alte und neue Erfahrungen Hessen also die Prognose der 
ascendirenden Gonorrhoe in weit günstigerem Lichte erscheinen. 
Sehe man dazu das Fiasko, das die operative Therapie gemacht 
habe, so stehe zu hoffen, dass auch auf diesem Gebiete der ge¬ 
wissenhafte Arzt sich bald nicht mehr dem Vorwurf des Furor 
operativus aussetzen werde. Die einseitige, wie auch die doppel¬ 
seitige Exstirpation der Adnexe habe 50 bis 60 Proc. Misserfolge 
erzielt und die radicale Ausrottung der gesammten inneren Geni¬ 
talien möge zwar bessere Erfolge erreichen, sei aber nur unter 
dringender Indication bei den dem Klimakterium nahe stehenden 
Frauen zu billigen. Bei JugendHchen — und um diese handele 
es sich in praxi in der Mehrzahl — seien die Consequenzen des 
Ausfalls der Genitalfunktion zu bedeutend, als dass man sie dem 
immerhin doch nicht sicheren Erfolg der „Beckenausräumung“ 
gegenüber ausser Acht setzen dürfe. Mehr als diese radicalen 
verdienen conservirende Eingriffe Beachtung; es gelinge in vielen 
schweren Fällen, bei denen die Radicaloperation indicirt er¬ 
scheine, durch EröfFnung und Drainage der peritubaren und 
tubaren Eiterhöhlen etc. unter wesentHch geringerer Lebens¬ 
gefahr Heilung zu erzielen, wie Th. an einer beträchtlichen Reihe 
von Fällen erfahren habe; es gehöre dazu allerdings mehr dia¬ 
gnostische und technische Schulung, als zum Laparotomiren. 

An der Discusslon zur Prognose der ascendirenden 
Gonorrhoe betheiligen sich die Herren Heinecke, Bren¬ 
necke, Bornstein und Blermer. 


Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Wörzburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 18. Juli 1901. 

1. Herr Wey gandt: Demonstration eines Falles von tief- 
stehender Idiotie. (Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser 
Wochenschrift.) 

2. Herr Hof meier demonstrirt ein frisches Präparat von 
Sarcoma deciduo-cellulare (Declduoma maiignum). Die Stellung 
dieser Geschwülste, die nach der Schwangerschaft sich im Uterus 
bilden, in der Onkologie ist noch unklar. Das Präparat wurde 
durch Operation von einer Frau gewonnen, die einige Monate vor¬ 
her abortirt hatte. (Demonstration mikroskopischer Präparate.) 

3. Herr Bostoski: Demonstration eines Falles von chro¬ 
nischer ankylosirender Entzündung der Hals- und oberen Brust¬ 
wirbelsäule. Der Fall soll ausführlicher in dieser Wochenschrift 
mitgetheilt werden. 

4. Herr Johannes Müller: Beobachtungen über reine 
Abdominalathmung bei ankylosirender Wirbelgelenks- 
entzündung. 

Vortragender hat in einem Falle ankylosirender Wirbel¬ 
gelenksentzündung, der mit dem von Strümpell zuerst be¬ 
schriebenen Symptomenbilde vollkommen übereinstimmte, nähere 
Untersuchungen über die Störung der Athemmechanik gemacht, 
die durch den Fortschritt des Processes auf die Rippengelenke 
zu Stande kommt. Bei diesem Zustand von Thoraxstarre sind 
Yolumsänderungen des Brustkorbes durch Hebung und Senkung 


der Rippen nieht möglich und die Athmung wird lediglich durch 
die Thätigkeit von Zwerchfell und Bauchrauskulatur unterhalten. 
Bei dem vom Vortragenden beobachteten Fall zeigte der Brust¬ 
korb nur an der unteren Apertur eine Erweiterungsfähigkeit 
von höchstens 6,5 mm (gemessen am Umfang); die übrigen 
Maasse schwankten selbst bei forcirter Athmung nur minimal. 
Um so ausgiebiger war dio Abdominalathmung, so dass die Nabel¬ 
gegend bei tiefster Inspiration 45 mm vorgetrieben wurde. Bei 
der Exspiration gab sich dio vermehrte Thätigkeit der Bauch¬ 
muskeln durch das Auftreten einer tiefen epigastrischen Furche 
kund. Die Vitalkapazität betrug 2040 ccm, die Grösse eines ge¬ 
wöhnlichen Athemzuges im Liegen 370 ccm. Es kann also die 
Abdominalathmung kompensatorisch beträchtliche Leistungen 
vollbringen. Gleichwohl zeigte Patient schon bei massigen An¬ 
strengungen Dyspnoe, welche sich aber nicht durch Vermehrung, 
sondern durch Vertiefung der Athemzüge offenbarte. Dio Zahl 
derselben war übrigens auffallender Weise im Liegen regelmässig 
grösser (22—24) als im Stehen (20—22 pro Minute). Der Puls 
war dauernd beschleunigt (ea. 100) und nahm schon bei lang¬ 
samem Gehen bis zu 140 Schlägen zu. Vielleicht ist letztere 
Thatsacho auf Reizung des Herzens durch die abnorm starken 
Zwerchfellexcursionen zurückzuführen. Die bei diesen Kranken 
typische Beugung des Rumpfes nach vorn ist jedenfalls zum 
Theil abhängig von der starken Anspannung der Bauchmuskula- 
tur, welche mit der vikariirenden Vergrösserung der Abdominal- 
athmung verbunden ist. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Acadgmie de m6decine. 

Sitzung vom 18. Juni 1901. 

J a c q u e t und Portes berichten Uber die Urinunter¬ 
suchungen, welche sie bei der sog. Pelade (Haarausfall) ange¬ 
stellt haben und fassen sie dahin zusammen, dass meist Polyurie, 
Hyperchlorurie, Hypophosphaturie uud -sulfaturie besteht. Die 
ßlutuntersuchungen zeigten gleichzeitig verminderten NaCl-Gehalt 
des Blutes; therapeutisch erwiesen sich von Vgrtheil bei dieser 
Krankheit die NaCl-Injektionen. J. und P. glauben daher, dass 
es sich bei der Pelade um die äusserliche Kundgebung einer tief¬ 
sitzenden Ernährungsstörung des Organismus, besonders einer ab¬ 
norm starken Ausscheidung von Chloriden handelt. 

Lancereaux wandte das Lecithin zur Therapie des Dia¬ 
betes pancreaticus, ferner bei Kindern mit beträchtlicher Ab¬ 
magerung an und fand stets bedeutende Zunahme des Körper¬ 
gewichts wie Besserung des Allgemeinbefindens. 

Vlaef f stellt eine Patientin mit Brustkrebs vor, bei welcher 
durch die Injektion des Serums von Thieren, die mit Blasto- 
myceten behandelt waren, Besserung erfolgte. 

Sitzung vom 2. und 9. Juli 1901. 

Die Behandlung mit den Cacodylpräparaten. 

G a n t 1 e r hat das Anwendungsgebiet der Cacodylmedikatlon. 
welches für ihn Anfangs nur die Tu berkulos e wa f, zugleich mit 
anderen Aerzten (D anlos und 11 0 n a u l) OTnebllcli erweitert: 
bei allen stark schwächenden Krankheiten, wie schwerer An- 
aesthesie, Neurasthenie, Hautaffektionen Jeder Art, bei Skrophu- 
lose, Syphilis u. s. w. soll sie wirksam sein. Die hypodermatische 
Darreichung ist jener per os oder rectum, da sich hier das seht* 
giftige Oxyd der Cacodylsäure bilden kann, bei Weitem vorzu¬ 
ziehen; eine Dosis bis zur Höhe von 0,5 g wird noch ohne irgend 
welche Nebenerscheinungen leicht ertragen. G. berichtet über die 
zahlreichen Beobachtungen von Tuberkulose iu allen Stadien, bei 
manchen Patienten betrug die Gewichtszunahme 20 kg. Bei der 
Tuberkulose empfiehlt G. 5 cg pro Tag während der ersten 8 Tage, 
dann 8 Tage auszusetzen und wieder von Neuem zu beginnen und 
so fort; gleichzeitig Jod- uud Bromkali in der Dosis von 50 cg, 
und rätb zu einer phosphat- und eisenreichen Nahrung (Milch, 
Eier, Cacno und rohes Fleisch). Auch bei den verschiedensten 
Formen von Kachexie, Neurasthenie, Schwächezustilnden war der 
rekonstruirende Effekt der Cacodylmedikatlon ein offenkundiger, 
stets vorausgesetzt, dass die hypodermatische Injektlou gewählt 
wurde. G. schliesst, dass die Cacodylsäure nicht auf eine be¬ 
stimmte Krankheit wirkt, sondern auf alle schwächenden Zu¬ 
stände; und zwar ist der Erfolg ein bemerkenswerther, ohne mit 
Gefahren verknüpft zu sein. Die einzige Contraindikation bilden 
Erkrankungen der Leber. Durch die Vermittlung der Schilddrüse 
kommt die Wirkung der Cacodylsäure zu Stande, denn in diesem 
Organ allein findet man normaler Weise Arsenik in ziemlicher 
Menge, ist hier mit Jod verbunden und die gleichzeitige Dar¬ 
reichung von Jod unterstützt die CacodylWirkung. 

Sitzung vom 10. J u 1 i 1901. 

Zur Contaglosität der Alopecie (Pelade). 

Hallopeau bespricht einerseits eine Epidemie von Haar¬ 
ausfall, welche iu Creusot von Dafontaine beobachtet wurde, 
andererseits die neueren Untersuchungen von Jaequo t, welche 


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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 34. 


die Holle der Ernährung liervorhebeu und die Coutagiosität be¬ 
zweifeln. In Anbetracht zahlreicher Epidemien in Familien, 
Schulen, Kasernen glaubt H., könne die Austeckungsfilhigkeit der 
„Pelade" nicht geleugnet werden. Klinisch verhält sich diese 
Affektion wie eine parasitäre Krankheit, sie verbreitet sich durch 
lokale Proliferation oder sogen. Autoiuoculatlou. Der noch nicht 
bekannte Infektionsträger verbreitet sich nun durch direkte Be¬ 
rührung; es werden daher (sic!) mit Unrecht diese Kranken aus 
den Schulen, Burenux u. s. w. ausgeschlossen. Es ist nur nöthig, 
dass sie stets in Behandlung sind und den Kopf bedeckt halten. 

Fournier ist allenfalls der Ansicht, dass die strengen 
Manssregeln gegen die Pelade eher schädlich wie nützlich sind. 
Er vergleicht diese Krankheit mit der Lepra, welche sich bei 
St. Louis niemals den Nachbarn der Leprösen initthcllt. 

Im Anschluss an diese Discussion wird von der Akademie 
eine Kommission zum Studium der Coutagiositiit der sogen. Pelade 
ernannt. 

Lancereaux stellt 2 Kranke mit Aneurysma des Aorten¬ 
bogens vor, welche durch Gelatineinjektionen bedeutend 
gebessert wurden: die Höhle hat sich verkleinert, die Herzschläge 
sind weniger intensiv geworden, das Allgemeinbetinden hat sich 
verbessert. Es genügten im Allgemeinen 20 Injektionen, um diese 
Besserung herbeizuführen. Nur die „spindelförmigen’* Aneurysmen 
widerstünden dieser Behandlungsart. 

Boustan - Cannes berichtet über eine Influenzaepidemie 
ln Cannes, welche für Typ h u s gehalten worden war. In Wirk¬ 
lichkeit handelte es sich in den meisten Fällen um Influenza mit 
vorwiegenden Darmerscheinungen. wenn man auch bei Einigen 
abnorm verlaufendes typhoides Fieber auuehmcn konnte. 

Stern. 


26. Versammlung des Deutschen Vereins für öffent¬ 
liche Gesundheitspflege 

zu .Rostock am 18., 10., 20. und 21. September 1901. 

Tagesordnung. 

Dienstag, den 17. September. 8 Uhr Abends: Gesellige Ver¬ 
einigung zur Begrüssuug im Hotel Fürst Blücher (Blticher- 
strasse 23/24). 

Mittwoch, den 18. Septemlier. 9 Uhr Vormittags: Erste 
Sitzung im grossen Saale des Hötel Fürst Blücher. Tagesordnung: 
Eröffnung der Versammlung. Recheuschaftsliericht und geschäft¬ 
liche Mittheilungen. I. Die örtlichen Gesundheitskommlssioueu 
in ihrer Bedeutung für Staat und Gemeinde, sowie für die amt¬ 
liche Thiitigkeit Tier Mediciunlbenmten. Referenten: Regieruugs- 
Uiul Geh. Mediciualratli Dr. lt a p m u u d - Minden, Privatdocent 
Dr. Jastrow, Stadtrath (Charlottenburg-llerlin). II. Hygiene 
der Molkereiprodukte. Referent: Geh. Mediciualratli Prof. Dr. 
L ö f f 1 e r - Greifswald. •— <» Uhr Aliends: Festessen mit Damen 
im grossen Saale des Hotel Fürst Blücher (Preis des Gedeckes 
ohne Wein 4 M.). 

Donnerstag, den 19. September. 9 Uhr Vormittags: Zweite 
Sitzung im grossen Saale des Hötel Fürst Blücher. Tagesordnung: 
III. Fortschritte auf dem Gebiete centraler Heizungs- und Lüf¬ 
tungsaulagen für Wohnhäuser und öffentliche Gebäude im letzten 
Jahrzehnt. Referent: Landes-Mnseliineningeuieur A. Oslender- 
Düsseldorf. IV. Die Bedeutung der hygienisch wichtigen Metalle 
(Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel, Zinn und Zink) im Haushalt 
und in den Nahrungsgewerbeu. Referent: Prof. Dr. K. B. Leh¬ 
ma n n - WUrzburg. — Mittagessen nach freier Wahl. — Von 
3(4 Uhr Nachmittags Besichtigungen: 1. Städtische Wasser-, Gas- 
und Elektrlcitütswerke, 2. neue Schulbauten, 3. Schlachthof, 
4. Werft und Mahn & Ohlerich’s Brauerei, 5. Irrenanstalt Gelils- 
hcim. (Näheres durch Specialprogramm.) — Abends 7 Uhr: Zwang¬ 
lose Zusammenkunft auf Mahn & Ohlerich's Keller. 

Freitag, den 20. September. 9 Uhr Vonnittags: Dritte Sitzung 
im grossen Saale des Hötel Fürst Blücher. Tagesordnung: 
V. Strassenbefestigungsinaterialien und Ausführungsarteu. sowie 
ihr Einfluss auf die Gesundheit. Referenten: Stadtbaurath 
E. G e n z m e r - Halle a/S., Privatdocent Dr. Th. Weyl - Char- 
lottenburg-Berlin. — Mittagessen nach freier Wahl. — 3 Uhr Nach¬ 
mittags: Fahrt nach Warnemünde auf Einladung der Stadt 
Rostock. Besichtigung der Hafenbauten. Lust fahrt in See. — 
8 Uhr Abends: Rückfahrt auf der Warnow bei Beleuchtung der 
Ufer. (Näheres durch Specialprogramm.) 

Samstag, den 21. September: Gemeinsamer Ausflug nach 
Doberan und Ileiligendamm. (Näheres durch Specialprogramm.) 

Das nusgegebene ausführliche Programm enthält die Leit¬ 
sätze der Referent ?n über die angeführten Themata. 

Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

B o r 1 i n , den 6. August 1901. 

Ungesetzliche Approbationen. — 60 jähriges Doctor- 
jubiläum. 

Nachdem an zwei deutschen Universitäten an zwei Damen, 
welche ein schweizerisches und kein deutsches Maturitätszougniss 
besassen, die Approbation ortheilt worden war, hatte sich bekannt¬ 
lich der deutsche Acrztetag und auch die Berlin-Brandenburger 
Aorztekammer mit der Frage beschäftigt. Beide Körperschaften 


hatten beschlossen, die Reichs- bezw. die Staatsregierung zu er¬ 
suchen, auszusprechen, dass die Anerkennung eines in der Schweix 
erworbenen Maturitätszeugnisses behufs Zulassung zu den medi- 
cinisehen Prüfungen unter den heutigen Verhältnissen auch nickt 
ausnahmsweise zulässig ist. Die Aorztekammer war aber noch 
weiter gegangen und hatte beschlossen, an den Reichstag die 
Bitte zu richten, festzustellen, ob in den betreffenden Fällen die 
Ertheilung der Approbation nicht im Widerspruch mit der be¬ 
stehenden Prüfungsordnung erfolgt ist, und eventuell zu ver¬ 
anlassen, dass die betreffenden Approbationen zurückgenommen 
werden. Dieser Beschluss dürfte sich zwar auch in Aerztekreiseu 
nicht allgemeiner Billigung erfreuen; bei den Vorkämpferinnen 
der Frauenbewegung aber, welche ihn — ganz gegen die Inten¬ 
tionen der Aorztekammer — als einen gegen die Frauenbestreb- 
ungen gerichteten Ilieb ansohen, hat er, wie nicht anders zu 
erwarten war, das höchste Missfallen erregt und die Folge davon 
war, dass sieh in der Tagespresse unter dem Schlagwort „Unge¬ 
setzliche Approbationen“ ein wahrer Rattenkönig von Press¬ 
streitigkeiten entwickelt hat, welche weder von Animosität immer 
frei geblieben sind noch sich durch ein Uobermaass von Sach- 
kenntniss auszeichneten. Vor Allem ist die Tendenz des Be¬ 
schlusses gänzlich verkannt worden; er hat mit der Frauenfrage 
als solcher gar nichts zu thun. Ob, wie von Einigen behauptet, 
von Anderen besrtritton wird, die schweizerische Maturität gegen¬ 
über der deutschen minderwertliig ist, kann dahingestellt bleiben. 
Aber so lange das Abgangszeugniss eines deutschen Gymnasiums 
oder Realgymnasiums nicht in der Schweiz zur Zulassung zu den 
medicinischen Prüfungen als ausreichend anerkannt wird, sc 
lunge müssen wir uns auch dagegen sträuben, dass das schwei¬ 
zerische Zeugniss dem deutschen gleichgestellt wird. In solchen 
Dingen ist immer die Forderung der Reciprocität gestellt worden; 
und es ist kein Grund vorhanden, zu Gunsten einiger Weniger 
davon Abstand zu nehmen. Die gesetzliche Vertretung der 
Aerztc kann cs auch nicht mit Stillschweigen übergehen, da-* 
den weiblichen Medicinera Rechte eingoräumt werden, welche 
für die männlichen nicht existiren. Selbst die eifrigsten FreunJe 
der Frauenbewegung verlangen für die weiblichen Studirende:) 
keine Vorrechte vor ihren männlichen Kollegen, in der richtigen 
Erkenntniss, dass sie durch den Besitz solcher Vorrechte ihrer 
Sache mehr schaden als nützen würden. Schon diese Erwägung 
könnte genügen, um zu beweisen, dass der Beschluss der Aerzto- 
kainmer sich nicht gegen die Frauenbestrebungen richtet. In 
einem anderen Punkte aber ist er mit Recht angegriffen worden. 
Das der Kammer erstattete Referat vertrat nämlich die Ansicht, 
dass die Ertheilung der betreffenden Approbationen zu Unrecht 
erfolgt und darum ungesetzlich sei. Das ist aber ein Irrthum, 
denn es existirt ein Beschluss des Bundosraths, welcher den 
Reichskanzler ermächtigt, reichsangehürigen weiblichen Per¬ 
sonen, die vor dem Sommersemester 1899 sich dem medicinischen 
Studium an einer Universität ausserhalb des deutschen Reiches 
gewidmet haben, behufs Zulassung zu den medicinischen Prüf¬ 
ungen die Vorlegung des Zeugnisses der Reife von einem hum«- 
nistischen Gymnasium mit Rücksicht auf ein ausländisch»* 
Reifezeugniss zu erlassen. Dieser Bundesrathsbeschluss war 
der Aorztekammer und wohl auch dem Referenten nicht be¬ 
kannt; aber er besteht zu Recht. Und wenn wir die Ausnahme¬ 
bestimmungen als gegen die Interessen dos ärztlichen Standes 
verstossend auch bedauern, ungesetzlich sind sic nicht. Auf 
diesem Standpunkt steht auch, nachdem er von dem Bundosraths- 
besehluss Kenntniss erhalten hat, der Vorstand der Aerzte- 
katnmer. In der Voraussetzung, dass die Kenntniss dieses Be¬ 
schlusses auf die Entscheidung der Kammer erheblichen Ein¬ 
fluss ausgeiibt hätte, sah sich der Vorstand veranlasst, die Aus¬ 
führung des in der Sitzung vom 25. Juni gefassten Beschlüsse* 
auszusetzen und das Thema in der nächsten Plenarsitzung noch¬ 
mals zu Berathung zu stellen. — 

Am heutigen Tage feiert einer der ältesten und ange¬ 
sehensten Aerzte Berlins, der Geheime Sanitätsrath Dr. Friedrich 
Körte, der Vater des bekannten Chirurgen, das seltene Fest 
der 60 jährigen Doctorjubiläums. Körte, welcher trotz seiner 
83 Jahre sich noeh der vollen geistigen und körperlichen Frische 
erfreut, hatte an dem wissenschaftlichen und socialen ärztlichen 
Leben stets lebhaften Antheil genommen. Er gehörte im Jahre 
1844 mit zu den Begründern der „Gesellschaft für wissenschaft¬ 
liche Mediein“, welche später im Jahre 1860 mit dem von 


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tettEttCÖEttliR MEDICllÄISCfiE WOCÖE^SCÖRIF^. 


läff? 


20. August 190]. 


A. v. Graefe begründeten „Verein Berliner Aerzte“ zu der 
jetzigen „Medicinischen Gesellschaft“ verschmolz. Auch in dieser 
stand Körte an leitender Stelle. An der Gestaltung und Ent¬ 
wicklung des ärztlichen Vereinslebens in Berlin, sowie auch der 
staatlichen Organisation in den Aerztekammern war Körte 
in hervorragendem Maasse betheiligt; in den ersten Jahren be¬ 
kleidete er die Stelle des Vorsitzenden der Berlin-Brandenburger 
Aerztekammer. Es sei darum gestattet, dem greisen Jubilar auch 
an dieser Stelle unsere wärmsten Glückwünsche entgegenzu¬ 
bringen. M. K. 


New-Yorker Brief. 

Zum St. Pauler Aerztecongress und nach Wunderland. 

I. 

Vom Hudson zum Mississippi. 

„Wohlauf, die Luft geht frisch und rein!“ 

Was würde der ehrwürdige Vater llippokrates gesagt haben, 
wenn er den eleganten Extrazug geschaut hätte, welcher seine 
Epigonen von Hudsonbabel zum Aerztekongress in St. Paul ent¬ 
führte! Mit Allem, was modernes Raffinement bietet, wohl aus¬ 
gerüstet, flogen die mit der Creme der New-Yorker Aerzte- 
gemeinde gefüllten Pullmann’schen „Palastwagen“ dem Norden zu. 
Das elegante Milieu wäre eine sprechende Illustration zu dem 
„Dat Galenus opes“ gewesen, hätten derselben nicht die in 
lästigem Echo widerhallenden Klagen über die schlechten Zeiten 
als modifizirendes Corrigens entgegen gestanden. 

Es war schon spät am Abend, als wir New-Yorker Delegirten, 
zum grössten Theil unterder Mentorschaft holdseliger Weiblichkeit, 
den Hudson entlang nach unserer Staatshauptstadt Albany — der 
ersten Station — gelangten. Feenhaft ergossen sich die Voll¬ 
mondstrahlen auf den breiten Strom, den amerikanischen Rhein, 
welcher an Majestät sein deutsches Vorbild ebenso weit übertrifft 
als er in der Romantik hinter ihm zurücksteht. In der Nacht 
passiren wir Utica, Rom und Syraeus. 

Wie schade, dass unser Schiller niemals Gelegenheit fand, 
in diesem urklassischen Dunstkreis neue Inspirationen zu 
schöpfen 1 

Gegen Morgen erreichen wir die berühmte Bierstadt 
Rochester, welche so durch und durch deutsch ist, dass an 
manchem Schaufenster angeschrieben steht: „Hier wird englisch 
gesprochen“. Deutsche Namen, wie Müller, Schulze, Wagner 
und Schmidt prävaliren durchaus auf den Geschäftsschildern. 

Der erste Morgenstrahl trifft uns in der Büffelstadt (Buffalo) 
an den blauen Ufern des Eriesees. Die eben erst eröffnete pan¬ 
amerikanische Ausstellung veranlasst einen Theil unserer Gesell¬ 
schaft zu einem vorübergehenden Aufenthalt. Das Areal der 
Ausstellung ist zwei ein halb Mal so gross als dasjenige der Welt¬ 
ausstellung in Chicago. Die Ausstellungsgebäude sind in moder- 
nisirtem spanischen Renaissancestil gehalten und erinnern durch 
ihre prächtigen Farbenmischungen an ein grosses Spektrum, so 
dass man die Ausstellung nicht ganz mit Unrecht die Regen¬ 
bogenstadt taufte. 

Die Nähe der Niagara-Fälle ermöglichte die Herstellung 
einer Elektrizitätsquelle, welche unerreicht dasteht, denn sie ge¬ 
währt das unerhörte Schauspiel einer Konstellation von einer 
halben Million elektrischer Lampen nebst einhundert Schein¬ 
werfern. Ausserdem ist noch genug Kraft für einen elektrischen 
Thurm und einen ungeheuren Lichthof für elektrische Fontänen 
übrig geblieben, deren Farbenspiel einzig zu nennen ist. 

Der hygienische Theil der Ausstellung ist ganz besonders 
sehenswerth und übertrifft die der Chicagoer Weltaussstellung, an 
welcher sich, beiläufig erwähnt, auch viele bekannte deutsche 
Instrumentenfirmen betheiligt hatten. 

Das Entgegenkommen der West-Shore Eisenbahngesellschaft 
ermöglichte einen sechsstündigen Aufenthalt am Niagara, so dass 
wir eines der grössten Naturschauspiele der Welt wiederum be¬ 
wundern konnten. Es lohnt sich wirklich, nur um diese Fälle 
anstaunen zu können, eine Ozeanreise zu unternehmen. Eine 
Beschreibung sollte man gar nicht versuchen, denn weder die 
Sprache noch der Pinsel sind im Stande, auch nur entfernt einen 
Begriff von der unendlichen Grösse und der beispiellosen Schön¬ 
heit dieses Naturwunders wiederzugeben. 

Wir amüsiren uns auf der kanadischen Seite der Fälle über 
unsere englischen Nachbarn, deren puritanische Denkweise sie 


doch nicht hindert, uns am heiligen Sonntag den unverschämten 
Brückenzoll von 15 Cent pro Kopf (60 Pfg.) abzufordern, worüber 
in allen möglichen europäischen und amerikanischen Idiomen 
weidlich raisonnirt wurde. 

Unser berühmter Landsmann Carl Schurz behauptete ein¬ 
mal, und nicht ganz mit Unrecht, dass eine der bekanntesten 
deutschen Nationaleigenschaften die Lust zum Raisonniren wäre. 
Hätte er an jenem Sonntagmorgen mit uns am Niagara gestanden, 
so würde er entdeckt haben, dass auch andere Zungen in dieser 
manchmal recht erfolgreichen Charaktereigenthümlichkeit ganz 
Erkleckliches leisten, denn wir hörten unter anderem Flüche, 
welche an den Kjöleu ebenso heimisch sind, als andere am 
unteren Absatz des italienischeil Stiefels. 

Am Nachmittag ertönte das Abfahrtssignal. Leider mussten 
wir den Kollegen Marston, einen unserer meist versprechenden 
jungen Orthopäden, im Hotel zurücklassen, da er in der Nacht 
plötzlich erkrankt war. Es entwickelte sich, wie wir nachträg¬ 
lich erfuhren, eine schwere Pneumonie. 

Durch lachende Fluren, herrlich grünende Wälder, an tief¬ 
blauen Seen und freundlichen Dörfern und Gehöften vorbei trug 
uns das Dampfross nun weiter dem Norden zu. 

Am Abend gelangten wir in das kanadische Städtchen 
St. Thomas, wo unser Maitre de plaisir in einer eigenartig idylli¬ 
schen Anwandlung den Abendimbiss bestellt hatte. Unsere An¬ 
kunft bedeutete für das kleine Nest ein Ereigniss. 

Die Sonntagsruhe in Kanada ist nämlich perfekt. Da der 
Gerechte sich bekanntlich seines Viehs erbarmt und man in 
Kanada sehr gerecht ist, so lässt sich im Dominium seiner briti¬ 
schen Majestät nur schwer am Sabbath ein Vehikel auf treiben. 
Es gab zwar in diesem arkadischen Viertel eine veritable elek¬ 
trische Strassenbahn, aber auch diese war am Sonntag an die 
Kette gelegt worden. 

Einer so distinguirten Invasion konnten jedoch selbst die 
braven Kanadier, von welchen wir mit Unrecht in der Schule 
lernten, dass sie „Europas übertünchte Höflichkeit nicht kennten“, 
nicht widerstehen. Der hohe Magistrat der guten Stadt des 
heiligen Thomas hatte ein Einsehen und so vollzog sich dann 
das unerhörte Schauspiel, dass die sämmtlichen Tramwagon der 
Stadt — es waren 2 an der Zahl — mit ärztlichen Männlein 
und Weiblein zum Platzen gepfropft an dem tonangebenden Hotel 
der Stadt vorfuhren. 

Dort hatte sich namentlich der weiblichen Insassen bereits 
eine erhebliche Aufregung bemächtigt. Hinter einem Dutzend 
langer, sauber gedeckter Tische standen ebenso viele weissgeklei¬ 
dete Jungfrauen in jenem lieblichen Alter, von welchem zu 
schweigen eine des Berichterstatters angenehmster Pflichten ist. 
Nur an das Kopfende einer einzigen Festtafel hatte sich eine 
reizende blonde Kanadierin aufgestellt und im Nu, wer weiss 
wie das geschah, war sie dicht umschwärmt. Natürlich waren 
es die jüngeren Hagestolze, deren scharfer Instinkt ihnen sofort 
die pikante Richtung gezeigt hatte. 

Unsere Sektion war weniger glücklich. Der Noth gehorchend, 
nicht dem eig’nen Trieb’, lancirten wir uns unter die Aegide 
eines mittelalterlichen Mägdeleins, deren Formen einen Rubens 
mit Nichten begeistert haben würden. 

Ihren beinahe zahnlosen Mund — „nur eine morsche Säule 
zeugt von vergang’ner Pracht“ — umspielte ein holdseliges 
Lächeln, welches in grobem Gegensatz zu den sauer-süssen Phy¬ 
siognomien unserer Tischgenossen stand. 

Während in wüstem Herumrennen eine kongestionirte teller¬ 
bewaffnete Hebe auf die andere platzte, dass es von zerbrochenem 
Geschirr regnete, suchten wir uns bei Roastbeef und Spargeln, 
deren spindeldürres Ansehen ein reizendes Pendant zu den For¬ 
men ihrer Spenderinnen bildeten, mit unserem Schicksal zu ver¬ 
söhnen. 

Geistigen Zuspruch gab es in diesem Mässigkeitsdunstkreis 
nicht, so dass Einige Ihre Rechnung mit ihrem ärgsten Feind, ge¬ 
nannt Aqua vulgaris, machen mussten, um damit ihren stein¬ 
harten Fisch und Aerger hinunterzuspülen. 

Unsere Ceres bat übrigens in rührenden Worten um Ent¬ 
schuldigung für ihre Aufregung, da sie zum ersten Mal in einer 
derartigen Gesellschaft servirte. 

Am Tisch des blonden Titianköpfchen3 war es unterdessen 
gar wunderlich zugegangen und es schien, als ob es seine 
schwersten Batterien aufgefahren hätte. Schwer wurde die Tren- 


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MUENCHENER MEDICINISCÖE WOCHENSCHRIFT. 


No. 31 


130$ 


nung empfunden und junge und alte Nichtsnutze überboten sich 
in Kussbändchen. 

Als wir zum Bahnhof zurüekkehrten, hatte die gesammte 
Einwohnerschaft Spalier gebildet. Die jungen Burschen johlten 
und rosige Mägdelein schwenkten die Taschentücher und er¬ 
rötbeten bis an die Fussspitzen. Honny soit qui mal y pense! 

Golden senkte die Abendsonne ihren Abschiedsgruss auf 
die üppigen Kornfelder, als wir uns den grossen Seen näherten, 
welche eine natürliche Grenzlinie zwischen dem Kronland und 
der grossen Republik ziehen. 

Bei der Grenzstadt Windsor schiffte sich unser Zug auf 
einem ungeheueren Fährboot ein, welches ihn zu dem gegenüber¬ 
liegenden Detroit bringen sollte. Es war das erste Mal, dass ich 
ein derartiges Trajeet sah und konnte ich nicht genug staunen 
über die Einfachheit und die Akkuratesse, mit welcher die Fergen 
diesen kolossalen Speditionsmechanismus bemoisterten. Wir ver- 
liessen unsere Coupes und berauschten uns auf dem Verdeck der 
Fähre an dem feenhaften Anblick, welchen die Wasserfläche, be¬ 
gossen von dein Silber des Vollmonds und umrahmt von den 
Tausenden der elektrischen Bogenlichter, wie sie die Stadt 
Detroit ganz einzig aufzuweisen hat, gewährt. 

Unter den Flügeln der Nacht durchquerten wir den Staat 
Michigan. Die meisten unter uns ruhten bald selig in Morpheus 
Armen. Die übliche Minorität liess im Rauchsalon noch einmal 
die Ereignisse des Tages Revue passiren. Das Sujet war natür¬ 
lich St. Thomas mit den zwölf lieblichen Jungfrauen. Sauersüss 
lächelnd ulkte ein Confrater den anderen an, nur ein junger 
Duckmäuser sass in tiefes Schweigen versunken in der Ecke und 
wischte sieh stillvergnügt seinen schneidigen Schnurrbart. 

Die rosenfingerige Eos leuchtete zu unserer Einfahrt in die 
grosse Stadt der Winde — Ihnen als Chicago bekannt — wo sich 
uns einige der Koryphäen am Michigansee zugesellten. 

Noch zwei weitere Stunden Fahrt durch den urdeutschen 
Staat Wisconsin und die Bieressen Milwaukees grüssten freund¬ 
lich durch den dämmernden Morgen. Hier wurde unser Sehnen 
nach einem soliden Speisewagen gestillt und ein vorzügliches 
Frühstück entschädigte uns für die wenig congenialen Fleisch¬ 
töpfe Canadas. Die letzteren hatten mehreren unserer ver¬ 
wöhnten New-Yorker so schwer im Magen gelegen, dass um die 
Mitternachtsstunde eine förmliche Hedschra entstand. In die 
wenig sanftmüthigen Coramentare der nächtlichen Wanderer 
mischte sich das verhaltene Kichern des resistenteren tertius 
gaudens. Quod dii bene vertantl 

Um die Mittagsstunde erreichten wir den Mississippi. 
Seit der Kindheit fröhlichen Tagen, als ich die wundersamen 
C o o p e Eschen Lederstrumpfgeschichten mit Heisshunger ver¬ 
schlang, war es ein Herzenswunsch gewesen, den Vater der 
Ströme, diesen Brennpunkt indianischer Romantik, von Angesicht 
zu bewundern. Fürwahr, er ist es werth, in den Mittelpunkt 
poetischer Schilderungen gerückt zu werden! Seine ruhige 
Majestät, seine blaue Fluth, seine geheimnissvollen Ufer ver¬ 
leihen diesem ungeheueren Strom, gegen welchen der alte Vater 
Rhein wie ein Waisenknäblein erscheint, ein unaussprechliches 
Gepräge und wird man von dem Gefühl andachtsvoller Bewunde¬ 
rung einfach überwältigt. 

Interessant erscheinen die Mississippidampfer, deren ge¬ 
waltiges Schaufelrad am Ende des Fahrzeugs angebracht ist. 
Hier, auf der Route zwischen St. Paul und St. Louis, fand der 
geniale Humorist Mark Twain, als er in seiner Sturm- und 
Diangperiode den Posten eines Mississippisteuermannes be¬ 
kleidete, die Anregung zu seinen reizenden Schnurrpfeifereien. 

Von der Station La Crosse im ackerbauenden Staate Wis¬ 
consin spannt sich in ungeheuerem Bogen die berühmte Brücke 
nach Minnesota hinüber. Der Brückenbau, ein Triumph der 
Ingenieurkunst, war dadurch erleichtert, dass der Mississippi 
der Bahngesellschaft die Gefälligkeit erwiesen hatte, sich hier 
in drei durch kleine Inselgruppen separirte Arme zu theilen, 
so dass der Bau in drei einzelnen Etappen durchgeführt werden 
kennte. 

In Le Crosse wurde uns von einem alten schnauzbärtigen 
Bahnhofsbonzen ein Mittagsmahl verabreicht, dessen Vorzüglich¬ 
keit in umgekehrtem Verliältniss zu der eigenartigen Derbheit 
seines Auftretens stand. Der Preis desselben war enorm niedrig, 
und es hiess, dass dieser sonderbare Kauz seine specielle Hoch¬ 
achtung vor der medicinischen Fakultät auf diese merkwürdig 
interessante Weise dokumentiren wollte. 


Zu unserer nicht geringen Freude brachte uns hier Herr 
Kollege Christiansen aus St. Paul den officiellen Willkomm 
seiner Heimathstadt. 

Nun ging es an den Ufern des Mississippi entlang, an 
blühenden Städten und bewaldeten Bergen vorbei, nach Hastings, 
wo unser getreuer Reisemarschall, der bekannte Gynäkologe 
W i g g i n, noch einmal Revue passiren liess. 

Wyeth, der Präsident der medicinischen Gesellschaft des 
Staates New-York (Tags darauf zum Präsidenten der American 
Medical Association erwählt) erliess nun eine seiner humordurch- 
tränkten Mahnungen. (W y e t h ist Ihnen durch seine Me¬ 
thode der prophylaktischen Blutstillung bei der Amputation der 
Hüfte rühmlich bekannt.) Auf ein ungeheueres Bierfass, nicht 
ohne gewaltige Anstrengungen kletternd, welches eigens zu diesem 
Zweck von einem Philanthropen dahin tranportirt zu sein schien, 
gab er ein Resume unserer so überaus befriedigend verlaufenen 
Reise und unserer mannigfachen Abenteuer. Das Leitmotiv 
derselben war natürlich wieder die pikante Episode in dem 
canadischen Temperenzwinkel. 

Ich bin thatsächlich noch nie Zeuge einer so einmüthigen 
Uebereinstiinmung von Aerzten unter einander gewesen, als es auf 
dieser Wallfahrt der Fall war. 

Unter mächtigen Hurrahs, an denen sich auch das sogen, 
schwache Geschlecht enthusiastisch betheiligte — ein Salamander 
konnte in Abwesenheit des nöthigen Stoffes nicht gerieben 
werden — wurde Wyeth von seiner improvisirten Rostra 
heruntergeholt. Eine Stunde später dampften wir seelenvergnügt 
in die Bahnhofhalle von St. Paul ein. 

Carl Beck- New-York. 


Verschiedenes. 

Ein neues Tonslllotom wird von der Fabrik chirur¬ 
gischer Instrumente Kühne, Sievers & Neumann in Külu- 
Nippes unter dem Namen „schraubenloses Tonslllotom Simplex“ 
in den Handel gebracht. Wie aus dieser Bezeichnung schon hervor¬ 
geht, vermeldet das Instrument die Anwendung irgend welcher 
Schraube, kann aber doch, in Folge seiner sehr sinnreichen Kon¬ 
struktion sehr leicht zerlegt und gereinigt und ebenso leicht wieder 
zusammengesetzt werden. Die beigefügten Abbildungen lassen 
den Bau des Instruments erkennen. Flg. 2 zeigt das Untertbell, 
in dieses wird das Messer. Flg. 3. von oben hineingeschoben. 
Beide Theile werden durch die Verschlussfeder, Fig. 4, zusammen- 
gefügt, indem man den Stift der Feder in die Nute des Unter- 
theiis einsetzt und die Feder von rechts nach links mit ihrem 
Kopf einspringen lässt. Fig. 5 zeigt die Gabel und Flg. 1 das 
gebrauchsfertige Instrument. Belm Auseinandernehmen liebt man 
zuerst die Gabel vorue etwas und zieht sie zurück. Darauf wird 
die Feder von links nach rechts ausgehoben und das Messer 
aus dem Unterthell herausgezogen. Das Tonslllotom hat sich auch 
im Gebrauch bewährt und dürfte einen Fortschritt gegenüber den 
bisherigen Instrumenten darstelleu. 



Unanständiger Praxiserwerb. 

Die Genernldlrektlou der k. b. Staatselsenbahnen ersucht uns 
unter Bezugnahme auf das ln voriger Nummer dieser Wochen¬ 
schrift veröffentlichte Circular des prakt. Arztes Dr. F. Seul- 
m a i e r um Aufnahme der Mittheilung, dass derselbe seit dem 
1. Juli 1. J. aus dem bahn- und kassenärztlichen Dienste ausge- 
sebieden ist. 


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20. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1369 


Therapeutische Notizen. 

Ueber das J o d i p 1 n (Merck) liegt eine Reihe weiterer Ver¬ 
öffentlichungen vor, welche zeigen, dass das Mittel in der That 
weiterer Beachtung und Anwendung werth ist. G r o u v e n-Bonn 
hat das Präparat ln der Bonner dermatologischen Klinik ange¬ 
wendet und zwar hauptsächlich im sogen. TertiUrstadlum der 
SyphlliB, entweder mittels interner Darreichung von 3 mal täglich 
1 Theelöffel des 10 proc. oder mittels subkutaner Einver¬ 
leibung des 25 proc. Jodiplns. Bevorzugt wurde die Injektions¬ 
therapie. Die Resultate waren im höchsten Grade zufrieden¬ 
stellend, nlemalB traten Erscheinungen von Jodismus oder sonstige 
Uuzutriiglickkeiten ein, der therapeutische Erfolg entsprach voll¬ 
kommen dem einer energischen Jddkalibehandlung. (Areli. f. Der¬ 
matol u. Sypli. LVII. Bd., 1. u. 2. H.) — Versuche ln der Bins- 
wange Fachen Klinik ln Jena zeigten ebenfalls, dass das Jodipin 
den Vorzug vor allen anderen Jodmitteln verdient. Die subkutane 
Anwendung erschien als die bequemste, sicherste, wirksamste und 
den Patienten ln keiner Weise belästigende Form des Gebrauches. 
Jodismus trat nicht oder nur ganz unbedeutend auf. Nach den 
Erfahrungen B 1 n s w a n g e r’s wirkt das Jodipin günstig bei 
allen tertiären gummösen Formen der Syphilis cerebrl und der 
8yphili8epilep8le, soweit dieselbe auf gummösen Processen in den 
Meningen oder der Gefässwand beruht. Bei Fällen postsyphiliti- 
scber Erkrankungen, bei der Tabes und der progressiven Paralyse 
vermag es langdauernde weitgehende Remissionen zu bewirken, 
wenn die Fälle noch frisch sind und es sich um Mischformen des 
diffusen degenerativen Hirnrindenprocesses mit gummösen Neu¬ 
bildungen handelt. Vielleicht kann auch in früheren Stadien der 
Erzeugung des Syphilistoxins und damit dem weiteren Fort¬ 
schreiten der durch das Syphilisgift verursachten degenerativen 
Erkrankung Einhalt gethan werden. Bei älteren Fällen von pro¬ 
gressiver Paralyse ist die Jodipinbehandlung wirkungslos. 
fW anke: Erfahrungen Uber die Anwendung des Jodipins. Cor- 
resp.-Bl. d. Allg. ürztl. Ver. von Thüringen, 1001, No. 6 u. 7.) 
Meyer- Badenweller sah günstige Wirkung von der inneren Dar¬ 
reichung des Jodipins bei Struma (Deutsch. Aerzteztg. 1901, H. 14). 
Baum- Halle resumirt in einem Bericht Uber die Anwendung und 
therapeutischen Indlcationen des Jodipin (Therap. Monatssclir. 
1901, Juni) dahin, dass das Jodipin überall da anzuwenden ist, 
wo Jodkali am Platze ist, namentlich aber da, wo dieses schlecht 
vertragen wird, wo es versagt oder wo Abwechslung ln der Be¬ 
handlung erwünscht ist. R. S. 

10proc. Lysoform-Dermosapol bei Psoriasis 
fviin d jjppu8. Rohden-Bad Lippspringe empfiehlt in No. 32 
der Deutsch, me d. Wo chen sehr, auf das Angelegentlichste die t An¬ 
wendung det* Dermosapötpräparate (neutraler Leberthrause’ifen- 
bnlsam bei Psoriasis, sowie tuberkulösen und skrophulöseu Haut- 
affektionen. Insbesondere hat sich ihm das lOproc. Lysoform-Dermo- 
sapok welches sich durch relative Reizlosigkeit und angenehme 
Anwendungsweise etc. auszeichnet, bei einer Anzahl von hart¬ 
näckigen Psoriasis- und Lupusfällen sehr bewährt. Der Heilungs- 
process schreitet hiebei vom Centrum nach der Peripherie fort, so 
dass zuletzt nur noch ein wallartlger Rand bleibt, der bei fort¬ 
gesetzter lokaler und allgemeiner Inunctlon (täglich 2 mal ein 
Theelöffel eine Minute lang auf Brust, Bauch und Rücken) ver¬ 
schwindet. F. L. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 20. August 1901. 

— Die ärztlichen Bezirksvereine in Leipzig 
haben wegen des einseitig das Interesse der Knsse wahrnehmeuden 
Verhaltens der k. Kreishauptmannschaft beim Zustandekommen 
und bei der Annahme des neuen Vertrages mit der Ortskranken¬ 
kasse eine Beschwerde an das Ministerium des Innern gerichtet. 
Diese Beschwerde wurde von dem Ministerium des Innern mit der 
Eröffnung abgewiesen, dass die Regierung keinen Anlass sehe, der 
Krelsbanptmannschaft Oberaufsichtswegen entgegenzutreten. In 
der Verfügung heisst es u. a., wenn auch die Bezirksvereine das 
gesetzlich gewährleistete Recht hätten, die Interessen der Aerztc 
thutkräftig wahrzunehmen, so sei es doch andererseits dringend zu 
wünschen, dass dabei und zwar ebenso im allgemeinen, wie im 
Interesse der Aerzte selbst, ein schroffes, der Nachgiebigkeit er¬ 
mangelndes Vorgehen möglichst vermieden werde. In dieser 
Schlussbemerkung erblicken die ärztlichen Bezirksvereine einen 
gegen sie gerichteten Vorwurf, gegen den der Bezirksvercln Leip¬ 
zig-Stadt in seiner letzten Versammlung in einer neuen Eingabe 
an die Regierung zu protestireu beschlossen hat. Die Eingabe 
lietont, dass die Bezirksvereine an dem Streit keine Schuld trügen, 
dass aber dem Krankenversicherungsamte der Stadt Leipzig der 
Vorwurf gemacht werden müsse, den Ausbruch des Konfliktes, auf 
den es rechtzeitig aufmerksam gemacht worden sei und den es auf- 
zuhalten in der Lage gewesen sei, seinerseits direkt verschuldet 
zu haben. — Auch diese Eingabe wird auf das Ministerium schwer¬ 
lich grossen Eindruck machen. Die sächsischen Aerzte haben, wie 
die Ereignisse der letzten Jahre immer wieder gezeigt haben, bei 
ihren Bestrebungen zur Verbesserung ihrer Lage auf Unterstützung 
seitens der Regierung nicht zu hoffen; die staatliche Organisation 
erweist sich ihnen geradezu als Hemmschuh. Mehr als irgendwo 
anders im Reich sind in Sachsen die Aerzte auf Selbsthilfe 
angewiesen. Es ist kein Zufall, dass der wirtbschaftlicho Verband, 
der In nichtstaatlicher Organisation die Aerzte zum wirthschaft- 


lichen Kampfe zu einen sucht, gerade in Sachsen in’s Leben ge¬ 
treten ist. 

— Pest. Aegypten. In der Zeit vom 26. Juli bis 2. August 
wurden in Zagazig 2 Pesterkrankuugen (kein Todesfall), ln Ale¬ 
xandrien 0. in Port Said 2 festgestellt. — Britisch-Ostiudlen. 
Während der am 12. Juli abgelaufenen Woche wurden in der 
Präsidentschaft Bombay 1447 Pesterkrankuugen und 1105 Test- 
todesfülle festgestellt. In der Stadt Bombay zählte man während 
der am 13. Juli endenden Woche 78 Neuerkrankungen und 79 
Todesfälle an der Pest, ausserdem wurden 166 Sterbefälle als 
peetverdüchtig bezeichnet; gestorben sind insgesammt 692 Per¬ 
sonen. — Hongkong. Während der vier Wochen vom 8. Juni bis 
6. Juli sind in der Kolonie 151—155—62—47 Erkrankungen und 
151—152—61—46 Todesfälle an der Pest amtlich bekannt geworden. 
Die starke Ausbreitung, welche die Pest in der Kolonie gefunden 
hat, wird auf den Widerstand der chinesischen Bevölkerung gegen¬ 
über den Massnahmen der Regierung zurückgeführt. Die Chinesen 
verabscheuen europäische Krankenbehandlung und wollen diePest- 
leichen nur nach eigenen religiösen Bräuchen bestattet wissen; 
mehr als 70 000 Chinesen sollen die Kolonie bereits verlassen 
haben. — Kapland. In der am 13. Juli abgelaufeneu Woche 
wurden in der ganzen Kolonie 8 Pesterkrankuugen angezeigt; 
die Zahl der an Pest Gestorbenen, elnschl. der aufgefundenen 
Leichen, betrug 3. — Brasilien. Von den 3 ln Rio de Janeiro am 
5. Juli festgestellten Pesterkrankungen ist eine tödtlich ver¬ 
laufen. — Queensland. Am 28. Juni wurden wieder 2 Neuerkrank¬ 
ungen, darunter eine mit tödtlichem Ausgange, angezeigt. — 
Britlsch-Ostindlen. In Kalkutta erkrankten und starben in der 
Zeit vom 30. Juni bis 6. Juli 15 Personen an Pest. 

— In der 31. Jahreswoche, vom 28. Juli bis 3. August 1901, 
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Beuthen mit 50,4, die geringste Koblenz mit 11,4 
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Masern in Borbeck, Ludwigshafeu; 
an Unterleibstyphus ln Freiburg. 

(Hoch8chulnacli richten.) 

Berlin. Prof. Dr. med. R. Renvers, Direktor des 
Berliner städtischen Krankenhauses Moabit, der die Kaiserin 
Friedrich behandelt hat, ist zum Geh. Mediciualrath ernannt 
worden. 

Heidelberg. Prof. Dr. Marwedel, Assistent an der 
chirurgischen Klinik, wurde als Nachfolger von Prof. Dr. Müller 
zum chirurgischen Oberarzt des Louisenhospitales zu Aachen er¬ 
wählt. 

Rostock. Prof. Dr. Willi. Müller, Oberarzt der Chirurg. 
Abtheilung des Louisenhospitals zu Aachen ist als Direktor der 
chirurgischen Klinik und ordentlicher Professor der Chirurgie au 
die Universität Rostock berufen und wird diesem Rufe Folge 
leisten. 

Bologna. Der ausserordentliche Professor der Materia 
medica und Pharmakologie Dr. J. N o v i wurde zum ordentlicheu 
Professor ernannt. 

Löwen. Dem Professor van Gebuchten wurde der 
belgische Fünfjahrespreis für medicinische Forschungen im Be¬ 
trage von 5000 Fr., und zwar für seine Untersuchungen über das 
Gehirn und das Rückenmark verliehen. 

Rennes. Dr. Laurent wurde zuin Professor der Phar- 
macie, Dr. Lenormand zum Professor der medicinlschen 
Schule ernannt. 

Rouen. Dr. Bataille wurde zum Professor der Ana¬ 
tomie ernannt. 

(Todesfälle.) 

Der Privatdocent für Psychologie Dr. med. A. A. Tokarskl 
in Moskau, 42 Jahre alt. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Gestorben: Dr. v. Wächter in Memmingen, 80 Jahre alt. 


Amtlicher Erlass. 

CB a y e r n.) 

No. 10 849 b. München, den 27. Juli 1901. 

K. Staatsministerinm des Innern. 

Betreff: 

Die Verhandlungen der Aerztekammern im Jahre 1900. 

Auf die Verhandlungen der Aerztekammern Bayerns vom 
29. Oktober 1900 ergeht nach Einvernahme des K. Obermedicinal- 
ausschusses nachstehende Verbescheidung: 

1. Sümmtliche Aerztekammem haben die Bitte gestellt, die 
K. Staatsregierung möge ihren Einfluss geltend machen, dass beim 
nächsten Zusammentritt der Kammer der Abgeordneten die baye¬ 
rische Aerzteordnung sobald als möglich zur Beratliung gestellt 
werde. 

Das K. Staatsministerium des Innern wird nicht ermangeln, 
diesen Wunsch nach Thunliehkeit in Bedacht zu halten. 

2. Sümmtliche Aerztekammem haben aus Anlass der König¬ 
lich Allerhöchsten Verordnung vom 17. Dezember 1899, den Voll¬ 
zug des Impfgesetzes betreffend, die Bitte gestellt, dass vor dem 
Erlass ähnlicher für den Aerztestand wichtiger Bestimmungen 
jedesmal die Aerztekammem oder der erweiterte Obermedicimil- 
ausscliuss gutachtlich einvemonimen werden. 

Dem seither schon festgebaltenen Grundsätze, hoi allen wich¬ 
tigeren Maassuahmen auf dem Gebiete der Sanität'Verwaltung 


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1370 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


die ärztlichen Vertretungen vorher gutachtlich zu hören, wird auch 
in Zukunft Rechnung getragen werden, insoweit nicht etwa be¬ 
sondere Dringlichkeit solches unthunlich erscheinen lassen sollte. 

3. Dem von allen Aerztekammern mit Ausnahme der Kammer 
der Oberpfalz und von Regensburg gestellten Anträge, dass alle 
wichtigeren zu erlassenden Gesetze. Verordnungen, olrerpollzel- 
liehen Vorschriften und Entsehliessungen auf ärztlichem Gebiete 
Jedem Arzte durch unentgeltliche Zusendung eines Abdruckes zur 
Ivenntniss gebracht werden, oder dass den Bezirksvereinen die er¬ 
forderliche Anzahl von Abdrucken zur Verfügung gestellt werde, 
kann mit Rücksicht auf die Konsequenzen, welche sich anderen 
Berufeständen gegenüber ergeben würden, eine Folge nicht ge¬ 
geben werden. Es wird Jedoch Vorsorge getroffen werden, dass 
von bezüglichen Nummern des Gesetz- und Verordnungsblattes 
des K. Staatsrainisteriums des Innern eine grössere Auflage er¬ 
stellt und verfügbar gehalten werde, so dass ohne besondere 
Schwierigkeit und ohne grössere Auslage Abdrücke durch die Post 
bezogen werden können. 

4) Mit Ausnahme der Aerztekammer der Pfalz haben alle 
Aerztekammern gebeten, es möchte die Bestimmung, dass der Be¬ 
zirksarzt den Annen seines Bezirkes ärztliche Hilfe unentgeltlich 
zu leisten habe, aufgehoben und den Bezirksärzteu gestattet wer¬ 
den, für Armenbehandlung unter den gleichen Bedingungen wie 
die praktischen Aerzte Bezahlung von der zuständigen Armen¬ 
pflege zu verlangen. 

Eine analoge Bitte hat die Aerztekammer von Uuterfranken 
und Aschaffenburg auch bezüglich der bezirksiirztlicheu Behand¬ 
lung erkrankter Gendarmen gestellt. 

Diese Bitten wurden zur Keuntniss genommen und werden 
weiter in Erwägung gezogen werden. 

5. Mit Ausnahme der Aerztekammern von Oberbayern und 
der Pfalz haben alle Aerztekammern eine Erleichterung bezüglich 
der Erstattung von Jahresberichten durch die eine Staatsanstel¬ 
lung anstrebenden praktischen Aerzte in Anregung gebracht. 

Es liegt im Interesse dieser Aerzte, den zuständigen K. Kreis¬ 
regierungen und Krei8medicinalausschtt8seu auch durch Einsen¬ 
dung von Jahresberichten und anderen wissenschaftlichen 
Arbeiten Material für die alljährlich stattflndende Qualifikation 
zu geben, da letztere bei Beurtheilung der Bewerber um Amts- 
arztsstellen von grosser Bedeutung ist. 

Mit Rücksicht hierauf kann auf die alljährliche Einsendung 
solcher schriftlicher Arbeiten nicht verzichtet werden. Dieselben 
bilden aber auch schätzbares Material für den alljährlich er¬ 
scheinenden Generalbericht Uber die Sanitätsverwaltung im König¬ 
reiche Bayern, welcher nunmehr als einer der ersten unter den 
gleichartigen Berichten der deutschen Bundesstaaten erscheint 
und auch in Zukunft möglichst frühzeitig erscheinen soll. Letzterer 
Umstand verbietet die Hinausschiebung des Einlieferungstermins 
für die erwähnten Arbeiten. 

Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, dass grössere 
wissenschaftliche Arbeiten mediciuischeu Inhalts in beiden Rich¬ 
tungen ebenso verwendbar sind, wie die schriftlichen Jahres¬ 
berichte; es werden daher solche Arbeiten sowie im Druck er¬ 
schienene Vorträge als den Jahresberichten gleichwertig erachtet 
werden. 

<5. Der von mehreren Aerztekammern gestellte Antrag, den 
Beginn des Unterrichts an den beiden untersten Schulklassen für 
die Wintermonate im ganzen Königreich auf 9 Uhr Vormittags 
zu verlegen, und der von der Aerztekammer Oberbayerns gestellte 
Antrag, das Schuljahr in den Volksschulen mit dem Sommer¬ 
semester beginnen zu lassen, wurden dem K. Staatsministerium 
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten zur zuständigen 
Würdigung übermittelt. 

7. Die oberbayerische Aerztekammer hat das Ersuchen ge¬ 
stellt, die in den oberpolizeilichen Vorschriften vom 20. Novem¬ 
ber 1885 festgesetzten ärztlichen Leichenschaugebühren einer Re¬ 
vision unterziehen und den Zeitverhältnissen entsprechend er¬ 
höhen zu wollen. 

Demgegenüber kommt jedoch in Betracht, dass sich ein all¬ 
gemeines Bedürfuis8 in dieser Richtung bis Jetzt nicht ergeben 
hat, dass ferner lokale Unbilligkeiten durch besondere Ministerial- 
entschliessung beseitigt werden können und thatsächlich beseitigt 
werden, und dass einer allgemeinen Erhöhung der Leichenschau’ 
gebühren gewichtige Bedenken entgegenstehen. 

8. Die oberbayerische Aerztekammer hat ferner das Ersuchen 
gestellt, die Bestimmung, nach welcher die Leichenschauscheine 
20 Jahre lang in der amtsärztlichen Registratur aufzubewahren 
sind, dahin abzuändern, dass behufs Ermöglichung einer fort¬ 
laufenden künftigen Orts-Mortalitiitsstatistik statt der losen, 
schwer zu handhabenden Leichenschausoheine. für deren Auf- 
bewaliruug ein Zeitraum von 5 Jahren genügen dürfte, die Leichen¬ 
schauregister nach Revision durch die Amtsärzte für mindestens 
50 Jahre der amtsärztlichen Registratur eiuverleibt werden sollen. 

Diese Anregung ist zwar an sich beachteuswerth; derselben 
steht jedoch die Rücksicht auf die Bestimmungen des Strafgesetz¬ 
buches ülH*r die Verjährung der Strafverfolgung entgegen. 

9. Die Aerztekammer Niederlmyems hat neuerdings die Bitte 
gestellt, den amtlichen Aerzten bei ihren auswärtigen Dienst- 
geschiiften Diäten zu gewähren nach Analogie mit nnderen Be- 
amtenkategorien. 

Bei der bevorstehenden Revision der Allerhöchsten Verord¬ 
nung vom 20. I)ezeml>er 1875, die Vergütung fiir ärztliche Amts¬ 
geschäfte betreffend, wird diese Bitte der Würdigung unterstellt 
werden. 

10. Die Aerztekammer der Pfalz hat den Antrag gestellt, dahin 
zu wirken, dass bei der Rerathung der Novelle zum Krankeu- 
versicheruugsgesetz in das Gesetz die Bestimmung aufgenommen 


No. 34. 


werde, dass die Geschlechtskranken auf Kosten der Kranken¬ 
kassen im Krankenhause nicht nur den Arzt und die Medikamente, 
sondern auch die Verpflegung vollständig frei haben sollen. 

Die Aerztekammer von Mittelfranken hat ferner die Bitte ge¬ 
stellt, die Iv. Staatsregierung möge durch ihre Vertretung im 
Buudesrathe so weit möglich dahin wirken, dass bei der Neu¬ 
ordnung der Krankenkassengesetze im nächsten Reichstag in den 
vorberathenden Kommlssioussltzuugen auch die Stimme der 
Aerzte gehört werde. Dessgleichen möge die K. Staatsregierung 
ihre Vertretung im Bundesrath dahin instruiren. dass sie ihre 
Stimme zu Gunsten der gesetzlichen Festlegung der freien Arzt¬ 
wahl In den Krankenkassen abgebe. 

Diese Anregungen hüben ^zur vorläufigen Kenntnissnahme 
gedient und werden im gegebenen Falle des Weiteren erwogen 
werden. 

Ein Exemplar der anruhenden 3 Abdrücke gegenwärtiger 
Eutschliessung ist dem Vorsitzenden jeder Aerztekammer zur 
Kenntnissnahme und geeigneten Verständigung der ärztlichen Be¬ 
zirksvereine zuzustelleu. 

Dr. Prhr. v. FeilitzacL 


Generalrapport Uber die Kranken der k. bayer. Armee 

für den Monat Juni 1901. 


Iststärke des Heeres: 


64 084 Mann, — Invaliden, 206 Kadetten, 148 Unteroff.-Vorschdler. 







Unter- 



Mann 

Invali¬ 

den 

Kadetten 

Offizier- 

vor- 

«chüler 

1. Bestand waren am 





31. Mai 1901: 

1924 

— 

5 

3 


im Lazareth: 

1090 


1 

5 

2. Zugang: 

im Revier: 

3036 


14 

— 

in Summa: 

4126 

— 

15 

5 

Im Ganzon 

sind behandelt: 

6050 

— 

20 

8 

°/oo der Iststärke: 

94,4 

— 

97,1 

54,0 


dienstfähig: 

4286 

— 

15 

6 


°/oo der Erkrankten: 

708,4 

— 

750,0 

750,0 


gestorben: 

8 

— 

— 

— 

3. Abgang: 

°/oo der Erkrankten: 
invalide: 

1,3 

40 

_ 

— 



dienstunbrauchbar: 

21 

— 

— 

1 


anderweitig: 

277 

— 

2 

— 

. 

in Summa: 

4632 

— 

17 

7 

4. Bestand 
bloiben am 
30. Juni 1901: 

in Summa: 

°/oo der Iststärke: 
davon im Lazareth: 
davon im Revier: 

1418 

22,1 

1001 

417 

III! 

3 

14,6 

3 

1 

6,7 

1 


Von den in Ziffer 8 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten 
an; Blutvergiftung (Septikaemio) 1, Unterleibstyphus 1, Lungen¬ 
tuberkulose 1, Hirnhautentzündung 3, eiteriger Bauchfellentzündung 
nach Blinddarmentzündung 1, chronischer Nierenentzündung 1. 

Ausserdem starben noch 8 Mann durch Unglücksfall (2 er¬ 
tranken, 1 erlitt einen Schädelbruch mit Zertrümmerung des Ge¬ 
hirns). 

Der GesammtVerlust der Armee durch Tod betrug demnach im 
Monat Juni 11 Mann. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür Mönchen 

in der 32. Jahreswoche vom 4. bis 10. August 1901. 
Betheiligte Aerzte 189. — Brechdurchfall 25 (30*), Diphtherie» 
Croup 10 (4), Erysipelas 12 (6), Intermittens, Neuralgia intern- 

— (1), Kindbettfleber 1 (—), Meningitis cerebrospin. — (—), 
Morbilli 27 (39), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 1 (—), Parotitis 
epidem. 1 (8), Pneumonia crouposa 5 (9), Pyaemie, Septikaeinie 

— (—), Rheumatismus art. ac. 12 (6), Ruhr (dysenteria) — (—)» 

Scarlatina 4 (8), Tussis convulsiva J2 (12), Typhus abdominalis 
4 (1), Varicellen 6 (12), Variola, Variolois — (1), Influenza — (—)» 
Summa 120 (128). Kgl. Bezirksamt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle In München 

während der 32. Jahreswoche vom 4. bis 10. August 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 2 (2*), Scharlach — (—), Diphtherie 
und Croup 1 (1), ßothlauf — (—), Kindbettfleber — (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) — (—). Brechdurchfall 12 (10), Unterleibtyphus 
1 (1), Keuchhusten 3 (2), Croupöse Lungenentzündung 1 (1). 
Tuberkulose a) der Lungen 17 (23), b) der übrigen Organe 12 (2), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 1 (1), Unglücksfälle 3 (8), Selbstmord l (—)» Tod darch 
fremde Hand — (—). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 201 (181), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,9 (18,8), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,2 (10,7). 

•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. F Lehmann ln München. — Druck von E. Mühlthaler'a Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München. 


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P.C Mflacb. Ucd. Wochenschr. erscheint wJWiontl. HjrT* **) TXTr< I T l7l"\TTilT"> Ztwendungen sind in adrowlren: Für dlo EodacUon 

ln Nummern tod dnrrhuchnittllrh 6 - 6 Bogen. lyl I I \ I . |-| H . \ H. |-v Otlostrame t. — Für Abonnement an J. F. Leh- 

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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


CI. Biialer, 0. Bollinger, H. Corscbnann, 

Freibarg 1. B. München. Leipzig. 

No. 85. 27. August 1901. 


Heraasgegeben von 

C. Gerhardt, 6. Merkel, J. t. Michel, 

Berlin. Nürnberg. Berlin. 

Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20. 


H. i. Ranke, 

München. 


F. i. Wlnckel, H. i. Zlenssea, 

M ünche n München. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Ueber die Aetiologie des Erysipels und sein Ver- 
hältniss zu den pyogenen Infektionen. 

Von Professor Dr. Jordan in Heidelberg. 

Die Lehre von derSpecificität des Fehleisen’schen Erysipel¬ 
streptococcus, seiner Art Verschiedenheit von dem Rosenbach- 
schen Streptococcus pyogenes wurzelte in den 80 er Jahren so 
tief, dass man die bei Erysipel auftretenden Abscesse und pyaemi- 
schen Komplikationen auf Mischiufektion mit dem Str. pyogenes 
zurückführte. Das Ergebniss der Thierimpfung bildete das 
differentielle Kriterium beider Coccen: trat am Kaninchenohr 
Erysipel auf, so lag der F e h 1 e i s e n’sche, entwickelte sich Ei¬ 
terung, so lag der Rosenbach’sclie Kettencoccus vor. 

Diese Annahme der Verschiedenheit beider Coccen eiwies 
sich bald als eine irrthümliche. Die Untersuchungen HajekV), 
Passet’s'), v. E i s c 1 s b e r g’s “), Doyen’s*), E. Fraen- 
k e l’s*), W i d a l’s *) ergaben die völlige Uebereinstimmung beider 
Coccen in morphologischer Hinsicht. Eiseisberg gelang es 
ferner mit Reinkulturen des Str. pyogenes am Kaninchenohr 
typisches, auch histologisch mit dem echten übereinstimmendes 
Erysipel hervorzurufen und Doyen, E. Fraenkel, Meie- 
rowitsch’) und W i d a 1 gelangten zu gleichen positiven Re¬ 
sultaten. Die beiden letztgenannten Forscher konnten umge¬ 
kehrt mit Erysipelstreptococoen Eiterung hervorrufen. 

W i d a 1 kam auf Grund seiner Thierversuche zu der Ueber- 
zeugung, dass die Differenz beider Mikroben nur in der verschie- J 
denen Virulenz liege. Die Resultate der Thierversuche sprachen 
somit ebenfalls für die Identität. Zum strikten Nachweis der ' 
letzteren konnte noch der Beweis der Uebereinstimmung beider 1 
Coccen in ihrer pathogenen Wirkung beim Menschen gefordert 
werden. 

Die Frage, ob der Erysipelcoccus als solcher beim Menschen 
auch Eiterung hervorrufen könne, wurde von II offa*), Eiseis¬ 
berg "), Simone 1 ®), Noorden “), W i d a 1 u ), B u m m “), 
Petruschky“) in bejahendem Sinne beantwortet, da es ihnen 


*) Hajek: Das Verhültnlss des Erysipels zur Phlegmone. 
Wien. med. Presse 1886. 

*) Passet: Ueber Mikroorganismen der eitrigen Zellgewebs¬ 
entzündung des Meeschen, Fortschritte der Medlcin 1885. 

*) v. Eiseisberg: Nachweis von Eryslpelcoccen ln der 
Luft Chirurg. Krankenzimmer. Areh. f. klin. Chirurg. Bd. 35. 

*) Doyen: Rapports, qui unlsseut l’Grysipöle et la flövre 
puerpörale. Paris 1888. 

•) E. Fränkel: Zur Lehre von der Identität des Strept. 
pyog. und erysipel. Centralbl. f. Bacteriol. Bd. 4. 

*) W I d a 1: Etüde sur l’infection puerpörale, la phlegmatia 
alba dolens et rSrysipfde. Paris 1889. 

T > Meierowitsch: Zur Aetiologie des Erysipels. Central¬ 
blatt f. Bacteriol. Bd. 3. 

*) Hoffa: Bacteriol. Mittheilungen aus der Chirurg. Klinik 
Würzburg. Fortschritte der Medlcin 1886. 

*) 1. c. 

**) Simone: Centralbl. f. Chirurg. 1885. 

") Noorden: Ueber das Vorkommen von Streptococcen im 
Blut bei Erysipel. Münch, med. Wochensclir. 1887. 

Widal: 1. c. 

”) Bumm: Die puerperale Wundinfektion. Centralbl. f. 
Bacteriol. Bd. 2 ,1887. 

“) Petruschky: Untersuchungeu über Infekt, mit pyog. 
Coccen. Zeltschr. f. Hygiene Bd. 18. 

No. 3Ü. 


gelang, aus den bei Erysipel auftretenden Abscessen Strepto¬ 
coccen rein zu züchten, die am Kaninchenohr typisches Erysipel 
hervorriefen. Durch den von Pfuhl“) und Petruschky 
erhobenen Befund von Streptococcen im kreisenden Blut wurde 
ferner der Nachweis erbracht, dass auch die Allgemeininfektion 
und die Metastasen durch den in die Blutbahn übertretenden 
Erysipelcoccus bedingt werden. 

Durch Impf versuche Petruschky’s und durch klinische 
Beobachtungen ist sicher festgestellt, dass der aus Eiter gezüch¬ 
tete Str. pyogenes auch beim Menschen typisches Erysipel zu er¬ 
zeugen vermag. Zu therapeutischem Zweck nahm Petruschky“) 
bei 2 Frauen, die an inoperablem Carcinomrecidiv der Mamma 
litten, eine kutane Impfung mit Reinkulturen eines von eiteriger 
Peritonitis (puerperalis) stammenden Streptococcen vor und er¬ 
zeugte typisches Erysipel, das in dem einen Fall einen schwereren, 
in dem anderen einen leichteren Verlauf nahm, in beiden aber 
zur Heilung gelangte. Durch diese positiven Impfversuche war 
die Beweiskette bezüglich der Identität des Str. erysip. und pyo¬ 
genes geschlossen. 

Eine fast einem Experiment gleichkommende klinische Be¬ 
obachtung wurde von S i p p e 1 IT ) 1898 mitgetheilt: Bei einer 
I. Para, deren behandelnde Hebamme kurz vor der Geburt einen 
Wundverband bei Erysipel gemacht hatte, stellte sich eine schwere 
Puerperalinfektion mit linksseitiger Parametritis und Peritonitis 
ein und es entwickelte sich unter hohem Fieber ein parametri- 
tischer Abscess, der durch breite Incision oberhalb des Poupart- 
schen Bandes entleert wurde. An der Incisionsöffnung trat zwei 
Tage nach dem Eingriff ein Erysipel auf, das sich über den 
Bauch, Rücken und die Oberschenkel ausbreitete. Der durch 
die Hebamme übertragene Erysipelcoccus hatte also zunächst in 
dem parametranen Bindegewebe zur Eiterung und dann, als ihm 
die Möglichkeit gegeben war in die Lymphspalten der Cutis ein¬ 
zudringen, wieder zu Erysipel geführt. Sippel selbst führte 
übrigens merkwürdiger Weise diese, die verschiedene Wirkungs¬ 
fähigkeit des Streptococcus auf’s schärfste illustrirende Beob¬ 
achtung gegen die Entscheidungsversuche Petruschky’s in’s 
Feld, indem er geltend machte, dass es sich bei der eiterigen 
Parametritis Petruschky’s um' Erysipelstreptococcen gehan¬ 
delt haben könne, die nicht selten die Träger der puerperalen In¬ 
fektion seien und dass desshalb die Erysipel erregende Wirkung 
dieser Streptococcen nichts Auffälliges habe. Diese etwas so¬ 
phistische Auffassung beweist, wie tiefe Wurzeln die Specifitäts- 
lehre geschlagen hatte und mit welcher Zähigkeit die Anhänger 
derselben ihre Position vertheidigten. 

Petruschky“) theilte 4 Beobachtungen mit, aus denen 
hervorgeht, dass in direktem Anschluss an einen Streptococcen - 
Eiterungsprocess echtes Erysipel sich entwickeln kann. Im ersten 
seiner Fälle breitete sich ein Erysipel von der Incisionswundc 
einer eiterigen Mastitis, im zweiten Fall von der spontan ent¬ 
standenen Perforationsöffnung eines Mammaabsceeses aus; im 
Blut fanden sich Streptococcen. In einem dritten Falle handelte 
es sich um ein von ulcerirten Varicen des Unterschenkels aus- 

,a ) Pfuhl: Zeltschr. f. Hygiene Bd. 12. 

ie ) Petruschky: Entseheidungsvorsuche zur Frage der 
Speelfltät des Erysipolcoceus. Ebenda Bd. 23. 

”) Sippel: Die Specifltüt des Eryslpelstreptococeus. Deutsch, 
med. Woelieusobr. 1898. 

”) Zeltschr. f. Hygiene Bd. 18. 

1 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


1372 


gehendes Erysipel des ganzen Beines mit multiplen Abscessen: im 
kreisenden Blut, im Abscesseiter und in der erysipelatösen Haut 
wurden Streptococcen nachgewiesen, die am Kaninchenohr Ery¬ 
sipel hervorriefen. Iin letzten Falle endlich ging das Erysipel 
von einer Nekrose am Oberarm aus. In allen diesen Fällen 
zeigten die Streptococcen des Erysipels den gleichen Virulenz¬ 
grad, wie die des Eiterherdes. 

Lauz '“) beobachtete das Auftreten eines Erysipels im An¬ 
schluss an die Eröffnung eines durch Streptococcen verursachten 
osteomyelitischen Entzündungsherdes des Femur und nahm an, 
dass das Erysipel durch Infektion der Hautlymphspalten bei der 
Incision entstanden sei. Einen weiteren Beweis für-die Identität 
liefert die Beobachtung M e n 61 r i e r’s “): Ein Arzt, der ein 
frisch operirtes Streptococcenempyem verband, kratzte sich beim 
Verbandwechsel mit dem Fingernagel am äusseren Gehörgang 
und erkrankte am Abend des nächsten Tages an Erysipel; die 
bacteriologische Untersuchung des Empyemeiters ergab eine sehr 
schwache Virulenz des Streptococcus. 

Die frühere Annahme einer .gewissen Unfehlbarkeit der 
Wirkung des Erysipelcoccus hat sich nicht bestätigt, es ergab 
sich vielmehr, dass hinsichtlich seiner Wirksamkeit keinerlei 
Konstanz besteht. Die beim Menschen zur Heilung von malignen 
Tumoren mit Erysipelstreptoeoccen ausgeführten Impfungen 
fielen öfter negativ als positiv aus, Petruschky”) hatte 
mehrere Misserfolge aufzuweisen und konnte auch durch Steige¬ 
rung der Virulenz seiner von echtem Erysipel stammenden Rein¬ 
kulturen kein positives Resultat beim Menschen erzielen. 
Koch und Petruschky“) stellten ferner fest, dass ver¬ 
schiedene Menschen sich bei Erysipelimpfungen demselben 
Streptococcus gegenüber durchaus verschieden verhalten, eine 
individuelle Verschiedenheit in der Widerstandsfähigkeit besteht. 

So verliefen z. B. 5 Impfungen bei einem sarkomkranken 
Manne ergebnislos, obwohl Petruschky die gleichen Rein¬ 
kulturen von Str. pyogenes, die, wie erwähnt, bei 2 Frauen 
typisches Erysipel erzeugten, verwandte. 

Angesichts des erdrückenden Beweismaterials konnte die 
Specificität des Erysipelerregers nicht mehr aufrecht erhalten 
werden und es wird in der That in allen modernen Lehr- und 
Handbüchern anerkannt, dass das Erysipel durch den 
gewöhnlichen Streptococcus pyogenes hervor¬ 
gerufen wird. Zum Zustandekommen der erysipelatösen 
Hautentzündung ist in erster Linie ein bestimmter Virulenzgrad 
der Streptococcen, eine Art „specifischer Virulenz“ erforderlich, 
sodann müssen die Coccen Gelegenheit haben, in die Lymph¬ 
spalten der Cutis einzudringen. 

Dieser zur Erysipelerzeugung nöthige Virulenzgrad der 
Streptococcen lässt sich an Reinkulturen künstlich gewinnen. 
W i d a 1 **) liess den aus Eiter gezüchteten Streptococcus durch 
den Kaninchenkörper passiren vermittels intravenöser Injektion; 
das Thier ging an Allgemeininfektion zu Grunde; die aus seinem 
Herzblut kultivirten Streptococcen erzeugten nun am Kaninchen¬ 
ohr Erysipel. 

In ähnlicher Weise gelang es Petruschky“) die Viru¬ 
lenz eines aus septischer Tuberkulose gezüchteten, für Kaninchen 
zunächst völlig avirulenten Streptococcus durch wiederholte Thier- 
passagen so zu steigern, dass er bei der Impfung geringer Mengen 
am Kaninchenohr zunächst ein typisches Erysipel, nach weiteren 
Passagen aber eine tödtliche Allgemeininfektion bewirkte. 

Nachdem die Specificität des Erysipelcoccus widerlegt war, 
suchte man für das Erysipel noch eine gewisse Art von Specificität 
zu retten, indem man annahm, dass ausschliesslich der 
Streptococcus pyogenes die Fähigkeit habe, 
erysipelatöse Hautentzündung zu erzeugen. 
Die neuesten Bearbeiter des Erysipels: L e n h a r t z”), N e i s s e r 


”> L a n z: Erysipel im Anschluss an Osteoinyel. streptomyk. 
femoris. Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte 1890. 

-°) MGnetrier: Gazette hebdomadaire de Medicine et de 
Chirurgie 1898. 

21 ) 1. c. Zeitschr. f. Hygiene Bd. 23. 

Koch u. Petruschky: Beobachtungen über Erysipel- 
impfungen am Menschen. Zeitschr. f. Hygiene Bd. 23, 1890. 

=*) 1. c. 

u ) Petruschky: Krankheitserreger und Kmnkheitsbild. 
Zeitschr. f. Hygiene Bd. 3(5, 1901. 

**) Lenliartz: Erysipelas und Erysipeloid. Nothnagei's 
spoe. rat hol. u. Therap. III. Bd., III. Th., 1899. 


und Jadassohn“), Kleinm") vertreten den Standpunkt, 
dass der Streptococous als alleiniger Erreger anzusehen sei und 
Klemm bezeichnet das Erysipel direkt als Streptoraykose der 
Haut, als Lymphangoitis capillaris streptomycotica. Da die 
anderen, nicht specifischen pyogenen Infek¬ 
tionskrankheiten, wie die Osteomyelitis acuta, die 
Pyaemie und Sepsis nicht durch einen bestimmten, 
sondern durch die verschiedenartigsten pyo¬ 
genen Batterien verursacht werden, müssen 
wir prüfen, ob das Erysipel in der That eine 
solche Ausnahmestellung einnimmt. 

Beim Erysipel handelt es sich um eine seröse Entzündung, 
die keine dauernde Schädigung des befallenen Gewebes berbei- 
führt. K l.e m m behauptet nun, dass die Streptococcen in erster 
Linie die Erreger der serösen Entzündung seien, in dem be¬ 
fallenen Gewebe eine Reihe pathologischer Vorgänge erzeugen, 
die im Wesentlichen in einer sehr bedeutenden Hyperaemie und 
Transsudation bestehen. Spielt sich die Entzündung an der 
Oberfläche der Gewebe ab, so kann sich das Transsudat vertheilen 
und die erkrankten Gewebe werden in ihrer Ernährung nicht be¬ 
einträchtigt. So zeigt sich nach Klemm an allen serösen 
Häuten und an der Synovialis der Gelenke die Streptomykose 
in Form von seröser oder sero-fibrinöser Entzündung. Im Gegen¬ 
satz dazu steht die Wirkung der Staphylococcen, die den von 
ihnen befallenen Boden unter starker Eiterung zerstören. Spielt 
sich die Streptococcenentzündung in Geweben ab, die von festen 
Faseienwändcn eingescheidct sind, wie z. B. im intramusculäreu 
Bindegewebe oder in den Lymphdrüsen, so kommt cs in Folge des 
steigenden Druckes des Transsudates, das nicht ausweichen kann, 
zu nekrotischer Zerstörung grösserer oder kleinerer Gewebs- 
abschnitte und zur Bildung einer dünnflüssigen eiterähnlichen 
Jauche. Der Grund des differenten Verlaufes der Streptococcen - 
infelction liegt nach Klemm in mechanischen Momenten des 
infizirten Gewebes. Oberflächenerysipel und intramuskuläre 
Phlegmone sind demnach absolut gleichartige und anatomisch 
gleichwertige Processe. Die Staphylococcen schmelzen in der 
Regel ganz unabhängig vom Gewebsdruck und den anatomischen 
Spannungen den besiedelten Boden unter Bildung eines dicken 
rahmigen Eiters ein, die Coccenwirkung ist demnach eine prin- 
cipiell verschiedene. 

Diese Anschauungen K1 e m m’s sind leicht zu widerlegen, 
da sie im Widerspruch mit den thatsächlichen Verhältnissen 
stehen. Die Behauptung, dass die Streptococcen keine 
reine Eiterung hervorriefen, ist unrichtig: eine Reihe von Em¬ 
pyemen, eitrigen Arthritiden, von para- und perimetritischen 
puerperalen Eiterungen, von osteomyelitischen Abscessen sind 
durch Reinkulturen von Streptococcen bedingt, beim Erysipel 
selbst werden nicht selten subkutane, durch den Krankheitserreger 
selbst verursachte Eiterungen beobachtet; ein Theil der absce- 
direnden Phlegmonen verdankt einer Streptococceninfektion die 
Entstehung. In vielen Fällen ist es unmöglich, bei der Operation 
aus der Beschaffenheit des Eiters auf die Natur der veranlassen¬ 
den Coccen zu schliessen. Auf der anderen Seite ist es sicher¬ 
gestellt, dass die Staphylococcen nicht nur eitrige, sondern auch 
se röse und nekrotisirende Entzündungen veranlassen können. In 
den serösen Pleuraexsudaten, in dem serösen Inhalt entzündeter 
Gelenke, in dem Exsudat der Periostitis albuminosa, bei der 
sklerosircnden Form der Osteomyelitis, bei nicht eitrigen Drüsen¬ 
entzündungen wurden Staphylococcen als alleinige Erreger nach¬ 
gewiesen ”). 

In gleicher Weise, wie man das Erysipel als Streptomykose 
erklärte, suchte man die akute Osteomyelitis auf alleinige Rech 
nung der Staphylococcen zu setzen. Gegenüber meiner Defini¬ 
tion dass die akute Osteomyelitis eine Pyaemie der Ent¬ 
wicklungsperiode sei, durch die Einwirkung jedes pyogenen Mi¬ 
kroben entstehen könne und sich von den akuten Entzündungen 
anderer Gewebe nur durch ihre Lokalisation unterscheide, machte 
Curt M ülle r 30 ) geltend, dass die durch Streptococcen, Pneuino- 

28 ) Nelsser und Jadassohn: Die Krankheiten der Han?. 
Handbuch d. prakt. Med. von Ebstein und Schwalbe, III. Bd.. 
II. Theil, 1901. 

2J ) Klemm: Ueber das Verhältnis« der Erysipels zu den 
Streptomykosen. Mitthell, aus den Grenzgebieten d. Merl. u. 
Chirurg. 1901, Bd. 8. 3. Heft. 

=s ) siehe Jordnn: Die akute Osteomyelitis. Brun’6 Boitr. 
zur klin. Chirurg. Bd. X, II. 3. 

*) 1. c. 


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27. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


1373 


coccen, Typhusbacillen im Knochen hervorgerufenen Verände¬ 
rungen nicht mit den durch Staphylococcen erzeugten Processen 
übereinstimmten, dass dieselben vielmehr in das Gebiet der Ostitis 
lind Periostitis gehörten; Müller hielt die einheitliche Aetio¬ 
logie der akuten Osteomyelitis aufrecht. Ihm schloss sich neuer¬ 
dings Klemm* 1 ) an, der die Veränderungen am Knochen bei 
der Streptococceninfektion für viel geringfügiger, als bei dev 
Staphylomykose erklärte und die bei letzterer auftretende, fort¬ 
schreitende Markphlegmone vermisste. Wenn auch zugegeben 
werden muss, dass die Streptococceninvasion häufiger zu corti- 
calen Herden, zu Herden an den Epiphysen, zu Epiphysenlösung 
und Gelenkergüssen führt, so muss auf der anderen Seite hervor¬ 
gehoben werden, dass dieser Unterschied in der Wirkungsweist! 
beider Coccen kein durchgreifender ist. Lexer*) beschrieb 
einen Fall von Streptococcenosteomyelitis des Darmbeins, bei dem 
die Knochenaffektion vollständig dem Typus der Staphylomykose 
entsprach und bei seinen Thierversuchen mit Streptococcen er¬ 
hielt Leier”) ein Präparat der Tibia, das keine Differenzen 
gegenüber den Staphylococcenpräparaten aufwies. Es geht ferner 
aus der Beobachtung II e r z o g’s **) hervor, dass auch die Sta¬ 
phylococcen sich ausschliesslich an den Epiphysen lokalisiren und 
neben den Epiphysenherden Gelenkeiterungen hervorrufen 
können. 

Ein 17. Monate alter Knabe erkrankte im Anschluss an Schar¬ 
lach, Diphtherie und Pneumonie an einer Staphylomykose mit 
osteomyelitischen Herden und Vereiterung des Schultergelenkes, 
ausgehend von einer Epiphysenlösung des Humerus. Bei der Sek¬ 
tion fanden sich ausserdem Epiphysenlösung und Abscess au der 
4. Rippe, sowie ein Eiterherd au der Epiphysenknorpelfuge des 
unteren Femureudes. Die bacteriologlsche Untersuchung des 
Eiters ergab eine Reinkultur von Staph. aureus. 

Auch Leser hält eine scharfe Trennung der Staphylo- 
cocoen- und Streptococcenform der Osteomyelitis nicht für durch¬ 
führbar und spricht sich dahin aus, dass alle diejenigen pyogenen 
Mikroben, welche überhaupt metastatische Infektion hervorzu¬ 
rufen vermögen, auch am Knochensystem sich ansiedeln können 
und herdförmige oder fortschreitende Eiterungen erzeugen 
können. 

Die Veränderungen, die die Staphylococcen im Knochen her- 
vorrufen, sind sehr mannigfaltige: zwischen der diffusen Mark¬ 
eiterung einer Diaphyse mit Durchbruch durch die Epiphysen- 
kuorpelfuge und Vereiterung der benachbarten Gelenke und ganz 
circumscripten, oberflächlichen Herden an der Corticalis kommen 
alle möglichen Uebergänge vor, es existirt kein Typus der Sta- 
phylococcenerkrankung. 

In ihrer Wirkung auf die Gewebe zeigen 
also die Staphylococcen und Streptococcen, 
wie wir nachgewiesen haben, keine principiellen 
Unterschiede, beide können die verschiedenen 
Grade der Entzündung hervorrufen, scharfe Gren¬ 
zen lassen sich nicht ziehen. Entgegen der Ansicht Klemm’« 
ist speciell die Fähigkeit seröse Entzündung zu machen, kein 
Privileg der Streptococcen. Unter diesen Umständen wäre es 
befremdend, dass der Staphylococcus nicht auch befähigt sein 
sollte, an der Haut fortschreitende seröse Entzündung, d. h. Ery¬ 
sipel zu verursachen. Wir kommen damit zu der Frage: Kann 
Erysipel auch durch andere pyogene Mikroben, 
insbesondere des St. aureus erzeugt werden? 

Im Jahre 1891 beschrieb ich in meiner Arbeit über die Aetio- 
logie des Erysipels *) zwei Fälle, bei denen der St. aureus als Er¬ 
reger festgestellt worden war. 

Im ersten Fall handelte es sich um einen 11 jährigen Jungen, 
der unter schworen fieberhaften Allgemeinerscheinungen an typi¬ 
schem Gcslchtserysipel erkrankte, das zu einer Phlegmone der 
Stirngegend nnd des orbitalen Fettgewebes führte. Am 0. Krank- 
heltstage wurde eine Osteomyelitis s. Periostitis der Fibula mit 
Abscessbildung koustatlrt und im Niveau derselben entstand ein 
typisches Hauterysipel, das sich über den Unterschenkel und den 

•*) Gurt Müller: Ueber akute Osteomyelitis. Münch, med. 
Wochenschr. 1898. 

") Klemm: lieber Streptomykose der Knochen; Osteomyol. 
streptomykot. Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge No. 70, 1899. 

*0 Lex er: Die Aetiologie und Mikroorganismen der akuten 
Osteomyel. Volkmann’s Sammlung klin. Vortr. No. 173, 1897. 

") Lex er: Experimente Uber Osteomyelitis. Arch. f. klin. 
Chirurg. Bd. 53. H. 2. 

u ) Herzog und Kraut wig: Ueber Osteomyelitis lui 
frühesten Kindesalter. Münch, med. Wochenschr. 1898. 

“) Jordan: Die Aetiologie des Erysipels. Langenb. Arch. 
f. klin. Chirurg. Bd. 42, 1891. 


Fussrikkon ausbreitete. In der mittleren Stirugegend entstand 
ein subkutaner Abscess in beiden Unterlappen, entwickelte sich 
unter Fortbestehen des schweren fieberhaften Allgemeinzustandes 
eine Pueuutouie. Die bacteriologlsche Untersuchung ergab eine 
Reinkultur von Staph. aureus sowohl Im Eiter des Stirn- wie dos 
Fihulanbscesses, ferner wurden aus dem kreisenden Blut und aus 
dom mit der Punktioussprltze asplrirten Exsudat der Lunge 
Staphylococcen iu Reinzucht gewonnen. Im Laufe von 14 Tagen 
kam es zu einem Rückgang aller Entzündungserscheinnugen, das 
(Jesiohtseryslpel war allgelaufen, aus dem eröffneten Stirnabscess 
eiterte es noch stark. Von letzterem aus entwickelte sieh iu der 
Rekonvalesconz plötzlich unter erneutem hohem Fieber ein typi¬ 
sches Gcslchtserysipel, das nach 4 tägiger Continua allmählich al>- 
blasffte. An der unteren, nahe dem linken Unterkieferraude, also 
weit entfernt von dein Eiterherd der Stirne gelegenen Randzoue 
des Erysipels exeidlrte Ich unter streng aseptischen Kaut eleu eiu 
kleines Hautstückehen, übertrug dasselbe ln ein Röhrchen mit 
flüssiger Gelatine und liess letzteres — nach F e li 1 e 1 s e u's Vor¬ 
gang — 2 Stunden im Brutschrank verweilen: nach dieser Zeit 
wurde eine Platte gegossen, die bei Zimmertemperatur aufbewahrt 
wurde; es gingen in den folgenden Tagen eine Reihe von die 
Gelatine verflüssigenden Kolonien auf, die uach Uelicrimpfung in 
Strich- und Stichkulturcu auf Gelatine und Agar typische Rein¬ 
kulturen des Staph. aureus darstellten; der mikroskopische Befund 
war dementsprechend. 

Durch den Nachweis des St. aureus in sämmtliehen er¬ 
krankten Organen war die aetiologische Einheit der verschiedenen 
gleichzeitig bestehenden Affektionen erkannt: es lag eine im An¬ 
schluss an Erysipel entstandene, durch den Erysipelerreger und 
zwar den St. aureus selbst veranlasste Pyaemie vor. Der Fall 
stellte eine das wechselseitige Verhältniss zwischen Erysipel und 
Eiterung zum Ausdruck bringende Beobachtung an Menschen 
dar, die einem Experiment gleichkam. 

Eine an der Pflege des l’at. betheiligte Wärterin erkrankte 
unter Schüttelfrost, Erbrechen, hohem Fieber an Gesichtsrose, 
die nach ü Tagen zur Heilung kam. Die bacteriologlsche Unter¬ 
suchung des durch Einstich au der Randzone erhaltenen Serums 
ergab eine Reinkultur von St. aureus. 

Aus meinen beiden Beobachtungen zog ich den Schluss, dass 
das Erysipel aetiologisch keine speciflsche Erkrankung sei, ausser 
durch Streptococcen, den gewöhnlichen Erregern, auch durch 
Staphylococcen erzeugt werden könne. Den damals noch zahl¬ 
reichen Anhängern der Spccificitätslehre war diese, aus meinen 
Fällen sich ergebende Auffassung sehr unbequem. Meine Be¬ 
funde wurden in der Folge von Einzelnen ganz ignorirt, von 
Anderen einfach registrirt, von Anderen M ) als nicht be¬ 
weiskräftig anerkannt, da die Methodik der bacterio- 
logischen Untersuchung nicht ganz einwandsfrei gewesen sei. 
Dieser letztere Vorwurf richtet sich speciell gegen meinen 
zweiten Fall, bei welchem die Untersuchung nicht an einem 
cxcidirten Hautstückchen, sondern nur an einem durch Ein¬ 
stich entleerten Semmtropfen vorgenommen wurde. Ich will zu¬ 
geben, dass bei dieser Untersuchungsmethode die Möglichkeit, 
dass eine Misehinfektiou vorlag und ein gleichfalls etwa vor¬ 
handener Streptococcus durch den üppiger wachsenden Staphylo¬ 
coccus überwuchert war, nicht mit absoluter Sicherheit ausge¬ 
schlossen werden kann, dagegen muss ich mit aller Ent¬ 
schiedenheit daran festhalten, dass der Unter¬ 
suchungsmodus im ersten Fall ein einwands¬ 
freier gewesen ist und dass eine Mischinfektion nicht 
in Frage kommen könnte. 

Gegen die Beweiskraft meiner Beobachtung wird von Len- 
h a r t z und Klemm ein weiteres Argument in’s Feld geführt, 
nämlich das Ausbleiben der Bestätigung des Staphylococcen- 
befundes durch andere Forscher. Lenhartz sagt, dass gegen¬ 
über der viel hundertfältigen gegentheiligen Erfahrung die beiden 
vereinzelten Fälle nichts beweisen könnten und Klemm äussert 
sich folgendermaassen: „Der Beobachtung J o r d a n’s, nach 
welcher er als Erreger des Erysipels einmal Staphylococcen ge¬ 
funden hat, kann ich keinen grossen Werth beilegen, da dieser 
ganz vereinzelt dastehende Fall zwangloser als Beobachtungs- 
fehler gedeutet werden kann; bei der Häufigkeit des Erysipels 
hätte obige Beobachtung sich unschwer auch von Anderen be¬ 
stätigt finden müssen.“ 

Die Annahme von Lenhartz und Klemm, dass meine 
Beobachtung vereinzelt dastche, ist eine irrthümliche, wie aus 
folgender Zusammenstellung hervorgeht. In meiner Erysipel- 
arbeit habe ich ausdrücklich erwähnt, dass schon vor mir ein 
Staphylococcenerysipel von Bonome und Bondin i-Uf- 
freduzzi (1886) ,! ) beschrieben worden sei. Bei einem lödt- 

r ) Lenhartz, Tot r u scli l;y: 1. <\ 


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1374 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


lieh endenden Erysipelas bullosum faciei wurde in den Blasen 
der Haut und in deren Lymphspalten, sowie im Blut und den 
inneren Organen der Staphylococcus aureus in Reinkultur nach¬ 
gewiesen und seine Natur durch Kulturen und Impfungen auf 
Thiere sichergestellt. In einem anderen Fall von Erysipelas 
phlegmonosum wurden überwiegend Staphylococcen (St. citreus) 
und daneben nur wenige Streptococcen gefunden, welch’ letztere 
in Kulturen nicht aufgingen. 

Zur Zeit der Publikation dieser Fälle war man von der 
Speeifität des Erysipelcoccus so fest überzeugt, dass man, nament¬ 
lich im Hinblick auf den Befund vereinzelter Streptococcen im 
2. Fall, annahm, es habe sich um eine Sekuridärinfektion mit 
Staphylococcen gehandelt und die Streptococcen seien in der 
erysipelatösen Haut zu Grunde gegangen. Die Beobachtung der 
italienischen Forscher fand daher in der Erysipelfrage keine 
weitere Berücksichtigung. 

Einen weiteren Fall von Staphylococcenerysipel theilte ich 
in meiner Abhandlung über die akute Osteomyelitis (1893) mit: 

Bei einem 9 jährigen Knaben, der an akuter Osteomyelitis 
tibiae erkrankt war, wurde die Aufmeisseluug des Knochens und 
die Excochlention des eitrig inflltrirten Markes ausgeführt: nach 
dem Eingriff rascher Abfall des Fiebers und beginnende Rekon- 
valescenz; nach 3 Wochen entwickelte sich ein neuer periostaler 
Abscess unterhalb der zuerst erkrankten Partie unter schweren 
septischen Allgemeinsymptomeu; nach der Iueision des Abscesses 
entstand an der Incislonsöffnung (2 Tage post operat.) ein typisches 
Erysipel, das nach unten bis zu den Zehen, nach oben bis zum 
Oberscheukel sich ausbreitete und nach einer Woche abheilte. 
Die bacteriologische Untersuchung des Abscesseiters, sowie der 
afflzlrten Haut an der Randzone des Erysipels ergab eine Rein¬ 
kultur von Staph. aureus. 

Da kein einziger Fall von Streptococoenerysipel in der Klinik 
lag, und der Unterschenkel wochenlang unter antiseptischen Ver¬ 
bänden sich befand, war eine Mischinfektion mit Streptococcen 
von vornherein unwahrscheinlich gewesen: Es handelte sich um 
ein von innen heraus entstandenes Staphylococceneryspel. 

Eine ganz ähnliche Beobachtung wurde von Felsen- 
t h a 1 **) publizirt: 

Bel einem 11 jährigen Knaben entwickelte sich nach der 
Operation einer akuten Osteomyelitis des unteren Tibiadrittels von 
der Incislonsöffnung aus unter hohem Fieber ein typisches Ery¬ 
sipel („flammende Rüthe, die Begrenzung unregelmässig, zackig, 
einzelne Zungen mehr oder weniger weit in’s Gesunde vor¬ 
schiebend und hier scharf begrenzt aufhörend, starke Druck¬ 
schmerzhaftigkeit“). das sich bis zur Mitte des Fussrückens resp.- 
dem Knie erstreckte. Die bacteriologische Untersuchung eines an 
der Grenzzone des Erysipels herausgeschnittenen Hautstückchens 
ergab eine Reinkultur von Staph. aureus. Der gleiche Coccus 
wurde im kreisenden Blut und im eiterig inflltrirten Knochen¬ 
mark nachgewiesen. Mit den aus dem Hautstückchen 
gewonnenen Kulturen wurde das Ohr eines 
welssen Kaninchens geimpft: 35 Stunden später 
zeigten sich die typischen Erscheinungen des 
Erysipels, das nach 30 Stunden abgelaufen war. 

Auf Grund dieser Thatsachen nahm Felsenthal mit 
Recht an, dass der Erreger der akuten Osteomyelitis auch die 
Ursache des Erysipels war, dass der Eiter nach der Incision in 
die Lymphbahnen der Haut durch die Tamponade gleichsam 
hineingepresst wurde. Den Einwand, dass der Streptococcus in 
dem erysipelatösen Gewebe zu Grunde gegangen sein könnte 
und es sich möglicher Weise um eine sekundäre Infektion mit 
Staphylococcen gehandelt hätte, weist F. durch folgende Ueber- 
legung zurück: An dem Tage, da zur bacteriologischen Unter¬ 
suchung das Hautstückchen entnommen wurde, hatte das Ery¬ 
sipel noch nicht sein Ende erreicht; es war am folgenden Tage 
weiter gegangen. Wenn also der Streptococcus zu Grunde ge¬ 
gangen war und an seine Stelle der gelbe Traubencoccus trat, so 
muss doch dieser die Fähigkeit besitzen, den Process, den der 
Streptococcus ursprünglich erzeugte, weiter zu unterhalten und 
ihn sogar zum Fortschreiten zu veranlassen. Und das wäre 
doch nichts anderes, als dass der Staphylococcus erysipelatöse 
Erkrankungen hervorzurufen vermag. 

Obwohl diese Beobachtung von Staphylococcenerysipel 
klinisch und bacteriologisch durchaus einwandsfrei ist, fand sie 
in der Literatur keine Beachtung. 

Zu Gunsten der Auffassung, dass die Erzeugung der ery¬ 
sipelatösen Entzündung nicht einzig und allein dem Strepto- 

") Beitrag zur Aetiologie des Erysipels, 1880. (Ref. im Cen- 
tralbl. f. Chirurg. 1887.) 

") Felsenthal: Beiträge zur Aetiologie und Therapie des 
EryBlpels. Arch. f. KInderheilk. Bd. 16. 


coccus zukommt, sprechen eine Reihe von Thierversuchen, die 
in neuerer Zeit angestellt wurden. Petruschky**) gelang 
es, in Gemeinschaft mit Delius im Koc h’schen Institut mit 
verschiedenen Stämmen des Bact. coli commune, namentlich 
einiger aus menschlicher Cystitis stammenden, am Kaninchenohr 
typisches Erysipel zu erzeugen; das Bact. coli ist dabei bis in 
die äusserste Spitze des Ohres mikroskopisch bezw. kulturell nach¬ 
gewiesen worden. Auch Uhlenhuth") gelangte zu solchen 
positiven Resultaten, konnte mit Reinkulturen von Bact. coli, 
die aus dem jauchig-eiterigen Exsudat einer puerperalen Peri¬ 
metritis stammten, am Kaninchenohr typisches Erysipel (Fieber 
bis 39,5) erzeugen; dieselbe Kultur führte nach intravenöser In¬ 
jektion zu eiteriger Osteomyelitis an der Stelle künstlich ge¬ 
schaffener subkutaner Frakturen. 

Neufeld u ) machte Versuche mit dem Fränkel’schen 
Pneumococcu8 und fand denselben in hohem Grade geeignet, am 
Kaninchenohr Erysipel hervorzurufen. Aus dem Gewebssaft der 
entzündeten Partien Hessen sich die Diplococeen in typischer 
Lancettform gewinnen. Die Fähigkeit Erysipel zu machen, 
kommt nach N e u f e 1 d den Pneumococcen sogar in weit 
höherem Maasse zu, als den Streptococcen, bei welchen ein be¬ 
stimmter Virulenzgrad erforderlich ist. Schürmayer 42 ) be¬ 
obachtete bei einer mit Pneumococcen intrapleural infizirten 
Maus das Auftreten eines spontanen histologisch dem mensch¬ 
lichen Erysipel gleichenden Exanthem und fand im Safte der 
Fellstücke die Pneumococcen in Reinkultur. 

Petruschky 4 *) gelang es endlich auch mit 
einem Stamm von Staph. aureus am Kaninchen¬ 
ohr typisches Erysipel hervorzurufen. Bei der 
bacteriologischen Untersuchung excidirter Hautstückchen von 
menschlichem Erysipel fand Petruschky ferner neben den 
Streptococcen sehr häufig Staphylococcen und kam auf Grund 
dieser Befunde zu der Ansicht, dass in diesen Fällen vielleicht 
die Mischinfektion von Strepto- und Staphylococcen obligatorisch 
für die Erzeugung eines typischen Erysipels sein könnte. Da 
im Thierversuch das Krankheitsbild des Ohrerysipels auch durch 
andere Mikroorganismen erzeugt werden kann, ist nach Pe¬ 
truschky die Frage, ob der Streptococcus als der alleinige 
Erreger des Erysipels zu betrachten sei, bis auf Weiteree als eine 
offene zu betrachten. 

Durch die positiven Impfergebn isse mit 
Staphylococcen, wie sie Felsenthal und Petruschky 
erhielten, gewinnen die mitgetheilten Beobach¬ 
tungen von Staphylococcenerysipeleine wesent¬ 
liche Stütze. Die Seltenheit des Vorkommens ist kein wissen¬ 
schaftliches Argument gegen das Vorkommen überhaupt. So ist 
z. B. die Streptococcen-Osteomyelitis eine sehr seltene Affektion: 
Im Jahre 1890 wurden die ersten Fälle von Lannelongue 
beschrieben und jetzt umfasst die Kasuistik nach 11 Jahren kaum 
mehr als 20 Fälle, ein im Vergleich zu den vielen Hunderten von 
Staphylococcen-Osteomyelitiden, die schon beschrieben worden 
sind, minimaler Procentsatz. 

Da nachgewiesen ist, dass auch der Pncumococcus und das 
Bact. coli commune am Kaninchenohr Erysipel bewirken können, 
gewinnt der Rheine Psche 44 ), in der Literatur zumeist ignorirre 
Befund von Typhusbacillen in der erysipelatösen Haut an Wahr¬ 
scheinlichkeit. Rhein er konstatirte bei 2 im Verlaufe eines 
Typhus abdominalis aufgetretenen Gesichtserysipelen in der affi- 
zirten Haut mikroskopisch zahlreiche Typhusbacillen neben ganz 
vereinzelten Coccen, während in einem Kontrolpräparat von Ery¬ 
sipelas traumat. sich nur Kettencoccen fanden. Da eine bacterio¬ 
logische Untersuchung nicht stattgefunden hatte, wurde der Fall 
als nicht beweiskräftig angesehen. Da wir aber jetzt wissen, dass 
der Typhusbacillus auch pyogene Wirkung entfalten und das 
ihm nahestehende Bact. coli bei Thieren Erysipel hervorrufen 
kann, erscheint die R h e i n e r’sche Mittheilung in einem anderen 

**) Petrusch k y: 1. c. Zeitschr. f. Hygiene Bd. 23 u. 36. 

*°) Uhlenliuth: Beiträge zur Pathogenität des Bact. coli. 
Zeitschr. f. Hygiene Bd. 20, 1897. 

4 ‘) Neufeld: Ueher die Erzeugung vou Erysipel am 
Knninchenohr durch Pneumococcen. Zeitschi - , f. Hygiene Bd. 36, 
1. H„ 1901. 

4I ) Scliürmaye r: Zur Aetiologie des Erysipels etc. Ceu- 
trnlbl. f. Bacteriol. 1898. 

“) 1. c. Bd. 30. 

“) Riieiner: Beiträge zur pathol. Anatomie des Erysipels 
etc. Virch. Arch. Bd. 100, 1884. 


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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1375 


27. August 1901. 


Lichte und es muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass 
die bei Typhus auftretenden Erysipele in manchen Fällen viel¬ 
leicht durch den Krankheitserreger selbst verursacht werden. 

Aus den bisherigen Darlegungen ergeben sich folgende 
Schlussfolgerungen: 

1. Das Erysipel ist aetiologisch keine spe- 
cifische Erkrankung. 

2. Am Kaninchenohr kann typisches Ery¬ 
sipel nicht nur durch Streptococcen, sondern 
auch durch Staphylococcen, Pneumococceu 
und Bact. coli erzeugt werden. 

3. Das menschliche Erysipel wird in der 
Regel von Streptococcus pyogenes verursacht, 
kann aber auch, wie einwandsfreie Beobach¬ 
tungen ergeben, durch Staphylococcus aureus 
hervorgerufen werden. 

4. Die Frag<\ ob auch die fakultativen Eiter¬ 
erreger, wie Pneumococcen, Bact. coli, Typhus¬ 
bacillen beim Menschen Erysipel machen 
können, ist noch als eine offene zu bezeichnen! 

Diese aetiologische Auffassung steht, wie 
ich glaube, im vollen Einklang mit den klinischen 
V erhältnissen. Da das Erysipel, zumal in der voranti¬ 
septischen Zeit, oft endemisch und epidemisch auftrat, und das 
klinische Bild als ein sehr charakteristisches angesehen wurde, 
war den Klinikern die Entdeckung Fehleisens und die An¬ 
nahme der Speeificitüt seines Coecus eine sehr sympathische. 
Eine genaue Analyse der klinischen Erfahrungen ergibt indessen, 
dass der Typus der Erkrankung durchaus kein 
constanter ist, dass vielmehr eine Reihe von 
Variationen vorkomm en. Zwischen den Fällen, die 
unter stürmischen septischen Erscheinungen in wenigen Tagen 
zum Exitus letalis führen und solchen, die ohne 'Störung des All¬ 
gemeinbefindens gleichsam ambulant verlaufen, werden alle mög¬ 
lichen Uebergönge beobachtet. Die sogen. Schulfälle 
von Erysipel, bei denen unter Schüttelfrost, Erbrechen und 
hohem Fieber die Hautröthe einsetzt, stellen nur eine 
Form der erysipelatösen Erkrankung dar. 
Falle, die Abweichungen von dem gewohnten Bilde darboten, hat 
man unter den Begriff der Pseudoerysipelc oder phlegmonösen 
Erysipele eingereiht. Wie schwierig indessen die Unterscheidung 
in praxi sich gestaltet, geht aus den differentialdiagnostischen 
Merkmalen hervor, die in den Lehrbüchern angegeben werden. 
So halten z. B. Len hart z, Neisser, Strümpell das 
Fieber für ein pathognomonisches Zeichen des echten Erysipels. 
Lenhartz gibt indessen zu, dass die Erhöhung der Eigen¬ 
wärme gelegentlich gering und rasch vorübergehender Art sein 
könne. Im Gegensatz dazu berichtet F r i c k h i n g e r u ), aus 
der Münchener Klinik (Ziemssen), dass unter 504 von 
1870 bis 1891 beobachteten Fällen von Erysipel 101 Fälle 
= 20,04 Proc. ohne Temperaturerhöhung verlaufen sind, und 
Roger gibt an, dass er bei 570 Erysipelen nur in 315 Fällen 
Fieber constatirt habe. Leube") bestätigt aus eigener Er¬ 
fahrung, dass das Erysipel in seltenen Fällen fieberlos verläuft. 
Ich selbst habe wiederholt typische Erysipele ohne Tempera tur- 
steigerungen und ohne sonstige Allgemeinerscheinungen verlaufen 
sehen. Dem Auftreten von Fieber kann dem¬ 
nach bezüglich der Unterscheidung des ech¬ 
ten vom falschen Erysipel keine ausschlag¬ 
gebende Bedeutung zuerkannt werden. 

Ein weiteres differentialdiagnostischcs Kriterium bildete die 
Beschaffenheit der Hautröthe. Charakteristisch für das echte 
Erysipel ist eine lebhafte, scharf begrenzte Röthung, flache und 
schmerzhafte Schwellung, deren Oberfläche gespannt und auf¬ 
fallend glänzend erscheint; endlich das Fort schreiten in die ge¬ 
sunde Umgebung mit fingerförmigen Fortsätzen oder kürzeren 
und längeren Zacken. Passte der Einzelfall z. B. in Folge 
Fehlens ausgesprochener Allgemeinerscheinungen nicht recht in 
den Rahmen der typischen Erkrankung, so studirte man genauer 
die Hautveränderungen und fand heraus, dass die Röthe dunkler, 
die Schwellung intensiver, die Empfindlichkeit bei Druck ge¬ 
ringer sei, die Randzone in ihrer Contour nicht genau der Norm 

“) Frlckhlnger: Ueber Erysipel und Eryslpelrecidive. 
6. Band der Annalen der allg. städt. Krankenhäuser München 1894. 

*•) Leube: Speclelle Diagnose der Inneren Krankheiten 
II. Bd., 1898. 

So. 35. 


entspreche und dass der Fall daher zu den Pseudoerysipelen ge¬ 
höre. Auch dieses unterscheidende Merkmal ist indessen nicht 
stichhaltig, da die lokalen Veränderungen je nach der Intensität 
der Infektion kleinen Schwankungen unterliegen können. 

Als letztes differentialdiagnostisches Zeichen wird von vielen 
Autoren der bacteriologische Befund angesehen: Finden sich in 
der erysipelatösen Haut Streptococcen, so liegt nach ihrer Mei¬ 
nung ein echtes, ergeben sich andere Bacterien, so so liegt ein 
Pseudoerysipel vor. Da wir gesehen haben, dass auch Staphylo¬ 
coccen klinisch typisches, mit hohem Fieber einhergehendes 
Erysipel hervorrufen können, dass ferner auch andere Mikroben 
am Kanincheuohr Hautröthe verursachen, die sich in nichts von 
dem typischen Erysipel unterscheidet, da endlich nicht in jedem 
Fall eine bacteriologische Untersuchung durchführbar ist, so 
sind auch die aetiologisehen Verhältnisse nicht zur Differential¬ 
diagnose zu verwerthen. 

Die Unterscheidung von Erysipelen und 
P s e ud o e r v sip e1e n ist bei de m jetzigen S t a n d 
der Lehre meines Erachtens nicht mehr halt¬ 
bar, denn es kommen klinisch eine Reihe von Varietäten vor, 
und aetiologisch besteht keine Differenz. Es handelt sich 
bei den verschiedenen Formen vielmehr nur 
um Intensitätsstufen derselben Erkrankung, 
welche durch die wechselnde Virulenz der Coccen und die ver¬ 
schiedene Widerstandsfähigkeit der Gewebe bestimmt werden. 

Unter den nicht specifischen chirurgischen Infektionskrank¬ 
heiten kommt dem Erysipel die früher ange¬ 
nommene Sonderstellung nicht zu, das Erysipel 
zeigt vielmehr weitgehende Analogie mit der akuten Osteo¬ 
myelitis, wie folgende Gegenüberstellung illustrirt: 

1. Die akute Osteomyelitis wird in der Mehrzahl der Fälle 
durch Staphylococcen hervorgerufen, kann aber auch durch 
Streptococcen, Pneumococcen und Typhusbacillen erzeugt werden. 

Das Erysipel wird in der Regel durch Streptococcen ver¬ 
ursacht, kann aber auch durch Staphylococcen, vielleicht auch 
durch andere pyogene Bacterien erzeugt werden. 

2. Bei der akuten Osteomyelitis handelt es sich meist um 
eitrige, manchmal aber auch um seröse oder liaemorrhagisch- 
septische Entzündungen. 

Beim Erysipel liegt eine seröse Entzündung vor, zu der aber 
nicht selten Eiterung und selbst Gangraen hinzutritt. 

3. Bei der Osteomyelitis werden alle Intensitätsstufen 
zwischen der gleichsam chronischen Form und der rasch tödtlich 
endenden septischen Form beobachtet. 

Die gleiche Stufenleiter besteht beim Erysipel. 

4. Die bei Osteomyelitis auftretende Pyaemie und Sepsis 
sind durch den Krankheitserreger selbst verursacht. 

Das gleiche gilt, wie wir gesehen haben, für das Erysipel. 

5. Das Gebiet der sogen, akuten infektiösen Osteomyelitis 
hat sich in den letzten 10 Jahren, wie ich an anderer Stelle aus¬ 
führte 47 )» auf Grund der Ergebnisse der aetiologischen Forsch¬ 
ung bedeutend erweitert. Während man früher mit dem Begriff 
der Osteomyelitis eine typische, akut einsetzende, mit lokaler 
Eiterung und schwerem, fieberhaftem Allgemeinzustand einher¬ 
gehende. mit Nekrose des befallenen Knochens abschliessende, 
oft tödtlich verlaufende Erkrankung des jugendlichen Alters ver¬ 
band, wissen wir jetzt, dass dieser Symptomenkomplex nur eine 
Form einer Gruppe von Erkrankungen darstellt, die die Aetiologie 
gemeinsam haben, dem gleichen Agens, nämlich den pyogenen 
Coccen, ihre Entstehung verdanken. Differenzen in der Virulenz 
der Mikroben und Verschiedenheiten in der Resistenzfähigkeit 
des befallenen Organismus bedingen eine Reihe von Varietäten 
des klinischen Bildes. Unterschiede im zeitlichen Ablauf lassen 
eine Eintheilung in Osteomyelitis acutissima, acuta, subacuta 
und chronica zu; nach der Beschaffenheit des Krankheits- 
produktes kann man exsudative und nicht exsudative Formen 
unterscheiden. 

Mit dem Nachweis, dass der Erysipelerreger kein specifischer 
Mikrobe ist, ist auch beim Erysipel die Schranke gefallen, die die 
schweren Fälle von den leichter verlaufenden, die atypischen von 
den typischen trennte. 


* T ) Jordan: Ueber atypische Formen der akuten Osteo¬ 
myelitis. Bruns' Beitrage zur klin. Chirurg. Bd. XV. II. 2. 


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1376 


No. 35. 


MUENCHENER MEDICINISCUE WOCHENSCHRIFT. 


Ueber maligne Geschwülste der Tonsillen. 11 ) 

Von Dr. v. H e i n 1 e t h in Bad Reichenhall. 

M. H.! Wenn ich mir heute erlaube über maligne Tonsillen- 
Qeschwülste vorzutragen, so beabsichtige ich nicht. Ihnen wesent¬ 
lich Neues über dies Thema zu berichten, sondern möchte nur 
ein Gesammtbild des Themas Ihnen in Rückerinnerung bringen 
und an Hand des von mir mit Erfolg operirten Falles ermuntern, 
trotz der wenigen bis heute errungenen Dauererfolge von der 
operativen Inangriffnahme derselben nicht abzustehen. 

Zum Glück für die Menschheit sind die malignen Tumoren 
der Tonsillen verhältnissmässig selten, selten in Relation der 
vorkommenden Careinomfälle, seltener noch im Verhältnisse der 
Krankheiten überhaupt. Dies fällt um so mehr auf, als gerade 
die Tonsillen durch akut entzündliche und chronisch hyper¬ 
plastische Erkrankungen sich besonders auszeichnen. 

Noch Anfangs des Jahrhunderts waren nur ganz vereinzelte 
Fälle von Garcinomen der Tonsille, Sarkome dagegen gar nicht 
bekannt. Erst seit der zweiten Hälfte des Säculums finden sich 
in der Statistik mehrere Fälle. 

G u r 1 t ? s Statistik von 1855/78 ergibt unter 11131 Fällen 
von Carcinom 6 der Tonsille = 0,053 Proc. und unter 894 Sar¬ 
komen 3 der Tonsille = 0,33 Proc. 

R a p o c verzeichnet (1880—86) unter 399 Carcinomen nur 
1 Fall der Tonsille = 0,25 Proc. und unter 140 Sarkomen 3 Fälle 
der Tonsille — 2,1 Proc. 

Selbst den ersten Chirurgen jener Zeit, wie B i 11 r o t h, 
Mikulicz u. A. war nur selten Gelegenheit geboten, maligne 
Tonsillentumoren zu sehen resp. zu operiren. In neuerer Zeit 
haben sich die Beobachtungen bedeutend gemehrt, so dass bis 
heute 153 Fälle bekannt wurden, und zwar 92 Carcinoine und 


61 Sarkome. 




Carcinome 


Sarkome 


im weiteren .Sinne: 


im weiteren Sinne: 


Carcinom. 

41 

Sarkome. 

14 

Epitheliom . 

30 

Fibrosarkom. 

1 

Encephaloid. 

10 

S|iindelzellensarkom. 

1 

Scirrhus. 

8 

Rundzellensarkom. 

12 

Ohne nähere Bezeichnung 

3 

Lymphosarkom . 

22 



Alveolarsarkom. 

3 



Malignes Lvuiplmm. 

7 



Lymphangiom . 

1 

Summa 

92 

Summa 

61 


Betrachten wir zunächst das Schicksal der nicht radikal be¬ 
handelten oder nicht operablen Fälle, so finden wir einen sehr 
raschen Verfall der Patienten, ein baldiges Ende derselben au 
den Folgen der Geschwulst. 

K r ö n 1 e i n beschreibt 30 Fälle inoperabler Carcinoine der 
Tonsillen und deren nächster Umgebung. Bei diesen betrug die 
Krankheit vom Zeitpunkte der ersten Beschwerden bis zum Tode 
1—14 Monate und im Mittel 7 Monate. Honsel berichtet über 
die an der Heidelberger Klinik beobachteten Fälle. Die Krank¬ 
heitsdauer für Carcinome war 6—14 Monate, für Sarkome 2 bis 
12 Monate, die mittlere Krankheitsdauer berechnet sich auf 10 
bezw. 7 Monate, während die durchschnittliche Lebensdauer für 
diese Geschwülste im Allgemeinen 2 Jahre ist. Wir ersehen hieraus 
nur zu deutlich, dass die malignen Neubildungen der Tonsille, 
ähnlich denen des Hodens, sozusagen eine besondere Malignität 
besitzen, ein rasches Wachsthum, leichtes Recidiviren und abge¬ 
sehen von den mechanischen Störungen in der Nähe des Re- 
spirations- und Nutritionseinganges einen raschen Zerfall des 
Körpers. 

Die Möglichkeit der Heilung ist also einerseits durch die 
Natur des Leidens erschwert, andererseits durch den Umstand, 
dass die geringen ersten Beschwerden den Kranken oft spät zum 
Arzte führen oder aus anderen Gründen die radikale Behandlung 
spät, einsetzt. 

„Wenn an der Tonsille ein Epitheliom zu wuchern beginnt“, 
sagt C a s t e x, „so hat der Kranke keine oder doch nur wenige 
Beschwerden, geht er zum Arzte, so behandelt ihn dieser, ohne 
der Affektion genügende Aufmerksamkeit zu schenken, mit 
Gurgelwasser oder Aetzmittel; manchmal gelingt es dadurch, Be¬ 
schwerden und Schmerzen zum Schwinden zu bringen und der 

•) Vortrag, gehalten Im Aerztllclien Verein zu München am 
22. Mal 1001. 


Patient vergisst sein Leiden. Aber nach 4—5 Monaten ent¬ 
wickelt sich plötzlich am Kieferwinkel eine rasch wachsende 
Drüsenschwellung und der Fall ist schwer oder gar nicht mehr 
zu operiren, wenn der Chirurg um Hilfe augerufen wird.“ Die« 
gilt auch heute noch für manche Fälle. 

Bei dem raschen Verlaufe des Leidens, dem späten Auftreten 
der ersten Beschwerden, ist es also von besonderem Werthe, die 
! subjektiven und objektiven Erscheinungen sicher zu erkennen, 
i um durch eine Frühdiagnose und rasch einsetzende operative Be- 
j handlung noch gute Erfolge zu erzielen. 

Die ersten Beschwerden sind in vielen Fällen auffallender 
! Weise nicht rein locale, sondern dislocirte Schmerzen oder der 
j Kranke fühlt sich durch einige Drüsen am Halse belästigt und 
j wird erst später die Erkrankung im Halse bezw. Rachen gewahr. 

In anderen Fällen allerdings verursacht die Geschwulst- 
! bildung selbst die ersten Unbequemlichkeiten und führen diese 
| durch die entstehenden Schluckbeschwerden den Kranken zura 
I Arzte. 

j Wir können also zwischen extra- und intrabuccalen Be- 
! schwerden unterscheiden. 

Den sich in vereinzelten Fällen einstellenden Kopfschmerzen 
j ist. keine wesentliche Bedeutung beizulegen, dagegen sind die 
; Ohrenschmerzen ein sehr häufiges Frühsymptom der Tonsillen- 
erkrankung. Sie sind die Folge der lokalen Reizerscheinung 
j durch die Geschwulstbildung, welche auf komplizirten Bahnen 
| durch 4 sensible Reflexbögen von der Tonsille zum Ohr gelangen. 

Auch ohne dass Schluckbeschwerden vorhanden sind, treten 
: in einzelnen Fällen schon frühzeitig Athembeschwerden ein. 
, Den häufigsten und gleichzeitig sichersten ersten Hinweis aber 
auf das Besteheu eines krankhaften Zustandes der Tonsillen 
bilden die sich aussen am Halse entwickelnden Drüsenschwel¬ 
lungen. Ich werde später nochmals auf diese zurückkommen, 
| um erst die intrabuccalen Erscheinungen zu besprechen. 

Sie lassen sich in rein sensitive und rein mechanische Be¬ 
schwerden unterscheiden. Erstere treten oft schon zu einer Zeit 
! auf, da der Tumor oft noch sehr klein ist und können dabei aus* 
j nalunsweise so heftig werden, dass jeder Bissen einen Schlund* 
l krampt' auslöst (Fische r) oder dass nur mehr die Aufnahme 
| flüssiger Nahrung ermöglicht ist (M i k u 1 i c z). Dabei fehlen 
trotz dieser lokalen Reizerscheinung oft fortgeleitete Schmerzen 
des Ohres und Hinterkopfes. 

Zeigt der Tumor eine Volumenszunahme soweit, dass er in 
die Fnuees hineinragt, dass er den Gaumenbogen nach vorne vor¬ 
wölbt und die Uvula zur Seite drängt, dann treten ausser den 
sensiblen Beschwerden auch die Folgen mechanischer Behinde¬ 
rung besonders des Schluckaktes auf. Zu ihm gesellen sich dann 
Störungen der Sprache und der Athmung. 

Bei auftretenden Geschwüren werden die Kranken oftmals 
durch Zerfallsprodukte und Sekrete belästigt, welche dann sogar 
zu Appetitlosigkeit und Ernährungsstörungen führen. Funktions¬ 
störungen durch Versteifungen im Kiefergelenke sind sehr selten; 
J sie entstehen durch flächenhaft sich ausbreitende, mehr in die 
j Tiefe gehende Neubildungen. 

Die Diagnose der malignen Tumoren, das sind die Carcinome 
i und Sarkome im weiteren Sinne, baut sich auf 3 Hauptmomente 
; auf. Das ist: 1. der lokale Befund, 2. das Vorhandensein 
j metastatisch infiltrirter Lymphdiüsen der betreffenden Halsseite, 
; 3. das einseitige Auftreten der Neubildung. 

I An Geschwulstbildungen der Tonsillen lassen sich zweierlei 
I Formen unterscheiden, mehr flächenhafte, geschwürige und solche 
i mit prominentem Wachsthum. 

Aus diagnostischen Gründen werde ich hier auch jene Er¬ 
krankungen erwähnen, welche in der Nachbarschaft der Tonsillen 
auftreten und erst sekundär auf diese übergreifen. 

Von den Geschwüren im Allgemeinen kommen vor parasitäre, 

| bedingt durch Oidium albicans als Soor und durch Leptothrix 
bucealis als Pharyngomykosis benigna, ferner tuberkulöse, sekun¬ 
där und tertiär luetische (von den primären sehe ich ab) und 
| carcinomatose. 

Die Geschwüre parasitären Ursprungs dürften bei ihrer Ober- 
I fläehlichkeit und da sie entweder multipel oder in sehr grossen 
| Flächen auftreten, sozusagen also nie isolirt die Tonsillen be¬ 
fallen, differentialdiaunostisch mit malignen Geschwülsten nicht 
in Betracht kommen. 


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MUENCHENEK MED1CINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1377 


27. August 1901. 


Schwieriger ist die Unterscheidung letzterer von tuber¬ 
kulösen Infektionsgeschwülsten, soweit es sich nicht um jene 
Formen von larvirter Tuberkulose in Form von einfacher Hyper¬ 
plasie handelt. 

„Klhnsch macht die Tuberkeleruption der Mandeln nur dann 
deutliche Erscheinungen, wenn durch käsigen Zerfall Geschwüre 
entstanden sind, welche die Oberfläche der Mandeln verändern. 
Bei gelblichem Belage und geringer Ausdehnung lassen sie im 
Grunde die bekannten feinen Knötchen erscheinen; selten sind 
die Mandeln dabei stärker geröthet und durch wallartige Auf- 
treibnng der Geschwürsränder vergrössert. Nur beim Lupus 
treten die Veränderungen in Form von knotigen Verdickungen 
mit dazwischen liegenden Geschwüren an den Mandeln auf.“ 
(Schee h.) 

Die sekundärsyphilitischen Affektionen, welche 
selten auf den Gaumenbögen und den Mandeln bemerkbar sind, 
bilden oberflächliche, leicht blutende Stellen, breiten Condylomen 
ähnlich; selbst wenn sie, wie nicht so selten, in grosser grau- 
weisser Geschwürsform die seitliche Rachenwand bedecken, bieten 
sie differentialdiagnostisch kaum Schwierigkeiten. Dagegen ist 
dies der Fall bei tertiärsyphilitischen Efflorescenzen. Verwechs¬ 
lungen dieser Art mit malignen Geschwülsten werden vonCastex, 
Poll and und Part sch berichtet. Hier wird ausser dem 
typischen Lokalbefunde: der Eigenart des tertiärsyphilitischen 
Produktes, dessen Indolenz, dem Mangel von Lymphdrüsen- 
schwellungen, den scharf umschriebenen, wie mit Locheisen aus¬ 
geschlagenen oder den buchtigen, unterminirten Rändern, dem 
speckigen Untergründe die Anamnese, die genaue Untersuchung 
des Körpers auf weitere luetische Veränderungen und die 
günstige Einwirkung specifischer Therapie die Diagnose sichern. 

Nur darf letzteres, wie ich ausdrücklich betone, nicht zu 
lange dauern und muss die Einwirkung eine unverkennbare, nicht 
bloss scheinbare, temporäre sein, um die Zeit für die Entfernung 
einer eventuellen malignen Bildung nicht zu versäumen. 

Den luetischen Processen gegenüber zeichnet 
sich das Carcinom in Geschwürsform durch seine 
Härte, die wallartigen Ränder, den eigenartigen Geschwürsgrund 
aus; ihm fehlt selten eine grosse Schmerzhaftigkeit, die reich¬ 
lichen Metastasen in den benachbarten Lymphdrüsen und deren 
Härte, und die bald auftretenden Anzeichen der Kachexie. Auch 
die Lokalisation der beiden Processe ist verschieden. Das Gumma 
tritt mit Vorliebe in der Zunge, am harten und auch am weichen 
Gaumen auf und schreitet von hier erst auf die Tonsillen über; 
dagegen lokalisirt es sich sehr selten primär an den Tonsillen, 
während Carcinome ausser in der Zunge ihren Lieblingssitz an 
der seitlichen Rachenwand und hier besonders häufig an der 
Tonsille haben. 

Die häufigste der prominenten Geschwülste 
der Tonsillen ist die chronisch-entzündliche 
Hyperplasie. Sie bildet sich entweder idiopathisch, auf 
dyskrasischer Basis oder auf dem Boden häufig recidivirender 
meist belagfreier Anginen. Sie kommt hauptsächlich in der Zeit 
der Entwicklungsjahre vor, bleibt an Grösse oft jahrelang gleich 
und bildet sich erst mit Ablauf der Pubertätszeit zurück. Die 
nach dieser Zeit hyperplasirenden Tonsillen schwinden meist mit 
Beginn der 30 er Jahre. Die vergrösserte Tonsille ist blassrotli 
bis gelblichroth, an Farbe oft heller als die sie umgebende 
Schleimhaut. Die Oberfläche ist kryptenreich, ausgekerbt mit 
dilatirten Lakunen; die Consistenz schwankt in den weitesten 
Grenzen; Schmerzen fehlen, ausser zur Zeit neuer Infektionen. 
Die Erkrankung ist fast stets doppelseitig, nur differirt meist 
die Grösse beider Gebilde. Ausser chronischkatarrhalischen Ver¬ 
änderungen, z. B. Verdickung der Seitenstränge, zeigt sich die 
Umgebung durch die Vergrösserung der Tonsille unbeeinflusst. 

Gegenüber den malignen Tumoren kommen ferner diffe¬ 
rentialdiagnostisch in Betracht die eitrige und phleg¬ 
monöse Tonsillitis, das Gumma im ersten 
Stadium und die Aktinomykosis. Der Ton- 
sillarabscess hat wohl zu Irrthümern Anlass gegeben 
(Cheever, M a c C o y, C r o 1 y); bei der heutigen Kenntniss 
der Tonsillargesckwülste dürfte aber eine Verwechslung mit 
malignen Tumoren kaum mehr wahrscheinlich sein gemäss der 
charakteristischen Symptome der Kiefersperre, des akuten, 
schmerzhaften Beginns und des nie fehlenden Fiebers. 


Das Gumma im ersten Beginn wölbt die Tonsille 
als kleinen, rundlichen Tumor mit entzündlich gerötheter 
Schleimhaut vor. Es zerfällt jedoch bald und wird zum Ge¬ 
schwür. 

Der Hauptsitz der Aktinomykosisentwick- 
1 u n g sind wohl kariöse Zähne, Kieferfisteln, auch entzündliche 
und ulceröse Processe des Pharynx; namentlich aber begünstigen 
die Krypten der Tonsillen das Eindringen des Pilzes in die Ge- 
websmaschen. „Die Erkrankung beginnt meist langsam und 
torpid mit der Bildung einer hanfkorn- bis olivengrossen, harten, 
soliden, mit normaler Schleimhaut bedeckten Geschwulst, welche 
mehrere Monate unverändert und kaum schmerzhaft bestehen 
kann; allmählich eiweicht die Geschwulst oder sie vereitert und 
zeigt Fluctuation; ihr Inhalt ist dünnflüssig mit Pilzkörnern ver¬ 
mengt; sie bricht meist nicht von selbst auf.“ (S c h e c h.) 

Als Rarität ist noch ein Fall von Echinococcus der Tonsill* 1 
zu erwähnen (Dupuytren: Le^ons orales, Vol. II, p. 179). 

Die carcinomatöse progressive Wucherung 
der Tonsille zeichnet sich aus durch ein gleichmässig zunehmende- 
Wachst hum, harte Consistenz von unregelmässiger, mehr höcke¬ 
riger Form, die Farbe ist meist bla3s, die Oberfläche meist glatt, 
es fehlen lakunäre Einsenkungen. Die Geschwulst ist schmerz¬ 
haft, sie hat die lebhafte Tendenz des Ueberwuchems auf die 
Nachbarschaft. Auch die härteren scirrhösen Formen des Carci- 
noms neigen nach längerem Bestände zu Zerfall und ermangeln 
selten ulceröser Processe. Oft schon frühzeitig, immer aber in 
späteren Stadien, melden sich die Zeichen der Krebskachexie, 
die Körpergewichtsabnahme und die anaemisehe Hautfarbe. 
Charakteristisch ist für das Carcinom die frühzeitige Metastaseu- 
bildung am Halse und die Härte der infiltrirten Drüsen. Gerade 
hiedurch unterscheidet sich auch das Carcinom, sogar so lange 
es noch klein ist, von der benignen Hyperplasie. Auch durch 
die verschiedene Consistenz und Oberfläche unterscheidet sich 
das schmerzreiche Carcinom von der kryptenreichen, schmerz 
losen, chronisch-entzündlichen Hyperplasie. Während letztere 
vorwiegend eine Erkrankung des Kindesalters ist, nimmt die 
Frequenz der Carcinome mit dem höheren Alter zu. In späteren 
Stadien fehlt der Hyperplasie natürlich auch die Kachexie und 
die Ulceration. 

Schwierigkeiten kann die Differentialdiagnose 
mit Carcinom gegenüber Syphilis oder A k - 
tinomykosc nur bieten, wenn eine der beiden Erkrankungen, 
was wohl kaum der Fall sein dürfte, auf den Tonsillen be¬ 
schränkt auf tritt, da der lokale Befund Charakteristisches nicht 
ergibt. Bei genauer Untersuchung des ganzen Körpers lassen 
sich dann wohl stets weitere Anhaltspunkte zur Sicherung der 
Diagnose finden. Diese fehlen gerade bei Lues in Form von 
Narben, Driisenschwellungen fast nie. Kann man zudem hier 
durch den Erfolg specifischer Therapie einen sicheren Schluss 
ziehen, so ist das bei der Aktinomykose durch die mikroskopische 
Untersuchung des abflicssenden oder durch Punktion gewonnenen 
Eiters gegeben. 

Am schwierigsten aber liegen die diagnostischen Verhältnisse 
bei den Sarkomen. 

Das Sarkom tritt in allen Altersperioden auf, sogar im 
Kindesalter. Es beginnt ohne lokale Beschwerden höchstens mit 
dislocirten Schmerzen am Ohre. Es kennzeichnet sich nur durch 
sein einseitiges Auftreten, durch sein gleichmässig fortschreiten¬ 
des Wachsthum; doch kommt auch zeitweise Wachsthumsstill¬ 
stand vor. Die Oberfläche der sarkomatös degenerirten Tonsille 
ist meist glatt, die Farbe roth-bläulich, die überkleidende 
Schleimhaut selten ulcerirt. Auf die Nachbarorgane greift die 
Neubildung seltener, jedenfalls erst in späteren Stadien über. 
Gegenüber den Sarkomen anderer Organe treten hier schon sehr 
frühzeitig Metastasen auf. Hat die Geschwulst erst längere Zei 
bestanden und eine gewisse Grösse erreicht, dann lässt der zum 
Arzt kommende Kranke meist schon jene eigene wachsartig • 
blasse Hautfarbe erkennen, ähnlich den Septikaemischen. 

In der ersten Entwicklung machen akti nomykotiache 
und tertiärluetische Tumoren die Differenzirung mit 
der sarkomatösen Degeneration der Tonsille schwierig, da sie 
makroskopisch kaum Unterschiede ihnen gegenüber bietet. 
Allen dreien fehlt der Schmerz, die Consistenz ist wechselnd, 
sie kann bei Aktinomykose Fluktuation zeigen, die Farbe ist 
hier vielleicht blasser als bei Gumma und Sarlo-m. Letzteren 


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1378 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


kommen die Metastasen am Halse zu. Auch eine therapeutisch- 
günstige Einwirkung durch Jodkali gibt unsicheren Aufschluss, 
da Sarkome oft vorübergehende Besserung zeigen. Hier ent¬ 
scheidet also vor Allem, ausser der Anamnese, die Feststellung 
weiterer Krankheitsherde oder Narben und die mikroskopische 
Untersuchung. Besteht aktinomvkotische oder luetische Affek¬ 
tion schon lange Zeit, dann ist in Folge des eitrigen Zerfalles 
derselben die Verwechslung mit Sarkom ausgeschlossen. 

In der ersten Zeit der Sarkomentwicklung hat die so ver¬ 
änderte Tonsille die grösste Aehnliehkeit mit der chronisch- 
entzündlichen Hyperplasie. Diese gibt auch am 
meisten Anlass zu Fehldiagnosen. Treten im mittleren oder be¬ 
sonders höheren Alter, wo benigne Hyperplasien so gut wie aus¬ 
geschlossen sind, bei einem Kranken überhaupt liingerdauernde 
Beschwerden am Ohr, oder am Halse auf, oder ist eine Ver- 
grösserung der Tonsille schon constatirt, die stetig zunimmt, so 
liegt der Verdacht nahe, dass es sich nicht um eine benigne 
Veränderung handelt. Der Verdacht einer malignen Bildung 
ist um so mehr gegeben, wenn der Tumor tuberöse Form, eine 
glatte, roth-bläuliche Oberfläche, mit wenigen oder kleinen 
Krypten zeigt, wenn harte Lymphdriisen an der gleichen Hals¬ 
seite zu fühlen oder gar schon anaemische Erscheinungen kennt¬ 
lich sind. Hier muss zur raschen Entscheidung gaschritten 
werden und, wenn klinisch nicht möglich, die Diagnose durch 
mikroskopische Untersuchung eines exeidirten Tumorstückchens 
gestellt werden. 

Bei dem raschen Wachsthum der malignen Geschwülste der 
Tonsillen erscheint es mir überhaupt rathsam. an allen nach 
dem 30. Lebensjahre auftretenden Tumoren, sofern nur der ge¬ 
ringste Zweifel in der klinischen Diagnose besteht, die Struktur 
durch mikroskopische Untersuchung sobald als möglich fest- 
zustellen. 

Die Nothwendigkeit der Untersuchung bestellt nicht bloss 
zur Unterscheidung zwischen gut- und bösartigen Geschwülsten, 
sondern auch zur Unterscheidung der Arten maligner Ge¬ 
schwülste unter sich und zwar in prognostischer wie thera¬ 
peutischer Hinsicht. Was diese betrifft, handelt es sich bei den 
Carcinomen der Tonsille ausschliesslich um Epitheliome und 
zwar um Plattenepithelcardnome. Die Sarkome unterscheiden 
sich histologisch, je nach ihrem Ausgangspunkte vom Binde¬ 
gewebe, in Fibrosarkome und die seltenen Spindelzellensarkome, 
oder nach ihrem Ausgangspunkte von den lymphatischen Ele¬ 
menten als Alveolär- und Lymphosarkom. Zwischen beiden 
stehen die Rundzellensarkome. Als seltene Geschwülste sind 
noch die Rhabdomyosarkome anzuführen (W a g n e r und 
Mikulicz). Sie zeigen sich als derbe Infiltrate oder als um¬ 
schriebene Geschwülste und neigen sehr zum geschwürigen Zer¬ 
fall. Ob die als maligne Lymphome beschriebenen Fälle eine 
eigene Krankheit gegenüber dem Lymphosarkom darstellen, ist 
wohl noch nicht sicher entschieden. Auffallend ist jedenfalls bei 
einzelnen als Lymphomen oder Lymphosarkom beschriebenen Fäl¬ 
len das reichliche Auftreten von sarkomatösen Metastasen in der 
Haut, der gelegentliche Stillstand in deren Wachsthum und die 
spontane, oft totale Rückbildung selbst grosser metastatischer 
Geschwülste (Kaposi). Während Hautmetastasen bei Sar¬ 
komen der Tonsillen nicht beobachtet sind, werden in ver¬ 
schiedenen Fällen Metastasen ferner liegender Drüsengruppen, 
wie die axillaren, retroperi tonen len. erwähnt. Fehlt dem Carei¬ 
nom die frühzeitige Metastasirung der nächst liegenden Hals- 
driison niemals, so trifft dies hier auch bei den Sarkomen zu. So- 
ferne nur einige Wochen seit. Beginn der Erkrankung vergangen 
sind, lioss sich in fast allen Fällen die Vergrösserung der Drüsen 
naehweiseu. Charakteristisch Kt die Härte der metastasirten 
Lymphdriisen und das Befallensein bestimmter Gruppen. Zu¬ 
nächst befallen sind die hinter dem Kieferwinkel liegenden 
Drüsen gruppen, dann die der Carotisgabelung, besonders aber 
die Glandulae cervioales profundae unter dem Kopfnieker. 

Gelegentlich führen gerade die Metastasen durch massen¬ 
hafte Entwicklung zu Schluck- oder Kaubeschwerden in Folge 
Bewegungsbehinderung des Kiefers oder durch eigenartige Lage 
an der Trachea, und am Jugulum zu Athemhesehwerden. 

Nicht unerwähnt bleibe der von Krön lein beobachtete 
Fall von sekundärer Tvreh«infektion der Tonsille nach primärem 
Mammacareinom. 


_ Klinisch lassen sich die Carcinome und Sarkome durch fol¬ 
gende Hauptmerkmale unterscheiden, wie sie Honsel über¬ 
sichtlich angibt: 


Eigenschaften: Carcinom 

Aeusseres Ansehen Geschwür 

Neigung zur Ausbreitung in 

der Uui.ebung gross 

Dissemination iin Körper fehlt 

Häufigstes subj. Symptom Schlnckbesehwerden 

Schmer/, 'n 


Sarkom 
tuberöser Tumor 

gering 

theilweise 

Schlackbeschw. 

Athemnoth. 


Vor ich auf die Krankengeschichte übergehe, möchte ich 
noch einige Bemerkungen über die Aetiologie machen. Bei den 
malignen Geschwülsten im Allgemeinen bilden chemische und 
mechanische Reize, Traumen und besonders chronische Entzün¬ 
dungen den Grund der Entstehung. Während besonders bei den 
Lippen- und Zungencarcinomen diese Entstehungsursachen all¬ 
gemein anerkannt sind, finden sich bei den bisher veröffentlichten 
Fällen von Tonsillargeschwülsten nur ganz wenige diesbezügliche 
Angaben. Besonders auffallend ist das Fehlen vorhergegangener 
chronischer Entzündungen. Im Gegentheile, es hat den An¬ 
schein, als ob gerade diejenigen Tonsillen zur malignen Degenera¬ 
tion prädisponiren, welche vorher von entzündlichen Affektioneu 
frei geblieben waren. Die Bevorzugung des männlichen Ge¬ 
schlechtes an der Erkrankung ist hier wie bei Carcinomen anderer 
Organe, auch die Häufigkeit des Auftretens in den verschiedenen 
Altersperioden bietet nichts Abweichendes. 

(Schluss folgt) 


Aus dem Universitiitsinstitut für Chirurgie und topographische 
Anatomie (Direktor: Herr Prof. Dr. Th. Jonneseo) zu Bukarest. 

Die Ligatur der Gefässe der Milz beim Thier. 

Von Dr. Balncescu, 

Assistenzarzt der Klinik und des Institutes. 

Clement Lucas') schlug zuerst im Jahre 1882 vor. die 
Unterbindung des Gefässstieles der Milz behufs Herbeiführung 
einer Milzatrophie da, wo die Splenektomie wegen zahlreicher 
starker Adhnesionen oder ungünstigen Allgemeinbefindens nicht 
ausführbar sei, zu versuchen. 

Dic-cs Verfahren führte jedoch in den Fällen, in welchen 
es bisher angewandt wurde, zum Tode der Kranken. So unter¬ 
banden W y m a n ') 2 Zweige der Art. splenica einer malarischen 
mit der Nachbarschaft stark adhaerenten Riesenmilz, dann 
B a t t 1 e 3 ) den ganzen Gefässstiel der Milz in einem Falle von 
durch Kontusion des Abdomens verursachter Milzruptur, ferner 
M a r c h a n d und Kuester*) den ganzen Gefässstiel einer 
leukaemischen Riesenmilz und schliesslich Tricomi') die Art. 
splenica einer leukaemischen Milz. Alle diese Kranken starben 
jedoch: der erste an septischer Peritonitis 48 Stunden nach der 
Operation, der zweite an Peritonitis am 9. Tage, der dritte sofort 
nach dem Eingriffe und der vierte nach 45 Tagen. — 

Seit langer Zeit hat man auch daran gedacht und versucht, 
die Tumoren und besonders die inoperablen Geschwülste durch 
Verkleinerung ihrer Ernährungswege zur Atrophie zu bringen. 
Jedoch wegen der Misserfolge, die man dabei hatte, verwarf man 
bald diese sogen. Methoda atrophicans. — Erst seit einigen Jahren 
kamen die Chirurgen auf diese Behandlungsweise wieder zurück 
und wandten sie in vielen Fällen von inoperablem Uteruscarcinom 
an. — Sie erwies sich dabei als die beste Palliativbehandlung, 
die alle bisherigen Palliativmittel zu ersetzen vermag. 

Damit, die Atrophie eines Organs sicherer und rascher er¬ 
folgen könne, räth F rede t *), saramtliche Emährungswege des¬ 
selben resp. das hetr. Organ aus der Blutcirculation ganz auszit- 
sehalren. Demi die bisherige Erfolglosigkeit der Ligatur beim 
Zungencarcinom schreibt dieser Autor den zahlreichen Gefässen 
der Zunge, die alle zu unterbinden nicht möglich sei, zu. 

Um das Schicksal der Milz nach der Ligatur ihres Gefäss- 
stiolo bezw. die Erscheinungen, welche nach einer plötzlichen 

') CI. Lucas: Lancet 1882, T. I, p. 527. 

0 Wyman: Amer. med. assoc. 1889. 

*) Battle: Med. Pres, and circular 1893. T. LV. p. 403. 

4 ) Marchand und Küster: Berl. klln. Wochenschr. 1894, 
p. 813. 

*) Tricomi: Mercredl Med. 1894. p. 232 

*' Fred et: Des Ligntures de l'artfcre uterine. Revue de 
Chirurgie 1898. No. 5. p. 4(51. 


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27. August 19Ö1. MüENCHENER MEDiCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1376 


und vollständigen Ausschaltung dieses Organs aus der Blut- 
cireulation oder nach einer ers^ allmählich wachsenden Verkleine¬ 
rung seiner Emährungs wegen auf treten, kennen zu lernen, fing 
ich schon seit 1896 an, eine Serie von Versuchen bei Hunden 
zu machen. Die Ergebnisse, deren ein Theil auf den französischen 
Kongressen für Chirurgie in den Jahren 1897 und 1898 von 
Herrn Prof. Dr. Th. J onnesco’) mitgetheilt wurde, sind nun 
folgende: 

I. Ligatur des ganzen Gefässstieles der Milz mit Einschluss 
des Ligamentum gastro-lienale. 

Operationstechnik: 8—10 cm lange Laparotomie mediana 
supraumbilicalis. Man sucht die Milz auf und bringt sie aus 
dem Abdomen heraus, was bei dem langen Stiel der Hundemilz 
leicht gelingt. In einigen Fällen wird nun ein wenig sanguino¬ 
lenter Saft aus einem vorher kauterisirten Punkt der Milzober¬ 
fläche mit Pipette oder Platinnadel entnommen und auf Bouillon, 
Gelatine, Milch etc. behufs bncteriologischer Untersuchung ge¬ 
bracht. Dann wird der ganze Gefässstiel der Milz mit Ein¬ 
schluss des Lig. gastro-lienale mit 2 oder mehreren Catgutfäden 
No. 1 oder 2 fest unterbunden. — Man bringt die Milz in die 
Bauchhöhle zurück, vernäht dann die Abdominalwundo und legt 
einen Verband an. Selbstverständlich worden dabei die anti- 
septischen und aseptischen Regeln ebenso streng wie in der 
menschlichen Chirurgie beobachtet 

Erste Versuchsreihe: 

Lebensdauer der Thiere post operatioue in. 
Es starben: 

8 Ilunde nach 24 Stunden. 

Autopsie: Bei den 5 ersten: Milz um das 3-4 fache ver- 
grössert, hart, braun. Kapsel intakt und frei von Adhaesionen. 

Bei einem: Normalgrosse, der Gasgangraen verfallene 
und auf Druck knirschende Milz. Bauchhöhlenflüssigkeit lu 
grösserer Quantität 

Bei den 2 letzten: Verkleinerte, der Gasgangraen 
verfallene Milz, deren durchbrochene Kapsel die Pulpa heraus- 
iliessen liess. Bnuchhöhlenflüssigkeit brauner als sonst und in ihr 
schwammen gangraenöse Milztheile. 

Bei allen 8 Tliieren war die Bauchhöhle von einem sanguino¬ 
lenten, schmutzig-braunen Fluidum gefüllt. 

20 Hunde nach 48 Stunden. 

Autopsie: Bel 9 Hunden: Enorm grosse, dunkelbraune 
Milz. Kapsel gespannt Milz etwas weniger hart als bei den 
vorigen. Gangruen mehr fortgeschritten. Bauch¬ 
höhle von einer sero-sanguinolenten Flüssigkeit, in welcher die ad- 
haesionsfreie Milz schwamm, ganz ausgefüllt 

Bei 3 Hunden: nonnalgrosse, leicht zerreissliche Milz.. Die 
weiche Pulpa behält die Fingereindrücke bei. Die Milz hatte 
schwache, leicht zerreissliche Adhaesionen mit dem Netz und dem 
Magen. Chokoladenfarbige, schmutzige Bauchhöhlenflüssigkeit. 

Bei 8 Hunden: Stark verkleinerte Milz, deren einige 
Partien der Gasgangraen verfallen sind. Die Kapsel zeigt 
mehrere Rupturen, die die braungelbliche Pulpa herausfliessen 
lassen. Milzstücke schwammen ln einem schmutzigbraunen Baucli- 
böhlenfluidum. 

3 Hunde nach 3 Tagen. 

Autopsie: In der Nähe des Milzhylus fand sich ein kleiner 
Kapselrest in Verbindung mit einer kleinen Portion von Milz- 
parenchym. Der Rest der Milz zerstört und in kleine gan¬ 
graenöse Stücke zerthellt, welche mit der die Milzloge umgebenden 
sanguinolenten Flüssigkeit untermischt sind. Darmadhäslonen be¬ 
grenzen ein wenig diese Loge. 

2 Hunde nach 4 Tagen. 

Autopsie: Milz um die Hälfte verkleinert und zu 
einem gelblichen Brei, der ln einer seropurulenten Flüssigkeit 
schwamm, umgewandelt Das Ganze fand Aufnahme in einem 
durch Netz- und Darmadhaeslonen gebildeten Sack. Im Abdomen 
schmutzige seropurulente Flüssigkeit, ln welcher die Darm¬ 
schlingen schwammen. 

2 Hunde nach 5 Tagen. 

Autopsie: Die Milz war auf eine einfache, unförm¬ 
liche, braungelbliche Masse reduzirt, welche von 
den Darmschllngcu und dem Netz umgeben ist. Letztere begren¬ 
zen einen weiten, mit sanguinolenter und einen penetranten Ge¬ 
ruch verbreitenden Flüssigkeit gefüllten Sack. In dieser nicht- 
eitrigen Flüssigkeit fanden sich Milzstücke. die vielmehr faulen¬ 
den Coagula, als dem Milzparenchym ähnelten. 

1 Hund nach 8 Tagen. 

Autopsie: Die Milz war fast verschwunden, um 
den Milzstumpf war ein kleiner Sack, welcher chokoladefarbigen 
Elter enthielt. 

1 Hund nach 9 Tagen. 

Milz zu einem kleinen Knoten umgewandelt, welcher 
in einem eitrigen Sack schwamm, er war durch miteinander ver¬ 
wachsene Darmschlingen gebildet. 


9 Th. Jonnesco: Congr. frnnc. de Chirurg. 1897, p. 602 et 
1898, p. 462. 

No. 35. 


Zweite Versuchsreihe: 


Nach Vornahme der in Rede stehenden Liga¬ 
tur wurde eine zweite Operation (explorative 
Laparotomie) gemacht, um den Milzbefund noch 
während des Lebens der Thiere zu erheben. Es 
wurden also reoperlrt: 

2 Hunde nach 24 Stunden: In der Bauchhöhle sero- 
siinguiuolenteK Fluidum. Die normalgrosse Milz hatte frische 
Adhäsionen mit dem Netz und dem Magen. Kapsel ein wenig 
runzelig. Nach Erhebung dieses Befundes wurde die Splenektomie 
gemacht und die Thiere starben nach 24 Stunden. 

Autopsie: Milzparenchym braungräulich und stark kou- 
gestiouirt. 

4 Hunde nach 2 Tagen: Bei 2 Milz kleiner als nor¬ 
mal, schlaff, leicht zerreisslich. Kapsel gerunzelt, intakt Auf 
dem Durchschnitt fliesst die Pulpa wie eine schmutzigbraune 
Flüssigkeit von penetrantem Geruch heraus. Schwache Ad¬ 
häsionen der Milz mit der Umgebung. In der Bauchhöhle san¬ 
guinolente Flüssigkeit. Es folgten Splenektomie und Ausspülung 
der Bauchhöhle mit aseptischer physiologischer Kochsalzlösung. 
Tod nach 24 Stunden. 

Bei den 2 übrigen eine dunkelbraune R i e 8 e n m i 1 z; die 
Kapsel gespannt, intakt Die adhaesionsfreie Milz schwamm in 
einer sanguinolenten Flüssigkeit, welche in grosser Menge die 
Bauchhöhle ausfüllte. Gleich darauf Splenektomie und Aus¬ 
spülung der Bauchhöhle mit aseptischer physiologischer Kochsalz¬ 
lösung. Tod nuch 24 Stunden. 

1 Iluud nach 3 Tagen: Stark verkleinerte Milz. Die 
Kapsel runzelig, aschefarbig und an dem Netz adliärent. Eine 
schmutzige Flüssigkeit füllte die Bauchhöhle aus. Splenektomie 
und sofortiger Tod. 

2 Hunde nach 4 Tagen: Bei dem einen war die Milz 
riesengross, hart und dunkelbraun. Kapsel gespannt Sie 
ähnelte im Ganzen der Milz der voiigen, 2 Tage nach der Ligatur 
reoperlrten Hunde. Keine Splenektomie. Tod nach 3 Tagen. 

Bei dem zweiten: Milz stark verkleinert und am Magen 
adliärent, die Kapsel durchbrochen. Der nekrotische Zerstörungs¬ 
preeess fortgeschritten. Schmutziges Fluidum füllte die Bauch¬ 
höhle aus. Splenektomie und Ausspülung der Bauchhöhle mit 
Sublimat 1:2000. Trotzdem Tod nach 16 Stunden. 

Autopsie: Bei dem nach 3 Tagen verstorbenen: Milz stark 
verkleinert. Die Kapsel am hinteren Milztheil durchbrochen. Aus 
der Ruptur floss ein schmutziges Fluidum heraus, das im Ganzen 
dem der Bauchhöhle ähnelte. 

1 Hund nach 8 Tagen: Wenig seröses, trübes Fluidum 
in der Bauchhöhle. In der Milzgegend ein kleiner Netzknoten, in 
dessen Mitte die Milz sich fand. Sie Avar auf die Grösse 
einer Nuss reduzirt und zu einem braunen Brei umgewandelt, 
auf dem Durchschnitt sieht man auch gelbe Theile. Nach Exstir¬ 
pation dieses kleinen Knotens blieb das Thier am Leben. 

1 Hund n a c li 15 Tagen: Auch hier war die Milz zu 
einem haselnussgrossen Knoten verkleinert und vom 
Netz umgeben und mit dem Magen verklebt Keine Spur a*oii 
Fluidum ln der Bauchhöhle. Nach der Estirpation des Mllzknoteus 
lebte das Thier Aveiter. 

1 Hund nach 16 Tagen: Auch hier die Milz zu einem 
kleinen Knoten reduzirt, wie Aveun die Splenektomie ge¬ 
macht worden Avüre. Der Milzknoten fand sich in der Mitte einer 
Netzmasse, die ringsum an der Milz adhärlrte. Nach Exstirpation 
des Milzknotens lebte das Thier weiter. 

3 Hunde nach 20 Tagen: Bei dem einen Avar die Milz 
zu einem haselnussgrossen Knoten verkleinert, welcher 
auf dem Durchschnitt ein gelbliches Aussehen bot. Nach Exstir¬ 
pation desselben lebte das Thier weiter. 

Bei den 2 übrigen schAvnmm die zu einem kleinen Kno¬ 
ten verkleinerte Milz in einem eitrigen, gut abgrenzbaren Sack, 
welcher bei dem einen an der Abdominalwand adhärlrte, beim 
anderen ganz frei war und einer Cystengeschwulst des Netzes 
ähnelte. Der Eiter ist als Entzündungsprodukt aufzufassen. Dl«* 
Wände des Sackes waren verdickt. Leben. 

2 Hunde nach 25 Tagen: Die Milz zu einem kleinen 
Knoten reduzirt, welche ln einem mit Eiter gefüllten, gut ab¬ 
grenzbaren und an der Abdomiualwand adhärenten Sack 
schwamm; braungelblicher Eiter floss durch die SackAvand heraus 
und war mit kleinen Pulparesten untermischt. Die Sackwänd«* 
verdickt Leben. 

1 Hund nach 33, 1 nach 43, 1 nach G0, 1 nach 
83 Tagen: Bei allen diesen war die Milz gauz verschwun¬ 
den, gleich als ob die Splenektomie gemacht worden wäre. Gar 
keine Adhäsionen zwischen den Darmschlingen. Das grosse Netz 
frei und normal. Da, wo die Ligaturfädeu angelegt wurden, gibt 
es einen Knoten, der auf dem Durchschnitt gelblich aussieht. In 
demselben gar nichts von Milzpulpa oder Milzkapsel zu sehen. 
Leben. 

Wir sehen also, dass von den 58 Hunden, bei welchen wil¬ 
den ganzen Gefässstiel der Milz mit Einscliluss des Lig. gastro- 
lienale unterbunden, 37 im Zeitraum von l-*-9 Tagen 
zu Grunde gingen. Zu dieser Gruppe muss man auch 
die ersten 9 Hunde aus der zweiten Versuchsreihe rechnen, weil 
sie die gleiche kurze Ivcbensdauer post oporationeui (1—7 Tage) 
und die gleichen jetzt zu schildernden Milzveränderungen luitten: 

Bei diesen 46 Thieren ergab nun,die Autopsie Folgendes: 
Die Milz geht zuerst durch das Stadium der Hypertrophie. dann 

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1380 MtTENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35. 


folgt eine rasche Nckrotisinnig ihrer Elemente, ln einigen Fällen 
verfällt die Milz der Gasgangruen. Stets 48 Stunden nach der 
ersten Intervention wird die Milz schlaff, brüchig und enthält 
viel Saft, der an geformten Elementen sehr arm ist. — ln der 
Bauchhöhle findet sich stets ein sero-haemorrhagischee Fluidum, 
welches um so massenhafter ist, je länger das Thier die Ligatur 
überlebt hat. Es ist als ein peritonitisches Exsudat, welchem m 
den Fällen von Kapselruptur der in der Milz während ihrer Ne¬ 
krose gebildete und aus den Rupturstellen in grosser Menge 
herausgeflossene schmutzigbraune Saft, sowie auch kleine nekro¬ 
tische Milzpartien beigomischt sind, aufzufassen. In demselben 
finden sich übrigens, wenn es massenhaft ist. Unzählige Leuko- 
cyten von jeglicher Form, die jedoch die gleichen Laesionen wie 
die Milzelemente zeigen. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung (Herr 
Bruckner) zeigte es. sich, dass die Nekrose um so ausge¬ 
sprochener war, je länger das Thier die Ligatur überlebt hat. 
Im letzten Fall ist die Milz unförmlich; ihre Elemente sind 
nicht mehr zu erkennen. Die Zellen des Parenchyms, die Tra¬ 
bekeln und die Gefässwände sind getrübt und schwer abgrenzbar. 
Auf der Oberfläche der Kapsel Ablagerung von zum grössten 
Theil nekrotisirten Leukocyten. Je früher das Thier starb, desto 
mehr näherte sich der Befund dem Normalen. Jedoch bei den 
24 Stunden post ligaturam gestorbenen Hunden sind stets kleine, 
absolut typische nekrotische Partien, dann eine Anschwellung 
der Milzelemente und der Beginn einer trüben Degeneration 
der letzteren zu konstatiren: das mehr opake Protoplasma färbt 
sich undeutlich. Die Kerne sind dunkel, schlecht abgrenzbar. 
In den letzteren sind keine chromatischen Körperchen zu 
sehen. In einigen Fällen ist ein im Milzparenchym frei zer¬ 
streutes dunkelbraunes, feines Pigment sichtbar. In allen Fällen 
fanden sich jedoch im Milzparenchym grosse Massen von einem 
duukelgelben Pigment, welche vielleicht von vielen mit¬ 
einander verklebten und dann degenerirten rothen Blutkörper¬ 
chen herstammen. Im ganzen Milzparenchym findet sich kein 
einziges lebendes Element: sämmtliche Zellen, die noch nicht 
verschwunden sind, gelangten nahe an die Nekrose. Niemals 
fanden sich abnorme Elemente wie Mastzellen etc. 

Die bacteriologische Untersuchung ergab gar 
keine Mikroorganismen in der physiologischen Milz. Erst bei der 
Autopsie gewannen wir in einigen Fällen Kulturen von Bac- 
terium coli und Streptococcen. Dieselben fanden sich auf der 
Kapsel und unter derselben, sowie im Bauchhöhlenfluidum um 
so massenhafter, je länger das Thier die Ligatur überlebt hat. 
Gegen das Centrum der Pulpa hin wurden dieselben immer 
weniger und fehlten im Centrum ganz, wenn die Thiere kurze 
Zeit gelebt haben und ihre Autopsie rasch gemacht wurde. Die 
Invasion der Mikroorganismen erfolgt also erst nach dem An¬ 
legen der Ligatur und erklärt sich folgendermaassen: Die der 
Blutcirculation resp. des Lebens beraubte und desswegen der 
Gangraen verfallene Milz wirkt wie ein fremder Körper im Ab¬ 
domen ein, erzeugt eine Peritonitis und verwäclist mit den Nach¬ 
barorganen und ganz besonders mit dem Darm. — Letzteres 
ruft eine Dannwandentzündung hervor, denn stets fanden wir 
die mit der Milz verwachsene Darmwand verdickt, dunkelroth 
und ihres Endothels verlustig. Der Uebergang der Mikroorga¬ 
nismen vom Darm in das Peritoneum ist unter diesen Beding¬ 
ungen sehr leicht möglich und eine längst bekannte Thatsache. 
In der im Stadium der Nekrose befindlichen Milz finden die 
Mikroorganismen endlich den günstigsten Nährboden. 

Der Tod unserer Thiere scheint nicht allein durch die Peri¬ 
tonitis verursacht zu sein, weil in einigen Fällen trotz der früh¬ 
zeitigen Splenektomie keine Besserung im Befinden der Thiere 
eintrat. Wir müssen hier annehmen, dass wahrscheinlich einzig 
und allein die vielleicht in der Milz während ihrer Nekrose sich 
bildenden, durch die Kapsel difundirenden und dann vom Peri¬ 
toneum sich absorbirendon Ptomaine eine Intoxikation der Thiere 
herbeizuführon im Stande wären. Für die Berechtigung dieser 
Annahme spricht noch Folgendes: von einer 48 Stunden nach 
der Ligatur erhaltenen, in Stücke geschnittenen und gefrorenen 
und plötzlich erwärmten Riesenmilz wurde der austretende Saft 
filtrirt und mehreren Thioren injizirt, nachdem die Dosis der 
Injektion pro Kilogramm Gewicht des Thieres berechnet wurde. 
Sie tödtote einen Hasen, ein Kaninchen und 3 Ratten. Drei 
andere Ratten blieben jedoch am Leben. Obwohl die bei letzteren 


angewandte. Dosis sehr klein war und diese Versuche jedenfalls 
nicht beweisend genug sind, so möchten wir doch dieselben au 
dieser Stolle erwähnen. 

Dagegen ist es von grossem Interesse, dass von den 58 
Hunden, bei welchen wir, wie gesagt, den ganzen Gefässstiel der 
Milz mit Einschluss des Lig. gastro-lienale unterbunden haben, 
nur 12 diese Operation zu überleben im Stande 
waren. Bei denselben hat die explorative Laparotomie eine 
vollständige Atrophie der Milz ergeben. Die Milz 
war nämlich zu einem kleinen Knoten reduzirt; in einigen Fällen 
war der Knoten so klein, wie wenn die Splenektomie gemacht 
worden wäre. Durchschnitte durch einen solchen Milzstumpf 
eines 43 Tage nach der Ligatur reoperirten Thieres zeigten 
folgende Veränderungen: die runzelige Kapsel zum grössten Theil 
nekrotisirt, die Trabekeln geschwunden. Das Centrum des Kno¬ 
tens bis zu seiner Peripherie ist von einer nekrotischen Masse 
ausgefüllt, in derselben kein einziges lebendes Element sichtbar. 
Unter der Kapsel sieht man hier und da Ansammlungen von 
grossen mit braunenPigmentkörnern gefülltenZellen mit grossem 
Protoplasma. Es sind vielleicht Reste der subkapsularon Fol¬ 
likeln, welche der Nekrose, dank des gefiissreichen peripherische» 
Gewebes entgangen sind. In der That ist der Milzknoten von 
einem an Fett und Gefässkapillaren reichen Bindegewebe um¬ 
geben. 

Diese Fälle bestätigen die Rt*sultate von Carriere und 
V auverts"). Auch ihre 11 Thiere (8 Hunde und 3 Hasen), 
bei welchen der ganze Gefässstiel der Milz unterbunden wurde, 
haben die Ligatur überlebt und zeigten grösstentheils die gleichen 
Milzveränderungen wie die unserigen. Eine Umwandlung der 
Milz in einen mit Eiter gefüllten Sack, wie es die obigen Autoren 
beobachtet haben wollen, sahen wir jedoch nicht. Denn der in 
4 (von unseren oben erwähnten 12) Fällen lediglich um den Milz¬ 
knoten gebildete Eiter war in einem Sack enthalten, dessen Wand 
nicht von der Milzkapsel, sondern von den entzündeten und nu 
der Milz adhaerenten Dannschlingen und Netz gebildet waren. 
Die Entstehung dieser Eiterung möchten wir nicht nach Car¬ 
riere und V auverts auf die Vermehrung der angeblich in 
der normalen Milz existirenden Mikroorganismen, sondern ent¬ 
weder auf Anwendung eines weniger aseptischen Ligaturfadens 
oder auf das Eingedrungensein von Mikroorganismen des Dann- 
traktus zurückführen. — Ferner haben wir die von diesen 
Autoren in der Milz noch beobachteten Veränderungen, wie l)e- 
generatio casco-purulenta, Neubildung von Capillaren, Invasion 
von Phagoeyten und Bildung von einem Bindegewebswall um den 
eiterigen Milztheil, gar nicht gesehen. 

In grösster Uebereinstimmung jedoch erweisen sich unsere 
Fälle mit denen von B o i n e t *). Auch er unterband den ganzen 
Gefässstiel der Milz bei Hunden, sah jedoch die meisten daran 
zu Grunde gehen und konstatirte die gleichen Milzveränderungen, 
wie wir sie bei den unsorigen beschrieben haben. Nur waren 
dieselben in unseren Fällen von einer Kongestion der Lungen, 
der Leber und der Nieren, sowie einem Haemorrhagischwerden 
der suprarenalen Kapsel nicht begleitet. Endlich haben auch 
einige seiner Thiere die Ligatur 18 Tage bis 4 Monate lang über¬ 
lebt und dann konnte er Atrophie der Milz nachweisen. 

II. Partielle Ligatur des Gefässstieles der Milz. 

Erste Versuchsreihe: 

Bel 4 Hunden wurden einzig und allein di«* 
Art. splenlca und Vena splenlca da, wo erster«* 
von der Art coellaca abgeht unterbunden, 
nachdem dieselben gut Isollrt wurden. 

Die obigen Hunde wurden 17, 20, 30 und 40 Tage nach «1er 
ersten Intervention zum zweiten Mal laparotomirt. 

Befund: Die Milz behielt die Grösse, die sie bei der ersten 
Intervention hatte, bei. Auch mikroskopisch war keine Atrophie 
derselben nachzuweisen. Die Oberfläche der Milz war jedoch mit 
zahlreichen weissllchen Plaques b<Hleckt. Die Milz war bt'sonders 
an ihren weissllchen Plaques härter, als lm normalen Zustande. 
Ringsum adhiirlrte sie schwach an dem Netz. Sodann wurde der 
ganze Gefässstiel der Milz nahe am Hylus unterbunden. Das 
Lig. gnstrolienale blieb frei. 

Dieselben wurden 15, 18, 24 und 28 Tage nach der zweiten 
Intervention zum dritten Mal laparotomirt 

Befund: Die Milz war um 1—2 cm lm Längsdurchmesser 
und um 1—iy 2 cm Im Breitendurchmesser verkleinert. Dieselbe 


*) CarrRre et Vauverts: Arch. de mßd. exp. et d’anat. 
pntholog. 1899, p. 498. 

*) B o 1 u e t: ltecher. exp. sur les fonctions de la rate. Med. 
orientale, No. 21, 10. Nov. 1900, p. 448. 


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27. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1381 


war viel härter; die welssllchen Plaques haben sieh vermehrt und 
bedeckten die ganze Milzoberflüche. Die von der Mllzperiplierle 
zu dem Netz und den Darmschlingen laufenden Adhäsionen sind 
solider. 

Zwecks der mikroskopischen Untersuchung nahmen wir die 
Kplenektomie bei den obigen Thieren vor: Die Kapsel scheint 
von normaler Struktur und nicht verdickt zu sein. Auf ihrer 
Oberfläche ein neugebildetes Bindegewebe, das an einigen Stellen 
doppelt so dick als die Kapsel, an anderen Stellen jedoch sehr 
dünn ist. Es besteht aus lockerem Bindegewebe und in der Tiefe 
grösstentheils aus neugebildeten Gefüssen. Etwa in die Milz ein¬ 
dringende neugebildete Gefässe sieht man jedoch nicht. In der 
Milz finden sich keine nennenswerthon Lacsionen: die Trabekeln 
und die Gefässe scheinen normal zu sein. Es handelte sich also 
um eine Perisplenitis. 

Zweite Versuchsreihe: 

Bei 4 Hunden wurde von vornherein der ganze 
G e f il s s s t i e 1 der Milz unterbunden; nur das L i g. 
gustro-lienale blieb frei. 

Dieselben wurden 15, 20, 25 und 40 Tage nach der ersten 
Intervention'zum zweiten Mal laparotomlrt. 

Befund: Die Milzveründerungen waren ebenso die gleichen, 
wie in den in der obigen Versuchsreihe erwähnten Fällen, bei 
welchen, wie gesagt, der ganze Gefässstlel der Milz unterbunden 
wurde. Es scheint jedoch, dass dieselben liier ln viel kürzerer 
Zeit, als ln den Fällen, bei welchen die alleinige Ligatur der Art 
spleuic. und Vena splenlc. gemacht wurde, aufgetreten waren, 
denn sie sind stets ausgesprochener. 

Dritte Versuchsreihe: 

Bei einer Hündin wurde am 4. Februar 1000 nach Eröffnung 
des Abdomens ein 20 cm langes und 6 cm breites Stück aus dem 
Peritoneum parietale der linksseitigen Bauchwand resecirt. An 
dieser blutenden Fläche wurde die 18 cm im Längsdurchmesser 
und 3 y 2 cm (am vorderen Thell) und 3 ein (am hinteren) im Breiten¬ 
durchmesser messende Milz durch 8 Seidenfäden flxlrt. 

Bei der am 23. Februar, d. h. 19 Tage nach der ersten Inter¬ 
vention vorgenommeuen zweiten Laparotomie zeigte es sich, dass 
die Milz an der Abdominalwand vollständig ndhärent war. Nun 
wurde der ganze Gefässstlel der Milz mit- Einschluss des Lig. 
gnstro-lienale unterbunden. 

Am 26. Mai dritte Laparotomie: Nach Durchschneidung des 
Gcfiis88tieles der Milz zwischen 2 Ligaturen blieb die Milz nur 
au der Abdominal wand hängen und das Thier blieb am Leben. 

Am 3. Juli wurde das Thier behufs Untersuchung der Milz 
getödtet: Makroskopisch war die Milz 5 Finger laug und hatte 
einen Dickendurchmesser von 1 Finger und einen Breitendurch¬ 
messer von 1 y 2 Fingern. Kapsel sehr verdickt und an einigen 
Stellen leicht ablösbar. Sie ist weisslieh und an einigen Stellen 
milchweiss. Auf dem Durchschnitt ist die Pulpa conslstent Die 
M a 1 p i g h i'scheu Follikel leicht sichtbar und scheinen ver¬ 
größert zu sein. 

Die histologische Untersuchung ergab: Kapsel wenig verdickt. 
Auf ihrer Oberfläche findet sich jedoch ein gefässreiclies Binde¬ 
gewebe, welches an einigen Stellen sehr dünn, an anderen 2 bis 
3 mal dicker als die Kapsel ist. Durch die besondere Structur 
Ist dieses Gewebe von der Kapsel sehr leicht abgrenzbar. Seine 
oberen Schichten bestehen aus runden Zellen oder aus solchen 
mit Fortsätzen und grossem Protoplasma. Zahlreiche neugebildete 
Gefässe sind sichtbar. Die tieferen Schichten haben grössere Ge- 
fiisse und bestehen aus fusiformen Bindegewebszellen. Die Tra¬ 
bekeln sind stark verdickt, das retlculare Bindegewebe Ist nicht 
verdickt Die Wände der Gefässe sind durch peripheren und cen¬ 
tralen Zuwachs stark verdickt, das Lumen derselben Ist sehr ver¬ 
engt. Sie sind jedoch permeabel, denn es sind in denselben gut 
erhaltene rotbe und welsse Blutkörperchen zu sehen. Die Zahl der 
Gefässe ist gering, dieselben haben Jedoch ein grosses Kaliber. 
Die M a 1 p I g h i’schen Follikel sind gut erhalten; dieselben sind 
jedoch von einem sehr dünnen Pulpakreis und unmittelbar von 
einer dicken Zone verdichteten Bindegewebes genau nach Art des 
Lel>erlobulu8 bei der atrophischen Clrrhose umgeben. Im All¬ 
gemeinen scheint die Pulpa mehr verdichtet zu sein: kleine über¬ 
einander gelagerte Zellen drücken sich gegenseitig. An anderen 
Stellen, und besonders gegen die Peripherie hin, ist die Pulpa ln 
zahlreiche, sehr kleine Inseln getheilt, welche durch sehr dicke 
Zonen von verdichtetem Bindegewebe, welches Ringe bildet, von 
einander getrennt sind. An einigen Stellen ist die Pulpa voll¬ 
ständig verschwunden und die Ringe sind sehr klein: in denselben 
sind jedoch einige kleine Blutkörperchen und einige protoplasma- 
reiche und mit einem gelbbraunem Pigment gefüllte Zellen zu 
sehen. Auch die Milzpulpa enthält Pigmentzellen, die jedoch ln 
den von der Cirrhose verschonten Theileu sehr sporadisch, du- 
g<gen in den cirrhotlschen Theileu zahlreich sind. Die normaler 
Weise zwischen den Pulpazelleu vorhandenen zahlreichen rot hon 
Blutkörperchen sind nicht zu sehen. Abnonne Elemente in 
Plasma- und Mn: tzellen sind nicht sichtbar. 

Es handelte sich also um eine ring- und i n s ei¬ 
förmige Milzcirrhosc* in Verbindung mit Peri¬ 
splenitis, Endo- und Periarteritis der Milz- 
gefässe. 


Anhangsweise sei hier bemerkt, dass die Todesursache der 
Anfangs dieser Arbeit citirten und nach der Ligatur der Milz- 
gefässe verstorbenen Kranken nicht klar ist, weil die Autoren 
keine diesbezüglichen Details bringen. — Es ist alsp fraglich, 
ob der Ausgang der Peritonitis in den ersten zwei Fällen und 
ganz besonders in B a tt 1 e’g Fall, bei welchem der ganze Gefäss- 
stiel unterbunden war, nicht etwa von der Milz ausgegangen sei. 
Bei dem Kranken von Marchand und Kuester scheint der 
Tod in Folge des Sekretes eingetreten zu sein, die geringste Re¬ 
sistenz der Leukaemischen der Splenektomie und anderen Opera¬ 
tionen gegenüber ist ja zur Genüge bekannt. Dann bemerkens- 
werth war namentlich der Milzbefund im Falle Tricomi’s: 
Die der Ernährung durch Unterbindung der Arteria spleniea 
beraubte Milz soll der Gangraen verfallen und allmählich resor- 
birt worden sein. 


Fassen wir nun kurz zusammen, so ergibt sich Folgendes: 

1. Die Ligatur des ganzen Gefässstieles der Milz mit Ein¬ 
schluss des Ligam. gastro-lienalo bewirkt Gangraen des Organs 
und wird in der grossen Mehrzahl der Fälle von tödtlichen Er¬ 
scheinungen b(gleitet. 

Wenn dagegen die Thiere der durch die Absorption der 
gangraenösen Milz verursachten Intoxikation widerstehen, so 
wird die Milz vollständig atrophisch. Diese Atrophie tritt in 
relativ kurzer Zeit auf, so dass das Organ nach 8 Tagen zu einem 
kleinen Knoten zusammengeschrumpft ist. 

2. Die Ligatur nur der Arterie oder der Vene der Milz ver¬ 
trägt, sich mit dem Leben des Thieres und ohne dabei die Funk¬ 
tionen der Milz zu schädigen, denn die collateralen Wege führen 
der Milz genügendes Ernährungsmaterial zu. 

3. Der nach der Ligatur nur der Arterie und der Vene der 
Milz auftretende Atrophieprocess ist minimal und findet langsam 
statt. 

4. Der Atrophieprocess ist rasch, das interstitielle Binde¬ 
gewebe wuchert in reichem Maasse und die Erscheinungen, der 
atrophischen Milzcirrhosc sind manifester, jedesmal, wenn die 
Vasa afforentia verkleinert sind. 

5. Die zwischen der Milz und der Abdominalwand sich 
etablirenden neuen gefässhaltigen Adhaesionen reichen aus, um 
ein vegetativ« Leben des Organes zu unterhalten. Und so ver¬ 
fällt die Milz nach Verschluss ihrer grossen Vasa afferentia der 
Gangraen nicht, sondern lebt weiter, ihr Atrophieprocess ist je¬ 
doch rasch und die normalen Milzfunktionen verschwinden pro¬ 
gressiv. 

6. Schliesslich dringen die Mikroorganismen des Darmes in 
die Milz ein, erst, nachdem dieselbe aus der Blutcirculation aus¬ 
geschaltet wurde. 

- 

Ueber ein synthetisch gewonnenes Abführmittel 
(„Purgatin“). 

Von Dr. H. Vieth in Ludwig9hafeu a. Rh. 

Schon vor einigen Jahren habe ich, und zwar zunächst auf 
Veranlassung weiland Professor v. Schroede Ps, Vorsuche über 
synthetische Abführmittel aus der Reihe der Oxyanthrachinone 
ausgeführt. Nach dem Tode Professor v. Schroeder’s wurden 
diese Versuche in umfassender Weise fortgesetzt und Herr Pro¬ 
fessor Gottlieb hatte die Freundlichkeit, die pharmakologische 
Prüfung der dargeetellten Substanzen im pharmakologischen In¬ 
stitute zu Heidelberg auszuführen. 

Ueber die Ergebnisse der chemischen wie pharmakologischen 
Untersuchung sei in Folgendem kur« berichtet. 

Es ist eine Forderung der wissenschaftlichen Pharmakologie, 
au Stelle der ungleichmässig zusammengesetzten Naturprodukte, 
welche die Erfahrung als heilkräftig kennen lehrte, die An¬ 
wendung chemisch reiner Substanzen zu setzen. Trotz mancher 
Erfolge, die auf diesem Gebiete erzielt worden sind, gelingt es 
doch nicht immer, die praktische Anwendung der Drogen dureh 
die der reinen und exakt dosirbaren Träger der Wirkung zu 
verdrängen; sei es, dass die Droge in ihrer Wirkung dem prak¬ 
tischen Arzte durch lange Erfahrung näher bekannt und erprobt 
ist, sei es, dass die Wirkung der Droge in manchen Füllen 
sicherer oder überhaupt andersartig zu sein scheint als die der 
bisher isolirten wirksamen Bestandtheile. Der Grund dieser 
anderen Wirkungsweise mag darin liegen, dass das Kombinations- 


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1382 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35.^5 


vcrhältniss oder die Form eine andere ist, in der die Pflanze ihre 
wirksamen Principien enthält. In solchen Fällen besteht die 
weitere Aufgabe, durch planmässige Untersuchung und chemische 
Veränderung der wirkenden Pflanzenbestandtheile zu reinen Deri¬ 
vaten zu gelangen, welche ähnliche. Wirkungsbedingungen be¬ 
sitzen, wie sio in der Pflanze gegeben sind. 

Als Beispiel für solche Verhältnisse sei an die Gerbsäure 
erinnert; die Anwendung des reinen Tannins an Stelle der tannin- 
haltigen Drogen zum Zwecke der Darmadstringirung war ge¬ 
radezu ein Rückschritt. Erst die modernen Tanninpräparate, in 
denen die Gerbsäure derartig chemisch gebunden ist, dass sie 
erst im Darm allmählich in Freiheit gesetzt wird, konnten den 
zu stellenden Anforderungen entsprechen. 

Ein ähnlicher Fall scheint bei der Gruppe milder Abführ¬ 
mittel vorzuliegen, welche vornehmlich bei chronischer Obstipa¬ 
tion gebraucht werden, bei der Frangula, Cascara sagrada, dem 
Rhabarber und der Aloe. 

Den Anfang zu einer Kenntniss der wirksamen Principien 
dieser Pflanzen verdanken wir unter Anderen Tschirch'), 
welcher naehwies, dass alle diese Drogen Oxymothylant.hrachinonc 
theils im freien Zustand enthalten, theils solche bei der hydro¬ 
lytischen resp. oxydativen Spaltung im Verdauungskanal liefern. 

Dass die Oxymethylanthrachinone, speciell die Emodine, 
wirklich an der abführenden Wirkung wesentlich betheiligt sind, 
scheint daraus hervorzugehen, dass die Natal-Aloe, welche kein 
Emodin enthält (Ausbleiben der Bornträge rischen Reaction), 
auch beim Menschen nicht abführend wirkt, und dass andererseits 
durch Injektion von Emodinlösung in eine Dickdarmschiingo 
beim Meerschweinchen ausgesprochene Peristaltik erzeugt wird 
(Tschirch l.c.). 

Bei der Darreichung per os der durch Hydrolyse aus den 
Drogen erhaltenen und im reinen Zustande isolirten Oxymethyl¬ 
anthrachinone scheint deren Wirkung jedoch unsicher zu sein, 
jedenfalls nicht so prompt wie die der Drogen selbst oder deren 
Extrakte. 

Insonderheit gehen die Angaben über die Wirkung der reinen 
(’hrysophansäuro, dem aus Extract. rliei isolirbaron Oxymethyl- 
anthrachinon. in der Literatur weit auseinander, so dass diese 
Substanz theils als sicher wirksam, theils als völlig wirkungslos 
bezeichnet wird. Zur Prüfung dieser Frage wurde eine grössere 
Menge reiner Chrysophansäure durch Oxydation von Chrysa- 
robin mit Luft, dargestellt und damit eine Reihe von Versuchen 
gemacht: 0.5 g derselben bewirkten bei der Katze meist dünn¬ 
breiige Entleerung; die Substanz wurde daher in der unten folgen¬ 
den Aufstellung als schwach wirksam bezeichnet. 

Hiernach musste man zur Ansicht gelangen, dass zwar die 
Oxymethylanthrachinone in den genannten Drogen thatsächlich 
an der Abführwirkung betheiligt sind, d^es ihre Wirkung im 
reinen Zustande aber erheblich schwächer ist als in Form der 
Drogen. Wonuif diese Verschiedenartigkeit der Wirkung beruht, 
bleibe vor der Hand dahingestellt. Die Annahme, welche z. B. 
Schmiedeberg in seinem Grundriss der Arzneimittellehre 
macht und ausführlich begründet, dass die freien Substanzen 
zu schnell resorbirt werden, um wirken zu können, ist zwar nahe¬ 
liegend, scheint aber der Thatsache zu widersprechen, dass z. B. 
Aloin auch bei subkutaner Einspritzung, beim Thier wenigstens, 
sicher abführend wirkt. Es wird in den Darm ausgeschieden 
und ksfnn in den Faeces leicht nachgewiesen werden. 

Wie dem auch sei, die aus den abführenden Drogen isolirten 
Oxymethylanthrachinone hatten sich beim Thier sowohl wie 
beim Menschen (eigene Versuche) als wirksam erwiesen. Es war 
daher die Aufgabe gegeben, nach ähnlichen, leicht erhältlichen 
Substanzen zu suchen und diese dann chemisch so zu binden, 
dass sie bei interner Darreichung möglichst günstige Wirkungs¬ 
bedingungen besitzen. 

Da die Darstellung der reinen Oxymethylanthrachinone aus 
den Drogen in grösserer Menge zu kostspielig ist, um praktisch 
in Frage kommen zu können, so wurde zunächst versucht, andere 
Quellen für diese Substanzen zu erschliessen. 

Die in den Drogen enthaltenen Oxymethylanthrachinone sind 
bekanntlich nicht alle miteinander identisch, sondern unterschei¬ 
den sich durch Anzahl und Stellung der Hydroxyle. Da nun a priori 
anzunehmen war. dass die an Kohlenstoff gebundene Methyl¬ 
gruppe ähnlich wie hoi vielen anderen Substanzen für die spe- 

’) Berichte d. Deutsch. Pharmazeut. Gesellsch. 1808, S. 174. 


cifische Wirkung nicht wesentlich sei, so wurden alle leicht zu-f'-J 
gänglichen Oxyanthrachinone der Reihe nach durchgeprüft. Da ■ 
diese Substanzen in der Farbstoffindustrie in grossen Mengen • 
verwendet werden, so sind sie leicht erhältlich und meist billig. 

Die pharmakologische Prüfung wurde an Katzen ausgeführt, 
die sich hierfür bei ausschliesslicher Fleischkost gut eignen. 1 

Aus der Tabelle ist ersichtlich, dass es wesentlich die Trioxy- j 
anthrachinone sind, welche mehr oder weniger abführend wirken. 
Auch das Emodin gehört ja zu dieser Gruppe. Die mehr als vier 
Hydroxyle enthaltenden Anthrachinone wurden unwirksam be¬ 
funden, während unter den Dioxyverbindungen nur die Chryso¬ 
phansäure und das Xanthopurpurin sich als wirksam erwiesen. ; 


Name 

Constitution 

10 

o 

O 



1, 2 Dioxyanthrachinon 

1, 2 Dioxyanthrachinolin- 

0.5 

1,0 


Alizarinblau . 

unwirksam 


chinon 



Xanthopurpurin.. 

1, 3 Dioxyanthrachinon j 

0,3 ; 
0,6 , 

unwirksam 

wirksam 


jl, 4 Dioxyanthrachinon | 

1,0 

1,0 


Methylcliinizarin . 

unwirksam 

Chrysophansäure. 

Methyldioxyanthrnchinon 

0,5 1 

wirksam (unsicher) 


( 

0,1 i 

unwirksam 

Anthragallol. 

1,2,3 Trioxyan tl vrachi non j 

0,3 1 

wirksam 


1 

1,0 

stark wirksam" 


1,2,4 Trinxyanthrachinon j 

1.0 

unwirksam 


2,0 

wirksam 

Nitropurpurin .... 

— 

1,0 

unwirksam fstetf^ 




Erbrechen) 



0,1 

unwirksam 

Flavopurpurin ... 

l,2,6Trioxyauthrachinon 

0,2 

wirksam 



0,5 

stark wirksam 



0,03 

unwirksam 



0,05 

unsicher wirksam 

Anthrapurpurin .. 

1,2,7 Trioxyanthrachinon 

0,1 

0,3 

wirksam 
stark wirksam 



0,5 

sehr stark wirksam 


Methyltrioxyanthrachin. j 

0,1 

unwirksam 


0,2 


Alizarinbordeaux . 

1, 2, 3, 4 Tetraoxyanthra-[ 

0,5 

unwirksam 


chinon i 



1 

1,0 

wirksam 


Pentaoxyanthrachinon 

Hexaoxyanthrachinon 

1,0 

1,0 

unwirksam 

unwirksam 



Die Methylgruppe im Kern scheint, wie im Voraus ver- 
muthet, keinen merklichen Einfluss auf die abführende Wirkung 
zu besitzen *). 

Ordnet man die Substanzen nach der Stärke der Wirkung, 
so erhält man folgende Reihe: v 

Anthrapurpurin 
Emodin 
Flavopurpurin 
Anthragallol 
Chrysophansäure 
Xanthopurpurin 
Alizarinbordeaux 
Purpurin 

Von den genannten Verbindungen kommen praktisch ledig¬ 
lich Anthrapurpurin und Flavopurpurin in Betracht. 

Nun gibt es aber noch eine andere Reihe von Substanzen, 
welche zwar selbst keine Anthrachinone wie die bisher genannten 
sind, die aber bei der Oxydation in Anthrachinone übergehen. , 

Von den natürlichen Abführmitteln gehört das Aloin hierher. 
Man kann diese Substanzen durch partielle Reduktion der Keton¬ 
gruppen entstanden denken. So besteht das Chrysarobin aus 
Reduktionsprodukten der Chrysophansäure, denn man kann diese 
- i 

*) Auch die Bornträger’scbe Reaction (vlolettrothe Fär¬ 
bung beim Auskochen mit Wasser und Behandeln mit Benzol und 
Ammoniak) wird durch die Methylgruppe nicht wesentlich beein¬ 
flusst, wie dies T s c h 1 r c h (1. c. S. 200) anzunehmen scheint, denn 
auch die Ester des Anthrapurpurins und Flavopurpurins geben die 
Bornträge rische Reaction, nur Ist die Färbung des 
Ammoniaks mehr violett statt roth. Die eigentliche kireehrotlio 
Farbe von der Tschirch spricht, scheint hauptsächlich vom 
Emodin auszugehen; hingegen wird die B o r n t r ä ge rische Re¬ 
action und speciell die dabei zu beobachtende Farbennuance stark 
von der Anzahl und Stellung der Hydroxyle der vorhandenen Oxy¬ 
anthrachinone beeinflusst. Reine Chrysophansäure (mit 2 Hydro- 
xylen) gibt, die Reaction nur schwach, da sie in Ammoniak 
fast unlöslich ist. 


gut wirksam 
[wirksam 


I schwach 
(wirksam 


Alizarin 

Alizarinblau 

Chinizarin 

Methylchinizarin 

Pentaoxyanthrachinon 

Hexaoxyanthrachinon 


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27. August 1901, 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1383 


durch Oxydation des Chrysarobins gewinnen. Das zum Alizarin 
gehörige Reduktionsprodukt ist das den Dermatologen bekannte 
Anthrarobin. Auch die Reduktionsprodukte des Anthrapurpurins 
und Flavopurpurins wurden nach der Vorschrift von Lieber- 
m a n n dargestellt und in Form ihrer Acetylderivate geprüft. 
Von diesen Substanzen zeigten das Chrysarobin schon in kleinen 
Dosen (0,05), das reine Chrysophansäurehydroanthron in grösseren 
Dosen (1,0) eine starke Reizwirkung auf den Magen-Darmtractus 
ähnliche wie grosse Dosen Aloin. Auch dieses kann ja in 
grösseren Dosen tödtlich wirken. 

Die Reizwirkung des Chrysarobins liess sich zwar durch Dar 1 
Stellung von Derivaten (Peracetat) so weit abschwächen, dass das 
Präparat bei der Katze in kleinen Mengen recht günstig wirkte, 
allein beim Menschen trat bei interner Darreichung öfter Er¬ 
brechen ein, so dass die Substanz nicht praktisch brauchbar er¬ 
schien. 

Alle anderen oben genannten Reduktiousprodukte verur¬ 
sachten zwar in mittleren Dosen kein Erbrechen, wirkten aber 
auch zu schwach. 

Nachdem sich so die dem Aloin verwandten hydrirten Oxy- 
anthrachinone als unbrauchbar erwiesen hatten, war es nöthig, 
zu den Oxyanthrachinonen selbst, den Verwandten des Emodins, 
zurückzukehren. Es handelte sich, wie schon gesagt, darum, eine 
Verbindung zu finden, welche vermöge ihres richtigen Grades 
von Spaltbarkeit oder ihrer sonstigen Eigenschaften die der 
Grundsubstanz innewohnende milde Reizwirkung auf die Darm¬ 
schleimhaut recht zur Entfaltung bringen würde. Zu diesem 
Zwecko wurde eine Reihe von Verbindungen, besonders des 
Anthrapurpurins und Flavopurpurins dargestellt und zwar die 
Verbindungen mit Eiweiss, die Sulfoderivate, die Aether mit 
Methylalkohol und Benzylalkohol und endlich die verschiedenen 
Ester der Essigsäure und der Aethylkohlensäure. 

Es ist nicht möglich, an dieser Stelle näher auf die Dar¬ 
stellung und die Untersuchung aller dieser einzelnen Substanzen 
einzugehen. 

Es sei nur kurz Folgendes erwähnt: 

Die Eiweissverbindung des Anthrapurpurins enthielt z. B. 
60 Proc. von letzterer Substanz. Beim Behandeln mit 0,5proc. 
Sodalösung bei Körpertemperatur wurde alsbald das gesammte 
Anthrapurpurin herausgelöst, es war daher anzunehmen, dass die 
Verbindung sich von freiem Anthrapurpurin kaum unterscheiden 
würde. In der That trat schon ca. 5 Stunden nach Einnahme 
von 0,5 der Verbindung Stuhlgang und gleichzeitig kräftige 
Harnfärbung ein; die Substanz war also zu leicht spaltbar. 

Es wurde mm rauchende Schwefelsäure bei erhöhter Tempe¬ 
ratur auf die Trioxyanthrachinone zur Einwirkung gebracht und 
die erhaltenen Sulfosäuren an der Katze geprüft. Wie bei vielen 
anderen pharmakologisch wirksamen Substanzen wurde auch hier 
die Wirkung durch den Eintritt der Sulfogruppe erheblich abge¬ 
schwächt. Auch als die Anthrapurpurinsulfosäure an Eiweiss 
gebunden wurde, um sie dadurch schwerer resorbirbar zu machen, 
war das Resultat kein besseres. 

Die Sulfoderivate werden jedenfalls im Organismus gar 
nicht gespalten und als solche sind sie nur schwach wirksam. 
Sicherlich spaltbar hingegen sind die Aether und die Säureester 
der Oxyanthrachinone. Da das Anthrapurpurin und Flavopur- 
purin je drei Hydroxyle enthalten, so sind jedesmal Mono-, Di- 
und Triderivate theoretisch möglich, wenn sie auch thatsächlich 
bisher nicht alle erhalten werden konnten. Die Spaltbarkeit 
innerhalb jeder einzelnen Gruppe nimmt natürlich von den Mono- 
zu den Triderivaten ab. Um eine schnelle ungefähre Orientirung 
über den Grad der Spaltbarkeit der erhaltenen Verbindungen zu 
ermöglichen, wurden die Färbungen mit einander verglichen, 
welche beim Behandeln der Verbindungen mit Sodalösung ent¬ 
stehen. Freies Anthrapurpurin und Flavopurpurin färben schon 
sehr verdünnte Sodalösung in der Kälte sofort tief violettroth. Je 
nachdem daher die Färbung schnell oder langsam, in der Kälte 
oder erst beim Erhitzen mit Sodalösung eintrat, konnte man auf 
den Grad der Spaltbarkeit schliessen. 

Bei dieser Prüfung ist peinlich darauf zu achten, dass die 
angewandten Substanzen völlig rein und in Sonderheit frei von 
unverändertem Anthra- reep. Flavopurpurin sind; denn schon ge¬ 
ringe Spuren hiervon bedingen eine Färbung der Sodalösung. 
Tritt mit 1 proc. Sodalösung schon in der Kälte sofort Violett- 

No. 35. 


färbung ein, so ist auf die Gegenwart von unverändertem Oxy- 
anthrachinon zu schliessen. 

Ordnet man nun die dargestellten und untersuchten Aether 
und Ester des Anthrapurpurins und Flavopurpurins nach ab¬ 
nehmender Spaltbarkeit, so erhält man folgende Reihe: 

Anthrapurpurindiacetat 3 ) j Anthraourpurintriacetat 

Anthrapurpurindiaethylcarbonat | Flavopurpurintriacetat 

Flavopurpurindiacetat I Dimethylflavopurpurin 

Flavopurpurindiaetliylcarbonat | Dibenzylflavopurpurin 

Was die Darstellung der genannten Substanzen betrifft, so 
lassen sich die Acetate nach den bekannten Acetylirungs- 
methoden gewinnen; bei der Darstellung der Diacetate ist Sorge 
zu tragen, dass nicht mehr als 2 Hydroxyle in Reaction treten 
können, da die Neigung zur Bildung der Peracetate stark hervor¬ 
tritt. Die Monoacetate haben bisher mit Sicherheit nicht er¬ 
halten werden können. 

Die Diaethylcarbonate entstehen bei der Einwirkung von 
Chlorkohlensäurcaethylester auf die Salze von Flavopurpurin und 
Anthrapurpurin resp. auf eine Lösung dieser Substanzen in Pyri¬ 
din. Der Anthrapurpurindikohlensäureaethylester bildet gelbe 
Krystallschuppcn von FP ca. 172 °, der Flavopurpurindikohlen- 
säureaethylester krystallisirt in verfilzten Nadeln FP ca. 178°. 

Der Methyl- und Benzyläther wurde durch Einwirkung von 
Methylirungsmitteln resp. von Benzylchlorid auf Flavopurpurin- 
natrium- resp. Bleisalz gewonnen; sie stellen gelbe krystallinische 
Körper dar, welche von Sodalösung selbst beim Kochen kaum zer¬ 
setzt werden, dementsprechend wirken sie selbst in Dosen von 
1,0 bei der Katze nicht abführend. 

Die Ester der Essigsäure und Kohlensäure waren bei der 
Katze sowohl wie beim Menschen alle mehr oder weniger wirk¬ 
sam und es handelte sich nur darum, die brauchbarste dieser Sub¬ 
stanzen auszusuchen. Nach zahlreichen Versuchen fiel die Ent¬ 
scheidung schließlich für das Anthrapurpurindi¬ 
acetat aus, weil dieses verhältnissmässig am leichtesten spalt¬ 
bar und.trotzdem widerstandsfähig genug ist, um seine Wirkung 
allmählich entfalten zu können. Es lässt sich nach Eingabe von 
0,5 deutlich im Koth durch Rothfärbung beim Uebergiessen mit 
verdünnter Natronlauge nachweisen, während der Harn durch 
seine röthliche Färbung direct die Gegenwart von Anthra¬ 
purpurin anzeigt. 

Auch die quantitativen Spaltungsversuche im Reagensglas 
entsprachen diesen Resultaten. Als 1 g Anthrapurpurindiacetat 
6 Stunden lang mit 100 ccm 1 proc. Sodalösung bei ca. 40 0 ge¬ 
halten war, konnten noch 0,4 g ungelöster Rückstand gesammelt 
werden, während die anderen Ester bei der gleichen Behandlung 
einen grösseren Rückstand liessen. 

Das Anthrapurpurindiacetat, welches von der chemischen 
Fabrik von K n o 11 & Co. in Ludwigshafen a. Rh. dargestellt 
wird, hat den Ilandelsnamen Purgatin erhalten 4 ). Es ist ein 
gelbes mikrokrvstallinisches Pulver, dessen Schmelzpunkt bei 
ca. 175° liegt. Im Polarisationsmikroskop (100 fache Vergrössc- 
rung) erscheint es in Form kleiner Blättchen mit lebhafter Inter¬ 
ferenz. 

Es ist in Wasser unlöslich, schwer löslich in Alkohol, leicht 
löslich in siedendem Eisessig und Xylol. Verdünnte (1 proc.) 
Sodalösung färbt sich mit dem Präparat alsbald roth. 

Die am Menschen eben wirksame Dosis von Anthrapurpurin¬ 
diacetat beträgt 0,5, während von den anderen Estern der Essig¬ 
säure und Kohlensäure ca. 1,0 als minimale wirksame Dose fest¬ 
gestellt wurde. Der Harn ist meist schwach roth gefärbt. 

Schon bei diesen Vorversuchen zeigte es sich, dass ver¬ 
schiedene Personen eine verschiedene Empfindlichkeit gegen das 
Präparat besitzen, wie dies ja auch von anderen Darmreizmitteln 
bekannt ist. Bei einzelnen trat auch nach 1,0 g nur schwache oder 
keine Wirkung ein, während Personen mit empfindlichem Dann 
schon auf 0,3 reagirten. Der Grad der Rothfärbung des Harnes, 
welche bei verschiedenen Personen verschieden stark auf tritt, 
scheint unabhängig von dem Grade der Wirksamkeit zu sein. 

Die genauere klinische Untersuchung des Präparates wurde 
bereitwilligst von den Herren Geheimrath Prof. Ewald-Ber- 

*) Die Gesetzmässigkeit, die hierbei In Erscheinung tritt, hat 
sich auch bei anderen Substanzen bestätigt gefunden. 

4 ) In den Publica Honen von Trof. Ewald und Prof. Stadel- 
m a n n Ist es als P u r g a t o 1 bezeichnet. Dieses ist also Identisch 
mit Turgatin. 

4 


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1384 


MUENCHENER MED1CIN1SC1IE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


lin 5 ) und Hofrath Prof. Stadel mann - Berlin °) ausgeführt. 
Nach dem Urtheil dieser Autoren hat das P u r g a t i n die Eigen¬ 
schaften eines guten Abführmittels, indem es ohne besondere 
Leibechmerzen und Tenesmus einen ausgiebigen, breiigen, nicht 
wässerigen Stuhl hervorruft. Prompte und andauernde Erfolge 
wurden mit dem Mittel besonders bei habitueller Obstipation in 
Folge primär-atoniseher Zustände des Darmes z. B. bei Neur¬ 
asthenikern erzielt. Der Stuhl tritt ca. 12 Stunden nach Ein¬ 
nahme von 0,5—1,0 ein. Es bat nach Prof. Ewald vor den 
meisten anderen Abfülirmitteln den Vorzug, „dass es vollkommen 
geschmacklos ist und keinerlei üble Nebenerscheinungen von 
Seiten des Magens und der Därme hervorruft“. Die Patienten 
sind auf dio eintretende Rothfärbung des Urins aufmerksam zu 
machen. In Fällen hartnäckiger Obstipation ist eine Dosis von 
0,5—1,0 oft unzureichend, so dass man auf 2,0 steigen muss, doch 
dürfte sich, wie schon hervorgehoben, die chronische Obstipation 
als das eigentliche Anwendungsgebiet des Mittels erweisen. Im 
Uebrigen ergeben sich die Indicationen von selbst aus den Eigen¬ 
schaften der Substanz als ein mildes Abführmittel nach Art 
des Rhabarbers. 


Aus dem Sanatorium Schloss Marbach am Bodensee. 

Ueber auscultatorische Percussion. 1 ) 

Von J. Hofmann, Assistenzarzt. 

Bei intensiver Beschäftigung mit den Untersuchungs¬ 
methoden mittels des B i a n c h i’schen Phonendoskopes resp. der 
S m i t h’schen Modifikation desselben ’), sei es nun, dass man die 
centrifugale Friktionsmethode nach Smith, sei es die von 
B i a n c h i angegel>ene Pizzicatomanier anwendet, die centri- 
petaler Art ist, liegt namentlich in Hinsicht auf letztere der Ge¬ 
danke ziemlich nahe, die percutorische Untersuchung mit der 
phonendoskopischen zu verbinden, also eine auscultatorische Per¬ 
cussion anzuwenden. Es handelt sich dabei selbstverständlich um 
eine möglichst zarte Art der Percussion, da härteres Klopfen bei 
der Empfindlichkeit des Phonendoskopes in unangenehmer, ja 
direkt schmerzhafter Weise auf das Gehörorgan wirkt. Der Ver¬ 
such dieser auscultatorischen Percussion lieferte — wie von vorn¬ 
herein physikalisch anzunehmen war — sehr gute Resultate, die 
sich mit den phonendoskopischen Ergebnissen sowohl, seien sie 
auf centrifugalem oder centripetalem Weg erreicht, deckten, als 
auch durch ihre Schärfe sich auszeichneten. Nun stellte sich aber 
ein Uebelstand heraus. Um diese auscultatorische Percussion 
vermittels des Phonendoskopes auszuüben, müsste stets der zu 
Untersuchende selbst oder ein Assistent das Phonendoskop halten, 
damit der Untersuchende die Hände zum Percutiren frei hat, 
oder, während der Letztere das Phonendoskop dirigirt, muss der 
Assistent percutiren. Bei Beidem muss man also eine für diese 
Art der Untersuchung wichtige Handlung aus der Hand geben. 

Zwei Möglichkeiten sind nun vorhanden, diesem Uebelstandc 
abzuhelfen. Die eine, indem man durch eine an der Schulter 
des zu Untersuchenden angebrachte Tragvorrichtung das Phon¬ 
endoskop befestigte — was von vorherein zu grossen praktischen 
Schwierigkeiten begegnen würde —, die andere, bessere, indem 
man einen Klopfapparat darstellt, der sich mit einer Hand leicht 
dirigiren lässt, so dass die andere für Direktion des Phonendo¬ 
skopes freibleibt. 



•) Maiheft der Therapie der Gegenwart 1901. 

•) Deutsche Aerzteztg, 2. Maiheft 1901. 

') Cf.: Der Ausbau im diagnostischen Apparat der klinischen 
Medlcin. Eine Geleitschrift zur wissenschaftlich-diagnostischen 
Ausstellung des XIX. Kongresses für int. Medicin von Prof. M en¬ 
de 1 s o h n (Verlag Bergmann), p. 71. — Verhandlungen des 
XIX. medicin. Kongresses zu Berlin. (Smith: Die Funktions- 
priifung des Herzens etc.) 

*) Smith: Ueber einige neue Methoden zur Bestimmung der 
Herzgrenzen. Verhandlungen des XVIII. Kongresses für int. 
Medicin. Bergmann, Wiesbaden 1900. 


Der Klopfapparat selbst ist — wie aus der Abbildung 1 er¬ 
sichtlich — die Verbindung eines Plessimeters mit einem ein¬ 
fachen Percussionshammer derart, dass beide leicht von einer 
Hand in Thätigkeit gesetzt werden können. Um den Percussions¬ 
schlag möglichst weich zu gestalten, ist über das aus Hart¬ 
gummi gefertigte Plessimeter eine Lage Weichgummi gelegt 
und wurde als Hammerkopf die Form des Klavierhammers ge¬ 
wählt. Der Hammerstiel stellt einen zweiarmigen Hebel dar, 
an dessen vorderem Arm der Hammerkopf selbst durch eine Zug¬ 
feder auf dem Plessimeter gehalten wird. Lässt man nun die 
Kraft des hinteren Hebelarmes wirken, indem man denselben 
herabdrückt, so steigt natürlich der Hammerkopf vom Plessi¬ 
meter nach oben. Lässt man den Druck auf den hinteren Arm 
los, so schlägt, durch den Zug der Feder nach abwärts unterstützt, 
der Hammer auf das Plessimeter. Je nachdem man nun die 
Feder — an derselben ist eine Scala angebracht, nach der man 
die Stärke der Anziehung ablesen kann — anzieht, desto stärker 
resp. leiser ist der Hammerschlag. Andererseits ist ein Scalen¬ 
bogen angebracht, der die jedesmalige Hammerhöhe in dem 
Moment des Niederschlagenlassens anzeigt.. So hat man durch 
die Addition der Zugspannung der Feder plus der Hammerhöhe 
im Moment des Niederschlagenlassens eine ziffermäseige Kraft¬ 
messung des Hammerschlages. Wichtig ist noch der Umstand 
beim Gebrauche des Hammers, dass man beim Loslassen des 
hinteren Hebels (resp. des unten beschriebenen Uebersetzungs- 
hakens) den Finger nicht abschnellen, sondern abgleiten lässt, 
da sonst ein schnappendes Geräusch entsteht, das die Unter¬ 
suchung wesentlich erschwert, ja direkt stört. 



Die Abbildung 2 zeigt denselben Apparat, jedoch mit einer 
Verbesserung. Unter dem Handgriff ist mittels einer kleinen 
Uebertragung die Regulirung des Hammerschlages angebracht. 
Diese Vorrichtung' erleichtert besonders im Anfang den Ge 
brauch ’). 

Was mm den Gebrauch des Instrumentes angeht, so zeigt 
dasselbe seine besondere Verwendbarkeit bei Untersuchungen in 
liegenden Stellungen, sowie bei Patienten mit starkem Fettansatz. 

Als akustisches Instrument bei den Untersuchungen dient, wie \ 
schon oben gesagt, das Phonendoskop oder auch ein gewöhnliches \ 
Stethoskop, dessen Ohrmuschel durch zwei gabelförmig ver¬ 
bundene Ohrschläuche ersetzt ist. Jedoch ist dem ersteren und 
besonders der S m i t h’schen Modifikation mit dem Rädchen zur | 
Ausschaltung der Herzgeräusche, für diese kombinirte Unter- 1 
suchung der Vorzug zu geben. 1 

Untersuchungen wurden vornehmlich angestellt am Herzen 
und der Leber, und diese Organe Hessen sich sehr genau durch 
einen scharfen Schallwechsel abgrenzen. / 

Folgender Versuch besonders lässt die Brauchbarkeit dieser 
Untersuchungsmethode hervortreten. Einem fast abstinenten 
Manne gab ich, um sein Ilerz künstlich zu dilatiren, Alkohol 
(50 g Kirschgeist) auf einmal zu trinken. Vor der Gabe und 
15 Minuten nach derselben wurden die Herzgrenzen mittels 
der Friktionsmethode, der Fingerpercussion und der kombinirten 
auscultatorischen Percussion festgestellt, und nach allen drei 
Methoden ergaben sich dieselben Grösse Veränderungen. 

Trotz der grossen Schwierigkeit, die die exakte Beschreibung 
von etwas Gehörtem, das ausserhalb des musikalisch bestimmbaren 
Tones liegt, bietet, sei doch der Versuch gewagt, den bei der 
auscultatorischen Percussion zu vernehmenden Schall und Schall- 
weehsel zu baschreiben. Mangelhaft muss die Beschreibung immer 
bleiben, und stets wird bei solcher Gelegenheit der Satz zu Recht 
bestehen bleiben: „Man muss ee eben selbst hören!“ 

Lässt man zunächst, ohne das Ohr mit einem verstärkenden 
Instrument zu bewaffnen, den Hammer auf das massig stark 
auf die Brust gedrückte Plessimeter klopfen, so vernimmt man 
einen Schall, der dem gewöhnlichen, natürlich nicht allzu starken 

*) Die Hämmer wurden nach Verfasser» Angaben von der/ 
Firma Martin Wallach Nachfolger in Kassel hergestellt, j 


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27. August 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1385 


der Plessimeterpercussion nahe kommt. Nur ist durch die 
weiche Oberfläche des Plessimeters und den Filzhammerkopf bei 
unserem Apparate der Schall etwas weicher. Bewaffnet man nun 
zur Vornahme der auscultatorischen Percussion des Herzens das 
Ohr mit einem geeigneten Instrumente, so hört man zunächst 
ausserhalb der Herzgrenzen einen ziemlich hellen Schall, an sich 
etwas heller als den, den man bei leiser Fingerpercussion ver¬ 
nimmt. Sowie der erste Schlag in den Bereich der Herzgrenzen 
fällt, ändert sich dieser Schall in der Art, dass eine Dämpfung 
wahrnehmbar wird, wie sie vielleicht passend zu vergleichen wäre 
mit den Silben: teck—tock, wobei die Klangveränderung e—o 
dem durch die Dämpfung erzeugten Schallunterschiede im Ver¬ 
gleich entsprechen würde. Es tritt — möchte ich sagen — ein 
Tonschatten ein. Hierbei muss noch bemerkt werden, dass bei 
der auscultatorischen Percussion des Herzens dieser Tonschatten 
besonders bei der Percussion von unten, dem Magen her, nach 
oben hin eintritt. Vielleicht wirkt hiebei das Zwerchfell als 
Resonanz. Die einzige, wenn auch geringe Schwierigkeit, bietet 
die auscultatorische Percussion des Herzens von der r. Lunge 
über das Sternum in dem Sinne, dass über dem Sternum leicht 
die Schallverstärkung als Schallwechsel angesprochen werden 
könnte. Doch bei etwas Uebung überwindet man auch dies 
leicht. Ebenso und unter denselben Umständen findet die aus- 
cul tato rische Percussion der lieber statt. 

Nun noch ein Wort zur auscultatorischen Percussion der 
Lunge. Stellt man das mit dem Ohr in Verbindung gebrachte 
Phonendoskop mitten auf dem r. unteren Lungenlappen auf und 
lässt von der Fossa infraclavicularis nach unten den Hammer 
in Thätigkeit gehen, so tritt oberhalb der r. Brustwarze ein 
Schallwechsel auf, der sich in gekrümmter Linie nach der Achsel¬ 
höhle hin verfolgen lässt. Dies ist die obere Grenze des r. unteren 
Lungenlappens. Durch zwei Momente unterscheidet sich diese 
Grenze von der oberen Herzgrenze. Erstens die Lungengrenze 
ist konstant, zweitens die Tondifferenz in dem Schallwechsel ist 
eine bedeutend abgoschwächtere, nicht so stark kontrastirende 
wie bei den Grenzen des Herzens und der Leber. Der letztere 
Umstand begründet sich wohl in den Konsistenzverhältnissen 
der genannten Organe. 

Genau so lassen sich auch links vorn die unteren Lungen- 
greuzen. indem man das Phonendoskop auf die Lunge setzt und 
nun vom Herzen her zu percutiren anfängt, durch einen an der 
Lungengrenze nuftretenden Schallwechsel feststellen. 

Den Gebrauch des Hammers bei pathologischen Lungen¬ 
zuständen zu prüfen, fehlt mir das Material. Vielleicht lässt sich 
ein Kollege, dem es daran nicht gebricht, durch diese Zeilen ver¬ 
anlassen, dahingehende Versuche anzustellen. Ich bin überzeugt, 
dass sich die auscultatorische Percussion zur diagnostischen Fest¬ 
stellung bei Lungenerkranköngen, z. B. Cavemen, gut verwenden 
lassen wird. 

Wenn nun das klinische Allgemeininteresse mich zu dieser 
Veröffentlichung veranlasste, so ist noch ein Punkt hinzuzufügen, 
der für die Empfehlung meines Hammers sprechen könnte. Die 
guten Resultate, die die Phonendoskopie gezeitigt hat, haben be¬ 
sonders in letzter Zeit ihr viele Freunde erworben. Die mit 
dem Hammer kombinirte Methode liefert, was die äusseren Organ¬ 
grenzen des Herzens und der Leber angeht, ebenso genaue Re¬ 
sultate, ist aber leichter als z. B. die Friktionsmethode. Durch 
ihre einfache Handhabung und sozusagen spontane Erlernungs¬ 
möglichkeit kann sie ausser einem diagnostischen Hilfsmittel 
Dem, der die Phonendoskopie erlernen will und hierbei besonders 
dem Autodidakten ein zuverlässiger Kontroleur sein. 


Aus der Universitäts-Ohrenklinik zu Tübingen. 

Zwei Fälle von latent verlaufener Thrombose des 
Sinus sigmoideus nach Mittelohreiterung. 

Von Dr. Hölscher, Kgl. Württemb. Oberarzt, 
commandirt zur Universität. 

Im Anfang des Sommersemesters 1901 hatte ich in der 
Klinik Gelegenheit, 2 Fälle von Sinusthrombose zu operiren und 
zur Heilung zu bringen, deren Mittheilung wegen ihres eigen¬ 
artigen Verlaufs nicht ohne Interesse sein dürfte. 

Krankengeschichten. 

I. Jakob G., .16 Jahre, Steinhauer von Rübgarten. Aufge¬ 
nommen 2G. IV., entlassen 17. V. 1901. 


A n a ui u e s e. Patient hat im Januar des Jahres ein Ge¬ 
schwür Im rechten Ohr gehabt, welches ihm 8 Tage lang Schmerzen 
verursachte. Im Anschluss daran trat eine starke schmerzhafte 
Schwellung hinter dem Ohr auf. welche in 8 Tagen wieder zurück- 
ging. Seither leidet er häutig an Kopfschmerzen. In der Zeit von 
Ende Januar bis Mitte Februar hatte Patient mehrmals Schwindel- 
anfälle, zuletzt am 14. II. Der Schwindel war so stark, dass 
Patient sich halten musste, um nicht umzufallen. Nach Aufhören 
des Schwindelanfalles trat Erbrechen ein. Vom Arzt wurden Jod¬ 
pinselungen hinter dem Ohr gemacht. 

Am 19. II. 1901 kommt Patient erstmals zur Untersuchung. 
Es werden Kopfschmerzen an der Stirn angegeben. 

Status. (Jehörgang trocken, Trommelfell leicht vor¬ 
gebaucht und injleirt. Hinter dem Ohr die Spuren von Jodeinplnse- 
lungen. Ueber dem Warzenfortsatz keine Schwellung, keine Druck¬ 
empfindlichkeit. Nach hinten vom Warzenfortsatz, der Gegend des 
Emissarium mastoideum entsprechend, leichter Druckschmerz, 
aber keine Schwellung oder Infiltration. Flüsterzahlen und hohe 
Töne gut gehört. Stimmgabel vom Scheitel nach rechts. Auf¬ 
genommen zur Beobachtung. Puls und Temperatur normal. Am 
nächsten Tag hat Patient keine Klagen mehr, die objektiven Er¬ 
scheinungen sind zurückgegangen. Patient wird desslialb ent¬ 
lassen mit der Weisung, sich wieder einzustellen, wenn neue Be¬ 
schwerden auf treten sollten. 

Erst am 20. IV. stellt Patient sich wieder vor. Seit 14 Tagen 
habe er wieder stärkere Schmerzen gehabt und s.dt 3 Tagen sei 
eine Anschwellung hinter dem Ohr aufgetreten, worauf die 
Schmerzen etwas nachiiesseu. In der letzten Zeit habe es auch 
aus dem Ohr geeitert. Patient hat die ganze Zeit hindurch ge¬ 
arbeitet. 

Status. Patient sicht sehr ergriffen aus und klagt Uber 
Schmerzen hinter dem rechten Ohr. Im Gehörgang ist ziemlich 
viel Eiter. Das Trommelfell zeigt eine Perforatiou hinten oben. 
Ueber dem ganzen Warzenfortsatze starke, schmerzhafte Schwel¬ 
lung. die hintere Falte ist verstrichen und die Ohrmuschel nach 
vorne gedrängt. Die Haut ist stark gespannt und geröthet. Keine 
Fluktuation. Genaueres Abtasten wegen Schmerzhaftigkeit nicht 
möglich. Drehung des Kopfes nur wenig behindert, am Hals 
herunter nichts Krankhaftes. Augeubefund normal. Temperatur 
und Puls normal. 

Diagnose: Empyem des Warzenfortsatzes. 

Operation 2<i. IV., 2 Uhr Nachmittags. Dr. Hölscher. 
Aethernarkoso. An der gewöhnlichen Stelle hinter dem Ohr bogen¬ 
förmiger Hautschnitt. Gewebe stark infiltrirt. Bei der Ablösung 
des Periosts nach hinten quillt aus einer dicht vor dem Emissarium 
mastoideimi liegenden Fistel Eiter unter starkem Druck hervor. 
Die Sonde führt von der Fistel aus ti£f nach hinten und unteu. 
Zunächst Abtragung des Knochens zwischen der Fistel und der 
hinteren Gehörgangsumrandung. Der Warzenfortsatz ist sklero- 
sirt und sehr hart. Im Antrum ist etwas Elter. Vom Antrum 
aus geht eine enge Fistel nach hinten, aus welcher viel Eiter unter 
starkem Druck hervorquillt. Ein zweiter Hautschnitt Avlrd senk¬ 
recht auf den ersten nach hinten gemacht. Bei der Ablösung des 
Periosts und der Durchtreunung des Gefässes selbst erfolgt aus 
dem Emissarium mastoideum keine Blutung. Abtragung des 
Knochens mit Meissei und Zange bis zur breiten Freilegung des 
Sinus sigmoideus. wobei sich Eiter in beträchtlicher Menge ent¬ 
leert. An Stelle des Sinus sigmoideus findet siel» ein dicker Grauu- 
lationswulst. an welchem das Emissarium mastoideum als kolla- 
birter Strang hängt. Im Ganzen wird der Granulationswulst etwa 
2 Querfinger breit freigelegt. Nach hinten zu wird die Kleinhirn- 
dura etwa Zweimarkstückgross freigelegt, die Dura ist normal ge¬ 
färbt, erscheint aber stark gespannt und pulsirt nicht. Abtragung 
des ganzen Stnusgranulatiouswulstes mit dem scharfen Löffel, wo¬ 
bei keine Blutung erfolgt. Jodoformgazetamponade, trockener 
Verband. Dauer der Narkose 1% Stunde. Abends Temperatur 
36.2": Puls 80, mittelkräftig. 

28. IV. Am gestrigen Tage Abendtemperatur 39,0°, heute 
Morgen 38,5°. Verbandwechsel. Nur ganz geringe Sekretion, die 
Wunde erscheint nirgendwo eitrig belegt. Die Dura ist über dem 
Kleinhirn nicht mehr so gespannt und zeigt deutliche Pulsation. 
Die Sinusfurche ist deutlich erkennbar. Allgemeinbefinden gut, 
keine Schmerzen. Abends 38.6°. 

29. IV. Morgens 37.4", Abends 37.S 

30. IV. Morgens 37.0 °. Abends 37.2°. 

Weiterer Verlauf fieberfrei und ohne Komplikationen. 

Am 3. V. steht Patient auf. Die Wunde verkleinert sich rasch. 

Ara 17. V. ist mir noch eine fingerbreite, flache und gut grauu- 
lirende Wunde vorhanden. Entlassen. 

Am 13. VI. stellt Patient sieli wieder vor mit mässig breiter, 
tief eingezogener Narbe. Patient ist wieder vollständig arbeits¬ 
fähig. 

II. Stephan G., 41 J.. Weber von Nusslingen. Aufgenommen 
1. VI., entlassen 25. VI. 1901. 

Anamnese. Ende Oktober vorigen Jahres bekam Patient 
nach kurzen Schmerzen eine Eiterung rechts. 4 Wochen später 
traten unter Zunahme der Eiterung stärkere Schmerzen auf. Vorn 
Arzt wurden Umschläge und Tropfen verordnet. Vom 5. III. bis 
16. III. 1901 war Patient hier in der Klinik in Behandlung. Bel 
der Aufnahme fand sich Im Gehörgang stinkender Eiter, im Trom¬ 
melfell war eine zapfenförmige Perforation und der Warzenfort¬ 
satz war mässig druckempfindlich. Abends massige Temperatur¬ 
steigerungen bis 38.0°. Am Puls war nichts Abnormes zu k<>n- 
statlren. In der Nase Ozaena foetida. Bei der Entlassung war 

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Patient lieber- und schmerzfrei, das Trommelfell blass. Es bestand 
nur massige Eiterung, wahrend der Behandlung in der Klinik 
nie Klagen Uber Schmerzen. Nach der Entlassung bekam Patient 
gleich wieder mehrtägige Schmerzen, die sich dann alle Wochen 
wiederholten. In der letzten Zeit wurden die Schmerzen stärker 
und es kamen Schwindel, Erbrechen und Schüttelfröste hinzu. Die 
Eiterung hörte mit dem Eintritt der stärkeren Beschwerden auf. 
Seit 3 Tagen hat sich eine Anschwellung hinter dem Ohr gebildet, 
seitdem Abnahme der Beschwerden. Patient hat beinahe die ganze 
Zeit hindurch arbeiten können. 

Status. Nach hinten und oben vom Warzenfortsatz aus¬ 
gedehnte, zum Theil fluktuirende Schwellung. Die hintere Falte 
ist frei. Der hintere obere Theil vom Warzenfortsatz ist druck¬ 
empfindlich. Der Gehörgang ist trocken, das Trommelfell ist grau¬ 
gelb verfärbt und vorgebaucht Weber nach rechts, Flüsterzahlen 
direkt. Augenbefund normal. Keine Symptome von Gehirn¬ 
reizung. Körperwärme 37,6; Puls 80, mittelkräftig. 

Diagnose: Empyem des Warzeufortsatzes mit subperio¬ 
stalem Abscess. 

3. VI. Patient hat die beiden Nächte vor Schmerzen nicht 
schlafen können, Abends massige Temperatursteigerung bis 38,4°, 
Morgens 37,6°. Puls ohne Besonderheiten, bei Tag keine Sehmerzen. 

3. VI., 3 Uhr Nachmittags, Operation. Dr. Hölscher. 
Aethernarkose. Hautschnitt hinter dem Ohr, oben bogenförmig, 
unten schräg nach hinten über die Warzenspitze. Das Gewebe ist 
stark eitrig infiltrlrt. Beim Durchschneiden des Periosts quillt von 
hinten her Eiter in grosser Menge hervor. Es besteht eine grosse 
subperiostale Abscesshöhle. Ein zweiter Hautschnitt wird senk¬ 
recht auf den ersten nach hinten gemacht in der Höhe der oberen 
Gehörgangswand. Aus dem Emissarium inastoideum quillt Elter 
unter Pulsation heraus. Die Sonde führt in grosse Höhle. Ab- 
meisselung nach vorne ku. Der Knochen ist aussen unverändert, 
hart und ganz skleroslrt, im Inneren erweicht und mit Granu¬ 
lationen durchsetzt. Etwas vor dem Emissarium ist in der Tiefe 
eiDe grosse mit Eiter gefüllte Zelle, welche mit der vom Emissarium 
aus sondirbaren nöhle kommunlzirt Die ganze Wundhöhle wird 
durch ausgedehnte Abtragung der Knochenriinder erweitert und 
dann die zwischenstehende Knochenleiste entfernt. Vorliegt der 
ln Granulationen zerfallene Sinus sigmoideus. Weitere Freilegung, 
bis überall normale Dura vorliegt. Abtragung der Granulationen 
mit dem scharfen Löffel. Jodoformgazetamponade, trockener Ver¬ 
band. Dauer 1 Stunde. Nach dem Erwachen aus der Narkose 
ist Patient benommen, an beiden Augen Nystagmus. 

4. VI. Allgemeinbefinden gut, fieberfrei. Nystagmus wieder 
versehwunden. Puls normal. Der Eiter ist keimfrei. 

7. VI. Verbandwechsel. Wunde nahezu trocken, Dura pul- 
sirt gut. Slnusfurche deutlich. 

8. VI. Patient steht auf. 

Glatter, reaktionsloser Heilungsverlauf, am 25. VI. ist die 
Wunde bis auf eine kleine, flache, gut granullrende Stelle ge¬ 
schlossen. 

Nach 14 Tagen stellt Patient sich wieder mit breiter, tief ein- 
gezogener Narbe vor, welche nur noch stellenweise Granulation 
zeigt. 

E p i k r i s c. In unseren beiden Fällen war die Sinus¬ 
thrombose nicht diagnosticirt worden; das Vorhandensein einer 
solchen konnte erst bei der Operation feetgestellt werden. 

In Fall I bestanden keinerlei Symptome für eine Sinus¬ 
erkrankung oder eine intrakranielle Komplikation überhaupt. 
Nach dem ganzen Verlauf der Erkrankung und dem Befund 
bei der zweiten Aufnahme, eine ausgedehnte, schmerzhafte 
Schwellung über dem ganzen Warzenfortsatz, mit Verdrängen 
der Ohrmuschel nach vorne, Patient ist fieberfrei und hat, ab¬ 
gesehen von den lokalen Schmerzen, keine Beschwerden, konnte 
nur ein einfaches Empyem des Warzenfortsatzes als vorliegend 
angenommen werden. 

Bei Fall II konnte man bei der Aufnahme im Hinblick auf 
die vorgegangenen Schüttelfröste und die weiter nach hinten 
sitzende Schwellung, welche den Eindruck machte, als ob sie mit 
dem Emissarium mastoideum in Zusammenhang stehe, eher der 
Ansicht sein, dass eine intrakranielle Komplikation, am wahr¬ 
scheinlichsten ein extraduraler Abscess, vorhanden sei. Jedoch 
ergab die zweitägige klinische Beobachtung keinen weiteren An¬ 
haltspunkt für das Vorhandensein einer derartigen Komplikation 
und nach deren Ergebnissen, Patient fühlte sich, abgesehen von 
Kopfschmerzen und den mässigen örtlichen Beschwerden, ganz 
wold und hatte nur Abends eine leichte Temperatursteigerung, 
erwarteten wir, bei der Operation auch nur ein einfaches Em¬ 
pyem des Warzenfortsatzes zu finden. Dieser Fall zeigt also, 
dass unter Umständen auch eine klinische Beobachtung zu 
keinem bezw. zu einem falschen Resultat führen kann und dass 
eine möglichst frühzeitige Operation die beste Beobachtung ist,. 
Finden sich dann vorher nicht veimuthete Komplikationen, ist 
der Operationsbefund für die Art und Grösse des weiteren opera¬ 
tiven Vorgehens maassgebend. Jedenfalls möchte ich cs gerade 
bei den Folgeerkrankungen von eitrigen Processen in Mittelohr 


No. 35. 


' tmd Warzenfortsatz nicht für zweckmässig halten, zu viel Zeit 
mit dem Beobachten zu verlieren und dadurch die Chancen für 
; das Gelingen eines operativen Eingriffs zu verschlechtern, den 
’ man später unter ungünstigeren Umständen doch machen muss. 

Nach dem Operationsbefund handelte es sich in beiden 
| Fällen nicht mehr um eigentliche Thrombosen des Sintis, son- 
I dern um Folgezustände bereits abgelaufener thrombotischer Pro- 
, cesse. Ein eigentlicher Sinus war beidemale nicht mehr vor- 
| handen, er war beidemale schon in einen Granulationswulst auf¬ 
gegangen. Dass cs sich in beiden Fällen nicht um der vorderen 
; Sinuswand aufgelagerte Granulationen, sondern um den zer¬ 
fallenen und in Granulationen aufgegangenen Sinus selbst 
: handelte, bewies der Zusammenhang mit dem Emissarium 
| mastoideum und das Fehlen eines Sinus. Noch deutlicher wurde 
letzteres beim Verbandwechsel, wobei die anatomischen Verhält- 
l nisse noch genauer wie bei der Operation zu übersehen waren. 

An Stelle des Sinus fand sich nach Beseitigung der Granula- 
i tionen nur eine genau seinem Verlauf entsprechende Furche. 

Zudem gingen die Granulationen nach hinten zu unmittelbar in 
I den normalen und desslialb uneröffnet belassenen Sinus trans- 
; versus über. 

Nach diesem Befund muss der ursächliche Entzündungs- 
pi-ocess im Sinus schon lange vor der Operation abgelaufen sein. 

' Am wahrscheinlichsten erscheint mir folgende Erklärung. Es 
ist beidemale gleich nach Beginn der Erkrankung zu einer Mit¬ 
betheiligung des Antrum mastoideum gekommen, wegen des 
Fehlens von Hohlräumen im Warzen fortsatz und wegen der 
Härte und Dicke des Knochens war eine Ausdehnung der Eite¬ 
rung im Warzenfortsatz oder ein Durchbruch nach aussen un¬ 
möglich. Der am Abfluss verhinderte Eiter, bei Fall I kam es 
im Anfang gar nicht zur Perforation des Trommelfells und bei 
Fall II bestand nur eine kleine zapfenförmige Perforation des 
Trommelfells, musste naturgemäss an der Stelle des geringsten 
Widerstandes durchbrechen. Diese war hier nach hinten gegen 
den Sinus zu, wo entweder eine schon präformirte Lücke bestand 
oder nur eine dünne, wenig widerstandsfähige Knochenschicht 
vorlag. Es kam zur Bildung eines jedenfalls im Anfang nur 
kleinen perisinuösen Abscesses und Thrombosirung des Sinus. 
Dieser ganze Process muss sich in beiden Fällen schon vor der 
ersten Aufnahme abgespielt haben. 

Diese Deutung des Operationsbefxlndes scheint auch am 
besten mit dem klinschen Verlauf, wie ihn Anamnese und Be¬ 
obachtung ergeben haben, in Einklang zu stehen. Fassen wir 
noch einmal kurz die hauptsächlichsten Punkte zusammen, so 
finden wir, dass im Fall I in direktem Anschluss an den Beginn 
der Mittelohrentzündung, ohne dass es zur Perforation des 
Trommelfells gekommen war, eine schmerzhafte Anschwellung 
hinter dem Ohr zusammen mit. heftigen Kopfschmerzen. 
Schwindel und Erbrechen eintrat. Nach Zurückgehen der ent¬ 
zündlichen Schwellung dauerten die Kopfschmerzen und 
Schwindelanfälle noch eine Zeit lang an. Bei der ersten Auf¬ 
nahme am 19. II. waren die stürmischen Erscheinungen schon 
abgelaufen, Patient klagte nur noch über mässige Stimkopf- 
schmerzen und die Untersuchung ergab neben dem Fehlen von 
entzündlichen Veränderungen über dem Warzenfortsatz nur noch 
eine geringe Reizung des Trommelfells, die bis zum nächsten 
Tage noch vollständig zurückging. Körperwärme und Puls 
waren normal. Patient konnte desshalb unbedenklich wieder 
entlassen werden, da es sich um einen schon abgelaufenen Pro¬ 
cess zu handeln schien, und erhielt nur zur Sicherheit die Wei¬ 
sung, sich sofort vorzustellen, wenn neue Beschwerden auftreten 
sollten. Vom Beginn der Erkrankung bis zur ersten Aufnahme 
waren ungefähr 3 Wochen verflossen, zwischen der ersten und 
zweiten Aufnahme lag ein Zeitraum von ungefähr 9 Wochen, 
insgesammt waren also von dem Beginn der Erkrankung bis zur 
Operation etwa 12 Wochen vergangen. 

In Fall n war der Verlauf noch chronischer. Patient kam 
zur ersten Untersuchung und Aufnahme etwa 5 Monate nach 
Beginn der Mittelohrerkrankung. «Die akuten Erscheinungen 
waren ebenfalls schon abgelaufen. Eine kleine, aber für die 
geringe Sekretion völlig ausreichende Perforation war vor¬ 
handen. Ohne weitere Behandlung als einfache tägliche Reini¬ 
gung des Gehörgangs und feuchtwarme Umschläge ging die 
leichte abendliche Temperatursteigerung zurück, so dass Patient 
bei dem Fehlen subjektiver Beschwerden ohne weiteren Eingriff 
entlassen werden konnte. Zwischen der ersten und zweiten Auf- 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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27. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE -WOCHENSCHRIFT. 


1387 


nähme lagen nahezu 3 Monate, so dass sich die Erkrankung im 
Ganzen über 8 Monate erstreckte. 

Bei Fall I hatten in der ganzen Zwischenzeit zwischen der 
ersten Entlassung und der zweiten Aufnahme keinerlei Be¬ 
schwerden bestanden; Patient hatte die ganze Zeit über arbeiten 
können. Erst 14 Tage vor der zweiten Aufnahme traten wieder 
Schmerzen auf, die nach dem Durchbruch des Eiters nach aussen, 
wieder etwas nachliessen. 

Bei Fall II kamen die früheren Schmerzen gleich nach der 
Entlassung wieder und wiederholten sich dann häufig, jedoch 
hatten die Schmerzen Patienten nicht an der Arbeit hindern 
können. Wie bei I traten auch kurze Zeit vor der zweiten Auf¬ 
nahme stärkere Beschwerden auf, die ebenfalls nach dem Durch¬ 
bruch des Eiters nach aussen etwas nachliessen. 

Wir haben also in beiden Fällen im Anschluss an den Be¬ 
ginn der akuten Eiterung die Bildung einer Sinusthrombose, 
welche alsdann langsam unter Eiterung in Granulationen zer¬ 
fallen ist. Solange der Abfluss des Eiters durch Antrum- 
Paukenhöhle in dem Gehörgang ungehindert war, machte der 
langsam fortschreitende Krankheitsprocess keine bezw. nur 
geringe Erseheinungen. Erst mit der Bildung eines grösseren 
extraduralen Abscesses traten stärkere Beschwerden auf, die 
mit der theilweisen Entleerung des Eiters nach aussen unter das 
Periost wieder zum grossen Theil zurückgingen. Dass bei II 
■der extradurale Abscess gröser war, die Beschwerden auch in der 
Zwischenzeit auf traten und vor der zweiten Aufnahme heftiger 
wurden, wie bei I, lag an der geringeren Weite des Abflussweges, 
Antrum, Paukenhöhle, Perforation, Gehörgang und der ge¬ 
ringeren Einschmelzung des Knochens. 

Es hat sich in beiden Fällen um eine verhältnissmässig gut¬ 
artig verlaufende Affektion gehandelt. Die ursprünglichen Ent¬ 
zündungserreger müssen frühe abgestorben sein und eine Neu¬ 
infektion ist nicht erfolgt. Die bacteriologische Untersuchung 
■des Eiters von Fall II im hiesigen pathologischen Institut ergab 
wenigstens das Fehlen jeglicher, auch nicht pa¬ 
thogener Keime. Bel Fall I war leider eine bacterio¬ 
logische Untersuchung des Eiters nicht möglich gewesen. 

Wie unter günstigen Umständen derartige Fälle ausgehen 
können, zeigt der im Archiv für Ohrenheilkunde im Operations¬ 
bericht 1900/01 unter No. 41 skizzirte Fall. 

Bei der Sektion der an einem Kleinhirn abscess verstorbenen 
Patientin fand sich, dass der Sinus auf der einen Seite in 
grösserer Ausd ehnun g fehlte. Die Patientin war 6 Jahre vorher 
im Anschluss an akute Mittelohreiterung unten schweren „Ge- 
hirnentzündungserscheinungen“ erkrankt. Die damals ent¬ 
standene Sinusthrombose war, wie die histologische Unter¬ 
suchung ergab, unter bindegewebiger Organisation zur Aus¬ 
heilung gekommen. Wegen der anderen gefundenen Verände¬ 
rungen, Neubildung eines Ergänzungssinus, soll dieser Fall noch 
ausführlich veröffentlicht werden. 

Die vorstehenden Fälle zeigen auch wieder, dass die Folge¬ 
erkrankungen nach akuten Mittelohreiterungen im Gegensatz 
zu denen nach chronischen nicht selten relativ gutartig verlaufen 
können. 

Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Professor Dr. 
Wagenhäuser meinen ergebensten Dank für die Ueber- 
laesung der Fälle auszusprechen. Den Herren Dr. Dömeny, 
einj. freiwill. Arzt Dr. Michel und cand. med. Schütz bin 
ich für die freundliche Assistenz zu Dank verpflichtet. 


6eburt8komplikation in Folge Hydropsie des Foetus. 

Von Dr. E. Kreisch, Frauenarzt in Coblenz. 

Zu den nicht eben seltenen und desshalb praktisch bedeu¬ 
tungsvollen Geburtskomplikationen gehören diejenigen, welche 
■durch Anomalien des Foetus hervorgerufen werden. Eine Be¬ 
obachtung dieser Art, die mir in mancher Hinsicht des Interesses 
nicht zu entbehren scheint, hatte ich vor Kurzem zu machen Ge¬ 
legenheit und möchte sie in Folgendem wiedergeben. 

Am 14. Mal, Morgens, wurde Ich von Kollegen Keller In 
Plaidt zu einer Geburt gebeten, well es Ihm nicht möglich sei, 
daa Kind, welches er bis zu den Waden extrahlrt habe — es be¬ 
stand vollkommene Fnsslage — völlig zu entwickeln. Die Kreis¬ 
ende, eine IV. Para, war eine grosse Frau mit starkem Knochen¬ 
bau, welche wegen einer seit 4 Wochen plötzlich aufgetreteneu 
Nephritis ln ärztlicher Behandlung stand. Bei der Kochprobe lm 
Heagensglase betrug, wie mir der die Patientin zuerst behandelnde 
Arzt mittheilte, der Niederschlag % der Urinsäule. An den 


Füssen, Händen, Labien waren starke Oedeme vorhanden, der 
Leib war prall ausgedehnt, die Bauchdecken stark lnfiltrirt, Hessen 
deutlich Fingereindrücke zurück. Der Uterus reicht mit dem 
Fundus bis zu den Rippenbögen. Im Uebrigen war die 
äussere Untersuchung wegen der Starrheit der Bauch¬ 
decken negativ und speciell für die Aufklärung der fraglichen 
Geburtsschwierigkeit völlig resultatlos. Herztöne waren nicht zu 
hören und auch von dem Kollegen nicht wahrgenommen worden. 
Patientin hatte bis zur Geburt, wenn auch ln letzten Tagen 
weniger, Kindsbewegungen gefühlt. Aus der Vagina hängen ein 
rechtes und ein linkes kindliches Bein heraus, die beide stark 
livid verfärbt sind und auf Reize nicht reagiren. Da Patientin 
seit 8 Stunden keinen Urin mehr gelassen hat, wird, obwohl 
äusserlich keine Anzeichen für starke Blasenfüllung zu konstatlren 
sind, versucht, zu katheterlsiren. Zunächst perforirt der weibliche 
Silberkatheter etwa 1 cm hinter dem Oriflcium extern, urethrae 
ohne jede Kraftanwendung das stark ödematöse Gewebe und wird 
in der Vagina fühlbar. Wegen starker Schmerzhaftigkeit bei Klar¬ 
legung der äusseren Theile unterbleibt ein erneuter Versuch und 
aus demselben Grunde wird von einer inneren Untersuchung Ab¬ 
stand genommen und zunächst die Narkose eingeleitet. Die Ka- 
theterlsation bietet nun keine Schwierigkeiten mehr, die Blase ist 
iude8s leer. Die mit halber Hand vorgenommene innere Unter¬ 
suchung stellt fest, dass der Steiss des Kindes dem Kreuzbein 
der Mutter zugewendet ist, und dass das Geburtshlnderniss in 
einem übergrossen Volumen des kindlichen Bauches besteht, in¬ 
dem der ballonartig ausgedehnte Leib sich auf der Symphyse 
aufstemmt. Die nunmehr mit dem Perforatorium vorgenommene 
Punktion — weil ln ziemlicher Tiefe zu arbeiten war, musste ein 
langgestieltes Instrument benutzt werden — fördert etwa % Liter 
einer hellen, klaren Flüssigkeit zu Tage. Nunmehr gelingt die 
Extraktion bis zum Nabel der Frucht, stockt dann aber wiederum 
und zwar, wie eine erneute Untersuchung ergibt, weil auch der 
kindliche Thorax zu grosse Dimensionen hat. Eine abermalige 
Punktion lässt eine erhebliche Menge gleichartiger Flüssigkeit 
abiiiessen. Die völlige Entwicklung des Kindes geht nun leicht 
von statten. 

Auch nach Geburt des Kindes bleibt der Uterus noch wie 
vordem ausgedehnt; erst nach der wegen eintretender Blutung 
nach Credfi vorgenommenen Entfernung der, wie sich nun 
zeigte, riesenhaften Placenta fällt er bis zur Nabelhöhe und kon- 
trahlrt sich dauernd gut 

Die Placenta weist eine starke Entwicklung des fibrösen Ge¬ 
webes auf und ist in zahlreiche, mächtigen Polypen ähnelnde 
Cotyledonen gethellt von denen einzelne von fast Faustgrösse 
nur an einem lnngen, schmalen Stiele mit der Hauptmasse fest¬ 
haften. Infarkte fehlen auffallender Weise. Es wurde leider 
versäumt, die Grössen- und Dickendurchmesser der Placenta zu 
nehmen, ihr genau festgestelltes Gewicht betrug nach Reinigung 
von allen Coageln 4 Pfund 25 Gramm. 

Das Kind, ein im Allgemeinen kräftig entwickeltes Mädchen, 
wog 6 Pfund 50 Gramm und ist anscheinend frisch abgestorben. 
An ihm fällt besonders ein starkes Oedem des Gesichtes auf, 
über welchem die Haut welsslich glänzend erscheint und an wel¬ 
chem deutlich die Spuren vom Fingereindruck Zurückbleiben. An¬ 
zeichen von luetischer Infektion konnten nicht konstatirt werden, 
die Sektion wurde nicht gestattet. Beide Eltern geben auf Fragen 
nach dieser Richtung hin bestimmt verneinende Antworten, auch 
sprechen die drei voraufgegangenen normalen Geburten gesunder 
Kinder nicht gerade für Lues. 

Es interessirt nun vor Allem die Aetiologie der foetalen 
Erkrankung. Bei den Wasseransammlungen im kindlichen 
Bauche sind es bekanntlich in erster Linie die Nieren (Cysten¬ 
niere, Hydronephrose), die übermässige Ausdehnun g der kind¬ 
lichen Harnblase, die man nach Ahlfeld in der Regel als 
Kloakenbildung. (Verschluss der Harnröhre mit Ansammlung 
von Flüssigkeit in der Kloake) aufzufassen hat, die Bauchhöhle, 
seltener die Ureteren, die die Flüssigkeit bergen. Eine Erkran¬ 
kung dieser Art hat wohl in unserem Falle nicht Vorgelegen. Ab¬ 
gesehen davon, dass man bei den cystischen Entartungen der 
Niere, Erweiterung der Ureteren, bei Kloakenbildung in der Mehr¬ 
zahl der Fälle ^auch noch andere Missbildungen, oder Kachexie 
des Foetus, oder wenigstens eine mangelhafte Entwicklung des¬ 
selben nicht vermissen wird, fehlte immer noch eine Erklärung 
für den Hydrothorax und das so ausgesprochene Oedema faciei. 
Am ehesten ähnelt unser Krankheitsbild noch der als foetale 
Rachitis mehrfach in der Literatur beschriebenen Erkrankung, 
bei der es zu enormen Oedemen der Haut und Ausschwitzungen 
in die verschiedenen Körperhöhlen kommt. Aber das Oedem der 
Haut war in unserem Falle nur im Gesicht und nicht auch an 
den Extremitäten, die geradezu schön entwickelt waren, vor¬ 
handen, während doch gerade auch hier die mit Chondrodys¬ 
trophia foetalis behafteten Kinder fast charakteristische Verbil¬ 
dungen zeigen. Nach alledem halte ich mich zu der Annahme 
berechtigt, dass wir es mit einer foetalen Nephritis zu thun haben, 
die vielleicht in unmittelbarem, wahrscheinlich aber erst in 
späterem Anschluss an die vor 4 Wochen ante terminum akut ein- 


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1388 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


setzende Nierenentzündung der Mutter entstanden ist. In der 
mir zu Gebote stehenden Literatur finde ich einen ähnlich ge¬ 
deuteten Fall nicht beschrieben, vergeblich habe ich mich auch in 
den Lehrbüchern der Geburtshilfe von Ahlfeld, Runge, 
Schroeder, Schauta nach den Ansichten über das Auf¬ 
treten foetaler Nierenerkrankung oder eventuell Ucbertragbarkeit 
einer Nierenentzündung von der Mutter auf das Kind umgesehen. 
Und doch muss diese Möglichkeit zugegeben werden, denn wir 
wissen, dass sowohl solche Erkrankungen, bei denen das Gift eine 
gasförmige Beschaffenheit hat, als auch solche, bei denen das 
Gift ein lösliches, mineralischer oder pflanzlicher Natur ist und 
sich im mütterlichen Blute in gelöstem Zustande befindet, durch 
die l’lacenta auf die Frucht übergehen können. Ob diese Thac- 
sache in demselben Umfange auch für die Toxine und Ptomaine 
ohne Weiteres Geltung hat, steht noch dahin und es fehlt vor 
allen Dingen noch an praktischen Erfahrungen über diesen Punkt, 
doch muss die Möglichkeit des Ueberganges auch dieser Stoffe, 
sofern dieselben nicht an corpusculäre Elemente gebunden zu 
sein brauchen, wohl zugegeben werden. 

Wir können uns somit die Entstehung der foetalen Erkran¬ 
kung auf zwiefache Weise erklären, sei es, dass wir annehmen, 
dasselbe Virus, welches bei der Mutter eine akute, hochgradige 
Nephritis hervorrief, habe auch die foetale Niere ergriffen, sei 
es, dass wir zu der Ansicht neigen, es hätten im Verlauf oder in 
Folge der mütterlichen Erkrankung gebildete toxische Stoffe zu 
tiefgreifenden Laesionen des kindlichen Nierengewebes geführt. 


Aus dem St. Vincenz-Krankenhause zu Ilanau. 

Ein Fall von Duodenalgeschwür mit retroperitonealem 
Durchbruch. 

Casuistische Mittheilung von Dr. med. R. Wagner. 

Von den Komplikationen des Ulcus duodenale kommt die Per¬ 
foration bekanntlich in erster Linie mit in Betracht. Ein solcher 
Durchbruch kann stattfinden direkt in die freie Bauchhöhle, oder 
es kommt zur Penetration in ein Nachbarorgan: Leber, Pankreas, 
Kolon, Gallenblase, grosse Gefässe. Sitzt ein Duodenalgeschwür 
an einer Stelle des Zwölffingerdarmes, die des serösen Ueberzuges 
entbehrt, also an der Hinterwand der Pars deseondens und trans¬ 
versa inferior duodeni, so kann ein solches Ulcus durchbrechen, 
ohne das Bauchfell dabei in Mitleidenschaft zu ziehen, und es 
kann, wie L c u b e auch in seinem Lehrbuch über specielle Dia¬ 
gnose der inneren Krankheiten ausdrücklich sagt, zu einem Sen- 
kungsabseess nach der Inguinalgegend kommen. Es resultirt 
dann wohl in den meisten Fällen eine septische Phlegmone, ver¬ 
bunden mit Hautemphysem. In dem von mir gleich zu be¬ 
schreibenden Falle war jedoch der Durchbruch mit den nach¬ 
folgenden Entzündungserscheinungen äusserst latent verlaufen. 

Krankengeschichte: J. W., 45 Jahre alt, Cigarren¬ 
arbeiter aus K.-Ä., wurde am 14. II. 1901 in das Krankenhaus 
aufgenommen. Der Mann gal» au. vor 2 1 /, Jahren ..leberleidend** 
gewesen zu sein. d. h. er hatte beständig Schmerzen in der Gegend 
unterhalb des rechten Rippenbogens, die sich nach Nahrungs¬ 
aufnahme wenigstens nicht wesentlich steigerten. Gelbfärbung 
habe nie bestanden. Als Koliken wurden di** Schinerzen nicht 
geschildert. Erbrechen soll verschiedentlich damals dagewesen 
sein, jedoch ohne lllutbeimengungeu. Im Februar 19uo machte 
sich in der rechten Leistengegend eine halbkugelige Anschwellung 
bemerkbar, Avelche auf heisse Aufschläge hin zurückging, so dass 
der Mann vom April ab den ganzen Sommer 1000 hindurch arbeiten 
konnte. Im Oktober trat daun ganz in gleicher Weise wie Im 
Februar eine Anschwellung in der rechten Leistengegend auf, die 
am 17. Oktober aufbrach. Reichliche Mengen stinkender, braun¬ 
schwarzer Flüssigkeit entleerten sich. Mit zeitweise Tage langen 
Unterbrechungen lloss dann mehr oder weniger stark gelblicn- 
bräuniiehe Flüssigkeit ab. die jedoch nur faden Geruch zeigte. Pat. 
berichtete ausserdem ganz von selbst, dass nach dem Essen einer 
Weintraube eine Stunde später ..die Kerne“ aus der Wunde 
herausgekommen seien. Ueber ausserordentlich grosses Durstge¬ 
fühl und über Stuhlverstopfung wird geklagt. 

Status praesens: Stark abgemagerter Mann von kräf¬ 
tigem Knochenbau. Lungen und Herz ohne krankhaften Befund. 
Die Leber liegt in der rechten Mammitlarlinie zwischen unterem 
Rande der 6. Rippe und dem Rippenbogenrande. Ihre Oberfläche 
und Rand ist glatt. Abdomen weich und nirgends druckempfind¬ 
lich. Die Wirbelsäule ist gerade, sorgfältige Abtastung der ein¬ 
zelnen Domfortsätze ist nirgends schmerzhaft. Es bestehen 
keinerlei Innervationsstörungen. Körpertemperatur ist nicht er¬ 
höht. Der Puls ist regelmässig. SS Pulsschläge in der Minute. 
Die Urinuntersuchung war negativ, spec. Gewicht betrug 1016. 
Dicht über der inneren Hälfte des Lig. Poupartii befindet sich 
eine fünfpfennigstückgrosse, mit schlaffen, livlden Granulationen 


ausgefüllte Fistelöffnung, aus der beständig gallig gefärbte Flüssig¬ 
keit abgesondert wird. Letztere enthält kleinste Speiserestchen. 
Auf der rechten Darmbeinschaufel und in der Beckenhöhle fühlt 
man keinerlei auffallende Resistenz, auch keinen Unterschied im 
Perkussionssehall zwischen rechts und links. Das rechte Hüft¬ 
gelenk Ist vollkommen frei, ebenso besteht kein entzündlicher Pro¬ 
zess an der rechten Articulatlo sacro-iliaca. Nach Fortnahme der 
oberflächlichen Granulationen ln der Fistelöffnung mit dem 
scharfen Löffel führte eine elastische Sonde ohne Widerstand bis 
hinauf zur rechten N’ierengegend. Die Ausheberung des Magens 
Stunden nach Einnahme des E w a 1 d'schen Probefrühstücks 
ergab vollkommenes Fehlen freier Salzsäure (Congopapler und 
G ü n z b u r g'sclies Reagens)! ln den Magen eingeführte Wasser, 
mengen flössen nach f> Minuten in gleicher Quantität ab. 

Bezüglich der Diagnose musste an elpe retroperitoneaie Per¬ 
foration der Hlnterwaud des Duodenum alsbald gedacht werden, 
und es wurde die Gastroenterostomie mit Verschliessung des 
Pylorus (Duodenalausschaltung) zunächst In’s Auge gefasst. 

Patient war jedoch für jeden grösseren operativen Eingriff 
absolut unzugänglich und verlangte sofort die Entlassung. Nur 
auf Bitten der Angehörigen wurde der Mann in der Anstalt be¬ 
halten. 

Am 1. IV. 1901 erfolgte der Exitus in Folge Inanition. Die 
Sektion ergab ln der Mitte der Hlnterwaud der Pars descendeus 
duodeni ein kleinlinseugrosses. rundes Loch. Die Darmwand war 
an dieser Stelle leicht trichterförmig eingezogen. Eine von hier 
aus eingeführte geknöpfte, biegsame Sonde ging in einem 
schmalen, ziemlich gerade neben der Lendenwirbelsäule abwärts 
verlaufenden Gange hinter dem Peritoneum bin und kam an der 
Fistelöffnuug über dem P o u p a r t’schen Bande zum Vorschein. 
Im Magen und Darm war sonst von geschwürlgen Prozessen 
nichts zu finden. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Prof. Dr. S. y. Basch: Die Herzkrankheiten bei Arterio¬ 
sklerose. Berlin 1901. Verlag von A. Hirschwald. 

Abgesehen davon, dass nunmehr auch in den klinischen Lehr¬ 
büchern der Darstellung der arteriosklerotischen Erkrankungen 
ein ihrer praktischen Bedeutung entsprechender Umfang einge¬ 
räumt worden ist, erschienen im letzten Jahrzehnt auch eine An¬ 
zahl von ausführlichen Monographien über diesen für die For¬ 
schung noch lange nicht abgeschlossenen Gegenstand, von denen 
ich nur die Arbeiten von Huchard und E d g r e n nennen 
will, denen sich nun v. Basch mit der vorliegenden eingehenden 
Studie anreiht. Basch legt, wie bekannt ist, für die klinische 
Würdigung der Arteriosklerose das grösste Gewicht auf die in- 
strumentell zu eruirenden Verhältnisse des Blutdruckes und auch 
das vorliegende Werk ist eine unausgesetzte Aufforderung, sich 
der sphygmomanometrischen Methode möglichst häufig in allen 
Fällen zu bedienen, wo Arteriosklerose, oder, wie der Autor es 
genannt wissen will, Angiosklerose hereinspielen kann. Die Er¬ 
gebnisse der Messung mittels des Sphygmomanometers, auf die 
Andere, wie Edgrcn, nicht das grosse Gewicht legen, stehen 
fü. 1 Basch in mancher Hinsicht über dem Resultate der Per¬ 
kussion und rivalisiren mit dem unmittelbaren Aufschluss der 
Autopsie. Der so erhaltene Blutdruckwerth entspricht mit einer 
für praktische Zwecke völlig ausreichenden Genauigkeit dem 
wirklichen, mit welchem die dadurch gewonnenen Zahlen parallel 
gehen. Sicher hat die Blutdruckmessung mit dem Sphygmo¬ 
manometer den Vortheil, dass dadurch zalilenmässig ausdrückbare 
Werthe erhalten werden, die dem Gedächtniss mit Sicherheit 
aufbewahrt bleiben und unter sich einen Vergleich erlauben. 
Für Basch sind die mit dem Sphygmomanometer zu erhalten¬ 
den Zahlen aber auch die wichtigsten Anhaltspunkte für Dia¬ 
gnose und Prognose vieler Fälle. Das G ä r t n e rische Tonometer 
erfährt durch den Autor eine sehr scharf klingende Kritik, es ist 
ihm einfach für Blutdruckmessung unbrauchbar. 

Ein Druck von 150 mm bildet nach Basch die obere Grenze 
der Norm, was darüber ist, fällt schon in das Gebiet des Patho¬ 
logischen. Fülle, welche eine zeitweilige Erhöhung des Druckes 
au/weisen, sind der Pseudoangiosklerose zuzurechnen, die aber 
eine noch physiologische Erscheinung darstellt, pathologisch im 
eigentlichen Sinne wird die Angiosklerose von dem Augenblicke 
an, wo der Druck permanent über 150 mm erhöht gefunden wird. 
Die weitere Unterscheidung in eine latente und eine manifeste 
Form der Angiosklerose ist nicht mehr ausschliesslich auf die 
Verhältnisse des Blutdrucks zu basiren: das sichere Kriterium 
liefert hier der Albumengehalt des Harnes, der eben bei der als 
manifest bezeichneten Form im positiven Sinne vorhanden ist. 
Die Bezeichnung Arteriosklerose möchte Basch für jene Fälle 
reservirt wissen, in welchen mit Bestimmtheit eine sklerotische 


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27. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Erkrankung der grossen und grösseren Arterien nachgewieseu 
werden kann, während die Erscheinungen der gewöhnlichen 
Angiosklerose gerade durch die Betheiligung der kleinen und 
kleinsten Qefässe hervorgerufen werden. Einer speciellen Schilde¬ 
rung werden die Erscheinungen der manifesten Alters- und der 
manifesten Cerebral-Angiosklerose unterzogen. Für eines der 
Hauptsymptome der arteriosklerotischen Gefäss- und Herzver¬ 
änderungen, die Dyspnoe, betont B a s c h als regelmässige Grund¬ 
lage einen Zustand der Lungen, den er als Lungenschwellung und 
Lungenstarrheit bezeichnet. Andere Autoren stehen nicht auf 
dem Standpunkte dieser Anschauung. Es ist dem Referenten 
nicht bekannt, ob ein anatomischer Nachweis des von Basch 
angenommenen Lungenzustundes schon einwandsfrei geliefert 
worden ist. Basch entthront überhaupt die pathologische 
Anatomie ihrer autokratischen Beherrschung des ganzen Ge¬ 
bietes der Herzkrankheiten, in mancher Hinsicht gewiss mit 
Recht; im Vordergründe steht ihm die diagnostische und pro¬ 
gnostische Würdigung der Funktion des Organs, ein Standpunkt, 
der mit Berechtigung jetzt immer mehr in Aufnahme kommt. 
Immerhin wäre es nicht unerwünscht, wenn Basch in die Zahl 
der in die Darstellung seines Gegenstandes als integrirenden Be- i 
standtheil eingeflochtenen Krankengeschichten auch solche auf¬ 
genommen hätte, wo die Autopsie die klinischen Beobachtungen 
und daraus fliessenden theoretischen Erörterungen kontrolirt hat. 
Ln recht vielen Punkten weicht der Autor vom Pfade der traditio¬ 
nellen Anschauungen ab, woraus ihm gewiss Niemand einen Vor¬ 
wurf machen wird, der wissenschaftlichen Fortschritt will und 
die Art und Weise kennt, auf welche derselbe zu Stande kommt. 
Ich kann darüber nur Einiges andeuten, Verfasser nimmt an, dass 
ein gewisser Grad von Lungenstarrheit schon physiologisch be¬ 
steht, ebenso eine physiologische Herzinsufficienz schon im 
Rahmen der Norm angenommen werden könne. Die Wirkung 
der Digitalis lässt ihn zu dieser Voraussetzung kommen. Das 
Symptom einer Rigidität der arteriosklerotischen Gefässe existirt 
für Bosch nicht, andere Autoren, wie E d g r e n, legen gerade 
darauf das grösste Gewicht; die Verstärkung des 2. Aortentones 
beweist nach B. keineswegs eine vermehrte Pulsspannung, die 
Theorie von der endogenen Entstehung der Hypertrophie des 
linken Ventrikels bei der Mitralinsufficicnz ist nach B. ganz und 
gar unhaltbar, die Herzhypertrophie bei Aortenstenose hat mit 
sog. Kompensation nichts zu thun; eine logische Begründung 
der ganzen Kompensationslehre lässt B. überhaupt gar nicht 
gelten. B. ist ein ausgesprochener Feind aller, etwa auf dem 
Wege des klinischen Unterrichts, starr gewordenen schematischen 
Auffassung über die Vorgänge des Lebens an den Organen. 
Solche Frei denkgeister sind dem Fortschritt gerade auf wissen¬ 
schaftlichem Gebiete niemals hinderlich gewesen. Für die Be- 
urtheilung der durch Arteriosklerose hervorgerufenen Herz¬ 
klappenfehler ist dem Verfasser mit vollem Rechte fast aus¬ 
schliesslich der Zustand des Herzmuskels maassgebend. Wie oft 
wird noch heute aus einem systolischen Geräusche über der Aorta 
und der begleitenden Hypertrophie des linken Ventrikels ein 
schon demnächst zu vollstreckendes Todesurtheil formulirt. Dass 
der gesunde Herzmuskel aber einen oft sehr langen Aufschub be¬ 
deutet, das wird auch heute noch oft nicht in die prognostische 
Erwägung gezogen. In dem Kapitel über den Verlauf der Angio¬ 
sklerose hat B. höchst werthvolle Krankengeschichten mitgetheilt, 
von Fällen, die der Autor viele Jahre ununterbrochen hat be¬ 
obachten können. Es sind meist Besucher von Marienbad gewesen. 
Mit einem derartigen Material können dem Verfasser wohl nicht 
zu viele Konkurrenten erstehen. Gerade solche über viele Jahre 
sich erstreckende Beobachtungen sind aber für das Verständniss 
der Arteriosklerose ganz unerlässliche Bedingung und ent¬ 
stammen nur selten der eigentlichen Klinik. In den Schluss¬ 
kapiteln des Werkes bringt Verfasser noch einen Beitrag zur 
Theorie des Asthma cardiacum und der Angina pectoris, Sym¬ 
ptomkomplexe, welche B. streng auseinander gehalten wissen will. 
Die letztere beruht auf einem nervösen Process, das erstere auf 
Arteriosklerose. 

Die Ausführungen des Buches dürften in manchen Punkten 
zum Widerspruch herausfordern; allein Niemand wird demselben, 
von Anderem abgesehen, den besonderen Vorzug absprechen, dass 
es anregend wirken muss und aus einer ganz ausserordentlichen 
Erfahrung heraus geschrieben ist. 

• Grassmann - München. 


Prof. Ludolf K r e h 1, Direktor der modicinischen Klinik 
in Greifswald: Die Erkrankungen des Herzmuskels und die 
nervösen Herzkrankheiten. Mit 2 Abb. Wien 1901. Verlag 
von A. Holder. Einzelpreis 10 M. 

Das Kreh l’sche Werk erscheint innerhalb des 15., den Er¬ 
krankungen der Kreislaufsorgane gewidmeten, Bandes der Noth¬ 
nagel’sehen Pathologie und Therapie, in einem Umfang von 
462 Seiten. Die aus äusseren Grüuden eingetretene NothWendig¬ 
keit, die Darstellung des ganzen einheitlichen Gebietes der Kreis¬ 
laufstörungen unter mehrere Autoren zu vertheilen — K r e h 1 
theilt sich mit Jürgensen, Schrötter und V i e r o r d t 
in diese Aufgabe — hat die Bearbeitung des grossen und äuseerst 
schwierigen Stoffes sicherlich nicht erleichtert. Trotzdem ist ein 
Werk entstanden, das eine Meisterleistung im vollsten Sinne des 
Wortes repräsentirt. Während man noch vor 10 Jahren aus den 
Darstellungen der gebräuchlichen Lehrbücher über die Herzkrank¬ 
heiten den Eindruck gewinnen musste, dass auf diesem Felde 
klinischer Forschung das Allermeiste an Arbeit schon geschehen 
sei und die Darsteller desselben nur nöthig hätten, das viele 
Gesicherte und Gewonnene an der Hand der pathologisch-anatomi¬ 
schen Thatsachen schön eingetheilt zu registriren, wie in einer 
wohlgeordneten vollständigen Sammlung, sind unterdessen in 
Folge der emsigen Arbeiten der Physiologen auf diesem Gebiete 
für den Kliniker eine Menge neuer, oder wenn man will, alter 
Fragen in neuer Beleuchtung hervorgetreten und wir sind in 
mancher Hinsicht von einer unumstösslichen Einsicht in das 
Geschehen der Erscheinungen soweit entfernt, dass wirklich er¬ 
fahrene und zugleich aufrichtige Erforscher dieses Gebietes, wie 
wir einen solchen in Krohl vor uns haben, an allen Enden 
ihrer Werke Veranlassung finden, auf die grossen Lücken unseres 
Wissens hinzuweisen. Bekanntlich musste besonders die Patho¬ 
logie des Herzmuskels im Hinblick auf neue physiologische Ge¬ 
sichtspunkte eine Revision erfahren, nicht allein mit Rücksicht 
auf die neue Theorie von der Automatie des Herzmuskels, sondern 
vor Allem auch aus dem wichtigen Grunde, weil man, den ein¬ 
seitigen anatomischen Standpunkt verlassend, begonnen hat, den 
funktionellen Anomalien des Herzens die ihnen gebührende Ach¬ 
tung zu schenken. Die Praxis hat das wohl schon viel früher 
und ausgiebiger gethan, als es jetzt den Anschein haben möchte; 
allein die Theorie erhielt den mächtigen Anstoss hiezu in her¬ 
vorragendem Maasse von physiologischer Seite, neben frucht¬ 
baren Anregungen aus den Kreisen der Kliniker und Aerzte. 
Genug, der Herzmuskel und seine Störungen steht gegenwärtig 
im Mittelpunkte des klinischen Interesses: es ist vom Endokard 
auf das Myokard übergegangen. Schon vom Standpunkte des 
Historikers aus würde also das Kreh l’sche Werk eine bleibende 
Bedeutung für sich zu beanspruchen haben, indem es zu den 
Werken gehört, in denen zuerst dieser wichtige Umschwung in 
der Auffassung der Herzanomalien zum Ausdruck kommt. Allein 
der Verf. hat die hervorragende Bedeutsamkeit seiner Arbeit 
schon durch eine Reihe anderer innerer Vorzüge zu einer sicher¬ 
lich dauernden zu machen gewusst: durch eine meisterhaft klare 
Darstellung, durch die in dem Buche hervortretende seltene Ver¬ 
schmelzung grösster praktischer Erfahrung und ungewöhnlich 
gründlicher theoretischer Durchbildung, durch die denkbar 
strengste Objektivität. Es wird wenige Darstellungen über Herz¬ 
krankheiten geben, aus denen so klipp und klar erhellt, was wir 
hierin Alles nicht wissen, wie das Kreh l’sche Buch. In dem 
unverblümten Hinweis auf diese klaffenden Lücken liegt manche 
kräftige Anregung für die künftige Forschung auf diesem Ge¬ 
biete. Gerade auch die praktischen Aerzte können aus dem Werke 
ersehen, welcher Antheil an dem Ausbau der Lehre von den Herz¬ 
störungen ihnen zufällt,, ein Antheil, der von der Klinik allein 
gar nicht gelöst werden kann. 

In den einleitenden Kapiteln bespricht K. kurz zusammen¬ 
fassend die Untersuchung Herzkranker und gibt da eine 
werthvolle Kritik der hiebei gebräuchlichen Methoden mit einer 
sehr schönen Einflechtung herz - physiologischer Erörterungen. 
Hinsichtlich der Perkussion des Herzens macht K. auf den Werth 
der Bestimmungen mittels des Widerstandsgefühles aufmerksam 
und Referent kann nicht umhin, seine volle Uebereinstimmung 
mit der warmen Empfehlung dieses Verfahrens auszusprechen, 
das bei Herz- und Lungenuntersuchung eine viel grössere Wür¬ 
digung verdient, als ihm zu Theil wird. Für die annemischen 
Herzgeräusche betrachtet Verf. muskuläre Klappeninsufficienxen 


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1390 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35. 


in Folge mangelhafter Muskelkontraktionen als das in nicht 
wenigen Fällen Maassgebende. Ref. ist der nämlichen Meinung. 
Diese Auffassung erklärt am Besten. 

Die Darstellung der für die Herzkrankheiten in Betracht 
kommenden ätiologischen Momente hält sich fern von dem hierin 
so gebräuchlichen Schematismus und sucht den komplizirten wirk¬ 
lichen Verhältnissen nachzugehen, wobei K. mit Recht besonders 
auf das Zusammenwirken einer grösseren Reihe ätiologischer 
Faktoren hinweist, von denen vielleicht keiner für sich zu einer 
schädlichen Wirkung hinreichen würde, während ihre Summation 
eine solche herbeiführt. Das entspricht gewiss am meisten den 
Verhältnissen der Wirklichkeit, die ja die absichtlich einfach und 
eindeutig angeordneten Versuche des Laboratoriums nur sehr 
selten kennt. Es ist interessant, neben der J ürgense n’sehen 
Darstellung der Herzinsufficienz jene von K r e h 1 zu lesen, ein 
Gebiet, auf dem der Autor selbst so viel gearbeitet hat. In diesem 
praktisch so ausserordentlich wichtigen Kapitel finden auch die 
der Herzinsufficienz zu Grunde liegenden Störungen der Funk¬ 
tion und Struktur der Muskulatur, die pathologische Anatomie 
des Herzmuskels ihre prägnante Darstellung. Die später folgen¬ 
den allgemeinen Erörterungen über die Diagnose, Beurtheilung 
und Behandlung der Herzkrankheiten bieten für jeden Leser, der 
sich eingehender mit der Beobachtung Herzleidender befasst, 
eine Fundstelle von vortrefflichen, aus eigener reicher Erfahrung 
des Autors geschöpften Leitsätzen, die dem am Krankenbette in 
Zweifel befangenen Arzte sicher oft die ersehnte Stütze sein 
werden. Mit lebhafter Zustimmung hat Ref. die Worte gelesen, 
welche K r e h 1 dem Diät-Schematismus in der Behandlung Herz¬ 
kranker und an anderer Stelle der als ganz neu erfunden aus¬ 
gegebenen Krankenpflege gewidmet hat! Er wird damit vielen 
Aerzten und Klinikern ganz aus der Seele gesprochen haben. 
Dem Schein-Physiologismus rückt K. überhaupt mit sehr erfreu¬ 
licher Schärfe allerorten zu Leibe. Es ist nicht möglich, hier 
den reichen Inhalt des Werkes auch nur anzudeuten; ich möchte 
nur noch anführen, dass grössere Kapitel gewidmet sind den Er¬ 
krankungen des Herzens bei akuten Infektionskrankheiten, wo 
eben ganz voxwiegend die Betheiligung des Herzmuskels in Frage 
steht, ferner den im Gefolge der Arteriosklerose auftretenden 
Herzstörungen. Auf die von v. Basch hiebei so sehr betonten 
Zustände von Lungenschwellung und Lungenstarrheit legt Verf. 
augenscheinlich kein zu grosses Gewicht. Die Abhandlung über 
die nervösen Herzkrankheiten nimmt in dem K r e h l’schen Buche 
nur 30 Seiten ein, schon äusserlich ein Zeichen, dass der Autor 
diese Bezeichnung sehr eng gefasst haben will. In der That 
grenzt er innerhalb dieser Gruppe hauptsächlich jene das Herz 
betreffenden Störungen ab, welche im Rahmen der allgemeinen 
Nervosität und der Neurasthenie, sowie der Hysterie und ähn¬ 
licher Zustände Vorkommen. In der Frage, ob Veränderungen 
der Herzgrösse und Herztöne auf rein nervöser Grundlage Vor¬ 
kommen, nimmt K. den Standpunkt ein, dass ein sicheres Ur- 
theil hierüber noch nicht möglich ist; doch spricht nach seiner 
Ansicht viel dafür, dass rein nervöse Einflüsse die Herzgrös^e 
zu beeinflussen im Stande sind. Den Schluss des Werkes bilden 
noch kurze Abrisse über die paroxysmale Tachykardie, sowie die 
im Gefolge von Verletzungen des Körpers auf tretenden Herz¬ 
krankheiten; die letzten paar Seiten sind Aphorismen zur Ge¬ 
schichte der Herzkrankheiten gewidmet. Die Literatur über Herz¬ 
krankheiten, welche Verf. in seinem Werke mit seinem eigenen 
Wissen zu einem Ganzen verechmolzen hat, ist enorm und re- 
präsentirt für sich die Geschichte der Herzkrankheiten. In der 
meisterhaften Zusammenfassung unserer heutigen Kenntnisse 
und der scharfen Präzisirung unserer Kenntnisslücken über die 
Erkrankungen des Herzmuskels ist das K r e h l’sche Buch im 
eigentlichsten Sinne ein Säkularwerk an der Schwelle des neuen 
Jahrhunderts. 

Grassmann - München. 

Schilling: Die Verdaulichkeit der Nahmngs- und 
Genussmittel auf Grund mikroskopischer Untersuchungen der 
Faeces. Alit 102 Abbildungen. Leipzig 1901, Verlag von 
II. Hartung & Sohn (G. M. II c r z o g). 

Die Untersuchungen S c h i 11 i n g’s erstrecken sich auf eine 
sehr grosse Menge der gebräuchlichen Nahrungs- und Genuss¬ 
mittel aus Thier- und Pflanzenwelt. Ihre Resultate bestätigen 
zum Theil schon Bekanntes, zum anderen Theil aber stehen sie 


in bemerkenswerthem Gegensatz zu bisherigen Anschauungen» 
was auf einem Gebiet nicht Wunder nimmt, auf dem so vielfach 
alt überkommene ungeprüfte und unbewiesene Vorstellungen 
herrschen. So bestreitet Schilling z. B. auf Grund seiner 
Befunde die allgemein angenommene besonders leichte Ver¬ 
daulichkeit des Kalbfleisches und findet für seine 
Behauptung ganz plausible Gründe in der eigenartigen Struktur 
dieses Fleisches. Manche der Beobachtungen S c h i 11 i n g's 
bedürfen allerdings wohl einer Bestätigung. So scheint mir die 
mikroskopische Unterscheidung der verschiedenen Sor¬ 
ten Säugethierfleisches auf Grund von Befunden» 
wie sie die beigegebenen Bilder veranschaulichen, doch sehr un¬ 
sicher zu sein. 

Auch so kompetente Beobachter, wie A. Schmidt und 
van Ledden-Hulsebosch, von dem schon aus dem vor¬ 
letzten Jahre eine vorzügliche Bearbeitung des gleichen Stoffes 
vorliegt, kommen zu keiner derartig detaillirten Diagnostik des 
Säugethierfleisches. Ueberraschen dürfte auch die Angabe, dass 
die Passage der Speisen vom Mund bis zum After normaler Weise 
36—48 Stunden dauert. 

Wenn Schilling schliesslich die Ansicht ausspricht, der 
Arzt, der Diätverordnungen aufstellen wolle, müsse die Mikro¬ 
anatomie und -Botanik der Nahrungsmittel beherrschen, um den 
Nachweis des Verdautwerdens der verordneten Nahrungsmittel 
zu erbringen, so möchte ich dieser Anschauung desshalb ent¬ 
gegentreten, weil solche zu weit gehende Forderungen zur Zeit 
geeignet sind, die allgemeinere Anwendung der so wichtigen 
Faecesuntersuchung eher zu hemmen als zu fördern. Vielmehr 
soll die vorliegende Arbeit Schillin g’s wie die von 
van Ledden-Hulsebosch neues Material zur Vertiefung 
resp. Revision unserer Kenntnisse liefern; ihre Resultate sollen 
dem praktischen Arzte eine sicherere Grundlage für seine diä¬ 
tetische Therapie geben; eine solch’ zeitraubende Diagnostik 
selbst auszuüben, wird derselbe im Allgemeinen nicht im 
Stande sein. Schütz- Wiesbaden. 

Neueste Joumalliteratnr. 

Zeitschrift für klinische Medicin. 1901. 43. Bd. Heft 
3 und 4. 

11) v a n Y z e r e n: Die Pathogenesis des chronischen Magen* 
geschwürs. (Aus der medic. Polikiuik Utrecht; Prof. Talma.) 

Dem Verfasser ist es geglückt, beim Kaninchen Magen¬ 
geschwüre zu erzeugen, welche in allen Punkten sich den beim 
Menschen vorkommenden ähnlich erwiesen. Nach einigen ein¬ 
leitenden Bemerkungen zur Physiologie und speciell zur Inner¬ 
vation des Magens folgt die Schilderung der Versuche, welche in 
Durchschneidung des Vagus unterhalb des Zwerchfells bestanden. 
Bei 10 von 20 auf diese Weise operirten Kaninchen wurden Ge¬ 
schwüre erzeugt, die einige Tage nach der Vagotomie entstanden 
und keine Neigung zur Heilung hatten. Meist handelte es sich nur 
um ein einziges IJlcus und zwar in der Regio pyloriea an oder 
nahe der kleinen Curvatur. Der Ulceration ging Nekrose der 
Schleimhaut vorher, die Umgebung des Geschwürs blieb gesund. 
Die Genese des Geschwürs w-ird vom Verf. so aufgefasst, dass 
durch die gestörte Innervation Anlass zu häufigen tonischen 
Krämpfen der Magenmusculatur gegeben ist. Hiedurch kommt es 
zu lokalen Anaernien, welche Ursache von Gewebsnekrosen und 
damit zur Ulceration werden. Vom Vorhandensein solcher Con- 
tractionen der Magenmusculatur konnte sich Verf. bei Lebzelten 
der Thierre durch Palpation überzeugen und auf diese Weise be¬ 
reits vor der Sektion die Thiere bezeichnen, welche Magen- 
gschwüre hatten und welche nicht. Auch gelang es ihm durch 
Gastroenterostomie und Spaltung der Musculatur der Regio 
pyloriea die Entstehung der Ulcera zu verhindern. Diese Be¬ 
obachtung gibt ihm Anlass, ein ähnliches Verfahren auch beim 
Menschen zu therapeutischen Zwecken Voranschlägen und er em¬ 
pfiehlt für sehr schwere, hartnäckige Fälle von Magengeschwür 
die extramucöse Spaltung der Portiomusculatur. 

12) L U t h j e - Greifswald: Kasuistisches zur Klinik und 
zum Stoffwechsel des Diabetes mellitus. (Aus der medic. Klinik.) 

Bei einem an Diabetes verstorbenen Patienten wurden die 
letzten 3 Wochen vor dem Tode die Nahrungsaufnahme, sowie 
verschiedene Ausscheidungsprodukte ln Koth und Harn quanti¬ 
tativ und zw'ar ohne Verlust bestimmt. Die Einzelheiten des so 
ermittelten Stoffwechselverlaufes müssen im Original nachgelesen 
werden. Gelegentlich eines diabetischen Komas wurde eiu frap- 
pirender Erfolg durch Alkalibehandlung gesehen. (Es wurde 
y 2 Liter 3 proc. Sodalösung intravenös injiclrt und ebenso viel 
innerlich gegeben.) An einem 2. Koma ging allerdings der Patient 
zu Grunde, trotz Alkalizufuhr (diesmal Natr. bicarbon.). 

13) Mamlock: Ueber aussergewöhnliches Fortbestehen» 
Mangeln oder Wiederauftreten des Kniesehnenreflexes bei 
Rückenmarkskrankheiten, besonders Tabes, Myelitis transversa 
und gummosa. (Von der Universität Berlin gekrönte Preisschrift.) 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1301 


k 27. August 1901. 


1 Verf. kommt auf Grund dos Studiums der ausgedehnten ein¬ 
schlägigen Iilterntur zu folgenden Resultaten: 

Natur und Lokalisation des Patellarreflexes sind durch unsere 
bisherige Auffassung genügend erklärt Zum Zustandekommen 
des Reflexes ist aber andauernd ein bestimmte Grenzen nicht über¬ 
schreitender Tonus erforderlich, der dem Rückenmark wahrschein¬ 
lich durch Klelnhlrnfasem zugetragen wird. Das Verhalten des 
Reflexes Ist ein Ausdruck dieses Tonus, gleichgiltlg. ob bei der 
iHdreffenden Erkrankung die Westpha l’sche Zone freigolasseu 
< Myelitis) oder mitergriffen ist (Tabes!. Ist sie ganz zerstört, so 
fehlen die Reflexe natürlich. Zur Annahme tonisirender Rahnen 
wird man dadurch A’eranlasst, dass der reflexhemmende Einfluss 
de« Gehirns oft das Verhalten der Reflexe nicht erkliirt. Wahr¬ 
scheinlich spielt, und zwar speciell bei der Tabes, dns Verhalten 
der Clark e’schen Säulen, die ja mit dem Kleinhirn In Ver¬ 
bindung stehen, eine wichtige Rolle. Ihre bei Tabes sehr frühe Er¬ 
krankung bedingt Wegfall des Kleinhirntonus und damit der 
Patellnrreflexe* ihre ausnahmsweise Verschonung führt zu abnorm 
langem Fortbestehen der Reflexe. 

14) Mosse und Tautz: Untersuchungen über Berberin. 
(Aus der medic. Poliklinik Berlin: Prof. Senator.) 

Berberin. das in neuerer Zeit gegen Malaria und chronische 
Milztumoren empfohlen wird, ist ein Alkaloid, das in fast allen 
Speeles der Gattung BcTberls. ferner in den Wurzeln von Hydrnstis 
ennadensis u. a. vorkommt. Es wirkt auf Racterien. wie auch auf 
höhere Pflanzen wachsthumshenimend. Es ist für Tlilere ein 
starkes Gift und zwar wirkt es vorzüglich auf Nervensystem und 
Nieren. Eine Wirkung auf die Milz war nicht festzustellen. Tn 
Folge Herabsetzung der Reflexerregbarkeit wurde bei Fröschen 
eine Herabsetzung, ja sogar eine Aufhebung der Strychninwirkung 
lHHihnehtet. 

15! F m b e r: Ueber die fermentative Spaltung der Nucleo- 
proteide im Stoffwechsel. (Aus dem ehern. Laboratorium des 
pathol. Institutes Berlin; Prof. Salkowski.) 

Verf. gewann aus Pankreas die Kerneiweisse (Nudeoproteid 1 ) 
analysenrein und verfolgte, vor Allem mit Hilfe der Pepsin- und 
Trypsinverdaunng, Ihren Abbau. Das Nucleoproteid wird in zwei 
Gruppen gespalten, einen gewöhnlichen Ehveisscomplex. der genau 
wie die eigentlichen Ehveisskörper weiter verarbeitet wird und 
«•inen Nucleinsäurecomplex. der unabhängig davon weiter gespalten 
wird. Das Pankrcasnucleoprotefd ist reich an Kohlehydraten und 
zwar einer Pentose. Diese steckt, im Nucleinsäurecomplex und 
zwar in Guanlnnueleinsäure. 

Ifl) Karfunkel -Bad Cndown: Bestimmurgen der wahren 
Lage und Grösse des Herzens und der grossen Gefässe durch 
Böntgenstrahlen. 

Vergleich der Röntgenbilder an Leichen mit den anatomischen 
Herzmaassen und den Percusslonsresultaten ergab, dass es meist 
mit absuluter Exactheit gelingt, die rechte und linke Herzgrenze 
durch Röntgendiagnostik, namentlich durch die Methoden von 
L evv-Dorn und Moritz, festzustollen. wodurch unsere physi¬ 
kalischen Fntersuehungsmethoden wesentlich vermehrt sind. 
Unsere üblichen Percnsslonslinien bieten, allerdings nur ver¬ 
gleichsweise und unter gewissen Voraussetzungen. Im Ganzen 
»faktische Anhaltspunkte. 

17! v. M o r a c z e w s k 1 - Karlsbad: Stoffwechsel bei Akro¬ 
megalie unter der Behandlung mit Sauerstoff. Phosuhor u. s. w. 

Die Akromegalie besitzt eine Tendenz, organbildende Stoffe 
- Stickstoff. Chloride, namentlich Phosuhor und Knlksalze — 
zurflckzuhalten. Die Retention dieser Stoffe, namentlich der beiden 
letzten wird durch Sehilddrüsensubstanz nur beeinflusst nicht auf¬ 
gehoben. Weiter mehr wirken, namentlich auf die Kaiknusschet 
dnng. Silber-, Sauerstoff- und Phosphorbehandlung. Diese wirkt, 
daher wahrscheinlich dem Knochenwachsthum entgegen. 

IR! Kritiken und Beferate. 

Kerschenstein er. 

■ReitTas’ft zur klinischen Chirureie. Red. von P. v. B r u n s. 
Tübingen. Tau pp. 30. Rd. 3. Heft. 

Das .3. TToft des 30. Bandes der Beiträge eröffnet eine Arbeit 
von Th. Schilling aus dem städt. Krankenhaus zu Nürnberg 
über den schnellenden Finger, worin Sch. im Anschluss an einen 
operlrten Fall eines schnellenden 4. Fingers bei einem Borsten- 
znrlehter. ln dem eine knotige Verdickung des tiefen Beugers sieh 
fand und die SnaUune do r Sublimisgabel zur Heilung genüef». 
Aetiologle. Prognose und Behandlung dieses Leidens und speciell 
die nnntomisehen Befunde hei 34 Fällen zusarameneestellt. 

Ans der Rostocker Klinik liefert .T. Elter eine Arbeit zur 
retToperitonealen Cvstenbildung unter Beschreibung eines für 
Pnrkreascvste gehaltenen Falles retronerltonenler Lvmphcvste hei 
13jährigem Knaben und bespricht die Diagnose der Pankreas- 
evsten und speciell die Lymph- und Ghvluscvsten: hei grossen 
PysfPD Ist eine sichere Entscheidung des Ausgangspunktes un¬ 
möglich. Die Ideale Behandlung Ist die Exstlmatlon alles Krank¬ 
haften wo diese unmöglich, wird Ineldirt und dralnirt. Punktion 
ist verlassen. Die transperitoocale Operation ist. wenn auch lum- 
haje Operation günstigere Ahflussverhältnisse liefert, doch als 
leichter ausführbar und wegen der geringeren Gefahr der Nehen- 
verlotznneen vorzuziehen. 

Aus der gleichen Klinik liefert E. Elirlch einen Beitrag 
Gallertkrebs der ekstrophirten Harnblase, gleichzeitig ein Bei¬ 
trag zum Mnvii l’sehen Oneratlonsverfahren der Blasenektopie. 
er thellt den sehr seltenen Fall eines Gall*‘rteyllnderzellenkrcbs«s 
bei 44 Jähriger Frau mit. der exstirpirt resp. nach M a y d 1 operirt 


wurde (Implantation des Trigon. Lieutaudii mit den Uretermüud- 
ungen in die Flexur), der Befund von Darmschleimhaut im Be¬ 
reich der Ilarnblasenwand wird entwickelungsgeschichtlich er¬ 
klärt; der vollständige Misserfolg (Tod ln Folge beiderseitiger 
Pyelonephritis mit diffuser diphtheritlscher Entzündung derFlexur- 
sehleimlmut im Umkreis der eingeniihteu Stelle! beweist die Gefahr 
der Methode, sobald ammoniakalische Beschaffenheit des Urins 
vorliegt, Jedenfalls Ist bei der Operation mit der Möglichkeit einer 
Pyelonephritis stets zu rechnen. 

O. Lau?, bespricht aus dem Liudeuhospltal zu Bern die 
Quetschmethoden im Dienst der Magenchirurgie und theilt seine 
diesbezügl. Erfahrungen bei Magen- und Darmresektioneu mit. 

Aus dem Allgemeinen Krankeuhause Ham bürg-Eppendorf gibt 
J. W i e t i n g einen Beitrag zur Säbelscheidenform der Tibia 
bei Syphilis hereditaria tarda und bespricht eingehend die bogen¬ 
förmige Verkrümmung der für Syphilis hereditaria typischen Dif- 
formitüt und ihr Zustandekommen. 

Aus dem Hamburg-Eppendorfer Krankenhaus gibt J. Schulz 
einen weiteren Beitrag zur Frage der operativen Behandlung der 
B a s e d o w’schen Krankheit und gibt, gestützt auf 20 operirte 
Fälle (von denen bei 18 vollständiger Erfolg erreicht, d. h. die 
Beschwerden der Patienten beseitigt und deren Arbeitsfähigkeit 
wieder hergestellt wurde), eine Ueberslcht der Theorien. Sym¬ 
ptome etc. der B a s e d o w’scheu Krankheit. Am auffallendsten 
war die Aenderuug der Pulsfrequenz, die schon nach 24 Stunden 
von 140 auf 100 herabsank, das subjektive lästige Herzklopfen, 
die Bekleiumungserseheinuugen und GemUthsdcprcssioncn Hessen 
bald nach der Operation nach, der Exophthalmus ging oft schon 
in wenigen Tagen zurück; bei der Nachuntersuchung war mit 
Ausnahme des einen Rechiivs ein Exophthalmus nicht mehr zu 
konstatiren. Bei keinem der Patienten sind nach der Operation 
Je wieder Basedow-Erscheinungen aufgetreten und da hei 11 Ope- 
rlrton die Operation schon vor mehr als 5 Jahren gemacht ist. kann 
man von wirklichen Heilungen sprechen. Sch. will aber die Base- 
dow’sche Erkrankung durchaus nicht als chirurgisches Leiden an- 
sehen, sondern riith stets erst einen Versuch der Heilung auf nicht 
operativem Weg zu machen und erst, wenn man sich von der 
Erfolglosigkeit, dor Internen Therapie ül>erzeugt hat. die Operation 
auszufiihren; allerdings sollte sich der Patient noch In gutem Er¬ 
nährungszustand befinden. — Eine sehr grosse Struma erleichtert 
den Entschluss zur Operation, organ. Herzaffektionen geben Im 
Allgemeinen eine Contraindikation. Wenn auch die Gefahr der 
Narkose zugegelien werden muss, so kann sieh Sch. doch nicht 
den ohne Narkose Operirendcn anschliessen, die lokale Anaesthesle 
reicht meist nicht aus und er hat in seinen Fällen die Chloroform- 
narkose gut befunden, wenn sie vorsichtig (ca. alle Vs* Minute etwa 
1 g tropfenweise und danach eine Pause) geschieht. Bezüglich der 
Technik kommt vorzugsweise die partielle Exstirpation in Be¬ 
tracht. die ohne weitere Schädigung des Organismus jedem 
Basedowkranken empfohlen werden kann. Enucleatlonen haben 
die Gefahr event. stärkerer Blutung. Sch. legt für 48 Stunden 
einen dünnen Glasdrain ln den unteren Wund Winkel, nach 4 bis 
5 Tagen verlassen die Patienten meist das Bett und sind bei guter 
Witterung den grössten Theil des Tages ln der freien Luft. 

Aus dem Diakonisscnhaus zu Stuttgart berichtet M. Rhein- 
w a 1 d über das Sarkom des Dünndarms; unter Mittheilung zweier 
eigener erfolgreich operirter Fälle stellt er 43 Fälle aus der Litera¬ 
tur zusammen, von denen 77,5 Proc. das männliche Geschlecht be¬ 
trafen und die In allen Altersstufen vorkamen, und bespricht 
Symptome, Diagnose und Therapie des Leidens. Die operative 
Therapie soll sich auf die Fälle beschränken, bei denen in Folge 
härterer Konsistenz der Geschwulst Stenosenerscheinungen Im 
Vordergründe stehen, bei denen Marasmus fehlt oder sich als 
Folge der Ernährungsstörung durch die Stenose erklären lässt. 

E. Burckhardt bespricht aus der Baseler Klinik Conti- 
nuitätsinfektion durch das Zwerchfell bei entzündlichen Pro¬ 
cessen der Pleura und sucht In der In Haegler’s Laboratorium 
entstandenen Arbeit speciell der Frage der Entstehung der perl* 
toniti8chen Entzündung nach pleuralen Affektionen auch experi¬ 
mentell näher zu kommen. Nach Mittheilung zweier Fälle (einer 
Vereiterung eines leeren Bruehsackes in Folge von Pneumococcen- 
Infektion nach Bronchitis mit kleiner Bronchopneumonie uml eines 
Falles metapneumonlseher Allgemelninfektlon mit Peritonitis, 
Pisoumoeoceenperikarditls und periarticulärem Schulterahseess), 
ln denen der direkte Weg durch einfaches Fortschreiten der Ent¬ 
zündung durch dns Zwerchfell hindurch angenommen resp. ana¬ 
tomisch erwiesen wurde, vertritt B. die Ansicht, dass bei Jedem 
Entzündungsprocess. der die Pleura diaphragm. ergreift, ein 
nineinwachsen der Keime stattflndet und dass es von der Virulenz 
derselben, der Schwere und Zeitdauer des Processes abhängt, ob 
diese bis zum Peritoneum gelangen. Durch Experimente konstatirt 
B. zunächst bezüglich der Frage ..wie verhält sich die Floura 
diaphr. und das Zwerchfell indifferenten eorpusculären Elementen 
gegenüber?“, dass solche wohl zwischen und unter das Epithel. 
nl>cr nicht in das Gewebe aufgenommen werden. Dann bezüglich 
der Frage, „wie sieh diese den Mikroorganismen gegenüber ver¬ 
halten“. dass nicht pathogene Keime sieh den Indifferenten Kör¬ 
pern ähnlich verhalten, pathogene Keime dagegen eine Entzündung 
hervornifen und nach Zerstörung des Endothels in «las Zwerchfell 
eindrlngen. Ans den Beolwhtungen und Thlerexperiin« , n1« , n B.’s 
geht jedenfalls hervor, dass hei entzündlich mi Processen «1er 
Pleura die Keime in das Zwerchfell einwnehsen uml dasselbe 
event. auch durchwachsen können (je nach der Schwere und 
Dauer «les Processes) uml dass Laesion des Pleura<‘inl«>thels Vor 
bedlngung ist 

Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik gibt Nie. A in 
! b u r g e r einen Beitrag zur operativen Behandlung der Brust- 


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MTTEtfpHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


1302 


wand- und Mediastinal-Geschwülste, die er im Anschluss an 
<i Fälle (2 Geschwülste des Sternum. 2 mit Stemalresektion plUok- 
lich nperirte M<>«llnstinalg«>schwUlste. 2 Ilippentumoren) näher be¬ 
spricht und mit eingehender Berücksichtigung der betr. Literatur 
nach Verlauf. Recidivgefahr. Komplikationen anal.vslrt. 

Aus»der Foliklinik der Leipziger chirurgischen Klinik berichtet 
E I g e u b r o d t über isolirte Luxationen der Carpalknochen, 
snec. des Mondbeines. E. hält, gestützt auf 4 Fälle (die ihm 
sämmtlieh mit der Diagnose typische Itndiusfraktur zukameni. 
diese Luxationen für viel häutiger als man bisher glaubte. Die 
Luxationen «h-s Mondbeines (wovon sieh 27 Fälle aus der Literatur 
sammeln lassen — mit einer einzigen Ausnahme lauter volare 
Luxationen! scheinen neben denen des Knhnbeins die häufigsten 
isolirten Luxationen von Handwurzelknoehen darzustellen, von 
Isolirter Luxation des Multang. majus und Luxation des Os mul- 
tanp. minus wurdeu je 4 Fälle berichtet, von Luxation des Os 
hnmntum liegt nur 1 Fall vor und E. l»eobachtete eine dorsale 
Luxation dieses Knochens mit Abbruch des Hackens. Die Mei¬ 
nung, dass das Kopfboln, als Schlussstein des Gewölbes der Iland- 
wnrzelknochen am häufigsten luxirt werde, ist nicht richtig; eine 
vollständige isolirte Luxation dieses Knochens ist überhaupt nicht 
beschrieben: die relativ häufige dorsale Subluxation ist nur eine 
unvollständige Luxation im Intercarpalgelenk. E. schildert Sym¬ 
ptome. Diagnose und Behandlung spec. der vorderen Mondbein- 
luxation und gibt typische Radiographien dieser Verletzung. Eine 
charakteristische Komplikation ist die auch in einem der E.’schcn 
Fälle iH-obachtete Druekersehelnung auf den X. ulnaris oder 
X. medinnus. Relativ häufig (10 Fälle» ist di«* Gewalteiuwirkung 
so stark, dass d«*r Knochen die Weichtlielle zerreisst: in diesen 
Fällen empfiehlt sich die Exstirpation des Knoch«*ns schon zur 
Vereinfachung d«*r Wundverhältnisse. In 14 Fällen wurde das 
Mondbein excidlrt. und meist guter Erfolg erreicht, in vielen Fällen 
trat al»er auch l>ei conservativer Behandlung Rückbildung der 
Anfangs beträchtlichen Funktionsstörungen <ün. S e h r. 

Cenlralblatt für Chirurgie. 1001. No. 31. 

M. Jaf ff - Posen: Zur Exstirpation des Wurmfortsatzes im 
freien Intervall. 

Fm zu zeigen, «lass es gewisse Grenzen für die Appendie- 
ektomie gibt und dass man unter Umstünden besser von derselben 
absieht, erwähnt L. lx*souders die Fälle, ln denen sieh die Appen¬ 
dix längsseits an das Coeeum anlegt in solchen Fällen erfolgt die 
Perforation in’s Coeeum. es bilden sich oft Ulcerationeu und Nar¬ 
ben in «lemselbeu. die zu Darmstenosen führen können und ana¬ 
tomisch bildet zuweilen Wurmfortsatz und Coeeum ein unzertrenn- 
bar«*s Ganze. In einigen derartigen Fällen bat J. res«*eirt. Statt 
vergeblichen Suchens nach der Appendix hält er die Danuresek- 
tlon. eventuell auch, hei vorwiegenden Stenosensymptomen, dl«* 
Knteronimstomose indioirt. 

Th. K ö 111 k e r - Leipzig: Zur Diagnose des Wurmfortsatzes 
als Bruchinhalt. 

Bei einer älteren Frau, die mit Flexionskontraktur des rechten 
Beines zuging, und die sich wegen heftiger Schmerzanfälle in der 
recht«*!« T'nterbnuchtrcgcnd (bei Versuch das Bein zu strecken) ihre 
irreponlble Schenkelhernie operlren liess. fand sich in der Hernie 
nob«‘n tniissig v«*rdlektem X«*tz im Gnind d«*s Bruehsnt’kes der sehr 
lange Wurmfortsatz mit sein«*m freien Ernte angewachsen und 
wenn nwli adhnerentes X«*tz durch Zug am Peritoneum ähnlich«* 
Schmerz«’n veranlassen kann, möchte doch K. die Lokallsatitm d«*s 
S«*hmorz«*s in «ler ro«-hten Untorbnuchgegend, neben Fl«*xions- 
sti'llung der rechten Hüfte, für die Diagnose eines mit dem Bruch- 
sa«*k verwachsenen Wurmfortsatzes betleutungsvoll ans«*hen. 

Sehr. 

Centralblatt für Gynäkologie. 1001. No. 33. 

1) E. W i n t e r n 11 z - Tübingen: Plastisch© Hilfsmittel für 
den fireburtahilflich-gynäkologischen Unterricht. 

W. hat für Unt<*rriohtszwooke eine Anznhl geburtshilflicher 
und gynäkologischer Gipsmodelle anfertltren lassen. Erstere 
sR-lh'n den Kindeskopf in «len verschiedenen S«-hädellagen und mit 
«l«*n «lnraus resultirendon Fnnnvernmh'rungpot des Konfes dar; 
nussenlom 2 Missbildungen: Hvdrocenhalus und Ancncephalus. D'e 
gynäkologischen M«i<l<*lle umfassen die verschiedenen Lngeverftnd«*- 
nuuren und Tumoren des Uterus. Don Verkauf d«*r Modelle hat 
«las Medicfnls«*he Wanrenhaus in Berlin übernommen. 

2) A. S o 1 o w i 1 - T/emberg: Eine einfache und sichere 
Methode der instrumental len Ausräumung der Gebärmutter ohne 
Assistenz bei Ab^rtus. 

R. benützt die von B a n d 1 angeg«*bon«*n kurzen Cylind«*r- 
spi«»g«*l zur Ausräumung des Uterus. Eine mit diesem Spiegel 
armlrte T<ue«'lznnge fasst die vordere Linne des Mutt«*rmund<*s; 
darauf wird der Spiegel cingefilhrt. mit «*iner Han«l flxirt und die 
Vasrinalpnrtf«in hcrnutcnrezogen. während die andere Hand mit der 
' tort/jinge den Uterus nusräumt. S. hat sein Verfahren seit 
12 .Tahreu in der Privatnrnxis mit Erftdg ausgeführt. 

3» O «1 e ii t h n 1 - Bonn: Ueber partielle Kolpokleisis bei 
Blasenscheidenfisteln durch Lappenspaltung. 

O. beschreibt <*in Verfahren, das er in einem Falle einer grossen 
Blas«>iisclieidcnflst«*l mit Erfolg nnwandte und nacii «l«*m Vorgänge 
Kaltonbac b’s als ..partielle Kolpokhüsis“ bi>z«*iehn«*t. Die 
M«*th«xle ist olino Abbildung nicht vcrstämllich und muss im Ori¬ 
ginal nacbceicsen werden. Ri«* ist nur g«*eign<*t nacii Totalexstlr- 
patiouen «les Uterus, soll aber der ii«*uer«lings vielfach vor 
worfenen Kolpokleisis wi**«l«*r zu ihrem Recht verhelfen. 


4) A. W i s s o 11 n e k - Danzig: Ein neuer aseptischer Instru¬ 
menten- und Verban drisch. 

D«*r anscheinend s«*hr praktische Tisch hat die Form ein.*s 
Ständers, an dem 2 Glasplatten zur Aufnahme von Instrumenten. 
Naht-. Unterbindungs- und Tupfermaterlai. ein Instrumentenkocher 
und ein B«*cken aus Niekelblech angebracht sind. Die Glasplatten 
lassen sich in b«*ll«*bigcr Höhe fixiren. Der Tisch ist l>esond(*r8 für 
den praktischen Arzt l>erechnet. dein er manche Assistenz erspart. 
Zu hab«*n von «l«*r Firma Hahn 4 L o e c h e 1 in Danzig: Preis 
nach der Ausstattung verschieden. J a f f 6 - Hamburg. 

Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluss der 
Stoffwechselpathologie und der Diätetik. Herausgegeben von 
Dr. .T. Boas- Berlin. Band VII. Heft 3. 

12) M a c h 1 z u c k 1 - Tokio: Ueber die Resorption der Ei¬ 
weisskörper von der Schleimhaut des Dickdarmes nach Ver¬ 
suchen mit Thymusklystieren. (Aus der II. mediein. Klinik: 
Gelieimrath Gerhardt - Berlin.) 

Zu der Frage von dem Werth o«ler dem Unwerth der Er- 
niihningsklysticre liefert Verfasser einen interessanten Bebras 
durch Versuche bezüglich der Resorblrbarkeit des ln der Thynius 
enthaltenen Nucleoprotcids. Die Versuche, die zum Thell Selhst- 
versuchc waren, ergaben, dass der Eiwelsskörper der Thymus¬ 
drüse vom Mastdarm gut resorblrt wurde und zwar li«*ss sich dies.* 
Resorption erkennen durch die ei gent hü milche Eigenschaft d<*s 
Nuoieoprotekls, die Harnsäur«*ausscheidung zu steigern. Hiedurch 
ist für gewisse Eiwelsskörper wenigstens die Resorblrbarkeit anf 
dies«*ni W<*ge erwiesen und so die Möglichkeit gegeben, eineu 
wichtigen Bestandtheil uns«*rer Nahtung «iurch Klysmen dem 
Körper zuzuführen. 

13) R. R e n c k i - Lemberg: Die diagnostische Bedeutung der 
mikroskopischen Blutuntersuchung bei Carcinom und Ulcus 
ventr. rotund. mit besonderer Berücksichtigung der Ver- 
dauun gsleukocy tose. (Aus der med. Klinik: Prof. Gluzinskü 

Vorliegende Arbeit befasst sich mit den Blutverändeningen 
bezüglich der rothen und weissen Blutkörperchen und der Ver- 
dnuungsleukocytoso unter d«*n oben angegebenen Verhältnissen. 
Nachdem jedoch in diesem II«*fte nur ein Theil der Abhandlung 
vorliegt. «lürfte es nngezeigt sein, mit einer B«*spreehung bis 
nach «1er V«*röff«*ntlichung der ganzen Artreit zu warten. 

14) N. Z w e i g - Berlin: Die Bedeutung der Costa fluctu&ns 
decima. (Aus der Klinik und Poliklinik: Dr. J. Boas.) 

Nachdem bereits von anatomischer Seite die exeessiv-«lia- 
gnostische Bedeutung von S t i 11 e r’s Cost. fluct. decim. als 
Stigma enteroptotlcum sive neurasthenlcum angegriffen und Ix-- 
s-trltton worden ist. unternimmt es Verfasser im Vorliegenden 
der Frage vom klinischen Standpunkt aus näher zu treten. An 
der Iland eines Materials von 100 Krnnk«*ngeschieilten wendet 
sich Zweig zunächst gegen S 1 111 e Fs Behauptung, dass die 
Atonie die constante Begleiterin der Enteroptnse sei. Bons' 
Schüler verlangt nämlich zur Stellung der Diagnose Atonie die Er¬ 
füllung ganz anderer Forderungen, als da sind: Nachweis derHernh- 
mlnderung der motorischen Leistungsfähigkeit durch genaue Rest- 
bestiminung nach einem Probefrühstüok. während Stiller ledig- 
lieh nus dem Plätschern und dem Schallw«H*hsel bei Lageverände¬ 
rung die Diagnose Atonie erstellt. Die Schlussfolgening«*n der 
Zwelg’scben Arbeit lauten: Costa fluct. decim. wird in der 
Ilälfto «ler Fälle beobachtet und zwar bei Männern und Frauen 
fast gleich häufig. Die weitaus überwiegende Zahl leidet an 
nervöser Dyspepsie, ein kleiner Theil an anderen Erkrankungen, 
ohne je Symptome eines nervösen Magenleidens gehabt zu haben. 
Daraus erhellt dass die Costa fluct. decim. ein untrügliches 
Stigma neurasthenlcum nicht bilden kann. 

15) A. H e & 8 e - Kissingen: Magengeschwür oder Gallen¬ 
blasenleiden. 

Hesse möchte, wie er selbst sagt. In seiner Arbeit den 
Gründen nachgehen, warum alle Anleitungen zur Diagnose obiger 
Krnnkheitsfonnen uns in nicht wenigen Fällen im Stiche lassen. 
Alle die bei Ulcus ventriculi häufig zu beobachtenden Symptome, 
wie dyspeptische Erscheinungen. Schmerzen. Erbrechen, Störungen 
der Mngensnftsekretlon finden sich nicht weniger selten In 
gleicher Welse auch hei Cholelithinsis. Tumoren können hin¬ 
wiederum auch bei Ulcus palpirt werden, sei es dass bei länger 
bestehenden Geschwüren deren Ränder verdickt und hart sind, sei 
es. dass durch funktionelle Hypertrophie der Musculatur die 
Pylorusg«*gend zur Geschwulst wird. Was nun noch die beiden 
als besonders charakteristisch geltenden differentlaldiagnostischen 
Merkmale des Blutbrechens b«*zw. des Ikterus betrifft so wissen 
wir von ersterem. dass auch die Choh'lithiasis als solche zu 
Magenblutungen führen kann und der Ikterus wird nach Nan- 
n y n überhaupt in der Hälfte aller Fälle vermisst. Alles in 
Allem: <*s gibt auch nicht ein Symptom, welches für eine der 
beiden Erkrankungen direkt, pathognomonlsch ist. so «lass in einer 
Reihe von Fällen die Diagnose sich niclit über eine grössere oder 
geringere Wahrscheinlichkeit erheben kann. 

10) C. Simon und Th. Z e r n e r - Karlsbad: Untersuchungen 
über die «ligestiven Fähigkeiten des Dünndannsaftes. 

Die von beiden Forschern ausgeführten Untersuchungen er¬ 
gaben prompte Verdauung «l«*r Stärke Im nativen Dünndarmsaft. 
Fibrinverdauung aber erst nach vorangegangencr Alkallsining. 
wobei zugleich die dlnstntis«*he Fähigkeit vernichtet wurde. Da¬ 
raus resuitirt. dass im Darm Eiweiss un«l Stärke nicht gleich¬ 
zeitig am selben Orte gespalten werden können, d. h. es sind liier 
In der gleichen physiologischen Flüssigkeit zwei Fermente vor- 
i handelt, «lie unter diametral entgegengesetzten Bedingungen 


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27. August 19Ö1. MÜENCHENEß MEDlClNISCttE WOCHENSCHRIFT. 



arbeiten. Uud zwar komuien normaler Weise im überstell DUuu- 
■tann vorwiegend die Eiwelsskoiper, lui mittleren und unteren 
die Kohlehydrate zur Verdauung. 

1«) E i s n e r - Berlin: Aij t. Congress für innere Medicin 
vom io.—19. IV. zu Berlin, Referat. 

Jordan- München. 

Berliner klinische Wochenschrift. ibui. Mo. 33. 

\ ■*; -v. \\ e s 11» u a 1 - t.reuswald: weiterer Beitrag zur .Lehre 

^ von u*»r Tetanie. 

ine mitgetiieilten 2 Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass es 
Bich oei beiden um die Verbindung von Tetanie mit Epilepsie 
namleae. Bet der Flau des ersten Falles trat schon am z. Tage 
uacn einer Kropiexsiirpuuou Tetanie aui, zu der sich ein naibes 
jailr spater epileptische Amalie gesellten, ln der lolgeudeu /.eit 
zeigte mcu nun eine eigeuthumlicne Mischung zwischen Epilepsie 
im« Tetanie, indem typische Tetanieautalie n.piiepsieuuiune ent- 
leneten unu Tetamesieiiuug der Hände daun den epueptiscneu 
.vniaii stundenlang überdauerte. Für die Entstehung beider Kruuk- 
iieaen sind wohl toxische Einflüsse wirksam. Hie Kranke zeigt 
aueu selir ausgesprochene psychische Storungen, welche übrigens 
gleichzeitig mit uer ietauie uud Epilepsie eine bedeutende Besse¬ 
rung enunreu, ais eine Thyreojouiukur eiugeleitei worden war. 
iiiusicütnch der übrigen Symptome ist noch zu erwähnen, dass bei 
der i aueutiu Starbuduug beobachtet werden kounie, welche viel¬ 
leicht auch auf toxische Einflüsse zuruckgeluhrt werden muss. 
1 i*i -. hall bestand ein chronischer Zustand von Tetanie, aucn war 
eine lvoinbiuailou nicht nur mit Epilepsie, sondern auch mit Alyx- 
ooieiu vorhanden. 

2i 11. U u c h n e r - München: Sind die Alexine einfache oder 
komplexe Körper Y 

Her Artikel eignet sieh nicht für eine auszugsweise Wieder¬ 
gabe. 

3) W. il o c h h e i m - Greifswald: Ueber Farbenblindbeit in 
bahnarzuicner Beziehung und über den Wenn des Biau ais 
Bignalfarbe. 

Veriasser bespricht zunächst die verschiedenen Uuter- 
suchungsmethotlen für die Feststellung der Farbenbliudheit; er 
iiussert sicli dahin, uass mau sich die ganze Untersuchung auf 
Farbenblmducil spuren köuute, wenn es gelingen würde, für Urdu 
Blau ais Signaltarlie einzuführen, da Biau nicht mit Koth ver¬ 
wechselt werden kunn. Veriasser hat Uber die Verwendbarkeit 
des Blau praktische Versuche angestellt. Allgemeine Schlüsse 
möchte Verfasser aus seinen Experimenten vorläufig noch nicht 
ziehen. Er macht darauf autmerksam, dass es uothweudig ist, die 
' Untersuchung auf Farbenbliudheit später zu wiederholen, da das 
ixddcu auch später erworben werden kann. 

4) L. F r e u k e 1 uud O. Bronstein- Moskau: Experimen- 
t teile Beiträge zur Frage über tuberkulöse Toxine und Antitoxine. 

Her Aufsatz eignet sich nicht zum kurzen Ausaug. 

Grassmann - München. 


Deutsche medicinische Wochenschrift, iwoi. Mo. 33. 

1; It. Koch- Berlin: Die Bekämpfung der Tuberkulose unter 
Berücksichtigung der Erfahrungen, weiche bei der erfolgreichen 
Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten gemacht sind. 

Vortrag, gehalten auf dem Britischen Tuberkulose-Kongress. 
Siehe das betreffende Referat ln dieser Wochenschr. No. 22, p. 1298. 

2) v. llanseuiuun: lieber pathologische Anatomie und 
Histologie des Carcinoms. 

Vortrag, gehalten in der Sitzung des Comitö’s für Krebs¬ 
forschung am 7. Juni 1901. Zu einem kurzen Referat nicht ge¬ 
eignet. 

U. Schmilinsky- Hamburg: Zur Diagnose der pharyngo- 
oesophagealen Pulsionsdivertikel. 

Nach einer Demonstration lm Aerztllchen Verein zu Hamburg 
aiu 10. April 11)01. Referat siehe diese Wochenschr. Mo. 18, p. 728. 

4) Walter Z w e i g - Berlin: Zur Diagnose der tief sitzenden 
Oesophagusdlvertikel. 

Zu den 7 in der Literatur beschriebenen Fällen von tief¬ 
sitzendem Oesophagusdlvertikel fügt Z. 3 Fälle eigener Beobach¬ 
tung und beschreibt eine Modifikation des Zweisondenversuches 
• Einbringung einer Lösung von Methylenblau in den Divertikel), 
welche die Differentialdiagnose der idiopathischen Dilatation der 
Speiseröhre — ein Fall derselben wird beschrieben — wesentlich 
erleichtert. 

5) P. R ö m e r - Glessen: Der gegenwärtige Stand der Im- 
munitätsforschung. (Schluss aus No. 32.) 

Zusammenfassendes Referat über unsere Keuutuiss der Anti¬ 
toxine und der bactericiden Antikörper, vorgetrageu in der Medi- 
cinisehen Gesellschaft zu Giessen am 30. Oktober 1900. 

6) A. Fraenkel, E. Stadelmann und C. Bund a- Berlin: 
Klinische und anatomische Beiträge zur Lehre von der Akro¬ 
megalie. (Schluss aus No. 32.) 

Krankengeschichte und mikroskopischer Befund von 4 Fällen 
von Akromegalie aus dem städtischen Krankeuhause am Urban 
^iu Berlin. F. Lacher- München. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 33. 1)8. Pertot -Triest: Beitrag zur Blutuntersuchung 

am Krankenbette. 


In einer „vorläufigen Mittliellung” berichtet P. über Versuche, 
welche er in der NN eise augestellt hui, dass er mit Brunnenwasser 
otler dcstllllrtem Wasser verdünntes Blut in abgemessenen Quanti¬ 
täten auf weisscs l iitrirpapier brachte uud die bei der vor stell 
gellenden Aufsaugung der Flüssigkeit bemerkbaren Figuren und 
i’ iirbenveiünderungen eingehend unalysirte. Es Hessen sich daix.-i 
gewisse Unterschiede teststellcu, je nach der Concentration, dem 
Salzgehalt uud der übrigen Zusammensetzung der zur Prüfung 
kommenden Blutproben, nie Befunde zeigten, wie das Original 
im Einzelnen ungibt, eine solche Regelmässigkeit, dass die mit 
sehr einlachen Mitteln arueitcude Methode leicht auch am Kranken 
bette angewendet werden kann, zur Untersuchung bei Fällen von 
Amiemie etc. 

2) G. A 1 e x u n d e r - Wien: Ueber die operative Eröffnung 
des Warzenfortsatzes mScnieic h’scher Lok&ianaesthesie. 

Verlasset berichtet über 11 Falle, hei denen fast immer die 
regionäre Auaesthesie so gut gelang, dass die Operation ohne Nar¬ 
kose ausgeführt werden konnte. Nur das Klopfen beim Aui- 
meisselu wurde unangenehm empfunden. Die für die Infiltration 
nüthlge Menge der Flüssigkeit betrug zwischen 3.) uud iu ccm. 
Verfasser innitrirte ausser dem Periost auch das Innere des i'roc. 
inast., besonders die vorhandenen Granulationen uud das Eudosi. 
Erbrechen kam übrigens auch nach der Lokalauaesthesie vor. 

3) A. Halle- Leipzig: Ein Beitrag zur Kenntniss des Xero¬ 
derma pigmentosum. 

ln ausführlicher Weise bespricht Verfasser die klinischen Er¬ 
scheinungen der von Kaposi oenanuten obigen Affeklion, indem 
er die Erfahrungen einer Reihe von Autoren darüber zusammen¬ 
fasst. Bemerkenswerth ist besonders das Fortschreiten des l‘ro- 
cesses uud die Bildung von Tumoren. Ferner berichtet U. genau 
über einen von ihm beobachteten Fall der Krankheit, ein 0 jähriges 
Kind betreffend. Die bisher bekannte Histologie der Affektion 
wird genau geschildert. Es ergab sich auch hier, dass das Pigment 
nicht im Epithel entsteht, sondern ln der Nähe der Blutgefässe. 
Ueber die Entstehung der die Krankheit begleitenden Teleangi¬ 
ektasien gaben dem Verfasser seine Präparate keinen Aufschluss. 
Die begleitenden Tumoren entsprechen Epithelcarcinomeu. Die 
Prognose ist ungünstig. Die Therapie kann nur vorübergebende 
Besserungen erzielen. G r a s s m a n u - München. 

inaugur&i-Dusertationen. 

Universität Greifswald. Juli 1901. 

25. Dzickau Paul: Beitrag zur Anatomie der Leistenhernien. 
2«!. Hirse hfeld Willi: Kasuistik zur Neurolyse und Neuro- 

raphie des N. rmlialis liebst einem Beitrag aus der Klinik des 

Herrn I>r. Pernico zu Frankfurt a. O. 

Vereins- und Congressberichte. 
Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 5. J uni 1901. 

Vorsitzender: Herr C. Fraenkel. 

(Schluss.) 

3. Herr Hersohel: Ueber Kieferhöhleneiterung. 

Die Einleitung des Vortragi*« bilden anatomische Bemerk¬ 
ungen über die Nebenhöhlen der Nase im Allgemeinen und 
die Kieferhöhle im Speziellen. Vor Allem wird ausführlicher 
als wichtigste der Wandungen der Kieferhöhle die mediale, an 
die Nasenhöhle angrenzende, besprochen, die auch die Grundlage 
für die laterale Nasenwand bildet, und wird an Zeichnungen und 
Präparaten erläutert, wie das grosse Fortunen maxillare durch 
Anlagerung mehrerer Knochen und einen doppelten Schleini- 
hnutüberzug eine derartige Einengung erfährt, dass nur eine 
ganz kleine Ocffnung im Hiatus semilunaris übrig bleibt, die in 
der Mehrzahl der Fälle die einzige Kommunikation zwischen 
Kieferhöhle und Nasenhöhle bildet; wichtig ist es jedoch auch, 
zu wissen, dass in manchen Fällen — nach der Statistik Zucker- 
knndl’s in jedem 10. Fülle — noch accessorische Oeffnungen im 
mittleren Nasengange Vorkommen. 

Es wird nun die Aetiologie der entzündlichen Kicferhöhlen- 
erkrankungen besprochen, als welche — die wenigen durch 
Trauma entstandenen Kieferhöhlenentzündungen ausgenommen 
- - vor Allem die Infektionskrankheiten in Betracht kommen. 
In erster Linie ist die Influenza zu nennen, weiter die croupöso 
Pneumonie, Typhus abdominalis, Diphtheritis, Scharlach, 
Masern; aber auch schon jeder akute Schnupfen kann die Ur¬ 
sache sein für eine Kieferhöhlenaffektion, auf welche dann Be¬ 
schwerden, wie eingenommener Kopf, Kopfschmerzen, starke, 
eiterige Absonderung zurückzuführen sind. Auch bacterio- 
logische Untersuchungsbefunde liegen bereits vor; im Höhlen- 
citor fand sich der Influenzabacillus, der Diploooeous pneumoniae 
u. a.; bei der Diphtherie haben Sektionen das Vorkommen diph- 


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13Ö4 MUENCHENER MEDlCItflSCHE WOCHENSCHRIFT. K 0 . 35. 


therischer Membranen auf der Kicfcrhöblenseldeimhaut festgc- 
stellt. Häufig sind ferner Kombinationen von Gesichtserysipel 
und Empyem; letzteres ist wohl als primäre Erkrankung aufzu¬ 
fassen, da das Gesichtserysipel meist seinen Ausgang nimmt von 
Schrunden am Naseneingang, die erst eine Folge des eiterigen 
Ausflusses sind. 

Der Mechanismus der Entstehung der Höhlenentzündung ist 
entweder der, dass die Entzündung der Nasenschleimhaut sich 
auf die Kieferhöhle fortpflanzt, oder dass Sekret aus Nase oder 
Hachen durch heftiges Schnauben in die Kieferhöhle geschleudert 
wird und diese infizirt. Der dentale Ursprung darf dann 
gelten, wenn eine cariöse Z ahnwurzel nur durch eine dünne 
Knochcnlamelle von der Highmorshöhle getrennt ist oder frei 
in die Höhle hineinragt. 

Ein Zahnpräparat von einem Patienten mit Kieferhöhlen¬ 
eiterung wird gezeigt, an dessen Wurzel sich ein Eitcrsäekclieu 
befindet, das mindestens als unterstützendes Moment für das Fort¬ 
bestehen und die Hartnäckigkeit der Eiterung aufzufassen war. 

Je nach dem Stadium, in dem sich die Kieferhöhleneiterung 
befindet, spricht man von akut- oder chronisch-katarrhalischen 
Sehleimhautveränderungen und von akut- oder chronisch-eitrigen 
Veränderungen. Zuekerkandl beschreibt im 1. akut-katar¬ 
rhalischen Stadium die Schleimhaut als iniiltrirt und auf ge¬ 
lockert, die starke Injektion, selbst Ekehymosen, zeigt. Bei der 
chronisch-katarrhalischen Form ist die Infiltration aller Gewebs- 
schiehten eine derartige, dass die Schleimhaut um das 10—15 fache 
ihrer normalen Dicke anschwellen kann. 

Eine weitere von Dmochowsky als hyperplastische 
angeführte Form geht wohl erst aus der oedematüsen hervor 
durch narbige Degeneration des Bindegewebes, das in Folge 
Druckes auf die Drüsenausführungsgänge Cystenbildung ver¬ 
ursacht. 

Beim akuten Empyem sind die entzündlichen Ver¬ 
änderungen-der Schleimhaut nur in höherem Grade entwickelt; 
die Eiterbildung ist Anfangs gering und nimmt in dem Maasse 
zu, wie die Schleimhautschwellung abnimmt. 

Beim chronischen Empyem kann der Inhalt der 
Kieferhöhle entweder schleimig-eiterig oder rein eiterig sein; 
die erstere Form ist die günstigere, die letztere deutet schon auf 
schwerere Veränderungen in der Kieferhöhle hin. Solche sind 
Polypen, Cysten, Geschwüre in der Schleimhaut; Carie« bestellt 
nach Zuekerkandl nur wesentlich seltener, als manche 
lthinologen angeben. Zu erwähnen sind noch freie Knochen- 
plättchen in der Höhle als Produkt des chronisch entzündeten 
inneren Periostes; Zuekerkandl fasst sie als Ursprünge der 
in den Höhlen Vorgefundenen Osteome auf. In seltenen Fällen 
werden auch die schwersten Zerstörungen der knöchernen Wand¬ 
ungen angetroffen — ausgedehnte Nekrosen mit Sequestrirung 
ganzer Bezirke. 

Das Symptomenbild der Kieferhöhlenentzündung ist 
ein sehr vielgestaltiges. 

F icbertemperaturen nur im akuten Stadium oder 
bei Exacerbationen des chronischen Empyems. 

Schmerz tritt im akuten Stadium, besonders beim Em¬ 
pyem dentalen Ursprunges, lokal auf, ebenso bei Influenza, Ery¬ 
sipel. Das Schmerzgefühl besteht vor Allem in der Gegend des 
Proc. frontalis des Oberkiefers und äussert sich entweder als 
dumpfes Druekgcfühl oder als Neuralgie (im N. infraorbitalis 
oder den Zahnnerven), die bei heftigem Anfalle durch Irradiation 
auf den I. Trigeminusast Stimkopfschmerz hervorruft, ein Be¬ 
weis, wie trügerisch es ist, aus dem Sitz des Schmerzes einen 
Schluss auf die erkrankte Höhle zu ziehen. Beim chronischen 
Empyem sind die Kopfschmerzen diffuser, unbestimmter Natur 
und in Bezug auf Intensität und Dauer grossen Schwankungen 
unterworfen. Ob ein Zusammenhang zwischen Höhlenentzün¬ 
dung und Migräne besteht, ist nach den bisherigen Beobachtungen 
nicht festzustellen. 

Störungen der Geruchsempfindung äussern 
sich als Schwächung resp. Aufhebung des Rieehvermögens oder 
als subjektive Geruchsempfindungen, sog. Geruchshallucinationcn; 
letztere werden als Kloakengeruch, als Riechen von Knoblauch, 
gebranntem Stroh geschildert. 

Das wichtigste Symptom ist der Eiterausfluss aus 
der Nase. Der Eiter hat im akuten Stadium oft eine bräunliche 
Färbung in Folge Blutbeimengung. Manchmal überschwemmt 
er das ganze Terrain und quillt nach Abtupfen sofort wieder 


nach, oder bildet missfarbene, foetide Borken. Ist der Abfluss 
nach vorne durch Polypen verlegt oder fliesst der Eiter durch 
eine aceessorisehe Oeffnung nach hinten ab, so beziehen sich die 
Beschwerden des Kranken oft nur auf Rachen, Kehlkopf; häufige 
Anfälle von Angina können die Folge sein, weiter chronische 
Bronchitis, Magenkatarrh, deren eigentliche Ursache lange ver¬ 
kannt werden kann. Eine Folge der Eiterung sind Rhagadeu 
am Naseneingang, Ekzem der Oberlippe, auch ozaenaartige Zu¬ 
stände der Nasenschleimhaut mit foetider Borkenbildung, die 
bei richtiger Behandlung der ursächlichen Höhleneiterung eiue 
günstige Prognose gestatten. Die sekundären Veränderungen 
der Nasenschleimhaut bei Kieforhöhleneiterung bestehen in sog. 
atypischen Hypertrophien und Polypenbil¬ 
dung; sie entstehen dadurch, dass der Eiter, der die Kieferhöhle 
durch das Ostium maxillare verlässt, die Nasenschleimhaut gerade 
dieser Gegend in einen chronisch-hyperplastischen Entzündungs¬ 
zustand versetzt; die Prädilectionsstellen der Hypertrophien sind 
die Bulla etlunoidalis und der Proc. uncinatus. 

Als eine Begleiterscheinung dieser Veränderungen konstatirt 
man häufig At hemstörungen reflektorischer Natur, weiter 
sind die als „Fernsymptome“ bezeichnten Gemüthsalterationen 
zu erwähnen, die in der Form von Kongestions- oder Depressions- 
zuslündcn auf treten und oft recht bedrohliche psychische Er¬ 
scheinungen, sogar Lebensüberdruss, zeitigen können. Auch 
finden sich in der Literatur 2 Fälle von Schlafsucht verzeichnet; 
letztere verschwand erst nach Ausspülung der Kieferhöhle. 

Wenn man bei Berücksichtigung all’ dieser Symptome auch 
ein oder das andere Mal im Stande sein wird, die Kieferhöhlen- 
oiterung auch ohne eingehende Nasenuntersuchung zu diagnosti- 
eiron, so bleibt doch zur Sicherstellung der Diagnose eine richtige 
Deutung <h*s rhinoskopisehen Befundes die Hauptsache. Ueber 
die Zeiten sind wir gottlob hinaus, wo man glaubte, eine Kiefer¬ 
höhleneitorung nur aus der Auftreibung der Höhlenwandungeu 
zu diagnosticiren; heute wissen wir, dass Neoplasmen es sind, 
welche die Ausdehnung der knöchernen Wandungen verursachen; 
gelegentlich kann cs an anatomisch dazu disponirten Höhlen 
auch zur Vorbuchtung einer Wand kommen, am ehesten noch an 
der medialen Wand, wenn bei Verschluss des Ostium maxillan* 
der Eiter sieh in der Höhle staut. An Alles, was betreffs der 
Symptome gesagt ist, wird man bei der Diagnosestellung zu 
denken haben. Die Angabe des Stirnkopfschmerzes wird uns 
sogar veranlassen, den Sitz der Erkrankung eher im Oberkiefer 
als in der Stirnhöhle zu suchen. Vor Allem hüte man sich vor 
einer Diagnose des sogen, nervösen Kopfschmerzes, die man nicht 
früher aeeeptiren darf, bevor nicht durch eingehende Unter¬ 
suchung der Nase und ihrer Nebenhöhlen eine diesbezüglich» 1 Er¬ 
krankung mit Bestimmtheit auszuschliessen ist. 

Das Hauptgewicht ist natürlich auf die eitrige Ab¬ 
sonderung der Nase zu legen. Hat uns schon das beständige 
Nachfliessen des Eiters belehrt, dass derselbe aus einem Reservoir, 
einer Höhle, stammt, so sagt uns der Befund von Eiter im mitt¬ 
leren Nasengang, dass wir es mit einer Erkrankung einer von den 
3 'Höhlen, welche in den mittleren Nasengang münden, zu thun 
haben; es bleibt also noch übrig, zu entscheiden, ob der Eiter uus 
der Stirnhöhle, der Kieferhöhle oder dem vorderen Siebbein¬ 
labyrinth kommt. An einer schematischen Darstellung der Lage 
der Nebenhöhlen zum Hiatus seminularis wird nun gezeigt, dass 
bei aufrechter Körperhaltung der Ausführungsgang der Stirn¬ 
höhle sich am Boden derselben befindet, während der Ausführ uugs- 
gang der Kieferhöhle an deren höchstem Punkte zu suchen ist; 
diese Verhältnisse ändern sich sofort, sobald der Kopf vornüber¬ 
gebeugt wird; es kommt dann das Ostium frontale an den 
höchsten Punkt der Stirnhöhle zu liegen, während das Ostium 
maxillare an den tiefsten Punkt der Kieferhöhle verlegt wird. 
Im ersten Falle, bei aufrechter Kopfhaltung, wird also der Eiter 
eher aus der Stirnhöhle abfliessen, im letzteren Falle, bei vorn- 
iibergebeugtem Kopfe, eher aus der Kieferhöhle; in ersterem 
Falle muss man also eher an eine Stirnhöhleneiterung, im letz¬ 
teren Falle eher an eine Kieferhöhleneiterung denken. Doch eine 
definitive Entscheidung, ob Eiterung in der Kieferhöhle besteht, 
liefert erst die Ausspülung derselben. Diese versuche man erst 
mittels gebogener Kanüle von einer aecessorischen Oeffnung oder 
dom Ostium maxillare aus; gelingt das nicht, so bleibt nur noch 
»lio Punktion vom unteren Nasengang übrig mit nachfolgender 
Probeausspülung. Redner zieht das Kraus e’sche, gebogene 


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27. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1395 


Troikart allen anderen Punktionsnadeln vor, die für diesen Zweck 
vielfach zu schwach konstruirt seien. Es wird noch des unange¬ 
nehmen Zwischenfalls gedacht, der dem Anfänger schon einmal 
passireu kann und darin besteht, dass das Troikart, mit zu grosser 
Gewalt eingeführt, gleich die äussere Wand der Kieferhöhle mit 
durchstösst, worauf dann die Spülflüssigkeit, unter die Wange 
gespritzt, hier zu einem ganz gefährlich aussehenden Wasser¬ 
emphysem Veranlassung gibt, das aber unter leichtem Kom- 
pressionsverbande nach einigen Tagen wieder resorbirt ist, meist 
ohne weitere Störungen zu verursachen. 

Von der im Allgemeinen als absolut geltenden Beweiskraft 
der Punktion vom unteren Nasengang gibt es nur eine Ausnahme 
und diese ist dann zu erwarten, wenn die Kieferhöhle durch eine 
senkrechte Wand in 2 Hälften, eine vordere und eine hintere, 
getheilt. ist: es braucht dann nur eine Hälfte Eiter zu enthalten, 
während gerade das andere, leere Höhlensegment punktirt wird. 

Es wird noch des K i r s t e i n’schen Punktionsverfahrens 
gedacht, das von der Fossa canina aus in die Kieferhöhle dringt, 
aber dem Redner wenigstens in dem Falle unzulänglich erscheint, 
wo es sieh nur um Spuren von Eiter am Boden der Höhle 
handelt, so dass die Punktionsstelle über der Sekretschicht zu 
liegen kommt. 

Als unterstützendes diagnostisches Hilfsmittel wird noch die 
Durchleuchtung mittels elektrischer Glühlampe erwähnt, 
bei der die entzündete Höhle sich, im Gegensatz zur gesunden 
Seite, völlig verdunkelt zeigt; vor Allem fehlt dann der helleReflex 
am unteren Augenhöhlenrande und die Erleuchtung der Pupille; 
ebenso vermisst hier der Kranke den hellen Lichtschein im Auge. 

Alle diese Untersuchungsmethoden lassen sich in der Sprech¬ 
stunde bequem amvenden; doch wird man in der Praxis auf eine 
sofortige Diagnosenstellung verzichten müssen, wenn man an das 
Bett des fiebernden Kranken gerufen wird, der über heftige Kopf¬ 
schmerzen und eitrigen Ausfluss aus der Nase klagt. Dann heisst 
cs, erst ruhig die Reizerscheinuugen der Kieferhöhle vorüber¬ 
gehen lassen und sich auf Linderung der Beschwerden durch Eis, 
Fiebermittel beschränken. Zur Reinigung der Nase verordne 
man unterdessen die Nasondouche. Bei Empyemen dentalen 
Ursprunges ist Extraction des cariösen Zahnes Grundbedingung; 
dem extrahirten Backzahn, dessen Wurzeln in die Höhle reichen, 
sieht man oft den Eiter auf der Stelle naehstürzcn, so dass eine 
weitere Specialbehandlung der Kieferhöhle oft völlig unnöthig ist. 

Die Heiltendcnz der akuten Empyeme ist im Allgemeinen 
eine sehr gute und richtet sich ganz nach der Schonung, die der 
Patient sich angedeihen lässt; Alkohol und Tabak sind gänzlich 
zu verbieten. Um so wunderbarer ist dieses günstige Resultat 
der Spontanheilung, wenn man bedenkt, dass die Grundbedingung, 
Abfluss am Boden der eiternden Höhle, fehlt. 

Gehen die Beschwerden bei dem oxspeetntiven Verfahren 
nicht zurück, so ist die Ausspülung der Kieferhöhle zu versuchen, 
auf die eine oder die andere Art. 

Bei stinkender Eiterung ist als Desodorans Wasserstoffsuper¬ 
oxyd dem Spülwasser zuzusetzen, das Redner überhaupt dem Ge¬ 
brauch stärkerer Höllensteinlösungen, wie sie Hajek empfiehlt, 
vorzieht; er sah vielfach nach letzteren die heftigsten Reizerschei¬ 
nungen folgen. Für die Behandlung des chronischen Empyems 
kommen zweierlei principiell sich gegenüberstehende Methoden 
in Betracht: die konservative und die operative. 
Erstere spült die Höhle vom Ostium maxillare oder acoessorium 
aus: von den operativen Methoden werden 3 besonders erwähnt: 
Die Eröffnung der Höhle vom unteren Nasengange aus mittels 
des Kraus e’schen Troikarts. 2. Die sog. C o o p e Esche Me¬ 
thode, welche die Kieferhöhle von der Alveole aus eröffnet. Die 
Eröffnung der Höhle wird, am besten in der Gegend des II. Back¬ 
zahnes oder I. Mahlzahnee, nach Extraction des cariösen Zahnes 
mittels durch Motor getriebenen Bohrers, Trephinen, Fraisen 
gemacht. Später wird der Kanal offen gehalten durch einen 
Guttaperchastift und kann der Patient von nun an sich selbst 
die Kieferhöhle ausspülen. Die 3. Methode ist die Operation 
von der Fossa canina aus, die als rein chirurgischer Eingriff 
als bekannt vorausgeeetzt wird. 

Redner wirft nun noch die Frage auf, wann jede dieser Me¬ 
thoden in Anwendung zu kommen hat und ob überhaupt die 
konservative Methode beim chronischen Empyem berechtigt ist; 
er kommt zu dem Resultat, dass Ausspülung vom Ostium maxil¬ 
lare oder accessorium auch beim chronischen Empyem sehr wohl 


in ihrem Recht ist, wenn man einmal gesehen hat, wie ein altes, 
stinkendes Empyem nach einigen Ausspülungen sich nicht nur 
bessert, sondern sogar ausheilt. Redner macht desshalb den Vor¬ 
schlag, jedes Empyem erst einige Zeit, vielleicht 3—4 Wochen 
lang, in dieser Weise zu behandeln; gelingt eine Ausheilung nach 
dieser Methode nicht, dann tritt die Operation noch immer zur 
Zeit in ihr Rocht. Selbstverständlich wird es wohl Keiner sich 
einfallen lassen, an etwas anderes zu denken als die Operation, 
wenn so schwere Veränderungen, wie Nekrosen und Sequester- 
bildung in der Kieferhöhle anzunehmen sind. 

Einer Eigenthüiulichkeit der Kieferhöhleneiterung wird noch 
gedacht, das ist die Exacerbation, die das chronische Empyem 
häufig erfährt, und die wohl als Folge einer jedesmaligen akuten 
Erkältung zu deuten ist. Ebenso zeigt eine Kieferhöhle, die 
einmal eine Eiterung durchgemacht hat, bei jeder Erkältung 
Neigung, von Neuem wieder zu erkranken; sind die Ursachen 
solcher häufigen Schnupfenzustände chronische Veränderungen 
des Sehleirnhautül>erzuges der Nasenmuscheln, vor Allem Hyper¬ 
trophien, so wird cs sich in prophylaktischer Hinsicht empfehlen, 
gegen diese Hypertrophien vorzugehen und normale Verhältnisse 
in der Nase zu schaffen. 

Zum Schlüsse wird noch der elektrische Durchleuchtungs¬ 
apparat demonstrirt. 

Besprechung: Herr G r u n e r t redet Im Allgemeinen 
ln Fällen chronischen Empyems der Kieferhöhle einer möglichst 
radikalen operativen Therapie das Wort, welche sich in Wahrheit 
oft als die „konservativste“ kennzeichne. Ohne die Berechtigung 
des Versuches, auf nicht operativem Wege eine Heilung des chro¬ 
nischen Empyems herbeizuführen, zu verkennen, hält er doch 
wegen des bei dieser Krankheitsform gewöhnlich so erheblichen 
anatomischen Befundes das Erzielen einer Dauer heilung auf 
diesem Wege, wenn nicht für unmöglich, so doch für recht selten. 
Man darf ein$ temporäre Slstirung der Eiterung nicht mit einer 
Heilung verwechseln, und es ist immer gewagt, eine Körperhöhle, 
welche man mit dem Auge nicht übersehen kann, als von einer 
Eiterung gehellt zu bezeichnen, wenn selbst für längere Zeit nichts 
von Eiterabfluss aus derselben zu sehen ist. Aehnliche Verhält¬ 
nisse haben wir Ja bei den Nebenhöhlen der Paukenhöhle, und 
jeder erfahrene Ohrenarzt weiss, wie häufig hier eine Eiterung 
In das Stadium der Latenz treten kann, ohne dass doch von einer 
Heilung derselben die Rede ist. In der Schwartz e’schen Klinik 
bat Herr Gr. nicht selten Fälle gesehen, welche anderweitig als 
„geheilt“ entlassen waren und bei denen die operative Freilegung 
der Oberkieferhöhle die ausgedehntesten Veränderungen darbot, 
insbesondere ausgedehnte Erkrankung der knöchernen Höhlen¬ 
wandungen. Die Häufigkeit solcher Erfahrung haben in der ge¬ 
nannten Klinik die principielle breite Eröffnung dos Antrum 
Highmori von der Fossa canina aus in den chronischen Empyem¬ 
fällen gezeitigt, ein Operationsverfahren, welches neben der 
grösseren Sicherheit des Erfolges den Vorzug mit den Behandlungs¬ 
methoden von der Nase aus gemeinsam hat, dass von einer Ent¬ 
stellung oder sichtbaren Narbe im Gesicht nicht die Rede Ist. 

Herr Ilerscliel vertheidigt seinen Standpunkt und ver¬ 
weist auf seine günstigen Erfahrungen. Den Vorzug verdiene es, 
wenn man ohne Operation auskommen kann, und die Operation 
i kommt Immer noch zur Zelt auch in den Fällen, wo die konser- 
i vative Methode einige Wochen lang ohne Erfolg geblieben ist. 
Gegen die Reeidivlrung der Kleferhöhleneiterung wird vor Allem 
empfohlen, normalere Verhältnisse in der Nase zu schaffen und 
die Hypertrophien und Schwellungen der Nasenschleimhaut, die 
gerade' die Ursache häufiger Schnupfenzustände sind, zu beseitigen. 


Aerztlicher Verein München. 

(Offlelelles Protokoll.) 

Sitzung vom 22. Mai 1901. 

Herr Moritz: Demonstration zweier Fälle von Fried - 
r e i c h’scher Ataxie. 

Es handelt sich um 2 Schwestern im Alter von 25 resp. 
28 Jahren, bei denen seit der Kindheit Ataxie besteht, die in lang¬ 
samem Zunchmen begriffen ist. Die ältere der Kranken kann 
ohne Unterstützung schon kaum mehr gehen. Noch weiter vorge¬ 
schritten ist das Leiden bei einer dritten, nicht mehr transpor¬ 
tabel Schwester, die im 33. Lebensjahre steht. Anamnestisch 
konnte erulrt werden, dass der Vater der Kranken ein sehr erreg¬ 
barer, jähzorniger Mann ist. Die Mutter, welche unter der Ge- 
müthsart ihres Mannes viel zu leiden hatte, soll einmal au Melan¬ 
cholie erkrankt gewesen sein, so dass ihre Verbringung ln eine 
Irrenanstalt in Frage stand. Die Mutter der Mutter sei In ihren 
30 er Lebensjahren an einer einige Jahre währenden „Rücken- 
markserkranknng“ gestorben, über die nähere Daten fehlen. Eiu 
Bruder der Patientinnen ist gesund. Alle 3 Kranke haben Kinder, 
bei denen bisher keine Anzeichen für hereditäre Ataxie bestehen. 

Neben den ataktischen Störungen lassen sich bei den vor¬ 
gestellten Kranken deutliche, wenn auch nicht sehr hochgradige 
Senslbilität8störungen, sowie Verlangsamung und Monotonie der 
Sprache konstatiren. bei einer der Kranken auch Nystagmus bei 
seitlicher Blickrichtung. Ferner bestehen geringfügig? Blasen- 


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MÜENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. No. 35. 


Störungen. Es wird zu versuchen sein, durch Frenke l’schc 
Uebungsbehandlung die Ataxie zu bessern. 

Herr v. Heinleth (als Gast): Heber maligne Ge¬ 
schwülste der Tonsille. (Der Vortrag erscheint an anderer 
Stelle dieser Nummer.) 

Discussion: Herr Hecht: Ich hatte kürzlich Gelegen¬ 
heit, einen Fall von recidivirendem Rachensarkom zu untersuchen, 
der im Jahre 1894 in Behandlung des verstorbenen Kollegen Ber- 
g e a t gestanden hatte und im August 1894 von Herrn Prot. 
Klnussner operirt worden war. Es handelte sich damals — 
laut Mittheilung des Herrn Prof. Klaussner — um ein Sarkom 
der linken Tonsille. Nach der Operation blieb Patient bis zum 
Jahre 1897. also 3 Jahre, beschwerdefrei; dann stellte sich ein 
Itecidiv ein, das von Kollegen Bergeat intrabuccal, kaustisch 
behandelt und anscheinend auch auf diesem Wege radikal beseitigt 
wurde, da Patient bis Ende 1900 vollkommen beschwerdefrei blieb, 
also wieder ca. 3 Jahre. Jetzt ist wieder ein neues Itecidiv aus¬ 
getreten, das — auch nach Ansicht des Herrn Prof. Klaussner 
— als inoperabel angesprochen werden muss. Ausser den relativ 
grossen Tumonuassen im Rachen und regioniiren Drüsenmeta- 
stasen finden sich auch solche peripherer Gegenden (Achselhöhle 
und Inguinalgegeud). Da Patient wenig subjektive Beschwerden 
hat, die Nahrungsaufnahme auch gut von Statten geht, so liegt für 
einen operativen Eingriff keine Veranlassung vor. Ich habe nun 
dem Kollegen, ln dessen Behandlung der von auswärts hierher¬ 
gekommene Patient steht, vorgeschlagen, neben innerlicher Dar¬ 
reichung von Arsen das — meines Wissens zuerst von Z i e m s s e u 
empfohlene — Natrium arsenicosum subkutan auzuwendeu und 
zwar in steigenden Dosen bis zu 0,02 als tägliche Maximaldosis. 
Laut Mittheilung des behandelnden Arztes ist das Allgemein¬ 
befinden des Kranken ein dauernd gutes, der Tumor ist nicht 
grösser geworden, die Drüsenintiltrate sind etwas zurückgegangen: 
es ist dies also für einen inoperablen Fall ein immerhin ganz gutes 
Resultat. 

Neuerdings wurden von II a in o n d u F ongera y gegen in¬ 
operable Tumoren der oberen Luftwege, insbesondere gegen Carci- 
nom, Kauterisationen mit >/ 2 proc. Cliromsilure empfohlen, mit der 
Autor bei einigen Fällen recht gute Resultate erzielte, so dass 
eine Nachprüfung in geeigneten Fällen Jedenfalls wünschenswert!! 
erscheinen dürfte. 

Herr Grünwald: Bei der Würdigung von malignen Binde¬ 
ge websgesch Wülsten, speciell des Rachens, ist in erster Linie der 
Histologie Rechnung zu tragen, Myo-Sarkom.?, Spindelzellen¬ 
tumoren und Endothellome sind wohl ohne Weiteres nach dem 
Typus eines Carcinoms zu behandeln, d. li. der Radikaloperation, 
wenn solche noch möglich, zuzuführen. Anders die Rundzellen¬ 
geschwülste, auch als Lymphosarkom bezeichnet. Schon die ganz 
ähnlichen malignen Lymphome, die Trmoren der Pseudoleukaem'e, 
sind nach ihrer Entstehung nicht ganz aufgeklärt, eia Tlieil, r.u h 
ein Fall des Redners, als Tuberculome erkannt. Besonders merk 
würdig aber ist ein Fall von Mikulicz, typisch einseitiges 
Mandelsarkom, das auf Arsenbehandlung vollkommen ver¬ 
schwand, um nach Jahresfrist im Einklang mit allgemeiner leu- 
kaemischer Tumorenblldung den Tod zu bewirken (typisch leu 
kaemischer Blutbefund). Weist dieser Fall schon auf die Möglich¬ 
keit. dass das Lymphosarkom des Rachens nur eine lokale Tlieil- 
erscheinung allgemein lympliatisch-haf matogener Erkrankung sein 
kann, hip, so wirft ein weiteres Licht auf diese Auffassung der 
Erfolg der Arsenbehandlung auch in anderen Fällen. Redner hat 
in einem inoperablen Fall von Mandelsarkom (diese Wochenschrift 
1893. 52) parenchymatöse Arseninjektionen gemacht, mit vorüber¬ 
gehender Besserung, ohne den schlechten Ausgang zu verhüten; 
hat in einem weiteren ebensolchen innerliche, von anderer Seite 
verordnete Arsenbehandlung vollkommen fruchtlos gesehen und 
war um so erstaunter über eine ganz neuerliche Erfahrung der Art. 
Vor 4 Wochen stellte sich ein 44 jähriger Gendarmeriesergent mit 
der Angabe vor, dass ihm seit 3 Monaten 5 mal „Rachenpolypen“, 
bis zu Daumengliedstärke, von seinem Arzte entfernt worden seien. 
In den letzten 4 Wochen sei auch der Hals aussen dicker. Be¬ 
fund: Kleiner, glatter Tumor dicht über der 1. Mandel, Drüsen der 
linken Hals-Nackenseite diffus bis zu etwa halber Faustgrösse 
geschwollen. Seinem zuständigen Militärlazaroth überwiesen, 
sollte er dort sofort operirt werden, als der eine, interne, Arzt noch 
einen Versuch mit Arsen machte. Nach 29 tägiger Behandlung 
entlassen, stellte sich Patient wieder vor, ohne eine Spur 
seines Rachentumors, noch der Drüsenpackete. 
Nur unter dem linken horizontalen Kieferast ist eine erbsengrosse 
harte Drüse zu spüren. Ob dieser Erfolg anhalten wird? Der 
Patient bleibt in weiterer Beobachtung, vorläufig noch ohne Be¬ 
handlung und wird dann eventuell wieder Aiseu bekommen. Was 
alter aus dieser und den anderen Beobachtungen folgt, ist nicht 
etwa, einen operablen Tumor durch längere präliminare Arsen¬ 
behandlung in's Stadium der Inoperabilität gelangen zu lassen, 
sondern: vorläufig Arsen anzuwenden, jedenfalls aber, falls dieses 
in etwa 14 Tagen nicht überaus deutlich wirkt, sofor. rücksichts¬ 
los und gründlich zu < perin n. da auch bei Lymphosarkomen die 
pathologische Dignität nieht aus dem histologischen Bilde, sondern 
nur aus dem klinischen Verlaufe und anderweitigen Befunden ge¬ 
folgert werden kann, welche eventuell geeignet sind, den Tumor 
rein als Lokalorkrankniig oder als Theilerscheinung eines allge¬ 
meinen Siecht bums zu kennzeichnen. In letzterer Richtung ist 
als wichtigstes Merkmal der Blut lief und zu bezeichnen, der 
schon frühzeitig das Bestehen einer Lymphaemie oder Leukaemic 


| im Gegensätze zu der bei malignen Geschwülsten aller Arte» 
häufigen gewöhnlichen Leukocytose verrathen kann. Ein? weitete 
i Folgerung alter ist noch, auch der Operation fraglicher Ge- 
( schwülste Arsenbehandluug nac-hfolgen zu lassen. HUft das nicht, 

I so schadet das nicht: unsere Machtlosigkeit weit ausgebreltetni 
j Recidiven gegenüber ist ebenfalls Anlass genug, zu jedem rütli- 
, liehen Mittel zu greifen. 

Noch eine Bemerkung zur Diagnose: Herr v. H e i n 1 e t h Lat 
nelten der glatten, wellig-höckerigen Beschaffenheit des von in¬ 
takter Schleimhaut überzogenen Rachentumors eiue bläulich-roih; 
Farbe als charakteristisch bezeichnet. Meine 2 Mandeltumur.-.i 
nun hatten ein ganz blassis, fast lehmfarbenes Aussehen, während 
der dritte, supratonsilläre, in der Farbe ganz der angrenzende» 
Velumschleimhaut glich. Als kennzeichnend möchte ich sonach 
nur die erstaufgeführteii Symptome der Glätte und rundhüvkerigen 
Form betrachtet wissen. 

Herr Adolf Schmitt: TJeber Bauchoperationen ohne 
I Narkose. (Der Vortrag ist in No. 30 dieser Wochenschrift ab¬ 
gedruckt.) 

Discussion: Herr v. S t u b e n r a u c h: Es ist nicht zu 
leugnen, dass das Verfahren der Lokalauaesthesie auch für die 
Operationen am Unterleib bestimmte Grenzen der Anwendbarkeit 
hat. Seit längerer Zeit pflege ich bei jedem in Chloroform- oder 
Aetliernarkose vorzunehmenden operativen Eingriffe alle Apparate 
bereit zu halten, die zur Ausführung der lokalen Anaesihesie nötbig 
sind; ich bin aber selten in die Lage gekommen, die allgemeine 
Narkose abzubrechen und die lokale rinzuleiten. Diejenigen Fälle 
I von Laparotomie, in welchen grosse Schwäche die Narkose contra- 
indizlrt, betreffen zumeist Patienten, die in Folge mangelhaft«? 
Ernährung (Stenosen der Speiseröhre, des Mag. ns oder des 
Darmes) starken Kräfteverlust erlitten haben. Solche Patienten 
sind, wurden sie nnrkotisirt oder nicht, grossen Gefahren durch 
den Eingriff ausgesetzt: sie könntn an Inanition zu Grunde gelte» 
oder, wenn sie die ersten Tage auch glücklich Uberstau len haben, 
j einer Pneumonie zum Opfer fallen. Während nun den Pneumonku 
l selbst nicht durch die lokale Annesthesle vorgebt ugt werden kann, 

| ist, wie Ich glaube, doch mehr Aussicht gegeben, die Gefahr der 
I Inanition und des Collapses bedeutend zu verringern dadurch, dass 
der Kranke vor Schluss der Bauchwunde ein Niihrklystier in den 
j Dünndarm erhält. Diese Methode, welche Ich prlncipiell bei 
I solchen Kranken durchführe und die mir stets gute Erfolge ge- 
i zeitigt hat. wird so ausgeführt, dass z. B. nach ausgeführter 
| Gastroenterostomie oder Darmresektion mittels einer ziemlich 
j engen Kanüle das Jejunum oder lleum punktirt und mit einer 
j Mixtur, bestehend aus einigen Eiern. Kochsalzlösung, etwas 
I Cognac und Zucker gefüllt wird. (Ueber die Punktionsöffnung 
i wird eine seröse Naht gelegt.) Zudem bekommt der Kranke noch 
subkutan 1 Liter Kochsalzlösung infundirt. Der Patient erhält 
' innerhalb der ersten 12 Stunden post operatlonem per os nichts; 

• erst. ;päter Bouillon, Kartoffelpüree etc. 

Was nun die Bedenken anlangt, weiche gegen eine ausschlte»- 
i Hebe oder häufige Anwendung der lokalen Anaesthesle bei Laparo- 
! tomien bestehen, möchte Ich folgende erwähnen: Zunächst sind 
psychisch erregbare, ängstliche Kranke nicht geeignet zur lokalen 
Narkose. Angstvoll erwarten sie das Ende des Eingriffes, fragen 
ununterbrochen, ob die Operation noch nicht bald vorüber sei uml 
jammern bei den geringsten Sehmerzerapflndungen. so dass auch 
schliesslich der Operateur den Augenblick herbeisehnt, in dem die 
Sache vorüber ist. Natürlich wird unter den genannten unange¬ 
nehmen Umstanden zuweilen auch die Gründlichkeit leiden. 

Ein zweites sehr störendes Moment ist die Empfindlichkeit 
des Peritoneums. Es mag sein, dass die Serosa des Magens und 
Darmes gar nicht oder nur wenig empfindlich Ist beim Eiu- 
schneideu, Nähen etc. Bezüglich des parietalen Peritoutums kann 
ich indess nicht die Ansicht des Herrn Kollegen Schmitt 
theilen. In einem Falle von Oesophagusstenose, welche die An¬ 
legung elneV Magenflstel nöthlg machte, klagte der Kranke beim 
Fassen wie beim Nähen der Parietnlserosa Uber iiusserst heftig'* 
Schmerzen. Diese Empfindlichkeit werden wir wohl in der Regel 
ganz besonders konstatiren können, wenn am Peritoneum der 
obersten Bauchwand (in der Nahe des Process. xiphoideus) ge¬ 
arbeitet werden soll. Da muss man eben recht häufig unter grosser 
Spannung nähen, die Parietalserosa zur Anlegung der Nähte stark 
zerren. 

Ein Umstand, welcher uns zwingen kann, zur allgemeine» 
Narkose zu greifen ist die Empfindlichkeit der Gedärme gegen 
Zerrungen. Operationen, bei welchen Gedärme eventrlrt, abge¬ 
sucht otc. werden müssen, werden besser unter allgemeiner Nar¬ 
kose gemacht. 

Dann habe ich das Gefühl, dass sich die mechanische Reini¬ 
gung der ßauchhaut des Kranken vor Operationen unter lokaler 
Anacstliesie nicht so gründlich durchführen Hesse wie unter all¬ 
gemeiner Narkcse, so dass die Asepsis leiden kann. 

So glat.be ich, dass das Verfahren der lokalen Anaesthesin 
wenigstens bei Laparotomien ein beschränktes Gebiet beherrschen 
wird: es wird uns aber äusserst weTthvoll sein und bleiben können 
in manchen Fällen, z. B. jenen, ln welchen anhaltendes copiüses 
Erbrechen die Gefahr einer Aspiration bedingt. 

Zum Schlüsse möchte ich noch eine technische Bemerkung 
machen. Statt des Cocains, das Ich anzuwenden auf Grund einer 
früher gemachten üblen Erfahrung Scheu habe, verwende ich m 
letzter Zeit ausschliesslich eine Eucalnlüsung und zwar eine 1 pro< - . 


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27. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1397 


für regionäre Anaesthesie und eine 1 prom. für Infiltrationsanaes- 
thesie (ln O.Sproc. NnCl). 

Es würde mich sehliesslich sehr interesslren. zu erfahren, ob 
Herr Kolleg« Schmitt bei Eröffnung des Leibes ln lokaler 
Narkose niemals Collapserscheiuungen beobachtet hat. 

Herr Krecte hat 18 nial die lokale Anaesthesie bei abdomi¬ 
nalen Operationen aDgewendet. Er hat sich allerdings immer der 
Schleie h’8chen Lösungen oder der Brau n’schen Eucain- 
lösung bedient. Die Eingriffe betrafen die verschiedenen Magen- 
und Darmoperatlonen, Probelaparotomien, Herniotomlen, Ovari- 
eklomlen, Ventrofixationen, Perityphlitisoperationen. Pneumonie 
trat einmal nach der Operation ein und endete tödtlich. Bezüg¬ 
lich der Schmerzhaftigkeit ist zu sagen, dass zweifellos die Durch¬ 
trennung der Bauchwand völlig schmerzlos auszuführen ist. Jeder 
Zug ain parietalen Peritoneum sowohl wie an den Eingeweiden 
macht fast immer sehr heftige Schmerzen. Das Schneiden und 
Nähen am Darm ist ganz schmerzlos. K. ist von der örtlichen 
Anaesthesie bei Bauchoperationen nicht sehr befriedigt. Die in 
fast jedem Falle auftretenden Schmerzäusserungen erschweren 
deni Operateur das ruhige Arbeiten und lassen ln ihm oft den 
Wunsch nach einer allgemeinen Narkose auf kommen. Zuzugeben 
ist ja, dass bei der lokalen Anaesthesie noch Fälle operabel sind, 
die man sonst nicht ln Angriff nehmen würde. Auf diese sollte 
al»er auch das Verfahren beschränkt bleiben. 

Herr Brunner hält an der Chloroformnarkose fest und 
betont nur, dass man mit der minimalsten Menge des Narkoticums 
auszukommen suchen muss, um die Gefahr der Allgemein- 
Anaesthesie so viel als möglich zu vermeiden. Mit der Lokal- 
Anaesthesie lässt sich durchschnittlich ein wünschenswerthes Re¬ 
sultat nicht erreichen. 

Herr Krön scher: Die lokale Anaesthesie ist für grössere 
Operationen eine unvollkommene Sache; sie ist es — besonders 
die Schleie h’sche Infiltration — selbst für kleinere Eingriffe, 
sie ist vielfach umständlich, bei Phlegmonen u. a. überhaupt nicht 
zu gebrauchen. 

Wir müssen cs desshalb vorerst mit der Narkose halten; es 
muss aber neben dem Chloroform noch dem Aether die ihm ge¬ 
bührende Beachtung geschenkt werden. Man kann mit dem 
Aether sehr vorsichtig und sparsam umgehen; zu grösseren Ein¬ 
griffen genügt sehr oft eine einmalige tiefe Aetherislrung, um 
ciele Minuten nachher vollständig schmerzlos operiren zu können 
u. a. m. Bel kleineren und selbst mittelgrossen Eingriffen empfiehlt 
K. die von ihm angegebene „couplrte Aethemarkose". 

Bei dieser Utherisirt man nun etwas Uber das Excitations- 
stadium, um nachher minutenlang in voller Analgesie operiren 
zu können. Diese Narkose ist als eine sehr einfache und unschäd¬ 
liche zu bezeichnen, kann von Jedem leicht und mit verhiiltulss- 
mässig geringen Mengen ausgefühlt werden. 

Zufällig ist aus dem Krankenhause Hamburg-Eppendorf 
zu derselben Zeit als K.’s Publikation hierüber erfolgte, eine mit 
der coupirten Aethernarkose völlig identische Aetherislrung, 
wenn aucli in etwas anderer Anwendung, angegeben worden. 

K. freut sich, dass seine Beobachtungen von dieser 8eite be¬ 
reits bestätigt sind. 

Die Ursache dieser so frühzeitig eintretenden Analgesie ist 
zweifelsohne in dem Umstande, dass bei der Aetherinhalation 
zuerst das Centrum für die sensibelen Bahnen im Gehirn und erst 
später die anderen nlterirt bezw. aufgehoben werden, zu suchen. 

Herr Ad. Schmitt: Ich möchte weder auf die Theorie und 
Praxis der Narkose noch auf die einzelnen Mittel zur lokalen 
Anaesthesie näher eingehen — beides liegt zu weit ab. — Die 
Frage, ob ich nicht zuweilen stärkere Aufregung oder Erschein¬ 
ungen von Schock bei Bauchoperationen ohne Narkose gesehen 
habe, muss ich mit Nein beantworten; gerade das Fortfallen der 
durch die Narkose bedingten Schädigungen halte ich für das 
Werthvolle, weil das Herz eben nicht ungünstig beeinflusst wird; 
durch den auf das Bauchfell u. s. w. ausgeübten Reiz habe ich 
nie schädliche Nebenwirkungen gesehen. — Warum man unter 
lokaler Anaesthesie nicht auch absolut aseptisch soll operireu 
können, sehe ich nicht ein; ich habe nie einen Unterschied zu 
Gunsten der Narkose In dieser Beziehung gesehen. — Als Normal- 
methode wird, wie Ich glaube, die Narkose stets bestehen bleiben; 
aber wir müssen uns freuen, ln der lokalen Anaesthesie bei Bauch¬ 
operationen ein Mittel zu besitzen, das es uns ermöglicht, auch 
in sonst wegen der Gefahr der Narkose nicht mehr operirbaren 
Fällen noch Hilfe und Erleichterung für die Kranken bringen 
zu können. 

Auswärtige Briefe. 

New-Yorker Brief. 

Zum St. Pauler Aerztecongress und nach Wunderland. 

n. 

In St. Paul. 

„Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen, 
Ihr durchstudirt die gross’ und kleine Welt" 

Die Stadt des heiligen Paulus liegt malerisch an den links¬ 
seitigen Abhängen des Mississippi hingestreckt. Sie ist eine 
frische amerikanische Schöpfung. Vor zweihundert Jahren noch 


fanden hier die Kontrolversammlungen der Siouxiandwelir 
statt. Erst hundert Jahre später baute sich ein stabiles Indianer¬ 
dorf an, welches vor wenigen Dezennien ebenfalls dem Ansturm 
der amerikanischen Völkerwanderung weichen musste. 

Vor sechzig Jahren hatte ein unternehmender Franzmann 
den Muth, eine Niederlassung neben den Wigwams zu gründen, 
welche dann bald von Kanadiern und französischen Schweizern 
derart bevölkert wurde, dass man sechs Jahre darauf den kühnen 
Plan, ein Hotel zu errichten, thatsäehlich ausführte. Bald ge¬ 
sellte sich hierzu der erste Schwarzrock, der Marchand tailleur, 
der erste Apotheker und last but not least der erste Aeekulap. 
So hatte sich im Jahre 1860 schon eine Gemeinde von zehn¬ 
tausend Einwohnern gebildet, welche bi9 zum heutigen Tage auf 
zweihunderttausend angewachsen ist. 

St. Paul ist die Hauptstadt des Staates Minnesota und Wohn¬ 
sitz des Gouverneurs. Es verfügt über 650 Fabrikanlagen, welche 
25 000 Arbeitern lohnende Beschäftigung bieten. 

In der bekannten amerikanischen Liberalität steht St. Paul 
nicht zurück, denn es ist mit nicht weniger als zwanzig Hospi¬ 
tälern dotirt. 

Die Stadt zerfällt in einen Geschäfts- und einen Wohnungs- 
thcil. In dem ersteren, welcher dem Ufer des Mississippi am 
näclisten liegt, befinden sich nur Geschäftshäuser und Hotels, 
alle in schönstem europäischen Stil erbaut. Sie würden gerade 
so gut Unter den Linden oder am Boulevard des Italiens stehen 
können. 

St. Paul ist die grosse Avenue für den Handel des Nord¬ 
westens. E 9 ist also eine amerikanische Kaufmannstadt im 
strengsten Sinne des Wortes. Damit ist aber keineswegs gesagt, 

I dass die Bevölkerung nur in merkantilen Bestrebungen aufgeht. 
Warm ist das Interesse für Kunst und Wissenschaft, wie in der 
ihr darin gleichenden süddeutschen Handelsstadt Mannheim, der 
Stadt eines Dalberg und I f f 1 a n d, welche den Muth hatte, 
dem grössten Dichter aller Zeiten ihre Thore zu einer Zeit zu 
öffnen, als blinder Despotismus und thörichter Kleinmuth ihre 
Verfolgungsorgien feierten. 

Es ist auf dem europäischen Kontinent Mode geworden, in 
dein Yankee nur eine geldmachende Maschine zu erblicken. 

„Wirken und Schaffen. Schätze erraffen“, das sei seine Pa¬ 
role und wo bei anderen anständigen Leuten ein Herz zu schlagen 
pflegt, da soll wie hei dem Holländer Michel ein fühlloser Stein 
liegen. Nichts ist falscher als diese verbreitete Ansicht; der Voll¬ 
blutamerikaner betrachtet das Geschäft mehr wie eine Art Sport 
und seine Geschäftsweise ist kurz und floskelfrei, zeichnet sich 
aber im Gegensatz zu der mehrerer anderer Nationen durch einen 
hervorragend noblen Zug aus. 

Im Verhiiltniss zu der Prosperität der Einwohnerschaft steht 
der Wohnungstypus auf den lieblichen Anhöhen der Stadt. 

Da ziehen sich hinter herrlichen Avenuen, geschmückt mit 
prachtvollen Kastanienalleen, die ebenso geschmackvoll als prak¬ 
tisch errichteten Wohnhäuser, zumeist von blühenden Gärten ein¬ 
gerahmt, hin. Selbst in den weiter landeinwärts gelegenen 
Arbeitervierteln dominirt das kleine Einzelwohnhaus mit Ge¬ 
müsegarten. 

Die öffentlichen Parke von St. Paul, von denen namentlich 
der Comopark hervorzuheben ist, sind gross und schön. Die 
fernere Umgebung der Stadt bietet manches Pittoresque. So 
sind unter anderem mittels der elektrischen Strassenbahn die 
durch Longfello w’s unsterbliche Dichtung bekannten Minne- 
haha-Fälle leicht erreichbar. 

Mit St. Paul durch breite Brücken verbunden, liegt auf dem 
i rechtsseitigen .Mississippiufer, wie Kehl seinem schönen vis-ä-vis 
Strassburg, die Schwesterstadt Minneapolis. Dieselbe ist hervor¬ 
ragend Fabrikstadt und hat über hunderttausend Einwohner. 

Man behauptet, dass die beiden Schwestern grosse Rivalinnen 
wären und böse Zungen gehen sogar so weit, zu imputiren, dass 
man in Minneapolis aus purer Niedertracht die Bibel nicht lese, 
weil sie respektvoll von Sanct Paul spricht. 

Solche Regungen sind bekanntlich den reinen Seelen der 
medicinischen Fraternität völlig fremd. Jedenfalls war die Auf¬ 
nahme, welche wir seitens unserer nordwestlichen Kollegen 
fanden, eine überaus herzliche. Und fürwahr, es war keine kleine 
Aufgabe, für diese mcdicinische Invasion Sorge zu tragen. Von 
den 24 000 Mitgliedern der American Medical Association waren 
über 3000 erschienen. Rechnet man dazu noch die braven A- rzto- 


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MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


frauen und deren Appcndicula, so belief sich die Zahl der Gast¬ 
freunde auf beinahe 7000. Und dafür erwiesen sich die Gast¬ 
höfe von St. Paul als beinahe zu klein, so dass Viele in Minnea- 
polis untergebracht werden mussten. 

Es war ein heisser Sommermorgen, als der abtretende Präsi¬ 
dent, Dr. Reed aus Cincinnati, die Versammlung im Opern¬ 
hause von St. Paul eröffnet?. Eine gewaltige Corona hatte sich 
hier zusammengefunden. 

„Wer kennt die Völker, nennt die Namen, 

Die gastlich hier zusammenkamen!“ 

Vom atlantischen bis zum stillen Ozean und von den oberen 
Seen bis hinunter nach Florida hatte fast jede Stadt der Union 
ihre Vertreter, darunter der Koryphäen unheimliche Schaar, ge¬ 
sandt. 

New-York war durch Dawbarn, Dench, Dennis, 
F o s t e r , W e i r und Wyeth, Brooklyn durch F o w 1 e r vor¬ 
züglich repräsentirt. Chicago hatte Fenger, Goldspohn, 
Kleba, Lydston, Moyer, Murphy, Newman, 
Ochsn er und Senn, Philadelphia Anders, Deaver, 
Eschner, Gould, Keen, Laplace, Noble. PackarJ, 
R o d m a n und Wi 11 a r d entsandt. Boston war durch Engel- 
m ann. M arey, Richa r d s o n und W a r r e n , Baltimore 
durch s«?in grosses Trifolium II a 1 s t e d, Kelly und Osler, 
Buffalo durch Benedict, Mann, Park und P o 11 e r, 
St. ],ouis durch Dicker so n und B e r n a y s , Kansas City 
durch C o r d i e r, San Francisco durch Jones. Macdonald 
und M acMonagie, Cincinnati durch Reed. Detroit durch 
Carstens und W a 1 k e r, Washington durch de Schwei¬ 
nitz und Johnson, Denver durch Powers und Omaha 
durch Foote vertreten. Zu nennen wären ausserdem Mayo 
aus Rochostcr. N o 1 te und Thienhaus aus Milwaukee und 
Jlatas und P a r li a m aus New-Orlcans. Die berühmte Miclii- 
gancr Universität zu Ann Harbor hatte ihren trefflichen Dekan, 
Dr. Vaupha n, entboten. 

Die erste Botschaft des Präsidenten thcilte uns mit, dass der 
bekannte Millionär Rockefeller soeben der American Medical 
Association die Summe von 200 000 Dollars (über 800 000 Mark) 
benufs Gründung eines Privatlaboratoriums überwiesen hatte. 
Dasselbe sollte ausschliesslich einen experimentellen Charakter 
trauen. An seine Spitze wurde der ausgezeichnete Baltimorer 
Pathologe Welch berufen. Man erzählt sich, dass Rocke- 
feiler, als eines seiner Kinder dem Würgengel Diphtherie er¬ 
lag, empört über die Auskunft der behandelnden Aerzte war, 
welche anstandslos Zugaben, dass unser Wissen Stückwerk ist. 
R o e k e f c 11 o r meinte, es müsse mehr Licht in das Dunkel 
der Infektionskrankheiten geworfen werden und so erblüht denn 
auf dem Grabhügel des kindlichen Opfers eine neue Veste der 
Wissenschaft. Sic mors gaudet succurrere vitae! 

Am Nachmittag begannen die einzelnen Sektionssitzungen, 
welche stärker als je vorher besucht waren. Im Ganzen bestanden 
13 Sektionen. Dieselben umfassten klinische Medicin, Geburts¬ 
hilfe und Gynäkologie, Chirurgie und Anatomie, Hygiene, 
Augenheilkunde, Kinderheilkunde, Stoffwechselkrankheiten, Ma¬ 
terie medica, Neurologie, Hautkrankheiten, Laryngologio und 
Otologie, Physiologie und Diätetik, Pathologie und schliesslich 
Bacteriologie. 

Ihrer alten Tradition getreu, nahm die chirurgische Sektion 
auch dieses Jahr das Hauptinteresse in Anspruch. Den Reigen 
< rö ff liefe F enger aus Chicago, Ihnen als chirurgischer Patholog 
hervorragend bekannt, mit einem klassischen Expose über metho¬ 
disches Exploriren des Gehirns nach Flüssigkeit (kürzlich im 
Journal of the American Medical Association in extenso ver¬ 
öffentlicht). 

Die zur Erschöpfung bereits ventilirte Appendicitisf rage 
wurde natürlich ebenfalls con amore nach allen Richtungen zer¬ 
zupft. selbstverständlich mit demselben unbefriedigenden Re¬ 
sultat. wie bei den vorhergehenden Kongressen der amerika¬ 
nischen sowohl als anderweitigen AerztogeselIschafteil. Tout 
emmne chez m»us! konnte in «lies.'in Jahre auch der «leutsehe 
( liirurgiukongress sagen. 

Solange wir «Ion entzündet« n Wurmfortsatz bei der gerämch- 
losen Verrichtung seiner initialen Maulwurfsarbeit nicht be- 
lausehen können, so lange kein Röntgenstrnhl sich unserer kli¬ 
nischen 1 nkenntniss erbarmt und ein pathologisch-anatomisches 
Coiiteriei producirt. das uns als Mentor «licium könnte, oder so 


lange die Vorsehung kein Fenster in der Darmbeingrube in- 
stallirt, durch welches wir die einzelnen Stadien der Entzündung 
beobachten können, wird der Parteien Gunst und Hass den Cha¬ 
rakter dieser eminent wichtigen Erkrankung entstellen. 

Wer häufig Gelegenheit fand, im Frühstadium — bei der 
Autopsie in vivo — die ausgedehntesten Zerstörungen des Wurm¬ 
fortsatzes zu konstatiren, welche auch nicht im entferntesten 
Dignitätsverhältniss zu den leichten klinischen Erscheinungen 
standen, welche man zumeist mit mystischen Bezeichnungen zu 
benennen sich heutzutage bemüssigt fühlt, hat mehr Augst vor 
den Gefahren der Toxine als denen seines erprobten aseptischen 
Scalpells. 

Ja, wenn man einen verlässlichen Indikator hätte, welcher 
verkündete: bis hierher reicht der Ressort des Internen und da¬ 
rüber hinaus fängt die chirurgische Sphäre an! Aber wo ist 
dieser Daniel, welcher wagt, einen milden Verlauf und milde 
Anfänge mit Sicherheit zu prognosticiren ? Wer bürgt ihm 
dafür, dass hinter diesem milden oder, wenn wir es euphemistisch 
ausdrücken wollen, meinetwegen larvirten Bilde nicht schon die 
Keime vernichtender Virulenz sich bergen? Heute noch eine 
symptomlose chronische Entzündung der Mucosa, mag es morgen 
eine interstitielle Gewebsveränderung sein, ulcx-riren und per- 
foriren oder gangraenös werden. 

Warum, frage ich, soll das „Darmpanaritium“ schon im 
Frühstadium die hochvirulente Infektion der Mucosa und Mus- 
cularis, die deutlichen Manifestationen derselben im klinischen 
Bilde sofort wiedeispiegeln i Dass sie bald zum Ausdruck kommen 
werden, ist mit Sicherheit zu erwarti'ii; aber dann ist es oft zu 
spät! 

Und andererseits, wer die stürmischsten klinischen Er¬ 
scheinungen unter Opium und Eisblase verschwinden sah. glaubt 
ein Rocht zu haben, den chirurgischen Draufgänger mit der 
Lauge seines Spott«*» zu begriissen, indem er hohnlächelnd auf 
die Fälle weist, die der Chirurg operiren wollte, und die er mit 
seiner feinen „Individualisirung“ rettend seinen Klauen entriss. 

Und ein Jeder hat ja scheinbar so recht! Auch für die 
nächsten paar Jahre kann man in Bezug auf die Lösung der 
Indientionsstellung bei der Appendicitis, dieser permanenten 
Sphynx, «lie Inschrift auf D a n t e’s Hölle beherzigen: Lasciate 
ogni speranza! Die Einen verwerfen die Operation, weil sie un- 
ltüthiger Weise vorgenommen worden sein soll und die Anderen 
verworfen die expektative Behandlung, weil sie einer Operation 
aus dom Wege geht, welcho nothwendig war. 

Die Exspektanten, man kann sie auch Nihilisten nennen, er¬ 
heben die Klage, dass man bei Darmaffektionen, wie bei ein- 
faclion Katarrhen, Koprostasen, Ptomainevergiftung und sogar 
bei Typhus im Wahn, einen entzündeten Wurmfortsatz zu finden, 
die Bauchhöhle mit und ohne letalem Ausgang eröffnet habe. Der 
Frühoperateur hinwiederum in seinem J’accuse behauptet, dass 
man in vielen Fällen die Diagnose auf die genannten Krank¬ 
heiten und andere gestellt habe, und die Autopsie habe ergeben, 
dass es sieh um eine Appendicitis mit nachfolgender Peritonitis 
handelte, welche durch Frühoperation zweifellos verhindert 
worden wäre. Dazu kommen noch die Lauwarmen, welche 
jammern, dass die Patienten so selten mit der Operation ein¬ 
verstanden wären und sie desshalb blutenden Herzens gezwungen 
würden, gegen ihre bessereUeberzeugung expektativ zu verfahren. 
Als ob Patientenlaunen und Wissenschaft etwas mit einander zu 
thun hätten. Die Patienten thun im Grossen und Ganzen immer 
was die Aerzte vorschreiben, wohlgemerkt, wenn die Letzteren 
sich völlig geeinigt haben. Was kann man aber vom Publikum 
verlangen, wenn der eine Arzt das Gegentheil des anderen an- 
rät.h ? 

Da ist nun z. B. Sen n, einer der grössten lebenden Clu- 
rurgen. welcher conservativster Weise den Degen einsteckt, 
während D e a v e r, der treffliche Chirurg des deutschen Hospi¬ 
tals in Philadelphia, ihn bei der leisesten Provokation zückt 
Los extremes sc touehent. Im Allgemeinen jedoch ist die Strö¬ 
mung der amerikanischen Kollegen, wie sich auch auf dem Kon¬ 
gress ersehen liess, mehr zu Gunsten der Frühoperation. 

Deaver beobachtete während des Jahres 1900 im deutschen 
Hospital in Philadelphia 268 Fälle von Wurmfortsatzentzündung, 
darunter 144 akuter und 124 chronischer Natur, welch’ sämmt- 
licho operirt wurden. Die Mortalität war äusserst gering und 
verfehlte seine Statistik nicht, in der chirurgischen sowohl wie 


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27. August 1901. 


in der interuen Sektion Eindruck hervorzurufen. Die Mortalität 
der akuten, mittels Operation behandelten Fälle betrug 15,9 Proc., 
während die der chronischen Fälle nur % Proc. auf wies. Von 
11 Patienten, welche nicht operirt wurden, starben 3 und 6 ver- 
liesson mit einer Tumeecenz in der rechten Darmbeingrube das 
Hospital (im Journal of the American Medical Association, 
13. Juli 1901 veröffentlicht). 

Unter den ferneren Beiträgen ist hervorzuheben „Ungewöhn¬ 
liche Fälle von Appendicitis“ von Laplace - Philadelphia 
ebenda veröffentlicht. 

Die neuerdings immer mehr in den Vordergrund tretende 
Carcinomfrage wurde von Park- Buffalo, Senn- Chi¬ 
cago, Powers- Denver, W e i r - New-York und Halstead- 
Baltimore sehr eingehend erörtert. 

Park, der berühmte Buffaloer Chirurg, neigt sich der para- 
sitären Theorie zu. Im Staatslaboratorium zu Buffalo, dessen 
Chef er ist, beschäftigt er sich in Gemeinschaft mit dem Patho¬ 
logen, Biologen, Histologen, Kliniker und Chemiker mit der Er¬ 
forschung der Aetiologie des Krebses, welche er in parasitären 
Elementen sucht. Er vergleicht das Carcinom mit den Xylomen 
der Bäume, jenen kropfartigen Auswüchsen, welche durch Para¬ 
sitenwucherung zuletzt den Baum zerstören. Man nennt diese 
Baumknoten auch desshalb mancherorts Baumkrebse. Bei den 
niederen Thieren sind Tumoren eine häufige Erscheinung und 
ihre Entstehungsursache deckt sich mit derjenigen der Neu¬ 
bildungen des Menschen. Dr. G a y 1 o r d hat kürzlich im Labora¬ 
torium Adenocarcinom mittels Inoculation bei einer Serie von 
Thieren hervorgebracht. Senn dagegen behauptet, dass das 
Carcinom einer atypischen Proliferation der Epithelzellen seine 
Entstehung verdanke und dass seine Entwickelung im meso¬ 
plastischen Gewebe unmöglich ist. Die Histologie spräche gegen 
die parasitäre Theorie. 

P o w e r s - Denver, früher in New-York, erwähnt die dia¬ 
gnostische Reaktion nach Carcinomscrum und die Autoinocula- 
tion als ein Hilfsmittel zur Frühdiagnose von Carcinom. 

H a 1 s t o a d - Baltimore discutirt speciell die Früdiagnose 
des Mammacarcinoms, welches er in gut- und bösartige und in 
multiple Formen eingetheilt wissen will. Auch unterscheidet er 
besondere Gewebsveränderungen in den Acini des Mamma¬ 
gewebes. Unter 294 Geschwulstfällen, welche im Frühstadium 
unter dem Totalcindruck der Gutartigkeit dem Hospital über¬ 
wiesen waren, fand sich die geringe Zahl von nur 23 thatsächlieh 
gutartigen Fällen; alle übrigen waren maligner Natur. 

M a y o - Rochester macht auf die Möglichkeit der Verwechs¬ 
lung des Blinddarmcarcinoms mit chronischer Appendicitis, 
Tuberkulose des Coecums oder Koprostase aufmerksam. 

W e i r - New-York verurtheilt die K r a s k e’sche Operation 
als unzureichend für hoch&itzende Mastdarmcarcinome und em¬ 
pfiehlt statt dessen die M a u n 8 e 1 l’sche Methode. (Die Details 
dieser sorgfältigen Arbeit sind im Juniheft der Medical Review 
of Reviews enthalten.) 

D e n n i s - New-York ist ein strammer Verfechter der 
C z e r n y’schen Ansichten. Die Thatsache, dass die Toxin¬ 
behandlung bisweilen erfolgreich ist, spricht seiner Ansicht nach 
zu Gunsten der parasitären Natur des Krebses. 

R o d m a n - Philadelphia macht darauf aufmerksam, dass 
bei Indianern und Negern Krebs sehr selten beobachtet wird. 
Nur der Brustkrebs macht eine Ausnahme, denn er wird bei 
diesen beiden Rassen ebenso häufig als bei der kaukasischen ge¬ 
funden. 

W a r r e n - Boston berichtet über eine neue Methode der 
Zungenexstirpation, welche darin besteht, dass ein Schnitt von 
dem Mundwinkel abwärts zum Unterkieferwinkel geführt wird, 
der sich dann entlang dem unteren Rande desselben bis zur 
Parotisgegend fortsetzt. Die Wange wird nun zurückgeschlagen, 
der Unterkiefer an irgend einer gewünschten Stelle durchsägt 
und rctrahirt. Das obere Fragment wird temporär luxirt. Die 
Vortheile dieser Methode bestehen in ausgiebiger Freilegung des 
Operationsfeldes und der Möglichkeit, die Zunge und Tonsille 
mit den inficirten Lymphdrüsen zusammen als eine zusammen¬ 
hängende Masse zu entfernen. 

Warren trägt einen berühmten chirurgischen Namen. 
Sein Vater hat mit Hilfe des Zahnarztes Morton die erste 
Narkose vorgenommen. Dieses weltbewegende Ereigniss hatte 
damals keineswegs einen allgemeinen Enthusiasmus hervor¬ 


gerufen. Man wusste im Gegentheil alles Mögliche an der Me¬ 
thode, welche nichts weniger aLs eine Wiedergeburt der Chirurgie 
bedeuten sollte, auszusetzen und sogar der Bostoner Clerus suchte 
seiner Zeit zu remonstriren. 

Wenn man, wie es ja nicht ungern geschieht, das medi- 
cinischo Sündenregister Amerikas aufzuschlagen beliebt, dann 
sollte man dabei nicht vergessen, dass eine der grössten medi- 
einischen Errungenschaften auf amerikanischem Boden ge¬ 
boren wurde! Thatsächlieh ist von der christlichen Zeitreclmung 
an bis zur Entdeckung der Anaesthesie keine medicinisehe Er¬ 
findung gemacht worden, welche sieh auch nur annähernd an 
Bedeutung mit derselben messen kann. 

W i 11 a r d - Philadelphia erörterte die Frage der Fremd¬ 
körper der Trachea und Bronchien. Nach seinen Erfahrungen 
gelangen vielerlei Fremdkörper, wie Samenkörner, Nüsse, Spiel¬ 
sachen, Nahrung etc. bei Kindern während des Lachens, 
Schreiens u. dergl. in die Luftröhre. Sehr häufig dislociren die 
darauffolgenden heftigen Hustenstösse den Fremdkörper, oder 
fördern ihn gar heraus, bisweilen jedoch gelangt er in die Tiefe, 
zumeist in den rechten Bronchus.' Man sollte in solchen Fällen 
sofort die tiefe Tracheotomie ausführen. Wenn der Fremdkörper 
metallischer Natur ist, so sind die Röntgenstrahlen von grossem 
Werth. (Auch bei vielen anderen Fremdkörpern! Ref!) Bei 
Gangraen der Lunge soll mau die vordere oder hintere Brustwand 
als Angriffspunkt wählen. Man benütze die forcirte künstliche 
At Innung, den Fell- O’D w y e r’schen und den Parham- 
M a t a s’schen Apparat. 

Murphy (durch seinen Darmknopf weltbekannt) ver¬ 
breitete sich über Pneumektomie und Pneumotomie. Er unter¬ 
schätzt. doch wohl etwas die Bedeutung des orsteren Eingriffs, 
wenn er meint, dass man ihn ohne Gefahr für die Patienten 
unternehmen könne. Lungenabscesse sollten mit dem Sealpell 
und nicht mit dem Paquelin eröffnet werden. Fortes fortuna 
adjuvat! 

Fowler- Brooklyn stellt für die Behandlung alter Pleura¬ 
empyemfälle folgende Thesen auf: 

1. Die Decortication der Lunge empfiehlt sich bei allen alten 
Empyemfällen, sofern die Kräfte des Patienten eine so ein¬ 
greifende Operation zulassen und falls Tuberkulose auszu- 
schliessen ist. 

2. Da die Decortication in viel rationellerer Weise die Func¬ 
tion der Lunge wieder herstellt als die EstlandeFache Opera¬ 
tion, so sollte dieselbe überall statt der letzteren ausgeführt wer¬ 
den. (Die Estlande r’sche Operation sollte von Rechtswegen 
die S i m o n’sche genannt werden! Ref.) 

3. Die Decortication sollte der S ched e’schen Operation in 
allen Fällen vorgezogen werden. 

4. Die erkrankten Pleurabezirke, einschliesslich der visce¬ 
ralen, corticalen und diaphragmatischen Portionen, sollen, wenn 
immer möglich, exstirpirt werden. 

5. Wo dies unmöglich ist, nehme man die viscerale Pleur¬ 
ektomie vor. 

6. Im Fall die Kräfte des Patienten zu sehr gelitten haben, 
begnüge man sich mit der Detachirung der visceralen Membran¬ 
schicht. 

7. Welche Methode man auch immer wählen möge, stets sei 
man darauf bedacht, freien Zugang zur Höhle zu schaffen. Gym¬ 
nastik bei der Nachbehandlung ist ebenfalls dringend anzurathen. 

Die Chirurgie des Rückenmarks wurde von dem New-Yorkcr 
Chirurgen McCosh in eingehender Weise erörtert. 

B eck - New-York hat, gestützt auf eine grosse Zahl von 
skiagraphisehen Beobachtungen, ein Schema behufs Differen- 
zirung gewisser Knoehenerkrankungen mittels der Röntgen¬ 
strahlen ausgearbeitet: 

Das Osteom zeigt normale architektonische Struktur seiner 
Deformität, während das Osteosarkom eine unregelmässige Tex¬ 
tur aufweist. Zum Mindesten erscheint ein Theil des Osteo¬ 
sarkoms völlig durchsichtig, einzelne Sphären sind dunkler 
schattirt. Die Knochencyste zeichnet sich dadurch aus, dass ihro 
Wand dünn und schmal, aber sehr deutlich und regelmässig ist. 
Das Innere zeigt, da ee fast ganz aus Flüssigkeit besteht, natür¬ 
lich ausgeprägte Transparenz, sein heller Schatten zeichnet sich 
ebenfalls durch eine grosse Regelmässigkeit seiner Grenzen aus. 
Diese Regelmässigkeit der Contouron der Knochencyste ist diffo- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 35. 


rcntialdingnostiseh absolut gegen dio Unregelmässigkeit beim 
Osteosarkom zu vorwerthen. 

Ein osteomyelitischer Herd zeigt eine deutlich aus¬ 
gesprochene und regelmässige Transparenz, von regelmässiger 
Knochenbildung, ähnlich wie die Knocheneysto umgeben, aber 
im (legensatz zu dcrsell>en keine weite Ausdehnung des erkrank¬ 
ten Gebietes zeigend. Die den Herd umgebende Knoehenkruste 
ist auch dicker als bei der Cyste und dann zeigen sich auf der 
Aussenscite des Knochens — dem Poriosteum entlang — mini¬ 
male ostitisohe Auflagerungen. 

Bei der Knochennekrose ist ein exfoliirender Sequester stets 
deutlich darzustcllcn und demgemäss schreibt sich die Richtung 
und Länge des Schnittes behufs Extraktion von selbst vor. Bei 
chronischem Rheumatismus zeigt die Uelonkfläehc geringe Un¬ 
regelmässigkeiten bei völligem Intaktsein der Knochen selbst. 
Bei der Arthritis erseheinen dio Knochenepiphysen an einigen 
Stillen sehr unregelmässig, gleich Iudentationen, an anderen 
Stellen wieder sehen sie verschleiert aus. 

Bei der Arthritis deformans stösst man auf unbedeutende 
ostitisehe Proliferationen. Die arthritischen Depositen erkennt 
man, da sic aus transparenten Ilnrnsäurcsalzen bestehen, als 
helle Schatten der Epiphysen, während die Peripherie als dunkler 
Schatten erscheint, 

Tuberkulöse Herde bieten ein charakteristisches Bild, 
welches im Grossen und Ganzen dem arthritischen ähnlich ist, 
sieh aber von demselben deutlich durch dio viel tieferen Ein¬ 
schnitte der erkrankten Knochenepiphysen und das Vorhanden¬ 
sein isolirtcr Herde unterscheidet. Es ist selbstverständlich, 
dass bei der Diagnose allo anderen klinischen Hilfsmittel in Be¬ 
tracht zu ziehen sind. Dieselben erfuhren jedoch durch das Röm.- 
genbild eine werthvolle Ergänzung, lin Zweifelfall sind die 
Röntgenstrahlen oft ausschlaggebend. Die charakteristischen 
Eigenthümliehkeiten von Syphilis, Enehondrom, Osteomalacie, 
Akromegalie, Cretinismus, Rachitis, Syringomyelie, Osteoarthro¬ 
pathie hyjKTtrophiante pneumique und dickwandigen, nicht pul- 
sirenden Aneurysmen werden ebenfalls hervorgehoben. (Für den 
Jnteressirten ist auf das Journal of the American Mcdicul 
Association zu verweisen.) 

J a c k s o n, der ausgezeichnete Lehrer der Anatomie an der 
Staatsuniversität von Missouri, erklärt die gebräuchlichen Unter¬ 
richtsmethoden beim Studium der topographischen Anatomie als 
unpraktisch. Der Gebrauch von Gefrierpräparaten ist unzu¬ 
reichend. Viel bessere Resultate werden durch das Studium ein¬ 
zelner Abschnitte erzielt, welche man durch Injektion von For- 
rnalin in die Arterien herstellte. J. demonstrirt einen neuen 
Apparat, mittels dessen sich Zeichnungen schnell und accurat 
unfertigen lassen. 

In der paed ia Irischen Sektion erfreute uns Keen- 
Philadelphia, welcher noch beim vorigjährigen Kongress grosse 
Skrupel in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Röntgonstrahlen 
geäussert. hatte, mit einem begeisterten Dithyrambus auf die 
wunderbare Entdeckung. Unter dem Beistand L o o n a r d’s. 
dessen Verdienst, um die Verbreitung der Röntgonstrahlen in den 
Vereinigten Staaten nicht hoch genug gepriesen werden kann, 
war ('s Keen gelungen, Nierensteine bei einem 10jährigen 
Knaben genau zu lokalisiren und mit Erfolg zu entfernen. 

Je p so n-Sioux City hebt die Schwierigkeit der Diagnose 
der congenitalen Cystenniere hervor und verbreitet sich über die 
mannigfaltigen abdominellen Zustände, mit welchen diese seltene 
Erkrankung verwechselt werden kann. Seine Erfahrungen sind 
der Nephrektomie nicht günstig. 

In der Abtheilung für Materia medica lässt K 1 e b s - 
Chicago dio Serumbohandlung der Tuberkulose Revue passiro.i 
und verbreitet sieh über die Applikationsmethode derselben und 
die Endresultate. Er hebt besonders den Werth der Auswahl dev 
Nahrung des Sanatoriumregimes hervor. 

Fiitterer -Chicago stellt dem typischen runden Magen¬ 
geschwür eine gute Prognose bei der Ruhebehandlung. Ein 
grosser Procentsatz der grösseren chronischen Magengeschwüre 
heilt ebenfalls ohne chirurgischen Eingriff. 

« Taknminc - Japan ist ein feuriger Kämpe für das Noben- 
nierenextrnkt, dessen aktive Elemente nunmehr in freier 
basischer krystnllisirtor Form als Adrenalin dargestellt sind. 

In der bacteriologischen Abtheilung berichtet 
M c D a n i e 1 - Minnenpolis über die Isolirung des Typhus¬ 


bacillus von eitrig-meningitischer Flüssigkeit bei einem Patien¬ 
ten, der, während er sich im Convalescenzstadium des Typhus be¬ 
fand, von einer Meningitis befallen wurde uud starb. Es war 
M c I) a n i e 1 auch gelungen, bei exploratorischer Laparotomie 
(’Gallenstcinkolik) den Typhusbacillus aus der Gallenblase zu 
züchten. Der klinische Verlauf hatte in diesem Falle grosse 
Aohnlichkeit mit Typhus und war es besonders interessant zu 
konstatiren, dass Patient aus einer Gegend kam, in welcher 
Typhus epidemisch herrschte. 

In der internen Abtheilung betheiligte sich Babcock, 
Billings, F a v i 11, P r e b 1 e (Chicago), Beck und W a 1 s h 
(New-York), McFarland, M u s s e r und Stengel (Phila¬ 
delphia), Jones (Memphis), Rochester (Buffalo) und Os- 
borne (New-IIaven) an einer längeren und interessanten Dis- 
cussion über Perikarditis. 

Billings hebt die Schwierigkeiten der Diagnose hervor, 
da sich dio Krankheit oft nur durch unbedeutende klinische 
Symptome verräth, wesshalb die Diagnose oft erst auf dean Secir- 
tisch gestellt wird. 

Babcock unterscheidet 2 Formen der adhaesiven Peri¬ 
karditis. Bei der einen Form, Pericarditis interna, bestehen 
Adhäsionen zwischen den 2 Blättern des Herzbeutels und keiue 
zwischen Herzbeutel und den Nachbarorganen; bei der anderen 
Form, Pericarditis interna und externa, adhärirt das Perikard 
nicht bloss dem Epikardium, sondern auch den Nachbargeweben. 
Die Folgen auf Herz und Circulation zeigen sich besonders in 
der Leber, weleho nun eine sogen, pseudoatrophische Cirrhose 
entwickelt. Leider wird die erste Form intra vitam nur selten 
erkannt; bei der zweiten ist die Diagnose leichter in Folge der 
Verziehungen durch die Verwachsungen. 

P r o b 1 e macht auf das häufige Vorkommen der Perikarditis 
nach akutem Gelenkrheumatismus aufmerksam. Seine Autopsie- 
befunde zeigen sic häufig mit Pneumonie vergesellschaftet 

Beek sieht in deu Röntgenstrahlen ein werthvoll es dia¬ 
gnostisches Mittel, da bei Adhäsionen das Diaphragma ge¬ 
zwungen wird, eine charakteristische Kurve beim Heben uud 
Senken zu beschreiben, welche fluoroskopisch beobachtet werden 
kann. Beck riith ferner, perikarditische Adhäsionen eventuell 
nach Analogie der Detachirung der Pleura unter strikt asep¬ 
tischem Vorgehen mit dem Skalpell anzugreifen. 

Eine sehr merkwürdige Diseussion spielte sich am Ende der 
allgemeinen Sitzungen ab, als die zu gleicher Zeit in St Paul 
tagenden Frauenrechtlerinnen die American Medical Association 
officiell ersuchten, in der in den letzten Monaten brennend er¬ 
örterten Frage der sogen. Armeekantine Stellung zu nehmen. 
Der Appell wurde von einer ansehnlichen Zahl von Aerztinnen, 
welche zu diesen „Women Suffragists“ gehörten, vor das Forum 
gezerrt. Es ist geradezu unglaublich, dass die erlauchte Körper¬ 
schaft des Senats der freien Republik sich von diesen Repräsen¬ 
tantinnen des zarten Geschlechts derart in’s Bockshorn jagen 
liess, dass sich thatsächlieh in einer schwachen Stunde eine 
Majorität willig finden liess, die Armeekantine abzuschaffen. 
Und de.r Kongress sagte Amen dazu. Das Kapitol war also 
wieder einmal gerettet und dio gefiederten Moralwächterinnen 
durften ihren Triumph urbi et orbi vorschnattern. 

Nun lässt sieh das amerikanische Volk, gerade wie der 
deutsche Michel, gar mancherlei gefallen, aber das ging ihm doch 
über das Bohnenlied, und ein Sturm der Entrüstung brach im 
ganzen Lande los. Man erinnerte sich, dass dieselben Vokative, 
welche jetzt die Verfolgung predigten, Hannibal ante portas! 
schrien und sich verkrochen, als Gerüchte von der Nähe ein« 
spanischen Kriegsschiffes durch die Luft schwirrten. Man rief 
sieh in’s Gedäehtniss zurück, dass der rauhe Krieger, als da* 
Vaterland in Gefahr schwebte, als der Inbegriff vollendetster 
männlicher Tugend strahlte; dasselbe Individuum, welches doch 
auch den Herd dieser von Bemutterungsgefühl überlaufenden 
Agitatorinnen vor wenigen Jahren mit tapferer Hand schirmte, 
sollte nun auf einmal nicht mehr im Stande sein, seinen Leiden¬ 
schaften zu gebieten, und müsste desshalb von dieser Bekehrung*- 
eorona am Gängelband geführt werden. 

Zur Ehre des regulären amerikanischen Soldaten soll es ge¬ 
sagt sein, dass er, obgleich de facto Miethling, eine Bravour an 
den Tag legte, welche man sonst nur bei solchen Kriegern zu 
finden gewohnt ist, welche für die eigene Scholle kämpfen. Di® 
meisten sind ausgezeichnete Schützen, wie es die stolzen Hidalgos 


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27. August 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. ' 


1401 


/.u ihrem grossen Leidwesen erfahren mussten, während von den | 
amerikanischen Soldaten nur 97 während des ganzen Krieges dem ! 
erratischen spanischen Blei erlagen. Uncle Sams Blaujacken 
sind den mittelalterlichen Landsknechten im besten Sinne des 
Wortes nicht unähnlich und der wackere Georg v. Frundsberg 
würde an ihnen seine helle Freude gehabt haben. Diesen braven 
Jungen also vergällt ein fanatisches Consortium generis feminini 
schnöde ihr Sehnäpslein, und, nicht damit zufrieden, sollte auch 
die American Medican Association das Sigill ihrer Approbation 
auf diese Vergewaltigung drücken. 

Die Sprecherin der Frauenliga, eine spindeldürre Kassandra, 
nahm einen schneidigen Anlauf und malte die Schrecken des 
Pokulireus in den düstersten Farben. 

Der treffliche Oberstabsarzt Seaman, durch seine Arbeiten 
auf militär-hygienischem Gebiet vorthoilhaft bekannt, war ihr je¬ 
doch durchaus gewachsen. Seaman glaubt noch au die Weis¬ 
heit des Dogmas: „Mulier taceat in ecelesia“. Er wies an der 
Hand eines ungeheuren Materiales nach, dass .seit der Insufficienz 
der Markedenterei die geheimen Sünden sich kolossal vermehrt 
hätten und dass die kriegsgerichtlichen Aburtheilungen wegen 
Trunkenheit nunmehr gerade zehnmal so oft vorkämen, als zu 
einer Zeit, wo man dem Soldaten unter Aufsicht seiner Vorge¬ 
setzten in der Kaserne, einen Trunk in Ehren gestattete und ihm 
einen besseren Stoff kredenzte, als er ilm namentlich in den 
kolonialen Fuselspelunken erhält. 

Seaman behauptet auf Grund seiner reichen Erfahrung: 
W enn der Soldat nicht sein Glas Bier oder leichten Wein in I 
der Kantino erhalten kann, so sucht er sich in der nächsten 
besten Kneipe schadlos zu halten. Die verbotene Frucht lockt 
nur um so mehr. In Porto Rico erhält er Wein, der mit Fuselöl 
versetzt ist, in den Philippinen den „Vino“, welcher, horrible 
die tu, aus einer Art Holzspiritus besteht, und in China den 
„Samshu“, ein Reisprodukt, welches ein derartiges Gift enthält, 
dass ein oder zwei Gläser davon „sein Gehirn fortstehle“ wie 
der drastische Amerikanismus lautet. Und in der süssen Hei- 
math ist ee auch nicht der beste Whisky, den er sich hinten 
herum erschleichen muss. Was sind die Folgen? Trunkenheit, 
Insubordination und Desertion! 

Der Rapport des zwölften Infanterieregiments zu Panique 
auf den Philippinoninseln zeigt in den Monaten Februar und 
März des Jahres 1900 die Zahl von 150 kriegsgerichtlichen Ver¬ 
handlungen. Vier Fünftel derselben waren durch Trunkenheit 
(durch Philippinenwein) veranlasst. 

Von nun an wurde eine Kantine eingerichtet, welche bis 
zum Februar 1901 ihr freundliches Dasein fristete. Während 
dieser Zeit war die höchste Zahl der Kriegsgerichte 20, die 
kleinste 8. Darunter waren niemals mehr als zwei Fälle von 
Berauschung durch Philippinenwein. 

Auch anderweitige, dem Militärleben nicht fremde Excessc 
verdoppelten sich nach Abschaffung der Kantine. 

Dass die Ansicht S e a m a n’s, welche sogar von einer gro-ssen 
Zahl abstinenter Offiziere getheilt wird, von der American Medi¬ 
cal Association indossirt wurde, konnte man aus dem ungeheuren 
Applaus entnehmen, welcher seiner unerschrockenen Darlegung 
folgte. Der Appell der Frauenliga, welche zu guter letzt noch 
alle hosentragenden Individuen am liebsten in eine Zwangsjacke 
steckt, wurde, wie zu erwarten war, von der Versammlung ein¬ 
stimmig abgelehnt. 

Statt Gesetze zu machen, die von Hysterie und Fanatismus 
inspirirt werden und die Soldaten nur verbittern, sollte man 
durch freundschaftliche und kluge Reformbestrebungen in den 
Soldaten das Interesse an harmlosen Vergnügungen (Sport, Lese¬ 
zimmer u. dgl. in den Freistunden) zu erwecken suchen. 

Es würde zu weit führen, von all’ den vielen Geistesblitzen 
zu berichten, welche auf die andachtsvolle Menge hernieder¬ 
fuhren. Nur sollen aus diesem Embarras de richesse noch einige 
gesellschaftliche Episoden hervorgehoben werden. 

Da wäre vor Allem noch der lukullischen Diners zu gedenken, 
welche die Stadt St. Paul den einzelnen Sektionen gab. Das be¬ 
suchteste und wohl auch ausgesuchteste war das gemeinschaft¬ 
liche Liebesmahl der chirurgischen, gynäkologischen und derma¬ 
tologischen Sektionen, bei welchen W h e a t o n , einer der aus¬ 
gezeichnetsten Chirurgen des Nordwestens, mit schneidiger und 
humorvoller Virtuosität den Vorsitz führte. 


Der Bankettsaal des ltyan Hotel war kaum im Stande, die 
sechshundert trinkfesten Medici zu fassen, welche sieh an den 
Schnurren ihrer Koryphäen nicht wenig ergötzten. Von Ab¬ 
stinenz war hier nicht das geringste Symptom zu entdecken und 
die reizende Bedeutung des uralten „Dulc* est desiper’ in loco“ 
zeigte sielv auch seitens der sonst so seriösen Zierden des Ka¬ 
theders in seinem liebenswürdigsten und unterhaltendsten Lichte 
Am folgenden Abend war grosser Empfang auf dem Campus 
der Universität von Minneapolis. Viel wäre von der praktischen 
und opulenten Einrichtung des pathologischen Instituts daselbst 
zu sagen; der Festesjubel war jedoch so gross, dass man sich gar 
nicht zu ernster Uebcrlcgung nufschwingen konnte. Die Armory 
(Zeughaus), welche ebenfalls auf dem Gelände der Universität 
steht, war brillant dekorirt und bald strahlten tausende von elek¬ 
trischen Lichtern auf den glänzenden Reigen der tanzenden 
Menge. Die Aeskulapjünger stellten ihren Mann und die schönen 
Augen mancher reizenden Holdseligkeit ruhten mit Wohlgefallen 
auf'ihnen. Die Amerikanerinnen haben ein angeborenes Talent, 
hübsch auszuschcn und dem europäischen Auge fällt namentlich 
ihr schlanker Wuchs und die natürliche Grazie ihrer Beweg¬ 
ungen auf. 

Die Damen St. Pauls entwickelten überhaupt im Gegensatz 
zu den geschilderten asketischen Zelotinnen eine äusserst liebens¬ 
würdige Thätigkeit. In den Vormittagsstunden wurden gemein¬ 
schaftliche Ausflüge unternommen, zu denen sämmtliche Damen 
der Kongressgäste cingeladen waren. Ein Ausflug nach den 
romantischen Minnehaha-Fiillen, der ausschliesslich von Damen 
unternommen wurde, erfreute sich eines besonders enthusiasti¬ 
sche» Kommentars. 

An den Nachmittagen fand regulärer Empfang in mehreren 
der fasliionablen Villen statt. Die Gemahlinnen der Drs. Wheu¬ 
te n und Store gaben den ärztlichen Damen noch eine Soiree 
in ihrem palatinalen Heim. 

So flogen denn die vier Tago des Kongresses im Nu herum, 
ein grosses Material angenehmster Erinnerungen zurüeklassend, 
an denen man ein ganzes Jahr lang zehren kann. ALs nächst¬ 
jähriger Versammlungsort wurdo der berühmte New-Yorker 
Badeort Saratogn, das Karlsbad Amerikas, erkiesen. 

Carl Beek- New-York. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 27. August 1901. 

— Auf Anregung des sächsischen Gesandten hat der Reichs¬ 
kanzler das k. Gesundheitsamt um Abgabe eines Gutachtens über 
die Frage des Verbotes der Behandlung Kr a u k e r 
aus der Ferne (d. h. also der gewerbsmässigen brieflichen 
Behandlung) durch Reichsgesetz ersucht. In seinem Gutachten 
spricht sich das Amt für das Verbot der ausschliesslich brief¬ 
lichen Behandlung Kranker aus mit dem Bemerken, dass das > er¬ 
bot in gleicher Weise für upprobirte Aerzte wie für Niehtapprobirte 
gelten soll. Anders aber will das Gesundheitsamt die Frage l>.- 
urtheilt wissen, ob den approbirten Aerzteu die gelegentliche Be¬ 
handlung Kranker aus der Ferne gestattet seiu soll. Es heisst in 
dem Gutachten: „Dev gelegentlichen Behandlung Kranker aus der 
Ferne wird iu besonderen Nothfillleu. sowie in schwach bevölkerten 
und schlecht mit Aerzteu versehenen Gegenden niemals ganz zu 
entrathen sein. Die Einführung eines allgemeinen Verbotes einer 
derartigen Behandlung würde namentlich von der minderbemittel¬ 
ten Landbevölkerung als eine Härte empfunden werden und ge¬ 
eignet sein, dieselbe mehr noch als bisher den ortsaugesesseue» 
Kurpfuschern zuzuführen. Für den Fall, dass einer einheitlichen 
Regelung des Gegenstandes näher getreten wird, wäre daher von 
einem unbedingten Verbot jeglicher Ferubehaudluug ebenso ab- 
zuseheu, wie dies in der sächsischen Standesordnuug geschehen ist, 
welche gleichfalls nur die ausschliessliche (briefliche) Behandlung 
Kranker aus der Entfernung als unzulässig bezeichnet. Gegen 
de» Erlass eines allgemeinen Verbots der Ankündigung und An¬ 
preisung der Ferulieliaudlung liegen Bedenken nicht vor. E'tt 
rechtliches Hindernis« dürfte nicht entgegenstehen. Denn der im 
§ 1 der Gewerbeordnung ausgesproehene Grundsatz der Gewerbe- 
ireiheit bezieht sich nur auf die Zulassung zum Gewerbebetrieb, 
nicht auf die Art der Ausübung desselben, abgesehen davon, dass 
dieses Gesetz nach $ 0 auf die Ausübung der Heilkunde überhaupt 
mir insoweit Anwendung linder, als es ausdrücklich.- Bestimmungen 
darüber enthält. Es ist voraussichtlich in allen Bundesstaaten 
a „ c h eine gesetzliche Grundlage vorhanden, um Polizei Verordnungen 
Kiim Schutz von Leben und Gesundheit zu erlassen, ln deujentg« 
Staaten, in denen ärztliche Ehrengerichte mit Stratgewali uue. 
ullo approbirten Aerzte staatli« lierseits errichtet sind, durlt.-n d><‘ 
angeregten Vorschriften nur auf die nicht approbirten 1 ctsott. 
zu erstrecken sein.“ - Das relchsgesetzliche Verbot der sogen. 
Fernbehnndlung im Sinne des Gutachtens des Reichsgesmtdhetts- 


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1402_MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 35. 


amtea würde die hässlichste und schädlichste Form der Kur¬ 
pfuscherei treffen und wäre als ein grosser Fortschritt im Kampfe 
gegen diese zu begrüssen. Es wäre daher Sache der Aerzte, das 
Zustandekommen des Verbotes nach Kräften zu unterstützen. 

— I>ns preuss. Medlciualministerium hat jetzt Anweisungen 
erlassen bezüglich der Durchführung jener Bestimmung der neuen 
Prüfungsordnung für Aerzte, wonach das ,.p Taktische Ja h r“ 
ausser au Uuiversitätsinstituten auch an dazu besonders er 
m ä e h t i g t e n Kraukenh ä usern innerhalb des deutschen 
Reiches absolvirt werden kann. Als oberster Grundsatz ist auf- 
gestellt worden, dass nur öffentliche Krankenhäuser mit mindestens 
50 Betten zugelassen werden sollen. Die Zahl der Praktikanten, 
welche an das einzelne Krankenhaus abgeordnet werden, wird nach 
der gesammten durchschnittlichen BelegzifTer bemessen. Und zwar 
soll das Krankenhaus berechtigt sein, auf je 25 Kranke einen 
Praktikanten eiuzustelleu. Die Berechtigung zur Annahme von 
Praktikanten soll den öffentlichen allgemeinen und den Soiuler- 
kraukenhäusern wie den Entbindungsanstalten, Irrenheilanstalten, 
Augenkliniken, Kinderkrankenhäusern und auch den Volksheil¬ 
statten für Lungenkranke gegeben werden. Ausgeschlossen hin¬ 
gegen sollen die Sieclienhiiuser und Genesungsheime sein, weil 
diese nicht dem angestrebten Ziele, den Kandidaten mit der 
Krankeubehandlung praktisch vertraut zu machen, genügen. 
Nächst den Universitätskliniken, den Universitätspolikliuiken und 
den ermächtigten Krankenhäusern kommen nach der Prüfungsord¬ 
nung für die Ausbildung der Praktikanten noch die m e di¬ 
el n i s e h e n nie htkliuis eben Uuiversitlitslnsti- 
tute ln Betracht: die anatomischen, physiologischen, patho¬ 
logischen Uuiversitätsanstalten, die Anstalten für Arzneimittel¬ 
lehre, für Hygiene und für gerichtliehe Medicin. Sie sind jedoch 
den ermächtigten Krankenhäusern nicht vollkommen gleichgestellt. 
Es ist vielmehr dem Ermessen der Centralbehörde auheimgestellt, 
die Zeit, während deren der Praktikant an einer solchen Anstalt 
beschäftigt war. ganz oder theilweise auf das praktische Jahr 
anzurechnen. Diesen medicin Ischen, nichtkliuisehen Universitäts- 
anstalten stehen nach § 01 der Prüfungsordnung selbständige 
m e d l e i n i s c li - w i s s e n s c li a f 11 i c h e 1 n s t i t u t e. z. B. 
die pathologischen Anstalten der städtischen Krankenhäuser gleich, 
insofern sie die Berechtigung zur Aunalnne von Praktikanten er¬ 
halten haben. Die Ertheiluug dieser Berechtigung wird davon ab¬ 
hängig gemacht, dass diese Anstalten einen anerkannten wissen¬ 
schaftlichen Ruf haben, hinreichendes Material haben und so aus¬ 
gestattet sind, dass eine erspriessliehe Beschäftigung der Prakti¬ 
kanten gewährleistet wird. Die zur Ausbildung von Praktikanten 
geeigneten Krankenhäuser und medicinlsch-wissensehaftJichen 
Institute sollen für jeden Kreis durch den Landrath nach An¬ 
hörung des Kreisarztes festgestellt werden. 

— Der A e r z t e v e r e i u in Danzig ist mit dem „V e r - 
bande Danziger Krankenkassen“, der etwa ein Viertel 
der Versicherten am Orte in sich scliliesst, in Streit gernthen. 
Gegenstand des Streites ist die freie Arztwahl, welche der Aerzte- 
verein, nachdem er 59 Krankenkassen mit 24000 Kassenmitgliedern 
dafür gewonnen hat. allgemein einführeu will. Die kassenärzt¬ 
liche Kommission des Danziger Aerztevereins wendet sich an die 
deutsche Aerztcsclmft mit der Bitte um Unterstützung in dem 
Kampfe, die zur Zeit in der Fenilialtung von Spezialürzteu zu be¬ 
stehen hat. In einer Warnung, welche die Kommission im „Aerztl. 
Verelnsbl.“ erlässt, heisst es: ..Der Danziger Aerzteverein hat die 
freie Arztwahl, zu der seine 110 Mitglieder laut Satzung verpflichtet 
sind, fast allgemein in Danzig durchgeführt. Dazu gehören 59 
Krankenkassen mit 24000 Kassenmltgliedern. Von Seiten eines 
nur 8000 Mitglieder zählenden „Verbandes Danziger Kranken¬ 
kassen“, der hartnäckig gegen die freie Arztwahl kämpft, droht 
letzterer dadurch Gefahr, dass der Verband durch Geld und 
günstige Versprechungen Aerzte von auswärts für sich nach Danzig 
lockt. Vor einem Jahre erbat jener Krankenkassen verband (als der 
bis dahin von ihm fest angestellte Augenarzt — der zur freien 
Arztwahl übertrat — sein Verliältniss mit ihm löste) die Zu¬ 
stimmung des Aerztevereins zur Behandlung seiner augenkranken 
Kassenmitglieder seitens der Danziger Augenärzte, von denen zur 
Zeit 8 in Danzig praktizlren. Diese Bitte, ja sogar die Behand¬ 
lung sämmtlicher Spezialärzte gewährte der Aerzteverein vorläufig 
unter der Bedingung, dass der Verband seinen festen Kassen¬ 
ärzten am nächsten Kündigungstermine kündigen und zur freien 
Arztwahl übergehen solle. Aber anstatt zu kündigen hat der 
Krankenknsseuverband das Provisorium dazu benutzt, um unter 
dem Vorgehen, der ärztliche Verein „entziehe" ihm die spezial¬ 
ärztliche Behandlung, den Versuch zu machen, auswärtige Spezial¬ 
ärzte für seine Zwecke nach Danzig zu ziehen. Wer als Arzt 
dieses Vorgehen des Verbandes unterstützt, wird sich selbst sagen 
müssen, dass er auf den Namen eines ehrlich und vornehm denken¬ 
den Kollegen nicht mehr Anspruch hat. Der Aerzteverein Danzig 
aber ist durch jenen „Verband Danziger Krankenkassen“ ge¬ 
zwungen. gegen ihn den Kampf zur völligen Durchführung der 
freien Arztwahl nufzunehmeu und warnt die Herren Kollegen hier¬ 
mit öffentlich vor ihm.“ 

— Pest. Türkei. Nach Inhalt einer amtlichen Nachweisung 
vom 1. August waren in Konstantinopel seit dem 25. Juni d. J. 
12 Erkrankungen und 2 Todesfälle an der Pest vorgekommen. Im 
amtlichen Wochennus weise vom 7. August wird nachträglich eine 
am 25. Juli erfolgte Erkrankung bekannt gegeben, ferner sind 
darnach in Konstantinopel am 5. August 3 Erkrankungen und 
1 Todesfall an «1er Pest vorgekommen. — Britisch-Ostimlien. 
Während der am 19. Juli abgelaufeneu Woche wurden in der 
Präsidentschaft Bombay 1947 Pesterkmnkungen und 1370 Pest¬ 


todesfälle festgestellt. Auch aus der Stadt Bombay wird eine be¬ 
trächtliche Zunahme der Pestfülle gemeldet; während der am 
20. Juli endenden Woche zählte man daselbst 145 Neuerkrankungen 
und 113 Todesfälle an der Pest, ausserdem wurden 196 Sterbe¬ 
fälle als pestverdächtig bezeichnet. Die Gesammtzahl der Sterbe¬ 
fälle in der Stadt war auf 765 gestiegen. Zu Folge einer Mit- 
theilung vom 23. Juli sind in Karachi wieder neue Pestfiille vor¬ 
gekommen. In Kalkutta erkrankten vom 7. bis 13. Juli 17 Per¬ 
sonen an Pest und starben 10. — Siam. Zu Folge einer Mit¬ 
theilung vom 15. Juli ist in Tongkah die Pest ausgebrochen. — 
Kaplnnd. Während der am 20. Juli abgelaufenen Woche sind in 
der ganzen Kolonie noch 3 Pesttodesfülle zur Anzeige gelangt; 
au der Pest gestorben sind in der gleichen Zeit 4 Personen. — 
Mauritius. In der Zeit vom 7. Juni bis 11. Juli wurden auf der 
Insel 0 Erkrankungen und 5 Todesfälle an der Pest festgestellt — 
Queensland. Während der am 6. Juli abgelaufenen Woche ist in 
Brisbane eine Pesterkrankung, sowie ein pestverdächtiger Fall zur 
Anzeige gekommen. 

— In der 32. Jahreswoche, vom 4.—10. August 1901 hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Lichtenberg mit 00,0, die geringste Darm Stadt mit 11,5 
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Masern in Karlsruhe. 

tH ochse h ulnachrichten.) 

Heidelberg. Die Prlvntdoceuten Dr. Bettmann, Dr. 
Brauer und Dr. Peterseu wurden zu a. o. Professoren er¬ 
nannt. 

Rostock. Prof. Dr. A x e n f e 1 d hat den Ruf nach Frei¬ 
burg i. B. als Nachfolger des in den Ruhestand tretenden Directon* 
der Universitäts-Augenklinik Geb.-Rath Prof. Dr. Manz an¬ 
genommen und wird mit dem 15. Oktober seine neue Stellung au- 
treten. 

Zürich. Der a. o. Professor für Pharmakologie Dr. Friedr. 
G o 11 Ist von seinem Lehramte zurückgetreten. Zu seinem Nach¬ 
folger wurde der Privntdoeent ln der medieinischen Fakultät Dr. 
Max Cloctta ernannt. Dr. Sidler-Huguenin habilitirte 
sich für Augenheilkunde. 

(Todesfälle.) 

Der Professor der Physiologie und frühere Vorstand des 
physiologischen Institutes der Universität Würzburg. Geh.-Ratü 
Dr. Adolf Fick, starb, 72 Jahre alt. Im Seebad Blankenberghe. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Ernannt: Zum Bezirksarzt I. Klasse ln Teusehuitz der prakt. 
Arzt Dr. Ludwig Heiss ler ln Reunertsbofen, zum Bezlrksan.t 
1. Klasse in Mttncliberg der prakt. Arzt Dr. Karl Mayer in 
Röthenbach und zum Bezirksarzt I. Klasse ln Kelhelm der prakt. 
Arzt Dr. Einanuel Weber ln Ivronach. 

Auszeichnung: Dem bayerischen Staatsangehörigen, prak¬ 
tischen und Badearzt Dr. Adolf Ritter ln Karlsbad wurde der 
Verdienstorden vom bl. Michael 4. Klasse verliehen. 

In den Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse 
Dr. Friedrich Iv a e h n in Uffenhclm, seiner Bitte entsprechend, 
wegen uaehgewiesener physischer Gebrechlichkeit unter An¬ 
erkennung seiner langjährigen, treuen Dienstleistung. Der Be¬ 
zirksamt II. Klasse Dr. Johann Karl Wolf ln Marktbreit, seiner 
Bitte entsprechend, wegen zurückgelcgteu 70. Lebensjahres unter 
Anerkennung seiner langjährigen, eifrigen Dienstleistung. Der 
Hausarzt bei der Strafanstalt Kaiserslautern, Bezirksarzt I. Klasse 
Dr. Karl K o 1 b, wegen nachgewiesener Krankheit und hiedurch 
bewirkter Dienstunfälligkeit auf die Dauer eines Jahres. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München 

in der 32 JahreBwoche vom 11 bis 17. Angnst 1901. 
Betheiligte Aerzte 186. — Brechdurchfall 26 (25*), Diphtherie, 
Croup 9 (10), EryBipelas 7 (12), Intermittens, Nenralgia intern. 

— (—), Kindbottfleber 3 (1), Meningitis cerebrospin. — (—), 
Morbilli 8 (27), Ophtbalmo-Blennorrhoea neonat. 1 (1), Parotitis 
epidem. — (l), Pneumonia crouposa 4 (5), Pyaemie, Septikaemie 

— (—), Rheumatismus art. ac. 10 (12), Ruhr (dysenteria) — (—'), 

Scarlatina 3 (4), Tussis convulüva 16 (12), Typhus abdominalis 
5 (4), Varicellen 5 (G), Variola, Variolois —(—), Influenza — (—), 
Summa 97 (120). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebereicht der Sterbefälle in München 

während der 33 Jahreswoche vom 11. bis 17. August 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 1 (2*), Scharlach — (—), Diphtherie 
und Croup 4 (1), Rothlauf — (—), Kindbettfieber 1 (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 1 (—). Brechdurchfall 12 (12), Unterleibtypbus 
1 (1), Keuchhusten l (3), Croupöse Lungenentzündung — (1), 
Tuberkulose a) der Lungen 17 (17), b) der übrigen Organe 10 (12), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 3 (1), Unglücksfftlle 2 (8), Selbstmord 1 (1), Tod durch 
fremde Hand 1 (—). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 195 (201), VerbältniBezahl anf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,3 (20,9), für die 
über dem 1. I^ebensjahrc stehende Bevölkerung 10,6 (10,2). 


) Die eingcklammcrten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. F Lehmann ln München. - Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdrucken! A.Q., München. 


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MED ICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

Cd. Biiaier, 0. Bolliuger, H. Curschnaan, G. Gerhardt, 6. Merkel, J. i. Michel, H. i. Ranke, F. f, Wlnckel, 

Freiburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. 


H. i. Zlenssn, 

München. 


No. 36. 3. September 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse £0. 


48. Jahrgang. 


Origin alien. 

Zur chirurgischen Behandlung der Verengerungen 
des Thränen-Nasenkanals.*) 

Von Professor Passow in Heidelberg. 

M. II.! Die Krankheiten des Ohres stehen in innigem Zu¬ 
sammenhang mit den Krankheiten der Nase; pathologische Ver¬ 
änderungen der Nase greifen auf den Thränennasenkanal über. 
So ist «e erklärlich, dass wir bei ein und demselben Patienten 
gleiohzöitig die verschiedensten Formen von Otitis und Rhinitis 
und Epiphora beobachten, mit oder ohne Betheiligung der Neben¬ 
höhlen der Nase. Im Laufe der Jahre kamen eine ganze 
Reihe solcher Patienten in meine Behandlung. Mehrere von 
ihnen hatten bereits vergeblich wegen der Epiphora augeniirzt- 
licho Hilfe gesucht. Das Sondiren hatte nicht oder vorüber¬ 
gehend geholfen, und zur Entfernung des Thränensackes konnten 
sie sich nicht entschliessen. 

In den Lehrbüchern der Augenheilkunde wird betont, dass 
die Heilung von Strikturen des Thränennasenkanals in manchen 
Fällen trotz grosser Ausdauer und Geduld Von Seiten des Arztes 
und Patienten misslingt. Wird die Exstirpation des Thränen- 
sacke« vorgenommen, so bleiben zwar die übrigen durch Striktur 
und Stenose bedingten Beschwerden aus, das namentlich im 
Winter lästige Thränenträufeln pflegt jedoch nur in geringem 
Grade abzunehmen, ganz abgesehen davon, dass eine Narbe 
zurückbleibt, die zwar nur wenig sichtbar ist, al>er immerhin 
keine Verschönerung bedeutet. 

So kam ich auf den Gedanken, durch Spaltung de« Thräiien- 
Nascukanals von innen, von der Nase aus, dauernde Heilung der 
Strikturen zu erzielen. Es ist bekannt, das« manchmal schon die 
Entfernung der unteren Nasenmuschel von günstigem Einfluss 
ist. Sic führt aber begreiflicher Weise keineswegs immer zum 
Ziel, namentlich dann nicht, wenn bereits tiefergreifende narbig-.* 
Veränderungen des häutigen Kanals eingetreten sind. 

Nachdem ich mich an der Leiche überzeugt hatte, dass die 
Spaltung des Kanals weit leichter zu bewerkstelligen ist-, als 
anzunehmen war, wandte ich mich an Herrn Geheimrath Lebe r, 
welcher einen Versuch am liebenden für angezeigt hielt. Er hatte 
die Liebenswürdigkeit, mir zwei Patientinnen zu überweisen. 

Bei diesen und bei einer Dritten aus meiner eigenen Praxis 
wurde die Operation vorgenommen. Im Ganzen, da die eine 
Kranke an doppelseitiger Struktur litt, vier Mal. 

Zunächst wird unter Cocainanaesthesie das vordere Ende 
der unteren Muschel mit der Cooper’schen Schoere entfernt. 
Einige Tage später, nachdem die Reaktion abgelaufen, wird in 
Narkose, nach Einlegung einer B o w m a n n’schen Sonde mit 
dem Ilohlmeissel so viel von der Crista turbinalis des Oberkiefers 
und vom Thränenbein fortgenommen, dass der häutige Kanal bis 
zum Thränensaek hinauf frei liegt. Dass dies der Fall ist, er¬ 
kennt man daran, dass die eingelegte Sonde freier beweglich 
wird; auch kann man sich darüber mit. einer zweiten Sonde leicht 
vergewissern. Im Weiteren wird nun der häutige Kanal der 
Sonde entlang mit einem feinen, geknöpften Sichelmesser bis oben 
hinauf gespalten. Ist dieses geglückt, so kann man die durch 

*> Vortrag, gehalten ln der medlclnischen Sektion des Natur- 
historisch-medicinischen Vereins in Heidelberg am 30. Juni 1901. 
No. 36. 


die Thränenkanälchen eingeführto Sonde in der Nase frei be¬ 
wegen. Sie wird nach Abtupfen d<*> Blutes bis zum Thränensaek 
hin sichtbar. — Während der Operation schafft man sich den 
nüthigen Einblick in die Tiefe der Nase durch das Jura sz’sehe 
Speeulum. Man kann auch einzeitig operiren, d. h. in der Nar¬ 
kose an die Entfernung des vorderen Endes der unteren Muschel 
sogleich die Spaltung des Kanals anschliessen. 

Welche Erfahrungen ich mit dieser Modifikation gemacht 
habe, und was für und wider sie spricht, will ich weiter unten 
erläutern. 

Ich lasse zunächst die Krankengeschichten folgen: 

1. 49 jährige Frau. Das linke Auge thriint und eitert seil 
August 1S97. Seitdem in ärztlicher'Behandlung. Am 19. VII. 1900 
Aufnahme in die Heidelberger Universitäts-Augenklinik. Am 
19. VII. Schlitzung des oberen Thrüneukanälchens. Am 21. VII. 
Entfernung des vorderen Endes der unteren Muschel unter Cocain. 
Blutung gering. Am 30. VII. in Narkose Spaltung des Tlmineii- 
Xasenkaiials iu der oben geschilderten Weise. Die Blutung war 
äusserst gering. Beim Herauszielien der eingelegten Sonde wurde 
ein beiderseits abgewebter (iazestreifen von der Nase aus durch 
das Thränenkanälchen durchgezogen. 

An den 3 folgenden Tagen wurde dieser Streifen erneuert. 
Verband, der das Auge schützt Die Reaktion war verhiiltniss- 
mässig gering, die Gazestreifen wurden fortgelassen. Eiue leichte 
Conjunctivitis wurde mit Plumbum aceticum - Umschlägen be¬ 
handelt. Am 4. VIII. war nur noch wenig Sekret vorhanden, und 
am 10. VIII., am Tage der Entlassung, war das Auge und die 
ThrUnennasengegend reizlos. Die dickste B o w m a n n’sclie Sonde 
war leicht etnzufübren. 

Die Kranke wurde zu Hause von ihrem Arzte beobachtet, 
der mir Ende des Winters schrieb, dass sie völlig frei von Be¬ 
schwerden sei. Si»? selbst behaupte, dass sie vom Thränentrilufelu 
nichts mehr merke. Bei genauer Untersuchung jedoch stelle sich 
heraus, dass das linke Auge etwas feuchter sei, als das rechte. 

Am 30. VII. 01 sah ich die Kranke wieder, das linke Auge war 
reaktionslos, die Kranke war ohne alle Beschwerden, mau konnte 
die durch das obere Thränenkanälchen eingelegte Sonde frei in 
der Nase bewegen und sie durch den Nasenspiegel bis oben hinauf 
sehen (Vorstellung der Kranken). 

2. 32 jährige Frau, seit <1—7 Jahren Thränen beider Augen, 
vor 4 Jahren rechts, vor 2 Jahren links Schlitzung des oberen 
Kanälchens und längere vergebliche Behandlung. Seit November 
1900 ohne Erfolg in Behandlung der hiesigen Augenklinik. 

Am 2S. I. 1901 sollte in Narkose die Operation der Striktur 
auf der linken Seite einzeitig gemacht werden. Beim Einlegen d< s 
J u r a s z’schen Nasenspiegels trat eine ausserordentlich heftige 
Blutung ein, und zwar in Folge von Druck auf die Schleimhaut 
des Septums. Datier konnte nur die untere Muschel entfernt wer¬ 
den. Am 11. II. wurde die ganze Operation einzeilig rechts vor- 
genominen, ohne dass eine störende Blutung eintrat. Links be¬ 
stand geringe Perl-Dacryocystitis. 

21. II. Vollendung der Operation links. Die Blutung war 
diesmal ausserordentlich gering. Beiderseits wurden, wie bei d**r 
ersten Patientin, Gazestreifen durcligczogen. Die Entzündungs- 
ersebeinungen waren etwas heftiger als bei der ersten Patientin, 
gingen aber vorüber, als die Gazestreifen fortgelassen wurden. 
Boi dieser Kranken wurden nach der Operation täglich Bow- 
m a n n'scho Sonden eingelegt, weil ich glaubte, dadurch gau/. 
sicher die Neubildung einer Striktur zu verhindern. Das Sondiren 
hatte vielleicht eine gewisse Reizung zur Folge uiul beeintriicli 
tigte die Heilung: das Thränenträufeln blieb ziemlich erheblich 
und liess erst nach, als die Sondirung auf Itnth von Horm Ge- 
heimrath Loher unterlassen wurde. Ob die Entfernung der 
aooessorisclien Thriineudrüse mit der Cooper’schen Scheere dazu 
helgetragen hat, mag dahingestellt sein. 

Am 4. III. lautet der Eintrag des Journals ln der Augenklinik: 
Thränen geringer, aber noch nicht ganz vorbei. Mitte April sali 
ich die Kranke zuletzt. Das Auge war reizlos. Die B o w m n n n'- 

I 


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1404 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


sehe Sonde liess sich beiderseits gut einführen, die Nase war 
völlig reaktionslos, die Striktur zweifellos endglltig gehoben. 

Leider ging die Kranke nach auswärts. Es war nicht ’/u 
ermitteln, wo sie sich seit dem 15. Mai dieses Jahres befindet. 

Der Dienstherr, bei dem sie bis zu diesem Tage beschäftigt 
war, schrieb mir,- dass er keinerlei Augenleiden an ihr bemerkt 
habe. Daraus geht hervor, dass jedenfalls eine sehr erhebliche 
Besserung des Zustandes eiugetreten sein muss, denn ihre früheren 
Dienstverhältnisse musste sie zum Theii wegen ihres Augenleidens 
aufgeben. 

3. Junges Mädchen, seit 15 Jahren Thränenträufeln links. 
Häufig wiederkehrende entzündliche Schwellung der linken Nasen¬ 
seite. Vielfache vergebliche augenärztliche Behandlung und 
monatelange Sondirung. In den letzten Jahren Thränenträufeln 
bei kalter Witterung, dass Patientin oft wochenlang das Zimmer 
hüten musste. Mai 1900 wegen Empyem der rechten lllghmors- 
höhle Eröffnung von der Fossa canina aus. Nach Entfernung der 
linken unteren Muschel im Herbst vorigen Jahres geringe Besse¬ 
rung des Thränenträufelns. die Sonde stiess jedoch im unteren 
Thelle des Kanales auf Widerstand. Daher, wurde und zwar eben¬ 
falls unter Cocainanaesthesie ein Tlieil der Crista turbinalis fort¬ 
genommen lind der Thränennasenkanal etwa zur Hälfte gespalten. 
Seitdem ist Patientin ohne Beschwerde, das Thränenträufeln ist 
absolut beseitigt. Die früher häufig auftretende entzündliche 
Schwellung der Gegend des Thränennasenkanales ist völlig ge¬ 
schwunden. 

Die Ausführung der Operation stüsst im Allgemeinen nicht 
auf Schwierigkeiton. Wie ich mich durch vielfache Versuche 
überzeugt habe, erhält man selbst bei sehr engen Nasen genügend 
Uehcrblick, wenn man das Juras z'sche Häkchen (Spcculum), 
das an den Nasenflügel angelegt wird, etwas stärker krümmt. 
Die Blutung störte nur in dem einen Falle, in dem die Schleim¬ 
haut des Septums durch das Spcculum verletzt wurde. Da an 
der Crista turbinalis und weiter aufwärts kein Sehwellgewebe 
vorhanden ist, sondern ziemlich straff aufsitzende Schleimhaut, 
so ist auch nicht anzunehmen, dass in anderen Fällen die Blu¬ 
tung übermässig stark ist. 

Nothwendig ist, dass ein Assistent das ,J u r a s z’sche Spe- 
eulum absolut ruhig hält, und ein anderer mit Wattestäbchen 
und Gaze schnell das Blut abtupft. 

Geschieht beides in der richtigen Weise, so kann man, sei 
es nur bei indirekter Beleuchtung mit dem Reflektor, sei es bei 
direkter mit dem elektrischen Licht, das Operationsfeld gut 
übersehen und genau soviel mit dem Meissei entfernen, wie noth¬ 
wendig ist. 

Man operirt bei hängendem Kopfe oder legt, den Kopf auf 
die erkrankte Seite. — Bei einigerniaassen geduldigen Patienten 
kann man die ganze Operation unter Cocain machen. — 

Selbstverständlich liegt es mir fern, nach den bisherigen Er¬ 
fahrungen bereits ein abschliessendes Urtheil über den Werth der 
Operation zu fällen. Die Zahl der Fälle, die ich zu operiren Ge¬ 
legenheit hatte, ist noch zu gering. — Die Technik wird voraus¬ 
sichtlich noch Modifikationen erfahren, und über die Art der 
Nachbehandlung müssen weitere Erfahrungen gesammelt werden. 

Soviel scheint mir m. E. durch die vier von mir vorgenom¬ 
menen Operationen bewiesen, dass es thatsächlich auf die ge¬ 
schilderte Weise möglich ist, Strikturen des Thränennasenkanals 
zu beseitigen, ich glaube sogar, dass es immer gelingt. Ist dies 
der Fall, so leistet die Operation zum mindesten dasselbe, was 
mit der Exstirpation des Thränensackes erreicht wird und zwar 
ohne Narbe. In Fall 1 kann man wohl mit Recht annehmen, 
dass der Erfolg von Dauer sein wird, denn es ist bereits 
ein Jahr seit der Operation verflossen und völlige Vernarbung 
eingetreten. 

Eine andere Frage ist es, ob neben den übrigen durch 
die Striktur herbei geführten Krankheitserscheinungen und Be¬ 
schwerden auch das Thränenträufeln allemal gänzlich gehoben 
wird. Herr Geheimrath Leber machte mich darauf aufmerk¬ 
sam, dass das Thränen manchmal auch dann noch fortbestcht, 
wenn die Strikturen durch das Sondiron gehoben sind. Daraus 
geht hervor, dass der Abfluss der Thräncnflüssigkeit nicht allein 
von der Durchgängigkeit des Kanals abhängt, sondern auch von 
physiologisch noch nicht völlig erklärten Aspirationsbedingungen. 

In zweien meiner Fälle ist das Thränenträufeln foiige- 
blioben, im dritten (doppelseitigen) konnte das endgiltige Resultat 
nicht festgestellt werden. 

Ob man nun einzeitig operiren soll oder zweizeitig, müssen 
weitere Versuche lehren. Hat ersteres den Vortheil, dass der 
Kranke schneller aus der Behandlung entlassen werden kann, so 
ist letzteres vielleicht desshalb vorzuziehen, weil ja die Spaltung 
lies Thränennasenkanals in den Fällen nicht nothwendig ist., in 


dc-nen die Entfernung des unteren Endes der vorderen Muschel 
den Kanal wieder wegsam macht. In welchen Fällen nur die 
Hälfte des Kanals zu spalten ist, wird sieh ebenfalls erst ent¬ 
scheiden lassen, wenn grössere Erfahrungen gesammelt sind. 

Wie bei der Nachbehandlung zu verfahren ist, ob namentlich 
Sondirungen vorzunehmen sind, lässt sich zur Zeit ebenfalls noch 
nicht entscheiden. 

Endlich ist es fraglich, ob die Entfernung der accessoriscln n 
Thränendrüso von Nutzen ist, wie es in dem zweiten Fall den 
Anschein hatte. 

In der augenärztlichen Literatur fand ich nirgends eine An¬ 
deutung, dass bereits ähnliche Versuche gemacht seien. 

Dagegen gebührt K i 11 i a n - Freiburg das Verdienst, da:-, 
i er auf die Möglichkeit hingewiesen hat-, den Thränennasenknnnl 
von der Nase aus zu eröffnen. 

Im Sitzungsbericht der 6. Versammlung süddeutsch. Laryugo- 
logcn (diese Wochenschr. 1899, S. 1775; s. auch Münch, mal. 
Wochenschr. 1899, S. 1066) heisst es in der Diseussion im An¬ 
schluss an einen Vortrag von Seifert über Tuberkulose des 
Thrünennasenknnals: „Herr Killian macht darauf aufmerksam, 
dass man den Thränemiasengang von der Nase aus nach Entfer¬ 
nung der vordersten Theile der unteren Muschel mit dein neuen, 
aufwärts gekrümmten Hart man n’schen Conchotom aufbrechen 
kann, wenn eine vom Auge her eingeführte Sonde zur Führung 
dient. Bei Tuberkulose des Thränennasenganges könnte ein 
solches Verfahren gelegentlich nothwendig werden.“ 

Auf briefliche Anfrage hatte Herr Kollege Killian die 
Güte, mir im Dezember v. J. zu schreiben, dass er sich schon 
lange Jahre mit der Sache beschäftigt habe, und dass er in einem 
Falle mit dem Conchotom operirt habe. Die Heilung sei scluiell 
von statten gegangen, der Patient habe sich aber der Behandlung 
entzogen. 

Killian machte mich ferner darauf aufmerksam, dass be¬ 
reits im 18. Jahrhundert ähnliche Versuche gemacht, aber 
in Folge mangelhafter anatomischer Kenntnisse wieder aufgo- 
goben seien. 

Ich habe in einem Falle, nachdem K. mir geschrieben hatte, 
mit dem Conchotom und dom scharfen Löffel operirt. — Es han 
dclte sich um einen Mann, der neben der Striktur an einer Fistel 
am Thränenbcin litt, die ulcorirte. — Ich habe dabei den Ein¬ 
druck gewonnen, dass die Operation mit dem Meissei schonender 
und dass die Blutung geringer ist. Ist keine Caries vorhanden, 
so gleitet — an der Leiche kann man sich davon überzeugen — 
dio Zange an der Crista turbinalis ab. Man erhält daher nicht 
genügend freien Ueberblick. Auch scheint es mir von Vortheil. 
den häutigen Thränennasenknnal möglichst zu erhalten und ihn 
nur nach der Spaltung aufzurollen. — Er legt sich nach der Spal¬ 
tung: an den Knochen und verheilt. 

Ich glaube, dass die Gefahr neuer Strikturbildung durch 
Granulation grösser ist, wenn der Kanal unterhalb des Thränon- 
sacks abgekniffen, als wenn er bis in den Sack gespalten ist. — 

Die Technik meiner Operation ist ja zweifellos schwieriger, 
sie lässt sich aber bei einiger Uebung im Meissein leicht er¬ 
lernen. — 

Killian’s Vorschlag ist von augenärztlicher Seite nicht 
beachtet worden. In Rücksicht auf die Stelle, an der er erwähnt 
worden, ist dies erklärlich. — Ich selbst wurde erst durch einen 
Hinweis im Kaf e man n’schen Buch „Rhinologische Operations¬ 
lehre“, darauf aufmerksam gemacht, nachdem ich schon Fall l 
operirt hatte. 


Aus dem pathologischen Institut der Universität Greifswald. 

Ueber die Säurevergiftung beim Diabetes mellitus. 

Von Privatdozent Dr. Otto Busse, I. Assistent am Institut. 

So sehr auch unsere Kenntniss von den Anomalien des Stoff¬ 
wechsels bei Diabetes mellitus in den letzten Jahrzehnten des 
vergangenen Jahrhunderts erweitert worden ist, so wenig sind 
wir in dem Verständniss des Wesens und der eigentlichen Ur¬ 
sache dieser Stoffwechsclstörung gefördert worden. Nur soviel 
wissen wir, dass die Anschauung von Frerichs, die dieser 
hervorragende Kliniker mit in’s Grab genommen hat, dass näm¬ 
lich der letzte Grund für den Diabetes in einer Erkrankung des 
verlängerten Markes zu suchen sei, ebenso wie alle anderen 
Theorien sicher nur für einen ganz kleinen Theii der Fälle zu¬ 
trifft. Mehr und mehr bricht sieh die Erkenntnis? Balm, dass 


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?>. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1405 


manche Veränderung, wie z. B. kleine Blutungen etc. im Boden 
des IV. Ventrikels, die Frerichs als Ursache des Diabetes 
genommen hat, vielmehr wohl eiue Folge der Krankheit sei. 

Daraufhin scheint mir auch schon eine von Kussmaul 1 ) 
im Jahre 1885 gethane Aeusserung sich zu beziehen, wenn er sagt, 
dass die beim Koma auftretende Dyspnoe sich von allen anderen 
Formen von Dyspnoe dadurch unterscheide, dass die Luft auf 
dem Wege zu oder aus den Lungen auch nicht das geringste 
Hindernis» zu überwinden habe, dass Athmung und Ilerzthütig- 
keil beschleunigt sei und er folgert: „Die Dyspnoe kann nur von 
einer direkten Erregung der Atliemcentren in 
der Medulla oblongata ausgehen; sie lässt sich nicht von einer 
Sauerstoffverarmung der Atliemcentren noch von einer über¬ 
mässigen Anhäufung der Kohlensäure im Blute ableiten; sie 
muss ihre Gründe in einer Intoxikation anderer Art haben, die 
mit chemischen Störungen des organischen Haushaltes im Dia¬ 
betes in Verbindung steht. Ueber die Natur des toxischen 
Agens Hesse sich nichts Sicheres sagen. Die Acetonaemie er¬ 
kläre die Dyspnoe jedenfalls nicht. Auch das Koma sei wohl 
toxischen Ursprungs.“ 

Gerade nun dieses toxische Agens ist. in der Folgezeit der 
Gegenstand eifrigsten Studiums gewesen. Eine grosse Anzahl 
von Klinikern, ich nenne nur Naunyn, Stadelmann, 
Miukows ky, v. J a k s c h haben als eigentlich schädlich wir¬ 
kende Substanzen Säuren ermittelt, die sich in Folge mangel¬ 
hafter Oxydation im Körper anhäufen. 

Jeder, der sich für diese Frage interessirt, findet eine aus¬ 
gezeichnete Zusammenstellung über die Entwickelung der ganzen 
Lehre in der übersichtlichen Arbeit von Dr. Magnus-Levy 
(im 42. Bd. d. Arcli. f. experim. Pathol. u. Pharmakol.): „Die 
Oxybuttersäure und ihre Beziehungen zum Koma diabeticum." 
Magnus-Levy stellt darin die grosse Bedeutung der Säuren, 
speciell der Oxybuttersäure, beim Diabetes dahin fest, dass das 
Koma diabeticum geradezu als Wirkung der im Körper zurück¬ 
gehaltenen Säuren, mit anderen Worten als eine Säurevergiftung 
nnzusehen ist. Diese Beobachtungen hat er in neuester Zeit 
durch Mittheilung neuer wichtiger Untersuchungsbefunde er¬ 
härtet und erweitert, so dass wir der folgenden Schlussfolgerung ) 
beipflichten müssen: „In den tödtlich endigenden Fällen von 
echtem Koma diabeticum übersteigt die Quantität der vom 
Körper gebildeten, als Säure wirkenden Produkte die Menge der 
in den Geweben vorhandenen oder aus dem Darm resorbirten 
alkalischen Faktoren und können diese überschüssigen 
Säureinengen nicht, wie ausserhalb des Komas, «Aurcli Oxydation 
unschädlich gemacht werden. Sie entziehen den Carbonaten 
(und Phosphaten) des Blutes und der Gewebe die Alkalien und 
beeinträchtigen (wahrscheinlich) lebenswichtige Gruppen der 
Eiweissmolecüle (der Ganglien und der Körperzellen), deren nor¬ 
male, physiologische Funktion störend und vernichtend.“ 

Angesichts dieser klinischen Beobachtungen drängt sich von 
selbst die Frage auf, ob nicht diese störende und vernichtende 
Wirksamkeit der Säuren im Organismus anatomisch irgend¬ 
wie nachweisbar zum Ausdruck kommt und an der Leiche objek¬ 
tiv festgestellt werden kann. 

Magnus-Levy lässt, wie das in Klammern eingc- 
schlossene Wörtchen „wahrscheinlich“ zeigt, ebenso wie sein 
Lehrer Naunyn, die Frage unerledigt und offen, ob die dia¬ 
betische Acidosis ausser der Gefahr des Komas noch andere 
direkte schädliche Folgen haben könne, Beide sind geneigt, sie 
zu bejahen. 

Ich bin nun in der Lage, eine Anzahl von Sektionsfällen mit¬ 
theilen zu können, bei denen schwere Veränderungen des Paren¬ 
chyms, zumal der drüsigen Organe, vorliegen, die auch ihrerseits 
auf eine Vergiftung durch Säuren Hinweisen. 

Wir wurden zum ersten Male auf diesen Befund aufmerk¬ 
sam, als uns aus dem städt. Krankenhause in Charlottenburg von 
Herrn Prof. F. Grawitz die Organe eines im Koma diabeticum 
verstorbenen Kranken übersandt worden waren. In diesem Falle 
fand sich eine so gleichmässige allgemeine Trübung und Fetl- 
mt-tainorphose des gesummten Parenchyms in Nieren, Leber und 
Herz, dass wir an das Krankenhaus berichteten, dass hier 
toxische Veränderungen der Organe vorlägen und wir um Aus- 

■) Arch. f. klln. Med. Bd. 14. 

*) Adolf Magnus-Levy: Untersuchungen über die Acidosis 
Im Diabetes mellituB und die Säureintoxikation Im Coma diabeti¬ 
cum. Arch. f. exper. Path. u. Pharmak. Bd. 45, S. 389. 


kunfl darüber bäten, ob die Einwirkung einer Giftsubstanz, 
höchstwahrscheinlich einer Säure, vielleicht durch die Anamnese 
zu ermitteln sei; die Organe wiesen die Veränderungen auf, wie 
wir sie sonst nur bei Leuten zu sehen gewohnt wären, die an der 
Vergiftung mit Mineralsäuren zu Grunde gegangen wären. Die 
Möglichkeit einer solchen Vergiftung durch Zuführung einer 
Säure von aussen wurde entschieden in Abrede gestellt, wesshalb 
wir für uns die Erfahrung aus diesem Befunde herstellteu, dass 
bei dem Diabeteskranken irgend ein uns damals nicht bekannter, 
wie eine Mineralsäure wirkender Giftstoff im Körper gebildet 
seil» müsste. 

In der Folge haben wir nun diesen Befund bei Leichen von 
im Koma diabeticum verstorbenen Kranken in mehr oder minder 
ausgeprägter Form wieder angetroffen, so dass ich nicht anstehe, 
diesen Befund bis zu einem gewissen Grade als „typisch“ zu be¬ 
zeichnen. 

Im Folgenden lasse ich kurz die • Krankengeschichte und 
einen Auszug aus dem Sektionsprotokoll von drei tödtlich ver¬ 
laufenen Fällen von schwerem Diabetes mellitus folgen. 

Fall 1 betrifft die 30 jährige Arbeitersfrau S., die au 
Katarakta di a bet. iutumescens auf der hiesigen 
Universitäts-Augenklinik behandelt wurde. 

Die Patientin bemerkte vor 3 Monaten eine Abnahme des Seh¬ 
vermögens für die Ferne und für die Nähe auf dem linken Auge. 
Patientin sah Alles wie durch einen Schleier. 4 Wochen später 
erkrankte auch das rechte Auge unter denselben Symptomen. All¬ 
mählich erlosch das Sehvermögen auf dem linken Auge ganz, 
8 Tage später auch auf dem rechten Auge. Seit einem Jahr 
Diabetes mellitus mit Polyurie und Polydipsie, reichlichem Appetit 
und guter Verdauung. Seit dem Auftreten des Diabetes ist Put. 
stark abgemagert und matt geworden. Im Herbst hat sie den 
Arzt desswegen consultirt und etwa 8 Wochen lang Kartoffeln ge¬ 
mieden aber Brod gegessen. Die Abmagerung ist weiter vor¬ 
geschritten. 

Bei der Aufnahme ln die Greifswalder Unlversltäts-Augen¬ 
klinik ist die Frau blass und sehr mager, mit trockener, ab- 
schülfernder Haut, Acetongeruch aus dem Munde. Innere Organe 
sind ohne nachweisbare Veränderung. 

Augen blass und reizlos. Tonus bulbi normal. Vorder¬ 
kammern beide Hach, Pupillen mittelweit, reaglren gut auf Licht.. 
Linsen sind hauptsächlich in den centralen Theilen getrübt, zeigen 
aber auch in der peripheren beginnende Trübungen. Schlagschatten 
noch vorhanden. 

Ophthalmoskopisch kein rothes Licht. Lichtschein und Pro¬ 
jektion in Ordnung. 

Nase: starke Ozaena mit Borkeubildungeu. 

U r 1 n b e f u n d: Menge 5«KJ0 ccm in 24 Stunden, Farbe stroh¬ 
gelb, obstartiger Geruch; kein Elweiss, aber Zucker 7 Proc. Aceton¬ 
reaktion positiv. 

Ordination: Absolute Fleischdiät mit Grahambrod für 
3 Tage. Getränk: Selterwasser, schwarzer Kaffee. 

12. 1. Patientin klagt über Kopfschmerzen in der Nacht. 
Natr. bicarb., Morphium. 

13. 1. Etwas Dyspnoe, Kopfschmerzen, Patientin ist schwer 
besinnlich. Puls über 100. Milchmehlsuppe, reichlich Natr. bicarb. 
Nachmittags reichliche Harnentleerung, Abends ausgebildetes 
Koma. 

14. I. In der Nacht katheterlslrt, Morgens ist die Blase leer, 
es erfolgt der Exitus letalis. 

Aus dem Sektionsprotokoll der überaus mageren Leiche sei 
hier kurz Folgendes hervorgehobeu: 

Die Oberfläche des Herzens ist zart, grau durchscheinend und 
glänzend. Unterhalb und oberhalb der Krauzfurche finden sich 
am rechten Herzen vereinzelte dunkelrothe bis blaurotlie, runde, 
Uber linseugrosse Flecken (Petechien;. Die Grösse des Herzens 
stimmt ungefähr mit der Grösse der Faust der Leiche überein; 
neben den Kranzarterien eine sehr dünne Lage gelben Fettgewebes. 
Bel der Eröffnung des rechten Vorhofes entleert sieh eine Menge 
dunkelblaurothen Blutes, aus dem rechten Ventrikel fliesst eine 
miisslge Menge schaumigen Blutes. Die Atrioventrieularklappeu 
sind für 2 Finger bequem durchgängig. Die arterielleu Klappen 
schliessen auf Wassereinguss. Die Musculntnr des Herzens Ist 
schlaff, röthlich. 

Lungen zeigen keine pathologischen Veränderungen. 

Die Milz misst 13:0:3,5 ein, Ist von derber Konsistenz, glatter 
Oberfläche, graurotlier Farbe. 

Die linke Niere ist 13 em lang, 0 cm breit und 3,5 cm dick. 
Die Capsula fibrosa lässt siel» nur uuter thellwelsem Substanz¬ 
verlust abzlehen. Sonst ist die Oberfläche glatt, grauroth gefärbt 
und gleiclimässlg stark getrübt. Die Niere fühlt sich weich au. 
Die Marksubstnnz ist dunkler roth gefärbt als die Rinde, diese Ist 
fast 1 cm breit und auch auf dem Durchschnitt opak. Das Nieren¬ 
becken Ist ohne Veränderung. 

Die rechte Niere ist ungewöhnlich brüchig, auch Ist die Kapsel 
der Niere am Hilus adhaerent. Die Konsistenz ist welch. Die 
Niere misst 12,5:0:3,5 cm. Die IUndeusubstanz ist hellgrau roth 
und trübe, fast 1 cm dick, die Marksubstanz dunkelgraurotli und 
ebenfalls trübe. 

Die Leber ist brüchig, hellbraun, aussen spiegelnd glatt und 
glänzend, sic Ist 20 cm laug, 13 cm breit und 7 cm dick, sie Ist 

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1406 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 34. 


weich, schneidet sieh leicht, Liippchenzeichnuug ist undeutlich. 
Blut fliesst reichlich über die Schnittfläche. 

Am Gehini sind Veränderungen makroskopisch nicht wahr- 
/.unehmeu. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung findet 
sieh eine besonders starke Veränderung in den Nieren.. Alle ge¬ 
wundenen Harnkanälchen sind intensiv getrübt. Die Trübung 
bleibt zum grossen Theil auch bei Zusatz von Natronlauge bestehen. 

Auch im Herzen findet sich eine diffus verbreitete Trübung 
mit Uebergaug in Fettmetamorphose. 

Fall 2. 52Jähriger Arbeiter G. 

Patient fühlt sich seit G Jahren krank, indem er am ganzen 
Körper stets ein Prickeln wahrnimmt und an Körpergewicht ver¬ 
liert, er wog früher 140 Pfund, jetzt dagegen nur UM) Pfund. Im 
März 11)00 bemerkt Patient starke Trockenheit und einen süss¬ 
liehen Geschmack im Munde. Von den consultirten Aerzteu wird 
ihm fette Fleischnahrung verordnet. An der rechten Seite des 
Halses unterhalb des Ohres hatte Patient schon seit einem halben 
Jahre Brand- und Hitzegefühl. Seit dem 15. IV. 1001 bemerkt er. 
dass sich an dieser Stelle plötzlich eine dicke Geschwulst bildete, 
so dasH er weder rotirende Bewegungen, noch Beugebewegungen 
mit dem Kopfe machen, noch auch den Mund weit öffnen konnte. 
Er lässt sich desshalb am 25. IV. 1901 in die chirurgische Klinik 
zu Greifswald aufnehmen, wo bei dem nbgemagerten. blass aus¬ 
sehenden Manne viel Zucker im Urin gefunden wird. Die Ge¬ 
schwulst unter dem Ohre ist etwa gänseeigross, reicht bis 4 cm 
unter den Kieferwinkel herunter und lässt sich vom Kiefer deut¬ 
lich abgrenzen; Haut über dem Tumor ist nicht geröthet. Ober¬ 
fläche ist glatt, auf Druck sehr schmerzhaft, sehr starkes Oedcni 
der Umgebung. Fluktuation nicht sicher, rechte Achseldrüse g>*-' 
schwollen. 

Am 30. IV. Ist die Fluktuation deutlich, der Abscess wird in 
( ’hloroformnarkose gespalten und daraus werden käseartige Massen 
entleert. Jodoformgazetamponade. 

Nachmittags Collaps, der sich gegen Abend steigert. Puls 
nicht fühlbar, Herztöne leise. Patient schläft fortwährend, öffnet 
nur bei Anrufen die Augen und klagt über Schmerzen. 

1. V. Collaps hält au. 

2. V. Exitus letalis. 

Urinmengen betrugen am 20.—27. IV. 5750 ccm, am 27—28. IV. 
3920.ccm, am 28.—29. IV. 4170 ccm, am 29—30. IV. 3810 ccm. 

Im Perikard liegt über dem Conus arteriosus ein Schnenfleek 
von 2 cm Breite und 1.5 cm Länge. Die rechte Vorkammer enthält 
50 ccm Cruor, der rechte Ventrikel ist leer. Die linke Vorkammer 
enthält etwa 20 ccm, der linke Ventrikel Ist leer. Der Klappen- 
apparat Ist funktionsfähig. Der Herzmuskel hat eine rothgellx; 
Farbe und sieht etwas opak aus. Das Herz ist 9 cm lang, Aorta 
8 cm breit, Endokard und Klappen sind zart und intakt. 

In beiden Lungen findet sich ein gewisser Grad von Hypo¬ 
stase, in der linken ausserdem einige broncho-pneumonisehe Herde. 
Die Milz misst 11:7,5:2.5 cm. Die Kapsel ist durchscheinend und 
glatt, Parenchym grauroth, von der glatten Schnittfläche ist nur 
wenig Pulpa abzustreichen. 

Die linke Niere misst 11:7:2,5 cm. Capsula flbrosa Ist leicht 
abzuzieheu, die 01>errtäche ist im Ganzen glatt, zeigt nur einige 
grauweisse, narbige Einziehungen. Die Itinde ist gleichmiissig 
opak, die Marksubstanz sieht bräunlichroth aus. Die rechte Niere 
misst 12:7:2,5 cm. Auch sie zeigt einige grauröthlich gefärbte 
leichte Einziehungen, sonst ist auch hier die Kinde auffallend opak. 
Die ganze Niere sieht geradezu wie gekocht aus. 

Die Leber misst 24,5:21:9,5 cm und zeigt an der Oberfläche 
kleine, matt aussehende, nicht durchscheinende Flächen von grau- 
weisser Farbe, sonst ist die Oberfläche glatt. Die Farbe der Leber 
ist braunroth. Die Acinuszeichnung ist nicht recht deutlich er¬ 
kennbar. Konsistenz ist fest, das Parenchym scheint transparent. 

Das Gehirn lässt keine Abweichungen von dem normalen Be¬ 
funde erkennen. 

Auch hier findet sich bei mikroskopischer Untersuchung eine 
ganz schwere, gleichmiissig ln allen Harnkanälchen verbreitete 
Trübung, die bei Natronlaugezusatz bestehen bleibt. 

Das Herz zeigt vorgeschrittene Trübung und Fettmetamor- 
pliose, die ziemlich gleichmässig und diffus in allen Muskelfasern 
vorhanden ist. 

F all 3. 54 jiihr. Mann. Diabetischer Carl) u n k e 1. 

Patient hat einmal eine Lungenentzündung durchgemacht, ist 
sonst stets gesund gewesen. Seit dem 10. VI. bemerkte er eine 
sich vergrössernde Schwellung in der linken Nackengegend, di»* 
nach einigen Tagen aufbrach und Eiter entleerte, trotzdem nahmen 
die Schmerzen zu; ein hinzugezogener Arzt machte Ineisionen und 
rieth zur Aufnahme in die Greifswalder chirurgische Klinik. Hier 
wird bei dem kleinen gutgenährten Patienten ein riesiger Carbunkcl 
an der linken Halsseite festgestellt, Polyurie, Polydipsie. Zucker¬ 
gehalt des Urins 5,75 Proc., Aeetonurie, spec. Gewicht 1038. 
Eisenchloridreaktion positiv. 

Am 20. VI. wird wegen drohenden Komas ohne Narkose eine 
tiefe Längsineision und 3 Querschnitte gemacht. Wenig Eiterent¬ 
leerung, auf dein Durchschnitt starke Eiterinfiltration im nekro¬ 
tischen Gewebe. Täglich 40 ccm Natr. bicarb. per os. Stuhlgang 
angehalten. 

27. VI. Harnmenge 3<MK) ccm, spec. Gewicht 1034. 1,87 Proc. 
Zucker. 

Verdacht auf Koma steigt wegen fortgesetzt positiver Eisen- 
ehloridreactiou. Starker Acetougeruch. Patient klagt über 
schweres Athemholen, Gefühl von Benommenheit. 


Nachmittags Durchfälle. Putieut. ist apathisch und verliert 
mehr und mehr das Interesse für seine Umgebung. 

28. VI. Nacht war ruhig. Schlaf mit wenig Unterbrechungen 
gut. Aeetonurie. Die ersten Anzeichen der „grossen Athmung" 
treten auf, tiefes Aufseufzen. 

Intravenös werden 400 ccm einer 3 proc. Natr. bicarb.-IÄisung 
iujleirt. nachdem vorher 100 ccm Blut durch Aderlass entzöget) 
sind. Gegen Abend schlechtes Allgemeinbefinden bei völliger 
Klarheit. Puls klein, Kampherinjektion. 

Nachts um 1 Uhr Exitus letalis. 

Sektion am 29. VI. Der Herzbeutel enthält etwa 5 ccm klarer, 
heller Flüssigkeit. Das Perikard ist spiegelglatt und glänzend. 
Die Klappen funktionlrcu ordnungsgemäss. Das Herz ist 11,5 ein 
lang, die Aorta 8 cm breit. Der linke Ventrikel ist 18 mm. » 1 er 
rechte 7 mm dick, das llerzfloiseh sieht braunroth und etwas trübe 
aus, ist schlaff. Unter dem Endokard des linken Ventrikels sieht 
man zahlreiche fiohstiehartige Blutungen. Auch unter dem Peri¬ 
kard finden sieh einige punktförmige Blutungen. Die ltäuder der 
Klappen sind zart und intakt, um die Basis derselben sieht mau 
vielfach kleine, liäeheuartige. weisse Verdickungen. Mikroskopisch 
findet sich in der Museulatur beider Ventrikel diffus verbreitete 
Trübung, vielfach mit Uebergaug in Fettmetamorphose. 

Beide Lungen Zeigen an den freien Kündern etwas Emphysem, 
im rechten ITiterlappen findet sich ein massiger Grad von Hypo¬ 
stase und Ateleetase. 

Milz ist 13: 5.5: 3 ein gross, ihre Kapsel grauwelss. nicht durch¬ 
scheinend, runzelig. Schnittfläche ist glatt. Konsistenz raässis: 
weich. 

Die linke Niere ist von einer fast 2 cm dicken Fettkapsel Uber- 
kleidet. Aus der Capsula fibrosa lässt sie sich leicht und ohne 
Substnnzverlust hernussehülen. 

Die Oberfläche zeigt nur einzelne flach eingezogene Stellen, Un 
alter sonst glatt. Die linke Niere misst 12:5,5:4,3 cm, die Rinde 
misst 9 mm; ist gleichmässig opak und sieht wie gekocht aus. 
Die Marksubstauz ist nur wenig dunkler als die blutreiche Rinde 
und ist. ebenfalls trübe. Die Papillen sind etwas blasser als die 
Basis der Pyramiden. Die rechte Niere ist ebenfalls von einer ge¬ 
waltigen Fettkapsel umgeben, sie misst 11,5:0,5:4 cm. Die Ober¬ 
fläche zeigt, einige flache Narben, siebt opak aus und hat eine grau- 
rothe Farbe. Auf dem Durchschnitt misst die Rinde 10 mm. 

Der Magen zeigt einen massigen Katarrh und zahlreiche Blu 
tungen in der Schleimhaut. 

Die Leber hat eine glatte Oberfläche und rothbraune Farbe 
mit einem Stich in’s Gelbliche. Sie sieht opak aus, besonders auf 
der Schnittfläche, auf der eine Acinuszeichnung nicht zu erkenntn 
ist. Die Leber misst 20:19:8 cm, die Schnittfläche reisst und 
bricht beim Emporhoben der Leiter ein. Konsistenz fest. 

Im Gehirn ist makroskopisch keine Veränderung nachzu- 
weiseu. 

Die mikroskopische Untersuchung zeigt wieder eine diffus ver¬ 
breitete Trübung und Fettmetamorpliose des Parenchyms im 
Herzen und den Nieren, ebenso findet sich auch das Leber¬ 
parenchym gleichmiissig getrübt, die Trübung hellt sich hei Zusatz 
vou Natronlauge zum grössten Theile auf. Nur kleiue. unregel¬ 
mässig gestaltete und gelagerte Bezirke der Aclul sind frei vou 
Trübung. 

Wir sehen in den vorstehend beschriebenen Füllen, bei denen 
im Verlaufe eines schweren Diabetes mellitus zum Theil bei 
deutlich ausgebildetem Koma der Tod eingetreten ist, als ge¬ 
meinsame Veränderung die schwere Parenchymdegeneration in 
Nieren und Herzen und zum Theil auch in der Leber — leider 
fehlt bei 2 Fallen eine Notiz über den mikroskopischen Befund 
in der Leber. Die Trübung ist so schwer, so umfangreich und 
so diffus verbreitet, dass die Organe, zumal die Nieren, geradezu 
wie gekocht aussehen und in der Sektionsdiagnose die Vor- 
j änderungon direkt als Nephritis parenehymatosa toxica be¬ 
zeichnet worden sind. 

Es fragt sieh nun, wie diese Veränderungen zu erklären 
sind. Hätte man den letzten Fall allein, so könnte man die¬ 
selben vielleicht auf den Carbunkel beziehen und als septisch 
deuten, wenngleich der klinische Verlauf keineswegs für eine 
schwere Sepsis spricht. Allein der erste Fall und der oben er¬ 
wähnte, uns von auswärts übersandte, bei denen keinerlei Eite¬ 
rungen Vorgelegen haben, zeigen die gleichen Veränderungen und 
ich glaube, man kann sich dem Eindrücke nicht verschliessen, 
das.-, die gleichartigen Schädigungen in den angegebenen Füllen 
auf gleichartige Ursachen zu beziehen sind und als eine Folge 
der beim Diabetes mellitus bestehenden Stoffweehselanomalien 
angesehen werden müssen. Das Aussehen von Nieren, Herz und 
Leber spricht dafür, dass Giftsubstanzen, die ähnlich schädigend 
wie diluirt-o Mineralsäuren wirken, im Körper gekreist haben. 

Nun wissen wir aus den Untersuchungen von Magnus- 
Levy, Kraus u. A., dass beim Diabetes Säuren, vor Allem die 
i -Oxybuttersäure in so grossen Mengen gebildet wird, dass 
i schliesslich die Alkaleseenz der Organe und des Blutes dadurch 
j aufgehoben wird und die Säuren frei und ungebunden im Orga- 
1 nismus zu finden sind. Es ist festgestellt, dasa gerade die 


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3. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1407 


ß -Oxybuttersäure aus dem Blute - und den Organen von Dia¬ 
betikern in Mengen (es handelt sich dabei um hunderte von 
Grammen) extrahirt werden kann, die vollkommen ausreichen, 
den Tod herbeizuführen. Es ist desshalb in hohem Maasse wahr¬ 
scheinlich, dass die schweren Organveränderungen die direkte 
Folge der Giftwirkung der im Organismus gebildeten Säuren 
sind, dass das Koma und auch der Tod bei Diabetes mellitus 
direkt als eine Säurevergiftung aufgefasst werden muss. 

Immerhin ist auffällig, dass man auf diese Verhältnisse 
nicht früher so geachtet und die Veränderungen geradezu als 
toxische erkannt hat. F rerichs*) erwähnt in seiner be¬ 
rühmten Monographie die Veränderungen in den Nieren, der 
Leber und dem Herzen als einer zwar nicht seltenen, jedoch 
keineswegs regelmässigen Komplikation, führt allerdings auch 
mehrere Fälle an, bei denen diffuse schwere Trübungen der 
Nieren Vorgelegen haben. Ich halte aber für sehr wahrscheinlich, 
da88 man diese Parenchymveränderungen öfter findet, wenn man 
direkt auf sie fahndet und die Organe in allen vorkommenden 
Fällen mikroskopisch untersucht. Erst hierdurch wird man viel¬ 
fach auf die Schwere der Erkrankung aufmerksam. 

Ich halte auch nicht für unmöglich, dass sich bei systema¬ 
tischer eingehender Untersuchung auch sogar in der Medulla 
oblongata anatomisch die durch die Säuren bewirkte Reizung 
wird nachweisen lassen. Vielleicht tragen diese Zeilen dazu bei, 
das verlängerte Mark in diesem Sinne zu untersuchen und so 
auch eine anatomische Unterlage für das Koma diabeticum zu 
schaffen. Ich für meine Person werde keinesfalls verabsäumen, 
in allen vorkommenden Fällen diese Untersuchung vorzunehmen. 
In den oben beschriebenen Fällen ist dies leider noch nicht ge¬ 
schehen. 

Trotzdem habe ich dieselben veröffentlicht, weil die Organ¬ 
veränderungen gerade durch die neuesten klinischen Unter¬ 
suchungen verständlich und erklärt werden und weil sie anderer¬ 
seits, wie die Probe auf das Exempel, so einen anatomischen Be¬ 
weis für die Richtigkeit der klinischen Beobachtung bilden, 
dass der Körper durch die beim Diabetes mellitus gebildeten 
Säuren schwer geschädigt wird, dass der Tod beim Diabetes 
mellitus bezw. beim Koma diabeticum thatsächlich als eine 
Säurevergiftung aufzufassen ist. 


Aus dem bakteriologischen Laboratorium der Universitäts- 

Frauenklinik (Prof. Dr. Döderlein) in Tübingen. 

Experimentaluntersuchungen über Händedesinfektion. 

Von 

Dr.phil. et med. Th. Paul und Dr. med. 0. Sarwey, 
a. o. Professor für analytische a. o. Professor u. Assistenzarzt 
and pharmaceutische Chemie. a. d. Univ.-Frauenklinik. 

VH. Abhandlung, 

Bakteriologische Prüfung der Hände nach vorausgegangener 
Desinfektion mit Quecksilberverbindungen, mit besonderer 
Berücksichtigung der modernen physikalisch-chemischen 

Theorien. 

I. Die Desinfektion der Hände nach P. Fürbringer. 

L Geschichtliches. 

Nachdem durch Robert Koch die desinficirendo Wirkung 
des Quecksilberchlorids entdeckt worden war, benutzte man 
dasselbe zunächst in der Weise zur Händedesinfektion, dass die 
Haut nach gründlicher Reinigung mit warmem Wasser, Seife 
und Bürste kurze Zeit mit einer 1 prom. wässerigen Sublimat¬ 
lösung gebürstet wurde. Besonders waren es Kümmell und 
Förster, welche in der Mitte der achtziger Jahre die Brauch¬ 
barkeit dieser Methode durch eingehende Experimentalunter¬ 
suchungen nachzuweisen suchten und zu dem Resultat gelangten, 
dass die Hände auf diese Weise, wenn auch zu¬ 
weilen schwierig, so doch vollkommen sicher 
desinficirt werden könnten. Da diese Untersuchungen 
in jüngster Zeit von anderer Seite ausführlich besprochen worden 
sind *), wollen wir hier nicht noch einmal auf dieselben ein- 
gehen, doch sei darauf hingewiesen, dass die Beweiskraft der im 
Uebrigen den praktischen Verhältnissen recht gut angepassten 

*) Ueber den Diabetes. Berlin 1884. 

’) Vergl. G. Gottstein: Beobachtungen und Experimente 
über die Grundlagen der Asepsis. Beiträge zur klin. Chirurgie 25, 
372fT. 1899. 

No. 36. 


Versuche aus verschiedenen Gründen mangelhaft ist. Einmal 
benutzten diese Experimentatoren Nährgelatine, welche sich zur 
Züchtung von Hautkeimen bei Zimmertemperatur nur wenig 
eignet ’), dann war die Art der Keimentnahme nicht zweckent¬ 
sprechend und schliesslich wurden unkontrolirbare Mengen der 
Desinfektionsflüssigkeit auf die Nährböden übertragen. Letzteres 
war besonders bei den Versuchen Kümmell’s der Fall, welcher 
die Hände „direkt mit dem Desinficiens befeuchtet in die Nähr¬ 
gelatine einpre6ste“ *). 

Im Jahre 1888 veröffentlichte P. Fürbringer, welcher 
sich schon im Winter 1884/85 mit Händedesinfektionsversuchen 
beschäftigt hatte, eine Abhandlung: „U ntersuchungen 
und Vorschriften über die Desinfektion der 
Hände des Arztes“, in welcher die Versuche beschrieben 
sind, auf Grund deren er seine Händedesinfektionsmethode aus¬ 
arbeitete. Er stellte an die Händedesinfektion wesentlich 
schärfere Anforderungen wie Kümmell und F o r s t e r, in¬ 
dem er bei der Prüfung sein Augenmerk hauptsächlich auf die 
Unternagelräume richtete, diese mit Hilfe dünner, rauher Draht¬ 
stifte auskehrte und letztere in das Reagensglas mit flüssig 
gemachter Gelatine fallen liess, in welcher sie agitirt wurden. 
In Folge dessen erhielt er auch nicht so günstige Resultate wie 
die erstgenannten Autoren. Ferner machte er als einer der 
Ersten darauf aufmerksam, dass es bei der Händedesinfektion 
nicht nur auf die bakterientödtende Wirkung der Desinfektions¬ 
lösungen ankomme, sondern „dass noch ganz andere Faktoren, 
als die Concentration der antiseptischen Lösung am Desinfek- 
tienseffekt betheiligt sind bezw. selbst die bestimmende Rolle 
spielen können“. So fand er „dass stärker concentrirte Karbol- 
und Sublimatlösungen bei der Reinigung der Hände gar nicht 
selten Pilze von einer Widerstandsfähigkeit am Leben gelassen 
hatten, welche bei der Kontrole durch minder stärkere Concen- 
trationsgrade abgetödtet worden waren, bezw. bei der Behandlung 
mit gradatim abgestuften Lösungen als ungemein gebrechliche 
Lebewesen 6ich charakterisirt hatten“. Eine besonders wichtige 
Rolle beim Händedesinfektionsprocess schrieb er zunächst der vor¬ 
bereitenden Bearbeitung der Haut und Unternagelräume mit 
Seife, „zumal solcher mit freiem Alkali in warmer wässriger 
Lösung“ zu. „Ganz abgesehen von der groben Wegnahme des 
Schmutzes bezw. der anklebenden Keime schafft sie durch Ent¬ 
fernung des fettigen Hautsekrets, welches die zur Tödtung der 
Keime erforderliche Adhaesion der antiseptischen Lösungen nicht 
zulässt, für das Haften der letzteren an der Oberhaut günstige 
Bedingungen.“ Leider musste er sich überzeugen, dass auch die 
Waschungen mit stark alkalischen Seifen, ja selbst mit verdünn¬ 
ter Kalilauge „nur unvollkommen den Unternagelraum zur nöthi- 
gen Kontaktwirkung zwischen Mikroorganismen und Desinficien- 
tien vorzubereiten vermochten“, und nach vergeblichen Versuchen, 
„durch Aether oder andere stark fettlösende Substanzen (Chloro¬ 
form und Benzin) der Epidermisauskleidung des subungalen 
Raumes diejenige Fettmenge zu entziehen, welche einer kurzen 
Seifen- bezw. Alkalibehandlung getrotzt hatte“, kam P. Für- 
b r i n g e r auf den Gedanken, „zwischen Aether und antisep¬ 
tische Lösung ein Mittelglied einzuschalten, welches, in beiden 
löslich, die erforderlichen Adhaesionsverhältnisse herzustellen be¬ 
sonders geeignet schien“, und wählte hierzu den A1 k o h o L 
Wie der Erfolg lehrte, wurde mit der Ein¬ 
führung des Alkohols in die Händedesinfek- 
tionspraxis durch P. Fürbringer zweifellos 
ein ganz entscheidender Schritt nach vor¬ 
wärts gethan, mochte der Alkohol alsVorberei- 
tung für das chemische Desinficiens (P. Für¬ 
bringe ris Methode) oder als alleiniges Des¬ 
infektionsmittel dienen (Reinicke). Nachdem 
P. Fürbringer erkannt hatte, dass die Waschung mit Aether 
ohne Nachtheil weggelassen werden konnte, stellte er folgende 
Versuche an, auf welche wir hier etwas ausführlicher, ja zum 
Theil im Wortlaut eingehen müssen, weil nur dadurch eine sach- 
gomässe Beurtheilung seiner Resultate möglich ist. 

„Erste Versuchsanordnung: Mechanische Reinigung der 
Nägel, Bearbeitung der Finger mit warmem Seifen- 
wasser und Bürste für eine Minute, Eintauchen oder 


*) Vergl. Th. Paul und O. Sarwey: Experimentalunter¬ 
suchungen über Händedesinfektion. Münch, med. Wochensehr. 
1900, No. 30. 

*) Deutsch, med. Wochenschr. 12, 556. 1886. 

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1408 


MUENCnENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 33. 


Waschen derselben in Brennspiritus für dieselbe Zeit und 
sofort folgende Spülung in 3 proc. Karbol- oder 1—2 prom. 
Subliniatlösung für gleichfalls eine Minute, Abtrocknen 
mit reinem Handtuch, Aussaat der Abschabsei von den sub¬ 
ungualen Räumen. Von 16 derartigen Versuchen resultirten 
14 mal keine einzige Kolonie, 1 mal 5 derselben 
(Sublimatwaschung), lmal 6 (Karboldesinfektion).“ 

„Eine zweite Versuchsanordnung prüfte die Frage, ob nicht 
vielleicht der Haupteffekt der direkt antiseptischen Wirkung dem 
Spiritus zuzuschreiben sei. Zu diesem Behufe wurde die rechte 
Hand nur mit Seife behandelt, und 2 Finger der linken Hand 
ausserdem mit Alkohol *), 2 andere mit diesem und Sublimat und 
der fünfte endlich nur mit letzterem behandelt.“ 

Deeinfektionserfolg: 

des 1. Versuches des 2. Versuches 


SeifenwaBchung .... 62 Keime ca. 700 Keime 

Seife, Alkohol. 6 „ 268 „ 

Seife, Alkohol, Sublimat 0 „ 0 „ 

8eife, Sublimat. 9 „ ? (nicht notirt) 


des 3. Versuches 

8eifenwaschung. 250 Keime 

Seife, Alkohol. 9 „ 

Seife, Alkohol, Sublimat 4 „ 

Seife, Sublimat.. 143 „ 


des 


4. Versuches 
35 Keime 


5 


„Trotz des — offenbar auf Fehlern der Technik beruhenden — 
Widerspruches im 4. Versuche lehrt diese Reihe jedenfalls, dass 
der Alkohol im Verein mit der Seife im Stande ist, eine erheb¬ 
liche Reduktion der Mikroorganismen im Unternagelrauin durch 
direkte Tüdtung zu veranlassen, das eigentlich Desinfizirende 
indess die Sublimatlösung ist, ferner, dass die letztere ohne Mit¬ 
wirkung des Alkohols in der Zeiteinheit relativ Dürftiges zu 
Stande bringt. Auf eine Berechnung der Durchschnittswerte 
verzichten wir aus Anlass der spärlichen Zahl der Versuche, deren 
rein mechanischem Charakter wir sonderlichen Beschäftigungs¬ 
reiz nicht abzugewinnen vermochten. Möglich, dass eine weitere 
Fortsetzung die Resultate erheblich verschoben hätte; am Gesetz 
wäre nichts Wesentliches geändert worden.“ 

„Eine dritte Versuchsreihe galt der Ventilation der Frage 
nach dem Antheil der Seifen Wirkung bei Verwendung des Alko¬ 
hols am Desinfektionsresultat. Es wurde hier ganz entsprechend 
der vorstehenden Versuchsanordnung verfahren; stets dienten 
gleich infizirte Finger als Substrat des Vergleiches.“ Es lieferte: 



im 1. 

2. 

3. 

4. Versuch 

Alkohol, Sublimat 

202 

31 

0 

42 Kolonien 

Seife, Alkohol, Sublimat 

0 

2 

1 

0 „ 


„Auch hier wieder ein innerhalb der Fehlerquellen liegender 
Widerspruch im 3. Versuch, der nicht hindern darf, die inte- 
grirende Eigenschaft der Seife anzuerkennen. Ueber die Frage 
nach ihrer Rangstellung dem Alkohol gegenüber, mit anderen 
Worten, ob bei nothwendig schleuniger Desinfektion der Hände 
dem Seifen- oder Alkoholbad der Vorzug zu geben sei, können 
unsere wenig zahlreichen Versuche nicht entscheiden. Eine Ab¬ 
kürzung des Verfahrens durch Verwendung sublimathaltigen 
Alkohols hat sich nicht bewährt.“ . 

„Endlich haben wir es uns in einer vierten Versuchsreihe an¬ 
gelegen sein lassen, die Wirkungen des Alkohols als desinfektions- 
befördemden Mittels am bakterienstrotzenden isolirten Nagel¬ 
schmutz zu illustriren, und namentlich zu zeigen, dass bei einiger- 
maassen dichter Beschaffenheit des letzteren eine Desinfektion 
ohne Alkohol in annehmbarer Zeit trotz relativ concentrirter anti¬ 
septischer Lösungen geradezu unmöglich ist.“ Aus 3 weiteren Ver¬ 
suchen, welche in der W T eise angestellt wurden, dass der mit Nadeln 
zertheilte Nagelschmutz einmal direkt eine Minute lang in eine 
1 prom. wässrige Sublimatlösung und ein anderes Mal zunächst 
eine Minute lang in Alkohol und dann ebenso lange in die Subli¬ 
matlösung gelegt wurde, ging hervor, dass nach der alleinigen 
Behandlung mit Sublimatlösung zahlreiche (bis zu 2000) Keime 
lebensfähig geblieben waren, während durch das vorherige Ein¬ 
legen in Alkohol mit nachfolgender Sublimatbehandlung alle 
Keime abgetödtet wurden. Dass nicht der Alkohol das allein des¬ 
infizirende Agens war, schloss P. Fürbringer aus einem Ver¬ 
such, in welchem der Nagelschmutz nur mit Alkohol behandelt 
wurde und 265 Kolonien aufkeimten. 


4 ) Diesen Ausdruck gebraucht P. Fürbrlnger „im weiteren 
Sinne“, um überhaupt stärkere Sorten des Aethylalkohols, etwa 
von 80 proc. aufwärts, anszudrticken. 


Aus vorstehenden Versuchen zog P. Fürbringer den 
Schluss, dass „bei Zuhilfenahme von Alkohol unter der Form 
des gewöhnlichen Brennspiritus mit einer an Sicherheit gren¬ 
zenden Wahrscheinlichkeit die vollständige Keimfreiheit 
unserer Hände erreicht werde, gleichgiltig, in welchem Zu¬ 
stande der Infektion sie sich befinden, innerhalb 3—4 Minuten 
bei Verwendung von 3 proc. Karbolsäure oder besser 2 prom. 
Sublimatlösung“. Die von ihm gegebene Vorschrift zur Hände¬ 
desinfektion lautet. 

„1. Die Nägel (ein Kürzen derselben ist nicht unbedingt noth¬ 
wendig) auf trockenem Wege von eventuell sichtbarem Schmutze 
befreit, 

2. die Hände eine Minute lang allenthalben mit Seife und 
recht warmem Wasser gründlich abgebürstet, insbesondere die 
Unternagelräume bearbeitet, 

3. ebenfalls eine Minute lang in Alkohol (nicht unter 
80 Proc.) gewaschen und darauf sofort, vor dem Abdunsten des¬ 
selben, 

4. in die antiseptische Flüssigkeit (2 prom. Sublimatlösung 
oder 3 proc. Karbolsäure) gebracht und mit dieser gleichfalls 
eine Minute lang gründlich bearbeitet.“ 

Diese Untersuchungen Fürbringe Fs wurden in um¬ 
fassender Weise von Paul Landsberg*) in der Neisser’- 
schen dermatologischen Klinik in Breslau nachgeprüft. Zunächst 
konstatirte er, dass Fürbringer durch seine eigenen Versuche 
einen Beweis dafür nicht erbracht habe, dass nach seiner 
Methode „m it einer an Sicherheit grenzenden 
Wahrscheinlichkeit die vollständige Keim¬ 
freiheit unserer Hände, gleichgiltig, in wel¬ 
chem Zustande der Infektion sie sich befin¬ 
den, erreicht werde“. P. Landsberg begründet diesen 
Einwurf mit folgenden Worten: „Es werden 24 Waschungen mit 
Seife, Alkohol und Sublimat aufgeführt, von denen 18 voll¬ 
kommene Sterilisirung erzeugten, 6 je 1—6 Kolonien übrig Hessen. 
Die Beweiskraft dieser Zahlen schränkt F ürbringer selbst 
noch ein durch die Beurtheilung zweier Versuchsreihen, welche 
er angestellt hat und aufführt, um den Antheil der einzelnen 
Komponenten seiner Desinfektionsmethode am Erfolg derselben 
zu illustriren. In jeder dieser Reihen von je 4 Versuchen steht 
nämlich einer dieser Versuche im Widerspruche zu den anderen 
drei — in der ersten gibt einmal Seife und Alkohol ein besseres 
Resultat, als Seife, Alkohol, Sublimat; in der zweiten hat einmal 
Seife, Alkohol, Sublimat weniger geleistet, als Alkohol und Subli¬ 
mat ohne Seife —; diese Widersprüche nun erklärt Für¬ 
bringer als auf Fehlern der Technik beruhend, innerhalb der 
Fehlerquellen liegend, nimmt also 25 Proc. Fehlerquellen an! 
Auf eine Fortsetzung der Versuche, deren rein mechanischem 
Charakter er sonderlichen Beschäftigungsreiz nicht abzugewinneu 
vermochte, verzichtete Fürbringer, weil eine solche „„die 
Resultate möglicher Weise erheblich verscho¬ 
ben, am Gesetz aber nichts Wesentliches ge¬ 
ändert haben wiird e.““ Landsberg führte die Prüfung 
der Hände nach der Desinfektion in der Weise aus, dass er ein¬ 
mal, gleich K ü m m e 11, die noch mit dem Desinficiens befeuch¬ 
teten Finger „recht sorgsam“ in den in weiten, kurzen 
Reagensgläsern befindlichen Nährboden „eingrub“, das 
andere Mal „mit einem an der Spitze und an den Rändern ab¬ 
gestumpften, schmalen, festen, vollkommen sterilisirten Skalpell 
den Unternagelraum (im F ürbringe rächen Sinne) recht 
gründlich ausräumte und alsdann den — festen — Nährleim 
durchfurchte, alles, was an dem Skalpell haften geblieben war, 
an dem Leim abstreifend.“ Er benutzte, im Gegensatz 
zu seinen Vorgängern, Nähragar und „übergab 
die Kulturen zur schnelleren Entwicklung 
demBrütofe n“. Nach den in unserer vorigen Abhandlung c ) 
niedergelegten Anschauungen stellte er also die Maximalleistungs¬ 
fähigkeit der Methode P. F ü r b r i n g e Fs in einer Weise fest, 
die wir auch heute noch benutzen. Die von P. Landsberg 
erhaltenen Resultate, welche auch in anderer Beziehung von 
Interesse’) sind, waren weit schlechter, als diejenigen Für- 

*) Paul Landsberg: Zur Desinfektion der menschlichen 
Haut, mit besonderer Berücksichtigung der Hände. Dissertation. 
Wien 1888. 

•) Diese Wochenschr. 1901, No. 12. 

7 ) Kr benutzte unter anderen Desinfektionsmitteln auch alko¬ 
holische Lösungen von Sublimat und Thymol und schreibt darüber: 
„Der mit alkoholischen Lösungen von Sublimat und Thymol er- 


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3. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1409 


bringe Fs, da er nur in einer von den 5 nach der Für¬ 
bring e Fschen Vorschrift mit Sublimatlösung angestellten 
Versuchsreihen (No. 42—46) vollkommene Sterilität konstatiren 
konnte. Betreffs der Einschaltung von Alkohol zwischen die 
Seifenwaschung und die Behandlung mit wässeriger Sublimat¬ 
lösung (P. Landsberg benutzte eine 1 prom. wässerige Sub- 
limatlösung, welcher nach Laplace’s Vorschrift 5 Prom. Wein¬ 
säure zugesetzt war) kommt er zu folgendem Resultat: „Eine 
Bürgschaft für die Sicherheit des Erfolges konnte ich in der 
Zuziehung des Alkohols nicht finden, selbst wenn ich von vorn¬ 
herein auf die von Fürbringer sehr betonte Zeitersparniss 
verzichte, wenn ich trotz des Alkohols die Benützung von Wasser, 
Seife und Bürste nicht einschränkte, weil mir eine nur eine 
Minute damit bearbeitete Hand zu wenig vertrauenerweckend 
aussah“. Ausserdem schreibt er dem Alkohol noch den Nach¬ 
theil zu, dass er Sprödigkeit der Haut, Stumpfheit der Finger 
und Kribbelgefühl hervorrufe und dadurch eine operative Thätig- 
keit sehr erschwere. 

Wir sind auf die beiden Abhandlungen etwas ausführlicher 
eingegangen, weil jene P. Fürbringer’s die Grundlagen ver¬ 
anschaulicht, auf welchen er seine Desinfektionsmethode auf¬ 
baute, und P. Landsberg in der seinen den ersten experi¬ 
mentellen Beweis erbrachte, dass dieser Methode nicht die grosse 
Sicherheit zukomme, welche ihr vom Erfinder zugeschrieben 
werde. Bei den folgenden in dieser Richtung angestellten Ar¬ 
beiten, deren Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit 
macht, können wir uns kürzer fassen. 

In einer gegen P. Landsberg gerichteten Abhandlung*) 
wies P. Fürbringer nicht mit Unrecht darauf hin, dass 
Landsberg’s Versuche nur qualitativen Charakter haben, 
da er die Zahl der Kolonien nicht genügend festgestellt habe, 
und ferner tritt er dessen Ansicht entgegen, dass der Alkohol 
das Tastgefühl der Hände schädige. Nach einer allerdings nicht 
einwandfreien Art der Berechnung findet er, dass P. Lands- 
berg’s Versuche bei Verziehtleistung auf Alkohol über 50 Proc. 
Misserfolg, bei Zuhilfenahme von Alkohol nahezu 86 Proc. voll¬ 
kommenen Erfolg ergeben. 

Hierauf erwidert P. Landsberg*), dass er P.Für- 
b r i n g e Fs Berechnungsmethode nicht als richtig anerkennen 
könne, doch gebe er zu, dass die Einschaltung des Alkohols eine 
Verbesserung der Resultate herbeiführe. Er bemerkt ferner, dass 
zwei französische Autoren, Jules Roux und H. Reynes in 
Marseille (Comptes rendus 1888, No. 22) ebenfalls die P. Für¬ 
bringe Fsche Methode einer Prüfung unterworfen hätten und 
zu dem Schlüsse gekommen seien, dass diese Methode zwar bessere 
Resultate liefere, als andere, jedoch nicht die Sicherheit ge¬ 
währe, welche ihr vom Erfinder zugesprochen werde. 

Zu ganz ähnlichen Resultaten wie P. Landsberg kam 
J. Preindlsberger"), welcher die Prüfung der Unternagol- 
räume mit einer „an ihrer Oberfläche leicht rauhen, ausgeglühten 
Platinnadel“ ausführte und diese in verflüssigten Agarnährboden 
oder Gelatine brachte. Die Agarplatten wurden 2 Tage im 
Brutapparat, die Gelatineplatten bis 8 Tage bei Zimmer¬ 
temperatur aufbewahrt. Er stellte nicht nur die Zahl der ent¬ 
wickelten Kolonien fest, sondern machte auch Angaben über die 
Art der Keime. Aus seinen (11) Versuchen geht hervor, dass 
in einzelnen Fällen wirklich eine Keimfreiheit erzielt wurde. 
,Jn diesen Fällen waren aber fast nur Gelatine¬ 
platten ausgegossen oder der Unternagelraum mit der 
Platinöse leicht berührt worden.“ Nach dem Ergebniss der 


zielte, ziemlich vollkommene Effekt dagegen könnte auffallen — 
wenn es nur nicht Argwohn erregen müsste, dass dasselbe Resultat 
mit purem Alkohol absolutus erreicht* wurde, während die Re¬ 
sultate sich verschlechterten, sobald Ich der beinahe gleichen 
Waschung Desinfektion mit einer wässrigen Sublimat- oder 
Karbollösung folgen Hess! Ich möchte die Scheinerfolge — so 
muss Ich sie bezeichnen — damit erklären, dass die alkoholischen 
Lösungen die Haut sehr stark austrocknen und dadurch die Ent¬ 
nahme der Präparate nach der Fürbringe r’schen Art er¬ 
schweren, ebenso wie sie die Cohaeslon zwischen Finger und När- 
lelm bei der anderen Prüfungsmethode (d. h. das Einbohren der 
Finger ln den Nährboden) beeinträchtigen würden.“ 

*) Fürbringer: Zur Desinfektion der Hände des Arztes. 
Deutsch, med. Wochenschr. 14, 985. 1888. 

*) P. Landsberg: Zur Desinfektion der Hände des Arztes. 
Deutsch, med. Wochenschr. 15, 37. 1889. 

“) Jos. Preindlsberger: Zur Kenntnlss der Bacterlen 
de« Unternagelraumes und zur Desinfektion der Hände. Wien 1801. 


übrigen Fälle konnte er nur die Angaben P. Landsberp 
bestätigen. 

Die im Jahre 1889 von J. Geppert“) gemachte Beobach¬ 
tung, dass bei der bakteriologischen Prüfung von Desinfektions¬ 
methoden das Mitübertragen von geringen Mengen der Des- 
inficicntien leicht einen Di*sinfektionseffekt Vortäuschen kann, 
übte selbstverständlich einen prinzipiellen Einfluss auch auf die 
Untersuchungen aus, welche sich von diesem Zeitpunkt an mit 
der Prüfung der Desinfektion nach P. Fürbringer beschäf¬ 
tigten. Handelte es sich ja doch um das äusserst giftige Sub¬ 
limat, welches auch in sehr verdünntem Zustande das Aufkeimen 
geschwächter Bacterien zu hindern vermag. Andererseits mussten 
die früheren Untersuchungen, bei denen die von J. Geppert 
geforderten Vorsichtsmaassregeln nicht beobachtet wurden, in 
anderer Weise beurtheilt werden; wir haben in unserer letzten 
schon oben citirten Abhandlung diesen Punkt genügend erörtert. 

F. Henke“) machte bei seinen Händedesinfektions¬ 
versuchen insofern Gebrauch von den Beobachtungen J. Gep- 
p e r t’s, als er die Hände nach der Desinfektion durch Abspülen 
mit Wasser und Abtrocknen mit sterilen Handtüchern möglichst 
vom Desinficiens befreite; eine Fällung mit Schwefelammonium 
oder mit anderen ähnlich wirkenden Chemikalien wurde nicht 
vorgenommen. Er prüfte den Keimgehalt der nach der P. Für- 
bringe r’schen Methode durch Auskratzen mittels eines sterilen 
eisernen Nagelreinigers und durch Fingereindruck in erstarrten 
Nährboden; als solchen benutzte er fast ausschliesslich Glycerin¬ 
agar und züchtete die Kolonien bei Bruttemperatur. F. Henke 
erhielt bei seinen mit Tageshänden angestellten Versuchen ähn¬ 
liche Resultate wie P. Landsberg; nach erfolgter P. Für¬ 
bringe Fscher Desinfektion, bei welcher er sowohl Sublimat¬ 
lösung wie auch Karbolwasser benutzte, entwickelten sich auf 
den Glycerinagarplatten fast stets mehr oder weniger zahlreiche 
Keime. 

Im Jahre 1894 veröffentlichte R e i n i c k e ,:1 ), welcher auf 
Veranlassung von P. Zweifel die verschiedenen Desinfektions¬ 
mittel und Desinfektionsmethoden und besonders die Für¬ 
bringe r’sche Methode einer Prüfung unterzog, seine bekannten 
Versuche, nach denen man annehmen musste, dass — im Gegen¬ 
satz zu F ü r b r i n g e r’s Ansicht — nicht das Sublimat, sondern 
der eingeschaltete Alkohol das wirksame Princip sei. R e i - 
nicke arbeitete mit künstlich inficirten Händen (Catgut¬ 
bacillus und Pyocyaneus); die Prüfung des Keimgehaltes der 
Hände nahm er nach P. Fürbringer mit sterilen Hölzchen 
vor, welche in verflüssigten Agarnährboden geworfen wurden. 
Das Sublimat wurde durch verdünnte Schwcfelammonium- 
lösungen gefällt. Die Resultate, die er unter Einhaltung der 
P. Fürbringe Fachen Vorschrift — 1 Minute Wasser und 
Schmierseife, 1 Minute Alkohol, 1 Minute 1 prom. Sublimat¬ 
lösung — erhielt, und welche für uns hier nur in Frage kommen, 
waren sehr ungünstig. Auf sämmtlichen Platten keimten zahl¬ 
reiche Kolonien auf. Da er bessere Resultate erhielt, wenn er die 
Alkoholbehandlung auf 3—5 Minuten verlängerte, und noch 
günstigere, wenn er die Waschung mit chemischen Desinfizientien 
ganz wegliess, verzichtete man auf diese schliesslich ganz, und es 
war besonders F. A h 1 f eld, welcher den Alkohol zur Grundlage 
der nach ihm benannten Heisswasser-Alkoholdesinfektion machte. 
Ueber diese Methode und unsere Erfahrungen mit derselben 
haben wir schon in unserer zweiten Abhandlung eingehend be¬ 
richtet “). Hier möge nur noch die Bemerkung Platz finden, 
dass F. Ahlfeld ebenfalls Versuche mit der Fürbringer- 
schen Methode anstellte — er nahm die Prüfung mit harten 
Hölzchen vor, welche in Bouillon geworfen wurden — und weder 
bei Benutzung von 1 prom. Sublimatlösung noch von 3 proc. 
Seifenkresollösung günstige Resultate erhielt 15 ). Die Keim¬ 
freiheit betrug bei Benutzung der letzteren im Allgemeinen nicht 


u ) J. Geppert: Zur Lehre von den Antlseptlcls. Berlin, 
klln. Wochenschr. 1889, No. 36 u. 37. — Ueber deslnfleirende Mittel 
und Methoden. Berl. klln. Wochenschr. 1890, No. 11, 12 u. 13. 

u ) F. Henk e: Ueber die Desinfektion lnflcirter Hände. 
Dlssert. Tübingen 1893. 

**) Rein icke: Bakteriologische Untersuchungen über die 
Desinfektion der Hände. Centralbl. f. Gyniik. 1894, No. 47, S. 11M) 
und Arch. f. Gynäk. 1895. Bd. 49, S. 515. 

“) Münch, med. Wochenschr. 1899, No. 51. 

”) F. A h 1 f e 1 d: Die Desinfektion des Fingers und der Hand 
vor geburtshilflichen Untersuchungen und Eingriffen. Deutsch, 
med. Wochenschr. 1895, No. 51, S. 851. 

8 * 


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1410 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


No. 36. 


über 70 Proc. und konnte bei der nöthigen Uebung auf ca. 
80 Proc. gebracht werden. W. P o t e n berichtet in einer im 
Jahre 1897 erschienenen Broschüre” 1 ), dass er gleich Reinicke 
mit der P. Fürbringe Fachen Methode, sobald Schwefel - 
aromonium eingeschaltet wurde, nur sehr mangelhafte Resultate 
erzielt habe.“ In demselben Jahre veröffentlichte P. Für¬ 
bringer in Gemeinschaft mit Freyhan: „Neue Unter¬ 
suchungen über die Desinfektion der Hände“"), in welchen mit 
Rücksicht auf die inzwischen veröffentlichten zahlreichen Unter¬ 
suchungen über die Heisswasser-Alkoholdesinfektion die Frage er¬ 
örtert wurde, „ob mit Vortheil auf ein dem Alkohol folgendes 
Antisepticum verzichtet wird“ und diejenige „nach der Theorie 
derWirkung des Alkohols“. Ziy Lösung der ersterenFrage stellten 
die Verfasser u. a. Händedesinfektionsversuche mit lproc. 
Lysollösungen — Sublimatlösungen wurden nicht ver¬ 
wendet — nach vorausgegangener Waschung mit heissem Wasser 
und Seife und 3 Minuten langer Behandlung mit Alkohol an. 
Die Keime wurden theils in Bouillon, theils auf sorgfältig neu- 
tralisirter Fleischwasserpeptongelatine bei einer der Verflüssigung 
nahe kommenden Temperatur gezüchtet. Um dem, wie die Ver¬ 
fasser selbst zugeben, berechtigten Vorwurf zu begegnen, dass 
bei den ersten Versuchen Fürbringer’s nicht geprüfte Nähr¬ 
böden gebraucht worden waren, überzeugten sie sich, dass das 
von ihnen neuerdings benutzte Züchtungsverfahren „für unsere 
Fragen im Wesentlichen das Gleiche leiste, wie die festen Agar- 
beden im Brütschrank.“ Um die Mitübertragung des Desinfek¬ 
tionsmittels auf die Nährböden zu vermeiden, wurden die Hände 
„vor der Abimpfung mit aseptischem Wasser nach dem Vorgänge 
Ahlfeld’s gründlich ausgelaugt“. Ferner wurde „stets die 
ganze Hand auf den Desinfektionsgrad durch energisches Aus¬ 
räumen der Untcrnagelräume und Abkehren der gesammten 
Hautfläche mit. den Hölzchen geprüft.“ Von den angestellten 
27 Versuchen ") können für unsere Zwecke nur 10 in Betracht 
kommen, da nur diese der ursprünglichen, P. Fürbringer • 
sehen Desinfektionsmethode entsprechen, während bei den anderen 
die Alkoholbehandlung nach derjenigen mit Lysol vorgenommen 
wurde. Von jenen 10 Versuchen, von denen nach der Seifen¬ 
waschung drei Minuten Alkohol und 1 Minute Lysol in Thätig- 
keit trat, lieferten nur sieben vollkommene Keimfreiheit; 
gewiss ein sehr bescheidenes Resultat gegenüber der nach den 
ersten Versuchen betonten fast absoluten Sterilität. Leider 
wurden diese 10 Versuche nicht mit festen Nährböden, sondern 
mit Bouillon angestellt, so dass die Zahl der mit den Hölzchen 
abgestreiften Keime nicht ersichtlich ist. In derselben Abhand¬ 
lung haben die Verfasser ferner noch eine Anzahl sehr instruk¬ 
tiver Versuche mit isolirtem Nagelschmutz beschrieben, welche 
einen werthvollen Beitrag zur Lehre der Alkoholwirkung bei der 
Desinfektion geliefert haben. 

Von den in den letzten Jahren veröffentlichten zahlreichen 
Untersuchungen über unser Thema mögen schliesslich nur noch 
folgende besonders wichtige Abhandlungen kurz erörtert werden, 
tun nicht den Raum in dieser Zeitschrift ungebührlich in An¬ 
spruch zu nehmen. Im Jahre 1899 veröffentlichte G. Gott¬ 
stein in einer sehr umfangreichen und werthvollen Studie: 
„Beobachtungen und Experimente über die Grundlagen der 
Asepsis“ dasErgebniss umfangreicher bakteriologischer Prüfungen 
der Hände nach erfolgter P. Fürbringe Fscher Desinfektion, 
welche in der chirurgischen Klinik zu Breslau auf Veranlassung 
von v. Mikulicz vorgenommen wurden '*). Die Versuchs¬ 
anordnung bei den „praktischen“ Händedesinfektionsuntersucli- 
ungen, welche mit Tageshänden gelegentlich der täglichen Opera¬ 
tionen angestellt wurden, war im Allgemeinen folgende: 3 bis 
5 Minuten langes Waschen mit heissem Wasser und Seife mittels 
Holzfaserbündel, 1 bis 2 Minuten lange Bearbeitung der Hände 
mit der Bürste in 96proc. Alkohol und schliesslich 2 bis 3 Minuten 
währende Waschung in 1 prom. Sublimatlösung. Die Prüfung 
wurde durch Fingereindruck in erstarrten Agarnährboden aus¬ 
geführt und die Züchtung der Kulturen bei Körpertemperatur 
vorgenommen. Die Resultate waren sehr ungünstig: Unter den 
im Wintersemester 1896/97 untersuchten 75 Fällen waren die 
Hände nur zu 25 Proc. keimfrei, wenn das Sublimat mit Schwefel¬ 
ammonium ausgefällt wurde, und zu 43 Proc., wenn dies nicht 
der Fall war. Diesen grossen Unterschied im Vergleich mit den 

1B ) W. Poten: Die Chirurg. Asepsis der Hände. Berlin 1897. 

1T ) Deutsch, med. Wochenschr. 1897, No. 0. 

“) 1. c. S. 83. 

*•) Beiträge zur klln. Chirurg. 25, 388. 1899. 


von P. Fürbringer früher und später in Gemeinschaft mit 
F r e y h a n erhaltenen Zahlen führt Gottstein einmal auf 
die Verschiedenheit der benutzten Nährböden, Gelatine und Agar, 
zurück, worauf schon J. Preindlsberger aufmerksam 
gemacht hatte, sowie darauf, dass P. Fürbringer bei seinen 
Untersuchungen als Einheit nicht beide Hände, sondern eine 
nahm. Immerhin blieben die Differenzen noch gross genug 
(40 Proc. bezw. 54 Proc.), als die Zahlen in dieser Weise um¬ 
gerechnet wurden. Etwas bessere Resultate erzielte Gott- 
81 e i n bei seinen „theoretischen“ Händedesinfektionsunter¬ 
suchungen, bei welchen die Wasserwaschung in möglichst warmem 
Wasser 10 Minuten, die Behandlung mit 96 proc. Alkohol 2 bis 
3 Minuten und die mit 1 prom. Sublimatlösung ebenfalls 2 bis 
3 Minuten dauerte. Bei den im Sommersemester 1897 ange¬ 
stellten 18 Versuchen konnten bei 72 Proc. keine Keime von der 
Hand entnommen werden, wenn das Sublimat nicht gefällt wurde. 
Das Resultat der im Sommersemester 1898 ausgeführten Unter¬ 
suchungen war noch etwas günstiger: die Hände erwiesen sich 
zu 77 Proc. keimfrei, wenn das Sublimat nicht ausgefällt wurde, 
und zu 72 Proc., wenn letzteres der Fall war. Beiläufig sei noch 
bemerkt, dass auch hier, wie bei den Untersuchungen von 
Reinicke, F. A h 1 f e 1 d u. A., die Resultate besser waren 
(82 Proc. bezw. 90 Proc.), wenn die Keimentnahme direkt nach 
der Alkoholwaschung vorgenommen wurde. 

Eine umfassende Untersuchung über die Desinfektion 
der Hände nach P. Fürbringer liegt aus neuester 
Zeit von C. S. Haegler”) vor, welcher nicht nur die 
praktischen Verhältnisse berücksichtigte, sondern auch eine 
Reihe sehr instruktiver Versuche anstellte, um Aufschluss 
über die Wirkungsweise des Alkohols und des Sublimates 
bezw. der Karbolsäure auf die Haut zu erhalten. Wir 
können hier leider nicht näher auf diese bedeutende Arbeit ein¬ 
geh en und wollen nur hervorheben, dass nach Ansicht H a e g • 
1 e Fs, in Uebereinstimmung mit der Annahme P. Für- 
bringe Fs, die Alkoholvorbereitung der wässerigen Sublimat¬ 
lösung den Weg in die Zellen bahnt und desshalb bei der 
P. Fürbringe Fschen Desinfektion eine entscheidende Rolle 
spielt. Obwohl er mit vollem Recht betont, dass die Werth¬ 
bestimmung einer Händedesinfektionsmethode durch Vergleich 
der Procentzahlen, welche den gelungenen Versuchen entsprechen, 
nur innerhalb beschränkter Grenzen möglich ist, glauben wir 
doch den Schluss ziehen zu dürfen, dass die Versuche 
C. S. H a e g 1 e Fs etwas günstiger ausfielen wie die von Gott- 
stein. Bei Anwendung des verlängerten P. Fürbringer- 
6chen Verfahrens — für jeden Akt 5 bis 10 Minuten — und 
Fällung des Quecksilbers mit Schwefelammonium erreichte er 
in 84 Einzelbeobachtungen 81 Proc. Keimfreiheit (negatives 
Kulturresultat); „die Resultate waren durchweg günstiger, wenn 
die Versuchspersonen vorher informirt waren, als wenn sie un¬ 
vorhergesehener Weise untersucht wurden.“ Das Resultat stellte 
sich noch günstiger, wenn nur die 56 Untersuchungen berück¬ 
sichtigt werden, welche C. S. H a e g 1 e r an den eigenen Händen 
anstellte: In diesem Falle konnten bei 89 Proc. der Versuche 
Keime von den Fäden (C. S. Haegier prüfte die Hände mittels 
seiner Fadenmethode) nicht mehr gezüchtet werden. Wir glauben 
mit Rücksicht auf die grosse Exaktheit, welche die Versuche 
C. S. Ha e g 1 e Fs auzeichnen, annehmen zu dürfen, dass diese 
Resultate das Maximum der Leistungsfähigkeit darstellen, 
welches mit einem verlängerten P. F ü r b r i n g e Fschen Ver¬ 
fahren innerhalb einer zur Noth auch in der Praxis aufzu¬ 
wendenden Zeit überhaupt erreicht werden kann. 

Wir sehen aus diesem kurzen geschichtlichen Rückblick, der, 
wie schon erwähnt wurde, durchaus keinen Anspruch auf Voll¬ 
ständigkeit macht, dass das Vertrauen, welches man ursprüng¬ 
lich in die P. FürbringeFsche Händedesinfektion setzte, 
mit dem Fortschreiten der experimentellen Prüfungstechnik 
ziemlich erschüttert worden ist. Bei der Verbreitung, welche diese 
Händedesinfektionsmethode trotzdem noch heutigen Tages in 
Kliniken, wie auch bei praktischen Aerzten besitzt, hielten wir es 
für nöthig, selbst eine Reihe von Versuchen unter Zugrunde¬ 
legung unserer in der ersten Abhandlung **) ausführlich dar¬ 
gelegten Versuchsanordnung anzustellen. 

(Fortsetzung folgt.) 


*°) Händereinigung, Händedesinfektion und Händescbutz. 
Basel 1900. 

**) Mtlnch. med. Wochenschr. 1899, No. 49. 


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3. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1411 


Medianusdurchtrennung. — Heilung. 

Eine Studie von Dr. Max Oscar Wyss in Zürich, früher 
Assistent an der chirurgischen Universitätsklinik. 

Da Heilungen durchtrennter Nerven schon an und für sich 
nicht häufig zur Beobachtung kommen, scheint ee von gewissem 
Interesse, den ziemlich genau beobachteten Heilungsverlauf eines 
durchtrennten Medianus zu veröffentlichen, zumal der Patient, 
ein Arzt, auch auf die Details grossen Werth legte. Durch eigene 
genaue Beobachtung von der Verletzung an bis heute haben wir 
gewis8ermaassen ein Experiment vor uns, das dem Thierexperi¬ 
ment weit überlegen ist, weil bei jenem alle feineren Tast¬ 
prüfungen wegfallen, beim Menschen aber speciell die Durch¬ 
trennung des Medianus wohl nie absichtlich vorgenommen 
worden ist. 

Dr. M. fiel am 13. August 1900 Nachm., auf einer schiefen 
Fläche ausgleitend, rückwärts, suchte sich mit der rechten Haml 
nach hinten zu stützen, den Fall zu mildern, als Ihm die Ecke 
eines scharfen Elsens ln die rechte Daumenballe eindrang. Aus 
der plötzlich entstandenen, unten genauer beschriebenen An- 
aesthesle constatlrte er sofort, „dass der Medianus durchschnitten 
sei“. Da die Wunde sehr stark blutete, wurde sie erst gründlich 
mit concentrirtein Alkohol deslnflclrt, dann ein steriler Com- 
pression8verband angelegt, der allerdings noch durchblutet wurde. 
Am Abend wurde Wunde und Wundumgebung nochmals gründ¬ 
lich deslnflclrt, und es zeigte sich bei dem vollständig gesunden 
20 Jährigen Manne nun folgender Lokalbcfund: 2 y 2 cm vor der 
distalen Handgelenksfurche findet sich eine 3 y 2 cm lange Schnitt¬ 
wunde, die 2 cm radial von der Längsfurche der Hohlhand be¬ 
ginnt und gegen diese, zugleich distal verlaufend, hinzieht An 
ihrem vorderen Ende berührt sie die Längsfurche der Hohlhand. 
Distal- und dorsalwärts erstreckt sich die Wunde ln die Tiefe. 
Die verschiedenen Bewegungen von Daumen und übrigen Fingern 
sind alle möglich, allerdings unter Schmerzen: es scheint somit 
eine Sehnenverletzung nicht vorzuliegen. Die Sensibilität jedoch 
Ist im Gebiete des Medianus vollständig verschwunden, und zwar 
alle Qualitäten. Ohne Sensibilität sind: die radiale Seite des 
4. Fingers und die Längshälfte seiner Volarseite: ferner die ganze 
radiale Handvola vom Interstltlum III—IV bis zur Wunde in 
leichter Ausbeugung radlalwärts, bis hinüber zur palmar-dorsal- 
Begrcnzung des Daumens von der Wunde bis zur Daumenspitze 
tauch die Daumenbeere anaesthetisch). Dann geht die Grenzlinie 
zwischen sensiblem und anaesthetlschem Gebiet der Hautfalte 
des Daumeu-Zeigeflngerlnter8tltium folgend längs der Radialseite 
des Zeigefingers bis zur Mitte der 2. Phalanx, geht hier über das 
Dorsum und auf der Ulnarseite des Zeigefingers zurück zum 
Inlerstitlum II—III, ebenfalls auf dessen Kamm zur Radialseite 
des Mittelfingers gehend. Hier am Mittelfinger biegt die Grenz¬ 
linie schon ln der Mitte der Grundphalanx über das Dorsum ab, 
um auf der Ulnarseite zum IV. Finger überzugehen, an diesem ln 
der Verlängerung des radialen Nagelrandes nach vorn verlaufend. 
Es sind also anaesthetisch: die Volarseite des I., II. und 
III. Fingers, die Hälfte der Volarseite des IV. Fingers, die radiale 
Hälfte der Palma: ferner das Dorsum des Zeigefingers von Milte 
der 2. Phalanx, des Mittelfingers von Mitte der Grundphalanx 
nach vorn, d. li. die ganzen vorderen Flngerhälften. 

Trotz diesen Verhaltens der Nerven war damals noch nicht 
klar, ob es sich um eine sehr starke Quetschung oder wirklich 
um eine Durchschneidung des Medianus handle; dies letztere 
wurde erst durch den weiteren Verlauf offenbar. 

Da gerade über diesen Punkt die Ansichten der Aerzte ver¬ 
schieden waren, so wurde einstweilen von einem operativen Ein¬ 
griff, dem Aufsuchen der Nervenenden und Vereinigung derselben 
durch die Naht, abgesehen, und zwar geschah dies ln der Ueber- 
lognng. dass für eine möglichst gute Heilung des eventuell durch¬ 
trennten Nerven die vollständig reaktionslose Heilung der Wunde 
von grösster Bedeutung sei, dass ferner die beiden Nervenenden 
nicht erheblich dlslocirt sein könnten, und eine neue Blutung 
vermieden werden sollte. Es wurden somit einfach die Wund¬ 
ränder aufeinander gedrückt, Jodoformgaze aufgelegt und ein 
feuchter 40proc. Alkoholverband angelegt. 

Schon kurz nach der Verletzung bestand starke Schwellung 
der r. Hand, besonders der 3 ersten Finger, die aber In den ersten 
Tagen wieder zurückging. Die Wunde war bereits am 3. Tage 
verklebt, vollständig reaktionslos, so dass jetzt ein Jodoformgaze- 
Heftpflasterverband genügte. Wenige Tage später, d. h. am 
9. Tage, finden wir eine den Schorf abstossende, derbe Narbe. 

Während nun an den ersten 2 Tagen keine erheblichen 
Schmerzen bestanden hatten, auch beim Trauma selbst nicht, so 
traten am 3. Tage neuralgleähnliche Schmerzen auf, die bald 
stundenlang dumpf sich mehr und mehr steigerten, dann wieder 
schwanden, bald nur lanclnirend sich zwischenhinein bemerkbar 
machten. Auffallend war Jetzt, dass Druck auf die Wunde selbst 
Intensiv schmerzte. Wenn das Aussehen der Wunde nicht ein 
absolut reaktlonsloses gewesen wäre, hätte mnn einen kleinen 
Abscess In der Tiefe annehmen müssen. Die stärkere Extension 
und Flexion der 3 ersten Finger war seit der Verletzung schmerz¬ 
haft und blieb dies auch noch wochenlang, allerdings in geringerem 
Grade. 

Nun blieb die intensive Druckempflndllchkelt der Narben- 
gegend mit gleichzeitigem Ausstrahlen in die Finger bei stets sich 
No. 36. 


gleichbleibender Anaesthesle dieser letzteren bestehen. Man 
konnte den Schmerz am ehesten mit solchem bei starkem fara- 
dischen Strom vergleichen. 

Dazu kam noch in der Folgezeit eine lokale Anaemie und 
gleichzeitige rasche Abkühlung der 3 ersten Finger bei geringerer 
Äussentemperatur, die allerdings ohne jedes Kältegefühl eiuher- 
giug. Theils war diese Abkühlung wohl der Inaktivität der r. 
llnnd, die gerade wegen deT Intensiven Druckeiupfindlichkeit der 
Wunde geschont wurde, zuzuschreibeu; theils war sie wohl eine 
Folge du roh trenntet* Arterlae digitales und vielleicht auch auf 
nervöse Einflüsse, Vasoconstrictoren, zurückzuführen. (Vergleiche 
die unten erwähnte lokale Ilyperhidrosls im r. Ulnarisgebiet.) 

Die weitere Krankengeschichte ist folgende: 

Therapie: Tägliches Bestreichen der anaesthetlschen Be¬ 
zirke mit farndisehem Pinsel, schwachem Strom. Faradisches 
Wasserbad. Massage der adhaerenten Narbe, Fingergymnastlk. 

27. VIII. 1900. Die Anaesthesle im betreffenden Medianus¬ 
gebiet Ist eine vollständige. Die Neuralgien, d. li. die dumpfen 
Schmerzen in den 3 Fingern, Daumen-, Zeig- und Mittelfinger 
(weniger deutlich differenzirbar auch Int 4. Finger) haben in den 
letzten Tagen mehr und mehr nachgelassen und werden gegen¬ 
wärtig nicht mehr verspürt. Spannen und zuweilen zuckende 
Schmerzen entstehen bei der häufig geübten maximalen Extension 
und Flexion der Finger. Druck gegen die Narbe stets Intensiv 
schmerzhaft, die Narbe derb, mit der Tiefe innig verwachsen, wird 
nun gelinde massirt. D16 Zweifel an eine wirkliche Durchtrennung 
des Nerven werden immer geringer. Die Behandlung mit fara- 
dischem Strom setzt aus. 

10. IX. Der Status ist im Ganzen und Grossen der gleiche 
geblieben. Nur zeigten sich an den Fingerkuppen, einmal des 
Zelgflngers, ein anderesmal des Mittelfingers kleine tiefe Ge¬ 
schwüre. die sich nach Auftreten einer Epldermlsblase entwickelt 
hatten, jedoch rasche Heilungstendenz zeigten. Bis heute war ihr 
Entstehen unklar und wurde auf troplilsche Störungen zurück¬ 
geführt. Heute bemerkt der Arzt, als Patient, Brandgeruch beim 
Cigarettenrauchen, und wie er nachschaut, hat er sich ein Loch 
ln den welssen Handschuh gebrannt, die Hand ist an dieser Stelle, 
an der Zeigflngerkuppe, linsengross braungegerbt (Absolut kein 
Gefühl davon, weder Schmerz noch Wärme.) Nach kurzer Zelt 
entsteht eine Brandblase, die Epidermis stösst sich nach circa 
3 Tagen ab. ln 8 Tagen Ist das ziemlich tiefe Geschwür ln Hei¬ 
lung. Durch Vorsicht von nun an wurde eine solche „trophlsche 
Störung“ vermieden. 

23. IX. In den letzten Tagen ist ein neues Symptom auf¬ 
getreten, das heute ganz eclatant vorliegt: Bel stärkerer An¬ 
strengung tritt eine Hyperhidrosls im Gebiet des r. Ulnarls auf, 
distal vom Handgelenk, während am übrigen Körper Sudor kaum 
vorhanden ist. Das auffallendste dabei, heute besonders schön 
zu sehen, ist, dass genau ln der proximalen Verlängerung des 
IV. Interstitlums bis zum Handgelenk die Hyperhidrosls 
llneär scharf abgegrenzt Ist, Im Medlanus- 
gebiet die Haut auffallend trocken, im Ulnaris¬ 
gebiet bedeckt von zahllosen kleinen Schweiss- 
perlen, im Radialisgeblet anscheinend normal. 

3. X. Die Hyperhidrosls lm Ulnarisgebiet ist weniger deut¬ 
lich,dochdleHautdes Medianusgebietes stets noch sehr trocken; nie 
Irgendwelche Erscheinungen anderer trophlscher Störungen, einzig 
die Fingernägel etwas mehr spröde und schwach blutunterlaufen. 
Seit einigen Tagen bemerkt der Patient, dass auch dlstalwärts der 
Narbe ganz allmählich Druckempfindlichkeit aufgetreten Ist. 
Gleichzeitig uinchen sich lanclnirende Schmerzen an dieser Stelle 
geltend, zumal dann, wenn durch äussere 1 Einflüsse, warme 
Äussentemperatur, eine länger dauernde Hyperaemle auftritt 
(4--8 solche „Nadelstiche“ in Stunde). 

8. X. 2 cm distalwärts der Narbe constatirt man heute aus¬ 
gesprochenen Druckschmerz, der eigentlich noch unangenehmer 
wird bei Kitzeln dieser Stelle. (Es wird der so erregte 
Schmerz einem stark faradischen Pinselreiz verglichen.) 
Dabei strahlt diese Empfindung in alle 4 Finger aus, während 
dort noch vollständige Anaesthesle herrscht. 

30. X. Seitdem konnte ein successlves Vorrücken 
dieser auf Berührung mit Schmerz reaglren- 
den Geffihlssphäre constatirt werden. Heute 
reicht dieses neue Gefühlsgebiet distalwärts bereits bis zur Basis 
der Dnumenendphalanx einerseits, andererseits bis je zur Basis 
des Zeige- und Mittelfingers und zwar In der Welse, dass die Ent¬ 
fernung der Sensibilitätsgrenze von der Mitte der Narbe jeweils 
ziemlich genau 8 cm beträgt Die übrigen Gefühlsqualitäten ver¬ 
halten sich an diesen wieder sensibel gewordenen Stellen so, dass 
nur geringe Kälteunterschiede (von ca. 10*) ganz intensiv stark 
empfunden werden, während höhere Temperaturen, über 37 \ 
schlecht unterschieden werden. Sind die Unterschiede grösser, so 
wird die Kälte ebenfalls als Schmerz empfunden. Die Reaktions¬ 
zeit ist kaum verlängert. Druck- und Belastungsempfindung sind 
ebenfalls gesteigert. Körper werden als schwerer gefühlt als ln 
der 1. Hand und als Im r. Ulnarisgebiet; wie viel davon aber auf 
den erwähnten Druckschmerz zurückzufllhren ist, kann nicht ge¬ 
sagt werden. 

Das Auffallendste Ist jedoch, dass bei Berühren oder viel ex¬ 
quisiter noch bei Kratzen dieser wieder algetisch-scnsibol ge¬ 
wordenen Bezirke In die Finger ausstrahlende Schmerzen au'- 
treten, die ganz bizarr erscheinen und der Lokalisation der Nerven 
widersprechen. 

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1412 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 36. 


Dies zeigt sich am ausgesprochensten wieder im Bereich der 
vorderen Sensibilitätsgrenzlinie, und zwar so, dass beim Kratzen 
an der Zeigeflngerbasis volar die Schmerzen mehr In den Mittel¬ 
finger und Ringfinger als in den Zeigefinger ausstrahlen; und bol 
Kratzen an der Daumengrundphalanx speciell der in den Mittel¬ 
finger ausstrahlende Schmerz auffilllt. 

10. XII. Die Sensibilitätsgrenze ist seitdem succesive an den 
Fingern vorgerückt, ohne weitere Behandlung als Massage; die 
Hand wird fast wie früher gebraucht. Es wird heute folgender 
Befund erhoben: Taub, resp. vollkommen anaesthetlsch sind noch: 
die vorderste Kuppe des Zeigefingers, die distale Hälfte der Mittel¬ 
fingerendphalanx volar; dorsal die Mittelfingerend- und mittel- 
phalanx. und ebenso die distale Hälfte der Ringflngerendphalnnx- 
seite; so dass diese heutige Grenzlinie überall 10 cm von der Narbe 
entfernt ist. Es ist gegenwärtig das Ausstrahlen des Schmerzes 
in andere Finger, als diejenigen, die dem Nervenverlauf ent¬ 
sprechen. nusgesprochener als je; ja es strahlt derselbe z. B. bei 
Berühren, Kratzen der ulnaren Seite des Zeigefingers so sehr in 
den Mittelfinger aus, dass Patient glaubt, am Mittelfinger und 
nicht am Zeigefinger berührt zu werden. Die Berührung der 
Daumenendphttlnux wird zwar als solche gefühlt und nicht 
schmerzhaft empfunden, dagegen wird gleichzeitig ein in den 
Zeigefinger und in die radiale Hälfte des Mittelfingers aus- 
strahlender Schmerz verspürt. 

20. XII. Vollständig anaesthetlsch ist nur noch das Dorsum 
der Mittelfingerendphalanx. Das wieder sensibel gewordene Ge¬ 
biet des Daumens und der Hohlhand reagiren bei Berührung kaum 
mehr mit Schmerz, sondern annähernd normal. 

Zeige- und Mittelfinger, weniger Daumen, erweisen sich beim 
Anfassen kalter Gegenstände stets noch überempfindlich; zuweilen 
wird plötzliche Kälte als Schmerz empfunden. 

10. I. 1001. Da die Blutcireulation in Zeige- und Mittelfinger 
stets noch etwas vermindert ist, hat sich ein Zustand von Pernio 
eingestellt, ohne dass Wunden vorhanden wären: Schwellung. 
Rüthung, Oedem. Gefühl der Spannung, wieder etwas mehr Taub¬ 
sein. Zuerst zeigte der Zeige-, später der Mittelfinger diese Er¬ 
scheinung. Einwickeln in Watte brachte in wenigen Tagen 
Heilung. 

14. II. Der heutige Stand ist folgender: Nirgends besteht 
mehr Anaesthesie. Wenn auch das Dorsum des Mittelfingers nur 
schwach sensibel ist. so reagirt es doch überall bei Berührung mit 
Schmerz. Diese letztere Empfindung weicht an den übrigen 
Stellen allmählich einem normalen Empfinden. Doch besteht 
gleichzeitig noch der ausstrahlende Schmerz In andere Finger, als 
in die berührten; und zwar bleiben diese Ausstrahlungen, wie siel» 
aus Aufzeichnungen von verschiedenen Daten ergeben, konstant. 



Eine solche Skizze vom 14. II. geben wir hier wieder. (An ! 
den Berührungspunkten ist jeweils notirt, wohin der Schmerz aus- 
strahlt.) Am ausgesprochensten blieb der ausstrahlende Schmerz 
bei Berührung der ulnaren Zeigefingerhälfte in den Mittelfinger; 
der ulnaren Mittelfingerseite und radialen Ringfingerseite in den I 


Daumen, der Volarseite des Mittelfingers ln den Ringfinger, 
schliesslich auch des Mittelfingerdorsum ln den Zeigefinger. 

Im Uebrigen ist eine kaum merkbare Atrophie des distalen 
Thells der Daumenballenmuskulatur eingetreten, die für die Funk¬ 
tion bedeutungslos ist. Von trophischen Störungen wurde nie 
mehr etwas konstatirt. Die Narbe ist fein lineür, kaum sichtbar, 
weich, mit der Tiefe kaum mehr verwachsen. Starker Druck anf 
dieselbe gibt noch schwach ausstrnhlende Schmerzen radialwärts 
in den Daumen, in ihrer ulnaren Hälfte in die 3 übrigen Finger. 
Nur allmählich kehrt der Tastsinn für feinere Gegenstände, vor¬ 
erst im Daumen und Zeigefinger, zurück. 

15. III. Die Empfindlichkeit bei Druck und bei Anfassen 
kalter Gegenstände ist nur gering. Das Ausstrahlen der Empfin¬ 
dung in andere Finger Ist weniger typisch als früher, und ver¬ 
wischt sich mehr und mehr durch Uebung. Aehnliche Kitzel¬ 
schmerzen werden stellenweise auch im Itadialisgeblet beobachtet 
an Grenzstellen gegen das Medianusgebiet, wo keine Sensibilitäts¬ 
störung vorzuliegen schien, so besonders auf dem Dorsum der 
Grundphalanx des Zeigefingers, dann auch am Ringfinger bis über 
die Längsmittellinie auf dem Dorsum hinaus. Der Mittelfinger 
zeigt diese Erscheinung bis zur Basis rings herum. 

Resultat. 

1. Die scharfe Durchtrennung eines Nerven bietet keinen 
erheblichen Schmerz, auch nach der Durchtrennung nicht; er>t 
am 2. bis 5. Tage treten neuralgienühnliche, zum Theil sehr 
heftig zuckende Schmerzen in den der Sensibilität beraubten Ge¬ 
bieten auf. 

2. Schmerzen bestehen später immer dort 
am stärksten, wo die vorrückenden Spitzen 
der auswachsenden Achsencylinder stehen, 
zumal bei Druck gegen diese Stellen; und zwar handelt es sich 
um Ki tzelsch merzen, die nach den sensibilitätslosen Ge¬ 
bieten ausstrahlen. 

3. Von Zeit zu Zeit wird besonders bei Hyperaemie der 
Nachwuchszone ein spontanes, momentanes, lanciniren- 
des Stechen gefühlt. 

4. Die von Neuem wieder sensibel gewordenen 
Hautbezirke zeichnen sich im Anfang dadurch aus, dass die 
Betastung (ausstrahlend) schmerzhaft ist, jedoch nicht 
intensiv, sondern mehr dem Bestreichen mit dem faradischen 
Strom entspricht. Ebenso wird Anfassen von kalten, 
weniger von warmen Gegenständen als Schmerz 
empfunden; oder es besteht wenigstens eine Hyperaesthesie 
gegen relativ geringe Wärmeunterschiede. 

5. Ob eine raschere Abkühlung der in der Sensibilität ge¬ 
störten Bezirke nervösen oder vasogenen Ursprungs ist, bleibt 
zweifelhaft. 

6. Es können die proximalen Achsencylinder 
in andere distale Achsencylinder (oder besser 
gesagt, an Stelle dieser) auswachsen, und thun 
dies zweifellos sehr häufig, wenn die Schnitt¬ 
flächen beider Nerven nicht ganz genau so auf¬ 
einander liegen, wie sie zusammengehören. 

7. Die Achsencylinder wachsen auch in Ge¬ 
biete au8, wo vorher keine Anaesthesie be¬ 
stand, in unserem Falle in solche, wo die Hautsensibilität 
dem ungestörten Radialis angehört. Dies zeigt sich durch Auf¬ 
treten der erwähnten gleichen Berührungsschmerzen in solchen 
Gebieten. Dass hier vor der Verletzung schon Radialis 
und Medianus gemischt die Haut mit Sensibilität 
versahen, ist um so wahrscheinlicher, wenn wir annehmen, dass 
die Achsencylinder in ihre persistirendeu 
Scheiden auswachsen und nicht neue Bahnen 
aufsuchen, und nicht die Schwann’schen Schei¬ 
den um sich anlagern. Dafür spricht auch der 
Umstand, dass die scharfe Grenzlinie in der 
Vola gegen den Ulnaris von neuen Achsen- 
cy lindern nicht überschritten wurde. 

8. Es muss bei Hautveränderungen, die nach Nervendurch¬ 
trennung (Lähmung) auftreten, genau unterschieden werden, ob 
es sich wirklich um „trophische Störungen“ handle 
oder nur um Verletzungen (Brandwunden etc.), 
die gerade nur wegen der mangelnden Sensi¬ 
bilität zu Stande kommen. 

9. Das Auswachsen der Achsencylinder ist ein 
successives, und es offenbart sich die distale Wachs- 
thumsgrenze jeweils durch intensivere Berührungs¬ 
schmerzen. Die durchtrennten Achsencylin¬ 
der wachsen ca. 2mm pro die aus. 


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3. September 1901. MUENCHENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1413 


Aus der chirurgischen Universitäts-Poliklinik in München 
(Prof. Dr. K1 a u s s n e r). 

Ueber zwei Fälle von Hemiatrophia facialis pro¬ 
gressiva und deren kosmetische Behandlung. 

Von Dr. August Luxenburger, I. Assistent der Klinik. 

Die nachfolgende Veröffentlichung zweier Fälle von Hemi¬ 
atrophia facialis progressiva erscheint gerechtfertigt einerseits 
durch das ziemlich seltene Vorkommen dieser Erkrankung, 
andererseits durch die Ueberlegung, dass zur Aufklärung eines 
noch in vieler Beziehung dunklen Krankheitsbildes jeder genauer 
beobachtete Fall etwas beitragen kann. Ausserdem dürfte der 
hier angestellte „therapeutische“ Versuch bei einem bisher un¬ 
heilbaren Leiden einiges Interesse bieten. 

Nachdem P a r r y und Bergson schon in den Jahren 1825 
resp. 1840 Fälle von Hcmiatr. fac. mitgetheilt hatten, gab Böm¬ 
berg [1] zuerst im Jahre 1846 eine ausführliche Baschreibung 
des Krankheitsbildes, anknüpfend an einen sehr charakte¬ 
ristischen Fall, der den meisten Autoren heute noch als Typus 
des halbseitigen Gesichtsschwundes gilt. Daraufhin hat die Zahl 
der einschlägigen Beobachtungen in den folgenden Jahren einen 
langsamen Zuwachs erfahren; im letzten Jahrzehnt häuften sich 
die Berichte, so dass jetzt die Kasuistik ca. 125—130 Nummern 
enthält. Mehrfach wurden die publicirten Fälle in vergleichende 
Statistiken zusammengestellt, ihre Einzelheiten kritisch be¬ 
leuchtet und zum Aufbau von Theorien über Art und Ent¬ 
stehungsursache des räthselhaften Krankheitsprocesses ver¬ 
arbeitet. So berichtet Wette [2] im Jahre 1881 über 43 Fälle 
und gibt eine Revisitation des R o m b e r g *sehen Falles. 
L e w i n [3] beschreibt ziemlich ausführlich alle 70 Fälle, die 
er bis zum Jahre 1884 in den Zeitschriften auf finden konnte. 
Mendel [4] citirt kurz 15 weitere Fälle im Jahre 1888. 
S t e i n e r t [5] setzt die Aufzählung fort bis zum Jahr 1889, 
J o 8 e p h [6] bis 1893. Fromhold-Treu [7] referirt über 
alle bis zum Jahre 1893 publizirten Fälle, die er nach der Rein¬ 
heit und der Ausdehnung ihrer Symptome und nach den even¬ 
tuellen Komplikationen in 6 Gruppen eintheilt. Letztere um¬ 
fassen insgesammt 117 Fälle. Der grösste Theil der bisher an¬ 
gehäuften Literatur ist einer ausführlichen Darstellung der in 
Rede stehenden Erkrankung in Eulenburg’s Realencyklopädie 
angereiht. Eingehende und gründliche Besprechung bezüglich 
des Wesens und der Herkunft wird dem Leiden in einer Mono¬ 
graphie von Möbius [8] und einem Aufsatz von Jen- 
d r a s s i k [9] zu Theil. 

Bei der Durchsicht der letzten Jahrgänge der Fachzeit¬ 
schriften stiees ich noch auf folgende Citirungen:, 

Biirwald: Deutsch. Zeitschr. f. Nervenheilk. 1894, V. — 
Berend: Orvosl Hetllap 1894, No. 41. Neurol. Centralbl. 1895, 
No. 17. — B e e v o r: British med. Journ. 1895, S. 813. Neurol. 
Centralbl. 1896, No. 2. — Schlesinger: Wien. klln. Wochensehr. 
1897, No. 21. — D e c z 1: Neurol. Centralbl. 1897, No. 3. — B r u n s: 
Neurol. Centralbl. 1897, No. 11. — L e M a i r e: IIosp. Tld. 1897, 
No. 4. Neurol. Centralbl. 1898, No. 11. — Jendrassik: Deutsch. 
Arch. f. klln. Med. 1897, No. 59. — Donath: Wien. klln. Wochen¬ 
schrift 1897, No. 18. — Wolff: Münch, med. Wochenschr. 1897, 
No. 1. — Y o n g e: British med. Journ., 6. Mürz 1897. Neurol. 
Centralbl. 1897, No. 18. — H ö f 1 m e y e r, Münch, med. Wochen¬ 
schrift 1898, No. 13. — Z 1 e g e n w e 1 d t: Psychiatr. eu neurol. 
Bladen 1898. Nov. Neurol. Centralbl. 1899, No. 15. — Hof f- 
mann: Neurol. Centralbl. 1900, No. 21. 

Die ebengenannten Fälle eingeschlossen ist die Gesammt- 
summe auf 125—130 angewachsen — eine genauere Zahlfixirung 
ist wegen der strittigen Zugehörigkeit einzelner Fälle unmög¬ 
lich —, welche ich um 2 weitere Beobachtungen vermehren 
möchte, die numehr folgen. 

I. Pal 1. Die Eltern der 19 jährigen Patientin T. L. starbeu 
an Dannerkrankungen. Beide hatten kein Nervenleiden. Von 
4 Geschwistern starben 3 ebenfalls an Darmaffektionen. Weder 
die Letzteren, noch die lebende Schwester hatten Uber irgeud 
welche nervöse Störungen zu klagen. Von* schwereren Erkran¬ 
kungen will die Patientin nie betroffen gewesen sein, doch gibt sie 
an, dass sie ohne erkennbare Ursache zeitweise an doppelseitigem 
Kopfschmerz von massiger Intensität litt Vor 3 Jahren habe sie 
öfters über Halsschmerzen und Schluckbeschwerden zu klagen ge¬ 
habt; daran hätten sich heftige Anfälle von Schmerzen in der linken 
Gesichtshälfte angeschlossen, die wöchentlich sich einstellten und 
bis in’s linke Ohr und den Hinterkopf erstreckten. Vor ca. 2 Jahren 
habe sie znm ersten Mal bemerkt, dass die linke Gesichtshälfte 
magerer wurde und zwar am stärksten ln der Jochbeingegend ein¬ 
fiel. Ihr sei dabei keine besondere Röthung oder Blässe, ver¬ 
mindertes oder vermehrtes halbseitiges Schwitzen, oder Sensationen 
beim Kauen, Geschmacksveränderung oder dergleichen aufge¬ 


fallen. Mit dem Fortschreiten der Entstellung seien die Schmerz¬ 
anfälle seltener, nur in monatlichen Zwischenräumen, ungefähr um 
die Zeit der Menses gekommen, hätten im Sommer einen Tag, i:n 
Winter etwas länger gedauert. 



Der im Oktober 1899 von uns aufgenommene Status ist folgen¬ 
der: Das Mädchen ist von grosser Statur, mittelkräftigem Knochen¬ 
bau, wenig muskulös, hat ein gut entwickeltes Fettpolster. Sie 
geht in etwas gebeugter Körperhaltung, oft die kranke Seite mit 
der Hand bedeckend, sieht verstimmt aus, beantwortet Fragen 
lungsam und wortkarg, spricht spontan selten. Jedem fällt beim 
ersten Anblick sofort die Gesiclitsassymuietrie auf, die Möbius 
sehr passend als „Mondgesicht“ bezeichnet hat. Die linke Hälfte 
ist im Längen- und Breitendurchmesser verschmälert und ihre Wöl¬ 
bung ist flacher. Die Rundungen an Wangen und Kinn sind ver¬ 
schwunden, dafür längliche und tiefe Gruben entstanden, so dass 
diese hochgradig abgemagerte Hälfte das eckige Relief eines alten 
Weibergesichtes zeigt, während die rechte Hälfte in Jugendfrische 
prangt. Linkerseits springt am stärksten der Jochbogen, ziemlich 
erheblich auch der untere Augenhöhlenrand und der horizontale 
Unterkieferast als Kanten vor, denen die Haut unmittelbar auf¬ 
liegt. Die Haut, deren Kolorit keine Veränderung aufweist, fühlt 
sich welk an, glänzt nicht, enthält keine abnorme Pigmentirung. 
Besondere vasomotorische Phänomene fehlen, lassen sich nicht 
durch Streichen etc. auslösen, sollen auch spontan nicht auftreten. 
Auf der Oberlippe, welche ebenso wie die Unterlippe eine geringe 
Verschmälerung erlitten hat, steht eine Gruppe hirsekorngrosser, 
eiugetrockneter Bläschen, die 2 Tage vorher ohne Fieber aufge- 
treten sein sollen. Das blonde Kopfhaar ist beiderseits gleich 
dicht, an den Wimpern und Cilien erkennt man keine Differenz. 
Das linke Auge scheint in einer äusserst fettarmen Höhle zu liegen, 
da Ober- und Unterlid eingesunken sind. Beide Pupillen sind 
gleichweit, reagiren gleiclimüssig auf Lichteinfall und Aecomo- 
datlon. Es besteht eine geringgradige Vermehrung der Tliränen- 
sekretion linkerseits. Das Sehvermögen ist wie der Augenbefund 
im Uebrigeu normal. Beide Ohrmuscheln differiren nicht in der 
Grösse oder dem äusseren Aussehen. Das Gehör soll von jeher 
schlecht gewesen sein, ohne dass ein Grund dafür angegeben wer¬ 
den konnte. Herr Prof. Haug hatte die Güte mir das Resultat 
einer bei der Patientin vorgenommenen Ohruntersuchung mitzu- 
theilen: Linkerseits Cerumen, dahinter eine Otitis media purulentn 
chronica, rechterseits Otitis media, catarrhal. chron. Oberhalb und 
unterhalb des linken Jochbogens, der an und für sich gegenüber 
dem rechten eine Abflachung erfahren hat, sind durch den krank¬ 
haften Proeess die tiefsten Gruben geschaffen worden. Die ein¬ 
gesunkenen Partien auf der Oberlippe und in der Meutalgegend 
stossen in der Mittellinie ohne scharfe Grenze mit gesunden Par¬ 
tien der rechten Seite zusammen. Die rechte horizontale Unter¬ 
kieferhälfte hat an Länge abgenommen (8% cm lang^egen 9’/, cm 
rechts) und büdet einen etwas abgerundeten Winkel mit dem auf 
steigenden Ast. Au beiden mit tadellosen Zähnen besetzten Ober¬ 
kiefern fällt nichts Bemerkenswerthes auf. Das Gleiche gilt für 
die Zunge, Mund- und Rachenschleimhaut, Mandeln und den Ge¬ 
schmack. Auch ln der Geruchsphäre lag, soweit konstatirbar. 
nichts Abweichendes vor vor. Tast-, Temperatur- und Sclimerz- 
empfindung bieten überall normale Werthe. Bei Druck auf die 
Trigeminusnustrittspunkte wird kein Schmerz geüussert. Ueber 
dem rechten Arcus superciliaris ist eine inarkstückgrosse Haut¬ 
einsenkung unverkennbar, die vielleicht auf ein Einsetzen des 
Uebels auf der gesunden Gesichtshälfte hindeutet Die Musku¬ 
latur, sowohl die des Kauens als die mimische fühlt sich kontrahirt 
gleich stark an; sie funktlonirt gut, lässt keine fibrilläre Zuckungen 
erkennen, ist für konstanten und faradisehen Strom leichter an¬ 
spruchsfähig nls auf der nicht afflzirten Seite (wohl wegen de* 
verminderten Ilautwiderstandes in Folge Wegfalls des Fettes». 
Aus der Verschmälerung der Lippen linkerseits kann man »las 
Bestehen einer hier vorhandenen geringgradigen Muskelatrophie 
entnehmen. Die Gewebe des Halses weichen nicht von der 
Norm ab. Beide Oarotiden und Art. temporales differiren nicht 
In der Pulsstärke. Die Untersuchung des übrigen Körpers enthüllt 
keine weiteren pathologischen Zustände In irgend einem Organ 
System. Das Befinden der Patienten lässt bezüglich ihrer vege- 


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No. 36. 


1414 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


tativen Funktionen nichts zu wünschen übrig, abgesehen von den 
bereits erwilhnten Schmerzanfällen. 

Die Patientin konnte aus beruflichen Gründen sich keiner 
konsequenten Behandlung unterziehen und reiste in ihre Heimath. 
Auf briefliche Aufforderung hin erschien sie wieder im Juni 1901 
mit der Angabe, dass ihr Leiden sich nicht verschlimmert habe, 
dass ihre Schmerzen seltener (circa 6 wöchentlich) sie belästigten, 
in geringerer Intensität als früher. Beim Vergleich des jetzigen 
Zustandes mit einer damals aufgenommenen Photographie, konnte 
man eine wesentliche Aenderung nicht kouatatiren, speziell hat 
die atrophische Stelle über dem rechten Auge nicht au Umfang 
zugeuommen, was früher befürchtet wurde. Der krankhafte Pro- 
cess scheint also nunmehr Halt gemacht zu haben. 

Einem seltenen Zufall war es zu danken, dass Anfangs 
Januar 1901 ein zweiter Fall von Ilemiatr. fac. progr. in Be¬ 
handlung kam, der sich noch im Beginn zeigte, unter unseren 
Augen sich weiter entwickelte und bisher noch nicht zum Still¬ 
stand gelangte. 

II. Fall. Ein ebenfalls 19jähriges Mädchen, P. V., ohue 
hereditäre Belastung mit nervösen Erkrankungen war nie ernst¬ 
lich krank, bekam vor 3 Jahren ein geschwollenes Gesicht mit 
heftigen Zahnschmerzen am rechten oberen zweiten Molar; dieser 
wurde vom Zahnarzt extrahirt. Ausserdem hatte sie häufig Be¬ 
schwerden an ihren rechtsseitigen unteren Molaren. Jedoch lagen 
niemals typische Schmerzanfälle nach Art einer Trigeminus¬ 
neuralgie vor. Vor ca. 2 Jahren wurde sie von anderer Seite 
zuerst aufmerksam gemacht, dass ihr Kinn auf der rechten Seite 
abmugere. Verschiedene Einreibungen verhinderten nicht, dass 
diese Affektion in sehr langsamem Tempo fortschritt. Seit circa 
1 Jahr beständen die einzigen minimalen Beschwerden nur in 
einem leichten Span'uungsgefühl in der Kinngegend. Die Gesiclits- 
entstelluug des zierlich gebauten, wenig muskulösen gut genährten 
Mädchens ist deutlich genug, um auch einem wenig aufmerksamen 
Beobachter sofort aufzufallen. Vom rechten Mundwinkel verläuft 
schräg nach aussen und abwärts eine Linie, welche die nicht ganz 
scharfe Abgrenzung des eingesunkenen Gebietes vom normalen 
Hautniveau bildet. Mit unregelmässiger Grenze scheidet die Mittel¬ 
linie die affizirte Partie von der linken Gesichtshälfte. Das Lippeu- 
roth ist rcchterseits schmäler. Die erkrankte Partie entspricht 
somit einem Dreieck mit der Basis am Unterkieferrand. Hier 
fühlt sich die Haut dünn an, faltet sich mehr und leichter, zeigt 
keine abnorme Pigmentirung oder weisslichen Glanz, sondern ge¬ 
sundes Kolorit, erröthet, schwitzt wie die normalen Stellen, em¬ 
pfindet aber Betastung, Temperaturunterschiede uud Schmerz 
etwas stärker als der Norm entspricht. Das Muskelvolumen ist 
nur wenig vermindert, wird durch schwächere galvanische und 
faradische Ströme als dies linkerseits gelingt, in Kontraktion ver¬ 
setzt, da die Widerstände in Folge völligen Fehlens des Unter¬ 
hautzellgewebes erheblich herabgesetzt sind. Entsprechend der 
atrophischen Stelle befinden sich im Unterkiefer 2 cariöse Molar¬ 
zähne, deren zugehöriger Alveolarfortsatz eine knöcherne Ver¬ 
dickung auf weist. An allen übrigen Gesichtspartien konnte nur 
normale Coufiguration und Beschaffenheit der Gewebe konstatirt 
werden, obwohl auf alle die wichtigen in der vorhergehenden 
Krankengeschichte angeführten Punkte genau geachtet wurde. 



Die eingeleitete Therapie, die ln der Extraktion der cariösen 
Zähne und Galvanisation der atrophischen Stellen, des Hals- 
sympathicus und Trigeminus bestand, erzielte im Verlauf von 
5 Monaten nicht die mindeste Besserung; im Gegenthell eine Ver¬ 
schlechterung stellte sich ein, indem nunmehr die Atrophie am 
rechten Nasenflügel Platz gegriffen hat, ohne dass dabei subjek¬ 
tive oder objektiv wahrnehmbare Reizerscheinungen das Wohl¬ 
befinden irgendwie irritirt hätten. Die rechte Nasenhälfte ist 
kleiner geworden, der Flügel steht höher und ist kürzer, so dass 
das Nasenloch verengt wurde. Während das Kolorit der beiden 
Nasenhälfteu kaum nennenswerth differlrt, fühlen sich Haut und 
Knorpelgerüst auf der rechten Seite deutlich dünuer an als links. 
Auch hier fehlen die Sensibilitätsstörungen. 


Die ITebereinstimmung der Symptome des zweiten Falles 
und die Art der Weiterentwicklung bewies seine Zugehörigkeit 
zum ersten. Beide Male handelte es sich in der Hauptsache um 
eine halbseitige Atrophie des Unterhautzellgewebes, eines wohl 
nur unbetleutenden Muskel- und Knochen- resp. Knorpel¬ 
schwundes. Während No. 1 als ein weit vorgeschrittener, wahr¬ 
scheinlich schon zum Stillstand gelangter Fall gelten muss, da 
er im Verlauf von IV 2 Jahren keine nennenswerthe Aenderung 
erfahren hat, stellt No. II nur ein Anfangsstadium der Krank- 
heitsentwicklung dar, welche voraussichtlich, wie die bisherigen 
Erfahrungen bei der progressiven Gesichtsatrophie lehren, nicht 
Halt machen wird. Zur genannten Diagnose gelangte man per 
oxclusionein. Der flüchtige Beschauer hätte bei No. I au eine 
angeborene Gesichtsatrophie, an eine lang bestehende, schwerere 
muskuläre Lähmung mit nachfolgendem Schwund der Gesichts¬ 
muskeln und der zugehörigen Gewebe, an einen Schwund, wie er 
zuweilen durch Sympathicusaffektionen verursacht wird, oder an 
eine halbseitige Trigeminuslähmung mit folgender Abmagerung, 
schliesslich vielleicht noch an eine Atresie der Oberkieferhöhle 
denken können. Die erstgenannte Affektion schloss die Anam¬ 
nese aus; die nächstfolgende kam nicht in Frage, da die mimi¬ 
schen und die Kaumuskeln ausgiebig funktionirten; mit der 
weiter abliegenden Diagnose: Atresie der Kieferhöhle, war die 
Thatsache ausser andern nicht vereinbar, dass die Region ober¬ 
halb des Jochbogens am meisten gelitten hatte, dass die unter 
dem Niveau liegenden Hautpartien bis in die Mittellinie des Ge¬ 
sichts reichten und hier ziemlich jäh zum normalen Niveau auf- 
stiegen. Dem Sympathicus eine Schuld bei der Entstehung des 
Leidens beizumessen verbot das Fehlen jeglicher vasomotorischer 
und Pupillenerscheinungen. Auch könnte durch einen solchen 
Causalnexus die Abmagerung nicht so hochgradig sein. Eine 
Trigeminusparalyse schloss der Nachweis der intakten Sensibili¬ 
tät aus. Beim II. Fall kam nur die Sklerodermie diagnostisch 
ernstlich in Frage. Diese hätte aber eine narbige, glänzende 
Verfärbung der Haut verlangt, die hier vermisst wurde. 

Positive Momente zur Unterstützung der angegebenen Dia¬ 
gnose förderte der Vergleich mit den bisher publizirten Fällen 
zu Tage. Beide Kranke sind weiblich; ich zählte in der Litera¬ 
tur ca. 82 weibliche, gegenüber 53 männlichen. Die Erkrankung 
begann wie bei ca. 42 anderen fällen zwischen dem 10. und 
20. Lebensjahre (das nächsthäufig befallene Decennium ist das 
zwischen 20 und 30 Jahren, nämlich ca. 27 Fälle). Den ersten 
Anstoss zum Auftreten der Affektion bei No. II gab, wie bei 
ca. 9 Fällen der Kasuistik, Zahnkaries mit Schmerzen und event. 
geschwollenem Gesicht. Viel häufiger noch, ca. 14 mal, ist von 
anfänglichen oder persistirenden Trigeininuaneuralgien die Rede, 
wie in unserem ersten Fall. Andere, öfters verzeichnete anaiu- 
nestische Angaben sind Traumen 23 mal, Halsdrüsenentzün¬ 
dungen 7 mal, infektiöse Anginen 6 mal. Vom Vergleich weiterer 
Einzelheiten muss wegen Raummangel abgesehen werden, aber 
zu erwähnen ist noch der Umstand, dass die sonst meist auf¬ 
geführte Haut pigmentirung und der einseitige Haarausfall, die 
nicht selten konstatirte Komplikation halbseitiger Zungen- und 
Gaumenatrophie und vor Allem narbige Beschaffenheit der Haut 
in unseren Fällen nicht vorhanden ist. Gerade der letzte Punkt 
war geeignet diagnostische Bedenken zu erregen, besonders weil 
derselbe von so autoritativer Seite wie Möbius (L c) als un¬ 
bedingtes Erforderniss zur sicheren Diagnose hingestollt wird. 
In seiner die Literatur kritisch zusammenfassenden Monographie 
über den halbseitigen Gesichtsschwund sagt Möbius Folgen¬ 
des: „Die Diagnose des umschriebenen Gesichtsschwundes ist 
leicht, wenn man daran fest hält, dass umschriebene Verdünnung 
der Haut das wesentliche Merkmal ist, dass fast stets die ver¬ 
dünnte Haut auch verfärbt ist, dass die Krankheit eine Jugeud- 
krankheit ist“. An einer anderen Stelle ist „das Cardinalsyin- 
ptom der Krankheit, der Hautschwund“ durch einen Vergleich 
mit der „offenbar nah verwandten Atrophia cutis acquisita“ die 
an der ganzen Körperoberfläche Vorkommen kann, näher präcisirt. 
Nun handelt es sich bei letzterer nach Lesser um excentrisch 
sich ausbreitende Herde dünner Haut von hell-bräunlich-violetter 
oder weisslicher Farbe, welche die Blutgefässe auffallend deutlich 
durchscheinen lassen. An einzelnen Stellen der sonst scharfen, 
unregelmässigen Grenzlinie finde sich ein überragender Grenz- 
wall der langsam gegen die normale Haut vorrücke. „Die ganze 
obige Beschreibung lässt sich“, fährt Möbius fort, „auf den 
umschriebenen Geeichtsschwund übertragen, nur sei ee fraglich, 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1413 


o. September 1001. 


ob auch liier ein Grenzwall, mit anderen Worten eine primäre 
Infiltration der Haut zu finden sei. Diese Infiltration aber würde 
die eigentliche Krankheit sein, die die Atrophie hinterliesse.“ 
Nun passt diese Schilderung durchaus nicht auf das Aus¬ 
sehen der atrophischen llautpartieu in unseren beiden Fällen. 
Wie aus den Krankengeschichten ersichtlich ist, zeigte sich das 
Kolorit der affizirten Hautstellen unverändert, die Blutgefässe 
waren unsichtbar; nur die Niveaudifferenz, die vermehrte Fälte¬ 
lung und das sieh Dünneranfühlen waren die hervorstechendsten 
pathologischen Zeichen. Auch der von Möbius an noch in 
der Ausdehnung begriffenen Herden vermutliche Infiltrations¬ 
wall konnte an der frischen Lokalisationsstelle unseres II. Falles 
nicht wahrgenominen werden. Der äusserlich erkennbare Effekt 
des pathologischen Processes in unseren Fällen bestand im 
wesentlichen nur aus einem Verlust des subdermalen Zell¬ 
gewebes und Fettes, geringem Schwund von Muskel und Knochen 
mit Intaktsein der Cutis. Da nun Möbius geneigt ist, alle 
Fülle, die den primären Hautschwund nach Art der Atrophia 
cutis acquisita der Dermatologen vermissen lassen, aus dem 
Kapitel der Hemiatrophia fac. progr. auszuscheiden, so mussten 
auch uns bei der per exclusionem gestellten Diagnose Bedenken 
kommen. Letztere wurden dadurch zerstreut, dass Möbius 
schliesslich doch zugibt, „dass es Fälle gibt, in denen das Bild 
wirklich dem umschriebenen Gesichtsschwund sehr ähnlich ist 
und eigentlich nur die umschriebene Hautatrophic fehlt, so z. B. 
der Steiner t’sche“. Dem möchte ich noch hinzufügen, dass 
auch der bei Steinert citirte, von Hitzig [10] als Hemi¬ 
atrophia fac. publizirte Fall, das genannte Hautsymptom ver¬ 
missen lässt und in mancher Beziehung unserem I. Fall ähnelt. 
Ferner findet Höflmeyer [11] bei seinem sehr ausge¬ 
sprochenen Fall von Hemiatr. fac. die Haut beider Gesichts¬ 
hälften gleichmässig gefärbt, nirgends Vertrocknungen oder Pig- 
mentationen, nur auffallende Einsenkung der befallenen Par¬ 
tien, sowie eine stärkere Faltenbildung wie auf der gesunden 
Seite. II offmann [12] beschreibt bei seinem II. Fall die 
Haut als schlaff, dünn, etwas blass, direkt dem Knochen auf- 
liegend. Diese von anderer Seite gemachten ähnlichen Be¬ 
obachtungen berechtigen zu dem Schluss, dass unsere Fälle, ob 
wohl sie die skle rodermähn liehe Cutisveränderung entbehren, 
doch nicht aus dem Gebiet der Hemiatr. fac. progr. ausgewiesen 
werden können. Während bei Fall I der blosse Anblick zur Er¬ 
kennung dos Leidens genügte, war bei dem zweiten Fall vor 
Allem das Moment maassgebend, dass der atrophirende Process 
vom Kinn auf den Nasenflügel derselben Seite übersprang und 
diesen zum Schwinden brachte. 

Gemäss seiner Auffassung des umschriebenen Gesichts¬ 
schwundes als primäre Hauterkrankung hat Möbius für die 
Entstehung und Art des pathologischen Processes folgende 
Theorie aufgestellt: Irgend eine toxische Ursache gelangt in die 
Haut, bringt zuerst sie zur Atrophirung, dann die unterliegenden 
Gewebe; schädigt dabei die sensorischen Trigeminusfasern, die 
mit neuralgischen Beschwerden reagiren. Die Beschränkung auf 
die halbe Gesichtsseite erkläre sich dadurch, dass der Schwund 
„sozusagen den Gefässen nachlaufe“. Auch Eulenburg und 
eine Anzahl anderer Autoren ziehen einen sklerodermähnliehen 
Process als Erklärung heran. Da nun an der Cutis unserer 
Fälle 8klerodermartige Schrumpfung nicht konstatirbar ist, fehlt 
ihnen somit das Haupterforderniss der Möbius’schen Hypo¬ 
these, die primäre Hauterkrankung. Als primäre genuine Fett- 
zellgewebaatrophie, die excentrisch und nach der Tiefe sich aus¬ 
breitet, betrachten Bi tot [13] und Lande [13] die Hemiatr. 
fac. progr. Dieser Auffassung beizupflichten verbietet im Fall T 
die Begrenzung der Affektion durch die Mittellinie, im Fall II 
das Ueberspringen des krankhaften Processes vom Kinn auf den 
Nasenflügel. In einer Sympathicusstörung die Entstchungs- 
ursache zu erblicken, wie dies von Selig in ii 11er [14] und 
Eulenburg für eine Anzahl Fälle behauptet wird, ist hier 
unmöglich, da an beiden Kranken niemals vasomotorische Stö¬ 
rungen oder Pupillenveränderungen zu bemerken waren. Uns 
bleiben also nur noch die alte von Romberg [1] aufgesudlte 
Theorie, und die aus der jüngsten Zeit von J e n d r a s s i k [9] 
herstammendo als annehmbar übrig. Ersterer behauptete im 
Trigeminus verliefen trophische Fasern und deren Schädigung 
verursache den Gewebsschwund im Trigeminusgebiet ; Letzterer 
aceeptirt die Läsion trophischer Elemente, verlegt sie aber wegen 
der häufigen Komplikation der Hemiatrophie mit Sympathicus- 
erseheinungen an eine Stelle, wo die Nervengebiete dos Trige¬ 


minus und S.ympathicus nahe beieinander liegen, als welche am 
wahrscheinlichsten die sympathischen Kopfganglien oder die mit 
denselben verbundenen Remak’schen Fasern anzusprechen 
wäre. Zwischen beiden Theorien einen sicheren Entscheid zu 
treffen erlaubt weder die Beweiskraft der vorhandenen klinischen 
Beobachtungen noch der Mangel vorliegender Autopsiebefunde. 
Dosshalb möchte ich mich beschränken zur Erklärung unserer 
Fälle nur eine Läsion trophischer Elemente, die irgendwie mit 
dem Trigeminus in Beziehung stehen, zu supponiren, und als 
Grund hierfür bei Fall I hauptsächlich die neuralgischen Be¬ 
schwerden und den häufig auf tretenden Herpes anführen, bei 
Fall II den Beginn mit einer Zahnerkrankung, die anfängliche 
strenge Lokalisirung der Atrophie auf den Verbreitungsbezirk 
des Ramus mentalis plus Ramus labii infer., dann das spätere 
plötzliche Ergriffenwerden einer entfernten Partie mit Beschrän¬ 
kung auf das Versorgungsgebiet des Nerv, nasalis ex Nerv, 
infraorbital. derselben Gesichtshälfte. 

Ueber die Behandlung des umschriebenen Gesichtsschwundes 
sagt Möbius: „Es gibt bisher keine Behandlung. Die Kran¬ 
ken sind natürlich elektrisirt, massirt, eingerieben worden, aber 
geholfen hat es ihnen nichts“. Man hat die Beseitigung der 
eventuellen Ursachen, cariöse Zähne, entzündete Mandeln etc, 
empfohlen, auch Excision der zuerst befallenen Hautstellen, ja 
sogar des ganzen Trigeminus, was wenigstens die Neuralgie be¬ 
seitigen könnte. 

Als ich in dieser Wochenschrift (No. 11, 1901) die Warnung 
von H. Meyer vor den G e r s u n y’schen Vaselineinjektionen 
las, fiel mir ein, dass man vielleicht mit Injektion geringer 
Menge dieses Stoffes die Entstellung bei den in Rode stehenden 
Patienten beseitigen könnte. In der G o r s u n y’schen Arbeit 
fand ich nun bereits den Vorschlag, mit Vaselininjektionen 
Schönheitsfehler, Oberkieferdefekte im Gesicht zu corrigiren. 
Nach der dort gegebenen Vorschrift machte ich mich an die 
Ausführung des Versuchs. Es wurde die Nadel einer Pravaz- 
spritze unter die Haut der atrophischen Partie eingestochen, mit 
der Spritze angesaugt, um festzustellen, ob die Kanülenspitze in 
einer Vene liegt; dann wurden einige Tropfen 3 proc. Nirvanin- 
lösung injizirt, um die nachfolgenden Prozeduren schmerzlos zu 
gestalten. Nach einer kleinen Pause wurde die Spritze mit dem 
längere Zeit auf dem Wasserbad erhitzten geschmolzenen, weissen 
amerikanischen Vaselin gefüllt, aufgesetzt und in dem Moment 
in’s subkutane Gewebe theilweise entleert, in welchem eine auf¬ 
tretende weissliche Färbung im Vaselin die beginnende Er¬ 
starrung anzeigte. Letzteres geschah, um zu heisse Injektionen 
zu vermeiden. Der so entstandene, flache Hügel musste nun mit 
massigem Fingerdruck auf das gehörige Niveau zurecht model- 
lirt werden unter kontrolirendem Vergleich der gesunden Seite. 
Die jeweils injizirten Mengen richteten sich nach der Grösse 
des auszufüllenden Raums, und zwar wurden sie in Portionen 
von 'A bis Vs ccm eiugespritzt. Es empfahl sich mehr 
kleinere. Mengen zu deponiren, . und nicht zu nah der 
Haut, um das so gehobene Hautniveau gleichmässig 
eben und nicht höckerig erscheinen zu lassen. Die nächste 
Folge der Injektionen war gewöhnlich unbedeutendes Brennen, 
geringe Röthung und das Gefühl eines Fremdkörpers in der 
Wange. Diese geringfügigen Belästigungen verschwanden im 
Verlauf eines halben Tages. 

Wie die beigegebenen Photogramme (s.o.) zeigen, gelang es auf 
diese Weise im Verlauf von 3 Wochen mit ca. 14 Pravazspritzen 
gefüllt mit Vaselin bei Fall 1 durch kleine, nebeneinander ge¬ 
setzte Vaselindopots die tiefen Gruben oberhalb und unterhalb 
des Jochbogens, in der Nasenrückenhälfte, in den Wangen, in 
der Ober- und Unterlippe, in der Kinngegend zum Verschwinden 
zu bringen, und eine natürlich aussehende Rundung zu schaffen, 
so dass jetzt nur noch das eingesunkene obere und untere Augen¬ 
lid auf die Entstellung hindeutet, im Uebrigen Niemand etwas 
Abnormes an der kranken Gesichtshälfte erkennt. In das untere 
Augenlid wurde eine geringe Menge injizirt, das obere Augen¬ 
lid jedoch wurde vermieden, um nicht die Bewegungen des letz¬ 
teren durch den anwesenden Fremdkörper zu stören. Aus dem 
gleichen Grund licss man die Hautstellen verschont, in denen 
sich beim Lachen und Kauen die Haut am tiefsten faltet. Bei 
Fall 11 wurde bisher nur mit ca. 4 Spritzen der dreieckige De¬ 
fekt an Kinn und Unterlippe in befriedigender Weiso korrigirt, 
ohne erhebliche subjektive Belästigung, ohne dass irgend ein 
Nachtheil zu Tage getreten wäre. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Man hätte ja von der Einspritzung einos so heterogenen 
Körpers Schädigungen erwarten können, allgemeine und lokale, 
sind doch diesbezüglich bereits von verschiedenen Seiten War¬ 
nungen ergangen. So weist Meyer (1. c.) auf die Intoxikations¬ 
gefahr hin, wenn man grössere Mengen einer Substanz von in¬ 
konstanter chemischer Zusammensetzung, wie Vaselin, das selbst 
mit alkaloidartigen Basen verunreinigt sein kann, dem Körper 
einverloibe. Für unsere Zwecke brauchten wir nur eine geringe 
Quantität, nämlich ca. 11,5 g, welches Gewicht den 14 injizirten 
Spritzen entsprach. Demgegenüber sind die Mengen, welche 
Gersuny ohne Schaden injizirt hat, erheblich grösser. Auch 
die Thierversuche einiger Autoren mit Vaselinpräparaten ver¬ 
schiedener Provenienz zeigen, dass erhebliche Mengen vertragen 
werden; M e u n i e r [16], B a y e r [16], Sobieranski [16], 
St rau me [17] haben verschiedenen Thieren 3—10 g Vaselin 
pro Kilo Körpergewicht injizirt. Straume sah erst bei viel 
höheren Dosen üble Zufälle. Wenn man also von einem einiger- 
maassen reinen Präparat nicht mehr als 25—30 g zu verbrauchen 
genöthigt ist, kann man sich wohl ruhig der Befürchtung der 
Intoxikation entschlagen, besonders bei allmählicher, in mehreren 
durch Tage getrennten Sitzungen ausgeführten Einverleibungen. 
Die Kontrole von Appetit, Puls, Temperatur und Athmung und 
häufige Urinuntersuchung Hessen in unseren Fällen keine un¬ 
günstige Beeinflussung des Allgemeinbefindens erkennen. 

Entschieden mehr Beachtung verdient die Gefahr der 
Embolien in Folge der Vaselin- oder Paraffininjektionen. Die 
Hautärzte, die Paraffinuni liquidum als Vehikel für unlösliche 
Quecksilbersalze benützen, wissen über Anfälle pneumonischer 
Natur zu berichten, die zuweilen bald auf die Paraffininjektionen 
folgten. Straume sah bei seinen Versuchsthieren Magen- 
ulcerationen auf embolischer Basis. Zur Vermeidung dieser 
beunruhigenden Ereignisse, die meist durch die Anstechung 
einer Vene resultiren, empfiehlt Besser nachzusehen, ob aus 
der eingestochenen Kanüle Blut fliesst, ehe die Injektion erfolgt 
(um noch sicherer zu gehen, kann man mit der Spritze an¬ 
saugen). Nach Hartung [18] geben allerdings solche Vorsich ts- 
maassrcgeln keine absolute Garantie der Sicherheit. Doch zeigt 
die einschlägige Literatur, dass auf ca. 1100 Injektionen erst eine 
Embolie kommt (Epstein [10]); Pick [20] sah unter vielen 
tausend Injektionen niemals derartige Ereignisse. Ferner ver¬ 
liefen die unerwünschten Zufälle meist so harmlos, dass die 
wenigsten Dermatologen sich veranlasst sahen dem Paraffin un¬ 
treu zu werden. Trotzdem wird man es sich wohl überlegen 
müssen, ehe man Vaselininjektionen anwendet und Pfannen¬ 
stil Recht geben, der auf Grund einer ungünstigen Erfahrung, 
pneumonische Infiltration mit Ausgang in Heilung, warnt, in 
venenreiehe Gegenden wie das periurethrale Gewebe Vaselin zu 
deponiren. Andererseits wird wohl Jeder, der durch eine mit 
so geringer Gefahrchance verknüpfte Behandlungsmethode von 
entstellenden Gesichtsanomalien befreit werden kann, die erstere 
gern in den Kauf nehmen. 

Die lokalen subjektiven Störungen, welche Vaselininjek¬ 
tionen nach sich ziehen, wie Gefühl der Spannung oder eines 
vorhandenen Fremdkörpers, besonders beim Kauen oder Lachen, 
vorübergehendes Brennen, sind nicht der Rede werth und ver¬ 
schwinden bald. Die geringe Röthung, die zuweilen an den 
Injektionsstellen sich bemerkbar macht, ist eine unwesentliche, 
reaktive Entzündung. Schwerere Entzündungen, die mit Eite¬ 
rung oder Ausstossung des Vaselins einhergehen, wurden nicht 
gesehen; dieselben sind gewiss durch aseptisches Vorgehen ver¬ 
meidbar. Die anfängliche Befürchtung, die Haut, welche ja in 
Folge des Krankheitsprocesses unter geänderten, vielleicht un¬ 
günstigen Ernährungsbedingungen steht, könnte durch die 
Vaselindepots in ihrer Ernährung geschädigt werden und 
gangraenesciren, ist nicht eingetroffen. 

Ueber einen eventuellen weiteren Nachtheil, der dem 
Patienten durch unser Vorgehen entstehen könnte, vermag ich 
leider noch keine Auskunft zu geben, gemeint ist die gewiss 
denkbare, ungünstige Beeinflussung des Krankheitsprocesses. 
Derselbe könnte durch den Reiz des im Unterhautzellgewebe 
abgelagerten Fremdkörpers veranlasst werden, raschere Fort¬ 
schritte zu machen oder sogar aus einer Phase des Stillstandes 
heraus wieder in Aktion treten. Erst eine monatelange Beob¬ 
achtung wird zeigen, ob nicht ein unerwünschter Nebeneffekt 
in dieser Richtung nöthigen wird, derartige Versuche zu unter¬ 
lassen. 


No. 36. 


Die MögHchkeit, dass das Füllmaterial sich dem Gesetz der 
Schwere gemäss nach unten senkt oder durch Kau- und mimische 
Bewegungen an ungeeignete Plätze zusammenmassirt wird, 
woran H. Meyer (l.c.) denkt, halte ich nicht für wahrschein¬ 
lich, da zu solchem Wandern todter Massen nur ein äusserst 
lockeres Zellgewebe in der Umgebung disponiren würde, das aber 
im Gesicht nicht in entsprechender Beschaffenheit zu finden ist. 
Ausserdem wird die Bindegewebswucherung, welche laut der Ver¬ 
suche von J u k u f f [21] durch den Fremdkörperreiz das Paraf¬ 
fins produzirt wird, letzteres umwachsen, in ihm sogar ein binde¬ 
gewebiges Gerüst aufbauen, das als Stütze geeignet ist, das Ma¬ 
terial in seiner Lage zu halten. 

Noch eine andere wichtige Frage harrt einer späteren völ¬ 
ligen Aufklärung, die des Grades und der Zeit der Vaselin¬ 
resorption. Gersuny fand einen von ihm durch Vaselin¬ 
in joktionen hergestellteu Kunsthoden nach einem Jahr erheb¬ 
lich hart und etwas geschrumpft vor. Dies konnte wohl nur 
so zu Stande kommen, dass von dem Gemisch weicher und harter 
Paraffine, welche das Vaselin darstellen, die mit niederem 
Schmelzpunkt resorbirt wurden, die harten mit hohem Schmelz¬ 
punkt dagegen liegen blieben. Diese Resorption wird also nach 
einer gewissen, jetzt noch nicht näher bestimmbaren Zeit störende 
Lücken setzen und damit die Indikation abgeben zur Unter¬ 
polsterung der neuerdings eingesunkenen Partien. In der wei¬ 
teren Folge der Resorption, dem Hartwerden des Ausfüll- 
materials, ist desswegen ein zweifelloser Nachtheil zu erblicken, 
weil man sich denken kann, dass hartgewordene Vaselindepots 
an manchen Stellen dos Gesichtes Belästigung verursachen 
dürften. Diese Unvollkommenheit der Gersun y’sehen Me¬ 
thode müsste durch eine Verbesserung der Injektionsmasse be¬ 
hoben werden. Als wünschenswerter Ersatz des Vaselins wäre 
eine reizlose, indifferente Substanz aufzusuchen, welche leicht 
schmelzbar, weich, die elastische Konsistenz tierischen Fettes 
besässe mit einem Erstarrungspunkte von ca. 40°, und der 
Resorption nicht unterläge. Meine Versuche, eine solche zu 
finden, waren erfolglos. Vielleicht existirt überhaupt keine Sub¬ 
stanz mit obigen Eigenschaften, die der Resorption auf die 
Dauer widersteht; denn was dem Saftstrom nicht gelingt, aufzu- 
lüsen, werden die allzeit beutegierigen Leukocyten wegschleppen. 
Wenn es sonach erst einer ferneren Zukuuft Vorbehalten sein 
wird, mittels einer idealen Injektionsmasse Gesichtsdefekte zu 
korrigiren oder gar die Furchen des Alters zu verwischen und 
Jugend vorzutäuschen, kann andererseits nicht geleugnet werden, 
dass mit dem geschilderten Verfahren sich Entstellungen gut 
korrigiren lassen. Das erhaltene Resultat hat jedenfalls die 
beiden Patientinnen sehr befriedigt. In Anbetracht des 
Umstandes, dass es sich um junge Mädchen handelte, 
die ihr Aussehen ziemlich kritisch betrachteten, durfte man 
über den Erfolg erfreut sein und den unzufriedenen 
Gedanken unterdrücken, dass man ja keine Heilung erreicht 
hatte. Bei einer Erkrankung wie die Hemiatr. fac. progr., die 
hartnäckig Besserungsversuchen widerstrebt, sind sicherlich kos¬ 
metische Maassnahmen, welche die Entstellung verdecken, als 
ein willkommenes Surrogat einer erfolglosen Therapie zu be- 
grüssen. 

Zum Schluss erlaube ich mir, meinem hochverehrten Chef. 
Herrn Prof. Klaussner, für die Ueberlassung der Fälle und 
das Interesse, das er diesen Versuchen entgegenbrachte, meinen 
besten Dank auszusprechen. 

1. Ko nt borg: Klinische Ergebnisse. Berlin 1840. S. 81. — 
2. W e 11 e: Annalen der städt. allgem. Krankenhäuser zu München. 
Bd. II, S. 000. — 3. Lewin: Charite-Annalen. 1884. S. 619. -- 
4. Mendel: Neurol. Centrulbl. 1888. No. 14. — 5. Steinert: 
Inaug.-Diss. Halle 1889. — 6. J o s e f: Inaug.-Diss. Berlin 1894. — 
7. Fromhold-Treu: Inaug.-Diss. Dorpat 1893. — 8. Möbius: 
Nothnagel’« Patli. u. Therap. XI. Bd., 2. Th. — 9. Jendrassik: 
Deutsch. Arch. f. killt. Med. 59. Bd., S. 241. _ 10. H 11 z i g: Berl. 
klin. Woehenschr. 1870. No. 25. — 11. II ö f 1 m e y e r: Münch, 
med. Woehenschr. 1898. No. 13. — 12. Hof mann: Neur. Central 
blatt 11X10. No. 21. - 13. Citirt in Eulenburg’s Realencykl. — 

14. Citirt in Eulenburg’s ltealencykl. — 15. Gersuny: Zeitsclir. 
f. Heilk. 21. Bd. 1900. II. IX. — 10. Citirt bei Straume. -- 
17. Straume: Inaug.-Diss. Dorpat 1894. — 18. Hartung- 
Arch. f. Denn. u. Syph. 1897. XII. Bd., H. 1. — 19. Epstein. 
Arch. f. Denn. u. Syph. 1897. XL. Bd., H. 2 u. 3. — 20. Fick: 
Handb. d. Therap. v. Penzoldt u. Stintzing. VII. Bd., S. 158. — 
21. Pfannenstil: Centralbl. f. Gynilk. 1901. No. 2. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1417 


3. September 1901. 


N achtrag. 

Nach Abschluss dieser Versuche (Mitte Juli) und Uebergabo 
des Manuscripts an die Redaktion kam mir ein Vortrag von 
Stein, über subkutane Paraffinprotliesen, zu Gesicht (Berl. 
klin. Wochensohr, vom 12. Aug. 1901). Stein corrigirte mit 
gutem Erfolg eine Sattelnase und eine Oeffnung im harten 
Gaumen; er hält gemäss dem Resultat seiner Thierversuche die 
Gefahr der Embolie für vermeidbar, dio der Intoxikation für 
a u sgeechlossen. 

Bezüglich dt« Dauererfolges der kosmetischen Injektionen 
sei noch erwähnt, dass jetzt, nach Ablauf von 1!4 Monaten, die 
Yuselindcpots deutlich härter geworden und um Wenige« ge¬ 
schrumpft sind und desshalb bereits eine geringfügige Naeli- 
korrektur eintreten muss. 


Aus der chirurgischen Klinik zu Würzburg. 

Beitrag zur Behandlung des Tetanus traumaticus. 

Von Dr. Adolf Dehler, I. Assistenzarzt der Klinik. 

Eine sonst gesunde, 48jährige Frau stiess sich mit dem Stachel 
einer Düngergabel ln den linken Fussrücken. Die kleine Wunde 
blutete wenig, bereitete keine besonderen Schmerzen, wesshalb 
sie nach oberflächlicher Verklebung nicht weiter beachtet wurde. 
12 Tage nachher bemerkte die Frau allmählich zunehmende Be¬ 
schwerden beim Kauen und Sehlingen und suchte desshalb am 
14. Tage die Hilfe der Klinik auf. 

Es bestand Trismii9 und Facies sardonica; die Zahurelhen 
konnten nur mit grösster Mühe 4 mm von einander entfernt 
werden. Die Bewegungen des Kopfes waren frei, nur bei starker 
Beugung nach vorne gab Pat. Spannung im Nacken au. Pat. 
konnte nur flüssige Nahrung schlingen. Auffallend war reichliche 
Schwelsssekretion nnf der Stime, die sehr häufig wiederkehrte. 

Die 1 em lange Stichwunde über der Mitte des linken Fuss- 
rückens zeigte' Verklebung der etwas braunrötlillch verfärbten 
Ränder, keine Druckempfludllchkeit, reaktlonslose Umgebung. 

Nach Oeffnen der Wunde Hess sich ein dünner 2 cm langer 
Strohhalm extralilren, dem einige Tropfen trüben, röthlich-gelbeu 
Sekretes folgten. Die Wundränder wurden excldirt, es folgte 
energische Auswaschung mit 1 prom. Sublimatlösung und ener¬ 
gisches Aetzen mit Trichloressigsäure. 

Die Allgemeinbehandlung ging von dem Plane aus, den als 
mittelsehwer erscheinenden Tetanusfall zunächst mit grösseren, 
dann mit kleineren Dosen von Antitoxin je nach Zu- oder Ab¬ 
nahme der Erscheinungen individualisirend zu bekämpfen, daneben 
zur Erleichterung subjektiver Beschwerden von Narkotlcis Ge¬ 
brauch zu machen. 

Es wurden desshalb von Tlzzonl’s Antitoxin an den ersten 
drei Tagen (15.—17. der Erkrankung) je 2'/ 2 g (trockener Substanz) 
in Lösung (25 ccm) subkutan injizirt, beginnend an der verletzten 
Extremität; ausserdem wurden täglich 2>4—3 g Chloralhydrat ver¬ 
abreicht. Am Morgen des 2. (1(5.) Tages fand sich der rechte Muse. 
oucullari8, am Abend sämmtllche fühlbaren Halsmuskeln in tetaui- 
scher Kontraktion; Pat. konnte sich nicht allein aufsetzen; die 
Zahnreihen waren fest geschlossen; die Sprache war schwerfällig 
uud undeutlich. Die Aufnahme der Nahrung war sehr erschwert. 

Am 4. (18.) Tage erschien die Nickbewegung des Kopfes 
etwas freier, dagegen waren die Streckmuskeln am Rücken stark 
kontrahirt. Der Gesammtelndruek war nicht eben gefahrdrohend, 
auch war Pat. stets bei guter Stimmung und schlief Nachts ziem¬ 
lich gut, wenn auch mit Unterbrechungen. 

Das nur langsame Fortschreiten der Kontraktur bei allmäh¬ 
lichem Freiwerden der zuerst befallenen Muskeln (die Facies sar¬ 
donica schwand vom 5. Tage ab) rechtfertigte ein vorsichtiges 
Zurückgehen in der Dosirung des Antitoxins. Es wurden doss¬ 
halb täglich nur ly. g (15 ccm), am 7., 11.. 13. Tage kein Antitoxin 
verabreicht. Chloralhydrat wurde in derselben Menge weiterhin 
gegeben, am 5., 10. und 11. Tage abwechselnd Morphium 0,01. 

In »len ersten sechs Tagen schritt <lie tetanlselie Kontraktur 
unter allmählicher Genesung der zuerst befallenen Muskeln auf 
die Längsmuskulatur zu beiden Seiten der Wirbelsäule fort, so 
dass der Rumpf der Pat., ganz starr, aktiv nicht bewegt werden 
konnte; auch die Bauchmuskulatnr und besonders die Muse, reeti 
waren vom 5.—7. Tage kontrahirt. so dass aus der schon vorher 
bestandenen Diastase der Recti eine Bauchwandhernie sich prall 
hervorzuwölbeu begann. Am 8. uud 9. Tage wurden einige Male 
schmerzhafte schleudernde Zuckungen in beiden Beinen und im 
Gesicht beobachtet; lm Uebrlgcu blieben die Extremitäten frei. 
Vom 11. Tage an besserte sich der Zustand rasch: die Zahnreiben 
konnten leicht 1 cm weit von einander entfernt werden, die Sprache 
und die Bewegungen des Kopfes wurden freier, Tat. konnte sich, 
wenn auch mit Mühe aufsetzen und, sich auf die Arme stützend, 
sitzen. Vom 14. Tnge au war das Schlingen flüssiger Nahrung 
leicht möglich, die Kontraktur der Bauchmusculatur geringer. 

Die Verabreichung von Antitoxin wurde um 13.. die von 
Chloralhydrat am 18. Tage eingestellt; Pat. hatte in 13 Dosen 10 g 
Antitoxin erhalten. 

Eine schädliche Wirkung des Antitoxins selbst konnte nicht 
konstatirt werden; zwar stellte sich trotz strenger Asepsis bei 
Zubereitung und Injektion der Lösung am 6.—8. Tage rings um 


die drei Stellen, wo je 2 Tage vorher Injizirt worden war, eine 
scharf umschriebene, dunklere, erysipelatöse ltöthung uud etwas 
central von der einen Iujektionsstelle fleckenweise Röthung unter 
gleichzeitigem Anstieg der Temperatur bis 38,9° ein, doch schwand 
diese Röthung, ohne mehr als Handtellergrösse erreicht zu haben 
und blieb bei den folgenden Injektionen aus, nachdem das be¬ 
treffende Fläschchen mit trockener Substanz ausgescbaltet war. 
Sonstige Exantheme fehlten. Der Urin blieb wahrend der ganzen 
Behandluugszeit frei von pathologischen Bestandteilen. Der 
Digestions- und Respimtionstraktus blieben ungestört normal, 
Ebenso war die Thätigkolt des Herzens nicht beeinflusst. Die 
Körpertemperatur hielt sich, abgesehen von oben erwähnter 
Störung in den ersten 12 Tagen zwischen 3(i,9 und 37,5—37,8, sank 
dann zu 3<>,(»—37,1. Von Anfang au fiel die starke Sehweiss- 
sekretion an der Stirne der Pat. auf; zwar fühlte sieh, besonders 
nach dem Schlafe und nach Nahrungsaufnahme, auch die Haut 
anderer Körperstellen feucht an, doch kam es sehr selten zu s.» 
reichlicher Sekretion von Keliweiss, wie au der Stirne, welche be¬ 
sonders in den ersten Tagen fast konstant und auch nach dein Ab- 
wlselieu bald wieder davon bedeckt war. Dadurch erklärt sich 
ungezwungen, dass die Temperatur niedrig blieb, was bei einer mit 
tetanisclier Muskelkontraktion einhergehenden Infektionskrankheit 
nicht von vornherein zu erwarten ist. Der Tetanus konnte am 
19. Tage nach Beginn der Behandlung als abgeheilt betrachtet 
werden, 7 Tage eher als die durch tiefe Aetzuug gesetzte Wunde 
an der Eingangspforte der Bacillen. 


Ueberraschungen bei Herniotomien. 

Von E. Meusel in Gotha. 

Dass der Bruchschnitt auch Dem, der sich einige Erfahrung 
zuschreibt, immer wieder Neues und Ucberraschcndcs bringt, ist 
ein oft wiederholter Satz unserer Altvorderen. Zu seiner Be¬ 
stätigung kann ich 2 Fälle aus meiner jüngsten Praxis vorlegen. 

1. Der Fuhrmann J. aus Gotha, 72 Jahre, sehr schwerhörig, 
wurde in’s Haus gebracht mit der Diagnose einer eingeklemmten 
Hernie. Er zeigte eine faustgrosse Geschwulst der Leiste, be¬ 
hauptet, er hätte bis vor 5 Tagen die Geschwulst reponireu können. 
Später stellte sich heraus, dass er sich seit langer Zeit mit einer 
theilweiseu Reposition zufrieden gegeben hafte. Seit 5 Tagen hat 
die Darmthätigkeit ganz aufgehört, es ist Erbrechen eingetreten, 
sejt gestern bricht er kothige Massen. 

Ich war ganz mit der Diagnose des Hausarztes einverstanden, 
spaltete den Bruchsnck und fand ziemlich ausgedehnte Darin¬ 
schlingen, die sieli ohne grosse Mühe zurückbringen Hessen. Zu¬ 
letzt blieb eine Darmschlinge übrig, die über eine fünfniarkgross’* 
Geschwulst des Mesenteriums lief und von ihr kompriiuirt wurde. 
Der Tumor (wie die spätere Untersuchung bestätigte, ein Car- 
cluom) war scheibenförmig, nicht dicker als ly 2 cm, hart, und 
war im Mesenterium bis an den Darm herangewachsen. Ohne 
in das Darmlumen einzudringen hatte er dasselbe allmählich 
durch seinen Druck zum Verschluss gebracht. 

Ich musste, um den Tumor zu beseitigen, ein Dünndarm- 
stüek von 19 em reseclrcn. Das Mesenterium, in dem der Tumor 
sass, Hess sich weit vorziehen und der Tumor sich ausgiebig uni- 
schneiden. Der Defekt im Mesenterium hatte ungefähr die Ge¬ 
stalt eines gleichschenkligen Dreiecks von 8 cm Höhe, die Basis 
bildete die resecirte Darmschlinge. Die beiden Mesontcrialsohnitte 
wurden weitläufig miteinander vernäht, die Duruiendeu sorgfältig 
vereinigt. Die Operation am Mesenterium war durch viele und 
erhebliche Blutungen recht mühsam. Ich traute mich nicht das 
genähte Mesenterium und den genähten Darm mit den vielen 
Ligaturen uud Nähten durch die relativ enge Bruchpforte zu ro- 
poniren, spaltete desshalb von der Bruehpforle aus ungefähr 1 em 
dio Bauchdecken nach oben und nähte wie bei einer Laparotomie. 

Der Verlauf war überaus leicht (nach 2 Tagen Stuhlgang*, 
lieberlos und glatt. Der Patient war nach 3 Wochen geheilt. 
Gegen die Stelle der erweiterten Bruchpforte drängt beim Husten 
eine Darmschlinge und wird wohl das Tragen eines Bruchbandes 
nötliig machen. 

2. Der 4 jährige Max hatte seit ungefähr 3 Jahren eine 
Leistenhernie, die sich durch ein Bruchband zurückhalten Hess. 
Seit einigen Wochen war sie nicht mehr reponibcl. der Dann gm 
durchgängig. Leider haben von nichtärztliclier Seite etwas derb* 
Repositionsversuche stattgefunden. Der Knabe wurde mir zur 
Radikaloperation zugesehickt. Schwächliches Kind, hochgradig 
rachitisch, Ilerz und Lunge ohne abnormen Befund, leichter As¬ 
cites, erbliche tuberkulöse Belastung mit Sicherheit nicht an^z.i- 
scbliessen. 

Der Bruchsack stark verdickt und verfettet, mit dem Inhalt 
der Hernie theilweise verwachsen. Bei der Loslösuug einer solchen 
Verwaohsungsstelle relsst die Darmwnnd ein und wird gciiäld. 
Nach völliger Blosslegung des Bruchinhaltes zeigt sich ein etwa 
kinderfaustgrosses Knäuel vou Darmsehlingen. übersät mit grau- 
weissen. stocknadelkopfgrossen bis erbsengrossen Knötchen, die 
Schlingen unter sich vielfach verklebt. Aus der Bruehpforle tliesst 
reichlich eine nicht ganz klare seröse Flüssigkeit. Die aus der 
Bauchhöhle zur Untersuchung weit hervorgezogenen Sehlingen 
sind mit denselben Knötchen übersät. Der llodeu liegt im Gewirr 
der Brnchgeschwulst. Ich bin nicht im Stande, das Gewirr der 
verklebten Bruchgeschwulst zu lösen und, eutmuthigt durch die 
Diagnose einer allgemeinen Bauchfelltuberkulose, stand Ich vou 


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1418 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


einem weiteren Eingriff ab, lagerte die Darmnaht an die genähte 
Hautwunde. 

Die Darmnaht heilte nicht, nach einigen Tagen entleerte «ich 
aus der Hautwunde am Hodensnck eine Kothflstel, die Entleerung 
aus dem After blieb normal. Das Allgemeinbefinden war gut, 
im Gegentheil entwickelte sich der Knabe in der Krankenpflege 
recht gedeihlich. 

Um die lästige Kothflstel zu beseitigen, legte ich nach einigen 
Wochen die Geschwulst noch einmal bloss. Zu meinem und meiner 
Assistenten Erstaunen war aber von den oben beschriebenen 
Knötchen nichts mehr zu sehen, auch die aus der Bruchpforte zur 
Untersuchung weit vorgezogeneu Därme waren ganz frei von 
Knötchen. Der Knäuel der vorgelagerten Darmgeschwulst ebenso 
fest verklebt und verwachsen wie früher, so dass ich das ganze 
Darmconvolut summt dem Hoden, der, wie sich spater zeigte, einen 
kleinen käsigen Herd enthielt, abtrug. Beide zurückbleibenden 
Darmenden wurden aneinander genäht und reponirt. Ich hatte, 
wie das Präparat zeigt, ein Stück Dünndarm von 14 cm und etwa 
3 cm Blinddarm sammt dem Wurmfortsatz entfernt. 

Die Heilung verlief ohne Zwisclienfnll; der Knabe wurde 
geheilt und in bester Gesundheit entlassen. Zum festeren Ver¬ 
schluss der Bruchpforte wird sich vielleicht später noch eine kleine 
Nachoperation nüthig machen. 


Ueber maligne Geschwülste der Tonsillen. 

Von Dr. v. Ileinleth in Bad Reichenhall. 

(Schluss.) 

Patient, M. Fl. aus Bergen, ein grosser, kräftiger Mann, dessen 
Eltern in hohem Alter gestorben sind, gibt an, früher nie an Hals¬ 
entzündungen gelitten zu halten. Im September 185)8, also im 
59. Lebensjahre, bemerkte er eine Drüsenanschwellung der r. Hals¬ 
seite. Die Geschwulst wuchs langsam, machte jedoch nicht viel 
Beschwerden. Mit Beginn des Jahres 1899 fing die Geschwulst 
angeblich an auf den Schlund zu drücken und störte beim Schluck¬ 
akte Bald darauf bemerkte Patient die Geschwulst im Munde 
selbst, an deren rechten hinteren Bande sich ein Geschwür zeigte. 
Daraufhin ging er zum Arzte. Auf Gurgelwasser uml ätzende 
Pinselungen trat jedoch keine Besserung ein, im Gegentheil es 
mehrten sich die Beschwerden durch Zunahme der Geschwulst. 
Gleichzeitig magerte Patient mehr und mehr ab. Als ich im Juni 
185)9 um Rath angegangen wurde, fand ich folgende Verhältnisse: 

Die Haut des Gesichtes zeigte ein leicht wachsartiges Kolorit 
und verrietli einen anaemischen Zustand. Die r. Halsseite whr 
vorgewillbt durch ein hartes, leicht bewegliches Drttsenpaquet von 
gut Hühnereigrösse. Es erstreckte sich vom Ohrläppchen bis fast 
ln die Mitte des horizontalen Uuterkleferastes und wird zum Theil 
von ihm bedeckt. Sonstige Drüsenanschwellungen am Körper 
fehlten. 

Die Inspektion der Mundhöhle zeigt gute Zähne. Von der r. 
Pharynxwand ausgehend wölbt sich ein fast hühnereigrosser 
Tumor über die Mittellinie hinüber nach der 1. Seite; die Gaumen¬ 
bögen sind verstrichen; der welche Gaumen ist nach vorne, die 
oedematös geschwellte Uvula nach links gedrängt. Ueber der 
Zungenbasis findet sich eine circa fünfpfennigstückgrosse Ulcern- 
tiou der Schleimhaut desTumors. Letzterer ist wenig beweglich, von 
ziemlich fester Konsistenz und reicht nach oben bis in das Cavum 
nasopharyngeale (fast bis zur Tuba Eustachii) nach unten bis au 
das Niveau des Aditus laryngis. Die Oberfläche ist glatt, blauroth 
von Farbe. Als Ausgangspunkt ist die Tonsille anzusehen, deren 
Nachbargebilde nicht von der Geschwulst durchsetzt zu sein 
scheinen. 

Machte das Vorhandensein eines ulcerösen Processes am 
Tumor mehr den Eindruck eines carcinomatösen Ursprunges, so 
sprach das Fehlen von Schmerzen, die Lokalisirung des Processes 
auf die Tonsille, die tuberöse Form, auch das stetig langsame An¬ 
wachsen für Sarkom. 

Die Grösse der Geschwulst und der Metastasen schreckten 
mich Anfangs von einer Operation ab. Ich entschloss mich dazu 
erst nach einigen Tagen der Beobachtung des Kranken in meiner 
Klinik auf Grund des verständigen Benehmens des Kranken, das 
zu dieser Operation, besonders aber zu deren Nachbehandlung nicht, 
ohne Bedeutung ist. 

Was nun die Therapie der malignen Tonsillargeschwülste 
betrifft, gleicht sic derjenigen bei anderen Organen. Bei Carci- 
nom hot sich bis heute jede medikamentöse Einwirkung frucht¬ 
los gezeigt, war es die Behandlung mit Thyreoidin, Cholidonium 
majus, Elektrolyse, mit Alkohol- oder Anilinfarbeninjektionen, 
mit Calciumcarbid oder war es mit Toxin- und Seruminjektionen. 

Ueber die neuerdings von Bruns empfohlenen Chlorzink¬ 
ätzungen kann ich nicht urtheilen. 

Allein die radikale Entfernung des Tumors Lst erfolgreich, 
aber auch nur dann, wenn sie frühzeitig und im Zusammenhänge 
mit der Exstirpation jener Drüsengruppen und Lymphbahnen 
geschah, welche dem Verbreitungsgebiete des lx-fallenen Organes 
entsprechen. 

Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Sarkom, doch scheint 
die Einwirkung medikamentöser Mittel, wie sie besonders l>ci in- 
oiK*rablen Füllen in Anwendung kommen, je nach der Art des 
Sarkoms von geringerer oder stärkerer Einwirkung. So behauptet | 


Esmarch verschiedene Sarkome, auch Carcinome, auf luetische 
Basis zurückführen zu können und durch lange fortgesetzte anti- 
luetische Kuren Rückbildung und Heilung gesehen zu haben. 
Jedenfalls kommt dem Arsen eine charakteristische Wirkung zu. 
Temporärer Stillstand, ja sogar Rückbildung dos primären 
Tumors und der befallenen Drüsen, besonders der Ilautmetu- 
stasen, wird beobachtet. Man kann also von Besserung sprechen, 
nicht aber von definitiver Heilung. Es wurde mir kein Fall be¬ 
kannt, der durch Arsen eine wirkliche oder auch nur eine relative 
Dauerheilung erfuhr 1 ). Selbst in dem Falle von Kaposi, wo 
durch spontane Rückbildungstendenz selbst kimlskopfgTusse 
Hautmetastasen verschwanden, war trotz Arsen der baldige 
Exitus nicht abzuwenden. Andere Mittel, wie Aetzmittel, Jod¬ 
kali, Jodoformglycerininjektion, wurden nur mit Misserfolg ange¬ 
wendet. Der als Spiudelzellensarkom diagnosticirte und mit 
Jodoformglycerin geheilte Fall Woi n lechner’s ist und bleibt 
ein Uni cum. Bei definitivem Heileffekte kann es sich nach 
meiner festen Ueberzeugung nur um einen diagnostischen Irr¬ 
thum handeln. Ueber die von der Heidelberger Klinik so warm 
empfohlenen 0 o 1 e y’schen Injektionen sind die Akten noch 
nicht geschlossen. Als Schlussfolgerung des Gesagten ergibt sielt 
also, dass bei inoperablen Fällen das Arsen ein sehr werthvolles 
Besserungsmittel für Sarkom ist, dass aber bei dem Mangel einer 
Dauerheilung mit internen oder lokal applizirt-en Mitteln die chi¬ 
rurgische operative Behandlung auch hier in ihr Recht tritt. 
Sie kann natürlich, wie bei Carcinomen, nur Erfolge haben, wenn 
sie früh genug cinsetzt, nicht aber als ultimum refugium heran¬ 
gezogen wird. Wie bei anderen Organen werden auch bei 
den malignen .Geschwülsten der Tonsillen gegenüber früher di-* 
Erfolge mit der Frühoperation besser werden. Die operative 
Mortalität siimmtliclier Fälle bis heute ist 25 Proe. An Hei¬ 
lungen sind Insel trieben: mehren; Eiille, deren späterer Verlauf 
jedoch unbekannt ist (Z w a a n, C a r r e 1 etc.). Honsel ver¬ 
öffentlicht von 7 Fällen eine Heilung mit V/> Jahr und eine mit 
7 Jahren. Von Krönlein’s 19, meist sehr vorgeschrittenen 
Fällen starben 4, einer lohte noch zur Zeit der Veröffentlichung. 
1 Fall blich 19 Monate, einer 3 Jahre ohne Recidiv, 1 Fall war 
zur Zeit der Veröffentlichung 7 Jahre am Leben. Briim fand 
seinen vor 4 Jahren oj,>erirten Fall recidivfrei. F racnkel er¬ 
wähnt einen länger geheilten Fall, dessen Lebensdauer jedoch aus 
der Arbeit nicht zu entnehmen ist. einen zweiten Fall mit 
5 Jahren Heilung. Dazu kommt mein Fall mit bis jetzt 2 jähri¬ 
gem recidivfreien Bestände. 

Besserung der operativen Erfolge bedingt auch die Verbesse¬ 
rung der 0|K.*rationsmethoden. Die früher gebräuchlichen iutra- 
buccalcn Methoden der Entfernung der Geschwulst mittels 
Messer, Thermokauter oder Schlinge konnten keinen anderen 
als palliativen Werth haben, da sie einerseits nicht radical ge¬ 
macht wurden, andererseits die Drüsenmetastasen unberück¬ 
sichtigt blieben. Heute kommen nur mehr Methoden in Betracht, 
welche extrabuecal Drüsen und Tumor gleichzeitig entfernen 
oder solche, welche erst die Halsoperation extrabuecal und die 
Entfernung des Tumors intrabuccal vornehmen. Letztere 
Methode wurde von Alex. F r a e n k e 1 empfohlen. Ausgehend 
von dem sehr richtigen Gedanken: je weniger eingreifend unsere. 
Maassnahmen sind und auf je einfachere Weise wir zu dem an- 
gestrebton Ziele kommen, desto besser für den Kranken, hat er 
zuerst die Metastasen des Halses entfernt und dabei die Art. 
carot. ext. ligirt. Dies brachte den Vortheil, bei der nun nach 
einigen Tagen folgenden intrabuccalen Ausschälung der Ton- 
sillnrgeschwulst fast blutlos operiren zu können. 

Die kurze Ileilungsdauer, die äusserst einfache Nachbehand¬ 
lung, der gute Erfolg beider Fälle sprechen für die Methode. 
Sie dürfte aber, wie ich glaube, nur bei kleinen Geschwülsten in 
Anl>ctraeht kommen. Bei grossen Geschwülsten, besonders mit 
starker fiäohonhnftor Ausbreitung sind die fast allgemein üb¬ 
lichen extrabuecalen Methoden vorzuziehen, die nach Entfernung 
der Metastasen die Geschwulst, von gleicher Stelle entfernen. 
Der Wege hiezu gibt es verschiedene. Die Einen beschranken 
sieh auf Weichtheilsehnitte, Andere reseciren den Unterkiefer 
temporär, wieder Andere entfernen gleich den aufsteigenden Ast 

*) Uuter relativer Dauerheilung verstehe ich Fälle, welche 
5-7 Jahre und darüber recidivfrei bleiben, da es unentschieden 
sein dürfte, ob es sich nach dieser Zeit um ein Recidiv oder um 
«•Ine Neuinfektion handelt, bei vorhandener Prädisposition. 


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o. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1419 


tlieilweiso oder ganz. Die Sclmittführungen sind theils wage- 
recht vom Mundwinkel zum Ohr, theils senkrecht entlang dem 
Kopfnieker, theils V-, T- oder bogenförmig. Es hängt dies 
einerseits von der Ueberzeugung des Operateurs über die Zweck¬ 
mässigkeit des Vorgehens, andererseits aber und zwar haupt¬ 
sächlich von den lokalen Geschwulst Verhältnissen, entsprechend 
der Ausbreitung und Art derselben und der Grösse der Meta¬ 
stasen ab. 

Das Gemeinsame all’ dieser Methoden ist die breite Frei¬ 
legung des Operationsgebietes, um alles Krankhafte entfernen 
und die Blutung sicher beherrschen zu können. Das Schwierige 
ist. ausser der Technik der immerhin sehr eingreifenden Opera¬ 
tion, die Nähe des Respirationstraktus. 

lim das Eindringen des Blutes in den Kehlkopfeingang zu 
verhindern wurde besonders früher (auch jetzt noch von Miku¬ 
licz, Kocher. Cheever, I versen) die präventive Tra¬ 
cheotomie ausgeführt. Andere, wie Wolf und Körte, ope- 
rirtcii am hängenden Kopfe; Grenzmer, Vernouil. 

C z e r n y und besonders v. Bergmann und K r ö n 1 e i n 
plnidirten für Vermeidung der Tracheotomie, wobei in aufrecht- 
sitzender Lage des Kranken die Blutung lediglich durch sorg¬ 
fältige Unterbindung gestillt wird. Diese zeitraubenden Unter¬ 
bindungen können durch die präventive Unterbindung der Art. 
ca rot. ext., wie sio Alex. F raonkel und Schiatter zu 
oralen Operationen empfohlen haben, umgangen werden. Dieser 
einfache Eingriff scheint also von grossem Vortheile. 

Es lässt sieh nicht leugnen, dass die Tracheotomie mit all’ 
ihren naehtheiligen Folgen kein gleiehgiltiger Eingriff ist, zu¬ 
mal im höheren Alter der Kranken, um das es sieh hiebei meist 
handelt. In Anbetracht der Schwierigkeit der Nachbehandlung 
der behinderten Expektoration, des erschwerten Schluckaktes, i 
somit der Gefahr der Pneumonie, ist es also ein nicht zu unter¬ 
schätzender Vorthoil die Tracheotomie entbehren zu können. Ge¬ 
währt doch zu alledem nicht einmal die T rondelenburg’- j 
sehe Tamponkanüle die volle Sicherheit gegen das Einfliessen 
des Blutes in die Trachea, wenigstens nicht gegen das Herab- 
sickcm von Sekret in der Zeit nach der Operation. Honsel 
hat desshalb den Vorschlag gemacht, sich hiezu einer, der phone¬ 
tischen Kanüle ähnlichen Tamponkanüle zu bedienen, deren 
unterer Theil der Athmung, deren oberer dem Abfluss der in den 
Larynx fliessenden Sekrete dienen soll. 

Erleichtert man sieh freilich durch die Tracheotomie die 
Entfernung der Geschwulst, so ist die Operation am hängenden 
Kopfe durch die meist starke capilläre Blutung etwas erschwert. 
Wer zum ersten Male am hängenden Kopfe opearirt, wird dadurch 
etwas beirrt sein, man überzeugt sich jedoch bald davon, dass die 
Blutung durch kürzere oder längere Tamponade stets wieder zu 
stillen ist. Besonders bei Kindern, die in der Halbnarkose das 
liorabfliessende Blut nicht zu expektoriren vermögen, ist diese 
Methode sehr empfehlenswerth. Bei Erwachsenen dagegen geht 
die Expektoration in der gemischten Morphium-Chloroform- 
narkose meist leicht von statten, und kann man somit die Opera¬ 
tion bei aufreehtsitzender Haltung des Kranken ausführen, 
welche v. Bergmann und K r ö n 1 e i n vorziehen. Die 
Methode hat den Vorzug der Umgehung der Tracheotomie und 
die Vermeidung des grösseren Blutverlustes. Ich kann, mich 
jedoch des Gedankens nicht erwehren, dass hiezu wohlgeübte 
Assistenz nothwendig ist. Diesen Vortheil grosser Kranken¬ 
häuser entbehrt unsereiner auf exponirtem Posten mehr minder. 

1 m also guten Erfolg zu haben, wählte ich zur Operation die 
hängende Kopflage, umsomehr, als der Kranke durch mehrtägige 
Exercitien sie sehr gut zu vertragen schien. Er konnte in der¬ 
selben täglich mühelos eine Stunde liegen. 

Von der Beschreibung der verschiedenen, wenig differenten 
Operationsniethoden sehe ich ab, sie mag der Interessent aus den 
Originalveröffentlichungon ersehen, mir schien die beste» die von 
K r ö n 1 e i n verbesserte v. La ngenbec k’sche Methode. Die 
Details derselben ersehen Sie aus der nachfolgenden Operations- 
beschreibung meines Falles. 

Operation am 17. VI. 1899. Der Kranke erhielt 2 cg Morphium 
•■ine halbe Stunde vor Beginn (1er Chloroformuarkose. 

Vom Mundwinkel beginnend führte ich im Bogen den Schnitt 
abwärts Uber die Mitte des horizontalen Untcrkleferastes zum 
Zungenbeinhorn, von diesem nach aufwärts über den Sternocleklo 
hinweg zur hinteren Seite des Proc. nmstoideus. Nach theilweiscr 
Abhebung dieses grossen Lappens ging ich gleich an die Resektion 
<lts Uuterkiefers. Ich löste das Periost in kurzer Strecke ab, führte 


mittels Braatz’scher Nadel die G i g 1 Fache Siige herum und 
durchtrennte den Sohr starken Knochen au Stelle des 2. Dens 
molaris. Die nun folgende Ausschälung zweier Uber pflaumen- 
grosser und reichlicher kleiner Drüsen erforderte ziemliche Zeit, 
in Folge deren Verwachsungen mit den Nnehbarorgane». Es wur¬ 
den hiebei die Glandula subllugnalis und parotis freigelegt, ferner 
mussten die verschiedenen Gefässc (Art. carotis, nmx., thyr., lingd 
frelpräparlrt werden, auch der N. liypoglossus und vagus kamen 
zu Gesicht. Während sich diese alle erhalten Hessen, musste ich 
die Art. lingualls unterbinden. 

Zum Schlüsse wurde der Unterkiefer noch stärker nach .oben 
luxirt und als sieh keinerlei Drüsen mehr fanden, zum zweiten 
Tlieile der Operation, zur Eröffnung der Mundhöhle geschritten. 

Während bisher der Kranke die gewöhnliche Lage auf dem 
Operationstische (Braut/) mit etwas erhöhtem Oberkörper inne- 
liatte. wurde nun, abweichend von Krönlein, bei horizontaler 
Lage der Kopf über (len Rand des Tisches gesenkt und die Narkose 
sistirt. 

Bel Durchschneidung des Arcus palato-glossus und pharyngeus 
war die Blutung so intensiv, dass das ganze Cavum pharyngemu 
bis zum Aditus laryngis mit Blut sich füllte. Die Tamponade be¬ 
seitigte in wenigen Minuten diese Blutung und die Ausschälung der 
Geschwulst liess sich ohne weitere Schwierigkeit vornehmen. Ilie- 
hei wurde der vordere und hintere Gaumenbogen bis zur Zuugcn- 
basis, die rechte Hälfte der hinteren Rachenwand und ein Theil 
des weichen Gaumens snmint halber Uvula mitentfernt. 

Die Deckung des grossen Schleimhautdefektes gelang zum 
grössten Tlieile durch Annäherung der Schleimhaut der seitlichen 
Wange an die der hinteren Raehenwand. wobei die restirende 
Uvulahälfte mit einbezogon wurde. An die frei bleibende Stelle 
wurde ein Tampon gelegt und dieser durch die Halswunde heraus- 
geleitet. Die Maxilla inf. wurde mit Silberdraht genäht, die durch¬ 
trennten Muse, biventer und homohyoid. vereinigt und die Haut¬ 
wunde bis auf die Tamponstelle mit Katgut geschlossen, Jodo¬ 
formgaze. Watte-Kleisterbinden verband. 

Die Nachbehandlung gestaltete sich sehr einfach, indem 
Patient schon am Tage nach der Operation Flüssigkeiten zu 
schlucken vermochte; dadurch war die Sondenbehnndlung un- 
nölbig. 

Die Wmnlheilung verlief völlig reaktiouslos. aller nur zu bald. 
Anfang Juli, zeigte sich schon der Verdacht des gefürchteten Re- 
cidives. 

Status r>. VII. Auf (1er r. Seite (1er hinteren Rachen wand 
wölben sich gramilationsühnliche Tiimomiassen vor. die sich hart 
anfühlen und bis zum Zungengrunde einerseits, andererseits in das 
Cavum pharyngonnsale erstrecken. Auch der Rest, des weichen 
Gaumens fühlt sich hart an. Das Rccldiv breitete sich somit haupt¬ 
sächlich an den Schleimlmutwundrändern aus. Die Frobo- 
exclsionen bestätigten die -Vermuthung des Recidives (siehe histo¬ 
logischen Theil). 

Trotzdem wenig Aussicht vorhanden schien, den Fall zu retten, 
ging ich dennoch an die nochmalige Operation, als dem einzigen 
noch bestehenden Hilfsmittel. 

Unter den jetzigen Verhältnissen, bei dem Mangel an Drüsen 
und der schön geheilten Ilalswunde, zog ich vor, intrabuceal zu 
operlren und zwar nicht mit Sealpel. sondern mit Kaustik. Audi 
diesmal operirte loh unter Morphimn-Clilorofomi-IIalbnarkose br 
hängendem Kopfe; die Carotis eounn. legte ich am Halse an 
typischer Stelle frei und schlang zur allenfalls nötlilgen tempo¬ 
rären Unterbindung eine Ligatur um; diese aber kam nicht zur Ver¬ 
wendung. 

Theils mit Galvanokauter, theils mit Paquelln entfernte ich 
den ganzen r. weichen Gaumen, die Schleimhaut (1er hinteren und 
der seitlichen Raehenwand bis zur Tubenöffnung und einen Theil 
der Zuiigenbasis. 

Die Art. palatina musste wegen starker Blutung durch Um¬ 
stechung llglrt werden. Die grosse Wund fläche wurde fest mit 
•Todofomigaze tamponirt, deren Enden behufs Fixation zur Nase 
und zur Tamponfistel der ersten Operation herausgeleitet wurden. 

Auch nach diesem Eingriff vermochte Patient zu schlucke» 
und sich dadurch auf natürlichem Wege zu ernähren. 

Unter 2—3tägigem Verbandwechsel trat allmählich Granu¬ 
lation mul Heilung ein. Der Wundverlauf. Anfangs ganz reaktions¬ 
los. wurde später (17. VII.) durch ein leichtes Erysipel gestört. 
Dieses erstreckte sich von der Fistelöffnung aussen am Halse über 
die r. Hals- und Gesichtsseite, heilte jedoch unter Anwendung 
von Anthrarobin in 8 Tagen ab. 

Ein an der Tuba Kustachii auftretendes rccldiv verdächtiges 
Granulom zeigte sich als nicht malig». 

Am Tage der Entlassung wog Patient 148 Pfund: als er sich 
am 22. Sept vorstollte, hatte er 3(5 Pfund /»genommen. 

Die Fistel der Tamponstelle war verheilt. Die grosse Granu 
latlonsfläehe der Mundhöhle war mit Schleimhaut oder Narbe be¬ 
deckt. Der Unterkiefer ist fest konsolidirt. 

Die vorhandenen subjektiven Beschwerden waren gering: 
saures Gefühl Im Mumie und an den Lippen, angebliche Schwellung 
der Zunge. 

Das Körpergewicht blieb seit Herbst 1899 annähernd auf 
172 Pfund. 

Gegenwärtig, 23 Monate nach der Operation, sehen Sie die 
äussere Wunde als lineare Narbe. 

Hier Ist die Incisionsstelle zur Unterbindung der Art. ca rot. 
Es fehlt jede Entstellung durch die äussere Operalionswunde. 

Iutralmccal kleidet die 1. Knchcnhälfte eine meist glatte, nur 
in der Nähe des Kiefergelenkes leicht strahlige Nari*e aus. Funk¬ 
tionell besteht keiue Störung; weder die Sprache noch der Schluck- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


akt ist beeinträchtigt, auch die anfänglich etwas vermehrte Sall- 
vatlon ist wieder normal. 

Die excldirte Geschwulst zeigt eine Länge von 4 und eine 
Breite und Dicke von je 2 cm. Der Durchschnitt weist einen 
strnldigen Bau auf. 

Die mikroskopische Untersuchung hatte Herr Privatdocent 
Dr. Borst die grosse Liebenswürdigkeit zu übernehmen, für 
welche ich ihm hier meinen besten Dank bekunde. 

Sowohl die ursprüngliche Geschwulst als auch die später 
übersandten Theile des Itecldives zeigen den Aufbau eines Rund¬ 
zellensarkoms vom Typus eines Lymphosarkoms, dessgleicheu die 
excidirten Lymphdriisen. 

Die Details folgen am Ende dieser Arbeit 

Ich rekapitulire. 

Gegenüber den meist schmerzhaften, durch baldige Ge¬ 
schwürsbildung sich auszeichnenden Cnrcinomen der Tonsille 
machen sich die Sarkome durch ihre anfänglich geringen sub¬ 
jektiven Beschwerden erst später bemerkbar und durch ihre 
grosse Aehnlichkeit mit den gutartigen Tonsillenvergrösserungen 
schwerer erkenntlich. Es gehört also gerade hier noch mehr oine 
genaue F.rkenntniss und eine genaue Untersuchung dazu, um 
im Frühstadium die Diagnose zu stellen. Liegt der Verdacht 
einer malignen Geschwulst der Tonsille vor, dann versäume man 
nicht die Zeit mit internen Mitteln, sondern überlasse die Be¬ 
handlung dem Chirurgen. Erst wenn auch hier die operative Be¬ 
handlung früher einsetzt, werden wie bei den Magen- und Uterus- 
carcinomen und anderen die Erfolge besser werden. Also vor 
Allem die Frühoperation. Aber auch durch die jetzt verbesserte 
Operationsmethode werden die Dauerresultate wie bei obigen 
Organen sich mehren. 

Mag man bei kleineren Geschwülsten mit der F raenkel’- 
sehen zweizeitigen Methode auskommen, die sich durch Einfach¬ 
heit des Eingriffs auszeichnet, bei vorgeschritteneren Fällen, bei 
solchen, welche auf die Nachbarorgane übergegriffen haben, 
scheint mir das radikale Vordringen von Aussen her zur Aus¬ 
rottung der ganzen Neubildung und deren Metastasen in einem 
Akto das richtigere und möchte ich unter den verschiedenen 
hiezu angegebenen Methoden der von K r ö n 1 e i n modifizirten 
Langenbec k’schen Operation den Vorzug geben. 

Sie hat den Vortheil breiter Freilegung des Operationsgebietes 
ohne funktionelle und kosmetische Störungen zu hinterlassen und 
bietet Schutz der Knochenverletzung vor Infektion von der 
Mundhöhle aus. Aber auch sie wird gute Erfolge nur haben 
bei Umgehung der Tracheotomie — nothwendige Ausnahmen zu¬ 
gegeben—sei es, dass die Blutstillung lediglich durch sorgfältige 
Unterbindung der Gefässe oder durch präventive Carotisligatur 
geschieht, sei es, dass man am hängenden Kopf operirt. Denn 
nicht nur muss der Eingriff als solcher möglichst gering sein 
und jede Komplikation vermieden werden, sondern auch die 
Nachbehandlung muss sich möglichst einfach gestalten. Sie ist 
leichter bei nicht Tracheotomirten, indem der Kranke leichter 
schlucken kann. 

Kann der Kranke durch Schlucken sich selbst ernähren, 
kann ihm die Qual täglicher Schlundsondenfütterung oder gar 
der sonde ä demeure erspart werden, so erholt er sich einerseits 
leichter, andererseits entgeht er um so leichter der grossen Ge¬ 
fahr der Pneumonie. Zu deren Venneidung lasse ich solche 
Kranken schon am 2. und 3. Tage auf stellen. 

Unter all’ diesen Vorbedingungen können also trotz der 
grossen Malignität der Geschwulst und deren raschem oft lang 
unbemerktem Wnchsthum gute Erfolge erzielt werden. Freilich 
darf man sich durch ein rasch auftretendes Recidiv nicht von 
einem zweiten baldigen Eingriffe abseh recken lassen, um zu 
einem guten Endresultate zu kommen. 

So möchte ich im Anschluss an den demonstrirten Fall 
empfehlen, von der operativen Behandlung besonders des Früh¬ 
stadiums der malignen Tonsillengeschwülste nicht abzulassen. 

Mikroskopische Untersuchung eines Tonsillen-Sarkoms. 

Bericht des Prlvatdoeenten Herrn Dr. Borst in Würzburg, 

a) Die Geschwulst der Tonsille selbst. 

Die Geschwulst zeigt eine ziemlich einförmige Zusammen¬ 
setzung. Eine ungeheure, gleichmässige Anhäufung von Rund¬ 
zellen liegt vor, durch welche sich spärlich grössere Bindegewebs- 
zilge hindurchziehen und so eine, allerdings unvollkommene Ein- 
theilung der Geschwulst in einzelne Knoten von verschiedener 
Grösse und Gestalt bewirken. Meist sind diese Bindegewebssepten 
selbst wieder ausgiebig diffus oder in Streifen und Nestern von 
den Rundzellen der Geschwulst durchsetzt. Die Septen enthalten 
grössere Gefässe, die sich zumeist als V e n e u darstellen. You 


diesen gröberen Septen aus breitet sich ln die Geschwulstknoten 
hinein ein zierliches, nahezu verschwindend gering entwickeltes 
bludegewebiges Stroma, welches kleine Gefässe führt, die hie und 
da leicht erweitert erscheinen. Die Geschwulstmasse selbst besteht 
aus sehr gleiehruüssig entwickelten, kleinen mit schwächer oder 
stärker grauulirten, rundlichen Kcruen versehenen Rundzellen, 
die grosse Aehnlichkeit mit den Lymplikörperchen haben, nur sind 
die Kerne etwas heller als die der Lympliocytou, und das ganze 
Zellgebilde meist etwas grösser als die kleinen Lymphocytenformen 
des Blutes. Ein überaus spärliches faseriges, feinstes R e t i - 
c u 1 u m ist zwischen den Rimdzellen ausgespannt und erfährt 
seine Anheftung an den reichlichen Kapillarwänden, welche häufig 
nur als einfache Endotlielschliluche durch die Ge¬ 
schwulstmasse hindurcliziehen. Da wo die Geschwulst grössere 
Bindegewebssepten ergreift, zeigt sie ein exquisit infiltra¬ 
tives Wachsthuin, indem die Rundzellen zwischen die spind- 
lichen Bindegewebszellen und Bindegewebsfasern eiuwachsen und 
schliesslich das fibrilläre Bindegewebe zu einem rcticulären Stütz- 
gerüst entfalten. An einzelnen Stellen ist an dem Präparat auch 
das Plattenepithel der Tonsillenoberflüehe erhalten: Die Geschwulst¬ 
masse reicht vielfach bis dicht au das Epithel heran. Das Epithel 
wird über der Geschwulst gedehnt und atrophirt. oder die Rund- 
zellenniasse durchsetzt diffus und regellos das Epithel und zer¬ 
stört dasselbe. Wo die Geschwulstmasse das Epithel noch nicht 
erreicht hat und auch eine stärkere Dehnung des Epithels noch 
nicht eingetreten ist. finden sich im Epithel viele Mitosen. In den 
Geschwulstzellen selbst konnten Mitosen mit Sicherheit nicht 
beobachtet werden. 

b) Recidiv der Tonsille. 

Das Präparat zeigt ein ausserordentlich reiches Balkensystem 
von faserigem Bindegewebe mit. relativ wenig Spindelzellen, 
welches massenhaft stark erweiterte, unregelmässige Bluträunu* 
enthält, so dass ein cavernöser Charakter des Bindegewebes 
rcsultirt. An einzelnen Stellen ist dieses Bindegewebe von Platten¬ 
epithel überkleidet; tlieilweise ist hier bereits ein Papillarkörper 
in Entwicklung begriffen. Das Balkensystem dieses Bindegewebes, 
welches den Eindruck eines narbigen Gewebes macht, um- 
schliesst grosse Maschen, welche mit den vorhin beschriebenen 
Rundzellenmassen zum Tlieil ganz und gar ausgefüllt sind. Die 
Zellen sind liier vielfach etwas kleiner mit dunkel grauulirten 
Kernen versehen und erinnern so ganz besonders eindringlich an 
Lymplikörperchen. Aber auch die grösseren vorhin be¬ 
schriebenen Formen von Rundzellcn kommen vor. Vielfach findet 
man innerhalb der Rundzellen Anhäufungen quergestreifter 
Muskelfasern auf Längs- und Querschnitten, welche in allen 
Stadien der Degeneration angetroffen werden. Die Snrkoni- 
zellen wachsen hier im Interstitiellen Biudegewoli' 1 
der Muskeln unter Erweiterung der hier vorhandenen Ge¬ 
fässe und Neubildung von Gefiissen. Da und dort sieht man 
der Degeneration der Muskeln eine vorübergehende 
Vermehrung der Muskelkerne vorausgehen (reaktive 
Wucherung). 

c) L y m p h driis e v o m Hals. 

Mächtig vergrösserte Drüse, ganz und gar aus ntndzelligeni 
Sarkomgewebe bestehend. Vom Bindegewebe sind nur schmale 
Septen und Streifen, welche sich dann weiterhin netzförmig 
als Stützgerüst in der Geschwulst masse verlieren, zu sehen. Pie 
Geseliwnlstnmsse selbst zeigt sehr unregelmässige Zell¬ 
form e u. Kleinere und grössere Rundzellen mit rund 
liehen und auch ovalen Kernen finden sich neben stark 
in die Länge gestreckten Zellformen. (Ausdruck 
der Raunibeschränkung.) Sehr schön ausgebildet ist 
innerhalb der ganzen Gesell willst ein faseriges R e 11 c u 1 u m. 
welches der Rundzellenmnsso als Stütze dient Die Drüsen- 
kapsel ist vom Sarkom mehrfach durchwachsen und 
finden sich die Sarkonizellen bereits im periglandulären Fettbinde¬ 
gewebe, tun weite Gefässe ungeordnet und zwischen die Fett- 
zellen und in’s Rindegewebe infiltrativ vordringend. 

d) V o m Gnu m e n. 

Das Präparat zeigt an einzelnen Stellen der Oberfläche das 
Plattenepitliei tlieilweise erhalten, darunter ein lockeres Binde¬ 
gewebe mit weiten Venen und schliesslich in der Tiefe 
Läppchen von Schleimdrüsen, welche von Fett und Bindegewebe 
cingoliüllt sind. An einzelnen Stellen ist das interstitielle Binde¬ 
gewebe der Driisenlüppchen von kleinen Rundzellcn in- 
filtrirt, zugleich erweitern sich liier die Gefiisse. Da die in- 
filtrirenden Rundzellen den vorhin beselirielienen Geschwulstzellen 
in der Form gleichen, ist es wahrscheinlich, dass es sich um 
ein beginnendes sar komatöses Infiltrat handelt. 

e) Vom Zungengrund. 

Wenn wir ln dem Präparate von der Oberfläche nach der 
Tiefe vorschreiten, so finden wir Folgendes: Erst kommt eine 
offenbar n e u g e b i 1 d e t e Epithelschicht mit jungem P a p i 1- 
1 a r k ö rper und frisch entwickelten, mit breiter Keimschicht ver¬ 
sehenen Epitlielznpfon. Das Epithel ist geschichtetes Pflaster¬ 
epithel. An einzelnen Stellen ist die Epithelbekleidung des Binde* 
gowebes erst im Gange. Unter dem Epithel findet sich 
junges faseriges Bindegewebe mit reichlichen erweiterten 
Gefiissen (Kapillaren, kleine Venen). Dieses Bindegewebe zeigt 
stellenweise unbedeutende Infiltrate mit kleinen Rundzellen, deren 
Kerne häufig excentrlsch liegen. Die Rundzellen finden sich 
besonders um die Gefässe, besonders dicht unter dem Epithel: 
sie sind kleiner, als die vorhin beschriebenen Geschwulstzellcn 


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MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1421 


3. September 1901. 

uud haben sehr kleine dunkle Kerne. An einzelnen Stellen durch¬ 
setzen sie ln grösseren Massen das Epithel, wobei Bilder entstehen, 
welche vollständig der physiologischen Durchwande¬ 
rung des Epithels (z. B. im Bereich der Zungenbälge) entsprechen. 
Geht man tiefer in’s Präparat, so findet sich derbes Binde¬ 
gewebe mit vielen elastischen Fasern, in welchem cylinderepithel- 
tragende Drüsenausführungsgänge uud sehr weite Venen 
neben ebenfalls weiten Arterien verlaufen. Hier ist auch das 
Gewebe vielfach durchblutet Anhäufungen von Rundzellen 
finden sich auch hier um die Gefässe und Drüsenausführungs- 
gänge. Sie haben jedoch nicht den Charakter der Geschwulst¬ 
zellen. Nur an einzelnen Stellen findet man um Gefässe gelegen 
stärkere rundzeilige Anhäufungen, wobei die Zellen etwas grösser, 
uugleichmässiger ausgebildet sind und durch die Beschaffenheit 
der Kerne sich mehr dem Typus der Gesell wulstzellen nähern. 
Ausserdem finden sich noch im Präparate Inseln von narbig ver¬ 
ändertem Fettgewebe. Reste von quergestreiften 
Muskelfasern und Ncrveubündelcheu, meist in 
narbiges Bindegewebe eingeschlossen. Schliesslich trifft man noch 
auf Läppchen von Schleimdrüsen: Die Drüsen sind zum 
Theil zwischen wucherndes Bindegewebe gefasst, atrophirend, 
zum Theil leicht erweitert von Schleimmassen erfüllt. Das inter¬ 
stitielle Bindegewebe von Rundzellen durchsetzt, die jedoch nicht 
den Typus der Tumorzellen zeigen. Ein sicherer Entscheid, ob 
in diesem Präparat bereits eine beginnende sarkomatöse Infil¬ 
tration im Gange sei, konnte nicht getroffen werden. 

L 11 e r a t u r: 

Krönlein: Beiträge zur klinischen Chirurgie (v. Bruns». 
Bd. XIX. — Honsel: lieber maligne Tumoren der Tonsille. 
Ebenda. Bd. XIV. — Scheck: Krankheiten der Mundhöhle. 
Derselbe: Centralbl. f. Ohreuheilk. — Schiatter: lieber 
Carotisunterbindungen als Voroperatlou der Oberkieferresektion. 
Bruns’ Beiträge z. klin. Chir. Bd. XXX, H. I. — Kaposi: 
Ein Fall von Lymphosarkom mit ausgedehnten, spontan sich 
rückbildenden Huutmetastasen. — Alex. Frnenkel: Wien. klin. 
Wochenschr. 1898. No. 12. — Handbuch der prakt. Chirurgie. 
Bd. I. — Langhoff: Ein Beitrag zur Kasuistik der Rachen- 
carcinome. Diss. München 1898. — Kotsonopulos: lieber 
Sarcoma tonsillae. München 1898. —■ Sonthelmcr: Ucber 
Carcinom des Rachens. Diss. München 1898. — Hillebrand: 
Jahresbericht über die Fortschritte auf dem Gebiete der Chirurgie 
1897, 1898, 1899. — Mackenzie: Ilalskrankheiteu. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Hans Schmaus: Vorlesungen über die pathologische 
Anatomie des Rückenmarks. Herausgegeben unter Mitwirkung 
von Dr. Siegfr. Sacki. Mit 187 theilweise farbigen Text¬ 
abbildungen. Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann, 1901. 

Unsere Kenntnisse von der pathologischen Anatomie des 
Nervensystems haben wir bis jetzt zum grössten Theil Klinikern 
zu verdanken und es ist daher selbstverständlich, dass gerade 
auf dem Gebiete der Nervenpathologic viele wichtige Fragen 
weit mehr von klinischen Gesichtspunkten als vom Standpunkte 
eingeliender pathologisch-anatomischer Forschung aus bearbeitet 
worden sind. Dass hiedurch in manchen Fragen, wie z. B. über 
den Begriff der Myelitis, auch zum Nachtheil der klinischen 
Forschung die grösste Verwirrung entstand, ist ebenfalls be¬ 
greiflich. 

Die Vorlesungen von Schmaus über die 
pathologische Anatomie des Rückenmarkes 
sind das erste und einzige jetzt existirende 
Werk, in welchem die verschiedenen Krank¬ 
heiten dieses Organs auf Grund streng anato¬ 
mischer Forschung in zusammenhängender 
Form bearbeitet sind. 

Wie überhaupt die Kenntniss der pathologischen Anatomie 
stets die Grundlage für das klinische Studium bilden muss, so 
sollen auch diese Vorlesungen nicht nur für die Vertiefung und 
Klärung vieler Fragen beitragen, sondern namentlich 
für das klinische Studium der Rückenmarks¬ 
krankheiten vorbereiten. Da aber ein erspriesslicher 
Unterricht in der pathologischen Anatomie für den künftigen 
Arzt nur in engster Fühlung mit der klinischen Medicin mög¬ 
lich ist, so hat der Verfasser in seinem Werke die klinischen 
Gesichtspunkte wenigstens soweit herangezogen, als der patho¬ 
logisch-anatomische Befund für manche klinische Symptome 
ll mittelbar die Erklärung gibt. 

Die Bearbeitung dieses Theiles des Werkes wurde haupt¬ 
sächlich von Sacki durchgeführt. 

Die zahlreichen, nach Originalpräparaten des Verfassers 
hergestellten vortrefflichen Abbildungen tragen wesentlich zum 
leichteren Verständniss des überaus klar und anregend ge¬ 
schriebenen Textee bei. 


Das beigefügte Litoraturverzeichuiss beschränkt sich aus¬ 
schliesslich auf Sammelwerke, zusammenfasseude und mono¬ 
graphische Arbeiten und soll lediglich als Wegweiser für ein¬ 
gehendere Literaturstudien dienen. 

Schmaus, welcher gerade in der Erforschung der patho¬ 
logischen Anatomie des Nervensystems schon Hervorragendes 
geleistet hat, hat sieh durch die Herausgabe des vorliegenden 
Werkes ein grosses Verdienst und damit gewiss auch den Dank 
»licht nur aller Fachgenossen, sondern auch der Kliniker und 
Aerzte erworben; denn thatsäehlich wird durch das aus¬ 
gezeichnete Werk eine empfindliche Lücke in der medicinisehen 
Literatur endlich ausgefüllt. Hause r. 

Rudolf Glaessner: Die Leitungsbahnen des Gehirns 
und Rückenmarks, nebst vollständiger Darstellung des Ver¬ 
laufes und der Verzweigung der Hirn- und Rückenmarks¬ 
nerven. Mit 7 farbigen Tafeln. 61 Seiten. Wiesbaden, 
.1. F. Burgma n n, 1900. 

G. beabsichtigt mit vorliegendem Büchlein, um seine eigenen 
Worte zu gebrauchen, ein möglichst dankbares Vademecum für 
das Anfangsstudium eines immerhin schwierigen Kapitels der 
menschlichen Anatomie an die Iland zu geben, das in streng 
übersichtlicher, eng züsammengetragener, aber doch in sich ab¬ 
geschlossener Form und dureh Beigabe leicht verständlicher 
Leitungstafeln eine anschauliche Vorstellung von dem Verlauf 
der Gehirn- und Gehirnnervenbalmcn, sowie der Art und Weist; 
ihrer Funktionen in einer relativ kurzen Zeit bilden helfen soll. 

Verfasser gibt zuerst eine Uebersieht über den Verlauf der 
Fasersysteme im Gehirn, Kleinhirn, Rückenmark, bespricht dann 
de»i Verlauf der Bahjien in den einzelnen Abschnitten des Hirn- 
mantels, Ilirnstamms und Rückenmarks und schliesst eine Dar¬ 
stellung der Verzweigung der peripheren Nerven an. Es dürfte 
sieh empfehlen, bei der hier angeschlossenen tabellarischen 
Uebersieht der Innervation und der Insertionsstellen der ein¬ 
zelnen Muskeln gelegentlich einer Neuauflage auch deren Funk¬ 
tion ebenfalls anzugeben. Ebenso könnte auch, um diesen 
Wunsch hier gleich anzusehliessen, die Segmentaldiagnose des 
Rückenmarks, besondei’s nach der bildnerischen Seite, berück¬ 
sichtigt werden, um die Anwendbarkeit des Buches für den 
prak tischen Gebrauch noch zu erhöhen. 

Ernst Schnitze- Andernach. 

A. Friedländer: lieber den Einfluss des Typhus 
abdominalis auf das Nervensystem. Klinische Mittheilungen 
und kritische Besprechung dor einschlägigen Literatur von 1813 
bis Anfang des Jahres 1900. Berlin 1901, Verlag von S. Karger. 
222 Seiten. Preis 6 M. 

Im Anschluss an 24 eigene Fälle bietet Verf. in Gestalt einer 
Monographie eine Zusainmenstollung unseres Wissens über die 
Beziehungen, die zwischen Typhus abdominalis und den Er¬ 
krankungen des gesummten Nervensystems bestehen. Die Arbeit 
gliedert sieh in eine Betrachtung der vom Verf. beigebrachten 
Fälle und in eine eingehende Besprechung und Sichtung eines 
sehr umfangreichen aus der Literatur zusammengestellten ka¬ 
suistischen Materiales. 

Unter anderem ist besondere Sorgfalt der interessanten 
Frage gewidmet, ob der von den Einen entschieden behauptete, 
von Anderen aber ebenso entschieden bestrittene günstige, ja 
heilende Einfluss des Typhus auf Psychosen als erwiesen ange¬ 
sehen werden darf. 

Verfasser bejaht diese Frage auf Grund eigener Fälle und 
eingehender Literaturnachweise und referirt die diesbezüglichen 
Erklärungsversuche. Die im Gefolge des Typhus auf tretenden 
Psychosen theilt Verf. wie Kraepelin ein in Initialdelirien, 
die häufig vor allen anderen typhösen Symptomen beginnen und 
daher diagnostische Wichtigkeit beanspruchen; in die mit dem 
Fieber einsetzenden und mit demselben zusammenhängenden 
Fieberpsychosen, und in die nach dem Typhus, oft sehr spät, auf¬ 
tretenden Psychosen, die meist unter dem Bilde einer Er- 
schöpfungspsychose verlaufen. Ohne irgendwelchen Zusammen¬ 
hang statuiren zu wollen, fügt Verf. der Besprechung der spät 
cinsetzenden Psychosen einen Ueberblick über naehgewiesmin 
Fälle langer Lebensdauer der Typhusbacillen (7—10 Jahre) im 
Organismus an. 

Eine sehr umfangreiche kasuistische Zusammenstellung, die 
im Intereaee der Vollständigkeit auch manchen nicht ganz 


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No. 30. 


1422 


MHENOHENER MEDIZINISCHE WOZTTENSZTIRIFT. 


hierhergeliörigcii Fall briiiKt* behandelt di« Erkrankungen der 
ixripheren Nerven und dos Rückenmarks. Mit eigenen und 
fremden Beobachtungen tritt Verfasser für das Vorkommen 
echter Epilepsie und funktioneller Neurosen (Hysterie) als 
Typhusfolge ein. 

Der Arbeit ist ein auf 521 Nummern sieh erstreckendes Ver¬ 
zeichn iss der seit 1813 erschienenen Literatur angefügt. 

Lommel - Jena. 

Dr. H. Breitenstein: Einundzwanzig Jahre in 
Indien. II. Theil: Java. Leipzig, Th. Grieben's Verlag 
(L. ¥ erna u, 1900. Preis 8 M. 50 Pf. 

Auf Grund der Aufzeichnungen in seinem Tagebuche schil¬ 
dert Verfasser in vorliegendem Bande seine Erlebnisse und Ein¬ 
drücke auf Java vom Beginn der Seereise nach Indien bis zu 
seinem Abschiede von der schönen Insel, ln bunter Fülle 
wechseln Bilder von Land und Leuten mit Erörterungen natur¬ 
wissenschaftlichen, medicinisehen oder kolonialpolitischen In¬ 
halts. Sitten und Gebräuche der Eingeborenen, Chinesen und 
der dortigen Europäer sind ausführlich beschrieben, reiches, 
statistisches Material ist so eingeflochten, dass die trockenen 
Zahlen nicht ermüdend wirken; durch den steten Wechsel der 
verschiedenen Themata und einen fliessenden lebhaften Vortrag 
wirkt die Lektüre des Buches ausserordentlich angenehm und 
spannend. Zum grossen Theil sind die vom Referenten beim 
ersten Theil des Werkes (Borneo) beanstandeten vielen Hollau- 
dismen vermieden, wenn auch noch manchmal gegen die 
deutsche und malayischo Sprache gesündigt wird (z. B. bezeich¬ 
net Brei t c n s t c i n , dem holländischen Idiom folgend, 
Gegenstände aus Messing als kupferne); auch die Abbildungen 
sind viel besser. Zu beanstanden wäre, dass Breiten stein 
seine Beobachtungen und Erfahrungen, welche er eben fast 
ausschliesslich im Verkehr mit Holländern erworben hat, gerne 
als für den ganzen indischen Archipel giltig hinstellt (ef. p. 283 
über die Ilaustoiletto der Damen). Wenn Breitenstein 
glaubt (p. 219), dass wegen des hohen Feuchtigkeitsgehaltes der 
Luft in Indien Präriebrände niemals Vorkommen, so hätte er 
sich in Sumatra recht häufig von dem Gegentheil überzeugen 
können. Doch solche kleine Fehler thun den sonstigen Vorzügen 
des Buches keinen Eintrag und die Lektüre desselben wird 
Jedem, der sich für solche Themata intercssirt, grossen Genuss 
bereiten. Ganz besonders möchte ich das Buch jenen jungen 
Kollegen zum Studium empfehlen, welche gesonnen sind, in 
holländische Militärdienste zu treten: Dieselben werden, da ge¬ 
rade die militärdienstlichen Verhältnisse auf Java sehr ein¬ 
gehend und sachkundig behandelt sind, sehr viel Belehrung 
finden und wohl mancher von ihnen wird seinem Entschluss 
untreu werden. Dr. P a s t e r. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1901. 70. Bd 

5. u. 6. Heft. 

20) E. M e y e r: Heber Alkaptonurie. (Aus dem Labora¬ 
torium für analytische und technische Chemie der technischen 
Hochschule zu Braunschweig.) (Mit 1 Kurve.) 

Unter Alkaptonurie versteht man eine Iteihe auffälliger Harn- 
rcaktionen, die bisher relativ selten bei Personen verschiedenen 
Alters und Geschlechtes gefunden wurden. Der Urin färbt sich, 
noch bevor er in ammouiakalische Gähruug übergeht, von der 
Oberfläche her braun, wenn er an der Luft steht, nicht aber, wenn 
der Luftzutritt verhindert ist. Das Gleiche erfolgt sofort auf Zu¬ 
satz von Alkalien, mit verdünnter Fe Cl 2 -Lösung färbt sich der 
Harn vorübergehend triibgrau. M. beobachtete dieses cha¬ 
rakteristische Verhalten des Harnes bei einem iy 2 jähr. Knaben aus 
gesunder Familie, dessen auffällig dunkler Urin ln der Wäsche 
braune Flecke hlnterliess, daneben bestand häufiger Urindrang 
und Bettnässen. Als Alkaptonkörper fand sich, wie auch in den 
anderen Fällen, die Iloinogentisinsäure, die aber innerhalb gewisser 
Grenzen keine tiefer gehende Störung des Organismus bedingt. 

21) F. Jam ln: Ein Fall von multiplen Dermatomyomen. 
(Aus der k. med. Universitätsklinik zu Erlangen.) (Mit 3 Ab¬ 
bildungen.) 

J. vermehrt die sehr spärliche Kasuistik von aus glatten 
Muskelfasern bestehenden llautgesehwülsten um einen neuen 
Fall, der übrigens ln den meisten Punkten mit den Angaben anderer 
Autoren übereinstimmt. Bel dem jetzt 42 Jährigen Patienten traten 
im 17. I^bensjahre am rechten Unterschenkel oberhalb derKnöchel- 
gegend einige rötliliche, stecknadelkopfgrosso Geschwülstehen auf, 
die sieh langsam auf den Oberschenkel und Brust ausbreiteten und 
an Grösse Zunahmen. Seit 20 Jahren ist ein Stillstand eingetreten, 
insofern als neue Knoten nicht auftraten und die vorhandenen 
nicht an Grösse Zunahmen. Während die Affektion Anfangs 


schmerzlos verlief, traten später anfallsweise stechende, brennende, 
reissende Schmerzen auf, besonders im Winter. Während des An¬ 
falles schwillt die Haut des Unterschenkels unter Uüthung an. 
der Schmerzanfall selbst dauert, ca. 20 Minuten, um nach einer 
mebrKtündllclien Pause wieder zu beginnen. Narkotica waren den 
quälenden Schmerzen gegenüber fast machtlos. Die histologische 
Untersuchung excidlrter Knötchen ergab, dass es sieh um Dennato- 
myome handelte, die von den Muse, arrectores pilorum ausgingen. 
Du eine rationelle Therapie nur in der Exstirpation der Knötchen, 
und zwar iin noch schmerzfreien Stadium, bestehen kann, so em¬ 
pfiehlt sieh eine frühzeitige, diagnostische Prolwexcision. 

22) L. Mohr und II. Salomon: Untersuchungen zur 
Physiologie und Pathologie der Oxalsäurebildung und -Aus¬ 
scheidung beim Menschen. I. Mittheilung. (Aus der inneren Alt- 
theilung des stiidt. Krankenhauses ln Frankfurt a. M.) 

Verfasser, die Ihre Untersuchungen fast durchwegs an kli¬ 
nischem Material anstellten, bringen Beiträge zur Frage nach (1er 
Bedeutung, Entstehung uml Ausscheidung der Oxalsäure, ohne 
vorläufig zu einem abschliessenden Gesammtergebniss zu kommen. 

23) II. E i e h h o r s t - Zürich: Ueber Brand an Armen und 
Beinen nach Scharlach und anderen Infektionskrankheiten. (Mit 
Tafel XL) 

In einem schweren Scharlach falle, der unter sehr bedroh¬ 
lichen Allgemeinerscheinuugeu und einer Angina necroth-a strepto- 
eoee. et staphylocoee. verlief, trat, ohne dass sieh ein Befund aui 
Herzen ergab, ganz plötzlich eine Gangraen des linken Unter¬ 
schenkels ein, die eine Ablatio crurls uötliig machte. Die Unter¬ 
suchung des Präparates ergab, dass die Art. poplitea 1 cm ober¬ 
halb ihrer Thelhmgsstelle in Art. tib. ant. lind post, durch einen 
Pfropf vollkommen verschlossen war, der sich auch ln die beiden 
Aeste fortsetzte. Die Entwicklung eines Brandes an Extremitäten 
nach Scharlach ist ungemein selten. Trotz des plötzlichen Ein¬ 
trittes des Gefässverschlusses nimmt Verfasser keine Emboli»*, 
sondern eine autochthoue Arterienthrombose au, da die histo- 
logisehc Untersuchung des GefässquersehuUtes eine EudarteriitN 
ergab. E. hält cs für zweifellos, (lass die Veränderungen in der 
Blutgefässbahn der schweren Allgeineiuiufektlon (Toxine!) ihren 
Lrsprung verdanken, die zunächst zu einer lokalen Endarteriiti' 
der Art. poplit. und von da aus zu einer autochthonen Arterien- 
thrombose geführt hat. Es muss betont werden, dass die eud- 
artevlitlschen Veränderungen nur eine sehr geringe Läugenaus- 
dehuung besitzen können, so dass das Gefiiss stets in weiter Aus¬ 
dehnung auf Serienschnitten zu untersuchen ist. Von 1(50 Fällen. 
l>ei denen im Anschluss an verschiedene Infektionskrankheiten 
Gangraen der Extremitäten eingetreten ist, ist nur einer eingehend 
histologisch untersucht mit gleichem Befunde, hei vielen anderen 
ohne zwingenden Grund emholiseher Verschluss irrthtimlieh an¬ 
genommen. Interessant ist. dass z. B. nach Ha ab die sogen. 
Embolie der Art. central, retinae vielfach auf autochthoncr Throm¬ 
bose in Folge Eudarteriitis beruht. 

24) A. Procliaska: Untersuchungen über die Anwesen¬ 
heit von Mikroorganismen im Blute bei den Pneumoniekranken. 
(Aus der med. Klinik der Universität Zürich.) 

Den zahlreichen, in ihren Resultaten grossentheils abweielion- 
(leu Untersuchungen über den Keimgehalt des Blutes von Pueu- 
monickranken fügt I\ eigene Untersuchungen an, hei deueu di»- 
Blutentnahme stets durch Einstich einer sterllisirten Glasspritz-- 
in eine Hautvene erfolgte, ln süinmtlicheu 50 Fällen von typiseh-r 
fibrinöser Pneumonie gelang es, Mikroorganismen im Blute naoii 
zuweisen und zwar fast ausnahmslos F r ä u k e l'sche Pueuui«» 
coccen. Die Schwere der Pneumonie scheint nicht abhängig z» 
sein von ihrem Auftreten im Blute, auch nicht von ihrer Zahl; 
denn unter den 50 positiven Fällen waren mehrere durchaus als 
leicht zu bezeichnende Fälle. Der positive Ausfall aller unter¬ 
suchten Fälle rührt, wohl daher, dass zur Untersuchung stets 
grössere Blutmengen (ca. 10 ccm) verwendet wurden und berechtigt 
zu der Annahme, dass dieser Befund bei allen Pneumonien zu 
erheben ist. 

25) G. R e i n e c k e: Ueber einige Fälle von schwarzer Zunge. 
(Aus der med. Universitätsklinik in Kiel.) (Mit Tafel XII.) 

Als schwarze Zunge ist eine dunkle, bald schwarze, bald 
bräunliche, selten grünliche Verfärbung der Zunge bekannt, di«* 
stets auf den vorderen Zungenabschnitt beschränkt ist. Die dunkle 
Färbung Ist stets gebunden an die Epithelhauben der Papill. fili¬ 
formes, deren Verlängerung die Bezeichnung „schwarze Haar- 
zunge" veranlasst hat. Die Erkrankung kann wenige Tage oder 
jahrelang bestehen, subjektive Krankbeltserscheinungen könuen 
fehlen; manchmal werden unangenehme Sensationen an der Zunge, 
leichte Herabsetzung der Geschmacksempfindung, angegeben, 
deren Abhängigkeit von der schwarzen Verfärbung zweifelhaft ist. 
Die Erkrankung kann selbständig oder im Anschluss an ver¬ 
schiedene Erkrankungen (Intoxikations-Infektionskrankheiten, be¬ 
sonders Lues) auftreten. Die eigentliche Ursache bilden ln vielen 
akuten und chronischen Fällen dunklen Farbstoff producirende 
Schimmelpilze. Von den 7 Fällen des Verfassers betrafen 5 akute 
Fälle Luetiker, bei denen er in den braunen Körnchen und Schollen 
Hg-Niederschläge vermuthot, ohne den Beweis erbringen zu können. 

2(5) A. Ott- Heilstätte Oderberg: Zur Kenntniss des Xalk^ 
und Magnesiastoffwechsels beim Phthisiker. j 

Verfasser nahm an 5 Phthisikern vollständige Stoff- 
wech8eluntersuchungen vor (unter Berücksichtigung von Nahrung. 
Harn und Kotb), um die Frage zu entscheiden, ob beim Tuber¬ 
kulösen eine Einschmelzung von Knochengewebe stattfindet, was 
mit Rücksicht auf die in Frankreich so verbreitete n.vpotheRC von 


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3. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1423 


Interesse war, wonach in einer Demineralisation des Organismus, 
besonders an Kalk und Magnesia, die Disposition zur Tuberkulös*; 
ihre Erklärung findet. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass bei so 
hinreichender Ernährung, dass stärkerer Eiweissverlust des Kör¬ 
pers verhütet wird, von einem Verluste au Kalk und Magnesia, 
also von einer Einschmelzung von Knochensubstanz auch beim 
fiebernden Phthisiker keine Rede ist Erst wenn in Folge Fieber 
und Appetitlosigkeit eine hinreichende Ernährung unmöglich ist. 
tritt ein erheblicher Verlust au Kalk und Magnesia ein. 

27) R. O t s u r k a - Tokio: Ein Fall von Anadenia gastrica 
bei Magencarcinom. (Aus dem pathoiog. Institut der Universität 
Würzburg.) 

Das Wesentliche ist in der Unterschrift enthalten. 

28) O. S i m o u-Karlsbad: Untersuchungen über die Lösungs¬ 
vorgänge bei der croupösen Pneumonie. (Aus der med. Klinik in 
Hasel.) 

In dieser interessanten Arbeit beschäftigt sich S. mit dem 
noch recht wenig bekannten Heilungsstadium der Pneumonie, ins¬ 
tesondere mit der Chemie des Itesolutionsprocesses, ausgehend von 
«ler Annahme, dass hierbei den weisseu Blutkörperchen eine wich¬ 
tige Rolle zufällt. 

Der physiologische Lösuugsvorgnng bei der Pneumonie dürfte 
bedingt sein durch Fermente, die vou den zerfallenden Leuko- 
eyten geliefert werden. Diese Auffassung wird gestützt durch 
das Verhalten des Urins, der zur Zeit der Pneumumiekrisis pepton¬ 
haltig wird, was durchaus mit der Annahme stimmt, dass Pep- 
tonurie ein Zeichen von Gewebseinschmelzung ist. Als Mutter¬ 
substanz des Peptons wäre das Fibrin anzusehen, das Ja bei Hei¬ 
lung der Pneumonie aus dem Körper verschwindet, indem das 
aus den zerfallenden Leukoeyten stammende Ferment elwelssver- 
dauend wirkt. Dieser Vorgang (Autolyse, Selbstverdauung) ist ein 
Akt der Selbstreinigung des Organismus; die absterbende Zelle 
selbst enthält schon Vorrichtungen, um den todten Zellleib in 
I.*')8ung zu bringen und aus dem Körper zu schaffen. Die bei der 
Lösung des Fibrins von Pneumonien zum Thell in den Harn über¬ 
gehenden Aminosäuren entstehen dort, wo eine regressive Meta¬ 
morphose vor sich geht, und stellen ebenso wie die Peptonurie einen 
Ausdruck von Gewebseinschmelzung dar. 

29) Besprechungen. Bamberger - Krouacli. 

Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 33 a, 34. 

M. Overlach: Ueber Chinin und seine Ester. 

Neben dem Euchinlu hat die chemische Industrie unter der 
Menge der Chininester einen Körper hergestellt, der in den 
Arzneischatz eingeführt zu werden verdient, den Chininester der 
SaJicylsäure, der Kürze wegen Salochinin genannt Salochinin, 
in Wasser unlöslich, In Alkohol und Aether löslich, ist absolut ge¬ 
schmacklos; es erzeugt keine Störungen des Nervensystems 
(Ohrensausen, Schwindel u. s. w.), es irrltirt weder den Digestions- 
noch den Harnapparat 2 g Salochinin entsprechen 1 g des ge¬ 
wöhnlichen Chinin. Das Präparat bewährte sich als Antineuralgi- 
cum und Antalgicura, ebenso als Antipyreticum, z. B. beim 
Typhus. Man gibt ein oder mehrere Male 2 g täglich. Ferner 
wurde das salicylsaure Salicylchinin, das Rheumatin, geprüft. 
Bel dieser Verbindung kommt neben der Chininwirkung noch die 
Wirkung der Säure in Betracht Das Rheumatin ist geschmacklos, 
bildet weisse, ln Wasser schwer lösliche Krystalle; die antirheu¬ 
matische Wirkung ist vorzüglich. Bei akutem Gelenkrheumatis¬ 
mus gibt man die ersten 3 Tage 3 mal täglich 1,0, am 4. Tag 
Pause, dann 4 Tage hindurch 4,0 g pro die, jeden 5. Tag Pause. 
Die Präparate werden hergestellt von den Vereinigten Chiuiu- 
fabriken Zimmer & Co. in Frankfurt a. M. 

No. 34. W. Hannes: Schweissausbruch und Leukocytose. 
(Ans der Universitäts-Kinderklinik in Breslau.) 

Die in Anlehnung an frühere Versuche Horbaczewski’s 
von B o h 1 a n d angestellten Untersuchungen über die leukogoge 
Wirkung der Hldrotlea und Antihidrotica gaben dem Verf. Ver¬ 
anlassung, auch bei dem nicht durch ein Medikament hervor- 
gerufonen Schweissausbruch das Verhalten der weisson Blut¬ 
körperchen zu untersuchen. 35 Versuche wurden an 29 Kindern 
der Klinik angestellt, welche in 77 Proc. das Auftreten einer deut¬ 
lichen Leukocytose im Anschlüsse an den Ausbruch des Schweisses 
ergaben, während In den übrigen Fällen, welche nur 5 Kinder 
betrafen, entweder ein Konstantbleiben der teukocytenwerthc 
oder eine deutliche Leukogenle beobachtet wurde. Unter den 
untersuchten Kindern waren 8 Säuglinge unter 1 Jahr, 12 Kinder 
gehörten dem späteren Säuglingsalter (bis 2 y s Jahren) an, die 
übrigen 9 standen im Alter von 4—11 Jahren. Der Gipfel der 
teukocytenkurve wurde fast in allen Füllen innerhalb der ersten 
Viertelstunde nach dem Schweissausbruche bereits erreicht 
y 2 Stunde nach Beendigung des Schweisses sank die Lcukoeyten- 
zabl zur Norm zurück. Wir sehen also, dass mit dem Auftreten 
eines Schweissausbruches zugleich Leukocytenbewegungen statt¬ 
finden. Diese deuten auf die Anwesenheit chemotaktisch wirk¬ 
samer StofTe Im Körper hin, welche unter normalen Verhältnissen 
allerdings erst nach Anwendung besonderer äusserer Hilfsmittel 
in Aktion treten, beim Kranken jedoch, und besonders bei den 
chronischen Ernährungsstörungen des Kindesalters, im weitesten 
Sinne des Wortes schon ohne Jedes äussere Eingreifen zu be¬ 
stimmten Zelten zu ihrer Funktion angeregt werden. 

W. Zinn- Berlin. 


Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 00. Bd., 1 . u. 2. Heft. 
Leipzig, Vogel, 1901. 

1) Grob 6: Ueber Nierentumoren in therapeutischer, klini¬ 
scher und pathologisch-anatomischer Beleuchtung, (t hirurgisclie 
Klinik Jena.) 

Bericht über die Operation von 115 Fällen. Verf. theilt die 
Tumoren in 2 Gruppen,, in die un verseil löblichen uml in die ver¬ 
schieblichem Von den f» Patienten mit unverschieblichen Tumoren 
starten 4 bald im Anschluss an die Operation. Die anderen zwei 
Patienten lebten noch y 4 bezw. 1 Jahr. Die, wenn auch geringen, 
Erfolge in diesen beiden Fällen müssen «loch zu weiteren opera¬ 
tiven Versuchen auch bei solchen ungünstig gelagerten Tumoren 
aufforderu. 

Von 11 pathologisch genauer untersuchten Tumoren waren 
7 suprarenale Strumen, 1 Cystadenom, 1 intiltriroudes Careinoin, 
1 Carcinoma papilliferum uml 1 Adeuoeareinom des Nierenbeckens. 
Die Histologie der suprarenalon Strumeu wird ausführlich erörtert. 
Ganz bestimmte Anhaltspunkte, um schon klinisch deren Diagnose 
stellen zu können, ergeben sich aus Verfassers Beobachtungen 
nicht. 

Als Op«*ratiousverfahreu wurde die trausperitoueale Methode 
bevorzugt. Von den 9 Patienten, die die Operation überlebt, haben, 
starben 3 im Verlauf des 1. Jahres, 2 nach 1% bezw. 2'/ s Jahren, 

3 leben 10 Monate, 1 Jahr, 5 Jahre nach der Operation, und von 
1 ist das Resultat unbekanut. 

2) J u s t i a n: Ein Beitrag zur Kasuistik der Tuberculosis 
hemiaca. (Garnisonsspital I, Wien.) 

Mitthciiung eines mit Erfolg operirten Falles. Es bestand 
eine Tuberkulose der serösen Häute. % 

3) S 11 o r 11 n - Winterthur: Zur Kasuistik der Aneurysmen 
und des Angioma arteriale racemosum. 

Bei der Behandlung eines Rankenangioms der Stirugegeud be¬ 
diente sich St. mit Erfolg der fortlaufenden Umstechung: nach 
10 Tagen konnte d«;r Tumor ohne uennenswerthe Blutung exstir- 
pirt werden, eine Gungraen der Haut war nicht eiugetreteu. 

Ein wahres traumatisches Aneurysma der Arteria femoralis 
wurde durch Exstirpation gehellt, ohne dass es zur Gungraen an 
dem betr. Bein kam. ln Zukunft würde Verf. bei einem ähnlichen 
Falle doch zunächst die Digitalkompression versuchen, in Anbe¬ 
tracht der häufigen Gaugraen (25 Proc.) bei der operativen Be¬ 
handlung. 

Ein ganz monströses Aneurysma der Arteria iliaca (30:19 cm) 
wurde bei einem an Arteriosklerose leidenden Kranken beobachtet. 
Der Sack fasste so viel Blut, als normaler Welse die Blutmenge 
eines Menschen beträgt; er hatte sich in 2«/ 2 Monaten gebildet 

4) Gessner - Memel: Ueber Mischgeschwülste des Hodens. 
(Friedrichshain Berlin.) 

Unter 8 genau untersuchten Hodengeschwülsten fanden sich 

4 teratoide und embryolde Geschwülste. Drei der Tumoren sind 
als embryoide Geschwülste im Sinne W i 1 m s’ zu bezeichnen; in 
allen Hessen sich Abkömmlinge aller drei Keimblätter mit Sicher¬ 
heit uachweisen. Den vierten Tumor möchte G. als ein Analogon 
der von v. Recklinghausen beschriebenen und auf Reste 
des Wolf f sehen Körpers zurückgeftibrtcu Adenomyome uml 
Cystadenomyomo des Uterus und der Tubenwaudungen auffassen. 

5) W e b e r: Ein weiterer Beitrag zur Kasuistik der sub¬ 
phrenischen Abscesse. (Moabit Berlin.) 

Mitthciiung von 10 weiteren Fällen, vou denen 5 durch eine 
Appendicitis bedingt waren. 

6) Payr-Graz: Beiträge zur Technik der Rhinoplastik. 

Bei einem nach Carcinomexstirpation zurückgebliebenen De¬ 
fekt der Nasenspitze, beider Nasenflügel, des ganzen häutigen und 
knorpeligen Septum hat P. mit Erfolg einen doppelten Haui- 
lappen verwendet, der ln einer Breite vou 2 */ 2 cm aus der Wangon¬ 
haut, dom Verlauf der Nasolnbialfalte entsprechend, ausgeschnitten 
wurde. Die beiden Lappen wurden nach innen umgeschlagen und 
vereinigt, so dass sofort ein resistentes Septum gebildet war. Der 
kosmetische Erfolg war ein vortrefflicher. Verf. glaubt, dass 
ähnliche Methoden beim Ersatz der Nasenspitze öfter zu verwenden 
sein werden. 

7) S c h u 11 7. e - Duisburg : Zur Exarticulatlon grösserer 
Gelenke. 

Bei Exarticulationen im Schulter- und Hüftgelenk lässt sich 
oft die Esraarch’sclie Binde nicht anlcgen. Scli. empfiehlt in 
solchen Fällen nach dem Princip der schrittweisen Unterbindung 
Rose's dio schrittweise Abklemmung und Unterbindung der 
Welchtheile vermittels der R i c h e 1 o t -1> o y e n'schen Kleiutu- 
zangen. Das centrale Ende jeder Muskelpartie wird mit dünner 
Solde oder Catgut umstochen und möglichst lang gelassen. Regel¬ 
rechte Versorgung der Gefässe uud Resectlon der Nerven. Eine 
vorherige hohe Amputation ist nicht nothwendig. In drei Fällen 
wurde das Verfahren mit Erfolg erprobt. 

8) IC e 11 i n g - Dresden: Ein in physiologischer Beziehung 
beachtenswerther Fall von Magenresektion nebst Bemerkungen 
zur Gastro-Enterostomie. 

Für die Gastroenterostomie gibt K. folgende Regeln: man 
nehme eine möglichst hohe, aber nicht zu kurze Darmschling«', 
wähle an der grossen Curvatur den tiefsten Punkt. ma«-li«> dio 
Oeffnung so gross, dass der Mageninhalt bequem heraus kann, 
sorge aber auch dafür, dass der Darminhalt ungehindert vorbui- 
zupassiren vermag, nnd sclillesse nach Möglichkeit alle mesen¬ 
terialen Schlitze uud peritonealen Spalten. Dass es nicht nüthig 
ist, nach Petersen die Darraschlinge möglichst kurz (8—10 cm) 
zu nehmen, konnte Verfasser auf Grund einer Beobachtung nach 


X 


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1424 


MÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3G. 


einer Magenresektion erweisen. Es bildete sich in dem Falle 
eine Duodenalflstel aus, aus welcher lange Zeit die Nahrung rück- 
läulig nusfloss. Es beweist das also, dass der Darui von der Gastro- 
euterostomieöstel aus nach dem Duodenum zu mindestens 50 cm 
weit mit Mageninhalt gefüllt wird. 

0) Carl Kitt e r: Die Aetiologie des Carcinom3 und Sarkoms 
auf Grund der pathologischen Forschung. (Chirurgische Klinik 
Greifswald.) 

Verfasser hat sich die Frage vorgelegt, ob nach dem heutigen 
Stande der pathologischen Forschung die Annahme einer infek¬ 
tiösen Natur des Sarkoms und Carcinoms ausgeschlossen ist, oder 
ob es möglich ist, dieselbe mit den Thatsaelien der Pathologie 
in Einklang zu bringen. Gestützt auf eine sehr umfassende 
Litera turkenntniss, geht Verf. all’ die verschiedenen in Betracht 
kommenden Thatsaelien durch und kommt zu dem Ergebniss, dass 
man die Möglichkeit einer Infektiosität von Sarkom und Carcinom 
nicht verneinen kann. Eine Bösartigkeit der Geschwulstzellen 
selbst kann man nicht annehmen. K. möchte sogar glauben, dass 
sie nützlich sind. Die Geschwulstzellen können anatomisch als 
nichts anderes als Körperzellen erklärt werden. Warum die 
Körperzellen Ihre biologischen Eigenschaften verlieren, warum sie 
krebslg degenerireu, warum sie ihre Wachsthumsrichtung ändern 
und in’s Unendliche wachsen, dafür ist bisher eine befriedigende 
Erklärung nicht gegeben worden. Die Infektionstheorie kann sie 
erklären, wenn in den Geschwülsten auch Zeichen von Schädi¬ 
gungen, ähnlich wie bei den Entzündungen, vorhanden sind. In 
sehr geistreicher Weise glaubt nun Verfasser naehweisen zu 
können, dass die Degenerationen in den malignen Tumoren sich 
ausserordentlich leicht unter der Annahme einer infektiösen Ur¬ 
sache erklären lassen. Ja er glaubt, dass die Infektion ganz allein 
im Stande ist, alle Erscheinungen der Degeneration zu erklären. 

Was die Metastasenlehre anbetrifft, so bereitet dieselbe ja der 
Annahme einer Infektiosität grosse Schwierigkeiten. Verf. glaubt 
aber, dass die Metastasenlehre einer gründlichen Durchsicht bedarf 
und führt eine Reihe von Punkten auf, die sich gegen dieselbe, 
wie sie jetzt herrscht, heranziehen lassen. 

10) B e c k - New-York: Ueber die Fraktur des Processus 
coronoideus ulnae. 

An 3 Fällen erweist Verfasser die Bedeutung der Röntgen - 
stralilen für die Diagnose der genannten Fraktur. 

11) M a i 11 e f e r t-Culm a. W.: Die Luxation der Kniescheibe 
durch Verschieben nach oben. 

Auf Grund einer Beobachtung glaubt Verf., dass neben der 
Durehreissung des Ligamentum patellae eine wirkliche Luxation 
der Kniescheibe nach oben vorkommt, bei der nur ein leichter 
Einriss des Ligamentum patellae besteht. K recke. 

Centralblatt für Gynäkologie. 19ul. No. 34. 

1) Bau r-Berlin: Einfluss des Roborats auf die Milch 
stillender Mütter. 

„Roborat“ ist nach Angabe der Fabrik (Nilhrmittelwerke 
II. Niemöller, Gütersloh) reines Getrelde-Eiweiss im Natur¬ 
zustände, das von B. in Bezug auf seinen Einfluss auf die Milch¬ 
sekretion geprüft wurde, und zwar zwischen 1. und 4. Woche 
nach der Geburt. Der Erfolg war günstig: meist war schon nach 
4—(5 Tagen eine erhebliche Zunahme der Milch vorhanden. Auch 
die Qualität der Milch schien sich bei seinem Gebrauch zu bessern. 
Auf Appetit und Stuhlgang hatte es keinen Einfluss; Kindern 
selbst bekommt das Roborat nicht. 

2) Ludwig P 1 n c u s - Danzig: Zur Zestokausis und Anderes. 

P. widerlegt einige Einwände, die gegen die Zestokausis er¬ 
hoben worden sind. Strikt uren, von denen P. selbst 5 Fälle 
erlebte, lassen sich vermeiden, wenn man bis zur Abheilung Jodo¬ 
formgaze in den Cervikalkanal legt. Auch die Exsudat¬ 
bildung soll sich bei vorsichtiger Ausführung der Operation 
vermeiden lassen; besonders soll man sofort aufhören, wenn 
Schmerzen auftreten. 

Besonders bewährt hat sich die Zestokausis bei Cervix¬ 
gonorrhoe, Erosionen, Behandlung von Fistelgängen und paren¬ 
chymatösen Blutungen. Zum Schluss vertlieidigt P. seine Priorität 
in der jetzt üblichen Ausführung der Operation gegen verschiedene 
Angriffe unter Hinweis auf die Worte von Fritsch: „Die 
Priorität muss dem zuerkannt werden, dem es gelingt, eine Er¬ 
findung zum Allgemeingut zu machen, sie so zu begründen und 
zu empfehlen, dass sie überall anerkannt wird.“ 

3) O. P o 1 a n o - Greifswald: Zu meinem Aufsatz in No. 30 
d. Bl. 1901: „Eine neue Methode der Behandlung chronischer 
Beckenexsudate.“ 

Der in genannter Arbeit beschriebene Apparat zur Heissluft- 
belinndlung (ref. in diesem Bl. No. 33, p. 1328) ist nicht von P., 
sondern von Klapp, was P. jetzt richtig stellt. 

J a f f 6 - Hamburg. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 4. 1901. 

1) K. N ak a n i s li i - München: Ueber den Bau der Bac- 
terien. (Schluss.) 

Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

2) K. S t e f a n s k y - Odessa: Ueber eine durch Streptococcus 
lanceolatus hervorgerufene Epizootie bei Meerschweinchen. 

Im bacteriologischen Laboratorium zu Odessa starben ln 
Zeit von 3 Monaten 40 Meerschweinchen, welche einer akuten In¬ 
fektionskrankheit zum Opfer gefallen waren. Die Thiere waren 
apathisch, verweigerten die Nahrung, es trat Husten auf, ge¬ 


steigerte Athemfrequenz und Cyauose der Schleimhäute. Der Tod 
trat ol't nach 3—4, gewöhnlich nach 8—10 Tagen ein. 

Die Sektion ergab pneumonische Infiltration 
der Lungen, entzündliche fibrinöse Ausschei 
d u n gen an den innere n O rganen und sowohl im Blut 
wie in den einzelnen Organen stets den Streptococcus 
lanceolatus. Seine Virulenz war besonders für Kanincäiu 
sehr bedeutend. 

3) K. W a t z - Oberndorf: Bemerkung zu dem Aufsatz des 
Herrn Gr. Gertler „Ueber einen Wärmeschrank (Thermo¬ 
staten) für praktische Aerzte“. 

Wat. z bringt ln Erinnerung, dass er ebenfalls schon früher 
einen Wärmeschrank mit noch grösserer Einfachheit konstruirt 
habe. R. O. Neumann - Kiel. \ 

Berliner klinische Wochenschrift. t'.tOL No. 34. C 

1) I*. K. P e 1 - Amsterdam: Echinococcus der Lungen, unter 
dem klinischen Bilde der akuten Pleuropneumonie. 

Der 37 jährige Kaufmann, dessen Erkrankung beschrieben 
wird, zeigte zunächst Schüttelfrost, Husten, Auswurf. Seiten 
stechen, allgemeines schweres Krankheitsbild und schien pliysi 
kalisch die Erscheinungen einer Pneumonie des rechten Mittel- 
lappeus und einen linksseitigen pleuralen Erguss darzubieten. 
Wegen des blutigen Auswurfs, der übrigens dem scheinbaren Be¬ 
ginn der Erkrankung schon einige Tage vorausgegangen war. 
wurde auch an eine laiwirte Tuberkulose gedacht. Bei der ver 
suchten Empyomoperation auf der linkeu Seite wurde der Echino¬ 
coccus entdeckt, bei der Sektion auch rechts eine grössere Cyste, 
letztere ohne die Erscheinungen der Infektion, welche die links¬ 
seitige darbot. Die rechtsseitige Cyste war vollkommen von den 
Luft wegen abgeschlossen. 

2) F. II neppe: Perlsucht und Tuberkulose. 

Der vorliegende Aufsatz stellt eine scharfe Kritik der von 
Koch auf dem Tuberkulosekongress zu London geäusserten An¬ 
schauungen über das Verhältuiss der Rindertuberkulose zur 
menschlichen dar. II. bestreitet dpn Artunterschied zwischen dem 
Erreger der Perisucht und der Meuschentuberkulose und vertritt, 
wie auch schon in früheren Publikationen, die Auffassung, dass 
die an den Erregern der beiden Tuberkuloseformen aufzufiudendeu 
Unterschiede nur Modifikationen einer Art darstellen, welche durch 
die Verschiedenheit der Wirthe hervorgebracht werden. Dass 
ein Artunterschied zwischen den beiden Formen nicht vorhanden 
sein kann, geht auch aus der Beobachtung hervor, dass bei der 
Ucbertragung der Menschen- oder Rinderbaeillen auf Meer¬ 
schweinchen oder Kaninchen der Organismus der letzteren Thiere 
die bestehenden Differenzen zwischen den beiden Formen so aus¬ 
gleicht, dass ein Unterschied nicht mehr wahrzuuehtnen ist. Von 
K o e h wird immer, wie auch von anderen Bacteriologen, das 
Moment der individuellen Empfänglichkeit zu sehr ausser Rech¬ 
nung gelassen. Das Haften des Rinderbacillus am Menschen ist 
aber ganz sicher und findet in grösserem Umfange statt, als 
Koch angibt. Der Kampf gegen die Tuberkulose der Rinder ist 
nach II. mit aller Energie in dem bisher geübten Sinne fort¬ 
zusetzen. Es ist übrigens sicher, dass manche Formen von Tuber¬ 
kulose, welche man auf Elnathmung zurückfUhrt, doch auf Rech¬ 
nung der Nahrungsaufnahme zu setzen sind. Koch unterschätzt 
die Gefahr der tuberkulösen Milch ganz bedeutend. 

3) M. W 11 d e - München: Ueber die Absorption der Alexine 
durch abgetödtete Bacterien. 

Die mitgetheilten Versuche, hinsichtlich deren Einzelheiten 
auf das Original verwiesen werden muss, ergaben überein¬ 
stimmend das Resultat, dass genügende Mengen von abgetödte- 
ten Milzbrand-, Cholera- und Typhusbacterien im Staude sind, bei 
entsprechend langem Kontakt Rinder-, Hunde- und Knninchen- 
serum aller bactericiden und haemolytlscbcn Eigenschaften gegen¬ 
über verschiedenen Arten von Bacterien und Erythrocyteu zu be¬ 
rauben, ein Verhalten, welches mit der Buchner-Bordet- 
sehen Auffassung von der Einheit des Alexins durchaus überein- 
stiinmt und dieselbe wiederum bestätigt während es sich nach 
der Ehrlich -Morgenrot h’sehen Theorie nur schwer er¬ 
klären lässt. 

4) M. M e n d e 1 s o li u - Berlin: Zur Kompressionstherapie 
der Herzkrankheiten. 

Cfr. Referat pag. & r >3 der Münch, med. Wochenschr. 1901. 

5) A. W o 1 f f - Berlin: Untersuchungen über Pleuraergüsse. 

In der sich mit der Technik der Untersuchung befassenden 

ersten Mittliellung bestreitet Verf. zunächst die Richtigkeit der 
Annahme, dass alle Exsudate, in welchen sich keine Bacterien 
finden, auf Tuberkulose beruhen sollen. Bei der bacteriologischen 
Untersuchung der Ergüsse müssen die zu giessenden Platten nicht 
so dünn gemacht werden wie gewöhnlich: ferner sollen immer 
auch Bouillonkulturen angelegt werden. Es erscheint dem Verf. 
nicht wahrscheinlich, dass in den tuberkulösen, serösen Ergüssen 
überhaupt Tuberkelbacillen Vorkommen. W. macht sodann darauf 
aufmerksam, dass eine Unterscheidung zwischen Exsudat und 
Transsudat nach der Reaktion nicht sicher ist, da sehr viel auf 
den betreffenden Indikator ankommt. Um für die Untersuchung 
der zelligeu Elemente eine nicht so eiweisshnltige Flüssigkeit zu 
erhalten, centrifugirt Verf. und mischt sodann das erhaltene Sedi¬ 
ment mit physiologischer Kochsalzlösung, wodurch eine leichtert' 
Färbbarkeit der Zellen erzielt wird. Bezüglich der einzelnen 
Färbemethoden der zelligen Elemente, aus deren morphologischem 
Verhalten noch mancher Aufschluss gewonnen werden kann, muss 
auf das Original verwiesen werden. 

Grassmann - München. 


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3. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 142-5 


Deutsche medieinische Wochenschrift. 1901. No. 34. 

1) W 11 m s ■ Leipzig: Zur Behandlung der Leberrupturen. 
(Sehl ues folgt.) 

2} F. II i r s c h f e 1 d - Berlin: Unfall und Diabetes. 

Vortrag, gehalten Im Verein für innere Mediein zu Berlin am 
24. April 1901. Referat siehe diese Wochenschrift No. 19, p. 708. 

3) II. S a 1 o m o u - Frankfurt a. M.: Weitere Mittheilungen 
über Spirochätenbacillen-Angina. 

Nach den Untersuchungen von S. sehliesst der Nachweis der 
charakteristischen Spirochätenbacilleu-Flora das Vprhandensein 
einer diphtheritisclien Infektion beinahe sicher aus. Sehr häulig 
dagegen ist die Spiroehiitenbazillen-Angiua mit sekundärer 
Rachensyphilis vergesellschaftet. Bel Stomatitis sind Spirochäteu- 
bacillen bisher nur 2 mal beobachtet. 

4) J. B ro n s t e i n - Moskau: Zur Frage der Ratten Vertil¬ 
gung mittels des Danyszbacillus. 

Die im bacteriologisch-chemIschen Institut von B 1 u in en¬ 
thalte Moskau angestellten Versuche bestätigen entgegen ander¬ 
weitigen Beobachtungen die Pathogenität des I) a n y s z'sclien 
Bacillus; nur wird hervorgehoben, dass die Virulenz desselben 
durch die Speeles, die lokalen Rasseverschiedenheiten der Ratten 
beeinflusst werden können. 

5) ö. A b e 1 s d o r f f - Berlin: Ueber einige Fortschritte 
unserer Kenntnisse von den Thatsachen der Gesichtsempfln- 
dung. 

A. bespricht den Einfluss, welchen der Adaptionszustaud des 
Sehorgans, die Lage der vom Lichtreize getroffenen Netzhaut¬ 
partie (direktes und indirektes Sehen) und endlich individuelle 
Unterschiede, Anomalien und angeborene Defekte des Farben¬ 
sinnes (Farbenblindheit) auf die Licht- bezw. Farbenemplindung 
ausüben. 

(5) H. N e u m a n n - Berlin: Skrophulose und Tuberkulose 
im Kindesalter. 

Sammelreferat über die in den neuesten Arbeiten auf diesem 
Gebiete (1900/01) niedergelegten Beobachtungen. 

7) L a s k o w s k i - Berlin: Ein neuer Prostatakühler. 

In der Hauptsache besteht der hier beschriebene Apparat 
in einem in löffeiförmiger Biegung sich an die Prostata anlegenden 
Metallrohr, welches in Folge seiner eigenthümlicheu Konstruktion 
durch Hebelwirkung sich selbst au Ort und Stelle hält. Der 
Apparat lässt sich ebenso zur Massage, wie auch zur elektrischen 
Behandlung der Drüse verwenden. Bezüglich der näheren Be¬ 
schreibung muss auf den Originalartikel verwiesen werden. 

8) Hoppe- Königsberg: Hat der Vater oder die Mutter 
auf die Vitalität der Kinder den grösseren EinflussP 

In Bezug auf die in No. 20 der Deutsch, med. Wocheuschr. 
von R u p p i n unter obigem Titel veröffentlichte Abhandlung be¬ 
merkt Autor, dass die von II. gezogene Schlussfolgerung als rich¬ 
tig und einwandsfrei anerkanut werden müsse, dass die Begrün¬ 
dung derselben durch ein mystisches biologisches Gesetz aber un¬ 
annehmbar sei, da sich die Sache ganz natürlich erklären lasse 
durch das bei den Juden viel seltenere Vorkommen der 3 für den 
Vitaltemus bedeutungsvollsten Krankheiten, die Tuberkulose, die 
Syphilis und den Alkoholismus. F. Lacher- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg. No.16. 

J. Karch er-Basel: Das Schicksal der hereditärluetischen 
Kinder. 

Von 31 als geheilt entlassenen (Schmierkur) Fällen von 
Ileredosyphills des Basler Kinderspitals konnten 16 wieder auf¬ 
gefunden werden. 6 waren als kleine Kinder gestorben, 4 wurden 
als völlig gesund wieder gefunden, 5 waren tuberkulös (ohne Ba¬ 
cillennachweis). 

Armin H u b e r - Zürich: Ueber Irrwege bei der Diagnose 
der Perityphlitis. (Schluss.) 

10 Krankengeschichten mit Epikrisen, welche die Möglichkeit 
einer falschen Diagnose mehrfach beleuchten: Gallensteine, 
rterusmyom, unklare Fälle „Appendlcitis larvata“, Appendicitis 
perforativa und Ulcus ventrieuli perforatum, perlrectaler peri- 
typhlitischer Abscess (die Herkunft vom Wurmfortsatz scheint 
hier nicht sicher). 

Theodor Z a n g g e r - Zürich: Die hydriatische Therapie des 
akuten Stirnhöhlenkatarrhs. 

Verfasser empfiehlt Schwltzenlassen (Dreiviertelspackung mit 
Bettflaschen und helssem Getränk), darnach kühle Abreibung. 

Fiscliinger. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 34. 1) Z u p p i n g e r - Wien: Ueber Herztod bei an¬ 

scheinend bedeutungslosen oberflächlichen Geschwürsprocessen. 

Verfasser gibt die Krankengeschichte von 3, Kinder betreffen¬ 
den Füllen, bei denen sich im Anschluss an Entzündungen oder ge- 
sehwürige Processe der Haut klinisch die Erscheinungen der 
akuten Herzinsufflcienz. pathologisch-anatomisch die Symptome¬ 
akuter Myokarditis und Nephritis zeigten. Für 2 dieser Fälle 
liegt der Obduktionsbefund vor. mit histologischen Unter¬ 
suchungen des Herzens und der Nieren, welche beide Male im 
Zustande frischer Entzündung gefunden wurden. Die Ursache für 
die besondere Giftempfänglichkeit des Herzens, namentlich bei 
Kindern, .welche bei derartigen Hautentzündungen manchmal her¬ 
vortritt, ist zunächst noch unbekannt. 

2) F. Ranzi-Wien: Zur Aetiologie der Leberabscesse. 

Mittlieiluug der Krankengeschichte eines 02 jährigen Mannes. 

bei welchem multiple Abscesse ln der Leber zur Bildung eines 


subphrenischen Abscesses und schliesslich zu allgemeiner Peri¬ 
tonitis geführt hatten. Als Erreger des ganzen Processes, dessen 
Ausgangspunkt im Darm gesucht wird, fand sich in 3 unter¬ 
suchten Abscessen ein Kapselbacillus, ebenso im peritonitischen 
Exsudat und im Gallenblaseninhalt, dessen morphologische und 
kulturelle Eigenschaften dafür sprechen, dass es sich um den 
Bacillus pneumoniae haudelte. Die iu dem betreffenden Falle 
gleichfalls vorhandene Endokarditis ist auf haematogenem Wege 
sekundär entstanden. 

3) A. B e y e r - Leipzig: Ueber atypische Psoriasis. (Fort¬ 
setzung folgt.) Grassmann - München. 

Französische Literatur. 

No vö- J o s s e r a n d - Lyon: Behandlung der angeborenen 
Hüftgelenksluxationen nach Lorenz. (Revue meusuelle des 
maladies de l’enfanee, Juni 1901.) 

Verfasser war einer der Ersten, welche die Lorenz’sche 
Methode der unblutigen Hüftgelenksluxationen in Frankreich an- 
wnndten, hat nun 'im Ganzen 115 Fälle damit behandelt und 50 
derselben datiren so weit zurück, dass ein abschliessendes Urtheil 
J wohl möglich ist. Auf das operative Verfahren selbst, wie es N. 
i geübt hat. auf die Nachbehandlung und Nebenerscheinungen iu 
den Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden'und seien 
nur die Schlussresultate angegeben. Wird die Operation vor dem 
Alter von 5 Jahren ausgeführt, so erhält man ln beinahe der Hälfte 
der Fälle ein anatomisches und funktionelles Resultat, welches 
einer wirklichen Radikalkur gleichkommt; berücksichtigt mau nur 
das funktionelle Resultat, so ist es in 80 Proc. der Fälle befriedi¬ 
gend und sonst ist immer Besserung vorhanden. Je jünger die 
Kinder, desto besser das Resultat, die Indikation zur Operation 
ergibt sich, sowie die Diagnose gestellt ist: mau kann sie Rchon 
im Alter von 30—17 Monaten ausführen, wenn nur die Kinder 
sauber genug sind, dass das Tragen einer Bandage möglich Ist. 
Nach dem Alter von 5 Jahren sind die Erfolge weniger gut, die 
völlige Reduktion selten, jedoch die Verbesserung der Körperform, 
das \ erminderte Hinken und besonders die erhöhte Widerstands¬ 
kraft gegen Ermüdung lassen immerhin die Operation noch bis 
gegen das Alter von iO Jahren empfehlenswert!! erscheinen, zu¬ 
mal alle aus der Luxation entstehenden Störungen dann stationär 
bleiben und sich nicht verschlechtern. Nach dem Alter von 
10 Jahren hätte man ernste Fälle von Fraktur und nervöse Stör¬ 
ungen zu fürchten und die Besserung, die man erwarten köunte, 
ist zu illusorisch, um in diesem Alter den Eingriff vorzunehmeu, 
von ganz besonders günstigen Umständen abgesehen. 

Lobli ge vis: Ueber die E h r 1 i c h’sche Diazoreaktion 
bei der Diphtherie und ihren diagnostischen Werth. (Ibid.) 

L. untersuchte in 118 Füllen von Diphtherie den Urin nach 
dieser E h r 1 i c h’sche» Probe und fand im Ganzen nur 1 posi¬ 
tiven Ausfall derselben, wenn die Diphtherie nicht mit einer 
anderen Infektionskrankheit associirt ist; sie ist also ausserordent¬ 
lich selten, während sie Ehrlich .1 mal unter 9 Fällen, Esche- 
r 1 c h 2 mal unter 4 Fällen u. s. w. fanden. Unter den 4 weiteren 
Fällen, wo die Reaktion eine positive war, bestand gleichzeitig 
bei zweien Scharlach, bei dem bekanntlich die Diazoreaktion häu¬ 
fig ist, in dem dritten ein seharlachähulieher Ausschlag und in dem 
vierten war der Ausfall erst am Tage des Todes, wo eine Broncho¬ 
pneumonie eingetreten war, ein positiver. Die in Folge einer 
Seruminjektion zuweilen vorkommende Hauteruption gibt mit der 
Diazoreaktion eine Dunkelfärbung des Urins, welche niemals den 
positiven Ausfall derselben (ornngeroth) bei Scharlach oder Masern 
erreicht; dieser Unterschied kunn einen gewissen diagnostischen 
Werth haben. 

Noböcourt und Prosper Merk len: Die Rolle des 
Streptococcus und der Leberveränderungen hei der Entstehung 
gewisser infektiöser Erytheme. (Ibid., Juli 1901.) 

Im Verlaufe und während der Reconvalescenz von ver¬ 
schiedenen Infektionskrankheiten, wie Typhus, Scharlach, Masern, 
Diphtherie, können toxi-infektiöse, mit Erythemen begleitete Er¬ 
scheinungen von verschiedener Intensität Vorkommen und sind die 
Folge sekundärer Infektionen, nicht der primären Erkrankung, 
wie ihr ganzer Verlauf lehrt. Nach den Untersuchungen von N. 
und M. (an 10 Fällen) spielt zwar der Streptococcus bei diesen 
Sekundärerythemen eine wichtige Rolle, es kommen aber sicher 
auch andere Keime in Betracht, deren Natur allerdings oft schwer 
zu bestimmen ist. Die Leber ist in beinahe all’ diesen Fällen 
krankhaft verändert, sie zerstört die Toxine nicht, die Niere bringt 
sie nicht zur Elimination, in Folge dessen beeinflussen diese Im 
Blute kreisenden Gifte leichter die vasomotorischen Centren der 
Haut und können Erythem oder Purpura erzeugen. 

Sarremone: Die adenoiden Vegetationen bei mangel¬ 
haft entwickeltem Pharynx. (Ibid.) 

S. beschreibt das klinische Bild von Kindern im Alter von 
4—10 Jahren mit adenoiden Vegetationen, bei welchen Nase und 
Rachenhöhle noch mangelhaft ausgebildet sind und die Unter¬ 
suchung derselben oft ausserordentlich schwierig sich gestaltet. 
Diese Vegetationen sind ebenso und auf dieselbe Weise zu ope- 
riren. wie die anderen, und in späteren Jahren. Die Besserung 
<les Befindens erfolgt nicht unmittelbar, sondern erst später, wenn 
die Nasen-Rachenhölile sich entwickelt bat, wozu eben die Opera¬ 
tion, welche die Nnsenathrauug möglich macht, den Anstoss gibt. 

Moncorvo: Die deformirende Arthritis im Kindesalter. 
(Ibid.) 

Den 48 aus der Literatur gesammelten Fällen dieser Affektion. 
welche sogar bei Neugeborenen (!) Vorkommen soll, fügt M. einen 
weiteren hinzu, welcher ein 5 Monate altes Kind betraf. Die 
Mutter desselben war ebenfalls mit Rheumatismus behaftet ge- 


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MU E N CH EN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


1426 


wesen. Ausser Erscheinungen hereditärer Syphilis zeigte das 
Kind Dift'onnitäten an mehreren Fingern beider Hunde, welche 
nach der Mutter Aussagen schon seit dem Alter von 2 Monaten be¬ 
standen hatten; die aftieirten Finger werden in halbgebeugter 
Stellung gehalten, die Zehen ebenso wie die grossen Gelenke der 
4 Extremitäten sind nicht ergriffen. Zu den prädisponirendeu Ur¬ 
sachen dieser chronischen progressiven Arthritis des Kindesalters 
sind nach M.’s Untersuchungen niedere, schlecht beleuchtete und 
feuchte Wohnungen, fehlerhafte Ernährung (zu reichliche oder 
zu geringe) zu rechnen. Das weibliche Geschlecht wiegt vor, die 
meisten Fälle (23 von 45) fallen auf das Alter von 8—14 Jahren; 
die Heredität, d. h. die Uebertmgung der Disposition von Eltern 
auf die Kinder, ist eine zweifellose, welche Tlmtsache, ebenso 
wie das Uebcrwiegen des weiblichen Geschlechts, schon Char- 
cot festg» stellt hat. Auch der foetale. direkte Ursprung des 
Leidens i.st, wie der vorliegende Fall lehrt, nicht zu leugnen. 
G h a rcot war es auch, welcher auf den eentripetalen Verlauf der 
Gelenksaffektionen, die am Anfang fast immer die peripheren 
Gelenke befallen und dann progressiv auf die grossen Gelenke 
übergehen, aufmerksam gemacht hat. Der glückliche Ausgang des 
Leidens ist fast immer die Itegel, obwohl unter manchen seltenen 
Umstünden die Arthropathie bis iu’s späte Alter den Kranken be¬ 
gleiten kann. Die Fixlrung der Gelenksuffektiouen, Ihr sym¬ 
metrisches und progressives Verhalten, das auf das periarticulare 
Gewebe und die Synovialfalten beschränkte Vorkommen genügen 
im Allgemeinen zur Diagnose. Bezüglich der Behandlung sind 
Jod- und Elektrotherapie auch bei der deformireuden Polyarthritis 
im Kindesalter noch immer die besten Mittel. 

C o m b e - Lausanne. Scholder und Weit h: Die Ver¬ 
krümmungen der Wirbelsäule in den Schulen von Lausanne. 
(Annales de mödeeine et Chirurgie infantiles 1901, No. 10—12.) 

C.. auch Schularzt in L., hat noch 2 Mitarbeiter gefunden, 
von welchen der eine Leiter eines Z a n d e r’sehen Instituts ln L. 
ist. um in wirklich eingehender Welse diese Frage nach allen 
Seiten zu beleuchten, und kann die vorliegende umfangreiche 
Arbeit, die mit zahlreichen Textillustrationen versehen ist, als 
eine werthvollere Bereicherung der schulhygienischen Literatur 
angesehen werden. Aus den Schlusssätzen seien einige angeführt. 
Es wurden 25 Proc. aller Schulkinder mit Skoliose behaftet ge¬ 
funden; die Schule ist für die Verfasser Dank der lange dauernden 
sitzenden Lebensweise, welche sie fordert; Dank besonders der 
fehlerhaften Haltung beim Schreiben die wichtigste Ursache der 
Skoliosen; zu Hause werden noch unter ungünstigen hygienischen 
Verhältnissen diese Uebelstände vermehrt. Warum dabei doch 
nur 25 Proc. skoliotiscli werden, das hängt von der Prädisposition 
der schwachen, auacmisclien, rachitischen Kinder ab, während 
doch die Mehrzahl widerstandsfähiger ist. Die Forderungen der 
Verfasser gehen nun dahin, dass die Kinder vor ihrem Eintritt in 
die Schule ln Bezug auf einseitigen Plattfuss oder Ungleieheit in 
der Länge beider Beine untersucht, die Schulbänke dem Alter an¬ 
gepasst, die Beleuchtung verbessert, die Körperübuugen an Zahl 
vermehrt (wenigstens % Stunde pro Tag) worden. Die Selireib- 
(ibungen sollten erst begonnen werden, wenn die Kinder an eine 
völlig symmetrische Haltung ge\völint sind; der Steilschrift ist der 
Vorzug zu geben. In den unteren Klassen soll (*s keine Haus¬ 
aufgaben geben; den anderen Schülern sind für die Ausführung 
der schriftlichen Arbeiten zu Hause genaue, gedruckte Vor¬ 
schriften einzuhändigen (bezüglich der Haltung u. s. w.). Zum 
Schlüsse wird der zahlreichen Aufgaben des Schularztes ge¬ 
dacht, der die schwachen, anaemischen Kinder genau beobachten, 
fehlerhafte Haltung stets korrigiren, den Turnunterricht über¬ 
wachen und, wenn nöthig, eine orthopaedlsche Behandlung zur 
rechten Zeit auordnen soll. 

Woirhaye und C a z i o t - Maubeuge: Schwerer Ikterus 
mit akuter Leberhypertrophie. (Revue de mCdecine, Juni 1901.) 

Kasuistischer Beitrag zu dieser in ihrer Pathogenese noch 
wenig aufgeklärten Affektion mit genauer Beschreibung des 
autoptIschen und histologischen Befundes. Es handelte sich um 
einen 22 jährigen Soldaten, dessen Vater und Mutter schon an 
Diabetes gelitten hatten, der also die Prädisposition zu Leber- 
affektionen ererbt hatte; diese Schwäche war noch unterstützt 
worden durch mangelhafte Nahrung, eine komplizirende Pneu¬ 
monie und Ueberarbeitung. Trotzdem der Organismus mit allen 
Vertheidigungsmitteln sich zur Wehre gesetzt hatte, trotz lokaler 
und circulirender Ilyperleukocytose, trotz des thellweisen Wieder¬ 
eintritts von Leber- und Nierenfunktion war das Nervensystem 
nach Ansicht der Verfasser zu sehr vergiftet, als dass eine Hei¬ 
lung möglich war und der Kranke wurde durch Eklampsie und 
profuse Darmblutungen dahingerafft. Aller Wahrscheinlichkeit 
nach handelt es sich in solchen Fällen nicht um einen primären, 
sondern um einen sekundären schweren Ikterus, nachdem die 
Leber eine ererbte, allzu grosse Zerbrechlichkeit zeigte, um noch 
die Kosten einer Infektion zu tragen. 

Albert: Ein Fall von Tropen-Milzabscess mit sterilem 
Eiter. (Ibid.) 

Den aus der Literatur gesammelten und tabellarisch zu- 
snmmengestellten 9 Fällen von tropischem Milzabscess fügt A. 
einen weiteren aus seiner Beobachtung hinzu, welcher einen 
17 jährigen Gärtner betraf. Bei demselben ist der Abscess im 
Verlaufe einer Fieberperiode (Malaria) entstanden und hat sich 
im Gegensatz zu den übrigen Fällen, wo meist der Durchbruch 
nach innen in die Bauchhöhle erfolgte, an der Aussenfliiehe der 
Milz der Abscess. welcher glücklicher Weise durch Bauch fellver- 
wachsungen abgekapselt war, durch Einschnitt in die Bauchwand 
öffnen lassen — der möglichst günstige Ausgang. A. glaubt, dass 
ilie Malaria aetlologisch beim Milzabscess zwar eine unleugbare 


Rolle spiele, dass sie aber wahrscheinlich durch die Veränderungen, 
welche sie in der Milz hervorruft, nur prädisponirend wirkt. 
Fernerhin ergab es sich, dass es Abscesse mit vollkommen sterilem 
Eiter gibt; derselbe ergab bezüglich seiner Zusammensetzung an 
Leukocyten einige interessante Einzelheiten. 

Bard: Experimentelle und klinische Untersuchungen über 
den intrapleuralen Druck beim Pneumothorax. (Revue de 
mödcciue. Juni und Juli 1901.) 

Seit Langem verleiht man l>eim Pneumothorax, der von der 
Lunge aus entstanden ist, der Obliteration oder dem Offenbleiben 
der Pleuropulmonal-Fistel eine ganz besondere Wichtigkeit und 
hat sielj bemüht, differentinldiagnostisehe Zeichen zwischen beiden 
Zuständen festzustellen. Seit der Arbeit von Weil (1880) ist 
der Grad des intrapleuralen Druckes das wichtigste Zeichen der 
Differentialdingnose geworden. B. stellte nochmals zur Messuug 
desselben genaue experimentelle Untersuchungen an und kam zu 
folgenden Ergebnissen. Beim allgemeinen Pneumothorax, 
wenn die Fistel nicht geschlossen ist, ist der Luftdruck ein posi- 
tiver ln beiden Resplrationszeiten bei ruhiger Athmung. Der 
Grad des intrapleuralen positiven Druckes ist ein nicht sehr hoher, 
beinahe konstant bei ein und demselben Kranken, indem er 
Schwankungen von einigen Centimetem um ein Mittel von 6 bis 
8 cm Wassersäule zeigt. Der positive intrapleurale Druck beim 
Pneumothorax ist eine Erscheinung von pathologischer Adaption 
und Kompensation; die Messung dieses Druckes ist ein wichtiges 
Element zur Diagnose der verschiedenen Arten von Pneumothorax, 
besondere um das Vorhandensein einer Fistel, deren Persistenz 
oder Obliteration schützen zu können. Der Druck ist positiv bei 
der Exspiration und negativ bei der Inspiration beim par¬ 
tiellen Pneumothorax mit offener Fistel und er ist negativ 
während In- und Exspiration beim allgemeinen Pneumothorax, 
wenn keine Fistel vorhanden oder eine solche seit kürzerer 
oder längerer Zeit geschlossen ist. 

P. Hartenberg: Die Angstneurose. (Ibid.) 

Die von Signi. Freud-Wien im Jahre 1895 erfolgte Ab¬ 
grenzung der Angslneurose von der Neurasthenie findet in dieser 
Arbeit neuerdings eingehende Begründung und auf Grund von 
4 selbst beobachteten Fällen verschiedener Aetiologie genaue Be¬ 
schreibung bezüglich Symptomatologie, Aetiologie, Pathogenese, 
diagnostischer Schwierigkeiten. Die Hauptsymptome dieses 
Ncivenleidens sind In erster Linie angstvolles Erwarten irgend 
eines schlimmen Ereignisses, dann allgemeine Reizbarkeit akuter 
Angstanfall oder sogen, rudimentäre Anfälle (Angstaequivnlenti, 
welche in Herz-, Athemnoths-Anfilllen, in Schwindelgefühl, Magen¬ 
darmstörungen u. s. w. bestehen können, und schliesslich psy¬ 
chische Erscheinungen (wirkliche Besessenheit und Furchtzu- 
stiimle). Das sexuelle Element spielt in der Aetiologie diesen 
Leidens zweifellos eine wichtige Rolle, ja ist geradezu specifisdi 
für dasselbe, meist auf einen irgendwie unbefriedigten geschlecht¬ 
lichen Akt oder Erregung tritt die Neurose auf, wie auch Löwen- 
fehl, welcher früher die Angstneurose nur für einen Zwischen- 
• zustand zwischen Hysterie und Neurasthenie aufgefasst wissen 
wollte, nun zugibt: derselbe glaubt übrigens, dass dieser Zustand 
bei Männern viel häufiger sei wie bei Frauen. G a 11 e 1 lu Wien 
hat ln jüngster Zeit an der Klinik von K r a f f t - E b i n g ein¬ 
gehende Untersuchungen über dieses Leiden angestellt, fand aber 
die l*eiden Geschlechter gleich stark betheiligt, wie desseu von 
Hartenberg hier reproduzirte, tabellarische Uebereicht lehrt: 
den zahlreichen Fällen von reiner Angstneurose folgen die wenigen, 
die mit Neurasthenie, mit Hysterie, und beiden zusammen ver¬ 
mischt sind 

B r i s s a u d und Lond e: Ein Fall von Akropar&estheeie 
mit Tetanus und gichtischen Erscheinungen. (Revue de möde- 
clne, Juli 1901.) . 

Der Fall, einen 47 jährigen Mann betreffend, begann mit 
Fnraesthesie (Prickeln, Stechen) an allen Fingern mit Ausnahme 
des linken Ringfingers, dann wurde dieses Gefühl Immer schmerz¬ 
hafter, es traten Krämpfe mit oedematöser Schwellung und con- 
secutiver Impotenz hinzu, dann vasomotorische Störungen mit 
Erethysismus; all’ diese Erseheinungen traten anfallsweise in der 
zweiten Hälfte der Nacht alle 10 Tage auf. Die Anfälle befallen 
ln geringerem Grade auch die Uutercxtreinitüten uud führten 
hol dem Kranken schliesslich zu einer dauernden Deformation 
der linken Hand. Verlauf wie Ausgang der Affektion bestärkten 
Verfasser ln der Ansicht, dass es sich um eine speeielle Art des 
Giehtanfalles handle und die erweiterte Kcnntniss von den sym¬ 
pathischen Erkrankungen der Extremitäten eines Tages auch die 
pathologische Physiologie der Gicht erleuchten werde, welche 
meist eine Krankheit mit nkropathologlsehen Erscheinungen nicht 
nur an Füssen, Händen, sondern auch am Gesicht und den Ge- 
schlcchtstheilen (Penis) sei. Die rationelle Behandlung vorliegen¬ 
der Affektion wird sich einerseits mit der Gicht, andererseits mit 
der Neuropathie beschäftigen müssen (allgemeinen und lokalen 
Mitteln. */ 

Dubreuilh: Die Orthof ormeruptionen. (Presse m6di- X 

cale 1901, No. 40.) J 

D. unterscheidet 2 Formen von Ilauteruptionen, welche dieses, 
sonst so unschädliche. Mittel hervorrufeu kann: 1. erythematöse. 
mit Bläschen oder Pusteln begleitet und 2. gangraenöse, von welch' 
letzteren ein genau beschriebener Fall folgt. Als auffallend und 
noch in keiner der bezüglichen Arbeiten bis Jetzt erwähnt, hebt 
D. hervor, dass das Orthoform auch auf intakter Haut diese 
Hnuterscheinungen vervorrufen kann und dass die analgeslrende 
Wirkung des Mittels auch auf die Affektioneu, welche es selbst 
hervorgenifen hat, weiter bestehen bleibt. 

Ed. Rist: Die Pest in Aegypten vom Mai 1899 bis Juli 
1900. (Ibid., No. 42.) 


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3. September 1901. 


MUENG'HENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1427 


Verfasser, früher Generalinspektor des Sanitätsdienstes In 
Aegypten, beschreibt hier kurz die zu obiger Zeit in Aegypten 
und besonders in Alexandrien (Situationsplan) vorgekomineneu 
Pestfülle: sie zeigen, wie schwierig die Entdeckung der ersten 
Fälle in einer grösseren Stadt und wie wichtig eingehendes Wissen 
der dazu berufenen Aerzte ist Diese ersten Fälle sind oft in ver¬ 
schiedenen Quartieren zerstreut; R. ist ferner der Ansicht, dass 
die Menschen im Allgemeinen nur ergriffen werden, wenn die Pest 
der Ratten sich bereits über ein weites Gebiet verbreitet hat. Trotz 
der guten sanitären Zustände Alexandriens schlich sich der Be¬ 
ginn der Epidemie 4 Monate dahin, ehe man die Wahrheit er¬ 
kannte: es können alle hygienischen und sanitären Maassregeln 
vergebens sein, wenn die Drüsenschwellungen oder Pneumonien 
bei den behandelnden Aerzten keinen Verdacht erwecken. Die 
Pest ist eben desshalb so gefährlich, weil sie mit vielen anderen 
Krankheiten verwechselt werden kann, während z. B. die Cholera 
durch ihren brüsquen und dramatischen Beginn wohl charak- 
terl8irt ist. 

Ferd. Pe re z-Buenos Aires: Die Bacteriologie der Ozaena- 
Aetiologie und Prophylaxe. (Annales de rinstitut Pasteur, Mai 
1901.) 

In Fortsetzung früherer Versuche (siehe diese Wochenschr. 
1900. No. 16. S. 549) hat nun P. 90 Fälle bakteriologisch unter¬ 
sucht und ist völlig in seiner Ansicht bestärkt, dass der von ihm 
beschriebene Coccobacillus foetidus ozaenae der spezifische Erreger 
der Ozaena beim Menschen ist P. untersuchte nun weiterhin die 
Bacterlen. welche im Nasenschleim und Speichel verschiedener 
Thiere, wie Hund, Katzen, Pferde. Esel u. s. w.. vorhanden sind 
und fand als normalen Bewohner dieser Sekrete beim Hunde zu¬ 
weilen den Coccobacillus foetidus ozaenae; derselbe kann sich 
vermehren, wenn der Hund krank ist und die Schlussfolgerung 
P.’s ist dass der kranke Hund besonders gefährlich und fähig 
ist, die Ozaena zu übertragen, wie die Ratte die Pest. Die Ozaena 
ist in den höheren Ständen eine seltene Krankheit, häufiger in 
der poliklinischen Praxis und die 9 von P. angeführten Fälle, wo 
die Träger der Ozaena grosse Hundefreunde waren, bestätigen 
seine Ansicht dass der Hund die Ozaena auf den Menschen über¬ 
tragen kann. Weitere Fälle, wo mehrere Glieder einer Familie 
affizirt waren, lehren die direkte Uebertragung von Mensch auf 
Mensch, was eine viel ungezwungenere Erklärung sei als die von 
Z a u f a 1, welcher einen durch Heredität übertragenen, rudimen¬ 
tären Zustand der Nasenmuscheln u. s. w. annimmt. Ein gegen 
diese und in eklatanter Weise für seine Theorie sprechender Fall 
wird von P. angeführt Auch gegen die pathologisch-anatomische 
Theorie von G r U n w a 1 d und B r e s g e n polemisirt Verfasser, 
deren Haltlosigkeit sei durch nichts besser bewiesen als durch 
die experimentelle Reproduktion der Muschelatrophie bei Kanin¬ 
chen, welchen der beschriebene Mikroorganismus intravenös in- 
Jlzirt wurde. Nachdem wir nun wissen, dass die Ansteckung vom 
Hnnde oder vom Menschen aus erfolgen kann, ergeben sich zwei 
Hauptindikationen: das Zusammen wohnen von Mensch, besonders 
Kindern, und Hunden, und den innigen Kontakt zwischen Ozaena- 
Kranken und gesunden Personen zu verhüten. Desinfektion der 
Taschentücher und der verschiedenen Gebrauchsartikel der 
Kranken. Therapeutisch ausgiebige antiseptische Spülungen der 
Nasenhöhlen, energische Aetzung der Muschelschleimhaut mit 
Höllensteinlösungen, Behandlung der Höhlenentzündungen nach 
H a J e k’s Verfahren. 

Ch. F6r6 und M. Francillon: Heber die Coincidenz 
der symmetrischen Lipome mit der allgemeinen progressiven 
Paralyse. (Revue de Chirurgie, Juni 1901.) 

Im Anschluss an einen selbst beobachteten Fall, wo bei einem 
51 jährigen Paralytiker symmetrisch an den Ober- und Unter¬ 
extremitäten eine Reihe von Lipomen vorhanden waren (8. Abb.), 
besprechen Verfasser die verschiedenen Theorien über die Patho¬ 
genese der multiplen Lipome, verwerfen die Ansicht, dass es Bich 
dabei um trophische, mit Veränderungen des Nervensystems ver¬ 
bundene. Störungen handelt und kommen zu dem Schlüsse, dass 
die symmetrischen, bei allgemeiner Paralyse und vor dieser zur 
Entwicklung gekommenen Lipome als angeborene Teratome oder 
Embryome, die eine Entwickelungsstörung bedeuten, aufzu¬ 
fassen sind. 

Jacques Silhol: Die BlutunterBUchung in der Chirurgie, 
speciell vom diagnostischen Standpunkte aus. (Ibid.) 

Dem Vorgehen H a r t m a n n’s und Mikulicz’ folgend, 
hält S. die Blutuntersuchung zuweilen für sehr vortheilhaft zur 
Sicherung der Diagnose. Man muss dabei 1. den Haemoglobin- 
gehalt, 2. die Zahl der rothen und welssen Blutkörperchen berück¬ 
sichtigen und 3. Trockenpräparate machen, um die verschiedenen 
Arten von Leukocyten zu unterscheiden. Ist der Gehalt an Haemo- 
globin ein sehr geringer, z. B. 40 Proc., so deutet das auf ein 
sehr schlechtes Allgemeinbefinden und Mikulicz operirt nicht. 
Aus den Beobachtungen und Blutuntersuchungen von 10 Fällen 
schlosst S.. dass bei einem Kranken mit einer Magenaffektiou 
folgender Blutbefund auf eine Neubildung schliessen lässt: be¬ 
trächtliche Verminderung des Haemogloblngehaltes auf weniger 
als die Hälfte, ebenso der rothen Blutkörperchen, ungleiche Formen 
derselben, ausgesprochene Leukocytose (wenigstens 15—20000). Bel 
allen Eiterungen, mit Ausnahme der tuberkulösen, ist ferner Leuko¬ 
cytose vorhanden, ebenso bei Frakturen, während sie bei Luxa¬ 
tionen fehlt, so dass damit ein werthvolles diagnostisches Hilfs¬ 
mittel gegeben wäre; diese Leukocytose Hesse sich übrigens durch 
die Verletzung des Knochenmarkes erklären. Der Einfluss der 
Operation auf das Blut böte ein interessantes Studium, wie über¬ 
haupt S. glaubt, dass hier noch ein sehr weites Feld zu bearbeiten 
■ei, das von grosser Wichtigkeit sei. Stern- München. 


Vereins- und Congressberichte. 

Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 22. Juli 1901. 

Herr Hauser bringt Mittheilungeu über den Schüller- 
schen Krebsparasiten (siehe No. 31 dieser Wochenschrift). 

Herr Qessner zeigt mehrere durch Operation gewonnene 
Präparate, über die später ausführlicher in dieser Wochenschrift 
berichtet werden soll. 

Herr Treutlein demonstrirt ein Kayserlingpräparat von 
Cysticercus racemosus an der Gehirnbasis. 

Vortragender berührt kurz das Wesen des Cysticercus und 
sein Vorkommen, die Einführung des Namens Cysticercus race¬ 
mosus durch Zenker und die bisher bekannten Fälle dieses 
eigenthümlichen Gebildes Im Gehirn. Sodann gibt er eine aus¬ 
führliche Schilderung der klinischen Symptome und des Sektions¬ 
befundes. 

Klinischer Befund: 52 jähriger Mann, dem mit 
19 Jahren ein Bandwurm abgetrieben wurde, hatte mit 36 Jahren 
zum ersten Mal epilepsieühnliche Anfälle, die sich alle paar Jahre 
wieder holten; 3 Wochen vor dem Tode ebensolcher Anfall, dabei 
Kopfschmerz, Schwindel, Doppeltsehen In vertlcaler Richtung. 
Puplllen8taiTe, lallende Sprache, sowie Motilitüts- und Sensibili¬ 
tätsstörungen in den beiden linken Extremitäten. Wenige Tage 
ante exitum plötzliche Besserung, dann aber schneller Tod unter 
Temperaturanstieg auf 41 °. 

Sektionsbefund: An der Gehirnbasis zusammen¬ 

hängendes Convolut von traubenförmigen Cysticercusbläschen, 
speciell um das rechte Cliiasma nervor. optic., die Austrittsstellen 
der Nn. oculomot. und trochlear. herum und dem Verlauf der 
Arier, foss. Sylv. nach vorne, und der Arier, cerebell. sup. anter. 
nach hinten entlang. Ueber beiden Grosshirnhemisphären, speciell 
rechts, verkalkte Cysticercusknötchen mit circumscrlptera Flüssig¬ 
keitserguss im Subarachnoidenlraum und Depression der Gehirn¬ 
substanz im Gebiet der Gyri praecentrales. 

Ein aufgestelltes mikroskopisches Präparat von der Membran 
der Cysticercusblü8chen zeigt das von Zenker als typisch an¬ 
gegebene höckerig-wellige Aussehen der Umschlagsstelle und deut¬ 
liche Kontraktionsfalten. Scolices konnten Im Bläscheninhalt nicht 
gefunden werden. 

Herr Treutlein schliesst mit den Mahnworten Z e n k e r's 
an die Aerzte, ln jedem Falle von Bandwurm, auch beim Fehlen 
von Beschwerden, baldigst abzutreiben und derartigen Kranken 
stets die peinlichste Sauberkeit der Hände, mit denen die Ueber¬ 
tragung der Bandwurmeier meist stattflnde, an’s Herz zu legen. 

An der sich anschliessenden Debatte bethelllgen sich die 
Herren Helm, Hauser, Schulz und Treutlein. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vareins.) 

Sitzung vom 19. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr C. Fraenkel. 

Es wird auf den Antrag des Vorstandes beschlossen, die 
laufenden Unterstützungen die der Verein an hinterbliebene 
Witwen von Aerzten zahlt, mit Rücksicht auf die Finanzlage des 
Vereins in Zukunft nach und nach zu beschränken. 

Herr A. Tschermak berichtet über die Untersuchungen 
seines Bruders E. Tschermak -Wien, welche die Fragen der 
künstlichen Kreuzung und der Bastardzüchtung an 
phanerogamen Pflanzen betreffen. Die älteren Angaben 
über mangelnde oder beschränkte Fruchtbarkeit der 
Bastarde einerseits, über den Vortheil der Fremdbefruch¬ 
tung vor der Selbstbefruchtung andererseits sind vorschnell verall¬ 
gemeinert worden; die im Allgemeinen beschränkte Fruchtbarkeit 
von Bastarden kann sogar in späteren Generationen wieder stei¬ 
gen. Nach den klassischen Arbeiten Gregor Mendel’s (1865), 
die erst neuerdings „wiederentdeckt“ wurden, stellen speciell die 
Mischlinge verschiedener Rassen nicht regellose Mischungen der 
elterlichen Merkmale dar, sondern zeigen eine ganz geeetzmässige 
Gestaltungsweise. Die dasselbe Organ betreffenden, ver¬ 
schiedenen Merkmale der beiden Stammsorten besitzen nämlich 
eine verschiedene Werthigkeit für die sog. Vererbung, indem die 
erste Mischlingsgeneration übereinstimmend die „dominanten“ 
Eigenschaften aufweist: die „recessiven“ Merkmale treten erst in 
der zweiten Generation, und zwar bei einem Viertel der In¬ 
dividuen auf, deren Nachkommen sie konstant bewahren. Von 
den dominant-merkmaligen 3 Vierteln erweist sich eines als 
samenbeständig, die übrigen 2 Viertel liefern eine ungleich¬ 
förmige Nachkommenschaft im Verhältniss von 3 :1. Analoges 
besagt das „Spaltungsgesetz“ für die folgenden Generationen. Da 
sich die einzelnen Merkmale, in denen sich die beiden Stamm¬ 
rassen unterscheiden, im Allgemeinen wie selbständige Elemente 


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1428 


MUKNOHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3‘-, 


verhalten, so kann der Züchter schon in der zweiten Generation 
alle möglichen Kombinationen erhalten, in denen er die „recos- 
siven“ Merkmale als durchaus konstant, die „dominanten“ als im 
Verhältniss 1: 3 konstant betrachten darf. E. Tschermak 
hat die M e n d e l’sehen Sätze in allem Wesentlichen bestätigt, 
eine gewisse Abhängigkeit der Werthigkeit von bestimmten Fak¬ 
toren (Geschlecht des sog. Ueberträgers u. a.) naehgewiesen und 
jene Gesetzmässigkeit für eine rationelle Züchtung neuer Kom¬ 
binationen durch künstliche Kreuzung praktisch verwerthet. 
Rassenmischlinge sowie Bastarde können in gewissen Fällen, ja 
in einzelnen Verbindungen gnnz gesetzmiissig, eine Verstärkung 
elterlicher Eigenschaften, beispielsweise der Pigmentirung der 
Samenschale, oder selbst ganz neue Merkmale aufweisen, wie sie 
auch durch sog. spontane Variation oder durch Mutation, also 
ohne Fremdkreuzung, auftreten können. Die Bildung neuer, 
samenbeständiger Kombinationen, sowie die Auslösung neuer 
Eigenschaften durch Bastardirung stellt, wie schon K e r n e r er¬ 
kannt hat, einen t hatsächlichen Faktor für die Entstehung 
neuer Arten dar. Ein ebensolcher ist in der anpassungsweisen, 
reactiven Gestaltiimlerung, sowie in der von de V r i e s be¬ 
obachteten Umprägung oder Mutation gegeben, während die 
D a r w i n’sche Annahme einer natürlichen Zuchtwahl (d. h. einer 
Konkurrenz minimal differenter Individuen um die beschränkten 
Lel>ensbodingungen mit absoluter Entscheidung zu Gunsten der 
einpn Form) einer thatsöchlichen Begründung entbehrt. 

Besprechung: Herr Plsselliorst: Was die geschlecht¬ 
liche Fortpfianzungsfiibigkeft der Bastarde angeht, so zeigen sich 
hier im Thierreich erhebliche Unterschiede. Bei den männlichen 
Bastarden, z. B. vom Hausrind und dem indischen Gayal, die an 
sich kräftige und schöne Thiere sind, fehlt dus Zeugungsvermügen 
stets, und es zeigte sich In deu Fällen, die D. zu untersuchen 
Gelegenheit hatte, als Ursache dieser Erscheinung stets fettige 
Entartung der Hodenepitlielien. Worauf dieses zurückzufilhren, 
ist dunkel. Die Potentia coeundi ist dabei vollkommen vorhanden, 
die männlichen Thiere zeigen bei dem Cohabitationsakt dieselbe 
geschlechtliche Aufregung, wie reinbliitige oder solche anderer 
Kreuzungen — ein weiterer Beweis dafür, dass die Centren der 
geschlechtlichen Erregung nicht an die funktionelle Intaktheit der 
Hoden gebunden ist, geschweige denn an die der accessorischen 
Geschlechtsdrüsen. 

Dieses Verhalten der männlichen Gayal-Bastarde muss um 
so mehr auffallen, als die im landwirtschaftlichen Institut hiesiger 
Universität gezüchteten männlichen Yak - Bastarde vollkommen 
zeugungsfähig sind. 

Herr Fr ick: Stellung des Aerztevereinsbundes zum 
„Verband der Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirt¬ 
schaftlichen Interessen“. 

Herr F r i ck, der vom Verein mit seiner Vertretung auf dem 
bevorstehenden Aerztetag in Hildesheim betraut ist, legt der Ver¬ 
sammlung eine Reihe von Leitsätzen vor. die seine Anschauungen 
über die angeführte Frage wiedergeben sollen. Dieselben lauten: 

1. Es ist nöthig, dass die Aerzte mehr noch als bisher sich 
In straffer Organisation zur Selbsthilfe zusammenthun, um den 
Ihrem Stande und ihrem Ansehen von den verschiedensten Seiten 
drohenden Gefahren wirksam zu begegnen. 

2. Es können bei solcher Selbsthilfe nur solche Mittel und 
Wege als geeignet bezeichnet werden, bei denen die Würde und 
das Ansehen des Standes zweifellos gewahrt werden. 

3. Aerztestreiks sind nur in solchen Fällen als berechtigt an¬ 
zuerkennen, wo dieselben den Aerzten aufgedrängt und von der 
Standesvertretung gebilligt werden. 

4. Die Bildung einer ärztlichen Unterstiitzungskasse der im 
Kampfe für die Interessen des Standes geschädigten Kollegen Ist 
wünschenswert li. 

5. Eine Spaltung in der Organisation der deutschen Aerzte 
ist zu vermeiden. 

6. Bei allen Neuorganisationen ist eine Anlehnung an die be¬ 
stehenden durchaus wünschenswerth. 

7. Als wirkliches, grosses und durchgreifendes Mittel zur 
Hebung der Stellung der Aerzte und des gesummten Standes ist 
die gesetzliche Festlegung der freien Arztwahl zu betrachten und 
anzustreben. 

Die Versammlung erklärt sich mit diesen Sätzen einverstanden. 
Herr Franz: Ueber vaginale Punktion und Incision. 
(Der Vortrag erschien in No. 31 dieser Wockenschr.) 

Besprechung: Herr B u m m theilt lm Wesentlichen die 
Ansichten des Vortragenden, er warnt aber bei den Punktionen 
zu diagnostischen Zwecken vor dem Gebrauch allzu dicker In¬ 
strumente. Am geeignetsten sei liier eine Nadel etwa von dem 
Kaliber der Kanüle bei der P r a v a z’schen Spritze, die man ohne 
Bedenken überall einstechen könne, ohne Blutungen u. s. w. be¬ 
fürchten zu müssen. Besonders sei diese Vorsicht angezeigt, wo 
es sich um Haematocelen handle, die nicht einen einfachen Blut¬ 
sack darstellen, sondern eine starre W’andung besitzen und zu 
Verblutungen, schweren Jauchungen u. s. f. Veranlassung geben 
können. 


Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Officiellcs Protokoll.) 

Sitzung vom 20. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Stühmer. 

Herr Enke stellt einen 77 Jährigen, noch arbeitsfähigen 
Mann vor mit linksseitigem Mamm&c&rcinom. Der Kranke be¬ 
merkte den Beginn vor etwa 30 Monaten, gestern aber hatte er 
Stiche in der Brust und dies veranlasste ihn, sich mir vorzustelien. 
Die Geschwulst ist allmählich gewachsen und hat Jetzt die Grösse 
eines Taubeneies erreicht. Sie ist hart, auf Druck nicht schmel¬ 
zend, mit der Haut verwachsen; die Warze ist eingezogen, die Epi¬ 
dermis um letztere herum abschürfend. In der Achselhöhle eine 
Anzahl erbsengrosser harter Drüsen. Die anwesenden Chirurgeu 
und Gynäkologen bestätigen die immerhin selten vorkommendc 
Affektion als Carcinom der Mamma beim Manne. 

Die mikroskopische Diagnose wird Vortragender später mit¬ 
theilen. 

Herr Sledentopf berichtet: 

1. Ueber einen seltenen Fall von kyphoskoliotlsch - rachi¬ 
tischem Becken. 

Die 23 Jährige Frau L. hat mit 9 Jahren laufen gelernt, ist 
vom IG. Jahre ab meustrulrt und hat sich seitdem dauernd wohl 
gefühlt. Sie ist Jetzt am Ende der ersten Schwangerschaft und 
hat seit 4 Stunden kräftige Wehen. Das Fruchtwasser Ist schon 
vor Beginn der Wehen abgeflossen. 

Die Patientin ist 118 cm gross, hat eine hochgradige links¬ 
seitige Kyphoskoliose der Brustwirbelsäule, eine ebenfalls starke 
kompensatorische rechtsseitige Skoliose. der Lendenwirbelsnull.' 
und rachitische Veränderungen des Brustbeins und der Rippen. Die 
Oberschenkel sind stark nach aussen, die Unterschenkel ebenso 
stark nach innen gekrümmt. Dns Becken ist bis auf den Stand 
des Promontoriums ein ausgesprochen rachitisches. Die vordere 
und hintere Beckenwand sind nahe anelnnndergedrängt, die 
kleinen Darmbeinschaufeln verlaufen fast ohne Jede Krümmung 
nach vorn und aussen, das Kreuzbein ist abgeflacht und besitzt 
zwischen dem 4. und 5. Kreuzbein Wirbel eine annähernd recht¬ 
winkelige Krümmung nach vorn. Der Schambogen ist stark ab¬ 
geflacht und die Schoossfuge verläuft dachförmig von oben und 
vorn nach hinten und unten. Eine wesentliche Abweichung vom 
typisch rachitischen Becken zeigt das Promontorium. Wir finden 
dasselbe sonst nach vorn und unten verlagert, ln diesem Falle 
ist cs nur nach vorn verschoben und zwar soweit, dass es frontal 
in einer Ebene mit dem unteren Rande der Symphyse steht, aber 
8 cm darüber. Wir würden mithin ein ganz falsches Maass für 
deu geraden Durchmesser des Beckeneingangs bekommen, wenu 
wir denselben nach dem gefundenen Abstande des Promontoriums 
vom unteren Rande der Symphyse mit G cm berechneten. Da 
kein erheblicher Hängebauch besteht, so ist vielmehr für den 
Uber dem Becken stehenden Kopf so gut wie gar kein Becken- 
eingnng vorhanden. Die übrigen Maasse sind folgende: Spinae 
27>/o cm, Cri8tae 25, Conjugata diagonal, ext. 13»/ 2 , Dlameter ob- 
liquus ext. dext. 15, sinlst 13. Abstand der Trocbanteren 8%. 
Abstand der Steissbeinspltze vom unteren Rand der Schossfuge 
7 cm. Eine ausführliche Beschreibung dieses Interessanten 
Beckens wird an anderer Stelle veröffentlicht werden. 

S. machte den Kaiserschnitt und zwar die Eröffnung des 
Uterus mittels queren Fundalschnitts. Die Patientin Ist nach 
2 % Wochen gesund mit Ihrem Kinde entlassen worden. Es ist 
dieses der 8. Kaiserschnitt in der Hebammenlehranstalt, bei dem 
der quere Fundalschnitt nach Fritsch nusgeführt wurde. Der 
Schnitt hat die ihm in einer früheren Veröffentlichung von S. 
naebgerühmten Vorzüge auch ln den späteren Fällen Immer wieder 
gezeigt. Es Ist keine von den 8 Patientinnen gestorben. 

2. Ueber einen Fall von Eklampsie. 

Eine 25Jährige Erstgebährende hatte während der Schwanger¬ 
schaft viel an Kopfschmerzen gelitten, in der letzten Zelt ge¬ 
schwollene FUssc gehabt und war ln der 35. Schwangerschafts¬ 
woche plötzlich erblindet. Gleich darauf war der erste eklamp- 
tische Anfall eingetreten, dem in der kurzen Zelt, bis S. die 
Patientin mit dem behandelnden Arzte sah, noch 2 weitere ge¬ 
folgt waren. Das Bewusstsein war nach dem ersten Anfall nicht 
wiedergekehrt. Die Harnsäule erstarrte beim Kochen fast völlig- 
Die Untersuchung ergab, dass die Wehen begonnen hatten, der 
Gebärmutterhals war für einen Finger durchgängig und noch 
etwa 2 cm lang. Die Schwere des Falles machte eine beschleunigte 
Entbindung dringend nothwendlg; die der Zeit der Schwanger¬ 
schaft entsprechende ungenügende Vorbereitung des Gebärmntter- 
halses würde eine operative Erweiterung zu einem grösseren Ein¬ 
griff gemacht haben, was S. bei Eklampsie möglichst vermeidet, 
desshalb wandte er den Champetle r’schen Kolpeurynter an. 
Derselbe hat eine Kegelfonn, der Durchmesser des Bodens ist 
10 cm lang und der Ballon verjüngt sich nach oben wie ein 
Flaschenhals. Dadurch, dass er aus Seide mit einem Kautscbuk- 
belnge aussen und innen hergestellt wird, behält er auch auf- 
getrieben seine Kegelfonn bei. Nachdem dieser Kolpeurynter in. 
den Uterus eingeführt und angefüllt war, wurde sofort ein 
kräftiger Zug an ihm ausgetibt. Dadurch trieb der Ballon den 
Cervicalkanal und Muttermund keilförmig auseinander, so dass 
nach noch nicht 10 Minuten die Oeffnung so gross geworden war. 
dass S. bequem mit der Hand in den Uterus elngehen und die 
darin befindlichen Zwillinge entwickeln konnte. Auf der linken 
Seite des Muttermundes war ein kleiner Einriss entstanden. Der 


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3. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1429 


weitere Verlauf war sehr gut. Am 4. Tage war das Eiwelss aus 
dem Urin fort und das Sehvermögen vollkommen zurtlckgekehrt. 
Nach der Entbindung Ist kein Krampfanfnll mehr eingetreten. 
S. empfiehlt den Champetle r’scheii Kolpeurynter warm ftlr 
diese Fälle, ln denen eine schnelle Erweiterung des Muttermundes 
nothwendig Ist 

3. Umwandlung einer Gesichtslage bei plattem Becken. 

Bei einer 25 jährigen Erstgebärenden mit glattem Becken, 
Conj. vera c. 9 cm, hatte sich der Kopf in erster Gesichtlage ein¬ 
gestellt, die Mittellinie des Gesichts verlief im queren Durchmesser, 
der Schädel stand noch über dem Beckeneingnng und es war sehr 
viel Fruchtwasser vorhanden. Der Muttermund war fünfmark¬ 
stückgross. In Rücksicht auf das enge Becken beschloss S. die 
GeBichtslage in eine Schädellage zu verwandeln. Zu diesem 
Zwecke drängte er das Gesicht aus dem Becken heraus und 
fixlrte es in Rückenlage der Mutter, so hoch es sich heraufdrängen 
Hess, mit dem Zeigefinger der rechten Hand an der Nasenwurzel 
und dem Mittelfinger am vorderen Winkel der grossen Fontanelle. 
Jetzt wurde die Mutter auf die linke Seite gelegt, der kindliche 
Kopf verschob sich nach rechts, die ihn flxirenden Finger 
wunderten auf dem Scheitel nach hinten, wodurch das Gesicht 
nach rechts und oben verschoben wurde. Sobald die beiden ein¬ 
geführten Finger die kleine Fontanelle erreicht hatten, wurde 
durch einen Druck auf die kindliche Brust der Schädel nach unten 
und in das Becken hinein gedrängt. Die Geburt verlief sodann 
in Schädellage. 

Die Modiflcatlon gegenüber dem von Thoru angegebenen, aus 
den Baudeloque'schen und Schatz'schen Methoden combinirteu 
Verfahren bestand darin, dass die Umlagerung der Frau erst vor¬ 
genommen wurde, nachdem das Gesicht aus dem Becken heraus¬ 
gedrängt war und sich daher bei der Seitenlagerung frei nach der 
entgegengesetzten Seite verschieben konnte. Der Eingriff wurde 
durch das viele Fruchtwasser wesentlich erleichtert. 

Herrn Enke antwortet S., dass eine Correctur der Gesichts¬ 
lage nur Indicirt ist, wenn eine Komplikation, wie enges Becken 
oder rigide Geburtswege, vorhanden ist; dass sie ferner nur ge¬ 
stattet ist, wenn das untere Uterinsegment noch keine stärkere 
Dehnung erfahren hat und der grösste Thell des Schädels noch 
über dem Beckeneingang steht 

An der Discusslon betheiligten sich die Herren Enke, 
Habs und T o e g e 1. 

Sodann berichtet Herr Stühmer über folgenden Fall: 

In der Nacht sei ein Pat. in voller Angst zu ihm gekommen 
mit dem kurz vorher gelassenen Urin, der von einer herrlich 
grünen Farbe gewesen sei. Er habe sich Anfangs den Grund 
hlefür nicht erklären können, habe aber dann später zufällig er¬ 
fahren, dass dem betr. Pat. wahrscheinlich von einem Apotheker 
Spasses halber eine Kapsel mit Methylenblau unter das Essen 
unbemerkt gebracht war. 

Herr Richter spricht kurz Uber Symptome. Differential- 
diagnose und Therapie der Gehörgnngsfurunkel. wobei er be¬ 
sonders betont, dass der leiseste Zug an der Ohrmuschel sehr 
schmerzhaft sei. R. kommt fast immer mit einer festen Tam¬ 
ponade des Gehörgangs aus und macht nur in den seltensten 
Fällen die Incision. 

An der Discusslon bethelllgen sich die Herren T o e g e l. 
Habs, Schroeter und Enke. 


Verein deutscher Aerzte In Prag. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 22. April 1901. 

Herr Lisiau stellt 2 Fälle von extragenitaler Sklerose 
am rechten Vorderarme vor. 2 Frauen lnflzirten sich durch das 
Tragen von hereditär-luetischen Enkelkindern. 

Herr Bndolf Fischl demonstrlrt Skiagramme von Phalangitis 
syphilitica. Die Durchleuchtung lässt den Process als rareflzireu- 
den, von der Verkalkungszone einerseits und der kompakten 
Knochensubstanz andererseits ausgehende Ostitis deuten. 

Man sieht an den Radiogrammen eine diffuse, von der Ver¬ 
kalkungszone und dem Periost her fortschreitende Aufhellung des 
Knocheninnern zum Unterschiede von Spina veutosa, bei der im 
Knocheninnern mehrere weisse Stellen zu finden sind. 

Herr 0 ö t z 1: Untersuchungen über reflectorische Anurie. 

Ausgehend von der wiederholt klinisch beobachteten That- 
sacbe, dass intrarenale, nur eine Niere treffende Drucksteigerung 
die Harnabsonderang beider Nieren zu hemmen im Stande ist, 
hat G ötzl im thierphysiologischen Institute in Berlin Ver¬ 
suche an Hunden vorgenommeu, um zu prüfen, ob bei Thicren 
eine solche Reflexhemmung ebenfalls vorhanden ist. Bei seinen 
Versuchen ist die grosse Morphiummenge, die er zur Narkose 
verwendet störend und nachtheilig. Von 12 Experimenten sind 
nur 3 als positiv zu betrachten. Er kommt zu dem Schlüsse, 
dass es thatsächlich experimentell gelingt, durch Drucksteigerung 
in einer Niere reflektorische Anurie zu erzeugen; die Sekretions¬ 
verminderung tritt nicht sofort, sondern erst nach geraumer Zeit 
ein, und steht nicht in geradem Verhältnisse zur Höhe des an¬ 
gewendeten Druckes, violmehr scheint die Stetigkeit des Druckes 
das Wirksame der Hemmung zu sein. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Soci6t6 de Biologie. 

Sitzung vom 29. Juni und 0. Juli 1901. 

Mauclaire spricht Uber epidurale Jodoforminjektionen, 
um gewisse Formen des Malum Pottii zu behandeln. M. glaubt, 
dass sich zu dieser Art der Behandlung diejenigen Formen eignen, 
welche Knochenveriinderungen, die in den Canalis vertebralls sich 
öffnen, oder eine äussere tuberkulöse Packymeningitls der Dura 
mater aufweisen. Nach Versuchen an Kinderlelchen wandte M. 
am Hebenden besonders ein gesättigtes Jodoform-Vaseliuöl, das 
mit strengster Antisepsis priiparirt ist, au. Diese Injektionen wer¬ 
den ln die untere Oeffnung des Canalis sacralls gemacht und alle 
14 Tage wiederholt (in Dosen von 2 ccm und mehr). Aus seiueu, 
nicht sehr zahlreichen Versuchen hält M. die Unschädlichkeit dieser 
Injektionen für erwiesen und ihre Wirksamkeit für sehr wahr¬ 
scheinlich; Immerhin bildeten sie nur eia unterstützendes Beliand- 
lungsmIttel uud müssten stets durch don immobilisirenden Gips¬ 
verband ergänzt werden. Weitere Versuche au Skeleten mit 
Wirbeltuberkulose, an welchen zu konstatiren wäre, dass der tuber¬ 
kulöse Herd von der Jodoformlösung durchtränkt wird, behält 
sich M. vor. 

U&urel - Toulouse bespricht die durch das Cocain ver¬ 
ursachten tödtlichen Zufälle. Im Allgemeinen liegt die Gefahr 
desselben darin, dass es in andere Venen als die des Pfortader¬ 
systems gelangt, und in einer genügend starken Konzentration, 
um den Leukocyten eine sphärische Form, was deren Todeszeichen 
sei zu geben. Man muss also Immer das Cocain ln geuügeud ver¬ 
dünnter Lösuug geben, damit es nicht diese Wirkung bat, und 
könnte auf diese Weise die Menge ohne üble Folgen vermehren. 
M. schliesst aus seinen Experimenten, dass der Tod dadurch eiu- 
tritt, dass die Lungeukapillareu durch die sphärisch gewordenen 
welsseu Blutkörperchen verstopft werden. Wenn ein anderes 
capillüres Netz (Heber, Nieren, peripheres oder seiht cerebrales) 
eingeschaltet wird, wie bei den direkten Injektionen in die Arterien 
oder ln die Pfortader, so wird der Tod vermieden. 

Sitzung vom 13. Juli 1901. 

Die epiduralen Injektionen bei der Hamlncontinenz. 

A 1 b a r r a n und C a t li e 11 n studirten die Wirkung der epi¬ 
duralen Cocaiuinjektlouen bei Blasenscluuerzen und fanden, dass 
2—3 ccm eiuer 1 >/ 2 —2 proc. Hösung genügten, um sowohl die spon¬ 
tanen wie die durch Instrumente verursachten Schmerzen bedeu¬ 
tend zu vermindern. In (4) Fällen von Incontinentia urinne (in 
Folge von Tuberkulose, Paraplegie, Alterserseblnffuug des Sphink¬ 
ters) wurde ferner Rückkehr der Kontraktilität des Sphinkters 
vom ersteu Tag an beobachtet. Eine eiuzige Injektion hat bei 
einer Patientin die freiwillige Mietion auf 0 Tage herbeigeführt, 
bei den anderen blieb die Besserung ziemlich lauge bestehen. 

Stern. 


Aus den englischen medicinischen Gesellschaften. 

Edinburgh Medico-Chirurgical Society. 

Sitzung vom 5. Juni 1901. 

L. C. B r u c e: Klinische und experimentelle Beobachtungen 
über Paralysis progressiva. Das Ergebniss dieser Untersuchungen 
kann kurz dahin zusammengefasst werden, dass die genannte 
Krankheit auf eiuer vom Magendnrmkanal übermittelten chroni¬ 
schen Intoxikation mit besonderer Betheiligung des Gehirns beruht. 
Dies findet schon ln der klinischen Beobachtung eine Stütze. Be¬ 
kanntlich lassen sich drei Stadien des Uehlens unterscheiden. 1 ui 
ersten ist der Patient öfters von akuten Symptomen ergriffen mit 
Fieber, Gewichtsverlust, Unruhe, Aufreguugszuständen und Schlaf¬ 
losigkeit; im zweiten wird er träge, gleichmüthlg, setzt Fett an, 
zeigt aber Neigung zu apoplektiformen Attacken, während Im 
dritten wieder Gewichtsverlust eintritt lm Vereiu mit Schwach¬ 
sinn uud Hähmuugserscheiuungeu. Iu allen 3 Stadien finden sich 
Verdauungsstörungen: lm 1. gewöhnlich hartnäckige Obstipation, 
Pobelkeit, gastrische Sehmerzattacken bei wechselndem Appetit; 
im 2. sehr oft Bulimie und im 3. als gewöhnliche Erscheinung 
wechselweise Obstipation und Diarrhoe. Die Fiebercrscheinuugen 
sind öfters unregelmässig und wenig charakteristisch. Am ehesten 
als typisch zu bezeichnen sind die alle N 14 Tage ivkürriremlen 
TeinpemtursteigeruHgen. Fortgesetzte Untersuchungen ergaben 
auch eine Vermehrung der JAUikocyten um manchmal 20—30<RMi 
pro Kubikceutimcter, der Höhe des Fiebers entsprechend. Dabei 
waren die fieberfreien Intervalle stets um so länger, je grösser 
die Iidikocytose war. Ferner hat B. im Blute und im Urin eines 
Paralytikers einen beweglichen Bacillus gefunden; ohne irgendwie 
Itestinunte Schlüsse aus diesem vereinzelten Befunde ziehen zu 
wollen, glaubt er doch zu weiteren Untersuchungen auffordern zu 
dürfen. Iu therapeutischer Hinsicht ist Folgendes beachtenswerth. 
Blut von einem Paralytiker im zweiten Stadium durch Schröpf- 
köpfe (wegen Humbngo) entnommen, wurde vor 2 Jahren dofibrinin 
in Portionen von 2 ccm subkutan bei 2 anderen Kranken 3 Wochen 
lang täglich Injizirt.. Bei beiden ist seitdem Stillstand in dem 
Krankheitsbilde eingetreten. Jetzt versucht B. mit Thierserum 
nach Itnmunisirung gegen Bacillus coli, der ja lm Dann von 
Paralytikern ineist massenhaft gefunden wird, In ähnlicher Weise 
eine Wirkung zu erzielen. 


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1430 


MIXENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3a 


W. F. Robertson folgte mit Bemerkungen nur Frage von 
der Pathogenese der Dementia paralytica. Er hat den Magen- 
darmkanal bei 12 Füllen genauer untersucht nach Härtung mit 
Formalin und in allen Fällen sehr ausgesprochene Veränderungen 
gefunden. Achtmal fand sich eine deutliche Verdickung der 
Magenwand und zweimal eine erhebliche Dilatation. Bei 5 Prä¬ 
paraten fand sich gleichzeitige Verdickung des Duodenums und 
des oberen Theils des lleums. Dreimal fanden sich ausgedehnte 
tuberkulöse Geschwüre im Ileum und in den übrigen 9 Fällen 
verschiedene sonstige Laesionen im Dünndarm. Diese Abnormi¬ 
täten sind jedenfalls nicht die Ursache der Geistesstörung, aber 
el>enso ist es nicht möglich, dass die Verdauungsstörungen der 
Paralytiker von dem Gehirnzustand abhängen. Vielmehr fasst R. 
seine- Ansichten auf Grund seiner Beobachtungen und der Mit¬ 
teilungen anderer Forscher, vornehmlich A n g 1 o 1 e 11 a’s, dahin 
zusammen, dass er übereinstimmend mit dem Vorredner erklärt: 
Die progressive Paralyse ist bedingt durch eine vom Gastro¬ 
intestinalkanal ausgehende Toxaemle. Diese namentlich von 
Bacterien ausgehenden Toxine fördern die Entstehung von Wuche- 
rungs- und Entartungsvorgiiugen der Blutgefässe des Central¬ 
nervensystems; namentlich diejenigen Gehirntheile, welche am blut¬ 
reichsten sind, werden am frühzeitigsten afflzirt. Tabes dorsalis 
ist durch eine gleiche Art von Toxaemie bedingt. Syphilis hat im 
Wesentlichen nur die Bedeutung, dass sie beiden Affektionen durch 
Verminderung der natürlichen Immunität vorbaut Die am 
Knochenmark konstatirten Befunde deuten darauf hin, dass diese 
Herabsetzung der natürlichen Widerstandsfähigkeit zum Theil 
durch beginnende Erschöpfung der leukoblastischen Funktion des¬ 
selben herbeigeführt wird. Die Behandlung muss in erster Linie 
auf die Störungen im Verdauungstraktus gerichtet sein und wird 
wahrscheinlich am ehesten durch speciflsche Antitoxine erfolgreich 
sein. Dies dürfte nicht so aussichtslos sein, wie es zuerst erscheint, 
denn wahrscheinlich handelt es sich hier nur um einige wenige be¬ 
stimmte Bacterien als aetiologische Faktoren. . 

Philipp!- Salzschlirf. 

Auswärtige Briefe. 

New-Yorker Brief. 

Zum St. Pauler Aerztecongress und'nach Wunderland. 

m. 

Von St. Pani znm Yellowstone Park. 

„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, 
Den schickt er in die weite Welt, 

Dem will er seine Wunder weisen 
In Berg und Thal, in Wald und Feld.“ 

Am Abend des 7. Juni, des letzten Kongresstages, bestiegen 
wir den Spezialzug, welchen die grosse Northern Pacific Railway 
Company uns zur Verfügung gestellt hatte. Von seinen pracht¬ 
vollen Vestibülen sollten wir die Merkwürdigkeiten des wilden 
Westens schauen. 

Unser Kontingent rekrutirte sich aus 158 Aerzten mit ihren 
weiblichen Adnexa, nebst 3 Chemikern, im Ganzen 282 Personen. 
Der illustren Namen waren gar viele. Da war K e e n, der treff¬ 
liche Philadelphiaer Chirurg, welcher von seinen beiden tapferen 
Töchtern begleitet, zugleich eine Reise um die Welt antrat. Da 
er mein unmittelbarer Bettnachbar war, so hatte ich Gelegenheit, 
den fröhlichen alten Herrn aus nächster Nähe zu beobachten 
und amusirte ich mich immer über die Sorgfalt, mit welcher er 
des Abends in dem engen Raume seines sogen. Schlafkabinets 
seine Toilette verrichtete, gleich als ob es sich um die Vor¬ 
bereitungen zu einer hochaseptischen Operation handelte. 

Andere hinwiederum glaubten mit der Entledigung von 
Rock und Hemdkragen den Anforderungen der Nachttoilette 
Genüge gethan zu haben und plumpsten dann wie die Mehl¬ 
säcke in das Kissenkonvolut ihrer Schlafkommode, aus denen 
sonore Schnarchquartette bald von der Euphorie der leicht be- 
schwingteu Schläfer laute Kunde gaben. 

Da kann man überhaupt die merkwürdigsten Beobachtungen 
machen. Der amerikanische Schlafwagen steht unter der 
Aegide des farbigen Tyrannen, Porter genannt; dieses stets grin¬ 
sende koboldartige Individuum drückt dem ganzen Milieu ein 
demokratisches Gepräge auf, denn kein Rang und Name ficht 
ihn an — vor ihm sind alle Schläfer gleich, es sei denn, dass der 
eine oder andere Homo sapiens schon im Frühstadium der Reise 
durch Verleihung einer grosskalibrigen Denkmünze sich in eine 
höhere Rangstufe bei ihm einschlängelte. Dann thut er auch 
wohl ein Uebriges. Um die Geisterstunde schreitet er durch die 
düsteren Reih’n gleich einem Alt-Niirnberger Nachtwächter. Mit 
geschicktem Griff entwickelt er die Stiefel unter der Bettdecke 


ohne mit Morpheus in Streit zu gerathen, mit kundiger Hand 
beherrscht er die Ventilation und geräuschlos knöpft er die Vor¬ 
hänge fest, „dass Niemand kein Schade geschieht“. 

Von anderen hervorragenden Repräsentanten der Zunft 
mögen noch Hotchkiss und J e 1 i f f e (New-York), E a c h - 
n e r (Philadelphia) und N e w m a n und Simmons (Chi¬ 
cago) genannt werden. Simmons hat durch seine vielseitigen 
Talente das Journal of the American Medical Association in 
wenigen Jahren zu hohem Ansehen gebracht. Wie sehr dasselbe 
gewürdigt wird, geht aus der hohen Abonnentenzahl von 24000 
hervor. Simmons ist aber kein „Mittemachtslampenöl- 
haemorrhoidarier“ geworden, auch ist er nicht wie andere Redak¬ 
teure gefürchtet, denn er ist was man in Deutschland ein fideles 
Haus nennen würde. 

Dass es nicht immer vortheilhaft ist, eine Grösse zu sein, er¬ 
fuhr Kollege G o u 1 d (Philadelphia) zu seiner Unfreude. 

Die P u 11 m a n n’schen Betten waren nämlich bloss auf 
6 Fuss berechnet, und der biedere Gould, ein Goliath im lite¬ 
rarischen sowohl, als im körperlichen Sinne, hatte dieses Maass 
um der Zolle etzliche überschritten. So musste denn der illustre 
Herausgeber der verbreiteten Aerztezeitung American Medicine, 
die Einbryonallage nachahmend, seine Nächte bei einer erheb¬ 
lichen Ueberbürdung der Beugemuskulatur seiner unteren Ex¬ 
tremitäten zubringen. Es hat ihm jedoch die gute Laune keines¬ 
wegs verdorben, denn wo sich ein Kreis bildete, aus dem sein 
joviales Gesicht um Haupteslänge hervorragte, da war eitel Lust 
und Sonnenschein. 

Ein grosser Theil der Kollegen nannte den Nordwesten seine 
Heimath. Da war neben Chicago noch Milwaukee, St Paul, 
Minneapolis, Oshkooh und Duluth vertreten. Auch Cincinnati, 
Columbus, Toledo und sogar Neumexico hatten Theilnehmer 
entsandt. 

Man hatte uns in 13 grossen und eleganten Pullmannwagen 
untergebracht. Für die Befriedigung der leiblichen Bedürfnisse 
dienten 2 Speisewagen. Von vornherein sei es gesagt, dass Dank 
der Zuvorkommenheit der Eisenbahngesellschaft unsere Tafel¬ 
freuden nichts zu wünschen übrig liessen. 

Die Northern Pacific Railway, die ungeheure nördliche Ver¬ 
bindung zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ocean, ist 
die ureigenste Schöpfung unseres berühmten Landsmannes Hein¬ 
rich V i 11 a r d, welcher in der alten Kaiserstadt Speyer geboren 
und erzogen, als junger Mann nach Amerika auswanderte. Seine 
Carriere ist selbst hierzulande eine ausserordentliche zu nennen. 
V illard’s Vermögen, genialen Blickes, soweit es menschlicher 
Berechnung gelingen mag, in die Zukunft zu schauen, realisirte 
sich bald in einem fabelhaften Erfolg seiner kühnen Geschäfts¬ 
transaktionen, die ihn zum vielfachen Millionär machten. 

Die Erwägung, dass die gewaltigen Länderstrecken des 
Nordens nur desshalb brach lagen, weil keine Eisenbahnverbin¬ 
dungen vorhanden waren, liess V i 11 a r d den Plan fassen, die¬ 
selben mittels eines Schienenweges von den grossen Seen an bis 
zur Küste des pacifischen Oceans zu erschlieesen und so wurde, 
theilweise mitten durch die Wüste, die Nordpacifische Eisenbahn 
gebaut. Vor fünfzehn Jahren wurde 3ie, die einen neuen Kultur¬ 
fortschritt verzeichnet, eröffnet und hatten sich viele hervor¬ 
ragende deutsche Landsleute oingefunden. Ich nenne darunter 
unter Anderen Paul Lindau, welcher bei dieser hochinter¬ 
essanten Jungfernreise Stoff zu mehreren seiner mit Realistik 
und Sentimentalität so geschickt gemischten Romane fand. 

Enorme Summen mussten für die Anlagen von Nieder¬ 
lassungen entlang der neuen Heerstrasse verwendet werden, aber 
die Herren Ansiedler liessen lange auf sich warten und mittler¬ 
weile erschöpften sich die Fonds des kolossalen Unternehmens, 
welches mit so grossem Elan aus der Taufe gehoben worden war. 

Das Ende war ein totaler Krach. Zu Ehren V i 11 a r d's 
sei es gesagt, dass er ohne Zögern sein letztes Kleinod hergab, 
so dass seine Gläubiger so gut wie gar nichts an ihm verloren. 

Der auf dem Blachfeld der Börse ergraute Feldherr wurde 
aber durch sein grosses Unglück nicht zu Boden gedrückt. In 
der Tiefe des Unglücks zeigt sich oft die Höhe des Genies. Von 
der Pike auf abermals dienend, erholte er sich langsam und 
stetig wieder und als er im vorigen Jahre sein müdes Haupt zur 
Ruhe legte, war er doch im Stande gewesen, seiner geliebten 
Pfalz sowohl, wie den deutschen Hospitälern New-Yorks ansehn¬ 
liche Legate zu hinterlassen. 


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3. September 1901. MUENCTIENER MEDICTNTSOTTE WOCHENSCHRIFT. 


1431 


Der Zug von Osten nach Wösten, welcher in den letzten I 
Jahren eine immer grössere Ausdehnung gewann, kam auch | 
schliesslich der Schöpfung V i 11 a r d’s zu Gute und macht sie ; 
heutigen Tages zu einem gewinnbringenden Unternehmen. ! 
Villard hatte also Recht behalten; aus dem Samenkorn i 
musste ein herrlicher Baum hervorgehen, nur hatte er sich die 
Zeitdauer seiner Entwickelung zu kurz vorgestellt und an diesem 
kleinen Rechenfehler sollte er sich verbluten. 

In der Nacht durchquerten wir dio fruchtbaren Gelände ; 
von Minnesota. Gern hätten wir einen Blick auf die wildroman- ! 
tische Umgebung des Leceli Lake geworfen, welcher sich in den j 
Vereinigten Staaten eines vortrefflichen klimatischen Ruft« er- j 
freut. Zu den herrlichen Fichtenwäldern, welche die Seen so ! 
freundlich umrahmen, findet jeden Sommer eine Wallfahrt von I 
Bronehitikern und Asthmatikern statt. Man behauptet, dass 
hier völlige Immunität herrsche. 

Diese Gegend war früher der Schauplatz jahrelanger Kämpfe 
zwischen Ojibway- (Chippewa) und Dakotaindianern (Sioux), j 
Die Ojibwa.vs behaupteten schliesslich das Feld und ihre Epi- I 
Konen sind üIhthII in den sogenannten Indianerreservationen j 
von Lcech Lake Gountry zu finden. Die Namen der Flüsse, 
Seen und Inseln, alle verrathen sie noch einen indianischen | 
Beiklang. Da und dort sieht man eine Rothhaut in einem j 
Boot von Birkenrinde den See durchfurchen, aber seine Haltung I 
ist zahm und statt des Scalpmessers dräut er höchstens mit. der j 
Schnapsflasche. 

Am frühen Morgen blicken wir, behaglich unser Frühstück j 
in angeregter Gesellschaft verzehrend, durch die hellen Scheiben , 
des Speisewagens auf die Weidegründe des Staates Norddakota. 
Wo sieh früher eine ungeheure Einöde dehnte, sind Dank der 
V i 11 a r d’schen Schöpfung eine Reihe wohlbekannter Nieder¬ 
lassungen entstanden. 

Die einzelnen Farmen liegen zum Theil sehr weit aus¬ 
einander. Alan kann mitunter viele Meilen weit fahren, (die 
man auf menschliche Wohnungen stösst. 

Da und dort gelang es der Energie unermüdlicher Pioniere 
der Agrikultur, dem Boden meilenweite Kornfelder abzuringen. 
Dazwischen liegt unerschöpfliches Weideland. Bis zum heutigen 
Tage werden an arme Einwanderer bis zu 125 Acker derartigen 
Landes von der Regierung verschenkt Der Applikant hat weiter 
nichts zu thun, als seine Bereitwilligkeit, amerikanischer Bürger 
zu werden, zu dokumentiren und muss das Land selbständig be¬ 
bauen. Hat er diese Verpflichtung 5 Jahre lang zufriedenstellend 
erfüllt, so wird ihm eine Besitzurkunde ausgestellt. Fürwahr, 
(*ine unerhört (^Freigebigkeit! Wie. mancher Mühselige und Be¬ 
ladene hat sich aus seinem deutschen Schiffbruch hierher ge¬ 
rettet und ist zu gutorletzt noch stolzer Latifundienbesitzer ge¬ 
worden. 

Die grossen Weidestrecken beherbergen Tausende von Vieh¬ 
herden. Die meisten derselben bereiten sich hier zu ihrer Be¬ 
stimmung, vom gefriissigen Osten verschlungen zu werden, cum 
dignitato vor. 

Einen geradezu wunderbaren Anblick gewährten die Cow¬ 
boys in ihren malerischen Kostümen, wie sie unter den Herden 
dahinjagten und da und dort den obligaten La/.o schwingend, 
einen renitenten Bullen zur Raison brachten. 

Bisweilen begegneten wir einen jener Präriezüge, wie sie 
uns in die patriarchalischen Zeiten des alten Testamentes zurück¬ 
versetzen. Voraus der Pater familias, dio Peitsche schwingend, 
daJiinter ein vorsinthfluthlicher Wagen, auf dessen Mitte ein 
veritables Holzhaus derart loso stand, dass es jeden Augenblick 
losgekoppclt und heruntergoholt werden konnte, um seinem 
wohnlichen Zweck zu dienen. Auf dem Vorplatz des Wagens war 
die Familie verstaut. Da waltet die Hausfrau mit züchtigen 
Blicken und lehret die Mädchen und wehret den Knaben. Diese 
wagenburgähnlichen Vehikel wurden von 6 Ochsen gezogen und 
waren von einer ansehnlichen Zahl von Kühen, Kälbern und 
Sdiafen umgeben. Wo das Land eine gute Weide verspricht, 
wird die Hütte aufgesetzt und die Kolonie organisirt sich. 

Nach langer Fahrt durch die Prärie erreichten wir den 
Missouri, dessen lehmige Wassermasse sich langsam dem Süden 
zuwälzte. Als Vorbote der Civilisation und gewissermaassen als 
Atrium der Stadt Bismarek grösste uns eine Brauerei an seinen 
kahlen Ufern. 


Die amerikanischen Kollegen warfen mir als guten Deutschen 
sofort verständnissinnige Blicke zu. 

Bismarck ist die Hauptstadt des Staates Norddakota, ln 
diesem Namen liegt eine gewaltige Anerkennung für den Bau¬ 
meister des Deutschen Reiches. Freilich weist die ganze Stadt 
nicht mehr als ein Dutzend Backstcingcbäudc auf. Alle übrigen 
sogen. Häuser sind Wigwams und aus elenden Holzbrettern 
dürftig hergerichtet. Man muss eben bedenken, dass vor 
15 Jahren noch hier eine völlige Wildnis» war und nach weiteren 
15 Jahren schon mag Bismarck vielleicht mit den grossen Metro 
polen des Ostens eoncurrireu. Die Bewohner Bismarcks scheinen 
sich einer geradezu ärztefeindlichen Gesundheit zu erfreuen. 
Das schöne Geschlecht ist übrigens dort nicht dazu angethau, 
die Dichter Dakotas zu Ix-gcistern. Freilich wird auch für die 
männliche Bevölkerung der Apfel des Paris keine Verwendung 
gefunden haben. Wir benützten den kurzen Aufenthalt, um 
eine Postkarte zu expediren, damit meine Kinder des Ver¬ 
gnügens theilhaftig werden sollten, eine Postkarte von „Bis¬ 
marck“ zu erhalten. Leider war auf dem Centralbahnhof der 
Rtaatshauptstadt weder Bank noch Tisch aufzutreiben, so dass 
ich die Karte auf dem Rücken meiner Frau schreiben musste. 

Bald verlassen wir das Gebiet des Missouri und nun fahren 
wir mitten durch die Berge, welche mit ihren t hei Ls spitzen, 
theiLs kuppelförmigen Häuptern einen ausserordentlich merk¬ 
würdigen und pittoresken Anblick gewähren. Viele derselben 
enthalten grosse Tropfsteinhöhlen. 

In der Nähe des Little Horn River berühren wir einen 
historischen Fleck, das sogen. Custersehlaehtfeld. Vor 25 Jahren 
war es dem verschlagenen „Kollegen“ und Indianerhäuptling 
Sitting Bull gelungen, den tapferen Bei torgeneral Güster in die 
»Schluchten dieser Bergkette zu locken, wo er mit seiner sech- 
fachen Uebermaeht ihm und seinen 600 Getreuen ein jämmer¬ 
liches Ende bereitete. 

Diese Tragödie soll seiner Zeit grosses Aufsehen hervor- 
gerufen haben und auch in strategischen Kreisen Deutschlands 
gab sich damals ein lebhaftes Interesse kund. Der bekannte mili¬ 
tärische Grundsatz: „Getrennt marschiren, vereint schlagen!“, 
welcher sich bei früheren Indianerfeldzügen durchaus be¬ 
währt hatte, sollte sich in diesem Fall verhängnissvoll er¬ 
weisen. Sitting Bull war ein strategisches Genie. Er hatte 
durch seine Kundschafter erfahren, dass General Custer seine 
Streitkräfte in vier Kolonnen gethcilt hatte, welche das Indiauer- 
lager am Flusse gleichzeitig von einer Seite angreifen sollten. 
Seiner Geschicklichkeit war es ferner gelungen, die Amerikaner 
über die Grösse seiner eigenen Streitmacht zu täuschen, so dass 
Güster dieselbe völlig unterschätzte. 

Durch geschicktes Manöveriren lockte er zunächst Güster 
mit den 225 Reitern der einen Kolonne l*ei einer Krümmung des 
Little Ilornflusses in einen Hinterhalt, so dass er in dieselbe 
Lage kam, wie seiner Zeit die Franzosen in der Schleife der 
Maas heim Dörfchen Uly, deren strategische Bedeutung dem 
deutschen Generalstab besser bekannt war. als ihnen selbst. 
Dieser geographische Schnitzer half das Wort Sedan in die 
Weltgeschichte schreiben. Aehnlieh ist die Aetioiogie der häss¬ 
lichen Bezeichnung „Gustermassaere“ in den Annalen der ameri¬ 
kanischen Indianerkriege. Der einzige Ausgang, welcher 
Güster blieb, wären die Hügelketten gewesen, die Pferde 
scheuten jedoch, als sie dieselben erklimmen sollten und so 
endeten die von Güster angeführten Kolonnen bis auf den 
letzten Alaun unter den Tomahawks der erfolgtrunkenen Roth- 
häute. Von den anderen Abtheilungen theilten zwei das näm¬ 
liche Schicksal, nur eine einzige schlug sich unter ungeheueren 
Verlusten durch. Hunderte von Marmorsteinen bezeichnen heute 
die Stelle, wo die Braven ihren Tod fanden. 

Nunmehr erhebt sich hinter denselben eine grosse Nieder¬ 
lassung von. Siouxindianern, welche friedlich mit den Blass¬ 
gesichtern verkehren. Auf dem Indianerdorf weht heute die 
amerikanische Flagge. Das Kriegsgeheul ist verstummt und das 
Feuerwasser hat seine Mission, den edlen Sohn der Wildniss 
in einen degenerirten Erzhallunken umzuformen, getreulich er¬ 
füllt. Tempora mutnntur! Uncas und Chingaoligook, sie 
sind alle in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Des grossen 
Geistes »Speeresschaft ist vor des jungamerikanischen Wälsungcn 
Stahl zersplittert und der kupferfarbene Barde singt schwer- 
miithige Klagelieder von der indianischen Götterdämmerung. 


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1432 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 30. 


ln aiimnlhigen Windungen zieht sich der Fluss, wie eine 
grosse Silbcrsehlange, durch die Wiesengelände, ein Bild tiefsten 
Friedens. Auf seine lieblichen Ufer schauen die baumlosen Hügel 
mit denselben phantastischen Physiognomien, wie da sie noch den 
Rothhäutcn Unterschlupf gewährten. Hier in der „Crow Indian 
Agency“ wohnen sie unter dem Schutz der Sterne und Streifen 
eng zusammen mit den früher so verhassten Blassgesichtern und 
liefern ihnen Pfeil und Bogen — als Spielzeug. Der ehrwürdige 
Pater familias raucht zwar noch die alte tliönerne Indianerpfeife, 
aber sein Anzug ist modern und nur sein Ehegespons kleidet sich 
und ihr strampelfrohes Baby noch nach dem altindianischen 
Modejournal. 

In der Nähe von Medora erreichen wir die sogenannten Bad 
Lands (schlechtes Land), eine Wüste von Thon und Gestein. — 
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchrinnt den Sand. 

Nicht geringes Interesse erregen in dieser amerikanischen 
Sahara die in Sehaaren auftretenden Prairiehündchen (Cynomys 
Lwlovicianus, Cynomys = Ilundemaus und Ludovieianus, weil 
zuerst in der Nähe der Stadt St. Louis entdeckt). 

Diese, urkomischen Thierchen haben mit dem ihnen eigenen 
Geschick ganze Thonstädte angelegt, indem sie den Boden nach 
allen Richtungen hin wie die Maulwürfe unterminirten. Zu 
ihren unterirdischen Vorrathskammera führen eine Menge von 
Tunnels, bei denen man sie hoerdenweise aus- und einhüpfen 
sieht. Man kann sich über die Sprünge, Grimassen und 
Stellungen dieser mausähnlichen, an Grösse einem Schoossliund 
gleichkommenden Tliiere halb todt lachen. 

Dieses amerikanische Kynoskephale und seine Katakomben 
dehnt sich eine ansehnliche Strecke der Bahn entlang. Die 
Fenster der Eisenbahnwagen waren minutenlang mit lachenden 
Gesichtern gefüllt. 

Bevor wir den Staat Montana erreichten, sollte uns noch 
eine Ueberrasehung eigener Art werden. In richtiger Würdigung 
des Interesses, welches wir Aerzte an merkwürdigen Natur- 
phänome zu nehmen gewohnt sind, hatte die Bahnverwaltung 
es so eingerichtet, dass wir auf offener Strecke halten durften, 
um die berühmten versteinerten Wälder aus der Nähe in Augen¬ 
schein nehmen zu können. Da sah man nun Baumstrünke von 
der Dicke grosser Schwarzwaldtannen, welche völlig petrifizirt 
waren. Die Struktur der Holzfasern licss sich noch deutlich 
verfolgen, die Schichten selbst, aber waren zu hartem Gestein 
geworden. 

Am Abend berühren wir den Staat Montana, das Eldorado 
der Minenindustrie, wo alljährlich Millionen von Edelmetallen 
zu Tage gefördert werden. Mancher arme Teufel verdankt einem 
einzigen glücklichen Ruck seiner Wünschelruthe einen Schatz, 
der ihn auf einen Schlag aller Sorgen für dieses Erdendasein 
enthob. 

In der Frühe — es war ein herrlicher Sonntagmorgen — 
liess es uns nicht lange auf dem Lager. Der Ruf „Die Rocky 
Mountains!“ licss uns emporschnellen und uns an dem pracht¬ 
vollsten Panorama ergötzen, das man sich nur vorstellen kann. 

Im goldenen Licht der Morgensonne glitzerten die altohrwür¬ 
digen schneebedeckten Häupter der Riesen des „Felsongebirges“, 
welches die Vereinigten Staaten in einer schiefen Linie, sozusagen 
in zwei ungleiche Längshälften, theilt. Da sehen wir sie auf- 
marschirt in endloser Kette, die Giganten der neuen Welt, an 
A'usdehnung die Alpen weit hinter sich lassend und an Schönheit 
ihnen kaum etwas nachgebend. Die Vergleiche drängen sich un¬ 
willkürlich auf. Mir waFs als fuhren wir durch das Lauter¬ 
brunnerthal und als müssten wir bald die Gutturaltöne draller 
helvetischer Sennerinnen vernehmen. Aber das unmelodische Aus¬ 
rufen amerikanischer Zeitungsträger riss uns bald aus diesen 
Träumen und verkündete, dass wir in Livingston, unserer letzten 
Hauptbahnstation, angekommen waren. Dort zweigt sich die 
Seitenlinie durch den Yellowstonepark rechtwinkelig nach Süden 
gehend, von der in Portland am Stillen Ozean auslaufenden 
Northern Pacific Railway ab. Der Glocken froh Geläute in 
Livingston versetzt uns in eine feierlich sonntägliche Stimmung 
und erinnert fern von der Ileimath gar lebhaft an die seligen 
Tage der Kindheit, „als mau aus dem vergriffenen Gebetbüchlein 
Gebete lallte“. 

Durch lachende Wiesen, am reissenden Fluss und unter 
einem Strich blauen Himmels, welchen die hochragenden Gebirgs- 
giganten gerade noch zum Anschauen übrig gelassen hatten, ging 


(^ mm entlang. Die Jx>komotiven keuchen, denn die Steigung 
wird immer bedeutender und das Gefälle der tosenden Bäche 
immer grösser. Wir sind im Höllenthal von Montana, 4000 Fiis* 
hoch über dem Meeresspiegel. Kurz vor der Mittagsstunde er¬ 
reichen wir das Städtchen Oinnabar (Zinnoberstadt.), den Ter¬ 
minus der Zweigbahn. Dort begann alsbald ein reges Leben. 
Wie die Fürsten wurden wir von einer Leibgarde der Vereinigten 
Staaten Kavallerie empfangen, welche sich ein Vergnügen daraus 
macht, uns durch allerlei Pirouetten auf ihren prachtvollen 
Schimmeln zu imponiren. Es ist ihnen dies auch in vollem 
Maasse gelungen, denn es war ein Anblick für Götter, diese 
schlanken Jungens auf ihren Kentuckypferden nach allen Rich¬ 
tungen der Windrose und in allen möglichen Stellungen dahin¬ 
sausen zu sehen. Allen Respekt vor unserer deutschen Kavallerie, 
aber solche Kunststücke macht selbst ein Ziethenhuaar einem 
rauhen Reiter Onkel Sams nicht nach. Ross und Reiter scheinen 
völlig mit einander verwachsen zu sein. Man erzählte mir, dass 
die Zuneigung zwischen Mensch und Thier geradezu rührend sei, 
dass Soldat, wie Pferd, au Heimweh kranken, wenn man sie von 
einander trennt. 

Ein junger Fähnrich aus dem Silbergrasstaat Kentucky, 
welcher sich bekanntlich der schönsten Frauen, der edelsten 
Pferde und des besten Whiskys rühmt, ritt neben unserem Wagen 
her, als wir auf engem Pfad neben gähnenden Abgründen in 
unserem Seehsgcspaim den Berg hinaufrasten. Er fühlte sich 
geschmeichelt durch das Interesse, welches ich an ihm und seinem 
prachtvollen Hengst nahm und erzählt uns, während er uns es- 
kortirt, von den Wundern, die zu schauen uns Vorbehalten war. 
Wir beschworen ihn an den engen Stellen nicht neben unserem 
Wagen herzutraben, er versicherte uns jedoch lächelnd, dass sein 
Pferd keinen Fehltritt mache und er schien wirklich Recht zu 
haben. Es war auch, als ob das treue intelligente Thier den 
Sinn völlig verstände. 

Das Städtchen Oinnabar, der Schlüssel zum Yellowstonepark. 
ist schon au und für sich eine Merkwürdigkeit. Das Gros seiner 
Einwohnerschaft bestellt aus Minenbesitzern und -gräbem. Weder 
die Physiognomien noch die Haltung der letzteren haben etwas 
sympathisches, manche gleichen den berüchtigten Basser- 
m a n n'schon Gestalten. Der Wunsch, einmal in Gemeinschaft 
mit einem dieser verwegenen Kleeblätter den stillen Freuden 
eines Skatspieles zu fröhuen, ist, so viel ich glaube, in keinem 
von uns rege geworden. 

Bowiemesser und Revolver wohnen hinter dem Ledergürtel 
eng bei einander und ihre Nutzniessung bedarf keiner besonderen 
Vorbereitungen. 

Nicht weit vom Bahnhof entdeckten unsere Späheraugen ein 
sogen. Restaurant, dessen weithin leuchtende Inschrift: „Bier 
am Zupf!“ uns wie eine Offenbarung erschien. Es bedurfte keiner 
grossen Ueberredung, einen Trupp Kollegen nach dieser Oase zu 
dirigiren und mit Wollust schlürften wir eine nicht unansehnliche 
Quantität von diesem langentbehrten schaumgeborenen Nass. 
Der Wirtli war ein Schlauberger: Er hatte von der Ankunft der 
Galeno gehört und kannte seine Pappenheimer. 

Nachdem unsere Effekten registrirt- waren, wurden wir mit 
denselben auf 30 sechsspännigen Wägen, welche den alten Thuru 
und Taxis’schen Postwägen nicht unähnlich waren, zusammen¬ 
geschachtelt. 

Unser Kutscher, ein Cowboy vom reinsten Wasser, schwang 
seine ungeheure Peitsche und nun begann die wilde Jagd berg¬ 
auf. Die Männer johlten und einigen Frauen entfuhren bange 
Rufe des Schreckens, bis sie sich zuletzt an das Springen über 
Stock und Stein gewöhnt hatten. Die Gebirgsgegend nahm einen 
immer wilderen Charakter an. Die Felsformationen schienen 
sehr merkwürdig; viele glichen Basteien und Schlössern. Eine 
dieser Formationen erinnerte mich an die Ruine Dilsberg, welche 
allen Denen, welche so glücklich waren in Alt-Heidelberg stu- 
diren zu können, wohl bekannt ist. 

Nach einstündiger Fahrt verliessen wir den Staat Montana. 
Eine Grenztafel hczeiebneto unseren Eingang in den Staat Wyo¬ 
ming und damit das Betreten de« Yellowstone Nationalparkes. 
Nach einer im Ganzen zweistündigen Fahrt, während welcher 
wir den Wolken um ganze 2500 Fuss näher gerückt waren, er¬ 
reichten wir unsere erste Station, Fort. Yellowstone. 

Carl Beck- New-York. 


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MUKNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


3. September 1901. 


1433 


Verschiedenes. 

Bezüglich der therapeutischen Anwendung der V i b r a - 
11 o u s m a s s a g e bei Herzkrankheiten stellt Dr. Sieg- 
frled-Bad Nauheim folgende Gesichtspunkte auf: 

1. Die Vibration des Herzens Ist stets nur mit grosser Vor¬ 
sich in milder Form und in beschränktem Maasse auszuüben. 

2. In manchen Fällen von Tachykardie, Myokarditis, Dila- 
tationszuständen ist die Vibration des Herzens ein brauchbares und 
für den Patienten subjektiv angenehmes therapeutisches Mittel, 
die Herzthütigkelt zu reguliren und die Beschwerden der Palpi- 
uition und Dyspnoe zu lindern. 

3. Die Wirkung Ist keine dauernde, sondern eine schnell vor- 
iii »ergehende. 

4. Die Anwendung der Vibration Ist koutraindizirt bei hoch¬ 
gradiger Arteriosklerose, bei Aneurysma, überhaupt in allen Fällen, 
in denen eiue plötzliche Erhöhung des Blutdrucks vermieden 
werden muss. 

5. Das Hauptfeld für die Anwendung derVibrationsinussage liegt 
nicht auf dem Gebiet der Herzkrankheiten, auf welchem sie nur 
im Stande ist, erprobte Behandlungsmethoden, wie die balneo- 
logischen, in manchen Fällen zu unterstützen. 

(Deutsch. Medicinnl-Ztg. 1901, No. 41.) P. II. 

Therapeutische Notizen. 

Chinosol als Stypticum und sekretions- 
beschränkendes Mittel. Das Chinosol bewährt sich nach 
J. N ottebu u m - Kemilly (Lothringen) ln 1—2 prom. Lösung als 
vorzügliches blutstillendes Mittel bei Quetschwunden, parenchyma¬ 
tösen Blutungen. Epistaxis und Gebärmutterblutungen. Diese 
haemostatisehe Wirkung beruht auf den adstringirenden Eigen¬ 
schaften des C’hinosols (welche es möglicher Weise dem in ihm ent¬ 
haltenen Kaliumsnlfnt, das Ja auch einen Bestandtheil des Alauns 
bildet, verdankt). Weitere Vorzüge sind der hohe, dem Sublimat 
eielchstehende nntibacterielle Werth, die Ungiftigkeit und die 
Eigenschaft, Blutgerinnsel zu lösen, im Gegensatz zum Sublimat, 
welches eine Gerinnung derselben bewirkt, endlich noch seine 
sekretionsbeschränkende Wirkung. Bei der Anwendung des Chino- 
sols ist zu beachten, dass es durch alkalische Flüssigkeiten und 
Seife zersetzt wird, wesshalb bei seiner Anwendung der voraus¬ 
gebenden Absteifung eine Wasserspülung folgen muss. Eisen wird 
durch dasselbe angegriffen, während Nickel unverändert bleibt; 
Sublimat giL)t mit Chinosol eine starke Fällung. (Therap. Beilage 
der Deutsch, med. Wochenschr. No. 33.) F. L. 

Feber einen verlM>sserten Apparat zur Verhütung 
von Gonorrhoeinfektion mittels nach dem Coitus aus- 
zuführender Protargolinjektionen l>erichtet Dr. Ernst 
H. W. Fra n k. Der Verschluss des Apparates ist so hergestellt, 
das» er durch einen Druck mit dem Fingernagel leicht und voll¬ 
ständig entfernt werden kann. Hiuunterdrücken einer kleinen Kork- 
l'latte mittels des beigegebeuen Ginsstäbchens bringt die Flüssig¬ 
keit zum Austritt. Der oberhalb der Austrittsöffnung befindliche 
Glaswulst verhindert auch bei weitem Oriflclum das zu tiefe Ein¬ 
dringen der Flüssigkeit und Verletzungen der Harnröhrenschleim- 
lintit. Der Inhnlt eines Röhrchens entspricht der zur jeweiligen 
Prophylaxe nöthigen Menge. Mehr als einmal soll das Röhrchen 
?tiis Gründen der Hygiene nicht verwendet werden. 

üm die Methode auf diejenigen Fälle von Urethral Infektion 
aiiHzudehnen, in welchen es sich nicht tim das Eindringen von 
Gonococcen, sondern von anderen Mikrobien handelt, die bekannt¬ 
lich auch zuweilen die Ursache von Urethritiden werden, ist dom 
Inhalte der Kapseln Sublimat im Verhältnis« von 1:2000 zugeseizr. 
Durch diesen Zusatz, der die Wirkung des Protargols in keiner 
Weise beeinträchtigt, wird das Oriflclum nicht gereizt; es wird aber 
eine Prophylaxe gegen bakterielle, nicht gonorrhoische Infektion 
geschaffen, gegen welche sich das Protargol unwirksam erwiesen 
hat. (Deutsch. Mc<licinnl-Ztg. 1901, No. 31.) P. II. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 3. September 1901. 

— Eine Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 24. August 
'•■rbietet behufs Abwehr der Pestgefahr die Ein- und Durchfuhr 
von Leibwäsche, alten und getragenen Kleidungsstücken, ge¬ 
brauchtem Bettzeuge, Hadern und Lumpen jeder Art aus (1er 
europäischen Türkei, einschliesslich aller türkischen 
Häfen des Aegäischen und des Schwnrzen Meeres. Auf Leib¬ 
wäsche, Bettzeug und Kleidungsstücke, welche Reisende zu ihrem 
Gebrauche mit sich führen oder welche als Umzugsgut eingeführt 
werden, findet das Verbot keine Anwendung; jedoch kann die 
Gestattung ihrer Einfuhr von einer vorherigen Desinfektion ab¬ 
hängig gemacht werden. 

— Einen neuen Beitrag zu dem Kapitel: „Stadt- 
Magistrat und Acrzte“ bildet folgende Episode: I u 
•‘»stock erledigte sich im Juli vorigen Jahres die Impfarzt- 
*tclle durch den Tod des bisherigen Impfarztes. Derselbe war für 
j'«le einzelne Impfung nach der mecklenburgischen Minimaltaxe 
G M. für Impfung, incl. Nachschau etc.) liouorlrt worden uml 


stellte sich lm Durchschnitt auf 1800 M. pro Jahr. Bel Neuaus¬ 
schreibung der Stelle reducirte nun der hochlöbliche Magistrat 
das Honorar pro Impfung auf 60 Pf. Auf die Weigerung des 
Rostocker Aerzteverelns, diese willkürliche Herabsetzung der Taxe 
anzunehmen, beschloss ersterer, zwei Impfärzte anzusteileu uml 
Jeden mit einer Pauschalsumme von 800 M. jährlich zu bouoriren. 
Da bei der stets wachsenden Anzahl von Impflingen diese Be¬ 
zahlung sehr bald erheblich hinter der Miniinaltaxe Zurückbleiben 
würde, lehnte der Aerztevereln das Angebot ab und verlangte für 
jeden der beiden Impfärzte 900 M., was also der Durchschnitts- 
sunune der letzten 5 Jahre, 1800 M., entsprnoh. Diese berechtigte 
Forderung einfach iguorirend, schrieb der Magistrat die Stelle mit 
einem Jaliresgebalt von 1600 M. zum freien Wettbewerb aus. Der 
ärztliche Verein beschloss daraufhin, seinen Mitgliedern die Be¬ 
werbung zu diesen Bedingungen zu untersagen und hofft, dass 
sich auch von auswärts kein Kollege findet, der unterbietet. 

— Laut Bekanntmachung des preuss. Staatsanzeigers wurde das 
durch Allerhöchste Ordre vom 10. April 1899 dem praktischen Arzt 
Dr. Pb. .T. S t e f f n n. früher in Frankfurt a. M., jetzt in Marburg, 
crtlieilte Patent als Snnltätsmth zurückgenommen. Wie früher 
berichtet, hatte Dr. St eff an auf den Sunitiltsrathstitel ver¬ 
zichtet. nachdem seine Klage gegen den Fiscus auf Rückerstattung 
von 300 Mark Stempelsteuer in allen Instanzen abgewiesen 
worden war. 

— Beschwerde einer österreichischen Aerzto- 
k a m m e r. Die Salzburger Aerztekammer hatte vor Kurzem au 
die bayerische Regierung eine Beschwerde gerichtet, in (1er um 
Einschreiten gegen zwei Aerzte von Freilassing wogen markt¬ 
schreierischen Anuoncircns in Salzburger Blättern gebeten wird. 
Da aber die bayerische Regierung in ihrer Erledigung erklärte, 
(lass eine gesetzliche Grundlage zu einem disciplinarischen Vor¬ 
gehen nicht gegeben sei, so hat die Salzburger Aerztekammer 
unter Zustimmung aller übrigen österreichischen Kammern au die 
Regierung eine Eingabe wegen Abstellung solchen, auch in anderen 
Grenzbezirkou bestehenden Unfuges gerichtet. (Allg.Wien.med.Ztg.) 

— Pest. Türkei. Am 19. August ist in Galata ein neuer 
Pestfall festgestellt. — Aegypten. In der Zeit vom 2. bis ein¬ 
schliesslich 8. August wurden in Port Said 3 Erkrankungen (und 
1 Todesfall) an der Pest festgestellt, in Alexandrien 2, ln Zagazig 1. 
Vom 9. bis einschliesslich 15. August wurden in Alexandrien und 
Port Said je 3 Erkrankungen und In Zagazig 1 Erkrankung fest- 
gestellt: von den zwei gemeldeten Pesttodesfällen dieser Woche ent¬ 
fiel je einer auf Alexandrien und Port. Said. — Britiseh-Ostindien. 
Während der am 26. Juli abgelaufeneu Woche wurden in der 
Präsidentschaft Bombay 2402 neue Erkrankungen und 1739 Todes¬ 
fälle an der Pest festgestellt. Aus der bereits für pestfrei er¬ 
klärten Hafenstadt Karachi wurden 8 Erkrankungen und 4 Pest¬ 
todesfälle gemeldet: In (1er Vorwoche waren daselbst 1 Erkrankung 
und 1 Todesfall festgestellt worden. In der Stadt Bombay starben 
während der am 27. Juli endenden Woche 112 Personen an der 
Pest und 173 unter Post verdacht; die Zahl der Neuerkrankungen 
daselbst wurde auf 108 beziffert. — Kapland. Während der am 

27. Juli abgelaufenen Woche sind in der ganzen Kolonie noch 
5 Pestfälle zur Anzeige gelangt. 2 Personen sind der Pest erlegen. 
— Vereinigte Staaten von Amerika. Vom 6. lös 11. Juli sind in San 
Frauzisko 5 Erkrankungen und 4 Todesfälle an der Pest be¬ 
obachtet. 

— In der 33. Jahreswoche. vom 11.—17. August 1901. hatten 
von deutschen Städten tiber 40 000 Einwohner die grösste Sterblich¬ 
keit Lichtenberg mit 61.1. die geringste Dannstadt mit 11.5 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Masern ln Fürth, an Diphtherie und Croup 
in Bamberg. 

(H o c h s c li n 1 n a c li r i c b t e u.) 

Berlin. Privatdoeent Dr. J ii r g e n s, langjähriger Assi¬ 
stent Virchow’s und Kustos am pathologischen Institut 
wurde zum Professor ernannt 

Jena. Gelieimratli Professor Dr. Schnitze feierte am 

28. August sein 50 jähriges Doetorjubiiiium. 

Kiel. Dr. med. Hugo G r a e t z e r, früherer Assistent an 
der chirurgischen Klinik, ist zum Leibarzt des Fürsten von Bul¬ 
garien ernannt worden. 

Rostock. Als Nachfolger Prof. A x e n f e l d’s wurde 
Prof. Dr. G ree f f in Berlin auf die Professur der Augenheilkunde 
berufen. 

Bahia. Dr. M. B. da Costa wurde zum Professor der 
zahnärztlichen Klinik ernannt. 

Brooklyn. Dr. W. F. Campbell wurde zum Professor 
der Anatomie am Loug Island College Hospital ernannt. 

Brüssel. Prof. Rom meiner e legt sein Amt als Pro¬ 
fessor der I. mediciu. Klinik nieder. An seine Stelle tritt Prof. 
S t i 6 n o u. Zum Direktor der II. mediein. Klinik wurde Prof. 
DustrCe ernannt. 

C h e r m o n t. Dr. B 1 d e wurde zum Professor der externen 
Pathologie und operativen Mediein an der medieinischen Schule 
ernannt. 

Genua. Der bisherige Privatdoeent an der med. Fakultät 
zu Neapel, Dr. G. Ascoll, linbilitirte sich für modicitiisHn* 
Chemie. 

Leyden. Der Professor an der med. Fakultät zu Amster¬ 
dam, Dr. J. A. Körte w e k, wurde au Stelle des verstorbenen 


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1434 


MT7ENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 36. 


Professors Tan Iterson zum Professor der chirurgischen 
Klinik ernannt. 

London. l)r. R. Tauner Hewlett wurde zum Professor 
der allgemeinen Pathologie und Bakteriologie au King’s College er¬ 
nannt. 

Neapel. Der ausserordentliche Professor der gerichtlichen 
Medicin Dr. G. Corrado wurde zum ordentlichen Professor er¬ 
nannt. 

Parma. Habllitirt: Dr. U. S t e f a n I, bisher Privatdocent 
an der med. Fakultät zu Padua, für Psychiatrie. 

Pisa. Habllitirt: Dr. B. Bossalino für Augenheilkunde, 
Dr. 1*. Pellegrine fiir experimentelle Hygiene. 

R o m. Habllitirt: Dr. C. d e 11 a V a 11 e für Cytologie, Histo¬ 
logie und mikroskopische Anatomie, Dr. A. Dionisi für patho¬ 
logische Anatomie. 

T u r I n. Habllitirt: Dr. O. Gaudenz! und Dr. O. P e s 
für Augenheilkunde. 

Wien. Habllitirt: Dr. G. v. Türük für Chirurgie. 

(Todesfälle.) 

In Berlin starb der hochverdiente Leiter des preuss. Sauitiits- 
eorps Generalstabsarzt Dr. v. C o 1 e r, 70 Jahre alt. 

In Giessen starb am 21. ds. der ausserordentliche Professor 
4er Ohrenheilkunde Dr. Steinbrügge, 70 Jahre alt. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Erledigt: Die Bezirksarztesstelle I. Klasse in Uffenheim. 
Bewerber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Ge¬ 
suche bei der ihnen Vorgesetzten K. Regieruug, Kammer des 
Innern, bis zum 18. Septemlier 1901 einzureichen. 

Ernannt: Der praktische Arzt Dr. Georg Schrank in 
München zum Bezirksarzt I. Klasse in Mainburg. 

Abschied bewilligt: Dem Generalarzt Dr. Stadelmayr. 
Korpsarzt des II. Armeekorps, mit der gesetzlichen Pension und 
mit der Erlaubniss zum Forttragen der Uniform mit den für 
Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen. 

Beauftragt m i t Walirne h m u n g der Ges c li ii f t e 
des Korpsarztes III. Armeekorps: Der General¬ 
oberarzt Dr. Schiller, Divisionsarzt der .3. Division. 

Ernannt: Zum Divisionsarzt der 3. Division der General¬ 
oberarzt Dr. Leitenstorfer, Regimentsarzt im 4. Inf.-Reg.: 
zum Regimentsarzt im 4. Inf.-Reg. der Stabsarzt Dr. Webers- 
berger.- BatRlllonsarzt im 14. Inf.-Reg.. unter Beförderung zum 
Oberstabsarzt; zum Bataillonsarzt im 12. Inf.-Reg. der Oberarzt 
Dr. Blank des 1. Fuss-Art.-Regts., unter Beförderung zum 
Stabsarzt. 

Versetzt: Der Generalarzt Dr. Zollitsch, Korpsarzt des 
III. Armeekorps, zum II. Armeekorps. 

Befördert: Zu Assistenzärzten die Unterärzte Hans P ul¬ 
st i n g e r Im 2/ Fuss-Art.-Reg. und Heiko Couu e m a n u im 
4. Inf.-Reg. 


Correspondenz. 

In Erwiderung auf den auch in dieser Woehensehr., No. .‘53. 
t heil weise abgedruckten Artikel des Pressausschusses des ärzt¬ 
lichen Bezirksvereins München, der sich mit dem „Oculariu m" 
beschäftigte, richtet Rechtsanwalt Bernstein an die Press»* 
eine Zuschrift, die wir. soweit sie sich auf das in unserem Blatte 
Mitgctheilte bezieht, hiermit wiedergeben. Herr Bernstein 
schreibt: 

„In der Zuschrift des Pressausschusses war ferner gesagt: 
„Die gepflogenen Erhebungen hätten ergel»en, dass die von der 
Firma Oeularium eigens angestellten Augenärzte durch einen 
jüngeren Arzt, Namens Fränkel, repräsentirt seien, welcher 
angab, seine augenärztliche Ausbildung in Würzburg bei Herrn 
Gehelmrnth Professor Michel erhalten zu haben; auf eine An¬ 
frage bei diesem sei die Antwort erfolgt, dass er sich an einen 
Herrn dieses Namens überhaupt nicht erinnere“. — Im Aufträge 
des Herrn Dr. Fränkel theile ich Ihnen hiezu Folgendes mit: 
Herr Dr. Fränkel ist nicht „ein jüngerer Arzt.“ Er ist 
praktischer Arzt seit bereits 12 Jahren. Der ehrenrührige Vor¬ 
wurf. er habe mit Unrecht auf Herrn Geheimrath Michel sich 
berufen, ist vollkommen unberechtigt. Von Herrn Dr. Bach, 
ausserordentlichen Professor der Augenheilkunde in Marburg, 
sowie einem bayerischen Augenärzte, welche Beide zu derselben 
Zelt wie Herr Dr. Fränkel in der Universitätsaugenklinik des 
Herrn Geheimrath Michel in WUrzburg thiitig waren, liegen 
schriftliche, in meinem Bureau zur Einsicht liegende Bestäti¬ 
gungen dafür vor, dass Herr Dr. Fränkel daselbst gearbeitet 
hat. Dasselbe hat Herr Geheimrath Michel 
selbst inzwischen dem Herrn 1) r. F riinkel m (i u d- 
lieli und schriftlich bestätigt. Herr Geheimrath 
Michel hat Herrn Dr. Fränkel am 19. ds. in Berlin 
überdies die mündliche Erklärung gegeben, er habe bei der Be¬ 
antwortung der Anfrage des Pressausschusses sich nur augen¬ 
blicklich der Persönlichkeit des Herrn Dr. Fränkel nicht er¬ 
innert. 

Den* Dr. Fränkel hat augenärztliche Praxis im Oeularium 
überhaupt nicht nusgeübt. Er hat lediglich Brillengläser be¬ 


stimmt, Augenkranke aber nicht behandelt, sondern theils in die 
hiesige Universitätsaugenklinik, theils zu verschiedenen Augen¬ 
ärzten gewiesen. Er ist in der Lage, dies durch Zeugen zu be¬ 
weisen.“ 

Dieser scheinbaren Berichtigung gegenüber ist der Press- 
ausschuss des ärztlichen Bezirksvereins in der Lage, seine An¬ 
gaben vollständig aufrecht zu erhalten. Er schreibt uns: 

„In einer Erwiderung, welche das Oeularium durch Herrn 
Rechtsanwalt Bernstein auf unsere neuliche Aufklärung 
erfolgen Hess, finden wir zunächst die Feststellung, dass Herr 
Professor A 1 b u, dessen sogen, bichromatlsche Augengläser das 
Oeularium als Specialität anpreist, deutscher Arzt ist und In 
Persien den Professorentitel erhielt. Da wir uns hier nicht mit 
der Person des Herrn Professor A 1 b u zu beschäftigen haben, 
nehmen wir davon lediglich Keuutuiss. 

Der zweite Punkt betrifft die „eigens angestellten Augen 
ärzte“. Zunächst wird in der Erwiderung stillschweigend zu¬ 
gegeben. dass es sich in der Timt nicht um mehrere, wie in den 
Annoncen behauptet wird, sondern nur um einen einzigen Ar/.i 
Namens Dr. Fränkel handelt. Was wir über diesen Arzt ge¬ 
sagt haben, halten wir vollständig aufrecht, nur berichtigen wir 
gern, dass Herr Geheimrath v. Michel uns auf erueute Anfrage 
in einem zweiten Schreiben mitgetheilt hat, dass Herr Dr. Fränkel 
allerdings vor 12 Jahren einmal ungefähr % Jahr lang Volontär 
an der Würzburger Augenklinik war. Bei der Kürze des Aufent¬ 
haltes vor so langer Zeit ist es ja vollkommen begreiflich, dass 
Herr Geheimrath v. Michel sich an den Herrn nicht melir er¬ 
innerte, bis er sich persönlich vorstellte. Von einer etwaigeu 
augenärztlichen Thntigkeit des Herrn Dr. Fränkel in den seit¬ 
dem verflossenen 12 Jahren verlautet auch in der Erwiderung 
nichts; ob er nun also Augenarzt Ist oder nicht, stellen wir dem 
Urthell jedes Sachverständigen anheim. Das Recht, sich so zu 
nennen, kann ihm freilich Niemand streitig machen, so lauge wir 
keine ärztliche Standesordmmg haben; wir hatten desshall» auch 
nur geschrieben: 

„Der betreffende Herr ist also jedenfalls kein Augenarzt im 
eigentlichen Sinne des Wortes, sondern praktischer Arzt; wenn 
auch jeder praktische Arzt gesetzlich das Recht hat. Augenheil¬ 
kunde zu treiben, so versteht man doch im Publikum unter Augen¬ 
arzt einen Specialisten, welcher nach Erlangung seiner Appre- 
bation als Arzt noch längere Zeit hindurch an einer Augenklinik 
als Assistent thätig war und cs gilt unter den Aerzten mit lieHit 
als unanständig und unzulässig, sich Special ist zu nennen, olm 
eine solche besondere Vorbildung." 

Herr Dr. Fränkel dürfte sich gesetzlich ebenso gut am-li 
Frauenarzt oder Nervenarzt oder Chirurg nennen. 

T'cbrigens scheint Herr Dr. Fränkel mm doch selbst ciu- 
gesehen zu haben, dass sein Verhalten mit den Interessen und 
dem Ansehen des ärztlichen Standes nicht vereinbar ist: er hat 
nämlich, wie wir wissen, mehrfach erklärt, seine Thätigkeit am 
Oeularium einstellen zu wollen." (letztere Bemerkung wird neuer 
dings vom Oeularium -bestritten. Red.» 

Der „Speeialarzt“ Dr. B 1 i t s t e I n in Nürnberg weist in einer 
an uns geriehteton Zuschrift das ihm in No. 19. S. 770 d. W. in 
«len Mund gelegte „Geständniss. «lass di«* Naturheilmethode keine 
Diagnose brauche und auf sie pfeift", zurück. Nach unserem Be 
rieht iihid. S. 775 1 hat Dr. B 1 i t s t e i n allerdings nur gesagt, <to*' 
die meisten Patienten auf «lie Diagnose pfeifen. Wenn also unser 
Refeivnt annimnit. dass ergo auch die Nnturhcilm»*thode s«*lbst atu 
die Diagnose verzi«*hte. so war «lies ein S«*hluss. der ebenso nalie 
liegen«!, wie erfahrutigsgemäss berechtigt war. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München 

in der 34 Jahreswoche vom 18 bis 24. August 1901. 
Betheiligte Aerzte 193. — Brechdurchfall 23 (26*), Diphtherie, 
Croup 12 (9), Erysipelas 6 (7), Intermittens, Nenralgia intern. 

1 (—), Kindbettfieber — (3), Meningitis cerebrospin. — (- •. 
Morbilli 22 (8), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 6 (1), Parotitis 
epidem. 1 (—), Pneumonia crouposa 4 (4), Pyaemie, Septikaenuo 

— (—), Rheumatismus art. ac. 8 (10), Ruhr (dysenteria) 1 H. 
Scarlatina 2 (3), Tussis convulsiva 22 (16), Typhus abdominalis 

2 (5), Varicellen 5 (5), Variola, Variolois — (—), Influenza •— v — ,'» 

Summa 120 (97). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 

Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 34. Jahreswoche vom 18 bis 24. August 1901. 
Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 3 (1*), Scharlach — (—\ Diphtherie 
und Croup — (4), Rothlauf — (—), Kindbettfieber 1 (1), 
Vergiftung (Pyaemie) — (1). Brechdurchfall 17 (12), Unterleibtypnu» 

— (1), Keuchhusten 5 (l), Cronpöse Lungenentzündung 

Tuberkulose a) der Lungen 20 (17), b) der übrigen Organe ■ (l'h» 
Akuter Gelenkrheumatismus — (--), andere übertragbare Krank¬ 
heiten — (3), Unglücksfälle 6 (2), Selbstmord 1 (1), Tod duren 
fremde Hand — (l). ... ,, 

Die Gesammtzabl der Sterbefälle 206 (195), Verhältnisszahl a 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 21,4 (20,3), für d ,e 
über dem 1. I^ebensjahrc stehende Bevölkerung 20,3 (10,6). 

*) Die eingeklamnicrtcn Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. F. Lehmann in München. — brück von E. Mühlthaler's Buch* und Kunetdruckerel A.Q., Münohen, 


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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Herausgegeben von 

0. Boliinger, H. CBrscbminn, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. i. Michel, H. v. Rinke, F. v. Wlnckel, H. v. Zleassei, 

Manchen. Leipzig. Berlin Nürnberg. Berlin. München Manchen. München. 


Ch. Blamier, 

Freibarg 1. B. 


No. 37. 10. September 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20. 


48. Jahrgang. 


Origin alien. 

Aus der Würzburger medicinischcn und chirurgischen Klinik 
(Geh. Rath v. Leube und Geh. Rath Schoenborn.) 

Beitrag zur Diagnose und Therapie der Divertikel 
der Speiseröhre. 

Von 

Dr. Karl Mayr und Dr. Adolf Dehler, 

I. Ass.-Arzt an der med. Klinik I. Ass.-Arzt an d. Chirurg. Klinik 

Erhöhtes Interesse hat in den letzten 5 Jahren die Diagnose 
und Therapie der Zenker’schon Pulsionsdivtft'tikel erregt 
einerseits in Folge der wichtigen Verbesserungen der oesophago- 
skopisehen Untersuchungsmethoden durch Kirstein, Kil- 
1 i a n, K c 11 i li g, v. Hacker, Rosen heim u. A., anderer¬ 
seits wegen der zunehmenden Zahl glücklicher Radikalopera- 
tionen, durch die solches Leiden dauernd beseitigt wurde. Es 
möge daher in Folgendem der Krankheitsverlauf eines im 
k. Juliusspitale zu Würzburg beobachteten Falles den bisher in 
der Literatur beschriebenen angefügt werden. 

S. C., 39 Jahre alt, Lehrer, war früher stets gesund und be- 
schwerdefrel und lebt in glücklicher Ehe. Er war durch seinen 
Beruf gezwungen, das Essen öfters hastig einzunehmen; vor 
einigen Jahren soll Ihm einmal eine Griite mehrere Tage lang 
im Halse stecken geblieben sein. Vor einem halben Jahre be¬ 
merkte er plötzlich beim Mittagessen, dass er grössere Stücke 
Fleisch nicht mehr schlucken konnte, und solche trotz ausgiebiger 
Würge- und Schluckbewegungen nach einiger Zeit wieder in den 
Mund gelaugten. Etwas besser ging das Schlucken, wenn er die 
festen Speisen mit Flüssigkeit zusammen zu sich nahm, doch hatte 
er auch hiernach noch einige Stunden lang den Geschmack des 
Fleisches und Weines im Munde. Dieser Zustand dauerte fast 
ein halbes Jahr, ohne dass sich Patient wesentlich beunruhigt 
hätte, da er sich vollständig ernähren konnte und bedrohliche Er¬ 
scheinungen nicht auf traten; dann aber veraniasste ihn ein neu 
hinzutretender Umstand zum Eintritt in’s Spital (6. X. 1900). 

Er bemerkte nämlich jedesmal nach dem Genüsse von Flüssig¬ 
keiten ein glucksendes, „gurrendes“ Geräusch, das aus seinem 
llalse hervorzudringen schien, und ihm den Aufenthalt ln jeder 
Gesellschaft verleitete. 

Patient bot das Bild eines int besten Alter stehenden Mannes; 
iiuBRerlich liess sich nichts Abnormes finden, namentlich ergab die 
Inspektion und Palpation des Halses nirgends eine Vor- 
w ö 1 b u n g oder dergleichen. Sämmtliche Organe waren normal. 

Die eingeführte welche Schluudsonde stless nach 18 cm Vor¬ 
dringen auf einen geringen Widerstand, der aber durch leichten 
Druck überwunden werden konnte, worauf das Instrument glatt 
in den Magen gelangte, der ln jeder Beziehung ausgezeichnet 
funktionirte; niemals blieb die Sonde an einer 
Stelle stecken. Die gewöhnliche laryngo- 
pharyngoskopische Untersuchung ergab nor¬ 
male Verhältnisse. 

Es wurde nun behufs ÄufÜndung des vermutheten Divertikels 
die Untersuchung der Speiseröhre mittels des Rosenhoi m'schen 
Oesophagoskopes vorgenommeu; die normales Verhalten der 
unteren zwei Drittel ergab. In einem Tubusabstand von 22 cm 
von den Schneidezähneu an erschien das Lumen des Oesophagus 
fast geschlossen und etwas stärker als normal nach links verlagert. 
Bei 18 cm Entfernung gelang es jedesmal, den Eingang in 
das Divertikel ln Gestalt eines bei vollständig 
vertical gestelltem Tubus im rechten hinteren 
Quadranten schräg verlaufenden Spaltes, um¬ 
geben von gerötheten, llppenförmigen Rändern, 
einzustellen (was den Hörern der medicinischen Klinik am 
lft. XI. demonstrirt wurde). 

Nach vorhergegangener Eucainisirung des Oesophagus gelang 
es auch, das Divertikel selbst zu entriren und seine Längsaus- 
dehnung — 3 y a cm — vermittels einer durch den Tubus in 

No. 37. 


dasselbe eingeführten Sonde zu messen. Mit dem Tubus selbst 
bis zum Fundus vorzudringen, erschien nicht rathsam. Das Innere 
zeigte, abgesehen von starker Injektion der Wände im oberen 
Tlieil, nichts Bemerkenswerthes. 

Von aussen konnte der Tubus oder die Sonde 
niemals gefühlt werden. 

Ich versuchte nun endlich, nachdem Ausgangspunkt und 
Grösse des Divertikels genau bestimmt war, nochmals die laryngo- 
skopische Untersuchung, die zuerst, wie ja auch zu erwarten, Im 
Stiche gelassen hatte. Zwar konnte man bei starkem Druck gegen 
(len rechten Sternocleido Im eingeführten Kehlkopfspiegel deutlich 
das Aufsteigen von Speiseresten hinter dem Ringknorpel be¬ 
obachten, doch gelang es erst bei Anwendung des 
K 1 r 8 t e i n’schen Autoskopes, dessen Schnabel in die 
Cartilago cricoidea eiugefülirt wurde, den Eingang zu Ge¬ 
sicht zu bekommen, der sich dann bei von aussenher aus¬ 
geübtem Druck öffnete und die Speisereste heraustreten liess. 

Epikritisch ist diesem klinischen Befunde wenig hinzuzu- 
fügon. Die oesophagoskopischen Ergebnisse decken sich genau 
mit den schon früher von den obenerwähnten Forschern ver- 
öifentliehten. Dass es sich nur um ein Z e n k e Esches Pul- 
sionsdivertikcl handeln konnte, war ja durch die Untersuchung 
vollständig klar geworden; ob allerdings das ja viel beschuldigte 
Trauma auch in unserem Falle eine Rolle spielte, möchte ich 
nicht entscheiden. 


Wichtiger scheint mir zu sein, dass bei dieser Art von 
Divertikeln, die am Uebcrgang vom Pharynx zum Oesophagus 
sitzen, die Möglichkeit gegeben ist, ihren Aus¬ 
gangspunkt und die Uebergangsschwelle, ver¬ 
mittels des Kirstein’schen -Instrumentes 
direkt zu besichtigen, zumal da doch die genaue Fest¬ 
stellung des Sitzes für eine eventuelle Operation von grösstem 
Werthe ist, und die äussere Untersuchung, Inspektion und Pal¬ 
pation der betreffenden Partien leicht zu Selbsttäuschungen 
führen kann. 


Patient wtirde Anfangs 2 Monate lang bloss durch die 
Sonde ernährt — von einer elektrischen Behandlung und auch 
von einer Dehnung der Uebergangsschwelle glaubte ich absehen 
zu müssen. Bald sah jedoch der verständige Patient das Un¬ 
zureichende dieser Therapio ein und verlangte selbst dringend 
nach einer Operation, wesswegen er auf die chirurgische Ab¬ 
theilung verlegt wurde. 

Die Berechtigung zu operativer Beseitigung des Leidens er¬ 
gab sich aus der nachgewiesenen bereits erreichten Grösse, dem 
stetigen Waehsthum, aus der zunehmenden Erschwerung der 
Nahrungsaufnahme und der fortschreitenden Abmagerung. 

Die Technik des operativen Vorgehens ist nach den bisherigen 
Veröffentlichungen weit ausgebildet und in der neuesten Zeit von 
Veiel (Beitr. z. klln. Chirurg. XXVII, 3) kritisch geschildert. 
Während ln den meisten bisher operirten Füllen wohl auch dess- 
halb von der linken Seite der Trachea eingegangen war, well links 
hinter der Trachea der Oesophagus mehr hervorragt, giug Herr 
Hofrath Schoenborn in unserem Falle bei dem pharyugo- 
s k o p i s c h nachgew l«senen, ausschliesslich 
rechtsseitigen Sitz des Divertikels von einem Haut- 
schnitt aus ein, der von der Holte des Zungenbeins am medialen 
Rand des rechten M. sternocleidomastoideus herab bis zum 
Jugulum geführt wurde. Bei Schonung der Muskeln (auch des 
Omohyoideus) ermöglichten die nicht fettreichen Gewebe des 
hageren Halses ein rasches Vordringen; eine Struma war nicht 
vorhanden, die schwache Art. thvreoidea inferior wurde doppelt 
unterbunden und durchtrenut, die grossen Gefässe, M. stehn, uml 
omohyoideus, nach aussen, die Trachea vorsichtig nach der liuken 
Seite gezogen: der rechte N. recurrens war durehschimmenid 
sichtbar. Es stellte sich bei weiterem, stumpfem Vordringen bald 
ein anormales Gebilde in das Operationsfeld ein, das nach hinten 

1 


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1436 MtfENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 37. 


rechts vom Oesophagus dessen rechten Rund um etwa 2 cm über¬ 
ragte und bis 4 cm Uber die Höhe des rechten Schlüsselbeins 
herabreichend, dem lockeren, praevertebralen Zellgewebe auflag. 
Durch leicht gelungenes Einfuhren einer Sonde vom Pharynx aus 
konnte die Art und Länge des Divertikels, sowie die Dünne seiner 
Wand, welche am Fundus die Sonde durchscliiininern Hess, fest- 
gestellt werden; es wurde au seinem unteren Pol zuerst, dann nach 
oben hin bis zu seinem in der Höhe des SehiUlknorpels sitzenden, 
engen Hals überall aus lockerem Bindegewebe isolirt. Das Diver¬ 
tikel liess sich dabei ganz uach rechts seitlich hinter dem 
Oesophagus hervorziehen. Am Halse des leeren Sackes wurden 
die äusseren Gewebsschichten rings incidirt und etwas zuriiek- 
g»schoben (wie die Serosa bei der Amputation des Processus 
vermiformis), eine feste Seidenligatur umgelegt, das Divertikel ab¬ 
getragen und die kleine Schlelmhauttläehe in der Mitte der ligirten 
Stelle mit Galvanokauter verschorft. Diese Stelle wurde mit zwei 
leinen Seidennähten Ubernäht. Da eine solche Versorgung der 
Oeffnung an der Wand des Oesophagus wohl stets unsicher ist, 
wurde nach v. Bergmanns Vorgang auf eine Naht der um¬ 
gebenden und bedeckenden Weiclitheile verzichtet, vielmehr durch 
einen Jodoformgazetampon deren Heberlagern verhütet und die 
Wunde offen gehalten. Indem durch in den Verband eingelegte 
Pappschienen für 0 Tage eine Ruhigstellung der Halsmuskeln be¬ 
zweckt wurde, wurde Patient 5 Tage lang nur mit Niilirklystiereu 
ernährt; der verständige Mann ertrug die Qualen des Durstes, die 
ja durch Aufeueliten der Mundschleimhaut nur wenig gemildert 
werden konnten. Vom 5. Tage an wurde Milch und flüssige 
Nahrung, vom 12. Tage an breiige. Kost und nach 3 Wochen 
Fleischspeise erlaubt. Die Wunde granulirte nach Entfernung des 
Tampons am 7. Tage rasch, ohne dass auch nur eine 
Spur von O e s o p li a g u s i n h a 11 d u r cli die Naht¬ 
stelle seiner W a n d a u s g e t r e t e u w a r. Das sub¬ 
jektive Befinden hatte natürlich während der Hungertage gelitten, 
doch kehrte Wohlbefinden und Körperkraft bei beschwerdefreier 
Nahrungsaufnahme rasch zurück. Drei Wochen nach der 
Operatio n w a r die Wunde v e r h e i 11. 

Das excidirte Divertikel war 3 cm laug und hatte bis zu 2 cm 
Durchmesser, sein Hals war für eine Kirsche durchgängig. Nach 
entsprechender Fixation in toto bieten L ä n g s durchschnitte i m 
mikroskopischen Bilde folgenden Befund: Die ganze 
Innenfläche ist von wohlerhaltenem Pflasterepithel ausgekleidet, 
welches in viel dickerer Schicht als an der normalen Oesophagus- 
sehleimhaut gelagert in seiner Keimschicht reichliche Papilien¬ 
bildung zeigt; nur im Fundus des Sackes ist, wie die ganze Diver¬ 
tikelwand auch die Epithelschichte dünner und zeigt fast keine 
Papillenbilduug. Unter dem Epithel findet sich eine breite Sub- 
mueosa mit wenigen arteriellen, aber reichlichen venösen Ge- 
fassohon, mit einzelnen erweiterten und wenig geschlängelten 
Dnisensohlüuchen und mit kleinen Bündeln glatter Muskelfasern, 
welche an der Seite des Sackes massig dicht gelagert längs, 
schräg und quer getroffen, im Vergleich mit der normalen Oeso- 
phaguswaml spärlicher erscheinen. Gegen den Fundus des Diver¬ 
tikels hin zeigt die glatte Muskulatur der Submucosa mehr Längs¬ 
richtung und wird allmählich spärlicher, am Fundus selbst zeigt 
die Wandung keine Muskulatur und keine Drüsentheile. Die 
Wandung des Divertikels wird im Ganzen vom Halse her gegen 
«len Fundus allmählich dünner durch Abnahme der Dicke siimnit- 
lieher sie konstituirenden Gewebe, so dass sie dort nur %—Vi so 
dick ist wie am Halse. In der Submucosa finden sich ausserdem 
thcils in rundlichen Häufchen, thcils reihenförmig angeordnet 
Lymphzellen, anscheinend in normal physiologischer Vermehrung 
und Funktion, an anderen Stellen scheinen sie, unregelmässig au- 
geluiuft. entzündliches Infiltrat anzudeuteu. Am Halse nicht, 
wohl aber im Fundus zeigt die Wand tlieils dicht unter dem Epi¬ 
thel, thcils tiefer gelegen kleine Blutaustritte. Die äussere Schicht 
der Divertikelwand bildet lockeres Bindegewebe mit einzelnen Ge- 
fässehen, Fetttriiubclien und elastischen Fasern. Quergestreifte 
•Muskelbüudel oder -Fasern finden sich nirgends an der Wand dos 
Sackes. 

Demnach gibt uns auch das mikroskopische Bild 
Aufschluss darüber, dass im vorliegenden Falle das Divertikel 
nicht amrebon n. sondern entstanden ist in Folge traumatischer 
Ausstülpung der Schleimhaut durch eine Lücke der Constrie- 
torenniuskulatur: Pharyngo-Oesopliagocele traumatica. Es gibt 
«in« zugl- ich Aufschluss, wie leicht in Folge der Dünne der Wand 
eine vielleicht lebensgefährliche Perforation durch Sondirung 
erfolgen kann und dass bei andauernder Einwirkung mecha¬ 
nischer und chemischer Reize. Entzündung und Uleeration der 
Wandung, careinomntüso Degeneration des, in lebhafter • Ver¬ 
mehrung begriffenen Epithels theoretisch zu erklären und zu 
erwarten ist. wie thatsächlich sehon 2 Fälle von CarciHornbildung 
in einem Divertikel beschrieben sind. Aus der Anatomie der 
Divertikelwand ergibt sich ferner, dass der therapeutisch an¬ 
gewandte faradisehe Strom auf die spärliche, gedehnte, glatte 
Muskulatur der Submucosa d<s Sackes so gut wie keinen wirk¬ 
samen Einfluss haben kann, sondern höchstens auf die den Ein¬ 
gang in den Sack umgebende und verengernde quergestreifte 
Muskulatur. 

Der technisch unbequemste und zugleich unsicherste Theil 
der Operation war, wio in allen bisher veröffentlichten Fällen, 


I der Verschluss des Divertikelstumpfes. Einstülpende Nähte ge¬ 
lingen am Oesophagus in vielen Fällen überhaupt nicht, beson¬ 
ders nicht bei weiterem Hals des Divertikels, und je mehr Nähte 
gelegt werden, desto mehr droht Nekrose der Wand und Per¬ 
foration. Auch exakt gelegte Nähte können ausserdem in Folge 
der unwillkürlichen Bewegungen der Speiseröhre leicht durch- 
schueiden, so dass bis heute noch stets ein glücklicher Zufall 
mitspiclto, wenn die Naht hielt. Eine Perforation kann, be¬ 
sonders in den ersten Tagen nach der Operation, wo die Gewebs- 
spalten der Wunde noch nicht verklebt und durch Granulationen 
bedeckt sind, leicht phlegmonöse Proeesso und Fistelbildungen 
zur Folge haben, die wenn nicht den Tod, so doch wesentliche 
Verlangsamung der Heilung verursachen. 

Während v. Bergmann 1590 der Erste war, dem die Hei¬ 
lung durch Operation mit vollem Erfolge gelang, kamen von den 
bisher veröffentlichten 25 Fällen 18 nach längorer oder kürzerer 
Zeit zur Heilung, davon 4 ohne Eiterung und Fistelbildung; 
5 endeten letal (1 an Arrosion der Art. thyreoid. infer., 1 an 
Aspirationspneumonie, 1 an Nephritis 2 Tage p. op., 1 an un¬ 
stillbaren Diarrhöen, 1 an Halsphlegmone). Es ist nicht aus¬ 
geschlossen, dass andere operirte Fälle mit tödtlichem Ausgang 
nicht bekannt gemacht wurden. 

Bezüglich der Nachbehandlung Ist zu konstatiren, dass die 
präventive Gastrostomie gerade bei geschwächten Individuen ein 
viel zu folgenschwerer Eingriff ist, als dass sie zur Sicherung 
der Ernährung wegen eines noch operablen OÖsophagusdiver¬ 
tikels vorgeiiommen werden sollte; in solchen Fällen wäre es 
wohl sicherer, der Haltbarkeit der exakt angelegten Naht beim 
Schlingen flüssiger Nahrung schon bald nach der Operation zu 
vertrauen, als dem geschwächten Organismus eine so schwere 
Komplikation zuzumuthon. Das Einlegen einer Verweilsonde 
für die ersten Tage oder das wiederholte Einführen der Sonde 
zum Zwecke der Fütterung schadet durch Dehnung der Oeso- 
phnguswaml, Decubitus und Auslösung von Würgebewegungen. 
Es bleibt also nur die Ernährung per rectum (eventuell auch 
subkutan) für die ersten 4—5 Tage und danach die Zufuhr lang¬ 
sam konsistenter werdender Nahrung. Bei allzu starker Inani¬ 
lion, die eine solche Nachbehandlung nicht zulässt, hat die 
radikale Operabilität der Oesophagusdivertikel selbstverständlich 
ihre Grenzen. 

Uebrigens ist nicht nur unter den zuletzt operirten Fällen 
die Sterblichkeit proeontuell bedeutend geringer geworden, son¬ 
dern es verspricht auch die verbesserte Technik für die Zukunft 
noch viel besser«; Resultate. Und wenn das Divertikel bereits 
eine solche Grösse oder Form erreicht hat, dass interne Be¬ 
handlungsmethoden im Stiche lassen (entsprechende Lagerung 
bei Aufnahme nur flüssiger Nahrung, Sondenbehandlung, Fara- 
disHtio» der Divertikelmündung), gehen die Patienten ja so 
sicher und qualvoll dem Tode entgegen, dass — je früher, desto 
besser — nicht nur dem Arzte der Rath, sondern auch dem 
Patienten der Entschluss zu einer radikalen operativen Behand¬ 
lung leicht wird, zumal alle bisher operativ geheilten Patien¬ 
ten. wie speciell auch der unsere geheilt blieben und frei von 
ihn n früheren Beschwerden sich wieder ihres Lebens freuten. 


Aus der chirurgischen Poliklinik zu München (Vorstand: Prof. 

Dr. K1 a u s 9 n c r). 

Zur Kasuistik der Blutcysten. 

Von Dr. A. Gebhnrt, Assistenzarzt. 

Wenn in die Interstitiell eines Gewebes eine Blutung er¬ 
folgt, welehe durch die Umgebung zur Geschwulstform einge¬ 
zwängt wird, so bezeichnet man dies als ein Haematoni 
(E u 1 e n b u r g). 

Die Ursache solcher Blutungen sind wohl meistens Traumen; 
entstehen sie jedoch spontan, so liegt gewöhnlich eine allgemeine 
Konstitutionsanomalie zu Grunde mit sekundärenVeriinderungen 
der Gefässwandungen, so Skorbut, allgemeine haemorrhagisebe 
Diathese, Syphilis etc. 

In der hiesigen chirurgischen Poliklinik hatte ich Gelegen¬ 
heit, einen Fall von multipler Ilacmatombildung in der Muskula¬ 
tur zu beobachten, der auf dio oben erwähnte Weise schwer er¬ 
klärlich und zugleich in seinem Verlaufe so eigenartig ist, «lass 
<>s wohl gerechtfertigt sein dürfte, denselben der Oeffcntliehkeit 
zu übergeben. 


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10. RcpteinJxr 1901. MUENCHENER MEDICTNISOIIE WOCHENSCHRIFT. 


1437 


Es handelte sich um einen 48 jiihrigen Mann, welcher spon¬ 
tan Blutungen in der Zwisehenrippenmuskulatur der linken Seite 
bekam, die durch Bildung einer derhen Bindegowebskapscl in 
kurzer Zeit eystisch abgeschlossen wurden, dennoch aber ständig 
durch Nachblutung an Umfang Zunahmen bis sie Faustgrösse und 
noch mehr erreichten und nun durch den Druck sogar zu TTsur 
der benachbarten Rippen führten, so dass ein maligner Tumor 
(weiches Sarkom) vorgetäuscht wurde: nach Tncision erfolgte 
2 mal Ausheilung auf dem Wege der Granulation. 

Die Krankengeschichte ist. folgende: 

M. Michael, verhelrathet. ehern. Zuchthausaufsehcr. trat am 
1. XIT. 1899 In die Behandlung der chirurgischen Poliklinik. Vor 
ö .Tahren erhielt M. während seines Dienstganges von einem Sträf¬ 
ling einen Stich mit einer Scheere. welcher rechts vom Brustbein 
zwischen den Bippen eindrang. Im Anschluss» an diese Ver¬ 
letzung entwickelte sich eine eitrige Rippenfellentzündung, welche 
ihn mehrere Monate bettlägerig machte. Seit dieser Zeit ist Pat. 
etwas schwerathmlg und leidet viel an Husten. Anhaltspunkte 
fiir Uherstandene Lues fehlen. Ein Bruder des Patienten liegt zur 
Zeit au Lungentuberkulose hoffnungslos darnieder. 

Seit ungefähr fl Monaten bemerkt M. ln der Hegend der link»n 
7. Rippe eine haselnussgrosse. nicht schmerzhafte Geschwulst: die¬ 
selbe l>egnnn schmerzhaft zu werden und rasch zu wachsen, als 
er vor 3 Monaten, in der Sportnusstelhing nngestellt. schwere Snnd- 
sücke tragen und am Seile des Fesselballons ziehen musste. Purei) 
eine von ärztlicher Seite voreeeommene Prohepunktlon wurd» da¬ 
mals (am 2fl. X. 1899) linksseitiger lmemorrhagischer Pleura¬ 
erguss (wahrscheinlich auf tuberkulöser Basis) dingnosticirt. Am 
30. XT. desselben Jahres wurde M. von der internen Poliklinik 
wesen Verdacht auf ein malignes Neonlnsma der Rippen an die 
ehlmrgisehe Abtheilune der Poliklinik zur T T ntersuehung ver¬ 
wiesen. Dieselbe ergab Folgendes: 

Grosser, ziemlieh nhgemngerter Mann. Temperatur 30.5" C. 
Athmung besehleunigt. 48; Puls kräftig. 74; Stimme heiser: zwi- 
sehen 2. und 3. Rippe rechts. 2 cm vom Brustbein entfernt, eine 
lineare. 3 cm lange Narbe (herrührend von der ScheeronVerletzung). 

• Lungen: Selmll in den Suprnelaviculargruben different: 
rechts hinten beginnt am Antrulus seapulae eine nusgesproch»nc 
Dämpfung. Die Lungengrenzen sind rechts hinten unten n I e h r, 
ausserdem gut verschieblich. Das Athomgeräusch ist im Bereiche 
der rechtsseitigen Dämpfung aufgehoben an den übrigen Stellen 
des Thorax vesiculär: in der linken Axillarlinic hört man pleu- 
ritisehes Reihen. Husten gering, wenie schleimiger Auswuff 

Tn der Gegend der linken 7. Rippe beginnt in 
d e r Axillarlinic ein bis zur M n m m i 11 a r 11 n l o 
reichender, kindskopfgrosser, fl u kt u Iren der, 
prall elastischer, nicht verschieblicher Tumor 
mit breiter Basis, von unveränderter Haut be¬ 
deckt: besondere Venenerw eitern ne oder -ver¬ 
mehr u n g i s t nicht zu bemerken; eine Probepunk¬ 
tion ergibt dunkles, flüssiges Blut: bei der 
mikroskopischen Untersuchung derselben sieht 
man unveränderte rothe Blutzöllen. Detritus¬ 
massen. r p ä r 1 i c h e Leukocyten. 

Das Herz Ist nicht vergrössert. die Töne rein. A b d »in! 
nnlorgnne nicht verändert: Appetit und Verdauung gut: der 
Urin enthält weder Ehveiss noch Zucker. Drüsenschwcllumreu 
sind weder In der Nachbarschaft des Tumors, noch anderweitig 
nachweisbar. 

Die Diagnose wurde demnach in folgender Weise gestellt: 
Alte, ausgehellte Ohprlanpentuberkulose. alte pleurltische Schwarie 
rechts, maligne Neubildung (wahrscheinlich Sarkom) der Rippen. 
Es wurde beschlossen, zunächst eine Probeexcision zu machen, 
event. elelch die Entfernung des Tumors anzuschliessen. 

Bei der am 1. XII. 1899 in Chloroformnarkose vorgenommenen 
Operation ergaben sieh nun folgende merkwürdige Verhältnisse: 

Nach Spaltung der Haut und des Unterhautzellgowebcs ge¬ 
langte man auf einen fluktuirenden. prallen Tumor: Probepunk- 
tIonen nn verschiedenen Stellen desselben ergaben Blut. Es wurde 
nun die Wnnd dieser Blutcyste, welche aus festem, schwieligem 
Gewebe bestand. In der ganzen Länge des Tumors gespalten: sic 
hatte eine Dicke von 0.5 bis 1 ein. Nach Entleerung des dunklen, 
flüssigen Blutes und Entfernung einiger leicht zerreissiieher Mem¬ 
branen, welche den Hohlramn durchzogen, prüsentirto sich eine 
Höhle von etwa 10 cm Tiefe, 20 cm Länge und 0—8 ein Breite. 
R»*i Betastung mit dein Finger fühlte man. dass die Wand dieser 
Cvste ans einer schwartigen Membran bestand, mii deren Ober¬ 
fläche einzelne nekrotische Knochensplitter als Reste der oh- 
literirten Rippe hervorragten. Die Rippe war auf eine Entfernung 
von ungefähr 18—20 cm vollständig zerstört: Ihre zackigen Ränder 
ragten, wie erwähnt, frei in den Ilolilrnum hinein. 

Es wurde mm aus der hinteren Wand der Cyste vorsichtig ein 
Stück excidirt — unter derselbe» lag die glatte, intakte Pleura: 
cs war also offenbar die Hinterwand des Sackes scharf abgegrenzt 
und mit der Pleura nicht verwachsen. 

Nachdem die scharfen Rippenenden, soweit sie in den Ilohl- 
raum hineinragten, mit der Knoehenzange geglättet worden waren, 
wurde nochmals eine genaue Besichtigung der Höhle vorgenommen, 
irgend welche Reste eines Tumors jedoch nirgends gefunden. Es 
folgte nunmehr Tamponade mit Jodoformgaze und Vereinigung der 
Haut durch einige Situationsnähte. 


Da M. sich nach der Operation vollständig wohl befand, di» 
Temperaturen normal waren, so wurde er tun 2. Tage aus der 
Anstnltspflege entlassen und in seiner Wohnung in der Stadt 
weiter behandelt. 

Bei dem joden 2.-3. Tag vorgenommenen Verbandwechsel 
zeigte sich nun. dass die grosse Höhle sehr schön und ohne Eite¬ 
rung nusgranulirte. Nach 12 Tagen, am 12. XII. 1899. begann 
der Patient plötzlich zu fiebern, nachdem ein Schüttelfrost voran- 
gpgangon war. Die Temperaturen bewegten sieh zwischen 38.2 
und 39,0° C. 

Eine genaue Untersuchung am 19. XII. ergab Folgendes: 

Patient ist sehr schwach, leicht benomnvni. spricht verwirrtes 
Zeug. Der kaum fühlbare Puls beträgt 139 Schläge ln der Minute, 
die Respiration ">(). Temperatur 39.2° C. 

Im Gebiete des rechten Oberlappens hört man bronchiales Ex- 
spirium. ausserdem ist der Befund an der rechten Lunge wie bis¬ 
her. Links dagegen stellt die Lungengrenze rückwärts 2 Quer- 
fingerbreite unter dem Schulterblatt winke! und Ist nicht verschieb¬ 
lich. Entsprechend der unteren Dämpfuugsgrenze Hört man bron¬ 
chiales Exspirium; der spärliche Auswurf ist schleimig: Milz nicht 
vergrössert. Stuhl nngehalien: Urin eiweissfrei. 

Die Wundhöhle granulirt schön und hat sich bis auf Taubonei 
grosse ireschlossen. 

Die Diagnose wurde auf frischen Nachschub der Lungen¬ 
tuberkulose gestellt mit linksseitigem dünnen Pleuraexsudat. Bei 
der rasch zunehmenden allgemeinen Schwäche war die Prognose 
als sehr ungünstig zu betrachten. Die Therapie bestand in der 
Verabreichung von Exeitantien (Digitalis und Alkohol), für die 
Nächte, während denen Patient sehr unruhig war, etwas Morphium 
innerlich. 

Im Laufe der folgenden Woche jedoeli änderte sieh das Bild 
der Krankheit merkwürdiger Weise rasch Zur Besserung, indem 
unter langsamem Abfälle der Temperatur und Sehweissnusbrüehen 
allmählich die Benommenheit schwand und M. bei zunehmendem 
Appetit sieh in kurzer Zeit so erholte, dass er fiir mehrere Stunden 
des Tages das Bett verlassen konnte. 

Rei einer am 28. XII. neuerdings vorgenommenen Unter¬ 
suchung war der Puls 82. kräftig, voll: der Lungeiibpfund war. 
wie folgt: links hinten unten schwache Verschieblichkeit der 
Ränder: auskultatorisch kräftiges Vesikuliirathmen: das Exsudat 
war demnach in Resorption resp. Eindiekung begriffen. 

Die Erholung war bald so weit vorgeschritten, dass M. zum 
Verband Wechsel in die Poliklinik gehen konnte. Gegen Ende 
Januar 1900 hatte sieh die Höhle bis auf Fingerhutgrösso ge¬ 
schlossen. Entlang der Iiieisionsnarhe sieht mau einige blaurotlie 
Granulationen, in welchen stecknadelkopfgrosse, dunkle, leicht 
läutende Stollen sieh befinden, die anscheinend kleine Gefiiss- 
»ktasien dnrstellen. Auffälliger Weise hatte Ende Januar aus 
der kleinen granulirendon Höhle dreimal eine so h«*deutende Blu¬ 
tung stnttgeflinden, dass der dicke Verband, sowie das Kopfkissen 
und Leintuch vollständig durchtiiinkt waren. Patient wurde da¬ 
durch zwar etwas geschwächt, erholte sich aber rasch wieder, da 
der Appetit und das Allgemeinbefinden fortdauernd gut waren. 
Nachdem M. sich am 20. März in der Poliklinik als vollständig 
geheilt vorgestellt hatte, traf er am fl. April wieder zur Unter¬ 
suchung ein. da innerhalb 8 Tagen ein neuer, faustgrosser Tumor 
entstanden war: er snss unmittelbar miter dem früheren, fluk- 
tuirle deutlich, war wenig schmerzhaft und ergab bei der Probe¬ 
punktion reines Blut. 

Am 7. April wurde in Chloroformnarkose die etwa faust- 
grosse Cvste freigelegt: sie lag. in eine dicke Schwarte eingebettet 
in der Muskulatur und hatte die 8. Rippe, hart an der Grenze des 
Knorpels beginnend und von da gegen die Axillarlinie zu, auf eine 
Strecke von ungefähr 8 ein nsurirt, so dass dieselbe hier nur 
ungefähr \/. £ cm breit war. Das usurlrte Rippenstück wurde 
sammt einem Stücke des angrenzenden Knorpels reseelrt. die 
blutgefüllte grosse Cyste gespalten. 

Da unmittelbar neben derselben ln der Muskulatur des Inter- 
costnlraumes sieh eine weitere, etwa erhsengrossc Cyste zeigte, 
wurde auch diese exstirpirt: sie war bereits in dicke Schwarten 
eingebettet und lag unmittelbar auf der Pleura, von der sie sieh 
jedoeli auf stumpfem Wege leicht loslösen lless. Sie wurde zu 
den später beschriebenen mikroskopischen Schnitten benutzt. 

Die Nachbehandlung der Wundhöhle wurde wie früher vor¬ 
genommen: auch diesmal konnte dieselbe ln der Wohnung des 
Patienten durchgefühlt werden. 

In der Folgezeit verlor M. wieder sehr viel Blut aus der 
grannlirenden Höhle: besonders hei nustenanfällen traten ziem¬ 
lich bedeutende Blutungen auf. Die Temperaturen schwankten 
zwischen 37,3 und 37.9° C.. der Puls war melRt freipient, 120, 
die allgemeine Schwäche zunehmend. Durch Tamponade waren 
die Blutungen nicht zu bekämpfen; von weiteren therapeutischen 
Maassnahmen, wie Thermoknutisation oder Gelatineinjektionen 
musste in Rücksicht auf den elenden Zustand des Patienten Ab¬ 
stand genommen werden. Bel alledem war der Heilungsvorlnuf 
der Wunde ein ungestörter: bis Mitte Juni hatte sieh die Höhle 
beinahe geschlossen - es restlrte nur noch eine etwa markstück- 
grosse Stelle, die mit leicht blutenden, üppigen Granulationen be¬ 
setzt war. Dagegen bekam M. Mitte Mal öfter Schüttelfröste 
mit Temperaturen von 38,2 bis 39,0° C.. Aussehen hochgradig 
anaemiscli. Nachts häufig Benommenheit mit Aufregungs- 
zuständen, Schreien u. s. w., mehrfach gastrische Störungen mit 
I Erbrechen. Eine am 10. Mai vorgenommene Untersuchung des 
Urins ergab Ehveiss. hyaline und körnige Oylinder, rothe Blut¬ 
körperchen. Ziemlich bedeutende Milzsehwelluug: ditTose Bron¬ 
chitis. Im Laufe des Juni entwickelte sich unter Schüttelfrösten, 


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1438 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


zunehmender Benommenheit, Milzschwellung und hnemor- 
rliaglscher Nephritis immer deutlicher das Bild der chronischen 
Sepsis. Nachdem am 20. Juni mehrere Anfälle von Dyspnoe ein¬ 
gesetzt hatten, welche sich an den folgenden Tagen öfter wieder¬ 
holten, trat am 23. Juni Nachmittags 3 Uhr 30 Min. unter urae- 
mischen Erscheinungen (Cheyne-Stoke s’sches Phänomen 
mit nachfolgendem Koma) der Tod ein. 

Die am 24. VI. 1900 Nachmittag 5 Uhr vorgenommene 
Autopsie ergab Folgendes: 

Sektionsbefund: Stark abgemagerte männliche Leiche; 
in der linken Axillarlinie, entsprechend dem 7. und 8. Intercostal- 
raum ein markstückgrosser, mit Granulationen erfüllter Defekt 
der äusseren Haut 

Nach Eröffnung der Bauchhöhle zeigte sich der Zwerch- 
f e 11 s t a n d rechts au der 4. Kippe, links au der 5. Rippe. 

Nach Wegnahme des Sternums sieht man den Herzbeutel, 
von der linken Lunge beinahe überlagert, thalergross vorliegen. 

Rechte Lunge: im Oberlappen ausgeheilte, haselnuss¬ 
grosse tuberkulöse Herde; der Mittel- und Unterlappen zeigt 
chronische Atelektase; die Lunge ist mit der Pleura costalis durch 
eine fingerdicke Schwarte verwachsen. 

Linke Lunge: einige verkalkte Herde im Oberlappen; be¬ 
deutendes Emphysem, Bronchitis purulenta; am Unterlappen 
stellenweise pleurltisehe Schwarten; in der Pleurahöhle ein mit 
Fibrinflocken vermischtes, trübes Exsudat. 

Herz: schlaff, dilatirt, starke Fettauflagerung; Klappen 
intakt; massige Atheromatose des Anfangstheiles, sowie des 
Bogens und des Brustthelles der Aorta. 

Leber: blass, graugelb, fettreich. Zeichnung verwaschen. 

Milz: sehr gross, 12 cm lang, 8 cm breit. 0 cm im dicksten 
Durchmesser, weich, missfarben, grauroth, Pulpa stark vor¬ 
quellend, M a 1 p i g h i’sche Körperchen schlecht sichtbar, an der 
Peripherie ein kleiner, auaemischer Infarkt. Die Milzkapsel ist 
mit peritonitisehen Schwarten bedeckt. 

Magen- und Darmkanal zeigen keine Besonderheiten. 

Nieren (rechte wie linke gleich): Kapsel schwer abziehbar, 
an manchen Stellen nur mit Substanz vertust; einige Stellen der 
Oberfläche zeigen deutliche Granularatrophie. Das Organ ist 
blassgrau, Mark und Rinde nicht deutlich geschieden. 

Diagnose: Sepsis, Pleuritis adhaes. dextr. Atelektase des 
rechten Mittel- und Unterlappeus, Emphysem der linken Lunge, 
Bronchitis purulenta, nusgeheilte tuberkulöse Herde in beiden 
Oberlappen, Pleuritis fibrinosa et fibrosa sinistra, Nephritis 
parenciiymntosn. 

Der erkrankte Tlieil der linken Thoraxwand wurde bei der 
Sektion abgetragen und bot nach der Präparation folgendes Bikl: 

Die 7. und 8. Rippe zeigte an der Stelle der bei der Operation 
vorgenommenen Resektion bindegewebige Schwarten; an der S., 
der zuletzt erkrankten, sass auf der Schwarte ein kleiner Tumor 
von Granulationen, welche aus der noch restirenden, etwa 
thalergrossen Hautwunde herauswucherten. Dicht neben der 
noch granulirendeu Stelle befindet sich in den die Intercostal- 
muskeln durchsetzenden Schwarten eine von aussen noch nicht 
sichtbare, welschnussgrosse, mit Blut gefüllte Höhle; eine weitere, 
etwa haseluussgrosse Blutcyste etwa 5 cm von dieser entfernt 
nach rückwärts. 

Das mikroskopische» Bild dieser von Schwarten umgebenen 
Blutriiume war immer das nämliche: ich gebe die Beschreibung 
der erbsengrossen Cyste, welche bei der 2. Operation entfernt und 
dann in toto geschnitten wurde: 

Eine eigentliche Wand der Cyste ist nicht erkennbar; der 
durch den Bluterguss geschaffene Hohlraum ist eingefasst von 
zellreichem Gewebe. Zolle au Zelle, fast ohne Zwischensubstanz, 
annähernd kugelige Zellen — richtiges Granulationsgewebe; als 
solches wird es auch noch gekennzeichnet durch stellenweise sicht¬ 
bare mächtige Entwicklung von Kapillaren. An diesen Saum von 
Granulationsgewebe, welcher die ganze Höhle umgibt, schliesst 
sich eine dicke Schichte von fertigem Bindegewebe, also eine 
Schwarte, von spärlichen Gefässeu durchsetzt. An einer Stelle der 
Peripherie der blutgefüllteu Ilöhle sieht man, wie das Granu¬ 
lat ionsgewebe in annähernd runde, aus fibrösem Gewebe be¬ 
stehende Scheiben übergeht, welche scheinbar Hohlräume aus- 
filllen; es handelt sich an dieser Stelle wohl um obliterirte Ge- 
fiisse mit organisirten Thromben, Ausdruck der reaktiven Ent¬ 
zündung in der Umgebung des Blutergusses. 

Die erwähnte Blndogewebsschichte bildet die Grenze gegen 
die Muskulatur der Umgebung. 

An dieser selbst, sowie an den Gefässen derselben ist keine 
besondere Veränderung wahrzunehmen; nur zeigen sich im Binde¬ 
gewebe zwischen den Muskelfasern und auch im perivaskulären 
Gewebe stellenweise Anhäufungen von Rundzellen, vermischt mit 
wenigen opitheloiden Zellen als Zeichen einer leichten Form von 
Myositis, wie sie sich wohl gewöhnlich in der Umgebung von Ent¬ 
zündungsherden zu bilden pflegt. An manchen Stellen sieht man 
zwischen den Muskelfasern Anhäufungen rother Blutzellen, welche 
in ihrer Gestalt, unverändert, ausserhalb der Gefüsse angesammelt 
liegen. Dass dies nicht etwa durch Zerrung oder Verletzung bei 
der Operation entstandene Blutaustritte aus den Kapillaren sind, 
beweisen viele Stellen, au welchen neben diesen unveränderten 
Blutzellen Ablagerungen von verändertem Blutfarbstoffe, Blut- 
pigmentansammiungen, zu sehen sind. 

Der Inhalt der so gebildeten llohlräutne war immer unver¬ 
ändertes, theerfarbenes, nicht geronnenes Blut. 

Fragt man sich nun, welcher Art von pathologischen Er¬ 
scheinungsformen dieses Gebilde zuzurechnon sei, so glaube ich, 
dass es kaum zweifelhaft ist, dass eine multiple Ilaemntombildung 


vorlag, wenn auch dabei einige Eigenthüniliclikeiteil vorhanden 
sind, welche von den gewöhnlichen Ilaematomen im Verlaufe 
und im klinischen Bilde bedeutende Abweichungen hervorrufen. 
worauf ich später zurückkommen werde. 

Maligner Tumor ist auszusehliessen, da thatsächlich 2 mal 
vollständige Ausheilung eintrat. 

Nur auf eine Erscheinung möchte ich etwas näher eingehen. 
nämlich auf die eavernösen Angiome; ich glaube zwar keineswegs, 
dass ein solches vorliegt, aber die klinischen Erscheinungen, be¬ 
sonders der Befund nach der ersten Operation, bietet so viel Aehn- 
lielikeit mit einigen in dieser Hinsicht veröffentlichten Fällen, 
dass ich sie nicht ganz umgehen zu dürfen glaubt». 

V i r c h o w ') spricht in seiner Gesell wulst Ich re von caver- 
nösen Angiomen des Muskels; der von Pott 2 ) als Aneurysma 
per erosionem daselbst angeführte Fall hat einige Aehnlichkeit 
mit dem vorliegenden. Ebenso erinnert der bei den ossären 
Angiomen *) erwähnte Fall von Gräfe 4 ), sowie der von 
Reiche 4 ) in seiner Beschreibung entschieden an den Befund 
bei der ersten Operation des M. Auch die von Re u 1 i n g*) be¬ 
schriebene Blutcyste an Stelle des Kreuzbeines bietet ein ganz 
ähnliches Bild: Erweichung und vollständige Zerstörung des 
Knochens unter Bildung einer blutgefüllten Cyste. 

Derartige Blutoysten sind am häufigsten am Halse be¬ 
schrieben. Eine eingehende Mittheilung der diesbezüglichen 
Literatur findet sieh bei Franke 7 ), welcher einen derartigen 
Fall, der zur Oi>oration kam, beschreibt*). 1891 hat K ä hier*) 
einen weiteren Fall dieser Art publizirt. 

Aus einer Durchsicht der Literatur über Blutcysten geht 
ziemlich deutlieh hervor, dass sehr viele sehr verschiedenartige 
Gebilde in diesen Rahmen hineingezwängt wurden: Es handelte 
sich in vielen Fällen um eavernöse Angiome, in vielen um myelo¬ 
gene Sarkome, in einigen wohl auch um einfache IIaematoni;\ 
also im strengen Sinne des Wortes nicht um Cysten. Wenn wir 
die Definition von A s c h o f f "’) für echte Cysten festhalten 
wollen, wonach eine besondere Wand vorhanden sein muss, so 
ist der Ausdruck Cvste für unser Gebilde absolut ungerechtfertigt. 

Dagegen entsteht, eine Art von Hohlräumen durch unregel¬ 
mässigen Zerfall und Auflockerung soliden Gewebes, von 
Aschoff als falsche Cysten bezeichnet; mit einer solchen fal¬ 
schen Cyste haben wir es hier wohl zu thun und zwar ist sie offen¬ 
bar gebildet worden durch Zerfall des Gewebes in Folge eines 
Blutergusses, der sich durch reaktive Entzündung der Umgebung 
abkapselte, also ein zweifelloses Hneinntom; doch bietet dieses 
Uaematom Besonderheiten, welche nicht gut erklärlich sind: eine 
eigentliche Entstehungsursaehe ist nicht zu finden; ferner ist 
auffallend die sehr früh auf tretende schwartige Abkapselung, be¬ 
sonders merkwürdig und wohl ohne Analogon aber die Usur der 
Rippen und das multiple Auftreten. 

Auch haben ITnematonie doch gewöhnlich, wenn sie einmal 
nbgeknpselt sind, die Neigung zur Eindickung, während hier 
immer neue Blutung und ständige Vcrgrösserung des Haema- 

’) Vlrchow: Geschwulstlehre. III. 1, S. 366. 

■) Pereival Pott: Chirurg. Works. Vol. III, p. 223. 

*) Vlrchow: pag. 369. 

*) C. F. Gräfe: De notione et eura angieetaseos Iabioruiu. 
Ups. 1807. pag. 20. 

•) Reiche: Deutsch. Klinik 1854, No. 29. 

') Reuling: Inaug.-Dissertation. Giessen 1866. Ausserdem 
Literatur über Cysten mit blutigem Inhalte bei Franke: 
Deutsch. Zeitschr. f. Cliir. 1888; es ähnelt aber nur der Fall Reu¬ 
ling dem unserigen. 

T ) Franke: Deutsch. Zeitschr. f. Chirurgie 1888. 

*) Von der von ihm angeführten Literatur scheinen folgende 
Fälle mit dem unserigen verglichen werden zu können, bei 
welchen es sieh wahrscheinlich um Haemntom handelte: 

Mery: K.vste snnguin de l’hypoohondre droit cons^cutif ä 
un trauniatisme. Progres m6d. No. 39. 

Vorgl. Centralbl. f. Chirurg. 1886, No. 15. 

Stein: Virch. Arch. Bd. 49. 

K I e i n w ä c h t e r: Centralbl. f. Chirurg. 1888, No. 9. 

Richet: Cyste hömatique formfl aux depens de 1'f‘piplooii 
gastro-hf'patlque. Gaz. des hopit. 1877, No. 57. 

Centralbl. f. Chirurg. 1877. No. 33. 

") Kühle r: Ein Fall von Blutcyste der seitlichen Hals¬ 
gegend. Inaug.-Diss. Erlangen 1891. 

'") Aschoff: Cysten; aus Lubarsch und Ostertag: Ergeb¬ 
nisse der allg. Patliol. u. patliol. Anatom, d. Menschen u. d. 
Tliiere. Wiesbaden, Bergmann, 1897. S. 465. 

Nur der Fall von Schlange: Arch. f. klin. Chlr. Bd. VI, 
1887, bietet Aehnllclikeiten. 


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10. September 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1439 


toms eintrat. Die ständige Nachblutung erklärt auch de» Um¬ 
stand, dass unverändertes Blut als Inhalt gefunden wurde. 

Was die Entstehung der Blutung betrifft, so kann man eine 
allgemeine Disposition zu haemorrkagischer Diathese wohl nicht 
annehmen (die Sepsis trat ja erst als Folgeerscheinung in den 
letzten Wochen ein), damit also Blutung per diapedesin ziemlich 
aussehliessen; eine Veränderung der Gefüsswünde ist in den 
mikroskopischen Schnitten nicht zu bemerken. Man muss also 
denken, dass die multiplen Uaematome im Anschlüsse an kleine 
Gciasszerreissungcn entstanden, gelegentlich von körperlichen 
Bewegungen, Hustenstössen u. s. w. Welche Ursache für diese 
leichte Zerreisslichkeit der Gefässe gerade an dieser Stelle vor¬ 
handen war, bleibt allerdings ein Räthscl. 

Einige wenige analoge Fälle finden sich bei Virclio w ') 
zusammengestellt, welcher das Muskelhaematom einer eingehen¬ 
den Besprechung unterzieht. Am häufigsten scheint dasselbe in 
den geraden Bauchmuskeln vorzukommen ' Zunächst ist aller¬ 
dings die Aetiologie nicht dieselbe, da V i r c h o w angibt, dass 
der Muskel spontan reisst, und sich dann zwischen die aus¬ 
einander weichenden, zerisseneu Theile das Blut ergiesst, wie bei 
einer Knochenfraktur. 

Viel mehr Aehnlichkeit mit vorliegendem bietet ein anderer 
von. V j r e h o w, S. 144, angeführter Fall' 3 ) von einem Bluter, 
bei welchem sieh nach einer Hüftverletzung ein Tumor in der 
Bauchhöhle entwickelte, welcher bei der 3'A Jahre später vor¬ 
genommenen Autopsie sieh als ein Haematom im Museulus iliacus 
erwies. Die Bluteyste war 8,5 cm lang, 7 cm breit, 6 cm dick; 
hatte knorpelartig harte Wandungen und blutigen Inhalt. Die 
beigegebene Abbildung unterscheidet sich von unserem Falle ein¬ 
zig und allein dadurch, dass die Cyste kein frisches Blut, sondern 
brüchigen, rothbraunen Inhalt enthielt, der allerdings mikro¬ 
skopisch rothe Blutkörperchen erkennen Hess. 

Ganz spontan entstandene Haematome beschreibt Stöckel“). 
Beide traten auf im Anschlüsse an heftiges Husten; im einen 
Falle reichte das Haematom vom Rippenbogen bis zum Nabel, 
im anderen sass es oberhalb des P o u p a r t’sehen Bandes. In 
dem einen Falle fanden sich multiple Petechien in der Bauch¬ 
kaut, .welche auf haemorrhagische Diathese sehlicssen lassen. 
Beide wurden incidirt, exkochleirt und mit Tamponade durch 
Granulation zur Heilung gebracht. 

.So viel Aehnlichkeit auch verschiedene dieser Fällt mit dem 
unserigen besitzen, keiner zeigt die Besonderheiten des hier be¬ 
schriebenen: das multiple Auftreten, das ständige Wachsen des 
-Tumors, die Usurirung von Knochen. 


Aus der hacteriologisehen Untersuchungsstation des k. Garnisons- 
lazareths Würzburg. 

Experimentelle Untersuchungen über die Tuberkulose- 
Infektion im Kindesalter. 

Von Dr. Dieudonne, Stabsarzt und Privatdoeent. 

Von den verschiedensten Seiten wurde darauf aufmerksam 
gemacht, dass die Häufigkeit der Tuberkulose im Kindesalter 
nach den verschiedenen Lebensjahren eine verschiedene ist. 
Nach Feer 1 ) kommen in den ersten Lebensinouaten nur 
äusserst selten Fälle von Tuberkulose zur Beobachtung, auch 
.vom 4.-6. Monat sind sie noch selten, von da an steigt die 
Frequenz sehr rasch und erreicht das Maximum am Ende des 
ersten oder im zweiten Jahr, um schon im dritten Jahr stark 
abzufallen. Nach Cor net') vertheilten sieh 263 Kinder der 
ersten 5 Lebensjahre mit Tuberkulose aus dem pathologischen 
Institut von Virchow auf die einzelnen Alter folgcndcr- 
niaasscn: 

0—2 2—3 3—6 6—9 9—12 Monat, 1—2 2—3 3—4 4—5 Jahr 
0 2 8 15 18 83 56 51 30 


"> 1. e. Bd. I. pag. 143. 

'9 Virchow: Feber Entzündung und Ruptur des Museulus 
rectus abdoininis. 

Wiiraburg. Verb. 1853—1850. Bd. VII. S. 210. 

Deutsch. Klinik 1800. S. 371. 

Lorup: De haeniophilin nminola, ndjocto morbi specissime 
rariori. I)iss. inaug. Berol. 1857. 

“) Stoeckel: 2 Fälle von Bnuelideekeiiliaemotomeu in der 
Schwangerschaft. Centralbl. f. (lyuäkol. 1901, No. 10. 

0 Therapeutische Monatshefte 10OO. S. 023. 

•) Die Tulierkulose. Notbuagers Jlaudbueh. Bd. 14. 8. 201. 

No. 37. 


Achnlichc Statistiken wurden auch von anderen Seiten ver¬ 
öffentlicht. 

Diese Unterschiede in der Häufigkeit der Kinder tuberkulöse 
haben offenbar ihren Grund, auf den besonders V o 11 a n d'), 
Feer *) und Cornot 1 ) hingewiesen haben, in den verschie¬ 
denen Lebensbedingungen der Kinder in verschiedenen Lebens¬ 
altern; die Infektionsgelegenheit ändert sich je nach dem Alter. 
Sie ist nach Feer im Säuglingsalter, wo die Kinder nur in 
ihren Betten oder auf den Armen der Mutter sich befinden, noch 
gering, wächst aber in’s Ungemessene, sobald die Kinder greifen, 
sitzen und kriechen gelernt haben, vornehmlich desshalb, weil 
dann die Kinder auf dem Fussboden herumkriechen, dabei viel 
Staub einathmen oder den Staub und Schmutz an ihre Hände 
bringen und verschlucken. Aehnlich äussert sich V o 11 a n d. 
ln der Kindheit kommt der Mensch am häufigsten und 
innigsten mit dem Boden in eine solche Berührung, dass unter 
für den Tuberkelbaeillus entsprechend günstigen Eingangs- 
Verhältnissen sein Eintritt in den Körper erfolgen kann. Das 
tuberkulöse Sputum wird hauptsächlich auf den Buden entleert, 
bleibt an ihm verhältnissmässig fest haften, die Infektion vom 
Boden aus kann also zu einer Zeit, wo der Mensch am innigsten 
mit dem Boden in Berührung kommt, nämlich in der Kindheit, 
jederzeit stattfinden. JJm diese Zeit ist auch nach V. die Nascn- 
und Mundsekretion in Folge des Zahnens eine recht reichliche 
und braucht man nicht ganz besondere Sorgfalt, so kommt an den 
Naseneingängen und Mundwinkeln leicht Wundsein zu Stande. 
Auch ein Herpes labialis, ein Impetigo oder Ekzem bieten 
günstige Eingangspforten dar. Durch den Reiz an diesen 
wunden Stellen wird das Kind veranlasst, sich mit den Händen 
in’s Gesicht zu fahren und den daran haftenden Bodensehmutz 
sich förmlich hineinzureiben. V. bezeichnet daher die Skrophu- 
lose und die erworbene Tuberkulose als eigentliche Sehmutz¬ 
krankheit. Auch Feer ist derselben Ansicht. „Je schmutziger 
Kleider, Hände und Gesicht eines jungen Kindes, um so häufiger 
begegnen wir vergrösserten llalsdrüsen, während die anderen 
äusseren Lymphdrüson, welche nicht als Stapelplätze exponirter 
Schleimhäute dienen, viel seltener vergrüssert und auch viel 
seltener tuberkulös sind.“ 

Besonders gross ist diese Infektionsgefahr bei ärmeren 
Leuten, bei denen die Kinder vielfach unbeaufsichtigt sich auf 
dem Boden herumwälzen und bei denen der Boden oft vor 
Schmutz starrt. Für die Richtigkeit dieser Annahme einer 
Bodeninfektion sprechen mehrere in der Literatur veröffentlichte 
Beobachtungen. So beschreibt R a c z i n s k y °) den Fall eines 
11 monatlichen von gesunden Eltern abstammenden, mit der 
Muttermilch genährten Kindes, bei dem sieh allgemeine Tuber¬ 
kulose entwickelte einige Monate nach dem Beziehen einer 
Wohnung, in der unmittelbar zuvor ein Phthisiker krank war 
und starb. 

Merkwürdiger Weise wurden bis jetzt noch von keiner Seile 
experimentelle Untersuchungen über das Vorkommen von 
Tuberkelbacillen an den Händen von kleinen Kindern, die viel 
auf dem Boden herumkriechen, gemacht. Seit einem Jahr 
habe ich mich mit dieser Frage beschäftigt und zwar wählte ich 
hiezu Kinder von : ‘i—2V& Jahren, deren Mutter oder Vater naeh- 
gewitsenermaassen an Tuberkulose litten. Durch hilfreiches 
Entgegenkommen mehrerer praktischer Aerzte, sowie der hiesigen 
Poliklinik hatte ich bis jetzt Gelegenheit, 15 Kinder zu unter¬ 
suchen. In allen Fällen wurden die Hände und die Nase 
auf das Vorhandensein von Tuberkelbacillen und von pyogenen 
Coceeii untersucht; auf die Nase achtete ich desshalb, weil viele 
Kinder die Untugend haben, mit dem Finger in der Nase zu 
bohren und alle möglichen Fremdkörper in dieselbe einzuführen 
und weil nach neueren Untersuchungen bei verschiedenen Krank¬ 
heiten der Primäraffekt in der Nase zu suchen ist. Die Technik 
war die voy Cor net angegebene. Hasel nussgrosse sterile 
Schwämmchen wurden in Pergamentkapscln in die betreffende 
Wohnung gebracht, dort in eine Pineette geklemmt und damit 
die Handflächen der Kinder tüchtig abgeriebeu; zur Entnahme 
des Naseninhaltes wurden sterile hasclnu<sgrosse Wattebäusch- 
chen benützt. Im Laboratorium wurden dann die Schwämmchen 

3 ) Zeitschrift für klinische Mediein 1803. Bil. 23. S. 5o. 

*) CorrespondenzUatt für Schweizer Aerzte 1894. Therap- ul. 
}Ionatshofte 1000. 
a. O. 

') Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. 54. 1001. 

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1440 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


und Wattebäuschchen in 15 ccm Bouillon ausgedrückt. Von der 
so gewonnenen, stets stark trüben Flüssigkeit wurden je 5 ccm 
zwei Meerschweinchen intraperitoneal eingespritzt; ausserdem 
wurden davon mikroskopische Ausstriche gemacht und vorher 
gegessene Glycerinagarplatten damit geimpft. Von einzelnen 
Kindern wurden öfters Proben entnommen. Im Ganzen wurden 
83 Meerschweinchen geimpft, davon starben 20 schon 2—3 Tage 
nach der Impfung an Peritonitis, die theils durch Streptococcen, 
theils durch verschiedene Bacterienarten bedingt war. Eine 
Reihe anderer Thiere war gleichfalls einige Tage nach der 
Impfung krank, erholte sich aber wieder. An Tuberkulose 
starben nach 5—7 Wochen im Ganzen 5 Thiere, davon 2 Thiere, 
die mit den von der Hand des Kindes H. S. stammenden Proben 
geimpft waren; die mit den Nasenproben des Kindes geimpften 
Thiere blieben dagegen gesund. Bei einem anderen Kind K. B. 
fanden sich sowohl an der Hand als in der Nase virulente Tuber¬ 
kelbacillen, denn von den 4 damit geimpften Meerschweinchen 
starben 3 an Impftuberkulose, das 4. war 3 Tage nach der 
Impfung an Peritonitis eingegangen. In den übrigen Fällen 
konnte bei den nach 8 Wochen getödteten Meerschweinchen 
keine Tuberkulose nachgewiesen werden. Auf den Glycerin¬ 
agarplatten wurden häufig Staphylococcus albus und aureus, 
dann Streptococcen, verschiedene Bacterienarten, darunter diph¬ 
therieähnliche gefunden. In den mikroskopischen Ausstrichen 
des Naseninhaltes wurden in.2 Fällen zahlreiche säurefeste Bac- 
tcrien gefunden, während die damit geimpften Thiere gesund 
blieben und auf den Agarplatten weder Tuberkelbacillen noch 
diesen ähnliche Bacterien wuchsen. Es ist nicht unmöglich, dass 
es sich trotzdem um Tuberkelbacillen handelte oder vielleicht 
auch um die neuerdings von Karlinski 1 ) häufig im Nasen¬ 
schleim gefundenen säurefesten Bacterien. 

Der IVt Jahre alte Knabe H. S., an dessen Händen virulente 
Tuberkelbacillen nachgewiesen wurden, hatte eine sicher tuber¬ 
kulöse Mutter, im Sputum derselben konnten allerdings 
nur vereinzelte Tuberkelbacillen nachgewiesen werden. Die 
Mutter des 1 V» Jahre alten Mädchens K. B., an dessen 
Händen und in dessen Nasenschleim sich Tuberkel¬ 
bacillen fanden, war anscheinend -gesund, dagegen ,war 
der Vater phthisisch und hatte zahlreiche Tuberkel¬ 
bacillen im Sputum. Die Wohnungen waren in beiden Fällen 
ziemlich schmutzig, dunkel; die Kinder sich selbst viel über¬ 
lassen. Beide Kinder hatten geschwellte Cervicaldrüsen. Bei 
den Kindern, in deren Nasenschleim nur mikroskopisch säure¬ 
feste Bacterien nachgewiesen wurden, waren die Mütter tuber¬ 
kulös, die Väter anscheinend gesund. 

Es wäre wünschenswerth, wenn derartige Versuche auch von 
anderer Seite in grossem Maassstabe ausgeführt würden, aber 
immerhin stützen schon diese zwei positiven B.efunde die von 
Voll and und Feer ausgesprochene Ansicht, dass bei der er¬ 
worbenen Tuberkulose und Skrophulose die Bodeninfektion eine 
Rolle spielt und dass es sich dabei um eine Schmutzkrankhfeit 
handelt. Das positive Resultat hat nach den Untersuchungen 
von C o r n e t nichts Ueberraschendes, zumal da der Vater bezw. 
die Mutter der betreffenden zwei Kinder viel Auswurf hatten und 
keinen Spucknapf benützten. Auch in der Nasenschleimhaut von 
Personen, welche viel um Phthisiker waren, wurden schon von 
S t r a u s s öfters Tuberkelbacillen nachgewiesen. 

Zur Verhütung von solchen Infektionen hat Feer einen 
Schutzpferch empfohlen, dessen Bedeutung noch viel zu wenig 
gewürdigt ist. Es ist dies eine allseitig abgeschlossene Holz- 
hecko *), ähnlich wie man sie auch als Gehbarriöre empfohlen 
hat, am Boden mit Matratze und reinem Leintuch belegt, um so 
Hände, Kleider und Spielzeug der Kleinen sauber zu erhalten. 
Zura Mindesten sollte man aber doch die kleinen Kinder anstatt 
auf den Fussboden auf ein reines Tuch setzen, das man jeweilen 
zu diesem Zweck axisbreitet und das sonst Niemand betreten 
darf. Natürlich müssen ausserdem auch von Seiten der Eltern 
oder des Pflegepersonals die sonstigen Vorsichtsmaassregeln 
(grösste Reinlichkeit, Benützung eines Spucknapfes u. s. w.) ein¬ 
gehalten werden. 


’) Centralblatt für Bacteriologle. XXIX. 1901. S. 525. 

‘) Abgebildet in: Therapeutische Monatshefte 1900. S. 028. 


Ueber die Energetik (präparatorische Thätigkeit) 
der Ganglienzellen und ihre Bedeutung filr die funk¬ 
tionellen Nerven- und Geisteskrankheiten. 

Von Dr. Adler in B reelau. 

Im Gegensatz zur nutritiven Thätigkeit der Nerven- 
(Ganglien-) Zelle, welche für die Erhaltung der Zellsubstanz 
selbst zu sorgen hat, soll im Folgenden unter ihrer Energetik 
diejenige verstanden werden, welche die für die Funktion 
nüthigen Materialien beschafft und verarbeitet. Es ist nun 
aber die Aufgabe der Ganglienzelle, zur Erzeugung elektrischer') 
Energie dienende Chemikalien zu bereiten. Zu diesem Zwecke 
muss sie aus der Nährlymphe geeignetes Rohmaterial entnehmen 
und aus demselben lose, leicht zersetzliche Stoffe (Spannkraft- 
material) herstellen 1 ), damit die gewöhnlichen inneren (Willens-) 
und äusseren Reize im Stande sind, in ihnen chemische Umsetz¬ 
ungen auszulösen und hierdurch elektrische Energie freizumachen. 
Je intensiver daher die Energetik der Ganglienzelle ist, desto 
mehr und leichter zersetzliche Kraftkörper werden 
gebildet und umgekehrt; und da die Erregbarkeit der Zelle mit 
dem Grade der Zersetzlichkeit dieser Körper zu- bezw. abnimmt, 
so steht die Erregbarkeit der Zelle auch im ge¬ 
raden Verhältniss zur Intensität ihrer En¬ 
ergetik. Die Zunahme der Erregung bei Verstärkung des 
Reizes denke ich mir durch die häufchenweise Anordnung der 
Kraftstoffe zwischen der nervösen Zellsubstanz (wie das Tigroid) 
bedingt. Ein Reiz von Schwellenwerthgrösse (in Bezug auf die 
Erregung, nicht auf die Empfindung) bringt nur ein einziges 
Häufchen zur Entladung; je stärker der Reiz wird, um so mehr 
Häufchen Kraftmaterials werden entladen, um so grösser wird 
die Menge der erzeugten elektrischen Energie. Ich möchte hier 
noch kurz darauf hinweisen, dass sowohl von der Peripherie 
kommende, als von der Hirnrinde ausgehende Reize auf dem 
Wege zu ihrem Endziel dadurch lawinenartig anschwellen, 
dass die beim Durchgang des Reizes durch die erste Zellstation 
[Sinneszellen der Sinnesendapparate*) (Riech-, Schmeck-, Tast¬ 
zellen, Stäbchen der Retina, Haarzellen des Corti’schen Or¬ 
gans), Pyramidenzellen der G rpsshirnruu)#],, (^ltwj^elt^ Menge 
von elektrischer Energie auf die folgende wieder als Reiz 
wirkt u. 8. f. 

Für gewöhnlich arbeitet die Energetik, entsprechend ihrer 
Aufgabe, nach Maassgabe des Verbrauchs an Kraftmaterial durch 
die Erregungsvorgänge 4 ), doch nimmt sie durch Uebung zu, bei 
Mangel an Thätigkeit ab (die Arbeitshypertrophie bezw. In¬ 
aktivitätsatrophie der Zellen beruht, neben Zu- bezw. Abnahme 
der Zellsubstanz selbst, auch auf Veränderungen in der Anfüllung 
mit Kraftmaterialien — Zu- und Abnahme des Zelltonus). 

Die Zellenergetik und mit ihr die Erregbarkeit der Zelle 
kann aber auf die verschiedenste Art und Weise auch künstlich 
gesteigert und vermindert werden. So steigern eine Anzahl 
Arzneimittel (Excitantia, Tonica) dieselbe, andere (Seda¬ 
tiva) setzen sie herab; eine Menge N ervengifte (unter 
ihnen auch Krankheitstoxine) dürften ebenfalls die 
Ganglienzellenergetik beeinflussen. Physikalische Pro- 
c e d u r e n (wie Bäder, Massage, elektrische Maassnahmen) 
wirken direkt oder reflektorisch modifizirend auf dieselbe; bspw. 
die Anode bei stabiler Anwendung mindernd, die Kathode aber 
steigernd. Auch können Verletzungen und Gemüths- 
bewegungen die gleiche Wirkung entfalten, sogar die Zell¬ 
energetik vorübergehend vollständig lähmen (Erregung oder 
Apathie nach starken Gemüthsbewegungen, Schrecklähmung, 
Emotions(Gemüths)lähmung (B a e 1 z), Wuthausbrüche und alle 
möglichen anderen nervösen (Sensibilitäts-, Motilitäts, vaso¬ 
motorische und sekretorische) Störungen funktioneller Natur 

’) Galvanische Vorgänge spielen bei der Erregungsleitung Im 
Nerven wohl die Hauptrolle (Hermann: Lehrbuch der Physio¬ 
logie 1900). 

3 ) Cf. O. R o s e n b a c h: Der Nervenkreislauf und die tonische 
Energie. Berl. Klinik, H. 101 (1896) u. Binswangen Neur¬ 
asthenie 3890, p. 22. 

*) Ueber die Bedeutung der Sinnesendapparate; cf. O. R o s e u- 
hach: Der Nervenkreislauf und die tonische Energie. Bert. Klinik 
1890. H. 101. 

*) Wenn die "loseren Kraftkörper zersetzt sind, tritt Er- 
m U d u n g, wenn der gesummte Materlalvorrath verbraucht Ist, 
Ersc h ö p f u n g ein. Der Eintritt dieser Zustände richtet sieh 
nach der c. p. 1 n d i v i d u e 11 sehr verschiedenen Intensität der 
Energetik. 


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10. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1441 


nach Trauma, ein Theil der indirekten Herdsymptome bei orga¬ 
nischen Gehirn- und Rückenmarkslaesionen etc. 

Bevor wir nun daran gehen, die einzelnen, durch Schädi¬ 
gung der Ganglienzellenergetik herbeigeführten Symptome auf¬ 
zuzählen, möchte ich bemerken, dass ich in Analogie mit der 
Lokalisation der körperlichen Gefühle (Organempfindungen) in 
den centralen Projektionsfeldern (W ernicke) auch eine solche 
für die seelischen an besonderen Stellen oder Schichten der 
Grosshirnrinde für wahrscheinlich halte. Wie für den Ver¬ 
stand, dürften auch für das Gemüth, welches die Aufgabe hat, 
auf die Beziehungen der Vorgänge in und ausser uns zu unserer 
leiblichen und geistigen Persönlichkeit, wie wir sie mit Hilfe 
unseres Denkorgans erkannt, in Gestalt seelischer Gefühle zu 
reagiren, Ganglienzellen mit den sie verbinden¬ 
den A s s o c i a t i o n s f a 8 e r n das materielle Sub¬ 
strat 1 ) abgeben. Bei Annahme einer besonderen Lokalität 
für die seelischen Gefühle, welche entweder Lust oder Unlust, 
allerdings in den verschiedensten Nuancen, ausdrücken, be¬ 
greifen wir das primäre Auftreten gemüthlicher Störungen bei 
einer Anzahl von Geisteskrankheiten, die isolirte Gemüths- 
lähmung durch Schreck (B a e 1 z) etc. Wie die articulirte 
Sprache das Ausdrucksmittel für den Verstand, so ist die Musik 
dasjenige für das Gemüth. 

Gehen wir nun zur Betrachtung der einzelnen Symptome 
über, wie sie durch Veränderungen der Ganglienzellenorgetik 
erzeugt werden können, so bewirkt eine Steigerung bezw. Herab¬ 
setzung derselben auf den Gebieten des Projoktionssystems und 
des Associationsorgans *) (V erstand, Gemüth) Hyper-, Hyp- 
und A n a es t h e s i e n , Steigerungen und Ver¬ 
minderungen der Reflexerscheinungen (auch 
Reflexkrämpfe und -neuralgien), Paresen und 
Paralysen, vasomotorische und sekretorische 
Störungen, Beschleunigung und Verlangsamung 
des G e d a n k en a b 1 a u f s, erhöhte gemüthliche 
Erregbarkeit und Apathie 7 ). 

Ist die krankhafte Steigerung der Energetik aber eine sehr 
bedeutende, so werden die chemischen Kraftmaterialien in den 
Ganglienzellen von so lockerer Konstitution, dass es zur Selbst¬ 
zersetzung derselben und spontan zu erheblichen explosiven Ent¬ 
ladungen kommen kaffn; auf diese Weise entstehen: Schmer¬ 
zen, besonders in Form der Neuralgien, die 
sogen, lokalisirten Muskelkrämpfe, Kontrak¬ 
turen, Krampfanfälle, unmoti virte Verstim¬ 
mungen und Affekte [durch veränderte Energetik im 
Gemüthsorgan'*)], Sinnestäuschungen und Bewe¬ 
gungsstereotypien. 

In ausgedehntestem Maasse kommen bei den Neurosen und 
funktionellen Psychosen Reiz- und Lähmungserscheinungen aus¬ 
schliesslich durch Aenderungen in der Zellenergetik zu Stande, 
ohne dass die Ernährung der Zellen selbst irgend welchen Scha¬ 
den leidet, da ihre nutritive Funktion nicht gestört i^t. Daher 
findet man bei diesen Krankheiten keine Veränderungen der 
eigentlichen Nervensubstanz, während die gelegentlich ge¬ 
fundenen Schädigungen des Tigroids der Ausdruck dieser ener¬ 
getischen Störung sein könnten. 

Gehen wir nun zu den einzelnen Neurosen und funktio¬ 
nellen Psychosen über, so zeigt die Neurasthenie im Ge¬ 
biet des Denkorgans verminderte, im Bereich der Sensi¬ 
bilität und des Gemüths aber gesteigerte Energetik. Daher die 
geringe geistige Ausdauer, die erhöhte gemüthliche Erregbarkeit, 
die Ueberempfindlichkeit der Sinnesorgane und motorische Un¬ 
ruhe bei Neurasthenikern. 

Bei der Hysterie treten bunt durcheinander im Gebiete 
der Psyche und des Projektionssystems bald Minderung, bald 
Steigerung der Zellenergetik auf. Es kommen daher bei 
dieser Krankheit spontan, reflektorisch (besonders auch von den 
Genitalien aus) und aus anderweitigen Ursachen (Verletzungen, 
Gemüthsbewegungen) alle möglichen nervösen Erscheinungen zur 
Beobachtung: An-, Hyp- und Hyperaesthesien sensibler und sen- 

‘) Die Erkenntnlss des eigentlichen Wesens der Gefühle Ist 
uns, wie das aller psychischen Erscheinungen, verschlossen. 

*) In anatomischem Sinne verstanden. 

T ) Die verschiedenen Temperamente dürften auf indi¬ 
viduellen Unterschieden ln der Stilrke der Zellenergetik im Bereich 
der materiellen Substrate für Verstand und Gemüth beruhen. 

Materielles Substrat der seelischen Gefühle. 


so rischer Art, Kontrakturen, Paresen und Paralysen, Krampf¬ 
anfälle, Apathie und erhöhte gemüthliche Erregbarkeit. 

Die Epilepsie beruht auf krankhaft erhöhter Energetik 
des Vasomotorencentrums in der Medulla oblongata; daher von 
Zeit zu Zeit spontan oder unter dem Einfluss die Energetik 
steigernder Momente (Alkoholgenusa, Gemüthsbewegungen) ex¬ 
plosive Selbstzersetzung der Kraftkörper, welche zu Gefässkon- 
traktionen wohl im ganzen Bereich des Centralnervensystems 
führt. Die Folgen sind Bewusstlosigkeit und Konvulsionen etc. 

Die Migräne entsteht durch Hyperaktion des Ggl. cervic. 
prim, mit zeitweise explosiver Selbstentladung. Hierdurch 
kommen die Gefässkontraktionen im Bereich der Hirnhäute 
bezw. der Hirnrinde zu Stande. 

Die sogen, „lokalisirten Muskelkrämpfe“ und 
die Neuralgien haben ihre Ursache in krankhaft gesteiger¬ 
ter Energetik der motorischen bezw. sensiblen Nervenkerne mit 
nachfolgenden periodischen Entladungen. 

Bei der Myasthenie versagt die Energetik der moto¬ 
rischen Nervenkerne zeitweise oder für immer. Man findet da¬ 
her posi mortem an denselben keine anatomischen Veränderungen. 

Die Melancholie wird verursacht durch verminderte, 
die Manie durch erhöhte Energetik in den Ganglienzellen des 
materiellen Substrats für den Verstand. Die gemüthlichen Ver¬ 
stimmungen können, wenn man bei diesen Krankheiten nicht 
gleichzeitig Veränderungen in der Energetik des Gemüthsorgans 
annehmen will, als Reaktion des Ichs auf diese Vorgänge im 
Denkorgan aufgefasst werden. 

Alle die vorgenannten Krankheiten beruhen auf hereditärer 
Grundlage, d. h. der Energiebetrieb der Ganglienzellen einzelner 
Theile oder des gesammten Nervensystems ist von vornherein 
zwar nicht defekt, aber doch nicht gleichmässig und der ihm ob¬ 
liegenden Aufgabe des Kraftmaterialersatzes entsprechend, son¬ 
dern bald über denselben hinausgehend, bald hinter ihm zurück- 
bleibend; oder er wird es früher oder später ohne äussere Ur¬ 
sache. 

Störungen der Zellenergetik aber können, wie bereits er¬ 
wähnt, auch durch eine Reihe von Schädlichkeiten bewirkt wer¬ 
den, ohne dass eine krankhafte Anlage vorzuliegen braucht, bei¬ 
spielsweise; durch Gifte, Ueberanetrengung, Ver¬ 
letzung, Gemüthsbewegungen. Daher können die 
meisten der obengenannten Krankheiten auch ohne fehlerhafte 
Anlage zu Stande kommen. 

Wo es sich nicht, wie bei den Nervenzellen, um die Her¬ 
stellung von Spannkraftmaterialien, sondern wie bei den Drüsen- 
zellen um Bildung von Sekreten, bei dem Knochenmark um 
solche bactericider Stoffe, bei den Alveolarepithelien um 
Trennung bestimmter Gase aus Gasgemischen und chemischen 
Verbindungen etc. handelt, würde man nicht von einer Zellener¬ 
getik, sondern allgemeiner von einer „Stoffe herstellenden p rü- 
paratorischen“ Thätigkeit sprechen, unter welche dann 
auch die Energetik der Nervenzellen fallen würde. 

Die nutritive Erregbarkeit der Zelle ist, wie man sieht, un¬ 
abhängig von der präparatorischen Zellthätigkeit, 
letztere aber vielfach Vorbedingung der Funktion. Störungen 
derselben können angeboren oder erworben sein, andauern oder 
wieder verschwinden, ohne dass desshalb die Ernährung der 
eigentlichen Zellsubstanz irgend welchen Schaden zu leiden 
braucht; sie spielt nicht nur bei den funktionellen Nervenkrank¬ 
heiten, wie oben gezeigt, sondern auch bei den funktionellen Er¬ 
krankungen der übrigen Körperorgane eine grosse Rolle. 


Ein kombinirbarer In* und Extubations-Apparat. 

Von Dr. raed. A. R a h n, prakt. Arzt in Krippen a. d. Elbe, früher 

Assistent an der Leipziger Universitäts-Kinderklinik. 

Die mancherlei Umständlichkeiten bei der Intubation ver- 
anlassten uns, eine Vereinfachung des Instrumentariums zu im- 
provisiren: Unsere Aufgabe will es in Folgendem sein, einen 
neuen Tubus und ein neues vereinfachtes Instrumentarium für 
In- und Extubation bei stenotisehen Kindern zu veröffentlichen. 

Die beiden genannten Operationsmethoden sollen durch einen 
einzigen Apparat ermöglicht werden. Der dazu bestimmte In- 
und Extubationsapparat bedient . sich einer einfachen Draht¬ 
schlinge, die in einer Metallhülse vermittels eines schon bekann¬ 
ten Schlingen führe rs (K r a u s e’scher Universalgriff) den Tubus 

2 * 


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144Ö 


MtTENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


Fig. a. 



so einstellt, dass derselbe in den Kehlkopf sieh einführen und 
ebenso sicher wieder aus demselben herausziehen lässt. 

Um die Drahtsehlinge zu ihrer zweifachen Verrichtung ver¬ 
wendbar zu machen und ihr einen soliden Ansatz am Tubus zu 
bieten, musste aber der Tubus erst eine besondere Armirung er¬ 
fahren. Diese Armirung besteht einfach in einem Zapfen, der 
in dem Kopfstück des Tubus horizontal eingesetzt ist und dabei 
in dessen inneres Lumen frei hereinragt. 

Damit der Zapfen die obere Oeffnung der Tubuslichtung 
nicht versperrt, musste die letztere oben möglichst weit gemacht 
werden, und dies erreichten wir durch eine weitgeöffnete Trieliter- 
form; ausserdem aber hat der Tubus noch weitere und zwar prin- 
eipiell wichtige Aenderungcn aus physiologisch-anatomischen 
Gründen erfahren. 

Der Einfachheit halber wollen wir zunächst den neuen Tubus 
beschreiben. 

Die Tuben, wie sie bei Kindern bis zum Alter von 14 Jahren 
zur Anwendung kommen sollen, sind nur in 4 (»rossen ausgeführt 
(Tubus I, II, 111 und IV). erscheinen aber im Instrumentarium 
in sechs Exemplaren und zwar aus äusseren Gründen, 'da die 
Nummern II und III, als die häutigst gebrauchten, dein Instrumen¬ 
tarium doppelt beigegeben sind. 

Die Figur a zeigt den Tubus von der Seite; derselbe 
zeigt sich gegenüber den bisherigen nach amerikanischem 
Muster mehr oder weniger moditizirten Tubusfonn ganz 
wesentlich verändert und zwar darum, well in erster 
Linie Rücksicht genommen wurde einerseits auf die 
Spaltform der Kehlkopflichtung, andererseits auf die 
Starrwandigkeit des Schildknorpeis, als des engsten und 
strengsten umschnürenden Tlieiles am Kehlkopfe; diese 
Rücksichtnahme gab unserer Tubus-Silhouette die neue, 
eigenartige Form. 

Das Kopfstück entspricht, wie erwähnt, der Form 
eines Trichters, es vergrössert sich ganz allmählich nach 
oben, und legt sich dadurch mit seiner ganzen Rundung 
von hinten nach vorn zu abgesehriigt, so dass der Kelil- 
AU i! re< H ht <lt>m Kehlkopfeingange auf. Am oberen Rande ist es 
Tubusvou dckel bequem sich über den Tubuskopf lagern kann, 
der Seite Das Halsstück dagegen ist dünn, seinem Namen 
gesehen völlig entsprechend und mit Rücksicht auf den 
dünnen, wenig nachgiebigen . Spalt des knorpeligen 
Kehlkopfes von vorn nach hinten elliptisch; in der Mitte 
ist die dünnste Stelle. Durch diese taillenartige Ein¬ 
schnürung wird ein zuverlässiger Sitz des Tubus im Schildknorpel- 
ringe bedingt, da ihn dort der elastische Sehildknorpel straff um¬ 
fasst hält. Durch die Einschnürung des Tubushalses wird abei 
gleichzeitig auch die grösste Schonung des Kehlkopfes erreicht, 
da von dem dünnen Tubushalse die starrwandige und widerstands¬ 
fähige Keldkopfwand mit den Stimmbändern kaum gedehnt und 
gedrückt wird. 

Nach unten zu endet der Tubus mit dem eigentlichen Rumpf- 
stück; dasselbe, ist cyüudrisch, hinten abgeplattet und entspricht 
somit genau dem obersten Abschnitte der Luftröhre und füllt den¬ 
selben ln seinen verschiedenen (»Wissen nahezu aus. Damit aber 
wegen der Oylimlerform die Einführung des Tubus nicht erschwert 
wird, so ist das Rumpf stück am unteren Ende olivenartig verjüngt 
und zwar ganz und gar nach dem Muster der SehlundstüsseiV 
Oliven. 

t 

Die vier verschiedenen Tubusgrössen sind, soweit man am 
Alter der Kinder bestimmte Durehselmittsmaass'.» des Kehlkopfes 
fenthalten kann, folgeiulermnassen zu vertlieilen: 

Tubus I für Kinder im Alter bis zu 1'/* Jahren, 

„ II „ „ „ „ von 1'/*—4 „ 

• „ UI „ „ „ * „ 4-8 „ 

„ IV „ „ „ ., „ 8-14 

Die Nummern stehen in römischen Ziffern hinten 
auf der Rumpfplatte. Im Kopfstück des Tubus, uml 
zwar auf dessen rechter Seite, findet sich das Loch für 
die Schlinge des Seidenfadens. 

Im Innern des Kopfstückes ruht die zapfenfönuige 
Vorrichtung, welche die lii- und Extnbation vermittelt, 
und diese ist folgeiulermnassen angebracht. 

Etwas unterhalb des hinteren Randes ragt in das 
trichterförmige Lunten der metallene Zapfen, der hori¬ 
zontal eingelassen und in der Wand fest verlöthet ist. 
Trotz seiner ansehnlichen Länge, die eine gute Handhabe 
für die Drahtsehlinge gewährleistet, geht er nicht über 
die Mittellinie weg (s. Fig. b); er ist somit für die Ex- 
DerTubus spekloration der Schleim- und Membranfetzen nicht 
“V 1 Tubus- hinderlich, da bei der grossen trichterförmigen Lieli- 
oben fte" tu ng des Kopfstückes reichlich Spielraum selbst 
sehen. für Membranstficke gelassen ist. Der Zapfen ist oben 
glatt, tiiiehenhaft. zeigt von oben gesehen eine halsartige 
Einschnürung und von der Seite gesehen eine hakenförmige Ein¬ 
kerbung. um die Drahtschlinge, sobald sie in der Schlingenhülse 
angezogen wird, nicht ahgleiteu zu lassen. 

Der mit dem Zapfen armirte Tubus kann nun mittels der 
Drahtsehlinge regiert werden. Die für die gleichzeitige ln- und 
Extnbation verwendbare Sehlingen Vorrichtung ist im Einzelnen 


Klar. b. 



die folgende: An einen Krause’sehen Universalgriff, wie er für 
die Schlingeufüliruug iu Nase und Kehlkopf angegeben ist, setzt 
eine metallene, etwa 8 cm lange, vorn fast rechtwinkelig umge¬ 
logene Hülse an, in welcher gleichfalls eine Drahtsehlinge.durch 
Hin- und Herschiehen am Griffe beliebig gross und klein gestellt 
werden kann. Ist die Drahtsehlinge ganz eingezogen, so drückt 
sie den Tubuszapfen gegen das liilelienhaft konstruirte Ende der 
Metallhülse, und zwar schon beim einfachen Anziehen und Fest¬ 
halten am Griffe so fest, dass der Tubus mit der Metallhülse eiu 
fast unbewegliches Ganzes bildet und schlechterdings nirgendwo 
nusweichen kann. 

Hat man den Tubus nach den üblichen Regeln der Intubation 
bei angezogenem Griffe eingesetzt, so braucht bloss die Draht¬ 
schlinge durch einfaches Vorschiehen des Griffes gelockert und 
vom Tub.uszapfen abgestreift werden, um den Tubus von seiner 
Einlühnihgsvorrielitung zu befreien. 

Die Figur e zeigt die Seblingenbülse am Krause’scbeu Griffe, 
wie .sie mit dem Tubus armirt uud damit zur Intuhatiou fertig 
gemacht ist. 

Fig. c 



Uebrigens kann zur In- und Extubation neb.*n dein Krause¬ 
schen Griffe auch ein von uns besonders angegebener Griff 
(Pistolengriff, s. Fig. dl benutzt werden. 

Fig. d. 



Die Einstellung der Drahtschlinge geschieht mittels einer Ab¬ 
zugsvorrichtung: die Handhabung dabei ist einfach und leicht 
zu ersehen. 

Bei der Extnbation gellt das Verschteilen an der Drahtschlinge 
in umgekehrter Reihenfolge, wie bei der Intubation, vor sich. Man 
erweitert zunächst die Schlinge des Schlingendrnlites durch 
Schieben des Griffes nach vorn, lässt die erweiterte Diulitschlinge 
in das trichterförmige Lumen des Tubus ein und lässt sie wandern, 
bis sie an deu Tubuszapfen im Innern des Tubus anstösst und 
in den Zapfen hlneiuschlüpft; sobald inan den Widerstand am 
Tubuszapfen fühlt, zieht man die Drahtsehlinge einfach an; die¬ 
selbe hakt sich dann so fest, dass sie den Tubus sicher beiin 
. Herausziehen folgen lässt. 

Die Drahtsehlinge In der Fülirungsliülse übernimmt also 
gleichzeitig die Intubation und die Extubatiou, wie wir Eingangs 
erwähnten. 

Demnach resultiren aus dem neuen Intubations-Instrumen¬ 
tarium mancherlei Vortheile, und zwar bestehen diese Vorzüge: 
am Tubus darin, dass 

n) die Tubusform vollständig an den Durchschnitt des Kehl¬ 
kopfes mitsammt dem obersten Luftröhrenabschnitte angepasst 
ist, und dass damit ein sicherer Sitz im Kehlkopfe gewährleistet 
und ein Druck gegen die starrwandige und unnachgiebige 
Knorpelwand vermieden ist, 

b) dass mit Hilfe der Drahtschlinge die In- und Extubation 
so bewirkt werden kann, dass eine Verlegung der Tubuslichtung 
bei beiderlei Maassnahmen ausgeschlossen ist, und 

c) dass mittels einer einfachen Drahtschlinge in ein und 
derselben Form die In- und Extubation ermöglicht ist. 

Die Vorzüge an der Drahtsehlinge und der zugehörigen 
Rehlingenhülse bestellen in der Leichtigkeit und Uebersichtlich- 
keit des Apparates und sic decken sich sonst mit den obigei) 
Punkten, nämlich damit, dass 


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10. September 1901. 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1443 



a) die In- und Extubation mit Hilfe der Drahtschlinge so 
bewirkt werden kann, dass eine Verlegung der Tubuslichtung 
bei beiderlei Maassnahmen ausgeschlossen ist, und 

b) dass in der Drahtschlingenhülse ein Apparat geboten ist, 
der die In- und Extubation in ein und derselben Form ermög¬ 
licht; ferner wird 

c) bei der Extubation mittels der Drahtschlingenhülse ein 
Hinabstossen des Tubus in die Luftröhre unmöglich gemacht. 

Ueberhaupt macht die Anwendung einer einfachen Draht¬ 
schlinge eine solche Vereinfachung und Verbilligung aus, dass 
der praktische Arzt sich eher mit der Intubation und insbesondere 
mit dem neuen kleinen Apparate befreunden kann und die In¬ 
tubation eher Eingang in die Privatpraxis finden kann. Bisher 
war man ausserdem stets gezwungen, auf einmal ein vollständiges 
Instrumentarium sich anzuschaffen. Es ist darum als Vortheil 
zu bezeichnen, dass die zu einer In- und Extubation einmal notli- 
wendigen Stücke einzeln und zum Originalpreise von den Ge¬ 
schäften bezw. der Fabrik 1 ) abgegeben werden. 

Fig. e 


Oenwnmt-Ansloht des Instrumentariums (In aufgerollter 8egeltuchtasche) 

Die Figur e zeigt noch das ganze Intubations-Instrumen¬ 
tarium in einer aufgerollten Segeltuchtasche und lässt dessen Aus¬ 
giebigkeit bei aller Einfachheit erkennen. In der That, kennt 
man einmal den Kraus e’schen Griff und denkt man sich die 
Schlingenhülse mit der Drahtschlinge darangesetzt, so weiss man 
sich sofort genugsam orientirt, und man wird ohne Bedenken 
an den ersten Intubationsversuch herangehen, um so eher, als 
man sich bei Vermeidung der Tubusverlegung ruhig Zeit nehmen 
und die unangenehmen Zufälle bei der Intubation zuversichtlicher 
mit in Kauf nehmen kann. 

Wie aus Figur e weiter ersichtlich, ist auch hier dem In¬ 
strumentarium eine O’Dwyer’sche Mundsperre beigegeben 
worden. Dieselbe zeigt aber zwei kleine Modifikationen. Diese 
bestehen darin, dass an den Kieferplatten nur an einer Seite der 
wulstige Rand gelassen ist, so dass diese Platten also nach einer 
Seite hin, und zwar nach der Kieferreihe zu, offen sind. Sie laufen 
zu dünnen, gerieften Platten zusammen und gestatten somit ein 
bequemeres Eindringen zwischen die zusammengepressten Kiefer¬ 
reihen; an den Branchen der Griffe noch zeigt sich eine Aende- 
rung darin, dass dieselben umgebogen, der Hohlhand mehr an¬ 
gepasst und damit handlicher sind. 

*) Die Fabrikation des neuen Tubus (D.R.G.M. 142 914) hat 
die Firma Alexander Schaedel ln Leipzig, Reichsstr. 14. Nikolai- 
straase 21, übernommen. 

No. 87. 


Als neu sind in das Instrumentarium eingereiht worden 
folgende Instrumente und Hilfsgegenstände, die bisher in jedem 
Intubations-Instrumentarium zu vermissen waren: 

1 gebogene Komzange nach Trendelen bürg (Tenettc) 
zum Erfassen der etwa durchgebissenen Tubus-Seidenfäden. 
Denn diese müssen auch jetzt noch jederzeit und bei jeder Ge¬ 
legenheit als gute Handhabe zur Extubation angesehen und als 
solche benutzt werden, ferner 

1 metallener Mundspatel und 

1 gerade Scheere zum Schneiden der Seidenfäden und des 
Heftpflasters, ferner 

1 Strang Turnerseide als Tubenseide auf Hartgummizwickel 
gewickelt und 

10 cm amerikanisches Kautschuk-Heftpflaster in zwei Streifen 
zum Fixiren der Tubus-Seidenfäden an der Wange. 

Dieses kleine Gesammt-Instrumentarium ist entweder in 
Segeltuchtasche oder in einem Nickel- oder Holzkasten eingelegt. 

Was nun die Anwendungsweise des neuen Intubations- 
Instrumentariums anbetrifft, so wird die ganze Handhabung der 
Intubationstechnik, wie wir schon oben andeuteten, nicht wesent¬ 
lich, verändert, und wir können im Allgemeinen an dem festhalten, 
was schon Carstens in seinen Ausführungen über das Ver¬ 
fahren der Intubation bei der diphtheritischen Kehlkopfstenose 
im .Tahrbuche für Kinderheilkunde spccicll auf Seite 264 und 266 
des 38. Bandes sagt und weiterhin Trum pp und Andere ver¬ 
vollständigen. 

Aber die Intubationsfrage wird aktuell, mag sein, weil die 
Diphtherie in ihrer Schwere nachlässt und damit einer Behand¬ 
lung leichter zugängig ist, mag sein, weil das Diphtherieserum 
der Intubation zu Hilfe kommt, kurz wir dürfen uns jetzt mehr 
und mehr auch in der Privatpraxis mit der Intubation vertraut 
machen, und da erscheint es nicht werthlos, auf einige Fragen 
speciell der Intubationstechnik zurückzukommen. Wir kommen 
auf meist Bekanntes und möchten nur hie und da auf kleine 
Eigenheiten des neuen Tubus mit verwiesen haben. 

Für die Beherrschung der Kiefersperre zunächst und für 
das sichere Einsetzen und die Wiederherausnahme der Kiefer¬ 
sperre ist es, wie schon Carstens hervorhebt, von wesentlichem 
Vortheile, das stenotische Kind im Bette liegend zu intubiren; 
man kommt im Nothfalle dabei auch mit einer Assistenz aus, 
und diese brauchte nur auf das Einsetzen und Halten der Mund¬ 
sperre geschult sein; es bedarf hierzu nur einer anstelligen Person, 
eine, solche würde sich schon finden lassen, dass sie nach einge¬ 
führter Kieferklemme das Halten derselben und das Einstellen 
des Kopfes übernehmen kann. Wollte man aber das Kind auf¬ 
recht sitzen und mit verschränkten Annen festhalten lassen und 
an den Beinen gleichzeitig festkleinmen lassen, so rnuthet man 
dabei der Assistenz schon eine weitgehende Schulung und Ucbung 
zu; und selbst eine solche geübte Person kann von hinten her nur 
mühsam die Kiefersperrc übersehen und beherrschen, jedenfalls 
kann auch sie nicht recht sicher festhalten. Wenn jedoch dem 
Intubateur bei der Intubation 2 Helfer zur Seite stehen können, 
so wird man erst recht die Bettlage des Kindes wählen, und zwar 
führt der eine Helfer die Kiefersperre ein und hält zugleich mit 
dieser den Kopf des Kindes gerade und leicht angezogen; der 
andere Helfer hält die Hände des Kindes über die Brust gekreuzt 
und die Beine geschlossen, um möglichst die Abwehrbewegungen 
zu hindern. Das Kind liegt am besten ganz flach im Bett und 
zwar den Kopf möglichst nahe dem Kopfende, damit die Assistenz 
mit der Kiefersperre leichtes Zugreifen hat. Der Kopf ist dabei 
eine Wenigkeit hintenüber gebeugt, sonst bleibt der Körper ge¬ 
rade und gestreckt. 

Sobald der Intubateur am rechten Bettrande sich bereit stellt, 
setzt der am Kopfende stehende Helfer die Kiefersperre bei dem 
Kinde ein und zwar auf der linken Seite des Kindes, zieht den 
Kopf, wie oben angegeben nach sieh zu gerade an und hält ihn 
so ein wenig angezogen, während der zweite Helfer das Kind an 
Abwehrbewegungen hindert. 

Nunmehr geht der Intubateur in den mittels Mundsperre 
weitgeöffneten Mund des Kindes mit dem Zeigefinger der linken 
Hand ein, drückt die Zunge ganz dicht oberhalb des Zungen¬ 
grundes herunter und nach vorn und fasst sogleich den nunmehr 
emporgeklappten Kehldeckel, um ihn schliesslich nach vorn herum¬ 
zuschlagen und damit den Zugang zum Kehlkopf frei zu machen. 
Ist dies erreicht und bleibt der Kehldeckel vollkommmen zurück- 
geschlagen, so kann man den Tubus einführen. 

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1444 


Dies geschieht dadurch, dass man den an seinem inneren 
Zapfen angeschlungenen Tubus in der Drahtsehlinge angezogen 
und somit festhalt und ihn ganz dicht über die Zungenoberfläche 
hinabgleiten lässt, bis man den Zungengrund bezw. den empor- 
geschlagcnen Kehldeckel erreicht; nun sucht man den Tubus so 
einzustellen zur Kehlkopfachse, dass man ganz senkrecht ab¬ 
kommt; ist man sich dieser Richtung sicher, dann schiebt man 
langsam und gleichmässig den Tubus hinab. Das Einfuhren des 
Tubus kann nicht leicht und schonend genug geschehen. Tritt 
ein Krampf der Stimmbänder ein oder klemmte man selbst die 
Epiglottis mit dem Tubus ein oder stellt sich ein mechanisches 
Hinderniss an der Kehlkopfwand entgegen, so kann man mit dom 
neuen Tubus ruhig einige Zeit zuwarten, weil dieser Tubus voll¬ 
kommene Luftpassage belässt. Erst wenn der Tubus gut liegt, 
lockert man die Drahtsehlinge am inneren Zapfen, indem man 
den Griff nach vorn stösst und streift die somit erweiterte 
Schlingenüse vom Tubuszapfen vorsichtig ab. 

Bezüglich des Extubirens müssen wir uns natürlich auch 
liier erst fragen, ob wir nicht den »Seidenfaden am Tubus zur 
Extubation benutzen können, und dies auch dann, wenn der 
Faden durchgebissen ist und nur noch kleine Ueberreste von 
Seidenfäden iin Rachen flottiren. Denn wir müssen uns immer 
vergegenwärtigen, dass der Seidenfaden am Tubus nicht bloss 
der Wärterin in Augenblicken der Noth eine schnell fassbare 
Handhabe darbieten will, sondern dass der Seidenfaden auch für 
den Arzt immer und bei jeder vorznunehmenden Extubation das 
beste Hilfsmittel zur Extubation bleibt. 

Wenngleich auch der Faden mit seinen Belästigungen für 
die intubirten Kinder dem Intubateur und der Aufsicht manche 
Plage und Sorge auferlegt, so kommen wir auch heute noch mit 
Carstens überein, wenn er sagt: „Bei verständigen Kindern, 
die weder am Faden zerren, noch ihn zernagen, ist das Liegen¬ 
lassen desselben allerdings das Beste.“ 

Ob der Seidenfaden intakt ist oder nur noch Stückchen 
davon erhalten sind, gilt uns gleich. Flottiren die Fadenreste 
frei und sichtbar im Rachen, so benutzen wir eine Kornzange — 
unserem Instrumentarium liegt eine Tenet te nach Trendelen¬ 
burg bei —, die bei niefiergedrückt gehaltener Zunge bequem 
die Fäden uns erfassen und daran den Tubus herausziehen hilft. 

Erst wenn nichts mehr vom Faden zu sehen, bezw. nichts 
mehr zu erfassen ist, wird man an die Extubation mittels Draht¬ 
schlinge herangehen. Die Vorbereitung zu derselben und die 
Lagerung des Kindes dabei ist dieselbe wie bei der Intubation. 
Man geht auch zunächst mit dem Finger genau so ein, wie 
bei der Intubation, um den Kehldeckel richtig einzustellen und 
gut zurückzuschlagen. Dann führt man aber die Drahtschlinge 
erst weit geöffnet in das Tubuslumen ein und lässt sie in dem¬ 
selben spielen bis man an den inneren Zapfen anstösst. Stösst 
man dabei an den Zapfen und fühlt man die Schlingenüse gc- 
wissermaassen eingesehnappt, so zieht man die Drahtschlinge 
an und drückt damit die Schlingenhülse fest gegen den Zapfen 
an. An der angezogen erhaltenen Drahtschlinge hebt man den 
Tubus heraus. 

Dass der von uns zur Extubation warm empfohlene Seiden- 
faden bisweilen auf den lntubat ionsverlauf recht störend ein- 
wirkt, soll allerdings nicht geleugnet werden. Nach allen Um¬ 
ständlichkeiten während des Intubirtseins des Kindes kann es 
uns noch begegnen, dass der Faden zur Extubation nicht einmal 
da ist. Um das vollständige Unsiehtbarwerden des Tubusfadens 
leichter zu vermeiden, versuchten wir einen kleinen Kunstgriff 
mit dem Tubusfaden. 

Derselbe besteht darin, dass man den Faden nicht direkt an 
dein Tubuskopf befestigt, sondern an eine erst besonders ange¬ 
legte Knotenschlinge anbringt. Diese kleine Hilfsschlinge braucht 
nicht grösser als ein Bleistift an Umfang misst, zu sein. Diese 
wird ein paar Mal geknotet, so dass ein doppeltes Knotenpaar 
entsteht und es ist gerade bei der von uns angegebenen Tubus- 
form weniger Gefahr vorhanden, dass die Knotensohlinge etwa 
den Tubuszugang verlegen könnte. Durch die Einschaltung einer 
besonderen Knotenschlinge erreichen wir uin so leichter, dass 
bei der Extubation wenigstens eine sichere, wenn auch kleine 
Handhabe für die Branchen der suchenden Kornzange übrig 
bleibt, selbst wenn die langen .Seidenfäden durchgebissen sind. 
Denn die Schlinge mit den starren Knoten am inneren Seitcn- 
theile des Tubus bleibt gowissermaassen aufrecht stehen, kommt 
also nicht so zum \ ersehwinden, wie dies bei einzelnen, dünnen 


No.37. 

und allmählich weich und schlüpferig gewordenen Seidenfäden 
zu befürchten war; und nach dem Tubuslumen zu kann die 
Knotenschlingc nicht verschwinden, weil der Knoten aussen am 
Rande des Tubus angebracht ist und sich derselbe an der Knoten- 
wurzel, wie gesagt, aufgerichtet hält; in den Oesophagus aber 
kann die »Schlinge sich nicht Umschlagen, da das Fadenloch zu 
weit vorn, also zu weit weg vom Oesophagus gelegen ist. TTut 
man eine solche steife, sichtbar im Rachen sich haltende Knoten¬ 
schlinge am Tubuskopfe angebracht, so steht es schliesslich sogar 
frei, bei einfachen Laryngitiden, wo eine Tubusverlegung während 
des Intubirtseins nicht zu erwarten steht, den bisher nach dem 
Mundwinkel hcrausgeleiteten »Seidenfaden wegzulas-en, wenigstens 
bei ungebärdigen Kjndern. 

Bei halbwegs komplizirten Kehlkopf Stenosen aber und korn- 
plizirt. erscheinenden empfiehlt cs sich selbst an der zwischen 
geschalteten Knotenschlingc die bisherigen Seidenfüden immer 
winler beizubchaltcn. 

Was die sonstigen Intubationsprineipien aubelangt, so 
werden dieselben durch den neuen Tubus nicht berührt. Uns 
kam es nur darauf an, einer neuen Intubationsmethodik Eingang 
zu verschaffen. 


Aus dem Sanatorium Schloss Marbach am Bodensee. 

Herzbefund bei Caissonarbeitern. 

Von Dr. Hornung in Schloss Marbach am Bodensee. 

Dank der gütigen Erlaubnis« der kaiserl. Werftdircktioa 
zu Kiel und des ausserordentlichen Entgegenkommens des leiten¬ 
den Ingenieurs, Herrn Kessel he im, war es mir im vorigen 
Sommer ermöglicht, eine Reihe von Herzuntersuchungen vor- 
zunehmen bei den mit dem Dockbau beschäftigten Caisson¬ 
arbeitern. Allo Untersuchten waren selbstverständlich kern¬ 
gesunde Leute, die sehen durch Monate in den Caissons be¬ 
schäftigt waren. Eine kurze »Schilderung der festgestellten Herz¬ 
befunde an der Hand einiger Kurven soll den Inhalt des Folgen¬ 
den bilden. 

Die Untersuchungen wurden so vorgenommen, dass ich mit 
den Leuten die Sehleusse bestieg und dann zunächst bei geöffne¬ 
ter Thüre untersuchte. Danach wurde die Sehleusse geschlossen 
und die Pressluft eingelassen. Von 5 zu 5 m Wasserdruck — 
die Arbeiten fanden bei 15 in Tiefe statt — wurde die Luft¬ 
zufuhr abgc.stellt und wieder untersucht. Kurz vor Schluss der 
Arbeitszeit schleusste ich mich dann nochmals ein und unter¬ 
suchte diu Leute von Neuem. Darauf wurde die Pressluft aus¬ 
strömen lassen und bei geöffneter Thüre die Untersuchungen 
wiederholt, die mit der von »S m i t. h modifizirteu B i a n c h i’- 
schen Methode ausgeführt wurden. 

Ich habe aus der Reihe der Untersuchungsergebnisse vier 
Typen herausgegriffen und lasse sie. der besseren Uobersieht 
halber in Kurven gebracht, hier folgen. Die gestrichelte s<*nk- 
rechte Linie bezeichnet die Herzhöhe, die gestrichelt + aus¬ 
gezogene Linie die Herzbreite von der Basis zur Spitze. A. n. 1. 
und A. n. r. gibt den Abstand der Herzgrenzen nach rechts und 
links von der linken Brustwarze an. 




MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN8CHRIFT. 


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10. September 1901. MITENOHENKR HEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1445 




Die Betrachtung der vorstehenden Kurven lässt ohne 
Weiteres erkennen, dass sie alle übereinstimmend bei den Unter¬ 
suchungen von 0—15 m gleiche Verhältnisse ausdrücken. Das 
Herz erweitert sich mit dem Zunehmen des äusseren Drucks so¬ 
wohl in der Höhe, als auch in der Breite, und wie die Be¬ 
merkungen unter A. n. 1. und A. n. r. anzeigen, mehr nach 
rechts als nach links zu relativ beträchtlicher Grösse. Im Gegen¬ 
satz zu diesem stets wiederkehrenden Befunde ist das Verhalten 
des Pulses ein ganz verschiedenes. 

Während in Kurve 1 die Pulszahlen bei 0 Meter 88, bei 
5 Meter 92, bei 10 Meter 76 und ebenso bei 15 Meter 76, und 
die entsprechenden in Kurve III 88, 76, 72, 72 betragen, also 
in I in der Hauptsache, in III überhaupt die Zahl der Pulse j 
verringert wird, ergeben sich für H folgende Zahlen: 92, 96. 
100, 104 und für IV: 100, 120, 118, 112. Es steigt also in II 
die Pulsfrequenz fortwährend, wogegen sie in IV bei 15 Meter 
wieder gesunken ist. 

Ebenso verschieden sind die Ergebnisse der Untersuchung 
nach ca. 6% stündiger Arbeit. Betonschaufeln, Stampfen etc. 
In einzelnen Fällen, so in I, ist das Herz noch um ein geringes 
grösser geworden, während es in der Mehrzahl der Fälle etwas 
kleiner ist, als bei der letzten Untersuchung vor der Arbeit. — 
Dagegen geben alle Untersuchungen nach dem Ausschlüssen 
übereinstimmend dasselbe Resultat. Stets stimmt die Herz- 
grenzc bei 0 Meter haarscharf mit der kurz vorher bei 15 Meter . 
gemachten. Dagegen ist das Verhalten des Pulses auch hier 
wieder verschieden. Während I, II und IV die Zahlen 76—84, 
92—96. 80—84 zeigen, hat III 80—72. 

Ob diese Verschiedenheiten in individuellen Abweichungen 
oder vielleicht in der Art des Arbeitens oder auf anderen Gründen 
beruhen, konnte ich ebenso wenig bestimmen, wie in den folgen¬ 
den Kurven, deren Versuchspersonen dieselben sind, wie unter 
I und II. 




TW 




Hff 



ji 

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1 



11 



H 

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§ 


4 * 

190 

uWh. i’tlf 
a omrnmtr 

Heisa* Ion. 
um. 



Es kam mir bei dem in Kurve V und VI skizzirten Ver¬ 
suche darauf an, zu sehen, ob eine möglichst beschleunigte Ein- 
sohleussung, also eine sehr schnelle Drucksteigerung, eine 
stärkere Erweiterung des Herzens, andere Pulsverhältnisse etc. 
herbeiführte, als die vorher erläuterten Versuche ergaben, bei 
denen einerseits, um die allmähliche Entwickelung der Erwei¬ 
terung zu studiren, dann aber auch zu meiner Schonung, die 
Einschleussung sehr langsam erfolgte. Es wurden also die Hähne 
soweit geöffnet, als ich es eben noch ertragen konnte, und in 
6 Minuten die Einschleussung vollendet, während die Arbeiter, 


wenn sie allein sind, zum Einschleussen höchstens 3 Minuten 
gebrauchen. Aber auch hier war das Resultat verschieden. 

In V zeigt sich zwar eine grössere Ausdehnung als vorher in 1; 
dagegen ist das Herz in VI auch nicht grösser als bei der lang¬ 
samen Einschleussung in II; nur der Puls, der dort bei zu¬ 
nehmendem Drucke stieg, geht hier herab, wie auch in V, dort 
jedoch entsprechend den Verhältnissen in I. Nach beendeter 
Arbeit sind übereinstimmend beide Herzen kleiner und der Puls 
gegen vorher beschleunigt. 

Für die Entstehung der Erweiterung ist ohne Zweifel der 
sich steigernde Druck der Pressluft auf die peripheren 
Gefüsso verantwortlich zu machen; durch diesen ent¬ 
stehen ähnliche mechanische Verhältnisse, wie sie die Herz¬ 
erweiterung bei Gefässspasmus verursachen, auf die J acob- 
(■udowa zuerst hinwies, und wie man sie künstlich durch Injek¬ 
tion von Coffein bei normalem Gefässsystem horvorrufen kann. 
Leider konnte ich, da die Leute nach der Arbeit ihre Be¬ 
hausungen aufsuchten, nicht feststellen, wie lange nach dem 
Ausschlüssen die Herzerweiterung noch nachweisbar ist. Mit 
Sicherheit konnte ich nur beobachten, dass bei Beginn der näch¬ 
sten Schicht, also nach 16 Stunden, die Verhältnisse wieder ganz 
normale waren, und dass, wie oben erwähnt, eine sofort nach¬ 
weisbare Verkleinerung nach dem Ausschlüssen, also nach dem 
Uebergang in die gewöhnliche Atmosphäre, nicht stattfand. 
Jedenfalls geht der anormale Zustand im Verhältniss zu den 
mit Gefässparese verbundenen Dilatationen — ich führe nur 
die durch heisse Bäder hervorgerufenen hier an, die Tage lang 
dauern, — in Stunden vorüber, und ohne dass, vorausgesetzt, 
dass der Herzmuskel gesund ist, Schädigungen irgend welcher 
Art Zurückbleiben. Die Leute fühlen sich wohl nach der Arbeit, 
und sind nur stark körperlich müde. Auch au mir selbst konnte 
ich keinerlei Störungen bemerken, obwohl ich doch zum ersten 
Male in Pressluft lebte. 

Eine interessante Beobachtung, die ich zufällig machen # 
konnte, will ich im Anschluss an meine Ausführungen nicht 
unerwähnt lassen. Bekanntlich werden die Schwindelerschei¬ 
nungen bei der sogen. Caissonkrankheit auf den gesteigerten 
Labyrinthdruck zurückgeführt und dementsprechend wird jeder 
Arbeiter auf die Beschaffenheit seines Gehörorgans untersucht, 
ehe er eingestellt wird. Leider befand ich mich in der trau¬ 
rigen Loge, an einer frischen rechtsseitigen Mittelohreiterung 
mit Trommelfellpcrforution zu leiden, ich hätte aLso den Laby- 
rynthdruek aus sozusagen erster Hand Ix'kommen sollen. leb 
überging dies Leiden beim Unterschreiben des nöthigen Reverses 
mit Stillschweigen und liess mich einschleussen, indem ich mir 
sagte, dass ich ja immer wieder aufhören könnte, wenn Schwindel 
einträte. Ich wartete vergebens; ja die Perforation, durch die 
der unangenehme Druck auf das Trommelfell verhindert wurde, 
war mir so angenehm, dass ich sehr gern auf der anderen Seit" 
auch eine gehabt hätte. 

Wenn diese eine Beobachtung auch natürlich nicht im Stande 
ist, die Labyrinthdrucktheorie zu Falle zu bringen, so muss sie 
immerhin die Veranlassung geben, an eine andere Ursache für 
die Schwindelerscheinungen zu denken, und da ist wohl das 
Nächstliegende, die innerhalb so kurzer Zeit einsetzenden Cireu- 
lationsverändcrungcn dafür verantwortlich zu machen, voraus¬ 
gesetzt, dass sie ein schon vorher nicht intaktes Circulations- 
system treffen. Es wird der Druck auf die peripheren Gefässe 
sieh au den durch den knöchernen Schädel vor direkter Ein¬ 
wirkung geselliitzen Gehirngefässen geltend machen und das 
Auftreten von Schwindel kann sehr wohl das Anzeichen einer 
Rückstauung sein, wie wir sie am Herzen direkt abzulesen in 
der Lage sind. Sind doch Schwindel, ja Ohnmachtsanfälle bei 
plötzlichen Circulationssehwankungen für diejenigen Kollegen, 
die sich im Besonderen mit der Behandlung von Herz- und Cir- 
eulationserkrankungen beschäftigen, etwas sehr Bekanntes. 


Zur Lehre von der Dysmenorrhoea membranacea. 

Von Dr. Kollmann in Weilheim. 

I 11 einer früheren Abhandlung über Dysmenorrhoea mera- 
branaeea 1 ) stellte ich unter anderen Sätzen auch die These auf: 
„Dysmenorrhoea membranacea kann spontan heilen“, und glaubte 
die Begründung dieser Behauptung durch Mittheilung einer 


') Kollmann: Ueber Dysmenorrhöen memhranacen. 
kl in. Rundschau. 1900. No. 17. 


IV 


Wien. 


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1446 


MUENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Krankengeschichte liefern zu können, nach der die betreffende 
Patientin 4 Jahre lang an Dysmenorrhoea membranacea litt, 
dann concipirte und nach der Geburt 2 Jahre lang keine Haut¬ 
abgänge. mehr beobachtete. Wie sich jedoch nun nachträglich 
herausgestellt hat, war die Heilung nur eine scheinbare; denn 
gerade an dem Tage, an dem ich den Korrekturbogen der be¬ 
treffenden Arbeit abgeschickfc hatte, erhielt ich auch eine neuer¬ 
liche Membran von der oben erwähnten Patientin übersandt, der 
ersten, die seit 2 Jahren abgegangen war. Ich sehe mich dess- 
halb veranlasst, den damals aufgestellten Satz von der Möglich¬ 
keit einer Spontanheilung der Dysmenorrhoea membranacea 
wieder zurückzuziehen. 

Seit dem soeben besprochenen neuerlichen Abgang einer 
Membran wurden nun wieder eine Reihe weiterer beobachtet, 
die ich nun während eines Jahres beinahe alle zu untersuchen 
Gelegenheit gehabt hatte. 

Da mir die Ergebnisse meiner letzten Untersuchungen den 
Werth einer fortlaufenden Untersuchung solcher Membranen von 
aufeinanderfolgenden Menstruationen gezeigt hatten, unterliess 
ich auch diesmal nicht, sie zu studiren und fand durch die neuer¬ 
lichen Beobachtungen auch eine Anzahl meiner damals auf¬ 
gestellten Thesen gestützt. 

Ein betten. Färben und Schneiden der Membranen hatte Herr 
Privatdocent Dr. Amanu die Liebenswürdigkeit zu über¬ 
nehmen, dem ich dafür auch hier nochmals meinen Dank aus¬ 
spreche. 

Die erste eingelieferte Membran stammt von der Periode am 
20. IV. 00. Es gingen damals 3 Stückchen ab: 0,5—1,5 cm lang, 
0,2—1),7 cm breit, wie auch alle folgenden auf einer Seite glatt, auf 
der anderen unebeu, wie gefranst, mehr oder minder dunkel rosa 
gefärbt. Schmerzen bei der Menstruation massig. Fixation in 
Formalin; Färbung mit Haemalauu. 

Mikroskopisches Bild: Die Membranen bestehen fast ganz aus 
kleinen, stark gefärbten Rundzellen, die das Grundgewebe fast 
völlig verdecken. Die Stratum proprium-Zellen sind etwas aufge¬ 
blasen, die Zellkoutureu verwischt, ihre Kerne deutlich. 

Zwischen den Kuudzellen linden sich feine Flbrluiaden, theils 
iu welligen, länglichen Zügen, theils maschenförmig augeordnet; 
doch ist diese Bildung nur auf einen Theil des Präparates be¬ 
schrankt. Drüsen sind nur iu ganz wenigen Exemplaren vor¬ 
handen, zum Theile zerrissen und mit DeuRocyien erfüllt. 
Trümmer von Drüsen an verschiedenen Stellen des Gewebes nach¬ 
zuweisen. 

Das Drüsenepithel besteht aus niedrigen Gyliuderzelleu; Deck 
epithel ist nirgends vorhanden. 

Die Wandungen der Blutgefässe erscheinen degeuerirt, Zeil- 
konturen und Zellkerne au der Intima nicht mehr nachweisbar; 
auch au den übrigen Schichten der Gelasswand zum Theil un¬ 
deutlich. 

Blutaustritte in’s Gewebe sind nirgends zu sehen. 

Membran 2 vom 20. V. 00. Sehr heftige Schmerzen. Es gingen 
2 kleine Hautfetzeu ab, die ln Alkohol lixlrt wurden. Färbung mit 
Haemalaun. 

Mikroskopisches Bild: Drüsen und Deckepithel fehlen voll¬ 
ständig. 

Im Gruudgewebe zahlreiche Blutergüsse, die an vielen Stellen 
das eigentliche Mucosagewebe zerstört haben oder verdecken. Das 
Gfundgewebe besteht zum Theil aus gleichmässig gefärbten, 
strukturlosen, offenbar aus Fibrin gebildeten Massen, zum Theil 
aus grossen, polygonalen Zellen, zwischen und in denen sich zahl¬ 
reiche Leukocyteu eiugelagert ünden. 

Bei der Menstruation im Juni wurden keine Hautabgänge be¬ 
obachtet. (Periode miissig schmerzhaft.) Bei der folgenden im 
Juli gingen zahlreiche Membranen ab; dieselben konnten aber 
äusserer Umstände halber nicht auf bewahrt werden. 

Membran 3 vom 17. VIII. 00. Starke Schmerzen. Fixation 
iu Alkohol. Membran 2,3 cm lang, 1,5 cm breit. Färbung mit 
Borax carmln. 

Mikroskopisches Bild: Das Gruudgewebe besteht aus rundlich 
polygonalen nicht vergrösserten Zellen, die an vielen Stellen durch 
grössere Blutergüsse auseinander gedrängt siud; dazwischen auch 
Leukocyten in geringer Menge. In diesem Grundgewebe betindeu 
sich zahlreiche, gegen die Norm beträchtlich vermehrte Drüsen, 
die durch Blutergüsse in den Drüsenhohlraum zum Theil erweitert 
sind; nur in seltenen Füllen ist Schlängelung au ihnen zu bemerken; 
ihr müssig hohes Cylinderepithel ist intakt Das Oberflächeuepithcl 
ist theilweise erhalten und öfters in Streifen von der Unteriiüche 
abgehoben, ohne dass jedoch die Blutergüsse bis au’s Decken- 
epithel heranreichten. Die Blutgefässe sind im grossen Ganzen 
intakt; an Stellen, an denen sich stärkere Blutungen linden, sind 
die Gefässe Jedoch zerrissen, ihr Intimaepithel ist dann nur selten 
mehr nachweisbar und auch die übrigen Schichten der Gefäss- 
wiinde erscheinen zuweilen gequollen und iu eine homogene Masse 
verwandelt. 

Membran 4 vom 15. IX. 00. ln 2 kleinen Stückchen abgegangeu 
Fixation ln Alkohol: Färbung mit Haemalaun. 


No. 37. 

Mikroskopischer Befund: Das Protoplasma der Stratum pro¬ 
prium-Zellen unbedeutend vergrössert zwischen den Stratum-Zellen 
starke kleinzellige Infiltration. 

Drüsen finden sich nur in geringer Anzahl vor und weisen 
keine besonderen Befunde auf. 

Blutergüsse in’s Gewebe sind an keinen Stellen nachweisbar. 
Oberflücheuepithel iu den Schnitten fehlend. Ein grösseres Blut¬ 
gefäss mit homogenen, scholligen, fibrinösen Massen, in denen sich 
einzelne Leukocyten finden, erfüllt. 

Die Membranen, die bei der nächsten, mässlg schmerzhaften. 
Periode im Oktober abgegangen waren, gingen verloren. 

Membran 0. Am II. XI. wurden 5 grössere Stücke, 1,3—2,3 cm 
hing und ca. 2 ein breit, überbracht und iu Sublimat fixirt; Färbung 
mit Ilaemntoxyliu. 

Das mikroskopische Bild derselben zeigt Drüsen in regel¬ 
mässiger Zahl und Form in einem kleinzellig stark intiltrirten 
Stratum proprium, das aus nicht vergrösserten, rundllch-polygouaieii 
Zellen besteht. Das Deckepithel der Membranen ist zum Theil er 
halten und stellenweise von der Unterfiäche abgehoben. 

Blutergüsse sind gering und finden sich nur in den tieferen 
Schichten der Membran, wo sie das Gewebe auseinanderdrängeu. 
Au den wenigen sichtbaren Gefässen sind keine besonderen Ver 
hältnisse wahrzunehmen. Die Periode war mässlg schmerzhaft 
gewesen. 

Im Dezember gingen bei der Menstruation keine Häute ab; 
Menstruation ohne Beschwerden. 

Membran 5. Am 3.1. 01 gingen bei Beginn der schmerzlosen 
Menstruation G Membranstücke ab, die in Alokohol fixirt wurden. 
Sie waren 1.7—2,5 cm lang und 1,3—2 cm breit. Die Färbung ge¬ 
schah mit Haemalaun. 

Das mikroskopische Bild derselben zeigte im Wesentlichen 
die gleichen Verhältnisse wie das der Membran 3; nur waren die 
Blutergüsse noch mächtiger und die Blutgefässe noch strotzender 
gefüllt. 

Membran 7 ging am 28.1. 01 ohne Schmerzen ab und zwar in 
einem grösseren 3,8 cm langen und mehreren kleineren Stückchen, 
die in Alkohol fixirt und mit Haemalaun gefärbt wurden. Ibr 
mikroskopisches Bild deckt sich im Wesentlichen mit dem der 
Membran G, uur fehlen bei Membran 7 die Blutergüsse voll 
ständig. 

In den Monaten Februar (krampfartige Schmerzen) und Mär/, 
(fast schmerzlos) fehlten Hautabgänge. 

Aus diesen Beobachtungen ergeben sich nun einige wichtige 
Thatsachen. Vor Allem möchte ich darauf hinweisen, dass die 
Schmerzen bei den einzelnen Menstruationen sich verschieden 
verhielten. Jedesmal wurden sie zwar als krampfartig über 
Symphyse und in der Nabelgegend lokalisirt geschildert und 
waren mit dem bekannten Frösteln verbunden. Allein ihre In¬ 
tensität war eine sehr wechselnde, oft fehlten sie sogar voll¬ 
ständig. Die Entstehung der Schmerzen kann demnach nicht 
mit dem Abgang der Membranen in Zusammenhang gebracht 
werden, denn wenn wir untenstehende Tabelle betrachten, so ver¬ 
liefen Menstruationen, bei denen mehrere grosse Hautfetzen ab¬ 
gingen, vollkommen schmerzlos, andere jedoch, bei denen keine 
Hautabgänge beobachtet wurden, oder bei denen die aus- 
gestossenen Fetzchen nur klein waren, mit starken Schmerzen. 


© 

sc 

Datnm 

Nummer d. 
Membrane! 

Zahl und 
Qrfisse der 
Hanttetzen 

Befund 

Schmerzen 

1 

1900 

26. IV. 

1 | 

3 kleine 

kleinzellige Infiltr Fibrin 

mässlg 

2 

20. V. 

2 i 

2 kleine ! 

Blutergüsse, kleinzellige 

sehr heftig 

3 

? VI. 


keine 

Infiltr Fibrin 

? 

mässig 

4 

? VII. 


zahlreich j 

? 

? 

5 

17. VIII. 

3 

1 grösserer 

normales menslruirendes 

sehr heftig 

6 

15. IX. 

4 

2 kleine 

Endometrium 
Endometritis interstilialis 


7 

17.X. 


? 

? 

? 

8 

11. XI. 

6 

5 grosse 

menetruirendes Endometr. 

mässig 

9 

10 

8. XII. 
1901 

3.1. 

5 

keine 

6 grössere 

kleinzellig infiltrirt 

normales menstr. Endom. 

kein« 

keine 

11 

28.1. 

7 

1 grosser 

menstr. Endometr. klein- 

keine 

12 

26. II. 


keine 

zellig infiltrirt 

? 

schmerzhaft 

13 

24. in. 


keine 

? 

keine 


Damit fällt natürlich auch die Theorie von der Entstehung 
der Schmerzen durch Passiren der Membranen durch die ver¬ 
engte Cervix. Ebensowenig lässt sich nach den oben geschilder¬ 
ten Befunden, die Erklärung halten, die die Schmerzen 
auf eine gleichzeitig bestehende Endometritis bezieht. Denn 
bei der Menstruation 5, bei der eine normale menstruirende 
Mucosa ausgestossen wurde, waren die Schmerzen sehr heftig; 


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10. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1447 


in Fall 11, bei dem das Endometrium kleinzellig infiltrirt war, 
bestanden überhaupt keine Schmerzen. Auch die mechanische 
Losreissung der Membranen vom Utorufeinnern kann nicht der 
Cirund der Schmerzen sein, weil eben die Schmerzen einmal bei 
der Trennung grosser Membranen fehlten, andererseits heftige 
Schmerzen bestanden, ohne dass es zu einer Ausstossung von 
Membranen gekommen war. Es bleibt also nichts übrig, als 
für die Erklärung der Schmerzen von der Bildung dor Mem¬ 
branen unabhängige Momente in Anspruch zu nehmen, sei es 
nun eine erhöhte Empfindlichkeit der Nerven oder ein Spasmus 
im Sinne T h e i 1 h a b e r’s '). Hier mag auch Gelegenheit sein, 
die Meinung Theilhabc r’s, dass ziemlich häufig grössere 
Schleimhautfetzen bei Frauen zur Ausstossung gelangen, die 
nicht beobachtet werden, zu bestätigen. Denn ich war erstaunt, 
zu erfahren, wie häufig Dysruenorrhoea membranacea dem prak¬ 
tischen Arzte zur Beobachtung kommt, wenn er dem Leiden 
genauer uachforscht; genauere Verhältnisszahlen kann ich dar¬ 
über leider noch nicht angeben; doch waren unter den Frauen, 
die ich im letzten Vierteljahr wegen anderer, meist interner 
Krankheiten zu behandeln hatte, nicht weniger als 6, die ausser¬ 
dem an Dysmenorrhöen membranacea litten. 

Das mikroskopische Bild der Membranen zeigt uns vor 
Allem, dass es nicht angeht, einen bestimmten anatomischen 
Typus für die dysmenorrhoischen Membranen aufstellen zu 
wollen; denn wie aus vorstehender Tabelle erhellt, ist der mikro¬ 
skopisch-anatomische Befund ein äusserst wechselnder. Wir 
finden Bilder, die einem normalen menstruirenden Endometrium 
entsprechen, solche, bei denen Rundzelleninfiltration in sonst 
normalem Gewebe in starkem Maasse auftrat, wir sehen einmal 
das Bild einer Hypertrophia sou Endometritis interstitialis mit 
fast vollkommen fehlenden Drüsen, und endlich Membranen, die 
mit Fibrin durchsetzt waren und die, wie ich in meiner Eingangs 
erwähnten Arbeit näher auseinandergesetzt habe, den Uebergang 
zu den eigentlichen Fibrinmembranen bilden. 

Besondere Beobachtung' verdient noch der Umstand, dass 
diese wechselnden anatomischen Befunde an Membranen von 
einer Patientin gemacht wurden, ein Beweis dafür, dass nicht 
eine bestimmte anatomisch nachweisbare Ursache, am wenigsten 
eine wahre Entzündung die Ursache der Membranbildung sein 
kann. Gegen die Annahme einer Endometritis, mit vielleicht 
wechselnder Intensität, spricht übrigens auch das Fehlen jeg¬ 
licher Symptome (Fluor, Schmerzen) in der intermenstruellen 
Periode. Auffallend ist ja wohl die Lcukoeyteninfiltration, die 
in der Mehrzahl der Präparate sich konstatiren licss; daraus 
allein aber auf eine Endometritis sehliessen zu wollen, dürfte 
nicht angehen; ich wenigstens fasse die Anwesenheit der Leuko- 
cyten nicht in diesem Sinne auf, sondern verrauthe, dass sie 
vielmehr in irgend einer Beziehung zur Loslösung der Mem¬ 
branen von der Uterusinnenfläche stehen, also eine Aufgabe er¬ 
füllen. ähnlich wie die Lcukoeyten bei der Sequesterbildung an 
Knochen. Dass die Von mancher Seite angenommene mecha¬ 
nische Ablösung durch einen Bluterguss unter ein schwerer als 
normal zu zerreissendes Obcrfliichenepithel oder unter die direkt 
unter dem Epithel liegenden Stratumschichten, nicht richtig sein 
kann, beweist der wechselnde Befund an Blutergüssen in die ab- 
gestossenen Membranen, die an dreien der Präparate, die jedoch 
zum Theil zahlreiche gefüllte Blutgefässe zeigen, vollständig 
fehlen, an einem Präparate gering und nur an weiteren drei be¬ 
deutender sind. 

Fasse ich zum Schlüsse die Resultate meiner Unter¬ 
suchungen noch kurz zusammen, so kann ich meinen bereits 
früher aufgestellten Sätzen: 

1. Dysmenorrhöen membranacea hat keinen Zusammenhang 
mit Gravidität und Abort; 

2. dieselbe bedingt keine Sterilität; 

3. die dysmenorrhoischen Membranen haben nichts mit einer 
Entzündung der Mucosa Uteri zu thun; 

4. die Fibrinmembranen sind als wahre dysmenorrhoische 
Membranen zu betrachten; 

5. Verwechslung von Fibrinmembranen mit Blutcoagulis 
ist ohne genaue Untersuchung möglich; ebenso Verwechslung 
mit den Produkten einer croupösen Entzündung; 

6. die Fibrinmembranen sind das Produkt einer durch 
Blutung und Exsudation in’s Gewebe bedingten Nekrose, 

noch folgende hinzufügen: 

*) Münch, med. Wochenschr. 1901. No. 22 u. 23. 

No. 87. 


1. die Ursache der bei Dysmenorrhöen membranacea aui- 
tretenden Schmerzen ist nicht in der Ablösung oder Ausstossung 
der Membranen zu suchen; 

2. das anatomische Bild der Membranen entspricht keinem 
besonderen Typus und kann bei den einzelnen Menstruationen 
ein und derselben Patientin wechseln; 

3. die Lösung der Membranen geschieht nicht mechanisch 
durch Abreissen durch einen starken Bluterguss; 

4. Dysmenorrhoea membranacea ist eine häufige, nur oft 
übersehene Erkrankung. 

Indikationen zur Fettanreicherung der Säuglings¬ 
nahrung durch Pflanzenfette spec. Cacaofett. 

Von Dr. Reinach, Kinderarzt in München. 

Sowohl die klinischen Erfahrungen, wie die chemischen 
Untersuchungen haben ergeben, dass für das Kind im ersten 
Lebenjahre, als auch in der weiteren Entwicklung, das Fett der 
wichtigste Nahrungsbestandtheil sein muss. Vor Allem ist es 
unter den Nährstoffen der concentrirteste. Die in gleichen 
Theilen Fett, Eiweiss und Kohlehydraten auf gespeicherte En¬ 
ergie steht im Verhältniss von 2,4:1,8:1 (Zuntz). Nach 
U ffelmann und Munk hat man 1 g Eiweiss oder Kohle¬ 
hydrat zu 4,1 Calorien, 1 g Fett zu 9,5 (Jalorien berechnet. Es 
bildet also das Fett die ergiebigste Wärmequelle für den Orga¬ 
nismus. Ferner wird durch Fett und auch durch Kohlehydrate 
der Eiweissumsatz beschränkt. 

Was nun die Ausnutzbarkeit der Fette im ersten Lebens¬ 
jahre betrifft — von diesem soll vorerst ausschliesslich die Rede 
seiu •— so kommt hier naturgemäss die des Milchfettes in Be¬ 
tracht. Uf felmann findet im Stuhl 9—12—25 Proc. des 
Nahrungsfettes. Biedert erwähnt Fälle, wo sich nur 1,24 
bis 1,88 Proc. findet, ja einen Fall, wo die Vermehrung des 
Fettes um 12 g pro die den ganzen Trockenkoth nur um 1,7 g 
steigert, ln zwei Fällen meiner Untersuchungen bezüglich Aus¬ 
nützung des Rahmgemenges fand sich 1 resp. 5 Proc. Bekannt¬ 
lich haben unsere Milchmischungen im Vergleich mit der natür¬ 
lichen Säuglingserniihruug, der Muttermilch, zu wenig Fett. 
Man hat nun verschiedene Verfahren zur Fettvermehrung er¬ 
dacht, sowohl durch Rahmzusatz als durch Milchzuckerzusatz. 
Nach lleubner-Hofmann wird die Kuhmilch mit 
gleichem Volum einer Lösung gemischt, welche 60 g Milchzucker 
auf 1 Liter Wasser enthält. Es soll also der durch Wasserver¬ 
dünnung entstehende Mindergehalt der Nährflüssigkeit des 
Säuglings an Fett, welcher ¥.i des Fettgehalts Soll beträgt, durch 
das entsprechende dynamische Aequivalent Milchzucker ersetzt 
werden. Bei genauer Berechnung zeigt sich aber, dass das Kind 
nach dem H e u b n e r’scheu Verfahren immer noch zu wenig 
Fett und viel zu viel Milchzucker erhält. Dies ist aber nicht 
gleiehgiltig, wenn man die hohe Bedeutung des Fettes für die 
Verdauung, abgesehen von anderen physiologischen Verrich¬ 
tungen im Organismus, würdigt. So dürfte mit grosser Wahr¬ 
scheinlichkeit der hohe Milchzuckergchalt bei Entstehung der 
Rachitis durch Bildung abnormer Mengen Milchsäure eine Rolle 
spielen. Fett wird am besten wieder durch Fett ersetzt. Ein im 
Emulsionszustand befindliches, genau zu dosirendes Fett würde 
zur Deckung des Fettmaucos bei unseren Milchverdünnungen 

am besten passen. In Bicdert’s Rahmgemenge- Gärt- 

nersche Fettmilch etc. basiren nur auf Biedert’s Gedanken 
— haben wir den Weg, den Fettgehalt der Milch beliebig, d. h. 
nach Bedarf bis zu 3,3 oder 4 Proc. zu erhöhen neben Reducirung 
des Ei weissgeh altes. Pflanzenfette als Ersatz des Milchfettes 
kommen in Verwendung bei der vegetabilischen Milch. In den 
ersten 5 Monaten gibt cs kein zwcckmässigeres Verfahren als das 
Bieder t’sche bei geeigneter Indieationsstellung. Nun gibt es 
aber Fülle, wo aus äusseren Gründen die Herstellung des Rahm¬ 
gemenges nicht möglich ist, wo eine Herstellung im Grossen 
nicht zu haben oder auf Reisen, wo frische Milch fehlt. Für 
diese Fälle scheinen die Pflanzenfette eine nicht zu unter¬ 
schätzende Rolle zu spielen. Die Lnhmnn n’sche vegetabilische 
Milch wird von einzelnen Seiten sehr gelobt, hat aber den Nachtheil 
aller Konservenpräparate. Ein anderes zu beachtendes Pflanzen¬ 
fett bildet der Inhalt der Caeaobohne: die Cacaobutter. Letztere 
ist in unseren Chocoladearten mit Zucker verarbeitet. Eines der 
besten und ein absolut reines, d. h. frei von mehligen und Gewürz¬ 
substanzen hergestelltes Produkt ist die Prof. v. M e r i n g’sehe 
Fettehokolade. 

4 


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1448 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


Die chemische Untersuchung derselben ergab 99,06 Proc. 
Trockensubstanz, darunter 4,405 Proc. Eiweiss und Alkaloid, 
20,97 Proc. Fett, 72,44 Proc. N-freie Substanzen. 

Von der erwiesenen Thatsaehe ausgehend, dass die Verdau¬ 
lichkeit der Fette mit deren Emulsionsfähigkeit wächst und 
diese erhöht wird durch Gehalt an freien Fettsäuren, hat Prof, 
v. M e r i n g eine Chokolade herstellen lassen, deren Cacaobutter 
mit Oelsäure verbunden ist. 

Nach vorausgegangenen Versuchen am Thiere über die Ver¬ 
daulichkeit der Cacaobutter im Vergleich mit anderen notorisch 
leicht verdaulichen Fetten, speciell über den günstigen Einfluss 
auf die Emulgirbarkeit durch Zusatz geringer Mengen von Fett¬ 
säure hat Zuntz durch einen Selbstversuch die relativ hohe 
Ausnutzung der Fettchokolade festgestellt. Von 96.46 Proc. Fett 
der aufgenommenen Fettmenge erscheinen im Stuhl 4,416 
= 4,88 Proc. 

Von dem guten Emulsionszustande kann man sieh leicht 
überzeugen, wenn man das im Aetherültrat zurückbleibende 
Cacaofett mit einer 0,3 proc. Sodalösung in Berührung bringt. 
Ausserordentlich feine Fetttröpfchen erkennt man mikroskopisch 
in dieser Emulsion. Instruktiv in dieser Beziehung ist der Ver¬ 
gleich mit der gewöhnlichen Chokolade des Handels. 

Für die Heranziehung der Fettchokolade zur Säuglings- 
emährung gilt es in erster Linie festzustellen: Wie wird im 
zarten Säuglingsdarm das Fett verdaut und ausgenützt, wie ver¬ 
halten sich die übrigen Hauptbestandteile der Chokolade be¬ 
züglich ihrer Resorption und Verdauungsmöglichkeit. 

Zur ersteren Frage genügt es selbstredend nicht, eine kurze 
Periode zu untersuchen; eine mindestens vierwöchentliche Be¬ 
obachtungszeit in klinischer und teilweise chemischer Be¬ 
ziehung kann uns nur ein einigermaassen sicheres Urtheil geben, 
denn gerade die dauernde Toleranz der kindlichen Verdauungs¬ 
organe beweist die Güte eines Nährmittels. 

In der Literatur habe ich nur zwei Arbeiten entdeckt, die 
sich mit unserer Frage beschäftigen. 

B e n d i x hat bei Ausnützungsversuchen bei einem 4 Vs jähr. 
Kinde Milchfett und Cacaofett gleich ausnützbar gefunden. 

Unter B e n d i x’s 14 Krankengeschichten finde ich ein 
9 Monate altes Kind, und ein einjähriges, die bis zu 55 g Clioco- 
lade täglich erhielten. 

Die Ausnützung ist hier nach dem Gewicht berechnet, das 
bei dem 9 monatlichen in 12 Tagen um 1 Pfund zunimmt. Leider 
ist die genaue Angabe der Beikost etc. nicht erwähnt, so dass 
man sich kein genaues Urtheil über die Ausnützung bilden kann. 

Hauser hat Vergleichsversuche über die Ausnützung des 
Leberthran, Lipanin und Fettchokolade angestellt. Er hat in 
einet grossen Reihe von Fällen die Milchnahrung bezüglich ihres 
Fettgehaltes durch Beigabe von obigen Fetten erhöht und kommt 
zum Resultat, dass die Fettchokolade am liebsten genommen 
wird, dass die Gewichtszunahme stetig, oft kolossal ist, auch bei 
destructiven Processen in der Lunge und Abdominalorgancn. 
Er kommt zum Schlüsse, dass die Cacaobutter offenbar ein vor¬ 
züglich verdauliches und gut auszunützendes Fett ist. 

Unter seinen 5 Stoffwechelversuehcn findet sich ein 6 Mo¬ 
nate altes Kind. Dasselbe erhielt 4 Wochen lang täglich 3 mal 
je 15 g Chokolade und dann 5 X 35 = 75 g Chokolade = 16,75 g 
Cacaobutter. 

Die Ausnützung der 75 g ergibt Trockensubstanz 13.06, 
Aotherextract 1,379 g; proceutualisch ergibt sich 10,69 Pro.-. 
Fett, d. h. procentuale Menge Fett im Troekenkoth. 

Bei dem gleichen Kinde die Ausnützungsmenge des Milch¬ 
fettes 10,65 Proc. 

Bei einem 114 jährigen Kinde mit 45 g Chokolade pro die 
= 10,5 g Cacaobutter erscheinen im Stuhl 22,78 Proc. 

Weitere Fälle füFs erste Lebensjahr habe ich nicht finden 
können. Leider ist auch bei diesen nur die Zahlenangabe für 
1 Versuch gemacht. Ich habe nun selbst bei 2 Kindern (ein 6 
und ein 9monatl.) Ausnützungsversuche und zwar bei Kind 1 
während 2 Perioden anzuführen. 

Dieses Kind habe ich fast seit der Geburt in Beobachtung. 
Es ist mit Milch und lteiswasser aufgezogen, ln den entsprechenden 
Mengen, ohne recht zuzunehmeu. Dabei rachitisch und mit 
Laryugospasmen behaftet. Näheres unten Fall IV. 

Ausnützungsversuch zerfällt in 2 Perioden. 

1. vom 11.—IC. Januar. Nachdem durch Wochen vorher 
gehender Beobachtung die fast stete gleiclnnässige Beschaffenheit 
und Konsistenz der Stühle festgestellt war, schien das Kind ge¬ 
eignet, da mir so die Stühle vollständig von der sehr verständigen 


Mutter aufgefangen werden konnten, ohne wesentliche Gewichts¬ 
verluste. 

11. I. 


Datum 

Gesammtmenge 

Trockensubstanz 

Wasser 

Fett 

Januar 

g 

in Procenten 


11. 

14,30 

55,85 

44,65 

6,52 

12. 

48,3 

38,39 

61,61 

9,40 

13. 

22,2 

58,19 

41,81 

5,79 

14. 

22,4 

35,74 

64,26 

7,90 

15. 

66,5 

30,22 

69,78 

3,44 

16. 

31,5 

35,82 

64,17 

5,23 

Es werden ausgeschieden 

in Gramm: 




Datum 

Trockensubstanz 

Fett 



Januar 11. 

7,915 

0,78 



12. 

18,54 

4,54 



13. 

12,92 

1,28 



14. 

8,0 

1,76 



15. 

29,10 

2,28 



16. 

11,29 

1,64 



II. Periode von Kind I. 



Februar 

1. | 2. | 3. 

4. 

Gesammtmenge ... 

28,5 61,00 

50,25 

15,00 


g % g I % 

g % 

g °/o 

Wasser.. 

19,1 66,98 46,58 76,36 

39,63 78,86 

7,44 49,6 

Trockensubstanz .. 

9,4 33,02 14,42 23,64 

10,62 21,14 

7,56 50,4 

Fett. 

1,48 5,22 3,07 5,04 

5. F e 1) r u a r: 

2,29 4,57 

3,10 20,71 


Gesammtmenge Wasser Trockensubstanz Fett 

59,7 g 42,3Gg 70,96% 17,34 g 29,04% 2,19 g 3,67% 


Fall II. 


Datum 

Qeiammt- 

menge 

R 

Wasser 

R I % 

Trockensubstanz 

R 1 % 

Fett 

r i 

11. II. 

43,15 

41,86 

97,00 

1,29 | 

3,00 

n 

0,129: 

03 

12. II. 

18,0 

11,05 

61,31 

6,95 

28,65 

0,32 

13 

13. II. 

10,75 

8,39 

77,94 

2,36 ! 

27,06 

0,13 

138 

14. U. 

18,2 

11,94 

65,59 

6,26 

84,41 

0,84 

13 

15. II. 

21,3 

14,15 

66,42 

7,15 

33,58 

0,39 

136 


Dieses Kind, M. J., ist im Alter von 14 Tagen mit Gewicht von 
2700 g bei mir in Behandlung getreten. 19. V. 1899. Nach wieder¬ 
holten dyspeptischen Perioden betrug das Gewicht 2. IX. 3450 g bei 
Itahmgemeuge I und Kufekesuppe. 

23. XII. Gewicht 4380 g bei 130 ccm Rahm und 500 Milch mit 
3«/, proc. Fettgehalt und 300 Kufekesuppe. 

4. II. Beginn der Chokoladeperiode mit 32 g pro die und 
Nahrung wie 23. XII. 

10. II. Gewicht 4860 g. 16. II. 4980 g. 1. V. 6700 g. 45 g 
Choeolade. — 1 Jahr alt. 

Das Kind I erhielt pro Tag ln seiner Milchmenge 21 g Fett, 
durch die Chokolade 7,42 g, zusammen 28,24 g Fett. Davon er¬ 
schienen ln deu Stühlen der I. Periode durchschnittlich 2,046 g. 
der II. Periode durchschnittlich 2,42 g oder 2,842 der Trocken¬ 
substanz. 

K i n d II. 30 g in der Milch, 

7,24 g in der Chokolade 

37,24 g pro die. Davon erscheint als Darchschnitt 
von 5 Tagen 0,26 g ira Stuhle. 

Beide Fälle geben eine recht gute Ausnützung des Fettes, 
sowohl Milch- wie Chokoladefettes. 

Zusammengehalten mit B e n d i x’s und Hauscr's Fällen 
lassen sich sehr wohl aus der zwar geringen Anzahl von Unter¬ 
suchungen Schlüsse ziehen. 

Eine grosse Anzahl von Untersuchungen rein chemischer 
Natur anzustellen, unterliegt erheblichen Schwierigkeiten; denn 
um ein Bild des dauernd Normalen zu erhalten, muss das Kind 
in seinen gewohnten Verhältnissen bleiben. Ein Unterbringen 
im Trockenbett oder in eigens konstruirten Aufsaugapparnten 
— theoretisch das Beste — wird beim Kind nach kurzer Zeit 
Dyspepsien event. dünne Stühle und damit veränderte Aus¬ 
nützung ergeben. Man wird also stets darauf angewiesen sein, 
von der Mutter oder Wärterin in deu Windeln die Fäoes auf- 
lieben zu lassen. Tn Folge dieser Seh\yierigkeiten liegen bis jetzt 
auch nur ganz wenig oxnetc Stoffwechsel versuche, vor für diese? 
zarte Alter. 


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10. September 1901. 


Um desshalb, diesen erschwerten Verhältnissen entsprechend, 
möglichst genau sein zu können, muss man bei denselben Kindern 
stets eine Reihe von Tagen beobachten und dann den Durch¬ 
schnitt nehmen, so werden Gewichtsverluste cinigermaasson vom 
ersten und letzten Tag ausgeglichen. Denn ein Abgrenzen mit 
Kohle oder Preisselbeeren oder Kindermehl etc. ruft sofort dys¬ 
peptische Erscheinungen hervor. 

So wird es denn stets die klinische Beobachtung in erster 
Linie sein müssen, die uns ein Bild von dem Werthe und der 
Brauchbarkeit eines Nährmittels gibt. 

Bei unserem Urtheile haben wir neben den Gewichtsnotizen 
mikroskopische Stuhluntersuchungen, Reaktion der Fäces, Zahl, 
Farbe, Consistenz zu bringen. Des Weiteren muss das Allgemein¬ 
befinden der Kleinen zum Urtheil herangezogen werden, der 
äussere Zustand des Abdomen, Auftreten resp. Beeinflussung 
anaemischer und rachitischer Symptome. 

Wenn wir an einer grösseren Reihe von Fällen alle diese 
Punkte berücksichtigen, dann werden wir an der Hand von 
Krankenberichten genaue Indicationen stellen können für An¬ 
wendung eines Präparates. 

Vorausschicken möchte ich, dass ich die Fettchokolade nur 
als Zusatznährmittel zur Milch in Anwendung gezogen, 
um stärkere Fett- und auch Kohlohydratzufuhr zu ermöglichen. 
Wie bekannt und wie auch ich in einer Abhandlung nach¬ 
gewiesen, gelingt es in den meisten Fällen bei vorsichtigem 
Tasten mit kleinen Milchmongen, eventuell unter Korrektion 
durch Rahm etc. Klippen in der Ernährung schwacher Kinder 
zu überwinden. 

Nur einzelne Gruppen von Fällen machen der Anwendung 
von Milehbestandtheilen über einen gewissen Procentsatz hinaus 
Schwierigkeiten. 

I. Fälle, bei denen bei Ernährung mit Rahmgemenge oder 
anderen Milchmischungen von 2—3,3 Proc. Fett und 1—2,5 Proc. 
Eiweiss eine saure Dyspepsie auftritt, d. h. nachdem die Stühle 
bei einem Fettgehalt von 1—2 Proc. gelbgebunden waren und 
alkalisch oder neutral reagirten, treten bei Uebergang zu höherem 
Fettgehalt weniger gebundene, noch gelbe, riechende, saure 
Stühle auf. Das Gewicht der Kinder steht still oder sinkt. Der 
gewohnte Schlaf bleibt aus in Folge Schmerzen durch Gasbil¬ 
dung etc. 

Mikroskopisch zeigen sich grosse Fettkugeln und Lachen. 

Derartige Fälle sind noch nicht zur Fettdiarrhoe zu rechnen. 
Dieselben stellen Uebergangsformen dar und werden am besten 
als saure Fettdyspepsie bezeichnet. 

Hier lässt sich durch Zusatz von Fettchokolade ein höherer 
Fettgehalt der Milchmischung erzielen bis zu 4 Proc. und Auf¬ 
treten von wieder schwach sauren Stühlen. Bedingung für das 
Gelingen der Chokoladeanwendung in diesen Fällen ist: 

1. bei Auftreten der sauren Dyspepsie erst kurze Zeit eine 
indifferente eventuell mehlige Nahrung zu geben; 

2. neben der Fettdyspepsie darf nicht gleichzeitig eine Dys¬ 
pepsie gegenüber Kohlehydraten bestehen. Ueber letztere wird 
eine eingehende Stuhluntersuchung Aufschluss geben. 

Bei sauren, spritzenden Stühlen darf sonst nie eine An¬ 
wendung der Chokolade erfolgen, ebenso bei spritzenden, stark 
alkalischen Stühlen habe ich Misserfolge gehabt. 

Obige Toleranz gegenüber Pflanzenfetten — im Gegensatz 
zu der gegenüber Milchfett — dürfte theilweise dem vorzüglichen 
Emulsionszustand der Chokolademischung zuzuschreiben sein. 

II. Die chronischen Enteritiden mit schleimig-alkalischen 
Stühlen bieten das klassische Feld für Fettanreicherung der 
Nahrung. Hier tritt vor Allem B i e d e r t’s Rahmgemenge in 
seine Rechte. 

Wie Jeder weiss, gibt es aber Familien, wo für gute Milch- 
gewiunung die Mittel nicht vorhanden oder aus anderen äusseren 
Gründen ein Abschöpfen des Rahmes und Mischen nicht mit der 
nöthigen Genauigkeit hergestcllt werden kann, oder Rahm- 
gcnicugc und Fettmilch im Grossen nicht erhältlich. Für diese 
Fülle empfiehlt sich Fettehokoladezusatz. 

Die sonst vorzügliche Rahmkonserve dürfte nur für gut- 
siluirtc Leute passen. 

III. Eine weitere grosso Grupj>e für Chokoladeauwcndung 
bieten Fälle, wo bei normaler Verdauung mit dem anwendbaren 
Milehquantum eine Zunahme nicht erzielt wird, wo aber eine 
grössere Flüssigkeitsmenge zur Magcnatonie führen müsste. 


1449 

Dabei wird ein Zusatz von Fettchokolade eine concentrirtere 
Nahrung darstellen. 

IV. Ferner bei rachitischen, skrophulösen kleinen Säuglingen 
oder bei reeonvalescenten Kindern nach Infektionskrankheiten, 
Pneumonien etc. 

Da sieht man oft ein stärkeres Fettpolster in verhältniss- 
miissig kurzer Zeit entstehen und damit eine Hebung des All- 
gemoinzustandes. 

»Selbst Monate hindurch blieb die erweiterte Grenze für Fett- 
ri sorption erhalten. 

Der etwas grosse Zuckergehalt in unserem Präparat, der im 
zweiten Halbjahr, wo die Grenze der Kohlehydratverdauung resp. 
Abnützung eine weitere ist, wesentlich mit zur Anbildung dient, 
scheint in den ersten 3—4 Lebensmonaten eine Anwendung der 
Chokolade nur mit grosser Reserve zuzulassen. Die Stühle zeigen 
hier bei Jodzusatz starke Blaufärbung, reagiren sauer und sind 
sehr copiös. Dabei tritt gleich in den ersten Tagen Unruhe des 
Kindes, Flatulenz, Auftreibung des Abdomens und am 2. oder 

3. Tag bereits diarrlioischer Stuhl auf. 

Für den nicht mehr ganz jungen Säugling ist der höhere 
Zuckergehalt als Nährwerth wesentlich in Betracht zu ziehen. 
Allerdings heisst es auch hier beobachten, um eine beginnende 
Gührungsdyspepsie hintanhalten zu können. 

Einen nicht zu übersehenden Körper enthält die Choko¬ 
lade in dem Theobromin. einem Xanthinkörper, ein für das 
Wachsthum der Zellen wichtiger Bestandteil. 

Die Ausnützung der stickstoffhaltigen Substanzen findet 
nach Bend ix bis 68 Proc. statt; nach Cohn 53,7 Proc. 

Die Menge der erträglichen Chokolade muss aus Beobach¬ 
tung des Verdauungstraktus etc. herausgefunden werden. Ich 
habe von 16—45 g pro die angewandt (Hauser und Bendix 
gehen noch darüber hinaus). Da die Einteilung in kleine und 
kleinste Tafeln gewählt ist, so lässt sich genau der procentua- 
lischc Gehalt von X-haltiger und N-freier Substanz für den ein¬ 
zelnen Fall dosiren. 

Nach ca. 3—4 Wochen tritt eine gewisse Antipathie gegen 
den Chokolndegesehmnek auf. die ein Aussetzen des Präparates, 
aber meist nur für kürzere Zeit nötig macht. 

Die Stühle wurden meist copiös, braun, etwas seifig glän¬ 
zend. Eine bestimmte Reaktion Hess sich nicht konstatiren; 
bald sauer, bald alkalisch, bald neutral. Es scheint neben der in 
bestimmten Fällen vorhandenen Ausnützung der einzelnen Be¬ 
standteile hiebei auch die beigegebene Kost mitzusprechen; 
mitunter war der reine gelbe Milchkoth getrennt vom braunen 
Theil. 

Der von Hauser beobachteten Thatsache der Umwandlung 
diarrhoischcr Stühle in konsistente kann ich nur bei oben sub I 
erwähnter kleinerer Gruppe beistimmen. 

Den Hauptnähreffekt habe ich bei vorher bereits normaler 
Verdauung gesehen, wenn eine Dyskrasie oder vorhergegangene 
Infektionskrankheit den Ernährungszustand zur Reduktion 
bringt. 

Eher zeigte sieh, besonders bei Anwendung sehr kleiner 
Dosen, eine Neigung zur Obstipation, vornehmlich bei Beginu 
der Chokoladeernährung. 

Die Gewichtszunahmen sind oft sehr grosse, mitunter 
sprungweise. 

Aus meiner nunmehr 6 jährigen Erfahrung mit Fettehoko- 
lade seien einige typische Fälle bezüglich Gewicht angeführt: 


No. 

Alter und frühere 
Nahrung 

Nahrung jetzt 

, Gewicht 

I. 

3'/i Monat. 

•24. II - 27, III. 1/2 M. V» W. 

24. n. 4680 g. 


Mehl, Milch. 

-f- MZ 2 X Lipanin. 

27. n. 4700 g. 



27. 11. -}- 32 g Chokolade. 

12. IV. 5700 g. 



12. IV. 700 M. 300 W. 30 MZ. 

28.1V 6120 g. 



32 g Chokolade 


11 . 

4 Monat. 

(28. II. 11 Fettmilch-f 35 MZ 

28.11. 3600 g. 



30. III. +16 g Chokolade -f 

12. III. 3800 g. 



125 Vollmilch. 

z9.HI. 3900 g. 



•20. IV. -4- 32 g Chokolade -4- 3. IV. 4185 g. 



250 Vollmilch. 

20. IV. 4800 g 



4. VI. 11 Vollmilch 32 g Clio- 20. V. 5100 g 



kolade 35 MZ. j 

15. VI. 5560 g. 


4* 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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1450 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


xj Alter und frühere 
m Nahrung 


Nahrung jetzt 


Gewicht 


III. 

3 Monat. 
Kindermehl, 
Fettmilch, 
Gerstenschleim 
etc. 

19. VHT. 135 M. -f 270 W. -f 
30 MZ. 

27. VIII. 510 M. -f 300 W. 4 
30 MZ. 

4. IX. 500 M + 16 g Chok. 
4- 300 W. 

15. IX. 700 M. -f 300 W. 45 g 
Chokolade -f 30 MZ. 

19. VIH. 2800 g. 

24. Vin. 2890 g. 
i IX. 2990 g. 

15. IX. 3290 g. 

22. IX. 3530 g 

26. X. 4440 g. 

IV. 

5 Monat. 
Mehlbrei, Milch., 

29. XII. 16 g Chokolade. 

7. IH. 32 g Chokolade. 

3. XII 4300 g. 

28. XII. 4500 g. 

10.1. 4830 g. 

12. II. 5310 g. 

27. UI. 5950 g. 

V 

5 Monat. 
Mehlnahrung 

Seit 1. IV. Chok. 16 g pro die 
auf 425 ccm M. -f- 200 W. 
•26. IV. 32 g Chok. 4 11M. 
pro die. 

29. XI 48 g Chokolade. 

20. III. 3660 g. 

24. III. 3430 g. 

24. IV. 4050 g. 

4. VI. 5050 g. 

29. XI. 8010 g. 

VI. 

6 Monat. 
Mehl, Milch, 
Suppe. i 

24. XI. Rahmgemenge I -f 24. XI. 5000 g. 

2 X je 16 g Ch. 4- 125 M 30. XI. 5370 g. 

29. XI. R. I + 250 M. -f 2. XII. 5520 g. 

500 W. 32 -45 g Chohol. 29. XII. 6100 g. 


Der von anderer Seite hervorgehobene günstige Einfluss der 
Chokoladcemährung auf rachitische Processe ist wohl nur so zu 
verstehen, dass bei Gelingen einer dauernden Hebung des Er¬ 
nährungszustandes auf diese Weise auch der chronische Krank¬ 
heitszustand der Rachitis günstig beeinflusst wird. 


Literatur. 

1. Arch. f. pnth. Anatomie u. Pliysiol. v. Virchow, Bd. 95. H. 3, 
1SS4. — 2.•Zeitsehr. f. klin. Med. 1892, Bd. 20, H. 3. — Intern, 
kl. Rundschau 1893, III. — 4. Wiener med. Woclienschr. 189G, 12. 
— 5. Therapeut. Monatsli. 1895, 7. 


Aus dem bakteriologischen Laboratorium der Universitäts- 

Frauenklinik (Prof. Dr. Dödcrlein) in Tübingen. 

Experimentaluntersuchungen über Händedesinfektion. 

Von 

Dr. phil. et med. Th. Paul und Dr. med. 0. Sarwey, 
a o Professor für analytische a. o I’rofes or u. Assistenzarzt 
und pharmaccutische Chemie. a d. Univ.-Frauenklinik 

(Fortsetzung.) 

2. Unsere Versuchsanordnung. 

In der 6. Abhandlung") unserer Experimentaluntersuch¬ 
ungen über Iländedcsinfektion haben wir nachgewiesen, dass die 
unter Anwendung eines unschädlich machenden Reagens, bei 
Verwendung des Sublimates also des Schwefelammoniums, vor¬ 
genommene bakteriologische Prüfung des Effektes einer Desinfek¬ 
tionsmethode nur deren Minimalleistung darstellt, und dass wir 
andererseits die Maximalleistung erhalten, wenn wir auf die Fäl¬ 
lung des Sublimates verzichten ' 3 ). Aus theoretischen und prak¬ 
tischen Gründen hielten wir es für wünschenswerth, den 
Desinfektionseffekt der P. Fürbringe Fachen Händedcsinfek- 
tionsmethode nach beiden Richtungen hin, ohne und mit Aus¬ 
füllung des Sublimates, festzustellen. 

Die einzelnen Abschnitte unserer Versuchsanordnung gestal¬ 
teten sich-demnach in zeitlicher Aufeinanderfolge in nachstehen¬ 
der Weise: 

1. Prüfung des Keimgehaltes der Tageshände vor der Des¬ 
infektion. 

2. Ausführung der Desinfektion und Eingehen der mit Sub¬ 
limatlösung benetzten Hände in den „sterilen Kasten“. Von hier 
ab erfolgen alle Manipulationen im sterilen Kasten. 

3. Abspülen der Hände mit sterilem Wasser. 

4. Prüfung des Keimgehaltes der desinfizirten Hände. 

5. 10 Minuten langes Baden, der desinfizirten Iliinde in circa 
37,5" C. warmem sterilem Wasser. 

0. Prüfung des Keimgohaltes des Badewassers. 

7. Prüfung des Keimgehaltes der gebadeten Hände. 

8. 5 Minuten langes Scheuern der Hände mit Sand in circa 
37,5° C. warmem sterilem Wasser. 


”) Münch, med. Wochensohr. 1901. No. 12. 

• s » Vergl. auch C. S. II a e g 1 e r: Iländereinigung, Iliinde- 
desiufektion und Hiindesehutz. Basel 1900. S. 135. 


No. 37. 


9. Prüfung des Keimgehaltes dieses zweiten Badewassers und 
des benutzten Sandes. 

10. Prüfung des Keimgehaltes der mit Sand gescheuerten 
Hände. 

11. 5 Minuten langes Baden der Hände in ca. 37,5° C. 
warmem sehr verdünntem wässerigem Schwefelammonium. 

12. Prüfung des Keimgehaltes der mit Schwofelammoniuni 
behandelten Hände. 

Abweichend von unserer früheren Versuchsanordnung haben 
wir bei den folgenden Untersuchungen zur Keimentnahme nicht 
nur harte sterile Hölzchen (in der Mitte du rehgebrochene Zahn¬ 
stocher), sondern auch die von C. S. II a e g 1 e r zu diesem 
Zwecke empfohlenen Seidenfäden benutzt. Obwohl wir 
auf Grund unserer vergleichenden Untersuchungen 5 *) über die zur 
Keimentnahme von den Händen gebräuchlichen Methoden — 
Fingereindruckmcthode, Hölzchenmethode, Seidenfadenmethodo 
— zu dem Resultat gekommen waren, dass der Hölzchenmethode 
vor den beiden anderen Verfahren im Allgemeinen der Vorzug 
zu gehen ist, da sie nicht nur eine vollkommen gleichmäßige 
Bearbeitung der gesninmten Hautoberfläehe, einschliesslich der 
Unternagelräuine und Nagelfalze, und eine gesonderte Entnahme 
der Keime von den einzelnen Theilen der Hände gestattet, sowie 
das Abstreifen der fest und tief zwischen den Runzeln und 
Fältchen der Haut liegenden Dauerkeime ermöglicht, haben wir 
doch neben den Hölzchen auch die Seidenfäden verwendet, weil 
uns von verschiedenen Seiten der Vorwurf gemacht worden war. 
dass die Entnahme der Keime mit den harten, spitzigen Hölzchen 
nicht den klinischen Verhältnissen entspräche. Da sich in dieser 
Beziehung gegen die Verwendung der Seidenfäden nicht das Ge¬ 
ringste einwenden lässt, und diese Art der Prüfung, wie wir 
uns durch zahlreiche weiten* Kontrolversuche überzeugt haben, 
für gewisse Theilo der Hände ebenfalls sehr brauchbar ist, 
führten wir die Keimentnahme in der Weise aus, dass wir 
für die Handflächen und Subungualräume 
Seiden fäden und für die N a g e 1 f a 1 z e wie bis¬ 
her die Hölzchen verwendeten. Auf die Keimenl- 
nahme mit dem scharfen Löffel, welchen wir bei unseren ersten 
Untersuchungen am Schluss der Prüfung benutzten, haben wir 
mit Rücksicht auf jene Einwände gänzlich verzichtet. 

Ferner brachten wir nieht'wie bisher die zur Keimentnahnie 
benutzten Hölzchen bezw. Seidenfäden zuin Lösschütteln der 
Keime in Probirröhrchon mit je 3 cem Wasscr, sondern in solche 
mit Bouillon. Hierzu veranlasste uns folgende Ueberlegung. 
Das Sublimat tödtet in 1 prom. Lösung die vegetativen Formen 
der Bakterien schon in kurzer Zeit ab, so dass es sehr wahr¬ 
scheinlich ist, dass diejenigen Keime, welche nach erfolgter 
Fürbringe r’scher Desinfektion, ohne nachfolgende Behand¬ 
lung der Hände mit Sehwefelammonium, auf den mit Sublimat 
verunreinigten Nährböden Kolonien bilden, auf irgend welche 
Weise vor der Einwirkung der Sublimatlösung geschützt blieben 
und als volllebondigo Individuen ihre Entwickelung trotz des 
Quecksilbergehaltes des Nährbodens fortsetzton. Würde man 
diese Keime nach der Entnahme von der Haut, in Wasser bringen, 
welches gleichzeitig mit übertragenes Sublimat enthält, so könnt'! 
letzteres die Keime noch nachträglich vernichten oder doch schä¬ 
digen; bringt man dieselben aber gleichzeitig mit dem mitüber¬ 
tragenen Sublimat in Bouillon, so erleidet das Sublimat in 
dieser eine solche Umwandlung (vergl. die vorige Abhandlung) 
in andere viel weniger giftige Quecksilberverbindungen, dass eine 
nachträgliche Abtödtung oder Schädigung der Keime innerhalb 
der Versuchszeit nicht mehr zu befürchten ist“). Diese Ver- 
suclisanordnung passt sich auch insofern den praktischen Ver¬ 
hältnissen vollkommen an, als die Hände bei Operationen stets 
mit Blut und anderen, organische Stoffe in grosser Menge ent¬ 
haltenden, Körperflüssigkeiten in Berührung kommen, an welche 
sie gleichzeitig Keime und Sublimat abgeben. 

Die Anwendung der Bouillon logt auf der anderen Seite die 
Gefahr nahe, dass sich die Keime beim längeren Stehen im blut¬ 
warmen sterilen Kasten bzw. im Zimmer vermehren könnten, wo- 

3i ) Vergl. unsere 3. Abhandlung: Münch, med. Wochensehr. 
1900. No. 27. 

Ä ) Ausserdem Ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass 
gewisse Hauthacterien ln der I-Iaut als Sporen oder sporenähnliche 
Dauerformen vorhanden sind, welche auch in reinwässeriger 
Lösung dem Sublimat Widerstand leisten würden. Diese Frage 
soll von uns gelegentlich experimentell erledigt werden. 


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10. September 1901. 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1451 


durch ein grösserer Keimgehalt der Hände vorgetäuscht worden 
würde. Diesem Uebelstand haben wir durch ein besondere Ein¬ 
richtung unseres sterilen Kastens vorgebeugt, welche es er¬ 
möglicht, die Bouillon mit den Keimen auf einer Temperatur 
von ca. 8—10° C. innerhalb des ca. 38—40° C. warmen Kastens 
zu halten. Zu diesem Zwecke befindet sich an einer Seite des 
Kastens ca. 2 cm über dessen oberem durchlochtem Boden ein 
langer Blechtrog mit doppelten Wänden, der mit Wasser ange¬ 
füllt ist, und in welchem die je 3 ccm Bouillon enthaltenden 
Reagensröhrchen stellen. Um ein Umfallen der Röhrchen zu 
verhindern, sind innerhalb des Troges zwei durchlochte Blech¬ 
einsätze angebracht, deren Löcher mit einander korrespondiren 
und die Röhrchen aufnehmen. Der Zwischenraum zwischen den 
doppelten Wandungen des Troges wird beständig von Wasser¬ 
leitungswasser durchströmt, welches zuvor durch ein, in einem 
mit Eis gefüllten Gefäss liegendes, bleiernes Schlangenrohr fliesst 
und dadurch stark abgekühlt wird. Fig. 1 stellt den mit diesem 
Troge versehenen sterilen Kasten und Fig. 2 die Anordnung 
der Apparate während des Versuches dar 36 ). Die Erfahrung hat 
gelehrt, dass die Temperatur des im Troge befindlichen Wassers, 
so wie diejenige der in den Röhrchen befindlichen Bouillon circa 
8—10 6 C. beträgt, wenn das abfliessende Wasser eine Temperatur 
von ca. 5—6° C. hat. Während des Aufenthaltes im Zimmer 
wurden die Bouillonröhrchen in Eiswasser gestellt. 

Fig. L 

' Jk ’ “ ' 7 

A . / 

i y 



Steriler Kas tcn /.ur hak t eri ologischen Priifung de sin fiel rter littndc 
nach Th. I’anl und O Sarwcy mit Kühlvorrichtung, um <lic Ent¬ 
wicklung der in die Hon ill on roh rch e n gebrachten II an t bn k t eri c » 
während des Aufenthaltes im warmen Kasten zu verhindern, 
hie llouillonröhrchcn stehen in dem an der linken Seitenwand befindlichen mit 
Wasser gefüllten Troge, zwischen dessen doppelten Wandungen ein Strom kalten 
Wassers cireulirt. Die AusiiussöfTimng für das Kühlwasser befindet sieh an der 
Rückseite des Kastens und ist deshalb in der Zeichnung nicht sichtbar. Während 
ile« Gebrauches wird der vorher durch Auskochen sterilisirte Kasten durch die 
in der Abbildung an der einen Reite herausgezogene Glasplatte bakteriendicht 
verschlossen. Die seitlichen Oeffnungeu dienen zum Einfuhren der Hände; 
doppelte Leinwaiidmanschetteii ermöglichen auch hier einen hakteriendiehten 

Verschluss.) 

Unter diesen Umständen ist ein Auskeimen der in der 
Bouillon befindlichen Hautkeime innerhalb der Versuchsdauer 
nicht zu befürchten. Haben ja doch unsere in der 5. Abhandlung 
beschriebenen Versuche ergeben, dass die Entwicklung noch bei 
Zimmertemperatur sehr träge vor sich geht und mehrere Tage 
in Anspruch nehmen kann. 

Ferner wollen wir bei dieser Gelegenheit noch die Abbildung 
(Hg. 3) eines Apparates bringen, den wir bei der in unserer 
S. Abhandlung beschriebenen bakteriologischen Untersuchung der 
Hände nach vorausgegangener mechanischer Desinfektion mit 
htissem Wasser, Schmierseife und Bürste benutzten, und welcher 
von uns bei allen Waschungen mit sterilem Wasser angewendet 

**) Die in dieser Abhandlung beschriebenen Apparate werden 
von der Finna Dr. Hermann Rohrbeck, Fabrik bacterio- 
logischer, chemischer und technischer Apparate, Berlin NW, Karl- 
Strasse 20 a, angefertigt und vorrttthig gehalten. 


wird. Derselbe besteht aus einem runden Gefäss aus starkem 
Zinkblech von 40 cm Durchmesser und 20 cm Höhe, welches 
mit einem enganschliessenden ca. 10 cm übergreifenden Deckel 
verschlossen werden kann. Das Waschwasser mit Bürste wird 
in dem Behälter selbst durch halbstündiges Kochen sterilisirt 
und bleibt mehrere Tage keimfrei. Der Apparat bietet den 
Vortheil, dass der obere äussere Rand durch den ausströmeuden 
Dampf ebenfalls sterilisirt wird. 

Fig. 2. . . 




//*//" /fr-/fi rj 



Anordnung der Apparate bei der bakteriologischen Prüfung der 
mit Q neckst1 b c r vc r b i n d u n g e n d e s i n f i e i r t e n Hände. 

(Oie Vorrichtung hat den Zweck, die Entwickelung der in die Bouillonrührehcn 
gebrachten Hantbakterien während des Aufenthaltes im wurmen sterilen Kasten 
durch Abkühlung zu verhindern. Das Wusserleltnngswasser flicsst zunächst durch 
ein bleiernes Sehlangenrohr, welches in dem mit Eis gefüllten Kühlkasten liegt, 
durehströmt dann den äusseren Mantel des im sterilen Kasten befindlichen 
Troges, in dem die Bouillonrührehcn stehen, und gelangt von da in das Aus¬ 
gussbecken. Der Zufluss des Wassers wird so geregelt, dass die Temperatur des 
ubfiicssonden Wassers ca. 6—6° C. beträgt.) 

Wie oben mitgetheilt wurde, lautete die ursprüngliche Des- 
infek lionsvor.schrift P. Für bringe r’s dahin, dass die Hände 
nach vorgenommener Nageltoilctte und 1 Minute langer Be¬ 
arbeitung in hcissein Wasser mit Seife und Bürste, 1 Minute 
lang in Alkohol (nicht unter 80 Proc.) gewaschen und schliess¬ 
lich ebenfalls 1 Minute lang mit einer 2 prom. Sublimatlösung 
gründlich bearbeitet, werden sollten. Diese Vorschrift ist im 


Fig. 8. 



Ge fit ss zum Wuschen der Häufle in sterilem Wasser nach Th. Paul 
und o. Rarwev. 

(Die Abbildung stellt einen senkrechten Durchschnitt des Gebisses bei uufge- 
gesotztem Deckel dar. Das sterile Wasser wird in dem aus starkem Zinkblech 
gefertigten Gelass selbst durch halbstündiges Kochen bei aufgesetztem Deckel 
bereitet. Die Bürste wird mit ausgekocht. Der Apparat bietet «len Vorlhcil, 
das« der obere äussere Band durch den nusstöinemien Wasscnliimpf ebenfalls 

sterilisirt wird.) 

Laufe der Zeit verschiedentlich abgeändert worden. Wie schon 
P. L a n d s borg fand, ist die Zeit von 1 Minute für ein gründ¬ 
liches Waschen der Hände viel zu kurz bemessen und auch die 
Dauer der Waschungen in Alkohol und in der Suhlimatlösung 
wurde mehr oder weniger verlängert, während man in der Kon¬ 
zentration der Sublimatlösung mit Rücksicht auf die bei em¬ 
pfindlichen Personen leicht auf tretenden Ekzeme und Queck¬ 
silbervergiftungen auf 1 Prom. und Ys Prom. horabgegangen ist. 


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1452 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


‘No. 37. 


Wir glauben, dass folgende Vorschrift in Deutschland am meisten 
gchandhabt wird: 5 Minuten langes Bearbeiten der Hiindo mit 
heissein Wasser, Seife und Bürste, 1 Minute dauerndes Bürsten 
in 90 proc. Alkohol und 5 Minuten langes Bürsten in heisser 
wässeriger 1 proni. Sublimatlösung. Dies ist wohl auch der 
maximale Zeitaufwand, der in der Praxis noch durchgeführt 
werden kann. Wir halten ausserdem in zwei Versuchsreihen die 
Dauer der Alkoholbehandlung auf 2 und 3 Minuten verlängert, 
ohne einen deutlichen Unterschied des Resultates konstatiren zu 
können. Um Zufälligkeiten auszuschliessen, nahmen wir bei der 
Hälfte der Versuche die vorbereitenden Waschungen der Hände 
mit sterilem Wasser in den oben beschriebenen Waschgefässen 
vor, die Schmierseife, sowie die Bürsten wurden stets vorher im 
Dampfapparat sterilisirt und auf ihre Keimfreiheit geprüft. Die 
Sublimatlösungen stellten wir jedesmal frisch mit heissem destil- 
lirtem Wasser in einer geräumigen Glasschale her. 

An den nach P. Fürbringer’s Vorschrift ausgeführten 
Versuchen, betheiligten sich 7 verschiedene Personen, welche 
sämmtlieh die zur Ausführung solcher Experimentaluntersuch¬ 
ungen nöthige l’ebung und Erfahrung bosassen und ohne jedes 
Vorurtheil von dem Wunsche beseelt waren, Klarheit über diese 
für den Chirurgen wie Gynäkologen gleichwichtige Frage zu 
schaffen; ausserdem wurden, wie bei allen unseren Versuchen, 
sämmtliehe Manipulationen von uns geleitet und in Bezug auf 
die Peinlichkeit der Ausführung kontrolirt. Abgesehen von 
einigen bereits erwähnten und besonders für die Desinfektion 
mit QuccksiIberverbindungen erforderlichen Abänderungen war 
unsere Vorsuehsanordnung dieselbe, wie wir sie in unserer ersten 
Abhandlung ”) ausführlich geschildert haben. Da die Unter¬ 
suchungen unter diesen Umständen viel Zeit und Mühe bean¬ 
spruchen — jede Versuchsreihe dauert ohne die dazu nöthigen 
umfänglichen Vorbereitungen 4 Stunden und erfordert ausser¬ 
dem einschliesslich der zahlreichen Kontrolen das Ausgiessen von 
mindestens 100 Potri’schcn Sehaalen —, kann die Zahl der Ver¬ 
suche gegenüber den Massenversuchen anderer Experimentatoren 
nur gering sein. Wir sind aber der Meinung, dass 
diese wenigen exakt durch geführten Unter¬ 
suchungen um so beweiskräftiger sind, als 
sic mit verschiedenen Versuchspersonen zu 
verschiedenen Zeiten an gestellt wurden und 
im Wesentlichen stets das gleiche Resultat 
ergaben. Obwohl wir durch die Arbeiten anderer Autoren 
und besonders diejenigen C. S. H a e g 1 e Fs “), sowie auf 
Grund unserer eigenen Versuche, zu der Erkenntniss ge¬ 
kommen sind, dass bei den Händedesinfektionsversuchen, zu¬ 
mal wenn sich verschiedene Personen an denselben betheiligen, 
Zufälligkeiten wie die individuelle Beschaffenheit der Haut, der 
mehr oder weniger grosse primäro Keimgehalt, die Intensität 
der Desinfektion und der Kcimentnahmo etc. eine grosse Rolle 
spielen können und zum Thcil die Verschiedenartigkeit der Re¬ 
sultate erklären, haben wir doch davon abgesehen, die Versuche 
nur an unseren eigenen Händen anzustellen. Nureh Nichts kann 
die Brauchbarkeit oder Unzulänglichkeit einer Desinfektions¬ 
methode für die Praxis besser bewiesen werden, als durch Mit¬ 
wirkung verschiedener mit den nöthigen Manipulationen ver¬ 
trauter Personen. 

3. Versuchs ergehn iss e. 

In Talxdle 1 sind unsere mit der P. F ü r b r i n g e r’sclu ti 
Methode erhaltenen Resultate übersichtlich zusnmmengestellt; 
jede Zahlenangabe ist das Mittel von 3 Kulturen. 

Wir können dieselben in folgenden Worten zusammenfassen, 
wobei die Ausdrücke „wenige Keime“ 1—20 Stück, „viele Keime“ 
20—80 Stück und „sehr viele Keime“ über 80 Stück bedeuten. 

1. Von den unvorbereiteten Tagoshänden konnten bei allen 
Versuchspersonen mittels harter Hölzchen und Seidenfäden sehr 
zahlreiche Keime entnommen werden. 

2. Nach, beendeter P. F ü r b r i n g e Fscher Desinfektion, 
Eingehen der von Sublimatlösung triefenden Hände in den 
sterilen Kasten und Abspiilen derselben mit sterilem Wasser 
konnten (ohne Fällung des Quecksilbers mit Schwefelammonium) 
in allen Fällen mehr oder weniger zahlreiche entwickelungs- 

**) Diese Zeltsehr. 1890, No. 49. S. 1G33. 

") C. S. Haegier: Häwlereinigung, Ilündcdeslnfektton und 
Häudeschutz. Basel 1900. S. 129 ff. 


fähige Keime von den Händen mit harten Hölzchen bezw. Seiden¬ 
fäden entnommen werden. Von den Handflächen wurden 1 mal 
viele und 5 mal wenige Keime, von den Nagelfalzen 2 mal viele 
und 4 mal wenige Keime, und von den Untemagelräumeu 3 mul 
sehr viele, 1 mal viele, 2 mal wenige Keime entnommen. 

3. Nach dem darauf folgenden 5 Minuten langen Verweilen 
der Hände unter Wnschbewegungen in sterilem Wasser von Blut¬ 
temperatur wurden (ohne Fällung des Quecksilbers mit Schwefel- 
ammonium) in allen Fällen sehr zahlreiche entwicklungsfähige 
Keime an dieses Wasser abgegeben M ). 

4. Nach diesem Handbad konnten (ohne Fällung des Queck¬ 
silbers mit Schwefelammonium) in allen Fällen mehr oder 
weniger zahlreiche Keime von den Händen mit harten Hölzchen 
bezw. Seidenfäden entnommen werden. Von den Handflächen 
wurden 2 mal viele, 2 mal wenige und 1 mal keine Keime, von 
den Nagelfalzen 3 mal viele und 2 mal wenige Keime, und von 
Untemagelräumen 2 mal sehr viel, 3 mal wenige Keime ent¬ 
nommen. 

5. Nach weiterem 5 Minuten langem Scheuern der Hände 
mit Sand in sterilem Wasser von Bluttemperatur wurden (ohne 
Fällung dt» Quecksilbers mit Sphwefelammonium) in allen Fällen 
sehr zahlreiche entwickelungsfähige Keime an dieses Wasser ab¬ 
gegeben. 

6. Nach diesem Sandhandbad konnten (ohne Fällung des 
Quecksilbers mit Schwefelammonium) in allen Fälleu mehr oder 
weniger zahlreiche Keime von den Händen mit harten Hölzchen 
bezw. Seiden faden entnommen werden. Von den Handflächen 
wurden 3 mal viele und 3 mal wenige Keime, von den Nagelfalzen 
1 mal sehr viele, 3 mal viele und 2 mal wenige Keime, und von 
den Untornagelräumen 3 mal sehr viele, 1 mal viele und 2 mal 
wenige Keime entnommen. 

7. Nach dem darauf folgenden Verweilen der Hände unter 
Waschbewegungen in sterilem Wasser von ca. 37,5° C., welchem 
ca. 5 Proc. Schwefelammonium (durch Einleiten von Schwefei- 

. Wasserstoff in den 10 proc. Liquor nmmonii caustici des Deutschen 
Arzneibuches bis zur Sättigung hergestellt) zugesetzt wurden*!, 
konnten in allen Fällen mehr oder weniger zahlreiche Keime von 
den Münden mit harten Hölzchen bezw. Seidenfäden entnommen 
werden. Von den Handflächen wurden 3 mal sehr viele, 2 mul 
viele und 1 mal wenige Keime, von den Nagelfalzcn 4 mal sehr 
viele. 1 mal viele und 1 mal keine Keime, und von den Unter¬ 
nagelräumen 4 mal sehr viele, 1 mal viele und 1 mal wenige Keime 
entnommen. Die Hände wurden durch das Sehwefelammoniun: 
ausnahmslos stark schwarzbraun gefärbt. 5 '). 

8. In der siebenten Versuchsreihe (Geh.-Rath B.S.Schultze 
aus Jena), welche in vorstehenden Resultaten nicht mit inbegriffen 
ist, wurden die Hände sofort nach dem Eingehen in den sterilen 
Kasten 5 Minuten lang in schwefelammoniumhaltigem Wasser 
gebadet und dann weitere 5 Minuten in einem zweiten Bad mit 

Da die Menge des Badewassers ca. 300 ccm betrug und zur 
Anlegung einer Plattonkultur uur ca. 1 ccm verwendet wurde, war 
der gesammte Keimgehalt des Badewassers auch dann schon sehr 
gross, wenn nur wenige Keime auf den Kulturen aufgingen. 

*°) Da der Kasten sammt Inhalt durch einstündiges Kochen 
des im Zwischenboden befindlichen Wassers sterilisirt wird und 
das in Flaschen mit (»las- oder Korkstopfen befindliche Schwefel¬ 
ammonium trotz noch so sorgfältigen Verschlusses wegen des 
liolien Dampfdruckes tliellweise verdunstet und den Kasten mit 
Schwefelammoniumdämpfen anfüllt. Ist es zweckmässig, das 
Schwefelnnuuonimn in starkwandige Glasröhren einzuschmelzen, 
und diese am einen Ende zu einer Spitze auszuziehen. Beim Ge¬ 
brauch kann diese Spitze mit einer Pinzette leicht abgebrochen 
werden. 

*') Durch das Bürsten der Hände in warmer Sublimatlösung 
wird die Haut sehr stark mit Quecksilberverbindungen lmprägnirt 
und in Folge dessen wird durch das Behandeln mit verdünntem 
Scliwefelnmmoulum nicht nur an der Oberfläche der Haut, son¬ 
dern auch in den zunächst liegenden Schichten derselben, das in 
fast allen Lösungsmitteln ausserordentlich schwer lösliche 
schwarze Schwefelquecksilber erzeugt, welches der Hand ein sehr 
hässliches Aussehen gibt und trotz alles Waschen» und Scheuenis 
wochenlang haften bleibt. Der Niederschlag lässt sich aber leicht 
entfernen, wenn man die Hände mit einem dünnen Brei ans 
frischem Chlorkalk und Wasser mehrere Minuten lang einreiht, 
dann kurze Zeit in ganz verdünnter wässriger Salzsäure bürstet 
und diese Procedur einige Male wiederholt. Diese Reinigung, 
welche auf einer Ueberführung des Quecksllbersulflds in Queck¬ 
silberchlorid beruht, ist wegen der auftretenden Chlordämpfe an) 
Besten im Freien vorzunehmen. Die Haut verträgt diese ener¬ 
gische Behandlung merkwürdiger Weise sehr gut. 


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30. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1453 


Tabelle 1. 

Bakteriologische Prüfung der Hände (mit Benützung des sterilen Kastens) nach vorausgegangener Desinfektion nach P. Fürbringer und 

nach deren von C. S. H a e g I e r angegebenen Modifikation. 

Die Tabelle umfaßst 9 Versuchsreihen. Jede Horizontalreihe veranschaulicht den Keimgehalt der Hände einer und derselben 
Versuchsperson während der einzelnen, zeitlich aufeinander folgenden Versuchsabschnitte. 

[ j bedeutet steril. V///////A bedeutet viele Keime (ca. 20 bis ca. 80 Stück). 

SSKÜHI bedeutet sehr viele Keime (über 80 Stück). 


bedeutet wenige Keime (1 biß ca. 20 Stück). 


Versuchs¬ 

person 


Theile der 
Hände, welche 
auf ihren 
Keimgehalt ge¬ 
prüft wurden 


Keim¬ 
gehalt deij 
Tages 
hände vorl 
der Des¬ 
infektion 


Art und Dauer 
der 

Desinfektion 


Nach der Desinfektion 
(Prüfung im sterilen Kasten) 


vor der Fällung dts Quecksilbers mit Schwefelammooium 


rllemWasservon ca. 37,6° 


einem ca 37,6“ warmen 
Sandbandbad 


Kurie« Ab- H lerauf6Mlnuten langes ^‘erauf 6Minuten langes 
spulen der Haden der e0 ndc in “^.Scheuern der Hände in 
desinflclr- 
ten Hände 
im sterilen 
Kasten mit 
sterilem 
Wasser. 

Keimgehalt 
der Hände 


Kelmgebalt 
des Bade¬ 
wassers 


Keimgehalt 
der gebade¬ 
ten Hände 




Hierauf 
6Mln.lang.-a 
Baden der 
Hände ln 
scbwefel- 
ammonl- 
um halt lg. 

Wasser 

Keimgehalt 
der Hände 


10 


11 


Prof. 

Dö derlein 


Dr. Glitsch 


Prof. Paul 


Prof. Sarwey 


Dr. Visino 


Dr. Levy 


Geheimrath 
B. S. Schulze 
aus Jena 


Handflächen 

Nagelfalze 

Unternagelr&ume 


Handflächen 

Nagelfalze 

Unternagelräume 


Handflächen 

Nagelfalze 

Unternageli&ume 

Handflächen 
Nagelf a'ze 
Unternagelräume 


Handflächen 

Nagelfalze 

Unternagelr&ame 


Handflächen 

Nagelfalze 

Unternagelräume 


Handflächen 

Nagelfalze 

Unternagelräume 









1. Desinfektion nach P. Fürbringer. 

6 Min langes Bearbeiten der Hände I ///////?//, 
m. beissem Wasser,Seife u.Bürste ; I 
1 Min. Bürsten in 90proc. Alkohol; 

6 Min Bürsten in 1 ptom. heisser 
Subllmatlösung. 


dasselbe 



6 Mio. Waschen wie oben; 

3 Min. Bürsten ln OOproc. Alkohol; 
6 Min. Bürsten ln lprom. heisser 
8ubllmatlösung. 


4 Min. Waschen wie oben; 
Ausräumen der Unternagelräume 
mit scharfem Messer; 

3 Minuten Waschen wie oben mit 
Wasserwechsel; 

2 Min. Bürsten in 06proc. Alkohol; 

3 Min. Bürsten in lprom. heisser 
Sublimatlösung. 



2. Desinfektion nach P. Fürbringer mit der von C. S. Haegier angegebenen Modifikation 

I II 111! 


Prof. Paul 


Prof. Sarwey 


Handflächen 

Nagelfalze 

Untsruagelräume 


Handflächen 

Nagelfalze 

Unternagelräume 



mzm 


2 Min. Entfetten der Hände mit 
Boluspaste; 

6 Min. langes Bearbeiten der Hände 
mit hclsscm Wasser, Kallseife 
und Bürste; 

2 Min. Abreiben der Hände mit 
einem trockenen, rauhen, sterilen 
Tuch; 

3 Min. Bürsten in TOproc. Alkohol ; 
3 Min. Bürsten in lprom. heisser 

Sublimatlösung. 




r i 


mim 

wmm. 



w/ttm 

mim 


Bemerkungen: Die in Rubrik 3 befindlichen Angaben über die Thcllc der Hände, welche auf ihren Keimgehalt geprüft wurden, beziehen 6icb nur auf die 
Rubriken 4, 6, 8, 10 u. 11. 

In der 7. Versuchsreihe (Geheimrath B. S. Schulze) wurden die Hände nach dem Eingehen in den sterilen Kasten sofort 6 Minuten lang 
in schwefolammoniumhaltigem Wasser von ca. 37,ö° gebadet. 

Beim Keimgehalt der Badewässer ist die Durchschnittszahl der auf den Hattenkulturen entwickelten Kolonien In der Tabelle angegeben. 
Da die Menge des Badewassers ca. 300 ccm betrug und zur Anlegung einer Plattenkullur nur ea. 1 ccm verwendet wurde, war der gesummte 
Keimgehalt des Bndewassers auch dann noch sehr gross, wenu nur wenige Keime auf deu Kulturen aufgingen. 


Sand gescheuert. Nach dem ersten Bad konnten von deu Hand¬ 
flächen, den Nagelfalzen und den Untemagelränmen mit harten 
Hölzchen bezw. Seidenfäden durchgängig viele und nach dem 
Sandhandbad sehr viele entwickelungsfähige KeimO entnommen 
werden. 

Dieses Resultat ist ein ausserordentlich 
ungünstiges und übertrifft in dieser Be¬ 
ziehung die V e r s u eh s e r g o b n i s s c P.Landsbor g’s, 
G. Go 11 s t e i n’fl, O. S. II aeg 1 o Fs-und anderer Autoren. 


Wir haben uns selbst nur höchst ungern von 
dieser Thatsacho überzeugt; da die Versuche 
jedoch nach unserem Dafürhalten einwands¬ 
frei angestellt wurden, sind sie vollkommen 
beweiskräftig. 

Damit stellt übrigens die von A. D ö d e r 1 e i n *‘) und 
anderen Autoren beobachtet« Thatsacho im Einklang, dass die 

**) A. Dö derlein: Die Bakterien aseptischer Operntions- 
ivunden. Münch, med. Wochenschr. 1889, No. 26. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Operationswunden auch nach sorgfältig vorgenommener Des¬ 
infektion der Hände und Hautdecke nach Fürbringer 
während der Operation stets sehr zahlreiche entwicklungsfähige 
Bakterien enthalten, trotz des vielfach reaktionslos verlaufenden 
I leilprocesses. 

(Schluss folgt.) 

Referate und Bücheranzeigen. 

Kunkel: Handbuch der Toxikologie. II. Hälfte. Jena, 
G. F i s c h e r, 1901. 12 M. 

Mit dem zweiten Theile, der dem 1899 erschienenen ersten 
Bande nunmehr gefolgt ist, liegt das K u n k e l’sche Handbuch 
der Toxikologie vollendet vor. Damit ist ein klassisches Werk ge¬ 
schaffen, das den reichen Stoff in ebenso erschöpfender, wie glän¬ 
zender Weise behandelt. Der praktische Arzt findet alles über 
Aetiologie, Symptomatologie und Therapie der Vergiftungen Be¬ 
kannte in vollständigster Weise zusammengetragen; der Fach¬ 
mann und Forscher erhält eine eingehende Darstellung dos Zu¬ 
standekommens jeder einzelnen Vergiftung unter sorgfältiger, 
kritisch abwägender Berücksichtigung des experimentellen 
Materials, wie der vorhandenen Literatur. Das Werk umfasst 
nicht nur die praktisch als Gifte in Betracht kommenden Sub¬ 
stanzen, sondern daneben auch alle bisher nur im Thierexperi¬ 
ment als giftig erkannten Körper. Dadurch wird der wissen¬ 
schaftliche Werth des Werkes beträchtlich erhöht, zumal auch 
stets den Beziehungen zwischen der chemischen Struktur des 
Giftes und der toxischen Grundwirkung nachgegangen wird. 
Von ganz besonderem Werth für die theoretische Wissenschaft 
sind in dieser Beziehung die den einzelnen Gruppen (der Stoff 
ist nach dem chemischen Eintheilungsprincip angeordnet) 
vorausgeschickten allgemeinen Ausführungen. Ueber die Art der 
Darstellung ist eingehend in der Besprechung des ersten Theiles 
des Werkes im Jahrgang 1899, S. 632 dieser Wochenschrift be¬ 
richtet worden. Der zweite Theil umfasst auf Seite 565 bis 
1093: „Dio stickstoffhaltigen organischen Verbindungen“ — 
„Die Saponinsubstanzen“ — „Die Glykoside“ — „Giftige Bitter¬ 
stoffe“ — „Aetherische* Oele“ — „Ocrtlich reizende Stoffe“ — 
„Giftigo Eiweisskörper“ (Thier- und Bactcriengifte) — „Die 
giftigen Speisepilze“ — „Autointoxikationen“ (Giftigkeit der 
Excrete und Organe) und anhangsweise eine Uebersicht über 
„Giftige Farben“. Heinz- Erlangen. 

G. v.Bunge- Basel: Lehrbuch der Physiologie des Men¬ 
schen. 1. Baud. Verlag von F. C. W. Vogel, Leipzig 1901. 
381 Seiten mit 67 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. Preis 
10 M. 

Der bekannte Verfasser des vielverbreiteten Lehrbuches der 
physiologischen und pathologischen Chemie, G. v. Bunge, hat 
nun auch auf Wunsch seiner Schüler mit der Herausgabe eines 
Lehrbuches der Physiologie des Menschen begonnen, von dem 
der 1. Band, die Physiologie der Sinne, Nerven, Muskeln und 
der Fortpflanzung enthaltend, erschienen ist. Das Thema wird 
in 28 Vorträgen in durchaus origineller Weise in Angriff ge¬ 
nommen. 

Ganz abweichend von den ausgetretenen Bahnen der bisher 
üblichen Gruppirung physiologischen Lernstoffes beginnt Ver¬ 
fasser mit der Physiologie der Sinne, denn diese ist ihm „das A 
und O der gesaramten Naturwissenschaft, das Fundament und 
doch zugleich der Schlussstein, der das ganze Gebäude krönt.“ Wie 
innig dio Physiologie der Sinne gerade mit der Physik verknüpft 
sei, gehe schon daraus hervor, dass die Physik in Wahrheit nicht 
nach dem Objekte als solchem, sondern auf Grund physiologischer 
Momente eingetheilt sei, indem die Optik z. B. alle diejenigen 
Vorgänge, welche sich dem Auge, die Wärmelehre solche, die 
sich den specifischen Endorganen in der Haut darbieten, zum 
Gegenstand der Betrachtüng habe, demnach also an sich nur 
graduell verschiedene Bewegungen des Aethers in ganz getrenn¬ 
ten Kapiteln untergebracht seien. Die Physiologie der Sinne 
schlage aber auch zugleich durch Vermittlung der Psychologie 
dio Brücke zu den Gemeinwissenschaften. 

Im 1. Vortrage wird nun die umfassende Bedeutung des Ge¬ 
setzes von der specifischen Sinnesenergie klargelegt und an der 
Nouronenlehre, im Gegensatz zu den Apathi-Beth e’schen 
Anschauungen, festgehalten. Der 2. bis 10. Vortrag sind nach¬ 
einander dem Hautsinne und den Gemeingefühlen, dem Muskel¬ 
sinn, der Raumvorstellung, dem Gesclimack und Geruch, dem 


No. 37. 


Gehör und Gesichtssinn gewidmet. Im 11. Vortrag beginnt Ver¬ 
fasser mit der Physiologie des Gehirns, die in besonders anregen¬ 
der Weise behandelt wird und durch die eingehende Berücksichti¬ 
gung klinischer und pathologisch-anatomischer Beobachtungen 
am Menschen und die ausgedehnten G o 11 z’schen Versuche an 
Hunden und Affen erhöhtes Interesse in Anspruch nehmen darf. 
Zunächst wird im 11. und 12. Vortrag von dem Gehirn als Sitz 
des Bewusstseins gesprochen, darauf im 13. Vortrag die sen¬ 
siblen, im 14. die motorischen Bahnen des Gehirns und Rücken¬ 
marks verfolgrt und zusammenfassend im 15. Vortrage die Func¬ 
tionen des Grosshirns dargestellt. Der 16. Vortrag, betitelt: 
„Franz Joseph Gail und das Sprachcentrum“ ist einer Ehren¬ 
rettung dieses Forschers gewidmet, der 17. handelt vom Klein¬ 
hirn. Drei volle Vorträge, der 18., 19. und 20., befassen sieb 
ausführlich mit dem Schlaf, dem Hypnotismus und dem Winter¬ 
schlaf. Ironisch bemerkt Verfasser im 18. Vortrage: „Eintönige 
Geräusche machen bekanntlich sogar schläfrig, z. B. das Anhören 
einer Vorlesung“. Der Uebcrgang zur Muskel- und Nerven- 
physiologie wird im 21. Vortrage mit der Erörterung des Sym- 
pathicus eingelcitet, im 22. Vortrage mit der Besprechung der 
allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie vollendet, worauf im 
23. und 24. Vortrage thierische Elektricität und Stimme und 
Sprache sich anschliessen. Den Schluss des Buches bilden die 
Vorträge über Fortpflanzung, 25., 26., Vererbung, 27., und Re¬ 
generation, 28. 

Was das Buch besonders werthvoll macht, ist, abgesehen von 
der ganzen Art der Darstellung, die ausgiebige Benützung und 
Mittheilung der einschlägigen Literatur. Dadurch und durch 
reichliche Exkursionen in das Gebiet der Pathologie tritt es, zu¬ 
mal die physiologischen Arbeitsmethoden und die zugehörigen 
Apparate mehr oder weniger als bekannt vorausgesetzt werden, 
aus dem Rahmen eines Lehrbuches für den Anfänger in der 
Physiologie heraus und richtet sich an den schon mit etwas mehr 
Kritik ausgerüsteten älteren medicinischen Studenten und prak¬ 
tischen Arzt; ja man könnte das Buch füglich als das physio¬ 
logische Lehrbuch des praktischen Arztes bezeichnen. 

C. Liebermeister: Grundriss der inneren Medicin. 

Für Acrzto und Studirende. Tübingen, F. Pietzcker, 1900. 
Preis gebunden 8 M. * 

Der hervorragende Tübinger Kliniker, der bereits in den 
Jahren 1885—94 seine Vorlesungen über specielle Pathologie und 
Therapie herausgegeben, hat in dem vorliegenden Werke die ge 
sammte innere Medicin auf etwas über 400 Seiten kurz zu- 
sammengefasst. Eine so gedrängte Darstellung war nur dadurch 
möglich, dass L. das berücksichtigte, „was sich vorzugsweise für 
die Praxis als wichtig bewährt hat“ und das ausschloss oder nur 
andeutete, „was praktisch weniger wichtig erscheint,“ sowie da¬ 
durch, dass die Specialfächer, wie Geisteskrankheiten, Vergif¬ 
tungen, Hautkrankheiten und Syphilis weggelassen wurden. Es 
ist eine grosse Kunst, das Wichtigste einer Wissenschaft kurz 
zusammenzufassen und dabei doch leichtverständlich zu bleiben. 
Sie setzt neben völliger Beherrschung der gesammten Materie 
und der Fähigkeit klarer Darstellung einen Ueberblick voraus, 
wie ihn nur ein durch langjährige Krankenbeobachtung und 
Lehrthätigkeit erfahrener akademischer Lehrer sich erwerben 
kann. Wie sehr diese Voraussetzungen in dem vorliegenden 
Grundriss erfüllt sind, das lehrt eine Stichprobe, die vom Re¬ 
ferent in verschiedenen Abschnitten des Buches vorgenommen 
wurde und ihm zeigte, dass die mit gewandter Hand in feinen 
Strichen ausgearbeiteten Skizzen in der That das Wesentliche 
und Wichtige der Krankheitsbilder dem Leser vor Augen führen. 
Wir können daher Liebermeistcr’s Grundriss dem Stu- 
direnden als Leitfaden zum Unterricht und dem praktischen 
Arzt als Nachschlagewerk zu vorläufiger rascher Orientirung 
bestens empfehlen. Stintzing. 

Theodor L i p p s: Das Selbstbewusstsein; Empfindung und 
Gefühl. Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann, 1901. 
Preis 1 M. 

Die vorliegende Untersuchung ist eine psychologische Studie, 
die die Lösung ihrer Aufgabe auf Grund der durch die Selbst¬ 
beobachtung erforschten Thatsachen des eigenen Bewusstseins 
anstrebt. Die Ausführung trägt nicht selten einen polemisiren- 
den Charakter gegen die der Naturwissenschaft entstammende 
physiologische Psychologie. Wir unterlassen es, hierauf ein- 


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10. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1465 


zugehen, lind beschränken uns auf die positiven Resultate der 
Arbeit. . 

In seiner Darstellung geht Verfasser von dem Sprach¬ 
gebrauch des „leb“ aus: „Ich“ bezeichnet theilweise ausser dem 
Körper liegende Dinge — ich bin bestaubt (Kleidung) —, theil¬ 
weise Körpertheile — ich bin müde (Muskulatur) —, theilweise 
direkt die Psyche — ich bin musikalisch begabt —. Trotz der 
Verschiedenheit der Bezeichnungen muss doch ein und dasselbe 
„Ich“ hier zu Grunde liegen, ein primäres ursprüngliches „Ich“; 
dasselbe muss, wie alles Gedachte, aus einem unmittelbar Er¬ 
lebten seinen Inhalt hernehmen. Dieses „Ich“ hat die Eigen¬ 
schaft, dass es uns immer gegenwärtig ist. Eine Reihe von Er¬ 
klärungen des „Ich“' gipfelt, darin, dass das unmittelbar erlebte 
„Ich“ nichts für sieh ist, sondern dass es mit dem Gesummt¬ 
bewusstseinsinhalt zusammenfällt, dass es der Zusammenhang 
der Bewusstseinsinhalte oder Aehnliches sei. Eine genauere Er¬ 
wägung ergibt aber, dass mit Bewusstseinsinhalt nur eine Be¬ 
ziehung zum „Ich“ bezeichnet wird, nicht aber das „Ich“ selbst. 
Es besteht hierbei das Verhältnis, dass das „Ich“ dasjenige ist, 
wodurch alles als Bewusstseinsinhalt erscheint, dass es den Zu¬ 
sammenhang der Bewusstseinsinhalte schafft und bei den Be¬ 
wusstseinsinhalten, Empfindungen, Vorstellungen jederzeit 
vorausgesetzt ist. Dagegen ist das „Ich“ im Gefühl direkt ge¬ 
neben. Im Gefühl finde, habe oder erlebe ich mich unmittel¬ 
bar und ursprünglich. Die Frage nach dem „Ich“ bedingt also 
eine Untersuchung über das Gefühl. Gefühle sind nicht Em¬ 
pfindungen. Letztere sind gegenständliche Bewusstseinsinhalte, 
betreffen die Dinge ausser mir oder meinen Körper, Gefühle sind 
Elemente oder Bestimmungen meiner selbst, sind „Ich“-Inhalte 
oder „Ich“-Qualitäten. In jedem Gefühle als solchem steckt 
das „Ich“, in jedem Empfindungsinhalte die Gegenständlichkeit. 
Es ist durchaus falsch, Gefühle, insbesondere Affekte auf „Organ¬ 
empfindungen“ zurückzuführen. Gefühle sind vielmehr, sehr all¬ 
gemein gesagt, ,3ewusstseinssymptome von der Weise, wie sich 
die Psyche, die Persönlichkeit, das psychische Individuum zu 
dem, was es erlebt, was ihm zu Theil wird, was in ihm vorgeht, 
verhält, stellt, wie es darin sich bethätigt, davon affizirt wird, 
dagegen reagirt“. Oder von der Seite der psychischen Vorgänge 
aus betrachtet: „Gefühle sind das im Bewusstsein unmittelbar 
gegebene Symptom von der Art, wie sich die psychischen Vor¬ 
gänge und Zusammenhänge von solchen verhalten zur Psyche, 
zu ihrem überall gleichen oder von Individuum zu Individuum 
wechselnden Wesen, zu Anlagen, Temperament und Naturell, 
zu den ursprünglich gegebenen oder erworbenen Neigungen oder 
Bethätigungsrichtungen, zu den dauernden oder vorübergehenden 
Verfassungen, Zuständlichkeiten, Disponirtheiten, Gewohn¬ 
heiten“. Wie nun Gefühle und Empfindungen scharf zu son¬ 
dern sind, so darf auch der Körper nicht mit dem „Ich“ identifi- 
zirt werden, wenngleich er zur Peripherie des Bewusstseinslebens 
gehört, während das „Ich“ eben das Centrum ist. — In letzter 
Linie kann man das „Ich“ folgendermaassen definiren: Es ist 
das Wesen, das in den psychischen Erscheinungen sich bethätigt 
oder sein Dasein kundgibt. Es ist das Empfindende, Vor¬ 
stellende, Fühlende, Wollende, im Sinne des realen Substrates 
der als Empfindung, Vorstellung, Fühlen, Wollen bczeichneten 
psychischen Thatbestände oder Vorgänge. Es ist mit einem 
Worte die Psyche, d. i. dasjenige, was den Sinnen des fremden 
Individuums im Bilde eines Gehirns und materieller Gehirn- 
processe sich kundgibt, soweit es eben darin sich kundgeben kann. 
Die Psyche ist das den Bewusstseinserscheinungen und zwar zu¬ 
nächst das dem „Ich“-Gefühle, dann aber auch den gegenständ¬ 
lichen Bewusstseinsinhalten zu Grunde Gelegte. 

Geist- Zschadrass. 

Krieg: Atlas der Nasenkrankheiten. Stuttgart, Verlag 
von F. Enke, 1901. Sieben Lieferungen ä 6 M. 

Der durch seine wissenschaftlichen Arbeiten und seinen 
Atlas der Kehlkopfkrankheiten schon längst rühmlich bekannte 
Verfasser hat es in dem vorliegenden Werke unternommen, auch 
die Nasenkrankheiten in Bildern und kurzen Worten darzu- 
eulJen, und muss dieser Versuch als glänzend gelungen be¬ 
zeichnet werden. Wer die Schwierigkeiten der Aufnahme endo- 
nasaler Bilder kennt, wer weiss, wie viel auf die Haltung des 
Spiegels, die Beleuchtung und auf die Perspektive ankommt, der 
wird im höchsten Grade von den Leistungen K r i e g’s befriedigt 
sein. Den Abbildungen ist stets ein kurzer Text in deutscher 


Sprache und englischer Uebersetzung beigegeben. Im ersten 
Hefte befinden sich mehrere Abbildungen von angeborenen Der¬ 
moiden, Dermoidfisteln der Stirnhaut, ferner Bilder des nor¬ 
malen Naseninnern, Deviationen, Cristen und Spinen, Choaneu- 
verschlüssen. Im zweiten und dritten Hefte sehen wir dar- 
gestellt das Ekzem des Naseneinganges, die Follikulitis, ferner 
Frakturen und Luxationen, Atresien, Synechien, Nasendiph¬ 
therie, polypöse Rhinitis und Muschclhypertrophic, während das 
fünfte und sechste Heft Pseudonasenrachenpolypen, verschiedene 
Formen von hypertr. Rhinitis, Atrophie, Rhinitis sicca, per- 
forirendem Septumgeschwür, Nasenbluten, blutenden Septum¬ 
polypen und Tuberkulose bringen. Die Sehlusslieferungen ent¬ 
halten typische Bilder von Syphilis der äusseren und inneren 
Nase, von Carcinom, Sarkom und Nebenhöhlenerkrankungen, 
auch ist dem letzten Hefte ein Index und Verzeichniss der Ab¬ 
bildungen und des Textes beigegeben. Die Ausstattung ist 
glänzend, der betrauten Firma durchaus würdig, der Preis in 
Anbetracht des Gebotenen erstaunlich niedrig. Möge das schöne 
Werk allseitige Verbreitung finden. 

Scheck. 

Lassar-Cohn: Arbeitsmethoden für organisch-chemische 
Laboratorien. Ein Handbuch für Chemiker, Mediciner und 
Pharmazeuten. III., vollständig umgearbeitete und vermehrte 
Auflage. Allgemeiner Theil. Leop. Voss, Hamburg und Leip¬ 
zig, 1901. 213 Seiten. Preis 7 M. 

Das allgemein bekannte Lassar-Coh n’sche Hilfsbuch 
für organisch-chemische Arbeiten ist in seiner ersten Hälfte: 
„Allgemeiner Theil“ soeben in dritter Auflage erschienen. Die 
neue Auflage ist vollständig umgearbeitet und wesentlich er¬ 
weitert. Der erste — allgemeine — Theil erscheint in der dritten 
Auflage als selbständiges Heft von 213 Seiten Umfang Gross¬ 
oktav (während das ganze Werk in erster Auflage 330 Seiten 
Kleinoktav, der „Allgemeine Theil“ 88 Seiten umfasste). 

In dein „Allgemeinen Theil“ sind die Methoden, die 
bei organisch - chemischen Arbeiten in Betracht kommen, 
mit grösster Ausführlichkeit und Vollständigkeit geschildert. — 
Sämmtliche Methoden des organisch - chemischen Arbeitern» 
sich anzueignen dürfte dem Chemiker nur durch vieljährige 
und vielseitige Laboratoriumsarbeit gelingen. Diese Methoden 
finden sich nun nirgends (oder nur die allgemeinsten 
unter ihnen) systematisch aufgeführt: weder in den grossen 
Handbüchern der organischen Chemie noch in den Werken 
über qualitative oder quantitative Analyse. Das Lassar- 
Coh n’schc Buch ist daher für Jeden, auf dem Gebiete der 
organischen Chemie Arbeitenden, von unschätzbarem Wcrtlie, 
indem es ihm für alle möglichen, in Betracht kommende Maass¬ 
nahmen genaue, durch zahlreiche Abbildungen veranschaulichte, 
Anweisungen gibt. In dem „Allgemeinen Theil“ werden nach¬ 
einander besprochen: Ausschütteln, Bäder, Destillation, Dialyse, 
Entfärben und Klären, Filtriren und Abpresseu, Krystallisation, 
Lösungsmittel, Moleculargewichtsbestimmungen, Schmelzpunkt- 
lnst inunung, Siedepunktbestimmung, Sublimation, Tro-knen und 
Entwässern. 

Ganz besondere Dienste wird das Buch auch dem Mediciner 
leisten. Demselben ist es naturgemäss noch schwerer als dem 
Chemiker möglich, sich sämmtliche Methoden des organisch¬ 
chemischen Arbeitens anzueignen. Das Buch setzt ihn durch 
seine präzisen und ausführlichen Anweisungen in den Stand, 
überall das richtige Verfahren einzuschlagen, und - unter Er¬ 
sparung von viel Mühe und Zeit, zu befriedigenden Resultaten 
zu gelangen. H e i n z - Erlangen. 

Neueste Journalliteratur. 

Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 35. 

Carl RösBler: Ueber Skatolroth und ähnliche Hamfarb- 
stoffe. (Aus dem pathologisch-chemischen Laboratorium der k. k. 
Krankenanstalt „Rudolfstiftung“, Vorstand: Dr. Freund.) 

Bei der Indlkanprobe im Harn sieht man häufig die über dem 
Chloroform stehende Flüssigkeit verschieden gefärbt. Diesen 
Farbstoff, der meist in brauner Farbe in Amylalkohol übergeht 
und der auch beim Versetzen des Urins mit rauchender Salzsaure 
und Auschüttelu mit Amylalkohol entsteht, suchte R. zu deüniren. 
Eine Reihe von Versuchen, die Farbstoffe zu isoliren, als.. Ins¬ 
besondere von Urorosöin und Indlgroth frei zu bekommen, ergab n 
eine sichere Charakterislrung nicht. Des Weiteren untersucht.- 


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1466 MTTENOHENER MEDIOINTSCHE WOCHENSCHRIFT. No. 37. 


nun li. die Löslichkeit der einzelnen Farbstoffe in allen möglichen 
Lösungsmitteln, um dann ITrine, die weder die Nencki'sohe 
Urorosein-, noch die H uppert’selie Indigrothreaktion im nativen 
Zustande gaben, weiter zu prüfen. Dabei ergab sich, dass die 
Menge der zugesetzten Sjiure von wesentlichem Einfluss auf die 
Entstehung der Farbstoffe war. Auf dem Wege des Ausschlusses 
kommt Verfasser nun zu dem Resultat, dass es sich um Skatol- 
rotli handle. Er suchte diese Annahme durch (laben von (Mi bis 
1,4 g Skntol (K a li Ibau in) pro die und nachherlgen Nachweis von 
Skatol in dem betreffenden Amylalkoholextrakt durch die Nitro- 
prussidrenktion und die Fichtenspahnreaktion beweiskräftig zu 
machen. Die Aethorsehwefeisäuren waren dabei nicht vermehrt, 
so dass Verf. eine Paarung mit einer anderen Säure (event. Glyku- 
ronsäurei annimmt. — Danach ergibt sich für den Nachweis 
von Skatolroth: V«*rsetzen von 10 ccm frischen Urins mit dem 
gleichen Volumen rauchender Salzsäure, nach 5 Minuten mit 5 ccm 
Amylalkohol ausschütteln. event. vorher Versetzen mit */„. Vol. 
Bleizucker und Entfernen von ludigroth und -blau. Die Skatol- 
rothreaktion geht keineswegs mit der lndlgblaureaktion parallel. 

d e 1 a Ca m p - Berlin. 

Archiv für klinische Chirurgie. 64. Bd., 3. Heft. Berlin 
llirschwald, 1ÜU1. 

31) v. E i s e 1 s b e r g - Königsberg: Zur Technik der Urano- 
plastik. (Auszugsweise vorgetragen auf dem 30. Chirurgcn- 
kongress.) 

v. E. berichtet über mehrere Versuche zur Deckung von 
Gaumendefekteu, die er ausführte, weil entweder der Versuch 
der Uranoplastik narb v. Laugenbeck theilweise oder ganz 
misslungen war oder wegen zu starker Spannung der Wundränder 
von vorneherein nicht ausführbar erschien. Im ersten Falle war 
die Naht nach der Uranoplastik bis auf eine kleine hintere Brücke 
auseinandergewichen: der Defekt wurde durch einen gestielten 
Lappen aus dem Vorderarme gedeckt, dessen Brücke aui 10. Tage 
durchschnitten wurde. Der Erfolg war ein guter. Bel zwei 
weiteren nach Uranoplastik gebliebenen Spulten hu vordersten 
Thell des Gaumens konnte der Defekt durch frontale Abspaltung 
des mucösen Ueberzugs des Zwischenkäufers und Hiuaufklapiien 
dieses Lappens geschlossen werden. 3 Fälle von breitem, ein¬ 
seitigem Urauoschisma wurden in der vorderen Hälfte durch einen 
Lappen aus dem Vomer zum Verschluss gebracht: Schnitt Im 
Vomer parallel dem Spaltrand, l'/ 2 cm oberhalb der Verbindung 
mit der horizontalen Gaumenplatte, Drehung des dadurch ge¬ 
bildeten Lappens um seine Sagittalachse und Vereinigung mit dem 
lateralen Spaltrand. Im 4. Falle endlich wurde die doppelte Auf¬ 
gabe: Verschluss des Urauocolobouia autlcum uml Hebung U‘‘i 
eingesunkenen Nase, in kosmetisch befriedigender Weist* gelöst 
durch Einpflanzung des kleinen Fiugers in den Defekt. Der 
Finger wurde nach 20 Tagen in Höhe des Artic. metaearp. phal. 
durchtrennt. E. empfiehlt namentlich die letztere Methode zur 
Nachahmung in solchen Fällen, wo die gewöhnliche Methode 
wegen Materialmangels nicht ausführbar ist. 

32) G u 1 e k e: Beitrag zur Statistik des Mammacarcinoms. 

Zusammenstellung der ln der Klinik des Herrn Gehelmrath 

Prof. Dr. E. v. Bergmann ln den Jahren 1882—1891) zur Be¬ 
obachtung gelangten Fälle von Mammacarcinom. 

G. berechnet aus 382 Fällen, die mindestens 3 Jahre lieobachtei 
sind. 28,79 Proe. Dauerheilmtgen. Genaueres muss im Original 
nachgesehen werden. 

35) K a t z e n s t e 1 n - Berlin: Beitrag zur Pathologie und 
Therapie der Spina bifida occulta. 

Bel dem Patienten K.’s fand sich ein Defekt der Wirbelbögen 
im Bereich des 5. Lendenwirbels und der oberen Krcuzlielnwirbel. 
Die Haut zeigte an entsprechender Stolle eine trichterförmige, mit 
Haaren besetzte Einziehung. Der 17 jährige Kranke litt seit frühe¬ 
ster Kindheit an trophisehen Störungen der unteren Extremitäten; 
im 11. Lebensjahre waren Blasciistöruugcn aufgetreteu. die zu 
vollkommener Inkontinenz geführt hatten. Die operative Frei¬ 
legung zeigte einen derben, reichlich elastische Fasern enthaltenden 
Strang, der die nabelartige Einziehung der Haut fest mit der Dura 
verband: die Exstirpation des Stranges führte zur Heilung der 
Blnsenlähmung, während die tropliisclien Störungen unverändert 
blieben. 

Der Zusammenhang zwischen äusserer Haut und Rückenmark 
ist (neben dem Offenbleiben des Wirbelkanals und dein Auftreten 
einer Muskelgeschwulst in und um den Wirbelkanal) charakte¬ 
ristisch für die Spina bifida occulta, die in Folge mangelhafter 
Trennung des Medullarrolirs vom Hornblatt entsteht. Während die 
im foetalen Leben und die in frühester Jugend auftretenden 
Innervntionsstörungen durch eine falsche Anlage des Rücken¬ 
marks oder durch Druck von Selten der Membrana rounleus post, 
bedingt sind, erklärt K. die erst zur Zeit des grössten Körper- 
waehsthums sich ausbildenden Störungen durch Zug seitens der 
strangartigen Verbindung zwischen Haut und Rückenmark. Der 
Zug kommt dadurch zu Stande, dass das Wachstlium des Rücken¬ 
marks mit dem der Bedeckungen nicht gleichen Schritt hält, so 
dass dasselbe gleichsam im Wirbelkanal nach oben rückt. 

30i L a n g e r: Erfolgreiche Exstirpation eines grossen 
Haemangioms der Leber. (Gynäkologische Abtheilung des 
Krankenhauses der Elisnbetliinerinnen zu Breslau.) 

Reichlich kürbisgrosser Tumor, von der Unterfliicho des linken 
Leberlappens ausgehend. Die sehr schwierige und blutige Ex¬ 
stirpation gelang sehliesslich. nachdem der Tumor nach Möglich¬ 
keit aus seiner Kapsel ausgelöst war, durch Umstechung des 15 cm 


breilen und 22 cm dicken aus Lelwrgewebe bestehenden Stieles 
mittels der D 6 e h a m p’schen Nadel ln 20 Portionen uud Ab¬ 
tragung mit dem Thermokauter. Das Geschwulstbett wurde ringsum 
am Peritoneum nngeniiht und tamponirt. Trotz enormen Blutver¬ 
lust« erfolgte Heilung. Besprechung der Literatur. 

43) Payr: Weiter© Mittheilungen über Verwendung des 
Magnesiums bei der Naht der Blutgefässe. (Chirurgische Kliuik 
Graz.) 

P. hatte Gelegenheit, den früher (Bd. 62, H. 1 d. Archivs) ge¬ 
machten Vors; h'ag der Vereinigung durchschnittener Gefäme mitte!« 
einer Magnesiumprothese praktisch zu erproben bei Gelegenheit 
der Exstirpation eines Drüsenearcinoms der Leistengegend, bei der 
4*4 cm der Vena femoralis reseeirt werden mussten: die Vereinigung 
des Gewisses gelang ohne Schwierigkeit, die Circulation kam sofort 
nach Lösung der Klemmen in Gang. Bei dem am 3. Tage an Pneu¬ 
monie erfolgten Tode des Patienten zeigte sich, dass das Lumen 
des Gefiisses frei durchgängig war, dass keine Spur von Blutung 
durch die Verelnigungsstelle erfolgt war, und dass nirgends Throm¬ 
ben vorhanden waren. Die Verklebung der beiden intimaflächen 
war eine ziemlich feste, was sich auch mikroskopisch nachweiseil 
Hess. 

Für den provisorischen Schluss der Gefässe empfiehlt P. eine 
besondere Klemme, die abgebildet ist. Die Form der Magnesimn- 
prothese hat gegeu früher kleine Modifikationen erfahren, worüb-r 
im Original naehzuselien ist. 

33) K ü s t e r - Marburg: Die Nierenchirurgie im 19. Jahr¬ 
hundert. Ein Rück- und Ausblick. 

34) I< ü m m e 11 - Hamburg: Praktische Erfahrungen über 
Diagnose und Therapie der Nierenkrankheiten. 

37) Alex. F r a o n k e 1 - Wien: Zur Wundbehandlung nach 
Operationen wegen lokaler Tuberkulose. 

38) W o li 1 g e nt u t li - Berlin: Eine neue Chloroform-Sauer¬ 
stoffnarkose. 

39) Reger- I binzlg: Die Krönlei n’schen Schädelschüsse. 

40) C r a m e r - Wiesbaden: Ueber die Lösung der verwach¬ 
senen Kniescheibe. 

41) It o 11 e r - Berlin: Zur Behandlung der akuten Peri¬ 
typhlitis. 

42) B r a u n - Göttingen: Ueber die Resektion des Hals- 
sympathicus bei Epilepsie. 

44» Ehrhardt: Ueber Zerstörung von Oeschwulstresten 
in der Wunde durch heisses Wasser. (Chirurgische Klinik 
Königsberg.) 

45) B 1 u m b e r g - Berlin: Experimentelle Untersuchungen 
über Quecksilberaethylendiamin in fester Form als Desinfek¬ 
tionsmittel für Hände und Haut. 

Die Referate über vorstehende Arbeiten finden sich in dem 
Bericht über den 30. Cbirurgenkougress, No. 10—19 dieser Wochen- 
schrift. H e 1 n e k e - Leipzig. 

Archiv für Gynäkologie. 03. IM., 3 Heft. Berlin 1901. 

1) Walter Albert: Latente Mikrobenendometritis in der 
Schwangerschaft, Puerperalfieber und dessen Prophylaxe. (Aus 
der k. Frauenklinik ln Dresden.) 

Ausser den Gonoeocceu kommen Im Endometrium der 
schwangeren Frau Eitererreger und andere Mikroben vor, welche 
vor der Geburt nur geringe oder keine Krauklieitserselieinungen 
machen, jedoch nach der Geburt Fieber, ja selbst den Tod der 
Wöchnerin verursachen können. — Eine 27 jährige I. Para starb 
unentbuuden 3 Tage nach dem Blaseusprung; die Obduktion ergab 
einen handtellergrossen Eiterherd hoch oben zwischen Eihäuten 
und Uteruswand. Es war nur einmal nach dem Blaseusprung 
vaginal untersucht worden. — Eine zweite Frau starb unter dem 
Bilde der Sepsis acutissiina 42 Stunden hach der Geburt. Vorher 
14 Tage lang Allgemeinstöruugeu (auch Schüttelfröste), einmal 
vagiunl untersucht 4 Stunden vor der Entbindung. Abscess am 
Fundus utcri, Gewelie von Streptococcen durchsetzt. Die Therapie 
hat die Aufgabe, mehr als bisher von den weiblichen Genitalien 
Infektionen fern zu halten. 

2) G. Heinrlcius: Ueber die pathologische Bedeutung 
der Retroversioflexio uteri. (Aus der geburtsh.-gyuäkol. Uni¬ 
versitätsklinik ln Helsingfors.) 

Für die unkomplizirte Retrodeviation der Gebärmutter gibt 
es keinen charakteristischen Symptomenkomplex oder einzelne 
Symptome. Dabei vorkommende Beschwerden beruhen in Stör¬ 
ungen ln den Genitalorganen (Druckwirkung des retroflektirten 
Uterus) oder ln anderen Theilen des Organismus. 

3) Axel R. Limnell: Zur Anatomie der Ovarialtumoren. 
(Aus der geburtsh.-gynäkol. Universitätsklinik zu Helsingfors.) 

L. bespricht die verschiedenen Arten der Ovarialtumoren auf 
Grund eines Materials von 250 klinisch beobachteten Fällen und 
50 pathologisch-anatomischen Präparaten. Dabei folgt er überall 
der von Pfannenstiel aufgestellten Theorie. 

4) Axel Wallgren: Zur Kenntniss der Inversio uteri. 
(Aus der geburtsh.-gynäkol. Universitätsklinik zu Helsingfors.) 

W. thellt 4 Fälle von Inversio uteri mit. vou diesen waren 
3 komplet, eine inkomplet; 2 mal handelte es sich um puerperale 
und 2 mal um durch Geschwülste verursachte Inversion. Alle 
Fälle wurden operativ behandelt, 2 mal wurde der Uterus er¬ 
halten, eine Frau starb nach Amputation des Uterus an Anaeuiie. 
die übrigen 3 wurden geheilt. — Eingehende Llteraturaugalien. 

5) F. E. Hellstroem: Untersuchungen über Verände¬ 
rungen in der Bacterienzahl der Faeces bei Neugeborenen. (Aus 
dem Laboratorium der geburtsh.-gynäkol. Universitätsklinik in 
Helsingfors.) 


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10. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1457 


H. machte eigene Untersuchungen an 5 Neugeborenen und 
fand, dass bis zum 4. Lebenstag tlie Zahl der ln Kulturen entwick¬ 
lungsfähigen Keime aus den Fäces eine ungewöhnlich hohe ist. 
Von da ab sind die meisten der lm Gesichtsfeld unter dein Mikro 
skop sichtbaren Keime als abgetödtet anzusehen. Die Ursache 
bildet H. darin, dass in den ersten Tagen der Nährgehalt des 
Darmlnhaltes grösser ist als ln den spätem, und dass die ent 
stehende saure Reaktion noch nicht ihre volle Wirkung übt. 

G) Hjalmar Bergholm: Bacteriologische Untersuchungen 
des Inhalts von Pemphigusblasen in Fällen von Pemphigus 
neonatorum. (Aus dem Laboratorium der geburtsli.-gyuUkol. Uni¬ 
versitätsklinik in Helsingfors.) 

Aus Anlass einer Pemphigusepidemie in der Gebäranstalt, 
untersuchte B. den Inhalt von 0 Pemphigusbinsen und fand einen 
Coccus in Reinkultur, den er für identisch hält mit dem von 
anderen Untersuchem gefundenen (W h 1 p h a m). Damit ge¬ 
impfte Mäuse starben zu 80 Proc. innerhalb der ersten 5 Tage, 
zeigten Jedoch keine Hauteruption. 

7) Carl H a h 1: Strlktur des Os internum uteri als Geburts- 
hindemiss. (Aus der geburtshilfl.-gynäkol. Universitätsklinik ln 
Helsingfors.) 

Bel einer 24 jährigen II. Para bestand 10 cm über dem Os 
exteruum eine derbe Stenose, nur 2 cm weit, der Uterus war an¬ 
dauernd tetanlsch. Tarulor’s Eearteur erweitert für 3 Finger. 
Cninioclast vergeblich angewendet, Extraktion am Fuss. Spätere 
Beobachtung zeigte, dass es sich um eine angeborene oder früh 
erworbene Im Os internum gelegene Strietur handelte. 

8) Robert Ehrstroem: Ueber die sog. puerperale Pep- 
tonurie. (Aus der geburtsh.-gvuäkol. Universitätsklinik in Hel¬ 
singfors.) 

Pepton und Deuteroalbumose sind auseinanderzuhaltcn. Bei 
Schwangeren und Wöchnerinnen kommt nach den von E. bei 
8 Frauen angestellten Untersuchungen Deuteroalbumose im Harn 
iiomial uielit vor, sondern ist stets als eiue pathologische Er¬ 
scheinung zu betrachten und zwar als eine Folge der Temjiera- 
tursteigerung. Dr. Anton H e n g g e - München. 

Hegar’s Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Bd. V, Heft 1. Leipzig, Arthur Goorgi. 

Pli. Langhans - Bern : Syncytium und Zellschicht. 
Placentarreste nach Abort. Chorionepitheliome. Hydatidenmole. 

(Mit 3 Tafelnd 

Die Arbeit, die mit wenigen Worten zu referiren ganz un¬ 
möglich ist. behandelt in ihrem ersten Theil die zur Zeit bezüglich 
der Anatomie der Plaeenta Im Vordergrund des Interesses stehende 
Frage über die Entstehung und das gegenseitige Verhältniss von 
Syncytium und der nach dem Verf. benannten Zellschicht. Sic 
bringt die Resultate einer ausgedehnten Erfahrung, die ausschliess¬ 
lich die menschliche Plaeenta betrifft. Zu genauem Studium der 
Frage ist nach des Verfassers Ansicht unbedingt erforderlich 
frisches Material und feinste Schnitte; auch die Krankheiten der 
Verstorbnen und die Konservirungsmetboden sind wohl zu be¬ 
rücksichtigen. Im Ganzen Ist die Finge über die Beziehungen 
zwischen Syncytium und Zellschicht noch nicht definitiv zu ent¬ 
scheiden und die Entstehung des Syncytium aus dem Uterus¬ 
epithel Ist noch eine Hypothese. Der zweite Theil der Arbeit 
bringt eiue Reihe genauer mikroskopischer Untersuchungen von 
Placentarresten nach Abort, dann folgen vier Fälle von Cboriou- 
epitheliom, die Verf. beobachtete und bei denen der Charakter 
des Chorionepithels wenig oder gar nicht verändert war. Bezüg¬ 
lich der Auffassung der Blasenmole spricht sich Verf. gegen die 
Stauungstheorle (Behinderung des Blutstroms In der Vena umbil.i 
wie auch gegenMieVlrcho w’scheTheorie (Muclnentwicklung) aus. 

E. K e h r e r - Freiburg: Pathologisch-anatomischer Beitrag 
zur sogen. Salpingitis isthmica nodosa. (Mit 2 Abbild.) 

K. hat einen Uterus infantills planifundalis. bei dem die Be¬ 
funde eines Adenomyoms des Tubenwlukels oder einer Salpingitis 
isthmica nodosa der Form nach zu erwarten waren, in Serien¬ 
schnitte zerlegt. Derselbe stammte von einer 20Jiihr. Nullipara und 
wurde abdominal entfernt. K. kommt nach seinem Befund und 
Vergleich mit dem anderer Autoren zu dem Schlüsse, dass beide 
Formen der Salpingitis am Istlunus und Tubonwinkel (intra- 
tuuralis et Isthmica) durch Entzüudungserreger entstehen, die 
fähig sind, chronische Prozesse zu unterhalten, dass die S. Intra- 
muralis besonders durch Tuberkelbacillen entsteht und man also 
bei knotenförmigen Verdickungen seitlich an der Pars keratina 
des Uterus an Tuberkulose denken muss, während der S. isthmica 
für die Mehrzahl der Fälle eine gonorrhoische Aetiologie beizu¬ 
messen ist. Genetisch kommt für epitheliale Bildungen Innerhalb 
der Tubenwand in Betracht die Tube und die ITrniere. wahr¬ 
scheinlich auch die Uterusmucosa der Tubenecken und das 
Serosaeplthel. Die epithelialen Hohlräume im angeführten Falle 
waren direkt durch Ausstülpungen 1 der Tubenschleimhaut ent¬ 
standen. 

F. Kerraauner und H. Lnmfirls - Graz: Zur Frage der 
erweiterten Operation des Gebärmutterkrebses. (Mit 14 Abb.) 

Anf Grund der statistischen Arbeit aus der Grazer Klinik, 
die 34 Fälle von abdominaler Rndikaloperation umfasst, und 
eigener Erwägungen halten sich die Verfasser für berechtigt, 
folgende Hanptsätze aufzustellen: Nur beginnende Portioearcinome 
einer Lippe können supravaginal nmputlrt werden; Orvixcnrclnome 
erfordern die Laparotomie und gründliche Drüsonausrihiniung; 
Nelienverletzungen sind hei weiter Imlikationsstellung oft unver¬ 
meidlich; die Gefahren dieser veränderten F r e u n d'schen Ope¬ 
ration sind geringer geworden; die Abwägung des Eingriffs hängt 
nur von der klinischen Untersuchung der Parninetrien ab; bei 


Komplikation mit Gravidität und Geburt ist. die erweiterte 
Freund’sche Operation stets zu empfehlen; die Art des Weiter¬ 
greifens im Bindegewebe ist verschieden, Drüsen werden an «len 
typischen Stellen ergriffen. 

K. Wo 1 f f - Strassburg i. E.: Ein Fall von Neurofibromatose. 
Waohsthum und Neuaultreten in der Gravidität. (Mit 3 Abb. 
und i Tafel.) 

Verf. hat schon früher 4 Fälle der Interessanten Krankheit 
veröffentlicht, bei der es sich um nugelioreue libromntöse Diiithese 
huudelt und fügt diesen jetzt einen hinzu, der sieh bei einer 
35 jährigen 1. Para fand, deren Bauch und Brust ganz von kleinen 
braunen Geschwülsten bedeckt war; doch fanden sie sich auch 
sonstwo. Eine dieser wurde exstirpirt und die genaue Unter¬ 
suchung ergab typisches Neurofibrom: es gelang, was selten ist. 
der Nachweis von Nervenfasern ln dem Hauttumor. ohne dass 
Geschwulstbildung an den grossen Nerven sieh fand, ln den 
letzteren Wochen der Gravidität war starke Neueniption aufge¬ 
treten. 

A. M 11 ry-Basel: Zur Prophylaxe der Mastitis. 

Verf. empfiehlt, nach der Geburt Warze und Areola mit ge¬ 
sättigter Borsäureiösung zu reinigen. Borken mit Vaselin zu ent- 
entfernen. Auf Jede Warze kommt sofort eiu in 4 proc. Bor 
lösnng getauchtes Läppchen, darfilier Guttapercha und nochmals 
Gaze. Dies bleibt im Puerperium mul wird nach dem Stillen er¬ 
neuert; auch wird vor und nach dem Anlegen der Mund des Kindes 
mit Borlösung gereinigt. Vogel- Würzburg. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd 

2. lieft. 

1) R. B o u u e t - Greifswald: Zur Aetiologie der Embryome. 

Vortrag, gehalten im medieinisehcn Verein zu Greifswald 

am 1. Dezember 1000.' Referat siehe Wochensehr. No. 8. S. 313. 

2) K r o e n 1 g und F u e t h - Leipzig: Vergleichende Unter¬ 
suchungen über den osmotischen Druck im mütterlichen und 
kindlichen Blute. 

Veit, der die ersteu Versuche ülier den osmotischen Druck 
im mütterlichen und kindlichen Blute durch Gefrierpunktsliestim- 
muHgcu angestellt hat. kam zu dem Resultat, dass mütterliches 
und kindliches Blut nicht isotonisch sind, sondern dass dem kind¬ 
lichen Blute ein höherer osmotischer Druck zukommt wie dem 
mütterlichen. Die Ursache des höheren osmotischen Druckes im 
kindlichen Blute schreibt er einer sekretorischen Thätigkcit der 
Zellen der L a n g li a n a’sehen Schicht zu. wodurch ein reicherer 
Uehergang von Salzen auf das kindliche Blut bedingt würde. Kr. 
und F. haben diese wichtigen Untersuchungen V e i t's von Neuem 
aufgeiiommen. von der Ueherzetigung ausgehend, dass die Mutter 
und Kind trennende zarte Membran bei einem osmotischen Drttck-^ 
unterschiede kaum Widerstand leisten könne. 

Die Resultate dieser Untersuchungen differiren mit den von 
Veit gefundenen Zahlen, der mit dersellien Methode die Gefrier- 
punktshcstiiiimuiigen vornahm und auch den B e c k m a n n'selien 
Apparat benutzte, mit dem Einzelmessiiugen bis zu eines 
Grades genau auszuführen sind. 

Verf. stellten hei mehreren einzelnen Blutprolien je 4 Einzel- 
messungen zur Bestimmungdes Gefrierpunktes an und nahmen dann, 
nachdem alle möglichen Fehlerquellen genau festgestellt waren, 
vergleichende Gefrlerpunktsbestimniungen zwischen mütterlichem 
und kindlichem Blute vor. Die Versuche ergaben, dass Blutplasma. 
Blutserum und Blutkörpereben derselben Blutprolie dieselbe Ge¬ 
frierpunktserniedrigung haben. Diese ändert sieh durch wieder¬ 
holtes Aufthauen und Gefriereidassen des Blutes bei kräftigem 
Schütteln nicht. Mütterliches und kindliches Blut befinden sieh 
am Ende der Austrelbungszeit der Geburt im osmotischen Gleich¬ 
gewichtszustand. Als Mittelwert)! fand sieli bei filier 20 ange¬ 
stellten Gefrierpunktsbestiinmungen des Blutes der Krelsseiwlen 
und der Neugelioreiien — 0.320. 

3) B r u n n e r - Zürich: Kasuistische Mittheilungen. 

1. Ein Fall von Uervixeaivlnom mit Pyometra und Pyokolpos 
bei Airesla vaginae senilis bei einer 70Jährigen Frau. Der bis 
In die Mitte zwischen Proc. xiplioideus und Nabel ragende Tumor 
wurde zwischen Urethra und Rectum eröffnet. Es entleerte sieh 
viel schmutzig - gcllier Eiter, der sieh bei der bakteriologischen 
Prüfung als steril erwies. Erst jetzt konnte festgestellt werden, 
dass es sich um ein vorgeschrittenes Carelnom der Cervix handelte. 
Die Ursache des Scheiden Verschlusses war eint* Vaginitis adhaesivn 
senilis, die vor 12 Jahren, als Patientin starken Ausfluss hatte, 
einsetzte. 

2. Ovarialtumor von aussergewöhnlieher Grösse. Leibes¬ 
umfang 108 cm. Punktion wegen hochgradiger Dyspnoe. Abfluss 
von (>()'/, Liter Flüssigkeit. Nach 3 Tagen Exstirpation der Cyste, 
die papillären Bau zeigte und ein Gewicht von 10 kg hatte. Nach 
2 Monaten Ascites. Wiederholte Punktion. Unter zunehmenden 
Beschwerden und Marasmus Exitus letalis. 

Die Autopsie ergab starken Ascites, an der Oberfläche des 
Peritoneums zahllose Knötchen. Das kleine Becken war von Ge¬ 
schwulst müssen ausgefüllt. Es handelte sieh um ein Carelnom. 

An die Beschreibung des Falles knüpft Verf. noch einige Be¬ 
merkungen über die Häufigkeit der grossem Ovarialtumoren und 
filier die Entwicklung maligner Geschwülste auf dem Peritoneum. 

4) Sehr ö der- Bonn: Zur Kaiserschnittfrage. (Moliatssehr. 
f. Geb. ii. Gyn. Bd. X. II. 4.1 

Verf. wendet sieh gegen Hiilil. der auf Grund der In der 
Literatur bekannten Kaiserschnittsfälle mit querer Eröffnung des 


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1468 


IJterusgrundes dem Längsschnitt den Vorzug vor dem queren 
Fundalschnitt gibt. 

Sehr, theilt 13 neue Kaiserschnittsfälle mit querer Eröffnung 
des Fundus mit, bei denen sich die von ihm schon früher hervor- 
gehobeuen Vorzüge dieser Schnittrichtung wieder bestätigt haben. 

Neben der Erleichterung und Vereinfachung der Technik 
dieser Methode lässt sich das Einfliessen des Fruchtwassers in die 
Bauchhöhle sicherer vermeiden; die Blutung aus der Uteruswunde 
ist gering und lässt sich leichter stillen; diePlacenta wird nur selten 
vom Schnitt getroffen; die Entwickelung des Kindes ist einfacher 
und schneller, dadurch die Kontraktion des Uterus eine raschere. 

Die Gefahr der Infektion des Peritoneums ist bei der einen 
Schnittrichtung nicht grösser wie bei der anderen. 

f>) P a 1 m - München: lieber papilläre polypöse Angiome und 
Fibrome der weiblichen Harnröhre. (Fortsetzung im nächsten 
Heft.) A. G e s s n e r - Erlangen. 

Centralblatt für Gynäkologie, 19ol. No. 35. 

1) Anselm Feitel- Wien: Zur arteriellen Gefässversorgung 
des Ureters, insbesondere der Pars pelvina. 

Eine vorläufige Mittheilung, in der F. angibt, dass er bei 
8 anatomischen Präparaten einen neuen Ast der Iliaca communis 
resp. hypogastrica gefunden, den er „Arteria ureterica“ nennt, und 
welche bei der Radicaloperation des Uteruscarcinoms gefährdet sein 
soll. Hierdurch sollen die häufig danach beobachteten Ureter¬ 
nekrosen zu erklären sein. 

2) F. A. Kehrer-Heidelberg: Pelvis plana osteomalacica. 

Den bisher bekannten 3 Formen platter Becken: Pelvis plana 

Simplex, rachitica und ubique rainor plana fügt K. eine 4. Form 
hinzu, die er Pelvis plana osteomalacica nennt Sie 
entspricht dem ersten Stadium der osteomalakischen Formver- 
anderungeu und kann viele Jahre dauern. Hier ist die Messung der 
Conjugata diagonalis von grosser Bedeutung. Geburtsverlauf und 
Therapie sind die des platten Beckens. K. hat diese Beckenform 
in Glessen und Heidelberg vielfach beobachtet und beschreibt zum 
Schluss die beiden zuletzt von ihm gesehenen Fälle. 

J a f f 6 - Hamburg. 

Jahrbuch für Kinderheilkunde. 54. Bd. Heft 2 . 

.. I'nlk e n h e i m - Königsberg: Ueber familiäre amau¬ 
rotische Idiotose. 

Iteferirt in No 42, 1900, Bd. 47 dieser Wochenschrift. 

0) Ernst S c h i f f - Grosswardein: Neuere Beiträge zur 
Haematologie der Neugeborenen. (Schluss.) 

Das specifische Blutgewicht des Neugeborenen beträgt vom 
1—0. Tag ca. 1,07—1,08, vom 7—10. Tag ca. 1,00—1.07. bei einer 
, gleiclimüssigen Abnahme um ca. 0.001 pro die. Dabei ergibt sich 
besonders in den ersten 3 Lebenslagen ein etwas höherer Werth 
bei Pag, als bei Nacht. Kräftige Entwickelung und späte Ab 
nabelung bei nicht iktorischen Säuglingen geben hohe Werthe. 
Blutkörperchenzahl und Haemoglobingehalt scheinen ohne Ein¬ 
fluss zu sein, wohl aber von Einfluss die Nationalität. 

Literaturbericht. — Besprechungen. 

S 1 e g e r t - Strassburg. 

Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 29 Bd* 

3. Heft. 1901. 

13) R. A. Redding ins: Die Zellen des Bindegewebes. 
(Aus dem pathologischen Institut zu Groningen.) 

R. betont die Einseitigkeit unserer heutigen histologisch- 
pathologischen (mikroskopischen) Untersuchungsmethode und be¬ 
richtet über seine Untersuchungen, bei denen er die N i s s l’sche 
Ganglienzellenfärbung anwendet, wodurch neben der Färbung der 
Kerne und Kernkörperchen des Bindegewebes auch die Struktur 
des Protoplasmas und die Zollgrenzen deutlich hervortreten. Durch 
seine Untersuchungen über die Frage der Entzündung wird wieder 
die aktive Thiitigkeit des Gewebes mehr in den Vordergrund 
gerückt. 

14) D. Schirschoff - St. Petersburg: Beitrag zur Kennt- 
niss der zellförmigen Elemente der Eihäute der Vögel. (Aus 
dem pathologischen Institut zu Freiburg i. B.) 

Ausgehend von den S c h ü 11 e r’schen Untersuchungen 
(Monatsschrift für Unfallheilkunde No. 9, 1899) über die Heilung 
granulirender Wundeti durch Bedeckung mit der Selialenlnnenhaut 
eines Hühnereies weist Verfasser auf Grund seiner embryologisch- 
histologischen Untersuchungen die Ansicht jenes Autors hinsicht¬ 
lich der Genese der Schalcuhaut als unrichtig nach, bestätigt aber 
die klinischen Beobachtungen desselben über die Wucherung« 
fähigkeit der zelllgen Elemente der Sclialenhautinnenflüche. 

1;>) A. F u j i a m i - Japan: Ueber die Gewebsveränderungen 
bei der Heilung von Knochenfrakturen. (Aus dem pathologischen 
Institut zu Freiburg i. B.) 

Aus den umfassenden experimentellen Untersuchungen, die an 
Säugothieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien (in allen Stadien 
der Heilung) vorgenommen wurden, ergibt sieh: Der Vorgang der 
Knochenregeneration nach Frakturen ist bei Menschen und Thieren 
p r i n c i p i e 11 der gleiche, doch finden sich je nach der Thier- 
specios, dem Individuum. Alter, Ernährungszustand und den 
äusseren Lehensbedingungen Abweichungen. Die callusbildenden 
Elemente sind die in Wucherung gerathenen fixen Zellen des 
Poriostes und des Knochenmarkes (äusserer und innerer Gallus); 
ob die umgebenden Woiehtbeiio sieli auch an der Callusbildung 
betheiligen, lässt F. unentschieden. Das Endresultat der Fraktur- 


No. 37. 


hellung ist beeinflusst durch statische und mechanische Ein 
Wirkungen auf die frakturirten Knochen. 

10) L. .Tores und H. L a u r e n t: Zur Histologie und Histo- 
genese der Pachymeningitis haemorrhagica interna. (Aus dem 
pathologischen Institut und der chirurgischen Universitätsklinik 
zu Bonn.) 

Die Verfasser wollen auf Grund ihrer vorliegenden und 
früheren Untersuchungen alle die Vorgänge, die bisher als iden¬ 
tisch unter dem Namen der Pach. haemorrh. int. zusammengefasst 
wurden, in 3 Gruppen einthellen: 1. es handelt sieh um Orgnni- 
sationsproeesse primärer subduraler Blutungen, die äusserlieh 
viel Aehnlichkeit mit der Pach. haemorrh. int. besitzen: das End¬ 
resultat wäre eine fibröse Duraverdlckung. Bei der zweiten Grupp? 
— besonders nach Infektionskrankheiten auftretend — findet sich 
ein richtiges fibrinöses und fibrinös-haemorrhagisehes Exsudat, das 
durch Organisation zur Bildung bindegewebiger, der Dura innig 
anliegender Membranen führt, während der entzündliche Proress 
gleichzeitig noch weiter fort sch reiten kann. Endlich ist für die 
3. Gruppe charakteristisch eine von der Capillarsehichte der Dur» 
ausgehende Wucherung sehr gofüssreicher, zu Blutungen neigender 
Membranen: dieser I’rocess ist progredient, eine Rückbildung 
findet nicht statt.. 

17) II. Merkel: Ueber Lipombildung im Uterus. (Aus dem 
patholog. Institut zu Erlangen.) 

Diese im Uterus enorm seltenen Geschwülste boten bezüglich 
ihres Sitzes, wie der durch sie bedingten Formveränderung des 
Uterus völlige rebereinstimmung mit interparietalen Myomen. 
Hinsichtlich der Genese glaubt M., entgegen der Ansicht von 
B rflnlng s. dass es sich nicht um eine Umwandlung vou glatter 
Muskulatur in Fettgewebe handle, sondern um eine embryonale 
Verlagerung von Fettgewebe (event. zugleich neben Myomanlagen) 
in die Uterusmuskulatur. 

18) S. Oberndorfer: Mittheilungen aus dem patholog. 
Institut zu Genf. 

O. beschreibt eine kleinapfelgrosse Cyste der Nebenniere, die 
er auf Grund des mikroskopischen Befundes weiterer kleinerer 
Cysten als Lymphcyste anspricht und berichtet ül>er 2 Fälle, iu 
denen als zufälliger Befund mehrfache bis halberbsengrosso in 
der Suhmucosa des Darmes gelegene Knötchen angetroffen wurden, 
die Vorf. als primäre beginnende Lymphgefäss- (Fall 1) bezw. 
Schleimhautkrebse (Fall 2) erklärt. (? Ref.) 

19) F. Steinhaus: Histologische Untersuchungen über die 
Masernpneumonie. (Aus dem pathologischen Institut zu Marburg.! 

Die Masernpneumonie ist nach St.’s Untersuchungen keine 
eigentliche katarrhalische Pneumonie, da ln den Herden der akuten 
Entzündung stets Fibrin naehzuweiseu ist. Bezüglich der Patho¬ 
genese handelt es sieh ent w e der um eine primäre Bronchiolitis, 
von der aus sieli dann meist durch Uebergreifen der Entzündung 
auf die den Bronchus umgebenden Alveolengruppen, seltener durch 
Absteigen des Processes in das zugehörige Alveolargebiet der 
akute pneumonls e h o II e r d entwickelt. Oder aber es 
entstehen durch Aufnahme (1er Entzündungserreger in die peri¬ 
bronchialen und perivasculären Lymphbabnen mehr chronische 
interstitielle Herilchen. Die kleinsten Herde können 
durch Konfluenz iu lobuläre und lobäre Hepatlsationen übergehen. 
Die häufig vorkommenden Atelektasen rühren vom Verschluss der 
Bronchiolen des betr. Bezirkes durch entzündliches Sekret her. 

20) K. Sudsuki: Ueber die Pathogenese der diphtheri- 
tischen Membranen. (Aus dem patholog. Institut des Kranken¬ 
hauses Friedrichshain.) 

Die Ablösbarkeit der betr. Membranen entscheidet nach 8. 
nicht die Frage, ob diphtheritiseh oder eroupüs im anatomischen 
Sinne: dieselbe ist vielmehr abhängig von dem Fibringehalt und 
der Grösse der ausschwitzenden Stelle. Die letztere kann u. U. 
klein sein und sich das fibrinöse Exsudat von dort aus seitlich 
noch weiter auf die Oberfläche der Schleimhaut ergiesseu. Die 
Membranbildung in der Trachea zeigt gegenüber der an Uvula. 
Gaumen mal Tonsillen einige Abweichungen. Stets handelt cs 
sieli um fibrinöses Exsudat, nie um fibrinoide Entartung der Epi¬ 
theliom 

E. / i e g 1 e r: Nachruf für Giulio Bizzozero. 

H. Merkel- Erlangen. 

Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 

4d. Bd.. 1. u. 2. Heft. 

1) T. S o 11 m a n u - Cleveland: Versuche über die Verthei- 
lung von intravenös eingeführten isotonischen Na CI- und 
Na,. SO,-Lösungen. 

Bei den genannten Einspritzungen verlassen die Lösungen 
die Gefiisse sehr rasch und nach einer halben Stunde ist das Blut 
wieder fast normal, sowie der Serumgehalt des Versucbsthieres 
zum früheren Betrag zurückgekchrt. Desswegen kaun nach Blut- 
entziclning die Blutmenge durch Flüssigkeitseinspritzungen nicht 
dauernd vermehrt werden. Salze und Wasser treten zunächst in 
die Gewebe, darauf langsam in den Harn über. Ausserdem 
steigern sich die verschiedenen Sekretionen, besonders sammelt 
sich auch im Darm viel Flüssigkeit an. Der Harn zeigt in den 
einzelnen Perioden gleiche moleculäre Couceutration an anorga¬ 
nischen Salzen, wie das Serum. Na CI reisst indes andere Salze 
in etwas grösserer Coneentration mit, als sie sich Im Serum be¬ 
finden, während nach Na. SO* der Harn beinahe chlorfrei wird. 

2) M. J a c o b y - Heidelberg: Ueber die chemische Natur 
des Ricins. 

Von rein pharmakologischem Interesse. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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10. September 1901. MUENOTTKNKR MEDICINTSCITE WOCHENSCHRIFT. 


1459 


•0 Waldvogel - Berlin: Klinisches und Experimentelles 
zur Nierendiagnostik. 

Verf. unterzieht die Methode der Gefrierpunklsbostimmmig 
von Harn uml Blut bei der Diagnostik von Niereiikrnuklieilen 
einer Kritik und kommt zu folgenden für die Praxis wichtigen 
Schlusssätzen: 

1. P;e Wcrlho für A, Ä . Menge, und ^ bei Nephritis 

siud für die Nierenentzündung nicht typisch und inkonstant: 
gleiche Verhältnisse, diese Werthe betreffend, fanden sich l>ei 
Iuauition und vicarilrender Hypertrophie nach Exstirpation einer 
Niere. . 

2. Blntentziehung und Koehsalz- hezw. Wassorinfusion sind 
nieht im Stande, die für die Uraemle nicht typische Erhöhung des 
Blutgefrierpunkts zu beseitigen, resp. zu vermindern. 

X Bei einer wenig secernirenden, in einen Eitersack ver¬ 
wandelten Niere ist es angängig, ans einem über 1.0° liegenden 
Werth für A des Gesammturins günstige Schlüsse für die Mög¬ 
lichkeit der Nierenexstirpation zu ziehen. 

4. Wir sind im Stande, eine nach Nierenexstirpatiou sich nicht 
gleich nach der Operation, sondern einige Tage später entwickelnde 
l-'unktionsunfnhigkeit der zurückgebliebenen Niere durch Fest¬ 
stellung der unter 1. angegebenen Werthe festzustellen. 

4i Fr. M ü 11 e r- Berlin: lieber Acetonglykosürie. 

Die von Ruse li h a u p t hei Acetoninhalationsnarkose be¬ 
obachtete Glykosurk* hat nach den Versuchen M ii 11 e r’s ihren 
Grund lediglich in den die Narkose begleitenden Schädigungen d:s 
Organismus., nämlich in der stärkeren Abkühlung oder hoch¬ 
gradigen Dyspnoe. Aus den gleichen Gründen kommt Glykosurie 
auch bei Anwendung anderer Narkotiea (Aothfr etc.) vor.' 

Tu A. B a r n e s - Philadelphia: Ueber einige kr.impferregmce 
Morphinderivate und ihren Angriffspunkt. 

Währer.d die Morphoxylessigsäure und ihre llnmol igon relativ 
ungiftige Körper sind, stellen ihre Methyl- und Aethyb-ster heftige 
Krampfgifte dar. Dieselben wirken heim Frosch auf das Rücken¬ 
mark. heim Kaninchen dagegen liegt der alleinige Angriffspunkt 
der charakteristischen Krampf Wirkung Im Hirnstanim. 

<») H. v. R e c k 11 n g h nuson - Strnsslnirg: Heber Blut¬ 
druckmessung beim Menschen. 

Verf. beschreibt zunächst einen neuen Apparat zur Blutdruck- 
mcssu'ng. der jenem von Rlva-Roccl und Hill und Bar- 
nard ähnelt. Eine doppelwandige Gummimanschette, deren 
äussere "Seite einen Biechmantel trägt, wird um Ober- und Unter¬ 
arm etc. gelegt und solange mittels einer Pumpe mit .Wasser ge¬ 
füllt, bis au der peripheren Arterie kein Puls mehr gefühlt wird. 
Durch eineu communicirenden Schlauch steht die Mansehotte mit 
eineju Drucksclireiher oder einem Manometer in Verbindung. 
Wesentlich ist, dass die gewählte Manschette eine ausreichende 
Länge (ca. Io cm) besitzt, denn die Unzuverlässigkeit der älteren 
Apparate beruht hauptsächlich auf einer zu kleinen Ausdehnung 
der comprimirten Fläche. Verf. beweist dann in klarer Aus¬ 
einandersetzung, dass es mit genannter Methode möglich ist. den 
maximalen Pulsdruek in den grossen Arterien des Menselien mit 
vollkommener Zuverlässigkeit und für die meisten klinischen und 
physiologischen Zwecke durchaus genügender Genauigkeit und 
grosser Schnelligkeit zu messen. Steigert man den Druck in der 
Manschette während der Pulszeichnung allmählich, so erhält man 
die sogen. Treppenkurve, ans welcher sich die richtigen Grössen 
des maximalen, minimalen und mittleren Blutdruckes leicht kon- 
struiren lassen. Auch ist es möglich. Blutdruckschwankung: n von 
nicht zu grossem Umfang korrekt graphisch zu registriren, ein 
direktes Aufzeichnen von Pulsberg und Pulsthal in den richtigen 
Proportionen gelingt indessen nicht. Bezüglich .der weiteren 
technischen Einzelheiten bei Anwendung der Methode, sowie hin¬ 
sichtlich der Vergleichung mit den anderen bekannten Methoden 
und hinsichtlich der gewonnenen Ergebnisse sei auf das Original 
verwiesen. 

7) O. Neubauer- Prag: Ueber Glykuronsäurepaarung bei 
Stoffen der Fettreihe. 

Fast sümmtliche Alkohole, die Ketone, gewisse ungesättigte 
Kohlenwasserstoffe und manche Aldehyde gellen im Thierkörper 
zu einem Tlieil in gepaarte Glykuronsäuren über. 

8) W. W 1 e e h o w s k 1-Prag: Ueber, das Schicksal des 
Cocains und Atropins im Thierkörper. 

Beide Stoffe erleiden hu Thierkörper eine weitgehende Zer¬ 
setzung. Vom Cocain werden im Mittel mir.; 5,.,,vom Atropin 
33 Proc. unverändert durch die Nieren ausgeschioden. Ecgoinu 
oiler Tropin lassen sich als Zersetzungkproduktu'des Cocains resp. 
Atropins in den Ausscheidungen nicht nachweisem 

.L Müller- Würzburg. 




Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 35. 

Nekrolog auf Alwin v. Coler. 

1) P. Ba umgarten - Tübingen: Ueber das Verhältnis3 von 
Perlsucht und Tuberkulose. * 

Verf. weist zunächst auf die schon früher von Galser aus- 
Kefilhrten Versuche hin, welcher durch Impfung von Porlsueht an 
Kälbern typische Miliartuberkulose erzeugen konnte und berichtet 
sodann über die von einem unterdes« verstorbenen Arzte in thera- 
peiitischer Absicht an Krebs- und Sarkom-Kranken ansgeführten 
Versuche, durch UelWtrnguiig von Tuberkulose auf dieselben die 
bösartigen Geschwülste zum Stillstand zu bringen. Da damals die 
IVrlsucht als ganz Identisch mit der menschlichen Tuberkulös:* nn- 
(reselicn wurde, wareii zu diesen therapeutischen Versuchen Perl- 
Hiulitbarlllen verwendet worden. Bei keinem dieser Kranken 


wurde die Entwicklung von Tuberkulose walirgeiioinmeii. Verf. 
erblickt praktisch in der Tuberkulose des Rindes keine sehr grosse 
Gefahr für den Menschen. Er kann aber doch nicht rathen, die* 
bisherigen Vorsiehtsmaassregeln gegenüber der Rimlertuberkulos * 
hufzugeben, da die Möglichkeit der Ucbertragung von Tuberkulose 
immerhin zugegeben werden muss. B. vertritt ferner die An¬ 
schauung von der ursprünglichen Identität der Erreger der 
Menschen- und Rlndertuberkulose. glaubt aber, dass durch die 
viele Generationen hindurch einerseits im Rind, andererseits im 
Menschen erfolgte Fortzüchtung den Tuberkelbacillus in mancher 
Hinsicht inodilizircn konnte, so dass ihre Wirkung nicht ohne 
Weiteres gleich ist. falls sie von dem einen Organismus auf den 
anderen verbracht werden. 

2) Th. G I u c k - Berlin: Beitrag zur Chirurgie der Peritonitis. 
(Schluss folgt.) 

Ö) (i. .1 u w ein- St. Petersburg: Zur Frage über den Ur¬ 
sprung und die Bedeutung der basophilen Körnchen und der 
polychromatophilen Degeneration in den rothen Blutkörperchen. 

Wie die Zusammenstellung der Anschauungen verschiedener 
Autoren ergibt, bestellt in dieser Frage noch durchaus keine Einig¬ 
keit und neigen sich besonders Vieh* der Ansicht zu. dass man 
hierin eine Degenemtioiiserschehiung vor sich habe. Verf. konnte 
nun folgenden Fall beobachten: In eineni"»Fall schwerer Bothrio- 
eephalus-Anaemie trat nach Abtreiben des Wurmes keine Besse¬ 
rung ein. sondern entwickelte sich diis Bild der perniclöseii pro¬ 
gressiven Annemie; daun Komplikation durch eine kntarrhalis h * 
Pneumonie. Hierauf plötzliche Besserung mit dem Bilde der 
sogen: Blutkrise, d. li. plötzlicher Rückgang der schweren Blutver¬ 
änderungen. In diesem Zeitpunkt erschienen hei dem Kranken 
massenhafte basophile Körnehen im Blute, und es zeigte sieh die 
Erscheinung der sogen, polychromatophilen Degeneration. Sobald 
diese erhöhte Produktion des Knochenmarks wieder abnahni. ver¬ 
schwanden auch diese Gebilde aus dem Blute. Es erweist sich 
also hieraus, dass sowohl die basophilen Körnchen, als auch die 
andere bezeichnet« 1 Erscheinung Anzeichen der Blutregenerntiou 
darstellon. Die basophilen Körnchen entstehen durch Karyorhexis, 
die polychromatophilen rothen Blutkörperchen entstehen wahr¬ 
scheinlich durch Auflösung eines Thelles der Kernsuhstauz. Auf 
die übrigen Schlussfolgerungen dos Autors kaun an dieser Stelle 
nicht weiter cingegnngcn werden. 

4) J. II e r z f e 1 d - Berlin : Ein Fall von doppelseitiger 
Labyrinthnekrose mit- doppelseitiger Facialis- und Acusticus- 
lähmung; mit Bemerkungen über den Lidschluss bei Facialis- 
•lähmüngen während des Schlafes. 

Im Verlaufe von Scharlach trat hei einem 9 jährigen Knaben 
eine * doppelseitige Mittelohreiterung auf mit foetideui Sekret, 
welche in ganz kurzer Zeit zu absoluter Taubheit führte. Bei 
der Radikaloperatioii des 1. Ohres zeigte sich deT ganze Warzen- 
fultsatz sequestrirt. nekrotische Stellen im inneren Ohre. Die 
Schnecke wurde «. röffuet. Einige Zeit nachher erfolgt,* Ausstoßung 
des Labyrinths, das nekrotisch geworden war. Auch auf dein 
r. Ohr fand sich bei der späteren Radikaloperatioii Nekrose des 
horizontalen Bogenganges. Der Knabe wurde beiderseits voll¬ 
ständig taub. Die doppelseitige Fnclulislähmung trat schon in 
der ersten Zeit der Ohrenentzündung ein, mit den bekannten Sym¬ 
ptomen. Itn Wachen konnte der Lidschluss nicht völlig ausgeführt 
werden, dagegen waren im Schlafe beide Augen vollständig ge¬ 
schlossen. Der Fall beweist, dass der Lidscliluss im Schlaf nicht 
immer allein durch die aktive Kontraktion des M. orbietihiris er¬ 
folgt. Es scheint, dass hiebei die Erschlaffung von glatten Muskel¬ 
fasern mitspielt, welche vom Sympathicus innervirt werden und 
sich im oberen und unteren Lid befinden; auch kommt das Ztiriick- 
zielien des Bulbus lu die Orbita in Betracht. 

r» E. F a 1 k - Berlin: Tubenruptur und Tubenabort. 

Verf. bespricht das Zustandekommen und den Verlauf des 
tubaren Abortes, von dem er ca. 00 Fälle gesehen hut. Klinisch 
behandelt«» er 22 Fälle und nahm hei 10 derselben die Laparotomie 
vor. Nur in 1 Fnlle war der Ausgang ein schlechter. Der Artikel 
bringt die Krank heit sgeselilehten der operirten Fälle. Die wich¬ 
tigste Erscheinung des tubaren. Abortes ist die innere Blutung 
mit ihren Erscheinungen, von denen besonders die schwere Ohn¬ 
macht Im Beginn liervorzUhcben ist, ferner oft ein heftiger 
Schmerz im Unterteilte, mitunter Erbrechen. Maassgehend für 
den operativen Eingriff ist das Urthell, oh die iunere Blutung zum 
Stillstand gekommen ist oder nicht, ln letzterem Falle muss mög¬ 
lichst rasch operirt wirclen; meist kommt di * Laparotomie in Frage; 
Oh die Blutung zum Stillstand gekommen ist, darüber kann nur 
die stete Beobachtung der Frau ents.•beiden. Bei der Bildung 
diffuser Haemntocelen oder hei solitären Ilaematoeelen Ist. falls 
aus bestimmter Indikation bald nach der Unterbrechung der 
Schwangerschaft operirt werden muss, der abdominale Weg zur 
Operation zu wählen, nur hei länger best eilenden llaenintoeelen. 
bei denen der Verdacht der Verjauchung oder Vereiterung bestellt, 
ist die vaginale Incision angebracht. 

G r a s s ui nun- München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 35. 

1 1 Lucian B o 11 a c k und Ilayo Bruns- Strnssliurg 1. E.: 
Rectus8cheidenabscess beim Typhus abdominalis. 

Di« so mit ausführlichen hacterhilogischcn Unt«*rsuchuii::«*u h<* 
l«*gl«> Krankengeschichte aus der X a u n y »'schon Klinik In Strass, 
bürg liefert einen Beitrag zu d«*r spärlleh«*n Kasuistik d«*r durch 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 37. 


1460 


den Typhusbacillus im Subkutau- uud Muskelgewebe erzeugten 
Eiterungen. 

2) Siegfried K a tn 1 n e r - Berlin: Ueber den Einfluss von 
Schwangerschaft und Entbindung auf den phthisischen Process 
und den therapeutischen Werth der Einleitung von künstlichen 
Aborten. 

Vortrag, gehalten im Verein für innere Medlcln zu Berlin 
am 3. Juni 1901. Referat, siehe diese Wochenschrift No. 24, 
pag. 988. 

3> Fritz J u 1 i u s b e r g - Breslau: Ueber Wirkung, An- 
wendungsweise und Nebenwirkungen des Thiosinamins. 

Versuche, welche mit dem von H. v. Helira zuerst 
empfohlenen Thiosinamln (Allylsulfocarbamid oder Allylsulfoharu- 
stofft In der dermatologischen Universitätsklinik zu Breslau an¬ 
gestellt wurden, ergaben sehr günstige Resultate in der Behandlung 
von hypertrophischen Narben, Narbenkeloiden und bei Sklero¬ 
dermie, während die von anderer Seite gemachten Angaben über 
Heilwirkung bei Lupus, Mykosis fungoides u. s. w. nicht bestätigt 
werden konnten. I)le Anwendung erfolgt in Form von Injektionen 
einer 10 proc. wässerigen Glycerinlösung (Thiosiunmin 10,0, Gly¬ 
cerin 20,0, Aqua destillata ad 100,0). Daneben erwies sich auch die 
örtliche Applikation des U n n a’scheu Thiosinaminpünstermulls 
und der Thiosinaminselfen von günstigem Einfluss, mit dem Uebel- 
stand jedoch, dass wiederholt lokale Reizerscheinungeu auftrateu, 
welche ein zeitweises Aussetzen des Mittels bedingten. 

4) W i 1 m s - Leipzig: Zur Behandlung der Leberrupturen. 
(Schluss aus No. 34.) 

Kritischer Bericht über 19 Fülle von Leberzerreissung aus der 
Leipziger chirurgischen Universitätsklinik. In der Behandlung 
wird die Laparotomie mit Tamponade der Naht vorgezogeu. Drei 
Heilungen. 

5) A. Hess- Berlin: Ein Fall von Stinkbomben-(Schwefel- 
ammoninum-)Vergiftung. 

Kasuistische Mittheilung. 

0) J. Herzfeld - Berlin: Ein Fall von horizontalem 
Nystagmus, hervor gerufen durch Bogengangserkrankung. 

Mittheilung aus der ärztlichen Praxis. Der durch die Radikal- 
oi>oration nach Stacke geheilte Fall ist besonders dadurch inter¬ 
essant, dass es der erste Fall ist, in welchem das von Breuer 
Iwreits 1874 durch das Thlerexperimeut entdeckte Phänomen, der 
durch positiven uud negutiven Druck veränderten Richtung des 
Nystagmus auch beim Meuseheu beobachtet wurde. 

F. Lacher- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 3l.Jahrg. No.*7. 

E. Wormse r: Ein weiterer Fall von puerperaler Gangraen 
des Fusaes. (Aus dem Frauenspital ln Basel.) 

Septische Endometritis, wahrscheinlich durch Selbstinfektion 
von der Fistel eines praepatellaren Abscesses aus, Sepsis mit Ver¬ 
eiterung der Symphyse und Gangraen des linken Fusses in Folge 
Thrombose der Cruralvenen. Exitus, Sektion. Durch Antistrepto- 
eocceu-Serum (in der Milz nur Streptococcen) Fieberabfall, doch 
keine sonstige Wirkung. 

Erni-Gersau: Die mechanische Herabsetzung der Körper¬ 
temperatur. 

Verf. vertheidigt seine Klopfmethode zur Behandlung der 
Phthise (Beklopfen der Brust, „prophylaktisch auch der Spitze der 
gesunden Seite“, mit einem silbernen Messer); es entsteht beim 
Phthisiker wie beim Gesunden eine Temperaturerniedrlgung, ln 
Folge vermehrter Wärmeabgabe durch die geröthete Haut. Dabei 
soll die Lunge erschüttert werden; bei konsequenter Anwendung 
soll das Fieber des Phthisikers dauernd herabgesetzt werden. — 
Ein Indgefügter Brief von Prof. Sahli diskutirt kurz und trefTend 
die Versuchsanordnung und die Folgerungen („Ausklopfen von 
Käse“!). 

E. Hagenbach-Burckhardt: Zur Geschichte der 
Klumpfussbehandlung. 

Verf. weist auf die fast vergessenen Verdienste Streck¬ 
eise n’s (| 1868) um die Aetlologie und Behandlung des Klump- 
fusses hin. Streckelse u’s Methode ist mit der P li e I p s'schen 
nahe verwandt. Pisehlnger. 

Oeaterfeichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 35. 1) A. Pick-Wien: Die Sensibilit&tsneurosen dea 

Magens. (Fortsetzung folgt.) 

2) K. Dorauth - Aussig: Eklampsie bei einer 16 Jährigen 
Virgo. 

Das betreffende Mädchen.- das als Kind einmal an Krämpfen 
gelitten hatte, erkrankte nach vorausgegangenen Kopfschmerzen 
an allgemeinen Krämpfen bei vollständiger Bewusstlosigkeit. Die 
Krämpfe wiederholten sich während eines Tages mehrmals und 
sistirteu schliesslich nach Morphiuminjektionen. Der Harn ent¬ 
hielt 3 Proc. Zucker, aber kein Elweiss. Das klinische Bild ent¬ 
sprach vollkommen den eklamptischen Anfällen Schwangerer. 

3» A. B e y e r - I/eipzig: Ueber atypische Psoriasis. 

Verf. unterscheidet Fälle, in welchen ausser der Psoriasis noch 
andere Hautkrankheiten an demselben Individuum vorkpinmen. 
ferner solche Fälle, wo verschiedene Dermatosen an der nämlichen 
Hautstelle erscheinen. Für beide Möglichkeiten liegen in der 
Literatur viele Beispiele vor. Als eigentliche atypische Psoriasis 
können jene Fälle gelten, wo das Aussehen der Bilder eine andere I 


Dermatose, z. B. Ekzem, Vortäuschen kann. Eiue der auffallendsten 
Atypien Im Bilde der Psoriasis ist die Ps. verrucosa, bei der 
Papillome sich auf den Eruptionen entwickeln. Die Psoriasis kann 
dann atypisch sein hinsichtlich der Anordnung und Lokalisation 
der Efflorescenzen. Verf. beschreibt nun mehrere Fälle, welche 
Kombination der Psoriasis mit Ichthyosis dnrstellen, bei denen 
die Psoriasisberde zugleich ekzematös verändert waren, ferner 
einen Fall, wo die Psoriasis sich auf mechanisch erzeugten Ex- 
coriationen entwickelte, während sie in einem anderen auf einem 
postseabiö8em Ekzem auftrat. Andere der geschilderten Fälle 
machten die En's heidung zwischen Ekzem und Psoriasis schwierig. 
Zwei Fälle zeigten ein Aussehen, das alle Charakterlstica eine« 
Lichen ruber planus besass. Verf. empfiehlt küuftig eine genauere 
Bezeichnung der Fälle, welche man zur atypischen Psoriasis 
rechnet, belzufügeu und vor Allem Kombination und Komplikation 
von den eigentlichen Atypien zu trennen. 

Grassmnnn - München 

Inangural-DisserUtionea. 

Universität Bonn. August 1901. 

24. Müller Leonhard: Beiträge zur Lehre von der Verwerthung 
der Haeminkrystalle zu gerichtsärztlichen Zwecken. 

23. Frantzen Paul: Ueber die Behandlung komplizirter Frak¬ 
turen der Extremitäten. 

20. PetBch Arthur: Ueber Sinusthrombose. 

27. Ruschhaupt Walther: Ueber ausgedehnte Darmresek- 
tionen. 

28. Brinkmann Eduard: Orthopädische uud funktionelle Re¬ 
sultate der Ventroflxatio Uteri bei Retroflexio Uteri. 

29. Bühner Franz: Ueber elueu Fall von Nephrotomie wegen 
Nierenblutung ln Folge einseitig haemorrhagischer Nephritis. 

30. Kirchhof Joseph: Zur Lehre vom Schichtstnar. 

31. Lern men Wilhelm: Die Brüche des Fersenbeins. 

32. Schmitz Carl: Statistik der vom 1. Oktober 1895 bis 1. Ok¬ 
tober 1899 in der Bonner k. Klinik uud Im St. Johannishospltal 
operlrten Hasenscharten. 

33. F o u r m a n n Fritz: Wovon ist das Gewicht der Neugeborenen 
abhängig? 

34. R o c h e 11 Albert: Ueber Othaematom. 

35. W o 1 f f Willy: Ueber die Radicaloperationeu von Leisten- 
brüchen bei kleinen Kindern. 

30. W 111 k a m p f H. Peter: Zur Statistik der Mammacareluome. 

Universität Erlangen. Juli und August 1901. 

14. Kolbe Viktor Heinrich Johannes: Ueber Cysten Im Ober¬ 
kiefer. 

15. Hllsmann Stephan: Untersuchungen über die Beförderung 
der Speisen aus dem Magen in den Darm unter verschiedenen 
Einflüssen. 

10. R o 11 w a g e Hermann: Ein Fall von primärem Nierensarkom 
im Kindesalter. 

17. Hundt Paul: Ueber Adnexerkrankungeu bei Uterusmyomen. 

18. Krauss Hans: Aus dem pbarmakologisch-polikllnischen In¬ 
stitut der Universität Erlangen. Vergleichende Untersuchungen 
über die Wirkungen der einfachsten Fett- und aromatischen 
Säuren, ihre Substitutionsprodukte und Ester. Ein Beitrag 
zur Frage nach den Beziehungen zwischen chemischer Kon¬ 
stitution und physiologischer Wirkung. 

19. Plitt Wilhelm: Weitere Mittheilungen über den qoeren 
Fundalschnltt. M. e. Tab. 

20. Doerlng Paul: Ueber die angeborene Haarlosigkeit des 
Menschen. (Alopecia congenita.) 

21. Frisch manu Karl Hermann August: Spontanfraktur hei 
Osteomyelitis suppurativa. 

22. Bauerelsen Adam: Die Nabelschnurrestbehandlung des 
Neugel>orenen. 

Universität Freiburg. August 1901. 

20. Huizinga Engbert: Ein Sitzbecken. 

27. Scheller Otto: Ueber einen Fall von Splenektomie wegen 
subkutaner traumatischer Ruptur der Mil*. 

28. W e 1 n g e s Fritz: Chirurgische Behandlung des doppelseitigen 
Empyems. 

29. L I n g e 1 Aegidius: Zur Frage nach dem Einfluss der Kastra¬ 
tion auf die Entwickelung der Milchdrüse. 

Universität Göttingen. November 1900 bis August 1901. 

1. Bertram It.: Ueber Kuhhoruverletzungen des Auges. 

2. Blanke I\: Verhalten des Centralnervensystems beim Dia- 
l>etes mellitus. 

3. Fed ermann A.: Uel>er das Verhalten des elastischen Ge-/ 
wehes im Hoden bei Tul>erkulose und Syphilis. 

4. Fr icke E.: Zur Behandlung der Osteomyelitis acuta ln- 

fectiosa, . 

5. Heuer M.: Beiträge zur Kenntnlss der Extrauteringravidität 
in den ersten Monaten. 

0. Hoch hei in K.: Refraktion und Sehschärfe in den ver¬ 
schiedenen I^bensalteru. 

7. Holzapfel O.: lieber die Behandlung der Taubstummheit. 

8. H U ne W.: lieber die quantitative Bestimmung der Oxalsäure 
im mensehlicheu Harn. 

9. Jürgens II.: l’eher die in der Stadt Göttingen vom 1. April 
1877 bis 1. April 1900 beobachteten Fälle von Typhus abdomi¬ 
nalis. 


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10. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1461 


10. Key 88 er B.: Beitrüge zur Kasuistik der multiplen Sklerose 
nach Traumen. 

11. Klein H.: Beitrag zur Statistik der Klappenfehler des llnkeu 
Herzens. 

'12. Leugerken O. v.: Reslstenzbestlmmung am Thorax. 

13. Levisohn A.: Ueber die Im Gefolge einer Maseruepldeinle 
1m Jahre 1899 ln der Universitäts-Poliklinik für Ohreukranke 
zu Göttingen beobachteten Erkrankungen des Gehörorgans. 

14. Llndner W.: Beitrag zur Lehre von den Fremdkörpern Im 
. Iiesplra tlonstraktus. 

15. Lude w lg Fr.: Ueber Wanderniere mit besonderer Berllek- 
siebtlgung der Magen- und Darmverhilltnlsse. 

1<». Mahrt G.: Ueber die Behandlung der Chlorose mit para- 
uuclelnsaurem Eisen (Nuclelnelsen). 

17. M U 11 e r E.: Die primäre fibrinöse Pneumonie ln der Göttinger 
medlcinischen Klinik vom 1. April 1886 bis 1. April 1900. 

18. Müller W.: Beitrüge zur Lehre von der A d d 1 s o n’schen 
v Krankheit. 

19. Polte F.: Die Enucleatio bulbi und Ihre Ersatzmethoden. 

20. Bleck C.: Bericht über 34 Fülle von Carelnom des Corpus 
uterl. 

21. Bommel R.: Kleinhirn und cerebellare Ataxie. 

22. Bunge E.: 100 supravaginale Amputationen und vaginale 
Totalexstirpationen des myomatöseu Uterus. 

23. Schmidt H.: Zur Kasuistik der Herula obturatoria. 

24. Schorn bürg H.: Untersuchung der Entwickelung der 
Muskeln und Knochen des menschlichen Fusses. 

25. Siebs E.: 2 Fülle von freiem Cysticercus des Gehirns. 

26. Sy men 8 P.: Ueber einen Fall von diffuser beiderseitiger 
Mammahypertrophie. 

27. Tollen 8 C.: Bildungsanomalien (Hydromyelie) im Central- 
nervensystem eines Paralytikers. 

28. Trommsdorff Fr.: Untersuchungen Uber die Innere Rei¬ 
bung des Blutes und Ihre Beziehung zur A 1 b a n e s e'scheu 
Gummilösung. 

29. Wiemann C.: Ueber einen Fall von Tic de Guinon. 

30. Wiese dir.: Untersuchungen Uber die Verbiegungen der 
Xasenscheidewnnd. 

Unlversltiit Halle. Augnst 1901. 

32. Berger Albert: Experimentelle Beitrüge zum Pankrens- 
(llabetes beim Hund. 

33. Elchl e r Hubert: Ein Fall von traumatischer Hydrouephrose 
bei Hufei8euniere. 

34. Grässner Franz: Uelier Unterkleferfrakturen. 

^35. Har lug Carl: Uelier die Prognose der bei tuberkulöser 
w Spondylitis auftretenden Liihmungen. 

36. Heike Wilhelm: Bludruckmessungen nach Verabreichung von 
Digitalis, ausgeffihrt mittels des RI va-Rocc l’schen Sphyg¬ 
momanometers. 

37. Nesse Carl: Ueber die Behandlung der Orchitis und Epldi- 
dymitis tuberculosa. 

38. Sachtleben Adolf: Die Gastroenterostomie und deren An¬ 
wendung an der kgl. chirurgischen Klinik zu Halle a. S. 1892 
bis 1900. 

Universltüt Heidelberg. August 1901. 

11. Schmidt August: Ueber eine Entgiftung durch Abspaltung 
der Methyl- und Aethylgruppe Im Organismus. 

Universltüt Jena. August 1901. 

18. Vix W.: Ein Fall von symmetrischer Gangraen der Lider und 
der Thrünensackgegend. 

19. Berger Hans: Zur Lehre von der Blutclrculation in der 
Schädelhöhle des Menschen, namentlich unter dem Einfluss von 
Medicamenten. (Experimentelle Untersuchungen.) Habillt.- 
8chrlft. 

20. Stickel Max: Ueber doppelte Perforation des Augapfels 
durch Schussverletzung. 

21. Weissbach Ernst: Pathologisch-anatomische Untersuchung 
eines ln Folge von Exophthalmus pulsans erblindeten Auges. 

22. Worbes Carl: Das Krankheitsbild „Myokymie**. 

Universität Marburg. Juli und August 1901. 

23. Budde Moritz: Untersuchungen über die Lagebeziehungen 
und die Form der Harnblase beim menschlichen Foetus. 

24. Elch ler Wilhelm: Ueber die Bildung von Reiskörperchen 
ln Gelenken. 

23. GUngerlch Adolf: Ein Fall von Talusfraktur. 

26. Mörchen Friedrich: Ueber Dämmerzustilnde. Ein Beitrag 
zur Kenntniss der pathologischen Bewusstsclusveründerungeu. 

Universität Strassburg. August 1901. 

22. Stark Paul: Selbstmord in der Schule. 

23. Hedslob Edmund: Zwei Fälle von Encephalocystocelen. 

24. Bol lack Lucian: Ueber Wesen und Aetiologle von Akne und 
Comedo. 

25. D1 e r c k s Bruno: Ueber die Tenacitüt des Masern- und 
Böthelnvlrus. 

20. K a m p m a n n Ernst: Uelwr die ursächlichen Beziehungen 
von Trauma und Gallenblasenerkrankungen. 

27. Stein Arthur: Die Spütnusgiinge der Extrauterinschwanger¬ 
schaft 


Universität Tübingen. Juli und August 1901. 

24. Bilf Inger Hermann: Zur Frage von der Entstehuug der 
traumatischen Hernien. 

25. F e 1 d m a 1 e r Hugo: Ein Beitrag zur Lehre vom Hermaphro¬ 
ditismus im Anschluss an einen Fall von Pseudo-Hermnphro- 
dttismus masculinus externus. 

26. Segnltz Arthur v.: Beitrag zur Kenntniss der croupösen 
Pneumonie im Kindesalter. 

27. I) oe re n berge r Gustav: Zur Therapie und Statistik des 
Abdominaltyphus. 

28. F a 1 k e n b e r g Kurt: Ein Beitrag zur Pathologie und Thera- — 
pie der Iridocyclltis tuberculosa. 

29. Dietrich Albert Dr.: Beruht die bacterlenvemlchtende Wir¬ 
kung bacterieller Stoffwechselprodukte nach den von E m - 
in e r i c h und Löw dafür angeführten Beweisen auf proteo¬ 
lytischen Enzymen «Nucleascn)? Habllitat-Sehrift. 

30. Burk Walther: Ueber einen Amyloidtumor mit Metastasen. 

31. Eickhoff Carl: Ueber die Erregbarkeit der motorischen 
Nerven an verschiedenen Stellen ihres Verlaufe«. 

32. (i r ü n e n w a 1 d Theodor: Ueber die Temperatur in peripheren 
Körpertheilen. 

Vereins- und Congressberichte. 

Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offidelles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. März 1901. 

Tagesordnung: 

Herr Fiedler: Ueber Gallensteine und Gallenstein¬ 
krankbeit. (Schluss in der nächsten Sitzung.) 

Sitzung vom 9. März 1901. 

Tagesordnung: 

I. Herr C r e d 6: Vorstellung eines vor 8 Jahren wegen Carci¬ 
noma pylori radikal operlrten Kranken. 

Herr C r e d 6 stellt eine 53 jährige Frnn vor, der im Februar 
1893 ein fanstgrosses, drcnläres, ulcerirtes Carcinom des Pylorus 
durch ausgedehnte Resektion nach der ersten B 111 r o t h’schen 
Methode entfernt hat. Im Mürz 1893 und Mürz 1894 ist die Kranke 
schon der Gesellschaft vorgestellt worden. Im September 189S 
stellte sich die Kranke, Frau E., mtt einem Recidiv vor, befand 
sich aber ganz wohl. Es wurde ciu kirschgrosser rundlicher Krebs¬ 
knoten des vorderen Magens durch ausgiebige Resektion entfernt 
und durch die Untersuchung des Bauchlnhaltew festgestellt, dass 
sonst an keiner Stelle Recidive vorhanden seien. Seitdem befindet 
sieh Frau E. wieder absolut wohl. Ihr Aussehen ist gjit, sie ist 
arbeitsfähig und nirgends Ist etwas von Recidiv zu bemerken. 

Dass ein Fall von dieser Ausdehnung eines Magencartinoms 
nach vollen 8 Jahren sich wohl und gesund befindet. Ist gewiss 
eine Seltenheit und verpflichtet mich. densell>en den Herren 
Kollegen, behufs Fixlrung ln der Statistik, vorzustellen. 

II. Herr Fiedler: Ueber Gallensteine und Gallenstein¬ 
krankbeit. (Schluss.) 

III. Herr Rupprecht: Ueber Gallensteinkrankbeit 
nnd Gallensteinoperationen anf Grund eigener Beobachtungen. 

Sitzung vom 16. März 1901. 

Herr F. H a e n e 1: 

1. Vorstellung eines Patienten, bei dem wegen Zerrelssung 
des inneren Semilunarknorpels des rechten Kniegelenkes die Ex¬ 
stirpation des Knorpels vor 3 Wochen vorgenommen war. Völlig 
normale Beweglichkeit des Gelenkes. 

Die Differentialdingnose zwischen 8emllunarknorpelverletzung 
und freiem Gelenkkörper war ln diesem Falle nicht zu stellen. Die 
Röutgenphotographie schien für letzteren zu sprechen: es handelte 
sich jedoch um ein in der Kniekehle gelegenes Sesambein. 

Unter 15 vom Redner operlrten Füllen handelte es sieh 14 mal 
um Zerrelssung des Inneren Knorpels; nur 1 mal war der äussere 
betroffen. 

2. Demonstration zweier exstlrplrter Wurmfortsätze, von 
denen der eine sich durch abnorme Länge (20 cm), der andere durch 
abnorme Dicke (Daumendicke) auszeichnete. 

Tagesordnung: 

I. Discussion über die Vorträge der Herren Fiedler 
und Rupprecbt. 

VereiiTder Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 3. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr C. F raenkeL 

1. Herr Engelhardt demonstrlrt ein 60 cm oberhalb der 
B a u h 1 n’sclien Klappe gelegenes, durch Sektion gewonnenes 
Bundzellensarkom des Dünndarms von einem 5 jährigen Kinde, 
das die Darm wand in einer Ausdehnung von 20 cm circuliir um¬ 
schnürt und, wie so häufig, zu einer aneurysmatlschcn Erweite- 


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MUENCITENER MEDIOINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


rung (los Darmlumons Veranlassung gegeben hatte. Zu- und ab¬ 
führende Dannsehlingen sind einander durch ein Packet meta- 
statisch inttitrirtor Lymplidrüson genähert; im Lohen kein Z -icheu 
von Darmerkrnnknng. Ausser einem 2 in oherhalh am mesen¬ 
terialen Ansatz des Darmes gel«>g«»uon Gcsehwulstknoten keine 
weheren Metastasen. Tod an Peritonitis, ausgehend von einer 
verdünnten Stelle der (Jeschwulst, 4 Monate nach Beginn der Er¬ 
krankung. Den Ausgangspunkt des Tumors bilden aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach die Follikel der Mueosa, nicht die Submucosa. 

2. Herr Schmidt-Bimpler stellt einen 75jährigen 
Augenkranken vor. welcher an einer multiplen Gystenbildung 
beider unteren Uebergangsfalten und an einer chronischen peri¬ 
pheren Furchenkeratitis leidet. 

C y s t e n d er U «» b e r g a n g s f a 11 e sind, wie sich aus 
einer Zusammenstellung von Ballaba n im letzten Juni lieft des 
Archivs für Augenheilkunde ergibt, nur in geringer Anzahl be¬ 
schrieben worden: ich selbst habe mehrere gesehen. Nicht ge¬ 
sehen halte ich aber ein derartiges multiples Auftreten von Cysten, 
wie unser Patient cs zeigt; auch findet sich in der obigen Arbeit 
darüber keine Mittheilung. Perlensclmurartig aneinander gereiht 
erheben sieh ti—,S solcher durchscheinenden Blasen in der sonst 
normalen Schleimhaut, dicht hinter dem orbitalen Ende des Tarsni¬ 
theiles. In einzelnen derselben zeigt sich in dem sonst durch¬ 
sichtigen Inhalte ein gelblicher Punkt; die Cysten haben die Gross* 
eines Stecknndelknopfes bis zu der einer Linse (ca. 4 mm im 
Durchmesser). Die Untersuchung einer der exst irplrten Cysten 
in frischem Zustande ergab die Auskleidung der Innenfläche mit 
einem Plattenepithel: der zurückgebliebene feste Inhalt bestund 
aus Zellen. Fett und Detritus, das gelbliche Körnchen enthielt 
Kalk, wie die Itcaktion mit Salzsäure ergab. Nach der Erhärtung 
anderer anliegender Cysten sah mau in den Schnitten dicht neben 
der grösseren Oystenhühle mehrere kleine liegen, deren Wand- 
membrnn zum Theil mit einer einfachen, zum Tlieil mit doppelter 
Schicht eines entaschen oder plattenfürmigen Epithels bekleidet 
war. Von der dnrüberüogendeu Conjunctivaloberflsiche zeigten 
sieh die höchsten Punkte der Cysten nur durch eine schmale 
Schicht von Bindegewebe getrennt. In dem Conjunctlvaleplthel 
fanden sich zahlreiche Becherzellen. Das Anliegen kleiner Hohl¬ 
räume an »Jie grösseren Cysten macht es mir wahrscheinlich, dass 
es sich um Degenerationsformen der neino-tubulösen Krause'- 
hc1ii*ii r>rüsc*n handelt, wie cs auch von der Mehrzahl der Autoreu 
für die solitären Cysten der Uebergangsfalte angenommen ist. 
<i insberg, der in seinem Fall (Areh, f. Ophthalmologie Bd. 44) 
die Cyste aus einer Verstopfung einer sog. H e u 1 e’selien Drüse 
entstellen lässt, wendet ein. dass die K raus e'schen Drüsen nur 
im äusseren Viertel der Uebergangsfalte vorkämen: das ist aber 
falsch, wie sich aus den Untersuchungen von Klein Schmidt 
und W o 1 f r i n g ergibt. Bel unserem Falle fehlten auch die 
massenhaften, sclilnucharligen Epitheleinsenkungen (H en 1 •»*- 
sehe Drüsen), die Olnsherg's Abbildungen zeigen, wenngleich 
sie vereinzelt gesehen wurden. Herr Dr. Ackermann wird 
noch eine genauere mikroskopische Untersuchung der später zu 
entfernenden Cystenreihe des rechten Auges vornehmen und ihr*» 
Ergebnisse ausführlicher veröffentlichen. Der Kranke hat. wie 
es scheint, früher vorübergehend an Augenkatarrheu gelitten, 
schwerere Affektionen, speeiell Trachom haben nicht bestanden. 

. Weiter.beobachtet, man bei ihm am Rande der Cornea beider 
Angen eine eigentümliche schmale Furchenbildung: am rechten 
Auge sitzt dieselbe am inneren Rande, am linken am unteren und 
inneren. Die äusserste Peripherie der durchsichtigen Cornea ist 
an der betreffenden Stelle etwas grau getrübt (unter der Lupe er¬ 
kennt man. dass die Trübung am peripheren Rande der Fnrchen- 
vertiefung. einzelne umschriebene, intensiver grau hervortretend«» 
Punkte zeigt), dann folgt di«'» tiefe, durchsichtige Furche, an deren 
«•cntralem Rand sich ein vorhandener Greisen bogen nnsehliesst; 
an einer Stelle ist auf diesem, der Furche anliegend, eine kleine 
Pelle bemerkbar; in die Furche hinein ziehen sieh von der Peri- 
i»h«»rle kleine Cefüsse. Es handelt sich auch hier um eine ver- 
hültnissmüsslg seltene Affektion. die ich zuerst ln der 4. Auflage 
meines Lehrbuches (1880) als periphere chronische 
K u r c h p n k e r n 1111 8 beschrieben habe. Diese Furcheu- 
blldung kann viele Jahre stationär bleiben, trifft meist ältere In- 
divhluen hiit Gerontoxon: doch können auch Jüngere Personen 
ohne Greisenbogen von ihr befallen werden. Neuerdings hat 
Fuchs (zweites Heft des Archivs f. Ophthalmologie. Bd. 52) 
Fülle derselben Affektion unter der Bezeichnung Rand¬ 
ski c r o s c uml R and «trophie der Hornhaut niitge- 
thellt. Er meint, dass Ich etwas anderes im Auge gehabt haben 
müsse, indem er sich auf meine Schilderung bezieht, wo es heisst: 
..Ein grösserer oder kleinerer Tlieil der Hornhaut Peripherie ist 
ln etwa 1 nun Breite leicht grau getrübt (ähnlich etwa wie heim 
Gerontoxon): die Trübung ist «»«»ntralwärts begrenzt durch eine 
tiefgehende durchsichtige •Furche" etc. Nach' ibnl könne sich 
diese Beschreibung nicht auf die vpu ihm gesehene Studie Rand- 
Verdünnung beziehen, da bei letzterer „die Furche peripher vom 
Arcus senilis, bei der Furcbeiikeratitis dagegen central von der 
Trübung liegt". Es dürfte sich liier aber um ein Missverständnis» 
liand«»ln: i«*li spreche gar nicht davon, dass das Gerontoxon peri¬ 
pher von der Furche liegt, sondern sage nur. die Ilornhaut- 
periphorie sei grau getrübt — ii li n 1 i <• h etwa wie bei Gerontoxon. 
Dies lässt sieb übrigens leicht konsiatireii und entspricht auch 
den mikroskopischen Veränderungen, wie sic in «len Abbildungen 
von Fuchs sich peripher von der Furche finden. Auf das Vor- 


No. 37. 


handens«>in eines central von tler Furche befindlichen Greigeu- 
bogetis aber habe Ich bei meiner Beschreibung kein Gewicht ge¬ 
legt, da diese» Purcheukeratltis eben auch hei jüngeren Individuell 
Vorkommen kann, wie z. B. die letzten Fälle zeigen, welche Fuchs 
selbst beschreibt. Ich muss Übrigens bemerken, dass die Affek'.Iou. 
wenn man einmal gewöhnt ist, auf sie zu achten, gar nicht allzu 
selten ist. Ob übrigens in allen Fällen diese Furchenkmtiiis 
durch eine Verdünnung von Innen her. durch Schwund der 
B o w in n n'schen Membran und Auflock«»rung der Hornhaut 
lamcllon zu Stande kommt, wie es sich aus dem sehr interessantin 
Falle von Fuchs zu ergeben scheint, ist uilr doch noch 
eiuigorinmissen zweifelhaft, besonders da man gelegentlich, neben 
den Furchen und sich ihnen anschliessend, auch kleine Dellen 
sieht, die epithellos sind. 

?>. Herr E, B u m m spricht über die operativen Eingriffe 
beim Puerperalfieber. 

Trotz aller antiseptischen Bestrebungen hat die allgemeine 
Morbidität und Mortalität an puerperaler Wundinfektion inj 
Privathauso im Laufe der Jahre nicht wesentlich abgenommeu 
und Fälle von Kindbettfieber sind immer noch häufig, in welchen 
die gewöhnliche örtliche und allgemeine Behandlung keine Besse¬ 
rung bewirken und die Frage an den Arzt herautritt, ob nicht 
durch einen chirurgischen Eingriff eine Heilung herbeigeführt 
werden kann. 

Als einfachster Eingriff kommt in erster Linie das Cu¬ 
re 11 e m e n t in Betracht. Vor routinemässiger Anwendung der 
Curetle am infizirten puerperalen Endometrium kaun nicht genug 
gewarnt worden, da nicht selten nach deren Anwendung allgemein 
septische Peritonitis, Pyaemie und Phlegmasia alba beobachtet 
wird und die direkt im Anschluss an die Ausschabung eintretende 
Verschlimmerung des Zustandes (Schüttelfröste u. dergl.) kaum 
einen Zweifel darüber lässt, dass die Gurette ungünstig gewirkt 
hat. Beachtet man die histologische Beschaffenheit des intizirtcu 
Endometriums, zumal die mächtige Ausbreitung weiter Venen¬ 
geflechte an den Placentarstellon, so werden die schlimmen Folgen 
der mechanischen Verletzung der mit Keimen durchsetzten Ge- 
websmassen und der freiliegenden Thromben ohne Weiteres be¬ 
greiflich. Bei Streptoeoccenendoinetritis, der häufigsten Form 
der puerperalen Infektion, ist die Ausschabung unter allen Um¬ 
ständen contraindizirt. und auch bei Retention und Zersetzung 
von Plaeentar- und Eiresten stellt die manuelle Ausräumung das 
sehonendore Verfahren dar, die Losreissung von Thromben, Er¬ 
öffnung von placentaren Venen und L T ebertragung von Keimen 
in dieselben ereignet sich dabei viel seltener, als wenn man die 
scharfe, tiefer in die weichen Gewebe eindringende Gurette be¬ 
nutzt. 

Wo antiseptisehe Spülungen und Curettemcnt nicht halfen, 
die Infektion aber noch auf die Gebärmutter lokalisirt erschien, 
hat man vielfach die Exstirpation des Uterus ausgefiihrt. 
Vortragender sah von diesem Eingriff in 5 Fällen nur 2 mal Er¬ 
folg; beide Male handelte es sich um ausgedehnte Putrescenz des 
Endometriums und der anschliessend»« Schichten der Muskel- 
wand. Dagegen bringt die Ausschneidung des mit septischen 
Keimen (Streptococcen) infizirten Uterus keinen Nutzen, weil 
sich bei der Operation an dem infizirten Organ eine Einimpfung 
der pathogenen Organismen in die frisch gesetzten Wunden und 
in das eröffnetc Peritoneum nur selten vermeiden lässt und die 
Patientinnen gewöhnlich rasch der Pelveoperitonitis oder der 
septischen Phlegmone der Parametrien erliegen. Da Fäulniss- 
proc(sse in utero in der Kogel vou selbst zur Abheilung kommen 
und nur selten zu weitergehender Gangraen führen, ist die Ex¬ 
stirpation des Uterus beim Kindbettfieber jedenfalls nur in sehr 
seltenen Fällen nützlich und nngezcigt. 

Wenn sich die Infektion von der Eingangspforte am Endo¬ 
metrium weiter ausbreitet und die Grenzen des Uterus über¬ 
schreitet, kann sie, auf der Oberfläche der Schleimhaut weiter¬ 
schrei teml, den Weg in die Tuben nehmen, oder in die Gewebe 
eindringend, den Weg durch die Lymphbahncn oder die Venen 
eiiiseldngen. 

Die Infektion der Tubarschleimhaut führt zum septischen 
Pyosnlpinx, der sich häufig mit Absccssen des Ovarium -kom- 
binirt und nach Verlöthung mit den benachbarten Baucliorganeu 
zum puerperalen Adnextumor wird. Während Adnextumureu 
gonorrhoischen Ursprungs eine durchaus günstige Operatious- 
prognose geben, im Uehrigen aber auch bei gehöriger Geduld spon¬ 
tan ausheilen, muss vor allzu frühzeitigen operativen Eingriffen 
bei septischen Adnextumoren entschieden gewarnt werden. Die 
im Eiter enthaltenen Streptococcen können sich Wochen- und 


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10. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 14G3 


monatelang virulent erhalten und eine tödtliche Peritonitis be- 
w irkcn, wenn sie bei der Operation auch nur in geringer Menge 
mit dem freien Peritonealrauni in Berührung kommen. Ebenso 
gefährlich ist die Ovariotomie bei Kystomen, welche gelegentlich 
eines vorausgegangenen Wochenbettes infizirt wurden. 

Die Verbreitung auf dem Wege der Lymphbahnen führt zur 
Peritonitis, wenn die Keime die Uteruswand direkt durchwachsen 
und dabei bis an den Serosaüberzug des Organes gelangen oder 
zu parametritischer Phlegmone, wenn sie längs der grösseren 
Lyniphstränge Vordringen und von da aus das lockere Zellgewebe 
ucben dem Uterus befallen. 

Was die septische allgemeine Peritonitis im Wochenbett an¬ 
langt,.so sind bisher alle Versuche, durch ausgiebige Incisionen, 
Spülungen und Drainage eine Heilung herbeizuführen, fehl- 
geselilagen. Vortragender hat in 4 Fällen nach Incision, reich¬ 
licher Spülung mit Kochsalzlösung und multipler Drainage die 
au allgemeiner Streptococcenperitonitis erkrankten Wöchnerinnen 
im Collaps rasch zu Grunde gehen sehen. Heilungen werden nur 
erzielt, wo bereits durch die natürliche Reaktion des Organismus 
eine Abkapselung und Lokalisation des Eiters bewirkt ist. Solche 
intraperitonealen Abscesse müssen da eröffnet werden, wo sie sich 
der Oberfläche am meisten nähern und pflegen nach der Eröffnung 
in der Regel prompt auszuheilen. Dass man bei der Entleerung 
der Eitersacke die Eröffnung des freien Peritonealraumes sorg¬ 
fältig zu vermeiden hat, ist selbstverständlich. 

Dasselbe gilt von der Entleerung der paramotralen Abseesse, 
welche von den Bauchdecken her nach der Vagina drainirt werden 
sollen, um jede Retention des Eiters und das Zustandekommen 
chronischer Vereiterungen des Beckenbindegewebes zu vermeiden. 
Die allzu frühzeitige Eröffnung der Eiterherde kann bei der Starr¬ 
heit des infiltrirten Beckenbindegewebes, der Unmöglichkeit, die 
Theile herabzuziehen und im Speculum gut zugänglich und sicht¬ 
bar zu machen, technisch sehr schwierig werden, und ist es dess- 
halb im Allgemeinen mehr zu empfehlen, abzuwarten, bis sich 
der Abscess in der Vagina oder an den Bauchdecken der Ober¬ 
fläche genügend genähert hat. 

Vortragender bespricht zum Schluss die operativen Bestre¬ 
bungen bei puerperalarPyaemie. Da es Fälle gibt, wo 
von der Placentarsteile aus nur eine Vena spermatica infizirt 
wurde und der alleinige Sitz eitrig zerfallener Thromben ist, 
erscheint ein operatives Vorgehen bei schweren Fällen puerperaler 
Pyaemie nicht ganz ausichtslos. Der Sitz der thrombosirten Ge- 
fiisse lässt sich in tiefer Narkose bei bimanueller Untersuchung 
gewöhnlich feststellen, insbesondere wird bei Thrombophlebitis 
des Plexus spermatieus ein dicker, teigig-weicher Strang gefühl*, 
der in der Gegend des Lig. infundibulo-pelv. von dem Ovariuzn 
zum Beckenrand verläuft. Freund hat in einem derartigen 
Falle die Excision der Vene vorgenommen, ohne Erfolg, weil nocli 
weitere Thrombc-nherde vorhanden waren. Vortragender berichtet 
über 2 ähnliche Fälle, wo die Excision der eitererfüllten Sper- 
maticalvene bis zur Höhe der Art. mesent. inf. ausgeführt wurde, 
der Erfolg aber ebenfalls ausblieb, weil höher oben noch weitere 
Eiterherde in der Vene sassen. 

Besprechung: Herr v. Bramann betont ln An¬ 

knüpfung an eine Bemerkung des Herrn Vortragenden über die 
lange Haltbarkeit und Lebensdauer der Bacterien ln den 
Abecessen, dass diese selbe Erscheinung auch dem Chirurgen oft 
genug entgegentrete und die Mikroorganismen ln derartig abge¬ 
kapselten Herden thatsächlicb Jahre hindurch überleben können. 

Herr Fraenkel bestätigt dies auch durch das Beispiel der 
Typhusbaclllen. Im Uebrigen bemerkt er Im Anschluss an das 
eigentliche Thema, dnas nach Berichten In der Semaine mödicale 
die gleiche Frage auch jüngst in den Pariser ärztlichen Vereinen 
eine Erörterung erfahren und das Urtheil der Geburtshelfer 
über die Aussichten operativer Eingriffe beim Puerperalfieber lui 
Allgemeinen sehr ungünstig gelautet habe. Man hat sich dort 
schliesslich etwa in dem Sinne ausgesprochen, dass die Operation 
fast immer zu spät komme; so lange sie noch mit Aussicht auf Er¬ 
folg unternommen werden könne, greife man eben nicht zum 
Messer, da eine natürliche Wendung der Dinge zum Bessern noch 
erhofft werde. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 3. Mai 1901. 

Herr Schloff er stellt eine Frau vor, bei welcher er weg’n 
bestehender Dünndarmvaginalflstel eine unilaterale Darnmns- 
mü;. Innig vorgeuommen hat. Im Anschlüsse an eine (wog. n nicht 
eruirbarer Utcruserkrankung voigenommene) Exstlrpatio Uteri 


vaginalis entwickelte sich au der Kuppe der Schelde clue Fistel, 
ausserdem bestanden die Erscheinungen einer chronischen Da rin- 
steno.se, in Folge deren der Stuhl nach heftigen Koliken nicht per 
auum, sondern durch die Fistel entleert wurde. Bel der Laparotomie 
fand Schloffer einen mächtig geblähten, in seiner Wand stark 
verdickten Darm, der in’s kleine Becken heruntergezogen,» gegeu 
die Scheide hin mit zahlreichen anderen Darmschlingen ver¬ 
wachsen war. In seinem, der Fistel näher gelegenen Abschnitte 
mehrere Damistrikturen. zwischen diesen der Darm ampullenartig 
gebläht; oberhalb derselben vereinigte Schloffer durch eine 
mittels Naht ausgeführte Anastomose den zuführenden mit dem 
abführenden Darm. Nachdem weder Kotli noch Flatus per vias 
naturales ihren Weg nahmen, und die Koliken nicht aufhörten, 
nach 18 Tagen abermalige Laparotomie: Resektion des 20 cm 
langen, die Strukturen enthaltenden Darmstückes, Schliessung des 
gegen die Anastomose zu gelegenen offenen Endes durch Ein¬ 
stülpungsnähte, Einpflanzung des gegen die Striktur gelegenen 
distalen Endes ln die Bauchdecken. Seither normale Darni- 
funktionen. 

Nach Besprechung dieses Falles verweist Schloffer auf 
die theoretischen Bedenken gegen die unilaterale Ausschaltung 
des Darmes, hält aber sein Vorgehen in diesem Falle für gerecht¬ 
fertigt. 

Herr Schloffer demonstrlrt weiter: 

1. Resektion des Ganglion Gasseri nach Krause (wegen 
Neuralgie) mit osteoplastischer Resektion des Jochbogens 
(L e x e r). 

2. Resektion des H. und IH. Trigeminusastes nach Krön- 
1 e i n (ebenfalls wegen Neuralgie) ohne Resektion des Processus 
coronoideus (ähnlich Kocher's Methode für den III. Ast). 

Herr Alfred Kraus: Ueber den Nachweis der Haarsack- 
milbe (Acarus folliculorum). 

Bei den Versuchen, den Acarus follic., der in ungefärbten 
Präparaten sehr schwer auffindbar ist, auf dem Wege färbe¬ 
chemischer Verfahren leichter nachweisbar zu machen, fand 
Kraus, dass sich derselbe wie säurefeste Bacterien verhält, die 
Farbstoffe zwar nur sehr schwer aufnehmen, nach erfolgter Bei¬ 
zung dann um so schwerer abgeben. Dementsprechend gelingt 
cs in Aufstreichpräparaten vom Inhalte normaler oder patho¬ 
logisch veränderter Haarbälge bei Färbung nach Zicl-Niel- 
s e n oder G a b b e t, den Acarus follic. roth gefärbt, gegenüber 
der blau gefärbten Umgebung darstellen zu können. An Schnitt¬ 
präparaten hat K r a u 8 bisher die Verwendbarkeit der neuen 
Methode nicht erproben können. 

Sitzung vom 7. Juni 1901. 

Herr Fr. Pick demonstrlrt autoskoplsch einen flottirenden 
Kelilkopfpolypen. 

Herr Rudolf F i s c h 1 demonstrlrt einen Fall von infan¬ 
tilem Myxoedem. 

Das Kind, dessen Vater aus einer Kropfgegend ln Böhmen 
stammt und selbst einen Kropf besitzt, ist 14 Jahre alt, 80 ein 
gross, bat das charakteristische Gesicht, eine offene Fontanelle, 
spärliche, tief ln der Gingiva sitzende Zähne, eine dicke permanent 
vorgestreokte Zunge, eine an der Basis ointresunkene Nase, über 
der Clavicnla myxomatöse Anschwellungen . Lipomatose der 
trocknen, schilfernden Haut: koraplete Idiotie. F Ischl will 
einen Versuch mit Thyreoidin risklron. 

Herr Raudnitz berichtet über die Erfolge, welche er mit 
Schllddrüsenverfütterung hei dem von Herrn Engel vorgestellten 
Falle von Hypothyreoidie erzielt hat. Es wurde Anfangs Jodo- 
tliyrin, später Thyraden verfüttert. Interessant sind die Fort¬ 
schritte der Verknöcherung. Während hei dem 8 jährigen Mädchen 
sich Anfangs zwei Knoihtnkeme ln der Handwurzel und 1 in der 
Epiphyse des Radius zeigten, sieht man jetzt an Skiagrammen an 
den Epiphysen aller Phalangen die Knochenkerne ln voller Ent¬ 
wickelung. ebenso die proximalen an Daumen und Zeigefinger. 
Ebenso bedeutende psychische Besserung. Im Ganzen wurden 
verbraucht ca. 40 Jodothyrlnpastillen und 50 Thyradentabletten. 
Die Behandlung wird fortgesetzt. 

Herr Kleinhans demonstrlrt: 

1. Primäres Scheidencarcinom (der hinteren Wand) mit 
Uebergreifen auf die Rectalwand. Totalexstirpation der Scheide, 
des Uterus mit Adnexen und circuläre Resektion eines 7 cm 
langen Stückes des Mastdarms. 

Klein ha ns ist der Ansicht, dass ln allen Fällen von pri¬ 
märem Scheidencarcinom mit Sitz an der hinteren Wand bei Ueber¬ 
greifen auf das paravesieale Bindegewebe auch ein entsprechender 
Thcil des Rectums zu reseciren sei, doeh hat die Eröffnung der 
Plica vesieo-uterina im Beginne der Operation zu geschehen. 

2. Parovarialcyste in Folge von Stieltorsion (ca. 200") im 
Zustande haemorrhagischer Infiltration. 

3. Einen im 3. Monat graviden Uterus mit grossem Myom 
der vorderen Wand. Regelmässige Blutung. Schwangerschaft 
nur durch die Untersuchung per rectum diagnostizirt. 

Herr Knapp: Demonstration eines Falles von Osteomalacie. 
Vor einem Jahre Perforation des abgestorbenen Kindes, sellh -r 
bedeutende Zunahme der Becken Veränderung. Einleitung der Früh¬ 
geburt, nach dem Wochenbett Kastration. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 


1464 


Weiters Demonstration einer von ihm seihst erfundenen 
elektrischen Lampe (für geburtshilfliche Zwecke geeignet). Zu 
beziehen von „American Electrical Xovelty & Mfg. Co.“. Berlin SW., 
ltitterstrasse 71 (75). 

Herr Herr mann berichtet über einen Fall von malignem 
Cervixadenom. Die Geschwulst, die alle klinischen Zeichen von 
Malignität zeigte, präsentirte sich histologisch als gutartige Neu¬ 
bildung, bestehend in einer Cervixdrüseniinitatlon unter völligem 
Mangel von Mehrschichtung und Polymorphie der Zellen. 

Sitzung vom 5. Juli 1901. 

Herr Hilgenreiner stellt einen von ihm operirten und 
geheilten Fall von akutem Darmverschluss vor, bedingt durch 
ein M e c k e l’sclies D i v e r t i k e 1. welches den Darm von der 
Abgangsstelle des Divertikels clrculiir abgeschnürt und bereits zu 
Nekrose und Perforation im Inoareerationsringe geführt hatte. 
Im Anschlüsse daran zeigt er zwei Präparate von Meck ersehen 
Divertikeln, welche beide den Tod des betreffenden Individuums 
herbeigeführt hatten, und von welchen das eine eine Perforation 
im Divertikel, das andere die Abschnürung eines Düundarmconvo- 
lutes zur Darstellung billigt. 

Herr Herrmann (Klinik des Herrn Billiger) demon- 
strirt mikro- und makroskopische Präparate von einem Falle mit 
entzündlichen Veränderungen im Ligamentum rotundum. 

Herr Kleinhans bespricht die Erfolge der von ihm 
vorgenommenen erweiterten Frcund’schen Operation wegen 
Carcinoma portionis, bezw. cervieis uteri. »Siiinmtliehc 6 Fälle, 
die er seit Anfang Mai operirt. genasen; bei allen wurde die 
Foruix vag., bei einem ein grösseres Stück Scheide mitentfernt. 

Herr Schloffer spricht über die Indikationsstellung 
zur Operation bei Appendicitis. O. W. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Soci6t6 de Chirurgie. 

Sitzung vom 3. Juli 1901. 

XJeber tödtliche Zufälle nach der Bachicocainisation. 

B r o c a bringt eine Beobachtung von Prouff, welcher eine 
Ultra]umbfllc Cocaininjektion (1 ccm) lxü einer 02 jährigen Frau i 
machte, um einen in den Fürs eiugestosscnen Nagel zu entfernen. 
Die Analgesie war eine vollständige, nach Anlegung des Verbandes 
konnte Patientin gut laufen und 1 Stunde später wieder ihrer Be¬ 
schäftigung nachgehen, aber noch 4 Stunden bekam sie heftige 
Kreuzschmerzen, der Puls wurde fadenförmig, die Schmerzen 
immer heftiger und 19 Stunden nach der Operation trat der 
Tod ein. 

•Nölaton hat erst neuerdings sehr schwere Herz-Lungeu- 
erscheinungen beobachtet und die Analyse des Cocains hat ihm 
Veränderungen gezeigt, die vielleicht für diese Erscheinungen die i 
Ursache sind. 

Roehard bestätigt die Ansicht N 61 a t o n s: das Cocain ist 
oft verändert, man findet dabei unter anderem ein Zersetzung* • 
Produkt, das Ecgonin, welches dem Atropin ähnliche Eigenschaften 
besitzt. 

C h a p u t erklärt, dass ln dem Falle von Prouff 2 grosse 
Fehler begangen worden sind: 1. die Patientin so kurz nach der 
Operation aufstehen und dann sogar umhergehen zu lassen und 
2. keine präventive Aspiration von 10—20 ccm des Liquor cerebro- 
spin. zu machen. Durch letztere gelang es Ch., in hunderten von 
Fällen den Kopfschmerz zu vermeiden; wenn er trotz Punktion 
sich einstellt, so beruht das auf spezieller Empfänglichkeit Was ! 
die ebenfalls zuweilen beobachteten Zltterhewegungen betrifft, so 
glaubt sie Ch. dadurch verhüten zu können, dass er dem Kranken 
eine Stunde vor der Operation eine Mischung gibt, welche 20 gtt. 
Tlnclur. Digitalis und Morphium enthält. 

Polrier begegnete es unter 50 Punktionen 2 mal, dass er 
nicht in den Canalis (sacralis) gelangen konnte, und führt dies 
darauf zurück, dass bei manchen älteren Personen eine Ossifikation 
des fibrösen Gewebes eingetreten ist, was dem Durchgang dev 
Nadel hinderlich ist. 

Sch wartz hat neuerdings in 20 Fällen die Rachicooalni- 
sation ausgeführt und zwar immer mit gutem Resultate und ohne 
Nebenerscheinungen. 

Tu ff ler tliellt die Folgeerscheinungen der Rarhlcoenini- 
sation in unmittelbare, welche bulbären Ursprungs und nur mit 
künstlicher Athmung zu behandeln sind, und In später auftretende, 
welche auf Reizung der Gehirnhäute zurüekzufiihreu sind. ein. 
Bezüglich der Technik hat T. seinen früheren Angaben nichts bei- 
zufiigen. Ster n. 


Aus den englischen medicinischen Gesellschaften. 

Pathological Society of London. 

Sitzung vom 0. Juli 1901. 

F. J. Poynton und A. Paine berichten über die Er¬ 
zeugung von Arthritis bei Kaninchen durch intravenöse Injektion 
von einem bei fieberhaften Rheumatismusanfällen gewonnenen 
Diploeoeeus. Bei 18 Füllen von febriler ltheumarthritis haben sie 


einen sehr kleinen Mikroorganismus lsollrt, der in schwach sauren 
Medien seine Virulenz längere Zeit hindurch bewahrt und auch I» 
stark alkalischen Nährflüssigkeiten gedeiht. Sie halten densollien 
für identisch mit dein von Triboulet, Wassermann und 
M eyer l>esehriebenen. Derselbe ist von ihnen in menschlichem 
Gewebe nnchgewiesen, und bei Kaninchen ergab die intravenös- 
Einspritzung ganz präeis den Symptomenkomplex von Rheum- 
arthritis. Es erscheine gerechtfertigt, von einein ..Diploeoeeus 
rheuiuaticus“ zu sprechen, wenn auch nicht in jedem Falle beim 
Versuchsthier die Krankheit hervorgerufen werde und die Intensi¬ 
tät der Erkrankung Schwankungen aufweise. Das gebildete Ex¬ 
sudat sei bald klar, bald blutig tingirt, trüb uud flbrinoplastisch. 
Manchmal waren die Sehnenscheiden in der Umgehung der (Je- 
lenke und die Sclileimheutel initbetheiligt. Die ersten Symptom ■ 
machten sich meist schon am 3. Tage bemerkbar, doch dauerte di.- 
Iueubntionsperiode manchmal auch 8 Tage. Hauptsächlich .waren 
die grossen Gelenke affieirt. Zuweilen trat vollständige Genesung 
ein. Zwei Fülle gingen in einen chronischen Zustand über mit 
intensiver Verdickung der fibrösen Gebilde am Gelenk. Im akuten 
Stadium war eine gelatinöse Schwellung dieser Theile zu kon 
sintireu, und es war eine starke Infiltration von Zellen im zarten 
Gewebe zwischen der Endothelanskleidung des Gelenks und der 
faserigen Schichte vorhanden. Es machte grosse Schwierigkeiten, 
Kulturen von solcher Synovitls rheuinatica massige» Grades zu 
gewinnen, wahrscheinlich, weil in Folge der lebhaften Reaktion 
die Diplococcen durch Leukocyten und Endothelzellen schnell ver¬ 
nichtet werden. Philipp!- Salzschlirf. 

Edinburgh obstetrical Society. 

Sitzung vom 12. Juli 1901. 

H. O. Nicholson sprach über das Thema Eklampsie und 
die Schilddrüse. Während der Schwangerschaft bestellt immer 
in Folge des foetalen Stoffwechsels durch Assimilirung gewisser 
Bestandthelle der Nahrung einerseits und die Exkretionen der 
Frucht andererseits ein gewisser Grad der Toxaemie. Die Toxine 
sind sowohl nach Quantität, wie nach Qualität nicht immer gleich: 
hei Primiparcn sind sie am gefährlichsten. So lange die Nieren 
intakt sind, treten keine weiteren Symptome hervor. Ein Zu¬ 
sammenhang und intime Wechselwirkung besteht zwischen diesen 
Organen uud der Schilddrüse. Die praemonitorischen Symptome 
der Eklampsie sind bekannt: Oedem von ziemlich fester Beschaff.u 
heit. Albuminurie, geringe Urinausscheidung. erhöhter Blutdruck 
in den Arterien. Kopfweh, Diarrhoe, Sehstüruugen und Mnskel- 
zuekungen. Andererseits ist auch die Loher bei der Eklampsie 
höchst wahrscheinlich mitbotheiligt. Bei drei Fällen hat N. aus 
gesprochene Gelbsucht beobachtet.; es sei anzunehmen, dass dir 
Lelier auch unter mangelhafter Schilddrüsenthätigkeit leide. - 
Zur Behandlung empfiehlt N. die Darreichung des Thyreoidextraots. 
womöglich vor Beginn der Albuminurie. al>er auch später um! 
sogar im eklamptischen Stadium könne dasselbe mit Erfolg ge¬ 
geben werden. Die Dosis im ersteren Falle soll 0.3, zwei- bis drei¬ 
mal täglich zu nehmen. Indra gen. Bei drohendem Anfall gcln* mau 
stündlich oder alle 2 Stunden eine subkutane Einspritzung von 
Liquor tliyreoklei (y 3 —% Pravazspritze voll) oder frischen Schild 
drüsensaft (0,5) mit dem gleichen Volumeu Aqua destillata versetzt. 
Sonst wird man Morphium, Natron snlicyllcum. .Todkali u. s. 
wie sonst in Anwendung bringen. Philipp!- Salzschlirf. 


Verschiedenes. 

Die perforirenden Magenverletzungen 1*- 
leuchtet Dr. G 1 i t s c li - Stuttgart in geriehtlieh-medlcinischer Be¬ 
ziehung folgendennaassen: 

1. Findet man innerhalb der topographischen Grenzen de« 
Magens eine penetrirende Bauchdeckenwunde, so ist bei Stich- und 
Schnittwunden eine Verletzung des Magens wahrscheinlich. l*ei 

| Schusswunden so gut wie sicher. Bei Stichverletzungen hat man 
! cs gewöhnlich mit einer, bei Schussverletzungen mit zwei Magen- 
! wunden zu thnn. 

2. Da penetrirende Verletzungen des Magens ln deu seltensten 
Füllen sofort den Tod zur Folge haben, werden fast immer vitale 
Rcnktionserscheimiugcn die I T ulerseheidung zwischen vitaler und 
postmortaler Verwundung ermöglichen. 

3. Magen Verletzungen in selbstmörderischer Absicht sind 

äusserst selten: wenn überhaupt, so handelt es sich um Schuss¬ 
wunden. die auf das Herz abzielten. Iu diesen Fällen kann Fona 
und Lage, sowie die Beschaffenheit der Einschussöffnung einen 
Fingerzeig geben. . 

4. Blutbrechen. Uollaps. Schock sind keineswegs ständig' 
i Folgeerscheinungen einer perforirenden Mageuverletzung; dieselbe 
i 1 aim im Gegeuthell zunächst völlig symptomlos verlaufen, gewöhn 

lieh aber stellen sich früher oder später alarmirende Symptom" 
ein. Von Bedeutung für die Folgen einer Magenverletzung sin' 
der Füllungszustand des Magens, die Verletzung grösserer Bim 
I gefüssc und die Betheiligung anderer Bauchorgone. 

o. Die Prognose der Magenverletzung kann sich nur bei recht- 
! zeitigem operativen Eingreifen günstig gestalten; der Gerichts»«; 
; hat t ine derartige Verletzung als eine tödtliche zu qualifleiren. im-1 
j es können hieran Fälle von Spontanheilung nichts ändern. Letztere 
sind als die Ausnahmen, der tödtliche Ausgang als die Regel 
j zuselieu. 


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10. September 1901. MTTENCHENER MEBICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1465 


6. Eine erfolgreiche Therapie einer perforireudeu Mageuvev- i 
letzung kann nur in der Laparotomie und Magennaht bestehen. 

7. Kommt ein Fall von perforireuder Magenverletzung recht¬ 
zeitig iu saehgemüsse Behandlung, so kaun sowohl anatomisch, 
als bezüglich der Arbeit«- und Erwerbsfähigkeit völlige Restitutio 
ad integrum eintreten. 

8. Subkutane Magenperforatiouen (Rupturen) haben gewöhn¬ 

lich die schwersten Erscheinungen zur unmittelbaren Folge. Ihre 
Prognose ist bedeutend schlechter als diejenige der penetrirenden 
Magen Verletzungen; lu allen Füllen kann nur die Laparotomie 
einige Garantie für die Heilung bieten. Vom gerichtlich-medi- 
ciuischen Standpunkt aus ist eine subkutane Mugenzerreissung 
als schlechtweg tödtlich anzuseheu. (Allg. inedic. Ceutral-Ztg. 1901, 
No. 30-37.) P. H. 

Den gegen wilrttgen Stand der Frage von den 
im Gebirge auftretenden Veränderungen der 
Blutmlschung und der Art Ihres Zustande¬ 
kommens beleuchtet Dr. M. Tausch- Berlin folgender- 
maassen: 

1. Die in den ersten Wochen eines Gebirgsaufeuthaltes ein¬ 
tretenden und konstant werdenden Veränderungen der Blut- 
zusammensetzung, welche vor Allem in einer Vennehrung der 
Erythrocytenmenge und des Hb-Gehaltes pro Kubikmillimeter be¬ 
stehen, können mit Recht als spcciflsche Wirkung des Höhen¬ 
klimas auf gefasst werden. 

2. Man kann mit Grund dieselben ln ursächlichen Zusammen¬ 
hang mit der Abnahme des Luftdrucks bringen. 

3. Die ln der Literatur vorhandenen Arbeiten sind nicht ge¬ 
eignet, sicher entscheiden zu lassen, ob Jene Vermehrung eine ab¬ 
solute oder relative ist. 

4. Ein gangbarer Weg, diese Frage zn lösen, ist aui ehesten ge¬ 

geben durch eine Untersuchung, die die gesammte Blutmasse um¬ 
fasst. und das Nächstliegende wäre daun, diese so einzurichten, 
dass man Veränderungen des Fe-Gelialts des ganzen Körpers und 
der einzelnen Erythrocyten und Veränderungen ihrer Menge pro 
Kubikmiillmeter während des Gebirgsanfenthaltes zu linden sucht 
und miteinander verrechnet. (Allg. med. Centr.-Ztg. 1901. No. 38 | 
bis 43.) P. H. 

T'eber die neue Massageanstalt der Universität Berlin 
erstattete Prof. Zabludowskl Bericht auf der Jüngsten Ver¬ 
sammlung der Balneoiogiscben Gesellschaft zu Berlin. Folgendes 
sind die Aufgaben der Anstalt: 

1. Durch Ausbildung in der Massage sowohl von Studirenden 
höherer Semester als auch von schon approbirten Aerzten soll diese 
Heilmethode als Tbeil der allgemeinen und speziellen Therapie 
znn Gemeingut der Aerzte gemacht werden. 

2. Es sollen wissenschaftliche Beobachtungen auf dem Ge¬ 
biete der Massage angestellt werden. 

3. Durch praktische Ausbildung eines durch Intelligenz, Ge¬ 
schicklichkeit und moralische Qualifikation besonders geeigneten 
Warteporsonals iu der Massage, als einem wichtigen Agens der 
Krankenpflege, soll den Aerzten eine nicht zu unterschätzende 
l uterstützung geschaffen werden. 

4. Es soll Kranken, welche einer systematischen Massagekur 
in?dUrftig sind, die Möglichkeit geboten werden, eine solche von 
fachmännischer Iland zu haben. 

Als Mittel zur Erfüllung der Aufgaben der Anstalt dienen 
folgende Maassnnhincn: 

Es werden in der Mnssageanstalt drei Massagekurse perio¬ 
disch abgelialteu. nämlich für Studirende der Mediein ein seine- 
Mraler Kursus und für Aerzte zwei Lehrkurse, und zwar a) monat¬ 
liche systematische Kurse von 4 wöchentlicher Dauer, b) prak- 
t’sche Uebungskurse iu der Massage Im Ambulatorium der 
Massageanstait für diejenigen, welche den systematischen Kursus 
schon absolvirt haben, ebenfalls von vlerwöehentlicher Dauer. 1 
i Deutsche Medlcinal-Zeitung, 1901, No. 54.) __ P. II. 

^ Therapeutische Notizen. 

Ein Hand - und Fingergelenkspendel. Ferdinand 
B ä h r empfiehlt in der Deutsch, med. Wochensehr. No. 35 seinen 
bereits 1898 auf der Münchener Naturforscherversammluug demon- 
strirten und nunmehr durch eine Reihe von Verbesserungen modi- 
fizlrten Apparat zur Beweglichmachung steifer Hand- und Finger- 
gelenke, mit welchem er speclell ln der Nachbehandlung von Unfall- 
Verletzungen sehr gute Resultate erzielt hat. Der Apparat zeichnet 
sich aus durch solide und einfache Konstruktion, praktische Hand¬ 
habung und mässigen Preis. Bezüglich detalllirter Beschreibung 
mit erläuternden Illustrationen muss auf den Originalartikel (s. o.) 
verwiesen werden. Bezugsquelle: A. Hohle, Haimover, Wahren- 
walderstr. 47 b. F. L. 

Blutuntersuchungen nach Ichthyol!» ädern 
hat Dr. Karl Schütze-Bad Kögen ausgeführt. Er kam da¬ 
ta?! zu dem Schlüsse, dass die Ichthyolbäder einen unzweideutigen 
Einfluss auf die Erhöhung ds Haemogloblngehaltes des Blutes 
und auf die Vermehrung der Erythrocyten haben. Die Unter¬ 
suchungen über die Leukocyten sind noch nicht genügend, um ein 
abschliessendes Urtheil abgeben zu können. Bemerkeuswerth ist 
die Abnahme des Zuckergehalts im Uriu bei Zunahme des Haemo- 
globins im Blute bis zu Polycythaemie. Bei der Untersuchung der 
Alkalescenz des Blutes ist Verfasser zu sehr abweichenden Resul¬ 
taten gekommen, die in der Verschiedenheit der pathologischen 
Zustände begründet erscheinen. (Deutsche Medlcinal-Ztg. 1901, 
So. 32.) P. H. 


Eine Trionalkur hat Dr. Wo 1 f f, Direktor der syrischen 
Heilanstalt Asfuriyeli bei Beirut, ln 3 Fällen von akuter Psychose, 
ganz frischer akuter Verwirrtheit (hallucinatorisches 
Irresein) mit gutem Erfolge angewandt. Am ersteu Abend wurden 
2 g Trional gegeben, am nächsten Morgen und Abend nochmals 
je 2 g und dann Abends und Morgens täglich Je 1 g oder noch 
weniger, so dass der Patient die ganze Zeit über in einem schlaf 
ähnlichen Dämmerzustand verblieb, in welchem er mir durch 
Essen und Verrichtung der Bedürfnisse gestört wurde. Traten 
Erregung und Ilaliucinatiouen auf, so wurde die Dosis wieder 
auf 2 g erhöht. Das Erwachen erfolgte allmählich innerhalb 
1—2 Tagen, die Patienten waren dann ruhig und klar, hatten 
Krankheilseinsieht und konnten nach einiger Zeit geheilt die An¬ 
stalt verfassen. Der 8chluf dauerte ungefähr 12 Tage. Die 
Trionalkur hat, meint Verfasser, in seinen Fällen kouplreiul ge¬ 
wirkt; einen Zufall hält er für ausgeschlossen, und so empfiehlt, 
ei die Anwendung und Prüfung der Trionalkur, die nicht gefähr¬ 
lich und leicht ausführbar sei. i.Ceutralblntt für Nervenheilkunde 
und Psychiatrie, 1901, Mai-Ileft.) P. II. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 10. September 1901. 

— Die peinlichen Erörterungen, welche der Protest des Ex- 
Snni tütsrat lies Stoff an gegen uie Erhebung von 30t» Mark 
Stempelgebühr für Verleihung des Sauitiits- 
rathstitels zur Folge hatte, haben die erfreuliche Folge gehabt, 
dass die preuss. Regierung sieh zur Aufhebung dieser Steuer ent¬ 
schlossen hat. Eine Bekanntmachung des preuss. Kultusministers 
iui Reichsauzelger lautet: ..Die \ orschritt uuter No. 00 LIt. e des 
Tarifes zu dem Stenipelsteuergesetze vom 31. Juli 1895 (Ges.- 
Samuil. S. 413), welche „tiir die Verleihung von Titeln an Privat¬ 
personen“ einen Steuersatz von 300 -Mark vorsteht, ist bisher 
auch bei der Verleihung des Titels .jSauitätsrath", „Geheimer 
Snnitätsrath“ an nicht beamtete Aerzte zur Anwendung gebracht 
worden. Die Stellung, welche der ärztliche Stand und seine Mit¬ 
glieder naeh der neueren Gesetzgebung in gesundheitlichen Fragen 
eiiiiichineu, das erhöhte Moass, iu welchem sic au der Lösung 
der Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege gegen früher be¬ 
theiligt werden, sowie eine Reihe öffentlich-rechtlicher Befugnisse 
und Verpflichtungen, welche ihnen iu Bezug auf die Ermittelung 
und Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten auferlegt sind, 
rechtfertigen es, auch die nicht beamteten Aerzte nicht mehr als 
Privatpersonen im Sinne des Stempelsteuergesetzes anzuseheu, 
sondern auzunehmeu, dass sie auf dem Gebiete der Gesundheits¬ 
pflege, wie die Rechtsanwälte auf dem der Rechtspflege, eine 
eigenartige Stellung öffentlich-rechtlichen Charakters bekleiden. 
Auf Grund der vorstehenden Erwägungen bestimme ich im Elu- 
verständniss mit dem Herrn Finanzmiuister, dass iu Zukunft bei 
der Verleihung des Titels „Sanitätsrath“, „Geheimer Sanltütsrath“ 
an nicht beamtete Aerzte von der Einziehung des Stempels der 
Tarifstelle No. 00 Lit. e des Stempelsteuergesetzes vom 31. Juli 
lhüö abgesehen werde." -- Herr Kollege Steffan, dem das 
Sanitätsrathspatent wieder entzogen, die 300 Mark Stempelgebühr 
aber nicht zurückerstattet wurden, mag sich für dieses Missge¬ 
schick durch das Bewusstsein, seinen preussischeu Kollegen einen 
Dienst erwiesen zu haben, reichlich entschädigt fühlen. 

— Als Nachfolger v. C o 1 e r's ist Generalarzt Professor 
Dr. v. Leuthold, der erste Leibarzt des Kaisers, zum General¬ 
stabsarzt der Armee, Chef dos Sanitütskorps uud der Medicinal- 
nbtheilung im Kultusministerium uud zum Direktor der Kaiser 
Wilhelms-Akademie für das militärärztliebe Bildungswesen er¬ 
nannt worden. Zugleich hat er den Rang als Generalleutnant er¬ 
halten. Seiue Stellung als Leibarzt behält v. L e u t li o 1 d bei. 

— lu Paris ist auf Anregung Prof. B ro ua r d e l's die Grün¬ 
dung eines Museums für Geschichte der Mediein be¬ 
schlossen worden. 

— Pest. Aegypten. Seit dem 10. August sind in Alexandrien 
3 neue Pestfälle, der letzte am 18. d. Mts., in Port Said 3 neue Er¬ 
krankungen, die letzte am 20. d. Mts., und 2 Todesfälle beobachtet. 
— Britisch-Ostindieu. Während der am 2. August abgelaufenen 
Woehe wurden iu der Präsidentschaft Bombay 2022 neue Erkrank¬ 
ungen und 1930 Todesfälle an der Pest festgestellt, d. h. 241 bozw. 
200 mehr als ln der Woche vorher. Aus Karachi wurden 5 Pest¬ 
fälle, alle mit tödtllchem .Verlauf, gemeldet. In der Stadt Bombay 
starben während der am 3. August endenden Woche 130 Personen 
erweislich an der Pest und 172 unter Pestverdacht; die Zahl der 
Neuerkrankungen wird auf 93 beziffert. — Philippinen. In Manila 
wurden während der am 22. Juni endenden Woche 9 neue Er¬ 
krankungen und 13 Todesfälle an der Pest festgestellt. — Kapland. 
Während der am 3. August abgelaufeneu Woche siud in der ganzen 
Kolonie noch 2 Pestfälle zur Anzeige gelangt: in Port Elizabeth 
ist ein Eingeborener an der Post erkrankt und auf der Ktiplmlh- 
Insei die Krankheit nachträglich bei einem Farbigen, der zunächst 
unter verdächtigen Erscheinungen uuter Beobachtung gestellt war, 
durch die bakteriologische Untersuchung festgestellt worden. Als 
pestverdächtig waren am Ende der Woche noch 5 Kranke unter 
Beobachtung, iu deu contact cnmps wurden noch 52 Personen, 
darunter 20 Europäer, beobachtet. — Queensland. Nach dein amt¬ 
lichen Wochenausweise vom 0. Juli sind in der Kolonie seit dem 
28. Februar 32 Pestfälle, darunter 10 mit tödtllchem Ausgang, vor- 
gekommen; 31 Fälle entfielen auf Brisbane, woselbst am 5. Juli 
der letzte festgestellt worden Ist. (V. d. I\. O.-A.i 

— In der 34. Juhreswoehe, vom 18. bis 24. August 1901. batten 
von deutselteu Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterbllch- 


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1466 1KUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 37 . 


keit Rostock mit 38,7, die geringste Scliüneberg mit 11,5 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. 

— Von „Annual and aualy tlcal Cyclo paedia 
of practical Medicine“, herausgegeben von Dr. Ch. 
S a j o u s (Verlag der F. A. Davis Comp, in Philadelphia) ist 
jetzt der VI. Band, bestehend aus 2 Theileu, erschienen. Damit 
schliesst die erste Folge des an dieser Stelle wiederholt angezeigten 
Werkes ab. Von der ausserordentlichen Reichhaltigkeit desselben 
gibt das am Schlüsse beigefiigte umfangreiche Generalregister 
einen guten Begriff. 

(Hochschulnachrichten.) 

Berlin. Prof. Dr. G re eff wird auf Veranlassung des 
Kultusministeriums die Stelle als Leiter der Augenklinik an der 
hiesigen Charitß belbelialteu und daher die Berufung nach Rostock 
ablehnen. 

Messina. Habilitirt: Dr. G. Vinci für Materia medica 
und experimentelle Pharmakologie. 

Neapel. Habilitirt: Dr. E. CrUafulli und Dr. G. Li 
b e r 11 n 1 für Psychiatrie. 

Pa via. Habilitirt: Dr. M. Jatta für allgemeine Patho¬ 
logie, Dr. M. T r u f f I für Dermatologie und Syphilis. 

(Todesfälle.) 

Dr. Cu 1160, Generalinspekteur des Sanitätsdienstes der fran¬ 
zösischen Marine. 

Dr. A. Vauclier, früher Professor der geburtshilflich-gynä¬ 
kologischen Klinik zu Genf. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Erledigt: Die Bezirksarztsstelle I. Klasse in Lohr. Bewerber 
um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche bei 
der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, Kammer des Innern, bis 
zum 20. September I. Ja. einzureichen. — Die Bezirksarztsstelle 
I. Klasse in Landshut. Bewerber um dieselbe haben Ihn* vor- 
sehriftsmässig belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten 
k. Regierung, Kammer des Innern, bis zum 28. September 1. Js. 
einzu reichen. 


In den dauernden Ruhestand versetzt: Die Bezirksamt 
1 Klasse Dr. Johann Georg Reiter In Landshut und Dr. Geer;* 
Joseph Rottenhäuser in Ixihr, ihrer Bitte entsprechem), 
wegen zurückgelegten 70. Lebensjahres unter Anerkennung ihrer 
langjährigen, treuen und erspriesslicheu Dienstleistung. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München 

in der 35 Jahreswoche vom 25. bis 31. August 1901. 
Betheiligte Aerzte 198. — Brechdurchfall 29 (28*), Diphtherie, 
Croup 4 (12), Erysipelas 12 (6), Intermittens, Neuralgia intenn. 

— (1), Kindbettfieber — (—), Meningitis cerebrospin. — (—\ 
Morbilli 9 (22), Ophthalmo-Blennorrboea neonat. 5 (6), Parotitis 
epidem. - (1), Pneumonia crouposa 6 (4), Pyaemie, Septikaemie 

— (—), Rheumatismus art. ac. 14 (8), Ruhr (dysenteria) 1 (1), 

Scarlatina 7 (2), Tussis convulsiva 16 (22), Typhus abdominalis 
4 (2), Varicellen 2 (5), Variola, Variolois —(—), Influenza — (—), 
Summa 109 (120). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in Manchen 

während der 35. Jahreswoche vom 25. bis 31. August 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern — (3*), Scharlach 1 (—), Diphtherie 
und Croup — (—), Rothlauf — (—), Kindbettfieber — (1), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) — (—). Brechdurchfall 11 (17), Unterleib typhös 
— (•—), Keuchhusten 1 (5), Croupöse Lungenentzündung 2 
Tuberkulose a) der Lungen 16 (20), b) der übrigen Organe 9 (9„ 
Akuter Gelenkrheumatismus 1 (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 2 (—), Unglücksfälle 3 (6), Selbstmord 2 (1), Tod durch 
fremde Hand 1 (—). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 197 (206), Verhftltniaszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,5 (21,4), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,8 (20,3). 


•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Morbiditätsstatistik der Infectionskrankheiten in Bayern: Juni 1 ) und Juli 1901. 


Regierungs¬ 
bezirke 
bezw. i. 
Städte mit 
über 30,000 


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München 1 ) 

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3 

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16 

16 

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281 

40 

36 

32 

38 

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6 

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2 

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233 

9 

6 

24 

18 

63 


62 

2 

3 

60 

44 

4 

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127 

81 

27 

31 

2 

2 

29 

18 

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Pirmasens 

18 

32 

6 

16 

7 

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6 

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10 

8 

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1 

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Be völkerungsziffern*): Oberbayem 1*323,447, Nlederbayem 678,634, 
Pfalz 831,633, Oberpfalz 663,867, Oberfranken 607,903, Mlttelfrankeu 816,666, Unter- 
frankeu 660,768, Schwaben 713,616. — Augsburg 89,109, Bamberg 41,820, Hof 32,782, 
Kaiserslautern 48,306, Ludwigshafen 61,906, München 499,969, Nürnberg 261,022, 
Pirmasens 30,194, Regensburg 46,426, Würzburg 76,497. 

Einsendungen fehlen aus den Städten Ludwigshafen und Hof und den 
Aemtern Bogen, Kiitzting, Mamburg, Ludwigshafen, Hof, Rehau, Staffelstein, 
Tenschnitz, Eichstätt, Günzenhausen, Gerolzhofen, Hofheim, Königshofen, 
Mellrieh.-tadt, Augsburg, Kempten und Mindelhelin. 

Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet 
aus folgenden Aemtern bezw. Orten: 

Brechdurchfall: Stadt- und Landbezirke Sehweinfurt 43, Freising 37, 
Erlangen und Aschaffi-nbürg je 36, Amberg 35. Aemler Zweihnicken 63, Speyer 66, 
Hersbruck 40, Germersheim und Burgiengenfehl je 37, München II 85 beh. Fälle. 

Diphtherie, Croup: Epidemie in l'nterhcrgen (Landsberg), 19 beh. Fälle, 
II.-A. Tulz 21 beh. Falle. 

Influenza: Aemter Altütting 1', Vilnbiburg II, Zusinurshausen 12 (meist 
gastrische Formen) beh. Fälle. 

Morbilli: Fortsetzung der Epidemie in den Bezirken Vilshofen (ärztl. 
Bezirk Aidenbach 32 heb. Falle), Germersheim (in Rheinzabern), Kusel (in 
Bammels hach und Bhmbnch, hier neben Tussis), Landau (in Kirrweiler und 
Venningen), Neustadt a./H. (in Neustadt), Memmingen (im Stadt- und Landbezirke 
64 lieh. Fälle) und Sonthofen (eine weitere Gemeinde ergriffen). Epidemisches 
Auftreten ferner in den Aemtern Viechtaeh (Schulschluss in Gotteszell). Wolf- 
stein (in Waldkirchen und Eingebung), Bergzabern (Schulschluss in Silz, ca. */ 5 
der Schulkinder krank), Hersbruck (in der Stadt Hersbruck), Rothenburg a./T. 
(in bombuhl wieder erloschen), Stadt- und Landbezirk Kaufbeuern 30, Aemter 
Fraukcnthul 51, Speyer 78 beh. Falle. 

Parotitis epidemica: Fortsetzung der Epidemie in Nördlingen, 
21 beh. Falle. 


Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemie in den Bezirken Alt- 
ötting (10 beh. Fälle), Landsberg (Abnahme in Diesscn und St. Georgen), Mühl¬ 
dorf lim ärztl. Bezirke Kraiburg, Abnahme gegen Schluss des Monats, milder 
Verlauf), Pfaffenhofen (im ganzen Amtsbezirke, Schulschluss in Pornbach; 106 beh. 
Fälle), Dessau (Abnahme im ärztl. Bezirke Fürstenzell), Pegnitz (in Mogeast 
weitere Schulklasse geschlossen), Stadtsteinach (in Marktleugaat, beginnend in 
ITessath), Zusmarshauscn (in Gemeinde Ilorgau). Epidemie in Heldenfeld (Schwein- 
fnrt) erloschen. Epidemisches Auftreten ferner in Pienzenau (Miesbach), Raisting 
(Weilhclm). Blaubach (Kusel), Mosbach (Viechtaeh), Schulschluss, 80 Kranke, in 
Wonfurt (Hasslurt). 

Typhus abdominalis: Fortsetzung der Epidemie in Willofs (Oberdorf), 
7 beb. Fälle, Hauscpidemlc mit 7 Fällen in Indersdorf (Dachau). 

Variola, Variolois: Stadt München 2 Fälle, ferner 1 letzter Fall in 
Neunburg v./W. 

Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird um 
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Bericht«- 
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehlanzeigen 
ersucht, wobei anmerkungsweise Mitthellungen über Epidemien erwünscht sind. 
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswert, dass Fäll* 
aus der sog. Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Grenz- 
amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern an¬ 
gezeigt werden. 

Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen zu portofreier Einsen 
düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Bezirksärat« 
za erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. Sammelkarten als zu 
Einzelneinsendungen der Amts- und praktischen Aerzte, welche in letz¬ 
terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle znsammengestellt suf 
je 1 Karte pro Monat nebst allenfallsigon Bemerkungen über Epidemien etc. zm 
Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht von Einsendung sog. Zähl 
blättchen oder Sammelbogen abzusehen. Allenfalls in Händen befind 
liehe sog. Postkarten wollen aulgebrancht, Jedoch durch Angabe der Zahl 
der behandelten Influenzafälle ergänzt und unter Umschlag elngesandt werden 


•) Nach dem vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1900. — *) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 32, 190), 
eingelaufener Nachträge. — *) Im Monat Juni 1901 elnachllesalich der Nachträge 1291. — *) 23. mit 26. bezw. 27. mit 31. Jahreawoche. _ 


Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von B. Mühlthaler'i Buch* und Kunstdruckerel A.G., München. 


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Ko Münch. Med. IVoehenschr. erscheint wOchentl. 
ln Hummern Ton durchrchulttUch 6-6 Boj?en. 
Preis ln Detrtschl. u. Oest.-Üugam vierteljfthrl. 6 JC, 
Ina Ausland 7.60 JL Btnselne Ho. 80 4 . 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind sn adresalren: Für die Uedaetiofl 
Ottostraase 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬ 
mann, Heustraase 20. — Für Inserate nnd Beilagen 
an Rudolf Mosse, Proraenadeplats 18. 


MEDICINISGHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

61. BtvBftr, 0. Botttager, H. CiirschnißR, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. ?. Michel, H. ?. Ranke, F. v. Wliekel, 

Frefbnrg 1. B. München. Lelpslg. Berlin. Hftrnberg. Berlin. München. München. 


H. t. ZlenssiR, 

München. 


Nö. 38. 17. September 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. P. Lehmann, Heustrasse 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Das Puerperalfieber.*) 

Von Alfred Hegar in Freibur" i. Br. 

Vor mehr als 50 Jahren trat Remmelwcis mit seiner 
Theorie über die Entstehung des Puerperalfiebers zuerst in die 
Oeffentlichkeit; er war schon todt, als die Richtigkeit seiner 
Ansichten allgemein anerkannt wurde und die darauf gegründe¬ 
ten Maa9snahmen die Entbindungshäuser von ihrem schlimmsten 
Feinde erlösten. War ja doch der Gedanke sehr ernsthaft be¬ 
sprochen worden, diese Anstalten ganz abzuschaffen. Nun kam 
die Zeit der Bacterien und Coocen und es ging S e m m e 1 w e i s 
wie später Anderen, wie Villemin, welcher die Infektiosi¬ 
tät der Tuberkulose nachwies und Noeggerath, welcher 
die schlimmen Folgen des bis dahin als so unschuldig an¬ 
gesehenen Trippers darlegte. Was diese Männer gefunden hatten, 
wurde durch das, was man von den Spaltpilzen und ihrer Wirk¬ 
samkeit kennen lernte, vollauf bestätigt, erschien aber nun so 
selbst verst ändlich, dass man darüber die Vorgänger vergass. Man 
übersah, dass sehr wesentliche Punkte der neuen Lehre schon 
vorher bekannt und festgestellt waren. 

Ich musste Semmel weis förmlich ausgraben, als ich 
1882 bei Uebernahme des Prorektorats sein Loben und seine 
Wirksamkeit als Thema des bei dieser Gelegenheit abzufassenden 
Programms wählte. Es gereicht mir zu grosser Genugthuung, 
dass Zweifel 15 Jahre nachher denselben Gegenstand zur Er¬ 
öffnungsrede bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft fiir 
Gynäkologie in Leipzig benützte, und II o f m e i e r weitere 
3 Jahre später, ebenfalls in einer Festrede, die Leistungen und 
Verdienste von Semmel weis hervorhob. 

Die Theorie von Semmel weis lässt sieh, soweit dies mit 
wenigen Worten möglich ist, in den liauptzügen so wiedergehen. 
Das Pueri>eralfieber ist identisch mit dein Wundficl»er, oder rich¬ 
tiger, mit der Pyaemie des Chirurgen, Pyaomie im alten Sinne 
des Wortes, wobei der Eiterungen und Jauchungen begleitende, 
mit Fieber verbundene Krankheitszustand gemeint ist. Man 
darf dabei nicht an die Pyaemie denken, wie sie Virehow 
definirt hat, welcher nur einen Tlieil jener Vorgänge, die ver¬ 
jauchende Thrombose und Embolie, damit, bezeichnet. Jene 
Identität wurde zwar schon von Anderen, wie von C r u v e i 1 • 
hier, behauptet, jedoch nicht weiter begründet und gewann auch 
keine Anhänger. Die Pyaemie oder das Puerperalfieber ent¬ 
stehen durch zersetzte organische Stoffe verschiedener Herkunft, 
wie z. B. von Leichen t hei len, von einem Krebsgesehwür, einem 
eariosen Knochen. Wie die Herkunft verschieden ist, so ist. 
auch der zersetzte organische Stoff verschieden und es gibt nicht 
etwa ein einziges, spezifisches, das Puerperalfieber erzeugendes 
Gift. Die Gifte werden von aussen her in den Körper der 
Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin hercingebraeht. In¬ 
fektion von aussen. Auch eine, übrigens seltenere, Sei bst- 
mfektion kommt vor, sobald eine grössere Monge todten 
Materials, wie Blutgerinnsel, Plaeentarreste, zerfetzte Eihäute, 
in den Geburtswegen sieh ansammelt. 

Nach unseren heutigen Anschauungen treten an die Stelle 
«kr zersetzten organischen Stoffe Toxine, welche sieh bilden, so¬ 
bald gewisse Mikroorganismen Best and I heile des Körpers als 

*) Vortrag, gehalten am Ohcrrheiniselieu Aerztefag 1001 . 

So. °,3. 


Nährboden benutzen. Dabei kommt jenen Mikroorganismen 
auch eine gewisse mechanische Wirkung zu. 

Auch wir nehmen verschiedene Gifte und auch verschiedene 
Erreger der zur Erzeugung der Gifte nothwemligen Zersetzung 
organischer Stoffe an, wenn auch der Streptococcus und seine 
Stoffwechselprodukto vor allen anderen als Ursachen des Puer¬ 
peralfiebers zu bezeichnen sind. Auch wir ertlieilen diu Haupt¬ 
rolle der Infektion von aussen und nur Wenige legen einer Art 
Selbstinfektion durch die in dem Sexualsehlauch auch gesunder 
Personen befindlicher Spaltpilze eine grosse Bedeutung bei. 

Die Wohnstätten der das Puerperalfieber erzeugenden Mikro¬ 
organismen, gewisserinaassen ihre Bezugsquellen, sind sehr zahl¬ 
reich : eiternde und jauchende Wunden, Geschwüre, eitrige 
Katarrhe, Loclucn, Peritonealexsudat, die die Bindcgewebsspalten 
erfüllende trübe Flüssigkeit bei erysipelatösen und phlegmonösen 
Processen, verjauchende Myome, Auswurf von Phthisikern, 
Furunkeln, Onychion, Panaritien. Diese verschiedene Her¬ 
kunft. der Mikroorganismen geht häufig noch einher 
mit verschiedener Virulenz und dieselbe Art des Pilzes 
entwickelt, je nach ihrer Wohnstätte, also je nach ihrem Nähr¬ 
boden, sehr verschiedene Grade der giftigen Eigenschaften. 
Dies wird auch durch das Experiment erläutert. Man hat 
Streptococcen von solcher Virulenz gezüchtet, dass millionste 
Tlieile eines Kubikeentimeters der Nährflüssigkeit ein Kanin¬ 
chen in kurzer Zeit zu tödten vermochten. 

Die Uebertragung der giftigen Keime auf die Geschlechts¬ 
organe des in einer Fortpflanzungsphase befindlichen Weibes 
kann nun durch leblose Gegenstände bewerkstelligt werden, wie 
durch Instrumente, Utensilien mannigfacher Art, Verbandstücke, 
Kleider, Wäsche, besonders Unterlagen. Ferner kann die Ein¬ 
führung der pathogenen Mikroorganismen in die Sexualorgane 
durch die Puerpera selbst, geschehen, besonders dann, wenn sic 
selbst eine Bezugsquelle, wie z. B. ein eiterndes Geschwür, einen 
Furunkel an sich trägt. Auch bei deren intaktem Gesundheits¬ 
zustand beherbergen zuweilen gewisse Körpertheile, wie insbe¬ 
sondere die äusseren Genitalien, die Umgebung des Afters patho¬ 
gene Bakterien. Mittels der Hände der Puerpera oder durch 
Verschiebungen der Bekleidung können die Keime in die Vagina 
gelangen. — Auch eine haeuiatogenc Uebertragung wird ange¬ 
nommen; von einem Krankheitsherd, wie etwa von einer Angina, 
einer Pneumonie aus können Pilze in das Blut und mit diesem zu 
den Sexualorganen gelangen. 

Alle diese Wege des Transports treten an Bedeutung sehr 
zurück gegenüber den durch die Hände des Arztes und der 
Hebamme bewirkten Einschleppungen. Diese Personen kommen 
mit den verschiedensten Heimstätten der gefährlichsten Mi¬ 
kroben bei der Ausübung ihres Berufs in Berührung. Auch 
können sie selbst eine Bezugsquelle des Giftes an sieh tragen, 
was gar nicht so selten ist; ich habe schwere Puerperal¬ 
erkrankungen gesehen, welche ohne Zweifel von einer Onyehie 
des Geburtshelfers herrührten. 

Mit der Einführung der Mikroorganismen in die Gclmrts- 
wege ist nicht nofhwendig die Entstehung eines Puerperalfiebers 
verbunden. Jene müssen, um sieh vermehren zu können, einen 
Nährboden haben, und um ihre invasiven Eigenschaften zur Gel¬ 
tung zu bringen, eine Eingangspforte linden. Beides ist nun 
bis zu einem gewissen Grade bei jeder Puerpera gegeben. Wir 
haben ein siiceulentes, mit Blut und Lymphe durehtränkies. 


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1468 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


jedem traumatischen Einfluss leicht erliegendes Gewebe. Wir 
haben todtes Material, Blutgerinnsel, Eihautfetzen, Placentar- 
reste, abgestossenes und zerfallenes Epithel. Wir haben end¬ 
lich Eingangspforten für das Eindringen der Spaltpilze in die 
Tiefe der Gewebe. Die Innenfläche des Uterus ist zwar nicht 
so ohne Weiteres als eine Wunde anzusehen. Allein das Epithel 
ist doch bis zu den tieferen Schichten abgestossen oder in Ab- 
stossung begriffen, die Gefässwände au der Placentarstelle 
liegen nicht stets fest aufeinander und die Lumina sind oft nur 
durch Thromben geschlossen. Dazu treten noch Risse und Ab¬ 
schürfungen in der Cervix, in der Scheide, am Damm und den 
äusseren Genitalien. 

Häufig ist die Disposition gesteigert. In dem schlecht kon- 
trahirten Uteruskörper sammelt sich Blut und Sekret an, welches 
durch Dislokationen des Organs, starke Füllung der Blase oder 
des Mastdarms, Verstopfung durch zurückgebliebene Eihaut¬ 
fetzen oder Placentarreste am Ausfluss gehindert ist. Wohl 
noch häufiger sind aber Anhäufungen von Flüssigkeiten und 
festen Massen in dem vorher stark gedehnten Hals oder Scheiden¬ 
gewölbe, was besonders dann vorkommt, wenn der Kopf gross 
war und lange im Becken stand. Es kann sich eine ausser¬ 
ordentliche Menge Blutes in diesem Sack ansammeln, dessen 
Wände ihre Elastizität verloren haben. Ich habe die Erschei¬ 
nungen hochgradiger Anaemie in Folge davon eintreten sehen, 
ohne dass eine irgend bedeutendere Menge Blutes durch den 
Introitus abfloss. Diese Zurückhaltung angesammelter Massen 
wird begünstigt durch einen noch einigermaassen gut funktio- 
nirenden Schlussapparat der Scheide oder durch stärkere Füllung 
der Blase, welche die vordere Scheidenwand in ihrem unteren 
Theil gegen die hintere andrückt oder durch eine Dammnaht, 
welche der Geburtshelfer, eines Risses wegen, anlegte. Dabei 
wird fast ausnahmsweise nur die Cutis mit dem daran stossenden 
Gewebe in die Suturen gefasst. Dies heilt denn auch; der oft 
recht weit in die Höhe reichende Scheidenriss wird aber nicht 
vereinigt. Er würde auch schlecht heilen, da die Ränder ge¬ 
wöhnlich zerrissen, gequetscht und blutig suffundirt sind. Es 
. bleibt daher in der Scheide eine blindsackartige Spalte zurück, 
in welcher die Absonderung staut. Die gelungene Vereinigung 
des tiefsten Abschnittes des Septum rectovaginale verhindert den 
Abfluss der in den höheren Theilen der Scheide angesammelten 
Sekrete. In nicht wenigen Fällen, in welchen ich zur Konsul¬ 
tation bei Puerperalfieber zugezogen worden bin, war der Damm 
»genäht worden. Freilich kommen unter diesen Verhältnissen oft 
viele ungünstige Momente zusammen: die Geburt ist künstlich be¬ 
endet worden, die Asepsis und Antisepsis lässt zu wünschen 
übrig, Assistenz ist mangelhaft, die Beleuchtung schlecht. Aber 
gerade deswegen sollte man unter diesen Umständen die Damm¬ 
naht unterlassen, welche bei wenig tief gehenden Rissen oft recht 
überflüssig ist, bei Rissen durch den Sphinkter in den Mast¬ 
darm hinein keine Aussicht auf Erfolg verspricht. Dazu kommt 
noch, dass man später ohne alle Gefahr und mit Aussicht auf 
sichere Heilung anfrischen und zusammennähen kann. 

Ausser diesen Faktoren, welche zur Stauung ausgeschiedener 
todter Massen führen und die natürliche Drainage hindern, wird 
die Disposition zur Erkrankung noch erhöht durch die unvoll¬ 
kommene Schliessung der Gefässe an der Placentarstelle und 
durch die Bildung einer ausgedehnten Thrombose an dieser 
Stelle in Folge mangelhafter Kontraktion des Uterus, durch 
tiefe Risse in der Cervix, durch starke Quetschungen, Nekroseu, 
Abschürfungen bei schwierigen, oft durch Kunsthilfe vollende¬ 
ten Geburten. 

Doch gibt es auch günstige Umstände, gute Kontraktion des 
T terus, nur mässige Dehnung des Halses und Scheidengewölbes 
bei kleinem Kopf oder raschem Durchtritt durch das Becken, 
gute Bauchdecken, keine starke Herabsetzung des intraabdomi- 
ncllen Druckes, kein Hinderniss für den freien Abfluss der 
Sekrete. Bei der reichlichen Ausscheidung in den ersten Tagen 
des Wochenbettes können schon viele schädliche Stoffe weg- 
geschwemmt werden. 

Sind die giftigen Keime freilich sehr bösartiger Natur oder 
hat eine eigentliche Impfung stattgefunden, so werden diese vor- 
theilhaften Verhältnisse nicht viel helfen. Allein in anderen 
I'ällen mögen sie doch die Entstehung mancher Erkrankung 
verhindern. In den früheren grossen Epidemien blieben immer 
noch Viele gesund, obgleich sie denselben Schädlichkeiten aus- 
gesetzt waren, wie die Erkrankten. 


Ist einmal eine bald mehr oberflächliche, bald tiefer gehende 
Invasion in die Gewebe erfolgt, so sehen wir nun mannigfaltige 
anatomische Veränderungen, wie die sogen. Puerperalgeschwüre 
im Scheideneingaqg und an den äusseren Genitalien, an welche 
sich, wie man dies nicht selten bei den früher herrschenden Epi¬ 
demien beobachten konnte, erysipelatöse oder phlegmonöse, nach 
den Nates und unteren Extremitäten sich verbreitende Processe 
anschliessen können. Von der Eingangspforte des Giftes in der 
Cervix verbreitet sich besonders häufig ein phlegmonöser Process 
in’s parametrane Gewebe. Dieser kann ganz circumscript 
bleiben, so dass wir dann umschriebene Exsudatknoten seitlich 
vom Uterus vorfinden. In anderen Fällen werden ausgebreitete 
Abschnitte des Beckenzellgewebes durchsetzt. Der Uterushals 
ist wie eingemauert, die Scheidengewölbe herabgedrückt, der 
Mastdarm in der Gegend des Sphineter tertius zu beiden Seiten 
wie von einer umfänglichen harten Zwinge umgeben. Auch 
kann die Infiltration längs des Lig. infundibulo-pelvicum in’s 
grosse Becken auf die Darmbeinschaufel hinaufsteigen und bei 
noch diffuserem Charakter des Vorganges noch höher längs des 
retroperitonealen Raumes und längs der grossen Gefässe durch 
das Zwerchfell in das Mediastinum Vordringen und Pleuritis, 
sowie Perikarditis erzeugen, wie dies Buhl seiner Zeit be¬ 
schrieb. 

An diesem Processe im Bindegewebe nimmt das Bauchfell 
sehr bald Antheil, so dass eine bald mehr auf das Becken be¬ 
schränkte, bald eine diffuse Peritonitis entsteht. Von dem Bauch¬ 
fell aus werden die Uterinanhänge ergriffen und die Salpingitis 
ist, wie das Rudolf Maier nachwies, fast stets eine sekundäre, 
nicht eine der Peritonitis vorausgehende primäre Affektion. 
Die Vorgänge im Bauchfell können stark hervortreten, während 
die Veränderungen im Bindegewebe nicht bedeutend sind, selbst 
rückgängig werden. Ist der Process dann im Beckenperitoneuni 
lokalisirt und sind besonders die Uterinanhänge mit Umgebung 
betheiligt, so haben wir circumscripte Knoten, welche fälsch¬ 
licher Weise häufig als parametritische Exsudate angesehen 
werden. 

Wir sehen, dass diese Processe, auf einer gewissen Stufe an¬ 
gelangt, circumscript bleiben können. Das geschieht wohl da¬ 
durch, dass die Lymphgefässe und Spalträume im Bindegewebe 
sich mit Exsudatmasse verstopfen und so ein Weiterkriechen 
gehemmt wird. Die entzündeten Uteriuanhänge umgeben sich 
mit abkapselnden Exsudaten. Fühlt man bei schwerem sep¬ 
tischem Fieber einen harten Knoten, so bessert dies die Prognose. 

Findet eine Invasion der giftigen Keime von dem Cavum 
corporis uteri aus statt, so haben wir zunächst eine Endometritis. 
Selten oder vielleicht nie wird die Entzündung per continuitatein 
längs der Schleimhaut der Tube bis auf’s Peritoneum über¬ 
geleitet. Dagegen kann die Wand des Uterus durchsetzt und 
so das Bauchfell ergriffen w'erden. Doch sind bedeutende Ver¬ 
änderungen in der sogen. Muscularis uteri nur in sehr schweren 
Fällen zu beobachten. Das Vordringen in die tieferen Schichten 
ist häufig durch einen Grenzwall von Rundzellen gehindert, 
welche das gesunde Gewebe von der erkrankten Schleimhaut 
und deren nächsten Umgebung absperren. 

Endlich sehen wir noch pathologische Processe in den Ge- 
fässen des Uterus. Diese sind in grösserer Ausdehnung throm- 
bosirt, wie gewöhnlich, und die Thromben setzen sich in die 
Gefässe des Beckens fort. Die Pfropfe verjauchen, worauf sich 
dann Stücke losreissen, in den Blutkreislauf gelangen und so 
zu den sogen. Infarkten und embolischen Herden Anlass geben. 

Man hat gesagt, das Puerperalfieber hat einen gelinderen 
Charakter angenommen. Dieser Ausspruch deckt die Sachlage 
nicht, kann zu falschen Vorstellungen führen und schlimme 
Konsequenzen nach sich ziehen. Wir können durch unsere Vor- 
sichtsmaassregeln die Ucbertragung gefährlicher Mikroorga¬ 
nismen hindern oder beschränken und so die Entstehung neuer 
Brutstätten und Bezugsquellen der Gifte verhüten oder ver¬ 
mindern. Allein diese sind immerhin leider noch in genügender 
Menge da und ich habe noch in den letzten Jahren die aller- 
schlimmsten Formen in Privatverhältnissen gesehen und bin 
überzeugt, dass, bei Unterlassung der üblichen Kautelen in den 
Kliniken, innerhalb 4 Wochen dieselben Epidemien wie vor 
40 Jahren erscheinen würden. 

Die aufgezähltcn anatomischen Veränderungen sind nun 
meist von dem sogen, septischen Fieber begleitet, ausgezeichnet 
durch gewöhnlich sehr hohe Temperatur, meist sehr frequenten, 


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17. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1469 


leicht zu unterdrückenden Puls, rasche Respiration, leicht bläu¬ 
liche Gesichtsfarbe, trockene Zunge und starkes Ergriffensein 
des Nervensystems. Die Kranken sind aufgeregt, schlaflos 
deliriren oder sind wenigstens nicht ganz bei sich. Zuweilen 
sind sie dagegen bei Bewusstsein bis an’s Ende, tief deprimirt, 
voll Todesahnung. 

Auf die durch die lokalen Veränderungen bewirkten Modifi¬ 
kationen dieser Erscheinungen einzugehen, würde mich zu weit 
führen. Ich erwähne nur, dass der Grad des Fiebers durchaus 
nicht immer in geradem Verhältnis» zu jenen Veränderungen 
steht. Ob ohne lokale Processe, nur durch Resorption von 
Toxinen, welche sich bei grosser Anhäufung todten Materials 
unter dem Einfluss eingeführter Spaltpilze in der Uter^shöhle 
bilden, schwere Erkrankung und der Tod herbeigeführt werden 
kann, erscheint zweifelhaft. Fieber kann natürlich dadurch ent¬ 
stehen. Jedenfalls kann der örtlicho Process sehr beschränkt 
sein und doch die Kranke durch Resorption schädlicher Stoffe 
zu Grunde gehen. Bei Seil heim finden Sie die schöne Ab¬ 
bildung von einem Sagittalschnitt des Beckens einer 2—3 Stun¬ 
den nach der Geburt gestorbenen Wöchnerin, welche, mit hoch¬ 
gradigem Fieber befallen, kurz vor Ausetossung des Kindes in 
die Klinik gebracht worden war. Die von Streptococcen durch¬ 
setzte und stark geschwellte Schleimhaut zeigt eine Reinkultur 
dieser Mikroben, während in näherer und weiterer Umgebung 
nichts von diesen aufgefunden werden konnte. 

Andere Fieberzuständc sind oft recht schwer von einem 
beginnenden septischen Fieber zu unterscheiden. Sind jene 
Folgen von Erkrankungen anderer Körperabschnitte, so dienen 
diese als wichtiges Mittel für die differentielle Diagnose. Allein 
es gibt auch Fieber, welche von den Generationsorganen aus¬ 
gehen und dann ist die richtige Deutung oft recht schwierig. 
Alan hat jenes Fieber als Resorptionsfieber, Febricula oder asep¬ 
tisches Fieber bezeichnet. Die Alten sprachen von Milchfieber, 
da sic irrthümlicher Weise die in Gang kommende Milchsekretion 
für die Ursache hielten. Dieses Fieber tritt in der ersten Zeit 
des Wochenbettes auf und dauert gewöhnlich 1—4 Tage. Die 
Temperatur steigt meist nicht hoch, bis zu 38,5°, zuweilen jedoch 
auch höher, selbst über 39 u . Der Puls ist relativ langsam, die 
Zunge nicht trocken und das Allgemeinbefinden nicht merklich 
ergriffen, wodurch ein Hauptunterschied von dem septischen 
Fieber gegeben ist. Erscheinungen, welche auf einen lokalen 
Process hinweisen, sind nicht vorhanden. Meist lässt sich so die 
Diagnose feststellen, insbesondere, wenn man noch die Daten 
über den Geburtsverlauf, die vorausgegangenen Untersuchungen, 
Hilfeleistungen benutzt. 

Ueber die Ursachen ist man nicht ganz klar. Man beschul¬ 
digt Fäuhiissbakterien, welche von aussen in die Geburtswege 
eingedrungen sind, als die Erreger. Auch die für gewöhnlich 
in der Scheide befindlichen Bakterien werden angeklagt. Volk- 
mann leitet sein aseptisches Wundfieber von dem nekrotischen 
Zerfall der bei einem Trauma geschädigten Gewebsmassen her. 
Dabei entstehen Exsudate und Stoffe, welche von den durch die 
physiologische Gewebsmetamorphose und den normalen Stoff¬ 
wechsel erzeugten nicht weit entfernt sind. Das Fieber wird 
durch deren Resorption hervorgebracht. Ein besonderer Erreger 
ist nach V olkinann’s Anschauung nicht nöthig. 

Ohno Zweifel spielen Stauungen und Hemmung der Ex¬ 
kretion bei der Entstehung eine Rolle. Zur Zeit der grossen 
Puerperalfieberepidemien sah man häufig unter den gleichzeitig 
entbundenen Wöchnerinnen Personen, welche an diffusen Pro¬ 
cessen im Parametrium und Peritoneum und heftigem septischen 
Fieber in 1—2 Tagen zu Grunde gingen. Bei Anderen be¬ 
schränkte sich der Vorgang. Es bildeten sich cireuinseripte 
Exsudatknoten im Bindegewebe des Beckens oder um die Uterin- 
gchänge. Das war vielfach mit ausgesprochen septischem 
Fieber, besonders im Anfang, verbunden. Aber nicht selten hatte 
schon im Beginn das Fieber einen anderen Charakter oder nahm 
diesen doch später an. Bei oft hoher Temperatur eine relativ 
oder selbst eine absolut geringe Frequenz des Pulses und ein 
wenig gestörtes Allgemeinbefinden, kurz ein vollkommen aus¬ 
geprägtes aseptisches Fieber, wie es Volkmann beschreibt. 

Endlich sali inan viele Personen, welche die Erschei¬ 
nungen des Resorptionsfiebers ohne lokale Herde darboten. 

Man wird wohl schwerlich daran denken, für die rasch zum 
Tode führenden diffusen und die viel weniger gefährlichen cir- 
cumscripteu Processe ein verschiedenes Gift als Ursache anzu 


nehmen. Eher wird man sich die Sache so erklären, dass ver¬ 
schiedene Verhältnisse, besonders anatomischer Art, die Pro¬ 
liferation und Invasion desselben schädlichen Mikroorganismus 
in höherem oder in geringerem Grade begünstigten. Für die 
in jenen Epidemien sehr häufigen Resorptionsfieber wird man es 
für wahrscheinlich halten, dass wenigstens ein Theil dem näm¬ 
lichen schädlichen Agens seine Entstehung verdankte, dass aber 
Bedingungen vorhanden waren, welche seinem tieferen Ein¬ 
dringen in die Gewebe Hindernisse entgegensetzten. 

Die Therapie einer mit progredienten Processen im Binde¬ 
gewebe oder mit verjauchenden Thrombosen verbundenen Sepsis 
ist ziemlich trostlos, obgleich, besonders bei letzterer Krankheits¬ 
form, noch ganz merkwürdige Heilungen beobachtet werden. 
Ein zuverlässiges Antistreptococcenserum ist noch nicht ge¬ 
funden, und Chinin, Alkohol u. a. erweisen sich, trotz aller An¬ 
preisung, nur zu häufig ohne Erfolg. Günstiger sind die Chancen 
bei den circumscripten Phlegmonen und Peritonitiden. Doch 
würde eine Besprechung der Therapie dieser Lokalaffektionen an 
diesem Ort zu weit führen. 

Die Prophylaxe muss bei den geringen Hilfsmitteln, welche 
wir zur Bekämpfung der Krankheit selbst besitzen, in erster 
Linie stehen. Die Mittel, um eine Uebertragung durch leblose 
Gegenstände zu verhüten, sind hinlänglich bekannt. In der 
Privatpraxis, besonders bei der ärmeren Volksklasse, sind 
Mobilien, Bett, Kleidungsstücke und Wäsche selten rein und 
sauber, und es hält auch schwer, hier Remedur zu schaffen. 
Die wenigstens relative Seltenheit der Erkrankungen, auch unter 
diesen Umständen, liefert wieder einen Beweis dafür, dass der 
gewöhnliche Schmutz meist nicht schadet. 

Die Art und Weise, in welcher die Kreissendo gereinigt wer¬ 
den soll, ist genügend bekannt. Schwierigkeiten entstehen dann, 
wenn die Person selbst die Bezugsquelle pathogener Bacterien 
an sich trägt, wie eine eiternde Wunde, einen Furunkel u. a. 
Hier muss nach gehöriger Reinigung mit Antisepticis durch ge¬ 
eignete Schutzverbände geholfen werden, wobei die verschiedene 
Form der Affektion auch ein verschiedenes Verfahren erheischt. 

Entsprechend der überwiegenden Bedeutung der Infektion 
durch Arzt und Hebamme hat man die hier nöthigen Cautelen 
am eingehendsten discutirt. Semmelweis hatte verlangt, 
dass Jeder, welcher im Gebärhaus zu thun habe, alle andere Be¬ 
schäftigung aufgebe, welche zu Verunreinigung seiner Person 
oder seiner Kleidung durch schädliche Stoffe Anlass geben könne. 
Aehnliches lässt sich nun für die Privatpraxis nicht durch¬ 
führen. Man hat daher die Vorschrift umgekehrt und Jedem, 
welcher mit verdächtigen Dingen zu thun hatte, die Abstinenz 
von geburtshilflicher Beschäftigung, wenigstens auf eine gewisse 
Zeit, zur Pflicht gemacht. Während dessen soll der Arzt oder 
die Hebamme ihre Person, ihre Kleidung, Wäsche auf das sorg¬ 
fältigste reinigen und desinficiren. Insbesondere sind die Hand¬ 
schuhe zu beachten, durch die ohne Zweifel schon viele Ueber- 
tragungen stattgefunden haben. Diesen Anhängern der Ab¬ 
stinenz stehen nun Andere gegenüber, welche behaupten, durch 
gewisse Verfahren die Hände in relativ kurzer Zeit keimfrei 
machen zu können. Durch die Untersuchungen Bum m’s, 
Döderlein’s und Anderer hat sich indess herausgestellt, dass 
dies mit Sicherheit nicht zu bewerkstelligen sei und man wird 
ohne eine gewisse Abstinenz nicht auskommen können und be¬ 
sonders dann zu ihr greifen müssen, sobald man mit besonders 
giftigen Keimen zu thun hatte, bezw. mit Kranken, welche an 
Sepsis litten oder gar daran gestorben sind. 

Die Abstinenz ist auch von Denen einzuhalten, welche eine 
Brutstätte virulenter Spaltpilze, wio einen Furunkel, eine 
Onychio an sich tragen; selbst einige Zeit nach der Heilung ist 
dies nöthig, da auch an festeren Partikeln, wie an einer sich ab- 
schilfornden Epidermis, Keime haften können. 

Wir verdanken nun hauptsächlich den Bemühungen 
Döderlei n’s ein Mittel, welches gestattet, die Vorschrift von 
Semmelweis, nach welcher der Geburtshelfer mit verdäch¬ 
tigen Stoffen nichts zu schaffen haben soll, und die andere Vor¬ 
schrift, nach welcher der, welcher mit verdächtigen Dingen zu 
thun hatte, die geburtshilfliche Beschäftigung zeitweise aufzu¬ 
geben hat, wenigstens bis zu einem gewissen Grade ausser Acht zu 
lassen. Dies ist der Gebrauch der Gummihandschuhe. Sio 
schützen die Hand vor Besudelung und den Arzt selbst vor In¬ 
fektion, gestatten aber auch, in dringenden Fällen, eine Hilfe¬ 
leistung auszuführen, wenn er sich besudelt hatte. Unter- 

1 * 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


suehuugen und leichtere Operationen lassen sich mit gut an¬ 
schliessenden Handschuhen ausführen. Sie gewähren übrigens 
keinen ganz unbedingten Schutz, da ein Riss oder eine sonstige 
Schädigung leicht entstehen kann. Benützt man sie daher, um 
eine Kreissende vor der Berührung mit der verdächtigen Hand 
zu bewahren, so muss diese, vorher nach einer der am besten 
anerkannten Methoden (Ahlfeld-Fürbringcr) gereinigt 
werden. Auch muss man, wenn die Handschuhe benutzt worden 
sind, um die Hände vor Besudelung zu bewahren, nach dem Ge¬ 
brauch eine Waschung vornehmen. 

Ein Heilverfahren zur Abschneidung der Sepsis fehlt uns, 
sobald die giftigen Keime in die tieferen Gcwebsabsohnitte von 
der Oberfläche aus eingedrungen sind oder von Anfang an in sie 
eingebraeht. worden waren, wie bei der Impfinfektion. Man 
hat den ganzen Uterus weggenommen, sobald man voraussetzen 
konnte, dass da3 Uebel die Grenzen des Organs noch nicht über¬ 
schritten hatte. Allein wir besitzen kein Mittel, um dies fest- 
zustcllen. Dagegen verfügen wir über ein Verfahren, welches 
uns in den Stand setzt, den Abfluss der im Uterus angosanmielten 
Exkrete zu begünstigen, diese und etwa vorhandene Toxine weg¬ 
zuspülen, ebenso ihre Erreger oder diese selbst zu vernichten 
oder abzusehwächen. Zuweilen wird es sogar gelingen, eine noch 
nicht tief gehende Invasion in die Gewebe in ihrem Fortsehreiten 
aufzuhalten. Hierzu dient uns die Drainage und Ausspülung des 
Scxualscldauehs. Als die Vorschläge hierzu zuerst gemacht 
wurden, nahm man sie mit Enthusiasmus an, kam aber bald da¬ 
von ab, was sicherlich wesentlich der mangelhaften Technik zu¬ 
zuschreiben ist. So führte man ein längeres Gummirohr ein, 
welches nach Art eines Kreuzes in der Nähe des einen Endes ein 
querlaufendes kurzes Rohr trug. Dies sollte dazu dienen, das 
Ganze im Uterus festzuhalten. Ich will hier nicht auf die 
Gründe eingehen, welche die Misserfolge hervorriefen; das nähme 
zu viel Zeit in Anspruch. Soviel mir bekannt ist, beschränkt 
man sich heutzutage auf einzelne, 1—3, Ausspülungen des Uterus 
und innerhalb 24 Stunden, wenn man überhaupt dazu greift; ein 
Verfahren, welches mir keine Vortheile darzubicten scheint. Ich 
habe die ]>ernmnente Drainage und häutige, nüthigenfalls alle 
1 — 2 Stunden zu wiederholende, Ausspülung des Uterus schon seit 
mehreren Decennicn ausgeführt, wozu mir die zahlreichen, die 
Hilfe der Poliklinik in Anspruch nehmenden Fälle Gelegenheit 
genug bieten und möchte das Mittel nicht entbehren. Die Er¬ 
folge sind sicherlich der verbesserten Technik zuzurcehncn. 

Gebraucht werden gläserne Kanülen von verschiedener Form, 
bald mehr, bald weniger gebogen. Oft sind sehr stark ge¬ 
krümmte Röhren vorteilhaft, die sieh nicht selten ganz von 
selbst im Uterus festhalten. Die Kanülen haben auf der Rück¬ 
seite eine Rinne für den Ablauf, was übrigens von wenig Werth 
ist, da jene leicht verlegt wird. Die weiche, nachgiebige Wund 
der Cervix in den ersten Tagen des Wochenbetts bereitet dem 
Abfluss neben der Kanüle her wohl selten Hindernisse. Ucbrigens 
haben wir auch Doppelkanülen aus Glas konstruiren lassen mit 
einer durch eine Scheidewand in 2 Hälften geteilten Olive, wo¬ 
von dio eine Ocffnungen für den Einfluss, die andere 
Ocffnungen für den Ausfluss aus dom Uterus besitzt. Die 
Olive muss ziemlich dick sein. An dem einen Ende der Kanüle 
befindet sich ein etwa SO em langer Gummischlauch, auf welchen 
ein Trichter aufgesetzt wird. Die Einführung in den Uterus 
muss sehr vorsichtig geschehen, und Fehler bei dieser Mani¬ 
pulation mögen teilweise den Misskredit der Drainage ver¬ 
schuldet haben. Der Steiss der Wöchnerin muss genügend er¬ 
höht liegen, was durch die untergeschobene, ohnedies not¬ 
wendige Bettschüssel meist erreicht wird. Dann legt man 
1 oder 2 eingeführte Finger der einen Hand an die hintere Lippe 
an. Die oft zerrissenen, sehr weichen, lappenartigen Gebilde, als 
welche sich die Muttermundslippen priisentiren, lassen Täu¬ 
schungen zu. Man verfehlt dio Oeffnung, gerät ins Scheidon- 
gi‘Wölbe, drückt dieses selbst durch. Zuweilen stösst man auch 
an der Wand der Cervix auf ein Ilinderniss. Gewalt darf nie 
gebraucht werden. Stösst die in den Uterus eingedrungene Olive 
gegen den I undus, so zieht man sie etwas zurück, da ein festes 
Anliegen gegen die Wand nicht gut ist. Ist die Kanüle ein- 
geführt, so klemmt man das Gummirohr in ihrer Nähe durch 
eine Pincc zu, füllt dann Trichter und Schlauch mit der Flüssig¬ 
keit und drückt dann, von unten nach oben vorgehend, die Luft 
aus dem Schlauch heraus. Ucbrigens wendet man nur einen 
ganz massigen Druck an, damit ein Eindringen von Luft keinen 
Schaden bringen kann. 


Glaubt man die Luft entfernt zu haben, so nimmt mau die 
Piuce weg und lässt, den Trichter nachfüllend, die Spülflüssigkeit 
cinlaufon, je nach Bedürfnis» 1—2 Liter. Dann klemmt mau in 
der Nähe der Kanüle und in der Nähe des Trichters ab, ehe 
Alles aus dem Trichter ausgelaufen ist, damit Flüssigkeit üa 
Schlauch bleibt und man bei Wiederholung der Procedur nicht 
wieder die Luft zu entfernen braucht. Die Kanüle kann oft 
durch Zusnmmenknüpfcn von Schamhaaren über ihr genügend 
befestigt werden. Sonst geschieht dies durch 2 Bänder, welche 
von einer leichten Bauchbinde zu ihr hiuziehen. Auch den 
Schlauch mit Trichter kann man auf dieser Binde befestigen. 

So ist Alles vorbereitet, um alle 1—2 Stunden die Spülung 
zu wiederholen. Dies halten wir für nüthig und halten ein 2 bis 
4 maliges Ausspiilen in 24 Stunden für durchaus ungenügend. 
Auch glauben wir, dass wiederholte Einführungen des Rohres, 
auch seihst wenn dies nur 3—4 mal im Tug stattfindet, nach¬ 
theilig zu wirken vermag. Man hat nicht immer eine ganz ge¬ 
übte Person zur Hand und die Kranke wird durch diese häufigen 
Proceduren erregt, während die Wiederholung der einfachen Aus¬ 
spülung von jeder nur oinigerninassen geschulten Wärterin be¬ 
sorgt werden kann. Der Arzt braucht nur gelegentlich nachzu¬ 
sehen, ob das Rohr noch gut liege, es etwas heraus und wieder 
hinein zu schieben, etwas zu drehen, damit es nicht immer den¬ 
selben Stellen anliegt. 

Ich lasse* die Drainage gewöhnlich 2 mal 24 Stunden im Gang 
halten. Hat man bis dahin keinen Erfolg erzielt, so ist dieser auch 
bei weiterer Fortsetzung dieser Behandlung nicht zu erwarten. 
Nur zuweilen wird nach 12 Stunden das Rohr noch einmal auf 
32—24 Stunden eingelegt, wenn die Absonderung reichlich und 
übelriechend ist. 

Sehr wichtig ist die Wahl der Spülflüssigkeit. Man hat 
Karbol, Lysol, selbst Sublimat zugesetzt und von jedem dieser 
Mittel Vergiftungen beobachtet. Wir haben stets das Chlorwasser 
gebraucht. Das in den Apotheken befindliche Präparat ist ge¬ 
wöhnlich stark genug. Man kann sich nüthigenfalls jederzeit 
das (’hlorwasscr frisch anfertigen lassen. Zusatz von % bis 
Vt Liter auf 1 Liter lauwarmen Wassers genügen. Zu konzontrirt 
darf es gar nicht sein, da <s sonst einen dünnen Schorf bildet, 
welcher cino Einwirkung auf die tiefer gelegenen Schichten 
hindert. 

Eine solche Spülflüssigkeit, welche dann etwas konzentrirter 
«ein kann, ist, nebenbei gesagt, ein ganz vortreffliches Mittel 
hei »Ionischen Nachblutungen und bewirkt sehr prompt kräftige 
Zusammcnziehungcn des Uterus. 

Wir haben von dieser Behandlung sehr gute Resultate ge¬ 
habt. Schwierig ist nur die Stellung der Indikation. Bei einem 
unschuldigen Resorptionsfieher wendet man nicht gern ein ört¬ 
liches Verfahren an, welches, wenn es auch in geübten Händen 
keine Nacht heile mit sieh bringt, doch unnüthiger Weise die 
Kranke und ihre Angehörigen beunruhigt. Leider steht uns 
kein ganz sicheres Mittel zur Verfügung, um ein beginnendes 
septisches Fieber von einem Resorptionsfieher unter allen Um¬ 
ständen zu unterscheiden. 

Geht die Tem|>eratur nicht viel über 38° hinaus und 
sind keine lokalen Symptome vorhanden, so kann man getrost 
2--3 Tage warten'und sieh darauf beschränken, alle Hindernisse 
des freien Lochinlflusses zu beseitigen und etwaige Ansamm¬ 
lungen von todtem Material im Scheidengrunde durch Vaginal¬ 
irrigationen zu entfernen. 

Eine Temperatur bis 39 0 und darüber erfordert die Drainage, 
so bald sie mehr als 24 Stunden anhält. Selbstverständlich 
gilt dies nur dann, wenn keine andere, die Sexualorgane nichts 
angehende Ursache des Fiebers vorhanden ist. 

Die Temperatur entscheidet nicht allein. Eine erhöhte Puls¬ 
frequenz, wenn sie sich nicht aus anderen Ursachen, Wlt ‘ 

1 h r/.fi lib-ni. akuter Anaemio, nervösen Störungen, erklärt, 
schnelle Respiration, etwas bläuliches Kolorit, Schlaflosigkeit, 
erfordern ein rascheres Einschreiten, als sonst der bestehende 
Tempera turgrad erfordert hätte. Ebenso ist dies nötine 
bei gewissen örtlichen Erscheinungen, wie bei einem auf¬ 
fallenden harten, kleinen, stark kontrahirten Uterus, den man 
sehr bald nach der Geburt beobachtet hatte, bei heftigen Nach¬ 
wehen besonders Erstgebärender, Schmerzhaftigkeit des Uterus 
bei Ileriilming, übelriechenden Lochien. Puerperalgesehwürcii. 

Endlich kann auch noch die Geschichte des Falles (früh¬ 
zeitiger Wasserabfluss, Blutungen vor und in der Geburt, häuhff 0 


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MUENCHENF.R MEDICTN1SCHE WOCHENSCHRIFT. 


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Untersuchung, verdächtiges Personal, Kunsthilfe) die Drainage 
früher erforderlich erscheinen lassen. 

Bumm hat den Vorschlag gemacht, bei jeder fiebernden 
Wöchnerin etwas Inhalt aus dem Uterus zu entnehmen und 
je nach dem Resultat der bakteriologischen Untersuchung seine 
Prognose zu stellen und seine Behandlung einzurichten. Man 
hat auf die Gefahren der Procedur hingewieseu. Ich glaube 
nicht, dass man diese bei einiger Uebung und Vorsicht zu 
fürchten braucht. Allein es erscheint mir zweifelhaft, ob man 
viel damit erreiche. Die Ansichten über den Bakteriengehalt 
des puerperalen Uterus, über die. Eigenschaften der in den Ge¬ 
burtswegen aufgefundeuen Bakterien, über ihre Fähigkeit zur 
Invasion, über den Wechsel in ihrem pathogenen Charakter, über 
den Einfluss der im Körper befindlichen Nährböden sind noch 
zu verschieden. Eine grössere Reihe Untersuchungen ist noch 
nüthig, ehe man über den Werth dieser Methode für Diagnose, 
Prognose und Therapie ein sicheres Urtheil haben kann. 


Ein Hilfsmittel gegen Seekrankheit. 

Von Dr. med. R. Heinz, Privatdocent in Erlangen. 

Das hervorstechendste — und auch das lästigste — Symptom 
der Seekrankheit ist das Erbrechen. Wie dasselbe zu Stande 
kommt, ob durch Störungen in den Gleichgewichtscentren des 
Gehirns, ob durch Schwankungen des intrakraniellen Druckes 
oder Aehnliches, ist unaufgeklärt. Jedenfalls aber steht fest, dass 
von dem erregten Theil ein Reiz auf das Brechcentrum über¬ 
tragen wird, durch den Würgen und Erbrechen entsteht. Das 
Brechcentrum liegt — wie das Athemeentrum — am Boden des 
IV. Ventrikels. Es ist räumlich mit diesem zum Theil identisch. 
Aber auch funktionell bestehen die engsten Beziehungen zwischen 
Athem- und Brechcentrum. Bei Ausführung des Breehaktes wer¬ 
den sämmtliche Athmungsmuskeln in Thätigkeit versetzt: Der 
Brechakt wird eingeleitet durch eine tiefe Inspirationsbewegung, 
sodann erfolgen — während gleichzeitig die Kardia sich öffnet — 
heftige Exspirationsbewegungen. Es besteht aber noch eine 
weitere Beziehung: Man kann einen irgendwie ent¬ 
standenen Brechreiz unterdrücken und das 
Zustandekommen des Breehaktes verhindern, 
wenn man rasch hintereinander eine Anzahl 
tiefer Inspirationen vollführt. Dies ist eine That- 
suche, die Mancher — bewusst oder unbewusst. — an sich selbst 
(z. B. in der Studentenzeit) zu erfahren Gelegenheit hatte. 

Was ist nun die Ursache dieses eigenthümliehen Verhaltens? 
Es wird offenbar durch die vertiefte und beschleunigte Athmung 
die Erregbarkeit des Breehcentrums so stark herabgesetzt, da-vs 
der — kurz vorher unwiderstehlich scheinende — Brechreiz über¬ 
wunden werden kann. Es drängt sich da sofort die Annahme 
auf, dass der Grund hierfür in der, durch die vertiefte und be¬ 
schleunigte Respiration herbeigeführteu, Apnoe zu suchen sei. 
Rosen thal hat die ausserordentlich interessante Thntsnehe 
entdeckt, dass durch Apnoe jede Reflexwirkung aufgehoben wer¬ 
den kann. So bewirkt Apnoe das Sistiren der Ileflexkräinpfe 
durch Strychnin. Auch das Erbrechen durch Tartarus stibiatus, 
das bekanntlich durch reflektorische Erregung des Brechcentrums, 
in Folge Reizung der sensiblen Magennerven, zu Stande kommt, 
wird durch Apnoe aufgehoben. Wie verhält sich nun das direkt, 
nicht reflektorisch, erregte Brechcentrum bei künstlich herbei¬ 
geführter Apnoe? Wir haben in dem Apomorphin ein Mittel, 
das durch Reizung des Breehcentrums selbst Erbrechen erregt: 
das Apomorphin wirkt bedeutend rascher, wenn es subkutan (oder 
intravenös) eingespritzt, als wenn es in den Magen gebracht wird: 
man hat ferner durch direktes Aufbringen von Apomorphin auf 
das Brechcentrum unmittelbar erfolgendes Erbrechen hervor¬ 
gerufen. Injicirt man einem Hund 1 mg Apomorphin, so er¬ 
bricht er mit absoluter Sicherheit innerhalb 1—3 Minuten. Ich 
versetzte nun einen Hund in Apnoe, indem ich ihn kräftig künst¬ 
lich respirirte. Sodann injizirte ich dem Thier 0,001 g Apo¬ 
morphin: der Hund erbrach n i c h t. Wurde nunmehr die künst¬ 
liche Athmung unterbrochen, so zeigte der Hund Würgbewe¬ 
gungon und Erbrechen. Begann das Thier el>en Würgbewegungen 
zu machen, so konnte durch rasch eingeleitete künstliche Re¬ 
spiration das Erbrechen verhindert werden. Selbst 2 mg Ajm>- 
inorphin, die bei dem normalen Thier oftmaliges heftiges Er¬ 
brechen verursachen, zeigten sich in der Apnoe ganz unwirksam. 
Es vermag also die Apnoe die Erregbarkeit des Breehcentrums 
No. 38. 


so stark herabzusetzen, dass selbst durch starke direkte Reize kein 
Erbrechen mehr hervorgerufen wird. 

Gibt nun zu dieser Herabsetzung der Erregbarkeit de« Athern- 
centrums wirklich die Apnoe die Veranlassung? Wäre es nicht 
möglich, dass durch die starken Respirationsbcwegungen ein Reiz 
auf die sensiblen Nervenenden der Lunge herbeigeführt würde; 
der eine Beeinflussung des, mit dem Athemeentrum in so inniger 
Beziehung stehenden, Breehcentrums zur Folgt» hätte? Um dies 
zu entscheiden, liess ich das Thier intensive Athembewegungen 
machen, ohne dass es sich dabei mit Sauerstoff übersät.tigen 
konnte. Zu diesem Zweck schaltete ich dem, durch eine Tracheal¬ 
kanüle athniendcn Thiere in die Inspirationsbahn ein Hindern iss 
ein, das es nur durch sehr verstärkte Athmungsbewegungen, 
unter Anstrengung sämmtlicher ]Iilfsmu*keln, überwinden 
konnte. Nunmehr injizirte ich Apomorphin: das Thier erbrach 
mehrmals heftig. Beseitigte ich das Hinderniss und respirirte 
künstlich, so dass Apnoe eintrat, so schwanden Würgen und 
Brechbewegungen. Es ist also thatsächlich die Apnoe, die das 
Brechcentrum untererregbar macht, und das Erbrechen durch 
Apomorphin verhindert. ^ 

Durch vertiefte Athembewegungen kann man, wie bemerkt, 
den Brechreiz in Folge überfüllten Magens überwinden. Den 
gleichen Effekt erreicht man bei Brechreiz in Folge Reizung des 
Schlundes. Den durch Einführung der Magensonde gesetzten 
starken Brechreiz macht man den Patienten am leichtesten über¬ 
winden, wenn man ihm Anweisung gibt, beständig rasche In¬ 
spirat ionshe wegungon zu machen. Im vorigen Jahre hatte ich 
Gelegenheit zu beobachten, dass man auch den Brechreiz bei See¬ 
krankheit durch verstärkte Athmung erfolgreich überwinden 
kann. Eine Dame und ein Kind wurden bei der Ueberfahrt 
von Cuxhaven nach Helgoland bei massig bewegter See stark see¬ 
krank. Am nächsten Tage rieth ich der betreffenden Dame, 
jedesmal bei einsetzendem Brechreiz mehrmals hintereinander 
tief zu inspiriren. Thatsächlich erbrach die Dame bei der Ueber¬ 
fahrt von Helgoland nach Sylt — die bei viel bewegterer See 
erfolgte als am Tage vorher — wiewohl sich Brechreiz und Uebel- 
keit prompt einstellte, nicht ein einziges Mal, während das Kind 
wiederum stark seekrank wurde. Dass auch Andere — zum Theil 
ganz instinktiv — auf dieses Hilfsmittel gegen Seekrankindt ge¬ 
kommen sind, beweist eine Notiz in dem Blatte Truth des be¬ 
kannten englischen Parlamentariers Labouchere. Labou- 
chere berichtet, dass eine Dame ihm erzählt habe, die See¬ 
reisen hätten für sie ihre früheren Schrecken verloren, indem sic 
niemals mehr seekrank würde. Sie habe ein unfehlbares Mittel 
gefunden: bei Ileruntergehen des Schiffskörpers tief zu inspi¬ 
riren, beim llerausgehen zu exspiriren. Es wird sich hierbei wohl 
nicht um die genaue Ausführung dieser Vorschrift gehandelt 
haben, sondern darum, dass durch vertiefte Respirationen Apnoe 
und damit Herabsetzung der Erregbarkeit des Athemcentrums 
herbeigeführt wurde. 

Ich gebe dieses — wie aus der angeführten Zeitungsnotiz her- 
vorgeht, sporadisch bereits gekannte — Hilfsmittel gegen See¬ 
krankheit bekannt, um zur Nachprüfung aufzufordern, die am ge¬ 
eignetsten zweifelsohne von Aerzten an der eigenen Person durch¬ 
geführt wenlcn dürfte. 


Aus der medicinischcn Universitätsklinik zu Greifswald. 

Beitrag zur Frage des renalen Diabetes. 

Von l)r. Hugo Lüthje, Privatdocent und Oberarzt der 

Klinik. 

G. Kl em per er hat das Verdienst, auf die Möglichkeit 
des Vorkommens eines renalen Diabetes in eindringlicher Weise 
aufmerksam gemacht zu haben, ln den sich an seinen ersten Vor¬ 
trag ansehli(»ssondon Discussionen wurde eine Reihe von ab¬ 
weichenden Vorstellungen geiiussert, die jedoch mit wenigen Aus¬ 
nahmen rein persönliche Muthmaassungen ohne die Grundlage 
genauerer B<“obaohtungen waren. Objektiv und gestützt auf eigene 
Beobachtung hat sich neuerdings N au n y n eingehender mit der 
Frage beschäftigt. 

Schwer verständlich ist, dass sich in den Vordergrund der 
älteren Debatten sofort die Frage gedrängt hat, ob es sieh beim 
„renalen“ Dialntes um eine einfache passive Durchlässigkeit d<> 
Nierenepithels für Zucker handle, oder aber, ob die Xicronzelleu 
aktiv den Zueker aus dem Blute herausziehen und dann sis-er- 

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MTTENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


niron. Diese Frage dürfte doch wohl erst in zweiter Linie kommen 
und ausserdem schwer zu beantworten sein. 

Entschieden werden muss vor Allem die Grundfrage: Gibt es 
beim Menschen einen spontan auf tretenden Diabetes, dessen Ur¬ 
sache in irgend einer Störung des Nierenparenchyms als solchem 1 
liegt? Lassen sich sichere Beweise dafür erbringen, so haben wir 
ein gutes Recht, von einem renalen Diabetes zu sprechen, 
und unsere Kenntnisse in der Pathogenese des Diabetes sind um 
einen sicheren Schritt vorwärts gedrungen: Wir kennen alsdann 
ein weiteres Organ, dessen Funktionsstörung — mag sie sein, 
welcher Art sie will — zur dauernden Ausscheidung von Zucker 
und damit zu derjenigen Erscheinung führt, welche nach der 
heute geltenden Definition für Diabetes mellitus charakte¬ 
ristisch ist. 

Das in der Literatur vorliegende positive Material ist recht 
spärlich, die theoretischen Auseinandersetzungen sind dagegen 
recht reichlich. 

Ich theile im Folgenden eine klinische Beobachtung mit, 
welche mir zu den einwandfreisten zu gehören scheint und bei 
der diejenigen Postulate, welche für die Anerkennung des 
„Nierendiabetes“ bis unumgänglich nöthig erachtet werden, mit 
einiger Sicherheit erfüllt sind, nämlich 

1. Fehlen von Harnzucker vor der Nierenerkrankung; 

2. bald nach Auftreten einer Nierenerkrankung tritt Zucker 
im Harn auf; 

3. Unabhängigkeit der Grösse der Zuckerausscheidung von 
der Grösse der Kohlehydratzufuhr; 

4. Verminderung des Blutzuckergehaltes. 

Es möge die Krankengeschichte mit den Untersuchungs- 
tabellen folgen. 

O. M., Kaufmann, 22. Jahre alt. 

Eltern leben und sind gesund; ebenso zwei Geschwister. Ein 
Bruder ganz jung gestorben. Patient ist unverheiratbet. 

Angeblich keine Kinderkrankheiten. Auch sonst will Pat. nie 
ernstlich krank gewesen sein. Anfang November 1900 zog er sich 
einen Tripper zu; er behandelte sich selbst bis zu Anfang Dezember. 
Dann stellten sich Schmerzen in der Blasengegend ein; der 
behandelnde Arzt koustatirte ein Blasenleiden. Am 13. XII. 00 
erfolgte die Aufnahme in unsere Klinik. Tat. klagt über häufigen 
Harndrang und Schmerzen in der Blasengegeud. 

Stat. praes.: Mittelgrosser, kräftig gebauter und gut ge¬ 
nährter junger Mann; keine Oedeme, keine Exantheme.— Sensorium 
frei, kein Kopfschmerz, kein Schwindel. Auch sonst von Seiten 
des Centralnervensystems keine nachweisbaren Störungen. — Die 
Harnentleerung ist schmerzhaft, besonders zu Ende des Urinirens. 
Harn trübe, enthält einige Blutgerinnsel und zahlreiche Leuko- 
cyten. Eiwelssgehalt ist stärker als dem Blut- und Eiter¬ 
gehalt des Harns entspricht. Mikroskopisch granulirte und hya¬ 
line Cylinder. Eplthelien der Harnwege. Der Harn reduzirt 
Kupfersulfat etwas, gibt aber keinen Niederschlag von Kupfer¬ 
oxydul. Blasengegeud auf Druck etwas schmerzhaft, ebenso die 
Gegend der beiden Nieren. — Prostata etwas vergrössert, druck¬ 
empfindlich. 

Appetit gut, Durst nicht gesteigert. Leber und Milz 
nicht vergrössert. Keine Störungen von Seiten des Verdauungs- 
traktus. 

Herzgrösse normal. lieber der Herzspitze leises systolisches 
Geräusch; dasselbe ist etwas lauter im 2. Intercostalraum links 
zu hören. Zweite Töne au der Basis symmetrisch. Am Puls nichts 
besonderes. 

Thorax symmetrisch und kräftig gebaut; beide Hälften be¬ 
theiligen sich gleichmässlg an der Athmung. Perkussion und Aus¬ 
kultation ergeben normale Verhältnisse über den Lungen. 

Unter Saloldarreiehung geringe Besserung der cystitischen Er¬ 
scheinungen. 

17. XII. T r o ra m e r’sclic und N y 1 a n d e r’sche Probe po¬ 
sitiv. Urin dreht nach Entfernung des Eiweisses noch 0,06 rechts. 

Von jetzt ab war stets Zucker im Harn nachweisbar. 

Die nebenstehende Tabelle gibt darüber Auskunft. 

Am 8. I. 01 wurde Patient entlassen; er fühlt sich völlig 
gesund. Urin klar, enthält kein Eiweiss, dagegen Zucker. 

Wir haben also einen gesunden, kräftigen, jungen Mann mit 
Tripporinfektion (Gonococeen nachgewiesen); sekundär gonor¬ 
rhoische Cystitis und höchstwahrscheinlich ascendirende Pyelo¬ 
nephritis. Zu Anfang bestand ganz geringes Fieber (37,7). 
Sicher konstatirt wurde jedenfalls eine Nephritis, für deren Zu¬ 
standekommen jede andere Erklärung, sowohl aus der Anamnese, 
als auch aus der diesseitigen Beobachtung fehlt. 

4 Tage, nach der Aufnahme in’s Krankenhaus tritt Zucker 
in quantitativ nachweisbarer Menge auf. Der Zuckergehalt des 
Urins schwindet dann nicht mehr und schwankt an den einzelnen 
Tagen in geringen Grenzen; er wird auch dann nicht wesentlich 
geringer, als Patient eine Reihe von Tagen hindurch nur Spuren 
von Kohlehydraten (vom 21. bis 20. XU.), resp. gar keine Kohle¬ 


I 

XII. 

Nahrung 

S“ 
y c 

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2 5 

Urinmenge 

.2 
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er. <3> 

ÖT 

O 

.2 

o 

24 

w 

Zucker in g 

Bemerkungen 

I 

18. j 

j 

— 

— 

1750 

1023 

+ 

? 

Trommer, Nylander 
u. Gährungsprobe 
pos. 

19. | 



1720 

1030 0,6 

10,32 

Mikroskopisch : 
Eiterkörperchen 
und Cylinder; reichl. 
Eiweiss 

20. 

— 

— 

1600 

1026 0,9 

14,40 

reichl. Eiweiss 

21. 

Fleisch. Grünes 
Gemüse, Bouil¬ 
lon, Kaffee.Thee. 
Kalter Auf¬ 
schnitt 

Spu¬ 

ren 

im 

Ge¬ 

müse 

2200 

1021 

0,28 

6,16 

do. 

22.1 

do. 

do. 

2430 

1023 

0,16 

4,00 

do. 

23.1 

do. 

do. 

2300 1024 

0,20 

4,60 

do. 

24.1 

do 

do. 

1990 1025 

0.28 

5,60 

do. 

25. 

do. 

do. 

2150 1023 

0,30 

6,50 

do. 

20. 

do. 

do. 

2220 1025 

0,40 

8,90 

weniger Eiweiss 

27. 

Kaffee, Schin¬ 
ken, Bouillon, 
kalter Auf¬ 
schnitt, Eier, 
Fleisch 

0 

1740 

1025 

0,40 

7,0 

Urin klar, kein 
Eiweiss 

28. 

do. + BO g 
Semmel 

25 

1860 1023 0,40 

1 | 

7,0 

do. 

29. 

do. 

25 

219011023 

0,45 

9,9 

do. 

30. 

do. 

25 

18901025 

0,30 

5,7 

Spur Eiweiss 

31. 

do. 

25 

1460-1030 

0,25 

3,7 

do. 

1 . 1 . 

01 

do. 

25 

1650; 1021 

0,20 

3,3 

kein Eiweiss 

2. 

do. 

25 

1970:1023 0,22 

4,3 

do. 

3. 

do.-f-lOO g Brod 

50 

17201024 0,40 

1 6,9 

do. 

4. 

do. 

50 

110011024 

0,55 

i 6,10 

do. 

5. 

do. 

50 

2150:1021 

0,72,15,1 

do. 

6. 

do. 

50 

1970 

i021 

0,6011,8 

do. 

7. 

do. 

50 

2270 1022 

1 

0,7015,9 

do. 


hydrate (am 27. XII.) zu sich nimmt und zeigt keine wesentliche 
Steigerung bei einer täglichen Zufuhr von 50 g Semmel (vom 
28. XII. 1900 bis 2. I. 1901), resp. bei einer weiteren Steigerung 
in der Zufuhr auf 100 g (3. bis 7. I.). Die Zeichen der Nephritis 
sind mittlerweile völlig geschwunden. 

Nach der Entlassung blieb der Patient unter unserer stetigen 
Kontrolc. So oft der Urin untersucht wurde, war Zucker nach¬ 
weisbar, und zwar stets in den Mengen, in denen sie während der 
klinischen Beobachtung ausgeschieden waren. 

Ich gebe die Analyse einiger Tage im Folgenden: 

20. V. Nahrung: Klare Bouillon, Fisch, Kalbsbraten ohne 
Sauce, schwarzer Kaffee, 3 Eier, kalter Aufschnitt mit Butter. 
Wildunger. Urinnienge 1820 ccm. Rechtsdrehung 0,4 Proc. = 7.28 g 
Zucker. Kein Eiweiss. Keine Eisenchloridreaktion. Gäbrungsprobc 
positiv. 

21. V. Schwarzer Kaffee, kalter Aufschnitt mit Butter, klare 
Bouillon, in Buttersauce gebratener Hering. Kotelette in Butter 
gebraten ohne Mehl, Selters. Sauerbrunnen. Urinmenge 1900 ccm. 
Roohtsdreliung 0,3 Proc. = 5,9 g Zucker. Kein Eiweiss, keine 
Eisenchloridreaktion. 

An den folgenden drei Tagen nahm der Patient steigend 
je 300, 400 und 500 g Reis zu sieh und sandte uns die täglichen 
Urinmengen zu. Leider sind die Untersuehungszahlen dieser drei 
Tage verloren gegangen, jedoch erinnere ich mich mit Sicherheit, 
dass der Zuckergehalt gar nicht oder jedenfalls nicht wesentlich 
über die früher beobachtete Grösse hinausgestiegen ist. 

Am G. VI. 01 Hess sieh Patient abermals in die Klinik auf¬ 
nehmen. Er hat sich seit seiner Entlassung immer wohl gefühlt. 
Einige Tage vor der Aufnahme (20. V.) fühlte er wieder Blasen¬ 
sehmerzen, auch war die Urinentleerung bei den letzten Tropfen 
schmerzhaft, hin und wieder etwas Blut. 

Im Status bat sieh nichts Wesentliches geändert, speziell au 
Herz und Gefässen nichts Abnormes zu finden. Der Urin enthält 
weisse und einige rothe Blutkörperchen, sowie Eiweiss in geringen 
Mcugon. Keine Cylinder. Trommer’sche und Gährungsprobe 
stark positiv. Im Urethralsekret Diploeoccen. von denen nicht 
sicher gesagt werden kann, ob es sich um Gonococeen handelt. 

lieber die Zuckerausscheidungsverhältnisse gibt die folgende 
Tabelle Auskunft: 

(Tabelle siebe nächste Seite.) 

Wir sehen also auch hier eine ständige Zuckernusscheidung, 
die trotz der grossen Unterschiede in der Grösse der täglichen 
Kohlehydratzufuhr nur in engen Grenzen schwankt. Selbst 
während der 3 völlig kohlehydratfreicu Tage (vom 14. bis 16. M- 


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17. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1473 


Juni 

01 

Nahrung 

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0 . 

S2 I 

Zucker in g| 

Bemerkungen 

11. 

2‘/*l Milch, 100 g 
Brod, 50 Butter, 
210 Fleisch, 7* 1 
Bouill., 1 Ki 

160 

0 

Ol 

CO 

1020 

0,60 

10,9 

vomC.—10. Juni war die 
Zuckerprobe stets posi¬ 
tiv. quantitative Be¬ 
stimmungen wurden 
liier nickt gemacht. 

12. 

27*1 Milch, 200 g 
Brod, 50 Butter, 
230 Fleisch, 7a 1 
Bouillon, 3 Eier, 
75 g Compot. 

247 

1680 

1025 

0,75 

12,«) 


13. 

27*1 Milch, 300 g 
Brod, 50 Butter, 
267 Fleisch, 7a 1 
Bouill.,120Comp. 

320 

2 D0 

1021 

0,77 

16,8 


14. 

30 g Butter, 320 g 
Fleisch, 7» 1 
Bouillon, 5 Eier, 
s /4 1 Kaffee. 

0 

2300 

1020 

0,25 

5,8 


15. 

do. 

0 

1710 

1024 

0,40 

6,8 


16. 

do. 

0 

1890 

1026 

0,35 

6,4 


17. 

50 g Butter, 270 g 
Fleisch, 5 Eier, 
7a 1 Bouillon, 3 /H 
Kaffee,100g Brod. 

50 

1900 

1020 

0,50 

I 

3 g Diuretin. 

1 s. 

do. u. 200 g Brod. 

100 

167u 

1027 

0,75 

12,5 

3 g Diuretin 

19. 

do. u. 300 g Brod. 

150 

1470 

1025 

1,16 

17,0 

3 g Diuretin 

20. 

150 g Milch, 300 g 
Brod, 100g Butter 
165g Fleisch,7a 1 
Bouillon, 1 Ei, 
*/ 1 1 Kaffee. 

157,2 

1310 

1025 

0,82 

1 


21. 

150 g Milch, 400 g 
Brod, 100 g Butter 
320 g Fleisch, 

3 Eier, 72 1 Bouill., 
2 /41 Kaffee. 

207,2 

1420 

i 

1024 

0,65 



22. 

i 

do. 

20 7,2 

2370 

1014 

:0,4(j 

10,9 



Bemerkung zu obiger Tabelle: Milch wurde zu 4,8 Proc., 
Brod und Kompot zu 50 Proc. Kohlehydrate gerechnet. 


1901) hört die Zuckerausscheidung nicht auf. Sie ist am 21. und 
22. VI. bei einer Zufuhr von über 200 g Kohlehydraten nicht 
grösser als z. B. am 17. VI. bei einer Zufuhr von 50 g und 
nicht wesentlich grösser als am 14., 15. und 16. VI. (völlig kohlo- 
liyd ratfrei!). 

Vom 17. bis 19. VI. wurden pro die je 3 g Diuretin verabreicht 
(in Anlehnung an die Jacobj’schen Versuche): die Zucker¬ 
ausscheidung bleibt unverändert, freilich auch die Diurese. 

Die Erscheinungen der Cystitis waren bereits 6—7 Tage 
nach der Aufnahme fast ganz geschwunden. 

Am 21. VI. wurde eine Zuckerbestimmung des Blutes gemacht; 
cs wurden 140 ccm Blut aus der Vena eephalica entnommen, das 
Blut enteiweisst (mit Essigsäure und Na. carb.) und dann in 
zwei gleiche Hälften getheilt; es ergab sich in der einen Hälfte 
0,056 Proc. Zucker, in der anderen Hälfte 
0,054 Proc. Zucker (Wägung des im Wasserstoffstrom rcducir- 
ten Kupferoxyduls). 

Epikritisch ist nur wenig zu dem Fall zu bemerken. 

Die oben aufgestellten Postulate sind erfüllt, d. h.: 

1. Es war vor der Nierenerkrankung wahrscheinlich kein 
Zucker im Harn enthalten, 

2. bald nach Auftreten dor Nierenerkrankung trat Zucker auf, 

3. die Grösse der Zuckerausscheidung ist unabhängig von der 
Menge der zugeführten Kohlehydrate, 

4. es besteht eine ausgesprochene Herabsetzung des Blut¬ 
zuckergehaltes. 

Wir dürfen somit unseren Fall als einen solchen von renalem 
Diabetes bezeichnen, in dem Sinne, dass irgend eine Funktions¬ 
störung der Niere das veranlassende Moment für das Auftreten 
von Zucker im Harn abgab. Der scharfe Gegensatz zwischen der 
hier beobachteten Form von Diabetes und der gewöhnlichen Form 
liegt auf der Hand. 

Welcher Art die Funktionsstörung der Niere ist, kann nicht 
entschieden werden. Warum sollte aber das Nierenfilter nicht 
gelegentlich gerade so gut die Fähigkeit verlieren können, den 
Blutzucker — ohne dass dessen Gehalt erhöht ist — zurückzu¬ 


halten, wie es oft die Fähigkeit verliert, das Bluteiweiss zurück¬ 
zuhalten ? 

In unserem Fall waren zeitweilig beide Fähigkeiten verloren 
gegangen: der Patient schied Eiweiss und Zucker aus. Theilweise 
hat sich die Schädlichkeit wieder ausgeglichen, das Vermögen, 
den Zucker des Blutes zurückzuhalten, ist dagegen bis heute 
verloren geblieben. 


Literatur: 

G. Ivle m p e rer: „lieber regulatorische Glykosurie und 
renalen Diabetes.“ Verhandl. des Vereins filr innere Medicin. 
18. Mai 1896. Hier und in einer der folgenden Sitzungen auch 
die anschliessenden Disc-ussionen. — Carl Jacobj: „Ueber künst¬ 
lichen Nierendiabetes.“ Areh. f. experiment. Pathol. u. Pharm. 
Bd. XXXV. 1895. S. 214. — B. Naunyn: „Der Diabetes 
mellitus“ in Nothnagel*s Handbuch. S. 106. Hier auch ältere 
Literatur. — P. F. Richter: „Zur Frage des Nierendiabetes.“ 
Deutsche med. Wochensehr. 1S99. S. 840. — Schupfer: „L’albü- 
minuria nel diabete ed il diabete reuale. (Pollcliuico 1900.) Citirt 
nach Centralbl. f. inn. Med. No. 35. 1900. 


Ueber Osteoklase und Osteoklasten.*) 

Von Geheimrath Dr. L. Heusner in Barmen. 

Die erste Anwendung der Osteoklase erstreckte sich natur- 
gemäss auf deform geheilte Brüche und wurde schon in den 
ältesten Zeiten geübt. Hippokrates erwähnt das Verfahren nicht 
besonders; bei dem Werth und der Sorgfalt, welche unser Alt¬ 
meister auf die exakte Extensiou und Einrichtung von Brüchen 
und Luxationen legt, darf aber mit Sicherheit angenommen 
werden, dass er die Refraktion bei mangelhaft geheilten Knochen 
geübt und gekannt hat. In der That ist sein mit Extensionswellen 
atn oberen und unteren Ende ausgerüsteter Operationstisch 
(Seamnum) zu diesem Zwecke ganz geeignet und auch nachweis¬ 
lich bis in’s spätero Mittelalter dazu benutzt worden. Celsus, 
Christi Zeitgenosse, erwähnt in seinen medicinischen Schriften, 
dass man deform geheilte Brüche mit den Händen brechen und ge¬ 
polsterte Schienen auf binden soll. Oribasius, Freund und Leib¬ 
arzt des Kaisers Julian apo.stata, geboren 325 zu Pergamos, sagt 
in seinem Werke: Collectaneao medicinales, dass man den Callus 
schief geheilter Brüche durch gewaltsame Extension trennen 
solle, und sein gelehrter Nacheiferer, Paulus von Aegina, welcher 
den Stand der Medicin in der Alexandrinischen Schule im 5. und 
6. Jahrhundert abspiegelt, räth, wenn dieses Verfahren nicht ge¬ 
lingt, den Meissei anzuwenden. Der arabische Arzt, Abdul Kasim, 
geboren zu El Zarah bei Cordova in Spanien um 1050, klagt, 
dass das Wiederbrechen schlecht geheilter Frakturen in seinem 
Lande vielfach von unwissenden Aerzton und Knocheneinriclitem 
geübt würde, räth selbst aber davon ab und gibt damit das beste 
Beispiel von dem Verfalle der Chirurgie im frühen Mittelalter, 
welchen er selbst lebhaft fühlte und beklagte. Jamerius, aus der 
Sallemitunisehen Schule, welche im 11. und 12. Jahrhundert 
unter dem Schutze König Roger’s und Kaiser Friedrich IT. 
blühte, sagt in seinen bruchstückweise erhaltenen Werken, dass, 
wenn noch nicht 6 Monate verflossen sind, man den krumm ge¬ 
heilten Knochen durch Gegenstemmen des Knies wieder brechen 
solle. Denselben Rath ertheilt Guy de Chauliac, Freund Petrar- 
ka’s und päpstlicher Leibarzt zu Avignon, dessen Werk über 
Medicin und Chirurgie das 14. und 15. Jahrhundert beherrschte. 
Der deutsche Wundarzt Jeronymus Brunschwig aus der Strass¬ 
burger medicinischen Schule lehrt in seiner 1534 zu Augsburg 
erschienenen „Chirurgica“, d. i. Handwlirkung der Wundartzeney, 
wie er von vil erfarnen Artzeten gelernt und in seiner Praktica 
löblich gebraucht hat: „Wil es sich aber nit lassen strecken also 
mit der hand u. ziehen, so werd es gebrochen über ein Knü, oder 
zertretten uff ein hilzen Instrument mit Thuch umbwunden u. 
ein Küssen uff das Bein.“ Letzteres liegt dabei mit der Bruch¬ 
stelle frei über zwei gepolsterten Klötzen. Fabricius ab Aqua- 
pendente, Professor der Anatomie und Chirurgie an der Uni¬ 
versität der Republik Venedig zu Padua, welcher mit seinem 
Werke Pentateuchos chirurgicum nunmehr die Führung in der 
Chirurgie übernalun, und eine Reihe von ihm erfundener, intelli¬ 
genter, chirurgischer und orthopädischer Apparate abbildet, er¬ 
wähnt, dass man krumm geheilte Knochenbrüche durch Schlag 


*) Vortrag, gehalten ln der Frühjahrsversammlung der Aerzto 
des Regierungsbezirks Düsseldorf. April 1901. 


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2 * 

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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3*. 


1474 

mit dem Hammer auf das mit Wolle umwickelte, oder mit einem 
Schwamm bedeckte Glied, oder auch mit Ililfe eines quer darüber 
gelegten Stockes, zerbrechen könne. Es entstehe dadurch aber 
leicht starke Weicht heilquetsehung, oder ein neuer Bruch an 
anderer Stelle. Er selbst ziehe daher das Zerbrechen mittels den 
Händen vor: „Si eallus fuerit durior, frango cum instrumento 
attrahente in diversas partes“ (also eine Modifikation des Scam- 
num Ilippokrates’). Die erste Notiz von einem eigentlichen 
Osteoklasten findet sich in einem wenig bekannten Buche von 
Purmann: „Grosser u. gantz neu gewundener Lorbeerkrantz 
oder Wundartzeney.“ Frankfurt und Leipzig 1692: „Ein 
sonderlich Sei »raubezeug“, das in einem Moment das Wieder¬ 
brechen verrichtete. Wiederhersteller der Methode ist der 
Württcmbergische Oberamtsarzt Bosch zu Schlierbach bei Göp¬ 
pingen, der 1782 als Student der Mediein in Augsburg einen 
neuen Apparat konstruirte und die von seinen Zeitgenossen miss¬ 
achtete Operation in einer ganzen Reihe von Fällen mit glück¬ 
lichem Erfolg in Anwendung brachte. Oesterlen hat das einer 
Pflanzenpresse ähnliche Instrument später etwas verändert und 
ihm den Namen Dysmorphostcopalinklastes gegeben. Im Jahre 
1847 hat dann Rizzoli aus Bologna einen neuen Apparat 
(Machinetta ossifraga) konstruirt, zu dem besonderen Zwecke, 
bei Verkürzungen eines Oberschenkels auch den anderen Femur 
zu brechen und so das Gleichmnass wieder herzasteilen. Riz- 
zoli’s Instrument, welches hie und da noch im Gebrauche ist, 
kann als eine Nachahmung des Zerbrechen« eines Stockes vor 
dem Knie betrachtet werden. Zwei an den Enden eines Eiscn- 
hügels mit Ketten befestigte Halbringe werden über den Ober¬ 
schenkel geschoben, dann eine in der Mitte des Bügels angebrachte 
Druckpelotto mittels Schraube gegen den Knochen vorgeschoben, 
bis er bricht. Der Apparat zeichnet sich durch Einfachheit, 
Handlichkeit und Billigkeit aus, hat aber den Fehler, dass der 
Bruch nur in der Mitte des Gliedes angelegt werden kann, und 
dass der Knochen oft splittert und schräg bricht. Es kam aber 
in neuerer Zeit eine Anforderung hinzu, welche es nöthig machte, 
die Wirkung an das Ende des Knochens zu verlegen und mög¬ 
lichst genau zu lokalisiren, nämlich die gewaltsame Korrektion 
des X-Beines. 

Während des Mittelalters und bis zur Mitte des vorigen 
Jahrhunderts wusste man diese Deformität nicht anders zu 
heilen, als dass man das Glied mit Hilfe orthopädischer Ban¬ 
dagen im Laufe von Monaten langsam streckte. Es begann nun 
zuerst Dolore, aus der chirurgischen Schule zu Lyon, welche 
sich von jeher durch ihre orthopädischen Bestrebungen aus¬ 
zeichnete, im Jahre 1861 das X-Bein bei älteren Kindern in 
einem Tempo zu korrigiren und nannte sein Verfahren Redresse¬ 
ment force. Er legte das verkrümmte Bein mit der Aussenseite 
auf den Operationstisch, unterstützte den äusseren Fussknöchel 
n«K‘h mit einem Polsterkissen und drückte mit einer Reihe stets 
wiederholter Stösse gegen die Innenseite des Beines, bis die Bän¬ 
der an der Aussenseite nachgaben und das Knie niederbrach. Es 
folgte ein Gipsverband für 8 Wochen und schliesslich Sehienen- 
behandlung bis zur Festigung des gelockerten Gelenkes. Til- 
1 a u x inodifizirte das Verfahren 1875 in der Weise, dass er den 
Unterschenkel über den Operationstisch vorstehen liess und ihn 
als Holx*l bei der manuellen Redression benutzte. In Deutschland 
nahm die B i 11 r o t h'sche Schule die Methode auf und nament¬ 
lich Gusse nbauer hat sie in zahlreichen Fällen in der 
Weise geübt, «lass er das Knie des hiuter ihm liegenden Patien¬ 
ten mit der Innenseite über seine Schulter legte, während beide 
Hände den Unterschenkel fassten und mit kräftigem Rucke 
niederbrachen. So wirksam das Verfahren ist, so hat es sich doch 
als ein zu gewaltsames herausgestellt, indem öfters nicht bloss 
das äussere Seitenband, sondern auch Knochen- und Knorpel- 
stückrhen, ja selbst der ganze äussere Kondylus abrissen, chro¬ 
nische Reizerseheinungen des Gelenkes, hie und da auch Be¬ 
schädigungen des Nervus peronaeus zu Stande kamen., König 
streckte das Knie durch Geradebiegen mit den Händen, legte das 
Bein einige Wochen in Gips und wiederholte diese Prozedur alle 
paar Wochen bis das Ziel erreicht war. Rascher verfuhr J. Wolff 
mit seinem Etappen verbände, indem er alle 2—3 Tage, olme Ver¬ 
bandwechsel, eine Stellungsverbesserung vornahm, wobei der Gips¬ 
verband jedesmal amKnie eiugeschnitten und dann wieder geflickt, 
schliesslich mit artikulirten Seitenschienen versehen wird. Lorenz 
korrigirt die Deformität mit Hilfe seines Osteoklasten in einer 


einzigen Sitzung, aber nicht gewaltsam, sondern mittels langsam 
fortgesetzter Dehnung des äusseren Seitenbandes, worauf Gips¬ 
verband und orthopädische Apparate das Erreichte sichern. Es 
ist jedoch gerathen, alle diese Methoden, welche eine bedeutende 
Anpassungsfähigkeit der Gelenktheile voraussetzen, nur in leich¬ 
teren Fällen und bei jüngeren Kindern anzuwenden: Redard 
gibt als Altersgrenze 14, II o f f a 18, Lorenz 20 Jahre an. 

Man hatte früher die Entstehungsweise des X-Beines zu ein¬ 
seitig auf Waehsthumsstörungen an den Gelenkoberflächen zu¬ 
rückgeführt, und bald eine Kontraktur des äusseren Seitenbandes, 
oder der Muskulatur, bald falsche Belastung als Ursache für das 
stärkere Wachsthum der inneren und das Zurückbleiben der 
äusseren Gelenkseite angenommen. Mikulicz wies in einer 
wichtigen, 1879 erschienenen Arbeit nach, dass nicht sowohl 
Waehsthumsstörungen an den Epiphysen, als Verbiegungen an 
den Diaphysen, besonders am unteren Ende des Oberschenkels, 
der Deformität zu Grunde liegen. Logischer Weise müssen daher, 
wenigstens bei hochgradigen Fällen, die therapeutischen Bestre¬ 
bungen sich nicht auf Korrektion des Gelenkes, sondern der ver¬ 
bogenen Knochen richten. Im Jahre 1882 erfanden gleichzeitig 
Dr. R o h i n in Lyon und der Instrumentenmacher C o 11 i n in 
Paris Ilebelapparate, welche bestimmt waren, das X-Bein durch 
Abbrechen der unteren Epiphyse des Oberschenkels zu korrigiren. 
Der R o b i n’sehe Osteoklast hat, wie jener von Bosch, die Ge¬ 
stalt einer Presse, indem der Oberschenkel zwischen einer höl¬ 
zernen Platte und einem von oben dagegen geschraubten eisernen 
Deckel von concaver Gestalt fest geklemmt wird. Das vorragende 
untere Stückchen des Oberschenkels wird mit einem Metallband 
umfasst und mit Hilfe eines kräftigen Hebels, welcher auf der 
Eisenplatte angelenkt ist und in der Richtung dos Unterschenkels 
verläuft, von unten nach oben abgebrochen, hierauf die noth- 
wendige seitliche Korrektion an der Bruchstelle mit den Händen 
ausgeführt und das Bein in Gips gelegt. Bei dem Colli n’schen 
Osteoklasten wird der Olx'rschenkel nicht von oben und unten, 
sondern von den beiden Seiten gefasst, wie beim Schraubstocke, 
und der Knochen wird sogleich in der gewünschten Richtung von 
aussen nach innen abgebrochen. Die Backen sind llohlriimen 
von ungleicher Länge; der längere, an welchem der Hebel mittels 
Chamieres befestigt ist, kommt gegen die Aussenseite, der 
kürzere, gegen welchen der Kn«x*hen angepresst wird, an die 
Innenseite des Oberschenkels zu liegen. Das Abbrechen geschieht 
durch eine gegen den äusseren Obersehenkelkondylus wirkende 
Druekpelotte, und der Hebel wird nicht mit der Hand, sondern 
mittels eines am freien Hebelende angreifenden Flaschen¬ 
zuges in Bewegung gesetzt, wodurch eine kräftigere und steti¬ 
gere Wirkung erzielt wird. Man könnte denken, dass durch 
den gewaltigen Druck die Weichtheile beschädigt und zerquetscht 
würden; das ist jedoch nicht der Fall; vielmehr stimmt die Er¬ 
fahrung Aller, welche die Instrumente gebraucht haben, darin 
überein, dass die Knochen eher nachgeben, als die Weichtheile 
zerstört werden, und dass mit beiden Instrumenten in der Regel 
reine Querbrüche ohne Splitterung erzielt werden. Epiphysen¬ 
lösungen kommen aber in der Regel nicht zu Stande; vielmehr 
bricht der Kn<x*hen fast ausnahmslos 1—2 Finger breit oberhalb 
der Epiphysenlinie ab. 

Zu einer allgemeineren Anwendung gelangten die Osteoklase 
durch die Apparate Robin’s und C o 11 i n’s, aber ihrer Ver¬ 
breitung trat ein unerwartetes Hinderniss in den Weg. Es war 
die Entdeckung der Liste r’sehen Wundbehandlung, anfangs der 
70 er Jahre, welche zuerst in Deutschland zündete, dann ihren 
Siegeslauf durch die ganze Welt nahm und die älteren konser¬ 
vativeren Operationsmethoden für einige Jahrzehnte in den 
Hintergrund drängte. Jede Gefahr der Eiterung und der Sepsis 
schien beseitigt: man blieb nicht stehen bei offener Durch¬ 
trennung schief geheilter Brüche, sondern ging sehr bald mit 
Messer, Siige und Meissei gegen Deviationen aus anderen Ur¬ 
sachen vor; selbst die Gelenke wurden ohne Scheu eröffnet. Beim 
X-Bein lehrte Ogston durch Absägen und Hinaufpressen des 
verlängerten inneren Obersehenkelkondylus die Abduktions¬ 
stellung des Unterschenkels beseitigen, und es waren nicht etwa 
Nachrichten über Unglücksfällt-- und Knievereiterungen, welche 
dieses Verfahren zu Fall bra«ihten, sondern die heranreifende 
Uebcrzeugung, dass in den treppenförmig verschobenen Gelenk¬ 
flächen und Epiphysen auf die Dauer deformirende Processe und 
Waehsthumsstörungen nicht ausbleiben könnten. An Stelle der 


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17. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1475 


O g 8 t o n’schen Operation trat die quere Durchmeisselung des 
uutercn Obcrschenkelendes nach MacEwen und die kon- 
kurrirendc Operation Schede’s am Schienbeinkopfe für den 
selteneren Fall, dass hier die Hauptbiegung liegt. Nach den 
zahlreichen günstigen Erfolgen, über welche MacEwen auf 
dem internationalen Kongresse zu Kopenhagen 1883 berichtete, 
wurde sein Verfahren allgemein adoptirt und findet vielfach selbst 
bei jüngeren Kindern und leichteren Fällen Anwendung, wo man 
recht gut mit weniger eingreifenden Methoden auskommen 
könnte. Allein auch die moderne Wundbehandlung ist nicht un¬ 
fehlbar; Unglücksfälle kommen vor, nur werden sie nicht so 
leicht veröffentlicht, als die günstigen Erfolge. Ich selbst habe 
zwar keinen Todesfall zu beklagen gehabt, wohl aber einige Male 
Eiterung erlebt, darunter einmal eine recht langwierige und tief¬ 
greifende, welche zu chronischer Ostitis und Nekrose Veranlas¬ 
sung gab und für mich eine recht schmerzliche Erinnerung bildet. 
Nun ist man freilich auch bei unblutiger Operation nicht vor 
allem Missgeschick sicher. Ich kenne eine junge Gräfin, welche 
im 6. Jahre der Osteoklase am Unterschenkel unterzogen wurde 
und trotz 5 maliger Nachoperationen eine Pseudarthrose behalten 
hat; allein diese Gefahr ist gering und besteht auch bei der offenen 
Durehtrennung. Ich bevorzuge daher, wo es angeht, die Osteo¬ 
klase und habe die Osteotomie auf ältere Individuen mit völlig 
ausgereiften, harten Knochen eingeschränkt. Bei leichteren 
Fällen verwende ich wiederholte Gipsverbände mit fortschreiten¬ 
der Stellungskorrektion, bei besser situirten Patienten einen 
Schienenhülsenapparat mit verstellbarem Charnier an der Rück¬ 
seite des Knies, welches nicht in sagittaler, sondern in frontaler 
Richtung wirkt. Bei jungen Kindern mit nachgiebigen Gelenk¬ 
bändern lasse ich nur des Nachts eine Modifikation meiner 
Klumpfussfeder tragen, welche auf die Kniee korrigirend wirkt, 
während die Fussgelenko durch steife Lederkapseln vor un¬ 
erwünschter Einwirkung der Feder geschützt werden. 

Eino ganz ähnliche Entwicklung wie die Behandlung des 
X-Beines hat jene des Klumpfusses im Laufe der Zeiten durch¬ 
gemacht. Im Alterthum und Mittelalter hatte man auch diesen 
Fehler nur mit orthopädischen Apparaten anzugreifen gewusst. 
Gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts ging dann Delore 
nach vereinzelten von Nordamerika gemeldeten Vorversuchen 
auch hier mit der gewaltsamen Korrektion vor. Er nannte sein 
Verfahren „Massage forcee“, und bediente sich dabei der Kraft 
seiner Hände, indem er in oft mehr als halbstündiger Arbeit 
den Fuss herummodellirte „en lui impriment methodiquement et 
progressivement des mouvements de redressement“. Nachdem 
dann seine Schüler Jomard, Leriche und B a i 11 y an 
Leichenversuchen nachgewiesen hatten, dass durch das stärkste 
Redressement stets nur kleine Einreissungen von Bändern und 
Fascien, bei fortgeschrittener Verknöcherung, allenfalls auch Ab¬ 
reibungen von Poriostlappen und Knochenschälchen, aber nie¬ 
mals Verletzungen von Nerven und Gefässen erzeugt werden, 
gingen T r 6 1 a t und Vincent bei resistenteren Klumpfüssen 
zur Anwendung von Maschinenkraft über. Vincent, welcher 
sich des R o b i n’schen Osteoklasten bediente, um den Klumpfuss 
unter Berücksichtigung seiner 3 fehlerhaften Komponenten in 
einer einzigen Sitzung zu redressiren, nannte sein Verfahren 
Modelage du pied bot ä moyen de l’osteoclaste, oder Tarsoplasie. 

Auch diese hoffnungsvollen Anfänge wurden in der Zeit des 
liochgehenden Operationsenthusiasmus in den Hintergrund ge¬ 
drängt. Es kamen die mancherlei Versuche, den Klumpfuss 
mittels subkutaner, oder offener Durchschneidung der Plantar- 
fascie und der sonstigen verkürzten Weich theile, oder durch 
Excision eines Keiles aus dem Fussgewölbe, selbst ganzer Wurzel¬ 
knochen zu heilen. Allein allmählich kam auch hier die Erkennt¬ 
nis«, dass die Resultate keineswegs so glänzend waren, als sie in 
den Augen und Berichten der Erfinder erschienen. Der Fuss 
wurde durch die Operation in hässlicher Weise verkürzt, blieb 
auf die Dauer noch mehr im Wachsthum zurück und es fehlte 
keineswegs an Recidiven, die dann meist mehr Schwierigkeiten 
bereiteten, als die ursprüngliche Missbildung. Die meisten 
Chirurgen wandten sich daher von den blutigen Eingriffen wieder 
ab. König empfahl als erster in Deutschland die energische 
manuelle Korrektion, wobei er sich als Stütze gegen den Scheitel 
der Verkrümmung eines zweckmässigen Keilbänkchens bediente; 
Julius W o 1 f f wandte auch hier seinen Etappen verband an, und 
Lorenz nahm Vincent’s Idee wieder auf und konstruirte zu 
No. 38 


diesem Zwecke seinen „Osteoklast-Redresseur“. Lorenz be¬ 
nützt statt des Hebels die Schraube; sein ursprüngliches, von 
Reiner in Wien hergestelltes Modell hatte.aber noch einige 
bedenkliche Mängel und ist erst nach der Umarbeitung durch 
Stille in Stockholm zu einem recht guten Instrumente ge¬ 
worden. Es besteht, wie Sie an dem vorgezeigten Exemplare 
sehen (vergl. Abb. 1) aus 2 leicht über die Fläche gebogenen, 



Abbild. 1. 


horizontal fassenden, eisernen Backen, welche auf einer festen 
Holzplatte aufgestellt und mit fingerdicken Kautschuckplatten 
bedeckt sind. Die eine der Platten steht fest, die andere wird 
mittels Schraubenspindel dagegen bewegt. Letztere ist an der 
Spindel mittels Kugelgelenk befestigt, so dass sie sich dem Gliede 
genau anschliessen kann. 2 kleinere Hilfsschrauben nebst 
Führungsstiften dienen demselben Zwecke. Zum Umlegen .der 
Gliedmassen wird eine vor den Backen angebrachte, mit derber 
Lederschlinge ausgerüstete, kräftige Zugschraube benutzt, welche 
auf der Unterlage mittels Befestigungsbolzen versetzt und so in 
jeden beliebigen Winkel zu dem eingespannten Gliedabschnitt 
gestellt werden kann. Lorenz rühmt seinem Instrumente 
nach, dass es wegen Verwendung der Schraube eine stetigere und 
genauer dosirbare Wirkung ausübe als andere Apparate. Dies 
mag für seinen speciellen Dienst als Redresseur dos Klumpfusses 
richtig sein; im Allgemeinen ist die Schraube für die Zwecke 
des Osteoklasten nicht besser als der Hebel, der Flaschenzug, die 
Welle oder irgend eine andere Kraftübersetzung. Im Uebrigen 
hat selbst die Still e’sche Modifikation noch einige Mängel über¬ 
nommen, wie die zu wenig ausgehöhlten Backen, die leicht ver¬ 
rutschbaren Gummiplatten und die ungefüge Lederschlinge. 

Dass man auch bei Anwendung des Rizzoli’schen Princips 
Gutes leisten und die früher gerügten Fehler meiden kann, zeigte 
G r a 11 a n aus Cork mit seinem am Ende der 80 er Jahre kon- 
struirten Osteoklasten (Abb. 2). Der kompendiöse Apparat be¬ 
steht aus 2, durch eine 
Spreizvorrichtung stell¬ 
bare, stählerne Arme, auf 
welche das Glied gelegt 
wird, um dann mittels 
eines in der Mitte da¬ 
gegen geschraubten Stahl¬ 
bügels abgebrochen zu 
werden. Eine am Apparat 
angebrachte Verlänger¬ 
ungsstange dient alsHand- 
habe, damit es beim Ge¬ 
brauche nicht herum¬ 
rutscht. Die stählernen 

U nterstützungarme 
stehen nur wenige Quer¬ 
finger auseinander, und 
Grattan gibt an, Abbild. 2. 

dass man das untere 

Oberschenkelende, ganz nahe dem Gelenke, mit grosser Prä- 
cision und ohne Nebenverletzungen abbrechen könne. Newton 
Schaffer, Chirurg am orthopädischen Hospital zu New-York, 

3 



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1476 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 38. 


bestätigt Grattan’s günstige Erfahrungen. Auch beim Klump- 
fuss soll das Instrument sich gebrauchen lassen, indem „several 
tarsi have been crushed and torn with it“; indessen dürfte es hier 
doch schwer sein, das Ausweichen und Herumrutschen des ge¬ 
fassten Fusses zu vermeiden, und dies ist wohl der Grund, wess- 
halb Grattan in schwierigen Fällen ein anderes Verfahren 
einschlägt. Statt des Fussgewölbes greift er nämlich den Unter¬ 
schenkel an, bricht ihn mit Hilfe seines Osteoklasten dicht über 
den Knöcheln, falls nöthig, auch noch ein 2. Mal höher oben und 
gipst das Glied dann mit korrigirter Fussstellung ein. Grat¬ 
tan sagt, dass er auf diese Weise die schwersten Klumpfussfälle 
zu seiner und des Patienten Zufriedenheit geheilt habe, wird 
aber mit seinem Vorgehen, welches die Deformität des Fusses 
auf den Unterschenkel verlegt, wohl wenig Nachahmung finden. 
Immerhin mag sein Beispiel eine Gewissensberuhigung sein für 
die hie und da vorkommenden Fälle, wo bei gewaltsamer Kor¬ 
rektion ein oder beide Fussknöchel unbeabsichtigter Weise mit 
abreissen. 

Ich habe schliesslich selbst einen Osteoklasten konstruirt, 
welchen ich Ihnen hier vorzeige, und mich dabei bemüht, die 
Mängel anderer Instrumente zu vermeiden und eine recht viel¬ 
seitige Verwendung zu ermöglichen (vergl. Abbild. 3). Als Grund- 



f t I 

4 

> i 





Abbild. 3. 

läge diente mir ein Parallelschraubstock mit niedrigen Backen, 
wie er bei Metallhobelbänken benützt wird; zur Kraftleistung 
benütze ich den Hebel. Dazu habe ich mir, der bequemeren An¬ 
wendungsweise wegen, einen einfachen hölzernen Operationstisch 
mit durchlöcherter Platte anfertigen lassen, welcher die Befesti¬ 
gung des Instrumentes an jeder Stelle gestattet, aber auch zu 
allen anderen Zwecken geeignet ist. Während bei den bekannten 
Osteoklasten stets eine bewegliche Backe gegen eine feststehende 
vorgeschoben wird, laufen bei meinem Instrumente beide Backen 
gleichzeitig gegeneinander, wodurch ein rascheres Einspannen 
ermöglicht wird. Um bezüglich der Dicke der zu fassenden 
Gegenstände ganz unbeschränkt zu sein, ist die Spannweite der 
Backen, resp. die Länge der Triebspindel Vs m gross gewählt. 
Damit der Apparat nicht zu schwer wird, habe ich Schraube 
und Backen aus ihrem eisernen Gehäuse herausgenommen und in 
ein solches von genügend festem Holze eingefügt und das Ganze 
auf einer kleinfingcrdicken Aluminiumplatte montirt, Letztere 
hat an ihrem überragenden Rande vier Löcher zur Befestigung 
des Apparates am Operationstische mittels durchgesenkter Mutter¬ 
schrauben. Auf den Backen stehen daumendicke Stahlzapfen 
von 15 cm Länge, auf welche die zum Fassen der Glieder dienen¬ 
den Platten aufgeschoben werden. Auf der einen Backe befinden 
sich zwei solcher Zapfen, handbreit von einander entfernt, auf 
der anderen drei, von denen aber nur der mittlere, etwas weiter 


nach vorn tretende, zur Aufnahme der Platte bestimmt ist, 
während die beiden anderen zum Feststellen derselben dienen. 
Während nämlich die mit zwei Stiften befestigte Platte beim 
Zudrehen unverrückbar steht, kann die auf einen Stift auf¬ 
geschobene sich in horizontaler Richtung drehen und wird mittels 
zweier Ililfsschrauben, welche durch die freigebliebenen Zapfen 
verlaufen, gegen die Oberfläche des Gliedes angepresst. Die 
Platten sind kurze Hohlrinnen aus dickem Metallblech, welehe 
nach der Rundung der Gliedmassen gebogen und an der hohlen 
Seite mit fcstliegendem Filzpolster und Lederüberzug versehen 
sind. Auf der Rückseite tragen sie zwei parallele, flügelförmige 
Fortsätze, welche mit Löchern zum Aufschieben auf die Zapfen 
versehen sind. Da die Glieder nicht dieselbe Rundung und Grösse 
haben, so muss man eine Auswahl der Platten für die ver¬ 
schiedenen Lebensalter vorräthig halten. Ich habe mir drei Stück 
zum Fassen des Oberschenkels bei X-Bein, drei für den Unter¬ 
schenkel bei Klumpfuss und drei zum Fixiren des Beckens an¬ 
fertigen lassen. Einige Schwierigkeiten bei der Herstellung be¬ 
reiten nur die Beckenfixatoren, welche ich vom Kupferschläger 
aus Vs cm dicken Kupferplatten, nach genauen Gipsabgüssen, 
habe aushämmern lassen. Sie fassen hinten breit über das Kreuz¬ 
bein, vorne schtnal über die Spinae, nach Art zweier grosser 
Hände, welche vom Kreuz her, dicht oberhalb der Trochanteren, 
über die vordere Beckenkante gelegt werden und fixiren das 
Becken seitlich vollkommen unverrückbar (vergl. Abbild. 4). Da- 



Abblld. 4. 


mit dasselbe nicht nach unten verrutschen kann, sind am unteren 
Ende der Platten Schenkelriemen angenietet, welche am oberen 
Ende mittels einer Schnalle geschlossen werden. Ein Ausweichen 
nach oben ist nicht zu befürchten, da die breiter vortretenden 
Trochanteren von den Seitenplatten nach abwärts gehalten 
werden. Die Beckenfixatoren finden erwünschte Verwendung bei 
der manuellen Korrektion falscher Oberschenkelstellungen nach 
Hüftgelenkentzündung, werden sich wahrscheinlich auch bei 
schwieriger Einrenkung angeborener Luxationen nützlich er¬ 
weisen. 

Sämmtliche Platten sind in Folge der Zapfen Vorrichtung 
leicht auswechselbar und werden durch untergeschobene Stell¬ 
ringe in die gewünschte Höhe gebracht. Zum Abbrechen oder 
Umbiegen der Glieder benütze ich einen Hebel von ca. 1 m 
Länge, welcher an einem Ende gabelförmig gespalten ist. Die 
Aeste der Gabel endigen mit Ringen, welche auf die Zapfen der 
Schraubstockbacken passen. An den Aussenrändem der Aeste 
sind Knopfstifte angebracht zur Befestigung der beim Abbrechen 
benützten Schlinge. Letztere besteht aus einer mit Filz über¬ 
zogenen, flachen Kette, deren unbedeckte Endglieder zum An¬ 
haken an die Knopfstifte benutzt werden. Die Kette ist nur etwa 
zwei Finger breit, schmiegt sich dem Gliede besser an, als eine 
steife Metall- oder Lederschlinge und besitzt doch die nöthige 
Festigkeit. Beim Gebrauche wird der Hebel gleichzeitig mit der 
entsprechenden Platte auf den Zapfen, vor welchem das Ab¬ 
brechen ausgeführt w r erden soll, in der Weise aufgeechoben, dass 
er die Flügel der Platte zwischen seine Zinken fasst; nunmehr 
die Kette um das Glied gelegt. Wie Sie an dem als Modell ein¬ 
gespannten hölzernen Beino bemerken, ist sowohl die Fixation 


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17. September 1901. 


MUENCHENEÜ MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1477 


als die Kraft, die man au9Üben kann, eine allen Ansprüchen 
genügende. 

Ausser den beschriebenen Osteoklasten gibt es noch eine An¬ 
zahl speciell zur Korrektion des Klumpfusses konstruirter Instru¬ 
mente, welche wohl auch Tarsoklasten benannt werden. Sie 
wirken alle ähnlich wie R i z z o 1 i’s Apparat, indem sie das 
Fussgewölbe zwischen drei Stützpunkte einspannen und kor- 
rigiren, haben aber den Fehler, dass sie die Befestigung des Fusses 
am Unterschenkel nicht ausnützen und daher namentlich die 
Supination und die Spitzfussstellung wenig beeinflussen können. 
Solche Apparate sind von Bradford, Morton, Redard, 
Phelps, Halstead-Meyers angegeben worden. Einer der 
wirksamsten und originellsten davon ist jener von Phelps aus 
New-York, bei welchem der Unterschenkel auf einem Tisch und 
der Fuss auf einer Art Sandale festgeschnallt wird, deren vor¬ 
deres Ende in einen langen Hebel mit Querstab ausläuft 
(Abbild. 5). Mit Hilfe dieses Hebels wird der Fuss herum- 



Abbild. 5. 


gearbeitet, während gleichzeitig von einem Gehilfen ein zweiter, 
am Apparat angebrachter Druckhebel gegen den hervorragenden 
Punkt am äusseren Fussrande angepresst wird. In Brad- 
f o r d’s Instrument wirken drei Druckpelotten durch Schrauben 
gegeneinander (vergl. Abbild. 6), in jenem von Redard durch 

Hebelkraft; Morton 
benützt statt dessen 
Zugschlingen. Wer einen 
guten Osteoklasten be¬ 
sitzt, bedarf dieser nur 
für den Fuss berech¬ 
neten Instrumente nicht. 
Man spannt den Unter- 
3 Schenkel bis zu den 
Knöcheln in den Ap¬ 
parat ein und lässt nun 
die Zugschlinge in der 
gewünschten Richtung 
ein- oder mehrmals über 
das Glied hingehen. 
Nachdem so der Haupt¬ 
widerstand gebrochen 
ist, wird der Rest mit den Händen beseitigt. Damit diese bei 
dem anstrengenden Werke nicht abrutschen, kann man den Fuss 
mit einem feuchten Tuch umwickeln, oder ihn mit der Harzlösung 
bestäuben, welche ich zur Anlegrung von Extensionsverbänden 
angegeben habe. (Deutsch, med. Wochenschr, Jahrg. 1895, No. 52.) 
Die manuelle Korrektion stellt aber oft ungemein grosse An¬ 
forderungen an die Kraft und Ausdauer des Operirenden, wess- 
halb man vielfach hebel- und zangenförmige Instrumente zum 
Fassen und Biegen des Fusses zu Hilfe genommen hat. T r e 1 a t 
hat einen modificirten Osteoklasten konstruirt, welcher das 
Fussgelenk nebst Fersenbein mit schmalen Backen umspannt, 
während der Mittelfuss durch zwei gegeneinander verschraubbare 
Halbrinnen, die sich gegen Spann und Sohle legen, gefasst wird. 
An dieser schuhförmigen Umhüllung des vorderen Fuss- 
nbschnittes ist ein nach vorn verlaufender Hebel mit Kreuzarm 
befestigt, mit dessen Hilfe die Korrektion vollzogen wird. Das 



Fussgelenk und die Knöchel haben aber in Folge ihrer natür¬ 
lichen Festigkeit einen besonderen Schutz kaum nöthig und die 
weit nach abwärts gerückten Backen des Osteoklasten müssen 
beim Gebrauche hinderlich sein, weil dadurch der Raum für die 
Excursionen des Hebels beeinträchtigt wird. Ein ähnliches In¬ 
strument wie T r e 1 a t benützt Bradford zum Erfassen des 
vorderen Fussabsclmittes (Abbild. 7), doch hat dasselbe nur eine 



Halbrinne für die untere innere Fusskante, das Obertheil wird 
ersetzt durch zwei vom Hebel auslaufende Halbspangen, 
welche über Spann- und Mittelfuss fassen und durch Verschrau¬ 
bung verstellbar, sind. Hoffa rühmt den B r a d f o r d’schen 
Hebel nach eigener Erfahrung als recht brauchbar. Ein sehr 
empfehlenswerthes Instrument ist auch die sogen. Thomaswrench, 
ein für den speciellen Zweck modificirter englischer Schrauben¬ 
schlüssel, von Thomas in Liverpool, zwischen dessen zapfen¬ 
förmigen Kiefern der vordere Fusstheil sicher gefasst und nach 
jeder Richtung gedreht werden kann. Das T h o m a s'sche Modell 
ist etwas zart gebaut, daher nur für die Klumpfüsse kleiner 
Kinder geeignet. Ich habe mir aus diesem Grunde durch Herrn 
S t i 11 e in Stockholm ein doppelt so langes und starkes Exemplar 
anfertigen lassen, welches sich noch dadurch auszeichnet, dass die 
Zapfen nicht gerade, sondern der Rundung des Fusses nach¬ 
gebogen sind. Halstead-Meyers in New-York hat zwei 
Exemplare der Thomaswrench in der Weise copulirt, dass zwei 
Hebelarme mit je einem verschieblichen Zapfen sich um eiu 
Chamier drehen, in dessen Auge ein dritter Zapfen steht 
(Abbild. 8). Der Fuss wird in der Weise von dem Instrument 



Abbild. 8. Abbild. 9. 


gefasst, dass der feststehende Zapfen gegen den Vorsprung an 
der Aussenseite des Fusses, die beiden anderen an der Innenseite 
gegen Fersenbein und Mittelfussknochen zu liegen kommen; 
durch Auseinanderziehen der Griffe werden die beweglichen 
Zapfen gegen den feststehenden vorgeschoben und hierdurch die 
Ummodelung des Fusses erzwungen. Meyers rühmt sein In¬ 
strument als sehr wirksam und benützt cs auch zur Osteoklase 
bei X-Bein. Indessen ist es ein entschiedener Fehler, dass die 
beweglichen Zapfen gegen den feststehenden nicht gerade vor¬ 
rücken, sondern gleichzeitig im Kreise auseinanderweichen, und 
cs muss sowohl die Fixation des gefassten Gliedes, als auch die 
genaue Lokalisation der Kraftwirkung hierdurch beeinträchtigt 
werden. 

Ich selbst benützte früher mit Vorliebe zum Fassen des 
Fusses nach Gipsabguss gearbeitete Zangen mit armlangen 
Stielen (vergl. Abbild. 9), allein diese Zangen müssen sehr sorg¬ 
fältig gearbeitet sein; man muss mehrere Exemplaro für rechts 

3* 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


1478 


und links und verschiedene Fussgrössen zur Hand haben; auch 
quetschen sie leicht beim Zusammenschliessen, wesshalb der Fuss 
mit dickem Filz umwickelt werden muss. Ich ziehe daher neuer¬ 
dings ein einfacheres, hebelartiges Instrument vor, das ich mir 
durch unsern Krankenhausschlosser habe anfertigen lassen. Eine 
runde Stahlstange von 8—10 mm Durchmesser wird am Ende zu 
einem Ringe umgebogen, dessen Grösse dem Umfange des zu 
korrigirenden Klumpfusses, um das C h o p a r t’sche Gelenk ge¬ 
messen, entspricht und der durch Vernietung oder Umwickelung 
mit Draht fest geschlossen wird. Dann wird der Ring in glühen¬ 
dem Zustande über den Vordertheil eines eisernen Fusses von 
gleicher Grösse auf gehämmert, so dass er dessen Formen an¬ 
nimmt. Hierbei muss der Hebel in der Richtung nach innen 
und unten zum Fusse gehalten werden, wie man ihn später beim 
Korrigiren des Klumpfusses benützen will. Das andere Ende des 
Stabes lässt man zu einem Ringe von etwas verschiedener Grösse 
umbiegen und versieht sich mit mehreren Exemplaren dieses ein¬ 
fachen Instrumentes, um für alle Fussgrössen gerüstet zu sein. 
Die Eisenfüsse lässt man sich nach Gipsabgüssen in einer 
Giesserei anfertigen. Beim Gebrauche wird der Unterschenkel 
bis zu den Knöchelspitzen in den Osteoklasten gespannt, der Hebel 
mit dem Ring über den Fuss geschoben und nunmehr die Kor¬ 
rektion ohne viel Mühe ausgeführt. Auch zur Beseitigung des 
Hohlfusses, welcher ähnliche Verhältnisse und Schwierigkeiten 
bietet, wie der Klumpfuss, kann dieser Ringhebel mit gleichem 
Erfolge benutzt werden. 


Aus dem Allgemeinen Krankenhause zu Hamburg-Eppendorf 
(medicinische Abtheilung: Oberarzt Dr. Rumpel). 

Osteomyelitis sterni acuta bei Typhus abdominalis. 

Von Dr. Georg Jochmann. 

Das Auftreten einer akuten Osteomyelitis im Brustbein ge¬ 
hört zu den grössten Seltenheiten. Ich finde in der mir zugäng¬ 
lichen Literatur nur 6 Fälle verzeichnet. In den Jahrbüchern 
der Hamburger Staatskrankenanstalten, Bd. IV, p. 285, berichtet 
Sick [1] über 4 von ilun beobachtete Fälle. Gelegentlich dieser 
Mittheilung erwähnt er einige anatomische, das Sternum be¬ 
treffende Daten, welche für diese Erkrankung von wesentlicher 
Bedeutung sind. Die Beobachtung, dass bei der osteomyelitischen 
Erkrankung der Röhrenknochen die Affektion oft an den Epi¬ 
physenenden Halt macht und dass es gelingt, bei rechtzeitigem 
Eingriff, das Epiphysenende von der Krankheit frei zu halten, 
legte Sick den Gedanken nahe, dass auch bei dem Sternum 
jugendlicher Personen, wenn noch Knorpelfugen des Corpus 
sterni vorhanden sind, unter Umständen eine Erkrankung dee 
ganzen Brustbeinkörpers durch rechtzeitigen Eingriff vermieden 
werden kann. An einem grösseren Leichenmaterial stellt er fest, 
dass die Knorpel Verbindung zwischen Manubrium und Corpus in 
dem Alter, welches meist für Osteomyelitis acuta in Betracht 
kommt, fast stets erhalten ist und dass sie nur in seltenen Fällen 
sehr frühzeitig verknöchert, und ferner, dass im Alter bis zu 
20 Jähren bei einer ziemlichen Anzahl Menschen sich noch Knor¬ 
pelfugen oder Reete davon im Corpus sterni finden. Die Ver¬ 
bindung zwischen Schwertfortsatz und Brustbeinkörper beginnt 
bei einzelnen Menschen schon früh zu verknöchern. 

2 weitere Fälle werden in einer Publikation von A.v. Berg¬ 
mann (St. Petersburger med. Wochcnschr. 1884) erwähnt. Der 
eine Fall ist von T üngel in den Klin. Mittheilungen aus dean 
Allgemeinen Kraukenhauso in Hamburg 1863 publioirt. Der 
andere Fall wurde von Salomon in der Deutsch, med. Wochen¬ 
schrift 1880 beschrieben. 

Da bei dem eitrigen Process am Brustbein sehr leicht nach 
Zerstörung des Periosts der Rückseite ein Durchbruch iu die 
Pleura erfolgen kann und auch der dem Sternum anliegende 
Theil dt« Herzbeutels leicht der Infektion zugänglich ist, so gilt 
die Osteomyelitis sterni als äusserst lebensgefährliche Erkran¬ 
kung. Von den 6 bisher beschriebenen Fällen sind 4 gestorben. 

Was die Aetiologie betrifft, so ist 2 mal Staphylocoocus pyo¬ 
genes aureus in Reinkultur gefunden worden. In einem Falle 
ist nur bemerkt, dass Tuberkelbacillen nicht gefunden wurden. 
In den übrigen 3 Fällen wird von bacteriologischer Untersuchung 
nicht gesprochen. 

In allen Fällen ist die Erkrankung bei vorher gesunden In¬ 
dividuen ohne Ixkannte Entatehungsursaclie plötzlich zum Aus¬ 


bruch gekommen, unter heftigen Schmerzen im Sternum und 
hohem Fieber. 

Im Allgemeinen Krankenhause Hamburg-Eppendorf kam 
kürzlich ein Fall von Osteomyelitis sterni zur Beobachtung, bei 
dem sich die Knochenerkrankung im Anschluss an einen Typhus 
abdominalis entwickelte. 

Posttyphöse Knochenaffektionen gehören im Allgemeinen zu 
den weniger häufigen Komplikationen des Typhus. Nach einer 
Zusammenstellung von Chantemesse und W i d a 1 [4] ist 
der Lieblingssitz derselben die Tibia, nämlich in 86 Proc. der 
Fälle; seltener sind die Erkrankungen der Rippen und der Ulna 
(2 Fälle). 2 mal wurde ein Metatarsus betroffen gefunden und 
je 1 mal Femur, Humerus und eine Phalange. 

Osteomyelitis des Brustbeins im Gefolge von Typhus abdomi¬ 
nalis ist meines Wisßens noch nicht beschrieben. Die Mittheilung 
des unlängst beobachteten Falles dürfte daher von einigem Inter¬ 
esse sein. 

Krankengeschichte. 

27. IX. 1900. Anamnese: 

17 jähriger Schlosser. Er stürzte vor 2 Tagen angeblich zwei 
Etagen hoch herunter, anscheinend in unklarem Zustande. Er will 
schon seit 18 Tagen krank sein. Durchfall, Erbrechen, Appetit¬ 
losigkeit, Husten. 

Früher stets gesund. Weiteres wegen Benommenheit des 
Patienten nicht zu erheben. 

Status praesens: Kräftig gebauter Mann. 

Temperatur 39,2. Puls 130, dicrot. 

Zunge trocken, rissig, mit Borken belegt 

Keine Nackensteifigkeit Pupillen beiderseits gleich reagirend. 
lieber den Lungen keine Dämpfung. Athemgeräuscli überall vesi- 
culär, ohne pathologische Geräusche. 

Herz nicht verbreitert. Herztöne rein. 

Auf dem Leibe keine Roseolen. Abdomen voll und ziemlich 
gespannt. Keine abnormen Dämpfungen oder Resistenzen. Deut¬ 
liches Ileocoecalgurren. 

Milz nicht vergrössert. 

Beide Malleolen am rechten Fuss gebrochen. 

Urin: Diazo-Reaktion positiv. Reaktion sauer. Kein Blut, 
kein Zucker, kein Eiweiss, kein Indikan. 

29. IX. Im Stuhl etwas Blut Reichliche Durchfälle. 
Wldal 1:40 positiv! 

30. IX. Patient völlig benommen. Verschiedene Schüttel¬ 
fröste. Hochgradige Herzschwäche. 

2. X. Rechtes Fussgelenk etwas abgeschwollen. Gipsverbaml 
in korrigirter Stellung. Patient ist etwas klarer. Puls besser. 
Von der chirurgischen Abtheilung des Krankenhauses zur medi- 
cinischen verlegt 

4. X. In der Nacht sehr unruhig. Puls 160. 

6. X. Pulsfrequenz andauernd sehr hoch. Ein Hautabscess 
am Ellenbogen der rechten Seite wird iucidirt Kultur des Eiters 
ergibt das Vorhandensein von Staphyloeoccus pyog. aureus. Atb- 
mung freier. 

7. X. 2 kleine Hautabscesse am rechten Oberschenkel werden 
geöfTnet Patient unklar. 

12. X. Zunehmende Herzschwäche. 

13. X. Belm Wechseln des Gipsverbandes ergibt sich, dass 
keinerlei Komplikationen bei der Heilung der Fraktur aufgetreten 
sind. AbscesBe am Oberschenkel gereinigt. Neue Abscesse am 
linken Fuss in der Fersengegend, ferner über dem Kreuzbein. 
Im Blut, welches steril aus der Armvene der linken Ellenbeuge 
entnommen wurde, weist das Kulturverfahren Staphyloeoccus 
pyogenes aureus ln Reinkultur nach. 

Patient lässt unter sich. Sensoriura unklar. 

14. X. Die Abscesse reinigen sich. 

15. X. Hinten links unten über der Lunge Dämpfung und 
grossblasiges Rasseln. 

16. X. Dauernd hohe Pulsfrequenz. Fieber bis 40°. Starke 
Benommenheit Leichte ikterisclie Färbung der Haut Es fällt 
eine Pulsation auf dem Sternum in der Höhe der III. Rippe auf. 
Eine besondere Schmerzhaftigkeit dieser Stelle ist nicht zu kon- 
statlren. 

Starkes Rasseln über den Unterlappen beider Lungern Per 
erste Ton am Herzen, der bisher stark accentuirt war, ist leiser aLs 
sonst. 

Neue Eiterherde nicht aufgetreten. 

17. Puls fadenförmig. 

18. X. Exitus letalis. 

Sektionsprotokoll. 

Sehr magere männliche Leiche. Todtenstarre erhalten. 
Zwerchfellstand rechts V., links VI. Intercostalraum. Ueber dem 
Kreuzbein mehrere Hautdefekte mit unterminirten Rändern, ohne 
eiterigen Inhalt. Ebensolcher thalergrosser Hautdefekt an der 
Aussenselte der Ferse des linken Fusses. 

An der Stelle der Fraktur ist am rechten Bein üusserlicli 
nichts nachzuweisen. Nach Eröffnung des Fussgelenkes ergibt 
sich, dass der Talus völlig gesplittert und der Malleolus internus 
abgesprengt ist Eiter findet sich an der Bruchstelle nicht. 


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1479 


17. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Bei Herausnahme des Sternum findet sieh in der Höhe der 
III. Rippe eine Contiuuitätstrenmmg im Brustbein, welche be¬ 
dingt. dass der obere Theil des Corpus Storni nach hinten, der 
untere nach vorn abweicht. Auf der Rückseite des Sternum sind 
im Bereiche der Continuitütstrennung die den Knochen bedecken¬ 
den Weichtheile zerstört, so dass der rauhe z. Th. mit dickem 
Eiter bedeckte Knochen frei zu Tage liegt. Die in derselben Höhe 
gelegenen Gelenkverbindungen der Rippen mit dem Sternum sind 
gelöst. Der Eiter ist nach dem vorderen Mediastinum durchge¬ 
brochen. 

Herz von der Grösse der Faust der Leiche. Im Herzbeutel 
etwa 5 Esslöffel klar seröser Flüssigkeit. Endo- und Epikard 
glatt. Klappenappanit intakt. Her/.fieiscli trübe, schlaff; an einer 
Stelle eine grauweisse Schwiele. Farbe des Myokard grauroth. 

Linke Lunge frei Im Pleuraraum. Im Oberlappen mehrere 
Herde, die im Centrum Eiter enthalten und deren Umgebung in- 
filtrirt Ist. Von diesen Herden übersteigt keiner Erbseugrösse. 
Im Unterlappen Luftgehalt herabgesetzt, Blutgehalt vermehrt. 
Lunge im Fahrigen etwas oedenmtös. Bronchialschleimhaut ge- 
röthet. 

Rechte Luuge enthält im Oberlappen einen Eiterherd von 
Erbsengrösse. Im Unterlappen derselbe Befund wie links. Pleura 
parietalis stellenweise mit der Pleura costalis verwachsen. 

Im Rachen, auf den Tonsillen ein grauweisser Soorbelag. 

Milz etwa auf das Doppelte der Norm vergrössert Pulpa 
weich, dunkelroth. Follikel und Trabekel schlecht zu erkennen. 
Ein Kulturversuch aus dem Milzsaft ergibt Staphylococcus pyo¬ 
genes aureus in Reinkultur. 

Linke Niere - von normaler Grösse. Kapsel gut abziehbar. 
Auf der Oberfläche der Niere ein gelber Eiterherd mit. haeinor- 
rhaglschein Hof. Derselbe reicht tief in die Rinde hinab. Auf 
dem Schnitt Ist die Zeichnung von Rinden- und Marksubstanz 
deutlich. Nierenbecken ohne Befund. Rechte Niere normal gross. 
Kapsel leicht abzuziehen. Auf der Oberfläche wechseln gelbwelsse 
Partien mit dunkelrotheu ab. Auf dom Schnitt finden sich ln 
der Rinde zahlreiche gelblich-weisse Streifehen und diffus gclblich- 
weiss gefärbte Partien mit verwischter Zeichnung. Nierenbecken, 
Freteren ohne Befund. 

Nach Eröffnung des Darmes finden sich im Ileuin und in 
den untersten Theilen des Jejunum, namentlich aber ln der Nähe 
der Ileocoeeal-Klappe zahlreiche bis markstückgrosse duukelpig- 
meutirte Stellen, in deren Bereich die Schleimhaut vollkommen 
glatt (ohne Follikel! ist. Ausserdem sind noch vereinzelte ganz 
geringe Epitheldefekte von Hanfkorngrösse vorhanden. 

Mesentertaldrüsen sind geschwollen, bis zu Haselnussgrüsse. 

Magen ohne Besonderheiten. 

Leber von normaler Grösse, glatter Oberfläche, derber Kon¬ 
sistenz, Läppehenzeiehnung deutlich, Gallenwcge ohne Besonder¬ 
heiten. 

Schenkelgefässe frei. 

Wenn wir den vorliegenden Fall von Osteomyelitis stemi 
mit den früher beschriebenen vergleichen, so sehen wir auch hier, 
dass wegen der straffen Umhüllung des Brustbeins, die aus dem 
fest mit. dem Knochen verbundenen Periost und der daran haf¬ 
tenden derben Kaseie besteht, die Zeichen der Vereiterung des 
Knochenmarks nach aussen hin nur undeutlich sieh geltend 
machen. 

Ein Durchbruch des Eiters nach aussen ist nicht erfolgt. 
Auffallend war hier bei Lebzeiten des Patienten nur eine Pul¬ 
sation oberhalb des osteomyelitischen Herdes, die in keinem der 
früheren Fälle beobachtet, wurde und die. offenbar dadurch zu 
Stande kam, dass die Pulsatioft der grossen Gefässe in Folge 
der beschriebenen Kontinuitätstrennung sieh nach aussen fort¬ 
leitete. 

Die in den anderen Fällen ausgeprägte lebhafte Selmierz- 
empfindlichkeit über dem Brustbein war nicht vorhanden. 

Wie in 4 von den 6 beschriebenen Fällen, so ist auch hier ein 
Durchbruch des Eiters nach innen erfolgt und das Mediastinum 
in Mitleidenschaft, gezogen. 

Bei Beantwortung der Frage nach der Entstehungsursache 
des beschriebenen osteomyelitischen Herdes muss zunächst betont 
werden, dass die Eingangs erwähnte Malleolarfraktur und ihre 
Umgebung ohne entzündliche Reaktion blieb und sieh bei der 
Autopsie als völlig frei von Eiter erwies, dass also ein direkter 
Zu-nnimenhang zwischen dem Knöehelbrueh und der Knochcn- 
inarksvereiterung des Brustbeins etwa im Sinne einer von dem 
Bruch aus erfolgten Infektion nicht bestand. 

Man kann annehmen, dass die Osteomyelitis etwa 3 Wochen 
vor dem Tode, also etwa 5 Tage nach dem Unfall des Patienten 
eingesetzt hat, denn um diese Zeit machten sich die ersten 
Schüttelfröste bemerkbar als Ausdruck einer pyaemischen In¬ 
fektion und bald darauf bildete sich der erste Hautabseess. Der 
Beginn der Knochenmarksvereiterung fällt demnach in eine Zeit, 
wo der typhöse Krankheitsprocess noch in vollem Gange war, wie 
die in der Krankengeschichte vermerkten reichlichen Durchfälle, 
das im Stuhl konstatirte Blut, die positive W i d a Fache Reaktion 

No. 38 


und die positive Diazoprobe beweisen. Nach au~>eii hin machte 
sich die Osteomyelitis erst 3 Tage vor dem Tode dos Patienten 
durch die Pulsation auf dem Sternum bemerkbar, eine Erschei¬ 
nung, die, wie schon erwähnt, mit der durch die Sektion 
festgestellten Kontinuitätstrennung de' Brustbeins in Verbindung 
zu bringen ist. 

Nach diesem Entwicklungsgänge der Knochenmarksvereite¬ 
rung — bei Abwesenheit jeder erkennbaren Infektion von aussen 
— war cs, wenn die Lehre von der pyogenen Eigenschaft des 
Typhusbacillu-s zu Recht besteht, beinahe ein Postulat, in dem 
Eiter Typhu-shaeillen nachzuweisen. Das Kulturverfahren ergab 
jedoch das Vorhandensein von Staphylococcus pyogenes aureus 
in Reinkultur und keine Typhusbacillen. 

Der Grund für die Entwicklung der Osteomyelitis sterni ist 
vielleicht darin zu suchen, dass der Patient seiner Zeit bei dem 
Sturz aus dem Fenster eine Erschütterung des Brustbeins davon¬ 
getragen hat, welche einen Locus minoris rcsistentiae schuf, an 
dem sich dann Staphylococeen ansiedeln konnten. Wie zurück¬ 
haltend man jedoch im Allgemeinen mit der Annahme einer durch 
einen Locus minoris rcsistentiae begünstigten Eiterung sein soll, 
beweist der Fall insofern, als die vorhandene Malleolarfrak¬ 
tur, die doch sicher einen exquisiten Locus minoris rcsistentiae 
darstellt, ohne jede Eiterung blieb. 

Dass die Osteomyelitis eine Oontinuitätstremmng des Ster¬ 
num herbeiführte, ist offenbar durch das Vorhandensein einer 
Knorpelfuge bedingt gewesen, die sich nach den Untersuchungen 
von Sick häufig in dem Alter d<*s Patienten vorfinden. 

Zu Grunde gegangen ist der Kranke an der von der Osteo¬ 
myelitis sich weiter ausbreitenden pyaemischen Infektion. Der 
typhöse Proeess war im Wesentlichen abgelaufen, wie sich aus der 
Abheilung der Geschwüre im Ileum und ferner aus der Abwesen¬ 
heit der Typhusbacillen in Milz und Blut ergab. 

Etwas näher oingehen möchte ich noch auf die baeterio- 
logisehe Seite des Falles. Die Frage nach der Aetiologie der im 
Gefolge von Typhus auf tretenden Eitorungon ist in dem letzten 
Dcoennium in ausgiebigster Weise ventilirt worden. Da in einer 
grossen Anzahl von Fällen aus Muskelabscesseii, subperiostalen 
und Knocheneiterungen Typhusbacillen theils in Gemeinschaft 
mit anderen Bacterien, theils in Reinkultur gewonnen werden 
konnten, so lag der Gedanke nahe, den Erreger des Typhus auch 
für die Aetiologie jener Eiterungen verantwortlieh zu machen. 

Während auf der einen Seite A. Fraenkel, Valen¬ 
tin i, F o ä, Bordoni-Uffrcduzzi u. A. für diese Auf¬ 
fassung ointraten, bemühten sich andererseits E. Fraenkel 
und Baumgarten [5] immer wieder, in scharfer Kritik nach¬ 
zuweisen, dass die Fälle, welche die pyogene Eigenschaft des 
Typhusbacillus erhärten sollten, meist nicht in einwandsfreier 
Weise untersucht worden waren. Einmal war der Thierversuch 
unterblieben, ein anderes Mal bestand die angewendete Kultur¬ 
methode nicht vor der Kritik, ein drittes Mal war es unterlassen 
worden, histologische Schnitte durch die vereiterten Partien an¬ 
zulegen. Wie wichtig beispielsweise der letzte Punkt ist, beweist 
der Fall von Sudeck [6], bei welchem die histologische Unter¬ 
suchung einer vereiterten Ovarialcyste im Gefolge von Typhus 
ergab, dass die Wand derselben neben vereinzelten Bacillen auch 
in Diploform ungeordnete Coecen, theils der Innenfläche auf- 
gelagort, theils im Gewebe selbst enthielt, während das Kultur- 
verfahren eine Reinkultur von Typhusbacillen ergab. Unbegreif¬ 
licher Weise ist dieser Fall verschiedentlich als Beweis für die 
eitererregenden Eigenschaften des Typhusbacillus verwerthet 
worden. 

Der sehr nahe liegende Versuch, durch Einspritzung auf- 
gesehwemniter Typhuskulturen bei Thieren Eiterung hervor¬ 
zurufen und dadurch die pyogene Eigenschaft des Typhusbacillus 
zu beweisen, ist verschiedentlich gemacht worden. O r 1 o f f [7], 
Busehke [8], Durochowsky und Jnnowsky [tl] 
schlossen aus ihren Experimenten, die eitererregende Wirkung 
des Typhusbacillus festgestellt zu haben. Vor der Kritik konnten 
auch diese Versuche nicht bestehen. Bei den von Duro¬ 
chowsky und Janowsky beschriebenen Impfresultaten 
handelte es sich, wie E. Fraenkel hervorhol», nach der eigenen 
Beschreibung der Untersuchungen nicht um wirkliche Eiterung, 
sondern vielmehr um Gewebsnekrose mit sekundärer Erweichung. 
Und dn. wo wirklich nach der Einspritzung Ab~ce-se sieh 
bildeten, wie bei O r 1 o f f und Buschk e. ist der Beweis nicht 

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1480 


So. 3-8. 


MUENCHENER MEDICINISC11E WOCllENSGl IKliT. 


erbracht, dass die bei den Thieren hervorgerufenen Eiterherde 
nun tliatsächlich ausschliesslich Typhusbacilleu enthielten und 
frei waren von specifischen Eitercoccen. 

E. F r a e n k e 1 hat durch Verimpfung von Typhusbacillen 
auf Kaninchen und Meerschweinchen niemals Eiterung zu er¬ 
zielen vermocht. 

Jedenfalls scheint der Beweis noch nicht mit Sicherheit ge¬ 
liefert zu sein, dass der Typhusbacillus im Stande ist, Eiterung 
zu erregen. 

Der vorliegende Fall, bei welchem eine durch den gelben 
Eitercoccus hervorgerufene Osteomyelitis des Brustbeins im Ge¬ 
folge von Typhus abdominalis sich entwickelte, ist ein Beweis 
dafür, auf wie fruchtbaren Boden die specifischen Eitercoccen j 
fallen, wenn sie sich in einem durch die Typhusinfektion ge- | 
schwächten und wenig widerstandfähigen Organismus etabliren. 
Es erfährt dadurch diejenige Ansicht auf’s Neue eine Bekräfti¬ 
gung, die auch E. Fraenkel [10] vertritt, indem er den Satz 
aufstellt, dass die im Verlaufe des Abdominaltyphus auftretenden 
eiterigen Komplikationen als von der Wirkung des Typhus¬ 
bacillus unabhängig entstanden zu betrachten, vielmehr auf das 
sekundäre Eindringen anderer, vom Typhusbacillus durchaus 
differenter Mikroorganismen zurückzuführen sind. 

Literatur. 

1. Sick: Ueber akute Osteomyelitis des Brustbeins. Jahrbücher 
der Hamburglschen Staatskrankenanstalten, Bd. IV, p. 2S3. 

2. Tüngel: Klin. Mittheilungen aus dem Allgem. Krankenhause 
in Hamburg 1863. 

3. Salomon: Deutsch, med. Wochensclir. 1880. 

4. Chantemesse et Widal: Des suppurations froides con- 
s6cutives ä la fiiVvre typhoide; sp6clflcit6 clinique et bacterio- 
logique de l’osteomySlite typhique. Soc. m£d. des höpitaux, 
sgance du 24. novembre 1803; La Semaine m6d. 1893, p. 542. 

5. Baumgarten: Jahresbericht über die Fortschritte in der 
Lehre von den pathogenen Mikroorganismen. Jahrg. 1899/1900. 

6. S u d e c k P.: Ueber posttyphöse Eiterung in einer Ovarial- 
cyste. Kasuistischer Beitrag zur ./rage der pyogenen Eigen¬ 
schaft des Typhusbacillus. Münch, med. Wochenschr. No. 21, 
1896. 

7. Orlow L.: Zur Aetiologle der den Typhus abdom. kompli- 
zirenden Eiterungen. (Russisch.) Wratsch. 1890, No. 4—6. 

8. Buschke: Ueber die Lebensdauer der Typhusbacillen in 
ostitlschen Herden. Fortschritte d. Medicin 1894, No. 15/16. 

9. DurochowskyL. u. W. Janowsky: Ueber die eiterung- 
erregende Wirkung des Typhusbacillus und die Eiterung bei 
Abdominaltyphus im Allgemeinen. ZiegleFs Beiträge, Bd. 17, 
H. 2, p. 221. 

10. E. Fraenkel: Zur Lehre von der Aetiologle der Kompli¬ 
kationen im Abdominaltyphus. Jahrbücher der Hamburg. 
Staatskrankenanstalten. 1. Jahrgang 1889. 


Aus dem physiologischen Institut der thierärztlichen Hochschule 
zu Dresden (Direktor: Geheimrath Prof. Dr. E 11 e n b e r g e r). 

Die Tamponade der Bauchhöhle mit Luft zur Stillung 
lebensgefährlicher Intestinalblutungen. 

Von Dr. Georg Kelling in Dresden. 

Die Blutungen in die inneren Körperhöhlen bedrohen das 
Leben in der Kopf- und Brusthöhle durch die Beeinträchtigung 
wichtiger Organe, in der Bauchhöhle aber durch die Menge des 
verloren gegangenen Blutes. Die besonderen Verhältnisse der 
Bauchhöhle werden gut demonstrirt durch die Unterbindung der 
Pfortader. Bei diesem physiologischen Experiment verblutet sich 
das Thier in kurzer Zeit in seine Intestinalgefässe. Ein analoger 
Vorgang ist der Tod bei akutester Perforationsperitonitis 
(Heineke: Deutsch. Arch. f. klin. Medicin. 69. Bd.). Die 
Bakterienprodukte lähmen das Vasomotorencentrum und der 
grösste Theil des Blutes sammelt sich im Splanclmikusgcbiete 
an. Der Tod tritt ein durch „intravaskuläre Verblutung“, wie 
es die Physiologen bezeichnen. Desswegen gleicht auch die aku¬ 
teste Peritonitis, wenn Fieber, Schmerzen und lokaler Befund 
fehlen, einer inneren Verblutung. 

Die meisten Blutungen in der Bauchhöhle erfolgen in den 
Intestinalkanal. Die Kapazität desselben ist so gross, dass sogar 
die iri'-annme Blutmenge des Körpers darin Platz haben könnte, 
und desswegen können intestinale Verblutungen stattfinden, ohne 
dass Blut per os oder per anum entleert wird. Die tödtlichcn 
Blutungen betreffen meist den Magen; hier kann es sich um 
Arrosion der Arlcrien durch Ulcera handeln, ferner um rein 
kapilläre Blutungen, welche ganz unter dem Bilde eines Ulcus 
nuft roten können, und au*-h um venöse Blutungen in Folge von 
Leb- rcirrhose. Beim Darm kommt hauptsächlich in Frage das 


l’lcus duodenale; dann typhöse Geschwüre, selten dysenterische 
Geschwüre, kapilläre vicariirendc Menstruationsblutungen und 
Thrombose der Mesenterialgefässc. Ausserhalb des Intestinal¬ 
kanals werden tödtliehe Blutungen verursacht durch die geplatzte 
Tubar- und Ovarialschwangerschaft und die Pankreas-Apoplexie. 
Letztere kann schon im Beginn durch Zerstörung des Pankreas 
und durch Druck auf den Plexus solaris gefährlich werden. 
Endlich kommen Verletzungen in Frage: abgesehen von den 
Verletzungen grosser Gefässe sind es hauptsächlich diejenigen 
der parenchymatösen Organe, der Leber und Milz, welche durch 
ihre Blutungen gefährlich sind. 

Wenn man die Sachlage betrachtet, so erkennt man, dass 
es keineswegs die besondere Grösse der erüffneten Gefässe ist, 
welche die Verblutung bedingt. Es handelt sich vielmehr um 
mittlere und kleine Arterien, welche in Narben eingebettet nicht 
rotraktionsfähig sind, um Varicen und sogar um Kapillaren. 
Die Verblutung erfolgt auch demgemäss in den meisten Fällen 
nicht plötzlich, sondern kann sich über mehrere Stunden und 
I Tage hinziehen. E> würde hier wahrscheinlich oft gar nicht 
zur Verblutung kommen, wenn der Körper über irgend einen 
Faktor verfügte, welcher entgegenwirkt. Statt dessen sind die 
Verhältnisse in der Bauchhöhle dem Ausfliessen des Blutes 
günstig. Bekannt ist, dass die Bauchwand bei Füllung der 
| Bauchhöhle reflektorisch nachgibt. Nehmen wir die gesammte 
Blutmenge des Erwachsenen zu fünf Liter an und erinnern uns, 
dass beim Menschen die Entziehung der Hälfte des Blutes zum 
Tode führen kann, so würde es sich, wenn nichts vom Blut 
per os oder anum entleert wird — was aber meistens der Fall 
ist — um eine Füllung der Bauchhöhle mit ca. 214 Liter Blut 
handeln. Man kann nun durch das Experiment nachweisen, dass 
man in den Magen und das Kolon des Menschen 214 Liter Flüssig¬ 
keit hineinbringen kann, ohne dass desswegen eine Drucksteige¬ 
rung in der Bauchhöhle zu Stande zu kommen braucht. Die 
Bauchwand wird nämliehdurehdieseFüllung noch nicht gespannt, 
sondern gibt reflektorisch nach. Der Druck in der Bauchhöhle 
bleibt immer noch gleich dem atmosphärischen Druck, und der 
Körper kann sich desswegen leichter in die Bauchhöhle verbluten 
als etwa aus einer Wunde von derselben Dimension in die atmo¬ 
sphärische Luft, weil im Innern die Reize zur Kontraktion der 
Gefässe und zur Gerinnung des Blutes fehlen, welche der Atmo¬ 
sphäre zukommen. 

Was nun die Methoden zur Stillung lebensgefährlicher 
Blutungen anbetrifft, so sind sie fast in jeder Körperhöhle die 
gleichen gewesen, und zwar sowohl die indirekt wirkenden all¬ 
gemeinen, als auch die direkt wirkenden lokalen Verfahren. Das 
allgemeine Verfahren besteht bekanntlich in zweckmässiger Lage¬ 
rung, körperlicher und seelischer Ruhe, Auflegen von Eis, dessen 
günstige Wirkung oft mindestens zweifelhaft ist, und verschie¬ 
denen Medikamenten, welche entweder die Blutgerinnung be¬ 
fördern oder die Gefässe zur Kontraktion bringen sollen. Dazu 
kommen noch Infusionen von defibrinirtem Blut oder von physio¬ 
logischer Kochsalzlösung. Von der ausgedehnten Anwendung des 
: letzteren Verfahrens möchte ich bei Blutungen, die sich nicht 
direkt angreifen und dadurch sicher stillen lassen, abrathen. 
Ich habe mich einige .Male bei Magenblutungen davon überzeugt, 
dass sich mit der subkutanen Injektion allerdings das Allgemein¬ 
befinden hebt und der Blutdruck steigt. Mit der besseren Füllung 
aber des Gefiisssysiems setzte dann die Blutung von Neuem ein 
und führte zum Exitus. Man erreichte also thatsächlich mit 
der Injektion nichts anderes als eine Ausspülung des Blutrestea 
aus dem Gefässsystem. Wenigstens müsste man lieber kleine 
Mengen und häufiger injiziren und den Blutdruck nur sehr lang¬ 
sam ansteigen lassen. 

Die allgemeinen Verfahren sind bei schweren Blutungen 
ganz unzuverlässig. Wenn sich auch der einzelne Arzt im ein¬ 
zelnen Falle bei den indirekten Maassnahmen beruhigen kann, 
niemals wird dies die ärztliche Wissenschaft können. Diese muss 
streben, direkt vorzugehen. Das Genaueste ist natürlich, die 
Stelle der Blutung anzugreifen. Dazu gehört für die Bauch¬ 
höhle die Laparotomie. Die Grösse dieses Eingriffs ist aller¬ 
dings ein erheblicher Nachtheil. Aber in solchen Fällen, wo 
die Stelle der Blutung bekannt ist und die Blutstillung 
schnell auszuführen ist, ist sie trotzdem augezeigt. also 
bei Verlctzunaon. bei Pankreasapoplexie, hei Extrauterin- 
I giavidität. Aber bei Magen- und Darmblutungen wird sie wohl 
niemals allgemeine Anwendung finden können. Wir wissen von 


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17. September 1001. 


m i; encii i-; x !•: i c jikuhi x i sc 11 k w uc 11 k x sc man 


1481 


vorne herein nicht, ob wir die Stelle der Blutung finden werden 
und ob sie auch der Unterbindung in genügender Weise zugäng¬ 
lich sein wird. Der Nutzen ist also a priori zweifelhaft, eine 
gewisse Schädigung des geschwächten Körpers durch den Ein¬ 
griff aber sicher. Zudem ist immer die Möglichkeit vorhanden, 
dass der Patient auch ohne Eingriff durchkommen kann. Wir 
müssen also demnach den Begriff der lokalen Therapie über die 
blutende Stelle hinaus erweitern. Der nächste Schritt ist, das 
blutende Organ anzugreifen. Hier bleibt dreierlei übrig: Ver- 
schliessung der zuführenden Gefässe (Massenligatur), Tamponade 
des Hohlraumes oder Kompression des ganzen Organs. Die 
Ligatur der zuführenden Gefässe ist beim Magen, zumal, da 
es sich meist um Patienten mit Ulcus handelt, gewiss ein sehr 
zweischneidiges Verfahren, das zudem nicht ganz einfach aus¬ 
zuführen ist. Was die Tamponade des Magenhohlraumes an¬ 
betrifft, so bin ich wohl der Erste gewesen, welcher die Ansicht 
geäussert hat, den Magen gegen Blutungen zu tamponiren. 
(Müncb. med. Wochenschr. 1898, No. 34.) Allerdings habe ich 
mir das Verfahren anders gedacht, wie es nachher von Li n dn er 
(Reichardt: Deutsche med. Wochenschr. 1900, No. 20), 
Heidenhain (Centralbl. f. Chirurg. 1900, 41, 1037) und 
Später (Centralbl. f. Chirurg. 1899, 8, 245) ausgeführt haben, 
welche den Magen eröffneten und mit Gazestreifen ausstopften. 
Ich wollte den Magen von der Speiseröhre aus tam¬ 
poniren, etwa durch Einführung aufblasbarer Gummibeutel. 
Man kann nun allerdings den Magen zu einem solchen 
Drucke aufblasen, dass die Blutgefässe verschlossen werden. 
Trotzdem habe ich das Verfahren später abgelehnt und gar 
nicht erst experimentell fortzubilden versucht aus folgenden zwei 
Gründen. Einmal ist es ziemlich gefährlich, da der mit Ge¬ 
schwüren durchsetzte Magen auf diese Weise zerrissen werden 
kann. Ich hatte Gelegenheit, das an einem Falle beobachten zu 
können. Es handelte sich um eine 38 jährige Frau, welche seit 
1 Yt Jahren ununterbrochen an Magenbesehwerdeu litt. Sie 
starb ziemlich plötzlich an Erscheinungen einer inneren Ver¬ 
blutung. Die Sektion zeigte, dass die tödtliche Blutung aus 
einem grossen Geschwür, welches auf das Pankreas übergegangen 
war, erfolgte. In Folge der Blutüberfüllung war nun der Magen 
an der vorderen Wand geplatzt und zwar an einer Stelle, wo ein 
zweites Ulcus sass. Die Tamponade des Magens hat aber noch 
einen zweiten Nachtheil. Wenn sie nämlich energisch aus¬ 
geführt wird — und sonst hat sie überhaupt keinen Zweck — 
so ist sie sehr schmerzhaft und die Dehnung der Magen wände 
beeinflusst ausserdem sehr ungünstig den Puls. Man kann das 
sicher schliessen aus den Erscheinungen der akuten Magen- 
dilatation. 

Der nächste Schritt wäre dann die Kompression des bluten¬ 
den Organes, also in erster Linie des Magens. Man kann von 
einer Laparatomiewunde aus durch eingeschobene Gazestreifen 
die Wände comprimiren oder noch einfacher durch eingeschobene 
aufblasbare Beutel. Dies Verfahren hat einige Nachtheile. 
Wenn man sicher die blutende Stelle treffen und genügend kom- 
primiren will, so müsste die Tamponade sehr ausgedehnt sein. 
Man würde weiter an dieser Stelle eine Kompression auf die 
grossen Inteatinalgefässe ausüben; da man die Venen eher ver- 
schliesst als die Arterien, könnte dadurch eine für das Gehirn ge¬ 
fährliche Hyperaemie des Darmtraetus entstehen und die 
Blutungen sogar verstärkt werden. Ausserdem ist die Gefahr 
vorhanden, dass man etwaige Adhaesionen des Magens mit der 
vorderen Bauehwaml trennt. 

Da die bisher besprochenen Wege zu keiner befriedigenden 
Lösung führen, so müssen wir versuchen, ob wir weiter kommen, 
wenn wir statt des blutenden Organes die gesammto Bauchhöhle 
in Angriff nehmen und einen die ganze Bauchhöhle treffenden 
Widerstand zu schaffen suchen. Hier bleibt nur zweierlei: Die 
Kompression oder die Tamponade. Die letztere natürlich nur 
entweder mit Flüssigkeit oder noch besser mit Luft ausgeführt. 

Was nun die Kompression der Bauchhöhle anbetrifft, so 
habe ich darüber mehrere Versuche angestellt. In solchen 
Fällen, wo die Bauchhöhle schlecht gefüllt ist in Folge Fett¬ 
mangels und Leerheit der Därme, so dass die Bauchdecken ein¬ 
gesunken sind, ist der Erfolg einer Kompression allerdings fast 
Null. Dabei ist es gleich, ob mit elastischem Material (breite 
Gummibinden) oder unelastischem (TTeftpflasterstreifen) kom- 
primirt wird. Wenn man einen Magenschlaueh einführt, den 
Magen wenig mit Luft aufbläht, und nun den Magenschlauch an 


einen Manometer anschliesst, so kann man den Druck vor, 
während und nach der Kompression bestimmen. Hierzu kann 
man natürlich nur Personen benutzen, welche den Magenschlauch 
anstandslos vertragen. Anfangs hatte ich den Druck im Mast¬ 
darm gemessen, bin aber sehr bald davon abgekommen, weil man 
gegen diese Versuche den Einwand machen kann, das- man den 
Druck in der Mastdannainpulle unterhalb der Umschlagsfalte 
des Peritoneums, also extraperitoneal, misst. Ausserdem wurden 
bei diesen Versuchen die Personen aufgefordert, tief auszu- 
athmen und im Momente der Exspiration die untere Thorax¬ 
partie durch einen breiten Heftpflasterstreifen fixirt. Dann 
wurde die Einwickelung des Thorax theils mit elastischem, theils 
mit unelastischem Material vorgenommen. Ich bringe hier als 
Beispiele vier Versuche. 

1. Ein kleines, dickes, hysterisches Fräulein von 24 Jahren. 
Das Abdomen war fett und etwas vorgewölbt, Mngenlage normal. 
Patientin wurde auf einen Schemel gesetzt. Nach Einbinsen von 
etwas Luft betrug der Druck im Magen »>— 8 ein Wassersäule. Im 
Stadium der Exspiration wird die untere Thoraxpartie mit Hel't- 
pflasterstreifeu fixirt. Dabei bleibt der Druck im Magen 6—S cm. 
Da Patientin etwas Luft nusstösst, wird der Versuch sofort wieder¬ 
holt. Der Druck betrügt jetzt im Magen 3—4 cm. Nach Fixation 
des Thorax in Exspirntiousstellung G—7 cm. Nach Eiuwickelung 
des Leibes mit Gummibinde ebenfalls G—7 cm; aber noch unter der 
Bandage sinkt der Druck auf 4—5 cm. 

2. 55 jähriges, grosses, hysterisches Fräulein mit langem und 
schmalem Thorax, normaler Magenlage. Leib wenig eingesunken. 
Druck im Magen 4 cm. Nach Fixation des Thorax im Zustand der 
Ausathuiung 4 cm. Ganz energische Kompression des Abdomens 
mit Heftpfiasterstreifen, wodurch der Druck auf 8 cm steigt. (Ver¬ 
such im Sitzen.) 

3) 52 jähriger, untersetzter, dicker Mauu mit Neurasthenie 
und normaler Magenlage. Druck unch Elublasen von etwas Luft 
im Magen 4—6 cm. Nach Fixation des Thorax mit Heftpflaster- 
Streifen 4—6 cm. Dann wird der Leib mit Gummistreifeu fest ein¬ 
gewickelt. Der Druck bleibt 4—G cm. (Versuch lm Sitzen.) 

4) 3G jähriger, gut genährter Mann mit Neurasthenie. Normale 
Mageulage. Magendruck 8 cm Wasser. Der Thorax wird im 
Stadium der tiefsten Exspiration mit Heftpflaster fixirt und dann 
der Leib mit Heftpflasterstreifeu, welche ringsherum gehen, kom- 
priinirt. Jetzt wird noch ein Druck mit der Hand auf den Bauch 
ausgeübt und dadurch gelingt es, den Druck im Magen auf IG bis 
18 cm zu steigern. Lässt man den Druck der Hand weg, so sinkt 
der Druck im Mageu auf 10 cm. Es beträgt also die Druck¬ 
steigerung durch die Heftpastereinwickelung nur 2 cm. (Versuch 
ln Rückenlage.) 

Wie man sich bei solchen Versuchen sehr bald überzeugen 
kann, ist der Effekt einer Kompression der Bauchhöhle für eine 
allgemeine intraabdominelle Drucksteigerung minimal. A priori 
könnte das etwas merkwürdig erscheinen, weil wir doch durch 
Anwendung der Bauchpresse eine Drucksteigerung auf 1—2 m 
Wassersäule und mehr erzielen können. Bei der Bauchpresse 
werden aber nicht nur die Bauchdecken angespannt, sondern 
auch das Zwerchfell und der Beckenboden. Bei unserer Kom¬ 
pression aber übt das Zwerchfell und der Beckenboden keinen 
Widerstand aus, sondern sie geben im Gege’ntheil nach. Sind 
nun die Organe verschieblich, wie dies der Fall ist bei solchen 
Personen, deren Leib eingezogen und relativ leer ist, so werden 
diese Organe in Folge der Einwickelung des Bauches unter die 
Rippenbögen und in’s kleine Becken geschoben. Der Becken¬ 
boden tritt etwas tiefer und das Zwerchfell etwas höher und so 
haben die Organe bequem Platz. In solchen Fällen nun, wo der 
Leib gut mit Fett gefüllt ist, würde wahrscheinlich genug In¬ 
halt vorhanden sein, um auf die unter den Rippenbögen und im 
Becken liegenden Organe einen Druck auszuüben. Aber dazu 
ist der Bauchinhalt in Folge des Fettansatzes zu wenig verschieb¬ 
lich; der durch die Kompression ausgeübte Druck bleibt in Folge 
dessen zu sehr lokal. Wenn nun wirklich eine geringe allgemeine 
Drucksteigerung in der Bauchhöhle eint ritt, so ist dieselbe für 
die Stillung einer Blutung ganz unzureichend. Zudem würde 
dieser geringe Effekt sofort wieder illusorisch werden, weun 
durch Abgang von Blut per os oder anum wieder Raum für neue 
Blutungen frei wird. 

Wie steht es nun mit der Füllung der Bauchhöhle mittels 
Luft oder Wasser? Von Wasser (erwärmte physiologische Koch¬ 
salzlösung) kann man abselien. weil das Verfahren viel umständ¬ 
licher ist, und zudem eine unnütze Belastung der Rückwand, des 
Bauches und dadurch ein hydrostatischer Druck auf die retro- 
peritonenl verlaufenden Gefässe ausgeübt wird. Wa« mm die 
Füllung der Bauchhöhle mit Luft anbetrifft, so inii—cn folgende 
Fragen beantwortet werden. 

• 1 * 


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148: 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nu. 38. 


1. Wie hoch ist ungefähr der Druck in den 
blutenden Gefässen zu veranschlagen? 

2. Lässt sich die Bauchhöhle bis zu einem 
für die Blutstillung genügenden Druck mit 
Luft füllen? 


Tabellen 1858, p. 111.) Damit stimmen die Wert he, welche 
Jarotzn.v (Ceiitralbl. f. innere Med. 1901, 22. VI.) an der 
Arieria brachialis des normalen Menschen erhalten hat (110 bis 
320 mm Hg) mit der besten Methode, derjenigen von Hill und 
B a mar d. Die Werthe sind also nicht wesentlich höher als 


3. Wie ist die Wirkung des Verfahrens? 

4. Entstehen dadurch irgend welche Schii- 
d igungeu? 

Wenn wir diese 4 Fragen günstig beantworten können, 
handelt cs sich 

5. darum: Wie wird das Verfahren am besten 
ausgef ührt? Contraindikationen. 

1. Wie hoch ist ungefähr der Druck in den blutenden Ge¬ 
fässen zu veranschlagen? Ich habe meine Versuche am Magen 
angestellt, als demjenigen Organ der Bauchhöhle, welches am 
meisten zu Verblutungen Veranlassung gibt. Die Versuche 
wurden an Hunden in Aethernarkose ausgeführt. In die kleinen 
Mageugefüsse kann man keine Kanüle einbinden und desswegen 
konnte der Druck nicht anders bestimmt werden, als nach der 
Methode von Base h. Es wurde also die Artcria eoronaria an 
der kleinen resp. auch an der grossen Curvatur des Magens frei 
präparirt. An der einen Stelle wurde die Arterie unterbunden. 
Dann wurde das freipräparirte Stück auf den Finger genommen. | 
Man muss hierbei sehr darauf achten, dass die Arterie nicht 
etwa hervorgezerrt wird, sondern möglichst unbeeinflusst liegt, 
sonst sind die Werthe ganz unbrauchbar. Die Arterie wurde nun 
gegen den Finger mit Base h’s Blasenpelotte, welche mit einem 
Quecksilbermanometer verbunden war, komprimirt. Dann wurde 
sie oberhalb der Ligatur durchtrennt und nun konnte an dem 
Ausfliesscii des Blutes der Druck bestimmt werden, bei welchem 
die Arterie sich eben öffnet. Der Capillardruck in der Magen¬ 
schleimhaut wurde in der Weise bestimmt, dass ein spitzer 
Zipfel aus der Magenwand ausgeschnitten und umgelegt wurde. 
Die Schleimhaut wurde nun zwischen der Blasenpelotte und 
einem gläsernen Objektträger komprimirt. Wir erhielten nun 
den Druck, bei welchem die Schleimhaut blass wurde resp. sich 
wieder röthete. 

1. Kleiner, gelber Spitz. Druck in der Art. femoralis 84 mm 
Quecksilber. Druck in der Art. eoronaria ventriculi sinistra 
superior 40 mm Quecksilber. Druck in der Magenschleimhaut 
35—20 mm Hg. 

2. Grosse, getigerte Dogge. Druck in der Femoralis 110 mm 
Hg. Druck in der Art. eoronaria ventriculi inferior 40 mm Hg. 
ln der Magenschleimhaut 20—30 mm Hg. Der Hund verlor im 
Laufe der Versuche ziemlich viel Blut, so dass der Druck am Ende 
des Versuches ln der Carotis nur noch 35 mm Hg betrug. 

3. Kleiner Foxterrier. Druck in der Femoralis 110—120 mm ! 
11g. Druck in der Arteria eoronaria ventriculi inferior 30 mm Ilg. 
In der Magenschleimhaut 18—20 mm Hg. Auch dieser Hund ver¬ 
lor durch Rutschen der Ligatur an der Femoralis ziemlich viel Blut, 
so dass am Ende der Druck in der anderen Femoralis nur 60 mm 
Ilg betrug. Die Werthe von Versuch 2 + 3 sind für uns insofern 
von Interesse, als wir auch beim Menschen in Folge der Blut¬ 
verluste Erniedrigungen des Blutdruckes bei Anwendung unseres 
Verfahrens vor uns haben. 

4. Kleiner Pinscher. Druck in der Femoralis 90—100 mm Hg. 
in der Art eoronaria inferior 50 mm I-Ig. ln dem einen Aste der¬ 
selben, zwischen Mucosa und Muscularis laufend, nur 40 mm. In 
der Magenschleimhaut 25 mm. 

5. Mittelgrosser Dachshund. Druck in der Femoralis 320 mm. 
Druck in der Art. gastro-lienalis 00 mm Hg. In einem zum Magen 
gehenden Aste derselben 50 mm. in der Magenschleimhaut 15 bis 
20 mm Ilg. 

6. Grosser, schwarzer Spitz. Druck in der Magenschleimhaut 
10—20 mm Hg. In der Art. eoronaria dextra inferior 30mm Ilg. 
In der Art. gastro-lienalis 50—55 mm. Hinterher in der Femoralis 
110 mm Ilg. 

Als Resultat ergibt sich, dass wir bei einem Druck in der 
Femoralis von 100—320 mm Hg finden in der Gastro lienalis 
50—60 mm, in der Coronaria 30—50 mm, in der Mucosa 
15—25 mm Hg. Eine genaue Proportionalität zwischen den ein¬ 
zelnen Arterien besteht aber dabei nicht. 

Wie hoch ist nun der Blutdruck in den Magengefässen des 
Menschen? Zur Beurtheilung können wir nur diejenigen Werthe 
heranziehen, welche an den freigelegten Arterien bestimmt 
worden sind. Es sind nur ausserordentlich wenig Unter¬ 
suchungen ausgeführt worden, und zwar bestimmte Albert 
an der Arteria tibialis antica 100—160 mm Hg, F a i v r e an 
der Brachialis bei einem 23 jährigen Manne 110 mm, bei einem 
60 jährigen Manne 120 mm und der Femoralis bei einem 
30 jährigen Manne 120 mm Hg. (Nach V i e r o r d t, Daten und 


beim Hunde. Dies stimmt mit der Beobachtung der Physiologen 
überein, dass der arterielle Druck bei Thieren von sehr ver¬ 
schiedener Grösse nahezu gleich sein kann. Uin nun nicht nur 
auf ungewisse Schätzungen angewiesen zu sein, habe ich «len 
kleinen Eingriff gewagt und 3 mal während der Operation den 
Druck in der Arteria coronaria ventriculi direkt gemessen. 

Fall 3 betrifft einen 52jährigen Laudwirth; er klagte üIkt 
allgemeine Magensymptonie und Abmagerung: er hatte eine uu- 
hestimmte Resistenz im Epigastrimn. Der Ernährungszustand war 
leidlich. Lungen. Herz. Nieren gesund, an der Radialis etwas 
Arteriosklerose. Die Probelaparotomie in Aethernarkose ergab 
eine (’aroinommetnstase in der Leber. Im Leib bestand kein 
Ascites, der primäre Tumor wurde nicht gefunden. Der Magen 
war ganz gesund: der Druck betrug in «1er Arteria coronaria veu- 
triculi Inferior sinistra 38—40 mm Hg. Sofort nach Beendigung 
«ler Operation wurde au dem noch in narkotischem Schlafe legen¬ 
den Patienten der Blutdruck am 5. Finger der linken Hand 1h*- 
stimmt mit Gärtners Tonometer. Wir erhielten 60 mm Hg. 
Der Finger wurde dabei genau in Herzhöhe gehalten. Nach 
6 Tageu aber erhielten wir an demselben Finger 75 mm Hg. 

2. 5sjähriges, hysterisches Fräulein. Gastrostomie wegen 
Cardiospasnius, Ü«*sophngitis und katarrhalischer Geschwüre. Der 
Druck betrug, mit Gärt n e r’s Tonometer bestimmt, am 3. Finger 
der rechten Hand am Tage vor der Operation 120 min Hg. An der 
Arteria eoronaria ventriculi inferior dextra 80 mm t Aethernarkose!. 
Direkt nach Anlegung des Verbamies wird an der noch in Narkose 
befindlichen Patientin der Blutdruck wieder an demselben Finger 
mit G ä r t n e r’s Tonometer bestimmt. Er betrug 110—120 mm Ilg. 

3. 52 jähriger Mann. Laparotomie wegen Carcinoma ven¬ 
triculi. Aethernarkose. Der Tumor war inoperabel. Druck in 
der Arteria coronaria ventriculi dextra 52 min 11g. Druck im 
5. Finger der rechten Hand mit G ii r t n e r’s Tonometer 85 mm. 

Ich verfüge noch über eine 4. Beobachtung, die ich zufällig 
anstellen konnte und welche mit den obigen gut überein- 
stiuunt. Es handelt sich um eine kleine, 48 jährige Frau, bei der 
ich eine Magenresektion wegen Carclnom ausfülirte. An dein 
hervorgezogen«*n Mngenstumpf rutschte an der kleinen Kurvatur 
«*ine Ligatur und aus der Arteria coronaria superior sinistra spritzte 
das Blut senkrecht hoch. Die Arterie spritzte zufällig genau so 
hoch, als der um Operationstisch angebrachte Bogen war, welcher 
das Operationsfeld trennte von Brust und Kopf. Nach Beendigung 
der Operation wurde die Distanz gemessen und es ergab sich, 
dass die Spritzhöhe 50 em betragen hatte. Der Blutdruck, mit 
G ii r t n e r’s Tonometer am 4. Finger «ler rechten Hand liestinnnt. 
betrug nach 10 Tagen 60 mm Hg. Sämmtliche 4 Patienten haben 
übrigens eine ungestörte Reconvalescenz durchgemacht. 

Wenn man nun auch zugiht. «lass für unsere Kranken der Blut¬ 
druck etwas niedriger gewesen sein mag als bei Gcsumlen, so ist 
doch im Allgemeinen der Satz richtig, dass der Druck in Jeu 
Magengefässen des Menschen (gleich wie in den Arterien der 
Extremitäten) nicht viel höher zu veranschlagen ist, als beim 
Hund. Wir können ihn etwa durchschnittlich auf 40—80 mm 
Hg angeben. Nach grossen Blutverlusten ist er aber gewiss be¬ 
deutend niedriger. 

Ich möchte hier an dieser Stelle noch auf eine Erfahrung 
hinweiscn, die ich bei meinen Operationen öfters gemacht habe. 
Es zeigte sich nämlich, dass manche elende Individuen mit 
trockener Haut und oft mit niedrigem Haemoglobingehalt auf¬ 
fällig stark bluteten; selbst die kleinsten Gefässe spritzten mit¬ 
unter. Bestimmte ich nun den Blutdruck dieser kranken Indi¬ 
viduen, so war derselbe keineswegs höher als normal. Es kann 
also nur daran liegen, dass die Arterien sich nicht genügend 
kontrahiren. Es scheint mir dies aber offenbar eine Kompen¬ 
sationsvorrichtung der Natur zu sein, welche die geringe Blut¬ 
menge mehr circuliren lässt; denn der grössere Querschnitt der 
Gefässe, welcher das Blut reichlicher ausströmen lässt, lässt es 
| auch reichlicher durchströmen. Gerade in solchen Fällen habe ich 
hei Nachblutungen von Seeale recht gute Erfolge gesehen. So kann 
es z. B. sich ereignen, dass man bei Magenresektionen nicht jedes 
kleinste Gefäss einzeln unterbindet um rasch mit der Operation 
zu Ende zu kommen. Direkt nach der Operation tritt aber eine 
Haematemesis auf, welche durch Seeale prompt steht. Hin¬ 
gegen ist in solchen Fällen, wo die Blutung aus starren Ge¬ 
schwüren oder sklerotisch veränderten Gefässen erfolgt, Seeale 
kontraindicirt, weil sich hier die eröffneten Arterien nicht kon- 
I trahiren können, der Blutdruck aber gesteigert wird. 

Aus all’ dem können wir, glaube ich, entnehmen, dass wir 
| die meisten Blutungen in der Bauchhöhle stillen könnten, wenn 
wir einen Gegendruck von ca. 50 mm Hg zu schaffen vermöchten. 


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17. September 1901. 


MÜENCHENER MEDICINISCHB WOCHENSCHRIFT. 


Lässt sich nun die Bauchhöhle bis zu einem 
solchen Drucke mit Luft füllen? Schon von 
vornherein können wir sagen, dass auch die Bauchhöhle des 
Menschen die Füllung mit Luft bis zu diesem Drucke ver¬ 
tragen wird. Nämlich in einigen Fällen von Lebercirrhose sind 
Drucke in der Bauchhöhle bestimmt worden, welche dem 
unserigen ganz nahe kommen. So fand z. B. L e y d e n (Charite¬ 
annalen Bd. 3, p. 270) 40 mm Hg und Quincke (Deutsch. 
Arch. f. klin. Med. 21. Bd., p. 460) 42 mm Hg. Wenn diese 
Wert he bei Waaserfüllung vertragen werden, welche doch den 
Unterleib ganz anders belastet, so werden sie bei Luftfüllung 
erst recht vertragen. Bei diesen Drucken ist die Athmung schon 
rein oostal und ob wir dann 10 oder 20 mm mehr nehmen, das 
macht bei der schon so wie so ad maximum gefüllten Bauch¬ 
höhle niehts Wesentliches aus. Ich habe nun eine ganze Anzahl 
Versuche an Hunden ausgeführt. Anfangs nahm ich Aether- 
narkose, ich überzeugte mich aber sehr bald, dass der Eingriff 
gar nicht schmerzhaft ist. Ich habe ihn dann meist ohne Nar¬ 
kose ausgeführt, und zwar wurde die Bauchhöhle bis zu einem 
Drucke von 40—70 mm Hg aufgeblasen. 

(Schluss folgt.) 


Aus dem Pathologischen Institut zu Tübingen (Direktor Professor 
v. B a u m g a r t e n). 

Ueber die Differenz der histologischen Wirkung von 
Tuberkelbacülen und anderen diesen ähnlichen säure¬ 
festen Bacillen. 

(Grasbaciltus II Modler, Butterbacillus Petri-Rabinowrtsch, 
Tbimotheebacillus Moeller.)*) 

Von Dr. Hölscher, 

Kgl. Württemberg. Oberarzt, command. zur Universität Tübingen. 

Bei der grossen Verbreitung, welche die tuberkelbaeillen- 
ühnltehen, säurefesten Bacterien in der Natur und insbesondere 
auch in den beiden wichtigen Nahrungsmitteln Milch und Butter 
haben, wurde die Frage zu einer brennenden, ob es sich hier nur 
um harmlose Saprophyten handelt, die mit den Tuberkelbacillen 
nur die Aehnlichkeit der Gestalt und die Säurefestigkeit gemein¬ 
sam haben, oder um modificirte Tuberkelbacillen, die unter Um¬ 
ständen ihre specifisehe Virulenz wieder erlangen können. Die 
meisten Autoren, welche sich mit dieser Frage beschäftigt haben, 
halten die Bacterien für nicht pathogene Saprophyten, welche 
nur durch die Mitinjektion von Butter Wachsthumsbedingungen 
erhalten, die sie in Stand setzen, bei Thieren eine tödtliche Peri¬ 
tonitis herbeizuführen. Nur wenige Autoren halten sie für thier¬ 
pathogen. 

Auch bei meinen Versuchen im pathologischen Institut zu 
Tübingen ist es gelungen, mit Reinkulturen allein 
bei Meerschweinchen und Kaninchen bei bestimmter Infektions- 
weiso Veränderungen hervorzurufen, die makroskopisch 
von auf die gleiche Weise mit'Tuberkelbacillenreinkulturen er¬ 
zeugter typischer Tuberkulose nicht zu unterscheiden waren. Ver¬ 
wendet wurden Butterbacillus Pctri-Rabino- 
witsch, Grasbacillus II und Thimothcebaciljus 
Moeller. 

Ueber die Resultate der histologischen Untersuchungen 
möchte ich hier in Kürze das Wichtigste mitthcilen. 

Bei intravenöser Injektion erfolgte wie bei echten Tuberkel¬ 
bacillen eine reichliche Bildung von isolirten typischen Lang- 
hau s’schen Riesenzellcn und tuberkelähnlichen Knötchen mit 
solchen. Tm Frühstadium waren diese Knötchen von echten 
Tuberkeln häufig nicht zu unterscheiden. Das spätere Schicksal 
der Knötchen war aber ein grundverschiedenes, bei den Tu¬ 
berkelbacillen Gewebsnekrose, Verkäsung, 
bei den Pseudotuberkelbacillen Vereiterung. 

Abgesehen von diesem histologischen Unterschied bestand 
eine Differenz im Verhalten der Bacterien selbst. Während bei den 
Tuberkelbaeillen von den primären Herden aus eincUcberschwem- 
ung de« ganzen Gewebes mit Bacillen und eine unbeschränkte 
Vermehrung derselben dem bekannten Hergang gemäss erfolgte, 
war bei den Pseudotuberkelbacillen höchstens ein lokales Wachs- 
tbum in Gestalt von Strahlenpilzformeu zu konstatiren. In Folge 
dessen war schon relativ kurze Zeit, etwa 14 Tage nach der In- 

*) War ursprünglich als Vortrag in Abtheilung 13 für die 
Naturforscher-Versammlung ln Hamburg bestimmt. 

No. 38. 


1483 


jektion, die Zahl der nachweisbaren Tuberkelbacillenkolonien 
erheblich grösser, als "die der PseudotuberkelbaciUen. selbst wenn 
von den letzteren eine mindestens 3 bis 4fache Menge eingespritzt 
worden war. Da aber von L u b a r b ehr und S frh.U 1 1 ». nach¬ 
gewiesen worden ist, dass auch bei echten TttberknlhacilLep, bei 
gehemmtem Wachst hum derselben, eine Strahlenpilzbildung im 
Thierkörper erfolgen kann, ist der Unterschied im Verhalten der 
Bacterien nicht von einer solchen prinzipiellen Bedeutung, wie 
der im histologischen Verhalten. 

Bei den Injektionen in den Nebenhoden war der zuerst an¬ 
geführte Unterschied in der Wirkung auf das Gewebe noch frap¬ 
panter. Die proliferative Wirkung fehlte beinahe gänz¬ 
lich, es überwog bei Weitem die exsudative; die Neben- 
hodonkanälehen waren in grössere oder kleinere Abscesse ver¬ 
wandelt. • Von den Bacterien gilt auch hier das vorhin Gesagte. 

Bei den intraperitonealen Infektionsyersuehen wurde von 
Anfang an das Verhalten der Bakterien im Serum und ihre Wir¬ 
kung auf das Gewebe an mit Lymphröhrchen entnommenen 
Serumproben verfolgt. Während die Tuberkelbacillen 7 bis 
8 Tage lang in den gefärbten Präparaten nachweisbar waren, 
fanden sich Pseudotuberkelbacillen nach 4 bis 6 Tagen nicht 
mehr. Histologisch fanden sich bei beiden im Anfang über¬ 
wiegend polynucleäre Leukocyten. Nach 20 Stunden waren diese 
bei den echten Tuberkelbacillen schon nahezu verschwunden und 
durch abgestossene Endothelzellen, die grösstentheils mit Bae- 
terien überladen waren, verdrängt. Bei den Psettdotuberkel- 
bacillen blieben auch späterhin die polynücleären Leukocyten 
vorherrschend und Endothelzellen traten in grösserer Zahl mir 
vorübergehend auf. Die Pseudotuberkelbacillen waren sowohl ita 
polynücleären Leukocyten, wie in Endöthelzellen nachzuweisen, 
während Tuberkelbacillen nur in'Leukoeyten zu 
finden waren. Gleichartig war also bei beiden 
die anfängliche exsudative Reizung, die'Aber 
bei den Tuberkelbacillen auch in diesen, be¬ 
züglich dieses Punktes besonders demonstra¬ 
tiven Versuchen nur vorübergehend war, wäh¬ 
rend sie bei den Pseudotuberkelbacillen kon¬ 
stant blieb. 

Bei der Untersuchung der am Netz und den Bauchorganen 
gebildeten Knoten fand sich auch wieder als gleichartig die 
Bildung von zahlreichen grossen Langhan s’schen 'Riesen¬ 
zellcn und von Knötchen mit typischer Tuberkelstruktur. Anstatt 
der tuberkulösen Verkäsung erfolgte aber in deri Pseudotuberkeln 
im weiteren Verlauf bei Persistenz der Bacterien wieder eine 
Absccssbi ldung oder Organisationunter V erschwin- 
den der Bacterien. Ein Auswachsen der Bacterien aus 
den Knötchen findet auch hier nicht statt. 

Fassen wir die Resultate zusammen, so haben wir als Aehn- 
lichkeiten der Wirkung die Bildung von L a n g h a n s’schen 
Riesenzellen und Knötchen von gleicher Struktur und Abgrenzung 
gegen das Gewebe. Beide« erfolgt allerdings -auch, Wie bekannt, 
um kleinste leblose Fremdkörper, wenn diese nur einen fort¬ 
dauernden formativen Reiz auf ihre Umgebmag auHÜben und 
ebenso noch um einige andere Bacterienarten; aber bei keinen 
bilden sich Langhan s’sche Rieeenzellen und mit diesen aus- 
gestattete Knötchen mit solcher Regelmässigkeit und Häufigkeit, 
wie um die echten Tuberkelbacillen und diese säurefesten Peeudo- 
tuberkelbacillen. Diese Gleichartigkeit der Wirkung dürfte sich 
durch die Aehnlichkeit der chemischen Beschaffenheit der Bac- 
teriensubstanz, auf welcher auch die beiden gemeinsame Säure¬ 
festigkeit beruht, erklären, ln der Ausbreitung der Knötohen- 
bildung ist allerdings ein sehr bedeutender Unterschied zu kon¬ 
statiren. Bei den Tuberkelbacillen erfolgt von dem primären 
Herd aus eine fortschreitende Bildung neuer Erkrankungsherde 
von derselben Struktur wie der ursprüngliche; da» Verhalten der 
Pseudotuberkelbacillen ist hingegen dem *o<ken Fremdkörper 
ähnlicher: Die Bacterien bleiben an den Stellen, Wohin sie der 
Blut- oder Lymphstrom getragen hat, liegen, und wirken dort als 
örtliche Entzündungserreger, ein Aussohwarroen der Bacterien 
und eine Bildung weiterer Erkrankungsherde findet bei ihnen 
nicht statt. 

Ein principieller Unterschied ist die endgiltige Wirkung 
auf das Gewebe, bei Tuberkelbacillen Verkäsung, 
bei Pseudotuberkelbacillen Vereiterung. Es 
fehlt den Pseudotuberkelbacillen also die d e - 

ö 


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IfUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


: I484 


struktive Kraft und die unbegrenzte para¬ 
sitäre V er mehrun gsf äh igk ei t der echten Tu¬ 
berkelbacillen. 

Eine weitere Aehnlichkeit ist noch die Fähigkeit, im Thier¬ 
körper Sfrahlenpilzformen zu bilden. 


Aus der dermatologischen Universitätsklinik in Bern (Direktor: 

Professor J adassohn.) 

Zur Ekzemfrage. 

Von Dr. Jacob Frödöric, I. Assistenten der Klinik. 

Für den internationalen Dermatologenkongress, welcher 1900 
in Paris stattfand, war als erste Frage die nach dem „parasi¬ 
tären U rsprung der Ekzeme“ aufgestellt. Schon in den 
letzten Monaten vor dem Kongress war eine Anzahl von Arbeiten 
über dieses Schema erschienen. Ich selbst hatte ein Jahr lang, 
auf Wunsch des Herrn Prof. J adassohn, Ekzeme auf ihren 
Bacteriengehalt untersucht. 

Bei der Kongressdiscussion [2] standen von den Referenten 
Kaposi, Brocq und J adassohn auf dom Standpunkte, 
dass das Ekzem als solches in seinem banalen, allgemein an¬ 
erkannten Typus, dessen wichtigstes Charakteristicum die 
„Papulo-vesicule“ ist, eine primär bacterienfreie Krankheit sei; 
sie stützten sich dabei auf die Resultate von K r e i b i c h [10], 
von Veilion [24] und von mir [2]. Schon vorher hatten 
T ö r ö k und Roth [18] der gleichen Anschauung Ausdruck 
gegeben. Sabouraud, Morgan-Dockrell u. A. traten 
ihr bei. G a 11 o w a y [2] hatte auch in frischen papulo-vesicu- 
lösen Efflorescenzen weisse Coccen gefunden, denen er eine 
wesentliche Bedeutung beizumesaen geneigt war. In der Dis- 
cussion erklärte N e i s s e r, dass auch er, im Gegensatz zu den 
von S c h o 11 z und Raab [16] aus seiner Klinik publizirten Re¬ 
sultaten an die Sterilität der primären Ekzemefflorescenzen 
glaube. Danach konnte also der Staphylococcus pyogenes aureus 
nicht, wie es zuerst geschienen hatte, ein konstanter und damit 
nothwendiger Faktor zur Erzeugung der banalen Ekzeme sein — 
ein Standpunkt, den übrigens neuestens auch S c h o 11 z selbst 
auf Grund weiterer eigener Untersuchungen nicht aufrecht er¬ 
hält (Kongress Breslau 1901). Unna aber, der die parasitäre 
Natur der Ekzeme zuerst behauptet und seine Morococeen als 
ihre Ursache angeeprochen hatte, theilte seine neuen Unter¬ 
suchungsergebnisse [21, 22] mit, die ihn zwar zur Zurückziehung 
des Morococcus als einer einheitlichen Bacterienart bewogen, ihn 
aber in der Festhaitung der bactoriellen Natur der Ekzeme be¬ 
kräftigt hatten. Mit neuen (speciell tinctoriellen) Untersuchungs¬ 
methoden konnte er eine gewisse Anzahl von Coccen unterschei¬ 
den, von denen einzelne bei Einimpfung Veränderungen der 
Haut erzeugten, die er als Ekzem deutete. 

Mit Ausnahme von -Unna und (in wesentlich geringerem 
Umfange) von G a 11 o w a y war also bei dieser internationalen 
Vereinigung der Glaube an die amikrobischo 
Natur des reinen, unkomplizirten Ekzems ein 
allgemeiner. Eine weitere Frage — von sehr wesentlicher 
theoretischer und praktischer Bedeutung — war die, welchen 
Einfluss dio von allen Forschem in den späteren Stadien der 
Ekzeme konstatirten Mikroorganismen auf deren Entwicklung 
haben. Dio meisten Autoren waren darin einig, dass ein solcher 
Einfluss besteht; aber ausser der allgemeinen‘Bemerkung, dass 
speciell die Staphylococcen beim Ekzem Eiterung bedingen, hatte 
bislang eigentlich nur Sabouraud behauptet, dass die banalen 
Mikroorganismen — Staphylo- und Streptococcen — bestimmte 
Veränderungen, die ersteren in Form von Pusteln (Impetigo 
B o c k h a r t) die letzteren in Form von mehr oder weniger aus- 
gebildeten Bläschen (Impetigo T. F ox) und serösem Nässen be¬ 
dingten [15]. 

Ich habe meine Untersuchungen, deren wesentlichste Re¬ 
sultate Herr Prof. Jadassohnin seinem Kongressreferat mit- 
gotheilt hat [2], bisher nicht publizirt, weil ich sie während des 
vergangenen Jahres nach verschiedenen Richtungen fortgesetzt 
habe, welche mir der Bearbeitung zugänglich und bedürftig er- 
schienen. Ueber einige dieser Punkte, welche, wie. ich glaube, 
auch von allgemeinerem Interesse sind, möchte ich in Folgen¬ 
dem Bericht erstatten. 


I. Bacteriologie des Ekzems. 

In erster Linie möchte ich noch einmal auf die bacterio- 
logische Untersuchung der „banalen Ekzeme“ eingehen. Je sorg¬ 
fältiger man die Fälle aussucht und je mehr man die Unter¬ 
suchung auf die einzelne ganz frische Efflorescenz beschränkt, 
um so eher gelingt es, ihre Sterilität zu erweisen. Am 
leichtesten ist dieser Nachweis bei denjenigen vesiculösen Formen, 
welche an Stellen mit verhältnissmässig dicker Homschicht nuf- 
treten, wie an den Händen. Die wasserhellen Bläschen, welche 
hier den Typus der „dysidrotischen“ annehmen — ich kann an 
dieser Stelle auf die Frage, ob die sog. Dysidrosis wirk¬ 
lich mit Recht vom Ekzem abgesondert wird, nicht eingehen —, 
sind von mir am häufigsten steril gefunden worden. Als ein 
indirekter Beweis für die Bedeutung der sekundärem Infektion 
für die eitrigen Komplikationen der banalen Ekzeme ist wohl die 
Thatsache anzusehen, dass gerade diese Bläschen auffallend lange 
wasserhell bleiben und sich oft unmittelbar aus diesem Stadium 
heraus involviren. 

Wichtiger als die wiederholte Bestätigung der nunmehr kaum 
noch anzuzweifelnden Thatsache, dass die banalen Ekzemvesikeln 
mit unseren Methoden nachweisbare Bacterien im Princip nicht 
enthalten, scheint mir eine kurze Besprechung derjenigen Bac- 
terienformen, welche bei dem Gros der gewöhnlichen Ekzeme 
auf der Oberfläche, in Schuppen, Krusten, Bläschen und Pusteln 
sowie in dem serösen Exsudat vorhanden sind. 

Ich habe mich zunächst sehr lange bemüht, die Morococcon 
Uuna’s [20] zu finden; so leicht es histologisch ist, solche Bae- 
terienhaufen nachzuweisen, so wenig möglich ist es mir baeterlo- 
logisch gewesen; wenn es auch überflüssige erscheint, auf diese 
Frage noch näher einzugehen, so muss ich doch hervorheben, dass 
von den weiter zu erwähnenden gelben und weissen pyogenen 
Staphylococcen abgesehen eine gewisse Rolle in meinen Befunden 
nur solche Coccen spielten, welche die Gelatine gar nicht ver¬ 
flüssigten und in ihrem kulturellen Verhalten ganz dem sogen. 
Staphylococcus albus cereus sive epidermidis 
entsprachen; ich habe nur ein einziges Mal einen Coceus gefunden, 
der in Bezug auf die unvollständige Verflüssigung der Gelatine 
dem ursprünglichen Morococcus ähnlich war. Ob es sich hier um 
eine abgeschwächte Art handelte, muss dahingestellt bleiben. 
Tlmtsächlich aber sind nach meinen Untersuchungen bei Ekzemen 
Staphylococcen, welche nach unseren bisherigen Methoden nicht 
als pyogenes aureus oder albus oder albus cereus bezeichnet werden 
können, verschwindend selten. 

Was die pyogenen Staphylococcen anlangt, so ist unter 
ihnen der Aureus zweifellos der allerwesentlichste. Nach 
Sabouraud [15], nach Scholtz und Raab [16] müsste 
man annohmen, dass er der einzige beim Ekzem bedeutungsvolle 
Staphylococcus ist, während Kroibich [10, 11], Vei 11 on 
[24], T ö r ö k) [18] und Roth auch den Albus gefunden haben. 
Meine Resultate stimmen mit denen der letztgenannten Autoren 
überein; ich habe zwar in einer grossen Zahl von Fällen den 
Aureus ganz oder fast in Reinkultur erhalten; aber ich muss doch 
hervorhebon, dass bei 5 Ekzemen (darunter 3 nässenden) nur 
Staph. pyogen, albus aufging, und zwar auf einem Nähr¬ 
boden, auf dem der Aureus sonst schnell und stark Farbstoff 
bildete. Es liegt mir fern, hier auf die F*age der Umzüchtbarkeit 
des Albus in den Aureus einzugehen, deren Möglichkeit neuer 
dings wieder behauptet worden ist (cf. Hä gl er). Ich möchte 
nur betonen, dass bei den Ekzemen das Verhältniss zwischen 
den beiden Hauptformen der pyogenen Staphylococcen dassellte 
zu sein scheint, wie es meist bei infizirten Wunden und anderen 
Eitorerkrankungen gefunden wird: hauptsächlich Aureus, seltener 
Albus'); da der Aureus sich auch bei leichten Ekzemfonnen 
in grosser Menge findet, kann ich über etwaige Differenzen in 
den Befunden bei schweren und leichten Fällen nichts angeben. 

Während die Staphylococcen von allen Seiten genügend ge¬ 
würdigt werden, sind über die Streptococcen bei Ekzemen 
nur mehr vereinzelte Angaben zu finden; man ist gewohnt, die 
ersteren als fast selbstverständliche Gäste bei verschiedenen Er¬ 
krankungen der menscldiehen Haut zu treffen, bei den letzteren 
hat man von einer gleich grossen oder auch nur vergleichbaren 
Ubiquität kaum gesprochen. 

Meines Wissens haben zuerst G i 1 c h r i 91 [4] und Sabou¬ 
raud dio relative Häufigkeit der Streptococcen bei Hautkrank- 

’) Von dieser allgemein für richtig gehaltenen Anschauung 
welchen die Befunde Levy’s [13] ab, der bei 200 Eiterungen 
verschiedenster Natur Stapliyl. pyogenes albus viel häufiger als 
Stnpliyl. aureus fand und auch die Behauptung nicht bestätigen 
konnte, dass der Albus zu milderen Erkrankungen führe. 


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17. September 1901. 


MUENOHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1485 


hoiten betont. Ersterer fand bei 300 veeiculösen und pustulösen 
Ilautefflorescenzen verschiedenster Natur auffallend häufig 
Streptococcen. Dann war es wesentlich Sabouraud [15], 
welcher wie die Impetigo Fox (= contagiosa), so auch gewisse 
impctiginöse Komplikationen des Ekzems, seröses Nässen auf 
Streptococcen zurückführte und sogar eine eigene, bisher wohl 
meist zu den Ekzemen gerechnete Erkrankung (Dermite chro- 
uiquo ä streptocoques) als durch die Streptococcen bedingt bo- 
zeichnete. 

Er kam zu dieser Anschauung vor Allem auf Grund der An¬ 
wendung einer sehr bequemen Methode, welche die Konstatirung 
auch weniger Streptococcen mit Leichtigkeit gestattet. 

Das Wesentlichste dieser Methode ist die Verwendung flüssiger 
Nährböden in hoher Schicht. Zu diesem Zweck nimmt Sabou¬ 
raud sterile Pipetten, aspirirt einige Tropfen der zu untersuchen¬ 
den Flüssigkeit, dann noch 1—2 ccm des Kulturmediums (Ascites, 
Ascltes-Bouillon, Bouillon), worauf das ausgezogeue Ende der Pi¬ 
pette zugeschmolzen wird. 

Ich selbst Wich etwas von der Vorschrift Sabouraud’s ab, 
indem zunHchst die etwa 10—12 cm lange und etwa 2—3 mm lm 
Durchschnitt messende, an einem Ende spitz ausgezogene Pipette 
an diesem Ende zugeschmolzen und hierauf von der anderen 
Oeffuung angefüllt wurde; der obere Verschluss geschah mit einem 
Wattebausch. Die Impfung wurde so vorgenommen, dass nach 
Abnahme des Wattebausches mit der Platlnöse einige Tropfen der 
zu untersuchenden Flüssigkeit oder Schuppen und Krusten ln die 
Pipette gebracht wurden. Diese kam, so beschickt, für 24 Stunden 
In den Brütofen, nach welcher Zeit Streptococcen meist in langen 
Ketten bereits gewachsen waren. 

Als Nährboden diente nach Sabouraud’s Vorschrift As¬ 
cites, dann auch Hydrocelen- und Ovarialkystomflüssigkeit, haupt¬ 
sächlich aber eine-lproc. Traubenzuckerbouillon nach Walt- 
hard (25], in welcher Streptococcen sehr gut wachsen. (Aq. dest. 
1000,0, Pept. sicc. 20,0, Traubenzucker 10,0, Kochsalz 5,0.) Wenn¬ 
gleich es selbstverständlich auch mit anderen Methoden gelingt, 
Streptococcen nachzuweisen, so ist doch das eben kurz beschriebene 
Verfahren ausserordentlich einfach; es scheint mir den Nachweis 
sehr geringer Streptococcenmengen sehr zu erleichtern. Zum wei¬ 
teren Studium kommen natürlich alle Methoden der Isolirung 
(nachträgliches Plattenverfahren, Zusatz von P a r i e 11 i’s Flüssig¬ 
keit zur Bouillon) in Betracht. 

Mit dieser Mothodo untersuchte ich über 100 Fälle der ver¬ 
schiedensten Arten von Hautefflorescenzen, und zwar wesentlich 
solche, bei welchen Flüssigkeit produzirt wird: Bläschen, Pusteln, 
nässende, erodirto Flächen, Ulcerationen etc. I n 53,7 P r o c. 
der Fälle, bei den verschiedenartigsten Krank¬ 
heiten fand ich Streptococcen: bei Ekzem (unter 
27 auf diese Weise untersuchten Fällen 17 mal), bei Ulcus 
c r u r i 8, Impetigo vulgaris, luetischen Papeln, Acne neorotica, 
Neurodermitis chronica, Lupus vulgaris, Scabies, Ekthyma, Faul¬ 
ecke etc. Hauptsächlich in nässenden Ekzemflächen und bei 
Ulcus cruris’) sind die Kettencoccen sehr reichlich, doch kon- 
statirte ich sie auch in Pusteln (Pyodermien, Crotonderma- 
titiden). 

Auf Grund dieser, wie ich wohl sagen darf, überraschend 
grossen Häufigkeit, mit welcher sich Streptococcen bei so ver¬ 
schiedenartigen und so „banalen“ Hautaffektionen finden, ist 
cs selbstverständlich hier, wie bei den Staphylococcen, ausser¬ 
ordentlich schwer, zu sagen, ob sie für irgend eine bestimmte 
Form, wie z. B. die von Sabouraud beschriebene, wirklich 
eine im eigentlichen Sinne aetiologische Bedeutung haben; es 
ist aber auch ausserordentlich schwer, zu behaupten, dass und 
in wie weit sie den Ablauf einer Laesion beeinflussen. Ich 
möchto hier z. B. nur einen Fall erwähnen, in dem ein Lupus 
nach der Hollände rischen Heissluf tmethode behandelt worden 
war; es fanden sich unter dem Schorf zu wiederholten Malen 
reichliche Streptococcen, Anfangs in Reinkultur, später mit 
Staphylococcen; trotzdem war der Verlauf ganz normal (kein 
Fieber, keine Entzündung in der Umgebung). 

Das Vorkommen von Streptococcen bei so vielen Hautkrank¬ 
heiten, bei denen man bisher ihre Anwesenheit kaum vermuthet 
hatte, legte natürlich die Frage sehr nahe: Was wissen wir 
von dem Vorkommen von Streptococcen auf 
normaler Haut? Denn am wahrscheinlichsten ist es doch 
sowohl für die gelben Staphylococcen als auch für die Strepto¬ 
coccen, die sich bei so vielen „banalen“ Affektionon finden, dass 
sie in einzelnen eventuell schwer auffindbaren Exemplaren auf 

*) Saboraud ist nicht abgeneigt, das Ulcus cruris Simplex 
geradezu als „chancre chronique streptococclque“ zu bezeichnen;' 
neben Circulationsstörungen etc. sei das Priinuiu movens der 
Streptococcus. (Prat. dermatol. Paris 1900: Dermatophytes.) 


der normalen Haut vorhanden sind, durch die Hauterkrankung 
in günstigere Ernährungsbedingungen gesetzt, sich vermehren t 
und dadurch leicht nachweisbar werden. 

In der Literatur sind mir nur einige kurze Notizen über das 
Vorkommen von Streptococcen auf normaler Haut bekannt ge- ; 
worden. Während M a r k o f f [14] sie niemals : fand, konnte ' 
W 1 g u r a [26] „Streptococcus pyogenes“ und „Streptococcus llquc. 
faclens“ züchten. V e 111 o n [24] erwähnt ganz kurz die Anwesen¬ 
heit der Streptococcen auf normaler Haut, ebenso S c h o 11 z uiid 
Raab [16], unter Hervorhebung ihrer relativ grossen Seltenheit 
den Staphylococcen gegenüber. 

Ich kratzte mit einem ausgeglühten Scalpell eine etwa fünf¬ 
francsstückgrosse Hautstello gründlich ab und brachte dieses 
Schuppenmaterial mit der Platinöse in die Pipette. 

In 7,5 Proc. der untersuchten 160 Stellen 
(bei 55 Menschen — zur Untersuchung kam normale Haut der 
Achselhöhle, Bauchgegend, des Rückens, Arms, Oberschenkels —) 
waren Streptococcen anwesend. 

Bezüglich der Körperstellen möchte ich betonen, dass ich 
Streptococcen hauptsächlich in der Achselhöhle, am Rücken, 
seltener auf der Vorderseite des Oberschenkels fand; doch möchte 
ich hierauf kein grösseres Gewicht legen. 

Dio Streptococcen, welche ich von normaler Haut und von 
den oben erwähnten Dermatosen züchtete, stimmten in ihrem 
Aussehen in den Pipettenkulturen (makro- und mikroskopisch) 
mit einander überein. Es handelte sich meist um lango Ketten 
von 15—20 und mehr Gliedern mit einer auf der Richtung der 
Kette senkrechten Theilungslinie — demnach Streptococcus 
longus. (Flügge.) 

Der wichtigen und schwierigen Frage nach der Patho¬ 
genität dieser Mikroorganismen kann ich erst in einer späteren 
Arbeit nähertreten. 

Die Thatsache steht jedenfalls fest, dass auch auf nor¬ 
maler Haut bei einer relativ nicht geringen 
Anzahl von Menschen Streptococcen gefunden 
sind. Es liegt nahe, aus ihrem so ausserordentlich häufigen 
Vorhandensein in banalen Hautkrankheiten den Schluss zu ziehen, 
dass geeignetere Untersuchungsmethoden — z. B. dio Entnahme 
noch grösserer Mengen von Material — das Vorkommen von 
Streptococcen auch auf normaler Haut noch häufiger ergeben 
würden. 

Ich kann an dieser Stelle auf die allgemeine Bedeutung 
dieses Ergebnisses nicht eingehen, ich möchte bloes auf die Ana¬ 
logie mit dem Vorkommen von Streptococcen auf normalen 
Schleimhäuten hinweisen. 


II. Bacteriologie der arteficiellen Dermatitiden. 

Bei der Besprechung der Aetiologie der Ekzeme und bei 
ihrer Abgrenzung anderen Krankheitszuständen gegenüber haben 
von jeher die arteficiellen Dermatitiden eine beson¬ 
dere Rollo gespielt. E 9 war seiner Zeit zweifellos ein ausser¬ 
ordentliches Verdienst Ferd. Heb ra’s, dass er gerade auf Grund 
der genauen Beobachtung künstlich gesetzter Hautentzündungen 
die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Stadien der Derma¬ 
titis erkannte, die bis dahin mit verschiedenen Namen be¬ 
nannt und als verschiedene Krankheiten bezeichnet wor¬ 
den waren. Der Standpunkt, dass die arteficiellen Der¬ 
matitiden gleichsam das Prototyp der Ekzeme sind, wird 
auch jetzt noch von Kaposi [7] — und ebenso auch 
z. B. von T ö r ö k [18] — gewahrt. Auf dem entgegengesetzten 
Standpunkt standen und stehen die französischen Autoren, welche 
die Dermatitiden von der Krankheit „Ekzem“ streng sondern, 
und welche nur die Möglichkeit zugeben, dass bei einem dis- 
ponirten Individuum eino arteficielle Dermatitis „ekzemat-isirt“* 
oder dass durch eine Dermatitis ein Ekzem provozirt werden 
kann. Auf diesem Standpunkt steht auch Unna, für welchen 
jedes Ekzem eine primär parasitäre Krankheit war und ist. 

N e i s s e r [14a] macht ebenfalls im Prinzip eine Scheidung 
von Dermatitiden auf Grund bestimmter äusserer Ursachen und 
von Dermatitiden „mit spezifischer Epithelalteration = ekzema¬ 
töse Erkrankungen“; aber die wichtigste Differenz, die er in 
seinen Ausführungen hervorhebt ist die, dass er „das Chronisch¬ 
werden“ als geradezu pnthognomonisch für die Ekzemkrankheiten 
ansieht; da er andererseits akute Ekzeme anerkennt und Queck¬ 
silber-, Jodoform- etc. Dermatitiden auch unter den Ekzemen 
nnfiihrt, so ist für ihn die Scheidung wohl wesentlich eine prak¬ 
tisch-klinische. • 


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1486 


MUENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 3a 


Die Frage nach der Abgrenzung der arteficiellen Dermati- 
tiden von den Ekzemen ist nicht bloss eine theoretische; sie hat 
auch die Bedeutung, dass wir aus diagnostischen, und vor Allem 
aus therapeutischen Gründen eine scharfe Deutung des bisher so 
unbestimmten Begriffs „Ekzem“ anstreben müssen; denn dass die 
eigentlichen arteficiellen Dermatitiden mit uns bekannter Ur¬ 
sache sich therapeutisch anders verhalten, als die „idiopathischen.“ 
Ekzlme, leuchtet ohne Weiteres ein. Mit der Diagnose: arte- 
ficielle Dermatitis nach dem oder jenem schädlichen Agens, haben 
wir meist schon den wesentlichsten Schritt zur Heilung gethan. 
Es wäre also auch aus diesen sehr praktischen Rücksichten 
wichtig, wenn wir eine scharfe Grenze zwischen beiden Gruppen 
machen konnten; 

Ich selbst bin dieser Frage aus anderen Gründen nahege¬ 
treten. Wenn die Wiener Schule mit ihrer Identifizirung recht 
hätte, so wäre ja die Untersuchung der arteficiellen Dermatitiden 
der bei Weitem Geeignetste und leichtest zu begehende Weg, um 
über die Bedeutung, welche die Staphylococcen- und Strcpto- 
coccen-Infektion für den Ablauf der Ekzeme hat, in’s Klare zu 
kommen. Ich habe diesen Weg um so vertrauensvoller betreten, 
als die Hoffnung bestand: wenn selbst strenge Differenzen 
zwischen arteficiellen Dermatitiden und Ekzemen sich erweisen 
Hessen, so würden sich doch vielleicht, bei den unzweifelhaften 
und mannigfachen Aehnlichkeiten beider, Analogie-Schlüsse von 
den ereteren auf die lotzteren ziehen lassen. 

In Bezug auf das literarische Material, das ln dieser Frage 
vorliegt, kann Ich mich kurz fassen. Bel den von v. Sehlen [17] 
(1890) untersuchten, durch Antlseptica (Sublimat, Jodtinktur, 
PyrogalluS, Chrysarobin) auf verschiedenen Hautkrankheiten her- 
vorgerUFenfen eitrigen Dermatitiden fehlten Mikroorganismen ent¬ 
weder vollständig oder sie waren reichlich vorhanden. T ü r ö k 
und Roth [18] konnten aus deutlich pustulösen Efflorescenzeu 
einer Quecksilberdermatitls Bacterien nicht züchten, ebenso nicht 
aus Vesikeln, selbst nicht ans trüb gewordenen (bei Oroton- Und 
Subllmatdermatitte). Gilchrlst [4] fand eine Crotonölpustel 
steril, ebenso eine SubUmatdermatitis. Am wichtigsten sind die 
Angaben Sabouraud’s [15], dass die traumatischen 
Dermatitiden eigentlich Mikrobienkrankheiten 
sind; Theerakne, Crotonöl-, Thapsia-, Terpeutinpustelu seien 
nichts anderes als Staphylococcenpusteln („impßtigos provoquös“); 
ebenso kennt Sabour&ud eine chronische „dermite 
ü staphylocoque s“, deren Gegenstück die „d e r in i t e 
chronlque ä streptocoques“ bildet;, erstere ist durch 
eine mlliäre Pustulation, letztere durch das seröse Nässen und 
die I/lcheniflcatkm eharakterislrt; bei beiden bilden allerdings neben 
den Eitercoccen traumatische Momente wichtige Faktoren. 

Herr Prof. J adassohn hat schon in Paris betont, eine 
wie grosse prinzipielle Wichtigkeit diesen Befunden zukommt. 
Sie würden einen neuen Beweis für die Ubiquität des Staphylo- 
coccus aureus auf der Haut, speziell in den Follikeln, abgeben; 
sie würden den Analogieschluss gestatten, dass auch bei den 
Ekzemen den Staphylococcen und eventuell den Streptococcen 
dieselbe wesentliche Rolle zukommt, welche ihnen Sabouraud 
bei seinen „knpätigos provoquäs“ zu schreibt. Es handelte sich 
also zunächst darum, eine grössere Anzahl von arteficiellen Der¬ 
matitiden auf ihren Bacteriengehalt unter verschiedenen Um¬ 
ständen zu untersuchen. 

Ich habe in dieser Beziehung Folgendes feststellen können: 
Vor allen Dingen möchte ich hervorheben, dass es mir gelang 
Crotonöldermatitiden in grösserer Zahl (10 Fälle) 
steril zu finden, und zwar sowohl solche, welche auf desinfizirter 
(4 Fälle), als aueh solehe, die auf nicht desinfizirter Haut (6 Fälle) 
entstanden waren. Es war dabei das typische klinische 
Bild einer Crotonöldermatitis vorhanden: Schwel¬ 
lung, Röthung, Papel- und Pustelbildung; häufig mit ziemlich 
deutlieh folliculärem Sitz; speziell auch Pustelinhalt 
erwies sich vollkommen steril. In 9 Fällen von 
Crotondermatitia waren in dem Vesikel- und Pustelinhalt nur 
wenig Bacterieo (Staph. albus cereus, pyogenes albus, pyogenes 
aureus); in 9 Fällen waren sehr reichlich Mikroorganismen, 
wesentlich Staphylococcus aureus, dann Streptococcen vorhanden. 
Die bacterien reichen Crotonölefflorescenzen unterschieden sich 
makroskopisch in nicht erkennbarer Weise von den sterilen; nur 
war bei ersteren die folliculäre Anordnung nicht so deutlich 
erkennbar. 

(Ueber das histologische Bild siehe weiter unten.) 

Bei pustulösecr Theerdermatitis am Kopf fand ich Rein¬ 
kulturen von Staphylococcus aureus. Dermatitiden, welche nach 
Anwendung von Antisepticis entstanden waren, resp. nach 


solchen Mitteln, welche bloss das Wachsthum der Bacterien 
hemmen, erwiesen sich in ihren Anfangsstadien — Papel- und 
Vesikelbildung — meistens steril oder enthielten wenig Bacterien 
(Staph. alb. cer.) — später (z. B. im nässenden Stadium der Jodo- 
formdermatitis) waren sehr reichliche Staphylococcen, wesentlich 
der aureus, seltener der albus vorhanden. 

So verhielten sich Entzündungen durch Jodoform, 
Sublimat, Jodtinktur. Bei Pyrogallusderma- 
t i t i s konstatirte ich theils sterile Pusteln, theils solche mit 
reichlichen gelben Staphylococcen; die Pusteln bei Queek- 
silberdermatitis waren entweder steril oder enthielten 
wenig weisse Staphylococcen. Eine vesioulöse Resorcin- 
dermatitis war steril. 

Diese Untersuchungen ergaben also Resultate, welche nur 
zum Theil mit denen Sabouraud’s übereinstimmen. (Die 
Gründe, warum z. B. bei der Crotondermatitia meine Befunde 
von den seinen verschieden sind, könnten in dem Material, z. B. 
in Verschiedenheiten der Lokalisation, liegen; so waren die auf 
dem behaarten Kopf von miT steril befundenen Crotonefflores- 
cenzen allerdings auf einer vorher mit Antjaqpticis behandelten 
Haut entstanden, während die an den Armen entstandenen auch 
ohne vorhergegangene Desinfektion meistens steril waren.) Iu 
jedem Falle bedarf der Satz, dass die arteficiellen Dermatitiden, 
wie sie sich uns klinisch darstellen, baoterieller Natur sind, einer 
starken Einschränkung. Die Thatsache, dass an der Haut sterile 
Eiterungen auch beim Menschen Vorkommen, muss anerkannt 
werden. 

Für die uns hier in erster Linie interessirende Ekzemfrage 
möchte ich aus diesen Resultaten Folgendes schliessen: Es ist 
nach dem oben Gesagten ohne Weiteres klar, dass bakterio¬ 
logisch die arteficiellen Dermatitiden sich 
im Ganzen ebenso verhalten, wie die banalen 
Ekzeme — aueh bei ihnen gibt es im Princip sterile Efflorcs- 
conzen; auch hier sind specicll gelbe Staphylococcen ausser¬ 
ordentlich häufig und zahlreich zu finden. 

Die ausserordentlich grosse Bedeutung, welche für den Ab¬ 
lauf der Ekzeme von vielen Seiten den pyogenen Mikroorganismen 
beigelcgt wird, gründet sich 1. auf den von Sabouraud*) be¬ 
tonten Satz, dass Bacterien, die sich in grossen Mengen in einer 
Laesion finden, eine Bedeutung für dieselbe haben müssen; 2. auf 
die Thatsache, dass gewisse Komplikationen der Ekzeme, wie 
Furunkel, folliculäre Impetigo, auch unabhängig von Ekzemen 
und arteficiellen Dermatitiden Vorkommen und dann sicher durch 
die pyogenen Coccen verursacht werden; 3. darauf, dass man 
bei den meisten vollentwickelten Ekzemen. Staphylococcen findet, 
und 4. auf die von S c h o 11 z und Raab [16] publizirten Ver¬ 
suche, wonach arteficiell gereizte Hautstellen durch Staphylo- 
coceen in wirkliche Ekzemflächen umgewandelt werden können. 

Von diesen Momenten Ist das zweite zweifellos richtig; schon 
längst waren diese Komplikationen auf sekundäre Infektionen bei 
Ekzemen zurückgeführt worden; sie sind aber keineswegs bei 
allen Ekzemen vorhanden, sondern stellen wirkliche Kompli¬ 
kationen dar. 

Was die Massen haftlgkelt des Vorkommens 
pyogener Mikroorganismen betrifft, so macht diese eine Wirkuug 
derselben in der That wahrscheinlich, aber noch keineswegs sicher. 
Wir wissen doch auch, dass auf gesunden Schleimhäuten Mikro¬ 
organismen sich in grosser Menge finden können. 

Die Constanz des Vorkommens der Staphylococcen 
hat gerade bei Mikroorganismen, die fast immer auf der Haut vor¬ 
handen sind, nicht mehr so grosse Bedeutung. Die von S c h o 11 z 
und Raab angestellten Versuche haben zwar für die Entstehung 
der Ekzeme als solcher keine Bedeutung mehr, da S c h o 11 z 
selbst — wie oben bemerkt — die Sterilität der primären Ekzero- 
efflorescenz anerkannt hat; aber man kann dieselben, da doch nicht 
an den thatsächlichen Befunden, sondern nur an ihrer früheren 
Deutung Kritik geübt worden ist, bei der uns hier interessirenden 
Frnge sehr wohl heranziehen; man könnte sagen: eine leichte 
Reizung läuft oliue Weiteres ab; kommen aber Staphylococcen 
hinzu, so entsteht ein beträchtlicheres Krankheitsbild und nurdieses 
ist damals als Ekzem gedeutet worden. Auf diese Diagnose werden 
S e li o 11 z und Raab naturgemäss kein Gewicht mehr legen. 
Al>er auch die Annahme, dass hier die Invasion der Staphylococcen 
selbst, es war, welche die stärkere Entzündung bedingt habe, ist 
nicht ohne Weiteres zu aceeptiren. Denn es könnte auch sehr 
wohl sein, dass nur die Toxine der Staphylococcenkulturen eine 
stärkere Entzündung bedingt haben, ohne dass es sich um eine In- 


*) Sabouraud: Essai critique sur T^tiologle de l'eezC*nia 
Ann. de derm. 1899. 


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17. September 1901. 

fektion handelte, ganz ebenso, wie z. B. eine Sublimatlösung als 
weiteres Reizmittel gewirkt hätte. 4 ) 

Die Versuche endlich, welche beweisen sollten, dass die 
Staphylococcen auch in der Tiefe des Gewebes sitzen, haben 
Brocq und Veillon [2], Török und Roth [18] negative 
Resultate ergeben; auch ich habe sie nicht bestätigen können. 

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass, wie 
Brocq und Veillon [2] erwiesen haben, Desinfektion eines 
nässenden Ekzems und Verband mit einem Zinkleim das Nässen 
auch dann für einige Tage nicht aufhielt, wenn der Kulturversuch 
nach Abnahme des Verbandes bewies, dass die Desinfektion voll¬ 
ständig Stand gehalten hatte. Auch diesen Versuch habe ich mit 
dem gleichen Resultat wiederholen können. Er macht es wahr¬ 
scheinlich, dass das Nässen, ein sehr wichtiges Symptom beim 
Ekzem, auch ohne die Anwesenheit von Coccen weiterbesteheu 
kann. 

Hier nun möchte ich auch meine Versuche mit arteficiellen 
Dermatitiden heranziehen. A priori hätte man annehmen können, 
dass die Infektion einen wesentlichen Einfluss auf den Ablauf 
des Processes ausüben würde: Es ist auch zweifellos, dass dies 
in manchen Fällen geschieht, z. B. wenn im Anschluss an arte- 
ficielle Dermatitiden Furunkel auftreten. Wenn aber Pusteln 
entstehen können, ohne dass eine Infektion 
nachweisbar ist, wenn der Ablauf einer infizirten Der¬ 
matitis in wiederholten Fällen weder schwerer noch länger dauernd 
ist als bei einer nicht infizirten, so resultirt der Eindruck, dass 
mindestens oft die Bedeutung dieser Infektion für die klinische 
Betrachtung sehr gering ist oder fehlt und ganz das gleiche 
kann m. E. auch für viele Ekzeme zutreffen. 

Wir sehen z. B. Jodoformdermatitiden — welche man ja 
lange Zeit fast allgemein als Ekzeme bezeichnet hat — mit 
massenhaften Staphylococcen, in kurzer Zeit ablaufen; welche 
Bedeutung haben dann dabei die Staphylococcen im klinischen 
Sinne gehabt? Wir sehen, dass bei chronischen Ekzemen, auf 
denen man ja immer Staphylococcen findet, neue Ekzemefflores- 
cenzen entstehen, die sich steril erweisen; welche Bedeutung 
haben dann für diese Efflorescenzen die auf den Ekzemflächen 
wohnenden Staphylococcen ? 

Wenn wir also für jetzt die Bedeutung der Eitercoccen für 
den klinischen Ablauf der Ekzeme beurtheilen wollen, so müssen 
wir uns, gerade auf Grund meiner Beobachtungen an arteficiellen 
Dermatitiden, m. E. sehr vorsichtig ausdrücken. 

Wir können auch jetzt noch nicht mehr behaupten 
als was Prof. J a d a s s o h n [2] in der 2. These seines Kongress¬ 
referates ausgesprochen hat: „Bei diesen Processen (sterilen Ekzem¬ 
bläschen) wie boi vielen anderen Dermatosen können wir meistens 
die Invasion der banalen Mikroorganismen konstatiren, welche 
auf der Haut und in der Umgebung des Menschen sich finden 
(Staphylo- und Streptococcen). Die Folgen dieser Invasion sind 
abhängig von der Virulenz der Mikroben, von der lokalen und 
allgemeinen Prädisposition des Patienten und von der Natur des 
ursprünglichen Krankheitsprocesses. Es entstehen so Alterationen, 
welche eine lange Serie sehr verschieden starker Hautreaktionen 
ausmachen, von der minimalsten Reizung bis zur starken Im- 
petiginisation, von der hinfälligsten leichtesten Laesion bis zum 
schweren und chronischen Ekzem (sekundäre banale Infektionen 
auf wahrem Ekzem, auf arteficiellen Dermatitiden, auf parasitären 
Ekzemen).“ 

Ich brauche nicht hervorzuheben, dass auch nach meiner An¬ 
sicht die Häufigkeit und die Zahl der Staphylococcen bei den Ek¬ 
zemen und ihr Vorkommen bei arteficiellen Dermatitiden nicht 
bloss allgemein pathologisch, sondern auch für die Erklärung 
der Komplikationen der Ekzeme und für die Therapie 
eine grosse Bedeutung hat. 

m. Vergleichende Histologie des Ekzems und der arteficiellen 
Dermatitiden. 

Meine Untersuchungen über die bakteriellen Infektionen der 
arteficiellen Dermatitiden im Vergleich zu den Ekzemen haben 
mich naturgemä8s auch zu der oben schon berührten Frage ge¬ 
führt, inwieweit eine Scheidung dieser beiden Gruppen morpho¬ 
logisch, d. h. makro- und mikroskopisch möglich ist. In der 
Klinik gelingt es uns zwar sehr oft, ohne Weiteres die Diagnose 
auf arteficielle Dermatitis zu stellen und wir gehen mit dieser 

4 ) Diese auch schon von Jadassohn auf dem Pariser Kon¬ 
gress ausgesprochene Hypothese Ist in einer (während der Druck¬ 
legung dieser Arbeit erschienenen Mittheilung von Bender, 
Bockhart und G e r 1 a c h (Monatsh. f. prakt Dermatologie, 
No. 4) als richtig erwiesen worden. 

No. 88. 


1487 


Diagnose meistens nicht fehl. Aber wenn wir überlegen, auf 
welche Thatsachen wir sie stützen, so kommen wir zu dem Re¬ 
sultat, dass wir mehr äussere Momente, wie Lokalisation und Ab¬ 
grenzung benutzen, als die wirkliche Eigenart der Efflores- 
eenzen und dass wir immer speciell bei sehr akuten Processen an 
die Einwirkung äusserer Agentien zu denken geneigt sind. So 
kommt es denn auch, dass wir umgekehrt oft genug fehlen, in¬ 
dem wir einen Krankheitsproeess als ein „idiopathisches“ Ekzem 
ansehen, der sich nachher als eine „arteficielle Dermatitis“ 
herausstellt. Wir müssen nothwendiger Weise annehmen, dass 
die ausserordentlich ekzemähnlichen Dermatitiden, welche jetzt, 
in gar nicht so seltenen Fällen mit Sicherheit auf die Primula 
obconica zurückgeführt werden können, bis vor kurzer Zeit wirk¬ 
lich als Ekzeme diagnosticirt worden sind, und ebenso ist es 
früher mit den Jodoformdermatitiden gegangen; das heisst doch 
nichts anderes, als dass eben für unsere bisherige klinische Be¬ 
trachtungsweise manche Dermatitiden mit ganz bestimmter 
äusserer Ursache etwas Charakteristisches den idiopathischen 
Ekzemen gegenüber nicht haben. 

In dem oben erwähnten Sinne wäre es praktisch sehr wichtig, 
wenn wir durch genaue klinische Untersuchung zu einer Diffe- 
renzirung der arteficiellen Dermatitiden von den Ekzemen 
kommen könnten, und wenn bisher die klinische Untersuchung 
dies nicht immer gestattet, so könnte vielleicht die histo¬ 
logische Differenzen aufdecken, die dann das geschärfte 
Auge auch klinisch wahmehmen könnte. 

Auch aus diesem Grunde — ganz abgesehen von dem theo¬ 
retischen Interesse — sind die histologischen Untersuchungen 
über arteficielle Dermatitiden, welche von mehreren Autoren 
(Touton[19], Kuli sch [12], Unna [20], Hodara [15], 
Engmann [3], Kellogg [8], Kopytowsky [9] etc.) 
gemacht worden sind, von Bedeutung. Ich kann hier auf sie alle 
nicht eingehen; sie haben ergeben, dass nach verschiedenen Reiz¬ 
mitteln die histologischen Veränderungen im Ganzen verschieden 
sind. Ich möchte hier nur in aller Kürze über einige Befunde 
berichten, die ich selbst erhoben habe, und die als Ergänzung 
zu den oben berichteten baeteriologischen Untersuchungen bei 
Dermatitiden nothwendig sind. 

Ich habe ausser Idiopathischen Ekzemen Dermatitiden nach 
C r o t o n ö 1, nach Cant h ariden pflaster und nach 
J odoformgebrauch untersucht. 

Bel den akuten Ekzemeffloresceuzeu ist das intercelluläre 
Oedem, dessen stärkste Ausbildung Unna [20] als Status 
spongoides bezeichnet hatte, von verschiedenen Seiten (Morgan- 
1» o c k r c 11 [2], Sabouraud [2], S c li o 11 z, Kongress Breslau 
1901, etc.) beschrieben worden; ich kann diesen Befund, bei dem 
die Auswanderung der Leukocyteu zuerst sehr in den Hintergrund 
tritt, für das Ekzem bestätigen; es kommt daun noch hinzu das 
Oedem der Papille, die etageuweise Anordnung der Bläschen, die 
Parakeratose etc. Von diesen Befunden sind die bei C ro tonöl- 
dermatitis wesentlich durch das Vorwiegeu der folliculären 
Pustulosis unterschieden; schon Uuna [20] (auf Grund von 
Kuiisch’s Untersuchungen) hat die Aehnlicnkeit derselben mit 
Impetigo hervorgehobeu, während sie, wie oben betont, 
Sabouraud [15] geradezu als solche bezeichnete. Ich muss 
speciell in Rücksicht auf letzteren Punkt darauf hlnweisen, dass 
folliculäre Eiterungen In sehr ausgesprochener Weise 
auch bei den von mir histologisch untersuchten Crotondermatitiden 
vorhanden waren, trotzdem die aus ihnen angeleg¬ 
ten Kulturen sich steril erwiesen hatten; es ergibt 
sich also aus den histologischen wie aus den baeteriologischen und 
klinischen Befunden, dass pustulöse Folliculitis auch 
ohne Coccenlnfektion statthaben kann. Von den 
verschiedenen Details, die sich mir bei der Crontonöldermatitis 
ergeben haben, möchte ich nur noch Dreierlei hervorheben. 

1. Zuweilen kommt es Uber der rein folliculären Pustel zu 
einer Art Vesikelbildung; die Hornschicht ist ln ziemlich weitem 
Umkreis um die Folllkelöflfnung abgehoben, wodurch ein supra- 
folliculäres Bläschen entsteht, dessen Inhalt aus körnigen Nieder¬ 
schlägen, wenig mono- und polynucleären Leukocyten, abgerundeten 
Epitbelien besteht; die den Boden bildende Reteschicht ist mit 
Leukocyten durchsetzt. Das ganze Bild erinnert in vielen Be¬ 
ziehungen an die Darstellung der Impetigo vulgaris im Atlas von 
Unna [23]. 

2. In der folliculären Pustel findet man zuweilen neben Leuko¬ 
cyten und Epithelien, die aus dem Verband gelöst sind, typische 
Riesenzellen mit mehreren, häufig wandstiludigen, mehr oder 
minder stark färbbaren Kernen. Diese Riesenzelleu haben speciell 
mit tuberkulösen grosse Aehnlichkelt. 

3. Im Rete Malpighl ist in der Umgebung der Pusteln stellen¬ 
weise deutllclist ausgesprochener Status spongoides aus- 
gebildet. 

Ganz anders verhält sich die Oantharidlndermatitis. 
Nach Unna [20] und K u 11 s c li [12] handelt es sich bei dieser 

G 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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1488 


MÜENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


um (»Ino fliiehenhafte. unregelmässige Zerreissung <ler Epidermis 
in Vereinigung mit starker Zellnekrose und Proliferation. 

Dieser Darstellung muss ich liiuzufiigen, dass neben diesen 
grossen Ilohlräumeu, in denen Fibrin, vereinzelte Leukoeyten und 
aus ilirem Verbände losgelöste, abgerundete Epithelieu mit mel»r 
oder weniger gut färbbarem Kern vorhanden sind, in der Um¬ 
gebung Status spongoides ebenfalls nicht fehlt. 

Alteration eavitaire ist nicht häutig, ebenso sind Verände¬ 
rungen in der Cutis hier sehr unwesentlich. 

Bei der Jodoform dermatitis, von welcher ich in der 
Literatur histologische Beschreibungen nicht habe finden können, 
habe ich 3 Präparate (2 im oedematös-erythematösen, 1 im 
vesikulösen Stadium) vom Menschen untersuchen können. In 
den jüngsten Stadien habe ich Herdehen in der Epidermis und 
zwar in den mittleren und tieferen Schichten des Rete konstatirt, 
in denen unzweifelhaft Status spongoides vorhanden war; an 
diesen Stellen waren auch Veränderungen zu sehen, welche mehr 
der „Alteration eavitaire“ Leloir’s zu entsprechen schienen, 
Leukoeyten waren nur in geringer Zahl in das Epithel aus¬ 
getreten. In der Cutis ist neben der wesentlich mononucleären, 
meist den Gefässen entlang lokalisirten, ziemlich tiefgehenden 
massigen Infiltration das Vorhandensein von grossen, flächenhaft 
ausgedehnten Hohlräumen erwähnenswerth, welche mit W e i * 
gert’scher Färbung gut tingirbares Fibrin enthielten und 
in deren Wand ganz vereinzelte Endothelkorne sichtbar waren. 
Zöllige Elemente fehlten in diesen Räumen, diese hatten keine 
besondere elastische Wand, auch war ein elastisches Fasernetz 
wie bei Lymphgefässon nicht erkennbar. Ich möchte annehmen, 
dass es sich um eine fibrinöse Exsudation in’s Bindegewebe, resp. 
in Lymphspnlten handelte. 

ln dein Präparate, das einer schon ausgebildeten vesikulösen 
Dermatitis entnommen wurde, war das Rete durchsetzt mit sehr 
zahlreichen, vielfach über einander gleichsam aufgethürmten 
ovalen und kreisförmigen, von einander durch dünne Epithel¬ 
spangen getrennte Hohl räume; diese enthielten reichlich echtes 
Fibrin, poly- und mononueleäre Leukoeyten, freie Epithelion, 
deren Kon touren entweder abgerundet oder nicht verändert, deren 
Kern und Protoplasma gut färbbar waren; der Leukocytengehalt 
war sehr wechselnd, zuweilen sehr erheblich, an anderen Stellen 
sehr gering. Auch bei reichlichem Leukocytengehalt war Fibrin 
mit der W c i g e r t’schen Methode nachweisbar. Im Papillar¬ 
körper waren starkes Oedem, fibrinöse Gerinnungen, Verdrängung 
der elastischen Fasern die wesentlichsten Veränderungen; in der 
Cutis sind die. gewöhnlichen Entzündungserscheinungen zu er¬ 
kennen, Mastzellen ziemlich reichlich vorhanden. 

Im Allgemeinen zeigt die Jodoformdermatitis keine besondere 
Vorliebe für die Follikel, doch kommen auch an diesen Verände¬ 
rungen wie in der übrigen Epidermis vor. 

Wenn wir diese hier nur ganz kurz geschilderten Bilder 
überblicken, so sehen wir, dass sie alle sich von dem beim ein¬ 
fachen Ekzem gewöhnlich erhobenen Befunde unterscheiden. 
Aber diese Differenzen bestehen, wenn wir von der ausge¬ 
sprochenen Pustulosis der Crotonöldermatitis absehen, meist 
mehr in quantitativen Differenzen, und speziell die Jodofonn- 
dermntitis weist wie klinisch, so auch histologisch grosse Aohn- 
lichkeiten mit dem Ekzem auf; Differenzen bestehen eigentlich 
nur in dem grösseren Leukoeyten- und Fibringehalt der Bläschen 
bei der Jodoformdermatitis. Speziell der Status spongoides, der 
noch als das charakteristischste histologische Symptom des Ek¬ 
zems gilt, findet sich bei allen hier besprochenen Zuständen, und, 
wie auch von anderen Autoren anerkannt wird (Da rier [1], 
Dackrell [2] etc.) auch bei anderen Ilauterkrankungcn, die 
mit Ekzem gar nichts zu thun haben. 

Es liegt mir ganz fern, auf Grund des hier Dargestellten 
etwa für eine wirkliche Identificirung der arteficiellcn Derma- 
titiden und der Ekzeme zu plädiren. 

Aber es muss offen anerkannt werden, dass wir bisher scharfe 
Unterscheidungen dieser beiden Gruppen im Allgemeinen weder 
auf dem Gebiete der Klinik noch auf dem der in neuester Zeit 
auch hier in den Vordergrund getretenen Bacteriologie haben. 
Nach allgemeiner Ueberzeugung können arteficielle Dcrmatitiden 
Ekzeme werden. Die Existenz akuter Ekzeme, welche ebenso 
schnell heilen, wie die arteficiellcn Dermatitiden. kann nicht 
geleugnet werden. Wenn uns die Klinik und die Histologie 
auch gewisse Anhaltspunkte für die Entscheidung geben, ob 
eine arteficielle Dermatitis vorliegt, so reichen diese doch'absolut 
nicht aus, um bei den Processen, die man als typische Ekzeme 


diagnostiziren muss, die Einwirkung einer einzelnen, ganz be¬ 
stimmten äusseren Ursache auszuschliessen. 

So lauge diese Unsicherheit für die theoretische Forschung 
besteht, so lange ist es auch unbedingt nothwendig, 
jeden einzelnen Fall von Ekzem nach den 
beiden Richtungen hin zu untersuchen, welche 
in der Aetiologio dieser häufigsten Haut¬ 
krankheit die wesentlichste Rolle spielen: 
einerseits auf alle möglichen inneren Zu¬ 
stände, welche die, gewiss oft nur zeitliche, 
Disposition schaffen, andererseits auf alle 
äusseren Ursachen, welche bei bestehender 
Disposition ein Ekzem bedingen können. 

3. Besnier, B r o c q. J a c q u c t: La pratlque deuiatologi- 
que. Paris 1900—1901. — 2. Comptes romlus du IV. congrOs inter¬ 
national de dermatologie et de sypliiligrapbie. Paris 1900. — 
3. Eng mann: Ein Beitrag zur Histologie der Joddermntitis. 
Monatsh. f. prakt. Demi. Bd. 17. — 4. G i 1 c h r i s t: The bacterio- 
logieal and microscopical Examinations of over 300 vesicular and 
pustular Lesions of the skin. wlth some experimental Observatlous 
(Amor, dermat. societ. Journ. of cut. and urin. diseases. Vol. XVII». 

— 5. Hodara Menahein: Histologische Untersuchungen Uber die 
Wirkung des Chrysarobius. Monatssclir. f. prakt. Denn. 1900. 
Bd. XXX u. XXXI. — 0. Hodara Menahem: Histologische 
Untersuchungen über die Einwirkung der Salycilsäure auf die ge¬ 
sunde Haut. Monatsh. f. prakt. Denn. Bd. XXIII. — 7. Kaposi: 
Qu'est ee que l'^czfunn. Ann. de denn. Aout 1900. — 8. Kel¬ 
logg.I.: Itesorein in Dermatotherapie. Histolog. Kesearehes upon 
its aetion on the healthy skin. The St. Louis iued. and surg. journ. 
Bd. LXXIII, Xo. 3. 1897. Bef. Arch. f. Derm. u. Sypli. Bd. 48. — 
9. Kopytowskl: Texturveränderungen der Haut, hervorgerufen 
durch Vesicnntien. Nows Lekarsk. 1897. Bef. Arch. f. Denn. 
Bd. 40. — 10. K re i bi ch K.: Becherclies sur la naturc para- 
sitaire des eczcmas. Ann. de denn. 1900, No. 5. — 11. Kr ei¬ 
lt ich Iv.: Zur Eiterung der Haut. Festschrift, gew. Kaposi 
1900. — 12. Kuli sch: Sind die durch Cantharidiu und Crotonöl 
hervorgerufenen Entzündungen der Haut Ekzeme? Monatssclir. 
f. prakt. Dermat. Bd. 17, S. 1. Bd. 20. S. 05. — 13. Levy E.: Ueber 
die Mikroorganismen der Eiterung. Ihre Speeilicität. ihre Virulenz, 
ihre diagnostische und prognostische Bedeutung. Arch. f. experitn. 
Path. u. Plmrm. Bd. XXIX, 1891. Bef. Bamngart. .TahreshericliU* 
1891. — 14. Mark off: Zur Frage der Hautverunreiuigung der 
Kranken durch Mikroorganismen. Diss.. Petersburg 1894; ref. 
Contralbl. f. Bact., Bd. XX, p. 004. — 14a. Neisser-Jadas- 
solin: Krankheiten der Haut, in Ebstein-Schwalbe'* 
Handbuch der praktischen Medicin. — 15. Sabouraud B.: 
Etüde clinique et bncteriologique de l'lmpetlgo. Ann. de denn. 19XK 

— 10. S c h o 11 z- et B a a b: Becherclies sur la nature parasitaire 
de l’ecz^iua et de l'impCtlgo Tilbury-Fox. Ann. de denn. 1900. — 

17. v. Sehlen: Ueber medikamentöse Eiterungen bei Haut¬ 
krankheiten. Centralbl. f. Bact. u. Parasltenk.. Bd. VIII, 1890. — 

18. Török L., Roth A.: Bacteriologisclie Untersuchungen Uber 
das vesiculöse und nässende Ekzem. Pest, med.-chir. Presse 1900, 
Bd. XXXVI, No. 27. — 19. To u ton K.: Vergleichende Unter¬ 
suchungen über die Entwicklung der Blasen in der Epidermis. 
Diss. von Freiburg, Tübingen 1882. — 20. U n n a: Histopathologie 
der Hautkrankheiten. Berlin 1894. — 21. Unna und Moberg: 
Versuch einer botanischen Klnssiflcation der beim Ekzem ge¬ 
fundenen Uoccenarten, nebst Bemerkungen über ein natürliches 
System (1er Coccen überhaupt. Mon. f. prakt. Derm.. Bd. 31, S. 1. 

— 22. IT n n a: Ueber die netiologische Bedeutung der beim Ekzem 
gefundenen Coccen. Monatsh. f. prakt. Derm. 1900. No. 5. — 

23. V n n a: Histolog. Atlas zur Pathologie der Haut, H. 3, 1899. — 

24. Veilion: Becherclies bactOriologlqucs sur reezthnn. Ann. 
de denn. 1900. — 25. Walthard: Untersuchungen des weib¬ 
lichen (Icnitalsckretc in graviditate und im Puerperium. Arch. f. 
GyniiUolgie. Bd. XLVII1. 1895. — 20. Wigurn: Uelier Quantität 
und Qualität der Mikroorganismen auf der menschlichen Haut. 
Bef. ('entralbl. f. Bact., Bd. 17, 1895. 


Aus dem bakteriologischen Laboratorium der Universitäts- 
Frauenklinik (Prof. Dr. Döderlein) in Tübingen. 

Experimentaluntersuchungen über Händedesinfektion. 

Von 

Dr. pliil. et med. Th. Paul und Dr. med 0. Sarwey, 
a. o. Professor für analytische a. o Profes or u. Assistenzarzt 
und pharmaccutische Chemie. a d. Univ. Frauenklinik. 

(Schluss.) 

II. Die von C. S. Haegier modificirte Desinfektion nach 
Fürbringer. 

In seiner Studie über die Iländedesinfektion berichtet 
C. S. II ae gl er über eine Reihe sehr instructiver Versuche, 
durch welche er einerseits Aufschluss über die Wirksamkeit der 
einzelnen Komponenten der P. F ü r b r i n g e r’schen Desinfek¬ 
tion: Waschen der Hände mit heissem Wasser, Seife und Bürste 


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17. September 1901. 


MUENCHENER MEDICTNTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


1489 


— Bürsten in Alkohol — Bürsten in Sublimatlösung —, und 
andererseits über deren Zusammenwirken zu erhalten suchte. 
Er kommt zu dem Resultat “), dass „man nur dann von einer 
Sublimatdesinfektion Vortheil erhoffen kann, wenn 

2. die Haut gründlich entfettet ist, 

2. durch wann es Wasser und Seife aufgelockert ist, d. h. 
die Falten und Buchten sich etwas geebnet, hauptsächlich auch 
die Drüsentrichter sieh etwas abgellaclit haben, 

3. durch ein mechanisch wirkendes Instrument (und am 
besten wirkt noch immer die Bürste und das nachfolgende Ab- 
reiben mit einem rauhen Tuch) sowohl die groben Verunreini¬ 
gungen, als auch die oberflächlichsten, übrigens labilen, ver¬ 
hornten Epidermiszellen entfernt wurden.“ 

Zur Entfettung der Haut empfiehlt er die Anwendung einer 
Boluspaste, welche durch Verreiben von 1 kg Bolus alba (Pfeifen¬ 
erde) mit 700 ccm Wasser in einer Reibschalo hergestellt wird. 
Dioe Paste, welche die Konsistenz von dickem Honig hat, soll 
an den Händen verrieben und event. nach dem Abwaschen mehr¬ 
mals erneuert werden. Er erzielte die relativ besten Resultate 
mit der Sublimatdesinfektion nach folgendem Verfahren: 

1. 1—2 Minuten langes Entfetten der Iländo mit Boluspaste; 

2. 5 Minuten lange« Reinigen der Hände (oxel. der im 
Ganzen 1—2 Minuten dauernden, mehrfach vorgenommenen 
Nagelreinigung) mit Kaliseife und Bürste in möglichst warmem 
Wasser; 

3. Abreibon der nände mit einem trockenen groben Tuch; 

4. 3 Minuten langes Bürsten der Hände in 70proc. Alkohol; 

5. 3 Minuten langes Bürsten der Hände in heisser 1 proni. 
wässeriger Sublimatlösung. 

lieber die bakteriologische Prüfung der Hände nach An¬ 
wendung dieses modifieirten Fürbringe Fachen Verfahrens 
berichtet II negier Folgendes’*): „Boi 11 genau in dieser 
W eise vorgenommenen Versuchen (nach Füllung des Subli¬ 
mats mit Sehwefeliiinmonium) gingen nur in einem Fall 
zwei Kolonien in der Agarsehale auf, auch das gleich¬ 
zeitig beschickte Bouillonglas ergab Kultunvachsthum; in den 
übrigen 10 Fällen blieben die Nähnnedien steril. Es muss dabei 
hervorgehoben werden, dass diese Versuche grösstentheila am 
Knde der experimentellen Arbeiten angestellt wurden, zu einer 
Zeit also, wo das Verständnis« für das Wesentliche der Hände- 
rc-inigung durch Erfahrung schon sehr geschärft war, und dass 
d ie Hände sich dabei in tadellosem Zustande befanden und seit 
Wochen vor jeder Verunreinigung nach Möglichkeit ferngehalten 
wurden.“ Die Keiraentnahme mit dem Faden wurde vor der 
ITiindereinigung, wie auch unmittelbar nach jedem Akte der¬ 
selben vorgenommen. Haegier macht ferner darauf auf¬ 
merksam, dass auch das Sublimat nur einen bedingten Schutz 
auf die Dauer abgibt. 

Ermuntert durch die vorzüglichen Resultate, welche 
C. S. Haegier nach dieser modifieirten Fürbringer¬ 
srhen Methode erhalten hatte, haben auch wir zwei Ver¬ 
suchsreihen mit derselben angestellt und benutzten dazu, um 
Zufälligkeiten auszuschliesscn, unsere eigenen Hände. Dabei 
sei noch bemerkt, dass der Eine von uns (Paul) ca. 3 Wochen 
vorher mit keinem Desinficiens in Berührung gekommen war 
und seine Hände besonders gut gepflegt hatte. Die andere Ver¬ 
suchsperson (S a r wey) war 3 Tage lang mit keinem Desinficiens 
in Berührung gekommen und hatte ebenfalls gut gepflegte 
Hände, soweit dies bei chirurgischer Thätigkcit (Desinfektions¬ 
mittel: Seifenspiritus) möglich ist. Es sei noch hinzugefügt, 
dass die Versuche mit peinlichster Sorgfalt ausgeführt wurden. 

Das Resultat derselben ist in Tabelle 1 
unter Nummer 8 und 9 aufgeführt und bietet 
dasselbe Bild wie die übrigen nach P. Fiir- 
bringcr's Vorschrift ausgeführten Versuche. 
Stets konnten mehr oder weniger zahlreiche 
Keime von den Händen entnommen werden. 

Da wir über die exacte und sachgemässe 
Ausführung der Versuche seitens Ilaegler’s 
keinen Augenblick im Zweifel sind, können 
wir eine Erklärung für die Verschiedenheit 
der Resultate nur in der verschiedenen Be¬ 
schaff»* n.h eit der Hände finden. Auf d c r 

") 1. c. S. 12G. 

**) 1. c. 8. 133. 


anderen Seite lehren uns diese Versuche, 
dass eine Desinfcktionsmethodo bei einer 
oder mehreren Personen mit. sehr gutem Er¬ 
folg a n g o w e n d e t w o r d e n k a n n, w ä.h r e n d s i e 
bei anderen mehr oder weuiger versagt, und 
dass der a 11 g e m e. i n e n E i n f ü li r u n g eines Des- 
in f c k tio n s v e r f a h r e n s eine vielseitige Prü¬ 
fung vorausgehen muss. 

III. Weitere Desinfektionsversuche mit Quecksilberverbin¬ 
dungen und verschiedenen Lösungsmitteln. 

3. Sublimat -Alkoholdesinfektion nach Job. 

Hahn. 

Die ungünstigen Resultate, welche wir mit der Anwendung 
wässriger Rublimatlösung« n erzielt hatten, veranlassten uns, Vc.r- 
suclie mit anderen Lösungsmitteln resp. anderen Quocksilber- 
verbindungen zu machen. Es war uns daher sehr erwünscht, 
dass Herr Dr. med. J. II a h n in Mainz, welcher schon seit 
längerer Zeit in seiner ausgedehnten chirurgischen Praxis den 
Sublimatalkohol zur Händedesinfektion bei ausgezeichneten kli¬ 
nischen Resultaten benutzt, uns den Vorschlag machte, nach 
Tübingen zu kommen und seine Hände nach erfolgter Desinfek¬ 
tion bakteriologisch nach unserer Methodo zu prüfen. Wir 
geben zunächst eine ausführliche Beschreibung dies«« uns von 
Herrn Dr. Hahn gütigst mitgetheilten und auch im Central- 
blutt für Chirurgie veröffentlichten Verfahrens. 

Die Hände werden in gewärmtem, nicht sterilisirtom Wasser 
von ca. 43 * 0. mit Hilfe einer durch öfteres Kochen in 2 proe. 
Sodalösung möglichst weich gemachten und sterilisirten Hand¬ 
bürste unter Zuhilfenahme von so viel Schmierseife systematisch 
gebürst(*t, dass das Wasser im Waschbecken einen starken, nicht 
vergehenden Schaum bildet. Hierbei wird erst die Schmierseife 
in die linke Hand genommen, lose gehalte.n und unter dem Strahl 
des zuflicssend«*n warmen Wassers mit llilfo der Bürste mög¬ 
lichst fein im Waschwasser vertheilt 1h*zw. aufgelöst, hierauf 
wer«len die 1 Limit* und Unterarme mit d«*r Seifenbrühe gründlich 
durchfeuchtet, um die Epid«*rmis aufzulockern, und dann wird 
jeder Eiliger, vom Daumen beginnend, mit der längsgehaltenen 
Bürste systematisch abgebürstet. Nun werden tlie Untcrnagel- 
räume mit quergestellter und die Nagelränder mit längsgestellter 
Bürste sorgfältig, ohne zu grossen Druck auszuüben, bearbeitet, 
wobei die zu bürstende lland über das Waschwasser gehalten 
und die Bürste alle 5—10 Sekunden eingetaucht wird. In der¬ 
selben Weise werden die Handflächen und die Unterarme be¬ 
handelt. Alsdann lässt man das Wasser durch eine am Boden 
der Schüssel befindliche Oeffuung ausfliessen und befreit die 
Hände wie auch das Waschgefäss vom anhängenden Seifen¬ 
schaum durch Nachspülen mit warmem Wasser. Dieses Ver¬ 
fahren, welches beim Geübten ca. 4 Minuten in Anspruch nimmt, 
wird genau in derselben Weise wiederholt. Jetzt werden die 
stark erweichten Nägel' mit einer ausgekochten Nagolscheerc 
beschnitten, die Untemagelräume mit sterilem Nagelreiniger 
gesäubert und hierauf wird die oben beschriebene Bearbeitung 
der Hände und Unterarme unter Wasserwechsel noch zweimal 
in derselben Weise wiederholt, was je 2—3 Minuten dauert. Die 
abgespülten, aber nicht getrockneten Hände kommen jetzt sofort 
in eine Lösung von 1,5 g Sublimat auf 114 Liter ca. 98 proc. 
Alkohol, bleiben 4 Minuten in derselben unter stetiger Benetzung 
bis über den Ellenbogen und werden dann in wässriger 2 prom. 
Sublimatlösung abgespült, bis der Alkohol in der Haut genügend 
mit der wässrigen Lösung in Berührung gekommen bezw. 
grösstentHeils ersetzt ist (ca. 2 Minuten). Zum Schluss werden 
die Hände noch kurze Zeit (ca. 10 Sekunden) im Sublimat¬ 
alkohol abgespült. 

DioKesult x atedosvonHerrn Dr. Hahn selbst 
a u «geführt e n Versuch es sind in Tabelle 2 unter 
Nummer 1 enthalten. Von don von Sublimat¬ 
alkohol triefenden Händen konnten nach dem 
Eingehen in den sterilen Kasten und ober¬ 
flächlichem A b s p ü 1 e n mit sterilem Wasser 
nur sehr wenige entwicklungsfähige Keime 
entnommen werden, doch wurde deren Zahl 
s e h o n nach dem einfachen Baden in 1* 1 u t - 
warmem Wasser etwas grösser, au eh wurden 
an das B a d e w a s s «• r mit Rücksicht auf die g e - 

( 5 * 


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1490 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


ringe Menge des zur Anlegung der Kulturen 
benutzten Wassers zahlreiche Keime abge¬ 
geben. Unter denselben befanden sich ty¬ 
pische Hautkeime, so dass eine Täuschung 
durch anderweitige Verunreinigungen voll¬ 
kommen ausgeschlossen ist. 

Da wir das Verfahren H a h n’s nicht an unseren eigenen 
Händen probirt, noch Versuche mit anderen Personen angestellt 
haben, lassen sich diese Resultate nicht ohne Weiteres mit den 
oben angeführten Desinfektionsversuchen nach P. Für- 
b r i n g e r und nach deren von C. S. Haegier angegebenen 
Modifikation vergleichen, noch allgemeine Schlüsse daraus ziehen. 
Für uns kam es im Wesentlichen nur darauf an, zu prüfen, ob 
diese von der Hand ihres Erfinders und mit aller erdenklichen 
Sorgfalt ausgeführte Methode eine Keimfreiheit der Hand her¬ 
beiführen könne. 

2. Desinfektion mit Sublimataceton. 

Da weder mit dem in Wasser, noch in Alkohol gelösten Subli¬ 
mat eine befriedigende Desinfektion der Haut der Hände zu 
erzielen war, versuchten wir mit Hilfe anderer Lösungsmittel, 
Aceton und Methylalkohol, unser Ziel zu erreichen. 
Wir gingen hierbei von folgender Ueberlegung aus. Die Des¬ 
infektionskraft der Quecksilberverbindungen, wie auch der anderen 
Metallsalze, in wässriger Lösung steht in sehr innigem Zu¬ 
sammenhang mit deren elektrolytischer Dissociation **) und zwar 
ist die Giftwirkung um so stärker, je grösser die Conoentration 
der Metall-Ionen (Quecksilber-Ionen) in der Lösung ist. Das 
Sublimat Hg CI, zerfällt in wässriger Lösung theilweise in Hg- 
Ionen (Quecksilber-Ionen) und Cl-Ionen (Chlor-Ionen), und alle 
Zusätze anderer Stoffe, welche die Zahl der Hg-Ionen ver¬ 
mindern, z. B. Kochsalz, Bromkalium, Jodkalium etc. setzen 
auch die Desinfektionskraft der Sublimatlösung herab, ln 
hochprocentigem Alkohol ist das Sublimat ebenfalls sehr wenig 
elektrolytisch dissociirt und dies ist grösstentheils die Ursache, 
dass alkoholische Sublimatlösungen sehr viel schlechter deeinfi- 
ziren, als rein wässrige 10 ). In Alkohol, welcher mit Wasser ver¬ 
dünnt ist, liegen die Verhältnisse ganz eigenartig, hier gibt es 
für die verschiedenen Metallsalze ein Optimum des Alkohol¬ 
gehaltes, bei welchem die Desinfektionswirkung am grössten ist. 
Für das Sublimat liegt dieses Optimum bei ca. 25 Proc. Alkohol¬ 
gehalt. Eine wesentliche Ursache, warum eine wässrige Subli¬ 
matlösung, wie auch eine solche in 25 proc. Alkohol, die Haut 
nur imgenügend desinfizirt, dürfte wohl im Fettgehalt derselben 
zu suchen sein. Auch wenn wir die Haut durch Behandeln mit 
Boluspaste und energischee Waschen mit Seife und Bürste noch 
so stark entfetten, bleiben die tieferen Schichten und die Drüsen¬ 
ausgänge derselben doch noch fettreich genug, um ein Eindringen 
des Wassers oder verdünnten Alkohols zu verhindern. Benutzen 
wir dagegen eine Sublimatlösung in hochprocentigem Alkohol, 
welcher jedenfalls tiefer eindringt, so vermag das Sublimat nur 
eine geringe Giftwirkung zu entfalten, weil es in diesem Falle 
nur sehr wenig elektrolytisch dissociirt ist. 

Würden die eben angestellten Ueberlegungen für die Des¬ 
infektion der Haut allein maassgebend sein, so müsste ein 
Lösungsmittel sicheren Erfolg versprechen, welches einmal ein 
starkes Fettlösungsvermögen hat und in welchem andererseits 
das Sublimat genügend stark elektrolytisch dissociirt ist, um seine 
Giftwirkung zu entfalten. Ein solcher Körper ist, allerdings nur 
bis zu einem gewissen Grade, das Aceton (Dimethylketon 
CII,—CO—CII,), welches ein bedeutend grösseres Fettlösungs- 
vermögen besitzt, als der Aethylalkohol, während das elektro¬ 
lytische Dissociationsvermögen annähernd das gleiche ist' 7 ). Wir 
benutzten für unsere Versuche ausser dom reinen Aceton auch 
solches, welches mit gleichem Volum Wasser verdünnt war. Wenn 
das Fettlösungsvermögen dos letzteren Gemisches auch bedeutend 
geringer ist, als das des reinen Acetons, so übertrifft es doch 

“) Vergleiche unsere 6. Abhandlung, diese Wochenschrift 1901, 
No. 12. 

•*) Vergleiche: B. Krön lg und Th. Paul: Die chemischen 
Grundlagen der Lehre von der Giftwirkung und Desinfektion. 
Zeltsohr. f. Hygiene u. Infektionskrankh. 25, 91 <1897). 

’ 7 ) G. Carrara: Zur Theorie der elektrolytischen Dissocia- 
tion in anderen Lösungsmitteln, als Wasser. II. Aceton. Gazz. 
Ohim. ital. 27. I. 207—222 (1897). Vergl. das Referat über diese 
Abhandlung in der Zeltschr. f. pliysikal. Chemie 27, 184 (1898). 


immer noch dasjenige des reinen oder gleichprocentigen wässrigen 
Aethylalkohols und ausserdem wirken, wie B. K r ö n i g und 
Th. Paul nachgewiesen haben, gewisse Metallsalze auch in 
diesem Gemisch viel energischer auf die Bakterien ein, als die 
Lösung in reinem Aceton **). Da es uns hier in erster Linie nur 
darauf ankam, zu prüfen, ob sich mit Hilfe dieser beiden 
Lösungsmittel vollkommene Keimfreiheit der Hände erzielen 
Hesse, haben wir mit denselben je eine Versuchsreihe angestellt. 
Die Ausführung des Desinfektionsaktes war folgende: 5 Mi¬ 
nuten langes Bearbeiten der Hände mit heissem Wasser, 
Schmierseife und Bürste, Abspülen der Hände mit reinem 
Wasser, 5 Minuten langes Bürsten der Hände in 2 prom. 
Sublimataceton bezw. in einer 2 prom. Lösung von Sublimat in 
einem Gemisch aus gleichen Volumina Wasser und Aceton. Das 
Ergebniss dieser beiden Versuchsreihen ist auf Tabelle 2 unter 
No. 2 und 3 aufgeführt. Wenn auch diese Desinfek¬ 
tionsmethode durchaus nicht im Stande ist, 
vollständige Keimfreiheit der Haut herbei¬ 
zuführen, so lässt sich doch andererseits 
nicht verkennen, dass die Haut, die vorher 
sehr stark mit Keimen beladen war, durch 
diese einfache B e h a n d 1 u n g s w ei s e sehr keim¬ 
arm wurde und dass die theoretischen Er¬ 
wägungen, welche zur Anwendung dieses Lö¬ 
sungsmittels führten, sich in der Praxis 
stichhaltig erwiesen. Der Preis des gereingten 
Acetons beträgt durchschnittlich ca. 1 M. 60 Pf. pro Kilogr amm 
= 1!4 Liter, ist also noch etwas niedriger als der des ver¬ 
steuerten 96 proc. Alkohols. 

3. Desinfektion mit Sublimatmethylalkohol. 

Der Methylalkohol (gereinigter Holzgeist = CH, OH) 
besitzt für die meisten Fette ein etwas grösseres Lösungsver- 
mügen, als der Aethylalkohol und bietet für unsere Zwecke den 
grossen Vortheil, dass er für Elektrolyte und demnach auch für 
das Sublimat ein bedeutend grösseres elektrolytisches Dis¬ 
sociationsvermögen besitzt als jener "). Wir begnügten uns hier, 
aus dem beim Aceton angegebenen Grunde mit einer Versuchs¬ 
reihe. Der Desinfektionsprocess war derselbe wie dort; die mit 
reinem Methylalkohol angefertigte Sublimatlösung enthielt 2 g 
Quecksilberchlorid im Liter. Die Versuchsresultate sind in 
Tabelle 2 unter No. 4 aufgeführt. Leider wird auch 
mit diesem Lösungsmittel keine vollkom¬ 
mene Keimfreiheit der Haut herbeigeführt, 
doch ist die Zahl der entnommenen Keime 
noch etwas geringer als beim Sublimataceton, 
so weit sich dies überhaupt auf Grund einer 
einzigen Versuchsreihe feststellen lässt. Der 
Preis des Methylalkohols ist noch etwas geringer als derjenige 
des Acetons; er beträgt durchschnittlich 1 M. 40 Pf. pro Kilo¬ 
gramm = 114 Liter. Obgleich die hier mitgetheilten Versuche 
durchaus nicht genügen, die Brauchbarkeit des Acetons und 
Methylalkohols als Lösungsmittel für das Sublimat zu Hände- 
desinfektionszwecken darzuthun, laden sie doch dazu ein, die 
Versuche mit diesen Lösungsmitteln fortzusetzen und die theo¬ 
retischen Ueberlegungen, welche zu ihrer Anwendung führten, 
weiteren Experimentaluntersuchungen zu Grunde zu legen. 

4. Desinfektion mit wässerigen Lösungen 
von Q u e c k s i 1 b e r c i t r a t - A e t h y 1 e n d i a m i n und 

Quecksilbersulfat-Aethylendiamin nach 
B. Krönig und M. Blumberg. 

In ihrer im Verlag von Arthur Georgi, Leipzig 1900, 
erschienenen Abhandlung: „Beiträge zur Händedesinfektion“ *’) 
haben B. Krönig und M. Blumberg Händedesinfektions- 

“) B. Krönig und Th. Paul: 1. c. S. 92. 

*“) G. Carrara: Zur elektrolytischen Dlssoclatlonstheorie in 
anderen Lösungsmitteln als Wasser. I. Methylalkohol. Gazz. chim. 
ital. 20, I, 119—195, 1896. Vergleiche das Referat über diese Ab¬ 
handlung in der Zeitsehr. f. physik. Chemie 26, 571 (1898). — Harry 
C. Jones: The Elektrolytic Dissoclation of Certain Salts in 
Methyl and Ethyl Alcohols, as Measured by the Boiling-Point 
Method. Zeitschr. f. physikal. Chemie 31. 114 (1899). 

*°) Vergl. auch B. Krönig und M. Blumberg: Ver¬ 
gleichende Untersuchungen über den Werth der mechanischen und 
Alkoholdesinfektion der Hunde gegenüber der Desinfektion mit 
Quecksilbersalzen, spec. dem Quecksilberaethylendiamin. Münch, 
med. Wochensehr. 1900, No. 29 u. 30. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1491 


17. September 1901. 


versuche mit den complexen Verbindungen beschrieben, welche 
das Quecksilber mit Aethylendiamin eingeht. 
Sie gelangten zur Anwendung dieser Stoffe auf Grund folgender , 
theoretischer Erwägungen: „Gelingt es uns, die Haut mit einem 
Desinficiens zu imprägniren, welches auch bei der Uebertragung 
von Theilen der Haut auf einen empfänglichen Thierkörper noch ; 
weiter eine derartige entwicklungshemmende Eigenschaft aus- : 
übt, dass die Bakterien nicht im Thierkörper zur Entwickelung 
kommen, so ist der Wunsch, die Haut so desinficirt zu haben, 
dass sie nicht mehr inficiren kann, erreicht. Da wir also be¬ 
sonders auch auf die Entwicklungshemmung Werth legen, so 
brauchen wir nicht die Metallsalze zu wählen, welche in reinen 
Lösungen am stärksten desinficiren, sondern wir können andere 
Metallsalze prüfen, welche vielleicht die Eigenschaft haben, tiefer 
in die Haut einzudringen, oder gewisse Vortheile bei der prak¬ 
tischen Anwendung bieten.“ In der oben citirten Abhandlung: 
„Die chemischen Grundlagen der Lehre von der Desinfektion 
und Giftwirkung“, hatten B. Krönig und Th. Paul dar- 
gethan, dass bei der Entwicklungshemmung der elektrolytische 
Dissociationsgrad der Metallsalze im Allgemeinen ohne Einfluss 
und dass die Tiefenwirkung eines Salzes auf die Haut um so 
Dissociationsgrad der Metallsalze im Allgemeinen ohne Einfluss, 
grösser ist, je weniger dasselbe dissociirt ist. Letztere Beobach¬ 
tung war auch durch die Untersuchungen von Schäffer") 
und Blumberg") bestätigt worden, welche verschiedene * 
Silberverbindungen auf thierische Gewebe einwirken liessen und 
fanden, dass die complexen Salze thatsächlich die grösste Tiefen¬ 
wirkung besitzen, diejenigen Verbindungen also, welche in 
wässeriger Lösung nur wenige Silberionen abspalten. Besonders 
eine Aethylendiaminverbindung der Silbers, das Argentamin, 
drang sehr schnell in die Tiefe ein. Da die Verwendung 
des Argentamins zur Händedesinfektion wegen der Schwärzung 
der Haut am Tageslicht ausgeschlossen war, liessen B. Krönig 
und M. Blumberg von der Chemischen Fabrik auf Aktien 
vorm. E. Schering in Berlin neue Verbindungen des Queck¬ 
silbers mit Aethylendiamin herstellen. Es werden deren jetzt 
zwei in den Handel gebracht: eine concentrirte Lösung von 
Quecksilbercitrat-Aethylendiamin (sie setzt : 
sich nach den uns gemachten Angaben zusammen aus 10 Theilen ' 
Quecksilbercitrat, 4 Theilen Aethylendiamin und 86 Theilen j 
Wasser und enthält in 100 Gewichtstheilen 4,31 Gewichtstheile 
metallisches Quecksilber) und das feste krystallinische 
Quecksilbersulfa t-Ae t hylendiamin mit 44,3 Proc. 
Quecksilbergehalt. Beide Präparate wurden uns in dankens- 
werther Weise von der obengenannten Fabrik zur Verfügung 
gestellt 

Die Desinfektion erfolgte in der Weise, dass die Hände bei 
einmaligem Wasserwechsel 10 Minuten lang kräftig mit heissem 
Wasser, Seife und Bürste behandelt., mit sterilem Wasser ab¬ 
gespült und hierauf 5 Minuten lang in der warmen Desinfektions¬ 
lösung abgebürstet wurden. Da es uns auch hier in erster Linie 
nur darauf ankam, zu prüfen, ob die Methode eine Keimfreiheit 
der Haut herbeiführe, haben wir uns auf drei Versuchsreihen 
beschränkt, welche unter No. 5, 6 und 7 in Tabelle 2 enthalten 
sind. Das Quecksilbercitrat-Aethylendiamin kam in ca. 3 prom. 
Lösung (die concentrirte „10 proc.“ Lösung wurde mit Wasser im 
Verhältniss 1:30 verdünnt, wie es B. Krönig für praktische 
Händedesinfektionszwecke vorschreibt) und in 1 proc. Lösung 
(200 ccm der concentrirten „10 proc.“ Lösung mit Wasser auf 
2 Liter verdünnt), das Quecksilbersulfat-Aethylendiamin in 
lproc. Lösung (20 g festes Salz auf 2 Liter Wasser) zur Ver¬ 
wendung. Wie aus der Tabelle hervorgeht, kann 
auch bei dieser Methode von einer Keimfrei¬ 
machung der Haut keine Rede sein, und ist 
hier besonders zu betonen, dass die Zahl der 
mit Seidenfäden und Hölzchen entnommenen, 
wie auch der in die Bäder übergegangenen 
Keime sehr beträchtlich ist, ehe die Hände 
mit Schwefelammonium in Berührung käme n"). 

") Bchäffer: Ueber die Bedeutung der Silbersalze für die 
Therapie der Gonorrhoe. Münch, med. Wochenschr. 1895, No. 28 
u. 29. 

**) Bluinberg: Experimentelle Untersuchungen über Des¬ 
infektion im Gewebe thierischer Organe. Zeitschr. f. Hygiene und 
Infektionskrankh. 1898, p. 201 ff. 

“) Eine Beeinflussung der Haut durch das im sterilen Kasten 
befindliche leichtflüchtige Schwefelammonium haben wir auch 


Schon nach dem einfachen Abspülen mit ste¬ 
rilem Wasser im sterilen Kasten konnten mehr 
oder weniger zahlreiche Keime entnommen 
werden. Die erhoffte entwicklungshemmende 
Wirkung, welche die mit den Keimen auf den 
Nährboden übertragenen complexen Queck- 
silberaethylendiaminverbindungen ausüben 
sollten, hat also nicht oder doch nicht in be¬ 
merk e n 8 w e r th e r Weise stattgefunden und 
wird nach unserem Dafürhalten wohl auch im 
Thierkörper ausbleibe n. 

Ein Vergleich dieser Desinfektionsmethode mit den vorher 
beschriebenen lässt sich auf Grund so weniger Versuche natür¬ 
lich nicht mit Sicherheit ziehen, doch kann man mit einiger 
Wahrscheinlichkeit sagen, dass sie ungefähr dasselbe leistet, 
wie die F ürbringe Psche Methode. Es sei hier noch aus¬ 
drücklich darauf hingewiesen, dass B. Krönig und M. Blum¬ 
berg niemals behauptet haben, mit ihrer Methode Keimfrei - 
heit der Haut erzielen oder die Entwicklung der lebensfähig ge¬ 
bliebenen Bakterien nach ihrer Uebertragung auf Nährböden 
gänzlich verhindern zu können, ja dass es ihnen bei ihren 
eigenen Versuchen auch nicht mit einer lproc. Quecksilber- 
aethylendiamiulösung stets gelang, die künstlich auf die Haut 
gebrachten Tetragenusbakterien vollkommen unschädlich zu 
machen. (Vergl. Versuch 13 auf Seite 31 ihrer Abhandlung.) 
Sie zogen vielmehr aus ihren Versuchen nur den zu 
Recht bestehenden Schluss, „dass bei der Infektion 
der Hände mit Tetragenuskeimen die Quecksilberaethylen- 
diaminlösung, besonders wenn sie in stärkeren Concentrationen 
angewendet wird, der lprom. Sublimatlösung an Desinfektions¬ 
kraft gleichwerthig ist, dass sie aber vor derselben den grossen 
Vortheil voraus hat, dass wir sie wegen der fehlenden Aetz- 
wirkung in sehr concentrirten Lösungen anwenden können und 
dadurch im gegebenen Fall, wenn z. B. unsere Haut mit hoch¬ 
virulentem Eiter in Berührung gekommen ist, sicherer dos- 
infiziren können“. 

5. Desinfektion mit Sublimatlanolin. 

Schliesslich wollen wir dazu übergehen, einige Versuche zu 
beschreiben, welche wir mit Sublimatlanolin angestellt haben. 
Hierzu veranlasst« uns folgende Ueberlegung. Der Miss¬ 
erfolg der Desinfektion mit den verschiedenen Sublimatlösungen 
ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass dieselben, trotz¬ 
dem sie die Hautfette in hohem Grade zu lösen vermögen, nicht 
in die tieferen Schichten der Haut und in die Sekretions¬ 
öffnungen derselben einzudringen im Stande sind. Die dort be¬ 
findlichen Keime bleiben in Folge dessen intakt und führen die 
mangelhaften Desinfektionsresultate herbei **). Wenn es nun 
den sublimathaltigen Lösungen nicht gelingt, in die Tiefe der 
Haut einzudringen, so ist dies vielleicht bei quecksilberhaltigen 
Salben der Fall, welche sehr energisch und unter hohem Druck 
in die Haut eingerieben werden können. Ein Beispiel dafür, 
dass dies möglich ist, bietet die graue Quecksilbersalbe, von der 
wir wissen, dass das Quecksilber bei Tnunctionskuren bis in die 
tiefsten Hautkanäle hinein gelangt. Für unsere Zwecke eignete 
sich selbstverständlich diese Salbe nicht, doch liess sich einiger 
Erfolg von einer Salbe envarten, welche grosse Mengen wässriger 
Sublimatlösung incorporirt wurden. Als Grundlage für diese 
Salbe diente Lanolin (Adeps lanae anhydricus des Deutschen 
Arzneibuches), welches die 2—3 fache Menge seines Gewichtes 
an Wasser aufzunehmen vermag und damit eine Masse gibt, 
welche immer noch Salbenkonsistenz hat. Die von uns benutzten 


hier dadurch vollkommen ausgeschlossen, dass wir das Schwefel¬ 
ammonium in Glasröhren einschmolzon und diese erst beim Ge¬ 
brauch durch Abbrecheu des einen Endes öffneten. 

“) Die gleiche Ansicht hat C. S. H a e g 1 e r wiederholt in 
seinem schon mehrfach citirten Buche ausgesprochen. Auf Grund 
seiner sehr sorgfältigen Untersuchungen kommt er (S. 116) zu dem 
Resultat, „dass nach einer Sublimatbehandlung von einer Zeit, 
welche für die Hautdesiufektiou überhaupt in Frage kommt, das 
Quecksilber nur ln den oberflächlichsten Epidermisschlchten liegt 
und nicht in die Tiefe zu dringen vermag, nicht in den Grund der 
Falten reicht, aber auch nicht ln die Tiefe der natürlichen Haut¬ 
lücken, deren Keime also durch Sublimat nicht beeinflusst werden; 
dass durch die Manipulationen während der Operation, hauptsäch¬ 
lich durch das Schnüren der Fäden, die mit Quecksilber impriig- 
nirte Epidermissehicht entfernt wird, der darunter liegende Theil 
der Haut also als „nicht desinflzirt“ angesehen werden muss.“ 


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Nummer der Versuchsreihe || 


1402 


MUENCTTENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


Tabelle 2. 

Bakteriologische Prüfung der Hände (mit Benützung des sterilen Kastens) nach vorausgegangener Desinfektion mit Sublimat und anderes 

Quecksilberverbindungen in verschiedenen Lösungsmitteln. 

I)ic Tabelle umfasst 1> Versuchsreihen. Jede Horizontalreihe veranschaulicht den Keimgehalt der Hunde einer und derselben 
Versuchsperson während der einzelnen, zeit'ich aufeinander folgenden Versuchsabschnitte. 

! "j bedeutet steril. V/ZZZ/Z/A bedeutet viele Keime (ca. 20 bis ca. 80 Stück). 

fgBgHjjl bedeutet sehr viele Keime (über 80 Stück). 


1' • / bedeutet wenig Keime (l bis ca. 20 Stück). 


Versuchs¬ 

person 


Tlieile der 
Ilande, welche 
auf ihren 
Keimgehalt ge¬ 
prüft wurden 


Keim- 
gelinlt derj 
Tages- 
hflnde vor 
der Des¬ 
infektion 


Art und Dauer 
der 

Desinfektion 


Nach der Desinfektion 
(Prüfung im sterilen Kasten) 


vor d«r Füllung des Quecksilber mit 8chwefelammonium 


SÄ; 

»puien uer Uaden der Hände in sie- ___ 

desinflclr- 


ten Hände 
im sterilen 
Kasteu mit 
sterilem 
Wasser. 
Kelmgehall 
der Hände 


,, ,,, einem ca. 37.5° wannen 

rilemWasser von ca. 37,6° sandhnndbad 


Keimgehalt 
des Hade- 
Wassers 


Keimgebalt 
der gebadc- 
tcu Hände 


Keimgehalt 
des Sand¬ 
bandbades 


Keimgehalt 
der raftS and 
gescheuer¬ 
ten Hfinde 


Hierauf 
SMtn. langes 
Biden der 
Hände in 
schwefel - 
ammnnt- 
nmhallig 
i Waascr 

Keimgehalt 
i der Hfindo 


10 


11 


1. Sublimataethylalkohol. Methode von Dr. Hahn in Mainz (Die Einzelheiten dieser Methode sind im Text nachzulesen). 


Dr. 


Hah n 
Mainz 


Prof. Paul 


Prof. Paul 


Prof. Paul 


Prof. Paul 


Prof. Sarwey 


Prof Paul 


Pr-»f. 

I) öder lein 


Prof. Paul 


Bemerkungen: 


Handflächen 
Nagel falze 
Unternagelrüuiue 


Handflächen 
Nagel falze 
Unternagel räumo 

Handflächen 
Nagel falze 
Untcrnagelränmc 


Handflächen 

Nagelfalze 

Uiiternagelriiume 



VZIIZ7M 


Sorgfältiges und energisches Bear¬ 
beiten der Hände und Vorderarme 
mit lielsscm Wasser, 8chmtorseife 
und Bürste unter traallgem Wasser¬ 
wechsel. Nach dem 2.Wasserwechsel 
sorgfält Toilette der Nagel (Dauer 
dieser Vorbereitung 20 Min ). 4 Min. 
Sublimatalkohol (1 g Sublimat auf 
1 Liter 95proc. Alkohol). 2 Min. 
Abspülen der Hände mit 2 prom. 
wässeriger Sublimatlösung. Kurzes 
Abspülen mit Sublimatalkohol. 

2. Sublimataceton. 




5 Min. 1 nges Bearbeiten der Hände 
m heisse in Wasser, Seife u Bürste. 

6 Mm lang Bürsten in einer 2prom. 
Sublimat - Aoctonwnssermischung 
(cleicheTbeile Aceton u. Wasser). 


r> Min. langes Bearbeiten der Hände 
m. heissemWasser, Seife u Bürste. 
6 Min. langes Bürsten ln 2 prom. 
SubliinutacctoD. 


I_j 


* - J 


|_|! 

LZZZ 

1 li 


r' ; ;-.v| 



'_l ! 

EZZZ 

1 J 

• J 

1 _j 

!_ Jl 




1 1 







rzzz 




i \mzm 
mim 

czIz 


8. Sublimatmethylalkohol. 



6 Min langes Bearbeiten der Hände 
m hcissemWasser, Seife u.Bürste. 
5 Min. langes Bürsten ln 2 prom. 
Sublimat methylalkohol. 


I-'! 

! 

1 "'I 

!-J| 

1_1 





4. Wässerige Quecksllbercitrat-Aethylendiaminlösung nach B. Krönig. 


Handflächen 

Nagelfalze 

Unternagelräume 

gg 

10 Min. langes Benibeiten der Hände 
in hcissemWasser,Seifeu.Bürste 
(bei einmaligem Wasserwechsel). 

5 Min langes Bürsten in warmer 

3 prom wässeriger Lösung von 
«iueeksilbo «itrut-Acthylcndiam. 

r~ h 

C •'.'•'•'-‘j 1 l v Z- 

mzm | 

f'' 1 1 


'I7///7.7Ä 


WZZ/ZZA 




Handflächen 

Nagelfalze 

Unteroagelränme 

hh 

Dasselbe mit 1 proc. Quecksilber- 
Citrat-Aethylendluminlosung. 



‘mim. 

L •] 

f ■■■■■•■■■ '"'-.'ZI 

\ i 

i i 

müi/A 


Z///////A 


vzzzzm vzzzzm 



5. Wässerige Quecksllbersulfat-Aethylendlaminlösung naoh B. Krönig. 


Handflächen 

Nngelfalze 

Unternagelräume 


Handflächen 
Nagelfalze 
Unter nagelrSmnc 

Handflächen 

Nngelfalze 

l'nternagelrämne 






Art und Dauer der Desinfektion 
dlc«dbc wie vorstehend. Die wäs¬ 
serige Qiieeksilbersulfot- Aethylcn- 
dlaininl'isung war 1 proc. 


0. Sublimatlanolin. 

6 Min langes Bearbeiten der Hände 
m heissem Wasser. Seife u. Bürste, 
mit einmaligem Wasserwechsel. 
Abspülen der Seife und Trocknen 
der Hände mit sterilem Tuch. 

4 Min langes Kinreiben der Hände 
mit Sublimatlanolin (bei Prof. Drt- 
derlein öproe.. bei Prof. Paul 1 proc.) 

5 Min. Waschen der Hände mit ste¬ 
riler Seife und sterilem Wasser. 

3 Min. Bürsten in 1 prom. wässeri¬ 
ger Sublimatlösung. 



\wzzzm\wzzzm 


tzz 






vzzzzzzza 


r mzm 

mim 


Die in Rubrik 3 befindlichen Angaben über die Theile der Hände, welche auf Ihren Keimgehalt geprüft wurden, beziehen steh nur auf die 
Rubriken 4 , 6, 8, 10 u 11. 

Die Zusammensetzung des zu den Versuchsreihen 8 u. 9 benutzten Sublimatlanolins Ist: Sublimat.0,6 bexw. 2,6, Aqu. dest. 30,0, Vaselin, 
flav 2,0, Adip. lanne anhydric. ad 50 , 0 . 

Beim Keimgehalt der Badenässer ist die Durchschnittszahl der auf den Plattenkulturen entwickelten Kolonien in der Tabelle angegeben. 
Da die Menge des Badewas«i-rs ca. 300 ccm betrug und zur Anlegung einer Plattenkultur nur ea. 1 ccm verwendet wurde, war der gesammte 
Keimgehalt des Badewassers auch dann noch sehr gross, wenn nur wenige Keime auf den Kulturen aufgingen. 


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17. September 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1493 


Salben enthielten 5 Proc. und 1 Proc. Sublimat und waren nach 
folgender Vorschrift zubereitet: llydrargyr. bichlorat. 0,5 bezw. 
2,5, Aq. dest. 30,0, Vaselin flav. 2,0, Adip. lanae anhydric. ad 50,0. 
Der Desinfektionsakt mit diesem Sublimatlanolin gestaltete 
sich folgendermaassen: 6 Minuten langes Bearbeiten der Hände 
mit heissem Wasser, Seife und Bürste; Abspülen der Seife mit 
sterilem Wasser und Trocknen der Hände mit einem sterilen 
Tuch; 4 Minuten langes Einreiben der Hände mit Sublimat¬ 
lanolin; 5 Minuten langes Waschen der Hände mit steriler Seife 
in sterilem Wasser und schliesslich 3 Minuten langes Bürsten der 
Hände in 1 prom. wässriger Sublimatlösung. Die nachträgliche 
Waschung mit steriler Seife und sterilem Wasser erfolgte dess- 
halb, um die Salbe wieder von der Oberfläche der Haut zu ent¬ 
fernen, damit eine Entnahme der Keime ohne gleichzeitige Ver¬ 
unreinigung mit sublimathaltigerSalbe möglich war und die Haut 
mit Schwcfelammoniura imprägnirt worden konnte. Die mit dieser 
Desinfektionsmethode erzielten Resultate sind in Tabelle 2 unter 
No. 8 und 9 enthalten. Einmal geschah die Prüfung der Hände 
auf Keime direkt nach dem Eingehen in den sterilen Kasten, 
also ohne vorherige Behandlung mit Schwefelammonium, im 
üebrigen begnügten wir uns, den Koimgehalt erst nach dem 
5 Minuten langen Verweilen der Hände in dem körperwarmen 
sehwefelammoniurnhaltigen Badewasser festzustellen. Leider 
hatte auch diese Methode nicht den gewünsch¬ 
ten Erfolg, der Keim ge halt der Ilände blieb 
auch nach sorgfältigster Ausführung ziem¬ 
lich gross“). 

IV. Rückblick. 

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Ergebnisse der 
Versuche, welche in vorstehender Abhandlung niedergelegt sind, 
so kommen wir mit Bestimmtheit zu dem wenig erfreulichen 
Schlüsse, dass es auch mit. Hilfe so starker Bak¬ 
teriengifte, wie sie die oben genannten Ver¬ 
bindungen des Quecksilbers darstellen, nicht 
gelingt, die Haut der Hände keimfrei zu 
machen, mögen wir das Sublimat in wässriger 
Lösung mitAlkohol kombinirt nach der P. Für¬ 
bring e r’s c h e n Methode, oder nach dem von C. S. 
Haegier modifizirteu Verfahren, nach voraus- 
gegangener Entfettung der Haut mit Bolus¬ 
paste, zur Anwendung bringen, mögen wir 
andere Lösungsmittel, wie Aceton und Methyl¬ 
alkohol benutzen, mögen wir die Haut mit 
sublimathaltigen Salben einreiben oder con- 
centrirte wässerige Lösungen von komplexen 
Quecksilberaethylendi am in verbind ungen verwenden. 
Der Keimgehalt der Hände bleibt.auch dann 
noch sehr bedeutend, ja überraschend gross, 
wenn wir die Hände unmittelbar nach beende¬ 
ter Desinfektion, ohne vorhergehende Be¬ 
handlung mit Schwefelammonium, auf ihren 
Keimgehalt prüfen. In dem einen Fall, wo es 
uns nicht gelang, vor der Behandlung 
mit Schwefelammonium entwicklungsfähige 
K e i m e z u entnehmen (S u b 1 i m a t m o t h y 1 a 1 k o h o 1) 
und i n d e n wenigen Fällen, wo die Zahl d e r ent¬ 
nommenen Keime nur gering war (Sublimat- 
alkohol und Sublima tace ton) traten sofort 
mehr oder weniger zahlreiche Keime auf, 
wenn wir die Haut mit Schwefelammonium be¬ 
handelten. 

Sollen wir desshalb auf die Desinfektion der Hände mit 
Quecksilberverbindungen, speciell mit Sublimat, gänzlich ver¬ 
zichten? Wir glauben zur Zeit diese Frage mit „nein“ 
beantworten zu müssen, so lange uns kein anderes besseres 
Mittel zur Verfügung steht, und schlieesen uns in dieser 
Beziehung der Meinung C. S. Haegler’a an: „Wir 
suchen das Mögliche zu erreichen, wenn das Ganze un¬ 
erreichbar ist, und die Sublimatdesinfektion ist ohne Frage 
ein Hilfsmittel mehr für diesen Zweck.“ Vor Allem aber 


“) Diese Versuche wurden selbstverständlich nur aus theo¬ 
retischem Interesse angestellt, da das wiederholte Einreiben der 
Hände und Unterarme mit dem 1 resp. 5 proc. Sublimatlanolin 
wegen der damit verbundenen Resorption und Vergiftungs- 
gefahr In der Praxis vollkommen ausgeschlossen ist. 


sollen diese Untersuchungen uns darüber belehren, dass die bis¬ 
her angegebenen Desinfektionsmethoden, welche auf der Gift¬ 
wirkung des Sublimats und anderer Quecksilberverbindungen 
beruhen, unzulänglich sind, und dass wir uns niemals auf ihre 
Wirkung allein verlassen dürfen. Auf der anderen Seite sollen 
sie dazu anregen in dieser Richtung weiter zu arbeiten, neue 
Verbindungen zu prüfen und neue Methoden zu schaffen. Die 
Wege, auf welchen man zum Ziele zu gelangen hoffen darf, sind 
in dieser und in unser vorhergehenden Abhandlung ebenfalls an¬ 
gedeutet. Mit Hilfe der neueren physikalisch-chemischen Theo¬ 
rien, durch welche unsere Anschauungen vom Zustande der Stoffe 
in Lösungen — und diese kommen ja für die Händedesinfektions- 
versuche fast ausschliesslich in Betracht — in vollkommen neue 
Bahnen gelenkt worden sind, vermögen wir nicht nur den maxi¬ 
malen Desinfcktionsoffekt eines Stoffes herbeizuführen, sondern 
sie geben uns auch die Mittel und Wege an die Hand, neue Des¬ 
infektionsmittel aufzufinden und herzustclleu. 


Referate und Bücheranzeigen. 

E. Kaufmann: Lehrbuch der speciellen pathologischen 
Anatomie. Für Studirende und Aerzte. II. neu bearbeitete 
und vermehrte Auflage mit 561 Abbildungen und 2 Tafeln. 
Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer, 1901. 

Das Kauf m a n n'sche Lehrbuch hat in der vorliegcndei' 
zweiten Auflage eine wesentliche Umarbeitung erfahren, welche 
namentlich durch die Fortschritte, welche nicht nur die patho¬ 
logische Anatomie, sondern auch die klinischen Diseiplinen in 
den letzten 5 Jahren gemacht haben, begründet ist. Denn cs ist. 
ein grosser Vorzug auch der neuen Auflage des Werkes, dass die 
Darstellung der den verschiedenen Krankheiten zu Grunde 
liegenden pathologisch-anatomischen Veränderungen stets unt -r 
Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die klinische Beobachtung 
durchgeführt ist. 

Auch die Zahl der Figuren wurde in der neuen Auflare 
wesentlich vermehrt, was bei dem hohen Werth instruktiver Ab¬ 
bildungen für das leichtere Verstiindniss anatomischer Verände¬ 
rungen gewiss dankbare Anerkennung verdient. 

Trotz des grösseren Umfanges der neuen Auflage ist. der Text 
doch durch ausgiebige Anwendung verschiedenen Druckes un¬ 
gemein übersichtlich geblieben, so dass eine schnelle Oriontirung 
' ermöglicht ist. 

Wenn schon die erste Auflage des Kau f ma n n’sc-hen 
1 Lehrbuches sich allmählich immer grösserer Beliebtheit unter «len 
J Aerzten und Studirenden erfreute, so wird dies in noch höheren! 
; Grade für die zweite Auflage der Fall sein. Denn gerade die 
Rücksichtnahme auf die klinischen Bedürfnisse und die Hervor¬ 
hebung und ausführlichere Darstellung der auch klinisch wich- 
j tigen krankhaften Processe lassen das Lehrbuch für den pral- 
j tischen Mediciner besonders werthvoll erscheinen. Hauser. 

E. Ekstein: Die Therapie bei Abortus. 76 Seiten. Preis 
I Ar. 2.40. Stuttgart 1901. Ferdinand Enke. 

Mit seiner Arbeit beabsichtigt der Verfasser eine auf wissen¬ 
schaftlicher Basis und praktischen Erfahrungen beruhende ein¬ 
heitliche Behandlung des Abortus anzubahnen und sucht sich 
dieser Aufgabe, gestützt auf eigene 10 jährige Praxis und unter 
Berücksichtigung der ihm zugänglichen, in Frage kommenden 
Literatur der letzten 10 .Jahre zu unterziehen. 

Seine Methode (Modifikation nach Fritsch-Diihrs- 
sen-Sänger) scheint mir nach keiner Richtung hin einen 
Fortschritt zu bedeuten oder gar sich zur allgemeinen Ein¬ 
führung zu eignen. Polypenzange und Curette spielen die Haupt¬ 
rolle bei der Entleerung des Uterus. Die Einwände, die gegen 
dio ausschliessliche Anwendung gerade dieser Instrumente' er¬ 
hoben werden, sind nicht neu, können aber meines Erachtens 
gar nicht oft genug gemacht werden. Der Autor weist sie zu¬ 
rück, ohne 9ich die Mühe zu geben, sie zu widerlegen. 

„D er antiseptischen Asepsis ist bei allen 
Eingriffen und der objektiven Asepsis im 
Allgemeinen stets strenge Rechnung zu 
trage n“ — so der Autor! 

Die mechanische Reinigung der Ilände erfolgt ohne Bürste 
mit einem Gemisch von Kochsalz und Natrium hicarhoiticum. 
danach Desinfektion in 1 prom. Sublimatlösung. Zur Scheiden- 
und Utcrusspülung wird 3 proc. Karbollösung verwendet. 


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1494 


tfo. 38. 


MÜENCHENEk MEDICINlSCllE WOCHENSCÖRIFf. 


Neue Gesichtspunkte in der Abortbehandlung bringt die vor¬ 
liegende Arbeit nicht, so dass eine nähere Besprechung der Ein¬ 
zelheiten überflüssig sein dürfte. Die Darstellung ist recht weit¬ 
schweifig; Wiederholungen, oft ganz nebensächlicher Dinge, fin¬ 
den sich so häufig, dass die Lektüre sehr erschwert wird. 

Die Abhandlung ist Herrn Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Mar¬ 
tin in Greifswald, dem früheren Chef des Autors, gewidmet. 

Max Henkel- Berlin. 

Alexander P i 1 c z: Die periodischen Geistesstörungen. 

Eine klinsche Studie. Jena, J. Fischer, 1901. VII und 
210 Seiten. Mit 57 Kurven im Text. 5 Mark. 

P. versteht unter periodischen Psychosen jene Krankheits¬ 
formen, deren einzelne Anfälle ohne jede bekannte, äussere Ver¬ 
anlassungsursache in ihrer eigenthümlichen Erscheinungsweise 
periodisch wiederkehren. Er wirft zunächst einen inter¬ 
essanten Rückblick auf die ersten altgriechischen Autoren, die 
einen Wechsel von Manie und Melancholie erwähnen, bis zu den 
modernen Irrenärzten. Ebenso wie aus seinen theoretischen Er¬ 
örterungen geht auch aus seinen Angaben über die Häufigkeit 
des periodischen Irreseins hervor, dass er den Begriff wesentlich 
enger fasst als Kräpelin, der etwa 10 Proc. aller Geistes¬ 
kranken zum manischdepressiven Irresein rechnet, während P. 
unter mehr als 20 000 Fällen nur 2,86 Proc. periodisch Geistes¬ 
kranke findet. Das weibliche Geschlecht überwiegt. Verhält- 
nissmässig knapp erscheint P i 1 c z’ Angabe über die Heredität 
(62,5 bis 78 Proc.) Unter den Gelegenheitsursachen bespricht 
er Menses, weibliche Sexualkrankheiten, Neuralgien, ferner 
körperliche Krankheiten, psychische Traumen und das Gencra- 
tionsgeschäft des Weibes. 

Mit einer Reihe typischer Krankengeschichten illustrirt er 
das circulare Irresein, unter sorgfältiger Heranziehung der 
somatischen Befunde in der manischen und der depressiven Phase, 
auch von Blutdruck, Pulsfrequenz, Harnanalyse, Menses, Körper¬ 
gewicht u. a. In der Symptomatologie legt er Nachdruck auf 
das Vorherrschen der leichteren manischen Erregung, der Hypo¬ 
manie, während in der depressiven Phase die Störung vielfach 
intensiver ist. Besonders betont er die beachtenswerthen leich¬ 
testen Fälle, die er mit Grund nicht zur Neurasthenie rechnen 
möchte; dieser Streit ist übrigens angesichts der Prognose und 
Behandlung keineswegs so raüssig, wie er nach S. 51 erscheint. 
Nach einer genau durchgeführten symptomatologischen Analyse 
der einzelnen Zustandsbilder schildert P. den Anfall als Ganzes, 
mit besonderer Betonung der Erscheinungen in der Uebergangs- 
periode zwischen Manie und Depression, der sog. Misehzuständc. 
Zweckmässiger Weise verzichtet er darauf, den französischen 
Autoren in dem Bestreben zu folgen, für jeden Intensitätsgrad 
der Zustände besondere Termini zu prägen. Die mannigfachen 
Verlaufstypen werden auch schematisch demonstrirt, wobei viel¬ 
leicht die in praxi so überwiegend häufigen irregulären Verlaufs¬ 
formen ebenfalls eine Wiedergabe verdient hätten. Mit be¬ 
sonderer Sorgfalt und Anschaulichkeit ist die Differential¬ 
diagnose, vor Allem gegenüber der Paralyse und den jugendlichen 
Verblödungsprocessen, dargestellt. 

Die periodische. Manie wird zunächst durch eine Reihe von 
Krankengeschichten illustrirt und darauf symptomatologisch ge¬ 
schildert. P. muss zugeben, dass die Hypomanie von perio¬ 
dischem Verlauf sich in nichts von der hypomanischen Phase des 
circularen Irreseins unterscheidet, während die Mania gravia 
periodisch fast ebenso oft auftritt wie die Hypomanie. Immer¬ 
hin wäre zu erinnern, dass auch circuläre Fälle mit schwerster 
manischer Erregung nicht allzu selten Vorkommen. Eine Unter¬ 
scheidung der periodischen Manie von der „akuten einfachen 
Manie“ aus dem Zustandsbild ist auch nach P. unmöglich, nur 
die Hypomanie soll nie einfach, sondern immer bloss periodisch 
oder circulär Vorkommen. 

Als periodische Melancholie bezeichnet P. Fälle von perio¬ 
disch wiederkehrenden, melancholischen Zustandsbildern, welche 
die einfache Elementarstörung der traurig-ängstlichen Verstim¬ 
mung und der associativen und psychomotorischen Hemmung bei 
klarem Sensorium und häufigem Fehlen von Wahnbildungen und 
Sinnestäuschungen bieten. Die Seltenheit dieser Fälle gibt P. 
zu; bei dem mitgetheilten Beispiel aus v. Krafft-Ebing 
kann Niemand sagen, ob es der 35 jährigen Patientin nicht eben¬ 
so ergeht, wie in einem Falle meiner Beobachtung, der bis zum 


58. Lebensjahr ganz ähnlich als periodische Melancholie verlief 
und dann erst den circularen Typus anzunehmen begann. 

In seltenen Füllen kommen ferner Psychosen vor mit 
massenhaften Sinnestäuschungen, hochgradiger Verworrenheit, 
ohne besondere Stimmungsanomalie, kurzum mit einem Einzel¬ 
bild, das der akuten halluzinatorischen Verworrenheit, der 
Amentia M e y n e r t’s, entspricht. Vielleicht darf daran er¬ 
innert werden, dass die Katatonie auch manchmal schubweise 
verläuft und ähnliche Bilder dabei auftreten, wie in dem ein¬ 
gehend geschilderten Fall, ohne dass zur Zeit der stürmischen 
Erregung die typischen katatonen Symptome besonders deut¬ 
lich ausgeprägt wären. 

Noch seltener treten periodische Zustandsbilder einer pri¬ 
mären Wahnbildung auf bei völlig klarem Sensorium und Fehlen 
jeder Stimmungsanomalie, demnach eine „periodische Paranoia“ 
nach Ziehen. Freilich wäre auch hier einzuwenden, dass doch 
in dem citirten Fall eine Affektsstörung, die gesteigerte Zom- 
müthigkeit, angegeben wird, und dass die durch Ziehen an¬ 
gewandte Prüfung des Associationsverlaufs mit dem Münster- 
b e r g’schen Chronoskop zur Beurtheilung einer etwaigen 
manisch-depressiven Associationsstörung nicht völlig ausreicht. 

Ferner bespricht P. ein periodisches Irresein in der Form 
krankhafter Triebe, „periodische Monomanien“. Er rechnet hier¬ 
her die Dipsomanie, die von anderen der Epilepsie zugewiesen 
wird, ferner die periodische Psychopathia sexualis. 

Weiterhin kommen die periodischen deliranten Verworren¬ 
heitszustände zur Darstellung, die zum Theil allerdings Be¬ 
ziehungen zur periodischen Manie haben, andererseits freilich oft 
sehr schwer klinisch abzutrennen sind von epileptischen Ver¬ 
worrenheitszuständen. Schliesslich bespricht P. noch sekundär 
ausgelöste periodische Psychosen, dabei vorzugsweise das men¬ 
struelle Irresein. 

Eingehend werden die körperlichen Symptome bei den perio¬ 
dischen Psychosen dargestellt, dann die komplizirenden körper¬ 
lichen Krankheiten, ferner Kombinationen von periodischem 
Irresein mit. anderen Psychosen und Neurosen und schliesslich 
die noch wenig ergcbnissreichen Untersuchungen über die patho¬ 
logische Anatomie der periodischen Psychosen. 

Es ist entschieden ein recht verdienstliches Werk, die 
grossen Gruppen des circulären Irreseins, der periodischen Manie 
und der periodischen Melancholie zu beleuchten, wenn auch der 
Versuch einer principiellen Abtrennung dieser einzelnen Formen 
von einander ebensowenig in abschliessender Weise durch¬ 
geführt ist, wie die Abgrenzung von einer „einfachen Manie“ 
oder Depression, so dass wir in jedem einzelnen Fall, der uns 
ohne Anamnese zu Gesicht kommt, sagen könnten: Hier handelt 
es sich um eine einfache, da um eine periodische und dort um 
eine circuläre Manie. Die kleineren Gruppen bieten noch zu 
wenig Fälle, als dass man die Abtrennung für eine definitive an- 
sehen könnte; überhaupt bleibt es immer eine, freilich oft un¬ 
umgängliche Schwierigkeit, Material anderer Beobachter mit zu 
verarbeiten, da schliesslich jeder die Fälle in gewissem Grad mit 
anderen Augen ansieht. Auf die epileptischen Geistesstörungen 
mit ihrer Periodicität hat P. seine Darstellung nicht ausgedehnt. 
Die reiche Literatur über die periodischen Psychosen ist mit 
einer geradezu erstaunlichen Vollzähligkeit und Genauigkeit auf- 
geführt und verarbeitet. Es wird keine Behandlung irgend 
einer Frage aus dem grossen Gebiete mehr möglich sein, ohne 
dass das P i 1 c z’sche Buch in weitem Maasse dazu herangezogen 
wird. Weygandt - Würzburg. 

Dr. A. Kollmann und Dr. F. M. Oberländer: Die 
chronische Gonorrhoe der männlichen Harnröhre. Theil I. 
Leipzig, Verlag von Georg Thieme, 1901. 

Ueber den Werth der von Oberländer inaugurirten 
mechanisch-instrumentellen Behandlung der chronischen Gonor¬ 
rhoe, unter andauernder Kontrole des Befundes der Harnröhren¬ 
schleimhaut mittels der Urethroskopie ist eine allgemeine 
Einigung noch nicht erzielt. Immerhin wird zuzugeben sein, 
dass, wenn sich auch hervorragende Vertreter des Faches in dieser 
Richtung nur mit Reserve äussern, die rationelle urethro- 
skopische Untersuchung und auch die zu therapeutischen 
Zwecken unternommene Dehnung in Kombination mit arznei¬ 
lichen Applikationen, speciell in Folge der so ausserordentlich 
eingehenden Arbeiten von Oberländer und Kollmann, 
eine erhebliche Anzahl von Anhängern, darunter Namen vom 


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149 r > 


17. September 1901. MUENOHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


besten Klunge erworben hat. In dem vorliegenden Buche, dessen 
II., der Therapie gewidmeter und uns besonders interessirender 
Theil noch aussteht, wird zunächst die Pathologie und die patho¬ 
logische Anatomie der akuten und chronischen Gonorrhoe des 
Mannes, weiterhin aber die Diagnose der Urethritis gonorrhoica 
chronica mit besonderer Berücksichtigung der Urethroskopie be¬ 
handelt. Leider fehlen hier die, in dem früheren O.’schen Lehr¬ 
buch der Urethroskopio so trefflich gelungenen Tafeln. Vielleicht 
werden dieselben dem II. Theile beigegeben sein, wenn auch eine, 
Andeutung davon bisher vennisst wird. Uebcr die wissenschaft¬ 
liche und diagnostische Bedeutung der Urethroskopie dürfte ein 
Zweifel kaum mehr aufrecht zu erhalten sein. Ueber den prak¬ 
tischen Werth der damit verbundenen meehanisch-instrumen- 
tcllen Methoden werden wir mit unserem Urtheil besser zuriiek- 
haltcn, bis das Buch vollständig vorliegt. K o p p. 

Jahresbericht der Unfallheilkunde, gerichtlichen Medicin 
und öffentlichen Gesundheitspflege für die ärztliche Sach- 
verständigenthätigkeit, herausgegeben von Dr. P1 a c z e k. 
Leipzig, G. T h i e m e, 1901. 707 S. Preis 18 M. 

Kein Gebiet der allgemeinen ärztlichen Praxis ist in 
den letzten Jahren so erweitert und ausgiebig bebaut worden, 
wie das der ärztlichen Sachverständigenthätigkeit; in formeller, 
technischer und wissenschaftlicher Beziehung sind hier grosse 
und neue Aufgaben an die Aerzte herangetreten. Für manche 
Arbeitsgebiete, wie die Medicinalverwaltung und gerichtliche 
Medicin, werden naturgemäss immer nur einzelne bestimmte 
Aerzte die regelmässig beigezogenen Sachverständigen bilden, 
aber es kommt doch sehr häufig vor, dass die praktischen Aerzte 
in Straf- und Civilproccssen als Sachverständige oder sachver¬ 
ständige Zeugen beigezogeu werden; die immer mehr sich aus¬ 
dehnenden Lebensversicherungen und privaten Unfallversiche¬ 
rungen beanspruchen die sachverständige Mitwirkung der Aerzte 
in hohem Grade und namentlich für die Durchführung unserer 
socialpolitischen Gesetzgebung, die Beurtheiluug der Erwerbs¬ 
unfähigkeit nach den verschiedenen Gesichtspunkten und des 
Zusammenhanges zwischen Trauma und Krankheit, die Behand¬ 
lung Unfallverletzter, wie die Handhabung des Heilverfahrens 
bei Versicherten bildet die sachverständige Thätigkeit aller 
Aerzte die unentbehrliche Grundlage. Kein Arzt, sei er Kassen¬ 
arzt oder Specialarzt, kann und darf sich dieser Aufgabe ent¬ 
ziehen und muss sich daher auch mit diesen Disciplinen ein¬ 
gehend vertraut machen. 

Man kann daher wirklich von der Abhilfe eines dringenden 
Bedürfnisses sprechen, wenn ein neues Unternehmen diesen viel¬ 
seitigen Ansprüchen genügen und den Aerzten in ihrer Eigen¬ 
schaft als Sachverständigen in jährlicher Uebersicht Kenntniss 
von den in zahlreichen, in- und ausländischen Fachblättern zer¬ 
streuten neuen und wissenswerthen Arbeiten bringen will, wie 
dies für andere medicinsche Sparten seit Jahren der Fall ist. 

Die Namen der vielen Autoren, deren jeder über ein ab¬ 
gegrenztes Gebiet referirt, Hessen etwas Gutes erwarten. Der 
Leser findet in dem Jahresberichte nicht nur vielerlei, sondern 
auch viel, was mit kritischem Geiste in knapper, anregender 
Form zusammengestellt ist. Auf das Einzelne kann nicht weiter 
eingegangen werden, schon die blosse Inhaltsangabe würde zu 
viel Platz beanspruchen; Manches dürfte ausführlicher, Manches 
kürzer oder anders behandelt sein,’ der Abdruck grösserer Ge¬ 
setze im Wortlaute dürfte wohl wegfallen. Jedenfalls stellt schon 
das erstmalige Erscheinen dieses Jahresberichtes eine werthvolle 
Bereicherung der ärztlichen Literatur dar, möge er daher die 
wünschenswerthe Verbreitung finden. Dr. Carl Becker. 

Neueste Journalliteratur. 

Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. 
Bd. V, Heft 3. 1901. 

1) Max E i n h o r n - New-York: Heber Sitophobie intesti¬ 
nalen Ursprungs. 

Sitophobie = Furcht vor Nahrung ist nach der Erfahrung 
des Verf. ein Zustand, der lauge Zeit hindurch anhalten kann und, 
wenn nicht erfolgreich behandelt, du» Loben gefährdet. E. theilt 
die Krankengeschichte dreier Fülle mit, bei welchen der Glaube, 
dass objektiv unbedeutende Darmstörungen sich durch die Auf¬ 
nahme erheblicher Nahrungsmengen verschlimmern möchten, zur 
ungenügenden Nahrungszufuhr, rapiden Abmagerung. Anuemie, 
nervösen Symptomen geführt hat. Hinsichtlich der Therapie em¬ 
pfiehlt er vorzüglich eine psychische Behandlung, unterstützt bei 
nervösen Zustiludeu durch Brom-, bei schmerzhaften Erscliein- 
ungeu durch Codein-Medikation. 


2) Erich E k g re n - Stockholm: Untersuchungen und Beob¬ 
achtungen über den Einfluss der abdominellen Mas3a<?e auf 
Blutdruck, Herzthätigkeit und Puls, sowie auf die Peristaltik. 
(Aus der III. inedieltiischen Klinik der Charite [Direktor: Geheliu- 
ratli Senato r].) 

Verfasser beobachtete bei der manuellen Anwendung ab¬ 
domineller Massage eine deutliche Herabsetzung des Gefüsstouus, 
Verringerung der Pulsfrequenz und Anregung der Peristaltik. 
11 Krankengeschichten beweisen seine Ausführungen. Er glaubt 
daher eine subtile Massage als eine die Herzthätigkeit licruhigeude, 
verlangsamende und gewissermaasseu regulirende I*roz«*dur em¬ 
pfehlen zu dürfen. Die Wirkung derselben erklärt er sich durch 
die Erzeugung einer starken abdominellen Gefässfüllung, zeit¬ 
weise» Entlastung des Herzmuskels und möglicherweise auch eines 
directen reflektorischen Bolzes auf den Vagus und die Vaso¬ 
dilatatoren. 

Öl II. S a 1 o m o n - Frankfurt: Ueber die Wirkung der Heiss¬ 
luftbäder und der elektrischen Lichtbäder. (Aus der Abtheilung 
des Prof. v. N oord e n.) 

Während ü!ht die Wirkung heisser Bäder genaue Stoff- 
wechselarbeiteu vorliegen, fehlen derartige Untersuchungen bisher 
bei der Ileissluft- und elektrischen Licht-Bndcbehaudlung. S. hat 
nun hei 2 Patienten während und unmittelbar nach Heissluft- und 
elektrischen Licht-Bädern mittels des Z u n k - G e p p e r t’schen 
Bcspirationsnpparatcs genaue Gasweehseluntersuchuugen an¬ 
gestellt. Er kommt dabei zu dem Resultate, dass die Wirkung auf 
den Gaswechsel gegenüber der mächtigen Beeinflussung der Körper¬ 
temperatur, des Körpergewichts und des Allgemeinbefindens eine 
relativ geringe Ist und die Vermehrung desselben selten über die 
beim Fiel>or ermittelten Steigerungen ldnausgelit. Jedenfalls 
reichen die Oxydationssteigerungen im Ileissluft- und Lichtbade 
nicht entfernt an die von Wiuteruitz im heissen Wasserbade 
gefundenen heran. 

ln Praxis erscheinen also die elektrischen Lichtbäder als 
reinliche, schnell wirkende Schwitzbäder. Eine speeitische Wir¬ 
kung erheblicheren Grades auf dou Stoffwechsel ist nicht nach¬ 
weisbar. 

4) M. S i g f r 1 ed - Bad Nauheim: Die Dreiradgymnastik im 
Dienste der Bewegrungstherapie. (1. u. II. Theil. Mit 11 Ab¬ 
bildungen.) 

Das Dreirad erwies sich dem Verf. nicht nur zur Ergänzung 
der Apparate der bahnenden wie der kompensatorischen Uebungs- 
(lierapie (bei Myelitis. Polyneuritis und tabischer Ataxie) als 
brauchbar, sondern lless sich auch bei der Behandlung von Herz¬ 
krankheiten zur Widcrstandsgymuastik mit Erfolg verwenden. 
Denn vorsichtig eiugeleitete Muskelkontraktionen entlasten das 
Herz. Bei richtiger Dosinmg der Gymnastik tritt eine Verlang¬ 
samung der Herzthätigkeit und Atlimuug. zugleich eine Vertiefung 
der letzteren und eine Erhöhung der Pulswelle ein. 

S. wandte die Kadgyiuuastik in Fällen von Herzdilatation und 
Herzmuskelerkrankuug mit günstigem Resultate an, doch Ist eine 
dauernde ärztliche Uobcrwachung der Hebungen unbedingte 
Voraussetzung. 

5) Pe 11 zaeu s-Suderode am Harz: Beschreibung einer auch 
bei wechselndem Wasserdruck sicher funktionirenden Douche- 
vorrichtung. (Mit 1 Abbildung.) 

<») W. Camerer jun.-Stuttgart: Untersuchungen über Dia- 
betikerbrode. 

C. lenkt die Aufmerksamkeit der Aerzte darauf, dass nach 
eigenen Analysen der Gehalt der sogenannten 1 Muhetikcrl»rode an 
Kohlehydraten selten unter 40 Proc., das ist unter den Kohle- 
hydratgelialt des gewöhnlichen Gniliamhrodes oder Pumpernickels 
zu stehen kommt, in der Praxis also ihr Nutzen meistens über¬ 
schätzt wird. 

Dazu kommt noch, dass je länger ein Brod aufbewahrt wird, 
es einen relativ um so grösseren Kohlehydratgelinlt durch Wasser¬ 
verdunstung erreicht. 

7) Julian M a r e u s e - Mannheim: Das hydrotherapeutische 
Institut an der Universität Berlin. (Mit 3 Abbildungen.) 

M. W assermanu - München. 

Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 3- ; . 

II. Z e e h u i s e n - Utrecht: Beitrag zur Mechanotherapie. 

Verf. will systematische Muskelübung unter ärztlicher Auf¬ 
sicht. insbesondere Wlderstnndsthempie in einschlägigen Fällen 
mehr angewandt wissen. An der Hand eines Falles von Fett¬ 
herz, den er mit Erfolg derart behandelte, bespricht er die all 
bekannten Manipulationen, wie sie durch den Hausarzt vorzu- 
nehmen seien. Als liesoudere Gebiete für die Anwendung der 
Mechanotherapie. unter Umständen verbunden mit Hydrotherapie, 
benennt Verf. die Rekouvalesceuz akuter und subakuter Erkrank¬ 
ungen. Fälle mit Unterernährung einhergehender Zustände von 
körperlicher und psychischer Schwäche (abhängig zum Theil von 
beginnender Tuberkulose, Anneniie. Chlorose». Gicht, atypische 
Gicht uml mit gichtischer IMatliese einhergeliende ueutasthenische 
Zustände. Fettsucht. Neurasthenie, Hysterie, traumatische Ncuio<c 
und „aparte Fälle von Tuberkulose, die sich in Folge von psy¬ 
chischer Depression nicht zur Anstnltsbchnndiuug eigneten”. 

Verf. will bei Allem die Mechanotherapie nur als BruHilImil 
des Ganzen, d. h. also neben den gewöhnlichen therapeutischen 
Agentlen amvenden. 

Neues bringt der Aufsatz nicht. 

de lu Ca mp-Berlin. 


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M1JENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


»:)3 


Archiv für klinische Chirurgie. 64. Bd., 4. Heft. Berlin, 
Hirschwald, 1901. 

47) Rosa Einhorn: Zur Kenntniss der Unterschenkel¬ 
frakturen. (Chirurgische Klinik Bern.) 

Rein statistische Arbeit. Zum Referat nicht geeignet. 

50) M <> r t e n s: Die Frakturen des Calcaneus, mit besonderer 
Berücksichtigung des Böntgenbildes. (Chirurgische Klinik Leip¬ 
zig.» 

M. hatte Gelegenheit, 15 Fälle von Culcaneusfraktur zu be¬ 
obachten und davon 9 mittels des Königen Verfahrens zu unter¬ 
suchen. 3 FraktUrformen sind nach M. zu unterscheiden; die 
reine typische Kissfrnktur des Calcaneus, die Compressionsfraktur' 
schwereren (Jnides — Zertrümmerungsfraktur — und die Com¬ 
pressionsfraktur leichteren Grades. l>as Köntgenhild der reinen 
lUssfraktur zeigt weiter nichts, als dass ein Fragment von der 
hinteren Iliilfte des Fcrsenboinkürpers abgerissen und nach oben 
dislocirt ist. Her Körper des Calcaneus zeigt im Febrigen absolut 
normales Verhalten, vor Allem vollständig erhaltene Bälkchen- 
struktur. Hei der Kompressionsfiaktur schwereren Grades bildet 
sich verwaschene, zum Tlicil völlig nufgrholiene Struktur der Sub- 
stautia spongiosa. umtleichniässige, herdweise auftretende Verdich¬ 
tung uml Zusammenstauchung der spongiösen Substanz — kennt¬ 
lich am intensiveren Schatten, abwechselnd mit weniger komprl- 
mirten helleren Partien — deutliche Verminderung der Höhe des 
Calcaneus und ganz unregelmässig verlaufende Brtichlinicn. Die 
Kompressionsfrakturen leichteren Grades zeigen dieselben Vor- ] 
änderungen, nur in weit geringerem Grade. Das llauptcharakte- 
ristische für diese sind die herdweise auftretenden an den ver¬ 
schiedensten Stellen des Cnloaneuskürpers lokalisirten Verdich¬ 
tungen der spongiösen Substanz mit Vorwasehensein der Bälkelien- 
struktur. 

Die Diagnose der schweren Kompressionsfraktur ist auch 
klinisch immer leicht zu stellen, während die sichere Erkennung i 
der leichteren Kompressionsbrüche oft nur mit Hilfe des Röntgen- 
bildes möglich ist. 

55» v. 11 i n t s - .Maros-Vasärhely (Ungarn): Ueber die isolirte 
Zerreissung der Hilfsbänder der Gelenke, mit Anschluss eines 
Falles von Ruptur des Ligamentum genu collaterale flbulare. 

Der Fall von isolirter Zerreissung des äusseren Kuiegelenks- 
bandes entstand durch Hinüberfallen des Oberkörpers nach links 
bei lixirtem rechtem Fnterschcnkel. Der Fnterschenkel konnte 
nach der Verletzung in geringem Matisse gegen den Oberschenkel 
adducirt werden; über abnorme Rotation Hess sich kein Urtheil 
gewinnen. In ticktirter Stellung konnte der Fnterschenkel nach 
vorne und hinten nicht bewegt werden: die Ligamenta erueiata 
waren demnach intakt. Nach der Heilung war die Funktion 
des Keines tadellos, obgleich keine vollständig feste Vereinigung 
des zerrissenen Bandes eingetreten war. 

v. II. sieht den Grund des Fehlens einer Funktionsstörung in 
erster Linie in der normalen Winkelstellung des Oberschenkels 
zum Fnterschenkel. Die gleichen statischen Verhältnisse des 
Kniegelenkes bedingen auch die grosse Seltenheit der Zerreissung 
des äusseren Seitenbandes im Vergleich zur Ruptur des Liga¬ 
mentum lat. tibiale. Aus der gesummten Literatur konnte v. II. 

27 Fälle von Ruptur der letzteren und nur 2 Fälle von Zerreissung 
des äusseren Seitenbaudes zusammenstellen. 

50) Schanz- Dresden: Was sind und wie entstehen statische 
Belastungsdeformitäten P 

Statische Belast ungsdeformitäten sind krankhafte Form Ver¬ 
änderungen des Traggerüsts des Körpers, welche durch statische 
Inanspruchnahme derselben über seine statische Leistungsfähigkeit 
entstehen. Die Entwicklung der Belastungsdeformitäten erfolgt 
nach ganz einfachen mechanischen Gesetzen, die im lebenden 
Organismus keine anderen sind, wie beim todten Material, nur re- 
agirt der lebende Organismus in bestimmter Weise. Es müssen 
demnach an den statischen Belastungsdeformitäten 2 Arten von 
Erscheinungen zu linden sein: die einen als Ergebnisse der rein 
mechanischen Einwirkung der Feberlastung und die anderen als 
Keaktionserscheinungen des lebenden Organismus auf die durch 
jene mechanischen Vorgänge entstehenden Veränderungen. Die 
m Frage kommenden mechanischen Vorgänge führt Sch. an einer 
Reihe von Beispielen aus, in denen er das Traggerüst des Körpers 
mit einer biegsamen, elastischen Säule vergleicht. 

Als erste und wichtigste Reaktioliserscheiuung des Organis¬ 
mus nennt Sch. die der fortschreitenden Verbiegung entsprechende 
Verschiebung der Biegsamkeitsgrenze. Andere derartige Reaktions¬ 
erscheinungen sind die Bestrebungen des Körpers, dem deformiren- 
den Process Einhalt zu tliun. z. B. die Anlagerung von Stütz¬ 
substanz auf der Seite der Conen vital einer Verbiegung (Exostosen¬ 
bildung an der skoliotischcn Wirbelsäule. Sübelsehcidenform der 
rachitischen Tibiai oder bei Gelenken die Verstärkung der auf 
Seite der Fonvexitiil gelegenen Kapseltheile (Hypertrophie des 
Lignin, lat int. bei Genu valgtim, Verdickung der plantaren Bänder 
beim statischen Platt fass). 

-in» v. M i k n 1 i c z - Breslau: Die Methoden der Schmerz¬ 
betäubung- und ihre gegenseitige Abgrenzung. 

4Si II e i d e li h a i n - Worms: Ueber Exstirpation von Hirn¬ 
geschwülsten. 

49) Der sei b e: Ausgedehnte Lungenresektion wegen zahl¬ 
reicher eiternder Bronchiektasien in einem Unterlappen. 

51 1 K o h 1 h a rd t: Ueber Entgiftung des Cocains im Thier¬ 
körper. (Krankenhaus P.crgmaiinstrost Halle.) 


52) Rehn-Frankfurt: Die chirurgische Behandlung der 
akuten Appendicitis. 

53) Julius W o 1 f f - Berlin: Die Arthrolyse und die Resektion 
des Ellenbogengelenkes. 

54) Dorsel b e: Osteoplastik bei veralteter Patellarfraktur. 

Die Referate über vorstehende Arbeiten finden sich hn Bericht 
über den 30. Chirurgeukougress, No. 10—19 dieser Wochenschrift. 

Heineke- Leipzig. 

Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 34. 

A. II e nie: Ein Kurzschlussunterbrecher für die Zwecke 
der Endoskopie. 

Fm eine Starkstromleitung direkt (nach Einschaltung des 
nöthigen Widerstandes) für die Eudoskopie, speciell der Harn¬ 
blase etc., zu benützen, bedient sich II. (wenigstens bei Gleich- 
stromleittuigen von nicht allzu hoher Spannung) eines einfachen 
Ausschalters, wodurch die Lampe durch Kurzschluss ihres Stroms 
beraubt wird, während die eingeschalteten Widerstände gross 
genug sind, um ein Durchbreuneii der Sicherungen zu vermeiden. 
Als Widerstand diente ein (s. Abbild.) Brett mit 3 Glühlampen von 
19, 25 und 52 Kerzen, die je eine oder zwei durch Verstellung 
eines entsprechenden Hebels in deu Stromkreis eiuzusclmlteu siud, 
in welchem ausserdem ein kurzer Kheostat zur feineren Regu- 
linmg eingefiigt ist. Damit das Licht dieser Widerstamlslampen 
nicht stört, sind sie aus dunkelgrünem oder dunkelrotlicin Glas 
gefertigt ts. die Abbild, im Original). Verfertiger G. llnertel- 
Breslau. Sehr. 


Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd. 

3. Heft. 

1) II. K e I tl er- Wien: Ein Beitrag zur Retroflexion und 
Retroversion der schwangeren Gebärmutter. 

Eine Rückwärtsverlagerung der schwangeren Gebärmutter 
kommt nicht nur dadurch zu Stande, dass eiu retrolloktirter oder 
retrovertirter Ftcrus geschwängert wird, sondern auch durch Ver¬ 
lagerung der antefiektirten Gebärmutter in der Schwangerschaft. 
Bei bestehender Rotrodeviation kann eine RetroÜexlo zu einer 
Ketroversio, eine Retroversio zu einer RetroÜexlo werden. Beide 
Lageveräudorangen sind in ihrer Bedeutung sehr verschieden. 
Eine Spontanaufrichtung des Uterus ist bei Ketroversio nicht zu 
erwarten, doch ist ein therapeutisches Handeln auch bei Ketru- 
flexio geboten. Die Fälle von Rückwürtsverlageruug, in denen 
der Muttermund die höchste Stelle des im kleinen Becken ein¬ 
gekeilten Uterus bildet, oder in denen bei nach vorne und oben 
gerichtetem Muttermund die Portio vaginalis fehlt, haben die 
pathologische Bedeutung der Retroversio. 

Die Hnrureteutiou darf selbst nicht bei fehlender Infektion 
des Blaseninhalts durch plötzliche vollständige Entleerung der 
Blase behandelt werden. Die sogen. Blasenblutung ex vacuo ist 
der Ausdruck beginnender Blasennekrose. 

2) M. Madlener- Kempten: Das Hautemphysem nach 
Laparotomie. 

Die bekannten Fälle von Hautemphysem nach Laparotomie 
sind alle durch den Austritt der hn Abdomen zurückgebliebenen 
Luft zwischen die genähten Wundränder entstanden. Gewöhnlich 
breitet sich die Luft im lockeren subkutanen Gewebe aus. In 
einigen Fällen entstand Emphysem vor vollständigem Schluss der 
Bauchwunde. Die Beckenhochlageruug begünstigt das Entstehen, 
ebenso ungenügende Vereinigung der tieferen Schichten der Bauch¬ 
naht. Das Emphysem macht kaum Beschwerden und wird meist 
ohne Behandlung nach einigen Wochen resorliirt. 

3) L e w e re n z - Stettin: Ueber die mit den Beckenorganen 
im Zusammenhang stehenden Bauchdeckenflsteln. 

Verf. bespricht im Anschluss an die Mittheilung von 5 Fällen 
aus der Greifswalder Klinik die Entstehungsweise, Behandlung 
und Verhütung dieser Fisteln. Es ist übertrieben, die Drainage als 
Ursache der fistulösen Baueheiterungeu anzuschuldigen. Die Be¬ 
handlung muss zunächst mehr oder minder palliativ sein. Ist der 
Douglas’sehe Raum Sitz der Eiterung, so ist es zweckmässig, das 
hintere Seheideugewölbe zu eröffnen und vaginal zu drainiren. 
In anderen Fällen sind Einspritzungen von ätzendeu und ad- 
stringirenden Substanzen in den Eitergang von Erfolg. Versagen 
alle Mittel, dann ist die Radikaloperation, die Exstirpation des 
Fisteiganges und di«* Ausschaltung der Eiterungsquelle, geboten. 
Die vaginale Operation ist in den Fällen zu empfehlen. In denen 
wegen gleichzeitiger Erkrankung d«*r Adnexe tüe Totalexstirpation 
des Uterus gestattet bezw. imlieirt ist. 

Uni der Entstehung solcher Fisteln vorzubeugen, verwende 
man bei versenkten Nähten ausschliesslich resorblrbares Material: 
die Peritonealrisse sind sorgfältig zu schliessen; die Anwendung 
der Drainage bezw. Tamponade ist nach Möglichkeit eiuzu- 
seliränken. 

4) V. J ohan n ovsk y - Reichenberg: Kasuistische Beiträge 
zur operativen Gynäkologie. 

1. Primäres Selieidensarkom, durch sakrale Totalexstirpatiou 
des Uterus und der Scheide mit Erfolg operirt. Verf. sieht in der 
sakralen Opcrntionsmethode gegenüber «lern perinealen Verfahren 
von Olshausen und der Scheidemlamniincision von Dübrsseti 
den Voriheil, «lass nach Entfernung der hinteren knöchernen 
Bcckcnbegrcnzung Rectum und Scheide iu übersichtlicher Weise 
freigelegt werden kann. Die Blutstillung kann exakter ausgefiihrt 
werden, auch die von Krön lg hei dem Verfahren nach 01s- 
h a u s e n in 4'erschlag gebrachte Resektion des aulii*gendeu 
Rectumtheiles würde im gegebenen Falle einfacher sein. 


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17. September 1901. 


MFENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1497 


2. Zwei konservative Kaiserschnitte, ausgeführt an derselben 
Person. In beiden Fällen wählte Verf. den vorderen Längsschnitt 
uud legte das zweitemal eine gemeinschaftliche lUerusbauch- 
deckenmiht au. 

5) F. S p a e t li - Hamburg: Antipyrln-Salol als Haemo- 
b typ tl cum. 

Verf. empfiehlt bei Blutungen die lokale Behandlung der 
Uterusinnenflüche mit erhitztem verflüssigtem A.-S. Die Wirkung 
beruht in der Auslösung kontraktionserregender Reize und ist ln 
allen Fällen bei Blutungen in Folge muskulärer Erschlaffungs¬ 
zustände des Uterus eine prompte. Sind Geschwülste oder stärkere 
Wucherungen der Uterusschleimhaut vorhanden, so genügt A.-S. 
meist nicht zur definitiven Blutstillung. 

ti) R. I* a 1 m - München: lieber papilläre polypöse Angiome 
und Fibrome der weiblichen Harnröhre. (Schluss im nächsten 
Heft.) 

7) J. F u e t h • Koblenz: Zur Leitung normaler Geburten 
durch den Arzt. 

Bemerkungen zu der vom ärztlichen Leseverein in Aachen 
angeregten Frage der staatlichen Prüfung uud Beaufsichtigung 
von Woclienpflegeriunen. C. Weinbreuner - Erlangen. 

Centralblatt für Gynäkologie. 19ul. No. 36. 

1) Erwin Keh rer-Bonn: Eine sehr seltene Form von 
Ruptur des muskulösen Beckenbodens und des Perineum. 

K. beschreibt einen Fall bei einer I. Para mit Vaginitis granu- 
losa, die in der Geburt eine komplizirte centrale Dammruptur ac- 
quirirte. Die hintere Vaginalwand, das Septum recto-vaginale 
und die vordere Wand des Rectum rissen ein; im Anus erschien 
«las Gesicht des Kindes. Nach sagittaler Incision ging die Ge¬ 
burt glatt zu Ende. 

Die Verletzungen wurden durch sorgfältige Naht vereinigt; 
besondere Sorgfalt wurde auf die Vereinigung der Sphinkterenden 
verwandt. Heilung günstig. Bei der Frau handelte es sich 
übrigens um ein allgemein gleichmüssig verengtes, nicht rachi¬ 
tisches Becken. 

In der Literatur fand K. nur 5 ähnliche Fälle, die er kurz 
beschreibt. 

2) E k s t e i n - Teplitz: Entgegnung auf die Publikation von 
S o 1 o w i j: „Eine einfache und sichere Methode der instrumen- 
tellen Ausräumung der Gebärmutter ohne Assistenz bei 
Abortus“. (Centralblatt für Gynäkologie, No. 33. — Rpf. in 
dieser Wochenschr. No. 35. p. 13i)2.i 

E. bekämpft den Gedanken S.'s, eine iustrumeutclle Aus¬ 
räumung des Uterus bei Abortus ohne Assistenz auszuführen, 
einmal wegen der Gefahr der Perforation, zweitens wegen der 
Unsicherheit in Bezug auf exakte Entleerung des Uterus. Wenn 
kein Arzt zur Verfügung, sollte eine Hebamme wenigstens immer 
zur Assistenz geholt werden. 

3) G a r i o n i - Padua: lieber ein gynäkologisches Speculum. 

Wieder ein neues Speculum! Dasselbe gleicht dem Col Hu¬ 
schen Speculum bivnlve, besitzt aber auch noch eine damit fest 
zu verbindende Kugelzange für Herabholung des Uterus und eine 
ebenfalls fest anzubringende Kanüle zur Irrigation. So soll cs 
gelingen, ohne Hilfe und unter strengster Antisepsis zu operiren. 
Abbildung im Original. 

Fabrikant ist X. Val egg ia in Padua. 

J a f f 6 - Hamburg. 

Archiv für Kinderheilkunde. 32. B<1., 1. u. 2. Heft. 

H. Cramer-Bonu: Zur Stoffwechselgleichung beim Neu¬ 
geborenen. 

Physiologische Untersuchungen über den Stoffwechsel Neu¬ 
geborener; die Ergebnisse wurden durch ungemein zahlreiche 
Wägungen der Kinder erhalten uud so die aufgenommene Nahrung. 
Koth und Urin, sowie die Perspiratio lnsensibilis — die Kinder 
wurden in impermeable Stoffe eingehüllt — bestimmt. Die zahl¬ 
reichen Tabellen siehe im Original. — Das Wachsthum der Nou- 
gelxj reuen ist durch Wägung am Morgen zu bestimmen; in den 
ersten Lebenstagen tritt eine Wasserverarmung und damit eine 
Verminderung der Ilarnaksonderung ein; ca. vom 10. Lebenstage 
au betrügt für längere Zeit unter normalen Verhältnissen die 
Urinmeuge 70 Proc. der eingenommenen Flüssigkeit. 

G. Variot uud G. C h 1 c o t o t-Paris: Einige Anwendungen 
der Radioskopie für das klinische Studium der kindlichen Brust¬ 
organe. (Aus dem „IlOpital des Enfants malades", Paris.) 

I. Messung der Projektionsfläche des Her- 
z e u s. Schilderung der Methode, durch welche die Verf. das 
rawioskoplsche Herzbild erzeugen und mittels eines geometrischen 
Verfahrens (Details Im Original) auf den wirklichen Herzumriss 
korrlgireu. — II. Die Diagnose der genuinen (crou- 
p ö s e li) Pneumonie beim Kinde mit Hilfe der 
R n d i o s k o p i e. Mittels lichtschwacher Röhren konnten die 
Verf. Verdichtungen ira Lungengewebe nachweiseu und halten 
«lieses Verfahren für diagnostisch werthvoll, besonders bei cen 
tralen Pneumonien und Fällen, wo die übrige physikalische Dia¬ 
gnostik im Stiche lässt. — III. ltadioskopische Beob¬ 
achtungen zur I) 1 f f e r e n 11 a 1 d 1 a g n o s e zwischen 
Bronchopneumonie und genuiner Pneumonie 
hei Kindern. Aufzählung der radioskopischen Befunde, die 
1 h* 1 nicht hepatisirenden und nicht confluirenden Lungenerkrank- 
uugeu wenig charakteristisch sind. 

G. - v. Ritter: Zur Xenntniss der Atresia laryngis post 
intubatlonem. (Aus Professor Ganghofner's Kinderklinik In 
Prag.) 


Beschreibung eines Falles bei einem lOniouatlieheu Knaben, 
der wegen Diphtherie intubirt. daun sekundär traeheotomirt wurde 
und bei dem sich eine völlige Obliterutiou des Kehlkopflumens 
oberhalb der Kanüle ausbildete; Exitus durch intercuiTcntc 
Masern. — Zusammenstellung der übrigen ähnlichen Fälle aus 
der Literatur, welche auch für die Ansicht O’D w yers sprechen, 
dass die sekundäre Tracheotomie die Entstehung von Stricturen 
oder Obliteration des Larynxlumens zu begünstigen scheine, wohl 
dadurch, dass die durch die Tula? gesetzten Decubitusgeschwüre 
ganz sich selbst überlassen bleiben, v. R. schliesst. sich daher 
O'Dwyer an. von der späteren Tracheotomie abzusehen uud die 
Heilung dos Decubitus im Kehlkopf durch entsprechend uiodi- 
lizirte Tuben anzustreben, entweder durch die kurzen Tuben von 
Bayeux oder die speziell hiefür angegebenen O’Dwyer'sehen 
Tuben. 

J. K. F r i e d j u n g - Wien: Vom Eisengehalt der Frauen¬ 
milch und seiner Bedeutung für den Säugling. 

Eiuo kleine Reihe von physiologischen Untersuchungen über 
den Eisengehalt der Frauenmilch. 

A. Baginsky: Zur Pathologie des Darmtraktus. 

Referat in der pädiatrischen Sektion des XIII. Internat, mod. 
Kongresses in Paris. — Ref. diese Wochenschr. 11)00, p. 1323. 

P. It i c li tc r-Berlin: Ueber Masern und Pemphigus. 

It. berichtet über die gesammte Literatur, welche das Auf¬ 
treten von pemphigusartigen Eruptionen im Gefolge von Maseru 
behandelt. Es ist unentschieden, ob es sich bei diesen deletären 
Erkrankungen um eine besondere und schwere Modifikation von 
Masern handelt oder um eine Aufeinanderfolge von wirklichem 
Pemphigus nach Morbilli. 

Kleine Mittheilungen: # 

A. A. K Issel: Ein Fall von Noma (nach Masern) bei 
einem 5 jährigen Knaben mit Ausgang in Heilung trotz Kom¬ 
plikation mit blutigem Durchfall und Pneumonie. — Ein Fall 
von eiteriger Pleuritis bei einem 2 jährigen Knaben, geheilt 
durch modiflzirte Behandlung von Prof. Lewascheff. (Aus 
dem St. Olga-Kinderkrankenhaus in Moskau.) 

Kasuist Ische M ittheilungen. 

L. Voigt, Oberimpfarzt in Hamburg: Bericht über die im 
Jahre 1900 erschienenen Schriften über die Schutzpocken¬ 
impfung. 

Referate. Lichteusteln - München. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenknnde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 6. 1901. 

1) Nakanlshi: Heber den Bau der Bacterien. (Schluss.) 

2) E. J ac o b 11 z - Halle: Die Sporenbildung des Milz¬ 
brandes bei Anaerobiose (bei Züchtung in reiner Stickstoff- 
atmosphäre). 

Im Gegensatz zu lvlett kommt Verf. bei seinen Untersuch¬ 
ungen zu dem Resultat, dass eine Sporenbilduug bei Milzbrand 
auf Agarnährbodeu ln einer reinen Stickstoffatmo- 
spliüro nicht stattfindet. Der Stickstoff verhält sich also genau 
wie der Wasserstoff. 

3) R. Rah n e r-Freiburg: Bacteriologische Mittheilungen 
über die Darmbacterien der Hühner. 

Die Dejektionen von jungen, eben erst ausgebriitoten lliihn- 
ehen wurden qualitativ und quantitativ auf vorhandene Bacterien 
untersucht. Es zeigte sich, dass erst am Ende des 2. Tages 
einzelne nicht nach G r a m färbbare Bacterien auftreteu, die zur 
Gruppe des Bact. coli gehören. Am 4. bis 5. Tage gesellen 
sieh (* o c e c n und nach G r a m färbbare Stäbchen hinzu, 
die Verwandte des Subtil is und Mesenterieus sind. 
Aehnlieh wie beim Menschen Ist auch heim Hühnchen in den 
ersten Stunden der Danuinhalt steril. 

Das Bacteriui» coli, welches aus dem llühnerdarminhalt rein 
gezüchtet wurde, ist in allen Stücken dem Bact. coli commune des 
Menschen gleich und in allen Lebens- und Ernährungsverhältnissen 
am reichlichsten vertreten. 

4) E. 0 a c ac e - Neapel: Heber das proteolytische Vermögen 
der Bacterien. 

Die mit Sa reinen, Milzbrand und S t a p h y lo¬ 
co c o e n angestellten Versuche ergaben, dass Proteinsubstanzen 
unter Bildung von Prolalburuosen, Deuteroalbumosen und Peptonen 
zersetzt wurden. Die Produkte der Proteinspaltuug können in 
weit fortgeschrittenen Stadien der Entwicklung der Bacterien 
f«*hlon. Die Proteolyse ist dieselbe wie b«*i allen lel>eudeu Wesen. 

5) K. Reuter- Hamburg: Ueber den färbenden Bestand¬ 
teil der Romanowsky-Noch t’schen Malariaplasmodien¬ 
färbung, seine ReindarBtellung und praktische Verwendung. 

Durch methodische Versuche gelang es. «len färl>endcn Be¬ 
standteil «ier R o m a n o w s k y'sehen Färbung rein darzustellen, 
so dass nunmehr mit absoluter Sielmrheit die (’hroinatlnfärlmug 
ermöglicht wird. Der Farbstoff ist für sieh uud in seiner alko¬ 
holischen Lösung unveränderlich. Die näheren Details müssen im 
Original nnchgelesen werden. 

(j) A. Dietrich- Tübingen: Ein neuer Operationstisch für 
Kaninchen. 

R. O. Neil mann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 3(>. 

1) H. J a e g e r - Königsberg i. Pr.: Heber Amoebenbefunde 
bei epidemischer Dysenterie. 

Die Befunde von Amoebon bei Dysenteriefällen differiren nach 
den einzelnen Distrikten, aus denen die Untersuchungen stammen. 
Verf. lmt bei 30 untersuchten DyseuteriefiUleu 23 und im Stuhle 


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1498 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


Ainoclicu auffinden kilumn.. die den bei clor ägyptischen Ituhr 
gefundene» in allen wesentlichen Merkmalen ähnlich waren. Sie 
kamen und versehwauden mit dem Rulirprocesse. bosassen die 
Fülligkeit, rot he Blutkörperelieu in sieh auf zunehmen, verhielten 
sieh ablehnend gegen Ziiehtungsversuehe und waren pathogen für 
Katzen. Yerf. hält für erwiesen, dass diese Amoebenform für die 
in Ostpreussen vorkonnnende Ruhr eine wichtige aetiologisehe 
Rolle spielt. Doch scheint auch im Nordosten Deutschlands eine 
Ruhrart ohne Amoeben vorzukommen, wie auch Krause bei 
seinen Untersuchungen im nlederrheluiseh-westfällsehen Ruhr¬ 
gebiet bei den Dyseuteriefällen keine Amoeben, sondern konstant 
eine dem Typhuslmcterium ähnliche Stiibcheuart nachzuweisen 
vermochte. 

2) L. Mohr- Frankfurt a. M.: Zur Frage der Zuckerbildung 
aus Fett in schweren Fällen von Diabetes mellitus. 

Unter Anführung der über diese Frage vorliegenden Literatur 
berichtet Yerf. über seine Stoffwoehseluutcrsuchungeu bei 
2 schweren Diabetesfällon. bei denen die Berechnung ergab, dass 
die ausgeschiedene n Zuckermengen unmöglich alle aus denKiweis-c- 
suostanz.cn abstammen konnten. Auch schon frühere experi¬ 
mentelle Untersuchungen, ferner die Bestimmungen au mit 
Phloridzin vergifteten Hunden, sowie eine Reihe theoretischer 
Ueberlegungen lassen es nunmehr als sicher erscheinen, dass eine 
Zuekerbilduug aus Fett möglich ist. 

3» F. S e 1 b e r g - Berlin: Traumatische Pankreasnekrose. 

Kin 3J)jiihr. Mann erlitt einen Hufschlag auf die Mngen- 
gegend. es bildete sich eine Auftreibung über dieser Region, ferner 
zeigte sich ein Pleuraexsudat links, das noch entleert wurde, 
während eine weitere Operation wegen des schlechten Allgemein¬ 
befindens nicht mehr möglich war. Die Sektion des Patienten 
ergab eiue völfige Nekrose des ganzen Pankreas, so dass unver¬ 
ändertes Drüsenparenchym an keiner Stelle mehr nachweisbar 
war. Die Fettzeilen zeigten sich mit einem dunklen Pigment ge¬ 
füllt. Das histologische Bild war nicht vou jenem bei der spon¬ 
tanen Nekrose zu findenden zu unterscheiden. In diesem Falle 
lag die Ursache mit aller Sicherheit in dem vorausgegangenen 
Trauma. 

4) Dreesmann - Köln: lieber Wismuth-Intoxikation. 

In der Literatur sind eine grössere Reihe von Fällen be¬ 
schrieben, wo sowohl bei äusserer als auch bei innerer Anwendung 
grösserer Wismuthmengen Yergiftungserscheinungen beobachtet 
werden konnten. Der auftretende Symptomenkomplex hat grosse 
Aehnliclikeit mit der Bleivergiftung, indem ebenfalls Stomatitis 
und ein bläulicher Saum am Zahnfleisch sich zeigen; im Harne 
findet sich ein Niederschlag, der manchmal noch als Wismuth 
erwiesen werden konnte: auch kamen schon Darmgeschwüre zur 
Beobachtung. Diese Krscheinuugen wurden auch bei Anwendung 
des Dermatols, wie desAirols schon beobachtet. Aus seiner eigenen 
Erfahrung beschreibt Yerf. einen Fall, eine 30jähr. Patientin be¬ 
treffend, wo nach einer ausgedehnten Verbrennung 10 proc. 
Wismuthsalbe angewendet wurde, aber schwarzes Sedimeüt im 
Harne, starke Stomatitis, sowie ein bläulicher Zahnfleischsaum 
auftraten, so dass das Wismuth sistirt werden musste. 

3) Th. Gluck* Berlin: Beitrag zur Chirurgie der Peritonitis. 
(Schluss.) 

Der sehr ausführliche Vortrag, über welchen bereits kurz an 
dicserStelle herhhtit wurde, bespricht die Geschichte der Methoden, 
mittels welcher man bisher der postoperativen Peritonitis Herr zu 
werden versuchte. Abgesehen von schon lange aufgegebenen Ver¬ 
suchen bestanden sie in der Bestrebung, die Leibeshöhle offen zu 
halten und für den Abfluss der Sekrete möglichst zu sorgen. 
Gluck hat schon früher Apparate konstruirt, welche — sie sind 
in dem Artikel nicht eingehender liesclirieben — es ermöglichen, 
nicht nur die Bauchhöhle offen zu halten, sondern auch eine fort¬ 
währende Ueberspiilung mit beliebigen Flüssigkeiten, z. B. Koch¬ 
salzlösung. erlauben. Nebenbei kann noch die Tamponade und 
Drainage todter Räume stattfinden. Bei 3 Fällen. Kinder betr., 
konnten unter dem Gebrauch der Apparate die Heilungsvorgänge 
genau verfolgt werden. Von 30 operirten Fällen von tuberkulöser 
Peritonitis hatte Yerf. 11 Todesfälle. Gl. liesprieht noch Einzel¬ 
heiten, welche sich bei der Spontanheilung der tuberkulösen Peri¬ 
tonitis abspielen. Verf. fordert weitere Versuche mit seinen 
Apparaten. 

0) Fr. € r a m e r - Wiesbaden: Eine balancirende Schwebe. 

Der Artikel bringt die Abbildung und Beschreibung eines 
Apparates, welcher es ermöglicht, dass das z. B. bei Oberschenkel- 
ITaktim n im Verband befindliche Bein nicht in unveränderlicher 
Höhe hängt, sondern balanclrt. so dass es mit dem übrigen Körper 
sowohl gehoben als auch gesenkt worden kann, ohne dass es auf- 
hörf, schwebend und in Extension gehalten zu werden. Verf. hat 
sich überzeugt, dass die Erfolge mit der Vorrichtung gute sind 
wegen der ungestörten Wirkung der leicht kontrolirbaren Ex 
tonsinn: auch in der Privatpraxis kann der Apparat Anwendung 
finden. Urassrannn - M fluchen. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 36. 

li Ile hold und B r a t z - Wuhlgnrten (Berlin): Die Rolle 
der Autointoxikation in der Epilepsie. 

Vortrag, gehalten auf der Jahresversammlung des Vereins 
deutscher Irrenärzte im April 1001. Referat siehe diese Wochen¬ 
schrift No. 20. pag. S10. ' 

2» Adolf B i e k e 1 - Göttingen: Untersuchungen über die Be¬ 
ziehungen zwischen der Veränderung des Gefrierpunktes des 
Blutes und nervösen Störungen. 

Nach vorliegenden Untersuchungen hängen die durch intra¬ 
venöse Injektion koi.z >n tri Her Kochsalzlösung erzeugten nervös-m 


Reizerseheinungen bis zu einem gewissen Grade ab vou der 
Schnelligkeit, mit welcher die Injektion vorgeuommeu wird. Da 
min eine pathologisch vermehrte Konzentration des Blutes nur 
sehr allmählich zu Stande kommt, lassen sich die Beobachtungen 
von nervösen Reizerscheinungen, wie sie bei diesen Injektionen 
gemacht wurden, nicht ohne Vorbehalt zur Erklärung der Uraemie 
verwenden, und ist die bei der Uraemie vorhandene Steigerung 
der inolekulären Konzentration des Blutes nicht als der Grund 
der Störung anzusehen, wie Lindemanu meint, sondern unr 
als ein Ausdruck der abnormer Weise im Körper retinlrteu Sub¬ 
stanzen. 

3) Gotthold Herxheim er - Frankfurt a. M.: Ueber Fett¬ 
farbstoffe. 

H. weist au einer Reihe vou Präparaten nach, dass die 
M i c li a e 1 i s'sche Angabe, wonach nur den sogen, „indifferenten“ 
Farbstoffen die Fähigkeit zukomme, Fett zu färben, nicht ein- 
wandsfrei ist. 

4) Jaq. H. Polak- Amsterdam: Die Desinfektion der schnei¬ 
denden chirurgischen Instrumente mit Seifenspiritus. 

Die sicherste Desiufektionsinethode für Instrumente Ist und 
bleibt das Kochen derselben iu Sodalösung. Da dieses Verfahren 
jedoch schneidende Instrumente zu sehr augreift, empfiehlt sich 
für diese ein weniger schädliches Verfahren und besteht dasselbe 
nach den Untersuchungen des Autors iu der Anwendung des 
Spiritus saponato-kalinus. welcher sowohl mechanisch als chemisch 
wirken soll (an den Instrumenten eingetrockneter Staphyloeoceus 
wurde innerhalb 13 Minuten getödtet». Die Anwendung erfolgt 
in der Weise, dass die Instrumente vor uud nach jeder Operation 
13 Minuten im Seifenbade liegen und darin mit sterilen leinenen 
Läppchen abgeriehen werden, die Seife wird durch 50 proc. 
Alkohol oder sterile Borlösung beseitigt. 

3) I m m e 1 m n n n - Berlin: Sammelbericht über die letzten 
Arbeiten auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen. 

ü) S e h 111 e r - T I e t z - Hamburg: Die Hautfarbe der neu¬ 
geborenen Negerkinder. 

7) Matthiolius: Subclaviaunterbindung und Gelatine¬ 
injektion bei wiederholter Brachialisblutung. 

Interessante kasuistische Mittheilung. Die Blutung stand 
trotz je 2 maliger Ligatur der Bmehialis und der Axillaris und 
2 maliger Gelatiuelnjektiou definitiv erst nach Ligatur der Sub- , 
clnvia. F. L a c h e r - München. \y 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 30. 1) K. B n e d i n ge r-Wien: Zur Pathologie und 

Therapie des Sanduhrmagens. 

Die 42 Jähr. Patientin, deren Erkrankung Verf. beschreibt, 
litt nach jeder Mahlzeit an langdauerndem. schmerzhaften Auf- 
stosseu und heftigem Magenkrampf; aus den klinischen Erschei- 
ungen Ist ein Rieselgeräusch zu erwähnen, das über der Magen- 
gegeiul gefühlt werden konnte, auch bestand Gastroptose. Die 
Diagnose wurde auf Saudulinnageu in Folge Narbe gestellt und 
wegen der schweren Erscheinungen lnparotomlrt. Bei der Ope¬ 
ration zeigte sicli nun eine an der grossen Curvatur beginnende 
und gegen den Pylorus fortschreitende Contraction, welche in 
ihrer letzten Phase einen Tumor resp. tumorartigen Wulst In der 
allerdings auch vorhandenen Narbe produzlrte. Die vorgenom- 
inene Gastroenterostomla retrocolica mit angeschlossener Gastro- 
pexie hatte einen sehr guten Erfolg. Im Anschluss an diesen 
Fall wird das Zustandekommen der verschiedenen Formen des 
Magen- resp. besonders Pyloruskrampfes besprochen. Wo es zur 
Bildung eigentlicher spastischer Tumoren kommt, handelt es sich 
immer lim Contractlonen des Antrum pylori oder des Autrums 
und des Pylorus. B. glaubt, dass iu seinem Falle die Narbe eine 
Ursache fiir das Zustaudekommen des Krampfes abgab. Für die 
Diagnose auf Sanduhrmagen war hu vorliegenden Falle das Riesel- 
geräusch besonders ausschlaggebend. An 2 weitereu mitgetheilten 
Fällen illustrirt Verf., dass ausser den üblichen Operationen des 
Snnduhrmngens hie und da auch andere Methoden zu einem guten 
Resultate führen. Cfr. hiezu die Abbildungen im Original. Die 
Resektion des py torischen Magenabseimitt es ist in manchen Fällen, 
speziell bei doppelter Strietur nicht zu vermeiden. 

2) V. Cominotti - Triest: Aneurysma der aufsteigenden 
Aorta mit Durchbruch in die obere Hohlvene. 

Das von dem beschriebenen Fall stammende Präparat Ist im 
Orlgiual allgebildet. Im Anschluss an statistische Mittheilungen 
bespricht O. die klinischen Zeichen der Aneurysmen überhaupt. 

Rei der 48 jähr. Kranken gelang es, noch Intra vitam die obige 
Diagnose zu stellen, welche durch die Sektion bestätigt wurde. 
Hinsichtlich der Elnzelnheiten der klinischen Symptome muss auf 
das Original verwiesen werden. Am Schluss des Artikels gibt C. 
noch eine kurze Zusammenstellung der Komplikationen der Aneu¬ 
rysmen. 

3) A. P 1 c k - Wien: Die Sensibilitätsneurosen des Magens. 

(Schluss.) 

In sehr «‘ingehender Weise, welche ein kurzes Referat ver¬ 
botet, erörtert P. die einz«‘lnen Formen der genannten Krankheits- 
gruppeii, mit b<*sonderer Berücksichtigung j«*nt‘r nervösen Aff«*k- 
tinnen «l«*s Magens, in denen die Sensibilitätsstörungen das hervor- 
stecliendsle Symptom darsiellen. Besprechung findet die Hyper- 
aest.h«‘sie g«*gen thermische, mechanische und chemische Reize, 
w«*lclie die Magenschleimhaut treffen, unter Schilderung der kli¬ 
nischen Bilder. Hervorzuludien ist besonders auch die sog. Süure- 
hvperaesthesie. Aetiologlseh kommen für die Sensibilitäls- 
störungen besonders die allgemeinen NVuroson In Betraeht, ferner 


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17. September 1901. MUKXl 1IEXER MEDICINISCIIK WOCHEXSCIIRIFT. 14:»9 


Überständern* Magenaffektionen. dann Atonie. Gnstroptose uml 
seltener organische Magenaffektionen. Der Besprechung der The¬ 
rapie dieser Formen folgt eine ausführliche Darstellung des 
Wesens, der Erscheinungen und der Therapie des sog. Magen 
krampfes. der als Symptom einer grossen Anzahl organischer Ver¬ 
änderungen. sowie als Begleiter anderer nervöser Krankheiten des 
Magens auftritt. Im 4. Abschnitt werden die abnormen Sen¬ 
sationen besprochen, welche bei empfindlichen Personen im Zu¬ 
stande der Magenleere auftreten. Bei einer weiteren Gruppe der 
Kranken bietet die Magenneurose die Zeichen herabgesetzter 
Sensibilität für alle Arten von Reizen, liier treten sehr häufig Stö¬ 
rungen der Sekretion des Magensaftes in den Vordergrund. Auch 
Mir diese Affektioueu werden die einzelnen therapeutischen Maass¬ 
regel u auseinander gesetzt. Grassmann - München. 

Italienische Literatur. 

F i 1 i p p 1 n i: Ueber zwei Resektionen des ganzen linken 
Leberlappens. (II pollcliuico 1901. No. 33.) 

F.. Oberarzt am Bürgerhospital zu Brescia veröffentlicht 
2 Fälle vou Totalresektion des linken Leberlappens, beide mit 
glücklichem Ausgang. In dem einen Falle handelte es sich um 
ein caveruöses Angiom von 2>/ 2 kg, im anderen um ein Careinom. 
F. erörtert die noch nicht allzu reichliche Kasuistik der Leber¬ 
resektionen. Bis Jetzt seien 0 Fälle vou Totalresektion des linken 
Lappens bekannt geworden. 

Im Gegensatz zu Lücke und Tricomi glaubt F. die ein¬ 
zeilige Resektion empfehlen zu können. Die elastische Ligatur 
wird nach Trennung der Leberligamente doppelt um den zu ent¬ 
fernenden Theil gelegt und bleibt liegen bis zur definitiven 
Nekrose des abgeschnürten Leberlappens, welcher in Gestalt eines 
Stieles extraperitoneal gelagert wird. Die Blutung Ist auf diese 
Weise eine minimale. Auch sollen lästige Adhäsionen. Hernien 
und Ptosis der Leber nach F. bis jetzt (12 Monate nach der Opera¬ 
tion; nicht eingetreten sein. 

Cei'f herelli: Die Chirurgie des Pankreas. (II Morgagni, 
Mai 1901.) 

Eine umfassende, die Physiologie des Pankreas und die ge¬ 
summte chirurgische Literatur über dasselbe würdigende Mono¬ 
graphie. aus der wir hier nur einige Sätze anführen wollen. 

Die beträchtlichen Schwierigkeiten, welche den Fortschritt 
dieses Zweiges der Chirurgie hindern, liegen auf der Hand. Es 
ist die versteckte Lage des Pankreas, die Beziehungen zu anderen 
Organen und die unvollkommene Kenntnis» der Funktion. 

Abmagerung, Anwesenheit von Fett in den Faeces. Zucker 
im l’rin, Broneefärbung der Haut, Gelbsucht, Schmetv.cn sind 
Symptome von Pankreas-Affektionen. 

Der Pankreas8ehwanz ist chirurgisch leichter angreifbar als 
der Pankr«askopf. 

Experimentell ist nachgewlesen, dass die Exstirpation des 
ganzen Pankreas mit dem Leben und der Gesundheit der Versuchs¬ 
tiere verträglich ist. Wenn klinisch trotz weniger positiver Fälle 
Im Ganzen dieser Beweis noch aussteht, so liegt dies daran, tlass 
cs sich meist um schwer dlagnostizirbare Affektionen handelt, 
meist um Tumoren, welche sich auf mehrere Organe ausdehnen. 

Bel tuberkulösen wie luetischen Processen Ist die Entfernung 
nicht rathsam. Die partielle Exstirpation muss so ausgeführt 
werden, dass einer der beiden Ductus wegsam bleibt. Die häufigsten 
Tumoren sind Cysten mit blutigem und wässerigem Inhalt: Kalk¬ 
konkremente und Inkrustationen. 

• Ein Krankheltsprocess des Organs ist neuerlich sorgfältig 
studlrt, das ist die Pankreas-Nekrose, welche eine Ent¬ 
fernung der nekrotischen Pankreasfragmente nöthig machen kann. 

Bel eiterigen und gangraenöseu Paukreasentziindungen hat 
mim den akuten Verlauf abzuwarten und dann zu operireu auf 
drei Wegen, je nach dem Befund und zwar auf dem lumbaren, 
extraperitonealen, transpleuralen oder medianen oberhalb des 
Nabels. 

Chronische Pankreasentzündungen können zu Kompressions¬ 
erscheinungen des Choledochus und des Pylorus Veranlassung 
geben. 

Auch von Pankreas mobile werden Fälle in der Literatur an¬ 
geführt: in solchen Fällen Ist gegen die chirurgische Fixation nichts 
einzuwenden. Pankreashaemorrhaglen können auch durch gangrae- 
oöse Proce8se bedingt sein. Sie sind zu behandeln wie traumatische 
Blutungen. Snturen des Organs werden gut vertragen; zu ver¬ 
melden ist, dass der Faden im Ductus liegen bleibt wegen der 
Möglichkeit von Konkretionen. 

Heute besteht kein Zweifel mehr an der Thatsache. dass das 
Pankreas sich regeuerirt. 

Der Erguss von Pankreassaft in die Bauchhöhle gibt nur 
dann zu Peritonitis Veranlassung, wenn das Sekret ein ab¬ 
normes ist 

Bei der Exstirpation des Organs empfiehlt es sich, die Nähte 
vorher anzulegen, um grösseren Blutverlust zu vermelden; Galvano¬ 
kaustik empfiehlt sich nicht. 

Zagarl: Ueber latente Aortenaneurysmen oder Aorten¬ 
aneurysmen mit so geringer Entwicklung, dass sie der Diagnose 
und auch der Radloskopie entgehen können, handelt der Kliniker 
Perugias. (Roma tlpogr. della rif. medlca 1901.) 

Diese Aneurysmen betreffen den supravalvulären Theil der 
Aorta und die ihm anliegende Partie des Herzens, ferner den 
Winkel des Aortenbogens. Der Autor weist nach, wie durch exakte 
und sorgfältige Feststellung des Symptomenblldes und namentlich 


l des auskultatorischen Perkussiousbefuudes, der Pulskurven etc. 
eine genaue Diagnose Intra vitam gestellt werden konnte, welche 
dann post mortem sich bestätigte. 

Eine gewisse Rolle spielen bei Aneurysmen gewisse Algien 
und namentlich Cervicobrnchialneuralgieu. Z. erwähnt das Werk 
seines Lehrers Ourdarrlli über Aneurysmen, in welchem den 
Symptomen der Nervenlaesion ein besonderes Kapitel gewidmet 
ist. C. nimmt dort zur Erklärung der Cervieobrachialneuralgien 
an. dass kein besonderer direkter Druck des Aneurysmas auf die 
Nerven nöthig sei, sondern ein Druck auf die Vena anonyma ge¬ 
nügen könne, manche Neuralgien zu erklären: auch eine Laesion 
des Plexus oardiacus kauu durch peripherische Irradiation viel¬ 
leicht als ursächliches Moment herangezogen werden. 

Z. meint mit Recht, dass in solchen Fällen eine frühe exakte 
Diagnose sich dem Patienten wie dem Rufe des Arztes nützlich 
erweisen könne. 

Eine sehr ausführliche Literaturangabe und anschauliche Illu¬ 
strationen sind ein Vorzug der Monographie Z.'s. welche einen 
Auszug aus dem italienischen Archiv für innere Medicin darstellt. 

Ted esc hi: Immunisirung gegen Vaccine und gegen 
Pocken. (Tipogr. della Soc. dei Tipografi. Triest 1901.) 

Eine flelssige Arbeit von wissenschaftlichem und praktischem 
Interesse und auf experimenteller Basis. 

Der Augenblick, in welchem die Immunität gegen Vaccine 
beim Rinde eintritt, fällt zusammen mit dem Auftreten der Pusteln 
(am 2. Tage). Einige Pusteln genügen nicht/, um Immuuität zu 
bewirken. 

Dagegen fällt die Immunität gegen die Vaccine beim Menschen 
zusammen mit der regressiven Periode der Pusteln und eine einzige 
gut entwickelte Pustel genügt, um sie zu bewirken. 

Die Oeffnung der Pusteln und Entleerung des Inhalts am 6. 
bis 7. Tage ist der Erreichung einer vollständigen Immunität 
hinderlich. Das Blut, sowie das Blutserum von Kälbern, von 
Pferden, von Schafen, welche vorher durch Vaccine hnmunlsirt 
sind, subkutan injizirt, genügt nicht, um den Menschen oder das 
Rind gegen Vaccine zu iuimunisiren. Dagegen immuuislrt Cow- 
pox subkutan angewandt ein Rind binnen 24 Stunden. Es tritt 
dabei an der Injektionsstelle keine Pustel auf, auch Ist ln der In- 
jektionsstelle selbst keine Ansammlung von Vaccinekörperchen 
naclizu weisen. 

Dagegen ist weder Cow-pox noch menschliche Vaccine unter 
die Haut injizirt im Stande, den Menschen zu lmmunislren. Da¬ 
bei tritt auf der Ilaut au der Injektionsstelle öfter eine Vacciue- 
pustel auf. 

Nicht vaccinirte Kälber erlangen die Immunität gegen Vaccine 
durch langen Aufenthalt in Ställen, in welchen sich vaccinirte 
Thlere befinden. 

Die Identität der Beschaffenheit und der Wirkung von Cow- 
pox und liumanisirter Vaccine ist mehr als zweifelhaft und zur 
Prophylaxe gegen die Pocken ist es jedenfalls nicht gleichglltig, 
ob mau Cow-pox oder humanfsirte Vaccine verwendet. 

Bei dieser Gelegenheit sei die neueste Arbeit vou F u u c k 
erwähnt, welcher ln einem von Pfeiffer entdeckten Protozoon, 
dem Sporidlum vaeeinale, das pathogenetische Agens der Vaccine 
und der Variola gefunden haben will, und welcher durch Isolirung 
und Einimpfung desselben in sterilen Emulsionen Immunität er¬ 
zeugt zu halien angibt. 

Maragliano: Ueber die Wirksamkeit des Tuberkulose¬ 
heilserums. (Gazzetta degll osped. 1901. No. 63.) 

In einer Notiz über sein Heilserum weist Maragliano 
darauf hin, dass alle seine Untersuchungen über die Darstellung 
und die Wirksamkeit des Heilserums in Moskau ln dem unter 
M e t s c b u 1 k o f f’s Leitung stehenden bakteriologischen Institut 
geprüft und bestätigt seien. 

F r ä u k e 1 habe das Resultat dieser Untersuchungen in der 
Moskauer biologischen Gesellschaft veröffentlicht. Dessglelchen 
habe F riinkel zwei Monate lang in Genua der Darstellung und 
der experimentellen Prüfung des Serums beigewohnt. 

Gabritschefsky, unter dessen Vorsitz die biologische 
Gesellschaft tagte, forderte die Aerzte Russlands auf, das tuber¬ 
kulöse Antitoxin bei der Behandlung der Tuberkulose zu ver¬ 
wenden. 

Lueibe'lll: Jodlpin zur Bestimmung der motorischen 
Kraft des Magens. (Nuova rivista cltnlco terap. No. 4. 1901.) 

Jodlpin Ist ein sicheres Mittel zur Bestimmung der gastrischen 
Motilität. Der Speichel hat keinen Einfluss anf dasselbe, lm 
Magen wird es nicht verändert, nur lm Darm wird es gespalten 
und zwar unter Mitwirkung der Galle, des Pankreas- und des 
Darmsaftes. Unter normalen Verhältnissen erscheint die Jod¬ 
reaktion im Urin nach etwa 1 Stunde und 10 Minuten und sie ist 
beendet nach etwa 40 Stunden. Ausnahmen können sprechen für 
eine motorische Insufflcienz des Magens, für eine Pylorusstenose, 
auch für Acholie. Kann man diese drei Momente ausschelden, 
so kann die Jodiplnprobe auch ein wichtiges Kriterium für eine 
Laesion des Pankreas abgeben. 

Ted esc hi: Ueber den pathologischen Kreatinin - Stoff- 
wechseL (Rlv. di Scienze Medlche. III. 1901.) 

Bei abnormer Muskelthätigkcit ist der Kreatiningehalt des 
Urins erhöht; er ist auch vermehrt lm Verhältnis zum Gesammt- 
N-Gehalt des Urins. 

Bei Muskelatrophie mit akut progressivem Ablauf wird der 
Kreatlningehalt normal, bisweilen auch leicht vermehrt gefunden. 

Auch bei Chlorose, so lange das Allgemeinbefinden wenig ge¬ 
stört ist, ist derselbe normal. Vermindert erweist er sich bei nicht 


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1500 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. Xo. 3S. 


kompensirten Herzfehlern, um nach der Kompensiruug eine Ver¬ 
mehrung zu erfahren. Bei miissigem Diabetes ist er normal oder 
leicht gesteigert, bei Diabetes insipidus kann er beträchtlich 
steigen. 

Bei Fieberprocessen ist der Kreatiustoffwechsel gesteigert, in¬ 
dessen hat der Zustand der Nieren Einfluss auf denselben. 

Obwohl auzunehmen ist, dass das Kreatinin, wenigstens unter 
gewissen pathologischen Bedingungen vom Muskelfleisch des Or¬ 
ganismus herrührt, so finden sich doch bei Fleischdiiit die Krentinin- 
werthe höher als bei Pflanzenkost. 

Ob das Kreatinin im Organismus in Harnstoff sich umwandeln 
kann, ist zweifelhaft. Der Umstand, dass bei der Iuauition die 
Kreatininausseheiduug spärlich ist, auch im Verhiiltniss zum Ge- 
sanimt-N des Urins, scheint dafür zu sprechen. Vielleicht wird 
in der Leber Kreatinin in Urea verwandelt. 

Burzi: Atropin bei Darmocclusion. (Gazzetta degll osped. 
1901. No. G3.) 

Dies Mittel bis zu 4 mg pro die subkutan und bis zum Ein¬ 
tritt der Pupillendilatation empfiehlt sich in allen Fällen innerer 
Einklemmung, wo man eine Iiuhigstellung des Darmes und der 
Peristaltik wünscht. Es ist geeignet, Invaginationen zurückzu¬ 
bringen und verhindert oder erschwert keinesfalls einen noth- 
weudigeu chirurgischen Eingriff. 

Hager- Magdeburg-N. 

• Gerichtliche Medicin. 

Ungar-Bonn: Ueber den Einfluss der Fäulniss auf die 
Lungenschwimmprobe. (Vierteljahrssohr. f. gerichtl. Medicin. 
1901. Heft I.) 

Im Widerspruche mit der bisherigen Anschauung, dass foetalc 
Lungen, die nicht geathmot haben, durch Fäulniss schwimmfähig 
werden können und daher in diesem Zustande einen bestimmten 
Schluss bezüglich desGeathmethnbons nicht mehr zulassen,stellten 
französische Autoren, zunächst Hordas und Descoust, daun 
auch Lebrun die Behauptung auf. dass Füulnisshlasen auf der 
Oberfläche von Lungen nur dann sich vorilnden. wenn dieselben 
geathmet hatten. Zur Nachprüfung stellte TJ. an herausgeschuit- 
tenen luftleeren Lungen, Thlerfoeten und todtgeia»reuen Kindern 
Beobachtungen au. indem er sie unter verschiedenen Beding- | 
ungon der Fäulniss iiberliess. Zunächst konstatirte er hiebei i 
allerdings, dass auch bei Lungen, die nicht geathmet haben, j 
Fäulnissblasen sich entwickeln können, dass diese aber. ; 
soferne ihnen nicht ein Hindern iss entgegenstcht, sich j 
nicht in den Lungen ansammeln, sondern in Folge der Elasti- j 
eitüt des Lungengewebes nach aussen diffundiren. Nach den j 
Beobachtungen an intakten Thlerfoeten kam U. zum Schlüsse. ! 
dass die Fäulniss Lungen, die nicht geathmet haben, nur aus- | 
nahmsweise schwimmfühig macht. Weiterhin iiberliess U. die i 
Leichen von 12 todtgeborenen Kindern der Fäulniss unter ver- j 
schiedenen äusseren Verhältnissen: trotz vorgeschrittener Fäul- i 
niss erwiesen sich bei 10 Beobachtungen die Lungen nicht als j 
schwimmfühig, namentlich fehlten Fäulnissblasen auf der Ober- j 
fläche der Lungen vollständig; nur in 2 Fällen, in denen aber ein 1 
intrauterines Athiuen in Folge der geburtshilflichen Operationen | 
(Extraktion in Steisslage bezw. frühzeitiger Blasensprung, Nabel- j 
schnurvorfall, wiederholte Untersuchung, Perforation) nicht aus- i 
geschlossen werden konnte, war die Lungenschwimmprobe positiv ! 
und zeigten sich auf der Oberfläche der Lungen grössere Fäulniss¬ 
blasen. U. wünscht über diese Frage noch weitere Untersuch- ■ 
ungen, ist aber der Meinung, dass der positive Ausfall der Lungen- j 
schwimmprobe, namentlich der Nachweis von Fäulnissblasen auf ' 
der Oberfläche der Lungen, geeignet ist, die Ansicht, dass das I 
Kind geathmet habe, zu bestärken. ! 

Wilhelmi - Schwerin: Kindesmord oder Selbsthilfe? i 
Geisteskrankheit, Bewusstlosigkeit, Ohnmacht der Mutter. ! 
(Ibidem.) 

. Auf Grund des Sektionsprotokolles und der sonstigen Akten , 
erstattet W. ein ausführliches Gutachten über einen eigenartig ge¬ 
lagerten Fall» dessen Begutachtung allerdings bei einem besseren 
Sektionsprotokolle und bei einer genaueren Beobachtung der Wöch¬ 
nerin nach der Geburt leichter geworden wäre. Eine 2G jährige, ] 
alberne, in gewissem Grade geistesschwache und in geschlechtlichen | 
Dingen unerfahrene Schnitterin hielt sich nicht für schwanger, i 
verheimlichte die Geburt und leugnete sie, obwohl ein Arzt die I 
Nachgeburt entfernen und den Damm vernähen musste. Tod des \ 
Kindes an Erstickung; Nabelschnur abgerissen. Mehrere streifen- | 
und bogenförmige, theilweise blutig unterlaufene Hautaufschürf¬ 
ungen in der Gegend der Luftröhre — jede nähere Beschreibung 
mangelt — sowie eine Verletzung der Wangenschleimhaut konnten 
sowohl durch die Selbsthilfe der Gebärenden (Zugreifen an den 
anstretonden Kopf und Hals), als durch Erwürgen verursacht 
sein; im ersteren Falle konnte die Erstickung auch.dadurch herbei- 
geführt worden sein, dass während der angegebenen und nicht zu 
bestreitend, u Olmmacht der Mutter das Neugeborene zwischen 
deren Schenkeln und unter dem Deckbette mit dem Gesichte auf 
der Unterlage auflag. Das Gutachten, sowie das Oborgutachteu 
der grossherzogl. Mediclnalkonunission kommen hei Lage der Sache 
nur zu Wahrscheinlichkeitsschlüssen. 

B ro u h a - Lüttich: Ueber die gerichtsärztliche Bedeutung 
der Lochien. (Ibidem.) 

Die mikroskopischen Formelemente der Lochien bestehen 
während der ersten Tage des Wochenbettes vorwiegend aus rotlieu 
Blutkörperchen; hie und da beobachtet man weisseBlutkörperchen, 
seltener eine grosse Zelle, dem Epithel oder der Decidua entstam¬ 
mend. Bald vermehren sieh die Leukocyten so sehr, dass sie 


bei weitem die grösste Zahl der histologischen Elemente bilden. 
Um den 9. oder 10. Tag, bei normalen Fällen. Ist das genitale 
Sekret fast ausschliesslich aus Epithelzellen gebildet. Die Decidua- 
zellen, denen allein eine Bedeutung für die Diagnose einer vorau> 
gegangenen Geburt zukommt, sind ln den Lochien nicht sichre, 
höchstens nur mit einiger Wahrscheinlichkeit, von den Scheider- 
epithelzellen zu unterscheiden; eine feste Differentialdiaguose bc 
züglicb anderer vaginaler Ausflüsse ist dulier nicht gestattet. Wird 
dagegen das Sekret im Gebiirmutterhalse zur Untersuchung ver¬ 
wendet, so lassen sich häutiger typische Deciduazelleu beobachten. 

Gutsmuths- Genthin: Feststellung der Todesursache bei 
einer in starker Verwesung begriffenen Kindsleiche, bei der 
sämmtliche drei Höhlen geöffnet und verschiedene Organe nicht 
mehr vorhanden waren. (Zeltschr. f. Med.-Beamte. 1901. No. 5.. 

Die Leiche eines 12 Tage alten Kindes war im Hochsommer 
20 Tage auf feuchtem Grabenboden gelegen und zeigte weit vor¬ 
geschrittene Fäulniss. Im Kehlkopfe, in der Luftröhre und ihren 
Verzweigungen, auch im Magen fand sich die gleiche schwärzliche 
erdige Masse wie in der Umgebung und aussen an der Leiche; 
da sie nur durch Aspiratiou und Verschlucken dahin gelangt sein 
konnte, war Erstickungstod durch Verschluss der Luftwege an- 
zunehmeu. 

Grassl - Vlechtach: Zur Kasuistik der Syringomyelie. 
(Friedr.-Bl. 1901. Heft I.) 

G. berichtet über 2 mehrere Jahre lang beobachtete Krank¬ 
heitsfälle, wovon der erste im Anschluss an eine heftige Erkältung 
und der andere nach einer Verbrennung des rechten Daumens 
entstand und von den primären Erscheinungen einer Neuritis 
ascendens an fortschreitende Entwicklung der vielgestaltigen 
Symptome zeigte. In dem zweiten Falle wurde der ursächliche 
Zusammenhang der Erkrankung mit der 5 Jahre zurückliegenden 
Verletzung angenommen. 

R ö s e 1 e r: Die Stichverletzungen des Bückenmarks in 
gerichtlich - medicinischer Beziehung. (Ibidem.) 

Auf Grund einer der Arbeit angefügten Zusammenstellung 
von 4G in der Literatur veröffentlichten Beobachtungen werden 
die Stichverletzungen des Rückenmarkes nach den wesentlichsten 
Gesichtspunkten besprochen, so nach Sitz und Art der Verletzung, 
pathologisch-anatomischem Befund, Symptomen, weiterem Ver¬ 
lauf und Prognose, Beurtheilung gemäss den einschlägigen Para¬ 
graphen des Strafgesetzbuches, Nachweis der Kausalität des Todes 
mit der Verletzung und deren Entstehungswelse. Von den auf- 
geführten Verletzungen betrafen 30 das Halsmark. 10 das Brust¬ 
mark; von den ersteren verliefen 12, von den letzteren 5 tüdtlich. 

W o 1 f e s: Ueber Einheilung von Kugeln im Gehirn. 
(I.-D. München T.ioi.) 

Zusammenstellung von 19 Beobachtungen in vivo und aut 
Sektionstische. Die Einheilungsdauer betrug iu den beschriebenen 
Fällen G Monate bis 19>/ 2 .Jahre. Die nur kurz erwähnten Er¬ 
scheinungen während des Lebens bestanden teils ln leichter Be 
nnmmenheit und Kopfschmerzen, teils ln motorischen, sensiblen 
oder vasomotorischen Störungen; einmal ist Idiotismus angegeben, 
in einzelnen Fällen sind gar keine Beschwerden verzeichnet. 

Chlumsky- Leobschlitz: Ein Fall von Körperverletzung 
mit Todeserfolg. (Vierteljahrssclir. f. gerichtl. Med. 1901, H. I.) 

Ein bejahrter Rüben Wächter ward Nachts überfallen und 
schwer verletzt: mehrfache Brüche der Extremitäten, der Rippeu 
und des Schädels, Blutung ln die weichen Hirnhäute, Tod nach 
6 Tagen an Lungenoedem und hypostatischer Pneumonie. Aus¬ 
führliches Sektionsprotokoll und motlvirtes Gutachten über den 
Zusammenhang des Todes mit der Verletzung und über die iu 
Frage kommenden Werkzeuge (eiserne Klammer, Hammer, Stot'k. 
Anschleudern gegen die Bettstelle). 

v. M a 1 a i s ö: Zur Kenntniss der spontanen Buptur des 
Herzens und der Coronargefässe. (I.-D. Miincbeu 1900.) 

Ein G7 jähr. Bauer fiel in der Kirche plötzlich lautlos todt um; 
wegen vornusgegangener ehelicher Dissidlen Verdacht der Ver¬ 
giftung und gerichtliche Sektion. In Folge des Niederfalleus 
agonale Blutunterlaufungen am Kopfe: die Todesursache bildete 
eine spontane Ruptur des Herzens im linken Ventrikel, veranlasst 
durch circuinskripte braune Atrophie des Herzmuskels; die Intima 
der Aorta zeigte vorgeschrittene Atlieromatose. — Bei einer 
7G Jahre alten, längere Zeit kranken Frau war der absteigende Ast 
der linken Kranzader 6 cm oberhalb der Herzspitze rupturirt und 
das Perlcard darüber eingerissen; in der Umgebung war der Herz¬ 
muskel ln Gestalt einer längsverlaufendeu seichten Rinne in eine 
mürbe, bröckelige Masse verwandelt; Atheromntoee der Coronar- 
arterieu. 

Bergmann: Ueber einen Fall von traumattscher crou- 
pöser Pneumonie. (I.-D. München 1900.) 

Eine 43 jährige Zugeherin stürzte in Folge Ausgleitens gegen 
einen steinernen Bruunenrand: In der linken Seite, namentlich 
beim Athmen und bei Bewegungen starke Schmerzen, die in den 
nächsten Tagen noch zunehmen; am 3. Tage Fieber und heftiger 
Husten, der schon vor der Verletzung ln geringem Grade bestandeu 
hatte; zähschleimiges Sputum mit geringer Blutbeimengung, nu- 
regelmüsslge Fieberkurve. Herpes labialis, Delirium (Potntorlum 
zugestanden), Tod am 12. Tage nach der Verletzung. Die Sektion 
ergab eine Fraktur der linken VII. und VIII. Rippe mit Per¬ 
foration der Costalpleura. jedoch ohne Lungenverletzung, crou- 
pöse Pneumonie des linken Oberlappens, serös-eitrig-fibrinöse 
Pleuritis und ältere Bronchitis. 

Schwarz: Beitrag zur Lehre von der traumatischen Ent- \ 
Stellung und Ausbreitung der Tuberkulose im Körper. (Inaug.- J 
Diss. München 1900.) / 


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17. Scpt« ,nl.fr 1901. MTTEXCHENER MEDICIXISCHE WOrHEXSCIIRIFT. 


1 . 7*01 


GArbeiter batten eine grosse Leiter zu tragen. 2 vorn, 4 hinten: 
als 2 der letzteren gegen die Mitte der Leiter zugiugeu. also die 
Last für die beiden hinteren Träger sich verdoppelte, verspürte 
der Eine, der die Leiter auf der linken Schulter liegen hatte, plötz¬ 
lich einen Stich unter dem linken Schulterblatte, klagte, dass er 
siel» wehe gethan habe, arbeitete jedoch noch einige Tage weiter, 
allerdings unter beständigen Klagen über Stechen und Schmerzen 
auf der Brust. 32 Tage nach dem Unfälle erfolgte der Tod au 
linksseitiger exsudativer Pleuritis: der linke Brustraum war stark 
angefüllt mit blutig tingirter und mit Fibrinflocken vermischter 
Flüssigkeit; die rückwärts etwas adliaerente atelektatlsche Lunge 
war mit einem leichten fibrinösen Belage überdeckt, unter dem¬ 
selben waren zahllose feinste graue Knötchen eingelagert, in der 
Lungensubstanz selbst und in den Bronchialdrüsen dieser Seite 
keine tuberkulösen Herde. Dagegen war die rechte Lunge fest 
mit der Brustwand verwachsen, mit dicken fibrösen Schwarten 
bedeckt und an der Spitze von zahlreichen, trockenen, fibrösen 
käsigen Herden im Umfange eines Hühnereies durchsetzt: auch 
im Unterlappen fand sich ein mandelgrosser Herd mit hanfkorn¬ 
grossen käsigen Knötchen. Zwischen dem Unfall und der tödt- 
liehen tuberkulösen Pleuritis ward ein kausaler Zusammenhang 
ln der Art angenommen, dass die Ueberanstreugung und die damit 
verbundene Drucksteigerung im Thorax zu einer Zerrung, viel¬ 
leicht auch Zerrelssung der Verwachsungen der linken Lunge* 
führte und hiedurch einen Locus minoris resistentiae für die Fest¬ 
haftung und Weiterverbreitung der Tuberkelbacillen schuf. 

van Hees: Eine seltene Pfahlverletzung der Brust- und 
Bauchhöhle. (I.-D. München 1900.) 

Ein 20 jähriger Manu fiel in total angetrunkenem Zustande 
aus etwa 2 m Höhe von einer Holzhütte auf den dieselbe um¬ 
gebenden Staketenzaun und rannte sich hiebei eine besonders vor¬ 
springende eiserne Spitze in den Leib: er machte sich selbst 
wieder los, legte noch einen halbstündigen Weg zurück und ward 
erst am folgenden Morgen in das Krankenhaus verbracht. Aus 
einer 2 cm langen Wunde im linken 9. Interkostalraum ragte 
fingerlang das Netz vor; Rippenresektion. Aufsuchung der ver¬ 
letzten Darmstelle. Anlegung eines Anus praeternaturalis. Tod 
17 Stunden nach der Verletzung. Die eingedrungene Eiseuspitze 
hatte den linken Brustraum eröffnet (Haematopneuraothorax), das 
Zwerchfell durchbohrt, die linke Niere gestreift, das Mesokolon 
und die Bursa omeutalis durchdrungen und den Anfangstheil des 
Dünndarmes hart an seiner Verbindung mit dem D.uodenum auf 
leiden Seiten angerissen. 

Lange: 6 weitere Fälle von Bauchkontusionen. (Inaug.- 
Diss. München 1900.) 

Die nachstehend kurz skizzirten Krankengeschichten und 
Sektionsberichte bieten bezüglich des Zustandekommens und der 
Art schwerer subkutaner Bauch Verletzung auch in gerichtlicli- 
medicinischer Hinsicht vielfaches Interesse. 

1. Sturz mit dem Unterleib gegen eine Kistenknute aus 1 m 
Höhe; Loch im oberen Tlieile des Dünndarmes, an zwei weiteren 
Stellen des Darmes Kontusionen: Laparotomie: nach einem Jahre 
wegen einer Arbeitsunfähigkeit verursachenden Verwachsung von 
Dünndarm und Netz mit dem Peritoneum — Nachoperation. — 
II. Ein von einer Kreissäge fortgeschleudertes Brett trifft das 
linke Hypoehondrium; im oberen Dünndarm ein iy s cm langer 
Riss; Laparotomie, Darmnaht; wegen Ileus in Folge Darmstenose 
Resektion des verletzten Dünndarmstückes, Kothflstel, Tod an 
Peritonitis. — III. Ein Taglöhner ward von einem Wagen umge- 
stossen und fiel mit dem Bauche gegen einen in die Erde einge¬ 
rammten Holzpfahl; Operation verweigert, Tod nach 6 Stunden; 
innere Verblutung in Folge eines grossen Risses im Dünndarm- 
Mesenterium am Ansätze des Darmes. — IV. Ein Fuhrmann wird 
zwischen Wagen und Pfosten eines Holzzaunes festgeklemmt: bei 
der Operation wird ein Riss im rechten Leberlappeu und ausge- : 
dehnte Zermalmung des Leberparenchyras konstatirt; Tod an j 
innerer Verblutung, keine Sektion. — V. Ein in die Höhe kippendes 
Brett schlügt gegen die linke Bauchseite eines 29 jährigen Zimmer¬ 
mädchens; Darm unverletzt, Querruptur der linken Niere, Exstir¬ 
pation derselben, Heilung. — VI. Ein Fuhrmann wird zwischen 
Wagen und Zaun festgepresst: Bruch der rechten G. Rippe ohne 
Pleuraverletzung, Ruptur der Leber und der rechten Niere: Naht 
der Leberrisse. Exstirpation der Niere, Tod am folgenden Tage. 

M a gg: Ueber einen seltenen Fall von traumatischer Septi- 
kaemie, komplizirt mit Perforationsperitonitis. (I.-D. München 
1900.) 

Ein 45 jähriger Dienstknecht fiel bei Glatteis so, dass er mit 
völlig abgespreizten Beinen auf dem Boden sass; in den nächsten 
Tagen starke Schmerzen und Schwellung in der linken HUft- und 
Leistengegend: am 6. Tage Schüttelfrost; mehrfache Incisioueu, 
wobei die Inguinaldrüsen völlig vereitert gefunden werden: trotz 
nochmaliger Incision hinter dem Trochanter major zunehmender 
Verfall, plötzlicher Tod an Perforationsperitonitis 22 Tage nach 
dem Trauma. Das Niederfallen hatte eine Quetschung der linken 
Gesiiss- und äusseren Oberschenkelgegend verursacht: zugleich 
hatten die Bemühungen, sich vermittels der Rectusmuskeln beim 
Sturze aufrecht zu erhalten, zu subkutanen Muskelzerrelssungeu 
und zu einem Hnematoin der Rectusscheiden geführt. Da keine 
Hautverletzungen nachzuweisen waren, wird als Ursache und Aus¬ 
gangspunkt der Eiterung eine schon vor dem Trauma bestandene, 
jedoch lokal gebliebene Infektion der Leistendrüsen nach Gonor¬ 
rhoe angesprochen; die durch die Verletzung erzeugte ausgedehnte 
Blutunterlaufung bot eine günstige Gelegenheit zur Ausbreitung 
der Infektion, die dann im weiteren Verlaufe auch zu einer Phleg¬ 
mone der Rectusscheiden und zum Durchbruche ln die Bauchhöhle 
führte. 


Wemmers: Zur Kasuistik der traumatischen Ruptur der 
Harnblase. (I.-D. München 1900.) 

In Fortsetzung der mit dem Jahre 1895 abgeschlossenen Sta¬ 
tistik v. Stuben raue h's hat W. 23 neuere Beobachtungen 
über rein traumatische isolirte Ruptur der Harnblase aus der 
Literatur zusummengestellt und einen im Münchener pathologi¬ 
schen Institut beobachteten Fall beigefügt. Der betr. 60 Jährige 
Gärtner wurde Abends schwer betrunken auf der Strasse ge¬ 
funden. bewusstlos in das Krankenhaus verbracht und starb im 
Laufe der Nacht. Bel der Sektion fand sich eine doppelte Ruptur 
der Harnblase — ein 8 cm langer T-fönnlger in der hinteren und 
ein 5 cm langer senkrechter Riss in der vorderen Wand — mit 
ausgedehnter blutiger Infiltration des snbperitonealen Bindege¬ 
webes in der Umgebung der Blase, ausserdem mehrfache Rippen¬ 
brüche. Ueber die Entstehung der Verletzungen — Niederfallen 
in trunkenem Zustande, Ueberfahrenwerden, grobe Misshandlung? 
— war nichts zu erfahren: bei den übrigen kasuistischen Fällen 
war die Blasenruptur theils durch Anprallen des Körpers gegen 
feste Gegenstände, theils umgekehrt oder durch das Darüberfahren 
eines Wagens entstanden. 

G r a s s m a n n: Zur Kenntniss der auf traumatischer 
Grundlage entstandenen Hodensarkome. (I.-D. München 1900.» 

Tabellarische Zusammenstellung von 41 einschlägigen Fällen 
aus der Literatur und dem Beobachtungsmateriale des Münchener 
pathologischen Instituts. Der Zeitraum zwischen Trauma und 
Geschwulstbildung betrug in den weitaus meisten Fällen 1 Monat 
und darunter und nur In einem Falle 8 Monate; am häufigsten 
war die Erkrankung im Alter von 20—30 Jahren zu beobachten. 

Mayer- Siinmern: Zur forensischen Bedeutung der durch 
chemische Mittel erzeugten Eiterung. (Vierteljahrsschr. f. ge- 
ricbtl. Med. 1901, H. I.) 

Der II. Theil der Abhandlung, deren Anfang bereits ln einem 
früheren Hefte erschienen ist, behandelt „Die eitererregendeu 
Mittel in der Hand der Kurpfuscher“ bei Behandlung der Krätze, 
der lokalen tuberkulösen Prozesse und in der Wundbehandlung. 
Die angewandten, meist eitererregenden, Mittel schiessen in Folge 
ihrer Anwendungsart und der hoben Dosis oft Uber das Ziel hinaus 
und können zu Gesundheitsschädigungen führen. M. erklärt die 
Anwendung von „Digestivmitteln“ durch Kurpfuscher nicht als 
unbedingt schädliches, zuweilen sogar wirksames, jedenfalls aber 
als ein zweischneidiges, in solcher Hand leicht Schaden stiftendes 
Mittel. Den Baunscheidtismus in der Hand von Ungebildeten er¬ 
achtet er als eine unter allen Umständen gefährliche Methode. 

Grüner- Grossenlinin: Fahrlässige Körperverletzung. Ent¬ 
fernung der Gebärmutter anstatt der Nachgeburt durch einen 
Arzt. (Ibidem.) 

Aktenmüssige Mittheiluug des Geburtsverlaufs, des Gut¬ 
achtens und Obergutachtens, der Anklageschrift und der Urthells- 
gründe. Beim Durchlesen drängt sich die Wahrheit des Spruches 
auf: „Das ist der Fluch der bösen That. dass sie fortzeugend 
Böses muss gebären. Dem betr. inzwischen verstorbenen Arzte 
mangelt vor Allem die Befähigung zum Geburtshelfer; theoretisch 
und praktisch Ist er nicht genügend in der Geburtshilfe unter¬ 
richtet und es fehlt ihm die ruhige Ueberleguug. das zielbewusste 
Handeln; er gilt als Alkoholiker und macht auch bei seinem 
Kommen den Eindruck, als ob er nicht nüchtern sei. Er findet 
bei einer V. Gebärenden, die jedesmal ohne Kunsthilfe von Kin¬ 
dern mit grossen breiten Köpfen entbunden war, eine Kopflage, 
den Kopf im Beckeneiugange festsitzend. Schon die erste Unter¬ 
suchung ist. soweit sich dies beurtheilen lässt, eine flüchtige, die 
Indikationen und Vorbedingungen eines operativen Eingriffes 
scheinen nicht erwogen zu sein; er legt eine kleine, dann eine 
grössere Geburtszange an, sie rutschen ab, nun greift er zum Per- 
foratorium, die nachdem angelegte Zange gleitet wieder ab, 
•Vj stiindigt* Wendungsversuche sind gleichfalls vergeblich, er 
kennt sich dabei nicht aus; nach einer Pause versucht er die 
Evcntration und bringt endlich in Knieeilenbogenlage das Kind 
zur Welt. Starke Blutung der Mutter! Der Arzt, der nach seiner 
eigenen Angabe unter einer gewissen Aufregung arbeitet und zu- 
. letzt die mediciniscbe Fassung verliert, sucht mit Hand und Iu- 
| strument die Nachgeburt zu entfernen und fördert zu Tage — 
i die Gebärmutter! Wahrscheinlich hatte er gleich bei seinem 
I ersten Eingriff das Scheidengewölbe durchrlssen, bei seinen spä- 
i teren Manipulationen das Loch immer mehr vergrössert und zu- 
; letzt die Gebärmutter ganz abgerissen. Die Frau stirbt kurz 
I nach dem Weggehen des Arztes. Bei der gerichtlichen Beurthei- 
j luug kam ihm zu Gute, dass die Geburt in Folge der starken Ent- 
j Wickelung des Kindes, namentlich seines Schädels, an sich eine 
I schwierige Avar und die Scheidenzerreissung bei einer Melirge- 
büremlen auch unter der Leitung eines geübten Operateurs und 
unter Beobachtung aller Vorsichtsmaassregeln Vorkommen könnte. 

; Es ward dessbalb lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung 
; (nicht auch wegen fahrlässiger Tödtung) auf Geldstrafe erkannt. 

I in melinann - Berlin: Ueber die Bedeutung der Röntgen¬ 
strahlen für den ärztlichen Sachverständigen. (Zeitsclir. f. Med.- 
j Beamte 1901, No. 5.) 

J. hebt die Bedeutung der Röntgenstrahlen in der Unfall- 
1 Versicherungspraxis, für die Militär- u. Lebensversicberungsärzte, 
sowie insbesondere für die gerichtliche Medicln hervor; oinge- 
drungene Fremdkörper lassen sich mittels derselben leicht er¬ 
kennen und aus Ihrem Sitze lassen sich weitere Schlussfolgerungen 
ziehen. Nicht beizustimmen ist aber, wenn der Autor das 
, Röntgenverfabren bei Leichen empfiehlt. Das Aufsuchen eines 
1 Knocbenkernes im unteren Femurende eines Neugeborenen ist 
■ doch leichter, schneller und sicherer als eine Röntgenaufnahme 
desselben. Wenn dann gar J. auf Grund einer Röutgeuphoto- 


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1502 


MUENC1IENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


graphie sich ein sachverständiges Urtheil darül)er zutraut. ob das 
Kind lebensfähig war, nach oder während der Geburt gelebt hat. 
wie der T.uftgehalt in den Lungen vertheilt ist und wie lange 
das Kind nach der Geburt gelebt hat, ob das Kind lebend oder 
todt. in eine Flüssigkeit gerieth, so ist er ein Tausendkünstler 
und noch tüchtiger als die Schreibsachverständigen. 

Chlumsky- I.eobschütz: Diebstahl bei Schwachsinn durch 
Epilepsie. (Ibidem Xo. 6.) 

Forensisches Gutachten nach § 51 des Strafgesetzbuches. 

S n e 11 - Lüneburg: Gutachten über den Geisteszustand des 
Tischlers Ernst H. aus Lüneburg. (Vierteijahrsschi*, f. geriehtl. 
Med. 1901, H. I.) 

Interessantes Gutachten über «len Geisteszustand des Tischlers 
II.. Xothzucht und Blutschande gegen die Tochter. Körperver¬ 
letzung und Bedrohung der Ehefrau. Die Beobachtung in der 
Irrenanstalt lässt eine Paranoia erkennen, deren allmähliche Ent¬ 
wicklung sich auf Jahre zurück verfolgen lässt. Einstellung des 
Verfahrens wegen Unzurechnungsfähigkeit, Entlassung aus der 
Untersuchungshaft, später Ueberfiihrung in die Irrenanstalt wegen 
Genieingefährlichkeit. 

B o 11 - Werneck: Zur Frage der Ehescheidung wegen 
Geisteskrankheit. (Friedr. Bl. 1901, H. Id 

M a r t h e n - Neuruppin: Zur Ehescheidung wegen Geistes¬ 
krankheit. (Aerzti. Sachverst.-Ztg. 1901. Xo. l.t 

Nach § 1509 des Bürgerlichen Gesetzbuches kann ein Ehe¬ 
gatte auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geistes 
kranklielt verfallen ist, die Krankheit Avährend der Ehe mindestens 
drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, dass die 
geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch 
jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausge¬ 
schlossen ist. Beide Autoren gehen auf die hier verlangten Voraus¬ 
setzungen näher ein und veröffentlichen ein von ihnen erstattetes 
Gutachten: bei Bott handelt es sich tun einen Kranken mit 
Dementia praecox, bei Marthen um eine Frau mit circularem 
Irresein, «las durch die lichten Intervalle «ler Beurtheilung 
grössere Schwierigkeiten bereiten kann. 

Dr. Carl Becker. 


Inaugural-Dissertationen. 

Universität Berlin. .Juli—August 1901. 

23. Mendelsou Alfred: Vaginale Exstirpation bei Tubar- 
gra viditüt. 

24. Franke Ernst: Behandlung und Ausgänge von 44 Depres¬ 
sionsfrakturen am Schädel. 

25. Jablotsclikoff Georg: Statistische Beiträge zur Aetio- 
logie des Diabetes mellitus und insipidus. 

20. L ö w e n s o h n M.: Der Kumys und s«*ine Anwendung bei der 
Lungentuberkulose. 

27. Li bin Wladimir: Faelnlislähmung bei Xeugeboreneu. 

2S. Petro ff Nikolaus: Beziehungen zwischen der multiplen 
Sklerose und Dementia paralytica. 

29. Feh re Paul: Beitrage zur Lehre über die Tabes bei den 
Weibern. 

30. S c h rö der Emil: Die allgemeine Wundbehandlung des Galen. 

31. Ritter Gustav: Ueber «iie pathologischen Torsionen und die 
niH'chten Cysten der Nabelschnur. 

32. Kotik Naum: Ueber die Verwachsung des Herzbeutels mit 
dem Herzen. 

33. Winckelmauu: Studie über Lungenschwindsucht in An 
lehnung au 1000 beobachtete Fälle. 

34. de Ahna Friedlich: Ein Beitrag zur Kasuistik der sogen. 
I\ U m m e 1 l’schen Krankheit. 

35. Sachs-Müke Paul: Die differentlaldlngnostlschen Bezieh 
ungen des M o r v a n’srhen Symptomenkomplexes zur Lepra 
und zur Syringomyelie. 

36. Steinbrecher Willi: Ueber die in den Jahren 1895—1900 
in der Frauenklinik der kgl. Charitß zu Berlin vorgeuommenen 
Kaiserschnitte. 

37. S a m e s Fritz: Beitrag zur Aetiologie der Utenismyome und 
ihrer HIstogenese. 

38. Frank A.: Ein Fall von Tabes dorsalis mit dem Symptomeu- 
koraplex der Bulbärparalyse. 

39. Henaroya Moise: Die künstlichen Nährpräparate, ihr Werth 
und ihre Bedeutung für die Kranken- und Kinderernährung. 

40. Lott Karl: Der Nährwerth des Feldzwiebacks. 

41. Müller Kaspar: Ueber Hernia dlaphragmatica während der 
Schwangerschaft und der Geburt. 

42. S e h m i «1 t \\ err.er: Ein Beitrag zur Statistik des Erhängungs- 
todes. 

43. G u m t a u Walther: Neuere Anwliauungeu über die Behand¬ 
lung der B a s e d o w’sclien Krankheit. 

44. S c h 1 u n g b a u m Arnold: Wiederholte Laparotomien an der- 
s«‘lbeu Person. 

45. Margulies A.: Ein Beitrag zu den Uebergangsformen 
zwischen F l* i e d r e i c h'scher Ataxie und der Heredo-Ataxie 
«•.'•i.'-belli-iise von Marie. 

40. R a 1» i n «» w 11 s c h Grigory: Ueber den Verlauf der Geburt 
bei Vorderhauptslagen auf Grund der Fälle aus der kgl.Cliaritö. 

47. I.e v y Henry: Beiträge zur Abscesslehre im Alterthum und 
Mittelalter. 

48. Liepiuann Wilhelm: Ueber suprasymphysären Quer¬ 
schnitt. 

49. Kirsch b a u m KalOv: Poliomyelitis anterior. 

50. Preis« Meyer: Zur Frage über die Beschaffenheit der sibi¬ 
rischen Ivubbutter vom chemisch-hygienischen Standpunkte. 


Universität Greif swald. August 1901. 

25. Jung Hugo: Zur Kasuistik der Lymphosarkome der Racheu- 
tonsllle. 

26. Birrenbach Hermann Joseph: Ueber Mikromelie bei con¬ 
genitaler Syphilis. 


Vereins- und Congressberichte. 

XXI. Oberrheinischer Arztetag 

zu Freiburg i. B. 

(Eigener Bericht.) 

Am 25. Juli fand, wie fast alljährlich, der XXI. Ober¬ 
rheinische Acrztetag mit. guter Betheiligung der auswärtigen 
Herren Kollegen statt. 

In der Augenklinik (7—8 Uhr Vormittags) besprach Herr 
Geheime Rath Manz, nachdem er die Herren Kollegen herzlich 
willkommen geheissen, zuerst einen Fall von Luxatip lentis 
subconjunctivalis, wobei zur Enucleation des Auges geschritten 
werden musste. Von dem dabei erhaltenen instruktiven Prä¬ 
parate wurden mikroskopische Schnitte demonstrirt. Sodann ver- 
breitote sich M a n z in eingehender Weise über das seltenere und 
darum von den weniger Erfahrenen auch manchmal verkannte 
Krankheitsbild der E p i s k 1 e r i t i s nach Vorkommen, Art, Ver¬ 
lauf. Therapie und pathologischer Anatomie. Es wurde des Zu¬ 
sammenhangs mit sonstigen Krankheiten gedacht, sowie auf den 
beobachteten Uebergang in bösartige Geschwulstform hinge- 
wiesen. Hierauf wurde ein Mädchen mit einer Schussverletzung 
des Auges vorgestellt und dabei mehrere Röntgenbilder anderer 
Fälle vorgezeigt, und schliesslich wurden noch je ein Fall von 
Herpes corneae und sogen. Frühjahrskatarrh demonstrirt. 

Hieran schloss sich die gynäkologische Klinik (8—9 Uhr), 
in der Herr Geheime Rath He gar einen Vortrag mit Demon¬ 
strationen über das Puerperalfieber und seine Verhütung hielt. 
Der Vortrag erscheint unter den Originalien dieser Nummer in 
extenso. 

Tn der medicinischen Klinik (9—10 Uhr Vormittags) stellte 
Herr Geheime Rath Bäumler zunächst einen sehr inter¬ 
essanten Fall vor, der nach früher stattgehabtem Trauma einer¬ 
seits exquisit hysterische Erscheinungen, andererseits gewisse 
Symptome der multiplen Sklerose (z. B. Nystagmus) darbietet. 
Derselbe Fall ist auch auf dem letzten Neurologenkongress in 
Baden-Baden von Bäumler ausführlich demonstrirt worden. 
Sodann bespricht Herr Geh. Rath Bäumler das Krankheits¬ 
bild eines Mannes, der bei hochgradiger Kyphoskoliose und da¬ 
durch bedingter Verlagerung der Brusteingeweide und Verschie¬ 
bung ihrer Grenzen auseültatorische Erscheinungen über dem 
Herzen zeigt, die die Diagnose eines offengebliebenen Ductus 
Potalli am wahrscheinlichsten machen. Hieran schlossen sich 
an der ITand zweier Fälle (Bäekerlunge ünd ausgeheilte Tuber¬ 
kulose mit Schrumpfungen; physikalisch nachweisbare Lungen¬ 
tuberkulose ohne Tuberkelbacillen im Auswurf) praktisch wich¬ 
tige Ausführungen über seltenere Fälle von Lungentuberkulose 
und ihre Ansgänge. 

Tn der chirurgischen Kinik demonstrirte Herr Hofrath 
Kraske zunächst eine 56jährige Frau mit einem kindskopf- 
grossen Tumor über dem rechten Hinterhauptsbein, der sieh 
durch flache, oberflächlich liegende Knochenplatten, durch einen 
Knochemvall in seiner Peripherie und das eigentümliche 
Schattenbild aus der Röntgenphotographie als myelogener 
Tumor kennzeichnet. Der Vortragende weist bei der Besprechung 
der Diagnose auf die merkwürdigen, am Schädel verkommenden 
Strumametastasen und Nebenschilddrüsen hin. erinnert dabei 
an zwei in der Klinik beobachtete Fälle und glaubt, dass es sieh 
auch hier um eine Strumametastase und zwar bei dem 5 jährigen 
Bestehen des Tumors um eine gutartige Metastase einer jetzt 
noch vorhandenen substemalen Struma handelt. Eine Operation 
des grossen, äusserst blutreichen Tumors hält Kraske zwar für 
möglich, aller, da «ler Tumor keine Gehirns.vmptomo und keine 
besonderen Schmerzen macht, vorerst nicht für indieirt. 

Sodann stellte Kraske ein Mädchen vor, bei welchem im 
Verlauf einer Epi- und Perityphlitis eine Stenose des Coecums 
entstanden war, di«» durch Resektion des Coecums und Implan¬ 
tation des Ileums in das Kolon beseitigt wurde. Bei der Demon¬ 
stration des durch diese Operation gewonnenen Präparates zeigte 
es sich, dass der Processus vermiformis förmlich verloren ge¬ 
gangen ist und dass der Proeess, der zu der deutlich erkennbaron 
Stenose geführt hatte, wie eine mitexstirpirte Driisc erkennen 


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17. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1503 


lässt, eiu tuberkulöser gewesen ist. Im Anschluss au dieses Prä¬ 
parat gelangte ein ganz ähnliches zweites zur Besichtigung, das 
von einer älteren Frau stammt, bei welcher durch Resektion des 
stenosirten Coecums ebenfalls Heilung erzielt wurde. Der Vor¬ 
tragende besprach hierauf den eigcnthümlichen Verlauf der chro¬ 
nischen Entzündung des Blinddarms, die häufig in Folge von 
Mischinfektion auch akut einsetzen kann. So war es bei den 
beiden mitgetheilten Fällen, so auch in einem kürzlich beobach¬ 
teten Fall von Aktinomykose des Blinddarms, die schliesslich 
durch Metastasirung des Processes, vor Allem in der Leber, nach 
monatelangem Krankenlager zum Tode führte (Demonstration 
der mit aktinomykotischen Herden durchsetzten Leber). Schliess¬ 
lich stellt Eraske noch einen jungen Mann vor, welcher durch 
Fall vom Rad eine subkutane Milzrnptnr erlitt und durch Ex¬ 
stirpation der Milz vom Verblutungstode gerettet worden ist. 

Nachdem die Herren Kollegen theils den Neubau 
für. Infektionskrankheiten des erweiterten 
Hilda-Kinderhospitales besichtigt, theils den klini¬ 
schen Demonstrationen der Herren Prof. Killian, Bloch und 
J a c o b i beigewohnt hatten, begann um 1 Uhr eine gemeinsame, 
sehr gut besuchte Sitzung im Hörsaal der Anatomie, in der 
Herr Medicinalrath K e 11 e r - Lörrach den Vorsitz führte. 

Nach einem vorzüglichen und mit viel Beifall aufgenom¬ 
menen Referate über den diesjährigen deutschen Aerztetag des 
Herrn Medicinalrath Fritsch i, hielt Herr Geh. Hofrath 
Ziegler einen durch eine grosse Reihe ausgezeichneter Bilder 
veranschaulichten Vortrag über die Verbreitungsweise der 
Malaria. Hierauf sprach Herr Hofrath Thomas über 
Anaemia pseudoleukaemica infantum (der zu Grunde liegende 
Fall war den Herren im Kinderhospital Vormittags demonstrirt 
worden), Herr Dr. W. Sachs- Mülhausen i. Eisass über Barm- 
ausschaltung. Den Schluss des wissenschaftlichen Thciles 
bildeten daim noch Demonstrationen von Dr. Kaufmann- 
Freiburg i. B. und Dr. Sachs- Mülhausen i. Eisass. 

Durch ein gemeinschaftliches, sehr animirt verlaufendes 
Festessen fand der XXI. Oberrheinische Aerztetag, der sich 
würdig seinen Vorgängern angereiht hat, einen gemüthliehen 
Abschluss. 


XXIX. Versammlung der Ophthalmolog. Gesellschaft 

in Heidelberg am 5., 6. und 7. August. 

Eigener Bericht, erstattet von Dr. Fritz Salzer, Privat- 
docent in München. 

Der Kongress wurde am 5. August mit einer Ansprache 
S n e 11 e n’s eröffnet, in welcher Redner auf die vor jetzt 
50 Jahren erfolgte Entdeckung des Augenspiegels durch Hermann 
v. Ilclmholtz hinwies. 

Nachdem der Präsident der ersten Sitzung, Uhthoff, daran 
noch einige Worte über das erste Modell des Augenspiegels ge¬ 
knüpft hatte, folgten die Vorträge von 

1. Nagel -Freiburg: Mittheilungen und Demonstrationen 
über die dichromatischen Farbensysteme. 

Die in Ophthalmologenkreisen noch vielfach acceptirte 
II e r i n g’scho Gegenfarbentheorie hat unter den Physiologen 
niemals Boden gefunden, da die zu Grunde liegenden allgemeinen 
Anschauungen mit allgemein biologischen Erfahrungen über das 
Wesen von Reizungsvorgängen unvereinbar sind. Als charak¬ 
teristisches Beispiel für die Unzulänglichkeit der H e r i ng’schen 
Theorie erörtert Vortragender die typischen Unterschiede der 
sogen. Rothblinden und Grünblinden, die nach Hering rein 
physikalisch durch verschiedene Absorption des Lichtes in dem 
ungleich stark entwickelten Maculapigment sich erklären sollen, 
während durch v. Kries und Vortragenden nachgewiesen ist, 
dass die Pigmenti rungsunterschiede mit den Typusunterschieden 
gar nichts zu thun haben. Vielmehr können diese durch die 
Maculatingirung eher verwischt werden und die scheinbaren 
Zwischenformen zwischen den beiden Typen sind nur durch 
Untersuchungsmethoden vorgetäuscht, die von den Verschieden¬ 
heiten der Maculatingirung und dem wechselnden Adaptations¬ 
zustande nicht unabhängig sind. 

Der vom Vortragenden konstruirte Apparat ist von diesen 
Komplikationen unabhängig und gestattet daher eine sehr rasche 
und leichte Erkennung der Farbenblindheit und ihrer beiden 
Haupttypen. Statt der irreführenden H e 1 m h o 11 z’sehen Be¬ 


nennung: Rothblind und Grünblind schlägt Vortragender die 
v. K r i e s’schc Bezeichnung: Protanop und Deuterauop vor, die 
nicht mehr aussagt, als wir sicher wissen, nämlich das Fehlen je 
einer Komponente des trichromatischen Farbensystems. Die 
Ilering’sche Bezeichnung: „relativ blausichtig und relativ 
gelbsichtig Roth-Grünblinde“ steht mit sicher konstatirten That- 
sachen in Widerspruch. 

2. Bach- Marburg: Bemerkungen zur Methodik der Pu- 
‘ pillenuntersuchung, zu den Ursachen der Anisocorie und den 
Störungen der Pupillenbewegung. 

Bach betont, dass es wünschenswerth sei, eine einheitliche 
Methode der Pupillenuntersuchung zu besitzen. Er bespricht eine 
Methode, die, ohne wissenschaftlich durchaus exakt zu sein, für 
die meisten Fälle zur Analyse der vorliegenden Störung genügt. 
Mit dieser Methode hat er ca. 300 Fälle systematisch untersucht. 
Die gewonnenen Resultate werden vorläufig kurz mitgetheilt. 

3. B a a 8 - Freiburg: Ueber eine seltenere Pupillarreaktion. 

Es handelt sich um einen Fall von sog. Lidschlussreaktion 

der Pupille. Die mydriatische, auf Licht starre, anfänglich auch 
auf Accomodation und Convergenz kaum reagirende Pupille ver¬ 
engte sieh bei energischem Lidschluss. Die ganze Störung ging 
allmählich zurück. Sonst war das Auge normal. Ala Ursache 
wird eine Kernaffektion angenommen. B a a a stellt sich vor, 
dass das Sphinctercentrum in Untergruppen für Lieht-, Aecommo- 
dation-, Convergenz- und Lidschlussreaktion zerfalle, deren jede 
isolirt erkranken könne. Für Vermittlung der Lidschlussreaktion 
kommt das hintere Längsbündel in Betracht. 

4. v. H i p p e 1 - Heidelberg: Zur Pathologie des Hornhaut¬ 
endothels. 

Vortragender hat zur Erforschung der Frage, ob eine Er¬ 
krankung des Hornhautendothels Beziehungen zur Entstehung 
parenchymatöser Hornhauttrübungen hat, Unterbindungen der 
4 Venae vorticosae bei Kaninchen vorgenommen und parenchy¬ 
matöse Keratitis vom geringsten bis zum höchsten Grad erhalten. 
Schon nach 1—3 Tagen liessen sich Endotheldefekte anatomisch 
und klinisch mit Hilfe der Fluorescinfärbung feststellen. Die 
Descemc t’sehe Membran blieb intakt, auch in Fällen, wo 
starke Ektasie der Hornhaut bestand, in späteren Stadien fand 
sich eine neugebildete Glashaut. In 2 anatomisch untersuchten 
Fällen von Keratitis parenchyraatoea beim Menschen fehlte das 
Endothel in grosser Ausdehnung. Klinische Untersuchungen mit 
Fluorescin an 63 Fällen bestätigen frühere Angaben des Vor¬ 
tragenden, besonders dass beim akuten Glaukom während des Be¬ 
stehens der rauchigen Trübung regelmässig tieliegende Färbung 
zu erhalten war. 

5. Hertel- Jena: Zur pathologischen Anatomie der 
Cornea. 

6. Best-Giessen: Ueber das Vorkommen von Gly¬ 
kogen im Auge. 

7. Salzmann- Wien: Die Chorioidealveränderungen 
bei hochgradiger Myopie. 

Dieselben unterscheiden sich nicht wesentlich von den Ader¬ 
hau tatrophien rein entzündlichen Ursprungs. Die Glashaut der 
Chorioidea zeigt über den atrophischen Stellen Lücken, welche 
wohl als Anfänge eines Processes zu deuten sind, den man sich als 
Circulus vitiosus vorstellen muss: zusammengesetzt aus den rein 
mechanischen Folgen der Dehnung, Bildung von Dehiscenzen, und 
aus Reparationsvorgängen, namentlich von Seiten des Pigment¬ 
epithels. Die letzteren verleihen dem Prooess seinen entzünd¬ 
lichen Charakter. Die so entstandenen Narben sind wieder Orte 
geringeren Widerstandes, an denen neue Dehiscenzen entstehen. 
In therapeutischer Hinsicht dürfte man am ersten von einer 
Herabsetzung des intraocularen Druckes etwas erwarten. Viel¬ 
leicht wirkt die Myopieoperation in diesem Sinne. 

8. Leb er -Heidelberg: Ueber die phlyktänuläre Augen¬ 
entzündung. 

Leber theilt vorläufige Resultate von noch nicht abge¬ 
schlossenen Untersuchungen über die phlyktaenuläre Augenent¬ 
zündung mit. 

Die. Beziehung der Erkrankung zur Skrophulose ist un 
bestreitbar, doch ist damit nicht viel zum Verständniss ihres 
Wesens gewonnen, so lange wir über die Natur der Skrophulose 
so wenig wissen. Aehnlich verhält es sich mit der Auffassung 
der Krankheit als Ekzem. Ein Theil der Erkrankungen der Ge- 
sichtshaut tritt jedenfalls erst in Folge der Augeuerkrankung 


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1504 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 38. 


auf, hervorgerufeu durch Aufweichung der Epidermis durch 
Thränen, Wischen u. s. w. und nachfolgende Infektion. Schon 
1888 hat Leber mitgetheilt, dass durch Coccen, die sieh aus dem 
Augensekret züchten lassen, künstlich Ilautaffektionen erzeugt 
werden können, aber keine Augenentzündungen. Neuerdings hat 
L e b e r in G Fällen frische excidirte Phlyktaenen untersucht und 
nirgends Mikroorganismen nachweisen können, trotz bester Me¬ 
thoden. Es folgt daraus, dass ektogene Infektion nicht vorliegen 
kann. Anatomisch stellt die Alfektion ein einfaches, im Schleim¬ 
hautgewebe liegendes Knötchen dar, von dem das Epithel empor¬ 
gehoben wird. Letzteres ist an der Spitze nekrotisch, im Knöt¬ 
chen selbst kommen Riesenzellen vor. Dasselbe gewinnt dadurch 
eine gewisse Aelmlichkeit mit einem Tuberkel, 6 Implantations 
versuche bei Thieren fielen negativ aus. Es wurden auch Ein¬ 
spritzungen von Aufschwemmungen abgetödteter Tuberkelbacillen 
in die Hornhaut und Bindehaut ausgeführt. Es gelang, Horn¬ 
hautentzündung von progressivem Charakter zu erzeugen, die 
eine gewisse Aelmlichkeit mit der Keratitis parenchymatosa des 
Menschen aufwics. Ob Phlyktaenen zu erzeugen sind, bleibt noch 
unsicher. 

9. He s 8-Wiirzburg: Die Erregung der Netzhaut bei 
venöser Drucksteigerung. 

Hess hat bei venöser Stauung, beim Niesen, Husten u. s. w. 
entoptisch 4 leuchtende Punkte im Gesichtsfeld beobachten 
können, die ihrer Lage nach den Eintrittsstellen der 4 Venae 
vorticosae entsprechen. 

10. Siegrist -Basel: Ueber wenig bekannte Erkran- 
gungsformen des Sehnerven. 

Vortragender macht auf eine wenig bekannte, nichtsdesto¬ 
weniger aber ganz ausserordentlich häufige Erkrankung der Seh¬ 
nerven des Menschen aufmerksam. Die Erkrankung tritt fleck- 
weise auf. Die Flecken sind makroskopisch am frischen Präpa¬ 
rate nicht sichtbar, sie treten aber auf der Schnittfläche zu Tage, 
sobald der Nerv einige Zeit in einer Chromsäurelösung gelegcm 
hat. Schnitte, die mit W e i ge r t’s Ilaematoxylin gefärbt wur¬ 
den, lehren, dass die fleckförmigen Erkrankungsherde anfänglich 
in runder oder ovaler Form im Inneren von einzelnen Nerven¬ 
faserbündeln liegen, dass sie sich aber leicht über die einzelnen 
Bündelquerschnitte und trennenden Septen hinaus ausdehnen und 
so zu grösseren, mehrere Bündelquerschnitte sammt den zuge¬ 
hörenden interfaseiculäreu Septen einschliessenden, schwarzen 
Herden führen können. Allo diese Herde färben sich mit Wei¬ 
ter t’scheni Ilaematoxylin intensiv und diffus schwarz; sie sind 
oft von zahlreichen quer, d. h. senkrecht zur normalen Faser¬ 
richtung, also in^ der Ebene des Querschnittes einherziehenden 
markhaltigen Nervenfasern durchzogen, und bestehen zum gröss¬ 
ten Tlieile aus schwarz berandeten Schollen und Kugeln, die wirr 
neben- und aufeinander liegen und so die diffuse Schwarzfärbung 
der Herde bedingen. Färbung mit Eosin-Haematoxylin zeigen, 
dass entzündliche Processe fehlen, dass aber in den Herden die 
Neuroglia wohl gewuchert ist. 

Unter 80 in M ü 11 e r’seher Flüssigkeit fixirten Organen fand 
S i e g r i s t die Affektion 51 mal, d. h. in 62 Proc. der Fälle, bei 
den verschiedensten Erkrankungen der Augen. 

Schon vor 32 Jahren wurde die Affektion von Leber bei 
Neuritis optica beobachtet und kurz beschrieben, und neuerdings 
hat sie Schlodtmann in 2 Sehnerven gefunden bei Anlass 
der Exstirpation retrobulbärer Tumoren. 

Der Krankheitsprocess wird von Siegrist, gestützt auf 
seine Befunde an frischem Materiale, das nach der Methode von 
M a r c h i und mit Sudan III gefärbt war, als krümeliger 
Zerfall und fettige Degeneration von mark¬ 
haltigen Nervenfasern bezeichnet. S i e g r i s t tritt 
hiermit voll und ganz der anatomischen Diagnose bei, welche 
Leber seiner Zeit für seine damaligen Befunde aufstellte. 

Manche Fälle von Sehschwache ohne Befund, besonders bei 
alten Leuten oder bei Allgemeinleiden der verschiedensten Art, 
sind wohl auf diese fleckförmige Erkrankung der Sehnerven zu¬ 
rückzuführen. 

In der Discusslon bemerkt F uchs, dass er den be¬ 
schriebenen Befund wohl kenne, ihn aber als eine postmortal durch 
den Einfluss der Härtungsmittel entstandene Veränderung auf¬ 
fasse. Dieselbe Ansicht wird von mehreren Seiten geäussert. 
Vortragender war auf diesen Einwand gefasst, hält aber post¬ 
mortale Veränderungen für ausgeschlossen. 

Die in den beiden folgenden Vorträgen behandelte Frage 
nach der Vollkorrektion der Myopie ist für weiteste, 


nicht nur ärztliche Kreise von dem grössten Interesse, und soll 
desshalb über beide Vorträge, sowie die sich anschliessende De¬ 
batte ausführlicher referirt werden. 

11. P f a 1 z - Düsseldorf: Ueber die Entwicklung jugend¬ 
lich myopischer Augen unter dem ständigen Gebrauch voll- 
corrigirender Gläser. 

Seit vor 35 Jahren Donders die Grundzüge für die Gläser¬ 
behandlung der Myopie angegeben und begründet hatte, hat sich 
auf diesem Gebiete nichts geändert. Der Vorschlag Försters (vor 
17 Jahren), durch Vollkorrektion jugendlich myopischer Augen 
dem Fortschreiten der Myopie Einhalt zu gebieten, ist, von dem 
Amerikaner Risley, der vor 7 Jahren den Vorschlag wieder¬ 
holte, abgesehen, ohne Nachahmer geblieben und stellt der heutige 
Standpunkt, wie ihn Königshöfer in seiner Prophylaxe 
in der Augenheilkunde dahin präcisirt, dass zur Naharbeit nie¬ 
mals voll corrigirende Gläser benützt werden dürften, sogar 
einen Rückschritt gegenüber den D o n d e r s’schen Grundsätzen 
dar. Vortragender ist nun der Ansicht, dass nicht praktische Er¬ 
fahrung, sondern lediglich theoretische Gründe die vorher 
skizzirte Anschauung befestigt haben. Mit Rücksicht auf den 
folgenden Vortrag von Heine über denselben Gegenstand ver¬ 
zichtet er jedoch auf ein Eingehen auf das theoretische Gebiet 
und beschränkt sich auf Darlegung seiner Erfahrungen, die ihn 
allmählich bestimmten, auch für die Naharbeit Gläser, Anfangs 
theilweise, seit 5 Jahren voll korrigirende in Anwendung zu 
bringen. Er kam zu diesen Erfahrungen durch wiederholte Kon- 
trole seiner Myopen. Diese Kontrole ist auch erforderlich, um 
das Princip voller Neutralisation der Myopie auch für jede Nah¬ 
arbeit durchzuführen. Vortragender geht dabei so vor, dass er, 
falls bei vollkorrigirenden Gläsern eine relative Acoommodation 
von 2,5 D vorhanden ist (eine empirisch gefundene Grösse, die 
sich dem Vortragenden als praktisch erwiesen hat), sofort die 
vollkorrigirende Brille verordnet, sonst das schwächere Glas, mit 
dem jene relative Accommodation noch eben vorhanden ist Im 
letzteren Fall wird in Pausen von 2—3-Monaten ständig zu 
stärkeren Gläsern fortgeschritten, bis vollkorrigirende Gläser an¬ 
genommen werden. Bei diesem Vorgehen kann man sehr bald 
eine wesentliche Zunahme sowohl der absoluten und relativen 
Accommodation, wie der centralen Sehschärfe feetstellen. Das 
myopische Auge wird in seiner Funktion mit Brille dem emmetro¬ 
pischen gleich. Grossen Werth legt Vortragender bei den be¬ 
nutzten Brillen — nur diese, nicht Pincenez’s, sollen angewandt 
werden — auf die Form der Gläser. Wenn vollkorrigirende 
Brillen oft nicht vertragen würden, so läge die Schuld nicht au 
der Brennweite, sondern an der Form des Glases, nebenbei aller¬ 
dings zuweilen auch an schlechter Centrirung, schlechten Brillen¬ 
gestellen. Vortragender wendet selbst bei schwacher Myopie in 
der Regel, bei stärkeren Graden — über 2,5 D — immer peri- 
skopisch geschliffene Gläser an, damit bei dem Blick durch para- 
centrale Gebiete des Glases — beim Lesen imvermeidlich — 
sphärische Aberration in Form von astigmatischer Ueberkorrek- 
tion und prismatische Ablenkung vermieden werden. Er hat mit 
den torischen Gläsern, bei denen selbst die stärksten Nummern 
noch eine vorne leicht convexe Fläche haben, die allerbesten Er¬ 
fahrungen auch bei alten Myopien gemacht. Die Resultate seiner 
Erfahrungen mit Vollkorrektion sind in 3 Tabellen eingetragen, 
in welchen solche Myopen, die er in grösseren Zeiträumen mehr¬ 
fach genau zu untersuchen in der Lage war, verzeichnet sind. 
Die erste Tabelle, deren Fälle zum Theil aus jener Zeit stammen, 
wo Vortragender noch nicht voll zu korrigiren wagte, zeigt die 
Zunahme der Myopie bei nicht für die Nähe korrigirten Augen. 
In allen Fällen ist eine Zunahme, oft recht erheblich, vorhanden. 
Die zweite Tabelle führt die Fälle auf, in denen theilweise Kor¬ 
rektion für die Nähe stattgefunden hatte. Auch hier ist die 
Myopie noch überall fortschreitend, jedoch ist die Zunahme der¬ 
selben etwas geringer wie in Tabelle 1. Tabelle 3 enthält die 
Fälle mit voller Neutralisation der Myopie auch für die Nähe, 
im Ganzen 38. Nur bei einem 8% jährigen, sehr anaemischen 
Knaben, der bereits mit M. — 7,5 D auf einem, — 1 D — As — 
auf dem anderen Auge in Behandlung kam, schritt die Myopie 
in 3 Jahren um 3,5 D fort, in 2 anderen Fällen um 0,5 bis 1,0. 
in zweien einseitig um 0,25, in den übrigen ist der Fortschritt 
in Zeiträumen von 1!4—5 Jahren = 0. 

Vortragender wirft, ohne näher auf die Gründe des Still¬ 
standes einzugehen (mit Rücksicht auf den Vortrag von Heine), 


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17. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1505 


zum Schluss die Frage auf, ob nicht der mitHebung der Accommo- 
dation Hand in Hand gehenden besseren Entwicklung des Cor¬ 
pus ciliare, bei dessen innigen Beziehungen zur Ernähung des 
Auges, ein günstiger Einfluss auf die Entwicklung des jugend¬ 
lich myopischen Auges zuzuschreiben sei. Jedenfalls zeige ein 
Vergleich der Tabellen, dass nicht die Accommo- 
dationsthätigkeit, sondern der Mangel einer 
solchen dem Fortschreiten der Myopie för¬ 
derlich sei. Vortragender fasst die Konsequenzen seiner Er¬ 
fahrungen in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Bei jedem jugendlichen Myopen ist volle Neutralisation 
der Myopie anzustreben. 2. Zur Korrektion sind stets Brillen 
zu benutzen, am besten mit periskopischen Gläsern, stets mit 
solchen, wenn die Myopie 2,5 D überschreitet. Pincenez’s sind 
hei jugendlichen Myopen zu verwerfen, ebenso sei die Saran- 
s o n’sche Patentbrille als schädlich zu bezeichnen. 3. Alle jugend¬ 
lichen Myopen sind unter ständiger Kontrole zu halten. Auch 
für ältere sei diese empfehlenswerth. 4. Ob es gelingt, jede 
Myopie zum Stillstand zu bringen, ist noch eine offene Frage, 
deren Beantwortung erst durch weitere, grössere Erfahrung er¬ 
folgen kann. 

12. H e i n e - Breslau: Ueber Vollkorrektion der Myopie. 

Heine tritt auf Grund theoretischer wie praktischer Er¬ 
wägungen für strikte Vollkorrektion der Myopie ein: dasselbe 
vollkorrigirende Glas soll dauernd für Ferne und Nähe getragen 
werden, bis der beginnenden Presbyopie wegen für die Naharbeit 
schwächere Gläser ordinirt werden* müssen. 

Theoretisch wird ausgeführt, dass ein Schaden starker Gläser 
für die Ferne nicht zu erwarten wäre, da die Verarbeitung schar¬ 
fer Bilder dem Auge ja nicht schädlicher sein könne, als die ver¬ 
waschener. Im Gegentheil werde unter letzteren durch das Blin¬ 
zeln vermuthlich der intraoculare Druck gesteigert, was unter der 
Vollkorrektion wegfalle. 

Wenn man nun verlange, dass diese Gläser auch für die 
Nähe getragen werden sollen, so müsse man von der Unschädlich¬ 
keit der Accommodation überzeugt sein; es wird in kurzen Zügen 
auf die Arbeiten hingewiesen, welche des Redners Meinung die 
Theorie von Helmholtz unwiderleglich beweisen: Linsen- 
schlottern, Meeeungsmethoden für die passiven accommodativen 
Linsenverschiebungen, Radienmessungen an menschlichen 
Leichenlinsen, vor und nach Durchschneidung der Zonula, Linsen - 
indexbestimmungen, mikroskopische Fixirung des Aceommo- 
dationsaktes. Ferner wird darauf hingewiesen, dass wir 
es jetzt als gesichert ansehen können, dass die Accommodation den 
intraoeularen Druck nicht im geringsten beeinflusst. Auch die 
durch angebliche Ciliarmuskelkrämpfe bedingten Verzerrungen 
haben für die Myopie keine aetiologische Bedeutung, da sie sich, 
wie Versuche zeigen, auf den vorderen Bulbusabschnitt beschrän¬ 
ken, die Myopie aber im Gegensatz zum Hydrophthalmus aq. eine 
Erkrankung des hinteren Abschnittes ist. 

Die Anatomie der Myopie, verglichen mit der des Hydroph¬ 
thalmus, ergibt eine angeborene mangelhafte Veranlagung der 
hinteren Bulbushälfte, nirgends aetiologisch bedeutsame Ent¬ 
zündungserscheinungen. 

Was wir daher bei der Therapie fürchten müssen, sind intra- 
oouläre Drucksteigerungen, die aber nicht von der Accommodation, 
sondern nachweislich von den äusseren Augenmuskeln hervor¬ 
gerufen werden. Diese müssen durch möglichste Ilinausrückung 
der Leseweite (Arbeitsdistanz) vermindert werden. Ein beständiger 
Wechsel von starken Gläsern für die Ferne mit um 3 D. 
schwächeren Gläsern für die Nähe scheint die Myopie weniger 
günstig zu beeinflussen als strikte Vollkorrektion. 

Die beigebrachte Statistik spricht sehr für die vorgetragene 
Ansicht: Von 18 längere Zeit beobachteten jugendlichen Myopen 
über 6 D., welche unterkorrigirt waren, blieben 5 stationär, 
8 wurden etwas, 5 stark progressiv. Zu den letzteren können 
noch alle jene hochgradigen Myopen hinzugerechnet werden, die 
nie ein Glas getragen haben, wie es ja fast dio typische Anamnese 
ist. Von 32 strikt Vollkorrigirten blieben vielleicht dauernd pro¬ 
gressiv 2, doch sind auch diese nicht ganz einwandsfrei (schlechte 
Sehschärfe, Anisometropie), 2 blieben wenig progressiv, einer 
von diesen nur auf der einen Seite, 28 wurden mit Einführung 
der Vollkorrektion stationär. Sämmtliche Fälle betreffen jugend¬ 
liche Myopen bis etwa 20 Jahren. 


Demnach sind die dauernd für Ferne und Nähe getragenen 
voll korrigirenden Gläser nicht nur nicht schädlich, sondern im 
Gegentheil ein gutes Mittel im Kampf gegen die Myopie. 

Dlseusslon: Dor ist seit 10 Jahren eifriger Anhänger 
der Vollkorrektion. Er hat bis zu 2G D voll korrigirt. Er legt 
besonderen Werth auf guten Sitz der Brille: die Gläser sollen nicht 
gerade, sondern etwas schief vor dem Auge stehen. 

Hess ist schon vor 4 Jahren für Vollkorrektion eingetreten 

W i k e r c 1 e w i c z und v. Hippel sprechen sich gleichfalls 
dafür aus. 

Straub verweist auf seine Arbeit in der Zeitschrift für 
Psychologie und Physiologie 

Lucanus hat ophthalmoskopisch die Hyperaemie des 
Augenhlniergrundes unter dem Einfluss der Vollkorrektion ver¬ 
schwenden sehen. 

A x e n f e 1 d und U h t h o f f sind gleichfalls Anhänger. 

M a j weg verfügt seit 1890 über 400 Fälle, bei denen Voll¬ 
korrektion angewendet wurde, darunter ganz hochgradige Fälle. 
Er hat mehrfach einen Rückgang der Myopie um 3 und 4 D be¬ 
obachtet. 

Goldstrand korrigirt ebenfalls seit mehr als 10 Jahren 
mit bestem Erfolg total. Er legt besonderen Werth darauf, dass 
das Kneifen mit den Augenlidern, welches den intraoeularen Druck 
erhöht, wegfällt. 

Fuchs warnt davor, nicht über das Ziel hinauszuscliiesseu. 
(Beifall.) Es gebe auch Fälle, die nie Gläser getragen hätten 
uud sich doch wohl fühlten und nicht progressiv geworden seien. 

Schönemann macht darauf aufmerksam, dass man bei 
manchen Gewerben nicht voll korrlgiren könne. 

K rückmann theilt mit, dass auch die Leipziger Klinik 
voll korrigirt, bis zu 8 D. 

Pfalz betont in seinem Schlusswort, dass es wohl von nun 
an als Regel gelten müsse, jeden jugendlichen Myopen voll zu 
korrigirt n. 

13. Uh t h o f f - Breslau: Ein Beitrag zn den Sehnerven- 
verändemngen bei Schädelfraktnren, spec. zum Haematom 
der Sehnervenscheiden. 

U h t h o f f berichtet zunächst über 2 Fälle von Schädel¬ 
frakturen mit starken Blutergüssen in die Sehnervenscheldeu. 
Beide Fälle kamen zur Autopsie. Die Sehriervenpriiparate werden 
demonstrlrt und durch Mikrophotographien erläutert. Es handelt 
sich um starke Ausdehnung der Opticusscheiden durch Blut bei 
silmmtlichen 4 Sehnerven, die Erweiterung ist namentlich sehr 
stark (bis zu 1,5 mm) dicht hinter den Bulbis. Die Papillen sind 
oedematös und namentlich im 1. Fall deutlich steil prominent. 
Auch die anatomischen Veränderungen gleichen denen wie bei 
beginnender frischer Stauungspapille. 

Beide Patienten starben relativ kurze Zeit nach der Ver¬ 
letzung und bei beiden handelte cs sich um Brüche durch die 
mittlere Schädelgrube mit extra- und subduralen Blutergüssen, be¬ 
sonders auch an der Schädelbasis. Es bestand keine Fraktur des 
Knochens am Canalis opticus. Mit dem Augenspiegel konnte 
während des Lebens deutliche Neuritis optica mit venöser Stauung, 
Gedern des Sehnervenkopfes und deutlich miissige Prominenz des¬ 
selben konstatirt werden. 

U. erörtert nun im Anschluss an diese Sektionsbefunde fol¬ 
gende Punkte von allgemeinerer Bedeutung: 

1. Das Yerhältniss der Sehnervenhaematome zur Fraktur des 
khöchemcn Canalis opticus. In beiden Fällen fehlte eine solche 
Fraktur, das Blut war direkt aus der Schädelhöhle in die Opticus¬ 
scheiden übergetreten. Dem gegenüber werden die Berlin- 
HöldePschen Angaben über die Häufigkeit der Frakturen des 
Canalis opticus und der Sehnervenseheidenblutungcn bei Schädel¬ 
frakturen erörtert, ebenso der Fall von Panas von Orbital¬ 
blutung bei Orbitalfraktur ohne Neuritis optica. 

2. bespricht U. die ophthalmoskopischen Veränderungen ein¬ 
gehender, spec. das Bild der Neuritis optica, bei Schädelfrakturen 
im Vergleich zur einfachen, namentlich einseitigen Opticus¬ 
atrophie und ebenso die Bedeutung der vorliegenden ophthalmo¬ 
skopischen und anatomischen Veränderungen für die Patho¬ 
genese der sogen. Staüungspapille. Die Befunde sprechen ferner 
dagegen, dass starke Ausdehnung dor Opticusscheiden durch Blut 
das Bild der Ischaemie der Retina wie bei Embolie oder Throm¬ 
bose der Arteria centralis retinae hervorrufen. Es ist also bei 
dem klinischen Bilde der sogen. Embolie oder Thrombose der 
Arteria centralis retinae dio Deutung der Sehnervenblutung nicht 
gerechtfertigt. 

3. Erörterung der Funktionsstörungen bei Sehnervenschcidon- 
blutungen. 

4. Die Besprechung des sonstigen Vorkommens des Seh- 
nervenscheidenhaematoms bei intrakraniellen Blutungen und 
Gohirnapoplcxien, Pachymeningitis haemorrliagiea und anderen 
Ursachen (Nephritis, Scorbut, Haemophilie u. s. w.). Im Ganzen 
ist die Affektion recht sei ton. 

Zum Schluss werden noch kurz dio ophthalmoskopischen Be¬ 
funde bei Gohirnapoplcxien, Embolien und Thrombosen der Ge- 


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1506 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 38. 


hirnarterien von U. kurz erörtert an der Hand einer eigenen 
Statistik. Er hat unter 160 Fällen keinen gesehen, in dem er 
ein Sehnervenschaidemhaeinatom mit Sicherheit annehmen 
möchte. 

14. Dimmer- Graz hat die Photographie des Augen* 
hintergrundes in der Weise vervollkommnet, dass die Reflexe 
ganz ausgeschaltet sind und nur der Fundus in der Ausdehnung 
von 6 V-i Pupillendurchmessern, 45—60 mm gross zur Darstellung 
gelangt. Die Expositionszeit betrug '/„— 1 / 10 Sek. Verwendet 
wurden isochromatische Platten von Edwards. Vortragender 
demonstrirte eine grosse Anzahl vorzüglicher Bilder des normalen 
und kranken Fundus. 

15. V o 8 8 i u s - Giessen: Ueber Siderosis bulbi. 

16. Hummelshei m-Bonn: lieber monoculares Doppelt¬ 
sehen bei Astigmatikern. 

17. G r u n e r t - Tübingen: Die Lymphbahnen der Lider. 

Vortragender hat nach der Methode von Gerota, einem 
Schüler W a 1 d e y e r’s, die Lymphbahnen der Lider zur Dar¬ 
stellung bringen können. 

18. Bernheimer -Innsbruck: Bemerkungen über die 
Tabaks- und Alkoholamblyopie und über den reflektorischen 
Nystagmus. 

Vortragender hatte Gelegenheit, im vergangenen Jahr an 
20 Fälle von Alkohol-Tabakamblyopie an der Klinik zu be¬ 
obachten und zwar im ersten Anfangsstadium. 8 davon betrafen 
Bahnbedienstete, welche nur wegen Katarakt und Presbyopie die 
Klinik aufsuchten. Eine bei genauer Untersuchung eben merk¬ 
liche Trübung und Röthung der äusseren Pupillenhälfte ermög¬ 
lichte die Diagnose, da charakteristische Beschwerden fast ganz 
fehlten. Dieses für axiale retrobulbäre Neuritis charakteristische 
und daher wichtige Frühsymptom ist in der Literatur gar nicht 
oder nur flüchtig erwähnt (v. Michel, Uhthoff); da die voll¬ 
ständige Heilung dieser Affektion von der frühzeitigen Diagnose 
abhängt, erscheint es nicht unwichtig darauf hinzuweisen. Damit 
scheint auch indirekt die Ansicht Derer gestützt, welche die 
Tabak-Alkoholamblyopie für eine primäre, partielle interstitielle 
Neuritis halten. 

Vortragender beobachtete ferner an 4 Patienten, welche, 
wegen Refraktionsanomalien oder trockener Bindehautentzün¬ 
dung seine Klinik aufsuchten, 2 Arten von reinem reflektorischen 
Nystagmus. 

Die eine Form, welche bei Hypermetropen auftritt, wenn 
sie andauernd ohne genügende Korrektion Naharbeit verrichten, 
ist schon von Anderen beobachtet worden und ist auf erhöhte 
Accommodations- und Konvergenzinnervation zurückzuführen. Die 
zweite Art betraf Pat. mitCat.siccus mit oder ohne Hypermetropie 
und scheint in der Literatur bisher nicht verzeichnet. Es genügte 
bei den Patienten die Lider oder nur das untere Lid von dem 
Bulbus abzuziehen, ohne einen Druck auf diesen auszuüben, um 
eonstant, nach wenigen Sekunden bis einer Minute lebhaftesten 
Nystagmus hervorzurufen, offenbar eine Folge von Reizung der 
Trigeminusendigungen in Bindehaut und Hornhaut durch die 
nach dem Abziehen der Lider schnell eintretende Vertrocknung 
der Ilom- und Bindehaut. Es handelt sich in beiden Formen um 
reine Reflexerscheinungen, das eine Mal nur im Gebiete der 
Augenmuskelkemo und deren Endverzweigungen, das andere Mal 
im Gebiet der sensibeln Trigeminusästchen und der Augenmuskel¬ 
kerne. Vermittelt wird der Reflex beide Male durch das hintere 
Längsbündel. Dieses führt, wie Vortragender unter Anderen 
nachgewiesen, centripetale und centrifugale kurze und lange 
Bahnen, welche durch Contactwirkung mit allen Kernen der 
Augenmuskelnerven und der übrigen zum Auge in Beziehung 
tretenden Nerven in Verbindung stehen. 

19. Römer- Würzburg: Zur Frage der Jodoformwirkung 
bei intraocularen Injektionen. 

Vortragender hat gute Erfolge von Einführung von Jodoform 
in die vordere Kammer gesehen. Die Einwirkung, namentlich bei 
durch Staphyloeoceen hervorgerufenen Eiterungen, war unver¬ 
kennbar. 

20. E m a n u e 1 - Leipzig: Ueber die Beziehungen der Seh- 
nervengeschwtilste zur Elephantiasis neuromatodes. 

Sektionsbefunde bei an Sehnerventumoren Leidenden, an 
in torcurrenten Krankheiten Verstorbenen zeigen fast immer 
i'^er dem diagnostieirten Tumor noch andere Geschwulstknoten 


am gleichen oder am anderen Sehnerven. Auch sonst bestehen 
weitgehende Analogien zu den Neubildungen anderer Nerven- 
stünmie. Für die vertretene Auffassung der Sehnerventumoreu 
spricht ein beobachteter Fall, in dem Vater und Grossvater des 
Kindes an typischem Fibroma molluseuin litten. 

Am 5. und 6. August fanden Nachmittags Demonstrations- 
sitzungen in der Augenklinik statt. 


Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Officielles Protokoll.) 

Sitzung vom 23. März 1901. 

Der erste Punkt der Tagesordnung betrifft den Kassen¬ 
bericht und Voranschlag für das Jahr 1901. 

Zum zweiten Punkt spricht Herr A. Schanz: Ueber die 
Bedeutung von Massage und Heilgymnastik in der Skoliosen- 
behandlung. 

Vor der Tagesordnung: 

Herr Deetz (als Gast) demonstrlrt I. ein Angiom der Wirbel¬ 
säule. Das l>etreffende Präparat, entstammt der Leiche einer 
42 jährigen Frau, die unter Erscheinungen von Kompressious- 
myelitis starb. Es wurde in vivo ein Sarkom der Wirbelsäule an¬ 
genommen. 

II. Demonstration eines Angioma arteriale racemosum im 
Gebiet der Art. corporis eallosi. Das Gehirn entstammt einer 
56 jährigen Frau, die nur 2 Tage zur Beobachtung kam und in 
beständigen Krampfanfällen lag. 

III. Demonstration eines Gehirnangioms. 

Herr F.Schanz stellt einen Patienten vor, dem vor 2 Jahren 
ein Eisenstück in das Augeninnere gedrungen war. Die Magnet¬ 
extraktion, die mit dem Hlrschberg’schen Magneten von 
anderer Seite versucht worden war, war erfolglos geblieben. Jetzt 
war es Schanz gelungen, mit dem Slderoskop das Eisen nach¬ 
zuweisen und mit einem grossen Magneten durch die Pupille in 
die vordere Augenkammer zu ziehen. Es bedarf jetzt nur eines 
kleinen Einschnittes, um mit dem Hlrschber g’schen Magneten 
es vollständig aus dem Auge zu entfernen. 

Sitzung vom 30. März 1901. 

Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Trautmann 
einen Kranken mit Beri-Beri. 

Von den früheren Symptomen: Analgesie und Anaesthesie in 
den unteren Extremitäten bestellt nur noch verlangsamte Leitung. 
Patellarreflexe sind noch sehr gesteigert. Fussklonus ist nicht vor¬ 
handen. Bauchdeckenreflexe sind da. Cremasterreflex links deut¬ 
lich, rechts kaum zu sehen. Brustbeklemmungen bestellen nicht 
mehr, keine Oedeme mehr. Harnmenge auf 1850 ccm gestiegen, 
ohne Eiweiss. Blutbefund: Haemoglobingehalt 100. rothe Blut¬ 
körperchen in normaler Form und Menge, weisse Blutkörperchen 
nicht vermehrt. 

Tagesordnung:: 

1. Herr F. Haenel: Ueber Plenro-pnlmonalfisteln. 

2. Herr Steinert (Assistent an der I. inneren Abtheilung 
des Stadtkrankenhauses, als Gast): 

a) Periodisches Doppeltsehen bei Strabismus concomitans. 

b) Ein Beitrag zur Lehre von den Embryonalkystomen. 


Physiologischer Verein in Kiel. 

(Offlclellea Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Mai 1901. 

Herr Werth demonstrirt 2 Operationspräparate von Neben- 
hornschwangerschaf t. 

Präparat I, durch vaginale Exstirpation gewonnen, besteht 
aus dem durchgängigen gut ausgebildeten rechten Uterushom und 
dem schwanger gewesenen linken Nebenhorn, welches mit einem 
breiten kurzen und membranösen Verbindungsstücke am offenen 
Horne in der Gegend des Oriflcium internum befestigt gewesen 
war. An der Spitze des Nebenhornes. etwas nach innen oben vom 
Tubenabgange liegt ein kleiner Hohlraum mit verdünnten Wand¬ 
ungen, welcher das zerfallene Skelet eines 3—4 monatlichen Foetus 
enthält. Auf der Kuppe des Hohlraums eine alte durch einen 
angelötheten Netzzipfel locker verschlossene Ruptur. Medianwärts 
von der Fruchthöhle ist das Horn dicker als das rechte, reichlich 
hühnereigross und enthält, von einer derben muskulös-bindege¬ 
webigen Wand umschlossen (Metritis chronica), einen ganz engen 
schmalen Kanal, welcher 1 cm vor dem Inneren Pole des Hornes 
blind endigt und ln dessen äusseren Abschnitt noch ein langer 
Röhrenknochen aus dem Knochenkouglomerate von der Spitze des 
Hornes hineinragt. 

Präparat II, durch Laparotomie entfernt bei einer 25 jährigen 
Frau, welche 1 Jahr vorher einmal rechtzeitig geboren hatte. 
Cessatio mensium Nov. 1900 bis März 1901. Anfang April unter 
stärkerer Blutung Abgang deeiduaartiger Fetzen. Diagnose: 
Ektopische Schwangerschaft. 27. IV. 1901: Laparotomie. Das 
schwangere rechte Horn reichlich doppeltfaustgross, stark ge¬ 
spannt. entleert aus kleinem Einschnitte reichlich blutig gefärbtes 
Fruchtwasser. Absetzung durch cireuiären, den unteren Pol des 


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MUE N CI I EN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1507 


17. September 1901. 

Fruchtsackes umkreisenden Schnitt. Naht der Trennungsflilche 
mit Fixation der znrückgelnssenen Adnexe auf der Stmnpfwuude. 
Das Horn enthält 4 monatlichen macerirten Foetus. — Starke 
Retraktion der Fruchtsackwand nach der Fruehtwasserentleeruug. 
Dicke au der Absetznngsstelle 1—1»4 cm, am freien Pole einige 
Millimeter. 

Eine ausführlichere Publikation erfolgt an anderer Stelle. 

Herr Hoppe-Seyler spricht über die sogen, peri¬ 
karditische Pseudolebercirrhose, indem er einige Fälle schildert, 
deren Krankheitsbild in vieler Beziehung einer Lebereirrhose 
mit einfachem Stauungsascites ähnelte. Es setzte sich aber zu¬ 
sammen, nach dem Ergehn iss der klinischen Beobachtung und 
Autopsie, aus den Folgczuständen einer massig entwickelten 
lebereirrhose, einer Stauung des Blutes in Folge von totaler 
Synechie des Perikards und myokarditischen Veränderungen und 
namentlich einer von Perikurd und Pleura auf das Peritoneum 
übergreifenden serösen Entzündung. Diese hatte zu Perihepa¬ 
titis hyperplastiea (Zuckergussleber) geführt und ferner starke 
Verwachsungen innerhalb des Abdomens erzeugt, welche sich zum 
Theil vaseularisirt und so zu Abnahme des Ascites geführt hatten, 
ln dem einen Fall führten diese festen Biudegewebsmassen zu so 
starker Einengung des Harms, dass der Tod unter den Erschei¬ 
nungen des Ileus erfolgte. Ausführlicher werden die besprochenen 
Krankheitsfälle in der Dissertation von Herrn Pfannkuehe 
geschildert werden. 

Sitzung vom 20. M a i 1901. 

Herr Me wes: lieber zweierlei Samenfäden von Pala¬ 
dine. (ln den Mit theilungen für den Verein Schleswig-Holstcin’- 
scher Aerzte publizirt.) 

Herr Holzapfel zeigt einen Fall von exochorialer 
Fruchtentwicklung. Frucht und Placcnta entsprechen dem 
f>. Monat. Die Klhäute bilden eine kleine Tasche, der Eiliautriss 
ist so klein, dass die Flucht in ihrer jetzigen Entwickelung nicht 
liat hindurch treten können. Der Eiliautriss ist frühzeitig In der 
Schwangerschaft erfolgt, der Foetus hat sich später ausserhalb 
ilcs ('liorion-Ainnionsackes in der Uterushöhle weiter entwickelt. 


Aerztlicher Verein Nürnberg. 

(Offlcielles Protokoll.! 

Sitzung vom 23. M a i 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

Herr Simon bespricht folgende Fälle und demoustrirt die 
dazu gehörigen Präparate. 

1. Frau Sch. Carcinom der hinteren Lippe der Vaginal¬ 
portion mit Uebergrelfoji auf die Vagina. Um mit dein Carcinom 
möglichst wenig in Berührung zu kommen und andererseits miig 
liehst viel Scheide mit weg zu nehmen, wird die Operation be¬ 
gonnen mit Durchtreunuug des vorderen Scheidengewölbcs. Er¬ 
öffnung der Plica vesico-uterina und Ilervonvülzen des Uterus. 
Dann Abbinden der Tuben und Versorgen der Spermntiealgefiissi*. 
Durchtrennung des Peritoneums des Douglas von der Bauchhöhle 
aus und Vemähung mit dem Blnsenperltoueum. Jetzt liegt der 
Uterus, an Parametrien und hinterer Scheidenwand hängend, 
völlig extraperitoneal. Durch Zurückdrängen der Scheide wird 
mittels Klammern möglichst viel von den Parmnetrien mit fort- 
genommen; die Scheide lässt sieh von oben nach unten sehr leicht 
im Septum recto-vagin. bis zum Introitus ablösen. Einige Um¬ 
stechungen verkleinern die Wunde. Tamponade. Glatter Verlauf. 

2. Frau Schw. Kechtsseitige Tubargravidität mit begin¬ 
nender Peritonitis. Durch die Exstirpation des 3 monatlichen 
Fruclitsaekes wurde völlige Heilung erzielt. 

3. Frau H. Graviditas tubaria. Pat., 11 Jahre steril ver- 
lieirathet. erkrankte plötzlich nach 8 tägigem Oessiren der Menses 
unter heftigen Schmerzen und Blutung. Es wird ein Tumor im 
Douglas und an der linken Uteniskanto gefunden. Die Laparo¬ 
tomie ergab eine ea. 2 monatliche lebende Tubensehwnugerschaft; 
der Tumor hinter dem Uterus ist ein faustgrosses Myom. Das 
Ostium abdom. tub. ragte nach oben in die Bauchhöhle: es war 
verklebt durch einige Darmschlingen. In der Bauchhöhle bereits 
frisches Blut. 

Beim Ablösen der Darmscldingen sprang die Blase und aus 
dpr Tube wurde mit ziemlich starkem Drucke ein G em langer 
frischer Foetus geschleudert. Es erfolgte eine starke Blutung aus 
der Tube, welche durch die Exstirpation derselben gestillt wurde. 
Es handelte sieh also um einen tubaren Abortus in statu nascendi 
sozusagen. 

Vortragender weist auf die Hiluflgkeit der Extrauterin¬ 
schwangerschaften bei sterilen Frauen und die häufige Komkli- 
kation mit Genltaltuinoren hin. Glatte Heilung. 

4. Frau Kr. Zwei faustgrosse elterhaltige Tubensäcke; die¬ 
selben waren abnormer Weise nicht im Becken adliaerent, sondern 
lagen oberhalb des Uterus in der Bauchhöhle frei beweglich und 
waren desshalb als Ovarialtumoren angesprochen worden. Heilung. 

5. Frau H. Ein typisches Präparat von Salpingitis nodosa 
isthmica, wobei die Uterusecken tief excidlrt wurden. Gleichwohl 


bildete sich ein langwieriges Exsudat, so dass in diesen Fällen 
wolil die Mitentfernung des Uterus anzuratlien ist. 

G. Frau M. Zwei Pyosalpinxsäcke, nach 3 perltonitlscheu 
Attaquen entfernt. 

7. Frau H. Myoma uteri. Nach Eintreten der Klimax 
rasches Wachsen des Myoms und allgemeiner Verfall. 

Schon bei Eröffnung der Bauchhöhle Uollaps: die Operation 
musste unter ballier Aetliernarko.se durchgeführt werden; es ge¬ 
lang in 1 Stunde das 2 inannskopfgrusse Myom supra vaginal zu 
entfernen. Durch reichlich Kanipher und Koclisalzlnfiision konnte 
Patientin 3 Tage über Wasser gehalten werden und machte dann 
eine glatte Kekouvalescenz durch. 

Vortragender räth desslialh zur Friilioperatiou der Myome 
und bespricht deren Einfluss auf das Herz. 

Interessant war in diesem Falle noch die Beobachtung, dass 
drei Tage nach der Operation die Brüste wie bei einer Wöchnerin 
anscliwolleu und Milch secernirten. welche ea. 8 Tage anhielt. 

2. Herr Gugenheim berichtet über einen Fall von chro¬ 
nischem isoliitem Pemphigus der Schleimhäute der oberen Luft¬ 
wege und erörtert anschliessend dieses Thema in ausführlichem 
Vortrag. (Der Vortrag erscheint iu extenso iu dieser Wochen¬ 
schrift.) 


Rostocker Aerzteverein. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitz u li g v o m 13. Juli 1991. 

Herr Martins erwähnt mehrere in letzter Zeit von ihm 
behandelte Fälle, welche klinisch das typische Bild der echten 
Diphtherie dargeboten hätten, während die bactcriologische 
Untersuchung in Bezug auf Löffler’sche Bacillen negativ 
ausgefallen wäre. 

Hierauf hält Herr Barfurth den angekündigten Vortrag: 
Ueber den Einfluss des Nervensystems auf die Regeneration. 
Die von Herrn B. vorgetragenen Resultate» werden demnächst 
in der Dissertation de« Herrn cand. med. Rubin veröffentlicht 
werden. 

An der Dlseussion lietholllgen sieh die Herren K ii li n , 
A x e n f e 1 d und B a r f lirt li. 

Sodann theilt Herr Lee hier Namens des Vorstandes mit. 
dass derselbe in der letzten Vorstandssitzung auf Anregung des 
Herrn Martins beschlossen hals*, in den im Laufe des Winters 
statttiudenden Vereinssitzungen eine Serie von fortlaufenden Vor¬ 
trägen auf die Tagesordnung zu setzen, welche die sozial¬ 
politische Gesetzgebung, soweit dieselln* für den’ Arzt 
und den ärztlichen Stand von Interesse und Einfluss ist, behandeln 
sollen. Herr Martius nimmt darauf das Wort und theilt die 
Einzelheiten des Prograinmes mit. 

Zurr. Punkt 3 der Tagesordnung: Mittheilungen aus der 
Praxis, berichtet Herr Kühn von einem in der medicinischen 
Klinik behandelten Falle, bei dem die klinische Diagnose auf 
Magenektasie und chronisches Ulcus gestellt 
wurde. Die Obduktion, welche nach dem im Anschluss an eine 
akute Magenblutung eingetretenen Exitus ausgeführt ward, be¬ 
stätigte diese Diagnose, ergab aber ausserdem das Vorhandensein 
von ausserordentlich selten vorkommender primärer Leber¬ 
tuberkulose. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Acad6mie de mSdecine. 

Sitzung vom 23. Juli lW’.l. 

Ueber tuberkulösen Rheumatismus oder Pseudorheumatismus 
bacillären Ursprungs. 

Poncet lunchte die Erfahrung, dass die Tuberkulose sehr 
verschiedene Geienksafl'ektionen verursachen kann und dass cs 
ebenso einen tuberkulösen Rheumatismus gibt wie bei anderen 
Infektionskrankheiten (gonorrhoischen, puerperalen. Scharia» h- 
rheuniatismus u. s. w.). P. erlebte bei Tuberkulösen Hunderte 
von Malen Gelenksaffekt Ionen, welche von der einfachen, inter- 
mittireuden Arthralgie bis zur knotigen, »leformirenden Arthritis 
gehen und alle Zwiseheiiformen begleiten können, und führt als 
besonders charakteristisch 3 iu den letzten Monaten beobachtete 
Fälle an. In dem ersten Falle, einem 44 jährigen Manne, gingen 
einem akuten Gelenkrheumatismus gleichende Beschwerden einer 
lokalisirten Hüftgelenks- und Wirbelsäulentnberkulose voraus, im 
zweiten Fallt*, einer 45 jährigen Frau, verhielt es sich ähnlich und 
es stellte sich nach multipler akuter Arthritis eitrige Osteo¬ 
arthritis einiger Phalangen ein; im dritten Falk*, einer »53 jährigen 
Frau, zeigte die Autopsie eine Reihe mehr oder weniger hoch¬ 
gradiger Gelenksverfinderungeii. speziell suppurativer Natur :un 
Tlbio-tarsal-Gelenk. Partikelchen, aus diesem Gelenk entnommen 
und auf Meerschweinchen üb«»rinipft. ergaben ein positives Re¬ 
sultat, so dass «lie Beweiskette geschlossen erscheint. 

Laveran und Poy rot beobachteten eboufalls eine Anzahl 
ähnlicher Fälle. 

H. d e Brun-Beirut spricht über Vibrationsbewegangen 
der Bauchwand und deren diagnostische Bedeutung. Logt mau 


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AI IJKXCII !•:N 7 Eli Al KI)I<'INI801 IE W0011ENSOHKIFT. 


No 


die Hand auf den Leib cims .Menschen, während man ihn spiv.-hen 
Hissr. so beobachtet man manches Mal an allen Stellen Zitter- 
bewegungen, ähnlich jenen der Brust wand: während letztere aber 
bei gesunden Leuten beobachtet werden, kommen die der Baueh- 
wand nur in gewissen pathologischen Zuständen und ziemlich 
selten vor. Nach de I’.r.'s Untersuchung«*!! tiiti dieses Symptom ! 
dann auf, wenn ein Flässigkcitsorguss in die Bauchhöhle sich vor- 
bereitet, so dass in mehreren Hillen darauf aufmerksam gemacht j 
worden konnte, bevor irgend ein anderes Symptom vorhanden war. ! 
Diese Yibrationserseheinrng kann auch zur Diagnose ein¬ 
gekapselter Fliissigkeirsausammlungen in ih n oberen Theileti des 
Abdomens dienen, wie z. 15. es de Brun gelang, eine Leber- 
hydatitei'cysle bei einem Kranken zu diagiiosti/ären. der ihm wegen 1 
Leberkrebs zugesehiekt word'-n war. j 

Sitzung vom .'ln. Juli liioi. 

Zur Frage der Moskitos. 

Bla nehard brin_rt im Namen der Kommission für Malatia- 
forsehung einen Bericht über die I’ebertragung von Krankheiten ! 
durch Moskitos in Paris und über die Mittel, diese Insektenplage t 
zu bekämpfen. In Paris selbst wurden zwar von der Gattung . 
Anopheles, welche all ‘in die Pebei tragimg der Malaria zu he- ' 
wirken scheint, keine gefunden, jedoch in der Umgehung von Paris 
(der Anopheles bifureatns in Chantilly». Bl. glaubt, dass die . 
Moskitos im Stande sind, die Lepra zu übertragen: mag das auch j 
für Paris nicht zutreffen, so hält er cs immerhin für angezeigt, ; 
die Moskitos zu zerstör« n wegen der Sclilafiosigkcit und dev | 
Ilatitcrschetnungen. welche ihr Stich verursacht. Zu diesem i 
Zweck«* sei «*s nöthig, ihre Larven zu zerstören, indem man in die | 
stagnirenden Gewässer iv'nes Petroleum oder noch besser gemisclit 
mit Timer bringt: in «hm zum Gebrauche di«mcnden Wässern kann 
das Petroleum durch Del ersetzt werden. Die «han entsprechen«! 
gefassten Leitsätze B 1 a n c h a r d's. wonach auch das Publikum 
«öffentlich vor den Befahlen der Moskitos g«>warut und auf die 
Mittel zu «li'i'i'U Zerstörung aufmerksam gemacht werden soll, 
worden von der Akmlimiie einstimmig angenommen. 

(' Ii a n t «• m esse und II a 1 1 o p e a u heben die Bolle der j 
Moskitos bei der Uobortragbarkeit der Lepra hervor. 

Behandlung der Chorea durch Immobilisation. 

Alb. Hobln berichtet über diese von Huyghe- Lille in- 
augurirte B«*!iandlungsmetliod«‘. Der Kranke wird (nicht voll¬ 
kommen) cldomformiit. dann «■ine «uitu'aische Massage an den 
erkrankten Gliedern ausgcfiilirt. sodann, immer unter Narkose, 1 
dieselben in Iloldschienen gelegt und ö- <> Tage iininobilisirt ge- ! 
balten, schliesslich der Verband entfernt. Sind noch ttnwill- ' 
kürliehe Bewegungen, wenn auch ganz geringfügiger Natur, vor- j 
handelt, so muss die ganze Prozedur wiederholt werden. Bis jetzt ! 
bat II. bei verschiedenen Arten von Clmrea keinen Misserfolg; ] 
das Mittel Ist linsehuldig und kann in allen Fällen und unter allen i 
Umständen angewandt w«>r«k*u. Die Heilung beruht auf Auto- I 
Suggestion: Der Kranke sieht seine Extremitäten nicht mehr, er ! 
vergisst, sie zu bewegen u. s. f. } 

Soci6t6 de Biologie. 

Sitzung vom 20. und 27. Juli 11)01. 

Poncet, der Imkamite Forscher über Aktinomykose, be- | 
richtet über seine weilenm Erfahrungen in dieser Krauklieit. Er i 
beobachtet von derselben, welche lange Zeit für eine seltene 
AITekiion in FraiikreieU gehalten wur»l«\ jedes Jahr 10—12 Fälle 
am Spital (IhMel-Dien) zu Lyon. Ihr Sitz sind besonders die oberen 
Verdammgswege (Mund und Nachbarorganc), seltener Coecuin 
oiler Boetum. Die Diagnose der (»esiehts-IIals-Aktiuomykose ist 
«•ine leichte. st«*ts wurde sie bacteriologiseh koutrolirt. aber es gibt j 
Fälle, wo man von Anfang an die Natur des Leidens feststellen : 
kann. Am Mastilann verwechselt man die Aktinomykose mit I 
Mastdarmtisteln tuberkulöser oder nielittuberkulöser Natur; aber : 
zugleich mit der Fistel ist eine tiefliegende o«ler subkutane Haut- ; 
gesellwttlst vorhanden, welche auch ganz vcrschicd«‘ii vom nno- j 
ivetah-n Sypliilom ist. Die Krankheit heilt durch Joil und lokale 
Mittel, wenn frühzeitig ciugcgiilT« u wird; später kann cs schwierig j 
sein, eine Heilung herbeizuführen: das Leiden erzeugt ausge- ! 
«lehnt«* Indurationen, chronische Plilcgmoneu, die schwer zu be- ‘ 
handeln sind. 

Claude mul Aly Zaky haben den Einfluss des Lecithins | 
auf Tuberkulose klinisch und experimentell studirt. Beim ! 
Menschen wie b«*im Thier ist das Mittel zwar nicht im Stande, ; 
die Weiterem wieklung «ler Krankheit zu verhüten, aber es beein- j 
tlussf in der günstigsten Weise den Ernährungszustand des 
Patienten: das Gewicht nimmt zu, der Stoffwechsel wird energi¬ 
scher und bes<»n«l«*rs wird die Phosphor-Ausscheidung in betracht- 
li«-hem Maasse verringert. Das Lecithin kann daher als ein werth- | 
volles Hilfsmittel bei der Tuberkulose-Behandlung angesehen ' 
werden. 

Bergouignan hat mit Erfolg die epiduralen Cocain- i 
Injektionen bei tabetischen Blasenerscheinungen (Dysurie und j 
«diguriei angewandt — 2 Injektionen von 2 ccm einer 2 proc. I 
Lösung, je nach 3 tägiger Pause, ausgeführt. 

Ster u. 



Die 69. Jahresversammlung der British Medical 
Association. 

(Eigener Bericht.) 

Die in Cheltenham tagende Jahresversammlung der British 
Medical Association wurde am 30. Juli durch den Präsidenten 
P erg uso ii fei«*rliehst eröffnet. In längerer Rede sprach Fer¬ 
guson über „Die wissenschaftliche Forschung als Hauptgrund- 
läge jedes incdieiniscben und materiellen Fortschritts". Der b<*- 
M-hränkte Raum verbietet es. an dieser Sudle näher auf die 
üusserst Ies«*nswerthe Rede einzugehen und sei nur erwähnt, «lass 
Redner warm für Si-haffung von Instituten eintrat, die der reimn 
wissenschaftlichen Forschung zu dienen bestimnit sind und an 
denen bisher in England ein grosser Mangel herrscht. Ueberhaupt 
ist All«*s anfzubicten, um «li«* Erziehung aller Klassen zu heben, 
die Kosten kommen nicht in Betracht, „ein Fa r ad ay, ein Koch 
«»der I‘ a s te u r sind mit Millionen nicht zu hoch bezahlt". 

Auch <lio übrigen Verhandlungen der beiden „Allgemeinen 
Sitzungen" seien lii«*r übergangen und gehen wir sofort zu den 
einzelnen Sektionen über. 

ln «ler Abtheilung für innere Medicin erüffnete Garrod- 
London eine Diseussion über chronische Gelenkerkrankungen, 
die unter dem Namen chronischer Rheumatismus. Osteo-Arthritis 
und rheumatische Dicht zusammengefasst werden. Wie man die 
akuten rheumatischen Erkrankungen zuerst als rein lokale Er¬ 
krankungen der Gelenke, dann als Dyskrasie und schliesslich als 
sp«*clfisches infektiöses Fieber nuffasste, so hat man es auch mit 
«len chronischen Erkrankungen gethan. bei denen noch allerlei 
theoretische Erwägungen über Rheumatismus und Gicht in Frage 
kamen. Die Hauptfrage, die Redner sich gestellt hat. ist die. 
ob alle die verschiedenen pathologischen Befunde, die man ltei 
Sektionen erheben kann, durch einen und denselben Krankheits- 
process hervorgerufen werden können. Redner selbst hat ge¬ 
lernt. zwei Hauptformen der Krankheit zu unterscheiden, die eine 
bildet sieh vorwiegend bei jüngeren Frauen, tritt häufig nach 
Intlnenza auf und ergreift zuerst die kleineu Gelenke, die spindel¬ 
förmig nufget rieben werden und bei Bewegungen deutlich kropi- 
tiron: hochgradige Muskelatrophie ist ein frühzeitiges Symptom- 
Die Krankheit schreitet unter leichtem oder höherem Fieber bald 
rascher, bald langsamer fort, führt gewöhnlich zu Pigmentablag«*- 
nmgen in der Haut, während viscerale Veränderungen selten sind: 
zuweilen tritt Albuminurie auf. Bei der Sektion zeigt sich die 
Synovialmembran viel mehr als der Knorpel ergriffen. Diese 
Form der Krankheit möchte «>r als Arthritis rheumatica be¬ 
zeichnen. Die zweite Form findet sich ebenfalls mit Vorliebe bei 
l-’iaucn. meist aber erst in späteren Lebensjahren: meist werdet) 
die Terminal- und (’arpo-metacnrpal-Golonke der Daumen zuerst 
ergrlfl'eu. Weder ist diese Form so schmerzhaft noch ver¬ 
läuft sie so rasch wie die erstbeschriebene. Allmählich 
werden mehr und mehr G «‘lenke ergriffen, der Knorpel 
wird absorbirt. die Knochenenden werden elfeubeinhart, und bei 
Bewegungen sieht man, wie sie aneinander reiben: diese Fälle 
kommen unter die Bezeichnung Osteo-Arthritis. Die erste Form 
steht in keinerlei Zusammenhang mit. dem akuten Rheumatismus, 
auch bleibt das Ilerz fast immer frei: ebensowenig hat die zweite 
Form, wie von vielen englischen Aerzten angenommen wird, etwas 
mit Gicht zu tbun; nach Redners Meinung liegt beiden Krank¬ 
heitsformen ein verschiedener, bisher unbekannter Krankheits¬ 
erreger (vielleicht bacterieller Natur) zu Grunde Die Behand¬ 
lung beider Formen ist mühsam und wenig erfolgreich; immerhin 
kann man Touica versuchen, von Wichtigkeit scheint es zu sein, 
die Organe der Mundhöhle ln gutem Stande zu halten. 

O s 1 e r - Baltimore und A r m s t r o n g - Buxton liestätigteu 
im Wesentlichen Garro «l’s Ansichten, während L u f f • London 
davon überzeugt ist, dass die Arthritis rheumatica. wenn sie auch 
vom akuten Rheumatismus abzutrennen ist, doch häufig als Folge 
desselben auftritt. Die Ansicht, dass es sich bei der Arthritis 
rheumatica um eine primäre Nervenkrankheit handle, verwirft 
er, immerhin hält er es für möglich, dass nervöse Affektionen 
durch Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit des Körpers den 
Raeterien «len Weg zu den Gelenken öffnen könnten; er hat augen¬ 
blicklich (» Fälle in Behandlung Ihm denen die Erkrankung der 
Entfernung beider Ovarien folgte. Neben guter Ernährung. Roth- 
wein und strahlender Hitze hat er mit Vortheil Jodkali und 
Guajakolkarbonat verwandt. 

II e r r i n g h a in - London hält es für verfehlt, zwei Formen 
aufzustellen, etwaige Unterschiede, die übrigens durchaus nicht 
so scharf sind, hängen mehr vom Patienten, als von der Erkran¬ 
kung ab. den Zusammenhang mit akutem Rheumatismus hält er 
für erwiesen, eine Ansicht, die auch von Hawthorne getheilt 
wird. Cave- Bath und West- London betonen die Wichtigkeit 
einer genaueren Anamnese und Untersuchung, nur selten wird 
man vergeblich nach der Ursache des Leidens suchen und man 
wird dadurch auch Mittel und Wege zur Bekämpfung desselben 
finden. 

Sowohl Cystitiden, wie Empyeme aller Art können die Krank¬ 
heit hervorrufeu, die Behandlung mit spezifischem Serum ist viel¬ 
versprechend. 

Nachdem Watson Williams und S t o c k - Bristol einen 
der seltenen Fälle gezeigt hatten, bei denen dauernd Cerebro- 
spinallliissigkcit aus der Nase abläuft, sprach L u f f - London 
über die Zusammensetzung und den Nutzen der Cheltenhamer 
Mineralquellen und meinte Redner, dass man in Cheltenham ein 
Bad habe, das Karlsbad, Kisslngen, Marienbad und Wiesbaden 
für das englische Publikum entbehrlich machte. 


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17. September 1001. 


MUENCITENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


i reo 


Die zweite Sitzung wurde fast völlig in Anspruch genommen , 
durch eine Discussion über die bei Biertrinkern beobachtete peri¬ 
phere Neuritis. R e y n o 1 d s - Manchester, der bekanntlich als | 
Erster auf das Arsenik als Erreger dieser epidemisch aufgetretenen I 
Erkrankung hingewiesen hat, beschreibt noch einmal eingehend i 
die Symptome und betont besonders das Vorkommen von Haut 
pigmentirungen, Herpes, Katarrhe der Augen und Nase*. Sehweiss 
und Durchfall. Alle von ihm beobachteten Kranken tranken 
arsenikhaltiges Bier, das Arsenik stammte aus durch den Ge¬ 
brauch von unreiner schwefeliger Siiure vergifteten Brauzuekern, 
die alle aus ein und derselben Fabrik kamen. Eine Gallone Bier 
(das Tagesquantum vieler Leute) enthielt bis zu 0,1 nrseniger 
Siiure, Invert-Zucker enthielt 0,00 per Pfund, Glukose 0,25 und 
sehwefelige Siiure 17,0 per Ffund. 

Redner verwirft nun die Ansicht, dass der Arsenik die Haut¬ 
veränderungen und der Alkohol die eigentlichen neuritischen Sym¬ 
ptome erzeugt habe und behauptet, dass es eine eigentliche Alkoliol- 
neuritis überhaupt nicht gebe oder dass dieselbe wenigstens zu 
den nllerseltensten Krankheiten gehöre, die unter diesem Namen 
beschriebene Krankheit sei als Arsenikneuritis aufzufassen. auch 
Bier uud Spirituosen seien häufig arsenikhaltig. Auch Berl-Beri 
sei, wenigstens in Europa, häufig, wenn auch nicht immer durch 
Arsenik bedingt. Dixou M a n n - Manchester bestätigt das reich¬ 
liche Vorkommen von Arsenik in von ihm untersuchten Bieren. 
Er glaubt, dass das Zusammenwirken von Alkohol und Arsenik 
besonders geeignet sei, schwere Schädigungen der Nerven hervor¬ 
zurufen. Das Arsenik hat eine besondere Affinität zum Keratin 
und kann man es leicht aus den Haaren und Nägeln von damit 
Vergifteten gewinnen. Auch zu dem sogen. Nouro-Keratiu der 
Achsencylinder und der Schwan n’schen Scheide hat er eiue 
grosse Affinität und es gelingt leicht, dies naehzuwelseu. Tlieilt 
man das Gehirn von mit Arsenik Vergifteten nach der weixsen 
und grauen Substanz, so findet man, dass die weisse, die 10 mal 
mehr Neurokeratin enthält, auch fast alles Arsenik enthält, 
während die graue fast frei davon ist. Er glaubt, dass das Arsenik 
schädlich auf die Zellen des centralen und des peripheren Nerven¬ 
systems wirke und zwar bindert es dieselben, ihrem Protoplasma 
Sauerstoff eiuzuverleibcu. L u f f - London schliesst sieb dieser 
Ansicht an, glaubt aber, dass es auch eiue reine Alkobolneuritis 
gebe, was auch von R a w - Liverpool und O s 1 e r - Baltimore be¬ 
hauptet wird. Kellynack - Manchester gibt interessante 
Statistiken über das Vorkommen der peripheren Neuritis in ver¬ 
schiedenen Theilen Englands,• auch er glaubt, dass das Arsenik 
der Haupturbeber dieser Krankheit sei. dasselbe glauben Popo- 
Leicester und G a i r d n e r - Ediuburg, die darauf himveisen, dass 
enorme Mengen Alkohols als Whisky in Schottland konsumirt 
werden und dass man nur bei Biertrinkern die Neuritis Auftreten 
sehe und auch bei diesen erst seit neuerer Zeit, d. h. seit der Ver¬ 
drängung des Malzes durch die verschiedenen Brauzucker. 

Zum Schlüsse sprach C a t o n - Liverpool über die Maasa- 
ualimen zur Verhütung der akuten Endokarditis. Er verlangt, 
dass alle Kranke, die einen akuten Rheumatismus durchmaeheii, 
mindestens U Wochen bei schmaler Kost völlige Bettruhe haben , 
müssten, ferner hält er die Salicylprnpurate tur nicht geeignet, j 
die Entstehung einer Endokarditis zu verhüten, die sogen. Herz¬ 
mittel, wie Digitalis etc. hält er für schädlich, grossen Nutzen 
aber will er von der Anwendung zahlreicher kleiner BlasenpUaster 
über der Herzgegend gesehen haben, daneben gibt er Joduatrium 
zur Resorption etwaiger fibrinöser Auflagerungen. Osler- 
Baltimorc und C1 i f f o r d - A 11 b u t - Cambridge loben C u- 
t o n’s Methode, A 11 b u 11 empfiehlt daneben uoeü den Aderlass. 

B r o a d b e u t - London macht die gewiss sehr richtige Be¬ 
merkung, dass die Ausführungen Cato n's nichts Neues brächten, 
er behandelt den Rheumatismus mit Snlicyl, indem er 2 Tage lang 
stündlich für ü Stunden je 1,0 salicylsaures Natmu gibt, tritt 
ein Geräusch über dein Herzen auf, so ist das Salicyl sofort aus¬ 
zusetzen. 

Abtheilung für Chirurgie. Am interessantesten war zweifel¬ 
los der Vortrag des Präsidenten der Sektion, Reginald Harri- 
s o n, der über Nierenspannung und deren Beseitigung durch 
chirurgische Maassnahmen handelte. Schon 1800 hat Harri- 
son darauf hingewiesen, dass es manchmal gelingt, Fälle von 
Albuminurie und ähnlichen Krankheitserselieinuiigeii. bei denen 
ein Stein vermuthet, bei der Operation aber nicht gefunden wurde, 
durch die scheinbar erfolglose Operation zu heilen. Er vergleicht 
die Fälle von Druekstcigerung in der Niere mit denen im Auge 
und mochte erster«? als „renales Glaukom" bezeichnen; auch beim 
Hoden kommen durch Entzündung ähnliche Zustände vor und <x 
gelingt, wie Smith gezeigt hat, nicht nur die Schmerzen durch 
Punktion und Incision zu beseitigen, sondern weitgehende Schädi¬ 
gungen des Gewebes uud Sterilität zu verhüten. Was nun den 
erliöhteu Druck in den Nieren angeht, so hält Ilarri son be¬ 
sonders Fälle von Scharlachuephrltis tresp. auch anderer akuter 
N'ephritisfornien) als zur Operation geeignet, bei denen nicht 
schnell Bcsse*rung eintritt, sondern die Albuminurie droht chro¬ 
nisch zu werden. Ausser diesen Fällen kommen noch solche von 
sogenannter „maligner“ Scbnrlaelmephritis in Betracht, bei denen 
cs sehr rasch zur Anurio uud Uraemie kommt und ohne Operaiiou 
der Tod sicher in Aussicht steht. Die Operation besieht in Frei¬ 
legung der Niere durch einen Leudenschnitt paraleli dem Uippcii- 
liogen uud Spaltung der Nierenkapsel mit oder ohne Punktion des 
Organs. Die Kapsel spaltet inan am besten entlang der Kon¬ 
vexität, die Punktionen können überall gemacht werden, nur sollte 
das Becken vermieden werden. Am Schlüsse der Operation wird 
ein Gummidrain bis zur Kapsellncislou geführt, die übrige Wunde 
aber vernäht, das Drain bleibt 8 bis 10 Tage liegen. Isr. eine 
Niere besonders schmerzhaft, so wählt mau diese, anderen Falles 


kommt es nicht darauf an, an welcher man operirt, da die Druck- 
enthistung der einen günstig auf die andere Niere wirkt. Ueble 
Folgen sali Harri son nicht nach der Operation, permanente 
Nierentistein kamen nicht vor. 

S p a n t o n-IIauley kann Harris o n's Vorgehen empfehlen, 
da er es selbst mit Nutzen in 2 Fällen angewandt hat, früher 
sali er auch gute Resultate durch tiefe Eiusclinitte in die Lenden 
gegend, ein Verfahren, das G h i c k e n - Nottingham für allein er¬ 
laubt hält, da es auf ungefährliche Weise genau dasselbe erreicht, 
wie die Kapselspaltung. Ward G o u s i n s - Portsmouth hält 
Harri so n's Vorschlag für berechtigt, doch muss man sicher 
sein, dass die Niere vorher gesund war. 

J. Hutchinson jun.-Londou sprach über operative Be¬ 
handlung der Nierensteine und betonte die grosse Bedeutung 
der Röutgeustrahlen für dieses Gebiet. Es gelingt heute in etwa 
15 Sekunden eine genaue Aufnahme zu machen, auf welcher die 
Zahl und vor Allem die Lage der Steine festgestellt werden kann; 
zugleich kann man etwa vorhandene Steine in der anderen schein¬ 
bar gesunden Niere feststellen. Die vor der Operation mögliche 
Orieiuirung erlaubt uns, die Niere während der Operation ziem¬ 
lich in Ruhe zu lassen und sofort auf den Sitz des Steines einzu¬ 
gehen. Mit Vorliebe eröffnet. Redner das Nierenbecken, da dies in 
den meisten Fällen der direkteste und sclionendste Weg zur Ent¬ 
fernung der Steine ist; selbst wenn nur kleine Steine durch das 
Röntgenbild nachgewiesen werden, soll mau die Operation vor¬ 
nehmen, da das Vorhandensein eines neuen Nierensteins eine 
grosse Gefahr für den Träger bedeutet. M o r i s o u - Newcastle 
hält den positiven Ausfall der Durchstraldung für beweisend, den 
negativen aber nicht; auch er zieht den Schnitt in das Nieren¬ 
becken dom Konvexschnitt vor. 

Bramwell - Cheltenhani berichtete dann Uber einen Fall, 
in welchem eine Wanderniere durch peritoneale Verwachsungen 
zur Stenose und Konstriktion des Duodenums geführt hatte; erst 
die Sektion ergab den Sachverhalt. 

P a r r y- Glasgow beschrieb eine neue Methode zur Radikal¬ 
heilung der Schenkelbrüche. Die Incision erfolgt parallel und 
oberhalb des Ligam. Poup. Nach Freilegung des Bruchsackünlses 
und Entleerung des Bruchinhaltes wird der Sack nicht entfernt, 
sondern durch eine SehnUrnnht nach oben gezogen: dann wird 
durch eine bestimmte Nahtlegung die Faseia transversalis und 
die „conjoined teudon" von oben nach unten wie ein Vorhang 
über den Sclieiikelkanai gezogen. L 1 o y d - Birmingham uud 
E c c 1 e s - London verwerfen alle Bruchoperationen, bei denen der 
Sack nicht entfernt wird, auch wollen sie Seide statt des von 
Parry vorgcschlageiieu Katguts verwenden. 

Brown- Leeds sprach über die Verhütung des Schock bei 
langdauernden Operationen, dass subkutane Kochsalziufusionen 
i hierfür ein sehr geeignetes Mittel sind, ist in Deutschland ja lange 
i bekannt; J o s s o p - I.eeds legt grosses Gewicht auf die gleieh- 
: zeitige Einverleibung grosser Dosen von Strychnin. 

Die nächste zur Discussion stehende Frage betraf die Be¬ 
handlung des Magengeschwüres, des Duodenalgeschwüres und 
der Pylorusstenose durch die Gastro-Jejunostomie. 

B a r 1 i n g - Birmingham, der erste Redner, glaubt, dass das 
Magengeschwür eine Mortalität von etwa 10 Proc. habe und dass 
in Folge dieser hohen Mortalität operative Maassunhmeu wohl 
berechtigt seien. Heftige, einmalige Blutungen sind für Opera¬ 
tionen ungeeignet; gute Resultate erzielt man dagegen bei den 
häufig wiederkehrenden kleineren Blutungen und zwar ist die 
Gnstro-Jejunostomie die geeignetste Operation, da sie den Magen 
entlastet und ruhig stellt. Bei Pylorusstenosen zieht er die Pyloro- 
piastik allen anderen Operationen vor, wenn keine Adbaesioucn 
vorhanden sind; in diesem Falle nimmt er die Gastro-Jejunostomie 
vor, die L o r e t a'seho Operation hält er für gefährlich und auch 
für nutzlos. Er selbst näht bei der Gnstro-Jejunostomie, doch kann 
man bei grosser Schwäche des Kranken und wenn man darin ge¬ 
übt ist, auch den Knopf verwenden. Die Mortalität der Gastro- 
Jejunostomie beträgt etwa 20 I’roc., doch haben einzelne Opera¬ 
teure nur 5 Proc. 

George H e a t o n - Birmingham schlägt die Sterblichkeit des 
Magengeschwüres nur auf etwa 4 Proc. au; bei Mageublutuugcu 
hält er die Operation für aussichtslos, bei Pylorusstenose zieht er 
die Gastro-Jejunostomie der Pyloroplnstik iui Allgemeinen vor, die 
L o r e t a'sche Operation verwirft er. Er verwendet den Knopf, 
da man rascher annstomosiren kann und die neugeschaffene OefT- 
nung sieh weniger leicht eontrnhirt. 

B i d w e 11 - London vertheidigt die Lehre vom Pyloruskrampf 
durch llyperaeidität, wie sic* sieh bei Magenuleus findet; er hat 
sowohl von der L o r e t a'sHien Operation, wie von der Pyloin 
plastik. als auch von der Gastro-Jejunostomie Nutzen gesehen: 
er bevorzugt die vordere Methode der Gast i o Je jiinostoniie und 
verwirft den Knopf, der in einem ulceriileii Magen grossen 
Schaden anriehteu kann. 

\V h i t e - Sheffield will die Gastro-Jejunostomie uml zwar die 
vordere als Operation der Wahl bezeichnen, da man sie in jedem 
Falle anwenden kann, gewöhnlich näht er. 

Rutherford M o r i s o n - Newcasilr hat keinen Nutz n von 
Operationen hei Blutungen gesehen, auch scheinbar hoffuuims 
lese Fülle erholen sich oft ohne Operation. Bei Pyloru>sienosc 
führt er die Pyloroplnstik aus, die er 2-1 mal ohne Ted« stall unter 
nahm. Die Annstoinoscnbildung hält er für weniger gut. 

F e r g u s o n - riicllcnham sprach über die Operation des 
perforirten Magenuleus und führt ö neue Fälle an. von denen 
2 gelleilt wurden. Dann berichtet er des Genaueren über die m 
der Statistik niedergelegien Fälle, voll 11«► operii idi Fällen w urden 
II geheilt, cs kommt Alles darauf an, möglichst raseli zu oprrireii. 


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mo MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. No 38. 


Dann berichtete Rutherford Morison - Newcastle Uber die 
Nacligescliichten einer Serie von Pyloroplastiken wegen Magen- 
ulcus und Stenose. Von 20 aufeinanderfolgenden Füllen wurde 
der erste vor beinahe 7, der letzte vor 2 Jahren operlrt. 14 von 
diesen Oporirten sind jet/.t ganz gesund und können jede Nahrung t 
vertragen, 1 Ist nicht mehr aufzutinden, war aber bis vor ganz 
Kurzem gesund; 3 sind sehr gebessert, haben aber noch gelegent¬ 
liche Magenbeschwerden. 2 sind gestorben, 1 an Carcinoin des 
Pylorus, 1 an Lungentuberkulose, nachdem er 2 Jahre nach der 
Operation noch ganz wohl gewesen war. Er hält desshalb die 
Pyloroplnstik für die Operation der Wahl bei gutartigen Stenosen 
und will die Anastomosenbildung nur dann ausfiihreu, wenn sich 
starke Verwachsungen finden. 

Zum Schlüsse sprach Beatson - Edinburgh über die von 
ihm vor 5 Jahren zuerst vorgeschlagene Behandlung des Brust¬ 
krebses durch Oophorektomie und Fütterung mit Thyreoid- 
extrakt. Gestützt auf eigene und fremde Beobachtungen, hält 
er die Methode für gerechtfertigt in allen Fällen, in denen eine 
Lokaloperation nicht mehr möglich ist. E c c 1 e s - London hat 
auch Erfolge gesehen, aber nur wenn er Frauen vor der Meno¬ 
pause operirte; Stiles- Edinburgh und Morison- Newcastle 
haben sie ebenfalls mit Erfolg ausgeführt, doch hat Letzterer 
2 Frauen gesehen, bei denen nach der Kastration wegen Cysten 
bildung Brustkrebs auf getreten war. 

In der Abtheilung für Geburtshilfe und Frauenheilkunde 
sprach als Erster B y e r s - Belfast über Puerperalfieber, Uterus- 
krebs und die Verminderung der Geburten. Aus dem mit vielen 
statistischen Einzelheiten versehenen Vorträge seien nur einige 
Punkte hervorgehoben. Nach Itedners Angaben nimmt die Zahl 
der an puerperalen Infektionen sterbenden Frauen von Jahr zu 
Jahr in England zu. von 1847—50 betrug die Sterblichkeit an 
Puerperalfieber 1.8 auf 1000. von 1875—84 2,28 auf 1000 und von 
1 NSO—5)5 stieg die Sterblichkeit auf 2.40 per 1000. Es liegt dies 
einmal daran, dass viel zu häufig die Geburt durch operative 
Maassnahmen beendigt wird und zweitens an der mangelhaften 
Durchführung der Antisepsis ln der Privntpraxis. (Den deutschen 
Arzt berührt es eigeuthümlieh, wie leicht in England die Iudication 
für die Zange gestellt wird: dass die Antisepsis und geschweige 
die Asepsis durchaus noch nicht das Allgemeingut der englischen 
Aerzte geworden ist, ist bekannt und bei den eigenthümllehen 
ärztlichen Verhältnissen auch leicht verständlich; dazu kommt, 
dass bedeutende Gynäkologen, wie P 1 a y f a 1 r in Lehrbüchern 
und Vorträgen behaupten, dass das Puerperalfieber zumeist eine 
Folge mangelhaft angelegter Aborte sei: für den Arzt ist es natür¬ 
lich einfacher, ein bischen nach etwaigen üblen Ausdünstungen 
herumzuschnüffeln, statt sich ordentlich zu desinficiren. Referent) 
Der zweite Theil der Rede beschäftigte sich mit der für den Redner i 
feststehenden ständigen Vermehrung des Gebärmutterkrebses. 1 
Leider gelingt es nur etwa 5 l’roc. aller Fälle durch die Operation 
auf längere Zeit hinaus zu heilen, ein grosser Theil aller Fälle i 
kommt überhaupt zu spät zur Operation, weil der Hausarzt nicht . 
untersucht. Schliesslich spricht Redner noch über die bedeutende ' 
Abnahme der Geburten und fordert auf, aus Kräften dahin zu : 
arbeiten, dass dieser Ausfall dadurch ausgeglichen wird, dass | 
man die Sterblichkeit unter den Kindern verhindert. 

Zur Discussiou stand dann die Ursache, Verhütung und 
Behandlung des Abortes. 

II o r r o c k s - London begann mit einer ausführlichen Zu¬ 
sammenstellung Alles dessen, was über diese Frage bekannt ist. 
In der Discussiou wies La w re n c e - Bristol auf die oft 1 
schwierige Different in ldiagnose zwischen Altort und Extrauterin- ' 
Schwangerschaft hin. Viel Blutung und wenig Schmerzen sprechen | 
fiir den letzteren, geringe Blutung und viel Schmerz für den : 
erstereu Zustand. Sobald der Abort sich nicht mehr nufluiltcn 1 
liissf, muss der Uterus so rasch wie möglich unter Narkose ent- , 
leert werden, das beste Instrument ist der Finger; wird die Cervix ; 
nicht genügend erweitert, so folgt leicht Sepsis. Smith- Dublin 
hat zur Verhütung des Abortes gute Erfolge von Cannabis Imliea 
und Opium gesehen; auch er räumt mit dem Finger aus. , 
L y c e 11 - Wolverhampton glaubt, dass der Alkoholismus eine 1 
sehr grosse Rolle in der Aetiologie des Abortus spiele. Duncan- , 
London hat häufig Aborte durch Rücklagcrung des Uterus ent¬ 
stehen sehen und empfiehlt die prophylaktische Einlegung eines 
Pessars. Den Abort bei Herzkranken vermeidet er durch strenge , 
Bettruhe und leichte Massage; bei schmerzlosen Blutungen wendet 
er Ergotin an; bei starken Blutungen räumt er aus. curettirt und i 
spült den Uterus mit Sublimat (l:2UUO) aus. I’h r s o n s - London 
hält hei drohendem Abort das Vihuruum prunifolium für ein gutes 
Mittel. Zum Schlüsse l>ctont Byers noch einmal diy Wichtigkeit 
der Syphilis und rätli, stets beide Eltern zu behandeln. 

Nach Demonstration eines Präparates von Deciduoma ma- ^ 
lignum durch Horrocks endigte die Sitzung mit einer Dis- ; 
cnssion über den Kaiserschnitt. K e r r - Glasgow berichtet über 
To seit 1 SSM in seiner Klinik ausgefülirte Operationen; die vor- 
gekommenen Todesfälle (wie viele?) erfolgten sm Sepsis und zwar 
ging die Infektion von der Vagina aus. wesxlmlb Redner grosses 
Gewicht auf vorherige Reinigung der Vagina mit Lysol legt. Kr 
macht nur einen kleinen Hautschnitt und zieht den Uterus nicht 
vor die Batichwuude; die Ineision erfolgt in der Längsrichtung, 
den Fuudussclinitt nach Fritsch verwirft er. In allen seinen 
Fällen sass die Plaeenta hinten. Der Uterus wurde stets zurück- 
gelassen, die Frauen aber durch Unterbindung und Durchschnei- 
dung der Tuben sterilisirt. Bei der guten Prognose des Kaiser¬ 
schnitts hält Redner die Tödtnng eines Kindes fiir unerlaubt. 

P tt r s 1 o w - Birmingham empfiehlt grossen Bauchschnitt und 
Vorwälzen des I tems. Duncan macht stets den Polio. 


Die Abtheilung für Psychologische Medicin wurde eröffnet 
durch eine längere Rede von S p e n c e über die Verwaltung und 
die Pflege in Irrenanstalten. Redner wendet sich scharf gegen' 
die mehr und mehr zunehmende Sitte. Anstalten zu bauen, in 
denen möglichst viele Kranke verpflegt werden können. Er be¬ 
fürwortet den Bau kleinerer Anstalten, deren Betriebskosten sich 
durchaus nicht höher stellen als die der Massenanstalten und 
deren Umfang cs dem leitenden Arzte ermöglicht, jeden einzelnen 
Kranken genauer zu kennen und nach seiner Individualität zu 
behandeln. Ferner beantragt er die Schaffung von Abtheilungen, 
in denen Personen des Mittelstandes gegen geringe Bezahlung 
verpflegt werden können. (Bisher gibt es in England ausser den 
sehr theueren Privatanstalten nur freie öffentliche Irrenhäuser. 
Referent.) Schliesslich will er die zahlreichen Epileptiker und 
Blöden überhaupt aus deu Irrenhäusern entfernt und in eigenen 
Kolonien untergebracht wissen. 

F o rd - Ro b e r t s o n - Edinburgh leitet dann eine Dis- 
cussion ein über die Rolle der Tosdne in. der Pathogenesa des 
Irrsinns. Nach Redners Ansicht ist den Autointoxieationen vom 
Darmkanal aus eine grosse Bedeutung für das Zustandekommen 
vieler Formen des Irrsinns wie auch der Tabes, der idiopathischen 
Epilepsie, der Arteriosklerose und der chronischen Niereu¬ 
schrumpfung beizumessen, eine Ansicht, die von Jones- Clay- 
bury bestritten wird; Jones glaubt, dass die vielen Störungen 
im Magendarmkaual der Irren sekundärer Natur seien. 

G o o d a 11 - Cnrmarthen ist ein Anhänger der Toxintheorie 
und weist auf den Nutzen hin. den Injektionen von Antistrepto- 
coceenserutn in vielen Fällen von puerperaler Manie gebracht 
haben; auch Passmore - Bansted spricht sich zu Gunsten dieser 
Toxine aus; zum Schlüsse weist S p e n c e auf den günstigen Ein¬ 
fluss der Behandlung mit Abführmitteln und Darruantlsepticls hin. 

Der nächste Vortrag von S h o f i e 1 d - London betraf die 
Behandlung der Neurastheniker. Da die Persönlichkeit des 
Arztes und die Sympathie, die er dem Kranken entgegen bringt, 
von höchster Wichtigkeit sind, so hat die Behandlung am besten 
in einer Anstalt zu erfolgen; hier können auch die übrigen Maass- 
nalitnen, wie Hydrotherapie. Massage, Elektrieität und eine leichte 
Mastkur am leichtesten dnrcligeführt werden. Vom Hypnotismus 
will Reduer nichts wissen. Ist der Kranke gehellt, so muss inan 
dafür sorgen, dass er eiue von der früheren verschiedene Lebens¬ 
weise und Beschäftigung ergreift. Körperliche Spiele im Freien 
und Radfahren sind wichtige Heilmittel. Beach-London meint, 
dass man auch ohne die kostspielige Anstaltsbehandlung viel er¬ 
reichen könne und zwar besonders durch eine Freilufttherapie. 

Zum Schlüsse sprach Goodall über den Nutzen anthropo- 
raetrischer Untersuchungen an den Insassen von Irrenhäusern. 

Die Abtheilung für Augenheilkunde brachte einen Vortrag 
J e s s o p’s - London über die Pathologie des Glioms. Solange 
die Neubildung noch im Auge selbst sitzt, hat die Eutferuuug 
des Auges grosse Aussichten auf Dauerheilung; sobald aber das 
Auge durchbrochen ist, bleiben Rückfälle und Metastasen nur 
selten aus. 

Zur Discussiou stand dann die Myopie. Priestley Smith- 
Birmingham sprach zuerst über die Schwierigkeit der Prognosen 
Stellung. Nach seiner Erfahrung bieten Myopien stärkeren Grades 
bei jüngeren Leuten besonders schlechte Aussichten; die gefähr¬ 
lichste Zeit ist die zwischen dem 15. und 25. Lebensjahre. Mangel¬ 
hafte Ernährung, die Lnctatlon, chronische Krankheiten und an¬ 
strengende Arbeit verschlechtern die Prognose. Da man niemals 
mit Sicherheit entscheiden kann, ob es sich bei jungen Leuten 
um einfache oder progressive Myopien handelt, so sind dieselben 
unter steter Aufsicht zu behalten, da die Prophylaxe sehr viel 
mehr Gutes thut als Heil versuche. 

P e r c i v a 1 - Newcastle glaubt, dass die Kontraktion der 
Augenmuskeln die Myopie verschlimmert, namentlich ist das 
Nachuntensehen der Augen beim Lesen zu verhindern. Thomp¬ 
son- London glaubt, dass ein woblausgebildetes Staphyloma 
posticum als schlechtes Zeichen aufzufassen Ist. Die meisten der 
übrigen Redner legen besonderes Gewicht auf die Vermeidung 
jeder Anstrengung und schlechten Lichtes, von einigen wird 
Massage der Cornea und Sklera als nützlich erwähnt. 

Die Ilauptdiscussion der Abtheilung für Laryngologie und 
Otologie betraf die Behandlung der Obstruction in der Nase mit 
Ausschluss der durch Polypen erzeugten. 

Nach einer Einführung von Marsh verbreitete sich Kelly 
über die Behandlung der vergröseerten Muscheln. Er rätli zur 
Entfernung der Muscheln und zwar Itesouders des hinteren 
M u schein lisch ui t tes, mit Hilfe der vorderen oder hinteren Rlilno- 
skopie gelingt es stets, die Schlinge tun das hintere Muscheleuile 
horumzuführon. den Finger in deu Nasopliarynx einzuführen, ist 
unnöthig. Nach Entfernung des T)s turbinatum der einen Seite 
hypertrophirt häufig das der anderen. 

Parker lmt auf Grund von Untersuchungen festgestellt, 
dass die Luft bei der EiuatInnung durch deu mittleren und oberen 
Nasehgaug zieht, bei der Ausathmung jedoch durch den unteren. 
Er will stets durch genaue Untersuchung feststellen, welche Tlieile 
dem Luftstrom Widerstand bieten und etwa nöthige Operationen 
so konservativ wie möglich ausfiihreu. Ebenso muss stets fest- 
gestellt werden, ob es sich um inspiratorische oder exspiratoriselio 
Hindernisse handelt, im ersteren Falle ist es ganz unnütz im 
unteren Nasengang zu operiren. Das vordere Ende der mittleren 
Muschel ist besonders oft das Hiudemiss und muss desshalb fast 
immer entfernt werden. Exspiratorisehe Störungen, die durch 
das Ausblasen von Tabakrauch zu bestimmen sind, brauchen nur 
selten operativ beseitigt zu werden, da der Luftstrom sieh leicht 
daran gewöhnt, statt durch deu unteren, durch die oberen Gänge 


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17. Septemlwr 1001. 


III 1 KN< ’I I l-'N ER M EDI Ol NI S< 11E WO( II ENS( '11 KI FT. 


1511 


xu streichen, nur wenn auch «liest* verstopft sind, muss man ope- 
riren. liier ist meist «his hintere Ende der unteren Muschel der 
schuldige Theil. Verbiegungen des Septum und Spinae erfordern 
fast nie ein ojierntives Eingreifen, mir in Fällen von Heulteber 
kann Ihre Entfernung zuweilen von Nutzen sein. 

C o 11 i e r - London macht auf die zahlreichen Fälle aufmerk¬ 
sam, in deucn OhstniktionscrHchcimingcn nur auftreten, wenn der 
ratient im Bette liegt, hei diesen Fällen sah 1) o n e 1 a n - London 
überraschende Erfolge durch die interne Verabreichung von <>.3 
XolMMinioreuextrakt vor dein Zubettgehen. (Im Allgemeinen 
machte sich eine grössere Kritik und ein stark verminderter Furor 
Operatlvus in dieser Abtheilung angenehm bemerkbar, lief.) 

Die Abtheilung für Kinderkrankheiten beschäftigte sich vor¬ 
wiegend mit einer Discussiou über die Behandlung der Intussus- 
ception. 

Pitts- London, gestützt auf das grosse Material des Thomas 
Hospital, empfahl dringend sobald wie möglich die Laparotomie 
zu machen. Eingiessungen in den Dann, Lufteinblasungen etc. 
nützen meist nichts und man verliert die kostbare Zeit. Unmittel¬ 
bar vor der Operation ist eine Aufblasuug oft nützlich, um den 
Darm nach oben zu drängen. In jedem Falle muss die invaginirte 
Stelle vor die Bauchhöhle gebracht werden, man vermeide dabei 
das Austreten von Dünndarmschlingen; bestellt starker Mcteorls- 
nius. so entleere man das (Jas durch eine kleine Incision. Ge¬ 
nügt die einfache Reduktion nicht, so öffne man die Scheide und 
versuche durch Druck von innen naclizuhelfen, gelingt auch dies 
nicht, so muss inan den Darm reseeiren. Bef schon bestellender 
Gangraen flxire man die Darmenden aussen und stelle später die 
Kontinuität her. Von grossem Nutzen sind Kochsalztransfusionen. 
Die Bauchwunde muss gut genäht werden und die Nähte müssen 
lange in situ bleiben, da leicht Aufgehen der Naht und Prolaps 
des Darmes vorkommt. 

D’A r c y -Power- London gestützt auf ein Material von 
05 Fällen, die genau statistisch verarbeitet sind, ist ebenfalls ein 
Anhänger der möglichst frühzeitigen Operation E e e 1 e s - Lon¬ 
don. der ebenfalls die Frühoperation empfiehlt, wäscht den ein¬ 
geklemmten Darm mit einer Lösung von Biuijodidquecksilber ab, 
um Absorption septischer Stoffe zu verhüten. Auch er legt grosses 
Gewicht auf eine gute Bauchnaht: nach der Operation gibt er 
Opium und Muttermilch tlnHdöffelweise, erst nach 24 Stunden 
darf das Kind wieder au die Brust gelegt werden. Zahlreiche 
Redner bethelllgten sich an der Discussiou und waren einmüthig 
iu der Empfehlung einer möglichst frühzeitigen Operation; 
schlechte Ernährung und die in England so häutig angewandten 
Abführmittel sollen die Häufigkeit der Erkrankungen erklären. 

Die dermatologische Abtheilung wurde eröffnet durch Sa¬ 
li o u r a ti d - Paris, der über die Rolle sprach, welche Coccen in 
der Pathologie der Haut spielen. Redner hat seine früheren An¬ 
sichten wesentlich moditizirt und glaubt nun, dass nur 3 Arten 
von Coccen eine Rolle bei der Entstehung von Hautkrankheiten 
spielen. Diese sind: der Streptococcus Fehleisen, der die Impetigo 
contagiosa erzeugt und am besten durch Zinksulfat bekämpft 
wird, der Staphyloeoecus aureus, der Erreger der follieulären 
Pustel, zu bekämpfen durch’ Schwefel, und der graue Staph.vlo- 
eoccus (Morococcus), der die Pityriasis simplex erzeugt und durch 
Thecr zu beseitigen ist. Alle diese Coccen können natürlich sekun¬ 
där ln zahlreichen anderen Hautkrankheiten Vorkommen; ferner 
ist es wahrscheinlich, dass sie nur polymorphe Varietäten eines 
einzigen Mikrolieu sind. Während G a 11 o w a y - London auf 
Grund zahlreicher eigener Untersuchungen Salto u r a ti d’s An¬ 
sichten im Wesentlichen bestätigen konnte, Hessen andere Redner 
Zweifel laut werden: interessant war eine Beobachtung von 
S a v i 11 - London, der einen Kranken mit schwerer Furunkulose 
durch einige Einspritzungen von abgetödteteu Streptocoeeen- 
kultureu geheilt hatte; liier hatten die Streptococcen also (V) die 
Stnphylococccniufektion beseitigt. 

Dubrenihl - Bordeaux sprach über P a g e t’s Disease an 
der Vulva und beschrieb einen sei 1 >stl»eobnchteten Fall. Mac- 
1 e o d - Ivoudon sprach über die Histopathologie der Yaws (Fram- 
boesia), die Affektion ist als eine Krankheit sul generis aufzti- 
fasse», gehört zu den iufcktlösen Granulationsgeseliwülsten und 
hat auch nichts mit Syphilis zu tliim; letztere Ansicht wird von 
K y n s e y - London bestätigt. 

Die Hauptdiscussiou beschäftigte sieh mit der Behandlung 
der Hautkrankheiten nach F i n s e n und durch Böntgen- 
strahlen. Morris- London, der die Verhandlungen einleitete, 
beschränkte sich auf die Behandlung des Lupus. Er hat nur 
mit elektrischem Lieht gearbeitet und glaubt, dass es thera¬ 
peutisch dem Sonnenlicht überlegen ist; er verwendet einen Strom 
von 70 Amperes und 00 Volts. Nach genauer Beschreibung der 
Methode gab Redner Einzelheiten über 00 von ihm behandelte 
Fälle; 30 mal handelte es »Ich um Lupus vulgaris, (5 mal um Lupus 
erythematosus. 13 mal lag Ulcus rodens vor. ferner hat er Alopecia 
arenta, Ivclolde und einmal ein Epitheliom behandelt. 8 Fälle von 
Lupus vulgaris wurden geheilt, bei einigen trat kein Erfolg ein. 
audere entzogen sich der Behandlung, wieder andere stellen noch 
unter Behandlung; 2 Fälle von Lupus erythematosus wurden ge¬ 
heilt, elienso wie 7 Fälle von Ulcus rodens. In den erfolgreichen 
Fällen schwankte die Anzahl der Sitzungen von S bis 37<>: meist 
handelte »*s sieh um leichte, oberflächliche Fälle. Redner be¬ 
schreibt daun die Folgeerscheinungen der Bestrahlung nach F i u - 
seu uud bestreitet die Behauptung von der Schmerzlosigkeit der 
Methode; es tritt stets ein heftiger Naehschmerz auf und die be¬ 
gleitenden Schwellungen sind oft sehr läslig und schmerzhaft: 
man muss aber stets versuchen, eine heftige Reaktion zu erzielen, 
da der Erfolg ihr proportional ist. Narben uud starke I’igmeu- 


tirung der Haut (wie sie auch durch vielfache Bestrahlung her- 
vorgorufen wird) sind ein Hinderniss für das Eindringen der 
Strahlen. Bel ausgedehnten Lupusformen ist die Behandlung oft 
unmöglich, da mau «len Kranken täglich 3 Stunden behandeln 
müsste, um mit der Krankheit Sehritt zu halten, ein Verfahren, 
das wenig Kranke auslialten. Schleimhäute sind ungeeignet für 
die Fi n seif sehe Methode, geben, aber gilt«* Resultate mit RöiU- 
genls Strahlung. B 1 a c k e r - London verwendet neben dem Fi Il¬ 
se if scheu Apparat den von hortet und Genoud aus Lyon, 
derselbe ist einfacher, billiger und braucht weniger Kicktricilät, 
scheint dabei aber dem F i n s e if sehen ebenbürtig zu sein. Die 
Röntgenbestrahlung ist Im Gegensatz zu der Methode von 
Fi lisen nicht ungefährlich, da oft langwierige Ulcerationen 
entstehen. Zur Eiltferming von Haaren taugt: die Röntgen¬ 
bestrahlung nicht, da die Haare stets nach etwa ti Monaten wieder 
wachsen; ülierhaupt kann man sagen, dass während die F1 n • 
s e n’sche Methode in der Lupusheliaudlung sieh bewährt hat. der 
Nutzen der Röntgenbestrahlung noch zweifelhaft ist. Soquei ra- 
Londou hat 200 Fälle nach F i n sen behandelt und in jedem Falle 
von Lupus vulgaris Besserung gesehen. In ganz frischen Fällen 
genügten schon 2 Sitzungen um den Lupus zum Verschwinden zu 
bringen, in anderen Fällen waren über 300 Sitzung«*!) liothwendig, 
stets ist es sehr schwierig zu bestimmen, wann die Bchumllung 
aufhören darf, da leicht bei zu frühem Aussetzen Rückfälle auf¬ 
treten. Lupus erythematosus wird nur zuweilen günstig beein¬ 
flusst. Fälle mit starker ltötInnig sind ganz ungeeignet für die 
Behandlung. Sequelra demonstrirte dann ein«* von ihm er- 
sonuene, sehr billige und leicht zu handhabende Lampe, die 
Sitzung«*n brauchen nur 15 Minuten zu dauern und man kann 
jedesmal eine 1 >/ 2 Zoll lange Fläche behandeln. Röntgenbestrah¬ 
lung hält Redner für sehr geeignet zur Behandlung des Lupus 
der Schleimhäute; auch Ulcus rodens wird durch die X-Strahlen 
geheilt. Günstige Erfolg«* w«*rden auch bei Haarkrankheiten, 
namentlich bei Sykosis erreicht. ,T a ni 1 e s o n - Edinburgh hält 
die Röi)tg«*nbestrahluiig für ein gutes Hilfsmittel, glaubt aber 
nicht, «hiss sh* dem Messer, der Auskratzung oder «len Aetzmitteilt 
überlegen sind. B roo k e - Manchester will die hehlen Methoden 
zusammen angewendet wissen, die F i n s e irselu* für die olier- 
flüchlichen. di«* Röntgenstrahlen für die weniger leicht zugäng¬ 
lichen Herde. W a 1 k e r - Edinburgh Hält die Röntgenbestrahlung 
für nützlich hei Lupus und besonders bei Favus; Ta y lor- Liver¬ 
pool weist auf die stimulirend«* Wirkung der X-Strahlen hin. sie 
bringen grosse Wundflüchen zur Ueberhäutuug, selbst (’areiuom- 
gcschwüre ülierhäuteu sieli temporär. Nach einigen weiteren Be¬ 
merkungen von E d w a r «1 s uud Batten drückte U r «»e k e r - 
London im Schlusswort die U«*ber/.eugung aus. dass sowohl die 
Fi n seifsehe Methode wie die Röntgenbestrahlung als dauern«]«* 
Bereicherung unseres therapeutischen Könnens aufzufassen seien 
und dass sie mit Vortheil sowohl miteinander wie auch mit 
anderen Methoden kombiuirt werden können. 

Die Abtheilung für Tropenkrankheiten wurde eröffnet durch 
die Verlesung einer Rede «l«*s leider abwesenden Bonald Boss, 
über die Fortschritte auf dem Qebiete der Tropenkrankheiten 
während des letzten Jahres. Aus der interessanten Rede sei nur 
liorvorgehobe», «lass Ross «*s für erwiesen hält, dass «las gelbe 
Fieber durch Moskitohisse übertragen werden kann. Dann z«dlte 
Redner.Iv o «• h und der deutschen Regierung reichliches Lob wegeti 
der energischen Bekämpfung der Malaria mit ('hinin. Dann er- 
öffnete F r e y e r eine Discussiou über den Stein (Blasenstein) 
in tropischen Ländern. Der Name Frey er genügt wohl, um 
jedem Leser zu sagen, dass nur die Litholapnxie als berechtigte 
Operation anerkannt wurde, die blutigen Operationen und ganz 
besonder der hohe Steinschnitt aller energisch verdammt wurden. 
Cantlie glaubt ebenfalls, dass der hohe Blasenschuitt bald 
allgemein verlassen sein wird. M a n s o n bekämpft di«? Ansicht 
Freyer’s, dass kalkhaltiges Wasser iu Indien für das häutige 
Vorkommen von Steinen verantwortlich gemacht werden könne, 
auch G 11 «* s wendet sielt dagegen uud glaubt mit Mauson an 
einen parasitären Ursprung der Steine. S a n d w 11 li weist darauf 
hin, dass in Aegypten sehr häufig die Eier der Bilharzia den 
Kern für eine Steinbildung abgeben. 

Buchanan spricht über Staub als Träger der Keime des 
Cerebrospinalflebers und weist darauf hin, dass 00 von ihm be¬ 
obachtete Fälle in einem Indischen Gefängnisse alles Leute waren, 
die Staubbesehitftigungen hatten, 

Daun sprach Cantlie- liondon über 4 Fälle von Leber- 
abscess, die nach M a n s o n punktirt und dralnlrt worden waren. 
Im Ganzen hat C a n 111 e 28 Kranke nach dieser Methode operirt 
und 24 Heilungen erzielt. Die Methode Ist der B ii I n if sehen 
I-Ieberdrainage bei Pleuraempyem nachgebildet und es wird iii«-lit 
gespült.. Hreyer - London und J o r d a u - Hong-Kong haben 
die Punktionsmethode zu Gunsten der Laparotomie wieder ver¬ 
lassen und Bftttye berichtet über sehw«*re Blutungen nach der 
Punktion. Mauson und Cantlie halten daran fest, dass für 
tiefliegende Leliembscesso die Punktion und nachfolgende Drai¬ 
nage das sicherste Verfahren ist. hei ganz oberflächlichen Ab- 
scessen. «li«-* sclum di«* Haut vorwölben, kann man natürlich das 
Messer gebrauchen. 

Die Abtheilung für Hygiene brachte liauptsä«-ldich Vorträa«*. 
die mehr Interesse für englische Leser besitzen, zu erwähnen ist 
nur ein einstimmiger Beschluss „dahin zu wirken, «lass eine inter¬ 
national«* Vereinbarung zu Stande kommt, mich welcher Schifte, 
die mit Festländern verkehren, gezwungen wenlen. vor dein Laden 
und vor dem Ausladen alle Ratt«*ii an Bord zu tö«lten und dafür 
zu sorgen, dass während des Aufenthaltes im Hafen keine Ratten 
au Bord kommen“. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Die Abtheilung für Anatomie und Physiologie wurde er¬ 
öffnet durch einen Vortrag Macalister’s Uber den Unter¬ 
richt in der Anatomie, in welchem Redner darauf hin wies; dass 
der englische Anatom nach Deutschland gehen müsse, um Labo¬ 
ratorien und Material für wissenschaftliche Studien zu .linden 
Dann folgte ein jedenfalls sehr interessanter Vortrag Someren’s- 
Vencdig. betitelt „Hatte Luigi Cornaro BechtP“ Lulgi Cor- 
u a ro war ein Venetianischer Edelmann, der im 15. Jahrhundert 
lebte und eine Reihe von Aufsätzen über Makrobiotik schrieb. Er 
wurde ihS Jahre alt und führte seine lange Lebensdauer auf eine 
sehr massige Lebensweise zurück. Er lebte durchschnittlich von 
»0.0 solider Nahrung und 120 ccm Wein. Später soll er täglich 
nur ein Ei gegessen haben. S o m e re n hat nun an sich und zahl¬ 
reichen anderen Personen Versuche angestellt und zwar lässt er 
jeden Kissen und jeden Schluck so lange im Munde verarbeiten, 
bis derselbe jeden (Jeschmack verloren hat und durch die Ein¬ 
wirkung des Speichels alkalisch geworden ist. Nach einigen 
Wochen tritt nun bei so lebenden Menschen eine oigenthümliche 
Erscheinung auf. Während sie nämlich so eingespeichelt.e Nahrung 
ohne Weiteres schlucken können, tritt weniger gut verarlieitete 
Nahrung (noch sauer reagirendei reflektorisch wieder in die Mund¬ 
höhle zurück und dies wiederholt sich so oft, bis die Speise gut ein- 
gespeicheit ist und alkalisch reagirt. Redner glaubt, einen, 
jedem Menschen zukommenden Reflex wieder entdeckt zu haben, 
der durch unzweckmässiges Essen in frühester Kindheit verloren 
ging. Dieser Reflex soll den Menschen daran hindern, ihm schäd¬ 
lich«* Nahrung zu schlucken. Nach einiger Zeit isst der Mensch viel 
weniger und vermeidet alle „rt*i«-li«>n‘* Speisen, er kommt von selbst 
dazu, die einfachsten Dinge wie Rrod. Butter. Eier, Käs«*, Milch 
und Obst allein anderen vorzuziehen. Dabei nähert sich sein Go- 
wicht «ler für «las Individuum passenden Norm, er fühlt sich wohler 
wie früher, «ler Stuhlgang tritt selten ein und rl«*«*ht wenig mehr, 
ebenso der Urin, Flatus worden nicht mehr producirt. Die Zeit, 
in wehlier «ler verlöten«* Itetlex wieder g«*wonnen werden kann, 
schwankt zwischen 4 Wochen und einigen Monaten, aber bei 
Hl Personen der versehied<*nston Nationalitäten trat er stets wieder 
auf. Redner glaubt, «lass man bei ruhiger Lebensweise das nöthige 
Essen auf ein Minimum reduziren kann, wie Luigi Cornaro es 
timt und «lass eine derartige Lebensw«*ise nnturgoinüss und nütz¬ 
lich ist. Den Schluss «ler Verhandlungen bildete ein längerer Vor¬ 
trag P a v y’s ülx*r experimentelle Glykosurii*. 

Die Abtheilung für Pathologie und Bacteriologie wurde er¬ 
öffnet durch Washhourn, «ler über die hauptsächlichsten 
Krankheiten unter den im südafrikanischen Kriege verwendeten 
Truppen sprach. Hauptsächlich handelte «*s sieh um Darmkrank- 
h«*iten. während Lungenkrankheiten selten waren, es ist dies auf 
Güte der Luft und schlechte Nahrung zurüekzufiihreu. Die rit»sige 
Verbreitung von Typhus. Dysenterie und Diarrhoe Ist auf 
mangelhafte sanitäre Verhältnisse zurückzuführen un«l könnte 
durch Anstellung gut geschulter Sanitätsoffiziere stark einge¬ 
schränkt werden. Hltzsehlag wurde gar nicht beobachtet und 
glaubt Redner, dass beim Zustandekommen dieser Krankheit nicht 
nur «He Sonnenhitze, sondern auch eine bisher unbekannte Infek- 
tion ein«* grosse Rolle spiele. Zahlreiche Fäll«* von Dysenterie 
kamen zur Beobachtung und Sektion, doch konnten nie Ainoeben 
im Stuhl nachgowicsen werden. Belm Typhus ist Verstopfung 
sehr häufig und Phlebitis eine oft vorkommemle Komplikation. 
Schutzimpfungen schützen nach Redners Erfahrungen weiler vor 
«lem Typhus no«*h mildern sie seinen Verlauf. 

Später sprach C 1 a r k e - Bristol über «Ile Pathologie des 
Lyniphad«*noms und «len muthniaassllehen Zusammenhang dieser 
Krankheit mit Tuberkulose. 

Die Abtheilung für Militär, Marine und Ambulanzwesen 
«liscutirto zuerst die Frage der Unterbringung der Verwundeten 
hei Seegefechten. 

K I r k e r. «ler die Dlscusslon einleitete, weist darauf hin. dass 
in den llolzschiffen früherer Zeiten der Verbandplatz resp. das 
Opcratlonszimmer stets Im „cockpit“ gelegen war. Die neue Bau¬ 
art der Schiffe hat das „orlopdeck“ und mit Ihm den „cockpit“ 
verdrängt und seit dieser Zeit wies der Kapitän des betreffenden 
Schiffes «lem Arzte einen Je nach der Bauart des Schiffes ver- 
schhxlon gt'legenen Operationsraum au. Redner tritt nun energisch 
dafür ein. in jedem Kriegsschiff einen Operationsrauui nnzulegt*n, 
«l«*r möglichst kugelsicher sein muss, damit nicht wie auf dem Japa¬ 
nischen Schiff«* „Iiiyei“ eine Granate Aerzte. Pfleger und Ver¬ 
wundete tödtet und alles Verbandmaterial und Instrumente zer¬ 
stört. Uedner hält es für unmöglich, während eines Seegefechtes 
die Verwundeten zu transportiren. sie müssen liegen bleiben, wo sie 
fallen. Der Transport zum Opera tioimraum geschieht am besten 
auf einer Art Schlitten. <less«*u Modell Redner zeigt. Währen«! 
einige Marineärzte den Ansichten Kirker’s zustimmen, verlangt 
N i n n i s den Bau bestimmter Hospitalschiffe, die die Flotte be¬ 
gleiten und auf w«*l«*he nach dem G«*f«*eht die Verwundeten über¬ 
führt w«*rdon sollen: auch Clayton befürwortet den Bau von 
llospitalscliifiVn. doch soll jedes grössere Kriegsschiff selbst zum 
Operiren eingerichtet sein, am meisten empfiehlt es sich, 2 Opera- 
tionsräutu«*. je einen vorne und hinten, zu haben. 

Dann spraelt MacCormac - London üb«*r den Unterschied 
zwischen alter und neuer Kriegschirurgie. Die neuen Geschosse 
und «lie antiseptisebe Belinmllung haben die Kriege vl«*l humaner 
gemacht; die beste Behandlung vieler Schusswunden, besonders 
aller «ler Bauch wunden ist die conservativo. auch nrterio-veuöse 
Aneurysmen soll inan in Ruin» lassen. Im südafrikanischen Kriege 
kam auf r Verwundete nur 1 Todter, von den*Verwundeten star- 


No 38. 

ben nur C—8 Proc., während lm amerikanischen Kriege noch 
34 , / 2 Proc. starl)«*n. Von grösster Wichtigkeit ist gute Deckung der 
Truppen, bei Colenso verloren die Engländer 1100 Mann, während 
die gedeckten Buren nur 25 Verwundete und 5 Todte hatten. Der 
erste Nothvorbnnd hat sich im Allgemeinen bewährt. In der Dis- 
cusslon entspann sich ein lebhafter Streit filier das sog. Duin-Duui- 
Gcschoss, das von O’D w y c r und Anderen verdammt wird. Har- 
v e y und G 11 e s vertheidigeu die Anwendung dieses Geschosse« 
g«*g«*n uneivllisirtc Völkerschaften, die Humanität kann zu weit 
gctrU’btm werden und es ist unmöglich, mit dein gewöhnlichem 
mo«lertu*n Geschoss einen Wilden zum St«*hen zu bringen. Obwohl 
von 5—U Geschossen durchliohrt, läuft der Wilde vorwärts uud 
tödtet seinen G<*gnor lievor er sellist fällt. Es ist nach Harvey 
humaner, „den Anderen zu tödten, bevor man selbst getödtet wird“. 
S m i t li - Manchester weist noch auf «len grossen Nutzen des von 
JiMlem Soldaten mit getragenen Verbandpäckchens mit, die Gaze 
soll mit Heftpflaster lH*f«*stigt werden. 

Zum Schlüsse «liscutlrte man noch die Aetiologie des Typhus 
im Felde, und glaubten viele Militärärzte, dass nicht nur das 
Wasser zur Verbreitung beitrage, sondern ebenso die Luft und ganz 
besonders «lie Fliegen, die von «len Exkrementen der Kranken auf 
die Speisen «ler Gesunden fliegen uud diese durch Ihren Koth in- 
tiziren. J. P. zum Busch- London. 

Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

Berlin, 10. September 1901. 

Erhöhung der kassenärztlichen Honorare. — Arztähnliche 
Titel. 

Die Staiulesvcreine haben sämmtlich Ferien, ihre Sitzungen, 
soweit sic überhaupt angekümligt werden, beschränken sich auf 
gesellige Zusammenkünfte, und das sonst so warm pulsirenile 
Vercinsleben bcfimlet sich noch im tiefsten Sommerschlaf, alle 
die „brennenden Fragen“ scheinen ihre Gluth verloren zu haben 
oder glimmen vorläufig n«»«*h unter der Asche, um erst im Winter 
wieder zu hellem Feuer entfacht zu werden. Der Streit zwischen 
Krankenkassen und Apothekern ist noch nicht beigelegt; der be- 
sti-hcnde Zustand ist zwar für keinen der Betheiligten besonders 
erfreulich, trotzdem aber bleibt die Sache bis auf Weiteres auf 
dem Status quo, denn von einer Kampfesmüdigkeit ist nicht viel 
zu bemerken. Die Pressstreitigkeiten um die Gleich- oder 
Minderwerthigkeit der deutschen und schweizerischen Maturität, 
die eine Zeit lang recht heftig geführt wurden, sind zu einem Ab¬ 
schluss gekommen, wenn auch nicht gerade zu einer glücklichen, 
denn keine der beiden Auffassungen ist. «ler anderen gewichen: 
die L<*ser haben auch jetzt noch kein ganz unzweideutiges Bild 
über «lie Gymnasialvorbildung erhalten, welche unsere in der 
Schweiz approbirten Kolleginnen genossen haben, dagegen haben 
sie das wenig erbauliche Schauspiel mit angesehen, dass der rein 
sachliche Streit stark in’s Persönliche hinüberspielte, und sind 
daher im Grunde genommen froh, dass er beendet ist; die kom¬ 
mende Wintercampagne wird uns wohl auch wichtigere Aufgaben 
bringen, als den Werth des schweizerischen Maturitütsexamens 
im Vergleich zum deutschen zu entscheiden. 

Angesichts der vielen Kämpfe, welche allenthalben zwischen 
Krankenkassen un«l ihren Aorzten ausgefochten und nicht immer 
zum Nutzen der Letzteren entschieden werden, ist eine Art Lohn¬ 
bewegung von Interesse, welche sich in aller Stille, aber auch in 
aller Ruhe und in ungestörtem Frieden in Berlin vorbereitet. 
Der „Verein der freigewählten Kassenärzte“, welcher schon so 
oft den Weg gezeigt hat. auf dom ein friedliches und gedeihliche* 
Zusammenwirken zwisch«*n Aerzten und Kassenvorständen sich 
ermöglichen lässt, hat den Krankenkassen mit freier Arztwahl 
mitgetheilt, dass die Aerzte vom nächsten Jahre ab die ärztliche 
Behandlung <l«*r Kassenmitglieder für den früheren Preis von 
3 M. pro Kopf und Jalir nicht mehr übernehmen könnten. 
Während aber «lie Erfahrungen der letzten Jahre in den ver- 
s«*hicdensten Städten g«*zeigt haben, dass auf derartige Mit¬ 
theilungen gewöhnlich sofortige Kündigung, Heranziehung 
fremder Aerzte, kurz der ganze rücksichtslose Apparat zu ge¬ 
wärtigen ist. den «ler Arbeitgeber dem in viel ungünstigerer Po¬ 
sition befindlichen Arbeitnehmer gegenüber spielen lassen kann, 
sehen wir hier, dass die ärztliche Forderung bei den Kassenvor- 
ständen volles Verständnis» findet. Diese haben sicdi der Erkennt¬ 
nis nicht entzogen, dass «las bisherige ärztliche Honorar ein 
ungenügendes ist und der Verbesserung bedarf. Ein grosser Theil 
von ihnen ist jedenfalls principioll einer Erhöhung geneigt, wenn¬ 
gleich viele der Ansicht sind, dass der jetzige Zeitpunkt für 


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17. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1519 


eine Ilonorarorhöhung schlecht gewählt ist, weil in Folge der 
augenblicklichen wirtschaftlichen Krisis viele Kassen sich in 
ungünstiger Lago befinden. Die Forderungen der Aerzte sollen, 
soweit schon jetzt etwas darüber bekannt geworden ist, dahin 
gehen, dass das Honorar auf 4 M. pro Kopf und Jahr erhöht 
wird, die (4—5 Proc. betragenden) Honorare für erste Hilfe¬ 
leistungen nicht mehr wie bisher vom allgemeinen Aerztehonorar 
in Abzug gebracht, sondern von den Kassen getragen werden, und 
schliesslich, dass Verträge von mehrjähriger Dauer abgeschlossen 
werden. Ob oder inwieweit die Wünsche erfüllt werden, lässt sich 
noch nicht sagen, denn die definitive Entscheidung kann erst im 
November in den Generalversammlungen gefällt werden; es ist 
auch klar, dass selbst, wenn sie erfüllt sind, noch immer nicht ein 
fürstliches Honorar dem Kassenarzt als Lohn für seine Be¬ 
mühungen winkt, es dürfte schwerlich die halbe Minimaltaxe 
der Gebührenordnung erreichen. Aber es ist von principieller 
Bedeutung, dass eine an die Kassen gestellte und für diese immer¬ 
hin nicht unbeträchtliche Mehrforderung in aller Ruhe erwogen 
wird, und dass aller Voraussicht nach die Angelegenheit ohne 
Kämpfe und Krisen erledigt werden wird. Man wird nicht fehl 
gehen, wenn man annimmt, dass eine solche glatte Erledigung 
einer Frage, welche an anderen Orten und unter anderen Verhält¬ 
nissen schon so oft den Keim eines Konflikts in sich barg, im 
Wesentlichen begründet ist in der mustergiltigen Organisation, 
welche bei dem Verein der freigewählten Kassenärzte in Berlin 
bes teilt. 

Eine verständnisvolle Unterstützung im Kampfe gegen die 
Kurpfuscherei hatten die Aerzte seit Langem bei dem Berliner 
Polizeipräsidium gefunden. Als eines der wirksamsten Mittel 
hatte sich das Verbot der Führung arztähnlicher und überhaupt 
solcher Titel erwiesen, welche geeignet sind, den Glauben zu 
erwecken, dass der Inhaber eine geprüfte Medieinalperson sei. 
Um so befremdlicher wirkt eine Entscheidung des Oberverwal¬ 
tungsgerichtes, welche der Polizei verbietet, gegen eine Person ein¬ 
zuschreiten, die sich als „Professeur hon. ä la Fac. des Se. Magne- 
tiques de Paris“ bezeichnet. Es worden allerlei Urtheilsgründe 
für diese Entscheidung angeführt, z. B. dass, wer die dem Wort 
„Professeur“ in französischer Sprache hinzugefügten Abkür¬ 
zungen überhaupt versteht, den Inhaber des Titels sicherlich nicht 
für eine in Deutschland approbirte Medieinalperson halten wird, 
und dass, wer sie nicht versteht, auch höchstens an einen im 
Ausland erworbenen Titel denkt; ferner sei aus der Ankündigung 
ersichtlich, dass es sich nicht um einen staatlich verliehenen 
Titel, sondern um eine von einem Privatunternehmen verliehene 
Bezeichnung handle. Auch ein Verstoss gegen eine Allerhöchste 
Verordnung, der zu Folge preussische Staatsangehörige, welche 
einen akademischen Grad ausserhalb des Deutschen Reiches er¬ 
werben, zur Führung des damit verbundenen Titels ministerieller 
Genehmigung bedürfen, sei nicht vorhanden, denn akademische 
Grade im Sinne dieser Verordnung seien nur Doktor, Lieentiat 
und Magister, nicht aber Professor. Wir vermögen das juristische 
Gewicht dieser Gründe nicht zu beurtheilen; wir vermögen aber 
auch nicht, zu erkennen, dass ein Urthcil, das sich lediglich auf 
den gesunden Menschenverstand stützt und von juristischen 
Spitzfindigkeiten unbeeinflusst bleibt, in der erwähnten Bezeich¬ 
nung einen anderen Zweck erblicken kann, als den der Irreleitung 
des Publikums, und darum können wir nur bedauern, dass durch 
diese Entscheidung das Polizeipräsidium in seinem anerkennens- 
werthen Bestreben, das Publikum vor gewissenloser Ausbeutung 
zu schützen, gehindert wird. M. K. 


Verschiedenes. 

Einen Fall von Haemoglobinurie bei Stieltorsion 
eines Ovarialtumors schildert Dr. Kober. Bei der be¬ 
treffenden Patientin ergab die vor der Operation vorgenoinmene 
Untersuchung des Harns dunkle, blutige Färbung, geringe Mengen 
Eiwelss, keinen Zucker, wohl aber reichlichen Blutfarbstoffgehalt. 
Mikroskopisch erwies sich der Harn völlig frei von Blutkörperchen; 
elieuso wenig waren Cylinder in ihm zu Anden. Bereits am Tage 
nach der Exstirpation des Ovarialtumors war der Harn frei von 
Blutfarbstoff, während die geringen Eiweissmengen im Laufe der 
nächsten Tage verschwanden. 

Die Herkunft des im Harn Vorgefundenen Haemoglobius lässt 
sich am einfachsten so erklären, dass die in Folge der Stauung 
ausgetretenen Blutkörperchen zerfielen, der Blutfarbstoff frei 
wurde, in die Circulation gelangte und dann zum grossen Thclle 
durch die Nieren ansgeschleden wurde. Seinerseits ist Verf. der 
Ansicht, dass bei dem Zerfall der rothon Blutkörperchen gewisse 


Stoffe (Lysinei frei werden, in den Kreislauf g. langen und einen 
Zerfall der rotlien Blutkörperchen, die im Blute kreisen, hervor- 
rufeu. (Allg. ined. Central-Ztg. 1901, No. 31.) P. H. 

•- *-.•.**.,.** : 

Eine seltene F o r m von Bau e h f e 11 1 u b o r k u lose 
beschreibt Dr. Kobe r. Das Seltene in dein betreffenden Falle war 
die Ausbildung verschiedener eystlseher Hohlräume, die lange Zeit 
während der Operation an das Vorhandensein eines vielkamiuerlgen 
Ovarialtumors «lenken Hessen, dann das Vorhandensein mächtiger 
Schwarten bezw. Stränge, die man sonst bei der knotigen Form 
der Bauchfelltuberkulose vortindet. (Allg. med. Centr.-Ztg. 11)01, 
No. 31.) P. H. 

Therapeutische Notizen. 

Versuche mit Aspirin als Beiträge zur Kenntniss der Sall- 
cylwirkung hat Singer-Elberfeld an Menschen und Thieren ange¬ 
stellt. Danach kann mau dem Aspirin eine harntreibende Wirkung 
nicht zuerkennen. Eine Steigerung der Stiekstoffausschehluug tritt 
deutlich nach toxischen, weniger sicher nach medicmaleu Dosen 
auf. Doch sind die Oxydationsvorgänge nicht allgemein gesteigert, 
wie die Beobachtung des Sauerstoffkousums ergab. Vielmehr 
handelt es sich um eine nach «1er Aspirin-Darreichung auftreteude 
Leukocytose und damit in Zusammenhang stellende Erhöhung 
der HarnsiLureausscheidung. Die St eigerung «1er Harnsäurewert he 
ist wie die Vermehrung der Leukocyten rasch voriiborgeheml; die 
Erscheinungen beschränken sich auf die Tage der Aspirindar¬ 
reichung. Die Ausscheidung der Alloxurbaseu bleibt auf «1er nor¬ 
malen Höhe. Ebenso wenig ergab sich für «li«* Gesa uimt phosphor- 
säure oder für die zweifach sauren Phosphate und die daraus be¬ 
rechnete Harnacidität ein Ansteigen nach der Aspirinmedication. 
Auch die Aetherschwefelsäuren werden durch Aspirin in ihrer 
Ausscbeidungsgrösse nicht bemerkbar beeinflusst. (Areh. f. d. gcs. 
Physiologie 1001, B«L 84, H. 11 u/ 12, S. 527.) P. II. 

Das .T o d i p i n wird von B a u m - Halle als Ersatzpräparat 
des Jodkali auf’s Wärmste empfohlen (Tliornp. Monatsh. 0. 1001). 
Es macht nie Jodismus. Bei innerer Darreichung nimmt mau das 
10 proc. Jodipin, 3 mal täglich ein Theolöffel. Zur subkutanen 
Einspritzung nimmt mau das 25 proc., das am besten in Dosen vou 
5—10 g in die Glutaenlgegeud eingespritzt wird. Kr. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 17. September 1001. 

— Im preussisehon Kultusministerium sind jetzt die Grund¬ 
sätze für die Geh altreg eluugder nicht voll 1) e s o 1 d e - 
ten Kreisärzte festgestellt worden. Der Z. f. Medlclnall). zu 
Folge wurde anstatt des ursprünglich beabsichtigten Individual- 
systerns ein gemischtes Besohlungssystom mit aufsteigender Be¬ 
soldung und mit persönlichen pensionssiclieren Zulagen ange¬ 
nommen, so «lass sämmtliclie Kreisärzte mit zunehmendem Dienst- 
alter wenigstens den jetzt auf 2700 M. erhöhten Besoldungsdurch¬ 
schnittssatz erreichen. Die Kreisärzte erhalten demgemäss ein 
pensionsfählg»*s Gehalt von 1800 bis 2700 M., steigend von ISO») auf 
2250 und 2700 M.. so dass je eiu Drittel der Kreisärzte 1800. 2250 
und 2700 M. erhalten: das Aufrücken in die einzelnen Stufen er¬ 
folgt nach Maassgalte des Dienstalters je nach dem Eintritt, vou 
Vakanzen. Daneben werden persönlich«*, pensionsfähige Zulagen 
von 000, 900 und 1200 M. gewährt, für deren Bewilligung folgende 
Gesichtspunkte mn»ssgel>end sind: Schwierigkeit der St«*llen- 
besetzung. Umfang der amtsärztlichen Obliegenheiten ohne gleich¬ 
zeitige Entschädigung «lurch Gebühren, geringe Einnahme von pen¬ 
sionsfälligen Gebühren, besondere örtliche Theuevungsverhältniss«*. 
Die Gerichtsärzte, deren Einnahmen an Gerichtsgebühren nicht 
pensionsfähig sind, sollen je 1200 M. als pensionsfähige Zulage 
erhalten. 

.— Der Reichsanzeiger veröffentlicht auf Grund der 1890 vou 
den Bundesstaaten über die einheitliche Gestaltung der medicin. 
Doctorpromotion getroffenen Vereinbarung zum erstenmal das 
Verzeichn iss der im Wintersemester 1900/1901 
auf den deutschen Universitäten erfolgten in e - 
dieini selten Doctorpromotioncn. Das Verzeichnis« 
enthält ausser dem Vor- und Zunamen des I’romovirten Zeit und 
Ort seiner Geburt.. Wohnort, die Staatsangehörigkeit, die Art 
seiner Vorbildung (die Anstalt, au der er das Reifezeugnis» erwarb, 
und «las Jahr der Reifeprüfung), den Studiengang mit Angabe der 
Studienorte und der Studienzeiten an jedem dieser, Titel der 
Doctorsclirift und deren Druckort, den Referenten der Froiuotions* 
arbeit, das Datum d«*s Rigorosuins oder «los Colloquiums bei der 
Doctorprüfung. die Censur, «las Datum der Promotion und das¬ 
jenige der Approbation. Da ausser den Verzeichnissen der medicin. 
Dissertationen in unserer Wochenschrift und den amtlichen Jahres¬ 
verzeichnissen der deutschen Universitätsschriften eine Zusammen¬ 
stellung der medic. Dissertationen bisher fehlte, worden die aus¬ 
führlichen Angaben des Reichsanzeigers vielfach willkommen sein. 

— Am 9. und 10. ds. tagte in Stuttgart die VIII. Jahres¬ 
versammlung dos Central v«‘r b a n d s d e u t s c h «• r 
Ortskrankenkassen. Auf derselben waren 1013 203 Ver¬ 
sicherte durch 134 Deleglrte vertreten. Von den Verhandlung«*!! 
interessirt d«*r einlelteml«* Vortrag «l«*s Vertrnu«*iisarzt«*s «1er Central¬ 
kommission der Krnnkt*nkasseu Berlins. Dr. Friedeberg, über 
„Krankenkassen. Aerzte und Apotheker“. Er verlangt«* in dem¬ 
selben, dass di«* Kassen die Initiative ergreifen sollten zu einer 


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MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No 38. 


1514 


anderen Form der Honorinmg der Aerzte. Br schlägt für das 
Land und die kleineren Städte einen Houornrsntz von 3M. pro Kopf 
der Versicherten und Jahr vor, für Städte von 20 (MIO—KMHHM) Ein¬ 
wohner 3 M. 50 Pf.. für Städte (liier 100 000 Einwohner 4 M. 
Auch die unnöthige Belastung der Aerzte mit Schreibarbeit solle 
fortfailen. Um die Sonntagsarbeit der Aerzte eiuzuschränken. 
wünscht er, dass die Arbeitgeber den Arbeitern in der Woche Zeit 
geben, den Arzt zu konsultiren. Trotz mannigfachen Wider¬ 
spruchs. den der Itedner bei der Versammlung fand, wurde sein 
Antrag auf Einsetzung einer Kommission zum Zwecke möglichst 
einheitlicher Regelung der Arzt- und Apothekerverhältnisse an¬ 
genommen. Ein Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Mayer in 
Frankenthal über „Krankenversicherung und Arbeiterwohnungs- 
frage" verlangte thatkräftige Mitwirkung der Krankenkassen an 
der Lösung der Wohnungsfrage. 

— I Mi* von dem C e n t r a 1 c o m i t 6 für das ärztliche 
F ortliilduugs w e s e n in Berlin veranstalteten Fortbildungs¬ 
kurse und Vorträge werden wieder ausserordentlich stark besucht 
sein. Es sind schon die bis heute eingegangenen Meldungen weit 
zahlreicher, als bei dem vorigen Cyklus am Schlüsse des Meldungs¬ 
tennines: denn damals betrugen sie im Ganzen nur 707, während 
für den diesmaligen Cyklus bereits 1140 Meldungen eingelaufen 
sind. Diese Zald muss als eine ganz ausserordentlich grosse be¬ 
zeichnet werden: wenn man sie nämlich im Verhältniss zur Ge- 
sammtzahl der Berliner Aerzte betrachtet, so nimmt ca. die Hälfte 
aller Berliner Aerzte an der Veranstaltung theil. Für 3 der ge¬ 
planten Kurse sind mehr, als je 100 Meldungen eingelaufen. Selbst¬ 
verständlich können nicht alle Meldungen berücksichtigt werden, 
sondern bleiben zum Theil für den nächsten Cyklus vornotirf. Da 
sich die Einrichtung der Vornotirung diesmal auf's Beste bewährt 
hat. so wird sie auch in Zukunft bestehen bleiben, so dass Die¬ 
jenigen. deren Meldung bei dem gegenwärtigen Cyklus aus Raum¬ 
mangel nicht, mehr angenommen werden konnte, bei dem nächsten 
Cyklus mit Sicherheit thellzunelnnen Gelegenheit haben. 

— Die Feier von R. Virchow's SO. Geburtstag 
linder, wie jetzt bestimmt ist, am 12. Oktober, also am Tage vor 
dem Geburtstag selbst, statt. Als Hauptpunkt weist das Pro¬ 
gramm um 8>/ a Uhr einen Festakt im grossen Sitzungssaal des 
Abgeordnetenhauses, unter Waldeyer's Vorsitz, auf. Karten 
zu diesem Festakt sind durch Frof. P o s n e r . Berlin. Anhaltstr. 7, 
erhältlich; in erster Linie werden diejenigen Personen berück¬ 
sichtigt, welche Beiträge zur R. Virchow-Stiftuug geleistet haben. 
Bezüglich der Theilnalnne der Stadt Berlin an der Virchow- 
Feier hat der Magistrat der Stadtverordnetenversammlung fol¬ 
gende Vorlage zur Beschlussfassung übersandt: Am 13. Oktober 
d. J. vollendet unser Ehrenbürger Stadtverordneter Geh. Mediciual- 
rath Professor Dr. Rudolf Vircliow sein SO. Lebensjahr. Aus 
diesem Anlass haben wir beschlossen, das hochverdiente Mitglied 
unserer Gemeindebehörden in der Weise zu ehren, dass der seinen 
Namen tragenden, für wissenschaftliche Zwecke bestimmten 
„Virchow-Stift.ung , ‘ zur Förderung ihrer Aufgaben die Summe von 
looooo M. überwiesen wird. Fenier schlagen wir vor. den Fest¬ 
tag durch ein von beiden Gemeindebehörden gemeinsam im Fest¬ 
saale des Rathhauses zu veranstaltendes Festmahl zu feiern. 

— Vor der ihrer Vollendung entgegengehenden neuen Klinik 
für Nerven- und Geisteskrankheiten in der k. CharltG in Berlin 
soll nach einer von den Herren Erb. Gerhardt, K u s s m a u 1, 
v. Liebermeister, Nothnagel und Sch aper unter¬ 
stützten Anregung des Stabsarztes Dr. Buttersack eine 
Büste Wilhelm Griesinger'« zur Aufstellung kommen. 
Beiträge zu den auf etwa 5000 M. sich belaufenden Kosten wollen 
an Stabsarzt Dr. Butter sack, Berlin W., Potsdamerstr. G4/I, 
gerichtet werden. 

— Am 8. September wurde auf Schloss Wiligrad durch Dele- 
girte der Deutschen Otologischen Gesellschaft Sr. Hoheit dem 
Herzog Johann Al brecht zu Mecklenburg eine Adresse überreicht, 
in welcher demsellien der Dank der Gesellschaft ausgesprochen 
wird für die Begründung des erst c n o r d e n 11 i c h e n L e h r- 
stuhls der Ohrenheilkunde an einer deutschen Uni¬ 
versität. 

— Pest. Aegypten. Vom 23. bis 30. August sind in Port 
Said 3 neue Erkrankungen (und 3 Todesfälle) an der Pest beob¬ 
achtet, in Mit Gamr 1 (1). ln Alexandrien, woselbst seit dem 
18. August kein neuer Pestfall vorgekommen ist, befand sich am 
30 dess. Mts. noch 1 Pestkranker in Behandlung, in Zagazig war 
der letzte Pestkranke am 23. August geheilt entlassen. — Britlsch- 
Ostinilien. Während der am 0. August allgelaufenen Woche hatte 
in der Präsidentschaft Bombay die Zahl der Todesfälle gegenüber 
der Vorwoche beträchtlich zugenonunen, denn es waren 3405 neue 
Erkrankungen und 2402 Todesfälle an der Pest festgestellt. In 
der Sladt Bombay waren während der am 10. August endenden 
Woche im Ganzen 854 Personen gestorben, davon 108 erweislich 
au Pest und 101 unter Pest verdacht, also 32 bezw. 10 mehr als in 
der Vorwoche: die Zahl der Neuerkrankungen in der Stadt wird 
auf 157 für die Berichtswoche beziffert und war darnach höher 
als in jeder der 3 Vorwochen. — Kapland. Während der Woche 
vom 4. bis 10. August sind in Port Elizabeth 4 Pestkranke, darunter 

1 Europäer und 2 Eingeborene, in das Hospital aufgenommen, 
eine Person wurde als pestverdächtig unter Beobachtung gestellt; 
auf der Knphalbinsel kamen 1 Pestkranker iu's Hospital und 

2 Personen als pestverdächtig unter Beobachtung. In Kapstadt 
hielt man zufolge einer Mittheilung vom 14. August die Seuche 
nuhnit hr für erloschen, da innerhalb Monatsfrist — seit dem 14. Juli 
— nur 5 neue Fälle in der Stadt beobachtet worden waren; doch be¬ 
fanden sieh noch 15 Pestkranke im Hospital. In den contact camps 
wurden am ln. August noch 58 Personen beobachtet, davon 23 
ln Port Elizabeth und 35 auf die Kaplialbinsel. — Queensland. 


Während der am 27. Juli abgelaufoncn Woche ist in Brisbane eine 
Neuerkrankung au der Pest zur Anzeige gekommen. 

— In der 35. Jahreswoche, vom 25.—31. August TJbl. hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Borbeck mit 30.5. die geringste Offenbach mit 12,0 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. 

— Die Deutsche Gesellschaft für Volks li ä d e r 
wird ihre diesjährige Hauptversammlung im Sitzungssaal d*s 
Kaiserlichen Gesundheitsamtes und zwar gegen Ende Oktober 
allhalten. — Anmeldungen zu Vortrügen und zur Mitgliedschaft 
werden erbeten an die Geschäftsstelle der Gesellschaft Berlin NW. 0. 
Kn rlst rasse 10. 

— I>er 1. ägyptische medicinische Kongress 
wird in Kairo vom 10.—14 Dezember 1002 stattünden. 

— An Stelle und als Fortsetzung der russ. medioin. Wochen¬ 
schrift „W rat sch", die bekanntlich auf Wunsch ihres verstor¬ 
benen Gründers und Leiters Prof. Mauas sein zu erscheinen 
aufhört, wird die Verlagsbuchhandlung von Karl Kicker in 
Petersburg eine neue Wochenschrift unter dem Titel: „R isski 
Wratsch" herausgeben. Die Redaktion derselben liab.-n Prof. 
I’ o d w y s s o t z k i - Odessa und Dr. S. W 1 a d i s 1 a w 1 e w - 
Kt. Petersburg übernommen. Das neue Blatt wird in s-in r 
äusseren Erscheinung wie im Programm dem alten gleichen. 

— Herr Dr. Dresdner ersucht uns, festzustellen, dass er 
der vielen Münchener Aerzten zugegangenen Broschüre: ..Fort 
mit den Apotheken. Ein Aufruf au die deutschen Aerzte” 
von Homo sura. Verlag von Püssl in München, für deren Ver¬ 
fasser er vielfach gehalten wurde, völlig fernesteht. 

(H o c li s c h u I n a c li r i c h t e n.) 

Bonn. Der Privatdocent Prof. Dr. Peters hat einen Ruf 
als ordentlicher Professor und Direktor der Augenklinik an die 
Universität Rostock erhalten und angenommen. 

Groningen. Zum Professor der Physiologie wurde Dr. 
II. J. Hamburger in Utrecht ernannt. 

lv o p e n h a g e n. Professor 1 >r. Iv. B. P o n t o p p i d a n 
wurde zum Professor der gerichtlichen Mediciu und Hygiene er¬ 
nannt. 

Lund. Der Doeent für allgemeine Pathologie. Dr. M. J. 
G. A. Forssinann. wurde zum ausserordentlichen Professor 
ernannt. 

Wien. In der medicinischen Fakultät der hiesigen Uni¬ 
versität sind Dr. Eduard Schiff, Privatdocent für Hautkrank¬ 
heiten. Dr. August llerzfeld. Doeent der Frauenheilkunde, 
und Dr. Heinrich Lorenz. Privatdocent. der inneren Medicin, 
zu ausserordentlichen Professoren befördert worden. 

(T o d e s f ä 11 e.i 

Dr. .T. R u b 1 o y G i 1 e s. Professor der Physiologie zu Sevilla. 

Dr. A. E. Aust Lawrence, Professor der Geburtshilfe und 
Gynäkologie zu Bristol. 

I)r. Th. M. Mnrkoe. früher Professor der Chirurgie am 
College of Physicians and Kurgeons zu New-York. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Verzogen: Dr. Ustymowicz von Neunkirchen a. Br., un¬ 
bekannt wohin. 

Erledigt: Die Landgerichtsarzt stelle ln Deggendorf. Bewerber 
um dieselbe haben ihre vorsehriftsmässig belegten Gesuche bei 
der ihnen Vorgesetzten k. Regierung. Kammer des Innern, bis zum 
3. Oktober 1. Js. einzureichen. 

Gestorben: Dr. Karl Lu kluger, k. Generalarzt a. D. in 
München. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München 

in der 36. Jahreswoche vom 1. bis 7. Seotember 1901. 
Betheiligte Aerzte 205. — Brechdurchfall 21 (29*), Diphtherie, 
Croup 9 (4), Erysipelas H (12), Intermittens, Nenralgia interm. 

— (—), Kindbettfieber— (—), Meningitis cerobrospin. — (—), 
Morbilli 13 (9), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 2 (5), Parotitis 
epidem. 1 (- ), Pneumonia crouposa 5 (6), Pyaemie, Septikaemie 

— (—) } Rheumatismus art. ac. 14 (14), Ruhr (dyaenteria) — (1), 

Scarlatina 8 (7), Tussis convulsiva 21 (16), Typhus abdominalis 
3 (4), Varicellen 3 (2), Variola, Varioloia — (—), Influenza —(—), 
Summa 108 (109). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 36. Jahreswoche vom 1. bis 7. Sepeinber 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 1 (—*), Scharlach — (1), Diphtherie 
und Croup 2 (—), Rothlauf — (—), Kindbettfieber — (—), Blut¬ 
vergiftung (Pvaemie) 1 (--), Brechdurchfall 22 (fl), Unterleibtvphns 
— (—), Keuchhusten 3 (1), Croupöse Lungenentzündung — (2), 
Tuberkulose n) der Lungen 22 (16), b) der übrigen Organe 9 (0\ 
Akuter Gelenkrheumatismus — (lj, andere übertragbare Krank¬ 
heiten 2 (2), Unglücksfäile 4 (3), Selbstmord 2 (2), Tod durch 
fremde Hand 2 (1). . 

Die Gcsammtzahl der Sterbefälle 224 (197), Verhältnikszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 23,3 (20,5), für die 
über dem I. Lebensjahre stellende Bevölkerung 13,1 (10,8). 

*) Die eingcklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Vor!** von J F Lohn ann la München. — Druck vnn B. Mühlthaler't Buch- and Kun^tdruckerel A.Q., Münohen. 


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bio Münch. Med. Wochenschr. erscheint wöchentl. ~|t rTTAT/NTT Ijl ATTT^X) Zusendungen sind sn adrewriren: Mr dieEedactlon 

ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen. yl I I [V I . K-1 H. tV H. Ottostresse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh- 

Freis in Deutschi. u. Oest.-Ungarn vierteljfthrl. 6 Ji, XT-l. A.1 vAAJJli mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen 

ins Ausland 7.50 M. Einzelne No. 80 an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Herausgegeben von 

Cfc. Banaler, 0. Bolllnger, H. Curschmann, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. i. Michel, H.!. Ranke, F. i, Wlnekel, H. y. Zleassei, 

Freiburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München München München 


No. 39. 24. September 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse ‘20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus dem physiologischen Institut und der medicinischen Klinik 
zu Freiburg i. Br. 

Untersuchungen über Rhodan-Verbindungen. 

Von Professor Dr. phil. A. Edinger und Professor Dr. med. 

G. T r eup e 1, Assistent an der med. Klinik in Freiburg i.Br. 

II. Mittheilung. 

Am Schlüsse unserer I. Mittheilung ‘), worin wir über Er¬ 
gebnisse der subkutanen Injektion von Rhodanalkali 
berichtet haben, stellten wir in Aussicht, die Einwirkung dos 
Rhodannatriums auf den thierischen Organismus nach Dar¬ 
reichung per os in den Kreis unserer Untersuchungen zu 
ziehen. 

Wir wurden um so mehr zu derartigen Versuchen ver¬ 
anlasst, als sich nicht nur das Rhodanalkali bei subkutaner 
Injektion gegen Tuberkulose unwirksam er¬ 
wiesen hatte, sondern auch ebenso das im Kulturverfahren viel 
wirksamere Chinolinrhodanat. 

Dieses bewirkt bei Kaninchen, subkutan injizirt, in 
ähnlicher Weise, wie wir das seiner Zeit vom Rhodanalkali mit- 
theiltcn, oine deutliche Steigerung des Schwe¬ 
fels und Stickstoffs im Harne: 


Tabelle I. 

Resultate des Kaninchenliarns. 


Datum 


1899 
28. XI. 
30 XI. 

1. xn. 

2. XII 
3 u.4. XII 

6 XII. 
7. XII. 
8. u. 9. XII. 


Normales Thier 

275 1,010 0.0282 10,1; 
400 1,01' 0,039'' |0,31 
310 1,007 0.0242 !0,1 
215 1,015 0,0598 0,1 
270 1,019 0.0144 0.5i 
90 1,015 0.0458 0,2i 
160 1,019 0,0758 0,1: 
38011,019 0,081 :0,4' 


0,0776 0, 
0,159 1, 
0,0792 <i. 
0,0975 0, 
0,1198 1 
0,0412 0 
0,1212 0 
: 0,3078 ;1 


sim-; s h 

«? ffl m eo I V. 

Injizirtcs Tier 

tägl. 0,01 g Chinolinrhodanat subkut. 
,423 20511.01210,0.-62 10,2521 0.0M6 0.M6 
,23' 90 1.019 0,074 lo.756l »,036 0,»80 

.462 210 1,012 0,0364 i0.252 0,0743 0,529 
,343 16511,016 0.016 0,252 0,070 0,390 

,36-* >4011.021 0.057 0,70n 0,1363 l,6s0 
,239 74 1,016 0.0272 0,2 J 0 0.0 0: 0,2072 
,672 140 1,032 0,1192 0 560 0,1668 0.781 
,808 146 1,027;0,1224 0,92410,1774 1,3398 


Bacteriologische Versuche mit Chinolinrhodanat, Kultur- 
versuche (Prof. Dr. M. Schlegel). 

Bei den folgenden Versuchen handelte es sieh darum, den 
Einfluss zu prüfen, welche Lösungen des Chinolinrhodanats auf 
das Wachsthum verschiedener Bacterienartcn ausüben. Dabei 
stellte sich, was schon zum Voraus betont sein soll — heraus, dass 
die hemmende Wirkung des Chinolinrhodanats gegenüber den 
untersuchten Spaltpilzen eine viel stärkere ist, als dies bei Rho¬ 
dannatrium der Fall war (cf. Münch, med. Wochenschr. No. 21 
u. 22, 1900). Um nun die hemmende Kraft des Chinolin¬ 
rhodanats auf Tuberkelbacillen und Rotzbacillen festzustellcn, 
wurden die im Naclistehenden verzeichneten Versuche derart aus¬ 
geführt, dass diese Versuchsflüssigkeit in einem gewissen Pro¬ 
centsatze — und zwar stets in 10 ccm Nährflüssigkeit — gelöst 
wurde. Mithin gelangten solche Nährböden von Serum und 

l ) VergL Q. Treupel und A. Edinger: Untersuchungen 
Ober Rhodan-Verbindungen. Münch, med. Wochenschr. 1900, 
No. 21 und 22. 

No. 89. 


Glycerinagar zur Verwendung, welchen bei der Herstellung 
wässerige Chinolinrhodanatlösung so zugesetzt wurde, dass 
dadurch in absteigender Linie 1 Proc., Vz Proc., V* Proc., Vs Proc. 
und V w Proc. chinolinrhodanathaltige, schräg erstarrte Serum- 
bezw. Agarnährböden entstanden. Bei jedem Einzelversuch wur¬ 
den gleichzeitig mit der Impfung dieser Nährböden auch Kontrol- 
kulturcn, welche frei von Chinolinrhodanat waren, angelegt, um 
vergleichende Resultate zu erhalten. Die Ueberimpfung der 
Reinkultur des betreffenden Spaltpilzes auf den chinolin- 
rhodanathaltigen Versuchsnährboden sowie auf die gleichzeitig 
beschickten Kontrolnährböden wurde in gewöhnlicher Weise vor¬ 
genommen; es gelangten nur frische, lebendige Reinkulturen, 
welche vor jeder Verimpfung mikroskopisch geprüft worden 
waren, zur Verwendung. Alle geimpften Nährböden wurden 
einer Brütofenwärme von 37—38 0 C. ausgesetzt. Die täglich vor¬ 
genommene makroskopische Besichtigung der auf den geimpften 
Nährböden während des Versuchs angegangenen Bacterien- 
kolonien wurden je nach Bedürfniss von Zeit zu Zeit durch die 
mikroskopische Untersuchung derselben kontrollirt und bestätigt. 


a) Züchtung von Tuberkelbacillen auf den 
Versuchsnährböden. 

Am 25. X. 99 und am 21. XI. 99 wurden während dieser 
2 Versuche im Ganzen etwa 80 Röhrchen von schräg erstarrtem 
Blutserum, welchen je 6 Tropfen Glycerin und ein bestimmter 
Procentsatz von Chinolinrhodanatlösung zugefügt worden war, 
mit dem Bacillus tuberculosis geimpft, um die Beeinflussung des 
in den Nährböden direkt enthaltenen Chinolinrhodanats gegen¬ 
über dem Wacli9thum der Tuberkelbacillen zu beobachten. Von 
diesen 80 Serumröhrchen entfallen je 40 auf jeden der 2 Ver¬ 
suche, und von diesen 40 Serumröhrchen waren 8 Stück mit 
1 proc., 8 mit Vs proc., 8 mit % proc., 8 mit Vs proc. und 8 Stück 
mH 7.. proc. Chinolinrhodanatlösung versetzt worden. Bei jedem 
der 2 Versuche wurden zugleich mit diesen chinolinrhodanat - 
haltigen Nährböden auch jeweils 8 Stück Serumröhrchen, welche 
frei von Chinolinrhodanat waren, als Kontrolkulturen mit den 
gleichen Tuberkelbacillenreinkulturen geimpft. 

Das Ergebniss dieser 8—12 Wochen lang vorgenominenen 
Beobachtung der geimpften chinolinrhodanathaltigen und chino- 
linrhodanatfreien Tuberkulosekulturen war folgendes: 


Auf den Kontrolkulturen ist überall reichliches Wachsthum 
von Tuberkelbaeillen in Form grauweisser bis graugelber, dicker, 
ausgedehnter, schuppiger Massen zu konstatiren; auf den 
V 18 Proc. und Vs Proc. chinolinrhodanathaltigen Nährböden ist 
nur kümmerliches Wachsthum von Tuberkelbaeillen eingetreten, 
namentlich auf den % Proc. chinolinrhodanathaltigen Nährböden 
war das Tuberkelbacillenwachsthum ein sehr spärliches, es gingen 
hier bloss stecknadelkopfkleine Knötchen an, welche nicht ganz 
so deutlich entwickelt waren, wie das Tuberkelbacillenwachsthum 
auf den mit 1 Proc. Rhodannatrium versetzten Kulturen (cf. 
Münch, med. Wochenschr. No. 21 u. 22, 1900). Auf den mit 
V* Proc., Vi Proc. und 1 Proc. Chinolinrhodanat versetzten Kul¬ 
turen hingegen trat überhaupt kein Wachsthum auf; die hem¬ 
mende Wirkung des Chinolinrhodanats auf das Wachsthum der 
Tuberkelbaeillen ist demnach mindestens 25 mal stärker, als die¬ 
jenige des Rhodannatriums. Im-Wachsthum aller Kulturen 
wurden mik roskopisch nur Tuberkelbaeillen nachgewiesen. 


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1516 


MtTENCfiENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT'. 


No. 39. 


b) Züchtung von Rotzbacillen auf den Ver¬ 
suchsnährböden. 

Am 17.11.00 wurde ein Versuch mit Rotzbacillen ange¬ 
stellt; im Ganzen wurden 48 Röhrchen von schräg erstarrtem 
Glycerinagar, welchem ein bestimmter Proeentsatz Chinolin- 
rhodanatlösung beigemischt worden war, mit Rotzbacillen ge¬ 
impft, um eine etwa hemmende Wirkung des in den Nährböden 
direkt enthaltenen Chinolinrhodanats gegenüber den Rotzbacilleu 
festzustellen. Von diesen 48 Agarröhrchen entfallen je 12 Stück 
auf mit 1 Proc., Vz Proc., V* Proc. und Vs Proc. Chinolinrhodanat- 
lösung versetztes Agar. Auch bei diesem Versuche wurden zu¬ 
gleich mit diesen chinolinrhodanathaltigen Nährböden 8 Stück 
Agarröhrchen, welche frei von Chinolinrhodanat waren, als Kon- 
trolkulturon mit den gleichen Rotzbacillenreinkulturen geimpft. 

Das Ergebniss der durch mehrere Tage hindurch vor¬ 
genommenen Beobachtung dieser geimpften Nährböden war fol¬ 
gendes: Auf allen 48 Nährböden, welche in den angegebenen 
Procentsätzen mit Chinolinrhodanatlösung versetzt worden 
waren, ist nicht das geringste Wachsthum aufgetreten, während 
hingegen auf den 8 Kontrolkulturen sehr reichliche und charakte¬ 
ristische Rotzkolonien gewachsen sind, welche zahlreiche typische 
Rotzbacillen in reiner Form enthielten. 

Die hier geschilderten Versuche haben demgemäss ergeben, 
dass Chinolinrhodanatlösung in den angeführten Procentsätzen 
einen wesentlich stärker (25 mal) hemmenden Einfluss auf 
Tuberkelbacillen ausübt, als dies bei Rhodannatrium der Fall 
ist. Am meisten aber wird das Rhodannatrium vom Chinolin¬ 
rhodanat in dessen desinfizirender Wirksamkeit gegenüber den 
Rotzbacillen übertroffen, welche schon auf Vs proc., chinolin¬ 
rhodanathaltigen Nährböden nicht mehr wachsen, während sie 
hingegen auf 1 proc. rhodannatriumhaltigem Glycerinagar ganz 
gut gedeihen. — 

Ganz anlog wie bei dem Rhodanalkali haben wir auch einige 
Versuche mit Meerschweinchen und Kaninchen bei dem Chinolin¬ 
rhodanat angestellt, um seine etwaige Einwirkung auf 
die künstlich erzeugte Tuberkulose kennen zu 
lernen. Wie aus den hier kurz wiedergegebenen Versuchsproto¬ 
kollen ersichtlich ist, haben wir auch bei dem Chinolinrhodanat 
keinen Heilerfolg konstatiren können. 

Versuche mit Chinolinrhodanat an Meerschweinchen. 

Meerschweinchen No. 30, 82 und 86 erhalten am 4. VII. 00 Je 
Vt ccm der mit Bouillon aufgesehwemmten Tuberkelbacillen-Reln- 
kultur Intraperitoneal lnjlzlrt. 

Von diesen 3 Thieren wurden No. 30 und 82 vom 5. VII. 00 
wöchentlich 3 mal mit 0,02 g Chinolinrhodanat subkutan lnjlzlrt. 
No. 86 diente als Kontrolthier. 

Mit Chinolinrhodanat behandelte Thier e. 

19. VII. 00. Meerschweinchen No. 30 

Die alsbald vorgenommene Sektion ergibt: Ausgedehnte 
Entzündung des Unterhautzellgewebes, entzündliches Oedem Im 
Bereich der Achselhöhlen, des Halses und Rückens. Die Knie- 
faltendrüsen sind stark vergrössert. Ausgedehnte Tuberkulose des 
Bauchfells, besonders des Netzes, der serösen Ueberzüge der Leber, 
Nieren und Milz, welch* letztere auch Im Parenchym zahlreiche 
Tuberkel aufweist. Zwischen rechtem Leberlappen und rechter 
Niere und den anliegenden Darmschlingen ausgedehnte Verwach¬ 
sungen, nach deren Lösung ein fast kirschkerngrosser käsiger 
Herd blossgelegt wird. Tuberkulose beider Nebenhoden. Die 
Bronchialdrüsen sind vergrössert, die Lungen noch frei. 

23. VII. 00. Meerschweinchen No. 82 f. 

Die am nächsten Tage vorgenommene Sektion ergibt: Aus¬ 
gedehntes entzündliches Oedem des Unterhautzellengewebes wie 
bei No. 30. Kniefaltenlymphdrtisen vergrössert. In der Bauch¬ 
höhle reichlicher blutig-seröser Erguss. Ausgedehnte Miliartuber¬ 
kulose der Leber und der Milz. Die Brustorgane sind frei. 

Kontrolthier: 

25. VII. 00. Meerschweinchen No. 86 f. 

Kein entzündliches Oedem im Unterhautzellgewebe. Tuber¬ 
kulose der Kniefaltenlymphdrüsen. Ausgedehnte Peritonealtuber¬ 
kulose. Miliartuberkulose der Leber und Milz. Mediastinale 
Lymphdrüsentuberkulose. Bronchialdrüsentuberkulose. Miliare 
Tuberkulose der Lungen. 

Versuche an Kaninchen. 

Kaninchen No. 22 und 23 erhalten am 4. VII. 00 Je 1 ccm 
der mit Bouillon aufgeschwemmten Tuberkelbacillen-Reinkultur 
intraperitoneal lnjlzlrt. 

Kaninchen No. 23 dient als Kontrolthier. 

Kaninchen No. 22 erhält vom 5. VII. 00 ab täglich 0,01 
Chinolinrhodanat subkutan bis zum 30. VIII. 00. 

6. IX. 00. Kaninchen No. 22 -f. 


Die alsbald vorgeuommene Sektion ergibt kein Oedem 
oder irgend welche entzündliche Erscheinungen im Unterhaut¬ 
zellgewebe. Hochgradige Abmagerung und Anaemie. Ausge¬ 
dehnte Tuberkulose des gesammten Bauchfells, des Netzes: käsige 
Herde auf der Dannserosa, käsiger Zerfall der peritonealeu 
Lymphdrüsen. Tuberkulose der Leber, der Milz und der Nieren. 
Ausgedehnte Tuberkulose der Pleuren und besonders links auch 
der Lunge. 

Das Kontrolthier starb erst am 26. X. 00. 

Die nach 3 Tagen vorgenommene Sektion ergibt: Massig 
zahlreiche bis linsengrosse tuberkulöse Knötchen in der Lunge, 
vereinzelte in der Leber und am Netz. In sämmtlicheu Herden 
Tuberkelbacillen in massiger Anzahl. 

Aus den früher mitgetheilten Versuchen mit Rhodanalkali 
und den hier Eingangs kurz wiedergegebenen Resultaten bei sub¬ 
kutaner Injektion von Chinolinrhodanat schien uns vor Allem 
die oben erwähnte Einwirkung auf den Stoff¬ 
wechsel eine Erscheinung zu sein, auf die wir bei einer 
Wiederholung der Versuche mit innerlicher 
Darreichung in allererster Linie unser Augenmerk richten 
wollten. 

Während wir mit den diesbezüglichen, unten näher wieder¬ 
zugebenden Versuchen beschäftigt waren, sind nun nach unserer 
ersten Publikation einige Arbeiten über Rhodangehalt in (thieri- 
schen bezw.) menschlichen Sekreten erschienen [O. Muck ), 
J. A. Grober*)]. Grober gibt in seiner Arbeit eine kurze 
Uebersicht über die Untersuchungen des Speichels auf seinen 
wechselnden Rhodangchalt bei gesunden und kranken Menschen 
und kommt dabei u. a. zu dem Schluss, dass kachektische, dauernd 
schwer affizirte Kranke wenig oder gar kein Rhodankalium nus- 
seheiden. Aus der Reihe der chronisch Kranken, die wenig oder 
gar kein Rhodanalkali ausscheiden, scheinen uns nun haupt¬ 
sächlich 2 Gruppen von besonderem Interesse zu sein. 

Die erste Gruppe umfasst die Phthisiker, bei denen in 
der That auch wir kein oder nur wenig Rhodan im Speichel nach- 
weisen konnten. Die zweite Gruppe betrifft die harnsauren 
Diathetiker, bei denen, wie wir bereits in unserer er-ten 
Mittheilung ausführlich erwähnten, nach Bruylants') die 
Rhodanbildung im umgekehrten Verhältniss zur Harnsäurepro¬ 
duktion steht. Diese von uns bereits früher auch theoretisch er¬ 
örterte Frage*) erscheint nun auf Grund der Ergebnisse unserer 
seither angestellten Versuche in einem besonderen Lichte. 

Wir haben zu diesen Versuchen zunächst 2 im Körpergewicht 
ziemlich gleiche Hunde verwendet, von denen der eine 0,5 g 
Rhodannatrium purissimum Merck') täglich mit seinem Futter 
erhielt, während der andere, bei sonst gleicher Fütterung und 
unter sonst gleichen Bedingungen gehalten, als Kontrolthier 
diente. 

Wie aus umstehender Tabelle ersichtlich ist, reagirten die 
Harne der beiden vorwiegend mit Pflanzenkost gefütterten 
Hunde alkalisch. Bei genauerer Prüfung der Alkalität ergab sich 
aber ein deutlicher und konstanter Unterschied 
zwischen beiden Thieren und zwar so, dass die Alkalitätdcs 
Harnes bei dem Rhodanhund stets erheblich 
grösser gefunden wurde als bei dem Kontrolthier. 

Wir Hessen nun an Stelle der reinen Pflanzenkost zunächst 
gemischte Fütterung (mit Fleisch) treten und zwar vom 14. n. bis 
19. II. 1901 (incl.) und bestimmten von jetzt ab nur die Reaktion, 
bezw. die Alkalescenz der Harne mit Normalschwefelsäure. Auch 
hierbei ergab sich, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich ist, 
dass die Alkalität des Harnes bei dem Rhodan¬ 
hund stets grösser war als bei dem Kontrol¬ 
thier. 


*) O. Muck: Ueber das Vorkommen von Rhodan im Nnsen- 
und Conjunctivalsekret. Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 34. — 
Derselbe: Ueber das Auftreten der akuten Jodintoxikation nach 
Jodkaligebrauch ln ihrer Abhängigkeit von dem Rhodangehalt des 
Speichels, des Nasen- und des Conjunctlvalsekrets. Ebenda, No. 50. 

*) J. A. Grober: Ueber den wechselnden Rhodangehalt des 
Speichels und seine Ursachen beim gesunden und kranken 
Menschen. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1901. Bd. 69, p. 243. 

*) M. G. Bruylants: Bull, de l’Aead6mle royale de m6de- 
cine Belgique 1888. Serie IV, t. II, p. 21 u. p. 147. 

“) G. Treupel und A. E d I n g e r: 1. c. 

*) Das Rhodannatrium erwies sich bei der Titration krystall- 
wasserhaltlg und ergab einen thatsächiichen Substanz geh alt von 
69 Proc. 


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24. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1517 


Versuche am Hunde. 

Die Nahrung bestand zunächst aus Milch, Brod und Gemüseabfällen ohne jedwedes Fleisch. Das Verhalten der Harne dor 
beiden Thiere ergibt sich aus folgender Tabelle: 

Tabelle H. 

Venrlfiiehende Tabelle über die Zusammensetzung von Hundebnm, mit nnd ohne Rhodanffltternng. Februar 1901. 
_ Hund braun (Körpergewicht 7,<5 kg) Hund schwarz Körpergewicht 8,7 kg) 


Datum 

Volum, 
ccm 

I S "/o 

S ausSulfat- 
°/o Schwefel¬ 
säure 

S°/o 

aus 

Aether- 

schwefel- 

säure 







g 

g 

17./18. I. 01 

390 

0,0374 — 

— 

0,14586 

7,534 

18./19. I. Ul 

430 

0,0424 — 

— 

0,18232 

6,02 

19./20. I. 01 

250 

0,0416 

— 

0,1040 

3,290 

24 /25. T. 01 

400 

0,0218 - 

— 

0,0872 

2,352 

25./2G. I. 01 

400 

0,0214 

— 

0,0856 

2,240 

26./27. I. 01 

320 

0,0294 — 

— 

0,09408 

2,016 

27./28 I. 01 

290 

0,0398 

— 

0,11512 

2,5984 

28./29. I. 01 

300 

0,0284 — 

— 

0,0s. r 2 

2,394 

brauner 

Kontrolhund 

ohne Rhodan 


. Jan., 1. Febr.01 

365 

0,0222 — 

— 

0,08103 

1,839 

1./2. Febr. 01 

360 

0,0266 — 

— 

0,09576 

2,1168 

2 /3. Febr. 01 

370 

0,0258, — 

— 

0,09546 

2,4864 

3 /4. Febr. 01 

350 

0,0206 — 

— 

0,0721 

1,9110 

5./6. Febr. 01 

295 

0,022 | — | 

— 

0,0649 , 

2,0237 


stark alkalischer Harn, Alkalität, veibraucht: zu 100 ccm Harn 
7,5 ccm */, H s SO, = auf TageamQnge berechnet 22,12 ccm norm II 2 SO, 
Indikan: nicht vermehrt 


6-/7. Febr. 01 

7. /8. Febr. 01 

8. /9. Febr. 01 


390 

:i-5 

3.0 


0,078 
( i.omosi ; 
0.07808 


2,184 

2,150 

1,88 


0,020 — , — 

0,02 «6 — — 

0,0244 0,0224 °/o 0,0020 % 

=0,07168 1 =0,0064 
g pro Tag g pro Tng 

stark alkalischer Harn, Alkalität, verbraucht: zu 100 ccin Harn 
15,0 ccm */, H, 80, = auf Tagesmenge berechnet 49,0 ccm '/, II. SO, 


9./10. Febr. 01 I 300 


0,0246 0,0218 °/ 0 0,0028 u / 0 1 0,o738 . 1,68 
= 0,0654 = 0,0084 I 
g pro Tag g pro Tag | 

stark alkalischer Ham, Alkalität, verbraucht: zu 100 ccm 
11,0 ccm */i Ha SO, = auf Tngesmenge berechnet 33,0 ccm '/i II. SO, 


N 

% 


1,932 

1,40 

1,316 

0,588 

0,56 

0,630 

0,896 

0,798 

0,504 

0,588 

0,672 

0,546 

0,686 


0,56 

0,56 

0,588 


0,56 


Volum 

ccm 


S 

°/o 


s 0 ; 0 

ausSulfat- 

schwefel- 

säure 


8°/o 

aus 

Aether- 

schwefel 

säure 


150 0,0110 - — 

290 0,0396 - — 

250 0,0596 — 

425 j0,0220 

270 0,025 — | — 

375 0,0266 — — 

225 0,0380 — 

359 10,0246 — | — 

schwarzer Hund 
330 0,048s — — 

290 0,03872 — - 

310 0,070 — — 

320 j 0,0294 - 

245 10,05 7 4 — — 


S N 
pro Tag proTag 



g 

0,0'65 
0,11484 
0,1490 
0,0935 
0,0675 
0,09975 
0,0855 
0,0861 

mit Rhodan 
0,16104 | 2,4486 
0,1122 
0,2170 
0,09408 
0,14063 


g 

0,6720 

3,735 

4,900 

2,677 

2,457 

3,255 

2,205 

2.45 


2,3548 

2,5172 

2,24 

2,1609 


0,448 

1,288 

1,96 

0,63 

0,91 

0,868 

0,98 

0,70 

0,742 
0,812 
0.H12 
0,70 | 
0,8821 


Ög 

Q 3 

°5 

V . 
TJ > 
2 be 
a 
«3 

5« 

> 9 


stark alkalischer Harn, verbraucht: zu i(X) ccm Ham 
22,5 ccm norm H* SO, =• auf Tugeamenge 65,12 ccm */i H., SO, 
Indikan: nicht vermehrt 

0,2429 


350 0,0694 
460 0,055 
320 0,0274 


0,0248°/«. 0,0026 °/o 
=0,07936 (=0,00832 
g pro Tag I g pro Tag 
stark alkalischer Harn, Alkalität, verbraucht: zu 100 ccm Harn 
20,0 ccm 7i H 2 SO, = auf Tagesmenge 04,0 ccm V, H 


0,2530 

0,08768 


2,45 

3,1556 

2,24 


0,70 
0,686! 
0,70 


0,08236 12,2736 


SO, 

0,7841 


290 0,0284 0,0250 °/ 0 0,0034 u /o 
= 0,0725 =0,00986 
g pro Tag g pro Tag [ 

stark alkalischer Ifarn, verbraucht: zu 100 ccm Harn 
17,5 ccm '/, H* SO, = auf Tagesmenge 60,76 ccin norm. II S SO, 


Tabelle III. 


Rhodanharn 


Datum 

Volum 

ccm 

Zur Neutra- Auf die 
ÜBation von Tagea- 
100 ccm menge be- 
Hara verbr. rechnete 
ccm Normal ccm Normal 
H, 80, i H* 80, 

Volum 

ccm 

Zur Neutra-i Auf die 
liaation vonl Tagea- 
100 ccm ! menge be 
Harn verbr. rechnete 
ccm Normaliccm Normal 
H„ SO, | H, SO, 

14./15. II 1901 

325 

10 

32,5 

350 

9 

31,5 

15./16. H. 1901 i 

400 

6 

24 

380 

5 

19 

16./17. II. 1901 1 

350 ; 

10 

35 

430 

4 

17,2 

I7./18. H. 1901 

290 

16,6 

48,14 

390 

6 

23,4 

18./19. H. 1901 

370 

18,8 , 

69,56 

4(0 

6.8 

27,2 

19 /2“. ii. 1901 

200 

17 

34 

260 

7 

18,2 


Kontrolharn ohne Rhodan 


Um nun jeden Irrthum ln der Beurtheilung dieses eigenthüm- 
lichen Verhaltens der Harne auszuschllessen, wurden die beiden 
Hunde g«‘wechselt, indem das seitherige Kontrolthier vom 8. III. 
1901 ab täglich 0,5 g Rhodannatrium mit der Nahrung erhielt, 
während es bei dem anderen bisherigen Rhodanbund weggelassen 
wurde (cf. Tabelle IV). 


Tabelle IV. 


Rhodanharn 

|KontroIbarn ohne Rhodan 



Zur Neutra- 

Auf die 


Zur Neutra-! 

Auf die 



liaation von 

Tagea- 


liaation von' 

Tages- 

Datum 

Volum 

100 ccm 

menge be- 

Volum 

100 ccm 

menge be- 

ccm 

Harn verbr. 

rechnete 

ccm 

Harn verbr. 

rechnete 



ccm Normal 

ccm Normal 


ccm Normal ccm Normal 



H, SO, 

H, 80, 


H, 80, 

Hf SO, 

3./4. HI. 1901 

320 

30 

96 

420 

20 

84 

4./5. III. 1901 

420 

26,4 

110,88 

365 

21,2 

77,38 

5./6. III. 1901 

310 

29,6 

91,76 

260 

1,2 

3,12 






Zur Neutra- 

Auf die 






liaation von 

Tage»- 






100 ccm 

menge ver- 






Harn verbr 

brauchte 






ccm Normal 

ccm Normal 






Na OH 

Na OH 

6./7. III. 1901 

380 

38,2 

145,16 

340 

1,2 

4,08 

7./8. III. 1901 

325 

33 

107,25 

305 

1,0 

3,05 


Die Hunde werden vertauscht. 


Harn dea aelthcrigen Kontrolhundea 

Harn d aeith. Rhodanhundes, 

(erhält 0,6 g Rhodannatrium täglich) 

der Jetzt kill Rhodan mehrerh 

8./9 III 1901 

360 i 

20 

72 

255 

1,2 1 

3,06 

9./10. UI. 1901 

; 460 

20 

92 

120 

schwach sauer 

10./11. UI. 1901 

420 

23,2 

97,44 

320 

0.8 

2,56 

11/12. HI. 1901 

| 350 

20 

70 

375 

schwach sauer 


Bei fast ausschliesslicher Fleischkost zeigte 
sich ebenfalls eine konstante Alkalesccnz des 
Harnosbeim Rhodanhund, während der Harn des Kon- 
trolthieres neutral oder schwach sauer reagirte (cf. Tab. V). 


Tabelle V. 


Rhodanharn 

Kontrolharn ohne Rhodan 

Datum 

Volum ccm 

jZur Neutra¬ 
lisation von 
100 ccm 
Harn verbr. 
ccm Normal 
H, SO, 

Auf die 
Tagea- 
menge be¬ 
rechnete 
ccm Normal 
H, SO, 

Aua- 

geschieden 
Rhodan- 
natrinm 
pro Tag 

g Zur Neutrs- 
g liaation von 
100 ccm 

5 Ham verbr 
~ ccm Normal 
> Na OH 

Auf die 
Tages¬ 
menge be¬ 
rechnete 
ccm Normal 
Na OH 

1901 





| 



16./17.III. 

420 

8 

33,6 

0,52 

220 

0,2 

0,44 

17./18. IIIJ400! 

5,2 

20,8 


1301 

neutral 

18./19. HI 210 

12,8 

26,88 

0,367 

280 

1,2 

3,36 


Nach all’ diesen Ergebnissen erschien es uns interessant, 
an einem Hund, dessen Ham von vornherein schwach sauer re- 
ngirte, in fortlaufender Reihe die Reaktion des Harnes festzu¬ 
stellen und die Alkalescenz genau zu bestimmen, bei täglicher 
innerlicher Verabreichung von 0,5 g Rhodannatrium. Es hat 
sich bei diesem Versuch eine fast konstante Steige¬ 
rung der Alkalescenz des Harnes ergeben (cf. Tab. VI). 

(Tabelle siehe nächste Seite.) 

Die Sektion dieses durch Verblutung getödteten Hundes 
ergab einon normalen Befund an den Nieren, dem Nierenbecken, 
den Ureteren und der Blasenschleimhaut. Stückchen der Speichel¬ 
drüsen, ebenso wie solche des Pankreas wurden mit Wasser aus¬ 
gelaugt, mit verdünnter HCl-Lösung versetzt und mit schwacher 
Eisenchloridlösung auf etwaigen Rhodangehalt mit voll¬ 
ständig negativem Resultat untersucht. 

Ebenso konnten wir bei einem mit Rhodannatrium gefütter¬ 
ten Hunde, dessen; Speichel aufgefangen und sofort auf Rhodan 
geprüft wurde, im Speichel kei n Rhodan nachweisen. 

Fassen wir die Resultate der an den Hunden angcstellten 
Versuche nochmals kurz zusammen, so ergab sich zunächst bei 
vorwiegender Pflanzenkost eine stärkere 

> 1 * 


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1518 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 39. 


Tabelle VI. 

Schwarzbrauner Hund, Gewicht 7,9 Kilo erhält vom 11. V. 1901 an 
0,5 g Na SCN täglich 


Datum 

Volum ccm 

Zur Neutra¬ 
lisation von 
100 ccm 
Harn verbr. 
ccm Normal 
II, so 4 

Auf die 
TaKe»- 
.mence be¬ 
rechnete 
ccm Normal 
H, SO, 

Rhodan-Reaktion 

Eiweiss 

1901 






11. 12. V. 

200 

8,8 

17,6 

stark 

nicht vorhanden 

12./13. V. 

160 

9,6 

15,4 

M 

n „ 

13./14. V. 

100 

8,6 

8,6 


,. > 

14./15. V. 

170 

9,6 

16,3 

n 

» n 

15 /16. V. 

ll i0 

16,8 

16,8 

n 


16./17. V. 

230 

9,6 

22 



17./18. V. 

200 

14 

28 


„ r 

18./19. V. 

250 

15,6 

38 


,, n 

19 ,20. V. 

210 

20,8 

43,6 


•* •» 

20 /21. V. 

350 

20,8 

72,8 


1» „ 

21./22. V. 

200 

38,6 

77,2 


» 

22./23. V. 

340 

33,6 

114,2 


yy •» 

23./24. V. 

350 

34 

119 

„ 

•> » 

24./25. V. 

310 

40 

124 


n » 

25 /26. V. 

270 

50,4 

136 

fy 


26./27. V. 

350 

50 

175 

n 


27./2S. V. 

260 

50,4 

131 


,, „ 

28 /29. V. 

200 

58,4 

116,8 


M >♦ 

29./30. V. 

250 

54 

135 


«> »» 

30./31. V. 

160 

70 

112 


„ ,, 

31.V./1.Y1. 180 

106 

190,8 


•> „ 

1./2. VI. 

185 

158 

292 


»1 „ 

2 /3 VI. 

280 

112 

313 


- „ 

3/4. VI. 

220 

106 

233 


•» »» 

4 /5. VI. 

260 

72 

187 


„ „ 

5./0. VI. 

350 

40 

140 

0,210NaSCN pro Tag 

„ „ 

6-/7. VI. 

300 

92 

276 

0,24 

yy f» 

7./8. VI. 

360 

60 

216 

0,216 „ 

yy > 

8. 9. VI 

300 

66 

198 

0,180 „ 

n n 

9./10 VI. 240 

123 

295 

0,192 „ 

vorhanden 


II 

it. kein Na SCN bekommen (10. VI. 01) 


10./U. VI 

160 

70 

112 

0,192NaSCN pro Tag 

Spuren *) 

11/12. VI. 

270 

21 

K 56,7 

staik 

nicht vorhanden 

12./13. VI '280 

27« 

75,6 


n „ 

13 /14. VI. 1150 

49 

73,5 

„ 

„ „ 


Alkalescenz des Harnes bei dem mit Rhodan¬ 
natrium gefütterten Thiere; auch bei gemisch¬ 
ter und endlich bei vorwiegender Fleischkost 
blieb der Harn des Rhoda n h und es mehr alka¬ 
lisch, bezw. weniger stark sauer als der des Kontrol- 
thieres. 

Es war uns von vornherein nicht zweifelhaft, dass die bis¬ 
weilen beobachtete ausserordentlich hohe Alkalescenz 
des Rhodanharnes zum Theil dadurch bedingt sein möchte, dass 
der bei frischer Entleerung neutrale oder alkalische Rhodanharn 
eine raschere und intensivere ammoniakalische Gührung einginge 
als der Kontrolharn. Und in der Thal haben einige G ä h r u n g s- 
versuche mit Harn uns gezeigt, dass ein mit Rhodan¬ 
natrium versetzter Harn bei künstlich erzeugter Gührung (durch 
Impfung mit faulendem Harn) in «1er gleichen Zeit eine stärkere 
Alkalescenz liefert als ein Kontrolharn. 

Gährangs versuche mit Ham. 

I. Versuch. 

17. VII. 01. 2 Hamproben. No. I und II. deren Acidität pro 
100 ccm Harn = 2,7 ccm Normal-Natronlauge, wurden mit faulen¬ 
dem Harn geimpft und No. II ausserdem mit 0,1 Na SCN (pro 
50 ccm) versetzt. 

23. VII. 01. Die Titration der beiden Proben ergab: 

I. 100 cem — 3 ccm Normal-Schwefelsäure, II. 100 ccm — 7 ccm 
Norinal-Schwefelsäure. 

II. Versuch. 

23. VII. 01. 2 Harnproben, Je 50 ccm. deren Acidität pro 
100 ccm Harn — 2,0 ccm Normal-Natronlauge, wurden mit faulen¬ 
dem Harn geimpft und II ausserdem mit 0,1 Na SCN versetzt. 

26. VII. 01. Die Titration der beiden Proben ergab: 

1.100 ccm = 11,5 ccm Norinal-Schwefelsäure, II. 100 cem = 26,5 ccm 
Normal-Schwefelsäure. 

Die Bestimmung der Kohlensäure, welche durch Einleiten der 
mit II. SO, beim Erhitzen auftretendeu Gase in titrirtes Bar.vt- 
wnsser und Bestimmung des nicht, als BaCO, gefällten Hai OH)* 
mit Normal-Schwefelsäure ausgefiihrt wurde, ergab: I. 100 cem 
= 0,121 CO,, II. 100 ccm = 0,198 CO,. 


*) Beim Kochen und nachfolgendem Zusatz von HNO.,, sowie 
hei der P'errocynnkalium-Esslgsäure-Probe ergaben sich Trübungen; 
ob sie von Eiweiss her rührten, erscheint fraglich (cf. Sektions¬ 
befund). 


So eindeutig die bisher berichteten Versuche an Hunden zu 
sein scheinen, so möchten wir zunächst doch die hier erhaltenen 
Resultate nicht verallgemeinern. Wir haben zwar durch Wechseln 
der Hunde, durch Wechseln der Käfige — falls man etwa an 
eine nachträgliche Verunreinigung der Harne denken wollte —, 
durch möglichst frische Untersuchung der Harne nach Möglich¬ 
keit alle Irrthümcr auszuschliessen versucht. Wir haben aber 
andererseits bei zahlreichen Versuchen an den verschiedensten 
Hunden bisweilen, ohne für uns bis jetzt erkennbaren Grund, 
wechselnde Resultate erhalten, so zwar, dass während der Rhodan- 
darreiehung der Harn schwach alkalisch, amphoter, neutral oder 
auch schwachsnuerreagirte. 

Nachdem durch die Thierversuche und entsprechenden Kon- 
trolversuche fest gestellt war, dass Rhodannatrium in Dosen von 
0,5—1,0 g, innerlich gereicht, von Hunden wochenlang ohne sicht¬ 
liche Schädigung des Allgemeinbefindens genommen werden 
konnte, der Stoffwechsel aber in einer bestimmten Richtung ge¬ 
ändert zu werden schien, hielten wir uns für berechtigt, einige 
Versuche am Menschen anzustellen. 

Vers u che am Menschen. 

Wir haben bis jetzt 0 Patienten das Rhodannatrium in wäss¬ 
riger Lösung innerlich in Dosen von 0,1—0,5 g pro die gegeben. 
Von diesen 6 Patienten litt einer an linksseitiger Otitis media 
chronica, einer an chronischen Magendarmbeschwerden, einer an 
Kehlkopf- und Luftröhrenkatarrh, einer an Anaemie und Nephri¬ 
tis und 2 an Tuberculosis pulmonum. Erhöhte Körpertempera¬ 
turen oder Fieber, die Athmung, der Blutdruck wurden durch 
das Rhodanimtrinm in den erwähnten Dosen nicht in bemerkons- 
werther Weise beeinflusst. Das Allgemeinbefinden, der Appetit, 
der Stuhlgang blieben ebenfalls vollkommen ungestört. Eiweiss 
trat im Harn während der Versuche nicht auf: in den 2 Fällen, 
in denen cs von vorneherein vorhanden war, wurde es nicht ver¬ 
mehrt. Zweimal wurde von demselben Patienten unmittelbar 
nach der Einnahme von 0,5 g Rhodaunatriuin über „Brennen ini 
Leib“ und Aufstossen geklagt: indessen gingen diese Beschwerden 
im Verlauf einer Viertelstunde vollkommen zurück und hinter- 
liessen kein sichtbares Zeichen irgendwelcher Störung. Die in 
Wasser gelöste Substanz wurde jeweils in einer Tasse Milch gern 
genommen und zwar bis zu 14 Tagen hintereinander (Dosis 
0,25 g). Von einer Einwirkung auf den tuberkulösen Process war 
natürlich in der kurzen Zeit der Anwendung (12—14 Tage) nichts 
zu bemerken, es hat das Rhodannatrium den Patienten aber sicher 
auch nicht geschadet. 

Was nun die nach den Ergebnissen der Thierversuche zu er¬ 
wartenden Veränderungen des Stoffwechsels be¬ 
trifft, so kam es uns zunächst vor Allem darauf an. ob eine deut¬ 
liche Aenderung in der Reaktion des Harns zu erkennen sei. Bei 
den verhältnissmiissig sehr geringen Dosen (gegenüber dem Thier¬ 
versuch) war allerdings von vornherein anzunehmen, dass hier 
der Ausschlag kein so erheblicher sein möchte. Thatsäcblich hat 
sieli denn auch keine wirklich auffallende Schwan¬ 
kung in der Reaktion des Harns ergeben. Denn wenn es auch in 
den gleich anzuführenden Versuch Protokollen bisweilen den An¬ 
schein hat, als sei unter dem Einfluss des Rhodan¬ 
natriums die Acidität dos Harnes abgestumpft, 
oder ein vorher saurer Harn bis zur Neutrali¬ 
tät oder gar schwach alkalischer Reaktion ge¬ 
hr a c h t w o r d e n, so möchten wir uns doch, ehe genauere Ein- 
zelbestimmungen des Harnstoffs, der Harnsäure, der Phosphor¬ 
säure und ihres Verhältnisses zu einander in solchen Harnen vor¬ 
liegen, in der Deutung dieses Verhaltens grosse Reserve nuf- 
erlegen. naben uns doch speeiell darauf gerichtete Unter¬ 
suchungen am Menschenham gezeigt, dass die Reaktion des nor¬ 
malen Harns erheblichen Schwankungen innerhalb 24 Stunden 
unterliegt. 

Dagegen hat sich uns hei den Versuchen am Menschen im 
Verhalten des Speichels eine recht bemerkenswerthe 
Thntsaehe ergeben. Während nämlich die Rhodanreak¬ 
tion im Harn meist nach wenigen Tagen, nachdem das Rhodan¬ 
natrium ausgesetzt war, vollkommen verschwand, blieb sie i m 
Speichel noch längere Zeit (bis zu 14 Tagen) nach 
dem Aussetzen des Mittels deutlich nachweis¬ 
bar. Bei den Patienten, die vor der Darreichung des Rhodan¬ 
natriums keine Rhodanreaktion im Speichel hatten, konnte 


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24. September 1901. 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1519 


schon nach Verlauf der ersten beiden Stunden nach Eingabe des 
Mittels Rhodan im Speichel eben nachgewiesen werden. Die Rho¬ 
danreaktion wurde dann während der täglichen Rhodanverab¬ 
reichung im Speichel sehr stark und nahm nach Aussetzen des 
Rhodannatriums nur ganz allmählich ab, bis sie nach 14 bis 
15 Tagen verschwand. Ob durch die Rhodanverabreichung eine 
stärkere Rhodanbildung im Körper angeregt wird, oder ob das 
verabreichte Rhodan beim Menschen vor Allem in den Speichel¬ 
drüsen aufgespeichert, oder wenn nicht aufgespeichert, so doch 
ausgeschieden wird, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Nach 
den Erfahrungen, die man mit Jod bei der Schilddrüse gemacht 
hat, könnte man vielleicht an die letztere Annahme denken. 

Wir führen im Folgenden nur 3 Versuclisprotokolle an, die 
das Gesagte illustriren mögen. 


V ersuchsprotokolle. 


I. Patient G. (Abgelaufene II. Patient M. (Mngen-Darm- 

Angina; linksseitige Otitis media beachwerden ohne Fieber), 
chronica). 


Beide Patienten erhielten während der Versuchszeit quan¬ 
titativ und qualitativ jeweils die gleiche gemischte Kost und 
wurden auch sonst unter möglichst gleichen Bedingungen gehalten. 
Die Harne reagirten seither sauer, waren frei von Eiweiss und 
Zucker. Nachdem die Patienten zunächst täglich 0,1 g Iibodan- 
natrlum bekommen hatten, nahmen sie vom 21. III. 01 ab täg¬ 


lich 0,2 g Rhodannatriu 
1 Tasse Milch. 

21.111. Ul. 24stündiger Harn 
zum erstenmal schwach alkalisch ; 
Rhodaureaktion zweifelhaft 

22. III. 01. 24stündiger Harn 
schwach alkalisch; Rhodanreak¬ 
tion angedeutet. 

23. III 01. 248 t findiger 
Harn alkalisch; frisch ge¬ 
lassen: neutral; Rhodan¬ 
reaktion schwach positiv. 

Allgemeinbefinden ungestört. 
Körpertemperatur, Athmung, 
Blutdruck ohne Besonderheit. 


(in Wasser gelöst) auf 

21. III. 01. 24stündiger Harn 
sauer; keine Rhodanreaktion. 

22. Hl. 01. 24stfindiger Harn 
sauer; Rhodanreaktion zweifel¬ 
haft. 

23. HI. 01 24stündiger 
Harn schwach alkalisch; 
frisch gelassen: alkalisch; 
Rhodunreaktion schwach posit v. 

Allgemeinbefinden ungestört. 
Körpertemperatur, Athmung, 
Blutdruck ohne Besonderheit. 


24.111.01. Harn amphoter, frei 
v. Eiweiss; Rhodonreakt. positiv. 
25. III. 01. Dasselbe. 

Vom 26. III. 01 ab er ha 
0,5 g Rhodannatrium pro 
Patient G. 

27. III. 01. Harn (frisch ge¬ 
lassen) neutral, frei von Eiweiss. 
Rhodanreaktion positiv. 

29. III. 01. 1 24stüiuliger Harn 

30. IU. 01. j schwach alkal. 
Harn (frisch gelassen) 

klar, schwach alkalisch. 

1. IV 01. 24st findiger Harn 
trüb, alkalisch; frisch gelas¬ 
sener Harn klar, alkalisch. 
Kiweissfrei: Rhodanreaktion sehr 
deutlich positiv. 

Allgemeinbefinden ungestört. 
Körpertemperatur, Allmiung. 
Blutdruck ohne Besonderheit. 

2. IV. 01. 24stfindiger Harn 
trüb, alkalisch: frisch gelas- 
senerHarn klar, alkalisch. 
Rhodanreaktion stark positiv. 
Im Speichel ebenfalls starke 
Rhodaureaktion. 


24.IH.01. Harn amphoter, frei 
v. Eiweiss; Rhodanreakt. positiv. 
25. III 01. Dasselbe, 
lten beide Patienten je 
d 1 e. 

Patient M. 

27. III. 01. Harn (frisch ge¬ 
lassen) schwach sauer; frei von 
Eiweiss. Rhodanreaktion positiv. 

29. III. 01. | 24stündiger Harn 

30. IH. 01. j schwach alkal. 
Harn (frisch gelassen) 

klar, ganz schwach sauer. 

1. IV. 01. 24stündiger Harn 
trüb, alkalisch; frisch gelas¬ 
sener Harn klar, neutral. 
Eiweissfrei; Rhodanreaktion sehr 
deutlich positiv. 

Allgemeinbefinden ungestört. 
Körpertemperatur, Athmung, 
Blutdruck ohne Besonderheit 
Wird am 2. IV. 01 gebessert 
entlassen. 


3 —8. IV. 01.: Harn (24 stfind u. frisch gel.) schwach sauer; 
Rhodanreaktion weniger deutlich als seither. 

Patient erhält heute zum letztenmal die Substanz, 
da er in einigen Tagen entlassen werden soll. 

Vom 9. IV. bis 17. IV. 01 fand sich bei täglicher Prüfung der 
Harn schwach Hauer; die Rhodanreaktion nahm im Harn 
allmählich ab, blieb aber im Speichel immer seh^deut¬ 
lich. Am 17 IV 01 wurde Patient entlassen 

III. Patient F. (Phthlsls pulmonum (ohne Tuberkelbacllleu 
Im Auswurf); Auaemie; Leber-, Milz-, Nleren-Amyloid [?]). 

Patient hat zeitweise erhöhte Temperaturen und wechselnde 
Mengen Eiweiss lm Harn. Er erhält während der ganzen Dauer 
des Versuchs gemischte Kost (Milch, Fleisch, Gemüse und 
Mehlspeisen). Das Verhalten des Hnrns, des Spei¬ 
chels vor, während und nach der Rhodannatrium 
Darrei chu ng ergibt sich aus folgender Tabelle: 


Tabelle VII. Untersuchungen des Harns und Speichels 


Datum 

Mai 

Tageszeit 

Harn 

Acid in ccm ... , Bemerk- 

Norm. Na OH °'* in ungen 

Speichel 

Rhodan¬ 

gehalt 

Datum 

Juni 

Tageszeit 

II ar 

Acid in ccm 
Norm. Na OH 

n 

Rhodan 

Bemerk¬ 

ungen 

Speichel 

Rhodan¬ 

gehalt 

28. 

Morgens 

100 ccm = 2,0 

0 

0 

14. 

Mittags 

100 ccm = 2,2 

+ 


Rh -f 


Mittags 

100 „ =1,8 

0 1 

0 


Abends 

100 „ = 1.2 

+ 



„ 

Abends 

100 „ =1,5 

0 

0 

15. 

Morgens 

1D0 „ =2,1 

-F 

Allgerneinüefln- 

„ 

29. 

Morgens 

100 „ =1,9 

0 

0 


Vom 16. VI. C 

1 an kein NaSCN mehr 



„ 

Mittags 

100 „ =3,0 

0 

0 

16. 

Abends 

100 ccm = 1,1 

- 

- 




Abends 

100 „ =3,3 

0 

0 

17 

Morgens 

100 „ =2,4 

- 

r 



30. 

Morgens 

100 „ =1,9 

0 

0 

„ 

Mittags 

100 „ =2,7 

- 

- 


„ 

„ 

Mittags 

100 „ =16 

0 

0 


Abends 

100 „ =1,4 

- 

r 



„ 

Abends 

100 „ =1,5 

0 

0 

18 

Morgens 

100 „ =2,0 

- 

- 



31. 

Morgens 

100 „ =0,7 

0 

0 

„ 

Mittags 

ICO „ =2,3 

ithr • 

hnaeb 


„ 

„ 

Mittags 

100 „ =1,3 

0 

0 


Abends 

100 „=(0,5) 

0 



„ 

Abends 

100 „ =2,7 

0 

0 

19. 

Morgens 

100 „ =2,0 

0 



Juni 





1 

„ 

Mittags 

100 „ =2,2 

0 


„ 

1. 

Morgens 

100 „ =1,6 

0 

0 

„ 

Abends 

(Amphot ) 

0 


„ 

„ 

Mittags 

100 „ =1,2 

0 

u 

20. 

Morgens 

100 ccm = 1,5 

0 

,, 

Vom 4. VI. 01 Morg. lO'/a Uhr an 

0,25 

NaSCN (69°/ 0 ) tägl. 

unll'/aWlirhr. 

Seit dem 19. VI. (also 4 Tage nach dem Aussetzen des Mittels) 

4. 

Morgenharn 1 100 ccm = 1,2 

0 

Rh + 


ist die Rhodanreaktion im Harn v 

ersehwunden. 



Mittags 

100 „ =1,5 

0 1 

n 

20. 

Mittagsharn 

100 ccm = 1,5 

0 


Rh + 


Abends 

100 „ =3,2 

0 1 



Abendharn 

100 „=liphoi. 

0 



5. 

Morgens 

00 „ =1,4 

o | 


21. 

Morgenharn 

100 „ =1,0 

0 


»1 

„ 

Mittags 

100 „ =1,3 

0 



Mittagsharn 

100 „ =0,8 

0 


»1 


Abends 

100 „ =1,7 

0 



Abendharn 

100 „ =1,4 

0 

Alcalescenz 

„ 

6. 

Morgens 

100 „ =2,3 

0 1 


22. 

Morgenharn 

WO „ =0,3 

0 


II 

., 

Abends 

100 „ =1,6 

0 



Mittjigsharn 

100 „ =1,5 

0 



7. 

Morgens 

100 „ =1,4 

o 1 

„ 

23. 

Abendharn 

10(1 „ =1,0 

0 

Alcalescenz 


n 

Mittags 

100 „ =1,5 

0 1 


24. 

Morgen harn 

100 „ =2,0 

0 


»» 


Abends 

100 „ =2,0 

0 


,, 

Mittags harn 

100 „ =1,1 

0 



8. 

Morgens 

100 „ =2,2 

0 I 

n 


Abendharn 

100 „ =1,3 

0 



„ 

Mittags 

100 „ =1,8 

0 

M 

25. 

Morgen harn 

K0 „ =0,7 

0 



10. 

Morgen harn 

100 ,,=iBpho'. 

+ 1 



Mittagsharn 

100 „ =2,0 

0 


„ 

„ 

Mittagsharn 

100 „ =2,2 

- 


„ 


Abendbarn 

100 „ =1,2 

0 




Abendharn 

100 „ =1,1 

- 

' 


! 26. 

Morgenharn 

100 „ =2,0 

0 



11. 

Morgenharn 

100 „ =3,0 

- 

Fieber 

„ 

1 >t 

Mittagsharn 

nicht vorhanden 

0 


„ 


Mittags 

100 „ =2.1 

- 

- 

. 

| „ 

Abendharn 

100 ccm = 3,0 

0 


n 

Abends 

100 „ =2,4 

• 

, 

,, 

I 27 

Morgenharn 

100 „ =2,0 

0 


„ 

12. 

Morgens 

100 „ =2,0 

- 

- ■ 


' ,, 

Mittagsharn 

100 „ =0,8 

0 




Mittags 

100 „ =1,2 

- 

- 


1 

Abendharn 

100 „ =2,4 

O 


V 

Abends 

HK) „=(0,7) 

- 



| 28 

Morgenharn 100 ,, = 1,2 

0 


„ 

13. 

Morgens 

100 „ =5,0 

- 

| Diazore iktion 


1 

Mittagsharn 

100 „ =1,2 

0 


„ 

„ 

Mittags 

100 „ =2,8i - 

- 



Abendharn 

K 0 „ = 2,0 

(> 


„ 

„ 

Abends 

100 „ =1,6 

- 

- 


; 29 . 

Morgenham 100 „ = 0,9 

0 



14. 

Morgens 

100 „ =2,0 

H 

I 


| 30. Rhoda» verschwindet im Speichel (alsolbTagenach i!einAuss*-t/.en d Mittels) 


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1520 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39. 


Beim Vergleich der einzelnen Aciditätswerthe des Harns 
vor, während und nach der Rhodandarreichung ergibt sich 
keine so erhebliche Differenz, als mau vielleicht hätte erwarten 
dürfen. Immerhin ist eine geringe Herabsetzung der 
Acidität des Harns während und nach der Rho¬ 
dandarreichung zu erkennen. Denn es betrug i m 
Mittel: 


die Acidität des Harns vor der Rhodan-Darreichung: 1,9 °,° 
» » » während „ „ : 1,7 °/„ 

v r> n n nach „ „ „ :l,6/o 

Bei dem Patienten, der vor der Rhodandar¬ 
reichung kein Rhodan im Speichel und Harn hatte, trat 
im Speichel bereits 1 Stunde nach der Eingabe 
das Rhodan auf; im Harn dagegen erst nach einigen 
Tagen. Nach Aussetzen des Mittels verschwand 
die Rhoda nroaktiou zuerst wiederum im Harn, 
und zwar am 4.Tage, iin Speichel erst am 15.Tage 
und sie ist auch seither nicht mehr aufgetreten. 


Aus der If. medicinisehen Klinik des Herrn Prof. v. Bauer 

in München. 

Ueber ausgedehnte confluirende Capillarhaemorrhagien 
in Pons, Medulla oblongata und im Grosshirn. 
(Obductionsbefund bei Tod im Status epileplicus.) 

Von Dr. Theodor Struppler, Assistenzarzt. 

Capillurblutungen im Gehirn können auftreten bei allen 
Infektions-, Blutkrankheiten, kachektischen Zuständen, Vergif¬ 
tungen (Eichhorst*), Ziegler**), bei Schädeltraumen, 
in der Umgebung entzündlicher Herde, bei starker lokaler 
Stauung durch Druck von Tumoren oder grossen Blut¬ 
ergüssen, durch Verstopfung grösserer Arterien (Throm¬ 
bose und Embolie), durch Störung des venösen Abflusses 
bei Sinusthrombose, Eklampsie, beim Status epilepticus. 
S c h in o r 1') fand, dass von 65 Fällen von Eklampsie, bei 48 ini 
Gehirn Veränderungen: kleine punktförmige Blutungen, meist 
kleine Thromben sich zeigten, ln den meisten Fällen von Tod 
nach schweren epileptischen Attacken finden sich, wie Weber 2 ) 
an den von ihm untersuchten Fällen beweisen konnte, in der 
Hirnrinde und Medulla oblongata neben frischen Gefiisserkran- 
kungen Blutextravasate mit theilweiser Zerstörung der benach¬ 
barten nervösen Elemente. Diese Veränderungen sind, falls sie 
in der Medulla oblongata liegen, in vielen Fällen die direkte 
Todesursache, in anderen Fällen verursachen sie, je nach ihrer 
Lage zu den betreffenden nervösen Elementen, Circulations- 
störungen und Blutungen in den grossen Körperorganen, schädi¬ 
gen den Respirationsapparat, machen transitorische Paresen der 
Extremitäten und psychische Störungen (cf. auch Bins- 
wanger), Kazowsky *). 

Bei den capillaren Blutungen handelt es sich fast immer um 
Diapedesisblutungen, nicht um Rupturen der Gefässwände; nur 
in einem kleineren Theil der Fälle sollen Verfettung und Brüchig¬ 
keit der Arterien die primäre Ursache für die punktförmigen 
Hirnblutungen sein (v. Monakow 5 ). 

Während die grösseren, sogen. Massenblutungen in erster 
Linie den Streifenhügel, Linsenkern, die innere Kapsel und den 
Sehhügel der einen Seite befallen, sehen wir die capillären Blu¬ 
tungen am häufigsten in der Hirnrinde, nicht so selten gleich¬ 
zeitig in der rechten und linken Hemisphäre an ganz homo¬ 
logen Stellen auftreten; sie machen aber, wenn sie vereinzelt 

•) Elchhorst: Handbuch der Pathologie und Therapie. 
Wien 18i>6. 

**) Ziegler: Lehrb. der allg. Pathol. u. pathol. Anatomie. 
Jena 1898. 

') Schmorl: Ueber anatomische Untersuchungen bei 
puerperaler Eklampsie. IX. Kongress der Deutsch. Geseilsch. f. 
Gynäkol. Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 23, pag. 943. 

*) Weber: Obduktionsbefund beim Tod im Status epilepti¬ 
cus. Neurol. Centralbl. 1898, Bd. XVII, pag. 1063. 

') Binswanger: Die Epilepsie. Bd. XII der Spec. Path. 
u. Therap. von Nothnagel. Wien 1899. 

t) Kazowsky: Zur Kenntniss der anatomischen Verände¬ 
rungen des Status epilepticus. Centralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. 
Anatomie 1897, Bd. VIII, No. 1 und Neurolog. Centralbl. 1897, 
Bd. XVI, pag. 744. 

*)v. Monakow: Gehlrupathologie. Bd. IX der Spec. 
Pathol. u. Therap. von Nothnagel. Wien 1897. 


sind, meist keine besonderen Symptome. Doch kann es in 
A u s n a h m e f ä 11 e n auch Vorkommen, dass die 
punktförmigen H a e m o r r h a g i e n so multipel 
nebeneinander liegen und zum Theil con- 
fluiren, dass sie in Ausdehnung und Wirkung 
die Erscheinungen eines grösseren Blut¬ 
ergusses, wie bei S p o n t a n r u p t u r, hervorrufeu. 
In ganz exquisitem Grade war das klinisch und anatomisch 
in der folgenden Beobachtung, die makroskopisch anatomisch 
einige differentialdiagnostische Schwierigkeiten und auch in 
verschiedener anderer Beziehung beachtenswerthe Merkwürdig¬ 
keiten geboten hat, zu konstatiren. 

Krankheitsgeschichte. 

Ad. St., 19 Jahre, Tapezierermeisterssohn (Krankenhauptbuch 
No. 7418) wurde am 12. September 1900 gegen Mittag auf der 
II. medic. Abtheilung in bewusstlosem Zustande aufgeuommeu. 

Anamnese nach Angabe des Vaters: Pat litt schon in 
früher Kindheit an Zahnkrämpfen, dann an allgemeinen Krampf¬ 
anfällen, die manchmal mit einem Schrei begannen, worauf Pat. 
bewusstlos wurde und Schaum vor den Mund trat. Die mit diesen 
Konvulsionen einsetzende Bewusstlosigkeit habe fast stets y a bis 
1 Stunde lang angehalten. Pat. ist ln körperlicher und geistiger 
Beziehung sehr zurückgeblieben, sei seit dem 10. Lebensjahre in 
seinem Charakter etwas bösartig geworden und desshalb mehrere 
Jahre lang in einer Anstalt für Epileptische aufgenommeu ge¬ 
wesen. Der heutige Anfall begann mitten im besten Wohlbefinden 
in der Frühe um >/ 2 7 Uhr ohne besondere Prodrome mit Schrei, 
heftigen allgemeinen Krämpfen und Bewusstlosigkeit, welch' 
letztere mit kurzen Unterbrechungen jetzt noch anhält. Vor 
4 Monaten habe er einen ähnlichen, schweren .Anfall ge¬ 
habt; damals sei er 6 Tage lang bewusstlos gewesen. Lähmungen 
seien im Anschluss daran und auch sonst niemals vorhanden ge¬ 
wesen. 

Als Kind habe er Diphtherie, Scharlach, Masern und Lungen¬ 
entzündung durchgemacht. 

Mutter gestorben an Lungenentzündung. Ein Grossonkel 
mütterlicherseits habe auch an schwerer Epilepsie und ein Vetter 
des Pat. lange Jahre an Veitstanz gelitten. 

Status praesens: Untersuchung der Inneren Organe 
wegen des bewusstlosen Zustandes sehr erschwert Keine Zwangs¬ 
stellung. Kolorit blass, Augen halb geschlossen, Lippen borkig 
belegt, unterhalb des linken Tuber front, eine schräg verlaufende, 
ca. 3 cm lange, glatt verheilte, am Knochen nicht adhaerente 
Narbe. Oberhalb des rechten Auges noch 2 kleinere, weissllche, 
gut verschiebliche Narben. Haut heiss und feucht. Kopf nicht 
in die Kissen gebohrt. An den Ohren äusserlich und auch am 
Trommelfell nichts Pathologisches sichtbar. Warzenfortsätze nicht 
druckempfindlich. Hinterhauptsschuppe etwas vorspringend. An¬ 
scheinend keine Druckerapflndlichkeit des Schädels. Nirgends 
Sugillationen. An der Wirbelsäule keine Deviation. Nacken¬ 
steifigkeit und Druckemptindlichkelt der Processus spin. der Hals¬ 
wirbelsäule fehlen. Zeitweise leichtes Schäumen vor dem Munde. 
Pat. lässt den Urin unter sich gehen. Respiration stöhnend, bald 
beschleunigt, bald verlangsamt und erschwert. Bei der Athmung 
wird hauptsächlich der 5. und 6. Intereostalraum eingezogen. 

Thorax: Lungengrenzen schwer verschieblich, beiderseits 
gleich, in der Höhe des 10. Br.-W. Schall links v. o. etwas tym- 
panlti8ch, sonst überall sonor. Athmungsgeräusch vesiculär. 
Kein Husten. Kein Auswurf. 

Cor: Spitzenstoss im 5. Intercostalraum in der Mammillar- 
linie, sehr verbreitert fühlbar. Figur nach rechts und oben etwas 
überlagert Herzaktion sehr erregt 2. Ton an der Spitze accentuirt; 
an der Pulmonalis ein leises systolisches Geräusch. Aorten- und 
Tricuspidaltöne rein. 

Puls: Regel mässig, mittelvoll, beschleunigt Blutdruck 
90—100 nach Basch. 

Abdomen: Eingezogeu, nirgends gedämpft. Leber, Milz 
normal. Blase leer. 

Nervensystem: Pupillen eng, reagiren sehr träge auf 
Lichteinfall und consensuell; auf Accommodation und Bulbus¬ 
bewegungen kann nicht geprüft werden. Trismus. Zeitweise tritt 
tonischer Krampf im linken Muse, orbicul. oculi auf. Anscheinend 
keine Facialisparese. Die übrigen Gehlmnerven können nicht ge¬ 
prüft werden. Von Zeit zu Zeit werden die Arme in tonischem 
Krampf gegen den Thorax gezogen. Diese Spasmen lassen sich 
mit aller Anstrengung kaum merklich lösen. Keine allgemeinen 
Epilepsien (cf. auch Nothnagel, Luce'), Cohn'). Bei einer 
circa 15 Minuten später vorgenommenen Untersuchung sinken die 
Arme nach dem Emporheben schlaff herab, wobei Jedoch ein 
leichter Tonus der Flektoren des rechten Armes weiter besteht. 
Ebenso schlaffe Lähmung der unteren Extremitäten. Priapismus. 
Patellarsehnenreflexe links bei der ersten Untersuchung sehr ge¬ 
steigert, bei einer Nachuntersuchung nur fast unmerklich ge¬ 
steigert. Kein Fussklonus. Bauchdeckenreflex völlig fehlend. 
Bei Prüfung auf Schmerzempflndung ganz geringe Abwehr¬ 
bewegungen im linken Arm, sonst Analgesie am ganzen Körper. 


') Luce: Zum Kapitel der Ponshaemorrhagien. Deutsch. 
Zeitsehr. f. Nervenheilk. XV, 5 u. 6. 

’) Cohn: Ueber Ponsblutungen. Arch. f. Psychiatrie 
34. Bd., 2. 


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24. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1521 


Leichte fibrilläre Zuckungen der Wadenmuskulatur. Keine 
Stauungspapille. 

Aus dem Verlaufe: Temperaturen am 12. zwischen 
37,2 und 37,7. Puls 104, Respiration 36. Urin: sauer; spec. Ge¬ 
wicht 1025. Zucker negativ, Elnweiss 0,5 Prom. Esbach.; enthält 
mikroskopisch Epithel- und Körnchencylinder in mässig reich¬ 
licher Menge, ebenso Epithelien und Leukocyten, Harnsäure in 
Kugelform. Wiederholt Schäumen aus dem Munde. Aenderung 
des Athmungstypus und exspiratorisches Stöhnen. Am 13. IX. 
Temperaturen zwischen 37,0 und 37,6. Puls 140; Respiration 36 
bis 40. Andauerndes Koma, zeitweise unterbrochen von kurz¬ 
dauernden Krämpfen, besonders der Arm- und Athem- 
muskeln. Pupillen kaum reagirend, eng. Die hohen Reflexe 
vollkommen aufgehoben, die tiefen noch erhalten. Blässe des 
Gesichtes abwechselnd mit Cyanose. Blutdruck auf 125 gestiegen 
(Base h). Gegen Abend Puls dicrot. Herzaktion jagend. Wieder¬ 
holt Konvulsionen. Extremitäten sämmtlich gelähmt. Urin 
zuckerfrei. Elwelss wie oben. Am 14. IX. in der Frühe unter 
dem Bilde der Respirationslähmung Exitus letalis. 

Epikrise: Uraemie, welche differentialdiagnostisch in 
Betracht zu ziehen war, konnte sicher ausgeschlossen werden, 
in erster Linie auf Grund der sehr genau gegebenen Anamnese 
durch den Vater des Patienten (jahrelanges Vorhandensein der 
Epilepsie u. a.), auch waren Eiweissausscheidung und Blutdruck 
geringer, speeifisches Gewicht des Urins höher, als es im All¬ 
gemeinen bei Uraemie zu sein pflegt. Dagegen konnte man nach 
den greifbaren Veränderungen am Centralnervensystem die 
Lokalisation der Laesion bestimmen. Klinische Diagnose: Sta¬ 
tus epilepticus, Ponshaemorrhagie, Nephritis parenchymatosa. 

Der in Hinsicht auf die klinischen Erscheinungen ver- 
muthete Herd in der Brücke und Medulla oblongata ergab sich 
auch hei der Sektion. Als selton musste nun der da¬ 
bei gemachte Befund betrachtet werden, näm¬ 
lich der, dass es sich nicht um einen grösseren 
Bluterguss mit Zerstörung von Gehirnmasse, 
um eine Apoplexie handelte, sondern um 
massenhaft kleinste und kleinere punkt¬ 
förmige bis stecknadelkopfgrosse, Blutaus¬ 
tritte, jedenfalls ohne Ruptur der Gefässe 
(cf. auch mikroskopische Untersuchung), welche fast den 
ganzen Querschnitt von Pons und Medulla 
oblongata einnahmen und welche vielfach 
confluirten. 

Aus dem Sektlonsergebniss (Prof. Schmaus): 
Organe der Circulatlon und des Verdauungsapparates ohne 
nennenswerthe, gröbere pathologische Vei .Änderungen. Mässlgos 
Oedem beider Lungenabschnitte. Harnapparat: beide Nieren 
etwas verkleinert mit geringer Fettkapse!. 1. lebt abziehbarer 
fibröser Kapsel. Oberfläche braunroth, glatt, glänzend, mit ge¬ 
ringer Gefässfüllung; auf der Schnittfläche M irk und Rinde von 
gleicher Farbe; in der Rinde zahlreiche, kaum abgrenzbare, 
graue Flecken von kaum miliarer Grösse. Das Gewebe zwischen 
denselben spärlich und etwas dunkler. Zahlreiche Glomeruli als 
graue Punkte promlnlrend. Nierenbecken und Hiius ohne Be¬ 
sonderheiten. 

Nervensystem: Am Schädeldachs nichts Besonderes. 
Dura an der Aussen- und Innenfläche glatt; an der Hirnoberfläche 
die Venen stark gefüllt; Meningen durchsichtig. An den Win¬ 
dungen und der Basis nichts Besonderes, die Gefässe der Letzteren 
nirgends verdickt. Linkerseits findet sich in der Fossa Sylvii, 
zwischen Schläfenlappen und der Insula R e 11 i i. etwa in der Mitte 
der Sylvius’schen Grube, eine röthliclie Verfärbung der Meningen 
in der Ausdehnung von etwa Bohnengrösse. Die weichen Häute 
darüber gequollen, das unterliegende Gewebe roth, gallertig durch¬ 
scheinend. Belm Einschneiden auf den Schnittflächen der Hemi- 
sphaeren kein besonderer Befund. Rinde überall von normaler 
Zeichnung. Blutpunkte ziemlich reichlich, Saftgehalt mässig. Die 
Ventrikel nicht erweitert, mit seröser Flüssigkeit gefüllt, Ependym 
glatt. Gyrus Hippocampl und Cornu Ammonis beiderseits gleich 
gross, ohne pathologischen Befund. Im Pons zeigt sich 
der ganzen Längenausdehnung nach im ven¬ 
tralen Theil eine sehr reichliche Anzahl zun: 
Theil dicht stehender, multipler, punktför¬ 
miger Blutungen von frischer, dunkel rother 
Farbe. In den untersten T heilen der Hauben¬ 
region finden sich mehr vereinzelte, punkt¬ 
förmige Haemorrhaglen, welche zum Theil 
bis an die graue Decke reichen. Im Allgemeinen 
dehnen die Blutungen sich nach der Ventrikularfläcbe zu weiter 
aus. Im Aquaeductus Sylvii nichts Besonderes; keine Erweiterung 
desselben. In der Mitte des Pons sind die Blutungen 
grosBenthells fast kranzförmig um die Pyra¬ 
midenvenen herum angeordnet, die letzteren 
selbst fast völlig von solchen frei. Etwas proximal¬ 
wärts gegen die Hirnschenkel liegen die Blutungen mehr in der 
Mitte. Beiderseits von der Raphe zeigt an dieser Stelle das Ge¬ 
webe sich um die centralen Blutungen herum anscheinend etwas 
aufgelockert, oedematös erweicht, nicht zerfallen. Diese Partie 
hat auf dem Frontalschnitt einen Durchmesser von 8 bis 9 mm 


nach jeder Richtung; sie ist leicht röthlich imbibirt. Rechts 
unten, unterhalb der Pyramideufasem erstreckt die Erweichung 
sich etwas caudalwärts. Gegen die Hlrnscheukel zu werden die 
Blutungen spärlicher, mehr zerstreut; in den Hirnschenkeln selbst 
sind gar keine Blutungen mehr nachzuweisen. Im oberen Theil 
der Medulla oblongata bis zur Gegend der Oliven, die letzteren 
freilassend, setzen sich die Blutungen nach rückwärts fort. Sie 
sind besonders medianwärts und an den Seltentbeilen, hauptsäch¬ 
lich ventralwärts vorhanden. Auch hier ist die Pyramldengegend 
vollkommen frei. — An der erwähnten Stelle zwischen Schläfen¬ 
lappen und Insel ist je eine Windung, eine der Insel und die 
gegenüberliegende, dem Schläfenlappen angehörige. in der Aus¬ 
dehnung einer Bohne, von einer blutig gefärbten Flüssigkeit er¬ 
füllt. Anliegend noch eine zweite Windung, welche ebenfalls 
weicher erscheint als normal, aber nur an ihrer Kuppe eine kleine 
Blutung auf weist; in der umgebenden weichen Substanz liegen 
wieder mehrere, und fast an der homologen Stelle rechterseits 
ebenfalls einige eapillare Blutungen. In der Arterla basilaris 
und ihren Aesteu und in der Arteria vertebralis kein Thrombus. 
Ausserdem Anden sich noch in der Gegend des linken Corpus sub- 
thalnmicum eine Gruppe von kleinen, umschriebenen Haemor¬ 
rhaglen, in der Breite von circa ly 2 cm. Gefässruptur oder Miliar¬ 
aneurysmen konnten nirgends konstatirt werden. 

Bei der Autopsie verursachten die Veränderungen in der 
Ilirnsubstanz insoferne einige diagnostische Schwierigkeiten, als 
sie zweifelsohne an die von Wernicke*) beschriebene P o 1 i- 
encephnlitis haemorrhagica erinnerten, doch liess 
die mikroskopische Untersuchung aus den verschiedenen Be¬ 
zirken erkennen, dass nur einfache Diapodesisblutungen Vor¬ 
lagen, abgesehen von einigen nebensächlichen kleineren, älteren 
Haemorrhagien in der Rinde (Plaques jaunes), vielleicht den 
Residuen einer schweren, 4 Monate ante mortem aufgetretenen 
epileptischen Attacke, die mit 6 tägiger vollständiger Bewusst¬ 
losigkeit einhergegangen war (cf. Anamnese). 

Histologische Untersuchung: Auf Schnitten 
lassen sich die Blutungen schon makroskopisch vielfach in 
Gruppen angeordnet und von verschiedener Grösse erkennen. 
Einzelne stehen gerade an der Grenze der Sichtbarkeit, andere 
sind fast bis stecknadelkopfgross. Mikroskopisch erkennt man, 
dass es sich um massenhafte ganz frische Blutungen han¬ 
delt (die Erythrocyten haben normale Form, Grösse und Färb¬ 
barkeit; die weissen Blutkörperchen sind spärlich). Die Haemor- 
rbagien zeigen meist i,:1vasculäre Anordnung, es macht viel¬ 
fach den Eindruck, als ob das in den adventitiellen und peri- 
vasculäron Lymphscheiden angesammelte Blut extravasirt sei. 
An solchen Stellen erscheinen die Haemorrhagien kreisrund oder 
sind unregelmässig; an anderen Stellen haben sie eine netz¬ 
förmige Anordnung, welcho dem Verlaufe, der Capillaren zu ent¬ 
sprechen scheint (,,capilläre Extravasate“). In der nächsten Um¬ 
gebung der Blutungen ist die Himsubstanz leicht gequollen, mit 
einigen hyalinen Körperchen (veränderte Nervenfasern); die 
Gliamaschen sind etwas erweitert: Leichte oedematöse Quellung. 
Nirgends eine gröbere Zerstörung der Himsubstanz, keine Kern¬ 
vermehrung, keine Rundzellenanhäufungen. M a r c h i zeigt 
keine Degeneration der Nervenfasern und keine Kömchen- 
zellen an. Die Gefässwände (Arterien und Venen) überall 
intakt. Keine Thromben. — 

Es erübrigt noch kurz die Bedeutung der gefun¬ 
denen Haemorrhagien für den Status epilep¬ 
ticus und die Art derselben zu besprechen. Bekannt¬ 
lich wurden bei im Status epilepticus verstorbenen Kranken ent¬ 
zündliche Processe an den Gefässen beschrieben, welche sich 
durch Hyperaemie, Infiltration der Gefässwandungen und des 
Himgewebes durch multiple Blutextravasate kennzeichneten; 
ferner im interstitiellen Gewebe Vermehrung der Kerne und 
Spinnenzellen (Gliosis), sowie das Vorhandensein einer grossen 
Zahl von Wanderzellen nebst Oedem und Erweiterung aller 
praeformirten Räume; seitens der Nervenzellen degenerative Ver¬ 
änderungen bis zur fettigen Entartung und einfacher Atrophie. 
Besonders K a z o w s k i ist geneigt anzunehmen, dass der 
Statu« epilepticus in dem von ihm beschriebenen Falle ein*’ 
Folge der Haemorrhagien sei. welche sich als Schlussglied der 
Reihe aller vorhergehenden Processe einstellten. Nach seiner 
Ansicht konnte der letzte Anfall, nachdem er einmal zur Bil¬ 
dung der Haemorrhagien geführt hatte, nicht mehr zum Ab¬ 
schlüsse gelangen, sondern musste in Folge der gestörten Er¬ 
nährung der nervösen Elemente und Reizung derselben durch 
das aus den Gefiisscn austretendo Blut zum Status epilepticus 


*) Wernicke: 
Cassel 1881. 


Lehrbuch der Gehirnkrankheiten, II. Bd. 

2 * 


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WUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nu. 39. 


1522 


führen. Diese Erklärung hat für gewisse Fälle, bei denen es 
sieh uni wirkliche chronisch-entzündlidhe (encephalitische) Pro- 
cesse handelt, unbedingt etwas für sich, trifft aber für unseren 
Fall nicht zu. Denn wie wir gesehen haben, fehlten Hyperaeinie 
und Infiltration der Blutgefässe und des Hirngewebcs u. in. a. 
(Es wäre denkbar, dass diese Veränderungen bei jugendlichen 
Epileptikern sich noch gar nicht oder nur seltener finden.) Trotz¬ 
dem sind wir auch geneigt, in unserem Falle für den Status 
epilepticus zum Theil die Haemorrhagien mit verantwortlich zu 
machen, doch da wir primäre GofässVeränderungen vermissen, 
müssen wir nach anderen Ursachen für die Haemorrhagien 
suchen. Die Frage nach der Art und Entstehung der 
Blutungen nun ist bei dem vorliegenden Befunde ziemlich 
einfach: Es handelt sich zweifellos um Stauungsblutungen (cf. 
histologischer Befund: perivnsculäre Anordnung etc.) durch Dia- 
pedesis, für die ein Zusammenhang gegeben ist in der im Beginn 
der epileptischen Insulte vorhandenen erhöhten arteriellen Span¬ 
nung und weiter in der hochgradigen Respirationsbehindorung. 
Cyanose und venösen Stase des Gehirns. Inwieweit noch dabei 
der Nephritis eine Bedeutung zukommt, auch in Bezug auf die 
grosse Ausdehnung des Processes, ist schwer zu entscheiden. 


Pruritus senilis linguae. 

Von Doc. Dr. Egmont Baumgarten in Ofen-Pest. 

Diejenigen Erkrankungen der Zunge, die mit einer sicht¬ 
baren Veränderung derselben einhergehen, bilden nicht Gegen¬ 
stand dieser Besprechung, denn seit dem Erscheinen des allbe¬ 
kannten B u 11 i n’sehen Buches und der vielfachen Abhand¬ 
lungen über Glossitis superficialis, sowie über P a - 
pillitis linguae ist man mit diesen feineren und ober¬ 
flächlicheren, oft leicht zu übersehenden Erkrankungen der 
Zunge in der Diagnostik wesentlich vorgeschritten. Ich muss 
von diesen leicht zu übersehenden Erkrankungen bemerken, dass 
sie selbst dem geübten Auge manchmal entgehen und speziell 
gerade den Spezialisten, wenn diese ausschliesslich künstliches 
Licht zur Untersuchung verwenden; ich verabsäume, es daher 
nie — wie dies die Dermatologen tliun — bei Sonnenlicht mit 
einer Linse zu untersuchen, denn gar oft entdeckte ich dadurch 
Veränderungen, die mir beim reflektirten Lampenlichte ent¬ 
gangen wären. 

Die Patienten, die mit den verschiedensten Klagen über die 
Zunge zur Beobachtung kamen und bei denen keine sichtbaren 
Veränderungen derselben zu konstatiren waren, sind meistens 
ältere Personen und gehören in weitaus grösserer Anzahl dem 
weiblichen Geschlechte an. 

Für sehr viele Klagen kann man eine Erklärung finden, 
wenn man trachtet, die Ursache des Leidens zu eruiren. 

Man muss sich vor Augen halten, dass die Zunge nicht 
nur als Sprechorgan am Eingangsorte des Respirationstraetes 
vielen Schädlichkeiten ausgesetzt ist, sondern dass dieselbe ein 
wesentlicher Faktor des Digestionstraetes ist, und in erster Reihe 
auch als Spiegel des Magens und Darmes angesehen werden 
muss. Sie kann also nicht nur durch die verschiedenen Affek¬ 
tionen ihrer unmittelbaren Umgebung in Mitleidenschaft gezogen 
werden, sondern es können dieselbe die verschiedenen Affektionen 
des Magens, des Darmtractes, der Leber, Niere, Milz etc. beein¬ 
flussen, sowie alle Arten von Störungen das Blutkreislaufes. 
Ferner spielen, wie wir dies schon wissen, gewisse Erkrankungen 
des Genitalapparates, besonders aber das Klimakterium, eine 
grosse Rolle bei diesen Erkrankungen und schliesslich können 
die Zungenklagen auch Vorboten wirklicher Erkrankungen sein, 
sowie rein nervöse Erscheinungen, die wir alle hier besprechen 
wollen. Nur nach Ausschluss aller dieser Möglichkeiten, die zu 
Klagen über die Zunge führen können, kam ich zur Annahme 
der im Titel dieser Krankheit angeführten Erkrankung, die zwar 
sehr selten, aber doch vorzukommen scheint und per exelusionem 
bei gleichzeitig vorhandener Affektion der Haut oder auch ohne 
dieselbe, die plausibelste Erklärung der vorhandenen, oft qual- 
\ ollen Erscheinungen geben kann. 

Dies ist auch von therapeutischer Seite sehr wichtig, denn 
bei fast allen oben angeführten Ursachen, wenn wir dieselben 
herausfinden, können wir Heilung oder Liniierung der Zungen¬ 
symptome erreichen, und nur dieser Form, wie wir später 
6ehen werden, stellen wir bisher rathlos gegenüber. 


Bei keiner Erkrankung unseres Spezialfaches tritt die ge¬ 
rechte Forderung an den Spezialisten mehr zu Tage als bei diesen 
mit unsichtbaren Veränderungen einhergehenden Zungenklagen, 
dass derselbe in erster Reihe den Gesammtorganismus unter¬ 
suchen muss, und an alle diejenigen Ursachen, nahe und ent¬ 
fernte, denken muss, die hier eine Rolle spielen können. Wie 
wichtig aber die Besprechung aller dieser Ursachen für den 
praktischen Arzt sein kann, sollen die folgenden Erfahrungen 
lehren. 

Wenn wir nach der genauesten Besichtigung an der Zunge 
selbst keine Veränderung sehen, so ist bei Zungenklagen die 
Ursache in erster Reihe in der nächsten Nähe derselben zu 
suchen. Vorerst ist immer der Zungengrund mit dem 
Spiegel zu untersuchen, denn wir wissen ja, dass die Schwellung 
der Zungentonsille, Geschwüre, Fissuren, Verdickungen etc. der¬ 
selben zu den verschiedensten Klagen Anlass geben können, die 
alle bis zur Zungenspitze reichen können. Die Behandlung ist 
je nach dem Befunde eine lokale und ist deren nähere Beschrei¬ 
bung hier überflüssig. Die Zungenklagen bei diesen Formen sind 
oft bedeutend; müssen aber nach erfolgreicher Behandlung der 
Ursache sogleich schwinden, denn sonst ist die Ursache eben 
eine andere. Anders verhält es sich aber mit den V a r i c e n 
am Zungengrunde. Diese sind eine häufige Ursache, dass Pa¬ 
tienten über Gedunsensein, Brennen, erschwerte Beweglichkeit 
der Zunge klagen. 

Die englischen, amerikanischen Specialisten haben vor 
einigen Jahren diese erweiterten Venen des Zungengrundes bei 
den geringsten Klagen sehr häufig galvanokaustisch gebrannt. 
Die momentanen Erfolge waren sehr gute, aber anhaltend waren 
dieselben nicht. Dies liegt ja in der Natur der Sache, denn diese 
erweiterten Gefiisse sind ja keine Erkrankungen für sich, son¬ 
dern sind bloss sichtbare Zeichen irgend einer Stauung. Hier 
will ich nochmals erwähnen, dass der Specialist nicht versäumen 
darf, bei allen diesen Fällen den Patienten genau zu untersuchen, 
denn wenn er einen solchen fast ganz blauen Zungengrund sieht, 
und dann genau untersucht und den Grund der Stauung, der 
im Darm, Leber, Kreislauf etc. seine Erklärung haben kann, 
feststellt, und gegen das ursächliche Leiden seine Verordnungen 
richtet, so kann ich fest behaupten, dass er viel mehr Erfolge 
verzeichnen wird, als durch das Brennen allein. Auch sind die¬ 
jenigen Stauungen, die mit diesen sichtbaren Venenerweite¬ 
rungen einhergehen, viel leichter zu eruiren, als diejenigen, bei 
denen dies nicht der Fall ist, und kann man in jedem solchen 
Falle dem Zufall danken, dass er Einem einen so wichtigen 
Fingerzeig gegeben hat. 

Eine ebenfalls häufige Ursache der Zungenklagen bilden die 
schlechten Zähne, wundes Zahnfleisch und schlecht an¬ 
liegende Gebisse. Oft ist eine spitze Zahnkante, die eine 
nicht wahrnehmbare Erosion der Zunge verursachte, die Er¬ 
klärung für so manche Zungenklagen, und die Abschleifung 
dieser scharfen Ecke genügt., alle Beschwerden aufzuheben. Aber 
auch sonst schlechte Zähne, Fisteln, Zahnstein können die Ur¬ 
sache von Zungenklagen abgeben, wesshalb deren Entfernung 
oder Heilung vorgenommen werden muss. Ich fand in einigen 
Fällen auch, dass die Gebisse die Ursache der Zungenklagen 
waren, sei es, dass das verwendete Material nicht gut war, oder 
dass das Gebiss nicht gut sitzt und Decubitus entstand, oder 
auch zu locker war, und dass sich übelriechendes Sekret darunter 
ansammelte. Auch fand ich bei zwei alten Frauen, die keine 
Zähne hatten und denen ein tadelloses Gebiss gemacht wurde, 
dass die Beschwerden sich dennoch wiederholten, wenn auch in 
geringerem Maasse. Bei diesen war es auffallend, dass die 
Kieferränder sehr atrophisch waren, möglich dass dieser Umstand 
! auch eine Rolle spielt. 

Wenn ich die Ursachen der in der Umgebung der Zunge 
j bestehenden Veränderungen mit denjenigen vergleiche, die in den 
! entfernter gelegenen Organen begründet sind, so muss ich nach 
I meinen Erfahrungen angeben, dass die letzteren die weitaus 
! häufigeren sind. 

Die verschiedensten Magen- und Dar merkrau 
| k u n g e n geben zu den .verschiedensten Zungenklagen Anlas.'. 

! Brennen, Stechen. Schwere, Schmerzen, Jucken, Beissen, Wund¬ 
sein, körniges Gefühl mit. oder ohne bitteren, pappigen Mund- 
gesehmaok. Wenn mit den betreffenden Erkrankungen ausser¬ 
dem ein Belag auf der Zunge sichtbar ist, sei er weiss, gelblich, 
schwärzlich u. s. w., so ist damit selbst für den Laien der Zu- 


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24. September 1901. 


MUENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1523 


sammcnhang klar, ist kein Belag vorhanden, dann ist die Er¬ 
forschung der Ursache schwerer und ist nach anderen Sym¬ 
ptomen zu suchen. 

Die chronische Obstipation ist von allen diesen Ur¬ 
sachen die häufigste, die zu Zungenklagen führt, und die Karls¬ 
bader und Marienbader Trinkkuren leisten hier grosse Dienste. 
Dasselbe gilt auch von allen Fällen, die, wie schon erwähnt, als 
Störungen des Kreislaufes aufgefasst werden müssen, 
wenn auch keine Stauungserscheinungen am Zungengrunde vor¬ 
handen sind. Die Störungen können in den grossen Gefässen, 
im Herzen, im Darm, in der Leber, Niere, Milz gefunden werden, 
und muss das Grundleiden in erster Linie behandelt werden, denn 
ohne diese eruirt zu haben, die Zunge zu pinseln, oder Gurgel- 
und Mundwasser zu verordnen, kann nicht genug gerügt werden. 

Wenn ich hier erwähne, dass ich in einem Falle von Oedem 
der Uvula und der Gaumenbögen neben Zungenbeschwerden die 
Diagnose auf Morb. Brightii stellen konnte, so will ich auch 
auf diesen Zusammenhang aufmerksam machen. Ferner muss 
ich einen sehr seltenen Fall erwähnen, den ich mit anderen ähn¬ 
lichen noch anderweitig veröffentlichen werde, dass ich aus dem 
Trockenheitsgefühle der Zunge und des Mundes bei einem älteren 
Herrn den Verdacht aussprach, dass hier Diabetes vorhanden 
sein könne, was die Harnuntersuchung nachträglich zur grossen 
Verwunderung des Patienten und des Hausarztes glänzend be¬ 
stätigte. 

Eine eigene Gruppe bilden die Zungenklagen bei Frauen, 
die im Klimakterium sich befinden. Ich habe schon vor 
Jahren 1 ) darauf aufmerksam gemacht, dass der trockene Katarrh 
des Rachens eine sehr häufige Begleiterscheinung des Klimak¬ 
teriums ist. Neben diesen Katarrhen klagen die Betreffenden 
sehr über Trockenheit, Brennen, Beissen in der Zunge. Ueber 
grössere Schmerzen wurde in den vielen Fällen, die ich be¬ 
obachtete, nicht geklagt, auch waren die Klagen hauptsächlich 
im Rachen lokalisirt und nebenbei auch in der Zunge, doch 
kamen vereinzelt Fälle vor, in welchen nur die Trockenheit der 
Zunge die Patienten zu mir führte. Aehnliclie Beschwerden 
kommen auch bei anderen Menstruationsanomalien 
vor, ebenso ausnahmsweise auch bei Schwangeren, doch fehlt bei 
diesen in der Regel der trockene Katarrh und die Zungenklagen 
sind mehr nervöser Natur, ebenso wie bei einer Anzahl von 
Uterinleiden. Diese Formen können ebenso wie die bei 
ähnlichen Erscheinungen im Rachen und Kehlkopfe als reflek¬ 
torisch gedeutet werden. 

Die Therapie in allen diesen Fällen ist die Behandlung des 
Grundleidens, die Zungcnklagen schwinden schon rasch nach der 
Besserung des Grundlcidens. 

Eine reine Neuralgie der Zunge scheint sehr selten 
vorzukommen, ich kann mich nicht erinnern, einen solchen Fall 
beobachtet zu haben. Paraesthesien und Hyper- 
aesthesien bei hysterischen Frauen kommen häufiger vor, 
aber sind meistens mit anderen Symptomen verbunden, so mit 
Paraesthesien des Rachens, des Kehlkopfes, Globus, Fremdkörper- 
gofühlen etc.; selbst die Neurastheniker, die doch allerlei 
Beschwerden haben, klagen nicht über isolirte Zungenbcschwer- 
den, sondern nur so nebenbei. Bei schweren Fällen von Glossitis 
nervosa bei Frauen hat sich doch nachträglich als Ursache ein 
Frauenleiden entpuppt, so dass ich, wenn ich von den bisher 
erwähnten Ursachen keine als Anhaltspunkt erklären kann, 
die betreffenden Patientinnen doch gynäkologisch untersuchen 
lasse, wenn sie auch ein Frauenleiden zu haben negiren. Bei 
allen diesen Formen sind die Klagen über die Zunge oft sehr ver¬ 
schieden, lästig, schmerzhaft, aber nie so quälend, wie bei den 
Fällen von Pruritus. 

Auch bei Männern kommen Zungenklagen nervöser Natur 
vor, doch pflegen dann gewöhnlich schwerere Erkrankungen des 
Nervensystems vorzuliegen. Ursachen, wie Gebisse, Caries der 
Zähne, Venen des Zungengrundes, Stauungserscheinungen be¬ 
treffen Männer ebenso wie Frauen. Ich habe Männer beobachtet, 
die über Schmerzen in der Zunge klagten, ja die Berührung der¬ 
selben war so schmerzhaft, dass die Betreffenden aufschrien, und 
diese Fälle waren mir gleich sehr verdächtig. Ich erinnere mich 
bei 3 Fällen theilweise auch wegen anderer Erscheinungen, thoil- 
weise wegen des unsicheren Ganges auf Tabes dorsalis 
Verdacht gleich gehabt zu haben. Die Diagnose hat sich in 
allen 3 Fällen bestätigt; in einem Falle waren nach Jodkali- 

*) Deutsche meü. Wochenschr. 1892, No. 9. 

No. 89. 


gebrauch nach 9 Tagen die Schmerzen schon fast geschwunden. 
Ferner habe ich die Erfahrung gemacht, dass Männer, die über 
Zungenschmerzen, Schwere, Brennen in derselben klagen, wenn 
dabei Ptyalismus vorhanden ist, sehr verdächtig sind, beginnende 
Paralyse zu haben. Im Laufe der Jahre, als ich solche Pa¬ 
tienten dem Specialisten zusandte, konnte er im Beginne nichts 
Verdächtiges finden, nach circa 2 Monaten dagegen bestätigte er 
meinen Verdacht.. 

Bei Erkrankungen, die mit Atrophie der Zunge ein- 
hergelnm, wird natürlich auch über Zungenbeschwerden geklagt, 
so hauptsächlich bei der Duchenu e’schen Paralysis 
glosso-lnbio-lary ngca. 

Schliesslich muss ich erwähnen, dass ich Fälle von Zungen¬ 
klagen beobachtete, die einige Zeit nicht zu erklären waren, die 
immer Zunahmen und bei denen es sich endlich herausstellte, 
dass sie die Vorboten einer Zungenerkrankung waren. Die 
Erfahrung lehrte mich, diejenigen Patienten mit Zungenklagen, 
bei denen keine sichtbare Veränderung desOrgans vorhanden war, 
bei denen keine der besprochenen Ursachen angenommen werden 
konnten, wenn dieselben immer wieder klagten und hauptsäch¬ 
lich, wenn die Beschwerden Zunahmen, besonders zu beobachten 
und keine leichtfertige Diagnose zu stellen. Ich sah solche Fälle, 
bei denen schon nach wenigen Tagen herpetiforme Erup¬ 
tionen auf der Zunge und auch an anderen Stellen, so am 
Gaumen, in der Wange, Epiglottis etc. auf traten. 

In einem Falle wurde über Schmerzen, die täglich Zu¬ 
nahmen, Schwere und Brennen geklagt, bis endlich nach 8 Tagen 
eine exfoliativo Entzündung der Zunge auftrat, die ich mir 
ebensowenig erklären konnte, als die anfänglichen Schmerzen, 
und die ich ebenso ohne Erfolg behandelte, als die Schmerzen. 
Nur als alle Mittel mich im Stiche Hessen, Patientin sehr ab¬ 
magerte, die Schmerzen Zunahmen, die Erkrankung der Zunge 
sich ausbreitete, entdeckten wir Blasen in den Schenkelbeugen 
und konnten die Diagnose auf Pemphigus stellen, an 
welchem Leiden Patientin auch bald darauf starb. 


Bevor ich diese Vorbotenraöglichkeiten abschliesse, muss ich 
endlich einen Fall erwähnen, der vom Beginne an sehr ver¬ 
dächtig war, denn die Berührung einer Stelle der Zunge war 
schmerzhaft, die der anderen dagegen nicht. Die Zungenklagen 
dauerten, als ich Patientin sah, schon 2 Tage. Den anderen Tag 
konnte ich schon an der schmerzhaften Stelle eine Verdickung 
palpiren und am folgenden Tag den Zungenabscess eröffnen. 

Nachdem ich glaube, so ziemlich alle Ursachen, die zu 
Zungenklagen, die ohne sichtbare Veränderungen der Zunge ein¬ 
hergehen, erschöpft zu haben, komme ich zur Besprechung der¬ 
jenigen Fälle, die mich zur Annahme der im Titel erwähnten 
Diagnose brachten. Wenn ich hier erwähne, dass ich in den 
letzten 3 Jahren auf der hiesigen Poliklinik von jährlich bei 
3000 Ambulanten 2 solche Fälle beobachtete, so will ich damit 
die grosse Seltenheit dieser Fälle hervorheben. Allerdings habe 
ich nur in den letzten Jahren das Princip verfolgt, solche 
Zungenklagcn, bei denen keine Ursache gefunden werden konnte, 
wenn die Betreffenden sich immer wieder melden, nicht abzu¬ 
weisen, sondern sehr aufmerksam zu verfolgen; möglich, dass 
mir dadurch früher solche Fälle entgangen sind, denn die 
quälenden Symptome der Kranken zwingen dieselben dann, 
anderweitig Hilfe zu suchen. 

Beide Fälle betrafen alte Frauen, die keine Zähne mehr 
hatten, bei denen ich für die Zungenklagen keine Ursache finden 
konnte. Im ersten Falle, der mir dunkel blieb, und den ich nur 
nach der Analogie des zweiten Falles dazu rechne. hal>e ich auch 
in der Therapie alle« Ueblichc erschöpft. Jodkali, Mundwässer, 
Coeainpinsclungcn, Massage mit. Perubalsain (was mir hei Papil- 
litis der Zunge gute Dienste leistete), Faradisation und Galvani¬ 
sation waren ohne Erfolg. Ich konnte mir diese nervöse Hyper- 
aesthesie nicht erklären. Es waren keine grossen Schmerzen vor¬ 
handen, sondern nur ein quälendes Jucken und Brennen der 
Zunge. Nachdem Patientin längere Zeit ohne Erfolg auf die 
Poliklinik kam, verlor ich sie aus-dem Auge. 

Bei dem bald darauf beobachteten zweiten Falle war ich vor¬ 
sichtiger und glaube ich durch diesen genau beobachteten Ver¬ 
lauf zur Annahme berechtigt zu sein, dass eine dem Pruritus 
senilis der Haut ähnliche Erscheinung auch auf der Zunge 
Vorkommen kann, da bei dieser Frau im Verlaufe der Hc- 
obaehtung der analoge Zustand auch auf der Haut auftrat. Die 
68 jährige, noch sehr rüstige Frau klagte über leichte Schmerzen 


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1624 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39. 


in der Zunge, über Brennen und Jucken derselben. Nachdem 
ich die Patientin genau untersuchen liess, da sie täglich auf die 
Klinik kam, und keines der angewandten Mittel eine Linderung 
erzielte, und keine der besprochenen Ursachen mit den Zungen¬ 
klagen in Einklang gebracht werden konnte, musste ich auch 
diesen Fall für eine eigenthüniliche Neurose der Zunge erklären. 
Das Jucken der Zunge wurde immer stärker, Patientin, die mit 
erhobenen Armen täglich um Linderung bat, sagte, dass die 
Schmerzen nicht so gross wären, aber das Jucken sei so qual¬ 
voll, dass sie die Zunge am liebsten herausrcissen würde. 
Patientin hatte keine Zähne, das Gebiss, das ich zu tragen verbot, 
hatte keine Ursache abgegeben, denn die Beschwerden nahmen 
dennoch zu. Alle früheren Mittel, selbst Orthoform wurde ver¬ 
sucht, ohne die geringste Linderung zu erzielen, selbst vom 
Schlafe erwacht sie wegen des Juckens. Endlich sehe ich nach 
mehreren Tagen, dass Patientin sich die Unterschenkel zu reiben 
anfängt, und als ich dieselben ansehe, sehe ich an denselben 
Kratzeffekte. Patientin erzählt nun, dass seit gestern das fürch¬ 
terliche Jucken auch auf den Unterschenkeln aufgetreten ist. 
Später trat das Jucken auch an anderen Stellen auf, jedoch traten 
langsam die Symptome an der Zunge in den Hintergrund. 

Wenn ich nach dem geschilderten Fall annehme, dass ein 
dem Pruritus senilis der Haut analoger Zustand auch auf der 
Zunge vorzukommen scheint, so glaube ich, dass diese Annahme 
gerechtfertigt ist. Leider sind wir dadurch weder dem Wesen 
der Krankheit niihergerückt, aber noch mehr zu bedauern ist es, 
dass wir in einem solchen Falle ganz hilflos den qualvollen Er¬ 
scheinungen gegenüberstehen, denn keines unserer Mittel, keine 
der üblichen Behandlungsweisen hatte irgend welchen Erfolg, 
wie dies ja auch bei der entsprechenden Hautaffektion der Fall 
ist. Ich muss aber aus Vorsicht noch hinzufügen, dass man 
ja nicht so rasch die Diagnose auf Pruritus senilis der Zunge 
machen darf, sondern nur nach längerer Beobachtung, nach Aus¬ 
schluss aller anderen Ursachen und mit Gewissheit nur dann, 
wenn sich vor- oder nachher der analoge Zustand auch auf der 
Haut zeigt. 


Zwei Fälle von tödtlicher innerer Lysolvergiftung mit 
Betrachtungen über Lysolwirkung. 

Von Dr. Georg Burgl, kgl. Landgericht6arzt in Nürnberg. 

Da die bisher bekannt gewordenen Fälle von Lysolvergiftung 
nicht sehr zahlreich sind und es noch immer wünschenswerth er¬ 
scheint, unsere Kenntnisse in dieser Richtung zu erweitern, so 
halte ich mich für berechtigt, zwei neue hiclicr gehörige Fälle 
hiemit zu veröffentlichen. Dieselben stammen nicht aus meiner 
Praxis, sondern sind mir lediglich desshalb zugänglich geworden, 
weil sie beide ein gerichtliches Nachspiel hatten. In dem einen 
Falle habe ich die gerichtliche Sektion vorgenommen, während 
der zweite Fall noch aus der Amtstätigkeit meines Vorgängers 
stammt. In der beigegebenen Tabelle sind diese 2 Fälle unter 
No. 12 und 13 eingereiht 

I. Fall. Von der Wärterin einer Wöchnerin wurde einem 
5 Tage alten Knaben aus Versehen statt eines Kaffeelöffels voll 
Rhabarbersiiftehen (Sirup. Rliei) ein Kaffeelöffel voll unverdünnten 
Lysols eingegebeu. Der Arzt hatte nämlich Lysol für die Wöch¬ 
nerin zur Ausspülung des Unterleibes verordnet, während die 
Hebamme ohne Wissen des Arztes für das Kind hatte Rhabarber- 
säftehen holen lassen. Beide Medikamente standen in einem ver¬ 
dunkelten Zimmer auf dem gleichen Tischchen. Das Kind blieb 
zunächst ruhig, der Irrthum wurde aber bald bemerkt, als die 
Mutter das Kind küsste und sich durch diesen Kuss den Mund 
verbrannte. Der nach etwa >4 Stunden eingetroffene Arzt fand 
das Kind stark röchelnd und die Unterlippe und das Kinn stark 
verützt und geschwollen. In der Mundhöhle fand er sehr viel 
Schleim vor, konnte Jedoch im Rachen nichts Auffallendes ent¬ 
decken, da er wegen des vielen Schleimes nicht genau beobachten 
konnte. Er verordnete lediglich, dass dem Kinde Milch oingeflösst 
wurde, was ohnehin schon geschehen war und entfernte den 
Schleim mit In etwas Wasser eingetauchter Watte. Er besuchte 
das Kind noch zweimal, welches Abends 9>/ 2 Uhr verstarb. Das 
Medikament hatte es um 7 Uhr Früh bekommen. 

Zwei Tage darauf nahm ich die gerichtliche Sektion vor. Bei 
/ derselben fanden sich starke Verätzungen an allen Theilen, welche 
mit dem Gifte in direkte Berührung gekommen waren, so an den 
Lippen, den Mundwinkeln, der äusseren Haut bis zum Kinn, der 
Zunge, dem weichen Gaumen, dem Schlundkopfe, Kehldeckel und 
Speiseröhre. Ziffer 6 des Sektionsprotokolles sagt: Sowohl Ober¬ 
ais Unterlippe üudet man verützt und erscheinen dieselben dadurch 
weissgrau, während man unter der Unterlippe an der äusseren 
Haut braungelbe, vertrocknete Streifen findet, welche von den 
Mundwinkeln nach abwärts ziehen. Die verätzten Stellen sind 


4 cm lang und 2 cm breit und reichen bis zum Kinn. Die Zunge 
Ist in ihrer ganzen Länge veriltzt und mit einem schmierigen, hell¬ 
gelben, in Fetzchen leicht löslichem Schorfe bedeckt. Die gleiche 
Verätzung findet sich am ganzen weichen Gaumen, dem Schlund¬ 
kopfe und dem Hnlsthcile der Speiseröhre. Auch über den ganzen 
Brusttheil der Speiseröhre erstreckt sich dieVerätzung der Schleim¬ 
haut. Dieselbe löst sieh in zahlreichen, gelben Fetzchen los und 
selbst die Muskulatur ist noch ein wenig von der Verätzung er¬ 
griffen. Am Kehldeckel ist ebenfalls noch ein kleiner Theil der 
Schleimhaut mit einem gelben Schorfe bedeckt, während Kehlkopf 
und Luftröhre nichts Abnormes zeigen. (Ziffer 34.) 

Der Inhalt des Magens reagirt schwach sauer und besteht 
aus etwa 10 g einer schleimig blutigen, graurothen Flüssigkeit von 
dicklicher Beschaffenheit. Am äusseren Ueberzuge des Magens 
fällt die starke Füllung der Gefässe auf und erscheint derselbe 
hiedurch röthlich gefärbt. Ebenso zeigt sich die Schleimhaut des 
Magens stark hyperacmisch und sind dieGefässe bis ln die kleinsten 
Stiimmehen gefüllt. An der Oberfläche der Schleimhaut, welche 
ihren vollen Zusammenhang besitzt, finden sich weder Abschürf¬ 
ungen noch Geschwüre, auch ist die Schleimhaut weder gewulstet, 
noch gelockert, noch mit Blutaustritten versehen. Der Zwölffinger¬ 
darm zeigt ebenfalls deutliche Hyperaemie seiner Schleimhaut. 
(Ziffer 18.) — Die Blase enthält etwa 10 g einer schwarzbraun- 
rothen, blutuntermischten, dünnen Flüssigkeit (Ziffer 20.) — ln 
beiden Lappen der linken Lunge findet sich eiterige Bronchitis, 
ebenso in den 3 Lappen der rechten Lunge. (Ziffer 31.) An den 
Nieren findet sieh makroskopisch nichts Auffallendes. So sagt 
Ziffer 32: Die rechte Niere ist deutlich gelappt, von hellbraunrother 
Farbe. Auf dem Durchschnitte erscheinen die Pyramiden gelb, 
die Rindensubstanz dagegen braunroth gefärbt. Ebenso die linke 
Niere. — In beiden Seltenventrikeln des Gehirns und in der 
4. Gehirnknmmer zeigt sich etwas blutig-wässerige Flüssigkeit, 
ausserdem ein ziemlich bedeutender Blutgehalt des Gehirns. 
(Ziffer 37.) Bemerkt wird zum vorstehenden Falle, dass die Bron¬ 
chitis als Lysolwirkung aufgefasst werden muss, da vor dem Ein- 
Einflössen des Lysols keinerlei derartige Erscheinungen vorhanden 
waren, das Kind sich bester Gesundheit erfreute und die Rhabarber- 
medlcin lediglich zur Beförderung des Stuhlganges des Kindes 
gereicht werden sollte. — Eine Untersuchung des Urins konnte 
nicht statt finden, da derselbe zum Zwecke der eventuellen Ueber- 
sendung an das Medieinalcomitö zu Gerichtshanden genommen 
wurde. — In Betreff der Behandlung ist zu erwähnen, dass eine 
Magenausspülung von dem behandelnden Arzte wohl wegen des 
zarten Alters des Kindes nicht vorgenommen wurde. 

II. F a 11. Das 8 Jahre 4 Monate alte Mädchen eines Arztes 
in H., welches nach Angabe des behandelnden Arztes (seines 
Vaters) nn leichter Angina und Laryngitis litt, erhielt durch die 
Unachtsamkeit seiner Mutter statt eines Löffels eines für ihn be¬ 
stimmten Ipeeacuanhainfus einen Theelöffel voll reinen Lysols, 
welches zum Verbinden der Wunde einer erwachsenen Person be¬ 
stimmt und von dem Dienstmädchen aus Versehen gleichzeitig 
mit dem Ipeeacuanhainfus auf den Tisch des Krankenzimmers 
gestellt worden war. Das Kind bekam sofort Brechreiz. Man 
gab Ihm Wasser zu trinken und Eis zxi schlucken, hierauf ein 
paar Löffel eines Brechmittels (Brechweinstein), welches ohnehin 
wegen des vielen Schleimes des Kindes vorräthig war, es trat aber 
kein Erbrechen ein. Das Kind sank bald in’s Bett zurück und 
verdrehte unter beständigem starken Luftziehen die Augen. Man 
schickte nach dem Vater des Mädchens, der über Land gegangen 
war. und da dieser nicht zu erreichen war, um den anderen Arzt 
des Ortes, welcher ebenfalls sich über Land befand, aber nach 
etwa % Stunde eintraf. Derselbe fand das Kind bewusstlos nnd 
regungslos, von livlder Gesichtsfarbe und mit Trismus behaftet 
(Zeichen von Phenol Vergiftung). Er machte den Versuch, den 
Magen nuszuspülen. Das Kind wurde auf den Schooss der Mutter 
gesetzt, mit einem Holzkelle der Mund des Kindes geöffnet, mit 
Zeige- und Mittelfinger der linken Hand die Zunge niedergedrückt 
und mit der rechten Hand die Sonde eingeführt. Dieselbe glitt 
widerstandslos in den Magen und war etwa 30 cm tief eingesetzt, 
worauf sofort Erbrechen erfolgte und eine weisse Masse entleert 
wurde. Nach dem Erbrechen wurde die Schlundsonde entfernt 
das Kind blieb bewusstlos und regungslos wie vorher, wurde noch 
mehr blau und Hess den Kopf sinken. In diesem Augenblicke kam 
der Vater des Kindes zurück. Es wurden noch Kamphereinspritz¬ 
ungen und künstliche Atlnnung gemacht, doch das Kind starb 
nach etwa 2 Minuten. 

Von einer gerichtlichen Sektion wurde Umgang genommen, 
da der Vater des Kindes erklärt hatte, dieselbe sei nicht nöthig. 
weil die Todesursache (Lysolvergiftung) ausser allem Zweifel stehe 
und auch der andere Arzt den Eindruck gewonnen hatte, dass 
Lysolvergiftung vorliege. Merkwürdiger Weise wurde damals der 
Gericht8nrzt nicht um seine Meinung befragt sondern erst, nach¬ 
dem das Kind längst beerdigt war, als die Mutter des Kindes — 
wohl zu ihrer Entlastung — behauptete, ihr Kind sei in Folge 
der Einführung der Schlundsonde gestorben, Indem der beigezogene 
Arzt die Sehlundsonde statt In die Speiseröhre ln den Kehlkopf 
und ln die Luftröhre gebracht und es so erstickt hätte. In dem 
nunmehr eingeholten gerichtsärztlichen Gutachten wurde ausge¬ 
führt, dass von einer fehlerhaften Einführung der Schlundsonde 
bei dem als tüchtigen Chirurgen bekannten Kollegen keine Rede 
sein könne und dies schon aus dem Grunde ausgeschlossen sei. 
weil das Instrument, wenn es ln Kehlkopf und Luftröhre gebracht 
worden wäre, ln einer Länge von 10—12 cm auf den heftigsten 


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24. September 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1625 


Widerstand gestossen wäre, nicht aber 30 cm tief hätte eingeführt 
werden können; ferner, weil mit der Entfernung der Schlundsonde 
die Athmung sich sofort hätte wieder einstelleu müssen. Es wurde 
ferner darauf hingewiesen, dass das Kind möglicher Welse kränker 
war als von seinem Vater angenommen wurde und vielleicht gar 
an einer croupösen Erkrankung gelitten habe; dass es ausser des 
Lysols, welches offenbar in hohem Grade verschlimmernd auf das 
Befinden des Kindes eingewirkt habe, auch Brechw r einstein bekam, 
welcher ebenfalls kollabirend wirke, dass möglicher Weise bei dem 
stark benommenen Kinde, als es nach Einführung der Schlund¬ 
sonde erbrach, ein Thell der erbrochenen Masse in den Kehlkopf 
gelangte und dadurch Erstickung herbeigeführt wurde. Auf dieses 
Gutachten hin wurden sämmtllche Angeklagte (Mutter und Vater 
des Kindes und der beigezogene Arzt) freigesprochen. 

Für mich kann es nicht zweifelhaft sein, dass hier Lysol¬ 
vergiftung vorliegt, da ja der Vater und zugleich behandelnde 
Arzt des Kindes aus freiem Antriebe erklärt hatte, dass die 
Todesursache (Lysolvergiftung) über jeden Zweifel erhaben sei 
und auf diese Erklärung hin von der gerichtlichen Sektion Ab¬ 
stand genommen wurde, da auch der andere Arzt diese Ansicht 
theilte, da der behandelnde Arzt die Krankheit nur als leichte 
Rachen- und Kehlkopfentzündung bezeichnet«, was er doch zu 
seiner eigenen Belastung kaum gethan hätte, wenn er an die 
Möglichkeit eines croupösen Processes gedacht hätte, da endlich 
sofort nach Einnehmen des Lysols das Krankheitshild in gefähr¬ 
lichster Weise sich veränderte und die dabei aufgetretenen Sym- I 
ptome (Cyanose, Störung der Athmung und Herzthätigkeit und 
Bewusstlosigkeit) ganz dem Bilde der akuten Lysolvergiftung 
entsprechen. Ich halte mich desshalb für berechtigt, diesen 
Fall den Fällen von tödtlicher Lysolvergiftung anzureiheu. — 
Dass ein verhältnissmässig geringes Quantum Lysol hier im 
Stande war, den Tod herbeizuführen, dürfte sich wohl daraus 
erklären, dass das Kind zart und öfter krank war, dass es zwei 
Tage nichts gegessen hatte und überdies der Magen durch ein 
Tags zuvor gereichtes Laxans entleert war, endlich, dass es eine 
zweitägige fieberhafte Krankheit geschwächt hatte. 

Das Lysol ist bekanntlich eine Auflösung von 1 Theil Stcin- 
kohlcntheerkresol in 1 Theil Leinölkaliseife und bildet eine klare, 
braune, ölartige Flüssigkeit von kreosotähnlichem Gerüche. Die 
Giftigkeit beziehungsweise ätzende Wirkung des Lysols wird 
durch die Eigenschaften seiner Bestandtheile bedingt. In dieser 
Hinsicht kommt nur das Kresol in Betracht, denn der Seifen¬ 
lösung können weder ätzende noch giftige Eigenschaften beige- 
niessen werden. Das Kresol ist das nächste Homologe des 
Phenols, der Karbolsäure, also Methylphenol. Es wirkt stärker 
antiseptisch, dagegen weniger giftig als jene. Durch Ver¬ 
mengung mit der Leinölkaliseife werden nun in Folge der Ver¬ 
dünnung die ätzenden Eigenschaften des Kresols noch weiter 
herabgemindert, während seine antiseptische Wirkung dadurch 
eher eine günstige als eine ungünstige Beeinflussung erfährt; 
denn wegen der leichten Netzharkeit der zu desinfizirendeu Ob¬ 
jekte mit einer Seifenlösung werden diese inniger mit Kresol 
in Berührung gebracht, als bei irgend einer anderen Ver¬ 
wendungsform derselben. Wenn nun aber auch dem Kresol und 
noch mehr dem Lysol gegenüber dem Phenol ätzende und sonstige 
schädliche Wirkungen nur in abgeschwächtem Grade zukommen, 
so sind doch dieselben beim Lysol keinesfalls derartig gering, 
dass man von Ungiftigkeit oder Harmlosigkeit desselben sprechen 
kann. Der Streit, ob Lysol giftig oder ungiftig sei, ist auch 
schon desshalb ein müssiger, weil jedes Antisepticum in einer 
gewissen Konzentration und Menge giftige Wirkungen entfaltet 
und cs ein ungiftiges nicht gibt und nicht geben kann. Ein 
Mittel, welches die an Widerstandsfähigkeit in der belebten Welt 
ihres Gleichen suchenden Dauerformen der Spaltpilze mit Sicher¬ 
heit tödtet und dabei in jeder Konzentration ohne schädliche 
Wirkung für den menschlichen Organismus ist, wäre wohl das ; 
Ideal eines Antisepticums, wird aber nie gefunden werden. Am j 
nächsten kommt einem solchen Mittel dasjenige, welches die | 
Mikroorganismen in einer für den menschlichen Organismus 
unschädlichen Verdünnung tödtet oder unwirksam macht. Ein 
solches Mittel ist zweifellos das Lysol. Es hat entschieden viel 
mehr Vorzüge als Mängel und dürfte zur Zeit die grösste Ver¬ 
breitung als Antisepticum gemessen. Tausendfache Erfahrungen 
sprechen dafür, dass eine 1 proc. Lösung zur Wundbehandlung 
und eine Ms proc. zur Ausspülung von Körperhöhlen bei Erwach¬ 
senen und Kindern unter gewöhnlichen Verhältnissen keinerlei 
schädliche Wirkungen entfaltet. Niemand wird bei dieser vor¬ 
sichtigen Anwendung schlimme Erfahrungen machen. Und da 


es nach G e r 1 a c h und Schottelius an antibakterieller 
Wirkung sowohl Karbolsäure als Kreolin übertrifft, genügen 
auch diese starken Verdünnungen. Eine 0,3 proc. Lösung tödtet 
in 20—30 Sekunden alle Mikroorganismen, die bei der Wund¬ 
behandlung in Frage kommen. In den Versuchen von Pohl 
genügte ein Mj—% proc. Lysolgehalt, um eine Impfung mit 
Bac. pyocyaneus, Strept. pyogenes und Bac. anthrac. unschädlich 
zu machen, beziehungsweise auf frischem Nährboden gezüchtete 
üppige Kulturen jener Mikroorganismen abzutödten. Nach 
Hammer tödtet eine 0,3 proc. Lösung von Lysol die in Bouillon 
befindlichen, sehr widerstandsfähigen Eitercoccen in 30 Minuten. 
Milzbrandsporen wurden in 0,5 proc. Lysol in 8 Tagen getödtet, 
während sie in Karbollösung um diese Zeit noch lebendig waren. 
Bei einer Erhöhung der Temperatur auf 55° Cels. starben in 
10 proc. Lösung die Sporen in 5 Stunden ab. In 0,2 proc. Lösung 
waren Eitercoccen bei 60° in 3 Minuten vernichtet. 

Durch die Hervorhebung der guten Eigenschaften dos 
Lysols soll aber nicht gesagt sein, dass ihm allein aus der Reihe 
der Theerabkömmlinge diese Eigenschaften zukommen. Es ist 
vielmehr anzunehinen, dass an Hemmung von Bakterienwachs¬ 
thum und an fäulnisssistirender Kraft verschiedene Verwandte 
des Lysols mit ihm ebenbürtig sind. Wie bei vielen Dingen in 
der Welt spielt übrigens auch bei den Antisepticis die Mode 
eine gewisse Rolle und während man früher auf Karbol schwur 
und jetzt Lysol preist, wird in 5 oder 10 Jahren vielleicht auch 
dieses wieder verdrängt sein. 

Alle bisher beobachteten Lysolvergiftungen — ich konnte 
16 aus der Literatur zusammeustellen und habe selbst 2 neue 
hinzugefügt — wurden hervorgerufen durch unverdünntes, 
konzentrirtes Lysol und zwar entweder durch Ver¬ 
schlucken desselben oder durch äussere Anwendung. Nur in 
einem Falle (Grämer) trat der Tod ein nach Ausspülung des 
Uterus mit 1500 ccm einer 1 proc. Spülflüssigkeit. Es ist dies 
der bekannte Fall, welcher sieh in der Bonner Klinik ereignete 
als nach Expression der Nachgeburt man die obengenannte 
Menge Spülflüssigkeit in die Uterushöhle einlaufen liess. Da 
aber bekannt ist, dass die Uterusirrigationen keineswegs ganz 
harmlos sind, namentlich unmittelbar nach der Geburt, und 
hier schon manche unangenehme Erfahrung gemacht wurde, 
muss auch an die Möglichkeit gedacht werden, dass bei dem 
tüdtliehen Ausgange dieses Falles andere Umstände mitgewirkt 
haben. Ucbrigens lässt sich auch der Tod durch Lysolwirkung 
erklären, da ja, wie wir sehen werden, das Lysol bei Kindern 
und geschwächten Personen, zu welch’ letzteren eine eben Ent¬ 
bundene entschieden gehört, in verhältnissmässig viel kleinerer 
Dosis, als man bisher angenommen hat, giftige Wirkung zu 
entfalten vermag. Dass das unverdünnte Lysol bei äusserer An¬ 
wendung auf unversehrte Haut so schädlich wirken kann, wie 
wir dies bei einigen der nachher aufzuführenden Fälle bemerken 
werden, kann sich nur durch seine Aetzwirkung erklären, über 
die wir uns weiter unten eingehend äussern wollen. 

Um mir ein Bild über die Giftwirkung des Lysols entwerfen 
zu können, habe ich die mir zugänglichen Fälle — 18 an der 
Zahl — übersichtlich zusammengestellt. In der von mir ent¬ 
worfenen nachfolgenden Tabelle sind, soweit möglich, aufge¬ 
führt: Die Berichterstatter, das Alter des Patienten, die Menge 
und Konzentration des Lysols, die Art der Anwendung, die Zeit 
von der Anwendung des Mittels bis zur Giftwirkung, die ört¬ 
lichen und allgemeinen Erscheinungen, die Therapie, der Aus¬ 
gang der Vergiftung und ein allenfalls vorhandener Sektions¬ 
befund. 

(Tabelle siehe nächste Seite.) 

Von den 18 hier aufgeführten Fällen sind 13 Vergiftungen 
herbeigeführt durch innerliche und 5 durch äusserliehe An¬ 
wendung des Mittels. 

Von den 13 innerliehen Fällen sind genesen 7 und ge¬ 
storben 6. 

Von den 5 iiusserlichcn Fällen genesen 2 und gestorben 3. 

Es sind demnach unter 18 Vergiftungsfällen 9 genesen und 
9 gestorben. 

Unter den durch innere Vergiftung gestorbenen 
6 Fällen befinden sieh 5 Kinder im Alter von 5 Tagen bis zu 
8 Jahren 4 Monaten und eine erwachsene Person. 

Die tödtliche Dosis bei den Kindern war 2 mal 1 Thcelöffel. 

1 mal ein Kaffeelöffel und 1 mal ein Kinderlöffel voll, 1 mal 

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Bisher veröffentlichte Fälle von Lysolvergiftung. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39. 


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MUENCTTENER MED1CIN1S0HE WOCHENSCHRIFT. 


1527 


24. September 1901. 


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(Fall von Haberda) unbekannt. Bei der erwachsenen Person 
(Fa# er 1 und) betrug sie gegen 100 g. 4 mal erfolgte die 
Vergiftung durch Verwechselung (statt Leberthran, Rhabarber- 
syrup, Ipecacuanhainfus), 1 mal durch Mord (Haberda) und 
1 mal durch Selbstmord (Fagerlund). 

Bei den lödtlichen Vergiftungen durch äussere An¬ 
wendung trat der Tod 1 mal, und zwar bei dem L Falle von 
Ro8sa dadurch ein, dass Lysol — in unbekannter Menge — 
aus Versehen unverdünnt auf die Haut appli/irt wurde, 1 mal 
dadurch, dass ein Umschlag auf die Brandwunde eines 10 Monat 
alten Kindes in reines Lysol statt in Iproc. Lysollösung getaucht 
wurde (Landau) und 1 mal durch Ausspülen der Uterushöhle 
nach Expression der Nachgeburt mit 1500 een» einer 1 pro«;. 
Spülflüssigkeit (Fall von Criimer, wie oben schon erwähnt). 

2 von den Vergiftungsfällen durch äussere Anwendung 
reinen Lysols genasen. Bei dem einen war Lysol (Menge ?) aus 
Versehen äusserlich angewendet worden (2. Fall von Rossa) 
und erfolgte baldige Heilung: bei dem anderen wurden 20 g 
Lysol aus Versehen statt Kreolin bei einem an Scabies leidenden 
Patienten aufgepinselt (R e i c h). Es trat Bewusstlosigkeit, so¬ 
wie stellenweise Ablösung der Oberhaut ein, welche durch ge¬ 
eignete Behandlung wieder zur Heilung kam. 

Von den von uns hier aufgeführten Lysol Vergiftungen durch 
innere Anwendung des Mittels (13) sind 7 genesen, darunter 
5 Erwachsene und 2 Kinder, 4 und 1 Jahr alt. Die Dosen des 
Lysol um purum bei letzteren waren 25 und 10 g und von «len 
Erwachsenen 1 Theelöffel voll, 1 Schluck, 25 g in Kaffee, 60 
und 10 g. Die Vergiftung erfolgte 6 mal durch Verwechselung, 
darunter 1 mal statt Schnaps und 1 mal statt Rheuminfus; 1 mal 
handelte es sich um einen Selbstmordversuch. 

Die grösste Dosis, nach welcher Genesung eintrat, war 60 g 
bei einer Erwachsenen (May) und 25 g bei einem 4jährigen 
Kinde (Drews). Die kleinste Dosis, welche den Tod herbei¬ 
führte, war ein Theelöffel oder Kaffeelöffel voll, also 4—5 g 
Lysolum purum bei Kindern von 5 Tagen bis zu 8 Jahren 

4 Monaten (R a e d e, Haberd a, 2 Fälle von Burg 1). 

Wenn wir die inneren Vergiftungen in Bezug auf ihren Aus¬ 
gang in’s Auge fassen, so fällt uns sofort auf, dass die Therapie 
den grössten Einfluss hiebei hat, indem von den 7 Genesenen 

5 mit Magenausspülung behandelt wurden. 2 von «len Genesenen 
(Fall von Potjan und C o r n s t o o k) erreichten allerdings 
ihre Genesung auch ohne Magemuisspülung; allein es handelte 
sich in diesen beiden Fällen um verhältnissmässig leichtere Ver¬ 
giftungen, 1 Theelöffel und 114 Esslöffel voll, also bei knapper 
Füllung etwa 4 g und 23,8 g. Von den in Folge innerer Ver¬ 
giftung mit konzentrirter Lysollösung gestorbenen Personen 
(Fall von R a e d e, 2 Fälle von Haborda, Fall Fagerlund 
und 1 Fall von Burgl) wurde bei 5 keine Magenspülung an¬ 
gewendet. In dem einen Falle (2. Fall von Burgl) wurde die¬ 
selbe zwar angewendet, aber nach Angabe des behandelnden 
Arztes am moribunden Kinde. -Wir sehen hieraus, dass 
die mit Magenspülung behandelten Patienten 
fast sämmtlicli gerettet wurden, währen <1 die 
der Magenspülung entbehrenden in wieder¬ 
holten Fällen zu Grunde gingen. 

Da die Magenausspülung in verschiedenen Fällen noch nach 
Stunden stark lysolhaltige Flüssigkeit zu Tage fördert, so geht 
hieraus hervor, dass Lysol schwer resorbirbar ist und erklärt sich 
aus dieser Eigenschaft in Zusammenhang mit der Magenspülung 
die Erscheinung, dass in einzelnen Fällen grosse Dosen konzen¬ 
trirter Lysollösung den Tod nicht herbeigeführt und überhaupt 
keine sehr schweren Erscheinungen verursacht haben. Dass 
man hieraus auf die Ungiftigkeit und Ungefährlichkeit konzen¬ 
trirter Lysollösung nicht schliessen darf, geht schon daraus her¬ 
vor, dass Vergiftungen selbst mit den stärksten Giften, wenn 
sie schwer in den Verdauungssäften löslich sind und aus dem 
Magen noch rechtzeitig entfernt werden, nach Umständen ohne 
schlimme Wirkung verlaufen können. So exist iren z. B. Fäll«', 
dass Phosphor, in festen, grösseren Stücken «largereicht, wieder¬ 
holt keinen Schaden verursachte, wenn die Stücke nach einiger 
Zeit wieder ausgebrochen wurden oder ohne viel Verlust mit dem 
Stuhlgange abgingen (verschiedene Thierversuche von O r f i 1 a. 
Bibra und T i 11 o i s, vid. Maschka: Vergiftungen, 1SS2. 
S. 185). Auch von arseniger Säure liegen Genesungen vor nach 
einem Genuss von einem Kaffeelöffel voll, ja selbst 2 Esslöffel 
voll, ohne dass man desshalb wird behaupteu wollen, dass die 

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1528 MUF.NGUENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 39. 


arsenige Säure kein gefährliches Gift sei. Rum ho Id (lieber 
akute Karbolintoxikation. Wien. med. Wochensehr. 1893) erzählt 
einen Fall von einem Selbstmörder, der 120 g reine Karbolsäure 
getrunken hatte und noch gerettet wurde. 

Wenn man die Giftwirkung eines Stoffes fest setzen will, 
darf man sieh nicht nach der grössten Dosis richten, welche in 
einem oder in einigen wenigen Fällen unter besonders günstigen 
Umständen ohne gefährliche Erscheinungen verlief, sondern 
nach der kleinsten Dosis, welche in einem einzigen Falle einen 
üblen Ausgang hervorrief, wobei selbstverständlich festgesetzt 
worden muss, dass unmittelbar im Anschlüsse an die Einver¬ 
leibung des Giftes der bisher nicht lebensgefährliche Krankheits¬ 
zustand sich plötzlich in gefährlichster Weise unter den Sym¬ 
ptomen der betreffenden Vergiftung veränderte und eine andere 
Ursache für die Verschlimmerung nicht aufgcfuiiden werden 
kann. Ganz reine Fälle, d. h. solche, bei denen das Lysol auf 
bisher vollständig gesunde Individuen einwirkte, werden die 
Minderzahl bilden und können sieh nur auf Verwechslung be¬ 
ziehen, wenn z. B. Jemand einen Schluck Schnaps nehmen will 
und statt dessen reines Lysol erwischt (Fall W i 1 m a n s), auf 
Thierversuche oder in sehr seltenen Fällen auf Mord oder Selbst¬ 
mord (II aber da. May. Fagerlund). In der grösseren 
Zahl der Fälle wird die Vergiftung Leute treffen, welche bereits 
mit chirurgischen Leiden, Wochenbettsuiiomnli-n. sekundären 
Eiterungen im Anschluss an Infektionskrankheiten etc. kürzere 
oder längere Zeit behaftet und hiedurch mehr oder weniger ge¬ 
schwächt und in geringerem Grade widerstandsfähig geworden 
sind. Und bei solchen reichen verhältnissmiissig kleine Dosen 
hin. um die schwersten Erscheinungen herbeizuführen. So 
traten in dem Falle von Kluge bei einer 34 jährigen, durch 
vorübergegangenen Typhus geschwächten Frau nach einer Dosis 
von 10 g die denkbar schwersten Erscheinungen (5—G ständige 
Bewusstlosigkeit, allgemeine Krämpfe, beängstigende Herz¬ 
schwäche, Lungenoedem, schwere Verätzungen, Albuminurie 
u. s. w.) auf und es ist nur der energischen Therapie (gründ¬ 
liche Magenspülung. Kampheroinspritzungen) zu danken, dass 
der tüdtliehe Ausgang angewendet wurde. Tn dem von mir be¬ 
schriebenen 2. Falle trat bei einem 8 Jahre 4 Monate alten 
zarten, aber nach Angabe seines behandelnden Arztes nicht 
lebensgefährlich erkrankten Kinde der Tod nach Einnehmen 
eines Theelöffel voll Lysnlum purum nach 1 ll> Stunden ein. 
Wenn für ein Kind von 8 Vs Jahren 4.0—5,0 g Lysol um purum 
bereits als tüdtliehe Dosis wirken können, so ergibt sieh, da man 
für einen Erwachsenen gewöhnlich die doppelte bis 2'/.* fache 
Dosis eines grösseren Kindes rechnet, 10,0—12.5 g Lysol uni 
purum, also ungefähr ein Esslöffel voll als mögliche tüdtliehe 
Dosis bei einem geschwächten Erwachsenen. Dieser scheinbar 
willkürliche Schluss erhält eine grosse Stütze durch die kurz 
vorher angeführte Thatsache, dass in dem Falle von Kluge 
eine 35 jährige, durch vorübergegaugenen Typhus geschwächte 
Frau faktisch durch den Genuss von 10 g in denkbar schwerster 
Weise erkrankte und zweifellos ohne Magenspülung gestorben 
wäre. Solchen Erfahrungen am Krankenbette gegenüber kann 
den Resultaten von M aas, der aus Versuchen am Kaninchen 
ableitete, dass für den erwachsenen Menschen eine Dosis von 
100 g Lysol noch keinen tödtliehen Erfolg habe, kein Werth bei- 
gclegt, werden und hat dies Schürmeyer ausführlich dar¬ 
gelegt (Deutsch. Arch. f. klin. Medio., 54 Bd., S. 79). Da übri¬ 
gens Maas das Giftverhiiltniss von Karbolsäure zu Lysol an¬ 
gibt wie 8:1 und die dosis letalis bei Karbolsäure bei Einführung 
per os 10 g und bei Einführung in Körperhühlcn sogar schon 
bei 1,0 g (nach K obe r t) liegt, müsste M a as wenigstens 80 g. 
bezw. 8.0 g Lysol als tüdtliehe Dosis erkennen. Dali men, 
welcher berechnet hat. dass für 1 kg Mensch die absolut tüdtliehe 
Gabe Lysol 0.S3 g beträgt, kommt der praktischen Erfahrung 
sehr viel näher. Denn, nehmen wir das durchschnittliche Ge¬ 
wicht eines Erwachsenen zu 70 kg, was aber entschieden zu hoch 
ist. so hätten wir 70X0,83 = 58.1 g Lysol als ausgesprochene 
tüdtliehe Gabe. Hammer gibt für Meerschweinchen 0.0 Kreso] 
auf 1 kg als tüdtliehe Dosis an, wovon Lysol 47.4, also rund etwa 
50 Pro«*, enthält. Auf das Gewicht eines erwachsenen Menschen 
zu 70 kg berechnet, hätten wir als absolut tüdtliehe Dosis dem¬ 
nach 0,6X70 = 42 g Kresol oder 42 X2 = 84 g Lysol. 

Wegen seiner hervorragenden antizymotisehen Wirkung bei 
geringer Giftigkeit empfahl Maas die Anwendung des Lysols 
bei innerlichen Krankheiten. Die interne Sterilisirung des 


Darmkanales werde durch Verschwinden des Indicans aus dem 
Urin in Folge seiner Anwendung dargethan. Weder der Stoff¬ 
wechsel, noch die Nieren oder Leber würden durch medikamen¬ 
töse Dosen des Lysols schädlich beeinflusst. M a a s empfahl das 
Mittel wegen seiner desinficirenden und adstringirenden Eigen¬ 
schaften in erster Linie hei akuten und chronischen Magen- und 
Dannkatarrhen, Dann tuberkulöse, Typhus, ferner bei Nieren¬ 
affektionen, Pyelonephritis. Van der Golz gab es als Anti- 
pyretieum Kindern von 1,5 und 7 Jahren in Form einer Mischung 
von 5 Theilen Lysol auf 10 Thcile Sherry, je 3, 5 und 10 Tropfen 
täglich. Vopelius empfahl Lysol innerlich 3—10 Tropfen 
in Milch gegen Diphtherie und prophylaktisch gegen dieselbe, 
auch bei Scharlach, Masern, Diabetes und Morbus Brightii. 
Aehnlieh N es e mann. Auch bei Dysenterie und Cholera 
nostras soll es sich bewährt haben (Centralbl. f. klin. Med. 1893, 
No. 21). Bei Carcinom soll es eine wunderbare Wirkung ent¬ 
falten und nahezu ein unfehlbares Mittel sein und wurde bis zu 
10 g täglich gegeben (Aerztl. Praktiker 1892, No. 1). Auch als 
Anthelminticuin 1. Ranges wurde es gepriesen (Th. Clemens. 
Aerztl. Praktiker 1892, No. 10). 

Die innere Anwendung des Lysols hat wohl hauptsächlich 
unter dein Einflüsse der von Maas ausgehenden Reklame 1893 
seine Blütheperiode erlebt, scheint aber bald wieder in Folge 
allerlei übler Erfahrungen auf eine sehr bescheidene Rolle zu 
rückgeführt worden zu sein. Es sehlicsst ja der abscheuliche Ge¬ 
schmack die innere Anwendung desselben schon fast ganz aus, 
ferner ist die sogen, „innere Desinfektion“ praktisch nicht durch¬ 
zuführen. Jedenfalls war es in hohem Grade gewagt, auf Grund 
von Laboratoriumsvcrsuchcn mit so grossen Dosen umher¬ 
zuwerfen, welche gerade bei geschwächten Personen, wie es die 
Krebskranken gewöhnlich sind, leicht zu tödtliehen werden 
konnten. 

Wie schädlich das Lysol wirkt, wenn es in unverdünnter 
Form auf die unversehrte ITaut aufgepinselt wird, schon wir au 
dem Fall von Reich, bei dein 20 g, üusserlich auf die Haut 
einer erwachsenen Person aufgetrngen, hinreiehte, um Bewusst¬ 
losigkeit herbeizuführen. Die Oberhaut sticss sich fetzen weise ab. 
Die gleiche schädliche Wirkung entfaltete das reine Lysol, 
ätisserlich angewendet, in den beiden Fällen von R o s s a. in 
deren einem schwere Verätzungen und rascher Tod. in deren 
anderem schwere Verätzungen. Bewusstlosigkeit und allgemeine 
Krämpfe herbei geführt wurden. Wenn das konzentrirte Lysol 
schon auf unversehrter Haut in gefährlichster Weise einwirkt.daif 
cs uns nicht Wunder nehmen, dass es. auf eine Wunde gebracht, 
in kürzester Zeit bei einem 10 Monate alten Kinde den Tod hrr- 
beifiihrte. wie dies in einem von Landau berichteten Falle 
zutraf. Hier wurde aus Versehen konzentrirtes Lysol statt einer 
1 proc. Lösung applieirt und das Kind starb nach kaum zwei 
Stunden. 

Auf Schleimhäuten wirkt es ebenso ätzend. Pot j an und 
W i 1 in a n s haben keine Aetzwirkungen wahrgenommen. Dabei 
ist aber zu bemerken, dass die Wöchnerin Potjan’s trotz 
Trinkens reichlicher Mengen Milch an Brennen im Halse litt, 
was schon auf eine leichte Aetzwirkung hindeutet und dass der 
Krankenträger W ilman s’ 5 Stunden lang auf seinen Schluck 
Lysol bewusstlos war und hei so ungemein schweren Allgeinein- 
erselieinungen leichtere Aetzwirkungen, welche doch in den 
ersten Stunden die grössten Beschwerden verursachen, nicht 
allzusehr in die Erscheinung treten dürften. In der weitaus 
grössten Mehrzahl der von uns hier zusammengesteiltcn Fälle 
von Lysolvergiftnngen finden wir Aetzwirkungen angegeben und 
zwar 13 mal (Fall von Fried her g. R a c d o, Cornstook. 
M a y, 2 Fälle von II a b e r <1 a, Fagerlund. Klug e, 1 Fall 
von B u r g 1. 2 Fälle von R o s s a, Landau und Reich). 
P o t j a n und W i 1 m a n s haben, wie schon erwähnt, keim* 
Aetzwirkungen wahrgenommen. Der Fall von Crämer kommt 
nicht in Betracht, da es sieh um kein konzentrirtes Lysol handelt 
und in dem Fall von Drews und dem 2. Fall von Burgl 
fehlen Angaben darüber. Die Aetzwirkungen des Lysols wurden 
bisher beobachtet an allen mit dem Mittel in direkte Berührung 
gekommenen Stellen, so am Kinn. Unterkiefergegend, Mund¬ 
winkel. Unterlippe. Lippen- und Wangensehleimhaut, Zunge, 
hartem und weichem Gaumen, Tonsillen, Glottis und Kehlkopf. 
Bronchien, Speiseröhre und Magen. 

In Bezug auf den Grad der Verätzungen wird gesprochen 
einfach von örtlichen Verätzungen, von deutlichen Verätzungs- 


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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1529 


24. September 1901. 


marken, von starken Anätzungen, von gerötheten, durch An¬ 
ätzung entstandenen Stellen, von schweren Verätzungen, von im 
höchsten Grade veränderten Stellen, von graubraunen Schorfen 
als Aetzwirkungen u. s. w. In unserem ersten, zur Sektion ge¬ 
kommenen Falle blieben die Aetzwirkungen im Allgemeinen auf 
die Schleimhaut beschränkt, nur im Brusttheile der Speiseröhre 
betrafen sie stellenweise auch noch die Muskulatur. Die Farbe 
der Schorfe wird von Kluge als braungrau bezeichnet, ln 
unserem Falle waren sie an der äusseren Haut braungelb, an 
Ober- und Unterlippe weissgrau, während die ganze Zunge mit 
einem hellgelben, schmierigen, in Fetzehen leicht loslösbaren 
Schorfe bedeckt war und ebensolche Farbe und Beschaffenheit 
der Schorf an Gaumen, Schlundkopf, Kehldeckel und Halstheil 
der Speiseröhre zeigte. 

Bei den Thierversuchen von Maas zeigte sich, dass durch 
reines Lysol die Gewebe vollständig abgetödtet und versehorft 
und die Eiweisskörper zur Gerinnung gebracht wurden. 

W T as die Allgemeinerscheinungen l>ei der Lysolvergiftung 
betrifft, so fehlten dieselben bei den von uns zusammetigesteilten 
18 Fällen nur 1 mal und zwar in dem leichten Falle von Pot- 
j a n, in dem eine Wöchnerin nur 1 Theelöffel voll reines Lysol 
genoss. In allen anderen Fällen sind Allgemeinerscheinungen 
angegeben, oder wenigstens mit Sicherheit anzunehmen, da eine 
Angabe nur bei 2 Fällen vermisst wird, welche zum Tode führten. 
Diese Allgemeinerscheinungen bestehen (neben lokalen Aetzungs- 
erseheinungen und Geruch nach Lysol) in Somnolenz, Cyanose 
der Lippen, Kopf- und Leibsehmerzen, Erbrochen, Beschleuni¬ 
gung der Herzaktion und Erschwerung der Respiration, ln 
schwereren Fällen, wenn nicht durch die Magenpumpe einge¬ 
griffen wird, treten schwerer Collaps mit rausohähnlichen De¬ 
lirien, tiefe Bewusstlosigkeit, vorübergehende Krämpfe der Kau-, 
Schlund- und Extreinitätenmuskel, bisweilen Bronchitis, Glottis¬ 
odor Lungenoedom, Herzschwäche, starke Herabsetzung der Re¬ 
flexerregbarkeit, Enge und Trägheit der Reaktion der Pupillen, 
Dunkelgrünfärbung des Urins, bisweilen mit Blutbeimischung, 
Erscheinungen parenchymatöser Nierenentzündung (Albuminu¬ 
rie) und nicht selten der Tod ein. 

Von der Karbolvergiftung, welche grosse Aehnlichkeit mit 
der Lysolvergiftung besitzt, kann letztere vielleicht unterschieden 
werden durch den Geruch und möglicher Weise durch die mehr 
braungelbe, schmierige Schorfbildung der Schleimhaut der 
Sehlingorgane gegenüber der weissgrauen Verfärbung derselben 
bei Karbolvergiftung. Dass bei Karbolvergiftung die Vergif¬ 
tungssymptome in der Regel eher eintreten als bei Lysolvergif¬ 
tung, mag im Allgemeinen richtig sein, aber ein wesentliche' 
Unterscheidungszeichen stellt dieser Umstand nicht dar, da 
rascher Eintritt von Vergiftungssymptomen auch bei Lysolver- 
giftung beobachtet wird (vide Fall von Landau und 2. Fall 
von B u r gl). Auch eine sehr dunkle Farbe kann der Lysolharn 
erreichen — in unserem 1. Falle war er schwarzbraunroth und 
enthielt Blut beigemischt —, so dass auch diese beiden Momente 
zur Differentialdiagnose nicht recht verwerthbar sind. Ebenso 
können auch Eiweiss und Faserstoffcylinder im Harn bei Lysol¬ 
vergiftung auftreten (Fall von Kluge), was allerdings hier 
mehr Ausnahme zu sein scheint, während bei Karbol Vergiftung 
Albuminurie die Regel bilden dürfte. 

Aus den Thierversuchen von Maas geht hervor, dass durch 
das L.vsol die Herzthiitigkeit wesentlich beeinflusst wird, dass es 
sowohl dessen Muskulatur als auch sein Nervensystem angreift. 
Die Herzfrequenz wird bei grösseren Dosen langsamer, die Herz¬ 
aktion schwächer und bei Verabreichung einer tödtlichcn Dosis 
steht das Herz in Systole still. Aehnliche Wirkung entfaltet das 
Lysol auf die Athmungsorgane. Die Athmuug wird langsamer, 
oberflächlicher. Diese Beeinflussung der Respirationsthätigkeit 
bei letal wirkenden Dosen ist jedenfalls als Folge der Erschei¬ 
nungen am Herzen anzusehen und hieraus erklärt sich auch die 
tödtende Giftwirkung des Lysols. Auch auf die nervösen Organe 
wirkt das Lysol giftig und zwar vorzugsweise auf das periphere 
System. Es bleiben aber auch die Centralorgane nicht von der 
Wirkung verschont. Der Verdauungsapparat blieb bei den Ver¬ 
suchen, die M a a s an Hunden anstellte, vollkommen intakt. Der 
Befund an den Nieren war fast durchweg negativ, entsprechend 
den mangelnden pathologischen Befunden im Harn in vivo. Nur 
in der Nierenrinde unterhalb der Kapsel fiel meist eine leichte 
Schwellung und Hyperaemie auf. Einen im Ganzen gleich nega¬ 
tiven Befund wie bei der Niere zeigte die Untersuchung der 


Leber. In einzelnen Fällen waren die Leberzellen körnig ge¬ 
trübt, vom Centrum zur Peripherie fortschreitend etwas zer¬ 
fallen, hin und wieder war etwas Bindegewebe eingelagert. Im 
Uebrigen war die Kernfärbung fast durchweg gelungen, die 
Zellen erhalten. Nur in einzelnen Fällen, in denen das Gift auf 
den Organismus sehr lange eingewirkt hatte, war der Zerfall 
der Zellen ein etwas ausgedehnterer, dieselben theils getrübt, 
thcils von kleineren Fetttröpfchen durchsetzt. 

Vergleichen wir diese Thierversuche mit den Beobachtungen 
am Menschen, so ergibt sich, dass die Wirkung auf Herz, Athem- 
organe und Nervensystem eine ganz ähnliche ist. Auch beim 
Menschen tritt eine Schwächung der Herzaktion und eine Ver¬ 
schlechterung der Athemthätigkeit ein. Abweichend von den 
Ergebnissen bei den Thierversucheu verhält sich beim Menschen 
der Verdauungsapparat. Fast regelmässig tritt beim Menschen 
nach dem Genuss grösserer Mengen von Lysol Erbrechen ein. 
was bei den Versuchen von Maas an Iluudcn fehlte. Auch 
wird die Magenschleimhaut des Menschen augeiitzt, während sie 
bei Hunden intakt bleibt. Der Harn verhält sich beim Menschen 
ebenfalls anders als beim Thier. Bei Thieren zeigt er keine Ver¬ 
änderung, beim Menschen dagegen nimmt er fast immer eine 
dunklere Färbung an. Leider konnte eine Untersuchung des 
Harns in dem von mir obducirtcn Falle nicht vorgenommt n 
werden, da es sich um eine gerichtliche Sektion handelte und 
die TIarnorgane nebst Harn zu Gerichtshanden gegeben werden 
mussten. In den mir zugänglich gewesenen Fällen finden wir 
5 mal eine Notiz über Harn- resp. Nierenbefund. In Com- 
s t o o k’s Fall wird von mehrere Tage anhaltender, starker 
Albuminurie gesprochen; bei May von nicht einmal deutlicher 
Albuminurie; Kluge berichtet von Albuminurie und Aus¬ 
scheidung von Faserstoffcy lindern im Harn; Rae de von par¬ 
enchymatöser Nephritis; in Burgl’s 1. Falle liess der schwarz- 
braunrothe, bhitig tingirte Harn auf eine Nierenaffektion 
sehliessen. Aetzwirkungen sind, wie schon erwähnt, bei Thieren 
und Menschen beobachtet. 

Schliesslich sei noch der Behandlung beim Lysolismus mit 
einigen Worten gedacht. Das souveränste Mittel ist bekanntcr- 
maassen die Magenausspülung, welche bei keiner inneren Ver¬ 
giftung unterbleiben und möglichst früh angewendet werden 
soll, auch bei den kleinsten Kindern. Kann dieselbe unmöglich 
nngewendel werden, so ist ein Brechmittel am Platze, welchem 
nach Prof. Huscmann grössere Mengen von Flüssigkeit mit 
Zusatz von Essig voranzuschicken sind, um das freie Alkali zu 
neutralisiren, weil sonst das regurgitirte Lysol, zumal beim Ein¬ 
dringen in den Kehlkopf, zu schweren Komplikationen, z. B. 
Glottisoedem führen und selbst die Tracheotomie nöthig machen 
kann. Wenn nach der Magenausspülung, welche in der Regel 
rasch die Vergiftungssymptome beseitigt, die Bewusstlosigkeit 
fortdauert, ist die Darmausspülung dringend indizirt, die in 
Fällen, in welchen sich die Vergiftungserscheinungen erst am 
2. Tage vom Darm aus entwickeln, das zuerst anzuwendende 
Mittel ist. Sowohl zur Beförderung der Elimination der im 
Blute vorhandenen Kresole als zur Verhütung später eintretender 
Nephritis empfiehlt llusemann reichliche Zufuhr von Ge¬ 
tränken (Wasser, Limonade. Zuckerwasser, Kaffee). Nächst der 
Magenausspülung wird wohl in den meisten Fällen Kampher 
oder Acther wegen des Collaps angewendet werden müssen. Da 
häufig in Folge der Verätzung Krampf der Rehlundmuskulatur 
vorhanden ist und die weiche Magensonde sich leicht umbiegt, 
empfiehlt es sich, sich eines elastischen Schlundrohres zu be¬ 
dienen. 

Prophylaxe. Man verordne Lysol und ähnlich aus¬ 
sehende innere Medikamente, wie Lebert brau, Rhabarbersyrup 
oder -Tinktur, dunkle Medicinalweine, gewisse Infuse u. dergl., 
nie nebeneinander, ohne auf die Aehnlichkeit der Farbe auf¬ 
merksam zu machen und Sorge zu tragen, dass das äussere und 
innere Medikament an besonderen Plätzen verwahrt und nicht 
nebeneinander gestellt werden. Das Lysol selbst soll mit der 
Signatur „Gift!“, „Nicht unverdünnt anzuwenden!“ versehen 
werden. Auch die Hebammen und Krankenpfleger sind auf die 
Gefährlichkeit einer zu konzentrirten Lösung aufmerksam zu 
machen. Selbst wende man zur Wundbehandlung keine stär¬ 
keren Lösungen als 1 proc.. zu Uterusausspülungen nur Vs proc. 
Lösungen und meide bei ausgedehnten Sub-tanzverlu^ten der 
Haut, namentlich bei Kindern, das Mittel gänzlich. Bei innerer 
Anwendung halte man sich mehr an die Minimal- als an die bis- 

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1530 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


her empfohlenen Maximaldosen und wende das Mittel nur vor¬ 
übergehend, bei Kindern und geschwächten erwachsenen Patien¬ 
ten nur mit grösster Vorsicht oder besser gar nicht an. Nicht¬ 
ärzten, die sich auf eigene Faust Lysol verschaffen, sollen nur 
ganz verdünnte Lösungen in die Hand gegeben werden. 

Schlusssätze. 

1. Das Lysol hat zur Zeit, weil es die meisten Vorzüge und 
die wenigsten Nachtheile besitzt., als Antisepticum die grösste 
Verbreitung und entfaltet in einer 1 proc. Lösung zur Wund¬ 
behandlung und einer Vz proc. zur Ausspülung von Körperhöhlen 
bei Erwachsenen und Kindern unter gewöhnlichen Verhältnissen 
keinerlei schädliche Wirkung, es ist aber kein ungefährliches 
Mittel und erscheint es geboten, ähnliche Vorsicht bei seiner 
Anwendung walten zu lassen wie beim Karbolgebrauch. 

2. Bei grösseren kranken Hautpartien oder ausgedehnten 
Wundflächen ist eine längere Applikation des Lysols, auch in 
obengenannter Verdünnung, zu meiden und gilt dies nament¬ 
lich von Kindern. Ebenso sind stärkere Lösungen als die er¬ 
wähnten zu meiden. 

3) Konzentrirtes Lysol wirkt auf unversehrter Haut ätzend 
und giftig und sind hiedurch schon die schwersten Vergiftungs¬ 
erscheinungen, ja selbst ein Todesfall (R 0 s s a) hervorgerufen 
worden. 

4. Innerlich genommen wirkt das Lysolum purum ebenfalls 
ätzend und giftig, und sind bei Kindern schon durch Mengen 
von 1 Kaffeelöffel voll wiederholt Todesfälle und bei Erwachsenen 
von 10 g an die schwersten Vergiftungserscheinungen beobachtet 
worden. 

5. Die mit Magenspülung behandelten Fälle von innerer 
Lysolvergiftung werden fast durchweg gerettet, während die der 
rechtzeitigen Magenspülung entbehrenden wiederholt tödtlich 
verliefen. 

6. Die beste Behandlung der inneren Lysolvergiftung ist 
die mechanische Entfernung des Lysols durch die Magenpumpe 
und soll diese in jedem Falle von innerer Vergiftung, auch bei 
ganz kleinen Kindern, angewendet werden. 

7. Bei innerer Anwendung des Lysols halte man sich mehr 
an die Minimal-, als an die bisher empfohlenen Maximaldoseu 
und wende das Mittel nur vorübergehend, bei Kindern und ge¬ 
schwächten erwachsenen Patienten nur mit grösster Vorsicht, 
oder besser gar nicht an. 

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Viertelj.-Schrift f. gerlchtl. Med. 3. Th., Bd. X, 1896. — Schmidt s 
Jahrbücher 1896, Bd. 249, S. 74 u. 132: Sur la dßsinfection des 
matteres fßcales normales et pathologiques. Etüde de valeur com- 
par6e des divers df*sinfectants chimiques actuels, par H. Vincent 
Ann. de l’Inst. Pasteur, IX. Jan. 1895. — Ibidem. Fagerlund: 
Selbstmord einer erwachsenen Person durch Lysol. — E. Tra- 
b a n d t: Therap. Monatsh. 1896, No. 7. Ueber die örtliche Wir¬ 
kung des unverdünnten Lysols. — E. Saal f ei d: Ueber das 
gleiche Thema. Therap. Monatsbl. 1896, No. 5. — Hammer: 
Ueber die deslnflzirende Wirkung der Kresole und die Herstellung 
neutraler wässeriger Kresollösungen. Arch. f. Hygiene Bd. XII 
u. XIV. — Virchow 1896: Bericht für das Jahr 1895, 1. Bd.. 
S. 370. Referat über Haberda’s Vergiftung durch Lysol und 
C o r n s t o o k’s Fall. — Hu sein ann: Lysolismus. Handbuch 
der Therapie innerer Krankheiten von F. Penzoldt und 
Stlntzing 1897, II. Bd., S. 510. Ibidem: Lysol zur Desinfektion. 
Bd. I, S. 67. — Heinrich Crämer: Lysolvergiftung bei Uterus- 
ausspülung. Centralbl. f. Gynük. 1898, No. 39 und Jahrb. über d. 
Leist, u. Fortschr. d. ger. Medlc. von Virchow, 1898. — G. Kluge. 

I. Assistent an der k. med. Univ.-Polikllnik in Kiel: Beitrag zur 
Kenntniss der Lysolvergiftung. Münch, med. Wochenschr. 1898. 

II. Bd., S. 889 und Jahrb. über die Leist, u. Fortschr. d. ger. Med. 
von R. Virchow, 1898, Bd. I, 381. — Schmidt’s Jahrbücher 
1898, Bd. 257, S. 197. H eff ler: Bericht über toxik. Arbeiten 
über Aetzwirkungen durch Lysol von Trabandts, Saalfeld 
und B e r g e 1. 


Aua dem Herrmnnnhaus (Unfall-Nervenklinik der Sächsischen 

Baugewerksborufsgenossenschaft) in Leipzig-Stötteritz. 

Ein Fall von multipler Neuritis nach Kohlenoxyd¬ 
vergiftung mit Betheiligung der Sehnerven. 

Von Dr. H. Schwabe, Nervenarzt in Plauen i. V., ehern. 

Assistenten der Anstalt. 

Unter den durch Vergiftungen hervorgerufenen Erkran¬ 
kungen des peripheren Nervensystems ist eine der am längsten 
bekannten die nach Abklingen der schweren, durch die Ein¬ 
ut Innung von Kohlenoxydgas (Kohlendunst, Leuchtgas u. dergl.) 
verursachten Allgemeinerscheinungen bisweilen beobachtete Ner¬ 
venentzündung. Ohne auf die bezügliche Literatur, die sich 
ziemlich vollständig bei dem betreffenden Kapitel der ausge¬ 
zeichneten R e m a k’schen Monographie über Neuritis und Polv- 
ncuritis ') berücksichtigt findet, näher einzugehen, sei hier nur 
darauf hingewiesen, dass schon 1865 von Lendet 1 ) auf Grund 
eines Sektionsbefundes die Ansicht vertreten worden ist, dass 
eine Entzündung peripherer Nerven die Ursache der von ihm 
und Anderen beobachteten Lähmungen sei. 

Immerhin ist die Zahl der bisher mitgetheilten, hierher- 
gchörigen Beobachtungen eine recht geringe. Ich bin daher 
Herrn Prof. W indscheid für die Ueberlassung, wie die An¬ 
regung zur Veröffentlichung eines von uns im Anfang dieses 
Jahres beobachteten Falles zu besonderem Danke verpflichtet, zu- 

') Nothnagel’s Handbuch der spec. Pathol. u. Therap. XI. Bd.. 

III. Th., III. AbthelL, pag. 633. Wien 1899. 

’) Arch. gßnßral. de M6decine 1865, pag. 518. 


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24. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1531 


mal derselbe wegen einiger Besonderheiten, in erster Linie der 
Betheiligung der Sehnerven an der Erkrankung, ein erhöhtes 
Interesse in Anspruch zu nehmen geeignet ist. 

Leider haben wir die Erkrankung nicht von Anfang an zu 
beobachten Gelegenheit gehabt. Ich bin vielmehr, da der Patient 
erst mit Beginn der berufsgenossenschaftlichen Fürsorge in 
unsere Behandlung trat, für die ersten 13 Wochen auf die ana- 
mncstischen Angaben des Erkrankten und die freundlichen Mit¬ 
theilungen des zunächst behandelnden Arztes, Herrn Dr. Schu¬ 
mann in Döbeln, angewiesen. 

Jacob G., Arbeiter, 36 Jahre alt, verheirathet, angeblich erb¬ 
lich nicht belastet und besonderen Schädlichkeiten auch sonst nicht 
ausgesetzt gewesen, insbesondere kein Trinker, wurde am 10. I. 
1901 aufgenommen. Er war angeblich am 3. X. 1900 — nach Aus¬ 
weis der Unfallanzeige am 29. IX. 1900 — zusammen mit dem 
Aufseher F. in der Zuckerfabrik D. mit Einwerfen von Kalkstein 
in einen Cokesofen beschäftigt; aus unaufgeklärter Ursache trat 
dabei Gas nach oben aus, beide wurden — nach G.’s Angabe — 
ziemlich plötzlich wirr im Kopf, fielen um, wurden nach kurzer 
Zelt bewusstlos aufgefunden und heruntergetragen; während bei 
F. die Wiederbelebungsversuche erfolglos blieben, wurde G. daun 
in ganz verwirrtem Zustande, heftig delirirend, erst in seine Woh¬ 
nung und später in’s Krankenhaus geschafft, wo er nach einigen 
Tagen in einen somnolent-komatöson Zustand mit Pulsverlang- 
samung und Erbrechen verfiel und um den 10. X. wieder zur Be¬ 
sinnung kam. G. klagte dann in den nächsten Tagen über heftige 
Schmerzen. Kältegefühl und Empfindungslosigkeit, besonders in 
den unteren Extremitäten — „das Bein sei wie gar nicht da“ — 
und bot an beiden, besonders am rechten Bein, ausgesprochene 
Bewegungsstörungen dar, die sich auch durch das Fehlen fara- 
disclier Erregbarkeit als durch periphere Lähmung bedingt cha- 
rakterisirten. Nach G.’s Angabe wäre auch das r. Bein gleich 
nach dem Erwachen geschwollen gewesen, hätte er auch 
Schmerzen im r. Arm gehabt und auch Sehstörung gleich von An¬ 
fang an bemerkt, während er nach Mittheilung des behandelnden 
Arztes erst um Neujahr Uber seine Augen geklagt hat und am 
13. X. 1900 Im Krankenjournal bemerkt ist: „liest einen Brief“. 

Bei der Aufnahme G.’s in’s Hermannhaus war in manchen 
Beziehungen bereits eine Besserung eingetreten, insbesondere die 
allgemeine Schwäche, sowie die Erscheinungen seitens des Kopfes, 
Kumpfes und r. Arms beträchtlich zurückgegangen. Die Be¬ 
schwerden G.’s bestanden wesentlich in Schwäche und Schmerzen, 
besonders Kälteempflndungen, beider Beine, r. > 1., an der 
Aussenseite > Innenseite, und Schwäche des r. Arms ohne be¬ 
sondere Schmerzen. 

Die Untersuchung des grossen, blassen und dürftig genährten, 
ängstlich-besorgt aussehenden und leicht zum Weinen geneigten 
Mannes ergab an den inneren Organen ausser raässiger Arterio¬ 
sklerose und geringem Emphysem keine Störungen. Die Mus¬ 
kulatur des Gesichtes war schlaff, das Pfeifen ging mangelhaft, 
das Verziehen des Mundwinkels nach 1. war nur schlecht möglich, 
doch erfolgten die Bewegungen sonst gleichmässig und war auch 
die Funktion der übrigen Ilirnnerven, vom Augenbefunde (s. u.) 
abgesehen, ungestört 

Die Arme und Hände waren aktiv frei beweglich, die Kraft, 
besonders r., deutlich herabgesetzt; der Händedruck betrug r. 15, 
1. 23 kg. Es war weder stärkerer Tremor manuum, noch Druck- 
empflndlichkeit der Nervenstämme, noch Störung der Sensibilität 
oder Reflexe zu konstatiren. 

Das r. Bein nebst Gesäss war erheblich schwächer als 1., 
fülüte sich kühl an und war, besonders Unterschenkel und Fuss, 
auffallend cyanotlsch, die Muskulatur äusserst gering, schlaff 
und welk. Der Umfang der Wade betrug r. 28,5, 1. 32,0 cm, der 
Olwrschenkel (20 cm oberhalb der Patella) r. 40,0, 1. 43,6 cm. 
Die aktive Beweglichkeit war beiderseits eine ausgiebige, nur am 
r. Fuss in mässlgem Grade eingeschränkt; bei passiver Bewegung 
zeigte sich besonders am r. Hüftgelenk deutliche Hypotonie, so 
dass z. B. das r. Bein gestreckt fast an den Rumpf angelegt 
werden konnte; die grobe Kraft war 1. leidlich, r., besonders an 
den distalen Abschnitten, sehr gering; der r. Fuss, an dem ein 
geringer Grad von Plattfuss bemerkbar war, hing beim ruhigen 
Liegen mit der Spitze herab und wurde beim Gehen ln ent¬ 
sprechender Stellung schlendernd nach vorn geschleppt; G. 
brauchte beim Gehen eine Stütze und ermüdete nach wenigen 
Schritten. Eigentliche Ataxie bestand nicht, ein geringes Schwan¬ 
ken beim R o m b e r g’schen Versuch war durch die Schwäche des 
r. Beins bedingt. 

Die Sensibilität war an beiden Beinen, r. wesentlich > 1., für 
alle Qualitäten derart herabgesetzt, dass ohne scharfe Grenzen 
l>eginnend, die Intensität der Störung nach der Peripherie hin 
zunahm, die Aussenseite durchweg stärker betroffen war, als die 
Innenseite, am r. Unterschenkel und Fuss nahezu völlige An- 
oesthesie (1. nur beträchtliche Hypnesthesie) bestand: dal>ei 
wurden durchweg Nadelstiche noch empfunden, wo Tastempfin¬ 
dung schon fehlte, und bestanden spontan, nahezu dom wirklichen 
Empfindungsvermögen umgekehrt proportional, am stärksten am 
r. Fuss und Unterschenkel, heftige Schmerzen und quälende, be¬ 
sonders Kälteempflndungen. Die Druckempfindlichkeit der Nerven 
und Muskeln (besonders Nn. femor., tibial., peron.. Mm. quadrie. 
fern, und triceps surae) war 1. > r.; Dehnung des N. ischlad. 
durch Erheben des gestreckten Beins war nicht schmerzhaft. 

Die Patellarreflexe waren beiderseits prompt (vielleicht 
1. > r.), der Achillesehnen- und Sohlenreflex 1. schwach, r. nicht 
auszulösen, die sensiblen Reflexe im Uebrigen lebhaft. 

No. 39. 


Die elektrische Untersuchung ergab am 1. Bein und r. Ober¬ 
schenkel qualitativ normale Erregbarkeit mit Ausnahme des r. 
M. biceps femor., an dem Zuckungsträgheit zu bemerken war. 
Am r. Unterschenkel bestand sowohl im Tibialis- wie im Peroneus- 
gebiet deutliche Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit vom 
Nerven und Muskel aus, sowie bei vorhandener herabgesetzter 
galvanischer Erregbarkeit der Nerven allgemeine EaR mit Ueber- 
wlegen der AnSZ; die ausgelösten Zuckungen waren entsprechend 
der Atrophie durchweg kraftlos; die Erregbarkeit des M. tibial. 
ant. war nahe dem Fussgelenk grösser als an der normalen Reiz¬ 
stelle. 

Unter der Behandlung mit Massage und Gymnastik, Galvani¬ 
sation und faradischen Fuss- und anderen Bädern, gelegentlicher 
Darreichung von Phenacetin u. dergl besserten sich zugleich mit 
dem Allgemeinbefinden (das Körpergewicht stieg bis 1. V. von 
128 auf 138‘/ 2 Pfund) die lokalen Erscheinungen. Die Muskulatur 
der Arme und Beine wurde kräftiger und straffer, der Händedruck 
betrug Ende März bereits r. 31 (=4-16), 1. 34 (= -f- 11) kg, der 
Umfang der Oberschenkel am 1. V. r. 44,5 (= -f- 4,5), 1. 47,8 
(:=-}-4,2) cm, der der Waden r. 31,1 (= -f- 2,6), 1. 34,6 (ebenfalls 
-j- 2,6) cm, während G. seit Ende März von selbst angefangen 
hatte, sich leichte Beschäftigung in Haus und Hof zu suchen 
und gut ohne Stütze längere Zeit gehen und stehen konnte. 
Ebenso hatte sich zu dieser Zeit die elektrische Erregbarkeit soweit 
wieder hergestellt, dass nur noch partielle EaR von M. peron. 
long., Abduct. hallue., Flex. digit. min., einem Tlieil der übrigen 
kleinen Fussmuskeln und vielleicht einzelnen Fasern des Cap. ext. 
des M. triceps surae bestand, und besserte sich bis zur Entlassung 
am 1. V. weiter, so dass nur noch ausser einer gewissen allge¬ 
meinen quantitativen Herabsetzung ein Ueberwiegen der Anode 
(EaR?) an einem Theile der kleinen Fussmuskeln konstatirt 
werden konnte. Die Sensibilität stellte sich gleichzeitig soweit 
wieder her, dass, ausser an einem Theile der r. Sohle und Zehen, 
auch leichtere Berührungen, wenn auch nicht in normaler Stärke, 
wahrgenommen wurden. Die spontanen Schmerzen bestanden 
dabei angeblich weiter, während vorübergehend von Mitte Fe¬ 
bruar ab auch über Ameisenkriechen geklagt wurde und zugleich 
bei elektrischer Reizung der Nerven ausstrahlende Schmerzen 
angegeben wurden. Endlich war auch am 1. V. noch Kühle und 
Cyanose des r. Fusses und Hypotonie der Hüfte nachweisbar. G. 
wurde Indessen entlassen, da er oft Ungeduld zeigte und zu Weh¬ 
leidigkeit und Uebertrelbung zu neigen anfing. 

Die am 24. I., 7. II. und 1. V. durch Herrn Prof. Schwarz, 
dem ich nicht nur in diesem Falle für seine liebenswürdige Aus¬ 
kunft und Belehrung Dank schulde, vorgenommene Untersuchung 
der Augen ergab am 24. I. beiderseits neben beträchtlicher Hyper- 
metropie eine mässige Herabsetzung der Sehschärfe: r. 6,5 DS 

— < 7«» 1. + 7,0 DS = ♦/„, ein Befund, der sich im Laufe der Zeit 
insofern änderte, als die manifeste Hypermetropie bis zum I. V. 
1. auf 6,5, r. auf 5,5 (am 7. II. 6,0) D bei annähernd gleichbleibender 
S (r. >. 1.) zurückging. 

Ueberelnstimmend hiermit ergab die Prüfung des centralen 
Farbensinns bei normalen Gesichtsfeldgrenzen eine Herabsetzung 
wesentlich auf dem 1. Auge, am stärksten für grün, am geringsten 
für blau: von Wolffberg’s kleinsten Gesichtsfeldproben von 
3 mm Durchmesser wurde erkannt: 

grün roth, gelb blau 

1. in <1 2,5 1,5 

r. >2 3,5 > 2,0 m 

Entfernung. Die Untersuchung mit dem Spiegel ergab bol den 
ersten Untersuchungen beiderseits etwas verschwommene Papillen¬ 
grenzen und r. allgemeine, 1. auf den oberen inneren Quadranten 
beschränkte abnorme Röthung. Diese entzündlichen Erschei¬ 
nungen gingen später zurück, indem die Papillengrenzen lm Ver¬ 
lauf der weiteren Beobachtung schärfer wurden und die Röthung 
mehr und mehr abnahm. 

Ferner zeigte sich, während die Augenmuskeln Im Uebrigen 
keine Störungen erkennen liessen, eine deutliche Verminderung 
der rechtsseitigen Accommodationsbreite derart, dass erst bei 
Uebercorrektion der Hypermetropie mit -(- 8,0 D die Einstellung 
auf 22 cm möglich wurde, ein Verhalten, das am 7. II. nochmals 
konstatirt, am 1. V. sich soweit gebessert hatte, dass mit 5,5 
auf 24 cm accommodirt werden konnte. Auffällig ist dagegen 
das Verhalten der Accommodationsfähigkelt 1., die am 24. I. mit 
-f- 7,0 einen Nahpunkt in 17, am 7. II. mit -f- 8,0 In 23, und am 1. V. 
mit -|- 8,0 ln 24 cm ergab. 

Das Verhalten der Pupillen, die zur Zeit der Aufnahme G.’s 
different (r. >. I.) und weit waren und zwar prompt, jedoch nicht 
sehr ausgiebig auf Licht reagirten, liess bei den späteren Unter¬ 
suchungen keine Störungen erkennen. 

Es handelte sich demnach zweifellos um eine peripher-ent¬ 
zündliche Erkrankung des r. N. ischiad., die nach der Peripherie 
zu an Intensität zunehmend, ausgesprochene Tendenz zur Hei¬ 
lung zeigte und sich während der Behandlung zum grossen Tlieil 
zurückbildetc. Unter Berücksichtigung dieser Thatsachen 
glaubo ich weiter berechtigt zu sein, auch als Grundlage 
der im Gebiete des L N. ischiad., der Nn. femoral., der, 
besonders des r., Armnerven, vielleicht auch des 1. unteren 
Fncinlisastes beobachteten geringeren oder stärkeren Störungen 

— der Schwäche, sowie der sensiblen und reflektorischen Stör¬ 
ungen und der Druckempfindlichkeit der Nerven und Muskeln 
am 1 . Bein — eine leichtere, mehr weniger bereits abgelaufene. 


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1532 


MUENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39. 


neuritische Affektion anzunehmen, ohne allerdings dieselbe strict 
beweisen zu können. Endlich lag eine in Abheilung begriffene 
Neuritis optica vor, als deren Ausdruck besonders die linksseitige 
Herabsetzung des centralen Farbensinns neben dem objektiven 
Befund hervorzulieben ist, sowie eine rechtsseitige Accomo- 
dationslähmung, die wir besonders unter Berücksichtigung des 
den übrigen Krankheitserscheinungen parallelen Verlaufs wohl 
ebenfalls auf einen entzündlichen Process am peripheren Nerven 
oder an den Wurzelfasern — nicht auf eine destruktive Ver¬ 
änderung im Kerngebiet — zurückführen dürfen. 

An dem Zusammenhang der Erkrankung mit der Vergiftung 
kann nach Lage der Dinge wohl kein Zweifel sein. 

Von Interesse ist zunächst die grosse Ausbreitung des ent¬ 
zündlichen Processes, die in der bisherigen Literatur kaum ihres 
Gleichen hat, jedoch darin mit den bekannten Fällen überein¬ 
stimmt, dass die Vertheilung auf die einzelnen Nerven und 
Muskelgebiete, wenn man von einer gewissen Bevorzugung der 
distaleren Theile absieht, keinerlei Gesetzmässigkeit, wie etwa 
bei der Bleilähmung erkennen lässt. So sind bisher neben ein¬ 
zelnen Fällen ’), in denen sich die Erkrankung auf den Trige¬ 
minus, den Axillaris oder Medianus und Ulnaris beschränkte, 
eine etwas grössere Anzahl von solchen beobachtet, in denen 
wesentlich der N. radialis, die Nerven eines Arms oder besonders 
der N. ischiad. einer Seite betroffen waren. Nur in wenigen, noch 
dazu nicht ganz eindeutigen Fällen (Lendet’s Fall V, Roki¬ 
tansky*), die beide tödtlich verliefen, handelte es sich um eine 
doppelseitige Affektion; in einigen anderen, besonders von 
Rendu’), wo ausser Arm und Bein auch der Facialis, in dem 
3. Fall Maczko wski’s 4 ), in dem fast das ganze linke Bein 
und Arm erkrankt waren, war die Ausbreitung insofern der im 
Fall G. ähnlich, als besonders in letzterem die distalsten Theile 
ebenfalls am stärksten affizirt waren, und besonders die Nn. 
tibial. n. peron. noch keine Tendenz zur Heilung zeigten, als die¬ 
selbe am Arm, ausser im Ulnarisgebiet, bereits fast vollendet 
war. 

Trophische Störungen, wie sie vielfach als Ausdruck neu- 
ritischer Veränderungen berichtet sind, haben wir ausser der 
Kühle und Cyanose der Haut des rechten Unterschenkels und 
Fusses nicht mehr beobachten können. Immerhin ist die An¬ 
gabe G.’s, dass Anfangs das r. Bein geschwollen gewesen sei, 
wohl auf eine derartige Affektion zu beziehen. 

Sehr ausgesprochen waren die sensiblen Störungen, deren 
Restitution im Gegensatz zu anderen Erfahrungen nur langsam 
vorwärts ging, sowie besonders die sensiblen Reizerscheinungen, 
deren vorübergehende Zunahme im Beginn der Wiederherstel¬ 
lung des Gefühls Vermögens u. A. auch von Litten, E. Re¬ 
in ak 5 ) und Maczkowski') (Fall I) erwähnt wird. 

Als Analogon der auch bei G. beobachteten Accommodations- 
paresc ist auf den bisher einzig dastehenden Fall von Knapp*) 
hinzuweisen, in dem neben anderen Augenmuskelstörungen, be¬ 
sonders der rect. sup. und int., noch nach 2 Monaten eine Accom- 
modationslähmung konstatirt werden konnte, die sich dann zu¬ 
gleich mit den anderen Störungen nach und nach besserte. Ob 
der von Emmert 1 ) mitgetheilte, von ihm selbst als central 
durch haemorrhagisclie Prooesse in dor Gegend der Nervenkerne 
bedingt aufgefasste Fall von Lähmung des 1. N. oculomot. und 
einzelner Aeste des N. V und VII, in dem fast völlige Wieder¬ 
herstellung eintrat, hierher gehört, lasse ich dahingestellt. Von 
Interesse erscheint im Fall G. auch der Umstand, dass mit 
der Wiederkehr dor Funktion und des Muskeltonus sieh auch die 
Refraktion des Auges änderte, so dass unter Hinzurechnung von 
1 D latent gewordener Hypermetropie am 1. V. eine Accommo- 
dationsbreite von 5 D gegenüber 3 D am 24. I. und 7. II fest- 
gestellt werden konnte. 

Eine Erklärung des eigenthümlichen Verhaltens der Accom- 
modation des linken Auges zu geben, bin ich nicht sicher im 
Stande, halte es indess, in Uebereinstimmung mit Herrn Prof. 
Schwarz eher für wahrscheinlicher, dass es sich um hysterische 
Störungen — als um eine organisch bedingte Accommodations- 
parese — handelt. 

*) Vergl. Remak 1. c. 

4 ) Neurol. Centralbl. 1900, pag. 520. 

*) Remak: 1. c., pag. 629; Litten: Deutsch, med. Wocheu- 
schr. 1889, No. 5. 

*) Arch. f. Augenheilk. IX., p. 229. 

*) Corr.-Bl. f. Schweiz. Aerzte 1890, pag. 42. 


Nicht beschrieben ist bisher nach CO-Vergiftung, soweit 
mir die einschlägige Literatur zu Gebote stand, eine Entzündung 
des Sehnerven, wie sie im Fall G. beobachtet wurde. 

Von ähnlichen Sehstörungen finde ich ausser der jedenfalls 
nicht auf Neuritis zu beziehenden Angabe von Hilbert*), dass 
er nach Kohlenoxydvergiftung Xanthopsie mit Herabsetzung des 
Sehvermögens und Einengung des Gesichtsfeldes, die jedoch 
schon nach einem Tage wieder verschwunden sei, beobachtet 
habe, nur 2 von Schmitz*) beschriebene Fälle. Während 
von diesen im II., neben sonstigen ausgesprochen hysterischen 
Störungen, Gesichtsfeldeinengung mit Herabsetzung der cen¬ 
tralen Sehschärfe auf V, ohne objektiven Befund vorlag, fand 
sich im I. neben der ausserordentlich hochgradigen concen- 
trischen Gesichtsfeldeinengung (bis auf 5°) mit entsprechender 
Farbenstörung und Herabsetzung der Sehschärfe auf V, „nur 
in den ersten 2 Wochen starke Anfüllung der Venen, Enge der 
Arterien, beiderseits oberhalb der Papille an dieselbe angrenzend 
und ihr an Grösse entsprechend, eine grauweisse, eine kurze 
Strecke eine Vene verdeckende diaphane Trübung“, später nor¬ 
maler ophthalmoskopischer Befund, insbesondere auch nach 
Jahren keine Abblassung der Papille, wie auch die Sehschärfe 
von 4—5 Monaten nach der Vergiftung ab dauernd normal war. 
Die Accommodationsbreite ist nicht bestimmt worden, dagegen 
findet sich die Notiz, dass Anfangs die Pupillenreaktion träge 
gewesen sei, und dass noch nach Jahren an Händen und Füssen 
Sensibilitätsstörungen nachweisbar waren. Es muss dahin¬ 
gestellt bleiben, ob es sich, wie Schmitz nach Analogie einer 
auch von Knies 10 ) citirten Beobachtung L e b e Ps annimmt, 
in diesem Fall um eine leichte organische Läsion der Sehnerven, 
etwa durch Kompression am Foram. optic. gehandelt hat, ob 
auch hier Hysterie im Spiel ist oder die Störung und der oph¬ 
thalmoskopische Befund in Analogie zu setzen ist mit den häufig 
gefundenen multiplen kleinen Blutungen resp. Erweichungs¬ 
herden im Gehirn, als deren Ursache nach den Untersuchungen 
von Klebs 11 ) die durch die Vergiftung hervorgerufene Gefäss- 
atonie anzusehen ist. Dieser Schmitz’ache Fall wäre dann 
ein Gegenstück zu der von Becker“) in einem als multiple 
Sklerose nach CO-Vergiftung beschriebenen Falle mitgetheilten 
Beobachtung, wonach er „beiderseits Hyperaemie der Netzhaut¬ 
venen und im r. Auge am unteren inneren Papillenrande ein 
kleines Exsudat, welches eine Vene eine Strecke weit bedeckte“ 
fand. Becker, der leider über das Sehvermögen keine näheren 
Angaben macht, weist ebenfalls schon auf die Möglichkeit obigen 
Zusammenhangs hin und ein solcher darf auch wohl zur Er¬ 
klärung des später von Possolt 1 *) erhobenen Befundes von 
„deutlicher Hyperaemie am Augenhintergrund“ in einem tödt¬ 
lich verlaufenen Falle herangezogen werden, in dem die Obduk¬ 
tion unter anderem beiderseits im Linsenkern Erweichungsherde 
ergab. 

Dieser auffallend geringen Anzahl positiver Befunde steht 
allerdings nur eine gleich geringe Zahl von Notizen gegenüber, 
in denen ein normales Verhalten des Augenhintergrundes ver¬ 
merkt wird. Man wird daher Knies 14 ) wohl zustimmen dürfen, 
der annimmt, dass vielleicht häufiger derartige Veränderungen 
gefunden würden, wenn öfter danach gesucht würde. 

Ist es so bei der geringen Zahl der bisher mitgetheilten 
Untersuchungen und vielleicht auch wegen des Mangels darauf 
gerichteter Aufmerksamkeit erklärlich, dass bisher ein gleicher 
Befund wie im Falle G. noch nicht erhoben zu sein scheint, so 
liegt andererseits doch kein Grund vor, an seiner Bedeutung als 
Theilorscheinung des ganzen Krankheitsbildes zu zweifeln und 
ihn etwa als zufällige Komplikation anzusehen. Erscheint es zu¬ 
nächst schon an und für sich wohl verständlich, dass eine Noxe, 
die erfahrungsgemäss an den verschiedensten peripheren Nerven 
zu entzündlichen Processen führt, auch am Sehnerven derartige 
Veränderungen hervorrufen kann, so ist dies um so wahrschein¬ 
licher, als wir bei einer ganzen Reihe von Polyneuritiden, be- 

*) Memorab. XL, 2, pag. 72, ref. J.-Ber. f. Ophthal mol. 1896, 
pag. 456. 

*) Ueber die Einwirkung der Kohlenoxydgas-Vergiftung auf 
das Auge. Festschr. Wiesb. Bergmann 1893. 

10 ) Die Beziehungen des Sehorgans und seiner Erkrankungen 
etc. Wiesb. 1893. pag. 226 ff. 

M ) VIrchow’s Arch. XXXII. 

”) Deutsch, med. Wochenschr. 1889, No. 26—28. 

l *) Wien. klin. Wochenschr. 1893, No. 21 u. 22. 

,4 ) L c. pag. 359. 


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24. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1533 


sondere solchen toxischen Ursprungs, derartige Kombinationen 
lange kennen, eine Thatsaohe, die Uhthoff“) veranlasste, 
alle „diejenigen Intoxikationen oder Infektionskrankheiten, die 
zu multipler Neuritis disponiren“ als eine Gruppe zusammen¬ 
zufassen, bei der auch Sehnervenaffektionen im Wesentlichen vom 
Charakter der retrobulbären partiellen Neuritis optica auftreten. 

Es liegt mir selbstverständlich fern, aus dem mitgetheilten 
Falle, zumal bei der Lückenhaftigkeit der Beobachtung in dieser 
Hinsicht, die sich aus dem ursprünglich rein praktischen Inter¬ 
esse des Falles erklärt, irgendwie weitergehende Schlüsse auf die 
Pathogenese ziehen zu wollen. Ich möchte jedoch auch nicht 
unterlassen, darauf hinzuweisen, dass, wenn auch eine so aus¬ 
gesprochene Beeinträchtigung des centralen Sehens, wie sonst 
bei derartigen Amblyopien, nicht nachzuweisen war, doch die 
Herabsetzung des Farbensinns, insbesondere die starke Beein¬ 
trächtigung der Grünwahrnehmung, auf die Analogie der vor¬ 
liegenden Affektion mit anderen toxischen Neuritiden, besonders 
den nach Alkohol- und Schwefelkohlenstoffvergiftung auftreteu- 
den, hinzuweisen scheint, sowie dass möglicher Weise die nur 
theilweise Röthung der linken Papille schon als Ausdruck einer 
beginnenden temporalen Abblassung aufgefasst werden muss. 

Diese nahe Verwandtschaft der Krankheitsbilder könnte 
auch für die pathogenetische Auffassung der Kohlenoxyd¬ 
neuritis noch eine andere Bedeutung haben. Erklärt sich einer¬ 
seits vielleicht das relativ seltene Vorkommen derartiger Zu¬ 
stände dadurch, dass es sich, im Gegensatz zu der ausgesprochen 
chronischen Entwicklung z. B. der Alkoholneuritis, bei der CO- 
Intoxikation fast ausnahmslos um eine einmalige mehr weniger 
intensive Einwirkung des Giftes handelt, so bleibt doch noch die 
Frage ungelöst, warum bei gleicher Intensität der Vergiftung 
einmal nach Abklingen der eigentlichen Intoxikationserschei¬ 
nungen Wiederkehr der Gesundheit, im anderen Fall langwierige 
Nachkrankheiten zur Beobachtung gelangen. Die von Schwe¬ 
rin 1 *) ausgesprochene, unter Anderen auch von E. Eomak'’) 
abgelehnte Hypothese, dass es sich stets um Drucklähmung in 
Folge der Lage während des komatösen Zustandes handle, mag 
ja für einzelne Fälle, darunter auch den von Schwerin mit¬ 
getheilten, zutreffen, sie mag auch in vielen Fällen für die Ent¬ 
stehung schwerer trophischer Störungen, des häufig beobachteten 
Decubitus, verantwortlich gemacht worden, jedenfalls ist aber 
der Druck des Körpers nicht das einzig in Betracht kommende 
Moment. Ist es doch, wie in anderen Fällen, auch im Fall G., 
nicht wohl zu verstehen, wie eine derartig ausgedehnte, doppel¬ 
seitige Erkrankung durch eine bestimmte Lage hervorgerufen 
werden, wie vor Allem die Augenaffektion davon abgeleitet wer¬ 
den könnte. 

Viel eher glaube ich, dass man entsprechend der vielseitigen 
Analogie der Krankheitsbilder daran denken muss, dass chro¬ 
nischer Alkoholgenuss prädisponirond für die neuritisehe Er¬ 
krankung eingewirkt haben kann, ähnlich wie Plenio 1 *) in 
etwas anderem Sinne auf den ungünstigen Einfluss des Alko¬ 
holismus auf die allgemeine Prognose bei CO-Vergiftung hin¬ 
weist. Näher auf diesen Punkt oder gar auf die Frage, ob es 
sich dabei um eine primäre oder mittelbare Schädigung der ner¬ 
vösen Elemente handelt, einzugehen, liegt um so mehr ausserhalb 
des Zwecks dieser Zeilen, als die im Fall G. erhobenen anam¬ 
nestischen Angaben in dieser Hinsicht weder ausreichend noch 
zuverlässig genug sind, um eine Verwerthung zu rechtfertigen. 
Ich beschränke mich deeshalb darauf, an der Hand des Falles 
selbst und obiger Ueberlegungen, wie auf das Vorkommen von 
Neuritis opt. nach CO-Vergiftungen, so auch auf die Möglich¬ 
keit eines Zusammenhangs zwischen dem Auftreten schwerer 
neuritischer Nachkrankheiten nach derartigen Vergiftungen und 
vorherigem chronischen Alkoholismus hinzuweisen. 


Ueber einen Fall durch Operation geheilter 
Perforation8peritonitis. 

Von Dr. Brunotte in Bitsch (Lothringen). 

Die Entstehungsureache der sogen. Perforationsperitonitis 
ist in der Mehrzahl der Fälle die Perforation irgend eines Bauch- 

**) Vortr., XIII. Internat med. Kongr. ln Paris, 4. VIII. 1900; 
ref. im Arch. f. Augenheilk. XLII, pag. 220. 

**) Bert klin. Wochenschr. 1891, pag. 1089. 

,f ) L c. pag. 526. 

") Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XLIII. 


eingeweides im Peritonealraum. Der Durchbruch kann von 
innen her erfolgen oder durch eine äussere Verletzung hervor¬ 
gerufen werden. Abgesehen von diesen letzteren Fällen sind es 
meist geschwürige Procesae des Magendarmkanals, die die Ur¬ 
sache bilden, zunächst der Magen — Ulcus ventriculi —, der 
Zwölffingerdarm, der untere Theil des Dünndarms, besonders der 
Wurmfortsatz, das Kolon. Dann aber auch die Gallenblase, be¬ 
sondere durch Steine, die Tuben, Ovarien, der Uterus und die 
Harnblase. Die Perforation kann plötzlich erfolgen oder aber 
es geht ein Stadium lokalisirter Entzündung voraus, wobei dann 
erst in Folge des Nachgebens der Verklebungen eine diffuse Ent¬ 
zündung zur Entstehung kommt. Danach hat man zunächst 
zwischen freier und abgekapselter Perforationsperitonitis zu 
unterscheiden. 

Die Dauer einer freien Perforationsperitonitis ist meist eine 
sehr kurze; mitunter tritt nach der Perforation der Tod sofort 
ein unter schockartigen Erscheinungen, in anderen Fällen nach 
wenigen Stunden oder Tagen; Genesungen sind äusserst seltene 
Ausnahmen. 

Bei so schlechter Prognose lässt es sich wohl denken, wie 
freudig es seiner Zeit bogrüsst wurde, als Chirurgen es unter¬ 
nahmen, auf operativem Wege dieser gefürchteten Erkrankung 
beizukommen, und die ersten Heilungserfolge veröffentlichten. 

Mikulicz und Krönlein 1 ) machten die ersten Opera¬ 
tionen mit Erfolg und seit dieser Zeit finden sich zahlreiche 
Veröffentlichungen über Heilungen durch operativen Eingriff. 

Rioblanc 5 ) berechnet die Heilungserfolge bei trau¬ 
matischer Perforationsperitonitis auf 28 Proc., bei ulceröser (mit 
Ausschluss der Perityphlitis), also nach Typhus, Tuberkulose, 
Ulcus ventriculi etc., auf 36 Proc., bei circumscripter Peritonitis 
nach Perityphlitis auf 85 Proc. Die Abhandlung R i o bl an c’s 
war mir leider nicht zugänglich, ich entnehme die Statistik 
einer über Perforationsperitonitis gleichfalls interessante Daten 
enthaltenden Arbeit von J a n z ’), der unter 29 • aufgezählten 
Fällen 10 Heilungen, also 34,5 Proc., beschreibt. Sehr in’s 
Gewicht fällt bei der erwähnten Statistik R i o b 1 a n c’s die An¬ 
gabe, dass es sich bei den operirten Fällen von Perityphlitis 
speciell um circumscripte Peritonitis gehandelt habe, die ja ent¬ 
schieden als die günstigste Form der Bauchfellentzündung an¬ 
gesehen werden muss und dementsprechende Heilungschancen 
bietet. Es handelt sich hier um eine durch Adhäsionen abge¬ 
grenzte, umschriebene, die eingedrungene Schädlichkeit durch 
Abkapselung umschlieesende Entzündung, während das übrige 
Bauchfell frei bleibt. Es fehlen hiebei auch die sonst das Krank¬ 
heitsbild vollständig beherrschenden peritonitischen Symptome. 
Andere bei den übrigen Formen, der diffusen, jauchig-eitrigen 
und der progredienten, fibrinös-eitrigen Bauchfellentzündung. 

Körte*) rettete unter 11 Kranken, die an fibrinös-eitriger 
Bauchfellentzündung litten, 6, unter 7 mit jauchig-eitriger, all¬ 
gemeiner Peritonitis keinen. Daraus ist ersichtlich, welch’ grosse 
Rolle die fibrinösen Verklebungen spielen, die die fibrinös-eitrige 
Form mehr der abgesackten nähern. 

Sonnenburg*) erzielte durch Operation 71 Proc. Hei¬ 
lungen bei progredienter, fibrinös-eitriger Entzündung, und 
44 Proc. bei jauchig-eitriger, in Gesammthedt 60 Proc. Heilung. 
Körte*) betont Eingangs seiner Abhandlung, dass jede Heilung 
einer eitrigen Peritonitis durch Operation einen wichtigen und 
miltheilenswertben Erfolg darstelle. Doch nicht dies allein ist 
es, was mich veranlasst, meinen einzelnen Fall zu beschreiben, 
sondern abgesehen von den möglichst ungünstigen äusseren Ver¬ 
hältnissen ergaben sich im Verlaufe der Behandlung verschiedene 
interessante Beobachtungen, so dass ich eine Mittheilung des¬ 
selben am Platz halte. 

Matthias O., 36 Jähriger Ackerer von Busweiler bei Bitsch, 
wurde am 10. Mai d. Ja. Morgens 6 Uhr beim Betreten des Stalls 
von einem Füllen mit dem Huf gegen die rechte untere Bauchseite 
geschlagen. Er verspürte zunächst zwar ziemlich erheblichen 
Schmerz an der getroffenen Stelle, verrichtete aber trotzdem die 
ca. % Stunden dauernde Stallarbeit weiter. Erst nach dieser Zeit 


‘) Arch. f. klin. Chir. 1880, XXXIII. 

*) Archive de mödecine et pharmacie mllltaires 1890, XVI. 

*) Janz: Inaug.-Dissert., Berlin 1891. 

*) Arch. f. klin. Chir. XXXXIV, 1890. 

*) Sonnenburg: Deutsch, med. Wochenschr. 1901, Xo. 15. 

*) 1. c. 


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6 * 

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1534 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39. 


wurde es ihm übel, kalter Schweiss trat ihm auf die Stirne, er 
wurde halb ohnmächtig und klagte über zunehmende Schmerzen. 
Gegen 10 Uhr wurde ich gerufen. Ich fand den Verletzten, einen 
hageren, aber kräftigen Mann, zu Bett liegend, nicht gerade 
schlecht aussehend, über keine besonderen Schmerzen klagend. 
Auf leichten Druck ist die Gegend des Blinddarms etwas empfind¬ 
lich, die übrigen Partien des Leibes sind schmerzfrei. Stuhlgang 
war am Tage vorher erfolgt. Während so zunächst nichts dafür 
sprach, dass durch den erlittenen Ilufschlag eine Verletzung des 
Darms hätte erfolgt sein können, wurde ich durch das Thermo¬ 
meter ln ganz bestimmter Weise aufgeklärt. Der kräftige, aber 
beschleunigte Puls, 90, veranlasste mich, die Körpertemperatur 
zu bestimmen In der Tliat konnte ich Fieber von 38,8 0 fest stellen. 
Da eine Untersuchung des übrigen Körpers ein negatives Resultat 
ergab, so war die Diagnose einer Darmverletzung sicher. 

Ich habe nirgends in der mir zugänglichen Literatur eine 
gleiche oder ähnliche Thatsaclie erwähnt gefunden, dass bereits 
4 Stunden nach erlittener Verletzung derartig erhöhte Temperatur 
bestand, mit anderen Worten, dass eine frisch entstandene Peri¬ 
tonitis einen derartigen foudroyanten Charakter trägt, ein aus¬ 
gezeichneter Beweis dafür, wie ausserordentlich empfindlich das 
Bauchfell auf infektiösen Reiz reagirt 

Der Vorschlag einer Operation wurde abgelehnt. Der Zu¬ 
stand des Verletzten schien der überhaupt messerscheueu Um¬ 
gebung trotz meiner eindringlichen Vorstellungen nicht so ge¬ 
fährlich, als dass sie einen Eingriff hätten vornehmen lassen, der 
von mir auch nicht als unbedingt sicher hingestellt werden konnte. 
So blieb denn nichts Anderes übrig, als den Verletzten zunächst 
mit Opium zu behandeln. 

Die Abendtemperatur betrug 39,2, Befinden immer noch leid¬ 
lich, mit Ausnahme von viel Singultus und Durst, Erbrechen nicht 
vorhanden. Am 11. Mai Morgens 38,0, Abends 39,4; ich hatte an 
diesem Tage den Patienten überhaupt nicht gesehen, die Hebamme 
des Orts, die ihn gemessen, schrieb, dass er ausserordentlich un¬ 
ruhig sei, über zunehmende Schmerzen im Leibe klage, viel auf- 
stosse und Schleim erbreche. Als ich am darauffolgenden Tage, 
am 12. Mal, den Verletzten wieder sah, fand ich nun etwas sehr 
Merkwürdiges. Im rechten Theil des Hodensacks befand sich 
eine fast faustgrosse Hernie, der Inhalt fühlte sich weich an, 
schien mir Netz zu sein, und befand sich bereits in leicht ent¬ 
zündlichem Zustand, so dass ganz leichte Repositionsversuche, die 
nicht gelangen, sehr starke Schmerzen verursachten. O. gab an, 
dass er nie ejwas von einem Bruch bisher wahrgenommen hätte, 
erst ln der letzten Nacht wäre derselbe ausgetreten. Wie ich 
einerseits ganz sicher bin, dass am 1. Tage der Beobachtung dieser 
Bruch noch nicht vorhanden, resp. noch nicht fühlbar war, so 
habe ich auch andererseits keine Veranlassung, an der Aussage des 
Kranken zu zweifeln, und bin mir offen gestanden über die Ent¬ 
stehungsursache dieses Bruchs auch jetzt noch vollständig im Un¬ 
klaren. An der Gelegenheit, bei zweifelsohne schon präformirter 
Bruchpforte einen ausgebildeten Bruch zu bekommen, hat es bei 
einem schwer arbeitenden Mann sicherlich bis dahin nicht gefehlt, 
wie sollte cs Jetzt bei Bettruhe dazu kommen? Das Erbrechen bei 
Peritonitis geht so charakteristisch ohne Würgen vor sich, dass 
die Bauchpresse dabei doch nur in ganz geringem Grade in Aktion 
tritt 

Abgesehen von diesem auffallenden Befund zeigte der Ver¬ 
letzte immer mehr in den Vordergrund tretende peritonitische 
Erscheinungen, Temperatur Morgens 39,0, Abends 39,8°, Puls 
klein, stark beschleunigt, 140, quälender Singultus, häufiges Er¬ 
brechen von thells gelben, galligen, theils grasgrünen Massen, 
kein Stuhlgang, keine Flatus, häutiger Harndrang. Der Leib war 
nicht besonders aufgetrieben, überall, besonders rechts unten, 
schon auf leisesten Druck sehr empfindlich, bei Percussion au 
allen Stellen Tympanie. Die Hernie ist ebenfalls stark druck¬ 
empfindlich, die Haut über derselben entzündlich geröthet, das 
ganze Skrotum leicht oederaatös. Trotz des elenden Zustands des 
Kranken und trotz der eindringlichsten Vorstellungen wird Opera¬ 
tion abgelehnt. 

Am nächsten Morgen, also am 4. Tag nach der Verletzung, 
werde ich wieder telegraphisch gerufen. Der Mann macht schon 
bei flüchtiger Besichtigung den Eindruck eines mit schwerster 
allgemeiner Bauchfellentzündung behafteten Kranken. Aus¬ 
gesprochene Facies liippocratica, Puls fliegend, 100—180, Tem¬ 
peratur 35,4, die Haut kühl, mit klebrigem Schweiss bedeckt, die 
erbrochenen Massen braun, riechen stark füculent. Im sonstigen 
Befund keine Aenderung seit gestern. Obwohl ich selbst nicht 
mehr an Rettung dachte, schlug ich doch nochmals einen opera¬ 
tiven Eingriff vor, der angesichts des traurigen Zustands und auf 
dringenden Wunsch des Verletzten selbst von der Umgebung end¬ 
lich zugegeben wurde. Jetzt blieb nur noch der 10 km weite 
Tran8j>ort nach Bitscli in das dortige Spital übrig, in dem ausser 
der Möglichkeit, mit sterilem Operationsmaterial zu arbeiten, die 
Verhältnisse auch gerade keine für Laparotomien günstige sind. 
Unter Aether-Kampherwirkuug wurde der Transport leidlich 
überstanden. Um 2 Uhr Nachmittags Beginn der Operation. Ich 
schickte der Laparotomie zunächst die Herniotomie voraus. Ohne 
eigentlichen Bruchsack fand sich verdickt aussehendes, stark 
injicirtes Netz vor; ein äusserst schonend gemachter Repositious- 
versuch misslang und wurde nicht wiederholt, beim Zurückgehen 
des Fingers aus dem Leistenring entleert sich aus der Bauchhöhle 
kommend eine trübe, grünliche Flüssigkeit von fadem, aber nicht 
faeculentem Geruch, die untere Seite des Netzes ist stellenweise 
mit fibrinösen, eitrigen Auflagerungen bedeckt. 


Hierauf verlängerte ich den für die Herniotomie angelegten 
Schnitt nach oben bis in die Nabelhöhe. Nach Eröffnung der 
Bauchhöhle zeigten sich erst geblähte, stark injiclrte, fibrinös be¬ 
legte DUnndarmschlingen, zwischen welchen etwas Exsudat von 
gleicher Beschaffenheit, wie beschrieben, hervorquillt und sich 
nach aussen entleert; dann kommt das namentlich an der Unter¬ 
seite fibrinös belegte, äusserst entzündlich aussehende Netz zuui 
Vorschein. Beim vorsichtigen Vorgehen in die Tiefe zwischen den 
leicht verklebten Darmschlingen nach der Fossa iliaca zu ent¬ 
leert sich plötzlich in dickem Strahl eine reichliche Menge gelb- 
kothig aussehender, ekelhaft stinkender, Jauchig-eitriger Flüssig¬ 
keit. Die PerforationsöfTnung fand ich nicht; der Zustand des 
äusserst heruntergekommenen Patienten gestattete nicht, länger 
danach zu suchen. So beschränkte ich mich darauf, die Toilette 
der Bauchhöhle, soweit zugänglich, aber ohne stärkere Verkle¬ 
bungen zu lösen, möglichst gut vorzunehmen, schloss nach Ein¬ 
legen eines langen, sterilen Gazestreifens die Herniotomie- und 
zum Theil die Laparotomiewunde durch Nähte; Verband. Die 
Abendtemperatur betrug 40°, fortwährendes Erbrechen galliger 
und faeculenter Massen, Singultus, Puls klein, 120, Patient 
äusserst schwach. Die Nacht war unruhig. Am nächsten Tag 
kein Fieber, keine Schmerzen, doch ebenso wie noch am ganzen 
nächsten Tag häufiges Erbrechen und quälender Harndrang. 
Der Harn, erst an diesem Tage untersucht, enthält Eiweiss und 
gibt starke lndicaureaktion. Am 2. Tage nach der Operation zeigte 
sich der Verband derartig durchtränkt, dass ich denselben wech¬ 
seln musste. Die Wunde sieht gut aus, doch war der Leib stark 
aufgetrieben und schienen die Nähte derartig gespannt, dass Ich 
es vorzog, einen Theil derselben zu durchschueiden, so dass fast 
die ganze Laparotomiewunde ungenäht blieb und die Därme offen 
dalngen. Das Erbrechen Hess dann nach, das Aussehen besserte 
sich sichtlich, wenn Patient auch immer noch in Folge der fehlen¬ 
den Ernährung weiter abmagerte. Dieselbe bestand in den ersten 
Tagen nur in kleinen Eisstückchen, die nach dem Zergehen wieder 
ausgespuckt werden mussten, und Nährklystieren aus Bouillon, 
Ei, Rothwein oder Cognac. Am 4. Tage nach der Operation ent¬ 
stand plötzlich Abends Fieber, 38,2, zugleich sprach O. den ganzen 
Tag verwirrt, war die Nacht äusserst unruhig, warf sich hin und 
her, sprang aus dem Bett etc., ein Zustand, der am nächsten Tag 
sich noch verschlimmerte. Temperatur Morgens 37,9, Abends 
38,4. Ich hielt diesen Zustand theils für Inanitionsdellrlen, theils 
veranlasst durch die nun seit 10 Tagen bestehende Stuhlverhal¬ 
tung, applicirte desshalb 2 hohe Einläufe und gab dann, als diese 
nichts nützten, sondern nur quälenden Druck veranlassten, Riel- 
nusöl. Es erfolgte reichlicher Stuhlgang, das Fieber sank sofort, 
Patient klagte über Hunger, den ich mich nicht scheute, ihn jetzt 
in vorsichtiger Weise stillen zu lassen. Jedoch zeigte sich beim 
Verbandwechsel eine neue Komplikation, der Verband und die 
ganze, sich schon verkleinernde Wunde waren mit Koth ver¬ 
schmiert, es hatte sich also eine Kothflstel gebildet Diese Kom¬ 
plikation war um so unangenehmer, als sich nun von da ab 
4 Tage laug profuse Diarrhöen abscheulich stinkenden, dünn- 
gelben Stuhlgangs, 10—12 am Tage, einstellten, die einen jedes¬ 
maligen Verbandwechsel nöthig machten. Trotz dieser Diarrhöen 
kamen die Kräfte bei kaum zu stillendem Hunger von Tag zu 
Tag mehr, und zum grössten Glück hatte sich, als die Diarrhöen 
nach 4 Tagen nachliessen, auch die Kothflstel von selbst ge¬ 
schlossen. 

Bereits am 27. Mal musste aus äusseren Gründen die Ent¬ 
lassung aus dem Spital erfolgen bei gut granulirender Bauch- und 
vollständig geschlossener Hernlotomiewunde. Interessant waren 
die Gewichtsverhältnisse. O. hatte sich wenige Tage vor der Ver¬ 
letzung zufällig gewogen und wog damals 155 Pfd., bei der Ent¬ 
lassung aus dem Spital nur noch 97 Pfd. 

Am 1. Juli konnte ich denselben endgiltig aus der Behandlung 
entlassen, er sieht blühend aus, die Bauchwunde ist völlig ge¬ 
schlossen, scheinbar ohne Aussicht auf einen Bauchbruch, jedoch 
besteht ein irreponlbler, weil fest verwachsener Netzbruch, den 
eventuell eine später vorzunehmende Operation beseitigen soll. 

Eine kritische Betrachtung des Falles zeigt die gewiss er¬ 
freuliche Thatsaclie, dass cs trotz aller misslichen Umstände ge¬ 
lang, dem Patienten das sonst in aller Kürze verlorene I^ben 
zu erhalten, nachdem durch die Schuld der Umgebung die beste 
Zeit vertrödelt und der Verletzte bis auf’s Aeusserste herunter¬ 
gekommen war. Ferner zeigt der Fall die Berechtigung und die 
Nothwendigkcit eines operativen Eingriffs bei traumatischer 
Peritonitis. Der Zufall wollte es, dass ich kurze Zeit darauf ein 
nach lnfluenzapneumonio entstandenes Empyem der Brusthöhle 
mittels Rippenresektion operiren musste. Ein Vergleich beider 
Fälle lag nur zu nahe und so gut kein Arzt sich scheuen wird, 
dem in der Brusthöhle sich ansammelnden Eiter freien Abfluß 
zu verschaffen, ebensogut muss auch für die Bauchhöhle dieselbe 
Forderung erhoben werden, nach dem alten Grundsatz: Ubi pus, 
ibi evacua. 


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24. September 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1535 


Aus dem physiologischen Institut der thierärztlichen Hochschule 
zu Dresden (Direktor: Geheimrath Prof. Dr. Ellenberger). 

Die Tamponade der Bauchhöhle mit Luft zur Stillung 
lebensgefährlicher Intestinalblutungen. 

Von Dr. Georg Kclling in Dresden. 

(Schluss.) 

Ich bringe nun einige Beispiele: 

1. Kleiner Foxterrier. Bauchhöhle bis zu 50 mm Hg aufge¬ 
blasen. Uer Leib war bretthart; der Hund vertrug das anstands¬ 
los. Nach 2 Tagen war der Leib bedeutend weniger gespannt, 
aber er enthielt noch ziemlich viel Luft. Auch nach 8 Tagen 
enthielt er noch reichlich Luft, doch war die Bauchwand nicht 
mehr gespannt. 

2. Kleiner, gelber Spitz, zeigt ganz dasselbe Verhalten. 

3. Kleiner Pudel. Leib aufgeblasen bis zu 45 mm Hg. Nach 
2 Tagen wurde der Leib in Narkose geöffnet; es entströmt noch 
sehr viel Luft. Magen und Darm waren kontrahirt und lagen der 
Rückwand des Leibes an. 

4. Weisser Spitz. Respiration betrug 15 pro Minute vor dem 
Versuch. Der Bauch wurde bis zu GO mm Hg mit Luft gefüllt. 
Die Respiration betrug danach ebenfalls 13—15. Die Luft wurde 
nun im Leibe gelassen. Nach 19 Stunden war der Leib noch stark 
gefüllt, aber etwas weicher. Die Venen der Bauchwand treten 
prall hervor. Der Druck, mit einer Pravazuadel im Abdomen be¬ 
stimmt, betrügt 10 mm Hg. Nach 3 Tagen betrug der Druck eben¬ 
falls noch 10 mm Hg. 

5. Grosser, weisser Spitz. Respiration 12 pro Minute. Die 
Bauchhöhle wurde bis zu 60 mm Hg Druck mit Luft gefüllt. Dann 
betrug die Respiration 20 pro Minute. Nach 19 Stunden war der 
Leib noch sehr nufgetrieben und gespannt, die Venen der Bauch¬ 
wand deutlich gefüllt, Druck 15 mm Hg. Jetzt wurde nochmals 
auf 50 mm Hg Luft nachgefüllt. Nach weiteren 24 Stunden be¬ 
trug der Druck im Abdomen 25 mm Hg. Nun wurde die gesammte 
Luft herausgelassen. Während der Versuchszelt war der Hund 
trotz des aufgetriebenen Leibes ganz munter, setzte Stuhl und 
Urin ab, frass aber wenig. 

G. Schwarzer Pinscher. Der Leib wurde bis zu 50 mm Hg mit 
Luft gefüllt und durch Nachfüllen 1 Stunde lang der Druck ge¬ 
halten; es wurde anstandslos vertragen. 

Beim Menschen ist die Spannung des Peritoneum parietale 
auch schmerzlos, wie wir mit Sicherheit aus den Erscheinungen 
des hochgradigen Ascites schllessen können. 

Um die Wirkungen der Luftfiillung kennen zu lernen, 
wurden erst einige Untersuchungen am Gefässsystem an¬ 
gestellt, z. B.: 

1. Kleiner Pinscher. Aethernarkose. Der Druck in der Femo¬ 
ralis betrug 90 mm Hg. Es wurde nun Luft in die Bauchhöhle ein¬ 
geblasen bis auf 50 mm Hg, dabei stieg der Druck in der Femoralis 
auf 110 mm. Als die Luft herausgelassen wurde, sank der Druck 
auf 100 mm. Bei erneuter Füllung der Bauchhöhle bis zu 50 mm 
stieg der Druck ln der Femoralis auf 110 mm und sank nach dem 
Herauslassen wieder auf 100 mm. Das Abdomen wurde geöffnet 
und die Därme ganz kontrahirt gefunden. 

2. Mittelgrosser Dachshund. Aethernarkose. Druck in der 
Carotis 110 mm Hg, in der Femoralis 130 mm Hg. Luft in’s Ab¬ 
domen eingeblasen bis zu 60 mm Druck. Es betrug dann der 
Druck in der Carotis 130 und in der Femoralis auch 130 mm. Es 
wurde nun daß Abdomen bis zu 80 mm aufgeblasen, dabei wurde 
der Druck ln der Carotis kurze Zelt 140 mm Hg, sank aber dann 
auf 120 mm. In der Femoralis betrug er 120 mm. Nach Ent¬ 
leerung der Luft änderte sich am Druck in der Carotis nichts, 
an der Femoralis war das Blut im Manometer geronnen. 

3. Mittelgrosser Schäferhund. Aethernarkose. Druck in der 
Femoralis 106 mm, in der Carotis 120 mm. Das Abdomen wurde 
bis zu 100 mm Druck aufgeblasen. Der Druck in der Femoralis 
blieb 106 mm, in der Carotis stieg er auf 130 mm. 

Wir sehen also aus den Versuchen, dass der Druck in der 
Femoralis trotz der enormen Drucksteigerung im Abdomen fast 
gar nicht beeinflusst wird. Man könnte glauben, dass dieser 
Druck die Femoralis vollständig komprimiren würde. Dass dies 
nicht der Fall ist, hat nun darin seinen Grund, dass das Peri¬ 
toneum parietale an ein festes Fasciengewebe gefügt ist, welches 
von einer gewissen Grenze an nicht mehr nachgiebig ist, während 
die darüber gelegte Muskelschicht noch bequem nachgeben kann. 
In Folge dessen haben wir einen prall gefüllten engeren in einem 
nachgiebigen weiteren Sack, zwischen welchen beiden die Gefässe 
bequem verlaufen können. Beim Menschen verhält es sich 
ebenso, denn sonst könnte es nicht bei hochgradigem Ascites Vor¬ 
kommen, dass die Nieren Ham absondern und dass sogar Oedeme 
der Beine fehlen. 

Es fragt sich nun weiter, wie sich die Organe selbst bei der 
Luftaufblasung verhalten? Um dies festzustellen, schuf ich mir. 


eine Methode der Endoskopie der uneröffneteu Bauchhöhle 
(Koelioskopie) in folgender Weise. Die Bauchhöhle wurde mit 
Luft gefüllt durch einen Fiedle Fschen Troicart. Der Vortheil 
dieses einfachen und ingenieusen Apparates besteht bekanntlich 
darin, dass man die Spitze sofort decken kann, sowie man die 
Wandung durchstochen hat. Er besteht aus 2 Röhren, die äussere 
spitz geschliffen, die innere abgerundet. Wird die innere Röhre 
vorgeschoben, bis vor die Spitze der äusseren, so ist damit das 
Ende des Troicarts stumpf. Nun kann man mit dem Instrument 
die Organe berühren, abheben, niederdrücken etc. und auch ihre 
Resistenz palpiren, ohne sie zu verletzen. Für die Besichtigung 
nahm ich ein dünnstes Nitz e’sches Cystoskop von 6 mm Durch¬ 
messer. Dasselbe ist aber vollkommen gerade und wird in eine 
unten spitz geschliffene Metallhülse eingesteckt. Es wird nach 
Infiltrationsanaesthesie wie ein F i e d 1 e r’scher Troicart einge¬ 
stochen in die mit Luft gefüllte Bauchhöhle. Man kann auf diese 
Weise fast schmerzlos dieBauchhöhle des lebenden Thieres wunder¬ 
schön besichtigen. Nach Beendigung des Versuches zieht man 
das Cystoskop heraus, lässt durch den Troicart die Luft ent¬ 
weichen und bepinselt die kleinen Oeffnungen mit Jodoform- 
collodium. Der Hund ist nach Beendigung des Versuches sofort 
so munter wie vorher. Wenn man nun die Bauchhöhle bis zu 
einem Druck von 50—60 mm Hg mit Luft füllt, so beobachtet 
man Folgendes. Das Zwerchfell ist stark gespannt und fällt für 
die Athmung aus. Die Leber und Milz sind in ihrem Volumen 
beträchtlich verkleinert und sehen dunkelbraunroth aus. Der 
Magen und Darm liegt komprimirt der Rückwand des Bauches 
an, er ist ganz blass, die grösseren Arterien sind nur als feine 
rothe Striche zu sehen; ebenso erscheint das Netz blass, mit 
feinen rothen Strichen, häufig den ganzen Darm bedeckend. Es 
kann kein Zweifel sein, dass bei starker Luftfüllung der Bauch¬ 
höhle die Organe blutarm werden und wahrscheinlich auch 
Lymphe aus ihnen herausgepresst wird. 

Macht man nun bei Luftfüllung der Bauchhöhle unter Kon- 
trole des Auges Verletzungen an den Organen, z. B. Stiche und 
Ritze an der Leber, so sehen wir, dass dieselben ausserordentlich 
wenig oder auch gar nicht bluten. Lassen wir die Luft darin 
und sehen wir nach 1—2 Tagen nach, so finden wir bei der 
Sektion an der Oberfläche der Leber noch deutlich Risse, die 
Rissflächen sind aber miteinander schon verklebt und zeigen nur 
ganz minimale Blutungen. 

Es wurden mm noch folgende Versuche ausgeführt, um die 
Wirkungen des Verfahrens sicher kennen zu lernen. Bei 2 Hun¬ 
den wurde die Bauchhöhle mit Luft gefüllt bis zu 80 mm Hg. 
Es wurde anstandslos vertragen. Jetzt wurden die Hunde durch 
Einathmen von Chloroform getödtet und dann die Sektion aus¬ 
geführt. Es zeigte sich nun der Magen und Darm kontrahirt und 
auffällig blass, die Leber und Milz verkleinert und auf dem 
Durchschnitt sehr blutarm. Die Eingeweide sahen genau so aus, 
wie bei einem durch Verblutung getödteten Thiere. Da bei der 
Luftfüllung die Organe der Bauchhöhle beträchtlich vermindert 
werden, so ist es wahrscheinlich, dass die Methode mit Nutzen 
angewendet werden könnte bei gewissen Formen von Strangu- 
lationsileus. Wenn man nämlich aus besonderen Gründen von der 
Operation absehen muss, so könnte auf diese Weise eine spontane 
Lösung des Hindernisses zu Stande kommen. Dann könnte es von 
Nutzen sein bei akuter Peritonitis, wenn man nicht operiren will 
oder kann, denn das Verfahren beseitigt die Blutüberfüllung der 
Toxine. Es gibt noch andere Krankheiten, bei welchen dieses 
Verfahren nützlich sein könnte. So z. B. könnte es bei der 
Cholera nicht nur die Hyperaemie des Darmes, sondern auch die 
enorme, die Todesursache abgebende Transsudation unterdrücken. 
Jedenfalls haben wir in der pneumatischen oder hydraulischen 
(mit physiologischer Kochsalzlösung ausgeführten) Kompression 
ein mächtiges Mittel in der Hand, um auf den Blutgehalt der 
Eingeweide einzuwirken. Doch sind für dies Allee specielle Thier¬ 
versuche erforderlich, zu denen ich leider nicht gekommen bin. 

Ferner bestimmte ich, um die Blutstillung des Verfahrens 
beweisen zu können, die Menge Blut, welche in derselben Zeit aus 
derselben Wunde ausfloss, einmal mit Lufttamponade der Bauch¬ 
höhle und dann ohne solche. Zu dem Zwecke wurden die Hunde 
mit Aether narkotisirt, die Bauchhöhle durch Schnitt in der 
Mittellinie geöffnet. Soll die Leber verletzt werden, so wurde 
dieselbe in der Nähe des Hilus mit einer stumpfen Oehrsonde 
durchbohrt und ein Seidenfaden durchgezogen. An den Seiden¬ 
faden wurde ein zweischneidiges, an der Spitze durchlochtes 


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1536 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39. 


Messer angebunden. Das Messer kommt dabei an die untere 
Fläche der Leber zu liegen. Messer und Faden werden nun am 
Wundwinkel herausgelagert; die Bauchhöhle wird dann mit fort¬ 
laufender Naht geschlossen. In den Wundwinkel, welcher das 
Messer herausleitet werden 2 Knopfnähte provisorisch angelegt. 
Das Messer wird jetzt durchgezogen, die Knopfnähte sofort ge¬ 
knotet, der Troicart eingestochen und die Bauchhöhle mit Luft 
aufgeblasen. Wenn nun auch etwas Luft entweicht, so gelingt 
es doch bei permanenten Blasen unter Kontrole mit dem Mano¬ 
meter, den Druck in der Bauchhöhle auf 40—50 mm zu halten. 

Versuche: 

1. Mittelgrosser Schäferhund. Sagittale Schnittwunde ln der 
Leber. Bauchhöhle 10 Minuten unter Druck von 40 mm Hg mit 
Luft tamponlrt. Dann die Bauchhöhle mit einem schnellen Schnitt 
geöffnet und die Leber besichtigt. Es war eine ca. 8 cm lange 
Wunde. Im oberen Winkel war ein grösserer Ast der Lebervene 
längs geschlitzt. Die Wunde war mit Gerinnsel bedeckt, blutete 
fast nicht; lm Ganzen war etwa 1—2 Esslöffel Blut ausgelaufen. 
Es wurden jetzt die Gerinnsel von der Wunde abgewischt, so dass 
dieselbe von Neuem zu bluten anfing. Dann wurde die Bauch¬ 
höhle mit Klemmen provisorisch geschlossen und genau nach 
10 Minuten wieder geöffnet. Es fanden sich nun ca. 200 ccm Blut 
im Peritonealraum. 

2. Mittelgrosser, schwarzer Spitz. Hier wurde die Arteria 
mesenterica superior frelpräparirt und auf’s Messer genommen. 
Nach Durchtrennung derselben sofortige Lufttamponade bis 50 mm 
Hg, 3 Minuten lang. Dann sofortige Oeffnuug. Wir fanden nur 
sehr wenig geronnenes Blut. Die Bauchhöhle wurde jetzt 3 Minu¬ 
ten offen gelassen und füllte sich etwa zur Hälfte mit Blut. 

3. Mittelgrosser, schwarzer Pudel. Hier wurde das Messer so 
angelegt, dass die Milz quer zur Längsachse durchtrennt wird. 
Dann 4 Minuten Lufttamponade bei 40—50 mm Hg Druck. Bei 
der Oeffnung der Bauchhöhle fand sich nur ca. 1 Esslöffel Blut. 
Die Querschnitte der beiden Milzhälften wareu mit Gerinnseln be¬ 
deckt und fingen wieder an zu bluten, aber nur sehr wenig. Es 
wurden jetzt die beiden Querschnitte mit dem Messer angefrischt 
und nun liefen ln 4 Minuten ca. 100 ccm Blut ab. Die Milzgefässe 
wurden unterbunden und die Milz exstirpirt und nun ein zweiter 
Versuch mit Arteria mesenterica superior angestellt. Nach Durch- 
treunung derselben Lufttamponade bei 40—50 mm Druck 3 Mi¬ 
nuten. Sofortige Oeffnung des Bauches. Es fand sich etwa ein 
Tassenkopf voll Blut darin, die Blutung stand nicht. Die Blut¬ 
menge, welche sich in den nächsten 3 Minuten entleerte, schätze 
ich auf das 2y 2 —8 fache. 

4. Mittelgrosser Dachshund. Hier wurden 2 y 2 Handbreiten 
Dünndarm ausgewählt. Die zwei grossen zuführenden Arterien 
sammt den Venen auf eine Schlinge genommen, dann die Bauch¬ 
höhle geschlossen und die Schlinge zum unteren Wundwinkel 
herausgeleitet. Zum Verschluss dieser Lücke wurde eine Knopf¬ 
naht provisorisch gelegt. Jetzt wurde die Schlinge angezogen, 
damit die Arterien und Venen vor die Bauchdecken gebracht und 
nun dieselben mit der Scheere durchtrennt. Sie spritzten stark 
und w’urden ln die Bauchhöhle hineingeschoben, dann wurde die 
Knopfnaht geknotet und Luft bis 50 mm Hg hineingeblasen; 
% Minute dauerte dies. Der Druck wurde nun 5 Minuten gehalten, 
dann die Bauchhöhle geöffnet. Wir fanden etwa 2 Esslöffel Blut 
mit Gerinnseln. Die Blutung stand, wie man an den pulsirenden 
Stümpfen der Arterien deutlich sehen konnte. Es wurde mit der 
Scheere ein neuer Querschnitt am Mesenterialstumpf angelegt, und 
es lief Jetzt aus denselben Gefässen schon in der 1. Minute circa 
50 ccm Blut ab. 

Es ist unmöglich, genau in Zahlen anzugeben, wie sich die 
aus derselben Wunde in der gleichen Zeit entleerenden Blut¬ 
mengen mit und ohne Lufttamponade verhalten. Das eine lehrt 
aber schon der Augenschein, dass Blutungen aus mittleren und 
kleinen Gefässen ziemlich schnell zum Stehen kommen, aus 
grösseren arteriellen Gefässen das Blut wenigstens bedeutend 
schwerer ausfliesst. 

Wir müssen nun weiter fragen, welche Schädigungen durch 
Ausführung der Lufttamponade der Bauchhöhle entstehen. Da 
wir einen Troicart einstechen müssen, könnten wir damit die 
Eingeweide verletzen. Bei richtiger Technik fällt diese Gefahr 
weg. Wenn wir nämlich beim Durchstechen der Fascie und des 
Peritoneums Luft in den Troicart einblasen, so schiebt diese 
Luft die Eingeweide weg und sowie die Spitze des Troicarts 
in der Bauchhöhle ist, wird dieselbe gedeckt. Wenn starker 
Meteorismus besteht, so würde ich so Vorgehen, dass ich erst den 
Magen mit dem Schlauch entleere und eventuell das Querkolon 
durch Einstich mit einer Pravaz’schen Kanüle, und dann die 
Lufttamponade ausführe. Ich habe das Verfahren dutzende Male 
bei Thieren und einige Male bei frischen menschlichen Leichen 
ausgeführt und mich dann durch Operation resp. Sektion davon 
überzeugt, dass kein Organ verletzt worden ist. Sollte es nun 


wirklich bei ungeschickter Technik passiren, dass der Troicart 
statt in die Bauchhöhle in den Magen kommt, so muss das der 
Arzt doch sofort merken, da sich der Magen aufbläht und nicht 
die gesammte Bauchhöhle. Er lässt dann die Luft aus den Magen 
heraus und führt den Troicart in die Bauchhöhle von Neuem 
ein. Gerade die Lufttamponade, welche den Magen komprimirt, 
verschliesst am besten den unbedeutenden Stichkanal. Es loinn 
sich ferner ereignen, dass Luft neben dem Troicart entweicht 
und ein Emphysem der Bauchdecken bildet. Man kann diese 
Komplikation meistens vermeiden durch Wahl der Linea alba 
oberhalb des Nabels zum Einstich. Das subperitoneale Fett wird 
dann durch den positiven Druck in der Bauchhöhle luftdicht an 
den Troicart angepresst. Dann muss man vermeiden, wenn es 
möglich ist, in Narben einzustechen, weil diese wegen ihrer Härte 
nicht den Troicart elastisch umfassen. Im Uebrigen ist das 
Emphysem der Bauchdecken ungefährlich, weil man es durch 
Einstechen von Kanülen und Herausmassiren sehr schnell ent¬ 
fernen kann. 

Minimal ist die Gefahr der Infektion des Peritoneums. 
Während bei der Laparotomie die gewöhnliche Zimmerluft in die 
Bauchhöhle gelangt, wird bei unserem Verfahren die Luft 
durch Watte filtrirt. Verletzungen könnten ferner indirekt ent¬ 
stehen durch Risse im Peritoneum in Folge des hohen Druckes, 
doch braucht derselbe für die Blutstillung nicht über 50 mm Hg 
zu gehen, zumal immer bei grossen Blutverlusten der Blutdruck 
erheblich herabgesetzt ist. Bei diesem Druck hält das mensch¬ 
liche Peritoneum unbedingt. Ich stellte darüber einige Versuche 
an Leichen an, welche aber nicht im Stadium der Todtenstarre 
sein dürfen, weil sonst die Luftauftreibung nicht genügend ge¬ 
lingt. Dass das Peritoneum dicht hält, lässt sich aus zwei Um¬ 
ständen leicht kontroliren. Eimal weil das Manometer den Druck 
hält, also keine Luft entweichen kann, und zweitens weil man 
nirgends unter dem Peritoneum Emphysem findet. Beispiele: 

1. 60 jähriger Mann. Tod an Pneumonie. Peritoneum hält 
150 mm Hg Druck ohne Einriss aus. 

2. 36 jähriger Mann; j- an Lungentuberkulose. 

3. 73 jährige Frau; f an Diabetes. 

4. 28 Jährige Frau; f an Lungentuberkulose. 

5. 45 Jährige Frau; -f an Lungentuberkulose. 

6. 87 Jähriger Mann; f an Sepsis. 

7. 40 jähriger Mann; } an Lungentuberkulose. 

Alle diese hielten eine Luftauftreibung des Abdomens unter 
einem Druck von mehr als 1 Vs m Wassersäule ohne Einriss des 
Peritoneums aus. 

Wichtiger ist der Einfluss der Lufttamponade auf die Ath- 
mung. Von 20 Hunden vertrugen 2 das Verfahren nicht. Sie 
bekamen eine starke Dyspnoe. Bei dem einen Hund wurde der 
Versuch in Aethemarkose vorgenommen. Dieser Hund colla- 
birte. Ich liess sofort die Luft heraus und machte einige künst¬ 
liche Athmungen. Das Thier erholte sich sehr schnell. Ich 
füllte aber nun nochmals die Bauchhöhle mit Luft, tim zu sehen, 
woran es lag. Der Hund collabirte wieder und ich liess ihn im 
Collaps zu Grunde gehen. Bei der Sektion fand sieh als Todes¬ 
ursache nichts anderes, als ein sehr grosses, schlaffes, blutüber¬ 
fülltes Herz. 

Wie sich die Sache beim Menschen gestaltet, lässt sich ver- 
muthen aus den Erfahrungen beim Ascites. Manche vertragen 
eine enorme Füllung der Bauchhöhle ohne besondere Athean- 
bcschwerden. Andere werden hochgradig kurzathmig, so dass sie 
desswegen punktirt werden müssen. Ich möchte aus Herz- und 
Lungenkrankheiten keine besondere Kontraindikation gegen die 
Lufttamponade entnehmen. Wenn sich Jemand in Gefahr be¬ 
findet, sein Leben in kurzer Zeit durch Verblutung zu verlieren, 
so darf der Arzt nicht wegen Bedenklichkeiten die Hände in den 
Schoss legen. Ich würde das Verfahren, wenn der Patient damit 
einverstanden ist, immer versuchen unter Kontrole des Pulses 
und der Atlimung. Wird es nicht vertragen, so ist ja die Luft 
in kürzester Zeit zu entfernen. 

Ein weiterer Einwand würde bestehen in der Anaemisirung 
der Eingeweide, durch welche dieselben vielleicht in kürzester 
Zeit absterben könnten. Ich muss darauf antworten, dass bei 
unseren Thierversuchen die Eingeweide die Kompression ohne 
Schädigung ausgehalten haben. Selbst ein so empfindliches 
Organ, wie das Gehirn, verträgt eine hydraulische Kompression 
von 50 mm Hg und mehr ohne S chädig ung (Druck in der Schädel- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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höhle beim Hydrooophalus und Experimente über Hirndruck). 
Ich erinnere ferner an die Eamarc h’sche Blutleere, welche 
stundenlang vertragen wird. Wegen der Bedenken, die wir wegen 
der vorübergehenden Anaemisirung der Eingeweide haben könnten, 
dürfen wir nicht zulassen, dass der ganze Körper an Anaemie zu 
Grunde geht. Das aus den Eingeweiden herausgepresste Blut 
kommt zudem doch dem Gehirn und der Lunge zu gute. Wir 
unterbinden doch auch die grössten Arterien, wie die Iliaca und 
die Aorta bei lebensgefährlichen Blutungen und diese Ligaturen 



können in viel ausgedehnterer und irreparabelerer Weise Organ- 
theile schädigen. Bei Ligaturen grösserer Gefässo können Oedeme 
und haemorrhagische Infiltrationen der Gewebe entstehen und zwar 
sowohl bei Verschluss der zuführenden Arterie, als auch der ab¬ 
führenden Vene. Man erklärt dies in der Regel dadurch, dass die 
Capillaren in der Ernährung gestört und dadurch durchlässig 
werden. Wegen der Schnelligkeit aber, mit der diese Verände¬ 
rungen eintreten, ist es wohl wahrscheinlicher, dass es sich um 
rein mechanische Vorgänge handelt. Gewisse Capillaren haben 


vielleicht einen Klappenmechanismus, der so beschaffen ist, dass 
er nur bei einem gewissen Druckgefälle schliesst. Ich vermuthe, 
dass auf diese Weise die sonst imerklärlichen parenchymatösen 
Magenblutungen zu Stande kommen, wie sie auf nervösem Wego 
bei jüngeren Personen (vicariirende Menstrualblutungen) und 
auch in Folge von sklerotischen Veränderungen der Magen¬ 
arterien bei älteren Leuten zu Stande kommen. 

Es erübrigt noch, zum Schluss zu besprechen, wie die Luft¬ 
tamponade der Bauchhöhle am besten ausgeführt wird. 

Der ganze dazu nothwendlge Apparat lässt sich ln einfachster 
Welse herstellen aus einem Doppelgebläse, einem Fiedle Fachen 
Trolcnrt, einem Quecksllbermanometer — statt dessen kann auch 
ein Kapselmanometer verwendet werden, wie es bei dem Basch- 
schen oder Gärtne r'schen Apparat zum Messen des Blutdruckes 
gebraucht wird — welche mit Hilfe eines T-Stückes und einiger 
Gummischläuche so zusaramengestellt werden, wie es die bei¬ 
liegende Abbildung zeigt Damit die Luft nicht unflltrirt 
ln die Bauchhöhle gelangt, sind zwischen dem T-Stück und dem 
Trolcart zwei gläserne Röhren eingeschaltet Jedes Glasrohr geht 
von einem engeren in einen längeren weiteren Theil über. Die 
beiden weiten Theile sind mit einem Gummischlauch verbunden. 
In dem weiten Theil jedes dieser beiden Schaltstücke wird ein 
Platindraht in Form einer Spirale eingelegt und hier wird dann 
die sterile Watte locker mit einer Pincette eingestopft nach dem 
Auskochen der gesammten Leitung Inklusive des Trolcarts (aber 
exclusive natürlich des Manometers und des Gummigebläses). 

Auf diese Weise ist es möglich, den Druck in der Bauch¬ 
höhle hinter dem Wattefilter zu messen, weil die lockere Watte 
dem Ausgleich des Druckes kein Hinderniss in den Weg logt. 
Für die Sterilität des Verfahrens ist dieses Verhalten von Vor¬ 
theil. Bei der Anwendung am Menschen müssen nun zwei Fehler 
hauptsächlich vermieden werden: einmal, dass das Zwerchfell 
vorletzt wird, wegen der Gefahr des Pneumothorax, und 
zweitens, dass der Magendarmkanal verletzt wird, wegen 
der Gefahr der Infektion der Bauchhöhle. Man porcutirt zu 
diesem Zwecke den unteren Leberrand ab. Den Troieart sticht 
man in der Linea alba oberhalb des Leberrandes ein. Die Linea 
alba empfiehlt sich, weil hier das Fasciengewebc sehr fest ist und 
sich darunter meist ein subperitonenler Fettlappen befindet, 
welcher, sich um den Troieart luftdicht anlegend, ein Emphysem 
der Bauchdecke verhindert. Der Einstichkanal kann mit 
S c h 1 e i c h’scher Lösung infiltrirt werden, es geht aber auch 
ohne dieselbe, da die Procedur nicht sehr schmerzhaft ist. Der 
Troieart muss schräg durch die Bauchdecken geführt werden, so 
dass die Spitze nach dem Nabel, das Ende nach dem Schwort- 
fortsatz gerichtet ist. Der scharfgeschliffene Querschnitt der 
Spitze soll etwa der Haut parallel liegen. Man durchsticht erst 
die Haut und Unterhautfettgewebe; wenn die Spitze an die Fascio 
kommt, so merkt man das an dem Widerstand des Gewebes und 
man muss nun beginnen, energisch Luft einzublasen. In der 
Regel entsteht dabei ein kleines Hautemphysem, was aber ganz 
belanglos ist. Das Durchdringen der Fascie unter Lufteinblasung 
hat aber den Vortheil, 'dass die Leber von der Spitze des Troi- 
carts abgedrängt wird. Höchstens kann man einen unbedeutenden 
Ritz der Loberoberfläche machen. Wenn dio Fascie durchstochen 
ist, schiebt man das stumpfe Ende des Troicarts vor und geht 
nun stumpf noch ein Stück tiefer. Die ganze Procedur lernt 
man sehr leicht durch einige Versuche an einer Leiche. Die 
Bauchhöhle muss langsam, aber stetig aufgeblasen werden unter 
Kontrole der Athmung und des Pulses. Der erreichte Druck 
muss wenigstens dem Druck der Capillaren von 30 mm Hg gleich¬ 
kommen, wird aber am besten auf 50 mm Hg gebracht. Dieser 
Druck erscheint bei der Palpation ganz enorm hoch und es dient 
zur Beruhigung des ärztlichen Gewissens, weim man sich er¬ 
innert, dass dio Natur selbst solche hohe Drucke in der Bauch¬ 
höhle schafft in den Fällen von hochgradigem Ascites. Durch die 
Drucksteigerung kann mechanisch nach unten Urin und Koth, 
nach oben Mageninhalt liorausgepresst werden. Es ist dies 
natürlich ganz belanglos, man muss es aber wissen, um darauf 
vorbereitet zu sein. Man erhalte nun den maximalen Druck 
etwa V\—Va Stunde durch Nachblasen, man klemme dann den 
Troieart ab und lasse ihn ruhig liegen. Den Troieart zu ent¬ 
fernen und später die Luft durch neuen Einstich herauszuziehen, 
würde ich nicht empfehlen. Es könnte sich nämlich ereignen, 
dass die Luft durch den Stichkanal entweicht. Dio Luft kann 
dann nach einigen Stunden langsam und partienweise heraus¬ 
gelassen werden. Wenn der Troieart entfernt ist, schliesst man 
die Oeffnung mit Collodium. Das Abdomen kann mit einem 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39. 


Sandsacko belastet werden, da die Bauchdecken sehr erschlafft 
sind. Kontraindikationen sind natürlich diejenigen Zustände, 
bei welchen die Bauchhöhle keine Luft halten kann. E 9 sind 
das Verletzungen der Bauchdecken, eventuell auch solche durch 
Operationen, dann kommen die sehr seltenen Fälle wenigstens 
in Erwägung, wo man fürchtet, dass das Zwerchfell einreissen 
könnte, also Hernia diaphragmatica, subphrenischer Abscess, in 
die Pleura durchgebrocheno Ecliinococoen etc. Endlich könnte 
es auch möglich sein, dasß neben dem Troicart zu viel Luft ent¬ 
weicht und ein abnorm starkes Emphysem der Bauchdecken ent¬ 
steht. Bei meinen Versuchen an menschlichen Leichen habe ich 
das zwar nicht beobachtet, wohl aber bei Thierversuchen. Das 
Emphysem der Bauchdecken lässt sich durch Einführen einer 
P r a v a z’schen Kanüle und Herausmassiren schnell beseitigen. 
Endlich kann es sich ereignen, dass der Patient bei der Luft¬ 
füllung der Bauchhöhle zu kurzathmig wird. Doch darf man sich 
hier nicht allein nach dem subjektiven Empfinden, sondern nach 
den objektiven Zeichen, der Cyanose und dem Pulse, richten. 
Bei Magenblutungen würde es sich empfehlen, vor Anwendung 
des Verfahrens Gerinnung befördernde Mittel per os zu geben. 

Ich habe im physiologischen Institut verschiedene Mittel ver¬ 
sucht, welche so beschaffen sind, dass sic für und auch mit dem 
Magensaft gemischt die Blutgerinnung fördern, ausserdem un¬ 
schädlich und leicht erhältlich sind. Am besten hat sich bewährt 
eine Mischung von pulverisirter Kreide und Milch, die man in 
nicht zu kleinen Mengen per os geben kann. 

Ich bedauere sehr, dass ich aus äusseren Gründen nicht in 
der Lage bin, anzugeben, wie das Verfahren beim Menschen 
wirkt. Während des Niederschreibens dieser Arboit hätte ich 
zweimal Gelegenheit gehabt, es anzuwenden. Einmal handelte es 
sich um einen Mann mit Lebercirrhose, der eine kolossale Magen¬ 
blutung bekam. Die Angehörigen, denen ich mein Verfahren 
vorstellte, lehnten es aber ab, da sie von den früheren Blutungen 
wüssten, duss Patient die Blutung überstehe. Diesmal hatten sie 
sich aber getäuscht und der Patient ging in kurzer Zeit an einer 
zweiten Blutung zu Grunde. Der zweite Fall war ein 60 jähriger 
Mann mit Magenblutungen, die innerhalb zwei Wochen mehr¬ 
fach wiederkehrton. Dieser lehnte es ab, weil er mehrfach mit 
Gelatineinjektionen gequält worden war. Er erklärte mir, dass 
er sich nichts mehr einspritzen Hesse, da er sich von der Nutz¬ 
losigkeit der Einspritzungen überzeugt hätte. Hier konnte ich 
die Sektion ausführen. Es handelte sich um eine parenchymatöse 
Magenblutung bei sklerotisch veränderten Magcngefässen. Hoffent¬ 
lich sind andere Kollegen bald in der Lage, das Verfahren zu 
versuchen. 

Zum Schlüsse habe ich noch die angenehme Pflicht, Herrn 
Geheimrath Prof. Dr. Ellenberger für die Gestattung der 
Thierversucho meinen allerbesten Dank auszusprechen. Eben¬ 
falls danke ich bestens Herrn Medicinalrath Dr. Schmorl für 
die Ueberlassung des Leiclienmaterials. 


Christian Bäumler. 

Von Prof. Dr. G. Treupel, Assistent an der mcdicinischeu 
Klinik in Freiburg i. B. 

Am 1. Oktober 1901 sind 25 Jahre dahingegangen, seitdem 
Professor Bäumler als Nachfolger Kussmau l’s die Lei¬ 
tung der medicinischen Universitätsklinik zu Freiburg i. B. über¬ 
nommen hat. Fast ebenso lange bekleidet er das arbeitsreiche 
und verantwortungsvolle Amt eines Verwaltungsrath-Vorsitzen¬ 
den des „Klinischen Hospitals“, dem fast alle klinischen An¬ 
stalten der Universität angegliedcrt sind. Eine ungewöhnlich 
grosse Sprechstunden- und consultative Praxis endUch, welch’ 
letztere den Jubilar nicht selten weit über die Grenzen Badens 
hinaus geführt hat, vollenden im Verein mit einer stetigen lite¬ 
rarischen Thütigkeit den äusseren Rahmen eines Lebens, das 
Mühe und Arbeit ist. 

Christian G. H. Bäumler wurde am 13. Mai 1836 
zu Buchau in Oberfranken (Bayern) geboren als Sohn W. Ch. 
Sigmund Bäumler’s, des naclunahgen Oberkonsistorialrathes 
in München. 

Vom Jahre 1848 an besuchte er das Gymnasium zu Nürn¬ 
berg und er bezog nach abgelegter Reifeprüfung im Jahre 1854 


zunächst die Universität Erlangen. Nachdem er hier 1856 das 
Tentamen physicum bestanden hatte, widmete er sich an den 
Universitäten Tübingen, Erlangen — wo er 1858 das theoretische 
medicinische Examen, 1860 die ärztliche Staatsprüfung ablegte 
und auch im Februar 1860 promovirte —, später in' Berlin, Prag, 
Wien, Paris und London weiteren medicinischen Studien. Es 
waren Männer wie Dittrich, Thierseh, Griesinger, 
v. Bruns, Virchow, v. Graofe, Kussmaul und 
v. Z i e m s s e n, die während seiner Lernzeit besonders auf den 
jungen Arzt einwirkten. Nach kurzer Assistentenzeit am 
städtischen Krankcnhause zu Fürth, war Bäumler vom 
Oktober 1860 bis Herbst 1863 Assistenzarzt an der Poliklinik in 
Erlangen unter Kussmaul und Ziemssen. Im August 
1863 zum Hausarzt am deutschen Hospital in London ernannt, 
siedelte er nach London über, wo er bis zum Jahre 1872 zu¬ 
nächst als Arzt am deutschen Hospital, dann, nach abgelegter 
Prüfung im Jahre 1866 „Member“ des Royal College of Physi¬ 
cians geworden, als praktischer Arzt und „Assistant physidan“ 
am deutschen Hospital, sowie am Victoria Park Hospital for 
Diseases of the Chcst wirkte. Aus dieser lehr- und segensreichen 
Thätigkeit wurde der junge Forscher, der neben dem praktischen 
Arzt auch den literarisch arbeitenden Gelehrten nie vergessen 
hatte, im November 1872 wieder nach Erlangen zurück¬ 
gerufen und zwar als Professor extraordinarius für propaedeu- 
tische Klinik. Seine Londoner Wirksamkeit aber ehrte das 
Royal College of Physicians in London dadurch, dass es ihn 
im Jahre 1878 zum „Fellow“ erwählte. 

Kaum 2 Jahre in Erlangen wurde Bäumler Ordinarius, 
und war im Sommer 1874 in Stellvertretung mit dem Abhalten 
der Klinik betraut worden, als er im Herbst desselben Jahres 
bereits einen Ruf als Direktor der Poliklinik und Professor der 
Arzneimittellehre nach Freiburg i. B. erhielt. Und wiederum 
nach 2 Jahren, als Kussmaul den Freiburger mit dem Strass¬ 
burger Lehrstuhl vertauschte, wurde Bäumler mit Wirkung 
vom 1. Oktober 1876 an zum Direktor der medicinischen Klinik 
und Professor der spociellen Pathologie und Therapie in Frei¬ 
burg ernannt. 

Seit 25 Jahren steht nun Bäumler an dieser Stelle, ge¬ 
tragen vor Allem von einem hohen Pflichtgefühl; in guten wie 
in bösen Tagen, die auch ihm nicht erspart geblieben sind, sieh 
stets gleich, sich selbst treu bleibend. Als Lehrer, als Gelehrter, 
a'ls Arzt und als Mensch weist unser Jubilar eine seltene Har¬ 
monie auf. 

Nahezu 40 junge Aerzte sind in diesen 25 Jahren zu dem 
hochverehrten Lehrer als klinische Assistenten in nähere Be¬ 
ziehung getreten und die Zahl seiner Hörer beträgt fast 2000. 
Was er diesen Allen gewesen ist, lässt die Dankbarkeit ahnen, 
mit der sie Alle seiner gedenken. 

Von der Unzulänglichkeit des einfachen klinischen Unter¬ 
richts durchdrungen, hat Bäumler, soviel in seinen Kräften 
stand, versucht, die Studenten zu eingehenderen Studien und 
zum praktischen Arbeiten durch Anfertigen von ausführlichen 
Krankengeschichten, durch Protokollantendiensto u. s. w. heran¬ 
zuziehen, und er hat — es beweist das die verhältnissmässig hohe 
Zahl der Assistenten — stets auch den jungen Aerzten, so viel 
als möglich, Gelegenheit gegeben, sich nach dem Examen noch 
weiter zu bilden. Der erheblichen Mehrarbeit, die ihm selbst 
daraus erwachsen musste, hat er nicht dabei gedacht! 

Arbeiten und jede Gelegenheit ergreifen, die sich zum 
Weiterlernen bietet, das ist B ä u m 1 e Fs Natur und das ist auch 
der Stempel, den er seiner Klinik aufgeprägt hat. 

Die Art, wie Bäumler die KHnik hält, entspricht so sehr 
dem ganzen Wesen des Mannes, dass sie hier nicht übergangen 
werden darf. Im Vortiergrund steht die möglichst aus¬ 
führliche und bis i n’s Einzelne gohonde Unter¬ 
suchung des Kranken. Der Student bekommt nicht den Fall 
mit der fertigen Diagnose und einem begleitenden Vortrag über 
die jeweilige Krankheit vorgeführt, sondern er wird — wenn 
ich so sagen darf — gezwungen, den Fall von Anfang an 
mitzuuntersuchen. Indem Bäumler dem Kranken 
gegenübertritt, als ob er selbst ihn jetzt zum ersten Male sehe, 
indem er nach Aufnahme der Anamnese oder deren Vervoll¬ 
ständigung in der Klinik mit der mögUchst genauen und syste- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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i na tischen Untersuchung des Kranken beginnt und — wenn 
nöthig — diese Untersuchung durch mehrere klinische Stunden 
fortsetzt, oder im Verlauf ein und derselben Krankheit durcli 
mehrmalige Untersuchung ihren jeweiligen Stand, die sich 
daraus ergebende Diagnose, Prognose und Therapie feststellt, 
will er den Studenten zeigen, wie sie selbst es später in der 
Praxis machen sollen. Er will sie geradezu daran gewölmen, 
ausdauernd in der Untersuchung zu sein und nie darin der 
Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit zu ent- 
rathen, die ihn, den Lehrer, in so hohem Maasse auszeichnen. 
Gerade der Erfahrenere, der praktische Arzt, der schon draussen 
in den Wirren der Praxis gestanden und die Lücken seines 
Wissens und die Mangelhaftigkeit seiner Untersuchung gefühlt 
hat oder jetzt, wo er in der Klinik Zeuge einer regelrechten 
Untersuchung wird, zu fühlen bekommt, weiss, wie mir oft be¬ 
stätigt worden ist, die B ä u m 1 e r’sche Klinik zu würdigen. 

Es ist oben schon angedeutet worden, dass B ä u m 1 e r be¬ 
reits in seiner Londoner Thätigkeit noch Lust und Zeit zu 
wissenschaftlichen literarischen Arbeiten fand und auch in der 
jetzigen Stellung, in der er seine ganze Kraft zunächst seinem 
Lehramte und dem Dienste des klinischen Hospitals zuwandte, 
hat er die Feder nicht aus der Hand gelegt. Neben den be¬ 
kannten Artikeln „Syphilis“ in v. Z i e m s s e n’s Handbuch, 
„Herzbeutel- und Blutgefässkrankheiten“ in Penzoldt 
und Stintzing’s Handbuch der Therapie veröffentlichte Bäum- 
ler eine Anzahl Aufsätze im Deutsch. Arch. f. klin. Med., in 
Medical Times and Gazette, Transactions of the Pathological 
8ocietv of London, British Medical Journal, Quai n’s Dictio¬ 
nary of Medicine u. s. w. über Gegenstände der inneren Klinik 
und Hygiene. Zur genaueren Kenntniss und Würdigung dieser 
literarischen Thätigkeit sei am Schlüsse ein möglichst vollständi¬ 
ges, chronologisch geordnetes Verzeichniss seiner Arbeiten bei¬ 
gefügt. 

Eine durchaus wahre Natur, streng gegen sich selbst und 
nachsichtig gegen Andere, ein Feind jeder Pose, jeder Flüchtigkeit 
abhold, wirkt Bäumler in seiner schlichten, dem Einzelnen zu- 
pewandten Art, mit seinem auf reicher Erfahrung und fort¬ 
gesetztem Studium begründeten Wissen gleich nachhaltig und 
segensreich als Lehrer wie als Arzt. Seine Gründlichkeit, seine 
nie zu erschütternde Ruhe .und Geduld prägen sich Jedem, der 
ihn auch nur vorübergehend sieht, dauernd ein. Sein kollegiales 
Verhalten in allen Fragen des ärztlichen Standes, seine eifrige 
Bcthätigung im ärztlichen Vereinsleben, in wissenschaftlicher 
wie in allen anderen Beziehungen, haben ihm bei allen Aerzten 
Freiburgs nicht nur, sondern ganz Badens eine grosso Ver¬ 
ehrung und Beliebtheit verschafft. Und in der That, in seiner 
lauteren und freundlichen Gesinnung gegen Jedermann, in seiner 
steten Hilfsbereitschaft, in seiner nie erlahmenden Arbeitslust 
und Arbeitskraft, in seiner einfachen und edlen Lebensführung 
muss er Alle, die ihn kennen, mit hoher Achtung erfüllen und 
kann er uns vorbildlich seinl 

Verzeichniss der bis jetzt von Bäumler ver¬ 
öffentlichten Arbeiten: 

1860. Inaugur.-Abh.: Beobachtungen und Geschichtliches über 
die Wirkung des Zwischenrippenmuskels. 

1802. Ein Fall von Verschliessung der aufsteigenden Hohlvene 
und von Pfortaderästen. Deutsche Klinik 1862, No. 13 
und 14. 

1862. TJeber Coloboma oculi. Würzb. med. Zeitschr., Bd. III. 
1805. Ueber das Auftreten und die Bedeutung des tympani- 
tischen Perkussionsschalls in der Pneumonie. Deutsch. 
Arch. f. klin. Med., Bd. I. 

1867. Ueber Stimmbandlähmungen. Deutsch. Arch. f. klin. 
Med., Bd. II. 

1867. Klinische Beobachtungen über Abdominaltyphus in Eng¬ 
land. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. III. 

1867. Case of Cerebrospinal Meningitis, with special Reference 
to the Temperature of the Body. Medical Times and 
Gazette 1867, Vol. II, No. 890. 

1S67. On a case of heatstroke. Ibid. No. 944. 

1308. Ueber das Verhalten der Körperwärme als Hilfsmittel zur 
Diagnose einiger Formen syphilitischer Erkrankung. 
Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. IX. 


1S<.S. 


1869. 


1870. 


1871. 


1872. 


1872. 


1873. 


1374. 


1874. 


1877. 


1880. 


1880. 


1880. 


1881. 

1382. 

1883. 

18S5. 

1888. 

1890. 

1S90. 

1890. 

1891. 

1S92. 


1892. 

1894. 

1894. 


1894. 


1895. 


1897. 
1S98. 
1893. 


Ein Full von IJascdo w’schcr Krankheit. Deutsch. Arch. 
f. klin. Med., Bd. IV, S. 495. 

Gases of Haemoptysis, followed by inflammatory changea 
in the lungs. Transact. Clin. Soc. London, Vol. II. 

F. v. N i e m e y e r’s Clinical Lectures on pulmonary cou- 
sumption. Translated from the 2d German edition for 
the New Sydenham Society, London. 

Cases of partial and general idiopathic Pericarditis. Re¬ 
ports of the Clinical Society, London, Vol. V. 

Case of Aneurysm of the innominate artery, pressing 
on the right pneumogastric and recurrent nervee. Trans¬ 
act. of the Patholog. Society, London, Vol. XXIII. 

On a case of Enteritic Appendicitis, illustrating the dange- 
rous cffects a purgative may have in such cases. Trans¬ 
act. Clin. Soc., Vol. V. 

Ueber das Verhalten der Hautarterien in der Fieberhitze. 
Centralbl. f. d. med. Wissensch., No. 12. 

Chronische pseudomembranöse Peritonitis nach wieder¬ 
holter Paracentesis abdominis. Virchow’s Arch., Bd. 59, 
S. 156. 

Syphilis, in v. Ziemssen’s Handbuch der spec. Patho¬ 
logie und Therapie, Bd. III (3. Aufl. 1886). 

Ueber Obliteration der Pleurasäcke und Verlust der 
Lungenelasticität als Ursache der Horzhypertrophie. 
Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. XIX. 

('an the mildest forms of enteric fever be distinguished 
from acute febrile, but nonspecific gastro-inteetinal 
catarrh? Dublin Journal of Med. Science, November. 
Der sogen, animalische Magnetismus und Hypnotismus. 
Vortrag. Leipzig, F. C. W. Vogel. 

Ueber Lähmung des Muse, serratus antic. maj. nach Be¬ 
obachtung an einem Fall von multiplen atrophischen 
Lähmungen im Gefolge von Typhus abdominalis. Deutsch. 
Arch. f. klin. Med., Bd. XXV. 

Ein weiterer Fall von hochgradiger Anaemie mit Ancliyio- 
stonium duodenale. Schweizer Correspondenzbl. 1881. 
Temperature and Thermometer, in R. Quai n's Dictio¬ 
nary of Medicine. London, II. Edit., 1894. 
Aotiologische Studien über Abdominaltyphus. Festschrift 
der 56. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 
lieber Rccurrenslähmung bei chronischen Lungenaffek¬ 
tionen. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. XXXVII. 

Die Prophylaxe des Scharlachs. Münch, med. Wochenschr. 
No. 42. 

Bemerkungen zur Morbiditätsstatistik der Heilanstalten 
des Deutschen Reiches. Deutsch, med. Wochenschr. 
No. 46. 

Ueber die Influenza von 1889 und 1890. Verhandl. des 
IX. Kongresses für innere Medicin zu Wien. 

Ueber Influenza. Münch, med. Wochenschr. No. 2. 
Beobachtungen bei Anwendung des Koch’schen Heil¬ 
verfahrens gegen Tuberkulose. Deutsch, med. Wochen¬ 
schr. No. 2. 

Ueber eine besondere, durch Aspiration von Cavernen- 
inhalt hervorgerufene Form akuter Bronchopneumonie bei 
Lungentuberkulose. Deutsch, med. Wochenschr. 1892. 
Ueber Krankenpflege. Vortrag. Freiburg, J. B. C. Mohr. 
On the use of sublimed sulphur as a local application in 
Diphtheria. Brit. Med. Journ., 3, III, 1894. 

Die Influenzaepidemie 1893/94 in Freiburg i. B. Münch, 
med. Wochenschr. No. 9. 

Die Behandlung der Pleuraempyeme bei an Lungen¬ 
tuberkulose Leidenden. Deutsch, med. Wochenschr. No. 37 
und 38. 

Behandlung der Krankheiten des Herzbeutels und der 
Blutgefässe. Handbuch der Therapie innerer Krank¬ 
heiten von Penzoldt und Stintzing, Bd. III 
(2. Aufl., 1897). 

Der chronische Gelenkrheumatismus. Verhandlungen des 
XV. Kongresses für innere Medicin in Berlin. 

Ueber Arteriosclerosis und Arteriitis. Münch, med. 
Wochenschr. No. 5. 

Ueber chronische ankylosirende Entzündung der Wirbel¬ 
säule. Deutsch. Zeitschr. f. Nervenheilk., Bd. XII. 


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1540 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 39. 


1899. Lungenschwindsucht und Tuberkulose. Deutsch, med. 
Wochensehr. 1899, 21. 

1899. Praktische Erfahrungen über Kaltwasserbehandlung bei 
Ileotvphus. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 65. 

1900. Die Behandlung der Tuberkulose im 19. Jahrhundert. 
Siicularartikel. Berl. klin. Wochensohr. 1900, No. 14. 

1900. Zur Diagnose der durch gewerbliche Staubinhalation her- 

vorgerufonen Lungen Veränderungen. Münchener med. 

Wochenschr. No. 16. 

li>01. Uebor einen Fall von wachsendem Pigmeutnaovas mit 
eigenthümlichen hydropischen Erscheinungen. Münch, 
med. Woehensehr. No. 9. 

1901. lieber akuten Dann Verschluss an der Grenze zwischen 
Duodenum und Jejunum. Münch, med. Wochenschr. 
No. 17. 

1901. Der akute Gelenkrheumatismus. Deutsche Klinik, Bd. 1. 
1901. Kreislaufstörungen und Lungentuberkulose. Med. Woche 
No. 29. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Die Eingabe der bayerischen Amtsärzte an die kgl. 
Staatsregierung und die beiden Kammern des Land¬ 
tages, betr. die ärztliche Standes- und Ehrengerichts¬ 
ordnung. 

Herr Bezirksarzt Dr. E i d a di in Günzenhausen hat an silmmt- 
liche Amtsärzte Bayerns ein Circular verschickt, in welchem er die 
Amtsärzte auffordert, die Eingangs genannten Stellen zu bitten, 
die Amtsärzte in die neu zu schaffenden Standes- und Ehren¬ 
gerichte aufzunehmeu. Als Grund für diese Bitte führt der Kollege 
an, dass bisher die amtlichen und die praktischen Aerzte in bestem 
Einvernehmen gelebt haben, dass zu befürchten wäre, dass dieses 
Einvernehmen gestört würde, wenn die Amtsärzte in Zukunft nicht 
mehr wie bisher den ärztlichen Ehrengerichten unterstellt wären. 
Herr Bezirksarzt I)r. Eidam fürchtet, dass in der Folge nicht 
mehr so viele Amtsärzte zu Vorständen der Bezirksvereine und als 
Delegirte In die Aerztekammern gewählt würden. Er schlägt vor, 
nur die dienstliche Eigenschaft der Amtsärzte von der ärztlichen 
Ehrengerichtsordnung auszunehmen. Gegen diese Petition luiln* 
ich einige Bedenken und exiaul»e ich mir diese den Herren Amts¬ 
kollegen vorzutragen. 

Die bisherigen Standesgerichte. wie sie an die Bezirksvereine 
angegliedert waren, waren privater Natur und sie hatten nur dann 
praktischen Werth, wenn sich der Angeschuldigte freiwillig unter¬ 
warf. Dies soll sieh nun ändern. Der Staat organisirt die Statutes- 
geriehte und übernimmt die Executive und erhebt sie zum Zwangs- 
Institut für alle Aerzte. Nichtsdestoweniger bleiben sie doch reine 
Standesgerichte. Von den aktiven Militärärzten ist es von vorno¬ 
herein ganz ausgeschlossen, dass sie in ihren ausserdienstlichen 
Angelegenheiten einem eivilen Standesgericht unterworfen werden. 
Auch der Civilstaat kann, wenn er seine Oberhoheit Uber die Amts¬ 
ärzte nicht schmälern will, nie zugeben, dass der Amtsarzt ge¬ 
setzlich einem Gerichte unterworfen wird, das unter Umständen 
die gleiche Materie behandelt wie die Staatsaufsicht selbst. Jeder 
Beamte in Bayern ist nämlich nicht bloss in seiner amtlichen 
Thätlgkeit, sondern auch in seinem Privatleben — letzteres frei¬ 
lich mit Beschränkung — den Staatsorganen für sein Thun und 
Lassen verantwortlich. Namentlich ein unhonoriges Benehmen 
gegen die Aerzte wird jede Aufsichtsbehörde an ihren Amtsärzten 
korrigiren. Der Amtsarzt könnte also eventuell zweimal gestraft 
werden, einmal vom Standcsgerieht, dann vom Staat«*. Da aber 
das ne bis in idem auch hier gilt, hat einfach der schwächere Theil, 
das Standesgericht, zurückzutreten. Uebrigens ist es mit der Unter¬ 
scheidung der dienstlichen und ausserdienstlichen Thätigkeit eine 
eigene Sache. Wenn der Bezirksarzt als behandelnder Arzt zu 
einer Wöchnerin mit Puerperalüelxer gerufen wird, die vorher von 
einem praktischen Arzte behandelt wurde, ohne dass dieser Anzeige 
erstattet hat, und der naehbehaudelnde (amtliche) Arzt zeigt den 
Kollegen wegen dieser Unterlassung beim Staatsanwalte an: ist 
dies eine private oder dienstliche Handlung? Gehört die Begut¬ 
achtung und die oft erzwungene Kritik des behandelnden Arztes 
ln einer Unfallssache zur Amtstätigkeit? 

Beim letzten Streite der Aerzte Münchens mit der Orts¬ 
krankenkasse IV haben einzelne Amtsärzte die Theilnnhme ver¬ 
weigert in Folge Ihrer Amtsstellung und doch ist die Behandlung 
der Krankenkasse-Mitglieder rein privater Natur. 

Der Herr Kollege fürchtet, dass die Amtsärzte von den Ver¬ 
trauensstellungen verdrängt werden. Gar so arg wird es denn 
doch nicht werden. Die Vereine und die Kammern halten doch 
noch ganz andere Aufgaben. Uebrigens könnte es gar nicht 
schaden, wenn in die Aerztekammern mehr praktische Aerzte 
kommen würden. 

Vielleicht wäre diese Möglichkeit für beide Thelle erspriesslich: 
Den Amtsärzten sollte gesetzlich gestattet werden, sieh dem ärzt¬ 
lichen Standesgericht freiwillig zu unterwerfen, mit dem 


Rechte, jeder Zeit auszutreteu, aber mit der Pflicht, bis zum Aus¬ 
tritt über ihr „ausserdienstliches“ Verhalten dem Standesgericht 
unterworfen zu sein. Dr. G r a s s 1, Bezirksamt. 


Referate und Bücheranzeigen. 

G. Fraenkel: Die Arzneimittelsynthese auf Grundlage 
der Beziehungen zwischen chemischem Anfban und Wirkung. 

Eür Aerzte und Chemiker. Berlin, J. Springer, 1901. 
557 Seiten. 12 M. geb. 

In der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts ist e> 
der chemischen Wissenschaft — dank ihrer grossartigen Fort¬ 
schritte — gelungen, die Konstitution des grössten Theils der 
organischen Heilmittel aufzuklären. In den letzten 25 Jahren 
ist man dann an die Aufgabe herangegangen, die Arzneimittel 
der organischen Chemie synthetisch aufzubauen. Dies ist auch 
in der That für eine beschränkte Anzahl, z. Th. sogar sehr kom- 
plizirter, Verbindungen gelungen. Weit grössere praktische Er¬ 
folge aber haben die Versuche gezeitigt, den in der Natur vor¬ 
handenen Heilmitteln ähnliche, aber einfacher aufgebaute, Ver¬ 
bindungen darzustellen. 

Man hat dann weiter — von zufälligen Entdeckungen, ex¬ 
perimentellen Erfahrungen und theoretischen Ueberlegungcn 
ausgehend — ganz neue Körper konstruirt, in der ausge¬ 
sprochenen Absicht, sie als Arzneimittel nach ganz bestimmter 
Richtung hin zu verwenden. Durch diese Bestrebungen der 
synthetischen organischen Chemie ist unser Arzneischatz um 
eine Anzahl werthvoller Heilmittel bereichert worden. Aller¬ 
dings ist auch eine sehr grosse Zahl Substanzen auf den Markt 
gebracht worden, die vor den bereits vorhandenen durchaus keine 
Vorzüge aufweisen konnten, und die daher auch nach kurzt-r 
Zeit wieder spurlos verschwanden. Die Ursache hierfür liegt 
darin, dass bisher — mit wenigen Ausnahmen — bei der Auf¬ 
suchung neuer Arzneimittel grob empirisch verfahren wurde, ab¬ 
gesehen davon, dass — wie leider sehr häufig geschehen — in 
der Hoffnung auf Gewinn, mehr minder plumpe Nachahmung* n. 
bereits erprobter Mittel als „neue“ Arzneimittel mit allen Mitteln 
der Reklame einzuführen gesucht wurden. 

Der Verfasser will nun in seinem Buche die Anleitungen 
geben, wie der Pharmakologe oder der Chemiker — oder am 
besten der erste re mit dem letzteren vereint — auf wissenschaft¬ 
lichem Wege zu der Darstellung neuer, zweckentsprechender 
Heilmittel gelangen könne. Die Regeln, die ihn hierbei leiten 
sollen, werden abgeleitet aus den Gesetzen, die für die Be¬ 
ziehungen zwischen chemischer Konstitution und physiologischer 
Wirkung gelten. Solche allgemein anerkannte Gesetze existiren 
aber sehr wenige. Die Frage nach den Beziehungen zwischen 
Konstitution und Wirkung ist eine ganz moderne; systematische 
umfassende Untersuchungen sind auf diesem Gebiete bisher noch 
kaum durchgeführt worden. Dagegen existiren eine überaus 
grosse Anzahl Einzeluntersuchungen über die Wirkungen be¬ 
stimmter Körpergruppen, über die Aenderung dieser Wirkung 
durch die Einführung gewisser Radicale, über das Verhalten der 
Körper einer homologen Reihe, von isomeren Verbindungen etc. 
Aus diesen Arbeiten lassen sieh eine ganze Anzahl Beziehungen 
zwischen chemischer Konstitution und physiologischer Wirkuug 
ableiten. — Der Verfasser unternimmt es nun, die Resultate 
aller dieser Arbeiten zusammenzufasseu. Dies ist äussersi 
dankenswerth. — Die sicher sehr mühsame Aufgabe, das in den 
verschiedenartigsten Zeitschriften verstreute Material zusammen¬ 
zutragen, hat der Verfasser in ausgezeichneter Weise gelöst. 
Der Stoff ist ferner in sehr geschickter Weise nach bestimmten 
Gesichtspunkten geordnet und durch die verbindende Geistes¬ 
arbeit des Verfussers dem Eingangs angedeuteten Ziele: zur 
rationellen Darstellung zweckentsprechender neuer Arzneimittel 
Anleitung zu geben, dienstbar gemacht. 

Gleichgiltig nun, ob diese Anleitungen jemals zu praktischen 
Resultaten Veranlassung geben werden — jedenfalls wird der 
mit diesen Fragen sich Beschäftigende, vor Allem also der Phar¬ 
makologe. Chemiker und Physiologe, dem Verfasser dafür Dank 
wissen, dass er das sämmtliche in Betracht kommende Material 
in nahezu vollständiger Weise zusammengestellt hat. Leider 
hat es der Verfasser durchaus unterlassen, Literaturangaben zu 
machen. Dies bedeutet entschieden einen Mangel dos Buches, 
dein ja aber bei einer Neuauflage leicht abzuhclfeu wäre. 

Der Inhalt des Buches gliedert sich folgendermaassen: 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1541 


24. September 1901. 


I. Allgemeiner Theil: 1. Theorie der Wirkungen an¬ 
organischer Körper. 2. Theorie der Wirkungen organischer 
Körper. 3. Bedeutung der einzelnen Atomgruppen für die 
Wirkung. 4. Veränderungen der Substanzen im Organismus. 

II. Spezieller Theil: 1. Allgemeine Methoden, um Körper 

mit physiologischer Wirkung aufzubauen. 2. Antipyretica. 
3. Alkaloide. 4. Schlafmittel und Inhalationsanaesthetica. 
5. Antiseptica und Adstringentia. 6. Die Ichthyolgruppe. 
7. Mittel, welche auf die Darmschleimhaut wirken. 8. Kampher 
und Terpene. 9. Reduzirende Hautmittel. 10. Glycerophosphate. 
11. Diuretica. 12. Gichtmittel. H e i n z - Erlangen. 

Robert Behla: Die Carcinomliteratur. Eine Zusammen¬ 
stellung der in- und ausländischen Krebsschriften bis 1900 mit 
alphabetischem Autoren- und Sachregister. Berlin 1901. 259 S. 
gr. 8°. Preis 6 M. 

Es war ein guter Gedanke, die zahlreichen Schriften und 
Artikel über Krebs um die Jahrhundertswende zu sammeln und 
bibliographisch zu bearbeiten. An gediegenen Mustern (z. B. 
J. K. P r o k s c h: Bibliographie der venerischen Krankheiten) 
hätte ee nicht gefehlt. Gerade an diesem Buche wäre zu ersehen, 
wie der Stoff organisch gegliedert werden muss, um dem Leser 
etwas Bequemes und Lehrreiches zu bieten. Unser Verfasser hat 
es vorgezogen, den Stoff einfach alphabetisch zu ordnen und die 
Gliederung des Stoffes in einem „Sachregister“ zu geben. Das 
ist für Forscher sehr unbequem. Wer z. B. über „parasitäre 
Theorie“ nachlesen will, ist genöthigt, nicht weniger als 129 mal 
nachzuschlagen und sich schriftliche Notizen zu machen. 

Den „Iudex-Catalogue“ scheint Verfasser nicht zu kennen. 
Dieses Werk ist aber gerade für die Literatur des Carcinoms 
nicht zu entbehren. Hätte Herr Behla nur S c h m i d t’s 
J ahrbücher und V irchow-IIirsch’s Jahresbericht tüchtig 
benützt, so hätte er Vollständigeres leisten können. 

Es ist auffallend, dass selbst klassische und berühmte 
Schriften vermisst werden. Von allgemeinen Werken fehlen 
z. B. Schuh: Pseudoplasmen, 1854; Sangall i: Storia 
clinica ed anatomica etc. dei tumori, 1860; J. Hughes 
Bennett: On cancerous and caneroid growths; es fehlt der gute 
Artikel des Marburger B e n e k e im Deutschen Archiv XV. Das 
berühmte Buch von W a 1 s h e ist 1846, nicht 1896 erschienen. 
Wir vermissen den bedeutenden Artikel II. Leber t’s: Ueber 
Krebs der Gehirnhäute etc. (Virchow’s Arch. III); die gediegene 
Arbeit von Victor Bruns: Ueber Lippenkrebs, in seinem Hand¬ 
buch; F rerichs’ Arbeit in Jenner Annalen 1849; W. Rein 
liard: Ueber Lungenkrebs (Arch. der Heilkunde XIX); das 
grosse Werk von Hanot et Gilbert: Uel>er Lebertumoren, 
1888; den trefflichen Artikel von Hoppe-Seyler: Ueber 
I>eberkrebs; B i r k e 11: On diseases of the breast, 1850; D u t i 1 
(1874) und Roh rer: Ueber Krebs der Niere; die Artikel von 
Rieh. Schulz im Archiv d. Heilk. über Endothelcarcinoiri, 
Panzerkrebs, Dermoidkrebs; Neu mann: Ueber Sarkom und 
Carcinom; Birch-Hirschfeld: Ueber Hodenkrebs; R i s - 
don-Bennett: Intrathoracic Growths, 1872. Von älteren 
Arbeiten fehlen u. A.: Bayle. 1821; Maunoir: Ueber 
Markschwamm; John Clarke: Ueber Cauliflower-Excrescence, 
1809 etc. 

Die V a t e Eschen Körperchen (= Pacini) werden mit dem 
Diverticulum Vateri verwechselt (p. 244, Haut!!). — Mit Disser¬ 
tationen und kleineren Joumalaufsätzen will ich gar nicht an¬ 
fangen. 

Relativ vollständiger ist die Literatur über die unglück¬ 
seligen Versuche der neuesten Zeit, bezüglich des „Krebs¬ 
parasiten“. Was die „Krebse“ der Pflanzen zu dem Menschen¬ 
krebs für Beziehungen haben sollen, begreife ich nicht, so z. B. 
der Krebs der Apfelbäume, auch die Cecidien, bei denen es sich 
doch nur um irritative Schwellungen durch Hexaiaxlen oder 
Aearinen handelt. Da müsste man zuletzt den Strahlkrebs der 
Pferde und den Wasserkrebs der Kinder auch noch hcreinziehen. 
Eine vollständige Bibliographie des Krebses wird nur durch eine 
internationale Vereinigung von Forschern zu Stande kommen, 
da es sich ja darum handeln würde, auch aus etwa 2000 perio¬ 
dischen Schriften Auszüge zu machen. 

J. Ch. Huber- Memmingen. 

Vogel: Lehrbuch der Geburtshilfe für Hebammen. 

Stuttgart 1901. Ferdinand Enke. Preis 4.20 M. 


Der Verfasser hat sich die Aufgabe gestellt, ein Lehrbuch 
der Geburtshilfe zu schreiben, das kurz, leicht verständlich und 
übersichtlich geordnet, Alles enthält, was eine Hebamme zur 
Ausübung ihrer praktischen Thätigkeit wissen muss. Die Ein¬ 
teilung des Stoffes ist die übliche. Im Anhänge sind sehr 
zweckmässig noch einmal die Fälle zusammengestellt, die für 
die Hebamme das Hinzuziehen eines Arztes zur Pflicht machen; 
ausserdem hat der Autor hier noch in dankenswerther Weise die 
gesetzlichen Verpflichtungen der Hebamme erörtert. 

Im ersten Abschnitt des Lehrbuches, der über Reinlichkeit 
und Desinfektion handelt, scheint mir die prophylaktische 
Pflege der Hände zu kurz gekommen zu sein. Ich glaube, 
man wird sich mit der Zeit daran gewöhnen müssen, diese 
als einen der wichtigsten Faktoren für die Desinfektion an¬ 
zusehen. 

Im zweiten Abschnitt, der menschliche Körper, hätte ich 
gern die Wichtigkeit der Puls- und Athmungsbeobachtung bei 
Schwangeren, Kreissenden und Wöchnerinnen besprochen ge¬ 
funden; kurze Andeutungen finden sich hierüber allerdings vor. 

Sehr dankenswerth ist es, dass der Autor in seine Be¬ 
sprechung den Gebärmutterkrebs und die Extrauteringravidität 
hineingezogen hat. Davon muss gerade eine Hebamme etwas 
wissen, und wenn es nur so viel ist, dass sie gegebenen Falles 
an eine dieser Möglichkeiten denkt. 

Den Rath Schlägen, die Verfasser den Hebammen bei Pla- 
centa praevia gibt, schliesse ich mich nicht an. Ich würde es 
für richtiger halten, die Hebammen so zu erziehen, dass sie bei 
keinem Falle von Blutung in der Geburt innerlich unter¬ 
suchen oder gar die Scheide tamponiren. Heutzutage gibt cs 
überall so viele Aerzte, dass auch auf dem Lande in ganz kurzer 
Zeit stets diese Hilfe zur Hand ist. Durch jede Untersuchung 
bei Plac. praev. verliert die Kreissende u n n ö t h i g viel Blut. 
Die Scheidentamponade der Hebammen habe ich selbst zu oft 
als zwecklos in Bezug auf die Blutstillung und gefahrvoll in 
Bezug auf die puerperale Infektion kennen gelernt. 

Stellt die Hebamme Fieber fest, so muss sie auch gleich¬ 
zeitig Frequenz und Qualität des Pulses berücksichtigen; denn 
gerade in der Pathologie des Wochenbetts spielt der Puls in Bezug 
auf die Beurtheilung der Schwere des Falles eine sehr wichtige 
Rolle, und das muss auch eine Hebamme wissen. Der metallene 
Katheter lässt sich in jedem Haushalt leicht vor dem Gebrauch 
auskochen; man geht da doch sicherer, als wenn man ihn che¬ 
misch desinficirt. 

Selbstverständlich werden die gemachten kleinen Ausstände 
nach keiner Richtung hin den Werth des Buches beeinträchtigen. 
Kürze, Inhalt und der leicht verständliche Stil werden dem Lehr¬ 
buch in dem Kreise, für den es geschrieben ist, eine freundliche 
Aufnahme sichern; für Jeden aber, der mit dem Unterricht der 
Hebammen beschäftigt ist, wird es eine willkommene Unter¬ 
stützung sein. 

II o f me i e r hat in dem Vorwort dem Büchlein einige em¬ 
pfehlende Worte mit auf den Weg gegeben. 

Max H e n k e 1 - Berlin. 

Louis Fischer: Infant-Feeding in its relation to health 
and disease. Mit 52 Hlustrationen, 23 Karten und Tafeln 
Philadelphia, Chicago, Verlag von F. A. Davis Co., 1901 
348 Seiten. 

Prof. Fischer gibt in diesem Buche seine Erfahrungen 
über Kinderernährung wieder, die er in seiner 10jährigen Thätig¬ 
keit als Direktor eines der grössten New-Yorker Kinderspitäler 
und auf seinen Studienreisen in Europa gesammelt hat. Das 
Buch ist für Anfänger geschrieben und enthält in kurzer, über¬ 
sichtlicher Form die wichtigsten Angaben über Anatomie, 
Physiologie und Pathologie des kindlichen Verdauungstraktus, 
sowie über natürliche und künstliche Ernährung. F. gibt inter¬ 
essante Aufschlüsse über die Anschauungsweise der amerika¬ 
nischen Pädiater und deren Behandlungsmethoden. Boi der be- 
merkenswerthen Einfachheit des Stils ist die Lektüre Jedem 
ermöglicht, der nur einigenuaassen der englischen Sprache 
mächtig ist, und kann bestens empfohlen werden. 

Trumpp - München. 

Prof. Dr. E. Finger: Die Syphilis und $e venerischen 
Krankheiten, ein kurzgefusstes Lehrbuch zum Gebrauche für 


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1542 


YTTF.NC’HFNER MEDTCTNhSrHF, WOCHENSCHRIFT. No. 39. 


Studirende und Aerzte. 5., vermehrte und verbesserte Auflage. 
Leipzig und Wien, Franz D e u t i c k e, 1901. Preis M. 7.50. 

Das in neuer Auflage vorliegende Werk des Verfassers, 
dessen Name auf dem Gebiete der Fachliteratur seit lange den 
besten Klang hat, soll wesentlich praktischen Zwecken dienen. 
Dem zu Folge wurden die Diagnose und die Therapie mit ihren 
Indikationen besonders berücksichtigt, das sehliesst aber nicht 
aus, dass auch die specielle Pathologie und Klinik der venerischen 
Erkrankungen eine dem neuesten Stande der Wissenschaft ent¬ 
sprechende concise und objektive Darstellung gefunden haben. 
Ein Lehrbuch für Studirende, ein Handbuch für den Praktiker 
konnte eines weitläufigen historischen Beiwerkes leicht ent¬ 
behren. Zahlreiche beigefügte, sehr gut ausgeführte Tafeln er¬ 
leichtern das Verständniss der im Texte mitgetheilten anatomi¬ 
schen und pathologisch-anatomischen Daten. Die Bearbeitung 
der syphilitischen und blennorrhagischen Augenerkrankungen 
stammt aus der Feder des Herrn Prof. Dimmer. Im Ganzen 
hat das Werk gegen früher durch Umarbeitung und Vermehrung 
des Inhalts einen um mehrere Druckbogen gegen die letzte Auf¬ 
lage vergrösserten Umfang. Wir empfehlen das interessant und 
flüssig geschriebene Buch allen Denjenigen, welchen es um eine 
kurze und doch gründliche Orientirung auf dem Gebiete der 
venerischen Erkrankungen (speciell auch zu praktischen 
Zwecken) zu thun ist, auf’s Beste. K o p p. 

Dr. 0. Rapmund: Das öffentliche Gesundheitswesen. 

Allgemeiner Theil. Leipzig, bei C. L. Hirschfeld, 1901. 
336 Seiten. Preis 9.50 M. 

Das vorliegende Werk bildet einen Band des „Hand- und 
Lehrbuchs der Staatswissenschaften in selbständigen Bänden, 
begründet von Kuno F rankenstein, fortgesetzt von Max 
v. Heckei“, und ist nicht nur für Fachkreise — Medicinal- 
beamte, Hygieniker, Aerzte — und Verwaltungsbeamte be¬ 
stimmt, sondern für Alle, die sich mit volkswirtschaftlichen 
Fragen beschäftigen. Es behandelt die geschichtliche Entwick¬ 
lung des öffentlichen Gesundheitswesens vom Alterthum bis zur 
Neuzeit, die Aufgaben und die Durchführung der Gesundheit.« - 
gesetzgebung und die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung der 
sanitären Maassregeln. Wie die Verwaltung des öffentlichen 
Gesundheitswesens und die Gesundheitsbehörden organisirt sind, 
wird zunächst in grossen allgemeinen Zügen geschildert und 
dann für die einzelnen deutschen Bundesstaaten, die anderen 
europäischen und einzelne aussereuropäisehe Staaten näher aus¬ 
geführt. In einem zweiten Theile sind die wichtigsten gesetz¬ 
lichen Bestimmungen in verschiedenen Kulturstaaten mit- 
getheilt; den Schluss bildet ein ausführliches Bücherverzeichniss. 

Der Verfasser referirt nicht nur mit grosser Sachkenntnis« 
über den gegenwärtigen Standpunkt der Gesundheitsgesetz¬ 
gebung, er bringt auch als erfahrener Modieinalbeamter werth- 
volle Verbesserungsvorschläge und tritt namentlich mit Wärme 
dafür ein, dass die medicinisch-technischen Gesundheitsbeamten 
aus der Bevormundung durch die Juristen herauskommen und 
eine grössere Selbständigkeit erhalten. Dr. Carl Becker. 

Neueste Journalliteratur. 

Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. 

Bd. V, Heft 4. iy01 

1) Max J o h n - Ofen-Pest: Ueber den arteriellen Blutdruck 
der Phthisiker. (Aus der inneren Abtheilung des Krankenhauses 
TTrban ln Berlin [Direktor: Prof. Dr. A. Fränkel].) 

Die BlutdruckverhUltnisse bei Lungentuberkulose wurden in 
neuerer Zeit hauptsächlich von französischen Autoren einer Unter¬ 
suchung unterzogen. Und insbesondere Uegnault erblickt in 
der Herabsetzung des arteriellen Dnicks ein wichtiges Hilfsmittel 
zur Erkennung der Phthise im Frühstadium, gerade dann, wenn 
noch andere diagnostische Merkmale im Stiche lassen. 

J. fand nun gerade im Anfnngsstadium der Tuberkulose nor¬ 
male Blutdruckvcrhältnisse, dagegen in vorgeschrittenen Fällen 
regelmässig eine bedeutende Herabsetzung des Blutdruckes, welche 
mit. der Schwere des plithisischen Proeessvs in einer gewissen 
Parallele stand. Die Blutdruckbestimmung erscheint ihm daher 
in prognostischer Hinsicht von Bedeutung zu sein. Wenn die 
Phthise aber mit Nephritis kombinirt ist. tritt eine Erhöhung des 
Blutdrucks ein. Die Blutdruekherabsetzung bei fortgeschrittener 
Tuberkulose beruht nach eigenen und anderer Autoren Unter¬ 
suchungen auf einer vnsodilntatorischen Wirkung der Gifte des 
Tuberkelbncillu8, qualitativer und quantitativer Veränderung des 
Blutes und sekundärer Atrophie des Herzens. 

2) Richard H e 11 e r- Salzburg: Studie über die natürlichen 
Salzburger Moorbäder, sowie über Moor-Eisenbäder und deren 
physiologische Wirkung. 


Bericht über die chemischen und physikalischen Eigen¬ 
schaften der Moorbäder, Ihre Anweudungsart, physiologische Wir¬ 
kung auf Herzthätlgkeit, Athmung, Blutbeschaffenheit, Körper¬ 
temperatur, Harnausscheidung, Indication und Contralndication 
ihrer Anwendung. 

3) M. L ö w e n s o h n - Wereholensk (Russland): Der Kumys 
und seine Anwendung bei der Lungentuberkulose. 

Die Kumystherapie, Genuss vergohrener Stutenmilch zu Heil¬ 
zwecken, die sich schon Jahrhunderte lang zurückverfolgen lässt. 
Ist von russischen Aerzten ln Bezug auf ihren anregenden Ein¬ 
fluss auf Verdauung und Stoffwechsel wissenschaftlich begründet 
worden. Im Kampfe gegen die Tuberkulose ist sie als ein wirk¬ 
sames Heilmittel zu betrachten, das heutzutage noch vielfach zu 
wenig geschätzt wird. 

M. Wassermann - München. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 60. Bd., 3. u. 4. Heft. 
Leipzig, Vogel, 1901. 

12) Z i e g 1 o r - München: Ueber das mikroskopische Ver¬ 
halten subkutaner Brüche langer Böhrenknochen. 

Verf. hat in der schwefligen Säure ein vorzügliches, schnell 
wirkendes Entkalkungsmittel gefunden und mit Hilfe derselben 
eine Reihe von Untersuchungen über subkutane Knochenbrüche 
bei Tritonen und Meerschweinchen angestellt. Nach Verf.’s Be¬ 
funden stellt sieb die Knochenheilung bei Röhrenknochen dar als 
eine Wucherung der inneren Schicht des Periostes und nebenbei 
als eine Wucherung und Trübung der inneren Markschichten, 
namentlich nahe der Cortiealis und des Endothels der Ha versi- 
selien Kanäle. Z. bat schon am 5. Tage bei Meerschweinchen eine 
Ausscheidung von osteoider Substanz beobachtet. Ebenfalls am 
5. Tage hat Z. eine Ausscheidung von Knorpelsubstanz beobachtet. 
Der neugebildete Knorpel ist stets nur unter dem Periost und nie 
im Innern des Markrnunis zu finden. Dieser Knorpel verknöchert 
direkt und bildet spongiösen Knochen, worauf sich Resorptions- 
processe einleiten. Sowohl bei der enchondralen wie bei der binde¬ 
gewebigen Ossifikation spielen die Osteoblasten erst eine sekundäre 
Rolle. 

Das Studium der Einzelheiten kanu nur an der Hand der 
ganz vortrefflichen Abbildungen erfolgen. 

13) Franke- Braunschweig: Ein seltener Fall von Magen¬ 
resektion. 

Die Magenresektion wegen Oarcinom bei einem 79 jährigen 
Kranken hatte trotz einer am 3. Tage einsetzenden Pneumonie 
einen vollen Erfolg. 

14) Pagen Stecher - Wiesbaden: Beiträge zu den Extremi- 
tätenmissbildungen. 

a) Braehydaktylie, einseitige Verkürzung einer oberen Ex¬ 
tremität. bedingt durch Verkürzung und Verschmälerung der Meta- 
carpi und Phalangen, zumal der Endphniangen. 

b) Pollex valgus. Seitliche Abweichung der Endphalaux. be¬ 
dingt durch eine leichte Verbiegung des ganzen Köpfchens der 
Grundpbalanx. 

c) Luxation des Radiusköpfchens, komplizirt mit einer Ano¬ 
malie beider Daumen (Adduction des Metnearpus und Al*duction 
der Phalangen) und einer Beugekontraktur der 4. und 5. Finger. 

15) B 1 e e h e r - Greifswald: Ueber den Einfluss der künst¬ 
lichen Blutstauung auf Gelenksteifigkeiten nach Traumen und 
längerer Immobilisation. 

Verf. hat in zahlreichen Füllen von Gelenksteifigkeit nach 
Traumen und längerer Immobilisation ausserordentliche Besserung 
der Bewegungsfähigkeit nach Anwendung der Stauungshyperaemie 
gesehen. Die Besserung war zweifellos auf die Stauung allein 
zurückzu führen, da andere Methoden nicht zur Anwendung kamen, 
insbesondere weder Massage, noch passive Bewegungen, noch Gym¬ 
nastik versucht wurde. In einem Falle wurde sogar die Besserung 
bei fixirtein Gelenke beobachtet. 

Die Wirkung der Stauung erklärt sieh Verf. durch die Auf¬ 
lockerung der Bindegewebsbündel. Erweiterung der Kapsel. Ver¬ 
längerung der Bänder. Vermehrung der Synovia. Auflösung der 
Blutergüsse durch das vermehrte Serum. 

Unterstützen lässt sich die Stauungswirkung natürlich durch 
die Vornahme von passiven und aktiven Bewegrungen und durch 
Massage. 

16) Stempel- Breslau: Das Malum coxae senile als Berufs¬ 
krankheit und in seinen Beziehungen zur sozialen Gesetzgebung. 

Auf Grund sorgfältiger Beobachtung von 58 Fällen entwirft 
Verf. ein gutes Bild der genannten Erkrankung: 

Das Malum coxae senile ist eine ausgesprochene Berufskrank¬ 
heit und zwar des landwirthsehaftlichen Berufes. Die Ursache 
dafür liegt in der übermässigen Arbeitslast der landwirtschaft¬ 
lichen Bevölkerung, in ihrer unzureichenden Ernährung und in den 
ungünstigen hygienischen Verhältnissen. Ein einmaliges aber hef¬ 
tiges Trauma kann das Leiden horvorrufen. Es beginnt, mit mehr 
oder weniger heftigen, anfänglich nur zeitweise, später anhaltend 
auftretenden Schmerzen an verschiedenen Stellen des Körpers. Pie 
Schmerzen lassen beim Gehen nicht nach. Am Gelenk bemerkt 
man alsbald eine Hervorwölbung der Weicht helle. Auftreibung der 
Knochenenden. Beschränkung der Bewegungen und zwar am 
ersten der Rotation und der Beugung. Schmerzhaftigkeit der pas¬ 
siven Bewegungen. Die Muskulatur der betreffenden Extremität 
wird alsbald atrophisch, besonders auch die Glutael. 

Mit der Arthritis deformans hat das Malum coxae senile nichts 
zu thun. Bei der Arthritis deformans ist die Beweglichkeit des 


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24. September 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1543 


Gelenkes nickt nur nicht beschränkt, sondern sogar ausgiebiger 
als ln der Norm. 

Erkrankung anderer Gelenke Ist bei der Arthritis det'ormuns 
sehr häutig, bei dem Malum senile ganz ungewöhnlich. 

17) Wllms: Die Entfernung von Fremdkörpern aus dem 
unteren Theil des Oesophagus vom Magen aus. (Chirurgische 
Klinik Leipzig.) 

Die Abtastung der Speiseröhre mit dem Finger gelingt von 
der üesophagotomiewunde bis zum 5. und 6. Brustwirbel, vom 
Magen aus bis zum 7. und 8. Brustwirbel. 

In des Verf.’s Falle lag das Gebiss, wie die Röntgenunter¬ 
suchung zeigte, zwischen 8. und 9. Brustwirbel. Das Gebiss konnte 
auf der Platte erst sichtbar gemacht werden als der Thorax schräg 
von vorn rechts nach hinten links durchleuchtet wurde. 

Auf Grund der Erfahrungen in seinem Falle empfiehlt W. 
am Magen eine kleine Incision in der Nähe des Fundus anzulegeu. 
Der Magen wird vor die Bauchwunde gezogen und zunächst au 
der gewählten Stelle eine die Serosa und Muscularis umgreifende 
Tabaksbeutelnaht angelegt, die noch nicht geknotet wird. Im 
Centrum dieses Nahtringes wird eine kleine incision gemacht, daun 
der mit einem dünnen Condomgummi überzogene Zeigefinger in 
die Oeffnung hineingeschoben. Darauf wird die Naht soweit zu¬ 
gezogen und geknotet, dass der Finger in der Mageuwaud lixirt 
ist. Nunmehr kann man die Hand mit Leichtigkeit in die Bauch¬ 
höhle versenken und den unteren Theil des Oesophagus abfühlen. 

In des Verf.’s Falle konnte das Gebiss in dieser Weise leicht 
herausgezogen werden. Der Patient wurde vollkommen geheilt. 

18) Koseusteiu: Ein Fall von Implantation der Urethra 
in’s Rectum. (Chirurgische Klinik Königsberg.) 

Analog der bei Ectopia vesicae mit Erfolg geübten Ein- 
püanzuug der Ureteren in s Rectum hat v. Eiseisberg bei 
einem Patienten mit Epispadie und Incontinentia urinae die Im¬ 
plantation der Urethra lu’s Rectum gemacht. Die Operation hatte 
nur einen vorübergehenden Erfolg, so dass später noch eine 
VVitzel’sche Schrägiistel angelegt werden musste, auch musste 
die Fistel am Rectum wieder zur Verödung gebracht werden. 

19) H. v. Burckharilt- Stuttgart: Ueber akute fortschrei¬ 
tende Peritonitis bei Epityphlitis und ihre chirurgische Behand¬ 
lung. 

Des Verf.’s frühere Arbeiten über denselben Gegenstand haben 
eine Beachtung nicht gefunden. Er sieht sich daher genüthigt, die 
wesentlichsten in denselben niedergelegten Punkte nochmals zu 
wiederholen. 

Er weist nochmals nach, dass es unzweckmässig ist, die Be¬ 
zeichnungen „diffuse“ und „allgemeine" Peritonitis zu gebrauchen. 
Das wesentlichste Kennzeichen der „diffusen“ Peritonitis im Gegen¬ 
satz zur „umschriebenen" ist nicht die in einem gegebenen Augen¬ 
blicke relativ grosse Ausdehnung der Entzündung, sondern ihr 
Nichtbegrenztsein, ihr Fortschreiteu. B. empüehlt daher die Be¬ 
zeichnung „fortschreitende“ Peritonitis zu gebrauchen. 

Ueber das Zustandekommen und die Entwicklung der fort¬ 
schreitenden Peritonitis hat v. B. an 17 Fällen ganz genaue Unter¬ 
suchungen angestelit. Bei ü war es auf Grund des Krankheits- 
Verlaufes und des Operationsergebnisses zweifellos, dass die fort¬ 
schreitende Peritonitis sich unmittelbar au die Entzündung des 
Wurmfortsatzes ungeschlossen und der Einbruch von Infektions- 
material direkt in die freie Bauchhöhle stattgefunden hatte. Die 
Zelt vom Beginn der Erkrankung bis zur Stunde der Operation 
schwankte zwischen 11 und üü Stunden. Geheilt wurden nur die 
3 Kranken, deren Peritonitis weniger als 30 Std. bestanden hatte. 

ln 4 Fällen war der Einbruch in die freie Bauchhöhle von 
einem um den Processus gelegenen Abscess aus erfolgt. Die Peri¬ 
tonitis war zur Zeit der Operation zwischen 2 und 30 Stunden alt; 
alle Patienten wurden geheilt. 

In einem weiteren Falle war die Perforation von einem ent¬ 
fernt vom Wurmfortsatz gelegenen Abscess aus erfolgt; auch dieser 
Kranke wurde gehellt, die Operation fand 18 Stunden nach der 
Perforation statt. 

Bei 4 Fällen handelte es sich nicht um eine eigentliche Per¬ 
foration eines Abscesses, sondern um ein Weiterschreiten desselben 
per contlnuitatem. Alle Kranken wurden geheilt. 

Bei 2 Patienten schliesslich lag der Wurmfortsatz im Becken 
und es hatte sich um denselben herum zunächst eine Becken¬ 
peritonitis ausgebildet. Von dieser aus hatte sich langsamer als 
in den übrigen Fällen die fortschreitende Peritonitis entwickelt. 
Auch diese Fälle wurden geheilt. 

Bezüglich der Diagnose der beginnenden fortschreitenden Peri¬ 
tonitis betont v. B. nochmals, dass dieselbe sehr wohl möglich ist, 
dass man vor allen Dingen durch häutiges Untersuchen das Umsich¬ 
greifen des druckempfindlichen Bezirkes, das allmähliche Auftreten 
des Meteorismus nachweiseu kann. 

Sehr genau sind von B.’s Vorschriften, wann je nach der Art 
der Erkrankung operirt werden soll. Im Allgemeinen gibt er den 
Itath, bei irgendwie verdächtigen Erscheinungen nicht zu lange zu¬ 
zuwarten und den Eingriff zu unternehmen, so lange das llerz 
noch kräftig ist. 

Die Operationsmethode ist im Allgemeinen folgende: Frei¬ 
legung des Herdes in der Ileocoecalgegeud durch einen grossen 
Flankenschnitt, Resektion des Wurmfortsatzes, ähnlicher, nur 
kürzerer, Schnitt auf der linken Seite, bei stärkerem Sekret hier 
auch Eröffnung der linken Lendengegend durch Schnitt unterhalb 
und parallel der 12. Rippe. Die rechte Leudeugegend wird ebenso 
eröffnet, wenn zwischen Kolon ascendeus und äusserer Bauch wand 
Eiter abfilesst. 


20) Herz-Barmen: Zur Frage der mechanischen Störung 
des Knochenwachsthums. 

H. wendet sich gegen die von Maass auf Grund von Thier¬ 
experimenten aufgestellte Lehre von der Störung des Knochen- 
wachsthums und tritt für die Lore uz’sehe iusufücieuz der An¬ 
passung ein. 

21) Dohr n: Ein Fall von traumatischer intraperitonealer 

Blasenruptur. Laparotomie, Heilung. (Chirurgische Klinik 
Königsberg.) K r e e k e. 

Archiv für Qynäkologie. 04 . Bd. 1 , Heft. Berlin 1901 . 

1) Ludwig Mandl und Oskar Bürger: Beitrag zur opera¬ 
tiven Behandlung von Eiteransammlungen in den Anhängen 
der Gebärmutter. (Aus der 1. Universitäts-Frauenklinik des llof- 
rath Professor Schau ta in Wien.) 

Das besprochene klinische Material umfasst 273 Fälle von 
Eiterausammlung in den Adnexen und entstammt der Zeit von 
1888—19UU. Aus den daraus gewonnenen Erfahrungen ergaben 
sich für die Behandlung solcher Erkrankungen folgende Schlüsse: 

Der vaginale Weg hat den Vorzug vor dem abdominalen. Die 
vaginale Radikaloperatiou ist die Operation des Principes. Ein¬ 
seitige Entfernung vereiterter Adnexe kommt nur in Frage bei 
voraussichtlichem Beschrünktbleibeu der Erkrankung auf die eine 
Seite, lucisioneu ergaben ungünstige Dauererfolge. 

2> W. V a s s m e r - Hannover: Ueber Adenom- und Cyst- 
adenombiidung mesonephritischer Herkunft im Ovarium und 
Uterus. 

Im llilus wie in der Parenchym schiebt des Ovariums und in 
der rechten Seiten- und Vorderwaud des Uterus fand V. in einem 
Falle zahlreiche, zum Theil cystisch erweiterte epitheliale 
Schläuche, die er auf l rnierenreste zurückführt. Die Gänge zeigen 
hohes Cylinderepithel; eigene Wandung und cytogenes Biude- 
gewebsstroma fehlen. 

3) L. Landau und L. Pick: Ueber die mesonephritische 
Atresie der Mülle r’schen Gänge, zugleich ein Beitrag zur 
Lehre von den mesonephritischen Adenomyomen des Weibes 
und zur Klinik der Gynatresien. (Aus Prof. L. Lauda u's 
Frauenklinik in Berlin.) 

ln dem mitgetheilten Falle handelte es sich um kongenitale 
Atresie der Cervix mit Haematometra corporis Uteri, Uaemato- 
salpinx duplex und Kystoma haemorrlmgicum ovarii sin. bei einer 
40 jährigen Frau. An Stelle der Cervix fand sich eiu mesoueph- 
ritisches Adeuomyom; der cervicale Abschnitt der M ü 11 e r'scheu 
Gänge war durch abnorm starke Ausbildung des W o 1 f t"sehen 
Körpers utretisch geworden. Schwierige abdominale Totalexstir- 
patiou des Uterus und der Adnexe; Heilung. 

4) Johann S c h o e d e 1 - Chemnitz: Erfahrungen über künst¬ 
liche Frühgeburten, eingeleitet wegen Beckenenge in den Jahren 
1893—1900 an der kgl. Frauenklinik zu Dresden. 

Die Mittheiluug bezieht sich auf 41 künstliche Frühgeburten 
wegen Beekeueuge. Von dieser Operation blieben Erstgebärende 
und Fälle mit 9,5—8,5 Conjugata vera ausgeschlossen. 35 Kinder 
wurden lebend geboren, davon starben 9 in den ersten 10 Tagen. 
Die Durchschuittsdauer der Geburt betrug 41 Stunden bei Kom¬ 
bination von Kraus e'scher Methode mit Metreuryse. Der Eiu- 
lluss der Wärmeschränke (Couveusen) war günstig für das Ge¬ 
deihen der Kinder. 

5) Th. S c h u 11 z - Kopenhagen: Pathologische Anatomie 
und Pathogenese der kleincystischen Follikulärdegeneration der 
Eierstöcke. 

Sch. untersuchte die theils durch Operation, tlieils durch Sek¬ 
tion gewonnenen Ovarien von 43 Frauen und fand 11 mal klein- 
cystiselie Follikulärdegeueration. Pathogenese: Durch Reizung der 
Ovarialnerven (Follikelnerven) werden zahlreiche Follikel gleich¬ 
zeitig zur Entwicklung gebracht und die Ernährung des einzelneu 
wird ungenügend. Das Ovarium erleidet eine kurzdauernde, aber 
um so mehr intensive Thiiligkeitsperiode. 

ti) Butz: Beitrag zur Kenntniss der „bösartigen Blasen¬ 
mole“ und deren Behandlung. (Aus der Prov.-Hebammenlehr- und 
Entbindungsanstalt zu Osnabrück.) 

Molenschwangerschaft im 3. Monat bei einer 44 jährigen 
X. Para; theil weise Ausstossung der Mole, Curettage; nach 
13 Tagen wegen neuer Blutung Curettage wiederholt. Darnach 
1 Jahr lang Fehlen aller bedrohlichen Symptome. Nach 1 Jahr 
Luugennietustnsen, welche durch Blutungen zum Exitus führten. 
3 Tage vor dem Tode starke Uterusblutung. Auf Grund der histo¬ 
logischen Untersuchung glaubt B., dass ein erkranktes Endo¬ 
metrium den eindringeudeu syncytialeu Elementen der Zotten 
nicht genügend Widerstand entgegensetzt, durch die arrodirt.cn 
uterinen Gefässe gelangen syncytiale Massen in die Lungen, wo 
sie, ihrer physiologischen Thätigkeit entsprechend, wieder Gefässe 
arrodircu und Blutungen veranlassen. Es handelt sich also nicht 
unt eine Tumorbildung durch selbständige Vermehrung des ab 
getrennten Syueytiums. Prophylaxe: Probecurette 14 Tage 
nach Ausstossung jeder Blasenmoie; findet sich abnorm tiefes Ein- 
wtichern foetaler Elemente, so ist die Indikation zur Totalexstir- 
pation gegeben. 

7) K. B 1 ä e her- Reval: Ueber das Verhältniss der mütter¬ 
lichen zu den foetalen Gefässen der Pacenta. 

Durch Injektionsnietboden hat B. gefunden, dass die mütter¬ 
lichen Gefässe aus der Decidua durch die Obertläche der Zotten 
in deren Inneres elndringen und sich zwischen den foetalen Ge- 
fiisseu verthellen. Dr. Anton H e n g g e - München. 


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544 


No. 39. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd. 

4. Heft. 

1) G. F 1 e c k - Güttingen: Ein Fall von Haematometra und 
doppelseitiger Haematosalpinx bei Mangel der Scheide. 

Nach sehr ausführlicher Beschreibung der durch Laparotomie 
gewonnenen Adnextumoren führt Verf. die Entstehung der Gyn- 
atresie auf eine Entwicklungsstüruug zurück. Viele Momente 
sprechen, für die Annahme eines congenitalen Scheidenmangels, 
während sich klinisch wie anatomisch keine Anhaltspunkte für 
eine bacteriell-entzündliclie Entstehung des Scheiden- und Tuben* 
Verschlusses ergeben. 

2) U n t e r b e r ge r-Königsberg: Ein Fall von Pseudo¬ 
hermaphroditismus femininus externus mit Coincidenz eines 
Ovarialsarkoms. Laparotomie. 

Junges, stark entwickeltes Mädchen mit ausgesprochen männ¬ 
lichem Typus. Die äusseren Genitalien sprechen für eineu 
Hypospadiaeus 3. Grades. Solider bis über die N'abelhöhe ragender 
Tumor im Abdomen. Vom Rectum aus liess sich ein Uterus fest- 
stelleu, der mit dem Tumor gestielt in Zusammenhang stand. Die 
Laparotomie ergab ein linksseitiges Ovarialsarkom. 

3) M. Heldern a n n- Berlin: Die Thrombose im Wochenbett. 

II. stellte im Wüchnerinnenheim zu Berlin aus sämmtlichen 

Wochenbettgeschichten mit Angabe über Thrombose alle gleich¬ 
artigen subjektiven und objektiven Erscheinungen zusammen, um 
neue Symptome der „reinen“ Thr. im Wochenbett zu gewinnen. 
Er unterscheidet zwei verschiedene Formen von Thr., eine leich¬ 
tere, die sich in den ersten Tagen in eng umgrenzter Thrombo¬ 
phlebitis fast nur der oberlläehlichcu Variceu meist einer Seite 
abspielt, und die schwerere Form, die nach dem 4. Wocheubetts- 
tage auftritt und meist mit Thr. der grossen spez. der Beekeu- 
veueu komplizirt ist. 

Oefter bestanuen neben den bekanten Störungen der schweren 
Form der Thr. Klagen über Dysurie, in einigen Fällen tagelange 
Ischurie. Charakteristisch für die Thr. war in allen Fällen ein 
Meteorismus, der dem Auftreten der Thr. vorausging oder bei 
schon bestehender Thr. zunahm. 

Verf. führt alle die von ihm beobachteten Fälle ohne Aus¬ 
nahme auf Infektion zurück. Die allgemeinen und lokalisirten 
rrodromalerscheinungeu, die Unruhe der Temperatur, das häuüge 
gleichzeitige Befallenwerden zweier Frauen begründen die in¬ 
fektiöse Natur der Thr. Die Eintrittspforte der Mikroorganismen 
bildet die Placeutarstelle. 

Schmerzhaftigkeit unterhalb des P o u p a r t’schen Bandes 
ist das sicherste Zeichen für das Bestehen einer Thr. der tiefen 
Beckenvenen mit Betheiliguug der Vena femoralis in ihrem 
obersten Abschnitt. Das Mahl c r'sclie Symptom fehlte in vielen 
Fällen, immer, wenn von Anfang ein gewisser Grad von Meteoris¬ 
mus vorhanden war. Ein inniger Zusammenhang besteht zwischen 
Thr. und Meteorismus, der in Folge seiner schädlichen intensiven 
Wirkung auf das Ilerz ein plötzliches Auftreten oder eine akute 
Verschlimmerung der schon bestellenden Thr. verursacht. 

4) G. W i e n e r - München: Drittmaliger Kaiserschnitt an 
einer Zwergin mit Uterusbauchdeckenfistel in der alten Narbe 
und Placentarsitz an der vorderen Wand. 

In der Eröffnungszeit trat eine starke Blutung aus der Bauch- 
deckontistel auf. Schwere Anaemie. Nach Einlieferung der Pat. 
in die Klinik wurde sogleich die Entbindung durch den Kaiser¬ 
schnitt vorgenommeu. Der Uterus war ausgedehnt verwachsen 
und wurde nach Porro exstirpirt. Kind frisch abgestorben. 
Kekonvalescenz reaktionslos. Die Komplikationen des Falles er¬ 
forderten die Exstirpation des Uterus. Die starke Blutung im 
Beginn der Geburt hat ihren Ursprung in der Placeutarstelle und 
entstand unter ähnlichen Bedingungen wie bei Placenta praevia. 
Eine Kommunikation der Bauchdeckeulistel mit der Uterushöhle 
konnte am Präparat nicht nachgewiesen werden. 

5) M. Kaufmann- Lodz: Ueber die Zerreissung des 
Scheidengewölbes während der Geburt. 

Mittheilung zweier Fälle. In dem einen Full wurde nach Fest¬ 
stellung der Ruptur bei Querlage die Wendung und Extraktion 
ausgeführt; Peritoneum in grosser Ausdehnung abgehoben, un¬ 
verletzt; im anderen Falle entstand der Riss mit Betheiligung 
des Peritoneums mit spontaner Geburt eines fast 15 Pfund 
schweren Kindes. Tamponade. Heilung. Im Anschluss au die 
Mitthcilimg knüpft Verf. einige Bemerkungen an über das Zu¬ 
standekommen und die Behandlung der Zerreissung des Scheiden- 
gewölbes. 

<») R. P a 1 in - München: Ueber papilläre polypöse Angiome 
und Fiurome der weiblichen Harnröhre. 

Unter eingehender Berücksichtigung der Gesammtliteratur 
bespricht Verf. die Entstehung. Anatomie und Behandlung dieser 
Geschwülste und theilt selbst 4 eigene Beobachtungen von 
papillären polypösen Angiomen und 2 Fälle von Fibrom der Harn¬ 
röhre mit. 

Die näheren Ausführungen sind zu kurzem Referat nicht ge¬ 
eignet. 

7) E. S c h rö d e r - Nienburg: Zwanzig Jahre Geburtshilfe in 
ländlicher Praxis. 

Die Arbeit enthält eine Zusammenstellung der von Verf. wäh¬ 
rend einer 20 jährigen Tliätigkeit geleiteten Geburten. Die ope¬ 
rativen Eingriffe, die Anzeigen zu denselben, die Ergebnisse, die 
Erkrankungen der Mütter und Kinder sind in übersichtlicher 
Weise geordnet. Verf. hebt die Schwierigkeiten hervor, mit denen 
der praktische Arzt auf dem Lande zu kämpfen hat und bespricht 
die Art der Behandlung verschiedener Geburtsstörungen, die in 
einigen Punkten nicht ganz ohne Widerspruch bleiben dürfte. 

C. Weinbrenner - Erlangen,. 


Centralblatt für Gynäkologie. 19U1. No. 37. 

1) Johannes F ü t b - Coblenz: Zur intra-uterinen Behandlung. 

Um zu verhüten, dass bei intrauteriner Aetzung die Flüssig¬ 
keit schon im Cervicalkaual ausgepresst wird, hat F. eine Art 
Cervixspeculum konstruirt, das den Cervicalkanal offen zu halten 
und seine Wandung vor der Einwirkung der Aetzflüssigkeit zu 
schützen bestimmt ist. Das recht komplizirte Instrument, dessen 
Beschreibung im Original nachzusehen ist, liefert die Firma Wil¬ 
helm G ö t z ln Coblenz. 

2) F. W e s t p h a 1 e n - Flensburg: Cocain in der geburts¬ 
hilflichen Praxis. 

W. empfiehlt in Fällen, wo ein Stillstand der Geburt in der 
Austreibungsperiode in Folge von ausgeschalteter Bauchpresse 
eintritt, Cocaiusuppositorien (ü 0,03, davon 1—2 in iy a Stunden) 
per rectum. Die liegulirung der Wehen soll prompt in 5 bis 
10 Minuten erfolgen. Toxische Wirkungen sah W. nicht Er ver¬ 
fügt bis jetzt über „35—40" (sic!) einschlägige Fälle. 

3) M i c 1 e s c u - Konstantlnopel : Zur Pathologie und Thera¬ 
pie des Schw&ngerschaftsikterus. 

Einige Bemerkungen über Ikterus gravis gravidarum und 
eine Krankengeschichte. Von ersteren sei hervorgehoben, dass M. 
im Blut einer Kranken 10 Stunden vor dem Tode Streptococcen 
fand, und dass er zwei Krankheitstypen des Ikterus gravis au- 
nimmt: Akute Leberatrophie mit Hypo thermie, bedingt durch 
Bacterium coli, und akute Leberatropbie mit Hyper thermie in 
Folge toxischer Einwirkung von Strepto- und Staphylococcen. Der 
Fall betraf eine 20 jährige I. Para, die im 8. Schwangerschafts- 
mouat schweren Ikterus bekam und durch Einleitung der künst¬ 
lichen Frühgeburt hergestellt wurde. Auch die Frucht blieb ain 
Leben. M. will Jeden Schwangerscbaftsikterus durch künstliche 
Unterbrechung der Gravidität behandelt wissen. Dem steht aber 
entgegen, dass recht häufig die Schwangerschaft auch so günstig 
verläuft oder spontan unterbrochen wird. J a f f 6 - Hamburg. 

Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 30. Bd. 

1. Heft. 1901. 

1) R. B e n e k e - Braunsehweig: 2 Fälle von Ganglioneurom. 

Der eine beschriebene Fall stellt eine kindskopfgrosse, iui 

kleinen Becken gelegene retroperitoneale Geschwulst dar, die für 
die betreffende Frau ein Geburtshinderuiss gebildet batte; im 
zweiten Fall schildert B. einen mannskopfgrossen derartigen Tumor 
bei einem 10 jährigen Mädchen, der in der Oberbauchgegeud und 
ebenfalls retroperitoneal gelegen war. Der letztere Fall ist in- 
soferne von ganz besonderem Interesse, als er „in seiner Haupt¬ 
masse ein gutartiges Ganglioneurom (wie Fall 1) darstellt, in dem 
es aber weiterhin durch eine zunehmende blastomatöse Erkrankuug 
der Ganglienzellen zu einer richtigen malignen Neubildung der letz¬ 
teren gekommen ist“, mit Bildung eigenartiger Drüsenmetastaseu. 
B. neigt der Annahme zu, dass diese Gebilde ihren Ursprung im 
Sympathicus hätten. 

2) O. Barbanl - Siena: Ueber Ausgang der akuten gelben 
Leberatrophie in multiple knotige Hyperplasie. 

B. beschreibt (leider ohne Krankengeschichte) in eingehender 
Weise eine mit Milzschwellung und Ascites verbundene Leber- 
uffektlou, bei der das mit gi obhöckeriger Oberfläche versehene 
Organ von verschieden grossen, weissllch-gelben Knoten durch¬ 
setzt war. Die letzteren erscheinen mikroskopisch aus neugebilde¬ 
tem Lebergewebe bestehend ohne typischen Lüppcheubau tait mehr 
oder weniger ausgedehnter fettiger Degeneration und Nekrose. Im 
internodulären duukelrothen Gewebe fehlt die Lebersubstauz fast 
völlig und Ist ersetzt durch ein mehr oder weniger zell- und gefäss- 
reiches Bindegewebe mit gewucherten Galleugängen. B. bespricht 
die Literatur mit besonderer Berücksichtigung der Adenomfrage 
und stellt seine Fälle zwei ähnlichen von March and und 
Stroebe beobachteten an die Seite, indem er sie als Ausgang 
einer parenchymatösen Degeneration in noduläre Hyperplasie auf¬ 
fasst. 

3) Gg. Reinbach; Untersuchungen über den Bau ver¬ 
schiedener Arten von menschlichen Wundgranulationen. (Aus 
der chirurgischen Universitätsklinik zu Breslau.) 

R. schildert zunächst in klinischer Hinsicht die normalen 
physiologischen gesunden Wundgranulationeu und ihre specifischcn 
Eigenschaften und stellt ihnen gegenüber die schlechten oder 
pathologischen Granulationen. Beim histologischen Befund 
koustatirt R. stets ein fibrinöses Exsudat auf der Oberfläche der 
normalen Granulationen; das Gewebe selbst besteht aus Fibro¬ 
blastenzügen, die vom Grund des gesunden Gewebes aufsteigend in 
Zügen nach oben sieb erstrecken, sowie aus zahlreichen neu¬ 
gebildeten Capillaren und ist durchsetzt mit verschiedenen Arten 
Leukocyten. Bei den pathologischen Granulationen vermisst R. die 
charakteristischen Fibroblastenzüge, koustatirt dagegen den reich¬ 
lichen Gehalt an flüssigem, zelllgem (Leukocyten) Exsudat und an 
neugebildeten Capillaren, die jedoch in den oberen Granulatious- 
schichten nicht aus der Tiefe des Gewebes stammen, sondern aus 
der Nachbarschaft herü berge wuchert sind. Fettige Blndegewebs- 
züge fehlen völlig, die Fibroblasten zeigen deutliche Verschieden¬ 
heit von denen in gesunden Granulationen. Mitosen werden ln 
pathologischen Granulationen viel häufiger angetroffen, doch findet 
eben ein wieder massenhafter Untergang der cellulären Elemente 
statt. 

4) K. Y a m a g i w a - Tokio: Einige Bemerkungen zu dem 
Aufsatz des Herrn Katsurada: Beitrag zur Kenntniss des 
Distomum spathulatum (Beiträge XXVIII, 3). 


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24. September 1901. 


MTJENCHENER MEDIOINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1545 


Y. setzt seine von Katsurada abweichenden Ansichten 
auseinander und beschreibt kurz 3 von seinen typischen Fällen 
von DIst spathul. 

5) F. K a t s u ra d a - Tokio: Einige Worte der Erwiderung 
an Herrn Yamagiwa. (Aus dem pathologischen Institut in 
Freiburg 1. B.) 

Pio Frä- Turin: Giulio Bizzozero f. (Nachruf.) 

H. Merkel- Erlangen. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 38. No. 1. 1901. 

1) C. Flügge: Weitere Beiträge zur Verbreitungsweise 
und Bekämpfung der Phthise. 

2) B. H e y m a n n - Breslau: Versuche über die Verbreitung 
der Phthise durch ausgehustete Tröpfchen und durch trockenen 
Sputumstaub. 

3) O. Nennlnger - Breslau: Ueber das Eindringen von 
Bacteiien in die Lungen durch Einathmung von Tröpfchen und 
Staub. 

4) F. S t e 1 n 11 z - Breslau: Die Beseitigung und Desinfektion 
des phthisischen Sputums. 

5) F. Herr und M. B e n I n d e - Breslau: Untersuchungen 
über das Vorkommen von Tuberkelbacillen in der Butter. 

6) F. H e r r - Breslau: Das Pasteurisiren des Bahms als 
Schutz gegen die Verbreitung der Tuberkulose durch Butter. 

7) Derselbe: Ein Beitrag zum Verhalten der Tuberkel¬ 
bacillen bei Ueberimpfung auf Blindschleichen. 

8) Derselbe: Ein Beitrag zur Verbreitung der säure¬ 
festen Bacillen. 

Vorstehende von Flügge inaugurirte Arbeiten bilden 
einen weiteren Fortschritt In der Erkennung über die Verbreitungs- 
weise und Bekämpfung der Tuberkulose, deren Resultate in dem 
voraufgehenden Bericht von Flügge zusammenfassend nieder¬ 
gelegt sind. 

Nachdem die Infektionsmöglichkeit der beim Sprechen. 
Husten, Niesen durch tuberkulöse Kranke gebildeten und aus¬ 
gestreuten Tröpfchen erwiesen war, gingen die Verfasser 
Heymann, Nennlnger und S t e l n 11 z dazu über, die In¬ 
fektiosität des Sputumstaubes näher zu ermitteln. 

Es verhält sich dabei so, dass die Infektionsmöglichkeit bei 
versprühten Tröpfchen eine grössere ist als bei 
Sputumstaub. Letzterer ist verliältnissmiissig grob und 
bietet, well er leicht zu Roden fällt, eine nur kurzdauernde In¬ 
fektionsgefahr. Am gefährlichsten sind die sehr flugfähigen 
Fasern von Taschentüchern und Kleidern, die mit 
Tuberkelbaclllen-Sputum bespritzt sind. Sie sind aber nur ver¬ 
einzelt im Staube enthalten, so dass z. B. in Phthislkerräumen erst 
ein dauernder Aufenthalt zur Inhalation und Infektion führen 
würde. 

Zur Desinfektion von Sputummassen empfiehlt sich 
am besten das Sublimat, welches ln 5 prom. Lösung in 
1 y 2 Stunden die Tuberkelbacillen abtödtet. Auch das A b - 
kochen ist vortheilhaft. doch In grossen Betrieben nicht ohne 
Umständlichkeit durchzuführen. Desshalb wird den verbrenn¬ 
baren Spucknäpfen das Wort geredet, deren Werth sich 
für einen nur auf 3y a Pfg. stellt. 

Die viel im Gebrauch befindlichen Spuckgläser, die ent¬ 
weder durch die Metalltheile oder durch zu dickes Glas eine 
chemische oder mechanische Reinigung unbequem machen, sind 
ebensogut durch Taschentücher, falls dieselben nur täglich 
gewechselt und desinflzirt werden, zu ersetzen. 

Sehr zu empfehlen sind die Taschentücher aus Japani¬ 
schem Papier, deren Kosten pro Stück nur ca. 1 Pfennig 
beträgt. 

Für eine eventuelle Wohnungsdesinfektion ist auch nach den 
neuesten Versuchen von S t e I n 11 z der Forraaldehyd- 
gebrauch am meisten zu empfehlen. 

Nennlnger hat den Beweis erbracht, dass bei 
der Inhalation von Staub und Tröpfchen die Mikroorganismen 
bis ln die feinsten Aestchen der Bronchieh gelangen 
können. 

Herr 1 « Untersuchungen beschäftigen sich mit der Mild» als 
Infektionsvermittler. Er fand, dass unter 45 Buttersorte n 
etwa ein Drittel Tuberkel bacillen enthielten und empfiehlt 
desshalb als prophylaktische Maassnahme das Pasteurisiren 
des Rahmes der Milch, da bereits bei 85 0 5 Sekunden zur 
Abtödtung der Bacillen genügen. Bei 65 0 würden 10—15 Minuten 
erforderlich sein. 

Bel Experimenten über die Anpassungsfähigkeit des Tuberkel¬ 
bacillus an saprophytlsches Wachsthura konnte Herr die Resul¬ 
tate anderer Forscher nicht bestätigen. Er bediente sich als Vor- 
suchsthlere der Blindschleichen, konnte aber keine tuber¬ 
kulösen Erscheinungen bei Ihnen hervorrufen. 

Am Schluss der F1U g g e’schen Abhandlung wird noch 
darauf hingewiesen, dass ln den Maassnahmen zur Bekämpfung 
der Tuberkulose eine zeitweise Isolirung der Kranken 
ein wichtiges Moment sei, wie es z. B. auch bereits in Nor¬ 
wegen vorgesehen Ist. Ueberliaupt wird aber in absehbarer 
Zelt nur ein Erfolg erreicht werden können, wenn die speci- 
f Ischen, auf die Eigenschaften und die Verbreitungsweise der 
Erreger gegründeten Maassnahmen energisch in den Vordergrund 
rücken. 

In BetrefT der Einzelheiten der Interessanten Arbeiten muss 
auf die Originale verwiesen werden. 

R. O. Neumann - Kiel. 


Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 37. 

1) Richard M e y e r - Berlin: Das Ausscheidungsverhältniss 
der Kalium- und Natriumsalze bei Carcinomkachexie und 
Phthise. 

Während normaler Weise die Menge? des nusgoschiodoncii 
Natrium bedeutend grösser ist. als die des Kalium, ist das Vor- 
hiiltni88 bei kachektischen Zuständen gerade umgekehrt. Bei drei 
Fällen von Carcinomkachexie verhielt sich KCl:NaCl=2 (bzw. 3i:l, 
bei zwei Fällen progressiver Phthise das gleiche Verhältnis«, 
während bei einem weiteren l’hthisisfalle mit wenig ausge¬ 
sprochener Kachexie und einem Falle von Phthisis ineipiens das 
Verhältnis« noch normal, 1:3 bezw. 5 befunden wurde. 

2) II. II e 11 e n d a 11 - Strassburg: Ueber die chirurgische 
Bedeutung des in der lateralen Ursprungssehne des Musculus 
gastroenemius vorkommenden Sesambeines. 

Dieses Sesambein, welches von der Aerztewelt bisher fast 
ganz unbeachtet sein sfellenwcisos Dasein fristete, verdankt es 
Professor Röntgen, wenn es wieder in das Licht gezerrt wird. 
Die Kenntnis« desselben ist desshalb wichtig, weil sein Schatten 
im Röntgenbild einen Fremdkörper im Kniegelenke Vortäuschen 
kann. 

3) lg. Wat teil-Lodz: Zur operativen Behandlung der 
Stichverletzungen des Herzens. 

Sehr interessante und ausführlich beschriebene Kranken¬ 
geschichte des 13. In der Literatur veröffentlichten Falles von 
Ilerznaht, zugleich (1er 6. mit dauerndem Erfolg operativ be¬ 
handelte und der 1. Fall, in welchem eine llerzwunde mit Ver¬ 
letzung der rechten Pleurahöhle und mit Pneumo-Haemothorax 
derselben komplizirt war. 

4) Max Einliorn-New-York: Das Vorkommen von Schimmel 
im Magen und dessen wahrscheinliche Bedeutung. 

Unter Mittheilung von vier Krankengeschichten und Illustra¬ 
tion der bakteriologischen Untersuchungen verbreitet sich K. über 
das Wesen und die Therapie der Schimmelbildung im Magen. Die¬ 
selbe findet sieh vornehmlich bei zwei Gruppen von Magen¬ 
erkrankung, bei intensiver Hyperchlorhydrio und bei Gastralgion 
mit normaler oder herabgesetzter Magensaftsekretion. Thera¬ 
peutisch scheinen Magenspülungen und Berieselung mit. 1—2 prom. 
Lösung von Argentum nitricum von Vortheil zu sein. 

5) Ivar R a n g - Christiania: Ueber Nucleoproteide und 
Nucleinsäuren. 

Physiologisch-chemische Untersuchungen, auf deren Resultate 
hier nicht näher eingegangen werden kann. Von Interesse ist. 
dass das Pankreas, welches die Zuckerproduktion des Organismus 
regulirt, eine Substanz enthält, welche eine vermehrte Zucker¬ 
produktion nach Einspritzung von Nucleoproteid in’s Blut hervor¬ 
ruft und dass die Injektion von Guanylsiiure und noch mehr die 
von Nucleoproteid die Blutgerinnung verhindert. 

6) Otto B r u n s - Harburg a. E.: Ein Fall von Spätapoplexie 
nach Trauma, und 

7) Aug. B 1 e n c k e - Magdeburg: Ein Fall von reiner Meta- 
tarsalgie. 

Kasuistische Mittheilungen aus der ärztlichen Praxis. 

8) C z y g a n - Benkheim: Ueber einen ostpreussischen 
Malariaherd. 

Unter Mittheilung von 8 bakteriologisch fest gestellten Fällen. 

F. Lacher- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg.No.l8. 

O. Bauer: Die Enucleation bei Panophthalmitis. Bericht 
aus der Züricher Universitäts-Augenklinik über die Jahre 1886 bis 
1000 . 

In 53 Fällen von typischer Panophthalmitis (Ursache meist 
Splitterverletzungen) war Enucleation gemacht worden (stets in 
Narkose, ohne Conjunctivnlnaht), ohne wesentliche Zwischenfälle. 
Heilung war ausnahmslos rasch (Entlassung durchschnittlich nach 
7 Tagen). 

L. S e h n y d e r - Born: J. P. F. B a r r a 8 (1789—1851). Ein 
Kapitel aus der Geschichte der Magen- und Darmnenroscn. 

Der fast vergessene Schweizer Arzt schrieb 1829 ein sehr 
gutes, interessantes Buch: ..Traitf* sur los Gastralglos et les Kntör- 
algies“, worin er gegenüber der damals herrschenden Anschauung 
Rroussai’s (welche alle Krankheiten auf Entzündung zurück¬ 
führte) die Bedeutung nervöser Magen- und Dannleiden verfocht. 

Jacob Nadler-Seen: Ueber Peroneuslähmung in Folge 
schwerer Geburt. 

Bei einer Erstgebärenden mit allgemein verengtem Becken 
trat kurz vor der Geburt Lähmung des rechten Peroneus ein. die 
bald (abgesehen von geringer Atrophie) völlig heilte. 

Pischlnger. 

Italienische Literatur. 

Bi fff: Ueber die Natur der jodophilen und eosinophilen 
Granulationen innerhalb der Leukocyten. (11 policlinieo IJxH, 
No. 44.) 

Ehrlich war der erste, welcher durch systematische Unter¬ 
suchungen die Anwesenheit von Jodophilen Körnchen im Eiter und 
Blut feststellte. Kr hält dieselben für Glykogen, eine 
Substanz, welche Hoppe-Seyler in den weissen Blutkörper¬ 
chen wie in den Eiterkörperchen nachgewiesen hatte. Diese 
jodophlle Reaktion ist nach Ehrlich verschieden von der 
eosinophilen. B. veröffentlicht Untersuchungen aus dem Labora¬ 
torium zu Faenza unter Leitung von Test!, aus denen hervor- 


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1548 


No. 39. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Rehen soll, dass die jodophilen und eosinophilen Leukocyten die 
gleichen sind. Die Protoplasmakörnchen. welche diese Reaktion 
zeigen, sollen aber nicht Glykogen sein, sondern Haemoglobin. 
Ol) überhaupt glykogenhaltigo Körnchen in den Leukocyten vor- 
kilnien. könne nicht auf Grund der jodophilen Reaktion allein 
entschieden werden: vielleicht sei die jodopliile wie die eosinophile 
Reaktion als ein Phänomen der Phagocytose aufzufassen. 

Aus dein gleichen Hospitale zu Faenza veröffentlicht G a 11 i 
eine Arbeit: Ueber den klinischen Werth der jodophilen Re¬ 
aktion des Blutes. (Ibidem.) 

G. kommt zu dem Resultat, dass die Erscheinung dieses Phä¬ 
nomens bei den verschiedensten Krankheiten und unter normalen 
Zuständen eine so wechselnde ist und es sich bisher so wenig 
bestimmen lässt, was normal und was pathologisch ist. dass diesen 
Befunden irgend ein klinischer Werth nicht zuzusprechen ist. 

Häufig findet man Leukoeytose und Intensität der jodophilen 
Reaktion vergesellschaftet; trotzdem aber lässt sich auch hier 
keine sichere Beziehung nachweisen. 

A j e 11 o und 0 e c a e e: Ueber die Ausscheidung der Gallen¬ 
säuren. (Giorn. int. di Scienze mediehe 1901. No. 9.) 

Beim gesunden Menschen wie bei den Säugethiereu. 
besonders bei den Hausthieren. wird keine Gallensäure 
durch den Urin ausgeschieden. Die subkutane Ein¬ 
spritzung nicht zu kleiner Dosen von Gallensalzen ergibt stets 
Gallensiiure im Urin. 

Der ikterisehe Urin enthält stets Gallensiiure. Die Anwesen¬ 
heit von Gallensiiure im Urin des Menschen wie der Haussiiuge- 
ildere ist immer als ein pathologisches Phänomen aufzufassen. 

Gordero: Ueber die Anwendung des Amylnitrits gegen 
die Inconvenienzen der Cocainanaestliesie. (Gazzetta degli osped. 
UHU. No. 72.) 

Die unangenehmen Nebenwirkungen, welche der Anwendung 
der Coeainnarkose zu chirurgischen Eingriffen hinderlich sind, 
bestehen fast ln allen Fällen in Erbrechen wenige Minuten nach 
der Einspritzung, in Kopfschmerz und in Tomporatursteigeriingen 
bis zu 39°. 

In Bezug auf alle drei Erscheinungen soll sich Amylnitrit in 
der gewöhnliehen Weise 3—4 Tropfen auf ein Taschentuch ge¬ 
träufelt einzuathmen und je nach Bedarf wiederholt prompt als 
Antagonistieum bewähren, ohne die anaesthetische Wirkung auf¬ 
zuheben. C. will diese Beobachtung an 27 Operationen in der 
chirurgischen Klinik zu Parma mit grosser Regelmässigkeit ge¬ 
macht haben und fordert dazu auf, seine Angaben nachzupriifen. 

Damit diese Nachprüfungen unter den gleichen Bedingungen 
geschehen, erwähnt er, dass er 6—9 mg Cocain in einer >/, proc. 
Lösung einspritzt. Diese Dosis sei genügend für Eingriffe unter¬ 
halb der Höhe des Nabels. Die Flüssigkeit muss steril und lau¬ 
warm sein. Man lasse erst eine kleine Quantität Cerebrospinai- 
fliissigkeit, welche etwa gleich der zu injizirenden Fliissigkeits- 
uienge ist, austreten. 

Die Injektion muss sehr langsam gemacht werden. 

Biagi: Ueber den Einfluss der Sympathicusexstirpation 
auf die Schilddrüse. (11 policlinlco 1901. No. 44.) 

Im Gegensatz zu Katzen stein, welcher nach Entfernung 
des Synipatkiciis-Ganglion, ja schon der Nervi laryngei vollständige 
Degeneration der Schilddrüse beobachtet haben will, kommt B. 
zu dem Resultat, dass Exstirpation der Syinpathicusnorveu wie 
der Nervi laryngei keinerlei trophischcn Einfluss auf die Drüse 
hat. auch keine sekretionsverändernde. Der einzige Effekt sei 
eine nur kurze Zeit dauernde Gefiisserweiterung. Damit fehlt die 
Basis für chirurgische Eingriffe, welche sich auf eine neue Theorie 
bezüglich der Entstehung des Morbus Basedow stützen: es ist kaum 
anzunehmen, dass diese durch Thierexperimente gewonnenen Re¬ 
sultate nicht auch für den Menschen Geltung haben. 

M a n n i n 1: Ueber inkomplete Formen von Morbus Flajani- 
Basedow. (Gazzetta degli osped. 190], No. 09.) 

Die Frage, ob beim Morbus Basedow eine Funktionsstörung 
der Schilddrüse oder des Sympathien« das eigentliche ursächliche 
Agens ist, ist immer noch ungelöst. M. tritt dafür ein, dass eine 
direkte oder reflektorische Laeslon des Sym- 
p a t h i c u s das primäre Symptom dieser Krank¬ 
heit ist. Er führt als Beweis dafür die vielen inkompleten 
Formen von Basedow an. welche bei Geisteskranken beobachtet 
werden, bei welchen es nur zu einzelnen Symptomen der Krank¬ 
heit komme. Den Störungen der Funktion der Schilddrüse, sei 
es, dass dieselben im Laufe der Krankheit auftreten, sei es, dass 
sie primär zu sein scheinen, möchte M. nur die Rolle einer sympto¬ 
matischen Begleiterscheinung zusprechen. 

Bruno: Ueber Morbus Basedow, ((,'linica moderna. V. 18- -19. 
1901.) 

Die veriin d e rte Funktion der Schilddrüse, 
w e 1 e li e als di e U r suche der Bnscdo w’schen Krank¬ 
heit aufzufassen ist, soll einer Be li a n < 1 1 ti n g 
d u r c li K 1 e k t r i <• i t ä t z u g ä n g 1 i c h s e i n. Unter dein Ein¬ 
fluss von elektrischen Strömen soll nach den in der Klinik zu 
Pisa gemachten Erfahrungen die Drüse sich an Volumen ver¬ 
mindern. Die erste Konsequenz ist ein grösseres Eintreten der 
angehäuften stofl'weehselvergiftenden Substanz in den Kreislauf 
und eine Verschlimmerung der Basedow-Symptome; darauf folgt 
eine Besserung. Die Drüse hat aber das Bestreben sich immer 
wieder zu vergrössern. desshalb muss die Kur eine sehr lange sein. 

La Mensa und Calla ri: Die Thyreoideatherapie in 
einigen Keratodermien. 

In der Clitiien mcd. No. 21, 1901, berichten die obigen Autoren 
aus der Klinik für Dermatologie und Syphilis zu Palermo über 
ihre Versuche mit der Schilddrüsentherapie. 


Die Störungen bei dieser Behandlung sind die gleichen, welche 
bei der Myxoedem-Behandlung auftreten: Kopfschmerz, Ver¬ 
dauungsstörungen, Polyurie, Asthenie, Abmagerung u. s. w. Sie 
sind lästig, aber sobald sie überwacht werden, nicht gefährlich. 

Dagegen wollen die Autoren bei fast allen Psorlasis- 
wie Ich thyosis kranken gute Resultate zu ver¬ 
zeichnen gehabt habe n. Auch bei dieser Kur gibt es 
Rückfälle, indessen auch bei diesen ist die Wirkung des Mittels 
immer wieder eine sichtliche. 

Comba: Ueber die Zellgewebsinduration der Neuge¬ 
borenen. (La clinica mcd. Italinna 1901. No. fl.) 

Das Skieroder m a neonatorum Ist nicht eine 
Krankheit s u i g e n e r 1 s . ebensowenig wie das Auasarka 
der Erwachsenen. Es ist ein subkutanes Oodein, welches mit 
einer Nephritis und mit Cireulationsstörungen Im Zusammenhänge 
steht, welche ihrerseits durch Infektionsprocesse verschiedener 
Art herbeigeführt sein können. 

Baccarani: Ueber eine maligne rheumatische Infektion 
(Gazzetta degli osped. 1901. No. G9.) 

Aus der Klinik zu Modena unter Leitung von Prof. Galvagui 
erörtert B. ein von italienischen Autoren namentlich mehrfach 
discutirics Krankheitsbild, welches einerseits an eine akuteste 
und bösartigste Form des akuten Gelenkrheumatismus, anderer¬ 
seits an eine septikaemisehe Infektion erinnert. 

Es handelt sieh um eine Infektionskrankheit ähnlich dem 
akuten Gelenkrheumatismus. Immer sind mehrfache Lokali¬ 
sationen vorhanden, in den Gelenken sowohl als In den serösen 
Höhlen. Das Exsudat Ist ein fibrinös-eiteriges. Auch die Nieren 
erkranken oft. Die Kranken bieten die charakteristische Facies 
pneumonien seihst dann, wenn die Lungen nicht ergriffen sind. 

Der bakteriologische Befund bietet bis jetzt wenig charak- 
l teristisclies. Ausser Staphylococcns wurden Diplococcen und von 
; Bona rdl ein bestimmter Bacillus capsulatus gefunden, alle von 
hoher Virulenz. Die Einreihung dieser Krankheit in das noso¬ 
logische System stellt demnach noch dahin; vielleicht Ist sie als 
, ein Gelenkrheumatismus mit hoher Virulenz oder mit Misch¬ 
infektion anzusehen. Hager- Magdeburg-N. 

Inangnral-Diuert&tionen. 

Universität Kiel. August 1901. 

73. B tunke Oswald: Ein Fall von Isthmusstenose mit Ruptur der 
auf steigenden Aorta. 

74. R a u p p Robert: Ueber einen Fall von primärem Carciuotii der 
Leber. 

75. Mnrcusc Harry: Die primäre Tuberkulose der serösen 
Häute. 

76. Re nnefalirt Karl: Drei Fälle von Unterbindung der Carotis 
communis zur Verhinderung des Wachsthums inoperabler 
Krebse des Gesichts. 

77. llenscl Karl: 40 Fälle von Eklampsie. 

78. 111 in a n n ii August: Zur Kasuistik der Myositis ossifleans. 

79. Kessler Bernhard: Die Voroperation zur Freilegung und 
Exstirpation der Samenblasen und des Endstückes der Samen¬ 
leiter. 

80. Schuster Oscar: Ueber die Tuberkulose bei Handwerks¬ 
bursehon. Gelegenheitsarbeitern und Landstreichern. 

| 81. Hans Wilhelm: Zur Kasuistik der Pylorasresektionen. 

| 82. Ivoopp Ernst: Ein Fall von Magencarcinom um ein altes 
Magenuleiis mit Pleura- und Peritoneuracarcinose. 

I 83. Schneider Conrad: Zur Pathologie und Therapie eines 
durch Stoinbihlung in einem Ureter und Pyonephrose knm- 
plizirten Falles von Inversio vcsicae. 

I 84. Strooliloin Robert: Ein Fall von ausgedehnter Thrombose 
des erweiterten linken Ventrikels. 

| 85. Vo retzseh Oscar: Beitrag zur Statistik der Oesophngus- 
divertikel. 

Universität Würzburg. Januar bis März 1901. 

1. Bernkopf Martin: Ueber ein haematoblastenlialtiges 
Ostooidsarkom. 

2. Sa 1 borg Willy: Ueber mehrfache Krebsentwicklung im 
Magen. 

3. Isaak Leo: Ueber die Zähigkeit des Fleisches in Ihrer Be¬ 
ziehung zur Dicke der Muskelfasern. 

4. Bergen thal Max: Ueber ein Endothcllom des Peritoneums. 

5. Fischer Karl: Ueber primäre Sarkome der Leber. 

6. I. o 1 p o 1 d Karl: Die Aneurysmen dos Aortenbogens und ihn 1 
Folgen, nebst Anführung eines eigenen Falles mit Perforation 
in den Oesophagus. 

I 7. P f a n n e n m ü 11 e r Hans: Anatomische Untersuchung eines 
Falles von schwerer Epilepsie. 

8. Baldes Karl: Ueber die Ausscheidung von sauerem und neu¬ 
tralem Schwefel im Harn des Kaninchens während des Hunger- 
zustnndes. 

9. Peiser Alfred: Zur Agglutination der Typhusbacillen durch 
den Harn Typhuskranker. 

10. Miynke Rioiclii: Ein Beitrag zur Anatomie des Dilatator 
pupillae hei Säugethleren. 

11. Sch aper August: Beitrag zur Aetiologie und Therapie der 
spontanen Uterusruptur während der Geburt. 

12. Stern Julius: Congenitale Anomalien der Uvula und des 
welchen Gaumens. 


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24. September 1901. 


13. Jacobsohn Hugo: Ueber 1000 Geburten der K.Universitäts- 
Frauenklinik zu Würzburg. 

14. Herrin an n Burkhard: Beitrage zur kalorimetrischen Be¬ 
stimmung des Mutterkornes. 

15. Brückner Arthur: Die Raumschwelle bei Simultanreizung. 

10. Friedliinder Snlo: Zur Kasuistik der Operation des Hirn¬ 
tumors. 

17. Schmincke Alexander: Magencarclnoin im Gefolge eines 
chronischen Magengeschwürs bei einem Sechzehnjährigen. 

18. Zander Paul: Talgdrüsen in der Mund- und Lippenschleim¬ 
haut 

19. Menke Philipp: Ueber die serösen Cysten der Leber und 
einer Gallengangscyste mit quergestreifter Muskulatur. 

20. Gehring Anton: Ein seltener Fall von juveniler pro¬ 
gressiver Muskelatrophie mit mangelhafter Entwickelung der 
Ganglien der motorischen Sphäre. 

21. Rapp Franz Xaver: Regenerative Vorgänge an Muskeln 
und Drüsen, sowie eigenartige Riickbildungsprocesse am Deck¬ 
epithel eines Amputationsstumpfes der Zunge (zugleich Beitrag 
zur Lehre vom Recidiv). 

22. Meyer so hu Sigmund: Zur Kasuistik der embryonalen 
Drüsengeschwülste der Niere. 

23. Körner Otto: Ein seltener Fall von peritonealem Endo¬ 
thel iom (sogen. Eudothelkrebs) komplizirt mit multipler Cysten¬ 
bildung. 

24. Bühlau Alfred: Zur Lehre von den Degenerationsanomalien 
der Ohrmuschel mit Berücksichtigung der Degeneration im All¬ 
gemeinen. 

25. Stadtfeld Heinrich: "Weitere Beiträge zur Kenntniss des 
Haemoglobiugehaltes der Muskeln. 

20. Schuh Max: Histologische Untersuchungen über das Ampu¬ 
tationsneurom. 

27. I bi n g Wilhelm: Ein seltener Fall von Papillom» lymph- 
angiomatosum nach Trauma. 

2N. Köster Bernhard: Ueber das Wachsthum des Mugcncarel- 
noms in der Magenschleimhaut. 

29. Sch wobei Ludwig: Zwei Fälle von Fibrosarkom der 
Quadricepssehne. 


Vereins- und Congressberichte. 

(Eigener Bericht.) 

Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

tOfflcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 13. April 1901. 

Vor der Tagesordnung: 

Herr Meinert gibt einen Kommentar zu den durch ihn 
iinlieabslchtigt hervorgerufenen und von ihm lebhaft bedauerten 
Vorgängen in der Eröffnungssitzung des Wiener internationalen 
Kongresses gegen den Alkoholismus. 

..Nachdem das offizielle Programm bereits versendet war, wur¬ 
den Professor Forel und ich vom Präsidium zu Ansprachen in 
d<*r Eröffnungssitzung aufgefordert. Jener sollte vom Standpunkt 
«les Abstinenten, ich vom Standpunkt des Temperenzlers über die 
Bedeutung der Anti-Alkoholbewegung sprechen. Erst am Vor¬ 
abend der Eröffnungssitzung konnten wir uns gegenseitig über die 
Abgrenzung des Stoffes verständigen, den Jeder von uns zu be¬ 
im ndeln hätte. Der von der modernen Propaganda hauptsächlich 
in’s Treffen geführte Antheil der höheren Stände an den verderb¬ 
lichen Trinksitten fiel mir zu. 

Das Wort wurde mir ertheilt unmittelbar nach der letzten 
der üblichen Begriissungsreden und da das Publikum nur durch 
kleine Zettel, welche den wenigsten zu Händen gekommen sein 
mochten, auf den nunmehrigen Eintritt in die sachlichen Erörte¬ 
rungen vorbereitet war. hielten mich wohl die meisten für einen 
Deputirten, der gleich seinen Vorgängern einige verbindliche Worte 
zu sagen haben würde. 

Der entschiedene Kurs, den ich auf die höheren Stände nahm, 
frappirte. und als ich nach kurzem Verweilen bei den Offizieren 
und bei den akademisch Gebildeten der verschiedenen Fakultäten 
das Verhültniss, in welchem der ärztliche Stand dermalen 
noch zur Mässigkeltsbewegung steht, als das Haupthindernis ihres 
siegreichen Vordringens bezeichnete, brach ein demonstrativer 
Beifallssturm los. Durch denselben Hess ich mich — denn gleich 
Prof. Forel sprach ich frei — leider zu starken Ausdrücken hiu- 
reissen. welche besonders die bisher von der Antialkoholbewegung 
und ihrer von Jeher auch an den Aerzten geübten Kritik un¬ 
berührten Wiener Kollegen zu verletzen geeignet waren. Sie 
fühlten sich denn auch um so mehr verletzt, als die K. K. Ge¬ 
sellschaft der Aerzte ln Wien dem Kongress ihr Haus zur Ver¬ 
fügung gestellt hatte. 

Der auf die Zwischenrufe von Wiener Aerzten entstandene 
arge Tumult legte sich erst und wandelte sich in abermaligen all¬ 
gemeinen Beifall, als ich auf den Rath des Ehrenpräsidenten. 
Unterriehtsministers Dr. v. Härtel, erklärte, dass ich selbst 
Arzt, dass Ich der Vorsitzende des Dresdener Bezlrksvereius und 
des sächsischen Landesverbandes gegen den Missbrauch geistiger 
Getränke sei und seit 30 Jahren mich mit der Bekämpfung des 
Alkoholismus beschäftige. 

Bei der Parteinahme des von über 1200 eingeschriebenen Mit¬ 
gliedern besuchten Kongresses für mich drohte ein sein Weiter¬ 
tagen in Frage stellender Konflikt, welchen der Präsident, Hofrath 


1547 


Prof. Max Gruber, am nächsten Morgen nur durch die Er¬ 
klärung zu beschwören vermochte, dass, wenn die Versammlung 
meine Ansicht über den ärztlichen Stand theile, er nicht in der 
Lage wäre, ihr Präsidium zu führen. 

Tags darauf gab ich die mit ihm vereinbarte Erklärung ab, 
dass eiue beleidigende Absicht mir ferngelegen habe und dass Ich 
alle um Verzeihung bäte, die sich durch meine Ausdrucksweise 
gekränkt gefühlt hätten. 

Entgegen einer von manchen Berichterstattern verbreiteten 
Version, stelle ich fest, dass ein Widerruf von mir weder verlangt, 
noch geleistet worden ist.“ 

Tagesordnung: 

1. Herr F. D Ommer: 

a) Das V a 1 e n t i n'sche Urethroskop. 

b) Spüldehner nach F. Dommer. (Mit Demonstrationen.) 

2. Herr Georg Hesse: Ein Fall von Lungenresektion 
wegen Tuberkulose. (Mit Krankenvorstellung.) 

3. Herr Putzer: lieber aerothermische Lokalbehandlung 
mit Dr. Vorstädter’s Luftdouche. (Nebst Demonstration 
derselben.) 

Herr Gelbke* Nach der Geschäftsordnung unserer Gesell¬ 
schaft ist es nicht erlaubt, über Gegenstände, die vor der Tages¬ 
ordnung vorgetragen werden, zu dlscutlren. Ich möchte Sie daher 
bitten, m. H., mir Jetzt noch nach beendeter Tagesordnung für 
einige Minuten Gehör zu schenken, da Ich auf die von Herrn 
Meinert ln Bezug auf seine in Berlin getbanen Aeusserungen 
hier abgegebenen Erklärung zu erwidern mich veranlasst fühle. 

Ich sehe ab von der nach Herrn M e 1 n e r t’s eigenem Zu¬ 
geständnis zu scharfen Form in die er seine Aeusserungen kleidete 
— er hat dnfür in der Wiener Versammlung, und, wenn ich das an- 
nehmen darf, damit auch den ganzen ärztlichen Stand um Ver¬ 
zeihung gebeten. Aber der materielle, der rein sachliche Inhalt 
seiner Ausführungen, den er auch heute Abend vor uns aufrecht 
erhalten hat, darf von unserer Seite nicht unwidersprochen 
bleiben: Herr Meinert behauptete, dass der ärztliche Stand eines 
der Haupthindernisse der Antl-Alkoholbewegung bilde, besonders 
weil die Meinungen der Aerzte in der Alkoholfrage noch völlig 
getheilt seien. In dieser Weise Uber unsere Stellungnahme zur 
Alkoholfrage zu urtheilen. ist wohl nicht angängig, denn man 
muss vor Allem unterscheiden unsere Stellung zum Alkohol als 
Medikament und als Genussmittel. 

Ueber die medikamentöse Verwendung des Alkohols sind die 
ärztlichen Anschauungen allerdings getheilt, das ist eine rein thera¬ 
peutische Streitfrage; dagegen sympnthisiren wir Alle mit der Be¬ 
schränkung des Alkohols als Genussmlttel. Wir Alle, glaube ich 
behaupten zu dürfen, erkennen die Berechtigung der Antl-Alkohol¬ 
bewegung an und kämpfen für sie, Insoweit als sie die M ä s s i g - 
keit im Alkoholgenuss anstrebt und sich auf „Teraperenz“ be¬ 
schränkt. Nur die Forderung der vollständigen Enthaltsamkeit, der 
Abstinenz, die jeden Tropfen alkoholischen Getränkes zu Genuss¬ 
zwecken verbietet, können wir nicht ungetheilt billigen. Das ist 
heute die wahre Sachlage unserer ärztlichen Stellung zur Alkohol- 
frage. Wenn Herr Meinert hieraus schllesst, dass unser Stand 
das Haupthindernis der Anti-Alkoholbestrebung sei, so ist das 
ein schwerer und unberechtigter Vorwurf für den ärztlichen Stand, 
gegen den ich hiermit — ich darf wohl annehmen, auch in Ihrer 
Aller Namen — energisch Verwahrung eiulegen möchte. 


Greifewalder medicinischer Verein. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 4. Mai 1901. 

Vorsitzender: Herr Bonnet. Schriftführer: Horr Busse. 

1. Herr Rosemann: Geber den Einfluss des Alkohols 
auf die Harnsäureausscheidung. 

Durch den an Alkohol nicht gewöhnten Dr. Haescr hat 
Bosoma n n Versuche derart anstellen lassen, dass er die Harn- 
f-äurcausscheidung durch 10 Tage be,i gewöhnlicher Lebensweise 
bestimmen licss, dann bei einer täglichen Wasseraufnahme von 
1—2 Liter und endlich unter Ilinzufügon von 75 ccm 93 pme. 
Alkohol. Nach der S a 1 k o w s k i’schen Methode fand er als 
Mittelwerth: 

in der Normalperiodo 0,8288 1 

in der Wasserperiode 0,5879 I ’ 1 

in der Alkoholperiode 0,7044. 

Es stellen also Rosemann und II a es er ebenso wie 
Herr m a n n. 11 e r t e r und Smith, Leber fest, dass der 
Alkohol die TTarusiiureausschciduug heim Menschen in keiner 
Weise beeinflusst. Die Versuchsergebnisse bei Thieren sind nicht 
ohne Weiteres denen bei Menschen gl: ichzusetzen. Gleiche Re¬ 
sultate erhält inan, wenn man die Harnsäureausscheidung in den 
Stunden nach der Alkoholaufnähme bestimmt, auch hier ist (‘in 
Einfluss nicht, zu bemerken. Für die Beurtheilung der Gicht er¬ 
gibt sieh hieraus, dass die schädliche Wirkung der Alkoholica bei 
Gichtikern nicht auf eine direkte Beeinflussung der Harnsäure- 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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1548 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. m 


au-schciilung bezogen werden darf, sondern in anderer Weise 
zur Geltung kommen muss. 

2. Herr Westphal stellt zwei Kranke mit schwerer 
Hysterie vor: 

a) eine 34 jährige Frau, die im Anschluss an sexuelle Schädi¬ 
gungen erkrankt ist. Es besteht lebhafter Stimmungswechsel, er¬ 
höhte Suggestibilitiit, grosse AfTektorregbarkeit, mannigfache Par- 
aesthesien, vasomotorische I'ebererregbarkeit. zeitweilige Expek¬ 
toration eines sanguinolenten aus dem Zahnfleisch stammenden 
Sputums. Schmerzen in der Brust, werden durch Röntgenbild 
auf eine hier steckende Nadel zuriiekgeführt; 

b) im zweiten Falle handelt es sich um einen kräftigen 
23 jährigen Knecht vom Lande, der au häutigen hysterischen 
Anfällen leidet, die auch prompt durch Druck auf die Ovarial- 
gegend ausgelöst werden können. Auf Opisthotonus folgen wil¬ 
deste Bewegungen des Rumpfes und der Extremitäten, tanzende 
oder schwierigste turnerische Hebungen. Das Bewusstsein ist bei 
diesen Handlungen ungetrübt, er gibt sinnentsprechende Antworten 
und sagt selbst, dass ein innerer Zwang ihn zu den Handlungen 
treibe, deren Unterdrückung oder Störung in ihm ein Gefühl inner¬ 
licher Angst hervorrufe. Auf der Höhe der Anfälle sind die Pu¬ 
pillen ad maximum erweitert und bleiben auch bei centraler focaler 
Beleuchtung starr. Die Starre hält gewöhnlich nur einige Se¬ 
kunden an. Es beweist also auch dieser Fall, dass auch bei 
hysterischen Anfällen Pupillenstarre ver¬ 
kommt. 

Sitz u n g v o m 1. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Rönnet. Schriftführer: Herr Busse. 

Herr Krehl: Ueber die Entstehung hysterischer KranV- 
heitserscheinungen. 

Krcli 1 spricht eingehend über die Psychogenes« der 
Hysterie. 


Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 2. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr Edlefsen. 

Schriftführer: Herr H a f f n e r. 

I. Demonstrationen: 

1. Herr S a e n g e r zeigt im Anschluss an den Vortrag des 
Herrn Stamm ln der letzten Sitzung ein ly 2 jähriges Kind mit 
Spasmus nutans mit einseitigem Nystagmus und wackelnden Be¬ 
wegungen nach r. Anzeichen von Rachitis sind vorhanden. 

2. Herr Knoop: Demonstration der Harn- und Geschlechts¬ 
organe eines 5 Wochen alten Mädchens. Seit der Gehurt hatten 
die Eltern einen kirsehgrossen Tumor bemerkt, der zeitweise zur 
Vulva heraustrat. Es Hess sich feststellen, dass die kleine Ge¬ 
schwulst aus der Urethra hervortrat. Das Kind starb im Marien- 
krankenhaus an akuter Gastroenteritis und bei der Sektion fand 
sich rechtsseitige Hydronephrose und Dilatation des Ureters. An 
der Mündungsstelle des rechtsseitigen Ureters ist in der Blase 
ein kirschgrosser cystischer Tumor vorhanden, der frei mit dem 
Ureter kommunizirt und der so zeitweise ein Abflussbinderniss 
für den Urin gebildet hatte. Die unterste Kuppe des Tumors, die 
sich zeitweise je nach der stärkeren Füllung, aus der Urethra 
hervorgedrängt hatte, war stark entzündlich verändert. Die Natur 
des cystlschen Tumors konnte nicht ganz sicher ermittelt werden. 
Am wahrscheinlichsten ist die Annahme eines Ureterdivertikels 
an der Mündungsstelle in die Blase. Eventuell könnte noch 
ln Betracht kommen cystlscheErweiterung einer abnorm gelagerten 
Urethraldrüse. 

3. Herr Delbanco demonstrirt ein Stückchen mensch¬ 
licher Haut, an welche der Ixodes ricinus geheftet ist Der Vortr. 
verdankt das hübsche Präparat Herrn Dr. Nemann, welcher 
das Stückchen Haut von dem Bein des Patienten entfernen musste, 
well der Holzbock abgestorben und ohne Weiteres nicht zu be¬ 
seitigen war. Die Indication zur Excisiou war aber durch aus¬ 
gebreitete Reizzustände an der Haut gegeben, welche nach der 
kleinen Operation sofort nufhörten. 

4. Herr Mau demonstrirt Organe eines 21jährigen. an all¬ 
gemeiner, vom Kreuzbein ausgehender Sarkomatose zu Grund** 
gegangenen Mannes. Es fanden sieh Metastasen im ganzen 
kleinen Becken, in den retroperitonealen Lymphdrüsen, der 1. Niere, 
der Leber, der Pleura pulin. und cost., den Bronchialdrüsen, in 
der Wirbelsäule, im Schädeldach und in der Dura und in den 
Oberschenkelknochen. Eigenartig war die Form der Pleura¬ 
metastasen: die ganze Lungenoberfläche war iibersiit. mit weissen 
Iür haselnussgrossen Halbkugeln und Platten: wie Perlsclinilre 
umsäuinten die runden Tumoren die unteren Ränder beider Untor¬ 
lappen. Klinisch bemerkonswerth waren die auch in der Literatur 
erwähnten Temperatursteigerungen, die nach Exstirpation des 
Primärtumors verschwanden, jedoch allmählich sich wieder ein¬ 
stellten, als der Tumor nachwuehs und sich ausbreitete. 

5. Herr Boosen-Bunge zeigt das Präparat einer hyper¬ 
trophischen Lebercirrhose mit vollständiger Obliteration der Vena 
eava inferior bis zur Elumündungsstelle der Venne renales. 

II. Discussion iil>er den Vortrag des Herrn Stamm: 
lieber Spasmus nutans bei Kindern. (Sitzung vom 18. Juni, 
d. Wochenschr. No. 31.) 


Herr S a e n g e r wendet sich gegen die von R a u d n i t z 
zur Erklärung des Spasmus nutans, speziell des Nystagmus, 
aufgestellte Theorie. Bei 3 daraufhin untersuchten Fällen 
seiner Praxis habe er eine dunkle Wohnung nicht nach- 
weisen können. Auch Fälle wie der vorhin demonstrlrte, mit ein¬ 
seitigem Nystagmus, sprächen gegen die R a u d n i t z’sche An¬ 
sicht. Kinder fixirten überhaupt nicht in der von Raudnitz 
angenommenen Weise fortdauernd. 

Er hält den Nystagmus, wie auch die Wackelbewegungen des 
Kopfes bedingt durch centrale Reizung ohne bekannte Grundlage: 
bei bestehender Rachitis wäre au die Wirkung von Stoffwechsel 
Produkten zu denken. 

Bei Gelegenheit zu anatomischen Untersuchungen wäre das 
Corpus restiforme besonders zu berücksichtigen. 

Eine anti rachitische Behandlung beseitige den Spasmus 
nutans. 

Herr Saenger fragt, ob Herr Stamm beobachtet habe, 
dass der Spasmus nutans auch im Schlaf auftrete. Eine positive 
Beobachtung liege vor, in dem gezeigten Falle aber nicht. 

Herr Just berichtet über einen in der Privatpraxis beob 
achteten Fall von Spasmus nutans. Rachitis war fast gar nicht 
vorhanden, hingegen bestanden die Verhältnisse einer finsteren 
Wohnung in sehr ausgeprägter Weise. 

Die Eltern hatten eine Gastwirthschaft und wohnten in guter 
Wohnung, aber auf der anderen Seite der Strasse, so dass die 
Mutter gezwungen war, ihr Kind den ganzen Tag bei sich in der 
dunklen Wirthschaftsktlche zu halten, wo beständig eine Lampe 
und ein grosses Feuer brannte. — Heilung durch roborirende Be¬ 
handlung und Massage. 

Herr Kawka stellt die Frage, ob die Säuglinge, die an 
Spasmus nutans gelitten haben, künstlich genährt worden sind. 
Die Säuglingstetanie, eine tonische Krampfform, der In der letzten 
Zeit eine grosse Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. kommt 
gerade bei künstlich genährten Säuglingen vor und zwar sowohl 
im Zusammenhänge mit Rachitis, als auch ohne Rachitis. Herr 
Stamm hat den vermehrten Blutreichthum der rachitischen 
Seliädelknochen resp. Fluxionsvorgänge nach dem Gehirn für 
den Spasmus nutans aetiologisch haftbar gemacht. Herr Kawka 
glaubt, da die Tetanie jedenfalls, für den Spasmus nutans weiss 
er es nicht, ohne Rachitis vorkommt, zu einer anderen Erklärung 
greifen zu müssen. Stoffwechselstörungen, denen die Flaschen¬ 
kinder ausserordentlich häufig unterliegen, geben den Grund für 
eine grössere Labilität des Nervensystems" ab; diese Labilität des 
Nervensystems ist die Ursache der Krampfformen des Säuglings¬ 
alters. 

Herr Stamm: Bei den von mir beobachteten Fällen hörten 
die Kopfbewegungen während des Schlafes auf. Das Auftreten 
des Spasmus nutans direct durch Stoffwechselstörungen zu er 
klären, liegt auf Grund meiner Fälle kein Anhaltspunkt vor. 
Wenn auch die meisten der betr. Kinder von Geburt an. einige 
nach mehrmonutlieher Brustnahrung, künstlich ernährt worden 
sind, so ist doch bei allen Fällen notirt, dass die Darmthätigkeit 
zur Zeit des Spasmus nutans eine normale war. Nur wenn mau 
das Gesnmmtbild der Rachitis durch chronische Autointoxikation 
entstehen lassen will, dürften Stoffwechselstörungen bei der 
Aetiologie des Spasmus nutnus eine Rolle spielen. So lange aber 
der Zusammenhang zwischen Rachitis und Autointoxikation nicht 
sicher gestellt ist so lange müssen wir uns begnügen, den Spasmus 
nutans als ein Symptom der Rachitis aufzufassen, das prompt 
unter antirachitischer Behandlung verschwindet und keierlei 
Folgen hinterlässt. 

III. Discussion über den Vortrag des Herrn Sim- 
monds: Ueber die sogen, foetale Rachitis. (Sitzung vom 
18. Juni.) 

Herr Kawka fragt Herrn S 1 m m o n d 8 , für wie häufig 
er die wirkliche foetale Rachitis halte. S t ö 1 z n e r spricht in 
seinem Buche „Zur Pathologie des Knochen wach st bums“ davon, 
dass es sicher Fälle von reiner foetaler Rachitis gebe, ohne sich 
über die Häufigkeit dieser Fälle auszulassen. 

Ferner fragt Herr Kawka Herrn Simmonds, wesshalh 
Herr Simmonds die S t ö 1 z n e r’sche Ansicht zurückgewiesen 
hat, dass der S t ö 1 z n e r’sche Fall von Chondrodystrophia byper- 
plastlca foetalls als foetales Myxoedera anzusprechen sei. 

Herr Edlefsen fragt, wie sich der Vortragende zu der Frage 
des footalen Myxoedems stelle. Der von S t ö 1 z n e r und S a 1 ge 
unter diesem Namen aufgeführte Fall, ln dem übrigens, soweit 
Ihm erinnerlich, keine Atrophie der Schilddrüse vorlag. scheine 
Ihm ganz der von Herrn Simmonds beschriebenen Chondro 
dystrophla hypertrophica zu entsprechen. 

Herr Simmonds: Auf die Frage des Herrn Kawka 
nach der Häufigkeit echter foetaler Rachitis kann loh nur er¬ 
widern, dass Ich dieselbe, trotzdem ich seit Jahren meine Auf¬ 
merksamkeit darauf gerichtet habe und eine recht grosse Zahl 
von Neugeborenen und Säuglingen aus den ersten Lebenswoehon 
zu untersuchen Gelegenheit gehabt habe, bisher nicht gesehen 
habe. Die Angaben anderer Untersucher sind äusserst wechselnd 
und schwanken zwischen wenigen und 90 Proc. Ich vermag also 
keine Zahl als Antwort zu nennen und möchte nur meiner An¬ 
sicht Ausdruck geben, dass eine echte kongenitale Rachitis etwas 
extrem seltenes ist. Herrn Edlefsen möchte ich erwidern, 
dass zweifellos Fälle beobachtet worden sind, wo die mit Chondro 
dystrophie behafteten Kinder deutliche Zeichen von Cretinismus 
oder, wenn man die Bezeichnung vorzieht, Myxoedem geboten 
haben. Die Mehrzahl der Kinder und die beiden von mir be¬ 
schriebenen Säuglinge zeigten indess nicht die Eigentümlichkeiten 


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24. September 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1549 


jener Entwickluugsstürung, sie hatten keinen cretiuhafteu Ge¬ 
sichtsausdruck, keine prämature Synostose der Synchondrosis 
sphenoocclpltalis, keine Abnormität der Schilddrüse, keine auf¬ 
fallende Veränderung der Haut und der Zunge und einige am 
Leben bleibende Individuen zeigten normale Intelligenz. Aus 
diesem Allem zog ich den Schluss, dass man nicht berech¬ 
tigt Ist, die Chondrodystrophie mit dem foe- 
talen Cretinismus oder dem foetalen Myxoedem 
zu identlfiziren. 

IV. Vortrag des Herrn Delbanco: Zur pathologischen 
Anatomie der strichförmig angeordneten Geschwülste der 
Haut. 

Der Vortragende demonstrirt aus der U n n a’scheu Privat- 
clientel ein junges Mädchen von 21 Jahren, welches eine hoch¬ 
gradige Veränderung der Haut des Kopfes und Gesichtes zeigt. 
Die linke stärkst befallene Seite ist von Geburt an verändert, die 
Erkrankung der rechten Seite datirt seit dem 9. Lebensjahr nach 
den Angaben der Pat. Die Haut über dem 1. Scheitelbein Ist in 
grösster Ausdehnung betroffen, von hier aus erstreckt sich die 
Veränderung strichförmig einmal in der Mittellinie des Hinter¬ 
kopfes abwärts auf den Rücken, die Mittellinie des Rückens wird 
nur wenig nach rechts überschritten, nach links verbreitert sich 
der Streifen zu einer Fläche von 3 Fingerbreite. Die untere 
Grenze ist mit dem unteren Winkel der Scapula gegeben. Ein 
zweiter Streifen zieht hinter dem 1. Ohr leicht geschwungen nach 
abwärts, die Haargrenze innehaltend. Die linke Wange ist bis 
dicht an das Ohr befallen. Der äussere Ohrrand und das Augen¬ 
lid sind in die Veränderung mit einbezogen. Die erkrankten 
Hautpartien zeigen in der Hauptsache (allerdings in buntem 
Durcheinander) 1. tief dunkelbraune, flache oder leicht erhabene 
weiche und harte Pigmentmäler; 2. spitze Hauthörnchen; 

з. massenhafte (Pigmentmäler und Hauthörnchen an Zahl weit 
überragend) kleine Geschwülste von Stecknadelkopf- bis Erbsen¬ 
grösse. Von Farbe sind sie blassgelblieb, im Uebrigen nicht trans¬ 
parent, indolent, die Haut halbkugelig überragend. Die histologische 
Untersuchung dieser Geschwülste hat ein holländischer Kollege, 
Dorst, im Unna’schen Laboratorium ausgeführt. Die Inter¬ 
essanten Ergebnisse hat derselbe zu einer Dissertation verarbeitet. 

Vortragender möchte dieselben au der Hand der Dorst- 
scben Präparate vorläufig flxiren. 

Es handelt sich also in dem vorgestellten Fall im Wesent¬ 
lichen um strichförmig angeordnete Geschwülste der Haut. Der 
strichförmige Charakter der Affektion ist auf der Höhe des be¬ 
haarten Kopfes durch Zusummenfliessen der Streifen nur schein¬ 
bar verloren gegangen. Das Aeussere der Affektion gibt dem Vor¬ 
tragender zugleich die Veranlassung, in grossen Umrissen den 
derzeitigen Stand unserer Kenntnisse über die strichförmigen 
Veränderungen der Haut zu skizziren. Das bis zum Jahr 1897 
vorliegende Material hat D. in seinem „Naevus linearis“ für 
Eulenbur g’s Realencyklopädie (III. Auf!.) verarbeitet. 

Keine einzige der bisher aufgestellten Theorien ist im Stande, 
eine befriedigende Erklärung des Naevus linearis zu geben. Einer 
besonderen Besprechung wird die Theorie unterworfen, welche 
den strichförmigen Charakter mit den Haarströmen, bezw. den 
zu ihrer Charakterisirung gezeichneten Linien in Beziehungen 
setzt. Diese Theorie ist desswegen von vornherein abzulehnen, 
weil übersehen wird, dass die Haarströme keine fixirten Linien 
auf der Haut daratellen; sie sind um gewisse Wirbel herum 
eigenthümlich angelegte, bezw. gedrehte Flächen. In der ange¬ 
zogenen Arbeit hat D. darauf hingewiesen. Die Haarströme 
geben die Richtung der Haare und nicht die der Haarwurzeln an, 
sagen somit über die Wachsthumsverschiebung epithelialer Ge¬ 
bilde in der Haut nichts aus. Der Vortragende geht daim auf 
die Arbeiten mit Einschluss der jüngsten Arbeit von O k a m u r a 
ein, welche sich mit der Hypothese einer segmentalen bezw. meta- 
meralen Anlage der Haut befassen und in einer solchen die 
Lösung des Problems ersehen. Auch diese Theorie beantwortet 
nicht die Frage, wesshalb die Naevuslinie immer einen ganz be¬ 
stimmten Verlauf, z. B. am Beine einnimmt, wesshalb (im Sinne 
letzterer Theorie) einzelne Segmente bevorzugt werden. Durch 
entwicklungsgeschichtliche Thatsachen müssten die Naevus¬ 
linien aufgeklärt werden. Es wäre z. B. eine wichtige Aufgabe, 
die Naevuslinie am Bein mit Einschluss des Embryonallebens 
anatomisch zu studiren. Aus den bislang veröffentlichten Arbeiten 
geht mit Sicherheit hervor, dass in den Naevuslinien die Ent¬ 
wicklungsstörung die verschiedensten histologischen Gebilde be¬ 
fallen kann, so dass bald reine Oberhautveränderungen resul- 
tiren, bald mehr die epithelialen Gebilde betroffen werden, welche 
in die Cutis eingelassen sind. Ausserdem ist erwiesen, dass 
anatomisch und klinisch wohlcharakterisirte und aetiologisch 
grundverschiedene Krankheitsbilder in den Naevuslinien ablaufen 
können (Liehen ruber planus, Ekzem, syphilitische Eruptionen 

и. g. w.). Nur muss man sich hüten, in Kratzfurchen auf¬ 


schiessende Veränderungen als linear angeordnete Affektionen zu 
deuten. Wie wenig einheitlich die histologischen Befunde bei 
den Füllen von Naevi lineares sind, geht schlagend aus Jadas- 
sohn’s viel citirtem Fallo hervor, in welchem an einem und 
demselben Individuum die typischen linearen Streifen aus 
weichen, ichthyosiformen und Talgdrüsennaevis bestanden. 

Der Vortragende legt die Photographien einer Anzahl von 
Fällen strichförmiger Erkrankungen der Haut vor. 

In mehrfacher Beziehung schliesst sich der vorgeeteilte Fall 
der Beobachtung von J adassohn an, nur dass hier in den 
einzelnen Linien in buntem Durcheinander weiche Naevi, Pig¬ 
mentnaevi mit inelir oder minder starken, den harten Naevus 
eharakterisirenden Oberhautveränderungen, spitze Hauthörnchen 
und schliesslich die oben erwähnten Geschwülste abwechseln. 
Die histologische Untersuchung hat ergeben, dass die weisslioh- 
gelbliehen, halbkugelig sich vorbuckelnden, indolenten Tumoren, 
ohne dass makroskopisch die Unterscheidung 
möglich ist, entweder das Bild der umschriebenen 
Talgdrüsen hypertrophie, bezw. des Adenoma 
sebaceum bieten, oder sich unter dem Bilde des Akan- 
thoma bezw. Epithelioma adenoides cysticum 
darstellen. 

ln einem einzigen, durch 2 benachbarte Geschwülstchen ge¬ 
führten Schnitt ist es daher möglich, die beiden seltenen und 
interessanten Gcsehwulstfonnen nebeneinander zu demonstriren. 
Beide werden heute als selbständige, von einander durchaus zu 
trennende Geschwülste behandelt, wiewohl eine ganze Reihe 
Autoren vermeintliche Beziehungen zwischen ihnen erörtern, was 
wiederum Anlass gab, dass jeder Autor, welcher über eine der 
beiden Tumorarten arbeitete, die Literatur der anderen heran¬ 
zog. Auf den ersten Blick erscheint die Vorstellung geradezu 
verwirrend und unverständlich, dass irgend welche Beziehungen 
zwischen den beiden Geschwulstformen bestehen. Bei dem 
„Adenoma sebaceum“, besser dem Talgdrüsennaevus oder der um¬ 
schriebenen Talgdrüsenhypertrophie, haben wir eine geschwulst- 
artige Anhäufung von Talgdrüsemnassen in der Haut, einerseits 
bis dicht an die Oberhaut, auf der anderen Seite bis dicht an die 
untere Cutisgrenze, vor uns. Grössere und kleinere Talgdrüseu- 
lüppchen mit und ohne Beziehung zu Lanugohaaren in der be¬ 
stimmten Gruppirung finden sich in jedem Schnitt. Für den 
D o r s t’schen Fall kommt als interessantes Faktum hinzu, dass 
in unmittelbarer Nachbarschaft der Talgdrüsenläppchen Nester 
typischer Naevuszellen lagern. Für den vorliegenden Fall steht 
Redner weiter nicht an, eine Beziehung zu den Haarbälgen in 
den Vordergrund zu stellen, denn es finden sich Haarbälge, an 
welchen das Follikelepithel verschwindet gegenüber dem mächti¬ 
gen allseitigen Kranz von Talgdrüsenläppchen, so dass der Schluss 
naheliegt, dass das Follikelepithel der Haaranlagen, wenn Haare 
auch nicht mehr sichtbar sind, völlig aufgebraucht wurde für 
das aus ihm sich ditferenzirende Talgdrüsenepithel. 

Bei dem Akanthoma bezw. Epithelioma adenoides cysticum 
| handelt es sich um solide, niemals röhrenförmige, nachweislich 
vom Deckepithel oder der Stachelschicht kleiner Lanugohaar- 
bälge entspringende Epithelfortsätze, welche sich in Form von 
fingerförmigen, feinen Ausläufern, drüsenähnlich gelappten Pro¬ 
tuberanzen, netz- oder gitterförmig verzweigten oder vollkommen 
soliden, gröberen Massen in die Cutis hinaberstrecken und unter 
Verschiebung der normal gebliebenen Bestandtheile alle Theile 
derselben, von den Fettläppchen bis zum Deckepithel, berühren 
und durclisetzen. Brooke in Manchester, welchem wir eine 
grundlegende Arbeit über diese Geschwulstform verdanken, wies 
darauf hin, dass alle Epithelstränge und -züge und -massen, 
welche die Geschwulst zusammensetzen, von Cylindorzellen be¬ 
grenzt sind. Ein weiteres Charakteristicum ist die Bildung zahl¬ 
reicher Cysten, welche über die Geschwulst zerstreut sind, stets 
von Epithel umgeben bleiben und eine sekundäre Bildung dar¬ 
stellen, als solche aber viel discutirt sind. 

Diese epitheliale Neubildung ist von einigen Autoren von 
Talgdrüsen abgeleitet worden, deren Epithel in Form von soliden 
Sprossen und Auswüchsen wuchere und schliesslich zu der vor¬ 
liegenden Bildung führe. Die Bezeichnung eines Adenoms der 
Talgdrüsen für „eine solche in fremden Bahnen sich bewegende 
Wucherung“ — ein solcher Ursprung als Thatsache vorausgesetzt 
— gibt Anlass zu begründeter Kritik. Andererseits sind reine 
Fälle von Talgdrüsennaevi (Pring 1 e’s und Caspary’g Be- 


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1550 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 39. 


obaehtungen des Adenoma sebaceum) dem Epithelioma adenoides 
eysticum (so von Jarisch in seiner Arbeit über das Tricho- 
epithelioma papulosum multiplex) zugezählt worden, indem bei 
ihnen die Talgdriisenauhäufung als unwesentlich und für den Sitz 
der Affektion nicht auffällig erörtert, die Epithelwucherung als 
übersehen betrachtet wird. D o 1 b a n e o geht auf die Literatur 
des Akanthoma bezw. Epithelioma adenoides eysticum ein, er 
bestreitet jeglichen direkten Zusammenhang mit Talgdrüsen und 
bringt für den Dorst’schen Fall den Beweis, dass die Wucherung 
den Ausgang nimmt von Haarbälgen, welche durch die in jedem 
Schnitt aufzufindenden Talgdrüsenreste als solche sich legiti- 
miren. Es handelt sich nach seiner Ansicht um eine eigenartige 
und fast schrankenlose Wucherung des Follikelepithels der 
Lanugohaarbälge. Die die Lymphspalten durchwachsenden, von 
Cylinderzellen stets begrenzt bleibenden Epithelzüge führen zu 
einer Lymphstauung; die Lymphstauung bewirkt eine Verflüssi¬ 
gung der von Epithelien umwachsenen Collagenbündel. Die so 
entstehenden Cysten vergrössern sich auf Kosten der angrenzen¬ 
den Geschwulstepithelien. Diese D o r s t’sche Auffassung der 
Cystenbildung eröffnet einen Ausblick auf manche bislang un¬ 
klar gebliebenen Cystenbildungen in Carcinomen der Haut. Die 
aufgestellten Präparate zeigen nicht zahlreiche Mitosen im Ge¬ 
schwulstgewebe, sehr schön die Bildung von Epithelperlen mit 
und ohne regressive Veränderungen. 

Aus der Klinik des vorgestellten Falles, aus dem Neben¬ 
einander der beiden Geschwulstarten des „Adenoma sebaceum“ 
bezw. Talgdrüsennaevus und des Akanthoma bezw. Epithelioma 
adenoides eysticum, aus dem Umstande, dass beide Geschwülste 
an Stelle von Haaren gelagert sind, scliliesst Delbanco, dass 
es sich bei ihnen um congenitale Missbildungen 
von Haaranlagen handelt. Einmal kommt es zu einer 
cxcessiven Differenzirung des Follikelepithels zu Talgdrüsenzellen 
(Adenoma sebaceum), auf der anderen Seite unter Zurückbleiben 
der Talgdrüsenbildung zu einer excessiven Wucherung des Fol¬ 
likelepithels. Sollte eine solche für den vorgestellteu Fall sich 
aufdrängende Hypothese zu Recht bestehen, so wäre das Dunkel 
zu einem Theil aufgehellt, welches bislang über die beiden Ge- 
schwulstformen, bezw. ihre gegenseitigen Beziehungen gelagert 
hat. Diese Hypothese vereinigt sich gut mit der Thatsache, 
dass die beiden G<*schwulstformen, wie öfters beobachtet wurde, 
erst in der Pubertätszeit zur Entwicklung gelangen. Diese Hypo¬ 
these bringt die umschriebene multiple Talgdrüsenhypertrophie 
und das Akanthoma bezw. Epithelioma adenoides eysticum in 
neue verwandtschaftliche Beziehungen, ohne dass eine gewaltsame 
Verknüpfung der grundverschiedenen histologischen 
Bilder nothwendig erscheint. 


Physiologischer Verein in Kiel. 

tOfflcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 10. Juni 1901. 

Herr Heller spricht über chronische Endokarditis, wie 
sie sich anscheinend auf syphilitischer Basis besonders am Rande 
der Klappen entwickelt und zu Schrumpfung derselben führt, und 
demonstrirt mehrere einschlägige Präparate. 

Herr Werth demonstrirt eine der 36. Schwangerschafts- 
woche entsprechende Frucht, welche nebst Placenta durch La¬ 
parotomie aus der Bauchhöhle am 8. Juni d. J. entfernt wurde. 

August 1899 bis März 1900 Cessatlo mensium. April 1900 Aus 
stossung der Decldua. Diagnose: Ektopische Schwangerschaft. 
Die Frucht befand sich ln der rechten Bauchseite, fast überall 
von einer zarten anscheinend neugebildeteu Umhüllungshaut dicht 
überzogen. Welchtheile stark geschrumpft; das Gesichtsrelief 
völlig verwischt. An der Stelle desselben harte kantige Kalk¬ 
ablagerungen unter der Urahüllungshaut. Letztere zum Theil auch 
von Gefässen durchzogen, die von breiten Netzadhaesionen aus¬ 
gehen. 

Im Beckeneingang, zwischen der völlig durchgängigen Tube 
und dem Ovarium eingeschaltet die auf Kleinapfelgrösse reduzlrte 
Plazenta, von einer dünnen Bindegewebskapsel umgeben. Der 
obere Rand des Infundibulum ohne deutliche Fimbrien, mit der 
Placenta nur leicht verklebt. Der untere Rand geht ln den 
Placentarboden Uber; ein eigentlicher Fruchtsack nicht vorhanden. 
Nabelschnur fehlt; auch keine sonstige Verbindung zwischen 
Frucht und Placenta vorhanden. Anatomische Diagnose: 
Schwangerschaft auf der Fimbria ovarlca. 

Herr Neumann: Heber die eiweisssparende Kraft und 
die Bedeutung des Alkohols als Nahrungsstoff. (In der Münch, 
med. Wochenschr. No. 28, 1901 publizirt.) 


Sitzung vom 24. Juni 1901. 

Herr H. Hensen berichtet über neuere Methoden der 
Blutdruckmessung beim Menschen, insbesondere über die Appa¬ 
rate vonM osso, Hill, Hürthle, von Frey, Gärtner und 
Iii va-Rocci; die Methoden der 3 Letzteren werden demon- 
strirt. Der Vortragende gibt dann einen Ueberblick über das 
physiologische Verhalten des Blutdrucks nach Beobachtungen, 
welche er mit dem Sphygmomanometer nach Riva-Rocci an¬ 
gestellt hat. 

Sitzung vom 8. Juli 1901. 

Herr Holzapfel spricht über Chorio - epithelioma 
malignum und zeigt einen Uterus, in dessen hinterer Wand 
mitten in der Muskulatur ein solcher Tumor sitzt. Die Neu¬ 
bildung ist überall, auch nach der Uterushöhle zu, von einer 
Muskelschicht überzogen, und die ganze Körperhöhle mit einer 
Deeiduaschicht ausgekleidet. Die anatomischen Verhältnisse in 
Verbindung mit der Anamnese machen es wahrscheinlich, dass 
im Anschluss an einen Abort in die Tiefe gedrängte Zotteuepithel 
müssen bösartig wurden, nachdem sie ihren Zusammenhang mit 
der Oberfläche verloren hatten. Später trat eine neue Schwanger¬ 
schaft ein, auf die die jetzt vorhandene Deeiduaschicht zurückzu¬ 
führen ist. 

Herr Gross berichtet über chronisch-recidivirende 
Haematoporphyrinurie bei einem Tabiker, der bereits mehrere 
Jahre vorher wegen Darmkrisen und vorübergehender Arm- 
lährnung mit derselben Urin Veränderung zur Beobachtung ge¬ 
kommen war. (Ausführliche Publikation im Deutsch. Arch. f. 
klin. Med.) 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 6. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

1. Herr Neuburger stellt eiuenFall vor von retrobulbärer 
Sehnervendurchtrennung. 

Der 28 Jährige Patient war überfallen und in der Weise ver¬ 
letzt worden, dass ein Stock mit grosser Gewalt zwischen nasaler 
Orbitalwand und r. Bulbus eingestossen wurde. Dadurch wurdm 
die Sehne des Muse. rect. int., die Carunkel und Pllca semilunaris 
abgerissen, in der Mitte des Oberlides ein ca. y a cm langes Coloboiu 
erzeugt und der Bulbus schläfenwiirts und 1 cm nach vorue ver 
lagert. Der eineu Tag nach der Verletzung erhobene Augen 
Spiegelbefund: stärkste Trübung der Netzhaut und des Sehnerven, 
fase völliges Verschwinden der Netzhautarterien und unregel¬ 
mässige Füllung und Circulation der Venen, sowie das Fehlen 
jeglicher Lichteiupflndung und die Lichtstarre der erweiterten 
Pupille zeigten an, dass der Sehnerv gleich hinter dem Bulbus 
durchtrennt worden war und zwar wahrscheinlich lndirect da 
durch, dass der Bulbus durch das in die Orbita eingestossene, ca. 
l>/ 2 cm dicke, stumpfe Stockende mit grosser Gewalt nach aussen 
uud vorwärts getrieben worden war, da andererseits auch die 
Orbitalwunde nicht tiefgehend war. Mit Rücksicht auf die stark 
gequetschten, verunreinigten Wunden wurde erst 5 Tage darnach, 
nachdem kein Fieber und keine Eiterung eingetreten war, das 
Lidcolobom und die abgetrennte Sehne genaht. Jetzt, 3 y 2 Wocbeu 
nach der Verletzung, ist das Auge fast reizlos, steht jedoch immer 
noch in Schielstellung nach aussen unten und etwas nach vorn** 
verlagert, kann auch nicht Uber die Mittelinie hinaus adducirt 
werden. Der Sehnerv Ist deutlich blass, die Netzhautgefässe sind 
wieder etwas gefüllt, aber viel schmäler als auf dem 1. Auge. 
Eine Uber 2 Wochen sichtbar gewesene centrale graue Netzbaut- 
trübuug Ist jetzt völlig verschwunden und ein kleiner centraler 
Netz- und Aderhautriss sichtbar. Das Auge besitzt keine Licht- 
empflndung; die weit gebliebene Pupille reagirt nur cousensuell. 

2. Herr Fraenkel demonstrirt: 

A. 2 Patienten, bei denen er die Transplantation ungestielter 
Hautlappen nach Krause vorgenommen hat. 

Im 1. Falle handelte es sich um eine ca. 20 Jährige Patientin, 
hei welcher Lupus der 1. Wange, sowie des 1. unteren Augenlides 
bestand; die lupösen Partien wurden excidirt und die Defekte mit 
Kraus c’scheu Lappen gedeckt. — Vortr. weist hierbei darauf 
hin, dass die chirurgische Behandlung des Lupus durch Excision 
in den letzten Jahren viel an Verbreitung gewonnen habe. Int 
Nürnberger Krankenhause siud seit 1. Januar 1899 im Ganzen 
9 Fälle von Lupus durch Excision behandelt worden; die Deckung 
der Defekte wurde, je nach den bestehenden Verhältnissen, durch 
Thierse h’sclie oder Kraus e'sche Lappen oder durch ge¬ 
stielte Lappen aus der Umgebung vorgenoramen. 

Im 2. Falle handelte es sich um Deckung eines Weichthcil- 
defektes über dem Malleol. intern., welch’ letzterer in Folge einer 
vor Jahren erlittenen uud nicht genügend reponirteu Luxatious- 
fraktur des Fusses stark hervorragte. Die betreffende Quetsch¬ 
wunde kam wegen der ungünstigen Ernährungsverhältnisse zwar 
zur Granulation, jedoch auch nach vielen Wochen nicht zur Uebei- 
häutung. Die betreffende Partie wurde daher excidirt und der 
circa zweimarkstückgrosse Defekt durch einen Krause'scheu 
Lappen gedeckt. Der Lappen ist völlig verschieblich geworden: 
Patient verrichtet seit über 1 Jahr seine Arbeit wie früher, er 


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24. September 1901. MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


wird speziell auch nicht durch den Druck des Stiefels an der sehr 
exponirten Stelle belästigt. 

Vortragender weist im Anschluss hieran darauf hin. dass im 
Nürnberger Krankenhause die Plastik nach Krause seit circa 
2 Jahren vielfach nusgeführt wurde. Hierbei wird genau nach 
den Krause"?eben Vorschriften verfahren; besonders wird auf 
exakte Blutstillung nach sorgfältiger Anfrischung des Defektes, 
sowie auf aseptisches, trockenes Operiren .Werth gelegt 
Unter 17 Füllen von Krause’sclier Plastik hat Vortragender 
nur 1 völligen Misserfolg zu verzeichnen. 

Das Normalverfahren für Transplantationen ist im Kranken- 
bnuse nach wie vor das T h i e r s c h’sclie geblieben; allein, wo 
au die Resistenzfähigkeit der Lappen besondere Ansprüche ge 
stellt werden (z. B. über Knoclienkanteu, in der Nähe von Ge¬ 
lenken etc.) wird die Plastik nach Krause bevorzugt. Letztere 
hat speziell auch einige Mal bei der konservativen Behandlung von 
Fingerverletzungen zur Deckung von Welchtheildefekten sich gut 
bewährt. 

B. 2 Patienten, bei denen wegen subkutaner Patellarfraktur 
von Herrn Hofratli G ö s c li e 1, bezw. Vortragendem, die pri¬ 
märe Naht vorgenommen wurde. Bei dem einen Patienten wurde 
innerhalb 4 Monaten 2 mal die Naht der 1. Patella ausgeführt; 
nachdem Tat. nach der 1. Naht bereits einige Wochen aus dem 
Krankenhause entlassen war, hatte er sich durch einen Fall auf 
der Strasse eine Refraktur zugezogen. — In beiden Fällen ist 
sowohl das funktionelle als auch das anatomische Resultat (De¬ 
monstration der nach der Heilung aufgenoiumeuen Röntgenbilder) 
ein sehr gutes. 

Vortragender erwähnt, dass im Krankenhause prinzipiell bei 
allen Frakturen der Patella und auch des Olecranon die primäre 
Knochennaht vorgenommen wird. Die Naht wird mit Silberdraht 
ausgeführt, der versenkt wird: keine Drainage. Es wurden in 
2» / , Jahren 5 mal die Patella, 1 mal das Olecranon genäht. Die 
funktionellen Resultate waren stets gut, bis auf einen Fall von 
Olecranonfraktur, der aus äusseren Gründen der Behandlung zu 
früh entzogen wurde. Besonderer Werth wird auf eine sorgfältige 
Nachbehandlung gelegt; mit vorsichtiger Massage wird bereits 
8 Tage nach der Operation begonnen. 

C. Demonstration mehrerer interessanter Röntgogramme 
Besonders hlugewiesen sei auf das Rüntgogranim eines Patienten, 
der mit den Zeichen einer typischen Rndiusfraktur in's Kranken¬ 
haus aufgenommen wurde. Das Röntgenbild zeigte neben der 
Verletzung des Radius auch einen Querbruch der TJina im unteren 
Drittel ohne Verschiebung, sowie eine Absprengung des Process. 
styloid. ulnae. Vortragender fügt, die Bemerkung bei, dass die 
Röntgenuntersuchung bei der sogen, typischen Rndiusfraktur sein- 
häufig eine Mit Verletzung der Ulna, welche sonst der Diagnose 
zu entgehen pflegte, klarstellt; er weist auf die diesbezüglichen 
Untersuchungen von Kahlelss-Hulle, Beck-New-York etc. hin. 

3. Herr Neukirch theilt folgende Krankengeschichte mit: 

Am 28. Mai d. J. wurde das 21 jährige Dienstmädchen B. G. 

auf die II. mediclnisclie Abtheilung des stiidt. Krankenhauses ge¬ 
bracht. Pat. war vorher nie ernstlich krank, hat nur an Bleich¬ 
sucht und wiederholt an Halserkrankungen gelitten. Seit 8 Tagen 
leidet sie wieder an Halsschmerzen. 

Die Untersuchung ergibt: Rachenschleimhaut und Tonsillen 
geröthet, letztere geschwellt und mit zahlreichen gelben Pfrüpf- 
chen besetzt. Ausser einem accidentellen systolischen Geräusch 
an der Mitralis kein weiterer Befund. Temp. 38,7. 

Am 29. Temp. 37,8 und 38,0; am 30. Tonsillen vollkommen 
gereinigt. Temp. 37.8 und Abends 37,3. 

Am 31. steigt die Temperatur Abends wieder auf 38.1; in der 
Nacht tritt mehrmaliges Erbrechen ein und Diarrhoen, dabei hef¬ 
tige Leibschmerzen. 

Am 1. Juni Morgens Temp. 40,3, Puls 100 klein, weich. Zunge 
trocken, mit Borken belegt; Gesicht blass cyanotlsch; au Kinn und 
Wangen, sowie an Hals, Brust und den oberen Extremitäten un¬ 
regelmässig zackiges, grossfleckiges (septisches) Exanthem. Leib, 
Rückcu und untere Extremitäten frei. Leib gespannt, aufge¬ 
trieben, äusserst druckempfindlich. Temperatur bleibt den ganzen 
Tag über 40, Abends 41,4, Puls 140, Urin mässig eiweisshaltlg. 

Am 2. Temp. 41,0, Puls 100, an der Radialis kaum fühlbar; 
Cyanose, Extremitäten kalt. Exitus 5>/ 2 Uhr Nachmittag. 

Die Sektion ergab eine frische fibrinöse Peritonitis; die Dann¬ 
schlingen waren aufgebläht, stark injizirt, mit frischen fibrinösen 
Beschlägen und locker verklebt: Hyperaemie der Lungen; Milz 
stark geschwellt, mit breiig welcher Pulpa. Im Dickdarm waren 
die Follikel leicht geschwellt. Es handelte sich aller Wahrschein¬ 
lichkeit nach um eine septische Peritonitis, die ihren Ausgangs¬ 
punkt von der lacunären Angina genommen hatte. 

4. Herr H. Koch berichtet über folgende Fälle: 

a) Ein in der Mitte der 50 er Jahre stehender Mann erkrankt 
ln der Nacht vom 5./0. Mai d. J. unter den Symptomen eines Ileus. 

Im Lauf des Tages steigern sich die Erscheinungen in bedroh¬ 
lichster Weise. 

Da jeder operative Eingriff, auch eine Injektion, verweigert 
wird, erhält der Pat. am 7. Morgens innerhalb 5 Stunden 2 x 0,001 
Atropin, sulf. 

Nachmittag gegen 2 Uhr tritt reichliche Rtuhleutleerung ein, 
welcher Im Laufe des Tages noch einige folgen. 

Nach 8 Tageu kann Pat. seine Arbeit wieder übernehmen. 

b) Eine 35 Jahre alte Frau mit Mitralinsuftieienz und Stenose 
leidet seit Jahren an schweren Kompensationsstörungon. die sich 
Insbesondere durch Dyspnoe, hochgradige Cyanose, Asclles, Leber¬ 
and Milzschwellung äussern. 


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Seit 1898 Ist sie gänzlich arbeitsunfähig und kann seit einem 
Jahre nur durch fortwährende Dlgitalisgaben am Leben erhalten 
werden. 

Anfangs Mai d. J. beginnt sie täglich 10 Liter Sauerstoff zu 
inhaliren mit augenfälligem Erfolg. 

Schon nach 14 tägigem Gebrauch tritt erhebliche Euphorie ein; 
die Cyanose ist seitdem nur mehr in geringem Grad vorhanden; 
der Ascites, die Leber- und Milzschwellung sind in deutlichem 
Schwinden begriffen. 

Die Frau kann mit Ausnahme der schweren Hausarbeit ihrem 
Hauswesen wieder vorstehen und sogar, was schon seit Jahren 
nicht mehr der Fall war, in der Nähe ihrer Wohnung kleine Be¬ 
sorgungen vornehmen. 


Unterelsässischer Aerzteverein. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 27. August 1901. 

Herr Helle li dall spricht „über das Sesambein in der 
äusseren Ursprungssehne des Musculus gastroenemius“, welches 
bei ’/„—‘/ 10 aller Menschen verkommend, gelegentlich bei der 
Radiographie Fremdkörper vortäusehen kann. Radiographie bei 
starker Seitenlage des Untersuchten und bei leicht flektirtem 
Knie wird den Nachweis des Sesamboins beiderseits ermöglichen. 

Herr Schlesinger: Magenausspülungen bei magen¬ 
darmkranken Säuglingen. 

Nach einer kurzen historischen Einleitung geht Vortragender 
ausführlich auf die Technik der Magenausspülungen bei Säug¬ 
lingen ein. Er empfiehlt, dieselbe in sitzender Haltung des 
Kindes vorzunehmen, nicht in Rückenlage (Epstein) oder 
Seitenlage init, gesenktem Kopfe (Hcubner, Mont i). Die 
Sonde wird durch den Mund, nicht durch die Nase (Stein¬ 
hardt) eingeführt. Nur für die allerkleinsten Säuglinge von 
1—2 Monaten wird zur Spülung ein Nelatonkatheter (etwa 
No. 22). sonst eine rechte Magensonde benutzt. Als Spülflüssig¬ 
keit wird am besten reines Wasser, ohne chemisch-medicamentöse 
oder desinfizirende Zusätze, verwandt, dies um so mehr, als ge¬ 
wöhnlich ein Theil der Flüssigkeit im Magen zurückbleibt. Die 
Sonde muss 25—35 cm weit eingeführt werden; die auf einmal 
einzugiessende Flüssigkeitsmeugc schwankt nach der Kapazität 
des Säuglingsmagens zwischen 50 und 150 ccm; die Druckhöhe 
muss manchmal fast einen Meter betragen. Erwähnt sei ferner 
die ausserordentlich grosse Toleranz gerade der allerjüngsten 
Säuglinge (geringere Reflexerregbarkeit), das nicht seltene Vor¬ 
kommen der Unterdrückung der Athembewegung beim Einführen 
der Sonde durch Würgen (wodurch ein Hineingelangen der Sonde 
in den Kehlkopf vorgetäuscht werden kann; dies letztere ist so 
gut wie ausgeschlossen), das bei zu starker Füllung des Magens 
vorkommende Ucberlaufen desselben, im Gegensatz zu dem Er¬ 
brechen von Flüssigkeit neben dem Schlauch durch heftiges Wür¬ 
gen, schliesslich der zuweilen eintretende, nie schädliche Kr- 
miidungszustand des Säuglings nach der Spülung. In dia¬ 
gnostisch-therapeutischer Hinsicht ist bemerkenswerth das Fehlen 
freier Salzsäure bei mittelschweren Fällen, der Befund massen¬ 
hafter Eiterzcllen, Soor und Bacterien in grossen Haufen bei 
schweren Fällen. 

Bei der Einfachheit der Technik, gerade beim Säugling, und 
der Gefahrlosigkeit (Contraindikation nur bei schwerem Collaps), 
bei dem grossen Effekt der Magenspülung (Beseitigung d“r 
Sehleimiiiassen, der unverdauten und unverdaulichen Milch- 
klumpen, der GÜhrungs- und Zersetzungsprodukte aas denselben) 
empfiehlt Vortragender, sich zu dem Verfahren leichter zu ent¬ 
schlossen, als dies — namentlich in der Privatpraxis — gewöhn¬ 
lich der Fall ist; er hält auch bei weniger schweren 
Fällen von Gastroenteritis die Indikation 
dann für gegeben, wenn man gegen das Er¬ 
brechen mit einer sonst bewährten diäte¬ 
tischen und eventuell aucli modicamentösen 
Therapie nicht rasch etwas ausrichtet. Eine diä¬ 
tetische Therapie, Reduzirung der zu verdauenden Nahrung auf 
ein Minimum in der allernächsten Zeit, muss mit der Ausspülung 
Hand in Hand gehen. Vortragender erzielte bei Gastroenteritis 
— die Fälle von Dyspepsie bei Seite gelassen — in der Hälfte der 
Fälle ein sofortiges Sistiren des Erbrechens und auch eine rasche 
Besserung des Durchfalls, in einem weiteren Drittel eine wesent¬ 
liche Besserung, manchmal erst ein Aufhören des Erbrechens 
nach noehmaliger Spülung, in dem Rest, es handelte sich dabei 
namentlich um verschleppte und weit fortgeschrittene Brech¬ 
durchfälle, keine wesentliche Aenderung des Zustandes. 


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1552 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Diso 11 s sion: Auf eine Anfrage Nannyns über die lm 
Magensaft gefundenen Bacterien theilt der Vortr. noch mit, dass 
er hei Gastroenteritis neben Soor- und Hefezellen fast stets 
Staphylocoecen, 2 mal aber auch, bei sehr schweren Brechdurch¬ 
fällen, lange Streptoeoccenketten gefunden hat. 

Herr G u n s e 11 demonstrirt einen Fall von Lichen monili¬ 
formis, der durch Arsen in jektiouen fast geheilt ist. Interessant 
war die Lokalisation längs der V. v. saphena magna, der bracldalis 
und eephalica, ferner der V. epigastrica iuf. Ein aetiologischer 
Konnex mit einer Erkrankung der Venenwaud war nicht nach¬ 
weisbar. 

Discussion : Herr v. Recklinghausen sah bei 
Veneninjektionen an einer Leiche mit Chlorzinklösung eine ganz 
ähnliche dem Venenverlauf folgende Zeichnung auftreten. Die 
Durchlässigkeit der Venen für flüssige Schädlichkeiten ist zweifel¬ 
los möglich und geeignet, zu Bildern zu veranlassen, wie bei dem 
demonstrirten Falle. 

Herr N a u n y n stellt einen Fall alkoholischer Lebercirrho.se 
vor. welcher durch mehrere, fieberhafte, sehr schmerzhafte An¬ 
fälle von Cholangitis komplizirt ist. Diese Cholangitis bei Leber- 
cirrhose kann, wie durch Autopsien einwandsfrei erhärtet worden 
ist, unabhängig von Cholelithiasis auftreten. Die Cholangitis ist 
nicht die Ursache der Cirrhose, wohl aber des Ikterus und der 
schmerzhaften Anfälle. Analog dem II i r s c h f e 1 d’schen Falle 
von Cholangitis coli-bacterica kann die Invasion der Gallomvego 
durch die Coli-Bakterien, ohne eine eiterige Entzündung herbei¬ 
zuführen. zu der mehrfach in den letzten Jahren beobachteten 
schmerzhaften, mit Ikterus einhergehenden Cholangitis führen, 
die durch die Kultur, nicht aber durch die Autopsie nachzuweisen 
ist. Der Nachweis der Coli-Bakterien in grosser Menge in den 
Gallenwegen wäre entscheidend. Die. wie N a u n y n’s Schüler 
nachgewiesen haben (Stolz, Ehret), bei Gallenstauung leicht 
erfolgende Coli-Iufektion der Gallenwege ist auch bei dem sehr 
verlangsamten Strömen der Galle in den durch cirrhotische Wuche¬ 
rung vielfach verengten Gallenwegen sehr gut denkbar, die Chol¬ 
angitis wäre dann die Folge, nicht die Ursache, der Cirrhose. 

Herr Schaefer stellt eine Kranke vor, die wegen „tuber¬ 
kulöser Darmstenose“ eine recht komplizirte Operation erfahren 
hat. Auf Grund dos Sitzes in der Ileocoeealgogend. des fieberlosen, 
allmählichen Verlaufs und der fehlenden Kachexie wurde die Dia¬ 
gnose gestellt und bei der Operation von Herrn Madelung be 
stiitigt. Der durch vielfache Adhaesionen mit der Umgebung ver¬ 
wachsene Tumor bildete eine Stenose des Kolon ascendens dicht 
über dem Coecum, und konnte nur durch Quertrennung des Diinu- 
und Dickdarms ausgelöst werden, die dann vereinigt wurden. 

Eine fest verwachsene Dünndarmschlinge konnte ohne Er¬ 
öffnung nicht freigemacht werden, so dass in Voraussicht einer 
Stenosenbildung nach der Naht eine Anastomosenbildung des zu- 
und abführenden Theiles des Ileums erfolgen musste. Naht, Drai¬ 
nage, reaktionsloser Verlauf bis zur Entfernung des drainirendeu 
Tampons. Unter heftiger Reaktion Auftreten einer 5 Wochen 
nach der Resektion fast geschlossenen Dünndarmfistel. 

Der Tumor erwies sich mikroskopisch als tuberkulöses Ulcus 
des Dickdarms. 


Auswärtige Briefe. 

Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.! 

Wien, 20. September 1901. 

Oesterreichischer Aerztevereinstag. — Reform unseres 
Sanitätswesens. — Kann ein Arzt sich vor der Aerztekammer 
durch einen Advokaten vertreten lassen? — Röntgenapparate 
in Apotheken. — Gegen das Kurpfuscherwesen in Apotheken. 
— Ein neues Circular der Wiener Aerztekammer. — Aerzt- 
liche Solidarität. 

In Wien wird am 31. Oktober der XII. Ocsterreichisclie 
Acrztevereinstag, bei welchem die dem österreichischen Aerzte- 
vereinsverbande angehörigen Vereine durch Delegirte Vertretern 
sind, tagen. Unter den Anträgen der Vereine figurirt auch ein 
interessanter Antrag des Central Vereines deutscher Aerzte in 
Böhmen, betreffend die Verbesserung unserer Sanitätsorgani¬ 
sation. Es wird beantragt, in jedem politischen Bezirke einen 
Bezirkssanitätsrath, in Orten mit über (>000 Einwohnern einen 
Ortssanitätsrath zu creiren, den bisherigen Landessanitätsrath 
in eine nicht bloss konsultative, sondern (dem Landesschulratlie 
entsprechende) mit dem Ernennungsrechte der Distrikts- und 
Gemcindeärzte ausgestattete ärztliche Diseiplinarbchörde umzu¬ 
gestalten. Auch die Versorgung der Hinterbliebenen von 
Distrikts- und Gemeindeärzten soll, entsprechend den bezüg¬ 
lichen Bestimmungen für den Lehrerstand, geregelt werden. 

Der Gcsehäftsausschuss des österreiehisehen Aerztevereins- 
verbnndes beantragt die Annahme einer Resolution, in 
welcher die Aerztcknmmern ersucht worden, für eine zcit- 
gemiisse Aenderung des Reiehs-Sanitätsgesetzes vom 30. April 
1870 und eine einheitliche Sanitätsorgauisation einzutreten, nach 
welchem alle im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Aerzte 


No. 39. 


einen geschlossenen Beamtenstatus unter der Leitung eines 
Sanitätsministers bilden und in die Rangsklassen vor¬ 
rücken, zu welchen sie ihre Hochschulstudien berechtigen, gleich 
wie die juridisch, technisch u. s. w. gebildeten Beamten. Bis zur 
Erreichung dieses Zieles ist dahin zu wirken, dass die materiell" 
Lage der Distrikts-, Gemeinde- und praktischen Aerzte ver¬ 
bessert und Wohlfahrtseinrichtungen getroffen werden, welche 
ihnen und ihren Angehörigen Ruhe- und Versorgungsgenüsse 
sichern. 

Ein Erlass des Ministeriums des Innern beschäftigt sieh 
mit der Frage, ob Aerzte zu den ehrenräthlichen Verhandlungen 
der Aerztcknmmern ihre Advokaten als Vertheidiger zuziehen, 
resp. sich von denselben vertreten lassen können. Im Einver¬ 
nehmen mit dem Justizminister wird den Landesbehörden zur 
Kenntniss gebracht, dass die Advokaten zweifellos berechtigt 
sind, auch vor dein Ehrcnrathe der Aerztekammern Parteien zu 
vertreten. Es steht aber den Aerztekammern frei, in ihre Ge¬ 
schäftsordnung eine Bestimmung aufzunehmen, der zu Folge sie 
eine solche Vertretung durch Advokaten für unzulässig erklären, 
wie dies bereits eine Aerztekammer, die oberösterreichische, ge- 
than hat. Insolange aber die Geschäftsordnung keine gegen¬ 
teilige Bestimmung enthält, wird der einzelnen Partei nicht 
verwehrt werden können, hei ehrenräthlichen Verhandlungen ent¬ 
weder mit einem Advokaten zu erscheinen, oder sieh durch einen 
Advokaten vertreten zu lassen und selbst der Verhandlung ferne 
zu bleiben. 

Weitere zwei Erlässe des Ministeriums des Innern an alle 
politischen Landesbehörden beziehen sieh auf die Anzeigeptliclit 
des nichtsyphilitischen Pemphigus neonatorum, sobald die 
Krankheit in Impfstationen, Findelanstalten, Krippen, Schulen 
etc. in gehäufter Weise auftritt, ferner auf Erhebungen über 
die in Gebäranstalten zur Verhütung der Augenblcnnorrhoe der 
Neugeborenen geübten Maassnahmen, speziell, ob die Hebammen 
zur selbständigen Durchführung des Crede’schen Verfahrens 
zugelassen und die Hebammenschülerinnen in demselben geübt 
werden sollen. (Antrag Prof. C z e r m a k’s in Prag.) 

Auf Veranlassung der niederösterreichischen Statthalterei 
ist von Seite der Bezirkshauptmannschaften an die Apotheker 
in Niedcrösterreieh folgender Erlass gerichtet worden: „Es ist 
der niederösterreichisehen Statthalterei zur Kenntniss gebracht 
worden, dass der Besitzer einer öffentlichen Apotheke Nieder¬ 
österreichs einen in seinem Besitze befindlichen Röntgen¬ 
appa r a t gegen Entgelt an Aerzte zu diagnostischen Zwecken 
überlässt. Vor Entscheidung über die Zulässigkeit, bezw. die 
Regelung eines solchen Gebahrens werden Erhebungen an¬ 
geordnet, ob etwa im betreffenden Verwaltungsbezirke ähnliche 
Fälle vorgekommen sind. Die Apotheker werden daher ersucht, 
mittheilen zu wollen, ob sie im Besitze eines Röntgenapparates 
sind, und ob sie denselben gegen Entgelt den Aerzten zu dia¬ 
gnostischen Zwecken überlassen, ferner ob etwa die Aerzte den 
Wunsch geäussert haben, dass sich die Apotheker in den Besitz 
eines derartigen Apparates setzen.“ 

Unseres Erachtens sollten die Aerzte derlei Wünsche nicht 
äussern, da kleine Landapotheker einen so theueren Apparat nicht 
anschaffen können und es in den Städten schon Spitäler genug 
gibt, in welchen derlei Apparate den Aerzten zur Verfügung 
stehen. Schliesslich ist ja die Handhabung dieses Verfahrens 
keine so einfache, sie erfordert Einübung und Erfahrung, da 
sonst grobe Verstüsse unterlaufen können. 

Auch ist — hier wie dort — das Verhältniss der praktischen 
Aerzte zu den Apothekern kein so rosiges. In der Wiener Aerzte¬ 
kammer stellte ein Mitglied einen Antrag, in welchem verlangt 
wird: 1. die Beschränkung des Handverkaufes in den Apotheken 
auf eigene Lokale in den Apotheken oder die Uebertragung des 
Handverkaufes an eigene Apothekerassistenten; 2. die Be¬ 
schränkung des Verkaufes von medieinischen Materialien auf 
die Apotheken und 3. die Untersagung der Expedition von Re- 
cepten, welche älter als ein Jahr sind. Namens des Vorstandes 
der Aerztekammer beantragte der Referent (Dr. Adler), eine 
Eingabe an die Statthalterei zu richten, in welcher um Heraus¬ 
gabe eines, dem der böhmischen Statthalterei vom 12. April 1894 

analogen Erlasses in Betreff der Materialwaaren-Handlungen, 
ferner um strenge Kontrole des Handverkaufes in den Apotheken, 
Verbot der Ertheilung ärztlicher Rathschläge 
in denselben und Verbot der Dispensirung von Receptcn. 
welche älter als ein Jahr sind, gebeten wird. Man beschloss, sich 
mit den Aerztekammern für Niederösterreich, mit Ausnahme 


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24. September 190L 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCHRIFT. 


1653 


von Wien, über diese Eingabe an die Statthalterei in’s Einver¬ 
nehmen zu setzen. 

Die Wiener Aerztekammer versendet unter dem 17. Sep¬ 
tember 1901 folgendes Circular an die Aerzte Wiens: „Der 
Arbeiter-Consum- und Sparverein in Simmering, Felsgasse 
No. 3, beabsichtigt, dem Vernehmen nach, vom 1. Oktober 
1. Js. an eine Familienversicherung für alle seine 
-Mitglieder, die im Laufe eines Halbjahres Waaren im Mindest¬ 
betrage von 120 Kronen abnehmen, in der Weise einzuführen, 
dass denselben statt einer Prämie von 6 Proc. nur eine solche 
von 5 Proc. ausgefolgt und für das erübrigte Procent unent¬ 
geltliche ärzliche Behandlung gewährt wird. Der 
Consumvcrein bietet den Aerzten als Honorar 6 Kronen, nicht 
etwa für ein versichertes Mitglied, sondern für die ärztliche Be¬ 
handlung der ganzen Familie (Frau sammt Kindern) eines 
Mitgliedes an. Es soll die Absicht bestehen, dieses Institut 
eventuell auf alle Bezirke auzudehnen. Die Uebernahme einer 
derartigen Stelle wäre im höchsten Grade standeswidrig, 
wcsshalb die Herren Kollegen vor der Annahme einer solchen 
Stelle dringend gewarnt werden.“ 

Schliesslich noch ein schönes Beispiel ärztlicher Solidarität, 
welches vor Kurzem die Budweiser Aerzte gegeben haben. Die 
Aerzte der Budweiser Bezirkskrankenkasse — die durchwegs der 
czechischen Nationalität angehören — haben gegen die 
versuchten Abstriche an ihren Honorarrechnungen dadurch re- 
monstrirt, dass sie ihre Thätigkeit einstellten. Die Krankenkasse 
hatte sich nun an die deutschen Aerzte in Budweis, die 
seinerzeit in Folge der nationalen Strömung aus ihren Stel¬ 
lungen bei der Kasse hinausgedrängt wurden, mit dem Ersuchen 
gewendet, die Stellvertretung zu übernehmen, was jedoch mit 
der grössten Entschiedenheit abgelehnt wurde. Bedenkt 
mau, wie heftig die nationalen Gegensätze in Budweis sind, so 
wird man die Solidarität der deutschen Aerzte mit ihren 
czechischen Kollegen um so höher schätzen müssen. Da, wo 
Standesinteressen in Frage kommen, erwies sich die politische 
Gegnerschaft als ohnmächtig. Dieses Beispiel verdient überall 
beherzigt zu werden: Uebrigens hat auch die Haltung der 
deutschen Aerzte bewirkt, dass der Konflikt zwischen der Bezirks¬ 
krankenkasse und ihren Aerzten nach dreitägiger Dauer 
durch eine gütliche Vereinbarung beigelegt wurde. Die 
„Oesterreich. är 2 tl. Vereinszeitung“ schliesst: Wir beglück¬ 
wünschen die Budweiser Aerzte ohne Unterschied der Nationali¬ 
tät zu ihrer wackeren Haltung! . 


Verschiedenes. 

Statistik des Instituts Pasteur zu Paris: Im 
Jahre 1900 wurden 1420 Personen mit den Impfungen gegen Toll- 
wuth behandelt, davon starben 11 Personen, bei 0 derselben trat 
der Tod weniger als 14 Tage nach dem Ende der Behandlung ein, 
eine Person wurde von der Krankheit im Verlaufe derselben er¬ 
griffen, so dass sich unter Abzug dieser 7 Fälle eine Mortalität von 
4 Personen = 0,28 Proc. ergibt. Die Vergleichstabelle der in (len 
Jahren 1880—1900 Behandelten ergibt, dass die Zahl derselben in 
Paris von Jahr zu Jahr abnlramt, was wohl auch mit der allmäh¬ 
lich erfolgten Gründung 5 weiterer Impfanstalten ln Lille, Mar¬ 
seille, Montpellier, Lyon und Bordeaux Zusammenhänge und die 
Mortalität in den letzten 5 Jahren fast den gleichen Procentsatz 
aufweist. Die Behandelten werden wieder in 3 Kategorien ein- 
getheilt: A. Die Tollwuth des Thieres wurde experimentell 
(Impfung); B. durch veterinärärztliche Untersuchung festgestellt; 
C. das Thier war nur wuthverdächtlg. Kategorie B. hat die 
grösste Zahl von 866 Personen und 0 Mortalität, Kategorie C. 
375 Personen und ebenfalls keinen Todesfall, Kategorie A. 179 Per¬ 
sonen und 4 Todesfälle. Von den 1420 Personen waren 1334 
Franzosen und 86 Ausländer. Tabellarische Uebersicht nach der 
Antheilnahme der einzelnen Departements von Kranken, kurze Be¬ 
schreibung der Fälle, bei welchen die Patienten im lauf der Be¬ 
handlung von Tollwuth ergriffen wurden, oder die behandelten 
Personen weniger als 14 Tage nach der Behandlung starben oder 
schliesslich die Tollwuth überhaupt nach der Behandlung noch den 
Tod herbeiführte. St. 

Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher. 
Der heutigen Nummer Hegt das 115. Blatt der Galerie bei: 
Christian Bäumler. Vergl. den Artikel zu BäumleFs 
25 jährigem Professoren-Jubiläum auf S. 1538 dieser Nummer. 
Unsere Photographie stammt aus dem Atelier von G. Prinz in 
Freiburg I. B. 


Therapeutische Notizen. 

Um Blut ln den Faeces nachzuweisen, genügt im All¬ 
gemeinen die T e 1 c h m a n n’sche Reaktion. Ist nun recht wenig 
Haematln Im Kothe vorhanden, eo empfiehlt Strzysowskl- 


Lausanne folgendes Verfahren: Man nehme mit einem Glasstab 
die am dunkelsten gefärbte Partie der Faeces heraus und presse 
dieselbe gehörig zwischen einmal zusammeugelegtem Weisspapier 
platt. Darnach bringe mau ein wenig von dem schwärzesten Theil 
des Objektes auf den Objektträger, setze einen Tropfen einer 
Natriumjodidlüsung (l:5UO) hinzu, dampfe ab, decke mit einem 
Deckgläschen zu und koche während 3—6 Sekunden mit couc. 
Essigsäure, die mau vom Runde aus stets nachsetzt. War Blut 
zugegen, so sind unter dem Mikroskope leicht schwarz gefärbte 
Hueminkrystalle zu erkennen, die aus dem jodwasserstoll'sauren 
Ester des Haematius bestehen und sich von den gewöhnlichen 
Uaemiukrystallen durch intensivere Färbung unterscheiden, auch 
ist die Form gewöhnlich eine eiförmige, bieonvexe. (Therap. 
Monatsh. 9, 1901.) Kr. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 24. September 1901.. 

— Die Vorstände der 8 bayerischen Aerztekammern haben au 
das Staatsministerium sowohl, wie an die Kammern der Ab¬ 
geordneten eine Eingabe (s. u.) gerichtet, in welcher um eine mög¬ 
lichst baldige Erledigung der der Kammer schon mit Beginn 
ihrer letzten Tagung vorliegenden Standes- und Ehren- 
gerichtsorduuug für die Aerzte Bayerns nach¬ 
gesucht wird. Nachdem seit der Berathuug dieser Standes- und 
Ehrengerichtsordnung durch die Aerzte Juhre hingegangen sind, 
ist dieser Wunsch wohl berechtigt. In Preusseu ist die Frage 
der ärztlichen Ehrengerichte später auf die Tagesordnung ge¬ 
kommen, als in Bayern, und doch ist die Einrichtung dort schon 
seit Jahr und Tag zur Zufriedenheit der Aerzte in Kraft, während 
der bayerische Entwurf sich noch immer in Berathuug befindet. 
Eine Vorlage, die so einstimmig die Billigung der Berufsklasse 
besitzt, für welche sie gemacht ist, bedarf wahrlich keiner in Ein¬ 
zelheiten gehenden Prüfung seitens des Parlaments mehr. Die 
bayerischen Aerzte dürfen daher billig erwarten, dass die hohe 
Kammer ihre Eingabe berücksichtigen und die Vorlage der ärzt¬ 
lichen Staudesorduung in Bälde gutheissen wird. 

— Die Pharm. Ztg.w-eiss die interessante Mittheiiung zu machen, 
dass der Geh. Med.-Rath Prof. Dr. B r i e g e r, der Leiter der hydro¬ 
therapeutischen Abtheilung der k. Charitö in Berlin, seit einigen 
Tagen in Wörishofen weilt, um das Kneip p’sehe Heilver¬ 
fahren aus eigener Anschauung kennen zu lernen. 

— In Turin wurde am 17. ds. der V. internationale Physio¬ 
logenkongress eröffnet. Zum Präsidenten wurde Prof. 
F o s t e r - Cambridge gewählt. 

— Das Generalsekretariat des XIII. internationalen medielni- 
schen Kongresses in Paris gibt den Mitgliedern des Kongresses be¬ 
kannt, dass der Druck und der Versandt des Allgemeinen 
Bandes und der 17 Bände der Kougressberichte der 
Sektionen nunmehr beendigt sind. Diejenigen Mitglieder oder 
Subscribenten, welche irrthümlicher Weise die Bände, auf welche 
sie Anspruch haben, nicht erhalten haben sollten, sind gebeten, 
bezügliche Reklamationen an die Verleger des Kongresses, Herren 
Masson & Co., 120 Boulevard Saint Germain, Paris, zu adresslren. 
Nach dem 31. Dezember 1901 werden keine Reklamationen mehr 
berücksichtigt. 

— Pest. Türkei. In Assyr sind nach einem amtlichen Aus¬ 
weise vom 19. bis 28. Juli 2 Erkrankungen (und 2 Todesfälle) an 
der Pest beobachtet, im Ganzen vom 3. Mai bis 28. Juli 73 (26). — 
Aegypten. Vom 30. August bis zum 6. September sind in Alexan¬ 
drien 4 Erkrankungen (und 4 Todesfälle) festgestellt worden, in 
Port Said 3 (2), in Mit Gnrar 8 (4). — Britisch-Ostindien. Während 
der am 16. August abgelaufenen Woche sind In der Präsidentschaft 
Bombay 3834 neue Erkrankungen und 2867 Todesfälle an der Pest 
festgestellt, also 369 bezw. 375 mehr als ln der Woche vorher. 
In der Stadt Bombay waren während der am 17. August endenden 
Berichtswoche angeblich 223 Personen an der Pest erkrankt, d. i. 
66 mehr als in der Vorwoche: die Zahl der erwiesenen Pesttodes- 
fillle daselbst betrug ln der Berichtswoche 214, ausserdem waren 
100 unter Pestverdacht gestorben. — Hongkong. Während der 
4 Wochen vom 6. Juli bis 3. August sind in der Kolonie 26, 13, 19, 
13 Erkrankungen und 21, 16, 20, 11 Todesfälle an der Pest amt¬ 
lich bekannt geworden; von diesen 71 Erkrankungen entfielen 47 
auf die Stadt Viktoria, 24 auf die übrige Kolonie. Auf 1528 bis 
zum 6. August gemeldete Krankheitsfälle bei Chinesen kamen 11t K» 
Todesfälle, auf 31 im gleichen Zeiträume bei Europäern gemeldete 
Krankheitsfälle 11; im Ganzen kamen auf 1610 gemeldete Erkran¬ 
kungen 1538 Todesfälle. — Philippinen. In Manila wurden wäh¬ 
rend der 3 Wochen vom 22. Juni bis 13. Juli nacheinander 15, 8, 
12 Erkrankungen und 11, 7, 10 Todesfälle an der Pest festgestellt. 
Auch in mehreren anderen Städten der Insel Luzon sind bis zum 
6. Juli Fälle von Pest beobachtet; dieselben waren auf Manila zu¬ 
rückzuführen. — Kapland. Während der Woche vom 11. bis 
17. August sind in Port Elizabeth 3 Personen an der Pest erkrankt, 
darunter kein Europäer, ferner wurden 2 Pestleichen gefunden. 
Auf der Knphalbinsel kamen ln der Zeit weder Pestfälle noch 
pestverdächtige Erkrankungen zur Anzeige, doch soll während der 
ersten Tage der am 18. August beginnenden Woche daselbst ein 
neuer Fall gemeldet worden sein, ausserdem in Port Elizabeth 2. 
— Queensland. Nach den 3 letzten amtlichen Wochenausweisen für 
die am 13., 20. und 27. Juli abgelaufenen Wochen sind in dieser Zelt 
3 Neuerkrankungen an der Pest zur Anzeige gekommen, und zwar 
je eine in Brisbane am 7. und 24., in Cairns am 16. Juli. Am 
27. desselben Monats waren in der ganzen Kolonie noch 5 Pest- 


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1554 

fülle in Behandlung, gestorben war in diesen 3 Wochen kein Pest¬ 
kranker. 

— In der 30. Jahreswoche, vom 1. bis 7. September 1901, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Königshütte mit 37,2, die geringste Kottbus mit 7,7 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb au Scharlach in Halle und Itemscheid. 

(Hochschulnachrichten.) 

Jena. Der ausserordentliche Professor in der medicinischeu 
Fakultät und Direktor des zahnärztlichen Instituts der hiesigen 
Universität, Dr. med. Adolf Witzei, hat aus Gesundheitsrück¬ 
sichten einen zweijährigen Urlaub erhalten. 

Neapel. Habilitirt: Dr. N. Berardinone für medici- 
nische Pathologie. 

Padua. Habilitirt: Dr. G. Jona und Dr. A. Luzzatto 
für medieinische Pathologie; Dr. C. Merlettl für Geburtshilfe 
und Gynäkologie. 

Palermo. Habilitirt: Dr. E. Gaglio für operative 
Medicin. 

Wien: Habilitirt: Dr. F. v. Sölder für Neurologie und 
Psychiatrie. 

(Todesfälle.) 

— Der Professor der Medicin und vormalige langjährige 
Universitätsbibliothekar in Leipzig Dr. Adolf Winter ist, 
85 Jahre alt, gestorben. 


Eingabe. 

An die 

Hohe Kammer der Abgeordneten 

M ii n c h e n. 

Betreff: Bitte der bayerischen Aerzte 
um beschleunigte Beschlussfassung über 
die ärztliche Standes- und Ehrengerichts- 
Ordnung. 

Seit Beginn der letzten Tagung ist der Kammer der Abge¬ 
ordneten d ie Vorlage einer Standes- und E h r en¬ 
ge richtsordn ung für die Aerzte Bayerns zugegaugeu. 

Diese Vorlage wurde an einen besonderen Ausschuss verwiesen 
und Herr Mediciualrath Dr. A u b zum Referenten bestellt. Der¬ 
selbe war durch die Vorboten seiner letzten Erkrankung monate¬ 
lang ausser Stande, das Referat zu erstatten; nach seinem Tode, 
März 1900, wurde zwar ein neuer Referent aufgestellt, die lange 
Session der Kammer verstrich aber, ohne dass die Vorlage zur Be- 
ruthung und Beschlussfassung kam. 

Es ist nicht unberechtigte Ungeduld, dass die bayerischen 
Aerzte die geplante Standes- und Ehreugerichtsordnung kaum er¬ 
wartet! können. 

Die neuere Zeit hat dem ärztlichen Stand in vieler Beziehung 
Schwierigkeiten gebracht. Schwerer als früher ist es dem Ein¬ 
zelnen möglich, in seinem Berufsleben die alten bewährten guten 
Sitten zu halten, die nötliig sind, wenn der Arzt die ihm zu¬ 
kommende Stellung im Staat sich erhalten soll. Die Gesammtheit 
verlangt daher vom Einzelnen Unterordnung unter bestimmte Nor¬ 
men, deren Durchführung eben nur eine Standes- und Ehren¬ 
gerichtsordnung ermöglicht. 

Vielfach hat sich die wirthschaftliehe Stellung der Aerzte 
gegen früher verschlechtert. In bedrohlicher Weise mehren sich 
die Fälle von Nothlagen durch Erkrankung etc., nicht minder die 
von mittellos zuriickgelnssenen Wittwen und Waisen. Eine aus¬ 
reichende Fürsorge ist hier nur möglich durch das der Aerzte- 
organisation zu ertheilende „Umlagerecht“. 

Nur diese 2 Punkte sollen hervorgehoben sein zur Begründung 
der Nothwendigkeit der gesetzlichen Aerzteordnung. Gerne 
sind wir bereit, diese und andere Punkte eingehend zu motiviren, 
falls dies gewünscht würde. 

Eine Reihe deutscher Bundesstaaten hat diese Bedürfnisse des 
ärztlichen Standes anerkannt und der bayerischen Vorlage ähn¬ 
liche oder gleiche Standes- und Ehrengerichtsordnungen erlassen, 
die vielfach schon segensreich gewirkt haben. 

Preussen, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Anhalt, 
Hamburg sollen als solche genannt sein. 

Bayern, welches Jahrzehnte laug in der Organisation seines 
ärztlichen Standes allen anderen Staaten voraus war, ist fast 
allein zurückgeblieben. 

Die der Kammer seitens des kgl. Staatsministeriums zuge- 
gangeue Vorlage fusst auf jahrelangen Vorarbeiten der ärztlichen 
Staudesvertretungen und des Obermedicinalausschusses. 

Sie hat ln ihrer jetzigen Form den ungetheilten Beifall der 
staatlichen ärztlichen Organisation gefunden. All«* 8 Kammern 
haben sie einstimmig gutgeheissen. Die ärztliche Fachpresse hat 
sie nur lobend erwähnt und auch aus den weiteren ärztlichen 
Kreisen ist kaum ein Widerspruch laut geworden. Irgend welche 
Aenderung der Grundlagen, auf denen die Vorlage aufgebaut ist, 
könnte sicher nur eine Verschlechterung bringen. 

Die 8 bayerischen Aerztekammern haben ein Bittgesuch an 
das hohe Staatsministerium gerichtet, dasselbe möge sich für eine 
baldige Berathuug der Vorlage in der Kammer der Abgeordneten 
verwenden. 

Die gleiche dringende Bitte richten die Vorstände der Aerztc- 
kammeru an die hohe Kammer der Abgeordneten: 

„Es möge derselben gefallen, in die Be- 

rathung der ärztlichen Standes - und Ehren* 


No. 39. 


g e r i c h t s o r d n u u g baldmöglichst einzutre¬ 
ten und durch unverkürzte Annahme der¬ 
selben den berechtigten Wunsch der baye¬ 
rischen Aerzte endlich zu erfülle n." 

Ehrerbietlgst! 

Die Vorstände der bayerischen Aerztekammern: 

I Oberbayern: Hofrath Dr. Näher, München. 

Niederbayern: Bezirksarzt Dr. Schm Id, Passau. 

Pfalz: Hofrath Dr. Kaufmann, Dürkheim. 

Oberpfalz und Regensburg: Hofrath Dr. Reinhard, Weideu. 

Oberfrankeu: Oberarzt Dr. Jungengel, Bamberg. 

.Mittelfranken: Hofratli Dr. Mayer, Fürth. 

Unterfranken: v. u. Dr. Dehler, Würzburg. 

Schwaben: Dr. Hagen, Augsburg. 


Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee 

für den Monat Juli 1901. 


Iststärke des Heeres: 

62 479 Mann, — Invaliden, 206 Kadetten, 148 Unteroff.-Vorschäler. 







Unter- 



Miuin 

Invali¬ 

den 

Kadetten 

Offlrier- 

vor- 

schüler 

1. Bestand waren am 





30. Juni 1901: 

1418 

— 

3 

1 


1 im Lazareth: 

784 

— 

1 

2 

2. Zugang: - 

im Revier: 

2337 

— 

I 6 1 

— 


| in Summa: 

3121 

— 

7 i 

2 

Im Ganzen sind behandelt: I 

4539 1 

— 

10 i 

3 

u /uo 

der Iststärke: 

72,6 | 

— 

48,5 1 

20,3 


dienstfähig: 

3187 

— 

9 

3 


°/oo der Erkrankten: 

702,1 

— 

900,0 : 

1000,0 


gestorben: 

7 

— 

— 

— 

3. Abgang: 

°/üo der Erkrankten: 
invalide: 

1,5 

29 

— 

— 

— 


dienstunbrauchbar: 

20 

— 

— 

— 


anderweitig: 

247 

— 

1 

— 


in Summa: 

3490 

— 

10 

3 

4. Bestand 
bleiben am 
30. Juli 1901: 

f in Summa: 

°/oo der Iststärke: 

| davon im Lazareth: 

1 davon im Revier: 

1049 

16,8 

676 

373 

— j 

— 

- 


Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten 
an : Pyiimie (nach eiteriger Ohrspeicheldrüsenentzündung) 1, akuter 
Miliartuberkulose 1, Lungentuberkulose 1, Darm- und Bauchfell- 
tuberkulöse 1, Genickstarre 1, Krebs des Magens und der Bauch¬ 
speicheldrüse 1, Lungenentzündung 1. 

Ausserdem starben noch 6 Mann ausser militärärztlicher Be¬ 
handlung: 1 Mann starb infolge von Herzlähmung (wahrscheinlich 
während eines nächtlichen epileptischen Anfalles), 2 Mann er¬ 
tranken (1 beim Kahnfahren auf der Donau infolge Umkippens 
des Fahrzeuges, 1 bei Pontonier-Uebungen), 1 Mann wurde während 
des Ernteurlaubes in einem Getreidefeld mit zertrümmertem Schädel 
todt aufgefunden, 2 Mann endeten durch Selbstmord (durch Er- 
schiessen). 

Der Gesammtverlust der Armee durch Tod betrug demnach 
im Monat Juli 13 Mann. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München 

in der 37. Jahreswoehe vom 8. bis 14. September 1901. 
Betheiligte Aerzte 11H. — Brechdurchfall 16 (21*), Diphtherie, 
Croup 17 (9), Erysipelas 6 (S), Intermittens, Neuralgia intern. 

— (—), Kindbettfieber — (—), Meningitis cerebrospin. — 
Morbilli 17 (13), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 4 (2), Parotitis 
epidem. 1 (1), Pneumonia crouposa 4 (5), Pyaemie, Septikaemie 

— (—), Rheumatismus art. ac. 13 (14), Ruhr (dysenteria) — (— 

Scarlatina 7 (8), Tussis convulsiva 18 (21), Typhus abdominale 
1 (3), Varicellen 6 (3), Variola, Variolois —(—), Influenza — (—)» 
Summa 110 (108). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


U ebersicht der Sterbefälle in München 

während der 37. Jahreswoehe vom 8. bis 14. 8eptember 1901. 

BevölkerungBzahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 2 (1*), Scharlach — (—\ Diphtherie 
und Croup 3 (2), Rothlauf 1 (—), Kindbettfieber — (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 3 (1), Brechdurchfall 2 (22), Unterleibtyphus 
— (—), Keuchhusten 2 (3), Croupöse Lungenentzündung 2 (—). 
Tuberkulose a) der Lungen 24 (22), b) der übrigen Organe 4 (9), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 8 (2), Unglücksfälle 3 (4), Selbstmord — (2), Tod durch 
fremde Hand — (2). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 189 (224), Verhältnisszalil auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 19,7 (23,3), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,3 (13,1). 


, *) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Vorlaji voa J. F. L«haaua ia Miaotiea. — Draok von B. lCühlthaler’a Bueh- und Kanatdraokerel A.Q., Münehsa. 

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., aanoatn. 

nOOgle 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 




Wo Mönch. Med. Wochenschr. erscheint wftchentL HJ'tYAT/'I T T I iV\T IiVI’ ) Zusendungen sind sn adresriren: Für dloBedaodoa 

in Nnnunern yon darchscholttllch 6-8 Bogen. yl I I \l , I — I fi. \ H, rC. Ottostnwse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh- 

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WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Herausgegeben von 

CI. Binler, 0. Btliiipr, H. CirselMn, C. ßerlirtt, 8. MirW, J. f. Michel, H.!. Rnkp, F. i. Wiickil, H. t. Zieassei, 

Freiburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. München. 


No. 40. 1. Oktober 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, HeastraBse Ü0. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der chirurgischen Poliklinik zu Jena. 

Die Bedeutung der elastischen Fasern bei patho¬ 
logischen spec. regenerativen Processen.*) 

Von Dr. B. Grohe, Privatdoceut und Assistent. 

R a n v i e r [1] hat einmal deu Ausspruch gethan, dass iu 
der Histologie eine neue Entdeckung oder die Aenderung einer 
Ansicht nicht in Folge des höheren Genies oder einer gelungenen 
Interpretation zu Stande kommt, sondern durch die Erfindung 
einer neuen Methode, sei es in der Färbung oder der Härtung 
oder der Dehnung der Gewebe. 

W e i g e r t [2] sagt mit Recht, dass dieser Satz in dieser 
Schroffheit nicht richtig sei. Man denke nur an die befruch¬ 
tende Wirkung, welche neue allgemeine Theorien, wie die der 
Cellularpathologie, für die Histologie gehabt haben. Ja eine 
neue Fragestellung allein kann zu Entdeckungen führen — ein 
Moment, welches bei den Arbeiten über Entwickelungsmechanik 
sehr mitgespielt hat. Ferner ist ja auch die Auffindung eineB 
passenden Beobachtungsmaterials unter Umständen die Quelle 
von Entdeckungen, wie die Lehre von den Befruchtungsvorgängen 
z. B. deutlich beweist. 

Aber ein Körnlein Wahrheit liegt doch in jenem Ranvier¬ 
sehen Ausspruch. 

Auch der moderne Mikroskopiker würde ungern die alten 
und einfachen Methoden der primitiven Untersuchung frischer 
Objekte mit Hilfe der Nadel, des Rasirmessers oder des Valen- 
tin’schen Doppelmessers missen; ja es würden ihm manche Be¬ 
sonderheiten in der Struktur völlig bei ihrer Ausserachtlassung 
verloren gehen, aber der Fortschritt der mikroskopischen Technik 
hat seit der zufälligen Beobachtung Gerlach’s, dass sich durch 
Karminfarbe, welche er zur Gefässinjektion bei einer kindlichen 
Leiche verwandt hatte, die Zellkerne färbten, einen derartigen 
Umfang genommen, dass ohne ihre Hilfe nicht mehr auszu¬ 
kommen ist. 

Kaum dürfte es nöthig erscheinen, diesbezügliche Einzel¬ 
heiten hier aufzuführen, doch darf ich beispielsweise erinnern 
an die nur durch die neuere Technik ermöglichte genauere Er- 
kenntniss der Zelltheilung, an die z. Th. differentialdiagnostisoh 
wichtigen Bacterienfärbungen, an die neueren Untersuchungen 
auf dem Gebiete der Entzündungslehre. 

Der V i r c h o w’schen Anschauung, die Entzündung beruhe 
auf Aenderungen der Gewebszellen, welche sie in die Lage setzten, 
aus der Nachbarschaft, sei es ein Blutgefäss oder ein anderer 
Gewebstheil, eine grössere Quantität von Stoffen an sich zu 
ziehen, aufzusaugen und je nach Umständen umzusetzen, war 
bekanntlich Cohnheim entgegengetreten. Seitdem galten 
als Universalzellen lange Zeit die Leukocyten, welche im Orga¬ 
nismus allgewaltig sein sollten. Sie spielten nicht nur bei der 
Entzündung, sondern auch sowohl beim Aufbau wie beim Abbau 
aller möglichen Gewebe die Hauptrolle. 

Pank der besseren Methoden, namentlich in den Händen 
de« zu^rüh verstorbenen Dorpater B ö 11 oh e r, von Stricker, 
von Grawitz u. A ist der Nachweis erbracht, dass die den 
Leukocyten oktroyirte Rolle keine so gewaltige ist, vielmehr die 

•) Nach einem Vortrag. 

Ko. 40. 


verschiedensten Zellelemente eine ebenso grosse Bedeutung haben, 
so dass von dem Bau der Emigrationstheorie ein Stein nach dem 
andern abgebröckelt ist. 

Mit dem Fortschreiten der Farbenchemie, für die ja durch 
die Hoffman n’sch.en Entdeckungen eine neue Aera anbrach, 
sind nun unserm Studium auch Gewebselemente weit zugäng¬ 
licher gemacht, deren Existenz und Vorkommen schon lange den 
Forschern bekannt waren, über deren Bedeutung im Haushalt 
der Natur und über deren topographische jedesmalige Anordnung, 
wie wir jetzt sehen können, doch grosse Unkenntniss herrschte. 

Ein eclatantes Beispiel hierfür liefern die elastischen Fasern. 

Ihr Vorkommen war besonders in den elastischen Organen, 
nämlich den Bändern und Sehnen, in denen sie nur mit geringer 
Beimengung von Bindegewebe und mit wenig Gefässen und 
Nerven, sozusagen, rein auftreten, dann den elastischen Mem¬ 
branen, welche entweder als Fasernetze oder gefensterte Häute 
erscheinen und in den Gefasshäuten, namentlich denen der 
Arterien, in der Trachea und den Bronchien studirt [3]. A ~ J 

Die Ansiohten über die Entwicklung des elastischen Gewebes 
sind aber bis heute noch getheilt, indem eine Reihe von Autoren 
eine Entstehung der elastischen Formelemente in der Grund¬ 
substanz ohne jegliche Betheiligung von Zellen annimmt^eine 
Anschauung, welcher eine zweite gegenübersteht, nach der die 
Genese des elastischen Gewebes an Zellen gebunden ist; doch 
herrscht auch darüber keine Einigkeit, welcher 'Tkeil der Zelle 
vorwiegend oder ausschliesslich für die Entstehung in Betracht 
kommt. . . 

In die Einzelheiten der Meinungsstreitigkeiten einzugehen 
ist hier nicht der Platz. Es sei jedoch erwähnt, dass diese beiden 
entgegengesetzten Anschauungen sich schon zu Schwann’s 
Zeiten gegenüberstanden. Er lässt 1839 in seinen „Mikroskopi¬ 
schen Untersuchungen“ die elastischen Fasern durch Verlänge¬ 
rung, Verästelung und Zerfaserung von Elemcntarzellen ent¬ 
stehen, während Gerber ein Jahr später als Grundlage der 
elastischen Fasern die Intercellularsubstanz bezeichnet, mit der 
ihm wahrscheinlichen Einschränkung, dass sich auch in der 
Intercellularsubstanz zuerst hohle Zellen bilden, welche zu den 
elastischen Fasern zusammenstossen. 

Henle, Virchow, Donders, Reichert, Frey, 
Rabl-Rückhard haben sich an den Untersuchungen ge¬ 
nauer betheiligt und mit der Meinung des Letzteren stimmt 
. K öllik er ii herein, wenn er in der neuesten Auflage seiner 
Gewebelehre sagt: Es kann nunmehr als ausgemacht angesehen 
werden, dass die elastischen Fasern aller Art weder aus Kernen 
noch aus Zellen hervorgehen, sondern einfach durch eine be¬ 
sondere Umwandlung der Grundsubstanz bindegewebiger Anlagen 
sich bilden. Entstehen sollen sie durch eine Umsetzung leim¬ 
gebender Substanz, indem entweder die Faser gleich als Ganzes 
oder in manchen Fällen durch Aneinanderreihung von Körnchen 
sich bildet. Eine Wiedererzeugung des elastischen Gewebes ist 
nach Kölliker nicht bekannt, hingegen sind Neubildungen 
desselben nicht selten. . 

In eine ganz neue Phase der Erkenntniss des Vorkommens 
und der Verbreitung des elastischen Gewebes, besonders unter 
pathologischen Verhältnissen, welche bisher sehr wenig berück¬ 
sichtigt waren, trat die Wissenschaft, als es zunächst Unna 
und. Tänzer Anfang der 90 er Jahre des vorigen Jahrhunderts 
gelang, in dem Orcein ein specifisches Färbungsmittel für die 


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1556 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


elastischen Fasern zu finden. Diese elektive Methode ist in 
neuester Zeit, im Jahre 1897, noch übertroffen durch eine weit 
sicherere und bequemere, indem W e i g e r t eine neue Methode 
angab, deren Grundprincip in der Benutzung eines Farbstoffes 
bestand, welcher in aller jüngster Zeit von Grübler - Leipzig 
in Substanz als „Kreso-Fuchsin“ in den Handel gebracht wird. 
Dadurch erst wurde es möglich, an den dünnsten Schnitten 
das Vorhandensein der feinsten Fäserchen nachzuweisen und die¬ 
selben weiter zu verfolgen. 

Es waren besonders zwei Organe, welchen sich die Aufmerk¬ 
samkeit der Anatomen und Pathologen zuwandte, die Blut¬ 
gefässe und die Haut. 

Es zeigte sich, dass die Reichlichkeit der elastischen Ele¬ 
mente in den Arterien der verschiedenen Körperregionen eine 
ausserordentlich verschiedene war. Es war vorzüglich 
Bonnet, der aus dem Giessener, dann dem Greifswalder ana¬ 
tomischen Institut eine Reihe von Arbeiten publiciren liess, in 
denen systematisch die einzelnen Gebiete durchforscht wurden, 
durch deren Resultate er dazu kam, anzunehmen, dass —• 
wenigstens unter normalen Verhältnissen — die Quantität der 
elastischen Elemente abhängig sei von den physikalischen Ein¬ 
flüssen, welche auf das Arterienrohr von aussen oder von innen 
einwirkten. Wirkt doch einmal der Blutdruck von innen und 
er ist ein verschiedener, je nach Lage und Richtungsverlauf des 
Gefässrohres, dann aber bildet die umgebende Materie einen 
wichtigen Faktor bei der Be- resp. Entlastung des Gefäss- 
systems. 

Der Unterschied im Vorkommen der fraglichen Elemente 
in den verschiedenen Altersstufen war auch ein in die 
Augen springender. 

Die Intima der Aorta des neugeborenen Kindes z. B. bildet 
nur eine zarte, vielfach geschlängelte, elastische Faserschicht, 
die einer bedeutend dickeren, fest zusammenhängenden Faser¬ 
schicht aufsitzt. Diese stärkere Schicht bildet gewissermaassen 
die Grenze zwischen Media und Intima, wenn man diese zarte, 
geschlängelte Faserschicht als Intima überhaupt bezeichnen will. 
Es fehlt hier nämlich eine Schicht von Bindegewebe in der In¬ 
tima, wie sie sich bei älteren Individuen zu finden pflegt. An 
diese festere, dicke, elastische Faserschicht, die Grenzlamelle 
zwischen Tunica intima und Tunica media, legen sich in regel¬ 
mässiger paralleler Anordnung zahlreiche elastische Fasern an, 
welche bei der Bildung der Media sich betheiligen, um allmäh¬ 
lich ohne scharfe Abgrenzung in die Adventitia überzugehen. 

An der Aorta des mittleren Lebensalters hat hingegen die 
Intima sehr an Stärke zugenommen. Während wir beim Kind 
nur eine geschlängelte Faserschicht haben, sind hier 
mehrere Schichten vorhanden, auch geschlängelt, aber recht 
dicht aneinandergelagert, so dass man den Eindruck eines 
derberen breiten Saumes gewinnt. Daran schliessen sich zahl¬ 
reiche sehr zarte elastische Fasern bis zu einer derben zusammen¬ 
hängenden Lage, die man wiederum als die Grenze zwischen 
Intima und Media betrachten muss. Sie ist es, die man bei der 
Aorta der Neugeborenen vermisst, also eine Schicht, die sich erst 
im Laufe der Zeit entwickelt [4], 

Ganz anders ist die Struktur der Gefässwand nun an den 
Gehirngefässen. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Puls¬ 
welle im Schädel ist nach exakten Untersuchungen (von G r a s - 
h e y) viel grösser als an anderen Orten, dafür liegen anderer¬ 
seits in der Schädelhöhle Verhältnisse vor, welche alle äusseren 
Bewegungen, die einen Druck oder Zug auf die Gefässe aus¬ 
üben könnten, fortfallen lassen. So findet sich nach Triepel [5] 
denn entsprechend der sehr grossen Spannungszunahme, die 
nach Entfaltung des Arterienrohres an der inneren Oberfläche 
der Wand eintritt, eine ungewöhnlich starke Entwicklung der 
elastischen Innenhaut, während die der Media mit ihren vorhin 
beschriebenen Theilen bedeutend hiergegen zurücktritt. 

Die ausserordentliche Bedeutung, welche dem elastischen 
Gewebe normtfler Weise im Bau und in der Funktion der Ge¬ 
fässe zukommt, dürfte durch diese kurzen Beispiele deutlich 
illustrirt sein. 

Wie ist nun sein Verhalten bei krankhaften Processen? 

Beim Gefässsystem gibt es eine Erkrankung, das Aneu¬ 
rysma, welches seit Langem in Bezug auf seine Entstehung den 
weitgehendsten Spekulationen Spielraum geboten hatte. Die¬ 
selben Momente, welche die Entstehung der Arteriosklerose be¬ 
günstigen, wurden und werden auch bei der Aetiologie der Aneu¬ 


rysmen angeführt. Immerhin ist die Entstehung eines Aneu¬ 
rysmas im Verhältniss zur grossen Häufigkeit der Arterio¬ 
sklerose ein seltenes Ereigniss und es erschienen daher doch noch 
gewisse Umstände von Einfluss zu sein, welche man vorderhand 
noch nicht näher bestimmen konnte. T h o m a und Fr. G r ohe 
glaubten vor Jahrzehnten physikalisch-mechanische Einflüsse 
zur Erklärung heranziehen zu sollen, da gerade einmal der 
Aortenbogen mit seinem starken Suspensionsapparat, dann am 
subdiaphragmatischen Theil die Aorta besonders häufig der 
sackartigen Erweiterung anheimfalle. 

Hier kamen nun die neuen Untersuchungsmethoden zu 
Hilfe, indem esManchot [6] aus der Recklinghausen- 
schen Schule gelang, nachzuweisen, dass wahre Aneurysmen der 
Arterien Vorkommen, deren Intima keine sklerotischen, binde¬ 
gewebigen Verdickungen auf wies. Die Erweiterung des Gefäss- 
lumens beim Aneurysma ist vielmehr durch primäre Zer- 
reissungen der elastischen Elemente der Media 
bedingt. Die entzündlichen Processe, die sich in einem Aneu¬ 
rysma vorfinden, sollen nur von sekundärer Bedeutung sein, 
indem sie entweder eine zufällige Komplikation, wie eine all¬ 
gemeine Arteriosklerose des höheren Alters, darstellen, oder direkt 
durch das Fortschreiten des Aneurysmas bedingt und hervor¬ 
gerufen sind. 

Aus Anlass derartiger Laesionen der elastischen Elemente 
glaubte M a n c h o t schwere körperliche Arbeiten, aus irgend 
welchen Gründen häufiger wiederkehrende Steigerungen des 
Blutdrucks, ferner häufiger sich wiederholende, man möchte fast 
sagen, chronische Traumen ansehen zu dürfen. Die alten mecha¬ 
nischen Theorien kamen hierbei insoweit in Berücksichtigung, 
als speciell solche Gefässe erkrankten, welche durch ihre ana¬ 
tomischen Lagerungen den angeführten Insulten besonders aus¬ 
gesetzt zu sein scheinen, so der Aortenbogen, Gefässe in der Nähe 
von Gelenken, dort, wo grosse Stämme sich abzweigen. 

Ob nun thatsächlich alle Aneurysmen dem geschilderten 
Modus ihre Entstehung verdanken und ob Manchot in seinen 
Folgerungen nicht zu weit gegangen ist, erscheint nach den 
weiteren Untersuchungen doch zweifelhaft So unterscheidet 
jetzt T h o m a [7] die Aneurysmen in Ruptur- und Dilatations¬ 
aneurysmen, von denen die ersteren den M a n c h o t’schen ent¬ 
sprechen, während die letzteren einer echten angiomalacischen, 
also entzündlichen Ursache ihre Entstehung verdanken. 

Der Endeffekt bei der aneurysmatischen. Entwicklung ist 
aber unbestritten der, dass die elastischen Elemente aufs 
äusserste reducirt werden, ihre charakteristische Form einbüssen, 
an ihren Rissenden sich auf rollen, bröcklig und krümmelig zer¬ 
fallen, um stellenweise auf längere Strecken ganz zu ver¬ 
schwinden. 

Diese destructiven Processe sind nun derartig gewaltige, 
dass eventuelle regenerative Erscheinungen in der 
Aneurysmenwand bisher nicht deutlich beobachtet werden 
konnten, da sie im weiteren Verlauf ja auch nicht von Wichtig¬ 
keit sind. 

Ganz anders liegen diese regenerativen Processe nun bei 
den rein entzündlichen Processen der Gefässe. Besonders 
J o r e s [8] in Bonn und seine Schüler haben in einer Reihe 
von Untersuchungen Klarheit geschaffen. Es zeigte sich, dass 
bei der Endarteriitis in der Arterienintima sehr frühzeitig eine 
ausgedehnte Neubildung von elastischen Fasern erfolgt und zwar 
waren zweierlei Arten von Neubildung dabei zu unterscheiden. 
Die eine besteht in Bildung elastischer Lamellen aus der alten 
praeexistirenden Membran. 

Eine derartige Abspaltung von Lamellen scheint nun nur 
eine untergeordnete Rolle bei der Arteriosklerose zu spielen, da 
meist nur eine oder jedenfalls nur wenige Lamellen auftreten 
und dieselben nicht weit nach innen von der Grenze der Media 
reichen. Eine viel grössere Bedeutung scheint der zweiten Art 
von Neubildung zuzukommen, nämlich dem Auftreten feiner und 
feinster Fäserchen, unabhängig von dem bestehenden Gewebe, 
welche bis zu gewaltigen Mengen sich in dem mikroskopischen 
Bilde präsentiren können. 

Mit Recht wohl hat man diese Endarteriitis als eine kom¬ 
pensatorische bezeichnet, indem gerade in den Gefässen, welche 
vom Blute durchströmt werden, die elastischen Lamellen ihre 
höchste Ausbildung erlangen und sicherlich eine hohe funk¬ 
tionelle Bedeutung haben. 


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1. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1567 


Noch deutlicher wird der Werth der Elasticae als ein für 
die Gefässwand funktionell wichtiges Gewebe beleuchtet, wenn 
man im Gegensatz zu den eben beschriebenen Gefässerkran- 
kungen die einer Thrombosirung verfolgt [9]. Auch bei der 
Arteriitis thrombotica findet sich als regelmässige Begleit¬ 
erscheinung eine gewisse Menge elastischer Fasern. Sie finden 
sich aber viel später als bei den ersterwähnten Processen. Aber 
auch bei längerem Bestehen dieser Form der Intimawucherung 
bleiben diese Fasern immer sehr fein und körnig. Sie bilden 
auch keine auf längere Strecken zusammenhängende Fasern. 
Nur unter dem Endothel der kleinen Gefässchen, welche in dem 
organisirenden Bindegewebe auftreten, reifen die elastischen 
Substanzen zu einer homogenen zarten Membran aus, später 
wenn die Wand dieser Gefässchen dicker wird, kann sich eine 
zweite und dritte Elastica parallel dazu legen, aber im Grossen 
und Ganzen entwickelt sich das elastische Gewebe bei der 
Arteriitis thrombotica nur bis zu einem gewissen unvoll¬ 
kommenen Grade und es kann in einem 60 Tage alten ligirten 
Gefässe noch gerade so aussehen, wie es nach 15 oder 20 Tagen 
ausgesehen hat. 

Bei allen diesen Versuchen wurde natürlich auch auf ex¬ 
perimentellem Wege versucht, Klarheit zu schaffen und dieser 
hat uns dann auch gleichzeitig Aufklärung gegeben über die 
Folge- speciell die Heilungsvorgänge, welche sich an direkte 
Laesionen des Arterienrohres anschliessen, was natürlich für den 
Chirurgen von grosser Wichtigkeit ist. Denn wir haben es 
manchmal mit partiellen Verletzungen der Gefässwände zu thun; 
dann ist aber in den letzten Jahren die Chirurgie der Gefässe 
weit gefördert worden, indem auch durch Operationen am 
Menschen gezeigt wurde, dass partielle Resektionen von Gefäss- 
abschnitten, die z. B. durch Tumormassen umschlossen sind, vor¬ 
genommen, die beiden restirenden Gefässlumina wieder vernäht 
werden können und eine restitutio ad integrum klinisch eintritt. 

Dass dieselbe auch histologisch eine vollständige ist, lehrte 
die Untersuchung am Thierexperiment [10]. Nicht nur in der 
durch ein Trauma gesetzten Narbe der mittleren Gefäss- 
haut tritt eine schnelle Regeneration elastischen Gewebes auf, 
so dass dieselbe später eine solche Ausdehnung und Stärke er¬ 
reicht, dass ein völliger Wiederersatz der Funktion durch das 
neugebildete Gewebe anzunehmen ist. Nein, auch bei totalen Ge- 
fässdurchtrennungen zeigte sich, dass schon nach ca. 2 Monaten 
eine so totale Regeneration der Intima eingetreten war, dass 
z. B. ihre elastischen Elemente nicht nur wiederhergestellt waren, 
sondern auch wegen der doppelten Inanspruchnahme in Folge 
der noch existirenden Schwachheit der Media und speciell der 
Adventitia eine kompensatorische Hypertrophie aufwiesen. 

Es erübrigt noch auf das Verhalten der elastischen Fasern 
in den Venen einzugehen. Es hat sich nach J o r e s [11] als 
ganz analog dem der Arterien gefunden. Bei der akuten Phle¬ 
bitis werden z. B. die Fasern zunächst stark auseinander gedrängt 
und gehen dann zu Grunde, entweder fleckweise oder mehr diffus, 
je nach der Ausbreitung der entzündlichen Infiltration. Nach 
Ablauf der Entzündung tritt eine Regeneration der elastischen 
Fasern auf. Vor Allem wird auch der in Organisation begriffene 
Thrombus bald reichlicher, bald weniger reich mit elastischen 
Fasern versorgt. Gerade an solchen thrombophlebitischen Venen, 
bei denen die Organisation des Thrombus bereits eingesetzt hat, 
sieht man dann ein oft sehr reichliches, über die Norm zahl¬ 
reiches Auftreten von sehr feinen Fäserchen in der Media. Von 
den grösseren Lamellen ziehen die feinen Fäserchen oft dicht¬ 
gedrängt gegen das Lumen zu. 

Auch bei der Phlebosklerose ist eine, wenn auch geringe Zu¬ 
nahme elastischen Gewebes in der Media zu konstatiren. 

Sehr mannigfaltige Bilder ergeben mm die Phlebektasien. 
Die zarten ektatischen Hautvenen, die man vielfach an den 
unteren Extremitäten findet, lassen ein Stadium erkennen, in 
welchem starke Mesophlebitis zu einer Zerstörung des elastischen 
Gewebes zugleich mit der Muskulatur führt. Manchmal sind 
nur fleckenweise die Fasern zu Grunde gegangen, häufig aber so 
massenhaft, dass die Fasern nur noch in einzelnen Bruchstücken 
in der Gefässwand liegen, ja schliesslich verschwinden sie ganz 
und gar und die Venenwand besteht nur noch aus Bindegewebe. 
Ganz ähnlich verhalten sich die Wandungen der grösseren vari- 
cösen Säcke, wo sich ebenfalls nur geringe Mengen elastischen 
Gewebes finden. 


Dass die Ursache derartiger Varicen nicht allein die Hem¬ 
mung des freien Abflusses des Venenblutes war, war schon lange 
behauptet. Man nahm an, dass sie durch einen — allerdings im 
Einzelnen noch unbekannten — primitiven krankhaften Zustand 
der Wandung bedingt sei, den Billroth als „den reizbaren 
Zustand“ bezeichnete. Ob man diesen zunächst als Mesophle¬ 
bitis oder Endophlebitis auf fassen sollte, war noch strittig; 
neuere Untersuchungen scheinen der letzteren den ersten Platz 
zuzuweisen. 

Neben diesen entzündlichen und regressiven Processen 
spielen sich aber in den Varicen bald regenerative ab, indem sich 
an den Untergang des elastischen Gewebes gleich Regenerations¬ 
vorgänge anschliessen. Sie können sich in jedem Stadium der 
Phlebektasien ausbilden. Oft findet man die Neubildung von 
Fäserchen zugleich mit Zerstörung des elastischen Gewebes durch 
Mesophlebitis in derselben Vene; in anderen ist der degenerative 
Process abgelaufen und man erkennt an der Anordnung der 
Fasern, ihrer Stärke und Reichlichkeit die regenerative Neu¬ 
bildung. Wohl in den meisten Fällen sind die Regenerations¬ 
bestrebungen, die auch hier meist zur Bildung sehr zarter Fasern 
führen, ungenügend in Bezug auf Wiederersatz der Funktion, 
vielfach ist auch die Zahl des produzirten Gewebes gering, ja 
es scheinen regenerative Vorgänge von Seiten des elastischen 
Gewebes ausbleiben zu können. In anderen Venen und zwar 
hauptsächlich in solchen mit hypertrophischer Wandung finden 
wir die regenerirten Fasern so reichlich, dass die Möglichkeit 
eines funktionellen Ersatzes nicht von der Hand zu weisen ist. 
Vielleicht liegt in diesem Umstand die Erklärung dafür, dass 
nicht alle kleinen ektatischen Hautvenen sich zu hochgradig 
varicösen Formen der Phlebektasie ausbilden. 

Wenden wir uns nun von dem Gefässsystem zu dem anderen 
eine reiche Ausbeute liefernden Material, nämlich der Haut, so 
müssen wir uns eigentlich wundern, dass dies Organ, welches 
in so eingehender Weise von den Dermatologen durchforscht 
war, noch immer neue Thatsachen und Erkenntnisse liefern 
konnte. Ich will nur erinnern an das mehr in das physiologische 
Gebiet gehörende Verhalten der Haut bei fortschreitendem 
Alter. 

Die schon makroskopisch allen bekannte senile Degeneration 
wurde nach den Untersuchungen von J. Neumann und 
O. Weber als auf genetisch verschiedenen Veränderungen be¬ 
ruhend aufgefasst. Einmal sollte es sich um eine „körnige Trü¬ 
bung“ handeln, die aus einer „Verschrumpfung“ der Binde¬ 
gewebsfasern hervorgehe; die andere Veränderung sollte eine 
von der Gefässwandung ausgehende „glasartige Verquellung“ 
sein. 

Martin Benno Schmidt [12] hat später aber gezeigt, 
dass es sich hierbei auch um eine Degeneration der für die 
Elasticität und überhaupt für die physiologische Gebrauchsfähig¬ 
keit der Haut so wichtigen elastischen Fasern handle. 

Der sich abwickelnde Umwandlungsprocess soll derart sein, 
dass durch Atrophie der collagenen Bindegewebsbündel das aus¬ 
gedehnte elastische Netz in den untersten Theilen der Cutis, wie 
besonders in den oberen Lagen des subkutanen Gewebes sich 
dichter schliesst, und die nahe aneinander rückenden Fasern 
stark gewunden werden; dass an letzteren selbst dann hyaline 
Aufquellung und Schollenbildung durch ungleichmässige Ver¬ 
dickung oder durch Zusammenrollen der gequollenen Fasern 
und körniger Zerfall nebeneinander hergehen; der letztere Pro¬ 
cess führt dann zur Konfluenz der Fasern, zur sekundären hya¬ 
linen Umwandlung und zur Entstehung der grösseren homogenen 
Bezirke, die sich schliesslich über die ganze Cutis ausdehnen 
können. 

Eine andere Hautveränderung, welche dem Chirurgen sehr 
oft zur Beobachtung bei Finger- und Hand Verletzungen kommt, 
ist die Glanzhaut. Auf sie wurde zuerst wissenschaftlich von 
den Engländern und Amerikanern genauer eingegangen, indem 
Paget derartige, zum Theil mit lebhaften neuralgischen 
Schmerzen einhergehende Störungen der Fingerhaut, als auf 
Nervenstörungen beruhend, als „glossy skin“ beschrieb. 

Die Folge hat nun gelehrt, dass Paget für seine Fälle 
sicher recht gehabt hat, dass aber durch weit mehr und weit 
allgemeinere Ursachen dieselbe Hautveränderung sich einstellen 
kann, nämlich nach Lähmungen, bei Sklerodermie, bei Syringo¬ 
myelie, auf jeder entzündlichen Basis und ebenso durch Inaktivi- 

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1558 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 40. 


tat. Gerade mit den letzteren Faktoren hat der Chirurg ja fast 
jeden Tag zu thun. v 

Es ist nun das Verdienst von Ledderhose [13], an 
einem grossen Unfallsmaterial diesem Krankheitsbilde nachzu¬ 
gehen und zwar fand er, dass man verschiedene Formen unter¬ 
scheiden müsse, nämlich eine hypertrophisch-sklerotische, bei 
der die Haut immer mehr an Glätto und Glanz zunimmt, dabei 
eine immer stärkere Derbheit und Spannung bekommt, und eine 
atrophische Form, wo die Haut glänzend, faltenarm, verdünnt, 
meist blass oder rosa gefärbt ist. 

Bei beiden Formen fand sich mikroskopisch neben entzünd¬ 
lichen Infiltrationsherden besonders eine Verdickung und Ver¬ 
engerung der Gefässe, besonders der Arterien, und dann, dass die 
elastischen Elemente eine hochgradige Degeneration zeigten, von 
der Klumpung und Fragmentation bis zum völligen Schwund. 
Der Process ist ein ähnlicher, wie er von U n n a in seiner „Histo¬ 
pathologie der Hautkrankheiten“ bei chronischen Oedemen ge¬ 
schildert ist. 

Es ist wahrscheinlich, dass bei Zurückbildung dieser patho¬ 
logischen Processe, auch eine Neubildung resp. Wiederbildung 
der elastischen Elemente einsetzt, doch ist bei der Schwierig¬ 
keit der exakten Grenzbestimmungen über die Quantität und 
Qualität der Fasern gerade bei diesen formativen Aenderungen 
absolut Sicheres nicht zu eruiren. 

Ein viel günstigeres Objekt für das Studium der Regenera¬ 
tion in der Haut war nun die Hautnarbe und die Heilungs¬ 
vorgänge bei den Hauttransplantationen. 

Dass in den Narben elastische Fasern Vorkommen, ist durch 
frühere Untersuchungen schon bekannt geworden. So fand 
Guttentag (cf. J o r e s 1. c. p. 394) im Allgemeinen kein 
elastisches Gewebe in den Narben, doch in einzelnen waren feine 
Fasern durch Orcein darstellbar. Er sah dieselben freilich nicht 
als regenerirte an, sondern hielt sie für Ueberreste des elastischen 
Netzes, die die Entzündungs- und Destruktionsprocesse über¬ 
standen hätten. Unna beschreibt nun dieselben Fasern, welche 
in den Narben parallel in der horizontal geschichteten collagenen 
Substanz verlaufen, und fasst sie als Regeneration auf, der er 
eine Bedeutung für die Narbenbildung zuerkennt. 

Die Menge des elastischen Gewebes ist aber in den einzelnen 
Narben sehr verschieden. In älteren Narben trifft man es regel-. 
mässiger an und reichlicher als in jungen; und in solchen, welche 
viele Jahre alt waren, fand Passarge fast keine Unterschiede 
zwischen dem elastischen Gewebe der Narbe und dem der nor¬ 
malen Haut. Das Gleiche gibt auch Guttentag an für die 
Impfnarben, eine Beobachtung, welche von Kromayer be¬ 
stätigt wird, indem er sagt, dass bei drei- und mehrjährigen 
Kindern die in der Impf narbe neugebildeten elastischen Fasern 
sich nicht mehr durch ihre Dicke, sondern nur durch ihre Rich¬ 
tung von den normalen resp. alten unterscheiden. 

Ist demnach nicht daran zu zweifeln, dass unter gewissen 
Umständen die Regeneration des elastischen Gewebes in der 
Hautnarbe eine nahezu vollständige werden kann, so fragt es 
sich, ob dieses Endziel in jeder Narbe, vorausgesetzt, dass sie 
lange bestanden hat, erreicht wird. Bei kleineren Wunden ist 
dies jetzt wohl als sicher anzunehmen, während bei aus sehr 
tiefen und breiten Wunden hervorgegangenen Narben, auch 
wenn sie genügend alt sind, die elastischen Fasern in Bezug auf 
Anordnung und Stärke nicht annähernd das normale Gefüge der 
Haut erreichen. 

Für die Regeneration der elastischen Fasern ist nun nach 
J o r e s weniger das absolute, als vielmehr das relative Alter der 
Narbe von Wichtigkeit. Man nahm bisher als sicher an, dass 
sich in dem Granulationsgewebe keine elastischen Fasern bilden. 
Sie sollten erst auftreten, nachdem das Bindegewebe in defini¬ 
tives umgewandelt ist, also zu einer Zeit, in der die Narbe 
zwar noch reich an spindeligen und sternförmigen Zellen ist, 
im Uebrigen aber aus fibrillärem Bindegewebe besteht. Erreicht 
sie diesen Zustand schnell, so bildet sich auch das elastische 
Gewebe schnell aus und vielleicht auch reichlicher; im anderen 
Falle wird längere Zeit vergehen, ehe in dem malignen Binde¬ 
gewebe elastische Elemente zu sehen sind. So wurde die That- 
sache erklärt, welche Kromayer fand, dass Narben, welche 
per primam intentioncm oder unter dem Schorf geheilt waren, 
frühzeitiger elastisches Gewebe produzirten, als diejenigen, die 
aus offenen Granulationen entstanden waren. Diese Befunde 
anzuzweifeln, kann ich nicht unternehmen; die Deutung der 


Entwicklung rechnet aber immerhin mit einem falschen Faktor, 
dass bisher in Granulationen nie elastische Fasern auf gefunden 
sind. In allerjüngster Zeit ist es mir nun gelungen, ganz un¬ 
zweifelhaft die Existenz solcher im Granulationsgewebe nach¬ 
zuweisen. 

G o 1 d m a n n machte nun darauf aufmerksam, dass die 
nach T h i e r 8 c h transplantirte Haut ausgiebig und schnell 
mit elastischen Fasern versorgt wird. Man wird nicht fehl 
gehen, auch für diese Fälle eines der für die Regeneration 
günstigen Momente darin zu suchen, dass es bei den Trans¬ 
plantationen zu einer frühzeitigen, ohne Umschweife erreich¬ 
baren Neubildung definitiven Bindegewebes kommt. 

Die Arbeiten der erwähnten Autoren enthalten auch Be¬ 
merkungen über die Zeit, welche das elastische Gewebe zu seiner 
Entwicklung braucht. Kromayer berechnet die Zeit der Ent¬ 
wicklung selbst in Narben, welche unter dem Schorf geheilt 
waren, nach Jahren und für die aus Granulationsgewebe ge¬ 
heilten setzt er den Termin noch weiter. Goldmann da¬ 
gegen fand in einem Präparat, welches einer Hautpfropfung 
am 10. Tag entnommen war, die ersten zarten elastischen Fasern 
vom Rande her in das Narbengewebe eindringen. Enderlen [14] 
gibt für die Transplantationen an, dass nach 4 Wochen die 
Regeneration beginnt, dass nach 7 Wochen die Fasern schon 
reichlicher angetroffen werden und nach Vz bis 2 Jahren fand 
er gut ausgebildete Fasernetze. Jo res fand ebenfalls nach 
4—6 Wochen die ersten Fasern, nach 5—6 Monaten hatte sich 
ein subepitheliales Netzwerk und reichlich anderweitig Fasern 
gebildet, die zunächst fein, nach 1—2 Jahren an Stärke etwas 
zugenommen haben. Schwankungen in der Zeit des Auftretens 
des elastischen Gewebes sind nach dem Gesagten naturgemäss; 
ja selbst innerhalb ein und derselben Narbe können sich ver¬ 
schiedene Theile verschieden verhalten. 

Kontrolirte man nun die Beziehung von dem alten zu dem 
jungen Gewebe, so konnte besonders schön Enderlen bei 
seinen Transplantationsstudien finden, dass in den Pfropfungen 
an der Grenze zum normalen Gewebe die ersten Fäserchen auf¬ 
treten, welche mit den alten Fasern in Verbindung stehen, von 
denen sie in einem Winkel abzweigen. Dieser Zusammenhang 
tritt bei der Wundheilung nun überall zu Tage. Ein weiterer 
Zusammenhang fand sich nun auch mit den alten Fasern, welche 
i n den Transplantationslappen verpflanzt waren. In ihnen be¬ 
hielten gerade die elastischen Elemente zunächst am besten ihre 
Form, wie sie überhaupt gegen Schädigungen im Verhältniss 
zu dem anderen Gewebe äusserst renitent sind. Dass der Ent- 
zündungsprocess z. B. die Fasern lange intakt lässt, ersieht man 
aus den Untersuchungen von Fr. Schulz [15]. • 

So fand Rischpier [16] bei Erfrierungen an Kaninchen¬ 
ohren, welche er unter M a r c h a n d’s Leitung vornahm, dass 
ausgedehntere Kältewirkungen alle Gewebe mehr oder weniger 
zur Degeneration brachten, und nur die elastischen'Fasern nicht 
tangirten. 

Dasselbe fand Melnikow-Raswedenkow bei seinen 
ausgedehnten histologischen Untersuchungen über das elastische 
Gewebe in normalen und pathologisch veränderten Organen. 

Empfindlich erwies es sich eigentlich nur gegen akute, be¬ 
sonders eiterige Entzündungen, bei denen die elastischen Ele¬ 
mente schnell mit den übrigen Gewebselementen zu Grunde 
gingen. Dieses Verhalten gegen entzündliche Infiltration konnte 
er vorzüglich an dem frischen Milzinfarkt beobachten. Im Cen¬ 
trum desselben, wo sich ein chronischer Process abspielt, blieb 
es zu einer Zeit noch völlig intakt, wo es an seiner Grenze, in 
der Infiltrationszone, bereits verschwunden war. 

M e 1 n i k o w [16] hat mit anerkennenswerthem Eifer seine 
Untersuchungen über die verschiedensten Organe ausgedehnt 
und fand besonders bei den drüsigen Organen, dass, wie bei 
physiologischer Atrophie eines Organs, das elastische Gewebe 
auch bei pathologischer Atrophie für Ausgleichung der gestörten 
mechanischen Verhältnisse sorgte und dadurch die Funktion 
der intakt gebliebenen Drüsenelemente erleichterte. 

Er fand sich hiermit in Uebereinstimmung mit den Bonnet- 
schen Theorien, von denen wir sehen werden, dass sie doch nicht 
allzu sehr verallgemeinert werden dürfen. 

Ein System haben nun Melnikow und andere Untersucher 
auffallender Weise gar nicht bei seinen Untersuchungen heran¬ 
gezogen, das ist das Knochensystem. 


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1. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1559 


Trotz vieler und z. Th. klassischer Arbeiten über den 
feineren Bau des Knochens, durfte man erwarten, dass mit Hilfe 
der verfeinerten Technik Punkte eine nähere Aufklärung er¬ 
fahren dürften, über die die Anschauungen noch nicht geklärt 
waren. 

Es war schon früher aufgefallen, dass im Röhrenknochen 
Erwachsener zwar sich elastische Fasern fanden, nicht aber in 
dem von Neugeborenen und ebenso wenig an platten, besonders 
an Schädelknochen. 

In idealem Zusammenhang hiermit musste bei einer er¬ 
neuten Erörterung auch das Vorkommen und die Anordnung 
der elastischen Elemente im Periost herangezogen werden./ 

Die diesbezüglichen Untersuchungen, besonders von Karl 
Schulz [18] unter B o n n e t’s Leitung, ergaben nun, dass in 
der Adventitia der Beinhaut sehr spärlich elastische Fasern sich 
fanden, in enormer Menge, bis fast zu % des Volumens, aber in 
der Fibro-Elastica, während die osteoblastische Schicht wiederum 
von ihnen fast verschont war. 

Die letztere verschwand aber bei dem wachsenden Menschen 
immer mehr auf Kosten der Fibroelastica. 

Im Röhrenknochen des Neugeborenen fehlte nun auch bei 
den elektiven Färbemethoden jede Spur von elastischen Fasern, 
ebenso wie im Periost der Schädelknochen beim Neugeborenen; 
sie traten erst allmählich auf im Röhrenknochen, sowie im 
Periost der Schädelknochen beim Wachsenden. 

Diese Resultate dienten zur wichtigen Stütze der Bon net¬ 
sehen Anschauungen, dass das Auftreten der elastischen Fasern 
in erster Linie bedingt sei durch die von Nachbarorganen 
(Muskelbündeln, Sehnen, Faseien) her wirkenden Druck- und 
Zugkräfte. Das Auftreten der Elastica erst in dem Schädel¬ 
periost Erwachsener sollte im Zusammenhang stehen mit den 
erst im extrauterinen Leben sich geltend machenden Zug¬ 
wirkungen des Musculus epicranius auf die Galea aponeurotica 
und durch diese auf’s Periost. 

Auffallend blieb nun freilich der von der Struktur des 
Knochens, namentlich in Bezug auf seine Lamellen, unabhängige 
Verlauf der elastischen Fasern. 

Die pathologischen Befunde hatten nun auch schon Grund 
dazu gegeben, besagte Theorie nicht als absolut, oder wenigstens 
nicht in allen Fällen als zu Recht bestehend ansehen zu lassen. 

So könnte man z. B. das Auftreten der elastischen Fasern 
in der verdickten Intima der Arterien sehr wohl auf den Blut¬ 
druck beziehen. Aber wir sehen auch elastisches Gewebe in der 
Intima erscheinen, wenn der Blutdruck gänzlich ausgeschaltct 
ist, zwischen 2 Ligaturen und bei der Organisation eines obtu- 
rirenden Thrombus. Auch das Vorkommen der elastischen 
Fasern in Geschwülsten zeigte merkwürdige Verschiedenheiten, 
denn ein Fibrom der Haut, ein derbes Keloid sind dem äusseren 
Druck und Zug viel mehr ausgesetzt, als ein Myom des Uterus, 
und doch finden wir in diesem regelmässiger und reichlicher 
elastische Fasern als in jenen. 

Derartige Zweifel stiegen mir nun ebenfalls auf, als ich [19] 
bei Transplantationen von Periostlappen getödteter Thiere 
zwischen die Muskeln lebender, welche Versuche ich aus bio¬ 
logischen Fragestellungen betr. des Zelllebens vornahm, als 
Nebenbefund sah, dass in der von dem transplantirten Periost 
ausgehenden Gewebsneubildung regelmässig mehr oder weniger 
reichlich elastische Fasern auftraten. Teil war schon damals 
der Meinung, dass zu dieser Neubildung durch Zug oder Druck 
keine Veranlassung vorliege. 

Durch diese Befundo wurde ich nun angeregt, der Ent¬ 
wicklung der elastischen Fasern auch unter normalen Verhält¬ 
nissen im Knochen nachzuforschen. Ich hoffte um so eher eine 
eventuelle Aufklärung über den Einfluss von äusseren oder 
inneren mitwirkenden Kräften auf den Verlauf und die Ge¬ 
staltung der elastischen Fasern zu erhalten, als ja bekannt ist, 
dass die feinere Knochenstruktur und Knochenfasem in mathe¬ 
matischer Weise durch die Funktion des Knochens beeinflusst 
wird. 

Ich kann hier nicht näher auf die Lehre von der Trans¬ 
formation der Knochen eingehen, wie sie nach der Culmann- 
schen Entdeckung der Uebereinstimmung des Richtungsverlaufes 
der Bälkchen der spongiösen Region der Knochen mit den Rich¬ 
tungen der Spannungstrajektorien der graphischen Statik von 
•Julius Wolff in konsequenter Weise auch für die pathologischen 
Knochenveränderungen nachgewiesen ist. Wer einmal derartige 

No. 40. 


Knochenfourniere oder ihre Reproduktionen 'studirt, wird gerne 
einen Schritt weiter gehen und zugestehen, dass es wahrschein¬ 
lich sein dürfte, dass dieselben Wechselbeziehungen auch bei 
anderen Gebilden des Organismus sich abspielen. 

So hat z. B. Wilhelm Roux an der Schwanzflosse des Del¬ 
phins thatsächlich gefunden, dass die Struktur dieser das¬ 
selbe für das Bindegewebe darstellt, wie die Oberschenkelhals¬ 
struktur für das Knochengewebe, und daher gleich dieser ihre 
Entstehung nur der direkten funktionellen Selbstgestaltung des 
Zweckmässigen verdanken kann. 

Des Ferneren zeigte Roux, dass die beiden Hauptfaser¬ 
systeme des Trommelfells, das radiäre und circulare denjenigen 
Richtungen entsprechen, welche bei den Schwingungen desselben 
die stärkste Dehnung auszuhalten haben. 

Wenn ich nun kurz 1 ) über meine Versuche berichten darf, 
so beschloss ich, Frakturen bei geeignetem Material anzulegen 
und dann in den verschiedensten Zeitabschnitten die ver¬ 
schiedenen Phasen der Knochenentwicklung, des Verhaltens des 
Periostes und der elastischen Fasern in beiden nach Möglichkeit 
unter Erhaltung der totalen Topographie zu studiren. 

Als Material wählte ich möglichst junge Kaninchen, war 
aber natürlich durch äussere Umstände beeinflusst; dieselben 
spielten eine Rolle schliesslich auch bei der Wahl der Fraktur¬ 
stellen. Ich habe nun die verschiedensten Knochen frakturirt: 
Rippen, Scapula, Oberarm- oder Beinknochen, vorzüglich suchte 
ich aber auch einen Radius oder eine Ulna zu brechen, so 
dass der nebenlaufende Knochen eine natürliche Schiene bildete. 
Da sich die Heilungen auch auf längere Zeitdauer ausdehnen 
sollten, konnten verschiedene Thiere auch mehrmals der Osteo¬ 
klasie unterzogen werden. 

Das so gewonnene Material ist dann später gehärtet, Ent¬ 
kalkt, eingebettet und geschnitten worden, wobei allerdings der 
Umstand collidirte, dass man einmal ganze Situationsschnitte 
zu haben wünschte, dass aber besonders bei einem zu spröden 
Material darunter die absolute Dünnheit der Schnitte leiden 
musste, welche aber gerade für die W e i g e r t’sche Tinctions- 
methode, wie überhaupt für das Studium, doch sehr er¬ 
wünscht ist. 

Von den Resultaten möchte ich nun soviel mittheilen, dass 
man zunächst bei den jüngeren Frakturen, wenn der ganze 
Knochen komplet durchbrochen war, meist, wenigstens an einer 
Seite, eine vollständige Zerreissung der Fibroelastica findet. Die 
Fasern derselben sind oft auseinan-lergezerrt wie die Reiser 
eines Besens. Dies mag einmal ein mechanischer Effekt durch 
die sprengenden Fragmente sein, dann aber spielen Blutextra¬ 
vasate eine Rolle und schliesslich wohl die grösste die sehr bald 
einsetzende Proliferation der Zellen der Fibroelastica und der 
Osteoblastenschicht. Diese drängen sie immer weiter aus¬ 
einander, so dass sich durch den neuen Gallus oft in ganzer Aus¬ 
dehnung Fasern zerstreut finden, ohne dass eine Gesetzmässig¬ 
keit zu finden war. Auffallend schien es mir in zwei Präparaten, 
dass die Fibroelastica deutlich wie in zwei Portionen sich schied, 
die eine Portion lag dicht der alten Corticalis auf, auf diese 
baute sich ein spindelförmiger Callus von osteoider Struktur 
und über diesen hinweg zog sich die zweite Portion als ein nicht 
so compakter, aber doch deutlicher Streifen hin. Ob es sich hier 
um eine Zweitheilung handelt oder ob die äussere Schicht eine 
Neubildung ist, war noch nicht genau zu sagen. 

Unmöglich wäre das letztere nicht, denn namentlich bei 
recht alten Frakturen konnte man sehen, dass dort, wo sich ein 
neuer Ansatzpunkt eines Muskelbündels fand, sei es durch ein 
verschobenes Fragment oder durch Knochenneubildung, sich 
sehr zahlreiche Fasern an dom neuen Fixationspunkt gebildet 
hatten. Am schönsten sah ich es in einem Fall, wo Radius und 
Ulna mit einander verwachsen und zwischen ihnen ein spitzes, 
völlig eingeheiltes Knochenfragment sich weit in die Musculatur 
schob. In dem 8 Monate alten Präparat zogen nun von diesem 
Knochenvorsprung eine solche Unzahl feinster Fäserchen zu 
und zwischen die benachbarten Bindegewebs- und Muskelpartien, 
dass man es am besten mit einem Strahlenbüschel vergleicht. 

Was mir auffiel, war nun, dass sich die feinen, anscheinend 
jungen regenerirten Fasern nicht nur in dem äusseren Callus 
fanden, sondern ich konnte sie einmal auch im inneren Knochcn- 
markcallus finden. Von einer Versprengung von Periosttheilen 


') Eine ausführliche Publikation erfolgt später. 

2 


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1560 


No. 40. 


MUENCI1ENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


konnte nach der ganzen Configuration der Fraktur nicht die 
Rede sein. 

Ziehe ich das Facit aus meinen bisherigen Untersuchungen 
über das Knochenwachsthum, so ist in einem Theil der Form¬ 
bildungen der elastischen Elemente sicherlich festzustellen, dass 
sie sich besonders reichlich dort finden, wo eine Festigung und 
gewisse Stabilität der neuangeordneten Gewebstheile erwünscht 
erscheint. Andererseits aber finden sich auch an Stellen neu¬ 
gebildete Gewebsfascrn, wo von den erwähnten Momenten keine 
Rede ist. 

Die Frage nach der Herkunft dieser Fasern führt uns zum 
Schluss zu der generellen Frage der Entstehung der neuen 
elastischen Fasern. 

Da scheint nun eine Bedingung für das Zustandekommen 
der Regeneration die zu sein, dass das neue elastische Gewebe 
fast immer von dem alten auszugehen pflegt und mit diesem in 
gewisser Verbindung steht. Für die Hautnarbe habe ich diese 
Verhältnisse ausführlicher besprochen; dieselbe Erscheinung 
tritt nun auch an den Arterien auf. Der Befund von elastischen 
Fasern in manchen Geschwülsten hat die Vermuthung entstehen 
lassen, dass die Neubildung der jungen Fäserchen von den 
elastischen Fasern der Gefässe ausgehe. Ich glaube eine neue 
Stütze für die Möglichkeit einer derartigen Entstehung gefunden 
zu haben in dem Vorkommen von Fasern in dem Markcallus. 
In dem Knochenmark sind die einzigen elasticaeführenden Ge- 
webselemente die feinen Gefässe und ich glaube, einen gewissen 
Zusammenhang zwischen beiden haben finden zu können, das¬ 
selbe darf ich von meinen Befunden der betreffenden Elemente 
im Granulationsgewebe wohl annehmen, wofür mir vorläufig 
allerdings der direkte Nachweis fehlt. 

Sehliessen möchte ich nun meine Ausführungen nicht, ohne 
noch der in neuester Zeit speciell von Jores [20] gemachten 
Beobachtungen zu gedenken, dass man nicht nur bei der embryo¬ 
nalen, sondern auch bei der regenerativen Entwicklung des 
elastischen Gewebes junge elastische Fasern den Zellen so dicht 
anliegen findet oder sie so umspinnen sieht, dass man unwill¬ 
kürlich an einen engeren Zusammenhang zwischen beiden denken 
muss; es wäre möglich, dass das Netzwerk der späteren elasti¬ 
schen Fasern ursprünglich ein cellulares wäre. Darüber müssen 
aber erst weitere Untersuchungen Klarheit schaffen, ehe man 
sich ein definitives Urthcil gestatten kann. 

Literatur: 

1. llanvie r: Technisches Lehrbuch der Histologie, über¬ 
setzt von N i c o t i und W y s s. Leipzig 1888. — 2. Weigert: 
Merkel's und Bonnet's Ergebnisse der Anatomie und Entwick¬ 
lungsgeschichte. 111. Bd., 1804. — 3. Kölliker: Gewebslehre. 
I. Bd., p. 118, 1889. — 4. Iirüper: Zur Kasuistik des Aneurysma 
aortae abd. Dissert., Greifswald 1807. — 5. Triepel: Anatom. 
Hefte von Merkel und Bonnet, I. Abth., 7. Bd. — 6. Manchot: 
Virchow’s Arch. 121. Bd., 1800. — 7. Thoma: Festschrift der 
Magdeburger medic. Gesellschaft. 1808. —■ 8. Jores: Ziegler’s 
Beitr., 27. Bd. — 0. Jores: Ziegler's Beitr., 24. Bd., p. 467. — 
10. Jacobsthal: Zur Histologie der Arteriennaht. Brun's 
Beitr. zur kliu. Chirurgie, 27. Bd., 1000. — 11. Jores: Ziegler's 
Beitr. 27. Bd., 1000, p. 388. — 12. M. B. Schmidt: Virehow’s 
Arch., 125 Bd., 1801. — 13. Ledd erbose: Volkmanu’s Samm¬ 
lung lclin. Vorträge, No. 121. — 14. Enderlen: Deutsch. Zeit¬ 
sehr. f. Chir., 45. Bd. — 15. Friedr. Schulz: Dissert., Bonn 1803. 

— 16. R i s e h p 1 e r: Ziegler’s Beitr., 28. Bd., 1900. — 17. Meinl- 
k o w: Ziegler's Beitr., 26. Bd. — 18. Karl Schulz: Das elastische 
Gewebe des Periosts. Dissert., Giessen 1805. — 19. B. Gr oh 6: 
Die Vita propria der Periostzellen. Virchow’s Arch. 155. B<1., 1898. 

— 20. Jores 1. c.: Verhandl. der Deutsch, patholog. Gesellseh. 
III. Bd., 1900. 


Aus der Heidelberger chirurgischen Klinik (Direktor: Geheim¬ 
rath Prof. Dr. C z e r u y.) 

Ueber einen Fall von tumorartiger Hyperostose des 
Schädels.-) 

Von I)r. A r li o hl Schiller, Assistenten der Klinik. 

Tn dem letztverflossenen Semester hatten wir Gelegenheit, 
einen sehr eigenartigen Fall von Sehiidelmissbildung zu be¬ 
obachten, dessen Veröffentlichung nicht- nur als Beitrag zu der 
bisher noch recht spärlichen Casuistik des Leidens, sondern auch 
desswegen geboten erschien, weil er auch auf die Pathogenese 
der noch wenig bekannten Krankheit vielleicht noch einiges Licht 
zu werfen vermag. 

*) Nach einer Demonstration in der medlcinlscheu Sektion des 
N'aturhlstor.-medicin Vereins zu Heidelberg am 16. Juli 1901. 


Es handelte sich um einen 30jälirigen Friseur, der die Klinik 
zur Behandlung einer elastischen Strictur, die auf dem Boden einer 
seit 7 Jahren bestehenden Gonorrhoe sich entwickelt hatte, auf¬ 
suchte. Dabei wurde als Nebenbefund eine sehr auffällige Dif- 
formitüt des Schädels gefunden, bezüglich derer die Anamnese 
und Untersuchung Folgendes ergab: 

Der Patient stammt von gesunden Eltern. Der Vater lebt, 
die Mutter starb nach der 4. Niederkunft au Klndbettfleber. Für 
eine hereditäre Lues waren keinerlei Anhaltspunkte zu ermitteln. 
In der Familie sind Knochenleideu nicht vorgekommen. Nur ist 
in dieser Hinsicht die spontane Angabe des Patienten von Inter¬ 
esse, dass das 4. Kind seiner Eltern, ein Knabe, der in Stelsslage 
nicht ganz durch Extraktion entwickelt werden konnte, zerstückelt 
werden musste, weil der abnorm stark entwickelte Brustkorb des 
Kindes ein absolutes Geburtshinderniss abgegeben habe. Die 
übrigen Entbindungen seiner Mutter seien spontan erfolgt. Nur 
bei ihm selbst, dem 2. Kinde, war der Schädel so abnorm gross 
und difform, dass die Zange angelegt werden musste. Diese ab¬ 
norme Schädelbeschaffenheit nahm in der Folgezeit mit fort¬ 
schreitendem Wachsthum mehr und mehr zu. Die Beschwerden, 
die dadurch verursacht wurden, bestanden in rascher Ermüdbar¬ 
keit bei geistiger Anstrengung, während sonst die Intelligenz und 
Auffasungsgabe eine normale war, und vor Allem in heftigen 
drückenden Kopfschmerzen, die erst im 19. Jahre verschwanden, 
zu derselben Zeit, als das Schädelwachsthum beendet war. — 
Sonstige Störungen oder Erkrankungen, speziell des Knochen¬ 
systems, bestanden nicht. Am Ende des 1. Lebensjahres lernte 
Patient laufen. Der Zahnwechsel vollzog sich ganz ungestört. 
Störungen seitens der Hirnnerven und im Bereiche des Gesichts-, 
Geruchs- und Geschmackssinnes haben nie bestanden. Niemals 
hat der Kranke an epileptischen oder anderen Krampfanfällen 
gelitten. Soldat ist er wegen seiner Schädelmissbildung nicht ge- 
Avesen. 



Fig. 1. 


Was nun den objektiven Befund betrifft, so fällt bei dem 
Patienten vor Allem die eigenartige Schädelbildung auf. Der 
Schädel macht sowohl bei der Betrachtung von vorn (Fig. 1) als 
im Profil (Fig. 2) einen 
ausserordentlich plum¬ 
pen Eindruck. Dabei 
besteht eine starke 
Asymmetrie zu Un¬ 
gunsten d er linken 
Seite (Fig. 3). Auf¬ 
fallend ist zunächst 
das starke Ilervor- 
treten der Stirn, be¬ 
sonders der Augen¬ 
brauenbögen, gegen 
welche das Gesicht 
etwas zurückzutreten 
scheint. Verstärkt wird 
dieser Eindruck noch 
durch die Veränderung 
an den Processus ju- . 
gales des Stirnbeins, 
von denen besonders 
der rechte eine fast 
hühnereigrosse. vor¬ 
nehmlich nach der . 

Temporalseite, aber 
auch noch deutlich 
nach der Fossa lacrymalis entwickelte, breitbasige, glatte, knochen¬ 
harte GeschAVulst hervorgehen lässt, über die stark geschlängelt 
die Art. temporalis emporzieht. Das Vortreten der Stirn und ihre 
Verbreiterung verleiht dem Gesicht in der That etwas an die Facies 



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1. Oktober 1901. 


MUENOHENER MEDICI NISCHE WOCH ENSC H RI FT. 


leouina Erinnerndes. Nicht minder auffüllig präsentire» sich die 
Parietalin, besonders das rechte. Beide erscheinen sehr verdickt 
und tragen, dem Tuber parietale entsprechend, einen knochen¬ 
harten, breitbasig aufsitzenden, flachen Tumor, dessen Oberfläche 
nur wenig vortretende Unebenheiten aufweist. Der Umfang der 
rechtsseitigen Knochengeschwulst entspricht etwa dem einer 

Mannsfaust, der der 
linken dem eines Gans¬ 
eies. Die Verbindungs- 
niihte sind von der 
Knochen-Neubildung 
f reigeblieben. Auch 
das Hinterhauptbein 
ist. stark verdickt, 
springt weit hervor 
und trägt in seinem 
Schuppeut heil, rechts 
wieder auffälliger wie 
links, 2 flache, median 
zusammentiiessende 
Erhebungen. Die Linea 
nuchae ebenso wie die 
l’rotuberantia oceipi- 
talis externa springen 
dadurch stark hervor. 

Bei einer tiefen 
Narkose zur Erweite¬ 
rung der Striktur fiel 
das enorme Schiidel- 
gewiclit. das etwa das 
Doppelte eines nor¬ 
malen Kopfes betragen 
Fig. 3. [mochte, auf. Um ein 

f annäherndes Urtheil 

iii>er das Schädelgewicht des Fatienten im Vergleich zu dem eines 
normalen ausgewachsenen Menschen zu gewinnen, wurde der Kopf 
in Rose Facher Lage über die Tischkante herabhangen gelassen 
und sein Gewicht unter Vermeidung jedes aktiven Druckes auf 
einer Haushaltungswange bestimmt. Bel mehrfachen Wägungen 
eines normalen Kopfes bei einem etwa gleich grossen Erwachsenen 
ergab sich das Schüdelgewicht stets zwischen 2 und 2i/ s kg, wäh¬ 
rend es bei unserem Kranken stets zwischen 5 und 5 «4 kg 
schwankte, also Uber das Doppelte betrug. Selbstverständlich 
können die Ergebnisse dieser Art der Schädelgewichtsbestimmung 
am Lebenden nur einen relativen Werth beanspruchen. Der Per- 
kussionsschnll ist über den erwähnten stark hervorragenden Par¬ 
tien des Schädels, der sich dabei übrigens nirgends als empfindlich 
erweist, viel heller. Die Weichtheile am Kopf sind nicht verändert 
und zeigen überall normale Dicken- und Verschieblichkeitsver¬ 
hältnisse. 

Die Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen ergibt, am deut¬ 
lichsten in 8agittaler Richtung, dass es sich bei den Vorsprüngen 
am Schädel, z. B. an den Farietalieu, keineswegs etwa um Aus¬ 
buchtungen einer normal dicken oder gar verdünnten Schädel¬ 
kapsel handelt, sondern um eine wirkliche Verdickung derKnochen- 
substnnz. Denn der dem Gehirn entsprechende Schatten geht in 
die Ausladungen nicht hinein. 

Der Horizontalumfang des Schädels beträgt 61 ein. Der 
bitemporale Durchmesser misst 13 cm, der biparietale 17,5 cm, die 
Verbindungslinie zwischen den beiden lateralsten Punkten der 
Augenhöhlenränder 13 cm, die Entfernung von der Ginbella zum 
vorspringendsten Punkte des Hinterhauptbeins beträgt 22 cm. 
Die Asymmetrie der beiden Schädelhälften kommt am besten zum 
Ausdruck in dem Unterschied der Bogenlänge von der Horizontalen 
zur Saglttalnaht über die Scheitelhöcker hinweg; dieselbe beträgt 
rechts 18 y 2 , links 17 cm. 

Sehr auffällig gegenüber der abenteuerlichen Gestaltung des 
Hirnschädels ist die durchaus normale Bildung des Gesichts¬ 
schädels. Die Kiefer sind wohl gebildet, die Gaumenplatte nicht 
abnorm gewölbt, Stellung, Zahl und Form der ausnehmend gut 
erhaltenen Zähne oben wie unten völlig normal. Die Nasengänge 
sind bis auf eine geringe Verengerung des linken unteren Nasen¬ 
ganges durch mässige Cristabildung gut durchgängig, das Rachen¬ 
dach normal gebildet. Die Jochbeine spriugeu nicht stark vor; 
die Gehörgänge sind frei von Exostosen. Das Röntgenbild zeigt 
die pneumatischen Höhlen der Gesichtsknochen, auch des Stirn¬ 
beins, in normaler Form und Ausdehnung. 

Klinische Symptome der Schädeldlfformltät, wie Druckerschei¬ 
nungen seitens des Gehirns oder der Hirnnerven, bestehen gegen¬ 
wärtig nicht Die Bulbi sind nicht vorgetrieben, weisen völlig 
normalen Augeuspiegelbefund und keine gröbere Bewegungsstörung 
auf. Jedoch lässt sich bei Anwendung von Prismen konstatlreu, 
dass in der Mittellinie gleichnamige Doppelbilder von % Kerzen¬ 
breite seitlichem Abstand entstehen, der bei der Blickwendung 
nach oben aussen bis auf 2 Kerzenbreiten zunimmt. 

Am ganzen übrigen Skeletsystem bestehen weder pnlpatorisch 
noch im Röntgenbilde irgend welche Verbildungen, Exostospn, Ver¬ 
krümmungen etc.: nur nm Metacarpale des rechten kleinen Fingers 
finden sich die Residuen einer vor Jahren mit geringer Dlsloeatlon 
verheilten Fraktur. Hände und Füsso sind normal gebildet und 
nicht vergrössert. 

An den übrigen Organen sind mit Ausnahme einer gering¬ 
gradigen rechtsseitigen Spltzenschrumpfung und der erwähnten 
elastischen Strictur der Urethra mit chronischer Gonorrhoe und 
periurethraler Fistelbildung keine pathologischen Veränderungen 
nachweisbar. Die Schilddrüse hat normale Form und Grösse. 


1561 

Fragt, man nun, wie dieser eigenartige Befund zu deuten 
ist, so kann es kaum zweifelhaft sein, dass es sich hier um einen 
jener ausserordentlich seltenen Fälle von Hyperostose der Schädel¬ 
knochen handelt, und zwar speeiell von tumorartiger Hyperostose. 

In der letzten zusammen fassenden Bearbeitung des Gegen¬ 
standes durch M. Sternberg 1 ) werden die Hyperostosen der 
Schiidelknoehen in 2 getrennten Gruppen abgohandelt, nämlich 
als diffuse und tumorartige Hyperostose. Während von der 
ersteren 16 Fälle in der Literatur niedergelegt sind, dürfte die 
Zahl der letzteren schwerlich ein Dutzend überschreiten. Andere 
neue Autoren, wie z. B. Heinoke 1 ) oder Schuchardt 3 ) 
fassen beide Gruppen zusammen. 

Bei der diffusen Hyperostose werden die Knochen des Ge- 
siehtssehüdels und der Schädelkapsel von der Verdickung mehr 
gleichmütig befallen, zeigen zwar eine rauhe Oberfläche, die aber 
frei ist. von stärkeren Exostosen. Der Schädel wird ausserordent¬ 
lich schwer, plump und ungefüge, die Höhlen im Schädel, die 
Durchtrittslöcher der Nerven und oft auch der Gefiissc, werden 
stark verengt. 

Die tumorartige Hyperostose dagegen ist dadurch charakteri- 
sirt, dass auf den diffus hyperostotisehen Knochen sieh meist 
flache, breitbasig innen wie aussen aufsitzende Exostosen ent¬ 
wickeln. Beide Formen der Hyperostose scheinen manchmal nicht 
nur auf dio Schädelknochen beschränkt zu sein, sondern können 
sich auch auf andere Theile des Skclctsystems. besonders Wirbel- 
säule und untere Extremitäten, erstrecken. 

Von einem ITebergreifen des Leidens auf andere Skelet- 
absebnittc ist in unserem Falle, wie die. Röntgenuntersuchung 
lehrte, keine Rede; aber gerade im Hinblick auf die Möglichkeit, 
dass es sich um die lokale Aeusserung einer ursprünglich all¬ 
gemeineren Disposition des Knochensystems handeln könne, er¬ 
scheint die Angabe, dass bei einem jüngeren Bruder die abnorme 
Entwicklung des Thorax zum absoluten Geburtshinderniss wurde, 
von nicht unerheblichem Interesse. 

Die Symptome des Leidens lassen sieh aus den anatomischen 
Befunden anstandslos erklären und setzen sich zusammen ein¬ 
mal aus den Symptomen der Raumbeschriinkung in der Hirn-, 
Augen- und Nasenhöhle, ferner aus denen der Kompression von 
Nerven und Gefässen durch Verengerung der Durchtrittslöcher an 
der Schädelbasis und schliesslich aus der mechanischen Behinde¬ 
rung der Nahrungsaufnahme durch Deformirung der Kiefer. 

Die verminderte Kapazität der Himkapsel iiussert sieh in den 
Erscheinungen des chronischen nimdrueks. Kopfschmerzen, 
Apathie, Schläfrigkeit,, epileptiforme Konvulsionen, selbst aus¬ 
gesprochene Geistesstörungen sind darauf zurück zuführen. Es 
sind aber auch, so z. B. von Buhl *), Fälle beschrieben worden, 
wo die Verengerung des Schädelraumes lange Jahre fast sym- 
ptomenlos ertragen wurde. In unserem Falle sind klinische Sym¬ 
ptome dieser Art nur während der Zeit bis zum Abschlüsse des 
Wachsthuma in Gestalt heftiger, andauernder Kopfschmerzen 
und rascher geistiger Ermüdbarkeit zu Tage getreten, haben aber 
seitdem völlig sistirt. 

Die durch Verengerung der Orbitalhöhlen zu Stande kom¬ 
menden Erseheinungen bestehen zumeist in Exophthalmus und 
Motilitätsstörungen, zu denen sieh durch Opticuskompression 
Sehstörungen bis zu völliger Blindheit gesellen können. Aus 
dieser Symptomengruppe finden sieh in unserem Falle nur die 
geringen, oben erwähnten Motilitätsbosehränkungen. 

Von den Folgen einer Verengerung der Nasenhöhle, wie be¬ 
hinderter Nasennthniung. Anosmie etc., ist bei unserem Patienten 
nichts zu konstatiren, ebenso wenig von Gehörsstörungen, Läh¬ 
mungen oder Neuralgien im Bereiche der Gehimnervon oder von 
abnormen örtlichen Kreislaufsverhältnissen, wie sio die Ver¬ 
engerung der Durchtrittslöcher an der Schädelbasis mit sich 
bringt. 

Bezüglich der Pathogenese des Leidens in unserem Falle 
ist nun die bestimmte Angabe des Kranken sehr interessant., dass 
die Sehädeldifforniitiit schon lx-i seiner Geburt bestanden und 


*) M. Sternberg: Vegeta tionsstönmgen und System- 
erkrnnkungen der Knochen. Notlinagel’s Handbuch. Bd. VIT. 1899. 

*) H e 1 n e k e: Die chirurgischen Krankheiten des Kopfes. 
Deutsche Chir.. Bd. 31, png. 172. 18,82. 

*) Schuchardt: Die Krankheiten der Knochen und Gelenke. 
Deutsche Chir.. Bd. 28. pag. 225. 1839. 

*) v. Buhl: Mittheilungen aus dem pathologischen Institut zu 
München. Stuttgart 1878. S. 301. 

2 * 


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3562 


MUENCIIENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


sogar ein Geburtshinderniss gebildet habe, und dass sie seit dem 
Ende der Wachsthumsperiode zum Stillstand gekommen sei. 
Es liesse sich ja daran denken, dass der ganze Zustand durch ein 
Verharren des Schädels in der intra partum entstandenen Con- 
figuration zu erklären sei. Dem widerspricht aber die Thatsache, 
dass an den Nähten keine Verschiebung der Knochenränder 
gegeneinander besteht. Auch springt gerade das Occiput stark 
vor, statt gegen die Parietalia zurückzutreten, wie man nach der 
Form des Schädels, die am ehesten an die bei 1. Schädellago 
durch plattes Becken zu Stande kommende erinnert, erwarten 
sollte. Bisher ist übrigens nur ein einziger kongenitaler Fall 
von Breschet 8 ) bei einem 18 Monate alten Kinde beschrieben 
worden. 

Sehr bemerkenswert!! ist es, dass an der Difformität bei 
unserem Patienten die rechte Seite viel stärker betheiligt ist als 
die linke. Dass der Schädel, wie der Körper überhaupt, meist 
nicht ganz symmetrisch gebaut ist, und zumeist die rechte Seite 
etwas überwiegt, ist ja eine oft gehörte Thatsache, und auch 
für die pathologischen Formen der einseitigen Hypertrophien 
haben Trelat und Monod") festgestellt, dass fast stets die 
rechte Seite betroffen ist. Gerade im Hinblick darauf ist es 
nun interessant, dass bei unserem Falle die einzelnen Knochen¬ 
auswüchse jeweils der Gegend eines Knochenkerns entsprechen. 
Am Stirnbein entspricht die Lage des Tumors dicht hinter dem 
Processus jugalis dem Knochonkern des hinteren unteren Stirn¬ 
beinwinkels, am Parietale deckt sich das Centrum der Exostose 
etwa mit dem Hauptknochenkern im Tuber parietale, am Occiput 
findet sich die Hauptentwickelung der Hyperostose entsprechend 
den beiden Knochenkernen der Interparietalia. Aus diesen Lage¬ 
beziehungen der Hyperostosen zu den Knochenkernen liesse sich 
aber nun nicht nur ihr Ueberwiegen auf der ja schon normaliter 
meist präponderirenden rechten Seite leichter verstehen, son¬ 
dern auch die Thatsache, dass die weitere Entwickelung der 
Schädcldifformität mit dem Ende des physiologischen Wachs¬ 
thums zum Stillstand kam. Wir würden damit für die Patho¬ 
genese in unserem Falle ungezwungen zu der Auffassung ge¬ 
führt, dass die Hyperostosenbildung hier bedingt sei durch eine 
excessive Funktion der physiologischen Verknöcherungseen treu 
des Schädels. 

Zu differentialdiagnostischen Zweifeln könnten bei der vor¬ 
liegenden Form von tumorartiger auf die Hirnschädelknochen 
beschränkter Hyperostose, von der, nebenbei bemerkt, Fischer 7 ) 
einen ganz analogen Fall anatomisch beschreibt und abbildet, 
nur die Krankheitsbilder, wie sie durch Rachitis, Lues, Akro¬ 
megalie und die Osteitis deformans von Paget verursacht 
werden, Anlass geben. 

Rachitis und Lues lassen sich sowohl wegen der in dieser 
Richtung absolut negativen Anamnese, wie wegen des objektiven 
Befundes an Skelet, Zähnen, Augen etc. ohne Weiteres aus- 
scliliessen. Gegen Rachitis spricht schon das Angeborensein des 
Leidens. Akromegalie ist einmal desshalb, dann aber auch wegen 
der fehlenden Veränderungen an Händen und Füssen, an den 
Kiefern und den Gesichtsweichtheilen auszuschliessen. Schwie¬ 
riger könnte die Abgrenzung gegen Ostitis deformans erscheinen, 
die ganz ähnliche Formen von Schädeldifformität zu erzeugen 
vermag. Aber bei der Krankheit von Paget handelt es sich 
nie um angeborene, sondern stets um erworbene, und zwar meist 
erst jenseits des 40. Lebensjahres erworbene Zustände, und 
ausserdem pflegt sie typisch auch das übrige Knochengerüst, be¬ 
sonders Wirbelsäule und untere Extremität zu ergreifen. Wir 
glauben desshalb mit Recht, unseren Fall als tumorartige Hyper¬ 
ostose auffassen zu dürfen, wenn er auch durch die Beschränkung 
auf die Knochen der Schädelkapsel und durch die intrauterine 
Anlage etwas Exceptionelles besitzt. 

Die Prognose des Leidens wird im Allgemeinen als schlecht 
angesehen. Bei unserem Kranken kann sie wohl mit Rücksicht 
auf die schon 11 Jahre anhaltende Remission günstiger gestellt 
werden. Immerhin erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass 
unter dem Einflüsse irgend eines der sonst für die Krankheit als 
aetiologisch bedeutungsvoll angesehenen Reize, wie Trauma, ent- 

s ) Breschet: Hyperostose du eräne chez un enfant de 
dixhuit mois. Acnd6mie de medecine, 28. janv. 1834. 

*) Trölat et Monod: De riiypertropliie unilaterale ou to¬ 
tale du corps. Areh. gfm. de Mödeclne. Mal—Juni 1809. Ref. 
Virchow- Hirsch. 1809. I. pag. 174. 

0 Fischer: Der Riesenwuchs. Deutsche Zeitschr. f. Chlr., 
Bd. 12, pag. 57. 


zündliche Fluxion etc., die latente Disposition zur Hyperostoseu- 
bildung wieder aufflammen und zu einem neuen Schube des 
Leidens führen könnte. 

Schliesslich sei noch erwähnt, dass therapeutische Indi¬ 
kationen bei unserem Kranken gegenwärtig nicht zu erfüllen 
sind. Beim Eintritt stärkerer Raumbeschränkung in den Höhleu 
des Schädels könnten eventuell operative Maassnahmen in Frage 
kommen, wie ja z. B. von englischen Chirurgen, theilweise mit 
Erfolg, der Versuch gemacht worden ist, bei primärer Erkran¬ 
kung der Kiefer durch Resektion derselben ein Fortschrei teil 
der gefährlichen und entstellenden Affektion zu verhindern. 

Meinem hochverehrten Chef, Herrn Geheimrath Czerny, 
sage ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank für 
die Ueberlassung des Falles. 


Aus der Universitäts-Ohrenklinik zu Tübingen. 

Ein durch Operation geheilter Fall von Gehirnabscess 
im Schläfenlappen nach chronischer Mittelohreiterung. 

Von Dr. Hölscher, 

Kgl. Württemb. Oberarzt, kommandirt zur Universität Tübingen. 

Den bisher in der Literatur bekannt gewordenen Fällen von 
Heilung otitischer Grosshirnabscesse dürfte sich auch der nach¬ 
folgende, den ich im Laufe des Sommersemesters 1901 zu operiren 
Gelegenheit, hatte, mit einiger Berechtigung anreihen lassen. 

Krankengeschichte. 

Julius H., 18 Jahre. Taglöhner von Raidwangen. Aufge¬ 
nommen 17. VI. 1901. 

Anamnese. Ursache und Dauer der Ohreiterung un¬ 
bekannt. Vor einem halben Jahre Ist Blut aus dem rechten Ohr 
geflossen, seitdem ist erst das Vorhandensein einer Eiterung be¬ 
merkt worden. Seit 5 Tagen leidet Patient an Schmerzen im 
Hinterkopf und in der Stirn, es soll auch Fieber mit Schüttel¬ 
frösten bestanden haben. Vor 2 Tagen ging Patient wegen dieser 
Beschwerden zum Kassenarzt, welcher eineu grossen Polypen aus 
dem Gehörgang mit der Schlinge entfernte. Gestern trat 4 mal 
Erbrechen ein, es bestand Fieber, starkes Kopfweh und Schwindel. 
Patient hat bis vor 3 Tagen als Erdarbeiter beim Bahnbau ge¬ 
arbeitet. 

Status: Patient macht einen benommenen Eindruck. Puls 
114, Körperwärme 38.5°. Als subjektive Beschwerden werden 
Stlmkopfsehmerzen, die bis In den Scheitel ausstrahlen, angegebeu. 
Pupillen gleich weit, reaglren beiderseits gleichmässig auf Licht¬ 
einfall, kein Nystagmus. Im Gehörgang stinkender Eiter, die Tiefe 
wegen Vorbauchung der hinteren Wand unübersichtlich. Warzen¬ 
fortsatz unverändert. Flüsterzahlen werden rechts nicht gehört, 
WebeT nach rechts. Links trübes glanzloses Trommelfell. 

Nachmittags 5 Uhr 30 Min. Puls 84. sehr gespannt. Körper¬ 
wärme 38,9°. Die Halsschlagadern sind beiderseits stark gefüllt 
und pulsiren stark. Die Stirnkopfschmerzen sind heftiger ge¬ 
worden. Patient klagt über Nackenschmerzen, die Nackenwirbel 
sind druckempfindlich, der Kopf wird stark nach rückwärts ge¬ 
bogen. Die Benommenheit hat ebenfalls zugenommen. 

0 Uhr 30 Min. Radikaloperation (Dr. Hölscher). Aetlier- 
narkose, Asepsis. Hautschnitt hinter dem Ansatz der Ohrmuschel, 
oben bogenförmig, unten schräg nach hinten über die Warzen¬ 
spitze auslaufend. Der Knochen ist aussen ganz unverändert, von 
der hinteren knöchernen Gehörgangswand aus führt eine Fistel 
nach hinten ln grosse Kuochenhöhlo. Der äussere Knochen ist 
dick, hart und ganz sklerosirt. Nach ausgedehnter Abtragung 
liegt eine grosse mit schön perlmutterglänzenden Massen gefüllte 
Cholosteatomhöhle vor. welche von der Paukenhöhle an nach vorn? 
das ganze Felsenbein einnimmt und vielfach nusgebuebtet Ist. Die 
Dura der mittleren und hinteren Schüdelgrube, sowie der Sinus 
■werden auf kleine Strecken freigelegt, alle erscheinen ganz normal. 
Ueberall starke Knochenblutungen. Keine Fistel von der Pauken¬ 
höhle oder den vorderen Partien der Cholesteatomhöhle aus zu 
finden. Wegen der zunehmenden Dunkelheit muss von einen! 
weiteren Eingehen abgestanden werden. Spaltung der hinteren 
Wand. .Todoformgazetaniponade. trockener Verband. 

18. VI. Eine mässige Temperatursrteigerung dauert noch au. 
Abends 38,4 Puls 90—94. mittelkriiftig. nicht mehr gespannt. 
Augenspiegelbefund (Dr. Grunert) normal. 

Die Stirnkopfschmerzen dauern an. die Nackenschmerzen sind 
zurückgegangen. Klagen über Sehwindelgefülil. Stuhlverhaltuug. 
auf Einlauf Entleerung. 

19. VI. Anhaltende mässige Temperaturstelgerung. 38.3 bis 
38.7°. Puls Vormittags 100—110. nicht ganz regelmässig. Abends 
84 Schläge in der Minute. Klagen über Stimkopfschmerzen. 
die bis in die Augen ausstralilen. Nystagmus liorizontalis nach 
links. 

20. VI. Körperwärme 38,2—38.7°. Puls 96—100. Stirnkonf- 
Rclimerzen dauern au. Leichte Faclalislilhnuing, im Gebiet der 
Mundzweige. 

Verbandwechsel. Wunde gut. Sekretion gering, ln der Tiefe 
der Paukenhöhle noch Cholesteatommasseu. 


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1563 


1. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Abends Klagen über Nackenschmerzen. Stuhlgang nur auf 
Einlauf. 

21. VI. Patient hat eine sehr schlechte Nacht gehabt. Klagen 
über Schwindel und heftige Stirnkopfschmerzen. Morgens 38,7 °, 
Puls GO. Augeuspiegelbefund (Dr. Grunert) normal. Mittags 
wird auch über Zunehinen der Nackenschmerzen geklagt. 

Die FaclallsUihmung ist nahezu zurückgegangen. 

Nachmittags 4 Uhr Operation (Dr. Hölscher). Aether- 
narkose. Asepsis. 

Bei Herausnahme der Tampons entleert sich aus der Tiefe 
der Wundhöhle vom Dach der Paukenhöhle her eine Menge 
jauchigen Etters. Vom Dach der Pnukenhöhle aus führt eine 
Fistel nach aufwärts in eine grosse Abscesshöhle. Abtragung der 
oberen Felsenbeinkante bis an die hintere Umrandung der Fistel 
und deT angrenzenden Theile der Scliliifenbeinschuppe mit Meissei 
und Zange. Die vorliegende Dura ist stark gespannt, die Gefiisse 
sind stark gefüllt, jedoch ist die Färbung der Dura nicht ver¬ 
ändert. . Die Dura und der vorliegende erweichte Temporallappen 
werden von unten nach oben gespalten, wobei sich massenhaft 
Eiter und nekrotische Gehirnmassen entleeren, der Abscess reicht 
vom Dach der Paukenhöhle an etwa 3 cm nach oben. Sofort nach 
Eröffnung und Entleerung des Abscesses tritt eine auffallende Puls¬ 
beschleunigung ein, die Pulszahl steigt Anfangs über 150 und geht 
dann nach einiger Zeit auf etwa 100 zurück. Vorsichtiges Austupfen 
der Höhle, welche sich glatt anfühlt, Einführung eines über finger¬ 
dicken Jodoformgazetampons von unten her. Trockener Verband. 

Nach dem Erwachen aus der Narkose wird nur noch über 
geringe Stirnkopfschmerzen geklagt Zeitweise noch etwas 
Schwindelgefühl. Die Nackenschmerzen sind verschwunden, Pat. 
kann den Kopf frei heben und drehen. Willkürliche Urinentleerung. 
Abends 38,0°, Puls 84. 

22. VI. Ziemlich gute Nacht, noch Klagen über Stirnkopf¬ 
schmerzen. Im Ganzen fühlt sich Patient aber wohler wie gestern. 
Morgens 38,5°, Abends 38.0®. Puls 80, ziemlich schwach. 

23. VI. Morgens 38,0°, Puls 100. Patient hat fast die ganze 
Nacht geschlafen und fühlt sich wohl und schmerzfrei. Verband¬ 
wechsel, Wundöffnung frei durchgängig, mässige Eiterentleerung. 
Einführung eineB starken Drainrohrs, feuchter Verband. 

24. VI. 38,0®, Puls 86—90, etwas unregelmässig. Aus der 
Abscesshöhle geringe übelriechende Elterentleerung. Die OefTnung 
der Abscesshöhle erscheint etwas enge und Ist nur schwer durch¬ 
gängig- 

Jodoformgazetamponade, feuchter Verband mit essigsaurer 
Thonerde. Allgemeinbefinden gut, keine Schmerzen. Patient sitzt 
auf und bewegt den Kopf frei. Abends auf Einlauf Stuhl¬ 
entleerung. 37,8 ®. 

25. VI. In der Nacht starkes Kopfweh, heute früh keine 
Schmerzen. 37,8®, Puls 90, mittelkräftig. Beim Verbandwechsel 
entleert sich aus der Abscesshöhle unter Pulsation ziemlich viel 
Eiter. Einführung eines mit Jodoformgaze umwickelten Drain¬ 
rohrs, feuchter Verband. Mittags 37,7 ®. Patient hat keine 
Schmerzen, Ist aber sehr schwach. Augenspiegelbefund normal 
(Dr. Grunert). 

G Uhr Abends. 37,5®, Puls 6G. Seit 2 Uhr hat Patient sehr 
heftige Stirnkopfschmerzen, so dass er häufig laut schreit. Klagen 
über Schwindel und Augenschmerzen. Die auf morgen früh be¬ 
absichtigte Erweiterung des Eingangs der Abscesshöhle wird dess- 
halb sogleich vorgenommen. 

7 Uhr Abends Operation (Dr. Hölscher). Bromaerthyl, 
Chloroformnarkose. Asepsis. Mit dem Finger wird die Abscess¬ 
höhle vorsichtig abgetastet, sie erweist sich nls glattwandig ohne 
Ausbuchtungen. Von hinten unten her verhindern der stark ge¬ 
spannte Rand der Dura und die noch vorspringende Knochenleiste 
einen freien Abfluss des sich dort etwas einsenkenden Sekretes. 
Wegkneifen des überstehenden Knochenrandes mit der scharfen 
Zange, feuchte Tamponade mit essigsaurer Thonerde, feuchter 
Verband. Dauer der Narkose 20 Minuten. Nachher Puls 66, 
mittelkräftig. 

26. VI. Die Nacht verlief ziemlich gut, nur zeitweise etwas 
Kopfschmerzen. Morgens 37,6°, Puls 84, ziemlich schwach. Tat. 
ist heute überhaupt etwas matt und hinfällig. Verbandwechsel. 
Mässige Eiterung. Trockener Verband. Nachmittags nach längerem 
Schlaf Allgemeinbefinden besser, reichliche Nahrungsaufnahme. 
Zum ersten Male spontane Stuhleutleerung. Abends dreimal 
wässeriger Durchfall. Opium. 

37,7", Puls 86, mittelkräftig. 

27. VI. Patient hat ln der Nacht bis 3 Uhr gut geschlafen, 
von da ab heftige Kopfschmerzen. Gegen Morgen Erbrechen, 
worauf die Schmerzen nachlassen und ruhiger Schlaf eintrltt, 
welcher bis Mittag andauert. Morgens 37,2 ®, Puls 84. 

Nnch dem Aufwachen noch Klagen über leichtes -Kopfweh 
und Augenschmerzen. Patient schläft wieder bis gegen 5 Uhr, 
nachher Klagen über stärkere Kopf- und Augenschmerzen. Ver¬ 
bandwechsel, ziemlich viel Eiter. Trockene Jodoformgazetampo¬ 
nade. Abends 37,5®, Puls 78, mittelkräftig. Um 8 Uhr Puls 60, 
schwach und unregelmässig. Klagen über heftige Stirnkopf¬ 
schmerzen und Augenschmerzen. Eisbeutel, Eiercognac. 2 mal 
Stuhlentleerung von breiiger Beschaffenheit. 

28. VI. Verlauf der Nacht gut. Morgens 37,4 ®, Puls 78, mittel¬ 
kräftig. Patient schläft beinahe den ganzen Vormittag und ist 
beim Aufwachen schmerzfrei. Normale Stuhlentleerung. Abends 
Puls 90, schwach und unregelmässig. 37,4®. Heftige Kopf- und 
Augenschmerzen. Morphium 0,015 per os. Eiercognac. 

So 40 


29. VI. Bis 3 Uhr Nachts Andauer der Schmerzen, von dann 
ab konnte Patient ruhig schlafen. Heute Früh schmerzfrei. 37,3®. 
Puls 102, ziemlich kräftig. Verbandwechsel. Ziemlich starke 
Sekretion. Die Abscesshöhle ist ziemlich klein geworden. In die 
Felsenbeinhöhle hängt ein nekrotisirender Gehirnvorfall herein. 
Trockner Verband. 

30. VI. Gute Nacht ohne Schmerzen. 37,3. Puls 80. Keine 
Kopf- und Augenschmerzen mehr. Patient sieht heute wieder 
besser aus. Verbandwechsel. Mässige Sekretion von dem nekrott- 
sirenden Gehirnvorfall. Entfernung der abgestossenen Massen. 
Feuchter Verband. 

2. VII. In der Nacht etwas Kopfschmerzen. Verbandwechsel. 
Der Gehirnvorfall pulslrt. Temperatur normal. Allgemeinbefinden 
gut Keine Kopfschmerzen. 

6. VII. Keine Schmerzen oder Beschwerden mehr. Die Wunde 
reinigt sich gut. Der Gehirnvorfall verkleinert sich durch fort¬ 
schreitende Nekrose. Täglich feuchter Verband. Pntient steht 
y 2 Stunde auf. 

10. VII. Patient steht täglich 1—2 Stunden auf. Unter 
feuchten Verbänden fortschreitende Reinigung der Wunde. Von 
den Rändern her gute Granulationen. 

16. VII. Der ganze Prolaps ist mit guten Granulationen be¬ 
deckt. Trockene Verbände. Patient ist den ganzen Tag auf. 

Wie so häufig hatte die schon jahrelang bestehende Mittel¬ 
ohreiterung trotz der Grösse des Cholesteatoms so wenig Be¬ 
schwerden gemacht, dass ihr Vorhandensein erst vor verhältniss- 
mässig kurzer Zeit bemerkt wurde. 

Bei der ersten Untersuchung war die Aufnahme einee 
Trommelfellbefundes wegen der starken Vorbauchung der hinteren 
Wand nicht möglich, ein sicheres Urtheil über die Art des zu 
Grunde liegenden Krankheitsprocesses war also unmöglich. Der 
Warzenfortsatz war äusserlich unverändert, Symptome für eine 
intrakranielle Komplikation fehlten vollständig. Und doch 
machte Patient einen so benommenen und schwerkranken Ein¬ 
druck, dass man das Vorhandensein einer schwereren Komplika¬ 
tion, über deren Art bei dem Fehlen ausgesprochener Erscheinungen 
allerdings nur Vermuthungen gehegt werden konnten, annehmen 
musste. Im Laufe des Nachmittags verschlimmerte sich der Zu¬ 
stand beträchtlich, die Stimkopfschmerzen wurden heftiger und 
Nacken schmerzen mit Nackenstarre traten noch hinzu. Bei 
steigender Temperatur verringerte sich die Zahl der Pulsschläge, 
der Puls wurde hart und gespannt, der Herzstoss war in Rücken¬ 
lage des Patienten deutlich sichtbar und auch die Halsschlag¬ 
adern zeigten in ihrem ganzen Verlauf die gleiche Spannung 
und Ueberfüllung, wie die Radialis. In der Hoffnung, einen 
nach dem Befund an der Basis anzunehmenden Eiterungsprocess 
durch einen Eingriff noch aufhalten zu können, entschlossen wir 
uns, noch Abends zu operiren. Der Befund bei der Operation 
erschien trotz der Grösse des Cholesteatoms nicht ausreichend 
zur Erklärung der Erscheinungen, jedoch war nirgendwo eine von 
der Cholesteatomhöhle ausgehende Fistel zu finden und die frei¬ 
gelegten kleinen Sinus- und Durapartien erschienen völlig normal. 
Aufschluss musste der Verlauf der nächsten Tage bringen. Auf’s 
Gerathewohl weiter vorzugehen, erschien nicht angezeigt, be¬ 
sonders, da nach Eintritt der Dunkelheit eine ausreichende Be¬ 
leuchtung nicht zur Verfügung stand. 

Bis auf das Aufhören der Nackenschmerzen brachte der Ein¬ 
griff keine Besserung der subjektiven Beschwerden, auch die 
Temperatur blieb erhöht, dagegen nahm die Spannung des Pulses 
ab und seine Frequenz wurde der Temperatur entsprechend. Die 
Kopfschmerzen, ausgesprochene einseitige Stirnkopfschmerzen, 
steigerten sich von Tag zu Tag, Schwindelgefühl und Schmerzen 
in den Augen kamen hinzu, am 2. bezw. 3. Tage nach der Opera¬ 
tion traten Nystagmus horizontalis naoh links und Nacken¬ 
schmerzen auf. Durch die zu diesen Symptomen am 4. Tag noch 
hinzutretende Pulsverlangsamung wurde das Vorhandensein einer 
intrakraniellen Komplikation zur Gewissheit gemacht, jedoch 
war bei dem Fehlen ausgesprochener Herdsymptome eine Diffe¬ 
rentialdiagnose über Art und Sitz derselben unmöglich. Die 
geringe Temperatursteigerung sprach eher für einen Abscess 
als für eine Meningitis, ebenso war eine Sinusthrombose aus- 
zuschliessen. Das Fehlen einer Stauungspapille bei mehrfachen 
Untersuchungen durch Privatdocent Dr. Grunert, der 
ständige Stirnkopfschmerz und die wieder auftretenden Nacken- 
schmerzen sprachen am meisten für eine Lokalisirung in der 
hinteren Schädelgrube 1 ). Allein die heftigen Augensehmerzen 
konnten für einen Process in der mittleren Schädelgrubc, bezw. 


*) Die Freilegungen von Dura und Sinus waren so klein, dass 
hiervon das Auftreten oder Verschwinden einer Stauungspapille 
nicht abhängig gemacht werden konnte. 


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3564 


MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


im Schläfenlappen gedeutet werden. Der Verbandwechsel am 
3. Tage hatte keinen Anhaltspunkt für die Lokalisation der Er¬ 
krankung gegeben. 

Es wurde desshalb beabsichtigt, zuerst die hintere Schädel¬ 
grube durch Wegnahme der hinteren Felsenbeinwand zu er¬ 
öffnen, um einen extraduralen oder Kleinhirnabscess aufzusuchen, 
und im Falle der Befund dort negativ sein würde, gegen die 
mittlere Sckädelgrubo bezw. den Schläfenlappen vorzugehen. 

Bei Herausnahme des Tampons wurde allen Zweifeln über 
die Lokalisation ein Ende gemacht und die Diagnose gesichert: 
Durch eine Fistel im Dach der Paukenhöhle entleerte sich eine 
Menge jauchigen Eiters und die Sonde führte in eine grosse 
Abscesshöhle; es bestand also ein Abscess in der mittleren 
Schädelgrube, wahrscheinlich im Schläfenlappen. Die einzige 
Schwierigkeit für die Freilegung des Abscesses bildete jetzt noch 
der Umstand, dass sich der Abscess mehr nach innen, als wie 
nach aussen zu im Schläfenlappen ausgedehnt hatte, dass also 
nach aussen zu eine breite Schicht unveränderter Gehimsustanz 
vorlag. In Folge dessen wurde der Abscess hauptsächlich von der 
Basis her, wo die Gehirnrinde schon erweicht und zum Theil 
nekrotisch war, froigelegt und eröffnet. Sofort nach Entleerung 
des Abscesses erfolgte in Folge des Aufhörens des starken Ge¬ 
hirndrucks eine kolossale Beschleunigung der Pulsfrequenz, von 
60 stieg die Zahl der Pulsschläge Anfangs auf über 150 und ging 
dann langsam auf etwa 100 wieder zurück. In den nächsten 
Tagen stellte sich heraus, dass die Knochenresektion, die nicht 
übermässig gross gemacht worden war, um einen Prolaps des 
Gehirns zu verhindern, und die Abscessöffnung nicht ausreichend 
waren, weeshalb eine Erweiterung vorgenommen wurde. Nach¬ 
dem jetzt ein freier Abfluss für den Eiter geschaffen war, liessen 
die Schmerzen völlig nach und Patient erholte sich rasch. Aller¬ 
dings trat jetzt ein ziemlich grosser Geliirnprolaps ein und die 
Anfangs geschonte, nach vorne liegende Rindenpartic wurde 
nekrotisch. Jedoch war der sonstige Erfolg ein so guter, dass 
man dies als kleineres Uebel wohl mit in den Kauf nehmen 
konnte. Bis zum 16. VI. hatte sich die Abstossung der nekro¬ 
tischen Gehimpartien vollendet, es lag jetzt nur noch eine mässig 
vorgewölbte, mit guten Granulationen bedeckte Wundflüche vor. 
Der Gehimprolaps war ganz unempfindlich, wie auch das Aus- 
tamponiren der Abscesshöhle, abgesehen von einem massigen 
Schmerzgefühl in der Stirn, keine Schmerzen machte. 11 Tage 
nach der letzten Operation war Patient bereits so gekräftigt, 
dass er mit dem Aufstehen beginnen konnte. Irgendwelche 
Störungen oder Schädigungen sind, wie auch eine eingehende 
Untersuchung in der psychiatrischen Klinik am 18. VII. be¬ 
stätigte, weder als Folge des Abscesses noch des Prolapses zu¬ 
rückgeblieben. 

Begünstigende Momente für die Entstehung des Gehim- 
abscesses waren hier der Polyp im Gehörgang und die Dicke und 
Härte des Knochens, welche einen Eiterabfluss und einen Durch¬ 
bruch nach aussen erschwerten, bezw. unmöglich machten. Der 
Abscess ging hier wie gewöhnlich plötzlich aus dem Latenz¬ 
stadium in das Terminalstadium über; wenn es nicht gelungen 
wäre, ihn rechtzeitig zu entleeren, wäre zweifelsohne der tödtliche 
Ausgang bald erfolgt. Ohne die vorhergegangene Radicalopera- 
tion wäre auch ein Durchbruch in die Cholesteatomhöhle kaum 
möglich gewesen. 

Trotz der Grösse des Gehirnabscesses war, wie durch mehr¬ 
fache Untersuchungen durch Privatdocent Dr. G r u n e r t kon- 
statirt wurde, eine Stauungspapille nicht vorhanden. Dieses 
Verhalten steht in Uebereinstimmung mit unseren sonstigen Be¬ 
obachtungen. Bei sämmtlichen im Laufe der letzten IV 2 Jahre 
durch Dr. G runert untersuchten Fällen von Gehirnabscessen, 
Sinusthromboscn und extraduralen Abscessen fand sich ein ein¬ 
ziges Mal eine Stauungspapille. Nach unseren Erfahrungen ist 
also 1. eine Stauungspapille nur sehr selten zu konstatiren, und 
2. sohliesst das Nichtvorhandensein einer solchen auch eine sehr 
ausgedehnte intrakranielle Affektion nicht aus. Von dia¬ 
gnostischer Bedeutung ist also nur der positive Befund, während 
das Nichtvorhandensein einer Stauungspapille diagnostisch nicht 
verwendbar ist. 

Die bakteriologische Untersuchung ergab das Fehlen spe- 
eifischer pathogener Bactericnarten. Unter den gewachsenen 
\rten überwog der Proteus vulgaris. 


Als Fehler muss ich es bezeichnen, dass bei der Hauptopera¬ 
tion am 21. V. nicht gleich eine ausreichende Eröffnung des Ab- 
scesscs vorgenommen wurde. Abgesehen von einem. 1896 von 
Prof. Hofmeister in der chirurgischen Klinik operirten Fall 
von Gehimabscess im Schläfenlappen, ist der vorstehende der 
einzige in der Klinik geheilte otitische Gehimabscess. Alle 
übrigen haben bisher einen unglücklichen Ausgang gehabt. 

Herrn Prof. Dr. Wagenhäuser möchte ich auch an 
dieser Stelle meinen ergebensten Dank für die Ueberlassung der 
Fälle aussprochen. 

Den Herren Dr. Döraeny, Volontärarzt am pathologischen 
Institut, Dr. Michel, einjährig-freiwilligem Arzt vom hiesigen 
Gamisonslazareth, und cand. med. Schütz bin ich für freund¬ 
liche Assistenz zu Dank verpflichtet. 

Dor weitere Verlauf des Falles war ein sehr guter. Bis An¬ 
fang September war die grosso Operationswunde vollständig aus¬ 
geheilt, so dass nur noch eine kleine pulsirende Narbe hinter dem 
Ansatz der Ohrmuschel übrig geblieben ist. Patient ist wieder 
völlig arbeitsfähig geworden. 


Diplococcus semilunaris, ein Begleiter der Tuberkulose. 

Von Edwin Klebs in Hannover. 


Der oben bezeichnete Organismus begegnete mir im Laufe 
der letzen 3 bis 4 Jahre so häufig als ein Begleiter der Tuber¬ 
kulose, dass er vielleicht schon au&. diesem Grunde Beachtung 
verdient, zumal sich unschwer pathogene Eigenschaften desselben 
auch im Thierexperiment na^weisen lassen. Neben den Dann- 
bacterien, dem Kolonbaeillus, dem B. aerogenes, dem B. parvu« 
recti, der vielleicht mit dem B. clavatus Kruse identisch ist und 
den zahlreichen muciparen Formen und Proteusarten, welche 
man so häufig auf den Tonsillen Tuberkulöser antrifft, deren 
Hautkultur vernachlässigt wurde, ist der Diplococcus semilu¬ 
naris wohl der häufigste und scheint mir, dass sehr Vieles, was 
als Staphylococcus albus oder auch als Streptococcus der Mund¬ 
höhle und des Auswurfes bezeichnet worden ist, in den Formen¬ 
kreis dieser Art gehört. Wenn man durch ausreichende Desinfek¬ 
tion der Mundhöhle und der Aftergegend, wozu ich gewöhnlich 
Chinosol verwende, diese Bacillen zum Schwinden bringt, bleibt 
der Diplococcus semilunaris gewöhnlich in Reinkultur auf den 
Tonsillen übrig und gestattet sein reicheres oder spärlicheres 
Vorkommen nicht selten einen Schluss auf die Widerstandsfähig¬ 
keit der Patienten gegenüber der causalen TC-Behandlung. 
Sein spärliches Vorhandensein in günstigeren Fällen ist mir ein 
Beweis für eine gute Widerstandsfähigkeit der Gewebe, während 
sein reichliches Vorkommen diesen für den Heilvorgang un¬ 
entbehrlichen Faktor als mindestens zweifelhaft erscheinen 
lässt. Alles Uebrige, so namentlich die Verbreitung des tubercu- 
lösen Processes gleich gesetzt, ergibt dieser Befund eine gewisse, 
nicht unerwünschte Prognose für die TC-Wirkung. Sind die 
Diploooocen sehr zahlreich vorhanden, so steht eine Fiebersteige¬ 
rung auf TC zu erwarten und ist man nicht selten genöthigt, mit 
der immunisirenden Substanz, dem Tuberkelprotein, die kausale 
Behandlung einzuleiten. 

Es gilt dies nicht nur für die Lungentuberkulose, sondern 
auch für Knochen- und Gelenktuberkulosen, bei welchen letzteren 
nach Schwund der tuberkulösen Bildungen gern Diplococcen- 
Abscesse auftreten. Endlich wird er auch bei allen Toxitubereu- 
liden der Haut in letzterer in reicher Entwicklung gefunden. 
Aber auch ausserhalb des tuberkulösen Processes ist sein Vor¬ 
kommen im menschlichen Körper kein seltenes, so z. B. in ent¬ 
zündlichen Gelenkaffektionen, in denen er vielleicht von 
P o y n t o n und P a y n e (Chelsea Clinical Society, 17. März 
1901; Münch, med. Wochenschr. No. 30, S. 1231) gesehen worden 
ist. Ich habe ihn schon vor mehreren Jahren in der Punktions¬ 
flüssigkeit eines Kniegelenks von einem Kinde gesehen. Ob er 
mit den englischen Autoren als der Erreger der rheumatoiden 
Gelenkaffektionen aufzufassen ist, will ich dahingestellt sein 
lassen, doch ist dies nicht unwahrscheinlich, wenn man sich der 
zahlreichen rheumatoiden Beschwerden erinnert, an denen Tuber¬ 
kulöse leiden, bei denen allerdings überwiegend Muskeln und 
Periost in Mitleidenschaft gezogen werden, seltener die Gelenke, 
wenn dieselben nicht gleichzeitig tuberkulös erkrankt sind. Audi 
für die Katarrhe der Harnblase kommt er in Betracht, was bei 
einem Organismus, der den ganzen Körper mit Leichtigkeit 
durchwandert, nicht auffallen kann. 


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3. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Endlich sei noch erwähnt, dass er in dem Körper unserer 
Stubenfliege ausserordentlich häufig vorkommt und zwar vor¬ 
zugsweise in dem vorderen Theil des Darmtraktus, während ich 
ihn in den Faeces derselben vermisste. Am leichtesten gewinnt 
man ihn rein aus dem zerdrückten Kopf der Stubenfliege. 

Der Diplococcus semilunaris bildet auf Glycerinagar (5 Proc.) 
entweder nur sehr feine, durchscheinende, hellbräunliche Herde 
oder etwas grössere und dann in auffallendem Licht mehr weiss- 
lich erscheinende runde Kolonien, die bei einer Grösse von 
1—2 mm einen centralen dunkleren Fleck zeigen, der etwas stärker 
hervorragt und eine leicht wellige Beschaffenheit des Randes 
zeigt. Die Herde liegen nur lose der Oberfläche auf und schmel¬ 
zen nur langsam zusammen, dünne, durchscheinende Streifen 
bildend, die am Ende und den Rändern in einzelne Coccenhaufen 
sich auflösen, wenn es sich um kleinere Formen der Doppelkörper 
handelt, während die grösseren, mehr weisslichen Herde in ihrer 
verdickten Mitte stets grosse Doppelkörper enthalten. Die letz¬ 
teren fehlen übrigens auch in den kleinen Herden meist nicht 
gänzlich, sind hier vielmehr nur in geringerer Anzahl vorhanden, 
umgeben von kleineren Formen. 

Alle Doppelkörper bestehen aus 2 Halbmonden, welche durch 
einen schmalen Spalt getrennt sind. Bei starker Entwicklung 
entstehen scheinbare Tetraden, indem der Doppelkörper senk¬ 
recht zur ersten Theilung sich abermals theilt. Indem indess 
diese Theilstücke sich wieder zur ersten Theilungslinie senkrecht 
abrunden, kommt nur sehr vorübergehend das Bild einer Tetrade 
zu Stande, ganz im Gegensatz zu dem Tetragenus, den ich als 
pathogenen Parasiten schon seit langer Zeit kenne. Auch er¬ 
reicht der letztere niemals die Dimensionen der grossen Doppel- 
körper des Semilunaris, welche bis nahezu 3 Mikra senkrecht 
zur Theilungslinie heranwachsen, in der Querrichtung etwas 
weniger messen. Die kleinsten Formen der Doppelkörper dürften 
kaum 0,6 Mikra messen. Liegen sie in einfacher Schicht neben¬ 
einander, so werden sie stets durch helle Zwischenräume ge¬ 
trennt, doch gelang es nicht, diese Zoogloea färberisch darzu¬ 
stellen. 

Zum Unterschiede von dem W eichseibau m’schen 
Meningocoocus und dem N e i s s e Fschen Gonococcus findet sich 
der Diplococcus semilunaris nur extraoellulär, wie er sich auch 
durch die wechselnde Grösse der Doppelkörper von diesen unter¬ 
scheidet. Von dem T a 1 a m o n - F r a e n k el’schen Pneumo- 
coccus unterscheidet er sich gleichfalls durch die letztere Eigen¬ 
schaft, wie auch durch den grösseren Durchmesser in der Rich¬ 
tung der Theilungsebene. 

Als Färbemittel dient am besten eine 2 proc. Lösung von 
Safranin T, das unter leichtem Erwärmen ihn in sehr kurzer Zeit 
intensiv braun färbt, eine Färbung, welche ich Herrn Prof. O 11 
von der Hannoverschen Thierarzneischule verdanke, welcher den 
gleichen Organismus bei gewissen schweren Erkrankungen der 
Pferde beobachtet hat, die unter eigenthümlichen Schwäche¬ 
zuständen schnell zum Tode führen. Auch bei Tuberkulösen 
treten, wenn er reichlich vorhanden ist, namentlich in den Lymph- 
drüsen, hochgradige Schwächezustände auf, selbst in Fällen, 
in denen der tuberkulöse Process unter TC-Behandlung sehr be¬ 
deutend zurückgebildet ist. 

Dieser Organismus ist jodecht, indess nur theilweise, wess- 
halb ich die Bezeichnung der Grammethode vermeiden möchte. 
Der Farbstoff wird nämlich nach der Jodbehandlung bei nach¬ 
folgender Alkoholbehandlung nur theilweise zurückgehalten, und 
zwar ist es die braune Färbung, welche schwindet, während eine 
schöne rosenrothe Färbung bald mehr, bald weniger hartnäckig 
den Doppelkörpem anhaftet. Ich wende, um diese Verhältnisse 
rasch darzustellen, eine Modifikation der Grambehandlung an, 
welche darin besteht, dass ich das getrocknete Deckglaspräparat 
ein- oder zweimal mit 5 fach verdünnter Lugollösung, der eine 
gleiche Quantität Alkohol, 95 proc., zugesetzt ist, für wenige 
Sekunden übergiesse, dann mit Wasser spüle und sofort in 
Wasser untersuche oder noch weiter mit reinem Alkohol behandle. 
Bald erscheint dieser letztere unwirksam, bald nimmt er aber 
noch einen Theil der rosenrothen Farbe fort. Abgestorbene 
Coccen in älteren Kulturen verlieren gänzlich die Farbe im 
Alkohol. Es lässt sich demnach annehmen, dass überhaupt eine 
Abschwächung der Lebensthätigkeit die Lösung dieses Theils des 
Farbstoffes oder der Verbindung von Farbstoff und Bacterien- 
plasma begünstigt. Die grossen Doppel-, bisweilen auch einfache, 


1565 


noch ungetheilte Körper von mehr als 1,3 Mikren Durchmesser 
halten die Farbe fester, als die kleineren Formen und treten um 
so deutlicher hervor, als die letzteren weiter entfärbt werden. Mit 
Hinblick auf diese grössere Resistenz könnte man sie als Dauer¬ 
formen bezeichnen, zumal sie auch chemischen Einwirkungen 
länger widerstehen. 

Nun bleibt noch eine bemerkenswerthe Wuchsform zu er¬ 
wähnen, welche einen scheinbaren Polymorphismus dieses Diplo¬ 
coccus bedingt. Wenn seine Entwicklung eine sehr lebhafte ist, 
so bildet er Haufen oder Platten, die, aus der wiederholten Thei¬ 
lung in einer Richtung hervorgehend, eine sehr regelmässige 
streifige Anordnung der Coccen bedingen. Die einzelnen Streifen 
liegen einander parallel, da die Theilung parallel der ersten 
Theilungslinie erfolgt. Ist aber die Entwicklung eine abge¬ 
schwächte, so finden sich nur von einander getrennte Ketten¬ 
formen, welche meist wieder einzelne grosse neben zahlreichen 
kleineren Gliedern auf weisen. Diese letztere Form trifft mau aus¬ 
schliesslich an, wenn von den Tonsillenabstrichen nur sehr 
schwache Entwicklungen ausgehen, die makroskopisch sich als 
äusserst feine Pünktchen und Striche darstellen. Die Strepto- 
form ist in diesem Falle augenscheinlich das Resultat abge¬ 
schwächter Entwicklungsfähigkeit. 

Von den biologischen Eigenschaften dieses Organismus soll 
hier nur eine hervorgehoben werden, welche vielleicht Beziehung 
zu seiner pathogenen Wirkung besitzt, nämlich die imgewöhnlich 
hohe katalytische Leistung, welche denselben gegenüber vielen 
anderen, auch namentlich den so oft ihn begleitenden Darmbnc- 
terien gegenüber auszeichnet.*) Nicht bloss in Kulturen erkennt 
man diese Eigenschaft, sondern auch bei der Anwendung des 
H,0, auf Toxituberkulide der Haut, indem Wasserstoffsuper¬ 
oxyd, welches auf die erkrankte Hautflächo gebracht wird, stark 
schäumt. Es genügt hiezu schon eine 1 proc. Lösung des che¬ 
misch reinen Wasserstoffsuperoxyds, welches jetzt von E. Merck- 
Darmstadt geliefert wird. Erst sehr viel stärkere Lösungen, so 
das unverdünnte II, O, von 30 Volumprocent bewirken Bläschen¬ 
bildung auch in der unversehrten Haut, die aber mehr in der 
Tiefe liegen und kleine, wie es scheint, den Schweissdrüscn- 
kanälen entsprechende Häufchen bilden. Ueber die katalytischeu 
Kräfte der einzelnen Gewebe behalte ich mir vor, später Mit¬ 
theilung zu machen. 

Noch deutlicher tritt die hohe katalytische Kraft des Diplo¬ 
coccus semilunaris hervor, wenn man die Reaktion an einer 
Kultur desselben auf Agar vomimmt. Jede Kolonie bildet bei 
Ueberscliichtung mit H,0. lproc., einen stetig lange Zeit auf¬ 
steigenden Strom von feinen Luftbläschen. Quantitativ lässt 
sich die Wirkung in einem Gasentwicklungsapparat feststellen, 
zu welchem Zwecke ich mich des Apparates von Wagner 
(Ehrhardt & Metzger in Darmstadt) bediene. Danach 
lieferte eine lebende, aber schon ältere Kultur von DC SL in 
flüssigem Nährmedium 2,2 ccm O in 12 Stunden, während die 
sterile Kulturflüssigkeit nach Entfernung der Coccen in der 
gleichen Zeit nur 0,38 ccm O (red. auf 0° und 760 mm Hg) lieferte. 
Die eigentliche und hauptsächlichste katalytische Wirksamkeit 
kommt also den Coccen selbst zu und besteht nunmehr die Auf¬ 
gabe, die wirkende Substanz, welche wahrscheinlich auch den 
eigentlichen Antikörper für den Diplococcus semilunaris darstellt, 
aus den Körpern der Coccen zu gewinnen, worüber später be¬ 
richtet werden wird. Hier sei nur bemerkt, dass eine durch 
Natrium-Bismuth-jodid dargestellte giftfreie Lösung dieses Kör¬ 
pers, welche ich unter dem Namen S e 1 e n i n B ausgegeben habe, 
die gleiche katalytische Kraft zeigte, nämlich 0,38 ccm O in 
12 Stunden entwickelte. 

Pathogene Wirkungen des Diplococcus semi¬ 
lunaris. 

Von den zahlreichen und mannigfach variirten Thiorver- 
suclien will ich hier zunächst einen hervorheben, der, in jeder Be¬ 
ziehung einwandsfrei, die Möglichkeit zeigt, allerdings mit ziem¬ 
lich hoheGaben dcrDCSL eine typische Phlegmone bei einem sonst 
ganz gesunden Thier hervorzubringen, während allerdings kleinero 
Gaben nicht selten unter leichterer oder schwererer Teinpcratur- 
8teigcrung ohne lokale Processo ablaufen. Wir werden Aebn- 
liches auch bei dem Vorkommen desselben Organismus beim 

*) Anmerkung bei der Korrektur. Nur der B. pro- 
digiosus UbertrllTt ihn in dieser Beziehung, Staphylo- und Strepto¬ 
coccen wirken viel weniger zersetzend auf Wasserstoffsuperoxyd. 

3* 


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1566 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


Menschen zu verzeichnen haben und können ausserdem schon hier 
hervorheben, dass diese Verschiedenheit der pathi^cnen Wirkung 
im Wesentlichen von der Lebenskräftigkeit des Organismus ab¬ 
hängt, die allerdings wiederum von dem Nährboden beeinflusst 
sein kann. Die oben angedeuteten morphologischen Verschieden¬ 
heiten des polymorphen Organismus, vielleicht aber auch Sym¬ 
biosen kommen in Betracht, wie dies auch in gleicher Weise für 
viele, bald pathogene, bald scheinbar unschuldige Organismen 
gilt, so namentlich für den Diphtherie- und Pseudodiphtherie¬ 
bacillus. Dasselbe trifft aber auch für die Tuberkulose zu, bei 
welcher R. Koch das in seinen aufsehenerregenden Mitthei¬ 
lungen am Londoner Tuberkulosekongress übersehen zu haben 
scheint. Denn die Uebertragung der menschlichen Tuberkulose 
auf Rinder mit dem Endergebniss, dass bei den letzteren Thieren 
stets wieder die typischen Formen der Rindertuberkulose ent¬ 
stehen, ist von mir schon in den 60 er Jahren (Virchow’s Arch.) 
nachgewiesen worden. 

Der Fall von semilunarer Phlegmone ist der folgende: 2. Juli. 
Ein gelbes Kaninchen von 1200 g Gewicht erhält subkutan injizirt 
an der 1. Thoraxseite 10 ccm einer Aufschwemmung von DC SL 
(Kultur vom 8. Juli, Fr. G. ein mässig schwerer Fall, von der Ton¬ 
sille gewonnen). 37,9 Rect.-Temp. Das Thier wird sehr bald 
unruhig, die Ohren aufgestellt, ihre Gefässe weit, das Thier leckt 
sich. Nach einer Stunde Teinp. rect. 38,9. Ohren heiss, Flanken- 
athmen und Lecken. Am folgenden Tage 5 Uhr Nachm. 39,4. 
Am 14. Früh todt auf gefunden. Sektion: L. Brustseite trockene, 
eiterige Infiltration von phlegmonösem Charakter, von weit aus¬ 
gedehntem Oedem umgeben, das auch auf den Bauch und die 
andere Brustseite Ubergreift. In der Bauchhöhle wenig Flüssig¬ 
keit (Kultur bleibt steril). Milz gleichmässig nach allen Rich¬ 
tungen vergrössert, starr, dunkelblau. Leber mässig gross, braun- 
roth, Nieren stark fettig degenerirt in der Rinde, Mark dunkel- 
roth. Lungen in den unteren Theilen oedematös, auf der r. Seite 
verdichtet und haemorrhagisch. 

Aus der Milz sind am folgenden Tage auf Glycerinagar 
kleinere helle und etwas grössere welssllche Herde gewachsen, 
vorwiegend DC SL, dazwischen einzelne kleine Bacillen, welche 
durch Schotteliu s’sche Strichkulturen leicht ausgeschieden 
werden. Die grösseren Herde enthalten grössere, die kleinen 
kleinere Doppelkörper. Aus der Lunge wachsen dieselben Orga¬ 
nismen, etwas mehr kleine Bacillen, die nicht Jodecht sind. 

Bei schwächerer Infektion, die namentlich tuberkulösen 
Thieren verderblich wird, sind atrophische Zustände der Milz 
und Leber auffällig. Sehr häufig daneben ebenfalls haemor- 
rhagisch-pneumonische Herde, welche den DC SL enthalten, 
meist rein oder gemischt mit einem kleinen Bacillus, auf den ich 
noch als einen sehr gewöhnlichen Begleiter des DS SL zurück- 
komme. 

Bei tuberkulösen Menschen ist, wie schon erwähnt, das Vor¬ 
kommen dieses Organismus ein sehr gewöhnliches, seine reich¬ 
lichere Anwesenheit auf den Tonsillen und im Sputum gibt jeden¬ 
falls eine ungünstigere Prognose und ist eine rein antituberculose 
Behandlung in diesen Fällen nicht immer ausreichend; es muss 
auch gegen den Diplococcus semilunaris eingeschritten werden, 
worüber unten mehr. Hier seien nur solche Fälle erwähnt, in 
denen der letztere auf den Verlauf ganz offenbar bestimmend 
einwirkt. 

Dies ist schon der Fall bei manchen skrophulösen Drüsen¬ 
geschwülsten, welche unter seinem Einflüsse sehr beträchtliche 
Dimensionen annehmen können. Sieht man aber auch von diesen 
extremen Fällen ab, so wird man bei geschwellten Halsdrüsen 
im Kindesalter mit beginnender Spitzeninfiltration nicht selten 
solche Fälle antreffen, in denen einzelne Drüsen, namentlich wenn 
in dieselben Tuberkulocidin injicirt wird, ganz auffallend an¬ 
schwellen. 

In einem solchen Falle (Carl Sch., No. 53 vom 18. Januar d. J.) 
Schwellungen der Nacken- und der jugularen Drüsen rechts, rechts¬ 
seitige Spitzeninflltration mit Rasseln, verstärkter Phonation, 
hauchendem Exsplrium; geringer Auswurf ohne Tuberkelbacillen. 
Dabei aber, trotz guter Ernährung auffallende Müdigkeit, 
geringer Appetit. — Mit allmählich steigenden Dosen von TC 
innerlich behandelt, besserte sich sein Zustand allmählich und 
hatte Pat. am 1. Februar 3 Pfund zugenommen. Doch waren die 
Drüsen wenig zurückgegangen, eine auf der r. Halsseite eher ver¬ 
grössert. In dieselbe wurden im Laufe des Februar 4 Injektionen 
von 0,7 bis 1 ccm TO gemacht, ohne dass eine Verkleinerung er¬ 
zielt werden konnte. Im Gegentlieil vergrösserte sich die Drüse 
und enthüllte damit den nicht oder nicht ausschliesslich tuber¬ 
kulösen Ursprung der Schwellung. Da in anderen ähnlichen 
Fällen diese auf TC-Injektionen mit Schwellung reagirenden 
Drüsen stets erhebliche Beschwerden gemacht hatten und wohl 
als Ausgangspunkt mancher schwereren Zustände betrachtet 
werden konnten (vergl. den folgenden Fall), so entschloss ich mich, 
die Exstirpation vorzuschlagen, die auch beim Beginn der Schul¬ 
ferien ausgeführt wurde (von Herrn Dr. K r e d e 1 am 23. März) 


und den gewünschten Erfolg hatte, dass Pat nicht mehr vou der 
vergrösserten Drüse belästigt wurde. Auch sein Allgemeinbefinden 
besserte sich so sehr, dass er als vollkommen gesunder und kräf¬ 
tiger Jüngling seiner Schulaufgabe nunmehr vollkommen ge¬ 
wachsen ist Am 16. Juni, dem Ende der Behandlung, batte 
Patient ein Gewicht von 100 Pfund, also 9 Pfund zugenommeu 
und sah blühend aus. Ueber den Lungen deutete nur eine leichte 
Verstärkung der Phonation r. v. o. die Stelle der frühereu Er¬ 
krankung an. 

Die herausgenommene Drüse bestand aus einem gleich- 
mä88igen weichen weisslichen Gewebe von feuchter Beschaffen¬ 
heit, wie bei den gewöhnlichen Lymphomen, ohne eine Spur von 
Einlagerungen. Auch mikroskopisch bestand sie durchwegs aus 
kleinzelligem lymphatischem Gewebe, das keine Herde tuberkulösen 
Gewebes, epithelioide Zellmassen, enthielt, ebenso wenig konnten 
Tuberkelbacilleu nachgewleseu werden, was freilich deren Ab¬ 
wesenheit nicht vollkommen sicher stellt Leider wurde ich durch 
äussere Umstände verhindert, mit der Drüsensubstanz Impf¬ 
versuche vorzunehmen. Dagegen Hessen sich kulturell grosse 
Mengen des Diplococcus semilunaris in der Drüse uachweisen, 
während auch in den Glycerin-Agar-Kulturen keine Tuberkel¬ 
bacillen wuchsen. 

Es handelte sich demnach um eine überwiegend lymphatische 
Neubildung, ein Befund, der mit ähnlichen von R. K o c h, P o.n - 
f i c k u. A. erhobenen vollkommen übereinstimmt. Dass derselbe 
keineswegs als Beweis für die nichttuberkulöse Natur der Skro- 
phuloee gelten kann, ist auf der Hand liegend. Sehen wir doch in 
diesem Fall eine, übrigens auf hereditärer Basis beruhende Tuber¬ 
kulose von diesen Lymphdrüsen auf die Lunge übergreifen und 
unter der antituberkulösen Behandlung sich zurückbilden. Der 
Befund beweist eben nur, dass schon in der skrophulösen Drüsen¬ 
affektion auch andere Organismen als die Tuberkelbacillen vor¬ 
handen sein und eine wichtige Rolle spielen können. Die Misch¬ 
infektion tritt schon viel früher ein als die Lungenzerstörung, 
welche man gemeinhin als den Ausgangspunkt derselben be¬ 
trachtet. Die Erfahrungen von Jessen, Grober und vielen 
Anderen nöthigen zu der Annahme, dass die schon früher von 
mir als Lymphdrüsentuberkulose aufgefasste Skrophulose von 
den Tonsillen auf die Halsdrüsen übergreifen kann und dass auf 
diesem Wege, wie gar nicht anders zu erwarten, auch andere 
Keime als Tuberkelbacillen in diese Bahnen eindringen können. 
Es ist wohl nicht als eine zu gewagte Hypothese zu betrachten, 
wenn man annimmt, dass gerade der Diplococcus semilunaris, 
der so häufig auf den Tonsillen gefunden wird, hiebei eine wich¬ 
tige Bedeutung für den lokalen Verlauf gewinnt, indem er den 
Boden für die Weiterentwicklung der Tuberkelbacillen vor¬ 
bereitet. Skrophulose ist demnach für mich Mischinfektion von 
Tuberkelbacillen und dem Diplococcus semilunaris. Dass der 
letztere hiebei stellenweise eine selbständige Bedeutung ge¬ 
winnen kann, ist eine Eigenschaft, welche allen Mischinfektionen 
zukommt. Dieselbe erklärt auch, weeshalb diese Drüsenaffek¬ 
tionen, auch wenn sie reichlich Tuberkelbacillen enthalten, durch 
lokale Eiterungen ausheilen können. Insofern vermag die An¬ 
wesenheit des DC SL unter Umständen einen günstigen Einfluss 
auf den Ablauf der Skrophulo-Tuberkuloee auszuüben. 

Die Bedeutung dieser Halsdrüsenskrophulose ist aber auch 
noch in anderer Beziehung bemerkenswerth, indem es der DC SL 
zu sein scheint, welcher unter Umständen ein Fortachreiten des 
Processes auf die Meningen fördert. Es ist dies namentlich der 
Fall bei derartigen Erkrankungen, welche die obersten dieser 
Drüsen befallen, so namentlich die in dem Unterkieferwinkel ge¬ 
legenen. Ich kenne wenigstens solche Fälle, in denen diese Er¬ 
krankungen chronische, einseitige Meningitiden mit sehr be- 
merkenswerthen HimstÖrungen nach sich zogen, die unter einer 
antituberkulösen Behandlung rückgängig wurden. Ich kann aus 
der letzten Zeit 2 solcher Fälle anführen, bei deren einem ein¬ 
seitiger Kopfschmerz mit Drucksymptomen und Augenerschei¬ 
nungen, bei dem anderen ausgesprochene psychische Störungen, 
wie Platzfurcht, durch antituberkulöse Behandlung gehoben wur¬ 
den. Am deutlichsten aber tritt dieser Zusammenhang in dem 
folgenden, einen ungünstigen Ausgang nehmenden Fall hervor: 

Herr R. D. (No. 70). 38 Jahre alt, verh. Kaufmann, konsul- 
tirte mich am 15. März. War bereits seit einigen Monaten erfolglos 
von einem anderen Arzte an einer fieberhaften Lungenerkrankung 
behandelt worden. Bel der Untersuchung ergab sich in der 
1. Lungenspitze eine deutliche Dämpfung, welche sich auch noch 
auf den 1. Interkostalraum erstreckte. Beiderseits leises hauchendes 
Exsplrium ohne Rasselgeräusche. Phonation (Stimmleitung 
vom Kehlkopf) links abgeschwächt, rechts verstärkt. Das Mikro- 
Telephon zeigte nur links im inneren Drittel (StellungI) des 1. Inter¬ 
kostalraums und rechts im mittleren Drittel des 2. exspiratorlscbe 
Geräusche. 


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1. Oktober 1901. 


MUKNCHENER MKDK'INISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1567 


Phonation und Hauehen schienen aber hier links abge- 
gesehwücht. rechts normal oder verstärkt. Hinten wenig scharf 
begrenzte Dämpfung, links mit deutlichem Ex.spirntionsgeriiusch 
und verstärktem Hauchen. Auch an der Scapulaspitze links neben 
schwacher Respiration deutlich verstärkte Phonation. Rechts 
daselbst nonnales Athmeu, nur Inspirationsgeräusch, Phonation 
schwächer als 1., wohl normal. Auswurf war nicht vorhanden. 
Die Herzaktion normal, ebenso die übrigen Organe. Der Mann 
machte, wohl etwas nervös und mager, den Eindruck energischer 
Leistungsfähigkeit. Da kaum ein Zweifel bestehen konnte, dass 
eine, wie ich annahm leicht zu beseitigende, tuberkulöse Lungeu- 
affektion vorlag, wurde sofort mit der Verabreichung von TC und 
zwar von 5 Tropfen begonnen. Das Temperatur-Mittel ging nach 
der ersten Dose von 37,95 auf 37,87 zurück. Maxima vor der Ein¬ 
nahme 38,7, nach 38,5. Nach der 2. Dosis Mittel 37.G7. Indess 
hielt diese günstige Einwirkung nicht an, nach der 3. Dosis wieder 
38,7 mit maximaler Temperatur von 39,6, nach einer Aufregung am 
folgenden Tage sogar Mittel 39,17, Maximum 39,6 um 6 Uhr Abends 
trotz Aussetzens des TC. Der weitere Verlauf wird am besten 
illustrirt durch die folgende Tabelle, welche oben die mittleren 
Tagestemperaturen, unten die Medicatiou enthält. Man sieht, wie 
bei 0,25 TC und Eupyrin 0,5 zuerst das Tagesmittel fortdauernd 
sinkt und am 11. Tage nach einer Einspritzung von 0.5 TC in die 
stark geschwellte submaxillare Lymphdrüse r. sogar bis auf 37,98 
heruntergeht, dann aber bei Aussetzen des TC und alleiniger An¬ 
wendung von Eupyrin wieder In 3 Tagen bis auf 38,7 ansteigt. 

Tai d Ben andl un%: 



Da es nun klar zu sein schien, dass neben der tuberkulösen 
noch eine andere Infektion den unbefriedigenden Verlauf der 
kausalen TC-Behaudlung bedingte, wurde, nach dem Vorgänge 
eines günstig verlaufenen Falles, der früher publizirt wurde 
(Emil R.i. auch hier eine Kombination der TC-Behandlung mit 
Typhöse versucht. Unter schnell gesteigerten Dosen der letzteren, 
bis 60 Tropfen (3 ccm) Im Tage, gelingt es zwar, auch unter er¬ 
höhten TC- und Tb-Pr-Gabeu (von 8 bis 20 Tropfen) die mittlere 
Temperatur etwas herabzusetzen, indessen blieb das Allgemein¬ 
befinden unbefriedigend, namentlich wollte die Nahrungsaufnahme 
nicht eine genügende Förderung erfahren, ja es bildete sich sogar 
ein anderer, höchst beunruhigender Symptomenkomplex aus. näm¬ 
lich eine Sprachstörung. Pat., der über Kopfschmerzen klagte, 
zeigte einen stellenweise bis auf 60 verlangsamten Puls und eine 
ausgesprochene Sensibilitätsstörung. Am 1. April wird uotirt: 
die allmählich beginnende Sprachstörung macht sich jetzt den 
ganzen Tag über bemerkbar. Pat. ist völlig klaren Geistes, aber 
vermag nur äusserst undeutlich die Worte hervorzubringen. Keine 
Lähmung im Gebiet des Sprachorgans, Zunge, Gaumen frei be¬ 
weglich, nicht abgelenkt. Dabei starke Ilyperaesthesie des Ge¬ 
sichtes beiderseitig, am r. Arm stärker als links. Auch hier keine 
Lähmung, Reflexe erhalten. Keine Veränderung am Auge, nur 
die Pupillen, von mittlerer Weite, reagiren träge. Prof. R e I n - 
hold, mit dem zu dieser Zelt konsultirt wurde, koustatirte noch, 
dass der Augenhintergrund frei war. Ein Hirntumor konnte aus¬ 
geschlossen werden, dagegen musste ein meningealer Process an¬ 
genommen werden. Obwohl ich einen Zusammenhang mit der 
8ubmaxillnreu Lymphdrüse vermuthete, konnten wir uns über die 
Frage der Exstiipation nicht einigen und beschlossen, zunächst 
den weiteren Verlauf abzuwarteu. 

Die allmählich sinkenden Kräfte und die fortschreitende Ab¬ 
magerung nöthigten zu einem weiteren Versuche mit grossen 
Gaben TC und Typhase, da vorauszusehen war, dass, wenn es 
nicht gelingen würde, die vorübergehenden Erfolge des ersten 
Versuches zu dauernden zu machen, kaum eine Hoffnung auf 
Heilung übrig blieb. Erst nach 18 Tagen, am 45. Tage der ganzen 
Behandlung, schien ein Erfolg sich eluzustellen, indem die Mittel- 
temperatur an drei aufeinander folgenden Tagen bis 37.4 und 37.3 
herunterging und das Allgemeinbefinden sich etwas besserte. Nun 
wurde, am 45. Krankheitstage, die Exstirpation der Drüse von 
Dr. It o e s e b e c k unter lokaler Anaesthesie vorgenomineu. 
Ohne Anstand vollzog sich die Heilung der Wunde, nur einige 
kurz andauernde febrile Anfälle, während gleichzeitig Selenin 
(das Produkt des Diploeoeeus seniiluuaris, der in grossen Mengen 
sich in der Drüse vorfand) in steigenden Dosen gegeben wurde. 
Ein sehr tiefes Absinken der mittleren Temperatur bis auf 35,6 
führte noch zu dem Versuch, die Widerstandsfähigkeit des Körpers 
durch Tul). Protein zu erhöhen, doch blieb der Erfolg aus und trat 
der Tod unter wieder zunehmender Temperatur am 73. Tage der 
Behandlung ein. 

Leider war es nicht möglich, von den Angehörigen die Vor¬ 
nahme der Obduktion zu erlangen. Doch konnte so viel festgestellt 
werden, dass die LungenafTektion keine Fortschritte gemacht 
hatte. Wahrscheinlich war der eigentliche Sitz der Affektion in 
den Lymphdrtisen, über deren Beschaffenheit die exstirpirte die 
einzige Auskunft geben konnte. Diese Drüse hatte eine Länge von 

No. 40. 


etwa 3 und eine Dicke von 1—2 cm. war derb, duukelroth und 
durchsetzt von käsigen Herden, die zum Theii in Erweichung 
übet gegangen waren. Doch hatten die gelben Einlagerungen keines¬ 
wegs den Charakter tuberkulös-käsiger Massen, sondern setzten 
sicli mit scharfen geraden Grenzlinien gegen das rothe Gewebe 
ab. zeigten nirgends eine knotige Beschaffenheit; dieselben waren 
durchaus homogen, wenig feucht und von leicht gelbröthlicher 
Farbe. 

Auch die frische und die spätere Untersuchung dieses 
Objektes ergab nicht die Anwesenheit von Tuberkelbaeillen, so 
dass man an der tuberkulösen Natur des Processes zweifelhaft 
werden konnte, wenn nicht das Thierexperiment den unumstöss- 
lichen Beweis für eine solche geliefert hätte. 

Die Drüse wurde 2 Tage lang in einem sterilen Reagensglase 
ohne Zusatz konservirt und während dieser Zeit festgestellt, dass 
weder die gelben noch rothen Stellen färbbare Tuberkelbacillen 
enthielten, wogegen, wie schon bemerkt, reichliches und reines 
Wachsthum von Diploeoeeus semilunaris auf Glycerinagar statt¬ 
fand. Am 29. April wurde ein Stück derselben einem gesunden 
Meerschweinchen (No. V) in der Bauchwand subkutan implantirt. 
Die Wunde heilte anstandslos und wurde das Thier am 21. Mai 
bei einem Gewicht von 335 g (Anfangsgewicht 260, Zunahme 
75 g) einem TC-Versuche, wie sie regelmässig zur Feststellung 
der reaktiven Wirkung der neu hergestellten Sorten vorgenommen 
werden, unterzogen. Es ergab sich auf Injektion von 0,5 TC 
die geringe Steigerung von 38,5 auf 38,8 0 C. im Rectum. 

Ohne dass irgend etwas anderes mit dem Thier vorgenommen 
war, starb dasselbe am 30. Mai und hatte nunmehr ein Gewicht 
von nur 270, also die ursprüngliche Zunahme von 75 bis auf 10 g 
wieder eingebüsst. Seine Identität konnte sowohl durch die Fär¬ 
bung, wie durch die Implantation in der Bauchwand festgestellt 
werden, die einzige derartige Operation, welche bei meinen Thieren 
vorgenommen wurde, da ich sonst die Tuberkelbacillenemulsionen 
in die Bauchhöhle einspritze. 

Obduktion: An der Einpflanzungsstelle findet sich 1. von 
der Medianlinie etwas unter dem Nabel ein theils eitriger, theils 
käsiger Herd von kaum Erbsengrösse. Im benachbarten Peri¬ 
toneum und auf dem Nebenhoden eine geringe Anzahl grauer und 
gelber Knoten. Das grosse Netz ist von solchen dicht durchsetzt, 
straugartig. Die Milz ist nur wenig vergrössert, dagegen von 
gelben hirsekorngrossen Knötchen dicht durchsetzt, sonst ist sie 
glatt und von dunkelrother Farbe. — Leber nicht vergrössert, 
dunkelbraunroth, mit spärlichen Knoten, eher atrophisch. — 
Mediastinale und bronchiale Lymphdrüsen nur wenig vergrössert, 
enthalten aber käsige Knoten von Hirsekorngrösse. Die Lungen 
sind gänzlich frei, fleckweise hyperaemisch. 

Auch aus den Organen dieses Thieres wuchs 
reichlich Diploeoeeus semilunaris. 

Ein grosses Stück des strangartig verdickten Netzes wurde 
einem frischen Kaninchen No. I bei der Sektion des Meer¬ 
schweinchens V unter die Haut eingepflanzt Dasselbe starb am 
26. Juni. 

Obduktion: Etwas mageres Thier, auf der linken Brust¬ 
seite eine ln normalem Gewebe eingebettete, abgekapselte käsige 
Masse. In der Nachbarschaft keine Veränderung, die Wunde voll¬ 
kommen geheilt Das Peritoneum ist frei von Knoten, nur auf 
einem Dickdarmtheil liegt locker eine dünne fadenförmige Faser- 
stoflfmasse auf. Die Lymphdrüsen sind überall schwach entwickelt. 
Die Milz ist ganz auffallend klein, dünn, 
schmal und blass, fast durchscheinend. Die 
beiden rech len oberen Lungenlappen sind dunkelroth, derb in- 
liltrirt mit gelben eingelngerten Knoten. (Keine Tuberkel.) In 
der käsigen Masse neben I)C SL noch lauge Käsebacillen, in der 
Lunge nur DC SL, keine Anzeichen von Tuberkulose. 

In diesem Falle war also die tuberkulöse Infektion durchaus 
erfolglos geblichen, woraus ich nicht schliessen möchte, dass die 
Tulx'rkelbacillen des Meerschweinchens V überhaupt ihre In¬ 
fektionsfähigkeit verloren hätten. Wir wissen seit langer Zeit, 
dass das Kaninchen viel resistenter gegen menschliche Tuberku¬ 
lose ist als das Meerschweinchen, und beruhten hierauf vielleicht 
die scheinbar günstigen Resultate, welche R. Koch seiner Zeit 
mit seinem Tubereulin bei diesen Thieren erzielt haben wollte. 

Wenn auch die Meersehweinchentuberkulose in diesem Falle 
nicht. Überträgen wurde, hatte doch der Diploeoeeus semilunaris 
seine pathogene Wirksamkeit recht wohl bewahrt, aber freilich 
nicht in Gestalt von Phlegmonen oder Entzündungen, sondern von 
Atrophien zur Geltung gebracht. Es ist dies um so mehr be- 
morkenswerth, als diese Erscheinung, das Darniedcrliegcn der 
Lebenskräfte, sowie die Atrophie der blutbildenden Organe sich 
in ganz gleicher Weise sowohl bei den gewöhnlichen Phthisen mit 
reichlicher Tuberkelentwicklung, wie auch in dem oben mitge- 
theilten aussergewöhnlichen Fall von R. 1).. Tuberkulose mit über¬ 
wiegender Seinilunnrinfektion, sich vortindet. Welcher Arzt, der 

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15<?8 


MFENCHENER MFDICIXISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


sich mit Tuberkulösen eingehend beschäftigt, hat nicht diese Crux 
medicationis tausendfältig wahrgenommen. Nun scheint es mir 
sehr wahrscheinlich, dass dieses so verderbliche Phnenomen der 
Atrophie, der eigentlichen Phthise, ein infektiöses, durch den 
Diplocoeeus semilunaris hervorgerufenes ist. Alle möglichen 
Kombinationen mit Tuberkulose können Vorkommen, und der vor¬ 
liegende Fall zeigt, welche Gefahr dieser atrophirende Diplo- 
coccenprocess auch bei schwach entwickelter, nahezu zurück- 
gebildeter Tuberkulose noch herbeiführen kann. Die Magerkeit 
der selbstimmunisirten alten Phthisiker mag wohl ebenfalls auf 
dieser Mischinfektion beruhen. 

Eine weitere sehr wichtige und dabei leicht übersichtliche 
Kombination des Diplocoeeus .-t milutiaris mit Tuberkulose kommt 
in den tuberkulösen Gelenk- und Knochenleiden vor. Auch hier 
kann wohl angenommen werden, dass beide Organismen, der 
DC SL und der Tuberkelbaeillu* schon sehr frühzeitig neben¬ 
einander Vorkommen und dass durch diese Kombination der Ver¬ 
lauf der Erkrankung wesentlich mit bestimmt wird. Einen 
akuteren Charakter erhält derselbe erst dann, wenn der Diplo- 
coccus semilunaris in aktiverer Weise sich entwickelt. Dann 
treten, auch bei Rüekgängigwerden des tuberkulösen Processes 
und theilweise geradezu antagonistisch zu demselben gerne 
Abscessbildungen auf, in denen der DC SL in Reinkultur vor¬ 
handen sein kann. Dieselben führen alsdann zur Ausstossung des 
einer Resorption nicht mehr fähigen, nekrotisirten. aber nicht 
mehr infektiösen tuberkulösen Gewebes. Diese Vorgänge be¬ 
dürfen einer eingehenderen Darstellung, welche später geliefert 
werden soll. 


Ueber einen Fall von Sectio caesarea bei osteo 
malacischem Becken. 

Von Dr. Hugo M a r x, leitendem Arzte des Kreiskrankenhauses 
zu Lübbecke i. W. 

Frau Br., 42 y 2 Jahre alt. wird von der Hebamme am 17. Juni 
Vormittags in das Krankenhaus gebracht mit der Meldung, der be¬ 
handelnde Arzt, Herr Dr. L ü c k e r aus Pr.-Oldendorf, habe die 
Heberführung zwecks Vornahme des Kaiserschnitts veranlasst. 

Ich lasse kurz die Krankengeschichte folgen: 

1894, im Alter vou 35 Jahren. Heirath. 

I. Geburt am 23./1X. 1895. Geburt geht leicht und ohne ärzt¬ 
liche Hilfe von statten; reifes lebendes Kind. 

II. Geburt am 18./II. 1897. Geburt leicht, ohne Kunsthilfe; 
reifes, lebendes Kind. 

In der 2. Schwangerschaft machen sich während der 2. Hälfte 
starke Kreuzschmerzen bemerkbar. 

III. Geburt am 5. VII. 1899. Leichte Geburt, ohne Kuusthilfe. 
Reifes, lebendes Kind. 

Während der Schwangerschaft wiederum heftige Kreuz¬ 
schmerzen und Schwäche und Schmerzen in den 
Beinen, so dass die Frau während des letzten Drittels der 
Schwangerschaft am Stock gehen musste. 

Die IV. Schwangerschaft datirt seit Mitte September 1900. 

Im Anschluss an die III. Geburt blieben die 
Kreuz- und Beiusch merzen bestehen. des¬ 
gleichen die Schwäche in den Beinen. Die Frau 
hatte in dieser Zeit die Empfindung, als ob sie kleiner 
würde; auch die Angehörigen hätten sie auf dies Kleinerwerden 
hingewiesen. Thermal- und Soolbäder. welche die Frau gegen 
ihren „Rheumatismus*' gebrauchte, halfen nichts. 

Während der IV. Schwangerschaft wurden die Schmerzen 
heftiger als je; die Frau konnte nur noch mit Stock gehen und 
musste viel liegen. Ausserdem sei es ihr so vorgekommen, als 
cb der Bauch diesmal viel mehr ..auf die Seite gehangen hätte“. 

Beginn der Geburt am 10. Juni, Nachmittags 3 Uhr mit 
mittelstarken Wehen, die um 0 Uhr gänzlich aufhürfen. Die Heb¬ 
amme. der bei der Untersuchung die abnorme Enge des Scheiden¬ 
eingangs auffällt, zieht in der Nacht zum 17.. da auch keine 
Wehen mehr auftretf n. den Kollegen Dr. Llicker zu. der die 
Frau sofert mit der Eingangs erwähnten Weisung In Begleitung 
der Hebamme mir zuschickte. 

Die sehr kleine Frau ist ausserordentlich gracil und mager 
und ziemlich anaemis< b. IIciz und Lungen gesund. Keine 
Oedeme. T.biae schmal und der Scheidenform angeniihert. 
Starker Hängebauch. Kind in dorso-auteriorer Querlage, Kopf 
rechts. Herztöne 144. 

Das Kreuzoein der Frau zeigt in seiner Mitte einen spitz¬ 
winkligen G.'bbus und hat üusserst schmale Flügel. Symphyse 
„sehnabel'g* 

Distantla splnarum ^ 20 cm; Distantia cristarum — 33 cm; 
Distantia der Tubera ossis iseliii = 6 cm; Conjugata vera 5,1 cm. 

Die Blase springt während meiner Untersuchung. 

Es lag also die absolute Indication zum Kaiserschnitt vor. 

Unter freundlicher Assistenz des Kollegen L il c k er machte 
ich lv, Stunden nach dem Blasensprung die Sectio caesarea. 
UtcruscröfTnung durch Längsschnitt nach Anlegung des Schlauches. 
Der Schnitt trifft die stark blutende I’lacenta, manuelle Ablösung 


derselben, Extraction eines reifen, lebenden, männlichen Kindes. 
— Entfernung der Plaeenta und Eihäute. Nunmehr trat eine 
kolossale Blutung ein. ich entfernte den Schlauch und die Blutung 
wurde sofort geringer und hörte nach Anlegung der Uterusuaht 
und vorausgegangener Todoformgazetamponade des Uteruscavum 
vollständig nuf. indem der Uterus sich gut kontrahirte. Den Uterus 
vernähte ich mit etwa 12 durch die ganze Wand gehenden und 
0 bis 7 Serosamihten. Verschluss der Laparotomiewunde durch 
durchgreifende Nähte. Aseptischer Deckverband. Während und 
gleich nach der Operation Injektion von je 0.2 Ergotin dialvs.. 
Nahtmaterial war Seide. 

Aseptischer Wund- und Wocheubettsverlauf. Am 11. Juli 
Entlassung der Frau. 

Publlzirt habe ich den Fall wegen der sehr typischen Ana¬ 
mnese. zweitens, tun auf die Entbehrlichkeit des Schlauches hln- 
zuweisen. drittens, um einen erfreulichen Beitrag zur Statistik 

Publizirt habe ich den Fall wegen der sehr charakteristischen 
Anamnese, zweitens, um nuf die Entbehrlichkeit des Schlauches 
hinzuweisen. drittens, um einen erfreulichen Beitrag zur Statistik 
des konservativen Kaiserschnitts zu lieferu. 


Ueber einen Fremdkörper in der Nase. 

Von Dr. med. Gross, Arzt in Schweidnitz. 

Die kleine Mittheilung aus meiner Praxis, die ich den 
Herren Kollegen nicht glaube vorenthalten zu dürfen, i3t meines 
Erachtens besonders lehrreich für die Pathologie von Fremd¬ 
körpern in der Nase. 

Die Vorgeschichte unseres interessanten Falles Hegt 4 Jahre 
zurück. Damals will sich der jetzt 9 jährige Patient einen 
schwarzen Schuhknopf in das linke Nasenloch gesteckt haben, der 
ihm zwar keine Schmerzen bereitete, ihn aber doch so ängstigte, 
dass ihn die Mutter zu einen Arzt führte, der indess nichts fand. 
In der ersten Zeit nach dem Unfälle machte sich der Fremdkörper 
gar nicht bemerkbar, es wiederholten sich nur gelegentlich die 
Klagen des Jungen, dass er, besonders beim Gebrauche eines 
Taschentuches, das Gefühl hätte, als drücke ihn etwas ln der Nase. 
Allmählich aber wölbte sich die äussere linke Nasenwand hervor, 
es trat auch eine miissige Sekretion ein, die aber nach einem 
Jahre so stark wurde, dass der Junge fortwährend das Taschen¬ 
tuch gebrauchen musste, und an der Oberlippe eine sehr schmerz¬ 
hafte Dermatitis mit tiefen Rhagaden erzeugte. Verschiedene 
Hausmittel gegen den „Schnupfen“ wurden gebraucht, und es ver¬ 
gingen noch 2 Jahre, bis die Eltern es für zweckmässig hielten, 
ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es wurde nämUch all¬ 
mählich auch für die Umgebung der immer mehr zunehmende 
Gestank aus der Nase unerträglich. 

Bei der ersten Untersuchung am 9. April d. Js. bestand eine 
starke Dermatitis um die linke Nasenöffnung an der Oberlippe. 
Der Nasenrücken wich etwas nach rechts ab, der ganze linke 
Naseutbeil war stärker, äusserlich aber auf Druck unempfindUcb. 
Die rechte Nasenhöhle ergibt nichts Pathologisches, die innere 
Untersuchung der linken Höhle war zunächst sehr schwierig und 
schmerzhaft. Das Sekret hatte einen überaus üblen Gernch, war 
gelbgrün, zähflüssig und sickerte konstant, wie sich bald zeigte, 
aus einer nur für einen ganz dünnen Tupfer durchgängigen Oeff- 
nuug hervor. Einen Spiegel in die linke Nasenhöhle einzuführen, 
war unmöglich, auch nicht nach ausgedehnter Cocainisirung. Ich 
beschränkte mich daher zunächst darauf, einige Tage die Nase zu 
cocainisiren und einen Tupfer mit Argentum Crödä einzulegen, 
der bei der jedesmaligen Entfernung einen abscheulichen Gestank 
verbreitete. Nach 11 Tagen war die Sekretion bedeutend schwächer 
geworden und die Nasenhöhle soweit durchgängig, dass ich meinen 
grössten Ohrtrichter bequem einführen konnte, während der 
Dupla y’sche Nasenspiegel Immer noch zu gross war. Eine 
Sondirung der Nasenhöhle, die trotz der Cocainisirung sehr 
schmerzhaft zu sein schien, ergab das rauhe Gefühl eines perlost¬ 
freien Knochens an der Scheidewand und auf dem Boden, während 
man an der äusseren Wand und an der Decke der Nasenhöhle die 
gesunde Schleimhaut abtasten konnte. Meine Diagnose lautete 
demnach: ein Fremdkörper in der linken Nasenhöhle, der sieb 
derart inkrustirt hat, dass er den Bodeh der Höhle, das Septum 
und zum Thell auch die untere Muschel bedeckt. 

Die einzige Therapie konnte also nur darin bestehen, den 
inkrustirten Fremdkörper zu entfernen. Ein Versuch unter 
Cocainisirung scheiterte an dem ängstlichen Wesen des Patienten 
und der festen Verwachsung des Fremdkörpers. Ich chlorofor- 
mirte daher den Jungen mit Unterstützung einer Schwester und 
brachte mit einem kräftigen Zuge den Rhinollthen heraus. Als 
Instrument diente mir eine Nasencurette, die ganz nach Art der 
Uteruscuretten augefertigt ist Ich schloss auch an die Ent¬ 
fernung des Fremdkörpers ein typisches Curettement der Nasen¬ 
höhle an, ohne mich durch die überaus heftige Blutung stören 
zu lassen, und förderte noch manche Inkrustlrte Fremkörper- 
partikelchen heraus. Der starken Blutung wurde ich bald Herr 
durch Ausstopfung der Nase mit Wnttetampons, die mit Hydro- 
geniurn peroxydatum getränkt waren. 

Der Rbinolith war so gross wie eine Haselnuss, stank entsetz¬ 
lich. doch konnte man aus seiner eckigen, scharfkantigen Form 
noch keinen Schluss auf seinen Charakter machen. Er sah weit 
eher einem Stück Kohle ähnlich, als dass man unter seiner Decke 
den Schuhknopf vermuthen konnte. Die über den Erfolg der 
Operation erfreute Mutter brachte Aufklärung, sie ging etwas 
unzart mit dem Gebilde um und zerbrach es, wobei der stark 
veränderte Schuhknopf mit der noch gut erhaltenen Metallöse zum 


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1. Oktober 1901. 


MFEXCHEXEU MEDICIXISCHE WOl'HEXSCIIHIFT. 


1569 


Vorschein kam. Es war mir also geglückt, den vor 4 Jahren in ; mit Geheimrath Riegel wurde angenommen, dass eine solche 


die Nase gesteckten Knopf, in entstellter Form allerdings, an's 
Tageslicht zu fördern. 

Die Nachbehandlung der operirten Nasenhöhle bestand nur 
in Reinigung und Austupfung mit einer Perubalsam-Bismutsalbe. 
Nach wenigen Tagen war die Höhle mit zarter, leichtblutender 
Schleimhaut bedeckt, und 14 Tage darauf konnte ich mich von 
dem guten und erwarteten Erfolg der Therapie überzeugen. 


v< rgrüsscrte Drüse den Gallengang obturirte und so die ge¬ 
schilderten Erscheinungen hervorrief. Die Therapie beschränkte 
sich auf Fachinger Wasser und Aufenthalt im Freien. Allmählich 
erholte sich Patient soweit, dass er Mitte Mai Bad Brückenau 
aufsuchen konnte. Hier stellten sich nach 3 Wochen starke rheu¬ 
matoide Schmerzen mit Schwellung und Röthuug der Fussgelenke 
ein. die den Pat. zwangen, nach Hause zurückzukehren. Eine 


Als Thesen möchte ich auf Grutul diese« Falle» der Be¬ 
achtung empfehlen: 

I. Jeder Fremdkörper ist sofort nach seiner Erkennung aus 
der Nase zu entfernen. 

II. Einseitiger stinkender „Schnupfen“ bei Kindern deutet 
immer auf einen zurückgehaltenen Fremdkörper hin. 

III. Differentialdiagnostisch ist eine Nebenhöhleneiterung 
zu berücksichtigen, bei Kindern aber auszuschliessen. 


Ueber einen Fall von Pseudoleukaemie mit inter- 
mittirendem Fieber und gleichzeitiger Glykosurie. 

Von Dr. August G o 1 d s c h m i d t, 

Assistent der mcdicinischcn Poliklinik in München. 


Patient wurde 1841 geboren und von einer luetischen Amme 
genährt. Als Kind litt er an Skrophulose und mehrmals an Diph- 
theritls. Im höheren Lebensalter traten häufig am Halse Drüsen- 
scbwellungen auf, die Pat wiederholt Jodkalikuren in Leuk und 
Münster a. Stein durchmachen Hessen. Im Winter 1895/96 reiste 
er zu längerem Aufenthalt nach Italien. Im Anfang wurde die 
Reise gut ertragen, bis Pat. in Nizza die Influenza bekam. Der 
chronische Rachen- und Nasenkatarrh, an dem Pat. schon fast 
immer krankte, soll damals durch den an der Riviera herrschenden 
Staub besonders stark aufgetreten sein. Zugleich wurden die 
DrtisenschweUungen am Halse so stark, dass Pat. auf ärztlichen 
Rath abermals nach Leuk ging. Hier nun fühlte er sich sehr 
schwach, konnte die Bäder nicht mehr vertragen und hatte Ohn¬ 
machtsanfälle. Der dortige Arzt fand darauf bei gelegentlicher 
Untersuchung, dass die Drüsen nicht nur am Halse, sondern auch 
ln der Axilla sehr stark hervortraten und schickte den Pat., ohne 
ihm die Diagnose zu 


sagen, nach Hause. Hier Mo i..u Amm-t 
erkannte der Hausarzt 


Sei'iemlu*’. 


neuerliche Blutuntersuchung ergab eine geringe Abnahme der 
Erythrocyten. Zugleich traten diffus an den Extremitäten multi- 
forme Erytheme auf, die von einem regelmässigen Wechsel von 
Fieberperioden und fleberlosen Zeiträumen begleitet waren. Diese 
Affektion, die Anfang Juli begann und bis Eude September 
dauerte, zeigte damit das Charakteristicum des chronischen RUck- 
faüfiebers (Ebstein). 

Aussehen und Ernährungsstaud des Pat. nahmen dadurch 
rapid ab. Die hochgradige Schmerzempfindlichkeit der Extremi¬ 
täten verhinderte jedoch aktive oder passive Bewegung und Hess 
den Patienten bei der leisesten Berührung laut aufschreien. 

Die Therapie bestand im Anfang ln Chinin, Phenacetin und 
Sauerstoffinhnlationen; ferner In kalten Umschlägen auf die Ex¬ 
tremitäten und kühlen Bädern. Auf die Drüsen selbst suchte man 
lokal mit Jodaethyl einzuwlrkeu. Da alle diese therapeutischen 
Maassnahmen einen negativen Erfolg hatten, wurde ein Versuch 
mit Antistreptococcenserum von Prof. Marmorek in Paris ge¬ 
macht. Nachdem aber 2 Injektionen weiter keinen bemerkens- 
werthen Einfluss zeigten (wie aus beifolgender Skala ersichtlich 
Ist), wurden dieselben unterlassen. 

Erst Ende September nahmen die Fiebertemperaturen ab 
und zeitigten damit eine Besserung des Allgemeinbefindens. Pat. 
wurde zweimal täglich massirt, um die GUeder wieder bewegungs¬ 
fähig zu machen, und konnte allmählich mittels Stock und Roll¬ 
stuhl mehrere Stunden täglich im Freien zubringen. Das selbst¬ 
ständige Geben kam nach und nach auch wieder, doch war der 
Pat durch die lange Fieberperiode sehr reducirt und erholte sich 
nur langsam. 

Während des gesammten Krankheitsverlaufs wurde der Urin 
von Zeit zu Zeit untersucht, und dabei zeigte es sich, dass gerade 
während der Affektion der Febris intermittens Glykosurie 
auftrat. Der Zucker schwand jedoch gänzlich von einem zum 
anderen Tag und war in seinem Auftreten von dem Fehlen oder 
Vorhandensein der Kohlehydrate in der Nahrung gänzlich unab¬ 
hängig. Die Diurese 
war kaum vermehrt, 
dagegen war das Durst- 




Dr. Holländer das t*. rs i& ir i». i». to. ?i. ir. n. »» is. 21 
Leiden als eine Pseudo- 

leukaemie und begann ” Hi si irr fft iHfi-:; inj in 

sofort mit der inner- * 5 |f| ^ g ij| fff 

liehen Anwendung von 38 fjwrtrf rrr ^ iifcU fff fff ff fh \ rtr H jhilfe j J 

Solutio Fowleri. Das »» r- r ^ füjfeT fj-j*^ gH feftE f 3 

Quantum wurde allmäh- ” ffiMMf jMlli Ht 

lieh gesteigert, bis der w iHflfiHfrhüiin i 1 mr‘i l i FTit T , i 

Pat. schliesslich Diar¬ 
rhöen bekam und Sich SO An <tl '" nnterntrlehpiien TftROii landen Ii 

schwach fühlte, dass die 

Kur unterbrochen werden musste. Gleichzeitig wurde ein Haupt¬ 
gewicht auf gute Ernährung und völlige Ruhe gelegt, um den 
Kriiftestand möglichst zu heben. 

So verlief der Winter für den Pat. verhältnissmässig günstig. 
Er fühlte sich objektiv wohl und konnte im Sommer (auf seinen 
eigenen Wunsch) nach Münster a. Stein gehen, das ihm bereits 
früher bei seinen Drüsenaffektionen gute Dienste geleistet hatte. 
Doch stellten sich nach kaum 14 tägigem Aufenthalt heftige Diar¬ 
rhöen ein, die den Pat. wohl sehr schwächten, aber deu Erfolg 
hatten, die Drüsen überall, am Halse, in der Axilla und der 
Inguinalgegend zum Schwinden zu bringen. (Die Schuld au deu 
Diarrhöen wurde von dem Pat. den schlechten Trinkwasserver¬ 
hältnissen zugeschrieben, zumal auch eiu Hötelbcdiensteter zu 
gleicher Zeit an heftigen Diarrhöen erkrankte.) Im Laufe des 
Sommers kamen die Drüsen sehr stark wieder und erreichten 
z. B. in der Axilla die Grösse einer starken Mannesfaust. Der 
Pat. ging desshnlb nacli Vetriolo bei Levlco in Südtirol Die vor¬ 
zügliche Luft des 1490 m hoch gelegenen Kurortes, die Triuk- 


,\n (tcn imtcmtrichciien Taroii landen Injektionen von Antistreptocooeensemui stall 


9 . 10 ix, 1 . 2 . 3. t. i- e. 7. «. 9. ■■». n. n. n. geftihl recht stark und 
HiilU iif pf aijfti der Appetit gering. Die 

• fjnib-! ü±I;;n p| s t 4 r (=^Hi HHÜ&UIIpf ifff=H Harnuntersuchungen 

W -|iHvilpfHL fftttjltlff Tftfl wurden mittels der 

pf H Tp tüjiü Tromme r*sehen und 

P jjfllT ytl ijffi tffjUj Gährungsprobe ge- 

a aBisürTti Mi ffrufTn^iliP;dil a Eine genaue Ana¬ 
lyse des chemischen 
ttonen von Antistreptococcenseniui statt. Untersuchungsamtes zu 

D. ergab folgenden Be¬ 
fund: Specifisches Gewicht des Urins bei 15° C. 1,0260; Farbe: 
gelb; Reaktion: sauer; Eiweiss: nicht vorhanden; Zucker: 3,283 
Proc.; Stickstoff: 0,4088 Proc., entspricht 0,8795 Proc. Harnstoff; 
Phosphorsäure: 0,0924 Proc. 

Die Besserung ging jetzt langsam, aber stetig voran, so dass 
Im Sommer 1899 zuerst ein Aufenthalt in Gossensass als Ueber- 
gangsstation. dann für 3 Wochen in Vetriolo zur Kur gemacht 
werden konnte. Auf der Rückreise verweilte Pat. noch längere 
Zeit am Achensee und kehrte dann erfrischt und gekrüftigt nach 
Hause zurück. Allerdings hatten die Drüsen trotz Arseninjek¬ 
tionen nicht wesentlich abgenommen. Der Winter 1899/1900 ver¬ 
lief wieder verhältnissmässig günstig. Pat. litt wohl von Zeit zu 
Zeit nu leichten Krisen, die sich in Erythemen, Temperatursteige- 
rungeii. nervösen Erregungszuständen und rheumatoiden Schmer¬ 
zen offenbarten, doch brachte da meistens Lactophenin Be¬ 
ruhigung. Ausserdem traten Mittags zu einer ganz bestimmten 
Zeit (direkt nach dem Essen) dünnflüssige, schwarz aussehende 
Diarrhöen auf, die sich mit starkem Druck, aber ohne Leib¬ 


und Bäderkur der dortigen arsenhaltigen Quellen gabeu dem Pat. 
so viel Kräftigung, dass er auf (1er Durchreise in die Heimath 
grossen Opernaufführungen in München beiwohnen konnte. 

Im Herbst 1897 wurde zum ersten Male mit Injektionen von 
Natrium arsenicosum (0,4:20,0) begonnen und zwar aufsteigend 
von y 3 bis 2 ganzen Spritzen täglich, also 0.04 Natrium arsonie. 
Die Injektionen wurden anfänglich auch gut vertragen, doch 
stellten sich trotz der langsamen Steigerung so ungünstige Er¬ 
scheinungen (Diarrhöen, Schwächezustände. Erytheme u. s. w.) 
ein, dass die Kur unterbrochen werden musste. Ueberhaupt fühlte 
sich Pat. stets wohler, wenn keine Injektionen gemacht wurden, 
wenn auch alsdann die Drüsen stärker hervortraten. So verging 
der Winter ganz leidlich, Theater- und Concertbesuche waren nicht 
ausgeschlossen, bis Mitte März ein akuter Ikterus auftrat. 
Der Appetit nahm ab, zeitweises Erbrechen und starker Juckreiz 
stellten sich ein, der Urin war bierbraun und zeigte deutlich die 
G m e 11 n’sche Gallenfarbstoffreaktion. Der Stuhl war lehmig, 
von welsser Farbe und sehr üblem Geruch. Abdomen war nir¬ 
gends druckempfindlich, nur erschienen Leber und Milz ver- 
grössert und waren deutlich palpabel. Feiner waren die abdomi¬ 
nalen Lyinphdrüsen sehr geschwollen und durch die Bauehdecken 
hindurch in grossen Packeten gut zu fühlen. In Uebereinstimmung 


schmerzen, ankündigten. Darnach fühlte sich der Pat. wohl er¬ 
leichtert, aber sehr matt und musste einige Stunden ruhen. 

Während des Monats Februar und März wurden wieder 
Arseninjektionen gemacht, die auf die Drüsen nur geringen Ein¬ 
fluss hatten und im Allgemeinen schlecht vertragen wurden. 

Im Somme d. Js. wurde St. Moritz im Engadin nufgesucht. 
Der Pat. gebrauchte die dortigen kohlensauren Stahlquellen zu 
einer Trink- und Badekur, doch ohne Erfolg. Schlecht aussehend 
und nervös kehrte er In die Heimath zurück, wo alsbald ein Ek¬ 
zema madidans an den Zehen, am Kopfe und den Ohren auftrat. 

I der Appetit nahm jetzt bei dem Fehlen der Gebirgsluft wieder ab. 
die Drüsen und der Ascites wurden stärker. Eine Untersuchung 
dos Urins ergab keinen Zucker, aber kleinere Mengen Eiweiss; 
mikroskopisch wurden granulirto Cylinder nachgewiesen. Die 
Körpertemperatur war durchschnittlich siibn o r 111 a 1: dabei 
empfand Patient ein starkes subjektives Hitzegefühl und lag ent- 
blösst lm kalten Zimmer. Das Blut, das bei früheren Unter¬ 
suchungen einen ziemlich normalen Befund ergeben hatte, war hell 
und'wässerig und zeigte jetzt eine betriiehtliehe Zunahme der 
Leukoeyten (etwa 1:80—100). Auch stellten sieh häutig Blutungen 
aus dem Zahnfleisch und der Nase ein. Patient konnte nur nm h 


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157u 


MTENCIIENER MEDICIXISCIIE WO( II EXS( 11RI FT 


Xo. 40. 


wenig gehen und war bei der geringsten Anstrengung sehr er¬ 
schöpft. 

Es verwandelte sich damit die lymphatische Pseudoleukaemie 
in das Bild einer ausgesprochenen echten Leukaeinie. 

Am 13. März 1001 traten heftige Schmerzen etwas oberhalb 
der Ivnrdia spontan und besonders beim Schlucken auf. 

Den 15. März Messen dieselben dort nach und zeigten sich 
dafür im rechten Hypochoudrium. Es wurde zur Beruhigung 
Morphium injicirt. 

Am 18. Seitenstechen in der linken Seite. Die Untersuchung 
ergab daselbst deutliche pleuritische Reibegeräusche. 

2 Tage darauf auch rechts hinten unten. Zugleich wurde 
beiderseits ein massiges Exsudat nachgewieseu. 

Am 23. Morgens lü Uhr verlor I’at. das Bewusstsein und ver¬ 
fiel Mittags in klonische Krämpfe und Delirien. Es wurden 
Kampherinjektiouen und eine subkutane Kochsalzinfusion ge¬ 
macht. 

Am 24. zeigte sieh I.ungenoedem und am 23. verschied Pat. 
Morgens 3 Uhr in einem neuen Krampfanfalle. 

Die Schwellung der 1> r ii s e u w a r dabei in den 
letzte n Tage n (v o m 15. b i s 23.) völlig zu r ück- 
gegangen. 

Eine Sektion wurde nicht gemacht. 

Fassen wir nun die bemerkenswerthosten Momente des vor¬ 
liegenden Falles nochmals zusammen, so fällt vor Allem die 
wechselnde Zuckerausscheidung auf. Es ist dies meines Wissens 
(soweit mir die umfangreiche Literatur überhaupt zugänglich 
war) bei Pseudoleukaemie der erste derartige Fall. Rebitzcr 
berichtet dagegen in der Prager med. Wochensehr, über einen 
Diabetiker, bei dem sich später noch eine reine Leukaeinie hin¬ 
zugesellte. Bei unserem Falle hatte die Zuckerausscheidung 
vor der Erkrankung an Pseudoleukaemie nicht bestanden, 
wechselte dabei von einem Tag zum andern, unabhängig von der 
Art der Nahrungsmittel, uni endlich nach einigen Monaten 
wieder völlig zu verschwinden. In der Behandlung endlich 
wurde Arsen nur im Beginn der Erkrankung gut vertragen, 
trotzdem später die Injektionen streng nach Z i e m ssen’s Vor¬ 
schrift (Katzenstein: Archiv f. klin. Med.) gemacht wur¬ 
den. Der Versuch mit Injektionen von Antistreptococcenserum 
war vielleicht damit begründet, dass namentlich französische 
Forscher auf das Vorkommen von Streptococcen in den Drüsen¬ 
tumoren bei Pseudoleukaemie hingewiesen hatten. Ein sicht¬ 
barer Erfolg war allerdings in diesem Falle nicht festzustellen. 
Weit brauchbarer noch als Chinin erwies sich bei Temperatur¬ 
steigerungen und nervösen Erregungszuständen Lactophenin. 
Besonderes Gewicht wurde vor Allem auf eine geeignete Er¬ 
nährung gelegt. Auf Vorschlag Prof. S a h 1 i’s wurden 8—12 
rohe Eidotter täglich gegeben, doch scheiterte diese Art der 
Tleberemührung nach kurzer Zeit an dem Widerstand des Pat. 
So ist. überhaupt der selten langsame Verlauf dieses schweren 
Leidens weniger der medicamentösen Therapie, als der überaus 
sorgsamen Pflege, die der Pat. genoss, zuzuschreiben. 


Aus der Landpraxis. 

Von Dr. Peters in Petersthal in Baden. 

In den ersten Monaten 1900 herrschte bei uns. wie überall, 
eine starke Influenzaepidemie. Dieselbe trat jedoch höchst eigen- 
thümllcher Weise in drei von einander symptomatisch ganz ver¬ 
schiedenen Arten auf. die sieh auch zeitlich streng von einander 
abgrenzen Messen. In der ersten Form, ganz im Anfang 1900, 
erkrankten zumeist sonst gesunde, kräftige Leute mittleren Alters. 
Ganz unerwartet, ohne irgend welche Prodromalerscheinungen, 
wurde es z. B. einem Manne mitten am Tag bald nach dem Essen 
schlecht. Er erbrach mehrere Male, bekam ganz profuse Diar¬ 
rhöen und bot binnen wenigen Stunden das Bild eines Schwer¬ 
leidenden, am besten vergleichbar «lein eines Cholerakranken. In 
diesem Zustand blieb nichts bei einem solchen Patienten. Alles 
wurde erbrochen, nur eiskaltes Bier, in ganz kleinen Schlucken ge¬ 
nommen, blieb und machte den Magen fällig. später 
etwas Schleimsuppe wieder zu behalten. Was die Behandlung 
anlangt, so ergab sich im Verlauf der Fälle, dass am meisten zu 
erreichen war mit ein paar ordentlichen Gaben Kalomel oder 
einem Einlauf — 2 Liter Wasser mit Ricinus und einem Stück 
Soda —, nach ein paar Stunden wurde dann Opium gegeben. Dazu 
Ileisswasserumsehläge auf den Leib, schwarzer Thee mit Itoth- 
weiu, später Schleimsuppen. Auf diese Art verliefen die Fälle 
innerhalb 3—8 Tagen sümmtlleh günstig. 

Nach Ablauf dieser Krankheitsform gal» es einige Zeit Ruhe, 
daun folgte ein neues Aufflammen der Epidemie, diesmal die Ath- 
mungsorgaue mit Beschlag belegend. Das Hauptkoutingeut der 
Betroffenen stellten die Kinder. Die Erkrankung bestand fast 
durchweg in einer starken, mehr minder hartnäckigen Bronchitis 
mit ganz vereinzelten Pneumonien. 

Als letzte Form traten, wieder einige Zeit später, mehrere 
Fälle auf mit rein nervösen Symptomen ohne organischen Be¬ 
fund. Diese Leute — meist Erwachsene mit schwächerer Kon¬ 


stitution — klagten über starkes Abgeschlageusein, Kopfdruck. 
Unlust zu aller Arbeit, in einigen Fällen Abends leichte Tem- 
peratursteigerung. Therapeutisch, schien mir zuerst Kalomel 
u. 1—0.2 4 Pulver, dann täglich 3 mal 1.0 Snlipyrin die besten Er¬ 
folge zu gehen. • * 

Nach diesem starken Auftreten der Krankheit im vorigen Jahr 
war ich Anfang 1901 schon gespannt, ob sich auch dieses Jahr 
etwas Aelmliehes zeigen würde. Doch es dauerte bis Mitte April, 
ins wieder Erkrankungsformen aufzutreteu begannen, die ich als 
nichts anderes denn als Influenza bezeichnen möchte. Durch¬ 
einander. Alt und Jung, wurdt; betroffen. Wieder ein gleich plötz¬ 
licher Anfang jedes Einzelfalles war zu konstatireu: Der Patient 
hatte sich noch den Tag zuvor wohl gefühlt, war oft noch vor 
4—5 Stunden seinem Geschäfte nnchgegangen und lag nun da mit 
hohem Fieber, bis 40", oft in riesigem Schweiss und stets mit der¬ 
selben Klage: Stechen in einer oder beiden Seiten oder in der 
Leber- oder Magengegend so stark, dass die Athmung der 
Schmerzen wegen sehr beschwerlich war. Der Befund war ein 
wechselnder. Oefter ergab sieh eine Pneumonie, die manchmal nur 
in einem ganz schmalen bandartigen Bezirk vorn, unten oder seit¬ 
lich bestand, sich aber innerhalb 2—3 Tagen ausbreitete. Uder 
es fanden sich beim Betasten des Rückens zur Seite der Wirbel¬ 
säule ein oder mehrere druckempfindliche Stellen, von wo aus der 
Schmerz bis nach vorn intercostal ausstrahlte, ohne Pneumonie. 
Was diese Influenzapueumonien anlangt, so wich ihre Art sym¬ 
ptomatisch fast stets von der Norm der gewöhnlichen Pneumonie 
ab. Oft begannen sie mit Erbrechen, auch bei Erwachsenen — bei 
Kindern tritt ja Erbrechen öfter au Stelle eines Schüttelfrostes — 
einen eigentlichen Schüttelfrost seihst habe ich bei dieser Form 
nie gesehen. Daun war der Verlauf unter Umständen ein äusserst 
schneller, eine Krisis schon am 5. Tag nicht selten. In anderen 
Fällen erfolgte die Ausbreitung über eine oder beide Lungen mit 
unheimlicher Schnelligkeit und Intensität: die Krisis, erst spät, 
am 9. Tag oder noch später eiutretend, war für den Kranken sehr 
angreifend, die Lösung innerhalb der Lunge Mess lange auf sich 
warten, die Reconvalescenz war hinausgezögert. Schliesslich 
fanden sich in recht häufigen Fällen Delirien, die mitunter tagelang 
allabendlich auftraten. Therapeutisch habe ich in Jedem Fall 
Creosotal angewendet, von dessen vorzüglicher Wirkung l>ei ein¬ 
fachen fieberhaften Bronchitiden sowohl, als bei Pneumonien ich 
mich seit 2 Jahren immer wieder überzeugt habe. Ich möchte bei 
dieser Gelegenheit dieses Mittel ehrlich empfohlen haben. Es wird 
gut vertragen, vom Säugling wie vom Greis, und scheint mir in 
manchem Fall, wo ich es bei vorläufig nur katarrhalischem Be¬ 
fallensein einer oder beider Lungen gerade in dieser Zeit prophy¬ 
laktisch gegeben habe, das Zustandekommen einer Pneumonie 
direkt verhütet zu haben. Jedenfalls sind bei dieser Therapie, 
unterstützt durch W r ickel. Bäder, kräftige leichte Kost, in seltenen 
Fällen Digitalis, von den vielen Schwerkrankeu dieser Art sehr 
wenig gestorben, die Fälle doppelseitiger — genauer l?i seitiger — 
Pneumonie sämmtlich durehgekommen. Bei der anderen Form: 
Fieber. Druckschmerz neben der Wirbelsäule bis zum Rippenwiukel 
ausstrahlend, kam ich Im Anfang mit der Therapie nicht recht vor¬ 
wärts. Natr. salieyl.. Antipyr., Chinin, Wickel, kurz alles Mög¬ 
liche Mess im Stich. Da kam ich auf die Idee, an der betreffenden 
Stelle eine Sc b 1 e i c h'sche Spritze — 10 ccm — voll Schleich- 
sclie Lösung II zu injiciren, dabei immer möglichst tief gehend 
und möglichst die Flüssigkeit nusbreitend, dazu feuchte Wärme 
und Snlipyrin 1.0 2 bis 3 mal täglich. Damit hatte ich entschieden 
den besten Erfolg: mit 2 bis 3 Injektionen verliefen die Fülle in 4 
bis ß Tagen entschieden am schnellsten. 

Im Anschluss an Vorstehendes möchte ich noch kurz ein paar 
andere Fälle allgemeineren Interesses erwähnen. Unter den mit 
choleraähnlichen Symptomen Erkrankten des Jahres 1900 befand 
sich auch ein 80 jähriger, sonst sehr rüstiger Fabrikant, welcher 
seit Jahren eine völlige Eventeratio in Form eines riesigen Hoden- 
bruolies mit sich herumträgt. Dieser erkrankte, wie gesagt, eben¬ 
falls plötzlich mit Fieber. Erbrechen, heftigem Stuhldrang, 
Schmerzen im Bruch, ohne dass Jedoch Stuhlgang erfolgte. Ein 
grosser Einlauf. 2 mal wiederholt, hatte keinen Erfolg, ebenso 
Ricinus und Kalomel. Das Erbrechen nahm zu, der Geruch des 
Erbrochenen wurde fiikulent. Da griff ich zum Atropin und gab 
dem Kranken spät Abends 1 Injektion von 0,0025. Am anderen 
Morgen fühlte er sich bedeutend besser, es waren stark riechende 
Flatus reichlich abgegangen und im Lauf des Tages erfolgte dann 
spontaner Stuhlgang. Derselbe Herr hatte nun vor Kurzem. 
1 Jahr später etwa, in Folge Erkältung einen ganz ähnlichen Zu¬ 
stand: sehr heftige Schmerzen dicht über der Symphyse. Brech¬ 
reiz. Stuhldrang mit Stuhlverhaltung. Wieder waren Einläufe etc. 
erfolglos, der Patient fühlte sich sehr schlecht machte seih 
Testament und hatte sich selbst völlig aufgegeben. Da das Er¬ 
brochene am 2. Tag wieder fäkulent wurde nach Geruch und Aus¬ 
sehen. schlug ich eine erneute Einspritzung vor, wozu sich der 
Kranke erst am 3. Tage verstand. Ich gab ihm subkutan 0.002 
Atropin: das nutzte nichts: darauf am 4. Tag nochmals 0.0023 und 
siehe da. das Mittel that an dem 81 Jährigen wiederum seine 
Schuldigkeit und mit dem spontan erfolgten Stuhlgang besserte 
sich das Befinden. 

In einer Dissertation (Berlin 1884. von Hermann Ne u m a u nt 
wurde zur Behandlung der serofibrinösen Pleuritis der Wernarzer 
Brunnen-Brückenau empfohlen. Ich hatte Gelegenheit, mich in 
einem Fall von der Wirksamkeit dieses Wassers zu überzeugen. 
Es handelte sich um eine Frau mit einem pleuritischen Exsudat. 

! welches die ganze linke Seite Dis zum unteren Drittel der Scapula 


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1. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1571 


einnahm. Der sie behandelnde Kollege hatte schon seit Wochen 
Alles versucht; die Punktion wurde verweigert, das Exsudat nahm 
nicht ab. Auf meinen Vorschlag hin wurde ein Versuch mit 
Wernarzer Brunnen gemacht. Nach Verbrauch von 10 Flaschen 
(= 10 Tagen) war eine beträchtliche Verminderung der Exsudat¬ 
menge zu konstatiren und weitere 10 Flaschen brachten den Rest 
auch noch zum Schwinden. Der Erfolg ist meines Erachtens um 
so bemerkenswerther, als die Frau tuberkulös war, die Pleuritis 
also jedenfalls tuberkulösen Ursprungs. Immerhin hat die Patien¬ 
tin noch etwa iy 4 Jahr gelebt, bis der destruktive Process in ihren 
Lungen ihr ein Ende bereitete und hat sich in dieser Zeit von einem 
neuen Exsudat nichts gezeigt. 

Im Gegensatz zu diesem erfolgreichen Fall steht der nach¬ 
folgende ganz anderer Art, dessen auf ihm lastendes Dunkel erst 
die Sektion lichtete. Ein Mann im besten Alter, bislang als Wagner 
rüstig thätlg, verlangte Hilfe wegen allerhand höchst unbestimmter 
Beschwerden im Leib: Vollseiu, Appetitlosigkeit, Stuhlverhaltung, 
Schwächegefühl im Leib, allgemeine Mattigkeit Die Unter¬ 
suchung ergab nur eine Druckemptindlichkeit in der Magengrube, 
späterhin im Verlauf der Krankheit auch in der Gegend des 
S romanum und auf dem Rücken links neben der rechten Spina 
scapulae, das Abdomen an sich war aufgetrieben prall, der Ton 
meteori8tisch. Fieber fehlte, Stuhl ohne Besonderheiten, Urin eben¬ 
falls. Kein Mediciniren schlug an, nach 3 Wochen trat eine ver¬ 
dächtige Abmagerung auf, welche mir meine Diagnose „Tumor 
ocult" sicher machte. Ich bat Herrn Dr. K. zur Konsultation und 
wir schickten nach einiger Zeit den Patienten in eine Klinik. Auch 
dort war man ähnlicher Ansicht und schrieb mir von einer mög¬ 
lichen „Neubildung des Magens“. Mau rieth dem Patienten noch 
den Versuch einer Operation, da bekam er — wohl in Folge Embolie 
— einen Gehirniusult, konnte noch nach Hause gebracht werden 
und starb bald darnach hier. Die Sektion ergab: Carciuorn des 
ganzen Netzes, welches in eine etwa 2—3 cm dicke schmierig¬ 
braune Krebsmasse verwandelt war, nebst allgemeiner Carcinose 
im Abdomen, die Därme in Folge Peritonealreizung sämmtlich fest 
miteinander verklebt. Dabei hatte der Mann noch bis 2 Monat 
vor seinem Tod gearbeitet. 

So erkrankte voriges Jahr ein Manu, der noch am Tage zuvor 
Feldarbeit that, 3 Tage zuvor eine Last Heu — ca. 1 Ctr. — auf 
dem Rücken getragen und keine anderen Beschwerden gehabt 
hatte, als ab und zu einen unbestimmten Schmerz in der Magen¬ 
gegend. Plötzlich Nachts wachte dieser Mann mit sehr heftigen 
Leibschmerzen auf, er Hess sogleich — ländlich, sittlich — die 
Hebamme holen, die ihm ein Klystier geben musste. Als ich am 
anderen Morgen gegen 9 Uhr geholt wurde, fand ich einen Sterben¬ 
den mit den Zeichen der Perforation. Die Sektion ergab: Carci- 
nom des Pylorus, welcher für einen Bleistift nicht mehr durch¬ 
gängig war, und Perforation der Magenwand dicht am Pylorus an 
2 Steilen. 

Zum Schluss möge mit gütiger Erlaubniss des Herrn 
Dr. K i m m i g, welcher den Fall zuerst behandelte, noch ein 
kurzer Bericht Uber eine erfolglos ausgeführte Lumbalpunktion 
kommen: Ein ca. 11 jähriger Bube hatte einen ungefähr gleich¬ 
altrigen geschlagen und zwar nach Aussage Dieses in die linke Seite 
nnd auf den Kopf. Der Geprügelte kam mit Mühe heim, legte sich, 
erbrach, wurde bewusstlos und bekam krampfartige Anfälle. Herr 
Dr. K. konstatirte, wie er mir mitzutheilen die Güte hatte, am 
2. Tag Gehirnentzündung, es bestand hohes Fieber. Als ich am 
4. Tag zugezogen wurde, bestanden alle Symptome des Hirn- 
druckes ln Folge entzündlicher Reizung. Ich schlug als Ultima 
ratio die Lumbalpunktion vor und führte dieselbe aus, wobei etwa 
32 ccm trüber, zum Schluss schwach blutiger Flüssigkeit entleert 
wurden. Die vorher bestandenen Zuckungen der Extremitäten 
Hessen auf etwa 1 Stunde nach, kehrten jedoch alsdann wieder 
und in der Nacht starb das Kind. Die Sektion wurde gemacht: 
Keine Spur einer gewaltsamen Verletzung, das Ilerz, wie sämmt- 
llche sonstige innere Organe auffallend schlaff und blutleer, ln den 
IiUngen alte tuberk. verkalkte Herde von etwa Erbsengrösse. Die 
Dura mater mit der Schädeldecke verwachsen, in Ihr eingelagert 
weissliche hirsekornartige Knötchen. Die ganze Hirnmasse sehr 
matsch und trüb, die Ventrikel fast leer, nirgends grössere Blut- 
pnnkte. Alles in Allem ein Sektionsbefund, der unseren Erwar¬ 
tungen durchaus nicht entsprach. 


Vergleichende Untersuchungen über die Leistung ver¬ 
schiedener Inhalationssysteme. 

Von Dr. Rudolf Emmerich. 

In einer unter der obigen Ueberschrift in No. 26 der Müncli. 
med. Wochenschr. veröffentlichten Abhandlung habe ich ohne 
Jedes selbstsüchtige Interesse die Resultate mitgetheilt, welche 
die vergleichende Untersuchung einiger zu therapeutischen Zwecken 
gebräuchlicher Zerstäubungsapparate ergeben hat. 

Diese Ergebnisse waren insofern merkwürdig und von prak¬ 
tischem Werth, als ich fand, dass im W a s m u t h’sclien Inba- 
lationsraum im Allgem. Krankenhaus München 1. d. I. sowohl 
bol Yi ständiger Funktion des W a s m u t h’schcn als auch des 
R e i t z’schen Zerstäubers, die Luft, nicht wie man allgemein 
glaubte, mit Flüssigkeltstrüpfchen, sondern mit krystallinischem 
Kochsalzstaub erfüllt ist, wenn Soole (3 proc. Kochsalzlösung) zer¬ 
stäubt wird. 

No. 40. 


Die Richtigkeit dieses aus unmittelbarer mikroskopischer Be¬ 
obachtung erzielten Resultates ist über Jeden Zweifel sicherge¬ 
stellt und lässt sich auch reichlich begründen. 

Trotzdem glaubt Herr W a s m u t h , dieses Resultat an¬ 
zweifeln zu müssen und zwar auf eine Art und Weise, durch die 
sich selbst ein Anfänger, welcher zum erstenmal eine experimen¬ 
telle Arbeit ausgeführt hat, beleidigt fühlen müsste. 

Herr W a s m u t h sagt, „dass nicht diejenigen sich einer 
„groben Täuschung“ hingegeben haben, welche des Glaubens 
waren, „die dichten, den Inhalationsraum erfüllenden Staub¬ 
wolken beständen aus nassem, d. h. aus Flüssigkeitströpfchen zu¬ 
sammengesetztem Nebel“, sondern Herr Prof. Emmerich mit 
seiner Entdeckung, dieser „Nebel“ werde durch „massenhaft 
niederfallende Kochsalzkrystalle“ vorgetäuscht“. 

Man sollte nun denken, Herr W a s in u t h würde diesen 
schweren Vorwurf durch Versuche begründen, die er im Inha- 
lationsiaum des Münch, allgem. Krankenhauses 1. d. I. unter den 
gleichen Bedingungen, wie ich, durcligeführt hat, denn ich hatte 
ja ganz besonders hervorgehobeu, dass meine Resultate vorläufig 
nur für die an genanntem Ort bestehenden Einrichtungen und 
Verhältnisse Giltigkeit haben. 

Herr Wasmutli hat sich der Mühe, die solche Versuche 
machen, nicht unterzogen und sich die Sache viel leichter gemacht: 
er nimmt an, ich hätte bei der Zusammenstellung und dem Ge¬ 
brauch der von mir benützten, höchst einfachen, Apparate so 
schülerhafte Fehler begangen, wie ich sie bei den vielen Hunderten 
von Studenten, Aerzten und Hygienikern, die ich in der Aus¬ 
führung der hygienischen Untersuchungsmethoden im Verlauf von 
mehr als 20 Jahren unterrichtete, sogar nur selten zu rügen Ver¬ 
anlassung hatte. 

Herr W a s ra u t h findet es unerklärlich, dass beim Nieder¬ 
fallen 


von 1000 Na Cl-Krystallen (Clar) 2,6 mgr Na CI 
» 1^0 „ „ „ (Reitzl) 1,8 „ „ 

„ 3ü0d „ „ „ (Reitz II) 1,0 B „ 

in dem von mir analog den Itespiratiousorganen konstruirten 
Apparat gefunden wurden. 

Die Erklärung liegt darin, dass der C1 a r'sche und der 
Reitz I-Zerstäuber sich in einem kleineren Raum befanden als 
Reitz II, sowie, dass neben deu Kochsalzkrystallen bei den 
beiden erstgenannten Systemen im kleineren Raum auch noch eine 
geringe Zahl von FlUssigkeitstrüpfchen in der Luft enthalten 
war, deren bei beiden Zerstäubern sehr verschiedene Menge 
das scheinbar widersprechende Resultat bedingte. Ausserdem 
konnte die Zählung der auf die Objektträger niederfallenden 
Krystalle selbstverständlich nicht zur gleichen Zeit ausgeführt 
werden, wie die Ansaugeversuche. 

Anstatt diese Verhältnisse in Erwägung zu ziehen, klammert 
sich Herr Wasmuthan einen für Jedermann ersichtlichen Druck¬ 
fehler meiner Abhandlung an, in wolcher die den Kehlkopfschlitz 
ersetzende Röhre zu 0,3 mm Weite angegeben ist, statt zu 0,3 cm, 
und sagt in völliger Unkenntulss der Art der Ausführung der¬ 
artiger Versuche: „Meine 300 Krystalle fanden möglicher Weise 
die nur 0,3 mm (!) weite Röhre (c) bereits (sic!) ganz verstopft vor 
und die Magenpumpe saugte vielleicht die Luft an irgend einer 
oder mehreren der 14 (thatsächlich sind es nur 10) Verbindungs¬ 
stellen des Einathmungsapparates, welche Im Laufe des Experi¬ 
mentes undicht geworden waren.“ 

Es ist ein billiges aber boshaftes Vergnügen, dem Gegner 
derartige kindliche Fehler zu subponiren, die, wie z. B. die Ver¬ 
stopfung der Röhre c und die Undichtigkeit der Gummischlauch¬ 
verbindungen Jedem geradezu unmöglich erscheinen werden, der 
weiss, dass man die Dichtigkeit derartiger Apparate in der Zeit 
von wenigen Minuten sicher zu kontrollren vermag. Dass es sich 
um eine 0,3 cm weite Röhre und nicht um ein 0,3 mm weites 
Capillarrohr handelte, hat Herr Wasmuth aus der von mir bei¬ 
gegebenen Zeichnung des Apparates deutlich ersehen, und wenn 
er diesen offenkundigen Druckfehler gleichwohl in so lächerlicher 
Weise ausschlachtet, so zeigt dies nur, wie kläglich schwach seine 
Argumente sind. 

Herr Wasmuth sucht nun weiterhin dem Leser Sand (man 
könnte auch sagen Kochsalzstaub) in die Augen zu streuen. Er 
stellt nämlich eine Rechnung an, aus welcher hervorgehen soll, 
dass in der Luft seines Inhalationsraumes unmöglich Kochsalz¬ 
staub, statt Flüssigkeitstropfen enthalten sind. Wasmuth sagt: 
„Würden Herrn Prof. E m m e r I c h’s Behauptungen zutreffen, so 
müsste man nach Verlauf eines Vormittags, sagen wir nach vier¬ 
stündiger Zerstäubung, bei Anwesenheit eines Apparates circa 
1 Pfund Salz auf dem Fussboden zusaminenfegen können“ (weil 
pro Stunde 3—5 Liter Sohle mit je 30 g Salz zerstäubt werden). 

Wasmuth hatte, als er dieses, den Unkundigen über¬ 
raschende, Rechenexempel niederschrieb, offenbar vergessen, dass 
er einige Zeilen vorher mitthellte, sein Inhalationsraum werde 
mit 900 ccm Luft pro Stunde ventilirt, so dass die Luft des nur 
72 ccm grossen Raumes stündlich 12'/i mal erneuert werde. 

Diese enorme, durch den Inhalationsraum ununterbrochen 
strömende Luftmenge reisst natürlich fast allen Kochsalzstaub 
aus demselben mit fort und die mikroskopisch kleinen Salz- 
krystallo fliegen leicht, ohne niederzufallen, durch die weiten 
Abzugskanäle hinaus. 

Diese Durchlüftung des Inhalationsraumes mit 900 eom Luft 
pro Stunde gibt nun auch eine völlig ausreichende Erklärung da¬ 
für, dass die ln der genannten Zeit zerstäubten 3—4 Liter Soole 
so vollständig verdunsten, dass man in der Luft keine Flüslgkeits- 


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1572 


MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


tröpfohon, sondern nur eine leichte, durchsichtige, aus Ivochsalz- 
krystallen bestehende Staubwolke vorfindet und in dem völlig 
trockenen Itaum nicht einmal Wassercondeusatiou an den 
Fenstern wahrzunehmen Ist. 

Die von Aussen in der grossen Menge von IKK) ccm pro Stunde 
zugeführte Luft ist niimilch ln München häufig sehr trocken, so 
dass, zumal im Sommer, ein Siittigungsdelieit von 20 g keine 
Seltenheit ist. An dem Tage, an welchem ich die Versuche mit 
dem W a s ui u t h’schen Zerstäuber nusfülirte, betrug die ver¬ 
mittels des Psychrometers ermittelte absolute Feuchtigkeit der 
freien Luft 11,0 g und 1 cbm Luft konnte bei der im lnlmlations- 
raum konstatirten Temperatur von 21 u C. noch 7,2 g Wasser bis 
zur vollen Sättigung uufuelimen. Die pro Stunde in den Was- 
m u t h’schen lnhalationsraum gesaugten IKK) cbm Luft wären also 
im Stande gewesen (000 x 7,2) 0'/, Liter zerstäubter Soole voll¬ 
ständig wegzutrocknen, wenn soviel zerstäubt worden wäre. 
Thatsächlich wurden aber nur 3 bis 3Liter Soole in der Stunde 
zerstäubt. Berechnet man nun, um wie viel die relative Feuchtig¬ 
keit der Luft des Inhalationsraumes sich erhöhen musste, falls 
die Luft wirklich die Gesammtmenge der zerstäubten 3 '4 Liter 
Soole in Form von unsichtbarem Wasserdampf aufnahm, so er¬ 
geben sich SO Proc., eine Zahl, die mit der vermittels des W o 1 - 
pert’sclien Procenthygrometers am Bilde des Versuches that¬ 
sächlich bestimmten relativen Feuchtigkeit des Inhalationsraumes 
von 80 Proc. vollkommen übereinstimmt. Bs war also keine Ein¬ 
bildung meinerseits, sondern eine Nothwendigkeit, dass die Ge¬ 
summt menge der zerstäubten 3% Liter Soole verdunsten, die 
Flüssigkeitströpfchen also auch der Luft verschwinden mussten, 
damit die relative Feuchtigkeit der Luft des Inhalationsraumes 
auf SO Proc. Anwachsen konnte'). 

Man hätte also schon auf Grund dieser Zahlen und Lieber- 
legungen mit Bestimmtheit seliliessen können, dass in der Luft des 
W a s m u t h'schen Inhalationsraumes bei der Zerstäubung der 
Soolequantität von 3 bis 5 oder sogar 0 Liter keine Flüssigkeits¬ 
tröpfchen, sondern nur trockener Kochsalzstaub vorhanden sein 
kann. Der direkte mikroskopische Nachweis durch Untersuchung 
der an 12 verschiedenen Stellen des Raumes exponirten Objekt¬ 
träger wäre also nicht einmal nöthlg gewesen. 

Damit ist es vollkommen klargestellt, wesshalb in der Luft 
des W a s m u t h’schen Inhalationsraumes kein nasser, aus Flüssig- 
keitströpfclien bestehender Nebel, sondern nur trockener, krystal- 
liniseher Kochsalzstaub gefunden wurde. An dieser Thatsaclie, 
«lie jederzeit auf’s Neue festgestellt und koutrolirt werden kann, 
ändert sich nichts, auch wenn Herr Wnsmuth 10 hygienische 
Institute statt eines zu Käthe zieht. 

Herr W a s m u t h woiss nun, Dank meiner Untersuchungen, 
was er au seinen Inhalatorien ändern muss, damit die Kranken 
vom Gebrauche derselben keinen Schaden, sondern Nutzen haben. 

Ich glaube, dass es ihm mit Hilfe seines Zerstäubungs- 
apparates, den ich keineswegs getadelt habe, möglich sein wird, 
mit Flüssigkeitströpfchen erfüllte Inhalatorien zu schaffen, wenn 
er die Fingerzeige befolgt, die ich ihm gegeben habe -'). 

Es lag mir daran, zu zeigen, dass die Einrichtung von Inhala¬ 
torien gegenwärtig vielfach nicht die richtige ist und dass dabei 
Verhältnisse und Fragen in Betracht kommen, die im Allgemeinen 
nur der Hygieniker zu beurtheileu vermag. Jedes grössere In¬ 
halatorium sollte vor dem Gebrauch einer sachverständigen Kon- 
trole unterzogen werden. 

Herr Dr. B u 11 i u g hat dieses Prinzip für die von ihm zu 
errichtenden Inhalatorien von vornherein aufgestellt und dies war 
mit ein Grund, wesshalb ich dieselben empfohlen halie. 

Ich habe durch meine Untersuchungen Herrn Wnsmuth 
und vielleicht auch der leidenden Menschheit einen Dienst er- 
wiesen, und es ist mir von Interesse, zu sehen, wie sich Herr 
Wnsmuth entschuldigen und für meine Belehrung bedanken 
wird. 


Alwin v. Coler. 

Wenn in hundert Jahren Einer die Geschichte der ärztlichen 
Wissenschaft und des ärztlichen Standes schreibt, dann wird er 
bei Alwin v. Coler, dem Generalstabsarzt der preussi sehen 
Armee, ehrfurchtsvoll Halt machen. 

Hier ist ein Markstein in der Geschichte der Medicin, und 
der Historiker wird dieser Persönlichkeit zwei Kapitol widmen 
müssen, das eine mit der Ueberschrift: Ausgestaltung des Hoeres- 
Sanitätswcsens, das andere: Eintritt der Militärärzte in die 
wissenschaftliche Forschung betitelt. 

') Schliesst man die Luft-Zu- und Abführungskanäle zum 
grössten Theil ab. so sind im W a s m u t h'schen Inhalationsraum 
reichlich Flüssigkeitströpfchen zu beobachten. 

J ) Herr W a s m u t h wird sich dabei aber auch mit einer 
relativen Feuchtigkeit von 100 Proc. im Inhalatorium zufrieden 
geben müssen. Eine ruhende Person empüudet dabei, wenn die 
Beschaffenheit der Luft in anderen bekannten Beziehungen ge¬ 
eignet ist, keine L T nnunelimliehkeiten. Wir halten uns ja auch 
bei Kegen und 100 I’roc. relativer Feuchtigkeit mit Beilagen im 
Freien auf. Die relative Feuchtigkeit von 100 Proc. im B u 1 - 
1 i n g’scheu Inhalatorium ist keiu Nachtheil und der Aufenthalt 
m Inhalatorium ist trotz derselben ein angenehmer. 


Wohl haben auch früher die Sanitütsformationen in den 
Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 ihre Schuldigkeit gethan. 
Coler selbst hat sich hei Errichtung des 3. schweren Feld¬ 
lazaretts in Hör sitz in der Nacht vom 3.—4. Juli 1866 und 
später in der von ihm selbst geschaffenen Stellung eines Divisions¬ 
arztes (bei der/1. Division) ausgezeichnet. Aber mit den 
wachsenden Anforderungen an die Schlagfertigkeit der sich 
stetig vergrössernden Armee, mit der schnellen Entwickelung der 
Gesundheitspflege und mit den Fortschritten der Medicin 
wuchsen auch die Aufgaben, die im Krieg und Frieden an die 
Militärärzte herantreten. Die Kriegs- und die Friedenssanitäts¬ 
ordnung, diese aus dein Jahre 1891, jene von 1878, stellen die 
Werke dar, welche in mustcrgiltiger Weise für alle denkbaren 
Fälle Vorsorge getroffen haben. Und wenn andere Staaten ihre 
Organisationen darnach einrichteten, so ist das nicht allein für 
ihren Schöpfer ein Ruhm, sondern für unser ganzes Reich. 

Für v. Coler war die Stellung als Generalstabsarzt der 
Armee und Chef des Sanitätscorps, die er seit 18S9 inne hatte, 
nicht ein Posten zum Ausruhen. Lebhaften Temperaments und 
ganz in seinem Berufe aufgehend, benützte er seinen Einfluss, 
um alle Fortschritte in der Technik und Wissenschaft jederzeit 
in seinem Wirkungskreise zur praktischen Verwendung zu 
bringen. So richtete er in der unter seiner Leitung mit neuem 
Leben erfüllten Kaiser Wilhelms-Akademie das erste, in grossem 
Stile arbeitende Röntgencabinet ein, deren Bilder noch heute ob 
ihrer Vorzüglichkeit geschätzt sind; und welche That die Ein¬ 
führung der Arzneimittel in Tablettenform und die ganze, eben 
zur Durchführung kommende Neuausrüstung der Armee dar¬ 
stellt, vermag nur Derjenige, zu ermessen, der sich einmal die 
realen Verhältnisse des Krieges vor Augen geführt hat. 

Aber er begnügte sich nicht allein mit organisatorischen und 
technischen Vervollkommnungen. Der Arzt in ihm verleugncte 
sich nie. Er wusste, dass der Kranke nicht bloss regelrecht 
verbunden sein und das zweckmässige Medikament verschrieben 
haben will, sondern dass er warm empfundenes Mitgefühl und 
menschliche Antheilnahmo eben so sehr nöthig hat. Wenn der 
Generalstabsarzt der Armee seinen Sanitätsoffizieren zurief: 
„Das Militärlazareth soll eine Stätte sein, wo der Erkrankte 
selbst die vollste Zuversicht empfindet und auch seine Vor¬ 
gesetzten und Angehörigen ihn einer allseitigen Fürsorge theil- 
haftig wissen, wie sie ihm im Schutze der Familie zu eigen sein 
würde“, so kommt darin ein hoher idealer Sinn zum Ausdruck, 
der doppelt leuchtet, jo seltener er gefunden wird. Der Erfolg 
hat seinem Einfluss und seinem Wirken nicht gefehlt; unsere 
Lazarcthe haben sich in der That zu Musteranstalten entwickelt, 
zwar nicht durch prunkvolle Ausstattung im Aeussern, aber 
durch sorgfältige Verwaltung in mcdicinisch-technischer, hygie¬ 
nischer und ökonomischer Hinsicht. Durcli die Einführung der 
Chefärzte hat v. Coler den praktischen Beweis geliefert, dass 
Aerzte auch Verwaltuugsgosehäfte besorgen können, so gut, wo 
nicht besser als jeder Andere. 

Aber v. C o 1 e r war sieh klar, dass nicht allein die Zweck¬ 
mässigkeit der Organisation, sondern in erster Linie die Vor¬ 
züglichkeit der Leistungen das Sanitätscorps vorwärts bringen 
konnten. Die Weiterbildung der Militärärzte im Ganzen durch 
Fortbildungskurse an den Universitäten, wie die besondere Aus¬ 
bildung Einzelner dureh längere Kommandirungen zu Kliniken 
und Instituten lug ihm daher immer am Herzen. Die Zahl der 
werthvollen Arbeiten, wie die häufigen Berufungen von Militär¬ 
ärzten an Hochschulen oder andere grosso Anstalten beweisen, 
mit welch’ glücklicher Hand er die geeigneten Persönlichkeiten 
herauszugreifen wusste. Als 1892 die Cholera an die Pforten 
des Reiche« klopfte, da konnte er sofort die erforderliche Zahl 
gut vorgebildeter Militärärzte sowohl für Cholera-Krankenhäuser, 
als auch für die notlnvendigen hygienischen Ueberwachungen 
aufbieten, eine Leistung, die einzig in der Geschichte dasteht 
und kaum jo von anderen Organisationen erreicht werden wird. 
In dieser kritischen Zeit verstand er es, den Stand der MiHt-iir- 
iirzto immer mehr zu heben, und diese werden nie vergessen, zu 
welch’ grossem Dank sie ihm in dieser Beziehung verpflichtet 
sind. Aber auch das Civilinedicinalwesen und die Civilärzte 
sind ihm Dank schuldig; er trat stets für eine enge Fühlung, 
insbesondere mit den Universitäten, ein, und manche von den 
Einrichtungen, die er im Militärsanitätswesen getroffen, sind 
dort vorbildlich geworden. 


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1. Oktober 1901. 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1573 


Nun weilt sie nicht mehr unter uns, die hohe elastische Ge¬ 
stalt, die für Jeden Ehrfurcht und Zutrauen zu vereinigen 
wusste. Eine Persönlichkeit ist entschwunden, deren Idealismus 
und Energie durch das Alter und die vielen, ihm entgogen- 
gethürmtcn Schwierigkeiten noch zu wachsen schien. Ein Leber- 
carcinom hat seinem irdischen Dasein ein Ende bereitet. Aber 
wir Zurückbleibende hoffen, dass das Lebenswerk, das er ge¬ 
zimmert, sich als dauerhaft erweisen und dass sein Geist in 
seinen Nachfolgern noch lange lebendig weitenvirken möge; 
dann wird die Spur von seinen Erdentagen nicht in Aeoncn 
untergeh’n. 

Aus der medicinischen Hexenküche. 

Beitrag zur Geschichte der Medicin im Mittelalter. 

Von Dr. Julian Marcuae in Mannheim. 

Die Geschichte des menschlichen Aberglaubens ist mit der 
Geschichte der Medicin auf's engste verknüpft und nimmt einen 
breiten Kaum in der Lehre von der Heilkunde ein. Schwär¬ 
merische Mystik, kabbalistische Spitzfindigkeit und betrügerische 
Magie Avaren Jahrhunderte lang das Kennzeichen medicinischer 
Wissenslosigkeit und die Stätte, wo Volksbetrüger und Charla- 
tane den Lohn der Bethörung sich in Gestalt von Ruhm, Reich- 
thümera, ja selbst von Anbetung holten. Eingeleitet wird dieses 
Zeitalter von der Mönchsmedicin des zwölften Jahrhunderts, und 
seine Wiedergeburt feierte es in den Epigonen des Mannes, der 
mehr wie eine Episode ln der Geschichte der Medicin bedeutet, 
nämlich von Paracelsus. 

Ein genialer Denker, mit scharfer Beobachtungsgabe ausge- 
stnttet, knüpfen sich an seine Erscheinung alle Hoffnungen, aber 
auch alle Enttäuschungen, und während er auf der einen Seite 
mit kühnem Geiste die Heilkunde von dem Galcnischen und 
arabischen Dogmenglauben befreit und auf eine empirische Basis 
zurückzuführen sucht, versinkt er auf der anderen Seite in einer 
mystischen Welt und seine genialsten Gedanken verlieren sich in 
un fruchtbaren Spekulationen und Vorstellungen. Nichtsdesto- 
Aveuiger bleibt die Bedeutung des Paracelsus für die Entwick¬ 
lung der Medicin unbestritten, um so mehr, Avenn man sein Bild 
mit dem seiner unwürdigen, ihm folgenden Anhänger A’erglelclit. 
Lebendigen Geistes hatte er eine kräftige Bewegung in die ärzt¬ 
liche Welt gebracht, dieselbe aufgerüttelt und befruchtend auf 
sie gewirkt, hatte er Chiromantie, lloroskopie, und wie diese 
schAvarzen Künste alle heissen mögen, fern von sich 
gewiesen, hatte er lauteren und uneigennützigen Charaktere alle 
diejenigen, Avelche sich für Goldmacher, für Erfinder des Steines 
der \> eisen ausgaben, als Narren und Betrüger gestempelt. Seine 
unbestrittene Förderung der Chemie, die nach ihm nur der Arznci- 
uicht der Goldmacherkunst dienen sollte, bildet einen Glanzpunkt 
seiner Lehre Avie seiner Bestrebungen, aber auch den Ausgangs¬ 
punkt aller betrügerischen Vorhaben seiner Epigonen. Ein 
SchAvarm abenteuerlicher Gesellen heftete sich an seine Fersen, 
halbverdorbene Theologen und Juristen, die als paracelsische 
Heilküustler auftraten, Avie Michael Bapst von Itochlitz, Johann 
Gramann und andere, — offenbare Betrüger, die auf Raub aus¬ 
gehend, die leichtgläubige Masse mit den von Paracelsus em¬ 
pfohlenen Heilmitteln in gröblichster Weise täuschten, der berüch- 
tigste unter diesen der Adept Turneysser zum Thum. Seine 
Bedeutung in der Zeitgeschichte des sechzehnten Jahrhunderts 
— er lebte von 1530—1596 — rechtfertigt ein näheres Eingehen 
auf seine Person. 

Als Sohn eines Goldschmieds wurde er zu Basel gelmren 
und in dem Handwerk des Vaters erzogen; den Grund zu seiner 
späteren ärztlichen Thäitigkeit legte jedoch sein Verkehr mit einem 
Baseler Arzte, dem er Kräuter sammeln, Arzneien bereiten half 
und dein er aus den Schriften des Paracelsus vorlesen durfte. 
Dadurch bekam er Lust zur Arznei Wissenschaft, besonders zur 
Botanik, und als er sich später bei seiner Profession als Gold¬ 
schmied mit dem Schmelzen, Mischen uud Anderem der Metalle 
beschäftigte, Neigungen und Kenntnisse in der Chemie uud den 
NaturAvissenschaften. Doch schon in jugendlichem Alter musste 
er Basel verlassen, Avidrige Verhältnisse, die er theihveise selbst 
durch betrügerische Handlungen heraufbeschworen hatte, nötliig- 
ten ihn hierzu. Er ging 1548 im 18. Lebensjahre nach England, 
das folgende Jahr nach Frankreich und, als er nach Deutschland 
zurückkehrte, nahm er Dienste bei der Armee des Markgrafen 
Albrecht von Brandenburg und machte die Plünderzüge dieses 
undisziplinirten Haufens im römischen Reiche mit. Wenige Jahre 
später kehrte er zu seinem Goldschmiedsberufe zurück, beschäf¬ 
tigte sich gleichzeitig mit dem BergwerksAvesen, legte in Tirol 
Schmelz- und ScliAvefelhütten an und erraug sich ln Kurzem als 
Kenner des Bergbaues einen grossen Ruf. Die Vielseitigkeit des 
geschäftigen Mannes erhellt daraus, dass er in dieser Zeit steter 
Arbeit und Reisen — diese letzteren führten ihn selbst nach Afrika 
und Asien — noch Müsse fand, mit landesherrlicher Erlaubniss 
1551) eine Frau zu seciren, der zur Strafe alle Adern geöffnet 
Avorden Avaren. Es ist dies auch ein Zeichen der Wertlischiitzung, 
in der er schon damals stand, denn Anatomie praktisch zu betreiben, 
war nur den Wenigsten gestattet und vor Allem nur Fachärzten. 
Es ist fraglich, in wie weit diese ihm eingeräumte Erlaubniss, 
die scheinbar eine Bethätigung Avlssenschaftllchen Strebens war, 
nicht vielmehr nur zur Gloriole seiner Persönlichkeit nach aussen 
dienen sollte, denn von nun au beginnt eine Zeit im Leben Thurn- 


eysser’s, ln der er seinen Avahren Beruf als „Schwarzkünstler“ 
erkannt zu haben scheint. NIit einem flelierhaften Flelss wirft 
er sich auf alchymlstische uud astrologische Studien, praktlzirt, 
macht Wunderkuren und beginnt eine Reihe von medicinischen 
Büchern zu sehreil>en. Die bekanntesten von diesen sind sein 
„Kräuterbuch“, Avelches in Frankfurt n. O. gedruckt und mit 
Kupferstichen versehen wurde, sein Buch der „Heilquellen“ und 
seine Kalender, die nach Art der damaligen Zeit im Lande ver¬ 
breitet Avurden und den Namen des Verfassers ln die Aveitesten 
Kreise trugen. Unleugbar war Thumeysser ein kluger Kopf, 
ein scharfer Beobachter uud Menschenkenner; er besass eine un¬ 
ermüdliche Wissbegier und ein A’ortreffliclies Gedächtnis». Alles 
dies kam ihm vorzüglich zu statten, einmal, um seine völlige 
Ignoranz in medicinischen Dingen zu verdecken, und weiterhin, 
um die ScliAvächen der Menschen in cliarlatanhaftem Raffinement 
auszubeuteu. In der theoretischen Arznei Wissenschaft, so gut sie 
oamals, vor der Entdeckung des Blutkreislaufs, sein konnte, hatte 
er nicht die geringsten Kenntnisse und seine Erklärungen der 
lvrankheitsursachen und die Beurtheilung derselben, die er zu- 
AA-eilen in den noch näher zu besprechenden Harnproben abgibt, 
sind ebenso ungereimt Avie einfältig. In der praktischen Medicin 
verliess er sich auf die in allen Ländern von ihm gesammelten 
Recepte; die chemischen Mittel, die er geheim hielt, gab er selber 
und legte sie nebst einer versiegelten Vorschrift, Avie sie gebraucht 
Averden sollten, seinen Gutachten bei. Für Jeden einzelnen Zufall. 
JecTes einzelne Symptom der Krankheit verordnet? er besondere 
Mittel und der Kranke, der vielerlei verschiedene Erscheinungen 
hatte, erhielt auch eine grosse Menge von Arzneien, also eine 
Medikasterei schlimmster uud unwissendster Art. Natürlich 
hatte auch er, wie alle Cliarlatane. sein System, und dass es ab¬ 
sonderlich genug Avar, um die Köpfe der Menge zu bethöreu, dafür 
hatte er gesorgt. Er beurtlieilte nämlich die Leibesgebreehen der 
Menschen nicht allein hydrostatisch, nach der grösseren oder ge¬ 
ringeren Schwere des Harns, sondern er theilte den menschlichen 
Körper nach einem verjüngten Maassstab der Länge nach in 
vierundzwanzig Grade ein und nahm die Proportion des ganzen 
Körpers zu sieben Hauptlängen an. In ebenso viele Grade Avurde 
das dazu verfertigte Destilllrglas, Avelehes lang und von oben 
bis unten von gleicher Weite Avar, abgetheilt. Auch der Ofen, 
der dazu gehörte, war nach dieser Form eingerichtet. Wenn nun 
beim Destilliren des Harns in diesen verschiedenen Abtheilungen 
des Destillirglases sich Dämpfe, Niederschläge oder dergleichen an¬ 
setzten, so sollten nach den abgetheilten Verhältnissen auch in 
den Eingeweide!» und Gliedern, die damit korrespoudirten. sich 
ebensolche Materien angehäuft finden und daraus diagnostizirte 
er soavoIiI die gegcnAvärtigen Ursachen der Krankheit als auch 
prognostizirte er die kommenden. Denen, die ihn konsultirten, 
schickte er die bei der Destillation gefundenen Produkte in be¬ 
sonderen Papieren zu, damit sie um so mehr von der Richtigkeit 
seiner Angaben tiberzeugt würden. Avie genau er alles wisse, wie 
es mit jedem Eingeweide ihres Körpers beschaffen. Avelche Mittel 
entsprechend den aufgefundeuen Uelieln zu bereiten wären, ln 
diesem blöden Trug beAA'ogt sich seine ganze Ilcillehro uud ihr 
en.sprechend Avareu auch die von ihm angewandten Mittel. Gold, 
Edelgestein und Perlen bildeten die Hauptingredienzlen seiner 
Arzneien, von deren Werth die Käufer, von deren Nutzen der 
Verkäufer reichlich überzeugt Avurde. So wurde ein Lot Aurum 
potabile mit 16 Thalern bezahlt, Bernsteinessenz mit 5 Thalern, 
destillirtes Amethystemvasser, ebenso destillirtes Komliemvasser 
mit 3 Thalern, ferner gab es in seinem Arzneischatz Rnbiuen- 
tinklur. Saphirtinktur, auf verschiedene Art präparirtes rerleu- 
pulver, Goldpulver und ähnliche Arcana in Mengen. Von ver- 
schiedenen Essenzen aus Wurzeln und anderen Vegetabillen 
verkaufte er ein Lot um 4 Tlialer und die Avohlfeilsten das 
Lot 1 Tlialer; dagegen kostete 1 Lot Diaplioreticum soiis 10, 
ein Lot Tinctura antimonil 10, ein Lot Spiritus vinl 0 Tlialer. 
Zur Verfertigung seiner Arzneien unterhielt er eine Menge Labo¬ 
ranten, deren Zahl sich mächtig in dem Augenblick steigerte, avo 
er die höchste Staffel seiner Laufbahn, die Stelle als Leibarzt 
am Hofe des Kurfürsten von Brandenburg, erreicht hatte. Die 
Kunde von seinen Wunderkureu AA-ar bis an den Hof gedrungen, 
man Aviinschte seine Bekanntschaft zu machen, ein für ihn glück¬ 
licher Zufall, ein Unwohlsein der Kurfürstin, lies» ihn sein Licht 
nicht unter den Scheffel stelleu und im Jahre 1371 erhielt er 
seine Bestallung als Leibarzt mit einem Gehalt von jährlich 
1352 Thalern, einer DienstAVohnung und anderen Subsldien. ln 
dem Klostergebäude, das ihm als Wohnung angewiesen war. legte 
er eine weitläufige Buchdruckerei an, um die von ihm verfassten 
Werke selbst drucken zu können, hielt sich Schreiber, Laboranten 
und Handlanger für seine chemischen Versuch«* und für die Ver¬ 
fertigung der geheimen Arzneien, die einen Hofstaat von mehr 
als zweihundert Personen umfassten. Man erzählt von ihm, dass 
er einen grossen Aufwand iui Kleidern trieb, stets in schwarz- 
sanimtnen Kleidern, seidenen Strümpfen ging, um den Hals 
goldene Ketten mit damnhängenden kurfürstlichen Bildnissen 
und immer von zwei Edelknaben liegleitet. Wenn er fuhr, so 
geschah «*s vierspännig und seine Bediente gingen nebenher. Er 
Avur kaum am kurfürstlichen Hofe angekomm«*n, s«> kamen schon 
aus aller Herreu Länder Boten und Schreiben, die seinen Rath 
einliolen sollten, die vornehmsten Geschlechter, Fürsten, Grafen 
und hohe Beamte wandten sich an ihn, um seinen iimdieinischen 
Beistand bittend. Es existiivn Briefe von Kaiser Maximilian, von 
der Königin Elisabeth von England, vom König Friedrich II. von 
Dänemark, vom König von Polen Stephan Batliorl, von fast allen 
deutschen Markgrafen und regierenden Herrschern an Thumeysser, 
in kurzer Zeit war sein Name in Aller Munde. Dazu kam, dass 

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1574 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


er ausser Wunderkuren auch Prophezeiungen abgab und seine 
astrologischen Fähigkeiten ihm nicht minderen Zulauf brachten 
wie seine ärztlichen. Auch hier waren es wiederum in erster Reihe 
die Höfe, die sich an ihn wandten und Auskunft über alle nur 
erdenkbaren zukünftigen Ereignisse, über Wunder, Räthsel, 
Hexenspuk und dergleichen mehr haben wollten. Ausser diesen 
Anfragen und Beschäftigungen allerlei Art, die ihm seine aus¬ 
gedehnte medizinische Thätigkeit, sein Laboratorium, sein Natu¬ 
ralien- und Kunstkabinet, sein botanischer Garten und die von ihm 
angelegte Buchdruckerei gaben, stand er beinahe mit der ganzen 
Stadt in Verbindung. Sein Haus war wie ein Lombard und in 
ihm selbst wohnte die Seele eines grossen und geschäftigen 
Wucherers, die in Ihm eingezogen war, seitdem er Vermögen auf 
Vermögen erworben hatte. Wer Geld brauchte und Geldeswerth 
hatte, schickte es ihm zum Versetzen! Er lieh gegen hohe Zinsen, 
kaufte und verkaufte Metall und Edelgestein, übernahm secrete 
Missionen politischer und geschäftlicher Natur, kurzum eine Ge- 
schäftsrührigkeit und ein Erwerbssinn sondergleichen prädesti- 
nirten ihn zu jedem, noch so zweideutigen Unternehmen. Kein 
Wunder, dass auf diesem Wege sein Vermögen in’s Unermessliche 
wuchs, warfen doch die Druckerei, der Vertrieb der Kalender und 
Bücher, die in allen Landen verkauft wurden, die alchymistischen 
Handschriften, die gegen hohe Bezahlung an Fürsten und be¬ 
sonders bevorzugte Leute abgegeben wurden, und vor Allem die 
Arzneien und Harnproben, die er ausführte, ungezählte Summen 
ab. Diese Harnproben waren wahre Goldgruben für ihn: Wer es 
nur einigermaassen erschwingen konnte, pllgerte zu Thurneysser 
oder schickte ihm seinen Urin, auf dass er Kunde von vermeint¬ 
lichen oder kommenden Leiden erhielte. Und dieses Vergnügen 
musste theuer erkauft werden: Niemand durfte das „Propheten¬ 
wasser“ schicken, ohne 10 Thaler beizulegen; ausserdem musste 
der Bote das nöthlge Kleingeld haben, um die Arzneien, die sofort 
mitfolgten, zu bezahlen. Dafür erhielt man einen schriftlichen 
Bericht, ein Kauderwelsch ärgster Art, und einige Tincturen. 
Die minder Reichen kamen selten unter 4 bis 5 Thalern für Arz¬ 
neien weg. die reicheren und höheren Personen wurden nach 
Standesgebühr mit Goldtropfen, Perlentinctur, Amethystenwasser 
und anderen köstlichen Arzneien reichlich versehen, und das laus 
Deo, so nachkam, belief sich zuweilen auf 50 bis GO Thaler. Das 
Prophetenwasser wurde ihm täglich nicht allein aus der Mark, 
sondern auch aus Hamburg, Bremen, Lübeck, Strassburg. Basel. 
Augsburg, München, Wien und aus dem ganzen römischen Reiche, 
vornehmlich aber aus Böhmen, Mähren, Schlesien, Polen etc. mit 
eigenen Boten in versiegelten Gefässen zugeschickt, also ein Fern¬ 
heilverfahren, wie der geschmackvolle Ausdruck aus jüngster 
Zelt lautet, Idealster Art. Auch die ärztlichen Rathschläge, die 
ausser den Harnproben von ihm verlangt wurden, liess er sich sehr 
gut bezahlen. Wer nicht gleich Geld mitschickte, bekam keine Ant¬ 
wort. Graf üurchard zu Bnrbl hatte ihm von Leipzig aus seine 
Krankheitsgeschichte übersandt und keine Antwort erhalten; er 
begriff die Ursache, schrieb wieder und legte 100 Dukaten bei, 
nun wurde er umgehend bedient. Eine weitere Einnahmequelle 
war für ihn der Verschleiss von Talismans, der mit den Vorher¬ 
sagungen des Schicksals verbunden wurde, und bei dem weit ver¬ 
breiteten Aberglauben vom Nutzen und der Wirkung dieser 
Amulette ebenfalls blühte. So gestaltete sich Wirken und Schaffen 
dieses Mannes, der seine reichen Fähigkeiten ln den Dienst 
schnöder Habsucht stellte und dessen ganzes Leben nichts als 
eine ununterbrochene Kette von betrügerischen Manipulationen 
darstellt. 

Mitten in seiner glänzenden Laufbahn, im vollen Besitz der 
Gnade des Kurfürsten und des ganzen kurfürstlichen Hauses, mit 
Ehrenbezeugungen und Lobeserhebungen seitens der ganzen Welt 
überschüttet, im ruhigen Genuss glänzender Einkünfte und eines 
von Tag zu Tag sich mehrenden Vermögens, überhaupt mit den 
herrlichsten Aussichten in die Zukunft, wirkte auf ihn. wenn 
wir uns astrologisch Im Thurneysser’schen Sinne ausdrlickeu 
wollen, ein unglückliches Gestirn. Ein feindlicher Dämon lauerte 
in einem der zwölf Häuser seiner Nativität, welchen er mit keinem 
Talisman abgewandt hatte. Dieser flösste ihm eine unüberwind¬ 
bare Sehnsucht nach seinem Vaterlande ein, der er anfänglich 
widerstand, die aber heftiger und heftiger wurde und ihn nach 
Basel zurückzwjmg. Hier erfuhr der stolze und reiche Mann alle 
Widerwärtigkeiten des irdischen Lebens, er schloss eine unsagbar 
unglückliche Ehe, verstiess bald darauf seine Frau und nun kamen 
Bitterkeit um Bitterkeit Uber ihn, er wurde verfolgt, verlor sein 
ganzes Vermögen und aus dem Manne, der sein Jahrhundert mit 
frecher Stirn an seinen Triumphwagen gespannt hatte, wurde ein 
unglücklicher, elender Flüchtling, der sein Lebensende in Amiuth, 
Kummer und Noth in einem Kloster zu Köln beschloss. 

Lehrreich für die Geschichte der Mediciu ist die Person 
Thurneyssers zum Thurn in vielfacher Hinsicht, zeigt sie doch in 
drastischster Form, wie tief das Wesen des Wunderglaubens dem 
menschlichen Gemüthe eingeprägt ist und wie leichtes Spiel der 
gewissenloseste Betrüger hat, wenn er es nur versteht, den 
Wunderkitzel anzuregen! 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Die Frage des ärztlichen Unterstützungswesens auf 
dem deutschen Aerztetage zu Hildesheim 1901. 

An die verehrlichen ärztlichen Bezirksvereine Bayerns! 

Im vorigen Jahre habe ich in einem öffentlichen Anschreiben 
an die ärztlichen Bezirksvereine (No. 25 dieser Wochenschr.) kurz 
das ärztliche Unterstützungswesen in Bayern besprochen und den 
Versuch gemacht, das aktive Interesse der Kollegen für diesen 
Gegenstand zu wecken. 

Es ist begreiflich, dass demnach jegliche Bewegung auf diesem 
Gebiete mich lebhaft interessirt und ist mir desshalb wohl auch 
die Erörterung obigen Themas hier gestattet. 

Ich habe seiner Zeit dem Wunsch bezw. der Ueberzeugung 
Ausdruck gegeben, dass irgend ein grösserer Verein die Angelegen¬ 
heit in die Wege leite. 

Wenn nun dies auch bisher noch nicht so ganz in dem Sinne 
geschah, wie ich eigentlich erhoffte oder wenigstens wünschte, so 
muss ich es doch als ein sehr erfreuliches Ereigniss betrachten, 
dass einer der rührigsten ärztlichen Bezirksvereine unseres König¬ 
reiches — der Verein Südfranken — einen noch von einer Reihe 
anderer ärztlicher Vereine unterstützten Antrag vor den dies¬ 
jährigen deutschen Aerztetag brachte. 

Dieser Antrag wurde dort sachlich sowohl als formell in vor¬ 
züglicher Weise von Dr. Dörfler- Weissenburg vertreten; aller¬ 
dings begnügte sich derselbe mit einem etwas platonischen Erfolge, 
indem er zum Schluss aussprach, er halte d‘e gegebene Anregung 
für vollkommen mit Erfolg gekrönt, wenn der Aerztetag erkläre: 
„er erkenne an, dass bei dem heutigen Noth- 
stände der Aerzte die derzeitigen Unter¬ 
st U t z u n g s k a s s e u nicht mehr Im Stande sind, 
der Nothlage des Standes genügend entgegen¬ 
zuwirken. Der Aerztetag sei bereit, nach neuen 
Mitteln und Wegen zu suchen, die dem Noth- 
stände abhelfen könnten. Die Fürsorge für die 
Witt wen und Waisen der Aerzte, sowie für die 
vorübergehende und dauernde Invalidität der 
Aerzte soll jetzt die Hauptaufgabe der nächsten 
Aerztetage sein. Der Geschäftsausschuss werde 
in der nächsten Tagung bestimmte Direktiven 
In dieser Hinsicht dem Aerztetage unter¬ 
breite n.“ 

Diese Anregungen ernteten, wie ich aus dem offiziellen Be¬ 
richte über die Verhandlungen des Aerztetages ersehe, seitens der 
anwesenden Kollegen lebhaften Beifall: eine Abstimmung da¬ 
rüber erfolgte jedoch nicht. Dörfler hatte nämlich, nachdem er 
verhindert war, die Begründung seines Antrages in derWeise durch¬ 
zuführen, wie er es vorhatte, auf eine Antragstellung vorläufig 
verzichtet; er erklärte aber ausdrücklich, die Sache beim nächsten 
Aerztetage neuerdings zur Sprache zu bringen. 

Nach diesem Vorgehen scheint der Verein Südfranken bezw. 
sein Vertreter der gesicherten Erwartung zu sein, dass seitens 
des Aerztetages erfolgreiche Schritte geschehen, welche eine Neu¬ 
gestaltung des ärztlichen Uuterstützuugswesens für ganz Deutsch¬ 
land herbeizuführen im Stande seien. 

Der Verein geht dabei von der Anschauung aus, dass ceteris 
paribus eine Kasse mit einer grossen Mitgliederzahl bei Vertheilung 
des Risikos auf eine grössere Schulternzahl dauerhafter und 
leistungsfähiger sei. 

Die Richtigkeit dieser Voraussetzung wird wohl nicht Ihv 
stritten werden können, es frägt sich nur, ob durch den Deutschen 
Aerztebund der gehegte Plan der Gründung einer allgemeinen 
deutschen Kasse der Reallsirung in absehbarer Zeit entgegen¬ 
geführt werden kann. 

Was bisher seitens desselben in dieser Frage geschehen, lässt 
wohl berechtigte Zweifel hierüber zu. 

Wie Dr. Dörfler selbst in seinem Vortrage ausführt, hat 
der deutsche Aerztetag 1880 vorläufig noch für den lokalen Aus¬ 
bau derartiger Kassen sich ausgesprochen. 

Nach Mittheilung von Dr. Bensch- Berlin, der für allge¬ 
meinen Anschluss an die Versicherungskasse für die 
Aerzte Deutschlands (früher Centralhilfskasse) eintrat, 
liegt seitens des deutschen Aerztetages vom 29. Juni 1895 nach¬ 
stehende Empfehlung dieser Kasse vor: 

„Nachdem die Kommission des Geschäftsausschusses die vom 
vorjährigen Aerztetag vorgeschriebene Prüfung der rechnerischen 
Grundlagen von mehreren Seiten aus hat vornehmen lassen und 
das Resultat ein übereinstimmend gutes gewesen ist, nachdem 
ferner die neuen Satzungen der Centralhilfskasse für die Aerzte 
Deutschlands unter dem 10. Juni d. J. die staatliche Genehmigung 
erlangt haben, empfiehlt der diesjährige Aerzte¬ 
tag den Beitritt zur Central liilfskasse für die 
Aerzte Deutschlands und ermächtigt seinen Ausschuss, die Ehren¬ 
mitgliedschaft bei der Centralhilfskasse (1. § 4 der neuen Satz¬ 
ungen) anzunehmen.“ 

Mit Rücksicht auf dieses Verhalten des deutschen Aerzte¬ 
tages ist man zur Annahme befugt, dass derselbe auch ln Zukunft 
den Anschluss an die eben erwähnte Versicherungskasse empfehlen 
dürfte. 

Ein derartiger allgemeiner Anschluss an diese Kasse scheiterte 
aber bisher, wie Dörfler selbst ausführt, an den hohen, nicht 
für jeden Arzt zu erschwingenden Beiträgen,; gegen eine allgemeine 


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1. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1575 


deutsche Vereicherungskasse spricht nach ihm die Schwierigkeit, 
obligatorischen Beitritt hiezu zu erlangen und durchzuführen. Die 
bisherigen Erfahrungen aber haben dargethan, dass zum Bestand 
derartiger Kassen der Zwangsbeitritt unbedingt nothwendig ist. 

Dörfler sagt daher: „Hält man an dem obligatorischen Bei¬ 
tritt als conditio sine qua non für das Gedeihen eines solchen 
Unternehmens fest, so würden wir fast mit Naturnothwendigkeit 
zum Ausbau unserer bundesstaatlichen Kassen gedrängt. 

Für den Ausbau der bundesstaatlichen 
Kassen zu allgemeinen Hilfskassen mit Rechts¬ 
ansprüchen ihrer Mitglieder spricht vor Allem 
der ganze historische Gang der Dinge: die Un¬ 
möglichkeit, eine deutsche Aerzteordnung zu 
erhalten, die Einrichtung bundesstaatlicher 
Aerzteordnungen mit Umlagerecht, die staat¬ 
liche Subvention der bisherigen bundesstaat¬ 
lichen V e r s i c h e r u n g s k a 8 s e n weisen uns fast 
mit zwingender Gewalt auf diesen Weg; für eine 
solche spricht besonders auch der leichtere 
und auf gesetzlicher Basis zu erreichende Aus¬ 
bau, welch’ letzterer am besten eine wirklich 
allgemeine Betheiligung garantiren dürfte.“ 

Wer sich einigermaassen mit dem ärztlichen Versicherungs¬ 
wesen beschäftigt und dadurch die obwaltenden Verhältnisse 
kennen gelernt hat, wird dem Inhalt dieser Ausführungen Dorf• 
lcFs voll und ganz zustimmen. 

Dieselben lassen aber meiner Anschauung nach keinen 
anderen Entschluss zu, als thatsächlich an den Ausbau unserer be¬ 
stehenden bayerischen Unterstützungskassen hernnzutreten, an¬ 
statt neuerdings den nahezu aussichtslosem Versuch zu wagen, auf 
dem Umwege über den deutschen Aerztetag eine voraussichtlich 
wieder in den Sand verlaufende Bewegung nach Gründung einer 
allgemeinen deutschen Kasse in’s Leben rufen zu wollen. 

Der Gründung einer solchen Kasse oder dein Anschlüsse an 
die erwähnte deutsche Versicherungskasse scheint eben die Stim¬ 
mung der deutschen Aerzteweit zur Zeit nicht günstig; es zeigt sich 
dies auch aus den Bestrebungen der preussischen Aerztekammern, 
auf Grund des ihnen übertragenen Umlagerechts Unterstützungs- 
kassen zu gründen. 

Die Ursache liegt wohl darin, dass, wie ja schon die Aus¬ 
führungen D ö r f 1 e Fs darthun, es eben nur auf Grund des Um- 
lagerechts möglich ist, in erfolgreicher Weise die säumigen 
Stnndesgenossen zum Kassenbeitritt heranzuziehen. 

Dazu bietet der Ausbau der vorhandenen bundesstaatlichen 
Unterstützungskassen keineswegs die Schwierigkeiten, welche bei 
dem Versuche der Angliederuug bereits bestehender Kassen an 
eine allgemine deutsche Kasse entstehen würden. Es würden im 
letzteren Falle eine Reihe Bedenken bezüglich der Uebertragung 
der der Kassen gemachten Zuwendungen, z. B. der staatlichen 
Subventionen sich ergeben; diese Subventionen selbst würden dann 
wohl nicht mehr weiter gewährt werden. 

Würde eine Angliederung der bestehenden Vereine nicht er¬ 
folgen. so wäre wohl anzunehmen, dass die Mitglieder derselben 
zum Beitritte an eine neue weitere Kasse kaum sich entschlossen 
würden. Den Beitritt für diese bereits einer Unterstützungskasse 
angehörenden Aerzte obligatorisch zu machen, dies würde sich 
aber voraussichtlich nicht ermöglichen lassen, schon mit Rücksicht 
auf die Höhe der finanziellen Leistungen dieser Aerzte. 

Die Ausgaben für Lebensversicherung, Unfallversicherung, 
Haftpflichtversicherung, Wittwen- und Waisenversicherung, Sterlie- 
kassevereln, Verein für invalide, hilfsbedürftige Aerzte'), welche 
Jetzt schon das Budget des Arztes belasten, sind wahrlich nicht 
gering. 

Würden wir in Bayern an die Ausgestaltung unseres ärztlichen 
Versicherungswesens herantreten, so könnte ohne besondere 
Schwierigkeiten eine allgemeine Hilfskasse geschaffen werden, 
welche der bestehenden Nothlage kranker, berufsunfähiger Aerzte 
sowie der Hinterbliebenen derselben in erfolgreicher Weise zu 
steuern vermöchte. 

Auf welche Art dies am zweckmässlgsten geschieht, Ist eben 
Sache versicherungstechnischer Erwägung. 

Am wünschenswertesten erschiene mir der alsbaldige Ausbau 
unseres Unterstützungsvereins hilfsbedürftiger, invalider Aerzte zu 
einer Invalidenversicherungskasse für bayerische Aerzte; denn so¬ 
weit ich die Lage der Dinge kenne, geht der Wunsch der meisten 
Aerzte dahin, für die Tage längerer oder gar dauernder Berufs- 
unfiihigkeit einen Rechts anspruch auf einen Unterstützungs- 
bezug — auf eine Art Pension — zu besitzen. 

Wenn Amtsärzte, die eine derartige Berechtigung in Folge 
ihrer dienstlichen Stellung bereits besitzen, für die Weiterentwicke¬ 
lung des ärztlichen Unterstützungsweseus in Bayern so lebhaft 
••intreten, so geschieht es desshalb, weil sie eben als ältere Aerzte 
einen gründlichen Einblick in die diesbezüglichen Verhältnisse 
haben und weil den Amtsärzten doch recht sehr daranliegt, dem 
gesummten ärztlichen Stande eine möglichst gesicherte materielle 
Grundlage zu schaffen; ist es doch bekannt, dass mit der Hebung 
der äusseren Lage des Arztes auch das Standesbewusstsein und 
damit dessen Ansehen nach innen und aussen sich hebt 

Blickt man zurück auf das, was bisher von opferwilligen Kol¬ 
legen auf dem Gebiete des ärztlichen Unterstützungswesens in 
Bayern geschehen ist so erscheint die Hoffnung vollberechtigt, 

') Die Amtsärzte bezahlen ausserdem jährlich mindestens 
50 M. zum A. U. V. und zur Tüchterkasse. 


dass auch die als Nothwendigkeit sich erweisende Ausgestaltung 
unserer Unterstützungsvereine von thatkräftigen Händen alsbald 
in Angriff genommen werden wird. 

Eine Anregung hiezu neuerdings zu geben, ist der Zweck vor¬ 
liegender Zeilen. Gutta cavat lapidem, non vi sed saepe cadendo? 

Ebern. Dr. Spaet, kgl. Bezirksarzt 

Referate und Bücheranzeigen. 

Widmark: Mitteilungen ans der Augenklinik des 
Carolinischen Medico-Chirurgischen Instituts zu Stockholm. 

Jena 1901, G. Fischer. Preis 6 M. 

Das 3. Heft dieser Mittheilungen (conf. diese Wochenschr. 
1898, S. 1217, und 1899) enthält folgende werthvollen Abhand¬ 
lungen des Herausgebers und seiner Schüler: 

1. Ein Fall von Chorioidalsarkom mit sekundärer Atrophie des 
Auges, von cand. med. Clnar Key. Nach folgendem Krankheits¬ 
verlauf: 1. allmählich sich clnstellende Herabsetzung der Seh¬ 
schärfe mit leichten Symptomen von Glaukom, 2. Netzhaut¬ 
ablösung und vollständige Amaurose, 3. Glaukoma absolutum mit 
heftigen Schmerzen, 4. Irldocyclltls mit Atrophia bulbi, ergibt die 
pathologisch-anatomische Untersuchung einen zum grössten The» 
nekrotislrten Tumor. Nach Anführung und kritischer Beleuchtung 
ähnlicher Beobachtungen, besonders von Leber und Krahn- 
Btfirer, Deutschmann, Evetzky und Janatowsky, 
kann sich Verfasser für keine bestimmte Ansicht entscheiden. 
Einerseits neigt er sich der Leber-Krahnstöre r’schen Auf¬ 
fassung hin, dass das Auge einer endogenen Infektion ausgesetzt 
gewesen sei und Mikroben die Iridocyclitis hervorgerufen haben; 
das Fehlen der Mikroben im Präparate, welches gegen diese An¬ 
nahme sprach, möge davon herrühren, dass die Untersuchung zu 
spät vorgenommen worden ist, nachdem die Entzündung bei Auf¬ 
nahme der Kranken in das Krankenhaus nahezu abgelaufen war. 
Andererseits könne man auch mit Evetzky die Iridocyclitis 
als eine Toxinwirkung, von der Nekrose stammend, auffassen. 
Die Nekrose sei hier jedoch nicht einer Thrombosirung der Gefässe, 
wogegen der anatomische Befund zahlreicher unveränderter Capil- 
laren spreche, zuzuschreiben, sondern aus einer Ernährungs¬ 
störung einer kleinen Partie im Centrum der Geschwulst mit all¬ 
mählichem Uebergreifen nach der Peripherie derselben hervor¬ 
gegangen. 

2. Ucber Husculus dilat&tor pupillae des Menschen, von 
J. Widmark. Auf Grund seiner Untersuchungen von 5 wegen 
Sarkom enucleirten Augäpfeln, wobei die Präparate nach der De- 
pigmentirung der Iris thells mit Eisenhaematoxylin nach Heiden¬ 
hain, theils nach v. G i e s o n, theils mit Orange und Säure¬ 
fuchsin gefärbt wurden, sehliesst Verfasser, dass die hintere Be¬ 
grenzungsmembran ganz den Charakter eines glatten Muskels hat, 
denn sie lässt sich auf eine charakteristische Weise färben, sie 
hat langgestreckte, von feinen Fibrillen umgebene Zellen mit 
stäbchenförmigen Kernen und sie bildet in Querschnitten kein 
kontinuirllches Gewebe, sondern ist aus runden, etwas eckigen 
Elementen, offenbar quergeschnittenen Muskelzellen zusammen¬ 
gesetzt Nach den vorausgegangenen, schon sehr überzeugenden 
Untersuchungen Grunert’s scheint demnach die lange und heiss 
umstrittene Frage dahin gelöst zu sein, dass es einen wirklichen 
Musculus dilatator pupillae gibt eine Thatsache, für welche schon 
die physiologische Nothwendigkeit spricht. 

3. Zur Frage der bakterientödtenden Wirkung der Thronen, 
von A. H e 11 e b e r g. Angeregt durch und theilwelse in Ueberein- 
8timmung mit den Untersuchungen Bernheime Fs und B a c h’s, 
gelangt Verfasser zu folgenden, aus seinen Untersuchungen ge¬ 
zogenen, im Auszug wiedergegebenen Schlussfolgerungen: 

1. Dass die Thränenflüssigkeit dem pyogenen Staphylococcus 
gegenüber baktericide Eigenschaft besitzt und die baktericlde 
Kraft sich um so stärker geltend macht, je geringer die Zahl der 
inflzirenden Keime von Anfang an war. 

2. Dass frische (virulente) Kulturen grössere Widerstands¬ 
kraft als alte Kulturen besitzen, woneben den habituellen Para¬ 
siten auf der Conjunctiva vielleicht eine grössere Resistenz zu¬ 
kommt. Das baktericide Moment ist, da es durch 4—5 Minuten 
langes Kochen der Thränen unwirksam gemacht wird, entweder 
ein flüchtiger Stoff oder geht in unwirksamem Zustande in den 
voluminösen Eiweissniederschlag ein, welchen das Kochen ln der 
Thränenflüssigkeit hervorruft. Die Salze derselben können daher 
keine Rolle spielen, wie überdies durch Parallel versuche mittels 
Salzlösungen und gekochtem Wasser nachgewieseu wird. 

4. Ucber Glaukom nach Starextraktion, von A. Dalön. Ver¬ 
fasser hat als Grundlage seiner werthvollen Abhandlung 11 eigene 
Beobachtungen und 20 genau beschriebene Fälle aus der Literatur 
tabellarisch zusammengestellt. Er unterscheidet: Glaukom nach 
kombinirter, nach einfacher Extraktion und nach Dlsclssion von 
Sekundärkatarakt, und kommt zu dem Schlüsse, dass Glaukom 
nicht, wie man erwarten sollte, nach einfacher Extraktion, sondern 
nach kombinirter Extraktion, also mit Irisausschnitt, häufiger auf- 
tritt. Die Ursache glaubt Verfasser nach einer eigenen ana¬ 
tomischen Untersuchung im Zusammenhalt mit anderen in der 
Iris- oder Kapseleinheilung suchen zu müssen, wodurch Ver¬ 
stopfung der Kammerbucht und Veränderung des Kammerwassers 
— zum Theil durch den Zerfnil abgestossener Epithelzellen — 
hervorgerufen werde. Auch durch Proliferation des Hornhaut¬ 
epithels durch die Wunde hindurch könne die Kammerbucht 



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1576 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


bloklrt oder durch Verwachsung zwischen Irisrnnd und Nnehstnr 
'zur Drucksteigerung Anlass gegeben werden. Pie Drucksteigerung, 
welche nach Piscission einer Katarakta secundaria auftrete, beruhe 
gewöhnlich auf einer Störung der Kommunikation zwischen 
hinterer und vorderer Kammer. Postoperatives — Sekundär- — 
Glaukom, zu unterscheiden vom primären Glaukom in einem star- 
operirteu Auge, trete daher häufiger nach Extraktion unreifer 
Katarakte auf, da diese wegen Bildung einer Sekundärkatanikt 
öfter die Piscission nötliig machen und Glaukom nach Piscission 
von Sekuudärkatarakt am häufigsten auftrete. Glaukom nach Pis¬ 
cission von Sekundärkatarakt gebe auch die wenigst günstige 
Prognose, Miotika seien hier ganz erfolglos, nur die Iridektomie, 
von der überhaupt am ehesten eine Heilung zu erwarten ist, habe 
in einigen Fällen kurative Wirkung gehabt. Pie sicherste Pro¬ 
phylaxe liege in einer guten operativen Technik. 

Pie Dal6n’sche Arbeit kann als sehr lesenswerth empfohlen 
werden. 

5. lieber den Einfluss des Lichtes auf die Linse, von J. W i d - 
m a r k. Es wird hier auf exactexperiinentollem Wege der Nach¬ 
weis geführt, dass nicht die elektrische Entladung allein, sondern 
auch das Licht des Blitzes — und ganz besonders die ultra¬ 
violetten Strahlen — für die Entstehung des Blitzstars von Be¬ 
deutung ist, und bezieht sich hiebei Verfasser auf seine frühere, 
im 1. Heft dieser Abhandlungen veröffentlichte Arbeit, wonach 
die ultravioletten Strahlen in erster Linie durch die Linse ab- 
sorbirt werden. Auch für die Erklärung des Stares, welcher bei 
Glasbläsern vorkommt, müsse man noch andere Eigenschaften des 
Lichtes, als sein Wännevermögen, berücksichtigen. 

Die Fülle von interessanten Thatsachen und Beobachtungen, 
wie bisher nun auch im 3. Heft in schmuckem Gewände dar¬ 
geboten, lassen weiteren Veröffentlichungen wiederum mit Ver¬ 
gnügen entgegensehen. S e g g e 1. 

H ti e 11 i n: Mnemotechnik der Beceptologie. Leicht¬ 
fassliche Anleitung zum Erlernen der durch die Pharmakopoe 
vorgeschri dienen Maximaldosen auf mnemotechnischem Wege. 
2. Auflage. Wiesbaden, Bergmann. Preis 1 M. 

Mancher Slaatsexamenskandidat und mancher prakticirende 
Arzt, dem es peinlich ist, in Gegenwart seiner Patienten die 
Maximaldosis nachzusehen, wird das vorliegende Büchlein mit 
Freuden begrüssen. Der Zweck, das Lernen und Behalten der 
Maximaldosen zu erleichtern, wird auf eine recht einfache und 
bequeme Weise erreicht. Fast alle Zahlen, welche Maximaldosen 
ausdrücken, bestehen aus einer Anzahl von Nullen (vor und 
hinter dem Komma) und einer Ziffer von 1 bis 5. Für jedes 
Arzneimittel ist nun ein Merkwort auf gestellt, dessen beide 
ersten Vocale die Maximaldosis ausdrücken, indem der erste 
Vocal die Zahl der Nullen, der zweite die Endziffer bezeichnet. 
Dabei bedeuten a und ii = 1, e = 2 u. s. w. bis zu u = 5. Für 
Gutti ist z. B. das Merkwort „Drastieum“ aufgestellt, a be¬ 
deutet, dass die Zahl, welche die Maximaldosis angibt, nur eine 
Null enthält, und i dass die Schlussziffer 3 ist. Demnach ist 
die Maximaldosis von Gutti 0,3. Das Merkwort für Phosphor 
ist „Inhalation“, weil die chronischen Phosphorvergiftungen ge¬ 
wöhnlich durch Inhalation von Phosphordämpfen entstehen. Das 
i bedeutet, dass die Zahl, welche die Maximaldosis ausdrüekt, 
3 Nullen enthält, das a bezeichnet 1 als Schlussziffer. Die Maxi- 
maldose des Phosphor ist also 0,001. Dazu kommen einige Verse 
in der Art der lateinischen Genusregeln. Die Hilfsmittel wer¬ 
den es auch einem widerspenstigen Gedächtnisse ermöglichen, 
die Maximaldosen mit Sicherheit zu beherrschen. O. S n e 11. 

Prof. Dr. Franz M r a c e k : Handbuch der Hautkrank¬ 
heiten. Erste Abth. (mit 71 Abbildungen, Bogen 1—11). Wien, 
A. Holde r, 1901. Preis 5 M. 

Das gross angelegte Werk, welches in etwa 15 Abtheilungen 
erscheinen soll, ist bestimmt, eine Lücke insoferne auszufüllen, 
als es heute noch an einem Handbuch fehlt, welches mit einer 
sachlichen Sichtung des angesammelten literarischen Materials 
eine Darstellung des modernen wissenschaftlichen Standpunktes 
verbindet. Die Namen der Mitarbeiter bürgen dafür, dass diese 
Absicht auch erreicht werden wird; die vorliegende erste Ab¬ 
theilung umfasst die Anntomie der Haut (Rabl) und einen 
Theil der Physiologie (Kr ei dl); die Gründlichkeit und Klar¬ 
heit mit. welcher diese schwierigen Kapitel zur Einleitung in das 
Studium der Hautkrankheiten behandelt werden, lässt wohl mit 
Bestimmtheit auch für die kommenden Abtheilungen eine ana¬ 
loge Durchführung erwarten. Speciell soll auch auf eine mög¬ 
lichst vollständige Bibliographie der Nachdruck gelegt werden, 
so dass der Forscher und Gelehrte hier jenes Material vereinigt 
vorfindet, das bisher zerstreut vorlag. Das Werk dürfte bei 
Durchführung dieses Programms für den wissenschaftlich fort¬ 


schreitenden Fachmann unentbehrlich werden. Für den Stu- 
direnden ist es natürlich weniger geeignet. Das Ganze soll in 
etwa ein und einem halben Jahre vollendet vorliegen. Aus dem 
vorliegenden Theile haben wir als besonders schön und instruk¬ 
tiv die zahlreichen histologischen Abbildungen zur Anatomie 
des Ilautorgans hervorzuhebeu. K o p p. 

E. Finger; Die Blennorrhoe der Sexualorgane und ihre 
Komplikationen. 5., vermehrte und verbesserte Auflage. Leip¬ 
zig und Wien, Franz 1) e u t i c k e, 1901. Preis 12 M. 

Bei Besprechung der früheren Auflagen des hervorragenden 
monographischen Werkes des als Autorität auf dem Gebiete, der 
Gonorrhoe bekannten Verfassers hatten wir wiederholt Gelegen¬ 
heit die Vorzüge dieses Buches hervorzuheben. In der neuen 
Auflage finden wir viele Erweiterungen und Ergänzungen, 
welche besonders durch die modernen Bestrebungen auf thera¬ 
peutischem Gebiete nothwondig wurden. Auch auf dem Gebiete 
der Pathologie sind manche Kapitel, speciell diejenigen über 
Vesiculitis scminalis und Trippermetastasen einer durchgreifen¬ 
den Umarbeitung unterzogen worden. Angesichts der un¬ 
geheuren, leider noch immer vielfach unterschätzten Wichtigkeit, 
welche die gonorrhoischen Processe und ihre Komplikationen für 
die allgemeine Volksgesundheit, und nicht zum wenigsten auch 
für die Volksvermehrung besitzen, dürfte die Lektüre des inter¬ 
essanten Werkes weiteren ärztlichen Kreisen dringend zu 
empfehlen sein. Auf dem Wege der hieraus zu erhoffenden Be¬ 
lehrung dürfte denn doch endlich die landläufige Gering¬ 
schätzung dieser in ihren Folgen unberechenbaren, aber immer 
sehr ernsten Erkrankung beseitigt werden, und auch in einem 
grösseren Publikum eine richtigere Einschätzung der hieraus 
resultirenden Gefahren zu erwarten sein. So lange es noch 
Aerzte gibt, welche von einem „leichten Tripperl“ sprechen, wenn 
sich ihnen ein junger Mensch mit den Symptomen einer ersten 
Gonorrhoe vorstcllt, kann es freilich nicht Wunder nehmen, wenn 
dieses Leiden seitens des Publikums und der speciell betheiligtcn 
männlichen Jugend nicht die gebührende Beachtung findet. 

K o p p. 

Pollatschek: Die therapeutischen Leistungen des 
Jahres 1900. Wiesbaden, Bcrgman n, 1901. Preis 8 M. 

Der 12. Jahrgang des an dieser Stelle wiederholt rühmend 
genannten P.’schen Jahrbuches liegt, auch in diesem Jahre in 
trefflicher Bearbeitung vor. In alphabetischer Uebersieht und 
knapper Darstellung bringt cs alle für den Praktiker wissens- 
werthen Neuerungen aus dem ganzen Gebiet der Medicin und 
kann mit Recht allen Denen empfohlen werden, die sich in Kürz- 
über eine neue therapeutische Frage unterrichten wollen. 

K r c e k e. 

Dr. Th. Kocher und Dr. de Quervain: Encyklopädie 
der gesammten Chirurgie. Mit zahlreichen Abbildungen. Leip¬ 
zig 1901. F. C. W. Vogel. 9. und 10. Heft. 

Von der schon erwähnten Encyklopädie, die in 25 Liefe¬ 
rungen ä 2 M. bis Oktober a.c. erscheinen soll und von der 2Liefi.‘- 
rungen schon besprochen wurden, sind nun weitere 6 erschienen, 
lieber die Brauchbarkeit und den praktischen Nutzen, sowie über 
die Güte brauche, ich bei der Mitarbeit so vieler bewährter 
Autoren nichts hinzufügen. Ziegler- München. 

Heueste Journalliteratur. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 37. 

D C r c d e - Dresden: Lösliches Silber als inneres Anti- 
septicum. 

('rede empfiehlt angelegentlich das Argentum eolloidale als 
Mittel zur allgemeinen inneren Desinfektion bei allen nicht zu weit 
vorgeschrittenen Strepto- und Staphyloeoeconerkrankuugeu. In 
leichteren Fällen genügt die je nach Bedarf wiederholte energische 
Einreibung einer 15 proe. Salbe in die gut gereinigte und wenn 
möglich hyperacniisirtc Haut eines gesunden Körpertlieils (ein¬ 
malige Dosis 2- 3 g). Nicht nur Phlegmonen etc. und septische 
Processe, sondern auch epidemische Cerchrospinalmcningitis und 
Erysipel wurden günstig beeinflusst. Ahseesse und Nekrosen 
werden natürlich nicht rückgängig. Bedeutend energischer wirkt 
die intravenöse Applikation, wobei je nach der Schwert» des Falles 
5—20 g einer V -,—1 proe. Lösung, wenn nötliig wiederholt, injizirt 
werden. Thierversuche ergaben, dass dabei das Silber alle Organe 
durchwandert und nach wenigen Wochen wieder ausgeschieden 
ist; Argyrose wurde nie Ifeobaclitet. Diese Anwendungsweise ist 
indicirt hei schweren septischen Erkrankungen, septischem Gelenk¬ 
rheumatismus, epidemischer Cerebrospinalmeningitis, septischen 
Komplikationen von Tuberkulose und Typhus. 


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1. Oktober 1901. 


MITENOIIENKIt MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


1577 


2) II. Schneider- Berlin: lieber das Zehenphänomen 
B a b i n s k i’s. Ein Beitrag zur Lehre von den Fusssohlen- 
reflexen. 

lief schwacher Heizung der Fusssolile tritt eine isolirte 
riantarflexion auf: Ilimrindenretiex; bei starker Heizung eine 
Dorsal Hex ion mit Beinbewegung: ltüekeninarksreliex. Das Ba- 
liinski'sche Phänomen bestellt darin, dass auf schwachen Reiz 
die Plantarflexion nusbleibt und gleich Dorsalflexion, d. li. der 
Kiiekenmnrksrcflex erscheint. Ks kann entstehen: 1. durch Ver¬ 
nichtung des llindenreflexes bei Unterbrechung der Pyramiden- 
haliu an irgend einer Stelle („echter Bubinski“;; 2. durch all¬ 
gemeine Steigerung der Rückeuinarksrellexe (Strychnin. Krank¬ 
heiten mit Reflexsteigemug ohne Pymuiidenlaesion) oder durch 
Zustände, die den Rindenreflex hemmen (Ablenkung. Stupor. 
Oedeni». Beide Formen sind nicht sicher zu trennen, da aber der 
„Bablnski“ ohne Zerstörung des Rindenreliexes selten dauernd be¬ 
stellt und sich bei Pyrnmidenlaesion fast immer einstellt, so ist 
er praktisch für die Differeutialdlagnose der letzteren wohl 
brauchbar. 

No. 3.8. 1) B. F r ii n k e 1 - Berlin: Bemerkungen zur Prophy¬ 
laxe der Tuberkulose und die Isolirung der Phthisiker. 

Yerf. misst der Tröpfcheninfektion für die Verbreitung der 
Tuberkulose mindestens die gleiche Bedeutung bei wie der Ueber- 
tragung durch das Sputum mul empfiehlt bei der grossen Gefahr, 
welche jeder Sehwindsiichtige für seine Eingebung darstellt, 
olienso wie K o e h in seinem Londoner Vortrag, als wichtigste 
Maassregel zur Einschränkung dieser Volkskrankheit die Gründung 
von Spezialkrankciihäusern oder Asylen für Tuberkulöse. 

2» Wilhelm T ilrk - Wien: Zur Aetiologie der lymphatischen 
Leukaemie. 

Verf. unterwarf die von Lüwit gefundene und als Ursache 
der lymphatischen Leukaemie bezeiclinete ..Hacmnmocha intra- 
miclearls" einer Nachuntersuchung und kam zu dem Ergehn iss, 
dass es sich dabei nicht um Parasiten, sondern einfach um mit 
den gewöhnlichen Methoden schwer färbbare Besta mit heile, wahr¬ 
scheinlich die Nueleoli des normalen I.yinphoey teil keines handelt. 

3; W. T h o r u e r: Die stereoskopische Betrachtung des 
Augenhin tergrundes. 

Behufs leichterer Erkennung der normalen und vor Allem 
IKithologiselien Niveaudifferenzen des Aiigenlilntergrumles kon- 
struirte Verf. einen stereoskopischen Apparat für hiuoculare Unter- 
siu’hung. dessen Beschreibung im Original naelizuiesen ist. 

4i E. A r o n - Berlin: Ueber Sauerstoffinhalationen. (Schluss.) 

('fr. Referat pag. 771 der Münch, mcd. Woehensehr. 1SK)1. 

öi Jacques Joseph: Zur Streckung des P o t t’schen 
Buckels. (Schluss.) 

Cfr. Referat pag. 1IS4 der Münch, uied. Woehenschr. 1900. 

II ö f er- Seliwahaeh. 

Deutsche medioinisohe Wochenschrift. 1901. No. 38. 

1) Eduard Bon neu bürg - Berlin: Appendicitis und der 
Zusammenhang mit Traumen. 

An der Hand von Beispielen erörtert S. die Frage Vom ge- 
rlclitsärztliehen Standpunkt und kommt zu dem Schlüsse, dass 
ein Trauma nicht im Stande ist, bei gesundem Wurmfortsatz eine 
Appendicitis hervorzurufen, dass ihm Jedoch eine wesentliche 
aetiologische Bedeutung zukommt, indem durch densellien eine 
bis dahin latente Erkrankung, eine chronische Entzündung ln eine 
akute übergeführt wird. 

2) Leouor Michaelis und Alfred W o 1 f f - Berlin: Die 
Lymphocyten. 

Es werden zwei Arten von Lymphoidzcllen unterschieilen: 
a) solche, welchen noch eine gewisse Dlfferenzirungsfähigkeit zu- 
komiiit. wie die Lymplioidzellen des Knoelieumarks. die sieh zum 
Tlieil in Myeloeytcn umwandeln, indifferente Lymphoid- 
zellen, und b) solche, deren Entwicklung abgeschlossen ist, die 
Lymphocyten (Ehrlich). Im Dormalen, strömenden Blut 
der Erwachsenen ist jede Lymphoidzelle ein Lymphocyt, im 
Kuocheumark linden sich beide Formen nebeneinander, während 
die iu anderen Körperflüssigkeiten, Transsudaten, Exsudaten, 
Eiter u. s. w. verkommenden Lymphocyten ähnlichen Zellen als 
Degeiierationsformen aufzufassen sind, welche der Hauptsache 
nach den neutrophilen, iwdynukleäreu Leukocyten und Epithelien 
ontstuminen. Die K e r n d e g e n e r a t i o n geschieht, ferner 
durch Kernverdichtung mit und ohue Zerbröckelung oder auch 
Aufquellung. 

3) W a 1 li a u ni - Harburg a. E.: Ein interessanter Fall von 
erworbener Dextrokardie. 

Hochgradige Verlagerung des Herzens nach reelits in Folge 
einer rechtsseitigen Pleuritis mit Seliwartenbildung, mit stark aus¬ 
geprägten Störungen der Hcrztliiitigkeit: Oedemen, Cyauose, Milz- 
und Iieberseliwelliing u. s. w. 

4) Max B u c li - Finnland: Die Grenzbestimmung der Organe 
der Brust- und Bauchhöhle, insbesondere auch des Magens und 
Dickdarms, durch perkussorische Auskultation oder Trans- 
sonanz. 

B. hat die von B e n d e r s k i - Kiew auf dem internationalen 
medidniseheh Kongress zu Rom 1894 zuerst demonstrirte Methode 
der iierkussoriseheu Auskultation weiter ausgearbeitet und be- 
richtet über seine Resultate, welche den Werth dieser leider nur 
wenig bekannten und geübten, namentlich für die Bestimmung der 
Magengrenzen sehr verwendbaren, einfachen und verlässigen Me¬ 
thode in Ueliereiustimmuug mit den von Hensehen, Rune¬ 
berg, Lepper, Stengel u. A. gemachten Erfahrungen be¬ 
stätigen. Er verwendet zu seinen Untersuchungen ein mit 
Schlauch und Ohrenolive versehenes gewöhnliches Stethoskop 
(ohne Ohrmuschel), welches ihm dieselben Dienste leistet, wie das 


von B i a n e li 1 und C o in t e lieuUtzte Phonendoskop. Bezüglich 
der Details der Arlieit muss auf den sehr iesenswerthen Original¬ 
er tikel verwiesen werden. 

5) Martin Lubinski: Zur Lehre von der Perichondritis 
acuta purulenta septi narium. 

Besprechung zweier Fälle von mehr spccialärztlicbem 
Interesse. 

<») A. v. G n e rard-Düsseldorf: Uterusruptur bei Eklampsie 
und Drillingen. Leibschnitt, Heilung. 

Kasuistische Mittheilung aus der ärztlichen Praxis. 

7» Arthur Ru pp in-Halle a. S.: Die Zwillings- und Dril¬ 
lingsgeburten in Preussen im letzten Jahrzehnt. 

Koclulmedlcinische und statistische Studie. 

8; B i b e r f e 1 d: Aus der neuesten Rechtsprechung für 
Aerzte. 

..Wie Kurpfuscher das Gesetz umgehen können“, aus der 
Feder eines Juristen. F. L ach e r-München. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 37. 1) W. Türk-Wien: Beiträge zur Diagnostik der 

Concretio pericardii und der Tricuspidalfehler. (Wird fort¬ 
gesetzt.) 

2) Fr. T e w e 1 e s - Wien: Ueber den Aetherrausch und seine 
A n wendun gsweise. 

Die von Sudeek (s. Milncli. med. Woclienschr. 1901, S. 122; 
angegebene Anaesthesiruligsmcthode, welche in der Herbeiführung 
bezw. Unterhaltung eines rauschartigen Zustandes mittels kleiner 
Actliermengen besteht, ohne dass man es bis zum Exeitatious- 
stadium kommen lässt, bewährte sieh 1x4 157 Fällen im Allge¬ 
meinen sehr gut für kurze, nlx*r auch längerdauernde chirurgische 
Eingriffe. Als Vorth eile werden angegelxui: Die Operation 
beginnt fast gleichzeitig mit den Inhalationen; kein Exeitations- 
stadium. 2. Sehr geringer Aethorverbraueh. 3. Die Vorbereitung 
des Patienten ist eine rein psychische, seine ganze Aufmerksam¬ 
keit wird auf die Narkose konzentrirt. 4. Einfachheit und Brauch¬ 
barkeit für die Privatpraxis. 5. Ist ausführbar in zwei Drittel 
aller Operationen, andernfalls leicht iu eine Narkose mit 
Act her, Chloroform oder einer Mischung Uberzuführen. (!. Voll¬ 
kommene Gefahrlosigkeit. Dem stellen als Nacht heile gegen¬ 
über: 1. Das Lärmen mancher Patienten trotz Annestliesle. 2. Die 
ziemlich häufige Reaktion (Abwehrbewegungen etc.) beim ersten 
Schnitt. 3. Das häutige Fehlsehingen der Methode bei hochgradig 
erregten Patienten und starken Alkoholikern. 

3) Otto Lenz-Wien: Der Aetherrausch, eine experimentelle 
Intoxikationspsychose. 

Verfasser kommt auf Grund von Beobachtungen an sich selbst 
und ca. 150 Patienten zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Der 
Aetherrausch ist eine zu thenijieiitisehen Zwecken hervorgerufene, 
akute Iutoxikationspsyehose. 2. Die affektive Färbung derselben 
Ist ein Produkt aus der Individuellen Reaktion und der Menge des 
inhnlirten Aethers, wobei die ersten* der wichtigere Faktor ist. 
3. Eine dauernde nervöse Störung ist hei der geringen Aetlierdosis 
nicht zu befürchten. 4. Das Ideal des Aetlierrausehes ist ein Zu¬ 
stand nur partiell getrübten Bewusstseins, wobei die taktile 
Sensibilität erhalten und nur die Schmerzenipflndung gelähmt ist. 
5. Der Acthemiuseh ist koutraindleirt hei Potatoren und neuro- 
pathiseli veranlagten Individuen (Vorkommen furibuuder Delirien). 

No. 38. 1) Hermann Schlof fer-Pmg: Zur operativen 

Behandlung der zweifachen Magenstenose. 

Verf. führte bei einem Full von Saiululirmageu mit gleich¬ 
zeitiger Pylorusstenose, da. wegen Fixation des Magens an der 
hinteren Bauchwand die Gastroanastoiuose unmöglich war, die 
Gastmplastik und Gastroenterostomia uutecolica zwischen Pylorus- 
ningen und Jejunum mit gutem Erfolg aus und bespricht im An¬ 
schluss daran die verschiedenen in Betracht kommenden Ope- 
rat ionsverfuhren. 

2) Jar. E 1 g a r t - Brünn: Ueber idiopathische und sympto¬ 
matische Myalgien (Myopathien). 

Verf. liest reit et die aetiologische Bedeutung der Erkältung fiir 
«las Zustandekommen von sogen, rheumatischen Muskelsclimerzeu 
und will alle schmerzhaften Muskelaffekt Ionen auf kleinere «xler 
grössere Zenvissungen in der Muskelsubstanz mit Blutaustritten 
in diesellie zurückführen: Ihr häufiges Vorkommen bei akuten 
Infektionskrankheiten (z. B. Angina, Influenza u. s. w.) beruhe auf 
einer durch Toxiue bedingten Degneration und leichteren Zerreiss- 
lichkeit der Muskelfasern. Prophylaktisch empfiehlt er 1x4 zu 
Myalgien geneigten Personen systematische Kräftigung der Mus¬ 
kulatur. bei akuten Infektionskrankheiten Vermeidung stärkerer 
Bewegungen. 

3) Julius Berdaeli-Trifail: Zwei Fälle von Stroh- 
m e y e r’schen Verrenkungsbrüchen. 

Besprechung zweier Fälle von typischer Malleolarfraktur. 

Hüter- Seliwahaeh. 

Wiener klinisohe Bnndachan. 

No. 31 und 32. V. S 1 in e r k a - Prag: Ueber Nitrobenzol¬ 
vergiftung. 

Ein mittelsehwerer Vergiftungsfall, der durch hochgradige 
Cyauose der Hände und Ftisse, suluionnale Temperatur, Bewusst¬ 
losigkeit, Bitternisudelgerueh der Exspirationsluft ebamktorisirt 
war, gibt dem Verfasser Anlass zu Vergleichen mit anderen 
Fällen der Literatur. 

Darnach kann vorliegender Full als typisch gelten, nur die 
Poikiloeytose steht ira Gegensatz zu dem sonst negativen mlkro- 



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1578 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


mikroskopischen Blutbefunde und weicht auch von den Verände¬ 
rungen, die Ehrlich in einem Falle koustatlrte, ab (reichliche kern¬ 
haltige rothe Blutkörperchen, „lmemoglobinaemische Inneukörper- 
eheu“, mässlge Leukocytose). Therapeutisch Ist die Magenspülung 
auch nach einiger Zeit noch wirksam, Milch und Wein, welche 
das Gift lösen, sind zu vermeiden. 

No. 29—32. H. Chalupecky: lieber Farbensehen oder 
Chromatopsie. 

Nach eingehender, theilwelse durch eigene Krankengeschichten 
gestützter Erörterung fasst Ch. die aetiologischen Momente kurz 
zusammen: Allgemeinerkrankungeu, zumal mit Ikterus einher¬ 
gehende; ferner solche, bei denen in Folge schlechter Ernährung 
Störungen in der Adaptionsfähigkeit der Netzhaut auftreten; ver¬ 
schiedene centrale Erkrankungen, wie Hysterie, Epilepsie, Mi¬ 
gräne, mit vorwiegender Affektion der Gefässe, Vergiftungen. 
Krankheiten des Augenhintergrundes, speciell der Netzhaut, Blen¬ 
dung. Erweiterung der Pupille nur als sekundäres Moment. Die 
Annahme eines eigenen Rindencentrums für Farbenempündung 
ist durch nichts gerechtfertigt. 

No. 31. H. Gerber-Wien: Therapeutische Versuche über 
Sanguinal Krewel bei Chlorose. 

Die Erfahrungen an der Neusse Fschen Klinik waren recht 
befriedigend. Bel Darreichung von täglich 3 bis 4 mal 3 Pillen 
schwanden bei Zunahme des Appetits in der Regel rasch die sub¬ 
jektiven Beschwerden, der Blutbefund wies, wie eine Anzahl 
tabellarischer Uebersichten ergibt, eine beträchtliche Besserung 
auf: Vermehrung des Haemoglobingehaltes, sowie der rothen 
Blutkörperchen, Verminderung der Poikilocyten und Mikrocytose. 

No. 32—36. W. 8 c h o e n - Leipzig: Kopfschmerzen. 

S. begnügt sich nicht damit, die Krankheiten aufzuzählen, 
als deren Begleitsymptom Kopfschmerzen auftreten, sondern legt 
zunächst in anregender Weise die Grundlagen dar, auf denen sich 
der Schmerz entwickelt, die Vermehrung des intrakrnniellen 
Druckes, den Gefässmuskelkrampf, der auch bei den toxischen 
Formen eine wichtige Rolle spielt, dann die Begriffe der Syn- 
nesthesie und Synkinesie, die kombinirte Wirkung beider, die Be¬ 
deutung gewisser Gelegenheits- und steigernder Ursachen, wie 
Allgemeinerkrankungen, Schwüchezustände, Menstruation, psy¬ 
chische Affekte. Dann erst wird zu den verschiedenen „Reiz¬ 
ursprungsstellen“ übergegangen, deren eine in das Gehirn selbst 
verlegt wird, indem sehr lebhafte Willensübertragungen und 
energische Innervationsthiitigkeit an sich Kopfschmerz hervorrufen 
können. Entfernte Reizursprungsstellen können sich an den ver¬ 
schiedensten Organen befinden: Herz, Lungen, Genitalien, Darm¬ 
kanal, Nieren etc. Von den am Kopf selbst gelegenen: Zähne, 
Nase, Ohr, Auge, schenkt Verfasser dem letzteren die eingehendste 
Beachtung und entwickelt hier seine in diesem Referat nur ganz 
oberflächlich angedeuteten Gedanken im Einzelnen an den Bei¬ 
spielen des Blepharospasmus, Nystagmus, verschiedenen Ano¬ 
malien des Augenbaues, schlechter Beleuchtung und Körperhal¬ 
tung etc. Die halbseitige Migräne lässt sich in vielen Fällen auf 
Ueberanstrengung einzelner Muskelgruppen des Auges, Muskel¬ 
krampf und 8ynkinetischen Krampf der Hirngefässe zurück- 
f(ihren. Immer liegen der Migraene nach dem Ausspruch Sch.’s 
dlo drei Kopfschmerzarten zu Grunde: Schmerzhaftes FUhlbar- 
werden der Innervation, Synaesthesie von den krampfhaft zu- 
sammeugezogeuen Muskeln aus, syukinetischer Gefässkrampf. 
Mannigfach, wie die Aetiologie, muss auch die Therapie sein; wie 
wenig entspricht dieser wissenschaftlichen Forderung die so po¬ 
puläre Pulverbehandlung! 

No. 34. R. Spira: Ueber die Pathogenese der Labyrinth- 
erschütterung. 

8. hat nur die Fülle im Auge, wo eine organische Laesion 
objektiv durchaus nicht nachweisbar ist. Wiederholte oder 
dauernde Reize bewirken bei dem Nerv, vestibularis, der das 
Gleichgewichtsgefühl vermittelt, eine Gewöhnung und Ab¬ 
stumpfung, daher sei es unter Umständen möglich, dass man durch 
Uebung des Schwindels beim Tanz oder au hohen exponirten Oert- 
liehkelten, ferner des Unbehagens auf hoher See Herr werde. 
Durch geeignete gymnastische Uebungen könne dieser Umstand 
sogar therapeutisch gegen Schwindel Verwendung finden. Bei 
dem Nerv, cochlearis dagegen mache sich eine solche Herab¬ 
setzung der Erregbarkeit durch bleibende Störung, Ohrensausen 
und zunehmende Schwerhörigkeit (Maschinisten, Kesselschmiede 
u. 8. f.) geltend. Verfasser glaubt, zur Erklärung eine Ver¬ 
schiedenheit im Verhalten der Neurone anuehmen zu müssen, 
welche bei dem N. vestibularis auf öftere Reizungen immer wieder 
iu ihre ursprüngliche Gleichgewichtslage zurückkehren können, 
während die Lagerung der Neurone ira N. cochlearis eine 
dauernde und zunehmende Alteration erfahre. 

No. 35. H. H a e n e 1- Dresden: Scorbut, Morbus Addison 
und Sklerodermie. 

Wegen der seltenen, vielleicht einzigartigen Kombination der 
Symptome, von denen die des Morbus Addison wohl im Vorder¬ 
grund stehen, gelangt der Fall, der vorerst gebessert zur Ent¬ 
lassung kam, zur Veröffentlichung. Dr. B e r g e a t - München. 

Ophthalmologie. 

Schoeler: Zur Frage der Hornhaut-Erosionen. (Centralbl. 
f. prakt. Augenheilk. Juni 1901. S. 161.) 

Zu dieser in neuerer Zelt besonders von S z i 1 i und 
A. v. Reuss erörterten Frage äussert sich Verf. hinsichtlich des 
Zustandekommens der der „Keratalgia traumatica recurrens" zu 
Grunde liegenden Veränderungen folgeudermaassen: 

Bei Verletzungen des Hornhautepithels entstehen die ober¬ 
flächlichen Wunden durch Gegenstände mit nicht glatter und 


nicht sauberer Spitze oder Schneide. Das Hornhautepithel wird 
abgeschält und höchst wahrscheinlich die entstehende Wundfläcbe 
chemisch verunreinigt, indem kleinste, mikroskopische Partikel- 
chen sich auf ihr festsetzen. Bel der schnellen Bedeckung der 
Wunde durch das Epithel werden die fremden Substanzen nicht 
mehr rechtzeitig abgestossen und bleiben so unter der Decke des 
neuen Epithels liegen. Letzteres findet dadurch nicht überall eine 
feste Verwachsung mit der Unterlage und wird bei Jeder stärkeren 
Reibung der Lider gegen den Augapfel auf der Unterlage ver¬ 
schoben. Bel genügend hoher Reizung kommt es dann zu einer 
Flüssigkeitsansammluug zwischen dem Epithel und seiner Unter¬ 
lage, die zur Abhebung desselben in Bläschenform führt. Auf diese 
Weise wird auch das Recidiviren der Erkrankung verständlich. 

Zur Behandlung empfiehlt Verf. folgendes Verfahren: Die 
Jlornhaut wird cocaiulsirt und dann mit Chlorwasser, reinem oder 
verdünntem, je nachdem es ganz frisch ist oder schon durch 
Stehen an Chlor verloren hat, abgepinselt. Dabei entsteht in sümmt- 
lichen Füllen ein beträchtlicher Epithelverlust der Hornhaut mit 
unregelmässigen, steilen Rändern. Bei den frischen Erosionen 
wird das Epithel ln ziemlich weitem Umkreis um die sichtbare 
Erosion durch die Bepinselung entfernt. Bei reichlichem Cocain¬ 
gebrauch lassen die erträglichen Schmerzen, welche die Pinselung 
hervorruft, sehr schnell nach. Die Nachbehandlung besteht im 
Gebrauch einer Atropin-Lanolln-Salbe und Umschlägen mit stark 
verdünntem Chlorwasser (etwa 1 Theelöffel Chlorwasser auf die 
Untertasse Wasser). Die Atropinsalbe wird fortgelassen, sobald 
kein Epitheldefekt und keine Trübung der Hornhaut mehr sichtbar 
ist, was meist in 3 Tagen der Fall zu sein pflegt. Die Umschläge 
lasse man noch einige Tage darüber hinaus fortbrauchen. — 
Itecidive bat Verf. dabei nie gesehen. 

Wlcherkiewicz - Krakau: Einige Worte über die medi¬ 
kamentöse Behandlung des Glaukoms. (Klin. Monatsbl. f. Augen¬ 
heilkunde. XXXIX. Jahrg., II. Bd. Juli 1901. S. 554.) 

Verf. hat folgende Komposition vielfach praktisch erprobt, 
und behauptet, dass dieselbe nicht nur augenblicklich das sub¬ 
akute Stadium zu beseitigen, sondern auch beim chronischen 
Glaukom ohne Operation das Auge jahrelang zu erhalten vermag: 
Eserini sulf. 0,01, Pilocarpinl mur. 0,2, Cocain, mur. 0,1, Aq. dest. 10,0. 
Diese Lösung wird zur Nacht regelmässig eingeträufelt und nur 
bei akuteren Nachschüben auch am Tage. Iu dieser Zusammen¬ 
setzung hält das Pilocarpin mit der schwachen Eserinlösung der 
mydriatischeu Wirkung des Cocains das Gleichgewicht, während 
letzteres stark druck vermindernd wirkt 

Man kann dieselben Mittel in demselben Verhältnisse in 
Salbenform anwenden, wo Thrünenfluss oder stärkere Conjunctival- 
absonderung eine IJisung weniger sicher erscheinen lässt. 

Ch. Abadle: Arthritische Ulcerationen der Cornea und 
ihre Behandlung. (Sitzungsbericht der Soci6t6 frangaise d’oph- 
thalmologle ln Paris. 6.-9. Mai 1901.) 

Bei den leichten arthritischen Affektloneu des Auges kommt 
man mit den gewöhnlichen Mitteln aus, bei den schweren, ausser¬ 
ordentlich schmerzhaften Randgeschwüren der Cornea haben 
bisher häufig alle Mittel versagt. Vortr. empfiehlt nun den Ge¬ 
brauch von Rhus toxikodendron, „da es manchmal von geradezu 
frappirender Wirkung ist“. Er gibt Tinctura Rhus toxikodendron 
täglich 15—20 Tropfen innerlich. 

F a g e: Behandlung der Blepharitis mit Pikrinsäure. 
(Ibidem.) 

Vortr. wendet die Pikrinsäure in S—10 proc. Lösung nach vor¬ 
heriger Reinigung der Lidränder in der Weise an. dass er mit 
einem Pinsel die Lösung aufträgt, sie antrockneu lässt und dann 
noch einige Lagen zufügt. Man kann die Pikrinsäure auch in 
einer alkoholischen gummirteu Lösung aufstreichen. — Dieselbe 
wirkt schmerzstillend, antiseptisch und keratoplastisch; sie unter¬ 
drückt die Entzündung und Maceration der Lidwinkel und tödtet 
die Mikroorganismen. Die gelbe Färbung der Lidränder ver¬ 
schwindet nach 24 Stunden, wenn das Auge freigelassen wird. 

Jocqs-Paris: Wie lassen sich unsere neuen Kenntnisse 
über Isotonie und Osmose für die Behandlung der Netzhaut¬ 
ablösung verwerthenP 

Verf. geht aus von dem Experiment mit dem P f e f f e r’schen 
Gefäss. Dasselbe Ist ein mit einem offenen Manometer ver¬ 
bundenes poröses Gefäss, das eine gesättigte Kochsalzlösung ent¬ 
hält. Dieses Gefäss wird in ein anderes, grösseres Gefäss mit 
Wasser gesetzt und es tritt nun das nicht salzhaltige Wasser ver¬ 
möge des osmotischen Druckes durch die poröse Wand ein. Trotz 
der durch Wassereintritt in das volle unausdehnbare Pfeffer- 
sche Gefäss hervorgerufenen Drucksteigerung wird die Konzen¬ 
tration der Kochsalzlösung herabgesetzt Wären die beiden 
Flüssigkeiten ausserhalb und innerhalb des Gefässes von gleicher 
Konzentration, so bestünde Gleichgewicht des Druckes, eine 
Osmose würde nicht stattfinden. Weiterhin ergibt sich, dass je 
grösser der Unterschied in der Concentration beider Flüssigkeiten 
ist, desto stärker auch der osmotische Druck ist. 

Bei der Netzhautablösung entspricht die wenig oder gar keine 
Salze enthaltende subretinale Flüssigkeit der ausserhalb des 
P f e f f e r’schen Gefässes befindlichen Flüssigkeit, die injlzirte 
Salzlösung der in dem Gefässe enthaltenen. Es ist daher nur eine 
logische Schlussfolgerung, eine möglichst konzentrirte Lösung zu 
iujiziren. 

J. nimmt mm an, dass das Blut der Aderhautgefässe das Salz 
durch Resorption aufnimmt und dann seinerseits die subretinale 
Flüssigkeit anlockt und resorbirt, jedenfalls aber dadurch weniger 
Neigung besitzt, Serum durch die Gefässwand austreten zu lassen. 

Verf. schlles8t mit folgenden Thesen: „Subconjunctivale Koch¬ 
salzinjektionen, denen Punktion der Sklera voraus- 


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1. Oktober 1901. 


MEEXCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1379 


zugebe u bat, sind zur Zeit das wirksamste Mittel zur Behand¬ 
lung der Netzhautablüsung. Aus den Gesetzen der Isotonie und 
aus dem Mechanismus der Osmose folgt, dass möglichst kon- 
zentrirte Lösungen zu benutzen sind. Gesättigte Kochsalzlösung 
wird bei Hinzufügen einiger Tropfen einer 1 proc. Acoinlösung 
leicht vertragen. Ein Druckverband ist mit Vorsicht zu hand¬ 
haben, da er leicht eine Iritis hervorruft. 

H. Cohn: Ueber Schreibbretter für Blindgewordene und 
Schwachsichtige. (Wochenschr. f. Therap. u. Hygiene d. Auges. 
1901. No. 43, S. 344.) 

Von den verschiedenen Systemen interessirt uns hier ein neuer 
Apparat, den der völlig erblindete Ophthalmologe Prof. Javal 
in Faris ersonnen hat und der auf einem ganz neuen Prinzip be¬ 
ruht. Javal benützt als festen uud unverrückbaren Stützpunkt 
seinen rechten Ellenbogen, den er in eine geeignete kleine Blech¬ 
schale legt. Diese ist am unteren Ende einer 75 cm laugen und 
8 cm breiten flachen Holzschiene befestigt, auf welcher schlitten- 
förmig ein 26 cm langes und 22 cm breites Blech, das nach oben 
ein wenig schräg rechts steht, herauf- und heruntergeschoben 
werden kann. Auf diesem Bleche ist ein Pappdeckel angebracht, 
auf dem mit einer Klammer der Briefbogen oder das Papier, das 
beschrieben werden soll, befestigt wird. Am oberen Ende des 
Bleches befindet sich ein Zapfen, der beim Hinaufschieben des 
Bleches immer 1 cm höher in ein Loch auf der Rückseite der langen 
Schiene einschnappt. Beim Schreiben schiebt nun der Blinde, so 
oft er eine Zeile beendet hat, in ruhiger Haltung des Ellenbogens 
das Brett 1 cm höher; die neue Zeile kann also mit der vorher¬ 
gehenden nicht kollidiren. 

Natürlich werden alle Linien, wenn auch unter sich parallel, 
einen leichten Bogen nach rechts unten machen, da ja die Hand 
bei feststehendem Ellbogen bei der Rechtsbewegung einen Kreis 
beschreibt. Dies hindert aber nicht die Lesbarkeit. 

Es empfiehlt sich, den Federhalter der zum Schreiben ver¬ 
wendeten Füllfeder auf der oberen Seite durch eine Marke zu 
kennzeichnen, damit nicht mit der verkehrten Seite der Feder ge¬ 
schrieben wird. Da es Javal einmal passirte, dass er einen 
Brief geschrieben hatte, das Papier aber weis» geblieben war. weil 
die Füllfeder keine Tinte enthielt, so hat er an der rechten oberen 
Ecke des Bleches ein Röllchen mit Fliesspapier anbringen lassen, 
von dem ein kleines Ende zur Prüfung der Feder vorgezogen wird. 
Von Zeit zu Zeit berührt er mit der Feder dieses Ende Fliess¬ 
papier: enthält die Feder Tinte, so macht sie in dasselbe ein Loch, 
enthält sie keine Tinte, so durchdringt sie das Fliesspapier nicht. 
(Der Apparat, welcher nicht patentirt ist, kann für 24 M. vom 
Mechaniker Hessen in Breslau bezogen werden.) 

N i e d e n : Ueber eine neue Tätowimadel und ein neues 
Tätowirmaterial. (Sltzungsber. d. 29. Jaliresvers. d. Ophthnlm.- 
Gesellschaft in Heidelberg. 5.—7. August 1901.) 

Die Indicationen zur Tätowirung der Hornhaut sind: 1. Kos¬ 
metik; 2. Erzielung höherer Sehschärfe und grösserer Gebrauchs¬ 
fähigkeit der mit Hornhautflecken behafteten Augen; 3. Ver¬ 
dichtung der verdünnten staphylomatösen Hornhautpartien. 

Von den bis jetzt gebräuchlichen Operationsmethoden ist die 
Anwendung des Nadelbündels nicht zu empfehlen wegen des un¬ 
gleichen Eindringens der in plafier oder schiefer Ebene stehenden 
Nadelspitzen und der ungenauen Begrenzungsmöglichkeit, es ist 
vielmehr die Tätowirung mit der Hohlnadel vorzuzieheu. Mit der¬ 
selben können mit Leichtigkeit 400—600 Stichelungen in einer 
Sitzung ausgeführt werden, wodurch sich eine Flüche von ca. 8 mm 
Durchmesser decken lässt Die eine grössere Unannehmlichkeit 
der Bedeckung des ganzen Operationsfeldes mit der Tuschmasse 
besteht auch hier. Dieser soll nun die neue Tätowirnadel abhelfen, 
die ganz nach dem Vorbilde der Füllschreibfeder konstruirt ist. 
Sie besteht aus einer feingehärteten Hohlnadel und einem im 
8tiele des Instrumentes verborgenen Tuschebehälter, aus dem erst 
bei Jedesmalig ausgeführtem Stiche ein Tröpfchen ausströmt und 
sich in den eben gebildeten Stichkaual ergiesst. Auf diese Weise 
ist es möglich, auf einem vollkommen reinen und übersichtlichen 
Operationsfelde zu arbeiten und die Operation in genauerer Weise 
zu begrenzen. Das demonstrirte Instrument ist bei W i n d 1 e r 
ln Berlin angefertigt. 

Das neue Tätowlrungsmaterial besteht aus dem reinen, 
chemisch isolirten Irispigment des Ochsenauges, welches ein 
braunes, in Wasser, Aether, Alkohol und Chloroform unlösliches 
Pulver darstellt Die Schwierigkeit der Darstellung (Merck ln 
Darmstadt) und die geringe Menge des Ertrages (26 Ochsenaugen 
liefern ca. 0,23 g) wird indess für seine Einführung ein bedeutendes 
Hinderniss bilden. Rhein. 

Vereins- und Congressberichte. 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 

in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901. 

Bericht von Dr. Grassmann in München. 

„Euch, Ihr Götter, gehört der Kaufmann. 

Güter zu suchen 

Geht er. doch an sein Schiff knüpft das 

Gute sich an." 

(Schiller) 

Bei dem Klange „Hamburg" muss in jedem Deutschen ein 
Gefühl von Stolz sich regen. Dieser uralte Sitz deutscher Kul¬ 
tur, an die Spitze der kontinentalen Handelsemporen, an die 
dritte Stelle aller Handelsplätze der Welt geführt durch die That- 


kraft und Intelligenz seiner Einwohner, durch die emsige Arbeit 
ununterbrochen tüchtiger Generationen seiner Bürger, muss 
jedem Deutschen, der nur einmal unter den in wundervoller 
Patina dastehenden Thürmen der Stadt gewandelt ist und 
draussen am Hafen das gewaltige Regen des Welthandels geschaut 
hat, unvergänglich sich in’s Herz graben. Aber gerade auch der 
deutsche Naturforscher und Arzt findet in dieser Stadt, welche 
iin letzten Jahrzehnt mit ungeheurer Energie an der Moderni- 
sirung aller ihrer hygienischen Einrichtungen gearbeitet hat. be¬ 
sonders nachdem die Cholera im Jahre 1892 von ihren Ein¬ 
wohnern ihr 8605 entrissen hatte, ein unerschöpfliches Feld des 
Studiums und gerade auch er kann hier mit freudigem Stolze 
gewahr werden, wie reiche Früchte für ein Gemeinwesen es 
trägt, wenn dieses es versteht, die Errungenschaften der wissen¬ 
schaftlichen Arbeit für das Allgemeine nutzbar zu machen. Mit 
frohen Gefühlen konnte daher Jeder zur 73. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte nach Hamburg eilen, deren 
bisheriger Verlauf Ihr Referent nachstehend zu schildern unter¬ 
nimmt. Es war nicht anders zu erwarten, als dass in Hamburg, 
einer Stadt, die Unternehmungen und Veranstaltungen grössten 
Stiles zu ihren häufigen Erlebnissen zählt, die Vorbereitungen für 
die Versammlung mit aller Umsicht und Erfahrung getroffen 
würden. Und in der That scheinen diese Erwartungen vollauf 
bestätigt zu sein: Alles erscheint auf das Beste organisirt und 
die Abwickelung am ersten Tage, dem Prüfstein aller Ausschüsse 
und Kommissionen, verlief meinem Eindrücke nach ganz glatt. 
Ein ganz tüchtiger Theil der Qundratflüchen hiesiger Stadt ist 
für Plakate zu Gunsten der Naturforscher in Anspruch ge¬ 
nommen, um sie überall recht zu leiten, und sie nicht nur in ihre 
Versammlungen und gut besetzten Ausstellungen, sondern auch 
zu den erprobten Quellen neuen „Stoffwechsels" zu führen. Die 
Hamburger sind überhaupt liebenswürdige Leute, mindestens 
viel liebenswürdiger als die Mehrheit meiner engeren Landsleute. 
Zu diesem Resultate komme ich auf Grund einer von mir er¬ 
probten Stichprobe, die ich an den Droschken- und Trambahn- 
kutsehern anstelle und mit meinen heimathlichen Erfahrungen 
vergleiche. Finden sieh an diesen niederen Lebewesen der 
Urbanität schon deutlich entwickelte Ansätze von Höflichkeit 
und Liebenswürdigkeit und fehlt die Uebererregbarkeit gegen¬ 
über kleinen Reizen, so hat man es mit einem höflichen Stadt- 
organismus zu thun. 

Der Sonntag Vormittag war den herkömmlichen Sitzungen 
der Vorstandschaft der Gesellschaft, sowie des wissenschaftlichen 
Ausschusses gewidmet, sowie jenen der Vorstände der medi- 
cinisehen und naturwissenschaftlichen Hauptgruppe. Alle Mit¬ 
glieder dieser Vorstandskomplexe einigte ein gemeinsames 
Mittagessen im Uhlenhorster Fährhaus an der Aussen-Alster, 
das wohl einen angenehmen Ruhepunkt im Verlaufe von Wochen 
sauerer Arbeit gebildet haben mag. 

Von den Versammlungstheilnehmern, welche schon Sonn¬ 
tag Nachmittag hier anwesend waren, werden wohl alle von dem 
Blumenkorso, welcher zu Ehren der Gäste vom Allg. Alster-Klub 
auf dem mächtigen Wasserbecken der Aussen-Alster abgehalten 
wurde, einen unvergesslichen Eindruck mitgenommen haben. Ich 
als Landratte wenigstens kann mir nicht leicht reizendere Bilder 
ausdenken, als sie dort bei blauem Himmel und flotter Ostbrise 
auf den gekräuselten Wellen zu sehen waren. Meine medi- 
cini-ehe Feder ist viel zu stumpf, um an die feine Arbeit heran¬ 
treten zu können, dies Alles säuberlich zu schildern. Nur ein 
kleines Stückchen Papier möge mir die Scheere des Redakteurs 
noch gönnen, um darauf sagen zu können, dass die bald mit 
rothen. bald weissen, bald gelben, bald bunten Blumen bedeckten 
Barken. Kähne und Dampfer, die prächtigen und höchst ge¬ 
schmackvollen Dekorationen und Blumenarrangements, die 
flotten Mädchengestallen im weissen Kleide, die ihren Kahn so 
herzerquickend frisch und frei zu steuern verstanden, die reizen¬ 
den Kinder, welche als Froschbesatzung eines Schiffes mit lautem 
Qua! Qua! auf dem Verdeck parndirten, die jubelnden Menschen¬ 
mengen, die mit Rosen und Astern gelieferte Seeschlacht — 
kurz all* dieser so wohlthuend mit Geschmack und fröhlicher Sitte 
gepaarte Reichthum und Eebensmuth für immer lebhaft vor der 
Erinnerung stehen werden. Vielen Dank den Veranstaltern! 

Der Abend sah die bisher eingetroffenen Gäste zu einer un¬ 
gezwungenen Begriissungsfeier mit. rauschender Musik in d*m 
Riesensaale des Konzerthniises Hamburg versammelt, der die 


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MUEXC'HEXER MEDICIXISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


1580 


Menge freilich kaum zu fassen vermochte. In Kürze wird der 
Kontinent keine Lokale mehr aufweisen, welche die Gesammt- 
sunnne der Theilnehmer an den Versammlungen der Gesellschaft 
aufjiehmen kannten. Wir müssen wohl alsdann mit dem „Fürst 
Bismarck“ nach Amerika fahren — auf Einladung der Rheder 
der Hansestädte'. 

Montag Vormittag 10 Uhr begann in dem grossen Saale des 
Konzerthauses Hamburg die erste allgemeine Ver- 
s a m m 1 u n g, der die .Mengen der mit ihren Damen herbei¬ 
geströmten Theilnehmer — die Zahl wird zur Zeit auf ca. 4500 
geschätzt — kaum zu fassen vermochte. Wie immer war der 
äussere Eindruck dieser von den ersten Koryphäen unserer 
Wissenschaft besuchten Versammlung ein äusserst glänzender. 

Prof. Dr. A. V o 11 e r - Hamburg eröffnetc als 1. Geschäfts¬ 
führer der diesjährigen Versammlung die Sitzung durch einen 
mit grosser Wärme gesprochenen, gehaltvollen Willkommgruss, 
in welchem er etwa Folgendes in schwungvollen Worten aus¬ 
führte: „Willkommen in Hamburg, dem uralten Sitze deutscher 
Kultur, willkommen Alle zu ernster Arbeit, aber auch zu freudi¬ 
gem gegenseitigen Verkehr! Als die vorjährige Versammlung 
in Aachen beschloss, die heurige Naturforscherversammlung in 
Hamburg abzuhalten, übernahm die Stadt freudig eine Pflicht, 
deren Inhalt ihr nicht unbekannt war; denn schon zweimal hat 
die Versammlung hier getagt, das erste Mal 1830, zum zweiten 
Mal im Jahre 1S76. Kaum werden mehr Männer leben, welche 
die erste Versammlung mitgemacht haben und persönlich vom 
damaligen Zustande der Wissenschaft uns berichten könnten, 
und doch geht der Blick auf jene Zeit zurück, den Zusammen¬ 
hang suchend zwischen der Wissenschaft der alten und neuen 
Zeit. Ein gewaltiger Fortschritt thut sich da auf. Viel Einzeln¬ 
arbeit musste damals geleistet, viel Material gesammelt werden, 
um als Bausteine zu dienen für den späteren Aufbau der ver¬ 
schiedenen Disciplinen, wie wir si,e heute haben. Heute werden 
Gebiete, die damals weit von einander entlegen schienen, als in 
nahem Zusammenhänge stehend erkannt und können in einheit¬ 
lichem Lichte überschaut werden. Energetik auf der einen, Ent¬ 
wicklungslehre auf der anderen Seite, die heute den Inbegriff der 
wGscii-ehaftliehen Auffassungen darstellen, waren damals noch 
unbekannt. Ich erinnere Sie an die glänzenden Namen der vielen 
'Männer, welche uns den geschehenen Fortschritt vermittelt 
haben, indem ich nur Faraday, Darwin, FI e 1 m h o 11 z, 
II ertz, Vircho w nenne. So gross ist dieser Fortschritt, dass 
die 242 Theilnehmer jener 1. Versammlung heute verständniss- 
los vor unserem wissenschaftlichen Programm stehen würden, 
genau wie wir selbst, wenn uns heute das nach weiteren 70 Jahren 
aufgcstellte Programm vorgelegt werden könnte. Es wäre aber 
der Wissenschaft unwürdig, sich zu rühmen, wie weit wir es 
gebracht. Ein solcher Mann verdiente die Antwort, wie sie Faust 
bei ähnlichem Anlass dein Schüler gab. Nicht herabsehen auf 
vergangene Zeiten! Wir Alle stehen auf den Schultern unserer 
Vorgänger, wie unsere Nachfolger auf unseren Fundamenten 
weiter bauen werden. Der eine Strom wissenschaftlicher Arbeit 
geht durch alle Jahrhunderte und wir freuen uns, wenn er uns 
neue Wahrheiten bringt. Das ist der Sinn, in dem wir heute 
auf jene Versammlung vor 71 Jahren zurückblicken. Bis zur 
2. Versammlung im Jahre 1876 war die Erkcnntuiss auf allen 
Gebieten schon ungeheuer gewachsen. Aber noch etwas Anderes 
hat sich seither vollzogen. 1830 war Deutschland noch ein zer- 
.■•tii-kcltes Land. 1876 waren erst wenige Jahre verflossen seit 
jenen Ereignissen der Weltgeschichte, welche eine neue Wendung 
herbeiführten. Aus dem zerstückelten Lande war das neue 
Deutsche Reich einporgewachsen, stark an Kraft, ein Hort von 
Wissenschaft und Kunst. Aber damals lastete noch ein miieh- 
ti'_<r Druck auf aller wissenschaftlichen Arbeit. Es schien fast 
undenkbar, dass die tiefe Kluft, welche der Krieg 1870/71 
zwischen den 2 bedeutendsten Kulturnationen der Welt aufge- 
ihnu hatte, je überbriiekt werde, es schien undenkbar, dass nicht 
nächstens wieder Kampf drohe. Das lag wie schwerer Nobel 
über der deutschen wissenschaftlichen Arbeit. Aber was ist ge¬ 
schehen; Langsam, n!>er sicher füllt sich die tiefe Kluft wieder 
aus. aus dem zertretenen Boden wachsen die grünenden Keime 
der Hoffnung zu gemeinsamer Arbeit für die grossen Ziele der 
Menschheit. Dass seit 1S71 alle Kulturvölker haben friedlich 
arbeiten können, dass die Wolken sich verzogen haben, das ver¬ 
danke n wir jenen Mänmrn, welche das Reich geschaffen haben. 


Seit 13 Jahren stellt an dessen Spitze der hervorragende Mann, 
der den kaiserlichen Stuhl unseres Reiches einnimmt, der Freund 
aller Wissenschaft und Kunst, der die Augen nicht schliesst auf 
seinem hohen Posten und alle Bestrebungen der Kultur be¬ 
schützt; darum lassen Sie uns am Beginn unserer Arbeit 
Seine Majestät den deutschen Kaiser mit einem dreifachen Hoch 
begrüssen! 

Nachdem die begeisterten Rufe der Theilnehmer verklungen 
waren, erklärte der Redner die Versammlung für eröffnet. 

Der 2. Geschäftsführer Med.-Rath Dr. Reineke-Ham¬ 
burg brachte hierauf ein Huldigungstelegramm an Seine Majestät 
den deutschen Kaiser zur Verlesung, dessen Absendung unter 
allgemeiner Zustimmung von der Versammlung beschlossen 
wurde. 

Das Eintreten Vircho w’s in den Saal führte zu einer 
spontanen Ovation für den Nestor deutscher Wissenschaft, dessen 
SO. Geburtstag in nächster Zeit zu feiern sein wird. 

Herr Bürgermeister Dr. Hackmann, der nunmehr die 
Versammlung im Aufträge des Senates begrüsste, wies in seinen 
Ausführungen ebenfalls auf die rapiden Fortschritte der Wissen¬ 
schaft in den letzten Jahrzehnten hin, die ja auch dem Laien 
nicht verborgen geblieben seien, und welche beweisen, dass die 
Grenze der Selbstbescheidung des menschlichen Geistes immer 
weiter hinausgeschoben werden darf. Hamburg, das die Natur¬ 
forscher und Aerzte mit Freude begrüsst, bietet zwar für die Be¬ 
rathungen derselben nicht den glänzenden Hintergrund eines 
Fürstenhofes oder einer Universität, erfreut sich aber eines 
reichen Kranzes ausgezeichneter Gelehrter, einflussreich genug, 
um in der Bevölkerung der Einsicht von der Bedeutung der 
Naturwissenschaften den Boden zu bereiten. Redner erinnert 
an die Inangriffnahme grosser hygienischer Maassnahmen in 
Hamburg, an denen tüchtig gearbeitet wurde, sobald erkannt war, 
wo e* fehle. Ucber die Einzelheiten gibt die Festschrift Auf¬ 
schluss. Mit Spannung, aber mit gutem Zutrauen erwartet Ham¬ 
burg den Richterspruch seiner herzlich von der gesammten Be¬ 
völkerung willkommen geheissenen Gäste über den Werth der 
geschaffenen hygienischen Einrichtungen. 

Mit grossem Beifall, wie die Rede von Prof. Voller, 
wurden auch die Worte des Herrn Bürgermeisters von der Ver¬ 
sammlung aufgenommen. 

Wirkl. Geh. Admir.-Rath Prof. Dr. H. v. Neumayr- 
Hamburg richtete Namens der wissenschaftlichen Vereine und 
In ritutionen Hamburgs Begrüssungsworte an die Versammlung. 
Anknüpfeud an einen Ausspruch, welchen der damalige Bürger¬ 
meister Kirche n bauer über das Verhältniss der Hamburger 
zur Wissenschaft an die Theilnehmer der Versammlung vom 
Jahre* 1876 gerichtet hatte, hob er hervor, dass, wie in der Wissen¬ 
schaft überhaupt, auch im wissenschaftlichen Leben Hamburgs 
ein mächtiger Umschwung eintrat. Nicht nur auf dem Gebiete 
des Handels und der Machtentfaltung ist der Fortschritt zu er¬ 
blicken, mit Stolz erblicken wir ihn auch auf dem Gebiete wissen¬ 
schaftlicher Arbeit. Die Früchte derselben für Hamburg sind 
niedergelegt in den Arbeiten der Festschriften. Es ist oft ge¬ 
sagt worden, Hamburg lebe vorzugsweise den materiellen Inter¬ 
essen und die ideale wissenschaftliche Arbeit finde hier nicht 
die gebührende Würdigung. Auch hierin ist es gewaltig anders 
geworden. Seit 25 Jahren ist hier eine Summe von Arbeit ge¬ 
schehen, welche jeden Einsichtigen überwältigen muss. Aber 
auch in der Bevölkerung greift immer mehr das Verständnis 
für die wissenschaftliche Arbeit. Platz. Was hier speziell von 
der ärztlichen Wissenschaft geleistet worden ist, davon legen 
z. B. neben vielem Anderen Zeugniss ab die grossartigen Einrich¬ 
tungen der hiesigen Heilstätten. Wie emsig in den Hamburger 
wissenschaftlichen Instituten schon längst gearbeitet worden ist, 
das wissen alle Einsichtigen, auf deren Urtheil es aukommt. 
Nur in stiller Arbeit kann man so weit gelangen, praktische 
Ziele zu erringen. Als Beispiel aus unserer Stadt erwähne ich 
nur die Arbeiten eines Hertz, die einen Erfolg in der Tele¬ 
graphie gezeitigt haben, den Niemand ahnte. Auch über Meeres¬ 
strömungen, Wind und Wetter wurde so viel Kenntnis» ge¬ 
sammelt, dass die Seewege gebessert und die Fahrten kürzer ge¬ 
macht werden konnten. — Redner drückt seine feste Zuversicht 
aus, dass die Theilnehmer der Versammlung hier eine grosse 
Summe emsiger wissenschaftlicher Arbeit, zu sehen bekommen 
würden. „Die wissenschaftlichen Vereine und Gesellschaften, die 
staatlichen Institute begrüssen Sie auf das Herzlichste und bieten 


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1. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1581 


Alles auf, um die Versammlung in ihren Zielen wirksam zu 
unterstützen, zur Sicherung des Fortschritts, zum Heile des All¬ 
gemeinen !“ Mit diesen Worten schloss v. Neumayr seine 
mit lautem Reifalle aufgenommene Ansprache. 

Die inhaltvolle Rede, mit welcher nunmehr Prof. Hertwig- 
München sieh an die Versammlung wandte, kann hier nur in 
ihrem hauptsächlichen Gedankengange angeführt werden. 

Nachdem der Redner als derzeitiger 1. Vorsitzender der Ge¬ 
sellschaft für die Begrüssungsworte der Vorredner gedankt hatte, 
legte er dar, wie gerade in Hamburg die günstigsten Auspicien 
für einen glänzenden Verlauf der Versammlung sich darbieten. 
Mit den Schiffen, die Hamburgs Hafen verlassen und anlaufen, 
strömt ein gut Thcil deutscher Eigenart und Intelligenz in 
fremde Länder und kehrt reiche Anregung zu uns zurück. 

E9 läge nahe, am Beginne des Jahrhunderts einen Ausblick 
zu thun in die Zukunft; doch wer vermag hier die Propheten¬ 
rolle zu übernehmen ? Daher beschränkt Redner sich auf die 
Erörterung, wie sich voraussichtlich auf Grund des bisherigen 
Entwickclung8ganges das Wechselverhältniss zwischen den im 
Rahmen der Gesellschaft vereinigten Disciplinen gestalten wird. 
Das vergangene Jahrhundert, steht unter der Signatur immer 
mehr zunehmender Spezialisirung, die an den Versammlungen 
■der Gesellschaft in der allmählichen Abnahme der allgemeinen 
Sitzungen, in der Zunahme der Sektionen sich äUsserte. H. 
glaubt, dass der Höhepunkt dieser Entwicklung jetzt überwunden 
ist und die Forschung, welche in’s Einzelne sich zu weit zu ver¬ 
lieren schien, sich jetzt wieder mehr zum Ganzen zusammen¬ 
linde. Viele Spezialdisciplinen treten nunmehr wieder in enge 
Wecliselbeziehung. Während in der 1. Hälfte des 19. Jahr¬ 
hunderts ein mehr persönliches Band die Medicin und Natur¬ 
wissenschaften einigend umschlang, ist jetzt an die Stelle des¬ 
selben ein sachliches Moment getreten, der innere Zusammen¬ 
hang zwischen den speziell entwickelten Wissensgebieten. Die 
Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte möge auch in 
Zukunft ein Bollwerk sein gegen das öde Spezialistenthum, eine 
Pflegestätte der Interessen, welche Medicin und Naturwissen¬ 
schaften einen. In Hamburg soll heuer der Anfang gemacht 
werden, in der Tagesordnung streng wissenschaftlichen Fragen 
von allgemeiner Bedeutung einen grösseren Spielraum zu ge¬ 
währen. Möge es Hamburg vergönnt sein, einen Wendepunkt 
in der Geschichte unserer Gesellschaft zu bilden und einen Ver- 
jüngungsprocess einzuleiten, der der Vereinigung der deutschen 
Naturforscher und Aerzte ihre strittig gemachte centrale Stel¬ 
lung auch ferner einräumt. Treten wir in unsere Arbeit am 
Beginn eines neuen Jahrhunderts mit dem alten Spruche ein: 
Quod bonum, felix faustumque sit! 

Nunmehr begann der 1. Redner für die Vorträge des Tages 
mid sprach 

Herr E. Lecher-Prag: lieber die Hertz’sche Ent¬ 
deckung elektrischer Wellen und deren weitere Ausgestaltung. 

I Auto ref erat.) 

H. Hertz war Hamburger. Es ist daher Pflicht der Dank¬ 
barkeit, seiner zu gedenken. 

Nach Maxwell gibt es auch kurzdauernde elektrische 
Ströme in Isolatoren, z. B. im Aether. 

Eine solche, schnell hin- und herpendelnde elektrische Kraft, 
ein sogen. Verschiebungsstrom, ist in seinen magnetischen Wir¬ 
kungen gleich einem rasch oscillirenden Wechselströme. Der¬ 
selbe. muss im benachbarten Aetherraume weitere Verschiebungs¬ 
ströme induziren, welche sich mit Lichtgeschwindigkeit fort¬ 
pflanzen und auch sonst mit Lichtstrahlen identische Eigen¬ 
schaften zeigen. Ein solcher oscillirender Verschiebungsstrom 
ist dasselbe, was Fresnel als transversale Aetherschwingung 
^nsah. 

Diese theoretischen Ueberlegungen Maxwell’» stammen 
aus dem Jahre 1865. Sie finden nur langsam Boden. — Ganz 
unmöglich aber erschien ein experimenteller Beweis. Noch 1881 
veröffentlichte Fitzgerald eine Arbeit: „Leber die Möglich¬ 
keit, wellenartige Störungen im Aether mit Hilfe elektrischer 
Kräfte hervorzurufen.“ Hertz referirte darüber in den „Fort¬ 
schritten der Physik“ und berichtet, dass F itzgerald Gründe 
bei bringt, welche solche Störungen unmöglich erscheinen lassen. 

Als dann 6 Jahre später Hertz durch rasche Ladung und 
Entladung Strahlen von elektrischer Kraft herstellte, mit welchen 
er fast alle altbekannten optischen Versuche nachmachen konnte, 


wie Reflexion, Brechung u. s. w., war cs wohl ein freudiges Ge¬ 
fühl der Erleichterung: den genialen Träumen der elektrischen 
Lichttheorie entsprach reale Wirklichkeit. 

Lnd wie einfach war die Wünschelruthe, mit der Hertz 
seine Schätze hob. Die längst bekannten elektrischen Schwing¬ 
ungen, welche fast jede elektrische Entladung begleiten, erwiesen 
sich ihm auch als Ausstrahler von M a x w e 1 l’schen elektrischen 
Wellen. Durch diese wurden in einem entfernten Drahtringe 
rasch oscillirende Wechselströme induzirt und ein kleines Fünk¬ 
chen zeigte dem scharfen Blicke des grossen Forschers noch in 
etwa 10 Meter Entfernung von der Ursprungsstelle die Existenz 
elektrischer Wellen an. 

Und da sagte er: „Es erscheint unmöglich, fast widersinnig, 
dass diese Fünkchen sollten sichtbar seiu; aber in völlig dunklem 
Zimmer für das geschonte Augo sind sie sichtbar.“ 

Mit Rührung erfüllt uns der naive Jubel dieser Worte. Sie 
sind der bescheidene Taufspruch eines gewaltiger Zukunft ent¬ 
gegenstrebenden Keimes. — Auf 300 km sendet bereits Mar¬ 
co n i, dem wohl der Ruhm gebührt, als Erster die technisch 
worthvolle Seite der sogen, drahtlosen Telegraphie ausgearbeitet 
zu haben, seine elektrischen Wellen und lässt sie in dieser Ent¬ 
fernung hämmern und klopfen. Vorbereitete Energie können 
wir so in fernen Orten beliebig auslösen, im Guten und Bösen. 
Manch’ gefährdetem Schiffe auf einsamem Meere ist jetzt schon, 
wo die Sache noch im Beginne ihrer Entwickelung steht, durch 
diese Aether-Telegraphie rechtzeitig Hilfe zu Theil geworden. 
Unsere elektrischen Wellen könnten aber auch andererseits, z. B. 
von diesem Saale aus, ohne Drahtleitung mit Lichtgeschwindig¬ 
keit fortfliegend, unschwer ganz Helgoland in die Luft sprengen. . 
natürlich das nöthige Dynamit und die behördliche Erlaubnis* 
vorausgesetzt. 

Könnte H. Hertz heute unter uns treten, er wäre wohl 
selbst überrascht, wie seine Wellen über die engen Grenzen de- 
Laboratoriums hinausgewachsen sind, dessen Wände ihm durch 
ungewollte Reflexion doch so manchen bösen Streich gespielt 
halten. 

Das Instrumentehen, welches sich durch solch’ staunens- 
werthe Empfindlichkeit im Entdecken elektrischer Wellen aus¬ 
zeichnet, der sogen. Oohaerer, besteht aus einigen, lose aneinander 
liegenden Metalltheilchen, deren Widerstand sich durch das von 
den elektrischen Wellen ausgelöste Funkenspiel ändert. Man 
konnte so die nach Centimeter und Meter zählenden Wellen¬ 
längen von FI e r t z bis auf 4 mm verkleinern. 

Anderseits ist die längste Wärmewelle mit '/ 100 mm ge¬ 
messen worden, so dass das etwa 10 Octaven weite Gebiet der 
Wärmestrahlung noch durch einen Zwischenraum von etwa 6 Oe- 
taven von dem Gebiete der eigentlichen elektrischen Schwing¬ 
ungen getrennt ist, eine Lücke, deren vollständige Ueberbrückung 
sehr unwahrscheinlich erscheint. 

Mit diesen kleinen V'eilen hat man nun alle optischen Ver¬ 
suche in elektrischen Analogien nachgemacht. DiesesGebiet tauft • 
Righi, der es systematisch und mit grösstem Erfolge be¬ 
arbeitete. mit einem, wenn auch vielleicht philologisch nicht ganz 
richtigen, so doch ungemein bezeichnenden Namen: Optik 
der elektrischen Oscillationen. 

Dieser Theil des Nachlasses von Hertz ist wohl der be¬ 
rühmteste und bekannteste. Alles stimmt. Eine Riesenarbeit 
der verschiedensten Forscher, eine Fülle von Fleiss und Scharf¬ 
sinn ermöglichte dies. 

Die bis jetzt betrachteten Wellen pflanzen sich in Luft oder 
in leerem Raume fort, bevor sie an das brechende oder reflek- 
tirendo Medium gelangen. Man spricht daher oft. zwar nicht 
ganz korrekt, aber bequem von Luftwellen, im Gegensätze zu d.n 
Drahtwellen. Selbstredend ist es weder die Luft, noch der Drain, 
die schwingen, sondern die elektrischen Kräfte in diesen Sub¬ 
stanzen. 

Auch diese Drahtschwingungen sind theoretisch und prak¬ 
tisch Gegenstand unzähliger Arbeiten geworden und haben 
manch’ interessante Resultate geliefert. 

Von allgemeinem Interesse erscheinen besonders die Ergeb¬ 
nisse jener Betrachtungen, welche sich auf die Schwingungen 
in einem einfachen geraden Drahte oder in einer Kugel beziehen. 
Das Molekel ist ja auch etwas Derartiges. Hier nimmt die 
Schwingung ungeheuer rasch ab, die Dämpfung ist sehr gross. 
Nicht so sehr wegen der durch die elektrischen Wechselstrümo 


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No. 40. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


15S2 


erzeugten Erwärmung des Drahtes, sondern weil durch die Er¬ 
zeugung der elektrischen Wellen sehr viel Energie verbraucht 
wird. Je grösser die Dämpfung, desto besser ist der Erreger. 
Bei einmaliger Erregung hört schon nach ein paar Schwingungen 
die Strahlung auf. Die Energieabgabo bei einer einmaligen 
Erregung, die leider nur z. B. einige Millionstel Sekunde an¬ 
dauert. entspricht einer gleich kurzen Arbeitsleistung von etwa 
50 Pferden. Dann haben wir aber eine lauge, lange arbeitslose 
Pause, bis ein neuerlicher Funke neuerliche Schwingung und 
neuerliche Strahlung erregt. Diese Pause zu verkürzen wird 
um so schwerer, je rascher die elektrische Schwingung vor sich 
geht. Für längere Wellen ist dies Tesla in seinen Aufsehen 
erregenden Versuchen noch halbwegs gelungen; für die eigent¬ 
lichen II e r t z'schen Schwingungen aber steckt hier unsere 
Technik noch in den Kinderschuhen im Hinblicke auf jene 
glänzende Lösung des Problems, welches uns die Natur in den 
glühenden Körpern zeigt. Hier wird der Strahlungsverlust durch 
fortwährende Energienachfuhr unendlich rasch gedeckt, so dass 
z. B. ein Quadratmeter der Sonnenoberfläche pro Sekunde eine 
Arbeit von 45 000 Pferdekräften ausstrahlt. 

In dem bisher reierirten ersten Theile des Vortrages wurden 
Erscheinungen und Entdeckungen besprochen, welche in ihrer 
Entwicklung den erwarteten Weg nahmen. Manche Schwierig¬ 
keit musste überwunden werden, manch’ freudige Ueberraschung 
lohnte die Mühe, aber man kann hier von wesentlichen Kompli¬ 
kationen kaum sprechen. Es ist Alles in Allem eine glänzende 
Bestätigung der elektro-magnetischen Lichttheorie. 

Wir hatten es bisher hauptsächlich nur mit Wellen in Luft, 
Aether oder längs Drähten zu thun und verhültnissmässig sicher 
wies sich uns der Weg gleich dem Schiffer auf hoher See, so 
lange er die wogende Brandung an starren Felsen scheut. Die 
weite Ferne von Klippen und Ritfen glättet den Wellengiseht 
und glatt scheinen von draussen die Küsten. Der Entdecker aber 
muss landen, er muss hinein, hindurch durch den Kampf von 
Meer und Land. 

So finden auch wir härtere Arbeit, wenn wir aus dem glatten 
Aelherraume Vordringen zwischen die zerklüftete, in Molekel 
und Atome gespaltete Materie. 

Eine sichere Thatsaehe jedoch steht hier einem wegweisen¬ 
den Leuchthurme gleich an den Grenzlinien unserer heutigen Be¬ 
trachtungen, die schönen Versuche von Zeeman über den Ein- 
lluss magnetischer Kräfte auf die Spektrallinien leuchtender 
Gase, wohl unter den Entdeckungen nach Hertz eine der be¬ 
deutendsten. 

Dehnen wir nämlich unsere elektrischen Analogien auf Er¬ 
scheinungen aus, in welchen besondere Eigenschaften der 
Molekel durch die optischen Wellen aufgedeckt worden waren, 
z. B.: auf die Farbenzerstreuung, so finden wir manche derzeit 
noch ungelöste Schwierigkeit. 

Schon die eigentliche Optik hatte hier kein leichtes Spiel, 
doch gelang es immerhin noch, die Fülle der Fülle in eine ein¬ 
heitliche Formel zu zwingen. 

End nun kommt Hertz als Störenfried und erweitert die 
altbekannten Aethersehwingungen, die wir besonders mit dem 
Cohaerer unseres Organismus, unserem Auge studirt hatten, in’s 
Inend liehe. Solche Störungen werden jeder Wissenschaft zum 
Segen. Hatten schon die alten optischen Wellen ein glänzendes 
Mittel zum Erkennen manch’ molekularer Eigenschaft der 
Körper gegeben, so dürfen wir nun wohl auch voll Hoffnungen 
die neuen, wenn auch in Folg«! ihrer Grösse etwas ungelenkeren 
Schwestern in den Dienst der physikalisch-chemischen Forschung 
-aellen. 

Dieser Theil des Gebietes Hertz’seher Wellen ist derzeit 
noch im Werden. Es handelt sieh da um jene merkwürdigen 
Erscheinungen, dass ein Körper, «ler für gewöhnliche elektrische 
Ströme als Isolator gilt, z. B. Alkohol, solch’ rasch oseillirende 
II e r t z’sche Schwingungen absorbirt; man nennt das anomale 
Absorption. Dabei tritt noch immer anomale Dispersion auf: 
während in den meisten Fällen hei kleineren Wellenlängen die 
Brechung grösser wird, finden wir hier hei den langen Hertz- j 
.-eh« n Wellen oft ganz kolossale Brechungen. 

Die Versuche auf diesem Gebiete, sind ganz besonders | 
schwierig und es liegen derzeit nicht einmal allseitig überein- j 
stimmende Resultat«- vor. Aber auch richtige und einheitliche i 
Wr-iich-ergcbnisse vorausi>«>«etzt. wird die theoretisch«* Deutung 


immer ziemlich verwickelt sein. Leichter war es, so lange mau 
nur im Aether mit einem einheitlichen Itaumcontinuum arbeiten 
durfte. Sowie man aber in dus intime Wechselgebiet von Aether 
und Materie eindringt, treten die Inhomogenitäten der Materie 
in’s Spiel, Molekel und Atome, Dinge, welche ob ihrer Kleinheit 
sich der direkten Sinneswahrnehmung wohl ewig entziehen 
werden. 

Hier sind wir im Reiche der Phantasien, der Hypothesen 
und diese erlauben unserem Geiste die Zertheilung der Materie 
nach Bedürfnis» beliebig weit zu treiben. Man hat so das Atom, 
das Untheilbare durch passende Versuchsdeutungen noch weiter 
getheilt und diesen Theilen a priori elektrische Ladungen ver¬ 
liehen; auf Umwegen versuchte man sogar die Grösse und 
Ladungen dieser Atomsplitter zu bestimmen. Diese neueste, noch 
im Werden begriffene Entwickelung physikalischen Denkens geht 
über die viel einfacheren, von Hertz behandelten Probleme 
hinaus. Die Zahl der Wechselbeziehungen zwischen Licht, 
Elektricität und Materie ist gross; hoffentlich viel, viel grösser 
als unserem derzeitigen Wissen entspricht. Diese alle einheitlich 
zu umspannen, ist das wohl nie zu erreichende Schiassideal der 
Physik, angestrebt von den Ersten unseres Faches. 

Wie der Kleinkrümer einstiger Tage im engen Kreise seines 
Städtchens oder Ländchens noch Verdienst suchen und linden 
konnte, indes» unsere grossen Handelsfürsten von heute weit¬ 
blickend die Conjunctur der ganzen Welt aasnützen müssen, 
so wird auch nur der Naturforscher in Zukunft Grosses leisten, 
welcher, ausgestattet mit dem modernsten Raffinement ein¬ 
schlägiger Hilfswissenschaften trotz pedantischer Emsigkeit im 
Kleinen den Wagemuth und die Fähigkeit aufbringt, die ganze 
Welt seiner Diseiplin einheitlich zu denken. 

In diesem Sinne leistete Hertz wirklich Grosses. Denn 
die nur in theoretischen Träumen erahnte Verbindung zweier 
Riesencontinente unserer Wissenschaft, von Optik und Elek¬ 
tricität, endgiltig hergestellt zu haben, ist sein unsterbliches 
Verdienst. 

Ihnen, hochverehrte Versammlung, den auf diesem Ver¬ 
bindungswege heute schon lebhaft Irin- und herwogenden Ver¬ 
kehr flüchtig zu Schilden), war meine bescheidene Reporterpflicht. 

Als «1er Beifall für den Redner, dessen Ausführungen an 
die physikalische Vorbildung der Hörer sehr hohe Anforderungen 
stellten und während deren der Faden des Verstehens wohl bei 
der Mehrzahl der Theilnehmer, beileibe nicht etwa der zahlreich 
anwesenden Damen allein, an vielen Punkten abgerissen schien, 
sich gelegt hatte, machte der 2. Geschäftsführer Mittheilung, 
dass Herr Prof. Hofmeister- Strassburg leider durch 
Krankheit verhindert ist, seinen Vortrag über den chemischen 
llausralh «1er Zelle zu halten. Es sprach nunmehr 

Herr Prof. Boveri -Würzburg über das Problem der Be¬ 
fruchtung. 

Der Vortragende beginnt mit einer kurzen Schilderung der 
Befruclitungsvurgänge, wie sic zuerst im Jahre 1875 von 
O. Ilertwig bei Seeigeln festgestellt worden sind. Eine 
Samenzelle (Spermatozoon) dringt in die Eizelle ein, der konden- 
sirte Kern der Samenzelle wandelt sich im Eiprotoplasma in 
einen bläschenförmigen Ken« (Spermakern) um, der dem Kern 
der Eizelle (Eikern) entgegenwandert und schliesslich mit ihm 
verschmilzt. So entsteht der erste Embryonalkern, der sieb als¬ 
bald zur Theilung anschickt, worauf sich die Eizelle entsprechend 
durchschnürt. Mit dieser Theilung hat die Embryonaleutwiek- 
lung begonnen; durch fortgesetzte weitere Zelltheilung ent¬ 
stehen suiMvssive alle die Millionen oder Billionen von Zellen, 
die «las neue lndivniuum zusammensetzen und von denen wieder 
einzelne zu Eizellen oder Samenzellen werden, um den gleichen 
Kreislauf von Neuen) zu beginnen. Will man den Vorgang 
der Befruchtung beschreiben, so lässt sich derselbe sonach dahin 
fonnuliren, dass zwei höchst ungleiche Zellen, eine männliche 
und eine weibliche, zu e i n e r Zelle verschmelze)l. welche den 
Ausgangspunkt für ein neues Individuum darstellt. Allein 
unter „Befruchtung“ hat man stets eine Bewirkung ver¬ 
standen; das Befruchtungsproblem ist von jeher dieses gewesen: 
Was bewirkt «l«*r Samen im Ei, um dasselbe entwicklungsfähig 
zu machen i Von «len zahlreichen Möglielikeiten, die hier «lenk¬ 
bar wären, lassen sieh auf Grund verschiedener Erfahrungen ge¬ 
wiss«* IlauptgTuppcn sofort ausschlicsseu. Die Erscheinungen 
«lei natürlichen und die von 1. Loch entdeckten künstlichen 


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1. Oktober 1901. MUENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1583 


Parthenogenese, d. h. die Entwicklung unbefruchteter Eier, 
lehren, dass dem Ei keine essentielle Eigenschaft zur Entwick¬ 
lung fehlt, sondern dass es sich bei der typischen Unfähigkeit zu 
spontaner Entwicklung um eine Hemmung untergeordneter 
Natur handeln muss, die durch das Spermatozoon gehoben wird. 
Das Ei lässt sich mit einer Uhr vergleichen mit vollständigem 
Work, der aber die Feder fehlt und damit der Antrieb. Und da 
das Triebwerk der Embryonalentwicklung in der fortgesetzten 
Zelltheilung liegt, die qualitativen Veränderungen aber, die mit 
diesen Theilungen verbunden sind und zur Bildung eines Zellen- 
staates von bestimmter Art führen, im Ei selbst begründet sind, 
so lautet das Problem: Was fehlt dem Ei, dass es sich nicht zu 
theilen vermag, was bringt das Spermatozoon Neues hinein, um 
die Theilungsfähigkeit herzustellen? 

Auf diese Frage geben uns die Erscheinungen eine Antwort, 
die wir nach dem Eindringen des Spermatozoons im Eiproto¬ 
plasma wahrnehmen können. Schon die ersten Beobachter be¬ 
merkten, dass sich um den Spermakern gewisse Bestandteile des 
Eiprotoplasmas zu radiären Bahnen anordnen, dass diese 
Strahlensonno oder Astrosphäre sich mit dem Spermakern dem 
Eikern nähert und dass an ihre Stelle später zwei solche Strah¬ 
lungen treten, die sich am ersten Embryonalkem gegenüber¬ 
stehen. Ein Verständniss dieser merkwürdigen Erscheinungen 
wurde durch das Studium der Vorgänge gewonnen, die sich bei 
der Theilung irgend einer typischen tierischen Zelle abspielen. 
Was zunächst die Theilung des Kerns anlangt, so geht dieselbe 
in der Weise vor sich, dass der Kern als solcher verschwindet, 
während eine in ihm entaltene Substanz, das sogen. Chromatin, 
sich für eine zu jeder Spezies bestimmten Zahl von isolirten 
fadenförmigen Stücken, den Kernelementen, zusammen¬ 
zieht. Diese theilen sich der Länge nach in je zwei identische 
Hälften, worauf jede von diesen Hälften in einen anderen der 
beiden Bezirke geführt wird, die sich später als Tochterzellen 
von einander abgrenzen. Gehen also aus dem Mutterkern z. B. 
48 Kernelemente hervor, so erhält jede Tochterzelle auch 48, 
und zwar von jedem Element des Mutterkerns die eine Hälfte. 
In jeder Tochterzello vereinigen sich dann die Kemelemente 
wieder zur Bildung eines bläschenförmigen Kerns. Diese sorg¬ 
fältige Vertheilung der Kernelemente auf die Tochterzellen wird 
durch einen Apparat bewirkt, dessen Entstehung und Wirkungs¬ 
weise seit dem Jahre 1887 bekannt ist. Es zeigte sich, dass neben 
dem Kern im Protoplasma ein kleines Körperchen (Centrosoma) 
liegt und das6 die Zelltheilung dadurch eingeleitet wird, dass 
dieses Körperchen sich in zwei Hälften theilt. In diesen beiden 
neuen Centrosomen sind, wie der weitere Verlauf lehrt, zwei 
Mittelpunkte gegeben, deren jeder die Hälfte der Kernelemente 
in Anspruch nimmt und die Hälfte des Protoplasmas um sich 
abgrenzt. Jedes der beiden neuen Centrosomen umgibt sich, 
während es sich von den anderen entfernt, mit einem Hof 
radiärer Plasmastrahlen, mit einer Astrosphäre. Diese Astro- 
spären haben die Eigenschaft, die Kernelemente an sich zu 
binden und bis auf gewisse Entfernung an sich heranzuziehen. 
Indem jedes Kernelament diese Einwirkung von beiden Astro- 
sphären erfährt, wird es in die Mitte zwischen beiden geführt und 
alle Kemelemente werden so in einer äquatorialen Ebene zwischen 
den Centrosomen zur Ruhe gebracht. Die vorhin erwälmte 
Spaltung der Kemelemente erfolgt nun so, dass jede Hälfte 
mit einer anderen Sphäre in Verbindung bleibt. Jetzt weichen 
die beiden Sphären auseinander, jedes die ihm verbundenen 
Hälften der Kernelemente mit sich führend. In der Mitte 
zwischen beiden Gruppen erfolgt sodann die Durchschnürung 
des Protoplasmas. Während nun in jeder Tochterzelle aus den 
Kernelementen der neue Kern entsteht, bildet sich die Astro¬ 
sphäre zurück, das Centrosoma dagegen bleibt bestehen, um durch 
seine Zweitheilung die nächste Zelltheilung einzuleiten. Wir 
lernen sonach in dem Centrosoma ein besonderes Organ der Zelle 
kennen, dessen Funktion die eines Theilungs- oder Fortpflan¬ 
zungsapparates der Zelle ist. 

Betrachtet man von dem gewonnenen Standpunkt aus das 
Befruchtungsproblem, so ist die erste Frage: woher rühren die 
beiden Ceutrosomen, welche die Theilung des Eiee bewirken? 
Die Untersuchung zahlreicher thierischer Eier hat ergeben, dass 
sie aus dem Spermatozoon stammen. Das Spermatozoon führt 
ein Centrosoma in’s Ei ein, welches alsbald eine Astrosphäre um 
sich erzeugt und sich alsdann theilt. Dem Ei fehlt das Centro- 


soiua oder wenn ein solches vorhanden ist, ist es unter normalen 
Umständen zu keiner Aktivität befähigt. Es wird ersetzt durch 
dasjenige des Spermatozoons, von dem nun alle Centrosomen des 
neuen Organismus abstammen. 

Auf Grund dieser Thatsachen und einer Anzahl von Ex¬ 
perimenten (Befruchtung und Entwicklung entkernter Eier, 
Lähmung des Spermakerns bei Wirksamkeit seines Centrosoma, 
Folgen des Eindringens mehrerer Spermatozoen in’s Ei) hat der 
Vortragende die Theorie auf gestellt, dass die befruchtende Wir¬ 
kung des Spermatozoons auf nichts Anderem als auf der Ein¬ 
führung eines neuen Theilungsapparates, eines Centrosoma, be¬ 
ruhe. Das ursprüngliche Problem der Befruchtung sieht er da¬ 
mit als gelöst an. Allein diese Lösung vermag uns nicht völlig 
zu befriedigen. Durch sie selbst und durch eine Reihe sonstiger 
Erfahrungen hat die ganzo Frage eine andere Gestalt ange¬ 
nommen, als sie ursprünglich hatte. Eine vergleichende Be¬ 
trachtung geschlechtlicher Vorgänge ergibt, dass ihre Wurzel 
zurückgeht bis zu den einzelligen Wesen. Auch hier tritt von 
Zeit zu Zeit eine Zellenpaarung, Conjugation, ein, die der Paarung 
von Eizelle und Samenzelle vergleichbar ist, nur mit dem wich¬ 
tigen Unterschied, dass 1. die beiden conjugirenden cellulären 
Individuen in den einfachsten Fällen vollkommen gleich sind, 
und 2. die Zellenpaarung nicht den Ausgangspunkt eines Pro- 
cesses bildet, den man als Entwicklung bezeichnen könnte. Vor 
Allem dieser letztere Punkt ist für die Beurtheilung der Be¬ 
fruchtungserscheinungen von grosser Wichtigkeit; wollte man 
die mit dem Wort Befruchtung sich unwillkürlich verbindende 
Vorstellung des Anstosses zu neuer intensiver Lebensthätigkeit 
auf die Conjugation übertragen, so liesse sich dies nur durch die 
Annahme thun, dass nach einer Reihe von Zelltheilungen eine 
Erschöpfung eintritt, die durch eine nun erfolgende Zellen¬ 
paarung gehoben wird. Eine derartige Anschauung, die vielfach 
als „Verjüngungstheorie“ bezeichnet wird, hält der Vortragende 
sowohl aus allgemeinen Gründen, wie auch nach Allem, was wir 
über ungeschlechtliche Vermehrung von Pflanzen wissen, für 
unhaltbar. Nach seiner Meinung — und dies dürfte gegen¬ 
wärtig, besonders auf Grund der Weismann’schen Schriften, 
überhaupt die herrschende sein — kann die Bedeutung der Zellen¬ 
paarung nur in der Mischung der individuellen Eigenschaften 
der verschmelzenden Zellen gesehen werden. 

Ist dies richtig, so erklären sich diejenigen Eigenthümlich- 
keiten, durch welche sich die Befruchtung der vielzelligen Orga¬ 
nismen von der Conjugation der einzelligen unterscheiden, in 
folgender Weise. Der sexuelle Gegensatz, den wir zwischen Ei¬ 
zelle und Samenzelle finden, ist kein fundamentaler, sondern hat 
lediglich die Bedeutung einer Arbeitstheilung. Fragt man, was 
nöthig ist, damit zwei Keimzellen von zwei verschiedenen In¬ 
dividuen zusammen einem neuen Individuum Entstehung geben, 
so lassen sich 3 Bedingungen namhaft machen: 1. Es darf nicht 
jede Keimzelle für sich allein die Entwicklung beginnen; 2. die 
beiden Zellen müssen Zusammentreffen, sich finden; 3. sie müssen 
miteinander eine gewisse Menge von Protoplasma und Nährsub¬ 
stanz zum ersten Aufbau des neuen Organismus aufbringen. In 
diese beiden letzteren Bedingungen haben sich die Keimzellen 
getheilt; die Eizellen liefern das ganze Material an Protoplasma 
und Nährsubstanz, die Samenzellen sorgen für die Vereinigung. 
Und an diese Arbeitstheilung knüpft nun auch die reciproko 
Hemmung an, die die selbständige Entwicklung der einzelnen 
Keimzelle verhindert. Die Samenzelle ist gehemmt durch Proto¬ 
plasmamangel; in der Eizelle, die in dieser Beziehung alles zur 
Entwicklung Nöthige besitzt, fehlt der Antrieb, das Centrosoma. 

Betrachtet man nun die Erscheinung, dass bei den höheren 
Organismen die Zellenpaarung an die Fortpflanzung geknüpft 
ist und also der Anschein entsteht, als sei die Verschmelzung 
zweier Keimzellen eine Nothwendigkeit zur Erzeugung eines 
neuen Individuums, so führt unser Ergebniss, dass die Bedeutung 
der Zellenpaarung nur in einer Qualitätenmischung liegen kann, 
gerade zur umgekehrten Anschauung. Zwei, aus zahllosen Zellen 
zusammengestzte Organismen können nicht zusammenfliessen 
und ihre Eigenschaften vermischen; nur auf jenem Zustand ist 
die Mischung möglich, wo das Individuum sozusagen noch in 
eine Zelle zusammengefasst ist, wo es als Keimzelle existirt. 
Da köimen 2 Keimzellen von 2 verschiedenen Individuen mit 
einander verschmelzen und so in dem neuen Individuum eino 
Mischung der elterlichen Qualitäten bewirken. Nicht die Zellen- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


paarung also ist eine Vorbedingung für die Entwicklung, son¬ 
dern umgekehrt: die Fortpdanzung durch eine Zelle ist die 
nothwendige Voraussetzung für die Mischung. Die Unfähigkeit 
von Eizelle und Samenzelle, sich selbständig zu entwickeln, er¬ 
scheint danach nicht mehr als ein fundamentaler Mangel, son¬ 
dern als ein Verzicht. Die Keimzellen haben eine ihnen ur¬ 
sprünglich zukommende, beim Ei ja in der Parthenogenese noch 
hier und dort erhaltene Fähigkeit aufgegeben, um sie erst in 
gegenseitiger Ergänzung wieder zu gewinnen- Und dem ent¬ 
spricht auch die Art des Defekts, den wir in den beiderlei Ge¬ 
schlechtszellen kennen gelernt haben und der in klarster Weise 
den Charakter einer Hemmung und nicht einer Erschöpfung 
trägt. 

Von dieser reciproken Specialisirung hebt sich um so be¬ 
deutungsvoller ab die völlige Gleichwerthigkeit der Kerne. Ei¬ 
kern und Spermakern, wie sie schliesslich im Eiprotoplasma 
nebeneinander liegen, sind in Grösse, Struktur und in der Zahl 
der aus jedem hervorgehenden Kemelemente vollkommen iden¬ 
tisch. Offenbar sind in der Struktur dieser beiden Kerne die 
individuellen Eigenschaften der elterlichen Organismen begrün¬ 
det, auf deren Vereinigung es bei dem Vorgang abgesehen ist; 
und die Thatsachen, die vorhin über die Spaltung und Verkei¬ 
lung der Kernelemente bei jeder Zelltliedlung besprochen worden 
sind, lassen verstehen, wie in allen Theilen des neuen In¬ 
dividuums die gleiche Mischung väterlicher und mütterlicher 
Eigenschaften zur Entfaltung gelangt. 

Der Vortragende schliesst mit einem kurzen Hinweis auf 
die Bedeutung der im ganzen Thier- und Pflanzenreich mit so 
gewaltigem Aufwand realisirten Individuenmischung, die seiner 
Meinung nach dazu dient, neue Kombinationen von Qualitäten 
hervorzubringen, und damit bei der Umwandlung der Orga- 
nismeuwelt einen der wichtigsten Faktoren darstellt. 

Nach diesem, durch entwicklungsgeschichtliche Zeichnungen 
erläuterten, klar verständlichen Vortrag, der dem Redner reichen 
Beifall eintrug, wurde die Versammlung um 1 Uhr geschlossen. 

Die den Theilnehmern der Versammlung als Erinnerungs¬ 
gabe dargebotenen Festschriften bestehen aus 3 umfänglichen 
Werken in vorzüglich schöner Ausstattung und betiteln sich: 
1. Hamburg in naturwissenschaftlicher und medicinischer Be¬ 
ziehung (616 Seiten stark), 2. die Gesundheitsverhältnisse Ham¬ 
burgs im 19. Jahrhundert (327 Seiten stark), 3. die allgemeinen 
Krankenhäuser und Irrenanstalten der freien und Hansestadt 
Hamburg, mit 94 Abbildungen und 2 Tafeln (188 Seiten stark). 
Diese Werke, auf deren Inhalt hier einzugehen der Raum ver¬ 
bietet, ehren die Ehrenden, unsere Gastgeber. Einerseits illu- 
striren sie auf das Glänzendste die Grösse des Kapitals an Geist, 
das diese Stadt neben ihrem enormen materiellen Reichthum ihr 
eigen nennt, und ist ein Denkmal für die aus Bewohnern dieser 
Stadt hervorgegangene wissenschaftliche Leistung eines Säcu- 
lums, wie es nicht leicht vielseitiger in deutschen Landen ge¬ 
funden werden kann. Andererseits aber verkünden diese hier 
beschriebenen öffentlichen Einrichtungen des Staates Hamburg, 
der z. B. 1898 über 16 Millionen Mark für öffentliche Bauten, 
über 8 Millionen für Unterrichtswesen verwendet hat, weit hinaus 
die hohe Einsicht, welche die Verwaltung des Staates dem wissen¬ 
schaftlichen Fortschritt entgegenbringt. Wo es möglich ge¬ 
macht wird, mit enormen Aufwendungen das in der stillen 
Kammer der Wissenschaft Ersonnene praktisch für die An¬ 
forderungen des öffentlichen Lebens in gewaltigen Dimensionen 
zu verwerthen, wo die einmal fest gewordene Erkenntniss, neue 
Forschungsergebnisse der Wissenschaft auf greifen und in eine 
mächtige Tliat umsetzen zu müssen — ich erinnere nur an die 
jetzige Wasserversorgung der Stadt, die Umwandlung einzelner 
Stadtbezirke nach der Cholera 1892 — zu solchen fruchtbaren 
Neu Schöpfungen und solchen gemeinnützigen Einrichtungen für 
die Volksgesundheit drängt und treibt, da stehen nicht nur hohe 
Intelligenz und Thatkraft an der Spitze, sondern die ganze 
Bürgerschaft muss, wie v. Neuinayer- Hamburg in obiger 
Rede mit vollem Rechte ausführen konnte, in einem Verhältnisse 
zur Wissenschaft und ihren Ergebnissen stehen, wie wir es allen 
deutschen Städten von Herzen wünschen möchten- In diesem 
Sinne wollen wir Theilnehmer alle die Festschriften nach Hause 
tragen und dort zur rechten Zeit auf das glänzende Beispiel 
Hamburgs verweisen! 


XXVI. Versammlung des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege 

zu Rostock am 18.—21. September 1901. 

(Eigener Bericht) 

Nach der Präsenzliste haben sich insgesammt (bis Schluss 
der Versammlung) 288 Mitglieder eingefunden. Bayern hatte 
6 Vertreter, worunter 2 Verwaltungsbeamte (München und Augs¬ 
burg) und 2 Hygiene-Professoren (Würzburg und Erlangen). 
Bei der hohen Wichtigkeit, die einzelne Berathungsgegenstände 
gerade für beamtete Aerzte haben mussten, ist diese geringe Be¬ 
theiligung gerade aus unserem engeren Vaterland sehr zu be¬ 
dauern. Dass in sehr grossem Maasse der nicht ganz glücklich, 
wegen seiner grossen Entfernung gewählte Ort von Bedeutung 
ist, muss wohl als sicher angenommen werden. Andererseits sei 
auch erwähnt, dass eine grosse Anzahl preussischer, besonders 
rheinischer, Städte auf ihre Kosten Vertreter entsendet, was 
bayerischerseits wohl fast nie geschieht. Vielleicht könnte seitens 
einer hohen bayerischen Staatsregierung Aehnliches geschehen, 
wie es bereits bei den bakteriologischen Fortbildungskursen für 
Aerzte an den 3 Landesuniversitäten statt hat. 

Am 17. September Abends fand der übliche Begrüseungs- 
abend im „Fürsten Blücher“ statt. 

Am 18. September Früh wurde die Versammlung offiziell 
durch Herrn Oberbürgermeister Dr. Schneider - Magdeburg 
eröffnet. Namens des grossherzogl. mecklenburgischen Staats¬ 
ministeriums bewillkommnete Geh. Ministerialrath Müh len - 
b r u c h, und wies darauf hin, dass in dem Verein Wissen¬ 
schaft, Technik und Verwaltung zusammenwirkten. Männer, 
deren Ziel ist: „reine Luft und klares Wasser“, wären im Lande 
herzlichst willkommen. Mühlenbruch schließst mit dem 
Wunsche, dass die Aussaat dieser friedfertigen Versammlung 
weithin auf fruchtbaren Boden fallen möge. 

Für die Stadt Rostock begrüsst Bürgermeister Dr. Mass- 
mann, im Namen der Universität spricht Herr Prof. Dr. 
Staude, im Namen des Rostocker hygienischen Vereins 
Medicinalrath Dr. Dornblüth. Auf Vorschlag des Vor¬ 
sitzenden wurden nach den üblichen Dankesworten in’s Bureau 
berufen: Bürgermeister Dr. v. Borscht - München, Medicinal¬ 
rath Dr. Dornblüth -Rostock und Prof. Dr. Pfeiffer- 
Ro8lock. 

Der Vorsitzende widmet sodann den verstorbenen Mitgliedern 
einen Nachruf, wobei er besonders der Verdienste eines Max 
v. Pettenkofer, des Mitbegründers des Vereins, und des 
Hamburger Oberingenieura Andreas Meyer gedachte. Von 
bekannteren weiter gestorbenen Mitgliedern seien hier noch 
Abegg, Brauser, Fodor, Pfeiffer - Darmstadt, 
Sp inola erwähnt. Zu aller Verstorbenen Ehren erhob sich 
die Versammlung von ihren Sitzen. 

Mitglieder zählt der Verein jetzt 1501 (20 weniger als im 
Vorjahr). Gestorben waren insgesammt 35, ind. dieser traten 
insgesammt 110 Mitglieder aus. 95 traten neu ein. 

Aus dem weiteren Geschäftsbericht des Geschäftsführers, 
Geh. Sanitätsrath Dr. S p i e s s * Frankfurt a. M., ist noch her¬ 
vorzuheben, dass der Verein eine Eingabe wegen Einführung 
der obligatorischen Leichenschau gemacht hat. Ausserdem war 
ein Preisausschreiben „Erzielung grösserer Reinlichkeit bei 
der Behandlung und dem Verkehr mit Nahrungsmitteln“ erlassen 
worden. 18 Arbeiten waren prämiirt worden. Dieselben wurden 
zusammen in ein Werkchen vereinigt und etwa 400 Zeitschriften, 
Sonntags-, Familien- etc. Blättern zugeatellt mit der Bitte, zeit¬ 
weise Artikel hiervon zu veröffentlichen. 

Nach Wahl des Bureaus wurde sodann in die Verhandlungen 
eingetreten: 

Die örtlichen Gesnndheitskommissionen in ihrer Bedeutung 
für Staat und Gemeinde, sowie für die amtliche Thätigkeit 
der Medicinalbeamten. 

Referenten: Regierungs- und Geheimer Medicinalrath Dr. Rap¬ 
mund - Minden, Privatdocent Dr. J astrow, Stadtrath, Char- 
lottenburg-Berlin. 

Die Referenten hatten folgende Leitsätze aufgestellt: 

1. Für die Erfüllung der Aufgaben der öffentlichen Gesund¬ 
heitspflege ist die Einrichtung örtlicher Gesundheitskom¬ 
missionen nothwendig. 


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1. Oktober 1901. 


MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1585 


2. Die Thatigkeit der Gesundheitskommission soll n) nicht 
bloas eine begutachtende und anregende, sondern auch eine ver¬ 
waltende sein, sowio b) unter Mitwirkung und gegenseitiger 
Unterstützung des beamteten Arztes stattfinden. 

3. Bei Regelung der Befugnisse der Gesundheitskom- 
missionen dürfen die Grundsätze der kommunalen Selbstverwal¬ 
tung nicht verletzt werden. 

R a p m u n d führt zunächst die Nothwendigkeit solcher 
Kommissionen aus; er meint, cs sollen nicht allein die Städte 
und grossen Ortschaften, sondern bei dem regen Verkehr 
zwischen Stadt und Land auch die kleineren Orte und da9 platte 
Land zur Bildung solcher Kommissionen herangezogen werden. 
In Preussen wird bekanntermaassen durch das neue Kreisarzt¬ 
gesetz nur bei Städten bis herab zu 5000 Einwohnern die Er¬ 
richtung derartiger Kommissionen verlangt. R a p m u n d 
schlägt, überhaupt vor, auch bei den Verhandlungen des Deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege die Bedürfnisse 
kleinerer Städte und des platten Landes entschieden mehr zu 
vertreten. (Sehr richtig! der Ref.) Geschichtlich ist die Ent¬ 
stehung der Gesundheitskommissionen auf die Pestkommissionen 
aus den Pestzeiten zurückführbar, so auch auf die grosse Cholera- 
epidemie 1831. 1835 brachte der preussische Staat einen dies¬ 
bezüglichen Erlass; die Heranziehung von Bürgern, Bürger¬ 
meistern, Amts- und Gamisonsärzten, Thierärzten ist hiebei ge¬ 
wünscht. Damals war nicht nur berathende, sondern auch aus¬ 
übende Gewalt vorgesehen. Leider haben diese Kommissionen 
ihre Pflichten wenig oder gar nicht erfüllt, es fehlte die conti- 
nuirliche Fühlung mit den Kommunalbehörden und vor Allem 
die sachgemässe Leitung. In Bayern, Sachsen und anderen 
Staaten bestellen solche Kommissionen nur für besondere Epi¬ 
demien. Manche Bundesstaaten, so Mecklenburg, kennen über¬ 
haupt keine derartigen Einrichtungen; berathende Behörden 
kennt Oesterreich-Ungarn, Frankreich etc. 

Nach dem neuen preussischen Gesetze (16. IX. 1899) ist 
jetzt der beamtete Arzt Vorsitzender der Kommission; letztere 
ist jetzt eine ständige Einrichtung und muss viermal im Jahre 
— mindestens — einberufen werden. Ihre Thätigkeit ist eine 
berathende und Rathschlüsee gebende, keine verwaltende. Die 
Heranziehung der Laien zur Kommission ist auf’s freudigste 
zu begrüssen wegen der zu erwartenden Aufklärung derselben 
und der zu erhoffenden Belehrung des Gesammtpublikums wieder 
durch letztere. Gerade hierin liegt die grosse Gewähr für die 
Durchführung der hygienischen Maassregeln und der Werth der 
örtlichen Gesundheitspflege. Vorschläge können jetzt auch 
seitens der Bürger gebracht werden, gemeinsame Besichtigungen 
durch die Kommission können und sollen vorgenommen werden. 
In kleineren Orten kann ein Zusammenlegen der besprochenen 
Kommission mit der Baukommission gemacht werden, eventuell 
auch in grösseren Orten. 

Vom hygienischen Standpunkte aus sind ausser dem be¬ 
amteten Arzte folgende Mitglieder der Kommission empfehlen9- 
werth: Aorzte, Architekten, Apotheker, Chemiker, Thier¬ 
ärzte etc.; wie viel und wer von den Bürgern hinzuzunehmen ist, 
muss örtlicherseits entschieden werden. Dass die Kommissionen 
ständig sind, erscheint äusserst zweckmässig; zur Verhütung von 
Krankheiten etc. müssen die erforderlichen Maassregeln recht¬ 
zeitig getroffen werden, ausserdem kommen sie zu spät. Rap¬ 
mund verlangt an dieser Stelle seines Berichts neben den schon 
erwähnten Erweiterungen der Kommissionen für die kleineren 
Städte und das platte Land speciell solche für Bade- und Kur¬ 
orte. Die Aufgaben der Kommissionen sind berathende Eigen¬ 
schaften für das ganze Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege, 
als Schlachtstätten, Wohnungen, Trinkwasserversorgung, Be¬ 
seitigung von Abfällen, Schulen, Bäder, Begräbnisswesen. Die 
Berücksichtigung des bisher häufig übersehenen naltekinder- 
wesens ist zu fordern; zu warnen ist vor dem Uebereifer — schon 
der Kosten wegen. Festina lente! Empfehlenswerth ist für die 
Städte, die Kommissionen auch mitarbeiten, theilweise sogar in 
dor Verwaltung helfen zu lassen. (? der Ref.) 

R a p m u n d kommt in seinen Ausführungen nun darauf 
zu sprechen, in welchem Vorhältniss der Kreisarzt zu den Stadt¬ 
verwaltungen steht. Er soll das belebende und belehrende Ele¬ 
ment sein, Vorschläge mundgerecht machen; er braucht kein 
Stimmrecht, er soll nur der Wächter des Gesundheitswesens sein: 
Die Annäherung der staatlichen Organe au die städtischen Ge¬ 


sundheitskommissionen ist besonders wegen der Anforderungen 
des wirtschaftlichen Lebens nöthig. 

Nach Beleuchtung der hygienischen Seite der Gesundhedts- 
kommission beleuchtet Herr Jastrow die verwaltungsrecht¬ 
liche. Die Gesundheitspflege ist mit dom Augenblicke, wo sic 
eine öffentliche wird, ein Gegenstand der Verwaltung. Jastrow 
nimmt sich nun zum besonderen Gegenstand seiner Besprechung 
die neue preussische Verordnung und betrachtet sie nach fol¬ 
genden Gesichtspunkten: Die Entstehung der Kreisarztfrage in 
Bezug auf die grossen Städte, die bisherige Stellung der Städte 
hiezu, wie sollen sich die Städte ferner zu dieser Aufgabe stellen. 

Die Nothwendigkeit dor hygienischen Maassnahmen wird all¬ 
seitig mehr und mehr anerkannt; die Unzufriedenheit gegen die 
Eingriffe in das Privatleben nimmt ab. Sitz der hygienischen 
Fortschritte in Preussen sind die Städte, Sitz der parlamen¬ 
tarischen Gewalt in Preussen dagegen das platte Land. Jastrow 
theilt sodann die Geschichte des jetzigen Gesetzes in seinen ver¬ 
schiedenen Phasen mit. Man einigte sich schliesslich, indem 
man einen beralhenden Kreisarzt für die Städte, aber nicht für 
das platte Land schuf, ebenso wie man Gesundheitskommissionen 
für Städte über 5000 Einwohner schuf, aber nicht für das platte 
Land. Bisherige Stadtärzte können Kreisarztfunktionen be¬ 
kommen. Auf die besprochene rechtliche Stellung des durch den 
Minister ernannten Kreisarztes zum Selbstverwaltungsrecht 
der grossen Städte möge hier nicht näher eingegangen sein, nur 
darauf möge hingewießen sein, dass man dem Kreisarzt die Be- 
fugniss des Eingriffes in die Hygiene der grossen Städte gab, 
wiewohl letztere immer schon ihre diesbezügliche Pflicht thaten, 
und die doch nothwendig gewesene Einwirkung auf das in seiner 
Hygiene so zurückgebliebene platte Land wurde versagt. 
J a s t r o w schliesst mit den Worten: Die Städte brauchten die 
staatliche Beaufsichtigung durch den Kreisarzt nicht zu be¬ 
fürchten. Aufsicht und Selbstverwaltung seien nicht Gegen¬ 
sätze, sondern im Gegensatz eine richtige Selbstverwaltung be¬ 
dürfe der Aufsicht. 

Die anschliessende DiscuSBion spielt grösstentbeils gleich¬ 
falls auf verwaltungsrechtlichem Gebiete; es tritt jedoch auch hier, 
im Gegensatz zu dem Referenten, der Wunsch zu Tage, die neuen 
Kommissionen mögen nur berathende, keine verwaltenden 
sein. In diesem Sinne sprechen MedieinaJrath Dr. Dornblüth- 
Rostock, Kreisarzt Dr. Steinmetz - Strassburg i. E., welch’ 
letzterer auch die entsprechenden elsässer Verhältnisse schildert 
Prof. Frankel - Halle meint, dass das platte Land zu sehr be¬ 
günstigt worden sei nach der schlechten Seite hin. Aber man 
müsse auch bedenken, dass die Schäden dort nicht so verheerend 
wirken, wie ln den Gressstädten. F r ä n k e 1 glaubt man müsse 
zunächst die Wirkung des neuen Gesetzes in den Städten ab- 
warten; jedenfalls sei ln dem Institute der beamteten Kreisärzte 
ein grosser Fortschritt auf dem Gebiete der Hygiene zu ver¬ 
zeichnen. 

Ausserhalb der Tagesordnung fordert Oberbürgermeister 
P a g e 1 s - Oppeln auf, „der Deutsche Verein für öffentliche Ge¬ 
sundheitspflege möge der Centralstelle für die Beseitigung 
städtischer Abwässer in die Flussläufe beitreten“. 

Hygiene der Molkereiprodnkte. 

Referent: Geb. Medicinnlrath Prof. Dr. Löffler - Greifswald. 

Die Milch ist bekanntermaassen ein vorzügliches Nahrungs¬ 
mittel, sie wird jedoch leicht verändert und schädlich beeinflusst. 
Neuerdings kommen mehr und mehr die Molkereiproduktgesell- 
schaften in Aufschwung, was mit Rücksicht auf die gleiche Zu¬ 
sammensetzung der Mischmilch zu begrüssen ist; Schäden haben 
diese Gesellschaften, wenn sie nicht durchaus verlässig sind. Die 
Milch kann schädlich wirken, da eine Reihe von Stoffen, die die 
Thiere nehmen, in die Milch übergeht. Das Thier wird durch 
diese Stoffe gar nicht irritirt, jedoch wird die Milch verändert 
und stellenweise giftig. Man hat beispielsweise die hohe Kinder¬ 
sterblichkeit im Sommer auf derartige Milch zurückführen zu 
müssen geglaubt, so besonders auf Oolchicineinwirkungen. 
Hauser- Karlsruhe wiess nach, dass unter sonst gleichen 
Temperaturverhältnissen Kinder solcher Gegenden besonders 
leicht sterben, die Milch von auf Kalkboden weidenden Kühen 
erhalten. Es müssen hier bestimmte Futterkräuter ihre Ein¬ 
wirkung zeigen; die Colehicineinwirkung ist dagegen wohl in 
Zweifel zu ziehen. Alan fand auch, dass die Fütterung mit Kar¬ 
toffeln einen Einfluss auf die Kindersterblichkeit habe (W cy h 1- 
Strassburg). Es ist hier ein Bakterienprodukt „Solanin“ von 
Wirkung. Man hatte schon längere Zeit auf bestimmte Futter¬ 
stoffe Verdacht und daher bei der Herstellung von Kindermilch 


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1586 


MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


besondere Vorsichtsmaassregeln eingeführt (prcussische Verord¬ 
nung bei der Herstellung von Kindermilch, ähnliche Polizeiver¬ 
ordnungen bestehen in Dresden, München, Nürnberg etc.). Diese 
Milch ist jedoch viel zu theuer, um allgemein zu Gute kommen 
zu können. Stellen sich überdies jene Untersuchungen als 
richtig heraus, so müssten noch weitere Bestimmungen getroffen 
werden. 

In die Milch kommen nun eine ganze Reihe von Thierkrank¬ 
heiten, so die Maul- und Klauenseuche. Jedoch ist die Em¬ 
pfänglichkeit hiefür wohl nur eine geringe, sonst müssten bei 
Weitem mehr Erfahrungen und Vorkommnisse hierüber zu Tage 
kommen, als bisher dies der Fall ist. Dagegen ist die Gefahr 
der Verschleppung der Maul- und Klauenseuche durch die 
Molkereigenossenschaft selbst sehr leicht gegeben, so durch Zu¬ 
rücklieferung der Magermilch an die Genossen und Verfütterung 
an Jungvieh, Schweine etc. Noch grösser ist die Gefahr der Ver¬ 
breitung gewisser anderer Thierkrankheiten, so die der Entzün¬ 
dung der Euter (Mastitis durch Streptococcen). Diese Erkran¬ 
kung kommt gar nicht so selten bei Kindern vor (B e c k, L ü t e r, 
G a f f k y). Das grösste Interesse hat natürlich die Tuberkulose 
der Rinder. Tuberkelbacillen hat man in zahllosen Fällen in 
der Milch nachgewiesen, so besonders bei Thieren, die 
Eutertuberkulose haben. Die Milch von Sammelbetrieben hat 
weitaus in den meisten Fällen Tuberkelbacillen, was der enorm 
weiten Ausbreitung der Tuberkulose zuzuschreiben ist. Die 
Milch bei kleinen Betrieben ist häufiger frei. Dasselbe gilt bei 
der Butter: bei Grossbetrieben enorm häufig Tuberkelbacillen 
in der Butter. Bei der weiten Verbreitung der Eutertuberkulose 
erschien natürlich die Gefahr der Ausbreitung der Tuberkulose 
durch Milch und Butter sehr gross. Durch die neuesten Unter¬ 
suchungen von Robert Koch über die Uebertragbarkeit der 
Rindertuberkulose auf die Menschen ist die bisherige Annahme 
völlig geändert worden. Löffler bringt nun Koc h’s Arbeiten 
und Anschauung und theilt mit, dass er sich denselben voll¬ 
kommen auschliesse. Baumgart berichtet über Versuche, die 
vor 20 Jahren vorgenommen wurden: man hat damals Rinder¬ 
tuberkulose Menschen unter die Haut eingespritzt, um Ge¬ 
schwülste zu heilen, manchmal entstanden kleine Pusteln, nie 
konnte man jedoch durch Sektionen eine allgemeine Tuberkulose 
feststellen! Ebenso kann man aus den Sektionsbefunden an 
Kinderkrankenhäusern nachweisen, dass primäre Darmtuborku- 
losen ungeheuer selten sind, was doch dem häufigen Genuss der 
tuberkuloseverdächtigen Milch nicht entspricht. Löffler hat 
die Butter von 25 Betrieben in Greifswald untersucht, 7 von 
8 Grossbetrieben hatten immer Tubcrkelbacillen. Trotzdem ist 
in Greifswald trotz des grossen Konsums einer derartigen Butter 
ein höheres Vorkommen von Tuberkulose als in anderen Städten 
oder eine häufige Konstatirung von primärer Darmtuberkulose 
nicht zu konstatiren. 

Der Einfluss der Rindertuberkulose auf die Menschen ist 
doch wohl ein recht geringer, wenn nicht ganz ausschliessbarer. 
Trotzdem darf der Kampf gegen dieselbe nicht aufgegeben wer¬ 
den. Es würde sich bei bacillenhaitigor Milch zunächst nur um 
ein ekelerregendes Nahrungsmittel, kein schädliches handeln. 
Die Molkereien wären im eigenen Interesse, „Gefahr der Verwen¬ 
dung der Magermilch“, bei der Tuberkulose der Milch engagirt. 

Löffler kommt nun auf das Hineingelangen menschlicher 
Infektionskrankheiten in die Milch zu sprechen; es ist dies kein 
seltenes Vorkommen, so sind Typhuserkrankungen beobachtet 
worden, die so erklärbar sind, ebenso Diphtheriefälle. Die Ver¬ 
hütung der Infektionen mit Milch ist nur mit Sicherheit möglich, 
wenn die Milch von Genossenschaftsmolkereien immer pasteuri- 
sirt wird: 20 Minuten auf 60 Grad oder 2 Minuten auf 85 Grad. 

Bei der grossen Wichtigkeit der besprochenen Frage mögen 
die exakt gefassten Schlusssätze L ö f f 1 e r’s hier in extenso Platz 
finden: 

1. Vom hygienischen Standpunkt aus Ist zu verlangen, dass 
die Molkereiprodukte, wenn sie in die Hand des Konsumenten ge¬ 
langen, von normaler Beschaffenheit sind, keine konservirenden 
Zusätze enthalten und vor Allem frei sind von gesundheitsschäd¬ 
lichen (giftigen und ansteckenden) Stoffen. 

2. Die normale Beschaffenheit kann leicht ermittelt werden 
durch Prüfung der sinnfälligen Eigenschaften (Aussehen, Geruch, 
Geschmack), durch Feststellung des Gehaltes an normalen Be- 
staudtheilen, an fremden Bestandteilen (Milchschmutz), sowie 
von konservirenden Zusätzen und durch die Ermittelung des Zer¬ 
setzungsgrades (Bestimmung des Grades der Säuerung durch 
Tltrlrung oder Alkoholprobe). Praktisch nicht durchführbar ist 


die Prüfung auf giftige Stoffe (herrührend von giftigen Kräutern 
im Futter der Kühe, von Medikamenten, welche den Kühen ver¬ 
abreicht waren, von der Lebensthätigkeit niederer Organismen) 
und die Prüfung auf pathogene Keime. Letztere sind zum Theil 
unbekannt (Maul- und Klauenseuche, Scharlach), zum Theil sehr 
schwierig nachweisbar in Bakteriengemengen (Typhus). Leicht 
nachweisbar ist nur der Erreger der Pcrlsucht, dessen pathogene 
Bedeutung für den Menschen durch die neuesten Forschungen 
Koc h’s in Frage gestellt ist. 

3. A. Eine Ueberwachung der gesammten Produktion und 
des Verkaufes der Molkereiprodukte ist zur Zeit unmöglich, weil 
die Produktion in einer ausserordentlich grossen Zahl von Klein¬ 
betrieben erfolgt, welche vielfach direkt an die Konsumenten 
liefern, ohne die Produkte auf den Markt zu bringen oder ln Ver¬ 
kaufsstellen feil zu halten. Da gerade ln den Kleinbetrieben häuüg 
die nothwendige Sorgfalt und Reinlichkeit bei der Gewinnung und 
Zubereitung vermisst wird, und da bei den überaus häufig noch 
anzutreffenden mangelhaften hygienischen Zuständen auf dem 
Lande (schlechte Brunnen) die Gefahr einer Inflzirung der Mol¬ 
kereiprodukte mit menschlichen Infektionsstoffen eine nicht ge¬ 
ringe ist, so wäre eine Ueberwachung sämmtlicher Produktions¬ 
stellen, welche Molkereiprodukte in den Verkehr bringen, anzu¬ 
streben. 

B. Die besten Garantien für eine den Anforderungen unter 
1. entsprechende Beschaffenheit der Molkereiprodukte bieten die 
Genossenschafts -Molkereien. In ihrem eigenen 
Interesse liegt es, dass folgende Anforderungen erfüllt werden: 

a) dass ein gesundes Personal vorhanden ist; 

b) dass ein gutes, vor jeder Infektion geschütztes Wasser 
für den Betrieb zur Verfügung steht; 

c) dass die Milch von gesunden Thieren reinlich gewonnen 
und reinlich verarbeitet wird; 

d) dass die Milch von dem in ihr enthaltenen 8chmutze mög¬ 
lichst befreit wird; 

e) dass die ein leichtes Verderben bewirkenden Saprophyten 
und auch die pathogenen Keime durch Erhitzen auf 85° C. ver¬ 
nichtet werden (damit gut haltbare Produkte erzielt werden und 
damit nicht etwa durch die zurückgelieferte Magermilch auf die 
Viehbestände der Genossen Krankheiten übertragen werden, wie 
Maul- und Klauenseuche und Tuberkulose); 

f) dass die Milch nach dem Pasteurislren gut abgekühlt wird, 
damit sie unzersetzt bis zum Verkaufe konservlrt werde. Mit der 
Herstellung der C a s s e’schen Eismilch ist ohne Zweifel ein 
grosser Fortschritt angebahnt (Verfahren von Ingenieur Helm.) 

Durch eine Kontrolirung einer Durchschnittsprobe aus einer 
Molkerei wird das Melkprodukt zahlreicher Producenten kon- 
trollrt, die Kontrole daher sehr vereinfacht 

Durch die Einrichtung besonderer, unter dauernder ärztlicher 
und thierärztlicher Kontrole stehender Anstalten zur Herstellung 
von Kindermilch wird naturgemäss eine weitgehende Garantie 
geboten für eine unschädliche und gute Beschaffenheit der Milch. 

C. Die Verkaufsstellen von Molkereiprodukten sind einer 
regelmässigen Kontrole zu unterziehen bezüglich des Personals, 
der Beschaffenheit der Räume und der Produkte. 

4. Die Herstellung einer absolut keimfreien Milch wäre vom 
hygienischen Standpunkte aus zu befürworten, wenn nicht durch 
eine, eine vollständige Keimfreiheit verbürgende Sterilisirung die 
Beschaffenheit der Milch verändert würde. 

Für die Konsumenten empfiehlt es sich, um sich gegen jede 
Infektionsgefahr zu schützen, und um eine schädliche Zersetzung 
der Milch im Haushalte zu verhüten, die Milch unmittelbar nach 
dem Ankauf abzukoehen oder doch wenigstens eine halbe Stunde 
auf 85 0 C. zu erhitzen, sie dann in demselben Gefässe abzukühlen 
und kühl bis zum Gebrauche aufzubewahren. 

Anzufügen ist noch, dass die Pasteurisirung auch bei der 
Rahm-, Butter- und Käsebereitung möglich ist. Empfehlens¬ 
wert h ist die Pasteurisirung der Milch auch desswegen, da sie 
beim Stehenlassen (Abendmilch) sich leicht zersetzen kann. 

Die neuerdings viel in den Handel kommenden Thermophor¬ 
apparate können empfohlen werden, vorausgesetzt, dass nur gute, 
geprüfte Apparate seitens der Fabrik abgegeben werden. 

Nur wenn die Einhaltung aller angegebenen Schutzmaase¬ 
nahmen gewährleistet wird, ist ein Herabgehen der Kindersterb¬ 
lichkeit zu erhoffen. 

Von der sich anschliessenden Discussion ist erwähnens- 
werth: Oekonomieratli Plehn-Berlin drückt die hohe Bereitwillig¬ 
keit der Lnndwirtlie aus. Alles zu thun, um eine gesunde Milch zu 
produciren. Die Landwirthe verlangen In einem Gesetzentwurf 
die Tödtung tuberkulöser Kühe gegen eine vom Staat und den 
Viehbesitzern gemeinsam zu tragende Entschädigung. 

Prof. Wclgmann- Kiel weist auf den RUbengeschmack 
der Butter hin, der gleichfalls, wie das Solanin, auf bakterio¬ 
logischen Ursprung zurückführbar ist. 

Dr. Müller- Erfurt bringt die Krankengeschichte zweier 
Metzger, welche im Anschluss an eine Schnittwunde bei einem 
tuberkulösen Rind beide eine Sehnentuberkulose am Arm (Tuber¬ 
kelbacillen nachweisbar) acquirirten. 

Geheimrath R a p m u n d - Minden glaubt, dass immer das 
Wasser, welches der Milch zugesetzt würde, der Träger der 
Typhusinfektion sei (? der Ref.). Des Weiteren verlangt Rap- 
mund grössere Reinlichkeit der Ställe, Waschen der Hände, 


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1. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1587 


Waschen des Euters. Viele Fälle von Infektionskrankheiten 
(Masern, Scharlach) veraulassten wohl die Milchhändler. 
Schluss der Sitzung 4 Uhr. 

Abends fand das gewohnte Diner mit den üblichen Reden 
statt. 


Preussischer Medizinalbeamtenverein. 

XVIII. Hauptversammlung am 13. und 14. September 

1901 zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Die zahlreich erschienenen Mitglieder, etwa 120 an Zahl, 
werden vom Vorsitzenden, Reg.- und Geh. Med.-Itath Dr. R n p - 
in und- Minden, begrüsst. In höherem Grade, als das Jahr 1S99. 
bedeute das Jahr 1901 einen Merkstein ln der Geschichte des preus- 
sischen Medicinalwesens und des Vereins; denn habe damals das 
Kreisarztgesetz dir gesetzliche Sanktion erhalten, so sei es nun¬ 
mehr zur Durchführung gelangt, und damit sei nicht nur der erste, 
sondern auch der wichtigste Schritt zu der seit Jakrzelinteu all¬ 
seitig als nothwendig anerkannten Medlcinalreform geschehen. 
Früher ist das Kreisarztgesetz vielfach, auch in ärztlichen Kreisen, 
in seiner Bedeutung für die öffentliche Gesundheitspflege unter¬ 
schätzt worden; nachdem aber durch eine den Anforderungen der 
öffentlichen Gesundheitspflege in hervorragender Weise ent¬ 
sprechende Dienstanweisung die Rechte und Pflichten der Kreis¬ 
ärzte geregelt sind, hat sich ein Umschwung in jener Anschauung 
vollzogen; wie man jetzt wohl allgemein zugibt, stellt das Kreis¬ 
arztgesetz einen ausserordentlichen Fortschritt auf gesundheit¬ 
lichem Gebiete und eine sehr werthvolle Grundlage dar, auf der 
mit Erfolg weiter gebaut werden kann und sicherlich auch wird. 
Für die Aufbesserung der Gehälter, sowie für die Regelung der 
Rangverhältiilsse sind die l>etheiligten Mediciualbeamten der 
Staatsregierung und dem Landtage, namentlich dem Abgeordneten¬ 
hause, gewiss sehr dankbar. Noch grösser aber ist ihre Freude 
und ihr Dank für die völlige Umgestaltung und Erweiterung ihrer 
amtlichen Stellung, wodurch ihnen ein überreiches und nach allen 
Richtungen hin befriedigendes Feld für ihre Thätigkeit gegeben 
sei. Das Vertrauen, welches ihnen damit entgegengebracht worden 
sei. werden sie zu rechtfertigen und das öffentliche gesundheitliche 
Wohl nach allen Richtungen hin zu fördern bemüht sein. In Folge 
der Durchführung des Kreisarztgesetzes sind eine Reihe von Medi¬ 
ciualbeamten und Verein8mitgliedem aus dem aktiven Staatsdienst 
ausgeschieden. Es sei wlinschenswertb, dass diese Herren sich 
auch fernerhin dem Verein als zugehörig betrachten; thatsächlich 
hat bisher nur eine verhältnissmässig kleine Zahl ihren Austritt 
aus dem Verein angemeldet. Der Vorsitzende begrüsst dann die 
anwesenden Gäste, Regierungsrath Dr. Wutzdorff, der als 
Vertreter des Reichsgesuudheltsamts. und Sanitätsrath Dr. 
Aschenborn, der als Vertreter der Medicinalabtheilung des 
Kultusministeriums den Verhandlungen beiwohnt, und erklärt die 
Versammlung für eröffnet. 

An Stelle des Schriftführers erstattet der Vorsitzende nun¬ 
mehr den Geschäfts- und Kassenbericht Die Mit¬ 
gliederzahl des Vereins hat seit der letzten Hauptversammlung 
wiederum eine Zunahme erfahreu; damals betrug sie 1004, zur 
Zeit beträgt sie 1040. Auch das Vereinsvermögen hat sich erhöht, 
und zwar auf M. 3830,18. Nachdem der Vorsitzende dann noch 
der seit dem 1. Oktober v. J. verstorbenen Mitglieder gedacht, be¬ 
richtet er Uber die Ausführung des im Vorjahre gefassten Be¬ 
schlusses betreffs Bildung eines „Deutschen Mediclual- 
beamtenvereins“. Ayf seine Einladung hin hat am 2. Juli 
ds. Jrs. in Frankfurt a. M. eine Versammlung von Delegirten 
resp. Vertretern der Medicinalbeamten in den einzelnen Bundes¬ 
staaten stattgefunden, es wurde einstimmig die Bildung eines 
Vereins der Medicinalbeamten im Deutschen Reich beschlossen, 
und zwar unter voller Berücksichtigung der auf der vorjährigen 
Hauptversammlung ausgesprochenen Wünsche. Der neue Verein 
lässt die jetzt bestehenden und event. noch zu gründenden Medi- 
cinalbeamtenvereine in den einzelnen Bundesstaaten unberührt, 
dieselben bleiben in der bisherigen Weise bestehen, und es ist 
ihrem Ermessen anheimges^ellt, ob sie in corpore in den neuen 
Verein eintreten oder den Beitritt ihren Mitgliedern freisteilen 
wollen. Die Sitzungen des Deutschen Medicinulbeamtenvereins 
sollen ebenfalls alljährlich, abwechselnd an verschiedenen geeig¬ 
neten Orten und thunlichst im Anschluss an die Jahresversamm¬ 
lung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, aber 
nicht an demselben Orte, stattfinden, damit die Mitglieder bequem 
und ohne grosse Kosten an beiden Versammlungen theilnehmcu 
können. Als Vereinsorgan soll die „Zeitschrift für Mediciual- 
beamte“ beibehalten werden. Der Beitrag kann von den Landes¬ 
vereinen erhoben werden, er wird so festgesetzt, dass für die Mit¬ 
glieder des Preussischen Medicinalbeamtenvereins eine Erhöhung 
des jetzigen Beitrags nicht erforderlich ist. Der Vorstand besteht 
aus 10 ln der Hauptversammlung zu wählenden Mitgliedern, die 
5 weitere Mitglieder zu kooptlren und Vorsitzenden, sowie Schrift- 
und Kassenführer aus ihrer Mitte zu wählen haben. Sämmtliche 
Königreiche und die sonstigen grösseren Bundesstaaten müssen 
in ihm durch eigene, die kleineren Bundesstaaten durch gemein¬ 
schaftliche Vorstandsmitglieder vertreten sein. Der Verein tritt 
am 1. Januar 1902 in’s Lebeu, im Jahre 1902 soll die erste Haupt¬ 
versammlung stattfinden, und dieser sollen die bis dahin auszu¬ 
arbeitenden Satzungen zur Beschlussfassung vorgelegt werden. 
Der Vorsitzende, Reg.- und Geh. Med.-Rath Dr. R a p m u n d , 
macht im Namen des Vorstandes den Vorschlag, dass der Preus- 


sische Medlcinalbeamtenverein in corpore dem neuen Vereine bei- 
tritt. Der Antrag wird nach kurzer Debatte einstimmig auge¬ 
nommen. Schliesslich legt der Vorsitzende noch eine von ihm ent¬ 
worfene Dienstaltersliste der preussischen Medicinal¬ 
beamten (Mitglieder der Provlnzial-Medicinailkollegieu, Regie¬ 
rungs- und Medicinalräthe, Kreisärzte und Kreisassistenzärztei 
vor; die Liste bedarf in Bezug auf die Reihenfolge innerhalb der 
einzelnen Emennungsjahre noch der Richtigstellung, welche auf 
Grund einer Umfrage bei den Medicinalbeamten erfolgen soll. 

Der folgende Gegenstand der Tagesordnung: Die Dienst¬ 
obliegenheiten des Kreisarztes nach der neuen Dienstanweisung 
muss abgesetzt werden, weil der Referent, Medicinalrath und 
Kreisarzt Dr. F i e 1 i t z - Halle a. S. durch einen Todesfall in 
seiner Familie verhindert ist. Der Vorsitzende bittet die Mit¬ 
glieder, einschlägige Fragen, über welche eine Discussion in der 
Versammlung gewünscht wird, auf Blättern aufzuschreiben und 
diese ihm übergeben zu wollen. 

Zur Bekämpfung der Tuberkulose spricht sodann Kreisarzt 
Dr. Krause- Sensburg. Er geht davon aus, dass über kurz 
oder lang der Staat, dessen Hilfe unumgänglich ist, eine noch 
umfassendere Bekämpfung der Tuberkulose als bisher in die 
Hand nehmen muss und wird. Für die Bekämpfung der an¬ 
steckenden Krankheiten zeigt sich bei den Staatsbehörden in 
letzter Zeit ein erhöhtes Interesse; das sieht man z. B. an der Ein¬ 
setzung einer Kommission zur Nachprüfung der K o c h’schen Ver¬ 
suche über die Verschiedenheit der Menschen- und Rindertuber¬ 
kulose. Wenn aber der Staat entschiedener vorgeht, dann fällt 
der grösste Thell der Aufgabe dem Kreisarzt zu, wesshalb für ihn 
die Beschäftigung mit der Frage um so nothwendlger Ist. Eine 
Hauptforderung ist, dass alle Erkrankungen an Tuberkulose zur 
Anzeige gelangen. Zwar vermag sich der Kreisarzt schon jetzt, 
ohne die Hilfe einer entsprechenden Maassregel, lediglich auf dem 
Boden der Dienstanweisung über die Verbreitung der Tuberkulose 
innerhalb seines Bezirkes einen Ueberblick zu verschaffen. Vor¬ 
tragender erläutert dies im Einzelnen, er zeigt, wie die Dienst¬ 
anweisung den Kreisarzt in den Stand setzt, auf verschiedenen 
Gebieten, in Schulen, gewerblichen Betrieben, Krankenhäusern, 
beim Verkauf von Nahrungsmitteln u. s. w., in energischer Weise 
die Verbreitung der Tuberkulose zu bekämpfen. Aber ein voll¬ 
ständiges und genaues Bild von dem Stande der Tuberkulose kann 
der Kreisarzt erst gewinnen, wenn für die Erkrankungen an 
Tuberkulose die Anzeigepflicht besteht. Die Wohnungsfrage lässt 
Redner unerörtert; diese Frage bildet ein ganzes Thema für sich. 

Die Fürsorge des Staates aber allein genügt nicht, wenn man 
anders Erfolge erzielen will. Vielmehr ist der Hebel noch einer¬ 
seits bei den Tuberkulösen und andererseits beim Publikum an¬ 
zusetzen. Der grösste Werth ist auf die hygienische Erziehung 
der Kranken, die am besten ln einer Anstalt erfolgt, und auf Be¬ 
lehrung und Aufklärung weiterer Volkskreise zu legen. In letzterer 
Beziehung empfiehlt sich die Verbreitung gemeinverständlich ab¬ 
gefasster Abhandlungen durch Vermittlung der Behörden; zweck¬ 
mässig ist auch die Einführung gemeinverständlich gehaltener 
Vorträge, die am besten und einfachsten erreicht wird durch 
Gründung von Ortsvereinen im Anschluss an den Deutschen Ver¬ 
ein für Volkshygiene. — Hinsichtlich der Uebertragung 
durch Nahrungsmittel, welche von perlsüchtigen Rindern 
stammen, muss abgewartet werden, ob die neuesten Behauptungen 
Koc h’s in seinem Vortrag auf dem Londoner Kongress sich als 
begründet erweisen werden. Jedenfalls wird der Kreisarzt in der 
Erfüllung seiner einschlägigen Pflichten nicht lässig sein dürfen. 
Einen bedeutungsvollen Schritt in der Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose stellt der von der norwegischen Regierung durch Gesetz 
vom 8. Mai eingeschlagene Weg der zeitweisen Isolirung 
der Kranken dar. In England, welches über eine grosse Zahl 
von Sanatorien verfügt, zeigt sich ein stärkerer Rückgang der 
Tuberkulose. Die zeitweise und eventuell zwangsweise Isolirung 
ist unzweifelhaft von grossem Segen für die Allgemeinheit und 
ihre Einführung in allen Kulturstaaten auf das Eifrigste zu be¬ 
treiben und zu fördern. 

In der Therapie haben die inneren Mittel versagt. Die mit 
grossem Lärm empfohlenen Kreosotprüparate wirken nicht direkt 
auf den Process ein, vielmehr nur als Expektorantien und Sto- 
machica, ihre günstige Wirkung erfolgt auf einem Umwege; 
andererseits begünstigen sie den Schlendrian, und damit geht 
die kostbarste Zeit verloren; desshalb warnt Vortragender vor der 
Anwendung dieser Mittel. Ueber die Behandlung mit Zimmtsäure 
nach Länderer fehlt ihm ausreichende Erfahrung; er be¬ 
schränkt sich darauf, die verschieden lautenden Urtheile einiger 
Beobachter kurz wiederzugeben. Allgemeine Sympathie wird der 
Heilstättenbewegung entgegengebracht und ohne Zwei fei 
mit Recht. Wollte man aber die genügende Zahl von Heilstätten 
errichten, dann wären ungeheure Summen erforderlich, die durch 
Staatshilfe nicht zu erlangen seien. Sollten in Zukunft Staats¬ 
mittel zur Verfügung gestellt werden, dann würde das Geld wohl 
besser zur Erbauung von Tuberkuloseheimen nach Ana¬ 
logie der Lepraheime verwendet werden. In den Heilstätten und 
in den Tuberkuloseabtheilungen der Krankenhäuser sowohl, wie 
auch in der Privatpraxis könnte mehr erreicht werden, wenn man 
sich entschliessen würde, die Kranken mit den beiden von Koch 
entdeckten spezifischen Mitteln, dem alten Tuberkulin und 
dem neuen T.R. genannten, zu behandeln. Beide stehen sehr mit 
Unrecht im Verruf. Vortragender erläutert eingehend, wie nament¬ 
lich das alte Tuberkulin bei richtiger Anwendung ein durchaus 
ungefährliches Mittel ist, das in geeigneten Fällen immer günstig 
wirkt. Es beeinflusst den lokaltubcrkulösen Process ln heilsamer 
Weise und schützt den Organismus gegen die chronische, durch 


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No. 40. 


MUENCHKNKR MEDIC’INiSCIIE WOC11ENSCHRIFT. 


die Tuberkelbacillen bewirkte Toxinvergiftung. Ausserdem hat 
es den Vorzug, in einzig dastehender Weise die Diagnose zu 
sichern. Vortragender ist überzeugt, zumal sieh in den letzten 
Jahren die Stimmen für die Tuberkulinanwendung wieder gemehrt 
haben, dass diesem Mittel In Zukunft ein hervorragender Platz 
in der Bekämpfung der Tuberkulose eingerilmnt werden wird. 
Schliesslich empfiehlt Redner, mit Rücksicht auf die Bedeutung 
der Angelegenheit mindestens alle 2 Jahre eine Besprechung über 
die Tuberkulose als Thema für die Hauptversammlung anzusetzen. 

Zur Discussion spricht zunächst Herr I>r. W. Becher- 
Berlin. Er legt dar, wie er auf Grund von Untersuchungen über 
Wohnungsverhaltnisse, die er gemeinschaftlich mit I)r. R. Leun- 
hoff- Berlin gemacht, zuerst auf dem Berliner Tuberkulose¬ 
kongress die Errichtung von Erholungsstätten in der Nähe 
der Städte empfohlen habe, auf denen die Kranken sich tagsüber 
aufhalten. Die Idee sei von Oberstabsarzt Dr. P a n n w i t z auf¬ 
genommen worden, und so seien die Erholungsstätten vom Rothen 
Kreuz entstanden, Anfangs für männliche und dann auch für 
weibliche Kranke. Die Befürchtungen, die Frauen würden die 
Erholungsstätten nicht aufsuchen, haben sich als unbegründet er¬ 
wiesen. Die zur Errichtung und Unterhaltung von Erholungs¬ 
stätten erforderlichen Mittel seien gering und Hessen sich ganz 
oder zum grossen Theil durch Ankauf von Milch im Grossen und 
Abgabe an die Kranken im Einzelnen herauswirthschaften. Be- 
merkeuswerth ist noch, dass bei der einfachen Einrichtung der 
Erholungsstätten die Kranken keinen Unterschied wahrnehmen, 
wenn sie des Abends in ihre Häuslichkeit zuriiekkehreu. Becher 
ladet die Versammlung zur Besichtigung einer Erholungsstätte ein. 

Regierungs- und Medicinalrath Dr. M e y kü f c r - Düssel¬ 
dorf spricht sich gegen die vom Referenten empfohlene individuelle 
Bekämpfung aus. Die Tub crknloscfrage- sei im Grunde eine 
W o li n iin , e^Lcage Auf diesem Gebiete könne der Kreisarzt 
segensreich wirken. Die Wohnungsfrage stehe aber nicht in Ver¬ 
bindung mit der wirtschaftlichen; es sei verblüffend, zu sehen, 
wie wenig auch ein gut bezahlter Arbeiter für seine Wohnung auf- ( 
wende. Hier habe die Wohnungsbeaufsichtigung einzugreifen; i 
ein Reichswohnungsgesetz sei gar nicht nüthig, es genüge eine j 
entsprechende Polizeiverordnung, wie eine solche in seinem Be- j 
zirke bestünde. Den in den Heilstätten erzielten Erfolgen habe \ 
er Anfangs skeptisch gegenübergestanden, er sei aber aus einem | 
Saulus ein Paulus geworden. Einen TJebelstand hätten die Heil- : 
Stätten aber, sie seien kolossal theuer. Wenn man nicht billiger 
bauen könnte, sei der von Becher empfohlene Weg zu b.*- 
schreiten. 

Regierungs- und Geh. Medicinalrath Dr. Rap m und- Min¬ 
den meint, man könnte die Heilstätten so bauen, dass das Bett sich 
nicht auf mehr als .1000 M. stellt 

Kreisarzt und Medicinalrath Dr. Boinhauer - Höchst hält 
die Erholungsstätten namentlich für die schwereren, von den Heil¬ 
stätten zurückgewiesenen Kranken geeignet. Bei dem den Kran¬ 
ken eigenen krassen Egoismus macht er sie darauf aufmerksam, 
(biss sie sich selbst schadeten, wenn sie die hygienischen Maass- 
uahmen unterliessen; nur so sei deren Beachtung zu erreichen. 
Im Uebrigen spricht er sich für die Aufklärung des Volkes aus, 
so lasse er z. B. Artikel aus der preisgekrönten Schrift von 
Dr. Knopf im Kreisblatt veröffentlichen. 

Kreisarzt und Medicinalrath Dr. Behl a - Luckau i. L. will 
ln der Bekämpfung der Tuberkulose mehr Zwang angewendet 
wissen; er schildert die Maassnahmen, welche er in der ihm unter¬ 
stellten Strgiau^talt angeordnet hat. 

Kreisarzt Dr. Krause- Sensburg spricht sich im Schluss¬ 
wort dahin aus, dass er in TTebereinstimmung mit Dr. Meyhöfer 
der Wohnungsfrage grosse Bedeutung zuerkenne. Aber neben 
der Berücksichtigung der Wohnungsverhältnisse müsse der Kampf 
im Einzelnen geführt werden. 

lieber experimentelle, mikroskopische Studien zur Lehre 
vom Erhängungstode spricht darauf Dr. P 1 a c z e k - Berlin. In 
der Einleitung berührt er die verschiedenen Wandlungen, welche 
die Lehre vom Erhängungstode im Laufe der Jahre erfahren hat. 
Bestand ehemals das Dogma von der Kompression der Luftröhre, 
so huldigte man dann der Anschauung, dass ein Verschluss des 
Larynx erfolge, indem Zungenbein und Zungengrund an die hintere 
Rachenwand gedrückt werden. Dazu kam der Nachweis der Kom¬ 
pression der Karotiden und dann auch der Vertebrales. Aber 
immer, in der früheren engeren, wie in der späteren erweiterten 
Lehre, bestand die Annahme, dass ein lokaler Reiz auf 
die Vagi statt finde. Dagegen dachte man nicht an die 
Möglichkeit, dass der gleiche Effekt durch hemmende Erregungen 
zu Stande kommen könnte, welche von der durch Sauerstoffmangel 
oder Kohlensiiureüberladung erregten Medulla oblongata ausgehen 
und auf der Bahn der Vagi fortgeleitet werden. 

Um die Bedeutung des Vagus für den Erhängungstod festzu¬ 
stellen, beschritt Redner zunächst den Weg der anatomischen 
Untersuchung des Nerven. Theoretisch hielt er es nämlich nicht 
für ausgeschlossen, (biss ein übermässig starker Druck, wie er 
durch Strangulation auf die Halsorgane ausgeübt wird, anatomisch 
greifbare, mikroskopisch nachweisbare Pruckspuren an den Vagi 
hinterlassen könnte, analog den Intimarissen in Karotiden und 
Jugularvenen. Das Ergebnlss der grossen Serie von Vagusprii- 
paraten, die von Erhängten und von experimentell snspendirten 
Iieiehen stammen, war völlig negativ; weder die äussere 
Form der Nervenquersohnltte. noch die mnrkhaltigeu Fasern selbst 
waren verändert. Wie aber verhielt es sich mit. der Annahme der 
funktionellen Schädigung der Vagi und der daraus 
resultirenden Mitwirkung an den Erscheinungen des Erhiingungs- 
todes? Hier war eine Entscheidung nur durch das Thierexperiment 


zu erlangen. Unanfechtbare Ergebnisse waren aber nur dann zu 
erwarten, wenn die Versuche mit und ohne Einschluss der 
Vagi erfolgten. Fenier war Bedingung, dass jede Blutdruekäude- 
rung sorgfältig automatisch registrirt wurde. Die Mittheilung der 
Versuchsprotokolle und der Registrlrkurven sich für die Ver¬ 
öffentlichung in der Vierteljuhrsschr. f. geriehtl. Med. vorbe- 
haltcnd, theilt Vortragender kurz das Ergebniss mit: Der auf¬ 
fälligste Effekt der Strangulation, und zwar gleichgiltig. ob die 
Vagi innerhalb oder ausserhalb der Schlinge sind, ist die Verlang¬ 
samung der Herzsystolen, also eine ausgesprochene Erregung des 
medullären Vaguscentrums durch das qualitativ veränderte, die 
Medulla oblongata durchströmende Erstickungsblut. Der Blut¬ 
druck, das Ergebniss des Ringens zwischen Vagus- und Vaso- 
motorencentrum wechselt sehr; bald sinkt er schon zu Beginn der 
Strangulation, bald bleibt er minutenlang auf gleicher Höhe, bald 
steigt er sogar anfänglich. Irgend ein einheitlicher Einfluss der 
Versuchsauordnung auf das Ergebniss ist nicht erkennbar. Im 
zeitlichen Ablauf der Versuche sind geringfügige Schwankungen 
nachweisbar, das Ergebniss der individuell verschiedenen Wider¬ 
standskraft der Thiere. nicht der Jeweiligen Versuch«nordnuug. 
Demnach liegt für die Annahme einer örtlichen 
Kompression der Vagi, die schon theoretisch in An¬ 
betracht ihrer geschützten Lage wenig glaublich erschien, nicht 
der geringste Anlass vor. 

Die aus der Unfallversicherungs-Gesetzgebung erwachsen¬ 
den besonderen Pflichten des ärztlichen Sachverständigen be¬ 
spricht Dr. P. Stolper - Breslau. Die Einleitung bildet der Vor¬ 
schlag. die praktische und wissenschaftliche Verwerthuug des 
neuen Rechts, das den Aerzten durch die socialen Reformgesetze 
■ gegeben ist. als versicherungsrechtliche M e d i e i u 
: zu bezeichnen. Dann geht Vortragender auf die im Uufallver- 
j Sicherungsgesetz begründete Sachverständigenthätigkeit unter 
Ausschluss aller therapeutischen, allgemein-medicinischen und 
aetiologischen Fragen ein, wobei er die durch das Gesetz vorn 
30. Juni 11)00 erfolgten Aeuderungen besonders berücksichtigt. 
Die Berufsgenossenschaft dürfe mau nicht lediglich als Partei im 
Rentenfestsetzungverfahren anselien: vielmehr ist sie eine vom 
Gesetz bestellte Behörde zur Durchführung öffentlichen Rechts. 
Unberechtigte Ansprüche muss sie abweisen, berechtigte hat sie 
zu erfüllen. Der ärztliche Sachverständige muss bemüht sein, 
den Weg strengster Objektivität zu gehen, was freilich nicht 
immer leicht ist. Des Weiteren geht Stolper auf den Gang des 
Rentenfestsetzungsverfahreus Im Einzelnen ein, wobei er die Ab¬ 
änderungen gegen die früheren Bestimmungen betont. So zahlt 
jetzt die Berufsgenossenschaft schon innerhalb der Wartezeit 
d. i. vor Ablauf der 13. Woche nötliigenfalls eine Rente (5 13 
G. U. G., § 15 Landw. U. G-). Es ist künftighin neben der Voll¬ 
rente von 100 Proc. = 66% Proc. des Jahresarbeitsverdienstes und 
der entsprechend bemessenen Theilrente noch eine erhöhte Rente 
bis zu 100 Proc. des Jahresarbeitsverdienstes zu bewilligen, „wenn 
der Verletzte iu Folge des Unfalls nicht nur völlig erwerbsunfähig, 
sondern auch derart hilflos geworden ist, dass er ohne fremde 
Wartung und Pflege nicht bestehen kann“ (§ 9 Abs. 4 G. U. G., § 8 
Abs. 3 Landw. U. G.). lieber diese Begriffe, sowie Uber die Be¬ 
rechnung des Jahresarbeitsverdienstes sollte der Arzt des Oefteren 
die Rentennaehsuclier belehren, die in irrthümlieher Ueber- 
scliätzung ihrer gesetzlichen Ansprüche dem für sie so segens¬ 
reichen Gesetze oft unberechtigt grollen. Dann empfiehlt Vor¬ 
tragender, in einschlägigen Fällen der Bestimmung des § 76 c des 
Krankenversicherungsgesetzes rechtzeitig zu gedenken, der die 
Uebernahme des Heilverfahrens noch während der Wartezeit der 
Berufsgenossenschaften gestattet. Durch § 69 Abs. 3 G. U. G. 
(bezw. § 75 Abs. 3 Landw. IJ. G.), welcher bestimmt, dass bei der 
Rentenfeststellung der behandelnde Arzt zu hören ist, wird in 
erster Linie das beachtenswerthe Prinzip zum Ausdruck gebracht, 
dass die erste Feststellung seitens des erstbehandelnden Arztes 
von ausschlaggebender Bedeutung für die Beurtlieilung eines Un¬ 
falles und seiner Folgen ist. Die neue Bestimmung legt aileu 
Aerzten und insbesondere den Kassenärzten die Verpflichtung auf, 
sich über alle Betriebsunfälle sorgfältige Notizen zu machen. Das 
Gutachten zum Zweck der ersten Rentenfestsetzung ist von be¬ 
sonderer Wichtigkeit, weil durch glückliche richtige Schlüsse des¬ 
selben dem Verletzten wie den Rentenzahlern viele Weiterungen 
erspart werden und weil alle späteren Gutachten zwecks Auf¬ 
hebung (Hier Erhöhung der Rente darauf zurückgreifen. Redner 
bespricht desslmlb die Abfassung desselben eingehend. Eine be¬ 
sonders schwierige Stellung hat der ärztliche Sachverständige als 
Vertrauensarzt bei dem Schiedsgericht. Zum Schluss betont 
Stolper, dass der Arzt als Sachverständiger durch das Unfall- 
versichenmgsgesetz einen ausserordentlich grossen Wirkungskreis 
zugewiesen erhalten habe. Es wird nicht lange währen, so wird 
die versicherungsrechtliche Medicin, was praktisch wichtige For¬ 
schungsergebnisse anlangt, ebenbürtig neben ihrer Schwester, der 
gerichtlichen Medicin, stehen. 

In der Discussion wendet sich der Vorsitzende gegen eine 
Aeusserang, die Prof. Thiem - Cottbus auf dem diesjährigen 
Ae rate tag in Hildesheim gethan. des Inhalts, dass nur, wer noch 
die ärztliche Praxis betreibe. Sachverständiger in Unfallsachen 
sein könnte. Gelänge dieser Ausspruch zur Geltung, dann würden 
die Medieinalbeamten. die ja danach streben, vollbesoldete Beamte 
ohne ärztliche Praxis zu werden, aus dieser Sachverständigen¬ 
thätigkeit herausgedrängt werden. Wenn die Schiedsgerichte und 
Berafsgenossenschaften vielfach den beamteten Aerzten den Vor¬ 
zug geben, so liegt das daran, dass sie den staatsärztlich appro- 
birten Aerzten grösseres Vertrauen entgegeubrlngen und manche 
von praktischen Aerzten ausgestellte Atteste minderwerthig sind. 


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1. Oktober 1901. 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1589 


Auch weigern sich mitunter praktische Aerzte, ein Gutachten ab¬ 
zugeben, well sie dadurch Ihre Praxis zu schädigen fürchten. Dann 
warnt der Vorsitzende davor, Ira Gutachten das Vorgutachten oder 
einzelne' seiner Punkte ungünstig zu kritislren, das sei auch gar 
nicht nöthlg. 

Dr. P1 a c z e k - Berlin macht auf das VerhUngnlssvolle der 
Bestimmung aufmerksam, dass die Gutachten Im vollen Wortlaut 
dem Kentenbewerber mitgetheilt werden müssen. Ihm wird ent¬ 
gegengehalten, mau schütze sich gegen Anfeindungen, wenn mau 
dem Rentenbewerber offen in's Gesicht sage, was man attestire. 

Den Schlussvortrag des ersten Tages hält Dr. W o 1 f f - Har¬ 
burg a/Elbe über Theorie und Praxis der Grundwasser¬ 
enteisenung, mit Demonstrationen. Immer mehr tritt das Be¬ 
streben hervor, wenn nur irgend möglich, den Wasserbedarf in 
Stadt und I-and aus dem Grundwasser zu decken. In diesem sei 
aber oft Elsen enthalten. Insbesondere in der norddeutschen Tief¬ 
ebene. Die Befreiung des Wassers vom Eisengehalt ist vornehm¬ 
lich wegen der hohen sanitären Gefahren geboten, die dadurch ent¬ 
stehen, dass eine Bevölkerung, welcher die Brunnen nur eisen¬ 
haltiges Wasser liefern, sich stets des immer mehr oder weniger 
suspekten Oberflächenwassers bedient, wenn es nur irgendwie zu 
erreichen ist. Der Besprechung der einzelnen Methoden, die durch 
Lichtbilddemonstrationen veranschaulicht werden, legt Redner 
eine neue Theorie für die bei der künstlichen Eisenabscheidung 
sich abspielenden Vorgänge zu Grunde. Diese Theorie gründet 
sich auf den Lehrsatz der physikalischen Chemie, dass in einer 
Flüssigkeit, in welcher die Ausfüllung eines festen Stoffes ein- 
tritt, zuvor ein Uebersättigungszustand ln Bezug auf den ausge- 
fiillten Körper bestanden haben muss. Dementsprechend sieht 
W o 1 f f das eisenhaltige Grundwasser, wenn es unter Luft¬ 
einwirkung steht, als eine übersättigte Lösung au. Die beiden 
auf solche Lösungen am meisten einwirkeuden Ausfällungs¬ 
faktoren sind feste Körper mit grosser Oberfläche und der frag¬ 
liche Stoff in festem Zustande. Bel allen unseren Enteisenuugs- 
verfahren treten beide Faktoren in Thätigkeit: und darnach ist 
die theoretische Erklärung ihrer Wirkung eine sehr einfache, ohne 
dass es so komplizirter und durchaus nicht einwandfreier Deu¬ 
tungsversuche bedarf, wie er z. B. für die Rolle des sich auf den 
Filtern niederschlagenden Elsenoxydhydrats gemacht worden ist. 
Eine Lufteinwirkung auf das Wasser ist aber unter allen Um¬ 
ständen nothwendig. Wenn in neuester Zeit Verfahren angegeben 
sind”, die angeblich ohne eine solche brauchbare Resultate liefern, 
so ist dem gegenüber bestimmt daran festzuhalten, dass bei ihnen 
doch eine Lüftung, wenn auch nur in geringem Umfange, erfolgt. 
Unter Betonung der hohen hygienischen Bedeutung eines brauch¬ 
baren und billigen Verfahrens für den Kleinbetrieb empfiehlt Vor¬ 
tragender das D u n b a r’sche Eisenfilterfass, von dem er ein 
Modell vorführt, als allen Ansprüchen genügend. 

Im Anschluss an den Vortrag bespricht Prof. Proskauer- 
Berlln neuerliche Beobachtungen über das Vorkommen von Mangan 
im Grundwasser. 

(Schluss folgt.) 


Greifswalder medicinischer Verein. 

(Eigener Bericht.) ' 

Sitzung vom 6. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr B o n n e t. Schriftführer: Herr Busse. 

1. Herr P. Grawitz: Demonstration einer grossen Hernia 
duodeno-jejunalis. Als zufälliger Befund fand sich bei der 
Sektion eines an Wirbelsäulenfraktur verstorbenen starken. 30 jähr. 
Landarbeiters eine grosse Hernia duodeno-jejunalis. Die Bruch¬ 
pforte wurde von der Plica duodeno-jejunalis umgriffen, in deren 
Rande die Vena meseuterica inferior durchschimmerte. In dem 
enorm grossen Brucksack lag fast der ganze Dünndarm. Die 
Serosa sowohl des Darmes als auch des Gekröses war durchaus 
zart und durchscheinend. 

2. Herr A. Martin: Demonstration zur Symphyseotomie 
und zum Kaiserschnitt. Bei einer 19 jährig, wohlgebauten Erst¬ 
gebärenden mit mässig verengtem Becken zeigte der grosse harte 
Kopf des in erster Schädellage befindlichen Kindes trotz kräftiger 
Wehen keine Neigung in das Becken einzutreteu. Weder durch 
Druck von oben noch auch durch die angelegte Zange gelang es, 
den Kopf in das Becken hineinzubringeu. Martin versuchte 
desshalb zunächst durch die Symphyseotomie die Geburt zu be¬ 
endigen, die Operation gelang leicht und glatt, der Kopf aber 
folgte der angelegten Zange nicht in’s Becken. Angesichts der 
Unmöglichkeit, das noch lebende Kind lebend per vlas naturales 
zu eutwickeln, wurde jetzt der Kaiserschnitt nach Fritsch 
ausgeführt und die Frau entbunden. Naht des Uterus und der 
Bauchwunde, sowie des Periostes. Der glatte Heilungsverlauf 
wurde nur vorübergehend durch eine Pyocyaneus-Iufektion der 
Bauchwunde gestört. Die Putlcutin wurde 20 Tage im Bett ge¬ 
halten, dann hat sie ohne grosso Beschwerden gehen gelernt und 
kann nun im Elternhause ihrer gewöhnlichen Beschäftigung ohne 
Störung nachgehen. Die Patientin wird demoustrirt. 

Im Anschluss an diesen Fall bespricht Martin die dem 
Geburtshelfer zur Verfügung stehenden Mittel und Wege, die Ge¬ 
burt bei einem Missverhältnis in der Grösse zwischen Becken 
und Kopf durchzuführeu. Er verweilt dabei länger bei der 
Symphyseotomie und kommt zu dem Schlüsse, dass für den prak¬ 
tischen Arzt der Kaiserschnitt der Symphyseotomie vorzuziehen 
«ei, weil diese, wie auch der vorliegende Fall beweise, nicht unter 
allen Umständen zum Ziele führe. 


3. Herr E. B a 11 o w i t z: Ueber Epithelabstossung am 
Urmund. 

Ballowitz ergänzt, und erweitert seine auf dem dies¬ 
jährigen Anatomenkongress'über diesen Punkt gemachten An¬ 
gaben. In einem sehr frühen Entwicklungsstadium der Ringel¬ 
natter, das durch'eine Embryonalform gekennzeichnet ist., die der 
Vortragende als Falterform oder Sehmetterlingsfigur bezeichnet 
hat, findet sich in dem Theil, der dem Kopf des Schmetterlings 
entsprechen würde und der der (legend des Urmundes entspricht, 
eine gesell wulstartige Verdickung au der Vorderlippe des Ur- 
muudes. Dieser Wulst bestellt aus grossen bläschenartigen Zellen, 
die offenbar dem Untergang geweiht sind. An späteren Entwick- 
lungsstadien zeigt sich, dass diese von dem Epithel der Vorder¬ 
lippe stammenden Zellen abgestossen werden. Aeknliclie Vor¬ 
gänge hat, B. bei der Kreuzotter beobachtet. Hier fand er ähn¬ 
liche Zellwülste am Rande einer hinter dem Urmund gelegenen 
Rinne, dem Metastom; die Wülste bestanden auch hier wieder 
aus Detritus von Zellen, die allerdings nicht vom Epithel, son¬ 
dern von den hier noch nicht in Ektoderm und Mesoderm diffe- 
renzirten Zellen abstammten. B. glaubt, dass durch diese Zell- 
abstossung eine Anfrischung des Gewebes herbeigeführt werden 
soll, durch welche der Verschluss des Urmuudes erleichtert und 
beschleunigt wird. Demonstration mikroskopischer Präparate 
aus sehr frühen Embryonalstadien. 

4. Herr Ritter demoustrirt die mikroskopischen Präparate 
eines in der chirurgischen Klinik exstirpirten Tumors der Becken¬ 
schaufel, wie solche als Strumametastasen beschrieben worden 
sind. In der Geschwulst befinden sich eigentliüinliehe an Golloid 
erinnernde Körper, die Ritter für Parasiten und zwar für die 
von S j ö b r i n g auf dem letzten Chirurgen-Kongress gezeigten 
Krebserreger hält. 

5. Herr Rose mann: Die physiologische Bedeutung der 
Gcfrierpunktsbestimmung, mit Demonstration des Beck- 
man n’schen Apparates. 


Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Officielles Protokoll.) 

Sitzung vom 16. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr Bahrdt. 

Schriftführer: Herr Braun. 

Herr Ri ecke demonstrirt aus der dermatolog. Uuiv.-Ivlinik 
des Herrn Prof. Dr. Riehl einen Fall von Fibroma molluscum 
(Virchow). Derselbe ist dadurch bemerkeuswerth, dass sich un¬ 
gemein zahlreiche kleinere und grössere unregelmässig begrenzte 
und vertheilte Pigmentflecke von bräunlicher Farbe neben relativ 
wenigen und kleinen Tumoren voründen, die im Ucbrigeu in nichts 
von dem bekannten Bilde abweichen. Bezüglich der Heredität 
lässt sich in diesem Falle nur feststellen, dass eine Schwester der 
P. dieselben Erscheinungen auf der Haut darbietet 

Herr K r ö n i g: Ueber puerperale Infektion. 

Aus dem etwas weit gefassten Thema bringt K r ö ui g zwei 
Fragen zur Sprache, welche vornehmlich für den Praktiker von 
Bedeutung sind: 

1. Die Frage der Selbstinfektion. 

2. Die Frage der Therapie bei der puerperalen Infektion, 
speciell bei der Infektion der puerperalen Uterushöhle. 

Die Frage der Selbstinfektion hat für den Arzt aktuelles 
Interesse gewonnen, weil Hof meier in Würzburg vor nicht zu 
langer Zeit den Ausspruch gethan hat, dass, wenn der Arzt nicht 
die bei der Geburt unter normalen Verhältnissen in der Scheide 
lebenden Bacterien durch desinfioirende Scheidenspülungen un¬ 
schädlich zu machen sucht, er einen Kunstfehler begeht. Es er¬ 
scheint daher Pflicht zu sein, dass die Aerzte hierzu Stellung 
nehmen, wenn von einer so autorisirten Seite aus ein derartiger 
Ausspruch fällt. Da die in der Leipziger Klinik an dem dort vor¬ 
handenen grossen Material gewonnenen Erfahrungen in vieler 
Beziehung in einem direkten Gegensatz zu den Resultaten der 
II o f m e i e Fachen Klinik stehen, so wird über die dort ge¬ 
wonnenen Resultate berichtet. 

Die Frago der Selbstinfektion zerfällt in einen bacterio- 
logisehen und einen klinischen Theil. Der bacteriologische Theil 
wird nur kurz berührt und das Faoit gezogen, welches bisher 
durch die Untersuchungen von Menge und Krönig erzielt 
ist. Es lässt sieh dasselbe folgendermaassou ausdriiekon: „Unter 
den in der Scheide der Hochschwang*“reu unter normalen Ver¬ 
hältnissen lebenden Bacterien befindet sich nicht der für das 
Puerperalfieber wichtige Streptococcus pyogenes puerperalis. nicht 
der Staphyloeoecus pyogenes aureus oder das Bacterium coli. 


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MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


sondern die in der Scheide der Hochschwangeren lebenden Bac- 
terien sind zum grössten Theil solche, welche nur bei Sauerstoff¬ 
abschluss wachsen. Es ist weiter begründete Wahrscheinlichkeit 
vorhanden, dass unter diesen Bacterien auch keine Fäulniss- 
bacterien sind, doch ist letztere Frage vor der Hand noch in 
suspenso. 

Das für die Praxis wichtige Resultat dieser Untersuchungen 
ist, dass die Scheidenbewohner der Hochschwangeren für das 
Puerperalfieber par exccllence, d. h. für das Puerperalfieber be¬ 
dingt durch Streptococcus pyogenes, irrelevant und mit der 
grössten Wahrscheinlichkeit auch irrelevant für das Fäulniss- 
fieber im Wochenbett sind. Wir haben uns in Folge dessen auch 
nicht bei der Ausübung der praktischen Geburtshilfe gegen 
die Bacterien des Scheidensekretes zu schützen, sondern wir 
können mit grösster Wahrscheinlichkeit vom einfachen Tou- 
chiren bis zu den schwersten operativen Eingriffen, die Placentar- 
lösung inbegriffen, sämmtliche Manipulationen ausführen ohne 
Rücksicht auf die Bacterien des Scheidenkanals. Der Genital¬ 
schlauch der Frau vom Hymen aufwärts ist als aseptisch zu be¬ 
trachten. 

Da dieser Satz bacteriologisch, wie gesagt, nicht genügend 
gestützt werden konnte, mussten klinische experimentelle Unter¬ 
suchungen helfend eintreten. 

Dank dem Interesse von Zweifel sind diese Versuche in 
der Leipziger Klinik in der umfassendsten und einwaudsfreiesten 
Weise durchgeführt worden, so dass heute über ein so grosses 
Material verfügt wird, dass bei aller Reserve, welche uns das 
Wahrscheinliehkeitscalcul bei Verwerthung statistischen Mate¬ 
rials auferlegt, ein therapeutisches Gesetz aus diesen Versuchen 
abgeleitet werden darf. 

H o f m e i e r, überzeugt davon, dass die Scheidenbewohner 
der Hochschwangeren in sehr vielen Fällen Schuld tragen an 
dem Fieber im Wochenbett und an der puerperalen Infektion, 
verlangt kategorisch, dass vor jedem, auch dem kleinsten Eingriff 
bei der Geburt eine gründliche Auswischung sowohl der Scheide 
als auch des Cervicalkanals mit Sublimat erfolgt. Er leitet von 
dieser Behandlung die günstigen Resultate seiner Wochenbetts¬ 
statistik ab. 

Die Versuchsserien der Leipziger Klinik erstrecken sich jetzt 
auf mehrere Tausend Geburten. Sie wurden in der Weise durch¬ 
geführt, dass bei jeder zweiten Gebärenden auf dem Kreisssaal 
eine Desinfektion der Scheide genau nach den Vorschriften Hof- 
m e i e r’s ausgeführt wurde, während bei der anderen jede 
Scheidendesinfektion unterblieb. Die übrigen Verhältnisse lagen 
in beiden Versuchsserien absolut gleich, so dass die Wochenbett¬ 
verhältnisse der Serie der Ausgespülten, verglichen mit den 
während der Geburt N ich tausgespülten, direkt ein Resultat geben, 
ob die H o f m e i e r’sche Scheidenspülung nothwendig ist oder 
nicht. An der Hand von Tabellen wird demonstrirt, dass die 
Wochenbettverhältnisse bei den Wöchnerinnen ohne präliminare 
Scheidendouche mindestens ebenso gut sind, wie bei denen, bei 
welchen dio Desinfektion der Scheide genau nach den Vorschrif¬ 
ten II o f m e i e r’s ausgeführt wurde. 

Sowohl bei klinischen Geburten, als auch bei Geburten in der 
Praxis darf daher auf jede Desinfektion, jede Ausspülung der 
Scheide verzichtet werden. Es ist dadurch die Asepsis im Privat¬ 
hause eine wesentlich einfachere geworden. 

Schwieriger liegt eine zweite Frage der autogenen Infektion. 
Es kann eine Infektion im Wochenbett nicht bloss von der 
Scheide aus erfolgen, sondern es darf als erwiesen betrachtet 
werden, dass die Bacterien von der Haut der äusseren Ge- 
schlechtstheile während des Frühwochenbetts in den Cervical- 
kanal ein wandern und bis in die puerperale Uterushöhle auf- 
steigen können. Es entsteht also die für den Praktiker ausser¬ 
ordentlich wichtige Frage, ob auch Fieber im Wochenbett, speciell 
puerperale Infektion erfolgen kann, ohne dass der Arzt, oder die 
Hebamme, oder eine sonstige geburtsleitende Person die Kreis¬ 
sende berührt hat. Auch hier werden ausschliesslich klinische 
Versuche, weil diese den Praktiker vornehmlich interessiren, her¬ 
beigezogen, und zwar in erster Linie die Versuche an der Leip¬ 
ziger Klinik, welche als die einwandfreiesten zu betrachten sind. 
Es werden die Versuche erwähnt, über welche von Scanzoni 
in dem letzten Heft des Archivs für Gynäkologie berichtet hat. 

Es ist nicht leicht, im klinischen Betriebe derartige Versuche 
anzustellen. Ist es doch nothwendig, jede Berührung von Seiten 


der geburtsleitenden Person mit Sicherheit auszuschliessen. Nur 
Derjenige, welcher aus eigener Erfahrung weiss, wie schwer es 
ist, vor Allem die Hebammenschülerinnen von jeder Berührung 
der Kreissenden fern zu halten, wird die Mühen dieser Unter¬ 
suchungen abschätzen können. 

Es wurde folgendermaassen vorgegangen: Eine Kreissende 
wurde, wenn sie von der Strasse in den Kreisssaal trat, in ihrem, 
manchmal nicht gerade reinen Hemd gelassen, es wurde weder ein 
reinigendes Bad gegeben, geschweige denn eine Desinfektion der 
äusseren Genitalien vorgenommen. Ein Einlauf in den Mast¬ 
darm wurde unterlassen, weil hierdurch die Hebamme, ohne da* 
sie es vielleicht selbst merkt, mit der angrenzenden Haut der 
äusseren Geschleehtstheile in Berührung kommen konnte. Nach¬ 
dem dann durch die äussere Untersuchung, durch die Bauch¬ 
decken hindurch, die Kopflage des Kindes festgestellt war, blieb 
die Frau sich selbst überlassen und trieb das Kind meistens in 
Seitenlage aus, natürlich so, dass kein Dammschutz gemacht 
wurde. Man kann hierzu, sowohl Mehr- als Erstgebärende ver¬ 
wenden. Die Zahl der Dammrisse wird, ob man einen Damm¬ 
schutz ausführt oder nicht, im Allgemeinen nicht grösser. 

Die Abnabelung des Kinde geschah in üblicher Weise, auch 
jetzt mit besonderer Vorsicht, dass ja nicht die Hände der Heb¬ 
amme die äusseren Genitalien der Entbundenen berührten. Nach¬ 
dem die Geburt vorüber war, wurde die Frau in das Wochenbett¬ 
zimmer gebracht und um jede nachträgliche Infektion von aussen 
im Frühwochenbett auszuschliessen, wurden jetzt Bettwäsche und 
Hemd in Dampf sterilisirt. 

Soweit cs in der Klinik möglich, ist daher jede Berührung 
von Seiten der geburtsleitenden Personen ausgeschaltet. 

Leider sind es nur 97 Geburten, über die bisher berichtet 
ist. Die Zahl der im Wochenbett Fiebernden ist ausserordentlich 
gering, sie beträgt nur 11 Proc. Da der Procentsatz der im 
Wochenbett Fiebernden in der Leipziger Klinik im Allgemeinen 
27 Proc. beträgt, so ist also hier entschieden ein starker Rück¬ 
gang in der Morbidität zu erkennen. Sämmtliche Wochenbett¬ 
erkrankungen waren ausserdem leichte, keine Frau hat ein länger¬ 
dauerndes, fieberhaftes Wochenbett durchgemacht. 

Wenn man aus 97 Fällen generalisiren darf, so kann folgen¬ 
der Schluss gezogen werden: 

1. Durch eine Nichtberührung der Gebärenden von Seiten der 
Hebamme und des Arztes wird, auch wenn weder die Scheide, 
noch die äusseren Geschleehtstheile desinfizirt werden, die Mor¬ 
bidität im Wochenbett wesentlich herabgesetzt. 

2. Fieber im Wochenbett kommt auch ohne jede Berührung 
von Seiten der geburtsleitenden Personen vor. 

Dies letztere ist von besonderer Bedeutung, weil bei Fieber 
im Wochenbett nur allzu oft in unberechtigter Weise dem Arzt 
oder der Hebamme ein stummer oder lauter Vorwurf von Seiten 
der Angehörigen gemacht wird. 

Wie ist dies Fieber zu erklären? 

Nicht jedes Fieber im Wochenbett ist auf eine puerperale 
Infektion zurückzuführen. Es gibt z. B. eine fieberhafte gonor¬ 
rhoische Endometritis, für welche der Arzt doch kaum verantwort¬ 
lich gemacht werden darf. Ausserdem rufen die kleinen in- 
fizirten Schrunden der Brustwarze bei stillenden Frauen leicht 
Temperatursteigerungen hervor. Kr. ist auch weit davon ent¬ 
fernt, behaupten zu wollen, dass nicht auch durch das Empor¬ 
kriechen von Hautbacterien puerperale Infektion entstehen kann, 
möchte allerdings diese stets leichteren Grades erachten, weil 
diesen Bacterien, selbst wenn sie pathogen sind, die Virulenz mehr 
oder weniger dadurch geraubt ist, dass ihnen auf der Haut der 
äusseren Geschleehtstheile eine saprophytische Lebensweise auf¬ 
erzwungen ist. 

Ergänzt werden diese Resultate durch Untersuchungen, 
welche vor Kurzem aus der Breslauer Klinik von S t i c h e r mit- 
getheilt sind. Hier sollte festgestellt werden, wie weit speciell 
dio Hände der geburtsleitenden Person bei den Wochenbetts¬ 
erkrankungen betheiligt sind. 

Es wurden bei einer Serie von Geburten die Hände der ge¬ 
burtsleitenden Person mit Friedric h’schen Gummihand¬ 
schuhen versehen und die Wochenbettsverhältnisse bei diesen 
Kreissenden verglichen mit denen, bei welchen während der Ge¬ 
burt die Hände der geburtsleitenden Person nur nach Für¬ 
bringer desinfizirt waren; eine Methode, der heute ein wirk¬ 
liches Keimfreimachen der Hände nicht zuerkannt wird. Die 


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1. Oktober 190L 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1591 


Versuche haben ergeben, dass die Resultate durch die Benutzung 
der Gummihandschuhe nicht viel besser werden. 

Der Schluss, welchen S t i c h e r aus seinen Resultaten 
zieht, dass die Scheidenbacterien an einer grossen Zahl von 
fieberhaften Wochenbetten schuld sind, ist nach Kr. nicht be¬ 
rechtigt Die von S t i c h e r beobachteten Temperatursteige¬ 
rungen im Wochenbett haben nur gezeigt, dass leichte Fieber¬ 
steigerung auch Vorkommen kann, selbst dann, wenn unsere 
Hände „sterilisirt“ sind, d. h. durch Ueberziehen von Gummi¬ 
handschuhen wirklieh keimfrei gemacht sind. Kr. möchte aus 
den Resultaten von S t i c h e r gerade den umgekehrten Schluss 
ziehen, dass ein neuer Beweis dafür erbracht ist, dass die 
Scheidenbacterien für die puerperale Infektion gleichgilt ig sind. 
8 1 i c h e r erwähnt nämlich besonders, dass bei Gebärenden, bei 
welchen die Scheide nicht deeinfizirt wurde, die Wochenbetts¬ 
verhältnisse genau gleich gute waren, ob intra partum innerlich 
untersucht war oder nicht. Sind wirklich die Bacterien des 
Scbeidensekrets für eine puerperale Infektion von Bedeutung, 
so kann die innerliche Untersuchung nicht belanglos sein, weil 
hierdurch die Möglichkeit gegeben ist, dass durch den touchiren- 
den Finger die Bacterien in höhere Theile des Genitalkanals 
verschleppt werden. Die Anhänger der Lehre von der Infektions- 
möglichkeit durch Scheidenbacterien sprechen sich auch logischer 
Weise in diesem Sinn aus. Soz. B. Kaltenbach: „Es schau¬ 
dert den Kundigen, wenn er bedenkt, wie beim Touchiren, vor 
Allem bei Operationen, z. B. bei Placentarlösung die Scheiden¬ 
bacterien von der Hand des Geburtshelfers in die Uterusinnen¬ 
fläche hereingerieben werden. Nur so lange die Bacterien der 
Scheide nicht von der touchirenden Hand in höhere Theile des 
Genitalkanals verschleppt werden, können sie für den Wochen¬ 
bettsverlauf gleichgiltig sein, weil sie mit dem Fruchtwasser oder 
der Post partum-Blutung nach aussen zu mechanisch fortge¬ 
schwemmt werden“. 

Besteht also die Ansicht zu Recht, dass die Scheide der 
Schwangeren häufig infektiöse Bacterien enthält, so muss durch 
den Akt des Touchirens bei nicht desinfizirter Scheide der 
Wochenbettsverlauf imgünstig beeinflusst werden. Die Versuche 
S t i c h e r’s haben gerade das Gegentheil erwiesen. Bei den 
Versuchen der Leipziger Klinik bestand bisher immer noch ein 
gewisser Procentsatz zu Ungunsten der Touchirten, weil man 
damals noch nicht in der Lage ,war, die Hände wirklich keimfrei 
zu machen, aber schon in seiner ersten Arbeit erklärte Kr., dass 
unter allen Umständen, wenn die Asepsis des Scheidenkanals zu 
Becht besteht, die Wochenbettverhältnisse bei den Touchirten 
und bei den Nichttouchirten vollständig gleich sein müssen, eine 
sichere Asepsis der untersuchenden Hände vorausgesetzt. 

Durch die schönen Untersuchungen der Breslauer Klinik ist 
jetzt diese Annahme voll bestätigt. Durch die Friedriclo¬ 
schen Gummihandschuhe werden die Hände wirklich keimfrei 
gemacht und daher sind die Wochenbettsverhältnisse bei 
S t i c h e r bei den untersuchten und nichtuntersuchten Gebären¬ 
den vollständig die gleichen. 

Kr. geht nach Anführung dieser wesentlich praktischen Re¬ 
sultate, welche die umfassenden Untersuchungen über Selbst- 
infektion in den letzten Jahren ergeben haben, zur Besprechung 
der Therapie der puerperalen Endometritis über. 

Er greift speciell diese heraus, weil es heute als feststehend 
angenommen werden muss, dass die schweren Wochenbetts¬ 
erkrankungen selten von infizirten Scheidenrissen, von infizir- 
ten Dammrissen oder von Cervixrissen ausgehen, sondern dass 
die schweren und tödtlichen Infektionen ihren primären In¬ 
fektionsherd mit einer gewissen Gleichmässigkeit in dem in¬ 
fizirten Endometrium, speciell der infizirten Placentarstelle 
haben. Von hier aus geht viel häufiger, als von anderen Stellen 
des Genitalkanals der Frau der Transport der Infektionserreger, 
»ei es auf der Lymph-, sei es auf der Blutbahn in den Organismus 
von Statten. Will man also einer gefährlichen Ausbreitung 
der spezifischen Krankheitserreger im gesammten Organismus 
Vorbeugen, so muss man sich der Behandlung der primären Tn - 
fektionsstelle, also des infizirten Endometriums zuwenden. 

Vor Allem auf die warme Empfehlung von Fritsch hin 
wurde zur Behandlung der puerperalen Endometritis die Aus¬ 
spülung der Uterushöhle mit den verschiedensten Desinfektions¬ 
mitteln vorgenommen. Verdünntes Sublimat, Lysol, neuerdings 
Alkohol, selbst bis zu Dosen angewendet, dass die betreffende 


Wöchnerin durch Aufnahme des Alkohols von der Uterusinnen¬ 
fläche leicht benommen wurde, sind angewendet worden. 

Wenn man die begeisterten Berichte aus manchen Kliniken 
liest, in welchen vor Allem betont wird, dass nach einmaliger 
Spülung die Temperatursteigerung entweder sofort oder an einem 
der nächsten Tage zur Norm abgefallen ist, so sollte man es fast 
für gewagt halten, diese Therapie noch kritisch zu beleuchten. 

Die grossen Erfahrungen der Leipziger Klinik haben aber ge¬ 
zeigt, dass, wenn man bei den verschiedenen Formen der puer¬ 
peralen Endometritis exspectativ behandelt, in den meisten Fällen 
das Fieber ebenfalls oft an einem oder in wenigen Tagen wieder 
zur Norm zurückkehrt. 

Weiter haben bakteriologische Untersuchungen gezeigt, dass, 
wenn z. B. bei der Endometritis streptococcica der Uterus mit 
vielen Litern Desinfektionsflüssigkeit durchgespült wird, schon 
nach wenigen Stunden die Entnahme der Lochien aus dem Uterus 
ergibt, dass eine merkliche Abnahme keimfähiger Bacterien 
nicht stattgefunden hat. 

Die klinische Beobachtung hat schliesslich immer mehr die 
Ueberzeugung gebracht, dass sowohl bei der septischen, als auch 
bei der saprischen Form der Endometritis die Uterusspülung eher 
schädlich wirkt. Das Fäulnissfieber im Wochenbett mit den 
stinkenden Lochienmassen legt dem Arzt allerdings den Wunsch 
nahe, die Fäulniss durch desinfizirende Spülungen wegzuschaffen. 
Doch ist nach unserer Ueberzeugung auch hier die Ausspülung 
nur schädlich. 

Von sonstigen Behandlungen der Endometritis beschränkt 
sich Kr. darauf, vor Allem die Darreichung des Secale cornutum 
innerlich zu empfehlen, um durch Verengerung der Lymph- 
bahnen im Myometrium den Infektionsherd zu beschränken. 
Vermag man den Infektionsherd auf das Endometrium zu lokali- 
siren, so hat man Genügendes erreicht, denn an der Endometritis 
allein stirbt nach der Erfahrung nur ausserordentlich selten eine 
Wöchnerin. 

Es werden noch die Versuche berührt, welche darauf hinaus¬ 
gehen, bei Streptococceninfektion die specifischen Giftprodukte 
im Organismus durch Darreichung eines Antidots, des Anti- 
streptococoenserums, unschädlich zu machen, und schliesslich die 
Versuche Crede’s durch Incorporation von Silbersalzen die Ge- 
webseäfte selbst entwicklungshemmend zu machen. 

Dank der Initiative Z w e i f e l’s sind beide therapeutischen 
Maassnahmen in der Leipziger Klinik geprüft. Das Mar¬ 
more k’sche Streptococcenheilserum bat einen durchschlagenden 
Erfolg nicht gehabt, aber es aus dem therapeutischen Rüstzeug 
einfach zu streichen, wie es Manche gethan haben, erscheint 
mindestens verfrüht. 

Die C r e d 6‘sche Silberbehandlung entbehrt vorläufig der 
wissenschaftlichen Begründung. Die Versuche von Behring 
und vielen Anderen haben gezeigt, dass es nicht möglich ist, 
selbst durch Incorporation hoher Dosen von Quecksilber- oder 
Silbersalzen die Entwicklung eingeführter, infektiöser Bacterien 
im empfänglichen Thierkörper hintenan zu halten. Die kli¬ 
nischen Erfahrungen sind für heute noch zu gering, um ein ab¬ 
schliessendes Urtheil zu gestatten. 

Auch die Versuche, durch Ausschneidung des infizirten 
Uterus die Infektion zu coupiren, sind vor der Hand noch nicht 
in ihren Resultaten spruchreif. Die Erfahrungen sind gering, 
und zwar desshalb so gering, weil es so schwer ist, die strikte 
Indikation zu einem so folgenschweren Eingriff zu stellen. 
K r ö n i g hält, wenn auch bisher die grösste Zahl der operirten 
Frauen gestorben ist, für manche Fälle diesen Weg sicherlich 
nicht für aussichtslos. . . 

Herr Kollmann demonstrlrte 1. zunächst ein von ihm 
angegebenes dreitheüiges Intraurethrotom. Es ist nach dem¬ 
selben Prinzip konstrnlrt, wie das von ihm früher angegebene 
zweitbeilige Intraurethrotom (vergL Nltze-Oberländer’sches 
Centralbl.. 10. Band, Heft 3, März 1899), also mit zwei verschieb¬ 
baren Knüpfen versehen, vermittels deren man die Strikter peripher 
und central elnstellt, um sie dann im dilatirten Zustande zwischen 
diesen zwei Knöpfen mit einem vorher ln einem der Knüpfe ver¬ 
borgenen Messer zu durchschnelden. Die an dem Instrument hier¬ 
für vorhandene Einrichtung kann in bequemer Weise entfernt und 
dasselbe dann zu gewöhnlichen Dehnungen resp. Spüldehnungen 
benutzt werden. Die ausführliche Beschreibung des von C. G. 
Heynemaun ln Leipzig angefertigten Instrumentes wird fn der 
nächsten Zeit im Nltze-Oberländer’scben Centralblatt erfolgen. 

K. legte dann der Gesellschaft einen acbttbeiligen 
vorderen Dehner — für Anwendung mit GummlOberzug be¬ 
stimmt — vor, den er bereits seit mehreren Jahren vielfach In 


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1592 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


Benutzung hat. Der nchtthelltge Dehner kommt in seiner Wir¬ 
kung der soliden cylindrischen Metallsonde schon sehr nahe. Mit 
diesem achtthelllgen Dehner ist wohl das geleistet, was seitens 
des Instrumentenmachers ln diesem Fache überhaupt geleistet 
werden kann; es ist kaum wahrscheinlich, dass es möglich sein 
wird, ein Instrument herzustellen, welches noch mehr Branchen 
als dieses aufzuweisen hat Kleine Mängel ln der Konstruktion 
die.in der ersten Zeit seiner Anfertigung noch vorhanden waren 
— bei der kompllzirten Bauart desselben Ist dies erklärlich —, 
sind bei fortschreitender technischer Erfahrung inzwischen dem 
Anschein nach dauernd beseitigt worden. Der achtthelllge Dehner 
stammt aus der mechanischen Werkstatt der Herren Louis und 
H. Löwenstein in Berlin. 

Herr Kollmann berichtet dann 2. über seine weiteren 
Erfahrungen auf dem Gebiete der Blasengeschwülste. Zu den 
15 Fällen, über die er März 1900 an demselben Orte referirte (s. 
Münch, med. Wochenschr. No. 17, 24. April 1900, sowie Sitzungs¬ 
berichte der Medicinischen Gesellschaft zu Leipzig), sind in¬ 
zwischen noch 5 weitere Fälle gekommen, und zwar 3 maligner 
und 2 gutartiger Natur (Papillome). Im Ganzen hat K. bisher 
etwa 80 erfolgreiche endovesikale Sitzungen nach der N i t z e - 
sehen Methode vorgenommen. Die relativ grosse Anzahl derselben 
erklärt sich aus dem Umstande, dass einige Male Tumoren vor¬ 
handen waren, die wegen ihres beträchtlichen Umfanges sich 
absolut nicht in einigen wenigen Sitzungen ganz entfernen 
Hessen. Dass bei dem Vorhandensein von malignen Tumoren die 
intravesikale Abtragung nach N i t z e in der Hauptsache nur 
zum Zwecke einer sicheren mikroskopischen Diagnosenstellung 
geschieht, braucht eigentlich kaum besonders erwähnt zu werden; 
Niemand wird sich einbilden, dass er damit auch therapeutische 
Erfolge von Belang erzielen wird. Steht man einem Falle von 
malignem Tumor gegenüber, welcher noch auf chirurgische Weise 
operationsfähig erscheint, so soll man vielmehr nach Sicher¬ 
stellung der Diagnose die Sectio alta nicht verschieben. Die 
relativ günstigste Prognose liefern dabei die Fälle, wo die obere 
Hälfte der Blasenwand in nicht zu ausgedehnter Weise ergriffen 
ist; in Fällen mit ausgedehnter Erkrankung des Blasenbodens 
wird man ohne Totalexstirpation des gesammten Organes kaum 
auf ein befriedigendes Resultate rechnen können. 

Zur weiteren Veranschaulichung des Gesagten demonstrirte 
K. eine Anzahl von exstirpirten Tumoren und Tumortheilen 
makroskopisch und in mikroskopischen Schnitten. 

Zum Schluss zeigte Herr Kollmann 3. einen 10cm langen 
Gummischlauch, den er einige Tage zuvor per vias naturales aus 
der Blase eines Jungen Mannes entfernt hatte. Der betr. Fremd¬ 
körper bildete den vorderen Theil eines als Irrigator für das Ohr 
bestimmten Apparates, welchen der Patient seinen Angaben zu 
Folge als Tripperspritze resp. als Katheter benutzt hatte zur Zelt, 
als er — einige Monate nach einer gonorrhoischen Infektion — 
einmal nur besonders mühsam zu urlnlren vermochte. Als K. 
den Patienten sah, sass der Fremdkörper in der Harnröhre und 
zwar mit seinem peripheren Ende etwa in der Mitte der Pars 
anterior; bei den Versuchen, Ihn unter Leitung des Auges urethro- 
s.koplsch ohne Verletzung der Mucosa zu fassen, rutschte er aber 
beständig weiter nach hinten, bis er zuletzt dem Blick überhaupt 
entschwand. Die Urethroskopie lieferte nur Im Anfang deutliche 
Bilder; später war wegen Blutung nur noch wenig zu sehen. 
Hiernach wurde die gesamrnte Form des Fremdkörpers und dessen 
Lage in der Blase cystoskopiscli genau ermittelt, wonach seine 
Entfernung von dort mit Hilfe eines löffelförmigen Lithotriptors 
schnell und ln leichter Welse erfolgte. 

Das Besondere an dem Falle liegt ln dem Umstand, dass, 
den Angaben des Patienten zu Folge, der Schlauch ein volles 
halbes Jahr In der Harnröhre gelegen hat, ohne dass dadurch 
eine besondere Belästigung entstanden Ist. 

Ob die in der Pars pendula fühlbare Verdickung des Corpus 
cavernosum urethrae hierauf zu beziehen war, oder ausschliesslich 
auf die vorausgegangene gonorrhoische Infektion, liess sich nicht 
mit Bestimmtheit entscheiden. Eine vor der Extraktion kon- 
stntirte katarrhalische Entzündung der vorderen Harnröhre, die 
sich unter anderem ln geringem Ausfluss und in leicht diffus 
trübem Urin kennzeichnete, schwand nach dieser sehr bald und 
schon nach etwa einer Woche zeigte der Urin nicht die geringste 
diffuse Trübung mehr. Das befremdliche schnelle Rüekwflrts- 
gleiten des Schlauches während des ersten Thelles der Extraktions¬ 
versuche erklärte sich später durch die genaue Besichtigung des¬ 
selben. Der Schlauch war von stark konischer Form. Peripher, 
wo er ganz offen war, hatte er ein weites Kaliber, gegen das 
nach der Blase zu gerichtete Ende hin verjüngte er sich aber be¬ 
trächtlich; in der Mitte der Spitze hatte er nur ein kleines Loch. 
An seiner Oberfläche zeigte er sich — besonders nnch dem peri¬ 
pheren dickeren Thelle zu — allenthalben mit Inkrustationen be¬ 
deckt. wodurch seine Konsistenz selbstverständlich vergrössert 
wurde. 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 20. Juni 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

1. Herr Neuberger demonstrirt: 

a) einen Fall von Lupus erythematosus discoides; 

b) ein Mädchen mit wahrscheinlich artefact entstandenen 
gangraenösen Stellen au beiden Gesichtshälften. 

2. Herr Carl Koch demonstrirt das bereits früher von Herrn 
Hofrath Dr. C n o p f vorgeführte Kind mit offenem Meckel- 
schen Divertikel. Es ist inzwischen durch Operation geheilt 
worden. Die Operation wurde ln der Weise ausgeführt, dass zu¬ 
nächst der Nabel Umschnitten und das Peritoneum geöffnet 
wurde. Darnach wurde am Divertikel der Darm hervorgezogen, 
das Divertikel abgebunden und abgeschnitten, sein Stumpf ein¬ 
gestülpt und Ubernäht Hierauf wurde die Darmschlinge wieder 
versenkt und die Bauchwunde geschlossen. Die Heilung erfolgte 
ohne Jede Störung. Bemerkenswert)! an dem Falle ist, dass der 
intraabdominell gelegene Theil des Divertikels verhältnissmässig 
kurz war, aber ziemlich breit trichterförmig in’s Ileum einmündete. 

3. Herr Carl Koch berichtet über zwei vou Ihm in der letzten 
Zeit beobachtet Fälle von Vaccineinfektion bei der Impfung, ln 
dem einen handelte es sich um eine Autoinfektion bei einem 
2 Jährigen Kinde, das durch Kratzen vom geimpften Arm aus im 
Gesicht und an den Fingern sich Vacciuepusteln zuzog; in dem 
anderen um eine Uebertragung des Giftes vom Impfling 
aus auf dessen Mutter, bei welcher an der Nase und Wange Pusteln 
zur Entwicklung kamen. In beiden Fällen war die Erkrankung 
eine ziemlich schwere, insbesondere bei dem ersten, in welchem sie 
eine sehr grosse Ausdehnung annahm. (Demonstration der Photo¬ 
graphie.) Beide Male aber erfolgte Heilung. 

Die Krankengeschichte des ersten Falles Ist folgende: 

A. Andreas, 2 Jahre alt, Gastwirthskind, hatte seit der Gebnrt 
vielfach an Ausschlägen und Furunkeln unter beiden Achseln, 
am linken Arm und an der rechten Schulter zu leiden. Deswegen 
wurde es im vorigen Jahre von der Impfung zurückgestellt und 
erst heuer am linken Anne geimpft, da rechts der Ausschlag noch 
nicht vollständig geheilt war. DIE Impfung fand vor 10 Tagen 
statt. Bei der Impfschau am 29. Mai wurde ein kleiner rother 
Fleck über dem rechten Ohre bemerkt, aus dem sich ln den fol¬ 
genden Tagen rasch der jetzige Zustand Entwickelte. Die Impf¬ 
pusteln am Arm haben sich gut ausgebildet. Das Kind hat in 
den letzten 2 Tagen Fieber gehabt und ist sehr unruhig gewesen. 
Seit gestern Brechdurchfall. 

Stat. praes. (1. Juni 1901): Temp. 39.5. Rechte Gesichts¬ 
hälfte stark geschwollen. Haut glänzend und geröthet, heiss sieh 
anfühlend. Das Auge stark versehwollen. Zahlreiche Kratzeffekte 
und ausserdem vereinzelt merkwürdig pustelartige Gebilde, die 
stark an Impfpusteln erinnern. Sie sind etwa linsengross, von 
gelblich-welsser Farbe. Uber das Niveau der Haut erhaben und 
zeigen eine charakteristische kleine Delle an der Oberfläche. Die 
Röthung der Haut hört in der Mitte der Wange, sowie nach rück¬ 
wärts am Nacken mit ziemlich scharfer Grenze auf. Das rechte 
Ohr sehr stark geschwollen, in gleicher Welse die Gegend nach 



hinten und oben vom Ohrensitz. Die Schwellung mit einer schmie¬ 
rigen weisslich-grauen Masse bedeckt, die sich zum Theil auf die 
inneren Partien der Ohrmuschel fortsetzt Hier am Helix eine 
pfennigstückgrosse gangraenöse Partie. Betrachtet man die ver¬ 
färbte Schwellung hinter dem Ohre genauer, so erkennt man, dass 
dieselbe aus ähnlichen Gebilden besteht, wie die vereinzelten auf 
der Wange; nur stehen die pustelartigen Gebilde so dicht dass 
sie theilweise confluiren und so die Oberfläche ein wabenartiges 
Aussehen gewinnt. Am Rand der retroaurikulären Schwellung 
stehen zahlreiche einzelne Pusteln und man kann hier das Con¬ 
fluiren mancher derselben genau verfolgen. Dadurch dass die 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1593 


1. Oktober 1901. 


* 


Epidermis vielfach macerirt ist, sieht die ganze Oberfläche so ver¬ 
schmiert aus. Die Lymphdrüsen unterhalb des rechten Kiefer¬ 
winkels zu grossem Packet angeschwollen. Am linken Nasen¬ 
flügel, sowie an beiden Zeigefingern und am linken Daumen je 
eine Pustel. Die Impfpusteln am linken Arm alle gut entwickelt. 

Unter feuchten Verbänden mit essigsaurer Thonerdelösung 
und unter FlxLrung der Arme, welche ein weiteres Verschmieren 
des Giftes verhinderte, kam es allmählich zur Abheilung der schwer 
affizirten Gesichtshälfte. Am 14. Juli wurde das Kind geheilt ent¬ 
lassen. Die erkrankten Partien des Gesichtes wiesen noch rotbe 
Flecke, aber keine eigentliche Narbcnbildung auf. 

Die Krankengeschichte des 2. Falles ist folgende: 

Frau W., 40 Jahre alt, erkrankte am 28. Mai, nachdem ihr 
Kind 10 Tage zuvor mit Erfolg geimpft worden war. Es zeigte 
sich bei ihr zueret am Uebergauge der Oberlippe in’s linke Nasen¬ 
loch ein kreisrundes etwa erbsengrosses Bläschen, das sie auf¬ 
kratzte. Darnach entstand eine erhebliche Anschwellung und 
Röthung an der Oberlippe und dem Naseneingang. 

Stat. praes.: Magere Frau, fühlt sich sehr elend. Die 
Oberlippe am linken Naseneingange, sowie auch der Nasenflügel 
beträchtlich geröthet und geschwollen. Ungefähr im Centrum 
dieses Infiltrates ist die Epidermis macerirt und in eine schmierige 
weissgraue Masse umgewandelt. An der linken Wange mehrere 
Centimeter von dem geschilderten Infiltrate entfernt zwei isollrt 
stehende, etwas über linsengrosse und Uber, das Niveau der ge- 
rütheten Haut hervorragende, mit einer kleinen Delle versehene 
Pusteln, die an Impfpusteln erinnern. Lymphdrüseu ln der Sub- 
maxlllargegend geschwollen und schmerzhaft. Am 21. Juni war die 
Affektion geheilt. Der Verlauf war ganz dem der Entwicklung 
und Rückbildung von Impfblattern entsprechend. 

In der Dlscussion bespricht Herr Cnopf sen. die von 
Dr. B. D 1 e 11 e r im Jahre 1893 gegebene Mittheilung über 3 Fälle 
von generallsirter Vaccine. Da die Beobachtung ergeben hat, 
1. dass die Verschlimmerung des Ekzems bereits wenige Tage nach 
der Möglichkeit der Infektion mit Vaccine eintreten kann, 2. dass 
der Verlauf der entstandenen vaccineartigen Pusteln, wie auch 
deren Heilung ohne Narbenbildung der richtigen Vaccine nicht 
entspricht, 3. dass das Ekzem bei geimpften, wie nicht geimpften 
Kindern in gleicher Weise von einem vacciuirten Kinde beein¬ 
flusst werden kann, 4. dass das Ueberstehen einer auf diese Weise 
hervorgerufenen generalisirten Vaccine eine Schutzkraft nicht 
gewährt, so ist Cnopf der Ansicht, dass unter dem Einfluss 
vaccinirter Kinder auf ekzematös erkrankter Haut sich nicht ein 
spezifisch vacclnöses, sondern nur hoch virulentes, septisches 
Sekret bilde, das sowohl dem ekzematös erkrankten Kind, wie 
seiner Umgebung Gefahr bringe. 

Sitzung vom 4. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

1. Herr Goldschmidt theilt den I.Jahresbericht der Heil¬ 
stätte Engelthal mit unter besonderer Berücksichtigung der Pro¬ 
phylaxe der Tuberkulose. 


Verschiedenes. 

Ein neuer Korsetersatz und eine neue Leibbinde 
werden von W 111 h a u e r - Halle a. S. empfohlen (Tlier. Monats¬ 
hefte 1901, No. 5). Der Korsetersatz „Johanna“, ist von Frau 
Johanna Nähsmann In Braunschweig erfunden worden und 
wird von der Firma von der Linde in Hannover ln den 
Handel gebracht. Derselbe entbehrt jeder Steife und besteht 
einfach aus Gurten, die sich meist rechtwinklig' kreuzen und 
grösstenthells elastisch sind. Die Brüste ruhen in faltigen mieder 
artigen Lätzen und werden durch Schultertragbänder nach oben 
gehalten. An den unteren Gurtenbäuderu sind ringsum Knöpfe 
angebracht zum Anknöpfen der Beinkleider. 

Im Anschluss an diesen Korsetersatz hat W. eine Leibbinde 
anfertigen lassen, von der er hofft, dass sie das Ei des Columbus 
darstellt. Das Vordertheil der Binde wird durch einen heraus¬ 
nehmbaren Celluloidstab gesteift; denselben kann man in heissem 
Wasser nach der Rundung Jeden Leibes zurecht biegen. Ausser¬ 
dem hat der Bauchtheil sowohl oben wie unten je 4 keilförmige 
bis Uber die Mitte der Binde reichende Ausschnitte, die, mit einer 
Verschnürung versehen, es ermöglichen, dass die Binde sich jeder 
Rundung des Leibes glatt anschmiegt. Statt der Sclieukelriemen 
sind vorn am unteren Rande Strumpfhalter angebracht. 

Die Binde wird ebenfalls bei von der L 1 n d e - Hannover 
angefertlgt und kostet etwa 12 M- Kr. 

Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher. 
Der heutigen Nummer liegt das 116. Blatt der Galerie bei: Alwin 
v. Coler. Nekrolog siehe S. 1572. 

Therapeutische Notizen. 

Das Extractum Pichl-Pichl fluldum Ist jetzt 
auch, wie Martin Friedländer mittheilt, in Tablettenform zu 
haben (Therap. Monatsh. 9, 1901). Dieselben werden von dem 
Apotheker Dr. A. L e w y ln Berlin unter dem Namen Urosteril- 
tabletten ln den Handel gebracht. No. I besteht nur aus dem 
Extrakt, No. II hat noch einen Zusatz von Salol und Tannin. Von 
ereteren nimmt man 3—4 Stück im Tage nach dem Essen, von 
No. II 6—10 Stück. Bewährt haben sich die Tabletten zumal bei 
der Gonorrhoe. Kr. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 1. Oktober 1801. 

— Der 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, 
die in der vorigen Woche in Hamburg abgehalten wurde, gebührt 
ein Ehrenplatz in der Reihe deriNuiurlorscherversuuimlungeu. Nicht 
nur wegen ihres glanzenden, durch das Zusammeuwirken aller 
nur möglichen günstigen Umstände gehobenen, äusseren Verlaufs, 
sondern vor Allem wegen ihres wissenschaftlichen Inhalts. Man 
hat in Hamburg zum ersten Mal Ernst gemacht mit der Verwirk¬ 
lichung der scüon länger bestehenden Bestrebungen, den allge¬ 
meinen Sitzungen wiener grössere Bedeutung zu geben durch die 
Erörterung wichtiger, alle Zweige der Naturwissenschaften gleich- 
massig interesslreuden Fragen uurch berufene Redner und m den 
Sektionen der zunehmenden Speciallslrung entgegen zu arbeiten 
durch Verminderung der Zahl der Abtheiiuugeu und durch Ver¬ 
legung des Schwerpunkts ihrer Arbeiten in die kombinirteu Sitz¬ 
ungen. Der Enolg des Versuchs ist unbestritten. Dank der glück¬ 
lichen und vers uinüuias vollen Auswahl der Vortrugsiheiuata 
gaben die allgemeinen Sitzungen, besonders aber die gemeinsame 
Sitzung der naturwissenschaftlichen und der mediciulscheu llaupt- 
gruppe, in der die neuen Theorien der physikalischen (Jhemie und 
inre Anwendung auf die Mediciu erörtert wurden, eine Fülle der 
Anregung und Belehrung. Was der Versammlung ferner sehr 
zu Siatten kam, ist die Vorzüglichkeit und AtuumgiaitigKuit der 
wissenschaftlichen Institute und hygienischen Einrichtungen 
Hamburgs. Wuhrend sonst Nicht-Univenmaissiadte lu dieser Be¬ 
ziehung den Uulversitäten gegenüber lin Nuchtheii sind, wird in 
Hamburg der Mangel einer Universität nicht fühlbar. In den 
That, Hamburg besitzt die Einrichtungen und die Lehrkräfte, um 
eine Universität uuszurusteu, uaüezu vollständig, und es bedurrte 
nur des Willens, Universität zu sein, und die 21. Alma mater 
des deutschen Reiches wäre fertig. So wenig wohl im Uebngeu 
ein Bedürfnis nach Vermehrung der Universitäten besteht, dass 
das herrliche Material Hamburgs dem akademischen Unterricht 
verschlossen bleibt, Ist bedauerlich. Vielleicht wird das anders 
sein, wenn einmal nach aber fünfundzwanzig Jahren die Natur- 
forseherversammlung ihr Heim wieder in Hamburg aufschlägt 
Vorzüglich ,wie die Vorbereitung der Arbeiten der Versammlung, 
war die Vorbereitung auch in jeder anderen Hinsicht. Die Aus¬ 
schüsse hatten alle musterhaft gearbeitet, und der der Geschäfts¬ 
führung am Schlüsse vom Vorsitzenden, Prof. R. Hertwig- 
Müncheu, ausgesprochene Dank war wohlverdient. Die festliche 
Stimmung, die schon am ersten Tage das reizvolle Bild Hamburgs, 
dieser Perle der deutschen Städte, in den Besuchern geweckt hatte, 
hielt die ganze Woche hindurch unvermindert an, ja sie steigerte sich 
noch unter dem Einflüsse der vielen schönen Eindrücke, die die 
Stadt und ihre liebenswürdigen, gastfreien Bewohner ihren Gästen 
täglich bereiteten. So wird kein Theilnehmer der 73. Natur¬ 
forscherversammlung Hamburg verlassen haben, ohne einen 
Schatz neuer werthvoller Kenntnisse und Anregungen und freund¬ 
licher Erinnerungen mit sich zu nehmen. — Die Versammlung war 
von der ungewöhnlich grossen Zahl von ca. 3500 Thellnehmern und 
1100 Damen besucht. Als Ort der nächstjährigen Versammlung 
wurde Karlsbad gewählt 

— Bei Gelegenheit der diesjährigen Naturforscherversammlung 
hat sieh eine deutsche Gesellschaft für ortho¬ 
pädische Chirurgie coustituirt. Zu Mitgliedern eines 
Organisatiouscomitös wurden die Herren Geh.-Rath Mikulicz- 
Breslau, Geh.-Rath J. W o 1 f f - Berlin, Dr. Höftmann - Königs¬ 
berg, Prof. Dr. H o f f a - Würzburg, Prof. Dr. Lorenz- Wipu, 
Priv.-Doc. Dr. JoachimBthal - Berlin und Dr. Schanz- 
Dresden gewählt 

— Der Konflikt des Aerztllchen Bezirksvereins Bamberg mit 
der dortigen allgemeinen Ortkrankenkasse ist Jetzt zum definitiven 
Abschluss gekommen dadurch, dass die ausserordentliche General¬ 
versammlung der Kasse vom 21. September den npuen Vertrag 
mit dem ärztlichen Bezirksverein genehmigte. Der neue Vertrag 
hat gegen den bisherigen besonders in folgenden wichtigen Punk¬ 
ten eine Aenderung gefunden: 1. Die Behandlung der Kassen- 
raitglieder geschieht ausschliesslich durch die Mitglieder 
.des ärztlichen Bezirksvereins und die von ihm nomlnlrten appro- 
birten Zahnärzte. 2. Das Durchschnlttshouorar pro Kopf und 
Jahr wird von M. 2,75 auf M. 3.— erhöht. 3. Es wird eine Ver¬ 
trauenskommission, bestehend aus 2 Aerzten und 2 Kasse¬ 
vorstandsmitgliedern eingeführt. Bezüglich der Anfrage, wie sich 
der Bezirksverein zur Aufnahme neu sich niederlassender appro- 
birter Aerzte (also auch approblrter ,,Naturheil“ärzte) verhalten 
würde, wurde auf die im § 12 d. K. A. V. vom 4. Juli 1895, Bildung 
vou Aerztekammem und ärztlichen Bezirksvereinen betr., ange¬ 
führten Ausschliessungsgründe verwiesen. Damit ist der durch 
die Umtriebe des „Naturheilvereins" heraufbeschworene Konflikt 
glücklich beigelegt. Die Aerzte Bambergs haben. Dank ihrem eln- 
müthlgen und festen Zusammenhalten, gewiss keinen Grund, sich 
Uber den Ausgang des Konflikts zu beklagen. 

— Die X. Jahresversammlung des Allgemeinen Deutschen 
Bäderverbande8 findet vom 6.—9. Oktober 1. J. in Kolberg statt 

— Pest. Türkei. Am 15. September wurde ein tödtlich 
verlaufener Pestfall in Skutari festgestellt. .— Aegypten. Vom 
6. bis 12. September wurden in ganz Aegypten 11 Erkrankungen 
(und 6 Todesfälle) an der Pest festgestelit. — Britlscb-Ostlndien. 
Während der am 23. August abgelaufenen Woche sind in der 
Präsidentschaft Bombay 4288 neue Erkrankungen und 3037 Todes¬ 
fälle an der Pest festgesteiit, also 454 beew. 170 mehr als in der 


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1594 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


Woche vorher. In der Stadt Bombay sind in der am 24.' August 
endenden Berichtswoehe 206 Personen an der Pest erkrankt und 
ebenso viele erweislich an der Pest gestorben. Einschliesslich der 
,nls pestverdächtig bezeichnten Todesfälle sind daselbst In der 
letzten Berichtswoche 404 Pesttodesfälle verzeichnet In Kal¬ 
kutta erkrankten ln der Zeit vom 11. bis 17. August 23 Per¬ 
sonen an Pest und starben 20. — Japan. Auf Formosa 

waren seit Beginn dieses Jahres bis zum 20. Juli 4228 Er¬ 
krankungen und 3348 Todesfälle an der Pest zur Kenntniss 
der japanischen Behörden gelangt; unter den von der Epi¬ 
demie Ergriffenen waren etwa 210, unter den Verstorbenen 105 
Japaner; Europäer waren bis dahin nicht betroffen. Im Juli zeigte 
sich eine Abnahme der Seuche, denn, während im Juni durch¬ 
schnittlich 40 Neuerkrankungen und 34 Todesfälle täglich vorge¬ 
kommen waren, belief sich die Zahl der täglichen Erkrankungen 
vom 1. bis zum 20. Juli auf etwa 14, die der Todesfälle auf 13. 
Am stärksten war die Seuche Mitte Juli noch ln Taipeh und den 
umliegenden Ortschaften, besonders in Twatutia verbreitet. — 
Kapland. Während der Woche vom 18. bis 24/ August hat die 
Pestepidemie anscheinend zugenommen. In Port Elizabeth wurden 
8 Personen, darunter 1 Europäer, dem Pesthospital überwiesen, 
3 starben hier an der Pest, ausserdem wurden 2 Pestleichen, 
darunter die eines Europäers, aufgefunden; auf der Kaphalbinsel 
wurde 1 Pestleiche gefunden. V. d. K. G.-A. 

— In der 87. Jahreswoche, vom 8. bis 14. September 1901, 
hatten von deutschen Städten Uber 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Bonn mit 34,4, die geringste Kottbus mit 2,6 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen; an Masern in Elber¬ 
feld, G lei witz. 

(Hochschulnachrlchtcn.) 

Berlin. Dr. Friedrich P 1 e h n, Lehrer für Tropenhygiene 
am orientalischen Seminar zu Berlin, wurde zum Professor er¬ 
nannt. Der bisherige Assistent bei der praktischen Unterrlchts- 
anstalt für Saatsarzueikünde au der hiesigen Universität, Dr. 
Ernst Zl e m k e, ist zum ausserordentlichen Professor in der medl- 
cinischen Fakultät der Universität Halle ernannt worden. 

Marburg. Der ausserordentliche Professor der Hygiene 
Dr. Heinrich B o n h o f f wurde zum ordentlichen Professor er¬ 
nannt. (Marburg, wo ausserdem Behring eine Professur für 
Hygiene inaehat, besitzt hiermit zwei ord. Professuren für 
Hygiene.) 

Rostock. Bei dem am 30. September an der Universität 
Rostock beginnenden Aerztekurs treten als Docenten an die Stelle 
der Herren Graser und A x e n f e 1 d die neu berufenen Herren, 
Prof. Müller (Chirurgie) und Prof. Peters (Augenheilkunde). 

Brooklyn. Dr. W. S. S i m m o n s wurde zum a. o. Pro¬ 
fessor der Anatomie am Long Island College Hospital ernannt. 

Caracas. Dr. J. de Vlllegas Ruiz wurde zum Pro¬ 
fessor der medicinlschen Klinik und der pathologischen Anatomie 
ernannt. 

Chicago. Dr. L. Blake B a 1 d w i n wurde zum Professor 
der Dermatologie am College of Physicians and Surgeons ernannt 

Padua. Der Privatdocent an der medicinlschen Fakultät 
zu Rom, Dr. M. Ponticaccia, babllitirte sich für Pädiatrie. 

Philadelphia. Dr. Th. R. Neilsou wurde zum a. o. 
Professor der Krankheiten der Harn- und Sezualorgane ernannt. 

Rom. Habllitirt: Dr. T. G u ad 1 für Experimental-Hygiene 
und Sanitätspolioel. 

Siena: Habllitirt: Dr. A. A n d r u c I für operative Medlcln, 
Dr. E. M o d i g 1 i a n o f ür Pädiatrie. 

Stockholm. Dr. J. E. Johansson wurde zum Professor 
der Physiologie ernannt 

Turin. Habllitirt: Dr. R. C a 1 v i n 1 für Chirurgie und 
operative Medicin. 

(Todesfälle.) 

Der Privatdocent für Hydrotherapie an der Zürieher Uni¬ 
versität, Dr. med. Max Freud weller, der sich erst im vorigen 
Jahre habllitirt hatte, ist im 30. Lebensjahre gestorben. Er war 
zugleich Assistenzarzt für Hydrotherapie und physikalische 
Heilmethoden an der medicinlschen Klinik ln Zürich. 

In Zürich starb der Professor der gerichtlichen Medicin 
Dr. Hans v. W y s s lin 55. Lcliensjahr. 

(Berichtigung.) In No. 38, S. 1483 (Hölscher: Ueber 
die Differenz der histologischen Wirkung etc.) ist in Sp. 2, Z. 31 
von oben zu lesen: „nie in Leukocyten“ statt „nur in Leukocyten“. 
Das Referat Neumann’s in No. 39, S. 1545 betrifft nicht das 
Centralbl. f. Bakteriologie, sondern die „Zeitschrift für Hygiene 
und Infektionskrankheiten“, Bd. 38, No. 1. 

In der Kurve zur Arbeit: K 1 e b 8. Diplocoecus semilunaris, 
ein Begleiter der Tuberkulose, auf S. 1567 der vorliegenden 
Nummer, bedeutet 10 D. und 20 D. die Injektion von io und 
20 Tropfen Tc ln die geschwellte Drüse. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. Josef O sehmann, appr. 1891, zu 
Haromelburg. Dr. Dü tt mann, appr. 1882, ih WUrzbürg. 

Verzogen: Dr. Ludwig D öderlein von Kleinheubach 
unbekannt wohin. Dr. Leider von Edesheim nach Neidenfels. 

Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Karl M a r z e 11 in Aub zum 
Bezirksarzt I. Klasse ln Kitzlngen. 

Erledigt* Die BezirkBnrztstelle I. Klasse ln Wertingen. Be¬ 
werber um dieselbe haben ihre vorSehrlftsmfiaslg belegten Gesuche 

Verlsg von J. V. Ltkaiio io MAnebon 


bei der Ihnen Vorgesetzten Kgl. Regierung, Kammer des Innera 
bis zum 15. Oktober 1. Js einzureichen. 

Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse Dr. Max Sc h Wein¬ 
berge r ln Wertingen, seiner Bitte entsprechend, in gleicher 
Eigenschaft nach Traunstein. 

In den dauernden Ruhestand versetzt: Der Landgerichtsarzt, 
Medicinalrath Dr. Joseph Rauscher in Deggendorf, seiner 
Bitte entsprechend, wegen zurückgelegten 70. Lebensjahres, and 
demselben ln Anerkennung seiner langjährigen, ausgezeichneten 
Dienstleistung der Verdienstorden vom hl. Michael IV. Klasse ver¬ 
liehen. Der im zeitlichen Ruhestande befindliche Bezirksarzt 
I. Klasse Dr. Karl Peither in Kaufbeuren, wegen physischer 
Gebrechlichkeit, unter Anerkennung seiner langjährigen, treuen 
und erspriesslichen Dienstleistung. 

Ernannt: zu ltegimentsärzten: die Stabs- und Bataillonsärzte 
Dr. Seel vom Elsenbahn-Bat im 9. Feld-Art.-Reg., Dr. Seit* 
vom 1. Fuss-Art.-Reg. im 10. Feld-Art.-Reg., Dr. Wind vom 
3. Pion.-Bat. im 12. Feld-Art.-Reg. und Dr. Rogner vom 16. lnf.- 
Reg. im 2. Fuss-Art.-Reg., sämmtliche unter Beförderung zu Ober¬ 
stabsärzten; zmn Bataillonsarzt Im Eisenbahn-Bataillon der Stabs¬ 
arzt Dr. Scliönwerth des Inf.-Leib-Reg. 

Versetzt: der Oberstabsarzt Dr. Baudrexl, Regimentsarzt 
im 2. Fuss-Art.-Reg., zum 11. Feld-Art.-Iteg.; die Stabs- und 
Bataillons- etc. Aerzte Dr. Hauenschild vom 2. Feld-Art-Reg. 
zum 14. Inf.-Reg., Dr. Jungkunz vom 6. Feld-Art-Reg. zum 
1. Fuss-Art.-lleg., Dr. Zenetti vom lnf.-Leib.-Keg. zum 3. Plon.- 
Bat.; die Oberärzte Dr. Gäusbauer vom 20. Inf.-Reg. und 
Dr. Brennfleck vom 3. Feld-Art-Reg. zum 9. Feld-ArL-Iteg., 
Dr. Haas vom 6. Feld-Art.-Reg. zum 10. Feld-Art.-Reg., Dr. 
Bayer vom 10. luf.-Keg. zum 11. Feld-Art.-Reg.; deu Assistenzarzt 
Dr. Loehrl vom 5. Feld-Art.-Keg. zum 12. Feld-Art-Reg. 

Wieder angestellt mit ihrem Ausscheiden aus dem Ostasiat 
Expedltionscorps: der Stabsarzt Dr. Wolffhügel uutl der 
Oberarzt Dr. R u i d i s e h, bisher im 4. Ostasiat Inf.-Reg., Ersterer 
als Bataillonsarzt im Iuf.-Leib.-Reg., letzterer im 1. Fuss-ArL-Keg., 
beide mit ihren früheren Patenten. 

Abschied bewilligt: von der Reserve dem Stabsarzt Dr, Fried¬ 
rich Schrenk (Nürnberg) und dem Oberarzt Dr. Adolf Pracht 
(Hof); von der Landwehr 1. Aufgebots den Stabsärzten Dr. Maxi¬ 
milian Miller (Bayreuth) und Dr. Hermann Möblmann 
(Kaiserslautern), beide mit der Erlaubniss zum Tragen der Uniform 
mit deu für Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen, dem 
Oberarzt Dr. Fidel Göhl (Landshut); von der Landwehr 2. Auf¬ 
gebots dem Oberarzt Dr. Friedrich Wiedemann (Klsslngenj. 

Befördert: zu Stabsärzten in der Reserve die Oberärzte Dr. 
Ludwig Steinheim er (Nürnberg), Dr. Axel Block (Aschaffen¬ 
burg) und Dr. Emil Roselieb (Kisslngen); in der Landwehr 
1. Aufgebots die Oberärzte Dr. Friedrich Duprfi (Hof), Dr. Ferdi¬ 
nand Fürst (Aschaffenburg), Dr. Lorenz Dorsch (Ansbach), 
Dr. Friedrich Schmitt (Kaiserslautern), Dr. Herrn. Borgest 
(1. München), Dr. Wilhelm W o 1 f f (Augsburg) und Dr. Wilhelm 
S t r i tz 1 (Vil8hofen); zu Assistenzärzten in der Reserve die Unter¬ 
ärzte Dr. Arnold Gross (Rosenheim), Ernst Key hl und Fried¬ 
rich Minderte ln (I. München), Wilhelm Kör her (Erlangen), 
Franz Schnitzler (I. München), Paul Radicke (Erlangen), 
Dr. Karl Dürrlng (Ansbach), Dr. Wilhelm K r e b s (1. München), 
Richard Schmidt (Würzburg), Dr. Hans L ö f f 1 e r (I. München), 
Dr. Jakob Weber (Erlangen), Dr. Friedrich Barthelmes 
(Nürnberg) und Dr. Rudolf PUrckhauer (Günzenhausen); in 
der Landwehr 1. Aufgebots die Unterärzte Jakob Berkenheler 
(Würzburg) und Dr. Sebastian S c h m i d (Regensburg). 


Morbiditätsstatistik d. InfectionskrankheitenfQr Mönchen 

in der 38 Jabreswoche vom 15 bis 21. September 1901. 
Betheiligte Aerzte 203. — Brechdurchfall 18 (16*), Diphtherie, 
Croup 16 (17), Erysipelas 14 (6), Intermittens, Neoralgia interm. 

1 (—■), Kindbettfieber 2 (—), Meningitis cerebrospin. — (—), 
Morbilli 12 (17), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 9 ( 4 ), Parotitis 
epidem. 1 (1), Pneumonia crouposa 7 (4), Pyaemie, Öeptikaemie 
— (—), Rheumatismus art. ac. 10 (13), Rohr (dysenteria) — (—), 
Scarlatina 8 (7), Tussis convulsiva 6 (18), Typhus abdominalis 

2 (1), Varicellen 1 (6), Variola, Variolois —(—), Influenza — (—), 

Summa 107 (110). Kgl. Bezirksant Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle In München 

wahrend der 38. Jahreswoche vom 15 bis 21. September 1901. 

Bevölkernngszahl: 499 932. 

Todesursachen : Masern — (2*), Scharlach — (—\ Diphtherie 
und Croup 4 (3), Rothlauf 1 (1), Kindbettfieber — (—X Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 1 (3), Brechdurchfall 6 (2), Unterleibtyphns 
1 (—), Keuchhusten 2 (3), Croupöse Lungenentzündung 4 (2), 
Tuberkulose a) der Langen 18 (24), b) der übrigen Organe 3 (4), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 2 (8), Unglücksfalle 2 (3), Selbstmord 2 (—), Tod durch 
fremde Hand 1 (—). 

Die Gesammtzahl der Sterbefalle 197 (189), Verhaltnisssahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,6 (19,7), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,2 (11,3). 


*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die FUe der Vorwoche. 


. — Druck von X. MO bl U u Isr's Buch- and Konsulrucksrsl A.Q., 

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Die Mfinoh. Med. Wochenschr. erscheint w&chentl. 
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Herausgegeben von 

Cfc. Biflilir, 0. Bolllngsr, H. Curschaiiin, C. Gerhardt, 6. Merkel, J. t. Michel, H. t, Ranke, F. v. Wlocktl, H. v. Zieassen, 

Freiburg 1. B. München. Leipzig Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. München. 


NoT41. 8. Oktober 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus dem Laboratorium des Herrn Prof. D i n k 1 c r im Luisen¬ 
spital zu Aachen. 

Bacillol und Lysoform, zwei neuere Desinfektions¬ 
mittel. 

Von Prof. Dr. Gramer aus Heidelberg. 

Es war zunächst nicht meine Absicht, die weiter unten in 
den beiden Tabellen auszugsweise mitgetheilten Versuche über 
die beiden neueren Desinfektionsmittel Bacillol und Lyso¬ 
form der Oeffentlichkeit zu übergeben. Ich hatte dieselben viel¬ 
mehr zur eigenen Orientirung auf der Suche nach einem billigen, 
bequemen Mittel zur Sputumdesinfektion unternommen. Es 
scheint mir aber bei genauerer Kenntnisnahme der Literatur 
vielleicht doch angebracht, den weiteren Leserkreis dieser 
Wochenschrift auf die recht befriedigenden Eigenschaften des 
einen, des Bacillols, und die wenig zureichenden des anderen, 
offenbar überschätzten, des Lysoforms aufmerksam zu machen. 
Ich mache allerdings dabei von vorneherein darauf aufmerksam, 
dass ich das, was man eine erschöpfende Untersuchung eines Des¬ 
infektionsmittels nennt, an dieser Stelle nicht geben will. 

Das eine der untersuchten Desinfektionsmittel, das 
Bacillol 1 ), stellt ein Theerdestillationsprodukt, ähnlich 
dem Lysol dar. Das wirksame Princip desselben sind 
die Cresole, welche nach Angaben der Fabrik bis 
zu 52 Proc. in ihm enthalten sind. Seine desinfiziren- 
den Wirkungen sind demnach nach den grundlegenden 
Arbeiten von C. Fränkel ohne Weiteres verständlich und 
auch annähernd abzuschätzen. Es hat mit dem Lysol die leichte 
Löslichkeit, wobei selbst bei hartem Wasser von ca. 14 Härte¬ 
graden eine leichte Trübung ohne wesentlichen Einfluss ist, die 
verseifenden, lösenden und desinfizirenden Eigenschaften ge¬ 
mein; zeichnet sich aber vor demselben durch seine nahezu 
völlige Geruchlosigkeit — 2 bis 3proc. Lösungen 
riechen fast gar nicht — und seinen geringen Preis, der nur 
etwa die Hälfte des Lysol beträgt, aus. 

Seine Giftigkeit ist etwa analog derjenigen des Lysol, sic 
beträgt nach Paszotta') für das Kaninchen 1,97—2,37 als 
krankmachende, 2,37—3,55 g als tödtliche Dosis, für das Pferd 
1,4 g als krankmachende, von 1,5 ab als tödtliche Dosis pro Kilo 
Körpergewicht. 

Ob das Bacillol in 1—2 proc. Lösung bei längerem, wieder¬ 
holtem Gebrauch, z. B. bei der Händedesinfektion, die Epidermis 
angreift, vermag ich nicht zu entscheiden. Ich pflege meine 
Lippen von etwa anhaftenden Sputumbestandtheilen mit einem 
in 1 proc. Bacillol befeuchteten Wattebausch zu reinigen, den 
Rest eintrocknen zu lassen, ohne bisher einen Nachtheil be¬ 
merkt zu haben. 

Die Technik der Prüfung der desinfizirenden Wirkung des 
Bacillol (und ebenso des Lysoform) war die in den bacterio- 
logischen Laboratorien übliche. Benützt habe ich die Glas¬ 
perlen 6 ) und die V e r d ü n n u n g s m e t h o d e *). 

') v «m Sander, Kacillolfabrik, Hamburg ln den Handel ge¬ 
bracht j 

2 ) Monatshefte f. prakt. Thlerheilk. Bd. XII. 

*) Mit HCl, NaOH, H,CrO,-Alkohol gereinigte und sterllislrte, 
undurchlochte Glasperlen von gleicher Grösse und möglichst gleich- 
massiger Oberfläche werden ln eine „homogene“ Kultur (24 stüudige 

o. 41. 


Benutzt wurden von den gebräuchlichen Nährböden Fleisch¬ 
wasserbouillon, Fleischextraktbouillon, Fleischwassergelatine, 
Fleischwasserglycerinagar, sämmtliche bei Bruttemperatur. Die 
bei jedem Versuch besonders angestellten Controlproben ergaben 
durchweg schon nach 6—7 Stunden deutliches Wachsthura; bei 
den Versuchen mit Typhusglasperlen war das Wachsthum wegen 
der geringen Aussaat erst nach 9 Stunden zu bemerken. Die ge¬ 
trübten Röhrchen wurden durch Mikroskop und Kultur ge¬ 
prüft, ob sie Reinkultur enthielten. Die sterilgebliebenen am 
8. bis 10. Tag, ob die Nährböden keine entwicklungshemmenden 
Eigenschaften angenommen; die Probe ergab ausnahmslos maxi¬ 
males Wachsthum. 

Von einer Prüfung der vorliegenden Mittel nach den Prin- 
cipien von Marx und W e i t li e s ) glaubte ich zunächst ab- 
sehen zu sollen. Abgesehen davon, dass es nach meinen Er¬ 
fahrungen wünsclienswerth erschien, die Theorie der Desinfek¬ 
tion, wie sie von den genannten Forschern aufgestellt worden ist, 
möchte durch weitere Beobachtungen auf eine noch breitere 
Grundlage gestellt werden, muss es bei der geringen Kcnntniss, 
welche wir zur Zeit darüber besitzen, unter was für Umständen 
die Bacterien ihre Virulenz verlieren und wieder gewinnen 
können, vor Allem geboten erscheinen, zu prüfen, in welcher 
Dosis und unter welchem Verhältnis die Bacterien von einem 
Desinficiens völlig vernichtet werden. Ein pathogenes Bacterium, 
das seine Virulenz eingebüsst, kann momentan nicht inlizircn, 
darf aber nicht vernachlässigt werden, weil wir zur Zeit nicht 
wissen, wie es in der Aussenwelt sein Dasein fristen, eventuell 
seine Virulenz wieder erlangen kann. 

Von Versuchen mit Sporenbildnern wurde abgesehen, da die 
Cresole auf die Sporen so gut wie gar nicht einwirken. 

Wie man aus Tabelle I, welche die wesentlichen Versuche 
über das Bacillol übersichtlich vorführt, ist die Desinfektions¬ 
wirkung des Bacillol selbst in 1 proc. Lösung, wie das ja 
bei seinem hohen Gehalt an Cresoleu nicht anders zu erwarten, 
eine recht befriedigende. Die meisten Bacterien, Bact. coli, 
Bact. typhi abdominalis, Staph. aureus, von denen namentlich 
Bact. coli und der widerstandsfähige Staph. aureus als Test¬ 
objekte für die zur Zeit in Betracht kommenden Bacterien ohne 
Sporen gelten, vermögen der lproc. Bacillollüsung bei Zimmer¬ 
temperatur nur 1—2 Minuten Widerstand zu leisten. Staph. 
aureus bleibt gelegentlich bis zu 5 Min. c ) entwicklungsfähig, 
darüber hinaus erliegt auch er. 


Kultur auf schräg erstarrtem Glyeeriuagar in 10 Wasser suspeiidirt 
unter Vermeidung der Brückeibildung) und nach sorgfältigem 
Trocknen als Testobjekte benutzt. 

‘) Von einer kräftigen Bouillonkultur, homogenen Bacterien- 
Suspension in Wasser etc. werden nach Zusatz des Desinfektions¬ 
mittels in bestimmten Zeiträumen nicht zu geringe reberimpf- 
ungen auf möglichst grosse Mengen neuen Nährmateriales ge¬ 
macht, derart, dass eine möglichst geringe Entwicklungshemmung 
statt hat. Dieselbe betrug in meinen Versuchen höchstens 
1:2 000 000 schätzungsweise. Die Verdünnungsmethode gibt einen 
Maassstab dafür, wie lange die Bacterien irgend einem Desinfek¬ 
tionsmittel Widerstand leisten! 

*) Centralbl. f. Bacteriologie XXVIII. Bd., S. 09. 

«) Ob es sich hierbei uin „Ausuahmezellen“ im Sinne F r a e » - 
kels handelt, oder ob sieh die Baeterieu durch Borkenbildung 
selbst schützten, vermag Ich nicht zu entscheiden. Bin aber ge¬ 
neigt. der Dicke der angetrockneten Schiebt die Schuld beizu¬ 
messen. 

1 


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1596 


MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


Tabelle L Baoillol l°/o und 2°/o. 


Minuten 

F 

F 

i 5 

8 

10 

15 

20 

30 

40 

50 

60 




Bac. coli 



_ 

_ 

_ 







• 

Verdünnung, Fleischwasserbouillon 

2%. 

M. st. aureus 


— 

— 

— 

— 







• 



2 o/o. 

B. fluorescens 


— 

— 

— 

— 







• 

II 

Fleischwassergelatine 

2 °/o. 

Staph. aureus 

- 

— 

— 

— 

— 








>» 

Fleischextraktbouillon 

1%. 

Typhusbac. 


— 

— 

— 

— 








II 


1 °/o. 

Typhusbac^ 

- 

— 

— 

— 

— 








11 

Fleischwassergelatine 

l°/o. 

8taph. aureus 



• 

4 

4- 

4* 

4- 






11 

Fleischextraktbouillon 

Wo- 

Staph. aureus 

4 

— 



— 







•1 


l°/o- 

Typhusbac. 



4-e- 

4 g. 


4- 

— 

— 

— 




„ 


Vs°/o. 

Bac. coli 

- 

- 


— 

— 







Glasperlen, 


dicke Schicht') 

8taph. aureus 

- 

- 

4- 

4 

. 







» 


dicke Schicht ‘j 

Staph. aureus 

- 

- 



— 







1* 


dünne Schicht 

Typhusbac. 


- 

— 

— 

— 




. 




11 


l°/o- 

Typhusbac. 

- 

- 

4- 

— 

— 








11 

Fleischwassergelatine 

l°/o. 

Typhusbac. 

- 

- 


— 

— 







11 

Fleischextraktbouillon 

1%. 

Typhusbac. 

- 

- 

— 

— 

— 



* i * 




„ 


1%. 

Typhusbac. 

- 

- 

— 

— 

— 



• • 




11 

Fleischwassergelatine 

1%. 

8taph. aureus 

- 

- 

4 

4 

— 



• • 




„ 

Glycerinagar 

1%. 

Staph. aureus 

- 

- 

4 

4- 

— 







Deckglas, 


1 °/o. 

Staph. aureus 

H 

h 



— 



• 1 • 




Glasperlen, 

Fleischextraktbouillon 

l"/o. 


IV 

1 %. 

17 - 


Tabelle IT. Lysoform 2% und 3°/o. 



1 

3 

5 

8 

10 

15 

10 

30 

40 

50 

60 


Bac. coli 

4- 

4 - 

4" 

4 





• 



Verdünnung Fleischwasserbouillon 2%, 16-18° 

Bac. coli 

4- 

+ 


4 




. 



„ Fleischextraktbouillon 3 °/o, 16-18° 

Typhusbac. 



4 

4 

4 

4- 

4 - 

4 - 




» „ 3 °/o, 16-18°. 

Typhusbac. 




4 

4 - 

4 - 




» „ 3 °/ 0 , 16-18°. 

Typhusbac. 


. 




4 

— 



» „ 3 °/o, 16-18°. 

Typhusbac. 






— 

— 

— 




.. „ 3 «/„ 35-37°. 

Staph. aureus 


• 



4 

. 

4 

4 



4 

» „ 3 °/o, 16-18". 

Staph. aureus 





4 


+ 

4 

. 


4 

, » » 3»/o, 16—18°. 

Staph. aureus 


4- 

4 - 

4 

4 

4 

12 M. 






Glasperlen versuch, dicke Schicht 1 ) Fleisch wasserbouill. 3%, 16-18° 

Staph. aureus 

• 


4- 

4 



• 




„ [dünne „ *) „ 3%, IS—lb°. 

Staph. aureus 

• 

• 

. 


4 

4 


4 


4 


» .» „ 2 ) Fleischextraktbouill.8°/o, 16—18*. 

Bac. coli 

• 

4 

• 

4 

4 

4- 

12 M. 

• 

, 




» Fleischextraktbouillon 2° / o, 16-18°. 

Typhusbac. 



— 


— 

— 

— 





» Fleischwassergelatine 3°/,,“ 16—18°. 

'typhusbac. 

Typhusbac. 


. 

4- 


— 

— 

— 



. 


» Fleischextraktbouillon 3°/o, 16—18°. 

— 

4 


4 

9Min. 






• 

• 

» „ 3°/o, 16-18°. 

Typhusbac. 

• 

• 

— 


• 

— 


— 


• 


» » 37o, 35-37°. 

*) 2 schräg erstarrte 

Kulturen 

auf ca. 8 ccm homogenisirt. 


8 ) Die scheinbar leichte Abtödtung ist dadurch bedingt 

dass; nur üusseret wenig Bacillen an den Perlen haften bleiben. 


g = gehemmt; 


Dabei ergaben das Verdünnungsverfahren und die Glas- ; 
perlenmethode recht gut übereinstimmende Resultate. 

Auch mit den bereits vorliegenden Resultaten, wie sie unter 
Anderen z. B. von Behrend 1 ) und G 1 a g e erhalten, ist die 
TJebereinstimmung eine sehr absolute, so dass ich von einer Er¬ 
weiterung der Versuche zunächst absehen zu können, mich 
namentlich in Hinsicht auf die bereits publizirten Versuche mit 
den mitgetheilten Resultaten begnügen zu können glaubte. 

Das Bacillol dürfte wohl berufen sein, an 
Stelle des Lysols zu treten, aber auch die Car- 
bolsäure, die wohl mit Unrecht sich einer all¬ 
gemeinen Beliebtheit erfreut, verdrängen. 

Auch zur Sputumdesinfektion dürfte sich namentlich im 
Heilstättenwesen das Bacillol wegen seines geringen Preises 
eignen. Allerdings darf man seine Wirkung nicht überschätzen. 
Von einer 1—2 proc. Lösung darf man in kurzer Frist keine 
nennenswertlie Wirkung erwarten. Die Tuberkelbacillen waren in 
grob geballtem Sputum in meinen Versuchen in einer 1 proc. 
Lösung nach 3 Stunden noch nicht abgetödtet. Bekanntlich ge¬ 
hört tuberkulöses Sputum wegen seines Schleim-, Fett- und Luft¬ 
gehaltes zu den widerstandsfähigsten bacteriologischen Test¬ 
objekten. Man findet auch erhebliche Unterschiede in der Re¬ 
sistenz der einzelnen Sputumsorten, bedingt namentlich durch 
den Luft- und den Fettgehalt. Aus diesem Grunde hielt ich es 
nicht für angebracht, für die Zwecke der Sputumdesinfektion 
umfangreiche Thierexperimente anzustellen. Für die Praxis 
— 

*) Prüfungsattest der Deslufektionskraft des Bacillol. Ham- 
bürg, Chemisches und bacterlologisches Laboratorium von 
Ur. Marquardt ; 


wird ein ausreichender Effekt erzielt, wenn der grösste Procent¬ 
satz der Bacillen abgetödtet ist. Wenn 90—95 Proc. der Bacillen 
im Sputum abgetödtet werden, werden sich jedenfalls keine 
solchen Missstände heraussteilen, wie das jetzt leider in manchen 
Heilstätten der Fall gewesen. Wer ganz sicher gehen will, wird 
chemische und physikalische Desinfektion kombiniren. Man wird 
die Sputumglüser mit 1 proc. Bacillol füllen, die grösseren Ballen 
nach einiger Zeit durch eventuell mit Sägemehl bestreute Gaze 
abfiltriren, die zugeschnürten Gazebeutel der grössten Ofen¬ 
heizung, durch eine bestimmte geschulte Persönlichkeit, das Fil¬ 
trat aber erst nach 24 stündigem Stehen der Kanalisation über¬ 
liefern. I'ür die meisten Zwecke ist ausreichend ein Auffangen 
des Sputum in einer 3—4 proc. Lösung, am besten so, dass eine 
3—4 proc. Mischung entsteht, und Beseitigung nach 18 bis 
20 stündigem Stehenlassen *). 

Das Lysoform, eine parfümirte, nach Formalin riechende, 
ölig-seifige Flüssigkeit, ist anscheinend eine Lösung von For¬ 
malin in einer parfümirten Seife. Es löst sich leicht in Wasser, 
wobei allerdings bei hartem Wasser eine Ausfällung von Kalk¬ 
seifen, welche allerdings die desinfizirende Wirkung nicht stört, 
statt hat. Die Lösungen von 1—5 Proc. z. B. haben den Vor¬ 
theil, dass sie nicht oder doch nicht in störender Weise nach 
Forinaldehyd riechen; dazu besitzen sie erhebliche desodorisirendc 
und kosmetische Eigenschaften. Es scheint das Lysoform trotz 
seines ziemlich hohen Preises (das Kilo kostet 3.50 M. gegenüber 
0.70 M. bei dem Bacillol) offenbar wegen der bekannten des- 
infizirenden Eigenschaften des Formaldehyd in der medicinischen, 

') In den Heilstätten wird am besten militärischer Unterricht 
lm Itelnlgen und Deslnfizlren der Spuckflaschen erthellt. 


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8. Oktober 1901. 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1597 


namentlich gynäkologischen, Praxis mehr Eingang gefunden zu 
haben als das Bacillol. Trotzdem ist die bakteriologische ex¬ 
perimentelle Grundlage, so viel ich sehe, eine ziemlich dürftige. 

Dührssen*) empfiehlt eine 1 proc. Lysoformlösung von 
60’ zur Desinfektion der Hände. 

Ahlfeld“) hält eine 3—4 proc. Lösung zur Desinfektion 
der Hände für ungenügend (sämmtliche Bouillonröhrchen trübten 
sich). Strassmann 11 ) empfiehlt es bei der Procedur der 
Händedesinfektion nicht seiner desinfektorischen, sondern seiner 
kosmetischen Eigenschaften wegen, weil es die Hand geschmeidig 
und elastisch erhält. Str. erwähnt Versuche von S y m a n s k i, 
wonach Milzbrandsporen, an Seidenfäden angetrocknet, in 
3 proc. Lysoform nach 24 Stunden abgetödtet werden; ebenso 
Versuche von Vertun (wie die von Symanski, so viel ich 
sehe, noch nicht publizirt), wonach z. B. Staphylococcus aureus 
einer 3 proc. Lösung von Lysoform 1 Stunde lang Widerstand 
leistet, B. coli durch 2 proc. Lysoform nach 10 Minuten, B. pro- 
teus durch 2 proc. Lysoform nach 20 Minuten vernichtet wird. 
Also, soweit das spärliche Material reicht, keine erheblichen des¬ 
infektorischen Eigenschaften. 

Auch meine Versuche ergaben .keine besonders günstigen 
Resultate. (Tab. II.) Staphylococcus aureus leistete einer 3 proc. 
Lösung wiederholt bis eine Stunde Widerstand, B. coli einer 
3 proc. Lösung mindestens 10 Minuten; selbst der Typhusbacillus 
widi rstand bis zu 30 Minuten bei Zimmertemperatur. Bei 
höhe; er Temperatur ergaben sich bessere Resultate, energischere 
De; infektionswirkungen. Aber man wird bei höherer Temperatur 
sich immer gegenwärtig halten müssen, dass das Formaldehyd 
ein flüchtiger Körper ist, und dass es in der Praxis leicht Vor¬ 
kommen kann, dass durch das Erwärmen ein grosser Theil des 
Formaldehyds verdunstet, ehe es seine Wirkung zu entfalten 
beginnt, besonders, wenn man, wie vorgeschlagen wird, das Mittel 
unbedenklich Laien in die Hand gibt. 

Nach meiner Ansicht wird sich das Lysoform, weil es inner¬ 
halb der wünschenswerthen Frist von wenigen, 1—3, höchstens 
5 Minuten die meisten vegetativen Formen der Bakterien bei 
Zimmertemperatur nicht sicher vernichtet, in dio allgemeine Des¬ 
infektionspraxis keinen Eingang verschaffen, namentlich wenn 
man den immer noch hohen Preis (das Kilo 3.50 M., also der 
Liter 3 proc. Lösung 0.11 M., während die weit überlegene 1 proc. 
Bacillollösung der Liter 0.007 M. kostet) in Betracht zieht. 

Ganz vorzügliche Eigenschaften dagegen besitzt das Lyso- 
forra nach meinen Versuchen als Desodorans und Kosmetikum, 
besonders da, wo der Preis keine Rolle spielt. 


Aus der Heidelberger medicinischen Klinik (Direktor: Herr 
Geheimrath E r b). 

Auftreten von Psoriasis vulgaris -im Anschluss an 
eine Tätowirung.*) 

Von Prof. Dr. Bett mann. 

Der folgende Fall von Psoriasis vulgaris darf wohl einiges 
Inten-sse beanspruchen, weil er wiederum einen Beleg für die 
parasitäre Natur der Erkrankung zu liefern scheint. 

Es handelt sich um einen 29 jährig. Bäcker, der einer Familie 
entstammt, in welcher niemals Psoriasis vorgekommen sein soll; 
er selbst war früher nie ernstlich krank und hat weder an 
Schuppenflechte, noch sonst an einer erwähnenswerthen Haut¬ 
krankheit gelitten. 

Vor 3 Jahren Hess er sich am rechten Vorderarm tätowiren, 
ohne dass darauf irgend welche besonderen Erscheinungen auf- 
trnten. Am letzten Ostermontag nun wurde ihm auch an der 
Beugeseite des linken Vorderarms ein grosses Wappen eintäto- 
wirt. Etwa 14 Tage darauf entstand — zunächst auf diese 
Tätowirung beschränkt — eine schuppende HautafTek- 
tion, die dann auf den ganzen linken Arm und allmählich auch 
auf den übrigen Körper überging. 

Es handelt sich bei dem kräftigen Manne um eine typische 
Psoriasis vulgaris, die in multiplen kleineren Herden aufgetreten 
Ist (Psoriasis guttata et nummularis). In ihrer Verthellung am 
Kumpf und den unteren Extremitäten zeigt die Erkrankung nichts 
Besonderes. Dagegen ist der linke Arm stärker als der rechte er¬ 
griffen, und vor Allem fällt ein grosser Herd auf, der durch die 
Confluenz einer grösseren Anzahl von kleinen schuppenden 
Efflorescenzen entstanden ist, und der sich mit a u f fällt- 


*) Gynäkologisches Vademecuin S. 32. 

10 ) Ahlfeld: Centralbl. f. Gynäkologie 1900, No. 51. 

") Strassmau u: Ebenda 1901, No. 11. — Derselbe: 
Therapie d. Gegenwart 1900, August. 

*) Nach einer Demonstration im Heidelberger medicinisch- 
uaturhiatorischen Verein am 11. Juni 1901. 


ger Genauigkeit an die Grenzen der frischen 
Tätowirung hält, deren ganze Fläche auf diese Welse in 
einen Psoriasisherd umgewandelt erscheint Innerhalb der alten 
Tätowirung am rechten Arm dagegen sitzt eine einzige llnsen- 
giosse Efflorescenz. 

Die Entstehungsgeschichte des Falles zwingt zu der An¬ 
nahme, dass die frische Tätowirung in irgend welcher näheren 
oder entfernteren aetiologischen Beziehung zu der Psoriasis- 
eruption unseres Patienten stehen müsse. Es frägt sich, ob dieser 
Zusammenhang nicht einfach durch die Thatsache gegeben ist, 
dass sich die Psoriasis mit einer gewissen Vorliebe an solchen 
Hautstellen lokalisirt, die irgend einer besonderen Reizung 
unterliegen, und gerade was Tütowirungen angeht, so sehen wir 
häufig genug, dass sie bei frischen Ausbrüchen der Krankheit 
sich besonders betheiligen oder dass sich in ihnen die Efflores¬ 
cenzen mit besonderer Hartnäckigkeit erhalten. Aber man wird 
doch ein gewisses Bedenken tragen müssen, diese Erklärung für 
Fälle wie den unserigen als ausreichend zu betrachten. Jene 
Fälle, in denen bei bestehender manifester Psoriasis eine be¬ 
sondere Hautreizung spezielle Lokalisationen der Affektion be¬ 
stimmt, werden nicht ohne Weiteres mit solchen zusammen¬ 
geworfen werden dürfen, in denen bei vorher gesunden, familiär 
nicht belasteten Personen die Krankheit im Anschluss an eine 
solche Hautliision überhaupt erst zum Ausbruch kommt. Diese 
letzteren Voraussetzungen treffen aber speciell für die in ge¬ 
nügender Zahl beobachteten Fälle zu, in denen eine Psoriasis im 
Anschluss an die Vaccination oder eine Tätowirung mit primärer 
Lokalisation an der Inoculationsstelle entstand. Ich darf in 
dieser Beziehung wohl auch auf die von mir früher publizirte Be¬ 
obachtung verweisen, wonach bei einem bis dahin gesunden 
Jungen aus gesunder Familie im Anschluss an die Revaccination 
eine Psoriasis auftrat, die sich zunächst auf den frischen Impf¬ 
narben lokalisirte ‘). Die Annahme, dass in allen hierher ge¬ 
hörenden Fällen die betreffenden, bis dahin gesunden 
Personen sich im Eruptionsstadium der Psoriasis befunden haben 
sollten, und die Hautläsion nur als Agent provocateur gewirkt 
hätte, und demgemäss also die Psoriasis wohl auch ohne das Da¬ 
zwischentreten der Tätowirung oder Impfung zum Ausbruch ge¬ 
kommen wäre, wird in dem Grade immer unbefriedigender, als 
die einschlägigen Beobachtungen sich vermehren. Für unseren 
speciellen Fall ist vielleicht noch darauf zu verweisen, dass die¬ 
selbe Reizqualität der Tätowirung, der jetzt der Ausbruch der 
Krankheit folgte, vor 3 Jahren keine Erkrankung auslÖ6te. 

Es kann nun nach allem Gesagten nicht Wunder nehmen, 
dass man bei solchen Füllen die Möglichkeit heranzog, dass etwa 
mit dem Impf- und Tätowirungsmateriale zugleich ein Psoriasis¬ 
erreger in die Haut eingebracht worden sei, und dass man somit 
derartige Beobachtungen wesentlich für dio Annahme einer para¬ 
sitären Aetiologie der Psoriasis verwerthete. So verlockend eine 
derartige Deutung auf den ersten Blick erscheinen mag, sind 
jene Fälle doch weit davon entfernt, ein vollwerthiges Beweis¬ 
mittel für die parasitäre Theorie der Psoriasis zu liefern. Es 
fehlt bei dieser supponirten zufälligen Einimpfung der Krank¬ 
heit jede Möglichkeit, nachzuweisen, wie etwa der unbekannte 
Erreger der Affektion von einem bestehenden Krankheitsfalle 
aus in das Impfmaterial gekommen sein sollte. Ferner hat man 
niemals im Anschluss an die Vaccination etwa ein gehäuftes 
Vorkommen von Psoriasis beobachtet, durch das der Vermuthung, 
dass wirklich im Impfstoff „Psoriasiskeime“ enthalten gewesen, 
eine bessere Basis gegeben wäre. Nach der ganzen Lage der 
Dinge liefern die Fälle von Vaccinations- und Tiitowirungs- 
Psoriasis keinen Beweis für die parasitäre Natur der Erkrankung, 
so lange die übrigen Gründe, mit denen man die parasitäre Ent¬ 
stehung derselben verficht, nicht an Beweiskraft gewinnen. 

Es lohnt sich wold, kurz auf diese Gründe einzugehen. 

1. Eigent-hümlichkeiten im Charakter, in der Ausbreitung 
und in der Rückbildung der Effioreseenzen zeigen einige Aehn- 
liehkeiten mit dem Verlaufe parasitärer llautaffektionen; aber 
ein solcher Vergleich berechtigt höchstens zu einem Analogie- 
Schluss, der an sich keine Beweiskraft besitzt. 

2. Einzelne klinische Beobachtungen schienen die Mög¬ 
lichkeit einer Uebertragung der Krankheit naho zu legen. 
Zu verweisen ist auf einzelne Fälle, in denen zuerst ein Kind 
und dann erst Vater oder Mutter erkrankten, oder TJ n n a’s Bc- 


*) Bettmann: Ueber Lokalisation der Psoriasis auf Impf¬ 
narben. Münch, med. Wochensclir. 1899, No. 15. 


1 ' 


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MUENCHENER MEDICINISOHE WOOHENSCHRIFT. 


No. 4L 


1598 


obachtung, nach welcher bei den Kindern einer bis dahin ge¬ 
sunden Familie Psoriasis auftrat, nachdem eine psoriasiskranke 
Nonne in den Dienst der Familie getreten war, oder die Er¬ 
krankung einer alten Frau, welche die Badeutensilien einer 
Psoriasiskranken benützt hatte. Derartige Fälle sind aber ausser¬ 
ordentlich selten, sie können an sich keine volle Beweiskraft be- ! 
anspruchen, und wir müssen der Annahme einer Psoriasis- 
„Ansteckung“ um so skeptischer gegenüberstehen, als beispiels¬ 
weise von einer Uebertragung der Psoriasis zwischen Eheleuten 
so gut wie nichts bekannt ist. 

3. Es hat natürlich nicht an Versuchen gefehlt, den Psoriasis- 
Erreger selbst, sei cs mikroskopisch in den erkrankten Geweben, 
sei es mit Hilfe der bakteriellen Kulturmethoden nachzuweisen. 
Diese Untersuchungen haben zum Theil Kunstprodukte geliefert, 
zum anderen Theil Organismen, deren aetiologische Bedeutung 
für die Psoriasis vollkommen fraglich geblieben ist. Schon die 
Tliatsaehe, dass die verschiedenen Untersucher keine einheit¬ 
lichen Ergebnisse fanden, muss stutzig machen. Auf alle Falle 
steht der Beweis vollkommen aus, dass man etwa mit einer 
Psoriasis-„Reinkultur“ die Krankheit überimpfen könnte. 

4. Endlich aber hat man versucht, mit Hilfe von Psoriasis- 
sehuppen, die man der gesunden Haut inoculirte, die Krankheit 
zu übertragen, und diese Experimente müssen vorläufig als der 
interessanteste Weg bezeichnet worden, die parasitäre Natur der 
Krankheit zu erhärten. Solche Versuche sind von L a s s a r u. A. 
an Thieren vorgenommen worden. Wo sie anscheinend positiv 
ausfielen, blieb aber immer noch die Schwierigkeit, das ent¬ 
standene Krankheitsbild mit der Psoriasis des Menschen zu iden- 
tifiziren, und Einwürfe, die eine solche Identität nicht aner¬ 
kennen wollen, werden nicht völlig zurückgewiesen werden 
können. Somit blieb nichts anderes übrig als das Experiment 
am Menschen. Tn dieser Richtung liegt eine Erfahrung vor, 
deren Beweiskraft neuerdings besonders von Ilallopeau mit 
allem Nachdruck verfochten wird. 

Der französische Arzt D e s t o t, der vorher nie an Psoriasis 
gelitten hatte, licss sieh im Jahre 1889 auf die scarifizirte Arm¬ 
haut eine frische Psoriasisschuppe übertragen. Nach wenigen 
Tagen entwickelte sieh bei ihm eine Ilautaffektion, die nach 
etwa 2 Wochen zur Genüge die Charaktere der Psoriasis darbot. 
Nach 2—3 Monaten erfolgte spontane Heilung; im Laufe der 
nächsten 2 Jahre entstanden dann noch 4 Rccidive; seitdem ist 
D. gesund geblieben. 

An der Richtigkeit der Diagnose kann nicht wohl gezweifelt 
werden, und es müsste sich hier allerdings um einen sonderbaren 
Zufall handeln, wenn nicht der Psoriasisausbruch durch die In- 
oculation hervorgerufen worden sein sollte. Aber andererseits 
werden wir auf diese ganz alleinstehende Erfahrung kein über¬ 
triebenes Gewicht legen dürfen: die parasitäre Natur der Pso¬ 
riasis kann heutigen Tages keineswegs als erwiesen gelten. 

H a 11 o p e a u möchte den Verlauf, den die Erkrankung bei 
dem Arzte Des tot genommen hat. mit als Argument für die 
Annahme verworthen, dass in diesem Falle thatsiichlich eine 
Juoculation der Psoriasis stattgefunden habe. Er hebt, hervor, 
dass ein definitives Erlöschen des Leidens nach nur zweijähriger 
Dauer gewiss etwas Auffälliges sei. und will diese rasche Heilung 
damit erklären, dass das eingeimpfte Virus einen sehr un¬ 
günstigen Boden gefunden habe; Destot sei an und für sich 
für die Psoriasis wenig prädestinirt gewesen. Selbstverständlich 
lässt sich auch aus einer solchen Argumentation kein ernstliches 
Beweismittel für die parasitäre Natur der Krankheit schmieden. 
Immerhin dürft© es sich aber lohnen, die Fälle von anscheinender 
Inoculations-Psoriasis daraufhin zu verfolgen, ob sie etwa einen 
atypischen Verlauf zeigen. Was den von mir früher publizirten 
Fall von anscheinender Tmpf-Psoriasis betrifft, so trat bei dem 
Jungen sehr bald nach Beendigung der ersten Kur die Affektion 
wieder in Erscheinung. Eine richtige Behandlung hat seitdem 
nicht mehr stattgefunden, und das Leiden besteht nach nun¬ 
mehr 2Vs jähriger Dauer in massiger Ausdehnung unverändert 
fort. 


Ueber subkutane traumatische Bauchblutungen.*) 

Von Oberstabsarzt Dr. Eichel in Breslau. 

Die subkutanen Verletzungen der Bauchhöhle und ihres In¬ 
halts haben in dem letzten Jahrzehnt die Aufmerksamkeit der 
Chirurgen in hohem Maasse in Anspruch genommen. Während 
noch v. B e c k '), der als einer der ersten über solche Verletzungen 
geschrieben hat, als einzige Heilungsmüglichkeit die Ruhigstel¬ 
lung des Bauchinhaltes durch Opiate, um Verklebungen zu er¬ 
zeugen, empfahl und von einer Operation als aussichtslos ab- 
rieth, sind mit der fortschreitenden Bauchchirurgie Versuche ge¬ 
macht, derartigen Kranken operative Hilfe zu bringen. Zunächst 
waren ja die erreichten Resultate keine sehr erfreulichen, mit 
der weiter ausgebildetcn Diagnostik sind wir jedoch zu immer 
besseren Erfolgen gekommen und manches Individuum, das in 
früheren Zeiten seiner Bauchverletzung sicher erlegen wäre, wird 
jetzt durch die Hand des Chirurgen gerettet. 

Man unterscheidet bei den Verletzungen, die den Unterleib 
treffen, zweckmässig 3 grosse Gruppen: 

1. Die subkutanen Zerreissungen des Magendarmkanals, 

2. die Verletzungen des uropoetisehen Systems, 

3. die Fälle, in denen die Blutung in die Bauchhöhle das 
Krankheitsbild beherrscht. 

Selbstverständlich können sich mehrere dieser Gruppen ver¬ 
einen, so dass z. B. neben einer Darmzerreissung auch noch eine 
Verletzung einer Niere vorhanden ist, oder neben dem Bluterguss 
aus einem Leberriss sich auch noch eine Ruptur des Magens 
oder Darmes findet. Man wird daher, wenn man wegen der Blu¬ 
tung laparotomirt, stets die Verpflichtung haben, nach Stillung 
der Blutung auch den gesammten Darm abzusuchen und bei 
einer Darmzerreissung sieh auch nach der Quelle einer vor¬ 
handenen stärkeren Blutung umzusehen. Im grossen Ganzen 
jedoch tritt eine der genannten Verletzungen so in den Vorder¬ 
grund, dass sic die Indikation für die Operation abgibt. 

Es sei mir im Folgenden gestattet, unter Demonstration 
eines geheilten Falles von Milzzerreissung das Krankheitsbild 
der subkutanen Bauchblutungcn zu zeichnen und bei der Gelegen¬ 
heit 2 Fälle, 1 Lcbcrzerreissung und 1 Milzzerreissung, die ich 
in Strassburg i. E. operirt habe, mit zu besprechen. 

Was zunächst die Aetiologic der subkutanen Bauchblutungen 
betrifft, so kommen dieselben in der Mehrzahl der Fälle durch 
schwere, auf das Abdomen einwirkende Gewalten zu Stande. In 
erster Linie stehen hier: Hufschläge, sodann Ueberfahrcnwerden, 
Sturz mit dem Pferde und Zuliegenkommen unter dasselbe, 
Quetschung durch auffallende Gegenstände, anfahrende Wagen¬ 
deichseln, oder zwischen Eisenbahnpuffern, Anschlägen des 
Unterleibes gegen eine Wand bei Herumgeschleudertwerden in 
Treibriemen. 

Bei allen den geschilderten Veranlassungen ist der Ver- 
lctzungsmechanismus der, dass das Organ — meist handelt es 
sich um die Leber oder die Milz — zwischen dem verletzten 
Gegenstand: dem Huf oder der Deichsel einerseits und der Wir¬ 
belsäule, eventuell dem Erdboden, dem Sattelzwiesel, der Wand 
andererseits gequetscht wird. 

Für die Risse der Leber ist jetloch noch ein anderer Ent¬ 
stehungsmodus sicher erwiesen: der Sturz aus der Höhe. 

Es sind zahlreiche Fälle beobachtet, bei denen Leute aus 
einer Höhe von wenigen Metern hcrabstürzten und bei denen 
sich entweder bei der Sektion oder bei der Operation Einrisse 
der Leber in der verschiedensten Grösse vorfanden. Der Mecha¬ 
nismus ist hier so zu denken, dass das Organ sich noch in der 
Fortbewegung befindet, während der Körper durch den Auf¬ 
schlag auf den Boden plötzlich zur Ruhe kommt und dass die 
Leber entweder vom Ligamentum Suspensorium theilweise ab- 
reisst oder durch das Aufschlagen ihre Form plötzlich ändert, 
zusammengepresst wird und nun reisst. 

Dass ein krankhaft verändertes Organ eine fettig degencrirtc 
Leber auch durch ein geringes Trauma zerreissen kann, ist be¬ 
greiflich. So ist erst kürzlich von Engel 1 ) eine subkutane 
Lcbcrzerreissung beschrieben, die bei einem Phthisiker dadurch 
zu Stande kam, dass der Kranke, um sich vor Sturz zu bewahren, 
scharf den Oberkörper nach hintenüber bog. 

*) Nach einem in «1er Schlesischen Gesellschaft für vater¬ 
ländische Kultur gehaltenen Vorträge. 

') Deutsch. Zeitsehr. f. Chirurg. Bd. 11 u. 15. 

• J ) Engel: Fettembolie einer tuberkulösen Lunge In Folge 
j .vou l.eberruptur. Münch. m»'<l. Wochenschr. 1001, No. 20. 


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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1599 


Indessen sind derartige Vorkommnisse doch von geringerer 
praktischer Bedeutung. Es findet sich z. B. in der 189 Fälle 
umfassenden Edler’schen Statistik kein Fall solcher Beob¬ 
achtung. Auch bei den wegen Leberzerreissung operirten 
Kranken, die ich in der mir zugänglichen Literatur gefunden 
habe, findet sich keine Bemerkung über eine pathologische Be¬ 
schaffenheit des rupturirten Organs. 

Bei der Milz liegen die Verhältnisse insofern ungünstiger, 
als die durch Malaria vergrösserte Milz einem Trauma sehr viel 
leichter ausgesetzt ist. Dementsprechend berechnet Edler, 
dass in 28 Proc. der Milzzerreissungen dieselbe krankhaft ver¬ 
ändert war. Lewerenz”) Statistik weist 3 Malariamilzen 
= 10 Proc. unter 30 operativ behandelten Fällen auf, rechnet 
man dazu noch den einen Trendelenburg’schen*) Fall, der 
eine MilzvergrÖsserung unbekannter Ursache betraf, so sind das 
4 = 13 Proc. Während aber Leute mit Malariamilzen wenigstens 
in der fieberfreien Zeit ihrem gewohnten Beruf nachgehen, dürfte 
eine Verletzung einer in Folge von Typhus oder einer sonstigen 
Infektionskrankheit geschwollenen Milz zu den grössten Selten¬ 
heiten gehören, da derartige Individuen im Allgemeinen durch 
ihren Krankheitszustand den Gelegenheiten einer derartig 
schweren Verletzung an und für sich sehr viel weniger ausge¬ 
setzt sind. 

In pathologisch-anatomischer Beziehung bieten die Ver¬ 
letzungen der Leber die verschiedenartigsten Bilder. Zunächst 
können Zertrümmerungen des Lebergewebes ohne Einriss der 
Capsula Gli8sonii stattfinden. Des Weiteren finden sich von 
kleinen, ganz oberflächlichen, kaum den Peritonealüberzug durch¬ 
dringenden Rissen bis zur gänzlichen Durchreissung des Organs 
alle Uebergänge. Die grösseren Wunden sind meistentheils nicht 
ganz glatt, sondern mehr oder weniger zackig, mit längeren oder 
kürzeren, vom Hauptriss abgehenden Seitenrissen. Bei den 
kleineren werden des Oefteren sternförmige Figuren beschrieben. 
Entweder ist nur ein Riss vorhanden oder es handelt sich um 
mehrere, bis zu 20 *) sind an einem Organ beobachtet. 

Die Risse kommen an allen Stellen der Leber vor, doch ist 
die convexe Fläche des rechten Lappens am häufigsten betroffen. 

Was das weitere Verhalten solcher Risse betrifft, so ist es 
zweifelsohne, dass namentlich kleinere Risse unter günstigen 
Verhältnissen heilen können. Die Leberwunde wird durch ein 
Blutgerinnsel geschlossen, dasselbe wird organisirt und es bleibt 
eine bindegewebige Narbe zurück. In anderen Fällen tritt, 
namentlich wenn der Riss ein grösserer gewesen oder wenn das 
Lebergewebe in seiner Umgebung stärker gequetscht ist, eine 
Nekrose ein. Bleibt es bei der einfachen Nekrose, so findet 
man bei der Operation oder Sektion eine Höhle, die mit Blut und 
Leberdetritus angefüllt ist, meistens jedoch kommt es zu einer 
Sekundärinfektion von den Gallengängen und zum Leberabscess. 
Der Abscess bricht entweder in die Bauchhöhle durch und er¬ 
zeugt eine lokale oder allgemeine Peritonitis oder er entleert sich 
nach vorausgegangenen Verwachsungen in den Darm oder durch 
die Bauchdecken nach aussen. 

Auch in der Milz sind die Einrisse meistens nicht glatte, 
sondern zackig, und es pflegt von dem grösseren Riss, der sich 
in der Längsrichtung des Organs erstreckt, ein längerer oder 
kürzerer Seitenriss abzugehen, wie ich es bei meinen beiden 
operirten Fällen beobachtet habe. 

Eine Spontanheilung einer Milzruptur ist in einzelnen 
Fällen durch die ßektion erwiesen. Ihr Zustandekommen wäre 
in ähnlicher Weise wie bei der Leber zu denken. 

Bei den snbkutanen Verletzungen des Pankreas ist entweder 
die ganze Drüse zerstört, dann pflegt die Blutung eine sehr grosse 
zu sein, oder es kommt nur zu Einrissen. 

Subkutane Zerreissungen des Pankreas finden sich bei 
Edler 3 aufgeführt. 2, die tödtlich endeten (einige Stunden 
nach der Verletzung), zeigten das Pankreas einmal quer zerrissen, 
einmal buchstäblich zerquetscht. 

Bei den Fällen, die Körte*) zusammengestellt hat, ist nur 
einmal der Versuch einer operativen Behandlung gemacht, doch 
wurde die Quelle der Blutung nicht gefunden. Bei der Sektion 
fand sich noch ein Milzriss. Auch die übrigen Verletzten zeigten 

•) Lewerenz: Ueber die chirurgische Behandlung sub¬ 
kutaner Mllzrupturen. Archiv f. klin. Chirurg. Bd. 00, 8. 951. 

9 Deutsch, med. Wochenschr. 1899, No. 40 u. 41. 

*) Edler: Areh. f. klin. Chirurg. Bd. 34. 

•) Körte: Deutsche Chirurgie, Lieferung 45d. 

No 41. 


bei der Sektion neben der Blutung aus dem Pankreasriss in allen 
Fällen, ausser 4, Nebenverletzungen. Die Diagnose der Pankreas- 
zerreissung war nicht gestellt. Dass Pankreasrisse spontan heilen 
können, ist in mehreren Fällen erwiesen, auf die Spätfolgen der¬ 
selben, die traumatische Pankreatitis und falsche Pankreascyste 
(Körte), sei nur hingewiesen T ). 

Isolirte subkutane traumatische Rupturen von grösseren 
Gefässen des Netzes habe ich nur einmal in der Literatur ge¬ 
funden. Guinard 8 ) hat wegen einer intraperitonealen Blutung 
laparotomirt, und als Ursache der Blutung einen Abriss von 
2 Dritteln des grossen Netzes vom Magen gefunden. Die Blu¬ 
tung wurde durch Unterbindung gestillt und das Netz wieder an 
den Magen angenäht. Der Kranke starb am Tage darauf; bei 
der Sektion fand sich ausserdem eine Durchreissung der linken 
Vena renalis. Bei den übrigen Patienten, bei denen sich Ein¬ 
risse des Netzes oder des Mesenteriums fanden, war die Blutung 
nicht so bedeutend, dass sie eine Operation indizirt hätte. Die 
Risse wurden bei den Eingriffen, die wegen der gleichzeitigen 
Darmverletzung stattfanden, gefunden. 

Ein absolut sicheres Symptom für die Erkennung einer 
intraperitonealen Blutung ist nicht vorhanden. Hier kann eben¬ 
so wie bei den subkutanen Magendarm Verletzungen nur die früh¬ 
zeitige und genaueste Ueberwachung des Kranken, der ein Bauch¬ 
trauma der geschilderten Art erlitten hat, zu einer Diagnose 
führen. Gewöhnlich wird als hervorstechendes Symptom der 
Schock angegeben. Wie aber Trendelenburg*) hervor¬ 
hebt, ist das Eintreten eines Schockes auch bei stärksten Bauch¬ 
blutungen nicht nothwendig, er fehlte auch in dem Falle Jor- 
dan’s") und dem C o h n’s ”)• Bei anderen Fällen intraperi¬ 
tonealer Blutung ist ein ausgesprochener Schock vorhanden, so 
fand er sich bei der subkutanen Leberzerreissung, die Hahn“) 
in der Vereinigung der Chirurgen Berlins vorstellte, und auch 
2 meiner Patienten zeigten ihn in starkem Maasse. 

Ist ein Schock vorhanden, so pflegt für eine intraperitoneale 
Verletzung und insbesondere für eine Blutung der Umstand zu 
sprechen, dass sich der Patient trotz der angewandten Analeptica 
nicht aus demselben erholt. Ich habe unter den zahlreichen 
Fällen von Bauchkontusionen, die ich zu einer sehr frühen Zeit 
nach der Verletzung in Behandlung bekommen habe, keinen ge¬ 
sehen, der stundenlang im Schock gelegen hätte, ohne dass es 
sich um eine intraperitoneale Verletzung gehandelt hätte. Die 
Leute, die, ohne eine Verletzung innerer Organe erlitten zu haben, 
nach ihrem Trauma umfielen und bewusstlos wurden, haben sich 
alle sehr bald erholt, mochte der Zustand auch Anfangs noch so 
bedenklich erscheinen. 

Bei den'Kranken, die ohne Schockerscheinungen in’s Kran¬ 
kenhaus gebracht werden, pflegt sich, falls es sich um eine intra- 
peritoneale Blutung bedeutenderen Grades handelt, sehr bald, 
meist schon nach 1 Stunde oder wenig mehr Zeit, eine rapide 
Verschlechterung des Allgemeinbefindens geltend zu machen. 
Der bis dahin frisch aussehende Kranke fängt an, blässer zu 
werden, er wird theilnahmsloser. leicht somnolent. 

Ist eine konkurrirende Schädelverletzung als Ursache aus- 
zusehliessen, so kann diese frühzeitige Verschlechterung des Zu¬ 
standes nur auf eine Blutung in die Bauchhöhle bezogen werden. 

Zugleich mit der Verschlechterung des Allgemeinbefindens 
pflegt sich die Wirkung der akuten Anaemie auf das Verhalten 
des Pulses geltend zu machen. 

Derselbe, der bei der ersten Untersuchung vielleicht noch 
ganz voll und ruhig war, wird jetzt klein und schneller und 
zwar zu einer Zeit, wo von einer Reizung des Pulses durch eine 
beginnende Peritonitis noch nicht die Rede sein kann. Die 
Beschleunigung tritt bei der Blutung sehr viel früher auf und 
nimmt in sehr viel rapiderem Tempo zu. 

Die Athmung pflegt in Uebereinstimmung damit schneller 
und oberflächlicher zu werden. Neben dieser Verschlechterung 
des Allgemeinbefindens und der Aenderung oder, bei primär vor¬ 
handenem Schock, dem Nichtbesserwerden des Pulses können 
lokale Symptome von Seiten des Abdomen vorhanden sein: 

9 8 e n d 1 e r: Deutsch. Zeltsehr. f. Chirurg. Bd. 44. — 
Boeckel: Revue de Chirurgie 1900. 

•) Guinard: Revue Internat de thGrnp. et pharmac. 1*97, 
8. 85. 

*) a. a. O. 

,# ) Münch, med. Wochenschr. 1901, No. 3. 

n ) Münch, med. Wochenschr. 1900. No. 18. 

’*) Deutsche med. Wochenschr. 1899, Verelnsbellnge S. 220. 

2 


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1600 


MUENCUENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


Dämpfung, lokale Schmerzhaftigkeit, Erbrechen, feste Kontrak¬ 
tur der Bauchdecken, besonders an der verletzten Stelle. 

Die vorhandene Dämpfung in einer oder beiden Unterbauch¬ 
gegenden kurze Zeit nach der Verletzung weist auf einen Blut¬ 
erguss hin. In ausserordentlich seltenen Fällen lässt sich diese 
Dämpfung als durch den Austritt von Darminhalt bedingt er¬ 
klären. Es müsste schon ein sehr grosser Riss in einem stark ge¬ 
füllten Darmabschnitt sein, der zu einem sofort nachweisbaren 
Flüssigkeitsaustritt führt, meist tritt in diesen Fällen der Nach¬ 
weis eines Exsudates erst sehr viel später auf, da dasselbe nicht 
durch die ausgetretene Menge allein, sondern grösstentheils durch 
die einsetzende exsudative Peritonitis bedingt ist. Das einzige 
Organ, welches einen sofortigen stärkeren Erguss in die Bauch¬ 
höhle erzeugen könnte, wäre der Magen, der in angefülltem Zu¬ 
stande platzt. 

Ob aber auch in solchen Fällen ein grösserer Erguss durch 
die Perkussion und Palpation nachweisbar ist, ist mir sehr 
zweifelhaft. Als Beweis für meine Ansicht, dass sich ein der¬ 
artiger Erguss von mehr als 1 Liter in der Bauchhöhle auf- 
linlten kann, ohne dass wir ihn perkutorisch nachweisen können, 
möge mein letzter Fall von Ulcus ventriculi perforatum dienen. 

Es handelte sich um einen ausserordentlich kräftigen 22jähr. 
Soldaten, einen Küfer von Beruf. Der Mann hatte in voller Ge¬ 
sundheit Tags zuvor beim Weinabziehen geholfen und dabei stark 
gegessen und ebenso getrunken, ln der Nacht trank er wegen 
seines „Brandes“ einen grossen Krug Wasser und erkrankte so¬ 
fort danach mit heftigen Schmerzen im Leibe. Als ich den 
Mann etwa 10 Stunden später, am 15. VI. 1900, sah, konnte ich 
ausser einer geringen Schmerzhaftigkeit des ganzen Leibes nichts 
Krankhaftes finden, nirgends eine Dämpfung, nirgends einen be¬ 
sonderen Schmerzpunkt. Kein Fieber, Puls voll, 80 Schläge, 
Leib nicht aufgetrieben. Ich nahm eine peritoneale oder Darm¬ 
reizung in Folge des starken Excesses an. Die schnell zu¬ 
nehmende Verschlechterung des Allgemeinbefindens zwang mich 
zur Operation, bei der sich eine ausgesprochene Peritonitis mit 
etwa 1'- Liter Flüssigkeit im Alnloincu fand. Als Ursache für 
die Peritonitis stellte sich ein Ulcus ventriculi perforatum, das 
an der Vorderfläche nahe dem Pylorus sass, heraus. Die Ex¬ 
stirpation des Ulcus, die gründlichste Reinigung der Bauch¬ 
höhle mit Spülung und Drainage vermochte den tödtlichen Aus¬ 
gang nicht aufzuhalten. 

Ich sehe von der Schwierigkeit in diesem Falle, bei dem 
Fehlen jeglicher Ulcusanamnese, die Diagnose zu stellen, ab 
und weise nur darauf hin, dass ein Magen, an den schon durch 
den voraufgegangenen Excess im Essen und Trinken starke An¬ 
forderungen gestellt waren, in Folge Ueberdehnung durch reich- 
liehrs Wassertrinken, an einer alten TTlcusstelle platzt und die 
Bauchhöhle mit seinem Inhalt überschwemmt. Und trotzdem ist 
ein freier Erguss in der Bauchhöhle nicht nachweisbar. Das ist 
nur so erklärbar, dass sich die Flüssigkeit zwischen und hinter 
den Damischlingen vertheilt hat und gar nicht an die seitlichen 
Bauchwandungen geflossen ist. 

In ähnlicher Weise verhält es sieh auch mit den Blut¬ 
ergüssen. Ich muss gestehen, da^s ich mich nach dem Ergebnis« 
der Perkussion und Palpation noch immer über die Grösse der 
Blutergüsse getäuscht habe und jedesmal durch ihre Grösse, 
auch bei den Bauchschussverletzungen, die ich zu operiren ge¬ 
habt habe, unangenehm überrascht bin. 

So werthvoll also eine vorhandene Dämpfung für die 
Diagnose eines Blutergusses in die Bauchhöhle ist, so wenig 
würde ich durch die fehlende mein chirurgisches Handeln 
bestimmen lassen. Von den weiteren lokalen Symptomen wäre 
die lokale Schmerzhaftigkeit zu erwähnen. Sie war in keinem 
meiner 3 Fälle vorhanden. Die Kranken klagten über allgemeine 
Schmerzen im Leibe, die auf Druck nicht stärker wurden und 
auch nicht an bestimmten Stellen, insbesondere nicht an der des 
verletzten Organes lokalisirt wurden. 

In der Mehrzahl der Fälle haben die Kranken kurz nach dein 
Trauma gebrochen oder wenigstens Brechreiz verspürt. Das 
dürfte auf eine Reizung des Peritoneums entweder durch das 
Trauma selbst oder durch den Blutaustritt zurückzuführen sein. 

Die feste Kontraktur der Biuiehdoekcn, besonders an der 
verletzten Stelle, auf die T r c n d e 1 e n bürg ") und Auge- 


T r o n d e 1 e n 1> u r g: n. :i. <>. 


rer“) hinweisen, und die auch in dem J o r d a n’schen“) Falle 
vorhanden war, habe ich trotz aller darauf gerichteten Auf¬ 
merksamkeit bei meinen Patienten bisher nicht nachzuweisten 
vermocht. 

Es erübrigt noch, mit wenigen Worten auf die Fälle '*) ein¬ 
zugehen, bei denen die Blutung durch die angegebenen Sym¬ 
ptome erst am Tage nach der Verletzung oder noch später in 
die Erscheinung trat. Dieselben sind entweder so aufzufassen, 
dass sich die verletzten Gefässe geschlossen hatten und das 
obturirende Gerinnsel zur Lösung kam, oder so, dass eine zweite, 
an und für sich unbedeutende Schädigung, etwa eine unvor¬ 
sichtige Bewegung, in dem betreffenden Organ eine neue Ver¬ 
letzung hervorgerufen hat. 

Dem Angeführten entsprechend, sind wir in der Lage, die 
Diagnose einer intraperitonealen Blutung zu stellen bei einem 
Kranken, der ein Bauchtrauma erlitten hat: 

1. wenn derselbe sich aus dem vorhandenen Schock nicht 
erholt, 

2. wenn das anfängliche gute oder leidliche Allgemein¬ 
befinden sich nach kurzer Zeit verschlechtert und im Besonderen 
ein rapides Schneller- und Kleinerwerden des Pulses eintritt. 

Die Diagnose wird unterstützt durch den Nachweis einer 
Dämpfung im Bauche durch starre Kontraktur der Bauch¬ 
decken, sowie durch eine lokale oder allgemeine Schmerzhaftig¬ 
keit des Abdomens. Erbrechen kann dabei vorhanden sein öder 
fehlen. 

Aus welcher Quelle die Blutung stammt, lässt sich nur in 
günstigen Fällen vorher mit Wahrscheinlichkeit sagen. Der Ver- 
letzungsmechnnismus ist nur selten mit einer hierfür wünschens- 
werthen Klarheit bekannt. Meistens wissen die Leute nur, dass 
sie sich den Leib gequetscht haben, beim Stürzen mit dem 
Bauche aufgeschlagen sind, dass ihnen das Rad über den Leib 
gegangen ist; ob aber dabei Leber- oder Milzgegend bctrofFen war, 
ist ihnen unbekannt. Höchstens die Leute, die Hufschläge oder 
Aehnliches erlitten haben, können die Stelle angeben, wo die Ge¬ 
walt eingewirkt hat. 

Ein Bluterguss der Bauchdecken braucht nicht vorhanden 
zu sein, oder findet sich sowohl in der Leber- wie Milzgegend 
oder über das ganze Abdomen. 

Für die Milzzerreissung ist in einer Reihe von Fällen das Vor¬ 
handensein einer Dämpfung in der linken Bauchseite, die in 
; die Milzdämpfung überging, angegeben. Auch in meinem letzten 
! Falle stellte ich in Folge dieser Dämpfungsverhältnisse die 
j Wahrscheinlichkeitsdiagnosc: Milzzerreissung. Es ist jedoch zu 
erwägen, dass auch bei einem Leberriss das Blut einmal mehr 
nach der linken Seite fliessen und eine Dämpfung hier er¬ 
zeugen kann, wie das unter anderem auch bei meinem 
Kranken mit der subkutanen Leberzerreissung der Fall 
war. Noch weniger als bei Traumen von Leber und Milz 
können wir bei den ausserordentlich seltenen Fällen, in denen 
ein grösseres Gefiiss des Netzes oder Mesenterium oder das Pan¬ 
kreas zerrissen ist, eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf den 
Sitz der verletzten Stelle stellen. Dagegen sind wir bei Blut¬ 
ergüssen, die durch Nierenzerreissung sich nach Eröffnung des 
Peritoneums ihren Weg in die Bauchhöhle gebahnt haben, wohl 
stets in der Lago, aus der blutigen Beschaffenheit des Urins eine 
Betheiligung der Niere, anzunehmen. 

Wir sehen also, dass wir eine sichere Diagnose über die 
; Quelle der Blutung vor Eröffnung der Bauchhöhle meist nicht 
I stellen können. Aber das ist ja auch für die Fälle, um die es 
I sich hier in erster Linie handelt, für die Kranken mit den grossen 
Blutergüssen in die Bauchhöhle, gleichgiltig. Hier handelt es 
sieh nur um die Diagnose: „intraperitoneale Blutung“. Ob die¬ 
selbe aus Leber oder Milz stammt, ob daneben noch Verletzungen 
! des Darmtraktus vorhanden sind, ist für die Therapie von ge- 
i ringerem Belang. 

(Schluss folgtj 


u ) An ge rer: Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für 
i i'hirurgle. 15)00. 8. 482 ff. 

I5 ) Joril a n: a. a. O. 

") Valins: Province med. 94 und Sanltlitsbericht für 1894. 

S. 200. 


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g. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN* IIRi ET. 


1601 


Aus dem hygienischen Institut der kgl. Universität zu Padua 
(Prof. A. S e r a f i n i). 

Ueber Auswaschung des Organismus bei der ex¬ 
perimentellen tetanischen Infektion. 
Experimentelle Untersuchungen. 

Von Dr. C. Tonzig, Assistent. 

Es genügt, einen Blick auf die ausgedehnte Literatur über 
die Frage der Tetanusinfektion zu werfen, um sich zu über¬ 
zeugen, dass, wenn auch die Biologie des Tetanusbacillus wohl 
erforscht ist, andererseits noch viel zu thun übrig bleibt im 
Studium des Toxins, welches er hervorbringt, und über die Art, 
in welcher dieses im Organismus wirkt. Und folgerichtig lässt 
auch die Behandlung des Tetanus noch ein weites Feld zum 
Studium frei. 

So hat die Serotherapie, welche gemäss den modernen Er¬ 
gebnissen der Wissenschaft die rationellste Behandlung ist, hin¬ 
sichtlich des Tetanus nicht völlig jenes Vertrauen gefunden, 
dessen sie sich in verschiedenen ähnlichen Infektionen bereits 
rühmt, obschon man hoffen kann, dass man von ihr sicher die 
Resultate erlangt, welche man zu erwarten hat. Neuerdings 
schloss Moschowitz [1] in einer seiner Arbeiten über den 
Tetanus bei Austeilung einer Untersuchung über die bis jetzt 
veröffentlichten und mit der Serotherapie behandelten Fälle, 
dass, abgesehen von der verschiedenen Wirksamkeit der Seren, 
diese Behandlung die Sterblichkeit an Tetanus von 90 Proc. 
auf 40 Proc. herabsinken liess. 

Er schreibt das Ausbleiben guten Ausganges direkt nur 
jenen Fällen zu, in denen die Diagnose zu spät gemacht wurde 
und die Zerstörung der centralen Zellen schon so weit vorge¬ 
schritten war, dass jeder Regenerationsversuch vergebens ist. 
Das grösste kurative Vermögen scheint unter den verschiedenen 
Antitoxinen, welche im Gebrauch sind, demjenigen T i z z o n i’s 
zuzukommen. 

Es kommen in die zweite Linie die Behandlungsmethoden, 
welche wir palliative heissen, und denen zahlreiche Förderer zur 
Seite stehen, weil sie oftmals mit glücklichem Ausgange ange¬ 
wendet wurden. 

Unter diesen befindet sich das Kurverfahren, das sich auf 
den Gebrauch von Substanzen stützt, welche geeignet sind, die 
Reflexreizbarkeit der nervösen Centren herabzusetzen, so z. B. 
das Chloral in starken und fortgesetzten Dosen, welches den 
Zweck hat, den Kranken den schädlichen, seiner Umgebung ent¬ 
stammenden Reizungen zu entziehen, welche die tetanischen 
Paroxysmen hervorzurufen im Stande sind. 

Diese Kur wird von Einigen viel empfohlen, zumal dann, 
wenn ihr die Entfernung des tetanischen Entstehungsherdes zur 
Seite steht, die man entweder mittels tiefgehender Kauterisation 
oder mittels Auskratzung der Wunde oder besser noch, in 
günstigen Fällen durch Amputation des Gliedes besorgt. Man 
hat viele Enttäuschungen dabei gehabt und unter diesen befindet 
sich der Fall, welchen Schwartz[2] veröffentlicht hat, der 
den Tetanus nach Amputation des Gliedes sich entwickeln sah. 

Eine andere palliative Kur, die tüchtige Stützen gefunden 
hat, ist diejenige, welche, zuerst von B a c c e 11 i ausgeübt, nun 
unter seinem Namen in Gebrauch ist. Dieselbe besteht, wie be¬ 
kannt, in der subkutanen Injektion von starken Dosen (3—4 cg) 
Phenol in wässeriger Lösung, die im Laufe des Tages bis zu 
36—70—72 cg ansteigt. Das Phenol entfalte in diesen Fällen 
ausser antitoxischer Aktion eine beachtenswerthe mässigende 
Wirkung auf die Reflex-Excitabilität der nervösen Centren. Die 
theoretische Grundlage dieser Kur ist vorzüglich insofern, als 
sie ausser der leichten Anwendungsweise und der Ersparniss an 
Zeit und Kosten der medikamentösen Bereitung einen der 
Träume der modernen Medicin verwirkliche, denjenigen nämlich, 
chemische Substanzen zu besitzen, welche, in den Kreislauf in- 
jizirt, eine entschiedene Gegenwirkung gegen die von den patho¬ 
genen Mikroorganismen hervorgebrachten Gifte haben. 

Die Praxis hat dem jedoch nicht immer entsprochen und 
auch hier befinden wir uns vor zahlreichen Illusionen, welche 
zu den von Baccelli erzielten und von seinen Schülern in 
Evidenz gesetzten Resultaten im schroffen Gegensatz stehen. 

Unter den Behandlungsmethoden, welche für Injektionen in 
mehr oder minder zurückliegender Zeit vorgeschlagen worden 
sind, befindet sich eine, die nach meiner Anschauungsweise ein 


grosses Interesse nicht nur im Hinblick auf die Klinik und die 
Hoffnungen, die mit ihr verknüpft werden können, sondern auch 
darum bietet, weil sie als sehr wichtiges biologisches Experiment 
dienen kann, sowohl über die Art des Verlaufes der bakterio¬ 
logischen Intoxikation, speziell bei jenen Infektionen, welche, 
wie gerade der Tetanus, exquisit toxikaemische sind, wie über 
den Vergleich, den man zwischen den respektiven Toxinen und 
jenen Giften machen kann, welche bei in ihren Endergebnissen 
genugsam analogen Wirkungen auf den lebenden Organismus 
doch verschiedenartiger Natur sind und verschiedene anatomische 
Laesionen hervorbringen. 

Ich will damit von jener therapeutischen Operation sprechen, 
welche auf der Einführung einer indifferenten Flüssigkeit in 
die Blutmasse beruht, zu dem Zwecke, unter Benützung der 
regulirenden Kraft des Blutvolumens, welche unserem Orga¬ 
nismus innewohnt, die verschiedenen Sekretionen der drüsigen 
Oberflächen zu begünstigen und dergestalt Gifte oder Substanzen, 
welche schädlich sein können, zu entfernen. Dieses Verfahren 
hat mit Recht den Namen der Auswaschung des 
Körpers erhalten. 

Schon seit einiger Zeit empirisch im Gebrauch in Form 
von Einführung grosser Quantitäten einfachen Wassers und 
zwar entweder durch den Magen oder durch das Rectum (Entero- 
klyse) verordnet, fand es schon im Jahre 1888 eine experimentelle 
Bestätigung seitens Sanquirico’s [3], der untersuchte, ob 
man es nicht auch bei den Vergiftungen mit den gewöhnlichen 
Alkaloiden (Strychnin, Morphium, Nikotin etc.) gebrauchen 
könnte. 

Sanquirico unterwarf die Thiere, nachdem er sie mit 
diesen toxischen Substanzen vergiftet hatte, der Auswaschung, 
indem er zu verschiedenen Zeiten in die Jugularvene eine ver¬ 
schiedene physiologische Losung, die immer zu dem Gewichte 
des Thieres in Beziehung stand, injizirte. 

Sanquirico’s Versuche haben für die Praxis keinen be¬ 
sonderen Werth, da es für den Arzt schwierig ist, zur rechten 
Zeit für die von ihm studirten Gifte einzugreifen, aber sie sind 
von ausserordentlicher Wichtigkeit wegen der Schlüsse, die sich 
im Hinblick auf die mögliche Vermehrung des Blutvolumens 
und auf die Ausscheidung der Gifte mittels der Vermehrung 
der verschiedenen Absonderungen aus ihnen ziehen lassen. 

Er erzielte in dieser Weise die Rettung von Hunden, denen 
er eine dreifache Dose der einfachen tödtlichen (0,2 mg) von 
Strychnin und über die tödtliche hinausgehemle von Chloral, 
Alkohol, Aconitin, Paraldehyd, Coffein und Urethan injizirt hatte, 
während er Misserfolge bei anderen Giften, so dem Morphium, 
dem Curare, dem Nitrobenzol, dem Hypnon, dem Nikotin hatte. 

Solche Resultate, welche zeigen, dass man den Organismus 
bis zu einem gewissen Grade von verschiedenen Giften, darunter 
einigen vegetabilischen Alkaloideu, mittels der Auswaschung zu 
befreien vermag, erwecken beim ersten Anblick die Hoffnung, 
dass sich ein Gleiches auch für die toxischen Produkte der im 
Blute circulirenden Bakterien erzielen lasse. Beobachtet man 
die Infektion des Tetanusbacillus, so sieht man, wie diese sich 
unter krampfartigen Erscheinungen abwickelt, die denen analog 
sind, welche die Vergiftung mit Strychnin hervorbringt, für 
welches Gift aber Sanquirico positive Resultate erzielt 
hatte. 

Ich darf jedoch nicht verschweigen, dass ich bei dem Ver¬ 
suche, Kaninchen zu retten, die mit diesem Gift in der Dosis 
von 0,2 mg für jedes Kilogramm des Körpergewichtes behandelt 
waren, hingegen negative Resultate erzielt habe, die sich durch 
den von mir abweichend gewählten Einführungsweg der Aus¬ 
waschungsflüssigkeit erklären lassen, da ich dieselbe statt durch 
die Jugularis durch die Peritonealhöhle einführte. Trotzdem 
habe ich die durch die positiven Resultate Sanquirico’s 
genährte Hoffnung nicht verloren und wollte versuchen, ob es 
möglich sei, auch für das Tetanusgift zu einem gleichen Re¬ 
sultate zu gelangen. Diese Idee findet auch in der ärztlichen 
i Praxis ihre Stütze bei verschiedenen Fällen mit glücklichem Aus- 
; gange von verschiedenen Infektionskrankheiten, welche mit der 
Auswaschung des Organismus behandelt wurden. 

In der That, um nur die Neueren zu citiron, gebraucht«' 
Doctor R. G o m e z [4] in einem schweren Falle von Tetanie 
die Auswaschung des Organismus mit glücklichem Ergebniae, 
indem er einem Knaben von 7 Jahren täglich 260 g physio¬ 
logischer Na Cl-Lösung zu 0,76 Proc. unter die Haut des 

2 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41 


1602 


Rückens injizirte. Die Infektion wurde vom Autor der Intoxi¬ 
kation mit dem P f e i f f e risehen Bacillus zugeschrieben, welche, 
als direktes Ergebniss, tetanisehe Muskelkonvulsionen hervor¬ 
gebracht hatte, die in jeder Beziehung den vom Tetanustoxin 
hervorgebrachten ähnelten. Letzteres wurde jedoch durch den 
absoluten Mangel an sichtbaren kutanen Laesionen (die jedoch 
in einigen Fällen von Tetanus, so bei visceraler Infektion, nicht 
nothig sind) und von der Modalität der Aufeinanderfolge der 
die verschiedenen Muskelgruppen betreffenden Phänomene aus¬ 
geschlossen. 

Lasletta [5] hat die Behandlung mit Salzinjektionen 
in schweren Diphtheritisfällen versucht, wenn die Antitoxin¬ 
behandlung keine Resultate mehr ergibt und also die Herzkräfte 
nachzulassen beginnen, und es scheint, als habe er die befriedi¬ 
gendsten Resultate erhalten. 

Bose [6] erhielt, indem er in das Unterhautbindegewebe 
von Typhuskranken 800—1000 ccm künstlichen Serums injizirte, 
in der Anfangszeit nicht nur einige Reaktionsphänomene: 
Schweissausbruch, ausgiebige Urinabsonderung, Erbrechen und 
später Sinken der Temperatur, Diurese, Vermehrung des arteri¬ 
ellen Druckes, sondern er konnte auch beobachten, dass dem 
künstlichen Serum in den Fällen von Enterorrhagien eine be- 
merkenswerthe haemostatische Aktion zukommt. 

B ayla c [7], welcher bemerkte, dass beim Typhus die endo- 
venösen und subkutanen Injektionen künstlichen Serums un¬ 
bequem sind und bei einer Krankheit von langer Dauer nicht 
lange genug gebraucht werden können, wendete mit glücklichem 
Ausgange in Fällen von Typhus die Einführung von künstlichem 
Serum auf intestinalem Wege an. 

Diese Fälle haben C o i 11 a n d [8] zur Anregung gedient, 
welcher berichtet, die Heilung in einem Falle von Tetanus 
mittels Vereinigung der Hypodermoklyse mit der Blutegelkur 
erzielt zu haben. 

Schon einige Monate vor der Veröffentlichung der Note 
C o i 11 a n d’s hatte ich im Laboratorium dieses Institutes den 
bezeichnetcn Versuch im Thierexperiment durchgeführt. 

Bevor ich mich zu ilim anschickte, habe ich erwägen müssen: 

1. Dass aus den Studien von Vaillard, Fermi und 
P a r n o s s i, sowie vielen Anderen, klar hervoi’geht, wie die 
Natur des tetanischen Toxins sich absolut von derjenigen des 
Strychnins und anderer stabiler Alkaloide unterscheidet. 

2. Dass die stabilen Alkaloide auf den Organismus sofort 
nach ihrem Eindringen in den Kreislauf, und wenn sie sich in 
wägbarer Dosis darin befinden, wirken, während das Tetanusgift 
nach seinem Eindringen in den Organismus zur Ausübung seiner 
Wirksamkeit des Ablaufes einer gewissen Zeit bedarf, welche 
in keinem direkten Verhältnis zur Menge des eingeführten 
Giftes steht, sondern vielmehr von nicht genügend klargelegten 
Umständen abhängt. 

3. Dass das Gift des Tetanus seine Wirkung ausübt, indem 
es in den Zellen der Nervencentren bestimmte anatomische 
Alterationen herbeiführt und sich in ihnen festsetzt (B o n o m e 
[10]). Ausserdem würde das tetanisehe Toxin nur wirksam sein, 
insofern es in den Zellen der Nervencentren eine antagonistische 
Substanz anträfe, mit der es, sich vereinigend, das Virus tetani- 
cum (Blumen thal [11]) schüfe. Und daher würden sich die 
tetanischen Phänomene nur manifestiren, wenn bereits die 
Laesionen der nervösen Centren ihren Anfang genommen haben. 

4. Dass der Urin der Tetanischen das Tetanusgift enthält, 
wie auch der Speichel, die Nieren-, Leber- und Milzflüssigkeit, 
sowie das Blut dasselbe enthalten, während man es in den ner¬ 
vösen Centren nicht antrifft. 

V ersuchsanordnung: Wegen der Eigenart meiner 
Untersuchungen hätte ich darauf hinzielen sollen, die tetanisehe 
Infektion in einer Weise hervorzubringen, welche mich so viel 
wie möglich den natürlichen Bedingungen näherte. Dies gelingt 
nach Angabe der Autoren mit der Einführung von Sporen, die 
toxinfrei sind. K i t a s a t o und Knorr haben zur Erlangung 
dieses Zweckes angerathen, sterilisirte Holzsplitter in einer mehr¬ 
tägigen Tetanuskultur zu tränken, in welcher sich zahlreiche 
Sporen finden, und nachdem man sie eine Stunde lang 80 0 aus¬ 
gesetzt hat, um das Toxin zu zerstören und die bacillären Formen 
abzutödten, sie unter die Haut der Thiere zu bringen. Es ist 
naturgemäss, dass sich mit dieser Methode für den Tetanus das 
wiederholt, was sich in Natur ereignet, das heisst also, dass 
Sporen, die toxinfrei sind, in den Organismus eindringen und 


in Gemeinschaft mit einem Körper wirken, der die Gewebe ver¬ 
letzt. Jedoch haben die Autoren, welche diese Methode in die 
Praxis einführten, gesehen, dass das Experiment nicht immer so 
gelang, wie man hätte glauben dürfen, d. h. nicht in allen 
Thieren, welche derart operirt werden, entwickelte sich die In¬ 
fektion und in den anderen verläuft sie mit einer solchen Varie¬ 
tät von Phänomenen, dass sie den Experimentator in Zweifel über 
die Resultate setzt, wenn er sich anschickt, die Wirkung einer 
antagonistischen oder kurativen Substanz auf den Tetanus zu 
studiren. Wie den Anderen, so ist auch mir ein solcher Versuch 
wenig befriedigend abgelaufen, da von den 12 Kaninchen, denen 
ich den Tetanus mit dieser Methode beizubringen versucht hatte, 
nur 8 nach einigen Tagen charakteristische Symptome und vou 
verschiedener Intensität aufwiesen, während 6 ohne jedwedes 
Symptom überlebten. 

Desshalb habe ich zu Methoden greifen müssen, die, wenn 
sie mich zwar zum Unterschiede von den Verfahren von Knorr 
und Kitasato ein wenig von den gewöhnlichen und natür¬ 
lichen Bedingungen entfernten, mir doch in den Thieren den 
Effekt erbrachten, den ich mir erwartete, d. h. die beständige 
Entwicklung der charakteristischen Symptome. Um jedoch 
keinen Zweifel über das Resultat meiner Untersuchungen in 
Bezug zur Art der Entwicklung der Infektion zu haben, unter¬ 
nahm ich es, die verschiedenen bisher gebräuchlichen Experi¬ 
mentalmethoden des Tetanus in Anwendung zu bringen und sie 
alle der Probe zu unterstellen. 

So begann ich mit Inokulation der Reinkultur, der ich dann 
in der Folge dieselbe in Mischung mit Kulturen von Prodigiosus 
anreihte, der, wie schon andererorten gezeigt wurde, unter den 
Mikroorganismen, welche die Tetanusinfektion begünstigen, 
einer der thätigsten ist. 

Aus neueren Arbeiten ist es bekannt, dass Tetanusbacillus 
wie Tetanustoxin bei den geimpften Thieren die gleichen Phä¬ 
nomene ergeben, und desshalb habe ich es nicht unterlassen, die 
mit dem aus Bouillon- und Gelatinekulturen durch Filtration 
gewonnenen Toxin inokulirten Thiere einer Probe zu unter¬ 
stellen. 

Schliesslich gebrauchte ich, da mir bekannt war, dass die 
Virulenz der Kulturen je nach dem Nährsubstrat variirt, zum 
Experiment Kulturen, die in den verschiedenen, in unseren 
Laboratorien gebräuchlichen Substraten gewonnen waren. 

Die von mir gebrauchte Tetanuskultur war aus dem Erd¬ 
boden der Medicinschule isolirt worden und nach der Entwick¬ 
lung in Bouillon unter Hydrogen bei 37° durch 3 Tage war 
dieselbe im Stande, ein Kaninchen von 1,500 kg Gewicht in 
4 Tagen und ein Meerschweinchen im Gewicht von 450 g in 
2 Tagen in der Dosis von 0,50 ccm zu tödten. 

Als Versuchthier musste ich, entsprechend der Eigenart 
meiner Experimente, das Kaninchen wählen, das durch seine 
Empfänglichkeit geeignet, auch fähig war, die Operation zu 
ertragen, der es methodisch unterworfen werden musste. 

Als die passendste und rathsamste Lösung gebrauchte ich 
eine Kochsalzlösung zu 75 Proc., in einem passenden Recipienten 
Vs Stunde lang bei 112° sterilisirt, um vor äusseren Verunreini¬ 
gungen bis zum Eindringen in den Körper des Thieree geschützt 
zu sein. 

Der von mir gewählte Injektionsweg war der peritoneale, 
da der täglichen Wiederholung der Operation wegen die venöse 
Injektion und wegen des Volumens der injizirten Flüssigkeit, 
die etliche Male im Laufe des Tages 10 Proc. des Körper¬ 
gewichtes übersteigen konnte, die subkutane Injektion nicht an¬ 
ging. Ausserdem war es für die besondere Vergiftung, die ich 
hervorbrachte, nicht nöthig, dass sich die Aufnahme der Flüssig¬ 
keit zur Auswaschung in’s Blut in stürmischer Weise vollziehe. 

Dieser Weg bringt die Gefahr mit sich, einige Thiere durch 
Infektion des Peritoneums zu verlieren, wesshalb ich alle von der 
Wissenschaft angerathenen Kautelen der Asepsis angewandt 
habe; so sah ich denn nur in zwei der für das Experiment zur 
Verwendung gekommenen Kaninchen bemerkenswerthe Zeichen 
von Infektion des Peritoneums bei der Autopsie. 

(Tabelle siehe nädhste Seite.) 

Die Inokulation von Kultur oder Toxin wurde im Unter¬ 
hautbindegewebe der äusseren Region des linken Schenkels der 
Kaninchen vorgenommen, die Injektion des künstlichen Serums 
durch den linken unteren Quadranten der Bauchwand. 

Mit dieser Methode habe ich verschiedene Serien inokulirt, 
die ich untereinander nach der Menge des injizirten Virus, sowie 


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8. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET. 


1603 


Nummer der Serie 

Datum 

des Experiment« 

Injizirtes Virus 

Zahl 

der 

Thiere 

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11 § 
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Methode 

der Auswaschung 

Zwischenzeit 
bis zum Ersch. 
der Symptome 
an den Thieren 

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Lebenstage 
und Stunden der 
Thiere 

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'Ö * D Uf 

Beobachtungen 

I 

14.2. 

1900 

0,5 ccm Tetanuskultur in 
Bouillon von 5 Tagen zu 
37° 4 Theilen. Id. id. id. 
von Prodigiosus B., 1 Th. 

7 

5 

Tägliche endoperitoneale 
Injektion von 150 ccm 
in 3 Malen. 

8 St. 

8 St. 

3—4 Tage 

4 Tage 


II 

23.2. 

1900 

Wie vorstehend. 

8 

4 

Tägliche endoperitoneale 
Injektion von 60 ccm. 

10 St. 

10 St. 

3—5 Tage 
1 über¬ 
lebend 

3—5 Tage 

Das überlebende Thier zeigt 
Lähmung der Glieder und stirbt 
nach einiger Zeit an Kachexie. 

III 

7.3. 

1900 

0,5 ccm von Bouillon¬ 
kultur von 10 Tagen. 

8 

3 

Täglich Injektion von 

90 ccm in 3 mal 

4 Tage 

3 Tage 

3—4 Tage 
1 über¬ 
lebend 

3 — 6 Tage 
1 über¬ 
lebend 

Die Symptome erschein, schneller 
in 4 Kaninchen, denen die Aus¬ 
waschung vor dem Erscheinen 
der Symptome zutheil wurde. 

IV 

23.3. 

1900 

0,5 ccm v. Bouillonkultur- 
filtrat von 20 Tagen. 

1 

1 

Injektion von 100 ccm 
in 3 mal pro Tag 

4 Tage 

8 Tage 

20 Tage 

überlebt 
lange Zeit 


V 

26.3. 

1900 

0,6 ccm Bouillonkultur 
von 2 Tagen 

2 

1 

Injektion von 30 ccm 
täglich. 

48 St. 

48 St. 

7 Tage 

1 überleb. 

6 Tage 

Die Symptome fehlen im 
überlebenden Thiere 

VI 

12.5. 

1900 

0,5 ccm filtrirte Gelatine¬ 
kultur von 20 Tagen. 

2 

1 

Id. id. 

48 St. 

48 St. 

2 Tage 
l überleb. 

3 Tage 

Id. 

VII 

9.4. 

1900 

0,5 ccm filtrirte Bouillon¬ 
kultur von 20 Tagen. 

2 

1 

Id. vor dem Erscheinen 
der Symptome. 

60 St. 

48 St. 

7-12 Tg. 

1 überleb. 

3-4 Tage 

1 überleb. 


VIII 

19.5. 

1900 

Injektion von Stückchen 
Agarkult. (Liborius) v. 3 Tg. 

4 

3 

Id. nach dem Erscheinen 
der Symptome. 

48 St. 

48 St. 

7—12 Tg. 
1 überleb. 

3—4 Tage 


IX 

10.6. 

1900 

Id. id. 

3 

2 

Id. nach dem Erscheinen 
der Symptome. 

48 St. 

48 St. 8-9 Tage 
il überleb. 

6 Tage 


X 

198. 

1900 

Injektion von mit Sporen 
getränkten u. von toxin¬ 
freien Holzsplittern. 

6 

6 

Id. id. 

10 Tg. 

10 Tg. 

12 Tage 
im Durch¬ 
schnitt 

16 Tage 
im Durch¬ 
schnitt 

2 der d. Auswaschung unferworf. 
and 2 der Kontrol - Kaninchen 
boten keine Symptome dar. Die 
andern hatten eine nach Inten¬ 
sität verschied. Symptomatologie. 


der Art, in der die Auswaschung vorgenommen wurde, unter¬ 
schied, und ich habe die Resultate in der Tabelle auf der vor¬ 
stehenden Seite zusammengestellt. 

Schlussfolgerungen: 1. Man kann nicht auf 
absolut günstigen Ausgang der Tetanusinfektion bei Anwendung 
der Auswaschung des Organismus durch physiologische Koch¬ 
salzlösung auf peritonealem Wege hoffen. 

2. Auch diese Versuche zeigen, dass das Virus des Tetanus 
nicht kreisend im Organismus wirkt, sondern indem es sich an 
die Gewebselemente anhaftet. 

3. Wenn das Eindringen des Toxins in den Organismus 
nicht auf stürmische Weise vor sich geht, verzögert die Aus¬ 
waschung mit künstlichem Serum das Erscheinen der tetanischen 
Symptome und um einige Tage den Tod (Versuch VII, VIII, 
IX); es darf daher dieses Verfahren nicht völlig verlassen werden 
und man kann vielleicht zu ihm seine Zuflucht nehmen in Fällen, 
wo die Serumtherapie nicht sofort eintreten kann. 

Literatur: 

1. Moschowltz: Studies from the Departement of the 
Pathology. Columbia vol. VII, 1900. — 2. Sch wartz: Mercredi 
mßdical, 1893. — 3. Snnquirlco: Archivlo per le sclenzc 
mediche, vol. VI, 1887. — 4. G o m e z: Riforma medlca, vol. I, 1900. 
— 5. Lasletta: The Lancet, num. 4025, 20 ottobre 1900. — 
0. Bose: Congrt's international de mfdeciue, Parigl, 2-9 agosto 
1900. Siehe Riforma Medlca, vol. IV. 1900. — 7. Bayla c: Bulletin 
g6n6r. de Tlierapeutique, 30 sett. 1900. — 8. Coilland: Annali 

d'Igiene speiimentale, vol. IV, num. 8, 1894_9. Fermi e Par- 

n o s s 1: Riforma Medlca, vol. IV, num. 44, 1900. — 10. B o n o m e: 
Archivlo per le sclenze mediche, vol. V, 1891. — 11. Blumen- 
tal: Scnmlne ni^licale, num. 9, 1898. 


Ueber die Behandlung der Fingerverletzungen mit 
besonderer Berücksichtigung der späteren Erwerbs¬ 
fähigkeit. 

Von Dr. II. G e o r g i i, Oberamtswundarzt in Rottenburg a. N. 

Jeder praktische Arzt hat heutzutage Gelegenheit, das Re¬ 
sultat der Behandlung von Verletzungen nicht bloss nach der 
wissenschaftlichen, sondern namentlich nach der praktischen 
Seite hin oft noch nach längerer Zeit zu untersuchen und zu 
begutachten. Daran ist die moderne Arbeiterschutzgesetzgebung 
schuld. Die Berufsgenossenschaften wollen weniger das kos¬ 
metische als das praktische Ergebniss der Behandlung Unfall- 
No. 41. 


verletzter wissen, und der Arzt hat demnach in erster Linie eine 
etwaige funktionelle Störung als Unfallfolge festzustellen und 
auf Grund seiner Untersuchung den Grad der dadurch ent¬ 
standenen Erwerbsunfähigkeit abzuschätzen. Bei keiner Art 
von Verletzungen hängt nun der Grad der späteren Erwerbs¬ 
unfähigkeit so sehr von der eingeschlagcnen Behandlung ab, wie 
bei den Fingcrverletzungen; sie bildet daher eines der inter¬ 
essantesten und bedeutsamsten Kapitel in der Unfallheilkunde. 
Für den praktischen Arzt ist aber die Frage der Behandlung 
von Fingerverletzungen von erhöhter Wichtigkeit, weil sie als 
ein Artikel der kleinen Chirurgie zum allergrössten Theil in 
seine unmittelbare Behandlung gelangen und das spätere Schick¬ 
sal der meisten derartig Verletzten hinsichtlich der Beschwerden 
und der Arbeitsfähigkeit somit in seine Hand gelegt ist. 

Wie häufig kommt cs dem Land- oder Kassenarzt vor, dass 
Patienten zu ihm gebracht werden mit gegipfeiten oder quer ab¬ 
getrennten Fingern, mit Verstümmelung der Fingerspitzen bis 
herauf zum Grundglied, oft hängt die zerquetschte Haut in 
Fetzen herunter und häufig ragen die knöchernen Endglieder 
zwischen den Blutklumpen hervor! Die Behandlung derartiger 
Verletzungen geschieht sowohl bei vielen Aerzten als auch seitens 
nicht unbedeutender Spezialisten meistens noch nach den Grund¬ 
sätzen des streng konservativen Verfahrens: gerade bei den 
Fingcrverletzungen dürfe man ja nichts kürzen, selbst wenn die 
Knochenenden frei zu Tage treten, die mit der Zeit cintretende 
Narbenschrumpfung werde die retrahirte Haut wieder über den 
Stumpf heranziehen u. dgl. m. 

Ledderhoso 1 ) war der Erste, welcher auf Grund reicher 
Erfahrungen, Beobachtungen und Untersuchungen seine Stimme 
erhoben hat gegen diesen übertriebenen Konservativismus bei 
der Behandlung von Fingerverletzten, die ja meist der arbeiten¬ 
den Klasse angehörig, durch dieses Verfaliren gerade in ihren 
sozialen Verhältnissen mehr geschädigt als gefördert würden, und 
zwar hat dieser Autor den Nachweis geliefert, dass die in funk¬ 
tioneller Richtung so schlimmen Unfallfolgen nach Fingorver- 
letzungcn in den meisten Fällen dieser erhaltenden Behandlungs¬ 
methode zur Last zu logen seien. Er hat die Lehre von der 
„Glanzhaut nach Fingcrverletzungen“ aufgestollt und seine An¬ 
sichten in der erwähnten Monographie in einer nach jeder Ilin- 

l ) Ueber Folgen und Behandlung von ■ Fingcrverletzungen. 
1895. Leipzig, Breitkopf & Härte 1. 

3 


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1604 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


sicht vortrefflichen und erschöpfenden Weise niedergelegt. Wer 
sich des Näheren über Begriff, Wesen, verschiedene Formen, 
pathologische Anatomie und Histologie, Prognose und Prophy¬ 
laxe dieser Art von Glanzhaut unterrichten will, dem sei die 
Lektüre derselben dringend empfohlen. 

Das praktisch Wichtige der Untersuchungen und Schluss¬ 
folgerungen Ledderhose’s muss aber hier Erwähnung finden, 
weil damit die Begründung und das Fundament zu einem zwar 
unter Umständen weniger konservativen Behandlungsverfahren 
gegeben werden, einem Verfahren aber, dessen funktionelle End¬ 
resultate weit über den bisherigen Erfolgen der Behandlung 
stehen. Der erhaltenden Methode hängen bezüglich der ver¬ 
stümmelnden Verletzungen folgende Hauptfehler an: die prima 
intentio ist ausgeschlossen und desswegen die Gefahr langdauern¬ 
der Entzündungen und Eiterungen gross, diese führen zu Gelenk- 
steifigkeiton, adhaerenten, bei jeder Berührung sehr schmerz¬ 
haften Knochennarben au den Fingerspitzen und -Stümpfen und 
im weiteren Verlauf der Zeit zur Ausbildung der Glanzhaut. 
Sie ist die Folge chronischer Circulationsstörungen, die während 
des langsamen Heilverlaufs sich entwickeln, indem beispielsweise 
bei freiliegendem Knochenende nach querer Abtrennung eines 
Fingertheils von den benachbarten Hauträndem her üusserst 
zögernd die Vernarbung erfolgt, dabei besteht eine fortwährende 
Spannung an den Hauträndem, die zu Gefässveränderungen 
führt und dadurch diese Ernährungsstörung der Haut bedingt. 
Die Glanzliaut ist ganz besonders an den Fingerspitzen ausge¬ 
prägt, zeigt eine glatte und glänzende Beschaffenheit, eine rosa- 
bi9 blaurothe Farbe, sie ist derb und gespannt und auffallend 
empfindlich gegen Abkühlung (kühle Witterung), Lädirungen 
aller Art; zugleich leidet die Beweglichkeit der Finger Noth. 

Dieser Zustand kann nun Jahre lang dauern und wegen der 
genannten Beschwerden die damit behafteten Individuen ganz 
bedeutend im Erwerb schädigen. Solche Unfallreconvalescenten 
sind auch in der That ein grosses Kreuz für die Berufsgenossen- 
schaften. Die Verhütung dieser schwerwiegenden Folgen der Be¬ 
handlung liegt in der Sorge für einen unkomplizirten Wundheil¬ 
verlauf, der eine rasche Heilung ermöglicht. Beides ist aber nur 
möglich, wenn von Anfang an für eine genügende gutbewegliche 
Bedeckung der freiliegenden Knochen bezw. Knochenstümpfe 
gesorgt wird und zwar mit reichlicher normaler Haut (Cutis und 
subkutanes Gewebe) unter Vermeidung auch nur der geringsten 
Spannung oder mit anderen Worten: Es muss ohne Rücksicht 
auf die Länge des Fingers soviel vou dem freiliegenden Knochen 
weggenommen werden, bis diese allein zweckmässige Bedeckung 
des Stumpfes vollkommen erreicht ist. Jeglicher Zug an den 
Hauträndem fällt dann weg; die Gofässvorbindungen zwischen 
den Wundrändern gehen anstandslos vor sich und damit ist auch 
die Ursache für adhaerente Knochennarben und die Glanzhaut 
mit all’ ihren funktionellen Nachtheilen und Störungen beseitigt. 

Es ist selbstverständlich klar, dass nun nicht jeder ge¬ 
quetschte Fingergipfel einfach resecirt werden soll, es muss hier 
unter Berücksichtigung der neuen von Le d der li ose geltend 
gemachten Gesichtspunkte ebenso streng von Fall zu Fall ent¬ 
schieden werden, wie sonst in der Mediein. 

ln einer Reihe von Fällen habe ich in den letzten Jahren 
Gelegenheit gehabt, das Resultat von mir behandelter Fingor- 
verletzungen zu koutroliren, und möchte jetzt auch vom Stand¬ 
punkt des praktischen Arztes aus im Allgemeinen über meine 
Erfahrungen berichten. Zunächst muss betont werden, dass es 
bei den ersten Fällen immer langen Zuredens bedurfte, um die 
Erlaubnis« von den Leuten mit verstümmelnden Verletzungen 
zu einem weiteren verstümmelnden Eingriff in der besprochenen 
Absicht zu erhalten; später ging cs unter Hinweis auf früher be¬ 
handelte Fälle leichter. Gestehen muss ich, «lass cs mir selber in 
eigener Praxis mit eigener Verantwortung Anfangs schwer fiel, 
entgegen den beim klinisch-theoretischen Unterricht auf der 
Hochschule erhaltenen rein konservativen Weisungen, die auch 
heute noch den meisten Aerzten zur Richtschnur ihres Handelns 
dienen, zu verfahren; allein je mehr ich mich mit der Zeit auf 
den mir wohlbekannten Standpunkt Ledderhose’s stellte, 
um so dankbarer war das funktionelle Ergebnis«. Ich habe in 
all’ den Fällen, in welchcu eine Kürzung des Knochens noth- 
wendig erschien, primär resecirt; aber gerade Anfangs immer 
noch iin Banne der eingeschärften konservativen Vorschriften: 
Mehrmals habe ich zu wenig von dem freistehenden Knochen ge¬ 


opfert, die Lappen aus normaler Haut fielen zu kurz aus, was 
nach einigen Tagen das Platzen der Naht und weiterhin einen 
langweiligen Heilverlauf zur Folge hatte; auch das Endresultat 
war hiebei nicht ganz so, wie man es gerne gehabt hätte; es 
kam zur Bildung kleinster angewachsener Narben auf des 
Stumpfes Höhe, die, so unscheinbar sie für das Auge waren, die 
Unfallverletzten bei Berührungen, Anstossen u. s. w. in recht 
schmerzhafter Weise an ihr Dasein erinnerten und die Ge¬ 
währung einer Unfallrente für mehrere Jahre rechtfertigen. 
Ganz besonders erinnere ich mich einer Daumengipfelung, wobei 
das Endglied in der Mitte abgetpietscht wurde; aus lauter Re¬ 
spekt vor dem Daumen wagte ich nicht, was in diesem Fall das 
Richtige gewesen wäre, den Rest der Phalange zu entfernen, 
sondern nahm nur so viel weg, dass die Hautränder mittels 
einiger Nähte eben über dem Knochen zusammen gezogen werden 
konnten: die Naht platzte und heute, nach mehr als 4 Jahren, 
hat der Verletzte eine kleine Knochennarbe auf der Volarseite 
des verstümmelten Endgliedes, die beim Fassen von Werkzeugen 
noch sehr hinderlich ist; die Exartikulation des kleinen Knochen¬ 
restes hätte vollständig hingereicht zur bequemen Bedeckung des 
Stumpfes mit normaler Haut ohne alle Spannung, und selbst 
der Daumen dieses Taglöhners wäre trotz der weiteren Ver¬ 
kürzung um nicht einmal einen halben Centimeter gebrauchs¬ 
fähiger, als er es jetzt ist. Je mehr man sich auf Grund 
eigener Erlebnisse zur sofortigen ausreichenden Verkürzung des 
Knochens in den einschlägigen Fällen gewöhnt, um 90 besser 
fallen die Endresultate aus; dieses gilt namentlich für die. Fälle, 
bei welchen das Endglied überhaupt nicht mehr in Befracht 
kommt. Bezüglich der Verletzungen des Endgliedes kommt es 
darauf an, ob nur die Fingerkuppe ohne Knochenverletzung 
fehlt oder ob der Knochen selbst querdurchtrennt ist; im ersteren 
Fall ist das Zuwarten das Richtige, weil hier die Ueberhäutung 
ohne Zug und Spannung von allen Seiten, gleichmässig und 
rasch erfolgt und sekundäre Infektionen unter geeigneter Be¬ 
handlung sich viel leichter fern halten lassen als bei grösseren 
Hautdefekten mit offenen Knochenwunden. Im letzteren Fall 
wird unter Rücksichtnahme auf alle in Betracht kommenden 
Momente in den meisten Fällen die primäre aktive Therapie 
den Vorzug vor jeder anderen erhalten müssen. 

Das Resultat meiner eigenen, ganz im Sinne Ledder- 
hose’s behandelten Fälle war bei glattem Verlauf steta das 
gewünschte: gut verschiebliche Bedeckung des Stumpfes mit 
normaler Haut, keine adhaerenten Narben und damit keine oder 
nur unerhebliche Funktionsstörungen. 

Beim Zutritt von Wundkrankheiten war die Heilung ver¬ 
zögert; aber in keinem Falle kam es zur Ausbildung der mit 
Recht so gefürchteten Glanzhaut, die so oft eintritt bei aus¬ 
schliesslich konservativer Behandlung; ich glaube das relativ 
günstig«.! Ergebnis« bei s<‘kundärer Verheilung der operativ ge¬ 
bildeten Lappen nur dom Fehlen von Zug und Spannung an den 
Hauträndem zuschreiben zu dürfen, was ohne Verkürzung des 
Knochens unausbleiblich ist. 

In technischer Hinsicht ist noch bemerkenswerth bezüglich 
der Methode der Sturapfbcdeckung bei Resektionen und Exarti¬ 
kulationen au den Mittel- und Endgliedern der Finger, dass die 
Bildung eines grösseren volaren unil eines kleineren dorsalen 
Lappens praktischer ist, als die sonst übliche Bedeckung mit 
nur einem volaren Lappen, weil dann die Narbe ganz ausserhalb 
des Bereichs <h*s Knoehenondes kommt und keine Adhaerenz zu 
befürcht «in ist (L e d «1 e r h o s e). 

Von ganz besonderer Bedeutung gerade für den praktischen 
Arzt, der nicht selten aus Mangel an geeigneter Assistenz zur 
Narkose «iinen nothwendigon primären Eingriff unterlässt, ist 
«las so einfache S c h 1 e i c lx’sche Verfahren zur Herstellung 
d«*r örtlichen Unempfindlichkeit. Damit fällt für den allein¬ 
stehenden Arzt das Ilaupthindemiss, «lie allgemeine Narkose, 
weg; Assistenz ist absolut überflüssig und jeder irgendwie an¬ 
gezeigte operative Eingriff kann schmerzlos mit voller Ruhe und 
Sorgfalt und bei nicht ängstlichen Leuten leicht unter deren 
eigener Beihilfe vorgenommen werden. In allen auch sonst von 
mir vorgenommenen Fingeroperationen habe ich dieses Verfahren 
angewan«lt um! zwar zur grössten Verwunderung meiner Pa¬ 
tienten, wirklich ohne den geringsten Schmerz zu erzeugen! Je 
nach Lage des Falles habe ich theils örtlich, theils nach Oberst 
die Analgesie hergt-stellt und kann an der Hand zahlreicher Fälle 


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8. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1605 


mit Freude- bestätigen, was Ledde rhose schon 1895 be¬ 
hauptet hat, dass die Lokalanaesthesie mit Cooainlösungen — 1 
auch den heutigen sehr schwachen Schleie h’schon — dazu 
berufen ist, nicht- nur alle an den Fingern angezeigten länger 
dauernden Operationen vollkommen schmerzlos zu gestalten, 
sondern auch, was noch bedeutungsvoller ist, dem praktischen 
Arzt- sowohl, wie dom Patienten den Entschluss zur sofortigen 
Operation zu erleichtern, um so letztere vor langwierigen 
Heilungsprocessen und Funktionsstörungen zu bewahren. 

Bezüglich der Behandlung der ausgebildeten Glanzhaut mit 
ihren Beschwerden gelten die gleichen Grundsätze, wie sie oben 
erwähnt wurden: Entfernung der krankhaften und mangelhaft 
ernährten Haut und Narben und genügende Befleckung der 
Stümpfe mit normaler Haut. Die funktionellen Resultate sind 
auch hier trotz Kürzung der Finger sehr gute, wovon ich mich 
während meiner Assisteutenzeit am früheren Reconvalescenten 1 
haus für Unfallverletzte zu Strassburg i. E. — jetzt Unfall¬ 
krankenhaus — durch Beobachtung einer Anzahl von Fällen 
vollauf überzeugen konnte. 

Für die Berufsgenossenschaften ist die Kenntnis« dieser von 
Ledderhose aufgodccktcn und wissenschaftlich klargesteilten 
Tliatsachen ebenfalls von Bedeutung; denn es wird ihre Sache 
sein, nicht sowohl im eigenen finanziellen Interesse, sondern ganz 
besonders im Interesse der Unfallverletzten, für sofortigo richtige 
Behandlung Sorge zu tragen, um dieselben vor Nachtheilen 
.sozialer Natur: Funktionsstörungen und damit verbundener 
langdauernder verminderter Erwerbsfähigkeit bei Zeiten zu 
schützen. 


Anomalien des Nasenrachenraums, erläutert an zwei 
Fällen von Naseneiterung mit sogen. Reffexneurosen.*) 

Von Sauitätsrath Dr. C. II o p in a n n in Köln. 

Dio Zeit liegt schon ziemlich fern — es war Anfangs der 
achtziger Jahre — als das Gebiet der von der Nascnschleimhaut 
ausgehenden reflektorischen Störungen ungemein ausgedehnt 
wurde. Heutzutage ist man vielleicht in das entgegengesetzte 
Extrem verfallen, indem man geneigt ist, bei Naseneiterung bei¬ 
spielsweise vorkommende Kopf- und Gesichtsneuralgien an erster 
Stelle auf eine Sinuitis, krampfhafte Hustenanfälle auf die in 
den Kehlkopf herabfliessenden Sekrete zu beziehen. 

Es scheint mir darum angebracht, wieder einmal darauf hin¬ 
zuweisen, dass auch vorwaltend reflektorische Störungen 
in V e r b i n d ung mit Naseneiterung Vorkommen. Ich 
führe um so lieber 2 Beispiele solcher an, als dieselben ausser¬ 
dem angeborene Anomalien des Nasenrachen¬ 
raums bezw. des Nasenskelets darbieten, welche, in 
«lern ersten Falle durch Verkürzung, in dem zweiten durch Ver¬ 
engerung der Nasenhöhlen ihrerseits zu einem unregelmässigen 
Verlauf der Eiterung beizutragen im Stande waren. 

Der erste Fall betrifft einen 33 jiilirlgeu Schlosser, welcher 
seit 2 Jahren fast Jeden Sonntag, während der letzten Monate auch 
noch ein- bis zweimal ln der Woche, den ganzen Vormittag hin¬ 
durch, vom Erwachen an, durch Druck und Schmerz über den 
Augen, fast immer nur rechterseits, durch Schwindel, Mücken- 
seheu, Augenflimmem, üebelkeit, zuweilen auch Erbrechen zu¬ 
nehmend geplagt wurde. Die Migräne steigerte sich ln letzter Zelt 
bis zur Lichtscheu, Thränenträufelu und Blepharospasmus rechts. 

Obgleich schon jahrelang vor Auftreten der hemikranischen 
Anfälle Eiterung der Nase und feste Sekretmassen im Nasen¬ 
rachenräume dem Kranken zeitweise die nasale Respiration sehr 
erschwerten und desslinlb bei dein langen Bestände der Eiterung 
die Lokalisation der Schmerzen über dem rechten Auge von vorn¬ 
herein den Verdacht auf Mitbetheiligung des Sinus front, dext. an 
der Eiterung lenkte, so gab die Durchleuchtung nicht den min¬ 
desten Anhaltspunkt für diese Annahme. Im Gegentheil bewies 
das ungewöhnlich helle und gleichmässige Aufleuchten aller 
Höhlen ein zart gebautes Gesichtsskelet, bei welchem Sekret¬ 
stauungen otler lokale Schleimhautverdickuug wohl nicht vor¬ 
ig» rgen geblieben wären. 

Nachdem durch Mulleinlagen die eingedickten nasalen und 
pharyngealen Sekrete verflüssigt waren (wobei die Einlagen foetld- 
eltrig durchtränkt wurden), fand ich die Schleimhaut dev Nase 
und des Nasenrachenraumes trocken und entzündlich gerötbet. 
wie gewöhnlich bei Rhlnopharyngitis sicca puruleuta; die unteren 
Musebein zeigten sich nicht unerheblich atrophlrt; die mittlere 
linke Muschel hypertrophlrt. Die untere Nase Ist, wie Sie an dem 
hier anwesenden Manne sehen, schmal, doch gnt entwickelt. 


*) Vortrag; gehalten in der Vereinig. Westdeutsch. Ilnls- und 
Ohrenärete, VII. Sitzung. Köln, 21. April 1901. 


Untersucht man den Nasenrachenraum, so findet man die 
Tubenwülste weit näher bei einander als normal, was eine seit¬ 
liche Verengerung des oberen Rachenraumes bedeutet. Ferner 
lindet inan die hinteren Enden der mittleren 
M u s c li ein — bei der unteren ist das wegen der Atrophie 
weniger deutlich — frei ln den Nasenrachenraum 
hineinragend (ohne dass es sich um polypoide Hyperplasien 
der hinteren Muschelenden handelt) und ferner den hinteren 
Vomerrand nach vorn verschoben. Das entspricht einer Ver¬ 
längerung des Nasenrachenraums. Dieselbe ist erheblich, wie 
Sie sehen werden. Nimmt man nämlich in der früher von mir an¬ 
gegebenen Weise die Septummaasse mit Hilfe dieses Messstäbcbeus 
auf, so ergibt sich eine ganz erhebliche Verkürzung der Scheide¬ 
wand in der Richtung von vorn nach hinten. 

Es beträgt hier a c (Distanz Nasenspitze — hintere Rachen¬ 
wand) 110 mm, ab (Distanz Nasenspitze — hinterer Septumrand) 
78 mm, bc (Distanz hinterer Septumrand — hintere Rachenwand) 
32 mm, oder ae — 100 gesetzt, ab —71. bc = 29. 

Zum Vergleich gebe ich hier zwei Tafeln aus Braun’s Ge- 
friordurchschiiltten herum. Tafel I betrifft einen gesunden, 
21jälirigen Soldaten, bei dem die betreffenden Maasse 98:81:17 
oder, auf 100 bezogen, 82:18 sind. Tafel II ist der Durchschnitt 
eines ganz normal gebauten 23 jährigen Weibes, bei dem die 
Maasse 100:85:15 sind. Demnach ist das Septum bei unserem 
53 jährigen Schlosser 11 mm relativ kürzer, als bei dem 21jährigen 
Soldaten und 14 nun kürzer, als bei dem 25 Jährigen Weibe. 

Diese relative Septumkürzung rührt von einer Verlagerung 
des Vomers her. wie Sie sieh durch Untersuchung des Kranken 
mit dem Spiegel oder, mühelos, an diesem wohl gelungenen Ab¬ 
druck des Nasenrachenraums überzeugen können. Der hintere 
V o m e rrund ist a um der Clioanalebeu e, der er nor¬ 
maler Welse angehört, einschliesslich der Aino 
um io und au der conen vsten Stelle sogar 
um 10 ni in nach vorn verschoben. In Folge 
dessen ist die Nasenhöhle verkürzt, so dass die Muscheln mit 
ihren hinteren Enden keinen Platz mehr in ihr finden, sondern frei 
in den sehr verlängerten Nasenrachenraum hineinragen. Weiter 
zeigt Ihnen der Abdruck den Nahestand der Tubenknorpel; sie 
sind nur 10 mm von einander entfernt. Die Pllcae salplngo- 
palatinae, welche die seitliche Umrandung der Clioauen mitbilden, 
setzen sich hier ungewöhnlicher Weise nach oben hin fort und 
tiiesseti im Gewölbe bogenförmig in einander über. 8o stossen 
also die beiden Choualebenen. die nörmal in einander übergehen 
sollten, unter einem spitzen Winkel zusammen. Wie abweichend 
dieses Verhalten ist, ersehen Sie am besten durch Vergleich mit 
diesem Abdruck hier, bei dem der hintere Septumrand in der 
Chonimlebene liegt, oder auch' mit diesem anderen, bei dem er nur 
wenig aus der Choannleliene nach vorn verschoben ist Nebenbei 
mögen Sie an diesem letzteren Abdruck die Asymmetrie beider 
(’hoanen bezüglich Ihrer Weite bemerken. An diesem vierten Ab¬ 
druck hier sind die Choanen von normaler Länge und Welte; 
letztere wird nur olieu durch Vorspringen der stark entwickelten 
Tubenwülste beeinträchtigt. Zwischen beiden Wülsten sehen Sie 
einen, die Alae Vomeris verdeckenden Querwulst, welcher der 
Rachenmandel angehört (Demonstration). 

Das Verhindern der Eiudiekung oder Verborkung des Sekrets 
durch regelmässig erneute Einlagen von Mullstreifen in die Naseu- 
günge und Bestäubunc ihrer Schleimhaut mit Sozojodolon hat bet 
dem Kranken dazu geführt, dass die Migriineanfälle schwächer und 
schwächer wurden, um nach kurzer Behandlung ganz aufznhören. 
Gleichzeitig hat sieh die Nasen ei terung ganz erheblich gebessert. 
Nur einmal noch in den letzten 5 Wochen hat der Kranke 
eine Art von Migränenufall gehabt, der aber diesmal mit heftigem 
rechtsseitigen Zahnschmerz verbunden war. Dieser Anfall ging 
von einem cariöseu Zahn aus und ist nach geeigneter Behandlung 
des letzteren nicht wiedergekehrt. 

Ich will hier auf die verschiedenen Erklärungsversuche nicht 
eingehen, welche man für die Thatsache der einstweiligen 1 ) Be¬ 
seitigung der Hemikranie durch Behandlung der Nasenei terung 
beibringen kann, eine Besserung, welche um so auffälliger er¬ 
scheint, als die Migräne seit 2 Jahren fast alle 8 Tage und in den 
letzten Monaten vor der Behandlung, welche überdies während' 
eines solchen Anfalles begonnen wurde, alle paar Tage in zu¬ 
nehmender Heftigkeit auftrat. 

Heute möchte ich nur auf das Zusammentreffen der Nasen¬ 
eiterung mit angeborener Anomalie der Nase bezw. des Nasen¬ 
rachenraums hinweisen und kurz die Bedeutung des Zusammen¬ 
hanges erörtern. 

Vor mehreren Jahren 5 ) veröffentlichte ieh eine Anzahl von 
Septumin essungen normaler und kranker, namentlich auch 
Ozaena-Nasen, aus deren Vergleich dio Thatsache hervorging, 
dass in der Regel bei Ozaena genuina eine relative Scp- 
t u m kürze besteht. Diese Messungsresultate sind mittlerweile 
von verschiedenen anderen Autoren, von denen ich nur Gerber 
hier nenne, im Wesentlichen bestätigt worden. Diese Septum- 


*) Zusatz l»el der Korrektur: Bis Ende September c. lmt der 
Kranke, der frei von Nnseneitcning geblieben ist, nur noch einmal 
einen ganz leichten Anfall gehallt. 

2 ) Arcli. f. Laryngol. 1893. I, 1; ibld. 1895, III, 1/2. Cf. auch 
diese Wochenschr. 1894, No. 3: „Ozaena g.“ 

3* 


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1606 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


kürze kann nur in einer mangelhaften Entwicklung des Nasen¬ 
skelets begründet sein, und zwar in Folge congenitaler, die nor¬ 
male Entwicklung hemmender Einflüsse. Dieses aber wirft 
wieder Licht auf die übrigen, bei Ozaena genuina ganz besonders 
ausgeprägten Atrophien, namentlich diejenigen der Maschein. 
Meine Auffassung der Ozaena g. ging demnach dahin, dass sie 
in der Mehrzahl der Fälle auf der anatomischen Grundlage einer 
Verkümmerung des Nasenskelets entsteht, indem evident er¬ 
scheint, dass 1. dem physiologisch nicht voll ausgestalteten Nasen¬ 
skelet auch eine dürftigere Entwicklung der periostalen und 
mucösen Bekleidung entspricht, und dass 2. die mangelhaft, d. h. 
dürftig mit Drüsen und Gefässen ausgestattete Schleimhaut 
gegen bakterielle und anderweitige Schädlichkeiten weniger 
widerstandsfähig ist und demnach eher, intensiver und hart¬ 
näckiger erkranken wird, als eine normal entwickelte Schleim¬ 
haut. Dann aber ist noch 3. die abnorme Weite der Nasenspalten 
sowohl für die leichtere Ansiedelung und Ausbreitung einer 
Eitcrinfektion, als auch, nach einmal aufgetretener Entzündung, 
für den schleppenden Verlauf derselben verantwortlich zu 
machen, da abnorme Weite der Nasenhöhlen die Austrocknung, 
Stagnation und lange Retention der Sekrete und ihre Zersetzung 
ungemein begünstigt. * 

Wenn auch unser Patient nicht das klassische Bild einer 
Ozaena g. bietet, so kann ich doch auch an ihm die Wechsel¬ 
beziehung von congenitaler Abnormität der Skeletentwicklung 
der Nase und eitrigen Entzündung der Schleimhaut erläutern. 
Zunächst stellt die erhebliche Verkürzung des Septums gleich¬ 
zeitig eine ebensolche Verkürzung der Nasenhöhle selbst dar, in 
welcher nicht einmal die Muscheln ganz Platz haben. Der Luft¬ 
strom, der durch eine kurze Nasenhöhle streicht, kann aber nicht 
in demselben Grade vorerwärmt, durchfeuchtet und entstaubt 
werden, als in normal langen Nasenspalten. In Folge dessen 
leidet die Ventilation der Nase selbst und wird der Inspirations¬ 
strom auch eine andere Richtung als normaler Weise nehmen. 
Die Nasenschleimhaut selbst aber, die nach meiner eben dar¬ 
gelegten Auffassung an dem Verkümmerungsprocess betheiligt 
ist — die unteren Muscheln z. B. sind entschieden verkümmert 
— erwehrt sich nicht in physiologischer Art der auf ihr abge¬ 
legten Entzündungserreger: so entstand schon in den Kinder¬ 
jahren eine hartnäckige eitrige Schleimhautentzündung, die auch 
auf den Nasenrachenraum Übergriff und zu Sekretanhäufungen 
in diesem und der Nase führte. Gerade die, der kurzen Nasen¬ 
höhle korrespondirende grössere Tiefe des dazu seitlich verenger¬ 
ten Nasenrachenraums vermehrte die Sekretretention, da die 
Rachenmuskulatur (die Constriktoren etc.) offenbar einen der¬ 
artig deformirten oberen Rachenraum durch ihre Kontraktionen 
weniger leicht säubern können, als einen normal gebauten. Die 
Sekretretention in Nase und Nasenrachenraum hat dann nächt¬ 
liche Mundathmung bewirkt und fehlerhafte Blutoxydation. 
Diese aber schafft wiederum einen günstigen Boden für die Ent¬ 
wicklung von Neurasthenien, welche Migräne und anderweitige 
vasomotorische Neurosen begünstigt. Die Auslösung der Anfälle 
selbst erfolgte, wie die Besserung durch Beseitigung der Borken¬ 
bildung lehrt, durch den Reiz der borkigen Sekrete auf die 
Nasen- und Rachenschleimhautnerven. 

Der zweite Fall war folgender: 

Vor einiger Zelt wurde ich ersucht, einen 18 jährigen jungen 
Kaufmann an Behandlung zu nehmen, bei dem die bisher an¬ 
gewandten örtlichen und allgemeinen Mittel nichts gefruchtet 
hätten. 

Das Leiden bestand subjektiv ln Behinderung der nasalen 
Athmung mit nasaler Sprache und nächtlichem Schnarchen, ln 
Nasen- und Rachenverschleimung, Appetitlosigkeit, Kopfschmer¬ 
zen, häufig wiederkehrenden Stichen in den Ohren und, worüber 
am meisten geklagt wurde, in heftigen Anfällen von 
trockenem Husten, welche sich namentlich in den letzten 
Monaten an Zahl und Dauer unerträglich gesteigert hätten. Die 
örtliche Behandlung an seinem Wohnort hatte in Galvanokauteri¬ 
sation der Nasenschleimhaut. Wegnahme von Wucherungen im 
Rachen, Pinselungen, Inhalationen bestanden, doch nur vorüber¬ 
gehende Linderungen erzielt. 

Der Befund ist folgender: Beide Nasenhöhlen verborkt; am 
Rachendach eine durch eine mittlere sagittale Furche getrennte 
Mandel, Tubenwülste nahe zusammenstehend, Choaneu klein, 
Septum verdickt Hörweite beiderseits fast normal. Bei Ver¬ 
flüssigung der Borken durch Mulleinlagen erweist sich das nasale 
eitrig-schleimige Sekret schwach foetid. Die Muscheln sind mässlg 
atrophisch, ihre Schleimhaut geröthot und aufgelockert. Be¬ 
rührung des Nasenrachenraumes mit der Sonde 
löst jedesmal einen heftigen Husteuanfall aus. 


Durchleuchtung der Höhlen zeigt alle intensiv und gleich- 
mässig erhellt. 

Nach Cocainlslrung des Nasenrachenraums und Abziehen des 
Velums lässt sich ohne Schwierigkeit ein Abdruck gewinnen. 

Das positive Gipsmodell dieses Abdrucks, das ich ihnen hier 
vorzeige, zeigt deutlich die relative Enge und Kürze der Choanen. 
das verbreiterte Septum, die vorspringenden, nahe zusammenge¬ 
rückten Tubenwülste und die Rachenmandel, deren beide, durch 
die mediale Furche getrennten Hälften kissenartig vorspringeu. 
Die Distanz der Tubenwülste, welche gewöhnlich 20 und mehr 
Millimeter beträgt, misst hier nur 12 mm. Die Tubeneingänge sind 
von oben nach unten eingeengt, doch im Uebrigen gut ausgeprägt. 
Die hintere Septurawand ist kurz, aber sehr breit (ca. 3 mm); die 
Choanen, von denen die linke noch etwas enger als die rechte ist, 
sind 10 mm hoch und 8 mm breit; von oben her erscheinen sie 
durch die Rachenmandel etwas verkürzt Der hintere Septumrand 
liegt in der Choanalebene, also normal. 

Es handelt sich demnach hier um 2 verschiedene pathologische 
Zustände: erstens angeborene Enge des Rachengewölbes und 
Kleinheit der Choanen und zweitens Prozesse, welche diese natür¬ 
lichen Engen noch zu vermehren geeignet sind (Hyperplasie der 
Rachenmandel, mucöse und submucöse Verdickung der Septura- 
bekleiduug, eitrige, zur Verborkung der Nase führende Rhinitis). 
Die anderen Erscheinungen, welche der Kranke darbot (die Ohr¬ 
stiche, Kopfschmerz, Appetitlosigkeit und namentlich die anfalls- 
weise auftretenden Paroxysmen trockenen Hustens) waren als 
reflektorische Reizzustände besonders desshalb aufzufassen, well 
als Ausgangspunkte und Hauptherd des Hustenreizes die Gegend 
der Choanen und das Rachengewölbe überhaupt festgestellt war. 

Die einzuleltende Therapie war demnach vorgezeichnet: Be¬ 
seitigung der die Choanen verengenden Zustände nach Möglichkeil, 
und Behandlung der Naseneiterung. 

Trotzdem Patient so stark Chloroform irt 
war, dass er nach Erwachen versicherte nicht das Mindeste von 
den Eingriffen gefühlt zu haben, so erfolgten doch vom An¬ 
selzen dos Ringmessers an (behufs Ausschneidung der Rachen¬ 
mandel) bis zum Abkneifen der Verdickungen des Septums und 
der sehnigen Massen in der oberen Choanalapertur beständig 
derartige Hustenparoxysmen, dass die Operation da¬ 
durch sehr erschwert und die ganze Umgebung des Operirten mit 
Blut, wie mittels Sprühregen bespritzt wurde. Die Erweiterung 
der Choanen. deren sehnige obere Faserzüge zunächst gesprengt 
und später mit der Hartman n’schen Zange abgekniffen wur¬ 
den, gelang indessen bis zu einem solchen Grade, dass die Kuppe 
des Unken Zeigefingers, die vorher selbst von der Kante aus nicht 
in die Choanen hineingezwängt werden konnte, nunmehr in der 
Breite hereinzupressen war. Einlage von Jodoformmull in beide 
Nasenhöhlen boendiete die Operation. 

Die Recouvalesceuz verlief, von einer vorübergehenden Tem- 
peratursteigerung am dritten Tage abgesehen, ohne weitere 
Zwischenfülle und endete mit einer so erheblichen Besserung aller 
Beschwerden, dass Patient als geheilt betrachtet werden kann. 
Patient hat keine paroxysmalen Hustenanfälle, keine Ohrstiche. 
Kopfschmerzen und Magenbeschwerden mehr, er spricht normal 
und schläft mit geschlossenem Munde. Es besteht nur noch ein 
Rest der eitrigen Rhinitis. 

Wie Sie an diesem, 4—5 Wochen nach der Operation ange¬ 
fertigten zweiten Abdruck des Nasenrachenraums unseres Patien¬ 
ten sehen werden, ist das Resultat, was Erweiterung der Choanen 
betrifft, recht befriedigend zu nennen, da die Choanen, beson¬ 
ders nach oben hin, verlängert und in demselben Maasse breiter 
geworden sind, als das Septum verschmälert wurde. 

Ich bitte beide Abdrücke des Nasenrachenraumes des jungen 
Mannes, V und Va, mit einander vergleichen zu wollen, um den 
Unterschied beider, den ich nnführte, zu erkennen. 

Der Fall lehrt, dass bei natürlicher Kleinheit der Choanen, 
oder besser gesagt, bei angeborener Enge des Nasenrachenraums 
verhältnissmässig geringe pathologische Veränderungen, welche 
hinzukommen, genügen, um erhebliohe Störung der nasalen Re¬ 
spiration zu verursachen. Diese geringen pathologischen Ver¬ 
änderungen bestanden hier in einer, etwa kleinhaselnussgrossen 
Hyperplasie der Rachenmandel und in einer Verdickung des 
sehnigen Bindegewebes, welches die obere Hälfte des Septums 
und der Choanen bekleidet. Hierzu kam dann noch die katar¬ 
rhalische, später purulent werdende Entzündung der Schleim¬ 
haut, wodurch die nasale Respiration vollends unterbrochen 
wurde. Die mangelhafte Ventilation der Nase ist aber wiederum 
die ergiebigste Ursaohe für die Chronicität der Katarrhe und 
eitrigen Entzündungen. Auf diesem Boden entwickelte sich nun 
endlich die Reizzone, besonders im Gebiete der verengten Partien, 
in Folge deren die dort eingedickten und angetrockneten Sekrete, 
besonders nach dem Erwachen, stürmische Hustenanfälle hervor¬ 
riefen. Dass letztere durch die Sekrete im Nasenrachenraum er¬ 
zeugt wurden, ist durch die festgestellte Hyperaesthesie dieser 
Gegend und durch den Erfolg der Behandlung erwiesen, welche 
eine Verminderung und Verflüssigung der Sekrete, sowie eine 
Erweiterung des Choanalabschnittes bewirkte. Nunmehr können 
die Sekrete denselben nicht so leicht verstopfen als früher, und 
fällt dadurch auch der abnorme Reiz in der Reizzone aus. 


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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1607 


An diesem Abdruck des Oberkiefers des jungen Mannes sehen 
Sie, dass der rechte obere mittlere Schneidezahn nur rudimentär 
entwickelt ist und ausserdem quer in der Alveole steht. Das Vor¬ 
handensein dieser Missbildung unterstützt meine Annahme, dass 
die im Nasenrachenraum nachgewieseuen Anomalien ebenfalls 
angeborene Entwicklungsstörungen des Skelets darstellen. 


Tod nach Pfuscherbehandlung. 

Von Dr. F. Zaggl in Mallersdorf. 

Sitzen heutzutage ein Paar Kollegen bei einem Glase bei¬ 
sammen, so versteht es sich von selbst, dass man sich gegenseitig 
Kunde gibt von selbst geschauten Blütheu, unturheilkünstlerischeu 
Erzeugnissen, emporgewuchert auf dem Boden, den die Degra- 
dirung der Heilkunde zu einem Gewerbe, das Jeder betreiben darf, 
wenn er nur Courage genug dazu hat, so unvergleichlich frucht¬ 
bringend vorbereitet hat. Wenn nun gar eine so lllustre Versamm¬ 
lung, wie sie der 29. deutsche Aerztetag in Hildesheim am 28. und 
29. Juni 1901 bildete, sich auf’s Eingehendste mit diesem Schmer- 
zenskinde befasste, so Ist die Art, wie das geschah, von höchstem 
Interesse für die gesummte Aerzteschaft, es wird also aus dem in 
der No. 28 der Münch, med. Woclienschr. veröffentlichten Vereins¬ 
und Kongressberichte die Litera c „Kurpfuscherei“ ganz besonderer 
Aufmerksamkeit gewürdigt werden. Wie liest sich nun der von 
Herrn Weinberg- Stuttgart verfasste diesbezügliche Bericht 
lieraussen in der so fragwürdigen Praxis aurea des platten Landes, 
mitten im Herzen Niederbayerns? Drei Punkte sind es, die da 
auffallen müssen: a) Nach diesem Berichte liefen von 0313 An¬ 
fragen nur 903 positive Auskünfte ein, 5410 Anfragen blieben so¬ 
mit ganz unbeantwortet; fehlte es an Material? b) Der Bericht 
kommt zu dem Schlüsse, dass seitens der Behörden bis Jetzt 
äusserst wenig gegen die Schäden der Kurpfuscherei geschehen 
ist, die bestehende Gesetzgebung bietet keine genügende Hand¬ 
habe etc.; und c) bei der auf diesen Bericht folgenden Debatte er¬ 
zählt Herr H ü f 1 e r - Chemnitz: „Ein Bezirksrath rieth, die Kur¬ 
pfuscherei todt zu schweigen“. Dieser Bath des Herrn Rath ist in 
Wirklichkeit nicht schlecht, mag der Herr Rath Jurist sein oder 
nicht — er kalkulirt einfach: Volenti non Üt injuria, ergo taceatis, 
medlcii Sind vielleicht die 5410 nicht beantworteten Anfragen 
auf solche Erwägungen zurückzuführen, wie sie den betreffenden 
Bezirksrath zu seinem Rathe veranlassten? Fast möchte es so 
scheinen. Um nun nicht den Schein zu erwecken, dass ich ganz 
und gar mit dem Rathe des Bezirksrathes einverstanden bin, so 
sympathisch mir derselbe ist, dann aber auch, um zu zeigen, dass 
wenigstens die Behörden, die bei mir in Frage kommen, Alles thuu, 
was gegen die Schäden der Kurpfuscherei geschehen kann, aber 
durch die Degradirung der Ausübung der Heilkunde zum Gewerbe 
keine genügende Handhabe mehr haben zum erfolgversprechenden 
Einschreiten, habe ich mich entschlossen, dennoch in dieser Fach¬ 
zeitschrift eine auf dem Boden der Degradirung der Heilkunde zum 
Gewerbe emporgewucherte Blüthe von unheimlichster Dimension, 
eine wahre Victoria regia im schlechtesten Sinne, zu beleuchten, 
einen Fall, beispielslos, was Rohheit einer Wundbehandlung an¬ 
langt sowohl, als in Bezug auf jene niederste Bildungsstufe, auf 
der der betreffende Naturheilküustler steht, denn mein Künstler 
hat nicht etwa älaBilz, Kühne, Peater etc. auch ein Buch 
über seine Wissenschaft verfasst oder verfassen lassen, sondern 
dieser 77 Jahre alte Bauer gehört zu Jenen, die, wenn es auf 
Namenunterschrift ankommt, bescheiden die bekannten f -f f liin- 
kritzeln. Zum Zeichen aber, dass die einschlägigen Behörden gegen 
die Kurpfuscherei thun, was nach der in Kraft bestehenden Gesetz¬ 
gebung überhaupt geschehen kann, diene, dass mir die Erlaubniss 
zu einer publizistischen Verwcrthung des Falles in einer Fach¬ 
zeitschrift sofort auf meine ergebenste Bitte gewährt wurde, in- 
soferne die Namen der betheiligteu Personen und die Bezeichnung 
der befassten gerichtlichen Behörden unterbleibt 

Einen drastischeren Fall, zu zeigen, wo es fehlt, kann es wohl 
kaum geben, also zur Sache: 

Am Samstag den 28. Juli 1900, Mittag 1 Uhr, bei einer geradezu 
tropischen Hitze, wurde ich durch einen schweisstriefendeu Veloci- 
pedisten gerufen zu dem 11 Jahre alten Knaben des V. in L. 
wegen schwerster Verletzung am rechten Fusse; das Vorderrad 
eines mit Bausand beladenen Wagens, auf dem der Knabe sass, 
brach, Rad, Wagen und Saud fiel auf den rechten Fuss des am 
Boden liegenden Knaben. Ich fand folgenden Status prüsens: Gut 
drelüngerbreit ober dem Talo-crurulgelenk bis hinab zu den 
5 Zehen, diese noch voll erhalten, war die Haut abgestreift, scal- 
pirt, dieselbe lag aufgerollt, eiskalt, vor Staub vom Strassenkotlie 
nicht zu unterscheiden, entlang am äusseren Fussrande. Der starke 
Bandapparat des Gelenkes abgestreift, dieses tief aufgerissen, mau 
konnte weit ln dasselbe hineinsehen, die Talusrolle beobachten; 
Arterla dorsalis mit dazugehörigem Venen- und Nervengefieclit« 
verschwunden; die Strecksehnen der Zehen breitgedrückt, zerfasert, 
zum Theil abgerissen; der Fuss hatte ganz seinen Halt verloren 
und sank nach lnuen-unten; die Oberfläche der sämmtlicheu Fuss- 
wurzelknochen war rauh anzufühlen; Beiuliaut abgestreift; alle 
einzelnen Gelenke geöffnet; und dazu kam zweifellos das 
Schlimmste: diese ganze kolossale Wunde, die kaum blutete, war 
mit Bausand und mit dem Staube einer Strasse, auf der alle mög¬ 
lichen Hausthiere verkehren, eiugepudert, buchstäblich damit ein¬ 
gerieben. Dazu ziemlich ausgeprägter Choc. 

Das Gesummtbild war derart, dass bei konservativer Behand¬ 
lung, abgesehen von einem gänzlich unbrauchbaren, funktlons- 

Nn 41. 


unfähigen Fusse, kolossale Eiterung, aber auch mit Sicherheit 
Tetanus traumaticus erwartet werden musste, zumal da offensicht¬ 
lich eine absolute Reinigung der Wunde in allen ihren Buchten und 
aufgerissenen Gelenken vom Strassenstaub einfach eine Un¬ 
möglichkeit sein musste. Sollte schliesslich Verhütung von Sepsis 
gelingen, so war Verhütung von Tetanus ohne absolute Wundreini¬ 
gung nicht zu erwarten. War mein Vertrauen auf ausreichende 
Antiseptlk schon ziemlich auf Null herabgedrückt in einem solchen 
Falle, so war es dies erst recht auf eine erfolgreiche Behandlung 
des Tetanus mittels Morphio-ehloralhydrat- oder gar mit Tetanus- 
antltoxin-Behandlung. Man hätte Ja am Ende noch darüber dis- 
cutlren können, ob mau diese Wundkomplikationen abwarteu und 
dann, bei Fehlschlageu der Behandlung, erst amputiren soll, oder 
ob dies sofort einzig und allein angezeigt und desshalb auszuführeu 
sei. Mir wenigstens schien als einzig richtiger Weg zur Rettung 
des Lebens nur die sofortige Amputation im unteren Drittel des 
Unterschenkels angezeigt, und zwar je eher, desto sicherer, warum 
also warten, nachdem im denkbar besten Falle doch nur ein gänz¬ 
lich unbrauchbarer Fuss das Resultat gewesen wäre. 

Bei Abwesenheit des Vaters in St. konnte ich nur der Mutter 
meine Ansicht über die einzig mögliche Rettung des Lebens ihres 
Kindes auseinaudersetzen, ohne Einwilligung der Eltern nichts 
thun, ohne mich den schlimmsten Folgen auszusetzen, und so 
reinigte ich unter Beihilfe eines ganz geschickten Baders, der be¬ 
reits für viele Liter gekochten Wassers gesorgt hatte, die Wunde, 
indem ich selbe mit Sublimatsolutlon überschwemmte, hiebei 
kamen immer grössere, tiefer gehende Verletzungen zu Tage, und 
selbstverständlich wuchs damit die Ueberzeuguug: nur in der 
Amputation liegt Itettujig. Mit Sublimatsolutlon getränkte Jodo¬ 
formgaze, gleicher Verbandwatte und Gazebinden Avurde nun der 
Fuss unter Richtigstellung desselben verbunden und dem äusserst 
angegriffenen Knaben Tokayer zur Stärkung verordnet Vor 
meinem Abgänge belehrte ich noch die Mutter über die Vorboten 
des Starrkrampfes und ersuchte ich eindringliclist, mich es am 
nächsten Morgen, den 29. Juli, bis y a G Früh, also ca. 18 Stunden 
nach dem Unfälle, wissen zu lassen, ob der Vater die Amputation 
zulasse, auf andere Behandlung Hesse ich mich nicht mehr ein. 
Während ich mich nun während des übrigen Theils des Tages und 
der halben Nacht mit der Ueberlegung abquälte, auf Avelche Weise 
nur immer nach dem heutigen Standpunkte der Chirurgie am 
sichersten noch das mir nun eiumal auf's höchste gefährdet er¬ 
schienene lieben des schön gewachsenen Knaben könnte gerettet 
Averdeu, begann bereits 3 Stunden nach meiner Entfernung vom 
Verletzten eine mit tausendmal geringerer Scrupellosigkeit in Scene 
gesetzte Naturheilkünstlerbehaudlung, deren bis in’s Detail be¬ 
kannt gewordenes Wesen ich in der Lage bin, der staunenden Mit¬ 
welt bekannt zu geben, Dank der schon erwähnten Verwerthung 
des Akteninhaltes unter gewissen festen Bedingungen. Laut des 
bereits am 29. Juli, Früh '/ a G Uhr, an mich gelaugten Briefes der 
Mutter des Verletzten erfuhr ich, dass V. am Abende des 28. noch 
von St. den „Naturheilkünstler“ Sch. mitbrachte, welcher erklärte, 
den Fuss heilen zu können, und sofort auch den Fuss verband. 
Was nun ich, der ich natürlich von diesem Krankenbette fortan 
ferne blieb, bei meinen fast täglichen anderweiten Kranken¬ 
besuchen in L. Uber die Sache’erfuhr, dass am 11. Tage nach dem 
Unfälle noch Dr. R. gerufen tvurde, und am 13. Tage, d. i. am 
9. August, Tod an Starrkrampf eiutrat, war von der Art, dass ich 
in meiner Eigenschaft als amtlicher Arzt mich verpflichtet hielt, 
der zuständigen Behörde Ivenutniss zu geben von Allem, und that 
ich dieses in einer Anzeige mit dem Betreffe: „Tod nach Pfuscher¬ 
behandlung“, und beginnend mit dem, was ich am 28. Juli selbst 
von der Verletzung, in der Folge durch den Brief der Mutter und 
per fainarn erfuhr, bis inclusive der Todesnachricht, und am 
Schlüsse quasi als Entschuldigung für mein Vorgehen anführend: 
„Wenn ich auch weiss, dass bei der gegenwärtigen, die Ausübung 
der Heilkunde betreffenden Gesetzgebung nicht viel zu envarten 
sein dürfte von einer solchen Anzeige, so erscheint doch im Vor¬ 
geben des Pfuschers, des bekannten Heilkünstlers Sch., ein solch' 
ungeheuerlicher Akt von Gewissenlosigkeit vorzuliegeu, dass An¬ 
zeige zur Pflicht wird. 

Aus dem nun folgenden, wichtigsten Akteninhalte wird zu 
ersehen sein, in Avelch’ rohe. geAvIssenlose Hände der arme Knabe 
fiel, eine wahre Schweinerei von einer Wundbehandlung wird be¬ 
kannt, wie sie nicht vorkam in jener grauen Vorzeit, als man die 
Wunden mit siedendem Oele übergoss, eine Behandlung, die heute 
dem approbirten Arzte als Verbrechen angekreidet würde, dagegen 
dem keiner Approbation bedürfenden Naturheilkünstler nicht im 
Geringsten gefährlich Avird. 

I. Ergebniss der Vernehmung der Sachverständigen. 

a) Ich, als zuerst behandelnder Arzt erklärte nur, meiner in 
der Anzeige an die kgl. Behörde enthaltenen Wundbeschreibung 
und Begründung der Notlnveudigkeit einer Amputation nichts zu¬ 
zusetzen zu haben. 

b) Dr. R. gab au: „Am 7. August wurde ich zum Knaben ge¬ 
rufen, fand ihn im Bette, jammernd, den Hluterkopf tief ln den 
Kissen vergraben, der Unterkiefer fest gegen den Oberkiefer ge¬ 
presst, die Muskeln des Nackens und der Kiefer waren hart an¬ 
zufühlen und schmerzten, bei jeder Berührung des Körpers stei¬ 
gerten sich die krampfhaften Erscheinungen. Am rechten Fusse 
fund sich ein Verband, bei Abnahme desselben machte sich fauli¬ 
ger, dumpfer Geruch bemerkbar. In unmittelbarer Berührung mit 
der Wunde befanden sich eine Reihe Leinwandstreifen, welche mit 
einer schmierigen, nach Thcer riechenden, braunen Masse Im- 

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1608 


MTIENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


schmiert waren. Die ungefähr 20 ein lange und 10 cm breite 
Wunde ist bedeckt mit dickem, höchst übelriechendem Eiter. Nach 
Entfernung des Eiters traten theils eine rothe Fleischwucherung, 
theils auch graue, fetzige Massen zu Tage, der Fuss war nach 
ab- und einwärts gebogen, weil die Sehnen am Gelenke an der 
Aussenseite des rechten Fusses zerrissen und beschädigt waren. 

Starrkrampf lag vor, sicher ist das Gift des Starrkrampfes 
durch die Wunde des rechten Fusses zur Zeit der Verletzung in 
den Körper gelangt, die unmittelbare Todesursache war der Starr¬ 
krampf. Ich halte zwar die Behandlung des lleilkünstlers Sch. 
nicht für eine den Starrkrampf direkt verursachende, doch für 
eine solch’ unzweckmässige, dass durch den mangelnden Eiter¬ 
abfluss und durch Aufsaugung desselben nothwendiger Weise 
Fieber und allgemeine körperliche Schwäche eintreten musste. Es 
ist nicht unwahrscheinlich, dass der Tod des Knaben auch durch 
die ungeeignete Behandlung des Sch. so rasch eiugetreten ist." 
(Dr. Ii.) 

II. Zeugenverhör. 

V., der Vater des Knaben, gab an, was folgt: „Zur Zeit des 
Unglücks war ich in St. und erhielt die Nachricht hiervon durch 
Telegramm meiner Frau mit der Bitte, sogleich den Sch. mitzu¬ 
nehmen, weil der Bezirksarzt von Mallersdorf eine Amputation 
des Fusses für nothwendig hielt Sch., au den auch bereits zwei¬ 
mal von meiner Frau telegraphirt war, kam mit mir Abends, und 
nachdem er den vom Bezirksarzte angelegten Verband geöffnet 
hatte, äusserte er „mau könne den Fuss auch s o heilen, wenn 
nichts dazu kommt, das Gelenk sei noch gut, es sei immer 
besser, als wenn der Knabe einen hölzernen Fuss erhalten müsse. 
Da ich ihm Vertrauen schenkte, so liess ich mich bestimmen, von 
einer Amputation abzusehen und dem Sch. die Wundbehandlung 
zu überlassen. Sch. spritzte mit einer Glasspritze und Kamillen- 
absud die Wunde aus, trocknete sie mit Leinwandläppchen ab, 
bestrich sie mit Paraffluöl und legte mehrere zweiüugerbreite 
Leinwandstreifen über die Wunde, nachdem er diese Fleckchen 
zuvor mit einem braunschwarz aussehendeu Pflaster bestrichen 
hatte. Darüber kam ein mit kaltem Schweinefett bestrichener, 
grosser Leinwandlappen, welcher die ganze Wunde bedeckte, 
darüber Karbolwatte und Gazebinde. Sch. kam von da an täglich, 
bis zwei Tage vor dem Tode des Knaben und wiederholte auch 
täglich die vorbeschriebene Behandlung der Wunde. Am 11. Tuge 
nach der Verletzung jammerte der Bube, dass er seinen Mund 
nicht mehr aufmachen könne. Ich theilte dies dem Sch. mit, als 
er an diesem Tage kam, worauf er mir nahelegte, einen Arzt bei¬ 
zuziehen und zwar wegen der Krampferscheinuugen. Noch am 
gleichen Tage kam Dr. R., ich erzählte ihm den ganzen Verlauf, 
er verband die Wunde und ich übertrug ihm nun die Behandlung. 
Am 8. Aug. traten fraisenartige Erscheinungen auf, Dr. lt. kam 
gegen Abend an diesem Tage nochmals, machte eine Einspritzung, 
bis gegen Nachts 1 Uhr setzten die Anfälle aus, dann aber traten 
neuerdings solche auf und beim 11. Anfälle verseilbd der Knabe 
den 0. Aug. früh y a 7 Uhr.“ (V.) 

III. Verhör des Heilkünstlers Sch. 

Dieser, 77 Jahre alt, gibt an, was folgt: „Ich fand den Knaben 
bereits vom Bezirksarzt in Mallersdorf verbunden. Nur auf 
dringendes Bitten des Vaters öffnete ich den Verband und besich¬ 
tigte die Wunde genau. (Folgt eine ausserordentlich mangelhafte 
Wundbeschreibung.) Ich spritzte die grosse Wunde mit Kamillen¬ 
absud aus, hiebei brachte ich viel Sand aus der Wunde, das Aus¬ 
spritzen dauerte etwa 2 Minuten, dann trocknete ich die Wunde 
mit Karbolwatte und weichen Leinwaudfleckchen ab; hierauf strich 
ich mit einer Feder die grosse Wunde mit Parafflnöl ein. Dieses 
Del ist ein specielies Wundöl, das ich von der Eiuhornapotlieke 
hier beziehe. Alsdann strich ich auf etwa G—7 saubere, feine 
Leinwaudfleckchen Balsampliaster und mit diesem bedeckte ich 
die Wunde. Ueber dieses Pflaster legte ich eine Schichte Watte 
und schliesslich Verbandgaze um den Füss. Das Balsampflasler 
habe ich schon längere Zeit von einem gewissen Lehner in 
Weisseuburg a. S. bezogen. Bei der Besichtigung der Wunde 
habe ich wohl wahrgeuommeu, dass die seitlich gegen den Fuss- 
rückeu zu verlaufende Arterie sammt den dazugehörigen Nerven 
abgequetscht waren und dass die Strecksehuen der 5 Zehen breit 
gedrückt und zerfetzt waren. Da ich derartige Verletzungen schon 
viele auf die vorbesehriebeue Weise behandelt und gehellt habe, 
hatte ich in dem vorliegenden Falle gar keine Bedenken, die Be¬ 
handlung des Schwerverletzten zu übernehmen. Dass aber eine 
Amputation nothwendig wäre, habe ich nicht eingesehen. Diese 
Behandlung setzte ich in täglichen Besuchen 11 Tage lang fort, 
alltäglich nahm ich den Verband ab und behandelte die Wunde 
wie das erste Mal. Als der Knabe Schmerzen auch im gesunden 
l-'usse und ferner noch im rechten Arme bekam, kamen mir Be¬ 
denken, ob nicht vielleicht gar der Starrkrampf im Anzuge sei. 
Als jedoch der Verletzte am G. oder 7. Aug. auch über Schmerzen 
im Rücken klagte, war ich mir nun schon ziemlich sicher, dass 
der Wundstarrkrampf eingetreten sei. Ich eröffnete dies dem 
Vater und forderte ihn auf, einen Arzt beizuziehen. Erst 2 oder 
3 Tage später holte der Vater auf meinen öfteren Vorhalt hin 
den Dr. R. Als dieser die Behandlung übernahm, stellte ich meine 
Besuche ein. 3 Tage später erfuhr ich, dass der Knabe gestorben 
sei. (Diese Zeitangaben decken sicli nicht mit denen des Vaters.) 
Ich habe bei der Behandlung des Verletzten alle Vorsicht auge- 
weudet, habe die Wunde mit peinlichster Genauigkeit gereinigt, 
und ich muss entschieden in Abrede stellen, dass mir eine fahr¬ 


lässige Verschuldung des Todes des Verletzten zur Last gelegt 
werde. Die Eltern des Verletzten werden bestätigen müssen, 
dass ich es in der Behandlung des Knaben in keiner Weise 
habe fehlen lasse n.“ (| 11 Handzeichen des Sch.) 

Amtsärztliches Gutachten 
auf Grund der Obduction und des übrigen Akteniuhaltes. 

Da die Leiche des Knaben bereits begraben war, als auf 
meine Anzeige hin eingeschritteu wurde, erfolgte Exhumirung be¬ 
hufs Vornahme der gerichtlichen Obduktion. Als Hauptbefund ist 
erwähnt: Fäulniss in hohem Grade vorgeschritten, Wunde des 
rechten Fussrückens 20 cm lang, 11 cm breit, Haut und Muskeln 
abgequetscht, Sehnen abgerissen, von Sprunggelenk, Kahn-, Würfel¬ 
und Keilbeinen Haut abgestreift, die Knochen von Beinhaut eut- 
blösst, Gelenke sämmtlicher obiger Knochen geöffnet, Fuss nach 
ab- und einwärts gesunken, die grosse Wundfläche mit grau-grünem 
Eiter und mit Zellgewebsfetzeu von missfarbenem Aussehen be¬ 
deckt. Dann heisst es wörtlich weiter: „Es hat von der Wunde 
aus eine Resorption septischer Stoffe stattgefundeu, der Knabe 
ist an Wundinfektion und zwar an Starrkrampf gestorben. Die 
Frage, ob bei Sch. in der Uebernalime der Behandlung, in der 
Art der angewandten Mittel oder in dem Nichtbeiziehen eines 
Arztes ein fahrlässiges Verschulden erblickt wird, welches für 
den eiugetretenen Tod kausal war, ist zu beantworten: Sch. hätte 
den Knaben gar nicht in Behandlung nehmen sollen, er musste auf 
den ersten Bück erkennen, dass hier eine so schwere Verletzung 
vorlag, die, wenn nicht von vorneherein in vorzüglichster Weise 
behandelt, die grösste Gefahr nicht bloss für das verletzte Glied, 
sondern selbst für das Leben in sich barg. Sch. musste die An¬ 
gehörigen des Knaben bei der Schwere der Verletzung an einen 
Arzt weisen. Die von Sch. angewandten Mittel waren durchaus 
unzureichend. Durch Mangel jeglichen pilztödtenden Verbandes 
war der Vergiftung Thür und Thor geöffnet, es ist daher nicht zu 
viel gesagt, wenn das von Sch. in dem vorliegenden Falle ange¬ 
wandte Heilverfahren als fehlerhaft und falsch erklärt wird; diese 
fehlerhafte, jeder Antiseptik hohnsprechende Wundbehandlung 
seitens des Sch. trügt die Schuld an dem tragischen Ausgange der 
Verletzung. Es muss demgemäss die von Seite der Anklage ge¬ 
stellte Frage bejaht werden." (Dr. E.) 

In der Anklageschrift heisst es nun: „In der Erwägung, dasö 
Sch. verdächtig erscheint, durch Fahrlässigkeit, unter Ausser- 
achtlassung derjenigen Aufmerksamkeit, zu 
welcher er vermöge seines Gewerbes als Heil¬ 
künstler besonders verpflichtet ist, den Tod eines 
Menschen verursacht zu haben, indem er die Behandlung dieses 
Falles übernahm, diese überaus schwere Verletzung unter Miss¬ 
achtung der Vorschriften betr. Antiseptik behandelte, einen Arzt erst 
beizog, als in Folge Sepsis bereits Wundstarrkrampf eingetreten 
und eine Kettung des Kranken nicht mehr möglich war, in weiterer 
Erwägung, dass diese Behandlung ein Vergehen der fahrlässigen 
Tödtung bildet nach § 222 des K.-Str.-G.-B., erhebe ich öffentliche 
Klage und beantrage die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen 
denselben unter Bezug auf folgende Beweismittel: 1. Strafliste 
(7 Vorstrafen wegen Abgabe von Arzneien, Uebertretung in Bezug 
auf Verkehr mit Nahrungsmitteln, fahrlässiger Körperverletzung, 
verläumderischer Beleidigung), 2. Vater V. des Knaben, 3. Dr. 
Zaggl-Mallersdorf, 4. Dr. R. und 5. Dr. E.“ 

Der Rechtsbeistand des Heilkünstlers Sch. dagegen beantragte: 
„Den Angeklagten ausser Verfolgung zu setzen auf Grund der 
Aussagen des Vaters V. von L. und des Dr. lt.“ 

Diesem Anträge wurde stattgegeben „in der Erwägung, dass 
sich nicht feststellen lässt, dass „lediglich" oder „haupt¬ 
sächlich“ durchdieBehandlungdesAngeklagten 
der Tod des Verletzten verursacht wurde, während derselbe ohne 
Einmischung des Angeschuldigten menschlicher Voraussicht 
nach noch am Leben geblieben wäre, weil gerade aus der Ver¬ 
nehmung des Dr. Zaggl hervorgeht, dass dieser den Starr¬ 
krampf als höchst wahrscheinliche Folge der Verletzung bereits 
voraussah, als noch Niemand an eine mögliche Behandlung durch 
den Angeschuldigten dachte, dass im Gegentheil als sehr wahr¬ 
scheinlich angenommen werden kann, dass der den Tod herl»ei- 
führende Starrkrampf auch daun eingetreten wäre, wenn au Stelle 
des Augeschuldigteu jemand Anderer den Verletzten behandelt 
hätte, da wieder nach den Bekundungen des Dr. Z n g g 1 die 
Wunde derart verunreinigt war, dass eine vollständige Reinigung 
unmöglich war, wurde beschlossen, es sei das Hauptverfahren 
gegen Sch. einzustellen etc." 

Also meiner Wenigkeit, dem Anzeiger des „Todes nach 
Pfuscherbehandlung", fiel auch die Rolle des Befreiers von An¬ 
klage und Schuld des Pfuschers zu. War es mir versagt, zum 
Lebensretter des Verletzten zu werden, obwohl ich demselben von 
dem ersten Augenblicke an jene Aufmerksamkeit schenkte in der 
gewissenhaftesten Weise, zu der ich ja eo ipso als Arzt aufs 
Heiligste verpflichtet bin, so wurde ich dafür die Ursache, dass 
der Heilkünstler, welcher thatsächlich sich der exorbitantesten 
Ausserachtlas8uug derjenigen Aufmerksamkeit, zu welcher er ver¬ 
möge seines Gewerbes als Heilkünstler besonders verpflichtet war, 
schuldig machte, mit heiler Haut aus dem Strausse hervorging. 
Und was war meine Schuld an solchem Ausgange? Gibt es auch 
für einen Naturheilkünstler, gewerbsmässig die Heilkunde ohne 
approbirt zu sein ausübend, eine Aufmerksamkeit, zu der derselbe 
besonders verpflichtet ist? Wenn ja — trifft in concreto dies 
nicht zu? 


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8. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1609 


Schuld an diesem Ausgange war meine Prognose, meine so 
berechtigte und so gerechtfertigte Prognose. Ich prognostizirte 
nicht den Tod, wenn nicht amputlrt wird, sondern ich prognosti¬ 
zirte: Sepsis bei der sicher zu erwartenden ungeheuren Eiterung 
und der unendlichen Schwierigkeit, mittels antiseptischen Ver¬ 
fahrens Sepsis zu verhüten, die eingetretene erfolgreich zu be¬ 
kämpfen, Ich prognostizirte mit noch grösserem Nachdrucke: 
Tetanus schwersten Grades; diese zwei Komplikationen, die 
ich entschieden auseinanderhalten muss, prognostizirte ich. Ist 
Sepsis schon gleich Tod? Tetanus gleich Tod? Diese Fragen werden 
nicht so ohne Weiteres mit Jabeantwortettwerden können, da es schon 
gar manchesmal der Aufmerksamkeit und Mühewaltung des Arztes, 
zu der er ja verpflichtet ist, gelang, das ln Folge Sepsis unrettbar 
verloren geschienene Leben zu erhalten, und auch meiner Wenig¬ 
keit schon gelang, da es ferner ln Folge solcher pflichtmitssigen 
Aufmerksamkeit und Mühewaltung schon so manchesmal gelang, 
auch meiner Wenigkeit schon gelang, den Tetanus traumaticus 
erfolgreich zu behandeln. Aber da muss eben nicht ein Mensch, 
ein Scheusal, das sich Naturhellkünstler zu nennen den wohlfeilen 
Muth hat, sich dazwischen werfen dürfen, um durch eine exorbi¬ 
tante Ausserachtlassung der Aufmerksamkeit, zu der er vermöge 
seines Gewerbes besonders verpflichtet ist, zu verhindern, dass 
der Arzt seiner heiligsten Verpflichtung, die Ihm durch seine 
Approbation als Arzt auferlegt wurde, gewissenhaft nachkomme. 
Dieses „Heilkunde ausüben dürfen, ohne approbirt zu sein“, diese 
Degradlrung der Ausübung der Heilkunde zum Gewerbe Ist 
es, die das Hauptübel genannt werden muss. Die Frage: Gibt es 
eine Aufmerksamkeit, zu der der Naturheilkünstler bei Ausübung 
seines Gewerbes besonders verpflichtet ist, und wenn ja — trifft 
dies in unserem Falle zu? vermag ich nicht sicher zu beantworten. 
(Nach einem im „Medico“ veröffentlichten Urtheile des Reichs¬ 
gerichts, I. Strafsenat, vom 26. Mai 1900 gibt es eine solche auch 
für Pfuscher bindende pflichtmässige Aufmerksamkeit.) Das Eine 
Ist gewiss: die Dazwlschenkunft. die Behandlung des Angeklagten, 
kann ihr auch nicht der Tod lediglich oder hauptsächlich zur Last 
gelegt werden, bewirkte nicht bloss, dass Alles, was geschehen 
hätte sollen und geschehen wäre, was heute Wissenschaft und 
Erfahrung in solch’ höchster Noth noch bietet, einfach un¬ 
möglich wurde, dass dagegen Alles vom Pfuscher geschah, 
was zu den gefürchteten, aber gerade bei Beginn der Pfuscher¬ 
behandlung noch nicht vorhandenen Komplikationen, zur 
Sepsis einer-, zum Tetanus andererseits führen musste, weil ‘die 
Pfuscherbehandlung diesen auf Resorption der betreffenden Gifte 
beruhenden Infektionskrankheiten „Thür und Thor“ erst recht 
öffnete. Sapienti sat. 


Ein Fall von erhaltenem Bewusstsein im epileptischen 

Anfall. 

Von Dr. Aug. Diehl in Lübeck. 

Als ein differentialdiagnostisches Merkmal für den epilep¬ 
tischen Anfall gegenüber dem hysterischen galt bis in die 
jüngste Zeit die vollständige Bewusstlosigkeit im Zustande des 
nusgebildeten Anfalles. Zuerst hat man in den grossen Epi¬ 
leptikeranstalten verlernt, dieses Symptom im Anfall als ein 
Postulat für die Epilepsie anzusehen. Hie und da verlief er in 
der Weise, dass von dem forschenden Arzte bei den Kranken aus 
der Zeit der Aura so gut wie aus dem Krampfstadium einzelne 
Erinnerungen entdeckt oder geweckt werden konnten. Die voll¬ 
ständige Bewusstlosigkeit'erwies sich bei genauen Nachforsch¬ 
ungen als nicht vereinzelt vorkommend bei sicher hysterischen 
Anfällen; dass sie hingegen nicht vollständig bei der Epilepsie 
zu sein braucht, findet mehr und mehr Anerkennung. Die 
Neurologen sind, wie es scheint, augenblicklich mehr als die 
Psychiater geneigt, dem behandelten Symptom im Anfall den 
Werth eines durchgreifenden Unterscheidungsmerkmales zu er¬ 
halten. Aus den Notizen über einen Fall meiner Klientel ist zu 
ersehen, wie das Bewusstsein im epileptischen Anfall soweit er¬ 
halten blieb, dass eine Erinnerung an die Vorgänge in demselben 
fortbesteht. 

Herr X., 26 Jahre alt, entstammt einer Familie, in (1er weder 
väterlicher- noch mütterlicherseits Störungen psychischer oder 
nervöser Art zu ermitteln sind; ebenso fehlen psychische Abnormi¬ 
täten und Potatorium ganz. Der 73jälirige Vater ist ein körper¬ 
lich und geistig rüstiger Greis. Geschwister des I’at sind frei 
von jeglicher Nervosität, auch sonst gesund. Pat. war als Kind 
kräftig, hatte keine Krämpfe bei der Dentition, blieb von aller 
Krankheit verschont mit Ausnahme einer mit 30 Jahren normal 
verlaufenden Diphtherie, die keine Störungen im Gefolge hatte. 
In der Schule war er mittelmässig befähigt; er zeigte kein 
Sprachentalent, dagegen Interesse für Mathematik. Er entwickelte 
»ich körperlich zu einem äusserst kräftigen, prächtig gebauten 
Menschen, der eine zweijährige Militärdienstzeit bei bester Ge¬ 
sundheit, ohne nur einmal unwohl gewesen zu sein, immer in 
froher Stimmung durchmachte. In der folgenden Zeit hat er nach 
eigener Angabe ca. 2 Jahre lang Im Alkoholgenuss und in sexueller 
Beziehung stark exeedirt, blieb aber frei von Geschlechtskrank¬ 
heiten. Bis zum Frühjahr 1898 kannte er keinerlei nervöse Be¬ 


schwerden; damals wurde sein Schlaf unruhiger und es kam fast 
zu einer gänzlichen Schlaflosigkeit. Als er einmal nach alkoholi¬ 
schen und sexuellen Excessen schlaflos war und sich ln der 
Unruhe im Bett aufgerichtet hatte, stieg ihm ein Gefühl vom 
Leibe zur Brust auf und wurde da zu bisher unbekanntem, be¬ 
ängstigendem Herzklopfen. Nach einigen Sekunden fühlte er sich 
umgeworfen und er Überstand einen Anfall mit Znngenblss, 
Krämpfen etc. Auf einen Bericht hin erfuhr er von den Eltern, 
dass er mit 6 Jahren an Krämpfen gelitten habe, über die er nichts 
Näheres anzugeben weiss. Nach dem Anfall begann Pat. auf ärzt¬ 
lichen Rath Bromkalium in Tagesdosen von 2—3 g unausge¬ 
setzt zu nehmen. Seit dem nächtlichen Anfall wiederholte sich 
ein solcher alle 2—3 Monate; nur einmal kam ein freies Intervall 
von y 2 Jahr. 

Jedesmal kam er Nachts, Jedesmal hatte Patient am Abend 
vorher in Alkohol exeedirt. An der Aura, die stets den gleichen 
bereits beschriebenen Charakter trug, wachte Pat meist auf. Ende 
Dezember 1900 ging er mit der Einnahme von Bromkalium zurück 
und setzte bald das Mittel ganz aus, obwohl er befürchtete, durch 
sein willkürliches Vorgehen Schaden zu nehmen. Die Angst erwies 
sich als unbegründet denn unmittelbar zeigte sich keinerlei Ver¬ 
schlimmerung. In diesem Jahre (1901) hatte er unter den stets 
gleichen Verhältnissen einen Anfall Mitte Februar, April und die 
Nacht vor dem Tage, an dem er sich zur Konsultation vorstellte 
(26. VII.) 

Patient, der sich mit einer auffälligen Nonchalance auf den 
Stuhl hinfallen lies», führte sich bei mir mit der Bemerkung ein, 
er sei krank am Gehirn, nicht nur nervös, und habe die letzte Nacht 
wieder einen Anfall gehabt; allerdings müsse er hinzufügen, dass 
er am Abend vorher 2 Weisse und 1 Dunkles getrunken habe; 
daher komme es. Alkohol könne er so gut wie gar nicht mehr 
vertragen, und wenn er ihm zuspreche, müsse er es in dieser Weise 
Wissen. Auf die Zunge habe er sich auch wieder gebissen. Am 
Ende des vorderen Drittels des rechten Zungenrnndes war eine 
ansehnliche frische Bisswunde. Der Zungenrand war an mehreren 
Stellen durch Narben eingekerbt. Patient sah verstört nus; die 
müden Augenlider täuschten doppelseitige Ptosis vor; die Sprache 
war monoton, und seine Auslassungen waren resignlrt. Im Verlauf 
der Unterhaltung Hess er einfllessen, dass er seine Anfälle „natür¬ 
lich" kenne. Als ich nach der Bewusstlosigkeit im Anfall fragte, 
stellte er sie ln Abrede, so dass ich an der Deutung des nach Ana¬ 
mnese und augenblicklichem Verhalten des Kranken klaren Falles 
irre wurde. Unter Vermeidung der Suggestivfragen erfuhr ich, 
dass Pat. niemals einen Zeugen seines Anfalles hatte, nie mit 
einem Menschen darüber sprach, im Allgemeinen eine sehr leichte 
Auffassung seines Leidens besass, das eben nach Alkoholgenuss 
komme, innerhalb 24 Stunden ganz vorüber sei und ihm keine 
besondere Sorge gemacht habe. Er sei immer ein sehr vergnügter 
Mensch und lebe sorglos in den Tag hinein. Wenn die lästige 
Stimmung vorüber sei. denke er kaum noch an den Anfall. Sonst 
halte er sich für diese Stunden still zu Hause; diesmal sei er wegen 
der Nähe zum Nervenarzt gegangen. Er fühle sich so ärgerlich, 
und der Gedanke an Geisteskrankheit lasse Ihm keine Ruhe. Er 
wisse ganz genau, dass dieses Unbehagen im Laufe der Nach¬ 
mittagsstunden schwinde und er mit seinen Bekannten am Abend 
wieder sehr vergnügt sein werde. Ueber Epilepsie etc. hatte er 
nichts nachgelesen, wie ihn „Medicinisches“ gar nicht interessire. 
Auffallend war, wie Pat. es als so selbstverständlich ansah, dass 
er über den Verlauf des Anfalles erzählte. So erfuhr ich, ohne 
durch die Fragestellung die Antwort zu beeinflussen, dass die 
Aura, wie schon erwähnt, in der Art stets gleich verläuft, aber 
oft nur 2—3 Sekunden dauert, oft länger. Einmal habe sie wohl 
eine halbe Minute gedauert, während der er versuchte, sich schnell 
Wasser über den Kopf zu giessen, ohne Erfolg. Wenn er an der 
Aura aufwache, lege er sich von der Bettkante in die Mitte. Plötz¬ 
lich werde er wie angepackt und wie umgeworfen. Nun zögen 
sich die Finger zusammen (er zeigt den eingeschlagenen Daumen 
mit den darüber in die Vola manus gepressten Fingern), dann 
werden die Arme im Ellenbogen angezogen, und so werde er ganz 
starr am Körper. Merkwürdig sei ihm, dass der Kopf sich regel¬ 
mässig rechts herum drehe. Dagegen könne er nicht an, obwohl 
er das Gefühl habe, mit der Hand müsse er ihn zurückhalten. 
Dabei sei ihm aufgefallen, dass das rechte Auge besonders so stehe, 
als wollte es rechts um den Kopf sehen. (Aeusserste Endstellung, 
temporal, am rechten Bulbus.) Weil er sich auf die Zunge beisse. 
lege er sie anfangs ganz nach hinten. Das vergesse er nie. daran 
müsse er immer zuerst denken. In der Starre liege er höchstens, 
wie er glaube. 1 oder einige Minuten: dann komme die Zunge, 
trotz aller Gegenarbeit, mit Gewalt nach vorne, er zucke ln den 
Armen, kaue, speichele, zucke am ganzen Körper, und es werde 
ihm dabei ..so dumm im Kopf: hier (er zeigt auf die Nasenwurzel) 
setzt es sich dann fest und der ganze Kopf ist wie unter einem 
Druck eingenommen“. Er schlafe wohl nachher ein, behalte aber 
dauernd das Druckgefühl an der Stirn zwischen den Augen. Auch 
am Morgen sei er so matt, niedergeschlagen, „so dumpf von dem 
Gefühl am Kopf, der so schwer ist. dass ich sehr verdriesslich 
darüber werde (!)“. Am Mittag bessere slch’s, am Abend sei 
es ganz gut und vorüber. Nur jetzt denke er, es könne eine Geistes¬ 
krankheit daraus entstehen. 

Diese Schilderung setzte sich aus recht verdriesslichcn, ver¬ 
zögerten Aeusserungeu zusammen. Er zeigte im Verhalten solche 
Unwilligkeit darüber, dass man ihn mit dom Erzählen plagte, dass 
ich immer erwartete, er werde um Schonung bitten und ver¬ 
stummen. Durch Wiederholung seiner spontanen Aeusserungen ln 

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1610 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


Frageform brachte ich ihn zu einem detalllirten Bericht; etwa in 
der Art: „Habe ich Sie richtig verstanden, die Zunge kommt gegen 
Ihren Willen nach vorne?“ Dann schilderte er ausführlicher den 
Vorgang mit dem stereotypen Beginn der Antwort: „Ganz 
recht, etc.“. 

Die körperliche Untersuchung ergab nichts Auffälliges. Her¬ 
vorzuheben wiire vielleicht eine erhebliche Mydriasis, die mir oft 
in der niichsten Zeit (innerhalb 24 Stunden) nach dem Anfall auf- 
flel, und bei deren Bestehen ich manchmal an die Existenz einer 
trügen und unvollkommenen Pupillenverengerung bei Belichtung 
und Akkommodation auf die Nähe denken musste. Wie weit dies 
zutreffend ist oder anderweitig beobachtet wurde, vermag ich 
nicht zu übersehen. Vielleicht blieben noch die schwachen Sehnen¬ 
reflexe und die von mir nicht auslösbaren Periostreflexe zu er¬ 
wähnen. 

Pat. ist genau ausgeforscht ln Richtung der Dipsomanie, der 
Aequlvalente, der periodischen Verstimmung, der Absence etc., 
alles ohne weitere pathologischen Ergebnisse. Für eine Jack- 
son’sche Epilepsie sprach gar nichts. Die letzte Unterhaltung 
drehte sich um die nicht uninteressante Mittheilung, dnss er ganz 
vereinzelte Male im Leben rechtsseitigen Kopfschmerz mit Augen¬ 
höhlenschmerz gehabt habe, der vom Auge über die ganze rechte 
Kopfseite bis zum Ansatz des Nackens zog und gleichmüssig em¬ 
pfindlich war. Andere Symptome, etwa die der Migräne, kamen 
dabei nicht vor. 

Fassen wir zum Schluss zusammen, was uns zur Diagnose 
führt: Es stellt sich ein junger Mann vor, der über Anfälle 
klagt, der die letzte Nacht einen Anfall hatte, der dem Fach¬ 
mann durchaus nicht normal in seinem Benehmen erscheint. 
Alle seine Bewegungen sind schlaff, seine Haltung ist unkorrekt, 
was zu der Bildung und Stellung des Patienten gar nicht passt; 
er ist psychisch deprimirt, hat ein unfreies, gebundenes Ver¬ 
halten in seinen Mittheilungen und ist schwerfällig im Denken 
wie im Thun. Nach Allem, was dazu sich noch anamnestisch 
gesellt, handelt es sich um eine Epilepsie. Zur Annahme einer 
Hysterie berechtigt uns gar nichts; für eine organische Störung 
fehlt jeder Anhalt. Die Auffassung des Anfalles als epileptisch 
scheint mir, wenn man den Thatsachen keine Gewalt anthun 
will, nach dem, was wir heute wissen, allein zulässig. Um der 
praktischen Bedeutung gerecht zu werden, müssen wir das Leiden 
als eine Epilepsia nocturna bezeichnen. Allem Anschein nach 
ist der entscheidende Anlass zum Ausbruch des Anfalles der 
Alkoholgenuss, ein Vorkommniss, das nicht selten beobachtet 
wird. Dass das Bewusstsein nicht erloschen und in so hohem 
Grade während des Anfalles erhalten war, dass seine Details 
aus der Erinnerung nachträglich wiedergegeben werden können, 
ist nach der Schilderung nicht mehr zweifelhaft. 


Statistische Beiträge zur Verbreitung der Tuberkulose 

Von Dr. A. Gottstein in Berlin. 

Soeben hat R. Koch 1 ) auf dem Londoner Tuberkulosekon¬ 
gress, gestützt auf neue Versuche, die Lehre aufgestellt, dass Rin¬ 
der für den Bacillus der Menschentuberkulose absolut unempfäng¬ 
lich seien. Die zweite, auch nach seiner Ansicht weit wichtigere 
Frage nach der Empfänglichkeit des Menschen für die Rin¬ 
dertuberkulose erklärt Koch nur auf indirektem 
Wege beantworten zu können. Diesen indirekten Beweis findet er 
darin, dass im Vergleich zu der Häufigkeit des Genusses von Milch¬ 
produkten, die ja nachgewiesenermaassen reichliche Beimengungen 
von Perlsuchtbacillen enthalten, dennoch die Erkrankung, nament¬ 
lich von Kindern, an primärer Darmtuberkulose zu den grossen 
Seltenheiten gehört und dann noch oft genug auf die Infektion 
mit Tuberkelbacillen menschlicher Herkunft zurückzuführeu sein 
dürfte. Die Ansicht von Koch, welche nach seinen eigenen 
Worten von der allgemein geltenden abweicht, lautet daher, dass 
die Infektion von Menschen durch die Bacillen der Perlsucht nur 
sehr selten vorkomme und dass es nicht geboten sei, irgend welche 
Maassregeln gegen diese Gefahr zu ergreifen. Die Richtigkeit der 
thntsäckllchen Grundlagen für diesen zweiten Theil der neuen 
Koc h'schen Lehre ist vorläufig von einigen Seiten bestritten 
worden, in jedem Falle aber sind für beide Theile umfangreiche 
Nachuntersuchungen in Aussicht gestellt. 

Der für die Prophylaxe des Menschen wichtigste Theil der 
Streitfrage, ob Menschen durch die Bacillen der Perlsucht an 
Tuberkulose erkranken können, Hesse sieh mit einem Schlage 
durch eine einfache statistische Untersuchung lösen. Man braucht 
nur die Tuberkulosesterblichkeit zweier Bevölkerungsgruppen ein¬ 
ander gegeuüberzustellen, die unter sonst durchaus gleichen Be¬ 
dingungen leben, von denen aber die eine niemals Kuhmilch oder 
Kuhmilchprodukte als Nahruug erhalten hat, die andere dagegen 
ausschliesslich oder überwiegend mit solcher Kost ernährt worden 
ist. Besteht der zweite Theil der Koc h'schen Lehre zu Recht, 
so muss die Tuberkulosesterblichkeit beider Gruppen gleich sein. 
Hat die alte Ansicht von der Gefährlichkeit der Perlsuchtbacillen 
für den Menschen noch Geltung, so muss die Tuberkulosesterblicli- 


‘) Deutsch, med. Wochenschr. No. 33. 


kelt der zweiten Gruppe als Additionsprodukt zweier Infektions¬ 
quellen die der ersten Gruppe tiberwiegen. Man brauchte also nur 
an einem genügend grossen Zahlenmateriale die Tuberkulose¬ 
sterblichkeit von Säuglingen, die nur die Menschenbrust er¬ 
hielten, mit der von solchen, die Thiermilch ganz oder überwiegend 
erhielten, zu vergleichen. Leider erschweren vier Gründe die Aus¬ 
führung dieses Verfahrens erheblich. Erstens gibt es wenige 
Städte, die zugleich bei der Volkszählung die Ernährungsweise der 
lebenden und bei der ärztlichen Leichenschau die der gestorbenen 
Säuglinge aufnehmen. Für die Grösse der technischen Schwierig¬ 
keiten spricht z. B. der Umstand, dass man neuerdings in Ofen-Pest 
auf die Verwerthung dieser Aufzeichnungen wegen unzulänglicher 
Ergebnisse vorläufig verzichtet hat. Für Berlin dagegen hat 
Boeckh seit 1881 werthvolles Material unter Ueberwindung vieler 
Schwierigkeiten gesammelt. Zweitens Ist die Reglstrirung der 
Todesursache für die Kindertuberkulose wegen der vielgestalteten 
Lokalisation ausserordentlich erschwert. Die Todesfälle finden sich 
auf die verschiedensten Nummern der gebräuchlichen Todes¬ 
ursachenschemata vertheilt. Drittens fällt der lange Zeitraum 
zwischen Infektion, latenter oder manifester Krankheit und Tod 
nn Tuberkulose sehr in’s Gewicht. Viele mit Tuberkelbacillen in- 
ficirten Kinder erkranken oder sterben erst lange nach der Säug¬ 
lingsperiode oder die Tuberkulose der Drüsen wird erst im An¬ 
schluss an spätere akute Erkrankungen merkbar und tödtlich. 
Immerhin ist der Brucbtheil der tuberkulösen Säuglinge ein recht 
beträchtlicher. Nach Heubner*) kam unter 844 Säuglingen 
seiner Klinik im Alter bis zu 3 Monaten kein Fall von Tuberkulose 
vor; von den Säuglingen des zweiten Vierteljahrs waren 3.(5 Proc., 
des dritten 11,8 Proc.. des vierten Vierteljahrs 20.(5 Proc. tuberku¬ 
lös. Ausserdem fanden sich unter den 458 im zweiten Lebens¬ 
jahre stehenden Kindern 14,2 Proc. tuberkulöse. Kos sei*) fand 
bei dem gleichen Material der Berliner Charltö unter fast 300 
Sektionsprotokollen hei 2 Kindern unter 3 Monaten tödtliche 
Tuberkulose, im Ganzen bei Kindern bis zu einem Jahre in G Proc. 
Tuberkulose als Todesursache. Von den Kindern von 1—10 Jahren 
war der enorme Procentsatz von 30.3 Proc. tuberkulös: doch war 
nur in 12 Proc. die Tuberkulose Todesursache, ln den übrigen 
Fällen latent. Viertens schliesslich trifft es überhaupt nicht 
zu. dass die beiden zu vergleichenden Gruppen nur in Hinsicht 
auf die Ernährung verschieden, sonst aber gleich gestellt sind. 
Die mit Menscheumilch ernährten Säuglinge befinden sich häufig 
unter besseren hygienischen Verhältnissen und besserer Pflege, 
sind also oft der Infektion weniger ausgesetzt; In jedem Falle sind 
sie einer solchen gegenüber viel widerstandsfähiger. Dabei ist 
von den Aramenkindern ganz abgesehen, da sie nur einen geringen 
Brucbtheil, in Berlin nur 2,25 Proc. der Säuglinge ausmachen. 

Immerhin war es verlockend, wenigstens einen Versuch der 
Lösung an der Hand des grossen Berliner Materials zu machen, 
liier viel Dank der mühevollen Arbeit von Boeckh die erste 
Schwierigkeit fort, die dritte trifft für beide Gruppen gleichmüssig 
zu und die vierte lässt sich durch ein Verfahren umgehen, das 
B o e k h für den vorliegenden Fall direkt empfiehlt und das später 
als ganz allgemeine Methode Körösy') unter dem Namen der 
Intensitätsberechnung einführte. Man braucht nur das 
fragliche Sterblichkeitsverhültnlss mit demjenigen anderer Krank¬ 
heitsgruppen zu vergleichen, auf welche die zu untersuchende 
Frage keinen Einfluss hat. Es bleibt daher nur die zweite 
Schwierigkeit, der für den vorliegenden Fall unzureichenden Rubri- 
cirung der Todesursachen bestehen. Diese Schwierigkeit 
ist hier allerdings so erheblich, dass sie die erhaltenen Ergebnisse 
nur als interessante Anhaltspunkte zur Beleuchtung der Frage, 
nicht aber als entscheidende Beweise erscheinen lässt Ich habe 
aus den „Tabellen über die Bevölkerung der Stadt Berlin“ für 
die 0 Jahre 1893—1898 diejenigen Nummern aus der (V i rchow’- 
schen) Todesursachenhezeichnung herausgesucht in denen die über¬ 
wiegende Mehrzahl der Todesfälle an Kindertuberkulose des 
Säuglingsalters enthalten sein muss. In den übrigen Rubriken 
konnten nur vereinzelte Fälle von Tuberkulose noch verborgen 
sein. Umgekehrt aber enthielten die von mir ausgewählten Rub¬ 
riken bestimmt neben den Fällen von Tuberkulose noch solche 
Todesfälle, die sicher mit Tuberkulose nichts zu thun haben. So 
bezeichnet z. B. No. 67, Hirnhautentzündung, sie enthält alle Fülle 
der tuberkulösen Meningitis, daneben aber noch die traumatischen, 
otitischen und anderweit entstandenen Formen. Ebenso enthält 
die No. 87, Bronchitis chronica, sicher alle Fälle tuberkulöser 
Bronchitis und Bronchopneumonie, soweit sie nicht als Lungen¬ 
schwindsucht unter 89 besonders aufgeführt werden, daneben aber 
auch eine wahrscheinlich erhebliche Zahl nicht tuberkulöser. Rein 
oder fast rein tuberkulösen Charakters ist wohl nur die No. 37 
der Drüsenabzehrung. Die von mir ausgewählten Gruppen waren 
No. 30 Kinderschwindsucht (ausdrücklich gesondert von „sonstiger 
Abzehrung“), No. 37 Drüsenabzehrung. No. 67 Hirnhautentzündung, 
No. 87 Bronchitis chronica, No. 89 Lungenschwindsucht. 

TabellcI. 


Es starben in den Jahren 1893 bis 1898 
(in Klammern Ammenkinder): 

T , .‘50 3 7 67 87 89 

Insgesamt. 744 166 935 1780 400 

Brustkinder: 37(1) 21(1) 1S7(9) 166(4) 33(3) 


an Säuglingen 


Zusammen 

4091 

414 ( 1 «) 


*) Bericht über den Berliner Tuberkulosekongress 1899, S. 282. 
*) Zeitsclir. f. Hygiene Bd. 21. 

*) Zeitschr. f. Hygiene Bd. XVIII. 


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8. Oktober 1901. 


MÜENCHENER MEDICINISCÜE WOCHENSCfiRIFT. 


1611 


Einen Anhalt für die Intensitätsberechnuug gibt dann die 
zweite Tabelle. 


Tabelle II. 

Todesfälle an Kindern über 1 Jahr in Berlin 1893—1898. 


j 

Gestorbene 

Ins- 

gesammt 

davon Brustkinder : 

i 

Verhältniss 

11 

Alle Krankheiten , 

66002 

8772 

(236 Ammenkindor) 

1000:133 

2 

Akute Magen- und , 
Darmkrankheiten j 

23303 

1052 

)23 Ammenkinder); 

i 1 

1000 : 43 

3 | 

Alle Krankheiten 
nach Abzug von 2 

42699 

j 7720 

(213 Ammenkinder)! 

1000:181 

1 

4 

Tuberkulose- Gruppe 

4091 

1 

| 444 ! 

i (18 Ammenkinder) j 

1000:108 


Die Gruppe der akuten Magendarmerkrankungen bedingt be¬ 
kanntlich den erheblichsten Unterschied zwischen Brustkindern 
und andersartig genährten. Bei Ihrer Grösse drückt sie den Ge- 
sainnitdurchschnitt des Sterblichkeitsverhältnisses beider Gruppen 
beträchtlich herab, der ohne sie 1000:181 l»etrilgt. In dieser Zahl 
1000:181 ist aber das Verhültuiss ausgedrtickt, in dem die Brust¬ 
kinder auch abgesehen von der unmittelbaren Einwirkung der 
Nahrung günstiger gestellt sind, als die andersartig ernährten. 
Denn dem einfachen Zahlenbeslaude beider Gruppen nach müsste 
das Sterblichkeitsverhältuiss sonst mindestens 1000:400 sein (vgl. 
SStatistisches Jahrbuch der Stadt Berlin. 1890. S. 30). Die Gruppe 4 
nun, die die Mehrzahl der Todesfälle an Säuglingstuberkulose ent¬ 
hält, zeigt gegenüber dieser Gesammtsterblichkeit, in der also 
schon die sonstige bessere Lage der Brustkinder zum Ausdruck 
kommt, noch ein fast um die Hälfte günstigeres Er¬ 
gehn iss (10:0). Wenn die Krankbeitsbezeiehnung auch nur 
annähernd so rein wäre, wie in Gruppe 2, so müsste man, wie 
dort, schllesseu, dass noch ein iu der Ernährung selbst liegender 
Faktor die günstigere Sterblichkeit herbeigeführt hätte. 

Aus Tabelle I sei noch folgende Einzelheit betont. Unter 
nahezu 0000 Ammeukinderu der Jahre 1893/98 starben 23 an akuten 
Magendarmerkrankungen und 18 aus der Tuberkulosegruppe, näm¬ 
lich je 1 an Kinderschwiudsucht und Drüseunbzehrung, 3 nu Lungen¬ 
schwindsucht, 4 an chronischer Bronchitis und 9 an Hirnhaut¬ 
entzündung. Von diesen letzten 9 werden nicht alle gerade au 
der tuberkulösen Form gestorben sein. Es gehören also die ge¬ 
nannten Krankheiten zu den grössten Seltenheiten bei 
Ammenkindern. 

Da die obigen Betrachtungen leider den schweren Mangel 
ungenauer Krankheitsbezeichuungeu tragen, so scheint mir für 
die vorliegende Frage die folgende Tliatsache, die ich schon durch 
frühere Berechnungen gewonnen habe, die aber erst jetzt allge¬ 
meineres Interesse gewinnt, von grösserer Beweiskraft zu sein. 
Die Berechnung ergibt nämlich, dass der Gang der Sterb¬ 
lichkeit an Tuberkulose in I’reussen während 
der letzten zwei Jahrzehnte für das Säuglings¬ 
und Kindesalter eine ganz andere Kurve bildet 
als für die älteren Lebensabschnitte. Bekanntlich 
hat namentlich Cornet’) zuerst darauf hingewiesen, dass die 
Sterblichkeit an Tuberkulose in Preussen eine seit Mitte der 
achtziger Jahre einsetzende Tendenz zur A b n a h m e zeigt. 
C o r n e t schliesst aus dieser Tliatsache schlechthin, dass diese 
Abnahme die Folge der gesteigerten Prophylaxe, die Folge der 
durch bessere Beseitigung des Sputums verminderten Ansteckungs¬ 
gefahr sei. Dieser Auffassung schliesst sich Koch in seiner 
neuesten Arbeit rückhaltlos au, indem er sagt: „Was allein mit 
der allgemeinen Prophylaxis, welche sich aus der Erkenntniss der 
Ansteckungsgefahr und der dadurch bewirkten grösseren Vorsicht 
gegenüber den Schwindsüchtigen ergibt, zu erzielen ist, das zeigt 
eine Berechnung Cornet's filier die Abnahme der Tuberkulose¬ 
sterblichkeit in Preussen ln den Jahren 1889 bis 1897." Dieser 
Schluss auf die Wirksamkeit der Prophylaxe ist nicht ohne 
Weiteres zulässig, wie folgende von mir entwickelte elementare 
Formel klar macht. 

Bezeichnet man die jährliche Mortalität einer Bevölkerung A 
mit Mt, deren Morbilität mit Mb, die Zahl der Jährlichen Erkrank¬ 
ungen mit a, die der Jährlichen Todesfälle mit b, so ist 

b a 

Mt. = —, Mb. = —, die Letalität, das Verhältnis der Erkrankten 

A A 

zu den Gestorbenen, L = —; eliminirt man nun aus diesen Formeln 

a 

a und b, so erhält man Mt. == Mb.L. 

Die jährliche Mortalität ist also gleich mässig abhängig 
von der Morbilität und von der Letalität. Sie sinkt, wenn einer 
oder beide Faktoren sinken oder wenn beide Faktoren sich un- 
gleichmässlg ändern, der eine aber stärker abnimmt, als der andere 
ansteigt. Die Verminderung der Morbilität ist das Werk der 
Prophylaxe, diejenige der Letalität das der Therapie. 
In keinem Falle aller ist es zulässig, aus der Abnahme der Mor¬ 
talität mit C o r n e t und Koch ohne Weiteres zu schliessen, 


*) BerL klin. Wochensehr. 1895 und 1899. 
No. 41. 


dass die Morbilität abgenommen habe, wenn nicht gleichzeitig 
uachgewieseu wird, dass die Letalität die gleiche geblieben oder 
gar gestiegen sei. Im vorliegenden Falle aller ist es sogar wahr¬ 
scheinlich, wie schon G. Meyer 0 ) gegenüber Cor net betonte, 
dass durch die Fürsorge des Krankenkassengesetzes und durch 
das gesteigerte Interesse für die Behandlung der Lungenleiden 
gerade die Letalität abgenommen hat. Aber es bedarf nicht 
einmal der Tliatsache der grösseren Heilbarkeit, um eine Abnahme 
der Mortalität herbeizuführen. Es braucht nur während eines 
längeren Zeitraums eine beträchtliche, von Jahr zu Jahr steigende 
Zahl von Kranken durch therapeutische Fortschritte eine Ver¬ 
längerung der Krankheitsdauer erfahren haben. 
Dann muss während dieses Zeitraumes bis zur Erreichung des 
Gleichgewichtes die jährliche Letalität sinken, weil die Zahl 
der Erkrankten um so viel ansteigt, als die der jährlich Gestor- 
lienen sinkt. Und mit dieser sinkenden Letalität sinkt auch die 
jährliche Mortalität, ohne dass ein Mensch weniger erkrankt ist 
oder ein Erkrankter weniger an der Tuberkulose gestorben ist. 
Der Schluss, dass es allein die Wirkung der Prophylaxe, die Herab¬ 
setzung der Morbilität ist, welche die Mortalität der Phthise 
verringert hat, schwebt durchaus in der Luft und ist Angesichts 
der thatsäclillch auf die Letalität stark herabsetzend wirkenden 
Faktoren bis jetzt nicht einiuul wahrscheinlich. Natürlich wird 
aber die Prophylaxe einen gewissen Antheil an der Abnahme 
haben.*) 

Aber die C o r n e t’sclie Beweisführung hat noch eine zweite 
statistische Forderung nicht lieachtet, die für die Tuberkulose 
Würzburg schon 1884 begründete. Man darf nicht diegesammte 
Bevölkerung vergleichen, sondern für jede Altersklasse gesondert 
die Zahl der Todesfälle mit der Zahl der liebenden. Verfährt man 
so, dann erhält man das wichtige Ergebniss, dass die Abnahme 
der Tul>erkulose8terbliehkelt nur für die Jahresklassen über 
20 Jahren gilt und zwar mit zunehmendem Alter in steigendem 
Grade, dass sie aber bei den Altersklassen unter 20 Jahren, vor 
Allem beim Kindesalter, sich ganz anders verhält. Diese That- 
sache war schon Kruse bekannt. In seiner Arbeit: „Die Ver¬ 
minderung der Sterblichkeit ln den letzten Jahrzehnten und ihr 
jetziger Stand" 7 ), gibt er in Tab. V die Sterblichkeit für die Lebens¬ 
dauer von 10—30 Jahren in den Jahren 1884/94 und in Tab. VI 
für die Altersklassen von 30—00 Jahren in dem Zeitraum 1875/91 
an. „Danach schien die Tuberkulosesterblichkeit im 10.—15. Le¬ 
bensjahre im Wesentlichen konstant geblielien zu sein. Un¬ 
bedeutend ist jedenfalls auch die Verminderung der Tuberkulose 
im Alter von 15—20 Jahren, ganz erheblich dagegen in den folgen¬ 
den beiden Altersstufen und zwar bei beiden Geschlechtern." „Die 
Tuberkulosesterblichkeit der männlichen Personen von 30 bis 
00 Jahren seit 1887, die der weiblichen desselben Alters seit 1885 
ist iu beständigem Sinken begriffen.“ „Nach Tab. IV (1875/91), 
welche die Sterblichkeit der männlichen Säuglinge wiedergibt, 
könnte es scheinen, als ob im ersten Lebensjahr die 
Tuberkulose geradezu häufiger geworden se i." 
Indess nimmt Kruse an, „dass hier nur ein Effekt der besseren 
Kegistrirung der Todesursache vorliegt“ und verzichtet bei dem 
augenblicklichen Zustand der Todesursachenstatistik für dieses 
Lebensalter auf ein sicheres Urtheil. 

Nun gibt es aber eine für den vorliegenden Fall brauch¬ 
bare seither erschienene Quelle, iu der die Todesursachen- 
statistik zuverlässiger ist, nämlich den Band 157 der „Preussischen 
Statistik" vom Jahre 1899. In diesem Quellenwerk bringt 
die Einleitung eine „Uebersicht über die ln den Gross¬ 
städten und Universitätsstädten au Tuberkulose Gestorbenen 
im Verhültuiss zu den Lebenden nach Altersklassen für die 
Jahre 1870, 1881, 1880 und 1891 bis 1897". Iu dem Text zu 
diesen Talielleu heisst es ausdrücklich: „Besonders lieweiskräftig 
sind die Nachrichten aus den Grossstädten und Universitätsstädten, 
weil dort die Grundlagen für die vorgeführteu Berechnungen be- 


•) Berl. klin. Wocliensclir. 1809. 

7 ) Zeitschr. f. Hygiene 1897, Bd. 25. 

*» Gerade umgekehrt wie bei der Tulierkulose, aber ebenso 
willkürlich ging mau bol der Diphtherie vor; man Ulentitlzlrte 
hier ohne Weiteres die Abnahme der Mortalität mit der¬ 
jenigen der Letalität, also mit der Einwirkung der Serum- 
thempie, ohne die Abhängigkeit der Mortalität von der Er- 
krankungsziffer zu berücksichtigen. Leider besitzen wir für die 
wenigsten Städte eine brauchbare Morbilitätsstatistik; München 
verfügt über eine solche iu der von dem ärztlichen Verein ge¬ 
sammelten Erkrankungsstatistik. Aus den Angaben der amtlichen 
„Münchener Jahresübersichten" für das Jahr 1898 habe ich folgende 
Tabelle berechnet: 

Diphtherie und Croup in München nuf 10 000 Einwohner; 
Letalität in Procent: 



Mt. 

Mb. 

Let. 


Mt 

Mb. 

Let. 

1891 

9,5 

72,2 

13,2 

1896 

6,2 

49,6 

10,6 

1892 

8,3 

60,0 

13,8 

1896 

4,5 

45,2 

9,0 

1893 

6,7 

53,1 

12,7 

1897 

4,3 

39,4 

10,9 

1894 

7,5 

51,6 

12,8 

1898 

4,1 

31,9 

13,0 


Ein Blick auf die Tabelle genügt, um zu erkennen, dass die 
Abnahme der Diphtheriemortalität in München auf weniger als 
die Hälfte nicht durch die Abnahme der I^etalität bedingt ist, 
sondern durch die der Morbilität. Ganz ähnlich verhält es sich 
in anderen Städten, wie z. B. iu Dresden und Berlin, nur dass die 
meist ganz unbrauchbaren Morbilltütszifferu eine exakte Berech¬ 
nung ausschliessen. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 4L 


1612 

sonders zuverlässig sind und eine ärztliche Fest¬ 
stellung der Todesursachen verlangt wird.“ Indem ich 
die Einzeldaten aus den 23 dort aufgeführten Städten zusammen- 
zülilte, erhielt ich genügend grosse Zahlen, um aus ihnen brauch¬ 
bare Schlüsse zu ziehen. Auf diesem Wege habe ich folgende Ta¬ 
belle gewonnen: 


Tabelle III. 

Todesfälle au Tuberkulose in 23 Gross- und Universitätsstädten 
Preussens. Auf 10 000 Lebende jeder Altersklasse. 


Jahr 

Insge- 

0-1 

1—15 

15-30 

30-60 

60-70 

70 

u. mehr 
Jahre 

sammt 

Jahr 

Jahre 

Jahre 

Jahre 

Jahre 

1876 

38,33 

35,99 

13,24 

31,21 

60,47 

71,82 

46,28 

1881 

87,22 

51,98 

15,13 

31,45 

67,25 

66.01 

43,80 

1886 

35,62 

51,80 

17,34 

29,96 

56,67 

62,55 

42,99 

1891 

31,54 

50,98 

14,49 

25,07 

47,33 

48,57 

37,84 

1892 

28,85 

47,60 

14,22 

23,23 

42,29 

48,85 

34,40 

1893 

29,46 

49,21 

14,19 

25,50 

42,98 

47,88 

33,19 

1894 

2*,63 

43,80 

13,16 

25,37 

40,51 

42,09 

30,36 

1395 

28,14 

43,24 

12,48 

24,95 

39,83 

46,10 

29,27 

1896 

26,04 

43,66 

11,92 

22,15 

37,68 

41,54 

27,92 

1897 

25,50 

40,68 

11,92 

22,01 

36,42 

39,46 

28,06 


Um den Grad der Schwankungen augenfälliger zu machen, 
habe Ich in Tab. IV die Zahlen des ersten Jahres = 100 gesetzt. 
Nun zeigen die Altersklassen von 0—1 und 1—15 Jahren gerade im 
Jahre 1870 besonders niedrige Wertlie. Auch aus der Tab. IV von 
Kruse ersieht man, dass die Jahre 1870/78 niedrigere Wert he 
zeigen, als das vorausgegangene und die folgenden. Man kann 
daran denken, dass erst um die Mitte der 70 er Jahre der Begriff 
der Tuberkulose durch Heranziehung namentlich der chirurgischen 
Formen eine Erweiterung erfuhr und dass daher 1870 der Begriff 
der Krankheit als Todesursache noch nicht so weit gefasst wurde, 
wie später. Seit 1881 aber hat keine wesentliche Aenderung der 
Begriffsbestimmung stattgefunden. Um daher dem Einwand einer 
Täuschung durch zu (»rundelegen einer zu niedrigen Einheitszuhl 
zu begegnen, halte ich in meiner Tab. IV unter u das Jahr 1870 und 
unter b das Jahr 1881 als Einheit zu Grunde gelegt. 


Tabelle IVa. 

• Todesfälle an Tuberkulose in 23 preussischen Städten. 
1876 = 100. 


Jahr 

Insge- 

sammt 

0—1 

Jahr 

1—15 

Jahre 

15-30 

Jahre 

30—60 

Jahre 

60—70 

Jahre 

1876 

100,0 

1C0,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

1881 

97,1 

144,4 

114,3 

100,8 

94,6 

91,9 

1886 

92,9 

143,9 

130,9 

96,0 

93,6 

87,1 

1891 

82,3 

141,7 

109,4 

80,3 

78,3 

67,6 

1892 

75,3 

132,3 

107,4 

74,4 

69,9 

68,0 

1893 

76,8 

136,7 

107,2 

81,7 

71,1 

66,6 

1694 

74,7 

121,7 

99.4 

81,3 

67,0 

58,6 

1895 

73,4 

120,4 

94,2 

79,9 

65,1 

64,3 

1896 

67,9 

121,8 

90,0 

70,9 

62,3 

57,8 

1897 

66,5 

113,0 

90,0 

70,5 

60,0 

54,9 


Tabelle IVb. 
Dasselbe. 1881 = 100. 


1 

Insge- 

0-1 

1-15 j 

15-30 

30—G0 l 

60-70 


sammt 

Jahr 

Jahre j 

Jahre 

Jahre 

Jahre 

1681 

1 100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

100,0 

1886 ! 

! 95,7 

99,6 

114,6 

95,3 

99,9 

94,8 

1891 1 

84,7 

98,1 

95,9 

79,7 

62,7 

73,5 

1892 1 

77,5 

91,6 

94,0 

73,8 

73,9 

74,0 

1893 j 

79,4 

94-7 

93,8 

81,0 

75,0 

72,5 

1894 | 

76,9 

84,3 

87,0 

80,7 

70,8 

63,7 

Ife95 ! 

75,6 

83,2 

82,5 

79,3 

69,G 

69,8 

1896 i 

70,0 

81,0 

78,8 

70,4 

65,8 

62,9 

1897 ; 

i 

68,5 

78,3 

78,8 i 

69,9 

63,7 

59,7 


Es ist also in- den 23 Städten die Säuglingssterblichkeit an 
Tulterkulose heute noch höher als 1870 und die Kindersterblichkeit 
nicht nenneuswerth geringer. Schultet man selbst das für die 
Kindertuberkulose auffällig niedrige Wertlie ergebende Jahr 1870 
aus, so ist die Säuglingssterblichkeit in den Jahren 1881/03 kaum 
nenneuswerth herabgegangen und fiel dann allmählich bis auf 
etwa vier Fünftel der ursprünglichen Höhe. Genau das Gleiche 
gilt für die Kindersterblichkeit. Die Sterblichkeit der höheren 
Altersklassen dagegen fängt, wie auch der Vergleich mit anderen 
Quellen beweist, gleich nach dem Jahre 1880 erheblich zu sinken 


an und zwar bis auf zwei Drittel der ursprünglichen Höhe und 
mehr. Es zeigen sich also zwei erheblich von einander abweichende 
Typen der Tuberkulosekurven, deren Trennung etwa durch die Er¬ 
reichung des 15.—20. Lebensjahres gegeben ist. Es erklärt sich 
dies nicht ohne Weiteres aus der Verschiedenheit der Lokalisation 
der Tuberkulose in den verschiedenen Lebensaltern. Erwägt man 
das Ergebniss an der Hand der Formel Mt. = Mb. L., so muss man 
zugeben, dass durch die Fortschritte namentlich der Chirurgie 
seit 1881 die Erfolge in der Behandlung der Kindertuberkulose 
mindestens so hoch angeschlagen werden müssen, als in der Be¬ 
handlung der Lungenphthise. Zwar die tul>erkulöse Meningitis 
und Miliartuberkulose sind ebenso verhängulssvoll, wie früher; 
aber das frühe und erfolgreiche Eiuschreiten des Operateurs hat 
diese Komplikation in vielen Füllen von Drüsen- und Knochen¬ 
tuberkulose abwenden können. Ausserdem tragen die Einrich- 
tuugen der Seehospize, Ferieukolonien u. s. w. dazu bei, dass der 
Faktor der Letalität bei der Kindertuberkulose wohl mindestens 
ebenso eingeschränkt worden ist, wie bei der Lungenphthise der 
Erwachsenen. Der Fortschritt der Prophylaxe durch sorgfältigeres 
Umgehen mit den Sputis muss ln genau demselben Grade den 
Kindern zu Gute gekommen sein, wie den Erwachsenen. Die Ab¬ 
nahme der Tuberkulosesterbliclikeit bei diesen Letzteren muss zum 
grösseren Tliell auf die Abnahme der I»etalitüt durch die grössere 
Sorgfalt bei der Behandlung, gewiss zum kleineren Theil auch 
auf die grössere Vorsicht beim Umgang mit Phthisikern und deren 
Auswurfstoffen im Sinne von Koch-Cornet zurückgeführt 
werden. Beide Momente kommen aber auch für die Kindertuber¬ 
kulose in Betracht. Die Empfänglichkeit der Generation seit 18S1 
für den Tuberkelbacillus dürfte auch kaum als gesteigert anzu¬ 
sehen sein. Man hätte demnach unter allen Umständen ein 
gleiches Verhalten ln der Sterblichkeitskurve erwarten müssen. 
Da aber eine recht auffallende Abweichung stattfindet, so Ist per 
exclusionem der Gedanke unabweisbar, dass in der Aetiologie 
der Tuberkulose der Kinder und der Erwachsenen schwer¬ 
wiegende Unterschiede vorliegen müssen. Man muss 
für die Infektion der Kinder eine andere Quelle anuehmen, als 
für die der Erwachsenen und dann liegt es allerdings nahe, aus der 
statistisch festgestellten Ungleichheit den Schluss zu ziehen, dass 
die Quelle der Kindertuberkulose zum Theil in der Ernährung 
mit tul>erkelbacillenhaltlger Milch zu suchen sei. während deren 
Abnahme seit 1S94 auf die bessere allgemeine und individuelle 
Prophylaxe der Milchversorgung zurückzuführeu ist. Ich wenig¬ 
stens habe vor etwa Jahresfrist, als ich die oben angeführten Ta¬ 
bellen ausarbeitete, ln dem erhaltenen Ergebniss einen sicheren 
Beweis für den Einfluss der Ernähruugslnfelction auf die Ent¬ 
stehung der Kindertuberkulose zu finden geglaubt. Damals dachte 
noch Niemand an die Möglichkeit, es köunten die Perlsuchtbacilleu 
aetiologisch verschieden sein von denen der menschlichen Tuln*r- 
kulose und für den Menschen als unschädlich gelten. Nachdem 
heute von Koch diese Lehre nufgestellt ist, halte ich es für nütz¬ 
lich, meine Tabellen mitzutheilen und die von mir aus ihnen ge¬ 
zogenen Schlüsse zur Prüfung auf ihre Stichhaltigkeit zur Dis- 
cussion zu stellen. 


Referate und Bücheranzeigen. 

P o n f i c k : Topographischer Atlas der medicinisch- 
chirargischen Diagnostik. Jena 1901, Verlag von G. Fischer. 

Diejenige Betrachtungsweise, welche man für die normalen 
Verhältnisse als „topographische“ Anatomie der sogen, „deserip- 
tiven“ gegenüberstellt, findet bei den innigen Beziehungen, der 
pathologischen Anatomie zur Klinik in der ersteren seit jeher 
eine ausgedehnte Anwendung, aber sie wurde bisher noch nicht 
als solche abgegrenzt; noch weniger hat sie je in Bilder¬ 
werken eine Darstellung erfahren. Eine bildliche Darstellung 
einer solchen topographischen pathologischen Anatomie 
ist das Prinzip, welches dem „topographischen Atlas 
der medicinisch-chirurgische n Diagnostik“ 
zu Grunde liegt. Bei der Herstellung desselben war der Heraus¬ 
geber von dem Grundsätze geleitet, dass naturgemäss ein solcher 
Atlas, nicht wie entsprechende Bilderwerke der normalen Ana¬ 
tomie, eine vollständige und systematische Darstellung des Ma¬ 
terials bringen kann, sondern sich darauf beschränken muss, 
einerseits besonders häufige und desshalb wichtige Vorkommnisse, 
andererseits möglichst typische Bilder zu bringen, wodurch 
eine relative Vollständigkeit erreicht werden kann und soll. Als 
Grundlage der Darstellung wurden Gefrierdurchschnittc 
gewählt, welche zwar vielleicht weniger als Oberflächenbilder 
ein momentanes Zurechtfinden erlauben dürften, aber den hier 
unentbehrlichen Vortheil höben, dass dabei auf einer Tafel 
in zusammenfassender Weise der ganze Situs zur Darstellung 
kommt, während man sonst eine Serie von Tafeln für denselben 
nüthig hätte, wobei noch dazu der innere Zusammenhang mehr 
oder weniger verloren ginge. 

Eine Durchsicht des Atlas überzeugt auch sehr bald davon, 
dass man auf diesen Gefrierdurchsehnitten auf Verhältnisse 


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8. Oktober 1901. 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1613 


und Lageboziehungen aufmerksam wird, welche während der 
Auseinandernahme des Situs bei der Sektion nicht so hervor¬ 
treten würden. Man vergleiche z. B. die Tafel II mit dem 
Oedem der Pleura oder Tafel V, welche ein Pyloruscarcinom 
darstellt und dabei zeigt, welcher Raum von dem, von aussen 
vielleicht durchfühlbaren Tumor nicht vom carcinomatösen 
Magen, sondern von den hinter ihm gelegenen Drüsenpaeketeu 
und dem Pankreas eingenommen wird, ferner Tafel VIII, welche 
den bei Perforation des Magens oder Darms von der ausgetretenen 
Luft erfüllten Raum zeigt, Tafel XV, welche die Anfüllung 
der Trachea mit Blut erkennen lässt, welche bei haemorrhagischer 
lnfarcirung der Lunge eintritt und selbst Erstickungstod be¬ 
dingen kann, und andere mehr. Desshalb wird auch erst ein 
genaueres Studium der Tafeln den vollen, auf den ersten Blick 
nicht in dem Maasse in die Augen fallenden Werth derselben 
erkennen lehren. Sie werden das Interesse des Obducenten und 
des Klinikers auf jene Punkte zu konzentriren geeignet sein, 
welche für beide von gemeinsamer, gleich grosser Bedeutung 
sind, indem sie das wieder hersteilen, was bei der schichtweisen 
Auseinanderlegung des Situs verloren geht. 

Die Tafeln sind durchwegs farbig und entweder in natür¬ 
licher Grösse oder doch nur in geringer Reduktion der Grössen¬ 
verhältnisse (nicht mehr als %) dargestellt; welche Summe von 
Arbeit in der Auswahl der Fälle, in der Herstellung der Prä¬ 
parate, der Wahl der Schnittrichtung und der der wiederzugeben¬ 
den Bilder enthalten ist, wird wohl auch eine genaue Betrach¬ 
tung des ganzen Werkes kaum vollkommen nachfühlen lassen; 
nicht minder als die von Herrn Dr. phil. höschm a n n ausge¬ 
führte Wiedergabe der Originale ist auch die Ausführung der 
Tafeln wie die Ausstattung des Werkes seitens der Verlags¬ 
handlung hervorzuheben. 

Der Atlas wird in 5 Lieferungen von je 6 Tafeln mit zu¬ 
sammen 40 Situationsbildern erscheinen. Jeder Tafel ist ein 
deutscher, englischer und französischer Text beigefügt und mit 
einer schwarz wiedergegebenen Skizze versehen, welche die Be¬ 
zeichnungen trägt. Schmaus- München. 

Dr. A. Riffel: Weitere pathogenetische Stadien über 
Schwindsacht and Krebs and einige andere Krankheiten. 

Frankfurt a. M. 1901, Verlag von Joh. Alt. VIII und 107 Seiten 
Text und 35 Tafeln in Mappe. Preis M. 16.—. 

R i f f e l’s Arbeiten dürfen bei den Lesern vielfach als be¬ 
kannt vorausgesetzt werden (Die Erblichkeit der Schwindsucht 
u. s. w. Karlsruhe o. J. — Mittheilungen über die Erblichkeit 
und Infektiosität der Schwindsucht. Braunschweig 1892). Im 
vorliegenden Werke theilt er in farbigen durch Textbeschreibung 
erläuterten Diagrammen die gesundheitlichen Stammbäume von 
46 Familien mit, um dadurch weitere Beweise für seine Ver- 
erbungstheorio zu bringen. Seine Beobachtungen sind vom 
Standpunkte des praktischen Arztes aus gemacht. Sie beweisen, 
wie Verfasser sagt, „dass die Tuberkulosefrage noch lange 
nicht so klar ist, wie von extrem bacteriologischer Seite be¬ 
hauptet wird, und sie deuten mit unerbittlicher Strenge darauf 
hin, dass gerade auf dem Tuberkulosegebiete die Entscheidungs¬ 
schlacht darüber wird geschlagen werden müssen, ob wir die 
Bacterien wie Heuschreckensehwärme zu betrachten haben, die 
kommen, verheeren und dann auf Jahre, oft auf viele Jahre 
wieder verschwinden, oder ob wir auch einen Blick in die stets 
und durch alle möglichen Dinge wandelbare Konstitution der 
Menschen zu werfen und die erste und Hauptursache von Krank¬ 
heiten darin zu suchen haben“. Riffel sieht den Tuberkel¬ 
bacillus nur als Nosoparasiten an. Selbst der wissenschaftliche 
Gegner, wenn er sich selbst nicht für unfehlbar hält, muss aner¬ 
kennen, welch’ eine ganz ungeheuere Fülle, von Fleiss und Arbeit, 
aber auch vonBeobachtungsthatsaehen von grösstem wissenschaft¬ 
lichen Werthe in den Riffel’schcn Schriften niedergelegt ist, vor 
Allem auch wieder in der vorliegenden. Ich bin weit davon 
entfernt, an dieser Stelle zu sagen, Riffel habe nun in allem 
Recht. Aber dass durch die Reihen scharf beobachtender Prak¬ 
tiker sowohl als auch vieler Hygieniker, die sich ebenfalls auf 
reiche, auch experimentelle Erfahrungen stützen können, ein in 
gewissem Sinne antibacterieller Wind weht, dass man der Dis¬ 
position (mit Recht) immer grössere Bedeutung beizulegen bereit 
ist, muss ja heutzutage jeder sehen. Wenn man nun auch das 
Thatsachenmaterial RiffeVs hier in Kürze referendo, nicht 
wiedergeben kann, so muss doch die neue Arbeit als der Be¬ 


achtung aller Tuberkuloseforscher gerade aus den genannten 
Gründen dringend empfohlen werden. 

Liebe- Waldhof Elgershausen. 


Karl Beck M. D.: Fractures with an appendix on the 
practical use of the Röntgen raya. Philadelphia, W. B. Saun- 
ders & Comp., 1900. 

Die in manchen Gebieten geradezu umwälzende Entdeckung 
der Röntgenstrahlen hat besonders in dem Gebiete der Frakturen¬ 
lehre zu genauerer Erkennt niss geführt, nachdem wir vermittels 
des Skiagramms sozusagen im Stande sind, die anatomischen 
Verhältnisse, die Art der Dislocation, Splitter, Fissuren im Ge¬ 
lenke etc. am Lebenden zu inspiziren, und besonders da, wo früher 
die Diagnostik eine unvollkommene war, wie z. B. an den so ver¬ 
schiedenartigen Frakturen des Ellbogens, den für die Palpation 
so wenig zugänglichen Beckenfrakturen etc. exakte Diagnosen zu 
stellen. Wenn auch zahlreiche eingehende Arbeiten über dies Ge¬ 
biet vorliegen, so ist doch das B e e k’sehe Werk das erste, das 
eine systematische Darstellung der Frakturenlehre vom skia- 
graphischen Standpunkte aus darbietet. B. bespricht zunächst 
in einem allgemeinen Theil, Erscheinungen, Diagnose etc. der 
Frakturen, die Heilungsvorgänge und deren Störungen und 
kommt dann im speziellen Theil zur Darstellung der einzelnen 
Frakturen mit Einfügung entsprechender zahlreicher Röntgeno- 
gramrne (178 Abbildungen), bei denen betreffs der Differential¬ 
diagnose stets auch die unter Umständen zu ähnlichen Deformi¬ 
täten führenden Luxationen herangezogen sind. Betreffs der 
Therapie werden die bewährtesten Methoden eingehend ge¬ 
schildert, und B. huldigt im Allgemeinen nicht dem übertriebenen 
Standpunkt, auch subkutane Frakturen mit der Drahtnaht zu 
behandeln, er beschränkt vielmehr das operative Vorgehen auf 
die mit starker Diastase der Fragmente einhergehenden Frak¬ 
turen des Olecranon, der Patella, bei welch’ letzterer er die 
Durchbohrung der Fragmente nicht billigt, sondern ein einfaches 
Herumführen der Drahtnaht um die Fragmente befürwortet. 
Selbstverständlich wird auch bei Pseudarthrosen operatives Ver¬ 
fahren (speziell die treppenförmige Anfrischung der Fragmente) 
empfohlen. In einzelnen Kapiteln schildert B. seine eigenen 
Methoden, wie z. B. bei der Claviculafraktur, bei welcher er 
einen Moospappeverband mit Fixation eines entsprechend zuge- 
bogeneu Stückes Moospappe durch Bindentouren dem Say re'- 
sehen Verband vorzieht. In vielen Kapiteln führt B. die von ihm 
nach einem grossen Material speziell festgestellten skiagr. Be¬ 
funde, z. B. das häufige Vorkommen der Frakturen des Proc. 
styloideus ulnae und der Fissuren des Capitulum ulnae etc., näher 
aus und hebt hervor, dass manche Frakturen, wie z. B. die Ole- 
cranonfrakturen, als viel häufiger anzusehen sind, als bisher ge¬ 
schehen (8 Proc. sämmtlicher Frakturen). Die grosse Mehrzahl 
der Frakturen findet eine eingehende Darstellung, wenn auch bei 
einzelnen, wie z. B. bei den Frakturen des Ilumeruskopfes, des 
Calcaneus, die einzelnen radiographischen Varianten noch etwas 
näher hätten ausgeführt werden können, auch die Schussfrak¬ 
turen etc. vielleicht etwas zu anhangsweise mit eingefügt sind. 
Von grossem Interesse ist der von B. seinem Werke angereihte 
Anhang über den praktischen Gebrauch der Röntgenstrahlen, 
worin er das grosse Anwendungsgebiet der Röntgenstrahlen in 
Medicin und Chirurgie bespricht, u. a. die Ausfüllung von 
Empyemhöhlen mit Bismuth-subuitr.-Lösung betr. genauerer Er¬ 
kennt niss ihrer Ausdehnung, die Diagnostik von Magenektasien 
etc. mittels quecksilbergefüllter Sonden, die Diagnostik der 
Nieren- und Blasensteine und speziell der Gallensteine mittels 
der RÖntgenogramme. Speziell betr. der letzteren hält B. an 
der von ihm festgcstellten Erkennbarkeit durch Röntgenogramme 
(bei durchscheinenden Steinen mit sehr kurzer Expositionszcit) 
gegenüber anderen Autoren fest, auch die Diagnose von Gefäss- 
krankheiten etc. werden besprochen und speziell die therapeu¬ 
tischen Erfolge bei Lupus vulgaris, Sykosis etc. 

Ein ferneres wichtiges Kapitel ist das noch angefügte über 
Täuschungen bei llöntgenographie, worin B. eine Reihe von wich¬ 
tigen Momenten, die zu irrthümlichen Auffassungen führen 
können, wie z. B. das Os trigonum tarsi etc., bespricht und wobei 
speziell eventuelle gerichtlich-medicinische Fragen mit heran¬ 
gezogen werden. 

Beck hat bei nahezu 3000 Rönlgenogrammen seit 1896 nie 
die geringste Hautreizung etc. gesehen und glaubt, dass nur 
zu lange Expositionszeit etc. derartige Schädigungen durch die 

5 * 


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1614 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


Röntgenstrahlen ermöglicht. Das Prof. W. Röntgen ge¬ 
widmete Werk ist wie die meisten amerikanischen medicinischen 
Bücher vorzüglich gedruckt und ausgestattet und sei auch den 
deutschen Aerzten bestens empfohlen. Schreiber. 

Dr. P. Münz- Nürnberg: Handbnch der Ernährung für 
Gesunde und Magenkranke. Mit besonderer Berücksichtigung 
der jüdischen Speisegesetze. Mainz, Druck und Verlag der 
Joh. W i r t’schen Ilofbuchdruckerei A.-G., 1901. 

Wer heute noch ein Handbuch oder einen Leitfaden der Er¬ 
nährung schreibt, hat eigentlich die Pflicht, sich für das Wag- 
niss bei seinen Lesern zu entschuldigen. Neue Gesichtspunkte 
kann er ihnen schwerlich bieten, und die bereits vorhandenen 
Bücher bilden schon Bibliotheken. Kein Wunder, wenn man 
etwas misstrauisch jedem noch erscheinenden Werke entgegen¬ 
tritt. Um so angenehmer war Referent bei der Lektüre der vor¬ 
liegenden Arbeit überrascht. Der Autor hat es allerdings auch 
geschickt verstanden, die angedeuteten Schwierigkeiten glücklich 
zu überwinden. Er bekundet sogar dadurch eine gewisse Ori¬ 
ginalität, dass er in den Kreis seiner kritischen Betrachtungen 
und der, wenn auch populär gehaltenen, medicinischen Bemer¬ 
kungen die jüdischen Speisegesetze zieht, deren grosse diätetische 
Bedeutung er in geistreicher Weise darzustellen sucht. Auch 
mehrere mittelalterliche jüdische Mediciner kommen zum Wort, 
vor Allem bemerkenswerth und interessant sind aber die zahl¬ 
reich citirten Aussprüche von Maichonides, einem der 
grössten Diätetiker aller Zeiten, Gedanken, die zum Theil einen 
ganz modernen Anstrich haben. 

Es würde den Rahmen des Referates überschreiten, näher 
auf die Details einzugehen. Das Thema und die Behandlung 
des Stoifes werden schon — abgesehen von dem niedrigen Preise 
des Werkes — dafür sorgen, dass sich das M ü n z’sche Buch 
bald einen grösseren Freundeskreis erwirbt und — was dasselbe 
bedeutet — auf eine zweite Auflage nicht zu lange zu warten 
hat. Dr. Alexander. 

Prof. Dr. A. J a r i s c h: Die Hautkrankheiten. Mit 60 Ab¬ 
bildungen. Wien 1900. A. Holder. 

Nachdem ich bereits nach Erscheinen der ersten Hälfte dieses 
trefflichen ausführlichen Lehrbuchs der Dermatologie mich über 
die Vorzüge desselben ausgesprochen habe, erübrigt mir heute, 
da das ganze Werk beendet, nur Weniges beizufügen. So sehr 
J arisch auch den konservativen Standpunkt der Wiener 
Schule vertritt, hält er sich doch von einer einseitigen Unter¬ 
schätzung der Ergebnisse moderner Forschung durchaus frei. 
Er wird im Gegentheil den letzteren, auch da, wo er andere 
Meinungen vertritt, und nicht immer beistimmen kann, stets 
gerecht und seine kritische Beurtheilung hält sich stets in dem 
Rahmen einer ruhigen, vornehmen und objektiven Kritik, deren 
Aeusserungen dadurch an Wirksamkeit gewiss nur gewinnen. 
Reichliche Literaturangaben und die Berücksichtigung der 
vielen, gewiss nur zum Theil mit Recht als neu geschilderten 
Krankheitstypen lassen das Werk trotz seines konservativen 
Zuges als durchaus modern erscheinen, und ich habe nicht den 
geringsten Zweifel, dass dasselbe von allen Fachkollegcn als ein 
wahres „Standard work“ angesehen und geschätzt werden wird. 
Für Jeden, der sich über die neuesten Streitfragen, speciell auf 
histologischem, aber auch auf klinischem Boden eingehend zu 
orientiren gedenkt, bietet J a r i s c h’ Lehrbuch geradezu eine 
Fundgrube des Wissens und der Belehrung. Ganz besonders er¬ 
freulich ist für den Praktiker die auf der Basis reichster per¬ 
sönlicher Erfahrung beruhende Darstellung der Therapie. Da¬ 
bei kommen auch die Ergebnisse anderer Forscher keineswegs zu 
kurz: für den Leser aber ist es von grösstem Nutzen, hier die 
von mancher bisheriger Uebung abweichende Ansicht des Ver¬ 
fassers ausführlich erörtert zu finden. Selbst alte und erfahrene 
Praktiker werden hieraus zu lernen haben. Ich stehe nicht an, 
die „Hautkrankheiten“ von J a r i s c h als eines der besten heute 
existirenden Lehrbücher der Dermatologie allen Interessenten, 
denen an einer ausführlicheren, über den Rahmen eines Kom¬ 
pendium hinausgehenden Darstellung gelegen ist, auf’s An- 
ireUeentliehste zu empfehlen. K o p p. 




Neueste Journalliteratur. 

Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 37—39. 

No. 37. W. K rn in er-Glogau: Zur chirurgischen Behand¬ 
lung thrombosirter TJnterschenkelvaricen. 

Wenn auch f(lr die Fülle mit sehr starrwandigen Gefiissen die 
Totalexstirpation der von der Thrombose befallenen Veneuerweite- 
ruugeli berechtigt bleibt, so sieht doch Kr. in einer Iteihe vou 
Fällen die Indikation zu einem einfacheren, weniger eingreifenden 
Verfahren, das nach entsprechender Hnutincislon ln Längsspaltung 
der Gefässstränge mit vorsichtiger Entleerung der Gerinnsel- 
massen besteht. Kr. fand dies Verfahren seit ca. 10 Jahren be¬ 
währt und hat in ca. 50 Fällen nach dieser Operation (zu der 
hauptsächlich die trotz Fehlens frischer EntzUndung seit länger 
bestehenden und anderweitig nicht zu ljeseitigenden Beschwerden 
Anlass gaben) nie nachtheilige Folgen (Embolie etc.) beobachtet. 
Die Wunden heilten unter Ruhelage 1 h* 1 fieberlosem Verlaufe ohne 
Fistelbildung und hinterliessen schmale schmerzlose Narben, die 
Patienten wurden bald von ihreu Beschwerden befreit. 

W. Mertens: Zur retrograden Bougirung des Oesophagus. 

Mittheilung eines sehr guten Erfolges bei sehr engen Strlk- 
turen nach Ammoniakverätzuug. 

A. Hammesfa h r: Die extraperitoneale R&dikaloperation 
medianer Bauch- und Bauchnarbenbrüche. 

H. hat das von ihm schon früher mitgetheilte Verfahren, 
durch das ihm die glatte Heilung einer Reihe von Bauch- und 
Bauchnnrbenbriiehen (zum Theil nach mehrfachen früheren ver¬ 
geblichen Operationen) gelang, neuerdings vereinfacht. H. prii- 
pnrirt einen vom Schwertfortsatz bis zur Symphyse reichenden 
ovalen Hautlappen mit dem subkutanen Fett ab. resp. eutblösst 
so den Bruchsack von seiner häutigen Hülle (event. accideutelle 
Eröffnung des Bruchsacks wird sofort mit feinen Nähten wieder 
geschlossent; ist dannch die vordere Itectusseheide noch nicht in 
ihrer ganzen Breite freigelegt, so wird die Bauchhaut mit sub¬ 
kutanem Fett entsprechend weiter, bis mindestens zu den lateralen 
Rectnsrändern — l»esser noch etwas weiter — abprüparirt. nun 
wird an irgend einer Stelle die Rectusscheide am medialen Rande 
eröffnet und man dringt mit einem Finger zwischen hintere Mus- 
keltliiche und hintere Rectusscheide ein und spaltet auf dem nach 
oben und unten gleiteuden Finger die Rectusscheide am medialen 
Rande der ganzen Länge nach und wenn dies rechts und links ge¬ 
schehen, so liegen beide Muskelbäuche, bedeckt von der vorderen 
Rectusscheide, frei. Mit starken, nicht zu spitzen Nadeln werden 
nun die versilberten Alumiuiumbrouzednihte in der Weise ange¬ 
legt, dass die Nadel am lateralen ltectusende eingestoclieu, an der 
Hinterfläche des Muskelbauches auf dem zwischen diesem und 
hinterer Rectusscheide eingefülirteu Finger medianwärts gleitet 
und an der Grenze zwischen mittlerem und Innerem Drittel durch 
Muskel und vordere Scheide wieder ausgestochen wird, hierauf auf 
der anderen Seite den umgekehrten Weg macht. 5—<» derartige 
Drahtringel mit dazwischen angelegten oberflächlichen (Fascie 
und Muskel fassenden» Drahtnähten genügen zu festem Verschluss 
und folgt hierauf Drainage auf jeder Seite und Naht der Baucli- 
haut. 

No. 39. E. Martin- Köln: Zur Epityphlitisoperation im 
freien Intervall. Enteroanastomose. 

Im Anschluss au die Empfehlung Jaffas theilt M. einen 
Fall \on recldivirender Epityplilitis mit vorwiegenden Stenosen- 
erschelnungen mit. bei dem die Blosslegung des Wurmfortsatzes 
nicht gelang und M. mit gutem Erfolg eine isoperlstaltisclie seit¬ 
liche Anastoiuose zwischen lleum und Kolon ausführte. M. ist 
der Ansicht, dass die Enteroanastomose in Fällen von recidiviren- 
der Epityplilitis. bei denen die Stenosenerseheinungen die ent¬ 
zündlichen überwiegen und durch die Operation im freien Intervall 
der Wurmfortsatz sich nicht ohne Darmverletzung isoliren oder 
überhaupt nicht auftlnden lässt, immerhin Aussicht auf Erfolg 
bietet, wenn auch weitere diesbezügliche Erfahrungen noch abzu- 
warteu sind. Sehr. 

Centralblatt für Gynäkologie. 19U1. No. 38 u. 39. 

No. 38. 1) K. A. H e r z f e 1 d - Wien: Beitrag zur Dekapi- 

tationsfrage. 

H. vertheidigt nochmals den Carl Braun’selien Schlüssel¬ 
haken gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. H. fand an dem 
von Br. angegebenen Originalhaken, dessen Modell noch vor¬ 
handen Ist, dass die Entfernung des Hakenknopfes vom Metall¬ 
stabe nicht, wie gewöhnlich angegeben. 3 cm, sondern nur 2 bis 
2 % cm beträgt, weuu man die eigentliche Lichtung des Stabes 
und nicht von dessen äusseren Rande aus misst. Zur richtigen 
Anwendung des Hakens gehört auch, dass mim den kindlichen 
Kopf bei erster Schultorlage mit der rechten Hand, bei zweiter 
Schulterlage mit der linken Hand tixirt. 

2) F. Ivleinertz - Stuttgart: Ein Fall von einer wohl intra 
partum geplatzten Ovarialcyste. 

22 jährige I. Para, die nach spontan beendeter Geburt 2 Tage 
später mit hohem Fieber erkrankte und am (J. Tage starb. Die 
Sektion ergab neben eiteriger Peritonitis eine geplatzte Ovarial¬ 
cyste, die event. Ursache der letzteren gewesen war. Iv. riitli. 
unbedingt jeden Ovarialtumor, der während der Gravidität er¬ 
kannt wird, zu entfernen. 

3) Joli. F ü t h - Koblenz: Ueber Zwillingsgeburten mit 
langen Pausen zwischen der Geburt des 1. und 2. Zwillings. 

Auf Grund von 5 Fällen, von denen 3 Frauen gestorlien und 
darunter 2 unter den Erscheinungen von Pyaeruie, gelaugt F. zu 


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8. Oktober 1901. 


MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1615 


dem Schluss, dass es für den Praktiker nicht rathsam Ist, nach 
iMiendeter Geburt des 1. Zwillings so lange zu warten, bis seitens 
Mutter oder Kind eine Anzeige zur Geburtsbeendigung auf ge¬ 
treten ist. F. steht auf Seite von Fritsch, R u n g e und 
Zweifel, die nach 1—2 Stunden die aktive Entbindung seitens 
des Geburtshelfers empfehlen. 

4) P. B a u m m - Breslau: Unelastischer Metreurynter. 

Statt des elastischen Metreurynters von G h a m p e 11 e r, der 
recht theuer ist und bei N ich tge brauch oft versagt, empfiehlt B. 
eine Schweinsblase zu benutzen. Die Sterilisation der¬ 
selben geschieht in Sublimatalkohol; vor dem Gebrauch kommt 
die Biase kurze Zeit ln warme Lysollösung. Alles Nähere mag 
im Original nachgesehen werden. 

No. 39. 1) K. K o b e r-Breslau: Haematocele retro-uterina 
ohne Extrauterin-Gra vidi tat. 

Den von H. W. Freund auf dem diesjährigen Gynäkologeu- 
kongress mitgetheilten 4 Fällen von Haematocele ohne ektopische 
Schwangerschaft fügt K. 2 eigene Beobachtungen hinzu. Im 
1. Falle war die lvohabitation als Ursache anzunehmen, im 2. 
lagen schwere entzündliche Veränderungen in der Umgebung der 
Adnexe vor. Beide Fälle kamen zur Operation und wurden ge¬ 
heilt. Die von manchen Autoren verfochtene Ansicht, dass jede 
Haematocele auf Extrauterinschwangerschaft zurückzuführen sei, 
ist mithin nicht haltbar. 

2) Modest Popescul - Czernowitz: Ein ungewöhnlicher 
Fall von Sacr&lteratom. 

Der Fall ereignete sich bei einer Frucht, die in Querlage 
nach Exenteratiou und Dekapitatiou entbunden wurde. Am 
unteren Ende der Wirbelsäule sass eine zweikindskopfgrosse 
weiche Geschwulst, die von Glutaealmuskulatur und Haut über¬ 
wachsen war und einen an Hirnmasse erinnernden Inhalt ein¬ 
schloss. 

3) Roger Freiherr v. Budberg- Dorpat: Zur Alkoholbe¬ 
handlung des Nabelschnurrestes. 

v. b. empfiehlt nochmals sein im Geniralblatt 189S, No. 47, 
angegebenes Verfahren zur Nachprüfung. Die Nabelschnur soll 
hierbei nicht zu kurz abgeschnitteu werden. 

4) Erwin Keil rer- Botin: Ueber Paresen des N. facialis 
nach Spontangeburten. 

Ausführliche Beschreibung eines einschlägigen Falles, der sich 
bei einem platt rachitischen Becken ereignete. Es gibt centrale 
und periphere Faclalisparesen bei Spontangeburten, über deren 
Literatur K. kurz berichtet. Sie kommen vor in Fällen von 
engem Becken, insbesondere bei den verschiedenen Formen des 
platten Beckens und der hierfür charakteristischen Vorderscheitel- 
beiustellung. Die Prognose ist luy Allgemeinen eine günstige. 
Tritt keine Spontanheilung ein, so versuche mau es mit Elektro¬ 
therapie. J a f f 6 - Hamburg. 

Berliner klinische Wochenschrift. iWOl. No. 39. 

1) Ed. A 11 a r d - Berlin: Zur Frage des Nachweises der 
Acetessigsäure im Harn. 

Verf. stellte Versuche an über die Brauchbarkeit der neuen 
Methoden von Arnold und L i p 11 a w s k y und fand, dass die 
erstere bis zu 0,1 Proin., letztere bis zu 0,04 Prom. Acetessigsäure 
im Ham nachweisen lässt; sie eignen sich jedoch wegen ihrer 
Kompli/.irtheit nicht für die Praxis und können die alte Ger¬ 
hard t’sche Eisenchloridreaktion nicht verdrängen. 

2) B. S t i 11 e r- Ofen-Pest: Magenplätschem und Atonie. 

Verf. wahrt gegenüber einer Arbeit von Elsuer (siebe lief. 

Münch, med. Wochenschr. 1001, S. 721) seinen Standpunkt hin¬ 
sichtlich der grossen diagnostischen Bedeutung des Plätscherge- 
rüusches für den Nachweis von Atonie des Magens, welche durch¬ 
aus noch nicht mit motorischer Insuflicienz, d. h. Austreibungs- 
Schwäche identisch sei, wie Elsner lrrthümlich annehme. Ein 
gesunder Magen ergebe selbst auf der Höhe der Verdauung nur 
mit MUlie oder gar kein Plätschergeräusch, während der atonische 
es auch bei geringstem Flüssigkeitsgehalt mit Leichtigkeit ergebe. 
Das Symptom sei um so wichtiger, als die Atonie das konstanteste 
Symptom der F.nteroptose sei, so dass Pliitschergeräusehe, Atonie 
und Ptose innig zusammengehören. Die Mageuatouie und Entero- 
ptose beruhe andererseits ebenso wie die nervöse Dyspepsie und 
allgemeine Neurasthenie auf einer angeborenen Atonie des ganzen 
Organismus: „Astlumia universaJis congenita". 

3) Buttersack: Scheinbare und thatsächliche Krank¬ 
heitsherde. 

Der Grundgedanke der geistreichen Ausführungen des Verf. 
ist der, dass l>ei den Infektionskrankheiten die verschiedenen Or¬ 
gane nicht direkt von der Aussemvelt her inflzirt werden, sondern 
dass die elngedrungcnen Krankheitserreger zunächst vom Lymph- 
apparat aufgenommen werden, wo die erste, oft unmerkliehe, Re¬ 
aktion des Organismus gegen seine Feinde statttinde (Inkubations- 
stadfum); ei-st von hier aus werden auf dem Lympli- oder Blut¬ 
weg die verschiedenen Organe befallen, von hier gehen sonst kaum 
verständliche Recidive mancher Erkrankungen aus. So komme 
man wieder zu der alten Vorstellung zurück, dass eine den ganzen 
Körper durchströmende Flüssigkeit der Träger aller wesentlichen 
Veränderungen sei. 

4) Ludwig v. A 1 d o r - Karlsbad: Ueber kontinuirlichen 
Magensaftfluss (Gastrosuccorrhoe, Reichman n’sche Krank¬ 
heit). 

Verf. weist zunächst die Behauptung niaucher Autoren, es 
gebe einen physiologischen, kontinuirlichen Magensaftfluss zurück 

No. 41. 


und umgrenzt daun auf Grund eigener Beobachtungen scharf das 
genannte Krankheitsbild; er fordert im Gegensatz zu allen anderen 
Beobachtern behufs Dlagnostizirung der Reichman n'scheu 
Krankheit die absolut sichere Ausschi kssung der motorischen In¬ 
suflicienz und betrachtet als objektive Zeichen der Erkrankung: 
1. Reichlichen Magensaft im nüchternen Magen (bei seinen Fällen 
wenigstens lfiü ccm); 2. sehr niedriges specifisches Gewicht des 
Mageninhaltes; 3. ausgesprochene Ilyperaciditiit desselben sowohl 
bei nüchternem Magen wie nach Probemahlzeit; 4. als Konsequenz 
davon: unvollständige Amylolysis. 

ö.i A. Schön stadt - Schöneberg-Berlln: Nierentumor bei 
einem 6 Monate alten Knaben. Operation. 

Siehe Referat Münch, med. Wochenschr. 1901. S. 375. 

Höfer- Schwabach. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 39. 1) Karl T i 11 e 1 - Wien: Ueber eine angeborene Miss¬ 
bildung des Dickdarmes. 

Klinische und pathologisch-anatomische Beschreibung eines 
Falles von kongenitaler, enormer Dilatation und Hypertrophie des 
ganzen Dickdarincs bei einem 15 Monate alten Kind; die Länge 
tles Kolon betrug GG cm, des S romanum ohne Rectum 41 cm, der 
grösste Umfang 21,4 cm, der Rauminhalt des Kolon über 2 Liter. 

2 ) Wilhelm Neutra-Wien: Beitrag zur Aetiologie der 
Dupuytre u'schen Fingerkontraktur. 

Nach eingehender Besprechung der Aetiologie an der Hand 
zweier eigener Fälle (D u p u y t re n’sche Kontraktur auf Grund 
von Syringomyelie) und der Literatur kommt Verf. zu dem 
Schluss, dass das Leiden eine tropliische Störung ist, welche ge¬ 
legentlich Folge einer allgemeinen Ernährungsstörung sein kann, 
bei welcher aber in erster Linie nervöse, speziell RUckenmarks- 
erkrunkuugen mit trophischeu Störungen — u. A. Syringomyelie — 
in Betracht zu ziehen sind; sie kann ein Frühsymptom der letzt¬ 
genannten Krankheit sein. Das Trauma spiele als aetiologiselier 
Faktor keine grosse Rolle. 

Bei Hebung der Grundkrankheit sei auch eine nicht operative 
Heilung des Leidens möglich. 

3) Wilhelm Türk-Wien: Beiträge zur Diagnostik der 
Concretio pericardii und der Tricuspidalfehler. (Wird fortgesetzt.) 

Höfer- Schwabach. 

Wiener medicinische Presse. 

No. 31—33. G r o d d e c k - Baden-Baden: Einiges über die 
Bedeutung mechanischer Vorgänge im Bauche. 

Verf. betont, wie oft die Befunde am Abdomen vernachlässigt 
und unrichtig gedeutet werden, bespricht namentlich die Schlaff¬ 
heit, die abnorme bis brettharte Spannung des Leibes, die mecha¬ 
nische Einengung des olteren Drittels durch Deformität der unteren 
Thoraxpartien, die Beziehungen lokaler Druckempfiudiickkeit zu 
den Spannungszustäuden im Magendarmkanal, übermässige Fett- 
ansammlung u. s. f. Bei seinen Krankengeschichten handelt es 
sich fast durchgehends um verzweifelte Fälle, die nach richtiger 
Diagnose durch seine Behandlung rasch zur Heilung gelangten. 
Die zum Theil recht unliebeuswürdige Kritik, welche Verf. au 
Misserfolgen und Missgriffen anderer Aerzte und einigen Kapiteln 
der medicinischen Diagnostik (Hysterie, Wanderniere, Ulcus ro- 
tnndum) übt, hätte ein niilteres Eingehen auf die Art der Therapie, 
der er so überaus glänzende Erfolge verdankt, besonders erwünscht 
gemacht. 

No. 33. P r i e s 11 e y -'S m Ith- Birmingham: Ueber Früh¬ 
behandlung des Schielens bei jungen Kindern. 

Nach S.’s Erfahrungen reicht der Beginn des Leidens meist, 
in etwa (50 Proc. der Fälle, weit zurück, in das zweite und dritte 
Lebensjahr. Eine Verminderung des Fixirvenuögens, Schädigung 
oder Vernichtung des Fusionsvermögens, Beeinträchtigung der 
Forinenwahrnehmuug, Sehschwache, das sind die Folgeerschei¬ 
nungen, welche leicht zu dauernden werden können. Es ist daher 
stets eine frühzeitige gründliche Untersuchung und Behandlung 
am Platz. 

Letztere besteht in der Anwendung von Brillen mit oder ohne 
gleichzeitiges Verbinden des gesunden Auges. Eine recht grosse 
Zahl der Kinder wird allein durch Brillen völlig geheilt. Bei der 
grossen Schwierigkeit, ein mangelhaftes Sehvermögen später 
wieder herzustellen, greift S. nötliigenfalls selbst in diesem frühen 
Lebensalter zur Tenotomie. 

No. 34. J. K n o t z - Bnnjnlukn: Zwei Fälle von sub¬ 
phrenischem Abscess. 

Die beiden Krankengeschichten geben dem Verf. Anlass zur 
Erörterung der oft sehr schwer zu entscheidenden Frage der 
Aetiologie, welche oft auf recht weit zurückliegende Erkrank¬ 
ungen rekurriren muss. Der eine Fall dürfte vermuthungsweise 
von einem Magenkatarrh oder „gastrischen Fieber", der andere 
von einer Perinephritis seinen Ausgang genommen haben. 

No. 35. Graser- Erlangen : Die Bruchanlage und 
-Erkrankung in ihrer Bedeutung für die Militärdiensttauglich- 
keit und der Entscheid über Versorgungs-bezw. Entschädigungs¬ 
ansprüche. 

Wir geben Graser’s eigene Thesen im Wortlaut wieder: 
1. Die Mehrzahl der Leistenbrücho hei Erwachsenen entstellt in 
Folge einer ganz allmählichen Ausstülpung des Bauchfelles unter 
Mitwirkung der Eingeweide. 2. Eine plötzliche gewaltsame Knt- 


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1616 


MUENCHENEß MEDIOINISCHE WOCHEKSCHRIET. 


Ko. 41. 


Stellung elues Leisteubruches iu allen seinen Bestandtheilen ist 
tlieoretlseli sehr unwahrscheinlich, durch die praktische Erfahrung 
nicht erwiesen. 3. Eine plötzliche Vergrösseruug eines iu der Ent¬ 
wicklung begriffenen Leistenbruches ist sehr wohl möglich und 
muss unter besonderen Umständen als Umnil im Sinne des Ge¬ 
setzes betrachtet und entschädigt werden. 4. Die Diagnostik 
eiues Unfallbruches kann sich nicht auf ein bestimmtes Sym- 
ptoiuenbiid stützen und kann in den meisteu Fällen nur die Mög¬ 
lichkeit oder Wahrscheinlichkeit feststellcu. 5. Es gibt eine Reihe 
von Zuständen, welche inan als Bruchaulagen, d. h. als eine die 
Entstellung voll LeistenbrUchen erleichternde besondere Leibes- 
beschaffeuheit bezeichnen muss. 

No. 31». J. G a r o f o 1 o - Fiume: Zur Kenntniss der pella- 
grösen Augenerkrankungen. 

Die Erkrankung, welche beide Augen einer 28 jährigen Put. 
betraf, war charakterisirt durch abnorm hochgradigen Exophthal¬ 
mus mit Uedem der Unterlider und Unbeweglichkeit, der Bulbi. Bei 
stark verminderter Sehschärfe zeigte der Augeuspiegclbeuiud starke 
Trübung, grauröthliche Verfärbung der Pupille; in deren Um¬ 
gebung war die Netzhaut wullartig vorgewölbt, grauweiss iufiltiht, 
undurchsichtig, konzentrisch gestreift. Die Gefässe stark ge¬ 
schlängelt und erweitert. Unter Darreichung von Solut. Fowleri 
kamen iu wenigen W ochen gleicliinüssig alle Erscheinungen von 
Seiten der Augen zum Schwinden. Als die wahrscheinlichste Ur¬ 
sache für alle, auch die iutruoculüren, Symptome muss die ab¬ 
norm starke oedematöse Schwellung im Bereich der ganzen Orbita 
angenommen werden. 

A. O r a c i u n e s c u - Teniesvar: Tuberkelbacillen in Fäden 
im klaren Urin. 

Genannter Befund ermöglicht die Diagnose einer beginnenden 
Tuberkulose des Urogenitalsystems, speziell der Fürs membrana- 
cea der Urethra uuü des Ductus ejaculatorlus. 

No. 37—39. O. Neustätte r- München: Zur Laurent y- 
schen Theorie der Skiaskopie. 

Der Aufsatz, welcher sich gegen Laur e n t y’s Anschauung* n 
wendet, eignet sich nicht zum uel'erat. 

No. 37. E. S z a n t o - Ofen-Pest: Ueber die Verwendung 
des Acidum s&iicyncum beim Ulcus moile. 

Bei der Behandlung des Ulcus moile hat sich dem Verfasser 
die Salicylsäure in Salbenform (Ac. salleyl. 1,0, Vaselin 30,0, Tiuct. 
benzoes 2,0) zur Sistiruug, Reinigung und Ueberhäutung als bestes, 
auch dem Jodoform überlegenes, Mittel erwiesen. 

Prager medicinische Wochenschrift. 

No. 33—38. W. Mager-Brünn: Ueber Typhus abdominalis. 

im Frühjahr ds. Jrs. herrschte iu Brünn eine Typhusepidemie, 
welche auf die Trinkwasserverhältnisse (Versorgung aus dem 
Schwarzatiusse) zurückgeführt wird. Bei 148 iu Spitalbehandluug 
gelangten Kranken ergab sich eine Mortalität von 11,5 Proc. Aus 
dem sehr reichhaltigen für die Symptomatologie des Typhus inter¬ 
essanten Beobachtungsstoffe sei nur Einiges hervorgehoben. 

Die von Manchen stark betonte relative Bradycardie fand 
man in den Anfangsstadien nicht häutig, dagegen in zahlreichen 
Fällen eine absolute Bradycardie beim Uebergang iu die Rekou- 
valoseenz und es scheint ihr eine prognostisch günstige Bedeutung 
bezüglich Eintreteus eines ltecidives zuzukommen. Gleichfalls im 
Beginn der Erholung wurde häuüg Mydriasis beobachtet. Sowohl 
die Bradycardie als die Mydriasis will M. nicht als ein Zeichen 
der Erschöpfung auseheu, sondern auf eine nach Ueberwiudung 
der Infektion eintretende Labilität des Gefässsystems zurück¬ 
führen. Die Diazoreaktion war auf der Höhe des Fiebers 
meist positiv, ihr Versagen im Anfang der Krankheit beeinträch¬ 
tigt ihren diagnostischen Werth. Die Gruber -Widal 'sehe 
Probe fiel von 27 Fällen bei 19 positiv aus, wo auch das klinische 
Bild keinen Zweifel Hess. 

Bei drei Fällen von Gravidität ergab sich keine Störung. 

No. 35. H. Schlöffet 1 - Prag: Der heutige Stand unserer 
Technik der Darmvereinigung. 

Die Brau u’sche Anastomosettbilduug mit fortlaufender 
Naht hat sich an der W ö 1 f 1 e r’sclieu Klinik als das verlässigste 
Verfahren bewährt, keine einzige Nahtvereinigung von 50 solchen 
ist insuftieient geworden. Der Murphy knöpf wurde in gewissen, 
besonders schweren Fällen der Zeitersparnis wegen in Anwen¬ 
dung gezogen. Die erheblich höhere Mortalität ist durch diesen 
Umstand ullein erklärt. Nicht bewährt hat sich der F ra u k’sclie 
Knopf, bei welchem wegen seiner raschen Resorption Nähte nicht 
entbehrt werden können. 

No. 37. H. Roeuii e e k e n: Ueber die Nachbehandlung der 
Zahnextraktionswunden. 

Bei Kieferperiostitis erlischt der Schmerz nicht mit der Ex¬ 
traktion des Zahnes, es stellt sich meist noch ein lebhafter Nach¬ 
schmerz ein. der am Unterkiefer noch tagelang währt, weil die 
Wunde dort ungünstigere Abtiussbedingungeu hat und der In¬ 
fektionsgefahr mehr ausgesetzt ist. Um diese neue Infektion zu 
verhüten, empfiehlt B. die Tamponade der Wunde mit Jodoform¬ 
gaze während des ersten Tages. Der Tampon soll gerade so gross 
sein, dass die Wunde eben ausgefüllt wird. Spülungen des Mundes 
werden am ersten Tag unterlassen, vom zweiten an mit Wasser 
oder 2 proc. Wasserstoffsuperoxydlösung vorgenommen, nach Ent¬ 
fernung des Tampons. Dieser bietet auch den besten Schutz gegen 
Nachblutungen. Ein ebenbürtiges Ersatzmittel für das Jodoform, 
dessen Geschmack sich bei obiger Anwendungsform nicht zu sehr 
geltend macht, ist noch nicht gefunden. Bei fortbestehender 


Periostitis dient zur Lokalbehaudluug die 2 proc. Wasserstoff- 
sttperoxydlösung; gegen den Nachschmerz ist das Ortlioform sehr 
brauchbar. Dringend warnt Verfasser zum Schluss vor der An¬ 
wendung heisser Kutaplasmen bet Periostitis, da hierdurch ein 
rascher Durchbruch gegen die Wange, eventuell das Entstehen 
einer Wungentistel ilervorgerufeii wird. Zu Umschlägen empfiehlt 
sich am meisten eiskalte, essigsaure Thouerdelüsung. 

Dr. B e r g e a t - München. 

Französische Literat ui. 

Girard: Die Bolle des Trichocephalus bei der Appen- 
dicitis. (Aunales de 1 Institut Pasteur, Juni 1901.) 

Nach genauer Beschreibung eines Falles, wo iui reseclrteu 
Wurmfortsätze histologisch 2 Nematoden nachgewiesen wurden, 
konstatirt Verfasser: 1. dass der vordere Theil ues Trichocephalus 
(dispur) iu die .'Schuht der Schleimhaut eiudriugeu und sich fest- 
setzeu kann — was ein bisher noch bestrittener Punkt war, und 
2. die Trichocephalen, häutige Bewohner des Darmes, wie die 
Askariden, die Rolle von tneltr oder weniger septischen Fremd¬ 
körpern spielen und die Bakterien des Darmknuules und damit 
schwere Störungen in den Wurmtortsatz bringen können. Nach 
den von Metschuikoff schon gegebenen Regeln kommt daher 
G. zu folgenden Schlusssätzen: 1. In suspekten Fallen von 
Appendleitis sind die Fäkaimasseu auf Würmer zu untersuchen; 
2. tu allen Fällen, wo dies möglich ist, sind \V urmmittel (Santonin 
gegen die Askariden, Thymol gegen die Trichocephalen) anzu¬ 
wenden; 3. den mit Appendicitis behafteten Personen ist der Ge¬ 
nuss von rohen Gemüsen, Erdbeeren u. s. w. und von ungekochtem 
oder untiltrirteni Wasser zu verbieten; 4. dieses Verbot bildet zu¬ 
gleich ein vorzügliches Propliylaktikum und 3. von Zeit zu Zeit 
sind besonders bei Kindern die Stühle zu untersuchen und ihnen 
wurmtreibende Mittel zu verordnen. (1 Tafel über obigen histo¬ 
logischen Befund.) 

Sa wt scheu ko und M e 1 s e h i e h - Kieff: Studie über 
die Immunität bei der Febri» recurrens. (Ibidem, Juli 19U1.) 

Gelegentlich einer Epidemie zu Kasan int Winter 1900, die 
sehr reiches Material bot, machten Verfasser experimentelle 
Studien, welche die Wirkungsart des specilisclien Serums auf die 
Spirillen im Reagensglase und iln lebenden Organismus, die Art 
des Verschwindens der Spirillen im Organismus der refraktären 
Thiere aufkläreu und die Frage lösen sollten, ob nicht irgend eine 
Beziehung zwischen den Kurven der baktericiden Substanzen und 
der Leukocytose bei den Recurrenskraukeu vorhanden sei. Die 
baktericiden Substanzen bilden sich demnach nicht au der Impf¬ 
stelle, sondern im Blute, und zwar erst nach einiger Zeit, wenn 
die Spirillen von der I’hagocyiV>se ergriffen sind. Die extracelluläre 
Zerstörung der Spirillen liudet ebenso wie jene derUlioleravlbrioneu 
bei den immunisirten Thieren in Körperhöhlen (Peritoneum) statt, 
welche freie Alexine enthalten, aber uiemuls im subkutanen Ge¬ 
webe, wo der Organismus nur durch Phagocytose reaglrt. Wie 
aus den Tliierexperimeiiteu und der Analyse der Kurven von 
Leukocytose und baktericiden Substanzen hervorgeht, erscheinen 
letztere einige Zeit, nachdem innerhalb der Zellen die Digestion 
der Spirillen slattgefunden hat. Auch die agglutiuireudeu Sub¬ 
stanzen sind verschiedenen Ursprungs und von verschiedenem 
Wertlie bezüglich der Pathogenese der Recurrens wie die bakten- 
eiden Substanzen. Im Blute kann man nicht die extracelluläre 
Zerstörung der Spirillen, welche mau im Reageus^lase beobachtet, 
erwarten, da nach den zahlreichen Untersuchungen von Metsch- 
nikoff und seinen Schülern das Plasma Alexme im freien Zu¬ 
stand nicht enthält. Die Phagocytose trägt zweifelsohne zur An¬ 
häufung der agglutinirenden Substanzen l>ei. Die vorliegende 
Studie, welche uocli eine Reihe weiterer Ergebnisse über die Rolle 
der chemischen Stoffe beim Mechanismus der Heilung resp. Im¬ 
munität briugt, gibt der phagocytären Theorie Metschnikoffs 
nach des Verfassers Ansicht eine neue feste Basis und zerstreut 
eine Reihe von Eiuwlirfeu, welche von der sogen, humoralen 
Schule ehedem gemacht worden sind. 

D e b o v e: Congenitales und abortives Myxoedem. (Presse 
mödicale, 1901.) 

D. beschreibt 2 charakteristische Fälle dieser beiden Krank- 
lieitsarteu. ln dem eiueu Falle handelt es sieh um eiueu 21 jähr. 
Maim, der im Aeussereu einem kaum 13 jährigen Knaben glich: 
aufgedunsenes Gesicht, die Haut hart, abnorm dick, Körperlänge 
130 cm; die intellektuelle Apathie, die Langsamkeit der Körper¬ 
bewegungen, die rudimentäre Entwicklung der Geschlechtstheile 
Hessen die Diagnose nicht zweifelhaft; auch brachte die Dar¬ 
reichung von Seliilddrüseupräparaten stets bedeutende Besserung 
des Zustandes. Der zweite Fall betraf ebenfalls ein männliches 
Individuum, dessen Haut jedoch glatt und fein war wie bei Frauen. 
Körpergrösse 158 cm, die Geschlechtstheile rudimentär entwickelt 
(Testikel von Bohnengrösse); au denselben nur wenige Haare, 
der sexuelle Trieb war nie vorhanden gewesen. Die Intelligenz 
war immer ungenügend, trotz langjährigen Schulbesuches konnte 
Patient weder lesen noch schreiben, die Stimme ist grell, weibisch, 
das Vorhandensein eiuer Schilddrüse nicht zu konstatiren. Im 
Gegensatz zu dem ersten Falle, wo sowohl bei den Vorfahren 
wie bei dem Patienten selbst hochgradiger Alkoholismus festge- 
stellt war, war dies bei dem zweiten Falle ausgeschlossen. 

D. nennt solche Fälle abortive, d. h. nicht völlig ausgebildete 
Formen von Myxoedem und glaubt, dass sie viel häufiger Vor¬ 
kommen als gewöhnlich angenommen werde. 


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8. Oktober 1901. MTTENOHENER MF/DICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


1617 


Curtis - Lille: Einige Bemerkungen über die Blasto- 
myceten in der menschlichen Pathologie. (Presse mßdicale 1901, 
No. 28.) 

Verfasser. Professor für pathologische Anatomie an obiger 
Universität, tritt energisch gegen die Theorie von V 1 a e f f iil>er 
<lle Rolle der Blastomyceten beim C’arcinom auf. C. untersuchte 
einige Hundert Fälle und konnte niemals beim nicht ulcerirten 
Uarclnom einen einzigen dieser Blastomyceten entdecken. Dabei 
hat er auch die Ueberzeugung gewonnen, dass die Körperchen 
von Podwyssozky und Swat sehen ko gar nichts mit 
den pathogenen Blastomyceten zu thun haben. Das Resmnf* seiner 
Experimente ist. dass er niemals mit dem sogen. Saccharomyces 
tnmefaciens einen epithelialen Tumor im histologischen Sinne des 
Wortes erzeugen konnte, auch Via eff scheint dies nie gelungen 
zu sein. Es habe daher keinen Zweck, die Produktion eines zur 
Therapie verwerthbaren Antikrebslieilsorums mit Hilfe der Ilefe- 
pllze. deren ätiologische Rolle keineswegs erwiesen sei. weiter zu 
verfolgen. 

B 111 et: lieber einige abnorme Ponnen der Malaria. (Ibid.) 

Gelegentlich einer wahren Malariaepidemie im August bis 
Oktober 1900 unter den Kolonialtruppen von Algier, wobei unter 
3000 Mann 184 an den verschiedensten Formen derMalaria erkrank¬ 
ten und 52 derselben sehr rasch in das Stadium der Malariakachexie 
gelangten, machte B. eine Anzahl Blut- und anderer Untersuch¬ 
ungen. welche Ihn zu folgenden Schlüssen brachten. Wenn ge¬ 
wöhnlich und bei nicht epidemischem Charakter der Krankheit 
der Paludismus meist die Form des intermittirenden Fiebers mit 
regelmässigem Typus (Quotidiann u. s. w.) begleitet, hat er auch 
sehr oft und besonders zu Zeiten einer Epidemie die Form des 
irregulären, remlttirenden oder kontlnuirliehen Fiebers mit ab¬ 
normen Symptomen, welche sehr rasch in das perniciöse Stadium 
oder die Malariakachexie übergehen. In diesen Fällen kann nur 
die Blutuntersuchung die Diagnose sichern. Der haematologische 
Charakter der Malaria ist folgender dreifacher Art: 1. konstante 
Anwesenheit der L a v e r n n'schen Körperchen. 2. Vorhandensein 
von schwarzem Pigment, welches besonders ln den grossen ein¬ 
zelligen Leukocyten lokalisirt ist und 3. eine spezielle Form von 
Leaikocyten. hauptsächlich durch mehr oder weniger stark aus¬ 
geprägte Mononucleose clmrakterisirt. 

Maurice de Langenhagen - Plombiöres: lieber die 
Enterocolitis mucomembranacea. (Ibid.. No. 38.) 

Auf Grund von 000 selbst beobachteten Fällen bespricht L. 
diese vor 10 Jahren noch völlig unbekannte Affektion. Deren 
Hauptsymptome sind: Anwesenheit von Schleim und Membranen 
in den Stühlen. Unregelmässigkeit der Darmfunktion (meist lang 
währende Verstopfung) und Schmerzen. Dazu kommen verschie¬ 
dene dvspeptische Beschwerden, funktionelle Störungen der Leber 
(abwechselnd Oligo- und Polycholie). ziemlich häufig ist Lithinsis 
intestinalis damit verbunden. Vom anatomischen Standpunkt aus 
ist die Erkrankung eine oberflächliche, katarrhalische Entzündung 
der Schleimhaut des Dickdarms. Ein sehr wichtiger ätiologischer 
Faktor sind die verschiedenen nervösen Zustände von der ein¬ 
fachsten Neuropathie bis zur schwersten Neurasthenie; letzten* 
ln Verbindung mit dem sogen. Arthritismus sind meist vorhanden 
bei der Enterocolitis mueomcmbr. und nur in 40 von obigen 000 
Fällen fehlten diese Antecedentien. Frauen scheinen weit häufiger 
befallen zu »ein (-135 Frauen, 141 Männer. 24 Kinder). Entzündungen 
der Gebärmutter oder deren Adnexe spielen eine hervorragende 
Rolle bei der Aetiologie der Affektion. L. erklärt sich das Zu¬ 
standekommen des Leidens folgendermaassen: In Folge des Neuro- 
arthritismus allgemeine Atonle der Gewebe, specielle Atonie des 
Magens und sekundäre Dilatation desselben (ln 218 Fällen von 
000). Erschlaffung der Bänder des Bauches, wodurch Enteroptose 
und Verlagerung der verschiedenen Eingeweide, schliesslich Atonie 
des Darmes, welche meist durch Obstipation, in selteneren Fällen 
durch Diarrhoe die schleimig-meiubranöse Dannaffektion hervor- 
ruft. Meteorismus, auch Haemorrhoiden. sind meist vorhanden. 
Abmagerung ist die Regel und zwar oft so hochgradige (25. 37 Kilo 
in 0 Monaten) dass man an eine bösartige Neubildung denkt. 
Lithinsis intestinalis scheint ferner stets von Enterocolitis muco- 
membr. l*egleitet zu sein. Die Behandlung des Leidens besteht 
1. in strenger Diät, 2. regelmiisig und methodisch angewandter 
Enteroklyse — täglich oder wenigstens alle 2 Tage 2 Liter heissen 
Wassers unter schwachem Druck (30—40 cm) oder auch hohe Ein¬ 
läufe von reinem Oel (150—500 g Olivenöl bei 37"); auch schwache 
Abführmittel (Riolnusöl) und 3. zur endgiltigen neilung Bade¬ 
kuren. wozu L. in erster Linie die französischen Badeorte Plom- 
bieres und Chfltel-Guyon empfiehlt. 

Marfan: Schwere Form von Syphilis hereditaria tarda, 
mit Oaumensegelperforation. (Annales de mödecine et Chirurgie 
infantiles 1901, No. 15.) 

Bel dem 10 jährigen Mädchen bestanden ausser der Per¬ 
foration des Gaumensegels ulcerös-gummöse Proeesse am linken 
Unterschenkel. Unter dem Einflüsse der Behandlung trat Hei¬ 
lung der letzteren und Verschluss der Perforation ein. M. ver¬ 
wirft die unlöslicheu Queeksilbersalze zur subkutanen Injektion 
und hält nach seiner Erfahrung für das beste lösliche Salz das 
Cyanquecksilber (1:1000 Aqu. dest.); man muss die Injek¬ 
tion mit allen antiseptischen Kautelen in die Muskelmasseu der 
Glutaealgegend. der Schenkel, des Rückens machen. Obiger Pa¬ 
tientin wurden jeden zweiten Tag 5 ccm (— V 2 cg Hg-Cyanür) iu- 
jizlrt, gleichzeitig jeden 2. Tag 2 g Jodkali gegeben. Erwachsenen 
kann man jeden Tag 5 ccm oder jeden 2. Tag 10 ccm Injiziren. 
M. schliesst buh seiner Beobachtung, dass bei den schweren 


Formen von hereditärer Spätsyphilis die innere Quecksilberbelinnd- 
lung völlig ungenügend ist und man zu subkutaner Injektion lös¬ 
licher Salze und gleichzeitiger Darreichung von Jodkali in ge¬ 
nügender Dosis greifen muss. 

Mahn: Die hypertrophische Rhinitis im Eindesalter; Be¬ 
handlung mit heisser Luft. (Ibid.) 

Diese Affektion. auch chronischer Nasenkatarrh benannt, hat 
als besonders häufiges Terrain ihrer Entwicklung die Skrophulose 
und als hauptsächliche Folge Atheinnotli und Behinderung der 
AtInnung. Unter Anführung dreier Fälle rühmt M. ais besonders 
wirksam die Anwendung heisser Luft, welche von Lermoyez 
mit einem von ihm konstruirten Apparat (s. Abbildung) zuerst em¬ 
pfohlen worden ist: cs werden alle 2 Tage Sitzungen von 2—3 Mi¬ 
nuten gemacht. Wenn die Behandlung von Erfolg ist. bildet sich 
eine Retraktion der Schleimhaut, begleitet von einer gewissen 
Anaesthesin: manchmal trat der Erfolg sehr rasch, in 5—0 Sitz¬ 
ungen. in anderen Fällen erst ln 12—15 Sitzungen ein. 

Marfan: Die Epiphysentrennung bei der hereditären 
Syphilis. (Ibid.. No. 10.) 

Die auch syphilitische Pseudoparalyse der Neugeborenen 
(Par rot) genannte Affektion fand sich im vorliegendem Falle 
bei einem 2>4 Monate alten, zur rechten Zeit und scheinbar gesund 
zur Welt gekommenen Kinde. Trotzdem es jedoch regelmäss'g die 
gereichte Nahrung (künstliche) nahm, magerte es allmählich ab. 
Gegen Ende des zweiten Monats bemerkte die Mutter, dass es den 
rechten Arm nicht mehr rühren konnte und im obigen Alter starb 
es. Die autoptisebe Untersuchung bestätigte die gestellte Dia¬ 
gnose. M. glaubt, dass alle Krankheiten, welche die noch unent¬ 
wickelten Knochen betreffen, als prädisponirende Lokalisation die 
subperiostnle Schicht und den Verbindungsknorpel haben, da in 
diesem Alter an den Naclibnrtheilen der Eniphvse die aktive Bil¬ 
dung eine oxcessive ist. Es können sowohl die platten, wie vor 
Allem die langen (Extremitäten-) Knochen ergriffen werden: al>er 
jene der Oberextremität werden häufiger betroffen, wie die der 
unteren, und hier ist es wieder der Humerus am unteren Drittel 
und an der hinteren Fläche, welcher am häufigsten ergriffen wird. 
Bel der hereditären Spätsyphilis wird jedoch im Gegensntz zu 
dieser Frühform am häufigsten die Tibia ergriffen. Der Knorpel 
wird allmählich zerstört und dadurch tritt die Trennung der Epi¬ 
physen ein. Diese Erkrankung resultlrt aus einer schweren Form 
der Heredosvphills. die Behandlung muss daher eine sehr ener¬ 
gische sein und M. riith auch hier (siehe oben) zu subkutanen 
Injektionen einer He-Cyanürlösung (1 :1000t. joden Tag % ccm 
(— V., mg Hg-f’vnnür). ausserdem 0.25 Jodkali pro Tag und Re¬ 
gelung der Ernährung. 

Broca: Veraltete Luxation des Radius nach vorne. (Re¬ 
vue mensuelle des maladies de l’enfance. August 1901.) 

B. beobachtete einen Fall dieser Affektion. die fast in Ver¬ 
gessenheit gerat heil ist und deren Vorkommen von manchen Chi¬ 
rurgen überhaupt geleugnet wird, bei einem 7 jährigen Knaben: 
sie batte bereits 8 Monate bestanden und war früher für eine Frak¬ 
tur am oberen Ende des Radius gehalten worden. Das Haupt- 
eharakteristikuin ist. dass inan an der Vorderfläche der linken 
Oberextremität, während sie In Supination herabhängt. in der 
Höhe der Ellbogenfalte einen Vorsprung sieht, welcher gerade 
ausserhalb der Mitte dieser Falte, also vor und etwas innerhalb 
des Condylus Immer! liegt : dieser Vorsprung wird noch deutlicher 
durch die hochgradige Muskelatrophie am Arm und Vorderarm. 
Er ist völlig irreduetibel auf die verschiedensten Bewegungen Im 
Ellbogengeleuk. ebenso auf joden Druck von vorne nach hinten. 
Broca. der bekannte Chirurg des Spitals Tenon. schliesst an diesen 
Fall weitere Bemerkungen über diese chirurgische Affektion. 
welche, wie auch liier, meist durch mehr oder weniger heftigen 
Fall auf die Handfläche hei extendlrten und vorzüglich In Supi¬ 
nation gehaltenem Arm zu Stande kommt, an. Die Luxation des 
Radius, komplet oder nnkomplet. je nachdem die Gelenkfläche des 
Radius mit dem Condylus Immer! noch in Berührung bleibt, kann 
nach vorn, hinten oder seitwärts entstehen. Die erstere ist be¬ 
sonders häufig bei Kindern. Zur Therapie derselben sind zwei 
Operationen möglich: Reduktion des Köpfchens oder, wenn dies 
nicht gelingt. Resektion: für beide ist ein äusserer Einschnitt 
nothwondig. welcher ausserhalb und etwas hinter der nach vorne 
und innen luxlrten Extremität liegt. Die Resektion, welche an 
der am wenigsten stark wachsenden Epiphyse dos Radius vor¬ 
genommen wird, kann mir in geringem Maasse das Liingenwachs- 
thmn der Extremität behindern. Auch im vorliegenden Falle, wie 
wohl stets hei veralteten Luxationen, wurde die Resektion vor- 
genonnnen. Heilung per primnm: das Resultat ist vermittels 
weiters ausgeführter Massage ein gutes. 

Victor I in e r w o 1 - Jassy: Beitrag zur Pathogenese und 
Differentialdiagnose der tuberkulösen Herzbeutel Verwachsung. 
(Ibid.) 

Hutinel hat auf diese Affektion, welche in einer latenten 
tuberkulösen Perikarditis mit sekundärer Ilerzbeutelverwacbsung 
und Lebercirrhose besteht, zuerst aufmerksam gemacht (1893); 
unter allen Herzaffektionen Im Kindesalter soll die Ilerzbeutel- 
verwnehsung, mag sie rheumatischer oder tuberkulöser Natur sein, 
am häufigsten tiefgehende Störungen der allgemeinen und der 
Lebercirculation verursachen. Imerwol hatte Gelegenheit, am 
Kinderspital Cautatea zu Jassy 2 Kinder Im Alter von 4 Jahren 
mit der von H. beschriebenen Affektion zu beobachten: bei der 
Autopsie wurden die klassischen Veränderungen der tuberkulösen 
Ilerzbeutelverwachsung mit Lebercirrhose gefunden, ln einem 
3. Falle, welcher l>ei Lebzeiten das ganze Symptomenbild dieser 

ü* 


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1618 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Affektion darbot, zeigte die Autopsie I»eri- uml Myokard völlig 
intakt. Der Verlauf des Leidens ist meist ein über mehrere Monate 
sich hinziehender, die subjektiven Symptome sind Dyspnoe, 
trockener, heftiger Husten. Abmagerung, zuweilen Fieber, 
Cyanose, Leib stark aufgetrieben, Ascites, Leber und Milz ver- 
grossert. am Herzen oft objektiv nichts zu konstatireu. zuweilen 
ist es verbreitert. Die Beobachtung der 3 Kranken lehrte den 
Verfasser einige neue Tlmtsaehen. auf welche bis Jetzt noch nicht 
hingewiesen worden ist: In den 2 ersten Fällen wurde konstatirt. 
dass das dichte fibröse fJewebe, welches die Verwachsung bildete 
und das Myokard bedeckte, mit der Wand der Venne cnvae bei 
ihrem Eintritt in das Herzohr fest verwachsen war und die Veua 
cava inferior komprimirte. deren Lumen auf diese Weise verengert 
wurde, dadurch entsteht zweifellos eine Stauung im Leberkreislauf 
und das Symptomenbild der sogen. Leberasystolie. Dieser Mecha¬ 
nismus (Konstriktion der Vena cava inferior durch das fibröse Ge- 
wehe der perikarditischen Verwachsungen) muss also unter die 
Theorien bezüglich der Pathogenese der sogen, kardiotuberkulösen 
Leber eingereiht werden. Der Krankheitsverlauf bei dem zweiten 
Patienten war insoferne von dem HutineTsehen Bilde ver¬ 
schieden, als fast keine Cyanose und Dyspnoe, jedoch ausser der 
Lungentuberkulose als Hauplsymptom die beträchtliche Leber- 
vergrösserung vorhanden waren (welch’ letztere unter dem Ein¬ 
flüsse einer Herzmedikation beinahe völlig zurückging): Imer- 
wol möchte daher von einem ..Lebertypux“ als besonderer Form 
der tuberkulösen Herzbeutel Verwachsung sprechen. Der dritte 
Fall endlich, wo bei Lebzeiten eine solche Verwachsung für sicher 
gehalten wurde, aller bei der Autopsie nicht vorhanden war, lehrt 
dass hei Kindern im Laufe einer Tuberkulose neben anderen ana¬ 
tomischen Veränderungen Drüsentuberkulose am Ililus der Leber 
das Symptomenbild der tuberkulösen Herzbeutelverwachsung 
Vortäuschen kann. 

F $ r 6: Die Adipositas dolorosa (Dercu m’sche Krank¬ 
heit). (Revue de mödecine. August 1901.) 

Die Coincidenz von Fettgeschwülsten mit nervösen Störungen 
ist ziemlich häufig: die Lipome, diffus, multipel oder symmetrisch, 
stehen in engem Zusammenhang mit Nervenleiden, wesshalb man 
sie als Manifestationen einer Trophoneurose. als teratologischo 
Kombinationen angesehen hat. Die mehr oder weniger aus¬ 
gedehnte. aber unregelmässige Ablagerung von Fett unter die 
rTaut. mit Schmerz zusammenfallend. ohne dass irgend ein anderer 
Krankheitszustand vorhanden wäre, schien De re um eine selbst¬ 
ständige Krankheit mit dem obigen Namen zu sein. Bel dieser 
T 1 orm von Dystrophie bildet das Fett im Allgemeinen symmetrische 
Massen, welche Rumpf und Extremitäten bedecken, die äussersten 
Theile (TInnde und Füsse) und den Kopf verschonend. Bis jetzt 
wurde diese Adipositas nur bei Frauen beschrieben, sie beginnt 
meist nach dem 40. Lebensjahre, kann sieh jedoch auch nach dem 
00. einstellen und auch vor dem 40. Jahre. Bei genauer Beobach- 
tung der Fälle konstatirt man. dass die beiden Hauptsymptome. 
Adipositas und Schmerz, nach einander sich entwickeln und das 
eine das andere überdauern kann. F. beschreibt 4 Fälle dieser 
Art. 3 davon betrafen weibliche Patienten im Alter von 42 bis 
40 Jahren, bei welchen ^ausserdem Erscheinungen von Ilvsterie 
resp. Neurasthenie auf klimakterischer Grundlage vorhanden 
waren. Der 4. Fall betraf einen 38 jährigen Mann, bei dem eben¬ 
falls nenrasthenische Erscheinungen sich zeigten. Die Beobach¬ 
tung der zweiten Patientin lehrte, dass der Schmerz unabhängig 
von der Zunahme des Fettgewebes sein kann, da er Intensiver 
wird, wenn das Volumen abnimmt. Bei dem männlichen Patienten 
manifestirte sich der schmerzhafte Zustand In Folge eines 
Traumas: derselbe zeigt auch lokale Schmerzempfindungen in 
Folge von Aufregung und Amnesie nach geringfügigen Verletz¬ 
ungen. was bis jetzt bei Neurasthenie noch selten beobachtet 
wurde. Mit der Adipositas dolorosa kann der Muskelrheumatismus 
verwechselt werden, wenn er zufällig von Fettsucht oder um¬ 
schriebenem Oedem begleitet ist. Die meisten Beobachtungen von 
Adipositas dolorosa fallen bei Frauen ln das Alter der Menopause, 
d. li. in eine Zeit, wo die günstigsten Bedingungen zur Entwick¬ 
lung der Fettsucht gegeben sind. Einen Zusammenhang mit 
Schilddrüsenerkrankung. wie er von mancher Seite aufgestellt 
wurde, möchte F. nicht annehmen. 

Bnsqnet: Ein Fall von peripherer Neuritis in Folge von 
Malaria. (Ibid.) 

Zur Kasuistik dieser bis vor Kurzem noch unbekannten Kom- 
plikation der Malaria, welche erst durch SaoquPpfie und 
Dopt er (siehe diese Wochenschr. 1900. S. 1279t genauer erforscht 
wurde. Im vorliegenden Falle handelte es sich vorzüglich um 
Hyperaesthesien an Händen und Füssen bei einem 24 jährigen 
Soldaten: es waren aber auch Hypo- und unvollständige Anaesthe- 
sien an Armen und Beinen vorhanden. 

Brocard: Die epiduralen Injektionen nach S i c a r d. 

(Presse mödicale 1901. No. 49.) 

Beschreibung der Methode (den Lesern der Wochenschrift 
schon aus den Verhandlungen der Pariser mediclnlschen Gesell¬ 
schaften bekannt), welche ebenso sicher wie die intralumbalen 
Cocaininjcktinnen wirken soll, aber einfacher in der Technik und 
weniger gefährlich sei. Angewandt wurde sie bis Jetzt mit Erfolg 
bei Ischias. Lumbago. Herpes zoster, bei einfacher Interkostal- i 
neuraIgle, bei blitzartigen Schmerzen (Krisen) mancher Fälle von I 
,ilbos - Stern-München. ; 


No. 41 . 

Vereins- und Congressberichte. 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 

in Hamburg, vom 22. bis 2S. September 1901. 

Bericht von Dr. Grassmann in München. 

II. 

Die GesammtsitzuiiR beider Ilauptgruppen 
am 25. September 1901, welche bei sehr zahlreicher Betheiligung 
ebenfalls im grossen Saale des Konzerthause« abgehalten wurde, 
war vollständig der Besprechung der neueren Entwicklung der 
Atomistik, wie sie durch die grundlegenden Arbeiten von Svanlie 
A r r li e n i u s, O s t w a 1 d, v a n’t Hoff, Nernst u. A. ge¬ 
schaffen worden ist (dio 3 letzteren Gelehrten waren heute per¬ 
sönlich anwesend), gewidmet und zwar beleuchteten die 2 ersten 
Redner des Tages den schwierigen Gegenstand vorwiegend von 
physikalischen, die beiden letzten Redner mehr von physio¬ 
logisch-chemischen und klinischen Gesichtspunkten aus. Kurz 
nach 10 IJhr erüffnete der erste Vorsitzende der 73. Versamm¬ 
lung, II e r t w i g - München, die Sitzung mit dem Ausdrucke 
freudiger Genugthuung darüber, dass der in Hamburg gemachte 
Versuch, rein wissenschaftliche Fragen vor dem ganzen Kreise 
der Versammlung zu einer zusamtnenfaasenden Erörterung zu 
bringen, offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen sei. wie der 
so zahlreiche Besuch auch dieser Versammlung beweise. Der 
Herr Vorsitzende theilte dann noch mit, dass er von R. V i r- 
chow ersucht worden sei, mitzutheilen, dass im Dezember 1902 
unter dem Protektorate Sr. Iloh. des Khedive ein ägyptischer 
Kongress statt finden werde, auf dem besonders Fragen hygie¬ 
nischer Natur zur Berathung kommen sollen. Geh. Rath Vi r- 
c h o w sei das Ehrenpräsidium dieses Kongresses ungebeten 
worden. 

Ferner nimmt die Versammlung davon Kenntnis«, dass als 
Ort der nächstjährigen Versammlung Karlsbad in Aussicht ge¬ 
nommen ist. 

Es spricht nun zuerst W. Kaufmann - Göttingen über: 
Die Entwicklung des Elektronenbegriffs. 

Ira Laufe der letzten Jahrzehnte hat die Elektrieitätslehre 
eine Entwicklung genommen, die in mancher Beziehung eine 
Rückkehr zu den älteren, längst überwunden geglaubten An¬ 
schauungen W. Wöbe Fs bedeutet, wenn auch unter Beibehal¬ 
tung der Forschungsergebnisse M a x w e 1 l’s und H e r t z\ Bei 
der Anwendung der M a x w e 1 l’schen Theorie auf optische Vor¬ 
gänge — die Lichtwellen sollen sich ja nach Maxwell bloss 
durch ihre Wellenlänge von den elektrischen Wellen unter¬ 
scheiden — stiess man auf Schwierigkeiten, die sich, wie II. A. 
Lorentz naehwics, bloss dadurch überwinden Hessen, dass 
man die einzelnen Moleküle der durchsichtigen Körper als elek¬ 
trisch entgegengesetzt geladene Punkt paare ansah, deren Eigen¬ 
schwingungen dann in mit der Erfahrung durchaus überein¬ 
stimmender Weise die Lichtschwingungen beeinflussen. Heber 
die Natur dieser supponirten Ladungen gibt das F a r a d a y’sche 
Gesetz der Elektrolyse Aufschluss, durch welches man, wie zuerst 
v. Helmholtz 1881 in einer zum Gedächtnis« Faraday’s 
gehaltenen Rede aussprach, mit Notlnvendigkeit zu der An¬ 
nahme bestimmter elektrischer Elementarquanta, d. h. elek¬ 
trischer Atome geführt wird; für ein solches ist jetzt allgemein 
der von S t o n e n zuerst gebrauchte Name Elektron ein- 
geführt. 

Ein geradezu zwingender Beweis für die Richtigkeit der eben 
skizzirten Hypothese wurde im Jahre 1896 durch dio Entdeckung 
P. Zeeman’8 gebracht, der nachwies, dass im Magnetfelde die 
Spectrallinien leuchtender Dämpfe in eigentümlicher, jedoch 
durch die Theorie genau vorherzusagender Weise verändert 
werden. Aus der Grösse der gemessenen Veränderung lässt sich 
nach weisen, dass ein Elektron etwa 2000 mal kleiner ist, als ein 
Wasserstoffatom (das kleinste bekannte chemische Atom). Ferner 
ergab sich, dass stets das negative Elektron frei beweglich, das 
positive an die Materie gebunden war, eine Einseitigkeit, die 
sich auch hei allen anderen, die Elektronen betreffenden Ers/hei- 
mmgen kundgibt. Vielleicht gelingt es in Zukunft einmal, auch 
das freie positive Elektron nachzuweisen. 

Der Entwicklung des Elektronenbegriffs auf dem Gebiete 
der Lichttheorie folgte bald eine ganz entsprechende auf einem 


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8. Oktober 1901. 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1619 


rein elektrischen Gebiete; nämlich dem der Entladungscrsehei- 
mmgen in Gasen. 

liier waren es namentlich die seit Langem durch die Unter¬ 
suchungen von P 1 ü c* k e r, Hittorf, Crookes, Gold- 
stein u. A. bekannten Kathodenstrahlen, denen sieh haupt¬ 
sächlich in Folge der Röntge n’sehcn Entdeckung der 
X-Strahlen wieder die "Aufmerksamkeit zuwandte. Eine grosse 
Reihe von messenden Untersuchungen ergab, dass man os auch 
lK*i den Kathodenstrahlen mit negativ geladenen Thcilehen zu 
thun habe, die sich mit ungeheurer Geschwindigkeit (Vf-, bis V.i von 
derjenigen des Lichtes) bewegen. Auch hier ergab sich, dass die 
Theilchen etwa 2000 mal kleiner seien als ein Wasserstoffatom. 
Wenn ein s<dches Theilchen plötzlich von einem festen Körper 
gehemmt wird, so muss von ihm aus eine explosionartige elek¬ 
trische Welle in den Raum hinausgehen, genau wie von einem 
aufsehlagenden Geschoss eine Schallwelle. Wahrscheinlich sind 
die Röntgenstrahlen solche Wellen. Eine Reihe neuerer Unter¬ 
suchungen weisen darauf hin, »lass auch die elektrische Leitung 
in Metallen, genau wie es Weber schon aunalun, in einer 
Wanderung elektrischer Atome besteht. 

Endlich hat man neuerdings eine Reihe von Körpern ge¬ 
funden, die ganz von selbst, ohne dass man bis jetzt die Energie¬ 
quelle kennt, Elektronen ausschleude.rn, und zwar mit einer Ge¬ 
schwindigkeit, die sieh kaum merklich von der des Lichtes unter¬ 
scheidet. Solch»* Elektrom*n — in diesem Falle als B«**querel- 
strahlcn bezeichnet — vermög»*n selbst dicke Bleiplatten ohne 
merklichen Energieverlust zu durchdringen. 

Es knüpfen sich eino ganze Reihe principiell wichtiger 
Fragen an diese werkwürdigem Gebihle, unter anderem die Er¬ 
wägung, ob nicht alle Massen als nur scheinbare zu betrachten 
sind um! die ganze Mechanik nicht auf elektrische Vorgänge zu- 
riiekzuführon ist. Namentlich erscheint es nicht aussichtslos, 
über «Ion feineren Bau der chemischen Atome, sowie über die 
Schwerkraft hier Aufschluss zu erlangen. 

Jetlenfalls ist sicher, dass diese winzigen Theileh»*n, deren 
Grösse sich zu «1er eines Bacillus verhält, wie letzterer zur ganzen 
Erdkugel, und deren Eigenschaften wir doch auf das Genaueste 
messen können, dass diese Elekt ronen einen der wichtigsten Be- 
standtheile unseres ganzen Weltgebäudes bilden. 

Di<‘scm mit grossem Beifall aufgenomiiu*nen Vortrag folgte 
nun jener von H. Geitel - Wolfenbüttel: lieber die An¬ 
wendung der Lehre von den Gas-Ionen auf die Erscheinungen 
der atmosphärischen Elektricität. 

Auffallender Weise sind trotz der angestrengten und erfolg¬ 
reichen Thätigkeit der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete der 
elektrischen Erscheinungen gerade diejenigen, die uns «lie Natur 
selbst bietet, nämlich die der atmosphärischen Elektrizität, nach 
ihr»*m inneren Zusammenhänge noch nicht befriedigend aufge¬ 
klärt. Es sind zwei Grundprobleme, deren Lösung noch aussteht. 
Das erste ist die Frage nach »lern Ursprünge der Niedersehlags- 
elektrizität oder der elektromotorischen Kraft, die zugleich mit 
der Kondensation des Wasserdampfs in der Atmosphäre in Wirk¬ 
samkeit tritt und sich am stärksten in den eigentlichen Gewittern 
üussert. Das zweite betrifft die Herkunft und die Erhaltung 
der bei heiterem Wetter stets vorhandenen sogenannten normalen 
Spannungsdifferenz zwischen dem Erdkörper und seiner Luft¬ 
hülle, die in einer negativen Eigenladung der Erde und einer 
positiven der Atmosphäre besteht. 

Die Erkenntniss des M«*ehanismus der Gasentladungen, die 
sieh inzwischen vollzogen hat, scheint auch in Bezug auf diese 
Fragen einen Schritt vorwärts zu bedeuten. Weim ein Gas 
elektrisch leitet, so ist dies hiernach nur durch Vormittelung 
von Elektronen oder Ionen möglich, d. h. von positiv oder negativ 
geladenen Theilchen, die man sich durch eine Spaltung der Gas- 
ntome entstanden denkt. Da nun die atmosphärische Luft, wie 
experimentell bewiesen werden kann, ein zwar kleines, aber un¬ 
zweifelhaftes elektrisches Leitvermögen hat, so muss sie auch 
freie Ionen in gewisser Monge enthalten, und wenn diese ihr ent¬ 
zogen werden, sie durch Neubildung ersetzen. Dieser Nachweis 
des Vorhandenseins von Ionen in der Atmosphäre ist besonders 
durch systematische Untersuchungen über die sogen. Elektri¬ 
zitätszerstreuung von Geitel und Elster erbracht worden. 
Die auf dem lonengehalt beruhende Leitfähigkeit der Luft ist 
am grössten an klaren Tagen, am geringsten bei Nebel. Be¬ 
sonders gross ist sie im Hochgebirge und in den Polargegenden 


gefunden worden, auch im freien Lufträume nimmt sie mit der 
Erhebung über den Meeresspiegel zu, wie Herr Ebeirt in 
München durch Messungen vom Ballon aus nnchgewiesen hat. 

Da die natürliche Luft sich qualitativ wie solche verhält, 
die durch die Gegenwart der sogen, radiventiven Substanzen 
künstlich in abnorm hohem Grade ionisirt ist, so darf man mit 
einiger Wahrscheinlichkeit die gleichen Vorgänge in der Atmo¬ 
sphäre als tlüitig vermuthen, die man an jener künstlich ionisirten 
Luft beobachtet. 

Diese elektrisirt nun den mit ihr in Berührung befindlichen 
Leiter im Allgemeinen negativ, während sie sieh selbst positiv 
ladet, der Sinn der entstehenden Potcntialditferenz ist mithin 
derselbe, wie zwischen der Erde und ihrer Atmosphäre. Ferner 
wirken in künstlich ionisirten Gasen, die mit Feuchtigkeit ge¬ 
sättigt sind und dann durch Entspannen abgeküldt werden, die 
Ionen als Ansatzk»!rne hei der Kondensation des Wasserdainpfs 
und zwar, nach den Untersuchungen C. T. II. Wils o n’s die 
negativen bei geringeren Graden der Entspannung als die posi¬ 
tiven. Die in der freien Atnuxsphäre in aufsteigenden Luft¬ 
strömen bei beginnender Ucbersättigung mit Wasserdampf sieh 
bildenden Wolken würden danach zuerst aus negativ geladenen 
Tröpfchen besü'hen und sich zu gleiehmiissig elektrischen Regen¬ 
tropfen verdichten. Fallen diese zur Erde herab, so bleibt die 
Luft mit positiver Ladung behaftet zurück, erst bei fortschrei- 
temler Ucbersättigung würden auch die positiven Ionen an 
Wassertropfen gebunden und zur Erde geführt. Es ist nicht 
unwahrscheinlich, wie zu»*rst J. J. Tho m soii vermuthetc, dass 
solche Vorgänge b»?i der Scheidung der Elektrizität in den Ge¬ 
witterwolken wirksam sind *). 

Nach einer Vj stünd. Erfrischungspause begann Th. Paul- 
Tübingon seinen durch zahlreiche Tnl>«*llen, welche mittels Pro¬ 
jektionsapparates zur Anschuuung gebracht wurden, erläuterten 
Vortrag über: 

Die Bedeutung der Ionen-Theorie für die physiologische 
Chemie. (Nach dem Autoreferate.) 

Weitaus die meisten biologischen Vorgänge in Pflanzen und 
Thieren beruhen auf einer Wechselwirkung der Stoffe in ge¬ 
löstem Zustande, da nicht nur die flüssigen Bestamltlicile <l«*r 
Organismen, sondern auch die festeren Gewebe als Lösungen 
aufzufassen sind, seitdem «lie neuere (’h«*mie ausser d»*n flüssigen 
auch feste Lösungen kennt. Es war desshalb zu erwarten, dass 
die Fortschritte, welche man in der Erkenntniss des Wesens «ler 
Lösungen machte, auch b»*fru»*.hU*n«l auf die Physiologie ein¬ 
wirken würden, und «lass zwei wissenschaftliche Errungenschaften 
ersten Ranges, die Theori»* der Lösungen von van t’IIoff 
und die Theorie der elektrolytischen Dissociation von Svanhe 
Arrhenius, durch welche unsere Anschauungen vom Zu¬ 
stande der Stoffe in Lösungen in vollkommenere Bahnen gelenkt 
worden sind, für gewisse Gebiete der physiologischen Chemie 
einen Wendepunkt bedeuten. Es lässt sich schon jetzt mit Be¬ 
stimmtheit sagen, dass viele der zahllosem Widersprüche und Un¬ 
klarheiten, denen man in der physiologischen Literatur so häufig 
begegnet, nur auf Grund dieser neueren Anschauungen gelöst 
worden können. Bisher nahm man an, dass in einer wässerig«*!! 
Lösung, z. B. in einer Kochsalzlösung neben den Wassermolekeln 
Ohlornatriuni-Molekeln enthalten sind. Da aber eine solche 
Lösung den elektrischen Strom leitet, und deren osmotischer 
Druck gnissor ist, als den molekularen Verhältnissen entspricht, 
nimmt man nach der Theorie der elektrolytischen Dissociatiim 
oder der „Ionen-Theorie“ an, dass in einer Kochsalz¬ 
lösung nicht sämmtlichcs Salz in der Form von Na(TMol«*keln 
enthalten ist, sondern dass die Mehrzahl der letzteren in elektrisch 
geladene Theilstüekc, die Na-Ionen und Cl-Ioncn, zerfällt, welche 
den Transport der Elektrizität beim Durchgang»; ein»« elek¬ 
trischen Stromes vermitteln, und deren je»kw den osmotischen 
Druck »ler Lösung in demselben Grade beeinflusst, wie eine in¬ 
takte Molekel. Di»*s»*r Vorgang tl»*r Spaltung »ler Ko»*hsalz- 
mol<>k<*ln in elektrisch geladene Ionen, welcher st»*ts mit «lern 
Auflösen dos Salzes in Wasser verbunden ist und ohne jode Zu¬ 
führung von Elektrizität von aussen vor sich geht, fin»l«*t Ihü 

*) Da der Herr Vortragende Ulier ein «ler Grösse dos Raumes 
aupassluires Organ nicht v«*rfiigto, war es für die Mehrheit der 
Hörer schon aus diesem Grunde schwer, «len Darlegungen des 
Forschers mit der Aufmerksamkeit zu folgen, welche sie ver¬ 
dienten. 


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1620 


MUENCIIENER MEDIOINISCnE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


sämmtlichen Salzen, Säuren und Basen statt, Stoffen, deren 
wässerige Lösungen den elektrischen Strom leiten und welche 
man desshalb mit dem gemeinsamen Namen „Elektrolyte“ be¬ 
zeichnet. So zerfällt AgNO, in das positive Silber-Ion (Ag-Ion) 
und in das negative Snli)etersäure-Ion (NO.-Ion), das chlorsaure 
Kalium in das positive Kalium-Ton (K-Ion) und in das negative 
Chlorsiiure-Ion (ClOj-Ion). Die Säuren sind dadurch charak- 
terisirt, dass sie sämmtlieh in wässeriger Lösung positive Wasser¬ 
stoff-Ionen (Il-Ionen) abspalten unter gleichzeitiger Bildung 
eines für jede Säure charakteristischen negativen Ions. Die 
Basen sind Verbindungen, welche in wässeriger Lösung sämmt¬ 
lieh negative Ilydroxyl-Ionen (0Il-Ionen) neben den für jode 
Base spezifischen positiven Ionen abspalten. Die „Stärke“ der 
Säuren und Basen richtet sieh nach dem Dissociationsgradc 
dieser Verbindungen. Eine Säure oder eine Base ist um so 
stärker, jo grösser die Konzentration der positiven Wasserstoff- 
Ionen oder negativen Ilydroxyl-Ionen in ihrer wässerigen Lösung 
ist, wenn gleiche molekulare Mengen dieser Verbindungen gelöst 
werden. So ist die Essigsäure eine ungefähr 100 mal schwächere 
Siiure als die Salzsäure und das Ammoniak eine ungefähr 
100 mal schwächere Base als die Kalilauge. 

Es lässt sieh an einer Reihe von praktischen Beispielen 
zeigen, dass uns die lonen-Thcorie die Mittel und Wege an die 
Hand gibt, die Zusammensetzung verschiedener bisher unge¬ 
nügend erforschter Körperflüssigkeiten zu ermitteln, und uns 
in den Stand setzt, komplizirte physiologisch-chemische Vor¬ 
gänge* auf einfache wohll>ekannte Gesetze zurückzuführen und 
für die physiologische Wirkung vieler Stoffe*, eine einheitliche 
und ungezwungene Erklärung zu geben. So bedeutet es einen 
prinzipiellen Fortschritt, als vor einigen Jahren St. Bugarszky 
und F. Tan gl bei ihren Untersuchungen über die Zusammen¬ 
setzung des Blutserums durch die Bestimmung der Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung, welche sich mit Hilfe der von Ernst Beckmann 
konstruirten Apparate in kurzer Zeit mit grosser Genauigkeit 
ausführen lässt, die Gesammtkonzentration der gelösten nicht- 
dissociirten Molekeln und der Ionen ermittelten und die Kon¬ 
zentration der letzteren durch elektrische Leitfiihigkeitsversuche 
feststellten. Eine ähnliche Untersuchung hat fast gleichzeitig 
Hans Koeppe iilx-r den Salzgehalt der Frauen- und Kuhmilch 
ausgeführt. Seitdem Reaumur als einer der Ersten um die 
Mitte des 18. Jahrhunderts den Mageninhalt von Thicren auf 
seine Acidität untersuchte, ist die Zahl der darüber veröffent¬ 
lichten Arbeiten auf mehrere Hundert angewachsen. Trotzdem 
ist es bisher nicht möglich gewesen, die Konzentration der Säure 
im Magensaft in absoluten Zahlen anzugeben. 

Die Ionentheorie setzt uns in den Stand, den Begriff der 
Acidität des Magensaftes in ganz unzweideutiger Weise zu prä- 
zisiren: Die Acidität ist identisch mit der Konzentration der 
darin enthaltenen Wasserstoff-Ionen. Die. exakte Messung der¬ 
selben lässt sich mit Hilfe einer galvanischen Konzentrations- 
Kette bewerkstelligen, deren Theorie von Walter Nernst auf¬ 
gestellt wurde. Die Titration liis«t sich hierzu nicht benutzen, 
da gleiche molekulare Mengen der starken Salzsäure und der 
schwachen organischen Säuren, wie Essigsäure und Buttersäure, 
gleiche Volumina Kalilauge oder Natronlauge zur Sättigung 
brauchen. Damit soll nicht in Abrede g<*stellt werden, dass sich 
mit Hilfe passend gewählter Indikatoren wie z. B. Methylviolett, 
Tropäolin oder Kongoroth, welche erst auf eine grössere Wasser- 
stoff-Ioncn-Konzontration reagiren, für die ärztliche Praxis 
brauchbare vergleichende Werthe ermitteln lassen. Ja, es ist 
wünsehenswerth, dass diese Methode mit Hilfe der Theorie der 
Indikatoren weiter ausgebildet wird, welche Wilhelm Ostwald 
auf Grund der lonenthoorie aufgestellt hat, und die es ermög¬ 
licht, die zahlreichen Indikatoren der Aeidirnetrie und Alkali¬ 
metrie nach einem einheitlichen Gesichtspunkte zu klassifiziren 
und die für jeden Indikator charakteristische Empfindlichkeits- 
grenzo festzustellen. 

In neuester Zeit hat Rudolf Höher versucht, die Konzen¬ 
tration der Ilydroxyl-Ionen im Blut, also dessen Alkalcsoenz, zu 
bestimmen, indem er defibrinirtes Rinderblut mit verdünnter 
Natronlauge bezw. Salzsäure von bestimmtem Gehalt zu einer 
galvanischen Konzentrationskette verband und die elektro¬ 
motorische Kraft des auftretenden galvanischen Stromes er¬ 
mittelte. Die Eigenschaft der Eiwe.issverbindungen, mit stär¬ 
keren Säuren lockere salzartige* Verbindungen zu bieten, welche 


für die Pepsinverdauung sehr wichtig sind, hat vor mehreren 
Jahren John Sjövist auf Grund der Ionentheorie klar gelegt 
und mit Hilfe von elektrischen Leitf äh igkeitsmessungvn quanti¬ 
tativ bestimmt. Einige Jahn* später (1808) haben Stefan Bu- 
garskv und Leo Lieber mann das Bindungsvermögen 
eiweissartiger Stoffe für Salzsäure, Natriumhydroxyd und Koch¬ 
salz durch die Messung der elektromotorischen Kräfte in gal¬ 
vanischen „Gasketten“ und durch die Bestimmung der Gefrier¬ 
punktserniedrigung ermittelt. Die nach diesen von einander 
ganz unabhängigen Methoden gefundenen Werthe stimmen ganz 
befriedigend überein und sind insofern ein Beweis für die Stich¬ 
haltigkeit und Zweckmässigkeit der neueren Anschauungen, als 
die darauf gegründeten Rechnungen sich der Erfahrung au- 
schliessen. 

Paul G r ii t z n e r hatte gefunden, dass die Kaseinfällung 
in der Milch, welche durch aequimolekularc Säurelösungen ver¬ 
anlasst wird, je nach der Stärke der betreffenden Säure quanti¬ 
tativ ganz verschieden ist. Setzt man den Säurelösungen gleich- 
ionige Salze zu, wie z. B. der Essigsäure essigsaures Natrium, so 
wird die Menge des ausgefällten Kaseins geringer, obwohl be¬ 
kanntlich die Salze die Ausfällung von Eiweisskörpern im All¬ 
gemeinen unterstützen. Wie war diese merkwürdige Erschei¬ 
nung zu erklären? Die lonenthoorie gibt auf diese Frage fol¬ 
gende Antwort: die Konzentration der Wasserstoff-Ionen in der 
wässerigen Lösung oder mittelstarken oder schwachen Säure 
muss nach dem Massen Wirkungsgesetz durch den Zusatz eines 
gleichionigon Salzes geringer werden und desshalb wird die 
Fähigkeit der Säure, das Kasein auszufällen geringer. Mit Rück¬ 
sicht auf die grosse Bedeutung, welche dem Verhalten der Harn¬ 
säure und ihrer Salzo im Blut, im Harn und in den Gewebs¬ 
flüssigkeiten zukommt, da verschiedene häufig auftretende und 
besonders schmerzhafte Krankheiten auf einer pathologisch'u 
Abscheidung der Harnsäure und ihrer Salze im Körper beruhen, 
haben Wilhelm H i s d. J. und Theodor Paul begonnen, das Ver¬ 
halten dieser Stoffe in Lösungen vom Standpunkte der Ionen- 
theorie einer systematischen Untersuchung zu unterziehen. Sie 
fanden u. a. in Uebereinstimmung mit den Lehren der Ionen¬ 
theorie, dass die Abscheidung eines schwerlöslichen harnsauren 
Salzes aus einer D'isung nicht nur von der Löslichkeit des be¬ 
treffenden Salzes abhängt, sondern dass die gleichzeitig in der 
Lösung anwesenden Salze, welche mit jenem ein Ion gemeinsam 
haben, eine beträchtliche Lösliehkeitsverminderung veranlassen 
können. So löst sich z. B. das saure harnsaure Natrium in 
Wasser von Zimmertemperatur im Verhältnis* von 1:1130, in 
einer physiologischen Kochsalzlösung dagegen, welche nur 7 g 
Chlornatrium im Liter enthält, erreicht die Löslichkeit nicht ein¬ 
mal das Verhältniss 1:11000, da die Dissoeiation des Natrium- 
urats durch die Natrium-Ionen dos Kochsalzes erheblich ver¬ 
mindert wird. Eine weitere Ueberlegung zeigte, dass die zur Zeit 
noch ganz allgemeine Vorstellung irrig ist, wonach die Dar¬ 
reichung von Lithium, Piperazin, Lysidin und ähnlichen Prä¬ 
paraten, deren harnsaure Salze in Wasser leicht löslich sind, iin 
Organismus eine Umsetzung mit den abgelagerten schwer lös¬ 
lichen harnsauren Salzen und die Bildung der leichtlöslichen 
Verbindung veranlassen können. 

Im innigen Zusammenhänge mit der Konstitution einer 
Lösung steht auch ihre physiologische Wirkung, und da die Salze, 
Säuren und Basen in wässeriger Lösung mehr oder weniger in 
Ionen zerfallen, muss sich auch deren physiologische Wirkung aus 
derjenigen der nicht dissociirten Molekeln und der Ionen zu¬ 
sammensetzen. Thatsächlieh haben zahlreiche Beobachtungen 
diese Erwartung bestätigt. Dreser prüfte die Giftwirkung 
von Quecksilbersalzen auf Hefezellen, Frösche und Fische, und 
fand, dass das Kaliumquecksilberhyposulfit viel langsamer und 
schwächer wirkte als Cyan-, Suceinimid- und Rhodanquecksilber, 
obgleich der Quecksilbergehalt in allen Lösungen gleich gross 
war. Dreser führte das abnorme pharmakodynamische Ver¬ 
halten des Kaliumqueeksilberhyposulfits auf die geringe Konzen¬ 
tration der Quecksilber-Ionen in dessen wässeriger Lösung zu¬ 
rück. Bei Gelegenheit einer ausgedehnten, unter Zugrunde¬ 
legung der neueren physikalisch-chemischen Theorien ange- 
stellten Untersuchung über das Verhalten der Bakterien zu che¬ 
mischen Stoffen aller Art haben Bernhard Krönig und Theodor 
Paul geprüft, ob die Giftwirkung von Metallsalzen, Säuren und 
Basen im Zusammenhänge mit deren elektrolytischer Dissocia- 
tion stehe. Diese Untersuchung war um so interessanter, als 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1621 


8. Oktober 1901. 


Behring den im schroffsten Gegensatz zu dieser Annahme 
stehenden Satz aufgestellt hatte, dass z. B. „der desinfizirendo 
Werth der Quecksilberverbindungen im Wesentlichen nur von 
dem Gehalt an löslichem Quecksilber abhängig ist, die Verbin¬ 
dung mag sonst heissen wie sie wolle“. Redner zeigt an der Hand 
zahlreicher Tabellen, dass diese Ansicht Behring’s vollständig 
mit den Thatsachen im Widerspruch stehe. So fanden B. Krö- 
n i g und Th. Paul die keimtüdtende Kraft der Halogenverbin- 
dungen des Quecksilbers, von denen wir wissen, dass sie ver¬ 
schieden stark dissoeiirt. sind, sehr verschieden und zwar ent¬ 
sprach sie ganz dem elektrolytischen Dissociationsgrad dieser 
Salze. Die bakterientödtende Kraft des Sublimats nimmt um 
so mehr ab, je mehr CINa zugesetzt wurde. Die Hg-Cyan- 
verbindungen erwiesen sich als am schwächsten wirksam. Auch 
bei den Silber- und Goldsalzen liess sich ähnliches beobachten: 
die gut dissociirenden Verbindungen wirkten sehr stark, die 
komplexen Salze dagegen, in deren wässeriger Lösung die Kon¬ 
zentration der Metall-Ionen nur gering ist, waren viel weniger 
giftig. Die Giftwirkung der Säuren und Basen entsprach im 
Allgemeinen der Konzentration der Wasserstoff-Ionen resp. 
Hydroxyl-Ionen. Auch die Aenderungen des Dissociations- 
zustandes von Metallsalzen, welche der Zusatz eines gleicli- 
ionigen anderen Salzes bewirkt, kam bei der Giftwirkung sehr 
schön zum Ausdruck. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangten 
Scheurlen und Spiro. 

Mit Rücksicht auf diese letztgenannten und andere Unter¬ 
suchungen, welche die Anwendung der lonentheorie auf physio¬ 
logische Vorgänge betreffen, weist Redner darauf hin, dass man 
bei Deutung von Versuchen an höher organisirten Lebewesen 
und besonders beim Thierexperiment mit grosser Vorsicht zu 
Werke gehen muss, da hierbei noch eine Reihe anderer Faktoren, 
als lediglich der Dissociationsgrad der Stoffe und die Eigen¬ 
schaften der Ionen maassgebeud sind. Zu verurtheilen ist ferner 
die sich in neuerer Zeit besonders in Deutschland geltend 
machende Unsitte, die neueren physikalisch-chemischen Theorien 
für die Anpreisung von Heilmitteln und besonders für die Wirk¬ 
samkeit der Heilquellen zu verwenden. Durch solche und ähn¬ 
liche Gepflogenheiten kann und muss die Bedeutung der neueren 
Anschauungen in Misskredit gebracht werden. 

Die klare Darstellung des Themas, die Anführung der für 
das Verständniss des Ganzen wichtigsten Grundbegriffe — wofür 
besonders die „Mediciner“ dankbar waren — und ein bis in die 
fernsten Ecken des Raumes gleich gut vernehmbares Stimmorgan 
erklärten völlig den lebhaften Beifall, welchen der Redner 
erntete. 

Als letzter Redner bestieg His jun.-Loipzig das Podium 
zu seinem Vortrage: Die Bedeutung der lonentheorie in der 
klinischen Medicin. 

Der thierische und menschliche Körper besteht aus halb¬ 
festen Elementen, den Zellen und umgebenden Flüssigkeiten, 
dem Blut und der Lymphe. Beide stehen in einem Wechsel- 
austausch gelöster organischer und anorganischer Bestandtheile. 
Dieser Wechselaustausch wird theils durch rein physikalische 
Kräfte, theils durch die den Zellen innewohnenden vitalen Eigen¬ 
schaften geregelt. Eine Erkrankung der Zellen muss sich in 
einer Aenderung dieser vitalen Kraftäusserungen zu erkennen 
geben; diese Kraftäusserungen sind ein Maass der physio¬ 
logischen Zellfunktion. Sie lassen sich von den rein physi¬ 
kalischen Kräften um so leichter sondern, je genauer diese be¬ 
kannt sind. Für die Austauschvorgänge im Körper sind am 
wichtigsten die Gesetze der Osmose und Diffusion. Diese 
Gesetze sind aber erst verständlich geworden durch die Auf¬ 
stellung der Lösungstheorie durch van t’IIoff und der Dis- 
sociations- oder lonentheorie durch Svanhc Arrhenius. Diese 
ungemein fruchtbaren Theorien stellen den durch die That¬ 
sachen auPs Beste gestützten Satz auf, dass gewisse Eigen¬ 
schaften einer Lösung, wozu der bei den Austauschvorgängen 
im Körper überall wirksame osmotische Druck gehört, 
nicht von der Art, sondern von der Konzentration der gelösten 
Moleküle allein abhängen, und dass die Bestandtheile, in welche 
die Elektrolyte in Lösung zerfallen, die Ionen, den Molekülen 
in dieser Beziehung gleichwerthig sind. Die Anwendung dieser 
Theorie auf die Medicin hat eine Menge von wichtigen Auf¬ 
schlüssen über die Austausch Vorgänge im Körper ergehen, frei¬ 
lich sind die Vorgänge im Körper so komplizirte, dass vorerst 


nur die Grundlagen zu einer allgemeinen O rientirung 
gegelten sind. 

Während sich die todte Darmwand im Wesentlichen wie eine 
thierische Membran verhält, sind die Resorptionsvorgänge an 
der lebenden Darmwand viel komplizirter und nicht ausschliess¬ 
lich analog denen der Diffusion und Osmose durch thierische 
Membranen. Immerhin wirft die jetzige chemisch-physikalische 
Betrachtung dieser Processe auf Manches ein helleres Licht als 
bisher. Z. B. kann erhofft werden, dass auf diesem Wege eine 
Einsicht in die Wirkung mancher Mineralwässer gewonnen 
werden wird. Die von K o e p p e über die Ausscheidung der 
C1H im Magen aufgostellte Theorie ist aus manchen Gründen 
nicht haltbar, vorläufig muss in diesem Vorgang die Mitwirkung 
vitaler Processe als nothwendig vorausgesetzt werden. Festge¬ 
stellt ist, dass im Magen eine Sekretion von Wasser oder Salzen 
in der Weise stattfindet, dass der Mageninhalt eine molekuläre 
Konzentration annimmt, die um einen grösseren Werth unter 
derjenigen ües Blutes liegt. Jedenfalls sind die bisherigen Ver¬ 
suche, die Salzsüuresekretion als rein physikalischen Vorgang zu 
erklären, als widerlegt zu betrachten. Auch für die Exsudation 
und Resorption durch Gefässe und seröse Endothelien scheint 
eine lebendige Thätigkeit der Zellen, neben rein physikalischen 
Processen, maassgebend zu sein. 

Bei der funktionellen Prüfung der Nieren leisten die auf 
die physikalisch-chemische Untersuchung der Ausscheidungen 
gegründeten Methoden wenig mehr als die bisher geübte 
chemische und mikroskopische Untersuchung. Anders bei ein¬ 
seitigen Nierenaffektionen, wo von einem geübten Untersucher 
eventuell durch phys.-chemische Methoden eine Diagnose ge¬ 
macht und die Indikation zur Operation aufgestellt werden kann. 
Doch sind diese Methoden besser noch der Klinik Vorbehalten, 
denn die Untersuchungen wollen genau geübt sein, die zu 
ziehenden Schlüsse sind noch zu unsicher, um für die praktische 
Anwendung schon jederzeit maassgebend sein zu dürfen. Es 
ist aber zu hoffen, dass der Kreis der praktischen Verwerthung 
der chem.-phys. Methoden in der Zukunft erweitert werden kann. 

Zur Discussiou nach dem Inhaltreicheu, fesselnden Vor¬ 
trage, der mit grösstem Beifalle aufgeuommeu wurde, meldete sich 
zunächst Ost wald - Leipzig. Er führte aus, dass ln den bio¬ 
logischen Wissenschaften eine Zeit lang eine Art „ Verzweifluugs- 
siiinmuug" geherrscht habe. Mit Hilfe von Chemie und Physik 
habe man sich auf allerlei Probleme und Arbeiten gestürzt, allein 
schliesslich seien die bet reteneu Wege ausgegangen gewesen, es 
bestund der Eindruck, mit Chemie und Physik komme man nicht 
zu Ende. Mau habe dann wieder die Dinge mit „vital“ bezeichnet. 
Die vitalen Kräfte sind nach Redner diejenigen, welche mau noch 
nicht bewältigt hat. Zwischen ihnen und den uudereu besteht kein 
absoluter Unterschied, sondern nur eiu von der Zeit abhängiger. 
Wenn die Biologen auf eine Erklärung „vitaler“ Vorgänge ver¬ 
zichten zu müssen glauben, so trauen sie sich zu wenig, den 
Chemikern und Physikern zu viel zu. Für letztere Ist Manches 
auf biologischem Gebiete gewachsen, z. B. die Auftinduug des 
osmotischen Druckes durch Pfeffer und D’V ries. Mit einem 
geistreich durchgeführteu Vergleich, in welchem Ostwald die 
Chemiker und Physiker als die Dammbauer einer Eisenbahn be- 
zeichuete, auf welchem daun die Biologen den Zug vorwärts 
bringen könnten, schloss Itedner seine interessanten Aus¬ 
führungen. 

Im Anschluss an den Vortrag von Th. P a u 1 - Tübingen 
sprach hierauf B 1 a 1 - Kissingeu über die von ihm ungestellten 
Untersuchungen betr. die Wirkung der Säuren 
auf die Entwicklung der Hefe. 

Als letzter Redner der Sitzung, die erst nach 4 ständiger 
Dauer nach kurzen Schlussworten des 1. Vorsitzenden ihr Ende 
nahm, erhob sich van t’H off- Cliarlotteuburg zu einer das 
Be l'ruchtungs problem betreffenden Bemerkung. 

Nach den Untersuchungen Loeb's über die Befruchtung 
spielen bei derselben physikalisch-chemische Vorgänge eine Rolle. 
Es sei ihm nun durch den Bover i’selien Vortrag die Idee ge¬ 
kommen, dass die Veränderungen, welche das Ei vor und nach 
dem Eintritt des Spermatozoons zeige, vielleicht durch Aende¬ 
rungen des osmotischen Druckes entständen, speziell die Vor- 
buchtung und nacliherlge Einziehung au einer Stelle des Eies, 
wobei die Absonderung eines Eiweiss koagulirenden Enzyms 
durch das Spermatozoon eine Rolle spielen könnte. 

Da dem Spccialistenthum jetzt allseitig ein: Ne nimis! ent¬ 
gegengerufen wird und auch das Programm der heurigen Natur- 
forschorversammlung, wie speciell die heutige Vortragsreihe 
zeigte, mit voller Energie in den Dienst dieser einigenden Ten¬ 
denzen gestellt ist, so möchte Referent es nicht unterlassen, eines 
Eindruckes zu gedenken, der sich ihm im Verlaufe der Verhand¬ 
lungen immer mehr aufdrängte. Wenn es erreicht werden soll, 
dass die, physikalisch-chemischen oder anderen Gebieten det 


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1622 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


Naturwissenschaften engeren Sinnes entnommenen, Stoffe der 
Vorträge bei den Modicinem einen wohl vorbereiteten lloden des 
Verständnisses — und darin beruht ihr Werth — finden, so muss 
dem Umstande Rechnung getragen werden, dass bei der enormen 
Entwicklung der Einzelwissenschaften es nur relativ sehr 
Wenigen möglich ist, seinem Arbeitsfeld immerhin entlegene 
Gebiete mit zu überschauen. Die Folge ist, dass der „medi- 
cinische“ Bruder mit viel weniger naturwissenschaftlichen Be¬ 
griffen zur gemeinsamen Unterhaltung kommt, als der „nmur- 
wissonschaftliehe“ Bruder meint. Und vice vorsa! Wie sollen 
sie sieh da gleich verstehen, wenn sie lange, Jeder in einem 
anderen Lande waren? Dass sie die Mutterlauto an sich ver¬ 
stehen müssten, beruht, um aufrichtig zu sein, auf einer schönen, 
poetischen Fiktion. Es wäre unrichtig, diese ruhig bestehen zu 
lassen und sich zu verhalten, als verständen sich die Brüder bei 
der jährlichen Aussprache trefflich. Warum soll man dem 
wahren Verhältniss nicht Rechnung tragen und dafür sorgen, 
dass die Themata der allgemeinen bezw. gemeinsamen Sitzungen 
so frühzeitig bekannt gemacht werden (das geschieht sogar 
schon), dass eine zweckmässige Vorbereitung hiefür ointreten 
kann? Für die Aerzte wenigstens wäre es nicht zu schwer, durch 
Vorträge in ihren Vereinen, durch entsprechende einführende 
Erläuterungen in den Fachblättern dafür Sorge* zu tragen, das« 
ihnen das wirkliche Verständnis» der naturwissenschaftlichen 
Vorträge schwierigerer Natur vermittelt wird. Für den Ein¬ 
zelnen ist. der Weg hiezu zu zeitraubend oder überhaupt nicht 
möglich. Vielleicht greift Jemand diese kurze Anregung auf. 

Die Thoilnehmerzahl hat nunmehr 3000 überschritten — 
die frühere Schätzung war zu hoch. Da» Wetter ist der Ver¬ 
sammlung bisher in seltenem Grade hold gewesen, was neben der 
allgemeincii^Feststimmung besonders auch den den Gästen ge¬ 
botenen Veranstaltungen zu Gute kommt. Prächtig verlief so 
der Abend am 23. September in dem entzückend schön be¬ 
leuchteten zoologischen Garten, wo ganz Hamburg den Natur¬ 
forschern ein gemüthlichcs Rendcz-vous gab, ebenso die gestern 
Abend vor sich gegangene Einladung von 4—500 der Theil- 
nehmer auf mehrere Dampfer der Hamburg-Amerika-Linie, die 
gestern ihre Liberalität im glänzendsten Lichte zeigte. Referent 
verlebte in Folge* dessen auf dem prachtvollen Schiff „Augusta 
Viktoria“, wohin uns nach lVs stündiger Fahrt elbabwärts zwei 
Dampfer brachten, einen unvergesslich schönen Abend, den näher 
hier zu schildern, nicht meines Amtes ist. Auch der gestrige 
Empfang einer anderen grossen Grupi>e der Theilnehmer durch 
den »Senat in den Prachträumcn des Rathhaus«*! soll auf das 
Glänzendste verlaufen sein. Die schön gebildete Frauengestalt 
de« geschmackvollen Festzeichens hält dem Forscher den Spiegel 
vor, damit er Selbsterkenntniss übe: in dieser Hamburger Fest¬ 
woche schauen nur festfrohe Forscher heraus! 

Abtheilung für innere Medicin. 

Referent: A 1 b u - Berlin. 

I. Sitzung. 

1. Herr Curschmann- Leipzig: Zur Diagnostik der 
entzündlichen Exsndate der rechten Fossa iliaca. 

(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochen sehr.) 

Herr Lenhartz - Hamburg hat die l’roliepunktion ln etwa 
5o Fällen (loch diagnostisch sehr bewährt gefunden. In den Fällen, 
wo sie nichts ergab, trat denn auch stets spontane Heilung ein. 
Man muss sie genau an der Stelle der grössten Schmerzhaftigkeit 
machen. Die Verwachsung schlitzt gerade in den eitrigen Fällen 
vor Infektion des Peritoneums. In 3 Fällen hat L. nach Aspiration 
des Eiters sogar Heilung eintreten sehen, wenn nämlich der 
Abscess oberflächlich liegt. 

Herr v. ZIemssen- München hat von der Probepunktion 
niemals Schaden gesellen, wenn man ganz senkrecht elusticht. 
Alier sie gibt keine Sicherheit der Entscheidung. 

Herr S t i n t z 1 n g - Jena steht in Folge eines unglücklich ver¬ 
laufenen Falles der Probepunktion zurückhaltend gegenüber. 

Herr Curschmann hat auch 2 mal tödtliche Peritonitis 
danach gesehen. 

2. Herr Stintzing - Jena: lieber Neuritis und Poly¬ 
neuritis. 

(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Woehenschr.) 

3. Herr Gaertner- Wien: lieber ein neues Haemo- 
globinometer. 

(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Woehenschr.) 


II. Sitzung, gemeinsam mit der Abtheilung für 

Chirurgie. 

1. Herr K e 11 i n g - Dresden: Heber die Besichtigung der 
Speiseröhre mit biegsamen Instrumenten. 

R»y.lner führt aus, dass die Besichtigung der Speiseröhre 
für die Erkrankungen derselben ein nothwendiges diagnostisches 
Hilfsmittel sei. Er zeigt dann weiter an Hand seines Materials, 
das die Gastroskopie bei der Frühdiagnose de« Magenkrebses die 
Probelaparotomie ersetzen kann. Es ist ihm gelungen, nicht pal- 
pable Tumoren zu sehen, auf ihre Operabilität hin zu unter¬ 
scheiden, und nachher durch Operation zu entfernen, ausserdem 
den begründeten Carcinomverdacht in anderen Fällen zurück¬ 
zuweisen. Redner erörtert dann noch das Princip, nach welchem 
seine Apparate gebaut sind, bespricht einige neuerdings ange¬ 
brachte Verbesserungen und beschreibt zum Schlüsse eine neue 
Methode, welche die Besichtigung des Innern der Bauchhöhle 
und auch eine Palpation der Organe unter Leitung dt« Auges 
gestaltet. (Es werden die Methoden demonstrirt.) 

2. Herr v. Mikulicz-Breslau: Erfahrungen über Magen- 
carcinom. 

In der Jahren 1890—1900 sind 447 Fälle von Magcncarcinom 
zur Aufnahme gekommen (davon einige 40 Kardiacarcinome). 
320 Fülle sind operirt worden (127 nicht) und zwar Probeincision 
44, Gastrostomie 27, Jcjunostomie 12, Gastroenterostomie 143, 
Resectio ventr. 100, Exstirpatio ventr. 3. Aus diesem Material 
ergeben sien hinsichtlich der Mortalität der Operation und der 
dadurch erzielten Lobcnsverlüngerung folgende Daton: Die 
Nichtopcrirtcn hatten eine durchschnittliche Lebensdauer von 

11 Monaten, diejenigen nach Probelaparotomie 12 Monate. Von 
diesen letzteren 44 Fällen sind 4 gestorben, aber nur 2 in Folge 
der Operation, also hat die Probeincision eine Mortalität von 
nur 4Vs Proc. Dosshalb sollte sie häufiger gemacht werden. Von 
den 27 Gastrostomien sind 4 im Anschluss an die Operation ge¬ 
storben, sie haben danach noch 3% Monate gelebt, im Ganzen 

12 Monate seit nachweislichen Beginn des Ioidons. Diese Opera¬ 
tion hat daher nicht erheblichen Werth, sie soll nur aus humaner 
Rücksicht unternommen werden im letzten Stadium der Krank¬ 
heit, wo der Patient nun^erqualen leidet. Die Jejunostomie ist 
als sehr gefährlich zu verwerfen und nur dann auszuführen, wenn 
die ganze Magenwand so infiltrirt ist, dass die Anlegung einer 
Fistel unmöglich ist. Die 143 Fälle von Gastroenterostomien 
haben eine Mortalität von 31 Va Proc., in den letzten Jahren nur 
noch von 26 Proc. Die 58 überlebenden Fülle hatten noch eine 
Lebensdauer von 5Va Monate nach der Operation, von 13% Mo¬ 
nate nach Beginn des Leidens. Dieser Vortheil der Operation 
erscheint gering, namentlich noch in Anbetracht ihrer grossen 
Gefahr. Die 100 Resektionen hatten eine Mortalität von 37 Proc., 
in den letzten Jahren al>er nur noch 25 Proc. Die Chancen sind 
also keineswegs ungünstiger als bei der Gastroenterostomie. 
Dauererfolge: Von 57 leben noch 20 zwischen 14 und 814 Jahren, 
10 mehr als 2 Jahre, 4 mehr als 314 Jahre. 17 Proc. können als 
radikal geheilt gelten. Der Werth der Resektion liegt nicht nur 
in der Erhaltung des Lebens, sondern auch als Palliativoperation 
ist sie der Gastroenterostomie überlegen, weil die Patienten da¬ 
nach jedenfalls länger leben, offenbar weil der Carcinomherd aus 
dem Körper entfernt ist. Die durchschnittliche Lebensdauer 
nach der Resektion ist ein Jahr, dabei sterben die Patienten 
meist an inneren, weniger schmerzhaften und lästigen Metastasen 
z. B. Ovarium, Knochen u. dcrgl. Die Gastroenterostomie ist 
also einzuschränken zu Gunsten der Resektion einerseits, der 
Probelaparotomie andererseits. Sie ist nur bei Pylorusstenose 
mit Stagnation indicirt. Wenn die Diagnose noch frühzeitiger 
gestellt und die Technik noch weitere Verbesserung erfahren 
haben wird, dann ist eine günstigere Gestaltung der Statistik zu 
erwarten. 

III. »Sitzung, gemeinsam mit der Abtheilnng für 

Chirurgie. 

Vorsitzende: Herr Schede- Bonn und Herr Cursch¬ 
mann- Leipzig. 

1. Herr Quincke- Kiel: Chirurgische Behandlung der 
Lungenkrankheiten. 

Redner führt aus, dass die Chirurgie der Lungen nur im 
»Stande ist und es somit ihre erste Aufgabe ist, der Eiterung 
Abfluss zu verschaffen. Er bespricht sodann die verschiedenen 


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8. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1623 


Ursachen der Eiterung, die mechanischen, bakteriellen Ursachen 
und die Prädisposition zur Eiterung, die durch die Erkraukung 
der Schleimhaut der kleinen Bronchien durch Verlust ihres 
Flimmerepithels gegeben ist. Sodann kommt Q. im Besonderen 
auf die tuberkulösen Processe zu sprechen. Der Zweck, die Ent¬ 
leerung des Eiters, die Narbenbildung ist an der Lunge durch ihre 
Eigenthümliclikeit der Lage, des Baues etc. nicht so leicht zu er¬ 
reichen wie sonst an den Organen, besonders wenn Verwachsungen 
mit der Brustwand vorhanden, wenn das Gewebe, um den Abscess 
herum durch langdauernde Processe starr und hart geworden ist. 
Q. ist der Meinung, dass die Eiterung des Unterlappens in ge¬ 
wissen Beziehungen günstiger ist als die des Oberlappens. Für 
die Höhlen des Unterlappens ist nur die Abscessspaltung, für die 
des Obcrlappens aber ausgedehnte Rippenresektion nothwendig, 
weil die Eiterung des Unterlappens durch die günstigen Aus¬ 
wurfsbedingungen beim Husten besser entleert wird als die des 
Oberlappens. Das Wichtigste ist die Diagnose und zwar 
die mikroskopische Diagnose, der Befund elastischer Fa¬ 
sern im Auswurf, wobei ihr Fehlen eine Höhle noch nicht aus- 
schliesst. Auch Strepto-, Staphylo- und Pneumococeen sind 
wichtig. Höhleneiter hat meistens üblen Geruch. Bei Höhlen 
im Unterlappen findet die Expectoration gewöhnlich periodisch 
statt. Die klassischen Höhlensymptome gelten vorwiegend für 
die Höhlen des Oberlappeus, die gewöhnlich tuberkulöser Natur 
sind. Die des Unterlappens stellen selten grössere Räume, ge¬ 
wöhnlich spaltförmige Formen dar, die zumeist noch ausgefüllt 
sind. Das amphorische Athmen ist sehr trügerisch. Die Röntgen¬ 
durchleuchtung ist nur in sehr massigen Grenzen verwendbar. 
Grössere Höhlen kennzeichnet sie durch ein helles Centrum mit 
dunklem Rand. — Will man nun operiren, so ist eine weitere 
wichtige Frage, ob die Pleurablätter an dieser Stelle miteinander 
verwachsen sind. Alle übrigen physikalischen Zeichen dafür 
haben keine grosse Bedeutung. Die Verwachsung fehlt sehr 
häufig bei der aus chronischer Bronchitis entstandenen Eiter¬ 
bildung. 

Man wird häufig bei der Operation, wo man sichere Ver¬ 
wachsungen vermuthete, enttäuscht, und dies immer zum Unglück 
des Patienten, denn Infektion der frischen Pleurahöhle durch 
den Eiter ist meist durch Kollaps oder durch Sepsis tödtlich. 
Redner spricht dann noch über die Lungengangraen und die Ver¬ 
schlechterung der Diagnose durch die Putrcseenz wegen der sep¬ 
tischen Intoxikation. Nach den akuten einfachen und den akuten 
putriden Abseessen muss man besonders die chronischen ein¬ 
fachen Abseesse betrachten, die gewöhnlich mit Bronchiektasien 
verbunden sind. Die chronischen putriden Abseesse sind schwer 
zu diagnostiziren, ihre operative Behandlung ist wenig erfolg¬ 
versprechend. So kommt er zu dem Schluss, dass akute Pro¬ 
cesse günstig, chronische ungünstig für den Erfolg chirurgischen 
Handelns sind, dass Putreseenz bei beiden Arten die Prognose 
stark beeinträchtigt. Die Fremdkörperabscesse sind 
günstiger für die chirurgische Therapie. Die Tuberkulose wird 
durch die Operation günstig beeinflusst, wenn man auch die 
mit Tuberkeln durchsetzte Abseesswand nicht gut in Angriff 
nehmen kann, so wirkt in vielen Fällen schon sehr günstig für 
die Ausheilung der Tuberkulose die Ausschaltung des Lungen¬ 
flügels aus den Athmungsbewegungon durch Rippenresektion, die 
Immobilisation der erkrankten Partie. 

2. Herr G ar r 6 - Königsberg: Dasselbe Thema. 

Vortr. discutirt zunächst die Frage, ob Pleuraverwachsungen 
die nothwendige Vorbedingung für eine Lungenoperation sind 
und wie man den Gefahren des operativen Pneumothorax wirksam 
Vorbeugen kann. Wenn man nur an verwachsenen Lungen ope¬ 
riren soll, so werden der Lungenchirurgie sehr enge Grenzen ge¬ 
zogen. Wenn auch nach der bisherigen Statistik in 87 Proc. der 
Fälle sich Verwachsungen der Pleurablätter fanden, so waren 
doch viele Spätoperationen dabei. Aber kein diagnostisches 
Hilfsmittel hat sich als zuverlässig erwiesen und jeder Operateur 
muss mit der Möglichkeit eines partiellen oder totalen Pneumo¬ 
thorax als Komplikation rechnen. Glücklicher Weise haben die 
klinischen Beobachtungen gezeigt, dass man diese Gefahr wesent¬ 
lich überschätzt hat, und in dieser Erkenntniss liegt nach 
seiner Meinung der Ausgangspunkt für eine weitere Ausge¬ 
staltung der Lungenchirurgie. 

Redner bespricht dann die Pathologie des Pneumothorax, 
die Betheiligung des Mediastinums an der Funktion der ge¬ 
sunden Lunge und die Nothwendigkeit, das Mediastinum zu 


fixiren, um den tödtlichen C’ollaps durch schlechte Funktion der 
gesunden Lunge zu verhindern. Ein zweiter Grund, die Er¬ 
öffnung der Pleurahöhle zu scheuen, ist die Infektionsgefahr. 
Ihr wird man wirksam durch Pleura-Lungennaht mit Tamponude 
Vorbeugen, wie Roux es vorgeschlagen hat. 

Die Abseesse der Zerfallshöhlen sind im Allgemeinen nach 
den Grundsätzen zu behandeln, die für die Operation starr- 
wandiger Eiterhöhlen gelten. Ein akuter, nicht lange bestehender 
Lungenabseess kann wohl durch eine einfache Incision und Drai¬ 
nage, ausnahmsweise auch durch Punktion zur Ausheilung ge¬ 
langen, ebenso wie er durch Perforation in die Bronchien sieh 
spontan sehliessen kann. Die meisten Erkrankungen müssen 
aber nach den Prineipien der starrwandigen Eiterhöhlen be¬ 
handelt werden, dazu gehören: 1. die Tuberkulose, 2. die Aktino- 
mykose, 3. der Abscess, 4. die Gangrän, 5. die Bronchiektasien, 
6. der Ekehinocoeeus, 7. die Neubildungen. 

Vortr. bespricht zunächst die Technik der Operation, die in 
3 Abschnitte zerfällt: 1. die Thorakotomie, 2. die Pleurotomie, 
3. die Pneumotomie resp. Lungenresektion. Für die Thorako¬ 
tomie gibt es keine Wahl des Operationsmodus, der Weicht hei l- 
sehnitt soll ausgiebig angelegt oder mehrere Ri ppen resecirt werden. 
Die einfache Thorakotomie im Interkostal raum ist ungenügend. 
Bei einem Herd im Oberlappen und der Lungenspitze schafft die 
Wegnahme der zweiten, event. 2. und 3. Rippe vom ausreichend 
Platz, der Unter- resp. Mittellappen wird gut zugänglich durch 
Wegnahme von 2 oder 3 fingerlangen Stücken der seitlichen oder 
hinteren Rippenpartien, am Besten von der 8., 7. und 6. Rippe. 
Die Pleurotomie ist bei Verwachsung einfach. Die zweizeitige 
Operation, die künstlichen Adhäsionsversuche durch Actzungen 
etc. hält II. aus vielen Gründen für schlecht und unzureichend 
und will lieber einen partiellen oder totalen Pneumothorax mit 
in den Kauf nehmen. Die brüske Eröffnung des Thorax ist 
natürlich wegen der Gollapsgefahr zu vermeiden; sollte dies ein- 
treten, so fasst man mit einer festen Pincette oder Zange die re- 
irahirte Lunge und zieht sie kräftig an die Wunde. Damit wird 
die gesunde Lunge wieder ventilirt, die Athemnoth verschwindet, 
der Puls wird kräftiger. Wichtig ist daher die Pneuinopexie, 
auch für die Aufsuchung des Lungenherdes. Näht man schnell 
während der Exstirpation, tamponirt mit dem Finger oder mit 
Gaze während der Inspiration, so kann der Pneumothorax nur 
gering sein. Verfärbung der Pleura pulmonalis, stärkere In¬ 
jektion derselben, fibrinöse Auflagerungen oder Verdickungen, 
veränderte Resistenz des Lungenparenchyms, eine umschriebene 
Resistenz oder schlaffes Einsinken desselben sind Zeichen für 
die Nähe des Herdes. Bei der Pneumotomie gibt er dem Paquelin 
den Vorzug. Schwierig ist cs oft, den Abscess zu finden, hier 
leistet eine gute Spritze mit dicker Kanüle gute Dienste. Vor 
Ausspülung einer Caverne warnt er dringend wegen der Mög¬ 
lichkeit der Erzeugung bronehitischer Ilerde. Bei akuten Fällen 
braucht man nun nichts weiter zu thun als zu tamponiren, die 
Höhle heilt aus, weil die Wände noch elastisch sind, aber die 
einfache Eröffnung der chronischen Abseesse ist nutzlos, weil der 
Eiter unter keinem Druck steht, die Höhle im Thorax ausge¬ 
spannt ist. Nach anfänglicher Besserung bleibt die Wunde 
Monate lang offen, es persistirt eine chronische Bronchitis und 
es bleiben schliesslich Bronchiektasien. Daher soll man die vor¬ 
dere Wand der Caverne möglichst abtragen, Pleuraschwarten in 
weitem Umkreis reseciren und schliesslich noch lieber eine Ripi>e 
zu viel als eine zu wenig fortnehmen. Je grösser die Ilöhle, um 
so gründlicher muss das umgebende Lungengewebe resecirt 
werden. Die Nachbehandlung ist einfach. Am meisten sind 
Nachblutungen entweder durch Arrosion grosser Gefässe oder 
durch vom Drainrohr verursachten Decubitus zu fürchten. — 
Vortragender bespricht dann eingehend die einzelnen Grupix'ii 
der genannten Affektionen. Bei der Tuberkulose sind die 
Gesammtresultate wenig ermuthigend, Sonnen bürg ist von 
der Operation tuberkulöser Cavernen wieder abgekonunen, nach 
Murphy sind unter 47 Operirten 26 Heilungen oder richtiger 
Besserungen von 2—5 Juhren zu verzeichnen. Am radikalsten 
ist einmal T a f f i e r vorgegangen, der nach Ausschälung der 
Lungenspitze ein 5 cm langes Stück mit einem tuberkulösen 
Knoten reseoirte und dauernde Heilung erzielte. Der Verallge¬ 
meinerung eines solchen Verfahrens wird aber stets die Unsicher¬ 
heit der Diagnose und die Erwägung der Nützlichkeit einer spon¬ 
tanen Ausheilung entgegenstehen. Am häufigsten ist die ein¬ 
fache Ineision und Drainage gemacht worden und wenn sic auch 


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1624 


MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


zur Ausheilung durchaus unzulänglich ist, so ist sie doch stets 
von auffallend günstigem Einfluss in allen den Fällen gewesen, 
wo durch den stagnirenden Inhalt der Caverne septische Fieber¬ 
erscheinungen auftraten. Die einfache Thoraeoplastik ohne Er¬ 
öffnung der Cavemen (Quincke, Spengler) hat keine er¬ 
mutigenden Resultate gegeben. Die Eröffnung der Pleura und 
Loslösung aller Adhärenzen hat Murphy in letzter Zeit viel 
einfacher dadurch erreicht, dass er sterile Luft in den Pleura¬ 
raum injizirte und glaubte, so durch Ruhigstellung der Lunge 
die Heilung zu befördern. Als er sah, dass der Sauerstoff bald 
resorbirt wurde, hat er gereinigten Stickstoff eingeblasen und 
brauchte eine weitere Injektion von Vs —2 Litern erst nach 6 bis 
10 Wochen zu machen. Er hat dies 7 mal versucht und glaubt 
in 5 Fällen Besserung gesehen zu haben. Doch ist die Beobach¬ 
tungszeit (5 Monate.) zu kurz. G. glaubt jetloch, dass diese Be¬ 
handlungsmethode Beachtung verdient. Die Hauptsache bei der 
Lungenchirurgie ist. neben der schärfsten Diagnose die strengste 
Individualisirung. Redner präzisirt noch einmal seinen Stand¬ 
punkt dahin: 

1. Die breite Eröffnung, Drainage resp. Tamponade einer 
Caverne ist in Fällen von Sekretstauung und Zersetzung durch 
pyogene Mischinfektion mit septischen Fiebererscheinungen be¬ 
rechtigt. 

2. Die breite Freilegung und nach Mögliclikeit Resektion des 
infiltrirten Lungengewebes mit ausgiebiger Thorakoplastik ist be¬ 
rechtigt bei isolirten Cavemen und tuberkulösen Herden im 
Untcrlappen. 

3. Die Mobilisation der Brust wand resp. der Pleura ist an¬ 
gezeigt bei singulären stabilen Cavemen der Lungenspitzen. Als 
Methoden kommen dabei in Betracht: 

a) Die Resektion der drei ersten Rippen ohne Eröffnung der 
Pleurahöhle; b) Resektion der 2. Rippe mit Pleurotomie und 
Auslösung der adhärenten Lungenspitze; c) Erzeugung eines 
künstlichen Pneumothorax nach Murphy. 

Die Aktinomykose der Lunge ist 8 mal operirt worden; 
die Indikation und Technik bedarf keiner besonderen Be¬ 
sprechung. 

Von 96 Fällen von Lungenabscess sind 77 geheilt, 19 ge¬ 
storben. 

Hier ist Pneumotomie und Thorakoplastik das geeignete Ver¬ 
fahren. Je früher die Operation, desto besser die Prognose. Selten 
hat eine eiterige Pleuritis als Folge der Abscess-Incision den un¬ 
günstigen Ausgang herbeigeführt, trotzdem in der Regel ein¬ 
zeitig operirt wurde. In */. der Fälle waren allerdings Ad¬ 
häsionen der Pleura vorhanden. 

Bei der Lungengangrän liegt die Prognose weniger 
günstig. Von 122 Fällen sind 80 geheilt, 42 gestorben. In vielen 
Fällen war allerdings Fortschreiten der Gangrän, Komplikation 
mit Meningitis, Hirnabscess, Embolie etc. die Todesursache. Die 
meisten Gangränherde fanden sich im Unterlappen, nicht selten 
komplizirt mit einem abgesackten Empyem. Als Operation 
kommt nur die einzeitige Pneumotomie in Betracht. Nur bei 
Gangraen des Oberlappens bei freier Pleura würde sich G. zu 
zweizeitiger Operation entschliessen. Die Grösse und Ausdehnung 
der Thorakoplastik wird bestimmt: a) durch dio Grösse der 
Gangränhöhle, 2. die Lage derselben; bei einer Caverne im Ober¬ 
lappen müssen relativ mehr Rippen resecirt werden, 3. die In¬ 
duration des Lungenparenchyms, 4. das Alter der Patienten. 

Bei Bronehiektasie sind von 57 Opcrirten 21 un¬ 
mittelbar oder im Laufe der ersten Wochen dem Eingriff er¬ 
legen. 46 Fälle sind als geheilt aufgefasst, aber leider wenig 
mehr als die Hälfte sind als definitive Heilungen anzusehen. 
Unbedingt zu verwerfen ist hier auch in leichten und einfachen 
Fällen die Incision im Intercostalraum und Drainage nach 
stumpfer Durchtrennung der Gewebe. Bei den multiplen, eylin- 
drisehen und sackförmigen Bronchiektasien ist der Operations¬ 
erfolg zweifelhaft. G. glaubt jedoch, dass dies nicht zum ge¬ 
ringsten Theil auf Rechnung einer verzögerten und auch zu zag¬ 
haft und ungenügend ausgeführten Operation zu setzen ist., dass 
man sich oft mit der Eröffnung nur einer Höhle begnügt hat. 

Von 79 Fällen von Echinococcus sind 71 genesen und 
nur 8 gestorben, liier ist die Punktion unsicher und gefährlich. 
Nur die Pneumotomie darf in Frage kommen. 

Excisionen von Neubildungen sind bis jetzt nur sehr 
wenige gemacht worden. Ihre frühzeitige Diagnose bietet trotz : 
der Röntgenstrahlen heute noch unüberwindliche Schwierig- \ 


keiten. Da Verwachsungen fehlen, spielt sich dio Operation bei 
offener Pleurahöhle ab und man darf ohne Gefahr des Collapscs 
die Lunge keinen Augenblick sich contrahiren lassen und muss 
sie zum Schluss an der Pleura costalis fixiren. 

Helfe rieh hat einmal bei Sarkom nach Unterbindung 
des Ililus eine richtige Pneumotomie gemacht. Obwohl in diesem 
Falle das Resultat nicht günstig war, glaubt G. doch, dass in 
geeigneten Fällen die totale Exstirpation eines ganzen Lungcn- 
lappens mit Erfolg möglich sein wird. 

Diskussion: Herr L e n h a r t z - Hamburg hat 0 Fälle 
von ausgedehnten Bronchiektasien mit putridem Auswurf operirt. 
3 gelieilt: 23 Fälle von I.ungengnngraen mit 11 Heilungen und 
12 Todesfällen. L. demonstilrt die Patieuten und die Kurven der 
Sputummengen und Temperaturen. Auf einen Fnll legt er l>e- 
sonderes Gewicht. Es handelte sich um ein Mädchen, bei dem sich 
der obere linke Lappen fast völlig abgestosseu hatte. Trotzdem 
Ist jetzt überall reines vesieuläres Atlimen zu hören. Da das 
Heraufrücken des Herzens nicht so hoch sein kann, so glaubt L., 
dass eine Neubildung von Lungengewelie stattgefunden habe. 

Herr B a r d e n h e u e r - Köln ist zu den gleichen Resultaten 
gekommen wie Herr Gnrrö durch Experimente an Ziegen. 

Herr v. Z i e m s s e n - München berichtet über einen seltenen 
Fall von Streptothrix der Lunge bei einem jungen Mädchen und 
deuionstrlrt die Röntgenbilder. Er fragt die Chirurgen au, ob sie 
den Fall nach diesen Bildern und der Krankengeschichte operiren 
würden. 

Herr B il u m 1 e r - Greifswald macht auf eine Quelle der 
Putrescenz aufmerksam, die besonders wichtig für die Tulierkulose 
ist. Pas sind Blutgerinnsel, die im Bronchus stecken bleiben und 
ihn iTweltern. Er gibt die Krankengeschichte eines solchen Falles, 
der unglücklich nusgegangen ist und bei dem sich bei der Sektion 
inmitten einer apfelgrossen Höhle ein altes Blutgerinnsel liefand. 
Die Diagnose einer Höhle im Allgemeinen hält er für viel 
schwieriger als man anzunehmen pflegt. Fälle von Lungen- 
gangraen sah er oft spontan ausheilen. Er lässt die Patienten 
Tag und Nacht Terpentlntnhnlntionen machen, indem er das ganze 
Zimmer mit den Dämpfen nnfüllt Bel chronischen Bronchi- 
ektasien hält er die von Quincke angegebene Mobilislrung der 
Lunge für sehr gut. 

Herr R e li u - Frankfurt a. M. macht auf die Abseesse mit 
Blutungen aufmerksam, deren Operation zu den dankbarsten ge¬ 
hört. In vielen Füllen ist man bei Lungengangraen geradezu ge¬ 
zwungen, sehr schnell zu operiren, so dass er mit der Anschauung 
Bäiunle r's nicht immer übereinstimnien kann. 

Schlusswort: Herr Quincke- Kiel glaubt aus dem bisher 
Gehörten den Schluss ziehen zu können, dass man lieber einen 
Fall mehr operiren soll, als man im Allgemeinen thun würde. Er 
hält dabei die Ohloroformr.arkose für ungünstig und benutzt fast 
immer die S c h 1 e i c h’sche Anaesthesie. 

Herr G a r r £ - Königsberg meint, dass man durch Hochlage¬ 
rung des Patienten die Gefahr der Aspiration bei der Chloroform- 
narkoso vermeiden kann. Was die Frage der Lungenregeneration 
nnlangt, so glaubt er. dass dies wohl nur eine scheinbare, durch 
Hochlagerung des Zwerchfells bedingte ist. 

Herr Quincke- Kiel glaubt, die Gefahren der Aspimtiou in 
der C-hloroformnarkose auch nicht durch Hochlagerung beseitigt 
zu hal>en. 

3. Herr Jordan- Heidelberg: lieber die Entstehung von 
Tumoren, Tuberkulose und anderen Organerkrankungen nach 
Einwirkung stumpfer Gewalt. 

(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochcnschr.) 


Abtheilung für Chirurgie. 

Referent: Wohlgemuth - Berlin. 

1. Sitzung. 

Der Einführende, Herr Kümmcll - Hamburg, eröffnet die 
Verhandlungen mit einem kurzen Rückblick auf die. Entwicke¬ 
lung des medicinisehen Hamburg in den letzten 10 Jahren. Da¬ 
rauf wird zum Vorsitzenden gewählt Herr Kümmcll- Ham¬ 
burg. 

Erster Redner Herr Schede* Bonn: lieber Rücken¬ 
markstumoren und ihre chirurgische Behandlung. 

Sche.de berichtet über 4 von ihm in Gemeinschaft, mit 
Geh.-Rath Prof. Sehultze beobachtete, und von ihm operirte 
Fülle von Riiekenmarkstumoren. 

1. 40 jährige Näherin. Vor 0 Jahren erste neuralgische 
Schmerzen, seit 17 Monaten spastische Lähmung beider Beine, 
die seit 13% Monaten nahezu total war. Patellarreflex verstärkt. 
BlnsenlüInnung, die höchst gelegenen Störungen gehörten dem 
7. Dorsalsegmeut an, dementsprechend wurde der Bogen des 
5. Brustwirbels entfernt und das obere Ende des Tumors sofort 
gefunden. Zu seiner Entfernung war noch die Wegnahme des 
G. und 7. Bogens nöthig. Der Tumor lag extradural, war 4 cm 
lang, 2,0 breit, 1%—1% cm dick und erwies sich als hartes Flbro- 
sarkom. Wundverlauf tadellos. Nach 6 Monaten macht Patientin 
im Bett alle Bewegungen mit den Beinen, nach 1 Jahr geht sie 


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S. Oktober 1Ö01. 


müenchener medicinische Wochenschrift. 


162 o 


im Zimmer ohne Stock und steigt Treppen, nach 14 Monaten geht 
sie mit einem Stock y 2 Stunde weit. 

2. 28 jähriger Gärtnereibesitzer. 3 Jahre lang neuralgische 
Schmerzen längs des rechten unteren Rippenbogens, dann rasch 
zunehmende spastische Lähmung, erst des rechten, dann auch 
des linken Beines, die Im Laufe von 0 Monaten fast total wird. 
Defrusorlä Innung, doppelseitiger Fuss- und l’atellarklonus, Fehlen 
des Bauchdeckenreflexos. Herabsetzung der Sensibilität bis zum 
Nabel, h.vperästhetische Zone 3 Finger breit höher. Ein Tumor 
wird in Höhe des 8. Dorsalsegments und 7. Brustwirbels diagnosti- 
zlrt und gefunden und nach Resektion des ti. und 7. Bogens ent¬ 
fernt. Er sass subdural und war ein Fibroinyxosarkom, fase 
ebenso gross als der vorige Tumor. Heilung wie im vorigen Fall. 
Nach G Monaten ist Tat. im Stande : )i Tagewerk als Gärtner zu 
leisten. 

3. 24 jähriger Student. 3—G Wochen lang vage Schmerzen 
im Rücken beim Bücken etc., dann Parilsthesien Im linken Bein, 
Einschlafen desselben. Unsicherwerden des Ganges, dann auch 
Taubsein Im rechten Bein. Parese des Detrusor. Beiderseits Fuss- 
klonus, Patellarklonus. Starke Herabsetzung der Sensibilität bis 
zur Mitte zwischen Nabel und Symphyse, geringere bis zum Nabel. 
Bauchreflex nur im Kpigastrium. Romberg. Nach 4 Monaten 
totale spastische Lähmung beider Beine. 2—3 Finger breit vom 
Nabel abwärts hyperästhetische Zone. Diagnose: Turnpr am 10. 
bis 11. Brustsegment, gegenüber dem 0. bis 10. Brustwirbel. Ent¬ 
fernung des 8. bis 10. Bogens. Der Tumor, ebenfalls ein hartes 
Fibrosarkom, liegt subdural unter dem 0. und 10. Bogen. Ent¬ 
fernung desselben. Naht der Dura. Vorübergehende Eiterung 
der Wunde und Ausfluss von Liquor cerebrospinalis. Schliesslich 
Heilung. 

Nach 7 Monaten ist die Ataxie rechts ganz, links bis auf ge¬ 
ringe Reste verschwunden. Patellarreflex rechts normal, links 
noch etwas gesteigert. Alle Bewegungen kräftig. Geht weite 
Wege, ohne den Stock zu benutzen, kann den ganzen Tag ohne 
Ermüdung im Laboratorium arbeiten. 

4. 47 jähr. Mann, vor 20 Jahren Lues. Beginn vor IG Jahren 
mit Schmerzen, die als ischiadische gedeutet wurden. Vor 

13 Jahren Lühmungserscheinungen im rechten, vor 10 Jahren im 
linken Bein. Vor 8 Jahren beginnende Blaseulühmung. Damals 
völlige schlaffe Lähmung der vom linken Nerv, peroneus, fast 
völlige der vom rechten versorgten Muskeln. Eutartungsreaktlon. 
Sensibilität abgestumpft. Langsames Fortschreiten der Lähmung 
auf die Tibiales. Dann Lähmung der Beuger vom Olwrschenkel, 
fast völlige Anaesthesle im ganzen Bereich der Beine, Reitsattel¬ 
lähmung, blitzartige Schmerzen in beiden Beinen. Diagnose, ob 
t'auda- oder Conusrmuor. nicht ganz sicher. Wegnahme des 
Bogens des 1. Lendenwirbels, entsprechend der oberen Grenze 
der Störungen, lässt die Spitze eines Tumors erkennen, der das 
Rückenmark um einen Wirbel in die Höhe gedrängt hat. Ein 
hühnereigrosses Stück wird entfernt. Aber Patient stirbt unter 
enormem Verlust von Llq. cerebrospinalis aus dem Duralsack 
nach 11 Tagen. Die Sektion ergibt, dass der ganze Sacralkauul 
enorm ausgeweitet ist und der Tumor 13y 2 cm laug, 9*/ 2 cm tief 
und 8 cm breit war. Es war ein Augiomyxosarkom; zwischen 
4. und 3. Brustwirbel war es durch «Ile lntcr.vcrtebrallücher beider¬ 
seits in die Psonsinuskulatur durchgewuchert. Auf jeder Seite 
fan«l sich hier ein taubeneigrosser Knoten. Keine Metastasen. 

Sch. bespricht die Diagnose «ler Riickenmarkstumoren und 
die Technik der Operation. Er legt vor Allem Werth darauf, einen 
grösseren Verlust au Li«j. cerebrospinalis zu verhindern, und er¬ 
reicht dies nach dem Vorgang von Sick durch leises Abschnüren 
«ler Dura mit oberhalb und unterhalb «ler Incisionsstelle mit einer 
Aueurysmanadel eingeführieu Fiiden uu.l spätere sorgfältige Naht. 
(Demonstration des Präparates.; 

Discussion: Herr G raff-Bonn kann noch über einen 
ähnlichen Fall berichten, «len er ln Vertretung von Schede vor 

14 Tagen operirt hat. Es handelte sich um einen Tumor In der 
Gnisse und Form einer Krachmandel, der sehr gefässreich war 
uu«l sich mikroskopisch wie ein Cavernom ansah. 

2. Herr B a r d e n h e u e r - Köln: Operative Behandlung 
der traumatischen Ischiasis. 

Vortragender spricht sich dahin aus, dass als Ursache für 
die Entstehung der Ischias die traumatische direkte und in¬ 
direkte Verletzung, Contusion, Zerrung des Plexus ischiadicus 
und zwar in «lein Verlaufe der sacralen Wurzel, von dem Wirbcl- 
kanalc bis zum Foramen sacrale ant., anzusehen sei. Er ein- 
ptiehlt daher Blosslegung und Aufmeisselung der sacralen Wur¬ 
zeln des Plexus isehiadacus aus dem knöchernen Kanäle. 

B. erklärt durch 4 Beispiele, in welcher Weise der trauma¬ 
tische Reiz entstanden ist. 

In allen 4 Fällen bestand bei «.ler Operation eine Anschwel¬ 
lung des Nerven, Röthung und Verdickung des Periostes und der 
Nervenscheide, während in einem 5. Falle, wo wegen einfacher, 
nicht traumatischer Ischias operirt wurde, ohne dass eiue trau¬ 
matische Ursache aufzufinden war, die Nervenscheide in der 
Nates selbst glänzend woiss war und die Schwellung des Nerven 
fehlte. Der Erfolg war in allen 4 Fällen ein guter, 2 sind schon 
3 resp, 2% Jahre operirt, der ischiadische Schmerz hat sich nicht 
mehr eingestellt, die Patienten sind dauernd arbeitsfähig ge¬ 


blieben, während sic vorher im Begriffe standen, ihren Dienst 
aufzugeben. 

B. glaubt daher, die Blosslegung der Nerven, die partielle 
Resektion «ler Synchondrosis empfehlen zu müssen, in den Fällen 
von Ischias mit traumatischer Ursache, insofern jede andere Be¬ 
handlung im Stiche lässt. 

Die Operation wird in analoger Weise wie die Totalresektion 
der Synchondrosis nusgeführt, wie B. sie in München auf der 
Naturforscherversammlung 1899 beschrieb und zwar von einem 
kleinen, bogenförmigen Schnitte aus mit der Convexitiit nach 
innen (hinten) sehend. Die Operation, die Ausdehnung der Re¬ 
sektion wird bedeutend eingeschränkt. Die Rückenmuskulatur 
wird von der hinteren Seite der Wirbelsäule nach hinten abprä- 
parirt und mit Haken mich hinten gehalten, ferner werden die 
Glutaealmuskeln sammt Periost vom Os ilei abgelöst und soviel 
nach vom geschoben, dass man das Foramen ischiadieum in der 
ganzen Breite und Höhe vor sich liegen sah, alsdann wird vom 
Seitenrande das Os sacrum bis zur Höhe der oberen Umrandung 
d«>s Foramen ischiadieum ein nach oben sich verbreitender, an¬ 
fänglich 1, na«*h oben 2— 2Vn cm breiter Streifen abgemeisselt, 
der M. pyriformis wird alsdann quer durchtrennt und nach unten 
resp. oben geklappt, worauf man den peripheren Tlieil der unteren 
Wurzeln des Plexus vor sich liegen sieht. Nun sucht man an «lei- 
vorderen Fläche «les Os sacrum mit dem Finger die Foramina 
sacralia ant. palpatorisch auf und meisselt mit Hammer und 
Meissei nach oben einen Keil aus der Synchondrosis, mit der 
Spitze nach oben, mit der Basis nach unten gelagert, heraus, und 
zwar über dem Hebel, welcher vor den Plexuswurzeln und hinter 
dem Os sacrum liegend nach oben eingeführt worden ist; der Keil 
muss so gross sein, dass man die sacralen Wurzeln frei vor sieh 
liegen hat. Alsdann führt man, an den Wurzeln entlang, eine 
Sonde in die Foramina sacr. ant. und meisselt mit einem 
schmalen Meissei, während ein schmaler Hebel entlang der 
Wurzel von dem freiliegenden Forani. sacr. ant. aus bis in den 
Kanal hineingeführt ist, die Brücke zwischen den Sacrallöchern, 
die hintere, und vonlere Wand des Foramen, aus, bis die be¬ 
treffende Wurzel frei zu Tage liegt. Die obere, die Lumbal¬ 
wurzel, braucht man nicht frei zu legen. Es bleibt daher nach 
oben eine Knochenbrücke stehen, so dass die Continuitüt im 
Beekenknochcnringe nicht aufgehoben ist, wodurch der asep¬ 
tische Verlauf mehr gesichert ist. Nach der vollendeten Opera¬ 
tion wird ein mit Jo«loformgaze umwickeltes Drainrohr ein¬ 
geführt, die Wunde, insoweit sie durch Haken gequetscht worden 
ist. geglättet mit Messer, Pincettc und Scheere und alsdann die 
Wunde ganz vernäht und ein Occlusivverband darüber gelegt. 

Der Verlauf war jedesmal ein guter, reiner, nur trat in 
einem Fall eine leichte Retention «les Sekretes ein. 

Discussion: Herr K ö n 1 g - Berlin kann nicht nur als 
Arzt, sondern auch als Patient hier mitsprechen. Er hat 3 mal 
eine traumatische Attacke durchgemacht, jedesmal beim Reiteu. 
Das 3. Mal mit einer wahrscheinlich theilweisen Ruptur des Pero¬ 
neus. Quoad therapiam. möchte er doch der Nervendehnung, trotz¬ 
dem sie unlängst in der Berliner inedicinischen Gesellschaft ab- 
gethan werden sollte, sehr das Wort reden. Das Barden - 
heue r’sche Vorgehen, so wichtig es für die Tuberkulose der 
Synchondrosis, so wenig sei es die geeignete Methode für die 
Ischias. 

Herr Schede- Bonn hat mindestens 20 Fälle durch Nerven¬ 
dehnung gehellt. 

Herr Barden heuer - Köln glaubt, dass man die Nerven¬ 
dehnung vorausschicken kann und nach Erfolglosigkeit die Re¬ 
sektion der Synchondrosis machen soll. 

3. Herr H e 1 f e r i c h-Kiel: Bemerkungen über plastische 
Chirurgie. 

II. bespricht die Beziehungen zwischen einer etwa erforder¬ 
lichen verstümmelnden Operation (Amputation, Geschwulst¬ 
exstirpation) und der darnach nothwendigen plastischen Opera¬ 
tion in sachlicher und zeitlicher Beziehung. 

Wenn es auch Jeder weis«, so wird doch nicht selten darin 
gefehlt, bei der Exstirpation maligner Geschwülste, vielleicht 
noch häufiger seit der häufigen Anwendung lokaler Anaesthesie. 
Die Exstirpation oder Amputation soll vorgenoinmen werden 
ohne jede Rücksicht auf die etwa erforderliche Plastik; die Be¬ 
freiung des Patienten von seinem Carcinoin oder die Absetzung 
der durch schwere fortschreitende Entzündung das Leben ge¬ 
fährdenden Extremität etc. — ist die zur Erhaltung des Lebens 
erforderliche Aufgabe. Besser die einfache Amputation durch 
Zirkelschnitt o«l«;r «lie verstümmelnde Exstirpation einer inn- 


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MTTENCHENER MEDtCINlSCRE WOCHENSCHRIFT. 


ligneu Geschwulst ohne jede Plastik, als die Gefährdung des 
Hauptzweckes der Operation! 

H. erläutert das prineipiell Wichtige dieses Vorgehens, 
welches im einzelnen Fall, nothgedrungen, gewiss schon jeder chi¬ 
rurgisch thatige Arzt geübt hat, an mehreren Beispielen, be¬ 
sonders am Keilschnitt bei Lippenearcinom, und hebt Einzel¬ 
heiten dieser Behandlung, sowie speciell den Nutzen solchen 
Vorgehens bei der Operation maligner Tumoren am Kopfe 
hervor. 

1)1 sou s sion: Herr König-Berlin hat mit dem von 
Helferlch perhorresoirten Keilselmitt bei Lippencarclnoin die 
beste Statistik erreicht und kann diese Methode nur empfehlen. 

Herr K raiise- Berlin sagt, dass schon Volkmann stets 
empfohlen hat, ohne Rücksicht auf die nachfolgende Plastik zu 
oiM*rireu. 

Herr Helferlch- Kiel (Schlusswort). 

4. Herr L e x e r - Berlin: Zur Operation des Ganglion 
Gasseri. 

Von 12 Fällen, an denen Lexer die Ganglionexstirpation 
in der v. Berg m a n n’schen Klinik ausgeführt hat, ist ein Fall, 
eine. 70 jährige Frau, an Meningitis gestorben. Dieselbe war 
seit 12 Jahren mit einer typischen Trigeminusneuralgie rechts be¬ 
haftet und desshalb schon mehrmals in der Klinik operirt worden. 
Ende 1900 erkrankte sie nach einer Influenza st) schwer, dass das 
Ganglion entfernt wurde. 

Die Sektion ergab einen unerwarteten Tumor der hinteren 
Schädelgrube als Ursache des Leidens (Psammom). Sein Aus¬ 
gangspunkt ist die Dura im vorderen Abschnitte der hinteren 
Fläche der Felsenboinpyramide. An seinem vorderen Pole ist der 
Trigeminusstamm von der Geschwulst müsse umwachsen, die von 
der Gestalt und Grösse einer kleinen Wallnuss eine Grube in der 
Gegend der Flocke, des Kleinhirnschenkels und der Brücke ver¬ 
anlasst hatte, ohne dass Erscheinungen dadurch bedingt worden 
waren (Demonstration des Präparates). Seiner Lage nach 
stimmt der Tumor fast mit den diagnostizirten Fällen von 
O ]> p e n h e i m und v. Monacow überein, doch waren die hier 
bei der Sektion nachgewiesenen Geschwülste grösser (Demonstra¬ 
tion der Abbildungen dieser Fälle). Die Beobachtung ist nicht 
neu, dass eine Geschwulst der Schädelhöhle kein anderes Sym¬ 
ptom als eine schwere Trigeminusneuralgie hervorruft und dess¬ 
halb das Ganglion entfernt wird. Z. B. fand Krause bei der 
Sektion eines am Ganglion operirten Falles ein ausgedehnte« 
Cholesteatom, das keine weiteren Erscheinungen gemacht hatte. 

Die Kenntniss solcher Fälle ist für die Beurtheilung man¬ 
cher scheinbarer Reeidive nach Herausnahme des Ganglion wich¬ 
tig; wenn nämlich die Schmerzen schon bald nach der Operation 
wiedcrkehren, ohne dass die Ausfallserscheinungen zurückgehen, 
ln einem Falle von Lexer muss desshalb eine centrale Ursache 
mit falscher, peripherer Lokalisation der Schmerzen angenommen 
werden. 

An dem Präparate des verstorbenen Falles zeigt Lexer 
seine Abänderung des Krause’sclien Verfahrens. Durch 
Erweiterung des Operationsgebietes nach unten (temp. Joch¬ 
bogenresektion und Fortnahinc der Schädelbasis bis in’s Foramen 
ovale hinein) wird es möglich den Lappen in der Schläfe so klein 
zu bilden und an das Ganglion mehr von unten heranzukommen, 
dass «las Gehirn nicht gehoben zu werden braucht. Denn der 
Druck mit dem Gehirnspatel (Demonstration) ist nicht gefahrlos; 
das zeigen schon die Fälle von Krause, welcher einige Male 
Aphasie, einmal halbseitige Lähmung beobachtet hat, ferner die 
von Anderen berichteten Erweichungsherde und späteren Abscesse 
im Temporallappen. Auch Lexer hat in einem dritten nach 
Krause operirten Falle Aphasie erlebt. Die ganze Abänderung 
der Operation bezweckt diese Gefahr zu verringern. Wird der 
Kranke zur Freilegung des Ganglion, welcher Akt der Operation 
genau geschildert wird, hoch aufgesetzt (nach v. B e r g m a n n), 
so sinkt das Gehirn unter der sich faltenden Dura soweit in den 
Schädel zurück, dass ein Heben des Gehirnes nicht nothwendig 
ist. Das Operationsfeld ist nur äussorlieh kleiner, in der Tiefe 
dagegen grösser; als Beweis wird angeführt, dass das Ganglion 
nur einmal nicht in seiner Gesammtheit, sondern in 2 Theilen, 
entfernt worden ist und gröbere Verletzungen des Sinus und 
der Parotis nicht eingetreten sind. 

Ausser dem einen Todesfälle und dem scheinbaren Reeidive 
hat ein dritter Patient auf der nichtoperirten Seite eine schwere 
Neuralgie bekommen, während die operirte noch alle Ausfalls¬ 
erscheinungen bietet. Alle übrigen Patienten sind 


No. 41. 


bis jetzt best* li tv erd e frei, der erst operirte seit 

314 Jahren. 

Die Unterbindung der Art. meningea wird für nothwendig 
gehalten, nicht die der Carotis ext. Die. Hauptblutung stammt 
aus dem Plexus venoeus, der das Ganglion umgibt und dessen 
anatomische Beziehungen zum Ganglion an der Hand des Prä¬ 
parates besprochen werden. 

Von 3 Fällen von Keratitis ist einer ohne Folgen geheilt, 
die anderen haben Trübungen der Hornhaut bekommen. Von 
4 Fällen mit Lähmungen einzelner Augennerven ist eine Ab- 
duecnslähinung nicht vollkommen zuriiekgegaugen. Die lockere 
Tamponade des Cavum Meckelii mit Jodoformgaze wird für noth¬ 
wendig erachtet, da stets, wenn auch die Dura nicht verletzt wird, 
am oberen Ganglionrande der Subduralraum und durch das Aus¬ 
reise* n des Trigeminusstammes der Araclmoidealraum au der 
Brücke eröffnet wird. (Ausführliche Veröffentlichung mit Kran¬ 
kengeschichten folgt im Arch. f. klin. Ohir.) 

Dlscusslon: Herr K r a u s e - Berlin Ist der Meinung, 
dass es nur zwei gute Modifikationen seiner Operation gibt, die 
von I>o 11 Inger und die eben von Lexer gehörte, die im 
Wesentlichen schon von Doyen in Paris geübt wurde, die dieser 
aller jetzt zu Gunsten der ursprünglichen Krau s e’sclien Methode 
wieder aufgegeben hat. Das Nichtunterbinden der Art. meningea 
inedia muss er durchaus verwerfen. Er hat mit den Im letzten 
Jahre in Berlin operirten 0 Im Ganzen 32 Fälle. Periphere Trige- 
minusresektionen hat er im Ganzen 120 gemacht, die 0—8 Jahre 
lang geheilt sind. Was nun die Frage des Augenschutzes anlaugt, 
so steht er auf dem Standpunkt, dass man trotz aller Vorsichts¬ 
innassregeln Keratitis bekommt. K. demonstrirt dann Plioto- 
gramme seiner Methode. 

Herr v. Bergmann- Berlin betont, dass durch das Auf- 
rlehten des Patienten viel Raum gewonnen wird, und dass dann 
durch passende Iliruspatel wirksam dem Druck vorgelwuigt werden 
kann. 

Herr Lex er-Berlin verwahrt sich dagegen, dass seine Me¬ 
thode gleichbedeutend mit der von Doyen geübten ist. 

5. Ilerr Kölliker- Leipzig: lieber Aether-Chloroform- 
narkose. 

K. leitet die Narkose mit Aether ein und setzt sie mit Chloro¬ 
form fort. Demonstrirt seine dreitheilige modifizirtc Juil- 
lard’sche Maske. 

Dlscusslon: Herr S u d e c k - Hamburg empfiehlt die 
Operation im ersten Aetherrnusch, vor Eintritt des Excitations- 
stadiums. 

2. Sitzung: Gemeinsam mit der Abtheilung für innere 
Medicin, siehe dort. 

Abtheilnng für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Referent: Edmund Falk- Berlin. 

Nachmittagssitzung am 23. September 1901. 

Herr Staude begrüsst die Versammlung mit einem Rück¬ 
blick auf die Versammlung, welche vor 25 Jahren in Hamburg 
stattgefunden hatte, und welcher Staude damals als Schrift¬ 
führer beiwohnte. Viele von Denen, welche damals als Vor¬ 
tragende anwesend waren, sind heute Zierden der Wissenschaft, 
welche in dieser Zeit gewaltige Fortschritte gemacht habe, eine 
Reihe neuer operativer Vorschläge auf dem Gebiet der Gynäko¬ 
logie und Geburtshilfe sind gemacht worden, aber mit Recht 
nimmt die konservative Therapie jetzt wieder einen grösseren 
Raum in der Frauenheilkunde ein. 

Vorsitzender: Herr W. A. Freund. 

Herr Schatz- Rostock: lieber die Hinterscheitelbein- 
lagen. 

Man kann die L i t z m a n n’sche Obliquität nicht richtig 
erklären und verstehen, wenn man nicht vorher die Aetiologie 
der N ä geloschen Obliquität, als ihres Gegentheiles, klar ver¬ 
steht. Beide sind zwar in geringem Grade auch bei normalem 
Becken häufig genug zu beobachten, treten aber recht deutlich 
nur bei engem Becken, und zwar am meisten bei plattem Becken 
hervor. Wir müssen von den beiden Obliquitäten je eine pri¬ 
märe und eine sekundäre streng von einander unterscheiden. Die 
primären, welche in der Schwangerschaft und noch in der ersten 
Zeit der Geburt bestehen können, während der Geburt in die 
wichtigeren sekundären übergehen. 

Beim platten Becken steht am Ende der Schwangerschaft 
und bei Beginn der Geburt der Kopf zunächst so auf dem 
Beckeneingange, dass die Pfeilnaht gleich von vornherein oder 
wenigstens bald nach Beginn der Geburt quer verläuft, ohne dass 
dabei auch der Rücken des Kindes rein seitlich zu liegen braucht. 


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8. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1627 


Dieser kann sehr wohl stark nach vorn oder hinten abweichen. 
Die Kindes- oder Uterusachse wird in manchen Fällen senkrecht 
stehen auf der Beckeneingangsebene, also mit der Bocken¬ 
eingangsachse zusammenfallen. Andere Male aber, wie z. B. bei 
Hängebauch, wird sie oben von ihr mehr oder weniger stark nach 
vorn, andere Male aber nach hinten abweichen. Ihr unteres 
Ende trifft alle Mal auf die querverlaufende Pfeilnaht. Weicht 
nun die Unterachse resp. Kindesachse mit ihrem oberen Ende 
wie bei Hängebauch einigermaassen stark nach vorn ab, so wird 
dadurch ihr unteres Ende nach hinten verschoben. Ist diese 
Drehung gross genug, so kann die Pfeilnaht sogar hinter die 
Mitto des Beckeneinganges zu stehen kommen, und so besteht 
von vornherein eine — also primäre — Nägel e’sche Obliquität 
oder Vorderscheitelbeinlage. Steht hingegen die Uterusachse zur 
Beckeneingangsachse parallel, so würde bei normaler Conjugata 
die Pfeilnaht in die Beckeneingangsachse fallen und genau im 
queren Beckendurchmesser verlaufen. Bei engem Becken aber 
und normalem Kopfe muss sie vor den queren Durchmesser des 
Eeckeneinganges fallen, weil die nach hinten gelegene Hälfte des 
Kopfes dicker ist, als die hintere Hälfte der Conjugata lang ist. 
Fs besteht also von vornherein eine, wenn auch nur geringgradige 
Hinterscheitelbeinlage = eine primäre Li tzmann’schc Obli¬ 
quität. 

Bei der Geburt treten nun durch einen eigenthümlichen Vor¬ 
gang ganz neue Verhältnisse ein, welche die sekundären 
Obliquitäten erzeugen. 

Während durch die Wehen der innere Muttermund geöffnet 
und der Kopf in den Hals eingetrieben wird, entsteht eine Ver¬ 
längerung oder Reckung des ganzen kindlichen Körpers. Der 
Uteruskörper selber wird dabei zwar kürzer und schmäler, aber 
da der Uterushals jetzt zur Umhüllung des Kindes mit heran¬ 
zogen wird, erscheint und ist der ganze Uterus länger und 
schmäler, also mehr cylindrisch, und weil der Kopf noch nicht 
in das Becken eintreten kann, muss der Uterusgrund im Bauche 
um so höher emporsteigen. Dies kann aber bei wenigstens an¬ 
nähernd normalen Bauchdeeken und Bauchinhalt nur geschehen 
durch grössere Vorwölbung der oberen Bauchhälfte. Sobald nun 
die Bauchpresse in Wirkung tritt, sucht der Bauch die ihm 
eigene Kugelform wieder anzunehmen; er drückt mit seiner 
oberen vorgewölbten Hälfte den ihn vorwölbenden Uterusgrund 
nicht nur nach unten, sondern auch möglichst nach hinten, und 
lasst umgekehrt die unteren Theile des Uteruskörpers nach vorn 
hin ausweichen, während der unterste Theil des Collum Uteri 
auf dem Beckeneingange fcstbleiben muss. Es entsteht also am 
ganzen Gebärschlauche eine nach vom konvexe Krümmung. 
Diese Krümmung ist nicht ganz gleichmässig, sondern am 
stärksten in der Höhe des inneren Muttermundes, weil dort die 
aktiven und die passiven Theile des Gebärschlauches Zusammen¬ 
treffen. Das Kind, welches jetzt cylinderförmig gereckt im Ge¬ 
bärschlauche liegt, erfährt durch diesen die gleiche, für dasselbe 
freilich seitliche Krümmung mit der Konvexität nach vorn, und 
auch bei ihm ist die Krümmung nicht ganz gleichmässig, sondern 
in der Höhe seines Halses, welcher jetzt etwa in der Höhe des 
inneren Muttermundes liegt, am grössten. Diese Krümmung des 
eylindrischen Eruchtkörpers mit der Konvexität nach vom be¬ 
wirkt nun an der Basis des Kopfes eine Bewegung nach vom 
und dementsprechend am Scheitel nach hinten, weil der Kopf im 
Ganzen 9eine Stellung auf dem Beckeneingange noch beibehalten 
muss. Durch diese Drehung des Kopfes um seinen geraden 
Durchmesser kommt die Scheitelnaht, welche Anfangs in der 
vorderen Hälfte des Beckeneinganges gestanden hatte, in die 
hintere Hälfte; es entsteht die sekundäre Nägele’sche Obli¬ 
quität, deren Folgen für die Form und den Eintritt des Kopfes 
in’s Becken ich als nicht hierher gehörig nicht weiter verfolge. 

Da also der Uebergang von der primären L i t z m a n n’schen 
in die sekundäre Nägel e’sche Obliquität — das ist ja der bei 
Weitem häufigste Fall — lediglich durch die kind-seitliche Krüm¬ 
mung des l'ruchtkörpers mit mutter-vorderer Konvexität zu 
Stande kommt, so muss der Uebergang zur Nägel e’sehen Obli¬ 
quität ausbleiben und die Li tzmann’sehe Obliquität bestehen 
bleiben, wenn jene Krümmung des Fruchteylinders ausbleibt. 

Man wird den Uterus drehen oder heben können, um den 
nach hinten liegenden Rücken nach vorn zu bringen. Es kann 
dies natürlich nur dann zur Korrektur der Litzman n’schen 
in die Nägel e’sche Obliquität führen, wenn der Kopf in L i t z- 


ro a n n’scher Obliquität noch nicht zu weit in’s Becken einge¬ 
treten ist. Andere Male wird man durch Entleerung der Blase, 
andere Male nur durch möglichst starkes Zurückbiegen des 
Uterusgrundes, nicht selten auch dadurch Hilfe schaffen können, 
dass man den über der Symphyse noch zu weit vorstehenden 
Kopf nach der Kreuzbeinhöhle hin zurückdrängt, wodurch er 
zugleich um seinen geraden Kopfdurchmesser gedreht wird. 
Dieser ja zunächst liegende Handgriff führt aber nur bei leichten 
Füllen und unsicher zum Ziel. Bei tiefstehendem oder doppel¬ 
tem Promontorium wird man damit, wenn das Becken einiger- 
maassen eng ist., nur selten etwas erreichen, und Schatz hat 
in einem solchen Falle, wo das erste Kind in Litzman n’scher 
Obliquität hat perforirt werden müssen, beim zweiten Kinde, tun 
cs zu retten, die Symphyseotomie ausgeführt. 

Discussion: Herr Zweifel bestätigt, dass die hintere 
und vordere Scheitelbeinstellung durch Abknickung der Uterus¬ 
achse zu Staude kommt, und zwar sind die Beweise für diese Be¬ 
hauptung die bisher veröffentlichten Gefrierdurchschnitte. Diese 
Durchschnitte sind Augenblicksbilder von Gebärenden, und es Ist 
die Behauptung nicht richtig, dass das Ueberelnken des Uterus 
eiue Leichenerscheinung ist. Der sichere Gegengrund gegen diese 
Behauptung ist das Vorhandensein von Abknickungen des Uterus 
nach vorn gegen die Bauchwand der ln Rückenlage gefrorenen 
Leiche. Bei dem einen Gefrierschnitt wurde Zweifel darauf 
aufmerksam, dass die Abknickung des Uterus bezw. der Rumpf¬ 
achse des Kindes gegen die Kopfachse abhängig ist vom Sitz der 
l’laceuta. Sitzt diese vorn, so zieht sich die vordere Wand des 
Uterus weniger energisch zusammen, dafür um so stärker die 
hintere Wand. Hierbei übt die Wirbelsäule einen Druck in einer 
nach vom gerichteten Achse auf den Kopf aus, und dieser rollt 
mit quer gestellter Pfeilnaht in dem Sinne, dass die Pfeilnaht 
sich der hinteren Beckenwand nähert. 

Herr W. A. Freund: Ueber kongenitalen Uterus- 
Vaginalprolaps. 

Da die Kenntnis« des kongenitalen Uterus-Vagi nal-Prolapsea 
trotz mehrfacher Mittheilung des Vortragenden noch wenig ver¬ 
breitet ist, so benutzt F. einen im Wintersemester 1900/1901 auf 
der Strassburger Klinik von ihm beobachteten und operirten Fall 
dieser Art, um die Hauptlinien des anatomischen und klinischen 
Bildes der Affektion zu zeigen. 

Die 65 jährige V. J. hat seit frühester Kindheit an Prolaps 
gelitten, der sich mit der Zelt vergrösserte und sich seit einem 
.Talire mit Harnbeschwerden, Incontumta urinae komplizirt hat. 
Man konstatirt vollständige Eveutrntion der Beckeneingeweide 
und Tiefstand der Baucheingeweide; ln der Harnblase ein Coucre- 
ment. — Der Prolaps reicht mit Vorzugs weiser dorsal wärts ge¬ 
richteter Entwicklung bis zur Mitte der Oberschenkel und erreicht 
mit 42 cm den Umfang des Kopfes eines dreijährigen Kindes. 

Nach gehöriger Vorbereitung wird zunächst mittels Vaginal- 
Vesicalschnlttes der 155 g schwere, harte Harnstein entfernt. Da 
nach Primaheilung der Incision die alte Cystitls anhält, so wird 
eine breite quere Blasenfistel angelegt und Blase dralnlrt Nach 
Heilung der Cystitls wird nach vergeblichen Versuchen, den müh¬ 
sam repouirten Vorfall zurückzuhalten, die Laparotomie gemacht, 
der Uterus ln den unteren Bauchwund Winkel eiugenäht, die Vagi- 
ualwämle durch eingelegte trockene Nähte fest aneinander ge¬ 
halten, eiue tiefgreifende Perinealplastik ausgeführt. — Voll¬ 
kommen geheilt nach 4 Wochen entlassen, kehrt (nach Mittheiluug 
des Herrn Privatdocenten Dr. Funke) die Person mit einem 
Iteeidiv in die Klinik zurück; das Recidlv hatte sieh nach voll¬ 
kommener Zerreissung des neugebildeten Dammes entwickelt 
Eine N e u g e b a u er - Operation und Hegar’sche Kolpo- 
perineorrhaphle ist dann von Dr. Funke mit vollkommenem 
Heilerfolge ausgeführt worden. 

Die Hauptzüge des anatomischen und klinischen Bildes der 
Affektion sind: 

1. Beginn als nemia Douglasii bei kongenital tiefer Douglas¬ 
tasche. 

2. Genereller oder auf das Becken beschränkter Infanti- 
lismus. 

3. Beginn in der Jugend, häufig schon in der Kindheit mit 
auffallender Toleranz gegenüber den sonstigen Beschwerden des 
Prolapses. 

4. Beginn der Erkrankung als Vorfall der hinteren Vaginal¬ 
wand. 

5. Tiefstand der Danneingeweido, speziell des Dünndarms 
und der Flexura iliaca in der Douglastasche. 

6. Schwierige Reposition und Retention. 

7. Operative Behandlung im Allgemeinen nach den modernen 
Prineipien der Radikaloperation der Hernien einzurichten, aller¬ 
dings mit den kasuell gebotenen Modifikationen. 

Discussion: Herr A. Martin bezweifelt die Häufigkeit 
von Atavismus für das Zustandekommen des Prolaps, er sah 
wiederholt, dass Masturbation die Ursache des Vorfalles bei 
Jugendlichen Personen war. Die Fixation des Uterus am Kreuz- 


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1628 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


beln zur Heilung des Prolapses war ihm wiederholt unmöglich. 

Herr Mnckenroth schildert einen Fall, in dem er gleich¬ 
falls den Vorfall des Mastdarmes in Folge von Atavismus als das 
Primäre ansah, denn der Levator ani fehlte fast vollständig, erst 
später stellte sich nach einer Geburt ein Vorfall des Uterus ein. 

Herr W. A. Freund: Für die geschilderten Vorfälle ist es 
charakteristisch, dass sie sich nach hinten mehr entwickeln, als 
nach vorn; allerdings gelingt es häufig schwer, den Uterus zu re- 
poniren, ihm gelang es jedoch stets. Der Ausdruck Atavismus 
sei falsch, es handele sich um Infantilismus. 

Abtheilung für Kinderheilkunde. 

Referent: B. Bcndix - Berlin. 

1. Sitzung: Montag, den 23. September 1901. 

1. Herr Heubner -Berlin: Chorea. 

Nach Ausschliessung der sog. Chorea hysterica, Maladie de 
tic u. a. begrenzt sich der Begriff der eigentlichen genuinen 
Chorea immer enger. Bei dieser letzteren tritt ein Zusammen¬ 
hang mit Rheumatismus, je mehr und genauer man darauf 
achtet, immer konstanter zu Tage. Mit einem Hinweis auf die 
M e y e r’schen Befunde aus der Hagenbac h’sehen Klinik 
theilt der Vortragende mit, dass bei Beobachtung von 27 Fällen 
von Rheumatismus und 77 Fällen von Chorea unter crstcren 
2 bereits Chorea gehabt, während von letzteren ca. 32 Proc. die 
Chorea im Anschluss oder nach Rheumatismus acquirirt hätten. 
Nach des Vortragenden Meinung ist die genuine Chorea zu den 
rheumatischen resp. zu den infektiösen Erkrankungen zu rechnen. 
Dafür spricht neben Anderem, dass Chorea gern in rheumatischen 
Familien auf tritt, dass sich auch bei Chorea rheumatische Exan¬ 
theme zeigen, und ferner die Neigung beider Erkrankungen, sich 
bisweilen in die Länge zu ziehen und zu Recidiven zu führen. 
Beide sind häufig komplizirt durch Endokarditis, gleichgiltig, ob 
es sich um schwere oder leichte Primärerkrankung handelt. H. 
weist noch auf die interessanten Beobachtungen von Litten 
hin, dass Chorea sich gleichfalls wie der Rheumatismus im An¬ 
schluss an eine Gonorrhoe findet, wo sie als ein rheumatisches 
Aequivalent aufzufassen ist. Der Vortragende weist noch darauf 
hin, dass die echten Choreabewegungen beinahe regelmässig, 
wenigstens ein Theil derselben, den Eindruck von Gemüths- oder 
Affektsbewegungen machen; daher man auch die wirkliche 
Chorea nur nach dem 3. und 4. Lebensjahre findet, in einer Zeit, 
wo die Kinder bereits gelernt haben, ihre Gemiithsbewegung 
durch eine bestimmte Muskelbewegung auszudrücken. 

Bei II e u b n e Fs Auffassung der echten Chorea als einer 
infektiösen rheumatischen Erkrankung müssen Bettruhe und 
schweisstreibende Methoden indicirt und von Vortheil sein. Da¬ 
neben kommt Arsen zur Anwendung. 

Dlscussion: Herr S o 11 m a n n - Leipzig betrachtet die 
Chorea als eine psychomotorische Neurose, bei der durch Irra¬ 
diation der Willensimpulse den Willensbewegungen nicht lntendirte 
Mitbewegungen beigemischt werden. Das kann durch 
Laesioncn im Gehirn wie auch durch infektiöse Noxen (Rheuma¬ 
tismus), wie auch auf dem Wege des Reflexes geschehen (Ch. 
s.vinptomatica, idtiopathica. reflectorica). Die eigentliche Ch. idlo- 
pathica entsteht auch nach S. meist durch Rheumatismus. Die 
Annahme der Franzosen ging schon dahin, dass kleinste Par¬ 
tikelchen vom Endokard fortgerissen werden, unterbrechen dann 
im Cortex an Ort und Stelle meist die WUlensbahn, der Impuls 
kommt auf Abwege und erzeugt, wenn die Innervationsdosis zur 
Bewegung nicht die nothwendige und nicht zur rechten Zeit er¬ 
folgt, die Mitbewegung. Sogar experimentell hat man durch Ein¬ 
führung kleinster Partikelchen in die Blutbahn Chorea erzeugt. 
Die Ch. ldiopathica Ist daher wohl meist eine embolische Infek¬ 
tionskrankheit resp. Intoxikation. 

Herr v. Sontag - Ofen-Pest hebt als aetiologisch wichtige 
Momente für die Chorea eitrige Anginen und Scarlatlna hervor. 

Herr M U 11 e r - Hannover meint, dass, falls jüngere Kinder 
von der Chorea befallen würden, diese nach seiner Beobachtung 
meist Intelligente seien. 

Herr II e u b n e r- Berlin (Schlusswort) hält gleichfalls die 
eitrige Angina, sowie andere Infektionen, wie Scharlach und 
Masern, für wichtige aetiologisclie Momente bei der Entstehung 
von Chorea. Dies sind Momente, welche mit der Theorie des 
rheumatischen Aequivalents zusammenfallen. 

2. Herr Thiemich- Breslau: Klinische Beobachtungen 
über die Funktionsfähigkeit motorischer Rindenfelder beim 
Säuglinge. 

Th. ist durch Untersuchungen der Bewegungen junger Säug¬ 
linge zu dem Resultat gekommen, dass dieselben bereits vom 3. 
bis 4. Monate an eine Reihe corticaler Coordinationen (Faust- 
seliluss, Beinverkürzung und Bein Verlängerung) besitzen, so dass 
die Funktionsfähigkeit der motorischen Rindenfelder für dieses 
Alter erwiesen ist. Mitunter findet sich die gleiche Leistung 


schon bei Neugeborenen. Schwere, zur Atrophie führende Er¬ 
krankungen verzögern die Entwicklung, bezw. bedingen eine 
grosse Erschöpfbarkeit der Kinder, ein schnelles Verschwinden 
der Coordinationen. 

3. Herr H. Gutzmann - Berlin: Zur diätetischen Be« 
handlung nervöser Sprachstörungen im Kindesalter. 

Vortragender bezieht seine Mittheilungen hauptsächlich auf 
stotternde Kinder, die der Mehrzahl nach neuropathisch belastet 
und nervös oder ncurasthenisch sind. Man findet bei ihnen sehr 
häufig Verdauungsstörungen, die zum Theil Folge einer fehler¬ 
haften Ernährungsweise sind. Besonders wirkt eine übermässige 
Fleischnahrung schädigend. An 2 Beispielen zeigt der Vor¬ 
tragende, wie durch eine Veränderung der Diät, Einschränkung 
der Fleischnahrung, Bewegung in freier Luft, regelmässige 
Waschungen Morgens und Abends auch ohne eine besonders aus¬ 
gedehnte Uebungstherapie nervöse Sprachleiden zum Verschwin¬ 
den gebracht werden können. 

Dlscussion zum Vorträge von Herrn Gutz¬ 
mann: 

Herr Carstens- Leipzig: Für die Thatsache, dass neuro- 
pathisch belastete Kinder bei Erkrankungen des Darms Sprach¬ 
störungen zeigen, spricht die Erfahrung, dass bei Typhusfällen In 
derselben Familie Aphasie gehäuft beobachtet wurde. 

4. Herr Ganghofner- Prag: Zur Diagnose der Tetanie 
im ersten Kindesalter. 

Bei Prüfung des von Thiemich angegebenen Verfahrens 
der galvanischen Erregbarkeitsbestimmung konnte der Vor¬ 
tragende bei 49 Fällen, sämmtlich mit deutlicher Steigerung der 
mechanischen Erregbarkeit der Nerven, 41 mal = 83 Proc. auch 
galvanische Uebererregbarkeit im Sinne Thiemich’s nach- 
weisen, indem KOZ bei weniger als 5 MA im Bereiche des N. 
medianus auszulösen war. G. ist der Meinung, dass das Ein¬ 
treten der KOZ zuweilen verdeckt wird durch frühzeitigen K. S. 
tet., wodurch bei unzweifelhaftesten Tetanien das Ergebniss der 
galvanischen Untersuchung scheinbar negativ ist. 

Bei länger beobachteten Fällen ergab sich häufig eine auf¬ 
fällige Incongruenz in dem zeitweisen Auftreten der mecha¬ 
nischen Uebererregbarkeit einerseits, der galvanischen Ueber- 
erregbarkeit andererseits. Es kann einmal die eine, einmal die 
andere Art von Erregbarkeit zeitweilig fehlen, in manchen Fällen 
sieht man die mechanische, in anderen die galvanische Ueber¬ 
erregbarkeit länger persistiren. Von Wichtigkeit für die prak¬ 
tische Verwcrthbarkeit der T h i em i c h’schen Untersuchungs- 
methode ist der Umstand, dass die Prüfung eines einzigen Nerven 
genügen soll, andererseits gibt sie dadurch nicht Aufschluss 
über den oft wechselnden Erregbarkeitszustand aller in Betracht 
kommenden Nerven, während die Steigerung der mechanischen 
Erregbarkeit täglich an allen Nerven unschwer geprüft werden 
kann. G. anerkennt den diagnostischen Werth der galvanischen 
Untersuchung, kann jedoch der galvanischen Uebererregbarkeit 
im Sinne von Thiemich nicht einen so weit gehenden Vor¬ 
rang vor allen anderen Latenzsymptomen der Tetanie einräumen, 
dass man aus ihrem Vorhandensein allein die Diagnose zu stellen 
berechtigt wäre. 

G. hält aufrecht, dass die meisten Fälle von Laryngo- 
spasmus junger Kinder zur Tetanie gehören, auch wenn man als 
Kriterium der Zugehörigkeit zur Tetanie die galvanische Ueber¬ 
erregbarkeit heranzieht, was aus der Prüfung von 34 Fällen 
von Stimmritzenkrampf hervorgeht. Ferner zeigten 17 Fälle 
von Eklampsie, welche sich durch Steigerung der mechanischen 
Nervenerregbarkeit als tetanoide Zustände documentirten, auch 
galvanische Uebererregbarkeit, während in 4, nicht zur Tetanie 
gehörigen Eklampsiefällen weder die mechanische, noch die gal¬ 
vanische Erregbarkeit erhöht war. Inwiefern eine wesentliche 
Scheidung zwischen 2 Gruppen von funktionellen klonischen 
Krämpfen sicherer als bisher dadurch ermöglicht wird, dass man 
das T h i e m i c h’sche Verfahren der kompleten galvanischen 
Prüfung eines Nerven in Anwendung zieht, müssen noch aus¬ 
gedehntere Untersuchungen von Eklampsiefällen lehren. 

Dlscussion: Herr T h i e m i c h - Breslau glaubt nach 
weiterer Fortführung seiner Versuche (an ca. 200 Fällen) sagen 
zu dürfen, dass mit dem Nachweis der galvanischen Uebererreg¬ 
barkeit eine bestimmte Gruppe von Kindern charakterlslrt ist 
von denen einige alle Erscheinungen der Tetanie aufweisen, andei 
wiederum nur die galvanische Uebererregbarkeit Letztere sei ak 
hängig von der Ernährung, vom Fülluugszustand der Gefässe, 
wodurch zugleich ein Hinweis für die Therapie gegeben werde. 

Auf die Anfrage II e u b n e r’s, wie Thiemich die Fehler¬ 
quelle, welche durch den Leitungswiderstand der Haut bedingt 


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8. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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sei, ausschalte, erwidert der Letztere, dass er am Horizontal¬ 
galvanometer direkt Stromintensität ln M.A abgelesen habe, wobei 
nur ganz minimale Fehler Vorlagen. 

Herr Soltmann -Leipzig schllesst sich nach Nachprüfung 
der T h 1 e m 1 c h’schen Methode der Auffassung Ganghof- 
n e r’s und K r a n 1 c h’s an. Allein mau muss doch bezüglich der 
sogen, galvanischen Uebererregbarkelt im ersten Lebensalter 
vorsichtig sein, denn diese hängt zum Theil auch mit der Leitungs¬ 
geschwindigkeit zusammen und Aufnahmefähigkeit des elek¬ 
trischen Reizes, entsprechend den physiologischen Entwickelungs¬ 
vorgängen. Der Nerv reagirt hier wie bei ermüdeten Theilen des 
Erwachsenen, d h. mit der Erscheinung der partiellen Entartungs¬ 
reaktion. 

Herr T h 1 e m 1 s c h - Breslau Ist der Ansicht gegenüber Solt¬ 
mann, dass die galvanische Uebererregbarkelt über 6—8 Monat 
sicher nichts mehr mit der Entwickelung zu thun habe, das be¬ 
weisen schon die grossen auch von Ganghofner beobachteten 
Schwankungen bei den einzelnen Kindern. 

Herr Ganghofner - Prag (Schlusswort): Bezüglich der Art 
und Welse der elektrischen Prüfung steht er auf dem Standpunkt 
von T h 1 e m 1 c h. Was die galvanische Untersuchung von Fällen 
von Eklampsie betrifft, so Ist auch er der Ansicht, dass dieselbe 
unsere Hilfsmittel zur Feststellung des tetanoiden Zustandes hier¬ 
bei ln wünschenswerter Weise vermehrt, insbesondere in zweifel¬ 
haften Fällen. Durch die Angaben T h 1 e m i c h’s über den Ein¬ 
fluss der Ernährung auf den Erregungszustand würden die Ver¬ 
hältnisse sich allerdings komplizirter gestalten. 


XXVI. Versammlung des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege 

zu Rostock am 18.—21. September 1901. 

(Eigener Bericht) 

2. Tag. 

Fortschritte auf dem Gebiete centraler Heizungs- und Lüf¬ 
tungsanlagen für Wohnhäuser und öffentliche Gebäude im 
letzten Jahrzehnt. 

Referent: Landes-Maschinen-Ingenieur A. Oslender - Düssel¬ 
dorf. 

Referent gibt zunächst eine Ucbersieht der in den neun¬ 
ziger Jahren bestehenden Entwicklung der Heizungs- und Lüf¬ 
tungsanlagen. Den hauptsächlichsten Anstoss zur Arbeit in 
diesen Gegenständen gab der 1883 ausgeschriebene Wettbewerb 
für den neuen Reichstagsbau in Berlin: Die Lüftungsanlage 
dee neuen Reichstagsgebäudes blieb vorbildlich für alle späteren 
grossen Staatsbauten. Die Heizungsanlage ist ein Mischsystem 
von Warmwasser mit Hochdruckdampf. 1884 erfanden dann 
Bechern-Hagen und Käufer in Mainz die Niederdruck¬ 
dampfheizung. Letzterer ist der eigentliche Erfinder des jetzt 
fast überall gebräuchlichen Systems mit seinen grossen Vor¬ 
zügen: Selbstthätige Regulirung der Heizung, selbständiger 
Rückfluss des Condenswaseers, selbständige Regulirung der 
Heizung von den Zimmern aus. Seit 1890 ist die allgemeine Ein¬ 
führung dieses Systems in Aufschwung gekommen. 

Die centrale Heizung von mehreren Häusern wurde 
zuerst im sächsischen Ministerium in Dresden eingeführt. Die 
Vortheile hievon sind: Vermehrte Reinlichkeit, Vereinfachung 
des Heizbetriebs, Verminderung der Feuersgefahr, wirthschaft- 
liche Vortheile. Im Gegensatz hiezu muss der Hygieniker die 
noch immer so grosse Verwendung des Leuchtgases zu Heiz¬ 
zwecken auf’s tiefste bedauern wegen der grossen Gefährdung der 
Gesundheit. Der Geruchssinn und das Verhalten der Zimmer¬ 
pflanzen seien ein Beweis für die Schädlichkeit dieser Heizungs¬ 
art. (Geht wohl etwas zu weit. Es gibt z. B. schon ganz ein¬ 
wandsfreie Gasheizöfen. Der Ref.) Oslender stellt fol¬ 
gende 2 Thesen auf: 

Als Endziel der Bestrebungen zur Vervollkommnung der 
centralen Heizungs- und Lüftungsanlagen ist die vollständig 
selbstthätige Wärme- und Lüftungsregulirung in den Aufent¬ 
haltsräumen zu betrachten. Für dicht bebautes Gelände ist cen¬ 
trale Heizstoffzufuhr zu den Aufenthaltsräumen anzustreben. 
Steinkohlenleuchtgas und Wassergas, einzeln oder gemischt ver¬ 
wendet, eignen sich wegen ihrer Gesundheitsschädlichkeit nicht 
für diesen Zweck. 

Durch Gründung von Centralheizungs-Ueberwachungs-Ver- 
einen nach Muster der Dam pfkessel-Ueberwachungs-Vereine 
würde der zweckentsprechende Bau und Betrieb der Ileizungs- 
und Lüftungsanlagen wesentliche Förderung erfahren. 

Es fehlt zur Zeit noch eine Auskunftsstelle für die privaten 
Heizungs- und Lüftungsanlagen. Der preussisclie Staat hat 
durch Gründung eines besonderen Lehrstuhls an der technischen 


Hochschule in Charlottenburg und Berufung eines Heizungs¬ 
ingenieurs auf diesen Posten (Geheimrath Iiietschel) die 
hohe Bedeutung der Heizungs- und Lüftungsanlagen voll ge¬ 
würdigt. 

Die Lüftungsanlagen sind in den letzten Jahren nicht weiter 
entwickelt worden. Staatlicherseits wurde im Gegensatz zu 
früher die Grösse des Luftweclisels ermässigt. Messungen des 
Luftwechsels, Kohlensäurebestimmungen werden neuerdings 
nicht mehr verlangt. Auf die Gesundheit der Kinder dürfte wohl 
dieses Zurückbleiben der Lüftungsanlagen in den Schulen einen 
nachtheiligen Einfluss ausüben. Bei den Münchener Schulen 
fehle beispielsweise die nöthige Auftreibung der Luft in den 
Kanälen. Oslender lenkt die Aufmerksamkeit auf die Un¬ 
sitte, dass gleichzeitig in manchen Schulen die volle Heizkraft 
der Heizungsanlage stattfindet bei Oeffnen des Oberlichtes und 
fordert: Lüftungsanlagen sind für Gesundheit und Wohlbefinden 
nicht weniger wichtig wie Heizungsanlagen, und dürfen erstere 
nicht zu Gunsten der letzteren vernachlässigt werden. Für 
Schulen, Krankenhäuser und Versammlungsräume ist ein 
Mindestluftwechsel durch die Art der Einrichtung der Ileizungs- 
und Lüftungsanlage zu erzwingen. 

Die Kippenheizkörper sind für Schulen und Krankenhäuser 
als nicht reinigungsfähig zu verwerfen. 

In der Debatte bedauert Petruschky - Danzig ebenfalls 
die langsamen Fortschritte in der LUftuugstechuik und macht 
auf das W u 11 k e’sche Luftzuführungsverfahreu aufmerksam. 
Durch den Druck des Windes soll vom Dache her durch Luft- 
schiiehte, je nach der Windrichtung selbsthätig eingestellt, eine 
Ventilation stntttiudeu. 

(,’ommercienruth Heuueberg - Berlin verlangt die Auf¬ 
stellung von festen Normen für die Veutllation, er schlügt ferner 
vor, die Keuutniss von den Heizungs- und Lüftuugsanlagen mög¬ 
lichst in die grossen Massen hineinzutragen. Das Ziel aller Be¬ 
strebungen des Vereins müsse sein, darauf hinzuweisen, dass die 
Heizungs- und Lüftungsiuilageu ein wesentliches Hilfsmittel für 
die Gesundheitspflege seien. Die Feueranlageu verfolgen neben 
dem wirthschaftllcheu auch einen hygienischen Zweck: Ver¬ 
hinderung der Verqualmung einzelner Dlstiikte, gute Vertheilung 
von Wärme und Luft, Beseitigung der Feuersgefahr. 

BUrgermeisteu v. Borscht- München glaubt, die Münchener 
Schulen hätten eine gute LUftungsanlage. Klagen seien hierüber 
bisher nie elngclaufeu, des Weiteren hält er die Gasheizung nicht 
für so bedenklich wie Oslender. 

Ingenieur V e 11 e r - Berlin und Direktor Pfützner- 
Dresden halten den W u 11 k e'scheu Ventilator vom Dache aus 
durch Luftschüchte für falsch wegen der Nähe von rauchenden 
Schornsteinen. Professor Pfeiffer- Rostock verweist auf das 
M ö n 1 c h’sche Fernthermometer, mittels dessen man vom 
Heizungsraum aus die Temperatur der verschiedeneu Räume kou- 
trolireu und wunschgemüss einstellen kann. 

Die Bedeutung der hygienisch wichtigen Metalle (Aluminium, 
Blei, Kupfer, Nickel, Zinn und Zink) im Haushalt und in 
den Nahrungsgewerben. 

Referent: Prof. Dr. K. B. L e h m a n n - Würzburg. 

Die verbreiteten Ansichten über die gesundheitliche Be¬ 
deutung der einzelnen Metalle bedürfen in wesentlichen Stücken 
der Korrektur.* 

Es ist stets streng auseinanderzuhalten, ob es sich um die 
Frage der Schädlichkeit einmaliger grösserer oder wiederholter 
kleiner Dosen handelt. In einem kritischen Urtheil über die 
Giftwirkung muss man unterscheiden, ob ein Körper rein ein¬ 
geführt wird oder ob er mit Speisen gemischt in den Körper ge¬ 
langt. Man kann nicht sagen, der eine Stoff ist giftig, der andere 
nicht, es sind die Bedingungen festzustellen, wann die Gifte 
wirken und welche Quantität nöthig ist. 

Wirklich schädlich und gefährlich ist das Blei und alle Blei¬ 
präparate. Akute Vergiftungen sind selten, chronische recht 
häufig im Haushalt. Die Verwendung von Blei im Haushalt ist 
immer noch eine sehr reiche: Bleiröhren bei Wasserleitungen, 
nieten und löthen mit Blei. Ausserordentlich verbreitet ist die 
Verwendung der Bleifarben zum Anstreichen, Bleiweiss, 
Mennige, Chromgelb; ferner die Verwendung der Bleiglasur bei 
Thongeschirren. Die Glasur ist verschiedenartig löslich, je mehr 
Blei verwendet ist, tun so leichter wird es von den Säuren an¬ 
gegriffen, in Essig- und Obstsäure ist es besonders leicht löslich. 
Tadellos hergestellte Glasuren sind unlöslich. Ungelöst ein¬ 
geführte Bleiverbindungen wirken immer giftig, da sie im Kör¬ 
per gelöst werden, sogar das schwefelsaure Blei. 

Akute Bleivergiftungen im Haushalt sind selten, hiezu sind 
recht grosse Bleimengcn nothwendig. Beweis: dass grosse Mqn* 


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1680 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 4L 


gen von Blei bei Ilaemoptoc gegeben werden, ohne dass Vergif¬ 
tungserscheinungen beobachtet werden; nur 2 Fälle sind be¬ 
kannt. Chronische Bleivergiftungen sind sehr häufig, so z. B. 
bei Bleischminke, Blei mehl, Schnupftabaken, Bleipapier etc. 
Massenvergiftungen durch Blei kommen zuweilen vor bei Ver¬ 
wendung von Blei zu Wasser lei tungsröhren. Es kommt hier auf 
den Gehalt des Wassers an freier Kohlensäure an: hartes Kalk¬ 
wasser kann man durch Bleiröhren leiten. Bleibicarbonat schützt 
vor Vergiftung., Die Disposition für chronische Bleivergiftung 
erscheint sehr verschieden. Das Gesetz Brouardel’s, 1 mg 
Blei pro Tag bringt eine chronische Bleivergiftung hervor, ist 
jedenfalls einzuschränken. Die deutsche Reichsgesetzgebung ist 
nicht durchweg glücklich und bedarf entschieden der Revision. 
Z. B. das Ixithblei darf nicht mehr als 10 Proc. Blei enthalten. 
Techniker halten dies für zu weitgehend. An den neuen Kon¬ 
servenbüchsen ist nur ein Minimum von Löthung und diese ist 
aussen an den Büchsen in einer Rille. Schrot soll nicht zum 
Reinigen von Flaschen verwendet werden. Gesetzlich wäre zu 
verbieten die Färbung mit Bleichromat, was bisher nicht der Fall 
war; die Gesetze über den Bleigehalt von Glasuren bedürfen der 
Revision: Die Geschirre werden bekanntermaassen in der Weise 
geprüft, dass trotz halbstündigen Kochens einer 4 proc. Essig¬ 
säurelösung kein Blei gelöst erhalten wird. Dies erscheint ent¬ 
schieden zu weit gellend; beispielsweise müsste dann der ganze 
Würzburger Geschirrmarkt konfiszirt werden. Ein gewisser 
Werth müsste angegeben werden, bis zu dem der Bleigohalt zu¬ 
gelassen werden dürfte, etwa 10 mg. Auffallender, aber erfreu¬ 
licher Weise fehlt jede Erfahrung über eine gesundheitsschäd¬ 
liche Wirkung von bleihaltigem Kinderspielzeug (Soldaten, Kin¬ 
deressgeschirre für Puppen). 

Quecksilbervergiftungen im Haushalt sind zu selten, um die¬ 
selben näher zu besprechen. 

Kupfer findet sich viel verwendet in den Haushaltungen, ins¬ 
besondere bei den Küchengeschirren wegen der Leichtigkeit der 
Reinhaltung und des schmucken Aussehens. Säuren nehmen 
Kupfer auf, sind jedoch trotz ihrer Farben in Blau und Grün 
nicht sehr giftig, und worden auch wegen ihrer Farbe nicht ge¬ 
nossen. Die grünen Konserven werden mit Kupfer gefärbt, hier 
ist eine Quelle der Vergiftung möglich, da die Verdauungssäfte 
diese Kupfersalze in grossen Mengen lösen. Die Ansichten über 
die Kupfervergiftungen gingen bisher weit auseinander: Kupfer 
ist selbstverständlich in grossen Dosen schädlich. Die akuten 
Kupfervergiftungen jedoch, die im Haushalt Vorkommen und 
eventuell auf Kupfergefässe und Konserven zurückgeführt wer¬ 
den können, sind niemals schwer und ausserordentlich selten. 
Viele sog. akute Metallvergiftungon des Haushalts sind sicher 
Vergiftungen durch verdorbene Nahrung. Die Zeitungsberichte 
über solche Fälle sind äusserst oberflächlich und wissenschaftlich 
werthlos. Chronische Kupfervergiftungen sind nicht bekannt 
und nach den Ergebnissen der Thierversucho unwahrscheinlich 
(Beweis: die Nürnberger Bronzeindustrie). Möglich wäre eine 
chronische Kupfervergiftung durch andauernd schlechte Mani¬ 
pulationen mit Grünspan. 

Zinkgeräthe spielen keine Rolle im Haushalt (Milchkannen). 
Die galvanisirten Eisenröhren (mit Zink galvanisirt) lassen nur 
minimale Spuren von Zink lösen, die ohne Bedeutung sind. Der 
Zinkgehalt der amerikanischen Aepfel (gehört zum Weissfärben) 
ist wahrscheinlich nicht genügend um Vergiftungen hervor¬ 
zurufen. Jedenfalls gehört das Zink nicht in die Aepfel hinein. 

Zinngeräthe sind selten mehr im Gebrauch, innen sind die 
Konservenbüchsen mit Zinn ausgekleidet, das bleifrei sein muss. 
Spargelkonserven nehmen leicht Zinn auf. Die Zinnsalze sind 
farblos und von sehr geringem Geschmack. Die akuten Zinn¬ 
vergiftungen sind möglich. Stark saure Konserven sollen nicht 
in Zinnbüchsen aufbewahrt werden. Chronische Zinnvergif¬ 
tungen scheinen nicht vorzukommen. Versuche mit Zinnfütte¬ 
rungen ergaben negatives Resultat. 

Silber, Aluminium, Eisen und Nickel — obwohl theoretisch 
auch nicht ungiftig — müssen als praktisch ganz unschädlich be¬ 
zeichnet werden. 

Trotz der geringen hygienischen Bedeutung aller Schwer¬ 
metalle, ausser Blei und Quecksilber, sind alle Bestrebungen zu 
unterstützen, diese Metalle von unseren Nahrungsmitteln (ins¬ 
besondere Konserven) möglichst fern zu halten. Gleichgiltigkeit 
der Behörden könnte sehr leicht grobe Nachlässigkeiten der 
Fabrikanten zur Folge haben, durch die nicht nur das Ansehen 


der deutschen Industrie geschädigt, sondern auch namentlich 
bei abnorm empfindlichen Personen, Kindern, Greisen, Kranken 
wirkliche Gesundheitsstörungen hervorgebracht werden könnten. 
Es ist den Schwermetallen gegenüber der gleiche Standpunkt ein¬ 
zunehmen wie bei den Konservirungsmitteln. 

Wir brauchen die genannten Metalle nicht im Körper, folg¬ 
lich müssen wir sie fernhalten. Braucht die deutsche Industrie 
die Verkupferung, so mag sie ihr gestattet sein unter strenger 
Kontrole. 

I>r. W e y 1 - Charlotteuburg macht darauf aufmerksam, dass 
Spitzen mit kohlensaurem Blei gereinigt und Garne mit chrora- 
saurem Blei gell) gefärbt werden: beides enorm schädlich. 

Prof. Löffle r-Greifswald fordert die strenge Durchführung 
von bleifreien Töpfen. (Erscheint nach Nürnberger Erfahrungen 
möglich. Der Ref.) 

Conimercienrath Henneberg - Berlin zieht aus dem Vor¬ 
trag für die Industrie die Schlussfolgerung, dass vor Allem 
Kupferkessel bei der Einrichtung von grossen Krankenanstalten, 
Gefängnissen verwendet werden sollen. 

Am Nachmittag fanden gemeinsame Besichtigungen in 
Rostock statt: Irrenanstalt Geldsheim (mit landwirthscliaftlicher 
Beschäftigung der Kranken), Neptuuwerft, Brauerei, Elektricitäts-, 
Gas-, Wasserwerk. Letzteres ist nach Hamburger Muster: Fluss- 
wasserliltration. Nach meiner Ansicht ist die Anlage zu nahe 
an der Stadt. Neu war mir auch, dass auf den Filterbecken Algen- 
cutwicklung geduldet wird. 

Abends war zwanglose Zusammenkunft auf Mahn & Ohle- 
rich's Keller. 

Vor den Verhandlungen am 3. Tage wurde die übliche Wahl 
des Ausschusses für das kommende Geschäftsjahr vorgenommen. 
Ausschieden nach den Satzungen: Stübben - Köln, Schnei¬ 
der- Magdeburg, Stich- Nürnberg. Neugewählt wurden 
v. B o r s c h t - München, A 1 b r e c h t - Berlin, Fraenkel- 
Halle. Es verbleiben Delbrück - Danzig, Reindl- Ham¬ 
burg, II ö f f n e r - Kassel. 

Strassenbefestigungsmaterialien und Ausführungsarten, sowie 
ihr Einfluss auf die Gesundheit. 

Referenten: Stadtbaurath E. Genzmer - Halle a. d. S., Privat- 
docent Dr. Th. W c y 1 - Charlottenburg-Berlin. 

Genzmer bringt zunächst von den 30 grössten Städten 
eine Uebersicht, wie viel dieselben für ihre Strassen ausgaben, 
es beträgt dies überall Vs —% der gesammten Ausgaben für den 
Bauetat. Die Richtung der Strassen sollte möglichst nicht Zu¬ 
sammenfällen mit der herrschenden Windrichtung. Die Strassen 
sollen aus demselben Grunde nicht zu lang gemacht werden. 
Die Höhenlage ist gleichfalls von Einfluss. Die Strasse muss 
grundwasserfrei sein, die Häuser müssen mit ihren Kellern 
ausserhalb des Grundwassers liegen, auch muss der Baugrund 
ein guter sein. Die Steigung der Strasse sei eine solche, dass 
sie nicht zu steil für die Zugthiere ist. Von grossem Einfluss 
ist die Breite der Strasse, zu breite Pflasterflächen sind zu 
theuer, es würde auch zu viel Staub aufgewirbelt werden. Bei 
der Strassenvermessung wird meist viel zu weit gegangen. Der 
Verkehr muss auf bestimmte Strassenstreifen gedrängt werden, 
es sind daher sehr breite Strassen für den Verkehr nicht noth- 
wendig (cfr. London). Für ein Fuhrwerk ist 2,5 m Breite nöthig. 
Eine Breite von V/s m langt daher für 3 gleichzeitig fahrende 
Fuhrwerke und genügt diese St rassenbreite für mittlere und 
kleinere Städte. Sollen Strassenbahnen in die betreffenden 
Strassen gelegt werden, so sind breitere Strassen nöthig. Selbst¬ 
redend handelt es sich bei den erwähnten Strassenbreitesn nur 
um die Fahrbahn, nicht um die Gesammtbreite der Strasse, 
welche eine beträchtlich breitere sein muss. Man kann in Wohn- 
strassen Vorgärten anlegen, in Geschäftsstrassen möglichst breite 
Gehsteige. Die Vorgärten vermeiden den Staub und das Ge¬ 
räusch für die Anwohner, gewähren ein freundliches Ansehen 
und erlauben die Anlage von Bäumen, ohne dass die Häuser zu 
stark beschattet werden. 

Die Bäume werden bei zu schmalen Strassen den Anwohnern 
oft zur Last, ln Wohnst rassen kommt man sehr gut mit 2 Fahr¬ 
bahnen aus. Man würde hiedurch auch grosse Summen sparen 
und viel hygienische Missstände vermeiden. 

Auch in Geschäftsstrassen wäre unter den oben angegebenen 
Bedingungen „bei breiten Bürgersteigen“ eine Bepflanzung mit 
Bäumen möglich. Hygienisch sind so viel als möglich Bäume 
in die Städte hineinzubringen. 

Bei breiten Bürgersteigen können auch die Versorgungs¬ 
leitungen gut untergebracht werden. Die allgemeine Durch¬ 
führung der unterirdischen Kanäle ist nicht zu empfehlen wegen 


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8. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1631 


der nothwendigen Zweigleitungen in die Häuser und die dadurch 
bedingten hohen Kosten. Die Bürgersteig-Befestigungen sind 
viel einfachere, wie die Fahrbahnen, auch nicht so feste, ein Auf- 
reissen ist hier leichter. 

Bei den Hauptverkehrsstrassen soll man für die verschie¬ 
denen Arten des Verkehrs verschiedene Streifen anlegen: so für 
Beiter, Radfahrer (für diese Kieswege, da sich die Radler ihre 
Wege selbst festfahren und fest unterhalten). Es empfiehlt sich 
auch, bepflanzte Streifen anzulegen, die späterhin bei recht 
grossem Verkehr wieder auf gegeben werden können. Im Winter 
kann man die Probe auf’s Exempel machen, wenn man zusieht, 
was vom frisch gefallenen Schnee weggetreten oder weggefahren 
wird. 

Jedenfalls erfordern die Strassenbefestigungen in den 
Städten sehr beträchtliche Geldmittel; es ist daher gerecht¬ 
fertigt, für eine wirthschaftlich richtige Verwendung der letz¬ 
teren Sorge zu tragen. 

Diejenigen Strassjcnbaumaterialien sind vom 
wirtschaftlichen Standpunkt aus die besten, welche die 
geringsten GesammtaufWendungen (einmalige Herstellungs¬ 
kosten und laufende Unterhaltungskosten) eine möglichst 
langdauernde Brauchbarkeit der Strassendecke gewährleisten. 

Z. B. ist es für die Städte ein grosser Fehler, chaussirte 
Strassen anzulegen. Man hat nun geglaubt, wenn man einen 
möglichst harten Stein nimmt zum Pflastern, dass man dabei 
niu beeten wegkommt. Die Steine bekommen jedoch die sogen. 
Katzenköpfe, welche für den Verkehr völlig ungeeignet sind, so 
bei Basaltsteinen. Eine zu ebene Oberfläche wird bei einem 
weicheren Steinmaterial erhalten. Dies ist jedoch eher zu em¬ 
pfehlen. Es sind Steine zu empfehlen, die langsam verschleissen. 

Neben den hygienischen Erfordernissen kommen in Betracht 
die Rücksichten auf den Verkehr. Dieselben bedingen eine der¬ 
artige Beschaffenheit der Strassenoberfläche, dass auf ihr, selbst 
bei den ungünstigsten Witterungsverhältnissen, sowohl der Ver¬ 
kehr der Fussgänger wie derjenige der Zugthicre und Motoren 
möglichst leicht und gefahrlos sich vollziehen kann. Dies wird 
erreicht durch eine möglichst ebene Oberfläche von einem ge¬ 
wissen Rauhigkeitsgrade, der um so grösser sein muss, je stärker 
die Strasse geneigt ist. 

Den Radfahrern kann man in der Nähe der Gosse einen 
ganz schmalen Streifen mit glatten Steinen geben. • 

Vom hygienischen Standpunkt aus betrachtet, sind die¬ 
jenigen Strassenbefestigungen die besten, welche 

a) sich am wenigsten abnutzen, also den geringsten Staub 
erzeugen; 

b) das geringste Geräusch verursachen; 

c) die Verunreinigung des Untergrundes am sichersten ver¬ 
hindern ; 

d) sich am schnellsten reinigen lassen. 

Die F U8swegbef estigung muss eine derartige sein, 
dass sie bei schlechtem Wetter gut gangbar ist. Thonplatten 
leiden allmählich und werden glatt, auch die Granitplatten 
kommen nicht in Betracht, sie sind zu theuer und werden auch 
bald glatt, eher ist der Cementplattenbelag zu nehmen, wegen 
seiner verhältnissmässigenBilligkeit (3 Cementplatten = 1 Granit¬ 
platte). Zu empfehlen ist der Asphalt, derselbe bleibt immer 
rauh und fugenlos (gut gegen die Unreinlichkeit), er ist stets 
wieder verwendbar. 

Nothwendig ist ein guter Asphalt, kein Surrogat, sondern 
Guss- oder Stampfasphalt. Der letztere eignet sich am besten 
für die Fusssteige, ist jedoch sehr theuer. Sehr zu empfehlen 
ist noch der Mosaik, ein weicher Stein, der nicht glatt wird, 
nicht zu theuer, kann leicht aufgerissen und wieder verwendet 
werden. Der Mosaik ist durchlässig, geht beim Frost auf und 
nieder, bricht nicht. Man geht bequem auf diesem Boden. Der 
Bürgersteig kann auch in mehrere Streifen eingetheilt werden, 
so bei den Häusern Mosaik, für’s Gehen Asphalt, bei den Bäumen 
eine Kiesbeschüttung. 

Die Chausseen in den Städten müssen als veraltet angesehen 
werden wegen ihrer grossen Unterhaltungskosten und wegen der 
grossen hygienischen Gefahren (Staub und Schlammbildung). 
Die Ausgiessung der Chaussee mit Pech ist nicht brauchbar. Das 
Steinpflaster dürfte für die meisten kleineren und mittleren 
Städte am meisten allen Bedingungen entsprechen. Stark be¬ 
fahrene Strassen wären unten mit Beton zu befestigen. Senk¬ 
ungen .würden vermieden werden. Dagegen würden sehr starke 


Geräusche erzielt werden. Die Fugen müssen mit Asphaltpech 
ausgegossen werdeu, wodurch auch bei gewöhnlichen Strassen 
schon viel gewonnen wird: Verhinderung der Einnistung des 
Strassenschmutzes, gute Befestigung. Bei schlechtem Unter¬ 
grund müssen die Strassen mit Drainagen versehen werden, so 
bei Thonboden. 

Das Material für die Fahrbahnen wird sich je nach der 
Lage der Stadt und der Billigkeit des Materials richten müssen. 
Im Allgemeinen sind die weichen Steine mehr zu empfehlen, 
diese werden nicht glatt. Das Format der Steine darf nicht zu 
gross sein, die Abnützung macht sonst die Steine zu schlecht: 
10:16 ein ist zu empfehlen. Bei ebenen Strassen können die 
Steine breiter genommen werden, bei Steigungen schmäler. — 
Die künstlichen Steine haben bisher die natürlichen nicht er¬ 
reichen können, am besten brauchbar sind noch die Schlacken¬ 
steine; diese sind sehr gleichmässig, sehen gut aus, sind fast 
geräuschlos. Der Fussgängerverkehr macht sie rasch glatt (bei 
den Traversen), für den Fuhrwerksverkehr sind sie durchaus 
brauchbar. Neuerdings wird ein Mannesfelder Stein verbreitet, 
der nicht glatt werden soll. Bei Gossen kann der Stein gut ge¬ 
nommen werden, auch bei Radfahrwegen. 

Die Herstellung der Strassendämme mit Cement ergibt zu 
starren Grund, dauert auch viel zu lange. Die Bestrebungen 
für geräuschloses Pflaster und die Gründe liiefür sind bekannt. 
Verwendet wird Holz und Asphalt. Der Stampfasphalt ist un¬ 
durchlässig, elastisch, nicht zu theuer, gut ausbesserungsfähig, 
er kann jedoch nur bei vollkommen ebenem Terrain höchstens 
bei einer Steigerung von 1:100 gebraucht werden. Die Zug- 
thiere müssen darauf erst laufen lernen. Asphalt sollte nur in 
der ganzen Stadt, sonst nicht, verwendet werden, da es sonst stets 
eine Quelle des Aergers und Verdrusses ist. (Geht wohl zu weit. 
Der Ref.) 

Das Holzpflaster ist in der Herstellung gerade so 
theuer, jedoch in der Unterhaltung beträchtlich theuerer. (8 bi.-» 
10 Jahre haltbar gegen 15.) Das Holzpflaster hält den Schmutz 
an sich, wegen seiner Dehnung in den wannen Tagen kann cs 
nicht in breiten Strassen angewendot werden. Bei mässigen 
Steigungen ist Holzpflaster brauchbar. Man nimmt weiches 
Material und bestreut dies mitKies. Gut soll das australischeHolz 
sein, es soll sich oben nicht abrunden (erst weitere Versuche!). 
Als Fortschritt ist das Kleinpflaster anzusehen: Es besteht darin, 
dass man die Decklage der Chausseen ersetzt durch ganz kleine 
Pflastersteine, ähnlich dem Mosaik, die dann festgewalzt werden. 
Diese Strassenbefestigungsart eignet sich gut für die Wohn- 
strassen, ist leicht zu reinigen und sieht gut aus. 

Herr Weyl: Die Schädigungen der Gesundheit, welche 
durch die Abnützung des Pflasters eintreten, sind der Verbreitung 
der kleinen Staubtheilchen zuzuschreibon. Im Strassenschmutz 
kommen alle Arten von Bacillen vor, so die der Tuberkulose, des 
Starrkrampfes, der Pneumonie, Diphtherie, Wundinfektions¬ 
krankheiten. Der Staub bringt auch eine Schädigung der 
Schleimhäute auf mechanischem Wege zu Stande, die spitzen 
Fortsätze des Staubes reizen und verletzen die Schleimhäute und 
in diesen feinsten Risswunden können sich jene Krankheits¬ 
erreger ansiedeln. Die Abnützung des Pflasters muss daher mit 
Rücksicht auf jene Krankheitsgefalireu eine möglichst geringe 
sein, Holz- und Asphaltpflaster sind wegen ihrer Ruhe ausserdem 
die bevorzugtesten. Holzpflaster ist überall in der Anlage im 
Abnehmen begriffen. Asphalt ist wegen seiner glatten Oberfläche 
leichter zu reinigen. Bei Steinpflaster sind wegen der Reinlich¬ 
keit die Fugen mit Asphalt auszugiessen. 

Macadam und Holzpflaster lassen sieh schwer reinigen, die 
Walzen nehmen jedesmal von der Oberfläche etwas ab, machen 
die Strassen rauh und dies fürchtet man vom hygienischen Stand¬ 
punkte aus. 

Dass der Untergrund nicht verunreinigt werden darf, wird 
allseitig anerkannt. 

Reitwege gehören nicht in das Innere der Stadt mit Aus¬ 
nahme der grossen Pracht- und Promenadestrassen. Die Reit¬ 
wege sind wegen der Ueberschwemmung durch zu viel Regen 
zu drainiren. 

Die Zahl und Art der auf der Strassenoberfläche befindlichen 
Keime kommen nicht in Betracht, wenn dafür gesorgt wird, 

a) dass die Strasse feucht erhalten wird; 

b) dass sie in hygienisch zulässiger Weise entwässert wird; 


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1632 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


c) dass der Strassenkeliricht- feucht auf gesammelt und feucht 
abgefahren wird. 

Eino Desinfektion der Strassonoberfläche ist möglich, hat 
jedoch nicht viel Werth. Eignen würde sich Kalk oder eine ver¬ 
dünnte Säure. Kalk sieht aber nicht schön aus, starke Säuren 
sind unbrauchbar, weil die Hufe, Sohlen, Kleider ruinirt würden. 
Nothwendig kann die'Desinfektion werden, wenn ein infektiöser 
Leichnam die Strasse verunreinigt hat. Die Desinfektion der 
Drosehkenlnilteplätze ist. vollkommen entbehrlich. Hier wird 
immer Desinfektion und Reinlichkeit verwechselt. 

Die Strassen müssen in richtiger Weise entwässert werden, 
sorgen wir dafür, so ist der Reinlichkeitszustand auf’s höchste 
Maass gebracht; hiezu brauchen wir Wasser und immer wieder 
Wasser, das schleunigst wieder zu beseitigen ist. Iliebei Scho¬ 
nung des Untergrundes. 

Die Methoden der Strassenreinigung: Die Handarbeit und 
die Handbesen sind in grossen Städten durch Maschinen zu er¬ 
setzen. Die Kehrmaschinen kehren rasch und gründlich, jedoch 
sind trockene Kehrmaschinen nur bei feuchtem Wetter oder nach 
vorheriger Besprengung der Strassen zu gestatten. Bei trockenem 
Wetter sind nur nasse Kehrmaschinen anzuwenden. Empfehlens- 
werth sind solche Kehrmaschinen, welche die Strasse zugleich be¬ 
sprengen und den Kehricht aufladen. Neuerdings wird von 
Düsseldorf eine Kehrmaschine „Salus“ in Verkehr gebracht, die 
sprengt, kehrt und nufsammelt. Salus ist auch l>ei ganz un¬ 
ebenen Strassen brauchbar und sehr zu empfehlen. 

Die in Amerika äugest eilten Versuche über die Besprengung 
der chaussirten Strassen mit Rohpetroleum wären auch in 
Deutschland nachzuahmen. Es kann hiedurch die Staubent¬ 
wicklung beträchtlich eingeschränkt werden, wenn die Oberfläche 
der Strassen einen Thon besitzt, welcher sich mit dem Petroleum 
verbindet; cs ist dies auch bei einigen anderen Gesteinsarten 
möglich. 

Den Kehricht durch Einwurf in die städtischen Siele zu be- 
scitigen, ist unzweckmässig, geschieht auch in Deutschland kuum 
mehr, schon der hohen Kosten wegen, welche das Herausschaffen 
des Schmutzes uus dem Flusse macht. 

Die Beseitigung des frischgefallenen Schnees aus den 
städtischen Strassen, namentlich aus den Verkehrsstrassen, er¬ 
folgt am schnellsten und billigsten 

a) durch Einwurf in die Strusscnsicle mittels besonderer 
Schneesehäehte;. 

b) durch Einwurf in den nächsten Fluss. 

Dies Gesetz ist wohl allgemein angenommen: Die Reinigung 
und Besprengung der Strassen ist Sache der Gemeinden. 

Aus der Debatte ist hervorzuheben: Haurath v. Sc holt z- 
Hrcslau empfiehlt für Gehsteig»* Cementplatten, da er bei 
starkem Verkehr zu grosse Abnützung des (Jussasphalts 
und Stampt'asphalts fdrehtet. Hin Wiesbadener Haurath macht 
auf das Abspülen und Abwaschen der Strassen im Frühjahr und 
Herbst aufmerksam. Das Hesprengen des Strassenkehrichts ist 
bei recht trockenem Wetter einige Zeit vor dem Kehren vor¬ 
zunehmen. Das Besprengen mit Petroleum eigne sich wohl wegen 
seines Geruchs nur für Eisenbahnst recken, nicht für Strassen. 
Haurath II a u s e r- Berlin möchte einen belgischen Stein zum 
Pflastern verwandt sehen, bringt ferner Vorschläge zum Unter¬ 
halt des Holz- und Asphaltpflasters: Bestreuen des Stampf¬ 
asphaltes mit Elbkies, der fast nicht staubt. Bei Holzpflaster nur 
gleichaltrige Holzarten. Verschiedenartige Fugen je nach der 
Härte des Holzes. 

Prof. F r a e n k e 1 - Halle macht auf die zunehmende Nervosi¬ 
tät aufmerksam, welche in nicht geringem Mnasse auf die Ge¬ 
räusche der Strassen zuriickfülirbar ist. Zu vergessen sind jedoch 
hierbei nicht die Geräusche, welche die elektrischen Bahnen, Milch¬ 
händler, Briquettsverkäufer etc. machen. Iliegegen sollten die 
Stadtverwaltungen wirken. 

Nach tlcn üblichen Dankesworten seitens Jos Herrn Vor- 
sitzcnJen wurJe Jie diesjährige Tagung Jes Deutschen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege geschlossen. 

Am Nachmittage gab Jie StaJt Rostock eine Lustfahrt über 
Warnemünde in die Ostsee. Tags hernach fand noch ein gemein¬ 
samer Ausflug nach Dolx*ran und Heiligendamm statt. 

Sigmund Merkel- Nürnberg. 


Preussischer Medicinalbeamten-Verein. 

XVIII. Hauptversammlung am 13. und 14. September 

1901 zu Berlin. 

(Eigener Bericht) 

(Schluss.) 

Die Verhandlungen des zweiten Tages werden durch eincu 
Vortrag des Med.-Itathes Dr. Wernicke, Direktors des hygie¬ 
nischen Institutes in Posen, über die Schutz- bezw. Desinfektions¬ 
maassregeln während des Bestehens einer gemeingefährlichen 
Krankheit elngeloitet. Nachdem Redner den Nutzen und die Be¬ 
deutung der nach Fliigge’scheu Priucipieu eingeführten For- 
umliiidesiiifektioii betont hat, gibt er einen kurzen historischen 
Rückblick über Schutz- und Desinfektionsmmissnahuieu während 
des Bestehens einer gemeingefährlichen Krankheit Der beste 
Schutz gegen eine gemeingefährliche Krankheit ist die Iminuni- 
s i r u n g d e r G esuude n tlieils durch allgemeine hygienische 
Maassimhmen, tlieils durch Immuulslruug des einzelnen Indi¬ 
viduums, und rasche Heilung der Kranken vermöge aetiologischer 
Therapie. Im Anschluss au die gewaltige .Tenne Fache Ent¬ 
deckung und in Fortführung der Gedanken dieser besten, bisher 
unerreichten Schutzmethode hat Pasteur zuerst in bewusster 
Weise speciflsclie Schutzmanssnahinen gegen gemeingefährliche 
Krankheiten ersonnen, während Koch zunächst die Prophylaxe 
in der systematischen Ein- und Durchführung hygienischer Maass- 
nalimen im weitesten Sinne erstrebt hat. die sich tlieils auf die 
Vernichtung dos InfektionsstotTes, tlieils auf prophylaktische 
Maassimhmen liezogen. K o c h’s grosses Verdienst Ist es, in ziel¬ 
bewusster Weise solche Bekämpfmigsmaassnalinien ersouueu zu 
halten, welche die vom Kranken ausgegaugenen Iufektionsstoffc 
wirklich vernichteten und der Verbreitungsart der verschiedenen 
Iufeklionsstoffe augepasst waren. Hinwiederum hat Behriug 
den Gedanken der i n u e reu Desinfektion verfolgt und 
gegen die eigentlich kraukuiachenden Ageutieu, die Stoffwechsel 
Produkte der Bakterien, wahrt* Antikörper gefunden, weiche bei 
Diphtherie und Tetanus tlie wirksamsten Schutzumassregeln tlar- 
stellen und bei der Diphtherie auch als sichere Heilmittel aner- 
kauut. sind. Gegen die septischen Infektionskrankheiten halten 
sieh bisher analoge, sicher wirkende Antikörper nicht aufflnden 
lassen. Iller scheint der Schutz, wie bei den Pocken, in der Ver¬ 
wendung von sog. aktiven I iu in u n i s i r u n g s m e t h o d e u 
zu liegen, dg reu Wirksamkeit und Uugefülirlichkeit für alle Ver¬ 
hältnisse noch nicht voll nachgewlesen ist. Imlessen stellt zu 
hoffen, dass auch die von Pfeiffer zuerst genauer studirteu. 
antibakteiiell wirkenden Körper für Schutz- und Immunisirung 
bei septischen Krankheiten werden Verwendung tlndeu können. 
Es besteht, wie uns die bewunderungswürdigen Arbeiten Ehr- 
11 c h’s lehren, das Vorhandensein streng gesotzulässiger Bezieh¬ 
ungen zwischen specltisehen Reizen und dem Auftreten specifischer 
Antikörper im Blute. Anders geartet als die toxischen und sep¬ 
tischen Krankheiten ist die Tuberkulose; hier verbeisst bei reinen 
und noch nicht zu weit vorgeschrittenen Fällen die von Koch 
nngegelieue Behandlung bei methodischer Anwendung Erfolg, wie 
namentlich die schönen Untersuchungen von Petruscliki. 
Krause und neuerdings von Goetseh lehren. Dürfen wir 
hier weitere Erfolge abwarten, so hat das Tuberkulin als Dia- 
gnosticum und somit als exquisites .Schutzmittel gegen Tuber¬ 
kulose allseitige Anerkennung gefunden. Im Uebrlgen herrscht 
bezüglich unserer Schutz- und Dcsinfcktiousmaassnahmen bei Tu¬ 
berkulose noch keineswegs volle Klarheit; das lehrt die neueste 
K o c h'selie wichtige Feststellung von der Nicht-Identität der 
Menschen- und Thier tuberkulöse. Besteht die Ansicht zu Recht 
— und Redner stellt durchaus auf dem K o c h’schen Stand¬ 
punkte —, so ist die Prophylaxe der Tuberkulose viel einfacher 
und sicherer, und die erfolgreiche Bekämpfung der Tuberkulose 
in greifbare Möglichkeit gerückt Bei allen Infektionskrankheiten, 
zu denen mich den neuesten Entdeckungen auch die Malaria ge¬ 
hört, liaheu wir aller, gleichgütig, oh für sic speciflsclie Sclintz- 
heilmethoden exlstireu oder nicht, noch gegen die Verbreitung der 
Krankheit besondere Verhütungs- und Desinfektionsmaassuahmen 
zu treffen, und diese Mnassnalimen haben sich genau nach der er¬ 
kannten Verbreitungsart des Erregers der betreffende« Infektions¬ 
krankheit zu richten. Redner erörtert an einigen Beispielen diese 
Maassimhmen und ihre Methodik, die übrigens in der neuen 
Dienstanweisung für die Kreisärzte ausgezeichnete Darlegung er¬ 
fuhren im heil. Unter Führung der Aerzte und der medldnIschen 
Wissenschaft muss es gelingen, mit Hilfe des Staates, der Kom¬ 
munen und Bürger die endemischen weitverbreiteten Infektions¬ 
krankheiten. wie Tuberkulose, Typhus. Scharlach etc., zu seltenen 
Krankheiten zu machen, wie es Pocken und Lepra bei uns ge¬ 
worden sind. 

Die ain ersten Tage der Verhandlungen gewühlten Kassen¬ 
revisoren ertheileu dem Vorstande Deeharge. Es folgt die Vor- 
standswnlil. Reg.- und Geh. Medicinalrath Dr. Rapinund- 
Mindeii, Modiciimlrath Dr. E 11 e n - Berlin. Kreisarzt des Kreises 
Teltow, und Kreisarzt und Medicinalrath Dr. F 1 c 1 i t z - Halle a/S. 
werden wiedergewählt. An Stelle des Krelsphysikus z. D. und 
Geh. Sanitätsrath Dr. W a 111 e h 8 - Altona und des Reg.- und 
Geh. Medicinalraths Dr. B a r n i e k - Frankfurt a. O. werden 
Prof. Dr. Fritz Strass mann - Berlin und Reg.- und Medicinal¬ 
rath Dr. Wodtke - Köslin ln den Vorstand gewählt 

Letzter Gegenstand der Verhandlungen ist die Besprechung 
der Dienstobliegenheiten des Kreisarztes nach der neuen Dienst¬ 
anweisung, auf Grund von Anfragen aus der Versammlung. Zur 


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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1633 


Besprechung leitete der Vorsitzende mit allgemeinen Ausführungen 
über die neue Dienstanweisung über. 

Die Thütigkeit der Kreisphysiker, so etwa führte Dr. Bap- 
m n n d aus, war ln den einzelnen Regierungsbezirken verschieden, 
je nach den Verfügungen des betreffenden Regierungspräsidenten, 
und dieser Zustand hatte nachtheilige Rückwirkungen. Jetzt da¬ 
gegen bestehen den Wünschen der Medlcinalbeamten gemäss für 
die ganze Monarchie geltende, einheitliche Vorschrifteu. Im (Je¬ 
setz selbst sind die Obliegenheiten des Kreisarztes nur im All¬ 
gemeinen geschildert, die betreffenden Paragraphen sind aus¬ 
reichend als Grundlage für die Regelung der Diensttliiltigkeit. So¬ 
mit war es nothwendig. diese summarische Grundlage im Ein¬ 
zelnen auszuführen, so dass jeder einzelne der Mediclnall>eamten 
genau weiss, was er zu thun und zu lassen hat. Die amtsärztliche 
Thütigkeit des Kreisarztes stellt auch nach dem neuen Gesetz 
und nach der Dienstanweisung Immerhin künftig in erster Linie 
eine berathende uud überwachende dar. Sie unterscheidet sich 
aber dadurch, dass dem Kreisarzt nunmehr das Recht und die 
Pflicht der Anregung, der sog. Initiative, übertragen ist, so dass 
mit dem früheren Grundsatz endgiltig gebrochen ist, nach dem der 
Physikus lediglich technischer Berather war, niemals aus eigener 
Anregung, nicht ex officio, sondern erst nach Aufforderung seitens 
der Behörde dlö erforderlichen Dienstreisen und notliweiullgen 
Untersuchungen machen durfte. So lange eine solche Bestimmung 
bestand, war an eine entsprechende Wirksamkeit nicht zu denken. 
Nur wenn der Kreisarzt sich aus eigenem Antriebe über die sani¬ 
tären Verhältnisse seines Bezirkes unterrichten kann, vermag er 
seiner vornehmsten Aufgabe, Krankheiten zu verhüten oder in 
ihren ersten Anfängen zu ersticken, gerecht zu werden. Das Recht 
der Initiative gibt dem Kreisarzt eine viel grössere Selbständigkeit, 
wie er sie früher hatte, und diese grossen* Selbständigkeit hat zu 
Befürchtungen Veranlassung gegeben, die Kreisärzte könnten den 
Verwaltungsbehörden unbequem werden, so dass Konflikte herauf- 
beschworen würden. Redner hält derartige Befürchtungen für 
unbegründet. In anderen Staaten haben die Kreisärzte noch 
grössere Rechte, ohne dass es zu Konflikten käme. Uud daun 
hat ja der Kreisarzt eine anordnende und vollziehende, also eine 
executive Thütigkeit überhaupt nicht; er soll auch gar nicht das 
ausführende, sondern das anregende Element sein. Gestützt auf 
seine technischen Kenntnisse uud praktischen Erfahrungen, sowie 
auf seine Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen und den 
einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, soll er der zuständigen 
Behörde mit Rath zur Seite stehen, sie von der Nothwendigkeit 
der erforderlichen hygienischen Muassregelu zu überzeugen suchen 
und sie bei ihrer Durchführung unterstützen. Da die Gesund¬ 
heitspflege in die verschiedensten Gebiete eingreift, so ist es er¬ 
forderlich, nur solche Anordnungen vorzuschlagen, die sich be¬ 
währt haben, deren Wirksamkeit erwiesen ist. Durch später sich 
herausstelieude Missstände schadet der Kreisarzt nicht nur der 
amtlichen Autorität, sondern auch den Bestrebungen der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege. Seine Gutachten uud Vorschläge seien 
ln bestimmter Form gehalten. Andererseits seien nicht halbe 
Maassregeln zu treffen, sondern das einmal fiir richtig Erkannte 
konsequent durchzuführen. Immer sei die finanzielle Leistungs¬ 
fähigkeit der Gemeinde zu berücksichtigen. Zum Schluss gibt 
Re<lner der Zufriedenheit der Kreisärzte mit der neuen Stellung 
und der Genugthuung Uber das Erreichte Ausdruck. 

Nunmehr folgt die Besprechung der einzelnen, von Mitgliedern 
gestellten Fragen. Wir beschränken uns darauf, die allgemein 
interessirenden Punkte zu sklzziren. 

Die Revision der Molkereien seitens des Kreisarztes wird all¬ 
seitig als erforderlich betrachtet. Nach der Dienstanweisung be¬ 
darf es auch zur- Besichtigung der Molkereien keines besonderen 
Auftrags. In einem Regierungsbezirke sind die Kreisärzte direkt 
ajpgewiesen, die Molkereien zu kontroliren. Macht ein Molkerei¬ 
besitzer Schwierigkeiten, so nimmt man die Hilfe der Ortspolizel- 
behürde in Anspruch. 

Nicht nur die Aerzte, welche sich behufs Ausübung der ärzt¬ 
lichen Berufsthätigkeit niederlassen, sondern auch die stellver¬ 
tretenden Aerzte, welche zu- und abziehen, unterliegen der durch 
Polizeiverordnuug geregelten Meldepflicht beim Kreisarzt. Die 
Militärärzte pflegen Schwierigkeiten zu machen, wenn sie der 
Meldepflicht genügen sollen. Der Kreisarzt verlangt die Vorlegung 
nicht nur der Approbation, sondern auch, vorausgesetzt, dass der 
Meldende Doktor ist, des Doktordiploms. Ein Arzt hat sich ge¬ 
weigert, das Doktordiplom vorzulegen, und die Ortspolizeibehörde 
hat es abgelehnt, einzuschrelteu. Der betreffende Kreisarzt hätte 
heim Regierungspräsidenten Beschwerde führen sollen.. Von 
anderer Seite wird betont, der Kreisarzt könne und solle von der 
Vorlegung der Approbation Abstand nehmen, wenn der Stellver¬ 
treter ein älterer ihm bekannter Arzt sei. 

Die Dienstanweisung besagt in dem Kapitel Uber die Beauf¬ 
sichtigung der Hebammen, dass, wenn in der Praxis einer Heb¬ 
amme ein Fall von Kindbettfleber oder ein Todesfall lm Wochen¬ 
bett voxkommt, der Kreisarzt an Ort und Stelle Ermittelungen 
anznstellen habe, nach der Richtung hin, ob von der Hebamme 
alle zwecks Verhütung und Weiterverbceitung des Kindbettfiebers 
erlaaseuen Vorschriften beachtet worden sind. Da in vielen Fällen 
schon durch die Meldung unzweifelhaft festgestellt ist, dass das 
Wochenbettfleber nicht durch die Schuld der Hebamme entstan¬ 
den ist, so wird vorgeschlagen, eine Modifikation dieses Passus 
der Dienstanweisung in dem Sinne zu beantragen, dass der Kreis¬ 
arzt nicht die Pflicht, sondern dos Recht habe, in jedem Falle an 
Ort und Stelle Ermittelungen anzustellen, also eventuell eine 
Dienstreise zu machen. Gegen diesen Vorschlag wendet sich der 
Vorsitzende mit grosser Schärfe. Dabei wird ein Fall zur Sprache 


gebracht, in dem der Kreisarzt in einer besseren Familie die ihm 
durch den angeführten Pussus der Dienstanweisung übertragene 
Pflicht erfüllen wollte, aber zur Wöchnerin nicht vorgelassen 
wurde. Der Vorsitzende weist darauf hin, dass man ln solchen 
Fällen nur dann die Ermittelungen anstellen dürfe, wenn dies 
ohne Schädigung der Kranken möglich wäre. Die Sache hätte 
übrigens 2 Seiten; wie der Kreisarzt bei Verstüsseu der Hebamme 
das Erforderliche zu veranlassen habe, so müsse er sie anderer¬ 
seits lK*i unverschuldeten Unglücksfällen in ihrer Praxis gegen 
Vorwürfe und Beschwerden mit Nachdruck in Schutz nehmen. 

Im Anschluss an die Besprechung des Wochenbettflebers ge¬ 
langt die Versammlung zur Erörterung der Frage, was zu ge¬ 
schehen habe, um die schnelle Kenntnis» von Totlesfällen an an¬ 
steckenden Krankheiten zu sichern. In den verschiedenen Be¬ 
zirken werden verschiedene Verfahren geübt. Als das beste Ver¬ 
fahren hat sich erwiesen, durch Pollzeiverorduung den Haus- 
haltungsvorstäuden die Meldepflicht aufzuerlegen. Das radikalste 
Vorgehen bestünde ln der Einführung der obligatorischen ärzt¬ 
lichen Leichenschau; diese sei freilich ein frommer Wunsch. 

Der nächste zur Besprechung gelangende Punkt betrifft di«' 
Mitwirkung des Kreisarztes bei der Gewerbeaufsicht, die gesund¬ 
heitliche Beaufsichtigung staatlicher Betriebe und die Mitwirkung 
bei der Konzessionlrung gewerblicher Anlagen. Die Besichtigung 
eines Betriebes ist dem Kreisärzte nicht ohne Weiteres erlaubt; 
der Inhaber des Betriebes ist nicht verpflichtet, «lern Kreisarzt den 
Zutritt zu gestatten. Es wird der Rath ertheilt, im Weigerungs¬ 
fälle die Hilfe der Ortspolizeibehörde in Anspruch zu nehmen uud 
dagegen wiederum eingewendet, «lass auch «lie Ortspolizeibehörde 
nicht ohne Weiteres das Recht hals*, die Betriebsstiitte zu betreten. 
Unter diesen Umständen bleibt dem Kreisarzt nichts übrig, als 
sich mit dem Gewerbeiuspektor in Verbindung zu setzen und mit 
ihm gemeinschaftlich nach Bedürfuiss die Anlagen, insbesondere 
solche, deren Betrieb vorzugsweise Gesundheitsstörungen im (Je¬ 
folge lint, zu besichtigen. Dagegen besteht kein Zweifel über die 
Berechtigung des Kreisarztes, eigenmächtig den Gewerbebetrieb 
zu betreten, wenn dort ein Fall von ansteckender Krankheit vor¬ 
gekommen ist. In gleicher Weise wie die privaten Betriebe hat 
der Kreisarzt die in seinem Bezirk belegeuen, unter die Vor¬ 
schriften der Reichsgewerbeordnung oder des allgemeinen Berg¬ 
gesetzes fallenden Staatsbetriebe gesundheitlich zu beaufsichtigen. 
In Bezug auf die Besichtigungen und Gutachten Uber die Ge¬ 
nehmigung zur Errichtung, Verlegung oder Veränderung von ge¬ 
werblichen konzessiouspfllchtigeu Anlagen wird die Frage auf¬ 
geworfen, ob der Kreisarzt für diese seine Bemühungen Honorar 
zu beanspruchen hat. Theoretisch einigt man sich dahin, die Ent¬ 
scheidung davon abhängig zu machen, ob die Besichtigung im 
öffentlichen Interesse oder lm Interesse des Konzessionsbewerbes 
erfolgt; im letzteren Falle stehen dem Krelsurzte Gebühren zu, 
die der Konzessionsbewerber zu entrichten habe, während lm 
ersteren Falle die Besichtigung zu den Dienstobliegenheiten des 
Kreisarztes gehöre. In der Praxis wird die Frage in den einzelnen 
Bezirken verschieden behandelt, ln manchen Bezirken erhalten 
z. B. die Kreisärzte für derlei Besichtigungen immer Honorar, 
gleichgiltig in wessen Interesse die Thütigkeit ausgeübt wurde. 

Der Vorsitzende bringt dann einen Antrag des Stettiner 
MedicinalbeamtenvereinB zur Sprache, dahingehend, die Versamm¬ 
lung möge bescldiessen und dahin wirken, dass die Medieinal- 
bearuten mit Rücksicht auf ihre Ausnahmestellung in Bezug auf 
die staatliche Ehrengerichtsbarkeit von der Umlage der Aerzte- 
kammern befreit werden, Insoweit die Kosten für die Ehren¬ 
gerichte in Betracht kommen. Der Vorstand des preussischen 
Medicinalbeamtenvereins hat diesen Antrag aufgenommen, ja er 
geht noch weiter. Er unterbreitet der Versammlung den Antrag, 
zu besclillessen, die Mediciualbeamten tragen zur Umlage nur bei, 
soweit die geschäftlichen Unkosten der Aerztekammeru in Frage 
kommen (also nicht zu den Kosten der Ehrengerichte), dagegen 
bleibt es den Medlcinalbeamten überlassen, ob sie zu Unter- 
stützuugszwecken für Standesmitglieder 1 »eisteuern wollen oder 
nicht. Wenn sie jetzt auch Anspruch auf Pension hätten, so wolle 
man ihnen doch das Recht wahren, von der Aerztekaminer Unter¬ 
stützung zu verlangen, für deren Gewährung nicht Bedürftigkeit 
mnassgebend sei. Der Verein beschliesst im Sinne dos Antrags 
des Vorstandes. 

Schliesslich gelangt noch die Kurpfuscherei zur Erörterung. 
Der Kreisarzt ist verpflichtet, sich über die Verbreitung der Kur¬ 
pfuscherei in seinem Bezirke zu unterrichten. Du er bei der Er¬ 
füllung dieser Aufgabe auf Schwierigkeiten stösst, hat man vor¬ 
geschlagen, die Kurpfuscher gleich den Aerzten zur Meldung beim 
Kreisarzt zu verpflichten. Dagegen hat mau deu Ein wand er¬ 
hoben, das Publikum werde dadurch iu «len Glauben versetzt 
werden, die Pfuscher würden, vom Staate beaufsichtigt und an¬ 
erkannt. In Minden sind, wie der Vorsitzende Dr. Rap m und 
mitthellt, die Pfuscher durch Polizeiverordnuug zur Meldung beim 
Kreisarzt verpflichtet; dass sie dadurch in ihrem Ansehen beim 
Publikum gestiegen sind, davon hat man nichts gemerkt Recht 
sonderbar seien mitunter die Ausweise, welche die Pfuscher über 
ihre Vorbildung und Befähigung für den Heilberuf vorlegen. 

Der Vorsitzende schliesst «lie Verhandlungen mit dem Aus¬ 
druck warmen Dankes für die Neuerungen, die das Kreisarzt¬ 
gesetz und die Dienstanweisung zur Folge gehabt. Geplant war 
für den Nachmittag der Besuch der Erholungsstätten vom Rothen 
Kreuz zu Pankow und Schönholz und der Besuch des zoologischen 
Gartens behufs Besichtigung einer Enteisenungsauluge. Bei der 
recht eifrigen Thütigkeit des Jupiter Pluvius zog es Referent vor, 
unter Dach und Fach zu bleiben. P. II. 


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1634 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 4L 


Vereinigung westdeutscher Hals- und Ohren-Aerzte 

in Köln. 

VII. Sitzung vom 21. April 1901. 

I. Herr Reinhard -Duisburg spricht über die Vorzüge einer 
neuen sogen. Klemmn&ht zum primären Verschluss der retro- 
auriculären OefFnung an Stelle der bisher üblichen Knopfnaht 
mittels Seide, Catgut oder Draht. Diese neue Methode ähnelt 
dem bereits zur Mitte vorigen Jahrhunderts von Vidal an¬ 
gegebenen Verschluss von glatten Hautschnittwunden durch 
kleine federnde Klemmen, die sogen. Serres fines. Cfr. V i d a l’s 
Opera tionslehre. 

Anstatt dieser V i d a l’schen Klemmen werden die von 
Roser angegebenen Hnkenschieberpincetten benutzt, mittels 
welcher, die Hautränder möglichst exakt aneinander gelegt und 
befestigt werden in Zwischenräumen von ca. 1 cm. 

Während des Verbandes bleiben die Klemmen liegen. 
Zwischen je 2 Klemmen und längs der Wunde werden Gaze¬ 
streifen gelegt, so dass der Verband einen Druck von oben und 
von der Seite ausüben kann. Ein Assistent muss während des 
Verbandes die Klemmen parallel nebeneinander und senkrecht 
vom Kopf halten. 

Erst nach beendetem Verband werden die Klemmen entfernt 
und die in dem Verband entstandenen Löcher durch aufgelegte 
Watte oder Gaze verschlossen. 

Nach 4—5 Tagen Wechsel des Verbandes. Bei prima 
intentio glattes Aneinanderkleben der Wundränder, die jetzt mit 
Gazestreifen und Collodium bedeckt werden. 

Vermeiden von Infektion, Stichkanaleiterung etc. eher mög¬ 
lich. Durch früheres Fortlassen des grossen Verbandes 
schnellere Entlassung aus dem Krankenhaus. 

Zum Schluss Besprechung der Frage, welche Fälle von 
Totalaufmeisselung einen primären Verschluss zulassen. 

Ausgeschlossen sind: Tuberkulose und die Fälle, bei denen 
sich die Caries nicht mit aller Sicherheit bei der ersten Opera¬ 
tion entfernen lässt, wie z. B. bei Sitz der Caries am Boden der 
Pauke und an der hinteren unteren Paukenwand. 

Sodann Vorstellung eines in obiger Weise operirten Pa¬ 
tienten, der mit glatter lineärer Narbe 10 Tage nach der Opera¬ 
tion aus dem Krankenhaus entlassen wurde. 

Dlscussion: Herren Schmitz und H o p in a n n. 

II. Herr Hopmann: a) Anomalien des Nasenrachen¬ 
raums, erläutert an zwei Fällen von Naseneiterung: mit sogen. 
Reflexneurosen. (Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser 
Wochenschrift.) 

b) Kirschkemrhinolith. 

Vor einigen Jahren theilte Ich den Fall von dreifachem Nasen¬ 
stein bei einem 42 Jährigen Manne mit, der sich ausserdem noch 
dadurch auszeichnete, dass die Rhinollthen eine sehr reichliche 
Bildung von Nasenpolypen zu Wege gebracht und diese wieder 
reflektorische Störungen erzeugt hatten, unter denen Störung des 
Sehens (Sehschwäche, Augenflimmern) und des Gleichgewichts 
(Schwindel, taumelnder Gang) hervorragten. In allen 3 Nasen¬ 
steinen war das Centrum ein Kirschkern. Diese waren, wie nach¬ 
träglich mit vieler Mühe anamnestisch festgestellt wurde, wahr¬ 
scheinlich 30 Jahre früher bei Gelegenheit von heftigem Erbrechen 
nach reichlichem Genuss von Kirschen, welche mit den Steinen 
verspeist worden waren, von hinten her durch die Choanen in 
die Nasenhöhle gerathen, bei welcher Gelegenheit sich rechts 2 
und links 1 Kirschstein in den Nasengängen verkeilt hatten. 

Auch der Fall, den ich Ihnen jetzt in aller Kürze referiren 
will, betrifft einen Nasenstein, ln dessen Centrum ich einen Kirsch¬ 
kern als Ausgangspunkt der Versteinerung entdeckte. Auch dieser 
Stein hatte eine Jahre lang bestehende stinkende Naseneiterung 
zur Folge gehabt und namentlich auch eine Verstopfung der 
Thrilnennasenwege. 

Die Kranke, eine 53 jährige Köchin, litt seit vielen Jahren an 
linkseitigem Thränentrüufeln, wesshalb sie ebenfalls Jahre lang 
augenärztlich behandelt wurde. Es wurden B o w m a n n’sclie 
Sonden Monate lang eingeführt, Spaltungen etc. vorgenommen, 
ohne dass ein Erfolg erzielt wurde. Die Nase wurde niemals 
untersucht. Nur der letzte Augenarzt, den Patientin konsultirte, 
gab ihr den Rath, die Nase einmal untersuchen zu lassen. Es be¬ 
stand, so lange Patientin sich erinnern konnte, ein eitriger Aus¬ 
fluss mit Foetor und Borkenbildung. Nach Erweichung der Borken 
wurde eine Sondenuntersuchung vorgenommeu. Die Sonde stiess 
in der hinteren Hälfte des unteren Naseuganges auf einen harten 
Körper, in dein ich einen Knochensequester vorinuthete. Bei der Ex¬ 
traktion, die grosse Mühe verursachte, kam ein nach Koth stinken¬ 
der Stein, bezw. ein rauhes, schwarzes Konkrement zum Vor¬ 
schein. Durchgesägt fand sich im Centrum, wie Sie sehen, ein 
Kirschkern. Der Kalkmantel ist zum Theil beim Durchsägen ab¬ 
gesprungen. 


c) Halbseitige Zungenphlegmone. 

48 Jähriger Maschinenwärter, leidet seit 18. Tagen an Schling¬ 
beschwerden. Wie Sie hören (der Kranke wird vorgestellt) klingt 
die Sprache wie l>ei Mandelabscess. Die Rachengebilde sind je¬ 
doch frei von jeder Entzündung, auch Kehlkopf bezw. Kehldeckel 
normal. Die Zunge kann nur wenig vorgestreckt werden. Der 
Zungeugrund zeigt rechts eine harte, rothe Anschwellung, welche 
bei Druck sehr schmerzt. Auch vom Boden der Mundhöhle aus. 
rechts neben dem Frenulum, kann man die Geschwulst abtasten. 
Es handelt sich also um eine Hemiglossitis, die wohl schon zu 
Eiterung geführt hat (Zungenabscess). Patient hat seit Jahres¬ 
frist schon zweimal Mandelentzündung gehabt. Eine solche soll 
auch diesmal Anfangs bestanden haben; Patient trank viel heisses 
Kandiszuckerwasser, das Schluckweh zu beseitigen, doch erzielte 
er damit die Jetzt bestehende Entzündung des Zungengrundes. 
Wahrscheinlich also hat er sich die Zunge verbrüht und den In¬ 
fektionskeimen eine günstige Ansiedelungsstelle am Zungengrunde 
verschafft. 

d) Idiopathischer Retropharyngeal - Abscess bei einem 
Erwachsenen. 

Die Mittheilung des folgendes Falles rechtfertigt sich durch 
die besondere Schwere desselben und durch die relative Selten¬ 
heit von Retropharyngealabscessen bei Erwachsenen, speciell 
solcher Abscessc, die nicht auf cariöser Basis, wie durch Spon¬ 
dylitis entstanden sind. 

Ein 22 jähriger Bäckermeister und Wirth, der sich immer 
guter Gesundheit erfreut hatte und so herkulisch gebaut war, dass 
er die grössten Lasten heben konnte — er wog vor seiner Erkran¬ 
kung 95 kg — wurde plötzlich von Schluckweh und Fieber heim¬ 
gesucht, nachdem er erhitzt ein Glas kalten Bieres eilig getrunken. 
Das Schluck weh trat zunächst rechts auf und wanderte nach 
einigen Tagen auf die linke Seite herüber. Der hinzugezogene 
Arzt stellte eine Angina fest und behandelte sie zweck¬ 
entsprechend. Der Schluckschmerz steigerte sich jedoch von Tag 
zu Tag mehr, so dass am 10. Tage nach dem Beginn der Erkran¬ 
kung selbst Flüssigkeiten unter grossen Qualen nur In geringen 
Mengen mehr heruntergewürgt werden konnten. Auch bildete sich 
zunehmende Athemnoth und ein quälender Husten aus, so dass 
der Kranke kaum noch die Treppe hinaufsteigen konnte. Nächt¬ 
liche Erstickungsanfälle versetzten endlich die bei dem Kranken 
wachende Mutter in solche Aufregung und Angst, dass sie ihren 
Sohn bewog, mit ihr nach Köln zu fahren, obschon die längere 
Eisenbnhnfahrt dem Kranken äusserst beschwerlich fiel. Der 
Kranke war äusserst eiend und matt, als er in der Sprechstunde 
erschien. Er hielt die Zungenspitze etwas aus dem offenen Munde 
vorgestreckt und athmete mühsam keuchend. Die Gewichtsauf¬ 
nahme ergab 79,7 kg, so dass der Kranke in den 18 Tagen der 
Krankheit bereits über 15 kg eingebüsst hatte. 

Die Zunge konnte weit herausgestreckt und ebenso bequem 
niedergedrückt werden, so dass der Rachen gut zu überschauen 
war. 

An der hinteren Rachenwand fand sich nun eine gewaltige, 
schwappende, tief nach unten reichende Geschwulst, deren grösste 
Erhebung deutlich links von der Mittellinie sich befand. Sie 
reichte nach oben hinter das Veluin bis in den Nasenrachenraum; 
ihr unteres Ende war nicht zu ermitteln. 

Es war klar, dass es sich um eine gewaltige Abscedirung der 
hinteren Rachenwand handelte, wesshalb Ich sofort eine Incision 
vornahm. In das vorgehaltene Becken ergoss sich nun in breitem 
Strome ein rahmiger, nicht foetider Eiter, der nach einiger Zeit 
blutige Beimengungen zeigte. Es dauerte wohl eine Viertelstunde, 
ehe der spontane Elterabfluss aufhörte. Die abgeflossene Menge 
betrug etwa % Liter. Da Patient mir unterdessen geklagt hatte, 
er habe sich schliesslich nicht mehr bücken können, so vermuthete 
ich einen cariösen Process der Wirbelsäule, doch kam ich weder 
im Grunde des Abscesses mit der Sonde auf entblösste Knochen, 
noch war die Wirbelsäule bei Druck an irgend einer Stelle 
schmerzhaft oder verdickt. Ich forderte nun den Kranken auf, 
sich zu bücken, was derselbe jetzt schmerzlos ausführte, jedoch 
unter neuem, heftigem Eiterausbruch. Der Eiter stürzt förmlich 
aus Mund und Nase hervor. Hierdurch war der Beweis geliefert, 
dass der Absccss sich bis hinter das Mediastinum posticum, bis in 
die Brustwirbelpartie gesenkt hatte. Aus diesem Grunde nahm 
ich am folgenden Tage eine ausgiebige Spaltung des Abscesses 
nach unten vor,. ohne dass es indessen möglich gewesen wäre, 
die vordere Abscesswand bis an das untere Ende des Abscesses 
aufzuschlitzen; dann sondlrte ich nochmals sorgfältig die Wirbel¬ 
säule und überzeugte mich wiederum von der Intaktheit derselben. 
Den unteren Blindsack des Abscesses suchte ich zu tamponiren, 
doch wurde die Jodoformmulleinlage stets nach mehrstündigem 
Verweilen, welches Beschwerden verursacht, ausgestossen. so dass 
ich schliesslich darauf verzichtete. Der Kranke wurde einige 
Tage mittels Schlundsonde ernährt; konnte dann aber wieder 
Flüssigkeiten verschlucken. Die Heilung der klaffenden Wunde 
nahm 3—4 Wochen in Anspruch. Anfangs erfolgten noch heftige 
Hustenanfälle und war zu beiden Selten im hinteren unteren 
Lungenabschnitt grobblasiges Rasseln nachweisbar. Der Aus¬ 
wurf enthielt nichts Beraerkenswerthes, namentlich keine Tuberkel¬ 
bacillen. 

Die Temperatur war während der ganzen Zeit nicht Uber 
38,2 gestiegen. 

Als Patient nach 9 Tagen mit noch klaffender Wunde das 
Krankenhaus verlless, wurde eine weitere Gewichtsabnahme von 
1 Kilo festgestellt. Er wog jetzt nur noch 78 Kilo gegen 95 Kilo 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1635 


8. Oktober 1901. 


vor 4 Wochen. Erst 8 Tage später konnte ein langsames Au¬ 
steigen und nach weiteren 2—3 Monaten wieder ein Gewicht von 
88 Kilo nachgewiesen werden. Die Wunde war nunmehr gänz¬ 
lich vernarbt und Patient fast ganz wieder im Besitz der früheren 
Kraft. 

Dass es sich bei derartigen Abscessen um höchst lebens¬ 
gefährliche Zustände handelt, leuchtet ohne Weiteres ein. 

Die Gefahr des plötzlichen Berstens der Eiterbeule und der 
Uebersehwcinmung der Luftwege mit Eiter, vielleicht auch des 
Durchbruchs in’s Mediastinum nach so erheblicher Senkung des 
Abscessos, wie im mitgetheilten Falle, liegt nahe genug. In der 
That sind denn auch unter den 18 Fällen von Retropliaryngeal- 
abscess Erwachsener nicht spoudylitischer Herkunft, die man aus 
den bisherigen 16 Jahrgängen des Int. Cent. f. Laryng. zu- 
sanmienstellen kann, 6 Todesfälle verzeichnet. Bei 2 plötzlichen 
Todesfällen fand man erst bei der Sektion als ihre eigentliche 
Ursache einen übersehenen Retropharvngealabseess. 

Für die Aetiologie der „idiopathischen“ Retropharyngeal- 
abscesee ist, wie das jetzt ja auch für die. bei Kindern nicht so 
selten vorkommenden Formen allgemein angenommen wird, Ent¬ 
zündung und Vereiterung bezw. Verkäsung der retropharyngealen 
Drüsen an erster Stelle von Bedeutung. Most hat sich der 
Mühe unterzogen die regionären Drüsen des Pharynx und des 
Naseninnern mit ihren Lymphgefässen genau zu untersuchen. 
Die sehr lehrreiche, durch Abbildung illustrirte Abhandlung be¬ 
weist die Abhängigkeit der Drüsen von der Nasenschleimhaut 
und die reichliche Ausbildung der Drüsen selbst, besonders auch 
unter den lateralen Partien der Schleimhaut. Ich selbst habe 
daselbst, besonders bei Kindern mit adenoiden Formen, mehr¬ 
mals grössere Packete von infiltrirten Lymphdrüsen angetroffen 
und einige Male letztere durch Incision und Aushebelung der 
Drüsen entfernt. 

Ob in unserem Falle die Entzündungserreger von den 
Mandeln her in die Drüsen eingedrungen sind, lässt sich nur 
desshalb vermuthen, weil die Krankheit mit einer „Angina“ be¬ 
gonnen haben soll. Ob auch hier, wie bei dem vorgestellten Falle 
von Zungenphlegmone, der Missbrauch zu lieisser Getränke bezw. 
Gurgelwiisser, welcher auf dem Lande sehr verbreitet ist, die Ent¬ 
zündung so hochgradig verschlimmert hat, vermochte ich nicht 
mit Sicherheit feetzuateilen. 

Discusslon: Herren Schmithuisen, Keller, 

Lleveu, Schuster, Kronenberg, Reinhard. 

Lieveu- Aachen: Ueber extragenitale Syphilisinfektion 
an den Lippen. 

(Der Vortrag ist ln No. 25 der Münch, med. Wocheuschr. 
in extenso erschienen.) 

Discusslon: Herren Schuster, Hopmau n. 

Herr Kronenberg - Solingen: Ueber Behandlung von 
Strumen mit parenchymatösen Injektionen. 

Von der nichtoperativen Behandlung schliesst Vortragender 
zunächst alle diejenigen Strumen aus, welche sich durch beson¬ 
dere Komplikationen, wie maligne Entartung, Cysten, ausge¬ 
dehnte Degenerationserscheinung, excessive Grösse, auszeichnen, 
ebenso diejenigen, bei welchen wegen gefahrdrohender Erschei¬ 
nungen schnelle Hilfe geboten erscheint. Dagegen steht diese 
Behandlung bei den rein parenchymatösen Kröpfen mittleren 
Grades auch jetzt noch im Vordergrund, trotz der bedeutsamen 
Entwicklung der chirurgischen Technik gerade auf diesem Ge¬ 
biete, welche die Strumektomie zu einem relativ ungefährlichen 
Eingriff gemacht hat. 

Die medikamentöse Behandlung, mit Jodpräparaten und 
anderen Mitteln, lässt sehr oft im Stich, auch die Schilddrüsen¬ 
therapie hat an Boden verloren; bei ihr muss sorgfältig indivi- 
dualisirt werden, und eine grosse Anzahl der gewöhnlichen paren¬ 
chymatösen Strumen entzieht sich ihrer Wirkung. 

Den Einreibungen, der Elektrizität, Elektrolyse, Massage etc. 
kommt eine nennenswerthe Bedeutung in der Behandlung der 
Strümen nicht zu. 

Um so grösser ist der Nutzen einer entsprechenden Lokal¬ 
behandlung mit parenchymatösen Injektionen, eine Therapie, 
welche, konsequent ausgeführt, vorzügliche Resultate aufweist, 
und mit Unrecht in den letzten Jahren etwas in den Hinter¬ 
grund getreten ist. Zu Injektionen hat man eine grosse Anzahl 
von Mitteln gebraucht, welche aber theils unsicher wirkten, theils 
nicht ungefährlich waren. Vortreffliche Erfolge erzielte man 
mit der Injektion von Jodtinktur, allein man stand von ihrer 


j Verwerthung ab, als eiue Anzahl von Todesfällen nach ihrer An¬ 
wendung bekannt wurden. 

Das beste Mittel zur subkutanen Injektion ist das, zuerst 
1890 von M o s e t i g zu diesem Zwecke empfohlene, später von 
Kappes, Garro, Rosenberg und vielen Anderen ge¬ 
rühmte Jodoform. Garre hat bei mehreren tausend Einzel - 
injektionen keinen einzigen üblen Zufall gesehen. 

Vortragender benutzt zur Injektion eine Lösung von Jodo¬ 
form 1,0, 01. oliv., Aeth. sulf. aa 7,0, oder auch Jodoform 1,0, 
Aeth. sulf. 14,0. Er hat in der Wirkung keinen Unterschied 
zwischen beiden Lösungen gesehen. Die Injektionen geschahen 
in der Weise, dass unter sorgfältiger Asepsis die nicht zu enge 
Kanüle in das Parenchym der Struma eingeführt wurde. Dann 
wurde die Spritze gefüllt, und sodann nachgesehen, ob aus der 
Kanüle eine Blutung erfolgte. War das der Fall und damit die 
Verletzung einer Vene wahrscheinlich, so wurde die Kanüle 
etwas zurückgezogen und in etwas anderer Richtung wieder ein¬ 
geführt, niemals wurde die Haut ein zweites Mal angestochen. 
Die Injektionen von 1,0 g geschahen 1—2 mal wöchentlich; 
unter etwa 300 Einzeliujektionen wurde kein unangenehmer Zu¬ 
fall beobachtet; nur einmal entwickelte sich an einer Injektions¬ 
stelle nach einigen Wochen ein kleiner Abscess. Die Beschwerden 
nach der Injektion waren gering; leichte Schmerzhaftigkeit, öfter 
Ziehen im Ohr auf der injizirten Seite, häufig übler Geschmack 
gleich nach der Injektion. 

Die meisten Patienten standen im jugendlichen Alter. Die 
grösste Zahl der gemachten Injektionen bei einem Individuum 
betrug 21; im Durchschnitt etwa ein Dutzend. Der Erfolg war 
befriedigend. Abgesehen von ein paar Fällen, welche nach den 
ersten Injektionen fortblieben, war ein völliger Misserfolg nicht 
zu verzeichnen. In 20 Proc. war die Verkleinerung der Ge¬ 
schwulst nur gering, in 11 von 21 Fällen konnte man den Erfolg 
als vollständigen bezeichnen, da die Struma soweit zurückging, 
dass man nur noch einen kleinen Rest palpiren konnte, der 
keinerlei kosmetische oder physiologische Störungen verursachte. 

Die Behandlung mit parenchymatösen Jodoforminjektionen 
ist demnach als wirksam und gefahrlos in entsprechend ausge¬ 
wählten Fällen zu empfehlen. 

Herr Brauner- Köln stellt einen Fall von flächenhafter 
Verwachsung des Kehldeckels mit dem Zungengrunde vor und 
hebt hervor, dass Verwachsungen ln dieser Ausdehnung sein- 
selten sind. Der einzige analoge Fall, welchen er aus der Lite¬ 
ratur auführen kann, ist von Dr. Rlschawy in der Wiener 
klin. Rundschau (1899, No. 28) veröffentlicht. Der Patient des 
Letzteren hatte eine komplete Verwachsung, so dass der Zuugen- 
rücken direkt auf die laryngeale Fläche der Epiglottis überging 
und der Raum zwischen Kehldeckel und Zungengrund gänzlich 
aufgehoben war. Während bei dem Patienten Bluchawy's 
die Krankengeschichte luetische Processe als zweifellose Ursache 
nachweist, kann Vortragender für seinen Fall den Beweis einer 
syphilitischen Infektion nicht erbringen, glaubt aber auch eine 
andere Ursache nicht annehmeu zu können. Ob sich jetzt auf 
dem Boden der durch Irgendwelche geschwürlge Processe ent¬ 
standenen, vielleicht lange bestehenden Verwachsung ein Car- 
cinom entwickelt habe (der Kehldeckelrand Ist leicht ulcerirt, 
die Zunge in ihren hinteren Partien inflltrlrt, Drüsenschwellungeu 
an beiden Seiten des Halses), müsse die weitere Verfolgung der 
Krankheit lehren. Nach Ausschluss des Carcinoms könne rann 
den jetzigen Process nur als einen gummösen auffassen. 

52 Jähriger Fabrikarbeiter J. J. kommt am 20. März er. ln 
die poliklinische Sprechstunde mit der Klage, seit Anfang De¬ 
zember vorigen Jahres an Schmerzen lm Halse und Schluckbe¬ 
schwerden zu leiden, so dass er nur Flüssigkeiten oder ganz weich¬ 
breiige Sachen schlucken könne. Patient will (abgesehen von 
einer Fraktur des 1. Oberschenkels mit Luxation der Patella und 
einer Varicocele) bis vor 1 y s Jahren, wo er im Rausch einen 
Tripper acquirirte, immer gesund gewesen sein. Sein erste Frau, 
welche er 1889 heirathete, machte eine Frühgeburt durch und 
verlor ein Kind im ersten Lebensjahr; sie selbst starb im Irreu¬ 
hause. Die zweite Frau heirathete er vor 3 Jahren; dieselbe er¬ 
scheint frei von Lues. — Bei der Untersuchung des Patienten er¬ 
weisen sich die Organe, namentlich die Lunge, als gesund. Der 
Auswurf, meist schleimig, ist frei von Tuberkelbacillen. — Nase 
und Nasenrachenraum ist frei von cariösen Processen oder von 
Defekten, welche auf Lues schliessen llessen. Der Kehlkopf Ist 
ln seinem Innern intakt. Der Kehldeckel, dessen Rand etwas 
ulcerirt Ist, Ist Jedoch mit etwa 7» seiner lingualen Fläche dem 
Zungeugrunde adhaerent, nur die Seltenränder sind nämlich noch 
frei. Die Digituluntersuchung bestätigt (las laryngoskopisclie Bild 
und weist eine Infiltration der hinteren Znngeupartleu nach, 
▲eusserllch Ist beiderseits, namentlich rechts, ein derber indolenter 
Di-üsentumor zu fühlen. Derselbe scheint sich unter dem Ein¬ 
flüsse grosser Gaben JKa zu verkleinern. 

Herr Kos es- Köln: I. Ein Fall von Carcinoma myxoma- 
todes des Schläfenbeins. 


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1636 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


Das demonstrirte Präparat stammt von einem 63 Jährigen 
Galizier, der bereits in Wien und Frankfurt „radikal“ operirt 
wurde und vor ca. 1 Jahr wegen einer schmerzhaften An¬ 
schwellung über dem linken Ohr Hilfe Im Asyl suchte; nach in 
Wien (Klinik Politzer: Dr. A11) eingezogenen Erkundigungen 
hatte man die Operation wegen Verdachts auf bösartige Neu¬ 
bildung nicht vollendet. 

Bei der Untersuchung zeigte sich eine hühnereigrosse Ge¬ 
schwulst Uber dem Ohr mit massiger Fluktuation; hinter dem 
Ohr eine grosse retroaurlculäre Oeffuung, aus der zähen Schleim 
nl »sondernde Granulationen wucherten, die gleichfalls im hinteren 
Tlieile des äusseren Gehörganges festzustellen waren. 

Ich beschränkte mich zunächst auf die Oeffnung der schmerz¬ 
haften Geschwulst, fand aber statt des vermutheten Eiters die¬ 
selbe mit einer huematom-artigen, blutig zäh-schleimigen Masse 
gefüllt, die sich nach allen Seiten auf dem rauhen Knochen aus¬ 
breitet hatte; die mikroskopische Untersuchung ergab nur Schleim¬ 
gewebe und Blutkörperchen. 

Auf Wunsch des Patienten, der unerträgliche Schmerzen litt, 
versuchte ich einige Wochen später nochmals die Entfernung der 
Geschwulst; cs wurde ein grosser T-förmiger Schnitt über und 
hinter dem Ohr angelegt (entsprechend den alten Operations- 
narbeu) und zeigte sich, dass die Geschwulst fast über die ganze 
Schuppe her und nach vorn bis in die knöcherne Tube gewuchert 
war; die Mittelohrrüume waren ganz von Tumormassen ungefüllt 
und an zwei Stellen lag die Dura, die stark verfärbt, aber intakt 
zu sein schien, in Markstückgrösse frei. Da unter diesen Um¬ 
ständen an ltadikalbeseitigung nicht zu denken war, beseitigte ich 
von den Granulationsmasseu so viel zu erreichen war, und be¬ 
handelte die Wunde offen, worauf auch für eine geraume Zeit 
ein Nachlass der Schmerzen eintrat, bis sich im späteren Verlaufe 
mehrere Male Phlegmonen des Rachens (wohl von der Tube aus¬ 
gehend) einstellten und der Patient langsam zu Grunde ging. 

Bei der Obduktion zeigte sich, dass sich die Granulatlons- 
inassen fast über die ganze linke Schüdelhälfte ausgebreitet hatten; 
der Knochen war au vielen Stellen eingeschmolzen, die Dura 
war aber intakt und das Cerebrum frei. Als Ausgangspunkt der 
Geschwulst dürfte wohl mit Bestimmtheit das Mittelohr aufzu¬ 
fassen sein. 

Im mikroskopischen Präparat, das ich Herrn Dr. Levison- 
KÖln verdanke, ist der papillomatöse Bau überall vorherrschend; 
man findet Cylinderepithelhäufchen, theils zerfallen, umgeben von 
Schleimgewebe, das von mehr oder weniger zerfallenen Binde- 
gewebsstreifen durchzogen ist. In einem Schnitt von der knö¬ 
chernen Tube sieht man deutlich die ln die Knochensubstanz 
hineingewucherten Papillen und Knöpfchen; es dürfte demnach 
die Diagnose Carcinoma myxomatodes berechtigt erscheinen. 

II. TJeber multiple L&iynxpapillome. 

Der Patient, 11 Jahre alt, wurde bereits 1 Jahr bevor er ln 
meine Behandlung kam. anderweitig eudolnryngenl operirt. Bei 
der Untersuchung (Sept. 1900) zeigte sich fast die ganze ltima 
von papillomatösen Wucherungen, die theils unter dem vorderen 
Srimmhundwinkel. theils unter den Stimmbändern her, theils von 
den ium ren Stimmbaudrändern ihren Ursprung hatten, ausgefüllt: 
die Athmung war massig behindert, die Stimme fast aphonisch. 
Da der Patient ausserordentlich geduldig war, gelang es, die 
Tumormassen, die zusammen ungefähr die Grösse von 2 Kaffee¬ 
bohnen haben dürften, in 3 Sitzungen zu entfernen; später wurde 
mit entsprechend gebogenen scharfen Löffeln der Mutterboden der 
Tumoren ausgekratzt und mit gleichfalls gebogenen galvano¬ 
kaustischen Brennern kauterisirt. 

Der Larynx ist bei der Demonstration (ca. 7 Monate nach 
der Operation) frei, die Stimme klar; ausser einer massigen (nicht 
papillomatösen) Verdickung des linken Stirnbandes und einer mini¬ 
malen Unebenheit des rechten (Aetzeflfekt ?) ist das Larynx- 
bild normal. Bei der letzten Untersuchung (13. IX. 1901) war der 
Larynx ebenfalls vollkommen recidlvfrei. 

Der mikroskopische Befund ergab reines Papillom. 

Es dürfte natürlich bei wenigen Patienten ein so radikales 
endolaryngeales Vorgehen gelingen, jedenfalls war. trotzdem es 
sich um Recidiv handelte, die nochmalige endolaryngenle Ope¬ 
ration berechtigt, da selbst mittels Thyreotomie wohl kaum eine 
gründlichere Entfernung der Tumoren möglich gewesen wäre. 

Im Allgemeinen lässt sich freilich nicht behaupten, dass bei 
Kindern stets der eudolaryngeale Eingriff zum Ziele führe, zumal 
die Fälle selten so günstig sind, wie der vorliegende; jedenfalls 
sind wir Laryngologen berechtigt, uns stets, soweit überhaupt 
möglich, bei Papillomen der Kinder der endolaryngealen Operation 
zu bedienen, selbst auf die Gefahr eines Recidivs hin, denn die 
Laryngotomie gibt auch keine Sicherheit gegen Recldive und birgt 
ausserdem eine grössere Gefahr für die Stimme in sich, als sie der 
endolaryngealen Methode anhaftet. 


Physiologischer Verein in Kiel. 

(Offlciellee Protokoll.) 

Sitzung vom 22. Juli 1901. 

Herr Heermann: Kritische und kasuistische Mit¬ 
theilungen zum M 6 n i d r e’schen Symptomenkomplex. 

Vortragender referirt über 3 apoplectiforme Fälle eigener Be¬ 
obachtung. Der Vortrag wird veröffentlicht im Oktoberheft 1901 
der Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der 
Nasen-, Ohren-, Mund- und Halskrankheiten, herausgegeben von 
Dr. Maximilian Bresgen in Wiesbaden. 


Herr Gerulanos: Ueber Sehnenüberpflanzung zur Be¬ 
handlung von Mnskellähmnngen. 

Die Behandlung von Lähmungen gewisser Muskeln einer Ex¬ 
tremität, mittels Sehnenübertragung oder -Ueberpflanzung beruht 
auf dem Princip, den gelähmten Muskel durch einen anderen, 
funktionsfähigen zu ersetzen. Nach einem kurzen historischen 
Ueberbliek über die Entwicklung und die Erfolge dieser neuen, 
erst seit 10 Jahren in Aufnahme gekommenen Behandlungsmethode 
und kurzer Berücksichtigung der einfachen, auch früher gelegent¬ 
lich in ähnlicher Weise behandelten Fälle von vereinzelter Muskel- 
lähmung nacli Durchtrennung einer Sehne, kommt G. zur Be¬ 
sprechung der komplizirtercn Fälle von Lähmung gewisser Mus¬ 
keln und Muskelgruppen, wie sie am häufigsten nach über¬ 
standener Poliomyelitis anterior acuta zurückzunleiben pflegen. 

Die F unktionsübertragung durch Annähen der 
Sehne des gelähmten an den Muskelbauch eines geeigneten 
lebendigen Muskels ist in vielen dieser komplizirten Fälle nicht 
ausführbar, da es sich hier zumeist um ausgedehntere Lähmungen 
ganzer Muskclgruppeii mit stärkerer oder geringerer Parese 
anderer Gruppen desselben Gliedabschnittes handelt, so dass 
nicht immer ein mehr oder weniger funktionsfähiger Muskel 
zur Verfügung steht und geopfert werden kann. In diesen Fällen 
lässt sich sehr vorteilhaft die Sehne des zur Ueberpflanzung ge¬ 
wählten Muskels der Länge nach theilen und ein Theil derselben 
übertragen. Hier wird das Princip der Funktionsthei- 
lung (Drob nick) angewandt. 

Diese Methode lässt sich noch besonders zu unseren Zwecken 
dienstbar machen, da wir den meist sehr kräftigen Antagonist, 
welcher durch seine gesteigerte Thätigkeit das Uebergewicht be¬ 
kommen und eine Deformität (Pes varus, Pes calcaneus u. 6. w.) 
erzeugt hat, zur Theilung aussuchen können und somit denselben 
in seiner Uebermacht abschwächen. 

Statt der Vernähung des funktionsfähigen Muskels an die 
Sehne des zu ersetzenden gelähmten ist schon früher in der Greifs- 
walder Klinik (Prof. Helferich) die direkte Befestigung der 
lebendigen Sehne auf den Knochen, nahe dem Ansätze der zu 
ersetzenden Sehne vorgenommen. Wir wollen der Frage, ob die 
gelähmte Sehne nicht atrophisch, zu dehnbar, nachgiebig und in 
Folge davon zur Benützung geeignet ist oder nicht, weniger Ge¬ 
wicht beimessen, als gerade dem grossen Vortheile, welchen die 
direkte Einpflanzung der Sehne auf den Knochen uns bietet, durch 
eine beliebige Auswahl des neuen Ansatzpunktes die Funktion des 
neuen Muskels, entsprechend der veränderten mechanischen Ver¬ 
hältnisse genauer bestimmen und modifiziren zu können. 

Der Vortheil der Funktiousübertragung besteht aber nicht 
allein in dem Ersatz des fehlenden Muskels. Es scheint mir viel¬ 
mehr als fast wichtiger die dauernde Beseiti¬ 
gung der abnormen Kontrakturstellung durch 
eine lebendige Kraft (den überpflanzten Muskel). In 
Folge dieser Stellung des Gliedabschnittes (etwa des Fusses) war 
ausser dem gelähmten eine Anzahl anderer nur mehr oder weniger 
geschwächter Muskeln in dauernder passiver Dehnung gehalten, 
sie waren nicht im Stande den überwiegenden Antagonist zu 
überwinden, sie geriethen dadurch ausser Thätigkeit und in eine 
Inaktivitätsatrophie. Mit Beseitigung der Deformität 
und Ermöglichung der bis dahin unausführbaren Bewegungen 
durch den implantirten Muskel wird auch diesen abgeschwächten 
und künstlich in Inaktivität gehaltenen Muskeln ermöglicht, 
wieder in Thätigkeit zu treten und einen gewissen Grad von 
Kräftigung, Funktionsausübung und Unterstützung des Neu- 
implantirten wieder zu erlangen. 

Nicht selten sehen wir Fälle (Anführung eines Beispiels aus 
der Klinik), bei denen die einfache Tenotomie schon genügt, 
in diesem Sinne Unerwartetes zu erzielen. Ein vollkommener 
Funktionsausfall des tenotomirten Muskels ist nicht zu befürch¬ 
ten und die Abschwächung desselben und Beseitigung der De¬ 
formität genügt oft, um eine Thätigkeit der vielleicht nicht ge¬ 
lähmten, sondern nur abgeschwächten Antagonisten, eine Kräfti¬ 
gung derselben und Funktionsübernahme zu ermöglichen. Statt 
der Tenotomie ist neuerdings die plastische Verlänge¬ 
rung der Sehne (V u 1 p i u s), auch eine V erkürzung der 
entspannten und nun zu langen Muskeln (Franke u. A.) em¬ 
pfohlen; jedoch mehr in dem Princip, weniger in kleinen tech¬ 
nischen Beihilfen scheint mir das Hauptgewicht zu liegen. Da¬ 
gegen die bisher inaktiven, abgeschwächten Muskeln durch ener- 


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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1637 


irische, mechanische Behandlung, besonders Vornahme aktiver 
Urbungen zu unterstützen, erscheint mir von grosser Bedeutung. 

Nach Besprechung von Diagnose, Untersuchungsmethoden, 
Operationsplan, Nachbehandlung und Erfolgen der Operation, 
unter Berücksichtigung und Anführung von Fällen aus der chi¬ 
rurgischen Klinik in Kiel (Prof. Helferich), wird kurz die 
Frage der Innervation berücksichtigt. 

Es ist auffällig, dass Antagonisten (etwa Flexoren auf Ex¬ 
tensoren übergepflanzt) die neue Funktion übernehmen und die- 
«•ll)o dem Willen vollkommen unterstellt ausführen. Es handelt 
sich hier um die Erlernung der neuen Thätigkeit (D r o b n i k), 
geradeso, wie die Neugeborenen die Benützung ihrer Muskeln 
erst erlernen müssen. Da ausserdem bei jeder Bewegung alle 
Maskein der betreffenden Extremität zu einer coordinirten 
Thätigkeit treten, so erhalten alle Muskeln bei jeder Bewegung 
einen Impuls (also auch die Flexoren, wenn Streckung beabsich¬ 
tigt ist). Die Erhaltung des Gleichgewichts, die Ausführung einer 
coordinirten Bewegung unter Benützung der vorhandenen Muskel- 
oentren und Muskelkräfte ist dann nur eine Uebungssache, 
welche sehr bald erlernt werden kann. (Autoreferat.) 

(Die Krankengeschichten der hier erwähnten Fälle kommen 
in der später erscheinenden ausführlichen Publikation.) 

Auswärtige Briefe. 

New-Yorker Brief. 

Zum St. Pauler Aerztecongreas und nach Wunderland. 

IV. 

Im Yellowstone-Nationalpark. 

Das Unzulängliche, hier wird’s Ereigniss, 

Das Unbeschreibliche, hier ist es gethan. 

Der Ycllowstonepark ist mit Recht das Wunderland ge¬ 
heissen. Bevor die Eisenbahn auch dieses Gebiet der Kultur- j 
forschiuig erschlossen hatte, klangen die Berichte der wenigen | 
Reisenden, welche sich den ungeheuren Strapazen einer Ex¬ 
ploration des Ycllowstonepark unterzogen, wie Märchen, und 
der Geist des hochseligen Freiherrn von Münchhausen drohte vor 
dem Leser in bedenklicher Naturtreue aufzusteigen. Eine Be¬ 
schreibung dieses märchenhaften Parkes, denn märchenhaft ist 
er auch heute noch, kann sich nur in dem Rahmen eines sehr 
bescheidenen Essays bewegen. Denn vereinigten sich auch die 
edle Plastik eines Phidias, die glühenden Farben eines Makart, 
der eherne Griffel eines Shakespeare und die göttliche Inspiration 
eines Beethoven zu einer ungeheuren Symphonie zum Preise der 
Majestät dieses einzigen Naturwunders, sie könnten derselben 
trotz ihrer unvergleichlichen Bemeisterung menschlicher Aus¬ 
drucksfähigkeit doch nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen. 

Was die unsterbliche Phantasie eines Richard Wagner ge¬ 
schaut, hier ist es zur Wirklichkeit geworden. Die Montsalfat, 
Klingsoris Zaubergarten, Fafner’s Höhle Nibelheim, der Wal¬ 
kürenfels, der Feuerzauber mit der „wabernden Lohe“, sie liegen 
alle vor dem entzückten Auge in leiblich-nüchterner Vollkommen¬ 
heit da. 

Tausende von Geysern senden ihre kochenden Säulen zum 
Himmel empor und lassen ihre Kollegen auf Island an Zahl wie 
an Pracht weit hinter sich zurück. Die Terrassen, welche durch 
die mineralischen Niederschläge der heissen Quellen nach Art 
des Karlsbader Sprudels gebildet werden, übertreffen an Gross¬ 
artigkeit und Schönheit der Färbung alles Bekannte. Das Farben¬ 
spiel. welches das 10 Meilen lang sich hinziehende Grand Canyon 
dnrbietet, wird allgemein als die merkwürdigste und eindruck- 
vollste aller Landschaften der Erde angesehen. lieber veritable Glas¬ 
berge, ungeheure Wasserfälle, versteinerte Wälder und an un¬ 
heimlich knurrenden Vulkanen vorbei führt der Pfad die stau¬ 
nenden Touristen. Tausende von Merkwürdigkeiten gebieten ihm 
Halt auf seiner Wanderung durch die herrlichen Thäler und 
über die tiefblauen Seen, auf welche die mit ewigem Schnee be¬ 
deckten Riesen des Felsengebirges mit sublimer Ruhe hemieder- 
schauen. Drei dör grössten Ströme Amerikas, der Missouri, 
YelloWstone- und' Columbiafluss, nehmen hier ihren Ursprung, 
die ersteren, um sich nach dem Atlantischen, und der letztere, 
um sich nach dem Stillen Ocean zu wenden. 

'In versttindnissvoller Würdigung der Bedeutung dieses 
NationaljuWels Würde der Yellowstonepark durch einen be¬ 


sonderen Beschluss vom Senatus Populusque zum Nationaleigen¬ 
thum dekretirt und dem Ministerium des Innern direkt unter¬ 
stellt. Hierdurch wurden die so beliebten Aspirationen unästhe¬ 
tisch gesinnter Grundeigenthumsspekulanten sofort im Keime 
erstickt, so dass der Park in seiner ganzen ursprünglichen Schön¬ 
heit dem Publikum zugänglich bleiben wird. Um die Integrität 
des Parkes zu wahren, ist es sogar verboten, Holz abzuschneiden, 
Mineralien aufzuheben u. dergl. Das Jagen von Thieren irgend 
welcher Art ist ebenfalls untersagt. Wilde Thiere dürfen nur 
dann getödtet werden, wenn nachweisbare Lebensgefahr vor¬ 
handen ist. Das Tragen von Feuerwaffen ist nur mit Einwilli¬ 
gung des Parksuperintendenten gestattet. Angelfischen ist. er¬ 
laubt, Netzfischen nicht. 

Obgleich sämmtliche Thiere, darunter Bären und Panther, 
sich frei im Park herumtummeln, wurde doch noch nie von einem 
Angriff derselben auf Menschen berichtet. Die Theorie, dass 
wilde Thiere im Allgemeinen nur dann den Menschen anfallen, 
wenn sie gereizt werden oder vom Heisshunger getrieben sind, 
findet hier ihre Bestätigung. 

Ausser den genannten lieblichen Raubthierchen birgt der 
Park auch Büffel. Elche, Wapitihirsche, Gemsen, Antiloj>en, 
Wölfe, Waschbären, Füchse (rothe, graue und schwarze). Biber, 
Otter, Marder, Zobel, Sumpfratten, Hermeline, Hasen, Ka¬ 
ninchen, Eichhörnchen — verschiedener Art, und, mit Respekt 
zu sagen, auch Stinkthiere. 

Von den geflügelten Bewohnern des Parkes wären zu nennen, 
Adler, Geier, Habichte, Eulen, Schwäne, Pelikane, Kraniche, 
Gänse, Enten in endloser Varietät, Krähen, Raben, Elstern, 
Lerchen, Finken, Blaumeisen und Robine. Reptilien zählen zu 
den Seltenheiten. Man trifft in einigen Abhängen des Parkes 
Klapperschlangen, jedoch nur unter der Höhe von 6000 Fuss. 

Von den Bewohnern des feuchten Elementes zeichnet sich die 
Bach- und Seeforelle durch häufiges Vorkommen aus. 

Die herrlichen Waldungen zeigen dio schönsten Cedern, 
Tannen und Fichten. Ausserdem stösst man häufig auf Eschen, 
Zwergahom und wilde Kirschbäume. 

Dazwischen wuchern merkwürdige Gräser von über Manns¬ 
höhe, darunter das bekannte Sweet Grass, welches die Indianer 
vielfach zu Korbflechtereien verwenden, ferner Salbeibüsche und 
wilder Thymian. Ausserdem erfreuen zahlreiche Sorten wilder 
Blumen das Auge des Wanderers. Sie zeichnen sich durch grosse 
Resistenz gegen Frost aus, ja gerade dfe schönsten werden direkt 
unter der Schneelinie getroffen. 

Der Yellowstonepark hat einen Längsdurchmesser von 75 
und einen Qüerdurchmesser von 65 englischen Meilen, und ent¬ 
spricht somit ungefähr dem Areal des Grossherzogthums Baden. 
Er Regt im Staate Wyoming, seine Grenzen reichen jedoch östlich 
einige Meilen weit nach Montana und westlich in den Staat 
Idaho, des vorletzten vor dem Stillen Ocean. Er wird am 15. Juni 
geöffnet und am 15. September geschlossen. In Rücksicht auf die 
Kongresszeit hatte die Regierung eine Ausnahme gemacht und 
uns schon am 9. Juni den Zutritt erlaubt. 

Das niedrigst gelegeneThal des Yellowstoneparks befindet sich 
auf der Höhe von 6000 Fuss. Die umgebenden Berge erheben 
sich zu 10 000 bis 14 000 Fuss über dem Meeresspiegel. Die Vege¬ 
tation ist überreich und trifft man merkwürdiger Weise noch die 
schönsten Tannenwälder bis zur Höhe von 10 000 Fuss. 

Der Park steht unter dem Schutz eines Kapitäns der Ver¬ 
einigten Staaten-Cavallerie, welcher denTitel Parksuperintendent 
führt. Derselbe residirt in der Kommandantur, einem malerisch 
am Abhang des Berges hingegossenen Steingebäude, welches mit 
allem modernen Luxus ausgestattet ist und von einem grossen 
schönen Garten umgeben wird, den die merkwürdigste Einfriedi¬ 
gung einschliesst, die ich je gesehen. Dieselbe besteht nämlich aus 
Hunderten von grossen Hirschgeweihen, so dass einem Vollblut¬ 
nimrod bei seinem Anblick das Wasser im Mund zusammenlaufen 
kann. Die Garnison, welche aus 2 Eskadronen leichter Reiter be¬ 
steht, ist in Baracken untergebracht. Einzelne kleine Detache¬ 
ments sind rings im Park zerstreut und besorgen den Patrouillen¬ 
dienst. Das Gamisonslazareth, welches unter der Aegide eines 
Stabsarztes steht, trägt, ein hervorragend chirurgisches Gepräge 
und nährt sich sozusagen nur von Traumen, denn die rauhen 
Reiter erfreuen sich in der herrlichen Luft einer so unverschäm¬ 
ten Gesundheit, dass die wenigen Bacterien, welche sich nach 
dieser Höhe verirren, einen sehr ungünstigen Nährboden für die 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


Ausübung: ihres schnöden Gewerbes finden. Herr Stabsarzt Fer¬ 
guson hatte die Liebenswürdigkeit, mit uns durch die Baracken 
zu wandern und uns im Offizierskasino die interessante Waffen- 
sammlung zu zeigen, an welche sich allerlei Erinnerungen merk¬ 
würdiger Verwundungen knüpften. 

In unmittelbarer Nähe der Kommandantur befindet sich das 
Mammoth Springs Hotel, ein grosses Holzgebäude, dessen behag¬ 
liche Einrichtung in angenehmem Gegensatz zu seinem unschönen 
Aeusseren steht. Es ist wie die übrigen Herbergen im Yellow¬ 
stonepark nach modernen Principien eingerichtet. Alle diese 
Hotels enthalten einen Maschinenraum zur Erzeugung von elek¬ 
trischem Licht, sind mit Badezimmer etc. versorgt und gehören 
der Regierung. 

Das Diner, zu welchem wir nach der steilen Bergfahrt einen 
Wolfshunger mitbrachten, war vorzüglich, was um so mehr anzu¬ 
erkennen ist, als in unmittelbarer Nähe der Hotels nichts Ess¬ 
bares gepflanzt oder gezogen wird. Das gute Wild darf ja nicht 
geschossen werden. 

Am Nachmittag machten wir uns auf den Weg nach den be¬ 
rühmten Terrassen der Mammoth Hot Springs. Dieselben be¬ 
stehen, wie bereits angedeutet, aus den mineralischen Nieder¬ 
schlägen heisser Quellen. Das Gebiet dieser Quellen umfasst 
170 Acker und zählt 50 Quellen und 13 einzelne Terrassen. 
Zwischen denselben befindet sich eine Anzahl ausgebrannter 
Krater und Höhlen. Die letzteren kann man wegen des Vor¬ 
handenseins von giftigen Gasen nicht betreten. 

Im Vordergrund des imposanten Emporiums hebt sich die 
sog. Minervaterrasse heraus, welche allein schon ein Areal von 
nahezu % Ackern einnimmt und deren Gipfel eine kochende 
Quelle von 20 Fuss Durchmesser entströmt. Die Temperatur am 
Ufer dieses kochenden Teiches beträgt 154® Fahrenheit. Das 
überlaufende Wasser fällt 40 Fuss tief herunter und bildet 
während des Ablaufens viele merkwürdige, namentlich stalaktit¬ 
artige Gebilde, deren verschiedene Farbennuancen vom deli¬ 
katesten Lilienweiss am Gipfel bis zum tiefsatten Orangengelb 
an der Basis variiren. 

Unter günstigen Umständen setzt die Therme binnen eines 
Zeitraumes von 4 Tagen eine Schicht von der Dicke zweier Milli¬ 
meter ab. Steckt man eiserne, gläserne oder überhaupt harte 
Gegenstände in den Sprudel, so sind sie ähnlich wie in Karlsbad 
gar bald mit einer weissen krystallenen Kruste überzogen. 

Das Thermalwasser selbst ist durchsichtig blau und erinnerte 
mich sehr an die blaue Grotte von Capri. 

Die Jupiterterrasse ist die grösste der Gruppe und 
zieht sich etwa 100 Fuss über der Minervaterrasse in einer Aus¬ 
dehnung von 2000 Fuss den Berg entlang. Ihr Hintergrund wird 
in malerischer Weise von dunklen Fichtenwäldern gebildet. 

Seitlich von der Jupiterterrasse befindet sich die „P ul p i t“, 
vor welcher unser Künstler uns abkonterfeite. Ebenso interessant 
in ihrer Art ist die Cleopatraterrasse. Die Devils Kitchen 
(Teufelsküche) ist der einzige Krater, in welchen man ohne Risiko 
für sein junges Leben hinabsteigen kann. Auf einer Leiter wagt 
man sich in das feuchtwarme, leicht dampfende Loch, aus wel¬ 
chem so plötzlich als möglich wieder herauszukommen man alsbald 
ein starkes Sehnen verspürt. 

Zwischen den einzelnen Terrassen befinden sich kleine Geyser, 
welche lustig brodeln und spuken. 

Kurz bevor wir unsere zweistündige Wanderung durch diese 
merkwürdige chemische Naturwerkstätte beendigt hatten, fing es 
an zu schneien, allerdings nur auf wenige Minuten. Nach einer 
vergnügten Rutschpartie, an den Abhängen der Minervaterrasse 
vorbei, gelangten wir wieder in das Hotel zurück, um uns für die 
Strapazen der bevorstehenden fünftägigen Wagenfahrt vorzu¬ 
bereiten. 

Vor der weiten Rotunde des Hotels waren am nächsten Mor¬ 
gen 38 schwere Gobirgswagen mit Vierspännern angeschirrt (der 
Stall des Hotels enthält 600 Pferde) und nun formirten sich die 
einzelnen Gesellschaften zu scchsen und achten pro dosi. Ausser 
meiner Gattin und mir waren nur 2 deutsche Familien in der 
Karawane, die Chemiker Dr. Schwei t. z c r und Stiefel 
nebst Gemahlinnen, und so war es natürlich, dass wir für die 
Fahrt durch die Wildniss uns als eine Art Familie Buchholz kon- 
stituirten. Um sieben kam unsere Karosse angefahren, geleitet 
von einem tannenschlanken Jüngling, welcher seine 4 Braunen 
mit Meisterschaft tummelte. Dieser Junge war ein Prachtkerl. 


Aus seinem dünnen, kerngesunden Gesicht leuchtete ein intelli¬ 
gentes blaues Augenpaar und das Princip des Nil admirari war 
ihm auf die braune Stirne geschrieben. 

Es war ein kühler Morgen, als wir Uns langsam die 
Schneckenlinie hinaufwanden, welche uns der Golden Gate zu¬ 
führt, die das 1001 Fass hoch gelegene Hochplateau des Gardiner¬ 
flusses erschliesst. Die Felsen steigen in schroffer Höhe rings um 
den Engpass empor und ihre goldgelb schillernde Farbenpracht 
hat den Namen „Goldenes Thor“ mit Recht inspirirt. Was mich 
nicht wenig freute, war, dass der schönste im Weichbild der 
Mammoth Springs gelegene Berg nach meinem unvergesslichen 
Lehrer B u n s e n genannt war. Wir konnten es uns nicht ver¬ 
sagen, auszusteigen und den Manen des grossen Chemikers hoch 
oben in der Wildniss ein donnerndes Hoch auszubringen. Der 
Mount Bunsen ist 8775 Fuss hoch und ist übrigens leichter zu¬ 
gänglich, als es der weiland völlig unbeweibte Erfinder der 
Spektralanalyse war. 

An einem steilen Bachabhang gewahre ich den ersten inter¬ 
essanten Quadrupeden der Wildniss. Es war ein kleiner Wasch¬ 
bär, der, auf einem braunen Felsstück kauernd, uns mit dem 
blöden Blick eines Cretins nachglotzte. Wir suchten ihn auf 
allerlei gemeine Weise anzuulken, aber er liees sich durch nichts 
auf seiner serenen Ruhe bringen. Wir gelangen nun der Hoch¬ 
ebene des Gardinerflusses entlang durch einen herrlichen Tannen¬ 
wald. Frau Stiefel beginnt mit ihrer glockenreinen Alt¬ 
stimme das Lied: „Wer hat dich du schöner Wald nufgebaut“ 
zu singen, was uns in derartige Begeisterung versetzte, dass wir 
bald unsere rauhen Kehlen ebenfalls in Bewegung versetzten. 
Unsere Vorläufer, es waren unsere Milwaukeer Kollegen und 
deren Lebensversüsserinnen. schlossen sich uns auch bald an und 
so stieg zuguterletzt ein antediluvianischor Cantus zum Himmels¬ 
gewölbe empor, bei dem sich der selige Mendelssohn im 
Grabe herumgedreht hätte. Gegen 11 wurde mitten im Walde 
Halt gemacht. Im Dickicht sprudelte eine kohlensaurc Quelle, 
die man nach ihrem in allen Hotels der Welt unvermeidlich ge¬ 
wordenen Vorbild „Apollinaris“ getauft hatte. Wir nippten an 
dieser kastallischen Quelle, ohne ein besonderes Verlangen nach 
Excessen im Genuss derselben zu verspüren. Einige der Kollegen 
aber schienen Specialisten im Wassertrinken zu sein und ver¬ 
schlangen ungeheure Mengen. Dazu pflegt sich ein ehrlicher 
deutscher Magen, wenn er noch so amerikafreundlich gesinnt ist, 
nun doch nicht herzugeben. 

12 Meilen oberhalb der Mammoth Hot Springs berühren 
wir den Obsidian Cliff, aus dessen Fuss man eine 1000 Fuss lange 
Chaussee auf ingeniöse Weise herauskünstelte. Dieser ganze 
Berg besteht aus rein vulkanischem Glas, dessen pentagona!' 
Blöcke wie Tausende von Spiegeln in der Sonne glitzerten. Der 
grössere Theil dieses Glasberges ist schwarz gefärbt, einige For¬ 
mationen sind roth und auch gelb. Die Herstellung einer Strasse 
durch diesen hart an einen See (Bibersee) grenzenden Berg war 
thatsächlicli ein Kunststück. Reguläre Sprengungsarbeiten 
konnten hier gar nicht in Betracht kommen und so nahmen die 
Ingenieure ihre Zuflucht zu einem merkwürdigen Mittel. Sie 
legten grosse Feuer um die einzelnen Glasblöcke, die sie, sobald 
sie sich durch die Hitze ausgedehnt hatten, mit Strömen kalten 
Wassers übergossen, wodurch sie in kleinere Fragmente zer¬ 
sprangen. So fuhren wir denn über eine veritable Glasstrasse, 
wohl die einzige ihrer Art in der Welt. Man erzählt uns, dass 
die Indianer seiner Zeit den Obsidian Cliff als Arsenal für ihre 
Pfeilspitzen benützt hätten. Hier war absolut neutraler Boden, 
welcher selbst den mit einander im Kampfe liegenden Stämmen 
als heilig und unverletzlich galt, ebenso wie das „Thonpfeifen¬ 
revier“ in Minnesota. Man findet noch überall Reste von india¬ 
nischen Pfeilspitzen um den Cliff zerstreut. Dass wir alle auf 
1 derartige Reliquien nicht wenig erpicht waren, lässt sich wohl 
vorstellen. 

Die Strasse zieht sich in kühnem Bogen um den Beaver 
I Lake herum, auf welchen wir 'eine grosse Biberwohnung be- 
| merkten. Leider waren die Insassen nicht für uns zu Hause: 
i wir bemerkten aber ihr Waldweben an den vielen ab- resp. zu- 
! genagten Baumstämmen, scharf zugespitzt mit den Rattenzähnen, 
welche die Wohnungssuchenden Biberfamilien für ihren Bedarf 
j einheimsten. 

Wir nähern uns nun dem Norrie Geyser Basin, dem 
i höchst gelegenen Geyserrevier des Parkes. Ala Vorbote grösst 


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8. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIET. 1639 


uns die Devils Frying Pan (des Teufels Bratpfanne), welche 
lustig brodelt und dampft. 

Am Norris Geyser Bassin trennen sich die Heerstrassen. 
Links zweigt sich die Route nach dem Grand Canyon, rechts 
die reguläre nach dem Fountain Hotel ab. Da die Capaeitiit des 
Parkhötels der Zahl unserer Gesellschaft kaum zur Hälfte ge¬ 
wachsen war, so theilten wir uns in zwei grosse Abtheilungen, 
deren jede den Circulus nach entgegengesetzter Richtung an¬ 
trat. Unserer Karawane wurde die reguläre Route zugotheilt, 
und so fuhren wir dann neugestärkt und halbgetrocknet den 
grossen Geysern zu. 

Die Mixtur von Regen- und Schneewetter hellte sich zum 
Glück wieder in Wohlgefallen auf, so dass wir den Missinuth 
Mittags bald wieder vergessen hatten. 

Zum Glück hatte ich mich, der besseren Einsicht der Haus¬ 
frau nachgebend, auch mit Sommer- und Winterüberzieher ver¬ 
sehen, so dass ich gegen das nasskalte Wetter einigermaassen 
gewappnet war. Dennoch froren die Füsse so, dass zur Ver¬ 
vollständigung unserer Pedalbekleidung auch noch die Strümpfe 
unserer Begleiterinnen herangezogen wurden. Aber das erwärmte 
immer noch nicht genug, so dass wir mit Wonne des Tröpfleins 
gedachten, das uns ein fürsorglicher Freund zu St. Paul in den 
Tornister gepackt hatte. Wir konnten uns sonst nicht für Whisky 
begeistern, aber in der schüttelfrostigen Atmosphäre unserer 
ersten Tagfahrt im Yellowstonepark konnten wir auch seine 
guten Eigenschaften schätzen. Freilich, ne quid nirnis! Auch 
die Frauen, horribile dictu, nippten mit schamhaftem Lächeln. 

Bald nachdem wir den isländischen Eulenspiegel in der 
Dejeunercaverne verlassen hatten, drängte sich uns der Eindruck 
auf, als beträten wir das Weichbild einer Fabrikstadt, denn es 
fing nun an, sehr geräuschvoll zu werden. Dumpfes Rollen, ein 
grollender Donner und brausendes Zischen, wie es beim Ent¬ 
weichen von Dampf vernehmbar ist, mischten sich mit einem 
ganzen Orchester unsichtbarer Pfeif- und Blasinstrumente. Nun 
stiegen Dampfwolken vor uns auf, so dass sich uns ein gewisses 
Gefühl des Unbehagens aufdrängte. Dicht am Wege gewahrten 
wir nun einen tiefen, schwarzen Kessel, einem grossen Schorn¬ 
stein vergleichbar, welcher lustig brodelte und eine immense 
Dampfsäule zum Himmel emporsandte. Bisweilen spritzte eine 
hohe Wassersäule zwischen Dampfwolken hindurch. Während¬ 
dem war in dem Kessel ein unheimliches, gurgelndes Geräusch 
wahrzunehmen, welches manchmal auch ein brummendes Timbre 
annahm. Einer der ersten Erforscher des Parkes gab diesem 
grossen Kochtopf, vielleicht in wenig angenehmer Erinnerung 
genossener Gardinenpredigten, den Namen Black Prowler (der 
schwarze Brummer), und diese Bezeichnung ist offiziell auf die 
Nachwelt übergegangen. Dem Thal des Gibbonflusses entlang, 
passirten wir eine grosse Anzahl dieser Geyser, deren verschie¬ 
dene und chamäleonartig wechselnde Färbungen uns aus dem 
Bewundern gar nicht herauskommen Hessen. Die schönsten der¬ 
selben sind neben dem Brummer der Congress, Constant, 
Monarch, New Crater und Emerald Pool Geyser. Dieselben sind 
von kleinen Teichen umgeben, durch welche das Wasser abfliesst, 
welches bei einigen klar und durchsichtig ist., bei anderen wieder 
milehweissc Tinten zeigt. Und Alles dies siedet und zischt be¬ 
ständig. Dabei nimmt man ab und zu einen penetranten 
Schwefelgeruch wahr, welcher in mir wenig angenehme Reminis- 
cenzen an den Vesuv weckte. 

Der Monarch ist der grösste Geyser des Norris Basin. Er 
besteht aus zwei Kratern, von welchen der grössere allein 20 Fuss 
lang und 3 Fuss breit ist. Er ist von einer Corona prächtig 
schillernder Felsen umgeben. In Intervallen von etwa 12 Stunden 
erfolgen ruckweise Explosionen, während welcher ungeheure 
kochende Wassermassen etwa 100 Fuss hoch in die Luft ge¬ 
schleudert werden. 

Wir wenden uns nun nach Elk Park, einem reizvollen Thal, 
welches von Tannenwäldern dicht besetzt ist, und gelangen drei 
Meilen unterhalb des Norris Geyser Basin in den Gibbon Canyon. 

Dieser romantische Engpass bildet den einzigen Ausweg aus 
dem Norris Basin und führt den zahlreichen und kühnen Win¬ 
dungen des Gibbonflusses entlang, zwischen hohen und wild zer¬ 
klüfteten Felsmassen. Die steil abfallenden Wände erheben sich 
theilweiso mehr als 2000 Fuss hoch über den Weg. Auch hier 
begegnen wir einem berühmten Landsmann, dem Mount Schurz, 
genannt nach Carl Schurz. Schurz verdient es auch, also 
geehrt zu werden, und Deutschland und Amerika haben allen 


Grund, stolz auf ihn zu sein. Er ist heute noch ein deutscher 
Student im edlen Scheffel’schen Sinn und hat auf seine 
amerikanische Umgebung einen unverkennbaren idealistischen 
Zug übertragen. Wie er im idealen Feuer als junger Burseh 
seinen Freund Kinkel aus dem Kerker befreit, wird seiner 
Zeit mit ebensoviel schwärmerischer Romantik umgeben werden, 
wie die Geschichte von Richard Löwenherz und seinem treuen 
Blondei. Je mehr wir uns nach Süden wenden, desto zahlreicher 
werden die heissen Quellen, welche von den hohen Flussufem 
entspringen. Eine dieser Quellen, Beryll genannt, hat 15 Fuss 
im Durchmesser, ist direkt am Fahrweg gelegen und macht sich 
schon von Weitem durch das Zischen ihrer Dämpfe dem Auge 
und Ohr bemerkbar. 

Im Gibbonfluss befinden sich viele Forellen und was sonst 
sehr leicht als Jägerlatein angesehen werden möchte, wird hier 
zur realen Wirklichkeit, nämlich das.s man einen Fisch fangen 
und, ohne seine eigene Stellung zu verändern, auch gleich kochen 
kann. Man braucht, neben einer der heissen Quellen am Fluss 
stehend, nur die Angel zu drehen und den zappelnden Fisch in 
den natürlichen Kochtopf hinein zu praktiziren. 

Eine reizende Erscheinung in diesem Engpass sind die sogen. 
Gibbon Paint Pots (Gibbon Farbentöpfe), veritables Anstreich¬ 
material, welches fix und fertig aus dem Boden quillt. Diese 
merkwürdigen Behälter bestehen aus vielfarbig schimmerndem 
Thon und zeigen in Folge ihrer zerklüfteten Formen die aller- 
merkwürdigsten Physiognomien; manche gleichen dem Gesicht 
einer Katze oder eines Hundes, andere dem einer alten Frau 
u. dergl. Einer dieser Riesenfarbentöpfe raucht gemüthlich am 
Abhang des Flussufers, etwa 50 Fuss über dem Flussspiegel. Er 
fällt durch seinen trichterförmigen Krater auf, dessen farben¬ 
prächtige, ebenfalls aus Thon bestehenden Wände ihn um 
6 Fuss überragen. Aus diesem quillt in regelmässigen Zwischen¬ 
räumen eine Dampfwolke, welche sich nach 2 Sekunden ver¬ 
flüchtigt, so dass man einen kurzen Blick in den brodelnden 
Brei dieser Hexenküche werfen kann. Derselbe nimmt, mirabile 
dictu, bei jedem frischen Dampfspasmus die unverkennbaren 
Formen einer schönen, aufgeblühten Rose an. 

Spät am Nachmittag gelangen wir an die Gibbon Falls 
(Gibbonfällc), die grossen Wasserfälle des Gibbonflusses. Da 
ergiessen sich die mächtigen Wassermassen im wilden Bogen in 
den Abgrund, aus dem das vergewaltigte Element noch einmal 
hoch aufschäumt. An silberglänzenden Caskaden entlang geht 
nun unsere Wanderung, bis wir das Thal des Firchole River 
(Feuerlochfluss) erreichen. Dieser vereingt sich kurz darauf mit 
dem Gibbon, jener mit dem Madison River, welcher einen der 
llauptflüsse des Missouri darstellt. Hier hat ein kleines Piket 
der Vereingten Staaten-Cavallerie ihr malerisches ßommer- 
bivouak bezogen. Kurz bevor wir am Ende unserer 40 Meilen 
langen ersten Tagereise anlangten, harrte unser eine kleine 
Ucberraschung. Als wir uns dem östlichen Arm des Fire Holo 
River näherten, rief plötzlich unser Schwerenöther von Kutscher, 
als ob er „Augen links“ hätte kommandiren wollen, dass wir 
unsere unteren Extremitäten auf den Wagensitz heraufziehen 
sollten, was wir automatisch und nicht ohne Anstrengung thaten. 
Gleich darauf setzten unsere Rosinantcn mitten in den Fluss, 
die Peitsche knallte lustig d’rauf los, die Räder platschten 
durch das Wasser, welches ungenirt in den Boden unseres hoch¬ 
gebauten Wagens eindrang, und ehe wir herzhaft fluchen konnten, 
da waren wir wieder um eine neue Erfahrung reicher. Hohn¬ 
lächelnd schaute sich der Rosselcnker um und frug, wie uns die 
Wasserfahrt gefallen hätte, während wir uns mit verdutzten 
Gesichtern anglotzten und nicht wussten, ob wir ihm für seine 
naive Keckheit etwas an seinen dreieckigen Kopf werfen oder 
ihm unsere Bewunderung für seinen gelungenen Handstreich 
ausdrücken sollten. Eine Meile weiter erreichten wir unsere 
erste Ruhestation, das Fountain Hotel. 

(Fortsetzung folgt.) 


Verschiedenes. 

Freie Arztwahl bei der Ortskrankenkasse IH in München. 

Die Ortskrankeukasse III für das kaufmännische Personal 
In München, bei der seit Februar 1898 die freie Arztwahl ein¬ 
geführt ist, hatte am Ende des abgelaufenen Jahres 5640 männ¬ 
liche und 0408 weibliche, im Ganzen 12 144 Mitglieder, somit 729 
mehr als im gleleheu Zeitpunkte des Vorjahres. In dem Ver- 
waltungsbericliie für das Jahr 1900 ist ausdrücklich anerkannt, 
dass die freie Arztwahl wie im Vorjahre gut Cuuktiouirte und die 


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1640 MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 41 


Zahl der hieran sich betheiligenden Aerzte gestiegen Ist. Für 
ärztliche Behandlung der Kassenraitglieder wurden 
38130 M. 45 Pf. — 10,44 Proc. der Gesammtuusgaben verausgabt; 
gegenüber den 3 Vorjahren macht sich hier eine relative Minde¬ 
rung geltend (10,5G: 17.11:17,99:16,44 Proc.). Die Kosten für 
Arzneien und Heilmittel, die ln den letzten Jahren 
dauernd sinken, haben in Folge der Durchführung der „ökono¬ 
mischen ärztlichen Verordnungsweise“ wieder etwas abgeuommen; 
in den beiden Jahren vor Einführung der freien Arztwahl be¬ 
trugen sie 10,15 und 18,41 Proc. der Gesammtausgaben, nach der¬ 
selben gingen sie auf 17.03 Proc.. 14.29 Proc. und zuletzt 14,11 Proc. 
zurück. Dagegen haben sich die Krankengelder von 
54 400 M. 78 Pf. auf 75 707 M. 12 Pf. erhöht und sind im Verhält- 
niss zu den Gesammtausgaben von 27.50 auf 32.(57 Proc. gestiegen, 
also auf fast ein Drittel. Diese Zunahme ist nicht dadurch bedingt, 
dass bei der freigestellten Wahl des Arztes die Kassenmitglieder 
leichter eine Bestätigung über Erwerbsunfähigkeit erlangten, 
sondern finden ihre Erklärung in Verhältnissen, die mit der freien 
Arztwahl nichts zu tliun halten. Einen kleinen Theil der Mehr¬ 
ausgaben bedingte die Zunahme der durchschnittlichen Mitglieder¬ 
zahl um 700, die Ilauptursache aber liegt in der am 1. Oktober 1899 
cingefülirten Erhöhung der Krankengelder, die im folgenden 
Vierteljahre noch einen Mehraufwand von ca. 2000, im Jahre 1900 
aber allein einen Mehraufwand von 11 452 M. 22 Pf zur Folge 
hatte. Dies fällt bei Vergleichung der beiden Jahre ganz be¬ 
deutend in’s Gewicht. Ausserdem aber machte sich im Jahre 1900 
eine auch sonst statistisch nachgewiesene Zunahme der Morbidität 
uud Mortalität bei der Münchener Ortskrankenkasse III in einer 
Steigerung der Erkraukungsfälle von 2900 auf 3395, der Krank¬ 
heitstage von 00 075 auf 73 991 und ln einer Zunahme der Sterbe¬ 
gelder um fast das Doppelte, ca. 3000 M., geltend; namentlich 
traten die Erkrankungen an Iuiluenza und Bronchialkatarrh fast 
doppelt so häufig auf als im Vorjahre. Da es auch anderweitig 
von Interesse ist, sind nachstehend die am meisten Erwerbs¬ 
unfähigkeit bedingenden Erkrankungen des Jahres 1900 und 1899 
zusammengestellt: 

1900 1899 


Influenza. 452 214 

Bronchialkatarrh. 339 194 

Blutarmuth. 259 178 

Erkrankungen der Geschlechtsorgane . . . 223 209 

Nervenkrankheiten. 185 132 

Rheumatismus. 153 192 

Tuberkulosis. 143 179 

Verletzungen. 143 88 

Andere Krankheiten der Athmungsorgane . 104 65 

Magenkatarrh. 103 136 

Darmkatarrh . 84 63 

Lungenschwindsucht. 79 38 


Bei dieser Sachlage kann mau die Erhöhung der Kranken¬ 
gelder nicht der freien Arztwahl zu Last legen, ebenso wenig wie 
die Erhöhung der Wöchnerinnengelder. 

Der Itcservcfond konnte trotz der bedeutenden ander¬ 
weitigen Ausgaben wieder vermehrt werden und hält sich seit 
2 Jahren über der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe. 

Diese kurzen Notizen mögen das noch immer hie uud da ge» 
äusscrte Bedenken zerstreuen, dass die freie Arztwahl zum Ruin 
einer Krankenkasse führe. Dr. Karl Becker. 

Aua den Parlamenten. 

Die bayerische Kammer de r A b g e o r ilueten 
wurde am 28. September eröffnet. Die ersten Sitzungstage waren 
durch allgemein politische Debatten ausgefiiili. Hoffentlich 
kommt der in der vorigen Session unerledigt gebliebene Ent¬ 
wurf eines Gesetzes, die ä r z 11 i e he St a n des- u u d 
Ehrcngericlitsord n uug betreffe n d, bald zur Be- 
rathung. Den im Vorjahre von sämmtliehen bayerischen Aerzte- 
kainmern gestellten Antrag, die kgl. Staatsregierung möge ihren 
Einfluss daliiu geltend machen, dass beim nächsten Zusammen¬ 
tritt der Kammer der Abgeordneten die bayerische Aerzteordnuug 
so bald als möglich zur Beratlmng gestellt werde, hat das Staats¬ 
ministerium des Innern dahin verbcschiedeu, „diesen Wunsch nach 
Thunllchkeit in Bedacht zu halten“. Bei dieser sehr vorsichtig ge¬ 
haltenen Zusage erschien cs ganz am Platze, dass die Vorsitzenden 
der 8 bayerischen Aerztekammeru au die Kammer der Abge¬ 
ordneten gleichfalls die Bitte richteten, in die Beratliuug der ärzt¬ 
lichen Standes- und Ehrengerichtsorduung baldmöglichst einzu¬ 
treten und durch eine unverkürzte Annahme derselben den be¬ 
rechtigten Wunsch der bayerischen Aerzte endlich zu erfüllen. Zur 
Vorberathung ist der Entwurf einem besonderen Ausschüsse über¬ 
wiesen worden: der Abg. Landmann, der das Referat über¬ 
nommen hatte, hat dasselbe bereits au den Ausschuss abgcliefert. 

In dem Etat des Staatsministeriums des Innern ist die Er¬ 
richtung von 5 neuen Bezirksämtern, nämlich in Oberbayern 
Starnberg und Wolfratsliausen, in der Pfalz Dürkheim uud 
St. Ingbert und in Unterfranken Genninden ln Aussicht genommen. 
Da jedoch die Neubildung der Aemter Starnberg und Wolfnits- 
liauscn die Auflassung des Bezirksamtes München II zur Folge 
hat, werden effektiv nur 4 neue Bezirksämter und damit gleichviel 
Bezirks:)rztsteilen errichtet. 

Einschliesslich dieser 4 neuen Stellen beträgt die Zahl der 
Landgerichtsärzte uud Bezirksärzte 194. Von den 4 noch vor¬ 
handenen Bezirks«rztstelleu II. Klasse unterliegen 2 — Marktbreit 


durch Pensionirung erledigt. Dürkheim wird Bezirksamt — dem 
Einzüge, dafür sollen 2 neue Bezirksärzte I. Klasse ernannt wer¬ 
den. Her eine soll dem Kreisniedicinulrcferenteu bei der kgl. Re¬ 
gierung von Oberbayern, welcher seine Geschäftsaufgabe allein 
nicht mehr bewältigen kann, als Hilfsarbeiter und Stellvertreter 
beigegeben weiden. Dann ist in Folge des starken Anwachsens 
der Münchener Bevölkerung die Aufstellung eines dritten Bezirks¬ 
amtes für den Stadtbezirk München dringend nothwendig. 

Bei den ganz ausserordentlichen Anforderungen des Medicinal- 
dienstes in einer so rasch emporwaehsenden Stadt wie München 
bleibt abzuwarten, ob dann den Bedürfnissen genügt ist; jeden¬ 
falls werden auch 3 Bezirksärzte mit Arbeit überhäuft sein, um 
so mehr als sic* sich durch Nebenarbeiten, wenn auch grössten- 
theils amtliche, ein zum Lebensunterhalte nothwendiges Ein¬ 
kommen verschaffen müssen. Es ist nicht billig, dass ein Bezirks¬ 
arzt in München trotz bedeutend grösserem Gesehäftsumfange 
nicht mehr Gehalt bezieht als im kleinsten Bezirksamte; mit der 
vollen Beschäftigung sollte die volle Besoldung verbunden werden. 
Ausserdem möchte hier die Anregung gegeben werden, dem ge- 
sehäfislcitomlen Bezirksarzte der Stadt München Titel, Rang und 
Gehalt eines Medieinalrathes zu verleihen, ähnlich wie der einer 
Distriktspolizeibehörde gleielistehendeu Polizeidirektion München 
nicht ein Rczirksamtniann, sondern ein Polizeidirektor voreteht. 
Durch eine derartig*» Organisation würde ein aus 3 BezirksHrzten 
und 3 Physikatsassistenteu zusammengesetztes „kgl. Gesundheits¬ 
amt der Stadt München“ nicht nur in seiner Bedeutung und seinem 
Ansehen nach aussen gehoben werden, sondern es würde dann 
auch die einheitliche Durchführung des amtsärztlichen Dienstes 
gewahrt bleiben. 

1 )ie Gehalte der Landgerichtsärzte bewegen sich, 
wie aus einem besonderen Ausweise zu ersehen ist, je nach der 
Dienstaltcrsklassc zwischen 2340 und 3780 M., die der Bezirks¬ 
ärzte I. Klasse zwischen 1980 und 3420 M. uud die der Kreis- 
ni e d i c I n a 1 r ä t h e zwischen 4920 und 0300 M.; der derzeitige 
Gehalt des Co«tralimpfarztes beträgt 2880 M., der des 
O b <» r m e d i c i n a 1 r a t h e s 7380 M. Die Regieaversen 
der Bezirksärate sollen von 49 M. auf 70 M. erhöht werden und 
ausserdem soll eine Reserve zur Anschaffung von ärztlichen In¬ 
strumenten beroltgestollt werden. 

Bei dem Etat für Gesundheit sind ausserdem an persönlichen 
und sächlichen Ausgaben vorgesehen: für den Obermedicinal- 
a u s s c h u s s 4080 M., für die Medicinalcomit G's an den 
Universitäten 0214 M. und für die Kreisraedicinalaus- 
s c li ii s s e 7200 M. 

Für den Pen sions verein für Witt wen und 
W a 1 s e n bayerischer Aerzte und den Verein zur Unter¬ 
stützung Invalider hilfsbedürftiger Aerzte in 
Bayern ist, wie früher, ein ordentlicher jährlicher Beitrag von 
3430 M. vorgesehen, für den erstgenannten Verein weiterhin noch 
ein ausserordentlicher Beitrag von jährlich 5000 M. Bei dieser 
anerkennenswerthen Staatshilfe ist zu hoffen, dass die in der 
letzten Zeit etwas zahlreicher gewordenen Beitrittserklärungen 
noch mehr zunchmen. 

Für niedicinisclie R e i s e s 11 p e n d i e n ist ein Jahres- 
betrag von 9000 M., für Veröffentlichung von Arbeiten auf dem 
Gebiete des Medicinaldienstes ein solcher von 3000 M. vorgesehen. 

Für Woliltliätlgkeitszwecke, Beiträge an Armen- und Kranken¬ 
anstalten, Taubstummen-, Bünden- und sonstige Institute, sowie 
für Leistungen auf Grund des öffentlichen Armen- und Kranken¬ 
pflegegesetzes sind, wie es einem Kulturstnate entspricht, grosse 
Summen im Etat eingesetzt. 

In München ist ein Neubau der k. Centralimpfanstalt und 
die Errichtung einer Universltüts-Irrenkünik in Aussicht ge¬ 
nommen. Die Ceutralinipfanstalt befindet sich seit dem 
Jahre 1889 auf dem Areal des v. Hauner'selien Kinderspitales; 
eine weitere Belassuug auf diesem Platze ist aus verschiedenen 
Gründen untliunllch. Es erschien ln sanitärer Hinsicht höchst 
bedenklich, in der unmittelbaren Nähe der Baracken für scharlacli- 
und diplitlieriekranke Kinder mit einem Lelchenhausc die Ge¬ 
winnung und Versendung der Lymphe vorzunehmen, sowie das 
die Ceutralinipfanstalt besuchende Publikum verkehren zu lassen, 
und ('s erwies sich daher eine provisorische Verlegung der Anstalt 
bereits als nothwendig. Ausserdem ist es nicht möglich, die An¬ 
stalt mit Ihren dermnligen Räumlichkeiten den Anforderungen 
der durch Bundesrathsbescliluss vom 28. Juni 1899 vereinbarten 
Vorschriften über die Anlage und den Betrieb der Anstalten zur 
Gewinnung von Thierlympiio entsprechend einzurichten und aus¬ 
zugestalten. Die Anstalt soll auch in Zukunft dem doppelten 
Zwecke der Lympheerzeugung für das ganze Königreich und der 
Vornahme der Schutzpockenimpfung für die Stadt München 
dienen, ferner auch für die Medicinstudirenden behufs Ausbildung 
Im Impfwesen leicht erreichbar sein und desshalb eine günstige 
Lage zum Centrum und zu den Hnuptverkehrswegen der Stadt 
haben. Der Gesammtaufwand für den Neubau wird rund 
404 400 M. betragen. 

Die Errichtung der neuen oberlmyerischen Kreisirrenanstalt 
in Kalling und die Auflassung der bisherigen in München machen 
die Errichtung einer TJniversltilts-Irrenklinik noth¬ 
wendig. Die Herstellung des Baues saniint der Inneren und 
wissenschaftlichen Einrichtung der Klinik wird auf ca. ly, MUL 
Mark zu stellen kommen. Für die kommende Finanzperiode soll 
vorerst der Betrag von 1200 000 M. postulirt werden. Die Stadt¬ 
gemeinde bozw. die Krankenhausstiftung München überlässt von 
iluvm Areale au der Ecke der Nussbuum- uud Göthestrasse eine 


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8 . Oktober 1901. 


MÜNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1641 


Fläche von ungefähr 10 000 Qun<lratineteni, wovon ungefähr 
4000 Quadratmeter überbaut werden sollen, zu Erbbaurecht; der 
Freie des Grundstückes würde beim Ankauf kaum unter 1 Million 
Mark betragen. Dagegen übernimmt die k. Ludwigs-Maximilians- 
Universität die Erbauung, Einrichtung uud Unterhaltung, sowie 
den vollen Betrieb einer Anstalt zur vorübergehenden Unter¬ 
bringung von Geisteskranken, welche zugleich als Stadtasyl und 
als psychiatrische Klinik zu dienen bestimmt ist. Die Feststellung 
der definitiven Pläne ist von der Zustimmung des Stadtmagistrats 
abhängig. Die Zahl der Betten wird auf 100 festgesetzt. In der 
Regel sollen nur Kranke Aufnahme linden, welche in der Stadt 
München wohnhaft oder im Aufenthalte sind; nur wenn uud so 
"‘eit die festgesetzte Betteuzahl zeitweise nicht mit solchen 
Kranken belegt ist, können andere Geisteskranke vorübergehend 
nnfgenommen werden. Sind bei einem vorübergehend unterge¬ 
brachten Geisteskranken die in der ministeriellen Eutschliessung 
vom 1. Januar 1895 vorgeschriebenen Verhandlungen so weit ab¬ 
geschlossen, dass die Unterbringung der betr. Person in eine 
Irrenanstalt erfolgen kann, so muss dieselbe im Falle der Trans¬ 
portfähigkeit der Kranken ohne Verzug bethätigt werden. Für 
klinische Dauerfälle dürfen höchstens 10 Betten — je 5 für Männer 
und Frauen — in Anspruch genommen werden, so dass die übrigen 
90 Betten für provisorisch unterzubringende Geisteskranke stets 
verfügbar sein müssen. Eine Vorstellung von Kranken zu Zwecken 
des klinischen Unterrichts darf gegen den Willen der Kranken 
oder ihrer Angehörigen nicht vorgeuommou werden. Die Tarif¬ 
sätze für die Kommunsäle sollen den für die städtischen Kranken¬ 
häuser geltenden Tarifsätzen gleichgestellt werden. Die Anstalts¬ 
leitung hat in jeder möglichen Weise dafür Sorge zu tragen, dass 
der Nachbarschaft aus dem Betriebe der Anstalt keine Belästig¬ 
ungen erwachsen. 

München, 4. Oktober 1901. 

Dr. Becker- München. 


Therapeutisfche Notizen. 

/ Zur symptomatischen Behandlung des Hu¬ 
stens empfiehlt S a e n g eju Mag debur g—ängeTegeütllelf ' das 
Menthol. (TherainTTOTItshefte 7, 1901). Die Anwendung 
'• geschieht am einfachsten, wenn man einige in einem Löffel befind¬ 
liche Krystalle 5—20 Sekunden laug Uber einer Kerzenflamme 
erwärmt und dann die Mentholdämpfe Inhalirt. Belm Nachlassen 
der Verdampfung kann man von Neuem erwärmen. Löst man 
das Mittel ln Alkohol (40—50 proc. Lösung), so braucht mau nur 
einige Tropfen der Lösung zwischen der Handfläche zu verreiben 
und die Hände wie eine Maske vor den Mund zu halten. Mit 
einer der gewöhnlichen Chloroformmasken lässt sich der Zweck 
ebenso gut erreichen. 

Der Hustenreiz schwindet auf die Mentholeinathmuugen 
ziemlich prompt, vorausgesetzt, dass nicht die Schleimhaut vou 
Sekret allzusehr bedeckt ist Etwa vorhandenes Sekret muss ent¬ 
fernt werden, und das geschieht am besten in der Weise dass 
man das Menthol in Olivenöl gelöst in den Kehlkopf einspritzt 
Dadurch werden einerseits sehr starke Hustenstösse augelöst die 
den Schleim entfernen, anderereits wird die Schleimhaut durch 
das verdampfende Menthol in ausgezeichneter Welse anaesthesirt 
Bei chronischer Bronchitis, auch bei Phthisikern, kann man durch 
täglich 2—4 malige- Einspritzung von 1—2 g einer 10—20 proc. 
l/osnng die Kranken fast vollkommen hustenfrei machen. Diese 
Injektionen können ohne Hilfe des Kehlkopfspiegels auch von den 
Angehörigen der Kranken vorgenommen werden. Kr 


Ueberden Einfluss der Nubmaschinenarbeit 
auf den weiblichen Organismus hat F a 1 k - Berlin 
s«-hr gründliche Untersuchungen angestellt. (Therap. Monatshefte 
Mal. Juni 1901). Im Allgemeinen zeigt er, dass die Gefahren der 
NuImmschinenarbclt von vielen Seiten überschätzt werden. Aller¬ 
dings kann dieselbe bei gesunden Frauen manchmal Kongestion 
xu den Genitalien verursachen und Im Anschluss daran katar¬ 
rhalische und entzündliche Proeesse. hei Schwangeren Fehlgeburt 
herUeiführen. In höherem Grade macht sieh ein schädigender 
Einfluss bei unterleibskranken Frauen bemerkbar; bei diesen muss 
die Nnhmaseliineuarbolt als direkt schädlich angesehen werden, 
l nd noch viel schädlicher wirkt eine anhaltende Beschäftigung 
fm Stehen, wie z. B. hei Plätterinnen. 

I»le Schädigung der Nähmaschlnenarbeit als solcher lässt sich 
fast vollständig vermelden, wenn die Maschinen durch Dampf oder 
Elektricitüt getrieben werden. Kr 


Tagesgeschichtliche Notizen. 


M ü n c h e n, 8. Oktober 1901. 

— IMe Feier von Rudolf Virclio w’s SO. Geburtstag, 
die am 12. ds. stattfinden wird, verspricht sich zu einer Imposanten 
internationalen Kundgebung zu Ehren dieses Heroeu der Wissen¬ 
schaft xu gestalten. Nicht nur die Vertreter der deutschen 
Forschung werden in grosser Zahl zur Beglückwünschung in Berlin 
erscheinen, sondern auch das Ausland seudet seine besten Männer 
SO England Lord L i s t e r, Italien B a e e e 11 1. Frankreich 
<’ o r n i 1 uud Lannelongue etc., zu dem Feste des deutschen 
Gelehrten. Mit Stolz blickt Deutschland an diesem Tage auf 
Vircho w, von dem man sagen kann, dass er in erster Liuie 
«len wissenschaftlichen Aufschwung Deutschlands um die Mitte 
de» vorigen Jahrhunderts eingeleitet und die glänzende Stellung, 


die es in der Wissenschaft einnimmt, erkämpft hat. Es ist ein 
seltenes Glück, dass wir den Mann, dessen Name mit der grössten 
Epoche der Geschichte der Medieiu untrennbar verbunden ist, 
heute noch schaffend uud arbeitend unter uns finden uud der 
Wunsch Aller au seinem Ehrentage ist, dass die unverwüstliche 
Frische des Körpers und Geistes, die ihn bisher auszeiclmete, ihm 
noch viele Jahre beschieden sein möge. 

— Der Geschäftsausseliuss des deutschen Aerzte- 
vereinsbundes hat in seiner am 21. v. Mts. in Hamburg ab- 
lialteuen Sitzung die Wahl des ueueu Geschäftsführers vorge- 
uomnien. Bel der grossen Bedeutung, die nach der neuen Organi¬ 
sation diesem Posten zukonmit, hat uian dieser Wahl mit grosser 
Spannung entgegengesehen. Sie fiel auf 11 e i n z e , das lang¬ 
jährige Mitglied des Geschüftsaussehusses und früheren Leiter 
des Vereinsblattes. Da intime Vertrautheit mit allen Fragen des 
ärztlichen Standes die erste Anforderung ist, die au den Geschäfts¬ 
führer des Aerztevereiusbundes zu stellen ist, und H e i n z e dieser 
Anforderung auf’s Beste entspricht, da er ausserdem seine Ge- 
scliäftsgewandtlieit im Dienste des Bundes seit Jahren zur Geuüge 
bewiesen hat, so konnte, wie uns scheint, unter den gegebenen 
Verhältnissen eine bessere Wahl nicht getroffen werden. Nach 
dem Beschlüsse des letzten Aerztetugs hat der Geschäftsführer 
bekanntlich nach Berlin überzusiedeln. — Als Delegirter des 
Geschüftsaussehusses zum wirthschaftlichen Verband wurde 
W i li d e 1 s gewählt. 

— Nach einer Entscheidung des preussisclieu Ehreugericlits- 
liofes für Aerzte ist eiue Beschwerde gegen das ärztliche Ehren¬ 
gericht wegen Abweisung von Anzeigen gegen Aerzte unzulässig: 
„In dem Gesetze, betr. die ärztlichen Ehrengerichte, sind Rechts¬ 
mittel gegen Verfügungen der Ehrengerichte, welche die Zurück- 
weisung vou Denunziationen gegen Aerzte zum Gegenstände 
haben, nicht vorgesehen. Der Beschwerde war daher ohne 
materielle Prüfung der Sachlage wegen Unzulässigkeit des Rechts¬ 
mittels der Erfolg zu versagen.“ 

— ln Gelsenkirchen ist eine umfangreiche Typliusepi- 
demie zum Ausbruch gekommen. Als Ursache derselben ist 
eine Verseuchung des Leituugswassers durch Typliusbucilleu fest- 
gestellt, hervorgenifeu dureh eineu ln Königs-Steele vorgekom- 
menen Rohrbruch, der vor einem typhusverseuehten Hause erfolgt 
war. Bis Eude September sind 98 i Erkrankungen umtuch fest¬ 
gestellt; die Epidemie scheint jedoch ihren Höhepunkt über¬ 
schritten zu haben. /, t. M.-B. 

--- Pest. Italien, ln der Nacht vom 23. bis 24. September 
wurden in Neapel unter den Hafenarbeitern 12 pestverdächtigo 
Krankheitsfälle angezeigt, von denen bisher 5 tödtlieh endeten. 
Die Erkrankungen, welche sich bei der basieriologischen Unter¬ 
suchung als Pest erwiesen haben, sind ausschliesslich unter der 
Arbeiterbevölkerung von Punto Franco vorgekommeu; eiue Ueber- 
tragung auf Bewohner der eigentlichen Stadt war bis zum 28. Sep¬ 
tember nicht beobachtet. — Frankreich. Einer Mittheilung vom 
25. September zu Folge sind ln Marseille 2 Manu vou der Be¬ 
satzung des Dampfers „Senegal" unter pestverdächtigeu Erschei¬ 
nungen gestorben. — Aegypten. Vom 13. bis 19. September kamen 
im Ganzen 8 Erkrankungen (und U Todesfälle) zur Anzeige, davon 
3(1) in Alexandrien, je 2 (2) in Port Said und Mit Gamr, 1 (1) in 
Beniia. — Britisch Ostindien. In der am 3U. August abgelaufeneu 
Woche siud iu der Präsidentschaft Bombay 5420 Neuerkrankungen 
uud 3757 Todesfälle an Pest restgestellt worden, d. b. 1132 bezw. 
120 mehr als in der Vorwoche, in der Stadt Bombay siud iu der 
am 31. August eudenden Woche 189 Persouen au der Pest erkrankt 
und 228 üaran gestorben; die Zahl der pestverdächtigeu Todes¬ 
fälle betrug 179, der Gesummtsterbefälle 007. — Hongkong. Ob¬ 
wohl die Koloniulregieruug laut amtlicher Bekanntmachung vom 
22 . August die Pestepidemie als erloschen betrachtet, sind für 
die Zeit vom 3. bis lü. August 10 Erkrankungen tund 12 Todesfälle) 
gemeldet worden, vom 10 . bis J7. August 4 (5) und seitdem ins 
zum 23. August 2 *2). Alle diese Fülle betrafen Chinesen. Einer 
chincsisclierseits vorgebrachten Bitte, zu gestatten, dass die 
Leichen der an der Fest verstorbenen Chinesen auf Wunsch der 
Angehörigen oder Bekannten nach chinesischer Art eingesargt und 
aus Hougkoug fortgebracht werden dürfen, hat die Kolonial- 
regierung stattgegebeu. — Mauritius. In der Zeit vom 12. Juli 
bis 1. August wurden auf der Iusel 2 Erkrankungen und 2 Todes¬ 
fälle an der Pest beobachtet; iu der ersten Augustwoehe wurde 
kein Pestfall mehr festgestellt. — Kaplaud. Während der Woche 
vom 25. bis 31. August wurden iu Port Elizabeth 4 Personen 
(1 Eingeborener uud 3 Mischlinge) dem Pesthospital überwiesen, 
wodurch die Zahl der Gesammtfälle dort auf 57 gestiegen ist; 
ferner sind 3 Pesttodesfälle iu Port Elizabeth beobachtet. Auf 
der Kaplialblnsel ist nach dem amtlichen Ausweise weder eine 
Neuerkrankung noch ein Todesfall vorgekommen, 10 Pestkranke 
verblieben hier noch in ärztlicher Behandlung, ferner 2 Pestver¬ 
dächtige unter Beobachtung und 89 Personen iu den coutact 
camps. — Queensland. Während der am 3. und 10. August ab¬ 
gelaufeneu Wochen sind nach den amtlichen Ausweisen Neu- 
erkrnnkungen oder Todesfälle au der Pest iu der Kolonie nicht vor- 
gekomiuen. ln der am 17. August eudenden Woehe soll iu Bris- 
baue aber eiu neuer Pestfall mit tödtlicliem Ausgang beobachtet 
worden sein. — Neti-Kaledouien. Vom 12. August bis 15. Sep¬ 
tember siud iu Numen 29 Erkrankungen und 7 Todesfälle au der 
Pest, darunter 9 bezw. 1 bei Europäern, festgestellt. Von den 
29 Krankheitsfällen entfielen 20 auf die Zeit vom 12. bis 22. August, 

V. d. K. G.-A. 

— ln der 38. Jahreswoche, vom 15.—21. September 1901, 
hatten von deutschen Städten Uber 40 000 Einwohner die grösste 


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1642 


MUENOHENElt MEDICIN1SC11E WOCHENSCHRIFT. 


No. 41. 


Sterblichkeit Elbhip mit GO,4, die geringste Solingen mit C,0 Todes* 
füllen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
<iestorlM*nen starb an Scharlach in Bochum, Hagen, Halle, an 
Diphtherie und Croup in Broiui»erg, an Unterleibstyphus ln Pforz¬ 
heim. 

— Gelegentlich der N a t u r f o rsclier ve rsam in hing in Hamburg 
hat sich eine Gesellschaft für Geschichte der 
M e d I c i n und Naturwissenschaften gebildet, zu 
deren Vorsitzenden der verdiente Paracelsusforscher Dr. Sud¬ 
hoff in Hochdahl gewühlt wurde. 

(Berichtigung.) In der Arbeit von K e 11 i n g in No. GO 
ist Folgendes zu berichtigen: Seite lfiOö, rechte Spalte, Zeile 18 
von unten muss es heissen: „denn das Verfahren beseitigt die 
Blutüberfüllung der Eingeweide“. Seite 1538, linke Spalte. Zeile 22 
von oben: „welche so beschaffen siud, dass sie für sich und auch 
mit dem Magensaft gemischt etc.“ 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Der appr. Arzt Eduard Miller in Ncuu- 
kirelien a. Br. (Bezirksamt Forchheim). 

In den Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse 
Dr. Georg Adam Engelhardt in Würzburg, wegen Krankheit 
und hiedurch bedingter Dienstesunfähigkeit, auf die Dauer eines 
Jahres. 

Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse für den Verwaltungs¬ 
bezirk der Stadt Würzburg. Bewerber um dieselbe haben ihre vor- 
schriftsmiissig belegten Gesuche bei der ihnen Vorgesetzten k. Re¬ 
gierung, Kammer des Innern, bis zum 20. Oktober 1. Js. einzu- 
reicheu. 

Beurlaubt: der Oberarzt Dr. Fuhrmann des 7. Inf.-Keg. 
unter Stellung & la suite des Snnitütscorps auf ein Jahr. 

Befördert: der Unterarzt Dr. Joseph Müller im 7. Inf.-Keg. 
zum Assistenzarzt. 


Abschied bewilligt: dem Gcncralobernrzt Dr. Kratzer, 
Divisionsarzt der 4. Division, unter Verleihung des Ritterkreuzes 
1. Klasse des Mllitürverdleustordens, mit der gesetzlichen Pension 
und mit der Erlaubniss zum Forttragen der Uniform mit den für 
Verabschiedete vorgeschriebenen Abzeichen. 

Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankheitenfür München 

in der 39. Jahreswoche vom 22 biB 28. September 1901. 

Betheiligte Aerzte 205. — Brechdurchfall 27 (18*), Diphtherie, 
Croup 12 (16), EryBipelas 12 (14), Intermittens, Neuralgin intern. 
1 (1), Kindbettfieber — (2), Meningitis cerebrospin. — (—), 
Morbilli 37 (12), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 2 (9), Parotitis 
epidom. 2 (1), Pneumonia crouposa 10 (7), Pyaenaie, Septikaemie 
— (—), Rheumatismus art. ac. 14 (10), Ruhr (dysenteria) — (—\ 
Scarlatina 16 (8), Tussis convulsiva 16 (6), TyP^ M abdominalis 
1 (2), Varicellen 12 (1), Variola, Varioloia — (—), Influenza 1 (—), 
Summa 162 (107). Kgl. Bezirksaret Dr. Müller. 

Uebersicht der Sterbefälle in München 

wahrend der 39. Jahreswoche vom 22 biß 28. September 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 4 (—■*), Scharlach — (—\ Diphtherie 
und Croup — (4), Rothlauf 1 (1). Kindbettfieber — (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) — (1), Brechdurchfall 6 (G), Unterleibtyphns 
1 (1), Keuchhusten 1 (2), Cronpöse Lungenentzündung 2 (4, 

Tuberkulose a) der Lungen 17 (18), b) der übrigen Organe 11 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 1 (2), Unglücksfälle 1 (2), Selbstmord — (2), Tod durch 
fremde Iland — (1). 

Die Gesammtzahl der Sterbcfälle 216 (197), VerhäUnisezahl auf 
das Jahr und 1000 Eiuwohner iuj Allgemeinen 22,5 (20,5), für die 
über dem 1. Lebensjahre stellende Bevölkerung 10,7 (12,2). 

•) Die olugcklammortcD Zahlen bedeuten die Fülle der Vorwoche. 


Morbiditätsstatistik der Infectionskrankheiten in Bayern: Juli 1 ) und August 1901. 



Summe 

.269812896 

487 

435j364|303| 

Augsburg*) | 

49 

73 

11 

13 

1 

- 

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7 

14 

4 

2 

Hot 

19 

23 

1 

1 

1 

2 

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2 

1 

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9 

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2 

4 

München*) 

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62 

35l 

68 

37 

Nürnberg 1 

28l| 

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31; 

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Berölkerungszlffern*): Oberbayern l'S23,447, Nlederbayem 678,684, 
PW* 8*1,6«, Oberpfal* 663,867, Oberfranken 607,903, Mittelfrauken 816,65«, Unter¬ 
franken «AO,768, Schwaben 713,516. — Augsburg 89,109, Bamberg 41,820, Hof 32,782, 
Kaiserslautern 48,806, Ludwigshafen 61,906, München 499,959, Nürnberg 261,022, 
Pirmasens 30.194, Regensburg 46,426, Wünburg 76,497. 

Einsendungen fehlen aus den Aemtern Bogeu, Kelheim. Neunburg v./W., 
Kehau, TouschnUz, Ansbach, Günzenhausen, Neustadt a./A., Nürnberg, Hofhelm, 
Königshofen, Mellrichstadl, Miltenberg, Augsburg, Kaufbeuren und Oberdorf 

Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet 
aua folgenden Aemtern bezw. Orten: 

Brechdurchfall: Stadt- und Lundbezirke Freising 72, Landsberg 4G, 
Arnberg 48, Aemter Neustadt a./H. 128, Zweibrücken 67. München II 64, PfalTen- 
bofen 44 buh. Fülle; zahlreiche Erkrankungen im iirztL Bezirke Pleysteiu (Voheu- 
strauss), meist ohne ärztliche Behandlung. 

Diphtherie, Croup: StHdt- und Landbozirk Bayreuth 16, Aemter Zwei¬ 
brücken 21, Feaehtwaugen 14. Tölz und Wunsiedel je 13 beli. Fülle. 

Influenza: A.-G. Nenöttlng (Altotting) 1 , luo mehr oder minder verein¬ 
zelte weitere Fälle vertheilt auf 3 grossere Städte und 3» Aemter 

Morbilli: Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern Wnlfslein (im iirztl. 
Bezirke Waldkirchen). Frankenthal (56 lieh. Fälle), Germershelm (noch in Kliein- 
zabero, ferner ln Bellheim), Landau I. Pf. (erloschen in Lindau, neu in Nunsdorf), 
Neustadt a./H. (in Neustadt, Haaidt, Gimmeldingen, Hassloch, nur 38 beli. Fälle), 
Herabruek (In der Stadt selbst 60 beb Kalle). Rothenburg a ,T (in SebtBliigs- 
ftirst, Frankenheirn und Bellcrshauseu neben Tussis) und Memmingen *in l.”gau 
imd Helmerlingen). Epidemisches Auftreten ferner in den Aemtern Straubing 
itm ärttl. Bezirk Oberscbnclding neben Tussis) und Wegscheid (in Gemeinde Gotts- 
dorf 61 amtlich konstatirte Fälle; gehäufte Erkrankungen im ür/.tl. Bezirk Sirass- 
beaseubneh (AschalTenburg). 

Bosrlatlna: Epidemisch in Neustadt n./II., 40 beh. Fülle. 

Tuasit convulsiva: Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern Alt¬ 
otting (in Reitenhaalach), Miesbach (79 beb. Fälle), Muhldorf (im Erloschen im 
ärztl. Bezirk Kraiburg), Pfaffenhofen (in Pfaffenhofen und Umgebung, 73 beh. 


Fälle), Passnu (noch in einzelnen Familien und Orten des ärztl. Bezirks Fürsten- 
zell), Vieehtaeh (in Mosbach, weitere Verbreitung gegen S.-W.), Sludtsteinaeli tim 
Erloschen), Kot heuburg a /T. (iu 3 Gemeindcu neben Masern) und Zusmarshau— n 
(neuerliches Auftreten im ärztl. Bezirke Alienmünsterj. Epidemisches AufiM.-n 
ferner in den Aemtern Straubing (in Oberschueiding neben Masern), Lundau i Pf 
iln Bornhelm), Kempten (in Dietmunusried uud Schratlcubach) und iu dei Stadt 
Memmingen. 

Typhus abdominalis: Fortsetzung der Epidemie in Schlmding (Wun- 
sledel), Im Juli 6, August 14 beh. Fälle; Epidemie in Maudach (Ludwigshafe»), 
6 Fülle tu 3 benachbarten Häusern mit gemeinsamem verunreinigten Brunnen) 
und Dictmanusricd tKempten), 8 beh. Fälle; je 6 Fälle in Neustadt a.. H. und ito 
Amte Marktheidenf.dd, hievon 4 in Neubrunn. 

Milzbrand: 1 Fall iu Dahn (Pirmasens), einen 68jährigen Schäfer betr., 
welcher sieh beim Abziehen einer kranken Kuh verletzt hatte. 

Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird nm 
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Bericht« 
mouat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Kehl an zeigen 
ersucht, wobei aumerkuugsweise Mittheilungen über Epidemien erwünscht sind 
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswerth, dass Kille 
aus der sog Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Grenz 
amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern an¬ 
gezeigt werden. 

Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen zu portofreier Einsen 
düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Besirksärzt« 
zu erhallen. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. 8 am m e 1 k a r t e n als zu 
Einzel n einsendungen der Amts- und praktischen Aerzte, welche In letz¬ 
terem Falle die im betreffenden Monato behandelten Fälle zusammengestelll *ui 
je 1 Karle pro Monat nebst allenfnllsigen Bemerkungen über Epidemien etc. zur 
Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht von Einsendung sog. Zähl 
blättcheu oder Bammelbogen abzusehen. Allenfalls in Händen befiud 
liehe sog. Postkarten wollen aufgebraucht, Jedoch durch Angabe der Zahl 
der behandelten Influenzafälle ergänzt und unter Umschlag eingesandt werdeu. 


•) Nach dem vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung vom l. Dezember 1900. — *) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. S7, 1901, 
clngcianfencr Nachträge. — *) Im Monat Juli 1901 einachliesalich der Nachträge 1227. — *) 27. mit 31 Losw. 32. mit 36. Jahreswoche. 


Verlag von J. F. Lahm aan ln Münohen. — Druck von K. MÜhlthaler’k Buch- und Kunstdraokarel A.G., München. 


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Dlo Münch. Med. Wochenschr. erscheint wüchentl. 
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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Heraasgegeben von 

CI. Biiiltr, 0. Boilliftr, H. Cirsckiin, C. Berlirtt, 6. Mutti. J. i. Mlckti, H. v. Bukt, F. v. Wliektl, H. i. Zitissn, 

Freiburg 1. B München Letpsdg. Berlin. Nürnberg Berlin. München München. 


No. 42. 15. Oktober 1901. 


Redaction: Dr. B. Spats, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus dem pharmakologischen Institut in Greifswald. 

Warum wirkt die Gelatine haemostatisch ? 

Von Dr. Z i b e 11, früherem Assistenten am pharmakologischen 
Institut in Greifswald. 

Die Anwendung der Gelatine als Haemostaticum ist nicht 
neueren Datums; schon in der Literatur aus dem Anfänge und 
der Mitte des vorigen Jahrhunderts finden sich Mittheilungen, 
die sie bei Blutungen aller Art empfehlen. So berichtet 
Hecker [1] in seiner praktischen Arzneimittellehre aus dem 
Jahre 1838. dass eine Auflösung von Hausenblase gute Dienste 
leiste bei Nasenbluten und Mutterblutflüssen, und in dem Werke 
von Osiander [2] über Volksarzneimittel wird empfohlen, auf 
blutende Wunden Tischlerleim warm aufzustreichen und Lein¬ 
wand oder Papier darüber zu kleben. 

Camot [3] hat im Jahre 1896 in einer Mittheilung an die 
biologische Gesellschaft wieder auf dieses in ärztlichen Kreisen 
lange vergessen gewesene Mittel hingewiesen und seinen Gebrauch 
angerathen. Nachdem Carnot’s Beobachtungen über die Ge¬ 
rinnung erregende Eigenschaft auch von D a s t r e und Flo¬ 
re s c o [4] bestätigt waren, unterzogen die französischen Kliniker 
•las neue Haemostaticum einer eingehenden Prüfung, namentlich 
bei der Behandlung von Aneurysmen, wo die bisherige Therapie 
ziemlich im Stich gelassen hatte. Es waren hauptsächlich Lan¬ 
ce r e a u x und P a u 1 e s c o [5], die zuerst das neue Verfahren 
praktisch erprobten und recht befriedigende Resultate erzielten. 

Die Technik, deren sie sich bedienten, war folgende: Eine 
sterilisirte Lösung von Gelatine blanche, 4,0 g in 200 ccm physio¬ 
logischer Kochsalzlösung, wurde aus einer dem Sprayapparato 
ähnlichen, mit Doppelgebläso und Kanüle versehenen Flasche 
langsam unter die Ilaut des Bauches oder der Schenkel mit Be¬ 
obachtung strengster Asepsis bis zu höchstens 100 ccm einge- 
spritzt. Danach unterblieb jede Untersuchung des Aneurysma; 
der Kranke hatte absolute Ruhe zu beobachten, damit kein sich 
bildendes Coagulum abgelöst wurde. Dio Resorption der in- 
jizirten .Flüssigkeit ging schnell von Stetten und hatte bei ge¬ 
lungener Asepsis keine örtliche Reaktion zur Folge. Nach 6 bis 
8 Tagen wurde die Injektion mit einer etwas schwächeren Lösung 
wiederholt, bis der beabsichtigte Erfolg eingetreten war. 

Bei Patienten, die auf diese Weise behandelt wurden, konnten 
Lancere au x und Paulesco beobachten, wie schon nach 
wenigen Einspritzungen die weichen, pulsirenden Tumoren sich 
verkleinerten, eine härtere Konsistenz annahmen, und das All¬ 
gemeinbefinden der Kranken sich besserte. Diese Besserung 
hielt bei einzelnen Individuen bis zu einem Jahre an. Trateu 
Rocidive ein, so wurden diese durch einige weitere Injektionen 
beseitigt. In einem Falle, wo es Lancereaux [6] möglich 
war, die Sektion zu machen, zeigte sich der Aneurysmasack voll¬ 
ständig mit alten, sehr festen Gerinnseln angefüllt, die gegen 
das Eindringen des Blutes völlig abschlosson. 

Weitere klinische Mittheilungen machten Huchard [7] 
und B o i n e t [8]. Ersterer brachte trotz eines selbst beobachte¬ 
ten Falles schwere Bedenken vor gegen eine allgemeine An¬ 
wendung dieser Methode wegen der mit ihr verbundenen grossen 
Schmerzhaftigkeit und besonders wegen der Gefahr einer Em¬ 
bolie. Denselben Standpunkt nimmt Boi net ein, der in einem 
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Falle akut sich entwickelnde Lungenphthise in Folge Stenosirung 
der Arteria pulmonalis durch Fibringerinnsel entstehen sah. 

Auch die deutschen, österreichischen und russischen Aerzte, 
die bisher die neue Methode am Krankenbette angewandt haben, 
wie Senator [9], Leyden [10], lvlemperer [11], ferner 
S o r g o [12] in Wien und G o 1 u b i n i n [13] in Moskau, äusse-r- 
ten sich sehr skeptisch und schrieben die günstigen Resultate 
mehr der mit der Golatinekur verbundenen absoluten Bettruhe 
und Diaeta parca als der Gelatine selbst zu. Immerhin müssen 
Erfolge, wie sio Lancereaux, Fränkel[ 14], Rumpf 
in Hamburg und Kaie n d e r u [15] in Bukarest erzielt haben, 
dringend zu weiteren Versuchen auf fonlern. 

Besser als bei der Behandlung der Aneurysmen sind die 
bisher mit der Gelatine bei äusseren und inneren Blutungen er¬ 
zielten Resultate. Bei Lungen-, Magen- und Darmblutungen, wo 
alle anderen Haeinostatiea im Stich Hessen, hat sie sich gut be¬ 
währt. Ferner hat sieh das Mittel wirksam erwiesen bei unstill¬ 
barem Nasenbluten haemophiler Personen, bei Ilaemoptoe, bei 
Nieren-, Haemorrhoidal- und Uterusblutungen. Auch über einen 
durch Gelatine geheilten Fall von Blutergelenk bei einem Knaben 
ist von Kra use [161 berichtet worden. Zwei italienische Aerzte, 
P e n s u t i [17] und S e n n i [18] haben die Gelatine auf Grund 
ihrer Erfahrungen bei Blutdissolutionszuständen und haemör- 
rhagisehen Infektionen empfohlen. Als Anregungsmittel zur 
Steigerung der Gerinnbarkeit des Blutes ist die Gelatine gleich¬ 
falls benutzt worden; so konnte J aboulay [19] nach Injektion 
von Gelatine in die Umgebung eines Mammacarcinoms dieses 
ohne nennenswerthen Blutverlust exstirpiren. Auch bei innerer 
Darreichung vermag das Mittel seine günstige Wirkung zu ent¬ 
falten, wie die Berichte Po 1 j a k o w’s [20] und Bauor- 
m e i s t e r’s [21], die Gelatine bei Haematemesis in Folge von 
Ulcus ventriculi gaben, beweisen. • • 

Es versteht sich wohl von selbst, dass der Allgemeinzustand 
des Organismus und die. Eigenschaften des Blutes, das bei dem 
einen Patienten mehr, hei dem anderen weniger auf die Gelatine 
reagirt, beim Zustandekommen der Wirkung eine nicht zu unter¬ 
schätzende Rollo spielen; es konnte desshalb auch nicht an ein¬ 
zelnen Misserfolgen fehlen. Trotzdem ist die Gelatine in unserem 
Arzneischatz fast schon unentbehrlich geworden; man kann so¬ 
gar behaupten, dass sich ihr Wirkungskreis bei weiteren Ver¬ 
suchen und bei Verbesserung ihrer Anwendungsweise noch Ver- 
grössem wird. 

Wie kommt denn nun die Wirkung der Gelatine zu Stande? 
Es ist bereits vielfach versucht worden, diese Frage zu beant¬ 
worten, jedoch kann wohl keine der bisher aufgestellten Theorien 
eine genügende Erklärung geben. Wie 90 oft schon, hat auch 
hier die „rohe Empirie“ die Lösung der Frage nicht abgewartet 
und ist der Theorie vorausgeeilt.. 

Lancereaux [22] denkt sieh den Verlauf der Gelatine¬ 
wirkung so, dass die Lösung zuerst in den Lymphstrom und von 
da in den Kreislauf in wirklicher Lösung gelange und durch 
sich selbst — über die näheren Umstände hierbei gibt er nichts 
an — die eoagulirende Wirkung ausübe. Diese Wirkung finde 
jedoch nur an »Stellen der Gefässintima statt, die pathologisch 
verändert seien. Er hält also eine Thrombosirung an Stellen, wo 
die Gefässe gesund sind und physiologisch funktioniren. für aus- 
i geschlossen. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Im Gegensatz zu Lancereaux erkennt Laborde [23] 
die Gelatine in der Lösung nur als suspendirt, nicht als wirklich 
gelöst an, negirt eine Resorption vom subkutanen Zellgewebe aus 
und empfiehlt, die Injektionen direkt in den Aneurysmasack oder 
in die Gefässe zu machen. Nach seiner Meinung wirkt die Ge¬ 
latine lediglich als Fremdkörper im Blute und ruft dadurch die 
Gerinnung hervor. Desshalb soll sie auch im Stande sein, an 
Orten ihre coagulirende Wirkung auszuüben, wo diese gar nicht 
beabsichtigt ist. 

Diese Theorie ist wohl kaum haltbar; denn abgesehen davon, 
dass stets eine leicht von Statten gehende Resorption der inji- 
zirten Gelatinelösung beobachtet worden ist, existirt in der 
ganzen Literatur nur der eine von Boi net berichtete Fall, wo 
an unerwünschter Stelle eine Fibrinbildung eingetreten war. Es 
müssten, wäre diese L a b o r d e’sche Theorie richtig, doch schon 
mehrere derartige Fälle an die Oeffentliehkeit gedrungen sein. 

Auch eine andere von Laborde [24] aufgestellto Theorie 
kann nicht Anspruch auf Richtigkeit machen, dass nämlich eine 
Peptonisirung der Gelatine die Ursache der haemosta tischen 
Wirkung sei. Denn einmal wirkt die Gelatine auch Gerinnung 
erregend, wenn man sie auf eine äussere. Wunde bringt, wo, wie 
S o r g o [12] mit Recht sagt, eine Peptonisirung ausgeschlossen 
ist, und sodann haben Versuche verschiedener Forscher, wie 
Delezenne [25], Gley, Pachon [26] u. A. übereinstim¬ 
mend nachgewiesen, dass Blut, in dem Pepton enthalten ist, nur 
schwer oder gar nicht gerinnt. 

0 a n n i s und Gley schreiben die Gerinnung verursachende 
Eigenschaft, den in der Gelatine enthaltenen Säuren zu. Nach 
ihrem Versuchen soll die Wirkung ausbleiben. wenn die Acidität 
durch Soda abgestumpft wird, und zunehmen bei Steigerung der 
Acidität. 

Gegen diese Ansicht spricht die Thatsache, dass eine gute 
Gelatine, wie sie für medieinische Zwecke doch nur angewandt 
wird, Säuren in nur geringen Quantitäten enthält, und dass 
ferner Boi net [28], Klempp ror f29] u. A. auch bei sorg¬ 
fältiger Neutralisirung der Lösung gute Resultate erhielten. 

Ueber eine Theorie endlich wie sie B a u e r m e i s t e r [21] 
aufgestellt hat, dass die Leukocyten durch das Betupfen der 
blutenden Stelle mit Gelatine an der Wundfläche festgeleimt 
werden, zu Grunde gehen und das wirksame Gerinnungsferment 
ahgeben, kann man wohl getrost zur Tagesordnung übergehen. 

Bei der Unzulänglichkeit nun aller bisherigen Erklärungen 
der Gclatinewirkung drängte sich mir der Gedanke auf, ob nicht 
vielleicht anorganische Bcstandtheile und besonders der Kalk 
das Wirksame der Gelatine seien. Geführt wurde ich zu dieser 
Annahme durch die Versuche mehrerer Forscher, wie Häm¬ 
in a r s t. e n [30], Freund [31] u. A., die ergeben hatten, dass 
Kalk und Blutgerinnung in innigem Zusammenhänge stehen, 
besonders aber durch die Resultate der A r t h u s’sc.hen T32} 
Arbeiten. Letzterer fand nämlich, dass, wenn man zum Blute 
Oxalsäure hinzusetzt, und zwar in dem Verhältnisse von 0,6 bis 
1,0 g oxalsauren Kalis auf 1 Liter Blut, die Kalksalze des Blutes 
ausgefällt werden und keine Gerinnung mehr eintritt, und dass 
auf Zusatz kleiner Mengen Chlorcalciums zu diesem Gemisch 
sofort Gerinnung erfolgt. Weiterhin waren Mitt.heilungen be¬ 
stimmend. nach denen sich Kalkpräparate bei Blutungen bewährt 
haben sollen. So hat sich angeblich schon Galen [33] dos 
schwefelsauren Kalks l>oi äusseren Blutungen, und namentlich 
bei naemoptisis. bedient, und P a r a c e 1 s u s [34] empfahl ein 
Präparat, der rothen Koralle besonders bei Uterusblutungen. 
Neuerdings hat W r i g h t. [351 da^ Calciumchlorid bei Blutungen 
aller Art benutzt und recht gute Erfolge damit- erzielt. Zog man 
ferner in Betracht, dass ein anderes, von Reil [36] als Haemo- 
staticum empfohlenes Mittel, das Gummi arabicum, sehr reich 
an Kalk ist, so lag e« nahe, anzunehmen, dass die Wirkung der 
Gelatine möglicher Weise gleichfalls auf ihren hohen Kalkgehalt 
zurückzuführen sei. 

Tch untersuchte daher vier Gelatinesorten. die aus hiesigen 
Geschäften bezogen waren und von denen drei gewöhnliche, die 
vierte beste Handelswaare darstellten — letztere ist die mit A 
in den nachfolgenden Analysen bczeichncte —, um festzustellen, 
ob sie erheblichere Mengen Kalk enthielten. Nebenher bestimmte 
ich auch den Gehalt, an Magnesia, Eisen und Phosphorsäure. 

Bevor ich nun die Resultate mittheile, will ich die Methode 
schildern, die ich bei Ausführung der Analysen benutzte. 


Um zunächst den Feuchtigkeitsgehalt der Gelatinen festzu- 
stellcn, wurde ein Quantum jeder Sorte in kleine Stückchen ge¬ 
schnitten und bei 110° im Trockenkasten bis zum konstanten 
Gewicht getrocknet. Aus der Gewichtsabnahme ergab sich der 
Gehalt an Wasser. 

Aus dieser getrockneten, nunmehr wasserfreien Gelatine 
wurde gleichzeitig der Aschegehalt bestimmt, indem ich abge¬ 
wogene Quanten ira Muffelofen in Platinschälchen veraschte. 

Die zur chemischen Analyse benutzte Asche wurde in der 
Weise hergestellt, dass grössere Quanta Gelatine im hessischen 
Tiegel über der Gasflamme verkohlt wurden; die Kohle wurde 
nach dem Erkalten in Gläsern gesammelt und dann in kleineren 
Mengen in flachen Platinschalen im Muffelofen bei schwacher 
Rothgluth verascht. Dann wurden die einzelnen Ascheportionen 
in Präparatengliisom gesammelt, zunächst durch Schütteln in 
den Gläsern möglichst innig gemischt und vor der Analysirung 
die ganze Asche noch in einem Achatmörser vorsichtig durch¬ 
einander gerührt. 

Zur Analyse wurden Portionen der Asche in Wiegegläschen 
gefüllt und ca. 12 Stunden bei 115° im Trockenkasten erhitzt» 
Darauf wurden die Gläschen verschlossen im Exsiccator während 
der Nacht stehen gelassen und am nächsten Morgen gewogen. 
Nachdem das Gewicht von Glas und Inhalt festgestellt war, 
wurde die Asche vorsichtig in eine tiefe Schale aus Platin ent¬ 
leert und und diese sofort mit einem in der Mitte durchbohrten 
Uhrglase bedeckt. Dann wurde das Wiegeglas mit den in ihm 
zurückgebliebenen Asehetheilclien gewogen und aus der Differenz 
gegen die erste Wägung das Gewicht des in Arbeit genommenen 
Aschequantums festgestellt. Nun wurde ein kleines Trichterehen 
durch das in der Mitte des Ulirglases befindliche Loch gesteckt 
und die Asche zuerst mit etwas destillirtem Wasser, dann mit 
konzentrirter Salzsäure übergossen. Nachdem dann das Trich- 
terchen innen und aussen mit destillirtem Wasser abgespritzt 
war, so dass das nbfliessende Wasser in die Platinschale hinein¬ 
gelangte — es sollten hierdurch Verluste vermieden werden, die 
leicht dadurch entstehen können, dass durch die in Folge des 
Salzsäurezusatzes sich entwickelnde Kohlensäure Aschetheilchen 
verspritzt werden —, wurde das Trichterchen entfernt und die 
mit dem Uhrglase bedeckte Platinschale auf das Wasserbad ge¬ 
stellt. Erst wenn keine Oasbläschen aus dem Schaleninhalte 
mehr entwichen, wurde das Uhrgläschen entfernt und seine 
untere Fläche mit destillirtem Wasser abgespritzt., so da98 das 
Spülwasser in die Schale ahfloss. Nun wurde ein grosser Trichter 
über die Platinschale gestellt und der Inhalt bis fast zur Trockene 
eingedampft, dann noch einige Male unter Umrühren mit kon¬ 
zentrirter Salzsäure befeuchtet und schliesslich eingedampft, bis 
keine Salzsäuredämpfe mehr entwichen. Die löslichen Bestand- 
theile der Asche waren jetzt als Chloride vorhanden. 

Nachdem sich die Platinschale nhgekühlt hatte, wurde der 
Inhalt wiederum mit konzentrirter Salzsäure befeuchtet und 
kochendes destillirtes Wasser zugesetzt. Das, was sich gelost 
hatte, wurde durch ein vorher bei 110* getrocknetes und ge¬ 
wogenes Filter filtrirt. Nach mehrmaligem Uebergiessen des in 
der Platinschale befindlichen Rückstandes mit erwärmter ver¬ 
dünnter Salzsäure wurden schliesslich sämmtliche unlöslichen 
Bcstandtheile auf dem Filter gesammelt und dieses so lange mit 
heissem destillirtem Wasser ausgewaschen, bis das Filtrat mit 
einer Lösung von Argentum nitricum keine Trübung mehr gab. 
Das Filter mit. dem auf ihm befindlichen unlöslichen Rückstände 
wurde dann bei 110* bis zum konstanten Gewicht getrocknet und 
gewogen und durch Subtraktion des Gewichtes des Filters die 
Menge der in der Asche enthaltenen Kohle- und Sandtheilchen 
festgestellt. Durch Abzug der Kohle- und Sandtheilchen von 
dem Gewichte der Asche wurde das Quantum der reinen 
Asche bestimmt. Auf diesen Werth sind in den nachfolgenden 
Analysen Kalk, Magnesia. Eisen und Phosphorsäure berechnet 
worden. 

Der weitere Gang der Analyse gestaltete sich dann folgender- 
maassen: 

Das gesammelte Filtrat, wurde in einem Messcylinder auf 
200 ccm gebracht und je 100 ccm, die mit einer Pipette ab¬ 
gemessen wurden, zu zwei Kontrolanalysen gebraucht. 

Zunächst wurde das Eisen als phosphorsaures Eisenoxyd in 
der Weise bestimmt, dass die zu analysirende Flüssigkeit durch 
Zusatz von Ammoniak alkalisch gemacht wuide, bis eben ein 


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Niederschlag entstand, der sofort in Essigsäure wieder gelöst 
wurde. Die jetzt deutlich sauer reagirende Flüssigkeit wurde 
erwärmt, worauf ein gelblicher, flockenartiger Niederschlag von 
phosphorsaurem Eisenoxyd ausfiel. Dieser Niederschlag wurde 
sofort abfiltrirt und das Filter mit heissem, destillirtem Wasser, 
dem einige Krystalle salpetersauren Ammons zugesetzt waren, 
ausgewaschen. 

Das Filter sammt dem Niederschlag wurde sodann in einem 
ausgeglühten und gewogenen Porzellantiegelchen zuerst langsam 
erhitzt und darauf, sobald kein Wasserdampf mehr entwich, bis 
zur völligen Veraschung des Filters stark geglüht. Nach dem 
Erkalten des Porzellantiegels im Exsiccator wurde der Tiegel 
gewogen, nochmals geglüht und gewogen, bis keine' Gewichts¬ 
abnahme mehr eintrat, und durch Abziehen des ursprünglichen 
Gewichts des Tiegels, sowie des Gewichts der Filterasche die 
Menge des phosphorsauren Eisenoxyds berechnet. 

Der Kalk wurde aus dem essigsauren Filtrat gewonnen, in¬ 
dem dieses durch Zusatz von Ammoniak alkalisch gemacht 
wurde, bis eben ein Niederschlag entstand. Der Niederschlag 
wurde durch Zusatz eines Tropfens Salzsäure sofort wieder ge¬ 
löst, darauf so lange eine konzentrirte Lösung von Ammonium 
oxalicum zugesetzt, bis kein Niedersclxlag mehr entstand, und 
schliesslich noch einige Tropfen Ammonium aceticum hinzu¬ 
gefügt. Die Flüssigkeit wurde dann 12 Stunden sich selbst 
überlassen und dadurch erreicht, dass sich der Niederschlag voll¬ 
ständig absetzte. Jetzt wurde die oben stehende klare Flüssig¬ 
keit vorsichtig, um ein Auf rühren des Niederschlages zu ver¬ 
hüten, durch ein Filter gegossen, der Niederschlag mehrmals 
durch Decantiren mit heissem Wasser ausgewaschen und schliess¬ 
lich mit heissem Wasser auf das Filter gespült. Am Glase fest¬ 
haftende Theilchen wurden mit einem Gummiwischer fort¬ 
genommen und dieser ebenfalls auf das Filter abgespült. 

Nach dem Auswaschen wurde das Filter getrocknet und 
sammt dem Inhalte in einen geglühten und gewogenen Platin¬ 
tiegel gebracht. Um ein Verspritzen des Inhaltes bei dem nun 
folgenden Verglühen zu verhüten, wurde der Rand des Filters 
über dem Niederschlag zusammengefaltet, und dann der Tiegel 
Anfangs gelinde, darauf stärker erhitzt, bis das Filter verascht 
war und der Inhalt vollkommen weisse Farbe angenommen hatte. 
Nachdem der Tiegel im Exsiccator erkaltet war, wurde er ge¬ 
wogen, noch einige Male erhitzt und gewogen, bis keine Gewichts¬ 
abnahme mehr zu konstatiren war, und schliesslich durch Sub- 
traction des Gewichtes des Tiegels und der Filterasche die Menge 
des gewonnenen Aetzkalkes berechnet. 

Das durch Ausfällen des Kalkes erhaltene Filtrat wurde in 
zwei gleiche Portionen getheilt und aus der einen die Magnesia, 
aus der anderen die Phosphorsäure, beide als phosphorsaure 
Ammoniakmagnesia, gewonnen. Beide Flüsigkeiten wurden zu 
dem Zwecke durch Zusatz von Ammoniak alkalisch gemacht, 
und zu der ersteren Natriumphosphatlösung, zu der zweiten 
Magnesiamixtur hinzugesetzt, bis keine Niederschläge mehr ent¬ 
standen. Die Niederschläge wurden nach ihrem völligen Ab¬ 
setzen wiederum auf Filtern gesammelt, im Uebrigen so ver¬ 
fahren, wie oben bei der Kalkbestimmung, und die Rückstände 
als phosphorsaure Magnesia gewogen. 

Es folgen nunmehr die durch die Analyse erhaltenen 
Werthe: 

Gelatine A (beste Handelswaare): 

I. Feuchtigkeitsgehalt: Der Feuchtigkeitsgehalt betrug 
15,7561 Proc. 

II. Aschenbestlmmung: 0,4860 g Material gaben 0,0075 g 
Asche = 1,5432 Proc.; 0,4659 g Material gaben 0,0074 g Asche 
= 1,5883 Proc. Mittel = 1,5657 Proc. 

III. Analysen: 1,7849 g reine Asche gaben 0,8504 g CaO 
= 47,6441 Proc.; 1,7849 g reine Asche gaben 0,8503 g CaO 
= 47,6385 Proc. 

1,7849 g reine Asche gaben 0,1016 g Mg.P, O t , also 0,0366 g 
MgO = 2,0505 Proc.; 1,7849 g reine Asche gaben 0,1024 g Mg,P.O,, 
also 0,0369 g MgO = 2,0673 Proc. 

1,2982 g reine Asche gaben 0,0218 g FePO«, also 0,0115 g 
Fe.O, = 0,8858 Proc.; 1,2982 g reine Asche gaben 0,0222 g FePO,, 
also 0,0118 g Fe,0, = 0,9089 Proc. 

Berechnet man aus den beiden letzten Werthen für FePO* 
die Phosphorsäure, so ergibt sich: 0,0218 g FePO« enthalten 
0,0141 g H,PO« = 1,0861 Proc., auf reine Asche bezogen; 0,0222 g 
FePO« enthalten 0,0144 g H.PO« = 1,1092 Proc. 

Die nicht an Bisen gebundene Phosphorsäure ergab folgende 
Werthe: 


1,7849 g reine Asche gaben 0,0452 g Mg.P.O,, also 0,0390 g 
H.PO« 2,2354 Proc.: 1.7840 g reine Asche gaben 0,0456 g 

Mg.P.O,, also 0,0402 g H.PO« — 2,2522 Proc. 

Der Werth für die gesummte H,P0 4 wurde in der Weise be¬ 
rechnet, dass aus den vier erhaltenen Zahlen für H.PO« das Mittel 
gezogen wurde. 

Die gesammte H.PO« betrug demnach 3,3414 Proc. 

Gelatine B (minderwerthige Handelswaare): 

I. Feuchtigkeitsgehalt: Der Feuchtigkeitsgehalt betrug 
14,5102 Proc. 

II. Aschenbestlmmung: 0,4027 g Material gaben 0,0065 g 

Asche = 1,6141 Proc.; 0,3829 g Material gaben 0,0062 g Asche 

= 1,6102 Proc. Mittel = 1,6166 Proc. 

III. Analysen: 1,1355 g reine Asche gaben 0,4729 g CaO 
= 41,6469 Proc.; 1,1355 g reine Asche gaben 0,4732 g CaO 
= 41,6732 Proc. 

1,1355 g reine Asche gaben 0,0836 g Mg.P.O,, also 0,0310 g 
MgO = 2,6508 Proc.; 1,1355 g reine Asche gaben 0,0828 g Mg.P.O,, 
also 0,0299 g MgO =r 2,6332 Proc. 

1,1355 g reine Asche gaben 0,0197 g FePO«, also 0,0104 g 
Fe.O, = 0,9158 Proc.; 1,1355 g reine Asche gaben 0,0189 g FePO«, 
also 0,0100 g Fe.O, = 0,8807 Proc. 

Berechnet man wiederum aus den beiden Werthen für FePO« 
die Phosphorsäure, so erhalten wir: 

0,0197 g FePO« enthalten 0,0127 g H.PO« = 1,1185 Proc., 
auf reine Asche bezogen; 0,0189 g FePO« enthalten 0,0123 H,PO« 
~ 1,0832 Proc. 

1,1355 g reine Asche gaben 0,0244 g Mg,P,0„ also 0,0216 g 
U,PO« = 1,0022 Proc.; 1,1355 g reine Asche gaben 0,0248 g 
Mg,P,0„ also 0,0219 g H.PO« =: 1,9216 Proc. 

Die gesammte H.PO« betrug demnach 3,0127 Proc. 

Gelatine C (gewöhnliche Handelswaare): 

I. Feuchtigkeitsgehalt: Der Feuchtigkeitsgehalt betrug 
10,9838 Proc. 

II. Aschenbestimmung: 0,3545 g Material gaben 0,0074 g 
Asche 2,0874 Proc.; 0,3650 g Material gaben 0,0077 g Asche 
.= 2,1096 Proc. Mittel = 2,0985 Proc. 

III. Analysen: 1,8131 g reine Asche gaben 0,6813 g CaO 
= 37.5765 Proc.; 1,8131 g reine Asche gaben 0,6812 g CaO 
= 37,5710 Proc. 

1,8131 g reine Asche gaben 0,2559 g Mg.P.O,, also 0,0922 g 
MgO = 5,0852 Proc.; 1,8131 g reine Asche gaben 0,2607 g Mg.P.O,, 
also 0,0939 g MgO = 5,1789 Proc. 

1,8131 g reine Asche gaben 0,0271 g FePO«, also 0,0143 g 
Fe.O, = 0,7887 Proc.; 1,8131 g reine Asche gaben 0,0277 g FePO«, 
also 0,0146 g Fe.O, = 0,8052 Proc. 

Die Werthe für die Phosphorsäure aus den beiden Werthen 
für FePO« berechnet, stellen sich folgeudermaassen: 

0,0271 g FePO« enthalten 0,0175 g H.PO« = 0,9652 Proc., 
auf reine Asche bezogen; 0,0277 g FePO« enthalten 0,0179 g H.PO« 
=z 0,9872 Proc. 

1,8131 g reine Asche gaben 0,0911 g Mg.P.O,, also 0,0804 g 
H,PO« = 4,4344 Proc.; 1,8131 g reine Asche gaben 0,0911 g 
Mg.P.O,, also 0,0804 g H.PO« = 4,4344 Proc. 

Die gesammte H.PO« betrug also 5,4106 Proc. 

Gelatine D (gewöhnliche Handelswaare): 

I. Feuchtigkeitsgehalt: Der Feuchtigkeitsgehalt betrug 
17,5688 Proc. 

II. Aschenbestimmung: 0,3543 g Material gaben 0,0077 g 
Asche r= 2,1732 Proc.; 0,1695 g Material gaben 0,0037 g Asche 
= 2.1829 Proc. Mittel — 2.1780 Proc. 

III. Analysen: 1,2629 g reine Asche gaben 0,5567 g CaO 
= 44,0810 Proc.; 1,2629 g reine Asche gaben 0,5563 g CaO 
= 44,0494 Proc. 

1,2629 g reine Asche gaben 0,1163 g Mg.P.O,, also 0,0419 g 
MgO = 3,3177 Proc.; 1,2629 g reine Asche gaben 0,1163 g 
Mg,P,0„ also 0,0419 g MgO = 3,3177 Proc. 

1,2629 g reine Asche gaben 0,0115 g FePO«, also 0,0061 g 
Fe.O, = 0,4830 Proc.; 1,2629 g reine Asche gaben 0,0113 g FePO«, 
also 0,0060 g Fe.O, = 0,4751 Proc. 

Die Werthe für die Phosphorsäure aus FePO« berechnet, 
stellen sich folgendermaassen: 

0,0115 g FePO« enthalten 0,0074 g H,PO« = 0.5859 Proc., 
auf reine Asche bezogen; 0,0113 g FePO« enthalten 0,0073 g H.PO« 
= 0,5780 Proc. 

1,2629 g reine Asche gaben 0,0443 g Mg.P.O, = 0,0391 g 
H.PO« = 3,0960 Proc.; 1,2629 g reine Asche gaben 0,0435 g 
Mg.P.O, = 0,0384 g H.PO« = 3,0460 Proc. 

Die gesammte H.PO« betrug 3,6529 Proc. 

Um die TTebersicht über die erhaltenen Resultate zu er¬ 
leichtern, folgen hier noch vier Tabellen, deren Einrichtung 
wohl ohne Weiteres klar ist. Tabelle I enthält die für CaO, 
MgO, Fe.O, und H, PO. bestimmten mittleren Werthe auf 
100 Theile reine Asche bezogen. In den Tabellen II und III 
sind diese Werthe auf 100 Theile Trockensubstanz, d. h. wasser¬ 
freie Gelatine, bezw. auf 100 Theile frische, wasserhaltige Wan re, 
wie sie in den Geschäften käuflich ist, umgereehnet. Tabelle IV 
endlich gibt die Durchschnittswerte der Tabelle III, um einen 
Ueberbliek über den durchschnittlichen Gehalt der käuflichen 
Gelatine an anorganischen Bestandteilen, soweit sie durch die 
Analysen bestimmt sind, zu ermöglichen. 

1 * 


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1646 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


T a b e 11 e I. 


Mittlere Werthe auf reine Asche berechnet: 


Gelatine 

CaO 

Mg O 

Fea Os 

Hs PO* 

A 

47,6413 

2,0589 

0,8973 

3,3414 

B 

41,6600 

2,6420 

0,8982 

3,0127 

C 

37,5737 

5,1320 

0,7969 

6,4106 

D 

44,0652 

3,3177 

0,4790 

3,6529 


Tabelle H. 

Mittlere Werthe auf Trockensubstanz berechnet: 


Gelatine 

CaO 

Mg O 

Fea Oa 

Hs PO* 

1 

A 

0,7459 

0,0322 

0,0140 

i 0,0523 

B 

0,6735 

0,0427 

0,0145 

0,0487 

C 

0,7885 

0,1077 

0,0167 

0,1135 

D 

0,9597 

0,0722 

0,0104 

0,0796 


Tabelle IH. 



Mittlere Werthe auf die käufliche 

Waare berechnet: 

Gelatine j 

CaO , 

Mg O ; 

Fea Os 

| Hs PO* 

A 

0,6284 

0,0271 

0,0118 

0,0440 

B 

0,5758 

0,0365 

0,0124 

0,0416 

C 

0,6546 

0,0894 

0,0139 * 

0,0942 

D 

0,7911 

0,0595 

0,0086 

0,0656 


Tabelle IV, 
Mittelwerthe aus Tabelle EU: 


CaO 


Mg O 


Fea O# 


Hs PO* 


0,6625 i 0,0531 ! 0,0117 , 0,0613 


Wio aus den Analysen hervorgeht, enthält die Gelatine als 
konstanten Bestandteil Kalk, und zwar im Durchschnitt etwa 
0,6 Proe. in der käuflichen Waare. Es würde mithin unter Zu¬ 
grundelegung dieser Zahl ein Patient, dem 100 ccm einer 5 proe. 
Gelatinelösung beigebracht werden, 0,03 g Kalk erhalten und 
zwar in einer sehr leicht löslichen und dementsprechend auch 
leicht resorbirbaren Form. Dass diese 0,03 g Kalk therapeutisch 
nicht als zu geringe Dosis zu betrachten sind, lehrt die That- 
sache, dass eine Reihe gerade wegen ihres Kalkgehaltes in be¬ 
stimmter therapeutischer Absicht benutzter Quellen nach 
R o s e m a n n’s [37] Tabellen auch nur folgende Werthe auf¬ 
weist: 


1 Liter 

Driburger Hauptquelle. 

enthält 0,991752 g CaO, 

1 „ 

„ Hersterquelle. 


0,996252 „ „ 

1 - 

„ Caspar-Heinrichquelle . 


0,353234 „ .. 

1 „ 

„ • Kaiserquelle. 

„ 

0,91677 „ „ 

1 „ 

„ Wilhelmquelle .... 


0,6774 „ „ 

1 n 

Lippspringer. 


0,5717 „ , 

1 „ 

Pyrmonter Hauptquelle. 


0,733646 „ „ 

1 „ 

„ Helenenquelle .... 


0,794066 „ .. 

in„ 

„ Trinkquelle .... 


0,98855 „ 

i . 

Wildunger Georg-Victorquelle 


0,284643 „ „ 

i * 

„ Stahlquelle. 


0,054018 „ 

1 n 

„ Helenenquelle .... 


0,493881 „ .. 

1 „ 

„ Königsquelle. 

• 

0,4771 „ „ 


Demnach handelt es sich hier auch nur um 0,03 bis 0,09 proe. 
Lösungen, und gleichwohl steht die Leistungsfähigkeit der ge¬ 
nannten Brunnen für die Praxis fest. 


Berücksichtigt man nun die schon oben geschilderte innige 
Beziehung zwischen Kalk und Blutgerinnung, dann weiter die 
eigenartige, dem pathologischen Anatomen hinlänglich bekannte, 
wenn auch in ihrer letzten Kausalität noch völlig dunkle Be¬ 
ziehung des Kalkes zu den Gefässwänden und endlich den in 
der Praxis erprobten günstigen Einfluss der Kalkpräparate auf 
Blutungen, so glaube ich, zumal eine bessere Erklärung für die 


Gelatiuewirkung bisher noch aussteht, als Ergebniss der vor¬ 
liegenden Arbeit die Behauptung aufstellen zu dürfen, dass 
bei ihrer Anwendung als Haemostaticum die 
Gelatine ihre Leistungsfähigkeit höchst¬ 
wahrscheinlich in erster Linie ihrem Kalk¬ 
gehalte verdankt. 

Am Schlüsse meiner Arbeit ist es mir eine angenehme 
Pflicht, meinem hochverehrten früheren Chef, Herrn Geheimrath 
Prof. Dr. Hugo Schulz, für die Anregung zur Bearbeitung 
des vorliegenden Themas, sowie für stets bereitwillige Unter¬ 
stützung, namentlich bei der Ausführung der Analysen, meinen 
verbindlichsten Dank auszusprechen. 

Literatur: ^ 

1. Hecker: Prakt. Arzneimittellehre, 4. A., 1838. — 

2. Oslander: Volksarzneiiuittel und einfache nicht pharma- —, 
ceut. Heilmittel gegen Krankheiten des Menschen. 7. A., 1877. — 

3. Carnot: Eniploi de la gßlatine comme hßmostatlque (Journ. 
de mßd. et Chirurg, prntique 1897.) — 4. D a s t r e et Floresco: 
Action coagulante des injections de gßlatine (Arch. de physiol. 

1890, VIII.) — 5. Lancereaux et Paulesco: Traitement 
des nnßvrysmes par la gßlatine en Injections sous-coutanßes (Gaz. 
des liftp. LXXI, 1898.) — 6. Therapie der Gegenwart 1900, VIII. 

— 7. Huchard: Traitement des anßvrysmes aortiques par les 
injections gßlatineuses (Bull, de l'acad. de mßd. LXII, 1898.) — 

8. Bo inet: Traitement sur la methode de Lancereaux etc. 
(Itßvue de mßd. XVIII, 1898.) — 9. Berl. klin. Wochenschr. 1900, 
p. 394. — 10. Therapie der Gegenwart 1900, IV. — 11. Therapie der 
Gegenwart 1899, VI. — 12. Sorgo: Die Behandlung der Aneu¬ 
rysmen und Blutungen mit Gelatine (Therapie der Gegenwart 
1900, II). — Sorgo: Zur Diagnose der Aneurysmen der Aorta 
und der Arteria anonyma und Uber die Behandlung derselben mit 
subkutanen Gelatineinjektionen (Zeitsehr. f. klin. Med. Bd. 42). — 

13. Berl. klin. Wochenschr. 1900. — 14. Deutsch, med. Wochenschr. 

1899 V.B. 10, 1900 V.B. 5 u. 10. — 13. Therapie der Gegenwart 
1900, IV. — 10. Miinch. med. Wochenschr. 1899, p. 1578. — 17. Cen- 
tralbl. f. inn. Med. 1900, p. 1096. — 18. Münch, med. Wochenschr. 

1900, p. 744. — 19. Therapie der Gegenwart 1899, II. — 20. Therapie 
der Gegenwart 1900, IX. — 21. Bauermeister: Zur Wirkung 
der Gelatine als Blutstillungsmittel (Deutsch, med. Wochenschr. 

1900. V.B.) — 22. Lancereaux: Traitement des anßvrysmes 
par la gßlatine en injections sous-coutanßes (Semaine mßd. XVIII, 

1898). — 23. Labor de: Les injections de gßlatine dans le traite¬ 
ment des anßvrysmes (Bull, de l’acad. de mßd. LXXII, 1898). — 

24. Ibid. — 25. Delezenne: Formation d’une subetance anti- 
coagulante par le foie en prßsence de la peptone (C. R. de l’acad. 
OXXII, 189G). — 20. Gley et Pachon: Influence du foie sur 
l’action anticoagulante de la peptone (C. R. de la soc. de biol. 1896). 

27. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 42. — 28. Centmbl. f. inn. Med. 1900, 
p. 128. — 29. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 42, H. 1 u. 2. — 30. Ham¬ 
marsten: lieber die Bedeutung der löslichen Kalksalze für die 
Faserstoffgerinnung (Zeitschr. f. physiolg. Chemie XXII. 1896). 
Ilammarsten: Weitere Beiträge zur Kenntnlss der Fibrin¬ 
bildung (ibid. XXVIII, 1898). — 31. Freund: Ueber die Aus¬ 
scheidung von phosphorsaurem Kalk als Ursache der Blut¬ 
gerinnung (Wien. med. Jahrb. III, 1888). Freund: lieber die 
Ursache der Blutgerinnung (ibid. III, 1888). — 32. Arthus: La 
coagulation du sang et les sels de chaux (Arch. de physiol. XXIII, 

1890). — 33. L er sch: Einleitung ln die Mineralquellenlehre 
Bd. I. 18">5. — 34. Ibid. — 35. W right: Iiemarks on methods 
of increa8iug and diminlshing the coagulabllity of the blood with 
especial reference to thelr therapeutic employement (Brit med. 

Journ. 1894). — 36. Reil: Fieberlehre III. — 37. Rosemann: 

Die Mineralquellen Deutschlands, 1897. 


Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. 
von Prof. Garre. 

Zur Kasuistik und Behandlung der Fistula gastro- 

coliea. 

Von Dr. Alfr. Labhardt, Volontärarzt. 

Zu denjenigen Komplikationen der primär und sekundär 
ulcerösen Proeesse des Magens, die ihre Träger am meisten be¬ 
lästigen, gehört die Anastomosis gastro-colica. Trotzdem schon 
eine Anzahl hierher gehöriger Krankengeschichten in der Litera¬ 
tur vorhanden sind, so ist doch noch wenig über die operative 
Behandlung dieser Fälle bekannt. Es scheint mir daher gerecht¬ 
fertigt. 4 Fälle von dieser Erkrankung, von denen 2 operativ be¬ 
handelt wurden, kurz zu beschreiben; ist doch jeder Beitrag zur 
Frage nach der Hebung der Beschwerden - jener bedauernswerthon 
Patienten zu begrüssen. Diese Beschwerden beruhen auf den 
folgenden 2 Hauptsymptomen: 1. Die Abmagerung durch Ein- 
fliesson der Ingesta in das Kolon; das Kothbreehen, durch Ein- 
fliessen von Dickdarminhalt in den Magen. 

Was die Literatur anbelangt, so ist dieselbe vor nicht langer 
Zeit von Unruh [1] zusammengestellt worden; ich erlaube mir 


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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDTCINTSCHE WO CHEN SCHRIET. 1647 


daher bezüglich der Publikationen auf jene Arbeit zu verweisen. 
Teil gebe unten die dort verzeichnete Literatur wieder. 

Unruh selbst hat an der Hand von 2 Fällen, von denen der 
eine operativ behandelt wurde, die Diagnose und Therapie des 
genannten Leidens besprochen. Bei dem operativ behandelten 
Falle handelte es sich um ein in das Querkolon perforirtes Ulcus 
des Magens. Das diesseits und jenseits der Perforationsstelle be¬ 
findliche Darmstück wurde je doppelt unterbunden und durch¬ 
trennt (Prof. Garre). Dann wurde die Kontinuität des Dick- 
dannes durch eine seitliche Kolostomic wiederherges teilt. Der 
Erfolg der Operation war ein ausgezeichneter; es verloren sich 
die Beschwerden der Patientin, so dass sie schon bald ihre schwere 
Arbeit wieder aufnehmen konnte. 

Im Folgenden gebe ich erst kurz die Krankengeschichten 
der 4 Patienten wieder, um dann im Anschluss an dieselben einige 
diagnostische und therapeutische Punkte zu berühren. 

Fall I. Sp. Chr., 41 Jahre. Die Eltern des Patienten sind 
an unbekanntem Leiden gestorben; Patient selbst war bis zu 
seiner Jetzigen Erkrankung nie wesentlich krank. Seine Be- 
sehworden begannen im Juni 1K99 und bestanden in Magen- 
sohmerzen nach den Mahlzeiten und zeitweiligem Erbrechen. 
Diese Beschwerden nahmen mit der Zeit an Intensität zu. Patient 
magerte ab; die Nahrungsaufnahme beschränkte sieh schliesslich 
auf ein Minimum, da Patient Alles erbrach. Häufiges saures Auf- 
stossen. In» Erbrochenen war nie Blut vorhanden. 

17. II. 1900 Aufnahme in die chirurgische Klinik zu Königs¬ 
berg. Status: Blasser, sehr heruntergekommener Patient. Brust¬ 
organe ohne Abnormitäten. Am Abdomen ist dicht unter dem 
Rippenbogen ein Tumor von der Grösse einer kleinen Faust zu 
fühlen. Oberfläche desselben glatt, Beweglichkeit gering. Rectale 
Untersuchung negativ. Im Urin keine pathologischen Bestand- 
t heile. 

Die Untersuchung des Mageninhaltes nach einem Probefrüh- 
stlick ergibt Fehlen von freier HCl, dagegen deutliche Mllehsäure- 
reaktion. lange Bacillen, Hefezellen. Beim Aufblähen des Magens 
bleibt der Tumor an seiner Stelle. — Patient wird mit Nähr- 
klystioren behandelt. 

20. II. Bei der vor der Operation vorgenommenen Magen¬ 
spülung Avird Flüssigkeit mit deutlich fäkulentem Inhalt aus¬ 
gehebert: ausserdem finden sich deutliche Blutbeimengungen 
dabei. Eine Kommunikation zwischen Magen und Kolon trans- 
versum ist durch Aufblähung vom Rectum aus nicht mit Sicher¬ 
heit festzustellen, die Möglichkeit einer solchen ist aber dadurch 
begründet, dass Patient nach der Aufblähung mehrmals übel¬ 
riechendes Aufstossen bekommt. 

Operation (Prof. v. Eiseisberg): Narkose mit Billroth- 
mi8chung. Laparotomie in der Medianlinie. Nach Eröffnung des 
Peritoneums zeigt sich ein grosser Tumor der grossen Curvatur 
des Magens; die GesehAvulst greift auf das Kolon transversum 
über. Von einer genaueren Untersuchung wird Abstand ge¬ 
nommen. Das Jejunum ist stark collnbirt. Es Avird eine Schlinge 
desselben links neben der Wirbelsäule hervorgenommen und an 
derselben eine Jejunostomle nach W i t z e 1 angelegt. 

Nach der Narkose erfolgt nochmaliges Erbrechen kothiger 
Massen. Später blieb das für den Patienten so lästige Erbrechen 
ganz ans. Der Mann erhalte sich etwas, die Schwäche blieb je¬ 
doch ziemlich gross. Heilung der Wunde p. p. Die DUnndann- 
fistel funktionirte gut. 

24. III. Gebessert entlassen. 

Fall II. R. J., 51 Jahre. Patient stammt aus gesunder 
Familie, war selbst bisher stets gesund. Jetzige Erkrankung seit 
Dezember 1900. Beginn mit Magenschmerzen, besonders nach dem 
Essen. Seit 3 Wochen Avird nur noch flüssige Diät aufgenommen. 
Seit 2 Wochen häufiges, nach Koth riechendes Aufstossen. Auch 
das Erbrochene und vom Arzt Ausgeheberte soll nach Koth ge¬ 
rochen haben. Im Erbrochenen war nie Blut Stuhl früher an¬ 
gehalten, seit 14 Tagen von diarrholscher Beschaffenheit In 
letzter Zelt. Mattigkeit und Abmagerung. 

C. VI. 1901 Aufnahme in die chirurgische Klinik zu Königs¬ 
berg. 

Status: Blasser, leidlich ernährter Mann. Thoraxorgane 
normal. Zunge feucht, belegt. Abdomen Aveich. einrückbar. Zu 
beiden Selten und oberhalb des Nabels undeutliche Resistenz und 
Druckempfindlichkeit. Magen dilatlrt; grosse Curvatur unter¬ 
halb des Nabels. Deutliches Plätschern. Fieber besteht nicht, 
Urin normal. 

7. VI. bis 10. VI. Mehrmalige Ausheberung des Magens nach 
E w a 1 d’sehem Probefrühstück: Das Ausgeheberte besteht jedes¬ 
mal aus Koth. Täglich mehrere diarrhoisehe Stühle. 

14. VI. Operation (Prof. Garrö): Nach der üblichen Vor¬ 
bereitung (Magenspülung) wird in Aethernarkose die Laparotomie 
nuBgoffihrt. An der Vorderwand des Magens findet, sich ein 
derber, mit dem Querkolon verwachsener Tumor. Die rechts und 
links von der Geschwulst gelegenen Theile des Kolon trans¬ 
versum werden unterhalb des Tumors einander genähert und durch 
Colo-colostomle verbunden. 

Patient ttbersteht den Eingriff gut. Von der Operation an 
bleibt das Erbrechen aus. Ernährung per os. 

Vom 19. VI. an spontaner Stuhlgang von normaler Beschaffen¬ 
heit. Wundheilung reaktionslos. 

No. 42. 


Eine Ausheberung :»m 5. VII. ergibt reinen Mageninhalt 
ohne Beimischung von Koth. 

6. VII. Gebessert entlassen. Patient hat in den ersten drei 
Wochen nach der Operation um 20 Pfund zugenoramen. 

Seit der Entlassung hat sieh Patient mehrmals vorgestellt. 
Rein Befinden ist gut. Kein Aufstossen und Erbrechen mehr. 

Fall TIT. A. F.. 40 Jahre. Pnt. stammt aus gesunder 
Familie, Avar bis zum Januar 1901 gesund. Damals erkrankte er 
mit Magensohmorzen nach dem Essen. Reit April 1. Js. fast täg¬ 
liches Erbrechen, übles Aufstossen und schlechter Geschmack im 
Munde. Rtarke Abmagerung mit grossem Rchwächegefflhl. 

31. V. 1900 Aufnahme in die chirurgische Klinik zu Königs¬ 
berg. 

Status: Blasser, stark abgemngerter Patient (97 Pfund). 
Thoraxorgane normal. Bauchdecken schlaff. Die grosse Cur- 
vatur des Magens reicht bis 3 Querfinger unterhalb des Nabels. 
Dicht unterhalb des Nabels ist ein wurstförmiger. 3—4 Finger 
dicker, an den Enden sich A-erjüngender Tumor von harter Kon¬ 
sistenz und geringer Verschieblichkeit. Die Ausheberung des 
Mageninhaltes ergibt Täter einer bräunlich-gelben, mit Rchleiin 
vermischten, fäkulent riechenden, breiig-flüssigen Masse. Die 
chemische Untersuchung des Mageninhaltes nach Probefrühstück 
ergibt Fehlen A'on freier Ralzsäure. Anwesenheit von Milchsäure. 
Mikroskopisch viele lange Bacillen. 

Patient bekommt als Vorbereitung zur Operation Nähr- 
klysmeli. Ausserdem häufige Magenspülungen. 

4. VI. Patient sollt«* heute operirt werden. Bel der A r or- 
bereitenden Magenspülung Avird jedoch fast reiner Koth ontlf*ert. 
so dass die Op«*mtion abgesetzt Avird. 

Von nun an tii glich mehrmals diarrhoisehe Stühle. 

0. VI. Das übelrioeheinli* Aufstossen hält an. Erbroehon g«>- 
rlngor. Ernährung fast ausschliesslich durch Klysmntn. 

14. VT. Rasch zunehmende Rchwiiche: starke Durchfälle, so 
dass die Einläufe nusgesetzt Averden müssen. 

17. VI. Ungehcilt entlassen. 

Fall TV. Di«*ser Fall, den Herr Prof. Garrö ln seiner 
Privatpraxis beobachtet hat. kam nicht in klinische Behandlung. 

Ein ea. HC. jähriger Herr ist seit einigen Monaten abgemagert, 
sehr elend und hinfällig geAvorden. ohne dass er zunächst über 
Rclmiorzen oder bestimmte Besch werden zu klagen hatte. In 
den letzten Wochen stellte sich hie und da nach d«*n Mahlzeiten 
Erbrechen ein. das vor einigen Tagen von auffallend üblem Ge¬ 
rüche Avar. 

Die MagcnnusiH'berung ergab eine gross« 1 Menge dünnflüssi¬ 
ger Ivothmnssen mit Rpeiserosten vermischt. B«‘i der Belastung 
<l«*r Magengegmui war ein Tumor mit Rielierheit nicht zu fühlen. 

Da Zeichen, di«* auf ein Ulcus hindouteton, nicht vorhanden 
waren, so wurde «li«* Diagnose auf Perforation eines Mag«*nearei- 
notns in das Kolon transversum g«*st«*ilt und d**m Patienten die 
Operation angernthon. die aber abgeschlagen wurde. Unter zu¬ 
nehmendem Kräfteverfall, bei profusen Entleerungen von Kotli 
per os. trat nach Av«*nigen Wochen «1er Exitus ein. Autopsie nicht 
gemacht. 

Was die Diagnose der Anastomosis gastro-coliea anbelangt, 
so war sic in den 4 erwähnten Fällen leicht zu stellen: Das Er¬ 
brechen von Koth Avies jcweilcn auf den Process hin, der sich im 
Magen abspielte. Ausserdem möchte ich hier auf einen Punkt 
verweisen. der unter Umständen ebenfalls zur Stellung der Dia¬ 
gnose beitragen kann und der eventuell erlauben wird, den Zeit¬ 
punkt der Entstehung der Fistel fostzustellen, zu einer Zeit, wo 
noch kein Koth in den Magen einfliesst. 

Tn dem Moment nämlich, wo der dünne Mageninhalt in das 
Kolon einzufliessen beginnt. Avird die Konsistenz des Stuhles ver¬ 
ändert werden — f*s AA’erden diarrhoisehe Entleerungen eintreten. 
Da nun für Oareinomkranko, sowie auch für Ulcusleidende die 
Konstipation die Regel ist, muss diese veränderte Konsistenz des 
Stuhles auffallen und allein oder in Verbindung mit ander- 
Aveitigen Symptomen an eine all fällige Perforation des Ge- 
schwüres in das Kolon denken lassen. 

Als Beleg für diese Thatsachc seien die obigen Fälle an¬ 
geführt : Pat. TT gab deutlich an. dass 14 Tage vor der Aufnahme 
in die Klinik Kothbrechen aufgetreten sei und dass seit, jener 
Zeit der Stuhlgang eine andere Konsistenz, die diarrhoisehe. an¬ 
genommen habe. 

Bei Fall III Avurde die Diagnose einer Kommunikation des 
Magens mit dem Kolon erst dann mit Sicherheit gestellt, als hei 
der, der Operation vorangehemlen Mageiiausspiilung reichlich 
kothige Massen zu Tage gefördert wurden. Von diesem Augen¬ 
blicke an, war auch der Stuhl diarrhoiseh. Nicht ausgeschlossen 
ist, dass schon vorher eine minimale Kommunikation bestand, 
die den facoulonten Geruch des Ausgeheberten brnlingto, die aber 
s«) klein war, dass weder vi«*l Mageninhalt, in d«*n Darm, noch 
viel Darminhalt in den Magen einiliessen konnte. Ol» nun der 
plötzlich entstamlonc grössere Durchbruch durch die Sonde o«ler 
durch spontane Ablösung eines grösseren Tumorstückes entstand, 
möchte ich dahingestellt sein lassen; beides ist möglich. 

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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


1643 


Boi Fall IV sind ebenfalls die mit der Perforation aufge- 
tretenen dinrrhoisehen Entleerungen erwähnt. 

Bei Full I fehlen die diarrhoischen Stühle, weil die Per¬ 
foration erst kurz vor der Operation entstand; nach derselben 
konnte natürlich kein Mageninhalt mehr in das Kolon fliessen. 

Aron [2] gibt an, es könne durch Entstehung einer Per¬ 
foration das vorher bestehende Erbrechen sistiren, dadurch, dass 
der Mageninhalt nach dem Kolon Abfluss finde. Die Möglich¬ 
keit eines solchen Vorkommens ist zuzugeben. In solchem Falle 
wird die plötzlich veränderte Beschaffenheit des Stuhles auf die 
Entstehung einer Perforation himveisen. Differentialdiagnos¬ 
tisch wäre dieser Umstand von Werth gegenüber jenen Pylorus- 
eareinomen, bei denen durch plötzliche Ablösung eines Ge¬ 
schwulst Stückes die Passage wieder frei wird und das Erbrechen 
aufhört. 

Betreffs des faeculenten Erbrechens, ist zu erinnern, dass 
dasselbe auch ohne Kommunikation des Magens mit dem Dick¬ 
darm vorkommt. nämlich bei jenen Fällen von starren Carei- 
nomen des P.vlorus, die einen Rückfluss des Speisebreies vom 
Duodenum in den Magen gestatten. Hier wird jedoch der 
typische Geruch des Jejunuminhaltes die Stellung der richtigen 
Diagnose ermöglichen. 

Was nun die operative Therapie des Leidens anhelangt, auf 
die ich speciell aufmerksam machen möchte, so hat dieselbe auf 
verschiedene Momente Rücksicht zu nehmen. Es ist klar, dass 
der Erfolg bei Patienten mit gewöhnlichem perforirten Ulcus 
ein besserer sein wird, als bei einem kaehektischen Oareinom- 
kranken, bei dem es sich nur um ein symptomatisches Ein¬ 
greifen handelt. Allein auch hier scheint mir ein Eingriff, wenn 
der Zustand es irgend erlaubt, indizirt. in Anbetracht des trost¬ 
losen Zustandes in dem sich die Patienten befinden. 

Weiterhin wird auch der Allgemeinzustand der Kranken für 
unser Handeln entscheidend sein. Ob und inwiefern die Be¬ 
schwerden der Patienten — das Vorwiegen des Erbrechens oder 
der Abmagerung — die Art des Eingreifens beeinflussen werden, 
darüber kann ich mir bei der geringen Anzahl der Fälle noch 
kein Urtheil erlauben; ich werde später noch auf diesen Punkt 
zurückkommen. 

Ich lass«* im Folgenden diejenigen operativen Eingriffe fol¬ 
gen, die bei der Behandlung dos Leidens eventuell in Betracht 
kommen. Es handelt sich um die Jejunostomie einerseits, um die 
Kolo-Kolostomie mit oder ohne Isolirung des erkrankten Diek- 
darmstüekos andererseits. 

Der Hauptzweck der Jejunostomie ist, die Ernährung und 
den Allgemeinzustand der Patienten zu heben. Es liegt ja auf 
der Hand, dass, wenn die Tngesta vom Magen direkt in das Quer¬ 
kolon übergehen, der ganze Darin ausgeschaltet ist; es wird da¬ 
her eine Resorption von Nahrungsstoffen in ausgedehnter Weise 
unmöglich gemacht. Denn «las Wenige, was auf dem Wege vom 
Querkolon bis zum Darmende resorbirt wird, kann zur Erhaltung 
des normalen Kräftezustandes nicht ausreichen. Die Jejunostomie 
wird daher namentlich bei den Patienten indizirt sein, die in 
ihrem Allgemeiuzustaml sehr reduzirt sind. Sie wird sich als 
Voroperation für diejenigen Fälle eignen, bei denen man nach¬ 
her noch eine zweite, radikale Operation zu machen gedenkt. 

Wie gut diese Art der Operation wirken kann zeigt Fall I. 
Patient war sehr heruntergekommen; bei der Operation erwies 
sich das Jejunum als total collabirt — also war wohl der nor¬ 
male Darmweg ausgesehaltet. Auf die Jejunostomie hin erholte 
sich der Patient ordentlich. Zudem blieb das Erbrechen vom 
Moment der Operation an aus. Eine bestimmte Erklärung für 
diese Thatsache lässt sich nicht angeben; allein man darf wohl 
annehmen, dass die Kommunikationsöffnung zwischen Magen 
und Dickdarm kleiner wurde, weil in Folge der Operation der 
Reiz von Seiten des Magens ausblieb; vielleicht kann in solchen 
Fällen die Fistel sogar spontan heilen. 

Die Jejunostomie mag sich auch desshalb bei herunterge¬ 
kommenen Patienten empfehlen, weil sie, unter Schleie h’- 
sehcr Anaesthesie ausgeführt, als ein relativ leichter Eingriff 
aufgefasst werden kann, leichter wenigstens, als die unten zu be¬ 
sprechende Kolo-Kolostomie. Ueber den günstigen Erfolg der 
Jejunostomion wird demnächst eine Arbeit aus der hiesigen 
Klinik erscheinen, auf die ich jetzt schon verweisen kann. 

Die zweite Operation, die bei der Behandlung der Fistula 
ga-tro-eoliea in Betracht kommt, ist die Kolo-Kolostomie. Der 
Eingriff ist schon wegen der längeren Dauer der Operation ein 


wesentlich eingreifenderer als die Jejunostomie und eignet sich 
aus diesem Grunde mehr für Patienten mit besserem Allgemein¬ 
befinden, sei es nun, dass sie durch das Leiden nicht allzu sehr 
herunterkamen, indem ein Theil der lngesta noch seinen nor¬ 
malen Weg nahm und resorbirt werden konnte, sei es, dass durch 
vorhergehende Anlegung einer Jejunostomie der Zustand ge¬ 
bessert wurde. 

Ueber einen Fall von Kolostomie mit Abtrennung und Ver- 
nähung des mit dem Magen verwachsenen Kolonstückes, wie sie 
von Prof. Garre auf der Rostocker Klinik ausgeführt worden 
ist, berichtet U n ruh (1. e.). Der Erfolg war, wie erwähnt, ein 
sehr guter; die Operation muss als die einzig radikale und bei 
nicht malignen Perforationen zu erstrebende bezeichnet werden. 

In Fall II ist eine Modifikation dieser Methode angebracht 
worden, die sich gut bewährte und die in analogen Fällen even¬ 
tuell zu wiederholen wäre; es ist die Kolo-Kolostomie ohne Ab¬ 
trennung des erkrankten Kolonstückes. Es hat sich gezeigt, dass 
durch diese Operationsmethode die subjektiven Beschwerden der 
Patienten, namentlich das Einfliessen' von Koth in den Magen 
und die daraus resultirenden Folgezustände in äusserst günstiger 
Weise beeinflusst wurden. Es scheint, als sei das erkrankte Stück 
Kolon doch fast vollständig ausgeschaltet — das Brechen und 
übelriechende Aufstossen, sind vom Moment der Operation an 
ausgeblieben. Zudem hat Patient an Gewicht ordentlich zu- 
geno in men. 

Der Vortheil der Operation liegt auf der Hand: die Opera¬ 
tion wird durch Weglassung der 4 nothwendigen Darmnähte be¬ 
deutend abgekürzt; zudem werden weniger Darmlumina eröffnet, 
die Gefahr der Infektion des Peritoneum ist eine entsprechend 
geringere. 

Was nun, um unsere Resultate zusammenzufassen, die In¬ 
dikation für die verschiedenen operativen Eingriffe bei Ana- 
stomosis gastro-colica betrifft, so möchte ich folgende Punkte 
zur Berücksichtigung empfehlen: Handelt es sich um Patienten, 
die zwar sehr heruntergekommen sind, bei denen aber doch noch 
die Möglichkeit einer radikalen Heilung besteht, so wird man in 
einer ersten Sitzung die Jejunostomie mit Lokalanacsthesie aus¬ 
führen; hört nach der Operation das Brechen nicht auf, so wird 
man in der Zwischenzeit Magenspülungen machen. Haben sich 
die Patienten dann erholt, so kann man in einer zweiten Sitzung 
die Radikaloperation, d. h. die Kolo-Kolostomie mit Abtrennung 
des erkrankten Kolonstüekes vornehmen. 

Handelt es sich aber um Patienten, bei denen der Dünndarm 
seine Funktionen noch beibehalten hat, bei denen also die lngesta 
noch zum grössten Theil ihren normalen Weg nehmen. Patienten, 
die aber unter dem Erbrechen von faeculenten Massen sehr zu 
leiden haben — bei solchen wird die einfache Kolo-Kolostomie 
am Platze sein. Wollte man schematisch vorgehen, so könnte 
man kurz sagen: Ist das Einfliessen von Mageninhalt in den 
Dickdarm vorwiegend, so ist die Jejunostomie indizirt ; fliesst 
dagegen namentlich Dickdarminhalt in den Magen, so tritt die 
Kolo-Kolostomie in ihr R«H*ht. Es ist klar, dass wir in den 
meisten Fällen Kombinationen und Uebcrgiinge vor uns haben 
werden; es wird sich dann darum handeln, zu individualisiren. 

Schliesslich gibt es natürlich auch Fälle, die leider operativ 
nicht mehr anzugreifen sind; die symptomatische Therapie, be¬ 
stehend in Magenspülungen, Nährklvstieren, Anwendung von 
Narkoticis, wird alsdann die Aufgabe haben, die Beschwerden 
der betreffenden bedauernswerthen Patienten nach Möglichkeit 
zu lindern. 

Zum Schlüsse sei es mir gestattet, Herrn Geheimrath Prof. 
Dr. G arrc* für die Anregung zu dieser Arbeit, ihm und Herrn 
Prof. Dr. v. Eiseisberg für die Ueberlassung der Kranken¬ 
geschichten bestens zu danken. Herrn Privatdocent Dr. B u n g o 
danke ich für die Unterstützung bei Anfertigung der Arbeit. 

Literatur. 

1. TT n ruli: Polier Auastomosls gastro-colica. Deutsch. med. 
Woclionschr. 1800. No. 10. -- 2. A ron: Deutsch, med. Woehensclir. 
INI»2. pag. 4.".. — 3. M urehisou: On gastro-collc tistula; a col- 
lat Um of cases and observations on its pathology, dlaguosis etc. 
Edinburgh medical Journ. 18Ö7. lieferst von Martini in 
Schmidt'» Jahrbücher 1 .'■OS, Bd. 03. pag. 70. — 4. Bouveret: 
Lyon mf'dical. März 1300. — r>. (Joodridge: Brit. med. .Journ. 
1300. pag. HM54. — 0. Hont sch el: Beitrag zur Lehre von den 
Magenkolonfisteln. Diss.. WUr/liurg 1804. — 7. Scholz: Münch, 
med. Woehensohr. 1300. pag. .‘{<'*3. — 8. May: Wien. med. Blätter 
1800, No. 10 und 17. — 0. Thiele: Zeit sehr. f. kliu. Med. 1800. 


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15. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1649 


Bd. 27, png. — 10. Leube: Magenkrankheit. Ziemssen's 
Handbuch, 2. Aufl., Bd. VII, 2. — 11. Llnilner und Knttner: 
I>ie Chirurgie des Magens und Ihre Indikationen. Berlin 1808. — 
12. Pi. M. Foote: The surgical treatment of round uleer of 
»he stomnc and Its gequellte. Med. News 1886. — 13. v. Reeses: 
Sehinklt's Jahrbücher Bd. 08, png 72. 

Aus der psychiatrischen Klinik in Würzburg. 

Zur Kenntnis« der infantilen Pseudobulbaerparalyse 
und der angeborenen allgemeinen Bewegungsstörungen. 

Von Dr. Theodor Zahn, I. Assistent der Klinik. 

Wenn die Nervenbahnen von der Hirnrinde zu den Kernen 
des verlängerten Marks an irgend welcher Stelle ihres Verlaufs 
auf irgend eine Weise beiderseitig beschädigt sind, so fol¬ 
gen daraus Störungen ohne Muskelentartung in der sprachlichen 
Artikulation, im Kauen, Schlucken und in den Stimmband- 
bewogungen, und zwar je nachdem in allen diesen Thätigkeiten 
oder nur in einem Theil derselben. 

Ein Beleg hiefür ist die Pseudobulbärparalyse, 
bei welcher mehrere Erkrankungsherde, z. B. Blutungen, gerade 
die erwähnten corticobulbaren Faserzüge zufällig und nach ein¬ 
ander in beiden Hirnhälften betroffen haben, meist neben einer 
einseitigen oder doppelseitigen Läsion der Pyramidenbahnen. 
Bei Erwachsenen und auch, wie in den beiden Fällen Br a u e r’s 
[1] und v. Halban’s [2] bei Kindern, und zwar hier durch 
Encephalitis. 

Weiterhin sind nicht so selten die genannten Funktionen 
gestört bei den angeborenen Formen von ausgebreiteten Läh¬ 
mungen oder von Gliederstarre in Fällen, die auf Ver- 
1 e t z u n gen des kindlichen Hirns bei erschwerter Geburt oder 
Frühgeburt bezogen werden dürfen. Es ist klar, dass hiebei 
die Ursachen leicht auf beide Seiten zugleich einwirken können. 
Bei der allgemeinen Gliederstarre L i 1 11 e’s [3] sind nach dessen 
eigenen Aeusserungen „die Sprachmuskeln gewöhnlich ergriffen, 
und es variirt die Sprachstörung von einer blossen Undeutlich¬ 
keit in der Aussprache einzelner Buchstaben bis zum völligen 
Verlust der artikulirten Sprache“. Ferner kommen dabei leichte 
Schlingbeschwerden vor. 

Auch in diesen Fällen hängt es von äusseren zufälligen Um¬ 
ständen ab, ob die corticobulbären Bahnen an den Läsionen über¬ 
haupt und ob sie beiderseits betheiligt sind, ähnlich wie die 
Pyramidenbahnen das eine Mal nur auf der einen Seite, ein 
anderes Mal auf beiden Seiten betroffen sind und wie bald alle 
Gliedmaassen, bald nur die beiden unteren starr werden. 

Solche Zufälligkeit fehlt aber offenbar in einer ferneren 
Gruppe von Fällen mit pseudobulbären Symptomen. Nämlich 
in denen, die auf inneren Entwicklungsgründen 
beruhen, ohne hinzugetretene gröbere Schädigungen. Diese 
Gründe sind zwar dunkel; wir wissen nicht, warum in solchen 
Füllen die corticobulbären Faserzüge unterentwickelt bleiben. 
Als nicht zufällig aber ist hiebei die Doppelseitig- 
k e i t anzusehen, ebenso wie bei so manchen anderen Krankheiten 
und Fehlern des Centralnervensystems, die in Folge ausschliess¬ 
lich oder theilweise innerer Gründe, nicht in Folge von Gefäss- 
störungen, Verletzungen etc. entstanden sind, z. B. bei der Tabes, 
der spastischen Spinalparalyse, den hereditären Formen der 
Rückenmarkskrankheiten. Thatsächlieh werden bei den fami¬ 
liären und. hereditären Hirn- und Rückenmarkskrankhoitcn 
pseudobulbäre Störungen raässigen Grades, besonders der 
Sprache, öfters gefunden. Und in den seltenen, im Folgenden 
zu schildernden Fällen schwerer Pseudobulbärparalyse des 
Kindesalters ist eine ursprüngliche Entwicklungshemmung in 
einem beträchtlichen Bruchtheile, wenn nicht in allen, höchst 
wahrscheinlich. Man kann also sagen, dass hochgradige ange¬ 
borene Pseudobulbärparalysen besonders durch frühe Fehler der 
Anlage veranlasst werden, während umgekehrt wohl nicht 
jeder Anlagefehler gleich zu schweren klinischen Erscheinungen 
führen muss. 

Im Jahre 1895 beschrieb Oppenheim [4] zuerst einen 
Fall von „infantiler Form der cerebralen Glossopharyngolabial- 
paralyse“, wobei die pseudobulbären Symptome im Vorder¬ 
gründe des Zustandsbildes, nicht wie sonst bei den ver¬ 
schiedenen cerebralen Kinderlähmungen im Hintergründe stan¬ 
den. Ein 21 jähriger Mann litt von frühester Kindheit auf, 
neben einer — nicht spastischen — Parese und athetoiden Be¬ 
wegungen aller Gliedmaassen und neben geringem Schwachsinn, 


an einer Lähmung der Lippen-, Zungen-, Gaumen- und Kiefer- 
muskeln mit sehr schlechter Artikulation, mit Kau- und Schling¬ 
beschwerden, ohne degenerative Atrophie der Muskeln. Bei der 
Sektion fand man eine Porcncephalie und Mikrogyrie an der 
linken, eine Mikrogyrie an der rechten Hemisphäre, beiderseits 
in den unteren Theilen der Centralwindungen und ihrer nächsten 
Nachbarschaft nach vorne und hinten. 

Im Rückenmark war der rechte Seitenstrang atrophisch. 

Zwei weitere verwandte Fälle mit Diplegia spustiea infantilis 
und schweren pseudobulbären Symptomen, und zwar eine Mutter 
und Tochter, wurden bald nachher ebenfalls von Oppenheim 
[5] geschildert. Die Mutter war trotz guter Intelligenz und er¬ 
haltenen Gehörs völlig stumm; sie brachte willkürlich keinen Ton 
aus der Kehle, sondern nur beim Lachen und Weinen. 

Ferner ein Fall B o u c li a u d’s [6]: Ein 28 jähriger, von je¬ 
her stummer Epileptiker war im Sehlingen und Kauen sehr be¬ 
hindert. Dazu hatte er eine spastische Parose des linken Armes. 
Anatomischer Befund: Symmetrische Mikrogyrie des unteren 
Abschnittes der Centralwindungen. 

Ferner 3 Fälle v. S ö 1 d e r’s [7], v. Halban’s [8], Gas¬ 
si r e r’s [9] von spastischen Diplegien mit infantiler Pseudo¬ 
bulbärparalyse. Ein hierher gehöriger Fall Gknghofner’s 
ist mir leider nicht zugänglich. 

Von den angeführten 7 Fällen beruhen 6 sehr wahrscheinlich 
auf primären Entwicklungshemmungen: 2 mal wurde Mikro¬ 
gyrie gefunden, von den nicht secirten betreffen 2 Mutter und 
Tochter, bei den beiden folgenden ist ausdrücklich angegeben, 
dass die Geburt rechtzeitig und normal war und auch sonst kein 
Grund für die Störungen gefunden werden konnte. In Cas- 
s i r e r’s Fall war das Kind bei der (Steiss-) Geburt aspkyk- 
tisch; die Frage nach der Entstehung ist also unentschieden. 

Ausserdem fand König [10] unter 72 Fällen von cere¬ 
bralen Kinderlähmungen der verschiedensten Art 7 Fälle von 
„Formes frustes“ des Oppenhei m’schen Typus, d. h. mit 
Sprachstörungen, aber mit keinen oder nur geringfügigen 
Schluckcrschwerungen. 

Im Folgenden sei nun über 3 Beispiele schwerer cerebraler 
Bulbärstörungen berichtet, die auch nicht anders als durch Unter¬ 
entwicklung der corticobulbären Bahnen erklärt werden können. 
Bei dem ersten handelt es sich daneben um eine allgemeine 
Gliederstarre, beim zweiten um eine ganz eigenartige, schwere 
schlaffe Lähmung fast der gesammten willkürlichen Mus¬ 
kulatur. Beim dritten, mit Porencephalie, konnte der Hirn¬ 
stamm auf das Verhalten der corticobulbären Bahnen unter¬ 
sucht werden. Die pseudobulbären Störungen sind in den 
3 Fällen nach ihrer Art und Ausdehnung verschieden und ge¬ 
statten darum einen interessanten Vergleich untereinander. 

1. Krankengeschichte. 

Hedwig II., 15 Jahre alt, das rechtzeitig und ohne Kunsthilfe 
geborene uneheliche, erste Kind einer gesunden Bauernmagd. Bei 
der Konzeption war der Vater „etwas angetrunken". Derselbe 
ist ebenfalls gesund; auch ist in seiner und der Mutter Verwandt¬ 
schaft nichts von Nervenkrankheiten bekannt. Das zweite, um 
3 Jahre jüngere Kind der Mutter, von einem anderen Vater, ist 
gesund. Unsere Patientin soll im ersten Lebensjahre wie andere 
Kinder gewesen sein; dann seien Krämpfe aufgetreten und sie 
habe im Gehen und Sprechen keine Fortschritte gemacht. Seit 
1892 ist sie In der Klinik. 

Status praesens: Kopf und übriger Körper wohl ge¬ 
staltet und in recht gutem Ernährungszustände. Die Muskeln 
sind überall gehörig entwickelt und kräftig; nirgends bestehen 
eigentliche Lähmungen. Dagegen ist fast die gesammte Mus¬ 
kulatur steif angespannt und der willkürlichen Beeinflussung schwei- 
gefügig. Das Mädchen geht und steht mit leicht geneigtem Kopfe, 
den Kumpf in der Hüfte vorgebeugt, die Beine einander genähert 
und ln den Knien etwas gebeugt, die Füsse in leichter Spitzfuss- 
stellung. Die Oberarme liegen dem Körper leicht au, die Ell¬ 
bogen sind gebeugt. Die Hände sind uluurwärts flektirt und 
häufig krampfhaft mit eiugeschlageneu Daumen zur Faust geballt. 
Bei willkürlichen Bewegungen werden die Finger oft unwillkür¬ 
lich gespreizt und auch sonst treten hindernde krampfhafte Nebeu- 
hewegungen in den Armen uuf. Die Hände sind desshalb unge¬ 
schickt im Zufasseu. Dennoch lernte das Mädchen mit dem 
Griffel ordentlich schreiben. Sein Verstand ist, wie sich auch 
sonst zeigt, durchaus gut. Es wird zu kleinen Botendiensten 
innerhalb der Anstalt verwendet und zwar wegen seiner unge¬ 
schickten Hände mit Hilfe eines umgehängteu Sackes zur Auf¬ 
nahme der Bestellungen. Ein Papier würde in seinen spastischeu 
Händen zerknüllt werden. Das Kind geht zwar schwerfällig und 
schlürfend, aber doch ziemlich rasch, seitdem es sich genügend 
geübt hat, es kann sogar laufen. — Epileptische Anfälle treten 
jährlich etwa 1 mal auf. 

a* 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


1650 


Die Extremitäten bieten im Ucbrigen die gewöhnlichen 
Zeichen hochgradiger Gliedcrstarre. Die Sinnesorgane sind ein 
schliesslich des Gesichts und Gehörs normal. Kein Nystagmus. 
Blasen- und Mastdannthätigkeit geordnet. 

Die Facialis iunervatiou ist auf beiden Seiten gleich ge¬ 
stört. Die Stirne wird auf Geheiss nicht gerunzelt. Augenschluss 
kräftig. Das Kind kann den Mund nicht spitzen, nicht pfeifen, 
kein Lieht ausblasen. Beim Lachen geht der Mund krampfhaft 
weit auseinander. Er ist auch sonst häutig offen und es besteht 
dann Speieheltluss. 

Die wohlgenährte Zunge wird leidlich gut nach vorne 
herausgcslreckt, soweit es das etwas zu kurze Freuulum zulässt. 
Dagegen sind die Bewegungen nach rechts, links und oben ganz 
mangelhaft. Saugen ist möglich; sonst wäre die Ernährung in 
den ersten Jahren unmöglich gewesen. 

Der Iv. i e f e r s e h i u s s ist kräftig. Masseterenretlcx leb¬ 
haft. Nach den Seiten kann der Unterkiefer aber gar nicht bewegt 
werden. 

Das Gaumensegel steht beiderseits gleich hoch. Es 
gellt beim A-sagen etwas in die Hohe, das Zäpfchen aber nicht 
nach hinten. Daher näselnde Aussprache. GaumeureÜex nicht 
zu erzielen, wohl aber Bachen- und Scldiugretiex. 

Zum Essen braucht das Mädchen mehr Zeit als Andere und 
zu feste Speisen muss es vermeiden; die gewöhnliche Krankenkost 
verspeist es aber ohne viel Mühe. 

Um so mehr ist die Sprache gestört, so zwar, dass sich 
das Kind gar nicht mit ihr verständlich machen kann. Ausser 
dem Buchstaben li und einem näselnden a ist kein Laut zu er¬ 
kennen. Alles andere sind uuartikulirte, laut und rasch liervor- 
gestossene Tone. Utleuhnr fehlen die Bewegungsbilder für die 
Worte und Buchstal eit keineswegs; man hört aus dem Ge¬ 
sprochenen, und besonders dem Vorgelesencn, «las mau leicht er- 
ratheii kaum deutlich die richtige Aufeinanderfolge der Silben 
und die Ankl.'tnge an di«* gewollten Buchstaben heraus. Die 
Lippen-, Zungen- und Gaumenmuskeln sind zu stark und zu 
schwach imtervirt; dazu kommen unzweckmässige Mitbewcgungeu. 
Der Mund ist beim Npri*<*h«*n fast anhaltend breit verzogen und 
wird nie rundlich vereng« rt. 

Die Zunge wird dabei nur wenig von hinten mich vorne be¬ 
wegt, breit und schwerfällig. Die Anstrengung des Sprechens drückt 
sielt durch Blinzeln der Stirne aus. das willkürlich nicht gelingt. 
Die Bewegungen der St iminbänder selteinen an der Störung un- 
het heiligt zu sein. Es gebt dies aus der Stärke «1er Stimme und 
aus iler Möglichkeit der «baulichen Aussprache des lt imrvor. 
Sprechen und Lachen sind sogar recht kräftig, einem hellklingen¬ 
den Iluitdegebiäl vergleichbar. 

Neben einer ausgedehnten und erheblichen Starre der Glied- 
maassett, <l«*s llalses und Rumpfes hat. also das Kind eine Be¬ 
wegungsstörung der Lippen-, Zungen-, Kau- und Gaumeii- 
inuskein, welche sieh hauptsächlich üussert in einem Mangel 
jeglicher Artikulation, wie er so vollständig wohl selten vor- 
koimut. Nur die eiufaelLsten Laute a und h können unter¬ 
scheidbar gebildet werden. Daneben bestellt eine Kaustörung ge¬ 
ringeren Grades. Diese Störungen sind offenbar in ähnlicher 
Weise auf spastische Zustände zurückzuführen, wie die Un- 
gelenkigkeit. der Glicdmuasscn. Bei der Zunge und dem Gaumen 
scheint allerdings auch «»ine Schwäche vorzuliegen. 

Zur anatomischen Erklärung der Bewegungsstörungen liegt 
am nächsten die Annahme einer Entwicklungshemmung leichten 
Grades in den Pyramidenbahnen und den eorticobulbüren Bahnen 
des Facialis, Ilypoglossus und motorischen Trigeminusastes. 
Wenn man will, kann man die Betrunkenheit des Vaters hei der 
Konzeption als «lnfür verantwortlich heranziehen, doch wäre dies 
eine YerinutJiung, wcIcIkt angesichts der sonst vorzüglichen Kör- 
pi*rl>eseliaffenheit und der normalen Intelligenz kein grosses Ge¬ 
wicht beizulegen wäre. Die leichte Epilepsie kann bedingt sein 
durch den Defekt der motorischen Bahnen. 

Aclinli«*h und unähnlich zugleich diesem Falle ist nun der 
folgende. Es handelt sieh wieder um ein Kind mit einer an¬ 
geborenen schweren Bewegungsstörung am ganzen Körper ein¬ 
schliesslich der von den Hirn nerven versorgten Muskeln. Aber 
die Innervation ist nicht wie dort zu stark, sondern zu schwach, 
und der Zustand ist desshalb ein erheblich schlimmerer. 

2. Krankengeschicht e. 

Therese V.. 14 Jahre alt, stammt von gesunder Familie. Sie 
ist «las vierte von fünf leitenden und gesunden Geschwistern; 
drei weitere sind an Kinderkrankheiten früh gestorben. Patientin 
kam zur richtigen Z«*it zur Welt, die Geburt verlief ungestört; 
auch war der Mutter die Schwangerschaft gut verlaufen. Pat. 
soll immer ein kräftig gebautes Kind gewesen sein, lernte aber 
in Folge ihres Leidens nie geh«*». Dies«*s bestand offenbar von 
jeher und änderte sieh ni<*. Als das Kind 2'/^ Jahre alt war, wurde 
wegen angeborener Linsentrübung eine Iridektomi«* auf beiden 
Ang«'U ausgefiihrt. mit gutem Erfolge. Zu dieser Zeit lernte das 
Kind allmählich etwas sprechen. Mit 3 Jahren bekam es die ersten 
Zähne. Damals bemerkt«* die Mutter zum ersten Mal«* an ihm 
«•in starkes Zittern an alleti Gliedern. Die Schule konnte die 


Kleine wegen ihrer Lähmung nicht besuchen; sie wuchs ln sehr 
dürftigen Verhältnissen, ohne Unterricht auf. Trotzdem blieb sie 
geistig rege. Seit nuu l‘/ 3 Jahreu ist sie hier in Pflege. 

Status praesens: Die Körpergrösse entspricht an¬ 
nähernd dem Alter der Kranken. Der Ernährungszustand ist bei 
sorgfältiger Wartung gut. Die Haut der regungslosen Füssv 
und Beine ist kühl und etwas cyauotiseh gefärbt. Das Knochen¬ 
gerüste ist genügend stark und ohne rhaeliitische Zeichen. Die 
Zähne sind tlieilweise dürftig entwickelt und ragen wenig über 
das Zahnfleisch empor. 

Das Mädchen liegt meist auf dem Kücken fast unbeweglich, 
schlaff da, so wie man cs hingelegt hau Der Kopf ruht auf der 
Unterlage und ist, sobald mau sieh mit dem Mädchen unterhält 
oder solange es überhaupt auf etwas aufmerksam ist, iu fort¬ 
währender wackelnder Bewegung. Diese steigert sich beträcht¬ 
lich bei psychischen Erregungen oder bei willkürlichen Beweguugs- 
versuclieu beliebiger Art, auch wenn mau das Kind passiv auf- 
setzt. Dreht mau cs aus der Bückcnlagc auf eine Seite, was ihm 
selbst nicht möglich ist, so kauu cs sich von selbst nicht oder 
höchstens mit angestemmteu Anneu zurückdrehen. Ebenso wenig 
kauu es sich aufsetzen oder aufgesetzt sich aufrecht halten, wenn 
der Bücken nicht durch eine Lehne gestützt wird. Biegt mau 
seinen Kumpf vornüber, so bleibt er ohnmächtig verkrümmt, bis 
er wieder aufgerichtet wird. l>le Beine sind ln der Hüfte und 
in den Knien gebeugt uud werden kaum bewegt. Mehr Leben ist 
noch in den Armen; doch sind auch deren Bewegungen kraftlos. 
Wegen der Uubeholfeuheit des Kindes macht seine Pflege viel 
Mühe, um so mehr, als es l'riu und Stuhl unter sich lässt, weil 
theils «las Gefühl hierfür, theils die Kraft der Schliessinuskelu, 
wie es scheint, nicht ausreichen. Diese Hilfsbedürftigkeit ist 
nicht etwa mitbediugt durch eine lutelligenzschwäche. Wenn 
man vielmehr alle Erschwernisse berücksichtigt, die sieh der 
geistigen Entwickelung des Kindes iu den Weg stellten: die liilt- 
mungen, die Sehschwache, die Sprachstörung und die dürftigen 
äusseren Verhältnisse, den Mangel der Schulbildung, so muss mau 
eher staunen über seinen Verstand uud seine Kenntnisse. Man 
kauu sieh mit ihm über Vieles unterhalten, es gibt inhaltlich 
gute Antworten uud hat Sinn für Humor. 

Der Kopf des Kindes ist reichlich gross, der Schädel nicht 
ungestaltet. Die Neigung des Kopfes nach vorne gelingt ihm 
nur mühselig und unvollkommen; der Kopf fällt gerne nach hinten 
zurück. Das Wackeln hut keine bestimmte Kichtung: bald mehr 
nach links und rechts, bald mehr nach vorn uud hinten. An diesem 
Wackeln betlieiligen sieh bei grösseren Erregungen auch die 
Schul terhelier. 

Auf beiden Augen sind die Linsen ganz undurchsichtig 
wegen des angeborenen UVntralstars. Dafür beiderseits opera¬ 
tives lriskoloboui. Die Sehschärfe ist gering: kleinere Gegen¬ 
stände, die ihr bekannt sind, wie einen Bleistift, erkennt die 
Kleine etwa 20 cm vor dem Auge. Personen unterscheidet sie auf 
mehrere Meter Entfernung. Bilder sieht sie gerne an, ermüdet 
aber bald wegen des Kopfwackelus. Der Augeuhintergrund kauu 
wegen der Linsentrübung nicht untersucht werden. 

Die A u g e n b e w e g u n g e n sind nach den verschiedenen 
Kielituugen hiu frei. Nur die Couvergenzbewegung ist untnög- 
i « lt; bei der Aufforderung, <1 io Nasenspitze auztisehen, folgt ImiIiI 
«las linke, bald das rechte Auge dem Befehle un«l das andere bleibt 
parallel gerichtet. Offenbar ist die Couvergenzbewegung nie elu- 
geiibt worden, weil sie bei dem Mangel der Linsenakkoinmodatiou 
zwecklos gewesen wäre uud well das Kind wegen seiner Läh¬ 
mungen den Augen keine Gegenstände nähern konnte. Es wiril 
ein N y s t a g m u s liorizontalis »lässigen Grades festgestellt. Es 
muss fraglich bleiben, ob derselbe von einem Gesichtspunkte aus 
mit «len übrigen unwillkürlichen Bewegungen angesehen werden 
soll, «»der öl« er lediglich Folge der angeborenen Amblyopie ist. 

'Protz der Kolobome ist beiderseits au den Pupillen deutliche 
Liehtreaktion zu beobachten. 

1 »er Kiefer Schluss ist massig kräftig. Seitwärtsbeweg- 
uugi'it des Unterkiefers gelingen nicht. 

Die F a c i n 1 i s Innervation ist auf beiden GesiehtshHlfteu 
gleich unvollkommen. Die Stirne wird nicht deutlich gerunzelt. 
Die Augen können ziemlich fest geschlossen werden. Der Mund 
dagegen wird mit geringer Kraft verengert; Spitzen des Mundes. 
Pfeifen. Ausblasen eines Lichtes ist unmöglich. 

Das Gau m e u s e g e 1 steht lieiderseits gleich hoch; es wird 
beim a-sagen ein wenig ln die Höhe, das Zäpfchen aber nicht 
rückwärts bewegt. Der Gaumenreflex fehlt, ebenso der Rachen- 
retlex. Dagegen Ist der Schlingreflex durch Berührung des Zungen¬ 
grundes jedesmal auszulösen. Der harte Gaumen Ist hoch uud 
steil. 

Die Zunge sieht gut aus und wird gerade und ziemlich weit 
nach vorne gestreckt. Dagegen sind die Bewegungen naeh den 
Seiten und nach ol»eu ganz unvollkommen möglich. Keine fibril¬ 
lären Zuckungen. 

Das Essen macht viel Mühe, das Kauen sowohl als das 
Schlucken; inan kann dem Kinde nur weiche Speisen geben und 
auch diese werden nur langsam geschluckt. Zur Nase kommen 
gegenwärtig die Flüssigkeiten nicht heraus; doch gibt das Kind 
an, dass es früli«*r manchmal der Fall gewesen sei; wahrscheinlich 
bei zu rascher Fütterung. 

1 Me Artikulation der Sprache ist so schlecht, dass man 
auch bei angestrengter uud geübter Aufmerksamkeit das Meiste 
nicht versieben kann. Obwohl die nöthigen Sprceliliewegungeii 
mit sichtlicher Mühe und richtig versucht werden, ist die Keile 


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;5. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1651 


doch kraftlos, undeutlich und sehr langsam, theilweise noch er¬ 
schwert durch unzweckmässige Nebenbewegungen lm Gesicht Ganz 
schlecht kommen die Laute zustande, welche kräftige Lippenbeweg¬ 
ungen erfordern: p, f, o, u, w, ferner die Zungenlaute: t, k, r. Bei b 
und p macht sich auch die Gaumenlähmung durch den näselnden 
Charakter bemerkbar. Die übrigen Buchstaben gelingen etwas 
besser. Die Aussprache mancher Consonanteugruppeu erleichtert 
sich das Kind durch die Einschaltung von Vokalen zwischen die 
einzelnen Consonanten, z. B. Würzaburg, Pärofessor. 

Die Sprechmuskeln sind nicht wie im ersten Falle spastisch, 
sondern in der Hauptsache kraftlos. Der Mund wird nicht wie 
dort krampfhaft offen gehalten; er verengert sich vielmehr, aber 
nicht fest genug. Wesentlich' betheiligt ist aber auch eine 
Schwäche der Kehlkopfmuskeln. Während dort bei dem 
völligen Mangel der Artikulation doch der Kehlkopf kräftig funk- 
tionirt, die Stimme wenigstens stark und der einfache Kehlkopf¬ 
laut h ausser a der einzige erkennbare Buchstabe ist, wird im 
zweiten Falle gerade das li im Verhültniss zu manchen anderen 
Lauten schlecht erzeugt und die Stimme ist schwach. Es werden 
überhaupt auser beim Lachen und Weinen keine lauten und hellen 
Töne hervorgebracht, lind auch diese unwillkürlichen Affekt¬ 
bewegungen kommen nur mühsam zu Staude; es dauert immer 
längere Zeit, bis aus dem breit verzerrten Munde und durch die 
Nase hellere und dumpfere, grunzende und näselnde Laute heraus¬ 
kommen. Dass diese unwillkürlichen Töne lauter sind als die will¬ 
kürlichen, erinnert an den Oppenliel m’schen Fall der stummen 
Frau. 

Kumpf. Die Muskulatur des Kückens ist, entsprechend der 
Unmöglichkeit einer aufrechten Haltung, sehr dürftig. Die 
Wirbelsäule ist kyphotisch und stark nach links skoliotisch, am 
meisten am Uebergang von der Lenden- zur Brustwirbelsaule — 
ein gutes Beispiel für Länderers Erklärung der Skoliose 
durch Muskelschwäche. Der Brustkasten ist vorn rechts vor¬ 
gewölbt. 

Herz und Lungen ohne Besonderheiten. Puls 96. Die Ath- 
mung geht ruhig und ausgiebig vor sich, 22 pro Min., so dass man 
von einer Schwäche der Athenunuskeln nicht reden kann. Die 
Bauchmuskeln sind mässig kräftig. Bauchreflex nicht deutlich. 
Zu husten vermag das Kind nur schwach, da der Glottisschluss 
nicht fest genug ist 

Beim passiven Aufsetzen wackelt der Rumpf bedeutend hin 
und her in der Art hochgradiger Ataxie. 

Obere Extremitäten. Beide verhalten sich gleich. 
Die Muskulatur ist ziemlich dürftig und schlaff, besonders an der 
Mittelhand schwach entwickelt. Alle Gelenke sind passiv frei 
beweglich, ohne jeden Widerstand, zum Theil sogar in über¬ 
mässiger Ausdehnung. So lässt sich der Ellbogen überstrecken; 
er steht ausserdem in Valgusstellung. 

Die Finger sind in allen Gelenken zu überstrecken, im Grund- 
gelenk so weit, dass sie senkrecht zum Handrücken stehen. Diese 
Ueberstreckungeu rühren offenbar von den gewaltsamen atak¬ 
tischen Bewegungen her (s. u.), welche immer wieder auf die 
schlaffen Gelenke feinwirkten. Die Bewegungen in den verschie¬ 
denen Gelenken sind auch willkürlich überall möglich und in der 
Ausdehnung nicht wesentlich beschränkt, aber der geringste 
Widerstand ist für ihre Kraft zu gross, besonders ln der Schulter. 
Ausserdem sind die Bewegungen sehr ataktisch, und zwar sowohl 
beim Greifen nach einem bestimmten Ziel, als beim Geradeaus¬ 
strecken. Versucht das Kind, einem die Hand zu geben, so fährt 
dieselbe mit dem ganzen Arm wild hin und her, die Finger werden 
stark gestreckt und gespreizt; ebenso ist der Ellbogen überstreckt 
und da die Erhebung in der Schulter zu schwach ist, wird der 
Oberarm von der anderen Hand mühsam emporgehoben. Das 
Kind kann nur mit Mühe ein Stück Brod zum Munde führen. 
Gabel und Löffel sind ausgeschlossen. 

Schliessung der Augen verstärkt die Ataxie nicht Doch ist 
mit dieser Feststellung nichts anzufaugen, da bei der geringen 
Sehschärfe und dem heftigen Wackeln des Kopfes den Augen so 
wie so ein Einfluss auf die Bewegungen der Glieder fehlen muss, 
Ein eigentliches Zittern besteht weder in der Ruhe, noch bei Be¬ 
wegungen. 

Die Supinator- und Trlcepsreflexe fehlen vollständig. 

Untere Extremitäten. Sie liegen fast todt da, in 
Hüfte und Knie gebeugt Auch an ihnen ist zwischen rechts und 
links kein Unterschied. Die Muskulatur ist sehr atrophisch in 
Folge der Unthätlgkeit. Passiv sind die Gelenke, abgesehen vom 
Knie, ganz frei beweglich; die Fussgelenke sind auffallend schlaff. 
Die Kniegelenke sind in Beugung kontrakt so dass sie nicht mehr 
als bis zu einem nach hinten offenen Winke) von 130° gestreckt 
worden können. Beugung ist bis zu einem spitzen Winkel mög¬ 
lich. Nirgends eine Spur von Spasmen. Die aktiven Be¬ 
wegungen gehen ln den Hüft-, Knie- und Fussgelenken mit ganz 
geringer Kraft und unvollkommen vor sich. Die Dorsalflexion des 
Fusses und die Zehenbewegungen fehlen völlig. Die Patellar- 
reflexe sind nicht auszulösen, ohne dass man dies durch die Beuge¬ 
kontraktur im Knie erklären könnte; ebensowenig die Achilles¬ 
reflexe. Auf Ataxie kann wegen der Lähmungen nicht geprüft 
werden. 

Sensibilität Das Empfludungs- und Lokalisationsver¬ 
mögen für Pinselberühningeu und Nadelstiche, ferner das Tem¬ 
peraturgefühl sind am ganzen Körper ungestört. Ebenso das 
Lagegefühl ln den Gliedmaassen und der stereognostische Sinn in 
den Händen. Die Huutreflexe an den Händen und den 
Ko. 42. 


Flusssohlen sind lebhaft. Kein Babinsk i’scher Zehenreflex. 
Die Sinnesorgane sind normal, ausser den Augen. 

Elektrisches Verhalten der Muskeln. Die 
Muskeln sind alle, einschliesslich der Mundmuskeln, der Zunge, 
der Hände und des atrophischen Kectus femoris sowohl galvanisch 
als faradlsch erregbar, bei etwa derselben Stromstärke wie ge¬ 
sunde Muskeln. Die Zuckungen sind erheblich schwächer als der 
Stromstärke entspräche, doch sind sie rasch und bei KS > An S. 
Es handelt sich um eine einfache Herabsetzung der Erregbarkeit. 
(Schluss folgt.) 


Aus der Heilanstalt Falkenstein i. Taunus. 

Ein bemerkenswerther Fall von Tuberkulose der 
Trachea und gleichzeitiger Varixbildung daselbst 
mit letalem Ausgange. 

Von Dr. Gidionsen, 3. Arzt der Heilanstalt. 

Es handelt sich im Folgenden um einen sehr merkwürdigen 
Fall von ganz plötzlich aufgetretener, starker und äusaerst jäh 
zum Tode führender „Lungenblutung“, deren Ursache sich bei 
der Sektion als eine recht überraschende erwies und von Neuem 
lehrt, dass man sich viel häufiger der Mühe unterziehen sollte, 
derartige scheinbar oft so selbstverständliche Haemoptysen post 
mortem gründlich auf ihre Entstehung hin zu untersuchen. Der 
vorliegende Fall bot allerdings von vorneherein, rein klinisch 
betrachtet, so viel Bemerkenswerthes, dass die Nachprüfung 
durch die Obduktion als selbstverständlich erscheint. 

Bevor ich auf eine nähere Besprechung eingehe, sei mir zur 
schnelleren Orientirung eine knappe Wiedergabe der betreffen¬ 
den Krankengeschichte gestattet. 

Die 41 jährige Patientin trat in unsere Behandlung, nachdem 
sie seit einem Jahr an quälendem Husten und immer mehr sich 
steigernden Athembeschwerden gelitten hatte. Von verschiedenen 
Aerzten waren die Lungen und der Kehlkopf früher ausdrücklich 
als frei von Tuberkulose bezeichnet worden. Eine Schwester der 
Patientin ist in frühem Alter an Phthise gestorben. Nur eine 
Ellenbogeneutzündung, die von chirurgischer Seite mit Jodoform¬ 
emulsionen behandelt war, liess den Verdacht auf eine doch vor¬ 
handene Tuberkulose bestehen. Eine im letzten Herbst durch¬ 
gemachte Lungenentzündung, sowie eine gegen die heftigen asth¬ 
matischen Beschwerden von anderer Seite vorgenommene Behand¬ 
lung mit komprlmirter Luft hatten die Kräfte sehr reducirt. Die 
Patientin klagt über viel Auswurf, von dessen mikroskopischer 
Untersuchung ihr nichts bekannt ist; dabei bestehen seit Wochen 
und Monaten angeblich schon Fieber und sehr lästige Kurzathmig- 
keit. Des Oefteren sind geringe Blutbelmengungen im Sputum vor¬ 
gekommen. Keine Nachtschweisse. Ausser unruhigem Schlaf 
sonst keine Störungen im Allgemeinbefinden. 

Statu 8: Ziemlich kleine, ganz kräftig gebaute Dame in 
gutem Ernährungszustände. Gesichtsfarbe blass bei leichter 
Cyanose. Athmung angestrengt. Thorax ln der Längsachse deut¬ 
lich verkürzt. Sternovertebraler Durchmesser vergrössert. Ziem¬ 
lich stark aufgetriebene Eudphalangen der Finger. Die Lungen¬ 
grenzen sind stark erweitert, reichen hinten bis zum II. Lenden¬ 
wirbel, überlagern das Herz fast vollkommen. Die Verschieblich¬ 
keit an den Lungenrändem ist nicht aufgehoben, aber stark ver¬ 
mindert. Das Exspirium ist überall sehr verlängert. Ueber der 
linken Spitze besteht eine mässige Schall Verkürzung vorn bis zur 
II. Rippe, hinten bis unter die Spina scapulae. Das Atliemgeräusch 
hat im rechten Oberlappen einen bronchovesikulären Charakter, 
ist sonst überall rauh-vesikulär. Auf beiden Selten sind einige 
giemende und pfeifende Geräusche zu hören. Die Herztöne sind 
rein. Nur der 2. Pulmoualton ist etwas accentuirt. 

Körpergewicht 132,8 Pfund. Im Urin nichts Abnormes. Bei 
zweimaliger Sputumuntersuchung keine Tuberkelbacillen. Aus¬ 
wurf sehr reichlich, schleimig-eitrig. Abdomen ohne Besonder¬ 
heiten. 

In der Nase leichter, trockener Katarrh. Pharyngitis sicca. 
Im Larynx sieht man am linken Processus vocalis kleine Ver¬ 
dickung mit weisser Kuppe, sonst nichts Besonderes. 

Eine Woche nach der ersten Untersuchung trat, nachdem bis 
dahin ganz normal gemessen worden war, eine Temperatur¬ 
erhöhung auf 38° ein, zugleich mit einer Steigerung der Kurz- 
athmigkeit. Auf den Lungen war jetzt ausgebreitetes Giemen 
nachzuweisen. Als nach 3 Wochen langem Lager die Kranke zum 
ersten Male wieder an der gemeinsamen Mittagstafel thell- 
genommen hatte, stellte sich beim Heraufgehen der Treppen eine 
mässig starke Blutung ein, die abermalige Bettruhe nöthig machte. 
Nach 4 Tagen ist der Auswurf frei von jeglicher Blutbeimengung; 
die Temperaturen sind normal, das Allgemeinbefinden ist vorzüg¬ 
lich, so dass bei der am Nachmittag zwischen 5 und 6 Uhr statt- 
flndenden ärztlichen Visite die Patientin selber den Wunsch 
äussert, möglichst bald wieder aufstelien zu dürfen. Zum ersten 
Male wurde an diesem Tage die Kranke wegen ihres guten Zu¬ 
standes nicht auch noch nach dem Abeudessen besucht. Die Ober¬ 
schwester überzeugte sich aber noch um 0 Uhr von dem Wohl¬ 
befinden derselben. Um 10 y 2 Uhr erfolgte plötzlich eine heftige 
Lungenblutuug. Die sofort lierbeigeelite Schwester schickt gleich 
nach ärztlichem Beistände. Die Kranke hatte sich ln Folge wohl 

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1652 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


sofort eintretender stärkster Athembeschwerden selbst aus dem 
Bett erhoben. Versuche mit künstlichen Atheinbewegungen, 
Herausziehen der Zunge, Eingreifen der Hund bis in die Glottis, 
um etwaige Gerinnsel zu entfernen, bleiben erfolglos. 20 Minuten 
nach Beginn der Blutung ist der Exitus bereits erfolgt. — 
Das Nachtgeschirr war bis zu einem Viertel etwa mit hellem, 
schaumigem Blute erfüllt, dessglelchen der Spucknapf zum 
grösseren Theile; da aber auch Blut in verschiedene Hand- und 
Taschentücher, sowie in die Wasclischale geratheu war, lässt 
sich nicht einmal ungefähr die Menge des Blutverlustes angeben. 
Keineswegs war derselbe sehr beträchtlich. Der Tod geschah 
unter den Zeichen der Erstickung. 

Unsere Diagnose ging dahin, dass mit grosser Wahrscheinlich¬ 
keit Tuberkulose der Lungen auszuscliliessen und voraussichtlich 
eine broucliiektatische Blutung erfolgt sei, über welche die Kranke 
wegen der auf’s äusserste unelastischen Lungen nicht mehr 
Herr zu werden vermochte. 

Die 36 Stunden später vorgenommene Sektion ergab Folgen¬ 
des: Zwerchfellstand rechts bis zum unteren Baude der V. Kippe, 
links bis zum oberen Bande der VI. Kippe. Bei Eröffnung der 
Brusthöhle überragen die stark geblähten Lungen das Herz voll¬ 
kommen; sie collabiren nicht, treten vielmehr Uber die Brustfläche 
vor. Die Pleurahöhlen sind beiderseits leer, die Lungen nirgends 
adhaereut. 

Der Herzbeutel enthält 1—2 Esslöffel klare, seröse 
Flüssigkeit. Das Perikard ist stark mit Fett durchsetzt, vielfach 
sehnig getrübt, besonders auf der Kückseite des linken Ventrikels. 
Die linke Herzhöhle ist von mittlerer Weite; beide Höhlen ent¬ 
halten wenig Blut. Die Muskulatur ist von mittlerer Dicke, grau- 
roth mit streifigen und punktförmigen gelben Einlagerungen. 
Endokard und Klappen sind vielfach durch fibröse Auflagerungen 
verdickt. Ziemlich starke Atheromatose der Aorta. Am rechte n 
Herzen im Allgemeinen dieselben Veränderungen, nur weniger 
stark ausgesprochen. 

Mehrere Medlastinaldrüsen sind geschwollen, schiefrig in- 
durirt. 

Die Bronchien enthalten an den Durchschnittsstellen ge¬ 
ronnenes, schaumiges Blut; die Brouchialschleimliaut ist wenig 
geschwellt, in den peripheren Theileu ganz atrophisch. Lumen der 
Bronchien, besonders rechts, cyllndrlsch dilatirt, au vielen Stellen 
mit Leichtigkeit bis zum Lungenrande aufzuschneiden. 

Beide Lungen sind sehr stark emphysematos, besonders an 
den vorderen Kündern und an den Spitzen. In beiden Unter- 
lappeu zerstreute, duukelblaurothe, atelektatische Herde, zum Thell 
mit derber Schnittfläche. Ein grösserer, etwa pflaumengrosser, 
dunkelrother, über die Oberfläche erhabener, luftleerer Herd be¬ 
findet sich im Mittellappeu. 

In den Spitzen keine Spur von tuberkulösen 
Veränderungen irgend welcher Art. 

In der Trachea mehrere varicös erweiterte 
Venen. Dicht oberhalb der Bl furcation au der 
Hinterwand ein etwa pfennigstückgrosses, 
mehr längliches Geschwür mit stark aufge¬ 
worfenen Itändern und stark granullrter Basis, 
in der Längsrichtung verlaufend, in unmittel¬ 
barer Nachbarschaft der Varicen. Beide grosse 
Bronchialäste von derTheilungsstelle an dicht 
mit theils noch flüssigem, thells geronnenem 
Blute angefüllt, jedoch nur wenige Ceutimeter 
bis unter die Bifur cation. 

Lymphdrüsen in der Umgebung etwas vergrössert, schiefrig 
indurirt. 

Im Laryux nichts Besonderes, bis auf eine kleine Unebenheit 
der Schleimhaut in der Nähe des linken Processus vocalis. 

Oesophagus ohne Besonderheit. 

Magen mit Speisetheilen angefüllt, stärkere Blutanhäufung 
nicht nachweisbar. 

Die Obduction der übrigen Organe war leider 
nicht gestattet. 

Unmittelbar nach der Sektion wurde mit ausgeglühter Platin¬ 
öse durch sanften Druck etwas aus dem Grunde des Tracheal- 
geschwüres entfernt und auf einem Deckglase ausgestrichen. Ge¬ 
wöhnliche Färbung mit Methylenblau, sowie die Doppelfärbung 
auf Tuberkelbacillen ergaben nichts Positives. Später wurden 
das heruusgesehnitteue Ulcus, sowie die benachbarten Lymph¬ 
drüsen ln Alkohol gehärtet, iu Celloidiu eingebettet, geschnitten 
und gründlich mikroskopisch untersucht. Die Präparate wurden 
mit Alaunkarmin, gewöhnlichem Haematoxylinalaun und nach 
vanGieson gefärbt. Namentlich die letzteren gaben an dünnen 
Schnitten sehr schöne Bilder. Je näher die Schnitte nach der Mitte 
des Ulcus zu lagen, um so deutlicher erkannte man die tuberku¬ 
lösen, zum grössten Theile bereits mehr oder minder stark ver¬ 
kästen Herde, mit der charakteristischen wirtelförmigen Anord¬ 
nung der Zellkerne am Rande der Tuberkel. Bei solchen Knötchen, 
wo noch keine Nekrose eingetreten war, Hessen sich bei starker 
Vergrösseruug iu der Mitte Rundzelleu, am Baude grössere epi- 
theloide Zellformen nachwelsen. Deutliche Riesenzellen mit wand¬ 
ständigen Kernen in einigen Präparaten in ziemlich beträchtlicher 
Anzahl. Am Bande des buchtigen Geschwüres waren die Herde 
nach der freien Fläche hin aufgebrochen; das Flimmerepithel war 
nirgends mehr erhalten. Die Herde reichten bis ln die Submucosa 
herein, ohne jedoch das Perichondrium der benachbarten Tracheal- 
ringe zu erreichen. Jenseits des das Ulcus umgrenzenden Walles 
war die Schleimhaut stark verdickt und mit sehr vermehrten und 


erweiterten Gefässen erfüllt. Dieselben erwiesen sich bei starker 
Vergrösserung als Venen. Zum Theil war ein deutlicher noch intra 
vitam entstandener Blutaustritt in das benachbarte Gewebe nach¬ 
zuweisen. An mehreren Stellen hatte sich das Blut, unmittelbar 
am Perichondrium entlang, aus stark dilatirten Venen heraus 
ausgebreitet. An einem Flecke dieser im Uebrigeu mit normalem 
Flimmerepithel bedeckten Parthie war auch ein deutlicher Durch¬ 
tritt von Blut an die Schleimhautoberfläche erkennbar. Die Lymph- 
drüsenschnitte zeigten ausser starker Pigmenteinlagerung nichts 
Besonderes. 

Eine Reihe von Präparaten wurden auch zwecks Nachweises 
von Tuberkelbacillen mit Anilinwassergentianaviolett, Entfärbung 
mit 20proc. Salpetersäure und Kontrastfärbung mit Vesuviu be¬ 
handelt. Leider Hessen sich trotz sorgfältigen Durchsuchens mit 
Sicherheit keine Tuberkelbacillen aufflnden. 

Zum Vergleiche fertigte ich dann noch von einem anderen 
Falle, bei dein eine ausgedehnte Tuberkulose der Lungen, des 
Larynx, der Trachea bis in die Hauptbronchien herein bestanden 
hatte, aus einem etwa gleich grossen und gleichfalls an der Luft- 
röhrenhinterwand lokalisirten Ulcus Schnitte an, die recht ähn¬ 
liche Bilder ergaben. Auch hier waren die tuberkulösen Herde 
zum weitaus grössten Theile bereits in Verkäsung übergegangeu. 
Aeusserst zahlreiche, theils sehr mächtige Riesenzellen. Nur war 
in diesen Präparaten im Centrum der Ulceratiou bereits das Peri¬ 
chondrium ganz in den tuberkulösen Zeretörungsprocess einbe¬ 
griffen, stellenweise sogar auch der Knorpel selber erkrankt. 

Am einfachsten lässt sich die plötzlich eingetretene Kata¬ 
strophe wohl in folgender Weise erklären. Das Vorhandensein 
der sonderbaren Venenerweiterungen an der Hinterwand der 
Luftröhre und dasjenige des tuberkulösen Ulcus in unmittelbarer 
Nähe derselben sind als zwei unabhängig von einander bestehende 
Proeesse aufzufassen. Klinisch hätten sich beide wahrscheinlich , 
völlig der Aufmerksamkeit entzogen, wenn nicht das Geschwür I 
eine der gröberen Gefässdilatationen in Mitleidenschaft gezogen ' 
und damit den unmittelbaren Anlass zu der ziemlich heftigen 
Ilaemorrhagie gegeben hätte. Das austrelende Blut ist dann 
einfach in beide Bronchialstämme heruntergeflossen und hat die¬ 
selben im gleichen Momente für die Luftpassage unwegsam ge¬ 
macht, Die hochgradig emphysematosen Lungen waren nicht im 
Stande, bei der Exspiration solche Kraft aufzubringen, um der 
drohenden Erstickung mit Erfolg Widerstand zu leisten. Als 
dritter, rein zufälliger Umstand wirkte also die enorme Herab¬ 
setzung der normalen Lungenelasticität durch die bronchitischen 
und emphysematosen Veränderungen, sowie die durch da9 Em¬ 
physem bedingte dauernde Inspirationsstellung des Thorax mit 
den beiden schon genannten zusammen, um zu einem so über¬ 
raschend schnellen tödtlichem Ausgange zu führen. 

Die eigenthümliche Varicenbildung steht offenbar in direk¬ 
tem Zusammenhänge mit den schweren Kreislaufstörungen, die 
schon seit längerer Zeit durch die Lungenerkrankung geschaffen 
waren. , 

Von anderen Autoren, die Aehnliches berichten, kann ich 
A v e 11 i s nennen, der auf der letzten Versammlung des Vereines 
süddeutscher Laryngologen in Heidelberg über einen Fall Bericht 
erstattet, der von anderer Seite für eine gewöhnliche Lungeu- 
blutung gehalten wurde, sich aber in Wirklichkeit als aus 
Tracheavaricen entstanden erwies. (Die ausführliche Beschrei¬ 
bung dieses Falles findet sich in No. 34, 1901 der Münch, med. 
Wochenschr.) M. Schmidt erwähnt in seinem Buche über 
die Krankheiten der oberen, Luftwege auch Fälle, wo er ein 
paar Mal aus erweiterten Gefässen der Trachea Blutungen ge¬ 
sehen hat, besonders bei alten Männern mit Atherom der Gefässe. 

Noch merkwürdiger ist die einzige Manifestation der Tuber- ' 
kulose im gesammten Gebiete des Respirationstraktus gerade an 
dieser Stelle. Die vorher erwähnte Kuppe im Larynx war schon 
bei einer Spiegeluntersuchung, die etwa 1—2 Wochen aute 
exitum gemacht wurde, nicht mehr nachweisbar. Und bei der 
Sektion war mit Auge und Gefühl an dieser Stelle der Schleim¬ 
haut auch nur für einen eigens darnach suchenden Beobachter 
eine ganz geringfügige Unebenheit bemerkbar. Immerhin bleibt 
es sehr zu bedauern, dass für eine spätere mikroskopische Unter¬ 
suchung der Larynx nicht aufbewahrt wurde. Hinsichtlich der 
nachträglich durch das Mikroskop gestellten Diagnose auf 
Trachealtuberkulose ist es gleichfalls zu beklagen, 
dass nicht alle übrigen Organe auf einen etwa bestehenden tuber¬ 
kulösen Herd auf’s Genaueste bei der Sektion durchsucht worden 
sind. In Folge dessen lässt sich eine primäre Tuberku¬ 
lose der Trachea natürlich nicht mit Sicherheit annehmen. 
Gleichwohl ist die Thatsache, dass innerhalb der gesammten Re- ! 
spirationsorgane als ältester Ansiedlungsherd der 


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15. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1653 


Tuberkulose die Trachea aufgefunden wurde, als ein 
recht seltenes Ereigniss zu verzeichnen. 

In einem der neuesten Literatur angehörenden Aufsatze über 
die Tuberkulose der oberen Luftwege von O. C h i a r i ist trotz 
ausführlichster Besprechung aller sonst vorkommenden Lokali¬ 
sationen tuberkulöser Processe im oberen Respirationstraktus auf 
die Tuberkulose der Trachea gar keine Rücksicht genommen wor¬ 
den. Eine viel ältere Arbeit von Dr. O. H e i n z e, die mit 
grossem Fleisse die Ergebnisse von 4486 Sektionen mit Bezug 
auf das Vorhandensein von tuberkulösen Larynx- und Tracheal- 
erkrankungen prüfte, macht über das Vorkommen von Tracheal- 
tuberkulose überhaupt und solcher mit primärem Sitze daselbst 
sehr lehrreiche statistische Angaben. Nach H e i n z e stellte sich 
folgendes Zahlenverhältniss heraus: Trachealulcerationen 
kommen ohne solche des Larynx nur in 1,5 Proc. aller Fälle von 
Phthisis vor, während in 6,5 Proc. Larynxulcerationen daneben 
bestanden. Unter 1226 Lungentuberkulosen überhaupt fanden 
sich 376 mit Ulcerationen des Larynx, das heisst also 30,6 Proc. 
Wohlgemerkt spricht der Verfasser hier nur von „Ulcerationen“ 
überhaupt, ohne deren tuberkulöse Natur eigens zu betonen. In 
einer anderen Zusammenstellung wurden 50 mehr oder weniger 
erkrankte Kehlköpfe von Phthisikern allein untersucht, wobei 
4 Proc. tuberkulöse Trachealulcerationen ohne 
gleichzeitige Larynxtuberkulose nachzuweisen waren. Bei all’ 
den genannten Zahlen handelt es sich aber nur um Kehlkopf- 
und Luftröhrenerkrankungen bei nebenher bestehen¬ 
der Lungentuberkulose. Also über das Vorkommen 
und die Häufigkeit wirklicher primärer Trachealtuberkulosen ist 
damit nichts ausgesagt worden. Com et führt in seinem 
Buche: „Die Tuberkulose“ nur einen einzigen Fall von primärer 
Trachealtuberkulöse an, den Valette in Gazette des hopitaux 
1889, No. 91 beschrieben hat. M. Schmidt sagt nur im All¬ 
gemeinen, dass Tuberkulose in allen Theilen der oberen Luft¬ 
wege primär Vorkommen könne, wie dies in seltenen, aber sicheren 
Fällen durch die Sektion erhärtet sei. 

Nach obigen Untersuchungen handelt es 
sich also um das Zusammentreffen von einem 
tuberkulösen Trachealgeschwür (als einziger 
nachgewiesener Ansiedlung der Tuberkulose 
innerhalb des Respirationsgebietes) mit 

V a r i c e n b i 1 d u n g in der Umgebung desselben; 
die Entscheidung, ob hier eine wirkliche pri¬ 
märe Trachealtubcrkulose vorliegt, lässt sich 
nicht mit Sicherheit treffen, da nicht alle 
Organe auf tuberkulöse Herde untersucht 
werden konnten. 

Herrn Geheimrath Prof. Dr. W e i g e r t spreche ich für die 
liebenswürdige Durchsicht der Präparate, meinem verehrten 
Chef, Herrn Dr. Hess ausserdem für die freundlichen Finger¬ 
zeige bei der Bearbeitung dieses Falles meinen besten Dank aus. 

Literatur. 

1. Avellis: Ueber eine Art trachealer Haemoptoe (Vortrag 
auf der VIII. Versammlung süddeutscher Laryngologen zu Heidel- 
l>erg). Münch, med. Woehenschr. 1901, No. 34. 

2. O. Chiari: Ueber die Tuberkulose der oberen Luftwege. 
Berl. klin. Wochensehr. No. 45—47 (nach dem Referate des Ver¬ 
fassers in der Sitzung der Tuberkulosecommission der deutschen 
Naturforscher- und Aerzteversainmlung ln München 1899. 

3. G. C o r n e t: Die Tuberkulose, im XIV. Bande von Noth- 
n n g e l’s specieller Pathologie und Therapie. 

4. O. Heinze: Die Kehlkopfschwindsucht. Leipzig 1879, 

V e i t 4 C o. (Citirt nach dem Referate in Schmidt’s Jahrbüchern, 
Jahrgang 1879, 181. Bd.) 

5. M. Schmidt: Die Krankheiten der oberen Luftwege. 
II. Auflage. Berlin 1897, J. Springer. 


Aus der orthopädischen Heilanstalt des Dr. med. A. Schanz 

in Dresden. 

Die Behandlung des angeborenen Schiefhalses mit 
offener Durchschneidung des Kopfhickers und Watte- 
Redressionsverband. 

Von Dr. A. Schanz. 

Unter den deutschen Orthopäden wird zur Zeit lebhaft über 
die Behandlung des angeborenen Schiefhalses discutirt. Ange¬ 
regt wurde die Debatte durch einen Vortrag, in welchem H o f f a 
dem vorjährigen Chirurgenkongress über seine durch Kopfnicker¬ 


exstirpation erreichten Erfolge berichtete. Es erschienen dann 
eine ganze Reihe von Mittheilungen, in denen von verschiedenen 
Stellen über die Erfolge derselben Operation wie über die Erfolge 
anderer Methoden Rechenschaft gegeben wurde. 

Das Gesanuntergebniss dieser Mittheilungen ist folgendes: 
Von allen je für die Behandlung des angeborenen Schiefhalses 
empfohlenen Methoden werden heute fast nur die offene Durch¬ 
schneidung und die Exstirpation des Kopfnickers geübt. Beide 
Methoden geben in einem Procentsatz der Fälle ausgezeichnete 
Resultate, aber den günstigen Erfolgen stehen eine Anzahl un¬ 
günstiger gegenüber. Es kommt nach der Operation zu einem 
mehr oder weniger schweren Recidiv. Diese Recidive sind 
häufiger, wenn der Operation eine Nachbehandlung nicht folgt, 
sie scheinen etwas seltener zu sein bei der Kopfnickerexstir¬ 
pation als bei der einfachen Durchschneidung. Ausgeschlossen 
worden dieselben aber weder durch die Nachbehandlung, noch 
durch die Exstirpation. Das Auftreten von Recidiven ist auch 
von Operateuren angegeben, deren Namen dafür bürgt, dass 
Operation und Nachbehandlung tadellos ausgeführt worden sind. 

Diese Ergebnisse der heute üblichen Schiefhalsbehandlung 
können als wirklich befriedigend nicht bezeichnet werden. Ja, 
man darf dieselben als recht unbefriedigend bezeichnen, wenn 
man sich überlegt, wie einfach eigentlich und für die Therapie 
ausserordentlich günstig die Verhältnisse beim Schiefhals liegen. 
Die ganze Deformität wird durch die Verkürzung eines einzelnen 
ganz oberflächlich und zugänglich gelegenen Muskels bedingt. 
Die ganze Aufgabo für die Behandlung besteht darin, diesen 
Muskel genügend zu verlängern. 

Die Verlängerung eines verkürzten Muskels ist eine der ein¬ 
fachsten Aufgaben der operativen Orthopädie, die wir sonst — 
ich erinnere an die Operation des entsprechenden Spitzfasses — 
nicht gewohnt sind, misslingen zu sehen. Es müssen Verhältnisse 
beim Kopfnicker gegeben sein, die die Lösung jener Aufgabe 
schwieriger machen, als an anderen Körperstellen. 

Diese fraglichen Verhältnisse müssen zuerst klar gestellt 
werden, wenn man nach Wegen suchen will, die Behandlungs¬ 
resultate des Schiefhalses zu verbessern; erst wenn wir die 
Schwierigkeit erkannt haben, werden wir Mittel finden, dieselbe 
zu überwinden. 

Die Schwierigkeiten der Heilung des Schiefhalses hat man 
einestheils in der unvollkommenen Wirkung der Operation ge¬ 
sucht. Man ist zuerst von der früher allgemein gebräuchlichen 
subkutanen Tenotomie abgegangen, weil man nicht mit genügen¬ 
der Sicherheit subkutan alle verkürzten Stränge durchschneiden 
kann. Andemthcils sah man die Ursache des Recidivs (Miku¬ 
licz) in der Neigung des durchgeschnittenen Muskels bezw. des 
zurückgelassenen Muskelrestes, sich zu verkürzen. Daraus ergab 
sich der Vorschlag der Exstirpation. 

Waren diese Voraussetzungen und die auf dieselben gebauten 
Schlüsse richtig? Was subkutane und offene Durchschneidung 
des Kopfnickers betrifft, so ist es ohne Zweifel, dass die offene 
Durchschneidung ein sichereres und gründlicheres Vorgehen ge¬ 
währleistet. Auch betreffs der Kopfnickerexstirpation gilt das¬ 
selbe gegenüber der subkutanen Durchschneidung, ja dieselbe ar¬ 
beitet auch noch gründlicher wie die offene Durchschneidung. 

Wenn die Ursache der Recidive in der ungenügenden Durch¬ 
trennung der kontrakten Theile lag, so müssten Recidive nach 
der richtig ausgeführten offenen Durchschneidung und erst recht 
nach der Exstirpation unmöglich sein. Wenn uns jetzt die Er¬ 
fahrung lehrt, dass die Recidive auch darnach nicht ausbleiben, 
so müssen wir daraus den Schluss ziehen, dass die Recidive 
mindestens zum Theil aus anderen Ursachen als aus der unge¬ 
nügenden Durchtrennung der kontrakten Theile oder aus der 
Schrumpfung der zuxückgelasscnen Reste entstehen. 

Die Entstehungsgeschichte und der Befund, eines solchen 
Recidivs bestätigten diesen Schluss. Wir finden beim Recidiv 
straffe Narbenstränge zwischen dem zurückgewiclienen Muskel 
bezw. Muskelstumpf und seiner alten Ansatzstello an Sternum 
und Clavicula. Diese Stränge sind es, welche die ungenügende 
Korrektion der Deformität bedingen; dieselben sind aber erst 
nach der Operation entstanden, sie sind nicht bei der Operation 
stehen geblieben. Die Operation hatte zunächst eine volle 
Korrektion gegeben. Erst durch die Ausbildung 
dieser Narben stränge geht ein Theil der Kor¬ 
rektion wieder verloren und mau erhält das 

3* 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


R e c i d i v. Hat der ungenügende Erfolg in einer ungenügen¬ 
den Operation seinen Grund, so muss der sonst vorhandene 
Augenblickserfolg der Operation fehlen oder ungenügend gross 
sein. In solchem Fall kann man dann aber kaum von Recidiv 
sprechen. 

Das echte Recidiv hat also seine Ursache nicht in einer un¬ 
genügenden Ausführung der Operation, auch nicht in nachträg¬ 
licher Schrumpfung des zurückgebliebenen Muskelrestes, sondern 
in der Ausbildung von kontrakten Narbenzügen zwischen den 
beiden Muskelstümpfen. 

Wollen wir das Recidiv vermeiden, so müssen wir darum 
die Ausbildung dieser Narbenstränge verhindern. Hier ist der 
Punkt, an dem wir ansetzen müssen, wenn wir die Recidive nach 
Schiefhalsoperationen verhindern wollen. 

Es fragt sich, können wir die Bildung jener Narbenstränge 
vermeiden ? 

Die Entstehung bindegewebiger Verbindungszüge zwischen 
den Muskelstümpfen können wir nicht verhindern. Dieselben 
werden in jedem Fall sich bilden; das ist für unseren Zweck aber 
auch gar kein Uebel. Im Gegentheil, denn nur durch die Her¬ 
stellung solcher Verbindungszügo kommt der Muskel in die Lage, 
falls er überhaupt eine Funktionsäusserung geben kann, diese 
wieder zu gewinnen. 

Die narbigen Verbindungsstränge zwischen den Muskel¬ 
stümpfen können wir also nicht vermeiden. Dieselben sind auch, 
wie gesagt, eher von Vortheil, als von Nnehthedl, so lange sie 
nicht zu kurz sind. Nicht die Stränge an sich sind schädlich, 
sondern nur zu kurze Stränge. 

Wir können unsere Aufgaben betreffs Vorbeugung der Re¬ 
cidive jetzt noch genauer als oben präcisiren. Das Recidiv ist 
zu verhindern dadurch, das« für genügende Länge der sich nach 
der Durchschneidung des Muskels zwischen den Stümpfen bilden¬ 
den Bindegewebsstränge gesorgt wird und — das können wir gleich 
hinzufügen — dass die nachträgliche Schrumpfung dieser Stränge 
verhindert wird. Wir haben hierin Aufgaben, deren Lösung an¬ 
scheinend recht wenig an uns fordert. Die Länge der entstellen¬ 
den Bindegewebsverbindungen können wir durch die Entfernung, 
in welche wir die beiden Muskelstümpfe von einander bringen, 
bestimmen: so weit die beiden Stümpfe von einander entfernt 
sind, so lang werden die Verbindungsstränge. Eine nachträgliche 
Schrumpfung können wir vermeiden, wenn wir eine Annäherung 
der Stümpfe aneinander verhindern, so lange als die Stränge die 
Neigung zum Schrumpfen besitzen. Die beiden Muskelstümpfe 
weichen bei der Operation gewöhnlich mit dem Augenblick der 
Durchtrennung genügend weit auseinander. Nur in schweren 
Fällen bleibt noch eine Spannung im oberen — dem Warzen¬ 
fortsatz benachbarten — Theil, wenn man die Halswirbelsäule 
in Korrektionsstellung bringt. Diese Spannung verliert sich, 
wenn man das Manöver ausführt, welches Lorenz als das 
modellirende Redressement bezeichnet. Es zieht sich dabei der 
durchschnittene Muskel soweit zurück, dass nun eine vollständige 
Ueberkorrektion möglich ist. Die jetzt gegebene Entfernung der 
Muskelstümpfe ist die denkbar günstigste. Dieselbe aufrecht zu 
erhalten, haben wir im Verband das einzige Mittel. 

Allgemein wird zu diesem Zweck der Gipsverband verwendet. 
Man fasst mit demselben den oberen Theil der Brust, den Hals 
und den Kopf, und legt ihn in korrigirter Stellung des Halses an. 
Ein solcher umfangreicher Verband macht den Eindruck, als ob 
er die ihm hier gegebene Aufgabe in ausgezeichneter Weise er¬ 
füllt und doch tliut er das nicht. Gerade darin, dass 
der Gipsvorband die auf ihn gesetzten Er¬ 
wartungen täuscht, liegt die ganze Quelle des 
R e c i d i v s. 

Legen wir einen solchen Gipsverband an, so haben wir schon 
grosse Mühe, denselben zum exakten Sitzen zu bekommen. Der 
Kopf bietet mit seiner gleichmässigen Rundung keinen rechten 
Anhaltspunkt, um den Hals dürfen wir den Verband nicht zu fest 
legen, der Thorax ist ein bewegliches Ding. Wir mögen noch so 
genau den Verband anlegen, wir können, wenn er erstarrt ist, 
sofort ohne jede Mühe von der Brust her die Finger darunter 
schieben. Der Gips bleibt nach dem Erstarren doch noch reich¬ 
lich so plastisch, dass der Kopf sich einen gewissen Spielraum 
schaffen kann. So gewiftnt der Körper in dem grossen, starren 
Gipsverband so viel Raum, dass eine Annäherung der beiden 
Muskelstümpfo erfolgen kann, und dass ein Theil des ersten 


schönen Resultates verloren gellt. Ist dieser Theil gross genug, 
so haben wir das Recidiv. 

Die unerfreulichen Ueberraschungeu, welche man auf diese 
Weise erfährt, sind mir ebenso wenig erspart geblieben, wie 
Anderen. Die Erkenntniss ihrer Ursache liess mich nach einem 
Verband suchen, welchem jene Mängel nicht anhaften. Nach 
einigen Versuchen bin ich zu einem Verband gekommen, der 
Alles leistet, was von ihm gefordert werden kann, und der dabei 
den Vortheil bietet, viel einfacher als der Gipsverband zu sein. 
Ich benutze ein dicke Lage Watte, die mit Binden fest um den 
Hals zusammengedrückt wird. Die Anlegung des Verbandes 
geschieht folgendermaassen. Nachdem die Operationswunde 
durch einen kleinen aseptischen Wundverband gedeckt ist, um¬ 
wickle ich den Hals mit nicht entfetteter Watte zunächst in 
3—4 facher Schicht. Diese Lagen werden unter mässigem Druck 
mit Mullbinden festgelegt (s. Fig. 1), darauf folgt wieder Watte 



Fig. 1. Fig. 2. 

und wieder Binden, die schon etwas straffer angezogen werden, 
und so fort mit sich steigerndem Druck der Binden, bis ein 
Verband zu Stande kommt, wie ihn Fig. 2 zeigt. Der Verband 
drückt sich dann fest zwischen Brust und Thorax, er ist so hart, 
dass er, obgleich er aus weichem Stoff besteht, völlig die Rolle 
eines Fixationsverbandes erfüllt. Er ist dabei aber — und das 
ist der grösste Werth — so elastisch, dass er den Bewegungen 
des Thorax und des Kopfes folgt und sich stets wieder fest an¬ 
schmiegt. Lockert sich der Verband, so wird er durch üm- 



Fig. 3. Fig. 4. 

legen einer Watteschicht und einer Binde wieder gespannt. Die 
Elasticität des Verbandes gibt ausserdem den Vortheil, dass der 
Verband im Sinne der Auseinanderlagerung der Muskelstümpfe 
red ress irend weiter wirkt. Der Verband extendirt den Hals sehr 
kräftig. Man überzeugt sich davon, wenn man den Verband ab¬ 
nimmt und dabei immer überrascht ist, wie lang der Hals unter 
der Wirkung des Verbandes geworden ist. Hatte man nach der 
Operation noch die oben beschriebene Spannung im oberen Theile 
des Muskels, so wird diese durch den Verband, ohne dass ein 
modellirendes Redressement nöthig war, vollständig be¬ 
seitigt. 


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15. Oktober 1001. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1655 


Wieweit unter der Wirkung des Verbandes der obere Muskel- 
stumpf zuriiekweieht, zeigt Fig. 3. wo derselbe dureh Blau¬ 
stift markirt ist. Dureh die Dehnung «los Halses, 
welche der Verband bewirkt, wird die Binde- 
gewebsverbi ndung der beiden Stümpfe so 
lang, dass nach A u f h ö r e n die s e r 1) e h n u n g 
der verlängerte Muskel auch di e E i n n a h in e 
der Ueberkurrcktio ns Stellung erlaubt (s. Fig. 4). 

Um zu zeigen, dass es sich in dem hier dargesteilten Falle 
um eino erhebliche Deformität, gehandelt hatte, füge ich Fig. 5 
hinzu. Die Photographie stellt den 12 jährigen Knaben vor der 
Operation dar. 

Eine nachträgliche Schrumpfung der Bindegewebsbrüeke zu 
venneitlen, muss man den Verband lange genug liegen lassen. 

Von 14 Tagen bin ich all¬ 
mählich bis zu 6 Wochen 
gekommen. Diese Zeit ge¬ 
nügt wohl für jeden Fall. 
Ein V« rlust ist die längere 
Zeit des Verbandes unter 
keinen Umstünden, denn wir 
kürzen dadurch die Zeit für 
die Nachbehandlung. In 
den Fällen . welche ich 
6 Wochen im Verband be¬ 
hielt — die letzten 3 — 
habe ich auf jede Nach¬ 
behandlung verzichtet, und 
habe doch in jedem Fall ein 
volles Bi-ultat erreicht. Im 
(iiinzen habe ich meinen 
Watteverband in 16 Füllen 
zur Anwendung gebracht. 
Es ist in keinem Fall zur Entwicklung eines Reeidivs gekommen. 

Nach den grossen Vortheilen des Verbandes muss ich 
einer üblen Folge desselben Erwähnung tliun. Der 
elastische Druck des Verbandes ist. so bedeutend, dass er zur 
Drucklähmung im Plexus brachialis führen kann dadurch, dass 
er die Clavieula gegen den oberen Thorax drückt und den Plexus 
auf diese Weise quetscht. 

Diese unwillkommene Leistung des Verbandes habe ich 
einmal erhalten. Das Kind klagte am Nachmittag nach der 
Operation über Einschlafen der Hand. Ich legte dieser Klage 
weiter keinen Werth bei, bis ich am anderen Morgen die fertige 
Plexuslähmung fand. Es dauerte '/» Jahr, bis dieselbe beseitigt 
war. Seitdem lasse ich besonders auf das Einschlafen der Ilände 
achten. Es wurde noch in einem Falle bemerkt und der Ver¬ 
band rechtzeitig gelockert. 

Wenn mau die Gefahr der Plexuslähmung beachtet, ist sie 
leicht zu umgehen. Im Ucbrigen ist der redressirende Watte¬ 
verband ein ebenso gefahrloses wie sicheres und einfaches Mittel, 
das Recidiv nach der Schiefhalsoperation zu vermeiden. 

Nachtrag bei der Korrok :t u r: Der in vorstehen¬ 
dem beschriebene Verband wird sich ebenso eignen zur Nach¬ 
behandlung der subkutanen Durchreissung des Kopfnickers, 
welche Lorenz soeben auf der Naturforscherversammlung 
empfohlen hat. 


Aus der dermatologischen Universitätsklinik (Prof. Dr. G. Riehl) 

zu Leipzig. 

Sterilisationsapparat für local anaesthesirende 
Lösungen.)*) 

Von Dr. Erhard Ri ecke, Assistenzarzt. 

Die von Schleich inaugurirte Methode der Infiltrations- 
anaesthesie hat im Laufe der Zeit immer mehr an Boden ge¬ 
wonnen und dürfte bald als Allgemeingut der praktischen Aerzte 
betrachtet werden. 

Gerade für die Letzteren bedeutet das genannte Verfuhren 
einen entschiedenen Gewinn, insofern dadurch viele kleinere Ope¬ 
rationen jetzt unbedenklich in der Sprechstunde vorgenommen 
werden können, die früher Chloroform- oder Acthernarkose er¬ 
forderten. 

*) Nach einer Demonstration in der Medicinischen Gesell¬ 
schaft zu Leipzig. 

No. 42. 



Insbesondere erweist sich diese Methode für manche Spezia¬ 
listen als äusserst brauchbar. So kann z. B. der Dermatologe 
weitaus die meisten seiner üblichen chirurgischen Eingriffe auf 
diese. Weise leicht bewerkstelligen. 

Kongenitale und selbst viele entzündliche Phimosen lassen 
sich völlig schmerzlos mit der Infiltrationsannesthcsie operiren, 
Bubo-lncisioneii und Exeoehlentionen werden bei einiger Uebung 
in der Handhabung des Verfahrens ohne nennenswert hen 
Schmerz auf diese Weise ermöglicht. Lupusexcisionen. Ex- 
eoeldeatioiien und Thiersch’sche Transplantationen sind leicht 
damit durchführbar. 

Ganz besonders aber ist die .Methode bei den vielen Ex- 
cisionen empfehlenswerth, die theils aus kosmetischen Gründen 
theils zu diagnostischen Zw<*eken vom Arzte vorzunehmen sind. 

Die Ilaupthedingung für die Berechtigung des in Rede 
stehenden Verfahrens bildet aber die absolute Unschädlichkeit 
desselben. 

Es ist hier nicht am Platze, zu erörtern, welches der em¬ 
pfohlenen Mittel den Vorzug verdient, <>1> Cocain, Eueain A 
oder B. oh Tropaeoeain oder Xirvanin, jedenfalls haben die zum 
Ersatz des Cocains angegebenen Präparate meist «len Vorzug der 
geringeren Giftigkeit und besseren Haltbarkeit. 

Welches Medikament man aber auch verwenden mag, das 
unbedingte Erforderniss ist eine absolute Keimfreiheit «1er 
Lösung« n. In dieser Beziehung ist es nun gut, wenn der Arzt 
sieh auf sieh seihst verlassen kann und nicht von der Gewissen¬ 
haftigkeit «l«‘s Apothekers oder Chemikers abhängig ist. 

Meine eigenen Erfahrungen bestärkten mich in dieser Mei¬ 
nung. da v<>n 12 Proben Schiri r h'scln>r Lösungen, die aus 
12 verschiedenen Apotheken stammten, nur 7 als steril sich er¬ 
wiesen, während die übrigen auf den üblichen Nährböden mannig¬ 
faltige. zum Theil sehr üppige Bakterienvegetatioiien auskeimen 
Hessen. Schon der Verschluss der meisten «1er bezogenen Fläsch¬ 
chen mittels Korkstopfeus liess im streng bakteriologischen 
Sinne eine Keimfreiheit der Lösungen nicht erwarten. 

Es scheint daher unbedingtes Erforderniss, die Lösungen zu 
diesem Zwecke vor dem Gebrauche zu st<*rilisiren. Um die Sterili¬ 
sation nun in bequemer und absolut sicherer Weise auch in dem 
Ordinationszimmer möglich zu machen, habe ich einen Apparat 
konstruirt, welcher nur geringfügige Beaufsichtigung erfordert 
und «labei Keimfreiheit garantirt. Ueberdies ist derselbe ge¬ 
eignet, zur Aufbewahrung der sterilisirten Lösungen zu dienen. 

Der Apparat setzt stell im Wesentlichen aus 3 Theilen zu¬ 
sammen: «lern Arbeitsranm. «lern Uhrwerk mit der Auslösungs- 
Vorrichtung und «lern Einsatz mit den Gläsern. 

Der erste Theil besteht aus einem rundlichen, aus Emaille 
gefertigten und mit Aluminiumideell überzogenen Topf a. wei¬ 
cher auf einem eisern«*» «lreifiissigen Gestell 1» ruht; eine Heiz¬ 
schlange e für Gas heliudet sich unter dem Gefiiss und kann bei 
«len kleineren Apparaten durch eine Spirituslampe ersetzt werden. 



Ein leicht gewölbter Deckel <1 sehliesst das Gefiiss nl> uml 
enthält neben 2 hölzernen Knöpfen e zur Handhabe in s«'ln«*r 
Mitte eine EinlasKi'iffuung für ein Thermometer f. 

Auf dem Boden «les Topfes befindet sieh neben 2 horizou- 
tnh'ti Metnllplattcu g eine aus Kupfer und Zink zusammen- 
gelötliete Spirale in Streifenform. 

Am freien Ende derselben ist eine senkrechte Metallaehse li 
angebracht, die bei Erwärmung die durch «li«* Ausdehnung der 


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1656 


MUENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Spirale bedingte Bewegung auf einen Stift i übertrügt, welcher 
Im rechten Winkel von der Achse h in ungefilhr Dreiviertelhöhe 
des Gefässes dessen Wandung durchbohrt. Dieser Metallstift i 
Ist nun zu einem Hebel k des am Apparat tlxirten Uhrwerks 1 
so eingestellt, dass bol 100° C. die Auslösung des letzteren er¬ 
folgt. Das Uhrwerk entspricht einer gewöhnlichen Zeigeruhr 
mit Federzug (Marinegehwerk). Zum Abstellen desselben dient ein 
kleiner Hebel m an der Aussenseite. 

Der dritte Theil des Apparates endlich besteht aus einem 
ebenfalls aus Emaille gearbeiteten Einsatz n, der je nach der 
Grösse des Apparates ein-, zwei- und dreistufig gebaut ist und 4, 
12 resp. 24 runde Oeffnungen zur Aufnahme der Gläser hat. 

Die Gliiser. die im Verhältnis» der Maximaldosen der be¬ 
kannten 3 Schleie h'schen Lösungen 100, 50 bezw. 25 ccm 
Inhalt fassen, sind konisch gestaltet, indem sie sich von oben nach 
unten verjüngen. Ihre Form ist so gewühlt, dass mau bequem 
mit der Injektionsspritze die Lösungen einziehen kann. 

Um eventuell an Flüssigkeitsmaterial zu sparen, ist jedes 
Glas mit einem ebenfalls aufstellbaren, entsprechend gestalteten 
Deckel versehen, der als Ausgussgefiiss dienen soll und zudem 
das Aufziehen der Lösungen noch mehr erleichtert. 

Im kleinsten Apparat befinden sich 4 Gläser zu 100 ccm. im 
mittleren 4 Gläser zu 100 und 8 Gliiser zu 50 ccm und im grössten 
Apparat (12 Gläser) 4 Gläser zu 100. 8 Gläser zu 50 und 12 Gläser 
zu 25 ccm. 

Die dreifache Kapazität der Gläser soll dazu dienen, diverse 
Konzentrationen oder verschiedenartige Anaesthetica zum Ge¬ 
brauche bereit zu halten. 

Wir haben besonderen Werth auf die bequeme Handhabung 
der Gläser gelegt und die Form derselben, sowie der Deckelgläser, 
aus diesem Grunde in der beschriebenen Weise gewählt: es fällt 
damit die doppelte Sterilisirung einerseits der die Anaesthetica 
enthaltenden Flaschen und andererseits der zum Einguss benutz¬ 
ten Gläser (Messgefiisschen, Petrischalen etc.) fort. 

Die Benutzung des Apparates 1 ) gestaltet sich nach alledem kurz 
folgendermaassen: Der Topf wird ca. % seines Volumen mit 
WasseT ungefüllt und angeheizt, nachdem der mit den beschickten 
Gläsern versehene Einsatz eingelassen ist. Erreicht der Innen¬ 
raum des Topfes die Temperatur von 100 °, so erfolgt durch die 
oben geschilderte Vorrichtung die Auslösung des Uhrwerks, an 
dessen Zifferblatt man die Zeit der Sterilisationsdauer ohne Wei¬ 
teres ablesen kann. Durch einen einfachen GrifT an dem Aussen- 
hebel wird nach beliebig langer Einwirkung der Siedetemperatur 
das Uhrwerk ausgeschaltet. Es kann somit auch von ungeübten 
Händen eine sichere Sterilisation ausgeführt werden, da die Be¬ 
dienung des Apparates nur ln der Anheizung desselben und in 
der Ausschaltung des Uhrwerks nach erfolgter Sterilisation be¬ 
steht. Neben dem Vortheil der Kontrole der StorlHsationsdauer 
bedeutet die Möglichkeit, jede beliebige Zeit lang die Sterilisirung 
ausführen zu können, einen Gewinn. 

Zur weiteren Kontrole der zur Sterilisation nöthlgen Tempe¬ 
ratur werden jedem Apparat in einer Eprouvette sechs Maximal¬ 
thermometer nach Dr. Stic h*>. bestehend aus kleinen Stäbchen, 
die Leeiruneen von Wismuth. Blei. Zinn und Cadmium darstellen 
und bei 100° schmelzen, beigeffigt. 

Dass der Apparat ohne nennenswertlie Modifikationen auch 
anderweitigen Sterilisationszwecken dienen kann, sei nur bei¬ 
läufig erwähnt. 


Aus der TTniversitäts-Obrenlslinik zu Tübingen. 

Zwei Fälle von Fremdkörpern in - der Paukenhöhle. 

Von T)r. Hölscher, 

Kgl. Württemb. Oberarzt, kommandirt zur Universität.. 

Das häufige Vorkommen von Kunstfeblern bei der Behand¬ 
lung der Fremdkörper im äusseren Oohörgang bildet die Ver¬ 
anlassung. 2 schwere derartige Fälle nachstehend zu veröffent¬ 
lichen. 

Vermöge der geschützten Lage der Paukenhöhle in der Tiefe 
des knöchernen Schädels und der Krümmung des Qehörgangs 
können Fremdkörper von aussen her auf direktem Wege nicht 
hinein gelangen, abgesehen vielleicht von der Möglichkeit, dass 
eine lange Nadel von aussen her eingestossen wird und das in 
die Paukenhöhle gestossene Stück abbricht. Bei unverletztem 
Trommelfell können in den Oehörgang eingehrachte Fremd¬ 
körper in die Paukenhöhle nur gelangen durch eine direkte Ge- 
walteinwirkung. welche stark genug ist, das immerhin einen 
nicht unbeträchtlichen Widerstand bietende Trommelfell zu 
durchbrechen. Diese Gewalt muss um so stärker sein, da es sich 
hierbei gewöhnlich um rundliche Körper handelt von einem 
relativ sehr grossen Durchmesser, der häufig nahezu dem des 
Trommelfells gleichkommt, deren Grösse und Form sie also 

b Die Apparate werden von Herrn Fritz Köhler. Mechaniker 
a. d. Universität. Leipzig-K.. Oststr.28. angefertigt und können auch 
von demselben direkt bezogen werden. 

: ) Münch, med. Woeheusehr. 1901, No. 28, pag. 1134. 


eigentlich wenig geeignet zur Durchbrechung einer ziemlich 
festen elastischen Membran erscheinen lässt. 

Die Ursache zum Durchbrechen des Trommelfells und 
Hineingelangen in die. Paukenhöhle sind bei allen Fremdkörpern 
im äuseren Gehörgang einzig und allein fehlerhafte Versuche, 
sie zu entfernen. Dass derartige Kunstfehler so häufig Vor¬ 
kommen, ist um so bedauerlicher, da ein Fremdkörper im äusseren 
Gehörgang an und für sich eine ganz harmlose Sache ist und, 
von wenigen Fällen abgesehen, gar keine Beschwerden hervor¬ 
ruft. Zur Gefahr für das Ohr oder das Leben des Trägers wird 
der Fremdkörper erst durch fehlerhafte Versuche, ihn zu ent¬ 
fernen. Der bleibende Schaden, der mit derartigen falschen 
Extraktionsversuchen angerichtet wird, ist um so schwerer, da 
es sich gewöhnlich um Kinder handelt, denen dadurch für ihr 
ganzes Leben ein wichtiges Organ zerstört und funktionsunfähig 
gemacht wird, während bei einem richtigen Verfahren sieh der¬ 
artige schwere Folgen hätten vermeiden lassen. Auf die straf- 
und privatrechtlichen Folgen, die ein derartiger Kunstfehler 
unter Umständen für den betreffenden Arzt haben kann, brauche 
ich wohl nicht, besonders aufmerksam zu machen. 

F a 11 I. Anamnese. Ein 5 Jahre altes Mädchen hat sich 
einen Kirschkern in dns rechte Ohr gesteckt Vom Arzt wurden 
2 mal Extraktionsversuche gemacht und dann das Kind mit folgen¬ 
der Mittheilung an die Klinik überwiesen: „Das Kind hat einen 
Kirschkern im rechten Ohre. Vorgestern Altend habe ich bei 
Licht versucht, denselben zu entfernen, aber ohne Erfolg. Gestern 
halte ich die Kleine cliloroformirt. Es gelang mir hinter den Kern 
zu kommen, aber beim Anziehen riss mir die Oese des abgebogenen 
Häkchens ab, so dass ich nicht mehr wagte, viel an dem Ohre zu 
machen. Es wird wohl eine Ojteration nöthig werden zur Ent¬ 
fernung beider Fremdkörper.“ Nach einer beigefügten Zeichnung 
war das abgebrochene Instrument eine Art stumpfer Ctirette ge¬ 
wesen. 

Status. Im äusseren Drittel des Gehörgangs sind die Wan¬ 
dungen mit angetrocknetem Blut bedeckt. Die ganzen Wan¬ 
dungen erscheinen stark gequetscht. In der Tiefe ist blutig-seröse 
Flüssigkeit, nacli deren Austupfen ein hinter den Resten des ganz 
zerfetzten Trommelfells In der Paukenhöhle liegender glatter, 
harter Fremdkörper fühlbar und sichtbar wird. Von der alt- 
gebrochenen Mctallöse Ist nichts zu sehen. Vom Hammer ist 
ebenfalls nichts zu finden. 

Entfernung des Fremdkörpers nach Art der 
Radikaloperation. Dr. Hölscher. Chloroformnarkose. 
Asepsis. 

Ein vorsichtiger Versuch in Narkose den Fremdkörper mit 
einer feinen Polypenzange zu fassen, misslingt. 

Grosser bogenförmiger Hautschnitt am Ansatz der Ohr¬ 
muschel. Umklappen der Ohrmuschel nach vorne. Bei der Ab¬ 
lösung des Gehörgangs zeigt sich, dass die hintere Wand schon in 
grösserer Ausdehnung zerquetscht und perforlrt ist. In der 
Paukenhöhle wird nach Vorziehen des Gehörgangs der Kirsch¬ 
kern sichtbar; davor liegt an der hinteren Wand ein glänzendes 
gebogenes Metallstückchen, welches mit der Pincette entfernt 
wird. Wegen der zu grossen Enge der knöchernen Umrandung 
gelingt es nicht den Fremdkörper zu fassen. Abmeisselung der 
hinteren knöchernen Umrandung, worauf der fest eingekeilte 
Kirschkern mit der P f 1 e 1 d e r e r’schen Schlangenbisspolypen¬ 
zange gefasst und nach einigen leichten hebelnden Bewegungen 
entfernt werden kann. Von Gehörknöchelchen ist nichts zu finden. 
Spaltung des Restes der hinteren Gehörgangs wand T-förmig. Ver- 
nähung der Zipfel nach oben und unten. Jodoformgazetamponade 
vom Gehörgang aus. Schluss der ganzen Wunde durch Naht. 
Airolpasre. Trockener Verband. 

An den beiden nächsten Abenden kam noch eine Temperatur- 
Steigerung auf 38.4°. Der äussere Verband musste im Lauf der 
beiden Tage 2 mal wegen starker blutig-seröser Durchtränkung 
erneuert werden. Die ganze Naht musste nach 6 Tagen wieder 
geöffnet werden, weil von den nekrotisch werdenden Gehörgnngs- 
resten im Inneren eine stärkere eitrige Sekretion erfolgte. Unter 
weiterer Nachbehandlung als offene Radikaloperation war der 
Heilungsverlauf zufriedenstellend. 

F a 11 II. Anamnese. Ein 5 jähriger Knabe hat sich vor 
9 Tagen einen kleinen Stein in das linke Ohr geschoben. Beim 
Versuch der Mutter, den noch aussen sichtbaren Stein mit der 
Haarnadel zu entfernen, glitt er weiter in die Tiefe. 3 malige, 
sehr schmerzhafte Extraktionsversuche des Arztes an 3 ver¬ 
schiedenen Tagen waren erfolglos. Einmal kam der Stein durch 
Ausspritzen wieder mehr nach aussen, glitt aber beim Versuch, 
ihn mit einem Instrumente zu fassen, wieder in die Tiefe. Seit 
4 Tagen bestehen Schmerzen im Warzenfortsatz und mässige Eite¬ 
rung aus dem Gehörgang. 

St a t u s. Im Gehörgang schleimiger Eiter. Im Trommel¬ 
fell findet sich ein grosser, schräg von hinten oben nach vorne ver¬ 
laufender Riss, mit kleinen seitlichen Einrissen. Von einem Fremd¬ 
körper ist nichts zu sehen, bei der Unruhe und Angst des Kindes 
ist auch eine genauere Sondinmg unmöglich. Die Warzenspitze 
ist etwas druckempfindlich. Puls 120. Temperatur 37,3 °. 

In Narkose war der Stein zunächst durch Sondinmg in der 
Paukenhöhle nachzuweisen und konnte dann auch nach Beiseite¬ 
drängen der Perforationsränder gesehen werden. Ein vorsichtiger 
Entfernungsversuch führte nicht zum Ziel, da der Stein zu gross 


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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. i65? 


war. Es wurde desslialb sofort die operative Entfernung an- 
gesehlossen. Chloroformnarkose, Asepsis. Entfernung nach Art 
der Radikaloperatlon. Dr. Hölscher. Grosser bogenförmiger 
Hautschnitt am Ansatz der Ohrmuschel. Vorziehen der Ohr¬ 
muschel und Ablösung der hinteren Gehörgangswund, worauf der 
Stein deutlich in der Paukenhöhle sichtbar wird. Extraktions¬ 
versuche mit einer schmalen Polypenzauge misslingen wegen Enge 
des knöchernen Kanals. Desshalb Abmeisselung der hinteren 
Knocheuumrandung, worauf die Extraktion des kirschkemgrossen 
Steines leicht gelingt Weiterbehandlung als Iiadikaloperation. 
T-förmige Spaltung der hinteren Gehörgaugswand. Vernähen der 
Zipfel nach oben und unten. Tamponade mit Jodoformgaze vom 
Gehörgaug aus. Schluss der ganzen Wunde durch Naht Airol- 
paste. Trockener Verband. 

Heilung per primam. 

Der Fehler, der in beiden Fällen gemacht wurde, war, dass 
beide Male zuerst versucht wurde, den Fremdkörper mit einem 
Instrument zu entfernen. Der anscheinend so einfaohe Eingriff 
ist aber von einer ungeübten Hand nicht ausführbar, besonders 
bei ungenügender Beleuchtung und mangelnder Gewandtheit in 
der Spiegeluntersuchung. Der Versuch, den Fremdkörper in 
Narkose zu entfernen, wie es im ersten Fall geschah, war ja an 
und für sich richtig, aber für den nicht genügend geübten Unter¬ 
sucher kam dann als neue Schwierigkeit die Erschwerung der 
Uebersicht des Gehörgangs beim liegenden Kinde hinzu. Und 
die Folge hiervon war, dass, wie aus dem Operationsbefund her¬ 
vorging, das Instrument gar nicht hinter den Fremdkörper ge¬ 
langt war, sondern bei den gewaltsamen Extraktionsversuchen den 
Kirschkern nur vollends in die Tiefe stiess und dann nach Per- 
forirung der hinteren häutigen Gehörgangswand am Knochen 
abbrach. Im zweiten Falle waren die Neben Verletzungen etwas 
weniger gross, aber der Haupteffekt war derselbe. Wegen der 
geringeren Verquetschung der häutigen Gehörgangswandungen 
war hier auch eine Ausheilung per primam möglich, während im 
ersten Falle nachträglich wegen der Nekrose der zu stark ge¬ 
quetschten Weichtheile die langwierigere Offenbehandlung 
nöthig wurde. 

Mit welcher Gewalt in beiden Fällen gearbeitet worden ist, 
erhellt wohl am besten daraus, dass beide Male die Fremdkörper 
so gross waren, dass sie nach Ablösung des häutigen Gehörgangs 
mit einer ganz dünnen Polypenzange nicht entfernt werden konn¬ 
ten, dass vielmehr eine ziemlich ausgedehnte Knochenabmeisse- 
lung erfolgen musste, um den Durchgang zu ermöglichen. Ein 
nicht zu unterschätzender Uebelstand ist auch der, dass die Kin¬ 
der nach solchen schmerzhaften gewaltsamen Extraktions¬ 
versuchen so verschüchtert und verängstigt sind, dass weitere 
Untersuchungen und auch eine spätere Nachbehandlung nach 
der Operation nur mit den grössten Schwierigkeiten durchzu¬ 
führen sind. 

Aus diesen und ähnlichen Fällen müssen wir den Schluss 
ziehen, dass die instrumenteile Entfernung von tiefer in den 
Gehörgang eingedrungenen Fremdkörpern nicht Sache des prak¬ 
tischen Arztes, sondern des Specialisten ist, der besser im ein¬ 
zelnen Falle beurtheilen kann, wie weitgehende Entfernungs¬ 
versuche angezeigt sind. Der praktische Arzt, besonders wenn 
er, wie so häufig, gar keine besondere Ausbildung in der Ohren¬ 
heilkunde gehabt hat, soll principiell bei allen zu ihm gebrachten 
derartigen Fällen instrumenteile Extraktionsversuche unter¬ 
lassen und nur versuchen, mit Ausspritzen den Fremdkörper zu 
entfernen. In weitaus den meisten Fällen wird er mit diesem ein¬ 
fachen Verfahren zum Ziele kommen, und gelingt es einmal aus¬ 
nahmsweise nicht, so ist wenigstens auch kein Schaden angc- 
richtet worden. Auch quellbare Fremdkörper dürfen unbesorgt 
mit der Spritze angegriffen werden, gelingt ihre Entfernung nicht 
gleich, kann einem Aufquellen mit Sicherheit durch Ein¬ 
giessungen von erwärmtem Alkohol vorgebeugt werden. Dass 
auch die Ausspülungen nur mit erwärmten Wasser gemacht wer¬ 
den dürfen, bedarf wohl keiner besonderen Betonung. 

Herrn Prof. Wagenhäusor möchte ich auch an dieser 
Stelle meinen ergebensten Dank für die Ueberlassung der Fälle 
aussprechen. 

Den Herren DDr. N e u m a n n und Dömeny vom patho¬ 
logischen Institut und Dr. Michel, einj.-freiw. Arzt vom hiesi¬ 
gen Garnisonslazareth bin ich für freundliche Assistenz bei 
beiden Operationen zu Dank verpflieiltet. 


Ein Beitrag zur Crede’schen Silbertherapie in der 
Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Von Dr. GustavWoyer, em. L Assistent der I. Universitäts- 
Frauenklinik, Frauenarzt in Wien. 

Seit C r e d e’s Veröffentlichungen im Jahre 1896 über die 
chirurgisch werthvollen, antibakteriellen Eigenschaften des 
Silbers und seiner Salze sind eine grosse Anzahl von Arbeiten 
über diesen Gegenstand erschienen. Alle Publikationen be¬ 
stätigen die von C r e d 6 gemachten Angaben und gaben viel¬ 
fach noch weitere Indikationen für anderweitige Anwendung 
der Präparate. Da auch ich bei mehrjährigem Gebrauch der 
C r e d eschen Silberpräparate günstige Resultate erhielt, so 
möchte ich diese Beobachtungen der Oeffentlichkeit übergeben, 
um dadurch eine Nachprüfung dieser — wie mir scheint — aus¬ 
gezeichneten Mittel zu veranlassen. 

Zunächst möchte ich meine Beobachtungen hinsichtlich des 
Itrols (Argentum citricum) mittheilen. Dasselbe kann in 
Pulverform oder in Lösung zur Anwendung gelangen. In 
letzterer Form i9t es besonders von Werler bei Gonorrhoe em¬ 
pfohlen worden. 

Ich habe ebenfalls Itrol bei recenter Uterusgonorrhoe 
und eitriger Urethritis angewendet und zwar in folgender 
Weise: Zunächst wurden Scheide und Cervikalkanal mit 
Itrollösung gesäubert und hierauf ein Itrolstäbchen (Rp.: 
Itrol 2,5, Gerne albae 1,5, Ol. Cacao 9,0 f. 30 Stäbchen von 
3,4 cm Länge) in die Cervix eingeschoben und durch einen 
Tampon festgehalten. Diese Anwendungsart war nicht nur 
schmerzlos, sondern ich konnte auch bei sämmtlichen Fällen, bei 
2—3 mal wöchentlich stattfindender Anwendung, ein rasches Ab¬ 
nehmen des Ausflusses beobachten. Gleichzeitig verminderten 
eich auch die Gonococcen im Sekret und waren nach 4 bis 
6 wöchentlicher Behandlung völlig verschwunden. Ein Fort¬ 
schreiten der Erkrankung über den Uterus hinaus fand in keinem 
der so behandelten Fälle statt. Auch die eitrige Urethritis heilte 
durch Einführung von Itrolstäbchen bald aus. 

Sehr gute Dienste hat mir Itrol auch zur Heilung von Fistel¬ 
gängen geleistet. Selbst in Fällen, in denen solche sehr lange 
bestanden und durch Verbindung mit dem Darmlumen kompli- 
zirt waren, trat doch nach vielen vergeblichen Versuchen mit 
anderen Mitteln unter Anwendung von Itrol Ausheilung ein. 

Auch bei der Behandlung von puerperalen Geschwüren habe 
ich mit Itrol Versuche angestellt und zwar sowohl bei Ge¬ 
schwüren der Portio und der Cervix, sowie der Vagina, als auch 
bei schlecht geheilten Dammrissen und Episiotomiewunden. 
Schon nach wenig Tagen fand ich lebhafte, gesunde Granu¬ 
lationsbildung. Bei 15 infizirten Ulcerationen, die ich in dieser 
Weise behandelte, gewann ich den Eindruck, als ob man mit 
Itrol ein schnelleres Ausheilen der Geschwüre erzielen könnte, 
wie mit anderen Mitteln. 

Ganz besonders werthvoll zeigte sich auch die sekretions¬ 
beschränkende Wirkung des Itrols nicht nur bei diesen Wunden, 
sondern namentlich auch bei grossen Abscesshöhlen. Besonders 
instruktiv waren in dieser Hinsicht zwei Fälle, in denen sich im 
Anschluss an das Wochenbett grosse — mehr als 1 Liter fassende 
— Eiterherde entwickelten. 

Das zweite der C r e d ö’schen Präparate, dessen ich mich 
bediente, war das Collargolum, das sogen, lösliche 
Silber. Es stellt eine allotrope Modifikation des metallischen 
Silbers dar und ist in Wasser fast löslich. In Folge dieser Eigen¬ 
schaft vermag es auch in Salbenform dem Körper durch dio 
Haut, zugeführt zu werden. Von der ihm zugeschriebenen All- 
geraeinwirkung bei septischen Erkrankungen habe ich in drei 
Fällen so augenscheinliche Erfolge gesehen, dass ich dieselben 
ausführlicher mittheilen will. An dieser Stelle sei übrigens 
hervorgehoben, dass bei Durchführung einer Schmierkur mit 
Ungt. Crede stets frische Salbe verwendet werden muss, 
da sich unter dem Einflüsse von thermischen und photo¬ 
chemischen Einflüssen sehr leicht eine Zersetzung derselben 
einstellt. Es ist daher in praxi unbedingt nothwendig, nur 
kleine Dosen — etwa die für einen Turnus erforderliche Menge 
zu verschreiben und gut verschlossen kühl aufbewahren zu lassen. 

Fall I. Frau O. S., Primipara, Geburt zur normalen Zeit, 
nach protrahlrter Eröffnungsperiode erfolgt Spontangeburt. Wegen 
heftiger Blutung ln der Nachgeburtsperlode manuelle Lösung der 
Placenta, die an der Uteruswand festgewachsen war. Ausspülung 

4 * 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


des Cavum uteri mit Lysol; nach Angabe des luduindelndcn Arztes 
war die Würlim rin 3 Taso liebert'rci. Puls aber 120. 

Am 4. Woclienbcttstag«* heftiger Schüttelfrost. Temperatur 
.'50,S, gleichzeitig übelriechende Lochien und DriicketnplindliehkeU 
der Gebärmutter. Die Schüttelfröste wiederholen sich im Laufe 
dieses Tages dreimal; Temperatur Abends 40,2. 

Am nächsten Tage wurde ich zugezogen; es bestand der S.vni- 
ptomonkomplex einer septischen Eudomctritis. Ausspülung der 
Gebärmutter mit öbproc. Alkohol. Keine Besserung. Diät. Milch, 
Aualeptica. 

c>. Tag. Temperatur Abends 4n.5. Puls I4u. klein, Aibunnm 
im Urin. Patientin benommen, anregende Diät, Analoptica. 

Nachdem nach weiteren 2 Tagen der Zustand bei der Frau 
sich nicht besserte, täglich 15—4 mal ein Schüttelfrost auftrat, der 
Puls zusehends schlechter wurde, die Benommenheit, zunnlim, die 
Ernährung nur durch Nährklysmen möglich war und mir die Pro¬ 
gnose iiusserst infaust erschien, entschloss ich mich im Einver¬ 
nehmen mit dem Hausärzte, einen Versuch mit einer Silberschmier- 
kur nach Cred e zu machen. 

Es wurden f» Einreibungen im Zwischenräume von je 
10 Stunden auf «1er Innenfläche der Oberschenkel, auf den Ober¬ 
armen und dem Thorax zu je :5 g Ugtientum ('rede vorgenmnmen. 
Vor jeder inuuktioii wurden die ehiznivibeuden Partien einer 
exakten Desinfektion mit warmem Wasser. Seife, Bürste und 
Alkohol unterzogen. Die Dauer einer Einreibung betrug gewöhn¬ 
lich eine halbe Stunde. 

Ich war mit grosser Skepsis an den Versuch herangegangen 
und war von dem Erfolge geradezu überrascht. 'Nach der 3. Ein¬ 
reibung erreichte die Morgcntemperatur nur mehr 38,7°, der Puls 
besserte sich, das Sensorium wurde freier. 

Am nächsten (11 .) Tage: Temperatur 38,0. Puls 110. Sensorium 
vollständig frei. Patientin soll während der Nacht einige Stunden 
guten Schlafes gehabt, haben. Bauch vollständig weich, keine 
Druckempfindlichkeit, l'terus drei (juertinger über der Symphyse 
stehend. Der Lochinltluss rein eitrig, nicht übelriechend. 

Weiterer Temperaturabfall und Besserung des Pulses. Bus 
Allgemeinbefinden hob sich langsam und am 25. Tage post partum 
konnte die Frau das Bett verlassen. Sie erholte sich von da ab 
rasch und war nach kurzer Zeit vollständig genesen. 

Fall 11. Frau S. 1\, 20jährige III. Para, im Anschluss an 
einen Sturz auf der Treppe im 4. Monat stellte sich ein Abortus ein. 
Nach einigen Tagen ging die Frucht ab; die Placenta, die miss¬ 
farbig und leicht zerreissfich war, wurde vom behandelnden Arzte 
entfernt, als schon eine Temperatursteigerung von 38,5 bestand. 
Der l'terus wurde mit Lysol ausgespült und kontrahirte sich gut. 

2 Stunden nach «ler Ausräumung Schüttelfrost mit 30,7 Tem¬ 
peratur. Danach geht die Temperatur etwas zurück. Am 3. Tage 
darauf erneuter Anstieg auf 30,8. Die Frau klagte über grosses 
Uitzegefiilil und Kopfschmerz; der geringe Ausfluss war leicht 
blutig tingirt und übelriechend. Ausspülungen und Verordnung 
von Chinin besserten nichts, es traten erneut Schüttelfröste auf 
und die Temperatur hielt sich mit geringen Schwankungen 
zwischen 30 und 35),ti. 

Am 12. Krankheitstage sah ich die Patientin. Ausser den 
durch das Fieber (:>!),2) bedingten Allgemeiuerscheiuungen fiel der 
Puls auf (13(5, dikrot, bucht unterdrück lau*). Der L'terus war 
weich und beweglich, die Adnexe frei. Aus der Gebärmutterhöhle 
entleerte sich ein geringer, aber sehr übelriechender Ausfluss. 
Ich verordnete eine intrauterine Ausspülung mit 50 proc. 
Alkohol. Da aber durch zwei weiten* 'Page die Temperatur 
unverändert hoch blieb, die Prostration zunahm, das Sensorium be¬ 
nommen wurde, so entschloss ich mich auch in diesem Falle zu 
einem Versuche mit der G red 6* scheu Inuukt ionskur, die in der 
vorher beschriebenen Art und Weise durehgeführt wurde. 

Auch liier trat schon nach der 3. Einreibung ein langsamer Ab¬ 
fall der Temperatur ein und im Laufe der nächsten Woche ging die 
Temperatur langsam und stetig bis zur Norm herunter. Schon am 
3. Tage war die Zunge feucht, nicht mehr belegt, der Puls voller 
und langsamer (110). Im Verlauf von 14 Tagen nach beendigter 
Behandlung war di«* Frau genesen. 

Fall III. F. M.. 28jährig«* II. Para. Auch hi«*r war 
nach spontaner Geburt «l«*s Kindes in Folge starker Blutung eine 
manuelle Lösung «ler Placenta nötliig gew«>rd«*u. 

Zunächst war «ler Verlauf günstig. Die ersten 4 Tage des 
Woeh«*nbett«*s verluden afebril, nur der Puls hi«*lt sich -- wohl in 
Folge starken Blutverlustes — st«*ts über 120. Am 5. Tag«* sti«*g 
die Temperatur unter einem Schüttelfrost auf 40,3. Der Frost 
wiederholte sich im Lauf«* des Tages mehrmals, w«*sshaib noch 
ein anderer Arzt zug«*zog«*n wur«le. Auch di«* von dies«*m ge¬ 
troffenen Anordnungen, insbesonder«* Ausspülungen mit 50 pro«*. 
Alkohol, hitnlerlen nicht die Wie«l«*vkehr rasch aufcinander- 
folgeinler Schüttelfröste (im Lauf«* von 24 Stunden 7). T«*m- 
peratur 40.1. Am 8. Tage wurde ich zugezogen und fand eine 
stark ti<*b«*rnd«* (30.2) blutarme Frau mit kleinem Puls (144». Die 
T'ntersm lmng der Brust- und Fnterleibsorgane ergab wenig (’ha- 
rakteristischi-s. Di«* Portio war stark lae«*rirt, «ler Lochialabfluss 
reichlich mul übelriechend. 

Ich entschloss mich auch hier zu einem Versuche mit l’ngt. 
Cre<16 und zwar liess ich wi«*«ler in io ständigen Intervallen je 3 g 
der Salbe einreiben. Gleichzeitig wurden. wie dies C r «*<1 C* in 
einz«*ln«*n Fällen von septischen Erkrankungen «ler Uterushöhle 
gethan hat, 4 Pillen von Argentum colloldalc auf der Mitte eines 
hydrophilen Gazestreifens in das Uteruscavutn eingeführt (blieb 
48 Stunden liegen). In den ersten 48 Stunden nach der Einleitung 


No. 42. 

dieser Behandlung könnt«* bloss eine Verminderung der Sekretiou 
aus der Ut«*nishöhle und ein Nachlassen des Geruches konstatirt 
w«*rd«*n, während «ler übrige Befund noch immer unverändert blieb. 
Es traten im Lauf«* dieser Zeit noch weitere 4 Schüttelfröste mit 
T«*mp«*raturen über 40 auf; «las Allgemeinbefinden war andauernd 
schwer g«*stört. Erst nach der fünften Einreibung wurde ein Zu- 
rü«-kgeh»*u der T«*mp«*ratur konstatirt. Auch der Puls wur«le lang¬ 
samer und kräftiger. Na«*h «ler siebenten Einreibung sank die 
Temperatur auf 38.8 und es traten keine Schüttelfröste mehr auf. 
j«*«loeh hielt sieh di«* Temperatur noch durch 4 weitere Tage auf 
38.5. D«*r Puls wurde langsamer (100). 

im Lauf«* der nä«*listen Wocht* schritt unter entsprechender 
Diät «lie Besserung gleichmässig fort und <*s erreichte am Ende 
dieser Woelu* (di«* dritte p«>st partum) die Temperatur nicht 
mehr 38. Nach <l«*m B«*ri«*hte des behandelnden Arnes nahm die 
l{eeonvalcsc«*nz von da ab «*ln«*n ungestörten Fortgang und die 
Frau verlies« na«*h weiteren 3 Wochen geheilt «las Bett. 

Es gehört zu «len schwierigsten Aufgaben, bei einer puer¬ 
peralen Sepsis eine sichere Prognose zu stellen, denn gerade hier 
sind U«*l>«*rrasehung<*n an der Tagesordnung. Verzweifelte Fälle 
nehmen plötzlich eine Wendung zum Bessern und bei anscheinend 
nicht sehr schweren Fällen tritt jäh Exitus ein. In den 3 von 
mir initg«*theilten Fällen ist nichts verabsäumt worden, was nach 
unserem Wissen zweckdienlich ist, und «loch erfolgte die günstige 
Aemlerung des Krankhoitsbildcs so rasch und deutlich nach der 
dur«;hgeführten Inunctionskur, beziehentlich heilten alle Fälle 
nachher in relativ so kurzer Zeit, dass ich der Crede- 
sch«*u Behandlung einen grossen Einfluss auf diese günstige 
W«*ndung zu«*rk«*nnen möchte. Auch bei anderen Allgemein- 
erkrankungen infektiöser Natur haben manche Autoren über be¬ 
friedende Resultate lH*riehtet und dies steht nur in Einklang 
mit «len von mir gemachten Beobachtungen; lu den 3 Fällen, 
weil h« recht schwere Können puerperaler Sepsis repräsentiren. 
war «li<* Wendung zum Besseren nach der durchgeführten Inunk - 
lionskur eine so auffallende, dass an einen aetiologischen Zu¬ 
sammenhang recht wohl gedacht werden kann und auch Ihm 
grosser Skepsis «ler Gedanke naheliegend ist, dass das post ho«* 
i hier «loch wohl ein propter hoc sein dürfte. Im Uebrigen sei 
nochmals betont, dass ich meine Erfahrungen in erster Linie 
desshalb veröffentliche, um die Herren Collegen zu Versuchen 
mit «l«*r C r e «1 e’sehen Medieation anzuregen, die mir in meiner 
Praxis sehr zufriedenst«*llen<le Ergebnisse geliefert hat. 


Ueber den Werth methodischer Tiefathmungen, ins¬ 
besondere bei Seekrankheit 

Von M. Kaufmann, prakt. Arzt in Freiburg i/B. 

Das von Dr. Heinz in No. 38 dieser Wochenschrift em¬ 
pfohlene Hilfsmittel gegen Seekrankheit, den 
B reell reiz durch tiefe Ei nat hm ungen zu be- 
k ii m p f v n, habe ich an tnir selbst erprobt und erlaubt» mir. 
«ler Anregung d«s Wrfassers entsprechend, darüber kurz zu be- 
richten. 

Im August 1900 machte ich hei ziemlich bewegter See die 
Uehorfnhrt von Hock in Holland nach Hnrwich, meine erste See- 
! fahrt. Kanin hatte das S«*hiff d«*n Hafen verlassen, als mir auch 
j schon, in Folge «los Stampfens sowie «ler Auf- und Abbcwe- 
' gung«*n. schwindlig un«l ü1h- 1 wurtle. Ich musste mich eilends 
| niederlegeu und erwartete resiguirt das Weitere. Doch versuchte 
ich durch li«*f«* Kinathimmgcn den Brechreiz zu bekämpfen, wie 
i«-h «*s oft genug in meiner Praxis empfohlen hatte; zugleich 
suchte ich durch leises Singen oder Pfeifen meine Aufmerksam¬ 
keit von «lern ahseheuliehen Rhythmus der Schiffsbewegung. in 
weEln-m i« h abwechselnd gehoben und gesenkt wurde, loszu- 
machi-i!. Es gelang mir au«*h, den Brechreiz zu überwinden, nach 
etwa 10 Minuten fühlte ich mich freier und konnte nun die Nacht 
über bis zur Ankunft des Schiffes in Hnrwich schlafen. Am 
anderen Morgen befand ich mich völlig wohl. Ein Mitreisender 
der gleichen Kabine machte ebenfalls Tiefathmungen un«l blieb 
wie ich vom Erhre«*ln'n verschont, während mehrere Bekannte, die 
ich noch an Bord hatte, unter wiederholtem Erbrechen sehr zu 
leiden hatten. 

Neben dieser gelegentlichen Beobachtung bei See- 
kranklu-it sind cs noch zahlreiche Vorkommnisse d«?r täglichen 
Praxis, in welchen i«*h Tiefathmungen methodisch verwferthete 
um! dieses so einfache Verfahren sehr schätzen gelernt habe. Vor 
Allem bei O h n m a <* li t, wenn Bewusstseinsverlust droht oder 
wenn Uebclkoit und Brechreiz als Begleiterscheinungen auf- 
treten. Unter den mannigfachen Ursachen, welche zu Olmmacht 


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15. Oktober 1901. 


führen können, hebe ich besonders Blutungen während 
der Geburt hervor, da ich hier am meisten Gelegenheit, ge¬ 
habt habe, das Verfahren anzuwenden. Neben reichlicher Luft¬ 
zufuhr und Tieflage des Oberkörpers erweisen die tiefen In¬ 
spirationen, welche man den Kranken regelmässig machen lässt, 
sehr erhebliche Dienste. Ucbclkeit und Erbrechen treten weniger 
leicht auf oder verschwinden biilder als ohne die Tiefathmungen; 
das Sensorium wird freier, und die Kranken erholen sich rascher. 
Das Vorfahren kann zur Anwendung kommen, wenn und sobald 
der Patient auf die Aufforderung tief zu athmon, überhaupt re- 
agirt. Es ist um so werthvollor. als es den Kranken aktiv be¬ 
schäftigt und ihm etwas gibt, woran er sich mit seiner Energie 
anklammem kann. 

Zur physiologischen Begründung der tiefen Athmungon bei 
Ohnmacht braucht nicht viel gesagt zu werden. Es ist. ja eine 
bekannte Thatsache, dass die Respirationsbewegungen fördernd 
auf die Blutciroulation wirken; dadurch wird die Gehirnanaemie 
günstig beeinflusst. 

Ich bin sicher, dass viele Aerzte dieses Verfahren anwenden 
und es für selbstverständlich halten. Trotzdem scheint es mir, ; 
dass es nicht Gemeingut geworden ist. Tch habe es wenigstens 
in einigen mir zur Hand befindlichen Büchern, in welchen von der 
Ohnmacht und ihrer Behandlung die Red»? war. nicht erwähnt 
gefunden, so in Schröder’* Lehrbuch der Geburtshilf«; 
(7. Aufl.), in der B i 11 r o t h’sehon Schrift „Die Krankenpflege 
im Haus und im Hospital“ (3. Aufl.), sowie in dem von dem 
Reichsgesundheitsamt herausgegebenen „Gesundheit-s- 
büchlein“ (2. Aufl.). Aber gerade in den Schriften, die, wie die 
In-iden letzteren, für Krankenpfleger und Laien bestimmt sind, I 
verdient die Empfehlung der Tiefathmungen als Mittel gegen i 
die Ohnmacht und die mit ihr verbundenen unangenehmen Er- [ 
scheinungen wegen ihrer Einfachheit und Zweckmässigkeit ganz 
besonders aufgenommen zu werden. 

Dasselbe gilt auch von einer weiteren Anwendung der Tief- j 
athmung, nämlich bei Nasenbluten. Lässt man tief durch 
die Nase einathmen und durch den Mund ausathmen, so gelingt I 
es in Fällen nicht zu starken Nasenblutens die Blutung zu stillen. | 
ohne dass es einer weiteren Behandlung bedarf. Durch die tiefen ; 
Inspirationen werden die Venen der Nase entlastet-. 

Bei Ohnmacht sowohl als bei Nasenbluten wirken die Tief¬ 
athmungen wesentlich auf die Blutcirculation; die kramp f- 
atillende Wirkung dieses Verfahrens habe ich in mehreren 
Fällen von sehr lästigem Singultus bei nervösen Frauen er¬ 
probt. Ein Fall dieser Art ist mir in lebhafter Erinnerung, wie¬ 
wohl er 15 Jahre zurückliegt. Bei einer 25 jährigen Kaufmanns- 
frau bestand Seit vielen Monaten ein weithin vernehmliches und 
unbezwingliches Schlucksen, gegen welches verschiedene Mittel : 
ohne Erfolg gebraucht worden waren. Die Dame fühlte sich sehr 
unglücklich, da sie jede Gesellschaft meiden musste. Ich be¬ 
ruhigte sie, dass ihr die Unterdrückung des gewohnten Krampfes, 
dessen Auslösung ihr eine momentane Erleichterung verschaffte, 
nichts schadete und Hess nun regelmässige Tiefathmungen 
machen. Um ihre Aufmerksamkeit von dem Krampfe noch mehr 
abzulenken, liess ich dieAthmungen mit lautem Zählen verbinden. 
Nach kurzer Athemgymnastik hatte die Patientin die Herrschaft ; 
.über sich erlangt und war vom Schlucksen befreit. 

In solchen Fällen wirken die tiefen Athmungen jedenfalls | 
reizmildemd auf die Reflexeontren; ausserdem zerstreuen sie die . 
Aufmerksamkeit, deren gespanntes Verweilen hei dem Reflex- I 
Vorgang die Auslösung des Reflexes begünstigt. 

Ebenso verhält es sich bei der Bekämpfung der 
Uebelkeit und des Brechreizes durch tiefe 
Athmungen. Gewöhnlich wird das Erbrechen nicht be¬ 
kämpft, sondern eher befördert, damit, die Uebelkeit nachlasse 
und die erhoffte Erleichterung ein trete. Der Athem wird an- 
gehnlten und die Athmungsmuskulatur unwillkürlich oder 
manchmal bewusst in eine Stellung gebracht, die für den Ein- j 
tritt des Erbrechens möglichst günstig ist. Die Aufmerksamkeit | 
ist. dabei stark in Anspruch genommen. Durch die tiefen Ath- | 
mungen und die dadurch bewirkte bessere Sauerstoffzufuhr wird 1 
nun einerseits der Reflexreiz in dem Brechcentrum vermindert, 
andererseits wird der das Erbrechen begünstigenden Haltung der 
Respirationsmuskeln entgegengewirkt und die Aufmerksamkeit 
abgelenkt. Neben der automatischen Wirkung der Tief- I 
No. 42. 


1659 

athmungen auf das Brechcentrum darf also wohl noch eine all¬ 
gemeine psychische Wirkung angenommen werden. 

Ueber die Frage, ob methodische Tiefathmungen als Hilfs¬ 
mittel gegen Seekrankheit von Werth sind und ob 
dieser mehr iti der krampf-dilb nden Wirkung der Apnoe oder 
in der psychischen Ablenkung zu suchen ist, darüber wird eine 
grössere Erfahrung zu entscheiden haben. 

Aber schon allein als psychisch wirkendes Mittel scheinen 
mir di ‘ Tiefathmungen werthvollor zu sein, als die bisher gegen 
Seekrankheit empfohlenen Ablenknngsmittel. wie die Phantasie 
durch eine bi-stinnnte Vorstellung zu beschäftigen oder den Hori¬ 
zont oder «-inen bestimmten Gegenstand des Schiffes beständig 
zu fixiren '). 

Vor diesen Methoden haben die Tiefathmungen den Vorzug, 
keine grosse Willensanstrengung zu erfordern und daher nicht 
zu ermüden. Ob sie aber für den gewünschten Zweck genügen — 
das ist freilich eine andere Frage. 


lieber subkutane traumatische Bauchblutungen. 

Von Oberstabsarzt Dr. Eichel in Breslau. 

(Schluss.) 

Die Behandlung unserer Verletzungen kann n.iturgcmiiss 
nur eine operative sein. Wenn aiedi die MögHehk« it zuzugeben 
ist, dass namentlich kleinere Risse, nachdem die Blutung von 
selbst gestanden hat, heilen, so isi d•eh bei jedem grösseren Riss 
die Wahrscheinlichkeit, dass die Blutung zum Stehen kommt, 
eine recht gering«. Es b«‘steht ausserdem die Gefahr, dass die 
Blutung sieh hei jeder unvorsichtigen Bewegung des Kranken, 
beim Lagcnvcchs-L beim Stuhlgang, wiederholt. Mit dem Zu¬ 
warten und «lern Hoffen auf ein Stehen der Blutung wird aber 
der beste Augenblick zur Operation verpasst. Es sei des Weiteren 
darauf hingewiesen, dass der ursprünglich sterile Bluterguss 
nicht keimfrei zu bleiben braucht, «lass von den Gallengängen 
sowohl bei Leb« r/erreissung«'n, wie von ja immer möglichen 
Darmlacsioney her Infektionserreger in ihn hin* in gelangen und 
zu einer cirei eripten oder allgemeinen Peritonitis führen. 
Natürlich wird man. wenn es irgend angängig ist, den Kranken 
vor der Oper, lion noch eine kurze Zeit !>«*<.bnchten. Wie das 
schon früher von M a d e i u n g ,T ) und dann auf dem Ohirurgen- 
kongress 1800 von Lauen stein und mir hervorgehoben ist, 
ist ja für alle subkutanen Bam-bverletzten eine fortwährende 
ärztliche ITeberwaehung und möglichst oft wiederholte Unter¬ 
suchung geboten. Nur dadurch wird man zu einer Diagnose 
kommen. Ich brauche wohl nicht hervorzuheben, dass eine der¬ 
artige Untersuchung hei dem Verdacht einer Bauchblutung 
unter gröstcr Vorsicht nuszuführen ist, dass je<le brüske Be¬ 
wegung des Patienten, ebenso wie beim Transporte zu vermeiden 
ist. Des Weiteren halte ich es für diese Zeit für ausserordent¬ 
lich wesentlich, die Flüssigkeitszufuhr per os «*t anum zu be¬ 
schränken. Durch die erster«; reizt man leicht zu neuem Er¬ 
brechen, die letztere kann durch Anregung der Peristaltik eine 
sich etwa verklebende Darmschlinge, und wir sind ja vor Neben¬ 
verletzungen des Darmes nie sicher, zur Lösung bringen. Man 
gebe als«» die Anilepti<*a in Form von Kampher, Aether und 
Kochsalzinfusion subkutan, l«»ge die Kranken horizontal und 
packe sie warm ein, um sie in möglichst gutem Zustande zur 
Operation zu bringen. Die Operation, unter allen Kautelen der 
Asepsis ausgeführt, ist immerhin keine ganz leichte. Da man 
nie weiss, ob nicht auch eine Darinverlctzung mit vorliegt, und 
man daher, wie schon erwähnt, in jedem Fall verpflichtet ist, 
den gesainmten Darmtraktus und die sonstigen Organe der 
Bauchhöhle mit zu untersuchen, empfiehlt «»s sieb, mit einem 
Schnitt in der Mittellinie zu beginnen. Ich habe in meinen 
Fällen, die sämmtlich muskelkriiftigo Individuen betrafen, zu¬ 
nächst das Peritoneum in leichter Chloroformnarkose auf etwa 
10 cm Länge unterhalb des Nabels freigelogt. Sodann habe ich 
das sich blauschwarz vordrängende Peritoneum zwischen 2 Pin- 
cett.en eröffnol und sofort die Oeffnung in «l«;r Ausdehnung des 
Hautsehnittes erweitert. Von dieser Oeffnung aus wird der 
untere Bauehraum mit einer abgewickelten Rolle sterilen Mulls 
ausgestopft und nun mit einer starken S i m s’sehen Seh«*ere 
unter der Leitung des linken Zeige- und Mittelfinger^ de- übrige 

') Vergl. Itosen hach: Di«» Seekrankheit. S. "s ff. Noth¬ 
nagel’» speeielh» Pathol. und Therap. 

1T ) Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. 17. 

5 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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1600 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42. 


Bauchhöhle bis zum Processus xiphoideus in der Linea alba 
unter linksseitiger Umgehung des Nabels eröffnet. Sofort nach 
der Eröffnung stopfe ich eine Mullrolle nach der Lebergegend, 
eine zweite nach der Milzgegend. Bei dieser Manipulation 
blutet es kolossal, und es kommt Alles darauf an, durch mög¬ 
lichst schnelles Operiren und Tamponiren der Blutung aus der 
Bauchhöhle Herr zu werden. Sehr hindernd kann hierbei der 
Füllungszustand der Därme sein; so wurde ich bei meinem Leber- 
patientea gezwungen, die stark geblähten Darmschlingen, ins¬ 
besondere das Kolon tranversum, aus der Bauchhöhle herauszu- 
packeu und erst dann zu tamponiren. In den anderen beiden 
Fällen waren die Darmschlingen kontrahirt und erschwerten die 
Tamponade nicht. Ist die vorläufige Tamponade gelungen, so 
kann man die Bauchdeckenwunde versorgen, meistens spritzen 
nur wenige Gefässe. Ich entferne nun zunächst den unteren 
Tampon und überzeuge mich dabei, ob irgend welche frische 
Blutung aus dem unteren Theil der Bauchhöhle oder der Becken¬ 
höhle nachkommt, zugleich richte ich mein Augenmerk darauf, 
ob die Flüssigkeit reines Blut ist oder etwa Darminhalt oder 
Galle beigemischt ist. Sodann gehe ich in derselben Weise an 
die Untersuchung der Lebergegend. Finde ich die Quelle der 
Blutung entweder durch das Auge oder den tastenden Finger 
hier, so tamponire ich zunächst den Riss, soweit er zugänglich 
ist, nöthigen Falls unter Zuhilfenahme eines Schnittes parallel 
den Rippenbogen nach rechts hin. 

Steht die Blutung auf die Tamponade, so fragt es sich, ob 
man den Tampon liegen lassen oder nähen soll. Die Naht ist 
jedenfalls das idealere Verfahren. In meinem Falle von Leber- 
zerreissung wäre sie wegen der Grösse und Lage des Risses sehr 
schwierig gewesen. Da die Blutung auf die Tamponade stand 
und der Zustand des Patienten zur Beendigung der Operation 
drängte, habe ich mich damit begnügt. Hat man den gefundenen 
Riss der Leber genäht oder tamponirt, so muss man immer noch 
das Organ soweit wie irgend möglich untersuchen und besonders 
auch die Hinterfiäehe sich zugänglich machen, da mehrere Fälle 
veröffentlicht sind, bei denen ein hier übersehener Riss der Leber 
selbst oder der grossen Gefässe derselben die Todesursache 
abgab. 

Ist die Lebergegend versorgt oder hier nicht die Quelle der 
Blutung, so wende ich mich zur Milz und lege sie, falls ich ihre 
gefühlte Verletzung dem Auge nicht sichtbar machen kann, 
durch einen senkrechten Schnitt nach links frei. In meinen 
beiden Fällen war die Zerreissung des Organs eine derartige, dass 
die Blutung nur durch die Exstirpation gestillt werden konnte. 
Teil würde dieselbe auch bei kleineren Rissen der Naht vorziehen, 
da die Dauer und Schwierigkeit der Operation keine grössere ist. 
und man auf diese Weise sicher ist, nicht etwa Risse, die sich an 
der Hinterfläche befinden, zu übersehen. 

Nach Versorgung der Blutungsquelle sehe ich mich nach Ver¬ 
letzungen der übrigen Organe der Bauchhöhle um, suche den 
Magen und den gesammten Darm ab und schliesse die Bauch¬ 
höhle. Je nach dem Zustande des Patienten und seiner Empfind¬ 
lichkeit bekommt derselbe zur Anlegung der Bauchnaht wieder 
etwas Chloroform; die ganze Bauchoperation nach Eröffnung des 
Peritoneums bis zur letzten Unterbindung habe ich an den nicht 
nnrkotisirten Kranken vorgenommen. Wenn ich auch einen 
grossen Theil der Unempfindlichkeit auf den Schock und Blut¬ 
verlust, in dem sich die Leute befanden, rechne, so muss ich 
doch die vorhandene Schmerzlosigkeit der Manipulationen in der 
Bauchhöhle im Gegensatz zu der lebhaften Schmerzhaftigkeit 
der Bauchnaht hervorheben. Ob dabei das Peritoneum parietale 
die Ursache der Schmerzempfindung abgab, wie es Leun an der" 1 ) 
will, oder ob dieselbe nur durch «las Nähen der Haut 1>.dingt war, 
muss ich dahingestellt sein lassen. 

Mit der Beendigung der Operation ist aber das Schicksal der 
Kranken, auch wenn sie lebend vom Tisch kommen, noch nicht 
entschieden. Die Folgen des statt gehabten Blutverlustes können 
sich auch nach anfänglich günstigem Verlauf noch geltend 
machen. So ist es mir mit meinem ernten Operirten, einem 
Kanonier mit einer subkutanen Milzzerreissung, ergangen. Er 
erlag einem plötzlichen Oollaps 12 Stunden post Operationen!. 
Die Sektion ergab, «lass die Blutung gestillt war. Ebenso starb 
der eine Patient Cohns 30 Stunden post Operationen!, und in 
der L e w e r c n z’sehen Zusammenstellung der subkutanen Milz- 
zerreissungen sind 0 Fälle, bei denen die Blutung durch die Ex- 

,s i Cent rnlHalt für t liinirgie 10 il. No. 8. 


stirpation des Organs sicher gestillt war, den Folgen des statt¬ 
gehabten Blutverlustes meistens wenige Stunden nach vollendeter 
Operation erlegen. Die Gesammtstatistik weist ausser diesen 
9 Todesfällen noch 2 auf, die während der Operation starben, 
2, die einer Peritonitis erlagen, und 1, der am 12. Tage seiner 
Anaemie erlag. Dem gegenüber zählt Lcwerenz 16 Hei¬ 
lungen, zu denen noch der Coh n’sehe, J o r d a n’sche und mein 
zweiter Fall kämen. 

Von den primär operirten Leberrupturen, von denen ich 
38'") Fälle in der Literatur gefunden habe, ist in 8 Fällen der 
Leberriss nicht gefunden, und zwar wurde 6 mal die Operation 
abgebrochen, 1 mal wurde als Hauptursache der Blutung eine 
Zerreissung der Milz, die entfernt wurde, und 1 mal von Milz und 
linker Niere, die gleichfalls exstirpirt wurden, gefunden. Der 
Leberriss fand sich in allen 8 Fällen erst bei der Sektion. Au 
den unmittelbaren Folgen der Blutung, die 11 mal durch Naht, 
18 mal durch Tamponade gestillt wurde, sind 5 Patienten ge¬ 
storben. Ein Patient, bei dem die primäre Laparotomie einen 
kleinen Einriss der Leber feststellte, erkrankte am 5. Tage mit 
neuen heftigen Schmerzen im Leibe unter Temperatursteigerung, 
durch Sekundärlnparotomie wurden grosse Mengen Blut ent¬ 
leert, es hatte also aus dem nicht versorgten Risse nachgeblutet. 

Die Menge des ergossenen Blutes wird in allen Fällen als 
sehr gross angegeben, sie betrug auch bei jedem meiner 3 Patien¬ 
ten über 2 Liter. Während ich im ersten Falle gegen die Folgen 
der akuten Anaemie mit Analepticis aller Art, mit subkutaner 
und rectaler Kochsalztransfusion kämpfte, habe ich mich in 
meinen beiden letzten Fällen der intraperitonealen Kochsalz¬ 
transfusion bedient. Bei dem einen in der Weise, dass ich 
48 Stunden tropfenweise in die Bauchhöhle nach der von mir 
angegebenen Methode ”) einlaufen Hess, bei dem anderen, den 
ich ausserhalb operiren musste, indem ich nach Schluss der 
Operation nach 1 und 2 Stunden dureh ein in der Bauchhöhle 
liegen bleibendes dünnes Drainrohr je Vs Liter sterile physio¬ 
logische Kochsalzlösung einfliessen liees. Auch in diesem Falle 
hat die bakteriologische Untersuchung durch Plattenkultur und 
Thierexperiment die Keimfreiheit des am 4. Tage entfernten 
Drains ergeben. Ob diese intraperitoneale Transfusion mehr 
dazu beigetragen hat, die Kranken über die Folgen ihrer schweren 
Verletzung hinwegzubringen, als die gewöhnlichen Methoden, 
lasse ich unentschieden, jedenfalls bin ich geneigt, derselben 
einen Antheil an dem Erfolg beizumessen. 

Sind die Kranken über die Folgen ihrer akuten Anaemie 
hinausgebracht, so pflegen sich von Seiten des Peritoneums, 
aseptische Operation vorausgesetzt, bei den reinen Milzzer- 
reissungen keine Erscheinungen einzustellen. Es findet sich 
unter den 35 operirten Fällen nur in einem Falle eine Peritonitis 
und in dem J o r d a n’schen eine peritoneale Reizung verzeichnet, 
die übrigen heilten, ohne im Verlauf Zeichen einer auch nur 
lokalen Peritonitis zu bieten, oder zeigten bei der Sektion keine 
Eiterung in der Bauchhöhle. Ganz anders ist das, wenn sich 
neben der Milzverletzung eine Ruptur der Leber vorfindet. 
Trendelen bürg 1 ') verlor einen derartigen Kranken am 
7. Tage nach der Operation in Folge einer Peritonitis. Es ist 
wohl zweifellos, dass dieselbe von dem übersehenen Leberriss aus¬ 
gegangen ist. In ähnlicher Weise waren bei einer Leberruptur, 
die Wickershauser”) operirte, die beiden tamponirten 
Risse reaktionslos, während ein übersehener eitrig belegte Rän¬ 
der bot und sich eine Peritonitis in seiner Umgebung lokali- 
sirt hatte. Ausser diesem Falle erlagen noch 5 operirte sub¬ 
kutane Leberrupturen einer Peritonitis, immer fanden sich hier¬ 
bei die Wunden der Leber eitrig belegt. Die Möglichkeit einer 
Sekundärinfektion der Leberwunden von den Gallengängen her, 
macht unter Anderen auch F raenkel") geneigter, die Leber¬ 
wunden zu tamponiren, um sich etwa ansammelndes infizirtes 
Sekret durch den Tampon nach aussen abzuleiten. 


,0 ) 31 Fälle bei Frankel: Beiträge zur klinischen Chirurgie. 
Bd. 30, H. 2: 7 weitere bei Vanverts: Archiven g4u6rales.de 
m6deelue 1807. 

20 ) lieber intraperitoneale Kochsalztransfusion. Laugenbeck's 
Archiv. Bd. 58, II. 1. 

21 ) Deutsche mcd. Wochen sehr. 1800, No. 40 u. 41. 

W 1 c k e r s li a u s e r: eltlrt hn Centralbl. f. Chirurgie 1807. 

S. 307. 

a ) F raenkel: Beiträge zur klinischen Chirurgie. Bd. 30. 
lieft 2. 


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15. Oktober 1901. 


1661 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Komplikationen von Seiten anderer Organe haben sowohl 
bei den Milz-, wie bei den Leberrupturen — subkutane Pankroas- 
zerreissungen sind nicht primär operirt — den Verlauf selten 
gestört. In dem Jordan’schen Fall fand sich eine Pleuritis 
links. 

Ein von Wickershauser operirter Fall, der seiner Ver¬ 
letzung erlag, hatte eine rechtsseitige Pneumonie. Ebenso be¬ 
kam ein Kranker, dessen Leberriss Zeidler 24 ) tamponirt hatte, 
eine katarrhalische rechtsseitige Pneumonie. Auch der eine 
Kranke Trendelenbur g’s erkrankte daran, während der 
zweite F r a e n k e Fache Kranke, der tuberkulös belastet war, 
eine Pneumonie des rechten Unter- und Mittellappen durch¬ 
machte. 

Ueber eine Betheiligung der Nieren habe ich in der Literatur 
keine Angaben gefunden. Demgegenüber muss ich hervorheben, 
dass bei meinem letztoperirten Kranken am 8. Tage nach der 
Operation eine Spur Eiweiss im Urin bemerkt wurde. Die 
Albuminurie, die nur sehr gering war, hielt etwa 10 Tage an. 
Eine Erklärung für sie zu geben, ist schwierig. Möglich, das 
es sich um eine Kompression und Stauung in der linken Niere 
gehandelt hat, wahrscheinlicher ist mir jedoch, dass doch ein 
kleiner Nierenriss vorhanden war, der zwar primär nicht zu einer 
blutigen Beimischung zum Urin geführt hat, aber doch sekundär 
die vorübergehende Albuminurie erzeugt hat. 

Die Rekonvaleseenz ist je nach der Resistenzfähigkeit des 
Individuums verschieden. Immerhin pflegt sie dem grossen 
Blutverlust entsprechend eine langsame zu sein. Ob die Er¬ 
setzung des Blutes durch die Exstirpation der Milz verzögert 
/ wird, ist ja nach neueren Untersuchungen zweifelhaft, es ist mir 
jedoch bei meinem Patienten aufgefallen, dass ich den zur Blut¬ 
körperchenzählung nöthigen Tropfen Blut auch nach Tagen nur 
durch tiefen Einstich am Daumen und energisches Drücken er¬ 
halten konnte. Erst nach 14 Tagen floss sofort der Tropfen und 
es blutete, wenn auch in geringem Maasse nach. Die Zählung 
der rothen Blutkörperchen, auf die ich mich aus äusseren Grün¬ 
den beschränken musste, ergab die geringste Zahl von 2 400000 
am 5. und 9. Tage nach der Operation; am 20. Tage war die Zahl 
wieder auf 3 600 000 angestiegen, am 50. auf 4 200 000. Eine 
Drüsenschwellung ist nicht aufgetreten. 

Aus dem bisher Erörterten ergibt sich, dass wir bei trau¬ 
matischen subkutanen Bauchblutungen in den Fällen zur so¬ 
fortigen Operation gezwungen sind, in denen das Leben durch 
die Blutung unmittelbar bedroht erscheint. Die weitere Er¬ 
fahrung muss lehren, ob wir auch bei Blutverlusten, die der 
Organismus zu ertragen im Stande ist, zu einer Laparotomie be¬ 
rechtigt sind. Erwägt man die Gefahren, die aus einer Sekundär¬ 
blutung entstehen können, berücksichtigt man, dass der Blut¬ 
erguss, auch wenn er ursprünglich steril war, doch, namentlich 
bei Leberblutungen, sekundär infizirt werden kann, so wird man 
sich unter günstigen äusseren Umständen auch in diesen Fällen 
zu einer frühzeitigen Operation, im schlimmsten Falle einer 
Probelaparotomie entschliessen. Durch dieselbe bewahren wir 
unsere Kranken nicht nur vor den Spätfolgen ihrer Bauch¬ 
blutung, wir setzen uns auch in die Möglichkeit, bisher nicht in 
Erscheinung getretene Verletzungen des Magentraktus zur gün¬ 
stigsten Zeit in chirurgische Behandlung zu nehmen. 

Krankengeschichte n.") 

1. Der 20 jährige Kanonier G. wurde am 23. V. 1898 von 
einem Artlllerlemunitlonswagen überfahren; die Räder gingen Ihm 
über den Leib. Seine Aufnahme In’s Garnlsonslazareth Strass¬ 
burg 1. Bis. erfolgte etwa 2 Stunden nach dem Unfall. 

Status praesens: Schwerkranker Mann, Bewusstsein 
vorhanden. Keine Lähmungen. Am Kopfe nichts Krankhaftes. 
Am Brustkorb keine Verletzungen, vor Allem keine Rippeubrüche. 
Athmung 30 ln der Minute, oberflächlich; der Leib wird dabei still 
gehalten. Puls sehr klein, 120. Der Leib Ist leicht aufgetrieben, 
auf Druck schmerzhaft. In der linken Lumbalgegend, dicht unter¬ 
halb der Rippen, sieht man mehrere bis kinderhandgrosse Blut¬ 
austritte ln das subkutane Gewebe. In der linken Bauchseite 
eine Dämpfung, die vom Rippenbogen bis zum Ligamentum Pou- 
partl reicht und handbreit von der Mittellinie entfernt bleibt. Die 
geringe Blasendämpfung ist von ihr durch eine Darmton bietende 
Partie getrennt. Der mit dem Katheter entleerte Urin (etwa 
200 ccm) war blutig gefärbt. Es handelte sich also um einen Er- 

**) Zeidler: Deutsche med. Wochenschr. 1894, No. 37. 

**) Fall 1 und 2 Ist bereits ln meiner Arbeit über intra¬ 
peritoneale Kochsalztransfuslon erwähnt, da die beiden Fälle Je¬ 
doch weder in die Statistiken über Milz- noch in die über Leber- 
zerreissung aufgenommen sind, theile ich sie hier kurz mit. 


guss in die Bauchhöhle, der entweder durch Bin laustritt oder durch 
Entleerung von Dnnninlmlt bedingt war: nebenbei um eine Ver¬ 
letzung des uropoetischen Systems: Nieren- oder Blasenzer- 
reissung. War erst eres der Fall, so konnte der Bluterguss in die 
Bauchhöhle mit von der Niereuzerreissung herrühren, doch musste 
daun das Bauchfell in der Nähe der linken Niere verletzt sein. 
Da Patient von «lern iy s ständigen Transport und der Unter¬ 
suchung sehr angegriffen war, ausserdem ich den Mann erst noch, 
wenn auch nur kurze Zeit, beobachten wollte, so erhielt er >/ 2 Liter 
Kochsalzlösung subkutan eingespritzt und wurde iu's Bett ge¬ 
bracht. 

ln den nächsten Stunden änderte sich der Zustand nicht; trotz 
wiederholter Kochsalzeinspritzung subkutan und in den Mastdarm 
besserte sich der Puls nicht, daher wurde t> Stunden nach dem 
Unfall operirt. 

Schnitt in der Mittellinie vom Nabel beginnend bis zur Sym¬ 
physe. Nach der Durchtrennung der Bauchdecken wölbt sich eine 
dunkelblaue, vom Peritoneum bedeckte Geschwulst vor. Das 
Peritoneum wurde zwischen 2 Pincetten au einer kleinen Stelle 
eröffnet und sofort schiesst im Strahle, der immer stärker wird, 
dünnflüssiges Blut heraus. Nachdem dasselbe, im Ganzen wurden 
2 Liter aufgefangeu, möglichst langsam entleert ist, um die Spau- 
nungsverhältnisse in der Bauchhöhle nicht zu schnell zu ändern, 
wird das Peritoneum in der Länge des Bauchschnittes eröffnet. 
Es zeigt sich, dass die Blutung von oben kommt, doch gelingt es, 
ihrer durch Einfuhren von steriler Gaze Herr zu werden. Beim 
Absuchen des unteren Thelles der Bauchhöhle findet sich keine Ver¬ 
letzung von Darm und Harnblase; das im kleinen Becken vor¬ 
handene Blut wird heruusgetupft Sodann wird nach Erweiterung 
des Schnittes bis zum Process. xiphoid. an die Quelle der Blutung 
herangegaugen. Dieselbe kommt von der Milzgegend her, doch 
ist an ihrer der Bauchhöhle zugewapdten Fläche keine Verletzung 
zu finden. Erst als das Organ aufgehoben wird, zeigt sich ein 
Längsriss an der der Lumbalgegend aufliegenden Seite und ein 
Einriss am Hllus. Daher wird unter schichtweiser Fassung der 
Llg. lienale-gastricum und lienale-colicum, sowie des Hilus die 
Milz exstlrpirt. Blutstillung, Bauchnaht. Kochsalzinfusion sub¬ 
kutan. Kaffee, Wein per ob gleich auf dem Operationstisch. 

Der Patient erholte sich nach der Operation gut, der Puls 
wurde langsamer und voller. Er erhielt 5 Stunden nach der Opera¬ 
tion nochmals eine Kochsalzinfusion von y„ Liter subkutan und 
ein Kochsalzklystier von 1 Liter und befand sich bis gegen 5 Uhr 
Morgens ganz wohl Dann trat ein Oollaps ein, dem er 12 Stunden 
nach der Operation in 10 Minuten erlag. 

Bei der Sektion fand sich 1 Esslöffel Blut in der Bauchhöhle, 
keine Darmverletzung, keine Peritonitis. Ein unbedeutender Ein¬ 
riss dicht am Hilus der linken Niere, kein grösserer Blutaustritt in 
die Nierenkapsel oder ihre (Umgebung. 

2. Der 20 jährige Trainsoldat M. erhielt am 22. VIII. 1898 
Morgens 4 Uhr von einem Pferde einen Huf schlag gegen den 
Bauch. Er wurde kurze Zeit bewusstlos und wurde sofort dem 
Garnlsonslazareth I Strassburg überwiesen. Um 5»/ 3 Uhr stellte 
ich Folgendes fest: 

Der kräftig gebaute Mann ist im leichten Schock. Sensorium 
frei, doch antwortet er träge. Die Haut und die sichtbaren 
Schleimhäute ziemlich blass. Am Kopfe, den Brusteingeweiden 
und den Gliedmassen nichts Krankhaftes. Die Athmung ist ruhig, 
mässig tief, 25 Athemzüge, der Puls ist mittelvoll, 80 Schläge in 
der Minute. Der Leib ist nicht aufgetrieben, auif Druck etwas 
schmerzhaft, doch gibt Patient keine besonders schmerzhafte 
Stelle an, ebensowenig wie er die Stelle zu bezeichnen weiss, 
wo ihn der Hufschlag getroffen. In der linken Bauchhöhle befindet 
sich eine leichte Dämpfung, die vom Rippenbogen bis zum Darm¬ 
beinkamm reicht, nach vorn bis handbreit vom Nabel entfernt 
bleibt Bei Lagerung auf die linke Seite wird die Dämpfung 
wenig deutlicher, bei der auf die rechte verschwindet sie nicht 
ganz. Von der Milzdämpfung ist sie nicht scharf abgrenzbar, 
wohl aber von der geringen Blasendämpfung. Der spontan ge¬ 
lassene Urin, ca. 200 ccm, ist klar, frei von Blut Letzter Stuhl¬ 
gang 21. VIII. Abends, 22. VIII. Morgens nichts genossen. Der 
Patient wurde zunächst, obwohl die Anzeichen eines Intraperi¬ 
tonealen Ergusses vorhanden, In’s Bett gebracht; gänzliche 
N ahrungsenthaltung. 

Um 9 Uhr war die Dämpfung links ausgesprochener und auch 
rechts eine geringe Dämpfung vorhanden, doch war der Puls gut 
geblieben. Um 1 Uhr fing der Puls an schneller zu werden, 100 bis 
110 Schläge; er wurde ausserdem unregelmässig, daher wurde, da 
ein Kochsalzeinguss von 1 Liter in den Mastdarm keine Besserung 
herbeiführte, um 2 Uhr zur Operation geschritten. In Ohloroform- 
narkose wird die Bauchhöhle in der Mittellinie eröffnet. Schon 
vor der Eröffnung des Peritoneums schimmert eine blau-schwarze 
Masse durch dasselbe hindurch und sofort nach seiner Durch- 
trenuung entleert sich dünnflüssiges Blut. Es drängt sich sodanu 
der stark geblähte Dickdarm ln die Wunde und trotz vorsichtiger 
Eröffnung drängen sofort mit Blutgerinnsel bedeckte Darm¬ 
schlingen nach, so dass, um überhaupt einen Einblick ln die Bauch¬ 
höhle zu gewinnen, nichts anderes übrig bleibt, als nach Eröffnung 
derselben bis 3 Finger breit über die Symphyse die ganzen vor¬ 
drängenden Därme herauszupacken. Die Bauchhöhle wird sodann 
mit steriler Gaze ausgestopft und zunächst der herausgenommene 
Darm abgesucht. Derselbe ist ebenso wie sein Mesenterium In¬ 
takt. Belm weiteren Absuchen der Bauchhöhle zeigt sich, dass die 
Blutung von oben kommt, ihre Quelle lässt sich Jedoch, trotzdem 
der Schnitt bis zum Proc. xiphoid. verlängert Ist, nicht finden. 

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1GG2 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42. 


Daher wird 5 cm oberhalb des Nabels auf deu ersten Schnitt ein 
senkrechter, lu cm langer nach links hin gesetzt; die jetzt frei zu¬ 
gängliche Milz erweist sich unversehrt, dagegen lässt sich sehen, 
dass die Blutung mehr von der Mittellinie herkommt, und nach 
starker Anziehung des rechten und linken oberen Theiles der 
Wunde sieht mau grosse Blutgerinnsel auf dem obersten Tkeile der 
Leber liegen. Als diese entfernt sind, sieht und fühlt mau an dem 
convexen obersten Theil der Leber einen etwa 10 cm langen, y 2 cm 
tiefen Einriss. Da dersiibe für eine Naht nicht zugänglich ist, ein 
Querschnitt rechts nicht angängig erscheint, wird der Hiss mit 
steriler Gaze fest tampouirt. Die Blutung steht. Im Uebrigen 
lassen sich Verletzungen au der Leber nicht linden, im Besonderen 
ist die Gallenblase intakt. Auch am Magen keine Zeichen einer 
stattgehabten Gewalteinwirkung. Nachdem die letzten Blutmasseu 
auch uus dem kleinen Becken entfernt sind (im Ganzen schätze ich 
die ergossene Blutuieuge auf 2 Liter;, wird die Bauchwuude ge¬ 
schlossen. Besondere Schwierigkeit macht die Zurückbriugung 
des stark geblähten und mit einem ausserordentlich laugen Mesen¬ 
terium versehenen Colon trausversum. Aus dem obersten Wund¬ 
winkel wird der Tampon herausgeleitet, durch deu untersten ein 
N'elatonkatheier 5 ciu in die Bauchhöhle eingelegt und durch die 
Kanüle, die au die Haut augenäht wird, durchgeführt. Aseptischer 
Verband. Während der Operation 2 Kanipherspritzeu, Dauer der¬ 
selben l>/ 2 Stunden. Der 1‘uls ist ziemlich klein geworden, 120 bis 
13U Schlage in der Minute. 

Sofort nachdem der Patient lu das Bett gebracht ist, wird mit 
der tropfenweise intraperitouealeu lvochsalzinfusiou begonnen, 
nachdem Patient zunächst 200 ccm auf einmal erhalten hat. 

24. VI11. Betludeu zufriedenstellend. Puls kräftig, mit der 
intraperitouealeu Kochsalzt rausfusiou wird auf gehört. 

27. VIII. Verbandwechsel. Wunden trocken und cutzüu- 
duugslos. Nelaton entfernt. 

1. IX. Wunde geschlossen,’ Nähte entfernt. 

2. IX. Patient stellt auf. 

15. X. 18Ub. Patient w ird iu gutem Ernährungszustand mit 
fester Narbe dienstunfähig entlassen. 

3. Der 25 jährige Trompeter G. überschlug sich am 5. VI.. 
Morgens 10 Uhr, mit dem Pferde beim Attaquereiten und kam 
beim Fall unter das Thier zu liegen. Er wurde unmittelbar uaeb 
dem Sturz vom Exerzierplatz iu's Lazareth gefahren. Der be¬ 
handelnde Arzt, Herr Oberstabsarzt Dr. Schlott, stellte Fol¬ 
gendes fest: Schwerer Schock, Gesicht blass, Nase und Extremi¬ 
täten kühl. Puls 120, kaum fühlbar. Klagen über Schmerzen in 
der linken Schulter und im. Leibe. An der Schulter nichts Krank¬ 
haftes. Leib im Ganzen schmerzhaft, Schmerzen werden auf 
Druck nicht stärker. Leib nicht aufgetriebeu. In der linken 
Unterbauckgegeud eine leichte Dämpfung. Brechreiz. Urin wird 
von selbst in normaler Beschaffenheit entleert. 

Ordination: Eiupaekeu in warme Tücher. Frottireu der Beine. 
Portwein, theelülfelweise; als derselbe erbrochen wird: Aether 
und Kampheispritzen subkutan. Um 0 Uhr sah ich den Kranken 
in demselben Zustand, der Puls war vielleicht noch etwas schneller, 
die Dämpfung iu der linken Seite ausgesprochener, sie liess sich 
von der Milzdäuipfung nicht abgrenzeu, reicht nach vorn bis hand¬ 
breit von der Mittellinie. Es war klar, dass es sieh um eine 
schwere iutraperiioiieale Blutung handeln musste, bei der Däm¬ 
pfung links und dem Freisein der Lebergegeud auf Druck, nahm 
ich eiue Milzzerreissuug als das Wahrsclieiulicbste au. Sofortige 
Operation. Leichte Gliioioformuarko.se nur für den tlautsehniit. 
Das Peritoneum wird in der Mittellinie unterhalb des Nabels in 
10 cm Länge freigelegt, dasselbe drängt sieb blauscliwarz vor und 
wird zunächst zwischen 2 Pineetteu und sodann iu der Länge des 
Hautschnittes eröffnet. Ausstopfung des unteren Bauchraumes 
mit steriler Mullrolle. Eröffnung der Bauchhöhle bis zum Pro¬ 
cessus xiphoideus ln der Mittellinie. Tamponade der Lebergegend 
und der Milzgegend. Bei diesen Manipulationen entleeren sieb 
grosse Mengen Blutes, tlicils geronnenen, theils flüssigen. Der 
untere Tampon wird entfernt, es blutet aus dem kleinen Becken 
nicht nach. Auch bei Eutfernuug des Lebertampous zeigt sich 
keine neue Blutuug, ebenso wenig ist an der Leber ein Kiss zu 
sehen oder zu fühlen. Als der Milztampon entfernt wird, kommt 
es zu einer neuen Blutung, daher wird, da iu der Milz ein grosser 
Kiss gefühlt wird, oberhalb des Nabels ein senkrechter Schnitt 
nach links auf deu Mediausclniitt gesetzt, der Milzhilus mit einer 
Klemme vorläulig abgeklemmt und nach vorherigen doppelten 
Unterbindungen des Ligamentum lienale-gastrieum und eolieum 
das Organ exslirpirt: der Hilus wird durch eiue Gesammtligatur 
und Eiuzelligatureu der erkennbaren Lumina versorgt. Ent¬ 
fernung der Blutgerinnsel aus der Bauchhöhle, Revision des Milz- 
stumpfes, der Lebergegeud, Absuchung des Darmes. Schluss der 
Bauchhöhle, in den untersten Wuudwinkel wird ein dünnes Drain 
eingelegt und sofort /, Liter Kochsalzlösung iufundirt. Während 
der Operation hatte der Kranke 10 Aetherspritzeu erhalten. Er 
kam iu ziemlich collabirtem Zustande mit. eben noch fühlbarem 
Pulse vom Tisch. Nach 1 und nach 2 Stunden nochmals Va Liter 
Kochsalz iutraperitoueal transfundirt. 

Die Maasse der alknhtdgehäricteii Milz (Gewicht 125g) be¬ 
tragen: Länge 11 ein, Breite Sem. Dicke 2,5 ein. 1 Kiss über die 
ganze Vorderilüche 11 cm lang: von ihm ausgehend 2 senkrechte, 
der eine 2.5 cm. der andere 5 ein lang; sammUielie Bisse gehen bis 
auf die hintere Kapsel. 

<>. VI. Beiinden leidlich. Nacht war etwas unruhig, doch 
1 it Patient etwas geschlafen. Kein Erbrechen. Winde sind ab- 
- angeil. 


8. VI. Zustand wesentlich besser, gereichte Nahrung wird be- 
; halten. 

10. VI. Drain wird entfernt. Naht entzündungslos. 

14. VI. Allgemeinbefinden zufriedenstellend. Appetit beginnt 
i sich zu regen. Im Urin Eiweiss, Beagensglaskuppe eben bedeckt. 

18. VI. Der grösste Theil der Nähte wird entfernt Wunde 
! entzündungslos. Allgemeinbefinden zufriedenstellend. Urin ent- 
! hält noch eine Spur Eiweiss. 

24. VI. Rest der Nähte entfernt. Allgemeinbefinden hat sich 
gehoben. Im Urin heute zum ersten Mal kein Eiweiss mehr. 

30. VI. Patient steht auf. 

10. VII. Patient ist noch ziemlich mager. Leib weich, nur 
in der linken Unterbauchgegend auf tiefen Druck schmerzhaft 
Die Narben in der Mittellinie und in der linken Unterrlppengegeud 
sind schmerzlos, wölben sich beim Pressen nicht vor. 

30. VII. Allgemeinbefinden hat sich weiter gehoben, Appetit 
gut; keine Beschwerden. Die Blutuntersuchung ergibt: Zahl der 
; rothen Blutkörperchen 4 200 000, Haemoglobingehalt 80 Proc., 
weisse Blutkörperchen sehr gering an Zahl. Verhältnis 1:1300. 


; Einige Bemerkungen zum Inhalte der Broschüre des 
Herrn Professors Dr. Adolf von Strümpell zu 
j Erlangen über den medicinisch-klinischen Unterricht 
an Universitäten. 

i 

Von Dr. Alfred Riedel, k. Bezirksarzt in Forehheim. 

! Herr Professor Dr. v. Strümpell hat im Verlage von 
i Delchertin Leipzig als Sonderabdruck aus der Festschrift der 
I Universität Erlangen zur Feier des achtzigsten Geburtstages 
; Sr. königlichen Hoheit des Prlnzregeuteu Luitpold von Bayern 
| eine Broschüre erscheinen lassen, ln welcher er seine Erfahrungen 
| und Rathschläge über die zweckmässigste Art des medicinlsch- 
i klinischen Unterrichtes mittheilt. 

I Die Lektüre dieser Broschüre gibt mir zu nachstehenden Be¬ 
merkungen Anlass: 

v. Strümpell meint, man hätte das jetzt eingeführte prak- 
: tische Jahr, das an einem Krankenhause oder bei einem durch 
Wissen und Können hiezu geeigneten vielbeschäftigten praktischen 
: Arzte zugebracht werden soll, fallen lassen, dafür das mediclnische 
! Studium auf 6 Jahre verlängern und letzteres entsprechend 
j intensiv und extensiv weiter ausdehnen können. Ferner empfiehlt 
> v. Strümpell ausser dem eigentlichen Fachstudium einige 
andere Gegenstände zur Nebenbeschäftigung in den erstell 
Semestern. 

Zunächst eine sprachliche Bemerkung. Man liest jetzt häufig 
das sogen, praktische Jahr als annuum practicüm bezeichnet. Das 
Wort annuum, in falscher Analogie rückwärts von trieuuium. 
bieunium gebildet. Ist eine sprachliche Monstrosität und sollte nicht 
mehr gebraucht werden. Es muss einfach heissen qnnus practicus. 

Es Ist sehr fraglich, ob es möglich sein wird, das praktische 
Jahr ln der beabsichtigten Weise aufrecht zu erhalten, ob es ge¬ 
lingen wird, die grosse Zahl der hier in Betracht kommenden- 
Mediciuer iu Krankenhäusern oder bei geeigneten Aerzten unter- 
zubringen und ob der vorschwebeude Zweck auch wirklich er¬ 
reicht wird. Für den Fall, dass die neue Einrichtung sich als 
undurchführbar herausstellen sollte, zweifle ich nicht, dass man 
dann auf die Vorschläge des Herrn Professor v. Strümpell 
als maassgebend zurückkommen und das mediclnische Studium 
auf 6 Jahre verlängern wird. Das ist durchaus nichts Neues, wir. 
Alten, die wir das mediclnische Studium um dje Mitte des abge¬ 
laufenen Jahrhunderts begonnen haben, haben auch 6 Jahre" auf - 
der Universität zubringeu müssen, wenn es nicht gelang, während 
des sogen, biennium practicüm als Assistenzarzt an einem Kranken- 
hause unterzukommen, und dies dauerte bis Anfangs.der 60er, 
Jahre, wo daun die Zeit des medicinischen Studiums abgekürzt 
wurde. 

Ob eine Zweitheilung der ärztlichen Vorprüfung sich’ empfiehlt, 
ist fraglich; es kommt hiebei doch auch der Kostenpunkt ln Be¬ 
tracht. 

Nicht genug kann der Werth und die Bedeutung der Kinder¬ 
heilkunde hervorgehoben werden. Das Fehlen einer stationären. 
Kinderklinik au einer Universität Ist ein grosser Mangel. Die 
Behandlung kranker Kinder ist das tägliche Brod des praktischen 
Arztes und die genaue Bekanntschaft mit der Kinderheilkunde ist 
für den praktischen Arzt das Allerunentbehrlichste. 

Recht zutreffend ist es, wie von v. Strümpell der Werth 
des Zeichnens für den Mediciuer hervorgehoben wird, und es ist 
sehr zu bedauern, dass das Zeichnen auf dem Gymnasium nicht 
ernstlicher betrieben wird. 

Professor B i 11 r o t h hat in seinen Vorlesungen über allge¬ 
meine chirurgische Pathologie und Therapie die Frage angeregt, 
woran man denn erkennen könne, ob Einer zum Chirurgen ge¬ 
eignet sei, und beantwortet diese Frage so: Daran, wenn Einer 
graphisches Talent hat. 

Bei verlängertem Studium auf G Jahre empfiehlt Herr 
v. Strümpell dem jungen Mediciuer in den ersten Semestern 
als Nebenbeschäftigung fünf Gegenstände: Geschichte der Philo¬ 
sophie, Psychologie, Sozialwissenschaft, Technik und Hebungen 
im Zeichnen. 

Diesen fünf Nebenbeschäftigungen möchte Ich auf Grund 
meiner Lebenserfahrung recht ernstlich und nachdrücklich als 
sechste und siebente noch zwei weitere hinzufiigeu, nämlich die 


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15. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1663 


Beschäftigung mit höherer Mathematik und das Studium der 
neueren Sprachen. 

Jetzt, wo die Gleichberechtigung der Absolventen der deutschen 
humanistischen Gymnasien und der Realgymnasien zum Studium 
der Medlcin durch die Prüfungsordnung vom 28. Mai 1901 definitiv 
besiegelt ist, gilt es für die Absolventen des humanistischen Gym¬ 
nasiums, den Vorsprung, den die Absolventen des Realgymnasiums 
voraus haben, auf der Universität durch freiwillige Thätigkeit 
wieder einzuholen und auszugleichen. 

Der Abschluss des mathematischen Unterrichtes auf dem 
humanistischen Gymnasium ist ein gar zu dürftiger und müssen 
die mathematischen Kenntnisse auf der Universität durch Besuch 
einer Vorlesung über analytische Geometrie und ül>er die Elemente 
der Differential- und Integralrechnung ergänzt und erweitert 
werden. Es ist dies zu einem gedeihlichen Studium der Physik 
durchaus nothwendlg. 

Die Gymnastik des Geistes, welche die Beschäftigung mit 
höherer Mathematik mit sich bringt, ist eine so intensive, dass 
ihr hierin keine andere geistige Beschäftigung gleichkommt und 
dass sie durch nichts anderes zu ersetzen ist. Ihr gegenüber ist 
die bloss mehr passive und receptive geistige Thätigkeit bei der 
übrigen Naturerkenntniss eine verhältnissmässig viel zu leichte. 
Nicht umsonst stand Uber der Eingangspforte des Lehrsaales des 
Pythagoras angeschrieben: 

/A*i<feis ovfta9*i[ittT<x6s eiaita! 

Die Kenntniss der neueren Sprachen, vor Allem des Englischen, 
ist für das praktische Leben des Mediciners ganz unentbehrlich. 
Das humanistische Gymnasium leistet auch hierin zu wenig. Hier 
müssen auf der Universität für die Studirenden, abgesehen von 
den Neuphilologen, namentlich für die Mediciner eigene Kurse ein¬ 
gerichtet werden. Es ist gar nicht zu sagen, wie oft und hart 
im späteren Leben der Mangel an Kenntniss der neueren Sprachen 
empfunden wird. Wie wenig das humanistische Gymnasium hierin 
leistet, haben wir, die wir zur Zeit des deutsch-französischen 
Krieges als Hilfsärzte uns in Frankreich befanden, schmerzlich 
empfunden; von Fähigkeit zu einer Konversation war gar keine 
Rede. Das beste Hilfsmittel für das Privatstudium der englischen 
und französischen Sprache bilden die Unterrichtsbriefe von 
Toussalnt-Langenscheldt, aber für die Aussprache, zumal 
des Englischen, kann man doch die persönliche Anleitung des 
Lehrers nicht entbehren. 

Im Uebrigen kann ich nicht genug hervorheben, wie interessant 
und werthvoll die in der genannten Broschüre des Herrn Professor 
v. Strümpell enthaltenen Erfahrungen und Rathschläge sind, 
und empfehle sie nachträglich allen Kollegen zur Lektüre und 
Beherzigung. 


Referate und Bücheranzeigen. 

R. Borrmann, I. Assistent am Patholog. Institut zu 
Marburg: Das Wachsthum und die Verbreitungswege des 
Magencarcinoms vom anatomischen und klinischen Stand¬ 
punkte aus. Mit 16 Tafeln und 21 Abbildungen im Text. Jena 
1901. Verlag von G. Fischer. Preis 16 M. 376 Seiten. 

Die vorliegende umfangreiche Habilitationsschrift des Ver¬ 
fassers ist erschienen als Supplementband zu den „Mittheilungen 
aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie“ und stützt 
sich auf die Untersuchung von 63 in der chirurgischen Klinik 
zu Breslau resecirten Magencarcinomen. Die Arbeit baut sich 
natürlich ganz auf den Anschauungen R i b b e r t’s (dessen 
Schüler B. ist) bezüglich der Genese und des Wachsthums der 
Carcinome auf und richtet sich hauptsächlich gegen den von 
Hauser in dessen Monographie „Ueber das Cylinderepithel- 
carcinom des Magens und des Dickdarms“ und in seinen späteren 
Arbeiten vertretenen Standpunkt, sowie gegen die jüngst 
von L o h m e r erschienene Arbeit (ZiegleEs Beitr. 23. Bd.). 
Was die Gruppirung des umfassenden Stoffes betrifft, 
so enthält T h e i 1 I die makroskopische und mikro¬ 
skopische Schilderung, sowie kurze klinische Notizen 
der betreffenden Fälle. Im T h e i 1 II findet sich zuerst eine 
pathologisch-anatomische Auseinandersetzung über 
die aus den vorstehenden Befunden sich ergebenden Wachsthums¬ 
und Verbreitungsarten des Magencarcinoms und endlich ver- 
werthet im klinischen Theil B. seine histologischen Unter¬ 
suchungen, besonders hinsichtlich der Ausdehnung der einzelnen 
Carcinome zu wichtigen Schlüssen bezüglich der chirurgischen 
Eingriffe. 

Ohne auf Details weiter einzugehen, sei nur hervorgehoben, 
dass nach B. Untersuchungen der Randpartien sich für die 
Genese der Carcinome überhaupt nicht verwerthen lassen; eine 
„krebsige Entartung“ der Epithelien gibt es für ihn 
nicht (er erkennt nur eine Entartung im regressiven Sinne 
an!); alle die Bilder, die ein primäres Tiefenwachsthum im Sinne 
Hauser’s beweisen sollten, erklärt er für Täuschungen und 

No. 42. 


glaubt, dass es sich um Durchbrüche aus der Tiefe der 
Submucosa nach oben zwischen die Drüsenschläuche hinein 
handle. Das Vorschieben der Carcinomzellen in das 
Lymphgefässnetz der Schleimhaut selbst stellt B. be¬ 
sonders in den Vordergrund und rückt die horizontale Aus¬ 
breitung des Magenkrebses an erste Stelle. Das regionäre 
Recidiv im Sinne von T h i e r s c h erkennt Verfasser eben¬ 
sowenig an, weder für den Magenkrebs, noch für andere Car¬ 
cinome. H. Merkel -Erlangen. 

Zur Lehre vom Aderlass. Von Privatdoc. Dr. E. Schreiber 
und Assistenzarzt Dr. J. Hagenberg. S.-A. aus dem Central¬ 
blatt für Stoffwechsel- u. Verdauungskrankheiten. 1901. No. 11. 

Die erste Mittheilung über die praktische Verwendung der 
von dem französischen Arzt Poiseuille aufgedeckten, dann 
fast völlig in Vergessenheit gerathenen und neuerdings von 
H ü r t h 1 e , Hirsch und Beck und namentlich J a c o b j - 
Göttingen wieder erweckten Lehre von der Viscosität oder 
inneren Reibung des Blutes! Bei 3 Fällen von schwerer Uraemie 
wurde mit dom bekannten, überraschenden Erfolge — ein Fall 
konnte als fast geheilt entlassen werden! — der Aderlass mit 
nachfolgender Kochsalzinfusion gemacht; eine zweite Blutent¬ 
ziehung folgte Va Stunde später. Die gewonnenen Blutbefunde 
wurden durch 2 Untersuchungen an nephrektomirten Hunden 
erhärtet. Es ergab sich, dass 1. der Gefrierpunkt des Blutes 
konstant bleibt, somit also die Theorie Lindemann’s über 
das Zustandekommen der Uraemie durch Erhöhung des osmoti¬ 
schen Drucks, wie dies Schreiber, Waldvogel und 
Richter schon früher nachwiesen, als unhaltbar zu betrachten 
ist; 2. dio innere Reibung des Blutes um ein Bedeutendes ab¬ 
nimmt; 3. die Zahl auch der rothen Blutkörperchen, nicht nur 
der weissen, vermehrt ist. Es erklärt sich somit die Besserung 
der uraeraischen Symptome daraus, dass 1. die Arbeit des Herzens 
durch die Herabsetzung der Viscosität des Blutes erleichtert ist; 
2. eine Ausschwemmung von giftigen Stoffen stattfindet Endlich 
soll dio Vermehrung der rothen Blutkörperchen, die als Folge 
der grösseren Stromgeschwindigkeit aufzufassen ist, eine bessere 
Versorgung des Organismus, namentlich des Gehirns, bewirken. 
Auf die letzte Weise ist jedenfalls allein die Besserung bei dem 
dritten, durch einige Komplikationen von den anderen ab¬ 
weichenden, Falle zu erklären. Sz. 


Otto K ü s t n e r : Stereoskopischer medicinischer Atlas 
der Gynäkologie. Als 29. und 34. Lieferung der stereoskopiseh- 
medicinischen Atlanten, herausgegeben von Albert N e i s s e r. 
Leipzig, Ambr. Barth, 1900. 

Die beiden Lieferungen enthalten 24 stereoskopische Photo¬ 
graphien gynäkologischer Befunde und zwar hauptsächlich Neu- 
und Missbildungen der Vulva, Prolapsus Uteri mit ungeeigneter 
Perineoplastik, Ulcus rodens vulvae, Operationsnarben nach Ex¬ 
stirpation des Carcinoma vulvae, Dammriss, Caruncula urethralis. 
Die Auswahl betrifft theils praktisch häufige und desshalb 
wichtige, theils operativ, theils diagnostisch belangreiche Fälle. 
Die Bilder sind technisch einwandsfrei hergestellt, bei stereo¬ 
skopischer Betrachtung vollkommen plastisch; jedem Bild ist 
eine kurze klinische Beschreibung beigegeben. 

Aber trotz aller dieser Vorzüge scheint die hauptsächliche 
Bedeutung des Atlas nicht in seiner Verwendung für den Unter¬ 
richt zu liegen; gibt man die Bilder den Studirenden in die 
Hand, so merkt man, dass dio eigcnthümlioho Dunkel-, ja 
fast Schwarzfärbung rother blutreicher Theile stört — man nehme 
z. B. das Bild „Harnröhren-Carunkel“; auf diesem erscheint ge¬ 
rade die Carunkel selbst schwarz mit Glanzlichtern, man könnte 
sie für ein Stückchen Kohle, für eine zufällige Verunreinigung 
halten. Bekannt ist auch dio Schwierigkeit, die menschliche 
Haut zu photographiren; dadurch tritt der Unterschied zwischen 
Aussenhaut und Vulva, sowie Scheidenhaut, z. B. bei den Bil¬ 
dern „Dammriss“, nicht scharf genug hervor; gute Zeichnungen 
und Holzschnitte sind hier zum Unterrichte Mindergeübter ge¬ 
eigneter. Wie schwer ist ee selbst für den Gynäkologen auf 
Bild 346 „Sarkoma vulvae“ sich über das Entscheidende zu unter¬ 
richten. 

Am besten sind die Bilder „Hottentottenschürze, Fibroma 
pendulum, Kolpokleisis rectalis, Prolaps mit imgeeigneter Peri¬ 
neoplastik, Elephantiasis vulvae“. 


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1664 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Aber die Bedeutung photographisolier Bilder im Allgemeinen 
liegt darin, dass sie für den Geübten, den Fachmann, wissen¬ 
schaftliche documents humains von absoluter Zuverlässigkeit 
sind, welche durch Zeichnungen nie erreicht werden kann. 
Krankheitsbilder, Operationserfolge und — was für eine Fort¬ 
setzung der Sammlung besonders in Betracht kommen dürfte — 
Operationsmethoden in ihren einzelnen Abschnitten lassen 
sich damit in einer Weise wiedergeben, welche die Bilder sogar 
späteren Gesclilechtem noch werthvoll machen wird. 

Trotz der grossen technischen Schwierigkeiten wäre dess- 
halb ebenso wie das bis jetzt Erschienene auch eine Fortsetzung 
der Sammlung mit aufrichtigem Danke zu begrüssen. 

Gustav Klein- München. 

C. Bayer: Die Chirurgie in der Landpraxis. Kurz¬ 
gefasstes Nachschlagebuch für praktische Aerzte. Dritte, ver¬ 
mehrte und verbesserte Auflage. Berlin, F i s c h e r’s medicin. 
Buchhandlung, 1001. 

Nach 7 Jahren erscheint Bayer’s Chirurgie in dritter 
Auflage. Durch Inhaltsvermehrung und grösseren Druck ist 
die Seitenzahl von 147 auf 246 gestiegen. Die Zahl der Ab¬ 
bildungen ist von 24 auf 41 vermehrt. 

Im Ganzen hat sieh der Inhalt wenig geändert. Was Ref. 
im Jahrgänge 1896 dieser Wochenschrift darüber gesagt hat, 
kann auch heute gelten. Ein frisch und anregend 
g e s c h r i o b e. u e s W crkc.hcn voll p r a k t i s c h e r 
W i n k e und brauchbarer R a t h s <• h 1 ii g e. 

Im Einzelnen sei noch folgendes Besond erc dieser Auf¬ 
lage hervorgehoben: 

Die in voriger Auflage von mir gerügte Ignorirung der 
Asepsis hat in dieser Bearbeitung Berücksichtigung gefunden, 
meiner Ansicht, nach aber immer noch nicht in genügender Weise. 
Dio Vorschriften der Asepsis und der Antisepsis können auch in 
einemNachsehlagebueh nicht präzis genug ausgesprochen werden; 
laxe Vorschriften in dieser Hinsicht verführen gar zu leicht zu 
gefährlicher Halbheit. So möchte ich einer späteren Auflage 
besonders eine, strammere Vorschrift über Desinfektion der Hände 
und des Operationsgebietes wünschen. 

Neu aufgenommen ist in das Kapitel über lokale Anaesthcsie 
eine Besprechung der Ober st’sehen Methode und der Schl ei ch- 
sehen Infiltrationsanaesthesie. 

Eine praktische Neuerung sehe ich in der Neuaufnahme 
jo eines Kapitels über Behandlung der akuten Osteomyelitis 
und der Epityphlitis, an welche sich neu eine Besprechung der 
Therapie des Ulcus syphiliticum und tuberculosum, sowie der 
Fussgeschwü re anschliesst. 

Bei der Besprechung der von inneren Organen ausgehenden 
Blutungen hätte Referent einen etwas energischeren Hinweis 
auf den Nutzen frühzeitigen chirurgischen Eingreifens, ebenso 
bei der so ausführlichen Besprechung der Tracheotomie eine be¬ 
sondere Empfehlung der Operation auf Grund der durch das 
Heilserum viel besser gewordenen Prognose gewünscht. 

Dass Verfasser die von ihm geübte einfache und als prak¬ 
tisch erprobte Methode der Herniotomie in dieser Auflage ge¬ 
nauer beschrieben, werden ihm die Leser dtw Büchleins danken; 
ebenso für die Aufnahme von Quorschnittsbildern der Ampu- 
tationsstümpfo mit Angabe der Lagt; der zu unterbindenden 
Gefasst*. 

Gewiss kann das Büchlein den praktischen Acre ton als Nach¬ 
sohl agebuch empfohlen werden, aber eben nur als Nachschlage- 
bueli. Die Chirurgie soll nicht nur in Kliniken, sondern be¬ 
sonders von den praktischen Aerzten ausgeübt werden. Ebenso 
wie die Kliniker können sie darum neben einem solchen Nach¬ 
schlagebuch niemals ein grösseres Handbuch der Chirurgie ent¬ 
behren. J)r. Doorfler - Weissenburg a. S. 

Schlockow-Roth-Leppmann : Der Kreisarzt. 

V. Auflage. Berlin, bei R. Schütz, 1901. Preis lwider Bände 
brosch. 22 M., geh. 25 M. 

Der frühere „preußische Kreisphysikus“ von Sc. block ow 
hat in seiner nunmehrigen 5. Auflage in Folge des neuen Ge¬ 
setzes iiln-r die Dienststellung des Kreisarztes nicht nur einen 
neuen Titel, sondern auch inhaltlich eine wesentliche Erweiterung 
und Umgestaltung erfahren. Der umfangreichere erste Band 
(718 S.) umfasst das Medicinal - und Sanitätswesen 


und behandelt zunächst die Organisation dt« preussischen Me- 
dicinalwcsens in der Central-, Provinzial-, sowie Kreis- und Lokal- 
in.stanz, sodann in 14 Abschnitten die einzelnen Sparten des 
Medieinalwcsens, wie Apotheken, Hebammen, Heilgehilfen. 
Krankenhäuser, Nahrungs- und Genussmittel, Infektionskrank¬ 
heiten, Wohnungshygiene, Irrenwesou u. s.w. Vergleicht man 
die gegenwärtige Auflage mit der früheren vom Jahre 1895, so 
scheint l>ei den vielen inzwischen erlassenen reiclis- und landes¬ 
gesetzlichen Bestimmungen ein ganz neues Buch entstanden zu 
sein. Der zweite Band (321 S.), dessen Inhalt gericht¬ 
liche Medicin und gerichtliche Psychiatric 
bilden, hat gleichfalls, hauptsächlich durch die Einführung des 
bürgerlichen Gesetzbuches, mehrfache Abänderungen erfahren. 
Den Schluss beider Bände bilden Formulare, Beispiele und In¬ 
haltsregister. „Der Kreisarzt“ wird auch in Zukunft den Me¬ 
dici na lbea inten ein willkommener Helfer in ihrer Amtsführung 
und den Kandidaten für die kreisärztliche Prüfung ein zuver¬ 
lässiger Führer bei ihrer Vorbereitung sein. 

Dr. Carl Becke r. 

Neueste Joumalliteratur. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 9. Bd., 2. und 
3. Heft. 1901. 

0) Codi villa: lieber die operative Behandlung der an¬ 
geborenen Hüftgelenksverrenkung. 

<’. hat an 75 Fällen des genannten Leidens folgende Er¬ 
fahrungen gesammelt: Bei 3—12 jährigen Patienten lässt sich ge¬ 
wöhnlich die unblutige Reposition bewirken. Letztere bleibt etwa 
bei der Hälfte bestehen und führt zu gutem funktionellen Resultat. 
In den übrigen Fällen kommt es zur Reluxation, immerhin nicht 
ohne Besserung der Stellung und Funktion. 

Starke persistirende Aussen rot at Ion muss gelegentlich durch 
Osteotomie des Femur beseitigt, werden. 

Ist die blutige Operation nüthig, so kann die losgelöste Kapsel 
gefaltet und als Ersatz des fehlenden Pfannendaches benützt 
werden. Ist dalxd Aushöhlung der Pfanne nüthig. so empfiehlt es 
sich, zur Vermeidung der Ankylose die Knpselhaube über den 
Schenkelkopf zu stülpen. 

Im Allgemeinen scheinen seine Erfahrungen mit der blutigen 
Reposition weniger günstig gewesen zu sein. 

7) Cacolari: Bober eine neue Einrenkungsmethode der 
angeborenen Hüftverrenkung. 

Er berichtet über (las Verfahren von G h i 11 i n 1, der je nach 
der individuell verschiedenen Verlagerung des Femurkopfes in 
Beugung oder Streckung, Abductlon oder Adduktion, Innen- oder 
Ausscnrotation. resp. in einer koiubinirten Stellung, den Gipsver¬ 
band anlcgt. Die Nachbehandlung leitet er nach Lorenz (Be¬ 
lastung), nicht nach Paci (Ruhe, Extension). 

8) T i m m e r: Eine neue Methode, Fussabdrücke zu 
machen. 

Der Fuss wird erst auf eine mit Druckerfarbe dünn lx*- 
strieliene Glassplatte, daun auf ein ebenfalls auf Glas liegendes 
Stück Papier gestellt. 

Die Reinigung des Fusses geschieht mit Terpentin oder Petro¬ 
leum. 

9) Graff: Einige neue orthopädische Apparate. 

Verbesserung der Iv r u k e n b e r g’sehen Hüftpendelapparnte 

für Beugung und Streckung. Ab- und Adduktion, insofeme die 
Fixation dos Beckens sicherer gewährleistet ist. 

Der niodiiieirte S 1111 e’selie Redresseurosteoklast besitzt den 
Vorzug, dass die Zugrichtung sehr genau regulirt werden kanu. 

10) Ivudrjascliof f: Spondylitis deformans. 

Er glaubt, dass die ankylosirende Wirbelsäulenentziindmig 
und die Spondylosis rhizoinelicft nichts ändert« sind als eine 
Arthritis deformans. Vor Allem vervollständigt er die patho¬ 
logisch-anatomischen Kenntnisse durch Allbildung und Beschrei¬ 
bung einer Reihe schöner Präparate. 

11) G h i 111 n i und Cancvazzi: Betrachtungen über 
die statischen Verhältnisse des menschlichen Skelets. 

l'nter Berufung auf frühere Arbeiten kritisiren die Verfasser 
die letzten Untersuchungen von Albert über die Pathogenese 
des Genu vnlgum. 

12) .Schanz: Heber die mechanischen Gesetze der Skoli¬ 
osenbildung. 

Verfasser sucht die charakteristischen Formen der skolio- 
tischon Wirbelsäule, Krümmung und GegenkrtUuniungcn, die 
robenfürmigo Windung, die Torsion, die Form des Keil-, Zwischen- 
Schrägwirbt'ls als mechanische Notliwendigkeiteii zu er¬ 
klären; und zwar überträgt er die Erscheinungen an einem 
überlasteten, runden, elastischen Stab, dessen Endqucrechnitte 
an HorizontalclH'nen gebunden sind, auf die Wirbelsäule. I>io 
Bogenreihe betrachtet er als Verstärkungsstreifen. 

13) S t r u 1) e: Bericht über die H ö f t m a n’sche Klinik in 
Königsberg. 

Kurze Beschreibung der Anstalt und übersieht liehe Dar¬ 
stellung der geübten Behandlungsmethoden bei den wichtigsten 
orthopädischen Leiden. 

Eine grosse Zahl von Allbildungen beziehen sich auf die Er¬ 
folge roborirender Therapie (Mastkur) bei schwächlichen Sko¬ 
liosen. 


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35. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1665 


Eine Reihe von Mittheiluugeu interessanter Fülle aus der Un- , 
fallstation und von wohlgelungenen Bildern aus dem Röntgen- 
kabinot besclUiossou diesen ersten Bericht der Anstalt, die seit 
IS»! besteht. 

14) Schult h e s s: Bericht über die Behandlung der Rück- 
gratsverkrümmungen vom 1. I. 1895 bis 31. XII. 1900. 

Der umfangreiche, mit immensem Fleiss und strenger Selbst¬ 
kritik hergestellte Anstaltsbericht gibt zunächst eine eingehende 
Beschreibung der augewendeten selhstkonstruirten Uebungs- 
apparate. Es folgt eine sorgfältige Reglstrirung der erzielten Re¬ 
sultate, aus der hervorgellt, dass die verbesserte Apparattechnik 
durch eine Besserung der Erfolge belohnt werde. 

15) Scliultze: Ein einfacher orthopädischer Tisch. 

Der mehrfach abgebildete Tisch trägt am Kopf- und Fass¬ 
ende je eine Welle zur Aufnahme der extendirendeu Drahtseile, 
einen vereinfachten L o r e n z’sehen Osteoklasten und die sogen. 
Kyphosenschaukel. Er Ist fiir eine grosse Zahl orthopädischer 
Maassnuliinen brauchbar. 

10) Hager: Ueber sogen. Myositis ossifleans multiplex 
progressiva. 

Genaue Beschreibung eines lange lieobachteton Falles und zu¬ 
sammenfassende Darstellung des Leidens auf Grundlage der ge¬ 
sammelten Literatur. 

17) Stumme: TJeber die Spätresultate der Resektion des 
Kopfnickers beim muskulären Schiefhals nach Mikulicz. 

St berichtet über die Ergebnisse seiner Nachuntersuchungen 
der von M. mit partieller und totaler Exstirpation des Kopfnickers 
operirten Patienten und widerlegt dadurch die Einwäude, welche 
gegen diese radikale Methode erhoben worden sind. 

Er betont, dass letztere nur bei schweren Fällen ln Betracht 
kommt. Das kosmetische, wie das funktionelle Resultat hat sich 
im Ganzen als günstig erwiesen, Gesichtsasymmetrie und Skoliosen 
haben sich meist erheblich zurückgebildet, obwohl eine ortho¬ 
pädische Nachbehandlung nicht stattfand. 

V u 1 p 1 u s - Heidelberg. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1901. 
Bd. 3g. 2. Heft. 

1) A. S c h ü t z e - Berlin: Experimentelle Untersuchungen 
zur Kenntniss der Einwirkung der Antipyretica auf den Verlauf 
akuter Infektionskrankheiten. 

Die Meinungsverschiedenheiten, die immer noch In der un- 
l>eaiitworteten Frage bestehen, ob Antipyretica bei akuten In¬ 
fektionskrankheiten schädlich wirken können, suchte Y'erf. da¬ 
durch zu klären, dass er Kaninchen mit Typhus inflzirte und den 
Einfluss der Antipyretica auf die Agglutinine und Antikörper im 
Kaninchenserum feststellte. Es zeigte sich, dass bol den mit 
Antipyrin behandelten Thieren keine Verzögerung oder Vermin¬ 
derung der im Serum entstehenden spocifischen Substanzen cin- 
trltt, also keine direkte Schädigung der zum s p e el¬ 
fischen Hell u ngs verlauf not li wendigen Re¬ 
aktion hervorgerufen wird. Dagegen beeinflussen die schäd¬ 
lichen Nebenwirkungen, die oft beobachtet werden, das H e r z 
und das Circulationssystem; und dies ist um so schlimmer, 
als die ungeschwächte Herz kraft bol akuten Infektionskrankheiten 
mit das Allerwichtigste ist. 

Es Ist daher nach Schütze nller Grund vorhanden, in der 
Anwendung der Antipyretica durchaus vorsichtig zu verfahren, 
weil der zu reichliche Gebrauch nur zum Collaps führen und 
einen nicht erwünschten Ausgang befördern kann. 

2) v. W a s 1 e 1 e w s k i - Halle: Beiträge zur Kenntniss des 
V accineerregers. 

In einer ausführlichen Arbeit unterzieht Verf. die bis jetzt 
bekannten Thatsachen in Betreff des Vaccine-Erregers einer kri¬ 
tischen Betrachtung. Die von ejnlgen Autoren gemachten Be¬ 
hauptungen, die Vaccinekörperchen, welche bei Untersuchung der 
Pusteln gefunden wurden, seien Zelldegenerationsprodukte oder 
Leukocytendegeneratlonsprodukte, können nach den verdienst¬ 
vollen Untersuchungen von Guarnlerl und vom Verf. nicht 
aufrecht erhalten werden. Es sind vielmehr diese Körperchen die 
einzigen charakteristischen Gebilde, welche sicli bei Variola und 
Vaccine in Haut und Schleimhaut finden, während sie sonst überall 
fehlen. Auch sind die von einigen Autoren im Pustelinhalt ge¬ 
fundenen und als Vaccineerreger verantwortlich gemachten Bak¬ 
terien bedeutungslos. 

Wichtig ist, dass die Vaecinekörpercheu, was bereits 
Guarnlerl gefunden hatte, in den Hornhautepithelzellen von 
Kaninchen mit Sicherheit nach der Impfung in die Cornea auf- 
»reten. Dieselben müssen als Zellschmarotzer angesehen 
werden. 

Es gelang dem Verf. di** Fortzüchtung einer wirksa m e n 
Vaccine im Epithel der Kaninehenhomhuut bis zur 48. Gene¬ 
ration, eine Beobachtung, welche durch Impfungen auf ein Kalb 
und mehrere Kinder bestätigt wurde. 

Da lieben den Vaccinekörperchen an den Impfstellen weder 
mikroskopisch noch bakteriologisch Mikroorganismen nachzu¬ 
weisen sind, so muss die Annahme Guarnieri's, dass di«* 
Vaccinekörperchen selbst die Vaccineer reger 
sind, als sehr wahrscheinlich bezeichnet 
w erden. 

3) Plato und Gutli- Breslau: Ueber den Nachweis feinerer 
Wachsthumsvorgänge in Trichophyton- und anderen Faden¬ 
pilzen mittels Neutralroth. 

Dazu eine Tafel, welche (len Effekt der Neutmlrothfärbung 
in dem untersuchten Trichophyton und P e n I c 111 i u m 
brevicaule erkennen lässt. 


4) E. Martini- Berlin: Ueber Inhalationspest der Ratten. 

Da es für Erzielung eines wirksamen Pestserums nötliig ist, 
höchstvirulente Pestkultureu zu haben, so schlägt Verfasser vor, 
die aus Lungenpest isolirten Stämme zu benützen. Er hat 
zum Zweck der Infektion der Ratten mittels Inhalation den Zer¬ 
stäuber „Parolein e“ der Firma Burroughs Well¬ 
come & C o. dadurch verbessert resp. abgeändert, dass er durch 
einen luftdicht verschliessbaren Aufsatz für den Experimentator 
die Ansteckungsgefahr ausgeschlossen hat. Verfasser empfiehlt 
mehrere Ratten auf einmal zu iniicircu, was bei dieser Methode 
leicht ausführbar ist Die Ratten sterben nach 3—4 Tagen. 

R. O. Neumann -Kiel. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 7, 8 u. 9. 1901. 

No. 7. 1) B. G al 11 - V a 1 er io- Lausanne: Sur un coli- 

bacille du hamster. 

Unter einer Anzahl Hamster, die Verfasser aus dem Eisass 
bezogen hatte, brach eine Epidemie aus, welcher alle befallenen 
erlagen. Bei der Soction fanden sich im Blut, in der M i 1 z. 
in der L e b e r zahlreiche Bactcrien, welche im grossen Ganzen 
den Coliorganlsmon sehr ähnlich sahen. Die Kartoffelkul¬ 
tur ist nur sehr zart, die Gasbildung schwach und 
die Indolbildung fehlt. Es würde sich dieser Stamm da¬ 
mit dem Typhus sehr nähern. Allerdings findet sich nur stets 
eine Geis sei. Der Organismus ist. pathogen für schwarze 
Mäuse. Weisse Mäuse starben durch Fütterung mit den Bakterien, 
während graue Mäuse am Leben blieben. 

2) C. S p e n g 1 e r - Davos: Zur Aetiologie des Keuchhustens. 
(Schlussbemerk ungeu zu Dr. Georg ,T ochman n’s Erwiderung 
auf meine iu Bd. XXIX, No. 18 dieses Centralblattes erschienene 
Publikation.) 

Artikel polemischer Natur. 

3) S. J. M e 11 z e r - New-York: Ueber den Einfluss der Peri¬ 
tonealhöhle auf das hämolytische Vermögen des fremden 
Serums. 

Die Resultate der Untersuchungen lassen sich dahin zu¬ 
sammenfassen, dass sowohl Immunscrum als auch nor¬ 
males Ser u in durch einen längeren Aufenthalt in der Bauch¬ 
höhle ihr haemolytisches Vermögen einbiissen. Wahrscheinlich 
ist dies bewirkt durch eine elektive Absorption der toxischen 
Komponente, E li r 1 i e h's Komplement oder B o r <1 e t’s Alexine. 

4) O. Iv i s 8 k u 11 - Würzburg: Eine Modifikation der 
G r a m’schen Färbung. 

An Stelle der Entfärbung mit Aethy lalkohol sehlägt 
Verfasser Amylalkohol vor, bei dessen Anwendung eine 
grosse Reihe von Bakterien, dio sich sonst entfärben, ihre Farbe 
beil>ehalten. Dazu gehören vor allen Dingen alle Organismen, die 
Verwandte des B a c t. coli darstellen. Bemerkenswerth ist aber, 
dass sich Bact. vulgare und B a c t. pyocyaneum und die 
Vibrionen überhaupt nicht färben lassen. 

In praktischer Hinsicht ist den Untersuchungen zu entnehmen, 
dass die Entfürbungsmethode mit Amylalkohol bei 
Schnittpräparaten, die in Celloidin eingebettet sind, recht 
gute Dienste leistet, weil das Celloidin darin erhalten bleibt. 
Ebenso eignet es sieh zu Färbungen von Bakterienaufschwem¬ 
mungen, die viel Detritus enthalten, wie z. B. Harasedimeut, Peri¬ 
tonealexsudat u. s. w. 

5) C. v. Holub- Odessa: Insekten als lebendes Substrat für 
Kultivirung ansteckender Krankheiten des Menschen und der 
Thiere. 

Holub tlieilt die interessante Beobachtung mit, «lass cs ihm 
in mehr als 1000 Fällen gelungen sei, Ulcus molle auf alle 
Insektengattungen, wie Orthoptern, Rhynchota, Heniiptera, Coleo- 
ptera, Lepidoptera, Dlptera, Hymenoptera zu übertragen. Bereits 
12 Stunden nach erfolgter Impfung könne man die Entwicklung 
des Organismus im Insektenleib beobachten. Die Thiere lebten bei 
Fütterung 21 Tage, ohne Nahrung ca. 2 Wochen. Die Impfung ge¬ 
schah zwischen die 2 Brustrtnge. Nicht nur durch direkte Im¬ 
pfung, sondern auch durch Zeuguug konnte die Krankheit über¬ 
tragen werden. Auch die Impfung mit Syphilis soll von Erfolg 
begleitet gewesen sein, obwohl die Versuche noch der Wieder¬ 
holung bedürfen. 

No. 8. 1) W. R u 11 m a n n - München: Ueber das Verhalten 
des in Erdboden eingesäten Typhusbacillus. 

Die Untersuchungen erstreckten sich sowohl auf steril** 
wie auf nicht sterilisirte Erde, welche in Erlenmeyerkolben In 
Mengen von 400 g eine Bodenfläche von 18 ein Durchmesser aus- 
nmchte. Die einzelnen Proben erhielten Zusätze von G e m U s ** - 
ilecoct, defibriulrtein Blut, Harn und W a s s e r. 
Es zeigte sich, dass in sterilem Boden die Typliuskulturen sich 
binnen Monatsfrist überall hin verbreiteten. Sie konnten noch 
nach 0, sogar nach 10 Monaten nacligewiesen werden. In nicht 
steriler Erde war in 11 Proben ein rasches Absterben der Typlius- 
bakterien nachzuweisen, mit Ausnahme von 2 Proben, in denen 
dieselben noch nach 100 Tagen lebensfähig angetroffen wurden. 

2) Max Schüller: Zur Richtigstellung. 

Verfasser wendet sich gegen den Vorwurf, er lialie bei seinen 
Krebs- und Sarkomuntersuchungen Kork zellen für wichtige 
Krebselemente angesehen. 

3) E. F r i ed be rg e r- Königsberg: Ueber die Bedeutung 
anorganischer Salze und einiger organischer krystalloider Sub¬ 
stanzen für die Agglutination der Bakterien. 

Dio Resultate dieser Untersuchung lassen sich folgender- 
maasseu zusamiueufasseu: 1. Agglutination kommt bei gänzlicher 

6 * 


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1666 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Abwesenheit von krystalloiden Substanzen in der Suspensions¬ 
flüssigkeit nicht zu Stande. 2. Von diesen Substanzen sind die an¬ 
organischen Salze die wirksamsten, in ihrer Wirksamkeit sind sie 
jedoch von einander verschieden. 3. Die Schnelligkeit des Ein¬ 
trittes der Agglutination dlalysirter Kulturen ist abhängig vom 
Salzgehalt der Suspensionsflüssigkeit. 4. Die Schnelligkeit des 
Eintrittes der Agglutination in einer Bakterienemulsion ist ab¬ 
hängig von ihrem Kochsalzgehalt. 5. Die Wirkung der Salze bei 
der Agglutination ist keine chemische. 

4) E. Messlnco und D. C a 1 a m i d a - Turin : Heber das 
Gift der Taenien. 

Unter der Annahme, dass die Bandwürmer nicht nur durch 
mechanische Reizung, sondern durch Giftstoffe schädigen, zer¬ 
kleinerten die Verfasser Bandwürmer, zogen sie mit Wasser aus, 
und injizirten die Flüssigkeit Kaninchen, Meerschweinchen und 
Hunden. Die Injektionen wurden auch an anderen Thieren aus¬ 
geführt, nachdem man die Flüssigkeit durch Berkefeldfllter fil- 
trirt hatte. Es zeigte sich stets allgemeine Abgeschlagenheit, Er¬ 
niedrigung der Temperatur, Parese, besonders der Hinterextremi¬ 
täten. Nach 24 Stunden erholten sich die Thiere meist. Sektionen 
ergaben diffuse Hyperaemie in allen Organen und beginnende Fett¬ 
degeneration. 

No. 9. 1)N. MacLead Harris und W. T. Longcope- 
Baltimore: Micrococcus zymogen.es: Some additional obser- 
vations upon its occurrence. 

2) C. Lubenau - Danzig: Haemolytische Fälligkeit ein¬ 
zelner pathogener Schizomyceten. (Schluss folgt.) 

3) Allan M a c F a d y a n - London: lieber Agglutiniren der 
Hefe. 

Durch Einspritzung von Hefepresssaft in Kaninchen erhielt 
Verfasser ein Serum, welches I-Iefezellen zur Agglutination 
brachte. Kontrolversuche mit normalem Serum fielen negativ aus. 

4) n. J. van’t Hoff: Erhöhung des Schmelzpunktes der 
Nährgelatine mittels Formalin. 

Es wird die Beobachtung mitgetheilt, dass Gelatine, der man 
Formal in 1:500 (1 Tropfen Formalin von 40 Proc. auf 10 g 
Gelatine; 20 Tropfen = 1 ccm) zusetzt, im kochenden Wasser noch 
fest bleibt. Ein Zusatz von 1:1750 gab eine Gelatine, welche bei 
40 0 erst im Wasserbade schmilzt. 

Sollte sich diese Beobachtung bestätigen, so wäre für die Ver¬ 
wendung der Gelatine viel gewonnen. 

5) v. D i a m a r e - Neapel: Zur Kenntniss der Vogelcestoden. 
— Heber Paronia Carrinoi (mihi). 

Artikel polemischer Natur. 

6) Dante C al a m i d a - Turin: Weitere Untersuchungen über 
das Gift der Taenien. 

Der durch Berkefeldfllter erhaltene Auszug aus den Taenien 
wird mittels chemischer Reaktionen geprüft. Ein in der Flüssig¬ 
keit durch schwefelsaure Magnesia erzeugter und in 
Salzlösung wieder gelöster Niederschlag bringt bei der Injektion 
in Kaninchen und Meerschweinchen sehr schwere Krankheits¬ 
erscheinungen hervor. 

Dem Filtrat aus den Bandwürmern kommt haemolytisches 
Vermögen zu, welches sich besonders schnell beim Schweineblut 
zeigt Injizlrt man das Filtrat direkt in das Leberparenchym von 
Kaninchen und Meerschweinchen, so beobachtet man alsbald 
fettige Degeneration. Im Blut tritt bereits nach 6—8 Stunden 
Leukocytose auf. R. O. Neumann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 40. 

1) J. A s c o 1 i und F. de G r a z i a - Genua: Zur Vertheilung 
der Eiweissschlacken im Harn. 

Die Verfasser untersuchten bei Lebercirrhoso und Nephritis 
den Antlieil des Harnstoffs an der N-Ausscheidung im Harn und 
fanden: 1. dass der relative Harnstoffcoefflcient des Harns ln 
physiologischen und pathologischen Verhältnissen niedriger Ist, als 
bisher angenommen w urde; 2. dass die P f a u n d 1 e r’sche Me¬ 
thode bisher unbeachtete Abweichungen des M-Coefflcienten nach- 
weisen lässt; 3. dass diese Abweichungen bei Lebererkrankungen 
ziemlich konstant sind; 4. dass auch Nierenkrankheiten auf die 
Vertheilung der Eiweissschlacken im Ham einen wesentlichen 
Einfluss haben. 

2) Emst Bloch und Hans nirschfeld - Berlin: Heber 
die weissen Blutkörperchen im Blut und im Knochenmark bei 
der B i e r m e r’schen progressiven Anaemie. 

B. und H. fanden bei perniciöser Anaemie bei starker Herab¬ 
setzung der Gesummtzahl der weissen Blutkörperchen im Allge¬ 
meinen eine procentuale Vermehrung der kleinen Lymphocyten 
und eine relative Verminderung der neutrophilen polymorph¬ 
kernigen Lymphocyten, ohne dieser Thatsache jedoch eine dia¬ 
gnostische Bedeutung beizumessen. Im Knochenmark erwies sich 
eine Differenzirung verschiedener Formen der Leukocyten als 
ausserordentlich schwierig, immerhin Hess sich fast durchgehends 
ein Ueberwiegen der Lymphzellen (besonders der kleinen) gegen¬ 
über den granulirten Formen, sowie durchweg eine absolute Ver¬ 
mehrung der ersteren gegenüber der Norm feststellen. 

3) Hans H 1 r s c h f e 1 d - Berlin: Sind die Lymphocyten 
amoeboider Bewegung fähig? 

H. konnte mittels der D e e t j e n’schen Methode au einem 
Fall von lymphatischer Iioukaemie nicht nur an den polymorph¬ 
kernigen Leukocyten, sondern auch an den Lymphocyten ziemlich 
lebhafte amoeboide Bewegungen konstatiren. 

4) Dionys Hell in: Ueber das Collabiren der Lunge beim 
Pneumothorax, nebst Bemerkungen über die Wiederentfaltung 
der Lunge und den doppelseitigen Pneumothorax. 


Verfasser erzeugte durch verschieden grosse Oeffnungen ln 
der Thoraxwand bei Kaninchen doppelseitigen Pneumothorax, wo¬ 
bei die Thiere keineswegs momentan zu Grunde gingen, sondern 
bei baldigem Verschluss der Oeffnungen noch längere Zeit am 
Leben blieben, und schliesst daraus, dass die Lunge bei Pneumo¬ 
thorax nicht vollständig collabirt 

5) Schuman - Leclercq-Karlsbad: Heber die Ausscheidung 
der Aetherschwefelsäure bei konstanter Kost unter dem Ein¬ 
fluss von Karlsbader Wasser, Karlsbader Salz, Wasser und Bier. 

Bei Versuchen an sich selbst fand Verfasser Folgendes: 
Karlsbader Salz bewirkt eine Verminderung der ausgeschiedenen 
Aetherschwefelsäure, während kleinere und grössere Mengen 
Sprudelwasser diese Wirkung nicht zeigten, eher das Gegentheil, 
wohl in Folge der vermehrten Flüssigkeitszufuhr; denn Wasser 
und Bier bewirkten in grösseren Mengen eine gesteigerte Ausfuhr 
von Aetherschwefelsäure. Höf er - Schwabach i 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 39 u. 40. ^ 

1) Albert P1 e h n - Kamerun: Zur Dysenteriebehandlung. 

An der Hand eines Materials von 38 Fällen, welche von 

April 1900 bis Juni 1901 ln Hospitalbehandlung standen, tritt P. 
neuerdings für die Kalomelbehändlung der Dysenterie ein. 

2) Albert E. S t e i n - Berlin: Ueber die Erzeugung sub¬ 
kutaner Parafflnprothesen. (Schluss folgt.) 

3) B u n z 1 o w : Ein Fall von Kniegelenkstuberkulose und 
seine Behandlung mit K o c h’schem Tuberkulin neuer Art 
(T.B.) 

In dem beschriebenen Falle wurde durch die Petrusch- 
k y’sche „Etappenbehandlung“, vier Tuberkulininjektionskuren im 
Verlauf von 2 Jahren ein sehr günstiges Heilresultat erzielt 

4) Ernst H o m b e r g e r - Frankfurt a. M.: Zur Behandlung 
der Ex- und Transsudate. 

Theoretische Auseinandersetzung über die durch den os¬ 
motischen Druck bedingte resorbirende Wirkung reichlicher 
Wasserzufuhr bei Exsudaten und Transsudaten. 

5) Eugen W e b e r - Berlin-Norderney: 3 neue Fälle von 
„reiner“ hereditärer Ataxie. 

Kasuistische Mittheilung. 

6) Sophus B a n g - Kopenhagen: Eine Lampe für Licht¬ 
therapie nach einem neuen Prinzip. 

In dieser vorläufigen Mittheiluug aus Finsen’s Medl- 
cinske Lysinstitut in Kopenhagen berichtet B. über eiue 
neue Bogenlampe, welche nicht wie die bisherigen für optische, 
sondern speciell für medicinisch-therapeutische Zwecke konstmirt 
ist. In derselben sind die Elektroden aus Eisen, dessen Spektrum 
sehr reich an den wirksamen blauvioletten und ultravioletten 
Strahlen ist, und werden durch strömendes Wasser abgekiihlt 
Die bakterientödteude Kraft dieser Lampe ist 00 mal stärker als 
die des gewöhnlichen Bogenlichtes. 

No. 40. 

1) Fr. S c h u 11 z e - Bonn: Zur Therapie des Milzbrandes. 

Ein interessanter Parallelfall zu dem v. S t r u b e 11 in 

No. 19 der Münch, med. Wochensclir. 1900 beschriebenen Falle. 

Die Behandlung erfolgte nach der v. Braman n'schen Methode 
— Sublimatverbäude, daneben innerlich Chinin mit Naptbalin. 
Ausgang in Heilung. 

2) K r e b s - Berlin: Schwitzen in elektrischen Licht- und 
Heissluftkästen. 

Die bisher an der neueingerichteten hydrotherapeutischen 
Anstalt der Berliner Universität gemachten Erfahrungen werden 
in folgende Sätze zusammengefasst: In elektrischen (weissen) 
Glühlichtbädem schwitzen die meisten Patienten unter gleichen 
Verhältnissen eher und bei niedrigerer Temperatur als bei anderen 
Sclvwltzproceduren. Diesen Erfolg verdanken diese Bäder vor 
Allem den Wärmestrahlen des elektrischen Glühlichtes. Elek¬ 
trische Bogenlichtbäder in Kästen erscheinen zu einer Schwitzkur 
weniger geeignet. Bei längerem Verweilen (20—25 Minuten) ln 
den Glühlichtbädem und nach energischem Schwitzen in ihnen, 
steigt die Pulsfrequenz ziemlich bedeutend und sinkt der Blut¬ 
druck ln den meisten Fällen gleich, wie ln den Heissluftkästen. 

Für Kranke mit organischen Herzfehlern u. s. w. sind die elek¬ 
trischen Glühlichtbäder keine gefahrlosen Schwitzbäder. 

Diese Beobachtungen decken sich so ziemlich mit den von 
anderer Seite bisher gemachten Erfahrungen. Weiterhin werden 
noch Vorschläge gemacht zur Verbesserung der den jetzigen Appa¬ 
raten anhaftenden Mängel, welche hauptsächlich iu der ungleicheu 
Erwärmung und fehlerhaften Tliermometrie bestehen. 

3) Albert E. S t e i n - Berlin: Heber die Erzeugung sub¬ 
kutaner Paraflinpothesen. (Schluss aus No. 39.) 

Mittheiluug aus der kgl. chirurgischen Universitätsklinik iu 
Berlin (Prof. v. Bergmann) Uber die erfolgreiche Anwendung 
der Parafüninjektionen zur kosmetischen Korrektur sowohl, wie 
zu therapeutischen Zwecken. Illustration durch 3 Fälle. Aus¬ 
drücklich wird hervorgehoben, dass die Befürchtung einer Gift¬ 
wirkung vollständig unbegründet und die Gefahr einer Embolie bei 
Befolgung der vorgeschriebenen Vorsichtsmaassregeln beinahe 
sicher ausgeschlossen ist 

4) G. v. Voss-St. Petersburg: Heber eine besondere Form 
der Stenokardie (Pseudostenocardia rheumatica). 

Die Beobachtung zweier Fälle sog. Pseudostenokardie führt V. 
zu dem Schlüsse, den akuten Rheumatismus der tiefen Rücken- 
muskulatur (mit Einschluss der Intercostalmuskelu) als Ursache 
solcher ganz unter dem Bilde der Angiua pectoris auftretenden 
Anfälle anzusprecheu. 


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15. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1667 


5) G. Oeder- Niederlössnitz b. Dresden: Wie lange kann ein 
Mensch leben, der zum Diabetes eine Lungentuberkulose be¬ 
kommen hatP 

Der Lungentuberkulose wird bekanntlich ein sehr verderb¬ 
licher Einfluss auf den Verlauf des Diabetes zuerkanut. Dass 
dieselbe die Prognose aber nicht unter allen Umstünden ver¬ 
schlechtern muss, beweist der hier beschriebene Fall, in welchem 
während einer 5 jährigen Beobachtung noch keine Verschlimme¬ 
rung eingetreten ist. 

6) Schaeche - Chilteau-Sallns (Lothringen): Tuberkulöse 
und seröse Meningitis, und 

7) H. Windelschmidt - Köln a. Rh.: Zur Kasuistik der 
akuten primären haemorrhagischen Encephalitis. 

/ Kasuistische Mitthellungen aus der ärztlichen Praxis. 

F. Lacher- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg .No. 19 

Hans M e y e r-R ü e gg - Zürich: Cave hymini! 

Ernste, treffliche Worte gegen jede nicht streng indizlrte 
gynäkologische Untersuchung (dafür Mastdarmuntersuchung) und 
gar Behandlung der Virgines intactae, wodurch vielfach erst ein 
Reizzustand der Genitalorgane entstehen und eine schlummernde 
nervöse (hysterische) Anlage gross gezogen werden kann. 

A. J o s s - Huttwyl: Erysipelas gangraenosum und Strepto¬ 
coccenserumtherapie. 

Schweres Erysipelas gangraenosum des Kopfes und (nach 
Verfassers Anschauung durch Blutinfektion) der äusseren Geni¬ 
talien in puerperio, dessen Heilung (allerdings mit Verlust eines 
Auges) auf das T a v e l’sehe Serum zurückgeführt wird. 

Plschinger. 

Oesterreiohische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 40. 1) Wilhelm Türk -Wien: Beiträge zur Diagnostik 
der Concretio peric&rdii und der Tricuspidalfehler. (Schluss.) 

An der Hand der ln den vorhergehenden Artikeln ausführlich 
mitgetheilten 6 Krankengeschichten gibt Verfasser eine zu kurzem 
Referat nicht gut geeignete, eingehende Besprechung der Sym¬ 
ptomatologie der Concretio pericardii, welche nur eine Theil- 
erscheiuung einer allgemeinen „Serositis“ darstellt, während der 
kardiale Symptoiuenkomplex fast der gleiche ist, wie bei orga¬ 
nischer Tricuspidalinsufficienz: Auffallende, allgemeine Cyanose 
und gleichzeitiges, hartnäckiges, allgemeines Hautoedem, Ilydrops, 
der Körperhöhlen, besonders des Abdomens, bei fehlendem Hydro- 
perikard hochgradige Stauungsleber. Das Krankheitsbild der 
nach Verfasser durchaus nicht gar so seltenen Tricuspidalinsuffi- 
cienz wird bei dieser Gelegenheit ebenfalls erörtert. 

2) Julius Donath: Beiträge zur Lehre von der Amusie, 
nebst einem Falle von instrumentaler Amusie bei beginnender 
progressiver Paralyse. 

Amusie ist das Analogon der Aphasie auf musikalischem Ge¬ 
biet und tritt wie diese in verschiedenen Formen auf; man kann 
unterscheiden: eine Musiktaubheit (auditive Amusie), eine Noten¬ 
blindheit (musikalische Alexie), eine motorische (vocale bezw. in¬ 
strumentale) Amusie, eine amnestische Amusie. Die verschiedenen 
Formen können lsolirt auftreten oder sich miteinander, besonders 
mit der jeweils entsprechenden Form der Aphasie komblniren, so 
dass höchst interessante Krankheitsbilder entstehen können. Der 
Sitz der Musiktaubheit sind anscheinend die vorderen Abschnitte 
der linken 1. und 2. Teinporalwlndung. Zum Schluss theilt Ver¬ 
fasser den im Titel genannten Fall mit, bei welchem plötzlich 
komplete motorische Aphasie, AVorttaublieit und partielle instru¬ 
mentale Amusie auftrat, derart, dass er aus seinem reichen Re¬ 
pertoire nur ein paar Akkorde und ein Stück, dieses aber tadellos, 
spielen konnte. II ö f e r - Schwabach. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 28—34. R. K i e n b ö c k - Wien: lieber akute Knochen - 
atrophie bei Entzündungsprocessen an den Extremitäten (fälsch¬ 
lich sog. Inaktivitätsatrophie der Knochen) und ihre Diagnose 
nach dem Röntgenbflde. 

Was der Kliniker Inaktivitätsatrophie nennt, Ist in vielen 
Fällen eine akute Atrophie, welche Entzündungen oder Ver¬ 
letzungen an Extremitäten begleitet, jedoch nicht mit der In¬ 
aktivität als solcher zusammenhängt. Sie wird häufig auch ohne 
klinische Erscheinungen gefunden und zwar verdanken wir ihren 
Nachweis der Röntgenuntersuchung. Der Befund kann hier nur 
ln aller Kürze dahin erläutert werden, dass der Schatten der 
Spongiosa ein sehr weitmaschiges, aufgehelltes Strukturbild mit 
eigentliümlichen Flecken gibt, in dem die Charakteristica einer 
Ostitis fehlen. Der eigenthlimliche Process, welcher oft entfernt, 
von dem Sitz der Verletzung etc. auftritt, ist in manchen Fällen 
wohl auf reflektorische oder trophoneurotische Einflüsse zurück¬ 
zuführen, häufig bleibeu wir über den Zusammenhang im Un¬ 
klaren. 

No. 32—40. H. C o h n - Breslau: Haben die neueren Ver- 
hütungsvorschläge eine Abnahme der Blindenzahl herbei¬ 
geführt P 

Nicht nur für die Blindenlehrer, vor denen er gehalten wurde, 
sondern auch für die Aerzte bietet dieser Vortrag mit seiner 
reichen Statistik viel Interessantes. C. unterscheidet folgende 
fünf sicher verhütbare Formen der Erblindung: die durch Ver¬ 
letzungen, Schichtstar, Blennorrhoe, Trachom und Pocken. Im 
Ganzen hat die Zahl der verhütbaren Erblindungen von 48 auf 


44 Proc. abgenommen. Aber der Gednnke, dass fast die Hälfte 
aller Erblindungen zu verhüten gewesen wäre, ist noch immer de- 
primirend. Ein bedauerlich grosses Contiugent stellt noch die auf 
so einfache Welse zu verhütende Blennorrhoe, der C. auch den 
weitesten Raum in seinen Ausführungen gewährt. Im Jahre 1899 
waren bei 14 000 Entbindungen in Breslau 182 Kinder an Blennor- 
hoe erkrankt (nur aus der augenärztlichen und Spitalpraxis), da¬ 
runter 4 auf einem, 7 auf beiden Augen erblindet. In der Bres¬ 
lauer Blindenanstalt ergibt sich 1901 gegen 1895 eine Zunahme 
von 21 auf 25 Proc. an Blennorrhoeblinden, unter 10 Kindern sind 
7 solche,. In den deutschen Anstalten ist der Procentsatz seit 
25 Jahren von 28 auf 20 herabgegangen, leider ist er in den letzten 
Jahren auf dieser Höhe geblieben. In den holländischen ergab 
sich 1901 eine Almahme von 19 auf 10 Proc. Von den in Anstalten 
untergebracliteu Kindern unter 10 Jahren sind in Deutschland 31, 
in der Schweiz und Oesterreich 27 Proc. blennorrhoebiind. 
Trachomblinde sind in Russland enorm häufig, bei uns eine Selten¬ 
heit geworden, die Breslauer Anstalt weist keinen Fall auf. 
Glänzend sind die Resultate der Prophylaxe bezüglich der Pocken. 
AVährend in Oesterreich noch 9 Proc. aller Blinden in Anstalten 
pockenblind sind, weisen die deutschen Anstalten noch nicht 
1 Proc. auf. Cohn seihst sah seit 1874 unter 50 000 Kranken 
keinen einzigen Pockenfall. Diese Thatsachen sollten unsern 
Impfgegnern in’s Gewissen reden. 

No. 31—33. F. B a 11 n e r- Innsbruck: Zur Gewinnung von 
keimfreiem Trinkwasser durch Zusatz von Chlorkalk und Brom. 

Verfasser hat die Verfahren von Traube-Lode und 
Schumburg einer bakteriologischen Prüfung unterzogen und 
bei je 120 Proben bis zu 1 ccm des inflltrirten Wassers bei 
Traube-Lode dasselbe mit einer, bei Schumburg mit 2 Aus¬ 
nahmen steril befunden. Inzwischen hat S c h ü d e r das Schum- 
burg’sche Verfahren durch Untersuchung grösserer Mengen des 
behandelten Trinkwassers nachgeprüft und zwar mit unbefriedi¬ 
gendem Resultat, selbst bei Zusatz grösserer Brommengen. Eine 
gleichartige Nachprüfung für die Traube -Lod e’sche Methode 
steht noch aus. Der praktischen Handhabung des Brom Verfahrens 
stehen überdies manche Bedenken entgegen und es ist nach B.’s 
Berechnungen fast viermal so kostspielig als die Anwendung des 
Chlorkalkes, die für 1000 Liter Trinkwasser etwa 28 Pf. kostet. 
Ueber die praktische Verwerthung des letzteren Desinfektions¬ 
mittels machte B. in den diesjährigen Manövern recht gute Er¬ 
fahrungen. 

No. 34—39. II. Wolf und J. K. F r i e d j u n g - Wien: Aus 
dem VIH. Jahresbericht der unter der Leitung von Prof. 
M o n 11 und Prof. Frühwald stehenden Klnderabthellung. 

Diphtherie. Das Heilserum hat sich bei rechtzeitiger 
Anwendung gut bewährt, nur bei Streptococceniufektion versagt. 
Möglichste Concentration schützt am besten gegen unangenehme 
Nebenerscheinungen. Ueber die Wirksamkeit des Tetanus- 
antitoxins gab ein Fall nicht genügende Aufschlüsse. Das 
Auftreten eines masernälinlicheu Exanthems bei demselben wäre 
bei grösserer Concentration vielleicht auch unterblieben. Zwei 
Fälle von Stenose der oberen Luftwege (Fremdkörper, Retentions¬ 
cyste ln der rechten Vallecula.) Zwei Fälle von frischer Darm- 
invagination, geheilt durch Eingiessuugeu von wechselnder Tem¬ 
peratur bei gleichzeitiger Inversion des Patienten. Ein tödtlicher 
Fall von Influenza bei Status lymplmticus. Zwei tödtliche Fälle 
von Abnormitäten des Dickdarms mit Obstipation. 

No. 35. V. J e z - Wien: Ueber die Behandlung des Erysipels 
mit Serum von an Erysipel erkrankten Individuen. 

\T. hat einigen Erysipelkranken subkutane Injektionen (5 bis 
20 g) ihres eigenen Blutserums gemacht, das entweder durch Blut¬ 
entziehung oder mittels Veslcantien gewonnen wurde. Er berichtet 
über 6 Fälle (4 E. faciel, 1 E. capitis, 1 E. pedis) und es ist den 
Temperaturaufzelchnimgen zu entnehmen, dass bei 5 Kranken 
nach 1—2 Tagen die Entfieberung eintrat. Auch Im Uebrlgen war 
der klinische Verlauf durchaus günstig, störende Nebenerschei¬ 
nungen kamen nicht vor. Die Blutuntersuchung ergab bei 
4 Fällen eine beträchtliche Zunahme der Leukocyten. Bemerkens¬ 
werth ist die deutliche, in der Regel eine Stunde nach der Injek¬ 
tion eintretende Temperaturerhöhung. Nur in einem Falle fehlte 
sie, zugleich auch die Zunahme der Leukocyten und Patient war 
erst nach 4 Tagen fieberfrei. 

No. 35. M. T u r n o w s k y - Marosvfisilrhely: Drei Fälle von 
vollständig geheilter Epilepsie. 

Die erste Kranke, erheblich hereditär belastet, litt seit ihrem 
IG. Lebensjahre zunehmend an typischen epileptischen Anfällen, 
alle angewandten Mittel waren erfolglos. Etwa im 24. Lebens¬ 
jahre maente sie eine bilaterale croupöse Pneumonie durch und 
ist seitdem, nunmehr 14 Jahre, anfailsfrel geblieben. Eine zweite 
Kranke litt von ihrem 8.—17. Jahre an Chorea. Mit 18 Jahren 
verheirathet, litt sie nach einer Frühgeburt an immer zahlreicheren 
epileptischen Anfällen. Mit 24 Jahren überstand sie eine rechts¬ 
seitige Pneumonie und hatte seither 10 Jahre hindurch keinen 
einzigen Anfall mehr. Ein Knabe hatte seit früher Jugend epi¬ 
leptische Anfälle, unter denen er nahezu idiotisch wurde. Vor 
6 Jahren, im 6. Lebensjahr, bekam er Scharlach und ist nunmehr 
von den Anfällen verschont, gesund und in langsam fortschreiten¬ 
der geistiger Entwicklung. Diese Erfahrungen könnten den Ge¬ 
danken nahelegen, unter Umständen einen Epileptiker bei einer 
Epidemie leichten Charakters einer Erkrankung an Pneumonie 
ouer Scharlach zum Zweck der Heilung auszusetzen. 

No. 38—40. M. Kasso Witz-Wien: Zur Theorie der 
Rachitis. 

Ausführliche Polemik gegen Zweifel. 

B e r g e a t - München. 


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1668 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Inangnral-Dissertationen. 

Universität Breslau. August und September 1901. 

27. Hannes Franz: Das Wesen der genuinen und künstlichen 
Vogelgicht und deren Beziehungen zur Arthritis urica des 
Menschen. 

28. Hannes Walther: Ueber die Beziehungen der Leukocytose 
zu der spontanen, sowie der durch Wärme hervorgerufenen 
Sch Weissbildung. 

29. Frey Ernst: Ueber die Behandlung hochgradiger Kursichtig- 
keit. 

30. E i c k e Waldemar: Ueber den Zungenkrebs und dessen Heil¬ 
barkeit auf operativem Wege. 

Universität Freiburg. September 1901. 

30. Tuyl Adriaan: Ueber das Itegistriren der Vorwärts- und 
Riickwärtsbewegungen des Auges. 

31. Lilienthal Eugen: Ueber einen Fall von Duodenalfistel 
nach Choledochotomie. 

32. Zöllner Max: Ueber Störungen des Nahrungstriebes. 

33. Freu ss Hermann: Ueber Knoeheuabseesse. 

34. Wagner Mathilde: Entwicklungsstörungen bei Tuberkulose. 

3 5. Hof mann Arthur: Ueber 4 Fälle von primärem Nieron- 

carcinom. 

Universität Giessen. August und September 1901. 

35. Hill Theodor: Ueber Residuen des Dotterganges in der Darm¬ 
wand. 

30. Hubert Rudolf: Ueber Ovarinlgescliwiilste bei Kindern. 

37. Meyer Job. Aug.: Ueber Zerfallsvorgänge an Ovarialeiern 
von Laeerta agllis. 

38. Eiehler Alfred: Ein Fall von einem Caucroid der Orbita 
beim Pferde, und statistische Zusammenstellung von Carci- 
nomcn bei Pferden.*) 

39. Nieberle Carl: Ueber die Nierenpapillennekrose bei Hydro- 
neplirose.*) 

*) Veteriuär-med. Dissertation. 

Universität Heidelberg. September 1901. 

12. Prelss P.: Beitrag zur Kasuistik der neuropatbischen Frak¬ 
turen. 

13. Thaler Otto: Ueber die in der IIeidoll>erger chirurgischen 
Klinik des Geh.-Rath Czerny 1889—1899 behandelten Fälle 
von Carcinoma penis. 

14. Arusperger Ludwig: Ueber den Rose’sehen Kopftetanus. 

15. Amburger Nicolai: Zur operativen Behandlung der Brust¬ 
wand- und Mediastinalgesehwülste. 

IG. Ilirschel Georg: Ueber Strumitis bei Typhus abdominalis. 

Universität Jena. September 1901. 

23. Noll Alfred: Morphologische Veränderungen der Thrünen- 
driise bei der Sekretion. Zugleich ein Beitrag zur Grauulu¬ 
lehre. (Habilitationsschrift.) 

24. S c h 1 a g i n t w e 11 Oskar: Ueber Balkongeschwülste. 

Universität Königsberg. Juni bis Dezember 1900. 

24. Hoppe Fritz: Ueber Ineubations- und Latenzzeit, bei 
Syphilis. 

25. Simon Walter: Zur Kenntnis« der Zuckergussleber. 

20. Garfein Isidor: Beiträge zur Prognose und Therapie der 
Nephritis in der Schwangerschaft. 

27. Rambouts Görard Charles Francois: Ueber multiple Darm¬ 
resektionen. 

28. Raabe Hans: Ueber fibrinöse Exsudation bei der Lobular¬ 
pneumonie und der Tuberkulose der Lunge. 

29. Hundsdörf fer Georg Ernst Wilhelm: Beiträge zur Lehre 
von der Selbstentwicklung. 

30. ITezel Hans: Beitrag zur Aetiologie, Pathologie und Therapie 
der Gynatresien. 

31. Pfeiffer Friedrich Karl: Indikationen und Technik der 
Embryotomie. 

32. Bier ich Robert: Untersuchungen über die elastischen Ge¬ 
webe der Brustdrüse im normalen Zustand und bei Ge¬ 
schwülsten. 

33. Lossen Josef: Anatomische Untersuchungen über die Carti- 
lagines cuneiformes „Wrisbcrg'sche Knorpel“. 

34. Skamel Paul: Ueber die Blepharoplastik mittels Ueber- 
tragung grosser stielloser Ilautlappeu. 

:t5. Cohn Raphael: Ueber 200 Fälle von Bindehautverwerthung. 

30. R a d t k e Erich: Beiträge zur Kenntnis» der Ureteritis cystica. 

37. Lauf Albert: Ueber Exstirpation vereiterter Ovarialtumoren. 

38. Szcz.vbalski Philipp: Ein Fall von Cysticercus racemosus 
des Gehirns mit Arteriitis obliterans glgantocellulaiis. 

39. Zwei back Salomon: Ueber die Incisurae supraorbitalis et 
frontalis des Stirnbeins und ihre Varietäten. 

40. Giere Walther: Ueber zweizeitige Hautverpflanzungen, mit 
vernehmlicher Berücksichtigung ihrer Anwendung auf das 
Ulcus eruris. 

41. Jacob y Max: Ueber Gastritis phlegmonosa. 

42. LI tick Alfred: Ein Fall von Endothelioma lymphaticum 
kystomatosum beider Ovarien. 

43. Skierlo Friedrich: Ueber periodische Paranoia. 

Januar bis August 1901. 

1. Holz Oskar: Ueber die Wirkung des Dormiol bei Geistes¬ 
kranken. 


2. Speiser Paul: Ueber die Nycteribliden, Fledermauspara¬ 
siten aus der Gruppe der pupiparen Dipteren. 

3. Kurpjuweit Oscar: Entzündungsversuche am Knochen. 

4. Lol da Willy: lieber die Ausscheidung von Typhusbacilleu 
und Darmbakterien im Urin Typhuskranker. 

5. Leb rum Fritz: Ueber Rupturen im Fundus uteri. 

0. Mich eisen Fritz: Beiträge zur Prognose und Therapie des 
Vorliegens und Vorfalls der Nabelschnur, dargestellt an 
loo Fällen. 

7. Woll sehläger Georg: Zur Lehre von den unstillbaren 
endometrltIschen Blutungen. 

8. Müller Fritz: Ueber die Geburt beim kyphotiseben Becken. 

9. Pilz Walther: Ueber den Einlluss verschiedener Gifte auf die 
Todtenstarrc. 

10. Gatter Ernst: Ueber Erythema multiforme und Erythema 
nodosum. 

11. Pol lack Erich: Ein Beitrag zur Mechanik der Lunge. 

12. Klokow Robert: Ueber Eierstocksdermoide mit Carclnom. 

13. K r o p e 11 Alfred: Ueber doppelseitige maligne Ovarialtumoren 
und doppelseitige Ovariotomie bei Schwangerschaft. 

14. Tietz August: Ueber die Operationen bei Struma supra- 
renalis aceessoria maligna Grawitz. 

15. Braun Willy Oswald: Untersuchungen über das Tegument 
der Analöffming. 

IG. B osse Ulrich: Beiträge zur Anatomie des menschlichen Unter¬ 
kiefers. 

17. Krakow Otto: Die Talgdrüsen der Wangenschleimhaut 

18. Sichert Conrad: Ueber die nach Benzaldehyd- und Benzoc- 
säuredarreicliung im Ilarn auftretendeu reduzirenden Stoffe. 

19. Jap ha Arnold: Fettgewebsnekrose und Cholelithiasis. 

20. Neufeld Paul: Zur Behandlung der Aneurysmen der Aorta 
mittels subkutaner Gelutineinjektkmen. 

21. Rosen feld Arthur: Ueber die Involutionsformen der Pest- 
liacillen und einiger pcstälinlicher Bakterien auf Koehsalzagar. 

22. Simon Meyer: l’eber das mikroskopische Verhalten des 
Glykogens in normalen menschlichen Schleimhäuten. 

September 1901. Nichts erschienen. 

Universität München. August und September 1901. 

110. Vatter Gustav: Beitrag zur Kasuistik und Kenntniss der 
Dermoidcysten. 

111. Peter sen Hugo: Ein neuer Fall von Schilddrüsentuber- 
kulose. 

112. Karl Emst: Drei Fälle von Erysipel bei Ikterus. 

113. Merkel Karl: Zur Kasuistik der Myositis rheumatlca. 

114. II ei u rieh Rudolf: Ueber Nephritis, uraem Ische Zustände 
und deren Behandlung. 

115. Desing Christian: Beiträge zur Entstehung der Tumoren 
nach Trauma, im Anschluss an einen Fall von Fibro-Sareoina 
eruris. 

110. Feichtinger Paul: 50 in den Jahren 1892—1901 chirur¬ 
gisch behandelte Fälle von Perityphlitis aus der chirurgischen 
Klinik zu München. 

117. Yamada Kando: Ein Fall von Septicopyaemie mit Lokali¬ 
sation au den Pulmonalklappen. 

118. Wimmer Hans: Ueber Kasuistik der malignen Ovarial¬ 
tumoren (Cystadenoma papilliferum enrclnomatosum und 
Fibrosarcoma). 

139. Frey tag Gustav Wllibald: Beiträge zur Aetiologie der 
Aktinomykose. Mit 3 Abbildungen. 

120. Maas Karl: Ueber Fibrosarkotu dt* Reet ums. 

121. Dressier Emst: Parotitis Im Zusammenhang mit eitrigen 
AbdomiunJerkrankungen. 

122. Veith Adolf: Das Amnion in seinen Beziehungen zu deu 
foetalen M issbildungen. 

123. Sendtner Franz: Ueber das Fibrom dt* Ovariiuns. 

124. Hirsch Otto: Uterus bicoruis blcollis mit Hemiatresie des 
einen Ilorns, Vagina subsepta und Ligamentum recto-vesicale. 

125. Schnitzler Franz: Ueber einen Fall von Sarkom der 
Kreuz-Stelssbeingegend. 

12G. Seifhardt Franz: Zur Kenntniss der kongenitalen Ohr- 
und Halsfisteln. 

127. Bauriedl Maximilian: Ein Fall von galliger Peritonitis 
nach akutem Clioledoehusverschluss. 

128. Klelleuthner Ludwig: Ein Fall von Leberadenom. 

129. Heller Hans: Ueber Sarkom dt* Rectums. 

130. Urban Otto: Ueber Frakturen des Unterkiefers mit tödt- 
licliem Ausgang. 

331. Woithe Friedrich: Ueber Niereuverletzungen. 

132. R tipp rieht Wilhelm: l’eber Pseudartli rosen. 

133. Paulsso n Hermann: Zwei seltene Fälle von infantiler 
Hypertrophie und Dilatation des Herzens. 

134. Pier sig Arthur: 14 Fälle von Ovariotomie in der 
Schwangerschaft. 

335. Bickel Max: Ueber die in der Münchener Poliklinik vom 
Jahre 1895—1900 vorgenommenen Osteotomien. 

13G. Engelke Ludolf: Ueber die Tonsillen als Eintrittspforten 
für pathogene Mikroorganismen. 

137. Schlosser Karl: Ueber Sarkomatose der Ovarien. 

Universität Rostock. Juli bis August 1901. 

17. C a 11 i e s Friedrich: Beitrag zur Lehre vom primärem Kerato- 
conus. besonders dem pttlsirenden. 

18. II oster Fettspaltung und Fettaufbau ira Gewebe, zu¬ 
gleich ein Beitrag zur Kenntniss der sog. „fettigen Degenera¬ 
tion“. 


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Io. Oktober 1901. 


MUENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1669 


19. Bebder Hans: Reitrag zur Kenntniss der besonderen Augen¬ 
symptome bei Tumoren des Stirnhirus und zur Beeinflussung 
der Stauungspapille durch die Lumbalpunktion. 

20. Schirrmacher Leo: Ueber den Einfluss der Strömungs¬ 
geschwindigkeit in den Kranzarterien des isolirten Säugethler- 
herzens auf Stärke und Frequenz des Herzschlages. 

Universität Strassburg. September 1901. 

2S. Relss Eduard: Klinische Beobachtungen über Osteomyelitis 
der langen Röhrenknochen, besonders in Bezug auf die Epi¬ 
physenknorpelfuge und die begleitenden GolenkaSektionen. 

29. Blum Leon: lieber den Nährwerth der Heteroalbmuose des 
Fibrins und der Protoallmmosen des Caseins. 

30. Westhcimer Bernhard: Feber den heutigen Stand der 
Lehre von der Angina lacunaris. 

31. Levi Hugo: Hysterie und progressive Paralyse, ein Beitrag 
zur Iichre von der Kombination organischer Hirn- und Rückeii- 
markskrankheiten mit Hysterie. 

32. Ehrlich Bernhard: Die Reinigung des Obstes vor dem Ge¬ 
nüsse. 


Vereins- und Congressberichte. 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 

in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901. 
Bericht von Dr. Grassmann in München. 

m. 


Gemeinschaftliche Sitzung der medicinischen Hauptgruppe 

am 26. September 1901. 

Im grossen Saale des Concerthauscs Hamburg erüffnete 
S t i n t z i n g - Jena anstatt des am Erscheinen verhinderten 
Nauny n die gutbesuchte Versammlung zunächst mit der Mit¬ 
theilung, dass Gr über-Wien, der als Referent für das zu be¬ 
handelnde Thema der Schutzstoffe des Blutes zu sprechen beab¬ 
sichtigt hatte, das Korreferat zu bringen verhindert sei.*) 

ln den einleitenden Worten führte der Vorsitzende aus, dass 
die Medieiner ganz besonders das Bedürfnies hätten, sich mit den 
übrigen Disciplinen ihrer Wissenschaft zu vereinigen, da gerade 
bei letzterer in hohem Grade die Notliwendigkeit bestände, dass 
Jeder zu specialistiseher Arbeit gedrängt werde, während es 
diesen Bestrebungen gegenüber doch nicht zu öder specialistiseher 
Verdachung kommen dürfe. Hier treten als Mittel der Einigung 
die kombinirten Sitzungen der medicinischen Ilauptgruppe ein, 
deren Themata gerade auch in den letzten Jahren Fragen von 


« 3 , 

r 


*) Herr Prof. G ruber ersucht uns um Abdruck des nach¬ 
stehenden Briefes, durch welchen er die Zurückziehung seines 
Referates bei Prof. Naunyu motivirt hatte. 

An Herrn Geheimrath Professor Dr. B. Naunyn 
. •T r / h fl (■ {'.uv' ) d. Z. Baden-Baden. 

■' Wien/19. September 1901. 

Buer 1 lochwold geboren! 

Als Sie seinerzeit das ehrende Ersuchen an mich richteten, 
neben Herrn Geheimrath Ehrlich das Correfcrat über das 
Thema „Die Schutzstoffe des Blutes“ für die 73. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte zu übernehmen, haben Sie 
mir dieses Thema nach keiner Richtung hin beschränkt. 

Durch die Uebemahme dieses (•orreferates wurde ich veran¬ 
lasst, dies verwickelte Problem der Antikörper im Blute gründ¬ 
licher als bisher in allen seinen Thcilen zu überdenken. — Diese 
Studien lind Versuche, zu denen Ich — mit Tagesarbeit über¬ 
häuft ■— erst in diesen letzten Ferienwochen die erforderliche 
Müsse gefunden habe, haben meine Bedenken gegen die Ehr- 
lieh’sehe Theorie zu der Ueborzeugutig gesteigert, dass dieses 
\ so ausserordentlich geistreich ersonnene llypothesongebiiude und 
\die auf demselben begründete Nomcnelatur uns an der richtigen 
Erfassung der Tlmtsaehen hindern und daher schädlich sind. 
Es wäre mir daher heute ganz unmöglich, als (’orreferent 
die Darstellung dieser Theorien anzuhören, ohne darauf mit 
einer ausführlichen Kritik zu antworten. 

Euer Hochwohlgeboren möchten aber eine ausführlichere 
Polemik gegen Ehrlieh's Vortrag durchaus vermieden halten 
und Sie deuten mir an, dass Geheiniratli E h rl ie h wahrschein¬ 
lich das Referat niederlegen würde, wenn eine solche Kritik 
von meiner Seite in Aussicht stünde. Da überdies Herr Geheim¬ 
rath Ehrlich und Euer Hoehwohlgeboren in einer solchen 
Kritik eine Verletzung der früher zwischen Herrn Ehrlich 
und uiir getroffenen Vereinbarung betreffend die Vertlieilung 
des Stoffes — bei welcher ich mir allerdings das Recht zu theo¬ 
retischen Erörterungen ausdrücklich Vorbehalten hatte — er¬ 
blicken würden, so sehe ich mich gezwungen, auf die Erstattung 
des Correferates zu verzichten. 

Mit vorzüglicher Hochachtung 

Euer Hoehwohlgeboren ergebenster 
M. G r u b e r. 


umfassender medicinischer Bedeutung behandelt haben, wie ein 
kurzer Ueborblick über dieselben ausweist. 

Es spricht nunmehr als einziger Redner der gemeinschaft¬ 
lichen, nach lVs stündiger Dauer schliessenden Sitzung 

Herr Ehrlich- Frankfurt a/M. über: Die Schutzstoffe 
des Blutes. 

Redner geht von der Wesensverwandtschaft der normal vor¬ 
handenen und der durch Immunisiruug künstlich erzeugten 
Schutzstoffe des Blutserums aus, welche für beide Arten von 
Körpern einen einheitlichen Entstehungsmodus fordern lassen 
muss. Die Aufstellung einer Bildungstheorie musste von den 
künstlich erzeugten Immunsubstanzen ausgehen, da diese dem 
Experiment leichter zugänglich sind. Als Resultat angestrengter 
Einzelforschung gibt heute die vom Redner vor 4 Jahren auf¬ 
gestellte Seitenkottcntheorie eine befriedigende und 
für weitere Forschung fruchtbare Erklärung der meisten Erschei¬ 
nungen auf dem Gebiet der Immunität. Redner weist zunächst 
die Anschauung, dass die Antitoxine des Serums durch Umwand¬ 
lung der in den Organismus eingeführten Toxine entstanden, als 
unverträglich mit den vorliegenden Thatsachen zurück. Die 
Antitoxine können ebenso wie die entsprechenden, normal im 
Serum vorhandenen Substanzen nur Produkte der Zellen des 
Organismus selbst sein. Die Vorgänge, die sich bei der Bildung 
derselben in der Zelle abspielen, bilden den Hauptinhalt der 
Scitenkettentheorie. 

Dio Grundlage der Theorie bildet die Erkenntniss, dass sich 
Toxin und Antitoxin direkt beeinflussen und zwar so, dass beide 
Substanzen zu einer ungiftigen chemischen Verbindung sich ver¬ 
einigen. Ausgedehnte Versuche, die Redner mit dem Diphtherie¬ 
gift und Diphtherieantitoxin anstellte, führten zu einer Bestäti¬ 
gung dieser Anschauung, zugleich aber zu einer Einsicht in die 
iiussorst komplizirte Beschaffenheit d<*s Diphtheriegiftes und zu 
der Auffindung ungiftiger Derivate dieses Toxins, der Toxoide. 
Man muss nach diesen Untersuchungen dem Toxinmolekül ganz 
bestimmte Eigenschaften zuschreibeu, deren wichtigste an zwei 
getrennte chemische Gruppen desselben geknüpft sind, eine 
toxophore Gruppe als Trägerin der eigentlichen Giftwirkung und 
eine haptopliore Gruppe, welche sich mit einer entsprechenden 
Gruppe des Antitoxins chemisch verbindet. Die Existenz dieser 
beiden Gruppen klärt das Wesen der Vergiftung und vor Allem 
das der Antitoxinbildung auf. Die Antitoxinbildung 
erweist sich unabhängig von der toxophoren Gruppe und er¬ 
scheint lediglich als eine Funktion der haptophoren Gruppe des 
Toxins. Die haptopliore Gruppe der Toxine — und darin besteht 
ein fundamentaler Unterschied gegenüber den Giften bekannter 
chemischer Konstitution, z. B. den Alkaloiden — geht auch 
mit gewissen Substanzen der lebenden Zelle eine chemische Bin¬ 
dung ein, dio die Grundbedingung der Giftwirkung, zugleich aber 
auch der Antitoxinbildung darstellt. Ganz analoge synthetische 
Processe müssen sich aber auch im Organismus bei der Aufnahme 
der Nährstoffe durch die Zelle, bpi der Assimilation, 
abspielen. Diese Fähigkeit der Zelle, Nährstoffe chemisch zu ver¬ 
ankern, ist nun auch ihrerseits von dem Vorhandensein gewisser 
chemischer Gruppen in der Zelle abhängig, welche zu den be¬ 
treffenden Nährstoffen eine maximale chemische Verwandtschaft 
haben und welche als Seitenketten oder Receptoren 
des Zollprotoplasmas bezeichnet werden. Die chemische Bindung 
der Toxine im Organismus geschieht nun nach demselben Prin- 
cip wie diese Bindung der Nährstoffe, indem durch ein Spiel des 
Zufalls die haptopliore Gruppe gewisser Toxine mit der hnpto- 
phoren Gruppe von Nährstoffen identisch ist. Mangel an der¬ 
artigen Receptoren bedingt in manchen Fällen natürliche Im¬ 
munität. 

Durch die chemische Bindung der haptophoren Gruppe eines 
Toxins wird die Zelle einerseits in den Wirkungsbereich der toxo¬ 
phoren Gruppe gebracht, andererseits wird hierdurch eiu Re¬ 
generationsvorgang eingeleitet, der zur Bildung der Antitoxine 
führt. Die durch das Toxin l>esetzten Receptoren des Proto¬ 
plasmas sind für das Lehen der Zelle unbrauchbar geworden und 
werden durch Neubildung (Regeneration) ersetzt. Boi solchen 
Vorgängen findet aber nach einem von W ei gort aufgestellten 
Gesetz nicht nur ein Ersatz, sondern eine U Überproduk¬ 
tion statt. Der Uebcrsehuss neugebildeter Receptoren kann so 
gross werden, dass dieselben am Protoplasma nicht mehr Platz 
haben, abgestossen werden und endlich frei im Blute kreisen. 


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1670 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Diese Theorie macht vor Allem die specifischen Beziehungen 
zwischen Toxin und Antitoxin verständlich, indem dieselbe che¬ 
mische Gruppe (Receptor) des Protoplasmas, welche die Be¬ 
dingung der Toxinwirkung bildet, in freiem Zustand als Anti¬ 
toxin wirkt. Die Theorie erklärt auch, wesshalb nur hochkom- 
plizirte, den Nährstoffen analoge Substanzen zur Antitoxin¬ 
bildung geeignet sind. Eine glänzende Bestätigung fand sie vor 
Allem in der Thatsache, dass auch wirkliche Nährstoffe, z. B. die 
Eiweisskörper der Milch, das Eieralbumin u. s. w. zur Bildung 
eigentlicher Antikörper im Organismus befähigt sind. 

Nachdem der Redner noch ein reiches Thatsachenmaterial 
zur Begründung seiner Anschauungen und zur Widerlegung 
etwaiger Einwände beigebracht hat, geht er zu den viel kompli- 
zirteren Erscheinungen über, die sich bei der Immunisirung mit 
Zellen, insbesondere mit Bakterien (Typhus, Cholera etc.) ab¬ 
spielen, und die bei der Wirkung dieser „baktericiden“ Sera zu 
Tage treten. Ein näherer Einblick in den Mechanismus dieser 
Vorgänge war erst dann möglich, als man die Untersuchungen 
an den Haemolysinen anstellen konnte, die viel einfachere 
Versuchsbedingungen bieten. 

Die Haemolysine sind Substanzen, welche durch Behandlung 
von Thieren mit den rothcn Blutkörperchen fremder Species ent¬ 
stehen. Sie bringen die rothen Blutkörperchen dieser fremden 
Species zur Auflösung und verhalten sich in jeder Hinsicht wie 
die baktericiden Stoffe des Serums (Bakteriolysine). Die Haemo- 
lysino und die Bakteriolysine setzen sich aus 2 Substanzen zu¬ 
sammen, von denen die eine (Komplement) schon im normalen 
Serum vorhanden ist, die andere (Immunkörper, Amboceptor) erst 
durch die specifische Immunisirung entsteht. Auf Grund von 
Untersuchungen, die Redner gemeinsam mit Dr. Morgen¬ 
rot h anstellte, ergibt sich, dass der Immunkörper von den 
Zellen, Blutkörperchen resp. Bakterien, chemisch gebunden wird 
und dann seinerseits das Komplement bindet und so dessen zer¬ 
störende, fermentartige Wirkung auf die Zellen vermittelt. Dem 
Immunkörper kommen 2 haptophore Gruppen zu, das Komple¬ 
ment entspricht in seinem chemischen Bau einem Toxin mit 
haptophorer und toxophorer Gruppe. Redner tritt unter Hinweis 
auf zahlreiche Experimente abweichenden Anschauungen ent¬ 
gegen, die sich auf den Mechanismus des Zusammenwirkens von 
Immunkörper und Komplement beziehen und bespricht endlich 
die Gründe, die zu einer Annahme der Vielheit der Komplemente 
des Serums führen. 

Die Entstehung der Immunkörper und Komplemente findet 
gleichfalls in der Seitenkettentheorie ihre zwangloseste Er¬ 
klärung. Man muss im Protoplasma nur das Vorhandensein von 
„Receptoren zweiter Ordnung“ als Analoga der Immunkörper 
annehmen, die dazu bestimmt sind, hochkomplizirte Nahrungs¬ 
stoffe an sich zu reissen und diese durch ihre specifische Ver¬ 
wandtschaft zu den Komplementen der fermentativen Wirkung 
der letzteren nahe zu bringen. Die Komplemente sind als Zell- 
sekrete aufzufassen, die den Zwecken der inneren Verdauung 
dienen. 

Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, verliert die Im¬ 
munitätsreaktion des Organismus ihr mystisches Aussehen und 
erscheint nur als das Widerspiel uralter Protoplasmaweisheit. 

Die Immunität stellt also nur ein Kapitel der allgemeinen 
Ernährungsphysiologie dar, und da sich Vorgänge, die denen der 
Antikörperbildung analog sind, im normalen Stoffwechsel bei der 
Aufnahme von Nährstoffen etc. fort und fort mannigfach ab¬ 
spielen, so kann es nicht Wunder nehmen, dass das Blutplasma 
— als Repräsentant aller Gewebe — eine Unzahl von abge- 
stossenen Receptoren enthält, die Redner als „II a p t i n e“ be¬ 
zeichnet. Von solchen Hapt.inen ist eine grosse Anzahl, wie die 
Klasse der natürlichen Antitoxine, Fermente, Antifermente etc., 
bereits bekannt. Unter ihnen sind diejenigen, welche sich gegen 
pflanzliche und thierische Zellen richten, von grösstem Interesse; 
es sind dies die Agglutinine, die die Bakterien oder Zellen zur 
Verklebung bringen, und die baktericiden resp. eytotoxischen 
Substanzen, welche mit der natürlichen Immunität in näherer 
Beziehung stehen. Bei einer eingehenderen Analyse der ein¬ 
zelnen Funktionsgruppen des Blutes hat sich herausgestellt, dass 
dieselbe Funktion nicht einer einheitlichen Substanz zukommt, 
sondern bei derselben Wirkung, den angegriffenen Materialien 
entsprechend, verschiedene Substanzen in Betracht kommen. So 
drängen die Erfahrungen über Agglutinine, Bakteriolysine etc. 
zu der vom Redner vertretenen plurimistischen Auf¬ 


fassung des Haptinapparates. Die Haptine verdanken ihre Ent¬ 
stehung zum grössten Theil nur einem gewissen Zufall und sind 
gewissermaassen als Luxusprodukte aufzufassen. Ihre Zu¬ 
sammensetzung ist einem steten Wechsel unterworfen. 

Wenn auch ein relativ geringer Theil der Haptine im Sinne 
von Vertheidigungsmitteln wirkt, so ist es nicht angängig, das 
ganze Haptinsystem unter dem Namen des Alexins zusammen¬ 
zufassen, schon weil dadurch eine falsche unitarische Anschauung 
erweckt wird. Denn auch die normale haemolytische und bak- 
tericide Kraft des Blutserums beruht nach den Ausführungen des 
Redners auf dem Zusammenwirken zweier Substanzen, des 
Zwischenkörpers (Amboceptor) und des Komplements, die den 
beiden Komponenten des künstlich erzeugten Haemolysins ent¬ 
sprechen, und nicht, wie Büchner es annimmt, von diesen 
principiell zu trennen sind. B u c h n e r’s Beweisführung für 
die Sonderheit der normalen thermostabilen Stoffe, die er 
Hilfskörper nennt, ist unzureichend. Natürlich vorkommende 
und immunisatorisch erzeugte Haemolysine entfalten ihre 
Wirkung genau nach dem gleichen Mechanismus. 

Redner führt weiter aus, dass die Komplemente des Serums 
sowohl gegen eigene, wie gegen fremde Zellen wirken können, 
wenn letztere nur durch geeignete Amboceptoren ihrer Wirkung 
zugänglich gemacht worden sind. Trotzdem verhindert im Orga¬ 
nismus eine vom Redner als „H orror autotoxicus“ be- 
zeichnete Regulationsvorrichtung, dass im Organismus Ambo¬ 
ceptoren gegen das eigene Gewebe entstehen. Dieser „Horror 
autotoxicus“ des Organismus ist für die Pathologie von beson¬ 
derer Bedeutung. Während man durch Injektion von fremd¬ 
artigem Zellmaterial beliebige cytotoxische Substanzen, wie 
Hepatotoxin, Nephrotoxin etc., erzeugen kann, ist es durch diesen 
Regulationsmechanismus verständlich, dass bei der in der 
menschlichen Pathologie häufig vorkommenden Resorption 
eigener Körporbestandtheile die Bildung von Giften gegen das 
eigene Parenchym (Autotoxinen) ausbleibt. So gelang es Redner 
im Verein mit Dr. Morgenroth leicht, durch Blutimmuni- 
sirung mit derselben Blutart Isohaemolysine, niemals aber Auto- 
lysine zu erhalten. Den Isotoxinen glaubt Redner schon nach 
den jetzt vorliegenden Erfahrungen eine grosse Rolle in der Dia¬ 
gnostik und Pathologie zuschreiben zu müssen. 

In der Dlscusslon ergreift, nachdem S t i n t z i n g dem 
Redner für seinen spannenden, das allgemeine Interesse in hohem 
Maasse fesselnden Vortrag den Dank der Versammlung ausge¬ 
drückt hatte, nur Herr Koppe das Wort zu der Bemerkung, 
dass ein von Ihm seit 5 Jahren mit Erfolg geübtes therapeutisches 
Prlnclp darin bestehe, die für den Speichel nachgewiesene positive 
Chemotaxis durch Erregung einer reichlichen Speichelsekretion 
therapeutisch zu verwerthen. 

Abtheilung für innere Medioin. 

Referent: A1 b u - Berlin. 

IV. Sitzung, 24. September, Nachmittags. 

1. Herr Jolle 8-Wien: Heber neue Methoden der che¬ 
mischen Blutuntersuchung. 

Um dem F errometer einen erleichterten Eingang in die 
klinische Praxis zu verschaffen, hat Vortragender die Methodik 
der Eisenbestimmung im Blute wesentlich modifizirt. Durch 
entsprechende Abmessung der Quantitäten der zugesetzten Re- 
agentien und der Dimensionen des Apparates war es möglich, die 
dem Eisengehalte des normalen Blutes entsprechenden Färbungen 
der Intensität und der Nuance nach in Uebereinstimmung mit 
dem durch den Scalatheil von 90—100 bezeichnten Bereich des 
Fleisch l’schen Ilaemometerkeiles zu bringen. Hierauf 
spricht Vortragender über die Bedeutung und die Methodik der 
Phosphorbcstimmung im Blute. Den wesentlichsten Bestand¬ 
teil der Erythroeyten und Leukocyten bilden nicht die Eiweiss¬ 
stoffe im gewöhnlichen Sinne, sondern die phosphorhaltigen Pro¬ 
teide oder die Nucleoalbumine. Unter den nicht eiweissartigen 
Substanzen der Zelle sind in erster Linie das phosphorreiche 
Lecithin, dann das phosphorsaure Alkali zu nennen, welches be¬ 
kanntlich bei der Kohlensäurebindung in den Blutkörperchen 
eine wichtige Rolle spielt. Die Kenntniss des Phosphorgehaltes 
in einer bestimmten Raumeinheit des Blutes dürfte daher in 
mannigfachen pathologischen Fällen werthvolle diagnostische 
Aufschlüsse geben. Gegenüber dem Phosphorgehalte der Blut¬ 
zellen ist der Phosphorgehalt des Serums im normalen Blute in 
der Regel relativ vermindert, welches Verhältniss in solchen 
Fällen eine Verschiebung erleiden dürfte, wo Blutzellen zu 


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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1671 


Grunde geben. Durch die Feststellung der Relation zwischen 
Phosphorsäure im Gesammtblute und der des Serums, namentlich 
in Kombination mit den übrigen üblichen Untcrsuchungsergeb- 
nissen, können wir neue Kriterien für die Beurtheilung des 
Blutes in pathologischen Fällen gewinnen. Die vom Vor¬ 
tragenden ausgearbeitete Methode zur quantitativen Phosphor¬ 
bestimmung des Blutes gestattet in minimalen Blutmengen den 
I’hosphoreäuregehalt mit Genauigkeit zu bestimmen. Das Prin- 
cip der Methode beruht auf den gelben Färbungen, welche bei 
geringen. Mengen von phosphorsauren Salzen mit Kalium- 
molybdat entstehen. Den Maassstab für die Gelbfärbungen 
bieten bei dem „Phosphometer“ verschieden dicke Lagen 
aus schwach gelb gefärbten Glasplättchen, deren Phosphorwerth 
durch Vergleichen mit einer genau eingestellten Phosphorsäure¬ 
lösung bestimmt wird. 

2. Herr F1 e i n e r - Heidelberg: Indikationen und Contra¬ 
indikationen für die Wismuthbehandlung des Magen¬ 
geschwürs. 

Die Idee der Wismuthbehandlung ist, dem Gcsehwürsgrunde 
einen Schutz zu verleihen vor den darüber gleitenden Speisen, 
welche die frisch aufsehiessenden, zarten Granulationen leicht 
wieder abreissen. Sie ist auch angezeigt in leichten Fällen, 
welche von selbst heilen, beim Uebergang zur festen Diät und 
beim Auftreten von Störungen in der Reconvalescenz. Stets 
aber muss das Wismuth auf den reinen Geschwürsgrund kommen, 
• lesshalb ist os auf leerem Magen zu verabreichen. Der 
Magen ist am besten erst mit irgend einem Mineral¬ 
wasser zu spülen, dann Vz Stunde später 5—10 g Wismuth in 
Wasser verrührt, allmählich kann man mit der Dose zurück- 
pelien und das Wismuth auch mit Magn. ust. und dergl. ver¬ 
dünnen. Nach vorausgegangener Magenspülung kann man auch 
10—20 g Wismuth, in 150 g Wasser gelöst, eingiessen. Auch der 
Wechsel der Lagerung des Patienten empfiehlt sich, um das 
Wismuth im Magen gut zu vertheilen. Bei Geschwüren am 
Pylorus mit sekundärer Stenose derselben hat die Wismuth¬ 
behandlung meist nur vorübergehenden Erfolg. Rathsamer ist 
frühzeitige Gastroenterostomie, weil die gesunkenen Ernährungs¬ 
verhältnisse später die Aussichten der Operation verschlechtern. 
Die Gastroenterostomie begünstigt die Heilung des Geschwürs. 
Als Kontraindikationen für die Wismuthbehandlung müssen 
gelten, Geschwüre mit divertikelähnlichen Einbuchtungen der 
Magen wand und verdickten, callösen, überstehenden Rändern, 
sowie bei spontanem Durchbruch und Verwachsen des Geschwürs 
mit Nachbarorganen, wie Leber, Pankreas u. dergl. In den er¬ 
wähnten Ausbuchtungen bleibt das Bism. subnitr. als schwarzes 
reducirtes Wismuth liegen, das später bei Magenspülung erkannt 
wird. Auf diese Weise ist der Misserfolg sogar diagnostisch zu 
verwert!)en. Vortragender erwähnt eine bezügliche Beobachtung. 

Auf Anfrage erklärt er, unter vielen Hundert von Fällen nie¬ 
mals eine Vergiftung beobachtet zu haben, nur zuweilen Obsti¬ 
pation. 

Herr Ewald- Berlin bestätigt das Ausbleiben von Intoxi¬ 
kationen selbst bei hohen Dosen. Die Verabreichung des Wismuths 
'lurch den Schlauch ist aber auch in den chronischen Fällen nicht 
ii'ithig. Gerade alte Geschwüre eignen sieh für die wirksame 
Wismuththeraple. 

Herr L e n li a r t z - Hamburg hat auch nie Vergiftungs¬ 
erscheinungen gesehen. 

3. Herr Umber- Berlin: Das Verhältniss von Zucker- 
und Stickstoffausscheidung beim Eiweisszerfall bei Diabetes. 

Bei der Berechnung der in den Stoffwechsel eingetretenen 
F.iweissmengen, die nöthig sind, um den vom schweren Diabetiker 
abgeschiedenen Eiweisszucker zu liefern, hält man sich heute 
im Allgemeinen an die Vorstellung, dass aus 6,25 g Eiweiss 
höchstens 2,8 g Zucker entstehen können (M i n k o w s k i’sche 
Zahl). Ist die Quantität des ausgeschiedenen Zuckers im Ver¬ 
hältniss zum ausgeschiedenen Stickstoff (D: N) grösser als 2,8 — 
die hier beobachteten Werthe schwanken zwischen 0,01—12,2:1 
—, so vermochte man sich den Ueberschuss dieses sogen. „Eiweiss¬ 
zuckers“ nicht recht zu erklären. Rumpf und v. Noorden 
sprechen als Quelle dafür das Fett an. Diese Berechnung der 
der Zuckerbildung dienenden Eiweissmengen auf Grund des 
Zuckerstickatoffquotienten setzt nun aber voraus, dass das Ei¬ 
weissmolecül, so wie es überhaupt in den Stoffwechsel eiutritt, 
auch bis in. seine sämmtlichen Endprodukte abgebaut werde, 
somit auch sein gesammter Stickstoff im Urin erscheine. Dem 
stehen aber unsere Erfahrungen auf dem Gebiete der Eiweiss- 
chemie entgegen und Vortragender tritt auf Grund seiner Unter¬ 


suchungen über die Zerfallsprodukte der Eiweisskörper dafür ein, 
dass das Eiweissmolecül im Körper durch fermentative Processe 
in primäre Spaltprodukte ganz verschiedener physiologischer Be¬ 
deutung zerlegt wird, von denen die einen zum Aufbau, die 
anderen zur Ausscheidung bestimmt werden können, je nach der 
herrschenden Stoffwechselanomalie. Der Diabetiker schwerster 
Form steht nun meistens gleichzeitig unter den Gesetzen der 
Unterernährung. Er wird also einerseits aus dem zerfallenden 
Eiweissmolecül diejenigen kohlenstoffhaltigen Gruppen, die als 
synthetische Bausteine zur Synthese seines ausgeschiedenen Ei¬ 
weisszuckers dienen — und dazu gehören keineswegs nur die 
Derivate der präformirten Kohlehydratgruppe — eliminiren, 
andererseits den zum Eiweissaufbau vollwerthigen N-reichen 
Proteosenrest, der an Zuckerbildnern arm ist, wieder in seinen 
Eiweissbestand ansetzen, so lange er eben unter den Gesetzen 
der Unterernährung steht, und Eiweiss um jeden Preis zu reti- 
niren sucht. Der ausgeschiedene N sagt uns also nicht, wie viele 
Eiweissmolecüle mit ihren zuekerbildenden Gruppen in den Stoff¬ 
wechsel des schweren Diabetikers eingetreten sind; je nach dem 
speciellen Eiweissbedürfniss derartiger Fälle kann der Werth des 
Quotienten D : N die verschiedensten Grössen annehmen, herauf 
bis zur Rump f’schen Zahl von 12,2, ohne dass wir desshalb ge- 
nöthigt wären, eine andere Quelle für den ausgeschiedenen „Ei¬ 
weisszucker“ heranzuziehen als das Eiweissmolecül. Dabei muss 
der gesammte Eiweissbestand des schweren Diabetikers unter 
diesen Umständen allmählich an derartigen Zucker bildenden 
Gruppen verarmen. 

4. Herr V o 1 h a r d - Giessen: Zur quantitativen Bestim¬ 
mung der Fermentsekretion im Magen unter Zugrundelegung 
des fettspaltenden Fermentes. 

Vortragender hat seine bisherige Methode zu quantitativen 
Bestimmung des durch das fettspaltende Ferment des Magen 
saftes abgespaltenen Fettes vereinfacht, und dabei eine Fehler¬ 
quelle seines früheren Verfahrens, bei welchem die Verdauungs¬ 
gemische bei Zimmertemperatur auf Kaolin getrocknet wurden, 
darin entdeckt, dass die Fettspaltung während der langen Trock¬ 
nung weiter fortschreitet. 

Das von V. gemeinsam mit Stade ausgearbeitete Verfahren 
ist folgendes: Die Verdauungsgemische (Eigelb und Magensaft! 
werden sofort nach der Verdauung mit Aetlier (75 ccm) aus- 
geschiittelt, vom Aetlierextrakt ein aliquoter Theil (50 ccm) ab- 
gegossen und mit Alkohol (75 ccm) versetzt titrirt. Damit ist 
der Procentgehalt an gespaltenem Fett gegeben. V. und S t a d < • 
fanden nun bei Anwendung dieser einfachen Methode, statt de* 
früher konstatirten unregelmässigen zeitlichen Ablaufs der Re¬ 
aktion einen stetigen, proportional der Zeit in regelmässigem 
Anwachsen fortschreitenden Verlauf. 

Gleichzeitig wurde noch einmal das Gesetz von Schütz 
und Borissow, dass sich die Verdauungsprodukte in den zu 
vergleichenden Flüssigkeiten wie die Quadratwurzeln der Fer¬ 
mentmengen verhalten, nachgeprüft und auch für dieses Ferment 
bestätigt. 

5. Herr Glaessner -Prag: Ueber Eiweissassimilatior. 
im Magen. 

Vortragender bringt erst eine ausführliche Literaturüber¬ 
sicht über die älteren Arbeiten bezüglich der Frage der Rückver ¬ 
wandlung der Eiweissspaltungsprodukte zu Körpereiweiss. An¬ 
knüpfend an die Hofmeister’schen Arbeiten über Assimi 
lation und Resorption der Nährstoffe hat Verfasser Versuche an 
Hunden angestellt, die in bestimmter Zeit nach einer Fleisch- 
fütterung getödtet und deren Magenschleimhaut in Bezug auf 
das Verhalten der Verdauungsprodukte untersucht wurde. Die 
Schleimhaut wurde in zwei gleiche Theile getheilt, der eine so¬ 
fort verarbeitet, der andere erst 2—3 Stunden lang bei Brüt- 
tomperatur belassen. Dann wurde nach einem besonderen Ver¬ 
fahren der Stickstoff der nicht coagulirbaren Substanzen, so¬ 
wohl der orsten als der zweiten Hälfte, bestimmt. Darauf wurde 
mit Zinksulfat ausgesalzen und wiederum der Stickstoff be¬ 
stimmt. Die Differenz entspricht dem Albumosenstickstoff. Die 
Resultate der angestellten Versuche sind folgende: 1. In de/ 
Magenschleimhaut findet eine Rückverwandlung der einge¬ 
führten Eiweissverdauungsprodukte zu einer nicht coagulablen, 
unlöslichen Substanz statt. 2. Diese Rückverwandlung betrifft 
ausschliesslich die Albumosen. 3. Die Rückverwandlung beginnt 
bald nach Beginn der Verdauung und ist in der 8. Stunde der¬ 
selben beendet. 


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1672 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Das Subferment, dem von mehreren Autoren eine solche 
Funktion zugemuthet wurde, scheint nach der Ansicht des Vor¬ 
tragenden an diesem Rückverwandlungsproccss nicht betheiligt 
zu sein. 

6. Herr Hoppe-Seyler - Kiel: Ueber arteriosklero¬ 
tischen Diabetes. 

Durch Autopsien hat Vortragender folgendes Bild der 
Arteriosklerose des Pankreas kennen gelernt: Bindegewebs¬ 
wucherung mit consecutiver Schrumpfung. Verdickung der 
Wände, der Arterien und Obliteration derselben; das Organ ist 
verkleinert und hart, gleichzeitig starke Wucherung des Fett¬ 
gewebes, so dass im Ganzen nur wenig Reste normalen Pankreas¬ 
gewebes erhalten sind. Der Befund ist also ähnlich der arterio¬ 
sklerotischen Schrumpfniere. Deren klinischen Bilde entspricht 
auch der Verlauf des arteriosklerotischen Pankreasdiabetes. Wie 
bei jener zur Uraemie, so steigern sich allmählich die Erschei¬ 
nungen bis zum Koma diabeticum. Der Beginn ist mit leichter 
Glykosurie. Aber allmählich verringert sich die Kohlehydrat - 
toleranz. Die Abstinenzerscheinungen nach Entziehung der 
Kohlehydrate (Diarrhoe u. dergl.) machen eine strenge Diätkur 
unmöglich. Zuweilen treten plötzliche Verschlimmerungen ein 
und Koma im Anschluss an interkurrente Erkrankungen. 
Therapie: Diät und Jod. 

Abtheilung für Chirurgie. 

Referent: W o h 1 gem u t h - Berlin. 

IV. Sitzung. 

Vorsitzender: Herr König- Berlin. 

1. Herr Schlagintweit- München: Kritik der B o t - 
tini’schen Operation an 150 Experimenten und an 82 Prä¬ 
paraten von Prostatahypertrophie aus der Sammlung Guyon 
des Hospital Neker in Paris. 

Viele frühere Publikationen von „Erfolgen“ erweckten Miss¬ 
trauen. Jetzt ist dies anders, seit durch die Bemühungen 
F r e u d e n b e r g’s u. A. eine genaue Begriffsbestimmung des Er¬ 
folges angenommen wurde. Man versteht unter Heilung, 50 bis 
60 Proc., dass kein Katheter mehr gebraucht, der Urin im freien 
Strahl gelassen und kein oder nur ganz wenig Residualurin zu¬ 
rückbehalten wird. Besserung, wenn niemals mehr kompleie 
Retention, leichterer und weniger Harndrang, weniger Schmerz 
und subjektives Beserungsgefühl besteht, 20—30 Proc. Un- 
gebessert waren 13—18 Proc., Mortalität 4,5—8 Proc. Also (auch 
nach Jahren noch bestehende) Erfolge 75 Proc. 

Kontraindikationen: Schwere Nephritis und Pyelitis, 
schwere eiterige Cyst.it is. schwerer Marasmus. Diseission der 
Blase keine absolute Gegenanzeige, da sich die Funktion des 
Detrusors schon mehrmals nach der Operation wieder einstellte, 
lieble Zufälle: 1. Wälirend der Operation: Verbiegen des 
glühenden "Messers durch unruhiges Halten des Instrumentes, 
Durchbrennen der Klinge, Versagen des Stroms. Desshalb nie 
Accumulatoren, sondern nur direkten Strassenstrom mit Trans¬ 
formatoren. 2. Nach der Operation: Fieber nur wenige Tage und 
nur bei eitrigen Harnwegen, Nachblutung durch Schorfabstos- 
sung (4.—20. Tag), Thrombosen und Pneumonien ziemlich selten. 
Ausser der sehr leichten Handhabung des Instrumentariums sind 
noch besondere Vorzüge: Oft momentaner Erfolg, keine Nar¬ 
kose, Möglichkeit der Wiederholung, kurzes Krankenlager (2 bis 
3 Tage). Trotzdem also nach v. Frisch das Verhältniss der 
Erfolge so günstig ist, dass sich die B o 11 i n i’sche Operation 
mit irgend einem anderen gegen Prostatahypertrophie vor¬ 
geschlagenen chirurgischen Eingriffe gar nicht vergleichen lässt, 
ist die Operation wenig populär bei den nicht urologischen Chi¬ 
rurgen 1. wegen ihrer Unverlässlichkeit, 2. wegen der Unmöglich¬ 
keit, Gründe für den jeweiligen Erfolg oder Misserfolg anzu¬ 
geben, 3. wegen der geringen postoperativen Sektionen, 4. wegen 
des besonders in Deutschland empfindlichen Mangels zum Stu¬ 
dium geeigneter Präparate von Prostatahypertrophie. 

Das Princip der Operation besteht in dem Einbrennen V- 
förmiger, 2 cm tiefer Rinnen in das Parenchym, welche sich nach 
Abstossung der Brandschorfe noch vertiefen und wenig Neigung 
zum Vertheilen zeigen. Eine sekundäre Volumsabnahme findet 
nicht statt und ist der rein mechanische Effekt der Operation 
ein Beweis dafür, dass das ganze Wesen der Prostatahypertrophie 
mit allen Folgeerscheinungen eben nur in der mechanischen Be¬ 
hinderung des Harnabflusses beruht. 


Jetzt beruht die ganze Subtilität der Operation in der 
a priori zu lösenden Cardinalfrage: In welcher Richtung, in 
welcher Anzahl und in welcher Länge und Reihenfolge mus6 ich 
in dem vorliegenden Falle meine Schnitte anlegen? Die meiste 
bisher veröffentlichte Kasuistik gibt hierauf nur allgemeine, aber 
nicht für den Einzelfall kontrolirbare Regeln. Die Operateure 
müssten uns genau die anatomischen und topographischen 
Gründe angeben, wesshalb sie gerade so ihre Schnitte anlegten. 

Demonstration der photographischen Präparate durch Pro¬ 
jektion und Stereoskopie. Demonstration von Instrumenten, 
welche Vortragender zu seinen an 22 Prostatikern ausgeführten 
Experimenten benutzte. Versuche damit an Leim- und Gips¬ 
modellen. 

Resultat: Nach der Einführung eines starren, geraden In¬ 
strumentes, wie des P> o 11 i n i’schen Incisors ist die Drüse nicht 
mehr die nämliche. Nicht nur ihre Lage ist anders, auch ihre 
Haltung, die Gruppirung etwaiger Mittellappen ist verändert. 
Auch ist im Innern der Drüse sowohl, als in ihrer Kapsel, durch 
die gewaltsame Geradestreckung der vorher winklig geknickten 
Harnröhre eine labile Streckspannung entstanden, die propor¬ 
tional der Harnröhrenknickung, Härte der Drüse, und der Straff¬ 
heit ihres Kapsel- und Bandapparates ist. Dies ist die auFs 
Sorgfältigste auszustudirende Situation nicht nur vor dem ersten 
Schnitt, sondern auch vor jedem nachfolgenden, da sich oben 
durch den vorausgehenden Schnitt in Folge der Spannung die 
Configuration ändern kann. Das sogen, möglichst feste typische 
Anhaken wird aus mehrfachen Gründen absolut verworfen und 
die bereits dadurch hervorgerufenen publicirten und möglichen 
Zufalle auf’s Eingehendste kritisirt. Hierauf werden die durch 
Cystoskopie erreichbaren Aufschlüsse bezüglich Zahl. Richtung 
und Länge der Schnitte besprochen. Auch hier sind Täusch¬ 
ungen möglich. Die bis jetzt konstruirten Incisionscystoskope 
sind zu dick, schneiden zu seicht und zu kurz, geben keine Ga¬ 
rantie. dass man jedesmal so wenig Blutung hat. um auch den 
Ansatz des Messers für den 2. und die folgenden Schnitte zu 
sehen. Unter genauer Angabe der Gründe schlägt Vortragender 
vor: Füllung der Blase nur mit steriler Luft. Bougie a boule 
zugleich mit Roctumpalpation. Cystoskopie. Abtastung des 
Orifieiums internums mit dem bereits zum Schnitt bereiten In- 
cisor unter Zeigefingerkontrole vom Mastdarm her. Verwendung 
eines möglichst leichten und ganz der von selbst eingenommenen 
Lage zu überlassenden Incisors, der nicht angehakt, sondern nur 
bis zur Berührung an das Orificium gezogen wird. Die Ab¬ 
tastung nach der Methode des Vortragenden geschieht nicht mit 
dem ganzen Instrument, sondern nur mit dem leicht beweglichen 
Klingentheil, wie mit der männlichen Branche eines Lithotrip¬ 
tors. Die-e Abtastung ergibt dicht vor dem eigentlichen Schnitr 
so genaue Resultate wie die Cystoskopie und lässt sich sogar 
dicht vor dem Schneiden während des Abtastern» graphisch nach 
Art einer Pulseurvc darstellen, so dass man während der ganzen 
Operation das Bild des Orifieiums vor Augen hat. 

Alles in Allem ist mit den angegebenen, theils alten, theils 
neuen Methoden zur Bestimmung der Länge, Zahl, Richtung und 
Reihenfolge der Schnitte Folgendes zu ergründen: 1. Die Länge 
der Schnitte für alle Richtungen. 2. Die Richtung der Schnitte 
nach hinten. 3. Die Richtung der Schnitte nach den Seiten, 
jedoch nicht über die Horizontale. 4. Die Zahl der Schnitte, be¬ 
sonders auch die Richtung der Schnitte nach vorn und seitlich 
über die Horizontale ist zur Zeit noch nicht mit Sicherheit in 
jedem Falle zu ermitteln. Dies wird vielleicht durch Messungen 
des Winkels zwischen Incisorschaft und Symphyse, sowie durch 
das Studium der Querschnittsfigur in verschiedenen Höhen der 
hypertrophirten Prostata zu erreichen sein, eine Aufgabe, die 
sich Vortragender vorbehält. S. schliesst mit dem Satze: Es 
möge aus dem gegenseitigen Zusammenwirken der chirurgisch- 
klinischen Erfahrung und dem topographisch-anatomischen Stu¬ 
dium für die B o 11 i n i’sche Operation das erreicht werden, 
was für die Lithotripsie auch erreicht wurde: die Anerkennung 
der Chirurgen nicht als eines experimental-chirurgischen Kunst¬ 
stückes, sondern als einer Methode. 

2. Herr Kienböck- Wien: Ueber die radiogTaphische 
Diagnose der Knochenresorption. 

3. Herr Z u c k e rk a n d 1 - Wien: Ueber Blasenstein¬ 
operationen. 

Z. bespricht die Erfahrungen, die er an 150 Operationen 
des Blasensteines zu machen Gelegenheit hatte. Es wurden die 


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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1673 


Lithotripsic 109 mal, die perineale Lithotripsie 1 mal, der hohe 
Blasenschnitt 37 mal ausgeführt. Nachdem die modeme Technik 
dieser Operationen, namentlich die aseptische Ausführung der 
Lithotripsie, eingehend besprochen wurden, zählt Z. seine Re¬ 
sultate auf; die Mortalität bei der Lithotripsie betrug 3,6 Proc., 
bei dem hohen Blasenschnitt 13,3 Proc. Recidive wurden in 
beiden Methoden annähernd in der gleichen Anzahl beobachtet. 
Mit Rücksicht auf die auch an der Hand von Literaturangaben 
erwiesene grössere Gefahr des hohen Blasenschnittes, die längere 
Heilungsdauer, die möglichen Komplikationen während des 
Wundverlaufes und nach abgeschlossener Heilung hält Z. die 
Bestrebungen für berechtigt, die Hebung des hohen Blasen- 
sehnittes zu Gunsten der Steinzertrümmerungsmethoden mög¬ 
lichst einzuschränken. In diesem Sinne bedeutet die Einführung 
der ]>erinealen Lithotripsic einen wesentlichen Fortschritt, indem 
mit Hilfe dieser Methode eine Anzahl von Fällen, in denen nach 
den bisherigen Anschauungen der hohe Blasenschnitt angezeigt 
war, nunmehr der Lithotripsie zufallen. Die Zertrümmerung 
von der erüffneten Harnröhre aus liefert durch die Kürze und 
Weite des Weges besonders günstige Bedingungen für die Eva- 
euation und für eine eventuelle Blasendrainage. 

Mit Rücksicht darauf, dass der Steinschnitt in vieler Be¬ 
ziehung als schwererer Eingriff als die Lithotripsie aufgefasst 
werden muss, können die beiden Operationen nicht als rivnli- 
sirende Methoden gelten. Aus diesem Grunde halt Z. die sub¬ 
jektive Entscheidung bei der Wahl der Operationen für einen 
nicht zulässigen Vorgang. Er verlangt eine Diagnosenstellung 
mit allen möglichen Details und eine dem Einzelfall angepasste 
OiH*rationsmethode. 

Die Lithotripsie ist die Operation der Wahl und überall aus¬ 
zuführen, wo der Stein nicht zu gross und den Instrumenten zu¬ 
gänglich ist. Die perineale Lithotripsie ist dort angezeigt, wo 
dio Harnröhre für die starren Instrumente unwegsam ist, also 
bei Prostatahypertrophie, Strikturen oder Steinen der Harnröhre. 
Zur Vollendung der Operation ist die perineale Lithotripsic an¬ 
gezeigt, wenn während der gewöhnlichen Steinzertrümmerung 
die Harnröhre durch Prostatasehwellung oder Steineinklemmung 
unwegsam geworden ist, und in der Blase noch grössere Frag¬ 
mente vorhanden sind. 

Der hohe Blasonschnitt ist angezeigt bei Steinen, die die 
ganze Blase ausfüJlen oder vermöge der Grösse auch nur eines 
ihrer Durchmesser in einer Lage festgeklemmt sind, ferner bei 
Steinen in Divertikeln, im tiefen Fundus, bei eingekapselten 
Steinen, Ureterblasensteinen oder wandständigen und ange¬ 
wachsenen Steinen, Ferner bei Fremdkörpersteinen, bei Kompli¬ 
kation von Stein und Neoplasmen der Blase und endlich, wenn 
eine Fistel angelegt werden soll. 

4. Herr C a s pe r - Berlin: Die Veiwerthung der funk¬ 
tioneilen Nierenuntersuchung für die Diagnostik der Nieren- 
und Bauchohirurgie. 

Vortr. berichtet über seine weiteren Untersuchungen und 
Erfahrungen auf dem Gebiete der funktionellen Nicrenunter- 
suchung mittels der von ihm und P. F. Richter angegebenen j 
Methode. Letztere besteht bekanntlich darin, dass man den j 
Harn beider Nieren gleichzeitig getrennt auffängt und unter¬ 
sucht, Während Albumen und die körperlichen Elemente, wie 
weisse und rotlu* Blutkörperchen, Cylinder, Mikroorganismen, 
über die anatomische Beschaffenheit des Organs belehren, 30 kann 
man die funktionelle Kraft jeder von beiden Nieren aus der zu 
vergleichenden Menge des im Harn ausgeschiedenen N, dos durch 
Phloridzininjektion künstlich produzirten Zuckers (Sa) und der 
Gefrierpunktserniedrigung dt* Harns messen. Bei gesunden 
Nieren sind die drei Werthe auf beiden Seiten gleich, bei der 
kranken Niere sind sie stets auf der kranken Seite niedriger 
als auf der gesunden, und zwar dermaassen, dass je kränker die 
Niere, um so kleiner die Werthe. Durch zahlreiche neue Unter¬ 
suchungen hat sich Vortr. überzeugen können, dass die Methode 
auch darüber hinaus geeignet ist, bei schwierigen Fällen der 
Bauchchirurgie in allgemein- und differentialdiagnostischer Hin¬ 
sicht willkommene und worthvolle Unterstützung zu leisten. 
Einige dieser Fälle, die besonders dazu angethan sind, die vom 
Vortr. ausgesprochene Ueberzeugung zu begründen, werden mit- 
getheilt. Es sind im Ganzen 9 Fälle. 

Der erste Fall betrifft eine kräftige Frau, die im Sommer des i 
Jahres 1889 unter den Erscheinungen einer rechtsseitigen Nieren- | 
steinkolik erkrankte. Nach einiger Zeit verschwunden die Krauk- 


heitserscheinungen, und die Patientin hatte bis zum Oktober 1900 
Kühe, daun begannen alle 3 Tage heftige rechtsseitige Koliken 
aufzutreten, die mit dem Abgehen vieler kleiner und Mitte No¬ 
vember eines grossen, sehr langen Steines endigten. Seitdem hatte 
die Patientin rechts keiue Anfälle mehr, wohl aber stellten sich 
Krankheitserscheinungen, wenn auch in geringerem Grade, in der 
linken Niere ein, so dass man an einen Stein ln der linken Niere 
dachte. Gewissheit sollte aber die Ureterenuntersuchuug ver¬ 
schaffen. Dieselbe ergab folgendes Resultat: Rechts: Harn trübe, 
albumenhaltig; im Sediment zahlreiche rothe Blutzellen. a 0,95, 
Sa 0.8, N 0,24. Links: Harn klar, albumeufrei. Im Sediment nur 
Epithelieu. A 1,00, Sa 1,2. N 0,38. Auf Grund dieser Ergebnisse 
wurde die Diagnose auf einen Stein im rechten Nierenbecken ge¬ 
stellt. und die daraufhin von Prof. Kotter ausgeftihrte Nephro¬ 
lithotomie ergab die Richtigkeit dieser Diagnose. Patientin Ist 
genesen. 

In dem zweiten Falle handelte es sich um eine 34 jübrige 
Patientin, bei der im Abdomen rechts unterhall» des Rippenbogens 
ein harter, etwas druckempfindlicher, bei der Athmung nicht ver¬ 
schieblicher, bimanuell von hinten und vorn palpabler Tumor fest- 
gestellt wurde. Die Ureterenuntersuchuug mit Phloridzin ergab 
auf l»eiden Seiten klaren, normalen llam und gleiche Wertln* für 
Gefrierpunktsemiedrigung und Sa. Demnach wurde ein Tumor 
diagnosticirt, der die Niere wenig oder gar nicht betrifft,, jeden¬ 
falls die Functionskraft der letzteren nicht tangirt, ein Tumor, 
der dem Nierenlappen angeliört. nicht aber der Niere selbst. Die 
von Prof. Rot t er ausgeführte Operation ergab ln der Timt 
völlige Unversehrtheit der rechten Niere. Dieselbe war von einem 
allseitig mit der Umgebung verwachsenen Adenom der Nebenniere 
überlagert. Entfernung des Adenoms. Heilung. 

Im dritten, dem vorstehenden ähnlichen Falle handelt es sich 
um einen 49 jährigen Patienten, bei dem auf Grund der bestehen¬ 
den Erscheinungen der eine Chirurg, ohne eine genaue Diagnose zu 
stellen, zur Freilegung der Niere rieth, der andere mit Wahr¬ 
scheinlichkeit einen Tumor des Nierenbeckens diagnosticirt«*. Dar¬ 
auf kam der Patient zum Vortragenden. Der zur Prüfung der 
Funktionsfäliigkeit vorgeuommeno Ureterkatheterismus Ii«*ss die 
Funktionskraft der linken Niere höher erkennen, als die der 
rechten, und so gab Vortragender sein Urthell dahin ab, dass zwar 
eine Unregelmässigkeit au der linken Niere vorhanden sei, daiss 
diese aber die Niere selbst unbeschädigt gelassen haben müsse. 
Die Operation ergab folgendes bemerkeuswerthe Resultat: An der 
Niere befanden sieh mehrere bis hühnereigrosse Cysten, die nicht 
mit «lern Nierenbecken zusammenhingen. Nierenbecken und 
Nlereneysten selbst frei und normal. 

Im vierten Falle, der einen 38 jährigen Patienten betraf, 
schwankte die Diagnose zwischen einem Tumor der reelit«*n Niere 
und einem perityphlltischen Ahscess. Die Urinuntersuchung ergab 
auf beiden Seiten ganz normal«*« Harn, und so konnte der Tumor, 
«ler sehr gross war. unmöglich der Niere augehören. Die Punktion 
des Tumors ergab stinkenden Eiter. Bei der daraufhin vor¬ 
genommenen Operation wurde ein perltyplilitlscher Ahscess fest¬ 
gestellt. 

Im fünften Falle schwankte die Diagnose zwischen Gallen¬ 
steinkolik und Nlereusteinkolik. Auch in diesem Falle wurde die 
Differentialdiaguose einzig und allein Dank der Prüfung d«*r 
Funktionsfähigkeit beider Niereu, die beiderseits fast vollständig 
übereinstimmende Zahlen ergab, zu Gunsten der Gallenstelnk«»llk 
entschieden. In der That wurde die betreffende Patientin wenige 
Wochen darauf gelb. Nach Ablauf des Ikterus ist sie genesen, 
olnn* dass die Koliken wiedergekehrt sind. 

In den übrigen Fällen (4 au der Zahl) handelt es sieh um 
Nephralgien, die unter dem Bild«* von Nephrollthtasis verliefen. 
In diesen Fällen konnte wiederum Dank der Funktlonsprtifung der 
beiden Nieren die Nephrolithiasis mit Sicherheit ausgeschlossen 
werden. 

Durch vorstehende Falk* glaubt Vortragender dargethnn zu 
haben, dass der Ureterkatheterismus, verbunden mit der funktio¬ 
nellen Untersuchung (d. h. der Vergleichung der Werthe für N, 
Gefrierpuuktserniedrigung und Sa), der Nierenchirurgie und auch 
im Allgemeinen der Bauchchirurgie willkommene Unterstützung 
bei schwierig zu dlagnosticirendeu Fällen zu leisten im Staude ist. 
Vortragender bemerkt aber, «lass mau diese Methode nicht unter¬ 
schiedslos ln allen Fällen anwenden soll, dass sie vielmehr re- 
servirt bleiben muss für diejenigen Fälle, ln denen mau mit den 
sonstigen bewährten diagnostischen Untersuchungsmethoden allein 
nicht zum Ziele gekommen ist. Die Methode soll die früheren 
Verfahren nicht ersetzen, sondern sie soll sie ergänzen. 

5. Herr P o s n e r - Berlin berichtet über einen neuen Fall 
von überzähligem Harnleiter bei einem jungen Mädchen. 

Der überzählige Ureter mündete unter der Harnröhre, 
zwischen ihr und den kleinen Labien. P. hat «lurch eine Klemme, 
deren eine Branche er in die Blase, deren andere iu den über¬ 
zähligen Ureter einführte, eine Kommunikation zwischen diesem 
und der Blas«* hergestellt und dann die äussere Mündung des 
Ureters geschlossen. 

(5. Herr T r e n d e 1 e n b u r g - Leipzig: lieber Heilung der 
angeborenen Blasenspalte mit Continenz. 

(Erscheint in extenso in dieser Wochenschrift.) 

7. Herr K ü m m e 11 - Hamburg stellt eine grosse Reihe von 
Lupusfällen vor, die durch Röntgenstrahlen behandelt 
worden sind, und glaubt iu vielen dieser Fälle von Heilung 
sprechen zu dürfen. Die Behandlung dauerte bis zu ly, Jahr. Die 
Narben sind ungleich b«*ssor als bei jedweder anderen Behandlung. 

8. Herr S c h u c h a r d t - Stettin: "Heber Operationstische 
im Allgemeinen, nebst Demonstration eines neuen Tisches. 


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MUENCHENER MEDIZINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Sch. ist von der Verwendung von ..Universaltischen“ abge- 
konunen, weil für die überwiegende Mehrzahl der chirurgischen 
Operationen nur eine ganz einfache horizontale Lagerung noth- 
wendig ist und kompllzirte Vorrichtungen hierbei nur im Wege 
sind. ..Specialoperationstische“ werden nur für den besonderen 
Fall in Gebrauch gezogen. Die einfache Beckenhochlagerung bei 
geradegestellten Hüftgelenken, namentlich zur gynäkologischen 
Laparotomie erreicht Sch. in einfachster Weise durch einen Veit- 
S c 1» r ö d e r'schen Untersuchungsstuhl, bei dem die Sitzplatte 
sieh um einen gemeinsamen Drehpunkt In die Höhe, die Rücken¬ 
platte nach abwärts bewegen Hisst Die Patientin wird in den 
Beinhaltern an den gebeugten Kuieen befestigt und Ihr Oberkörper 
und Kopf hängt, lediglich durch eine glatte, um 45 0 geneigte 
Fläche unterstützt, frei nach abwärts. 

Sch. hat nach dem Princip des Trendelenbur g’schen 
Stuhles einen Tisch konstruirt, der eine für sämmtliche Körper¬ 
grössen Erwachsener ausreichende Verschiebung innerhalb der 
Unterstützungsflüche ermöglicht. Er demonstrirt die Vortheile 
des Tisches, insbesondere für die verschiedenen Modifikationen 
der Beckenhochlagerung, für Eingriffe und für Hals- und Kopf¬ 
operationen. 

Dlscussion: Herr Kümraell - Hamburg (zur Prostuta- 
operation) ist der Ansicht, dass jede Operation ira Dunkeln ihre 
Nachtheile hat. dass aber die Erfolge der B o 11 i n i’schen Opera- 
lion nicht geleugnet werden können. Dass der operirte Patient 
sofort uiiniren kann, ist eine seltene Ausnahme, doch braucht er 
meist den Katheter nicht mehr. Die Fälle, die für die B o 11 i n i’- 
selie Operation geeignet sind, müssen aufgesucht werden, nicht 
alle passen dafür. Das Messer macht er im Gegensatz zu Anderen 
so heiss als möglich, und er braucht nicht einmal Cocain zur An- 
aesthesie, weil der geringe Schmerz des weissglühenden Messers 
gut ertragen wird. K. demonstrirt dann noch ein Präparat, wel¬ 
ches % Jahr nach der Operation gewonnen wurde. 

Herr S trau ss- Frankfurt a/M. hält eine regelrechte Cysto- 
fkopie für eine conditio sine qua non bei der Bott i u i'schen 
Operation. Man wird dann immer wissen, wohin man schneiden 
soll. Eventuell operirt man in 2 Zeiten. 

Herr v. Eiseisberg - Wien hat 8 mal die M a y d l’sche Im¬ 
plantation der Ureteren gemacht, mit 3 Misserfolgen und 5 Hei¬ 
lungen. Bei den 3 Misserfolgen hat stets die ascendirende Pyelitis 
oiuc Rolle gespielt. 

Herr Schlagi nt weit (Schlusswort): Er hat Herrn 
K trauss zu entgegnen, dass die Cystoskopie vor der Operation 
nic*l»t die Aufklärung gewährt, die er von ihr erwartet. Abgesehen 
davon, dass sie sehr oft nicht ausführbar ist. liegt der nachher 
cingeführte Incisor oft nicht mehr an derselben Stelle, wie vor¬ 
her das Cystoskop. Man kann in der linken Gabel der Y-förmigen 
Harnröhre cystoskopirt haben und den Incisor dann, ohne es zu 
bemerken, rechts oinführen. wodurch der ganze, auf der Cysto¬ 
skopie fussende Schnittplan hinfällig wird. Oft ist ein sehr grosser 
Mittcllappen im Cystoskop gar nicht als solcher zu erkennen und 
wird für einen Seitenlappen gehalten. 

fl. Herr F. Krause- Berlin berichtet über einen Fall von 
Epilepsie, der seit 8 Jahren durch Operation ge¬ 
ll c i 11 ist 

Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Referent: Edmund Falk- Berlin. 

Ritzung vom 24. September 1901, V ormittags. 

Vorsitzender: Herr P. Müller. 

1. Herr Werth- Kiel: Die Erhaltung der Ovarien bei 
Tlyomotomie, vaginale TJternsexstirpation und Adnexopera¬ 
tionen. 

Vorir. legt als Beitrag zu der in neuester Zeit lebhafter dis- 
cut irtcn Frage, ob es besser sei, bei radikalen Operationen am 
l'lerus die Eierstöcke zu erhalten oder mitzuentfernen, das Er¬ 
gebnis* von Erhebungen vor, die er bei 122 mit Erhaltung der 
Ovarien operirten Füllen von Amputatio supravaginalis (32) und 
vaginaler Totalexstirpation (90) anstellcn konnte. Als Grundlage 
für die Beurthcilung des bei dem konservirenden Verfahren er¬ 
zielten Erfolges dienten: 

1. Feststellungen über die Häufigkeit, des vollständigen Aus¬ 
bleibens von Ausfallserscheinungen und speziell des besonders 
markanten Symptome* der sogen. Wallungen, sowie etwaiger 
t ne'bischer Störungen an Vulva und Vagina. 

2. Feststellungen über sekundäre Veränderungen und etwaige 
pathologische Wirkungen der zurü«kgebliebenen Ovarien. 

Von Wallungen sind gänzlich ui. t während der gesammten 
Ihnbachtungszeit frei gewesen im Durchschnitt 50 Proc. aller 
Ojc iirtcn (nach Amputatio supravaginalis 53 Proc., vaginaler 
T« t.ih'xstirpation wegen Adnexerkrankung 61 Proc.). Dabei ist 
zu b i iieksichtigon, dass sehr genau darauf examinirt worden, ob 
zu ;;\;end einer Zeit Wallungen bestanden haben, sowie ferner, 
dz .. die grosse Zahl ganz leichter Fälle mit schwachen und nicht 
h.l: enden Erscheinungen, ferner auch die Fälle von späterem 

f ft i_.it d :n r.:d ürli hen Klimakterium zusammenhängenden Er¬ 


No. 42. 


scheinen des Symptoms grundsätzlich noch auf der ungünstigen 
Seite gebucht wurden. Auch ohne eine auf diese Momente Rück¬ 
sicht nehmende Korrektur der gefundenen Verhältnissziffer lässt 
diese schon die Ueberlegenheit des schonenden Verfahrens über 
das radikale deutlich erkemien. Werth selbst sah von 16 mit 
Fortnahme der Ovarien operirten (7 supravaginale Amputationen, 
9 vaginale Totalexstirpationen) Fällen nur 2 von Ausfallserschei¬ 
nungen frei, bei 5 bestanden in höherem Grade belästigende, bei 
3 sehr schwere Ausfall.ssyinptome. Von anderen Untersuchungen 
fand Burckard bei 47 mit supravaginaler Amputation ohne 
Schonung der Ovarien Operirten 81—89 Proc. — Mainzer 
unter 79 Fällen von vaginaler Radikaloperation 81 Proc. von 
Wallungen befallen. 

Die Aussichten für die Forternährung des Ovarium sind 
etwas besser bei der supravaginalen Amputation, welche auch 
eine schonendere Behandlung des Organes und Herstellung 
breiterer Verbindungen mit der gefässführenden Umgebung ge¬ 
stattet, ferner, wie es scheint, in denjenigen Fällen, wo bei vagi¬ 
naler Operation ein mit der Nachbarschaft breit verwachsener, 
aber sonst nicht in höherem Grade veränderter Eierstock sich 
findet und zurückgelassen werden kann. 

Nach den Erfahrungen des Vortragenden ist es nicht richtig, 
das erhaltende Verfahren auf jüngere Personen zu beschränken 
und bei Frauen an der oberen Grenze des fortpflanzungsfähigen 
Alters das Ovarium als einen für den Organismus werthlos ge¬ 
wordenen Luxustheil zu behandeln. Entgegen der fast durchweg 
herrschenden Ansicht hat der Vortragende die Erfahrung ge¬ 
macht, dass noch weit nach dem 40. Lebensjahre die Folgen der 
Kastration recht bemerkbar werden können, fast regelmässig und 
oft auch heftig sich zeigen, sobald die Frauen bis zur Zeit der 
Operation noch menstruirt waren, aber auch nicht immer fehlen, 
wenn 9chon früher Menopause eingetreten war. 

Nach des Vortragenden Erfahrung ist für den mit dem 
Zurücklassen des Organs angestrebten Erfolg das Quantum von 
Eierstock sehr innassgebend, welcher zurückbleibt. Beiderseitige 
Erhaltung gibt die besseren Resultate. Mit nur einem Stück 
Ovarium lassen sich die Ausfallswirkungen in der Regel nicht 
fern halten. Wenn bei Kastration wegen Myom zuweilen das 
Zurückbleiben eines kleinen Stückes den Erfolg vereitelt, so liegt 
das an den exceptionell günstigen Bedingungen, welche für die 
Forternährung des in situ belassenen Restes bestehen können. 

Von 5 Frauen, die nach der supravaginalen Amputation aus 
dem Stumpf regelmässig weiter menstruirten, hatten 4 ausge¬ 
sprochene, zum Theil recht lästige Ausfallssymptome, eine Er¬ 
fahrung die es fraglich erscheinen lässt, ob die Bildung eines 
grossen menstruationsfähigen Uterusstumpfes wirklich bessere 
Garantie für eine vollkommen gute Erhaltung des Ovariums uud 
für das spätere Befinden der Operirten darbietet. 

Ebenso wie Abel und andere Untersucher beobachtete 
Werth in der Mehrzahl der für Palpation des Ovariums ge¬ 
eigneten Fällen oft nach anfänglicher mässiger Schwellung eine 
deutliche Verkleinerung der Ovarien, dagegen waren atrophische 
Veränderungen an Vagina und Vulva im Gegensatz zu dem 
häufigen Vorkommen derselben nach Fortnahme der Ovarien 
auch bei den vor langer Zeit Operirten nie ausnahmsweise und 
nie in höheren Graden vorhanden. 

Gröbere Veränderungen und pathologische Wirkungen hat 
Werth nicht in der von den Anhängern des radikalen Ver¬ 
fahrens behaupteten Häufigkeit und Bedeutung an den zurück- 
gelassenen Ovarien nachweisen können. Nur in wenigen Fällen 
liessen sich — in keinem einzigen mit voller Bestimmtheit — 
noch bestehende Schmerzempfindungen auf das zuriickgelassene 
Ovarium allein zurückführen. Vor die Nothwendigkeit, aus 
Rücksicht auf solche Schmerzen die nachträgliche Entfernung 
zu erwägen, war Vortragender jedenfalls in keinem Falle gestellt. 

Oystenbildung mässigen Umfangs kam 3 mal nach vaginaler 
Totalexstirpation vor. Einmal entpuppte sich dieselbe später als 
tuberkulöser Herd, in dessen bindegewebiger von Tuberkeln 
durchsetzter Wand keine Eierstockselemente nachgewiesen 
werden konnten — in einem zweiten Falle war bereits zwei Jahre 
früher wegen eines Cystoma serosum simplex der andere Eier¬ 
stock entfernt worden. Um nichts unregistrirt zu lassen, was 
dem zuriiekgelassenen Eierstocke zur Last gelegt werden könnte, 
erwähnt Vortragender noch einen Fall, wo im Anschluss an einen 
Sprung vom Stuhle 9 Monate nach einer supravaginalen Ampu- 


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15. Oktober 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1675 


tation unter hohem Fieber sieh Beekenoxsuflate entwickelt 
hatten, in weleheni aber für eine Betheiligung der Eierstöeke 
nichts und alles dafür sprach, dass dieselbe durch Explosion eines 
alten bis dahin symptomlos getragenen Eierstoekes im Bocken 
in Folge der starken Erschütterung entstanden war. 

Mit dem Vorbehalt, welchen die für eine kritisch statistische 
Verwerthung bei Weitem zu kleine Zahl seiner Beobachtungen 
ihm auferlegt, glaubt er an diesen doch weitere Stützen für seine 
Ueberzeugung gefunden zu haben, dass unsere zerstörenden Ein¬ 
griffe an den inneren Genitalien wenn irgend möglich an den 
Ovarien Halt machen sollen, weil deren Zurücklassung 

1. die operirten Frauen mit einem nicht geringen Maasse 
von Wahrscheinlichkeit vor dem Auftreten von Ausfallsboschwer¬ 
den bewahrt, 

2. vielleicht noch sicherer vor sekundärer Atrophie der 
Vagina und Vulva schützt, 

3. weil gröbere Nncherkrankungen der zurückgelassenen 
Ovarien und von diesen ausgehende. Störungen zwar Vorkommen, 
durcii eine richtige Auswahl der für die konservirende Behand¬ 
lung geeigneten Fälle aber ziemlich sicher vermieden werden 
können, jedenfalls aber eine so seltene Ausnahme bilden, dass 
sie gegenüber den Vortheilen, welche das erhaltende Verfahren 
gewährt, nicht in Betracht kommen können. 

Dlscussiön: Herr Schatz lieriehtet über einen Fall, in 
dem, trotzdem nur ein kleiner Theil des Ovariuin erhalten blieb, 
zwar Schwangerschaft eintrat, aber nach einem Jahre die Men¬ 
struation ausblieb: er schliesst daraus, dass die Erhaltung kleiner 
Koste vom Ovarium nicht genügt. 

2. Herr Carl Everke - Bochum: Ueber Kaiserschnitt. 

In den letzten 3 Jahren hatte E. 29 mal Veranlassung, eine 
Sectio caesarea auszuführen (24 conservativ, 4 Porro, 1 Total¬ 
exstirpation). Von den 29 Fällen starben 8, davon 3 an Eklampsie, 
1 an vorher bestandener Sepsis, 1 an croupöser Pneumonie, 1 an 
Verblutung (ltuptura Uteri). 

Die Indikationen zur Sectio wurden gegeben 21 mal durch 
Beckenenge, 5 mal durch Eklampsie, 2 mal durch Ruptura Uteri 
und 1 mal wegen Verlagerung des Uterus durch frühere Ventro- 
fixatio. 

Im Ganzen hat Everke in 7 Fällen wegen Eklampsie 
Sectio gemacht. Es handelt sich immer um Erstgebärende, die 
6—12 Stunden bewusstlos, nach wiederholten, oft wiederkehren¬ 
den Krämpfen gebracht wurden, kurz Fälle schwerster Art, und 
wo die Engigkeit des Muttermundes und die erhaltene Cervix cs 
unmöglich machten, per vias naturales das Kind zu entwickeln, 
wo ferner durch die. trotz Narkotica immer wiederkehrenden 
Krämpfe, andauernde Bewusstlosigkeit, hochgradige Cyanose und 
Lungenoedem u. s. w. der Gesammteindruck ein solcher war, dass 
man sagen musste, in kurzer Zeit sind Mutter und Kind ver¬ 
loren. Von den 7 Müttern sind 2 genesen, 5 Mütter starben an 
der Eklampsie. In den 7 Fällen wurden 5 mal die Kinder lebend 
geboren, in 2 Fällen waren die Kinder schon vor der Sectio ab¬ 
gestorben. 

Als Schnittmethode wurde bis auf 3 Fälle der vordere Längs¬ 
schnitt gewählt; der quere Fundalsehnitt erleichtert wohl die 
Entwicklung der Frucht, er trifft aber ebenso oft die Placenta, 
wie der Längsschnitt. Hie Blutung hat bei Längsschnitt nie be¬ 
lästigt. Die Narbe wird in der dickeren Vorderwand kräftiger 
sein, als in der dünneren Funduswand. Die Verwachsungen der 
ITterusnarbe mit Nachbarorganen sind bei Längsschnitt ziemlich 
gleichgiltig, bei Fundalsehnitt, wo leicht Magen und Darm mit 
der üterusnarbe verwachsen können, gewiss für das spätere Be¬ 
finden nicht gleichgiltig. Abscedirungen in der Uteruswunde 
werden bei Längsschnitt bequem nach vorn durchbrechen, im 
Fundus dagegen gern in die Bauchhöhle. Verwachsungen der 
Funduswunde mit der Bauchwundc veranlassen eine abnorme 
Fixation des Uterus. 

Sofort nach Entleerung des Uterus wird ein Jodoformgaze- 
tnmpon in den Uterus gelegt, um grösseren Blutverlust und 
Atonia uteri zu verhindern. Zur Uterusnaht wurde in den letz¬ 
ten Fällen Juniperusölcatgut gebraucht. Eine Reihe Catgut¬ 
fäden, die nur Decidua und innerste Muskelschicht fassen, wird 
nach der Uterushöhle zu geknotet, dann tiefe und oberflächliche 
Catgutfäden nach der Bauchhöhle zu. 

Auf Grund seiner Erfahrungen stellt Everke folgende 
Thesen auf: 

1. Die Perforation dos lebenden Kindes ist fast ganz zu ver¬ 
worfen. Das spätere Befinden ist bei den Frauen nach Sectio 


besser, als wenn auf andere hier in Frage kommende Weise (Per¬ 
foration oder Syniphyseotoinie) die Geburt beendet ist, in An¬ 
betracht der hierbei oft nicht zu umgehenden Verletzungen der 
Geburtswege (Dammriss, Fistel u. s. w.). 

2. Vorherige Untersuchungen sind keine Contraindikationen 
für Sectio. Durch energische Desinfektion wird man oft die 
Infektionskeime entfernen. Bei den schweren Verletzungen der 
vaginalen Operation werden mehr Eingangspforten für Sepsis 
geschaffen, als bei der Sectio. 

3. Zur Verhütung von allgemeiner Infektion und zur Ge¬ 
winnung einer festeren Uterusnarbe, die in späteren Schwanger¬ 
schaften Stand halten kann, ist obige. Nahtmethode zu empfehlen. 

4. Der vordere Längsschnitt ist den anderen Schnitt¬ 
methoden vorzuziehen. 

5. Zur Verhütung von grösserem Blutverlust und Atonia 
uteri empfiehlt cs sich, erst bei Eintritt von Wehen zu operiren, 
und nach Entwicklung der Frucht und Placenta einen Jodoform- 
gazetampon in die Uterushöhle zu legen. 

6. Auch in Fällen schwerster Eklampsie ist unter Umständen 
zur Rettung von Mutter und Kind Sectio indizirt, 

IÜscursIoü: Herr 7. w e i f e 1 machte darauf aufmerk¬ 
sam, dass bisher die Naht eines rupturirten Uterus nicht als 
Kaiserschnitt bezeichnet wurde. Bei einem septischen Uterus 
einen Kaiserschnitt auszuführen, sei nicht zweckmässig; die Ge¬ 
fahren sind bei schon bestehender Sepsis zu gross. Bei Eklampsie 
muss man gleichfalls die Indikation für den Kaiserschnitt mög¬ 
lichst. einschriiukeii. 

Herr K ü s t n e r warnt gleichfalls dringend, bei einer er¬ 
kannten Sepsis die Sectio caesarea auszuführen; jedesmal traten 
schwerste Störungen der Kecouvalescenz oder der Exitus ein, falls 
gegen diese Kegel verstossen wurde: wir können nie beurtheilen. 
wie weit die Infektion vorgeschritten ist. Kiistner empfiehlt 
einen Längsschnitt in situ zu machen, ohne den Uterus vor die 
Bauchdecken hervorzuwälzen: Umschnürung mit dem Schlauch 
und Kompression der Ligamenta lata sei nicht nüthlg. 

Herr Martin: Bei Eklampsie, bei drohendem Collaps, hat 
Martin mit günstigem Erfolge die schnelle Entleerung des 
Uterus mittels des abdominalen Kaiserschnittes ausgeführt, aller 
auch er empfiehlt liel Eklampsie die Einschränkung auf die 
dringendsten Fälle. Technisch ist Martin mit dem Fumlal- 
schuitt »ehr zufrieden, da dieser Schnitt durch die Kontraktion 
des Uterus sich sehr verkleinert. 

Herr Werth hält eine prophylaktische Uterustamiionade 
nicht für ratbsam, da die Kontraktionen zu stark sind und die 
Nähte gefährden können. Auch Werth ist für die Operation ln 
situ, welche er stets ausgeführt hat; sie ermöglicht möglichst 
kleinen Schnitt. Den entleerten Uterus hingegen wälzt er zur 
Anlegung der Nähte vor die Bauchdecken. — Ist eine Indikation 
für Verhütung weiterer Couception vorhanden, so wird der Porro 
wieder mehr Anwendung finden, als Jetzt geschieht. 

Herr Schatz empfiehlt eine leichte intrauterine Tamponade 
als Reizmittel zur Anregung von Kontraktionen, aller bei Eklamp¬ 
sie kann die Tamponade neue Anfälle auslösen. Schatz sah liel 
den allerschwersten Fällen günstige Erfolge von der Sectio 
caesarea, aber auch nur in diesen verzweifelten Fällen ist sie 
gestattet. 

Herr Müller sah von dem Herauswälzen des Uterus und 
der Umlegung eines Schlauches keine Nachtheile. Zur Naht em¬ 
pfiehlt er, wie Everke, möglichst exakte Naht der inneren 
Schichten der Gebärmutter. 

Herr Everke verwahrt sich dagegen, dass er im Allge¬ 
meinen bei septischen Zuständen die Sect. caes. empfohlen halie; 
auch bei Eklampsie macht er die Sectio nur ln Fällen, in denen 
die Frauen den Eindruck einer Moribunden machen. 

3. Herr Winternitz - Tübingen demoustrirt das Präparat 
eines carcinomatösen Uterus stimmt dem ausgedehnt erkrankten 
und liei der Operation miteutfemten linken Parametrium. Es 
handelte sich um eine 50»jährige Frau, welche von Prof. Döder- 
1 e 1 n nach der Werthel m’schen Methode operirt wurde. 
Beim Freipräpariren des linken Ureter zeigte es sich, dass der¬ 
selbe mitten durch das carclnomatös lnflltrirte Pammctrium hin¬ 
durch verlief. Der Ureter wurde absichtlich durchschnitten, um 
das Parametrium möglichst radikal entfernen zu können. I>le 
linke Niere wurde herausgenommen. An der Theiluugsstelle der 
Aorta waren 2 Drüsen von Bohuengrösse nachweisliar, welche ex- 
stirpirt und später ln Serienschnitte zerlegt wurden. Eine der- 
sellien erwies sieh bei der mikroskopischen Untersuchung als 
carclnomatös. (Die mikroskopischen Präparate der Drüse und des 
Portiocarcinom8 wurden demoustrirt.) Pat. Ist von der Operation 
genesen. In den anderen von Prof. Döderldn nach Wert- 
heim operirten Fällen von Careinom waren die Drüsen nicht 
carclnomatös. 

4. Herr Gellhorn -St Louis demonstrirt einen Fall von 
Vaginitis exfoliativa, über den er im Anier. Joum. of Obstetr. 
in extenso berichtet hat. Die 50 jährige Patientin, die an Menor¬ 
rhagien bei grossen Uterusmyomen litt, wandte ein Geheimmittel 
an, und zwar Scheidensnppositorien, die ihr gegen Fibrome nu- 
geprieaeu wurden. Darauf erfolgte neun Mal in sechs 
Wochen Ausstossung der Scheldensehleimliant in Form unver¬ 
sehrter bimförmiger Säcke, die mikroskopisch nur aus verhornten 


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3676 


MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Plattcneplthelien bestehen. Trotzdem keine Alteration der Scheide. 
Vogen amlauernder Blutungen begab sieh Put. endlich in ilr/.tiiche 
Behandlung und G c 11 h o r u führte die supravagimüc Amputation 
aus. Völlige Genesung. 

5. Herr Jnng demonstrirt 2 Teratome, welche in der Grelfs- 
walder Klinik entfernt wurden und welche sich durch die Mannig¬ 
faltigkeit der in denselben enthaltenen Gewebe auszeichnen. In 
dein einen Falle fanden sich schwere Veränderungen scheinbar 
maligner Natur am Netz und an den retroperitonealen Drüsen, 
die mikroskopische Untersuchung ergab, dass es sieh um eine Er¬ 
krankung der Gefässe handelte, welche diese Veränderungen her- 
vorrufe, diese Dissemination auf dem Peritoneum war also gut¬ 
artig, und es ist wahrscheinlich in gleicher Weise die Heilung 
der Fälle zu erklären, welche in der Literatur beschrieben sind, bei 
denen trotz Dissemination auf das Peritoneum kein Recldiv ein- 
trnt. Natürlich kann auch ein Teratom Sitz einer sarkomatosen 
Degeneration werden und alsdann Metastasen machen, dieselben 
sind dann aber sarkomatöser Natur. 

6. Herr A. Martin : Heber Myomenncleation. 

Die radikal-operative Behandlung der Myome hat heute eine 
weit breitere Basis gewonnen; es ist aber zweckmässig, die kon¬ 
servativen Methoden bei der Myombehandlung wieder mehr zu 
pflegen; die Enucleation bei Myome, welche ein funktionsfähiges 
Organ erhält, trat mehr in Hintergrund, wenn auch eine Reihe 
günstiger Beobachtungen über dieses konservative Verfahren 
vorliegen. Nachdem M. 1893 schon über 139 Enuclea- 
tionsfälle berichtete, hat er 1892 bis Ostern 1899 über 140 
Enucleationen bei Myomen ausgeführt. Seine heutigen Bemer¬ 
kungen sollen sich bezüglich der Operationsresultate auf 50 in 
2/s Jahren in Greifswald operirte Fälle basiren, 40 Fälle sind 
vaginal operirt, alle sind genesen, 10 abdominal ausgeführt, von 
denen 3 starben, welche unter ungünstigen Verhältnissen operirt 
wurden (bei eitrigen resp. infektiösen anderweitigen Erkran¬ 
kungen). 2 mal traten Blasenverletzungen ein bei atypischer 
Lagerung der Blase. Das spätere Verhalten der operirten Frauen 
ist als durchaus befriedigend zu bezeichnen. Die Rekonstruk¬ 
tion des Uterus ergab bei multipler Enucleation günstige Ver¬ 
hältnisse. Recidive sah Martin unter ca. 260 bis Ostern 1899 
enucleirten Fällen nur 7 mal. Die Möglichkeit der Conceptions- 
fähigkeit ist aber besonders wichtig. Schwangerschaften sind 
allerdings nicht viel beobachtet. Martin kann über 5 neue 
Fälle, von denen in 3 auch das Cavum Uteri eröffnet werden 
musste, berichten. Aber auch im Klimakterium sucht Martin 
den Uterus zu erhalten. Wann soll operirt werden ? Erst bei der 
Operation lässt sich entscheiden, ob genügend funktionsfähiges 
Gewebe für Erhaltung des Uterus vorhanden ist. Im Allgemeinen 
wird man sehr umfangreiche fest verwachsene Myome nicht von 
der Scheide operiren, dessgleichen bei ungünstigen Scheidenver¬ 
hältnissen. Anaemie (Myomherz) und clironischer Bronchial¬ 
katarrh lasen, wenn irgend möglich, eine vaginale Operation 
wünschenswert!! erscheinen. In allen Fällen ist eine vollkommene 
Freilegung des Uterus nothwendig, die eventuell eröffnet« Uterus¬ 
höhle muss selbstverständlich für sich vernäht werden, wichtig 
i9t dass die Serosa geuau zum Abschluss kommt. Ob die vordere 
oder hintere Colpocoeliotomie ausgeführt wird, hängt vollkommen 
von dem Sitz der Myome ab, im Allgemeinen bevorzugt Mar- 
t i n den vorderen Scheidenschnitt. Die Vortheile der Enuclea¬ 
tion sind so gross, dass sie mehr wie bisher angewendet werden 
sollte; man kann mit der Enucleation früher Vorgehen, als bei 
einer Totalexstirpation. 

7. Herr Heinrich: Ueber Alexande r’sche Opera¬ 
tion. 

Die Alexande rische Operation hat sich in der Stille 
während der letzten 10 Jahre viele Anhänger erworben. Die Mehr¬ 
zahl derselben dürfte wohl der von Fritsch ausgesprochenen 
Ansicht beistimmen, dass, wenn diese Operation stets Dauer¬ 
erfolge gibt, sie zweifellos die beste, ungefährlichste und rich¬ 
tigste Methode der Heilung der Retroflexio ist. Diese ist sie 
sicher bei Retroflexio raob., falls keine üblen Folgen darnach 
entstehen. Bei fixirter Retroflexio ist die Eröffnung des Bauches 
in der Mittellinie vorzuziehen, lieble Folgen sind bei der Geburt 
nicht bekannt, Heinrich hat unter 8 Entbindungen, von 
denen er 3 selbst beobachtete, auch nichts dergleichen beobachtet. 

Einzelne Fälle von späteren Hernien sind mitget.heilt, und 
diese Fälle werden sich sicher mehren, wenn wir nicht zu einem 
einheitlichen, hernienverhütenden Operationsverfahren kommen. 
Ein solch«« Verfahren muss die Bildung eines künstlieben Bruch¬ 
sackes vermeiden, und ebenso die Zurücklassung einer schwachen 
Stelle in der Bauchwand. 


Heinrich betont, dass bei gehöriger Verkürzung des Lig. 
rot. sich stets eine Ausstülpung des Peritoneums bilde und dass 
dieses künstliche Divertieulum Nuckii verödet werden müsse. 

Desswegen muss der Leistenkanal eröffnet werden und nach 
Anziehen dos Bandes der Peritonealtrichter eingeschlitzt werden, 
denn wenn derselbe dadurch beseitigt werden soll, dass die das 
Band fixirenden Nähte auch mit durch den Proc. perit. gelegt 
werden, so wird auf diese Weise nur der nach vorn gelegene Theil 
desselben verödet. 

Da ferner nach Erfahrungen aus der Leipziger Klinik bei 
starkem Anziehen des Bandes der Uterus leicht umkippt, weil 
das Band das darüber liegende nicht eröffnet« Peritoneum und 
damit den unteren Theil des Uterus hebt, so wird auch von dort 
(Z w e i f e 1 - K ö n i g) dringend die Eröffnung des Peritoneal¬ 
trichters gerathen. 

Heinrich hat nach der Eröffnung das Peritoneum mit 
einigen feinen Catgutnähten au das stark vorgezogene Band ge¬ 
näht und dieses dann wieder etwas in die Bauchhöhle zurück¬ 
gleiten lassen, wie er es schon vor 5 Jahren beschrieb. 

Das Ecstnähen des Bandes selbst erfolgt mit 4 quer durch 
dasselbe geführten Nähten, wobei darauf geachtet wird, dass 
die Nadel nicht mehr als etwa l;i der Bauehdicke fasst, um die 
central liegenden Gefässe möglichst zu schonen und Nekrose zu 
vermeiden. Durch diese Nähte werden die Schenkel des Leisten¬ 
kanals fest zusainmeng««ehnürt. 

Ist der innere Leistenring sehr dehnbar, so wird er beim 
festen Anziehen des Bandes in einen länglichen Schlitz ver¬ 
wandelt, auf diesen Versorgung Rumpf hingewiesen hat. Die¬ 
selbe geschieht durch das Legen von 2—3 Nadeln lateral von 
der Umsehlagstelle des Bandes. 

Als Nälnnaterial benutzt Heinrich Seide sowohl beim 
Festnähen des Bandes als bei der Aponeurosennaht. 

Unter 50 so ausgeführten Operationen hat Heinrich bei 
deren Entlassung keinen Misserfolg gehabt. 32 davon liegen 
länger als 2 Jahre zurück. Von diesen, die allein hinsichtlich 
«ler Dauerresultate in Betracht kommen, hat er 22 Fälle selbst 
wieder untersucht und richtige Lagerung gefunden. Entbunden 
sind 8, von denen sind 5 naohuntersucht, dieselben hatten kein 
Recidiv. 

Discussion: Herr Wert h lenkt die Aufmerksamkeit auf 
die Vortheile, welche das direkte Aufsuchen des Bandes bietet; 
nicht den äusseren Leistenring soll man sichern, sondern den 
Leistenkanal durch Spaltung der Aponeurose eröffnen; die störende 
Blutung fällt hierbei fort. 

Herr Mackenrodt: Nach der Alexande r’schen Opera¬ 
tion behält der Uterus weniger seine normale Lage, als nach einer 
richtig ausgeführten Vaglnitlxation. M. sucht zur Ausführung der 
Verkürzung das Ligamentum rotundum retroperltoneal auf und 
verkürzt diesen Theil, während er den Theil Im Leistenrand er¬ 
hält Er fixirt den Stumpf durch 2 Fäden in die Muskelbäuche. 
Hierdurch hat der Uterus eine mehr nach vorn geneigte Lage, als 
bei der ursprünglichen Alexander-Adam s’schen Operation. 
Im Uebrigen sind es aber sicher nur wenige Fälle, in denen die 
Operation indlzirt ist. 

Herr Zweifel weist darauf hin, wie viel lelcher das Liga¬ 
mentum lm Leistenkanal, als retroperltoneal zu finden sei; er be¬ 
tont die Nothwendlgkelt einer exakten Blutstillung zur Erleich¬ 
terung der Operation. Dass auch gut ausgeführte Vaglnlflxuren 
Geburtsstörungen geben können, hält er auch bei der Macken- 
r o d t’schen Operation für sicher. 

Herr Asch: Die Alexander-Adam s’scbe Operation 
schafft durchaus normale Verhältnisse. Der Perltonealtrichter 
lässt sich gleichfalls vermelden. Auch in wenigen Fällen von 
fixirter Retroflexio lässt sich nach Lösung der Fixationen von 
der Vagina aus die Alexander-Adam s’sche Operation mit 
Erfolg ausführen. 

Herr Brose: Bel erschlafften Bauchdecken und grossem, 
schweren Uterus entsteht bei der Alexander-Adam s’schen 
Operation sehr leicht ein Recidiv, hier gibt die Ventroflxatlon 
bessere Resultate; stets sei eine Indlvldualislrung nothwendig. 

nerr St ratz-Haag weist auf die Nothwendlgkeit hin. 
längere Zeit zu beobachten, bevor man von einem Fehlen von 
Recidiv spricht, viele als gehellt berichtete Fälle recldivlrten 
später. 

Herr Martin warnt vor der Ausführung der Alexander- 
sehen Operation, die Dauerresultate seien sehr schlecht, wenn man 
längere Zelt nach der Operation untersucht. 

Herr P. Müller: Trotz anscheinend normaler Lage behalten 
viele Frauen nach der Operation ihre Beschwerden, desshalb ist 
Müller auch in den letzten Jahren von der Alexande rischen 
Operation zurückgekommen; vielfach hängen die Beschwerden gar 
nicht von der Retroflexio ab. 


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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1677 


Sitzung vom 24. September 1901, Nachmittags. 

Discussion zu Martin: lieber Myomenucleation. 

Herr Hofmeier: Hie Frage, ob Enucleation vor- 
zunelimen, hängt davon ab, wie weit man die Indikation 
für den operativen Eingriff ausdehnt. Bei kleineren Myomen ist 
die Technik einfach, bei grösseren häufig recht schwierig. Wer 
also der Ansicht ist, dass kleinere Myome im Allgemeinen nicht 
operlrt werden müssen, wird seltener die Indikation für die 
Enucleation finden; bei grossen Myomen können unangenehme 
Blutungen bei der Enucleation eintreten. Vor Allem kommt die 
Enucleation bei jugendlichen Individuen in Betracht, bei denen 
die Möglichkeit vorhanden ist, eine Konzeptionsfähigkeit zu er¬ 
halten. Die Gefahr eines Recldlvs besteht naturgemiiss immer. 
Dass man sich erst bei der Operation über die Art der Operation 
entscheiden muss, ist ein Nachtheil, da die Operation hierdurch 
viel blutiger wird. Die Indikation zur Enucleation von Myomen 
von der Scheide findet H o f m e 1 e r nur ln wenigen Fällen. 

Herr T h o r n - Magdeburg ist immer mehr von der Enuclea¬ 
tion abgekommen; zu beobachten sind weiter die Gefahren, falls 
später eine Geburt eintrltt. So beobachtete Th. eine sehr schwere 
Frühgeburt bei einer Frau, bei der er während des 4. Monats der 
Gravidität einen grösseren Myomknoten enucleirt hatte. Th. hatte 
unter 28 vaginalen Myomenucleationen 8 Reeldive; abdominal liegt 
es allerdings anders, bei der abdominalen Operation kann man 
leicht subseröse Myome enucleiren, jedoch wird stets die Zahl 
für die Indikation der Enucleation klein sein. 

Herr Küstner befürwortet dringend die Enucleation der 
Myome; er hat vielfach wegen Sterilität die Enucleation nusge¬ 
führt, um Konzeptionsfähigkeit zu erzielen. Die Operation muss 
unter der grössten Aseptik durchgeführt werden. 

Herr F r ä n k e 1 - Breslau sah stets günstige Erfolge von der 
Myomenucleation, nie sah er Recidive, einmal trat in der Folge 
Gravidität ein! Eine Kranke verlor er allerdings an einer Nach¬ 
blutung: da er das Myombett nicht tief und fest genug vernähte, 
es handelte sich aber um eine schwer nnaemlsehe Torson. Auch bei 
submucösen Myomen hat er die vaginale Myomenucleation mit 
Erfolg ausgeführt. In 2 Fällen hat er retrocervicale Myome 
zurückgelassen, nur einzelne leicht emieleirbare Myomknoten ent¬ 
fernt und die Kastration angeschlossen, ln beiden Fällen mit 
günstigem Erfolg. 

Herr Bröse befürwortet die vaginale Myomenucleation. 
selbst grössere Myome kann man, wenn man den Uterus spaltet 
und das Myom morcellirt, vaginal entfernen. 

Herr v. Guörard sah nach Myomenucleation gleichfalls 
bei einer Frau, welche längere Zeit steril verheirathet war, in der 
Folge Gravidität eintreten; ln einem anderen Falle trat schon 
4 Monate nach der Enucleation multipler Myome eine Gravidi¬ 
tät ein. 

Herr W. A. Freund: Das Marti n’sche Verfahren schien 
hier Immer als das ideale. Bei jugendlichen Personen, bei denen 
es aber vor Allem auf die Erhaltung des Uterus ankam, sah er 
fast stets Recidive eintreten, hingegen sah er sehr günstige Re¬ 
sultate bei Frauen, welche ln der Nähe des Klimakterium standen. 
Er weist darauf hin, dass Adenomyome sich nicht enucleiren 
lassen. 

Herr A. Martin: So lange Myome keine Beschwerden 
machen, operlrt er dieselben auch nicht; machen dieselben aber 
Beschwerden, so hält er die Operation auch von kleinen Ge¬ 
schwülsten für indicirt, falls durch interne oder Bäderbehandlung 
keine Besserung eintrltt. Thorn musste Recidive erleben, da er 
nur durch die Austastung die Myome feststellte. Die vollständige 
Freilegung entweder durch Uterusspaltuug oder durch Eröffnung 
des Peritoneums ist nothwendlg. wenn man Recidive vermelden 
will. Die Kastration passt nur für Frauen im Klimax, nicht aber 
für jugendliche Personen, in denen man die konservative Methode 
anwendet, um die Hoffnung auf Konzeption zu erhalten. 

1. Herr K r ö n i g - Leipzig: Zur Therapie der Extrauterin¬ 
gravidität. 

Die Erkenntni88 in der anatomischen Auffassung der Tubar- 
gravidität, dass nämlich das Ei in die Tubenwand selbst hinein¬ 
wächst, musste auch auf unser therapeutisches Verfahren einen 
Einfluss ausüben, ln der Folge wird man die Unterscheidung 
zwischen Tubenruptur und Tubenabort nicht festhalten können. 
Bei jedem Abort finden sich Zerstörungen der Tubenwand. Die 
Ruptur hingegen kommt nur allmählich zu Stande. Auch bei 
dem kompleten Abort bleiben stets Chorionzotten zurück, so dass 
selbst ein Unterschied zwischen kompletem und inkompletom 
Abort nicht aufrecht zu erhalten ist. Demgemäss müsste man 
theoretisch jeden Fall operiren, und wie Prochownik in 
der Operation das allgemeine Heilmittel der Tubargravidität 
sehen, v. Scanzoni stellte nun an der Leipziger Klinik 
Untersuchungen an: 


Es waren arbeitsfähig von: 

66 exspektativ behandelten . . 41 

25 elytrotomirten.19 

38 laparotomirten ..... 24 

Bedingt arbeitsfähig waren von: 

56 exspektativ behandelten . . 15 

25 elytrotomirten.- 6 

38 laparotomirten.13 


Arbeitsunfähig waren von: 

66 exspektativ behandelten . . 0 


25 elytrotomirten. 0 

38 laparotomirten. 1 


Endlich verworthete man gegen die cxspectative Behandlung 
die bleibende Funktionsunfähigkeit der Eileiter und die hieraus 
resultirende Oonceptionsbchindcrung. 

Von 43 exspektativ behandelten, concipirten 16 = 37 Proc. 

„ 18 elytrotomirten „ 10 = 55 „ 

„ 29 laparotomirten „ 5 = 17 ,, 

Die exspectativ Behandelten sind also nach dieser Talielle 
mindestens el>enso günstig daran, als die Operirten. Unter den 
Operirten finden sich aber prognostisch wesentlich ungünstigere 
Fälle; daher neigt Krönig mehr einem operativen Verfahren 
zu, «las cxspectative hat die Gefahr der nachträglichen Blutungen 
und einer Verjauchung des Blutergusses. Auch nachträglich 
kann bei Tubenabort oder Ilaomatoeelenbildung eine Ruptur ein¬ 
treten, da die Zotten auch noch nach der Ausstossung des Eies 
die Wandungen weiter zerstören können. 

Eine vaginale Operation kann nur ausgeführt werden, wenn 
am Lig. infundibulo-pelvicum keine Verwachsungen vorhanden 
sind. Für das vaginale Ineisionsverfahren fehlt theoretisch 
jeder wissenschaftliche Boden, aber die Praxis beweist, dass, 
wenn man genau das Freisein der Tube mit dem Finger von den« 
Sack aus feststellt, keine Nachblutung zu fürchten ist Viele der 
elytrotomirten Frauen haben später geboren. 

2. Hon- Heinrich: Ueber Operation grosser Nabel- und 
Bauchnarbenbrüche. 

Dass die sogen. Etagennaht bei Laparotomie am sichersten 
vor späteren Narbenbriiehen schützt, ist durch die Untersuch¬ 
ungen von Abel naehgewiesen. 

Desshnlb muss die Etagennaht auch principiell bei Bauch¬ 
narbenbrüchen angewendet werden; es ist nöthig, hier kurz 
Einiges über die Physiologie der Bauchdecken zu sagen. 

Die physiologische Bedeutung der Recti beruht darauf, dass 
dieselben ein Punctum fixum für die queren Bauchmuskeln dar¬ 
stellen; da sie aber bedeutend schwächer sind als die letzteren, 
so können sie nur ihrer Aufgabe gerecht werden, wenn beide 
Recti fest miteinander verbunden sind. Diese Verbindung 
(Linea nlba) wird um so weniger in Anspruch genommen und 
gezerrt, je stärker die Recti selbst sind im Verhältniss zu den 
queren Muskeln. 

Heinrich operirt folgendermaassen: Nach Ablösung der 
Därme und sonstiger Adhaesionen wird der Bruchsack abge¬ 
tragen und das am Rande der Bruchpforte gelockerte Peritoneum 
durch fortlaufende Catgutnaht vereinigt. Dann wird die Rcctus- 
scheide einer Seite freigelegt und dieselbe durch einen flach 
bogenförmigen, nach aussen convexen Schnitt durchtrennt. Die 
Endpunkte des Schnittes liegen ober- und unterhalb der Bruch¬ 
pforte in der Linea alba. Der so gebildete halbmondförmige 
Fascienlappen wird sorgfältig vom Muskel abgelöst, umge¬ 
schlagen und an der Rectusscheide der anderen Seite angenäht. 
Diese Naht muss mit einem schwer resorbirbaren Material — 
Seide — angelegt werden. Darüber folgt die Hautnabt. 

Bei drei in dieser Weise operirten Fällen ist keine Spur 
eines beginnenden Recidivs vorhanden. 

Liegt die Bruchpforte nicht in der Linea alba, so kann die 
Bildung und das Umschlagen von Fascienmuskellappen Vortheile 
bieten. 

Discussion: Herr Zweifel; Die Ursache für die Ent¬ 
stehung des Bauchbruehs Ist gewöhnlich, dass bei der primären 
Naht die Muskeln nicht genügend adaptirt werden. Auch bei 
Bauchbrüchen muss dasselbe Princlp gelten wie bei der primären 
Operation. Zw. spaltet auch die Rectusscheide auf, näht die 
hinteren beiden Blätter mit versenkten Seidennähten, legt alsdann 
durch beide Recti Catgutnähte und endlich auch durch das vor¬ 
dere Blatt der Rectusscheide. Die Zahl der Bauchbrüche Ist in 
der Leipziger Klinik seit der Veröffentlichung der A b e Tschen 
Tabelle noch gesunken. 

Herr Brose weist auf die Unterschiede von Bauch- (Dlastase 
der Recti) und Bauchnarbenbrücben hin. Heinrich behandelt 
Bauchnarbenbrüche. Dieselben können in der Schnittlinie und 
auch in den Stichkanälen entstehen. Daher können auch Frauen 
mit per primam geheilter Bauchwunde Ilernien bekommen. Diese 
letzteren bieten namentlich, wenn mehrere vorhanden sind, der 
Operation wesentliche Schwierigkeiten. Bei der Operation muss 
man vor Allem die Spannung der Fasele vermeiden durch An¬ 
legen von Muskelnähten. 

Herr v. Wild: Für die Prophylaxe der Bauchbrüehe nach 
der Geburt geschieht bis jetzt ln» Gegensatz zur Vorbeugung der 


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1678 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Bauelinnrbenbrüetae viel zu wenig. Gymnastik während der Re- 
konvaleseeuz des Wochenbettes circa vom 7. Tage ab ist. dringend 
nuzurathen; man lasse die Frauen sich selbst aufrichten, eine 
weitere Vorbeugungsmaassregel Ist das Tragen von Mittlern im 
Gegensatz zum Ivorset. 

Abtheilung lür Kinderheilkunde. 

Referent: B. B e n d i x - Berlin. 

2. Sitzungstug: Dienstag den 24. S e p t e in ber 1901. 

1. Herr J. v. B6kay (Referent): Ueber den gegen¬ 
wärtigen Stand der Intubation. 

Vortragender bespricht die Frage auf (5rund seiner Be¬ 
obachtungen an 1261 eigenen Fällen und der ihm zur Verfügung 
stehenden literarischen Daten, und erklärt schon in der Ein¬ 
leitung seines Vortrages, dass er seine Ansicht, dass die. In¬ 
tubation bei der operativen Behandlung des Croups, als vorhält- 
nissinässig leichter durchführbarer und weniger Gefahren mit 
sieh führender, unblutiger Eingriff, über die Tracheo- 
t- o in i e zu stellen sei, auch heute unverändert aufrecht hält. Vor¬ 
tragender ist. nach 10 jähriger Spitalserfahrung der Meinung, 
dass die primäre Tracheotomie bei Croup bloss in jenen Fällen 
nicht durch die Intubation ersetzt werden kann, wo a) n e b e n 
der bestehend e n I. a r v uxstenose a u e h <* i n e 
hochgradige Pharyuxst e n o s e v »rha n d e n i s t, 
und b) wo in Folge starker oedematiiser An- 
s e h w c 11 u n g des lv e h 1 k o p f e i n g a nges die er¬ 
folgreiche Intubation nicht erhofft werden 
k a n u. 

Don Zeitpunkt des operativen Eingriffes, daher der Intu¬ 
bation, betrachtet er bei jedem (’roupfalle für gekommen, in dem 
Momente, wo die Larynxstenose konstant geworden ist, und 
einen solchen Grad erreicht, dass das Kind mit der beginnenden 
Erstickung zu kämpfen scheint. Seit der Serumbehandlung 
(1894) konnte bei 37 Proc. seiner stenotischen Kranken die 
Operation vermieden werden. B. missbilligt den auch jetzt noch 
von Einzelnen geübten frühzeitigen Eingriff, da «lie Intubation, 
wenn auch kein so ernster Eingriff, wie der Luftröhrenschnitt, 
von unangenehmen Nebenwirkungen nicht vollkommen frei ist. 

Vortragender übte das O’I) w y e r’sche Verfahren in der 
Privatpraxis ebenso wie im Spitale und glaubt, dass dieser Punkt 
heute kaum mehr Gegenstand der Discussion bilden kann. Bil¬ 
deten doch in den Vereinigten Staaten, in der lleimath der In¬ 
tubation, bloss 5 Proc. sämmtlieher intubirter Fälle. Gegenstand 
der Spitalsbehandlung, und alle übrigen Kranken würden in der 
Privatpraxis behandelt. 

Dass in der Lamlpraxis bei grossen Entfernungen ein in¬ 
tubirter Kranker nicht ohne fachkundigen Arzt zurückgelassen 
worden kann, ist selbstverständlich, und in diesen Fällen ver¬ 
dient die Tracheotomie entschieden den Vorzug vor der In¬ 
tubation. Bei solchen Fällen empfiehlt Autor den Luftröhren- 
sehnitt bei liegendem Tubus, als solches Verfahren, welches die 
Tracheotomie bedeutend erleichtert. (Der Tubus wird knapp 
vor Eröffnung der Luftröhre mittels des Fadens entfernt.) 

Bei postmorbillösem Croup ist Autors Standpunkt 
der nämliche, und auf Grund seiner dem Spitalsmateriale ent¬ 
nommenen Statistik widerspricht er Netter, der bei dieser 
Form des Croups die Tracheotomie empfiehlt. 

Nach längerer Discussion der Frag*?, ob zwischen der In¬ 
tubation und der bei intubirten Croupkranken eventuell vorkom- 
menden Pneumonie ein Zusammenhang sei, gestützt auf eine 
statistische Zusammenstellung, spricht B. seine Meinung dahin 
aus, dasß die Intubation in dem Maasse, als dies im praktischen 
I/obon ein Theil der Aerzte zu thun geneigt ist, keineswegs für 
das komplizirende Auftreten der katarrhalischen Pneumonie be¬ 
schuldigt, werdeu kann. Zum Zwecke der Verminderung des 
Auftretens dieser Pneumonien hält B. in Anbetracht ihrer Ent¬ 
stehung das in der Diphtherieabtheilung der Pariser Kinder¬ 
spitäler eingeführte Boxsystem für besonders wichtig. 

Das Auftreten der sogen. Schluckpneumonien bei 
Intubirten erklärt Vortragender für die grösste Seltenheit und 
bezeichnet die Furcht vor dieser als Gefahr. 

Bezüglich des Hinabstossens von Pseudomembrauen und der 
Verstopfung des Tubuslumens durch dieselben hält B. seinen im 
Jahn» 1894 erörterten Standpunkt aufrecht. Ob die Tuben von 
Forroud, T s a k i r i s und F roin (schräg abgeschnittene 
Tuben, Tuben mit conischera Ende) im gegebenen Falle die 


Hinabstossung von Pseudomembranen nicht eher verursachen, 
als die amerikanischen, vollkommen abgerundet endenden Tuben, 
weiss er nicht, doch ist er es zu glauben geneigt. Die Möglich¬ 
keit der pseudomembranösen Tul>enVerstopfung vor Augen hal¬ 
tend, betrachtet er jene Modifikation von Tsakiris und 
Froi n, das untere Ende des Tubus conisch gestaltet und mit 
zwei seitlichen Oetfnungen versehen, nicht ganz glücklich, da 
hierdurch die Exspeetoration von Membran entheilchen ent¬ 
schiede gehindert wird, wodurch die Bildug eines pseudomem¬ 
branösen Pfropfes unter dem unteren Ende des Tubus, daher in¬ 
mitten der Luftröhre, begünstigt, wird. 

AIit der Frage des Intubationstraumas, mit welcher B. sich 
in seiner jüngst erschienenen Monographie befasst hat, beschäf¬ 
tigt er sich nicht, und bespricht nur die örtliche Behandlung der 
crieoidealen Decubitlisgeschwüre. liier benutzt Vortragender 
mit auffallendem Erfolge die noch von O’D w y e r empfohlenen, 
doch von jenem bloss bei einem Falle verwendeten, mit Gelatine 
überzogenen und Alaun imprägnirten, sehmalhalsigen Bronee- 
tuben. Auf Grund seiner 6 mit Erfolg behandelten Fälle ist er 
der Meinung, dass diese Methode O’Dwyer's bei der Behand- 
lung-der laryngealen Druckgeschwüre eine äusserst einfache und 
erfolgreiche ist, und schon auf Grund seiner bisherigen günsti¬ 
gen Erfahrungen empfiehlt er, dass in allen Fällen, wo die Tubus- 
läge 100 Stunden überschritten hat, und die immer kürzer wer¬ 
dende Extubationsdauer den Verdacht immer mehr bestärkt, dass 
im Kehlkopfe Druekgesehwüre vorhanden sind, die erwähnten 
selnnalhalsigen Bronzetuhen verwendet werden mögen, wobei er 
hofft, dass mit Hilfe dieser Methode die sekundäre Tracheotomie 
oft vermieden werden kann. 

Das O’D vv y e r’sche Verfahren, welches bei der Behandlung 
des Larynxeroups bereits an den meisten Orten in die Heil¬ 
praxis übergegangen ist, erobert sich seinen Platz auch bei 
anderen stenotischen Erkrankungsproeessen, so dass diese Opera¬ 
tion nun nicht bloss «lie Kinderärzte, sondern auch die Laryngo- 
logie stark beschäftigt, und von .lahr zu Jahr erweitert sieh der 
Kreis, in welchem die Intubation als Heilverfahren zur Geltung 
kommt. Vortragender hebt besonders den vorzüglichen Werth 
des Ö’D w y e r’schen Verfahrens bei luetischen Stenosen, nicht 
luetischen narbigen Strikturen, !>ci Laryngitis subglottiea hyper- 
trophiea und Decanuleinent-Schwierigkeiten hervor. 

2. Herr F. Siegert - Strassburg (Correferent): Die In¬ 
tubation und Tracheotomie bei Diphtherie seit der Semm- 
behandlnng. 

Referent sucht die Bedeutung der Tracheotomie 
bei der Behandlung der Kehlkopfdiphtherie dadurch festzu¬ 
stellen. dass er an der Hand des Materials fast aller Städte Mittel¬ 
europas mit über 50000 Einwohnern, insgesammt 22600 Fälle von 
1895—1900 aus 93 Spitälern, ermittelt: 1. die Leistungen der 
Tracheotomie im Vergleich mit den Erfolgen der principiellen 
primären Tntubntion; 2. die Leistungen der Tracheotomie in den 
intubirendeu Spitälern, primär wie sekundär, also bei aussichts¬ 
loser oder erfolgloser Intubation. Durch eine einfache Wand¬ 
karte wird sowohl die Herkunft d*?s verwendeten Materials an¬ 
gegeben. wie ein anschauliches Bild von der Verbreitung der In¬ 
tubation in Mitteleuropa an der Jahrhundertwende erreicht. Nur 
Spitalmaterial, unter Ausschluss des privaten, wurde verwendet, 
weil letzteres zu wenig einwandsfrei ist. Ausser dem Erfolg, wie 
er durch die relative Mortalität bezeichnet wird, wurde bei der 
Intubation auch deren Versagen berücksichtigt, soweit die 
Tracheotomie nothwendig wurde. An die Untersuchung der 
Frage, ob der üebergang zur Intubation den betreffenden Spi¬ 
tälern eine Verminderung der Mortalität gebracht, hat, schliesst 
S. eine Erörterung der Häufigkeit der Tracheotomie in den in- 
tubirenden Spitälern mit guten resp. schlechten Resultaten und 
vergleicht schliesslich die Spitäler mit besten und schlechtesten 
Erfolgen betreffs des angewendeten Verfahrens. Dabei gelangt 
er zu folgenden Schlüssen: 

1. Tracheotomie und Intubation ergeben im 
Spital bei 11104 Traeheotomirten und 11511 i n 
intubirenden Spitälern operativ Behandelten 
eine Mortalität von 34,29 resp. 34,27 Proc., also 
die gleiche Mortalität. 

2. Zur Erreichung dieses Resultates bedarf 
die Intubation der primären und sekundären 
Tracheotomie. 


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15. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1679 


3. Der grösseren Häufigkeit der Tracheo¬ 
tomie entspricht in den intubirenden Spi¬ 
tälern c. p. der Erfolg. 

4. Durch Uebergang zur Intubation haben 
die tracheotomirenden Spitäler ihre Mortali¬ 
tät nicht vermindert. 

5. Die principielle Tracheotomie, wie in 
höherem Grade die principielle Intubation 
sind unrationell. 

6. Nur die Anwendung beider Vorfahren er¬ 
laubt den bestmöglichen Erfolg. 

Im zweiten Theile seines Referates begründet S. die Noth- 
wendigkeit des Uebergangs zur fakultativen Intubation seitens 
der Tracheotomen mit der Thatsache, dass es bei fakultativer 
Intubation bei mindestens gleichem Endresultat gelingt, die blu¬ 
tige, eingreifendere Tracheotomie in zwei Drittel der Fälle zu 
vermeiden. 

Die Tracheotomie aber hat ausser einer ganzen Anzahl von 
den intubirenden Klinikern erhobenen Vorzügen nur wenige 
Nachtheile: den blutigen Eingriff, die Narbenbildung, die 
schwerer zu erlangende Einwilligung zur Operation, die längere 
Dauer der Behandlung. Eine Anzahl weiterer von den Gegnern 
der Tracheotomie behaupteter Nachtheile: Häufigkeit gefähr¬ 
licher Blutungen und Nachblutungen, Schwierigkeit der Wund¬ 
behandlung und Assistenz, das „Springen“ und Herausreissen 
der Kanülen wird als unberechtigt zurückgewiesen. Trotz der 
zahlreicheren Schwierigkeiten der Intubation und gewisser Vor¬ 
theile der Tracheotomie aber ist diese nicht erlaubt, wo die 
weniger eingreifende Intubation genügt. Noch mehr aber 
ist die principielle Intubation zu verwerfen, 
da unbedingte Contraindikationen derselben 
allgemein anerkannt sind. Nur die fakulta¬ 
tive Intubation und Tracheotomie erlaubt die 
Erfolge, die heute von jedem Spitalleiter ge¬ 
fordert werden können und müssen. 

Im letzten Theil werden die Forderungen erhoben, welche zu 
erfüllen sind, weim die Lehre von der operativen Behandlung 
der Larynxdiphtherie weitere Förderung erfahren soll. 

Zu diesem Zwecke bedarf es 1. einer recht genauen klinischen 
Mittheilung des Diphtheriematerials der Spitäler mit genauer 
Berücksichtigung der mit und ohne Operation behandelten 
Croupfälle. Die Vor- und Nachtheile der Tracheotomie und In¬ 
tubation, lokal wie allgemein, die augenblicklichen und dauernden 
Folgen, die Komplikationen bedürfen wie vieles Andere der ein¬ 
gehenden Wiedergabe. Sodann müssen 2. dio Indikationen für 
den primären Eingriff, Intubation oder primäre Tracheotomie, 
genauer gestellt werden. Vor Allem aber bedarf es 3. viel schär¬ 
ferer Angaben über die Verhältnisse und den Zeitpunkt, welche 
für die sekundäre Tracheotomie maassgebend sind. Erst wenn 
hier Klarheit gewonnen ist über die Momente, welche den Ueber¬ 
gang von der Intubation zur Tracheotomie gebieten, sei cs die 
Rücksicht auf eine ungenügende Beseitigung der Athemnoth, 
sei es auf eine drohende lokale Schädigung durch den Tubus, sei 
es auf mangelhafte Ernährung, wird ein weiterer Fortschritt er¬ 
reicht werden bezüglich der Intubation und Tracheotomie bei 
Diphtherie. 

3. Herr Pels-Leusden- Berlin: Ueber Intubations- 
Stenose. 

Vortr. spricht über 3 Fälle von Intubationsstenose. Es 
handelt sich um Fälle, bei denen der durch die Diphtherie noth- 
wendig gewordenen Intubation dio sekundäre Tracheotomie ge¬ 
folgt war und schliesslich trotzdem die Stenose nicht gehoben 
wurde. Der Sitz dieser Stenose betraf, wie es in diesen Fällen 
gewöhnlich ist, den grössten Theil der Cartilago crico. thyreoidea 
und der oberen Trachealringe. 

Der Vortragende bespricht kurz das Operationsvorfahren, das 
in der Excision der Narbe, Ueberbrückung der defekten Partie 
durch sekundäre Plastik besteht. Dann wird zuerst eine 
Schimmelbusc h’sehe Schornsteinkanüle eingeführt, je 
nach dem Verlauf monatelang liegen gelassen, durch eine ein¬ 
fache Fensterkanüle ersetzt, und schliesslich erfolgt das De- 
can ulement. 

Zu dem 9 jährigen Mädchen, das mit auffallend tiefer 
Männerstimme spricht, bemerkt König- Berlin, dass dieser 
Fall für die Operation durch Fehlen beinahe dos grössten Theils 


des Schildknorpels ganz besonders schwierig gewesen sei. Das 
Kind spreche mit Rachenstimme, es fehle ihm, wie den Kehlkopf- 
exstirpirten, der Kehlkopf. 

4. Herr Erich Müller- Berlin: Beitrag zur Statistik der 
Diphtheriemortalität in Deutschland. 

Der Vortr. hat eine Statistik der absoluten Diphtherie¬ 
mortalität für Deutschland aufgestellt. Seine Erhebungen er¬ 
strecken sich auf die deutschen Städte von 40 000 und mehr Ein¬ 
wohnern und umfassen einen Zeitraum von 12 Jahren und zwar' 
die letzten 6 Jahre der Vorserumperiode von 1889—94 und die 
6 Jahre der Serumperiode von 1895—1900 incl. Die Bevölkerung 
dieser Städte — 90 an Zahl — repräsentirt etwa 10 Millionen 
Einwohner, d. i. Vz> der gesammten Bevölkerung Deutschlands. 
An der Hand seines — amtlichen — Materials kann der Vortr. 
nachweisen, dass die Diphtherierrtbrtalität in Deutschland mit 
dem Jahre 1895 beginnend kritisch gesunken ist, nur % der¬ 
jenigen der früheren Jahre betragen, hat und sich dauernd auf 
diesem niedrigen Niveau erhalten hat. Die Schwankungen in 
der absoluten Anzahl der Todesfälle während der Vorserum¬ 
periode sind seit dem Jahre 1895 verschwunden und haben einem 
andauernd fortschreitenden Rückgang der Mortalität Platz ge¬ 
macht. Mit dem Jahre 1895 ist ein neuer die Diphtherien:orta- 
lität in diesem so günstigen Sinne beeinflussender Faktor auf¬ 
getreten. Dieser kann nur das B e h r i n g’sche Diphtherie¬ 
heilserum sein, dessen allgemeine Einführung fast mathematisch 
genau mit dem kritischen Sinken der Diphtheriemortalität zu¬ 
sammenfällt. Graphische Darstellungen und Tabellen illustriren 
diese Verhältnisse. 

5. Herr v.Eanke -München: Ueber die Behandlung des 
erschwerten DScanulements in Folge von Orannlombildnng 
nach Intubation und sekundärer Tracheotomie. 

6. Herr Trnmpp - München: Das fernere Schicksal der 
überlebenden tracheotomirten und intubirten Kinder. 

7. Herr Pfaundler -Graz: Ueber Spätstörungen nach 
Intubation und Tracheotomie. 

(Die Vorträge der Herren v. Ranke, Trum pp und 
Pfaundler erscheinen in extenso in dieser Wochenschr.) 

Dlscusslon: Herr Rauchfass - Petersburg macht ganz 
besonders darauf aufmerksam, dass ln den beiden, sonst so vor¬ 
trefflichen Präparaten ein Moment ausser Acht gelassen. Bei Be¬ 
trachtung seines eigenen Materials findet R., dass die Sterblich¬ 
keit der Croupfälle genau parallel geht der Sterblichkeit der ohne 
Stenose verlaufenden Fälle. Steigt diese, d. h. haben wir eine hohe 
Welle toxischer Fälle, dann starben auch mehr Fälle mä Stenose, 
sowohl unoperirte als operirte. Sie starben alle durcheile durch 
den Genius epldemicus bedingte höhere Toxicitüt. Somit lässt 
auch ein Vergleich der einzelnen Statistiken gar kein Urtheil zu, 
so lange nicht der Coefflcient der Toxicität für die einzelnen Fälle 
bestimmt wird. 

Besonders erfreut hat R. Indessen das Eintreten für die 
Tracheotomie, allein schon aus dem Grunde, damit diese Operation 
erlernt und geübt werde. R. verwendet Tuben mit 3 verschiedenen 
Schwellungen und vermeidet dadurch eher Decubitus. 

Herr Ganghofner - Prag intubirt und tracheotomirt mit 
Auswahl der Fälle. Bezüglich der Beweiskraft der S I e g e r t - - 
sehen Statistik weist er darauf hin, dass das Alter der Operirten 
bei Slegert nicht berücksichtigt wurde, und zeigt an den 
Zahlen aus seiner Anstalt, wie sehr dieser Faktor auf die Mor¬ 
talität von Einfluss ist. 

Herr Förster- Dresden hebt hervor, dass man daran ar¬ 
beiten müsse, eine strengere Indikation für die eine oder die 
andere beider Operationen zu geben. Die Frage, ob die Tracheo¬ 
tomie die schwerere Operation sei, dürfe niemals entscheiden. 
Gegen die Intubation spreche für gewisse Fälle, dass nach Aus¬ 
führung dieser die Expectoratlon, das so wichtige Moment zur 
Erleichterung, vollkommen ausfalle; hieraus erklärt sich auch die 
häufige Beobachtung der Aspirationspneumonien nach der In¬ 
tubation. 

Herr B a g 1 n s k y - Berlin hat In 244 Fällen nur die Intuba¬ 
tion ausgeführt; davon starben 22, also nur eine Mortalität von 
10 Proc. Bei der Intubation mit sekundärer Tracheotomie (370 
Fälle) starben 95 Kinder. Seine Meinung geht dahin, dass bei 
Larynxstenosen zuerst die Intubation vorgenommen werden solle. 
Contraiudicirt ist die Operation eigentlich nur bei Kindern unter 
1 Jahr und bei ausgesprochenem descendirendem Croup. 

Benutzt wurden die echten O'D w y e r’schen Tuben aus 
Gummi mit Metalleinlagen. 

Herr S o 11 m a n n - Breslau hebt als wichtigstes Moment für 
die Frage — ob Intubation — ob Tracheotomie — die Dauer der 
Erkrankung und damit zusammenhängend die Verfassung, den 
Kräftezustand des Patienten hervor; ausser den septischen, von 
Bauchfuss erwähnten Fällen, die immer gleich schlechte Re¬ 
sultate bedingen. Ist der Fall frisch, so ist die Intubation am 
Platze, ist bereits Herzschwäche, Kriifteverfall da, wirkt allein 
noch die Tracheotomie segensreich. Bei letzterer ist die Athmung 
und Expectoratlon freier, während nach der Intubation die Ex- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


pectoration, worauf schon Frister hinwies, beinahe voll¬ 
kommen aufgehoben ist. S. weist noch darauf hin, dass trotz 
schwerer Diphtherie im Krankenhaus die Mortalität nach Ein¬ 
führung der Tracheotomie besser geworden sei, doch seien die 
Erfahrungen von 2 Jahren noch nicht gross genug, um im Sinne 
S 1 e g e r t’s zu sprechen. 

Trumpp- München spricht sich für alle Fälle für möglichst 
frühzeitige Intubation aus. Man solle dieselbe auch dem prak¬ 
tischen Arzte überlassen, aber auch dafür sorgen, dass er sowohl 
diese wie auch die Tracheotomie erlerne. 

v. S o n t a g - Ofen-Pest ist principiell für primäre Intubation, 
allerdings mit Auswahl der Fälle zur Tracheotomie. Unter 230 
Diptheriefiillen bekamen 119 Stenosen: 54 davon heilten ohne 
chirurgischen Eingriff (45 Proc.), bei G5 wurde ein Eingriff ge¬ 
macht, darunter heilten 33, d. h. 52 Proc. S. theilt die Sektions¬ 
befunde mit. 

Herr S e 11 e r - Solingen findet, dass der Genius epidemicus 
diphth. im Sinken ist. Macht genau mit gutem Erfolg die Intuba¬ 
tion gerade bei Kindern unter einem Jahre. Er benutzt als 
Wache für die Intubirten seine unterrichteten Krankenhaus¬ 
schwestern. 

Herr S i e g e r t - Strassburg (Schlusswort): Die Forderung 
des Herrn IUuchf usa nach Berücksichtigung der Natur des 
Eiuzelfalles entspricht dem ersten Punkt meiner 3 Forderungen 
am Schluss. Die vorzüglichen Erfolge des Herrn Baglnsk y 
zeigen in schönster Weise die hohe Bedeutung der primären und 
sekundären Tracheotomie im iutubireiulen Spital. Auch die Aus¬ 
führungen des Herrn Sol t mann unterstützen meine Schlüsse. 
Was die Privatpraxis anbelangt, so weise ich nochmals darauf 
hin, dass die Tracheotomie hier fast nie nöthlg wird, die elegante, 
lucrative Intubation aber immer leicht zur Anwendung gelangen 
wird. Herrn S o n t a g gegenüber weise ich auf B o k a i’s Er¬ 
fahrung hin, der auch Fülle von Membranen bis in die feinsten 
Bronchien mit der Intubation geheilt hat, was ich für die Tracheo¬ 
tomie von mehreren Fällen behaupten darf. So hoffe ich, die all¬ 
gemeine Einführung der Intubation durch mein Referat nach 
Kräften gefördert zu haben und schliesse: nur Intubation und 
Tracheotomie vereint und am rechten Platze versprechen uns den 
besten Erfolg bei der Diphtherie des Kehlkopfs im Kindesalter. 

8. Herr H. Leo -Bonn: Zur Phosphorbehandlung; der 
Rachitis. 

Während Leo früher niemals, trotzdem er seit Einführung 
der Phosphortherapie dieselbe verwerthet, Störungen schwerer 
Art nach Gebrauch von P. bei Kindern gesehen hat, hat er vor 
Kurzem 2 Todesfälle beobachtet, die auf die interne Anwendung 
des Phosphors zu beziehen sind. Beide Kinder zeigten klinisch 
ungefähr die gleichen Erscheinungen: Icterus ä Apathie, das 
eine auch eine Lebervergrösserung. In dem einen Fall war nur 
kurze Zeit (im Ganzen 0,015) Phosphor verabreicht, in dem 
anderen (chronischen) Fall mit Lebervergrösserung ca. 6 Monate 
lang, wenngleich mit Unterbrechungen. In beiden Fällen trat 
nicht allzulange nach Auftreten der klinischen Erscheinungen 
der Tod ein. Im letzteren Fall wurde die Sektion verweigert, im 
ersten Falle ergab der pathologische Befund eine fettige Degene¬ 
ration der Leber, Nerven und des Herzens. Die pathologische 
Diagnose wurde auf Phosphorvergiftung gestellt. 

Der Vortragende hebt hervor, dass er niemals die vorge¬ 
schriebenen Phosphordosen überschritten habe und kleinere Dosen 
verordnet habe als sie z. B. Flachs angebe. 

Nach den letzten beiden traurigen Ereignissen stellt sich 
Leo, welcher stets von einem günstigen Einfluss auf den Allgo- 
ineinzustand bei Rachitis überzeugt gewesen ist, auf den Stand¬ 
punkt, entweder das Mittel nunmehr ganz fortzulassen oder die 
Dosis herabzusetzen. 

Discussiou: Herr Soltmann - Breslau: Abgesehen 

von dem von Ihm vertretenen Standpunkt, dass der Phosphor die 
Rachitis günstig beeinflusst, wenn auch nicht direkt durch Beein¬ 
flussung des Knochenwachsthums, so doch durch eine Verbesse¬ 
rung des Stoffwechsels und damit schliesslich auch der Knoclien- 
entwiekelung, so kommt, es nach Soltman n's längst vertretener 
und auch oft publicirter Ansicht vor Allem darauf an, dass der 
Phosphor in Oel richtig verabreicht wird. Die Apotheker müssen 
eine Lösung von Phosphoröl fertig halten von 1:500 (nicht aber 
von 1:80), in der der Phosphor nicht ausfälit. sondern gelöst 
bleibt. Von dieser Lösung hat dann der Apotheker bei ärztlicher 
Verordnung (von 0,01/100) nur 5 g zu nehmen (worin 0,01 Phosphor 
enthalten ist) und noch 95 g Oel zuzusetzen, lieber einfaches Oel 
als Leberthran, weil durch letzteren die Wirkung des Phosphor 
verdeckt werde. 

Herr Falken hei m- Königsberg gibt nur eine Dosis täg¬ 
lich von «1er 0,01 proc. Lösung, wie es nach seiner Meinung 
Kassowltz empfohlen hat, also 0,0005 pro die. Von dem Er¬ 
folg einer Phosphorkur ist er bei 10 jähriger Anwendung über¬ 
zeugt. 

Herr Gernsheim - Essen hat ausser leichten Gastritiden 
nie etwas Schädliches bei der Phosphorauwendung gesehen. G. 
gibt allerdings sehr kleine Dosen; seine Verordnung lautet: 


Phosphor 0,01 

Ol. amygd. dulc. 10,0 

Ol. eort. aurant. gtt. IV. 

Ds. 3 mal täglich 1 Tropfen, allmählich steigend bis auf 3 Tropfen. 

Iit‘rr S c h 1 o ss m a n n - Dresden: Der Phosphor fällt nicht 
aus, sondern wird bisweilen in kleinen Mengen oxydirt; die 
Zweite l’schen ungünstigen Versuche beruhen wohl auf Ver¬ 
suchsfehlern. S. hält den Causalnexus zwischen der Phosphor¬ 
darreichung und dem Tode der Kinder von Herrn Leo nicht er¬ 
bracht. 

Herr Ritter- Berlin betont, dass bereits von Kassowltz 
die von Gernsheim angeführte Verordnung angegeben ist Im 
Uebrigen hat er eine Reihe von Phosphorvergiftungen gesehen, 
wo das Medicament erbrochen, daher nicht resorbirt worden 
ist, es seien daher die chronischen Vergiftungen mehr als die 
akuten zu fürchten. 

Herr Thomas- Freibtirg: Kassowltz verordnet 2 mal 
täglich Phosphor (zu 0,0005), nicht nur einmal. Das Mittel macht 
bisweilen leichte Verdauungsstörungen, aber sicher in den vor¬ 
geschriebenen Dosen keine Intoxikationen. Der von Leo ge¬ 
gebene Sektionsbericht enthält nichts von miliaren Haemorrhagien 
im ganzen Körper, nichts von fettiger Entartung der wilikürlidmn 
Muskulatur; Thomas hielt ihn nicht für beweisend für Phos¬ 
phorintoxikation. 

Herr Leo-Bonn (Schlusswort): L. gibt zu, dass der Phos¬ 
phor. wie es Schlossmann verlangt, als eudgiltiger Beweis 
der Phosphorvergiftung In den Organen nicht nachgewiesen ist. 
Indessen hielt der Vortragende, der sich früher lange mit ex¬ 
perimenteller Phosphorvergiftung beschäftigt hat. Herrn Schloss- 
m a u n entgegen, dass in Fällen von Phosphorvergiftung bei 
heftiger Degeneration der Phosphornachweis häufig ausbleibt. 
Daher ist dies Desiderat nicht ausscldaggel>end. Dass die .fettige 
Entartung nicht durch andere Erkrankungen bedingt sein konnte, 
konnte L. bei Mangel solcher ausschliessen. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Kreisversammlung; oberpfälzischer Aerzte. 

lt e g e n s b u r g, 10. Oktober 1901. 

Heute fand dahier im Hötel „Grüner Kranz“ die Kreisver¬ 
sammlung oberpfälzischer Aerzte für das Jahr 1901 statt. Aus 
allen Thellen der Oberpfalz waren zahlreiche Gäste eingetroffen 
und alle Vereine hatten ihre Vertreter geschickt. Bevor ln die 
Tagesordnung, Abhaltung wissenschaftlicher Vorträge, Kraukeu- 
vorstelluug etc., eingetreten wurde, theilte der I. Vorsitzende, 
Herr I>r. K o h 1 e r - Regensburg mit, dass die Aeuderungen, 
welche der Abgeordnete v. Landmnnn als Referent ül>er den 
G e s e t z e n t wurf, betreffend die ärztliche St a n - 
des- und Ehrengerichtsordnung, beim zehnten be¬ 
sonderen Ausschuss «ler Kammer der Abgeordneten beantragt, 
derartige seien, dass man schnellstens un«l auf's energischste da¬ 
gegen .Stellung nehmen müsse, sollen nicht auf's Neue die vitalsten 
Interessen «l«‘s bayerischen Aerztestandes mit Füssen getreten und 
auf unabsehbare Zeit wieder die alten beschämenden, den Aerzte- 
stand entwürdig«>nden, misslichen Verhältnisse ad calendas graecas 
weiterbesteheu. Er ertheilt sodann zu dieser Angelegenheit 
Dr. D o e r f 1 e r - Regensburg das Wort. Derselbe liest zunächst 
die Landman u’schen Abänderungen vor (vergl. den Artikel von 
Dr. Becker auf S. 1*581 dieser Nummer) und äussert sich 
unter energischen Zurufen und lebhaftestem Beifall etwa folgen- 
(lermaassen: Seit Jahren arbeite die bayerische und deutsche 
Aerztescliaft daran, eine ärztliche Standes- und Ehrengerichts¬ 
ordnung zu erhalten, die ihr das Recht geben soll, Ordnung und 
gute Zucht zu halten im eigenen vielgeschmäliten Hause: die 
sämmtlichen Aerztevereine Bayerns hätten einstimmig und drin¬ 
gendst ihre Aerztekanmiern beauftragt, bei der zuständigen lie- 
gierung «lafür mit aller Kraft «dnzutreten. Dies sei geschehen. 
Alle 8 Kammern haben einstimmig dafür gewirkt, die Regierungen, 
von der dringendsten Nolhweudigkeit einer ärztlichen Standes- 
und Ehrengerichtsonlnung selbst längst und fest überzeugt, haben 
den Kutw.urf befürwortet, das k. Ministerium hat denselben gut- 
geheisseu und Hin dem Landtag zur Berathung vorgelegt und zur 
Genehmigung! Dafür musste zunächst ein Referent bestellt wer¬ 
den. der Abgeonlnete v. L andrnan n, und was thut dieser? Mit 
ein paar Federzügen wirft er das, was Tausende von Aerzten seit 
Jahren sehnsüchtig erstreben, was die Aerztekammeru, zusammen¬ 
gesetzt aus den berufensten Vertretern des bayerischen Aerzte¬ 
standes, nach ernster Berathung schaffen, was Regierungen und 
Ministerium billigen und zur Genehmigung l>eautragen, leichten 
Herzens über den Haufen, und wagt den Aerzten einen Zusatz zu 
dem Entwürfe anzubieten, der ihr ganzen Streben zur leeren 
Farce und den ganzen Entwurf zu Schanden macht. Tiefe Em¬ 
pörung muss jeden deutschen und bayerischen Arzt erfüllen, der 
noch auf Selbsta« , htung und sittliche Höhe seiner selbst hält, wenn 
er «lie Land in a n löschen Zusätze liest. Sie machen nicht nur 
den ganzen Entwurf zu einem wertlilosen Wische, sondern dieser 
Zusatz bedeutet auch einen Faustschlag in's Gesicht der baye¬ 
rischen, ja «ler ganzen deutschen Aerztescliaft! Meine Herren! Wir 
wissen, dass der Abgeordnete v. L a n d tu a n u dem Aerztestande 
an sich nicht günstig gesinnt ist; hat er ja beispielsweise versucht, 
den Amtsäraten die Impfgebühren zu entziehen dadurch, dass er 
beantragte, dass das Impfen der Amtsärzte zu den nicht remune- 
rlrten dienstlichen Verpflichtungen gerechnet werde, und anderes. 
Aus seinen Zusatzanträgen sehen wir aber auch, dass er offenbar 


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15. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1681 


eine juristische und eine medlclnlsche Ehre unterscheidet, und die 
Ehre der Aerzte wird natürlich wieder an zweite Stelle herab¬ 
gedrückt, indem er denselben grossuiüthig zugesteht, dass sie dann 
ein ehrengerichtliches Verfahren eiuschlageu können gegen ein¬ 
zelne Mitglieder, wenn es sich um einen Vorgang handelt, welcher 
auch bei gebildeten Niehtärzten als ehrenrührig angesehen wird! 
M. H.! Das ist ja unerhört. Man müsste darüber lachen, wenu's 
nicht so furchtbar ernst wiire und — traurig, dass man heute dem 
ärztlichen Stande so etwas bieten darf! Es muss schlimm um 
uns und unsere gute Sache stehen, wenn v. Land mann es wagen 
kann, derart mit den bayerischen Aerzten umzuspringen! M. II.! 
Es ist eben immer wieder das alte traurige Lied, dass ein Jurist 
bestellt ist zum Heferenten in rein ärztlichen Standes- und Ehren¬ 
fragen, ein .Jurist, der in diesem Falle in erster Linie dem ärzt¬ 
lichen Staude nicht elnmul (las unparteiische Wohlwollen entgegen¬ 
bringt, das mau von vornherein von jedem korrekten Referenten 
verlangen muss und darf, sondern der offenbar auch nicht das 
leiseste Verstiindniss dafür hat, wie schwer auf dem ärztlichen 
Stande die Zugehörigkeit zur Gewerbeordnung lastet, wie tief das 
Ehrgefühl des einzelnen Arztes dadurch ständig verletzt wird und 
wie korrumpirend dieses unselige Gesetz der Zugehörigkeit zur 
Gewerbeordnung auf den deutschen Aerztestand gewirkt hat! Was 
würde derselbe sachverständige Herr v. L a n d m a u u sagen, 
wenn ein Arzt zum Referenten bestellt würde über ein ähnliches 
juristisches Thema, z. B. die Standesordnung der Rechtsanwälte 
oder Richter betreffend. Da würde Zeter und Mordio gerufen 
durch’s ganze Land und es heissen: „Die Jurisprudenz den 
Juristen! Aber lud den Aerzten ist das ganz etwas anderes! Das 
versteht der Jurist Herr v. Land mann selbstverständlich aus¬ 
gezeichnet! Wir aber rufen: „Die ärztlichen Angelegenheiten den 
Aerzten“, sonst erhalten wir wieder solch’ eine Missgeburt, wie 
schon so oft — von den Herren Juristen! Möchte doch endlich ein¬ 
mal dieses bescheidene Recht den Aerzten zugestanden werden, 
das jeder einzelne Staatsbürger hat, nur der Arzt nicht, nämlich 
Ul>er seine eigenen Angelegenheiten selbst zu urtheileu! M. II.! 
Wir wollen und können uns das, was der Abgeordnete v. L a n d - 
mann uns bietet, nicht gefallen lassen, eiustinnnig, wie ein 
Manu sollen die bayerischen Aerzte sich erheben und laut prote- 
stireu gegen die unwürdige Zumuthung des Referenten! 

Und sollte der Zusatz des Herrn Referenten zur Wirklichkeit 
werden, m. H„ dann verzichten wir auf die ganze Ehrengerichts¬ 
ordnung und halten strenge Zucht unter uns und Uebung der 
Kollegialität bis ein besserer Stern uns aufgeht. 

Ich bitte Sie nun, folgende Resolution anzunehmen: 

Der heute in Regensburg tagende, von zahlreichen Aerzten 
aus allen Theilen der Ol>erpfulz besuchte „überpfälzische Aerzte- 
tag“ erhebt einstimmig entrüsteten Protest gegeu die von dem 
Abgeordneten v. Laudmau n in seinem Referat über die neue 
ärztliche Standes- und Ehreugerichtsorduuug zu Abs. 3 ge¬ 
schaffenen Zusätze, und erklärt, dass: 

1. dadurch der ganze Entwurf für den ärztlichen Stand un¬ 
annehmbar und gänzlich werthlos wird, und dass 

2. dadurch Uber die alten misslichen Verhältnisse nur ein 
neuer, etwas glänzender nusstuftirter Deckmantel geschaffen wird, 
unter welchem die schmutzigen Elemente des ärztlichen Standes 
auch fernerhin unbehelligt und straflos ihr staudeswidriges Treiben 
fortsetzen können, dass 

3. in den Schlusssätzen eine Herabsetzung der ärztlichen 
Standesehre enthalten ist, die einer schweren Beleidigung des 
ganzen Aerztestaudes gleichzuachten ist, und dass 

4. die Annahme des v. Land m a n n’schen Zusatzes den 
ganzen jahrelangen ehrlichen Kampf der bayerischen und 
deutschen Aerzte um eine würdige Stamlesorduung auch des klein¬ 
sten Erfolges berauben würde. 

Unter brausendem Beifall wurde die Resolution einstimmig 
angenommen und beschlossen, sie als Protest zur öffentlichen 
Kenntniss zu bringen. Mögen die übrigen Kreis- und Aerzte- 
vereine sich schleunigst der Regensburger Resolution anschliesseu! 
Eile thut uoth! 


VII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und 
Neurologen 

am 10. und 20. Oktober d. J. ln Jena, 
Sonnabend, den 19. Oktober, von 8 Uhr Abends an: 
Gesellige Vereinigung im Ilötel zum schwarzen Bären. 

Sonntag, den 20. Oktober: I. Sitzung: 9 Uhr Vor¬ 
mittags. in der Ohrenklinik (Projektionsapparat); II. Sitzung: 
1 Uhr Nachmittags, in der psychiatrischen Klinik; Festmahl: 
4 y, Uhr Nachmittags, im Hötel zum schwarzen Bären. 

Tagesordnung. 

1. Herr H i t z i g - Halle: Aufklärung einiger Streitpunkte in 
der Lokalisationslehre. — 2. Herr K ö s t e r - Leipzig: Ueber den 
Ursprung des Nervus depressor. — 3. Herr V o i g t - Göttingen: 
Ueber Neurofibrillen. — 4. Herr 111 b e r g - Sonnenstein: Ueber 
das Centralnervensystem eines 2 tägigen Hemicephalen. — 5. Herr 
W e b e r-Göttingen: Hyaline Gefiissdegeneration als Ursache 
miliarer Hirnblutungen. — 6. Herr A s c h a f f e n b u r g - Halle: 
Berufsgeheimniss (§ 300 St. G. B.) und Psychiatrie. — 7. Herr 
S 1 e f e r t - Halle: Ueber das Careinom der weichen Häute des 
Centralnervensystems. — 8. Herr S c h ä f e r - Blankenhain: Das 
Verhalten der Cerebrospinalfiiissigkeit bei psychisch Kranken. — 
9. Herr Möbius- I^eipzig: Serumbehandluug der B a s e d o w'- 


schen Krankheit. — 10. Herr Sänger- Hamburg: Ueber frei¬ 
williges Hinken. — 11. Herr Windscheid - Leipzig: Die durch 
Arteriosklerose bedingten Nervenleiden. — 12. Herr Warda- 
Blankenburg: Ueber die sog. psychischen Zwangszustände. — 
13. Herr B i n s w a n g e r - Jena: Spiritismus und Geistesstörung. 

— 14. Herr Strohmayer -Jena: Ueber die Bedeutung der Iu- 
dividualstntistlk in der Erblichkeitsfrage. — 15. Herr Stier- 
Jena: Ueber Geisteskrankheiten und ihre Behandlung beim Militär. 

— 10. Herr Berger-Jena: Zur Kasuistik der Hirntumoren. — 
17. Herr Mainzer- Jena: Einfluss geistiger Arbeit auf den Harn¬ 
stoff Wechsel. 

Wenn auch eine Zeitdauer für die einzelnen Vorträge nicht 
bestimmt ist, so wird doch gebeten, dieselben thunliclist nicht über 
20 Minuten und diejenige der Bemerkungen in der Discussion 
nicht über 5 Minuten auszudehnen. 

Anmeldungen zu weiteren Vorträgen werden baldigst, An¬ 
meldungen zu der Theilnahme am Festmahl (Gedeck 4 M.) werden 
bis zum 15. Oktober an den I. Geschäftsführer (Biuswanger- 
Jena) erbeten. Die Herren Theilnehmer werden in der Lage sein, 
die Abendschnellzüge in der Richtung Weimar, Gera, Gross- 
heringeu und Saalfeld zu benutzen. 

Das Hötel zum schwarzen Bären und das Hotel zur Sonne 
werden als Absteigequartier empfohlen. 

Gäste sind willkommen. 

Die Geschäftsführer: 

Binswanger - Jena. Schäfer- Blankenhain. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Die ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung in 

Bayern. 

Von Dr. Carl Becker in München. 

Um das Schicksal des Gesetzentwurfes, die ärztli.he Standes- 
und Ehrengerichtsorduung betr., sind die Würfel in's Rollen ge- 
rathen. Au den besonderen Ausschuss der bayerischen Abgeord¬ 
netenkammer, welchem dieser Gesetzentwurf zur Vorberathung 
überwiesen ist, hat der Referent, Herr Abgeordneter v. Land¬ 
mann, nachstehenden Antrag gestellt: 

„M ünchen, den 3. Oktober 1901. 

Ich kann mich nur für eine gesetzlich genau flxirte Ehren¬ 
gerichtsordnung aussprechen und beantrage daher folgende Aende- 
rungen: 

Art. 1. Für den Bezirk jeder Aerztekammer wird ein ärzt¬ 
liches Ehrengericht, für den Umfang des Königreiches ein ärzt¬ 
licher Ehrengerichtshof gebildet. 

Art. 2. Die Zuständigkeit des Ehrengerichtes erstreckt sich 
auf die approbirten Aerzte mit Ausnahme: 

1. derjenigen, für welche bereits ein staatliches Disciplinar- 
verfaliren besteht, 

2. der Militärärzte, 

3. der Militärärzte des Beurlaubtenstandes während Ihrer Ein¬ 
ziehung zur Dienstleistung. 

Art. 3. Der Arzt ist verpflichtet, seine Bemfsthätigkelt ge¬ 
wissenhaft auszuüben und durch sein Verhalten in Ausübung des 
Berufs soAvie ausserhalb desselben sich der Achtung würdig zu 
zeigen, die sein Beruf erfordert. 

Ein Arzt, welcher die ihm obliegenden Pflichten verletzt, hat 
die ehrengerichtliche Bestrafung verwirkt. 

Politische, Avissenschaftliche und religiöse Ansichten oder 
Handlungen eines Arztes als solche können uiemals Gegenstand 
eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden. Die durch die Reiclis- 
geAverbeorduuug festgelegte Freiheit des ärztlichen Berufes darf 
in keiner Weise beeinträchtigt werden. 

Es kann daher insbesondere die Form und der Inhalt der 
verschiedenen Ankündigungen, das Anbieten brieflicher Behand¬ 
lung, der Kauf oder Verkauf der ärztlichen Praxis, das Heilver¬ 
fahren, die Anwendung von Heilmitteln aller Art, die unentgelt¬ 
liche Behandlung von Patienten, das ärztliche Honorar, der Ab¬ 
schluss von Verträgen mit öffentlichen und pri\ f aten Korpora¬ 
tionen, die BeAverbung um ärztliche Stellen aller Art, der Verkehr 
mit den Patienten anderer Aerzte, das Verhalten bei Konsilien 
nicht Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden, in- 
sofeme es sich hiebei nicht um einen Vorgang handelt, Avelcher 
auch bei gebildeten Nichtärzten als ehrenrührig angesehen wird. 

Art. 4. Zuständig ist das Ehrengericht derjenigen Kammer, 
in deren Bezirk der Arzt, gegeu welchen das ehrengerichtliche 
Strafverfahren gerichtet ist. zur Zeit der Erhebung der Klage 
seinen Wohnsitz, oder in Ermangelung desselben, seinen Auf¬ 
enthalt hatte. 

Zu Art. 5. Ohne Erinnerung — nur mit der Aenderung 
„Ehrengericht“ statt „Ehrenrath“. 

Diese letztere Bemerkung soll auch für alle Ubrigeu Artikel, 
in Avelchen vom „Ehrenrnth" die Rede ist. gelten. 

Art. 0. Von dem Vorsitzenden des Ehrengerichtes wird Ter¬ 
min zur Verhandlung anberaumt, zu welchem sämmtllche Mit¬ 
glieder des Ehrengerichtes und der Augeschuldigte zu laden sind. 

Abs. 2 unverändert. 

Abs. 3. Die Verhandlung ist nicht öffentlich; den Mitgliedern 
der Aerztekammer ist jedoch der Zutritt gestattet, anderen Per¬ 
sonen nur auf Antrag des Angeschuldigten. 

Zu Art. 7. Ohne materielle Erinnerung. 


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1682 


MtTENCIIENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 42. 


Zu Art. 8. Die Geldstrafe dürfte in maximo zu hoch gegriffen 
sein; ich beantrage Geldstrafe bis zu 300 M. Die öffentliche Be¬ 
kanntmachung soll nur dann zulilsslg sein, wenn es sich um einen 
Vorgang handelt, welcher auch die Oeffentlichkeit beschäftigte. 

Zu Art. 9 und 10. Ohne Erinnerung. 

Zu Art. 11. Es dürfte zu erwägen sein, ob nicht eine Re¬ 
visionsinstanz zu schaffen ist. 

Zu Art. 12. Ohne Erinneruug. 

Zu Art. 13. Wenn keine Revisionsinstanz geschaffen wird, 
muss den Distriktsverwaltungsbehörden die Befugniss eingeräumt 
werden, die Beihilfe zu verweigern, wenn sie die Ueberzeugung 
haben, dass im gegebenen Falle das Gesetz verletzt wurde; Ver¬ 
mögensexekution wäre den Gerichtsvollziehern zu übertragen. 

Zu Art. 14. Die Erhebung von Beiträgen durch die Aerzte- 
kammer und die ärztlichen Bezirksvereine halte ich nicht für 
nöthig. 

Zu Art. 15. Vollzugsverschrifteu dürften bei Art. 3 ausge¬ 
schlossen sein. 

Wenn meinem Anträge entsprechend eine Standesordnung 
nicht genehmigt wird, ist selbstverständlich auch die Ueberschrift 
entsprechend zu ändern. v. Landman n.“ 

Noch ehe der Gesetzentwurf Uber die ärztliche Standes- und 
Ehrengerichtsordnung in dem besonderen Ausschüsse zur Vor- 
berathuug gestellt wird, sollte in ärztlichen Kreisern entschieden 
Stellung gegen den Antrag des Referenten genommen werden. 
Jedenfalls werden sich auch die Vorsitzenden der 8 bayerischen 
Aerztekamntern, die am 13. ds. Mts. zu der alljährlichen Vor¬ 
besprechung ln Nürnberg Zusammenkommen, über die nunmehr 
erforderlichen Schritte sich schlüssig machen, insbesondere dar¬ 
über, ob nicht nach den v. Landman n’schen Anträgen noch¬ 
mals eine eingehende Motivirung für die Notliwendigkeit einer 
ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnuug der Kammer der 
Abgeordneten unterbreitet «'erden soll. Denn so. wie der Re¬ 
ferent Herr v. Land mann die Vorlage der k. Staatsregierung 
abgeändert wissen will, kann sie niemals die Zustimmung der 
bayerischen Aerzteschaft linden. 

Abgesehen von der Anregung, ausser der Berufungsinstanz, 
dem Ehrengerichtshofe noch eine dritte, eine Revisionsinstanz 
zu schaffen, sind die Anträge des Herrn v. Land mann nur 
negative, sie streichen aus dem vorzüglichen Gesetzentwürfe 
(siehe Münch, med. Wochenschr. 1899, No. 41) rein Alles, worauf 
die Mehrheit der bayerischen Aerzte von Jeher den grössten Werth 
legen musste. 

Nach dem Gesetzentwürfe sollen sämmtliche Aerzte, «'eiche in 
Bayern Praxis ausiiben. einer Standes- und Ehrengerichtsordnung 
unterstehen. Die Standesordnung, «'eiche die den Aerzteu 
in Ausübung ihres Berufes und zur Wahrung der Stajulesehre 
obliegenden Pflichten enthält, wird nach Einvernahme der Aerzte- 
kainmern und des Obermedicinalausschusses durch das Staats¬ 
ministerium des Innern erlassen. Die Standesorduung sollte nur 
auf dem Verorduungswege erlassen «'erden und* in das Gesetz 
selbst Aufnahme nicht finden, um dem Jeweiligen Bedürfnisse, 
den Erfahrungen und wechselnden Auffassungen leichter Rech¬ 
nung tragen zu können und nothwendig werdende Abänderungen 
nicht dadurch zu erschweren, dass sie immer erst die gesetzgeben¬ 
den Körperschaften passiven müssen. 

Herr v. Landmann spricht sich nun in seinem Referate 
gegen eine Standesordung aus; der Grund hierfür ist zunächst 
unbekannt In Preussen ist allerdings von dem Erlasse einer 
Standesoidnung abgesehen und das Verhalten der Aerzte lediglich 
der ehrengerichtlichen Beurtheilung anheimgegeben. Dieser Stand¬ 
punkt hat in Bayern bis jetzt von keiner Seite eine Vertretung 
gefunden. Weil die Verteidigung der Standesehre gegen Ueber- 
griffe und Ausschreitungen nicht nur durch ehrengerichtliche B e - 
Sträfling erfolgen soll, sondern die Tendenz des Gesetzent- 
W'urfes darauf hinausgeht, solchen Handlungen, die Ehre und An¬ 
sehen des ärztlichen Standes herabwürdigeu, durch eine Fest¬ 
stellung der Berufspflichten vorzubeugen, Aerzte. deren Ver¬ 
halten mit der Standesordnung nicht in Einklang steht, hierauf 
aufmerksam zu machen, damit vertrauliche Mahn¬ 
ungen und Warnungen zu verbinden oder die Einleitung 
des ehrengerichtlichen Verfahrens anzudrohen, 
gerade wegen dieser Prophylaxe legen die bayerischen Aerzte auf 
den Erlass einer Standesordnung grossen Werth. Wenn in der¬ 
selben auch nicht sofort alle Berufs- und Standespflichten eines 
Arztes festgestellt oder alle denkbaren Verstösse dagegen auf¬ 
gezählt sein können, so wird eine solche gleichwohl für die Ent¬ 
scheidungen der Ehrengerichte und des Ehrengerichtshofes eine 
werthvolle Unterlage und wichtige Anhaltspunkte geben, sie wird 
vor allen Dingen dem jungen Arzte, der von der Universität in 
die Praxis hinübertritt eine Richtschnur vorzeichuen, nach der 
er sein Verhalten einzurichten hat. Eine Standesordnung ist da¬ 
her, wenn auch nicht unumgänglich nothwendig, doch auch nicht 
gut zu entbehren. 

Sollte die Kammer der Abgeordneten und der Reiclisräthe sich 
nur für eine Ehrengerichtsordnung, nicht zugleich für eine Standes¬ 
ordnung aussprechen, so wird sich eben nach und nach aus den 
Entscheidungen der Ehrengerichte und des Ehrengerichtshofes 
eine Art von Standesordnung hernusbilden. Bei der Entwicklung 
dieser würde Jedoch — und das Ist zu betonen für Diejenigen, 
welche den Aerzten nicht durch eine Standesordnung grössere 
Disciplinarbefugnisse gewähren wollen — das k. Staatsmini¬ 
sterium des Innern nur durch den als Mitglied des Ehrengerichts¬ 
hofes ernannten Verwaltungsbeamten Einfluss haben, nicht aber 
schon bei Erlass der Standesordnung, wie dies der Entwurf vor¬ 
sieht, eine autoritative Stellung eiuuehmen. 


Was nun die Ehrengerichtsordnung anlangt, so hat 
Herr v. L a n d m a n n in seinem Abänderungsantrage zu Art. 3 
zunächst die §§ 28 und 62 der Rechtsauwaltsordnung hertiber- 
genornmen, deren Inhalt andernfalls in die Standesordnung auf¬ 
genommen worden wäre, wie auch die Bestimmung, dass poli¬ 
tische, wissenschaftliche und religiöse Ansichten oder Handlungen 
eines Arztes als solche nicht Gegenstand eines ehrengerichtlichen 
Verfahrens bilden können. Der zweite Absatz des Art. 3 würde 
sich nur insoferne mit den Anschauungen der Aerzte decken, als 
sie gegen einen Arzt, der die ihm obliegenden Pflichten verletzt 
unter Umständen auch mit einer ehrengerichtlichen Bestrafung 
Vorgehen wollen, er weicht aber dadurch weit von ihnen ab, dass 
er die viel milderen Hinweise auf ein unkorrektes Verhalten, die 
Mahnungen und Verwarnungen ausschliesst 

Den grössten Widerspruch fordern die weiteren Sätze des 
Referenten heraus. Obwohl er zuerst dafür sich ausspricht, dass 
der Arzt verpflichtet ist, seine Berufsthätigkeit gewissenhaft aus- 
zuiibeu und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufs sowie 
ausserhalb desselben sich der Achtung würdig zu zeigen, die sein 
Beruf erfordert und derjenige Arzt welcher die ihm obliegenden 
Pflichten verletzt, die ehrengerichtliche Bestrafung verwirkt fährt 
er, sich selbst widersprechend fort: „Die durch die Reichsgewerbe- 
ordnuug festgolegte Freiheit des ärztlichen Standes darf in keiner 
Weise beeinträchtigt werden. Es kann daher insbesondere 
die Form und der Inhalt der verschiedenen Ankündigungen, das 
Anbieten brieflicher Behandlung, der Kauf oder Verkauf der 
ärztlichen Praxis, das Heilverfahren, die Anwendung von Heil¬ 
mitteln aller Art, die unentgeltliche Behandlung von Patienten, 
das ärztliche Honorar, der Abschluss von Vertrügen mit öffent¬ 
lichen und privaten Korporationen, die Bewerbung um ärztliche 
Stellen aller Art, der Verkehr mit den Patienten anderer Aerzte, 
das Verhalten bei Konsilien nicht Gegenstand eines 
ehrengerichtlichen Verfahrens bilden, insoferne es 
sich hiebei nicht um einen Vorgang handelt, «'elcher auch bei 
gebildeten Nichtärzten als ehrenrührig angesehen wird.“ 

Es wurde mich lnteressiren, In welchem Paragraphen der 
Reichsgewerbeordnung Herr v. Landmann die „Freiheit des 
ärztlichen Berufes“, die er übrigens mit Zügellosigkeit zu ver¬ 
wechseln scheint, „festgelegt“ sieht. Von der in der Gewerbe¬ 
ordnung gewährten Freiheit des ärztlichen Berufes kenne ich nur 
die, dass die Aerzte in der Wahl ihres Wohnortes nicht beschränkt 
sind (§ 29, Abs. 3). dass sie die Heilkunde auch im Umherziehen 
ausüben dürfen (§ 56a, Abs. 1, Ziff. 1), dass die Bezahlung der 
approbirten Aerzte der Vereinbarung überlassen bleibt und nur 
als Norm für streitige Fälle Taxen von den Centralliehörden fest¬ 
gesetzt werden können (§ 80, Abs. 2), schliesslich, dass die für 
Medicinalpersonen bestehenden besonderen Bestimmungen, welche 
ihnen unter Androhung von Strafen einen Zwang zu ärztlicher 
Hilfe auferlegen, aufgehoben werden (§ 144, Abs. 2). Aber wo, 
frage ich jeden Juristen, ist ln der Gewerbeordnung die Freiheit 
festgelegt, dass ein Arzt marktschreierische Reklame treiben, 
briefliche Behandlung öffentlich anbieten, eine ärztliche Praxis 
kaufen oder verkaufen, mit notorisch werthlosen Heilverfahren 
und Heilmitteln seinen Patienten das Geld aus der Tasche ziehen, 
sich mit Kurpfuschern identiflziren, durch öffentliche Zusicherung 
billigerer Behandlung seine Clientei vermehren oder bei Bewerb¬ 
ungen um ärztliche Stellen aller Art sich aufdrängen und seine 
Konkurrenten unreell unterbieten und herabsetzen, Patienten 
anderer Aerzte hinter deren Rücken übernehmen und an letzteren 
abfällige Kritik üben und bei Consilien mit übertriebener Wichtig¬ 
keit sich einen besonderen Nimbus geben oder den Hausarzt un- 
nöthig herabsetzen darf? Von einer solchen „Freiheit des ärzt¬ 
lichen Berufes“ steht in der Reichsgewerbeordnung kein .Wort. 
Im Gegentheil, sie erkennt ausdrücklich au. dass es auch Berufs¬ 
pflichten gibt und dass nach den darüber bestehenden 
Gesetzen zu beurtheilen Ist „inwiefern Zuwider¬ 
handlungen der Ge «'er bet reibenden gegen ihre 
Berufspflichten ausser den In diesem Gesetz 
erw’iihnten Fällen einer Strafe unterliegen“ 
(§ 144, Abs. 1). Die Reichsgewerbeordnung wird demnach, soweit 
sie die ärztliche Thiltigkeit berührt, durch eine ärztliche Standes- 
und Ehrengerichtsordnung nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern 
vielmehr ergänzt. 

Gerade diejenigen Verfehlungen, mit «'eichen am häufigsten 
gegen Ehre und Ansehen des ärztlichen Standes gesündigt wird, 
will Herr v. Landmann dem ehrengerichtlichen Verfahren ent¬ 
zogen wissen. Was bleibt dann noch übrig für die Ehrengerichts¬ 
ordnung? So gut «’ie Nichts. Es sollen sogar den ärztlichen 
Standesvereinen die Hände gebunden werden; sie sollen da nicht 
eiuschreiten dürfen, wo zunächst der Hebel zu einer Besserung 
der gegenwärtigen Lage anzusetzeu ist. Die meisten der vor¬ 
stehend nicht erwähnten Verfehlungen gegen die ärztlichen Berufs¬ 
pflichten konnten bisher unter Umständen strafrechtlich ver¬ 
folgt werden und dieser Weg könnte auch in Zukunft beschritten 
«•erden. Aber wer «-ird es denn gut heissen, wenn alle Ver- 
geaen, die sich Aerzte gegen ihre Berufspflichten aus Unkenntniss 
oder Leichtfertigkeit zu Schulden kommen lassen, vor dem öffent¬ 
lichen Gerichte abgehandelt werden, die Aerzte mit Beleidigungs¬ 
klagen vor Gericht kommen oder sich gegenseitig «regen unlauteren 
Wettbewerbes belangen? Solche öffentliche Verhandlungen, die 
das Publikum vom „Brodneid“ der Aerzte reden macht, über die 
jeder anständige Mann verächtlich die Achseln zuckt, die müssen 
vermieden werden, wenn sie nicht die Achtung vor dem ärztlichen 
Berufe noch mehr untergraben sollen, und gehören nicht vor die 
öffentlichen Gerichte, sondern vor das Forum des Ehrengerichtes. 

Da die Ehrengerichte über jede lokale Beeinflussung über¬ 
hoben sind und nur am Sitze jeder Aerztekainmer, also ln jeder 


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15. Oktober 1901. MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1683 


Kreisliauptstndt, gebildet werden, da gegen die Verurtheilung Be¬ 
rufung nn die höhere, aus den Delegirten s ä m m 11 i <• h e r Acrzte- 
kauunern und einem vom Ministerium bestimmten Yerwaltungs- 
beamten bestehenden Instanz, den Ehrengerichtshof, vorgesehen 
ist, da ferner als Ehrenriehter von den Aerztekammern gewiss nur 
lebenserfahrene und kollegial gesinnte Aer/.te gewühlt werden, ist 
jede Befürchtung ausgeschlossen, dass etwa die Ehrengerichte und 
der Ehrengerichtshof in ihrer Auffassung über die Standes¬ 
würde zu weit gehen, die Freiheit der Aerzte ln der Ausübung 
ihres Berufes einseitig und unzulässig l>eschränken oder behufs 
Verbesserung der ethischen und wirthschaftlichen Verhältnisse 
der Aerzte einen ungehörigen Druck auf nichtiirztliche Kreise aus¬ 
üben. Speciell für die Krankenkassen trifft eine solche Befürch¬ 
tung nicht zu. Bisher, auch bei den in Bayern vorgekommenen 
Konflikten zwischen Aerzten und Krankenkassen, waren es nie¬ 
mals die Aerzte. «lie Unbilliges verlangten, sondern nur die Maass- 
losigkeiten der Krankenkassen, welche die Verwicklungen auf¬ 
rollten und die Aerzte zwangen, bei ihren Standesvereineil Schutz 
zu suchen. Sollten wirklich einmal die lokalen ärztlichen Standes¬ 
vertretungen zu weit gelien in Ihren Forderungen an das von den 
Aerzten einzuschlagende Verhalten bei einem solchen Streite und 
gegen solche, die mit diesem Vorgehen nicht einverstanden sind 
und den anderen Aerzten in den Rücken fallen, das ehrengericht¬ 
liche Verfahren anhängig machen, so bietet eben die Ehrengerichts- 
ordnuug eine viel g Wisse re, ja die einzige Garantie gegen die Terro- 
risirung einzelner Aerzte in den Staudesvereinen. 

Herr v.Lanitinann will nur solche Vorgänge der im letzten 
Absatz seines Art. 3 genannten Art dem ehrengerichtlichen Ver¬ 
fahren unterstellen, welche auch bei gebildeten Nicht- 
ürzten als ehrenrührig angesehen werden. Er hätte dann 
eigentlich beantragen müssen, dass die Handhabung der Ehren- 
gerichtsordnung nicht den Aerzten selbst überwiesen werden dürfe, 
sondern dass die Ehrengerichte nur durch Laien zu besetzen sind. 
Wie aber bei den Schwurgerichten die einzelnen Geschworenen 
je nach Beruf und Lebensstellung ein Verbrechen strenger oder 
milder beurtheilen, so werden auch gegenüber den Berufsverfehl¬ 
ungen der Aerzte sich Immer verschiedene Meinungen unter den 
gebildeten Nichtärzten zeigen. Der Eine, der in einer ärztlichen 
Praxis nur ein „Geschäft“ erblickt, wird öffentliche Reklamen, 
bezahlte Danksagungen in den Zeitungen. Unterbietungen der 
Konkurrenz u. s. w. anders beurtheilen als Derjenige, welcher in 
ähnlicher Weise wie bei Beamten. Notaren. Rechtsanwälten und 
Offizieren, den Aerzten nicht nur Berufsrechte, sondern auch davon 
untrennbare Berufspflichten zuerkennt und der Möglichkeit, durch 
ärztliche Thiitigkeit Geld zu verdienen, desshalb gewisse mora¬ 
lische Grenzen gezogen wissen will, und wird für zulässig halten, 
was ein Anderer als standesunwürdig ansieht. Jeder urtheilt 
nach den Gepflogenheiten, die in seiner Gesellschaft und in seinem 
Stande maassgebend sind. Wenn übrigens Herr v. L a n d m a u n 
nur „ehrenrührige“ Vorgänge der bezeiclineten Art geahndet 
wissen will, so ist zu bemerken, dass ein Verhalten sehr oft im 
höchsten Grade unanständig und standesunwürdig sein kann, ohne 
ehrenrührig sein zu müssen. 

Da die Stellung der Aerzte mit der der Rechtsanwälte 
sehr Vieles gemein hat, muss darauf hingewiesen werden, wie 
diejenigen Verfehlungen gegen die Standes- und Berufspflichten, 
die nach Hern v. Landmann in die ärztliche Elireugerichts- 
ordnung nicht eiubezogen werden dürfen, von den Ehrengerichten 
der Anwaltskammern und deren Ehreugerichtshof beurthellt 
werden. Aus einem kleinen Kommentare zur Reclitsanwalts- 
ordnung ist zu ersehen, dass u. A. folgende Verfehlungen durch 
Entscheidung des Ehrengerichtshofes bestraft wurden: Werben 
um Praxis durch besoldete Agenten und Winkelschreiber oder in 
anderer anstandverletzender Weise (öffentliche Zusicherung bil¬ 
ligerer Bedienung. Zeitungsanzeigen), Hebertragung der Praxis 
gegen Entgelt, Feilschen um die zu vereinbarende Vergütung, ge- 
gewohnlieitsmässlge Gebührenerhebung unter der gesetzlichen 
Taxe behufs Erweiterung der Praxis, Beleidigung von Berufs¬ 
genossen vor Gericht oder durch Herabwürdigung in der Presse 
mler im sonstigen Verkehre; leichtsinnige Gefährdung des Rufs 
eines Berufsgenossen. Was aber den Rechtsanwälten billig ist, 
das sollte auch den Aerzten recht sein. Wer es mit dem ärzt¬ 
lichen Stande gut meint und wer ihm unter und neben den anderen 
gebildeten Ständen Achtung und Ansehen erhalten will, der darf 
ihm auch die Disclplinarbefugnisse nicht vorenthalten oder ver¬ 
kürzen, wie Herr v. Land mann es will; sonst wird Jeder mit 
den Fingern auf die bayerischen Aerzte hlnweiseu und sagen: 
„Ihr habt nichts gemein mit den Beamten, den Offizieren, den 
Notaren, den Rechtsanwälten, mit Euem Kollegen in Preusseu, 
Sachsen, Hessen u. s. w.; denn in Eurer Ehrengerichtsordnung 
steht ausdrücklich, was Alles Ihr ungeahndet begehen dürft." 
Quod Deus bene vertat! 

An den ärztlichen Bezirksvereinen muss der 
Referent, Herr v. Landmann, wenig Gefallen haben; er will 
sie aus der Ehrengerichtsordnung ganz herausstreichen. Es be¬ 
deutet dies aber das Gegentheil einer Verbesserung. Denn nach 
dem Gesetzentwürfe und seiner Begründung sind die ärztlichen 
Bezirksvereine, die ja den einzelnen Aerzten In ihrem Berufsleben 
am nächsten stehen, in erster Linie geeignet und berufen, die Ein¬ 
haltung der Standesordnung zu überwachen und zu wahren; ln 
der Erfüllung dieser Aufgabe wird cs der Vorstandschaft eines 
Bezirksvereines zustehen, im gegebenen Falle einen Arzt auf die 
Standesordnung zunächst aufmerksam zu machen, gegen ordnungs¬ 
widriges Verhalten Mahnungen zu erlassen und selbst Warnungen 
oder Zurechtweisungen mit Androhung ehrengerichtlichen Vor¬ 
gehens damit zu verbinden. Erst wenu diese Maassuahmeu zur 


Aufrechterhaltung der Standesordnung gegen einen Arzt erfolglos 
bleiben oder wenn solche in besonders schweren Fällen von vorne- 
lierein als unzulänglich zu erachten sind, hat die Bezirksvereius- 
leitung das ehrengerichtliche Verfahren zu veranlassen und zu 
diesem Zwecke unter entsprechender Vernehmung des Beschul¬ 
digten für eine verlässige und erschöpfende Ermittlung und Fest¬ 
stellung des Thatbestandes, sowie Erhebung aller Beweisbehelfe 
Sorge zu tragen, gegebenen Falles, namentlich wenn eidliche Ver¬ 
nehmungen uotliweudig werden, unter Mitwirkung der Distrikts¬ 
polizeibehörden. 

Es wurde schon oben ausgeführt, wie hoch gerade di** vor¬ 
beugende Thiitigkeit der Bezirks veraine. eine kollegiale Heran¬ 
ziehung der jüngeren Aerzte zu den Stamlesbestrelningen und eine 
wohlwollende Belehrung bei Verstössen aus Unkenntniss oder 
Leichtfertigkeit anzuschlagen ist. Diese Befugnisse, die viel mehr 
auf die Erhaltung der Standesehre hinwirken, als ehrengericht¬ 
liche Strafen, sollten den Bezirksvereinen nicht genommen werden. 

Bezüglich der A u s n a h m e s t e 11 u u g ein z e lner 
Kategorien v o n A e r z t e n erscheint der v. L a n d m a n n - 
sehe Antrag nicht so empfehlenswert!» wie die Bestimmung des 
Entwurfes, welche säm tätliche Aerzte, die in Bayern Praxis 
ausülien, einer Standes- und Ehrengerichtsorduung und damit auch 
der Uebcrwachung durch die Bezirksvereine unterstellt; soll Jedoch 
gegen einen im Staats- oder Militärdienst stehenden Arzt das ehren¬ 
gerichtliche Verfahren eingeleitet werden, so ist die Angelegenheit 
ohne weiteres Verfahren der Vorgesetzten Dienstbehörde vor¬ 
zulegen, die dieselbe im Diseipliuarwege zum Austrage bringt. 

Auf die Höhe der Geldstrafen, die im Entwürfe gleichlautend 
mit der Rechtanwaltsorduung in maximo 3000 M. betragen und 
wovon Herr v. Landmann nur 300 M. beantragt, legen die 
Aerzte kaum ein grosses Gewicht Sie erachten es auch als selbst¬ 
verständlich, (hiss die öffentliche Bekanntmachung einer ehren¬ 
gerichtlichen Strafe nur zulässig sein soll, wenn es sich um einen 
Vorgang handelt, der auch die Oeflfentlichkeit beschäftigte. 

Hat Herr v. Landmann den Entwurf der Standes- und 
Ehrengerichtsordnung auch schon arg zerzaust, er wirft ihr in 
seinem Anträge zu Art. 13 noch einen weiteren Stein in den Weg: 
„Wenn keine Revisionsinstanz geschaffen wird, muss den Distrikts- 
verwnltungsbehörden die Befugnlss eingeräumt werden, die Bei¬ 
hilfe zu verweigern, wenn sie die Ueberzeugung haben, dass im 
gegebenen Falle das Gesetz verletzt wurde.“ 

Es ist auch hier nicht zu begreifen, warum Herr v. Lund¬ 
in a n u die Aerzte schlechter behandeln will als die Rechtsanwälte; 
bei ihnen sind die Entscheidungen des Ehrengerichtsliofes end- 
giltig und mit der Revision nicht anfechtbar. Bei der schon er¬ 
wähnten Zusammensetzung des iir/.tlichen Ehrengerichtsliofes 
aus Delegirten siimmtlieher Aerztekammem und einem vom 
k. Staatsministerium des Innern bestimmten Verwaltungsbeainten 
Ist eine weitere Instanz wirklich nicht nothwendig. Im höchsten 
Grade aber liefremdet die Forderung, die Entscheidungen des dem 
Ministerium unterstellten Eiirangerichtshofes durch die Distrikts¬ 
pol izeihehürden nachprüfen zu lassen, ob nicht das Gesetz ver¬ 
letzt wurde. 

Da Herr v. Landmann nur für eine Ehrengerichtsordnung 
sich nusspricht, entfiele damit auch die Befugnlss der Aerzte- 
kummern und ärztlichen Bezirksvereine — ob die Beiträge von 
beiden euer nur von den Vereinen erhoben werden, ist gleieh- 
glltig —. zur Erfüllung ihrer Aufgaben, soweit sie Standes- 
angelegenlieiteu oder ärztliche Wohll'ahrtseiurichtungen betreffen, 
von den Praxis ausübenden Aerzten des betreffenden Bezirkes 
Beiträge zu erheben. Gerade für die ärztlichen llnterstützungs- 
verelne. deren Leistungsfähigkeit von den einfliessenden Beiträgen 
abhängt, wäre ein solches zu bedauern. 

Nach all’ dem Voraufgeführten muss mau sagen: „Lielier gar 
keine Ehrengerichtsordnung, als eine solche, wie sie Herr 
v. Landmann in seinem Referate beantragt!" Darum richten 
wir Aerzte an die hohen Kammern der Abgeordneten und der 
Reichsräthe die Bitte, die v. Landmun u’schen Anträge zu ver¬ 
worfen und den von der k. Staatsregierung vor- 
gelegten Entwurf eines Gesetzes, die ärztliche 
Standes- und Ehrengerichtsordnung betref¬ 
fend. unverkürzt anzunehmen. 

München, den 10. Oktober 1901. 


Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

(Eigener Bericht) 

Berlin, 13. Oktober 1901. 

Die Bndolf V i r c h o w - Feier. 

Schon seit Wochen ist V i r c li o w’s 80. Geburtstag das Er¬ 
eignis*, auf das die Blicke der ganzen civilisirten Welt gerichtet, 
sind, und hier, am Wohnort des Jubilars und an der Stätte seines 
Wirkens, werden schon seit Monaten Vorbereitungen getroffen, 
um den Ehrentag eines Fürsten der Wissenschaft würdig zu 
begehen. Bei Männern, welche über das biblische Alter hinaus 
unter den Lebenden weilen, pflogen sich die Gedenktago und 
Jubiläen zu häufen, nicht selten tragen sie das Gepräge einer 
gewohnhoitsmässigen Feier, und selbst bei gekrönten Häuptern 
ist mitunter die Begeisterung nur zum Theil eine freiwillige, 
zum andern Theil eine künstlich arrangirte. Wenn jemals ein 


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1684 MTTENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42 


derartiges Fest hervorgegangen ist aus dem innersten Bedürf¬ 
nisse aller Freunde und Verehrer des Jubilars und getragen 
wurde von der aufrichtigen Verehrung aller seiner Theilnehmer, 
so ist es der heutige 80. Geburtstag Virchow’s. Es ist ein Fest, 
welches die ganze Welt mitfeiert. Nicht die Medicincr allein, 
sondern die Angehörigen der verschiedensten Stände und Berufe, 
auf welche der umfassende Geist V i r c h ow ’s belebend und 
befruchtend eingewirkt hat, betrachten ihn als den Ihrigen. Doch 
aber liegt der Schwerpunkt seines Schaffens auf medicinisehem 
Gebiete, unsere Zeit wird in der Geschichte der Medicin als das 
Zeitalter V i r e h o w’s bezeichnet werden und er selbst betrachtet 
trotz der Vielseitigkeit, mit der er sich auf anderen Gebieten 
bethätigt hat, die Medicin als seine eigentliche wissenschaftliche 
Ileimath. Dem entspricht auch die Art, die er zur Begriissung 
seiner Gäste gewählt hat; er empfängt sie im Pathologischen 
Museum, er zeigt ihnen seine Werkst litte und die Pro¬ 
dukte seiner Arbeit. Wer hier eine Reihe von Ansprachen 
und Erwiderungen erwartete, der hat die Eigenart V i r e h o w’s 
verkannt; auch inmitten der ihm persönlich dargebrach ton 
Ovationen blieb er der Gelehrte und Forscher, der seine Gäste 
mit geistigen Genüssen bewirthete und ihnen einen gehaltvollen 
Vortrag hielt, der die Entwicklung der Pathologie zum Gegen¬ 
stand hatte. Eine kurze Unterbrechung der wissenschaftlichen 
Darbietungen bedeutete eine Ansprache des Charite-Directors 
S c h a p c r , welcher, selbst ein Schüler V i r c h o w’s, in warmen 
Worten die Glückwünsche der Charite zum Ausdruck brachte. 
Er erinnerte daran, dass V irchow vor 57 Jahren als Charite¬ 
chirurg in die Charite eintrat und schon damals nicht nur als 
Lernender, sondern auch als Lehrender sich in hohem Maasse 
hervorthat, dass er, obwohl er noch kein Examen gemacht hatte, 
mit den Geschäften eines Prosektors betraut wurde; aus jener 
Zeit datiren somit die Anfänge seiner wissenschaftlichen Arbeit. 
Auf diese Ansprache, folgten Demonstrationen mit dem Pro¬ 
jektionsapparat, hauptsächlich aus dem Gebiete der Parasiten¬ 
lehre und der Entwicklungsgeschichte, und im Anschluss daran 
wurde unter der Führung Virchow’s und seiner Assistenten 
ein Rundgang durch die herrlichen Sammlungen des Patholog. 
Museums unternommen. Aus dem Vortrage Virchow’s, auf 
dessen wissenschaftlichen Inhalt einzugehen hier nicht der ge¬ 
eignete Ort ist, wollen wir nur das erwähnen, dass er auch hier 
zum Ausdruck brachte, wie sehr ihm gerade die Gründung dieses 
Museums eine besondere Freude und Genugthuung bereitet hat. 
Es enthält die ungemein reichhaltigen und interessanten Samm¬ 
lungen, von denen einzelne Stücke fast 2 Jahrhunderte alt sind, 
deren grösster Tlieil aber Virchow’s eigener Forseherarbeit 
zu verdanken ist, es stellt ein gutes Stück von Virchow’s 
Lebensarbeit dar. 

Der Nachmittag vereinigte den Jubilar und seine Familie 
mit einem engeren Kreis von Freunden und Verehren» — aber 
dieser engere Kreis umfasste doch über 200 Personen — zu 
einem Festmahl im Abgeordnetenhause, an dem auch die Spitzen 
der Behörden und die auswärtigen Dehgirten Tlieil nahmen. 
Es muss eine Freude für den Gefeierten gewesen sein, als 
Achtziger noch die Freunde seiner Jugend um sich zu sehen; 
an diese Jugendzeit erinnerte ihn sein ältester Freund, der 
Senior der Berliner Aerzte, Geheimrath Körte, sein Alters¬ 
genosse, der Stadtverordneten-Vorsteher Dr. Laugerhans 
und sein ältester Schüler, Dr. Mayer- Aachen; auch der greise 
Menzel wohnte als Ordenskanzler dem Mahl und der ganzen 
Feier bei. 

An das Festmahl schloss sich die eigentliche Fostfeier im 
grossen Sitzungssaale des Abgeordnetenhauses an, der bis auf 
den letzten Platz gefüllt war. Kurz vor 9 Uhr betrat der Jubilar, 
geführt von Waldeyer und begrüsst von den feierlichen 
Klängen der Musik, den festlich geschmückten Saal. Bald darauf 
cröffnete Waldeyer das Fest. Nach Ernennung der Ehren¬ 
präsidenten, der Staatsminister Graf Posadowsky und 
Studt, v. Leuthold, Baccelli, Lister, Cornil, 
Botkin, Toldt, Stokvis, Armauer Hansen, 
v. Recklinghausen und v. Bergmann, welche sämmt- 
lich mit lebhaftem Beifall begrüsst wurden, begann er seine An¬ 
sprache und legte zunächst die Gesehiehtedes Virchow-Ausschusses 
dar, der sich vor 2 Jahren zur Begehung des 80. Geburtstages 
gebildet hatte. Die Bestrebungen des Ausschusses fanden überall, 
wohin der Name V i r c h o w’s gedrungen war, und das ist das 
ganze Erdenrund, die lebhafteste Unterstützung. Das liebste 
Geschenk, das man ihm darbringen konnte, war eine Vermehrung 


de« Fonds derVirchow-Stiftung zur Förderung wissenschaftlicher 
Unternehmungen, und er selbst hatte erklärt, dass er zu Gunsten 
dieser Stiftung gern auf alle anderen Ehrungen verzichten wollte. 
Die in’s Werk gesetzten Sammlungen haben einen Betrag von 
50 000 Mark ergeben, der der Virchow-Stiftung zufliesst. Aber 
die zahlreichen Verehrer und Schüler Virchow’s wollten sich 
die Gelegenheit zu einer gemeinsamen Ehrung des Meisters nicht 
nehmen lassen, des Mannes, der zwei Wissenschaften von Grund 
aus umg(«taltet, ja fast neu begründet hat. Wo immer ein Lehrer 
der pathologischen Anatomie einen Lehrstuhl inne hat, da ist er 
mittelbar oder unmittelbar ein Schüler V i r c h o w’s, aus seiner 
Schule sind die Lehrer seiner Wissenschaft in drei Geschlechtern 
hervorgegangen. Ein Forscher von der Bedeutung V i r c h o w’s 
ist ein nationaler Schatz, welcher mitbestimmend ist für die 
kulturelle Bedeutung der Nation. Sein Einfluss erstreckt sich 
aber auch weit über die Grenzen des Vaterland«« hinaus und 
wirkt zur Förderung der internationalen Beziehungen. Mit 
einem Hoch auf Virchow, in das die Versammlung begeistert 
einstimmte, schloss W aldeyer seine Rede. 

Es folgte nun eine Ansprache des Kultusministers Dr. Studt, 
welcher im Namen dt« Kaisers tlie grosse goldene Medaille für 
Wissenschaft und ein Glückwunschschreiben des Kaisers über¬ 
reichte; zugleich beglückwünschte er den Jubilar und dankte 
ihm als Chef der preussisehen Uuterrichtsverwaltung, an deren 
Aufgaben Vircho w stets mit regstem Eifer und glänzendem 
Erfolg Tlieil genommen habe. Im Namen des preussisehen 
Kultusministeriums hatte er eine Marmorbüste Virchow’s 
gestiftet, welche im Pathologischen Museum Aufstellung fand. 
Für die wissenschaftliche Deputation für das Medicinalwesen 
sprach Ministerialdirektor Dr. Althoff; er erinnerte u. A. an 
die grossen Verdienste, die Virchow sich bei der erst kürzlich 
in die Wege geleiteten Umgestaltung des Medici nal weseiis er¬ 
worben habt», und sprach den Wunsch aus, dass die unschätzbare 
Kraft Vircho w’s auch weiterhin der Vollendung der Medicinnl- 
reform zu gute kommen möge. Es folgten die Ansprachen des 
Professor Leasing für die Generalverwaltung der königlichen 
Museen und des Generalstabsarztes der Armee Prof. v. Leuthold 
für das preussisehe Kriegsministerium; sodann wurden 3 Tele¬ 
gramme verlesen, von der Prinzessin Therese von Bayern, dem 
Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg und dem Reichskanzler 
Grafen B ü 1 o w. Besonders warm und freundschaftlich war das 
des Herzogs Johann Albrecht gehalten, welcher noch heute seinen 
Dank für tlie Liebenswürdigkeit auszusprechen sich gedrungen 
fühlte, mit welcher Virchow vor 21 Jahren ihm als jungem 
Studenten entgegen gekommen sei! Mit lebhaftem Beifall wurde 
die jetzt folgende Ansprache des italienischen Ministers Baccelli 
begrüsst, welcher in glänzender lateinischer Rede im Namen des 
Königs von Italien und der italienischen Wissenschaft deren 
Glückwünsche überbrachte. Im Aufträge der italienischen Aerzte 
überreichte er ein Doppelbild, welches zur Linken Morgagni, 
der als Erster in Italien die Wissenschaft der pathologischen 
Anatomie eingeführt und verkündet hat. zur Rechten Virchow, 
der die lx*hre mit erlesener Weisheit in Deutschland zur Vol¬ 
lendung gebracht hat. tiarsteilt. 

Es würde zu weit führen, alle die verschiedenen Ansprachen 
und Glückwünsche einzeln anzuführen und tlie Redner zu nennen; 
das Programm, welches dieses Verzeichniss enthält, umfasst 
14 Druckseiten; wir wollen tlaher im Folgenden nur einige, die 
besonderes Interesse erregten, hervorheben. Nach tlem Vicc- 
präsidenten des Abgeordnetenhauses, welcher dem. seit fast 
40 Jahren dem Hause angehörenden Mitgliede den Glückwunsch 
des Hauses und den Dank für seine rastlose Mitarbeit aussprach, 
folgte der ständige Sekretär der Akademie der Wissenschaften 
Prof. Va hlen, ferner für die Leopoldinisch-Carolinische 
Akademie Prof. F ritsch - Halle und dann im Namen der 
Berliner Universität der Rector magnificus Prof. Harnack. 
Mit begeisterten Worten feierte er den Jubilar als eine Zierde 
und den Stolz der Universität; er erinnert an Virchow’s 
Lehrer und Vorgänger Johannes Müller und an den Um¬ 
schwung, den unter M ü 11 e Fs und Vircho w’s Führung die 
biologischen Wissenschaften erfahren haben. Es sei nicht bloss, 
wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, der Dampf und die Elektri¬ 
zität, welche den Fortschritt der Welt bedeuten, sondern der 
Geist einer grossen Persönlichkeit; was die Welt vereinigt, ist 
die Kraft des Gedankens, die Macht eines grossen Geistes; und 
die Kraft, welche die Vertreter der Wissenschaft aus aller Herren 
Länder hier hat zusammenatrömen lassen, ist V i r o h o w. Es 


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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1685 


15. Oktober 1901. 

reihten sich nun die Glückwünsche der thierärztlichen Hoch¬ 
schule, der Berliner medicinischen Fakultät, der anderen medi- 
cinischen Fakultäten Deutschlands, deren Sprecher v. Zicmssen 
war, des Aerztekammcr- Ausschusses, des Medicinal- Kollegiums 
und der Aerztekammcr von Hamburg an. Sehr eindrucksvoll war 
die Rede, mit welcher der Oberbürgermeister Kirschner im 
Namen des Magistrats und der Stadtverordneten von Berlin den 
Jubilar begriisste. Er feierte ihn als den Wohlthäter der Be¬ 
völkerung, den Schöpfer grossartiger hygienischer Einrichtungen; 
ihm habe die Reichshauptstadt die Kanalisation, die Organisation 
des Krankenhauswesens und vieles Andere zu danken. Die höchste 
Ehre, welche die Stadt zu verleihen in der Lage ist, den Ehren- 
biirgerbrief, habe sie ihm bereits vor 10 Jahren übergeben. Um 
aber den Dank der Bevölkerung auch heut zum Ausdruck zu 
bringen, habe der Magistrat beschlossen, dem neuen grossartigen 
Kankenhause, welches jetzt im Entstehen begriffen ist, den 
Namen Rudolf Virchow-Krankenhaus zu geben; ferner habe die 
Stadt in der Erkenntnis*. dass man Virchow’s Wünsche am 
besten erfüllt, wenn man die Zwecke der Wissenschaft fördert, 
ein Kapital von 100 000 M. zur Vermehrung der Virchow- 
Stiftung bestimmt. Unter den jetzt folgenden gelehrten Gesell¬ 
schaften ist als die erste die Berliner medieinisehe Gesellschaft 
zu nennen. 1 n deren Aufträge feierte v. B e r g m a n n den 
Jubilar nicht als den Forscher und Gelehrten, sondern als den 
Arzt, der mit unermüdlicher Arbeitskraft regelmässig unter 
seinen Kollegen weilte und wirkte. Seit 20 Jahren leitet er als 
Vorsitzender die Arbeiten der Gesellschaft, deren Aufblühen in 
erster Reihe ihm zu verdanken sei. Die medieinisehe Gesell¬ 
schaft habt! die Absicht, durch Errichtung eines Virchow-ITauses 
dem Andenken an ihren langjährigen Vorsitzenden und Ehren¬ 
präsidenten für ewige Zeiten auch äusserlich Ausdruck zu geben. 
Als Festgabe überreichte v. Bergmann das jetzt fertig ge¬ 
stellte Generalregister der Sitzungen der medicinischen Gesell¬ 
schaft, aus welchem hervorgeht, dass Virchow, abgesehen von 
seiner Thätigkeit als Vorsitzender, nicht weniger als 587 mal in 
Vorträgen oder Discussionen das Wort ergriffen und an den Ar¬ 
beiten der Gesellschaft Theil genommen habe. Im Anschluss 
hieran gratulirten Abordnungen der anderen Berliner ärztlichen 
Vereine, der deutschen ärztlichen Gesellschaften, der ärztlichen 
Vereine in deutschen Städten, der anthropologischen und natur¬ 
wissenschaftlichen Gesellschaften und des deutschen Fischerei - 
voreines. Erst in der zwölften Abendstunde kamen die Abord¬ 
nungen aus fremden Ländern zum Wort. Die Geistesaristokratie 
aus aller Herren Länder hatte sich zusammengefunden, um dem 
Meister ihre und ihrer Völker Glückwünsche zu Überbringern 
Klangvolle Namen waren cs, Namen, welche weit über die 
Grenzen ihres Vaterlandes hinaus bekannt sind, deren Träger als 
die Vertreter ihrer Nationen hier erschienen. Mit grossem Jubel 
wurden Lord L i s t e r und abermals Prof. B a c c e 11 i begrüsst; 
von den vielen Anderen erwähnen wir nur noch Heymans, 
Salomonscn, Cornil, Somon, Maragli ano, 
v. Luschan, Stokvis, Armaucr Hansen, T o 1 d t , 
Weichselbaum, v. Chrobak, Chiari, Raptsehc- 
w s k i , II o m e n , Miirner; auch Amerika und Japan fehlten 
nicht; im Ganzen hatte das Ausland 50 Abgeordnete nach Berlin 
entsandt. Zum Schluss beglückwünschen noch die früheren und 
jetzigen Assistenten ihren verehrten Lehrer, es schlossen sich 
dann noch die Studirenden der Universität und der Kaiser 
Wilhelms-Akademie an, und endlich spät nach Mitternacht er¬ 
reichte das denkwürdige Fest mit einer Ansprache des stell¬ 
vertretenden Vorsitzenden Prof. B. Frankel, welche in ein 
Hoch auf den gefeierten Jubilar ausklang, sein Ende. 

So hat die Reichshauptstadt und mit ihr die ganze gebildete 
Welt ein Fest gefeiert, wie es selten ein Sterblicher erlebt, ein 
Fest, welehes eine Huldigung der gesammten Wissenschaft für 
ihren grössten Meister bedeutet. Wir Aerzte der Gegenwart 
haben allen Grund, stolz darauf zu sein, dass wir in der Zeit 
V i rchow’s leben und lernen durften, denn unser ganzes medi- 
cinisches Denken ist aufgebaut auf den Lehren, die wir von ihm 
empfangen haben. Und darum wollen wir uns aus vollem Herzen 
dem Wunsche ansehltCHson, den alle die Reden und Ansprachen 
zum Inhalt hatten, dem Wunsche, da-s es ihm noch vergönnt 
sein möge, viele Jahre hindurch mit der unverminderten Krafi 
des Körpers und des Geistes weiter zu arbeiten und zu wirken 
zur Freude seiner Faehgenosscn, zum Stolz seiner Mitbürger, 
zum Heile der Menschheit. M. K. 


New-Yorker Brief. 

Zum St. Pauler Aerztecongress und nach Wunderland. 

(Fortsetzung.) 

Das Fountain Hotel (nach seinem Ragazer Vorbild mögen 
wir es mit Quellenhof übersetzen) ist eine durchaus nach 
modernen Principien restaurirte Herberge und erscheint in 
jeder Beziehung eleganter, als das Maminoth Spring Hotel. 
Seine Badeappartements zeichnen sich dadurch aus, dass sie 
direkt von den heissen Quellen der Nachbarschaft gespeist 
werden. 

Trotz unserer halberfrorenen Füssc machten wir uns sogleich 
auf den Weg nach dem in der nächsten Nähe befindlichen 
Lower Geyser Basin (unteres Geyserbassin). Das Areal dieses 
ungeheuren Kochofens umfasst gegen 40 englische Quadrat¬ 
meilen und zählt 693 heisse Quellen und 17 Geyser. Die Höhe 
beträgt durchschnittlich 7250 Fuss; die Umgebung, welche ihm 
einen herrlichen Rahmen verleiht, besteht aus Hügelland, welches 
fast ausschliesslich von grünem Tannenwald bedeckt ist. Un¬ 
gefähr einen Büchsenschuss vom Hotel entfernt, befinden sich 
die Mammoth Paint Pots, welche die oben beschriebenen Gibbon 
Paint Pots sozusagen en gros darstellen. Dieser gigantische 
Farbentopf ist wirklich einzig in seiner Art. Er hat einen Längs- 
durehmesser von 60 und einen Querdurchmesser von 40 Fuss. 
Seine Umwallung, bestehend in einem 5 Fuss hohen Thonkranz, 
hat er sieh im Laufe der Zeit selbst angesetzt. In diesem rosa¬ 
grauen Farbentümpel geht es merkwürdig zu. Da sieht man 
eine weissliehe breiige Masse in beständigem lebhaften Durch¬ 
einander. Ueberall heben sich teigige Blasen, ähnlich wie Seifen¬ 
blasen empor, die unter hörbarem Ruck wieder verplatzcn. Die¬ 
selben sind bald drei- oder viereckig, bald wieder rund und 
murmeln ein weithin hörbares, eigenartige« Geräusch, welches 
ungefähr wie ein heiser geflüstertes plop klingt. In dem um¬ 
gebenden Wall bildeten sich im Laufe der Zeit einige 40 kleine 
Farbentöpfc von Rosafarbe. Die Annäherung ist nicht bloss 
schwierig, sondern auch gefährlich, da die natürliche Thonein¬ 
friedigung sehr schlüpfrig ist. Wir hatten wegen des grossen 
Schmutzes Gummiüberschuhe-angezogen, dieselben blieben aber 
mit hörbarem Suetionsgeräuseh in dem zähen Thonpudding 
stecken. Der geniale Stiefel wusste jedoch Rath und band 
unsere Galoschen mit dicken Schnüren fest, so dass unsere Pedale 
wie die abruzzischer Räuber aussahen. 

Wenige Wochen nach unserem Besuch verunglückten an 
dieser Stelle zwei Brookl.vner Damen, die Gattin und Schwieger¬ 
tochter eines Kollegen. Die Mama war in den Krater geglitten 
und die. wackere Tochter gerieth bei dem Versuch, sie heraus¬ 
zuziehen, tief in den kochenden Schlamm. Zum Glück war 
alsbaldige Hilfe vorhanden und kamen die Damen mit dem Leben 
davon. Dass diese Farbensuppe sich auch praktisch verwerthen 
lässt, zeigen die Wände des Fountain Hotel, die damit gestrichen 
sind. 

Einige hundert Fuss davon entfernt befindet sich der Great 
Fountain Geyser. Derselbe entströmt einem 10 Fuss im Durch¬ 
messer haltenden Krater und „spukt“ alle 10 bis 12 Stunden 
auf etwa eine halbe Stunde lang. Dem Eruptionsstadium geht 
höflicher Weise eine Art Inkubationsstadium voraus, welches 
sich in immer höherem Anfüllen und endlichem Ueberlaufen des 
kochenden Wassers anmcldet. 

Plötzlich schiesst dann eine ungeheure, glänzend weissu 
Wassergarbe zischend in die Höhe. Um den grossen Geyser, 
„wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt“, gruppiren sich 
eine Menge kleiner Trabanten, welche sich auch den Spass ge¬ 
legentlichen Expectorirens in kleinem Maassstabe leisten und 
das Terrain ringsherum derart bewässern, dass man gut thut. 
wasserdichtes Schuhwerk zu tragen. Von weiteren Geysern, die 
sich im Dunstkreis des Grossmoguls des unteren Geyserbassins 
befinden, sind wegen ihrer Schönheit noch der White Domo 
(Weisser Dom), Surprise G T(? herraschung), Fire-hole Spring 
(Feuerlochquelle), Mushroom (Pilz — wegen seiner Form) und 
die Buffalo Spring (Büffelquello) hervorzuheben. Die letztere 
Bezeichnung rührt davon her, dass einer der ersten Park¬ 
erforscher das weissglänzende Skelett eines Bergbüffels in der¬ 
selben gefunden hatte. Das Thier war jedenfalls bei einem Fehl¬ 
tritt vor Jahren schon hineingefallen. Ausserdem gibt es noch 
eine grosse Anzahl wundersam geformter Fontänen, deren Be¬ 
schreibung den Rahmen dieses Berichtes überschreiten würde. 


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1688 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42. 


Die geradezu erdrückende Monge von Sehenswürdigkeiten 
des ersten Tages hatten jedoch noch lange nicht ihren Abschluss 
erreicht. Nach dem opulenten Abendessen folgten wir der 
grossen Schaar der zum Theil ungläubig dreinschauenden Gesell- 
scliaft zu einem begrasten Hügel, der sich an der Lisiere des 
Waldes, etwa Vs Meile hinter dem Hotel hinzieht, um die Bären 
bei ihrem Souper zu belauschen. Ich versichere bei dieser Ge¬ 
legenheit denjenigen meiner lieben deutschen Kollegen, welche 
beim Lesen meines Berichtes mich in dem schnöden Verdacht 
haben sollten, dass ich mir das Spässchen herausnähme, ihnen 
einen Bären aufbinden zu wollen, dass die Bären im Yellowstone¬ 
park wirklich frei herumlaufen. Es heisst, dass sie sich ebenso 
wie die aristokratischen Raubthiere höherer Gattung, wie die 
Panther z. B., fast nur in den dichtbewaldeten und wenig zu¬ 
gänglichen Theilen dos Waldes aufhalten und auf den Fahrwegen 
desshalb nicht gesehen werden. Ich muss nun offen gestehen, 
dass ich doch schon aus diesem Grunde Niemandem anrathe, 
auf eigene Faust Explorationen im Yellowstonepark vorzu- 
nehmen, und folge man desshalb auch lieber hier dem allgemeinen 
menschlichen Herdentrieb. Wie schon oben erwähnt, befleissigt 
man sich einer weisen Prophylaxe. Man placirt um die 
Abenddämmerung hinter den Hotels Küchenabfälle, besonders 
Fleisch, an einer bestimmten Stelle. Die Thiere wissen dies, 
stellen sich regelmässig ein und befriedigen ihren Appetit, so 
dass ihnen die Versuchung auf Menschenfleisch nicht kommt. 

Also nach etwa 15 Minuten langem Warten sahen wir einen 
schwarzen Bären aus dem dunklen Tannendickicht treten und 
langsamen und gemessenen Schrittes auf seine Frasskatakombe 
zutreten. Mit einem Blick unsäglicher Verachtung schaute 
Meister Betz auf uns herunter, und ohne Hast und mit Würde 
verschlang er seine Dosis. Im Ganzen verweilte er etwa 10 Minu¬ 
ten, ungefähr 200 Fuss von uns mehr oder weniger erregten Be¬ 
schauern entfernt, und dann trollte er ebenso langsam und feier¬ 
lich in den Forst zurück. Was mir besonders auffiel, war das 
herrlich glänzende schwarze Fell, wie ich es bei keinem seiner 
Cousins in der Menagerie je gesehen hatte. Ueberhaupt gewährt 
ein Thier in der Freiheit einen ganz anderen Anblick. Es ist 
nicht bloss das Gefühl der Furchtbarkeit, welches sich unserer 
bemächtigt, sondern man wird auch zum Anstaunen der Schön¬ 
heit des Thieres gezwungen. Kaum war Atta Troll verschwun¬ 
den, da stürzte ein gelbgraues Thier von der Grösse eines grossen 
Schäferhundes auf den Speisehügel zu. Im Gegensatz zu der 
Ruhe und Bedächtigkeit seines Vorgängers warf dieser flinke 
Geselle ängstliche Blicke um sich, riss hastig seine Bolus heraus 
und verschwand im Nu wieder im Wald. Wir hatten kaum Zeit, 
ein dreieckiges, hundeähnlichee Gesicht zu erkennen und einen 
sehr schönen, langen und buschigen Schwanz zu bewundern. 

Meine Frau meinte, es wäre ein grosser Reinecke gewesen, 
ich aber hielt es für einen Wolf, und da Niemand uns belehren 
konnte, so wird diese Frage wie so manche andere auf ewig 
ungelöst bleiben. 

Während wir noch unter dem tiefen Eindruck des Gesehenen 
standen, sahen wir unter und auf der Wiese ein merkwürdiges 
Schauspiel. Es sah sich dasselbe nämlich gerade so an, als ob 
ein Mann sich mit zwei Frauen herumraufte. Als wir näher 
kamen, erklärte sich dieser scheinbare Skandal einfach dadurch, 
dass sich kleine Geyserembryonen unter der trügerischen Gras¬ 
fläche gebildet hatten und eine der gar zu kühnen Damen hatte 
sich zu weit vorgewagt und war durchgebrochen. Eine nahe¬ 
stehende Dame war beim Versuch, ihr herauszuhelfen, ebenfalls 
eingebrochen und als mm ein Eingeborener denselben heraushalf, 
so entwickelte sich das merkwürdige Bild des „Halb zog sie ihn, 
halb sank er hin“. Der Unfall hatte übrigens keinerlei ernst¬ 
liche Folgen. 

Leider war ich nicht so glücklich, während der Reise noch 
mehr Bären zu sehen, dagegen erzählten uns mehrere Kollegen, 
dass sie öfter, und einmal sogar ein Rudel von Vieren, zusammen 
beobachtet hätten. Darunter waren auch graue Bären gewesen. 
So wunderbar es auch klingen mag, Thatsache ist es, dass man 
nie von einem Angriff auf den Menschen im Park gehört hat. 

Nachdem wir wie die Murmelthiere geschlafen hatten, rief 
uns früh ain Vormittag das Abfahrtssignal zu neuen Timten. 
Siegreich hatte die Sonne die Wolken des gestrigen Tages ver- 
sel'.eu! lit und weckte in unser Aller Brust, die frohe Stimmung, 
wie sie sich so leicht und spontan bei schönem Wetter in einer 
unternehmungsbeflissenen Gesellschaft entwickelt. 


Unser nächstes Ziel war das 10 Meilen entfernt liegende 
Upper Geyser Bassin, die Piöce de resistance der Yellowstone- 
geyser. Der zumeist durch Tannenwälder führende Fahrweg ist 
fast überall mit dampfenden Quellen und kleinen Geysem um¬ 
rahmt und bedeutet schon für sich allein eine Merkwürdigkeit. 

Das obere Geyserbassin selbst hat eine dreieckige Form und 
nimmt einen Flächenraum von 4 Meilen ein. Ihm entquellen 
26 Geyser und über 400 einzelne heisse Quellen. Innerhalb des 
verhältnissmässig kleinen Flächenraums einer Quadratmeile 
drängen sich die grössten und herrlichsten Geyser zusammen, 
welche die Welt kennt. 

Schwere Dampfwolken hängen über der ganzen Gegend und 
rufen von Weitem den Eindruck hervor, als wäre eine grosse 
Stadt, in den Erdboden versunken und ihre Dächer stünden in 
Flammen. Die Vegetation ringsum ist ausgestorben, der Gesang 
der Vöglein verstummt. Statt dessen hört man ein Toben, dass 
die Erde unter den Füssen erzittert. „Und es brauset und siedet 
und kochet und zischt, als ob Wasser mit Feuer sich menget.“ 
Das ganze Terrain ist von kieselartigen Niederschlägen bedeckt, 
aus welchen sich die Geyserwiinde wie ungeheuere weisse Kata¬ 
falke herausheben. Wenn man, sich vorsichtig vorbeugend, über 
diese Wandungen hineinblickt, so gewahrt man eine in den merk¬ 
würdigsten Farben schillernde, undulirende Wasserfläche. Die 
vorherrsehendsten Farben sind milchweiss, rosa und himmelblau. 
Plötzlich schiesst aus einer dieser Flächen eine kochende Wasser¬ 
hose empor, senkt sich wieder, um kurz darauf zu Kirchthurm- 
höhe emporzusausen. 

Man vergisst beinahe zu athmen, denn in das Staunen 
mischen sich doch auch unheimliche Empfindungen. Wir stehen 
mitten im Feuerzauber, Alles um uns her dampft und zischt, wir 
erkennen unsere Nachbarn manchmal nur als Silhouetten durch 
den Dampf hindurch. 

Die Eruptionsperioden der einzelnen Geyser sind ver¬ 
schieden, manche schicken ihre glitzernden Fontänen alle halbe 
Stunden, andere bloss alle drei Tage zum Himmel empor. 

Der verlässlichste ist der Old Faithful Geyser (der alte zu¬ 
verlässige Geyser!), welcher alle 63 Minuten erscheint. Man 
kann sich darauf so bestimmt verlassen, wie auf einen königlich 
preussischen Registrator, und hat man im Buffet der Früstücks- 
station sogar eine Uhr, welche den nächsten Ausbruch des 
Geysem auf die Minute im Voraus verkündet. Die ganze Ge¬ 
sellschaft umstand unter der Leitung eines Führers im Halbkreis 
den brodelnden Tümpel des alten getreuen Spritzteufels und be¬ 
merkten wir zunächst nur einige spasmodische Zuckungen seiner 
brodelnden Wasserfläche. Wenige Minuten vor dem Ausbruch 
fingen die Wasserbogen an, über den Rand des Kraters hinaus¬ 
zuschwellen. 

Dieser misst in seinem Längsdurchmesser 6 Fuss und in 
seinem Querdurchmesser 2 Fuss nach innen, während sich aussen 
8 Fuss im Längen- und 4 Fuss im Querdurchmesser ergeben. 
Die Farbe des Kraters gleicht der einer Perle. 

Ziemlich unvermittelt wurde nun plötzlich eine Wassersäule 
zu einer Höhe von 150 Fuss hinaufgeworfen. Der Anblick war 
unvergesslich. Die Sonne stand hell am Firmament und in 
ihren Strahlen brachen sich nun die Millionen kochender Tropfen 
in den schönsten Regenbogenfarben. 

Die vorherrschendsten Tinten waren milchweiss, safran- 
und orangegelb, rosa, grau und braun. Auf dieser Höhe hielt 
sich dio Fontäne etwa 3 Minuten, dann war wieder Alles 
wie vorher. 

Eine halbe Meile vom Old Faithful entfernt und in dichter 
Nähe des Fircholsflusses befindet sich der Giant Geyser, dessen 
10 Fuss hohe Umfriedigung wie ein grosses Grabmal uns schon 
von Weitem entgegenleuchtete. Dieser Gigant macht sich rar 
und tritt nur zweimal wöchentlich auf. Wie nicht anders zu 
erwarten war, that er uns jedoch den Gefallen, heute zu debütiren, 
und so waren wir Zeugen des erhabenen Schauspiels, eine un¬ 
geheure Wassermasse zu der Höhe von 250 Fuss emporgeworfen 
zu sehen. 

Von den anderen Geysem verdient der Bee Hive (Bienen¬ 
stock), der Grand und Splendid Erwähnung, welche sämmtlich 
einen Wasserstrahl von 200 Fuss Höhe emporschleudern. Die 
merkwürdige Form des Bee Hive, welche thatsächlich wie die 
eines Bienenstocks aüssieht, gab ihm den Namen. Andere merk¬ 
würdige Ornamente zeigte der Sponge, welcher seine Bezeich¬ 
nung seinen badeschwammähnlichen Contouren verdankt. Sehr 


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15. Oktober 1901. MtJENCHENER MEDlCIttlSCaE WOCÄENSCHIÜFT. 1687 


merkwürdig sahen der Grotto-, der Fan- (Fächer) und Mortar- 
(Mörser) Geyser aus. Wir erwähnen ferner die Punch Bowl- 
(Punschterrine) und die Morning Glory-Quelle. Letztere sieht 
wirklich wie eine vollaufgeblähte hellblaue Winde aus. 

Die grösste natürliche Einfriedigung besitzt der Castle 
Geyser (Schlossgeyser), seiner hohen und starken Wände wegen, 
die an eine Felsenburg erinnern, so benannt. 

Nicht zu vergessen ist das Biscuit Basin, welches aus 
Hunderten kleiner symmetrischer Erhebungen von Biscuitform 
besteht. Dieselben sind von olivengrüner Farbe. 

Am Upper Geyser Basin befindet sich kein Hotel, sondern 
nur eine sogen. Lunchstation. Dieselbe ist etwas weniger pri¬ 
mitiv als das Zeltlager am Norris Basin. Die Mittelfront ist 
aus kleinen Baumstämmen gezimmert, während die Seitenflügel 
ebenfalls aus Segeltuchzelten bestehen. Die daselbst gereichten 
Mahlzeiten sind einfach, aber gut. 

In diesem weltentlegenen Fleck erlebte ich eine Episode, 
welche mir beinahe noch wunderbarer dünkt, als die vielen Merk¬ 
würdigkeiten, deren Augenzeuge ich am vorhergehenden Tage 
war, und die zeigt, wie klein doch eigentlich die Welt ist. 

Die Wirthin des urwäldlichen Restaurants berichtete uns 
nämlich, dass sich vor einer Woche ein Deutscher im Old Faithful 
Geyser schwer verbrüht habe und nunmehr in einem improvi- 
sirten Chambre garni zu Bette läge. Da sie von der Ankunft 
der Aerzte gehört hätte, so wäre die Frage gestellt worden, ob 
sich nicht auch ein Deutscher unter denselben befände. Ich 
liess mir dies natürlich nicht zweimal sagen und suchte meinen 
unglücklichen Landsmann hinter der rothgeblümten Bettgardine, 
welche ihn von dem Gewühl im „Empfangszimmer“ trennte, auf. 
Ich fand einen älteren bebrillten Herrn, welcher mir nun schil¬ 
derte. dass er ohne Führer sich an den Old Faithful herangewagt 
hätte, dass plötzlich ein Windstoss gekommen sei und ihm einige 
Wasserpartikcl in’s Gesicht gepeitscht hätte, so dass er er¬ 
schrocken zurückwich. In Folge seiner Kurzsichtigkeit bemerkte 
er einen dicht daneben befindlichen kochenden Tümpel nicht und 
fiel bis an die Hüften hinein. Er behauptete, sich leidlich wohl 
zu befinden, und was hingebende Pflege leisten kann, ist auch 
in der That seitens der einfachen braven Leute in diesem 
Fütterungswinkel vollauf geschehen. Die ärztliche Behandlung 
jedoch bestand in dem Appliziren von Vaseline. Darüber kam 
ein Watteverband, welcher von einem Medicinstudenten der 
Minnesotaer Universität täglich gewechselt wurde. 

Dieser Studio befand sich noch im ersten Semester und 
fungirte, das Utile cum dulci verbindend, während des Sommers 
als Kellner im Restaurant. Ich hatte nachher Gelegenheit, ihm 
meine volle Hochachtung zu schenken. Ich wagte nun aller¬ 
dings, immer noch unter dem Eindruck stehend, mich einem 
Laien gegenüber zu sehen, einzuwenden, dass man aus dem 
Vaseline zwar sehr nützliche Sälblein bereiten könnte, aber die 
moderne Chirurgie verfüge doch über Besseres, worauf der 
Patient mir in mcdicinischen Ausdrücken erwiderte, dass er sich 
vom guten Aussehen der Wunden überzeugt habe etc. 

Nun erst dämmerte mir der Gedanke, dass ich einen Kollegen 
vor mir habe, und wie gross war mein Erstaunen, als ich in 
demselben meinen früheren Vorgesetzten, den Generalarzt S. er¬ 
kannte. Welch ein Zusammentreffen nach einem Vierteljahr¬ 
hundert 1 

Das hätte sich der gute S. auch nicht träumen lassen, als 
ich, ein junger Springinsfeld, noch vor ihm die Beine stramm 
zusammenzog und er mir in seiner stabsärztlichen Würde den 
Standpunkt klar machte, ich auch einmal den Stiel herumdrehen 
könnte. 

Ich hielt es nun für meine Pflicht, trotz seiner optimistischen 
Versicherungen, die Beine genau zu inspiziren, was er, in rich¬ 
tiger Witterung der folgenden Ereignisse, nur widerstrebend 
duldete. Ich fand nun das eine Bein in einem leidlich guten 
Zustand, zumeist nur die Erscheinungen einer Verbrennung 
ersten und zweiten Grades darbietend. Das andere Bein jedoch 
sah abscheulich aus. Namentlich am Unterschenkel waren 
thalergrosse Nekrosen, die sich tief in’s Muskelgewebe fortsetzten. 
An einer Stelle, nahe dem Knie, war sogar ein handtellergrosser 
grünschwarzer und übelriechender Hautlappen. S. hatte die¬ 
selben in Folge seiner Kurzsichtigkeit nicht gut erkennen 
können und der junge Studiosus glaubte, dass dies zu einem 
ordentlichen Wundverlauf gehöre. S. war auch in den ersten 
Tagen ziemlich schwach gewesen. Ich erklärte nun, dass diese 


nekrotischen Fetzen entfernt werden müssten, wogegen er die 
Zuversicht aussprach, dass sich dieselben exfoliirten. 

Nun schleuderte ich ihm aber die chirurgischen Kriegsartikel 
in’s Gesicht, ihm besonders vorhaltend, dass, wenn er sein eigener 
Patient wäre, er doch sicherlich die Exfoliation der Zeit nicht 
überlassen würde und so einer mehr als wahrscheinlichen Sepsis 
in die Hände arbeitete. Ja die Aerzte sind doch zu komische 
Leute, wenn sie selbst Patienten sind. Nun, der wackere S. 
wurde aber auch schliesslich mürbe und so vereinbarten wir die 
Operation auf den folgenden Morgen. 

Ich telegraphirte an den Kollegen Ferguson in dem 
50 Meilen entfernten Fort Yellowstone, Aether und Jodoformgaze 
durch einen Courier zu senden. Wir kehrten nun auf demselben 
Wege in das Fountain Hotel zurück, von wo wir, um uns der 
Karawane wieder ansehlicssen zu können, schon um 5 Uhr 
Morgens abfahren mussten. Unsere Wagengenossen Hessen es 
sich trotz der frühen Stunde nicht nehmen, mich zu begleiten. 
Wir trafen unseren lieben Generalissimus bei bestem Humor. 
Der medieinische Ganymed hatte alle Vorkehrungen getroffen. 
Steriles Wasser konnte ich ja an den Geysern leicht bekommen. 
Der sehnlichst erwartete Courier war noch nicht eingetroffen und 
so mussten wir uns ohne Narkose und mit. hydrophiler Watte 
behelfen. Zum Glück hatte Herr Dr. Schweitzer eine 
ganze Flasche Europhen bei sich, welche uns nun sehr zu Gute 
kam. 

Ich entfernte nun unter nicht unansehnlicher Blutung die 
mortificirten Gewebstheile, was der brave S. mit heroischem 
Muth ertrug. Wie gut, dass ich, meinem Prinzip getreu, stets 
mein chirurgisches Taschenetui mit mir führte! 

Mit schweren Herzen verlicssen wir unseren tapferen Pa¬ 
tienten, welcher 2 Tage später dann von einem Kollegen dei 
anderen Partie besichtigt wurde. Wie aus den täglichen tele 
graphischen Bulletins zu ersehen war, war die Heilung ohne 
Störungen des Wundverlaufes vor sich gegangen. Freilich 
musste er noch volle 2 Monate dort verbleiben und während der 
Abfassung dieses Berichtes befindet sich S. auf der Reise nach 
New-York. S. hatte eine Reise um die Welt gemacht, hatte alle 
Fährlichkeiten des damals brodelnden chinesischen Kessels um¬ 
steuert, um nun auf dem Wege über San Francisco beim Old 
Faithful einen so merkwürdigen Schiffbruch zu erleiden. 

Die Wirthin erzählte uns, dass im vergangenen Sommer ein 
Medicinstmlent — wie merkwürdig, dass die medieinische Fakul¬ 
tät so hervorragend in der Verbrühungsgeschichte des Yellow¬ 
stonepark figurirt — ebenfalls seine Beine verbrannt hat. Sie 
behandelten ihn ebenfalls mit Vaseline. Nach 2 Monaten, als 
er beinahe geheilt gewesen sein sollte, „hätte sich die Wunde auf 
dem weiten Eisenbahntransport erkältet“ und da hatte man dann 
zu Hause die Amputation vornehmen müssen. Sapienti sat! 
Der Aermste hat jedenfalls eine Verbrennung 3. Grades er¬ 
litten und die Zersetzung der nekrotischen Fetzen hatte Sepsis 
der Extremität herbeigeführt. 

Ich konnte mir nun eine Wüstenpredigt über einen asep¬ 
tischen Text nicht versagen und hinterliess der wackeren Frau 
geschriebene Vorschriften für Wundbehandlung in solchen 
Fällen; auch meldete ich die Angelegenheit an das Ministerium 
mit dem Vorschlag, die in der Nähe der Geyser beamteten Per¬ 
sonen, namentlich Soldaten, einen antiseptischen Verbandkurs 
durchmachen zu lassen, wodurch derlei traurige Eventualitäten 
künftig vermieden werden möchten. Es ist überhaupt nach 
meiner Ansicht tadelnswerth, dass man die Besucher häufig ohne 
Führer herumgehen lässt und die gefährlichen Stellen nicht ein¬ 
friedigt. 

S. ist des Lobes voll über die freundliche Sorgfalt seiner 
Umgebung. Mir imponirte S. nicht wenig durch seine aus 
Toussaint-Langenscheidt geschöpfte Kenntniss der englischen 
Sprache: So etwas bringt doch nur ein Deutscher fertig! 

Wir schlossen uns nun der mittlerweile herangekommenen 
Gesellschaft, welche natürlich grosses Interesse an unserem 
lieben Patienten nahm, an, um unserem nächsten Ziel, dem 
Yellowstone Lake zuzusteuern. Wir berühren auf dieser Fahrt 
den Madison River, und gelangen nach erheblicher Steigung auf 
die Wasserscheide, welche die Flüsse des Atlantischen von denen 
des Stillen Oceans trennt. Die Fahrt durch diesen Gebirgspass 
ist wildromantisch und kann sich keine schweizerische hohle 
Gasse, sei sie noch so halsbrecherisch, mit demselben vergleichen. 

(Schluss folgt.) 


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ics$ MUENOHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. tf 0 . 42. 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

Aus dein Etat des b a y er. S t a a t s m i n i s t o r 1 u m s 
d <• s 1 u n e r n f ü r K i r c li e n - u n d S c h u 1 a n s f I c g e u 
heit e n tur die XXVI. Fiiiauzpcriodc 1902 und 1903 interessirt 
zuniiehst der Voranschlag für die iiiedieiiiiselien Ansialteii der drei 
I.and(*suniversi täten. 

a) U n i v e r s i t Fi t M ii n <• li e n. 

An neuen Postulaten kommen in Ansatz zur Erhöhung des 
Rcalctats des hygienischen Institutes, des pathologischen In¬ 
stitutes und der otiatrischen Klinik ein regelmässiger Jahresbetrag 
von je .'{ooo M., zum gleichen Zwecke für die Anatomie 2000 und 
für die Fniueiiklinik 7.KM) M.. für die Polikliniken im Kcisinge- 
rianum ein JaJiresiietrag von 08(M> M. im ordentlichen und 4100 M. 
im ausserordentlichen Etat, zur (iewälming des Gehalts eines 
ausserordeiitliciien Professors an den Leiter der pädiatrischen 
Poliklinik 2400 M., für Vorlesungen über gewerbliche Hygiene 
1200 M. und für physiologische Kurse in Folge der neuen Prü¬ 
fungsordnung 3000 M. 

Sämmtliehe I’ostulate sind eingehend als dringend iiotlnvendig 
begründet. Die Erhöhung des ltealetats der verschiedenen An¬ 
stalten wird durch die steigenden Ausgaben für Bauunterhaltuug. 
Beheizung, Beleuchtung. Betrieb der Anstalt und Einführung von 
Verbesserungen gerechtfertigt. Der bisherige Betriebsetat der 
Ohrcitklinik im lmslicinisch-klinischen Institut von Hhh) Al., 
wovon 700 M. für den Assistenten bezahlt werden und nur 300 Al. 
für sachliche Bedürfnisse verbleiben, ist für eine entsprechende 
Ausstattung und Foniühning des otiatrischen Ambulatoriums 
und der zugehörigen stationären Abtheilung absolut unzulänglich. 
Es handelt sich hiebei nicht nur um die Beschaffung und Er¬ 
haltung des notliwendigen Instrumentariums, sondern auch um 
die Bereitstellung von Frell»etten. um in Wissenschaft lieh oder 
unterricht lieh besonders interessanten Fällen auch solche Kranke 
:iufnehmeii zu können, welche keinen Anspruch auf das städtische 
Krankenhaus haben. Auch eine bessere Iloiioriruug dos Assi¬ 
stenten erscheint, veranlasst, um geeignete Hilfskräfte der Klinik 
länger zu erhalten. 

Im U fisingerianum worden 7 Polikliniken der Uni¬ 
versität abgelialten: die modicinisehe. die chirurgische, die 
pädiatrische. «1 io laryngologische, die gynäkologische, die oliatrische 
und die dermatologische. Die beiden letzteren sind der chirur¬ 
gischen Poliklinik als Abtheilungen angefügt, die übrigen werden 
von ihren Leitern selbständig verwaltet. Die beschränkten Räume 
gestatten keine intensivere Ausnützung der Patienten für den 
Unterricht; durch die l'eberweisung der Znhnkrunkcn an das zahn¬ 
ärztliche Institut sind die Verhältnisse etwas erträglicher ge¬ 
worden. Weiter wurden zur Entlastung des Ueisingerianums die 
bisher in demselben abgehaltenen Dispensirii Innigen in das 
pharmakologische Institut verlegt und »*s bestellt die Absicht, das 
zur Zeit im Keisingerianmn befindliche Fakultätszimmer in einem 
anderen medlcinisehen Institute unterzubringen, um auch dadurch 
Raum zu gewinnen. Eine durchgreifende Besserung wird freilich 
nur ein Erweiterungsbau bringen können. Zunächst handelt es 
sich darum, die Polikliniken durch dauernde Erhöhungen ver- 
schi<*dener Betriebsetats und einmalige Zuschüsse wenigstens so 
auszustatten, dass sie ihre Aufgabe erfüllen können. 

Der Leiter der pädiatrischen Poliklinik im 
Reisingerinnum bezog bisher lediglich einen jährlichen Funktions- 
geluilt von 1200 M.. während die Leiter der nuHlicinischen und der 
chirurgischen Poliklinik als ausserordentliche Professoren au¬ 
gestellt sind. Da die Verhältnisse an diesen drei Polikliniken im 
Wesentlichen gleich gelagert, sind, ist beabsichtigt, auch den Ixüter 
der Kinderpoliklinik zum ausserordentlichen Professor vorrücken 
zu lassen. 

Die Gewerbehygiene erhält ln Folge der Zunahme der 
Industriebevölkeruug Immer grössere praktische Bedeutung für 
den Arzt, ln den allgemeinen Vorlesungen über Hygiene kann 
die Gewerbehygiene bei dem grossen Umfange der hygienischen 
Wissenschaft nicht eingehender behandelt werden, es sollen aber 
auch Vorlesungen über Gewerbehygiene gehalten werden, welche 
sich nicht auf allgemeine Gesichtspunkte beschränken, sondern 
die eigenthüniliche Art der einzelnen Industrie- und Gewerbe¬ 
betriebe, die dabei auftretenden besonderen Schädigungen und die 
in jedem einzelnen Fall angezeigte Prophylaxe im Zusammen¬ 
hang eingehend behandeln. Die beiden Vertreter der Hygiene an 
der hiesigen Universität sind nicht im Stande, zu ihren jetzigen 
Obliegenheiten auch noch diese Vorlesungen zu übernehmen, es 
soll daher eine g«*eignete jüngere Lehrkraft mit einem Lehrauf¬ 
trag für die Gewerbehygiene versehen werden. 

Die am 1. Oktober in Kraft getretene neue ärztliche Prüfungs¬ 
ordnung fordert für die Zulassung zur Vorprüfung u. a. den Nach¬ 
weis einer Thcilnnlune an einem physiologischen Prakticum. Da 
bisher physiologische Kurse dieser Art nicht bestanden, 
muss die Einrichtung hiefür neu beschafft werden. Versuchsweise 
sind für die erste Einrichtung und den Betrieb 3<M»o M. für jedes 
.Inhr der Finanzperiode angesetzt und zwar im ausserordentlichen 
Etat, da sich der wirkliche Bedarf noch nicht bestimmt übersehen 
lässt. 

b) Universität W ü r z b u r g. 

Das physiologische Institut soll an die städtische 
Elektrk itätsanhure angeschlossen werden, elektrische Beleuchtung 


und einen neuen Projektionsapparat erhalten, wofür 4600 M. für 
jedes Jahr der Finanzperiode im ausserordentlichen Etat vor¬ 
gesehen sind. 

Zur Erhöhung der Iteaiexigeuz des pathologischen Institutes 
ist ein jährlicher Mehrbetrag von 500 AI., für das hygienische In¬ 
stitut und die otiatrische Klinik ein solcher von je 1000 Al. postu- 
lirt. Letztere hat zur Zeit einen Reale tat von 1200 Al. und einen 
Personaletat von 318 AI. für Assistenz. Aus dem Realetat sind 
nicht nur die Kosten des Ambulatoriums (Medikamente, Instru¬ 
mente etc.), sondern auch die Verpflegung der stationär be¬ 
handelten, unbemittelten Kranken zu bezahlen, zu weleh’ letz¬ 
terem Zwecke Betten in einer Privatklinik gemiethet sind. Auch 
eine bessere Entlohnung des nicht nur während der Klinik, son¬ 
dern auch bei den Operationen, Vorlesungen und Kursen, sowie 
bei dcu poliklinischen Besuchen in Anspruch genommenen Assi¬ 
stenten erscheint angezeigt, um geeignete Kräfte der Klinik 
länger zu erhalten. Die Uebersiedeluug der Augenklinik in den 
Neubau, die Centralheizung, elektrische Beleuchtung, die Ver¬ 
mehrung des Dienst- und Hilfspersonals erfordern eine jährliche 
Erhöhung der Rcalexigonz um 14 000 Al. 

ln der chirurgischen und medlcinisehen Klinik soll je ein 
weiterer Assistent aufgestellt werden mit einem Funktioimgehalte 
von 000 AL, wovon 250 Al. vom Juliusspital und 650 AI. von der 
Universität zu übernehmen sind. 

Die Verhältnisse Im Juliusspital drängen zu einem 
Neubau für die in demselben untergebraehten Kliniken. Die 
nähere Begründung des Postulats wird in gesonderter Denkschrift 
erfolgen. Zunächst ist zur Vorbereitung eines Neubauprojektes 
ein Betrag von 5000 M. für j«*d<*s Jahr der 20. Finanzperiode 
vorgesehen. 

c) Universität Erlang e n. 

Für das Univcrsitätskrankcnliaus soll der Realetat jährlich 
um 4010 AL. für die Frauenklinik um 12 000 M., für da« ana¬ 
tomische Institut um 500 M. und für die chirurgische Klinik tun 
15 800 M. erliöiii werden. Die Erweiterung der Fniueiiklinik durch 
einen mit Gent Ölheizung, Liiftungs- und Warnt wasserbereitungs- 
anlage ausgestatteten Neubau und der im laufenden .Jahr seiner 
Vollendung enfgegengelieiide Erweiterungsbau der chirurgischen 
Klinik machen den gefonlerten Mehraufwand für Betriebskosten.. 
Pflegt* -upd Hilfspersonal nothwendig. 

In der chirurgischen wie in der modle!nisehen Klinik macht 
sich mit dem erweiterten Betriebe das Bedürfnis nach Aufstellung 
eines weiteren Assistenten geltend. 

Dii* ausserordentliche Professur für Hygiene 
soll in eine ordentliche umgewandelt werden, da au allen anderen 
deutschen Universitäten, sowie auch an den österreichischen und 
sc* weizerischen Universitäten Ordinariate für die Hygiene be¬ 
stehen. 

Für die psychiatrische Klinik sind zur Trennung der 
Professur für Psychiatrie von der Stelle des 
Oberarztes an der Kreisirreuaustalt jährlich 
30<io AI., für einen Assistenten 1140 und für sachliche Bedürfnisse 
500 AI. ucupostulirt. Die Professur für Psychiatrie ist zur Zeit 
einem Oberärzte au der Kreisirreuaustalt Erlangen im Nebenamte 
übertragen. Der Oberarzt ist als solcher mit so vielen Dienst- 
gcschäfteii belastet, dass er der Professur nicht die erforderliche 
Zeit widmen kann und insbesondere zu wissenschaftlichen 
Arbeiten nicht die nölliige Müsse findet. Durch die neue Prüfungs¬ 
ordnung für Aerztc, welche die Psychiatrie zum selbständigen 
Pnifuiigsgegenstand erhellt und dem Professor für Psychiatrie 
erhöhte Pflichten auf erlegt, wird dieses Missverhältnis noch, ge¬ 
steigert werden. Es soll daher, unbeschadet der fortdauernden 
Benützung der Kleisirrenanstalt zu klinischen Zwecken, die 
psychiatrische Professur von der OberarzLstelle getrennt und zur 
selbständigen Professur erhoben und das Verhältnis zur Kreis¬ 
irrenanstalt ln der Weise geregelt werden, dass der Professor eine 
mit geeigneten Kranken belegte Abtheilung der Krelslrrenanstalt 
zur ärztlichen Leitung und Benützung für den klinischen Unter¬ 
richt erhält, die Leitung der Abtheilung in administrativer und 
ökonomischer Beziehung aber bei der Direktion der Kreisirren¬ 
anstalt verbleibt. 

Das grösste Postulat für die Universität Erlangen bilden 
323()00 M. zum Neubau eines pathologischen In¬ 
stitutes und 36(KM) AI. zur Adaptur der alten Ana¬ 
tomie für Zwecke des physiologischen Insti¬ 
tut! r. Tn den Motiven zum Finanzgesetzeutwürfe sind die der¬ 
zeitigen überaus ungenügenden räumlichen und die misslichen 
hygienischen Verhältnisse des pathologischen Institutes eingehend 
beleuchtet, so dass eine Verbesserung des Baues ausgeschlossen 
ist und nur ein Neubau erübrigt. Derselbe soll sieb in thunllehster 
Nähe des Krankenhauses befinden. Es bietet sieb daher, da ein 
Neubau auf dem dermallgen Grunde in den erforderlichen Dimen¬ 
sionen nicht durchführbar ist, nur die eine Möglichkeit, den Neu¬ 
bau unter Heranziehung des Areals de» südlich angrenzenden 
physiologischen Institutes mehr gegen Süden vorzurücken und 
das physiologische Institut zu verlegen. Das dennalige physio¬ 
logische Instituisgebüude. ein gleichfalls nur adaptlrtes und seinen 
Zwecken lange nicht mehr genügendes Haus, das bis zum Jahre 
1879 als Gebärhaus diente, müsste fallen. Das physiologische 
Institut könnte in dem demnächst frei werdenden, provisorisch zu 
adaptirenden alten Anatomiegebäude bis auf Weiteres unter- 
gebraebt werden. Dr. Becker- München. 


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15. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1689 


Therapeutische Notizen. 

Die Bell a n j! 1 u n g der II ft u t e r k r a n k u n g «* n 
durch die ciico d y hau r e n Salz e hat Saal f e 1 d - 
Berlin in 50 Füllen erprobt tTlierap. Monatshefte 1901. 01. Die 
Anwendungsweise war eine verschiedene: entweder die Arsycodile- 
plllen (— Natrium eaeodylieiun) in Dosen von 0,025. 4 pro die, oder 
von der 5 proe. Arsycotlilelösung 4 mal täglich 10 Tropf«*«. oder 
hei der subkutanen Applikation täglich je eine Ampulle mit 1 ccm 
einer 5 proe. sterillsirten Arsycodilelösung. oder zur rectalen An- 
wendungsweise eine die gleiche Dosis enthaltene Ampulle oder 
ein Suppositorium mit 0.05 Arsycodile. 

S. glaubt in dem neuen Mittel entschieden eine Bereicherung 
unseres Arzneischatzes sehen zu müssen. Für die wirksamste 
Anwendungswelse hält er die subkutane, die durch die Ampullen 
sehr bequem gemacht ist. Magenbeschwerden wurden bei innerer 
Anwendung nur einmal beobachtet. Bei einem Drittel der intern 
behandelten Kranken wurde über einen unangenehmen Knob- 
lauchgeruch geklagt. 

Neben den Arsycodilepillen werden auch noch die einen Eisen- 
zusatz enthaltenden Ferricodilepillen hergestellt. Die Dosis der¬ 
selben ist die gleiche wie bei den Arsycodilepillen. Auch Ampullen 
mit Ferrlcodiie werden angefertigt. Kr. 

Der CJebrauch der Arsenlkqn eilen ist nach Sanitätsrath 
Dr. L adi u s er n - Levico-Ifannover zunächst bei folgenden In¬ 
fektionskrankheiten indizlrt: bei sämmtlichen Malariaerkran 
kungen. bei der Tuberkulose in allen Formen, bei Erysipel und bei 
Syphilis. Von den konstitutionellen Krankheiten gehören in di«» 
Domäne der Behandlung mit Arsenikquellen die Chlorose, und 
zwar die eigentliche Oligoeythaemie der Entwicklungsperiode, der 
Skorbut, der Morbus maeulosus Werlhoftii. die Ilaemophllie. die 
Louknemie, die Skrophulosis. der Diabetes mellitus, die flicht und 
der chronische Rheumatismus. Rachitis und die Fettsucht. Das 
gesummte Gehirn gehört nicht in den Kreis der Ileilanzeigen der 
Arsenikquellen, und vom Rückenmark nur die chronische Myelitis, 
die graue Degeneration der hinteren Strange; ferner aus den Er¬ 
krankungen des N. sympathicus Heinikranie iMigräne), der Mor¬ 
bus Basedowli. Sehr ausgiebig wirken die Arsenikquollen bei der 
Erkrankung der Nerven. Von «len Neuralgien sind «»s beson¬ 
ders die Neuralgie des Qulntus in ihren verschieden«*!» F«»rm«*n 
und die Neuralgie des Ischiadicus. «li«* häutig Cegenstand der in 
Rede stehenden Therapie sind: auch kommt intoivostalo Neuralgie 
nicht selten zur Behandlung. 

Die allgemeinen Neurosen sind von Alters her (Jegen¬ 
stand der Ars«»ntherapie gewesen, so besonders die Chorea, di'- 
Hysterie und die Neurasthenie. Von den Erkrankungen der Re- 
spirationsorgnno gehör«»n In «las fJebiet der Heilwirkung «l«*r Arsen 
«luellen das chronische Nasenbluten, die chronischen Katarrhe und 
Wucherungen In den oberen Partien d«*s R«»spin!tl<*nstraktus. die 
chronischen Pleuraexsudate, das Asthma und das Emphysem. 

Aus den vielseitigen Erkrankungen des Verdauungs¬ 
trakt ns kommen hi«»r vor Allem in Betracht die chronische 
Gastritis und die chronische Enteritis. Von «len Nierenkrank¬ 
heiten wird durch die Arsenikquellen günstig beeinflusst vor Allem 
«lie Bright’sche Krankheit. «l«*ssgleichen «li«* einzig bekannte Er¬ 
krankung der Nebennieren, der Morbus Addisonil. 

Die uralte Domäne «1er Arsentherapie ist und bleibt das grosse 
Feld einer Reihe von Hautkrankheiten. Von parasitären 
Hautkrankheiten gehören hierher Pityriasis v«*rsieol«n\ Favus, 
ITerpes tonsurans, Lupus erythematodes. Von nhdit parasitären: 
chronische Ekzeme, gleichgiltig aus welcher Ursaclu*. Akne 
rosacea. Sykosis, Ichtliyosis, Lichen. Prurigo. Pruritus. Psoriasis, 
Herpes, Furuneulosis, Ilyperhidrnsis, Seborrhoe, chronisch«* Urti¬ 
caria und «las Ulcus <*mris. Fast «*b«*nso unbestritten ist das 
Feld auf dem Gebiete folgender Frauenkrankheiten: Menstrua¬ 
tionsanomalien. Katarrhe der Vagina und «1er Cervix. Endometri¬ 
tis chronica, Metrorrhagie, Parametritis chronica. Oophoritis chro¬ 
nica, Prolaps und Atonia uteri (Sterilität und Abort). (Deutsche 
. Medicinalztg. 1001. No. 58.) P. II. 

Eine einfache M a g c n c 1 e k t r o d e hat Dr. Karl W e g e 1 e - 
Bad Königsborn (Westphalen) construirt und von der Firma It «* i - 
n i g e r, Gebbert & Schall herstelleu lassen. I Heselbe be¬ 
steht aus einem s«*hr weichen, elastischen Stahldraht von ca. 90 cm 
Läng«*, der an seinem unteren Ende einen khdncn Knopf, an 
seinem oberen eine breitere Platt«* trägt uinl durch eine doppelte 
Klemmschraube geschoben ist. Um zu vermei«l«*n, «lass «las untere 
Knöpfende der Elektrode durch «li«* untere OctYnung der Sehlund- 
sondc gleitet und mit der Mag<*nschleimhaut direkt in Berührung 
kommt, misst man vor der Einführung ab, wie tief der Draht in 
«len Magenschlauch clngoführt werden darf. Diesen Punkt tixirt 
mau durch die eine Klemmsehratihe; dann lässt man d«*n weichen 
Schlauch schlucken, verbindet denselben mit Glnszwisohtuistfiek. 
Schlauch und Trichter, spült aus oder giesst -'ii Liter warmes 
Wasser ein, nimmt Schlauch und Trichter ah uu«l führt nun den 
Draht der Elektrode ein; nun schraubt man in di«* zweit«* Kh'iniue 
die Lcitungsschnur «ler elektrischen Batterie ein. l»*gt auf «li«* 
Magengegend eine breite Platteuelektrode. welche mit dem auil«*ri*ii 
Pol der Batterie in Verbindung steht, auf und schaltet den Strom 
ein. Nach Beendigung der Sitzung zieht man den Draht zuerst 
allein heraus und reinigt denselben gründlich, wozu er aus der 
Klemmschraube herausgezogen werden kann: »*s empfiehlt sich, 
die Elektrode ganz tro«*ken aufzubewahren. (Deutsche Mediciual- 
zeltung 1001, No. 57.) P. II. 


Gegen den wachsenden Zuckerkonsum und 
seine Gefahren w«*ndet sich Prof. Bunge- Basel. Er w«*ist 
darauf hin, dass «ler Zucker an und für sieh zwar nicht schädlich, 
jedoch indirekt schädlich wirkt, indem er Sättigung und ver¬ 
minderte Nahrungsaufnahme und in Folge dessen einen Ausfall 
an organischen Salzen, insh«*sotnler«* einen Ausfall an Kalk, an 
dem «lie Nahrung meistentlieils ohnehin s«*hon viel zu arm ist, be¬ 
dingt. So enthält «lie Frauenmilch in KM» g Trockensubstanz 
2-13 mg Kalk und 2,3 bis 3,1 mg Eisen, während in chemis«*h iso- 
lirtem Zucker nicht eine Spur von Kalk oder Eisen enthalten ist. 
Die Gefahr einer ungenügenden Zufuhr von Kalksalzen und Eisen 
ist besonders gross beim wachsenden Organismus, beim Kinde, 
welches «lies«* Stoffe zum Aufbau seiner Gewebe und Organe be¬ 
darf. Gerade «lie Kinder haben das lebhafteste Verlangen nach 
Zucker, was daran liegt, «lass Kinder sich in «1er Regel mehr Be¬ 
wegung machen, als Erwachsene. Wenn also die Kinder nach 
Zucker verlangen, so gehe man ihnen zuckerreiche Frücht«*, vor 
Allem wirklich reife Trauben, Feig«*n, Datteln. Birnen. Aprikosen, 
Pflaumen, welche frisch oder getrocknet das ganze Jahr zu haben 
sind. Man entziehe aber den Kindern möglichst vollständig alle 
Zuck«*rwaaren, «lie aus reinem Zucker mit geringen Zutlinten be¬ 
reitet wer«I«*n; d<*ssgl<*ich«>n s«»ll «ler Gebrauch des reinen Zuckers 
als Zusatz zu Speisen und zu den Genussmitteln Kaffee und Theo 
möglichst eingeschränkt, werden. Verfasser spricht sogar den 
Wunsch aus, die staatliche Gesundh«»ltspflege möge dahin wirken, 
dass «ler Zucker möglichst hoch lH*steuert. dagegen alle Zölle auf 
«li«* Einfuhr von Südfrüchten beseitigt und mit allen Mitteln der 
Gartenbau und «li«* Obstkultur l>efürd«*rt werde. (Allg. ined. Cen¬ 
tn! Iztg. 1901. No. öS.) P. II. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

M ü n <• h «* n, IS. Oktober UHU. 

- - Mit grenzenlosem Erstaunen, das alshakl lauter Ent¬ 
rüstung wich, haben <li<* bayerischen A«*rzte in «ler vergangen«*!» 
Wocln* gelesen, was der Referent über «lei» Entwurf ein «* r 
ä r z t 1 i «• h e I» St a n d e s - u n d E lirengi'riohtsorilii u n g 
in Bayern. Herr v. L a n <1 in a n n. aus diesem Entwurf zu 
inm-hcn b«*i «lein zustiiinlig«*ii Kaininerausseliusse beantragt hat. 
Seit«*» wird eine so grüiidlitdi v«*rl»«*rsitlieue Vorlage dem Land¬ 
tage zugegangen sein, wie «liest*, auf die man beinahe das Horaz’- 
selie nonnm preinalur in nniiuin anwenden könnt«*. Vom Aerztc- 
kanunerausselmss entworfen, von «len ärztlichen B«»zirksv«*n*inei» 
und «l«*n Aerzt«*kaiiim«*rn wie«leriu»lt durehherathen. vom engeren 
und erweitert«*!! 01 >eriuedi<*iiialaussehuss al>ennals geprüft und 
endlich von der Staatsivgierung in «li«* vorliegeml«* Form gebraeht. 
entspracl» di«* Vorlage den Wünschen «Icr Aerzte und scl»i«*n. ohne 
irgewlwh* zu weit, gehend«*, mit «l«*r Fr«*il»«*it «les Stand«*» unv<*r- 
t rüglieh«* Forderungen zu enthalten, geeignet, dem ärztlich«*»! 
Stand«* «h*n Schutz zu verleihen, dessen er zur Wahrung seiner In- 
t«*gritüt mul seines Ansehens s<» dringend h«*darf. Ein derartig be- 
r«*ift«*s Werk verwaud«*lt nun «ler Ka»»imerreferent. im g«*w«öhn- 
lieheu Leh«*n Biirgenn«*ist«*r von Giinzhurg. mit einen» Fod«*r- 
strich in sein gerades G«*gentheil. Nicht nur versagt er den 
A«*r/.t«*n «len Schutz g«*g«*n Ausschreitungen, den ihnen die Vor¬ 
lage gewähren sollte, sondern indem er ausgesprochen wissen will, 
dass gewisse Handlungen, die bisher unter anständigen Aerzton 
verpönt waren, nicht Geg«*nstand eines <*lir«»ngeriehtliehen Ver¬ 
fahrens l»lld«*n können, legalisirt er diese Handlungen geradezu 
und gibt damit den ärztlich«*»» Beruf schutzlos dem wüstesten 
Banausenthun» pr«*is. Um so unerträglicher wäre dies«“r Zustand 
für «li«* bayerischen Aerzte. als die Ehrengericht«* «ler übrigen 
Bundesstnat(»n ganz Im Sinne unserer verlangten Standesordnung 
i»rthellen (s. u.) »ind so Bayern bald der Tummehdatz all’ der un¬ 
sauberen Elemente würde, denen im Reich das Handwerk gel«*gt 
wunl«». Wir haben nicht den geringsten Zweifel, dass «Ile k. Staats- 
»•(»glerung Ihre Aerzte vor der Schmach dieser Lex Landmann be¬ 
wahren und lielier auf die Vorlage ganz verzichten, als die Land- 
in an n’sehen Anträge annehmen wird. Wir haben aber auch das 
Vertrauen zu unserer Volksvertretung, dass sie im wohl¬ 
verstandenen Tnt«*r«‘sse «l«*s Volks die ursprüngliche Vorlage an- 
nehmen wird. Denn ein lauterer, an der idealen Auffassung des 
Berufes festhalt«»n«ler Aerztestnnd ist eine Nothwendigkeit; «11«* 
Entartung des ärztlichen Berufs zur reinen G(*s«*häftspmxis. wie 
sie nach den Landmnn n’sehen Anträgen sicher eintreten 
müsste, wäre ein nationales Unglück. — An anderer Stelle dieser 
Nummer find«*n unsere Loser den Wortlaut der L a n d m n n n’- 
sohon Anträge sowie eine eingehendere Tvrttik derselben (S. 1081). 
Wie im TVhrigen die Stimmung der bayerischen Aerzte gegenüber 
den Anträgen v. L a n d m ii n n’s ist. geht ans unserem Bericht 
üh«*r die oherpfälzlsche Kreisversammlung (S. IfifiO) hervor. Tn 
den schärfsten Worten, wie «ler gerechte Zorn sie auf die Lippen 
drängt, wurden von dem dortigen Refer«*i»ten die Anträge zuriiek- 
gewiesen. unter dem brausenden B«*ifall «l«*r versammelten Aerzt«* 
des Kreises Oherpfnlz. Wir zweifeln nicht, dass di«*s«*r Beifall 
auch in d(*n übrigen Kr«*is«*n Bayerns Widerhall findet. 

— Dass Herr v. Land mann von ganz Irrigen Voraus¬ 
setzungen ausgeht, wenn er nnniniint. dass die Bestimmung«*»» 
des Entwurfs der bnyerlselien Standesordnung der Reiclisgewerho- 
ordnung widerstrel)en. weist schon Herr Kollege Becker In 
seinem Artikel auf S. 1 GS 1 «lieser Numm«*r nach. Es g«*hl aber auch 


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1690 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 42. 


hervor aus folgenden Entscheidungen des |ireussl- 
s c h e n E h r e n g e r i e h t s li o f s. Danach macht sich ein Arzt, 
der fortgesetzt oder in marktschreierischer Weise seine Berufs- 
tliiitigkeit in »ler Presse annoncirt. einer Verfehlung g«*g«*n die 
iirztliche Stau<l»*H«*lir<* schuldig. Allgeklagt war. was die fort¬ 
gesetzte Ankündigung der Berufstätigkeit In der Presse angeht, 
ein Arzt, der In der Zelt vom 2. September bis zum 25. Dezember 
1900 lti mal tlieils in einer Tageszeitung. tlieils in eiii«*r Woclien- 
sehrlft mitgethellt hatte, dass er von der Heise zurückgekehrt sei. 
dass er seine Poliklinik verlegt habe »Hier seine poliklinische 
Sprechstunde ausfallen lass»*. Nach dem l'rtheile des Eliran- 
gerlclitshof»*s lässt die grosse Zahl der Inserate erkennen, dass der 
Angeschuldigte je»le (S»*legenheit vom Zaune bricht, um sich dem 
Publikum immer auf’s m*ue in’s G«><lüclitiilss zu bringen. Be¬ 
sonders lielastend sei in di«*ser Beziehung die Thatsache. dass der 
Angeschuldigte, obwohl er nicht mehr Heisen gemacht zu haben 
b»*hauptet. als den Monat August hindurch und zw»*l Tage im Ok¬ 
tober. die Annonce ..Von der Reis«* zurück“, am 2. 9. 29. September, 
20. und 28. Oktober. 3., 10. und 17. .\'ov«*mb»*r hat erscheinen lassen. 
In dieser Zahl und in diesen Zeiten sind die Annoncen aus d«*r 
Veranlassung der Heise nicht zu »*rklär«*n. vUdmchr liegt klar zu 
Tage, »lass die Heise als Vorwand dient, um eine unzulässige Wer¬ 
bung um Praxis durch Anzeigen in den öffentlichen Blättern zu 
erreichen, ln zwei weiteren Fällen ..in arktschrelerisch e r“ 
Reklame handelt es sich tun zwei Aerzte. von denen der ein»* sich 
durch wiederholte Anzeigen in öffentlichen Blättern Iwsondere 
Leiden ..binnen acht. Tagen mit kombinirter neuer Mtdhode zu 
heilen“ erboten hatte, der andere von sich initgetheilt hatte, »lass 
er Specialsrzt für Haut- und andere Leiden sei und mit bewährtem 
Erfolge behandle. Die grundsätzliche Frage, ob das 
p r e ii s s. Elirengeric htsgeset z. insbesondere des¬ 
sen § 3. n 1 c h t m i t de r R e i c h s g »* w erbe o r d n u n g i m 
W iderspruch st e h e n ii d desswegen hinfällig 
s e i. w i r d dahin ents c h i e d e n: ..Die ReichsgewerlKHml- 
nung findet auf die Ausübung der Heilkunde nur insoweit An¬ 
wendung. als si»* ausdrücklich»* Bestimmungen darüber »Mithält. 
Dieser Vorbehalt beruht nach den Motiv»*n auf der Abshdit des 
Oesetzgebera. in die Medicinaiverfassung der «dnzelnen Bundes- 
staaten niclit weiter einzugreifen, als »*s nothwendig ist. um für 
das ärztliche (lewerbe di«* Freizügigkeit herzustellen, und es sollte 
bei den landesg»*setzlich»*n Bestimmungen über die Pflicht«*n der 
Aerzte bew»*nden. Fenier bestimmt «ler § 144 der Reichsgewerbe¬ 
ordnung: ..Inwiefern abg«*s«*h**n von «l«*n Vorschriften über »li«* 
Entzi«*hung «l«*s (»«*\verlH*lietri«»b»*s (§ 143) Zuwiderhandlung«*!! der 
Oewerb«*treibenden gt*gen ihr»* Berufsptlh-hten ausser den in »lies«*m 
Ges»*tze erwähnt»*» Fällen einer Strafe unterliegen, ist nach den 
darüber bestehend«*!! <les»*tzen zu lM*urtheilen. Jedoch werden auf- 
g(*hob«*n die für Medicinnlpersouen bestehen»l(‘n liesonderen Be- 
stimmumr«*n. welche ihnen unter Androhung von Straf«*u ein«*n 
Zwang zu ärztlicher Hilfe beilegen.“ Die Rechte und Pflichten 
der Aerzte sind hiernach durch die Reichsg«*werbeordnung nicht 
«»rschöpfeud geregelt, vielmehr ist hier der Land«*sg»*s«*tzg»*bung 
ein weiter Spl»>]raum g«*lass«*n. Insbesoiid«*re »*ntliält die Reichs- 
g«*werb»*ordnung keine Bestimmungen fib«*r die Standespflichten 
der Aerzte und «Ii«» »*hrengerichtliche Ahndung der Febertretung 
dieser Pflichten. Die Re»*htsgiltigkeit d«*s Ehrengeri«*htsgesetz«*s. 
insbesondere d«*s § 3 desselben, ist daher ni«*ht zu b«*anstan»len.“ 

— Die vom nassauischen Heilstättenverein für Lung«*nkwinke 
zu Wiesbaden g»*grün«l<»te Anstalt für Kranke des w<*niger b 
güterten Mittelstandes beiderlei (»eschlechts. am Siidalihang d« « 
Taunus zwischen d«*n Ort«*n Naurod und Ni«*»lernhausen 300 m 
hoch gel«*g«»n. wird in der ersten Hälfte des Monats November 
««röflfiiet werden. Die Anstalt wird unter Leitung von Dr. Wehm er. 
früher G<’>rlM*rsdorf und Sehüinb»>rg, st«*hen. Der Wrpflegungspreis 
wird sich auf 4—ö M. täglich stellen. 

— Pest. Italien. Feber den Ausbruch der P«*st in Neapel 
li«»gt nachstehende nähere Mittheilung vor: Am 23. September 
wurde der Präfektur durch die Anz»*ige eim*s IIaf«*narzt»*s be- 
kani't. dass inehr«*re ITnf»»nnrb«»iter des als Löscliplatz für die 
Schiffe b«»stimmten. Punto franco genannten Hafeutheiles an einer 
verdäiditigen Krankheit erkrankt seien, und dass sich in den 
Lagerbäus»»ni daselbst eine gross»» Sterblichkeit der Ratten be- 
merkbar gemacht habe. Die daraufhin von <l»*r Präfektur unver¬ 
züglich angeordnete Untersuchung durch den Provinzialarzt er¬ 
gab. dass seit Ende August d. .1. 7 Haf«*narbeiter unter verdiiehti- 
g«»n Eracheinung«*n erkrankt waivn. Von di»*sen waren inzwischen 
3 gestorben. 1 war als geheilt zur Arbeit zurückgekehrt, di«* 
übrigen 3 waren noch leidend. Die Art der Erkrankung war von 
den «lie betreffenden Arbeiter behandelnden Aerzten anscheineml 
nicht erkannt. dementspn»»*h«*n«l war als Tod«»sursnohe in den 
3 Sterb« fällen LoistendrüsenentZündung. Luug«*nentzündung und 
Blinddj.rmentzündung angegeben worden. — Türkei. Einer Mit- 
theilnng vom 28. Sept«*mber zu Folge ist In Smyrna ein P«*stfall 
fest gestellt worden. Ferner sind in Samsun nach einem Berichte 
vom 2. Oktob»*r <! solche Fälle zur amtlich«*!! Ivenntniss g«*langt. — 
Aegvplen. V«>m 20. bis 2(i. September kamen zusammen 5 Er¬ 
krankungen (und 3 T(Mlesfälle) zur Anz«*ige. davon 3 (D In Alexan- 
«lrien und j«* 1 (1) in Mit Gnmr und B«*nha. Au Bord d»*s vor 
Alexmdrien li«»g«*ndi*u österreichisch«*!! Lloyddampfers „Maria 
Tei*»*sa“. welcher, von Konstantinopel kommend, den letzt¬ 
genannten Platz an' li». September v«*rlass«*u liatt«». wurden am 
20. S»pteniber 3 pestverdächtige Erkrankung»*!! f«»stg«*stcllt. — 
Britisch Ostindien. In der am 0. S«»pt«»mber endendeu Wocln* sind 
in der Präsid<*ntschnft Bombay (7455 Erkrankungen und 43514 
To»li*sfälle an der Pest f«*stgest«*llt worden, d. h. 1035 liezw. 037 


m e h r als in der Vorwoche. In der Stadt Bombay kamen ln der 
am '». September abgelaufeiien Woche 210 Erkrankungen und 
240 Totlesfälle zur Anzeige; die Zahl der pestverdächtigen Sterbe- 
fälle b»'trug 173. die («»‘sammtzahl der SterlK*fäll«* 953 gegen 907 
in der Vorwoche. — Fliiiia. Einer Mittheilung vom 29. August zu 
Folge ist die Pest in Amoy »*rlosehen. Die Stund»» hatte auch in 
diesem Sommer voi* der «*ing«*borenen Bev«ölk»*rung eine grosse 
Zahl voll Opf«*m gefordert, eine Abnahme g»*gen «las Vorjahr war 
nicht, zu bemerken. Ausländer sind von der Krankheit nicht er¬ 
griff «‘u worden. — Kapiand. Dem amtlichen Ausweise zu Folg«* 
Ist in der Woche vom 1. bis 7. September auf der Kaphalbinsei 
ein Europäer an der Pest «-rkrankt und ein andiavr als lA*iche unter 
Feststellung der Pest als T«xlesursa«-h<* aufgefunden worden; in 
Port ElizalH*th fanu man die Leiclu* einer Eing(»bor»»nen. Am 
1. Oktober sind 3 Erkrankuiigt*n auf einer Farm l»«*i Kapstadt 
festgest«»Ilt. worden. (V. d. Iv. G.-A.) 

-- In der 39. Jahreswoclie. vom 22. bis 28. IX. 1901, hatten 
von «l»»uts»*h«*n Städten ilb»*r 40 (MH) Einwohner «lie grösste 
Sterblichkeit Königshütte mit 33.4. die geringste Koblenz mit 5,7 
T«»desfiill«*n pro Jahr und RMM) Einwohner. Mehr als »»ln Zehntel 
aller (T»*storbeii«*n starb an Scharlach in Barm<*n. Bremen. Halle, 
Königshütte, an Masern In Fürth. 

— Dr. Hermann Tja den. k. R»*gieruugsrath und Mitgli»*d 
d»*s Reiclisg«»sundli«*itsamtes. wurde als Nachfolger dt»s jüngst ver¬ 
storbenen Dr. Kurth zum Direktor des bakteriologischen Staats¬ 
laboratoriums in Bremen ernannt. 

— Der OlMTarzt «ler II. äusseren Abtheiluug am Stadtkranken- 
haus»* Fri»*drichsta<lt-Dr»*s«leu. llofnith Dr. M a r t i u i. ist iuu 
1. Oktober nach mehr als 35 jähriger Thiitigkeit in den Ruhestand 
g«*t raten. 

(Hochschulnachrichten.) 

K r a k a u. Habilitirt: Dr. (’ Ii 1 u in s k y für Chirurgie. 

L e m b e r g. Habilitirt: Dr. K o w a 1 s k i für Hydrotherapie. 

Neapel. Habilitirt: Cantani für med. Pathologie. Del 
V e c c li i o für Chirurgie, M andalari für Psychiatrie. Real e 
für Dermatologie. 

Pisa. Habilitirt: Beuvenuti für med. Pathologie. 

Tomsk. D»*r auss»»r»>r»leutliche Professor der Histol«>gie 
und Embryologie Dr. S m i r n o w wurde zum ordentlichen Pro¬ 
fessor ernannt. 

Wien. D»»r Privatdocent für Gynäkologie an der hi«»sig«*n 
Fniversitiit Dr. med. K. A. Herz fei »1 wurd«* zum ausserordent¬ 
lichen Professor ernannt. Prof. Dräsche ist in seiner Eigen¬ 
schaft als Primararzt d«*s allgemein»*!! Kraiikenhaus«*s in den 
Ruli«*staiid getreten. Habilitirt: Dr. Ernst Bischof f für 
Psy»*hiatrie und Neurologie. Dr. Rudolf Loos für Zahnheilkmnle. 
Dr. Max Richter für gerichtliche M»»»llcin. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Leim Heinrich (aus Giessen), appr. 1899 zu 
Grosslangheim. P i s t o r y Karl (aus Wattowitz in Oberschlesien), 
appr. 15MM). zu Marktbrait. beide Bezirksamt Kitziugen. Theodor 
Proskauer. appr. 1889. in II«»f. 

Verzogen: Gustav Baas von Brand. B.-A. Wunsit*del. unbe¬ 
kannt wohin. Bezirksarzt a. I>. J«*s«*f Schmidt von Kitzingen 
nach As«*haffenburg. Dr. Otto Ritter von Gaukönigshofen 
als liezlrksärztlicher Stell vert rat er mu-h Aul». 

Gestorben: Dr. Karl Wolf. Bezirksarzt a. D. in Marktbreit. 
75 Jaliri» alt. 


Morbiditätsstatistik d. InfectionskrankheitenfQr Manchen 

in der 40. Jahreswoche vom 29. September 22. bis 5. Oktober 1901. 

Betheiligte Aerzte 207. — Brechdurchfall 22 (27*), Diphtherie, 
Croup 17 (12), Erysipelas 15 (12), Intermittens, Neuralgia interm. 
— (1), Kindhettfleber 1 (—), Meningitis cerebrospin. — (—), 
Morbilli 14 (37), Ophthalmo-Blennorrboea neonat 11 (2), Parotitis 
epidem. 3 (2), Pneumonia crouposa 13 (10), Pyaemie, Septikaemie 

1 (—), Rheumatismus art. ac. 15 (14), Ruhr (dysenteria) — (—-), 
Scarlatina 8 (16), Tussis convulsiva 18 (16), Typhus abdominalis 

2 (1), Varicellen 12 (12), Variola, Variolois — (—), Influenza 1 (1), 

Summa 162 (162). Kgl. Bezirksamt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle In MOnchen 

wahrend der 40. Jahreswoche vom 29. Sept. bis 5 Oktober 1901. 

Bevölkernngazahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern — (4*), Scharlach — (—X Diphtherie 
und Croup — (—), Rothlauf — (1), Kindbettfieber — (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) — (—), Brechdurchfall 3 (6), Unterleibtyphus 
— (1), Keuchhusten 1 (1), Croupöse Lungenentzündung 2 (2), 
Tuberkulose a) der Lungen 12 (17), b) der übrigen Organe 12 (11), 
Akuter Gelenkrheumatismus 1 (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 3 (1), Unglücksfälle 2 (1), Selbstmord 2 (—), Tod durch 
fremde Hand 2 (—). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 158 (216), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 16,4 (22,6), für die 
über dem l. Lebensjahre stehende Bevölkerung 9,4 (10,7). 


•) Die elngeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerei A.G., München. 

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l>lo Mönch. Med. Wochenschr. erscheint wöchentl. 
ln Nummern von durcbschnltllich 6—6 Bogen. 
Treis ln Doutschl. u Oeat.-Ungam vlertelj&hrl. 6 JC, 
ins Ausland 7.50 JL Einzelne No. 80 4. 


MÜNCHENER 


Anwendungen sind so a^resslren: Mr die ßedaedott 
Ottosirnswe 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬ 
mann, Ueustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen 
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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Gh. Blunler, 

Frelbnrg 1. B. 


0. Bollinger, H. Curscbnann, 

München. Leipzig. 


Herausgegeben von 


C. ßerhardt, 6. Marbel, J. i. Michel, 


Berlin. Nürnberg. Berlin. 


H. v. Ranke, 

München. 


F. t. Wiockei, 

München. 


H. t. Zlemssei, 

München. 


No. 43. 22. Oktober 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. P. Lehmann, Heustrnase 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Ueber Gallensteine und Gallensteinkrankheit*) 

Von Dr. F i cd le r in Dresden. 

Bereits vor 22 Jahren (18. Jan. 1879) habe ich in unserer 
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde einen Vortrag gehalten 
„über Gallensteine“ (ef. Jahresbericht 1878/79). Es freut mich, 
dass ich jetzt wieder, einer Aufforderung unseres Herrn Vor¬ 
sitzenden entsprechend, Gelegenheit hatte, das gleiche Thema 
zum Zwecke eines Vortrages zu bearbeiten, die neuere ein¬ 
schlägige Literatur durehzusehen und die Ergebnisse mit meinen 
Beobachtungen, wie ich sie im Krunkenhause und in der Privat¬ 
praxis gemacht habe, zu vergleichen. Interessant und lehrreich 
war es dabei, zu erfahren, in welcher Weise sieh die Anschau¬ 
ungen und lehren über Cholelithiasis in verhültnissmässig kurzer 
Zeit geändert und folgewiehtige Reformen erfahren haben. Wir 
verdanken diese Fortschritte in der Hauptsache den Arbeiten 
eines Naunyn, Kehr und Riedel. 

Was zunächst die Statistik anlangt, so kann ich auf Grund 
der neuen Beobachtungen nur wiederholen, dass die Cholelithiasis 
auch bei uns zu den häutigst vorkommenden Krankheiten ge¬ 
hört.. dass sie viel häutiger ist, aLs man gemeinhin anzunehmen 
geneigt ist und dass zahllose Beschwerden, die fälschlicher Weise 
als Magenkrämpfe, Darmkolik, Neuralgie, Lumbago, Nierenkolik, 
als Folgezustände beweglicher Nieren etc. gedeutet werden, re 
vorn, wie das auch von anderer Seite immer und immer wieder 
hervorgehoben wird, auf das Vorhandensein von Gallensteinen 
zu beziehen sind. 

Und so wird es insofern aueli in Zukunft bleiben, als immer 
eine Anzahl Fälle übrig bleiben werden, in denen die Diagnose, 
ob es sich um Gallensteine oder andere pathologische Verände¬ 
rungen und Zustände handelt, nicht mit Sicherheit wird gestellt 
werden können. 

Ziffermässige genaue Angaben über die Häufigkeit des 
Vorkommens der Gallenstefinkrankheit, besonders solche, denen 
grössere Zahlen zu Grunde liegen, sind mir nicht bekannt; 
Riedel nimmt an, dass im Deutschen Reiche etwa 200000 
Menschen bewusst oder unbewusst Gallensteine mit sich herum - 
tragen, und ich glaube, dass diese Ziffer nicht weit von der Wahr¬ 
heit entfernt liegt. 

Wenn ich unter ungefähr 93 000 Kranken, die, im Verlaufe 
von 33 Jahren bis heute auf meiner Abthoilung im Stadtkranken¬ 
hause aufgenommen und verpflegt wurden, nur 133 mal die Dia¬ 
gnose Gallensteine bozw. Gallensteinkolik notirt finde, also bei 
0,14 Troc. aller innern Kranken (und zwar bei ’/„ Proc. Männern 
und '/, Proc. Frauen), so beweist das nichts für die Häufigkeit 
des Vorkommens der Gallensteine bei unserer Bevölkerung. 
Gallensteine kamen auch bei uns und unseren Kranken viel 
häufiger vor, machten aber entweder gar keine erheblichen Er¬ 
scheinungen oder die Krankheitssymptome, über die die Kranken 
klagten, wurden auch von mir irrtlnimlieher Weise, besonders in 
der ersten Zeit meiner ärztlichen Thätigkeit, anders gedeutet 
und auf andere Krankheitszustlinde bezogen, als auf Gallen¬ 
steine. 


*) Vortrag, gehalten am 2. und 9. März 1901 ln der Gesell¬ 
schaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

No. 43. 


Kehr nimmt an, dass vielleicht nur 5 Proc. der Gallen¬ 
steinträger etwas von der Gegenwart ihrer Steine fühlen. 

Wichtigere Auskunft über die Häufigkeit des Vorkommens 
der Gallenkonkremente geben selbstverständlich die Sektions¬ 
befunde. Während meiner 8 jährigen Prosektorzeit am 
Dresdener Stadtkrankenhause habe ich dem Vorkommen der 
Gallensteine immer meine Aufmerksamkeit zugewendet, aber 
doch bin ich überzeugt, dass ich gar nicht selten Gallenkonkre- 
mente übersehen habe, besonders gilt dies von kleinen Steinen, 
zumal wenn sie in zäher Galle eingebettet lagen. Wenn man 
die Gallenblase bei emporgehobener Leber nur ansticht bezw. auf- 
selmeidet und die Galle auslaufen lässt, wenn man die Blase, den 
Blasenhals und die Ausführungsgänge nicht sorgfältig öffnet und 
abfüldt, so entzieht sieh gewiss manches Konkrement unserer 
Wahrnehmung und die statistischen Angaben liegen hinter der 
Wahrheit zurück. 

Vom Jahre 1862 bis 1869 habe ich 2833 Leichen im Kranken- 
hause secirt und in den Sektionsprotokollen finde ich 201 mal 
„Gallensteine“ notirt, d. h. also hei 7 Proc. aller Leichen (bei 
4 Proc. männlichen und bei 9 Proc. weiblichen); darauf hat mein 
früherer Assistent, Dr. Krug, 11077 Obduktionsprotokolle 
aus späterer Zeit durchgesehen und fand 599 mal Gallensteine 
erwähnt, also in 5,4 Proc. und zwar bei 6528 Männern 97 mal, 
d. h. bei 2,7 Proc., und bei 4549 Frauen 416 mal, d. h. bei 
9,1 Proc. 

Mit grösster Sorgfalt Hess in den vergangenen Monaten 
der jetzige Prosektor, Dr. Schmorl, 500 Leichen auf 
das Vorhandensein von Gallensteinen untersuchen. Es 
wurden 49 mal Konkremente gefunden, also bei 10 Proc. der 
Leichen (die übrigens allen Altersstufen angehörten) und zwar 
bei 277 männlichen Leichen 15 mal = 5,4 Proc. und bei 223 
weiblichen 34 mal = 15 Proc. Diese Zahlen entsprechen wohl 
den ^tatsächlichen Verhältnissen, wie sie bezüglich des Vor¬ 
kommens der Gallensteine bei den Kranken unseres Hospitals 
und man kann wohl auch behaupten, bei unserer Bevölkerung be¬ 
obachtet werden. Von den Personen, welche das Dresdener Stadt¬ 
krankenhaus als Kranke aufsuchen, hat somit jede 7. bis 8. weib¬ 
liche und jede 29. männliche Gallensteine. 

Ueber die Diagnose der Cholelithiasis im Allgemeinen will 
ich, da mich das viel zu weit führen würde, nicht sprechen, nur 
ein diagnostisches Hilfsmittel kurz berüliren, welche« für den 
Nachweis der Gallensteine in Zukunft gewiss noch an Bedeutung 
gewinnen wird. Es ist das die Durchleuchtung mit Röntgen¬ 
strahlen. 

Vielfache Versuche sind damit allerdings schon angestellt 
worden, fast alle mit negativem Resultate. Trotzdem, hoffe ich, 
wird es der photographischen Technik doch noch gelingen, das 
Problem zu lösen. 

Es gibt allerdings Steine, die bis 90 Proc. Cholestearin ent¬ 
halten oder die in der Hauptsache aus Gallenfarbstoff bestellen, 
und von diesen kann man wohl nicht erwarten, dass sic Schatten 
gehen und beim Durchleuchten sichtbar werden. Das sind aber 
die selteneren Steine, die meisten enthalten neben ('holestearin 
mehr oder weniger, viele sehr bedeutende Mengen Kalk, und dass 
diese sichtbar gemacht worden können, besonders bei mageren 
Personen, ist a priori nicht in Abrede zu stellen. 

Ebenso gut. wie man Geschwülste — Aneurysmen, Abscessc 
— in der Brust- und Bauchhöhle photographisch nachweist, und 


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1692 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


die Contouren des Magens, Herzens etc., ebenso, sollte ich meinen, 
müsste auch der Nachweis von Gallensteinen gelingen. Und 
Dr. Beck, Prof, of Surgery, New-York, St. Mark’s Hospital, 
führt uns ein Photogramm vor, welches von einem 37 jährigen 
Manne stammt und ganz deutlich 2 grosse facettirte, elliptisch 
geformte Steine in der Gallenblase, einen kleinen im Ductus 
cysticus eingekeilt und 3 kleinere, deutlich facettirte, wahrschein¬ 
lich in der Leber, erkennen lässt. 

Auch möchte ich auf die Arbeit von Kümmell -Hamburg 
(Berl. klin. Wochenschr. 1901, No. 1), sowie auf die Abhandlung 
von Beck (Berl. klin. Wochenschr. 1901, No. 19) über die Dar¬ 
stellung von Gallensteinen mittels der Röntgenstrahlen aufmerk¬ 
sam machen, und Dr. Lange, Assistent am pathologisch-ana¬ 
tomischen Institute zu Dresden, zeigte mir eine Anzahl von 
Gallensteinphotogrammen, die er dadurch gewonnen hatte, dass 
er die Konkremente verschiedenen Leichen unter die Leber ge¬ 
legt und dann die Durchleuchtung vorgenommen hatte. Viele, 
besonders die stark kalkhaltigen Steine, waren mit grosser Deut¬ 
lichkeit zu erkennen. So aussichtslos, wie von mancher Seite 
angenommen wird, ist die Sache also doch nicht. 

Von hohem Interesse und praktischer Bedeutung sind die 
Beobachtungen, welche jetzt bezüglich der Entstehung der 
Gallensteine vorliegen. Wir verdanken sie in der Hauptsache den 
klassischen Untersuchungen Naunyn’s. Er wies nach, dass 
die frühere Annahme, welche seit S ö in m e r i n g, Friedrich 
August W a 11 h e r etc. die herrschende war und auch noch von 
Schüppel, Niemeyer etc. vertreten wird, nach welcher die 
in der Galle gelösten Bestandtheile, wie Cholestearin, chol- 
saurer Kalk, Gallonfarbstoff, ausgeschieden werden und sich 
niederschlagen, sobald gewisse Veränderungen in der chemischen 
Zusammensetzung der Gallenflüssigkeit eintreten, und dadurch 
die nächste Veranlassung zur Gallensteinbildung gegeben wird, 
nicht richtig ist, oder wenigstens nur für die wenigsten Fälle 
Geltung hat. Eine Zersetzung der Galle ist also nicht die Ur¬ 
sache zur Bildung der Konkremente. 

N a u n y n wies nach, und findet mit seiner Ansicht immer 
mehr Anklang, dass die beiden wichtigsten Steinbildner Chole¬ 
stearin und Calcium aus der Schleimhaut der Gallen¬ 
blase stammen, aus den Epithelien, und dass es sich um eine pri¬ 
märe Erkrankung der Schleimhaut handelt. 

Die Epithelien entarten fettig, es bildet sich Myelin und 
daraus Cholestearinklümpehen als erste Anfänge der Gallen¬ 
steine. Erst später entwickelt sich in diesen Cholestearinmassen 
krystallinische Struktur. 

Stoffwechsel und Nährweise kommen nach Naunyn bei 
der Entstehung der Konkremente nicht in Betracht. Derselbe 
konnte Hunden grössere Mengen Cholestearin oder Kalk in’s 
Blut bringen und sie auf dio verschiedenste Weise ernähren, die 
chemische Konstitution der Galle blieb unverändert. Sind ein¬ 
mal die Myelin- und Cholestearinkalkklumpen vorhanden, so ver- 
grössern sich dieselben durch Apposition. Es setzen sich neue 
Schichten an, die aber immer wieder der Schleimhaut ent¬ 
stammen. 

Uebrigens spricht schon Meckel von einem gallenstein- 
bildenden Katarrh. Neuerdings gelangt die Ansicht immer mehr 
zur Geltung, dass dieser Katarrh bakteriellen Ursprungs ist, und 
man hat das Baetoriuin coli in Verdacht, dass es unter gewissen 
Umständen einen entzündlichen Reiz auf die Schleimhaut der 
Gallenblase ausübt. 

So lange der Abfluss der Galle ungehindert stattfindet, ist, 
wie es scheint, die Gallenflüssigkeit steril, sobald aber aus irgend 
einem Grunde Gallenstauung stattfindet, und besonders bei vor¬ 
handener Cholecystitis, wurde regelmässig das Bacterium coli 
nachgewiesen. 

Die Untersuchungen über diesen Vorgang sind noch keines¬ 
wegs zum Abschlüsse gelangt, so viel aber steht fest, dass das 
Bacterium coli eine ganz verschiedene Virulenz besitzt. Wo¬ 
durch dieselbe aber im einzelnen Falle bedingt, erhöht oder ver¬ 
mindert bezw. aufgehoben wird, das ist noch unaufgeklärt. 

M i g n o t und M i a k e geben an, dass sie durch direkte 
Einspritzung von Bacterium coli mit abgeschwächter Virulenz 
bei Hunden, nachdem der Gallenabfluss verlangsamt oder ver¬ 
hindert war, Steine erzeugt haben. 


Die Schichtung der Gallensteine, sowie die Mächtigkeit der 
Schichten, wie wir sie auf dem Durchschnitt beobachten, wird mit 
den, zu verschiedenen Zeiten auftretenden und ungleich lange an¬ 
haltenden lithogonen Katarrhen, welche das betreffende In¬ 
dividuum durclizumachen hatte, in Zusammenhang gebracht, 
daher auch die immer gleiche Zahl von Schichten, die sich bei 
den einzelnen, aus ein und derselben Gallenblase stammenden 
Steinen finden. 

Bekannt ist es, dass man zuweilen Fremdkörper, z. B. 
Seidenfäden, Stücke von Ascaris, Kerne etc., im Centrum eines 
Gallensteins gefunden hat, und die Annahme, dass sich um diese 
herum Calcium, Cholestearin aus der Gallenflüssigkeit ausge- 
sehieden und abgelagert hat, liegt nahe, aber ebenso gut kann 
man annehmen, dass ein steinbildender Katarrh nebenbei be¬ 
stand, der jene Materialien lieferte. Naunyn hat verschiedene 
Fremdkörper in die Gallenblase von Hunden gebracht und nie¬ 
mals Niederschläge irgend welcher Art erzielt. 

Bezüglich der Actiologie der Gallensteine findet sich mehr¬ 
fach die Angabe, dass der Typhus abdominalis zur Bildung der¬ 
selben disponire, auch ist es bekannt, dass man in der Galle 
Typhuskranker Typhusbacillen gefunden hat. In den Mittheil, 
a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. (7. April 1900) wird ein Fall be¬ 
schrieben, bei dem sich 4 Wochen nach Beginn des Typhus die 
Cystotomie nothwendig machte und 58 kleine Cholestearinsteiue 
entfernt wurden, in deren Centrum, so wie in dem Eiter, welchen 
die Gallenblase enthielt, Typhusbacillen gefunden wurden. Auch 
Naunyn beobachtete wenige Wochen nach überstandenem 
Typhus bei einem 14 jährigen Knaben Gallensteinkolik. 

Diese Beobachtungen liegen allerdings vor. Ich kann aber 
darin noch keinen Beweis für die besondere Häufigkeit des Vor¬ 
kommens von Gallensteinen nach Typhus erkennen. Während 
meiner 40 jährigen Thätigkeit am Stadtkrankenhause zu Dresden 
habe ich 4490 Typhuskranke behandelt bezw. beobachtet, von diesen 
starben 9 bis 10 Proc. in den verschiedensten Stadien der 
Krankheit. Es ist mir nicht erinnerlich, dass auch nur einer von 
den Kranken über Erscheinungen klagte, die man als Gallen- 
steinkolik hätte deuten können, und bei Durchsicht der Sektious- 
protokolle fand ich nui* 2 mal das Vorhandensein von Gallen¬ 
steinen notirt, und zwar bei 2 älteren Frauen. 

Viele von den Personen, welche im Krankenliausc Typhus 
überstanden hatten, sah ich auch in späterer Zeit wieder und 
wurde von ihnen konsultirt, aber über Beschwerden, die auf das 
\ orhandensoin von Gallensteinen zu beziehen waren, klagte, so 
viel ich weiss, keine. 

Dass die Gallensteine in einer grossen Anzahl von Fällen, 
ohne Krankheitserscheinungen zu verursachen, ertragen werden, 
habe ich bereits oben erwähnt. Im strengsten Sinne des Wortes 
ist dies jedoch meiner Ansicht nach nicht richtig, denn gewisse 
Beschwerden, die aber von dem Laien sowohl, als von dem Arzte 
anders gedeutet und auf andere Organe bezogen werden, treten 
bei solchen Personen, die an Gallensteinen leiden, wenigstens zeit¬ 
weilig fast immer auf. 

Aus eigener Anschauung weiss ich, dass eine Gallenblase, 
in der sieh Gallensteine finden, fast niemals ein ganz normales 
anatomisches Verhalten zeigt. Gewisse pathologische Verände¬ 
rungen finden sich an ihr stets. Entweder Verdickung der 
Blasenwand und Veränderungen des Cylinderepithels (dasselbe 
ist oft platt gedrückt und hat das Ansehen von Pflasterepithel), 
oder Verlöthung der Steine mit der Blaseuwand; Schrumpfung 
der Gallenblase; sträng- oder flächenförmige Verwachsungen der 
Serosa mit den Nachbarorganen; Erosionen, Geschwüre oder 
Narben an der Innenfläeho der Gallenblase etc. Dass diese patho¬ 
logischen Veränderungen nicht ohne alle und jede klinischen Er¬ 
scheinungen einhergehen, kann man ohne Weiteres annehmen. — 
Und tritt bei solchem Kranken, wie er angibt, ganz plötzlich und 
ohne vorhergehendes Unwohlsein ein Anfall von Gallenstein¬ 
kolik ein, so erfährt man bei genauer Nachfrage regelmässig, 
dass doch schon oft gewisse Beschwerden und Erschei¬ 
nungen dagewesen sind, die zweifellos durch die längst vor¬ 
handenen Gallensteine verursacht wurden. 

Treten heftige Kolikschmerzen bei Gallensteinkranken ein, 
so nahm man früher ganz allgemein an, besonders wenn gleich¬ 
zeitig Ikterus vorhanden war, dass der Stein seine ruhige Lage 
in der Gallenblase verlassen hat, sich auf der Wanderung befindet 


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22. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1693 


und entweder im Blasenhals oder in den Ausführungsgängen ein¬ 
geklemmt ist. Daher die Selunerzen. 

Dass dieser Vorgang existirt., ja dass er gar nicht selten die 
Veranlassung zu den heftigen Kolikanfällen ist, davon bin ich 
allerdings fest überzeugt, aber aus den klassischen Untersuch¬ 
ungen und Beobachtungen von Riedel, Kehr und Naunyn 
geht zweifellos hervor, dass jene Schmerzanfälle auch 
auf andere Weise zu Stande kommen können und zwar häufiger 
als wir bisher anzunehmen geneigt waren, nämlich durch Ent¬ 
zündung der Gallonblasenwand, durch Cholecystitis. Nicht selten 
sind beide Ursachen gleichzeitig vorhanden und die Schmerzen 
werden im konkreten Falle ebenso durch Entzündung als durch 
Einklemmung verursacht. 

Zu der Ansicht aber, dass die Schmerzen nur als Ausdruck 
einer vorhandenen Cholecystitis aufzufassen sind, kann ich mich 
auf Grund meiner Beobachtungen und Erfahrungen nicht be¬ 
kennen. 

Ungehindert und ohne Schmerzen gelangen nur ganz kleine, 
etwa halberbsengrosse Steine in den Darm. 

Konkremente, welche die Grösse einer Erbse überschreiten, 
können meiner Meinung nach ohne Ulceration die Ausführungs- 
gängo nicht passiren. Diese Ansicht habe ich bereits in meinem 
früheren Vortrag (18. Jan. 1879) vertreten und halte ich noch 
heute in vollem Umfange aufrecht. 

Mehrfach ist dieselbe angezweifelt worden, vielfach wird 
angenommen, dass weit grössere Steine ohne Verletzung ausge- 
stosson werden können. Naunyn aber nimmt ebenfalls ,an, 
dass nur Steine von der Grösse einer Erbse, höchstens eines 
Kirschkerns, per vias naturales abgehen können, Müller in 
Würzburg ist derselben Ansicht und führt an, dass selbst Steine 
von Erbsengrösse nur unter heftigen Schmerzen den unverletzten 
Ductus cysticus passiren können, auch Kehr und Riedel 
stehen dieser Ansicht nicht fern. 

Wie früher, so behaupte ich auch jetzt noch, dass Gallen¬ 
steine viel häufiger durch Ulceration in den Darmkanal gelangen 
und ausgestossen werden, als man gemeinhin anzunehmen geneigt 
ist, dass nur selten bei ihrer Wanderung die Gallengange in¬ 
takt bleiben. Der Vorgang ist wohl gewöhnlich der, dass zu¬ 
nächst ein kleiner Stein von 1 höchstens 1,5 mm den Ductus 
cysticus (der von den Ausführungsgängen den geringsten Durch¬ 
messer besitzt, ausserdem korkzieherartig gewunden ist, und die 
bekannten Haustra besitzt) passirt, in den Duct. choledoch. 
gelangt, hier allmählich an Grösse zunimmt, und durch den 
Strom der Galle, die ja unter Umständen neben dem Stein in 
den Dann abfliessen kann (daher Ikterus gar nicht vorhanden zu 
sein braucht) theilweise auch durch Muskelkraft bis an die Pars 
duodenalis des Duct. choledoch., welche bekanntlich die Darm¬ 
wand in schräger Richtung durchbohrt., vorgeschoben wird. 

liier findet aber das Konkrement, wie ich das bereits in 
meinem ersten Vortrage geschildert habe, den grössten Wider¬ 
stand. Man darf nicht annehmen, dass sobald dasselbe andrängt, 
sich das Divertikel erweitert und öffnet, ebenso wie der Pylorus. 
In der Pai^s duodenal, duct. choledoch. finden sich nur wenig 
unregelmässig verlaufende muskulöse Faserzellen und Faserzüge, 
aber so spärlich, dass von einer besonderen Muskelhaut auch 
nicht im Entferntesten die Rede sein kann. Drängt nun ein 
Stein gegen die Duodenalwand an, so stülpt er diese nach dem 
Lumen zu vor, schliesslich entsteht dort ein Decubitusgcschwür, 
Druckgangrän und endlich gelangt der Stein durch Eiterung 
in’s Duodenum. Ist das geschehen, so zieht sich die Perforations¬ 
öffnung wieder zusammen, die ulcerirte Stelle vernarbt und es 
bildet sich am Divertic. Vateri ein fester Bindegewcbsring, wie 
ich das bei Sektionen an Menschen, die früher Gallensteine mit 
dem Stuhle entleert hatten, zu wiederholten Malen gesehen habe. 
Eine sehr instruktive Abbildung findet sich in der Sammlung 
des pathologischen Instituts zu Dresden. (Naunyn beschreibt 
den Vorgang ganz in gleicher Weise (lieber die Vorgänge bei der 
Cholelith. etc. Mittheil, aus den Grenzgebieten der Medicin und 
(’hir., Bd. 4, 1898). Die meisten Gallensteine, welche mit dem 
Stuhle entleert werden, sind, wie ich glaube, auf diese Weise in 
den Darm gelangt. Um die Dehnbarkeit der Pars duoden. duct. 
choledoch. zu prüfen, liess ich Kälbern unmittelbar, nachdem 
sie geschlachtet waren,Laminariastifte in diesenTheil des Gallen¬ 
ganges einführen und es ergab sich, dass die Stifte, welche im 
trockenen Zustande einen Durchmesser von 2,8 mm hatten, in 


der Pars duodenal, nur um 1,2 mm aufquollen, im übrigen Theile 
des Duct. choledochus um 4,0 mm. 

Freilich so verhälttiissmässig glatt, wie oben beschrieben, 
■»geht die Ausstossung der Konkremente nicht immer ab, die¬ 
selben gelangen nicht allemal bis in die Pars duodenalis, sondern 
bleiben irgendwo im Verlaufe, des Ductus cystic. oder chole¬ 
dochus mehr weniger fest eingeklemmt liegen. Das Konkrement 
wirkt in dieser Lage zunächst reizend auf die Schleimhaut des 
Gallengangcs, daran schliessen sich in der Regel tiefgehende 
Ulcerationsprocesse, welche zu Perforation, Eiterung in den 
Nachbarorganen, besonders in der Leber etc. führen. Solche 
traurige Fälle hat jeder beschäftigte praktische Arzt beobachtet. 

Die chirurgischen Kollegen werden sagen, man darf es gar 
nicht dazu kommen lassen, dass der Stein aus der Gallenblase in 
die Ausführungsgänge Übertritt, es kommt darauf an, dieselben 
durch Operation zu entfernen, so lange sie sich noch in der 
Blaso befinden. Und ist der Uebertritt in den Duct. cystic. oder 
choledochus doch erfolgt, so muss der Stein sofort auf operativem 
Wege entfernt werden, man kann nicht darauf rechnen und 
darauf warten, dass der Stein bis an das Duodenum vorrückt, 
hier durcheitert und in den Darm gelangt. 

Dieses Verlangen der chirurgischen Kollegen hat entschieden 
seine Berechtigung, aber so leicht ist es für uns interne Acrzte 
nicht, demselben zu entsprechen. 

Schon oben wurde erwähnt, dass es oft sehr schwer ist, die 
Diagnose auf das Vorhandensein von Gallensteinen in der Gallen¬ 
blase mit solcher Sicherheit zu stellen, dass man zur Vornahme 
der Operation rathen und drängen muss. 

Selbst eine Probelaparotomie ist doch kein gleich- 
giltigcr Eingriff, wenigstens immer ein solcher, den man dem 
betreffenden Kranken so lange als möglich erspart. — Und 
zweitens erfolgt, der Uebertritt der Konkremente aus der Blase in 
den Cysticus oft ganz plötzlich, ohne angebbare Ursache und 
ohne dass schwere x\nfiille oder Krankheitserseheinungen voraus¬ 
gegangen sind. Mittel und Wege, diesen Uebertritt zu verhin¬ 
dern, gibt es nicht. Und was die Entfernung des Steins aus 
den Gängen anlangt, so ist die Mortalität bei dieser Operation, 
auch wenn sie, ehe noch peritonitische Erscheinungen oder 
sonstige Komplikationen aufgetreten sind und von der Meister¬ 
hand eines Kehr, Riedel etc. ausgeführt sind, keine geringe, 
und es fragt sich in vielen Fällen, bei welcher Methode der 
Kranke mehr Chancen hat, geheilt zu werden, bei der zu¬ 
wartenden oder durch Operation. 

Für uns praktische Aorzte ist die Entscheidung der Frage, 
ob und wann operirt werden soll, sehr oft ausserordentlich 
schwierig. Die Verhältnisse bezüglich der Behandlung der Chole- 
lithiasis haben sich allerdings in den letzten Dceennien durch die 
grossem Errungenschaften, welche die Chirurgie zu verzeichnen 
hat, gewaltig geändert und die Indikationen für Vornahme der 
Operation sind sehr erweitert: dem müssen und wollen wir 
praktische Aerzte bei der Behandlung unserer Gallensteinkranken 
jederzeit Rechnung tragen. Auch sind Jedem von uns Fälle in 
trauriger Erinnerung, in denen der Tod durch perforatorische 
Peritonitis, durch Pylephlebitis, Leberabscosse, cholaemische Zu¬ 
stände, Sepsis oft ganz unerwartet eintrat., aber wir können dem 
gegenüber auch von zahlreichen Fällen berichten aus jener Zeit, 
wo von Gallensteinoperation noch keine Rede war, in denen 
Monate lang schwere Krankheitserscheinungen, die zweifellos 
auf Gallensteine und Einklemmung zu beziehen waren, bestanden 
und die doch mit voller Genesung endeten, von Fällen, in denen 
nach langer Krankheit grosse Steine durch den Darm abgingen 
— ich besitze deren 7 Stück, von denen einer 45 g wiegt, und 
einen vollen Abguss der Gallenblase darstellt — und bei denen 
volle restitutio in integrum erfolgte. Auch hat Jeder von uns 
Kranke beobachtet, die Jahre lang viele Anfälle von Gallenstein¬ 
kolik mit Ikterus. Schüttelfrösten, Fieber etc. durchgemacht 
haben, bei denen schliesslich die Anfälle doch seltener wurden, 
zuletzt volle Ruhe eint rat und die sich dann lange Jahre und 
bis in ein hohes Alter der besten Gesundheit erfreuten. Bei 
mehreren dieser Kranken habe ich später den Duct cysticus vor¬ 
schlossen, die Gallensteine fest gelagert in der Gallenblase, dem 
Blasenhals odor im unteren Theile des Duct. cysticus bei der 
Sektion nachgewiesen. Solche Fälle bekommen die Chirurgen 
selten zu sehen, daher die differente Ansicht zwischen ihnen 
und den Internisten bezüglich der Operation. 


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1694 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


Und wenn v. Winiwarter sagt, mit der Diagnose Gallen¬ 
steine ist auch die Indikation zur Operation gegeben, so ist das 
ein Verlangen, dem wir inneren Acrzte nimmermehr Folge leisten 
können, das wir vielmehr auf das Entschiedenste als viel zu weit 
gehend bezeichnen müssen. Mit einem solchen chirurgischen 
Radikalismus ist der Menschheit nicht gedient und nichts ge¬ 
nützt. 

Bereits oben habe ich erwähnt, dass die frühere Annahme, 
nach welcher die Kolikschmerzen bei Gallensteinen allemal als 
Einklemmungserscheinungen aufzufassen sind, durch die neueren 
Untersuchungen widerlegt- ist. Auf Grund direkter Anschauung 
l«*i zahlreichen Operationen gelangte Riedel zu der Ueber- 
zeugung, dass jene. Kolikschmorzen nicht sowohl durch Ein¬ 
klemmung verursacht werden, sondern als Entzündungscrsehoi- 
nung aufzufassen sind. Kehr und Naunyn theilen im All¬ 
gemeinen diese Ansicht, wenn auch nicht mit der Exclusivität, 
wie es Riedel thut. 

Nach der früheren Anschauung waren die Kolikschmerzen 
die Folge des Reizes, welchen der in den Gallenblasenhals oder 
den Duct. eysticus vorgeschobene und eingeklemmte Stein, um 
den sich die Wand krampfhaft zusammenzog, ausübte. Von hier 
aus wurden dann gewisse Reflexerscheinungen, Darmkontrak¬ 
tionen, Erbrechen etc. ausgelöst. 

Dieses alte Schema genügt jetzt allerdings nicht mehr, um 
jeden Kolikanfall zu erklären. Riedel behauptet nun, dass 
jede Gallensteinkolik primär auf der akuten Entzündung einer 
hydropischen Gallenblase beruht. Er nimmt an, dass der Stein 
zunächst symptomlos in den Gallenblasenhals rückt, den Gang 
verlegt und den Abfluss der Galle behindert; dadurch entsteht 
zunächst, aber ohne dass der Stein wirklich eingeklemmt ist, 
Hydrops vesieae fclleae. Der Inhalt der Gallenblase wird in 
eine dünne, viscide Masse umgewandelt und eine solche Gallen¬ 
blase hat grosse Neigung, sich zu entzünden. Es kommt unter 
heftigen Schmerzen zu einer Cholecystitis mit serösem oder eero- 
purulentcm bezw. rein eitrigem Exsudate. Erst sekundär, wenn 
der Stein klein genug ist, kann er weiter in den Duct. eysticus 
getrieben werden und sich zum Schmerze der Entzündung in 
manchen Fällen auch der der Einklemmung hinzugesellon. 

Kehr und Naunyn sind der Ansicht, dass in der 
Regel Mikroorganismen die Ursache zur Entstehung der Chole¬ 
cystitis sind, zunächst das Bacterium coli, aber auch Staphylo 
eoccen und Streptococcen. Begünstigend für ihre Ansiedelung 
wirkt Behinderung des Gallenabflusses. Auch ohne das Vor¬ 
handensein von Steinen können Mikroorganismen Cholecystitis 
verursachen. Riedel nimmt das nicht an, sondern eine be¬ 
sondere Art der Entzündung, die er Perialienitis oder Peri- 
xenitis nennt, also eine Entzündung um einen Fremdkörper, in 
unserem Falle um Gallensteine, welche zu qualitativ ver¬ 
schiedenen Exsudaten führen kann. Vielleicht werde diese Ent¬ 
zündung durch Traumen verursacht. Uebrigens sind Riedel, 
Kehr und Naunyn übereinstimmend der Ansicht, dass die 
Cholecystitiden unter Umständen sehr schnell entstehen, aber 
auch ebenso schnell wieder zurückgehen können. 

Beiläufig sei erwähnt, dass Riedel seine Lehre von der 
Perialienitis noch auf viele andere Entzündungen ausdehnt, z. B. 
die Gelenkentzündung bei Gicht, die Bursitis praepatcllaris, die 
Tonsillitis, Appendieitis, Nephritis calculosa, Osteomyelitis etc. 

Was meine Ansicht anlangt, so glaube ich, dass Riedel 
gewiss in sehr vielen Fällen recht hat, wenn er annimmt, dass 
der Koliksehmerz auf Entzündung der Gallenblase beruht, dass 
aber jede Gallensteinkolik primär als Cholecystitis aufzufassen 
ist, das will mir nicht einleuchten. Ich glaube vielmehr, dass 
eine ziemliche Anzahl von Gallensteinkranken existirt, deren 
Kolikschmerzen allerdings direkt durch Einklemmung von 
.Steinen verursacht werden. Wenn der Stein, wie das ja oft der 
Fall ist, eckig und hart ist, und die entsprechende Grösse be¬ 
sitzt, so kann man sich sehr wohl denken, dass er durch ein 
Trauma, durch besondere Lagerung, Bewegung und Füllung 
der Därme, oder durch die Bauchpresse, durch Kontraktion der 
Gallenblase zum Zwecke der Entleerung etc. vorwärts geschoben 
wird und zunächst in den Blasenhals gelangt, dass er hier einen 
mechanischen Insult zunächst auf die Schleimhaut ausübt, dass 
dieser Reiz sich bis auf die Serosa fortsetzt und dass dieser dann 
zu energischen reflektorischen Kontraktionen der Gallenblase, 


die mit heftigen Schmerzen und Krampfgefühl verbunden sind, 
führt. Dadurch kommt die Einklemmung zu Stande, der Stein 
wird festgehalten und eingekeilt. Erst sekundär kommt dann 
gewiss oft Entzündung mit allen ihren Folgezuständen hinzu. 
In den meisten Fällen lässt der Krampf nach einiger Zeit nach 
und der Stein fällt nach längerer oder kürzerer Zeit wieder in die 
Gallenblase zurück. 

Handelte es sich wirklich allemal um Entzündung, dann ist 
es mir nicht erklärlich, wie es möglich ist, dass die furchtbaren 
Schmerzen fast immer so ganz plötzlich ohne Vorboten ent¬ 
stehen, gleich mit voller Heftigkeit einselzen, dass sie sehr oft 
ebenso schnell wieder verschwinden, entweder spontan oder un¬ 
mittelbar nach einer Morphiumeinspritzung, nach Applikation 
von Leinmehlumsehlügen etc. und dass sie vollständig und oft 
auf lange Zeit verschwinden. Wie ist es möglich, dass, wenn es 
sich um Entzündung handelt, der Schmerz, der so intensiv war, 
dass man die Gallenblasengegend nicht berühren durfte, ohne 
dass der Kranke laut aufschrie und stöhnte, dass dieser oft nach 
kurzer Zeit und zwar plötzlich so vollständig verschwunden ist, 
dass man die vorhex so ausserordentlich empfindliche Gegend 
jetzt beliebig ohne jedwede Schmerzempfindung drücken und 
kneten kann. Würde das bei einer bestellenden Entzündung der 
Fall sein? Diese braucht doch eine gewisse Zeit zu ihrer Ent¬ 
wicklung, allmählich erreicht sie ihren Höhepunkt und langsam 
klingt- sie wieder ab. Das rasche Aufhören dos Schmerzes erklärt 
sich viel ungezwungener, wenn man annimmt, dass der Reflex¬ 
krampf. welchen der eingeklemmte Stein veranlasst, nachlässt, 
dass sich die Umgebung, also in der Regel die Sclileimhaut des 
Blasenhalses an den Eindringling gewöhnt und derselbe ruhig 
dort liegen bleibt oder dadurch, und das kommt gewiss, wie ich 
schon sagte, häufiger vor als man annimmt, dass der Stein, 
welcher in den Blascnhals vorgcscholwm war und hier Reiz und 
Krampf verursachte, wenn dieser vorüber ist, in die Blase 
zurückfällt. Ich verstehe nicht, wesshalb dieses Vorkomm- 
niss, durch welches sich die rasche Entstehung ebenso wie das 
rasche Verschwinden der Koliksehmerzen in ungezwungener 
Weise erklärt, so selten sein bezw. gar nicht bestehen soll. 

Auch die häufige Wiederkehr der Sehmerzanfälle bei 
Gallensteinkranken, wie wir sie gar nicht selten beobachten, 
macht, es mir unwahrscheinlich, dass wir cs dabei allemal mit 
Entzündungsvorgängen, mit Cholecystitis, zu thun haben. Es 
gibt Kranke, die alle 14 Tage und häufiger von mehr oder minder 
heftigen, ganz charakteristischen Gallensteinkoliken mit oder 
ohne Ikterus heimgesucht werden. Eine Dame ist mir erinner¬ 
lich, die in dieser Weise litt, in der Zwischenzeit aber, abgesehen 
von Obstruktionsbeschwerden und leichter Druckempfindliehkeit 
in der Lebergegend, ganz gesund und leistungsfähig war. Ganz 
plötzlich, auf dem Spaziergange oder bei irgend welcher Arbeit, 
mitten im Wohlbefinden, traten bei ihr die heftigsten Kolik- 
sehmerzen ein, unter Anwendung von Leinmehlumschlägen, oder 
nach Einspritzung einer kleinen Dosis Morphium Hessen die 
Schmerzen schon nach Vs —1 Stunde nach und dio Kranke war 
wieder schmerzfrei und so gesund wie vorher. Und dass es sich 
in diesem Falle wirklich um Gallensteine handelt, geht daraus 
hervor, dass vor Jahren ein fast erbsengrosses Cholestearin- 
Kalkkonkrement mit dem Stuhlgang abgegangen ist. 

Auch sind die Schmerzen bei Gallensteinkolik in der Regel 
so furchtbar und so speeifischer Natur, wie wir sie bei Schleim¬ 
hautentzündung (auch wenn diese auf die tieferen Gewebe über¬ 
greift) anderer Organe nicht kennen. Die Verhältnisse bei der 
Gallenblase sind allerdings ganz besonderer Art. die rasche 
Ansammlung des Entzündungssekretes, die Spannung der 
Wände, die. Kontraktion der muskulösen Elemente kommt 
dabei mit in Betracht; immerhin abex sehe ich nicht ein, wie 
sich dadurch die ganz intensiven, und ich wiederhole es, spe- 
cifischen Schmerzen erklären sollen, dazu fehlt alle Analogie; 
wohl aber findet sich eine solche in den Erscheinungen, wie wir sie 
hei Einklemmung von Nierensteinen im Harnleiter beobachten. 
Ich weiss recht wohl, dass hierbei gewisse, besondere Umstände 
obwalten, dass durch den nachdringenden Urin, der nicht ab- 
fliessen kann, an und für sich schon Beschwerden und Schmerzen 
verursacht werden, aber in der Hauptsache geschieht das meiner 
Meinung nach, gerade so wie bei vielen GallensteinkoUkanfällen, 
durch die Einklemmung. Auch bei den Nierensteinen entstehen 
die Schmerzen in der Regel, wenn das Konkrement in den Harn- 


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22. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1695 


leiter gelangt, ganz plötzlich, und verschwinden ebenso schnell 
wie sie gekommen sind, wenn dasselbe den Ureter passirt 
hat und in die Harnblase gelangt bezw. durch die Urethra abge- 
gangon ist, ohne dass auch nur die geringste Empfindlichkeit 
der Uretergegend zurückbleibt. 

Noch möchte ich erwähnen, dass die blosse Ausdehnung der 
Gallenblase, auch wenn sie akut entsteht, in der Regel nur ge- 
rige Schmerzen und Beschwerden verursacht. Man fühlt bei 
Kranken zuweilen die Gallenblase als birnenförmigen, prall ge¬ 
füllten, etwas druckempfindlichen Tumor, unter der Leber, und 
am nächsten Tage ist die Geschwulst vollkommen verschwunden, 
und das wiederholt sich noch öfters. Wir müssen annehmen, 
dass sich die Gallenblase in diesen Fällen plötzlich füllt und 
wieder entleert. Mit wesentlicher Schmerzempfindung sind diese 
Vorgänge aber keineswegs allemal verbunden. 

Ich bin der Ansicht, dass es zweierlei Arten von Kolik¬ 
schmerz gibt, die eine durch Entzündung verursacht, die andere 
durch Einklemmung, häufig wirken beide Ursachen gleichzeitig. 

Die ganz plötzlich auftretenden, ganz specifischen und mit 
grösster Intensität auftretenden, bei denen die Kranken vor 
Schmerz laut schreien und stöhnen, oft collabiren, die aber in 
der Regel spontan oder nach Anwendung von Morphium, Kata- 
plasmen etc. rasch verschwinden, ohne Empfindlichkeit zurück¬ 
zulassen, halte ich für Einklemmungsschmerzen; die langsamer 
sich entwickelnden, langsamer vollständig verschwindenden und 
nicht so heftigen Anfälle für Kolikschmerzen, die durch 
Entzündung verursacht werden. Uebergänge gibt es gewiss, 
auch gebe ich gern zu, dass auch die Entzündungssclimerzen zu¬ 
weilen intensiv auftreten und dem Kranken das Leben verbittern 
können. 

Und nun möchte ich mir erlauben, noch einige andere Vor¬ 
kommnisse zu besprechen, die bei Gallensteinkranken Vorkommen 
und die für uns praktische Aerzte von Wichtigkeit sind. 

Wenn wir nach einem heftigen Kolikanfalle die Faecal- 
massen nach Gallensteinen untersuchen, was mit Hilfe des be¬ 
kannten Spülapparates keine Schwierigkeiten verursacht, so ge¬ 
lingt es uns nicht selten, das Corpus delicti in Form eines Gallen¬ 
steines zu finden. So erfreulich das ist, so darf man doch nicht 
allzu grosse Erwartungen an diesen Befund knüpfen, denn die 
.Sektionsbefunde lehren uns, dass es sich in der Regel nicht 
um einen Gallenstein handelt, den die Gallenblase beherbergte, 
sondern um mehrere bezw. viele, und man darf desshalb nicht 
mit Sicherheit annehmen, dass das Uebel gehoben und der Kranke 
nunmehr von seinen Leiden befreit sei, wenn ein Stein abging. 
Neue Kolikanfälle können nach längeren oder kürzeren Inter¬ 
vallen immer wieder auftreten und bis an sein Lebensende ist 
der Kranke nicht sicher davor; höchstens kann man erwarten, 
dass nach Abgang eines Steines der Abgang weiterer erleichtert 
ist und dass, je länger der Anfall ausbleibt, desto mehr die Wahr¬ 
scheinlichkeit wächst, dass schliesslich durch Verödung der Gallen¬ 
blase, Verfilzung der Steine mit der Blasen wand, Abschluss nach 
dem Duct. cystic. zu etc. der Process zur Ruhe kommt. 

Und was den Ikterus anlangt, so scheint es mir, als ob man 
noch vielzusehr die Diagnose Gallensteinkolik von der An- oder 
Abwesenheit der ikterischen Färbung abhängig macht. Aller¬ 
dings ist der Ikterus, wie das ja jeder Kollege weise, eine ganz 
gewöhnliche Begleiterscheinung bei Gallensteinkolik, aber die 
Zahl der Fälle, in denen dieses Symptom fehlt, ist eine sehr be¬ 
deutende, und N a u n y n hat ganz gewiss Recht, wenn er an¬ 
gibt, dass in der Hälfte der durch Nachweis von Steinen 
in den Faece9 gesicherten Fällen Ikterus fehlte. Sitzt 
der Stein im Ductus cysticus oder im Blasenhalse, so ist 
der Gallenabfluss in der Regel nicht behindert; und liegt 
das Konkrement im Duct. clioledochus oder hepaticus, so können 
sich diese Gänge sehr bald so weit ausdehnen, dass die Galle 
neben dem Steine noch ungehindert in den Darm abfliessen 
kann. Auf der anderen Seite kann auch Ikterus die Schmerz¬ 
anfälle bei einfacher Cholecystitis, ohne dass Steine vorhanden 
sind, kompliziren, die. entzündliche Schwellung der Gallenblase 
setzt sich in solchen Fällen auf die Schleimliaut des Duct. hepat. 
oder choledochus fort und dadurch wird der Abfluss der Galle ver¬ 
hindert. Auf dieses Vorkommen hat besonders Riedel hin¬ 
gewiesen. Er unterscheidet lithogenen und entzündlichen Ikterus. 

Vielfach ist die Frage discutirt worden, wie oft nach glück¬ 
lich operirten Fällen Recidivo eintroten, d. h. sich neue Steine 

No. 43. 


bilden. Kehr beantwortet diese Frage dahin, dass bei 300 Ope¬ 
rirten in 15 Proc. Recidive eintraten, und diese Erfahrung kann 
nicht überraschen, da die Bedingungen zur Entstehung der 
Gallensteine, die Disposition dazu in den meisten Fällen nach 
der Operation dieselbe bleibt. 

Freilich liegt wohl auch die Möglichkeit vor, dass dann 
und wann Konkremente, die versteckt in hemiösen Ausstülpungen 
lagen, bei der Operation übersehen und zurückgelassen wurden 
und zu neuen Kolikanfällen Veranlassung gaben. 

Interessant war es nun, zu erfahren, wie schnell die Gallen¬ 
steine wachsen können. Die zahlreichen Schichten, die man auf 
Gallensteindurchschnitten so oft beobachtet, erweckten immer 
die Vorstellung, dass lange Zeit vergeht, ehe sich ein halbwegs 
grosser Stein bildet. In der Regel ist das auch so. N a u n y n 
beantwortet die Frage dahin: „Ich halte es für ausgemacht, 
dass bei vielen Gallensteinen die Entwicklung sich sehr langsam 
vollzieht, wahrscheinlich in Jahren, doch glaube ich nach mannig¬ 
fachen Beobachtungen, dass Gallenkonkremente sich gelegent¬ 
lich auch viel schneller, vielleicht in Tagen bilden können.“ 

Endlich noch ein Wort über das Carcinom der Gallenblase 
und der Gallengänge. Während meiner Proseetorzeit (1861 bis 
1869) habe ich diesem Vorkommniss besondere Beachtung ge¬ 
schenkt und auf Grund zahlreicher Beobachtungen bin ich zu der 
Ansicht gelangt, dass Personen, die an Gallensteinen leiden, in 
grosser Gefahr schweben, an Carcinom der Gallengänge bezw. der 
Gallenblase zu erkranken. Der Reiz, welchen die Konkremente 
ausüben, scheint die Entstehung dieser malignen Neubildung zu 
begünstigen. Zahlreiche Fälle derartiger Carcinome habe ich ge¬ 
sehen, niemals fehlten dabei Gallensteine, und die in den meisten 
dieser Fälle jahrelang zurückdatirenden Gallensteinbeschwerden 
machen cs mir in hohem Grade wahrscheinlich, dass die Gallen¬ 
steine das Primäre waren und erst sekundär der Krebs auf¬ 
trat. Mir will es scheinen, als ob das Carcinom der Gallenblase 
und Gallengänge überhaupt jetzt häufiger vorkommt als früher, 
jedoch bin ich nicht in der Lage, diese Annahme durch genaue 
statistische Unterlagen sicher zu stellen. Die Sache selbst ist 
übrigens längst bekannt. Courvoisier fand in 84 Fällen 
von Gallenblasenkrebs 74 mal Konkremente. Brodowski hat 
sie in 40 Fällen niemals vermisst, und N a u n y n sucht in der 
Cholelithiasis fast ausschliesslich die Ursache zu jenen malignen 
Neubildungen. 

Dreimal fand ich bei meinen Sektionen Carcinom der 
Papilla duodenalis (und gleichzeitig Konkremente in der Gallen¬ 
blase), vielleicht weil hier der Reiz eines andrängenden Steines 
am intensivsten auftrat und am längsten anhielt. 

Bezüglich der Aetiologie der Gallensteinkrankheit tragen 
meine Beobachtungen nichts zur Klärung der noch vorliegenden 
Streitfragen bei. Ob z. B. die Gallensteinkrankheit erblich ist 
oder nicht, vermag ich nicht zu sagen. Zuweilen geben die 
Kranken an, dass in ihrer Familie öfters Gallensteinkoliken vor¬ 
gekommen seien, aber bei der Häufigkeit des Vorkommens dieser 
Krankheit lässt sich aus solchen Angaben nichts schliessen. 
Ebensowenig vermag ich zu sagen, ob Gicht und Fettleibigkeit 
zur Bildung von Gallenkonkrementen disponiren, wie das be¬ 
hauptet worden ist. Dass Gallensteine mit zunehmendem Alter 
immer öfter Vorkommen, ebenso bei Frauen viel häufiger als bei 
Männern ist eine bekannte Sache, ebenso ist die Annahme wohl 
gerechtfertigt, dass die sitzende Lebensweise und die feste Klei¬ 
dung (Schnürleib und Rockbänder) die Entstehung der Gallen¬ 
konkremente beim weiblichen Geschlecht begünstigen. 

Was die chirurgische Behandlung der Gallensteinkrankheit 
anlangt, so habe ich bereits oben meinen Standpunkt gekenn¬ 
zeichnet und mich gegen das allzu rasche und frühzeitige Ope- 
riren ausgesprochen, wie es von manchen Chirurgen empfohlen 
und wohl auch geübt wird. Aber ich möchte nicht falsch ver¬ 
standen sein. Die Auffassung einzelner Chirurgen, nach der 
schon „in einem einzigen erfolglosen Anfalle ohne Ikterus die 
Indikation zum Operiren gegeben ist“, theile ich allerdings nicht, 
noch weniger die Ansicht, dass die Diagnose „Gallenstein“ allein 
schon die „Vornahme der Operation“ indizirt; aber ich stehe 
auch nicht auf dein Standpunkte derjenigen Aerzte, die „nur bei 
Vitalindikation einen chirurgischen Eingriff“' zulassen wollen! 
In medio veritas! Wenn die Kolikschmerzen und Incnrcerations- 
ersclieinungen immer wiederkehren und Steine in den Dejek- 
tionen nicht gefunden werden; wenn der Kranke abmagert und 


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1696 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


herunterkommt; wenn er immer wieder an der Ausübung seiner 
Berufsthätigkeit behindert wird; wenn die Mittel, welche uns die 
innere Medicin an die Hand gibt, erschöpft sind, dann ist 
meiner Meinung nach die Operation allerdings indizirt. 
Ja ich bin der Ansicht, dass man mit der Vornahme der¬ 
selben nicht allzu lange zögern soll. Wir müssen bei Behand¬ 
lung unserer Kranken immer der allgemeinen Erfahrung ein¬ 
gedenk sein, dass die Situation der an Gallensteinen Leidenden 
von dem Augenblicke an, wo der Stein die Gallenblase verlässt, 
eine viel ernstere, der Zustand ein bedenklicher wird. Wir müssen 
stets daran denken, dass die Gefahr der Entwicklung eines Carci- 
noms der Gallenwege um so grösser ist, je länger der Stein seinen 
Reiz auf die Gallenblase ausübt; wir müssen ferner uns stets an 
die günstigen Resultate erinnern, die durch die Operation, so 
lange die Steine in der Blase liegen, erzielt werden (nur 1,5 Proc. 
Mortalität — Kehr). Die Operation ist ferner indizirt bei 
Hydrops vesic. felleae, wenn nachgewiesen werden kann, dass 
die Flüssigkeitsansammlung zunimmt und der Kranke heftige 
Schmerzen dabei empfindet. 

Forner soll operirt werden, wenn man Grund hat, anzu¬ 
nehmen, dass es sich um eiterige Cholecystitis handelt, da bei 
dieser die Gefahr der Allgemcininfektion mit jedem Tage wächst. 
Ebenso wenn Erscheinungen von Peritonitis auftreten, die Per¬ 
foration befürchten lassen, oder wenn schwere Erscheinungen 
(Schmerzen) vorhanden sind, die für das Vorhandensein von Ver¬ 
wachsungen der Gallenblase und Gallengänge mit der Umgeburf^ 
sprechen. Endlich ist der chirurgische Eingriff indizirt, wenn 
ein dauernder Verschluss des Ductus choledochus besteht. 

Diese Indikationen, die auch von anderer Seite in ähnlicher 
Weise aufgestellt und anerkannt werden, können im Allge¬ 
meinen als Richtschnur für unser therapeutisches Handeln bei 
der Gallensteinkrankheit dienen. Immer aber werden noch Fälle 
übrig bleiben, in denen es sowohl für den Chirurgen, als auch 
für den Internisten sehr schwer fällt, eine präzise Diagnose zu 
stellen und die Frage zu entscheiden, ob ein operativer Eingriff 
gewagt werden soll oder nicht. Und in solchen Zwcifelsfälleu 
kann ich den Kollegen nur rathen, bei ihrer Entschliessung der 
schönen Worte unseres Altmeisters Sydenham eingedenk zu 
sein, die er am Abende seines Lebens von sich sagen konnte: 

Aegrorum nemo a me alias tractatus est, 
quam egomet tractari cupercm, si mihi ex 
iisdem morbis aegrotare contingeret. 


Ueber die Behandlung des erschwerten Decanule- 
ments in Folge von Granulombildung nach Intubation 
und sekundärer Tracheotomie.*) 

Von H. v. Ranke. 

M. H.! Nach dem veröffentlichten Programm der dies¬ 
jährigen Tagung der Gesellschaft für Kinderheilkunde, sollte ich 
über die Behandlung des, glücklicher Weise seltenen, narbigen 
Kehlkopf Verschlusses nach Intubation und sekundärer Tracheo¬ 
tomie eine Mittheilung machen. 

Im Laufe der vielen Jahre, seitdem ich das Intubations¬ 
verfahren anwende, habe ich 6 derartige Fälle zu Gesicht be¬ 
kommen, aber erst in letzter Zeit habe ich begonnen. Versuche 
anzustellen, den narbigen Kehlkopfverschluss durch systematische 
Behandlung zu beseitigen. 

Vorher hatte ich nur versucht, die Narbenkontraktion, zu 
welcher wohl stets eine Tendenz angenommen werden muss, wenn 
Decubitalgeschwüre in der Gegend des Ringknorpels die Indi¬ 
kation zur Tracheotomie gegeben hatten und dann der Kehlkopf 
durch Einführung der Trachealkanüle für längere Zeit ausser 
Funktion gesetzt wird, dadurch zu verhüten, dass ich die 
Durchgängigkeit des Kehlkopfes durch probeweise, inter- 
mittirende Intubation aufrecht zu erhalten suchte. 

Wenn aber, ehe ich diese Vorsicht gebrauchte, und später trotz 
dieser Vorsicht, narbiger Kehlkopf Verschluss dennoch eingetreten 
war, so hatte ich bisher dieses Ereigniss mehr im Lichte eines 
unglücklichen aber nicht mehr zu ändernden Geschickes be¬ 
trachtet, während es mir jetzt scheint, dass das schwere Leiden 

*) Vortrag, gehalten in der Sektion für Kinderheilkunde auf 
der Xaturforscherversainmlung zu Hamburg. 


in vielen, wenn nicht den meisten Fällen durch geeignete Be¬ 
handlung doch wieder beseitigt werden kann. 

Ich hatte nun gehofft, heute schon über definitive Heilungs¬ 
resultate berichten zu können. Die Behandlung meiner Fälle 
hat sich aber mehr in die Länge gezogen, als ich Anfangs er¬ 
wartet hatte, so dass ich cs vorziehe, anstatt Ihnen etwas Un¬ 
fertiges vorzutragen, die Besprechung dieses Themas auf eine 
nächste Gelegenheit zu verschieben und, anstatt dessen, über einen 
nahe verwandten Gegenstand zu sprechen, nämlich über die Be¬ 
handlung von Stenoseerscheinungen, welche zuweilen, glücklicher 
Weise ebenfalls sehr selten, nach Intubation und sekundärer 
Tracheotomie in Folge von Granulombildungen 
in Kehlkopf oder Trachea veranlasst werden. Es gehört dieses 
Vorkommniss eben auch zu jenen schlimmsten Chikanen, wenn 
ich mich dieses Ausdruckes bedienen darf, die uns treffen können, 
wenn wir, nach den Wechselfällen der Intubation und Tracheo¬ 
tomie, das Leben eines Kindes schon gerettet zu haben glauben 
und nun im letzten Moment noch auf Schwierigkeiten stossen, 
die den ganzen Erfolg unserer Behandlung in Frage stellen. 

Bekanntlich sind Granulationswucherungen nach primärer 
Tracheotomie, besonders nach der oberen Tracheotomie (Kriko- 
tomie und lvrikotracheotomie), von der Schnittwunde aus, im 
Innern der Luftwege, keine Seltenheit und bilden die häufigste 
Ursache für erschwertes Decanulement. 

Ich hatte, wie die Aelteren von Ihnen sich erinnern werden, 
im Jahre 1890 in der Festschrift für Henoch, eine Arbeit ver- 
eröffentlicht unter dem Titel: „Intubation des Kehlkopfes bei 
erschwertem Decanulement nach Tracheotomie“ und dort aus 
dem Jahre 1887 einen Fall von Granulombildung nach Tracheo¬ 
tomie mitgetheilt, in welchem die verschiedensten Maassnahmen 
von laryngologischer sowohl als von chirurgischer Seite, ein¬ 
schliesslich der Laryngofissur, nicht zum Ziele geführt hatten, 
während die O’D w y e Psche Intubation durch den andauernd 
gleichmässigen Druck der Tube auf die im Kehlkopf wuchernden 
Granulationen ein baldiges Schwinden der letzteren und dauernde 
Heilung herbeigeführt hatte. 

Ich machte damals darauf aufmerksam, dass überhaupt die 
hauptsächlichsten Ursachen, welche sich der definitiven Ent¬ 
fernung der Trachealkanüle entgegenstellen, als: Granulations¬ 
wucherungen, Narbenstenosen, Schwellung und Verdickung der 
Kehlkopfschleimhaut im Bereiche des Ringknorpels, die sogen. 
Chorditis inferior, Gewohnheitsparese und endlich noch die so 
oft vorkommende Angst vor der Kanülenentfernung, am besten 
durch Intubation überwunden werden können. 

Ich darf heute wohl sagen, dass die allgemeine Erfahrung 
mir hierin Recht gegeben hat. 

Es kommt nun aber zuweilen auch nach Intubation 
und sekundärer Tracheotomie in Folge von Granulations¬ 
wucherungen zu Stenoseerscheinungen, indem sich nicht nur 
von der Tracheotomiewunde, sondern zuweilen auch von Stellen 
aus, an welchen die Schleimhaut, sei es des Kehlkopfes oder der 
Trachea, durch die Tube lädirt war, Granulome bilden können. 

Dass Granulombildungen nach der oberen Tracheotomie viel 
häufiger beobachtet werden als nach der unteren, ist eine be¬ 
kannte Tliatsache. 

Da ich nun seit vielen Jahren nur die untere Tracheo¬ 
tomie ausführe und ausführen lasse, sollten schon aus diesem 
Grunde unter meinen Patienten, von der Tracheotomiewunde 
aus nur selten Granulome Vorkommen; dass andererseits 
Schleimhautverletzungen durch die Tube eine sehr seltene Ur¬ 
sache für Granulombildung sind, geht ziffemmässig daraus her¬ 
vor, dass ich in dem 11 jährigen Zeitraum von 1890 bis incl. 1900 
unter mehr als 900 intubirten Kindern nur 5 Fälle von Granulom¬ 
bildung nach Intubation und sekundärer Tracheotomie beobachtet 
habe. 

Das Alter der Patienten betrug lVs bis 5% Jahre. 

Von diesen 5 Fällen wurden 3 geheilt entlassen, während 
2 starben. 

In dem ersten tödtlich verlaufenen Fall hatte eine kompli- 
zirende infektiöse Gastroenteritis die kleine Patientin auf das 
Aeusserste erschöpft. Bei der Sektion wurde in dem rechten 
Ventriculus Morgagni noch eine kleine polypöse Wucherung ge¬ 
funden. 

Der zweite tödtliche Fall endete durch tuberkulöse Pneu¬ 
monie und Miliartuberkulose, nachdem Pat. bereits 6 Wochen 
lang vor seinem Tode ohne Tube und ohne Kanüle frei geathmet, 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


22. Oktober 1901. 


1697 


also von seinem ursprünglichen Leiden, den Granulationswuche¬ 
rungen, geheilt war. Wie die Sektion erwies, hatte dieser Pat. 
im Kehlkopf kein Granulom mehr, wohl aber ein Geschwür, an 
dessen Rändern sich offenbar früher die Granulome gebildet 
hatten. 

Ich lasse nun die Krankengeschichten dieser Fälle folgen, 
bei denen besonders das gegenseitige Verhältniss 
von Intubation und Tracheotomie und das Zu¬ 
sammenwirken der beiden Methoden, um Hei¬ 
lung zu erzielen, von Interesse sein dürfte. 

1. Fall. Rosa W., 5 Jalire alt, erkrankte am 5. X. 1895 au 
Rachen- und Kehlkopfdiphtherie. In die Klinik aufgeuommen 
7. X.; erhielt eine Injektion von Behring III und musste sofort in- 
tublrt werden. Die bakteriologische Untersuchung ergab Diph¬ 
theriebacillen in Reinkultur. 

14. X. Die Tube war seit der Aufnahme täglich Morgens 
herausgenommen worden, um zu prüfen, ob Pat. dieselbe ent¬ 
behren könne. Pat. kann es aber ohne Tube nicht nur nicht aus- 
linlten, sondern die Pausen zwischen Extubation und Reintuba- 
tion werden immer kürzer. T. 39 u . Heute, kurze Zeit nach Heraus¬ 
nahme der Tube, ein Anfall von Asphyxie mit Cyanose und Be¬ 
wusstlosigkeit; der Anfall wich erst einige Zeit nach Wieder¬ 
einführung der Tube und künstlicher Athmung, indem Pat. unter 
convulsiven Zuckungen wieder zu sich kommt. Leichte Albu¬ 
minurie. Die Gesammtintubationsdauer beträgt 122y a Stunden. 
Tracheotomia inferior. 

29. X. Die Kanüle wird probeweise entfernt und, um die 
Durchgängigkeit des Kehlkopfs zu prüfen, die Tube wieder ein¬ 
geführt. Eine Stunde nach Herausnahme der Tube ein noch¬ 
maliger Anfall von Asphyxie, wesshaib die Trachealkanüle sofort 
wieder eingeführt wird. 

1. XI. Durch einen Hustenstoss wird ein linsengrosses 
Granulom herausgeschleudert. 

17. XII. Probeweise Einführung der verkorkten Spreeh- 
kanüle, die schlecht vertragen wird. Im Fenster derselben bleibt 
eine Granulationswucherung hängen, darauf Wieder¬ 
einführung einer gewöhnlichen Kanüle. 

30. XII. Heute bleibt nochmals im Fenster der Sprechkauüle 
eine Granulationswucherung hängen. Darauf wird 
die verkorkte Sprechkauüle 24 Stunden ohne Anstand vertragen. 

1. I. 1896. Kanüle entfernt, Verband; die Athmung bleibt frei. 

11. I. Geheilt entlassen. 

2. Fall. Josefa W., 3 Jahre 4 Monate alt, erkrankte am 

24. XI. 1898 an Diphtherie; seit 20. XI. heiser und dyspnoisch. 
Am 27. XI. in die Klinik aufgenommen. Erhielt Behring III. 
Die bakteriologische Untersuchung ergab Diphtheriebacilleu, 
Strepto- und Staphylococcen. 

27. XI. Wegen starker Dyspnoe sofortige Intubation. Wie 
bei dem ersten und allen folgenden Fällen, wurde täglich Morgens 
die Tube herausgenommen, um zu prüfen, wie lange Pat. ohne 
Tube athmen kann. Bei eintretender Dyspnoe wird die Tube 
wieder eingeführt. 

2. XII. Nach 92 VI» stündiger Intubation kann heute die Tube 
entbehrt werden. 

3. XII. Athmung zwar ohne wesentliche Beschwerde, doch 
noch nicht vollkommen frei. 

7. XII. Wieder starke Einziehungen, so dass intublrt werden 
muss. Kind sehr elend, Rachen frei, der Harn enthält Eiweiss. 

10. XII. Die Extubation wird jetzt immer nur kurz ver¬ 
tragen. Gesammt-Intubationsdauer bereits 162 Stunden, wesshaib 
heute die Tracheotomie (Trach. iuf.) gemacht wird. 

20. XII. Die verkorkte Sprechkanüle wird 13 Stunden er¬ 
tragen, Kind hat Stimme. 

21. XII. Ein ca. 3 mm langes und 1,5 mm breites 
Granulom, das beim Husten in der Wunde zum Vorschein 
kommt, wird mit der Pincette gefasst und entfernt. Darauf wird 
auch die Kanüle weggelassen. 

22. XII. Wunde schon fast ganz geschlossen, Athmung jedoch 
noch geräuschvoll, wenn auch ohne Dyspnoe. 

27. XII. Befinden gut. Kind munter, Temp. normal. Wunde 
völlig geschlossen; bei der Inspiration aber noch immer Stridor. 

29. XII. Die Luft dringt wieder schlechter ein, wesshaib 
auf’s Neue intublrt werden muss. 

1. I. 1899. Jetzt wird die Extubation jedesmal kaum V4 Stunde 
ertragen und die neue Intubationsdauer beträgt schon wieder 
45% Stunden. Ich vermuthe das Vorhandensein eines weiteren 
Granuloms und entschliesse mich zur nochmaligen Tra¬ 
cheotomie. 

9. I. Ohne dass in der Zwischenzeit die Ausstossung eines 
weiteren Granuloms beobachtet worden wäre, wird jetzt die 
Sprechkanüle 24 Stunden gut vertragen. 

10. I. Kanüle entfernt, Athmung geräuschlos und frei. 

16. I. Geheilt entlassen. 

3. Fall. Josefa Tr., 4 Jahre alt, am 1. I. 1898 an Diphtherie 
erkrankt; am 13. I. Athembeschwerdeu. 14. I. In die Klinik auf¬ 
genommen. Behring III; sofortige Intubation; durch die Tube 
eine 2 cm lange Diphtheriemembran ausgehustet; Rachen frei; 
starke Albuminurie. Bakteriologischer Befund: Diphtheriebacilleu 
und Streptococcen. 

20. I. Seit gestern früh ohne Tube. 

24. I. Geheilt entlassen. 


Dieses Kind erkrankte am 6. II. 1898 an einem Diphtherie- 
Recidiv. 

9. II. Mit starken Stenoseerscheinungen in die Klinik auf¬ 
genommen und sofort intubirt. Harn schwach eiweisshaltig. Die 
bakteriologische Untersuchung ergibt wieder Diphtheriebacilleu 
und Streptococcen. 

12. II. Nach Entfernung der Tube wird eine grössere Menge 
dicken eiterigen Sekrets entleert. Die Extubation wird nur 
\\ Stunde ex-tragen, darauf plötzliche Athemnoth und Cyanose. 
Erneute Intubation; Rachen frei, zahlreiche gross- und mittelgi’oss- 
blasige Rasselgeräusche: diffuse Bronchitis. 

14. II. Da die Extubation noch immer nicht vertragen wird, 
Gesammt-Intubationsdauer 95 Stunden, Tracheot. inf. 

15. II. Sehr viel eiteriges Sekret durch die Kanüle ausge¬ 
hustet. 

16. II. Kanüle in ihrem unteren Drittel stark beschlagen; 
es wird noch immer viel eiteriger Schleim ausgehustet, über den 
Lungen nirgends Dämpfung, verbreitete Rasselgeräusche. 

17. II. Beim Kanülenwechsel entleeren sich ca. 15 ccm 
eiterigen, übelriechenden Sekretes: Putride Bronchitis. 

18. II. Beim Kanülen Wechsel wiederum etwa 1 Kinderlöffel 
voll stinkenden Eiters aus der Wunde entleert. 

22. II. Auch bei liegender Kanüle leichte Stenoseerscheiu- 
ungen. geringe Albuminurie. 

25. II. Seit gestern ohne Kanüle. Athmung noch immer 
etwas mühsam. 

26. II. Wegen zunehmender Athemnoth wieder intubirt. 

1. III. Die Extubation wird nur kurz vertragen; Tracheal- 
wunde noch in der Dicke eines dünnen Bleistiftes offen. 

3. III. Da die Extubation andauernd nur ganz kurze Zeit 
vertragen wird, Wiedereinführung der Tracheotomlekanüle, da¬ 
rauf Athmung ohne Beschwerden. 

7. III. Kanülenwechsel. Nach Herausnahme der Kanüle 
starker Husten und Athemnoth und Einziehung der Wundränder, 
dann Aushusten eines kaum mehr als stecknadelkopf- 
grossen Granuloms. Nach Wiedereinführung der Kanüle 
ruhiges Athmen. 

9. III. Beim Kanülenwechsel ein linsengrosses Gra¬ 
nulom ausgehustet. 

14. III. Wieder ein pfefferkorngrosses Granu- 
1 o m ausgehustet. 

28. III. Die verkorkte Sprechkanüle wird nur kurze Zeit 
vertilgen. 

30. III. Bei Einfühlung der Kanüle wird eine aus Gra¬ 
nu latlonsge webe bestehende flache Masse aus- 
geliustet. 

2. IV. Pat. trügt den ganzen Tag die verkorkte Sprechkauüle 
ohne erhebliche Beschwerden. Sprache laut und deutlich. Allge¬ 
meinbefunden gut, Temperatur normal. 

4. IV. Gestern früh Kanüle entfernt. Heute Athmung wieder 
so erschwert, dass Kanüle nochmals eingeführt werden muss; 
darauf Athmung ruhig. 

7. IV. Starke Schleimsekretion. Die Sprechkanüle wird nur 
kurze Zeit vertragen. Nachmittags starke Athemnoth und Cyanose. 
Mit der Pincette gelingt es, einige Fetzen Granula¬ 
tion » r e xv c b e aus der Wunde hei’auszuholen, darauf Athmung 
wieder frei; Stimme laut und rein. 

14. IV. Seit 48 Stunden ohne Kanüle, Athmung jedoch nicht 
ganz frei. 

18. IV. Mehrere Erstickungsanfälle; Athmung besonders 
während des Schlafes, aber auch in wachem Zustande, von einem 
lauten, pfeifenden Geräusch begleitet; Husten bellend; ziemlich 
starke Einziehungen, Ti'achealwunde fest geschlossen. 

30. IV. Während der letzten Tage Athmung etwas besser; 
nur im Schlnfe zuweilen noch das inspiratorische Pfeifen hörbar. 

11. V. Erbrechen, grosse Mattigkeit, Temperatur 39,8. 

12. V. Athmung erschwert, stäi-kere Einziehungen und Cya¬ 
nose. Nochmalige Intubation, dann Athmung freier. Milz ver- 
grössert, dünne Stühle: Infektiöse Gastroenteritis. 

14. V. Zunehmende Mattigkeit, Athmung bei liegender Tube 
besser; diffuse, grossblasige, feuchte Rasselgeräusche. 

15. V. Nachdem schon gestern einmal die Tube ausgehustet 
woi’den war, worauf, bis dieselbe wieder eingeführt werden 
konnte, starke Cyanose eintrat, wurde heute die Tube nochmals 
ausgehustet; darauf nach wenigen Sekunden Herzstülstand und 
Exitus letalis. 

Sektionsbefund: Glottisoedem, Stenose und Ulceration des 
Larynx unterhalb der Stimmbänder; in der Nische zwischen 
rechtem wahren und falschen Stimmband eine kleine polypöse 
W ucherung. Stauungshyperaemie beider Lungen, Milztumor, 
Stauungsleber, Schwellung der Mesenterialdrüsen, entzündliche 
Hyperaemie des Dünn- und Dickdarmes. 

4. Fall. Johann Z., 1% Jahre alt, erkrankte am 9. IX. 1899 
an DIphth. fauc. et laryngis. 

11. IX. in die Klinik aufgenommen, Behring III, wegen 
hochgradiger Dyspnoe sofort intublrt. Bakteriologischer Befund: 
Diphtheriebacilleu, Strepto- und Staphylococcen. 

12. IX. Die Tube wird öfter ausgehustet. Unmittelbar nach 
dem Ausstossen der Tube wird einmal eine ca. 3 cm lauge Croup¬ 
membran ausgehustet, darauf wesentliche Erleichterung der Ath¬ 
mung für mehrere Stunden. 

16. IX. Die Tube wird täglich Morgens entfernt, muss aber 
stets wegen zunehmender Dyspnoe noch wenigen Stunden wieder 

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1698 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


eingefülirt werden. Heute trat zum ersten Mal die Athem- 
uotb sehr plötzlich ein. 

22. IX. Patient entbehrt die Tube ohne Beschwerde. 

25. IX. Athmet bereits 3 mal 24 Stunden ohne Tube. Nur 
wahrend des Schlafes Respiration noch etwas erschwert. 

I. X. Patient macht bereits Gehversuche, ist aber noch sehr 
matt. Stimme noch heiser. 

10. X. Ohne erkennbare Ursache seit letzter Nacht wieder 
stärkere Athembeschwerden. Gegen Abend nimmt die Dyspnoe 
einen so bedrohlichen Charakter au, dass Patient wieder intubirt 
werden muss. Die Tube liess sich leicht elnführen und brachte 
sofortige Erleichterung. 

II. X. Die Tube konnte nur 1 Stunde entbehrt werden, dann 
trat wieder plötzlich Dyspnoe ein. 

13. X. Da die Tube andauernd nur immer einige Minuten 
entbehrt werden kann und dann plötzlich hochgradige Dyspnoe 
auf tritt: Tracheotomie (inf.). Athinung darauf ruhig und aus- 
giebtg. 

20. X. Seit dem 17. wurden tägliche Versuche mit der Sprech- 
kaniile gemacht, dieselbe musste jedoch stets nach kurzer Zeit, 
wegen starker Athemnoth, wieder entfernt werden. Die heute 
probeweise vorgenommene Intubation lässt den Kehlkopf wieder 
als frei durchgängig erkennen. 

28. X. Bei Herausnahme der Sprechkanüle, die nur wenige 
Minuten vertragen wurde, bleibt in dein Fenster der Kautile ein 
ea. knffeeboli neugrosses Granulom hängen. 

30. X. und 2. XI. Probeintubation, Kehlkopf frei durch¬ 
gängig. 

9. XI. Nach der gestern vorgenommenen Probeintubation, 
die den Kohlkopf wieder frei durchgängig erwiesen hatte, wird 
die Trachealkanüle weggelassen. Patient athmet seitdem frei und 
ausgiebig ohne Kanüle. 

12. XI. Nachdem Patient 3 Tage lang ohne Tube und Kanüle 
gonthmet, trat in der letzten Nacht wieder Dyspnoe ein. so dass 
man gezwungen war, nochmals zu intubiren. Die Tube wird mehr¬ 
mals ausgehustet, worauf Immer rasch Dyspnoe sich einstellt; 
es wird daher die bereits in der Vernarbung weit vorgeschrittene 
Tracheotomiewuude nochmals eröffnet (unter leichter Chloroform¬ 
narkose, Granulationen mit dem scharfen Löffel ausgekratzt; ln 
den tieferen Partien war noch keine Vernarbung eiugetreten) und 
die Trachealkanüle wieder eingeführt. 

15. XI. Die gestern eiugeführte, verkorkte Sprechkanüle 
wurde 23 Stunden ohne Beschwerden ertragen. Beim HeTaus- 
ziehen derselben blieb im Fenster wieder ein bohuen grosses 
Granulom hängen, darauf Athmung ruhig und ausreichend. 
Kanüle weggelassen. 

IG. XI. Wegen wieder eintretender Athemnoth muss die 
Kanüle nochmals elngeführt werden. 

18. XI. Kanüle weggelassen. 

12. XII. Nachdem Patient seit dem 18. XI. zufriedenstellend 
geathmet hatte, die Stimme aber noch vollkommen heiser ge¬ 
blieben war, stellte sich heute Nacht, ohne besondere Vorboten, 
derartig plötzliche Athemnoth ein, dass Patient sofort intubirt 
werden musste, worauf alle Beschwerden nachllessen. 

14. XII. Patient athmet ohne Tube und ohne Kanüle. Ein 
Stickanfall, wie der oben erwähnte, ist nicht wieder aufgetreten. 

23. XII. Keine Anfälle von Athemnoth mehr. 

1. I. 1900. An Stelle der Trachealwunde besteht eine Fistel, 
welche wenig serösen Eiter secernirt. 

7. I. Auftreten von Koplik; Verlegung auf die M a s ern¬ 
st a 11 o n. 

8. I. Auftreten des Masernexanthems, mässige Conjunctivitis 
und Bronchitis. 

17. I. Die Sekretion aus der Trachealflstel hat zugenommen; 
keine Steuosenerscheinungen. 

20. I. Ueber beiden Oberlappen hinten Dämpfung; Ath- 
mungsgeräusch hauchend, bronchial. 

20. I. Athmung unregelmässig, mit ausgesprochenen Athem- 
pauscn, Puls unregelmässig: Miliartuberkulose. 

28. I. Exitus letalis. 

Anatomische Diagnose: Tuberkulöse, käsige Pneumonie. 
Peribronchitis und Bronchiektasie, putride Bronchitis. Verkäsung 
der perlbronchialen Lymphdrüsen. Miliartuberkulose, Pleuritis, 
Dilatation des rechten Ventrikels. Miliartuberkulose in Leber und 
Milz; beginnende Verkäsung einzelner Darmfollikel. Beginnende 
parenchymatöse Nephritis. Im Kehlkopf, in der Gegend des 
1. Stimmbandes, ein etwa bohnengrosses Geschwür, mit höcke¬ 
rigem Grunde und höchst unregelmässigen Rändern. 

5. Fall. Edmea B., 5 y a Jahre alt, erkrankte am 22. II. 1900 
an Diphtherie. In die Klinik aufgenommen 24. II. Dlphth. fauc. 
et laryngis. Starke Dyspnoe und Cyanose, so dass sofort intubirt 
werden musste. Behring III. Bakteriologischer Befund: Diph¬ 
theriebacillen in Reinkultur. 

28. II. Seit der Aufnahme wurde die Tube täglich einmal 
herausgenommen und musste stets nach kurzer Zeit wieder ein¬ 
geführt werden. 

1. III. Morgens extublrt. Athmung noch etwas stenotisch; 
vollkommene Heiserkeit. Reintubation Abends 9 Uhr. 

2. III. Die Tube weist oberhalb der Bauchanschwellung 
2 seitlich sitzende, ltnsengrosse Flecken auf. 

3. III. Tube auch heute stark beschlagen, kann nur kurze Zelt 
entbehrt werden. 11 Uhr Vorm. Tracheotom. inf. 

7. III. Erster erfolgloser Versuch mit der Sprechkanüle. 


11. III. Da die Luft nur in sehr geringem Maasse durch den 
Kehlkopf geht, wird Patient auf 3 Stunden intubirt. Die Tube ist 
nach Herausnahme wieder deutlich beschlagen. 

13. III. Die Einführung der Tube gelingt leicht, ohne jedes 
Hindern iss. 

15. III. Die Anwendung der Sprechkanüle wird noch nicht 
vertragen, worauf, stets wieder die ungefenBterte Kanüle ein- 
geführt wird. 

21. III. Aushusten mehrerer Granulome beim Ka- 
nülenwecli8el. 

24. III. Kind kann mit der Sprechkanüle phonlren, ertrügt 
dieselbe jedoch nur kurze Zeit ohne cyanotisch zu werden. 

29. III. Die Sprechkanüle wird noch immer nicht vertragen, 
obgleich die Tube ohne Hinderniss den Kehlkopf passirt 

8. IV. Es werden wieder mehrere kleine Granu¬ 
lome aus der Trachealwunde ausgehustet. 

9. IV. Bei liegender Trachealkanüle wird Morgens auch die 
Tube eingeführt und letztere 24 Stunden liegen gelassen. 

10. IV. Extubation und Versuch mit der Sprechkanüle, welche 
jetzt schon etwas länger vertragen wird als früher. 

11. IV. In den letzten Tagen wurden abermals mehrere 
Granulome ausgehustet. Dieselben scheinen sämmtlich in der 
Umgebung der Trachealwunde zu sitzen und werden meist durch 
die scharfen Ränder des Fensters der Sprechkanüle weg¬ 
genommen. 

16. IV. Jeden Tag Versuche mit der Sprechkanüle; heule 
hielt Pat. schon 10 Stunden mit derselben aus. Abends wieder 
Intubation und Einführung der gewöhnlichen Kanüle. 

19. IV. Heute wird nur während der Nacht intubirt, die 
Kanüle bleibt weg. 

20. IV. Kanüle wieder eingeführt; Abends Intubation. 

27. IV. Während der letzten Tage war Patient stets in der 
Nacht intubirt, am Tage frei, ohne Tube und ohne Kanüle. Die 
Trachealwunde hat sich bereits grossentheils geschlossen. 

1. V. Seit 27. IV. war das Kind nicht mehr intubirt Athmung 
mühelos, auch in der Nacht. Stimme schon wieder ziemlich gut, 
zeigt nur noch leichte Rauhigkeit. 

10. V. Trachealwunde vollkommen geschlossen. Athmung 
frei und ungehindert Stimme gut 

15. V. Gehellt entlassen. 


Das fernere Schicksal der überlebenden tracheo- 
tomirten und intubirten Kinder.*) 

Von Privatdocent Dr. Trum pp in München. 

In einer Mittheilung „Predispositions tuberculeuses“ auf 
dem Tuberkulose-Kongress zu Berlin im Mai 1899 äusserte sich 
Prof. L. Landouzy - Paris wie folgt: „Ebenso steht es, gegen¬ 
über dem bacillären Contagium, mit der Empfänglichkeit von 
ehedem wegen diphtherischen Croups tracheotomirten Kindern, 
von denen wenige das Mannesalter erreichen. Beweis dafür ist, 
dass unter den Erwachsenen, die sich zur militärärztlichein Unter¬ 
suchung stellen, sich nur ausnahmsweise solche befinden, deren 
Hals die Spuren einer ehedem ausgeführten Tracheotomie auf¬ 
weist. Das mag — in Beziehung mit tuberkulöser Ansteckung 
gebracht — daher kommen, dass wahrscheinlich auf der im Be¬ 
reich der Narbe des Endothelium beraubten Schleimhaut die ab¬ 
wehrende Wirksamkeit der Phagocyten aufgehoben ist, und nun 
der Koch’sche Bacillus vom Ex-Tracheotomirten mit dem Staube 
eingeathmet unterhalb des Kehlkopfes weniger Widerstand für 
seine Entwicklung und Fortwanderung findet und so bis in die 
Bronchien und Alveolen vordringt. 

An welche Art der Krankheitsentwicklung man auch immer 
denken mag, um es zu erklären, dass wegen Croup ehedem 
Traclieotomirtc von der Schwindsucht befallen nicht oft das 
20. Lebensjahr erreichen, die Thatsaclie behält ihren ganzen 
Werth und zeigt, dass die Tracheotomie, indem sie im mensch¬ 
lichen Organismus den Grund zur Tuberkulose legt, auch ihrer¬ 
seits erworbene Disposition schafft.“ 

Die Behauptung Landouzy’s ist an und für sich in 
plausibler Form auf gestellt, allein sie scheint doch von vorne- 
herein allen unseren Erfahrungen aus der Praxis zu wider¬ 
sprechen. Immerhin ist damit eine interessante und für die 
operative Larynxbehandlung recht wichtige Frage aufgeworfen. 
Wir dürfen uns eben nicht damit begnügen, unseren Patienten 
momentan das Leben zu retten, wir müssen uns auch darüber 
klar sein, ob ein vorzunehmender operativer Eingriff keine 
bleibenden Nachtheile für das betreffende Individuum mit sich 
bringen kann. 

*) Vortrag, gehalten auf der 73. Versammlung Deutscher 
Naturforscher und Aerzte, Abtheilung für Kinderheilkunde, Ham¬ 
burg, 24. September 1901. 


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D2. Oktober 1901. M IIF'NC l! KN' KU MKDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


1699 


Jeder ältere Arzt behält eine Anzahl von ehedem Trachco- 
lomirten im Auye, die oline irgendwelche iilde Folgeerschei¬ 
nungen aufzuwei^en. gesund. kräftig und bi.-tung .fähig heran- 
waehsen. Die grosse Mehrheit der Operirten aber verschwindet, 
im Strom des i.eh n •. wir tvi’-M n nicht; mehr über ihr ferneres 
Schicksal an/nuebi n. 

Eine für Praxis und Wissenschaft brauchbare Bestätigung 
oder Verwertung der I. a u d o u z vielten BehnupUmg können 
wir nur dann nusspivch« n. wenn wir über das Schicksal ganzer 
Gruppen in einem bestimmten Zeiträume, womöglich während 
ein und der.'elben Epidemie, opm-irter und geheilt entlassener 
Patienten Erkundigungen ( in/ii h- n. Dem Resultate dieser 
l "i-chum.r wird besonders in einer solchen kram* um so mehr 
Ikdeiitumr b: izume.-sen s» in. je umfangreicher das Material ist. 

Was ich nun in dieser Sache in dem kurzen Zeiträume von 
i I Monaten eruiren konnte, i.-t \vrbältni.--mä-sig wenig, aber 
doch vielleicht interessant geniir, um verötfentlieht, zu werden. 

Ich wandte mich zunächst- an die obersten militärärztlichen 
IBehörden in München und erwirkte durch die überaus gilt i ge 
Vermittlung tler (leneralslabsiirzte der bayerischen Armee, Ex¬ 
cel buz v. Vo jr 1 und Dr. 1» e s t C 1 in ey e r, dass bei den Iie- 
krutenunter tmlnuigcu im Köniereieh Bayern auf das Vor¬ 
kommen von Leuten mit Traehcotomicnarben und auf die alb n- 
fallsig»; Dietistc-tauglichkeit b<zw. Untaiiglichkeit dieser Leute 
gi achtet wurde. 

Es wurde mir über die dii -heziigl. Beobachtungen mit Ge¬ 
nehmigung des Herrn Krit gsministers Folgendes mitfretheih: 

..Von siimm* liehen Wrhrplliehi igen d-s Jahrgatiges 19**1 
hatten -ID —_ 0.48 IVom. der Enti rsuehteii Narheu von einer 
Vorausgegangeuen Tracheotomie. 

Von diesen wurden 20 1*\S1 Pro«-. tauglieh, 13 = 26.53 Pme. 

weiten der Folg - n der Tracheotomie untauglich. und 10 
22,65 I’roe. wegen der Fohren der Tracheotomie zuriiekgestellt. 

Von (b n in der Armee in der Zeit vom 1. April 1900 mit 
• 51. "März 1901 U'iter.-üehlen l-'r*-i\vi 11iii -:i hatten 6 — 0.77 I’rom. 
’l’raeheoloinieiia'b'n. Von die-en wur-b n 3 - 50 l’roe. tauglich, 
5 . 50 I’roe. wegen der Folgen d>T Tracheotomie untauglich. 

Von sämmtliehen Fntersuehlen hatten demnach 55 
0,5 Prem. Trtieheotomienaih.-n. Davon wurden 23 — 41,82 l’roe. 
tauglich, 16 — 29.09 l’nx’. untauglich, 16 —29,f9 I’roe. zurück- 
m-teilt.“ 

Dieser Bericht lässt verschiedene, recht interessante Fragen 
noch ungelöst. Wirwi-sen nicht, welcher Proeentsatz aller vor etwa 
20 Jahren in Bayern durch Tracheotomie (icheilten die genannte 
Zahl der traeheotoinii teil Stelluim-pllieht igcti ausmaeht. (Die 
Zahl der iiherh bendeu weiblichen Patienten könnte man ja, wahr¬ 
scheinlich ohne allzu grossen Reehnunysfehlcr, auf die gleiche 
Höhe setzen.) Wir erfahren nicht, wegen welcher Folgen der 
Tracheotomie die betreffenden Leute dauernd oder zeitlich un¬ 
tauglich zurückgewiesen bezw. zurück-gestellt wurden. Es wäre 
aber jedenfalls uiithunlich gewesen, bei den anstrengenden Muste¬ 
rungen über jeden einzelnen Tracheotomirten genaueren Bericht 
zu erstatten: wir sind den militärärztlichen Kollegen für das 
freundliche Entgegenkommen und die gehabte Mühewaltung 
schon dankbar genug. 

Für unsere Zwecke brauchbare statistische Aufzeichnungen 
über Diphtheriemorbidität und -Mortalität in Bayern zu Anfang 
der 80 er Jahre existiren leider nicht. Ende der 80 er 
Jahre und Anfangs der 99 er Jahre wurden aus ganz 
Bayern jährlich 34—19 000 Erkraukungsfällo und 4800—5700 
Todesfälle an Diphtherie zur Anzeige gebracht. An dieser .Sta¬ 
tistik hatte sieh aber jeweilig nur etwa die Hälfte aller baye¬ 
rischen Acrztc betheiligt, man wird also, um die (I< saminlsumine 
der Diphtheriefalle zu < rhalteii. die Zahl jed< nfalls um ein Drittel 
erhöhen dürfen. Nimmt man nun selb .) an. das- von <-a. 20 0p0 
jährlichen Diphlhoriefällen nur 5 l’roe. — 10*>*> wegen Larynx- 
-li nose operirt werden mussten, und von diesen wieder nur etwa 
15 l’roe. mit dem Lehen davon kamen (Mortalität der klinisch 
Tiaehcotoinirten in der V. S. i*. f!0 l’roe.) — 150, so ergäbe 
v -ieh im Vergleich mit den ministeriellen Zahlen doch, dass etwa 
'in Drittel der Traeheoloniirten vor erreichtem Manne-alter g ( - 
-loiben i-1 Damit i-t freilich noch nicht mit Landouzy 

’l Dass Traelii oimui"nai'l>en übersehen winden. i-t wohl m'D- 
lieh. aber IlieJil |ee| ; t walirsejo-inlieli. naeh'leiil speeielIes Allgt ti- 
merk darauf geriehb t wurde. 

No. A:\ 


i gesagt, dass dieses Drittel an den Folgen der Tracheotomie ge- 
, stürben ist. 

| Was wir aus dem obigen Bericht positiv erfahren, ist, dass 
i hei der Musterung von den überlebenden männlichen Traeheo- 
! tomirten über die Hälfte an Folgen der Tracheotomie noch zu 
I leiden halte n, und dass diese Folgen wieder bei 29 Proc. derartige 
waren, dass sie zu dauernder Militärdienstesuntauglichkeit 
I führten ; )- 

; Um zu erfahren, welcher Art diese Folgezustände sein 
I könnten, um nähere Angaben über das Schicksal ehedem Trachoo- 
tomirter zu erhalten, wandte ich mich an verschiedene ältere 
i praktische Acrztc in München und an die Universitätskinderklinik 
da-elhst. Aus der Praxis wurden mir noch keine definitiv ver¬ 
wendbaren Berichte zuge-bllt. Ich kann bis jetzt nur so viel 
sagen, dass jeder der Herren einige Fälle kannte, denen die 
Tracheotomie keinen dauernden Naehtheil gebracht hatte. 

! Das Material der Universitätskinderklinik war mir in frei- 
i gehigster und liebenswürdigster Weise von Herrn Hofrath Prof. 
, Dr. v. Ranke zur Verfügung gestellt worden. Es betrug die Zahl 
' der in den Jahren 1886—1892 wegen diphtherischer Larynx- 
steimse geheilt entla-seiien primär Tracheotomirten 45. die Zahl 
i der geheilt Entlassenen Int liierten 114. Ich konnte leider nur 
über 14 Tracheotoiuirte und 09 Iutubirte Nachricht erhalten. 

Von den 69 Intubirten sind 62 am Leben, 7 gestorben. Und 
zwar sind gestorben: 4 Fälle 1 Monat nach der Entlassung im 
| Pneumonie, Pneumonie und Morbillcn, Pneumonie und Per¬ 
tussis, Nephritis; 1 Fall wenige Tage nach der Entlassung an 
den Folgen der Diphtherie, 1 Fall nach 2 Monaten au Pneu¬ 
monie, 1 Fall nach 7 Monaten an Tuberkulose (hereditär be¬ 
lastet). 

Bei 22 überlebenden Intubirten werden von den Eltern seit 
der Operation bestehende Erkrankungen der Athmungsorgaue 
angegeben, und zwar bei 11 Fällen mehr oder weniger bedeutende 
Heiserkeit, bei 1 Fall „etwas liefe Stimme“, ein ander Mal „Im- 
kommt in <h r Kälte und in feuchten Räumen regelmässig starken 
i Schnupfen und wenige Ki künden anhaltende Stiekanfälle“. Bei 
den übrigen Fällen findet sieh notirt: „bei raschem Gehen oder 
i Laufen Kurzailnnigkeit und weithin hörbares Atheiligerüusch, 
dicker Hals“; „Kurzailnnigkeit, Stimme belegt, Bleichsucht“; 
„öfter Reizhusten“; „zeitweises Halsweh“; „bei rauher Witte¬ 
rung zu Ilalssehmerzcii geneigt“; „häufig Mandelansehwellung, 
von Zeit zu Zeit röchelnde Athmung“; „ziemliche Verschleimung 
und etwas Husten seit der Operation“; „bei angestrengtem Gehen 
Stechen auf der Brust und sehr starker Auswurf (hat seit der 
Op« ration G mal die Lungenentzündung überstanden)“; „Neigung 
zu Bronchialkatarrh“. 

Die Intubationsdauer schwankte bei diesen Fällen zwischen 
1U-. Tagen und 18 Stunden. 

Die 14 Tracheotomirten sind siimmtlich am Leben. Von 
einem Fall wird angegeben: „ist manchmal heiser“; von einem 
| anderen Fall: „ist immer kränklich, lungenleidend, hat einen 
linksseitigen Buckel“: von einem dritten Fall: „Kurzathmigkcit, 
Nachts starkes Rasseln in der Luftröhre, häufig Katarrh ohne 
Auswurf, Blutarmut li“. 

Die Trachealkanüle wurde in diesen 3 Füllen 11, 8 und 
1 25 Tage lang getragen. 

Herr Kollege S i e g e r t - Strassburg hatte die grosse Güte 
und Freundlichkeit, mit Aufwand von viel Zeit und Mühe für 
: no ine Zwecke eine Sammdforsehung im Eisass anzustcllcn. Er 
sandte mir Material über 194 in Strassburg in den Jahren 1886 
bis 1M6 traebeotomirtf Fälle. Nur 1 Fall stammt aus dem 
Jahre I>s2 und 1 Fall aus dem Jahre 1898. 

55 dieser Fälle war. u mit .Serum behandelt worden, von 
dt mm nur 1 gestorben ist. Bei 80 Fällen sind seit «1er Operation 
m* in* als 1<) Jahre v< rstrb-hcn. 7 Fälle stehen zur Zeit schon 
im mannbaren Aller, sind älter als 17 Jahre. 3 Fälle wurden 
2 mal trächt otomirt, wovon 2 leben. 10 Fälle sind gestorltcn 
und zwar: 


-) Ks bestellt freilich ilic Befahr, «lass ht-i solchen Belegen- 
hinten Manches in die l.enm erst „hiimimrel nrnd" wird. Zweifel 
an d.-r Richtigkeit der g. machten Angaben dürften am h den 
i Ianpi .rrninl zur Zuriieksieilnng um Id 1.einen imbildet habmi. 
da s.ne-r kaum anzmiehnien ist. dass seit .lahr/elimeii bestehende 
Anomalien min inuerhallt weniger .lalire auf einmal versehw indem 
werth n. 


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1700 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43. 


1. 1 Tag nach der Entlassung an Masernpueumonie. 

2. 3 Tage nach der Entlassung an diphtherischer Herzlähimmg. 

3. 1* Tage nach der Entlassung an Masernpueumonie. 

4. 2 1 /, Monate nach der Entlassung an ..Lungenschlag“. 

r». 2 Jahre nach der Entlassung an der /.weiten Tracheotomie. 

d. 2 Jahre nach der Entlassung an Pneumonie. 

7. 4 Jahre nach der Entlassung an 7 

5. S Jahre nach der Entlassung an Masern. 

1). 7 nach der Entlassung au 7 

30. 7 nach der Entlassung an 7 

Von 43 Fällen erfahren wir, dass sie gesund sind (bei 28 
dieser Fälle wird noch besonderes Gedeihen betont). 

Bei 3 Fällen wird angegeben, dass sio nicht gut entwickelt 
sein sollen. Bei weiteren 9 Fällen finden sich folgende Ver¬ 
merke- „stark blutarm“; „Hypertrophia tonsillarum“, „seit der 
Operation oft Angina und Pseudocroup“, „schnauft zuweilen 
stark“; „bekommt leicht eng, ist noch heiser“; „ist noch heiser 
(nach 3—4 Monaten intubirt, dann 2. Mal tracheotomirt)“; 
..Nachts schweren Athem“; „Narbendruck“; „trägt noch die 
Kanüle“. Uebcr den Gesundheitszustand der restireiiden 129 Fälle 
waren offenbar nähere Angaben nicht zu erhalten, es ist ledig¬ 
lich bemerkt: „lebt“. 

Zuletzt wandte ich mich noch an die Direktion der Olga¬ 
heilanstalt in Stuttgart, da ich wusste, dass dieses Spital über 
ein selten reiches Diphthcricniaterial verfügt. Dem gütigen Ent¬ 
gegenkommen des Direktors, Herrn Prof. Dr. Sigel, und der 
freundlichen Unterstützung des Assistenten, Herrn Dr. S i p p e 1, 
verdanke ich die folgenden Aufzeichnungen. 

In den Jahren 1888—1891 incl. wurden 127 1 raoheotomirte 
Kinder geheilt entlassen. Uebcr 74 dieser Ex-Traeheotomirten 
erhielt ich bis jetzt von den Eltern nähere Angaben. 

6 Fälle sind gestorben und zwar 

1. am Tage der Entlassung an Diphtherie. 

2. 5 Tage nach der Entlassung an Diphtherie. 

3. kurze Zeit nach der Entlassung an Herzlähmung. 

4. Kurze Zeit nach der Entlassung an Lungcidiihmung. 

7>. 1 Jahr nach der Entlassung an „Lungeiikrankheit“. 

<*>. 3 Jahre nach der Entlassung an „Zehrtieher" (Traelieallistel 
nicht zugcheilt, Dysphagie). 

(58 Fälle sind am Leben (bei 15 Fällen wird der Gesundheit«- 
stand als besonders gut bezeichnet). 

Von einem Falle wird angegeben, dass er seit der Operation 
stottert. 

Bei 2 Fällen bestehen Drüsenanschwellungen am Halse. 

3 Fälle waren nach der Operation noch längere Zeit zu 
Bronehialkatarrhen und Lungenentzündung geneigt. 

30 Fälle sind seit der Tracheotomie mit Krankheiten der 
Atlnnungsorganc behaftet. Bei 13 Fällen besteht noch Heiser¬ 
keit, darunter bei 5 Fällen ausserdem noch Husten und er¬ 
schwertes Athmen, bei 3 Fällen Heiserkeit und erschwertes 
Atlimen, bei 8 Fällen Heiserkeit und Husten. 

Bei den übrigen 17 Fällen ist angegeben: „ist im Hals sehr 
empfindlich“; „ist etwas beengt im Kehlkopf und kann ausserdem 
weder das G noch das K ausspreehen“; „hat nach starker körper¬ 
licher Anstrengung ein raschelndes oft pfeifendes Athmen“. 
3 Fälle haben erschwertes Athmen. Bei 0 Fällen besteht seit 
der Operation mehr oder weniger kontinuirlieher Husten. 

2 Fälle leiden an Husten und erschwertem Athmen. Bei 

3 Fällen wurde zur Zeit an der Olgaheilanstalt Lungenspitzen¬ 
katarrh konstatirt. 

Tn Summa summaruin sind also von den aufgezählten 351 
wegen diphtherischer Larynxstcnose in den Jahren 1886 bis 
1896 operirten Kindern 23 gestorben, 328 am Leben. Von 
»54 Fällen erfahren wir, das* sie seit, der Operation an Affektionen 
di s Hachens, Kehlkopfes und der Lunge, leiden. 

Wenn cs erlaubt ist. aus diesem leider noch recht kleinen 
.Material Seldii-sc zu ziehen, so wäre cs 

1. dass I,a ndo uzy's Angaben über das fernere Schicksal 
der Trneheotoinirteii. für Deutschland wenigstens, widerlegt er¬ 
scheinen, dass die Tracheotomie offenbar nur in Ausnahmefällen 
Prädispnsiiion für Tuberkulose schafft. 

2. aber, und das sage ich besonders im Hinblick auf die An¬ 
gaben unserer Militärärzte, dass immerhin ein nicht unbedeuten¬ 
der Procetitsatz. der ehodoin Operirten an gewissen Folgoerschei- 
ungcii zu leiden hat, und zwar gilt dies — wie von vorneherein 
anzuni hmen war — nicht, ausschliesslich für die Traeheotomir- 
»<-n. sondern auch für die Intubirten. (Dass wir nicht jedes cin- 
zi Ine der milgethoilten Krnnkheitssyniptome ohne Weiteres als 


Folgeerscheinung der Operation betrachten, ist selbstverständ¬ 
lich.) 

Es muss nun freilich in Anschlag gebracht werden, dass 
unser Material mit Ausnahme von 55 Fällen (S i e ge r t) aus der 
Vorserumzeit gewählt wurde — was mit Rücksicht auf eine mög¬ 
lichst lange Beobachtungszeit geschah —, allein wir wissen, dass 
Deeubitalgcschwüre, welche wohl hauptsächlich bei unserer Frage 
in Betracht kommen, nach Tracheotomie und Intubation leider 
auch unter der Serotherapie nicht zu den Seltenheiten gehören, 
da ihre Entstehung durchaus nicht stets an eine lange Be¬ 
handlungsdauer geknüpft ist. 

Wir können also auch heutzutage unter den so viel günsti¬ 
geren therapeutischen Umständen, wenn der Operirte zunächst 
geheilt erscheint, noch nicht dafür bürgen, ob der operative Ein¬ 
griff keinen bleibenden Nachtheil für den Patienten schaffen 
wird. 

Diese Erkenntniss wird uns natürlich nicht abhalten, nach 
wio vor im Nothfalle zur Operation zu schreiten, aber die vor¬ 
liegenden Thntsaehen werden uns doch dazu anregen, in noch 
grösserem Maas&sUibc wie bisher prophylaktische Maassnahmen 
zu ergreifen, um eine Operation möglichst zu vermeiden. Am 
empfehlenswcrthesten scheint mir das Vorgehen Fischl’s und 
anderer Kollegen, hei jeder diphtherieverdächtigen Affektion des 
Kehlkopfes ohne Weiteres, noch vor sichergestellter Diagnose, eine 
Injektion von Diphtherieheilserum No. III vorzunehmen und den 
betreffenden Patienten der Dampfbehandlung zu unterziehen, die 
sieh, wenn auch oft nur in primitiver Weise (durch Begiesseu der 
heissen Herdplatte, erhitzter Ziegelsteine mit Wasser, Aufstellen 
von Rechauds u. s. w.) — auch in der Privatpraxis durchführen 
lässt. Wenn es dann trotzdem bei besonders akuten Fällen noch 
zur Operation kommen sollte, so wird unter der bereits einsetzen¬ 
den Wirkung des specifischen Mittels und der hydrothera¬ 
peutischen Maassregeln doch in der Regel die Bchandlungs- 
dauer eine wesentlich abgekürzte, der Verlauf ein milderer sein. 

Des Weiteren geben vielleicht die vorstehenden Unter¬ 
suchungen den Anstoss dazu, dass mehr wie bisher Werth auf die 
Erlernung von Operationen gelegt wird, die eben jeder allgemeine 
Praxis betreibende Arzt beherrschen muss; dass nicht junge 
Aerzte in die Praxis hinaustreten, ohne vorher mehr gesehen zu 
haben, als etwa einmal eine Tracheotomie an der Leiche im 
Operationskurs. 

Schliesslich aber scheint cs nothwendig, noch ernstlich an 
der Vervollkommnung und Verbesserung unserer Opera tions- 
teelmik weiterzuarbeiten, um die mit Tracheotomie und In¬ 
tubation immer noch verbundenen Gefahren und Nachtheile 
thunliehst zu beseitigen. 

Den Herren, die mich bei der vorliegenden Arbeit so gütig 
unterstützten, Sr. Exc. Herrn Generalstabsarzt Dr. v. Vogl. 
Herrn Generalstabsarzt Dr. Bestolmeyer, Herrn Hofrath 
Prof. Dr. v. Ranke, Herrn Prof. Dr. Sigel uml Herrn 
Dr. S i p p e 1, insbesondere aber Herrn Privatdoc. Dr. S i e g e r t 
spreche ich auch an dieser Stelle nochmals meinen verbind¬ 
lichsten Dank aus. 


Aus der pacdiatrischen Universitäts-Kinderklinik in Graz 
(Vorstand: Prof. Dr. Th. Escherich). 

Zur Kenntni$8 der „Spätstörungen“ nach Tracheo¬ 
tomie und Intubation.*) 

Von Dr. Meinhard Pfaundler, Privatdocont und 
Assistent obiger Klinik. 

Von mancher Seite wurde der Verdacht geäussert, dass die 
wogen hosteheiuler Larynxstcnose vorgenommeue operative Be¬ 
handlung. als Tracheotomie und Intubation, Monate und Jahre 
nach ülu rstandenem Eingriffe noch persistirende Gesundheits¬ 
störungen und eine Neigung zu gewissen Krankheitszuständcu 
zur Folge, haben könne. 

Auf die sehr dankenswertheAnregung von Prof. Escherich, 
meinem hochverehrten Chef, forschte ich daher, um unser ein¬ 
schlägiges Material zu verwerthen, dem Schicksale der im De- 
cennium 1890—1899 auf der Klinik des Genannten nach Tracheo¬ 
tomie und Intubation entlassenen Kinder nach. Die Intubation 

*) Nach einem in der pädiatrischen Sektion der 73. Versamm¬ 
lung deutscher Naturforscher und Aerzte iu Hamburg gelialteneu 
Vort rage. 


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22. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1701 


wird an der Anstalt seit dom Jahre 1890 geübt und stellt derzeit 
fast ausnahmslos den ersten Eingriff dar, den wir bei vorhandener 
bedrohlicher Stenose vornehmen und dem wir nur in dem ver- 
hiiltnissmässig selten vorliegenden Bedarfsfälle die sekundäre 
Tracheotomie folgen lassen. Die Indikation zu letzterer sehen 
wir namentlich dann gegeben, wenn die Stenose nach 24 bis 
48 stündigem Liegen der Tube und eventuell einmal wiederholter 
Intubation persistirt, sowie unter bestimmten anderen Um¬ 
ständen, deren Bericht nicht in den Rahmen dieser Darlegung 
fällt. 

Die Zahl der nach beiden Eingriffen im angegebnen Zeit¬ 
räume entlassenen Kinder beträgt 202; dieselben waren seiner 
Zeit allo wegen Rachendiphtherie aufgenommen und allermeist 
geheilt entlassen worden. 

lieber das Befinden von 173 dieser ehemaligen Patienten 
konnte ich durch persönliche Untersuchung oder zuverlässig 
scheinenden Bericht Kunde erhalten. Das Ergebnis* dieser Er¬ 
hebungen ist folgendes: 

8 der Patienten, aus äusseren (Jründen ungeheilt entlassen, 
starben bald nachher noch an den unmittelbaren Folgen des 
diphtherischen Processes selbst. (Absteigender Croup, Pneumonie, 
postdiphtherisehe Lähmung.) Von den übrigen 105 waren: 

137 (83,03 Proc.) seit Langem vollständig beseliwerdefrei oder 
nach einem längeren, ungestörten Gesundheitszustände von Er¬ 
krankungen befallen worden, die mit dem stattgehabten opera¬ 
tiven Eingriffe bestimmt in keinerlei Zusammenhänge stehen. 

IG (9,70 Proc.) Kinder boten Beschwerden leichtester Art 
(Kategorie A), die ein objektives Zeichen bei der Untersuchung 
zumeist gar nicht erkennen liessen, Beschwerden, die nur von 
den Begleitpersonen über eingehendes Befragen angeführt, und 
auch von diesen als indifferente gekennzeichnet wurden; und zwar 
nannte man mir: 

a) leichte Atlimungsbescliwerden beim Laufen oder Stiegen¬ 
steigen 5 mal; 

b) angeblich zeitweise belegte Stimme 5 mal; 

c) Zurückgebliebenheit in der Entwicklung der Sprechfähig¬ 
keit 3 mal; 

d) leichtes Stottern 3 mal. 

Von diesen Beschwerden der Kategorie A Hess sich in der 
Kegel nicht feststellen, ob sie nicht noch in den Rahmen des 
physiologischen Verhaltens fallen. Dio Angabe der Begleit¬ 
personen, dass die Störung seit dem durchgemachten Halsprooosse 
datire, kehrte zwar häufig wieder, doch muss es angesichts der 
wenig hervorstechenden Symptome dahingestellt bleiben, ob in 
dieser Angabe nur der Ausdruck des Kausalitätsbedürfnisses 
der Leute, oder aber der Hinweis auf einen wirklich bestehenden 
Zusammenhang zu finden ist. Letzteres hat nach meiner Em¬ 
pfindung nur eine geringe Wahrscheinlichkeit. 

12 (7,27 Proc.) Patienten wiesen folgende Erkrankungs¬ 
zustände auf oder waren denselben theils in unserer klinischen 
Beobachtung, theils zu Hause erlegen (Kategorie B): 

a) dauernde Heiserkeit mittleren oder höheren 
Grades 1 ) 3 mal; 

b) narbige Trachealstenoso geringen Grades 
3 mal; 

c) chronische, cirrhotisohe Pneumonie mit 
Bronchitis und Bronchiektasie 3 mal; 

d) Lungentuberkulose 3 mal. 

Von den besagten 173 Kindern waren 141 intubirt, 
16 tracheotomirt worden; bei den restlichen 16 hatte Intubation 
und Tracheotomie vorgenommen werden müssen, erstere ent¬ 
weder primär oder nach der Tracheotomie behufs Erleichterung 
des Decanulements. 

Die erwähnten Gesundheitsstörungen vertheilen sich auf In¬ 
tubation und Tracheotomie wie folgt: 

Die leichtesten oder angeblichen Beschwerden der Kategorie A 
fanden sich unter 

7,8 Proc. der Intubirten, 

12,5 „ „ Tracheotomirten, 

18,8 „ Intubirten und Tracheotomirten. 

Dio Erkrankungszustände der Kategorie B boten 

3,5 Proe. der Intubirten, 

12,5 „ „ Tracheotomirten, 

31,3 „ „ Intubirten und Tracheotomirten. 

') Mit Neigung zur Erkrankung an Lobulilrpneuinonien (tmnl). 


Die nähere Vertheilung lässt folgende Uebersicht erkennen: 



Intubation 

Tracheo¬ 

tomie 

Intubation 

u.Tracheot. 

i 

Summe 

Dauernde Heiserkeit . . . 

2 

0 

1 


Trachealstenose. 

0 

1 

2 

3 

Chronische Pneumonie . . 

1 t 

0 

1 o 

!! 

Lungentuberkulose .... 

2 t. t 

1 

ö 

3 

•Summe 

f> 

2 

f> 

12 


Was die Fälle ernsterer Zustände nach Intubation betrifft, 
so sind zur Bcurtheilung des Zusammenhanges zwischen 
Operation und Gesundheitsstörung einige Einzelheiten von Be¬ 
deutung. 

I) a u e rüde II e i s e r k e i t (lauf. Nummer des Protokolls, 
Fall 41»; Die bleibende Stimmstörung Irat erst einige Monate 
nach Entlassung aus dem Spitalo auf. Das Alter des Kindes be¬ 
trug zur Zeit der Operation 4 Jahre; die Tube lag in Summa 
4 Tage. 

Dauernde Heiserkeit (Fall 87): Pat. aequirirte bald 
uach Entlassung Lues. Ob der Kehlkopfprocess specitiseher Natur 
ist oder nicht, konnte nicht festgestellt werden. Tube lag 3 Tage 
an dem damals 19 monatlichen Kinde. 

C h r o n i s c h e P u e u uioni e (Fall 42): Das zur Zeit der 
Operation 8 monatliche Kind, bei dem die Tube 5 Tage lang ge¬ 
legen hatte, bot bis zum 5. Lel>ensjahre. von einigen Bronchial¬ 
katarrhen abgesehen, keine Krankheitserscheinungen. 5 Jahre 
nach Ueberstehen der Diphtherie erkrankte es au Lungen- und 
Rippenfellentzündung und starb im folgenden Jahre in unserem 
Spitale. 

Lungentuberkulose (Fall (50): Die Tube lag nur 
48 Stunden bei dem damals 3 jährigen Kinde. 3 Jahre nach Ent¬ 
lassung starb dasselbe zu Hause nach 4 wöchentlichem Kranken¬ 
lager an „gallopirender Lungenschwindsucht“. In jenen 3 Jahren 
soll es ab und zu gehustet haben, sonst aber stets frisch und nie¬ 
mals bettlägerig gewesen sein. Ueber hereditäre Belastung nichts 
erfrngbar. 

Lungentuberkulose (Fall 178»: Pat. entstammt einem 
tuberkulösen Vater. Zur Zeit der Intubation 7 Jahre alt (Tube 
2 mal 4S Stunden), starb er Ende des 9. Lebensjahres an Lungen- 
(und Allgemein) Tuberkulose. Feber das Betinden in den 
zwisehenliegi nden DA Jahren nichts Bestimmtes eruirbar. 

Die Fälle von Erkrankungen nach Tracheotomie oder In¬ 
tubation und Tracheotomie sind kurz folgende: 

Trachealstenose (Fall 13(b: Alter 5 Jahre, Traeheo- 
tomla inferior. Kanüle 8 Tage. Die Beschwerden (Stridor, Schwer- 
athmigkeit) datiren von der Reconvalescenz nach der Operation; 
es besteht überdies Neigung zu recidivirenden Bronchialkatarrhen. 

Lungentuberkulose (Fall 215): Aller zur Zeit der 
Operation (1898) 0% Jahre Traeheotomin inferior, Kanüle 7 Tage. 
Seit jener Zeit stets kränklich; Husten schleimiger Auswurf. Vor 
y s Jahr wurde eine bacill.äre Spitzcnaffektion diagnosticirt. Der¬ 
zeit ist der Befund gering, das Betinden ein besseres. Hereditär 
belastet. 

Dauernde Heiserkeit (Fall 95): Damals 3 Jahre alt. 
Traeheotomin inferior, Kanüle 18 Tage: erschwertes Deeanulc- 
ment; Tube 10 Tage. Seither stets stark „belegte Stimme". Hat 
auch 2 Lungenentzündungen durchgemacht. 

Trachealstenose (Fall 130): Damals 2'/ a Jahre alt. 
Primäre Intubation durch 24 Stunden. Traeheotomin inferior, 
Kanüle 10 Tage. Seither stets kränklich. Nebst der Kurzatlunig- 
keit und hörbarem Stridor besteht bei schnellerem Gehen auch 
Herzklopfen. Kein nachweisbarer Klappenfehler. 

Trachealstenose (Fall 210): Zur Zeit der Operation 
17 Monate alt. Tube 0 Tage, Kanüle (Traeheotomin inferior) 
11 Tage. Nebst den deutlichen Zeichen der Stenose bietet Pat. 
seither häutig bronchitiseheu Befund. 

Chronische Pneumonie (Fall 3): Im Alter von 
2 Jahren tracheotomirt (Kanüle 9 Tage) wegen erschwerten De¬ 
canulements intubirt (Tube 28 Tage). Soll seither fortwährend 
husten und hat eine schwere chronische Lungeninflltration Über¬ 
stauden (klinische Beobachtung). Bietet jetzt nur mehr wenig 
Befund und sieht besser aus. 

Chronische Pneumonie (Fall 34): Damals G Jahre 
alt. Intubation durch 24 Stunden; Tracheotomia inferior (Kanüle 
7 Tage). Von jener Zeit datirt eine chronische, eirrhotische, oft 
exacerblrende Pneumonie, welche Jüngst den Verdacht einer ba- 
cillüreu Sekundärinfektion erweckt und trotz iiusserst sorgsamer 
Ptiege (Badekuren etc.) den Allgemeinzustand wenigstens zeit¬ 
weise schwer beeinträchtigt. 

Nach dieser kurzen Darlegung des Materiales lässt sich sagen, 
dass Erkrankungen des Respirationstraktes bei ehemals Intubirten 
nicht öfter gesehen wurden, als schätzungsweise der spontanen 
Erkrankungswahrscheinlichkeit der Kinder in dem Zeiträume von 
2—12 Jahren entspricht. Für letztere kommt noch in Betracht, 
dass unsere Wirkungssphäre grossentheils in den proletarischen 
Kreisen liegt. Ein Zusammenhang der ausnahmsweise kon.-ta- 
tirten Erkrankung mit der Operation ist in keinem Falle auch 
mir cinigcrmnasscn wahrscheinlich. Von ernsten Spät- 

3* 


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s t ö r u n g e n n a cli Intubation ist s o mit, soweit 
u iiscre E r f a li rung r eicht, ii b e r li a u p t nichts 
zu eruiron. 

Hei traclicotomirt und trachcotoniirt und intubirt gewesenen 
Kindern hingegen fanden sieh nach Jahren in einem verhält niss- 
mässig erheblichen Procentsatz der Fälle Krankheitszustiinde auf 
dem Gebiete des Respirationstraktos, die thoils mit Bestimmtheit, 
theils mit grosser Wahrscheinlichkeit auf den vorgenommenen 
Eingriff zurückgeführt werden können. 

Das Ergehn iss dieser Nachforschungen i>t somit geeignet, 
zu zeigen, dass auch in Bezug auf die eventuell zu gewärtigenden 
Spätstörungen der schonende Eingriff der Intubation jenem der 
Tracheotomie bei weitem vorzuziehen ist, ein Finnland, der neb-t 
anderen unser seit Langem bestehendes Bestreben, den in¬ 
dikationskreis der letzteren zu dunsten der ersteren einzuschrän- 
ken, gerechtfertigt erscheinen lassen mag. 

Ohne Zweifel waren jene Fälle, in welchen wir nebst der 
Intubation oder von Anfang an zur Tracheotomie* griffen, die 
schwereren, also jene, welche wohl an s i e-lt eher eine gewi'sc 
Neigung zu Folgezuständen zuriieklussen konnten. Doch kann 
diese Fehlerquelle nicht in dem Man.-sc in Frage kommen, dass 
dadurch an obiger Dcduction eine prineipielle Aenderung be¬ 
dingt würde. 

Meinem Freunde, Dr. Robert II esc hl, Kekundararzt. an 
der Isolirstation des Anna-Kinderspiiales, danke ich die .Mit¬ 
wirkung bei der Zusammenstellung des Materiales. 

Eine praktische aseptische Spritze für subkutane 
Injektionen. 

Von Dr. med. B. W o 1 f f in Köln. 

Die bekannten Spritzen für subkutane inj ktionen werden 
vor <lem jedesmaligen tJebrauelie desinlizirt. Diese Desinfektion 
währt natürlich immer nur ganz kurze Zeit und ist daher nicht so 
gründlich, als wenn das Instrument während der ganzen Dauer 
des Nielitgebrauelies der Einwirkung einer desinlizirendei; 
Flüssigkeit ansgesetzt ist. 

Letzteres zu ermöglichen, und die Spritze stets gebrauchs¬ 
fertig zu haben — da bei der dauernden Desinfektion ein Nielit- 
fuuktioniren oder Eint rock neu des Kolbens ausgeschlossen ist —. 
ist Zweck vorliegender Neuerung. Dieselbe bestellt darin, dass 
durch besondere Konstruktion das Innere der Spritze, wie be¬ 
sonders die Nadel, eine dauernde Desinfektion erleiden. 



Mittels dl s Stempels zieht man die desinliziicnde Flüssigkeit 
auf und schraubt oder steckt die Nadel umgekehrt in den jetzt 
mit der Flüssigkeit gefüllten Cylinder. Ein .Melaiifutleral nimmt \ 


ei. se Spritze auf und dient dessen Deckel, «U r uaclt dem !•. kauiit n 
Modell eines Stebaufs konsiruin ist. bei eventuellem («ebrauehe 
der Spritze zur Aufnahme Her in derselben enthaltenen Flüssig¬ 
keit. so dass man selbige Flüssigkeit immer wieder als Desinfektor 
benutzen kann. Feiner birgt die Spritze in der bohlen Steuipel- 
, Stange eine Reser\enadel. 

J>as Lanze hat Aussehen und (5Wisse wie die Thermometer 
in Melallhiilsc. so dass die Kompendiositiit des kleinen Iustru- 
! nicht cs nichts zu wünschen übrig lässt. 

Die Zeichnung veranschaulicht eine Ausfiihnmgsform des 
Modelles. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass die Spritze den 
bekannten subkutanen Spritzen gleich ist. Der hohle Stempel b 
ninii.it die Rosorveiiadel e auf. iMmli Aufziehen der Flüssigkeit 
wird das Innere der Spritze a desinlizirt und durch Einschrauheii 
oder Eitisteekeii der Nadel f in den Foims d wird erstens die 
Spritze abgedielitet und zweitens die Nadel desintizirt. Fig. '•'< 
veranseliaiiliehl die Hülse. Fig. 4 deren Deckel als Reservoir, 
weither durch Metall li beschwert in der Weise eines Steliaufs funk- 
tioiiirt und somit ein Yergiesscn der atifgeuoinniexieu Flüssigkeit 
vi rhindert. 

Fm kurz zusamnienzufassen. haben wir eine Spritze für sub 
! kutane Injektionen, liei welcher die Nadel in umgekehrter Rich¬ 
tung in den Cylinder gesteckt oder ge.-% t hraubt wird, und ein zwei¬ 
theiliges Melaliiiu leral. dessen Länge gestattet, die mit des- 
intizireiider Flüssigkeit gefüllte Spritze mit aufgezogenem Stempel 
und in d« n Cylinder liineiugesteekter Nadel nufzuuehmen. wobei 
der Deckel dieses Futterals durch die oben beschriebene Stebauf- 
einriehiung als Fliissigkeitsreservoir während des Gebrauches 
dienen kann, so dass dieselbe Flüssigkeit immer wieder als Des¬ 
infektor benutzt werden kann. 

Als Desinfcklor benutz«* ich eine 2 pme. Lysollüstmg. die si.-li 
durchaus berührt bat und das Metall, sowie die Schärte der Nad 1 
in keiner Weise angieilt. 

(Anfertigung und Vertrieb hat die Kölner Finna Kühne. 
Sie vers & N e ti m a ti n iilieriioinmen. Preis .‘5 M. (Jebrauehs 
Illuster atlgeiin ldel.i 

Aus der psychiatrischen Klinik zu Würzburg. 

Zur Kenntniss der infantilen Pseudobulbaerparalyse 
und der angeborenen allgemeinen Bewegungsstörungen. 

Von Dr. Theodor Zahn, I. A>sisteiit der Klinik. 

(Schluss.) 

Das Mädeln n leidet ab) an einer angelt neu ><!ilat!'i n 
! Lähmung, die mehr oder weniger schwer die Muskeln des Mun 
des, der Zunge, des Rachens, Kehlkopfes, Halses, Rumpfes und 
i aller (iliedmaassen betrifft. Ausserdem au starker Ataxie der 
! Arm- und Rumpfmuskeln, sowie an wackelnden Bewegungen de- 
i Halses. Hie Schnenrellexe fehlt n, die llautretloxe und die Scnsi- 
j hilitiit der Haut und der Muskeln sind erhalten. Die Blasen- und 
j Mastdarmthätigkeit ist gestört. 

; Die schwere Lähmung, die den Zustand beherrscht, ist eine 
| beiderseitige cerebrale im Gebiete der Pyramidenbahnen und 
j der eortioobulbiiren Bahnen. Die Art der Ausbreitung der Liili- 
| mutig entspricht etwa derjenigen der cerebralen Diplegicii. 

; Trotz der schlaffen Form der Lähmung darf keine Läsion de- 
: peripheren Neurons angenommen werden, gleichzeitig oder ans- 
I seidiesslich, da die Zeichen degfiierntiver Atrophie fehlen. Die 
! Muskeln sind theils überhaupt nicht auffallend mager, thoils 
nicht mehr, als durch einfache Atrophie und gewiss auch durch 
Armuth an Gewebsflüssigkeit und Blut in Folge der geringen 
[ Inanspruchnahme, hei den Beinen vollends in Folge der au- 
| dauernden Regungslosigkeit bedingt sein dürfte. Die Reine 
j fühlen sieh immer kühl an. Ferner ist die elektrische Erregbar¬ 
keit nicht qualitativ vermindert und es sind keine fibrillären 
Zuckungen zu sehen. 

Das F e h 1 e n j e d e r s p a s t i s e h e r E r sehei- 
ii tl ti ft e n und zudem der Sehnenreflexe i-t freilich bei einer 
Störung in den Pyramidenhahnen sehr auffallend. Die cere¬ 
bralen Diplegion sind fast immer spastisch, bei Degeneration 
«»der Agenesie. Ein schönes Beispiel für letzteren Zustand ist 
der von A n t o n [11] geschilderte Fall eines Mikroccphalcn mit 
völligem Mangel der Pyramidenbahnen im Rückenmark, der 
während des Lehens hochgradige Spasmen aller Extrcmitäten- 
muskeln veranlasst hatte. Es muss dies so sein, wenn der Muskcl- 
tonus des gewöhnlichen hemmenden Einflusses dieser Bahnen 
entbehrt. Es können zwar wold in solchen Fällen die Spasmen 
auch einmal fohlen, wie in dein Falle O p p c n h o i m’s mit 
-Mikrogyrie und Atrophie eines Py S die Extremitäten nur pare- 
tiseh waren. Dior waren aber die Sehneim flexe wenigstens vor¬ 
handen. »Sodann ist daran zu erinnern, dass in Ausnahmefällen 
von direkten Hemiplegien die Extremitäten noch nach Jahren 
im Zustand vollständig schlaffer Lähmung sich befinden können. 


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22. Oktober 1001. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1703 


Schlaffe Lähmungen mit Aufhebung der Sehnenreflexe be¬ 
obachtete auch Sachs [12, 13] in dein von ihm aufgestellten 
Krankheitsbilde der „amaurotischen familiären Idiotie“, welche 
mit Schwäche aller Gliedmaasseu, Abnahme des Sehvermögens, 
Marasmus und verminderter Intelligenz einhergehend fast aus¬ 
nahmslos vor Ablauf des zweiten Lebensjahres mit dem Tode 
endigt. Dabei sind die Sclmenreflexe bald gesteigert oder normal, 
bald fehlen sie ganz. Sachs nimmt auf Grund mehrerer Sek¬ 
tionsergebnisse eine nach verschiedenen Richtungen hin fehler¬ 
hafte Anlage des Centralnervensystems einschliesslich der Pyra¬ 
midenbahnen an. Doch möchte ich nicht aus diesem Fehlen der 
Reflexe bei ganz kleinen und marantischen Kindern einen Schluss 
zu ziehen wagen, der den gewöhnlichen Erfahrungen ganz wider¬ 
spräche. 

Bei unserem Falle jedenfalls dürfen wir uns nicht begnügen 
mit der Annahme eines alleinigen Defektes in den Pyramiden¬ 
bahnen, sondern müssen, um die Schlaffheit der Lähmung zu er¬ 
klären, darau denken, dass der Muskeltonus normaliter durch die 
Hinterst ränge erhalten und dass er durch eine Läsion derselben 
herabgesetzt wird. Die Ilautreflexe und die Sensibilität der 
Haut, sind freilich ganz erhalten. Aber die schweren Störungen 
der Blasen- und Mustdarmthätigkeit, die Angaben des verständigen 
Kindes, dass es die Nothwendigke.it zu uriniren nicht nahen 
fühle, vor Allem aber die ganz erhebliche Ataxie sprechen 
eindringlich für eine Schädigung auch der Hinterstränge. Atak¬ 
tische Störungen kommen zwar wohl auch bei gewöhnlichen cere¬ 
bralen Diplegien vor (Freu d, K ö n i g), aber dann sind es spas¬ 
tische, als ganz andere Zustände. Auf eine Entwickeluugs- 
hemmung des Kleinhirns aber die Ataxie wegen ihres zum Theil 
statischen Charakters zu beziehen, wäre eine Vermuthung, die 
sich zu wenig auf Beobachtungen stützen könnte. 

Wir stellen uns also einen Defekt in erster 
L i n i e der P y r a m i d e n b a h n e n vor, der die sch w c r e 
L ii h mung b e dingt, u n d in zweiter Linie eine n 
Defekt in den II i n t e r s t r ii n ge n, der die Schlaff¬ 
heit der Lähmung, die Ataxie und die Blasen- 
u n d Mastdarmstörung bewirkt. 

Ohne Zweifel ist dieser Zustand seinem Wesen nach ver¬ 
wandt mit dem der Friedreich’sehen hereditären (familiären) 
Ataxie. 

Wie diese, ist er in der Anlage begründet, es besteht starke, 
auch statische Ataxie, es fehlen die Sehnenreflexe, die Sensibilität 
der Haut ist. ungestört, die Intelligenz gut, die Lichtreaktion der 
Pupillen erhalten. Ferner hat die Sprachstörung manche Aehn- 
lichkeit mit der bei der F r i ed r e i c h’schen Krankheit. Auch 
kleinere Züge wie das Wackeln des Kopfes werden hier beob¬ 
achtet; ferner erinnert, die gewaltsame Spreizung der Finger 
an die manchmal gesehene krampfhafte Dorsalflexion der grossen 
Zehen bei der hereditären Ataxie. Mit dem gewöhnlichen Bilde 
der letzteren stimmt nicht überein das Vorherrschen der 
Muskelschwäche, die in unserem Falle ganz bedeutend ist, dort 
unbeträchtlich und wenig ausgedehnt zu sein pflegt. F’erner be¬ 
ginnt jene Krankheit meist erst im 7. Lebensjahre oder später 
und wird im Laufe vieler Jahre allmählich schlimmer. Hier 
dagegen ist das Leiden von der ersten Lebenszeit an vorhanden 
gewesen und hat sieh jedenfalls seit einer längeren Reihe von 
Jahren auf dem gleichen Stande gehalten. 

Gewiss sind das aber keine trennenden Unterschiede. Bei 
der F r i e d r e i c h’schen Krankheit ist eben die Ataxie die 
Hauptsache, die Muskelschwäche von geringerer Bedeutung, in 
unserem Falle ist es umgekehrt, wenn auch die Ataxie, recht er¬ 
heblich ist. Es sind also nur graduelle Unterschiede. Auch 
anatomisch dürfte unser Fall der hereditären Ataxie verwandt 
sein. Bei dieser wird das Rückenmark als Ganzes „auffallend 
klein und schmächtig gefunden; ausserdem meistens kombinirte 
Erkrankung der Hinter- und Seitenstränge (Schultz e). . . . 
Es ist noch zweifelhaft, ob die Seitenstrangaffektion das System 
der PyS betrifft.“ (O p p e n h e i m [14].) 

Diese letztere Frage würde durch unseren Fall bejaht werden, 
wenn der anatomische Nachweis für die Richtigkeit unserer Auf¬ 
fassung erbracht würde. Uebrigens wurde sie auch von manchen 
Untersuchern schon bejaht. 

Ausser den Defekten im Centralnervensystem hat das Kind, 
wie oben erwähnt, eine angeborene doppelseitige Linsentrübung. 
Angeborene Katarakte sollen häufig mit anderen körperlichen 
Entwickelungshemmungen Vorkommen. Fis erinnert die Katarakt 

No. 43. 


übrigens daran, dass eine andere Augenstörung bei cerebralen 
Diplegien öfters beobachtet, wird: die Opticusatrophie (Koni g). 
— Sodann ist bei unserem Falle noch darauf hinzuweisen, dass 
die ersten Zähne spät, erst im 4. Jahre, auftraten und jetzt 
noch tlieilwei.se nicht richtig ausgebildet sind. Vielleicht sind 
diese beiden Entwiekelungsfehler an den Augen und an den 
Zähnen nicht für sich, sondern als Anzeichen einer überhaupt 
gestörten Keimanlage aufzufassen. 

Jedenfalls haben wir für die Defekte im Centralnerven¬ 
system in den beiden Fällen als wahrscheinlichste Ursache eine 
primäre Entwicklungshemmung zu suchen. Für eine spätere 
Entstehung kurz vor der Geburt, während oder nach derselben, 
fehlt jeder Anhaltspunkt. Daher wird es sich auch nicht um 
eine Degeneration der motorischen Bahnen in Folge einer Ent¬ 
zündung, Erweichung oder Blutung, sondern um einfache Hypo¬ 
plasie handeln. Die gleichzeitige Störung in zwei Rückenmarks¬ 
systemen vollends ist kaum anders zu begreifen. 

Es stimmen also diese Beispiele zu der Eingangs gemachten 
Bemerkung, dass die meisten, wenn nicht alle bisher bekannten 
Fälle von infantiler Pseudobulbärparalyse auf ursprünglichen 
Fehlern der Anlage zu beruhen scheinen. 

Der nächste Fall dürfte hiefür auch durch den anatomischen 
Befund eine Stütze sein. 


3. Krankenges <• h 1 e h t e. 


Kaspar W., gel>. 1M3Ö. seit 181*5 Insasse (1er Epileptiker¬ 
pfründe in Würzburg. starb IM!(4 mit öS Jahren an einer sep¬ 
tischen tielenksentzünduug daselbst. Soweit den Aufzeichnungen 
zu entnehmen ist. war W. von Geburt an immer epileptisch. Er 
war körperlich kräftig und thiitig. obwohl er durch eine Lähmung 
der linken (»liedmaassen behindert war. Sein Zustand ist bei 
Sommer [15J folgendennaassen geschildert: 

..Zur Zeit (IMtl.’b besteht eine in ihrer specielleu Form auf¬ 
fallende spastische Lähmung des linken Armes und linken Beines. 
Das linke Bein ist viel geringer entwickelt als das rechte. Die 
Wac hsthumshemmung betrifft alle Gewebe anscheinend in gleicher 
Weise . . . Der linke Arm ist ebenfalls geringer entwickelt als 
der rechte . . . 

W. ist. ohne taub oder blödsinnig zu sein, fast völlig 
stumm, vermöge einer starken cerebralen Artikulationsstörung 
im Facialis- und Hypogloxsusgcbict. Eine Verschiedenheit der 
Facialisiunervation ist nicht zu bemerken. Pfeifen, Schnauze 
bilden etc. ist unmöglich. Mimischer Ausdruck sehr intensiv. 
Sprnelmrtlknlation ganz unmöglich. Fordert man den Patienten 
auf. die Zunge herauszustrecken, so bewegt er den ganzen Unter¬ 
kiefer nach vorne und scheint vergeblich eine Innervation der 
Zunge zu versuchen. Dabei wird die Zungenspitze, auf der unteren 
Zalinreilie gleitend, wirklich bis zur Mitte der Unterlippe geführt. 
Die Zunge selbst ist wohlgenährt. Fordert man den Patienten 
auf, die Zunge zu bewegen, so ist er nicht im Stande, dieselbe 
von dem Mundboden zu erheben, man bemerkt jedoch ein Convex¬ 
werden des vorher flach ausgestreckten Organs, so dass gleich¬ 
zeitig die Zungenspitze eine Kleinigkeit nach vorne geschoben 
wird. Dadurch erklärt sich die ebenerwähnte Thatsaclie, dass der 
Patient die Zunge bis zur Mitte der Unterlippe liervorbringen 
kann. Eine Verschiedenheit zwischen rechts und links, bezw. ein 
Abweichen der Zunge ist bei der erwähnten Innenation nicht zu 
bemerken. Bei der Produktion des Lautes a. welchen er von allen 
Vocalen allein verständlich vorbringt, bleibt die Zunge in toto 
unbeweglich am Boden der Mundhöhle liegen, während an ihrem 
Kücken im mittleren Abschnitt an der Medianlinie eine Konvexi¬ 
tät. bemerklich wird. Dabei ist eine Innervation des weichen 
Daumens deutlich sichtbar. 

Saugen kann W. wie die kleinen Kinder, indem er die Zunge 
als Stempel benützt und ruckweise zieht. Trotz der Unfähigkeit. 
Laute zu produziren, har er die Worte, welche zu Personen und 
Gegenständen gehören, im Bewusstsein, Ja er versucht sie sogar 
richtig zu artikuliren. Sein Gestöhn hat ebenso viel Absätze, als 
das Wort Silben hat.” 

Der Schädel ist im Ganzen zu klein, auf beiden Selten ohne 
merklichen Unterschied. 


Die vom Facialis und ITypoglossus abhängigen Bewegungen 
sind also wieder schwer gestört. Auch diesmal sieht man 
übrigens deutlich, dass nicht etwa bloss einzelne bestimmte Be¬ 
wegungen, wie das Sprechen oder Kauen, leiden, sondern mehr 
weniger alle willkürlichen Bewegungen von Seiten der gerade ge¬ 
troffenen Nerven. Es ist nicht wie bei der motorischen Aphasie, 
wo die zum Sprechen unfähigen Muskeln für andere Funktionen 
völlig verfügbar bleiben. Fis kommen beliebige Kombinationen 
vor, je nachdem eine, zwei oder mehr der centralen Hirnnerveii- 
bahnen defekt sind. 

Fis handelt sieh demnach auch nicht um Defekte umschrie¬ 
bener Hirnrindenstellen. Daher kann auch die l’oron eo- 
p h a 1 i e , die aus der spastischen Hemiplegie mit Fintwickdungs- 
störung geschlossen werden muss, unmöglich Ursache der Arti- 


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1704 


MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


kulationsstörung gewesen sein. Ganz abgesehen von dem rechts¬ 
seitigen Sitze der Porencephalie. Pseudobulbäre Erscheinungen 
finden sich ohne Porencephalie und diese ohne jene. Ebenso wenig 
kann der mangelhafte Zustand der cerebralen Facialis- und Hypo- 
glossusbahnen von der schon während des Lebens festgestellten 
Mikro cephalie abhängig gewesen sein. Die beiden Kinder 
unserer ersten Fälle haben recht grosse Köpfe. Wohl dürfte man 
aber, wenn man wollte, von der Porencephalie, der Mikroccphalie 
und der Unterentwicklung der genannten Bahnen vermuthen, 
dass sie, wenn auch nicht von einander ab hängen, so doch zu¬ 
sammen hängen, als gleichwcrthige Zeichen einer primären 
Entwickelungshenunung im Gehirn. 

Bei der Sektion und nach der Maceration des Schädels ergab 
sich: der Schädel ist. im Ganzen mikrocephal, hat nur 930 ccm 
Inhalt. Die Zustände der Nähte und die Kuochendicke, ebenso die 
Verhältnisse der Achsen sind im Wesentlichen normal, ohne 
nennenswert he Asymmetrie. Gewicht des ganzen Gehirns: nur 
7(50 g, etwa entsprechend dem Schädelinhalt. An beiden Gehirn¬ 
hälften bestehen porencephalisclie Defekte, rechts erheblich grösser 
als links. Dem entsprechend wiegt die linke Hälfte 370 g. die 
rechte nur 230 g. Das Kleinhirn ist 130 g schwer, ist also, wie 
auch sonst bei Mikroccphalie, von ungefähr gewöhnlicher absoluter 
Grösse. 

An der 1 i n k e u Hemisphäre nimmt die porencephalisclie 
Lücke den Platz des unteren Drittels der hinteren Centralwindung 
und den des Gyrus snpramarginalis ein, von vorne nach hinten ver¬ 
laufend, etwa so gross, dass man die vorderen Glieder eines 
kleinen Fingers hineinlegen kann. Rechts ist ein langer, breiter 
Spalt, der von vorne nach hinten und etwas nach oben zieht und 
die ganze untere Stimwindung, die unteren Drittel beider Central¬ 
windungen, die ganze obere Schläfenwindung, sowie die Gyri 
supramarginalis und angularis vertritt. Eigentliche Zerstörungen 
fehlen, die anliegenden Windungen endigen zwar an den Höhlen 
in ungewöhnlicher Form, sind aber nicht beschädigt. Anscheinend 
handelt es sich um primäre frühe Entwicklungshemmungen. Die 
Pia liegt dem Grunde der Höhlen auf. Die Windungen der rechten 
Hemisphäre sind ein wenig schmäler als die der linken, wie es der 
geringeren Grösse der ganzen Hemisphäre entspricht. 

Es konnten Himstamm und Rückenmark näher untersucht 
werden. Vom Hirustamm und obersten Halsmark wurden 
Serienschnitte, vom Rückenmark einzelne Schnitte aus ver¬ 
schiedenen Höhen nach Weigert angefertigt. 

Die Pyramidenbahnen aus der rechten Hemisphäre sind 
überall dürftig ausgebildet. Im Hirnsclienkelfuss nehmen sie 
einen etwa 2>/ 2 mal kleineren Platz ein, als die der anderen Seite; 
die rechte Seite Ist hier ganz verkümmert. Dagegen ist der Theil 
des rechten Hirnsehenkelfusses, der dem lateralen des linken ent¬ 
spricht, voll entwickelt und kräftig gefärbt. In der Brücke sind 
die Felder für die Py B rechts weniger zahlreich, kleiner und 
heller als links. Der linke Brückentlieil ist wieder wesentlich 
umfangreicher als der rechte und nach rechts über die Mittel¬ 
linie hinübergerückt Im Rückenmark sind bis zum Lenden- 
abschnltt die linken Py S schmäler und heller als die rechten. 

Was nun die uns besonders interessirenden Hirnnerven be¬ 
trifft, so sind ihre Wurzeln und Kerne auf beiden Seiten wohl aus¬ 
gebildet und sehr schön gefärbt, so der Oculomotorius, Trigeminus 
sammt cerebraler und spinaler Wurzel, der Facialis, Glossopharyn- 
geus, Vagus u. Hypoglossus. Dagegen findet sich nun an der media¬ 
len Seite des sonst normalen linken Hirnsehenkelfusses etwa da, 
wo ln Obersteine Fs [IG] Figur ISO Feld 2 das Gebiet für 
die corticobulbären Bahnen zwischen der frontalen Brückenbahn 
und der Pyramidenbahn bezeichnet, eine kleine Stelle mit sehr 
wenig Fasern und einem dichten, dunkelbräuulichen Zwisehen- 
gewebe mit spärlichen Gliazelleu und ohne Lücken. Dass hier 
etwa Pyramidenbahnen fehlen, ist unwahrscheinlich; denn das 
Gebiet der betr. Pyramidenbahnen ist weiter spinalwärts, in 
der Brücke und im Rückenmark, im ganzen Querschnitt kräftig 
gefärbt. Auf der rechten Seite lässt sich eine ähnliche Fest¬ 
stellung nicht machen, da der mediale Theil des Fasses mit der 
Pyramidenbahn überhaupt schlecht entwickelt ist. Anders in 
den Briickenquersehnitten, wo die corticobulbären und die Pyra- 
midenbahnen von einander getrennt sind. In den Schnitten des 
proximalen Drittels der Brücke sieht man, dass beiderseits 
in dem medialen Theil der medialen Schleife verschiedene für 
Nervenfasern bestimmte Felder theils keine, theils nur ganz 
wenige Fasern enthalten und dafür von einem grau-bräunliclieu 
Gewebe ausgefüllt sind, das wie das oben erwähnte spärliche 
Gllazellen und keine Lücken birgt. Die Nervenfasern sind zum 
Theil so schmächtig und haben einen so schmalen Markmantel, 
«lass sie erst bei sehr starker Vergrösserung erkannt werden. Im 
ausgesprochenen Gegensatz hiezu sind die übrigen Felder der 
medialen Schleife, besonders deren lateraler Theil, ausgezeichnet 
gefärbt. 

Wir haben nun Grund, nnzunehmen, dass diese fasorarmen 
Felder für die corticobulbären Bahnen bestimmt seien. Ober¬ 
steiner (S. 411) sagt: „auch für die motorischen Ilirnnerven- 
kerne beider Seiten (insbesondere Facialis und Hypoglossus) 
führt die Schleife cerebrale Faserbahnen herab.“ „Die medialsten 
Bündel wenden sieh proximal vom vorderen Brückenrand zum 
Hirn Schenkel hinab, den sie an der Peripherie als Bündel von 
der Schleife zum Fuss umziehen.“ Und nach Edinger[17], 


S. 325, wachsen der oberen Schleife „aus dem Pyramidenabschnitt 
des Fusses Fasern zu, welche, dorsalwärts gehend, sich an sie 
dicht neben die Mittellinie anlegen. Diese Züge, Tractus 
cortieobulbarcs, enden später dorsalwärts steigend in den 
Kernen der Brücke und Oblongata, so die Rindenverbindung 
dieser für die Sprache, Mimik und den Schluckakt wichtigen 
grauen Massen darstellend.“ 

Das histologische Bild der faserarmen Stellen sieht nicht 
wie bei einer Degeneration aus, sondern lässt mehr an eine 
Hypoplasie denken. Dafür spricht auch die ganz erheb¬ 
liche Verkümmerung de« rechten Hirnsehenkelfusses, ferner die 
Verschiebung des grösseren linken Brückentheils über die Mittel¬ 
linie nach rechts, wie solche Platzergreifung bei früh ent¬ 
standenen Hypoplasien und Agenesien beobachtet wird. Dafür 
spricht- vor Allem auch das Fehlen einer erkennbaren Ursache 
für eine Degeneration. Die Rindenpartien für die cortico¬ 
bulbären Bahnen sind links ganz intakt; es sind nicht einmal 
die Pyramidenbahnen betroffen. Der Defekt der linken Hemi¬ 
sphäre war im Leben gar nicht zu diagnosticiren. Die Bündel 
der rechten oberen Schleife und des rechten Hirnsehenkelfusses 
verhalten sich histologisch nicht anders als die faserarmen Stellen 
links; auch sie sind augenscheinlich nicht eigentlich degenerirt. 
Dies stimmt zu der Art der Porencephalie, die wohl nicht auf 
einer späteren Zerstörung, sondern auf einer frühen Entwick¬ 
lungshemmung beruht. 

Hätte man nur den rechtsseitigen porencephalischen Defekt 
und die Verkümmerung der von der rechten Hirnrinde kommen¬ 
den Faserbahnen vor sich, so müsste man versucht sein, dies«; von 
jenem als Ursache abzuleiten. Der Befund auf der linken Seite 
zeigt aber, dass die Faserzüge auch für sich unterentwickelt sein 
können, ähnlich wie cs primäre Fasererkrankungen im Rücken¬ 
mark gibt. 

Wir haben also mit grosser Wahrscheinlichkeit die defekten 
cerebralen Bahnen für die im vorliegenden Falle betroffenen 
Nerven, Facialis und Hypoglossus, gesehen. Wir müssen uns 
vorstellen, dass in den beiden anderen Fällen anatomisch ähn¬ 
liche Zustände vorliegen, nur dass auch noch andere Hirnnerven 
gestört sind. 

Wenn wir es als wahrscheinlich gefunden haben, dass die 
infantile Pseudobulbärparalyse mit Vorliebe oder ausschliesslich 
bei primären Entwickelungshemmungen vorkomme, so ist damit 
nicht gesagt, dass diese Formen im Uebrigen besonders schwer 
sein müssten. In unserem ersten Falle ist ja keine eigentliche 
Lähmung der Glieder vorhanden, die Pyramidenbahnen können 
also nicht stark defekt sein. Auch müssen die Laesionen im 
Gehirn nicht sehr verbreitet sein, wie der Fall Bouchaud’s 
mit der spastischen Parese nur einen Armes zeigt. Bezüglich der 
Sprachstörung im Besonderen betont Freud [18], dass dieselbe 
bei cerebralen Lähmungen mit den übrigen Bewegungsstörungen 
durchaus nicht parallel gehe. Er habe Kinder mit sehr schweren 
allgemeinen Störungen gesehen, die deutlich sprachen. Bei diesen 
muss also die Sprachbildung sowohl, als die Artikulation un¬ 
berührt gewesen sein. 

Die bisher bekannten Fälle von angeborener infantiler 
Pseudobulbärparalyse sind wie die unserigen nicht selb¬ 
ständig, obschon dies theoretisch wohl denkbar wäre, sondern 
alle verbunden mit motorischen Störungen von Extremitäten. 
Man fasst die infantile Pseudobulbärparalyse als Theilerschei- 
nung der „cerebralen Kinderlähmungen“ auf. Dies stimmt für 
unser erstes und drittes Beispiel ohne Weiteres, das zweite aber 
lehrt, dass sie auch mit anders gearteten Erkran¬ 
kungen des Centralnervensystems sich ver¬ 
einigen kann. 

Dass keineswegs Störungen der Intelligenz mit den cere¬ 
bralen Lähmungen und pseudobulbären Symptomen vergesell¬ 
schaftet sein müssen, zeigen unsere Fälle klar. Sogar der Mann 
(Fall 3) mit Mikrocephalie und Porencephalie hatte einen recht 
guten Verstand. Auch in den oben aufgeführten anderen Bei¬ 
spielen von infantiler Pseudobulbärparalyse wird wiederholt die 
gute Begabung der Kinder betont; nur in Oppenheim's Falle 
von Mikrogyrio wird von geringem Schwachsinn und bei dem 
Epileptiker Bouchand’s von geistiger Beschränktheit ge¬ 
sprochen. Ueberhaupt ist bei cerebralen Diplegien eine Ueber- 
einsiiinmung zwischen den motorischen und psychischen Sym¬ 
ptomen durchaus nicht Regel, wenn auch in vielen Fällen beide 


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22. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


170*5 


gleichzeitig vorliegen. Die Hirnrinde braucht nicht ausgedehnt 
und nicht tief beschädigt zu sein. 

Nebenbei bemerkt muss es bei schwer gelähmten Kindern 
oft recht schwierig sein, eine eigentliche direkte Intelligenz¬ 
störung festzustellen. Es sind jedenfalls alle Momente sorgfältig 
abzuwägen, welche indirekt auch eine an sich genügend grosse 
Intelligenz in ihrer Ausbildung hemmen mussten: die Er¬ 
schwerung der Verständigung mit der Umgebung durch die 
Sprachstörung, die Abgeschlossenheit von der Aussenwelt durch 
die Lähmung, äussere dürftige Verhältnisse, fehlender Unter¬ 
richt, je nachdem noch eine Sehschwache. Zu diesen Ab¬ 
wägungen gehört eine wochenlange Beobachtung in einem Kran¬ 
kenhause, wo die Kinder in ihrem Benehmen gegenüber den 
kleinen Ereignissen des Tages gesehen werden. Aus diesen Grün¬ 
den würde es mir auch schwer fallen, eine amaurotische „Idiotie“ 
klinisch zu diagnosticiren, wenn es sich um Kinder unter 
2 Jahren handelte, deren geistige Regsamkeit durch schwere all¬ 
gemeine Lähmungen, Blindheit und tötlichen Marasmus auf’s 
Aeusserste beeinträchtigt sein muss. 

Meinem verehrten Chef, Herrn Prof. Rieger, spreche ich 
für die gütige Ueberlassung der Fälle und für sein Interesse an 
ihrer Beschreibung meinen aufrichtigen Dank aus. 

Literatur. 

1. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. — 2. Wien. klin. 
Woclieuschr. 1900, No. 24. — 3. Citlrt bei Freud: Die cerebralen 
Diplegien des Kindesalters, 1893. — 4. Neurol. Centralbl. 1895, 
S. 130. — 5. Berl. klin. Wochensohr. 1895, No. 34. — 6. CItirt bei 
Brauer, cf. 1. — 7. Neurol. Centralbl. 1898, S. 573. — 8. Wien, 
klin. Woelienschr. 1899 No. 40. — 9. Neurol. Centralbl. 1901, 
S. 632. — 10. Neurol. Centralbl. 1895, S. 799. — 11. Anton: lieber 
angeborene Erkrankungen des Centralnervensystems. Wien 1890. 

— 12. Deutsch, med. Woelienschr. 1898, No. 3. — 13. Sachs: Die 
Himliihmungen der Kinder. Volkmann’sehe Vorträge 46, 47, 1892. 

— 14. Oppenheim: Lehrbuch der Nervenkrankheiten, 1898, 
S. IGO. — 15. R. Sommer. Diagnostik der Geisteskrankheiten, 
1901, S. 217. — 16. Obersteiner: Nervöse Centralorgane, 1901. 

— 17. Edinger: Bau der nervösen Centralorgane, 1900. — 
18. Cf. No. 3. 


Vergleichende Untersuchungen über die Leistung 
versheiedener Inhalationssysteme. 

Von Alfred Wassmuth in Monsheim. 

Auf die in No. 40 der MUncli. med. Woelienschr. zum Abdruck 
gelangte Antwort des Herrn Professors Dr. It. Emmerich 
(vergl. meine Entgegnung in No. 34 der gleichen Wochenschrift) 
möge mir eine kurze Erwiderung vergönnt sein. 

Es lag und liegt mir fern, Herrn Professor Emmerich 
„kindliche, schülerhafte Versuchsfehler“ supponireu zu wollen, 
welche bei dessen Stellung und Vergangenheit als unmöglich an¬ 
genommen werden müssen. Wenn aber dennoch zu Folge meiner 
Ausführungen wegen der durch den Druckfehlerteufel in die 
Abhandlung des Herrn Professor Emmerich hineingerathenen 
Capillare (c) der Schein gegen mich sprechen sollte, so möge mir 
diese unbeabsichtigte Wirkung verziehen sein. 

Worauf es aber nukommt und was auch den Hauptgegenstand 
meiner Entgegnung bildet, so bin ich nach wie vor der TTeber- 
zeugung, dass unglückliche Momente die normale Funktion meines 
Apparates im Münchener allgemeinen Krankenhause 1/1. ver¬ 
hindert haben müssen, als Herr Professor Emmerich seine 
Untersuchungen vornahm. Diese anormale Funktion musste Herrn 
Professor Emmerich zu den von sonstigen Beobachtungen 
so ausserordentlich abweichenden Resultaten führen, welche Herr 
Professor Emmerich in No. 40 d. Woelienschr. durch weitere 
theoretische Erwägungen zu begründen sucht. Herr Professor 
Emmerich macht mir — nicht ganz mit Unrecht — den Vor¬ 
wurf, dass ich bei meinem Rechenexempel wegen der Ansammlung 
von Kochsalz in meinen Inhalationsräumen offenbar das vergessen 
hatte, was von mir einige Zeilen vorher ln Bezug auf die Luft¬ 
erneuerung mitgetliellt worden Ist Ich hätte sagen müssen: 
„In Reichenhall, wo 12 Apparate von mir tagtäglich im Sommer 
„arbeiten, müssten sich somit jeden Mittag ca. lli/ 2 Pfund Salz 
..vorfinden, resp. so viel weniger, als an Krystallen während des 
„Vormittags eingeathmet und mit der ausströmenden Ventilations- 
„luft dem Inhalationsraum entzogen worden ist“. Dass es sich 
dabei nur um einen Theil und nicht „fast allen“ Kochsalzstaub 
— (Hier sagen wir auch — Flüssigkeitsstaub — handeln kann, sei 
nebenbei bemerkt, da die Ventilationsluft ihren W’eg nicht allein 
durch die Abzugskanäle. sondern auch durch Wände und Decke 
nimmt. Ich muss aber konstatiren, dass der Herr Prof. E in m e - 
rieh wenige Zeilen später bei seinem Kocheiiexempel ebenfalls 
dieser Lufterneuening nicht, gedacht hat. 

Herr Prof. Emmerich sagt: „Die pro Stunde in den Wass- 
„inuthinhalationsraum gelangten 900 ccm wären also im Stande 
„gewesen (900 x 7,2 g) gleich 6*4 Liter zerstäubter Soole voll¬ 
ständig wegzutrockneu, weun so viel zerstäubt worden wäre“. 


Diese Rechnung stimmt keinesfalls und zwar aus folgenden Grün¬ 
den. Der Wassmuthraum enthält nach früherer Angabe 72 cbm. 
Mein Apparat schafft pro Stunde ca. 900 cbm Aussenluft iu den 
Raum, in 5 Minuten also ca. 72 cbm. Diese 72 cbm treiben die im 
Raum vorhandenen 72 cbm durch die Abzugsöffnungeu etc. hinaus. 
Nach weiteren 5 Minuten treten weitere 72 cbm Aussenluft in den 
Inhalationsraum ein und verdrängen die während der ersten 
5 Minuten eingeführten 72 cbm u. s. w. Zieht mau dieses Moment 
in Betracht, so kommt man zu ganz anderen Resultaten. 

Herr Prof. Emmerich ist der Ansicht, dass die leidende 
Menschheit und meine Wenigkeit für seine Entdeckung des Koch¬ 
salznebels im Münch, allg. Krankenhause 1/1. dankbar sein müsste, 
und dass es meinerseits klüger gewesen wäre, seinen Winken in 
Bezug auf Verbesserung meines Apparates zu folgen, als seine 
Abhandlung ln der von mir beliebten Weise zu kritlsiren. Mit. 
dieser Ansicht würde Herr Prof. Emmerich vollständig im 
Rechte sein — und ich wäre jedenfalls der Letzte, welcher wohl¬ 
gemeinten und mir einleuchtenden Verbesserungsvorschlägen das 
Ohr verschlösse —, wenn — ja — wenn seine Entdeckung Irgendwo 
sonst als zutreffend bestätigt werden könnte. Aber dies ist keines¬ 
wegs der Fall. Inzwischen angestellte Untersuchungen in meinen 
Inhalationsräumen in Soden a. T. und Münster a. St. haben er¬ 
geben, dass nach 5 Minuten langer Exposition von Objektträgern 
an verschiedenen Stellen des Inhalationsraumes weit über 
100 000 Sooletröpfchen bis zur Grösse von Blut¬ 
körperchen pro Quadratcentlmeter zu konstatiren 
sind und dass von Kochsalzkr.vstallen nichts zu bemerken ist. 
Wie mir mitgetliellt worden, sollen auch ln meinen Inhalations¬ 
räumen in Baden-Baden Untersuchungen mit gleich günstigen Er¬ 
gebnissen vorgenommen worden sein. — Die Resultate werden 
demnächst publizirt werden. 

Bei dieser Sachlage erscheint es unumgänglich nothwendig, 
lin Wassrauthinhalatorium im Münchener allg. Krankenhause 1/1. 
eine Nachprüfung vorzunehmen und habe ich nach erhaltener 
Kenntniss der ersten Abhandlung des Herrn Prof. Emmerich 
alsbald meine Bereitwilligkeit zum Ausdruck gebracht, mich der 
Reise nach München unterziehen, der Nachprüfung beiwohnen 
und dafür sorgen zu wollen, dass mein Apparat so arbeitet, wie 
man es anderwärts von ihm gewohnt ist. 

Ich hoffe und wünsche, dass mir bald Ordre wird, nach Mün¬ 
chen zu kommen und dürfte die vorliegende Streitfrage dann leicht 
zur Klärung und Ruhe gelangen. 


Auf die vorstehende Entgegnung des Herrn Wassmuth 
habe ich wenig zu erwidern. Unrichtig ist die Behauptung des 
Herrn Wassmuth, dass ich bei meinem Rechenexempel der 
Luftemeuerung nicht gedacht hätte und „dass meine Rechnung 
nicht stimme“. Die Ausführungen, die Herr Wassmuth zur 
Begründung dieser seiner Behauptung macht, sind nicht nur mir, 
sondern auch anderen Fachmännern der Ventilationstechnik gänz¬ 
lich unverständlich. 

Das von mir experimentell ermittelte Resultat deckt sich voll- 
Kominen mit der Rechnung, so dass ich eine „Nachprüfung“ der 
Untersuchungen im Inhalationsraum des Krankenhauses 1. d. I. 
für überflüssig halte. Ich bin aber gerne bereit, Herrn Wass¬ 
muth an genannter Stelle von der Richtigkeit meines Befundes 
zu überzeugen. 

Iu meiner letzten Erwiderung soll es statt 900 ccm selbst¬ 
verständlich 900 cbm heissen. Prof. Dr. Emmerich. 


Adolf Fick. + 

(Nekrolog.) 

Mit Adolf Fick, dem jüngst in Blankenberghe ver¬ 
storbenen Würzburger Physiologen, geht einer der letzten Ver¬ 
treter der glänzenden Physiologenschule aus der zweiten Hälfte 
des vorigen Jahrhunderts zu Grabe, düreh deren Arbeit und 
kritische Schärfe die moderne mechanische Physiologie mit 
begründet und ausgebaut worden ist. Zur vollen Würdigung des 
ganzen Menschen ist aber bei Adolf Fick neben seiner Be¬ 
deutung als Forscher, Gelehrter und Lehrer nuch seine energische 
und thatkriiftige Unterstützung öffentlicher, besonders erziehe¬ 
rischer Fragen hervorzuheben. Er war überall, wo er mit angriff, 
eine hervorstechende eigenartige Erscheinung und verdient, in 
der Ehrentafel der Geschichte an besonderer Stelle eingetragen 
zu werden. 

Adolf Fick war am 3. September 1829 in Kassel geboren, 
wo sein Vater als Geheimer Oberbaurath in hessischen Diensten 
stand. Nuch einer Haustradition stammt die Familie Fick 
aus dein Salzburgischen, von wo ein Vorfahre als vertriebener 
Protestant etwa um 1730 in das damalige inarkgräflich- 
Baireuthische Land eingewandert ist. — Der Vater F i c k’s stand 
zuerst als angesehener Ingenieur in bayerischen Diensten in 
Erlangen. Er wurde zur Oberaufsicht und Reorganisation des 
Strassenbauwesens von der hessischen Regierung nach Kassel 
berufen; dort wurde als letztes von 9 Kindern Adolf Fick 
geboren. 

4 * 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


1706 


F i ck , an dem sieh schon in der Jugend eine hervorragende 
mathematische Begabung aussprach, bezog die Universität mit 
der Absicht, Mathematik 2 u studiren. Sein älterer Bruder 
Heinrich, der erst vor wenigen Jahren als Professor des römischen 
Rechts an der Hochschule Zürich gestorben ist, übermiete ihn 
zum Studium der Medicin, das er in Marburg und Berlin betrieb; 
an erste rer Hochschule promovirte er im September 1851. Schon 
im Jahre 1852 wurde er unter C. Ludwig, mit dem er für das 
ganze Leben in inniger Freundschäft verbunden blieb, Pro¬ 
sektor in Zürich, habilitirte sich daselbst im Jahre 1856 und er¬ 
hielt als Nachfolger von Ludwig und Moleschott im 
Jahre 1862 die ordentliche Professur für Physiologie in Zürich, 
die er durch 6 Jahre innc hatte. Im Jahre 1868, nach v. Bezold’s 
frühem Tode, wurde er nach Würzburg gerufen, wo er die Lehr¬ 
stelle für Physiologie 31 Jahre lang bekleidete. Sein Wirken 
daselbst wird noch an anderem Orte besondere Würdigung er¬ 
fahren. Mit Ende des Sommerseinesters 1890 trat er von seinem 
Lehrauftrag zurück, nicht aus Arbeitsmüdigkeit oder Alters¬ 
schwäche, sondern bei vollster Frische des Körpers und des 
Geistes, in strenger Befolgung eines lange ausgesprochenen 
Vorsatzes, mit vollendetem 70. Lebensjahre jungen Kräften Platz 
zu machen. 

Die Zeit, zu der F i c k in die Physiologie eintrat, kann man 
noch zu dem Anfang der modernen, schulgemäss anerkannten 
und betriebenen wissenschaftlichen Modicin rechnen. Durch den 
Aufschwung der Chemie mit dem Beginn des vorigen Jahr¬ 
hunderts hatte zuerst eine richtige Fragestellung in der Biologie 
begonnen. Die ersten von der Naturwissenschaft gewonnenen 
sicheren Positionen hatte man sofort dazu benützt, die Lehre von 
der Lebenskraft abzusetzen und die wichtige Thesis aufzustellen, 
dass man versuchen müsse, die spezifischen Lebenserscheinungen 
als durch chemische und physikalische Vorgänge bedingt zu er¬ 
klären. Gerade wie die Chemiker La voisier , L i e b i g u. A. 
mit den für ihre Spezialdiseiplin gewonnenen Erkenntnissen 
sofort an die Lösung biologischer Fragen sich machten, ebenso 
ging eine physikalische Schule von ihrem Standpunkte aus an 
die Disoussion der ihr zugehörigen physiologischen Fragen. Die 
Gebrüder Ernst Heinrich und Eduard Weber, II elmholt z, 
du Bois-Rcymond, Ludwig, Brücke sind die her¬ 
vorragendsten Namen aus dieser Schule, die jetzt schon der 
Geschichte angehören. Zu diesen ..physikalischen“ Biologen 
muss Adolf Fick nach seiner hervorragenden physikalischen 
Beanlagung und Schulung, sowie nach seinen Leistungen gestellt 
werden. 

Es ist schon verschiedentlich behauptet worden, dass die 
Ergebnisse der rein physikalisch-physiologischen Bestrebungen 
von Seiten so vieler hervorragender Gelehrter nicht so reich¬ 
haltig sind, als diese Schule selbst es für sich und als man 
es allgemein von dieser Schule erwartet hatte. Es habe die 
anfänglich mit viel geringerem äusseren Erfolge in die Arena 
getretene chemische Richtung der Physiologie bis heute grössere 
praktische Erfolge für die Gesammt-Mediein aufzuweisen, als 
die rein physikalische Richtung. Wer aber möchte eine so fun¬ 
damentale Disciplin wie die Biologie nur nach dem klingenden 
Erfolg beurtheilen und wer könnte heute, wo wir ja eigentlich 
noch im Anfänge einer richtigen Fragestellung in der Biologie 
sind, es schon unternehmen, die einzelnen Fachwissenschaften 
nach dem Antheil, der von ihren Errungenschaften jetzt in 
Scheidemünze nusmünzbar ist, zu klassifiziren? 


Schon im Jahre 1849 als 19 jähriger Student veröffentlichte 
Fick seine erste wissenschaftliche Untersuchung, über die 
Musculatur des Oberschenkels, die heute noch eine sehr lesens- 
wertlie Analyse der mechanischen Verhältnisse der Ilüftgelenks- 
musculatur darstellt. Diesen Untersuchungen über die Mechanik 
des menschlichen Körpers blieb Fick immer zugethan. Er 
beschrieb monographisch die Gelenke mit sattelförmigen Flächen, 
gab in seiner medicinischen Physik, deren erste Auflage im 
Jahre 1856 erschien, eine vorzügliche Darstellung der Mechanik 
der Gelenke überhaupt; in dem grossen Sammelwerk über Physio¬ 
logie (L. Iler m a n n) übernahm er die spezielle Bewegungslehre 
und regte immer einzelne seiner Schüler für gleichartige Unter¬ 
suchungen an. 

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Mechanik des 
Körpers führte Fi ck zu einer Spczialfrage, der er den grössten 
Theil der Arbeitszeit und Kraft seiner reifen Jahre widmete, 


der nach dem inneren Vorgänge bei der Muskelzusammen¬ 
ziehung. Es sind ungefähr 30 Abhandlungen von Fick selbst, 
dazu eine Anzahl von Arbeiten seiner Schüler, die sich auf 
Einzelfragen der Muskelphysiologie beziehen. Die ersten Mit¬ 
theilungen erschienen in der Züricher Vierteljahrsschrift, die 
späteren im Pfliiger’schen Archiv, sowie in den Sitzungsberichten 
und Abhandlungen der Würzburger physikalisch-medicinischen 
Gesellschaft. Einmal war es die Wärmeentwicklung bei der 
Contraction, die spezieller untersucht wurde. Fick konstruirte 
neue thermo-elektrische Vorrichtungen, womit es ihm gelang, 
auch die absoluten beim Tetanus entwickelten Wärmemengen 
annähernd zu bestimmen. Sodann definirte er neu die wichtigen 
Begriffe der isometrischen und isotonischen Zuckung und stu- 
dirte die Einzelheiten bei diesen Zustandsänderungen der Muskel- 
substanz. Zur Messung der Arbeit konstruirte er seinen Arbeits- 
snmmler. Als Resultat endlich aller seiner Muskelstudien sprach 
er seine Ideen über das Wesen des Contraetionsvorganges selbst 
aus. Die spezielle Formulirung seiner Hypothese ist nicht ohne 
Widerspruch geblieben. Eine Folgerung Fick’s aber, die er 
gewissermaasen per exelusionem gewonnen hat, insofeme andere 
mögliche Erklärungsarten der Muskeleontraction als durch Be¬ 
denken, die aus dem zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärme¬ 
theorie folgen, für ausgeschlossen gelten müssen, ist wohl von 
ganz prinzipieller Bedeutung. Nach Fick kann die durch 
chemische Umsetzungen im Muskel erzeugte kinetische Energie 
speziell nicht in der Weise entstehen, dass die verbrauchte che¬ 
mische Energie zuerst in Form von Wärme entwickelt und diese 
erst in die geordnete kinetische Energie der Zusaramenziehung 
umgowandelt wird; es müssen vielmehr die chemischen Spann¬ 
kräfte, die im Muskel aufgespeichert sind, so geordnet sein, dass 
sie bei ihrer Ueberführung in kinetische Energie direkt die Ge- 
stnlt.sveränderung des Muskels bewirken. Die Zusammenziehung 
ist also nicht ein thermodynamischer Vorgang, wie ein solcher 
:n der Dampfmaschine geschieht, die chemische Energie wird 
vielmehr direkt in die geordnete kinetische Energie der Con¬ 
traction umgewandelt. — Mit dieser wichtigen Definition über 
den Vorgang der Muskelzusammenziehung ist eine erste wichtige 
Etappe in der Aufklärung der contractilen Substanzen gewonnen 
und jede weitere Disoussion über diese Frage wird hier anknüpfen 
müssen. 

Weiterhin hat sich A. Fick vielfach mit Untersuchungen 
über Ilaemodynamik beschäftigt. Er verbesserte zunächst die 
Methodik der Aufzeichnung der Blutdruckkurve. Die von ihm 
hiezu angegebenen Instrumente, das Federmanomoter und das 
Kautschuk-Federmanometer sind allgemein in Gebrauch ge¬ 
nommen. Er analysirte zuerst mittels des von ihm konstruirten 
(jetzt Plethysmograph genannten) Apparates die Geschwindig¬ 
keitsverschiedenheiten des strömenden Blutes in Arterie und 
Vene mit aller Klarheit und Bestimmtheit (Arbeiten des Züricher 
Laboratoriums 1868). Heber die Erscheinung des Dikrotismus, 
über den Blutdruck in der Herzkammer und den grossen Gefässen 
gab er durch neue Untersuehungs- und Betrachtungsmethoden 
werthvolle Aufschlüsse. 

Von der Physiologie der Sinnesapparate kultivirte er be¬ 
sonders den Gesichtssinn. Seine Dissertation: Tractatus de 
errore optieo etc., Marburg 1851. behandelt hauptsächlich die 
Erscheinungen des Astigmatismus (Helmholtz: Physiolog. Optik, 
pag. 147). Vielfach beschäftigte sich Fick mit Spekulationen 
über Erklärung des Farbensinnes; eine Reihe von kritischen und 
experimentellen Studien hat er darüber veröffentlicht. Sein 
letzter Vortrag in der Würzburger physikalisch-medicinischen 
Gesellschaft behandelt die H e r i n g’sche Theorie des Farben¬ 
sehens. — Zum Gehörsinn gab er eine experimentelle Arbeit über 
den Mechanismus des Paukenfells und liess von einem Schüler 
(X o 1 d a) ein Paukenfellmodell prüfen. — Ueber den Tastsinn 
enthalten die Mole s e h o t t’schen Untersuchungen des Jahres 
1860 eine Arbeit von Fick. 

Zur Physiologie der Nervensubstanz überhaupt hat A. F i c k 
nur einzelne Aufsätze publizirt. ln den Jahrgängen 1862 mit 
1864 der Wiener Akademieberichte und in der Festschrift für 
E. H. Weber im Jahre 1871 veröffentlichte er Studien über 
Xervonreizung. Einzelne Aufsätze behandeln die Rückenmarks- 
empfindlichkeit. Die Abhandlung über verschiedene Erregbar¬ 
keit funktionell verschiedener Präparate verdient besondere 
Hervorhebung. 


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22. Oktober 1901. 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1707 


Von den Arbeiten F i c k’s über Stoffwechsel, Verdauungs- 
und Drüsen-Physiologie ist besonders bekannt geworden die 
mit Job. W ialicenus zusammen angestelltc Messung des bei 
einer grossen Arbeitsleistung (Bergbesteigung) geschehenen Ei¬ 
weissumsatzes. Das Resultat, dass das bei der Muskelarbeit ver¬ 
brauchte chemische Material stickstofffrei sein müsse, wurde 
alsbald allgemein anerkannt. — Die Versuche und Veröffent¬ 
lichungen über Peptone, deren Schicksal in der Blutbahn, über 
Pepsinwirkung, über die Bedeutung der verschiedenen Nahrungs¬ 
stoffe waren durch gelegentliche Beobachtungen in den Vor¬ 
lesungen, für die Fick sehr zahlreiche und mühevolle Experi¬ 
mente vorbereitete und demonstrirte, hervorgerufen. 

Die Lehrbücher, die A. Fick verfasste, zeichnen sich durch 
Klarheit der Darstellung, Schärfe des Ausdrucks und der kriti¬ 
schen Besprechung aus. Das erste Buch: „Die medicinische 
Physik“ schrieb er in seinem 27. Lebensjahre; es erlebte 3 Auf¬ 
lagen. Es war das Buch, das den jungen Physiologen sofort als 
Kandidaten bei Sedisvacanzen bekannt machte. Von dem „Kom¬ 
pendium der Physiologie“ erschienen 4 Auflagen; die letzte im 
Jahre 1892. Schon im Jahre 1862 gab er ein „Lehrbuch der 
Anatomie und Physiologie der Sinnesorgane“, als Theil eines 
grossen Sammelwerkes heraus. Von dem schon genannten aus¬ 
führlichen „Handbuch der Physiologie“ schrieb er noch den Ab¬ 
schnitt über Dioptrik und über Lichtempfindung. — Aus dem 
physiologischen Laboratorium in Zürich erschienen im Jahre 
1869, aus dem Würzburger Institut in den Jahren 1873 bis 1878 
„Physiologische Untersuchungen“ (vier Lieferungen). Beim 
C a n s t a t t’schen Jahresbericht war er 14 Jahre lang, von 
1852 an, Referent über physiologische Literatur. 

Die besondere Begabung und Schulung F i c k’s für mathe¬ 
matisch-physikalische Fragen, die ihn z. B. auch dazu befähigte, 
bei Vacanz des physikalischen Lehrstuhls die Experimental¬ 
vorlesung über Physik zu halten, bethätigte er auch in eigener 
Produktion als Forscher und Schriftsteller auf diesen Gebieten. 
Am bekanntesten ist die Arbeit über Hydrodiffusion in den 
Poggendorf’schen Annalen. Die meisten der hieher gehörigen 
Aufsätze fallen in das Grenzgebiet zwischen Physik und Philo¬ 
sophie, besonders die Grundbegriffe der Mechanik und die durch 
die mechanische Wärmetheorie gewonnenen Anschauungen waren 
der Lieblingsgegenstand seiner Spekulationen. Eine kurze Auf¬ 
zählung der Titel der wesentlichsten hieher gehörigen Abhand¬ 
lungen möge hier genügen: „lieber die der Mechanik zu Grunde 
liegenden Anschauungen“, „lieber die Zerstreuung der Energie“, 
„Versuch einer physischen Deutung der kritischen Geschwindig¬ 
keit in Weber’s Gesetz“, „Heber Druck im Innern von Flüssig¬ 
keiten“. — Mehr nach der philosophischen Seite liegen die Ab¬ 
handlungen : „Die Naturkräfte in ihrer Wechselwirkung“, „Die 
Welt als Vorstellung“, „Das Grössengebiet der vier Rechnungs¬ 
arten“, „Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit“, 
„Die stetige Raumerfüllung durch Masse“ etc. 

Schon diese flüchtige Uebersicht über F i c k’s literarische 
Thätigkeit zeigt, wie umfassend er sich das Arbeitsgebiet abge¬ 
steckt und wie tiefgründig er es bearbeitet hat. Aber auch in 
allen übrigen Zweigen menschlichen Wissens war er mit seltener 
Vielseitigkeit unterrichtet; er war ein aussergewühnlieh gelehrter 
und belesener Mann. Seiner Definition entsprechend: ein ge¬ 
bildeter Mann sei Derjenige, der von den wesentlichsten Ergeb¬ 
nissen der Geistesarbeit der gesummten Menschheit einen guten 
Ueberblick sich verschafft habe, studirte und beherrschte er ein 
sehr umfassendes Wissensgebiet. Unterstützt wurde er in diesem 
Bestreben durch ein besonders treues GcdUchtniss. das er bis zu¬ 
letzt in voller Frische sich erhielt. 

Die hervorragende Stärke in der Beanlagung F i e k’s war 
sein kritischer Verstand. Die Grundfragen der Erkenntniss- 
lehre. der Mechanik behandelte er mit seltener Klarheit und 
Schärfe und verstand es, eine Reihe ihm neu vorgetragener Vor¬ 
stellungen richtig zu analysiren und zu beurtheilen. Er galt bei 
seinen Bekannten als berufener wissenschaftlicher Kritiker. 

Bei seinen experimentellen Arbeiten half ihm eine hohe 
manuelle Geschicklichkeit. Er rühmte sich, aus der Schule 
B u n s e n’s zu stammen, und befolgte dessen Manier, die ersten 
Modelle neuer wissenschaftlicher Apparate mit einfachen Mitteln 
sich selbst zusammenzustellen. Die Konstruktion der verschie¬ 
denen von Fick eingeführten Instrumente: Manometer, Ple¬ 
thysmograph, Pneumograph, thermoelektrische Säulen etc. gibt 
davon Zeugnis«. 


Man würde der Erscheinung F i c k’s nicht gerecht werden, 
wenn man ihn nur als Gelehrten, nur von der Verstandesseite 
beurtheilen wollte. Fick fasste die sittlichen Aufgaben des 
Mannes höher als die Verstandesaufgaben. Die Stellung, die 
durch Begabung und Fleiss der Mann sich erringt, muss er be¬ 
nutzen, um seinen Idealen, den sittlichen Aufgaben, gerecht zu 
werden. Diese Verpflichtung nahm Fick hoch ernst und ver¬ 
folgte sie mit fortschreitenden Jahren in immer rückhaltloserer 
Weise, nicht nur in Worten, sondern unter Aufbringung grosser 
persönlicher Mittel, so dass man sagen kann, er war ein Agitator 
für seine Ideale. Diese Agitation betrieb er vor Allem literarisch, 
im persönlichen Verkehr nur in seiner Gesellschaft. An die 
Allgemeinheit wandte er sich als Redner nicht. Dazu hatte er 
nicht die hiefür nothwendige Unmittelbarkeit der Beredsamkeit. 
Seine Rede war immer überlegend, jedes Wort abgewogen, ob es 
für den gerade zu nennenden Begriff das richtige, am besten 
angepasste sei. Solche kritische Naturen sind keine Volksredner. 

Wie ernst und energisch Fick seine Aufgabe anfasste, be¬ 
weisen am besten seine eigenen Worte. In einem Aufsatze über 
Vorbildung zum Studium der Medicin schreibt er: „Das Maass 
der idealen Gesinnung eines Mannes ist offenbar lediglich zu 
schätzen nach der Grösse der Opfer, die Jeder für seine Ideale 
bringt. Man hätte z. B. auszurechnen, den wievielten Theil 
ihres Einkommens die Einzelnen für diese Zwecke aufwenden. 
Ich muss sehr befürchten, dass solche Ermittelungen nicht zum 
Vortheile der Bevölkerungsklasse ausfielen, welcher ich selbst an¬ 
zugehören die Ehre habe.“ 

Fick spricht hier aus, was ihm theilweise selbst begegnete 
und was ihm nach den Erfahrungen aller Reformatoren be¬ 
gegnen musste: er fand mit seinen Neuerungen viel Indifferen- 
tismus, auch Widerstand und durchaus nicht allgemeine Gegen¬ 
liebe. Auf seine Grundsätze hatte das aber gar keinen Einfluss; 
er blieb fest bei dem „kategorischen Imperativ“ der Erfüllung 
seiner Ideale. 

Von diesen Bestrebungen F i c k’s können nur die auf's 
öffentliche Leben bezüglichen Punkto kurz angedeutet werden. 

Von seiner politischen Stellung erzählt er selbst, dass er 
als ganz „unpolitischer“ junger Mann nach Zürich gekommen 
sei. Die jammervollen Zustände in Kurhessen, unter denen er 
aufwuchs, mussten einem ideal beanlagten Jünglinge jeden Rest 
von Vaterlandsliebe nehmen. In der Fremde erst, wohl angeregt 
durch die hochbegabten politischen Flüchtlinge, Kinkel, 
Sein per u. A., mit denen er in Zürich zusammenlebte, ent¬ 
wickelte sich der glühende Patriotismus, der in den Gescheh¬ 
nissen des Jahres 1870 seine theilweise Erfüllung fand, der bei 
ihm aber werkthätig sich äussern musste. Er war grossdeutsch 
im vollsten Sinne des Wortes: sein Ideal war die politische Ver¬ 
einigung aller deutschen Stämme. So wurde er ein eifriges Mit¬ 
glied des alldeutschen Verbandes,‘des deutschen Kolonialvereins, 
des Schulvereins, des Vereins zum Schutze deutscher Interessen 
im Auslande, des Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger etc. und 
brachte für alle diese Bestrebungen grosse Opfer. 

Weiterhin interessirte sich Fick besonders lebhaft für die 
Alkoholfrage. Sowie erst in Deutschland Vereinigungen zur Be¬ 
kämpfung der Trinksitten sich gebildet hatten, trat er diesen bei, 
verpflichtete sich zu ständiger Abstinenz und wurde ein eifriger 
Führer für die Verbreitung der Abstinenz. Der geringe Fort¬ 
schritt, den in Deutschland die Abstinenzsache machte, war ihm 
ein grosser Schmerz. Immer wieder wies er auf das Beispiel 
Amerikas hin, das für ihn das I>and der Zukunft war und von 
dem er auch in anderen Fragen l>efreiende Neuerungen für die 
Menschheit erwartete. 

Mit der gleichen Begeisterung trat Fick für alle fort¬ 
schrittlichen Fragen, besonders des Erziehungsgebietes, ein. In 
jeder neu aufgeworfenen Idee schien ihm der Keim für eine 
Verbesserung der menschlichen Verhältnisse zu liegen. 

In einem Briefe, worin er seiner Freude über die Be¬ 
sprechung der Alkoholfrage Ausdruck gibt, sagt er selbst : „Mir 
spricht schon überhaupt in allen Gebieten der mit dem historisch 
Gewordenen nicht paktirende Radikalismus und Rationalismus 
immer zum Ilerzen.“ So stand er in der Frauenfrage unbe¬ 
dingt auf Seite derjenigen, die die jetzige Ordnung der Dinge 
gründlich verändern wollen. — ln der Gymnasialbildung er¬ 
strebte er weitgehende Reformen. An der Erweiterung der 
Kompetenzen der Realgymnasien hat er wacker mitgekämpft; 
die Erfüllung dieser Bestrebungen hat er gerade noch erlebt. 

e 



No. 43. 


1708 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


Fick hatte ein überaus schönes und glückliches Familien¬ 
leben. Er war ein treubesorgter, liebevoller Gatte und Vater 
und wurde von den Seinigen wieder über Alles geliebt und hoch 
verehrt. Die Schatten, die menschlichem Glück nie erspart 
bleiben, sind auch auf sein Leben tief und schwer gefallen. Von 
fünf erwachsenen blühenden Kindern verlor er zwei: eine Tochter 
von zwölf Jahren und einen hoffnungsvollen Sohn, der schon 
Doetor juris war und sich mit socialpolitischen Studien in 
München befasste: beide Kinder au perforirender Typhlitis. 
Von dem letzten Schlage erholte sich die Mutter nicht mehr ganz. 
Sie war eine der vornehmen selbstlosen Frauennaturen, deren 
ganzes Leben in der Pflichterfüllung und Sorge für die Familie 
aufgeht und die dabei Albs was sie that und was sie umgab 
mit ihrer gütigen freundlichen Art erheiterte und verschönte. 
Der Verlust ihrer Lieblingssehwester, erst vor wenigen Monaten, 
nahm wieder ein Stück von dem weg, was sie noch an’s Leben 
band. Als auch der Gatte gestorben war — die drei überlebenden 
Kinder sind in angesehener Lebensstellung und glücklich ver- 
heirathet — da war ihr Geschick erfüllt. Sie starb 14 Tage nach 
dem Tode ihres Mannes, an gebrochenem Herzen könnte man 
sagen. Ihre Aufgabe war gelöst, sie hatte nichts mehr zu sorgen. 
— Welche Tragik liegt in dem Lebensabschluss dies*« Hauses, 
das noch vor wenigen Wochen wegen seines äusseren Glückes 
beneidet werden konnte! 


Fick war zu Ende Juli als scheinbar vollständig gesunder, 
frischer Mann in das Seebad Binnkenherghe zur Sommerfrische 
gegangen; er hatte sich dorthin mit den Familien seiner Kinder 
verabredet. Ganz plötzlich, aus dem heiteren Himmel voller 
Gesundheit heraus, begannen am 19. August Nachmittags Iäih- 
mungszeichen der rechten Körperhälfte. Eine ganz langsam ein¬ 
setzende, aber kontinuirlich zunehmende Gehirnblutung machte 
binnen 48 Stunden dem kräftigen Leben ein Ende. — Er hatte 
den bestimmten Wunsch ausgesprochen, dass am Grabe keine 
Reden gehalten, nur die liturgischen Gebete verrichtet werden 
sollten. 


So war Adolf Fick: wahrhaftig in Wort und Werk. 
Er war ein Ritter des Geistes, aber auch ein Held der sittlichen 
That, ohne Furcht und ohne Tadel im Kampfe für alles Wahre 
und Gute. — Was sterblich an ihm war, haben wir verloren. Un¬ 
sterblich bleibe seine Gestalt in der Geschichte als leuchtendes 
Vorbild für unsero deutsche Jugend. 

K u n k e 1 - Würzburg. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Handbuch der praktischen Chirurgie. Herausgegeben von 
v. Bergmann, v. Bruns und v. Mikulicz. 4 Bände. 
Stuttgart 1899—1901, Vorlag von Ford. Enke. 

Der Prosjiekt dieses Werkes gab an, das neue Handbuch solle 
eine umfassende Darstellung des heutigen Standes der speziellen 
chirurgischen Pathologie und Therapie bieten und als solche 
zwischen das grosse Sammelwerk der „Deutschen Chirurgie“ 
und die Chirurgischen Lehrbücher eingereiht werden. 

Nach dem Vorbild analoger Werke der ausländischen Lite¬ 
ratur und nach dem von den Herausgebern aufgestellten Arbeits¬ 
pläne war dem Werke eine gute Aufnahme vorherzusagen. Es 
sollte in 4 Bänden die Chirurgie: 1. des Kopfes, 2. des Halses, 
der Brust und de« Beckens, 3. de« Unterleibs, 4. der Extremitäten 
darstellen. Die Wahl der Mitarlwiter war glücklich, indem die 
betreffenden Verfasser der einzelnen Abschnitte auf ihrem je¬ 
weiligen Gebiete schon speziell gearbeitet, z. Th. sogar den 
gleichen Abschnitt in der „Deutschen Chirurgie“ geschrieben 
hatten. 

Heute liegt das Werk fast vollendet, vor und ist nun ge¬ 
bührend zu würdigen. Die gestellte Aufgabe ist glücklich gelöst. 
Sind auch die einzelnen Beiträge nicht als völlig gleichwertig 
zu bezeichnen, so ist doch das Werk so gleichmässig gediehen, 
wie es bei der Zusammenarbeit Vieler überhaupt, möglich ist. 
Das Werk wird auch den erhofften Erfolg haben. Sehen wir cs 
jetzt schon in zahlreichen neueren Einzelarbeiten öfter citirt, 
so wird es gewiss noch weit mehr von den chirurgisch thätigen 
Aerzten in stiller Arbeit zu Käthe gezogen und bei geplanten 
Eingriffen gewieserinaassen zu Grunde gelegt. Stellt ee doch 


den Stand der deutschen Chirurgie um die Wende des Jahr¬ 
hunderts dar! 

So empfiehlt sich das Werk, welches obendrein gut aus¬ 
gestattet und mit zahlreichen guten Abbildungen versehen ist, 
selbst und Referent braucht keine besonderen, rühmenden Worte 
hinzuzufügen. Helfe rieh. 

Max Runge : Lehrbuch der Geburtshilfe, kerlin, 
Springer, 1901. 6. Auflage. 

ln zehn Jahren sechs Auflagen — das ist für ein Lehrbuch 
der Geburtshilfe das beredteste Zeugniss seiner Vorzüge. Zu 
diesem Erfolge haben viele Umstände beigetragen. Das Buch 
ist vor Allem praktisch; frei von langen Erörterungen über 
schwebende Streitfragen gibt es bündige Auskunft über Alles, 
was der Studirende und der praktische Arzt darin sucht. Die 
Schreibweise ist so klar und einfach, dass man selbst in die 
schwierigsten Fragen (Syncytioma, Chorioina) leicht eingeführt 
wird; reichlich sind Hinweise auf die kleinen Schwierigkeiten 
der Praxis und die Mittel zu ihrer Beseitigung gegeben — man 
lest- z. B. den Abschnitt über „Komplikationen und Schwierig¬ 
keiten bei der Extraktion“ in Beckenendlage. — Die Literatur¬ 
angaben sind so gewählt, dass man mit ihrer Hilfe leicht weiteres 
findet. 

Zu diesen Vorzügen des Wortes treten solche der Bilder. 
Sie sind meist in klarem Holzschnitt gegeben, nicht — wie 
leider heute so oft — selbst bei ganz ungeeigneten Original¬ 
bildern durch Oliches; wo nöthig, ist mehrfarbiger Druck ge¬ 
wählt (Bilder der Chorionzotten, der Ei-Insertion u. s. w.). 

Nicht ohne Erwähnung darf auch die übrige Ausstattung 
bleiben: schöner Druck, gutes Papier, gefälliger Einband; in 
diesem letzten Punkte dürften manche deutschen Verleger, 
welche gewohnt sind, immer nur ungebundene Bücher in den 
Handel zu bringen, sich hier ein Muster nehmen. 

Kein Zweifel — das Werk R u n g e’s gehört schon jetzt zu 
den am meisten verbreiteten deutschen Lehrbüchern der Geburts¬ 
hilfe und es wird noch manche neue Auflage erleben. 

Für diese dürfen vielleicht folgende, wenn auch unterge¬ 
ordnete, Punkte zur Berücksichtigung geeignet erscheinen: Er¬ 
wähnung des vaginalen Kaiserschnittes nach 
Dührssen; wird die Operation auch selten indizirt und für 
den Nicht-Spezialisten meist unausführbar sein, so stellt sie doch 
einen sehr beaehtenswerthen neuen Typus geburtshilflicher Ope¬ 
rationen dar. — Kurzer Hinweis auf die Giftwirkung 
inacerirter Focten, welche experimentell erwiesen ist 
und manche subjektiven Beschwerden der Trägerin erklärt 
(Frösteln, Unbehagen, leichte Temperatursteigerung); diese Er¬ 
scheinungen sind auch diagnostisch und desshalb für den Prak¬ 
tiker nicht ohne Belang. 

Bei der W alcher’schcn Ilängelagc (S. 393 u. 413) 
verdient eine Erwähnung auch die Ursache, welche die Ver¬ 
änderlichkeit der Oonjugata vera bedingt (Rotation im Ileosakral- 
gelenk); Runge selbst scheint die Hängelage nicht oft anzu¬ 
wenden, da er z. B. schreibt: „Die Hängelage wird von vieleu 
Praktikern warm befürwortet, wenn es auch an Täuschungen 
über den Effekt nicht gefehlt haben mag.“ Und doch ist dieses 
Verfahren gerade für den Praktiker bei mässig verengtem 
Becken einer viel wärmeren Empfehlung werth. 

Aber das sind untergeordnete Punkte gegenüber den hervor¬ 
ragenden Vorzügen des Buches. Gustav Klein. 


I. Löwenfeld: Der Hypnotismus. Handbuch der Lehre 
von der Hypnose und der Suggestion, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung ihrer Bedeutung für Medicin und Rechtspflege. 
Wiesbaden 1901, Verlag von J. F. Bergmann. 522 Seiten. 
Preis M. 8.80. 

Seitdem auf dem Gebiete des Hypnotismus keine über¬ 
raschenden Entdeckungen mehr zu Tage gefördert worden, ist 
die erst so lebhafte Discussion allmählich verstummt. Die Kennt- 
niss dieser Erscheinungen gehört zum festen Bestand der Wissen¬ 
schaft, wenn auch noch nicht aller ihrer Vertreter. Diejenigen 
Aerzte, die Hypnotisiren gelernt und damit ihr therapeutisches 
Rüstzeug bereichert haben, sind ihres Vortheils gewahr geworden, 
die Anderen verdecken ihre Lücke durch Stillschweigen. 

Indessen aber wird das Gewonnene ausgebaut und hat die 
Hypnotherapie in den letzten Jahren beachteuswerthe theore¬ 
tische und namentlich praktische Fortschritte gemacht. Es war 


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22. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1709 


desshalb sehr zeitgemäss und verdienstlieh, dass der Verfasser 
wieder einmal den Stand unseres Wissens zusammen fasste, 
was in vorzüglicher Weise geschehen ist an Hand grosser Er¬ 
fahrung und vorurteilsloser Beobachtung. 

So wusste er das umfangreiche Material kritisch zu sichten 
und durch eigene Auffassung zu bereichern. Ausser den direkt 
zum Studium der Hypnose gehörigen Dingen bespricht der Ver¬ 
fasser auch einige verwandte Erscheinungen: die pathologische 
Hypnose, den Yogaschlaf und Aehnliches, „das Hellsehen“ und 
die Telepathie, die Suggestion im Leben der Massen. Der 
Hypnose und Suggestion im Dienste der Medicin und ihrer Be¬ 
deutung für dio Rechtspflege, ebenso ihrer Beziehung zur Psycho¬ 
logie ist je ein besonderes Kapitel gewidmet. Die Suggestion 
wird dcfinirt als „die Vorstellung eines psychi¬ 
schen oder psycho-physischen Thatbestandes. 
welche in Folge von Beschränkung o d er Auf¬ 
hebung der associativen T h ä t i g k e i t durch 
Herbeiführung dieses Tliatbest andes eine 
aussergewfihnliche Wirkung ausser t“. Warum 
„aussergewöhnlich“, da doch der Suggestion .ganz analoge 
Vorgänge im gewöhnlichen Leben, z. B. bei der Erziehung, eine 
sehr grosse Rolle spielen? Man brauchte diese von den experi¬ 
mentellen nicht so scharf zu trennen. 

Für den Begriff derjenigen Vorstellung, die einem Individuum 
erst beigebraeht werden soll, damit sie zur Suggestion wird, 
will er statt des dafür in zweideutiger Weise ebenfalls gebrauchten 
Wortes „Suggestion“ den Ausdruck „Eingebung“ ein¬ 
führen, den Ford früher schon statt Suggestion ül>erhaupt 
empfohlen hatte. Ob der Verfasser mit dem Vorschlag dureli- 
dringt ? 

Die Hypnose ist nach Löw e n f e l d: „e in Zu¬ 
stand partiellen Schlafes, d e m d i e s e 1 b e n 
physiologischen Veränderungen in dem funk¬ 
tionellen Verhalten der c o r t i c a 1 e n Eie m e n t e 
zu Grunde liegen, wie dem natürlichen Schlafe; 
und die verschiedenen Formen und Grade d e s 
hypnotischen Zustandes sind lediglich durch 
die Schwankungen in der Ausbreitung der in 
Frage stehenden V e r ii n d e r u n g e n i n «1 e n ein¬ 
zelnen Fällen beding t.“ 

So lange wir nicht wissen, was Schlaf ist, gewinnt man 
aber mit einer solchen Parallelisirung wenig, ganz abgesehen 
davon, dass sie nicht zu beweisen ist. 

Die sinnliche Deutlichkeit suggerirter Vorstellungen wird 
dadurch erklärt, dass bei dem Sinken der Erregbarkeit des 
psychischen Organs Abflusshemmungen von Reizen entstehen 
und dadurch Stauungen, welche an gewissen Punkten eine Steige¬ 
rung des Processes bewirken. 

Wenn Verfasser in seiner Besprechung über Ilellsehen mit 
Anderen meint, dieMöglichkeit dos Sehens durch undurchsichtige 
Massen sei seit dem Bekanntwerden der Röntgenstrahlen weniger 
iu Abrede zu stellen, so vergisst er wohl, dass nur solche Strahlen 
ein Sehen vermitteln können, die durch unsere Augenmedieu 
in gleicher Weise wie das Licht gebrochen werden. Diffuse Er¬ 
regung der Retina bewirkt eine Lichtemptindung. lässt aber keine 
Formen unterscheiden. 

Ebenso wenig ist die Marconi’sehe Telegraphie als Ana¬ 
logon zur Telepathie zu verwenden. Beeinflussung 
ä distance ist noch lange nicht Erregung eines gleichen Vor¬ 
gangs in so unendlich komplizirten Maschinen wie das mensch¬ 
liche Gehirn sie darstellt. 

In seinen psychologischen Vorstellungen zeichnet sieh Ver¬ 
fasser durch eine Klarheit aus, wie man sie in ähnlichen Werken 
selten findet. Nur das entspricht nicht ganz unserem Wissen, 
wenn er einem bestimmten „psychischen“ Vorgang „wegen 
seines ausgesprochen intelligenten Charakters“ Bewusstsein 
nicht absprechen mag. Es gibt doch wohl sehr komplizirte zweck¬ 
mässige Vorgänge, die nicht bewusst zu werden brauchen. 

Uebrigens nimmt der Verfasser wohl mit Recht an, dass „das 
Bewusstwerden im gewöhnlichen Sinne“ (d. h. wohl Auftauehen 
im Oberbewusstsein) von der Verknüpfung mit dem Vor- 
stellungskomplexe unseres ganzen Ego abhängig sei, weil durch 
diese die Aufmerksamkeit auf den betreffenden Proeess gelenkt 
wird. Aehnliches ist schon längst vom Referenten geäussejt 
worden '), hat aber so wenig Verständnis» gefunden, wie die damit 
übereinstimmenden Ansichten Exne r’s ")• 


Die gemachten Ausstellungen sind alle unwesentlich und 
können und wollen der Vortrefflichkeit des L ö w e n f e 1 d’sehen 
Buches keinen Eintrag thun. Dasselbe enthält alles Wichtige, 
was hieher gehört, kritisirt das vorhandene Material und hält sich 
ebenso fern von Enthusiasmus für den Stoff, wie von vorgefasster 
Verneinung feststehender Thatsachen, die wir nicht erklären 
können. Bleuler- Burghölzli. 

Dr. Th. Kocher und Dr. de Quervain: Encyclopädie 
der gesammten Chirurgie. Mit zahlreichen Abbildungen. Leip¬ 
zig 1901. F. C. W. Vogel. 3.—10. Lieferung. 

Das Werk, das in seinem 10. Heft bis „Frakturen“ fort¬ 
geschritten ist und in 25 Heften vollständig sein soll, entspricht 
in seiner wünschenswert hon Kürze und gleichzeitigen Voll¬ 
ständigkeit. den gestellten Erwartungen, auch sind dio zahl¬ 
reichen Abbildungen gut. Lieber dio Zweckmässigkeit dieser 
Encyelopädien verweise ich auf das bei der ersten Lieferung 
Gesagte. Ziegler- München. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1901. 71. Bd. 

1. Heft. 

1) Katt Winkel: Untersuchungen über das Verhalten 
des Balkens nach grösseren corticalen Hirnläsionen. (Mit 14 Ab¬ 
bildungen.) 

K. untersuchte an .'MS <Jehirnen, wie sieh der Balken bei 
Lnesiouen in einer der Hemisphäre)! verhält und zwar stets das 
Corpus callosum solcher (ichirne. bei denen durch Erweichung 
oder Blutung umschriebene Windungsgrnppen in grösserem Um¬ 
fange zerstört waren. Trotz t heil weise enormer Zerstörungen 
fand sieh keine sekundäre Degeneration, wie sie von anderen 
Autoren angegeben ist. obwohl alle technischen Cautolen peinlich 
beobachtet waren; in Vs» der Fälle waren dagegen primäre Herde 
im Balken. Vielleicht Ist das Ausbleiben sekundärer Degeneration 
Im Balken nach corticalen Hirndefekten auf die grosse Anzahl von 
(’ollateralen znrtlckzufUhren. 

*2) H. Vogt: Ein Stoffwechselversuch bei akuter Gicht. (Aus 
der modleinischon Poliklinik in Marburg.» 

V. suchte an einem sonst gesunden. akut flicht kranken die 
Frage zu entscheiden, ob es sich bei der N-Hcietithm der (Jiehtiker 
um einen Wietierersatz nach vornusgegangenen Verlusten handelt 
oder um ein»» mangelhafte Ausscheidung von Endprodukten des 
Stoffwechsels. Er gelangt zu »lein Hruchm-s. dass beim (Jiehtiker 
keilt Fleischansatz, sondern eine Trägheit des NueleinstolTWechsels 
vorliegt, dessen P wie beim (lesundctt ausgeschteilen wird, während 
der N zuriickgehalteii wird. 

.3) M. I t o: Ueber das Vorkommen von echtem Pepton 
(Kühne) im Harn. »Aus der niedieitiisehcii Klinik in Würz¬ 
burg.) 

Während von verschiedenen Auloren betont wurde, dass 
IVpton im Sinne 1\ ii h u e's bisher noch nie im Harn gefunden 
wurde, gelang I. in »•inwaudsi'reier Weise dieser Nachweis lx»i 
einer Bellte von Erkrankungen, bei denen die Ausscheidung von 
Detiteroalbumoscii schon erwiesen ist. und dosshalb Pepton noch 
am clicstcu zu erwaricn war icioupöse Pneumonie. Puerperium. 
Empyem. Phthlsis pregress. etc.i. Dieses echte Pepton kommt wohl 
nur zusammen mit Alhiimoseti und zwar in geringerem Mansse. 
als letztere im menschlichen Hartl vor und verschwindet mit <l«»u- 
seioen. wenn die Ursache für sein Bestehen aufgehört hat. 

4) H. M ay: Notiz über ein einfaches Verfahren zur Kyrto- 
metrie. (Anwendung von Gipsbinden). (Aus dem med.-klin. 
Institut der Universität München.) 

Zu kyrtometrischen B»*stimmungen verwendet M. an Stell»» 
«l»»r »lrcitheilig«»u Horngliederkette od«»r des dicken Bleidrahtes 
Hipshinden. was ebenso einfach ist. als es genaue Resultate gibt. 

5) Ii. May: Ueber einen Doppelstethographen zur Curven- 
schreibung auf dem Kymographion. (Aus »lern med.-klin. Insti¬ 
tute »lor Universität Münchcn.i (Mit t» Abbildungen.) 

Den voll Iiiegel augegelxmeu Dopi>elstethographeu, mit 
dessen Hilfe man die Exeursiouen symmetrisch gelegener Punkt«» 
ln»ider Thoraxliälften vergleichen kamt, änderte II. so um. dass er 
gleichzeitig zur Aufzeichnung auf einem Kyiuographiou verwendet 
werueu kann. Näheres im Original. 

til F. M 111 *» 11» a e h - Lcitmcritz: Ein Beitrag zur Kennt- 
niss der Alkaptonurie. 

M. beobachtete an einem 44 jährigen Buhnlteamten die Er¬ 
scheinungen der Alkaptonurie. der Urin enthielt nur Iloinogcutlsin- 
säure itu». färbte sieh trotz dauernd saurer Reaktion an «1er Luft 
bald dunkel. Tag- und Nn<»htharn zeigten «inantitativ keinen 
Unterschied hinsichtlich »l«»r Homog«>ntisinsüur»». während s«»hmah* 
vegetabilische Kost und Hunger einen Rückgang, T.vrosinzufuhr 
eine Steig«»rung derselben veranlassten. Als Bildungsstätte «ler 


') Allg«*m«»lne Zeitsehr. f. Psychiatrie. Bd. DO. 

9 Entwurf zu «*in«»r physiologischen Erklärung der psychi¬ 
schen Erscheinung von Dr. Sigmund Exuer, 1. TheiJ, 1SH4. 
pag. 279 und vorhergehende. 

5 * 


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1710 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


Säure ist wohl <h*r ober«', fäulnissfrcic Darnmbschnitt zu be¬ 
trachten. an der Entstehung selbst vielleicht ein Enzym betheiligt. 

Verfasser ist geneigt, die Alkaptonurie nicht als Folge einer 
Uoberproduktion von Homogentisinsäure anzusehen, Sonden» nls 
eine Oxyoationshemraung, wodurch der Organismus die Fähigkeit 
verloren hat, die normaler Weise g«;bildete Alkaptonsüure zu zer¬ 
stören. Diese Fähigkeit fehlt den mit Alkaptonurie Behafteten ln 
der Itegel zeitlebens, kann aber unter Umständen wieder erlangt 
und wieder verloren werden. Mit dieser Auffassung könnte man 
die Alkaptonurie zwei anderen, ebenfalls auf einer Oxydations¬ 
hemmung beruhenden Stoffwechselanomalien an die Seite stellen, 
«ler Glykosurie und Oystinurie, die chronisch oder transitorisch 
auftreten können. 

7) A. Böhm: Zur Frage der Darmfäulniss bei Gallen- 
abschluss vom Darme. (Aus der kcl. med. Universitätspoliklinik 
in München.) 

In 3 Fällen von Ikterus katarrhalis fand B. eine Erhöhung 
der Darmfäulniss in Folge des Gallenabschlusses, womit er, wie 
die Mehrzahl der Untersucher, die Lehre von der fäulnisswidrigen 
Wirkung der Galle bestätigt. Als Maassstab des Grades der 
Darmfäulniss diente die Menge der Aetherschwefelsiiure im Urin, 
die ausnahmslos beträchtlich venn«*hrt war. 

St A. Qurin: Heber das Verhalten des normalen und 
pathologisch gesteigerten intraabdominalen Druckes und seine 
Rückwirkung auf die arterielle Blutcirculation. (Aus der kgl 
Universitätspoliklinik in Tübingen.) (Mit 6 Kurv«*n.) 

Beobachtungen iil>er direkte Messungen des im Innern der 
Peritonealhöhle herrschenden Druckes liegen in der deutschen 
Literatur bis jetzt nicht vor. Veranlassung zur vorliegemlen 
Arbeit war ein enormer Ascites, der zu direkter manometrischer 
Messung herausforderte. 

Zunächst wurde im Thierexperiment in das eröffnet«' Peri¬ 
toneum eine gebogene Glaskanüle luftdicht eingebunden und mit 
<*inem Manometer verbunden, das die Druckschwankuugen auf ein 
Kymographlon übertrug. Es ergab sich, dass der Intraabdominale 
Druck normaler Weise positiv ist, dass er bei ruhiger 
Athmung während «ler Inspiration st«‘igt, während der 
Exspiration sinkt, bei angestrengter Athmung jedoch 
wahrend der Inspiration sinkt und während der Exspiration steigt. 
Die grosse Schwankungsbreite des normalen Abdominaldruckes 
hängt ausser vom Zwerchfell von der grösseren oder geringeren 
Betheiligung der Bauchmuskeln ab. 

In einer 2. Versuchsreihe studirte Q. das Verhalten des patho¬ 
logisch gesteigerten Abdominaldruckes während der beiden Ath- 
mungsphasen und seinen Einfluss auf die arterielle Blutcirculation, 
wobei nls druckerhöhendes Mittel eingeführte Luft diente. Es 
zeigte sich, dass der pathologisch gesteigerte Abdominaldruck 
während der Exspiration sinkt, während der Inspiration steigt, 
dass der arterielle Blutdruck bis zu einer gewissen Höhe zunächst 
steigt, sow«‘it eben die Reservekraft des Herzens ausreicht, um 
bei weiterer Steigerung bis unter die Norm bezw. bis zum Tode 
des Thieres zu sinken. 

Die Bestimmung des Abdominaldruckes am lebenden Men¬ 
schen — es konnten natürlich nur Fälle verwendet werden, in 
d«*nen ein erhöhter Druck in Folge Flüssigkeitsansammlung «lie 
Einführung einer Kanüle nötliig machte — bestätigte durchaus 
das Thierexperiment. 

9) Besprechungen. Bamberger - Kronach. 

Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 40 u. 41. 

No. 40. 1) K. A. H e r z f e 1 d - Wien: Beitrag zur Eklampsie¬ 
frage. 

H. legt seinen interessanten Ausführungen 81 Sektionsfälle 
Eklamptischer zu Grunde. Die Mortalität ist gegen früher herunter¬ 
gegangen, 25:17,5 Proc. Anatomisch fanden sich in allen Fällen 
Veränoerungen am uropoetischen System, und zwar in 46,6 Proc. 
chronischer Morbus Brigthii, in 31,1 Proc. parenchymatöse De¬ 
generation der Nieren und In 22,3 Proc. beiderseitige Kompression 
der Ureteren. Letztere entsteht nach K u n d r a t bei Varianten 
in der Theilung der Aorta abdominalis, wodurch die Art. iliaca 
eomm. den Ureter weiter nach vorn drängt und ihn dem Druck des 
Uterus mehr aussetzt, als gewöhnlich. Es kommt aber nur bei 
Primiparis im vorgerückten Stadium der Schwangerschaft zur 
Kompression; bei späteren Schwangerschaften braucht dieselbe 
Frau nicht wieder an Eklampsie zu erkranken. 

H. schliesst aus seinen Fällen, dass in der Mehrzahl die Dis¬ 
position zu Eklampsie im uropoetischen System gegeben ist. Die 
Therapie soll in einer möglichst raschen und schonenden Entbin¬ 
dung bestehen, die bei Erstgebärenden häufiger als bisher in der 
Sectio caesarea zu bestehen hätte. 

2) A. S o 1 o w i j - Lemberg: Entgegnung auf die Ent¬ 
gegnung Dr. Ekstein’s in d. Wochenschr. 1901, No. 30. 

3) James E i s e n b e r g - Wien: Eine einfache und sichere 
Methode der instrumenteilen Ausräumung der Gebärmutter 
ohne Assistenz bei Abortus. 

Beide Autoren vertheidigen die Verwendung des Bandl- 
schen Spekulums zur Ausräumung des Uterus ohne Assistenz gegen 
die Angriffe Ekstein’s im Centrnlblatt (cf. diese Wochenschr. 
No. 38. p. 1497.) 

4 ) W. S t o e c kcl- Bonn: Beitrag zur Diagnose der Tuberku¬ 
lose in der weiblichen Blase. 

Zur Diagnose der Blasentuberkulose dient der Nachweis von 
Bacillen im Urin, der Thierversuch und die cystoskopisclie Unter¬ 


suchung. St. bericht«*! über 3 Fälle, die beweisen sollen, dass «lie 
Gystoskopie die zuverlässigsten Resultate gibt, auch da, wo die 
Bacilleufärbung und selbst das Thierexperiment versagen. Im 

1. Falle gelang es niemals, Bacillen im Urin nachzuweisen, 
während die Thierimpfungen positiv ausfielen. Die endoskopische 
Untersuchung ergab das sog. „circumscripte bullöse Oedem“. Im 

2. und 3. Falle handelte es sich um chronische Blasentulierkulose, 
«lie absolut symptomlos bestand; trotzdem liess das Cystoskop 
tuberkulöse V«*rändenmgen der Blas«*ns«*hleimhaut erkennen. 

No. 41. 1) G. K 1 e i n - München: Abdominale Exstirpation 

von Carcinomrecidiven 1 : Yt Jahre nach vaginaler Totalexstir¬ 
pation des Uterus. 

Es handelte sich um eine 27 jährige IV. Para, «ler zuerst 
wegen grossen Portioeaneroids die vaginale Totalexstirpation des 
Uterus ohne Adnexe gemacht worden war. 8 Monate später ver¬ 
geblicher Versuch, einen bohnengrossen Recidivknoten aus dem 
linken Parametrium vaginal zu exstirpireu. 1% Jahre später ab¬ 
dominale Exstirpation nach Werthelm von 2 Netzmetastasen, 
1 parametraleu und auf die Blase übergreifenden 3. Knoten sammt 
Tuben und Ovarium. Heilung. 

Der Fall eröffnet der parametraleu Operation bei Uterus- 
carcinom ein ueu«*s Fehl: «lie abdominale Exstirpatiou 
v o n R e c I d i v p n. 

2) K. R e i f f e r s c h e i d - Bonn: Beitrag zur Lehre von 
der Hydrorrhoea uteri gravidi. 

Eine 38 jährige Multipara abortirte im 7. Monat, indem sie seit 
dem 3. Monat kontinuirlichen Abfluss von Fruchtwasser bemerkt 
hatte. An der foetalen Seite der Placenta bestand eine sehr aus- 
gesprochene Margobildung von .1—5 cm Breite. Die Eihöhle fasste 
nur 120 ccm Wasser, während der Foetus 840 ccm Wasser ver¬ 
drängte. 

R. nimmt an, «lass die Blase frühzeitig geplatzt, die Frucht 
in die freie Uterushöhle getreten war und sich hier zunächst 
weiter entwickelt hatte, während nach aussen kontlnuirilcher 
Abfluss von Fruchtwass«*r stattfaud. Aehuliclie Fälle sind v«>n 
Stoeökel und b«'son«h*rs von französischen Autoren veröffent¬ 
licht. 

3) S. M o n s i o r s k i - Warschau: Einiges über Missbildung 
der weiblichen Genitalorgane. 

Ein Fall von Atresie des Hymens, wo der Coitus durch die 
Urethra stattgefunden hatte, ein Fall von blind endender Scheide 
und einer von Vagina duplex. J a f f 6 -Hamburg. 

Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 19. Bd. 5. u 

6. Heft, 

L. R. Müller: Weitere Beiträge zur Pathologie und patho¬ 
logischen Anatomie des unteren Rückenmarksabschnittes. (Aus 
der medie. Klinik in Erlangen.) 

Die Autopsie eines Kranken, der seit langen Jahren das aus 
gesprochene Bild «ler traumatischen Conusaffektion bot und 
schliesslich einem Lungenleiden erlag, zeigte, dass thatsächlich 
d«*r untere Theil des Sakralmarkes durch den nach hinten vor- 
springenden Körper des 1. Lendenwirbels zertrümmert worden 
war. Die Fasern der den Conus umgebenden Cauda etjuina waren, 
nach beiden Seiten gedrängt, wohl erhalten geblieben. Nach 
Schilderung der histologischen Veränderungen im Rückenmark 
und in den degenerirten Muskeln und Nerven bringt der Autor 
noch zwei weitere Krankengeschichten von Patienten mit trau¬ 
matischer Conusaffektion, bei welchen auch Bruch des 1. Lenden¬ 
wirbels zu dem typischen Krankheitsbild geführt hat. und er¬ 
örtert eingehend die Störungen in den Funktionen der Blase, des 
Mastdarmes und des Geschlechtsapparates. 

L. M i n o r - Moskau: Zur Pathologie der traumatischen 
Affektionen des unteren Rückenmarksabschnittes. 

Der Autor bringt den Bericht über mehrere Kranke, bei 
welchen die vom Plexus sacralis versorgte Hautpartie anaesthe- 
tisch und die von dort aus innervirten Muskeln gelähmt waren. 
Dabei war aber der Patellarsehnenreflex immer auszulösen und 
der Tonus der Sphinkteren der Blase und des Mastdarmes erhalten 
gebliel>en. Es musste also im Rückenmark das 5. Lumbalsegment 
und das 1. bis 3. Sacralsegment zerstört sein, während das 4. Lum¬ 
balsegment, in welchem der Kniereflex zu Stande kommt, und der 
eigentliche Conus terminalis (4. und 5. Sacralsegment und Coc- 
cygealmark) noch funktionstüchtig waren. M. nennt die erkrankte 
Partie des Rückenmarkes, als über dem Conus gelegen, den Bpi- 
c o n u s. Das von dem Autor geschilderte Krankheitsbild Ist ein 
ganz typisches und ist wohl regelmässig durch den Bruch des 
1. Lendenwirbels bedingt Zweifellos bleibt dabei der aller¬ 
unterste Theil des Rückenmarkes, der Conus, meist erhalten, ob 
freilich die Integrität des Blasensphinkters ein Beweis dafür ist, 
erscheint dem Referenten fraglich. 

W. W a rd a - Blankenburg: Ueber Akromegalie. 

Zwei kasuistische Mittheilungen Uber diese Krankheit, ohne 
autoptischen Befund. 

Stein hausen - Hannover: Ueber die physiologische 
Grundlage der hysterischen Ovarie. 

Die von Charcot begründete Lehre von der Ovarie, d. h. 
der Möglichkeit, durch Druck auf die Gegend der Ovarien Reiz¬ 
erscheinungen (Röthung des Gesichtes, Herzklopfen u. s. w.). ja 
sogar grosse hysterische Anfälle auszulösen, wird von manchen 
Seiten noch heute anerkannt. Stein hausen hat nun durch 
seine Untersuchungen nachweisen können, dass bei einem grossen 
Procentsatz (88 Proc.) von gesunden Soldaten durch plötzlichen 
Druck auf die seitliche Unterbauchgegend Reaktionserscheinungen, 
wie Streckbewegungen der Wirbelsäule, Röthung des Gesichtes, 


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22. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1711 


Steigerung der Pulszahl und Pupillenerweiterung erzielt werden 
konnten, dass es sieh somit bei der Ovarie um rein physiologische 
Vorgänge handelt; wenn durch Druck auf die Ovarien hysterische 
Anfälle erzeugt werden, so ist die Ursache dafür lediglich iu der 
Suggestion zu suchen. 

Kybalkin- Petersburg: Ueber einen Fall von Jackson¬ 
scher Epilepsie auf syphilitischer Basis mit operativem Eingriff. 

Stursberg: Ueber die Ursache meningitisähnlicher 
Krankheitserscheinungen bei Ileotyphus. (Aus der medio. 
Klinik in Bonn.) 

Ein Kranker mit einem Anfangs regelrecht verlaufenden 
Unterleibstyphus war nach der Entüeberung noch stark 1h*- 
nommen und bot später unter schnellem Wi«*«Iomnsteigeii der 
Temperatur alle Zeichen der Meningitis. Bei der Autopsie konnten 
makroskopische Veränderungen an den Stirnhäuten nicht nach¬ 
gewiesen werden. Mikroskopisch konnte in den Venen der Cen¬ 
tral furche und des Sulcus centralis posterior weisse und gemischte 
Thromben nachgewiesen werden. Für solche Krankheitsbilder, 
die im Leben meningeale Symptome zeigen, wesentlich ana¬ 
tomische Veränderungen aber vermissen lassen, schlägt der Autor 
vor, den von den Franzosen eiugeführteu Ausdruck „M enin- 
g i s ui u s“ anzunehmen. 

Bruns- Hannover: Zur Kasuistik der infantilen progres¬ 
siven spinalen Muskelatrophie von familialem resp. hereditärem 
Charakter. 

Mittheilung von 3 Fällen von Muskelatrophle im frühen 
Kindesalter, die sich ganz schleichend, ohne Fieber oder Kon¬ 
vulsionen, einstellt und anfänglich hauptsächlich die Muskeln des 
Beckens und des Rumpfes ergreift. Später werden auch die Arme 
und die Füsse ergriffen. An der Wirbelsäule kommt es in Folge 
der Muskelschwäche zu Verkrümmungen. Sensibilität sstörungen 
fehlen. Der Tod tritt in Folge von Lähmung der Atlieui- 
muskeln ein. Da ganz ähnliche Fälle von W e r il n i g und von 
Hoffmann sehou beschrieben sind, scheint es sich um einen 
bestimmten Typus der Muskelatrophie zu handeln. 

B a 1 i n t - Ofen-Pest: Ueber das Verhalten der Patellar- 
reflexe bei hohen Querschnittsmyelitiden. 

Nach eigenen Beobachtungen und nach den ln der Literatur 
niedergelegten Thatsachen kommt B. zu dem Schluss, dass die 
Trennung der motorischen Nervenzellen von den eerebellaren, 
centrifugalen Bnhnen den Tonus der Nerveuzellen und so auch der 
Muskeln verringert, und dadurch den Ablauf der Retiexfunktionen 
ungünstig beeinflusst. Unter solchen Umständen genügt dann eiue 
gerade ln solchen Fällen häufige, auch weniger intensive sekun¬ 
däre Erkrankung des Reflexweges, um die Retlexfunktiun voll¬ 
ständig aufzuheben. 

H i g i e r - Warschau : Zur Klinik der angiosklerotischen 
paroxysmalen Myasthenie (Claudication intermittente Char- 
cot’s) und der sogen, spontanen Gangraen. 

Ausführlich«* Schilderung dieses merkwürdigen Kranklielts- 
bildes, mit Berücksichtigung der Aetiologie und Pathogenese, der 
Prognose und der Therapie. 

Spitz- Wien: Zur Kenntniss der leukaemischen Er¬ 
krankung des Centralnervensystems. (Aus der MeudeFschen 
Nervenkllnik in Wien.) 

Bei der chronischen Leukaemie kommt es neben Haemor- 
rhagien im centralen Nervensystem ganz besonders häufig auch 
zu infiltrativen Vorgängen in demselben und zwar bevorzugen 
diese krankhaften Processe das Mittelhirn und Nachhirn und die 
aus der Medulla oblongata entspringenden Hirnnerven. 

Besprechungen. L. R. Müller- Erlangen. 

Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 

46. Bd., 3. u. 4 . Heft. 

9) R. Winternitz- Prag: Ueber entzündungswidrige Wir¬ 
kung ätherischer Oele. 

Verfasser erregte bei Kaninchen durch Aieuronatinjektion 
in den Pleurasack pleuritlsche Eiterungen. Ein Tliell der Thlere 
erhielt gleichzeitig per os Gaben von Ol. Santali, Ol. cubebar., Ol. 
terebinthin. oder Terpentinhydrat und diese Thiere wiesen bei der 
Tödtung fast ausnahmslos kleinere Exsudatmengen auf als die 
Kontroltliiere. Besondere Versuche ergaben, dass die Wirksamkeit 
der ätherischen Oele nicht auf die Steigerung der Diurese, sondern 
sowohl auf entzündungshemmende, als namentlich auf resorptions- 
befördernde Eigenschaften derselben zurückzuführen sind. 
W 1 n t e r n 11 z erklärt sich die Wirkung so, dass die Oele vom 
Blut aus auf die Leukocyten anziehend wirken und verspricht sich 
bei Ihrer innerlichen Verabreichung Vortheile, wenn es gilt Ent¬ 
zündungsherde zur Aufsaugung zu bringen. 

lü) K. W a 1 k o - Prag: Ueber Reduktion und Wirkungen 
aromatischer Nitrokörper. 

Experimentell-pharmakologische Studie. 

11) J. B. E s s 1 e iu o n t - Aberdeen: Ueber die Innervation 
des Herzens. 

Versuche am Frosehherzen, deren Methode und Einzelheiten 
lm Original nachgelesen werden müssen, führen den Verfasser zu 
folgender Ansicht Die zum Herzen tretenden centrifugalen Nerven 
zerfallen ln zwei grosse Gruppen. Eine (katabolische Nerven 
G a 8 k e 1 l’s) verursacht eine Verstärkung sämmtUeher Funktionen 
des Herzens, der Pulsfrequenz, der systolischen Kontraktion, der 
elastischen Spannung und der Erregbarkeit, während die andere 
Gruppe (Gaskell's anabolische Nerven) eine Hemmung und 
Abnahme aller jener Funktionen und Zustände bedingt. Die 
beiden Gruppen zeigen grosse Unterschiede hinsichtlich der Latenz¬ 
zeit, des Vermögens der Summutiou von Reizen, der Dauer der 

No. 43. 


Nachwirkung, des Verhaltens gegen Gifte u. s. w. Jede Gruppe 
zerfällt ln zwei Uuterabthelluugen, von welchen die eine iu erster 
Linie die Herzfrequenz beeinflusst, während die andere einen 
direkten Einfluss auf die Beschaffenheit des Herzschlags ausübt. 

E.‘nimmt an. «lass jene Nerven, welche die Pulst're«iuenz beein¬ 
flussen, in tlt-n Muskeln von Vene und Sinus des H«*rzens, dag«*g«*n 
«lie auf die Herzkoutraktlon wirkenden In den Vorhöfen und Ven¬ 
trikeln endigen. Ileimnungs- und Beschleuniguugsvorrichtungen 
sind gungliüser Natur und können durch direkte Reizung stärker 
erregt werden, als imlirekt durch «len Vagus. Versuche am Ka- 
ninciieuherzen führten zu analogen Anschauungen. 

12) A. II e f f te r-Bern: Das Verhalten der Kakodylsäure 
im Organismus. 

Die neuerdings In der dermatologischen Praxis öfter ver- 
w»*nd«*te und angeblich wenig giftige Kakodylsäure, (CILi-As 
OOII, wird nach II e f f t e r’s Unt«*rsuchuugeu grösstentbeils un¬ 
verändert im llarn ausg«*soliieden. Nur ein sehr kleiner Theil, >• 
d«>ssen Arsen als arsenig«: oder Arsensäure lm llarn erscheint, 
wir«! im Organismus oxydiit und auf ihm beruhen wahrscheinlich 
allein die pharmakologischen Wirkungen. Eine Anzahl thierischer 
Organe (in erst«*r Linie Leiter, Magen und Darm) sind im Stande, 
Kakodylsäure unter Bildung von Kakodyloxyd zu redueiren. 

13) W. Karo-Bern: Das Verhalten des Harns nach Ge¬ 
brauch von Sandelöl. 

1 )er Sandelölhnm glitt im Gegensatz zum Copaivaliarn nach 
Zusatz von Mineralsäuren kein«* Fnrbenreaktion und verhält sich 
sp«*ktroskopis«-h negativ. Auf Zusatz von kouzeutrirter Salzsäure 
fallen Ilnrzsäuivn aus. Der Harn r«*«luzirt erheblich iu Folge Ge¬ 
halts von Glucuronsäuren, die vermuthlich mit Ses«iuiterpenalko- 
liolen ties San<l«*löls gepaart sind. 

14) A. J «t 11 «* s und K. F r i e <1 j u n g - Wien: Zur Kenntniss 
des Eisengehaltes der Frauenmilch und seine Bedeutung für 
den Säugling. 

Die Verfasser kommen zu folgenden Schlüssen: Die Milch 
gesunder Frauen zeigt einen zwar geringen aber konstanten Eisen¬ 
gehalt (3,t‘—7.2 mgr Fe pro Liter Milch). Ein gesetzmässlges all¬ 
mähliches Absinken «les Eisengehalts während der Stillzeit lässt 
sieh nient uachweis«*n. Schl**chte äussere V«*rliältnisse, höheres 
Alter un«l chronisch«* Erkrankung der StiUeiid«*n, dürften in «ler 
Iteg«*I ein«* erhebliche Wrininderuug des Mlicheisens be«ling«*n. 
Das Gleiche gilt für «lie Milch scheinbar gesunder Frauen, deren 
Kinder «-rhebliche Eruälirungsstöruug«-u auf weisen. Die üblichen 
Meth«tden «1er künstlichen Ernährung führen dein Kinde erhebli«-h 
weniger Eisen zu als <li<* Darreichung der Brust. 

15) II. Hildebrandt - B«*rlin: Ueber Synthesen im Thier¬ 
körper. (3. Mittheilung.) Weiteres über Citral, Uber seine Oxy¬ 
dationsprodukte im Organismus und über einige eyklisebe Isomere. 

Zu einem kurzen Referat nicht geeignete pharmakologische 
Studie. 

IG) A. Jacquet und R. S t ä h e 11 u - Basel: Stoffwechsel¬ 
versuch im Hochgebirge. 

Der durch Exaktheit der Methodik ausgezeichnete Versuch, 
den J a «i u e t an sieli selbst austellte, bestand aus einer je 
7 tägigen Vor- und Nuchperio«le zu Basel uml eiimr 14 tägigen 
" Höhenperiode auf dem Chasaeral (1(500 in). Während der ganzen 
Zeit wurde die gleiche, genau aualysirte Nahruug genossen uml 
der N-Umsatz, sowie der Gaswechsel nach Geppert-Zuntz- 
scher Methode bestimmt. Während «1er Höhenperiode fand eine 
N-Retention von 1,5 g pro die statt. Diese kann nicht allein auf 
«li«* «lurch Jaquet erwiesene Blut Vermehrung, welche nur ca. 
0.8 g N täglich erfonlern würde, bezogen wertlen, somlern weist 
auf eine Neubihlung ander«*r Gewebselemeute hin. Das Athmungs- 
volum im llölieukiinia ist in der Ruhe ungefähr das gleiche wie 
im Tieflande: nach Reduktion auf U u uml 7GO nun Druck erscheint 
es al»er deutlich herabgesetzt. Die CO,-Ausscheidung und 0,-Auf- 
ualmie ist in der Ruhe g«*st«*igert; der respiratorische Quotient, 
«•rhöht. Nach <l«*r Rückkehr in’s Tiefland bleiben CIL-Ausschei- 
«lung und (»..-Aufnahme noch eine Zeit lang erhöht und kehren 
nur langsam auf die ursprünglichen Wertln* ziirüek. Es findet also 
im Hochgebirge «*in«*rseits Zunahme der OxydatIonen mit erhöhtem 
r«*sp. Quotienten, an«lererseits Abnahme des Eiweissabbaues und 
Ansatz von stlehstoffhaltig«*n Gew«*bsb«*staiidtlieilen statt. 

17) K. A r c li a n g e 1 s k y - Tomsk: Ueber Rhododendrol, 
Bhododendrin und Andromedotoxin. 

Von rein pharmakologischem Interesse. 

J. Müller- Würzburg. 


Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 10 u. 11, 1901. 

No. 10. 1) E. K r o in p e c li e r - Ofen-Pest: Untersuchungen 

über das Vorkommen metachromatischer Körnchen bei sporen¬ 
tragenden Bakterien und Beiträge zur Kenntniss der B a b e s - 
Ernst’schen Körperchen. (Schluss f«»1gt.) 

2) Roman S 1 u p s k 1 - Königsberg: Bildet der Milzbrand¬ 
bacillus unter streng anaeroben Verhältnissen SporenP 

Nach den Untersuchungen des Verf. muss als f«*stst«*heml 
ang«*8«*hen wenlen. dass der Milzbrand bei Sauerstoff- 
abschluss keine Sporen bildet. Sein ganzes Wa«*hs- 
thuin ist bei SnuerstofTmnng«*l kümun*rli«*li. Es ist wahrscheinlich, 
dass die andere M«*inung. «l«*r Milzbrand könnt* bei Sauerstoff¬ 
mangel Sporen bilden, nur auf Versuchsfeldern b«*grün«let ist. 
Zum Zweck des völligen Abschlusses von Sauerstoff diente «Ion 
Verfasser ein einfach konstndrter Apparat aus mehreren in 
einander hlueingestellten Glassehaleu. 

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1712 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 



3) A.Briou- Strassburg: Cholecystitis typhosa mit Typhus¬ 
bacillen. 

Ein Fall von Typliusrecldiv, bei welchem in der Gallen¬ 
blase Typhusbakterien durch Kultur nachgewiesen werden 
konnten. Es gelang auch, zum Unterschied von den bereits be¬ 
bekannten Fällen von Cholecystitis typhosa, den Typhuserreger 
durch Agglutinationsprobe als echten Typhus zu erkennen. 

4) C. Lubenau - Danzig: Haemolytische Fähigkeit ein¬ 
zelner pathogener Schizomyceten. 

Genau nach dem Vorgang von Nelsser und Wechs- 
b e r g untersuchte Verfasser eine Reihe Bakterien auf ihre haemo- 
lytisches Vermögen, so Staphylococceu, Diphtherie, Tetragenus, 
Pyocyaneus. im Wesentlichen konnte Lubenau die von 
Neisser und Wechsb e r g gefundenen Thatsacheu bestätigen, 
nur fand er nicht immer bei Mikrococcus pyogenes 
albus die haemolytische Kraft. Da nach seiner Ansicht bei dem 
Haemolysiruugsvermbgen Alkalien eine Rolle spielen, so ver¬ 
suchte er auch verschiedene Chemikalien, z. B. Ammoniak, Milch¬ 
säure, Natt*. carbon., Milchzucker, und fand in der That, dass 
dieselbe ebenfalls haemolytische Eigenschaften aufwieseu. 

5) E. Levy und P. Levy: Ueber das Haemolysin des 
Typhusbacillus. 

Am geeignetsten erwies sich zur Herstellung des Haemo- 
lysins ganz schwach alkalische Bouillon. Am besten zeigte sich 
zur Lösung das Hundeblut, welches von 0,01 ccm des zwei¬ 
wöchentlichen Filtrates noch beinahe komplet gelöst wurde. 

Durch Injektion von Typhuskulturen in den Huudeorganismus 
liess sich bereits nach 0 Tagen ein Autihaemolysin dar¬ 
stellen, welches erhitzen auf 00" aushielt. 

No. 11. 1) A. Hinter berger- Wien: Einiges zur Morpho¬ 
logie des Milzbrandbacillus (Kapseln, Hüllen, eigenthümiiche 
Faden). 

Ausser der bei Milzbrand bekannten Hülle, die mau mit 
der .) o h n e'sclieu Kapselfärbung sichtbar machen kann, fand 
Verfasser hülleuiihnllche Gebilde, die noch bedeutend grösser sind, 
als die gewöhnlichen Hüllen, die aber dem Milzbraudbacillus auch 
angeboren sollen. Andererseits zeigten sich bei einem von ihm 
modilicirten Fiirbeverfahreu lange Fäden und netzartige 
Gebilde in der Umgebung der Bacillen, die er als Mycel 
gedeutet wissen will. Einige Photogramme geben das Gesehene 
anschaulich wieder. 

2) E. Krum p echer- Ofen-Pest: Untersuchungen über das 
Vorkommen metachromatischer Körnchen bei sporentragenden 
Bakterien und Beiträge zur Kenntniss der Babes-Ernst’- 
schen Körperchen. 

Es finden sich bei einigen sporeutragenden Bacillen (Milz¬ 
brand) bisher unbekannte Körnchen, welche sich mit Karbol- 
metliyleubluu metachromatisch intensiv hellroth färben. Diese 
Körnchen scheiben in irgend einer Beziehung mit der Sporen- 
bilduug zu stehen, da sie ebenfalls resistent gegen Hitze sind. 
Dass die Körnchen, wie von einigen Seiten behauptet wird, mit 
dem Virulenzgrade der Bacillen in Zusammenhang ständen, 
also dass bei mehr Körnchen eine grössere Virulenz zu er¬ 
warten sei, scheint nicht der Fall zu sein. Die Grösse und die 
Form der Körnchen varlirt sehr stark. 

3» dir. Barthel und O. Steuström: Beitrag zur Frage 
des Einflusses hoher Temperaturen auf Tuberkelbacillen in der 
Milch. 

Von der bekannten Thatsache ausgehend, dass im Allgemeinen 
Milch und Flüssigkeiten bei neutraler resp. 
alkalischer Reaktion viel schwerer zu sterllisiren als bei 
saurer Reaktion, stellt Verfasser durch Versuche fest, dass bei 
Anwendung von stark veränderter, d. h. alkalischer Milch 
das Erhitzen während 5 Minuten auf 80“ ohne Wirkung blieb, 
während bei Anwendung einer noch immer in ihren Eigenschaften 
wenig veränderten Milch von einer au verhältnissmässig junger 
Eutertuberkulose leidenden Kuh ein momentanes Erhitzen auf 
SO“ genügend war, um die Tuberkelbacillen zu tödteu. Erst unter 
Anerkennung dieser Thatsache könne mau übereinstimmende Ver¬ 
gleichsresultate erhalten. R. O. Seumann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 41. 

1) G. B a c c e 11 i: Rudolpho Virchowio. 

2) A. W e i c h s e 1 b a u m und E. Zucke rkandl - Wien: 
Ueber den Einfluss V irchow’s auf die Entwicklung der patho¬ 
logischen Anatomie, der öffentlichen Gesundheitspflege und der 
Anthropologie in Oesterreich. 

3) V. C o r n 11 - Paris: Souvenirs d’autrefois. 

4) P. H. Pye- Smith: The influence of Virchow on 
Pathologie in England. * 

5) B. J. S t o k v i s - Amsterdam: Virchow und die nieder¬ 
ländische Medicin. 

6) W. S c li e r v i n s k y - Moskau: Rudolph Virchow und 
die russische Medicin. 

7) C. Sund b erg- Stockholm: Rudolph Virchow und 
die schwedische Pathologie. 

8) C. J. Salomonsen - Kopenhagen: Rudolph Virchow 
und die dänische Medicin. 

9) G. Karamltzas - Athen: Rudolph Virchow und 
die griechische Medicin. 

10) A. J a c o b y - New-York: Rudolph Virchow und die 
amerikanische Medicin. 


11) O. I s r a e 1 - Berlin: Das pathologische Museum der 
Königlichen Friedrich-Wilhelm’s-Universität zu Berlin. 

Festnummer zu Vircho w’s 80. Geburtstag. 

Grassmann - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No 41. 

Festnummer zu Ehren Rudolph Vircho w’s. 

1) Hugo K 1 b b e r t - Marburg: Rudolph V i r c h o w, der 
Schöpfer der Cellularpathologie. 

2) Erlsmann - Zürich: Virchow als Hygieniker. 

3) A. IH s s a u e r - Berlin: Virchow als Anthropologe. 

4) Paul G r a w i t z - Greifswald: Die Eintrittspforten der 
Tuberkelbacillen und ihre Lokalisationen beim Menschen. 

G. macht darauf aufmerksam, dass die Mandeln als Eingangs¬ 
pforte wie für andere Infektionen so auch für die Tuberkulose 
von grösster Bedeutung sind, dass ein strenger pathologisch-ana¬ 
tomischer Beweis dafür aller so schwer zu erbringen ist, wie für 
primäre tuberkulöse Darmaffektioueu. 

5) V. B a b e s - Bukarest: Ueber Neurogliawucherung, und 

6) II. C h i a r 1 - Prag: Gliomatöse Entartung des einen 
Tractus und Bulbus olfactorius bei Glioma cerebri. 

Beiträge zu dem Kapitel der von Virchow zuerst als eigene 
Geschwulstspecies erkannten und eigens benannten Neubildungen 
der Neuroglia, der Gliome. 

7) Haus U r y - Charlottenburg: Zur Methodik der Fäkal¬ 
untersuchungen. 

Untersuchungen aus dem pathologischen Institut der Universi¬ 
tät Berlin über die Vertheiluug von Stoffwechselprodukten und 
Nahruugsresten im Koth des Gesunden bei gemischter Kost. 
Annähernd lassen sich bei normalen Verhältnissen die Sekrete 
des Darmes durch eine gründliche Extraktion der frischen Faeces 
mit Wasser von den als unlöslicher Fllterrtickstand zurückbleiben¬ 
den Nahrungsresten abscheiden. Die Bestimmung des Nuclöiu- 
pliosphors in den Faeces erfolgt direkt durch Extraktion derselben 
mit alkalischen Flüssigkeiten. Bezüglich der Details der Methode 
muss auf die Originalarbeit verwiesen werden. 

8) Arthur M e y e r - Berlin: Malariabekämpfung in der Cam¬ 
pagne romana. 

Bericht Uber die praktischen Resultate des von der italie¬ 
nischen Gesellschaft vom „Rotheu Kreuz“ unter Leitung von Prof. 
Postempskl im Sommer 1900 gegen die Malaria im Gebiete 
der römischen Campagna unternommenen Feldzuges. 

F. Lacher- München. 

Oesterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 41. I. Virchow -Nummer. 

1) Weichselbaum - Wien: Zum 80. Geburtstag Rudolph 
Vircho w’s. 

2) J. Z a p p e r t - Wien: Kinderrückenmark und Syringo¬ 
myelie. 

Berichtet über die Untersuchung von 200 Rückenmarken von 
Kindern und zwar über Fälle mit einer intra partum erlittenen 
Blutung, dann über Fälle, welche angeborene Veränderungen des 
Centralkanals aufweisen. Die Bedeutung der einfachen Ilydro- 
myelie schätzt Verfasser nicht hoch ein und ist der Anschauung, 
dass dieselbe häufig einen nicht pathologischen Befund darstellt. 
Wichtiger ist eine frühzeitig einsetzende Wucherung der Glia. 
Eine sicher angeborene Gliawucherung konnte übrigens nicht auf¬ 
gefunden werden. 

3j K. Laudsteiner-Wien: Ueber degenerative Ver¬ 
änderungen der Nierenepithelien. 

Hinsichtlich der wesentlich histologischen Ausführungen des 
Artikels wird auf das Original verwiesen. 

4) O. S t o e l* k - Wien: Ueber Nierenveränderungen bei Lues 
congenita. 

Verfasser beschreibt Nieren Veränderungen des letzten foe- 
talen und des ersten postfoelalen Lebensabschnittes bei Lues cong., 
welche er als sekundäre Vegetationsstörungen ansieht, nämlich als 
pathologische Bildungen, hervorgerufen durch eine Störung der 
normalen Entwicklung des Ausbaues unter dem Einflüsse einer 
hereditären Noxe. Bezüglich der zahlreichen Zeichnungen und der 
histologischen Details wird auf das Original hingewiesen. 

5) E. Staugl-Wien: Zur Histologie des Pankreas. 

Verfasser untersuchte das Pankreas eines 30 jährigen Hin¬ 
gerichteten eine Stunde nach dem Tode und fand in den ver¬ 
schiedenen Zellarten der Drüse einen grossen Reichthum an Fett¬ 
tröpfchen, deren Eigenschaften er an einer grossen Anzahl mensch¬ 
licher Bauchspeicheldrüsen näher untersuchte. Augenscheinlich 
handelt es sich bei diesen Fetttropfen um normale Produkte des 
Stoffwechsels. 

(5) A. Weichselbaum und E. S tan gl-Wien: Zur 

Kenntniss der feineren Veränderungen des Pankreas bei Dia¬ 
betes mellitus. 

Die Verfasser berichten über 18 von ihnen untersuchte Fälle, 
unter eingehender Angabe der histologischen Befunde. Hierüber 
ist das Original zu vergleichen. 

7) F. Kitel b 8: Flimmerepithel bei einem Magencarcinom 
und seinen Metastasen. 

Das betreffende Präparat, dessen histologische Einzelnheiten 
in 3 Zeichnungen des Originals dargestellt sind, wurde an einem 
50 jährigen kachektischen Manne gewonnen, dessen Magencarci¬ 
nom sich als sog. inflltrirender Skirrhus prttsentlrte. 



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22. Oktober 1901. 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1713 


8) J. Brdthelm: Beitrag zur Xenntniss der branchio- 
genen Organe des Menschen. 

Grössere entwioklungsgeseliiehtliehe Studie, deren Ergebnisse 
sieh zu einer kurzen Zusammenfassung nicht, eignen. 

9) Chr. Stravoskindls: Ueber die Bildung und Rück- 
bildung von Deciduagewebe im Peritoneum. 

Verfasser theilt die an 28 untersuchten Fällen gewonnenen 
histologischen Ergebnisse mit. Nach denselben stammen die 
Deciduazellen nicht vom Endothel der Serosa, sondern von den 
Rindegewebszellen derselben ab. Die sich abspielenden regres¬ 
siven Veränderungen sind in ihren Einzelnheiten noch nicht völlig 
aufgeklärt. 

10) O. Th. Lindenthal: Zur Entstehung der Tubar- 
ruptur. 

L. beschreibt die anatomischen Verhältnisse einer sehr jungen 
TubargraviditUt aus dem Befunde an einer 20 Jährigen Kranken, 
welche an innerer Blutung trotz vorgenommener Laparotomie zu 
Grunde ging. 

11) Fl. Al brecht und A. Ghon-Wlen: Ueber die Aetio- 
logie und pathologische Anatomie der Meningitis cerebrospinalis 
epidemica. 

In der vorliegenden ausführlichen Studie beschreiben die Ver¬ 
fasser den von ihnen in 22 Fällen gezüchteten Coccus nis eine 
wohlcharakterislrte Mikrococcenart. die zweifellos dem Mikro- 
eoecus gonorrhoeae nahesteht. Mit der Gattung Streptococcus hat 
diese Form nichts zu thun. Meist handelt es sich bei den be¬ 
treffenden Erkrankungen um Reininfektionen. Auch hier muss be¬ 
züglich der wichtigen Einzelheiten auf den Originalaufsatz ver¬ 
wiesen werden. 

12) Wintersteiner: Ueber metastatische Ophthalmie 
bei Meningitis cerebrospinalis epidemica. 

Verfasser berichtet iil>er den pathologisch-anatomischen Be¬ 
fund eines Falles, welcher einen 20 jährigen Taglöhner betraf. 
In demselben war die metastatische Ophthalmie durch den Piplo- 
coceus intraeell. mening. verursacht. 

19) M. Sachs: Der Bacillus pneumoniae (Friedländer) 
als Erreger eines Hirnabscesses. 

Kasuistische Mittheilung unter Anführung des Sektions- und 
des bakteriologischen Befundes. 

14) -K. Deiner- Wien: Ueber Influenza als Mischinfektion 
bei Diphtherie. 

L. berichtet über 11 Fälle von Diphtherie, bei welchen In- 
fluenzapneumonien zur Beobachtung kamen. Die Komplikation 
der Diphtherie mit Iufiuenza verschlechtert natürlich die Pro¬ 
gnose der Erkrankung noch weiter. 

1) J. Barthel- Wien: Zur Aetiologie und Histologie der 
Endokarditis. 

Die ausführliche klinische Studie eignet sich nicht zu kur¬ 
zem Auszug. Grassmann - München. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 38. K o b e r t: Ueber Giftspinnen. 

Nach allgemeinen zoologischen Bemerkungen konstatirt K. die 
Ungiftigkeit der Tarantelspinne. Als Giftspinnen sind in Europa 
bekannt Chiraennthium nutrix und Lnthrodectes tredecim guttatus 
in ihrer rothen und schwarzen Varietät. Letztere kommt in Russ¬ 
land häufig vor und ist dem Viehstand stellenweise sehr verderb¬ 
lich. Karneole weisen nach dem Biss 33 Proc. Mortalität auf. 
Pferde 10. Rinder 12 Proc. Menschen gehen selten durch sie zu 
Grunde, erkranken jedoch unter heftigen Allgemeinerscheinungen, 
die bis zu Collaps, Somnolenz. Krämpfen. Asthma, Oyanose führen 
können und nach mehrtägigem Bestehen in eine länger dauernde 
Schwäche übergehen. Ein wässeriger Auszug der Spinne wirkt 
intravenös bei vielen Thieren rasch letal, subkutan noch stark 
giftig. Selbst die ganz jungen Thiere. auch die Eier sind gift¬ 
haltig. Vom Magen aus scheint das Spinnngift, wie das Schlangen¬ 
gift. unwirksam zu sein. 

No. 39. H. v. O r t y n s k I • Warasdin: Beitrag zur Kasuistik 
der Impfblattern (Vaccina generalisata). 

Der Fall bedeutet ein sehr seltenes Vorkommniss. da sich die 
Allgemeinverbreitung der Pockenpusteln bei einem Revacci- 
nlrten (Militärpflichtigen) einstellte. Ausgang in Heilung nach 
14 tägigem Fieber. 

No. 36—41. W. V y s i n - Prag: Ueber die Beziehungen der 
Nephritis zur Hydraemie und zum Hydrops. 

V.’s Resultate lassen sich in folgende Leitsätze zusammen¬ 
fassen: Bel Hydraemie pflegt die Verdünnung des Gesammtblutes 
unverhiiltni8smässig stärker zu sein, als die des Blutserums. Die 
Zahl der rothen Blutkörperchen und der Haemoglobingehalt. 
ebenso die im Ham nusgeschiedene Ei weissmenge sind ohne Ein¬ 
fluss auf das speciflsche Gewicht des Blutes. Das speciflsche Ge¬ 
wicht des Blutes ist bei Nephritis mit oder ohne Hydrops meist 
herabgesetzt, bei Circulationsstörungen gewöhnlich normal. Bei 
Nephritis und bei Olrenlationsstürungen hat der Hydrops seine Ur¬ 
sache in SchM'ankungen des Blutdruckes. Zwischen Hydraemie 
und Hydrops bestehen keine bestimmten Beziehungen. 

Wiener medicinische Presse. 

No. 39. J. Thenen-Wleu: Broncho-alveolltis flbrinosa 
haemorrhagica. 

Profuse Blutungen bilden bei genuiner fibrinöser Bronchitis 
eine grosse Ausnahme. Der hier beschriebene, einen 49 jährigen 
Mann betreffende Fall war dadurch charakterisirt, dass die Ent¬ 


zündung nicht eine rein fibrinöse, sondern flbrinös-haemorrliagische 
war; demgemäss zeigten die typischen dentritischen Sputa den 
bekannten Faserstoffkern gleichmässlg umhüllt von einer Schicht 
geronnenen Blutes. Flüssiges Blut wurde dabei niemals ex- 
pektorirt. 

No. 39. .7. Fischer- Wien: Darmerkrankungen im 

Wochenbett. 

F.’s Bericht liegen die Beobachtungen an 500 Fällen zu 
Grunde. Die Obstipation ist eine sehr häufige Beschwerde 
der Gravidität und gellt als solche auch in das Puerperium über; 
sie pflegt sich dann besonders geltend zu machen, wenn vor der 
Geburt künstlich reichliche Entleerung erzielt wurde, sie ist ge¬ 
ringer, wenn von der Geburt ab reichliche gemischte Kost gegeben 
wurde. Unter Umständen führt sie zu Erscheinungen, welche dem 
Ileus so sehr ähneln, «lass eine Unterscheidung Schwierigkeiten 
machen kann. Als solche gibt di«* Obstipation kaum Veranlassung 
zu Temperatursteigerungen. Jedenfalls viel seltener, als in der 
R«*gel angenommen wird. «>lier b«»i Kombination mit Darmkatarrh 
und dann nicht über 38,5. Jedenfalls ist zuerst, an andere Ur- 
Kuchcn eiues auf tretenden Fiebers zu denken. Dass b«;steheude 
Infektlonsprocesse und das mit diesen zusammenhängende Fieber 
durch Bestätigung der Obstipation und ihrer mechanischen Wir¬ 
kungen günstig beeinflusst wird, ist alter zuzugelten. Die Fis¬ 
sur a a n i sah F. gleich oft nach spontaner wie nach operativer 
Geburt auftreten. Sie stellt sielt gewönlicli ein, wenn während der 
ersten Zeit des Puerperiums hartnäckige Obstipation bestand und 
dürfte auf Verletzungen der empfindlichen Schleimhaut durch 
harte Skybala beruhen. 

No. 40 und 41. T. v. Györy - Ofen-Pest: Aetiologisches zum 
Morbus hungaricus. 

Studie über kulturhistorische, nationalökonomische klima¬ 
tische und hygienische Verhältnisse in Ungarn zu den Z«*lten der 
Türkenkriege, ihren Einfluss auf die Entstellung des für die nicht 
eingeborenen Truppen so verhängnisvollen Morbus hungaricus. 
den wir heute als Typhus exanthematicus zu klassiflzlren haben. 

Prager medicinische Wochenschrift. 

No. 39 und 40. A. P i c k - Prag: Symptomatologisches zur 
Epilepsie. 

An der Hand zweier Fälle verbreitet sich Verfasser über die 
Wichtigkeit der Frühsymptonie der Epilepsie und speciell über die 
Erscheinungen der Traumzustände und der Pseudoremlniscenz. 

B e r g e a t - München. 


Englische Literatur. 


David W a 11 ac e: Ueber Blasengeschwülste und Vergröße¬ 
rung der Prostata. (Laneet, 13. Juli.) 

Wir übergehen den pathologischen und diagnostischen Theil 
dieser Arbeit und wenden uns sogleich zur Therapie; die Entfer¬ 
nung von Blasengeschwülsten soll, nach Verfassers Meinung, auch 
bei Frauen nur durch den suprapubischen Blasenschnitt ge¬ 
schehen; auch bei grossen, breit aufsitzenden Geschwülsten erhält 
man durch theilwelse Abtragung der Geschwulst schöne Besse¬ 
rungen, die jahrelang andauern können. Bei starken Blutungen 
während der Operation, die auf Heisswasserberieselung nicht 
stehen. legt man Dauerklemmen an. Die Blase wird niemals ge¬ 
näht, son«lem längere Zeit hindurch mit einem Heberapparat drai- 
nirt. Gegen Yergrösserungen der Prostata thuen Operationen an 
den Hoden oft gute Dienste; die Castration wirkt sicherer wie die 
Durchschneidung der Samenleiter, und ist bei alten Leuten stets 
die Castration vorzuziehen. Nützen diese Operationen nichts, so 
mache man den hohen Blasenschnitt und exstirpire resp. enucleire 
möglichst grosse Stücke der Prostata. Gelingt es, die Passage 
durch die Harnröhre frei zu machen, so schließt sich die Blase 
stets wieder und braucht man keine Fistelbildung zu fürchten. 


R. W. Mnrsden: Die Diagnose und Behandlung des Ab¬ 
dominaltyphus. (Ibid.) 

Aus dem ersten Theile der Arbeit sei nur hervorgehoben, dass 
Verfasser die Wlda l’sche Reaktion als sehr wichtiges Hilfs¬ 
mittel der Diagnose betrachtet. In den letzten 12 Monaten hat er 
214 Fälle nach W i d a 1 untersucht und in 209 Fällen stimmte die 
klinische Diagnose und der Blutbefund überein. In 149 Fällen 
wurde ein positives Resultat erzielt, doch ist zu erwähnen, dass 
es unter diesen eine grösst* Anzahl von Fällen gab, in denen die 
sonst üblichen diagnostischen Methoden keine ganz sichere Dia¬ 
gnose erlaubten. Was die Behandlung anlangt, so verwirft Ver¬ 
fasser die sonst ln England so hoch geschätzte antiseptische Be¬ 
handlung des Darmes vollkommen; ebenso hat er von Typhus¬ 
antitoxin keinen Erfolg gesehen. Die von Zelt zu Zeit auf¬ 
tauchenden Medikamente hält er ohne Ausnahme für entbehrlich. 
Von grösstem Nutzen ist eine systematisch durchgeführte Bäder¬ 
behandlung (wie ln Deutschland) nud Regelung der Diät. Es ist 
nicht nöthig, den Kranken durchaus auf flüssige Diät zu setzen, 
hat er Appetit und verträgt und verdaut er feste Nahrung, so soll 
sie gegeben werden; nur Im ersten Beginn der Krankheit soll 
flüssige Kost gegeben werden. Die chirurgische Behandlung der 
Darmperforation soll lm gegebenen Falle stets versucht werden: 
die Diagnose ist so früh als möglich zu stellen, damit die Operation 
nicht hinausgeschoben wird, besteht bereits deutliche Peritonitis, 
so sind die Aussichten auf Erfolg sehr gering. 

W. Ewart: Die Behandlung der Bronchiektasien und 
chronischer Bronchitiden durch Lagerung und Athmungs- 
übungen. (Ibid.) 


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1734 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


Im Gegensatz zu Quincke, der die .Sehniglagerung nur 
zeitweilig auwendet, hat Ewart Kranke mit Hronehiektasien 
dauernd für längere Zeit schräg gelagert, indem er das Küssende 
des Bettes 12 ins 14 Zoll erhöhte. Namentlich der quälende Husten 
hörte sehr bald auf und mich einiger Zeit trat wesentliche Hesse¬ 
rung auf. Ichthyol und Atlicmübungen sind ebenfalls wichtige 
Ileilfaktoren. 

Stanmoro Bishof: Eine bisher nicht beschriebene gut¬ 
artige Neubildung der Gallenblase. (Ibid.) 

Es handelte sieh um eine 42 jährige Frau, bei der wegen ver- 
mutheter Gallensteine laparotomirt wurde. Hie Gallenblase war 
in einen kindskopfgrossen Tumor umgewandelt, bei Eröffnung kam 
man auf eine Anzahl nicht mit einander kommunizirender Cysten, 
die die Gallenblase ausfüllten und in den Duet. evxtic. hinein¬ 
ragten. Der Tumor wurde entfernt und der Stumpf des sehr er¬ 
weiterten Duet. eystic. in die Bauehwunde eingeniiht. Es scheint 
sich nach genauerer Untersuchung um eine enorme glanduläre 
Hypertrophie der Mucosa zu handeln, die Cysten waren alle mit 
einschichtigem Cylinderepithel ausgekleidet. ! 

W. Bourne Hallowes: 4 Fälle von erfolgreich durch 
rectale Chloraleinläufe behandelter puerperaler Eklampsie. 
(Ibid.) 

In 12 Stunden wurden 4 mal je 4.0 Chloralhydrat in etwas [ 
Wasser in das Rectum eingegossen; wenn nüthig, wurde ausserdem ' 
die Geburt beschleunigt. 

Alexander E.dington: Die Rattensterblichkeit in Kap¬ 
stadt, die der jetzigen Pestepidemie vorausging. (Lancet, 3. Aug.) 

Als Verfasser am 5. Februar ln Kapstadt aukam. erfuhr er, 
dass während der letzten 2 Monate entschieden mehr Ratten als ; 
früher gestorben waren; trotzdem gelang es während der ersten i 
6 Tage seines Aufenthaltes nicht, todte Ratten zur Untersuchung I 
zu bekommen. Am 7. Tage erhielt er 2 todte und eine Anzahl | 
lebender Ratten aus verschiedenen Theilen der Dockaulagcn. keine i 
derselben zeigte Pestsymptome, nur eine lebende Ratte aus dem i 
südlichen Dock (in welchem die Rattensterbllchkoit besonders be- ! 
merkt worden war) zeigte eigenthiimliehc Symptome. Die Sektion j 
der Ratte und die bakteriologische Untersuchung derselben ergab. I 
dass es sich nicht um Pest, sondern um haemorrhagische Sepsis : 
handelte und glaubt Verfasser, dass weitere Untersuchungen 
nöthig sind, um den Zusammenhang zwischen Ratten- und Men¬ 
schenpest festzustellen. Schon am 12. Februar konnte er bei einer 
Anzahl von Menschen die Pest mit Sicherheit klinisch und bak¬ 
teriologisch feststellen. 

Oskar Jennings: Die physiologische Heilung der Mor¬ 
phiumsucht. (Lancet. 10. Aug.) 

Verfasser beginnt seine Abhandlung mit der Behauptung, 
dass vor seiner 1800 erschienenen Arbeit über diesen Gegenstand 
es keine auf therapeutische Indikationen basirte Behandlung der 
Morphiumsucht gegolten habe. Die auf Ignoranz beruhenden ; 
früheren Heilmethoden (mehr oder weniger plötzliche Ah- ! 
gewöhnung) brachten bei den Kranken, die nicht durch Selbst- I 
mord oder an der Kur starben, nach fürchterlichen Qualen meist I 
nur temporäre Besserungen zu Stande. Die ersten Beobachtungen I 
hat Verfasser bei seiner eigenen Heilung gemacht und sie später ! 
bei vielen Kranken nnchgepriift. Auch bei Verfassers Kur muss I 
der Kranke überwacht werden, er muss seine Spritze aufgeben; ; 
besteht neben dem Morphinismus noch ein anderer -Ismus, so ist ' 
dieser zuerst zu beseitigen, was stets leicht gelingt. Verfasser j 
beginnt die allmähliche Abgewöhnung des Morphiums damit, dass j 
er den Einverleibungsmodus ändert, statt «1er subkutanen Injektion 
gibt er rectale Injektionen: meist kann man die subkutanen In¬ 
jektionen langsam vermindern, bis man auf 0,1 per Tag an¬ 
kommt, von nun an beginnt die Einverleibung per rectum und 
zwar gibt man doppelt, so viel per rectum, als man von den sub¬ 
kutanen Injektionen fortnimmt. So gelingt es. das ..Stimulans“, 
die Spritze, bald ganz abzugewöhnen. Die rectale Einverleibung 
stimulirt nicht, sie hat eine sedative Wirkung: die unangenehmere 
Art «1er Einverleibung reizt den Kranken nicht so, wie die be¬ 
queme Spritze und er begnügt sieh mit einer Menge, die gerade 
genügt, um den ..Morphiumhunger“ zu stillen. Von nun an be¬ 
ginnt man die Ausfallserscheinungen zu bekämpfen, die Herz¬ 
erscheinungen werden am besten durch Digitalis und Spartein be¬ 
einflusst; die Hvperaeidität des Magens und des ganzen Organis¬ 
mus wird durch Natr. lticarbon. beseitigt. Hier folgt eine Polemik 
Rogen Erlenme y e r, der angeblich Verfassers Priorität nicht 
gewürdigt hat. Als drittes Hilfsmittel verwendet er das heisse 
Luftbad, das eine tonisirende und sedative Wirkung entfaltet; 
ausserdem regt es den Stoffwechsel an und führt vielleicht zur 
Ausscheidung gewisser Substanzen, die den Morphiumhunger her- 
vorrufen (Oxydimorphin?). Ausser den ebengenannten Ileilfak- 
toren besteht Verfasser auf einer iniissigen Diät und der Abstinenz 
von Alkohol. Schlaflosigkeit weicht oft der cerebralen Galvani¬ 
sation. stets dem Trional: zuweilen verwendet er Extrakte der 
t’oea oder der Kola und stets nehmen die Kranken Ammon, 
valerian. Cocain. Dionin. Heroin und andere Morphiumderivate 
sind strengstens zu vermeiden. Während der Entziehungskur ; 
nehmen die so behandelten Kranken meist an Gewicht zu. Nach i 
vollkommener Entziehung muss der Exmorphinist ein massiges, | 
thiitiges Leben führen, da die Ueberladuug «los Körpers mit Harn¬ 
säure d«*n Morphiumhunger hervorruft. 5» ausführliche Kranken¬ 
geschichten erläutern die Einzelheiten der Behandlung. 

F. W. Smith: Die elektrolytische Transmission des in dem 
Wasser von Harrogate enthaltenen Schwefels durch eine | 
Sehweinshaut und die therapeutische Bedeutung dieser Methode 
bei Menschen, die an Ekzem, Gicht etc. leiden. (ibid.) 


Es gelingt nach Verfnss«;r leicht, Patienten, die in Harrogate 
baden, durch Einwirken des konstanten Stromes mit Schwefel 
in statu nascendi zu überziehen. Ebenso soll es, wie Verfasser 
experimentell nachzuweisen sucht, gelingen, den Schwefel durch 
die Haut in die Oireitlation zu treiben. Klinisch hat sich diese 
Methode bei sonst unbeeinflusst gebliebenen Fällen von Ekzem 
sehr bewährt. 


Bermtrd Holländer: Die Lokalisation der Melancholie 
im Gehirn. (Journal of mental scicnce. Juli 1001.) 

Jensen und Tigges haben festgest«*llt. dass die Stim- 
lappon Melancholischer keinerlei Gewiehtsveränderungen oder 
atrophische Vorgänge zeigen. Holländer hat nun in anderen 
Theilen des Gehirnes gesucht, und glaubt den Sitz «1er Melancholie 
(einer Krankheit des Gtffiihlslchons, die einen Gehirntliell ergriffen 
hat. der bei den Vorgängen des Intellektes nicht betheiligt ist) 
in dem Gyrus angularis und supramarginalis des Parietallappens 
gefunden zu haben. Zum Beweise (li«»ser Ilypothes«* werden einige 
in der Literatur nied«*rg«*legte Fälle von Verletzungen dieser 
Gegend mit nachfolgender Melancholie angeführt, sowie einige 
Sektionsb«>funde, bei denen symmetrische Atrophie beider Scheitel¬ 
lappen bei Melancholischen gefunden wurden, ln manchen Fällen 
bestand (besonders bei Verletzungen der linken S«*it<‘) gleichzeitig 
Wordblindheit. Verfasser glaubt, dass ..das Gefühl der Furcht“ 
im Centrum des Parietallappons lokalisirt ist und dass Ver¬ 
letzungen «lieses Ilimtheilos zu melancholieähnliehen Zuständen 
führt. 

Specialnummer für Augenkrankheiten. tlndiau Medical 
Gazett«», Juni 1901.) 

Es s«>i an «liosor Stell«» auf diese Extraausgabe aufmerksam 
gemacht, da sie liehen anderen Arbeiten <‘iu«‘ für unsere euro¬ 
päischen Verhältnisse geradezu ülierwültigende Statistik von Star- 
operationen gibt. Um nur einige Namen zu erwähnen, hat Pope 
über 7000 (in den letzt«*n 5 Jahren 3000) Staro|iemtIonen gemacht, 
Hendle.v und Pank operirten von 1891—1900 im Mayo Hos- 
pedalc zu Jaipur 5310 mal wegen Stars. Smith hat 3430 Extrak¬ 
tionen unternommen (1050 in den letzten 11 Monaten). Zählt 
man alle Operationen zusammen, so findet man, dass eine Hand- 
voll von Militärärzten in wenigen Jahren in Indien etwa 25 000 
Staroperationen ausg«*führt haben. Mögen nun auch die Augen 
der eingeborenen Inder, ihre allgemeine Konstitution, «las Klima 
etc. noch so sehr von den gleichnamigen Verhältnissen in Europa 
verschieden sein, so wird sich ein genaues Studium dieser ge¬ 
waltigen Anzahl von Fällen doch auch dem europäischen Arzte 
lohm-n. Pope desinflzirt den Conjunetivalsaek und die Instru¬ 
mente auf das sorgfältigste; vor der Operation träufelt er Atropin 
ein, um «las Verhältnis« der Iris zur Linse festzustellen, «lie Kapsel 
trennt er mit einer Nadel; dann extrahirt er die Linse, ohne vor¬ 
herig«» Iridektomie, durch eine grosse Lappenwunde der Oonjunc- 
tiva. Irisvorfall ist bei dieser Methode nicht zu befürchten. Das 
Auge wird 1—2 Tage lang verbunden gehalten, möglichst früh¬ 
zeitigen Luftzutritt hält er für wünschenswert!!. Bei Conjunctival- 
kafarrli wird mit gesättigter Borsäurelösung ausg«‘spült und dann 
Höllenstein eingctraufelt, bei eitriger Hornliautenzündung ver¬ 
weiset er ausserdem noch Atropin, bei Irhlo-eyelitis entfernt er 
das Auge aus Furcht vor sympathischer Entzündung des anderen. 
Audi di«* übrigen, oben erwähnten Autoren legen grosses Gewicht 
auf Desinfektion des Conjunktivalsaekes (Sublimat 1:3000); sie 
operiren fast immer ohne Iridektomie: Smith entfernte in seinen 
letzten 1050 Operationen die Linse stets mit der Kapsel, seine Er¬ 
folge sind glänzende.* 

C. B. Keetley: Zur Prophylaxe des Carcinoma. (Lancet, 
31. August.) 

Die kleine Arbeit enthält eine Hypothese, dass C'areinoni 
durch den Gentiss von Milch resp. Milchprodukten, wie Butter und 
Käse, erzeugt wird. Verfasser nimmt an, «hiss der Erreger «les 
Careinoms in der Milch und ihren Produkten einen guten Nähr¬ 
boden findet, und durch Genuss dieses Nahrungsmittels in unge¬ 
kochtem Zustaude in den Organismus gelangt. Der Brustkrebs 
der Frauen wird dadurch erklärt, dass Frauen oft Butter anfassen, 
ohne sieh nachher die Hände zu waschen, und so beim An- oder 
Auskleiden die Keime an die Brust bringen. (Ob Verfasser den so 
häutigen Vteruskrebs ebenso zu Stande kommen lässt, geht aus 
der Arlieit nicht hervor. Ref.) 

W. H. B. Stoddnrt: Dementia paralytica und Syphilis. 

(Journal of mental scieuco, Juli 1901.) 

Verfasser ist davon überzeugt, dass Dementia paralytica fast 
nur hoi friilier syphilitisch gewesenen Personen vorkommt; nicht 
syphilitische laufen keinerlei Gefahr paralytisch zu Grunde zu 
gellen. Den Einwand, dass die Syphilis oft erst im Aufangs- 
stadium der Paralyse erworben würde, zu einer Zeit, wo «lie 
Patienten stark gesteigerten Gesehlechtstrieb zeigen sollen, wider¬ 
legt er dadurch, dass thatsächlich bei 03 Procent der Paralytiker 
der G «‘schlecht st rieb schon s«*hr frühzeitig vermindert oder er¬ 
loschen ist. Audi bol jungen Individuen kommt Paralyse fast aus¬ 
schliesslich dann vor. wenn hereditär-syphilitisch«; Belastung nach¬ 
gewiesen werden kann. Offiziere stellen das Haiiptkontlngent zur 
Syphilis und zur Paralyse, hei katholischen Priestern kommt Para¬ 
lyse fast nicht vor. (Vor Kurzem wurde in England uneligcwieseti, 
dass die Juden in ganz ungewöhnlich hohem Procentsatz uud schon 
sehr früh an Paralyse erkranken; danelien aber wird von Hut¬ 
chinson uud Anderen fest behauptet, dass Syphilis in Folge der 
Beschneidung bei den Juden auffallend selten sei, während Tripper 
häutig vorkomme. Ref.) 


\V. J. McCardi e: Weitere Fälle von Narkose mit Aethyl- 
chlorid. (Lancet, 20. Juli.) 


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22. Oktober 1901. MITENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1715 


Im Anschluss au eine ln <ler Lancet (9. März 1901) veröffent¬ 
lichte Arbeit Uber denselben (legenstand gibt Verfasser die Nar¬ 
kosengeschichten von 19 mit Aethylehlorid betäubten Patienten. 
Nach Verfassers Meinung eignet sich das Mittel vorzüglich zu 
kürzeren Narkosen, wie sie zur Entfernung von Adenoiden, Man¬ 
deln, Zahnwurzeln, kleineren Amputationen etc. nöthig sind. Er 
verwendet eine Aethermaske und giesst Jeweils etwa 2 ccm auf. 
nöthig sind meist 5 bis 10 ccm. Die längste Narkose dauerte 
17 Minuten. Obwohl unter diesen 19 Fällen einmal Bewusstlosig¬ 
keit nicht zu erzielen war (Alkoholismus) und 1 Patient eine Stunde 
nach der Narkose starb (Urethrotomia interna bei einem 37 jähri¬ 
gen Manne; die Sektion ergab alte Perikarditis, Pleuritis und Peri¬ 
tonitis), glaubt Verfasser doch das (’ldoraethyl für kürzere Nar¬ 
kosen warm empfehlen zu können. 

Campbell Thomson: Die Prognose und Therapie des bei 
alkoholischer Lebercirrhose auftretenden Ascites, (lbid.) 

Verfnsser unterscheidet zuerst zwischen Ascites, der direkt 
abhängig ist von den durch die Lebercirrhose gesetzten Circu- 
latlonsstörungen und solchem, der mit der (Mrrhose kombiuirt, aber 
nicht durch sie bedingt ist. Im ersteren Falle ist «1er Ascites ein 
höchst ungünstiges Zeichen und durch die Behandlung, namentlich 
durch die Laparotomie, nicht zu beseitigen, im zweiten Falle kann 
dagegen die chirurgische Behandlung oft helfen. Die häufigste 
Ursache für den Aseit«‘s in der zweiten Gruppe von Fällen liegt 
in dem gleichz«*itigen Bestehen einer Perihepatitis und Peritonitis. 
In diesen Fällen kommen Heilungen nach Laparotomien vor, doch 
glaubt Verfasser, dass häutig wiederholte Punktionen von ebenso 
gutem Erfolge begleitet sind. Auf Grund eigener Erfahrungen 
un«l gründlicher Literaturstudien glaubt Verf. behaupten zu 
können, dass Heilungen von lediglich durch die ('irrhose bedingtem 
Ascites bisher noch nicht beobachtet worden sind. 

George Carpentes und Sydney S t e p h e n s o u: Die 
Tuberkulose der Chorioidea. (Ibid.) 

Die Arbeit stützt sich auf 49 eigene Beobachtungen der Ver¬ 
fasser, die zu folgend«-!» Schlüssen kommen: Die Chorioidenl- 
tuberkulos«* kann in jedem Stadium der Tuberkulose auftreten. 
sie findet sich sehr häufig bei akuter Miliartuberkulose und bei 
tuberkulöser Meningitis (.10 Proc. der Fäll«*). Meist tritt sie in 
diesen Fällen nur in einem Auge auf und es findet sich nur ein 
kleiner Tuberkel. Bei der chronischen Tuberkulose findet sie sieh 
weit häufiger als man bisher geglaubt hat, öfters erreicht die 
Ohorioidealtuberkulose hierbei grössere Ausdehnung und kann 
selbst den Bulbus durchbrechen. Auch bei latenter Tuberkulose 
kommen tul>erkulöse Laesionen der Chorioidea vor und zwar 
linden sie sich meistens in grösser«*!* Ausdehnung in «ler Mitte 
des Fundus; die Ilauptlaeslon ist mehr oder w«*niger pigm«*ntirt 
und hat zuweilen Satelliten. 

Edmund Cautley: Ueber den Skorbut der Säuglinge, 
(lbid.) 

Die Arbeit wen«l«*t sieh hauptsächlich gegen verselii«*<lene 
Autoren, die empfohlen haben, «li«* Milch für Säugling«* nicht zu 
kochen. Nacii Verf.’s Meinung hat das Kochen der Milch 
durchaus nichts mit d«*m Entstehen «t«*s Skorbuts zu tliun. der 
auf Fehlern in der Ernährungsweise beruht. Allerdings verliert 
gekochte Milch all Nährwerth proportional mit <l«*r Länge «les 
Kochens und der Höhe der Temperatur un«l man sollt«* desshalb 
etAvas Gerstenwasser «Hier Fruehtsaft zusetzen, wenn nach s<*hr 
langer ausseldi«*ssliclier Müchnahrung Z«*ieheu von Skorbut auf- 
treten; es wäre ab«*r falsch, auf diese sehr geringe Wahrschein¬ 
lichkeit hin das aus anderen Gründen nolli wendige Kochen der 
Milch zu unterlassen. 

James S t a r t i n; Die Behandlung des Lupus und des IJlcus 
rodens mit Böntgenstrahlen. (lbid.) 

f> Krankengeschichten, die entschied«*u «len Nutzen <l«*r Be- 
linndlung mich ln weit f«>r(g«*schritte!ien Fällen beweisen. Verf. 
arbeitet mit einem 1.1 Zoll Induktionsapparat und stellt «li«* Kolm* 
etwa 5 Z«>11 von der erkrankten Hautstelle auf. Die Bestrahlung 
erfolgt, an 4 bis 1 aufeinander folg«*nd«*ii Tagen und dauert jedes¬ 
mal i0—15 Miuutcn. Je heftiger di«: D«*rmatltis, um so besser ist 
gewöhnlich der Erf«>lg. 

P. J. Frey er: Die Totalexstirpation der Prostata zur 
Heilung der Prostatahypertrophie. (Brit. Med. Jouni., 20. Juli 
1901.) 

Verf. berichtet über 4 Fälle, iu denen er nach suprapubischcr 
Eröffnung der Blase «li«: Prostata total exstirpirt hat. Es g«*llngt 
leicht, nachdem der In «lie Blas«* vorspringende Tlieil der Ge¬ 
schwulst mit Haken gefasst und vorgezogen ist, die Schleimhaut 
zu durehtrennen und nun mit <l«*m Zeigefing«*r der linken Hand 
die Prostata entweder in toto (Mittel- und S«*itenlnppen) oder iu 
3 Theilen zu enu<*l«*iren. Ein in das Kectum eingeführter Finger 
der rechten Hand erleichtert die Operation s«:lir. Nach «l«*n boige- 
fügten Photographien zu schllessen, unterliegt es allerdings keinem 
Zweifel, dass Verf. die vorhandenen Tumoren der Prostata (Ade- 
nome) unverletzt enucleirt hat. IM«* Urethra wird bei dieser Ope¬ 
ration nicht verletzt, die Blutung ist gering und die Heilung er¬ 
folgte ln allen 4 Fällen prompt, so «lass die Kranken wieder ohne 
Katheter leben konnten. (Da Verf. in seiner Veröffentlichung be¬ 
hauptet, dass die von ihm ausgeführte Operation, zu «leren gutem 
Erfolge in 4 Füllen man ihm gewiss alles Glück wünschen kann, 
eine von ihm ganz neu erfundene s«*l, da er weiter behauptete, in 
jedem Falle die ganz«: Prostata inclusive der Kapsel und ohne 
Verletzung der Harnröhre entfernt zu haben. un«l da er angibt, 
dass vor ihm kein Fall operirt worden sei, der wieder olin«* Ka¬ 
theter habe lebeu können, so entspann sieh in den nächsten Num¬ 
mern des Brit. Med. Journ. natürlich eine lebhafte Fehde zwischen 
ihm und zahlreichen anderen Chirurgen, die lauge vor Frey er 


dieselbe Operation aiisgt'führt haben. Dass die anatomischen und 
literarischen Kenntnisse od«*r der gut«: Geschmack des Herrn 
F r e y e r in dieser Fehde besonders g«*gläuzt Italien, ist nicht zu 
behaupten. Itefer.) 

W. E. Foggle: Psoriasis der Nägel, die während Jeder 
Schwangerschaft recidivirt. (Scottish Medical and Surgieal Jour¬ 
nal, Mai 1901.) 

Eine 28 jährige Frau kam im August 1899 zur Beobachtung. 
Im 5. Monat der Jetzigen (<>.) Schwangerschaft waren, wie in d«*n 
4 vorhergehenden, die Nägel erkrankt. Die Krankheit begann mit 
Schmerzen und Brennen in den Fingerspitzen, dann lösten sieh 
«lie Nägel vom Nagelbett ab, si«* wurden grau, glanzlos und «*s 
traten Längs riefen auf, später zeigten sich auch Querriefen und 
nach 3 Monaten waren alle Nägel abgestossen; Anfang 1900. nach 
Ul »erstandener Schwangerschaft, waren die Nägel wieder ge- 
waehsen und fast von normaler Beschaffenheit: 5 Monate später, 
als Patientin wieder im 5. Monat schwanger war. wiederholte sieh 
derselbe Vorgang. Beide Male traten ausserdem deutliche I’soriasis- 
flecke am Handrücken, dem Knie und Ellenbogen auf. 

Di«: Nagelaffektion glich durchaus der von II u t e h i u s <> n 
beschriebenen Psoriasis «ler Nägel. 


W. J. Walsham: Die Diagnose und chirurgische Behand¬ 
lung der carcinomatösen Kolonstriktur. (Lancet. 17. Aug. 1901.) 

Verf. betont, dass «las Cnrcinoin des Kolon meist lange Zeit 
hindurch lokal und auf die Darm wand beschränkt bleibt; es l»l«*t«*t 
desshalb bei früher Entfernung sehr gute Aussichten auf Dauer- 
licilnng und muss eine möglichst frühzeitige Diagnose äugestrelit 
werden; kommt man zur Operation erst zu einer Zeit, wo schon 
ohstruktionsersclicinungcii vorliegen, so hat die Operation (falls 
man den Tumor überhaupt u<x*li entfernen kann) zweizeitig zu 
geschehen. Die Symptome, die «:ine Frühdiagnose ermöglichen, 
resp. zur Vornahme einer Probelaparotomie zwingen sollten, sind 
«‘inuial unbestimmte Zeichen von Störungen in den Buuchorgunen, 
Auftreibung, Gefühl von Völle, Verstopfung etc., die durch «li«* 
gewöhnlichen Mittel nicht rasch l>ess«*r werden: dann Anfüll«: von 
Schmerzen oder Krämpfen, «lie in die Gegend des Kolon lokulisirt 
werden; sehr liäulig Durchfälle verbunden mit einem «ittäleudeu, 
fast beständigen Drang zur Stuhlentleerung und eine stetige Ab¬ 
nahme des Gewichtes. Findet man bei diesen Symptomen weder 
vom Rectum noch durch «lie Bauchdecken Zeichen einer Ge¬ 
schwulst, so schreite man zur Probelaparotomie und event. gleich¬ 
zeitigen Entfernung der Geschwulst. Bestehen vor der Operation 
schon Zeichen von Dnrniversehluss, s«> legt Verf. zuerst einen 
künstlichen After ol>«>rhaIh «ler Flexur od«*r am Coceum an; erholt 
sieh Patient nach der Entfernung, so versucht man bald nachher 
die Geschwulst saninit «len Kunstart er durch Dnrmresektion zu 
entfernen. Zu erwähnen ist noch, dass Verf. zur Vereinigung der 
Darnienden den Murphyknopf Inmutzt. Eine Reihe von Kranken¬ 
geschichten erläutern das Gesagte. 

John Brownleo: Die Serotherapie der Pest. (lbi«l.) 

Verf. gibt, in dieser Arbeit Bericht über die Erfahrungen mit 
V «• r s 1 n'seliem ; «•rum (Pasteur-Institut), «lie «*r wühtvud «ler 
vorjährigen Pest«*pi«l<*niie in Glasgow saiinm*ln konnte. Glei« , h 
im Anfang sei Ixunerkt, «lass «li«: in Glasgow beobaeht«*t«*n Fäll«* 
viel milder waren, als di«*, die man iu Indien sl«*ht. Verf. kommt 
zu dem Schlüsse, dass «li«* subkutane Einverleibung von 10 ccm 
d«*s Serums zwar nicht uuliedingt sielier, aber doch in vielen Fällen 
vor der Krankheit schützt. Bri«*lit die Krankheit trotz der proph.v- 
laktiselien Einspritzung aus, so verläuft sie milder. Die Heil¬ 
wirkung des Serums ist, s»*lbst wenn «*s erst spät in der Krauk- 
li«*it gegeben wird, eine sehr m«*rkliclie, aber nur dann, wenn «lio 
Einverleibung intravenös erfolgt: bei subkutaner Einspritzung ist 
der Erfolg nur gering und kommt dies vielleicht daher, «lass das 
Lymphsystem als biologisch«** Filter für «las Serum wirkt und 
dass auf diese Weis«* von den regionürvn Drüsen der grösste Theil 
der Antitoxin«* zurückgchalt<*ii wird und nur geringe Mengen iu 
den Kreislauf gelangen. St«*ts g«*l>e man grosse Anfangsdoseu 
(00 ccm intravenös); will man überhaupt subkutan «*inspritzen. 
so iujizire man nur an einer Stelle, den*n Lymphsystem direkt 
zum Bubo führt. Es folgen 7 ausführliche Krankengeschichten. 

E. Klein und II. Williams: Versuche mit dem Batten¬ 
bacillus von D a n y s z. (Ibid.) 

Die Verfasser haben iu londoner Waarenliäusem zahlreiche 
Versuche <larüls*r angest«*llt, ob «*s gelingt, durch Ausleg«*n v«m 
mit dem D a n y s z’sciieii Bacillus iutlzlrtciu Futter (Krod. Mäuse, 
Meerschweinchen) «*in tödtlhdie Krankheit unter «len Ratten zu 
erzeugen. Obwohl «lie Ratten sowohl «las Br«xl. wie di«* iiiüzlrteu 
Thierleh'hen begierig frassen, trat keinerlei Sterblichk«*it unter 
ihnen auf; Ratten, «lie durch Inj«*ktlon«*n des Bacillus getüdtet 
waren, wurden von den anderen Ratten nicht g«*fress«*n. Die Ver¬ 
fasser weisen darauf hiu, «lass <lk*so in grossen Wanrenhüusem 
mit möglielister Berücksichtigung der Wirklichkeit angestellten 
Versuch«: viel beweisender sind als Laboratoriumsversuche 
(Kister und K ö 11 g e n). du Ratten ln der Gefangenschaft 
überhaupt sehr leicht eiugelien. 


G. T li ornto n und II. J. G o d w i n: Ein Fall von Typhus- 
recidiv; Perforation und Operation. (Ibhl.) 

Bei der Operation, di«: etwa 2 Stunden nach der Perf«>mti«ui 
vorgenommen wer«leu könnt«*, fand man im letzten Theile des 
Ilcum ein perforirtes Geschwür und ein weiteres, das der Perfora¬ 
tion nahe war; beide wurden übernülit. Die Operation wurde hei 
der 27 jülirigen Frau unter lokaler Ana«*sthesie gemaelit und gut 
vertragen; leider starb die Kranke 8 Tage nach der Operation 
an Pneumonie und Herzschwäche, die Geschwüre waren gut v«*r- 
heilt und von Peritonitis fand sich keine Spur. 


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1716 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


J. Effie P o w s e: Eine verbesserte Methode zur Photo¬ 
graphie pathologischer Präparate. (Ibid.) 

Die Kamera wird vertical an einem Stativ befestigt, das 
Präparat liegt in einer flachen Glnsschüssel mit geradem Hoden 
und Seiten, und ist von einer dünnen Schicht Wasser bedeckt; 
durch diese Schicht hindurch wird photographirt. Die so auf- 
genommeuen Bilder sind sehr scharf; ein grosser Vortheil besteht 
auch noch darin, dass sich das Präparat im Wasser von selbst 
nusbreitet und sich ln seine natürliche Form legt. 

H. T. Butlin: Leukom resp. Leukoplakie der Vulva und 
Carcinom. (Rrit. Med. Journ., 13. Juli 1001.) 

Der bekannte Zungenspecialist beschreibt hier 4 Fälle von 
Leukom der Vulva mit nachfolgender Bildung eines Carelnoms 
in einem der leukomatösen Flecke. Die Flecke, die nur auf der 
Schleimhaut auftreteu, gleichen makroskopisch und mikroskopisch 
durchaus den an der Zunge beobachteten Leukoplakien; in einigen 
in der Literatur beschriebenen Fällen wurden Zunge und Vulva 
derselben Person ergriffen. In keinem von Verfassers 4 Fällen 
lag Syphilis vor, doch möchte er ein grösseres Gewicht auf Gicht 
und Rheumatismus als aetiologische Faktoren legen. Wie Ver¬ 
fasser glaubt, handelt es sich bei den Leukoplakien weniger um 
entzündliche, als um degenerative Vorgänge; er empfiehlt wegen 
des häufigen Vorkommens von Krebs in diesen Fällen die prophy¬ 
laktische Entfernung aller Leukoplakien der Vulva. 

W. Wraugham: Akute Bleivergiftung durch den Ge¬ 
brauch von Diachylon als Abortivum. (Ibid.) 

Verfasser hat im Verlaufe von 3 Jahren 5 Fälle von schwerem 
Saturnismus bei Frauen Iwobachtet, die längere Zeit Diachylon- 
pillen genommen hatten, in der Absicht. Abort herbeizuführeu. 
Nur in einem Falle trat der gewünschte Erfolg ein, 2 Frauen 
starben und 3 genasen nach langem Kranksein; in allen Fällen 
wirkte das Diachylon besonders auf das Nervensystem, wenn auch 
Magendarmsymptome nicht ganz fehlten. Besonders ergriffen 
waren die Augen. 4 von den 5 Kranken zeigten Neuritis optica 
und Augenmuskellähmungen. Zu bemerken ist noch, dass die 
„Ineubationsperiode“ der Bleivergiftung eine recht lange, min¬ 
destens t» Wochen war und dass auch nach dem Aussetzen der 
Diachylonpillen die Symptome noch Zunahmen. 

Clifford All butt: Infektion durch den Urin von Typhus- 
reconvalescenten. (Ibid.) 

Verfasser weist auf die grosse Gefahr hin, die darin liegt, 
Typhusreeonvalescentcn früh nach Hause zuriiekkehren zu lassen, 
du die Typhusbacillen lange (bis zu 5 Jahren?) ihre Virulenz iui 
Urin behalten. Stets soll man versuchen, durch Urotropin die 
Uarnwege zu desinllziren, und kein Patient soll entlassen werden, 
bevor nicht der Urin bacillenfrei Ist. 

Lewis C. Bruce und H. de Maine Alexander: Die 
Behandlung der Melancholie. (Lancet, 24. Aug. IDOL) 

Nach der Ansicht der beiden Autoren beruht die Melancholie 
auf einer Veränderung des Stoffwechsels (eine Reihe von Harn- 
analyseu etc. ist beigefügt): die Behandlung muss desshalb darauf 
hiuzielen, die Ausscheidung von Schlacken durch die Nieren und 
die Haut zu befördern: am besten geschieht dies durch Verab¬ 
reichen von flüssiger Nahrung. Reichliche Mengen von Milch, sehr 
schwachem Thee und Wasser bei Bettruhe wirken ausgezeichnet. 
Von Arzneien verwenden sie nur Kaliumcitrat; die Behandlung 
soll möglichst frühzeitig beginnen. 

C. F. M a r s h a 11: Schmierkur und intramuskuläre In¬ 
jektion bei Syphilis. (Ibid.) 

Gestützt auf ein Material von 09 Kranken, die etwa 1 Jahr 
lang unter Beobachtung standen, glaubt Verfasser, die Frage nach 
der besseren Behandlungsmethode zu Gunsten der Schmierkur ent¬ 
scheiden zu müssen; angeblich treten nach Injektionen etwa 
doppelt so viele und schwere Reeidive auf wie nach der Schmier¬ 
kur. (Sowohl die Zahlen wie die Beobachtungsdauer sind viel zu 
klein, um Schlüsse daraus zu ziehen. Ref.) 

Robinson: Schusswunden im spanisch-amerikanischen 
Kriege. (Annals of Surgery, Febr. 1901.) 

Gestützt auf ein Material von 1590 Fällen, kommt Verfasser 
zu dem Schlüsse, dass die durch moderne Waffen verursachten 
Schusswunden meist aseptisch sind und demgemäss behandelt 
werden müssen. Die Form des Geschosses und der sofort an¬ 
gelegte erste Nothverband verhindern meist die Sepsis. Primäre 
Blutungen sind sehr selten, da die Blutgefässe meist zur Seite 
gedrängt werden. Sogen. ,.Explosiv“-Wirkungen werden nicht 
häufig beobachtet, sie sind ebenso eine Folge der Gewebsart, die 
getroffen winl, als der Schnelligkeit des Geschosses. Penetrlrende 
Brustwunden heilen unter konservativer Behandlung; bei starkem 
Ilaemothorax muss man punktiren. Knieschüsse sind meist asep¬ 
tisch: sind sie infizirt, so muss, um das Leben zu retten, sofort 
amputirt werden: überhaupt sind Amputationen, ausser bei Ver¬ 
letzungen des Ellenbogens, den Resektionen vorzuziehen. Bauch¬ 
schüsse heilen am besten unter konservativer Behandlung; die 
Laparotomie auf dem Schlachtfelde ist nicht berechtigt. (Im All¬ 
gemeinen stimmen diese Ansichten mit denen der englischen Chi¬ 
rurgen überein, nur wurde in Südafrika sehr selten amputirt und 
resezirt. Ref.) ,1. I*. zum Busch- Ixmdou. 


Vereins- und Congressberichte. 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 

in II amburg, vom 22. bis 28. September 1901. 
Bericht von Dr. Grassmann in München. 

IV. 


II. allgemeine Sitzung. 

Freitag, den 28. September. 

Nachdem Voller- Hamburg die wieder sehr zahlreich be¬ 
suchte Versammlung mit einigen geschäftlichen Mittheilungen 
eröffnet hatte, folgte sofort der erste Vortrag des Tages: Medicin 
und Seeverkehr, in welchem Curschmann - Leipzig Fol¬ 
gendes ausführte: 

Die herrliche Feststadt Hamburg brachte dem Redner das 
vorstehende Thema als fast selbstverständlich entgegen. Die 
Theilnahme der Medicin an den Verhältnissen des Seeverkehrs 
ist in Deutschland relativ jung, in anderen Ländern wird schon 
seit lange See- und Tropenmedicin getrieben, jetzt freilich auch 
bei uns, seit die Kolonisationsbestrobungen hervortraten. Die 
deutsche Medicin hat sich diesen Fragen mit dem Eifer gewidmet, 
mit dem der Handel vorangegangen ist. 

Der Seeverkehr stellt grosse Aufgaben an die Medicin: Die 
Hygiene der Schiffe und der Küsten, die Behandlung der Krank¬ 
heiten in fernen Ländern, die eigentliche Tropenhygiene, die 
Akklimatisationsfrage, die Rolle der Bewohner fremder und ein¬ 
heimischer Länder bei der Entstehung und Verbreitung von 
Krankheiten u. A. spielen da herein. Auf die Verhältnisse der 
Kriegsmarine kann Redner nicht eingehen. . Das Schiff ah* 
schwimmendes Bauwerk vereinigt, mehr in sich als das Haus. 
Indem es Bewohner und Waaren hinaus- und zurückträgt, winl 
cs Erreger, Vermittler und Entstehungsort vieler Krankheiten. 
Die naturgemässe Beschränkung de« Raumes in allen Tlieilcn. 
das enge Beisammensein der Bewohner wird zur Grundlage 
vieler Schädlichkeiten des Seeverkehrs. Eine regelmässige Ven¬ 
tilation, Reinigung und Desinfektion ist erschwert, dabei besteht 
die Schwierigkeit in der Beschaffung frischer Nahrungsmittel 
und von Trinkwasser; Hitze und Kälte kommen dazu, um die 
idealistische Ueberschntzung der Vortheile der Seereise zu ver¬ 
hindern. 

Schiffbau und Seeverkehr haben, das muss freudig festgestellt 
werden, jetzt die grössten Fortschritte gemacht. Das Segelschiff 
ist für den Personenverkehr verdrängt, eine ungemein gesteigerte 
Schnelligkeit der Schiffe ist erreicht, die Innenräume sind ge¬ 
sundheitlich besser gestaltet. Besonders wichtig gerade in ge¬ 
sundheitlicher Rücksicht ist die Steigerung der Schnelligkeit, 
der Richtungssicherheit. Vor Allem ist dadurch auch eine weit 
grössere Aufnahme frischer Lebensmittel ermöglicht, nament¬ 
lich eben für die Dampfer. Das häufigere Aus- und Umladeu 
des Schiffe führt zur Befreiung de« Schiffes von infektiösem 
Material, das öftere Anlaufen der Häfen führt zu häufigerer 
hygienischer Untersuchung. Fortschritte haben auch die Hafen- 
und Schiffsbehörden in hygienischer Hinsicht gemacht. Die 
Verbesserung der Räume des Schiffes vermindert die Gefahren, 
welche wie am Lande durch Massenanhäufung von Menschen 
erwachsen. Einzelne Krankheiten sind heute schon sehr selten 
an Bord geworden, z. B. Skorbut, Typhus, Ruhr. Andere sind 
geblieben und mahnen zur Vervollkommnung. Einige technische 
Fortschritte haben gesundheitlich auch ihre Schattenseiten; 
z. B. begünstigt die Beschleunigung des Seeverkehrs die Ein¬ 
schleppung von Krankheiten, die früher bei uns selten waren. 
Die Fahrzeit ist kürzer geworden als die Inkubationszeit mancher 
Krankheiten. So können bei scheinbar gesund Eingeschiffteu 
spiiter dennoch Krankheiten an Land ausbrechen. 

Die Bewohner des Schiffes sind von den eingeführten Ver¬ 
besserungen sehr ungleich berührt. Alle Vortheile kommen 
mehr den Passagieren als der Mannschaft zu gute. Die Fahrt 
I. Klasse im Schiff ist in jeder Richtung besser und sicherer ge¬ 
worden, als jene auf dem Lande. Auch für die Mitteldeeks- 
passagicrc* ist besser gesorgt. Am wenigsten günstig liegen die 
Verhältnisse für die Matrosen, Feuerleute und sonstigen Arbeiter. 
Diese Mängel traten am meisten hervor durch die Betrachtung 
der bei diesen Leuten vorkommenden Krankheiten. Von letzteren 
kommen 2 Gruppen in Betracht: 1. Krankheiten, deren Keime an 
leblosen Gegenständen oder in infizirten Menschen eingeschleppt 


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22. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1717 


werden oder während der Fahrt ausbrechen; 2. Krankheiten, 
welche durch den Schiffsverkehr speziell bedingt sind und ge¬ 
fördert werden durch die eigenartige Beschäftigung und das 
Leben der Mannschaft. Zu letzteren gehören katarrhalische und 
rheumatische Erkrankungen, Seekrankheit, Skorbut. Das fast 
völlige Verschwinden des letzteren ist ein Beweis für die Wirk¬ 
samkeit hygienischer Maassnahmen. Die Tuberkulose spielt auf 
See der stabilen Mannschaft gegenüber eine noch grössere Rolle, 
als auf dem Lande. Die Kriegsmarine ist hierin der Handels¬ 
marine gleich. Bei den Hamburger und Bremer Seeleuten sind 
38 Proc. der Todesfälle durch Tuberkulose verursacht. Die 
Tuberkulose fordert zur See mehr Opfer als auf dem Lande unter 
sonst gleichen Verhältnissen. Hier tritt der Einfluss des nahen 
Zusammenlebens mit Tuberkulösen klar zu Tage. Die un¬ 
genügende Versorgung des Sputums, schlechte Unterkunftsräume 
für die Mannschaft, schlechte Fussböden, Mangel an Bade-, 
Douehe- und Waschgelegenheiten kommen da in Frage. Gesunde, 
kräftige Männer sieht man im Seeklima an Tuberkulose er¬ 
kranken und sterben. Der jüngste Tuberkulosekongress in 
London hatte kein Wort über die Tuberkulose der Seeleute. Es 
bedarf aber der offenen Beleuchtung dieser Verhältnisse. Für 
eine Sani rang derselben ist es nöthig, den Gesundheitszustand 
der anzuwerbenden Mannschaft zu berücksichtigen, sowie jenen 
der Reisenden. Sehwerkranke sollen möglichst ausgeschlossen 
werden. Redner ist der Ansicht, dass Reisen zu Heilzwecken 
überhaupt nicht oder nur unter besonderen Vorsichtsmaassregeln 
gestattet werden solle. Manches kann auch Belehrung an Bord 
und auf dem Lande nützen. 

Zu den Berufskrankheiten der Seeleute gehört auch der 
llitzsehlag, verursacht durch den langen Aufenthalt bei dem 
Feuer der Maschinen. Die Feuerleute arbeiten bei 30—40°, nach 
der Arbeit kommen sic wieder in schlechte Räume. Auch hier 
ist die Erkrankungs- und Sterblichkeitsziffer gesteigert, be¬ 
sonders hinsichtlich der Herz- und Nierenkrankheiten, sowie 
der Arteriosklerose. 16 Proc. aller an Bord sich ereignenden 
Todesfälle w’erden von den Hamburger Hafonärzten dem Hitz- 
sehlag und seinen Folgen zugeschrieben. Manches würde sich 
auch auf der Handelsmarine verbessern lassen durch Vermehrung 
des Personals, Besserung der Schlaf räume, bessere Ventilation 
der Heizräume. Von einseitigen ärztlichen Forderungen muss 
man abstehen, aber gewisso gerechte Ansprüche, mit weiser Be¬ 
schränkung geltend gemacht, werden sieh erfüllen lassen. An 
dem guten Willen unserer Behörden und Rhedereien ist gewiss 
nicht zu zweifeln. 

Von den Krankheiten, die vom Lande auf das Schiff ver¬ 
schleppt werden, ist zunächst das gelbe Fieber zu nennen, dem 
fast 14 aller Todesfälle von Seeleuten an Bord zuzuschreiben ist. 
Die Sterblichkeit an Land eingerechnet ergibt sich eine Mor¬ 
talität von 42 Proc. Die grossen Häfen der brasilianischen 
Küsten sind für das gelbe Fieber von grösster Bedeutung. Die 
Krankheit folgt fast ausschliesslich den Wegen des Schiffsver¬ 
kehrs, Schiffe und seine Bewohner sind die Vormittler. Ob 
Stechfliegen hiebei eine Rolle spielen, sei dahingestellt. Das 
Contagium haftet lange an leblosen Gegenständen, an der Ladung, 
die sich oft nur schwer desinfiziren lässt. Italien, Spanien und 
andere Küsten des Mittelmeeres, auch England, haben den 
schlimmen Gast schon beherbergt, Invasion nach Deutschland ist 
nicht ausgeschlossen. Vorläufig besteht eine noch zu geringe 
Aufmerksamkeit gegenüber dieser Gefahr. Ist das gelbe Fieber 
im Hafen festgestellt, so muss die Mannschaft vom Lande zurück- 
gehalten werden, wie dies in musterhafter Weise die Hamburg- 
Südamerika-Linie praktisch durchführt, die in derartigen Fällen 
ihre Mannschaft auf einer Insel unterbringt und das Ausladen 
durch Eingeborene besorgen lässt. Manchmal genügt es, etwas 
vom Lande entfernt zu ankern, z. B. in Veracruz hat sich das 
bewiesen. Der Nutzen der Quarantäne kann nicht bestritten 
werden. Die Inkubation scheint 2—6 Tage zu betragen. 

Eine andere Krankheit ist das Dengue-Fieber, dessen Kon- 
tagium leicht direkt übertragbar ist. Dieser Seuche gegenüber 
ist um so grössere Vorsicht geboten, als die Erkrankungen der 
Schiffsleute oft massenhaft erfolgen. 

Beri-Beri ist eine an den Küsten und grossen Flussmünd¬ 
ungen verbreitete fernere Krankheit. Sie kann auf Schiffen 
endemisch auf treten. Zahlreiche Berichte melden ihren Aus¬ 
bruch auf hoher See. Es werden nicht nur Farbige befallen, 
auch ist die Krnnkheit nicht ausschliesslich an das tropische 
Klima gebunden. 


Hinsichtlich des Typhus und der Cholera ist die unglück¬ 
selige Grundwassertheorie nun beseitigt. Da wir die Keime und 
ihre Bedingungen kennen, so ist die Bekämpfung dieser Seuche 
nun erleichtert. Hinsichtlich der Bedeutung des Kielwassers 
sind wir nun zu einer klaren Auffassung gelangt. Die Vcr- 
unreingung desselben ist wichtig. Von Bedeutung ist auch die 
Beschaffenheit des Wassers, welches zu Ballastzwecken eingeführt 
wird. Choleravibrionen konnten im Inhalte der Tanks auf¬ 
gefunden werden. Hinsichlich des Typhus sind die Verhältnisse 
so gebessert, dass er kaum mehr für uns in Betracht kommt, 
doch ist unausgesetzte, Vorsicht nöthig. Frankreich hatte auf 
den Schiffen jüngst noch 14 Proc. Typhusmortalität. Die Cholera 
hat hinsichtlich ihrer Bekämpfung günstige Aassichten. Die 
kleineren Dampfer und Segler können ihre Einschleppung be¬ 
fördern. Die Pestgefahr ist seit Kenntniss ihres Erregers weit 
geringer geworden. Viel trägt dazu bei die musterhafte Organi¬ 
sation der Gesundheitsbehörden der Hafenstädte. Wie es hin¬ 
sichtlich der Pest gelingt, den einzelnen Fall unschädlich zu 
machen, hat der Hamburger Fall im vorigen Jahre gezeigt. 

Auf Variola, Malaria, parasitäre Krankheiten kann Redner 
nicht eingehen. Sehr wichtig ist noch die Hygiene der Hafen¬ 
städte und der Häfen selbst. Die Hafenstädte sind dauernd 
stärker bedroht als das Binnenland. Die Seestädte denken nicht 
nur an das lokale Interesse, sondern an das allgemeine, wenn sie 
das Unheil fern zu halten suchen. Wichtig ist es auch, die fremd¬ 
ländischen Häfen gesundheitlich zu überwachen. 

Die ärztlichen Disciplinen des Binnenlandes reichen zur 
Lösung all’ dieser Aufgaben nicht aus. Die Kliniken und die 
Hygiene müssen sich hier spezialisiren. Eigene Schulung in be¬ 
sonderen Instituten, deren Sitz die Hafenstädte sein müssen, 
ist nöthig. Länder, die Kolonien besitzen, können diese An¬ 
stalten auch dort errichten. Praxis und Wissenschaft müssen 
sich hier vereinigen. Die Zahl der bisher errichteten Institute 
dieser Art ist noch gering, die Einrichtung derselben entspricht 
nicht immer den Erfordernissen des Unterrichtes. Am besten 
ist z. Z. das Institut in Hamburg für Schiffs- und Tropenpatho¬ 
logie, während andere Anstalten, wie jene der Franzosen in Algier, 
der Holländer in Batavia, der Engländer in London, noch die 
Probe bestehen müssen. Hamburg hat sich auch in dieser Hin¬ 
sicht an die Spitze gestellt. Möge das neue Hamburger Institut 
grossen und reichen Segen stiften durch die innige Verknüpfung 
der Errungenschaften der Medicin mit dem Seeverkehr 1 

Nachdem Voller- Hamburg dem Redner für seinen inter¬ 
essanten und gerade auch Hamburg hoch ehrenden Vortrag, der 
grössten Beifall fand, den Dank der Versammlung aasgedrückt 
hatte, ergriff Nernst- Güttingen das Wort zu seinem Vortrag: 
Ueber die Bedeutung elektrischer Methoden und Theorien für 
die Chemie. 

In der naturwissenschaftlichen Erkenntniss wie auch in 
den technischen Anwendungen der Naturkräfte standen im ver¬ 
gangenen Jahrhundert die elektrischen Erscheinungen mit an 
erster Stelle. Insbesondere gilt dies für die Chemie und die 
chemische Technologie. Von der Idcntifizirung der Volta’sehen 
Spannungsreihe der Me.tallo mit ihrer chemischen Verwandt¬ 
schaft zum Sauerstoff durch Ritter bis zur modernen Auf¬ 
fassung der lonenreaktionen lässt sich der befruchtende Einfluss 
der Elektrizitätslehre auf die chemische Forschung verfolgen und 
ebenso haben in neuerer Zeit thcils ältere rein chemische Me¬ 
thoden der elektrochemischen Technik weichen müssen, theils 
sind früher fast unzugängliche Substanzen durch den elektri¬ 
schen Strom darstellbar geworden. 

Durch diese einleitenden Bemerkungen möchte ich den Ver¬ 
such rechtfertigen, an dieser Stelle den Einfluss der Elektrizitäts- 
lehrc auf die chemische Forschung in ihren wichtigsten Zügen zu 
charakterisiren, um daran einige Ausblicke allgemeinerer Art 
zu knüpfen. 

Unter dem Einfluss der Arbeiten über elektrische Schwing¬ 
ungen ist in neuerer Zeit die Meinung verbreitet worden, die 
sogen. Fluidumstheorie der Elektrizität, die in ihr ein körper¬ 
liches Agens erblickt, sei beseitigt und es ist sogar die unmoti- 
virte Behauptung auf gestellt worden, die Elektrizität sei ein 
Schwingungszastand. Die Frage nach dem Wesen der Elektri¬ 
zität blieb aber trotzdem dieselbe wie vorher. Es scheint als ob 
über das Wesen der Elektrizität uns Forschungen am meisten 
Auskunft zu geben versprechen, die mit den von der Chemie 
benutzten Methoden die grösste Aehnlichkeit besitzen. 


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1718 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43. 


I)io Elektrochemie beschäftigt sieh mit (lein Werden und 
Vergehen geladener Moleküle, der Ionen, die als eine für sich 
existirende Molekülart anzusehen sind und deren Untersuchung 
man daher mit den gleichen Methoden in Angriff nehmen kann, 
wie bei den gewöhnlichen Molekülen. 

Wenn wir ein in Wasser gelöstes Salz untersuchen, das, wie 
wir wissen, zum grossen Theil in seine Ionen gespulten ist, so 
können wir durch Anwendung der van t’II off-Avogadri- 
sehen Regel das Molekulargewicht bestimmen und dadurch, wie 
Arrhenius gezeigt hat, über die Menge und Art der Ionen, 
in welche das Salz zerfallen ist, Auskunft erhalten, besonders 
wenn wir damit das ITeranziehen chemischer Analogien ver¬ 
binden. Es treten aber noch besondere Methoden hinzu, die 
darauf beruhen, dass die Ionen eben elektrisch geladene Mole¬ 
küle sind, und dies sind eben die elektrischen Methoden der 
Chemie. Als solche sind in erster Linie zu nennen die. Messung 
der elektromotorischen Wirksamkeit von Lösungen, (!rossen, die 
wesentlich von den Ionen abhängen und daher umgekehrt, zur 
rntersuchung der Ionen dienen können. 

So gibt uns die Messung der elektrischen Leitfähigkeit, 
einer Säure einen sicheren Aufschluss über die Stärke derselben 
und somit über eine wichtige Seite ihres chemischen Verhaltens. 
Die elektromotorische Kraft zeigt uns in wie grosser Menge, ein 
spezielles Ion, z. B. das des Silbers, in der Lösung enthalten ist 
und zwar noch bei Konzentrationen, die so klein sind, dass auf 
keinem anderen Wege ein Nachweis des betr. Ions möglich wäre. 
Vor Allem aber gehört hierher die Erscheinung, dass der gal¬ 
vanische Strom die Ionen in elektrisch neutraler Form an den 
Elektroden abzuscheiden vermag, d. h. die Fähigkeit des Stromes 
chemische Verbindungen zu elektrolysiren. Die Elektrolyse ist. 
also im Prineip nichts anderes, als der Uebergang elektrisch ge¬ 
ladener Moleküle in die Ionen, der durch die Abgabe der elektri¬ 
schen Ladung an die Elektroden erfolgt. 

Der elektrische Strom gibt so dem Chemiker ein Mittel an 
die Hand, Elemente in freiem Zustand darzustellen, die auf 
anderem Wege nur iiusserst schwierig oder gar nicht isolirt 
werden können. Beim Beginn des vorigen Jahrhunderts schied 
bekanntlich D a v y die Alkalimetalle aus ihren geschmolzenen 
Hydroxyden durch den Strom ab; aus wässeriger Lösung wäre 
dies nicht möglich gewesen, weil Wasser die abgeschiedenen Me¬ 
talle sofort angreifen würde. Es war also zur Darstellung dieser 
Metalle ein wasserfreier Elektrolyt nothwendig. Vor 15 Jahren 
gelang esMoissau das Fluor, dessen Reindarstellung bis dahin 
ein ungelöstes Problem war, ebenfalls auf elektrolytischem Wege 
frei zu machen und zwar bediente er sich dabei im Prineip des 
gleichen Kunstgriffes wie I) a v y; er benutzte einen wasserfreien 
Elektrolyten, nämlich durch Fluorkalium leitend gemachte Fluss- 
siiure. 

Während bei der Elektrolyse der galvanische Strom Ver¬ 
wandtschaften löst, wird bei dem umgekehrten Phänomen der 
Stromerzeugung in einem galvanischen Element chemische 
Energie in elektrische umgesetzt. Auch der Mechanismus dieser 
Vorgänge ist mit Hilfe der lonentheorie und der Theorie des 
osmotischen Druckes in neuerer Zeit klargestellt worden. Wenn 
sich z. B. Zink in einem galvanischen Element auflöst, so ist 
das ein Vorgang, der von der Auflösung irgend einer anderen 
Substanz nicht wesentlich verschieden ist; das Eigen thümliche 
besteht nur darin, dass hier wie bei Metallen überhaupt, elektrisch 
geladene Moleküle, also Ionen, in Lösung gehen. 

Daraus, dass durch Elektrolyse die Spaltung der festesten 
chemischen Verbindungen gelingt, sieht man, dass bei chemischen 
Vorgängen elektrische Kräfte eine grosse Rolle spielen und es 
tritt so die Frage an uns heran, ob nicht etwa die chemischen 
Kräfte überhaupt elektrischer Natur sind. 

Die Beschäftigung mit der anorganischen Chemie zeigte, 
dass in der Zusammensetzung zahlreicher chemischer Verbind¬ 
ungen ein deutlicher Dualismus zum Vorschein kommt; man 
konnte die Elemente und Radikale in zwei Kategorien theilen, 
die positiven und die negativen und fand, dass die positivem wie 
die negativen Radikale je unter einander schwierig reagiren, 
während ein positives und ein negatives! Radikal sich leicht zu 
einer chemischen Verbindung vereinigen. Diese von Borze- 
1 i u s an einer elektrochemischen Theorie entwickelte dualistische 
Anschauungsweise versagte, als die organische Chemie zahllose 
Verbindungen entdeckte, die nicht in den Rahmen der Theorie 
passten und so entstand die unitaristische Theorie der Konsti¬ 


tution organischer Verbindungen, d. h. eine Valenztheorie, die 
sich um jenen Dualismus nicht kümmert. 

Beide Anschauungsweisen sind einseitig; wir müssen an¬ 
nehmen, dass bei der Bildung chemischer Verbindungen sowohl 
einheitlich wirkende Kräfte, als auch solche polarer Natur thätig 
sind, wofür die elektrischen Kräfte das deutlichste Beispiel sind. 

Der von Berzelius erkannte Dualismus lässt, sich vom 
Standpunkt, der lonentheorie in folgender Weise deuten. Die¬ 
jenigen Elemente oder Radikale, welche aus chemischen Verbin¬ 
dungen als positive Ionen abgespalten werden, bilden die eine 
Kategorie, diejenigen, die als negative Ionen auftreten, 
bilden die andere Kategorie. Diese elektrische Spaltung 
äussert sich in der elektrolytischen Leitfähigkeit und der 
damit verbundenen Fähigkeit, unter Einwirkung eines 
hinreichend starken elektrischen Zuges sich in freie 
Radikale spalten zu lassen, gleichzeitig auch, worauf 
II i t to r f zuerst hinwics, in dem leichten chemischen Umtausch 
eines positiven Ions gegen ein anderes positives und eines nega¬ 
tiven Ions gegen ein anderes negatives, mit anderen Worten in 
der glatten gegenseitigen Umsetzung von Salzen. Ilittorf 
drückte das sehr prägnant durch den Satz aus: Elektrolyte sind 
Salze. 

Während Berzelius nnnahm, dass der Grad der Posi- 
tivität oiler Negativität eines Elementes oder Radikals durch die 
Stärke der elektrischen Ladung bestimmt sei, weiss mau seit 
Faraday, dass die elektrische J.adung ganz unabhängig von 
der Natur eines Elementes oder Radikals ist; verschieden ist 
aber die Festigkeit, mit der die Haltung gebunden ist. 

Der experimentelle Ausdruck der Tluitsache, dass die ver¬ 
schiedensten eimverthigen positiven oder negativen Radikale die 
gleiche elektrische Ladung gebunden halten, ist das Faraday’sehe 
elektrolytische Grundgesetz, wonach die gleiche Strommenge aus 
den verschiedensten Elektrolyten immer chemisch aequivalente 
Mengen in Freiheit setzt. 

Zweiwerthige Elemente oder Radikale binden genau doppelt 
so viel, dreiwerthige dreimal so viel u. s. w. Elektrizität wie die 
eimverthigen. 

Diese; höchst merkwürdigen Thatsachen lassen sich einfach 
und anschaulich deuten, wenn man, wie II el m hol tz in seiner 
Faradnyrede (1881) angedeutet hat, die Ionen als ehernisclie Ver¬ 
bindungen von gewöhnlicher Materie mit Elektrizität auffasst; 
da, wie die Giltigkeit des Faraday’schen elektrolytischen Grund¬ 
gesetzes zeigt, für die Verbindungen zwischen Elektrizität und 
Materie das Gesetz der konstanten und multiplen Proportionen 
gilt, so liegt es nahe, wenn man in weiterer Ausdehnung der 
durch alle bisherigen Erfahrungen berechtigten Anschauung 
einer substanziellen Natur der Elektrizität letzterer eine ato¬ 
mist ische Struktur zusehreibt, wie ebenfalls schon Helm¬ 
hol t z angedeutet, hat. Man kann sich am einfachsten die 
Sache so deuten, dass es ausser den bisherigen chemischen Ele¬ 
menten noch zwei neue gibt, nämlich die positiven und die nega¬ 
tiven Elektronen, wie man in neuerer Zeit jene elektrischen 
Elementaratome bezeichnet. Diese beiden Elemente sind aber 
insofern von den bisherigen völlig verschieden, als sie ein äusserst 
kleines Atomgewicht besitzen (nach Untersuchungen über Ka¬ 
thodenstrahlen und verwandte Erscheinungen ergibt sich für die 
negativen Elektronen das Atomgewicht 2000 des Wasserstoffs, 
und für die positiven Elektronen dürfte ein gleicher Werth der 
wahrscheinlichste sein). Die besondere Eigenthümlichkeit dieser 
chemischen Elemente besteht lediglich in den Kraftäusserungen, 
die sie unter einander ausüben und die als die elektrischen Kräfte 
von der Physik seit Langem gekannt und untersucht werden. 

Die Ionen selber sind im Sinne dieser Anschauung als ge¬ 
sättigte Verbindungen aufzufassen, indem man sie aus den 
Prineipien der Valenztheorie ableiten kann. 

Es liegt die Frage nahe, ob man nicht eine Verbindung aus 
einem positiven und negativen Elektron hersteilen kann. Wir 
hätten so ein elektrisch neutral<*s, so gut wie inasseloses Molekül; 
es erscheint möglich, dass im Verhalten des Lichtäthers, jenes 
bis heute noch völlig hypothetischen Agens, diese Molekülgattung 
eine Rolle spielt. 

Auf Grund dieser Anschauung können wir uns ein klares 
Bild von dem Yerhültniss zwischen unitaristischer und dua¬ 
listischer Anschauungsweise machen. Die verschiedenen Ele¬ 
mente oder Radikale besitzen zu den positiven und negativen 
Elektronen verschiedene Affinität; jo nachdem sie Affinität zum 


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22. Oktober 1901. MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1719 


positiven oder negativen Elektron haben, gehören sie zur Gruppe 
der positiven oder negativen Elemente. Ausserdem besitzen die 
Elemente untereinander chemische Affinität, die nicht polaren 
Charakters ist. Beispiele dafür sind die Verbindung aus zwei 
Wasserstoffatomen zu einem Wasserstoffmolekül, Verbindungen 
von Nichtmetallen mit einander, wie Chlorjod, Schwefelphosphor 
u. s. w. und endlich der Kohlenstoff, der mit positiven und nega¬ 
tiven Elementen Verbindungen liefert; da auch hier die Elek¬ 
tronen aus dem Spiel bleiben, wird die Möglichkeit einer rein 
Militaristischen Auffassungsweise bei den Kohlenstoff Verbind¬ 
ungen verständlich. 

Der an neuen Anschauungen und weiten Ausblicken in die 
Zukunft so reiche Vortrag riss die Zuhörer zu lebhaftem Bei¬ 
falle hin. 

Als 3. Redner sprach nun J. B. e i n k e - Kiel: Ueber die 
in den Organismen wirksamen Kräfte. 

Der Vortragende ging aus vom Begriffe der Kraft im All¬ 
gemeinen. Der sprachliche Ursprung von Kraft führt auf die 
Muskelkraft zurück; er wurde dann auf andere Naturerschein¬ 
ungen übertragen, man spricht von Wasserkraft, Dampfkraft, 
Schwerkraft; von Geisteskraft, Willenskraft, Einbildungskraft. 
Wo immer eine Naturerscheinung durch eino andere beeinflusst 
wird, erblicken wir darin die Thätigkcit einer Kraft. Kraft ist 
in der Natur das Wirkende, das Wirksame, die Fähigkeit, etwas 
zu bewirken. 

Der Begriff der Kraft ist viel allgemeiner als der Begriff 
der Energie, der Kraftbegriff sehliesst. den Energiebegriff ein. 
Denn Energie, mag sie als Bewegung oder als Spannung auf- 
treten, ist die Fähigkeit, mechanische Arbeit zu leisten; Energie 
ist Arbeitsvermögen, Kraft ist Wirkungsvermögen. 

Dass diese Unterscheidung von Kraft und Energie gerecht¬ 
fertigt ist, geht aus dem Umstande hervor, dass es schon in der 
unorganischen Natur Kräfte gibt, die ausser Stande sind, me¬ 
chanische Arbeit zu leisten, und die auch dem Erhaltungsgesetze 
nicht unterliegen, sondern die verschwinden, ohne sich in ein 
Aequivalent umzusetzen, und die wirken, ohne sich dabei aufzu¬ 
zehren. Die reflektirende Kraft eines Spiegels, die brechende Kraft 
eines Diamanten, die doppelbrechende Kraft eines Kalkspaths 
werden als Beispiele nichtenergetischer Kräfte an¬ 
geführt. Löst man den Kalkspath in Salzsäure auf, so ist seine 
doppelbrechende Kraft äquivalentlos vernichtet, während der 
Diamant Jahrtausende lang das Licht bricht, ohne dass seine 
Kraft abnimmt oder einer Erneuerung bedarf. 

Die nichtenergetischen Kräfte sind bedingt durch die Con- 
figuration der materiellen Systeme, in denen sie zur Geltung 
kommen. In den Maschinen zeigt sich ein Zusammen¬ 
wirken der nichtenergetischen Kräfte mit der Energie, die in 
die Maschine zu deren Betrieb eingeführt wird. Jene nicht¬ 
energetischen, von der spezifischen Struktur der Maschine ab¬ 
hängigen, die zugeführte Energie zu ganz bestimmten Leistungen 
veranlassenden Kräfte hat Vortragender in früheren Arbeiten 
Dominanten genannt. So kann die Energie in verschiedenen 
Apparaten die gleiche sein, und das eine Mal setzt sie ein Wägel¬ 
chen in Bewegung, das andere Mal dreht sie die Zeiger einer 
Uhr mit bestimmter Geschwindigkeit, das dritte Mal lässt «ie 
ein Musikstück ertönen. Der verschiedenartige Erfolg wird 
dadurch herbeigeführt, dass die gleiche Energie mit verschiedenen 
Dominanten in Wechselbeziehungen tritt. 

Auf die Organismen übergehend, geht Vortragender davon 
aus, dass die gleichen Kräfte im unvollkommensten wie im voll¬ 
kommensten Organismus, in der einfachen Zelle wie im Menschen 
in Thätigkeit stehen. Diese Kräfte sind tlieils Energien, die 
in letzter Instanz immer wieder auf chemische Energie und auf 
die Energie der Sonnenstrahlen zurückweisen, theils Dominanten. 
Die letzteren müssen wir anerkennen, sobald wir den Organismen 
Maschinenstruktur beilegen, und diese Maschinenstruktur hält 
Vortragender mit Cartesius für eine der wichtigsten Eigen¬ 
schaften der Organismen und hat sie seit vielen Jahren auch 
bereits für das Protoplasma postulirt. 

Man kann die Dominanten der Organismen eintheilen in 
Arbeitsdominanten und Gestaltungsdominanten, obgleich beide 
Gruppen nicht scharf von einander geschieden sind. Aber in 
den Organismen, wenigstens den höheren, haben wir auch mit 
psychischen Kräften zu rechnen, die theils bewusste, theils 
unbewusste sind. Das Bewusstsein sehliesst Vortragender von 
seiner Betrachtung aus, weil es physiologisch ganz unerklärt da¬ 


steht; von den unbewusst psychischen Kräften dagegen, den In¬ 
stinkten und Trieben, sucht Vortragender zu zeigen, dass sie 
schon wegen der masch inen massigen Sicherheit 
ihres Wirkens den Dominanten sich nähern, ja, dass sie 
ihnen zugerechnet werden dürften. So ist es z. B. biologisch 
nebensächlich, ob der Dachs seinen Wintervorrath als Fett unter 
der llaut ansetzt oder ob der Hamster ihn in Gestalt von Körnern 
in seinen Bau zusammenträgt. Das eine Mal veranlassen Domi¬ 
nanten die Anhäufung von Roscrvematerial aus assimilirter 
Nahrung in den Fettzellen, das andere Mal zwingt der Instinkt 
das Thier, sich die für die Winterszeit erforderliche Nahrung 
ausserhalb seines Körpers zu sammeln. In beiden Fällen handelt 
cs sich um einen disponiblen Vorrath von jiotentieller Energie, 
ohne die die Maschine des Thierkörpers nicht würde in Betrieb 
erhalten werden können. Und beide 'filiere, der Dachs wie der 
Hamster, haben ihre auf die Zukunft bezügliche Handlungs¬ 
weise nicht gelernt, sondern von ihren Vorfahren ererbt. 

Was sich vererbt, ist die spezifische Struktur ein« 1 « Organis¬ 
mus, von der wiederum spezifische Dominanten abhängen. Wenn 
wir nun sehen, dass sich Instinkte und psychische Eigenschaften 
mit der gleichen maschinenmiissigen Sicherheit vererben wie 
morphologische Merkmale, so werden wir wiederum geneigt sein, 
die Instinkte und Triebe auf die Wirksamkeit einer spezifischen 
Oonfiguration und auf deren Dominanten zurückzuführen. 

Die Erblichkeit chemisch oder sonst irgendwie, energetisch 
erklären zu wollen, hält Vortragender für ein vergebliches Be¬ 
mühen. Ebenso wenig befriedigend erscheint Darwin’s 
Hypothese der Pangenesis, auch in ihren neueren Umgestal¬ 
tungen. Nur eine, dynamische Theorie der Erblichkeit 
scheint dem Vortragenden aussichtsvoll zu sein. Es sind Kräfte, 
und zwar Dominanten, die in der Vererbung übertragen werden. 
Es gibt ein lebloses Instrument, dessen Verhalten eine gewisse, 
auch immer noch recht entfernte Analogie zum Vererbungs- 
process darbietet, es ist der Phonograph. Wie ein Gedicht, eine 
Rede in den Phonographen hineingesprochen, auf der Platte 
desselben sich gewissermaasson als latente. Anlage kondensirt, 
um sich später unter der Mitwirkung elektrischer Energie von 
Neuem zu entfalten, so halten die Eigenschaften des Thier- und 
Pflanzenkörpers in die Keimzelle ihren Einzug, um hier latent 
zu werden und sich später im Verlaufe des embryologischen Pro- 
cesses zu entwickeln und die Eigenschaften der Eltern zu re- 
produziren. Damit hat sich wenigstens in dynamischer Hinsicht 
auch die Vererbung einem Vorgänge auf dem Gebiete der Ma¬ 
schinen vergleichen lassen. Alle Erklärung ist aber Beschreibung, 
und alle Beschreibung wird nur durch Vergleiche möglich. 

Vortragender bezeichnet seine Auffassung des Lebens im 
Gegensatz zur vitalistischen und zur materialisti¬ 
schen als eine mechanistische, die das Wesen der Or¬ 
ganisation und des Lebens auf die Oonfiguration des Organismus 
und auf die von dieser abhängigen Kräfte zurückführt. 

Chemie und Energetik sind für die Erklärung der Lcbens- 
erecheinungen nicht ausreichend; wie in der Maschinenkunde 
tritt eine besondere Struktur hinzu, aus der nichtenergetischc, 
die energetischen Processe beherrschende Kräfte, die Domi¬ 
nanten, hervorgehen. Sie sind nothwendig zur Erhaltung und 
Fortpflanzung des Lebens. 

Nach dem Danke V o 11 e Es an den Redner erhob sich der 
Vorsitzende der diesjährigen Versammlung, Hertwig- 
München, zu der Schlussansprache, in der er ausführte, dass aller 
Grund bestände, mit den in den Abtheilungs- und kombinirteu 
Sitzungen, sowie in den allgemeinen Tagungen erreichten Re¬ 
sultaten ernster Arbeit zufrieden zu sein. Nochmals betonte er 
die Nothwendigkeit eines festen Zusammenschlusses und der 
organischen Weiterbildung der Gesellschaft deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte. Das heuer erzielte Resultat ist den Vor¬ 
tragenden in erster Linie zu danken, dann vor Allein den lokalen 
Ausschüssen, in deren Händen die schwierige Aufgabe lag, die 
Organisation einer Versammlung mit fast 4700 Theilnehmem 
(einschliesslich der etwa 1200 Damen) durchzuführen, eine Auf¬ 
gabe, der sie sich mit ausgezeichneter Hingabe, Gewissenhaftig¬ 
keit und Liebenswürdigkeit unterzogen. Den Hamburger Herren 
gebührt der wärmste Dank, besondere noch den Herren Voller 
und R e i n k e. Sonnige Tage liegen hinter uns mit herrlichen 
Festlichkeiten. Beinahe zu viel herzlicher Gastfreundschaft 
wurde geboten. Dank gebührt Hamburgs Senat und Bürger- 


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1720 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


schaft, seiner ganzen Bevölkerung. Zu ihrer Ehrung erhob sich 
die Versammlung von den Sitzen. 

In seinem Schlusswort nannte es Voller - Hamburg eine 
fast wehmüthige Pflicht, die Tagung zu schliessen. Der warme 
und herzliche Dank an Hamburg werde Allen eine unauslösch¬ 
liche Erinnerung sein. Ohne die gewaltige Mitarbeit der grossen 
Gemeinde denkender Männer aus unserem deutschen Volke wäre 
eine solche Versammlung nicht denkbar. Wenn der grosse Ge¬ 
danke der Zusammenfassung heuer in Hamburg gestärkt worden 
sei, so fühlten die Hamburger darin ihren vollen Lohn. Mit dem 
Wunsche, dass die nächstjährige Versammlung in Karlsbad 
ebenso günstig verlaufen möge, schloss Voller um 1 Uhr 
Mittag die 73. Naturforscherversammlung. 

Der Nachmittag brachte noch einen grossen Theil der Fest¬ 
gäste nach der an interessanten Bildern reichen Hafenrundfahrt 
elbabwärts nach dem schönen Blankenese, von wo man bei 
sinkender Nacht, vorüber an den beleuchteten Elbufern, nach der 
Stadt zurückkehrte, um hier beim Absehiedsfeste im Hamburger 
Konzcrthuu.se noch einen letzten Becher zu leeren auf die alte, 
ewig junge deutsche Ilansastadt. „Was sollen wir sagen vom 
heutigen Tag? Er ist nun einmal von besonderem Schlag!“ 
Nie konnte Goethe’s Lied besser nachempfunden worden sein, 
als von jedem der Hamburger Festgiiste. 

Der 28. September war den Ausflügen nach Helgoland und 
nach Kiel, sowie nach der Holstein’schen Schweiz gewidmet und 
brachte auch dieser herrliche Herbsttag allen Theilnehmern noch 
unvergessliche (Jeniisse. 

Der Epilog der Hamburger Tagung mag kurz sein: die 
Arbeit war ernst, die Feste waren froh, die Sonne golden. So 
werden die in Hamburg verlebten Tage Allen ein geweihtes Blatt 
der Erinnerung bilden! 

Abtheilung für innere Medicin. 

Referent: A 1 b u - Berlin. 

IV. Sitzung. 

1. Herr K r o n e c k e r - Bern: Innervation des Säuge¬ 
thierherzens. 

Nach eingehend historisch-kritischer Uebersicht der Streit¬ 
frage des neurogenen oder myogenen Ursprungs der Ilerzthätig- 
keit, in der Vortr. insbesondere auf Widersprüche Engel- 
man n’s in seinen wiederholten Publikationen hinweist, fasst er 
seine Ausführungen in folgende Sätze zusammen: 

Die Verfechter des myogenen Herzschlages haben folgende 
Eigenschaften des Herzmuskels zu berücksichtigen: 

1. Er kontrahirt sich nur maximal (Bowditch, Kron¬ 
eoker und S t i r 1 i n g). 2. Er ist nur durch chemische Reize 
reizbar, in Abwesenheit derselben nicht durch elektrische 
(K roncck e r mit J. B r i n c k , Bet schasnof f). 3. Er 

ist, während er sich zusammenzieht und, wenn abgekühlt, auch 
längere Zeit nach dem Pulse nicht erregbar (K r o n eck e r und 
S t i r 1 i n g , M a r ey, E ugcl in a n n). 4. Er kann nicht in 

Tetanus versetzt werden (K ronecker und S t i r 1 i n g). 
5. Er summirt latent Erregungen wie ein Reflexorganismus 
(v. Basch, Kaiser). 6. Er ruht normaler Weise niemals 
längere Zeit. 7. Er bewegt sich normaler Weise nur rhythmisch. 
8. Er bewegt sich automatisch (L u c i a n i , Merunowicz, 
II is, Krehl und R o m b e r g). 9. Der embryonale. Vorhof¬ 

muskel besitzt vorzugsweise Automatic, der Kammermuskel 
wesentlich Irritabilität (Fano). 10. Er kontrahirt sich nach 
Abtrennung von centralen Theilen periodisch (Lncian i). 
11. Er leitet die Erregungen normaler Weist; nur in einer Rich¬ 
tung (E n g o I m a n n). 12. Er wird auch durch schwache Mus¬ 
carindosen gelähmt. 13. Er wird durch Erregung eines seiner 
Nerven (Vagus) gehemmt (E. II. Weber). 14. Er empfindet 
(Fano, II is und Rom borg). 15. Er geräth in fibrilläre 
Zuckungen: durch Tetanisirung, durch einen Nadelstich, durch 
sekundenlange Anaemie, durch Abkühlung auf 25“, durch Chloro¬ 
form und einige andere Gifte. 

Zwei Thatsaehen, eine anatomische und eine physiologische 
beweisen unwiderleglich, dass nicht Muskeln die Erregungen 
von den Vorkammern des Herzens zu den Kammern leiten. 

Xun sind aber keine normal besteh e n d e n Muskel- 
brücken von den Vorkammern zu den Kammern nachgewiesen. 
Ilenle gibt in seinem Ilandbuche ausführlich an, dass die 
Muskulatur der Vorhöfe überall vollständig von derjenigen der 
Kümmern getrennt ist. 


Den physiologischen Nachweis hat Vortr. mit Schmay 
(1881) erbracht: Ein Stich in das obere Drittel der Kammer- 
seheidewand des Hundeherzens tödtete dasselbe sogleich. Das 
Herz stirbt „flimmernd“ ab. Die Muskeln sind aber keineswegs 
gelähmt, sondern in wilder Bewegung, doch unfähig Blut aus 
dem Ventrikel zu treiben, weil sie abwechselnd ungeordnet 
zucken. Es ist also nicht die Bewegung unmöglich, sondern die 
Coordination der Muskelaktion. Spätere Experimente belehren 
uns, dass akute Anaemie der Herzwandungen die Funktion des 
Nervensystems im Herzen momentan lähmt. 

In der Kammerscheidewand muss also ein nervöses Centrum 
gelegen sein, dessen direkte oder reflektorische Erregung die 
Coronararterien verengt. 

Ohne Vermittelung von Nerven sind diese Ergebnisse uner¬ 
klärlich. 

Fräulein Lernakina hat im Berner „Ilallerianum“ durch 
Unterbindung von Nervengeflechten zwischen Aorta und Pulmo- 
iialis die Schlagfolge von Vorhöfen und Kammern stören können, 
liier waren also die Muskelverbindungen ungestört. 

Die Pharmakologie und die Klinik bedürfen der Annahme 
von Nerven, um die Wirkungen vieler Herzgifte zu erklären. 
Die Psychologen werden im platonischen Sitze eines Seelen- 
theiles die Nervenverbindungen mit den Centralorganen nicht 
entbehren können. 

Herr III s - Leipzig widerspricht den Behauptungen des Vor¬ 
tragenden In mehreren Punkten. So hat er, Ii I h, dem Herzen 
keine Empfindung, sondern nur Irritabilität zugesprochen. Ferner 
sei die Abwesenheit von Nerven im embryonalen Herzen sicher 
erwiesen. 

Herr I\ ronecker erwidert, dass seine Angaben filier Aus¬ 
sprüche der Herren II i s und Uo m lierg wörtlich aus deren 
Werken citirt sind. Das embryonale Herz fungirt ganz anders als 
das ausgewachsene. Auch überlebende Herzstücke verhalten 
sich anders als lebende. 

2. Herr Friedenthal -Berlin: Die Entfernung aller 
extracardialen Herznerven bei Säugethieren. 

Diese Operation und die dadurch bedingte dauernde Iso- 
lirung des Herzens vom cerebrospinalen Nervensystem gelingt 
beim Kaninchen und beim Hunde, wenn ein Nervus recurrens 
und ein Theilehen der zur Lunge und zum Verdauungstraktus 
führenden Nerven erhalten bleibt. Die Trennung der hemmenden 
und der eben erwähnten lebenswichtigen Fasern im Wurzclgebict 
des 9.—11. Hirnnerven ermöglicht die Operation. Durch Ver¬ 
wendung künstlicher Athmung bei der Operation wird der Tod 
der Thiere durch doppelseitigen Pneumothorax bei Exstirpation 
der sympathischen Ganglien vermieden. Die Ausfallserschein¬ 
ungen nach Entfernung aller extrakardialen llerznerven sind 
auch Monate nach der Operation noch sehr gering, doch ver¬ 
lieren die Thiere die Fähigkeit zu erheblieher Arbeitsleistung. 

Eine gewisse Anpassungsmöglichkeit besitzt auch das völlig 
isolirte Herz in dem Umstand, dass wechselnder Blutdruck den 
Herzschlag direkt beeinflusst. Die Thatsacbe, dass das Herz 
durch Erregung der extrakardialen Herznerven zu sofortigem 
dauernden Stillstand gebracht werden kann, sowie die mangelnde 
Leistungsfähigkeit des Organismus nach Entfernung aller zu- 
führeiidcn Nerven, weisen auf die Wichtigkeit des Nervensystems 
des Herzens hin. welches noch in den mannigfachsten Richtungen 
einer erweiterten Untersuchung unterzogen werden muss. 

3. HHr. Hi 8 -Leipzig und P & u 1 - Tübingen: Die harn- 
sauren Ablagerungen des Körpers und die Mittel zn ihrer 
Lösung. 

Paul bespricht die chemischen Grundlagen für das 
Problem der Harnsäurelösung im Körper, indem er von der 
Erörterung des Zustandekommens dor harnsauren Ablagerungen 
ausgeht. Die physikalische Chemie verschafft neue Gesichts¬ 
punkte für die Erkennung der Lösungsbedingungen der Harn¬ 
säure und ihrer Salze. Sie zerfallen in Lösung durch elektro¬ 
lytische Dissoeiation in ein Wasserstoff-Ion und in das Ham- 
säure-lon. Dieses allein tritt bei der Salzbildung in Reaktion 
und für dieses, als das wesentlichste Moment, hat P. die Lösungs¬ 
und Ausfallsbedingungen ermittelt. 

II i s bespricht die klinische Anwendung der neu ge¬ 
wonnenen Gesichtspunkte für die Therapie. 

Sie zeigen, dass die Alkalisalze, sowie die Diamine: Lysidin, 
Lycetol, Piperazin u. s. w. zur Lösung dieser Ablagerungen un¬ 
tauglich sind. Wohl aber erseheint diese erreichbar durch An¬ 
wendung von Substanzen, welche mit der Harnsäure leicht lös¬ 
liche chemische Verbindungen eingehen. 


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22. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1721 


Die irrthümlich beschriebenen Verbindungen mit Harnstoff 
(Rüdel) und Glycocoll (Horsford) existiren nicht, wohl 
aber diejenigen mit N ucleinsäuren resp. Thymussäure 
(K o s s e 1 und Goto, Minkowski) und mit Formal¬ 
dehyd (Tolle ns, Pott und Webe r). 

Die letzteren sind weit leichter löslich als die Harnsäure 
und ihre Salze; sie passiren den Körper zum Theil unzersetzt 
und erscheinen im Harn. 

Zur Lösung gichtiger Tophen und Gelenkherde 
ist weder Nucleinsäure resp. Thyminsäure noch der Formaldehyd 
praktisch erprobt, noch erscheint die Probe aussichtsvoll. Neben 
den bekannten diätetischen und physikalischen Maassnahmen 
ist die Erhöhung des Blutzuflusses durch lokale Applikationen 
am meisten empfehlenswerth. 

Die Lösung von Harnkonkrementen ist (abgesehen 
von den Mineralwässern, deren Wirkung noch unerklärt ist) weder 
durch Alkalien, noch durch die Diamine zu erreichen. Sie ist 
aber erreichbar durch Anwendung von Mitteln, welche im Harn 
chemische Verbindungen mit der Harnsäure eingehen. Von 
diesen ist das U rotropin bisher untersucht, es scheidet im 
Harn Formaldehyd ab. Seine harnsäurelösende Wirkung ist un¬ 
zweifelhaft und von der Acidität des Harnes unabhängig, jetloch 
für praktische Zwecke zu gering. Es ist wünschenswerth, dass 
die Chemiker ihr Augenmerk auf andere wirksame Stoffe richten, 
welche mit der Harnsäure chemische Verbindungen eingehen. 

Herr S 11 b e r - Breslau empfiehlt die Wärmewirkung des 
Fango zur Lösung der harnsaurcn Konkretionen. 

4. Herr Francke - München: Die Algeoskopie. 

Jede Entzündung verändert die Empfindlichkeit des befal¬ 
lenen Gebietes gegen Druck. Die Empfindlichkeit wird erhöht 
und sie ändert sich der Art nach, kurz es tritt krankhafter 
Druckschmerz ein. Die Untersuchung auf krankhaften 
Druckschmerz nennt d ti Redner Algeoskopie (Schmerz- 
schau). Vortragender sucht nachzuweisen, dass wir in dieser 
Methode auch bei den Erkrankungen in der Brusthöhle ein wich¬ 
tiges diagnostisches Hilfsmittel haben, das mit Unrecht bisher 
vernachlässigt wurde. An der Hand von Projektionsbildern 
werden die anatomischen Verhältnisse des Brustkorbes erörtert, 
insbesondere die Elastizität der Knorpel, der langen, schmalen 
und dünnen spongiösen Rippen und des spongiösen Brustbeines. 
Es wird die Länge der Knorpel, die Breite der Rippenzwischen¬ 
räume und der oberen Brustkorböffnung in Zahlen angegeben. 
Es sind also besonders zugänglich für die Methode: die Lungen¬ 
spitzen, das Herz und die unteren Pleura- und Lungentheile. 
Der Druck wird nicht mit einem Instrument, sondern mit der 
Beere eines Fingers ausgeübt. Die Stellen des krankhaften 
Druckschmerzes wurden mit Jodtinktur gefärbt und der Körper 
dann photographirt. Wir haben in der Algeoskopie eine brauch¬ 
bare diagnostische Methode für Pleura-, Lungen- und Herz¬ 
leiden, die unsere übrigen Untersuchungsmethoden vortheilhaft 
ergänzt. 

Abtheilnng für Chirurgie. 

Referent: Wohlgemuth - Berlin. 

5. Sitzung. 

Vorsitzender: Herr Trendelen bürg - Leipzig. 

1. Herr L o r e n z - Wien: Ueber die unblutige Behandlung 
des musculären Schiefhalses. 

In der Behandlung des Schiefhalses herrscht zur Stunde 
keine Einigkeit. Hier subkutane, hier offene Myotomie, hier 
Verlängerung des Muskels durch künstliche Plastik, hier radikale 
Exstirpation des ganzen Muskels. Alle diese Methoden richten 
sich einseitig gegen das Caput obstipum und lassen das Collum 
obstipum mehr weniger bei Seite, desshalb sind die Resultate 
vielfach ungleichmässig. Die Beseitigung des Caput obstipum 
bedeutet lediglich die Ermöglichung einer oocipitalen Kompen¬ 
sation der Cervikalskoliose, diese selbst bleibt bestehen, es wurde 
zur Krümmung die zugehörige Gegenkrümmung hinzugefügt: 
der Fortbestand der Cervikalskoliose begünstigt die Recidive der 
Kopfneigrung. Eine rationelle Therapie muss gegen das Caput 
obstipum und gegen das Collum obstipum g 1 e i c h in ä s s i g 
Vorgehen. Gegen das Caput obstipum hat Lorenz bisher die 
offene Myotomie des Kopfniekcrs, gegen das Collum obstipum 
das modellirende Redreesement der Halswirbelsäulo mit bestem 
Erfolge angewendet. Dabei wurde die Myotomie loliglich als 
Vorakt des modellirenden Redressements betrachtet. 


Durch methodische Pflege dieser letzteren Maassnahmen sah 
sich Lorenz in die Lage versetzt, die Behandlung des Schief- 
halses noch konservativer zu gestalten und des Messers da¬ 
bei völlig zu entrathen. Das modellirende Redresse¬ 
ment der HaLswirbelsüule ist nämlich im Stande, sämmtlicho 
Hindernisse, welche sich der Korrektur entgegenstellen, zu be¬ 
seitigen. Soweit der Kopfnicker hiebei in Frage kommt, ge¬ 
schieht dies durch subkutane Myorrhexis desselben. Die erreichte 
Umkrümmung wird sofort durch einen Dauerverband fixirt. Die 
bisher erreichten Resultate sind insoferne ideale, als jede Spur 
der Deformität verschwindet. Es fehlt sowohl die Narbe als 
auch die bekannte, seitliche Abflachung der Halsbasis, da die 
Muskelkulisse des Kopfnickers erhalten und derselbe soweit dehn¬ 
bar bleibt, dass entgegengesetzte Kopfneigungen leicht ausge¬ 
führt werden können. Die Indikationsgrenzen der subkutanen 
Myorrliexis sind mit Sicherheit noch nicht festzustellen, die ge¬ 
lungenen Fälle standen im 6., 8. und 14. ILebensjahre. An eugm 
im 9. Lebensjahre stehenden Knaben und bei 2 Patieutimw^^n 
den ersten 20er Jahren misslang die Methode. Lorenz hofft, 
dass dieselbe dem kindlichen Schie.fhalse gegenüber stets aus¬ 
reichender werde. Beim veralteten Schiefhalse der Adolescenten 
und Erwachsenen bleibt die Myotomie zu Recht bestehen. Doch 
hat Lorenz selbst in diesen Fällen mit der subkutanen Myo¬ 
tomie und energischen, modellirenden Redressements der Hals¬ 
wirbelsäule, sein Auslangen gefunden. Lorenz leugnet nicht, 
dass in solchen Fällen auch die von Mikulicz empfohlene 
Exstirpation des Kopfniekcrs gute Resultate geben könne. Allein 
er hält das Vorfahren für unnöthig eingreifend, wegen der 
starken Abflachung der kranken Halsseite für entstellend und 
zudem für überflüssig. 

Die subkutane Myorrhexis des Kopfnickers hat 
auch ein aetiologisches Interesse, da sie gewissermaassen 
die Gegenprobe zur Stromeye Eschen Theorie von der Ent¬ 
stehung des Schiefhalses durch Muskelriss während der Geburt 
darstellt. Ist die Theorie richtig, so müssen alle durch Myor¬ 
rhexis geheilten Schiefhälse recidiviren, was nach den 
bisherigen Erfahrungen nicht zutrifft, da die ältesten Fälle seit 
einem, bezw. eineinhalb Jahren tadellos geheilt geblieben sind. 
Auch die hundertfältigen Erfahrungen, welche Lorenz über 
die Myorrhexis adductorum gelegentlich der un¬ 
blutigen Einrenkung der angeborenen Hüftgelenksverrenkuu^ 
gemacht hat, sprechen dagegen, da Adductionskontrafc- 
t u r e n niemals zur Beobachtung kamen. Lorenz hält es für 
wahrscheinlich, dass die subkutanen Muskelverletzungen ge¬ 
ringere Neigung zur Narbensehrumpfung zeigen, als die in 
offener Wunde gesetzten. Lorenz stellt die unblutige Behand¬ 
lung des Schiefhalses in Parallele mit der unblutigen Behandlung 
des Klumpfusses durch das modellirende Redressement und hofft 
beim Schiefhalso auf dieselben ausgezeichneten Resultate wie °ie 
beim Klumpfuss mit der analogen Methode allerwärts erreicht 
wurden. Lorenz will das Gebiet der unblutigen Chirurgie 
durch die neue Methode um ein wichtiges und dankbares, wenn 
auch kleines Arbeitsfeld erweitert haben und ladet die Fach¬ 
genossen zur Nachprüfung seiner Methode ein. 

Dlscussion: Herr J o a c h I m s t h a I - Berlin hat Fälle 
nufzuwelsen, die durchaus für den congenitalen Charakter des 
Schiefhalses sprechen, ebenso wie er den angelmrenen Schiefst and 
des Schulterblattes beobachtet hat. Er übt nur die offene Durch- 
schneidung des Stemocleido und hat stets radikale Heilung ge¬ 
sehen, ohne dass längere Nachbehandlung nothwendig war. 

Herr Schanz- Dresden tlieilt eine Beobachtung von con¬ 
genitalem Schiefhals sofort nach der («eburt mit, wo er erst in 
dem Muskel nichts fand, nach 3 Tagen alter mehrere Knoten fand, 
die nach Massage in <! Wochen schwanden. Er glaubt, durch die 
Behandlung einem dauernden Schiefhals vorgebeugt zu halten. S. 
beschreibt dann noch seinen Verlmnd nach Sclilefhalso|M*rntjon. 

Herr P e t e r s e n - Kiel: Kr ist der Erste gewesen, der die 
Stromeye r’nehe Theorie des Caput obstipum Itekümpft hat. 
und kann über Fälle Iterlehten, in denen die Eltern ganz genau Ite- 
obnebtet lullten, dass die Kinder bis zum 4. und ö. Leltcnsjahre 
ganz gesund gewesen sind, bis sich allmählich der Sehlefhals aus- 
gebildet hat. 

2. Herr H o f f & - Würzburg: Die experimentelle Begrün¬ 
dung der Sehnenplastik. (Der Vortrag erscheint in extenso in 
dieser Wochenschrift.) 

3. Herr L & n g e - München: Die Bildung von Sehnen aus 
Seide bei der periostalen Verpflanzung. 

Bei der periostalen Verpflanzung der Muskeln, die sich oft 
verkürzen, hat er die Sehnen durch Seide verlängert nach dem 
Vorgänge von Gluck und Kümmel 1. ln 44 Fällen hat er 


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1722 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


damit gute Erfolge erzielt. Bei dieser Operation legt er grossen 
Werth auf die normale Spannung des Muskels. L. bespricht 
dann zwei Fälle, in denen die Seidensehnen die Haut durch¬ 
schnitten, einmal, unter dem Druck des Gipsverbandes, ein 
anderes Mal unter dem des Schnürstiefels. Dass diese Seiden¬ 
sehnen, die er bis zu 20 cm lang gemacht hatte, sich mit nor¬ 
malem Sehnengewebe umgeben, dafür sprechen seine klinischen 
Erfahrungen und die Palpation. In einem Falle hat er bei einer 
Nachoperation gesehen, dass dies wirklich der Fall war. Die 
ursprüngliche Sehne präsentirte sich als kleiner, derber, runder 
Strang, in dessen Mitte die Seidenfäden lagen und die mikro¬ 
skopische Untersuchung ergab normales Sehnengewebe. (Demon¬ 
stration der mikroskopischen Präparate.) 

Discussion: Herr Julius W o 1 f f - Berlin (zum Vortrage 
Hoff a’s) demonstrirt ein Verfahren, die Sehne zu verlängern 
durch vielfaches Eiukerben auf jeder Seite. 

Herr Hoff a erörtert die Vorzüge des B e y e r’schen Ver- 
flkvns. die subkutane Einkerbung der Sehne am unteren und 
Knefcn Ende je auf einer Seite. 

Herr J. Wolff bezweifelt die gute subkutane Ausführbar¬ 
keit der Methode. 

Herr Hof fa demonstrirt dieselbe durch Zeichnungen. 

Herr K ü m in e I 1 -Hamburg spricht ein Wort für Gluck, 
und hält es für Pflicht, seine Verdienste bei der Frage der künst¬ 
lichen Sehnen hier auszusprechen. Wie alle Anderen hat auch K. 
zuerst nicht an die Erfolge des Glue k’schen Verfahrens ge¬ 
glaubt, bis er an seinen eigenen Präparaten die erwähnten gün¬ 
stigen Beobachtungen gemacht hat. 

Herr V u 1 p i u s - Heidelberg fragt an, wie Herr Lange 
sterilisirt. Er hat sehr häufig noch nach Jahren Ausstossung der 
seidenen Sehne gesehen. 

Herr L a n g e - München: 10 Minuten lang Auskochen in 
10 prom. Sublimatlösung. Er benutzt die stärkste Seide. 

Herr P e t e r s e n - Kiel empfiehlt für diese Operationen den 
Silkworm, da derselbe für Bakterien nicht durchgängig ist 

4. Herr Reimer- Wien: Ueber Epiphyseolyse bei Genu 
valgum. 

Nach vielfachen Leichenversuchen und wenigen an Lebenden 
ist er zu dem Schluss gekommen, dass man die Epiphysenlösung 
vom 7.—8. bis zum 17.—18. Jahre ohne Neben Verletzungen 
machen» kann und er hat diese Operation besonders in Hinsicht 
auf die Korrektur des Genu valgum studirt. Dazu hat er sich 
einen Apparat konstruirt, den er demonstrirt, mit dem die Ope¬ 
ration durch einen Druck ausserordentlich leicht auszuführen ist. 
Die. Gefahren sind gering, die Nachbehandlung kurz, 5 bis 
€ # Wochen Verband. 

Discussiou: Herr T re n <1 e 1 e n b u r g - Leipzig fragt 
nach Röntgenaufnahmen, die beweisen, dass die Trennung auch 
in «1er Epiphysenlinie geschehen ist, und wie es mit den Wachs- 
thunisstöruugen bei jüngeren Individuen ist. 

Herr Reimer hat Waehstliumsstöruugeu nicht beobachtet; 
die zahlreichen Untersuchungen von anderer Seite halben auch zur 
Genüge bewiesen, dass Wachsthumsstöruugen nur entweder durch 
Dislokation oder Entzündung der Epiphyse «Antritt. Röntgen¬ 
aufnahmen hat er gemacht, doch nicht mitgebracht 

Herr Jul. Wolff- Berlin hat durch den Etappenverband die 
denkbar besten Resultate erzielt. Er hält die Epiphysenlösung für 
ein nicht erstr«*benswerthes Ereignis«. 

Herr Reimer-Wien hält «llo Gefahr einer Waelisthums- 
störung für ausgeschlossen und betont die kurze Zeit der Behand¬ 
lung gegenülier anderen Verfahren. 

C». Herr Lindemann - Berlin demonstrirt eine verbesserte 
Elektrothermkompresse und einen handlichen Rheostaten. 

G. Herr V u 1 p i u s - Heidelberg: Ueber die Behandlung 
von Contracturen und Ankylosen im Kniegelenk. 

(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochenschrift.) 

I) I s <• u s s 1 o n: Herr Lorenz- Wien kann die Gefahren 
des unblutigen Redressements nicht anerkennen, wie er durch 
sein«* zahlreichen Beobachtungen bestätigen kann. Allerdings «larf 
man ein schnell gewonnenes Redressement nicht gleich iixiren. 

7. Herr Silber- Breslau: Demonstration eines beleuch¬ 
teten Stereoskops. 

8. Herr J. R i e d i n g e r - Würzburg: Ueber willkürliche 
Verrenkung des Oberarms. 

Von unwillkürlicher Verrenkung des Oberarmes sind nur 
wenige Fälle bekannt geworden. Fuhr sammelte die ersten Mit¬ 
theilungen aus der Literatur im Jahre 1892. Später wurde die 
Kasuistik nur unerheblich erweitert R. stellt einen 12 Jahre 
alten Jungen vor, der es allmählich dahin brachte, den linken 
Oberarm nach hinten und unten willkürlich zu verrenken. Ausser¬ 
dem war er in der Lage, das sternale Ende der linken Clavicula 
nach vorn zu verrenken. Ein grösseres Trauma od«*r eine Krank¬ 
heit waren nicht vorausgegangen. Auch die Einrenkung erfolgte 
willkürlich. Im Anschluss an die Vorstellung des Patienten und 
die Demonstration eines Röntgenbildes erörtert R. den Mecha¬ 


nismus der Verrenkung und das Moment der kongenitalen Dis¬ 
position, welches in der mangelhaften Ausbildung der Hemmungs¬ 
vorrichtungen sowohl der knöchernen Konstituentien als der 
Kapsel und der Bänder des Gelenkes gegeben ist. Der Mecha¬ 
nismus scheint bei der ebenfalls sehr seltenen angeborenen 
Schulterverrenkung ein ähnlicher zu sein, wenn wir die Muskel¬ 
wirkung aussehalten. 

Abtheilung für Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Referent: Edmund Falk- Berlin. 

3. Sitzungstag. Mittwoch, den 25. Sept. 1901. 

V ormittagssitzung. 

Vorsitzender: Herr Schatz-Rostock. 

1. Herr Knorr- Berlin: Ueber intravesicale Tumoren 
und deren endovesicale Behandlung. 

Er bespricht die auf die Blase übergehenden Carcinome des 
Uterus, dann die vom Sphincter ausgehenden Schleimpolypen 
und schliesslich die intravesicalen Tumoren. Die einzelnen 
Krankheiten werden durch Lichtbilder mittels Projektions¬ 
apparat illustrirt. Er berichtet über einen Fall von Carcinoma 
vesicae, sowie über 2 Fälle von Papillomen. Einen derselben hat 
er mit dem Nitz e’schen Operationscystoskop geheilt. Es han¬ 
delte sich dabei um eine 84 jährige Frau, die dem Verblutungs¬ 
tode nahe war. 

2. Herr W. Thorn: Die praktische Bedeutung der Lac- 
tationsatrophie. (Erscheint in extenso in dieser Wochenschr.) 

3. Herr E. Fraenkel -Breslau: Die Appendicitis in 
ihren Beziehungen zn den Erkrankungen der weiblichen 
Sexualorgane. 

Die durch die irrthümliche Zurückführung der häufigen 
peritonitischen Attacken dos Weibes ausschliesslich auf Erkran¬ 
kungen des Sexualapparates entstandene Annahme einer be¬ 
sonderen Prädileetion der Appendicitis für das männliche Ge¬ 
schlecht ist nicht mehr haltbar. 

Die Fortleitung entzündlicher Proeesse vom C«>ecum und 
Wurmfortsatz zu den weiblichen Sexualorganen und auch in 
umgekehrter, aufsteigender Richtung erfolgt: sowohl intra¬ 
peritoneal als auch extraperitoneal. 

Die häufigste Genitalkomplikation der Appendicitis sind ent¬ 
zündliche bezw. eitrige Proeesse in den Adnexen, und zwar meist 
doppelseitige oder, wenn einseitig, rechts sitzend. Nur ganz 
ausnahmsweise reicht die abnorm lange Appendix bis in die 
linke Bookenseite hinüber. Die auffallende Frequenz der Kom¬ 
plikation von Appendicitis mit Stieltorsion von Ovarial- und 
Parovarialcysten lässt sich durch die bei der Perityphlitis ver¬ 
stärkte Wirkung der Bauchpresse und vermehrte Peristaltik er¬ 
klären. 

Wegen der Seltenheit, der einseitigen Adnoxitis muss be- 
sontlers l>ei rechtsseitigem Sitz derselben und bei gleichzeitig vor¬ 
handener Appendicitis ein CausalVerhältnis» zwischen beiden 
angenommen werden; ebenso in Fällen rechtsseitiger Pyosalpiux 
oder sogen, „idiopathischer“ Pnrametritis bei kindlichen oder 
jungfräulichen Individuen, die kein Zeichen von Gonorrhoe oder 
Tuberkulös bieten. 


Der von Edebohls behauptete enge Causalnexus zwischen 
rechtsseitiger, Symptome machender Wanderniere und ehron. 
Appendicitis einerseits, sowie Adnexitis andererseits kann, wenig¬ 
stens in der von ilun beanspruchten Bedeutung, nicht anerkannt 
werden. Die seiner Beweisführung zu Grunde Hegende pal- 
patorische Bestimmung des normalen Appendix ist nur unter 
ausnahmweise günstigen Bedingungen möglich, der positive 
Nachweis dt« krankhaft veränderten Wurmfortsatzes ist zwar 
von hohem diagnostischen Werth, unterliegt aber mannigfachen 
Irrthümern. Alle diagnostischen Schlüsse und statistischen Be¬ 
rechnungen, welche ausschliesslich auf diesem Palpatiousbefunde 
beruhen, sind unzuverlässig. 

Wiederholte, zuweilen fieberhafte Anfälle von Schmerz, 
hauptsächlich im rechten Hypogastricum, kurz vor oder während 
der Menstruation, ferner unregelmässiger, meist verspäteter Ein¬ 
tritt derselben mit ungewöhnlich starkem Blutfluss bei Indi¬ 
viduen, die früher ganz oder nahezu normal menstruirten, neben 
sonstigen gastrischen, intestinalen oder nervösen Störungen 
müssen die Aufmerksamkeit, abgesehen von den anderen be¬ 
kannten Ursachen der Dysmenorrhoe, auch auf larvirte Appen - 


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22. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1723 


dieitis richten und können nach Erschöpfung aller anderen Mittel 
die Appendektomie zur Erwägung bringen. 

Grundsätzlich soll bei jeder an Appendieitis erkrankten 
Frau eine fachmännische, schonende, aber genau bimanuellc 
Bauchdecken-Scheiden-Mastdarmuntcrsuchung — wenn nöthig 
in Narkose und Beckenhochlagerung oder im sehr wannen Bade 
— zur Vermeidung diagnostischer Irrthürner vorgenommen 
werden. Umgekehrt, ist aber auch bei allen anscheinend rein 
gynäkologischen Erkrankungen die Möglichkeit einer kompli- 
zirenden Appendieitis in Erwägung zu ziehen. 

Bei jeder wegen Erkrankung der weiblichen Scxualorgane 
und insbesondere wegen entzündlicher oder eitriger, ein- (rechts-) 
«nler doppelseitiger Adnexaffektion vorgenommenen abdominalen 
Koeliotomie soll der Wurmfortsatz, wenn möglich, schonend auf- 
gesuchr und — wenn erkrankt — mitentfernt werden. Auch ein 
sonst, scheinbar gesunder, nur lose adhaerenter Appendix soll re- 
seeirt werden. 

Ebenso muss, soweit dazu nicht Trennung schützender 
Verwachsungen nöthig ist, bei jeder Laparotomie zwecks Appen¬ 
dixentfernung der Zustand des Uterus kontrolirt bezw. korrigirt 
werden. 

Bei Verdacht einer Komplikation von Appendieitis mit ent¬ 
zündlich-eitrigen Adnexerkrankungen ist der abdominale Opera¬ 
tionsweg dem vaginalen vorzuziehen. Der typische (Sonnen- 
burg’schc) Flankenschnitt genügt bei Komplikation mit aus¬ 
schliesslich rechtsseitiger Ailnexitis, sonst ist der Medianschnitt 
vorzuziehen. — Bei sehr tief herabreichenden Douglasabscessen 
empfiehlt sich deren Eröffnung von der Vagina oder bei kind¬ 
lichen oder virginellen Verhältnissen vom Mastdarm aus. Findet 
sieh dann noch über dem Beckeneingang oder auf der Beeken- 
sehaufel ein zweiter, mit dem Douglas nicht, kommunizirender 
Abscess, so kann dit-ser entweder in derselben Sitzung durch ab¬ 
dominale Koeliotomie, event. mit dem Appendix s»'lbst und mit 
den erkrankten Genitalorganen, oder später, bei neuen, vom 
Appendix oder den Adnexen ausgehenden Störungen, im freien 
Intervall operirt werden. 

DIscuHslon: Herr Tliorn: Das Zusammentreffen von 
Stieltorsion mit Appeinlixverwaclisungen lässt si<-li leicht durch 
die perltonltIschen Verwachsungen erklären, ohne dass eine Appen* 
»Ileitis die Ursache der Stieltorsion in Folge der verstärkten Bauch¬ 
press«“ sein muss. 

v. Wild weist an der Beschreibung von einzelnen Fällen 
nach, dass die Verwechslung zwischen (ienitnlerkniukungeu und 
Appendieitis sehr häufig sei. Er weist besonders auf die larvirte 
Perityphlitis hin. 

4. Herr Otto Küstner: Die blutige Beinversion des 
Uterus durch Spaltung der hinteren Wand nach Eröffnung 
des hinteren Douglas. 

Seit seiner ersten Veröffentlichung 1893 hat K. seine 
Methode der blutigen Reinversion durch »Spaltung der hinteren 
Uteruswand nach Aufsehneiden des hinteren Douglas in noch 
2 Fällen angewandt. 

Der 2. Fall (veröffentlicht durch Dr. Bert hold t, Allg. 
m<“d. Centralztg. 1899, No. 21) betraf eine „onkogenetisehe“ In¬ 
version, bedingt durch ein Myom. Erst Enueleation des Myoms, 
später blutig«? Reinversion, welche erst nach Spaltung der ganzen 
hinteren Uteruswand gelang; in derselben Sitzung Laparotomie, 
Ventrifixur und Vcrniihung sowohl der Uterus- als der hinteren 
Laquearwunde vom Abdomen aus. 

Im 3. Falle handelte es sieh um IM* Jahre lang bestehende 
puerperale Inversion. Operation wie im ersten Falle, nur dass 
die Douglaswunde sagittul geschnitten war und die Reinversion 
weniger durch Druck auf den invertirten Uteruskörper, als durch 
Zug mittels von der Douglaswunde in die Uteruswunde einge¬ 
setzter Hakenzange bewerkstelligt wurde. Alle 3 Fälle sind re¬ 
aktionslos genesen. 

Nach seinen Erfahrungen und nach Würdigung der zahl¬ 
reichen, seit seiner ersten Veröffentlichung erfolgten Publi¬ 
kationen und der bezüglichen Modifikationen und Vorschläge 
muss K. sein Verfahren für das brauchbarste halten. 

Die Punkte, welche von B«*doutung sind, sind folgende: 

1. dass die Operation von der Scheide aus und zwar 

2. nach Eröffnung des h i n t e r e n Douglas gemacht 
wird, dass 

3. dementsprechend die hinter e Uterus w a n d ge¬ 
spalten wird. 


Zu 1 ist zu sagen, dass überhaupt gar keine Verhältnisse 
denkbar sind, welche das Betreten des abdominalen Weges zweek- 
mässig erscheinen lassen. 

Das Oporationsterrain liegt der Vulva näher als einer noch 
so günstig angelegten Laparotomiewunde; auch sonst kommen 
der vaginalen Inversionsoperation alle Vortheile zu, welche die 
vaginale Operation vor der abdominalen überhaupt hat. 
Everke, welcher vor 3 Jahren noch einmal und zwar mit Er¬ 
folg vom Abdomen aus operirte, gelang die Reinversion erst, 
nachdem er die hintere Uteruswand und das hintere Selieiden- 
gewülhe gespalten hatte, und dann wurde der Hauptakt der 
Operation, die eigentliche Reinversion von der Scheide aus, aus¬ 
geführt —- beides hätte er hei Befolgung meines Verfahrens be¬ 
quemer haben können. 

Zu 2 und 3. Die von Kehrer und Polk vorgcsclilagone 
Spaltung der vorderen Wand ist weniger zweckmässig, als 
die der hinteren, weil, wenn die Spaltung auf die ganze Wand 
ausgedehnt werden muss und wenn, was principiell zweckmässig, 
das entsprechende Seheidengowölbe weit geöffnet, werden muss, 
die Abtrennung der Blase eine weitere Komplikation darstellt. 

Principiell ist auch wegen der Ermöglichung einer recht 
exakten Naht und wegen der Erreichung möglichst sauberer 
Wundverhältnisse zweckmässig, die Verwundung nicht auf den 
Uterus zu beschränken, überhaupt die Verwundung nicht v.u 
knapp zu gestalten. Man kann sonst Heilungskoinplikationen 
erleben; wie sie Kehrer in seinem Falle sah. 

Einen anerkennenswert heil Fortschritt erblickt K. in der 
Westermark-Borcliu s’sehen Modifikation. Dadurch, 
dass Westermark-Borelius den Spaltsehnitt in der hin¬ 
teren Uteruswand mit dem Schnitt im hinteren Lnqucar ver¬ 
einigen, ist es ihnen möglich, die Reinversion noch in der Vagina 
vorzunehmen und als 2. Akt erst di»* Reposition des in 
Rotroversion in der Scheide liegenden Uterus vorzunehmen. 

Für künftige Fälle empfiehlt K. zunächst, den hinteren 
Douglas zu öffnen und nur einen Tlieil der hinterem Uteruswand 
zu spalten, die. Reinversion jedoch wie in Fall III im Wesent¬ 
lichen durch Zug mittels durch die Douglaswuxide geführter und 
in der Uteruswundc eingesetzter 1 lakenzangen zu bewerkstelligen. 

Ferner empfiehlt K. die unblutigen Rein versionsversuche 
nicht zu lange auszudehnen, sondern bald zur Operation zu 
schreiten. 

Die Operation muss immer gelingen; wenn Salin und 
Josephsohn nicht reussirt»n, so liegt es bei Letzterem sicher 
daran, dass er den Schnitt in den Uterus zu klein gemacht hat, 
bei Ersterein vielleicht auch. 

Die onkogenetischen Inversionen sind nur erst nach 
ganz exakter mikroskopischer Diagnose des die Inversion 
veranlassenden Tumors eventuell konservirend zu behandeln, 
weil gelegentlich auch Sarkome angetroffen worden sind. 
Bei diesen Inversionen ist die Totalexstirpation um so leichter 
zu verschmerzen, als sie meist bei älteren Frauen beobachtet sind. 

5. Herr Winternitz -Tübingen: Das Bad als Infek¬ 
tionsquelle. 

Da es trotz autiseptisolier und aseptischer Leitung der Ge¬ 
burt, trotz der verschiedenen prophylaktischen Maassnahmen, wie 
Scheidenausspülungen, Untersuchen mit Gummihandschuhen, 
immer noch nicht gelungen ist, die Morbidität im Wochenbett in 
der erwünschten und gehofften Weise zu vermindern, so lag es 
nahe, ausser der wohl häufigsten Art der Keimübertragung durch 
die Hände und Instrumente, auch nach anderen Infekt ions- 
mögliehkeiten zu suchen, durch welche die T< *m per aturst ei ge¬ 
rungen im Wochenbett ihre Erklärung finden sollten. Als solche 
wurde von verschiedener Seite im Verlaufe der letzten Zeit das 
Badewasser beschuldigt. 

Es gibt hauptsächlich 2 Methoden, um die Möglichkeit des 
Eindringens von Badewasser in die Scheide zu prüfen, nämlich 
eine chemische und eine bakteriologische. Die ersten» besteht 
darin, »lass man dem Badewasser chemische, für den Organismus 
unschädliche Substanzen zusetzt, welche nach Eindringen des 
Badewassers in die Vagina im Seheid«*ns»*kret wieder miehge- 
wieseu worden können. Diesen Weg hat St roganof f oin- 
gesehlagen. 

Die zweite, bakteriologisch»* Methode hat Stic li r r an¬ 
gewandt, indem er das Badewasser mit. einem für gewöhnlich im 
Soheidensvkret nicht verkommenden, gut eharaktcrisirten Reim, 


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1724 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


dem B. prodigiosus, infizirte, den er nach dem Bade aus dem 
Vaginalsekret herauszüchten konnte, woraus er den Schluss zieht, 
dass in die Vagina und zwar bei Erst- und Melirgebärendon die 
im Bado befindlichen Keime hineingelangen können. 

Die bakteriologische Methode liat Winternitz nicht an¬ 
gewandt, sondern es vorgezogen, dio von Stroganoff ange¬ 
führten Versuche zu wiederholen und weiter auszudehnen. (Zu¬ 
satz von Eosin bezw. von chinesischer Tusche zum Badewasser, in 
anderen Füllen von spektroskopisch leicht nachweisbarem Lithion 
carbon.) 

Wenn auch durch die Versuche ein Eindringen des Bade- 
wassers in die Scheide nicht nachgewiesen werden konnte, so 
müssen trotzdem beim Baden von Kreissenden bestimmte hygie¬ 
nische Maassregeln beachtet werden. 

Seine Resultate fasst Winternitz in folgenden Sätzen 
zusammen: 

1. Das Eindringen von Badewasser in dio Scheide konnte 
nicht nachgewiesen werden. 

2. Da beim Baden sehr viele Keime vom Körper abgegeben 
werden und in’s Badewasser gelangen, so ist es rathsam nur solche 
Wannen zu benützen, die gut gereinigt und desinfizirt werden 
können. Hierzu eignen sich am besten Kupferbadewaunen, 
welche vor dem Gebrauch mit Spiritus ausgerieben werden. 

- 3. Ein Bad soll nur einmal, auch für dieselbe Kreissende, 
benützt werden. 

4. Nach jedem Bade sollen, besonders vor der inneren Unter¬ 
suchung, die äusseren Genitalien desinfizirt werden. 

5. Werden diese Vorsichtsmaassregeln eingehaltcn, so ist das 
Bad nicht als Infektionsquelle zu fürchten. 

fi. Herr Kantorowicz- Hannover: Die Alkoholthera- 
pie der puerperalen Sepsis. 

Die Anschauung der Gynäkologen und praktischen Aerzte, 
dass die beste Therapie der puerperalen Sepsis die Behandlung 
mit grossen Dosen Alkohols wäre, bedarf dringend der Revision. 
Sie stützen sich dabei hauptsächlich auf die Arbeiten R u n g e’s 
und Marti n’s. Runge und sein Schüler Lorenz empfehlen 
auf Grund klinischer Beobachtung neben Lokaltherapie grosse 
Dosen Alkohol und laue Bäder. Bei einer genaueren kritischen 
Würdigung der von ihnen ausführlich geschilderten 33 Fälle 
wird man jedoch nichts finden können, was klar und deutlich für 
den therapeutischen Werth des Alkohols spricht. 

7. Herr 0. Schaeffer- Heidelberg: lieber experimen¬ 
tell von den inneren Genitalien auslösbare reflektorische und 
coordinirte Fernerscheinungen, besonders des Blutgefäss¬ 
systems. 

Die in der Absicht, Klarheit bezüglich der Wechselwirkung 
zwischen Genitalfunktionen und denen anderer Organe zu schaffen, 
unternommen Versuche wurden theils mit, theils ohne Narkose 
ausgeführt. Es handelte sich um Reizungen des hinteren 
Scheidengewölbes, des eröffneten Septum Douglasii, der eröffne- 
ten D o u g 1 a s’sehen Peritonealtasche selbst, des inneren Mutter¬ 
mundes und des Cavum uteri unter gleichzeitiger Kontrolirung 
des Pulses, des Blutdruckes, der Respiration seitens eines Assi¬ 
stenten, sowie die am Uterus selbst, gleichzeitig beobachteten Vor¬ 
gänge in der motorischen und vasomotorischen Sphäre. 

Der Blutdruck wurde mittels des G ä r t n e r’schen 
Tonometers bestimmt und sank z. B. erheblich unter der Ein¬ 
wirkung der Atmokausis, stieg aber bei forcirtcr Dilatation des 
inneren Muttermund«»« nicht gravider Uteri. Reizung des er¬ 
öffneten Douglasseptums rief in Narkose stürmische Würg- und 
Pressversuche hervor unter gleichzeitiger Beschleunigung von 
Puls und Respiration. Unter der Atmokausis ist der Puls zuerst 
verlangsamt, ja aussetzend, dann aber beschleunigt und klein. 

Die Blut Mischungsverhältnisse im Uterus 
(Probeentnahme aus der Portio) sind typisch, andere unter je¬ 
weilig verschiedenen physiologischen und pathologischen Vor¬ 
bedingungen. Versuche mittels isotouischer Jodjodkalilösungen: 
«las Häufigkeilsverhiiltniss der dunkelgefärbten (kräftigen) zu den 
schwächtingirten (schwachen) Erythroeyten ist bei gesunden In¬ 
dividuen und Genitalien 2,5 bis 5: 1, wobei entfärbte und granu- 
lirte Zellen ganz fehlen. In der Gravidität besteht Hyperiso- 
tonie, z. B. 12,0:1 bei starker Farbeannahme; mit Beginn der 
Wehen Sinken der Resistenz der Blutkörperchen; noch ungünsti¬ 
ger wird die Blutmischung bei abgestorbener Frucht. Es sind 
dieses also neue diagnostische Merkmale so¬ 


wohl für die erste Zeit der Schwangerschaft, 
als auch für die Retention von Abortiveiern! 

Bei Erregung künstlicher Wehen dieselben Erscheinungen, 
nach der Atmokausis Besserung der Blutruischung, d. h. hyper¬ 
isotonische Erhöhung der Resistenz der Erythroeyten sofort und 
noch nach Wochen nachweisbar. (Erscheint ausführlich in der 
Monatssehr. f. Geburtsh.) 

8. Herr 0. S c h a e f f e r - Heidelberg: Geber indviduali- 
sirende Gesichtspunkte bei der Behandlung der Fehlgeburt. 

Vortragender sichtete seine bezüglich Anamnese, früherer 
und späterer Nachuntersuchung genau beobachteten über 200 
Privatfälle nach ihren Erscheinungen vor und nach der Fehl¬ 
geburt und ferner danach, ob nach dem Abortus ausgeschabt 
worden war oder nicht. Es ergab sich, dass die exspectativ 
behandelten Fälle im weiteren sexuellen Leben der Frau weit 
weniger günstige Resultate aufwiesen, als die eure ttir- 
ten; dass häufiger Fehlgeburten, Sterilität, Menorrhagien, 
irreguläre Menstruationen, vor Allem aber Geburtsstörungen, zu¬ 
mal in der Nachgeburtsperiode zu verzeichnen waren; dass ferner 
diejenigen Fälle, welche trotz der Curettage (unter Aus¬ 
schluss der gonorrhoischen Fälle) später wenig günstige Resul¬ 
tate lieferten, alle nicht Erkrankungen des Endometriums, 
sondern andere Genitalanomalien aufwiesen: so z. B. Infantilität, 
Genitaltuberkulose, Ovariendegeneration oder Tumoren, schwere 
Stoffwechselanomalien, Tropenkrankheiten und andere Er¬ 
schöpfungszustände des Greammtorganismus. Es zeigte sich 
ferner, dass allemal lange vor der Fehlgeburt pathologische Er¬ 
scheinungen, vor Allem Menstruationsbeschwerden oder orga¬ 
nische Fehler vorhanden gewesen waren. Bei hochgradig chlo- 
rotisclien und hysteroncurasthenischen Individuen, zumal mit 
wenig entwickelten Genitalien, beschrieb Vortragender bereits 
in einer Schrift über die „unterbrochene Fehlgeburt“ (München) 
den „Abortus imminens nervöser Natur'*, der zum völligen 
Abortus werden kann, charaktcrisirt durch spastische Sen¬ 
sationen, die objektiv nachweisbar sind, und heftige Reflexe 
(llyperemesis z. B.); vor der Schwangerschaft besteht diese Nei¬ 
gung zu Spasmen bereits als Menstrualkoliken, Vaginismus, 
Darm- und Blasentenesmus u. s. w. Bei diesen Fällen und in¬ 
fantilen Uteri kann cs nach einmaligem oder wiederholtem Abor¬ 
tus zu Reif «»gebürten kommen; Vortragender nennt dies«js „natür¬ 
liche Heranzüchtung“ des infantilen Uterus, welche er künstlich 
nachgealmit hat durch wiederholtes Einlegen von Larainaria und 
Gazetamponade. 

Dio Forderung des Vortragenden besteht darin, bei einer 
jeden Fehlgeburt, da sie fast immer nur ein Symptom in 
einer Reihe von v o r- und nach her vorhandenen pathologischen 
Erscheinungen ist und nur selten der nicht infizirende Abortus 
an sieh de>- Anlass zu sekundären Leiden ist, die Behandlung 
streng nach dem Status quo und nach den Vor erschei- 
nungen zu regeln, weit häufiger als es im Allgemeinen geschieht, 
den anscheinend glatt beendeten Abortus dennoch als einen 
inkompleten zu behandeln und lege artis auszuschaben 
und dann zu tamponiren. Nicht aber etwa will Vortragender 
jeden Abortus ausschaben; hier soll eben individualisirt werden. 

9. Herr Seligmann - Hamburg demonstrirt 1. einen Fall 
von hochgradiger Osteomalacie, welche im Jahre 1893 mittels 
Porro operirt und alsdann in einen Streckverband gelegt 
wurde, die Patientin ist dadurch um 18 cm grösser geworden. 
Während sie 7 Jahre vorher bettlägerig war, ist jetzt die Geh- 
fähigkeit eine gute. Die Osteomalacie ist nicht recidivirt. 

2) Eine zweite Frau, welche im Jahre 1898 wegen eines 
grossen tuberkulösen Tumors laparotomirt wurde, zeigte damals 
einen grossen Lupus des Gesichts, welcher nach der Operation 
ohne jede weitere Behandlung vollkommen ausheilte. 

3) Demonstrirte S. Kulturen von Pruritus vulvae, in welchen 
stets ein Diplococcus gefunden wurde, welcher dem Gonococcus 
sehr ähnlich aussieht, sich jedoch durch seine Färbbarkeit unter¬ 
scheidet. Therapeutisch bewährt sich Guajacolvasogen in 15 bis 
20 proe. Lösung. 

10. Herr Gebhard - Berlin berichtet über 20 Fälle vaginaler 
Ventroflxation des TJterus. Kolpotom. ant. Hervorwälzen des 
Uterus. Umstechung der Ansatzstellen der Ligg. rot. beiderseits 
mit 2 langen Catgutfäden, die mit Hilfe einer halbstumpfen, ge¬ 
stielten Nadel bei Beckenhochlagerung oberhalb der Blase durch 
die Bauchdecken nach aussen geführt und auf einer Gazerolle ge¬ 
knotet werden. 

4 mal wurde bei Prolaps, 8 mal bei Retrofiexio mobilis, 8 mal 
bei Retrofiexio fixata operirt. Nebenverletzungen fanden nicht 
statt. Recidive sind s«»lbst bei den ältesten (vor % Jahren) ope- 
rirten Fällen nicht aufgetreten. 


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22. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1725 


11. Herr Edmund Falk- Berlin demonstrlrt eine zusammen¬ 
hängende Kellie präparirter Becken von Föten aus dem 3. bis 
d. Monat. Dieselben zeigen die fortschreitende Entwickelung der 
Kuochenkeme, von denen der Knochenkern in der Darmbein- 
scliaufel bereits in der ersten Hälfte des 3. Monats nachweisbar 
ist. An diesem Kern lässt sich am Ende des 3. Monats ein dor¬ 
saler und caudaler, und im 4. resp. 5. Monat ein ventraler Fort¬ 
satz erkenuen; Fortsätze, welche für die Formeutwickelung und 
für die Architektur des Beckens von Bedeutung sind, denn sie 
tragen indirekt, dadurch, dass sie den Kuorpelrand frühzeitig er¬ 
reichen und hier das Knorpelwachsthum hemmen, zur Bildung 
der knorpeligen Spina anterior superior und Spina posterior 
superior bei. Bis in den G. Monat lassen sich diese Fortsätze 
am aufgehellten Präparat als tief in den Knoeheukern sich fort¬ 
setzende Keile naehweisen. -- Die Ausbildung der Liings- 
krünunung der Wirbelsäule ist nach Falk auf die Wachsthums¬ 
richtung der Darmbeiuknorpel zurückzuführen und nicht auf 
Waclisthuinsvorgänge in dem Wirbel, da ursprünglich nur die 
lntervertebralseheiben au der ventralen Fläche verbreitert sind 
und sich erst in der Folge die Keilform des 1. Kreuzbeinwirbels 
ausbildet Die Knochenkerue au der Innenfläche des oberen Sitz- 
l>einastes erscheinen im 4.—5.. die im oberen Schambeinast im 
5.—7. Monat. In Bezug auf die Geschlechtsunterschiede, welche 
vom 5. Monat ab nachweisbar sind, verweist Falk auf seine 
Arbeit im letzten Heft des Archiv f. Gynäk., er betont, dass zu¬ 
erst ein charakteristischer Geschlechtsunterschied im Breiten¬ 
wachsthum der Symphyse auftritt, da die Symphyse bei Knaben 
höher als breit, bei Mädchen hingegen gewöhnlich breiter als 
hoch sei. 

Endlich demonstrlrt er an mehreren Präparaten das häufige 
Auftreten vom Uebergangswirbel im 5.—0. Monat, ein Vorgang, 
bei dem der 25. Wirbel, der bleibende 1. Kreuzbeinwirbel sich aus 
einem Lendenwirbel in einen Kreuzbeinwirbel umwandelt. 

14. Herr Holzapfel demonstrlrt einen Fall von 
Deciduoma m&lignum. Es fand sich ein wallnussgrosser Knoten 
über der Harnröhre. Ein zweiter grosser Tumor fand sich im 
Uterus, der in gar keinem Zusammenhang mit der Mucosa stand. 
Die Schleimhaut des Uterus war in eine Decidua verwandelt, 
welche vielleicht von einer späteren Schwangerschaft stammt. 
Klinisch bestanden unregelmässige Blutungen. Bei einer Probe¬ 
abrasio hätte man über die Natur der Geschwulst keine Sicherheit 
bekommen: es ist daher zweckmässig, in allen derartigen Fällen 
von Sehoidendeeiduoinen bei gleichzeitiger Vergrössenjng des 
Uterus denselben mitzuentfernen. 

13. Herr A. v. Guerard - Düsseldorf demonstrirt einen 
Acardlacus und Anencephalus männlichen Geschlechts im 
5. Monat. 

14. Herr A. v. Gußrard - Düsseldorf: Demonstration einer 
wahren interstitiellen Gravidität. Das vorgezeigte Präparat 
stammt von einer 38 jährigen 7. Para, bei der 3 Monate die Regel 
nusgeblieben war. Plötzlich Erkrankung unter starken Krämpfen 
im Leibe, Ohnmaclitsaufälleu und Erbrechen. Nach 36 Stunden 
Operation. Gleich nach der Eröffnung der Bauchhöhle entleert 
sich eine grosse Menge Blut, zwischen den Coagula ein 3 monat¬ 
licher Fötus. Der Uterus ist sehr stark retrovertirt, die rechte 
Hälfte des Fundus ist von einer kleinfaustgrosseu Höhle einge¬ 
nommen, die nach der Bauchhöhle zu aufgebrochen ist, und ln 
welcher die locker haftende Placenta sitzt. Keilförmige Exclsion 
des Geschwulstbettes aus dem Uterus mit sofort angeschlosseuer 
fortlaufender Catgutnaht. Darauf Abtragung der rechten Adnexe. 
Vom 2. Tage an glatte Rekonvaleseenz. 

Das Präparat lässt deutlich sehen: 1. die absolute Intaktheit 
der 8 cm langen Tube, 2. die völlige Abgeschlossenheit des Ge¬ 
schwulstbettes vom Cnvuiu Uteri, die Wand des Sackes wird nur 
von Uterusmuskulatur gebildet. Das Llg. rot. sass auswärts von 
der Geschwulst. Ibis Bett ist oval mit einem Durchmesser von 
5: G cm. 

Klinisch ist zu bemerken, dass die Rupturstelle nicht die 
I’lacentarstelle traf, da sich diese im Grunde der Höhle befand. 
Daher trat auch nicht der sofortige Verblutungstod ein, wie 
meistens in derartigen Fällen. 

Ein solch’ typischer, klarer Fall, mit Genesung der Frau 
endend und Erhaltung des Uterus, gehört zu den grössten Selten¬ 
heiten. 

15. Herr Semon demonstrirt eine Placenta, welche von 
einer Mehrgebärenden stammt, welche bisher gesund war. Die 
Geburt verlief spontan. Die Placenta sah aus. als ob auf der 
Amuiosfläclie Tuberkel süssen. Im centralen Theile fanden sich 
submiliare Knötchen, in dem peripheren Theile grössere kon- 
öuireude Knötchen. Mikroskopisch lässt sich schwer entscheiden, 
um was es sich handelt. Die Frucht war eine hochgradige Miss¬ 
bildung, die äusseren Geschlechtstheile fehlten fast vollkommen, 
es fehlte gleichfalls eine Analöffnung. 

Von dem Dlckdann war nur ein kurzes Stück vorhanden, 
eine Ileocoecalklappe ist nicht nachweisbar. In der Bauchhöhle 
waren beide Hoden vorhanden. Die Nieren fehlten, dessgleiehen 
die Ureteren, statt der Blase fand sich ein muskulöser Wulst, 
die Nebennieren waren vergrössert. 

Abtheilung für Kinderheilkunde. 

Referent: B. Bendix - Berlin. 

3. 8 i t 7 . u n g s t a g. Mittwoch, 25. September 

1. Herr A. Baginsky: Ueber Scharlach-Nierenent¬ 
zündung. 


Der Vortragende weist zuerst auf seine gemeinsam mit 
seinem damaligen Assistenten Stamm im Jahre 1893 gemachte 
Publikation über die anatomischen Veränderungen der Nieren 
bei Scharlach hin. (1. Eine weithin gesunde, in Herden oder mehr 
diffus auf tretende, meist an die. Gefässe geknüpfte zellige Infil¬ 
tration bei Kindern (meist septischen), die in der 1. Woche der 
Scarlatina starben. M a lp i g h i’sche Körperchen und Gloineruli 
nehmen an der Vermehrung der Rundzellen Thcil. Exsudative 
oder degenerative Vorgänge an denselben nicht nachweisbar. 

2. Bei den in der 2. Woche (meist auch septisch) gestorbenen 
Kindern waren neben der geschilderten Zellinfiltration in erster 
Reihe auch degenerative Vorgänge in den gewundenen und ge¬ 
raden Harnkanälchen vorhanden, ausserdem einzelne emboliseho 
nekrotische Herde. M a 1 p i g h i’sche Körperehen und Glomeruli 
auch hier noch keine besonders auffälligen Veränderungen. 

3. Von der 3. Woche ab neben parenchymatöser Degeneration 
der Epithclien und Verlegung der erweiterten Harnkanälchen 
mit Oylindern und dabei interstitiellen Zellenanhäufungen 
wesentliche Veränderungen an den M a 1 p i g h i’schen Körper¬ 
chen und an den Glomeruli. Nun wendet sich der Vortragende 
zur Klinik der Nieren bei Scharlach. 


In den letzten 5 Jahren fielen auf 919 Fälle von Scharlach 
88 Nephritiden. 

34 Fälle davon kamen sehr früh in Behandlung und gaben 
daher Gelegenheit zu guter Beobachtung. Der früheste Termin, 
an welchem unter diesen Fällen die Nephritis ausbrach, war der 
6. Tag der Erkrankung (1 mal); 2 mal trat Nephritis am 13. Tage, 
3 mal am 15. bis 18. Tage, 3 mal am 30. Tage auf; die anderen 
in der Zwischenzeit der angegebenen Daten. 

Die Schwere des Exanthems steht in keinem Zusammenhang 
mit einem Ausbruch der Nephritis. 

Das Gros der Nephritiden setzt mit Fieber ein, eine kleinere 
Zahl zeigt gar keine oder nur sehr geringe (bis 38") Temperatur¬ 
steigerungen. Gefährlich erscheinen die Fälle, wo hohes und kon- 
tinuirliehes Fieber vorhanden; beachtenswcrth die, wo nach Ab¬ 
sinken der Temperatur mit erneutem Emporsehnellen auch 
wieder neue resp. gesteigerte Eiweissausscheidung statthat. 

Der Puls ist gewöhnlich beschleunigt, doch meist ohne Be¬ 
ziehung zur Temperatur, drahtähnlich bei Uraemie. 

Die Harn menge ist wechselnd, oft gar nicht beeinflusst, 
bisweilen erheblich gesteigert anfangs und erst später verringert, 
meist allerdings vermindert. 

Die Nephritis steht mit der primären Scharlachalbuminurie 
in keinem Zusammenhang. 

Für die Bedeutung des Processes ist das gesammte Harn¬ 
bild das Entscheidende. Der septische kaffcebraunschmutzige 
Harn ist allerdings prognostisch ungünstig. Die Haematurie 
an sieh ist prognostisch nicht so ungünstig, als man in der Regel 
annimmt. 

Fast jede Nephritis äussert sich mit geringen Oedemen der 
Augenlider, schwerer und ausgebildeter Hydrops verschlechtert 
die Prognose. 

Baginsky hat seine Fälle in Bezug auf die Hydropsfrago 
in 2 Gruppen getheilt: a) in solche, die innerhalb der ersten 
5 Tage nach Beginn der Scarlatina in seine Behandlung kamen, 
b) in solche, die später in Behandlung kamen. 

Zur Gruppe a) gehören 37 Fälle, wo nur einmal Hydrops 
gesehen wurde, ln der Gruppe b) sind 30 mit schwerem Hydrops 
vorhanden (8 Oedeme das Gesichts, 12 mit schweren Komplika¬ 
tionen). Den Unterschied beider Gruppen glaubt Baginsky 
auf die Diätetik und Therapie zurückführen zu müssen. 

U raemie wurde unter den Fällen von Hydrops, die früh 
in Behandlung kamen, 6 mal beobachtet. 

Im Ganzen starben von 18 uraemischen 5 Kinder, von SS 
Nephritiden 11. 

18 Fälle der aufgenommenen Nephritiden zeigten lang- 
dauernde Albuminurien, darunter sind 5 sichere Fälle von chro¬ 
nischer Nephritis, wozu allerdings keiner von den früh aufge¬ 
nommenen Kindern gehört. 


Zur Verhütung des Ilydrops, der chronischen Nephritis, der 
Uraemie empfiehlt Baginsky Bettruhe (4 Wochen) und ab¬ 
solute Milchdiät (14 Tage). Bei langdauernder Albuminurie, bei 
Haematurie empfiehlt B. innerlich Aeid. tnnnie. 1 :100. 3stiindl. 
1 Kinderlöffel. Gegen die Uraemie bei hohem, gespannten Puls 
Blutegel und Vennesektion. 


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172(5 


MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


Dlspiisaion: Herr P f a u n d 1 e r - Graz macht auf die 
Beobachtung aufmerksam, dass die Nephritis bisweilen einsetzt 
mit Albumosurie. Friigt weiter den Vortragenden, wie derselbe 
sieh gegen die (besonders von Natt e r in Paris» empfohlenen 
prophylaktischen Maassnahmen gegen die Nephritis mit Terpentin 
verhält. 

Herr R i 11 e r - Berlin fragt an, ob nicht gerade die durch 
leichtes Exanthem ausgezeichneten Fälle häutig zu schwerer Neph¬ 
ritis disponiren. 

Herr Z u ppingor - Wien hat trotz streng dureligefiihrter 
Bettruhe und absoluter Milchdiät bei Scarlatina gerade im letzten 
Jahre die schwersten Nephritiden gesehen 

Herr M ay- Hamburg fragt an. wie lange Zeit man die Ruhe 
ausdehnen soll, und wie Bagiusky die Bäder bei hydropischen 
Zuständen verwert lief. 

Herr Pi za-Hamburg lässt die Scharlachkranken prineipiell 
t‘> Wochen im Bette liegen, lässt aber darin gar keine Beeinflussung 
bezüglich der Entstehung der Nephritis, nach ihm Ist dieselbe viel¬ 
mehr abhängig von dein Henna epidemicus. Auch kann P. sich 
nicht vorstellen, dass die absolute Milchdiät das Entstehen der 
Nephritis verhüten kann. 

Herr B a g i n s k y - Berlin (Schlusswort» hat gleichfalls die 
Beobachtung gemacht, dass auf leichten Scharlach bisweilen 
schwere Nephritis folgt. Wenngleich das Entstehen im gewissen 
Sinne auch abhängig sein mag von der Schwere der Epidemie, so 
gibt cs doch kein besseres Mittel zur Verhütung und schnellen 
Heilung als absolute Milchdiät. Bei Hydrops verwendet auch B. 
ausgedehnte, je nach dem Falle verschiedene hydrotherapeutische 
Maassnahmen. 

2. Herr Zuppinger -Wien: Ueber einen seltenen Fall 
von Fremdkörpern. 

Z. dernonstrirt ein Lungenpräparat, das einem 2'/a jährigen 
Mädchen entstammt, welches sich, in der Nacht einen rechts¬ 
seitigen Pneumo- resp. Pyopneumothorax zuzog, indem es aus 
seinem defekten Bett st roll sack eine leere Kornähre im Schlafe 
aspirirte. Nach 38 Stunden starb das Kind. Z. macht auf diese 
Gefahr für Kinder aufmerksam. 

Diseussion: Herr II o 11 tu a n n - Breslau tlicilt einen 
vollkommen analogen Fall mit. bei dem es sich um Aktinom.vkose 
handelte. Da im mitgetheilten Falle die Untersuchung auf Tu- 
berkclbncilleu nicht gemacht wurde, wäre es denkbar, dass es sieh 
auch hier um Aktiimmykose gehandelt habe. Auch im Holt.- 
munn'schen Falle, der 1 mm Lebzeiten diagnostieirt war. war die 
Aktlnomykosls erworben durch das Verschlucken einer „Tauben¬ 
gerste". die die Retroviseeralspalte perforirt und an der Thorax¬ 
seite zum Vorschein gekommen war. 

Herr Z u p p 1 n g e r - Wien (Schlusswort»: Hegen die Auf¬ 
fassung seines Falles als Aktinomykosa spreche das anatomische 
Bild der Tuberkulose, wie es die Sektion ergeben halte. 

3. Herr J. Ritter: Die Behandlung schwächlicher 
Kinder. 

Die Behandlung von Kindern, welche eine ausgesprochene 
Vulnerabilität, bestimmter Körpertheile. wie der Haut, der 
Schleimhäute, speziell der Respirationsschlcimhüute, und der 
Sinnesorgane zeigen, bei schneller Betheiligung des lymphatischen 
Apparates und ausgesprochener Neigung zum Reeidiv, hat Vor¬ 
tragender seit mehr als einem Lustruin unter ein. alle natürlichen 
Unterstützungsmittel zusammenfassendes, rationelles Regime zu 
bringen gesucht. Die Vorbedingungen für das Heilverfahren 
wurden von Thierversuchen abgeleitet. Tn erster Reihe steht die 
saehgennisse Ernährung. Den Mineralsalzen die ihrer Bedeu¬ 
tung entsprechende Stellung Ihm der Kostwahl zu geben, ist die 
eindringliche Forderung. Durch ausgedehnte Stoffweehselver- 
suche wird nachgewiesen, dass nicht nur das Dreigcstim der 
grossen Nahrungsmittel. Eiweiss, Fette und Kohlehydrate, son¬ 
dern auch die Mineralsalze zur Entwicklung der nothweudigen 
Lcbcnsenergie gehören. Und zwar darf kein einziges der nor¬ 
malen Körpersalze fehlen; ja es muss sogar in seiner ganz be¬ 
stimmten Verbindung zur Stelle sein, wenn der Organismus auf 
diesen Mangel nicht durch das Herabgehen seiner vitalen Kräfte 
reagiren soll. Klassisches Beispiel hierfür ist das mehr durch 
seinen Mangel als durch sein Anlagekapital sich bemerkbar 
machende Eisen. Dabei zeigt sich ein deutlicher Unterschied 
in der Ausnutzung der Mineralsalze bei animaler und vegetabi¬ 
lischer Kost zu ganz entschiedenen Gunsten der letzteren. Ausser 
den Erfolgen des eine Reihe von Jahren fortgesetzten Verfahrens 
und der deutlichen Sprache der Stoffwechsel versuche bringt jetzt 
die pliy.-ikalisohc Chemie, die van t’Hof Esche Lehre von der 
Lösung, die letzten nnfklärenden Beweise für die Richtigkeit des 
Ernährungsprineipes. 

Sodann wird über die hervorragend wichtige Gymnastik der 
Lungen, die meehanUche Behandlung der Muskulatur des Brust¬ 
korbes, die methodischen Abreibungen und Sandbäder ausführ¬ 
lich berichtet. Eine bedeutsame Stelle nimmt auch in Rücksicht 
auf den lymphatischen Zustand dieser Kinder die den Bahnen 
des Lymphsystems sorgfältig angepas>te Massage ein. 


Endlich sehlicsst der Rainer, der in den Erholungsstätten 
für tuberkulöse. Arbeiter eine entsprechende Durchführung seiner 
schon früher für die Behandlung skrophuloser Kinder empfoh¬ 
lenen Principien und somit die Durchführbarkeit auch seiner 
Ideen sieht, mit einem Appell, auch der Prophylaxe zu geben, 
was ihr zukomme, da dies für das Allgemeinwohl von über¬ 
ragender Wichtigkeit und ohne Aufwendung übermässiger Mittel 
möglich sei. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztlicher Bezirksverein München. 


Sitzung vom 5. Oktober 1901. 


Nach (len üblichen Sommerferien im ärztlichen Vereinslelien 
hielt der ärztliche Bezirksverein wieder seine erste Sitzung ab. 
die wegen des Oktoberfestes weniger als sonst besucht war uml 
auch die Tagesordnung glatt erledigte. Der Bericht, den Herr 
Abgeordneter v. Land mann an den besonderen Ausschuss zur 
Vorlierathung des Gesetzentwurfes über die ärztliche Standes- 
und Ehrcngerichtsordnuiig als Referent erstattet hatte, war noch 
nicht bekannt; er hätte sonst gewiss eine sofortige energische 
Stellungnahme herausgefordert. 

Das Andenken der verstorbenen Vereinsmitglieder. Re¬ 
gierungsdirektor Heheimrath Dr. Oskar v. Lippl und Dr. Lud¬ 
wig Eisenberger, ehrte der Vorsitzende durch einen wannen 
Nachruf und die Versammlung durch Erheben von den Sitzen. 
Herr Dr. v. Lippl, früher ein vielbeschäftigter Arzt, war aus 
seiner Stellung als Babnarzt in den Verwaltungsdienst der baye¬ 
rischen Staatseisenbahnen hinübergetreten und hat sieh hier durch 
sein Organisationstalent bleibende Verdienste errungen und 
namentlich auch das balmärztliclie Institut gefördert; mit den 
Aerzten blieb er auch in seiner Amtsstellung stets lu Verbindung 
und brachte ihren Bestreitungen grosses Interesse entgegen. 

Entsprechend einem früheren Beschlüsse des ärztlichen Be¬ 
zirksvereins war au das kgl. Staatsministerium des luneru die 
Bitte gerichtet worden, \V a r n u n g e u vor S e h w indel- 
mittelu und II e i 1 k ii u s 1 1 e r ii zu erlassen. Laut Mlni- 
sterialentSchliessung vom 13. September hat diese Anregung zur 
Kenntuiss gedient und wird im gegebenen Falle je nach den Um¬ 
ständen angemessen in Baiacht gezogen werden. Mit dieser Zu¬ 
sage, die ebenso vorsichtig und zurückhaltend ist wie die Ver- 
bescheidung der Anträge der Aerztokammern. ist noch nicht viel 
gewonnen, sie kann jedoch die bayerischen Bezirksvereine ver¬ 


anlassen, in Fällen von notorischer Ausbeutung des Publikums 
beim Ministerium vorstellig zu werden. 

Aus dem sonstigen Einlaufe verdient Erwähnung das Schrei¬ 
ben eines Heil m a g n e t i s e u r s an (len Bezirksverein: beseelt 
von edler Begeisterung, (len nrmen unheilbaren Kranken zu helfen, 
bietet er sieh an, mit den Herren Aerzten zusammen zu wirken: 
er will liel>er mit den Aerzten, als gegen dieselben wirken, wie 
denn nur die aufrichtigste Tlieilnalime atu menschlichen Elend 
ihn zur heilmagnetisclieu Praxis getrieben habe; wunderbare 
Erfolge ernmthigeu Hin. auf seiner Bahn weiter zu dringen, und 
er glaubt, auf Hrnnd derselben, dass die Aerzte mit ihm nicht zu 
Schauden würden; 2 Fälle von jahrelanger Steifheit von Gliedern 
brachte er durch blosse Worte in einer Minute wieder zurecht. 

IVI »er die Revision de r amtsärztlichen Ge¬ 
lt ii ii r e n o r d n u n g (Regierungsauftrag zur Aerztekainmer» 
erstattete Herr Bezirksarzt Dr. firnber ein ausführliches Re¬ 
ferat über die derzeitigen Bestimmungen der Verordnung, die Ver¬ 
gütung für ärztliche Amtsgeschäfte betreffend, und stellte mehrere 
Anträge, die nach kurzer Diseussion angenommen wurden. In 
gleicher Weise wie den übrigen Staatsbeamten sollen auch deu 
Amtsärzten Taggebühren (Diäten) gewährt werden, wenn 
der Ort der Vornahme der Dienstgeschäfte mindestens 3 km vom 
Amtssitze, bezw. in grösseren Städten von der Wohnung oder dem 
Anitslokale entfernt ist. Ebenso soll Ersatz der Reise¬ 
kost e u beansprucht werden dürfen, wenn die Entfernung des 
Ortes der Geschüftsvornnlune von der Wohnung (nicht Amtssitz» 
mindestens 3 km betrügt. Die Reiseeutsehüdigung 1 »einisst sieb 
für die Amtsärzte nach der Verordnung vom 11. Februar 187."». 
die Aufrechnung der Tagegelder und Reisekosten bei auswärtigen 
Dienstgesehüfteu der Beamten und Bediensteten des Civilstaats- 
dlenstes betreffend; nichtamtliche Aerzte konnten bisher nach der 
Gebührenordnung fiir ärztliche Dienstleistungen in der Privnt- 
praxis bei mehr als 2 km Entfernung :i—5 M. für jede Stunde der 
auf den Hin- und Rückweg verwendeten Zeit bis zum Maximum 
von 20—3o M. für den Tag liquidiren. Hiezu wurde nach dem An¬ 
träge des Referenten angenommen, dass als Ersatz der Reisekosten 
ohne Rücksicht auf das Beförderungsmittel (Eisenbahn,Trambahn. 
Fahrrad, Motor. Droschke etc.) und die versäumte Zeit die Ent¬ 
schädigung nach der Kilometerzahl des zurückgelegten Weges er¬ 
folgen soll. Für A b w artnng 1 a n g d a u e r n d e r gericht¬ 
lich e r T e r in i n e soll den Amtsärzten auch innerhall) ihres 
Amtsbezirkes eine Tagegebühr gewährt werden. Fiir die Ver¬ 
wesung einer A ni t s a r z t s t e 11 e durch einen praktischen 
Arzt soll das Tagegeld von 3 auf (5 M.. für die Abordnung 
e i n e s ni c ii t a m 11 i c ii e n Arztes au einen fremden Ort 
bei Epidemien u. s. w. von 10 auf 15 M. erhöht werden. Unter 
den Taxiiorinen für einzelne ärztliche Amtsgeschäfte wurden 
folgende Sätze vorgeselilageii und genehmigt: 

Fiir die Besichtigung einer Leiche nebst Befundbericht 5 bis 
10 M. (bisher 3 bis U M.). 

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22 . <)!<Io1ht 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


i727 


Für die Vornahme einer Leichenöffnung nebst Befundbericht 
lö bis .‘50 M. (bisher U bis 15 M.). 

Für eine Wu ml bcsc-lniu nebst Befuudberlcht und vorläufigem 
Cutachten 5 bis 10 M. (bisher 3 bis 0 M.). 

Für ein motivirtes Endgutachten iu solchen Füllen 10 bis 
30 M. (bisher 5 bis 18 M.). 

Für einen einfachen Bericht au eine Behörde 3 bis 10 M. 
(bisher 1 y 3 bis 3 M.). 

Für einen ausführlichen Krankenbericht mit begründetem 
Cutaehteu 10 bis 30 M. (bisher 10 bis 25 M.). 

Für ein motivirtes Gutachten über den Geisteszustand einer 
Fersen 10 bis 30 M. 

Ferner wurde der Antrag angenommen, dass unter Aufhebung 
der bisherigen Bestimmung der Bauordnung die amtsärztlichen 
Gutachten in B ausacheu honorlrt werden sollen und 
zwar die Besichtigung eines Baues behufs Ertheilung des 
Wohnungskonsenses mit 5 M. und die motivirte Begutachtung von 
Bauplänen nach dem Satze der motivirten Endgutachten. 

Soweit bakteriologische und mikroskopische Untersuchungen 
— abgesehen von den Medicinnlkomites — auch von den Amts¬ 
ärzten oder praktischen Aerzteu vorgenommen werden, sollte 
hlefiir eine Gebühr iu Ansatz gebracht werden. 

Hierauf begründete Herr Kriiche seinen Antrag, das 
Ministerium um Erlass einer Warnung vordem Studium 
d e r Medici n, mit Ausnahme der militiir- oder marineürztliohen 
Laufbahn, zu bitten, etwa folgeudermaassen: Die Ueber- 
l'iillung des ärztlichen Standes sei eine bekannte Thatsache. 
namentlich der Zugang vieler ungeeigneter Elemente sei bedauer¬ 
lich. Wer aus innerem Drange Mediein studire und mit Lust 
und Liebe beim Fache sei. der sei immer willkommen; wer aber 
nicht recht wisse, welches Studium er ergreifen solle, schwankend 
sei. oft erst im letzten Moment durch irgend eineu Zufall sich zur 
Mediein eiitscliliesse, nicht die erforderliche körperliche oder 
geistige Ausdauer besitze, der entwickle sich nicht zur Freude; 
sei aber einmal das Studium angefangen, dann falle es schwer, 
umzusatteln. Die von privater Seite oder von ärztlichen Vereinen 
ausgegaugeneu Warnungen vor dem Studium der Mediein hätten 
bereits einen kleinen Erfolg zu verzeichnen, wirkungsvoller aber 
sei es, wenn eine solche Warnung von autoritativer Stelle ausgehe, 
wenn vom Ministerium die Rektorate angewiesen würden, die 
Absolventen auf die Ueberfülluug des ärztlichen Standes, auf das 
langdauernde und kostspielige Studium und auf die schweren 
Anforderungen des ärztlichen Berufes hinzuweisen; ähnliche War¬ 
nungen seien bereits mit Erfolg für das Studium der Jurisprudenz, 
der Philologie und der Forstwirtschaft erlassen worden. Der 
Antrag ward nach kurzer Debatte mit Mehrheit genehmigt. 

Zum Schlüsse der Sitzung fand der zwischen der Abtheilung 
für freie Arztwahl und der Betriebskrankenkasse der Elektricltäts- 
gesellschaft vorm. Erwin B u b e c k abgeschlossene Vertrag die 
statuteugemäss erforderliche Genehmigung. 

Ausserhalb der Tagesordnung berichtete Herr Neustätter 
über die vor einigen Tagen vom Naturheilvereine München ab¬ 
gehaltene Versammlung, iu der G e r 1 i n g als Redner auftrat. Die 
Vorstandschaft des ärztlichen Bezirksvereines München liess bei 
dieser Gelegenheit die A I e x a u d e Fache Schrift über wahre und 
falsche Heilkunde zur Vertheilung bringen. 

Dr. Carl Becker. 

Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

(Eigener Bericht) 

Berlin, den 16. Oktober 1901. 
Nachklänge zur Virchow- Feier. — Zum Streit der 
Apotheker und Krankenkassen. — Spezialärzte für Naturheil¬ 
verfahren. 

Mit der Feier im Abgeordnetenhause, welche zu Ehren 
V i rchow’s am Vorabend seines 80. Geburtstages stattfand, 
waren die Ehrungen, welche ihm zugedacht waren, noch nicht 
beendet. Der folgende Tag, der eigentliche Geburtstag, sollte für 
die engere Familie Vorbehalten bleiben; aber die vielen Hunderte 
von Glückwunschtelegrammen, Blumenspenden etc., die an 
diesem Tage für ihn abgegeben wurden, mögen ihn wohl nur zu 
oft daran erinnert haben, dass ein Virchow nur wenig Zeit 
hat, seiner Familie anzugehören, und dass die ganze gebildete 
Welt zu seiner Familie gehört. Dem Hausnachbar galt eine 
sinnige Ovation, welche die anderen Bewohner der Sclielling- 
strasse ihm darbrachten, die Häuser der ganzen Strasse waren 
zu Ehren des gefeierten Mitbürgers illuminirt. Am folgenden 
Tage gab der Reichskanzler ihm zu Ehren ein Festessen, zu dem 
auch die Vertreter der auswärtigen Delegationen eingeladen 
waren; gestern fand ein grosser Festkommer9 statt, an dem der 
greise Jubilar auch bis tief in die Nacht hinein Theil nahm, 
und mancherlei weitere Festessen, Festkommerse und andere 
mehr oder weniger anstrengende Ehrungen dürften ihm noch 
bevorstelien; man weiss nicht, was man dabei mehr bewundern 
soll, die einmüthige Anerkennung für Vi rchow’s Verdienste. 


welche zum Ausdruck zu bringen in diesen Tagen die lieimath 
des grossen Forschers und das Ausland wetteiferten, oder die 
Elastizität des Körpers und Geistes, mit der der jugendfrische 
Greis alle die Ovationen über sich ergehen liess, die zu über¬ 
stellen selbst für einen Mann von der fast sprichwörtlichen 
Arbeitskraft und Unermüdlichkeit Vi rchow’s eine recht an¬ 
sehnliche Leistung sein muss. 

Diese Geburtstagsfeier nahm so sehr das allgemeine Inter¬ 
esse und besonders das der Aerztc in Anspruch, dass daneben 
die kleineren Tagesfragen in den Hintergrund traten. Jetzt, 
nachdem die Wogen der Begeisterung sich allmählich zu legen 
begonnen haben und das Vereinsleben nach Beendigung der 
Sommerferien sich wieder zu regen anfängt, tritt man auch 
wieder in die Discussion über alte, unerledigt gebliebene und 
über neu auftauchende Fragen ein. Zu den ersteren gehört der 
leidige Streit zwischen Krankenkassen und Apothekern, der mit 
ungescliwäehtem Kampfesmuth von beiden Parteien fortgeführt 
wird und der trotz einiger behördlicher Eingriffe zu Gunsten 
der Apotheker noch immer auf dem Status quo stehen ge¬ 
blieben ist. Neuerdings hat es nun der Vorstand der Betriebs- 
krankenkassc der Stadt Berlin übernommen, einen neuen Ver¬ 
such zur Einigung aiizubahnen. Der Vorsitzende machte den 
Parteien den Vorschlag, ein Einigungsamt zu bilden und diesem 
die Beilegung des Streites zu überlassen. Das Einigungsamt 
soll aus dem Vorsitzenden, 2 Unparteiischen und je 6 Inter¬ 
essenten, die jede Partei wählt und die von der Gegenpartei nicht 
abgelehnt werden dürfen, bestehen. Die Delegirten der Apotheker 
und der Krankenkassen erklärten sich vorbehaltlich der Zustim¬ 
mung ihrer Auftraggeber mit diesem Vorschläge einverstanden 
und das Einigungsamt soll bereits in der nächsten Woche zu 
seiner ersten Sitzung zusammentreten. Hoffentlich ergeht es 
ihm nicht ebenso wie dem Vorstand des Vereins der freigcwählten 
Kassenärzte, dessen Einigungsversuehö zu Beginn des Streites 
leider fehlschlugen. 

Die in unserem vorigen Berichte bereits erwähnten Wünsche 
der Aerzte hei Abschliessung der neuen Verträge mit den Kassen 
— allmähliche Erhöhung des Honorars von 3 auf 4 M. pro Kopf 
und Jahr, Fortfall der bisherigen Honorarabzüge zur Deckung 
der Kosten für schleunige Hilfeleistungen und mehrjährige 
Dauer der Kontrakte — sind kürzlich in einer Generalversamm¬ 
lung des „Vereins der freigewählten Kassenärzte“ zur Besprech¬ 
ung gelangt und fanden natürlich allgemeine Billigung. Von 
Bedeutung ist aber, dass die anderen kassenärztlichen Ver¬ 
einigungen, der Verein Berliner Kassenärzte und die Aerzte de3 
Gewerkvereins, sich in dieser Frage mit dem Verein der frei¬ 
gcwählten Kassenärzte solidarisch erklärten. 

Bei einer andern Angelegenheit aber hat der Gewerkskranken¬ 
verein grossen Unwillen unter den Aerzten erregt. In einem 
Inserat gab er die Absicht kund, 3 „Spezialärzte für Natur- 
verfahren“ anzustcllen und hat damit gewissermaassen eine 
Kategorie von Aerzten sanktionirt, die wir nicht gern als voll¬ 
berechtigte Kollegen anzusehen pflegen. Nicht ohne Genug- 
thuung sehen wir die moderne Mediein in ihrer praktischen An¬ 
wendung als ein Naturheilverfahren an und haben es stets für 
die Pflicht eines jeden Arztes gehalten, sich die Kenntniss der 
physikalischen Heilmethoden zu eigen zu machen. Der formelle 
Ausdruck „Naturheilverfahren“ wird aber mit Vorliebe von den 
Kurpfuschern auf ihre Fahne geschrieben und als ein Kampf¬ 
und Schlagwort benutzt, durch da9 der Gegensatz zur wissen¬ 
schaftlichen oder, wie sie mit einem Beigeschmack von Nicht¬ 
achtung zu sagen pflegen, zur Schulmedicin zum Ausdruck ge¬ 
bracht werden soll. Allerdings haben sich auch, angelockt durch 
die Erfolge der Kanitz, Kneipp u. A., wissenschaftlich aus¬ 
gebildete Aerzte gefunden, welche unter Verzichtleistung auf das 
übrige Rüstzeug der Therapeutik diese eine und einseitige 
Methode als die allein seligmachende erwählt und sich die Be¬ 
zeichnung „Spezialärzte für das Naturheilverfahren“ zugelegt 
haben. Aber wenn wir diesen Titel lesen, so werden wir doch 
gar zu sehr an ihre nichtärztlichen Kollegen erinnert und können 
uns des Eindrucks nicht erwehren, dass sie diesen näher stehen 
als uns. Die weitgehende Spezialisirung unter den Aerzten hat 
ja schon manche seltsamen Erscheinungen gezeitigt und man 
begegnet mitunter der ironischen Frage, oh Dr. N. Spozinlarzt 
für das linke oder das rechte Ohr sei, aber immer waren es doch 
wissenschaftliche Disciplinen, welche die Spezialität kennzeich¬ 
neten, nicht therapeutische Methoden; und ebenso wenig wie 
wir einen Spezialarzt für die Anwendung von Jodkali oder einen 


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172S MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43. 


»Spt zinlisten fürSehilddrüsentherapie anerkennen würden, können 
wir auch zugeben, dass das Spezialistenthum für Naturheilver- 
i’ahron mit der Würde der Wissenschaft in Einklang zu bringen 
ist. Der Gewerkskrankenverein war entschieden schlecht be- 
rathen, als er diese Stellen ausschrieb; es ist auch kein Zweifel, 
dass die jetzt bei dem Verein thätigen Aerzte in ihrer über¬ 
wiegenden Mehrzahl mit den physikalischen Heilmethoden hin¬ 
reichend vertraut, sind, um sie in geeigneten Füllen anwenden 
zu können. Schon beginnt in den Spalten der Faehblütter gegen 
die geplante Neuerung sich ein IJnmuth auszuspreehen, der zu 
einem Entrüstungssturin anzuschwellen droht. Vielleicht wird 
das dem Gewerkskrankenverein zum Bewusstsein bringen, dass 
er einen faux pas begangen lmt, und wird ihn veranlassen, von 
der Anstellung dieser Art von »Spezialisten Abstand zu nehmen. 

M. K. 


Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

W i en , 20. Oktober 1031. 

Nothnagel -Feier. — Ein Erfolg in der Frage der 
Meisterkrankenkassen. — Ein Landtag plaidirt für die Kur¬ 
pfuscherei. 

Zu gleicher Zeit, da in Berlin die V i r e h o w - Feier be¬ 
gangen wurde, gab es in Wien eine N o t h n a g e 1 - Feier, frei¬ 
lich bloss eine bescheidene, sozusagen „intern-klinische“ Ovation, 
während die Berliner Feier bekanntlich einen internationalen 
und imposanten Charakter aufwies. Nothnagel, unser 
weltberühmter Kliniker, hatte seinen GO. Geburtstag, der auf den 
28. September fiel, fern von Wien verlebt; seine unmittelbaren 
Schüler Hessen es sieh aber nicht nehmen, ihm nach seiner Rück¬ 
kehr am 13. Oktober ihre grenzenlose Verehrung, ihre Liebe und 
Dankbarkeit auch öffentlich zum Ausdrucke zu bringen. Im 
festlich geschmückten Ilürsaale erschienen in grosser Zahl die 
jetzigen und früheren Assistenten und Aspiranten der Klinik, 
um den Meister in warmen Worten zu begrüssen und der Klinik 
ein von ihnen gestiftetes, vom Maler Ilorowitz meisterhaft 
ausgeführtes Porträt zu übergeben. Der Redner, Primarius 
Dr. v. Kogerer, betonte die unwandelbare Anhänglichkeit 
der Schüler an ihr geistiges Oberhaupt und fuhr fort: „Was wir 
Ihnen, verehrter Meister, sagen wollen? Tausend Dank für Alles, 
was sie uns Gutes gethan, und die heissesten Wünsche für Ihr 
ferneres Wohlergehen. Sie waren uns stets ein fürsorglicher 
väterlicher Freund. Uns und den Tausenden, welche Ihren 
Vorträgen gelauscht, waren Sie ein Lehrer, welcher, selbst be¬ 
geistert für die Wissenschaft, der er sein Leben geweiht, Be¬ 
geisterung auch in seinen Schülern weckte. Ihre Schaffens¬ 
kraft und Ihr nie erlahmender Fleiss fanden stets und finden 
heute mehr als je unsere Bewunderung .... Fest, wie auf 
die eigene Kraft, mögen Sie, verehrter Meister, auf unsere Treue 
bauen!“ 

Namens der jüngeren Generation sprach der jetzige erste 
Assistent der Klinik Dr. Breuer, w'orauf Nothnagel in 
herzlichster Weise dankte. Zahllose Telegramme aus dem In- 
und Auslande übermittelten Festgriissc, Deputationen humani¬ 
tärer studentischer Vereine gratulirten ihrem Protektor oder 
Gönner. Die „Wiener klinische Rundschau“, redigirt von den 
Privatdozenten Dr. F. Ober m a y e r und Dr. Carl K u n n, 
hatte eine mit dem Bildnisse Hofrath N o t h n n g e l’s gezierte, 
starke Festnummer erscheinen lassen, welche nebst Beiträgen 
von E. v. L c y d e n und O. Rosenbach zahlreiche wissen¬ 
schaftliche Aufsätze gewesener Assistenten und Mitarbeiter der 
Klinik enthält. Nothnagel wurde im Jahre 1882 an die 
Wiener Universität berufen. 

Die Statthaltereien zahlreicher Länder, so die in Linz. Triest, 
Görz, Pola etc., hatten die zuständigen Kammern im Verlaufe 
der letzten Monate mittels Erlässen davon verständigt, dass sie 
sich ebenfalls veranlasst sehen, die bezüglichen Beschlüsse der 
Aerztekammern, betreffend die Meisterkrankenkassen, aufzulieben 
und für rechtsunwirksam zu erklären. Einzelne Kammern 
hatten den Rekursweg betreten, andere nicht, so z. B. die Kammer 
in Pola desswegen nicht, „weil nach ihrer Ansicht ohnehin keine 
Aussicht vorhanden sei, beim Ministerium, welches offenbar nach 
und nach alle Kammern von den betreffenden Landesstellen 
aus mit ähnlichen Geschenken beglücken werde, besseres Gehör 
zu finden und weil alle Aerzte des Sprcngels ohnehin ihr Ehren¬ 


wort schriftlich abgegeben hätten“. Trotzdem ist in der Fragt- 
der Meisterkrankenkasse ein vorläufiger Erfolg — ob in Folge 
d(*s Einschreitens der Aerztekammern sei dahingestellt — zu 
verzeichnen. Die Regierung hat dem Abgeordnetenhause einen 
Gesetzentwurf, betreffend die Abänderung und Ergänzung der 
Gewerbeordnung vorgelegt, in welchem eine Bestimmung dahin 
geht, dass die Genossenschaften berechtigt sind, ihre Mitglieder 
zur Versicherung auf Krankengeld oder auf Kranken- und Be- 
gräbnissgeld, jedoch mit Ausschluss der Ver¬ 
sicherung auf unentgeltliche ärztliche Hilfe, 
zu verhalten, ln diesem Falle ist die Höhe und die Dauer des 
zu versichernden Krankengeldes beziehungsweise die Höhe des 
Bcgräbnissgeldes festzusetzen. Doch darf das Krankengeld 
wöchentlich 28 Kronen, das Begräbnissgeld 400 Kronen nicht 
übersteigen. Ein Zwang auf Versicherung auf Begräbnissgeld 
allein ist unstatthaft. 

Das „Oestorr. Aerztekaminerblatt“ jubelt — aber mit Be¬ 
dacht : „Etwas anderes haben die Aerzte betreffs der Meister- 
krnnkonkasson nicht begehrt! — Nun ist aber noch ein weiter 
Weg, bis dieser Entwurf und diese Bestimmung Gesetz wird, 
und noch manche Fiihrlichkeit ist zu überwinden. Zunächst 
wäre cs sehr angezeigt, dass die einzelnen Kammern an die in 
ihrem Sprengel sieh befindlichen Handelskammern (den 
Handelskammern hat die hohe Regierung diesen Gesetzes¬ 
entwurf zur Begutachtung vorgelegt, den Aerztekammern 
bislang noch nicht — Der Ref.) herantreten und denselben die 
Forderung der Aerzte und die Berechtigung dieser Forderung 
darstellen, damit sie nicht etwa diese Bestimmung zur Streichung 
beantragen; denn in den Handels- und Gewerbekammem sitzen 
nicht durchaus Freunde der Aerzte!“ Und von dem Wohl¬ 
oder Misswollen der Herren Ilandelsrüthe ist unser Wohl oder 
Wehe noch abhängig! 

Vor ca. 4 Jahren fasste der oberösterreichische Landesaus¬ 
schuss den Beschluss, an die hohe Regierung die Bitte zu richten, 
dem bekannten Beinbruchrichter Franz Stadl Dauer, Kramer 
und Hausbesitzer in Landshaag, die Konzession zum Beinrichten 
etc. zu verleihen. Damals protestirten alle österreichischen 
Aerztekammern, in erster Linie selbstverständlich die Öberöster¬ 
reichische Kammer, gegen die Verleihung einer solchen Kon¬ 
zession zu Gunsten eines Kurpfuschers und thatsächlich wurde 
diese Konzession bisher nicht ertheilt. Neuerdings richteten 
44 Gemeinden des Mühlviertels an den Landtag die Bitte, gleich 
für alle drei Brüder Stadlbauer, den Franz, den Wenzel 
und den Karl, diese Konzession zu erwirken. Die Familie 
Stadlbauer, heisst es in der Petition, hat der Bevölkerung 
dadurch Dienste geleistet, dass sie Beinbrüche mit ausserordent¬ 
lichem, ja sicherem Erfolge heilte. Es sei daher den 3 Brüdern 
ausnahmsweise die Bewilligung zu ertheilen, Beinbrüche, 
Quetschungen und Verrenkungen ohne Anwendung innerlicher 
Medikamente zu behandeln, unter vorhergehender Verständigung 
eventuell Beiziehung eines Arztes . . . Man könne minder¬ 
bemittelten Patienten nicht zumuthen, in solchen Fällen einen 
»Spezialisten aus Linz holen zu müssen, nicht jeder Arzt könne 
Spezialist sein. Durch diese Art der Beiziehung von Arzt und 
Beinrichter werde den Herren Aerzten in ihrem Ansehen keinerlei 
Eintrag zugefügt. 

In einer Gegenpetition bat der Präsident der Oberösterreich. 
Aerztekammer, über das Ansuchen der 44 Gemeinden wegen Er- 
theilung der Praxisfreiheit an die 3 Brüder St. zur Tagesord¬ 
nung überzugehen und begründete dieses sein Ansuchen Namens 
der Aerzte, denen wohl ein bedeutender Eintrag sowohl au An¬ 
sehen, als auch an Einkommen zugefügt werden würde. 
Welcher Arzt würde sich so weit erniedrigen, diesen Herren St. 
— Assistentendienste zu leisten resp. hinterher die Verantwortung 
für einen etwaigen Misserfolg zu übernehmen? Wenn ein Arzt 
vorhanden sei, so brauche man diese Kurpfuscher nicht, wenn 
aber kein Arzt da ist, wie könnte ein solcher vorher verständigt 
und event. beigezogen werden?! 

Der Gemeinde- und Verfassungsausschuss des Oberösterreich. 
Landtages verfasste einen Bericht über diese Petition der 44 Ge¬ 
meinden, in welchem er die Geschicklichkeit des Beinbruch¬ 
richters, dessen zahlreiche Heilungen etc. herausstrich und 
schliesslich zu folgendem Anträge gelangte: „Der hohe Landtag 
wolle beschliessen, das Ansuchen der 44 Gemeinden des Mühl¬ 
viertels werde dem Landcsausschusse mit der Ermächtigung zu- 


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22. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1729 


gewiesen, dasselbe nach genauer Berücksichtigung aller Um¬ 
stände und event. weiteren Erhebungen zu erledigen.“ 

Am 9. Oktober verhandelte der oberösterr. Landtag diese An¬ 
gelegenheit und acceptirtc den eitirten Ausschussantrag mit 23 
gegen 13 Stimmen. Vergebens wies ein Abgeordneter (im ober¬ 
österr. Landtage sitzt kein Arzt) darauf .hin, da-^s bei Erfüllung 
des Wunsches dieser Gemeinden viele Leidende der ordentlichen 
ärztlichen Behandlung entzogen und vielen Missbräuchen Thür 
uud Thor geöffnet würde. Durch die Förderung der Kur¬ 
pfuscherei würde überdies der Landtag eine traurige Berühmt¬ 
heit erlangen. Derlei Ansuchen gehörten überhaupt nicht vor 
den Landtag, der dann vielleicht aucli einmal über allgemeine 
Heilkunde, über Anwendung von Spruchbüchlein oder über die 
Wirksamkeit des am Johannestage gesegneten Weines (darob 
grosse Entrüstung eines klerikalen Abgeordneten!) gegen die 
Gicht werde debattiren müssen. Alles vergebens — die ober¬ 
österr. Bauern behielten Recht, vorläufig bloss im Landtage, 
denn es ist nicht zu befürchten, dass eine h. Regierung dem 
l anzüglichen Wunsche nach Protogirung der Kurpfuscherei nacli- 
kommen werde. Einen komischen Eindruck macht es schliess¬ 
lich, wenn man liest, dass derselbe Landtag danach sofort e i n - 
s t i m m i g den Antrag annahm, die Regierung aufzufordern, 
die Errichtung einer medicinischen Fakultät in Linz neuerdings 
zu erwägen und diesen oft geäusserten Wunsch des Landtages 
endlich zu verwirklichen. Wozu noch eine modicinische Fakultät, 
wenn man die famosen 3 Brüder St. im Lande hat? Viel besser 
klingt der Ruf: Hoch die Kurpfuscherei! 

New-Yorker Brief. 

Zum St. Pauier Aerztecongress und nach Wunderland. 

(Schluss.) 

Wir verlassen die Geysergegend und klimmen die von 
grünenden Tannen besetzten Bergabhänge empor. Es ist eine 
wunderbare Erscheinung, diese dunkelgrünen Koniferen noch in 
einer Höhe von 10 (XX) Fuss gedeihen zu sehen, während man in 
der Schweiz bei 4000 Fuss Steigung fast nur mehr auf Strauch¬ 
werk stösst. 

Gegen Mittag — es war am 12. Juni! — fing es an, lustig zu 
schneien. Wir versetzten uns in die schöne Weihnachtszeit, 
denn die Tannen waren ringsherum mit glänzendweissem Schnee 
bedeckt. Ja, unter dem saftigen, grünen Gras lugten überall 
die schönsten Blumen zwischen den Schneemassen hervor. Die 
Schneeflocken flogen durch den Wagen und setzten sich rück¬ 
sichtslos auf unsere Gesichter, aber sie störten unseren Comfort 
nicht wie das kalte Regenwetter von vorgestern. Unserer Route 
entlang zeigen sich vielfach zwischen den Bäumen und Fels¬ 
massen grosse, zum Theil gletscherartig vereiste Schneeschichten. 
Bald sind wir auf der Höhe des Passes, 8400 Fuss über dem 
Meeresspiegel, angelangt. Wenn wir rückwärts schauen, so trifft 
unser Auge den Yellowstonefluss, welcher sich dem Mississippi 
zuwendet, während wir nach vorn die Anfänge des Snake River 
(Schlangenflusses) wahrnehmen, welcher sich in den grossen 
Columbiafluss, der dem Stillen Ocean zugehört, ergiesst. 

Auf dem Gipfel machen wir Halt. Wir sind, wie schon 
früher angedeutet, dicht hinter dem Wagen unserer Milwaukeer 
Kollegen. Dort herrschte eine ausgelassene Lustigkeit, trotzdem, 
wie uns versichert wurde, das Feuerwasser längst ausgegangen 
war. 

Jenseits des Berggrates geht es an schwindelnden Abgründen 
vorbei bergab. Die Aussicht über die schneebedeckten Berge und 
ihre dazwischen grünenden Wäldern ist herrlich. 

Unser Rosselenker lässt die Pferde in scharfem Galopp den 
Berg hinunterrasen. Uns vergeht Hören und Sehen. Eine Fahrt 
im Engadin ist auch keine Kleinigkeit, aber was will seine wohl¬ 
geschützte und regelmässig sich dahinwindende Poststrasse gegen 
diese abnorm abschüssige und nur an einigen wenigen Stellen 
eingefriedigte Passage heissen! Und wenn eines unsere Pferde 
stürzte, so käme die hinterdrein sausende wilde Jagd auf unseren 
Rücken und aus wär’ es gewesen. Durch Zufall habe ich noch 
dazu in Erfahrung gebracht, dass nur das eine Handpferd zu¬ 
verlässig war, die übrigen waren frische Ranchos und erst kurz 
vor unserer Reise in der Prairie aufgefangen worden. Man 
kann sich vorstellen, dass diese Information, welche ich vor¬ 
läufig für mich behielt, keineswegs zum ungestörten Genuss dieser 
wilden Strecke beitrug. Es lief aber Alles gut ab und mit einem 


überlegenen Lächeln stieg der edle Rosselenker vom Wagen, als 
wir unten am Yellowstone Lake anhielten. Derselbe that sich 
plötzlich vor unseren Augen auf, wie eine Fata morgaua. Erst 
noch inmitten des schneeigen noehgebirgwaldes und nun eine 
unendlich schöne, tiefblaue Fluth, von den mit ewigem Schnee 
bedeckten Riesen der Rocky Mountains eingerahmt. An Schön¬ 
heit steht er dem Vierwaldstädter oder Genfer See sicherlich 
gleich, an Grossartigkeit der Umgebung aber übertrifft er sie. 
In der Mitte des herrlichen Panoramas steht der Grand Teton, 
welcher eine Höhe von 13 654 Fuss besitzt und in seiner Form 
der Jungfrau gleicht. Er ist wie diese mit ewigem Schnee be¬ 
deckt. Rings herum befinden sich Berge von 10 bis 12 000 Fuss 
Höhe. Das Niveau des Sees selbst ist 8000 Fuss über dem 
Meeresspiegel gelegen. Seine Länge beträgt 20 und seine Breite 
15 Meilen und ist er mit kleinen Inseln besät, welche eine üppige 
Vegetation tragen. Auf einer derselben befindet sich die einzige 
sich noch der Freiheit erfreuenden Büffelheerde. Dieselbe kann 
man von dem vorbeiführenden Dampfer aus beobachten. Der 
Yellowstone-See bildet wegen seines grossen Fischreichthums den 
Gipfelpunkt des Entzückens der Fischamateure. Einige der 
Kollegen fingen in wenigen Minuten eine Legion mehrpfündiger 
Seeforellen und die Speisung der 5000 Mann wäre hier kein 
Wunder zu nennen gewesen. 

Unsere sehr ermüdeten Pferde wurden an der am Eingang 
des Sees befindlichen Thumb Ray Lunch Station untergebracht. 
Der Name derselben rührt von dem daumenförmigen Wasser¬ 
streifen her, welcher sich vom See aus weit in’s Land hineinzieht. 

Kurz bevor wir ankamen, begegneten wir unserer entgegen¬ 
gesetzten „Hälfte“, welche gerade mit ihrem Mittagsmahl fertig 
geworden war. Unter lauten Begrüssungen fuhren wir an¬ 
einander vorüber und die eine Hälfte schrie der anderen zu, 
dass sie doch den schöneren Theil durchwandert hätte. 

Unser Lunch, der eigentlich ein sehr verspätetes Mittagessen 
war, lief in diesen engen Räumen des „Daumenrestaurants“ nicht 
so gemüthlich ab, wie bei seinen gleichgestimmten Vorbildern. 
Wir wurden mit Fischen abgefüttert, trotzdem es keineswegs am 
Freitag war, und dann war das Drängen unangenehm. Einige 
unserer Kollegen schifften sich auf dem kleinen Dampfer ein, 
welcher sie in schnurgerader Richtung bald nach dem am anderen 
Ende des Sees gelegenen Lake Ilotel brachte, während wir cs 
vorzogen, die reichliche Zahl der kleinen Geyser und heissen 
Quellen am Uferrand zu besuchen. Auch begegneten wir 
mehreren roScnfingrigcn Farbentöpfen, deren schmatzende Musik 
schon von Weitem hörbar war. Dieselben gleichen denen des 
Lower Basin und wird ihnen von manchen Reisenden die Palme 
zuerkannt. 

Im Ablauf des Geyserwassers beobachteten wir langsam 
faulendes Holz, um welches sich zwischen Silicaten und kohlen- 
saure'n Depositen moosartige Gebilde geklammert hatten, und 
ist cs zu verwundern, dass deren Leben nicht durch den hohen 
Temperaturgrad erlosch. 

Spät am Nachmittag setzten wir unsere Reise um den See 
herum fort. Gegen Abend fing es an zu schneien, nachdem über 
die Mittagszeit die Sonne nur zu warm auf uns heruntergebrannt 
hatte. Seitlich im Gehölz trafen wir auf einige prachtvolle 
Dammhirsche, welche uns mit kindlich erstaunten Blicken an¬ 
sahen. Die Tliiere scheinen zu wissen, dass man ihnen nichts 
anliaben darf. Auf dem See bemerkten wir Schaaren wilder 
Enten und Gänse, auch fiel uns eine erkleckliche Zahl von 
Adlern auf, welche über der Wasserfläche kreuzten. 

Kurz vor Einbruch der Nacht langten wir im Lake Hotel 
(Seehötel) an. Eines unserer Pferde war gestürzt, ohne glück¬ 
licher Weise Schaden zu nehmen. Es war dies auch nicht zu 
verwundern, denn sie hatten eine Strecke von 48 Meilen über 
wilde, unregelmässige Gcbirgspfade an diesem einen Tage zurück- 
legcn müssen. 

Die Abende verliefen sämmtlich in höchst gemüthlicher 
Weise und konnte man einen tiefen Blick in die Eigenart der 
westlichen Kollegen in den Plauderecken am Kamin thun. 

Die meisten Kollegen nebst ihren Frauen machen bei ober¬ 
flächlicher Bekanntschaft keinen erwärmenden Eindruck auf ein 
deutsches Gemüth. Die nachlässige Haltung, welche dem ganzen 
Habitus den gewissen herausfordernden Zug des II o r a z'sehen 
Nil admirari verleiht, wie er in der Provinz vielfach auch dein 
Berliner imputirt wird, und die lauten Conversationsmanicrcn. 
wie sie beiden Ge.-ehleehtern in graduellen Variationen eigen sind. 


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1730 


No. 43. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


haben selbst für Den, welcher jahrelang in den Vereinigten Staaten 
ansässig ist, nichts Sympathisches. Hat man sich aber erst mit 
diesen, nur an der Oberfläche des Charakters haftenden Eigen¬ 
schaften abgefunden, so wird man durch allerlei lobenswerthe 
Charakterzügo dieser, sozusagen noch in den Kinderstrümpfen 
der Kultur spazierenden Menschen gefesselt. Ich muss gestehen, 
dass ich durch die nähere Bekanntschaft mit diesen westlichen 
Kollegen meine Vorurtlieile gründlich bereute, und ich gedenke 
jeder einzelnen dieser offenen und weitherzigen Seelen mit ihrem 
scharfen, gesunden Menschenverstand, welcher ihnen so oft die 
Gelehrsamkeit ersetzt, mit Achtung und Liebe. Nur mit Einem 
mache ich eine Ausnahme. Es war ein Kollege von europäischer 
Abstammung natürlich, welcher in einer Ecke, in die ich mich 
behufs Aufzeichnungen in mein Tagebuch retirirt hatte, ein 
wissenschaftliches Attentat auf mich ausübte, so dass ich in 
meiner ungemüthlichen Stellung, worin er mich weidlich 
schwitzen machte, sehr deutlich in meine Examina zurückversetzt 
wurde, und das Unglück wollte, dass ich bei ihm auch noch gründ¬ 
lich durchfiel. Zuerst quetschte er alle Für und Wider in der 
Appcndicitisfrage aus mir heraus und dann wollte er die ver¬ 
schiedenen Nahtmethoden des Peritoneums von mir gewürdigt 
wissen. Er warf dabei mit allen möglichen chirurgischen Namen 
um sich, und trotzdem mir der eine oder andere bekannt vorkara, 
so konnte ich mich doch nicht entsinnen, dass die betreffenden 
Biedermänner besondere Nahtmethoden angegeben hätten. Ich 
bedeutete ihm, dass ich eben meine Nähte einfach so anlegte, 
wie cs mir mein sog. gesunder Menschenverstand eingab, was ihn 
derart von meiner krassen Unwissenheit überzeugte, dass er 
empört die Ecke freigab und sich auf ein anderes Inquisitions¬ 
opfer stürzte. Während der ganzen Reise umkreiste er mich 
dann in weitem Bogen und ich fürchte, dass er meiner mit sehr 
mangelnder Hochachtung gedenkt. 

Ein sehr beliebtes Thema waren die europäischen Hoch¬ 
schulen. Das Hauptinteresse nahmen Berlin, Wien und Paris 
in Anspruch. London scheint seine frühere Anziehungskraft 
für Amerikaner ziemlich eingebüsst zu haben. Die deutschen 
Koryphäen erwiesen sich als sehr bekannt und hochgeachtet. Die 
beliebtesten amerikanischen Lehrbücher sind ja auch von 
deutschen Grössen geschrieben und in’s Englische übersetzt. 

Ein im Allgemeinen vernichtendes Urtheil wurde über das 
Meusurwesen gefällt, zu welchem Gesprächsgegenstand die 
Stammbuchblätter, welche man mir seiner Zeit in meine Physio¬ 
gnomie gekritzelt hatte, den Anlass lieferten. 

Ich suchte mm den Kollegen zu erklären, dass mau nicht 
Jugend und Weisheit zu gleicher Zeit besitzen könne und dass, 
wenn doch einmal gerauft sein muss, dies besser unter allgemein 
respektirten und kavaliermässigen Regeln vor sich geht, als das 
in Amerika beliebtere Boxen. Ich konnte es mir auch nicht ver¬ 
sagen, ihnen von dem idealen Geist der deutschen Universitäten 
zu sprechen, der grossen Begeisterung, die in scheinbar kalten 
Naturen oft nur latent existirt, aber bei der ersten besten Ge¬ 
legenheit in helle Flammen angefacht wird. Als ich ihnen von 
der traurigen Epoche erzählte, in welcher der grosse Usurpator 
den Fuss auf den Nacken des deutschen Volkes setzte, so dass 
es aussah, als solle es sich nimmermehr erheben, und als ich 
ihnen klar machte, dass es der ideale deutsche Burschengeist 
war, der durch die deutsche Volksseele zog, dass es sich wieder 
aufrichtete und sogar seinen verzweifelnden König mitriss, da 
fingen sie doch an, etwas andere Saiten aufzuziehen. Ich schleu¬ 
derte ihnen den K a n t’schcn Imperativ in’s Gesicht, die Vis a 
tergo, die den alten Marschall Vorwärts die Kanonen durch den 
tiefen Schmutz vor Belle-Alliance ziehen licss; das eiserne 
Pflichtgefühl, welches die deutschen Studenten seiner Armee so 
glühend beseelte, dass der entfesselte Furor tcutonicus selbst ge¬ 
wöhnliche Naturen mitriss und die schon schwankenden Flügel 
der grossen Schlachtlinie wieder festigte. Wo wäre der Ruhm 
eines Wellington geblieben, wenn nicht deutsche Begeisterung 
ihm im kritischen Moment zu llilfe gekommen wäre! Es war 
wohl Einer, der mich an den Verkauf der Hessen an die Eng¬ 
länder erinnerte, damit sie gegen Washington kämpfen sollten, 
aber ich erinnerte sie an die moralische Unterstützung der jungen 
amerikanischen Republik durch Friedrich den Grossen und an 
die Verurtheilung dieses Landeskinderverkaufs durch Schiller in 
seiner bis auf den heutigen Tag unnachahmlich gebliebenen 
..Kabale und Liebe“. 


Die Anderen aber fingen als Zeichen ihrer Zustimmung an 
kolossal zu fluchen und zu schwören, dass sie auch noch einmal 
deutsche Studenten werden wollten. Wenn’s noch eine Weile 
so weiter gegangen wäre, glaube ich, wäre noch allgemeine 
Bruderschaft getrunken worden, trotzdem das im Englischen, wo 
man Jedermann sozusagen duzt, seine technischen Schwierig¬ 
keiten gehabt haben würde. 

Diese Erfahrung zeigte mir aber wieder, wie begeisterungs¬ 
fähig der scheinbar so kühle Yankee ist, wenn man erst sein Ver¬ 
trauen geniesst und ihm mit Ernst und ohne Furcht in’s Ge¬ 
wissen redet. 

Die östlichen Kollegen unserer Reisegesellschaft waren aus¬ 
nahmslos hochgebildete Männer und hatten sämmtlieh den¬ 
jenigen Erzichungsgrad, welcher in Deutschland für die Zu¬ 
lassung zum ärztlichen Studium obligatorisch ist, aus eigenem 
Antrieb genossen. Die Vorkenntnisse, welche in den östlichen 
Staaten heutzutage nöthig sind, entsprechen der Oberseeunda 
eines deutschen Gymnasiums; in wenigen Jahren wird jedoch, 
wie es jetzt schon in Harvard (Boston) und John Hopkins (Balti¬ 
more) der Fall ist, das Abiturientenexamen verlangt werden. 
Das ärztliche Staatsexamen ist nun dem deutschen so ziemlich 
gleichwertig. 

In der Nähe des Hotels besichtigten wir einen jungen Elch, 
der gerade mit Milch gefüttert wurde. Das Alter dieses un¬ 
beholfenen Babys, dem man gestern seine Mutter geraubt hatte, 
war auf 10 Tage geschätzt worden. In der Nacht hörten wir die 
Schreie von Hirschen in nächster Nähe und Herr 
Dr. Schweitzer hatte im Zwielicht des Morgens Gelegenheit, 
5 Hirsche direkt vor der Hötelpiazza zu sehen und zu photo- 
graphiren. 

Am folgenden Morgen fuhren wir den Ufern des Yellow¬ 
stoneflusses entlang, unserem letzten grossen Schaustück, dem 
Great Canyon zu. 

Wir passiren auf dem 17 Meilen langen Weg den Sulpluir 
Mountain (Schwefelberg), dessen zum grössten Theil aus 
Schwefel bestehende Felsen in wüstem Durcheinander liegen. 
Da und dort steigen Dämpfe empor, die einen stechenden 
Schwefelgeruch verbreiten. Etwa 5 Meilen vom See em 
fernt treffen wir die Mead Volcanos (Schlammvulkane), welche 
in ihrer Konstruktion dem Vesuv ganz ähnlich sind. Statt der 
emporgeworfenen Steine aber sieht man hochaufsteigenden 
kochenden Schlamm. Der eine dieser Vulkane hat einen 30 Fus-; 
tiefen, trichterförmigen Krater, welcher von einem bleifarbenen, 
moorähnlichen Teig gebildet wird, der sich bei seinen wieder¬ 
holten Eruptionen ansetzte. 

Das Geräusch der kochenden Schlammlava in den Kratern 
hat einen eigenthümlichen gurgelnden Charakter und ist ähnlich 
wie das des Vesuvs weithin vernehmbar. 

Wir können wiederum, nur mit Gummischuhwerk geschützt, 
herantreten. Die Abwesenheit jeglicher Schutzmassrcgeln glaube 
ich an diesem gefährlichen Territorium einer Kritik unterziehen 
zu müssen. 

Die Reinigung des Schuhwerks nahm, ehe wir wieder in 
unseren Wagen stiegen, geraume Zeit in Anspruch und verlief 
nicht ohne tragikomische Zwischenfälle. 

Der Charakter der Gegend ändert sich nun sehr. Zwar 
sieht man vereinzelt noch einige kleine Geyserbabys ihre dünnen 
Rauchsäulchen emporwinden, die Tannenwald- und Wiesen¬ 
gelände prädominiren jedoch jetzt wieder und der breite Hayden 
Valley erinnert uns an die Sommerau im Schwarzwald. Kurz 
nach Mittag erreichen wir das Canyon Hotel, in dessen nächster 
Nähe wir einen grossen Waschbär behaglich auf einem Felsen 
sitzen sehen. Diese vorzügliche Herberge befindet sich auf einer 
steilen Anhöhe, von welcher man auf die grossen Fälle dos 
Yellowstoneflusses hinabsieht. 

Man muss etwa 1000 Fuss hinabsteigen, um die Fälle aus 
der Nähe bewundern zu können. Dieselben sind kleiner als die 
Niagarafälle, aber ebenso schön. Der erste Theil der Fülle lässt; 
eine Riesenkaskado von 180 und der zweite eine solche von 
360 Fuss in den gähnenden Abgrund hinabstürzen. Die Gross¬ 
artigkeit dieser Fälle weicht übrigens zurück vor dem unver¬ 
gleichlichen Anblick der sich an dieser Stelle aufthuenden 
Grand Canyon (Grosse Schlucht), welche der Fluss nach seinem 
jähen Absturz durchjagt. 

Die Wände dieser Schlucht steigen 1200 Fuss über dem 
Fluss, welcher fast nur noch wie eine Silbersehlange in der Tiefe 


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22. Oktober 1901. MUENCHEtfER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1731 


aussieht, empor, und bestehen aus ungeheueren Felsmassen, deren 
Grundfarbe orangegelb ist, wodurch wohl der Name Yellowstone 
(Gelbstein) entstand. Dazwischen mischen sich hunderterlei ver¬ 
schiedene Tinten, welche der sich 10 Minuten weit fortsetzenden 
Schlucht ein höchst merkwürdiges Ansehen verleihen. Tief 
unten sieht man die sammtenen Draperien der grünen Moose, 
zwischen denen schneeweisse Felsen sich hervordrängen. Darüber 
wieder blutrothes und braunes Gestein. Man könnte denken, | 
tausend Regenbogen wären vom Himmel gefallen und hätten | 
das Gestein bedeckt. Thatsächlich gewinnt man den Eindruck, ' 
die ganze Schlucht stände in Flammen. Das Farbenspiel wird 
von allen Weltreisenden als das grossartigste, und wohl mit I 
Recht, gepriesen. Wir haben stundenlang wortlos am Point | 
Lookout gesessen, demjenigen Aussichtspunkt, der uns am 
schönsten dünkte. Wenn wir alle die vielen schönen Scenerien J 
rekapitulirten, die wir in 3 Erdtheilen gesehen hatten, so konnten , 
wir uns doch nicht an ein Bild erinnern, das einen so tiefen ! 
Eindruck auf uns hervorgorufen hätte. Die Formationen der [ 
Felsen sind einzig. Dort glaubt man eine alte Ruine am Rhein 
zu sehen, dort eine Bastei, da wieder eine Kathedrale im vollsten | 
Glanz. Wenn eine Walküre hinter einem dieser Felsendome auf- , 
tauchte, man würde sich ebenso wenig wundern, als wenn Wotan 
selbst einen nach Walhall entböte. Und über all* diesem un- | 
heimlich prächtigen Naturschauspiel eine unendliche hehre ! 
Stille. Selbst der wild tosende Fluss lässt von der ungeheureu 
Tiefe herauf nichts von sich hören, wir sehen nur da und dort 
ihn sich aufthürmen, wie er sich in enger Klause über die Felsen 
bäumt. Niemand ist im Stande, dieses Naturwunder mit dem 
Pinsel festzuhalten, und alle Versuche von Künstlerhand haben 
nur einen schwachen Abglanz dieser Pracht zur Anschauung zu 
bringen vermocht. 

Was uns abermals unangenehm auffiel, waren die geringen 
Vorsichtsmaassregeln. Zwar sind einige Cavalleristen in der 
Nähe, haben aber keinerlei prophylaktisches Verständniss. Dass 
Herrn Dr. Schweitzer nichts passirte, ist bloss zu verwundern, 
denn er kletterte überall herum, um sich eine Sammlung von 
mehreren hundert Photographien anzulegen. 

Am Abend erlebten wir die Freude, einige Graubären jen¬ 
seits auf der unzugänglichen Seite der Sehlucht durch unser aus¬ 
gezeichnetes Z e i ss’sches Fernrohr beobachten zu können, ferner 
ein Rudel Hirsche und eine ganze Heerde von Borgschafen, die 
nicht weit von den letzteren ruhig grasten. 

Am anderen Morgen brachen wir bei herrlichem Sonnen¬ 
schein auf und warfen noch einen letzten Blick auf die unver¬ 
gessliche Canyon, an deren Zacken sich die Sonnenstrahlen wie 
an Tausenden von leuchtenden Prismen brachen. Tief unter uns 
sehen wir auf einer schornsteinähnlichen Felsensäule einen 
Adlerhorst und erkennen durch das Fernrohr, dass sich Junge 
in demselben befinden. 

Durch den nicht ohne Fährlichkeiten zu überwindenden Auf¬ 
stieg hinter dem Hotel gibt uns der Superintendant der Canyon 
das Geleite. Er erinnert auch, wie er mit unendlich wichtiger 
Miene seine Mähre durch den auf geweichten Weg traben lässt, 
an den tapferen Kellermeister Spazzo im Ekkehard, wie er, dee 
rothen Meersburgers voll, auf seinem Rösslein Falada das 
Schlachtschwert zückt und Vincc luna schreit. 

Also hob der Schluchtgewaltige seine grosse Reitgerte und 
fuchtelte un9 in der Absicht, auf den oder jenen Punkt auf¬ 
merksam zu machen, derart vor der Nase herum, dass wir vor 
beständigem Blinzeln fast gar nichts sehen konnten. 

Wir legten den 12 Meilen weiten Weg nach dem Norris 
Basin durch prächtige Tannen Waldungen in fröhlichster Stim¬ 
mung zurück. Da und dort bemerkten wir Hirsche, ruhig 
grasend. Durch Baum und Busch hüpften und flogen blaue, 
rothe und gelbe Vögelein und schmetterten ihre Preislieder in 
dies Waldweben hinein. Es war, als wären wir wieder in der 
lieben alten Heimath und die Fahrt über die grosse Pfütze wäre 
nur ein Traum gewesen. 

Bei Eulenspiegel von der grünen Insel convergiren wir wieder 
mit unserer zwar nicht besseren aber grösseren Hälfte und 
tauschen nun per Dampf unsere Erlebnisse aus. Nach einem 
wieder durch irländische Kalauer gewürzten Dejeuner ä la four- 
chette gingen wir weiter und kamen um 4 Uhr Nachmittags im 
Mammoth Springs Hotel an. Dort stürzten wir uns auf die lang- 
ontbehrte Korrespondenz und überzeugten uns, dass Alles zu 
Hause wohl war. Mit besonderer Freude vernahmen wir aus 


einer Mittheilung unseres Patienten vom Upper Bassin, dass er 
sich wohl befinde. 

Abends 8 Uhr gelangten wir wieder nach Cinnabar, wo 
unser Extrazug uns gerade so erwartete, wie wir ihn verlassen 
hatten. Bei der gefährlichen Thalfahrt war ein Pferd ausge¬ 
glitten und der Wagen war nahe daran, in den Abgrund zu stür¬ 
zen. Die Insassen sollen sich alle ausserordentlich besonnen da¬ 
bei benommen haben; zum Glück ging Alles gut ab. 

Wir hatten nun einen Weg von über 2700 Meilen von Now- 
York aus zurückgelegt, also eine Entfernung, welche der 
zwischen Europa und Amerika entspricht, und noch trennten 
uns über 1000 Meilen vom Stillen Ocean. Welch’ ein ungeheueres 
Land! Wie wenig vermag man sich doch in Deutschland einen 
Begriff von diesen Dimensionen zu machen! 

Man bedenke, dass die Vereinigten Staaten zweimal so gross 
als Europa sind und dass der bevölkertste Staat der Union, der 
Staat New-York, ebenso gross wie ganz Deutschland ist. Der 
Staat Texas, dessen Umfang Deutschland tun mehr als das 
Doppelte übertrifft, hat nur 2 Millionen Einwohner. Es ist also 
noch Platz genug da. 

Die Vereinigten Staaten sind aber nicht bloss ein grosses 
Territorium mit unerhörten Resourcen, sondern durch das ganze 
Land geht ein unleugbarer grossartiger Zug. Wer nicht blass 
flüchtig aus der Perspektive des Eisenbahn- und Hotelfensters das 
amerikanische Leben, dessen Fremdartigkeit ihn ja zuerst ab- 
stossen mag, beobachtet hat, kann sich dieser Ueberzeugung un¬ 
möglich verschliessen. Ich habe während eines Fünfteljahr¬ 
hunderts, obgleich ein Fremdling, nur Güte und Liebe erfahren, 
und ich kann es nicht vergessen, wie freundschaftlich mich ge¬ 
rade die amerikanischen Kollegen behandelten, in deren Mitte ich 
mich als ihr quasi Konkurrent niederliess. Jeder, der im über¬ 
füllten Vaterland sich beengt fühlt, wird hier willkommen ge¬ 
heissen, man frägt nicht wie Elsa, wie sein Nam’ und Art, son¬ 
dern nur, ob er ein anständiger Mensch war. Man denke 9ich die 
Einwanderungsverhältnisse umgekehrt in Europa, und ein Schrei 
der Entrüstung würde durch alle Klassen gehen. 

Nie sah ich einen Amerikaner die Bitte um einen Samariter¬ 
pfennig verweigern, und ehe man über ihn die Nase rümpft, ge¬ 
denke man des schönsten Bibelworts: „Gehe hin und thue dess- 
gleichen!“ Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten. Wo aber 
die Sonne hell und erwärmend strahlt, da soll man sich darüber 
freuen und nicht in den finsteren Ecken herumstöbem, wo sich da 
und dort etwas Unrath verirrte, und ihn dann mit einem „Pfui 
Teufel“ an’s Licht zerren. 

Die gebildeten Amerikaner sind jeden Sommer zu Tausen¬ 
den in Deutschland anzutreffen, sie treten zumeist einfach und 
bescheiden auf, und da sie oft ein besseres Deutsch sprechen wie 
mancher deutsche Dorfgewaltige, so fallen sie gar nicht auf und 
man spricht nicht von ihnen. Wenn aber ein deutscher Parvenü 
nach seinem Heimathsdorf zurückkehrt, nachdem er sich in der 
neuen Welt nebst seinen Schätzen nur noch die Schattenseiten 
des amerikanischen Lebens angeeignet hat, wenn er mit selbst¬ 
zufriedener Miene die schwerberingte Hand auf die antediluvia- 
nische Berlocque der theuren Piquetweste legend sagt: „Seht Ihr, 
so weit kann man es als Bürger der grossen Republik bringen“, 
sagen gar Viele, indem sie in einer solchen Karrikatur das Ur¬ 
bild des Amerikaners erblicken: „Ecce Americanus!“ Man lerne 
den echten Amerikaner, ebenso wie den Deutschen, innerhalb 
seiner Penaten kennen, und man wird ihn ebenso lieb gewinnen. 

Unsere Rückreise verlief in der angenehmsten Weise. In 
St. Paul löste sich die grosse Gesellschaft auf. Als Bekannte 
waren wir vor 9 Tagen zusammengetroffen und als Freunde 
schieden wir. 

Nach einem kurzen Aufenthalt in St. Paul reisten wir des 
Abends nach Chicago, wo wir nach 7 Nächten im Bahn wagen 
einmal wieder in einem breiten Bett zu schlafen gedachten. Alle 
die angenehmen Erinnerungen der Herreise wurden nun wieder 
auf gefrischt. 

In Chicago besuchte ich u. a. das Presbyterien Hospital, mit 
welchem das Rush Medical College in Verbindung steht. Unter 
der liebenswürdigen Führung von Senn überzeugte ich mich 
von den kolossalen Fortschritten, welche Chicago auch in wissen¬ 
schaftlicher Beziehung gemacht hatte. Die chirurgische Technik 


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1732 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 43. 


Amerikas hält heutzutage wirklich den Vergleich mit jedem 
Lande der Erde aus. 

Senn hatte Tags zuvor den Grundstein zu einer neuen De¬ 
pendance des Hospitals gelegt, welches wissenschaftlichen For¬ 
schungen dienen soll. Die nöthigen Mittel, nahezu eine halbe 
Million Mark, hatte er aus eigener Tasche geliefert. Ein solches 
Zeugniss von opferwilliger Hingebung zum grössten aller Berufe 
dürfte in der Geschichte der Medicin bis dato vereinzelt dastehen. 
Vivat sequens! 

v Tags darauf wurde mir die Ehre zu Theil, von den Regi¬ 
mentsärzten des Staates Illinois, welche zu ihrem jährlichen 
Konvent in Chicago zusammengetreten waren, eingeladen zu 
werden, meinen Standpunkt in der Kriegschirurgie zu erläutern. 
Die ungünstigen Verhältnisse der letzten spanisch-ameri¬ 
kanischen Kriege wurden eingehend erörtert und der Grund so 
vieler Mängel namentlich in dem Umstand gefunden, dass die 
Militärärzte ihro Befehle nicht von den obersten Leitern des 
Sanitätskorps erhielten. Es war nun sehr interessant, von einigen 
Kollegen, die gerade von den Philippineninseln zurückgekehrt 
waren, zu vernehmen, in welch’ armseligem Milieu sie zuweilen 
die schwierigsten Operationen vollbrachten. Ich führte den 
Herren Kollegen von Illinois die Disziplin des deutschen Heeres 
als Muster vor, und ich habe den Eindruck, dass es der Energie 
eines Senn gelingen wird, die Reformen nach deutschem Muster 
in der ganzen amerikanischen Armee mit der Zeit durchzuführen. 

Nach einem herzlichen Abschied wandten wir uns wieder 
hudsonwärts an den grossen Seen vorbei und durch das reizende 
Moliawkthal, welches dem Neckarthal so sehr ähnlich ist. Frei¬ 
lich kommt es demselben an Lieblichkeit so wenig wie irgend ein 
anderes Thal der Welt gleich. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Die ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung in 

Bayern. 

Von Dr. Carl Becker in München. 

Anträge des Abgeordneten Dr. H a u b e r — als Korreferenten 
— an den X. (besonderen) Ausschuss zum Gesetzentwürfe, die 
ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung betreffend. 

München, den 11. Oktober 1901. 

Das materielle und ideale Interesse des Volkes wie des ärzt¬ 
lichen Standes erfordert im Anschlüsse au die hauptsächlich durch 
die Arbeitergesetzgebung erfolgten Verschiebungen im ärztlichen 
Berufsleben eine Standes- und folgerichtig auch Ehreugerlchtsord- 
nung. 

Um einerseits den Ernst der zu treffenden Maassnahmen, 
anderseits die Wichtigkeit einer Regelung zu betonen, gestatte ich 
mir, den Antrag auf gesetzliche Festlegung der Standes- und 
Ehrengerichtsordnung zu stellen. 

A. Standesordnung. 

a) Allgemeines. 

1. Jeder Arzt ist verpflichtet seinen Beruf gewissenhaft aus- 
zuiiben und durch sein Verhalten in der Berufstätigkeit wie 
ausserhalb derselben — selbstverständlich ist das religiöse und 
politische Verhalten ausgeschlossen — die Ehre und das Ansehen 
seines Standes zu wahreu. 

2. Der Arzt muss auf dem Boden der wissenschaftlichen Heil¬ 
kunde stehen und darf abweichende Ansichten nicht zu Reklame¬ 
zwecken benützen. 

3. Die öffentliche Gesundheitspflege soll jeder Arzt nach Kräf¬ 
ten zu fördern trachten. 

b) S p e c i e 11 e s. 

I. Die ärztliche Praxis. 4. Praxiseröffnuug, 
Wohnungswechsel und vorübergehende Abwesenheit darf nur in 
einer der Würde des Standes angemessenen, ortsüblichen Weise 
angezeigt werden. 

5. Ausschreiben unentgeltlicher Behandlung ist verboten, aus¬ 
genommen von staatlichen Anstalten zu akademischen Lehr¬ 
zwecken. 

6. Das öffentliche Anbieten brieflicher Behandlung ist ver¬ 
boten. 

7. Die Bezeichnung „Specialist“ ist ohne Nachweis besonderer 
Vorbildung unstatthaft. 

8. Die Bezeichnung „Klinik“ und „Poliklinik“ gebührt nur 
staatlichen Lehranstalten und den von den Specialisten geleiteten 
ileilaustalten. 

9. Geschäftsmässiger Verkauf von Apparaten und Heilmitteln 
jeder Art, sowie deren geschäftsmässige Vermittlung sind ver¬ 
boten. 

10. Kauf und Verkauf der ärztlichen Praxis, sowie das ge¬ 
werbsmässige Vermitteln solcher Geschäfte ist unstatthaft. 


11. Es ist eines Arztes unwürdig, seine Hilfe aufzudringen, sei es 
persönlich oder durch andere; ebenso erscheint es unwürdig, gegen 
Entgelt (durch Hebammen, Bader u. dergl.) Kranke zu erwerben. 

12. Das Ausstellen von Zeugnissen zu Iteklaraezwecken ist 
verboten. 

13. Krankengeschichten, ärztliche Berichte etc. dürfen nur in 
ärztlichen Fachblättern veröffentlicht werden. 

14. Oeffentliehe Danksagungen aller Art sind hintanzuhalten. 

15. Mit Ausnahme der nächsten Verwandten dürfen Laien zu 
Operationen nicht eiugeladen werden; insbesondere dürfen die¬ 
selben für Reklame- und Seusationszwecke oder Zeitungsberichte 
nicht zugelasscn werden. 

II. Verkehr mit den Patienten anderer Aerzte. 
10. Das Benehmen eines Arztes, der einen Kranken übernimmt, 
der schon in anderweitiger ärztlicher Behandlung steht, muss den 
Rücksichten der Humanität und Kollegialität entsprechen. 

17. Der Arzt darf ohne genügenden Grund die von ihm ge¬ 
forderte Hilfeleistung nicht verweigern. 

In N'othfiillen darf die Hilfeleistung auch den von anderen 
Aerzten bereits behandelten Kranken nicht verweigert werden: 
doch ist der behandelnde Arzt nachträglich zu verständigen. 

18. Werden bei eiligen Fällen mehrere Aerzte gerufen, so be¬ 
hält der Hausarzt den Kranken; beim Fehlen eines solchen wählt 
«ter Kranke den Arzt. 

19. Kontrolbesuche im Aufträge von Berufsgenossenschafteu. 
Versicherungsgesellschaften, Kassen u. s. w. dürfen nur im Be¬ 
nehmen mit dem behandelnden Arzte stattflnden. Dauernde Kou- 
trolthätigkeit für solche Anstalten bedarf der vorherigen Ge¬ 
nehmigung des für den in Aussicht genommenen Arzt zuständigen 
Bezirksvereines. 

III. Konsilien. 20. Bei Konsilien ist pünktliches Er¬ 
scheinen uöthig. Der Erstaugekommene hat gegebenen Falles eine 
Viertelstunde zu warten, bei weiten Entfernungen entsprechend 
länger. Nur ganz dringende, nachträglich klar zu legende Fälle 
entschuldigen das Fernbleiben. 

21. Ist der behandelnde Arzt im Konsilium nur allein er¬ 
schienen, so verordnet er nach seinem Gutdünken. 

Ist der in's Konsil gezogene Arzt nur allein erschienen, so hat 
er die ihm zweckmässig dünkenden Maassnahmen sofort zu treffen 
und den behandelnden Arzt hievon zu verständigen. 

Verzichten die Angehörigen oder der Kranke selbst auf die 
Hilfe des erstbehandelnden Arztes, so ist derselbe sofort hievon 
zu benachrichtigen. 

22. Der Meinungsaustausch der berathenden Aerzte muss ohne 
Zeugen geschehen. 

23. Bei Uneinigkeit der berathenden Aerzte muss einem alleu- 
falsigen Verlangen von Seite des Kranken oder seiner Angehörigen 
nach Zuziehung eines dritten Arztes entsprochen werden. Wird 
auch dabei eine Einigung nicht erzielt, so steht die Entscheidung 
beim Kranken oder seinen Angehörigen. Jedenfalls steht es dem 
Konsiliarius frei, unter Angabe seiner Gründe sich zurückzuziehen. 

24. Die Familie des Kranken hat ein Recht, das Ergebniss des 
Konsiliums unverfälscht berichtet zu erhalten; etwaige Meinungs¬ 
verschiedenheiten der Aerzte gehören nicht zum Wesen des Be¬ 
richtes. 

25. Von dem im Konsilium beschlossenen Verfahren soll nur 
im Notlifalle vom behandelnden Arzte abgegangen werden. 

20. Die Initiative zu Wiederholungen des Kouslls steht sowohl 
dem Hausarzte als der Familie zu. 

27. Konsilien dürfen in dringenden Fällen weder vom Haus¬ 
arzte, noch dem in's Konsil gerufenen Arzte abgelehnt werden. 

IV. Vom ärztlichen Honorar. 28. Die in Ansatz zu 
bringenden Gebührensätze für die Privatpraxis bemessen sich nach 
dem jeweiligen Uebereinkommen mit den Betheiligten. Grund¬ 
legend hiefür ist die Jeweilig geltende Gebührenordnung für ärzt¬ 
liche Dienstleistungen. 

29. Verträge einzelner Aerzte mit öffentlichen oder privaten 
Korporationen mit Versicherungsgesellschaften, mit Kranken-. 
Unfall-, Invalidität^- und sonstigen Kassen müssen dem Bezirks¬ 
vereine vorgelegt werden. 

30. Bel Bewerbung um öffentliche oder private ärztliche Stellen 
darf kein Unterbieten der bestehenden Taxen stattlinden, wenu 
nicht finanzielle Missverhältnisse seitens der Stellenvergeber be¬ 
stehen. Jede Aufdringlichkeit, sowie jedes Herabsetzen der Eigen¬ 
schaften von Konkurrenten muss strengstens vermieden werden. 

V. V e r t r e t u n g. 31. Werden in Verhinderung des Haus¬ 
arztes andere Aerzte gerufen, so haben dieselben die hausärztliche 
Stellung zu respektiren. 

32. Die Entschädigung für Vertretungen bei Erkrankungen 
oder Abwesenheit eines Kollegen bleibt dem Uebereinkommen 
überlassen. 

B. Ehrengerichtsordnung. 

Anlangend die Ehrengerichtsordnung bin ich der Ansicht, dass 
a) den ärztlichen Bezirksvereinen — als den Aerzten in ihrem Be¬ 
rufsleben am nächsten stehend — im Sinne des § 3 Abs. 1 des Ge¬ 
setzentwurfes über „ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung“ 
zunächst die Einhaltung der Standesordnung seitens der Praxis 
ausübenden Aerzte zukommt. Sie sind am ehesten in der Lage, 
Aerzte auf ein Verhalten aufmerksam zu machen, das mit der 
Standesordnung als nicht im Einklänge stehend erachtet wird. — 
Insoweit staatlich angestelite Aerzte, sowie Militärärzte Privat¬ 
praxis ausüben, haben die ärztlichen Bezirksvereine auch diesen 
gegenüber für Beobachtung der Standesordnung seitens derselben 


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22. Oktober 1901. MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1733 


zu sorgen. Es muss angängig erscheinen, dass ein lm Staatsdienst 
stehender Arzt bei Verfehlungen gegen die Standesordnung min¬ 
destens denselben ehrengerichtlichen Ahndungen unterworfen wer¬ 
den kann, wie der einfache praktische Arzt. — Was die ehren¬ 
gerichtliche Aburtheilung der Militärärzte anbelangt, so stehen der¬ 
selben die Bestimmungen über die Zuständigkeit der Militär¬ 
gerichtsbarkeit entgegen; es ist aber dringendst zu wünschen, dass 
sich baldigst eiue Organisation ähnlicher Art entwickeln wird, 
welche für die bisher rülimlichst auzuerkennende Intaktheit dos 
militärärztlichen Standes Sorge tragen wird. — Endlich muss auch 
die Zuständigkeit eines Bezirksvereines für einen Arzt gegeben 
sein, der Innerhalb der Grenzen desselben wohnt und, gleichviel 
aus welchen Gründen, demselben nicht beitrltt 

Ich bin weiter der Ansicht, dass b) es zweckentsprechend ist, 
wenn am Sitze der k. Kreisregierung ein Ehrenrath (Ehrengericht 
nach v. Landmann) gebildet wird, der aus vier Aerzten, zwei 
Stellvertretern und einem Beamten der k. Kreisregierung gebildet 
wird. Die betreffenden Aerzte und ihre Vertreter müssen dem zu¬ 
ständigen Kreise entnommen sein. 

Ich erkläre mich auch einverstanden, dass c) als letzte Ent¬ 
scheidungsinstanz Im ehrengerichtlichen Verfahren ein Ehren¬ 
gerichtshof in München wellt, der aus je einem ärztlichen Ver¬ 
treter der acht Regierungskreise mit Stellvertretern, sowie aus 
einem Verwaltungsbeamten des k. Staatsministeriums des Innern 
zusammengesetzt sein soll. 

Mit dem Herrn Referenten einer Meinung bin ich, dass d) die 
in Art. 8 Abs. 2 des alleg. Gesetzes sub 11t c festgesetzte Maximal¬ 
strafe zu 2000 M. zu hoch gegriffen ist. Ich beantrage, als Maxl- 
raalstrafe 800 M. zu setzen. Bestimmend für mich hierin ist die 
Thatsache, dass die meisten Fälle, welche zur ehrengerichtlichen 
Aburtheilung kommen, den Broderwerb als Ausgangspunkt haben 
und aller Wahrscheinlichkeitsberechnung gemäss die Höhe der in 
dem Gesetzentwürfe vorgesehenen Maximalstrafe in keinem Ver¬ 
hältnisse zur Höhe des wirklichen oder erhofften Gewinnes stehen 
würde. 

Ich bin ferner der Ansicht, dass e) die Veröffentlichung der 
ehrengerichtlichen oder ehrenrätlilichen Urtheile nicht nur dann 
erfolgen soll, wenn es sich um einen Vorgang handelt, der die 
Oeffeutllcbkeit beschäftigt hat, sondern auch In solchen Fällen, 
in welchen die Veröffentlichung als verschärfende Straffolge 
wirken soll. 

f) Endlich halte Ich die Erhebung von Beiträgen — Umlage- 
recht — für absolut nothwendig. Es erwachsen durch Vernehmung 
von Zeugen und Sachverständigen Kosten, deren Deckung durch 
die Gesammtheit der Aerzte schon um desswillen berechtigt er¬ 
scheint, weil sie zur Lösung der ärztlichen dringendsten Staudes¬ 
fragen wesentlich beitragen und man nicht berechtigt Ist, die Auf¬ 
wendungen hierfür anderen Steuerzahlern zuzuinuthen. 

In diesem Sinne stimme ich Art 1 unverändert zu; beantrage 
zu Art. 2 Abs. 2 die Fassung: „Die Standesordnuug wird nach 
Einvernahme der Aerztekammern und des Obermedicinalaus- 
schusses durch die gesetzgebenden Faktoren gesetzlich geregelt.“ 
Abs. 1 und 3 beantrage ich ungeändert zu belassen. Art. 3 sei un- 
geändert zu belassen. Art 4 Abs. 1 und 2 seien unverändert an¬ 
zunehmen, dagegen ln Abs. 3 folgende Fassung zu wählen: „Den 
Fällen des Art 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 ist auch ein im Staats¬ 
dienste stehender Arzt unterworfen; Verfehlungen der Militärärzte 
gegen die ärztliche Standesorduung werden nach vorheriger In¬ 
struktion durch den zuständigen Bezirksverein der Vorgesetzten 
Militärbehörde zur disciplinären Ahndung zugewiesen.“ Art. 5, 
G und 7 seien erinnerungslos anzunehmen. — In Art. 8 Abs. 2 
lit. c sei zu setzen: „Geldstrafe von 20 bis 800 M.“ Art. 9, 10 11, 12, 
13, 14 seien unverändert anzunehmen. Art. 15. sei zu streichen. 

Dr. H a u b e r. 

Das vorstehend im Wortlaute wiedergegebene Korreferat des 
Abgeordneten Herrn Dr. H a u b e r (bezirksärztlicher Stellver¬ 
treter in Arnstorf) steht in erfreulichem Gegensätze zu dem in der 
letzten Nummer mitgetheilten Referate des Herrn Abgeordneten 
v. L a n d m a n n. Es kommt doch wieder auf den von den baye¬ 
rischen Aerztekammern und dem Obermedicinalausschusse gut¬ 
geheissenen und von der k. Staatsregierung vorgelegten Gesetz¬ 
entwurf zurück und beantragt die Zustimmung zu demselben, ab¬ 
gesehen von einigen Aenderuugen. 

Vielleicht wäre es zweckmässiger gewesen, das Referat über 
den Gesetzentwurf einer ärztlichen Standes- und Ehren¬ 
gerichtsordnung einem ärztlichen Mitgliede des besonderen Aus¬ 
schusses zu übertragen und das Korreferat einem juristischen 
Mitgliede, zumal seitens desselben eiue gegnerische Stellungnahme 
zu dem Entwürfe zu erwarten war. Wir setzen unsere Hoffnung 
auf den Korreferenten und die Vertreter der k. Staatsregierung. 
Vielleicht gellugt es dann noch seitens des Ausschusses dem 
Plenum der Abgeordnetenkammer einen dem Gesetzentwürfe 
günstigen Antrag zu unterbreiten. 

Das Korreferat weicht zunächst dadurch von dem Gesetz¬ 
entwürfe ab, dass die Standesordnung gesetzlich fostgelegt werden 
soll. Bereits ln der vorigen Nummer wurden die Gründe aus¬ 
einandergesetzt, aus denen es nicht rathsam erscheint, die Aus¬ 
führungsbestimmungen, die sich den jeweiligen Verhältnissen und 
Bedürfnissen aupasseu müssen, in das Gesetz selbst mit auf¬ 
zunehmen. Es würde dies nur einen Hemmschuh für die gedeih¬ 
liche Entwicklung der neuen Verhältnisse bilden und es hnbeu sich 
daher auch die Vorsitzenden der bayerischen Aerztekammer noch¬ 
mals für den Erlass der Standesordnung im Verordnungswege aus¬ 
gesprochen. Bei viel wichtigeren und für die Allgemeinheit ein¬ 


greifenderen Gesetzen wurden die Ausführungsbestimmungen ver¬ 
trauensvoll der Staatsregleruug überlassen; um so mehr könnte 
dies hier der Fall sein, wo das neue Gesetz zunächst nur den ärzt¬ 
lichen Stand berührt, von ihm eine gewissenhafte Beruftsthätigkeit 
und ein standeswürdiges Verhalten fordert und der Allgemeinheit 
durch die Unterstellung der Aerzte unter die Ehrengerichtsordnung 
nur Vortheil und Schutz vor Ausschreituugen bietet. Auch ent¬ 
spricht es nicht der Bedeutung und der hohen Aufgabe der gesetz¬ 
gebenden Körperschaften Bayerns, sich mit den einzelnen detail- 
lirten Vorschriften der Standesorduung näher zu befassen. Ueber 
die Grundzüge der Standesordnung die Meinung der Volksvertreter 
kennen zu lernen, wird den Aerzten stets von Interesse sein, aber 
die einzelnen, auch beim besten Willen immer unvollständigen, 
Ausführungsbestimmungen dürfen sie getrost den Aerztekammern, 
dem Obermedicinalausschusse und dem k. Staatsministerium des 
Innern überlassen. 

Aus dem Abänderungsantrage des Herrn Abg. Dr. H a u b e r 
zu Art. 2 geht nicht klar hervor, ob er vor dem endgiltigen Be¬ 
schlüsse der Abgeordnetenkammer mit Rücksicht nuf die ver¬ 
änderte Lage eine nochmalige Einvernahme der Aerztekammern 
und des Obermedicinnlausschusses für nothwendig hält. Die Er¬ 
ledigung der Gesetzesvorlage würde hierdurch jedenfalls verzögert 
und unter Umständen für die laufende Session unmöglich gemacht 
werden. 

Wenn Herr Dr. H a u b e r. abweichend von dem Gesetzent¬ 
würfe, auch die im Staatsdienste stehenden Aerzte der Ehreu- 
gerichtsordnung unterstellt wissen will, befindet er sich im Ein¬ 
verständnisse mit der Mehrheit der praktischen und amtlichen 
Aerzte. So lange eben nicht unsere Amtsärzte vollbesoldete Beamte 
sind und auf die Privatpraxis angewiesen bleiben, müssen sie mit. 
den praktischen Aerzten in Wettbewerb treten und sollen daher 
auch den gleichen Disciplinarbestimmungen wie diese unterliegen. 
Ihre dienstlichen Verfehlungen müssen selbstverständlich der staat¬ 
lichen Diseiplinargewalt zur Beurtheilung Vorbehalten bleiben: 
jedoch können sie hinsichtlich ihrer privatärztlichen Thätigkeit 
ohne Schädigung ihrer Amtsstellung mit den anderen Aerzten den 
Ehrengerichten unterstehen. Nehmen wir z. B. an, dass an einem 
Orte der Wettbewerb zwischen dem amtlichen und dem nichtamt¬ 
lichen Arzte standesunwürdige Formen annehme, so kann der 
Amtsarzt zwar gegen seinen Kollegen den Bezirksverein anrufen 
und das ehrengerichtliche Verfahren beantragen und betreiben, 
während seinem Konkurrenten nur die Beschwerde an die Vor¬ 
gesetzte Dienstbehörde offen steht und eine weitere Mittheilung 
über den Ausgang des Disciplinarverfahrens nicht zu Theil wird. 

Auch ist bis Jetzt der Kreis der „lm Staatsdienste stellenden 
Aerzte“ noch nicht begrenzt, ob hierunter nur die pragmatischen 
Medicinalbeamten zu verstehen sind oder auch die bezirksärzt¬ 
lichen Stellvertreter, die Bahnärzie und Postürzte. 

Das Festhalten an der Ausnahmestellung der Amtsärzte würde 
sicher dem bisherigen gemeinschaftlichen Zusammenwirken der 
amtlichen und praktischen Aerzte argen Eintrag thuu. Es würde 
nicht mehr angängig sein, dass Amtsärzte der Vorstandschaft eines 
Bezirksvereins angehören, die ja in erster Linie die Einhaltung der 
Standesorduung zu wahren hat; sie würden wahrscheinlich auch 
nicht mehr in die Aerztekammern delegirt und könnten keinesfalls 
zu Ehrenrichtern berufen werden. Bei der bisherigen lebhaften 
Thellnahme der Amtsärzte am Vereinsleben und ihrer auch für das 
öffentliche Wohl erspriesslichen Mitarbeit in den Aerztekammern 
wäre dies zweifellos ein grosser Schaden. 

Hinsichtlich des Maximums der Geldstrafen hat der Referent 
300 M„ der Korreferent 800 M. und der Gesetzentwurf 2000 M. 
beantragt. Bel einem Arzte, der aus Noth sich einmal gegen die 
Standesordnung verfehlt, wird gewiss nur eine niedrige Gehlstrafe 
zur Anwendung kommen, dagegen sind bei fortgesetzten gewinn¬ 
süchtigen Handlungen und bei Wirkungslosigkeit gelinderer Dis- 
ciplinarmittel auch einmal hohe Geldstrafen am Platze. 

Der beim Ehrengerichte mitwirkende Verwaltungsbeamte soll 
nach dem Entwürfe von der Kreisregierung bestimmt werden, nach 
den Ausführungen des Korreferenten soll er der Kreisregierung 
angehören. In Preussen gehört den Ehrengerichten ein von der 
Aerztekammer gewähltes richterliches Mitglied eines ordentlichen 
Gerichtes als Beisitzer an. Den W’ünschen vieler Aerzte würde es 
entsprechen, wenn anstatt eines Verwaltungsbeamten ein Medl- 
cinalbeamter als Mitglied des Ehrengerichtes bestimmt würde. 

Die vom Herrn Korreferenten vorgeschlagene Standes¬ 
ordnung würde iusoferne gegen die Bestimmungen der Ge¬ 
werbeordnung verstossen, als sie In Ziffer 17 und 27 den Aerzten 
einen Zwang zu ärztlicher Hilfeleistung und zur Thellnahme an 
einem Konsilium auferlegt. 

In dem Abschnitte, der vom ärztlichen Honorar handelt, hat 
der Herr Korreferent aus dem Entwürfe des Obermedicinalaus¬ 
schusses diejenigen Sätze nicht mit herübergenommen, welche di«* 
ärztlichen Bezirksvereine zur Aufstellung bindender Ortstaxen be¬ 
rechtigen und die Aerzte verpflichten, zahlungsfähige Kranke in 
der Regel nicht unentgeltlich zu behandeln: ebenso fehlt die zweck¬ 
mässige Bestimmung, dass die Verträge einzelner Aerzte mit 
öffentlichen oder privaten Corporationeu, insbesondere mit Ver¬ 
sicherungsgesellschaften und Anstalten, mit Kranken-, Unfall-. 
Invalidität»- und sonstigen Kassen von diesen und den seitens der 
Bezirksvereine dazu angestellten Commissionen abzuschlicsscti 
sind. 

Sehr auffällig ist. dass der Herr Korreferent aus dem von den 
Aerztekammern und demObermedicinalausscliusse Voranschlägen«*« 
Entwürfe einer Staudesordnung folgend«* Sätze wcggelasseu hat: 


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1734 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


„4. Das Geheimmittelunwesen und die Kurpfuscherei zu unter¬ 
stützen ist unerlaubt, denselben Ist vielmehr überall eutgegen- 
zutreten. 

15. Geheimmittel und Reklamemittel darf kein Arzt verordnen. 

18. Ein Arzt darf nicht mit seinem Namen therapeutische 
Maassnahmen von Nichtärzten decken. 

20. Nichtärzten gegenüber ist jede abfällige Kritik ärztlicher 
Thätigkeit verboten.“ 

Hier hat anscheinend der Arzt dem Politiker ein Opfer ge¬ 
bracht, indem er politischen Parteiansichten mehr Rechnung trug 
als ärztlichen Standesbestrebungen. 

Dass in der Standesordnung, mag sie nun gesetzlich festgelegt 
oder im Verordnungswege erlassen werden, viele Bestimmungen 
einer geschickteren Fassung bedürfen, soll nicht unerwähnt 
bleiben. 

Zu Ziffer 24 des Korreferates wäre noch zu bemerken, dass 
eine „Verfälschung“ des Ergebnisses des Konsiliums doch wohl 
nie vorkommt. Wenn unter Umständen die beiden Konsiliarärzte 
es fiir nothwendig halten, der Familie des Kranken die Ursache 
der Erkrankung (z. B. frühere geschlechtliche Ausschweifungen, 
Selbstmordversuch u. dergl.), anvertraute wichtige Nebenumstünde 
oder die Unheilbarkeit der Erkrankung zu verschweigen, so sind 
sie hiebei lediglich von humanen Rücksichten auf den Erkrankten 
und auch für die Familie selbst geleitet; im anderen Falle würden 
sie nur den Interessen derselben entgegen handeln. 

Uttncbe n, 18. Oktober 1901. 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

Der besondere Ausschuss der bayerischen Abgeordneten¬ 
kammer zur Vorberathung des Gesetzentwurfes über die ärzt¬ 
liche Standes- und Ehrengerlchtsorduung hielt am 18. Oktober 
seine erste Sitzung ab. Da hiebei sämmtiiche Ausschussmitglieder 
und auch die Vertreter der Staatsregierung sich über den Gesetz¬ 
entwurf äusserten, ist es nicht verwunderlich, wenn die wider¬ 
sprechendsten Ansichten zu Tage treteu. 

Der Referent, Herr Abg. v. Landmann, erklärte sich als 
ein Gegner von Standesgerichten und verneinte das Bedürfnlss 
nach einer ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnung, da nicht 
anzunehmen wäre, dass der hochachtbare Stand der Aerzte so 
viele Elemente unter sich hätte, welche die Schaffung einer 
Staudesordnung nöthig machten. Er lasse sich von folgenden 
vier Gesichtspunkten leiten: Nichts könne zur Genehmigung be¬ 
antragt werden, was der Gewerbeordnung zuwiderlaufe; die Rück¬ 
sicht auf das Publikum dürfe nicht ausser Acht gelassen werden; 
der Gesetzgeber müsse auch Rücksicht nehmen auf jene Aerzte, 
welche mit dom Entwürfe nicht einverstanden seien, und das 
Recht der freien Forschung müsse gewahrt werden. Der Arzt 
stehe unter der Gewerbeordnung und bleibe trotz aller Verfehl¬ 
ungen und Bestrafungen Arzt, während die Rechtsanwälte aus der 
Anwaltsliste gestrichen werden könnten. Wenn die Aerzte solche 
Elemente nicht von den Rockschössen abschütteln, wozu nütze 
dann die Standesordnung? Der Vergleich mit der Stellung der 
Rechtsanwälte sei daher unzutreffend. — Den Aerzten könne man 
es nicht überlassen, die Sache allein zu ordnen, da das Publikum 
dabei sehr interesslrt sei; den Hauptbeschwerdepunkt bilden 
die Anordnungen bezüglich des Honorars, man könne eine Ring¬ 
bildung der Aerzte befürchten; in der Standesordnung sei nur von 
den Rechten der Aerzte gegenüber dem Publikum, aber nicht von 
Pflichten die Rede. — Viele (?) und bedeutende Aerzte hätten sich 
gegen dieses „Knebelgesetz“ ausgesprochen, es als reaktionär im 
schlimmsten Sinne bezeichnet, als eine Ruthe, mit der sich der 
ärztliche Stand selbst züchtige. — Durch die Standesorduung 
werde den Aerzten die freie Forschung unterbunden, Naturheil¬ 
lehre und Homöopathie könne nicht mehr gelehrt und betrieben 
werden; ein Hessing oder Kneipp hätten unter derselben 
nie ihre Bedeutung erlangen können. Iu Sachsen sei ein Arzt 
wegen eines Vortrages in einem Naturheilvereine (desshalb allein 
wohl nicht. Ref.) mit 300 M. bestraft worden, weil das als Ent¬ 
würdigung des ärztlichen Standes aufgefasst worden sei; die Frei¬ 
heit der Wissenschaft müsse gewahrt bleiben, eine kgl. bayerische 
Therapie wünsche er nicht. — Der Wunsch nach einer Standes¬ 
ordnung sei veranlasst durch die scharfe Konkurrenz in Folge der 
Ueberfiillung des ärztlichen Berufes; da helfe keine Standes- 
ordnung; eher müssten die Aerzte selbst vor diesem Berufe 
warnen, der für junge Leute wegen des frühen (?) Verdienstes 
und der selbständigen (?) Stellung viel Verlockendes habe. 

Der Korreferent, Herr Abg. Dr. Hauber, hält für den ärzt¬ 
lichen Stand eine Standesordnung noch für viel nöthiger als für 
die Rechtsanwälte. Publikum und Aerzte hätten das grösste Inter¬ 
esse daran, den ärztlichen Stand auf der errungenen sittlichen und 
kulturellen Stufe zu erhalten. Diejenigen Aerzte, welche gegen 
eine Standesordnung seien, hätten ihre bestimmten Gründe, der¬ 
selben auszuweichen. Der freien Forschung geschehe kein Ein¬ 
trag: ln den ärztlichen Vereinen befänden sich die Anhänger ver¬ 
schiedener medicinischer Richtungen friedlich beisammen. Von 
einer Knebelung könne keine Rede sein, es handle sich um eine 
Reaktion im besten Sinne, da man die unlauteren Elemente von 
sich stossen wolle. Originelle Menschen, wie Hessing oder 
Kneipp, würden auch in Zukunft zu ihrem Rechte kommen. 
Redner verbreitete sich weiter über die ürzüichen Vereine und 
die Aerztekammern, die missliche finanzielle Lage der Aerzte und 
die Bedrückung durch die Krankenkassen und schloss mit einem 
warmen Appell zu Gunsten der Standesorduung. 


Der Vorsitzende, Herr Abg. Dr. Jur. Casselmann halt 
das Bedürfnis nach einer ärztlichen Standesordnung für gegeben, 
nachdem sie von den Vertretern des ärztlichen Standes einstimmig 
verlangt worden sei. Dass einige Aerzte eine solche nicht 
wünschten, falle nicht ln's Gewicht; nur wenige bekämpften die¬ 
selbe wohl aus idealen Gründen. Die Interessen des Publikums 
seien nicht gefährdet. Wenn die Meinung des Referenten richtig 
sei. dass der Erlass einer Standesorduung gegen die Gewerbe¬ 
ordnung verstosse, dann wäre sie in vielen anderen deutschen 
Bundesstaaten nicht eingeführt wordeu. Die Gewerbeordnung 
stehe nicht im Wege. Es lasse sich sehr wohl eine Parallele 
zwischen Aerzten und Rechtsanwälten ziehen; wenn ein Arzt aucii 
nicht aus den Listen gestrichen werden könne, werde er durch 
hohe Strafen und event Veröffentlichung des Urtheils genug ge¬ 
brandmarkt. Im Interesse der Aerzte und des Publikums wünsche 
er das Zustandekommen einer Standes- und Ehrengerichtsordnung. 

Der kgl. Staatsminister Frhr. v. F e i 1 i t z s c h hält letztere 
für nothwendig; auch in den beiden Kammern des Landes sei 
früher der Wunsch nach einer solchen ausgesprochen worden. Diu 
bisher bestehenden Verordnungen genügen nicht, da ein Zwang 
zum Anschlüsse an einen Aerzteverein nicht bestehe. Ein Be¬ 
denken hinsichtlich der Gewerbeordnung bestehe durchaus nicht. 
Die Interessen des Publikums würden in keiner Weise geschädigt, 
es solle den Aerzten nur vor Allem ein Recht in dlsciplinarer 
Richtung eingeräumt werden. Das Verlangen darnach sei be¬ 
rechtigt und in den anderen Staaten habe man mit der Standes¬ 
ordnung gute Erfahrungen gemacht. Auf die Stimmen einer ver¬ 
schwindenden Minderheit könne nicht geachtet werden. Die 
Standesordnung ganz auf dem Wege der Gesetzgebung zu er¬ 
lassen, sei nicht praktisch, da im Falle einer nöthlgen Aenderung 
wieder eine Gesetzesänderung nothwendig sei; aus diesem Grunde 
allein habe sich die Staatsregierung den Erlass derselben Vor¬ 
behalten; trotzdem könnten bestimmte Punkte nach dem Willen 
des Landtages gesetzlich festgelegt werden. 

Herr Abg. Lehmeier hält eine ärztliche Standes- und 
Ehrengerichtsordnung nicht für ein Bedürfniss, ist aber mit einer 
solchen einverstanden, nur vermisst er eine Verpflichtung der 
Aerzte zur Hilfeleistung; hier macht ihn der kgl. Staatsminister 
sofort auf die Gewerbeordnung aufmerksam, nach welcher sich 
die Aufnahme einer derartigen Bestimmung von selbst verbiete. 

Herr Abg. Dr. med. G ä c h legt auf die Standesordnung keinen 
Werth; die Aerzte sollten aus der Gewerbeordnung herauskommen. 
Mit der geplanten Ordnung schaffe man Zuuftärzte und öffne dem 
Denunziantenwesen Thür und Thor; die Pfuscher seien dann 
besser daran als die approblrten Aerzte. Die ärztlichen Bezirks¬ 
vereine seien, wenigstens in Niederbnyern, von den Amtsärzten, 
Hofrüthen u. s. w. beherrscht. An der schlimmen finanziellen Lage 
der Aerzte sei der Rückgang des Wohlstandes auf dem Lande 
schuld; anstatt für eine Standesordnung solle die Regierung für 
eine bessere Verthellung der Aerzte auf dem Lande sorgen. Für 
einen freien Mann gebe es keine Zunftmedicin; beim Zustande¬ 
kommen der Standesordnung höre er mit seinem ärztlichen Berufe 
auf und privntisire. 

Der Abg. Dr. med. Frhr. v. Haller erblickt ln dem Gesetz¬ 
entwurf den Keim einer Zwangsinnung, eine verwerfliche Be¬ 
schränkung der Freiheit des ärztlichen Standes, einen Anlass zur 
Gesinnungsschnüffelei; der ganze Geist der Standesordnung stehe 
im Widerspruche mit der Gewerbeordnung; bezweckt sei nur eine 
materielle Verbesserung der Lage der Aerzte; von den Patienten 
sei darin keine Rede, nur vom Arzte. Die vom Obermedicinal- 
ausschusse ausgearbeiteten Grundzüge seien eine Missgeburt, 
welche der Ausschuss im Interesse des Publikums und der Aerzte 
möglichst bald ersticken solle. Dieser Ausdruck ward vom kgl. 
Staatsminister sofort zurückgewiesen. 

Der Abg. Beneflciat Bauer stellt sich auf den Standpunkt 
des Referenten, erblickt ln der Vorlage die Begünstigung einer 
Ringbildung, vermisst einen Schutz des Publikums und glaubt, 
dass das Plenum nicht zustimmen werde. 

Herr Obermedicinalrath Dr. v. Grashey weist da¬ 
rauf hin. dass die Standesordnuug einem dringenden Bedürfnisse 
abhelfe und hebt die Bedeutung der ärztlichen Vereine hervor, 
denen eine bisher entbehrte Executive gegeben werde. Der Ge¬ 
danke. in erster Linie die materiellen Verhältnisse zu bessern, sei 
nicht maassgeliend gewesen, die Bewegung sei rein idealer Natur; 
es handle sich darum, die unfeine schmutzige Konkurrenz zu be¬ 
seitigen. 

Damit wird vorbehaltlich des Schlusswortes der beiden Re¬ 
ferenten die Generaldiskussion geschlossen und die Sitzung auf 
den 24. Oktober vertagt. 


Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher. 
Der heutigen Nummer Hegt das 117. Blatt der Galerie bei: Adolf 
F i e k. Nekrolog siehe Seite 1703. 

Therapeutische Notizen. 

Das Aspirin als analgetisches, autifebriles 
Mittel. Während es jetzt wohl über allen Zweifeln erhaben ist, 
dass das Aspirin ein vortreffliches Ersatzmittel des Natr. salicyl. 
und besonders wirksam gegen akuten Gelenkrheumatismus, alter 
auch gegen chronischen Rheumatismus ist, hebt Gap i tan auch 
die rein schmerzstillende und antifebrile Wirkung des Mittels in 
einer Reihe von Krankheitszuständen hervor (Mödecine moderne 
1901, No. 37). Weil unterdrückte die Schmerzen bei Uterus- und 
Mastdarmkrebs mit der Dosis von nur 1 g, Goldberg hat mit 
Vortheil das Mittel in einer Anzahl von Neuralgie- und Migräne- 
fülleu, G r a w i t z bei Influenza mit neuralgischen Schmerzen 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


22. Oktober 1901. 


1735 


Die ärztlichen Prüfungen im Prüfungsjahre 1899/1900. 


Prüfungs- 

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n den Kandidaten der Medicin, welche im Prüfungejahre 1899/1900 die Prüfung im Deutschen Reich 
stammten aus (Geburts- oder Heimathsland): 

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Königsberg . 

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Marburg .... 

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i ) Darunter 14 aus Russland, 6 aus Oesterreich, 3 aus den Vereinigten Staaten von Amerika, je 2 aus Italien, Aegypten, West¬ 
afrika, China, je 1 aus den Niederlanden, der Schweiz, England, Brasilien und Argentinien. 


angewandt, mit der Dosis von 1—2 g konnte Lehmann Neur¬ 
algien und Ischias hellen, seihst die Schmerzen der Tabetiker 
wurden unterdrückt (auch Referent hat das Aspirin mit Erfolg 
bei schmerzhafter (lesiohtsneuralgie. jedoch in der Dosis von 
3—4 g angewandt, ebenso bei chronischem Muskelrheumatismus, 
und hat ln einem Falle als Nebenerscheinung hartnäckige Ob¬ 
stipation erlebt, wenn auch die schmerzstillende Wirkung des 
Aspirins prompt eintrat). Die antifebrile Wirkung desselben 
wurde von S e r r a t e bei gastrischem Fieber und gutartigem 
Typhus (1 g alle G Stunden), von Iteuon und Lison, von 
Combeiuale beim Fieber der Phthisiker erprobt; in allen 
Fällen trat sehr reichliche Schweissabsouderuug ohne das ge¬ 
ringste Zeichen von Collaps oder von Intoleranz ein. Das Aspirin 
bedeutet, wie C a p i t a n hervorhebt, einen grossen Fortschritt 
in der Salicyltherapie, es hat alle therapeutischen Eigenschaften 
der Salieylsüure im höchsten Maasse ohne deren zahlreiche Neben¬ 
wirkungen; es ist ein Medikament ersten Ranges mit einer Reihe 
von klinischen Indikationen und man erzielt die bemerkens- 
werthesten Resultate selbst mit schwachen Dosen und ohne die 
geringste (? s. oben) Nebenwirkung; es sei also ein nahezu ideales 
Heilmittel. St. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München. 22. Oktober 1901. 

— Mit der Lex Land mann beschäftigte sich die am 
17. ds. zu Neustadt a. II. abgehaltene General versa m m - 
1 u n g des Vereins pfälzischer A e r z t e. Med.-Rat h 
Dr. D eniuth - Fraukenthal, der die Versammlung leitete, kon- 
statirte mit Genugthuung. dass das Gefühl der Solidarität unter 
den Aerzten im Wuchsen sei, was auch Angesichts der jüngsten 
Vorgänge auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet in Bayern ausser¬ 
ordentlich nothweudig sei. Denn das, was im bayer. Landtage 
durch die sogen. Lex Landmann dem Aerztestand angethnn werden 
solle, fordere unbedingt zur Selbsthilfe auf. Er empfiehlt daher 
dringend den Pfälzer Aerzten den Beitritt zum w i r t h - 
scliaftllchen Verband. I»er bewährte Kämpfer in wirth- 
schaftliehen Fragen des ärztlichen Standes. Dr. Sehcror-Lud- 
wigsliafen refcrlrt. sodann über die Landman n'sohen Anträge 
zur ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnung. Er führt aus. 
dass die Grösse des Verlustes, den die bayer. Aerzte durch den 
Tod A u b’s erlitten haben, jetzt um so fühlbarer werde, wenn 
man sehe, welch’ abscheuliche Missgeburt unter den Häimlen «D*s 
neuaufgestellten Referenten v. Laudmann aus der Standes¬ 
ordnung geworden sei. Was die Aerzte in jahrelangem Kampfe 
erstrebt hätten, habe Herr v. L. einfach gestrichen, statt Brod 
reiche er den Aerzten Steine. Sein Referat sei ein ITohn auf die 
bayer. Aerzteschaft und ein Faustsehlng in's Gesicht, derselben. 
Was für die Juristen recht sei, solle den Aerzten nicht billig sein. 


Die Zugehörigkeit zur Gewerbeordnung laste ohnehin schwer ge¬ 
nug auf den Aerzten. jedoch der Versuch, ihnen daraus einen 
Strick zu drehen, sei in der Geschichte der ärztlichen Kämpfe 
unerhört. Er schlägt, desslialb eine Resolution vor, die identisch 
ist mit der am 10. Oktober von den oberpfälziseheu Aerzten an¬ 
genommenen (vcrgl. vor. Nummer, S. 1(581). Diese Resolution 
wurde einstimmig angenommen und der Referent selber durch 
reichen Beifall für seine entschiedenen Worte belohnt. — Auch 
der ärztliche Bezirks verein I\ i s s i n g e n hat in seiner 
Sitzung vom 18. ds. sich dem Protest der oberpfälzischen Aerzte 
gegen die Anträge L a n d m n u n’s angesehlossen. 

— Der wirthsehaftllche Verband der Aerzte 
Deutschlands, Sektion Pfalz, hielt am 17. Oktober in 
Neustadt seine aus der ganzen Pfalz zahlreich besuchte 1. General¬ 
versammlung ab. Herr Dr. S c h e r e r - Ludwigshafeu. welcher 
die ganze Bewegung mit in’s Leben rief und in der Pfalz 
und den Nachbarländern unermüdlich für dieselbe agi¬ 
tatorisch tliütig war. begrüsste die anwesenden Mitglieder und 
konnte in seinen weiteren Ausführungen die erfreuliche Mit- 
tlieilung machen, dass nach Beilegung des Zwistes mit dem 
Deutschen Aerztevereinsbund die Mitgliederzahl des Verbandes 
in raschem Steigen begriffen ist, so dass die baldige Erreichung 
des Hauptzwecks: Gründung einer Unterstützungskasse für die 
Aerzte Deutschlands, sowie die Errichtung eines Stellennachweises 
erhofft werden kann. Bei der Neuwahl eines Vertrauensmannes 
für die Pfalz wurde Herr Dr. Scherer einstimmig wieder¬ 
gewählt. Ferner wurde die Aufstellung örtlicher Ausschüsse be¬ 
sprochen und Reclinungsablage erstattet. Nach Schluss der Ver- 
I Sammlung erklärten 20 neue Mitglieder Ihren Beitritt. 

— Die bayerischen Aerztcknmmorn sind zu ihrer 
diesjährigen Versammlung auf Montag, den 28. Oktober, an den 
I Sitz der Kreisregierungen einberufen. Seitens der Regierung wild 
| von ihnen eine gutachtliche Aeusserung über die Revision der 
I amtsärztlichen Gebührenordnung gefordert. 

i — Zum Chef des milltürärztlichen Offizier- 

korps in Oesterreich wurde an Stelle des Generalstabsarztes 
Nagy Ritter v. Rothkreuz der Generalstabsarzt Dr. Joseph 
U r 1 e 1 ernannt. 

— Pest. Italien. In Neapel und Umgegend wurden ln der 
Zeit vom 27. September bis 1. Oktober 0 Neuerkrnnkungen (mit 
2 Todesfällen) angezeigt, darunter 4 (1) bei Arbeitern von Punto 
Franco und je 1 in San Giovanni Teduceio und ln Bnrra bei An¬ 
gestellten einer Mühle zu Teduceio: von den Ixüden letzten ist 1 
tödtlich verlaufen. Insgesnmmt sind seit dem Ausbruch der Epi- 
I demie 18 Erkrankungen mit 7 Todesfällen festgestclt. Vom 1. bis 
! 7. Oktober ist kein weiterer Fall gemeldet worden. — Frankreich. 
| An Bord des am 18. September aus Kinnen in Marseille oinge- 
| laufenen Dampfers „Ville de la Ciotat“ wurde Anfnturs Oktober 
! ein Testfall festgestellt. — Aegypten. In der Zeit vom 27. Scp- 


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1736 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 43. 


tomber bis 4. Oktober wurden insgesammt 8 Erkrankungen (und 
2 Tod es fülle) an der Pest angezeigt, davon ln Alexandrien 5 (1), 
in Port Said 1 (0). in Benha 2 (1). An Bord des vor Alexandrien 
liegenden Lloyddampfers ..Maria Teresa“ sind 2 neue Pestfillle so¬ 
wie ein vierter pestverdäiehtiger Fall festgestellt worden. — Bri- 
tiseh-Ostindien. In der am 13. September abgelaufenen Woche sind 
in der Präsidentschaft Bombay 8255 Erkrankungen und 5845 Todes¬ 
fälle an der Pest gemeldet worden, d. h. 1800 bezw. 1451 mehr 
als in der Vorwoche. In der Stadt Bombay kamen in der am 
14. September endenden Woche 202 Erkrankungen und 273 Todes¬ 
fälle an der Post zur Anzeige; die Zahl der pestverdächtigen Sterbe- 
fiille betrug 142. die Gesainmtzahl der Sterbefälle 905 gegen 953 
in der Vorwoche. In Broach, einem Hafen in der Präsidentschaft 
Bombay, sind in der Zeit vom 15. August, bis 12. September 
171 Erkrankungen und 137 Pesttodesfälle vorgekommen. — Neu- 
Kaledonicn. Vom 23. Sept. bis 2. Okt. sind in Numea 2 Pesterkrank¬ 
ungen mit 1 Todesfälle angezeigt worden. (V. d. K. G.-A.) 

— In der 40. .Tahreswoche. vom 29. September bis 5. Oktober 
1901. hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die 
grösste Sterblichkeit Reuthen mit 29.7. die geringste Halberstadt 
mit. 3,0 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein 
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bochum. Bremen, 
Halle, an Masern in Fürth, an Diphtherie und Croup in Bamberg, 
an Unterleibstyphus in Heidelberg. 

— Im Kunstverlag Rud. S c 1» u s t e r - Berlin ist ein vortreff¬ 
liches Bild des Geheimen Medlcinalrathes Professor Dr. Rudolf 
Vlrchow in Kupferätzung nach einer photographischen Auf¬ 
nahme (Bildgrösse 32:24) erschienen, das den SO jährigen Jubilar 
bei der Betrachtung eines wissenschaftlichen Präparates zeigt. 
Wir machen alle Mediclner, namentlich den grossen Kreis seiner 
ehemaligen Schüler darauf aufmerksam. Das Blatt, trägt das 
Fncsimile des berühmten Gelehrten, kostet 0 M. und kann durch 
jede Buch- und Kunsthandlung oder direkt bezogen werden. 

(Hochschulnachrichten.) 

Jena. In der modicinischen Fakultät der hiesigen Uni¬ 
versität liabilitirte sich der praktische Arzt Dr. G iese als Privat- 
doeent für gerichtliche Mediciu. 

Leipzig. Die Wittwe des vor 2 Jahren verstorbenen Pro¬ 
fessors der Geschichte der Medlcin an der Wiener Universität Hof¬ 
rath Dr. Puschmann hat, wie sich jetzt bei ihrem Ableben 
herausstellt. ihr gesummtes, mehr als eine Million Kronen be¬ 
tragendes Vermögen der Universität Leipzig vermacht. 

Strassburg. Der im Sommer liabilitirte Privatdocent 
Dr. Weidenreich hat unter Verzicht auf die Venia legendi 
einen Ruf als Histologe an das Institut für Krebsforschung in 
Frankfurt angenommen. 

(Todesfälle.) 

Am 15. ds. starb der Geh. Medicinalrath Dr. Stelzner, 
vormals Oberarzt der chirurgischen Abtheilung am Stadtkranken¬ 
hause in Dresden, im Alter von (52 Jahren. Stelzner war von 
186G bis 1881 chirurgischer Oberarzt am Dredner Diakonissen¬ 
hause. von da wurde er an das Stadtkrankenhaus berufen, an 
dem er bis zum 31. Dezember 1900 segensreich wirkte. Stelzner 
war ein geschätzter Chirurg, der sich in seiner Vaterstadt Dresden 
der allgemeinsten Beliebheit und Hochachtung erfreute. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. Josef Werner, approb. 1900, zu Allers¬ 
berg. Bezirksamt Hilpoltstein. Karl Volluber g, approb. 1895, 
in Dietenhofon, Bezirksamt Neustadt a. A. 

Verzogen: Dr. Arno Fritzsche von Allersberg nach 
Coburg. 

Ernannt: Der prakt. Arzt Dr. Martin Steichelein Weissen¬ 
born zum Bezirksarzt T. Klasse in UfTenheim. 

Gestorben: Dr. Joseph Payr in Passau, 78 Jahre alt. 


Eingabe. 

An die 

Hohe Kammer der Abgeordneten 

München. 

Nachdem die Vorsitzenden der bayerischen Aerztekammern 
Mitte September die dringende Bitte gestellt haben, es möge die 
..ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung“ baldigst berathen 
und unverkürzt angenommen werden, zwingt der seitherige Verlauf 
der Borathungen sie zu einer Erklärung. 

Das Referat, das der Referent im zuständigen Ausschüsse, 
Herr v. L a n d m a n n, erstattete, ersetzt die gewünschte Standes¬ 
ordnung durch seinen § 3 Abs. 4 in einer Weise, dass Alles, was als 
Ehren- und Anstandspflicht bis jetzt bei den Aerzten Brauch war 
und ferner erhalten werden soll, geradezu auf den Kopf gestellt, 
und statt verboten, direkt als gesetzlich erlaubt, festgelegt wird. 
Die Annahme einer derartigen Standesordnung würde auch jede 
Ehrengerichtsordnung vollständig überflüssig machen, weil ein¬ 
fach nichts mehr zu richten übrig bliebe. 

Auch sonst sind die Aerzte vielfach auf falsche Auffassungen 
und Auslegungen gestossen. so dass sie sich erlauben, in letzter 
Stunde noch eine ausführliche Motivirung zu überreichen, was sie 
mit einer Standes- und Ehrengerichtsordnung anstreben. Des¬ 
gleichen werden die Vorsitzenden der Aerztekammern eine Wider¬ 
legung des genannten Referates folgen lassen. 


Dabei aber müssen sie erklären, dass eine im Sinne des 
v. Landman n’schen Referates verstümmelte Aerzteordnung 
vollständig unannehmbar wäre und zur Zertrümmerung der gan¬ 
zen staatlichen Organisation des ärztlichen Standes in Bayern 
führen müsste. 

Ehrerbietigst! 

Für die Vorsitzenden der acht bayerischen Aerztekammern: 

Dr. Näher- München. Dr. Mayer- Fürth. 

Denkschrift über die Standes- und Ehrengerichtsordnung 
für die Aerzte Bayerns. 

Ueberreicht von den Vorsitzenden der 8 bayer. Aerztekammern. 

Die Aerzteordnung. wie sie von der hohen Staatsregierung im 
Entwurf vorgelegt ist, entspricht dem Wunsche der Gesammt- 
heit der bayerischen Aerzte. 

Die Aerztekammern aller 8 Kreise des Königreiches haben ein¬ 
stimmig sich für den Erlass einer Aerzteordnung ausgesprochen 
und den Entwurf gutgeheissen. 

Die staatliche Organisation des ärztlichen Standes in Bayern 
war Jahrzehntelang mustergiltig für das übrige Deutschland. Die 
ärztlichen Bezirksvereine sind durch die Aerztekammern in euger 
Fühlung mit der hohen Staatsregierung und wie jeue die ge¬ 
brachten Vorlagen gewissenhaft erledigten, so fanden auch 
wiederum die Wünsche und Anträge der Aerzte selbst A'olle Würdi¬ 
gung. Nicht der Verkehr zwischen Regierung und Aerztckammeru, 
das berufliche Miteinanderlehen der Aerzte selbst braucht wirk¬ 
samere Stützen als seither. Neue Zeit braucht neue Wege. Viele 
deutsche Bundesstaaten, so Sachsen, Preussen, Baden, Braun- 
schweig. Hamburg haben dem Wunsche der Aerzte nach einer 
staatlichen Aerzteordnung bereits entsprochen. Andere stehen in 
Aussicht. Die sümmtliehen Bezirksvereine Bayerns, denen von 
rund 3000 Aerzten 2200 angeboren, haben meist einstimmig ihre Zu¬ 
stimmung zu dem wohl vorbereiteten Entwurf der hoben Staats¬ 
regierung gegeben. Was bedeuten dagegen einzelne, jetzt laut 
werdende Stimmen, die heimlich dagegen opponiren; in der OelTent- 
lichkeit hat es kaum einer gethan und wir dürfen sagen, wer von 
den bayerischen Aerzten sich gegen diese Ehrenordnuug wendet, 
mag die Handhabung der Ehrenbostimmuugen selbst zu fürchten 
haben. 

Die Aerzteordnung gibt den Standesvertretungen eine Dis- 
ciplinarbefugniss über alle Aerzte. 

Das Verlangen der bayerischen Aerzte nach einer Aerzteord¬ 
nung ist ein altes. 

Die R e e h t s n n w alte erfreuen sich seit lange einer An¬ 
waltsordnung, und sie würden ohne eine solche ihren Stand schwer 
auf der auch ihnen nöthigen sittlichen Höhe halten. 

In vieler Beziehung lässt sich der Stand der Aerzte dem der 
Rechtsanwälte vergleichen. Beide erfüllen neben der Ausübung 
ihres Berufes als „Broderwerb“ höhere, dem Staat unentbehrliche 
Aufgaben. 

Neben der Mitwirkung bei so vielen allgemeinen Fragen der 
öffentlichen Gesundheitspflege, nimmt der Arzt als Berather des 
Volkes bei allen Schäden und Leiden des Körpers und deT Seele 
eine so verantwortungsvolle Stellung ein. die Ausübung seines Be¬ 
rufes erfordert ein solches Hintansetzen der eigenen Person, solche 
Opfer von Mühe und eigener Gesundheit, das Vertrauen, das ihm 
in den wichtigsten Angelegenheiten in Familie und Haus entgegen- 
gobraeht werden muss, ist so gross, dass neben dem rein ärztlichen 
Können von jedem Arzte die höchste Ausbildung des Geistes, und 
dabei ein rädelloses Verhalten bei der Ausübung seines Berufes 
verlangt werden muss. 

Von Jeher haben desshalb die Aerzte das Bedürfniss gehabt, 
sich selbst bei der Berufsführung einem gewissen Zwang zu unter¬ 
stellen. 

Theils waren dies ungeschriebene, usuell anerkannte Vor¬ 
schriften, tbeils legten die Standesvereine in ihren Satzungen Be¬ 
stimmungen fest, nach denen die Mitglieder sich zu richten hatten. 
Der Grundgedanke dabei ist stets, im Verkehr der Aerzte unter sich 
und mit dem Publikum, also in der praktische!) Thätigkeit an und 
um das Krankenbett, nichts gelten zu lassen, was gegen humane 
und wissenschaftliche Principien verstösst. 

Jegliche Reklame, jeder unlautere Bewerb, Verlassen des rein 
wissenschaftlichen Bodens galten als unstatthaft. 

Alle diese von den Vereinen getroffenen Bestimmungen ver¬ 
sagten oftmals im Ernstfälle, weil das Verbleiben unter den selbst 
geschaffenen Gesetzen ein freiwilliges war und Jeder sich einer 
Ahndung durch Austritt aus dem Verein oder durch Nichteintritt 
entziehen konnte. 

Bei der Freiwilligkeit aller Beitragsleistungen konnten auch 
andere Zwecke, z. B. die Unterstützung nothleidender Aerzte und 
der Relikten von solchen, nur ungenügend erfüllt werden. 

Trotzdem hat es lange Zeit so leidlich gut gethan. Die 
..gute alte Zeit“, in welcher im Deutschen Reich eine relativ geringe 
Zahl von Aerzten als hochgeachteter Stand und mit durchgängig 
ausreichendem Auskommen es leichter hatten, sich guten Sitten zu 
fügen, liegt nicht sehr weit zurück. 

Die Lage des ärztlichen Standes hat sich seit etwa 1 y 2 Jahr¬ 
zehnten wesentlich zum Schlechteren geändert. 

Mit der riesigen Entwicklung der mediclnischen Wissen¬ 
schaften und den ungeahnten Fortschritten derselben hat die sociale 
Stellung der Aerzte nicht Schritt gehalten. 


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22. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1737 


Im wesentlichen sind äussere Faktoren die Veranlassung 
davon. 

In erster Linie muss hier die riesige Ueberfüllung des Faches 
gen.-uint werden, die dasselbe allerdings mit anderen gelehrten Be¬ 
rufszweigen theilt. Während aber bei den anderen einmal die 
Limitirung der zu besetzenden Stellen den Zuzug hemmen mag, 
oder aber, wie bei der Jurisprudenz, den Jüngern des Itechts andere, 
oft ganz abliegende Arbeitsfelder geöffnet werden, Ist die Heil¬ 
kunde naturgemüss schrankenlos dem jährlich wachsenden An¬ 
drange neuer Aerzte offen, und der unvermeidliche Konkurrenz¬ 
kampf derselben wird von Jahr zu Jahr schwerer. Ist doch die 
Zahl der Aerzte seit 187U bis 1900 von etwa 15 000 auf 27 374 ge¬ 
stiegen, also um Uber 80 Proc. bei einer Bevölkerungszunahme von 
51 y 4 Millionen auf 50Va Millionen (13,05 Proc.). Und nicht wie bei 
den Juristen ist das Feld der ärztlichen Thätigkeit ausdehnbar, im 
Gegentlieil, cs ist für die Gesammtheit der Aerzte eher einge¬ 
schränkt worden. 

Wir werden später über die Stellung der Aerzte zum Ivranken- 
versieherungsgesetz reden, hier zur Vervollständigung nur die 
Thatsache, dass das meist im Reich gebräuchliche System der 
Kassenärzte einen hohen Procentsatz der Erkrankten der freien 
Konkurrenz entzogen hat, und nicht angestellten Aerzten das 
Fortkommen erschwert; dazu kommt noch, dass meistens bei 
den Kassen die Entlohnung des Arztes entfernt nicht der ver¬ 
langten Leistung entspricht. 

Dann kam 1809 die Einreihung der Aerzte In die Gewerbe¬ 
ordnung, und damit die „Kurierfreiheit“ für Jedermann im 
deutschen Reich. Es ist heute nicht der Platz, über die Schädigung 
an nationalem Wohlstand und Volksgesuudbeit zu streiten, wie 
sie die frei losgelassene Pfuscherei mit sich bringt. Ebensowenig 
über die vollständige Verkennung der Aufgaben des ärztlichen 
Standes, wenn man denselben jedem Gewerbebetrieb gleichgestellt 
hat. In den Kreisen der Aerzte selbst hat die Maassregel nur bei 
politischen Fanatikern und bei gutsitulrten Grossstädtern Beifall 
gefunden, die den Bedürfnissen der Allgemeinheit ihres Standes 
entfremdet waren. Das Gros der Aerzte empfand die Herab¬ 
würdigung des Standes schwer. Dem üppigen Aufwaehseu jeg¬ 
licher Art von schwindlerischem Pfuscherthum, der schamlosen 
Anpreisung immer neuer Geheimmittel folgten bald Angriffe aller 
Art auf die ärztliche Wissenschaft selbst und deren Vertreter, die 
Aerzte, denen diese begreiflicher Weise meist passiv gegenüber- 
steheu mussten. Und was Wunder, dass bei dem steigenden 
Kampf urn’s tägliche Brod auch minderwerthlge Elemente unter 
den Aerzten selbst auf bis jetzt für unerlaubt gehaltenen Wegen, 
und meist wohl gegen die eigene bessere Ueberzeugung ihr ,,Ge¬ 
werbe“ auszuüben für erlaubt hielten. 

Der Staat selbst zeigt ja, dass er die Aerzte höher als Ge¬ 
werbetreibende einschützt, er gibt gesetzliche Taxordnungeu 
heraus, an welche die Aerzte sich halten sollen. Schützen dieselben 
einerseits das Publikum vor Ausbeutung, so gilt ein Herabgehen 
unter die Taxen, ein „Unterbieten“, als unstatthaft. Solches Unter¬ 
bieten erfolgt doch nur ln der Hoffnung, den Entgang durch Mehr¬ 
arbeit zu ersetzen, und „Mehrarbeit“ ln diesem Sinne bedeutet fast 
immer minderwerthige Leistung. 

Der alte Spruch „dat Galenus opes“ gilt schon lange nicht 
mehr. Die grosse Menge der Aerzte mag genügendes Auskommen 
haben, ein grosser Procentsatz hat sicher nicht mehr so viel Ein¬ 
nahmen, als das Leben erfordert. Vor wenig Jahren wurde be¬ 
kannt, dnBs wohl 50 Proc. der Berliner Aerzte weniger als 3000 M. 
versteuern; vor Kurzem stand zu lesen, dass ebendort 1899 00 bis 
70 Aerzte bei der israelitischen Kultusgemeinde um Unterstützung 
eiugekominen sind. So flagrant wie in den grössten Bevölkerungs- 
ceutreu tritt der Nothstand nicht überall hervor, aber Anzeichen 
davon und greifbare Fälle hat man schon mannigfach auch anders¬ 
wo zu verzeichnen. 

Angreifbar sind alle angeführten Uebelstände nur dort, wo 
die Aerzte selbst ein Verschulden trifft. Die nur freiwillig ge¬ 
haltenen Normen versagen aber, wie schon gesagt, oft Erst wenn 
den Standesvertretungen, wie bei den Rechtsanwälten, eine D i s - 
ciplinargewalt über alle Aerzte gesetzlich zugesprochen ist, 
kann an eine durchgreifende Abstellung einer Reihe von Schäden, 
an ein Abstellen unrichtiger Handlungen des Einzelnen, an ein 
Wiederheben des gesunkenen ärztlichen Ansehens gedacht werden. 

Die Aerzteordnung regelt die Art der Ausübung des ärztlichen 
Berufes durch eine Standesordnung. 

Dieselbe enthält detaillirte Vorschriften über die Pflichten 
der Aerzte, über die Art der Einführung in die Praxis und die 
Führung derselben. 

Selbstverständlich gehen diese Normen weit über das hinaus, 
was irgend ein anderes „Gewerbe“ in seinem Betriebe für erlaubt 
hält. 

Mögen manche der Bestimmungen minutiös oder kleinlich er¬ 
scheinen, alle sind sie reicher Erfahrung im praktischen Leben ent¬ 
sprungen und einfach unentbehrlich. 

Jeder Praktiker weiss zu bestätigen, wie leicht z. B. bei Nicht¬ 
beachtung der Vorschriften des Verkehrs zweier Aerzte bei einem 
gemeinschaftlichen Patienten Kränkungen eines Arztes oder aber 
fatale Zweifel oder Missverständnisse bei dem Kranken erregt 
werden. 

Langjährige Vertrauensstellungen werden so durch bewusste 
Unkollegialitäten eines zweiten Arztes grundlos erschüttert; wie 
schlimm für Patient und Familie, wenn kleine Differenzen, deren 
Belanglosigkeit der Laie nicht ermessen kann, zu ihren Ohren 


kommen. Die Bestimmungen der Standesordnung sind daher 
ebenso zum Schutze des Publikums geschaffen und in vielen 
Städten, wo sie Jahrzehnte lang in Kraft stehen, sind sie einem 
grossen Theil der Bevölkerung bekannt und Anden volle Würdi¬ 
gung. Wer freilich in seinem Arzt nur einen bezahlten Gewerbe¬ 
treibenden sieht, wer meint, das Publikum müsse vor den Aerzten 
geschützt werden, der versteht solche Anstandsregeln und ihre 
Nothwendigkeit nicht. 

Anders ist die Frage zu beantworten, ob eine solche Standes¬ 
ordnung überhaupt nöthig erscheint Preusseu z. B. hat seiner 
Aerzteordnung keine angefügt. Daun urtheilen eben gegebenen 
Falles die Vereine und Ehrengerichte nach allgemeinen praktischen 
Erfahrungen, und die kommen wieder auf dasselbe hinaus, nur 
dass persönlichen Anschauungen und der Willkür doch mehr Raum 
gegeben ist, als bei Festlegung der Ilauptprincipien. Dazu kommt 
noch, dass der junge Arzt ohne die geringste Kenntniss dieser 
praktischen Bestimmungen in seinen Beruf elntritt, und die vor¬ 
herige Einsichtnahme der festgelegten Standesordnung fast nöthig 
hat. Dieselbe soll ja vielmehr den Verfehlungen Vorbeugen als sie 
bestrafen. 

Da aber nicht zu leugnen ist, dass sich die Ansichten ändern 
können, ein Punkt später vielleicht als unwichtig oder unrichtig 
ausgemerzt, ein anderer nach Aller Wunsch hereingenommen wer¬ 
den müsste, so soll die Staudesordnuug nicht gesetzlich festgelegt, 
sondern von der hohen Staatsregierung im Verordnungswege er¬ 
lassen werden. 

Die Aerzteordnung enthält eine Ehrengerichtsordnung. 

Eine Reihe von Bestrafungen sind in der der Aerzteordnung 
angefügten Ehrengerichtsordnung vorgesehen. Da das 
ärztliche Gericht stets unter staatlicher Aufsicht steht, wird ein 
Missbrauch der Gewalt ausgeschlossen sein. Die Erfahrungen in 
Vereinen, die aus anderen Gründen, z. B. weil sie mit den Kassen 
Verträge haben, jetzt schon über ihre Mitglieder eiu Strafrecht 
ausüben können, sprechen überdies dafür, dass die ärztlichen Ge- 
richte nicht zu viel in Anspruch genommen werden dürften. Die 
Gewissheit, einer Strafe zu verfallen, wird widerstrebende Ele¬ 
mente genügend im Zaum halten. 

Die Aerzteordnung gibt der Standesvertretung das Umlage recht 
und dadurch die Möglichkeit, kranken und nothleidenden 
Aerzten, sowie armen Wittwen und Waisen durch mässige Bei¬ 
träge ausgiebige Hilfe zu leisten. 

Die ärztlichen Einnahmen sind in der Masse nicht mehr so 
gross, dass grössere Ersparnisse für Nothstand und Alter gemacht 
werden können. Nach dem Tode des Arztes bleiben Frau und 
Kinder oft in bitterer Noth zurück. Das Mögliche ist seither schon 
freiwillig geschehen. Drei Vereine bemühen sich in Bayern Hilfe 
zu bringen. Aber tlieils leisten diese Vereine nur au Mitglieder, 
und Indolenz oder Leichtsinn hat den rechtzeitigen Beitritt ver¬ 
säumen lassen, tlieils sind die Unterstützungen doch noch gering. 
Der leistungsfähigste Verein unterstützt invalide Aerzte mit ca. 
IG 000 M. jährlich, gibt aber nichts mehr an die Relikten. Eine 
Statistik von 1898 ergibt, dass in Bayern etwa 127 Wittwen von 
Aerzten leben, die sicher ganz arm oder nicht weit davon sind. 
Die wenigen Mark, die bei allgemeiner Betheiligung, der Einzelne 
zahlen muss, tun sichere Hilfe leisten zu können, sind doch erst 
zu haben, wenn durch das Umlagerecht der Beitrag obligatorisch 
wird. Es braucht nur berührt zu werden, welch’ beruhigenden 
Einfluss es haben muss, wenn der hart arbeitende Arzt weiss. dass 
er und eventuell seine Angehörigen vor der bitteren Noth geschützt 
sind. 

Die Aerzteordnung ermöglicht mehr als seither den ärztlichen 
Stand für statistische und hygienische Arbeiten im allgemeinen 
Interesse heranzuziehen. 

Auch so haben viele Aerzte sich der Betheiligung an der 
öffentlichen Gesundheitspflege nicht entzogen. Die Anzeige be¬ 
stimmter ansteckender Krankheiten ist bekanntlich gesetzlich ver¬ 
langt. Aber manche interessante Frage, so eine jetzt schon in 
Bayern freiwillig geleistete Statistik der Erkraukttugeu, werden 
nutzbringend erst bei Betheiligung aller Aerzte. Das ist bei 
einer straffen Organisation möglich. 

Die Aerzteordnung soll auch das Verhältniss zwischen Aerzten 
und Krankenkassen in friedlicher Weise in gute Wege lenken, 
zur richtigen Durchführung der grossen socialen Aufgabe, die 
beide Kontrahenten zu erfüllen haben. 

Die Aerzte haben wohl fast ausnahmslos die deutsche sociale 
Gesetzgebung als Kulturfortschritt begriisst. Die Segnungen 
dieser Gesetze für den Arbeiterstaud zu leugnen, wagen auch die 
radikalsten Politiker nicht mehr. Es thut dem Ganzen keinen 
Eintrag, wenn Einzelnes in der praktischen Durchführung ver¬ 
besserungsbedürftig erscheint. Und die Aerzte speciell, auf deren 
Kenntnissen und Gewissenhaftigkeit das ganze Krankeuversiehe- 
ruugsgesetz beruht, die Aerzte, welche die eigentlichen Vollstrecker 
der neuen Einrichtung sind, haben in mancher Hinsicht durch das 
Gesetz und seine Handhabung Schaden erlitten in ethischer und 
materieller Beziehung. 

In ethischer Hinsicht, weil noch niemals die ärztliche Arbeit 
so auf den Markt geworfen und vielfach an die Wenigst nehmenden 
beinahe versteigert wurde, als durch das Kassenwesen: bedenkt 
man, dass im deutschen Reiche 9% Millionen Arbeiter unter «las 
Krankenversicherungsgesetz fallen und dass die Familien »ler Ver¬ 
sicherten zuweilen von Kassen mitversichert werden, mindestens 


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1738 


aber in der Regel auch den Kassenarzt nehmen, so ermisst man, 
welche Riesenzahl von erkranketn Menschen nicht mehr einer 
selbstgesuchteu ärztlichen Behandlung unterstehen. Ein heftiger 
Konkurrenzkampf namentlich des Jüngeren Elements des ärzt¬ 
lichen Standes ist dadurch entfesselt, und die Mittel und Wege, 
wie die Stellen an den Kassen erstrebt und vergeben werden, sind 
nicht immer staudeswürdig und reinlich. 

Nun sind dazu die hauptsächlichen Leistungen der Kassen 
gesetzlich festgelegt, das Krankengeld, die Entschädigung der 
Krankenhäuser etc. Das Honorar der Aerzte ist lu der That die 
einzige Ausgabe, die nicht gesetzlich feststeht, an welcher daher 
gehandelt werden kann. Die Gemeinden jammern über die hohen 
„Aerztelöhne“ und über das Detieit der Krankenkasse, rechnen 
aber nicht, dass sie vielfach ihre Spitäler durch die Kassen er¬ 
halten und in ihren Armenunterstützungen wesentliche Ein¬ 
sparungen durch die Krankenversicherung machen. Jede Kasse 
ist stets bereit, das Honorar der Aerzte herabzudrllekeu. Keine 
fragt, ob der verlangten ärztlichen Leistung ihre Gegenleistung 
entspricht. Häutig ist die Bezahlung geradezu eine unwürdige, 
und doch linden sich immer wieder Aerzte, die um den gebotenen 
Preis arbeiten, in der Hoffnung, die Masse werde es liereinbringeu, 
oder weil die NotU sie zwingt. Die erkrankten Kassemnitglieder 
aber erwarten doch die humane Behandlung und Sorgfalt, welche 
die Krankheit fordert und die der schlecht bezahlte Massenarbeiter 
einfach nicht leisten kann, so wenig wie der mit eigener Noth 
kämpfende Arzt. 

Es ist voll nnzuerkennen, dass das Krankenversicherungs¬ 
gesetz nicht nur Nachtheile für den ärztlichen Stand gebracht hat, 
es sind zum Thell auch materielle Vortheile entstanden; besonders 
dort wo freie Arztwahl bt^stelit, kommt ein junger Arzt häutig 
rascher zu einer lohnenden Thätigkeit als früher. Ebenso 
ist nicht zu verkennen, dass bei den Krankenkassen, da bei 
der geringsten Schädigung der Arbeitsfähigkeit ärztliche Hilfe 
gesetzmässig in Anspruch genommen werden muss, die ärztliche 
Leistung häutiger als sonst eine recht geringfügige ist. Nicht 
minder auch haben die Aerzte nie verkannt, dass manche Kassen 
besonders armer und kleiner Gemeinden, nur recht schwierig eine 
richtige Bilanz halten können. Diesen Verhältnissen wurde bis 
da stets Rechnung getragen und beträchtliche Nachlässe au den 
staatlich genehmigten Taxen gewährt, oder aber, um auch andern 
auf der Hand liegenden Missständen zu begegnen, der Zahlungs¬ 
modus geändert, und Pauschale für die Kopfzahl der Mitglieder 
oder der Krankheitsfälle angenommen. 

Bis ein Reichsgesetz hier prineipiellen Wandel schafft, 
und die Stellung der Aerzte zu den Kassen besser lixirt, geht das 
Streben der Aerzte dahin, dass einmal die Zulassung zur Be¬ 
handlung Knssepliichtiger nicht der Willkür Einzelner, so und so 
oft inferiorer oder gar eigennütziger Menschen überlassen bleibt, 
und dass die Aerzte nicht gezwungen sein sollen, um die Kassen- 
stelleu unwürdigen Wettbewerb zu treiben. Zweitens aber, dass 
die Ixdstungen der Kassen au die Aerzte nicht ohne deren Mit¬ 
wirken festgesetzt, und nicht grundlos zu niedrig gehalten 
werden. 

Die Noth hat die Aerzte, speciell in der letzten Zeit, enger zu- 
sammengeschweisst als früher. Die Fälle, wo die Aerzte grösserer 
Städte sich wehren mussten gegen Unbilligkeiten, die muthwillig 
von Krankenkassen ihnen zugemuthet wurden, sind neu und be¬ 
kannt. Sie haben erkennen lassen, dass die Aerzte anfangen, die 
Solidarität ihrer Interessen zu begreifen. Und viele Stimmen sind 
laut geworden, man werde überhaupt nur auf dem Wege der sogen. 
„Selbsthilfe“ gegen Uebergriffe der Kassen sich wehren können. 

Und doch ist ein Streit, ein in der Oeffentlielikeit geführter 
Kampf bei der Stellung, die der Arzt zu den Kassen als Ver¬ 
trauensmann einuehmen sollte, stets etwas Unerquickliches und 
gewiss zu bedauern. Anderseits wieder steht der einzelne Arzt 
machtlos den Thatsacheu gegenüber, die ihn und seinen Stand 
schädigen. 

Wir hoffen, dass die neue Ordnung die ärztlichen Standes- 
vertretungen in die Lage setzen werde, in gemeinschaftlichem 
maassvollem Vorgehen auch die Kassenkämpfe in friedlichere 
Bahnen zu lenken. 

Zu erstreben ist. dass die im Gesetz verlangten „Verein¬ 
barungen“ über die ärztlichen Leistungen nicht von den ein¬ 
zelnen Aerzten, sondern von den Staudesvertretungeu mit den 
Kassen geschaffen werden, und dass die Kassen nicht selbständig 
und allein Bestimmungen d i k t i r e n können. 

Auf welchem Wege dies um besten zu erreichen sein wird, 
mag die Erfahrung lehren. Eine Reihe grosser Städte, speciell 
in Bayern, steht seit lange auf diesem Standpunkt (so z. B. Nürn¬ 
berg, Fürth; Gleiches ist in München im Werk); in gemeinschaft¬ 
lichen Kommissionen der Kassen und Aerzte werden die Verträge 
vereinbart. 

Auch der letzte grosse Streit zwischen Aerzten und einer 
Krankenkasse in München wurde schliesslich durch eine ad hoc 
gewählte Kommission unter Leitung der kgl. Kreisregierung güt¬ 
lich beigelegt. 

Ob es sich nicht empfehlen würde, in Friedenszeiten solche 
Kommissionen zu bilden, die, gleichmässig von Aerzten und 
Kassen beschickt, etwa unler unparteiischer Leitung eines Staats- 


*) Detaillirte Schilderungen der Verhältnisse zwischen Kassen 
und Aerzten siehe „Der ärztliche Stand und die Arbeiterversiche¬ 
rung“, zusanmicngestellt vom ärztlichen Lokalverein Augsburg 
RH»1. 


No. 43. 

beamten. Honorarsätze und andere Bestimmungen festsetzen 
könnten? 

Die Errichtung solcher „E i n i g u n g s s t e 11 e n“ würde den 
meisten auch in Zukunft drohenden Misshelligkeiten die Spitze ab- 
brcchen und segensreich im Interesse der ganzen socialen Gesetz¬ 
gebung wirken. 

W f ir haben nur noch einen Punkt zu berühren, der Bayern 
speciell betrifft. In allen grösseren Staaten Deutschlands sind in 
der letzten Zeit die Aerzte in neuer Aerzteordnung organisirt 
worden. Bayern allein ist zurück. Schon ist zu koustatiren und 
bald wird sich dies deutlich zeigen, dass minderwerthige ärztliche 
Elemente, denen daheim der Boden zu warm wird, nach Bayern 
sich ziehen, wo bis jetzt jede unkollegiale und reklamehafte, jede 
unanständige Handlung eines Arztes erlaubt ist, ja wo man 
von berufenen Seiten den Versuch machen sieht, den unanständigen 
Geschäftsbetrieb der Aerzte gesetzlich zu sanktioniren, angeblich, 
weil das Gewerbegesetz dies involvire. Das Gesetz hat doch auch 
Sachsen, Baden, Hamburg etc. nicht verhindert, ihren Aerzten mit 
der unseren gleichlautende Standesordnungen zu geben. 


Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee 

_für den Monat August 19hl. 


Iststärke des Heeres: 

63 071 Mann, — Invaliden, 204 Kadetten, 146 Unteroff.-Vorschüler. 







Unter- 



Mann 

Invali¬ 

den 

Kadetten 

Offlxlcr- 

vor- 

■ehüler 

1. Bestand waren am 





31. . 

Juli 1901: 

1048 

— 

— 

— 


[ im Lazareth: 

923 

— | 

— 

6 

2. Zugang: j 

im Revier: 

2769 

— | 

— 

— 


l in Summa: 

3692 

— 1 

— 

6 

Im Ganzen 

sind behandelt: 

4740 

— 

— 

6 

°/oo 

der Iststärke: 

75,1 

— 

— 

41,1 


dienstfähig: 

3314 

— 

— 

6 


°/oo der Erkrankten: 

699,1 

— 

_ 

1000,0 


gestorben: 

6 

— 

— 

— 

3. Abgang: 

u /oo der Erkrankten: 
invalide: 

1,3 

39 

— 

■*— 

— 


dienstnnbrauclibar: 

17 

— 

_ 

__ 


anderweitig: 

169 

— 

— 

— 


in Summa: 

3545 

— 

— 

6 

4. Bestand 
bleiben am ] 
30. Juli 1901: 

f in Summa: 

°/oo der Iststärke: 
davon im Lazareth: 
l davon im Revier: 

1195 

18,9 

721 

474 

— 

— 

-r, 


Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten 
an: Lungentuberkulose 2, akuter Lungenentzündung 1, Entzün¬ 
dung der Herzklappen und Foigezuständen 1, Blinddarm- und 
Bauchfellentzündung 1, chronischer Nierenentzündung 1. 

Ausserdem starben noch 3 Mann ausser militärärztlicher Be¬ 
handlung: 1 Manu lu Folge von Lungentuberkulose, 1 Mann ver¬ 
unglückte im Urlaub in einem Steinbruch (Zerreissung des Kör¬ 
pers in Folge vorzeitiger Entladung eines Sprengschusses), 1 Manu 
endete durch Selbstmord (Erschlossen). 

Der Gesammtverlust der Armee durch Tod betrug demnach 
Im Monat August 9 Manu. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankh eiten für München 

in der 41. Jahreswoche vom 6. bis 12. Oktober 1901. 
Betheiligte Aerzte 199. — Brechdurchfall 28 (22*), Diphtherie, 
Croup 11 (17), Erysipelas 6 (15), Intermittens, Neuralgia intenn. 
— (1), Kindbettfieber 1 (—), Meningitis cerebrospin. — (—), 
Morbilli 14 (14), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 2 (11), Parotitis 
epidem. — (3), Pneumonia crooposa 5 (13), Pyaemie, Septikaemie 

1 (1), Rheumatismus art. ac. 12 (14), Ruhr (dysenteria) — (—•), 
Scailatina 6 (8), Tussis convulsiva 19 (18), Typhus abdominalis 

2 (2), Varicellen 9 (12), Variola, Variolois — (—), Influenza — (1), 

Summa 118 (162). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 41. Jahreswoche vom 6. bis 12. Oktober 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern — (— *), Scharlach 1 (—X Diphtherie 
und Croup 1 (—), Rothlauf 2 (—), Kindbettfieber — (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 2 (—), Brechdurchfall 11 (3), Unterleibtyphus 
— (—), Keuchhusten 1 (1). Croupöse Lungenentzündung 2 (2), 
Tuberkulose a) der Lungen 24 (12), b) der übrigen Organe 2 (12), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (1), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 4 (3), Unglücksfälle — (2), Selbstmord 1 (2), Tod durch 
fremde Hand — (2). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 181 (158), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 18,8 (16,4), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,0 (9,4). 


*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag vou J. K. Lehmann in München. — Druck von K. Mühlthaler's Luch- und Kunstdruckerei A.G., München. 


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MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 






DIo Mönch. Med. Wochenichr. erscheint wAchentl. H/TT T'VT/'N I T I j^TVTT~jVT} Znsendungen alnd «n edreetiren: För die Redectlon 

ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen. |Y| I I I \ 1 . I — I |i ■ rfc. Ottosireeee t. — Für Abonnement an J. F. Leh- 

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Ina Ausland 7.60 JC Einseine No. 80 4- an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Cb. Biialer, 0. Bolllnger, H. Curscbaun, 

Freiburg 1. B. Mönchen. Leipzig. 

No. 44. 29. Oktober 1901. 


Herauagegeben von 

C. 6erhirdt, 6. Merkel, J. v. Mlcbel, H. i. Rinke, F. v. Wiechel, 

Berlin. Nürnberg. Berlin. Mönchen. Mönchen. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasee 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustraase 20. 


H. v. Zleastei, 

Münch«. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der chirurgischen Klinik zu Leipzig. 

Ueber Heilung der angeborenen Blasenspalte mit 
Kontinenz des Urins. 

Von F. Trendelenburg. 

Es sind jetzt 20 Jahre verflossen seit ich (Juli 1881) zum 
ersten Aral den Versuch machte, bei angeborener Harnblasen- 
spalte mit Ektopie der Blase durch direkte seitliche Vereinigung 
der Spaltränder eine von Schleimhaut ausgekleidete normal 
funktionirende Blase zu schaffen — ein Ziel, welches ich da¬ 
durch zu erreichen suchte, dass ich in einer Voroperation auf 
einer oder auf beiden Seiten die Synchondrosis sacro - iliaca 
trennte, um so die beiden vorn auseinander klaffenden Becken¬ 
hälften und damit zugleich die Spaltränder einander zu nähern 1 ). 
Von den früheren 6 Patienten, die ich nach dieser Methode 
operirt habe, leben 4, 3 jetzt erwachsene junge Männer und 
1 Mädchen, von denen 2 junge Männer emo annähernd normal 
funktionirende Blase erlangt haben. Ueber den einen dieser 
beiden Patienten, der in Breslau lebt, haben Mikulicz und 
Tietze*) vor einigen Jahren berichtet, er hat „fast völlige 
Kontinenz“. Den anderen sah ich kürzlich wieder, er bleibt 
des Nachts trocken, wacht 2 oder 3 mal mit Harndrang auf, 
lässt Urin und schläft weiter, im Stehen kann er den Urin 
aber nur mit besonderer Willensanstrengung für kurze Zeit 
halten, so dass er doch ein Urinal tragen muss. Der 3. junge 
Manu, und nach brieflicher Mittheilung auch das junge Mädchen, 
haben keine Kontinenz. Delagcniere’) in le Maus be¬ 
richtete in Moskau über einen Fall, in dem er durch Operation 
nach meiner Methode Kontinenz erzielte. 

Alle Modifikationen des Verfahrens der direkten Naht¬ 
vereinigung, wie sie von Czerny (1883), Mikulicz, 
Schlange, König, Rydygier, Ilocf traann, Beck 
u. A. angegeben worden sind, denen gemeinsam ist, dass sie die 
Vereinigung der Spalträndcr ohne Synchondrosentrennung, 
und zwar mit oder ohne Ersatz dieser Hilfsoperation durch be¬ 
sondere, die zu vereinigenden Theilo mobilisirende operative 
Maassmihmen an den Rändern der Bauch- und der Beckenspalte, 
anstroben, haben meines Wissens noch in keinem Falle zu voll¬ 
ständiger Kontinenz geführt. Denn der Fall, in dem Pop- 
]i e r t *) durch eine besondere Art der Naht am Blasenhalse Kon¬ 
tinenz erzielte, war nicht ein Fall von totaler, sondern nur von 
partieller Blasenspalte, ebenso wie ein mit gleichem Resultat 
operirtev Fall von Lot heissen (v. Hacker'). Wenn nicht 
die ganze vordere Blasomvand und nicht die ganze Bauchwand 
bis zum Nabel gespalten ist, sondern nur der Blascnhals und 
«ler unterste Theil der vorderen Blasenwand, so liegen die Ver¬ 
hältnisse natürlich viel günstiger, da die Spaltränder weniger 
weit von einander entfernt sind. In solchen Fällen gelingt also 
die Heilung mit Kontinenz, wie die beiden Beispiele zeigen, 
ebenso wie bei Epispadio, die mit Inkontinenz verbunden ist, 
auch ohne Synchondrosentrennung'). 

’) Centralbl. f. Chirurg. 1883. No. 49; 1886, No. 24; 1887, No. 25. 
Arch. f. klin. Chirurg. XXXIV. und XLIII. Jubiläumsheft. 

’) Beiträge z. klin. Chirurg, von Bruns. XVIII. 

') Centralbl. f. Chirurg. 1900, p. 1281. 

4 ) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. XXVIII, 528. 

5 ) Vergl.: Ueber meine Erfahrungen bei Epispadle. Arch. f. 
klin. Chir. XLIII. 

No. 44. 


Diese immerhin noch recht mangelhaften Resultate und 
die bei den Chirurgen verbreitete irrige Anschauung, dass die 
Trennung der Synchondrose eine schwierige und gefnhrvollo 
Operation sei, was sie bei Kindern durchaus nicht ist, erklären, 
dass man von verschiedenen Seiten auf die Herstellung einer 
normalen Blase von vornherein überhaupt verzichtet und bei 
der Behandlung ganz andere Wege eingcschlagen hat — meiner 
Ansicht nach Abwege. Sonnenburg*) exstirpirt bekanntlich 
die ganze Blase und heilt die Uretercn in die Penisrinne ein, 
wodurch die Verhältnisse für den Kranken insoferne etwas 
günstiger gestaltet werden, als das Urinal besser anzulegen ist 
und leichter sämmtlichen Urin auffängt, auch der lästige Prolaps 
der Blase wegfällt. Das Sonnenburg’sche Verfahren ist 
älter als das meinige, aber Sonnenburg hat auch später 
daran festgehalten. In neuerer Zeit hat dann AI a y d 1 T ) die 
früheren missglückten Versuche der englischen Chirurgen 
Simo n und Smith u. A., die Uretercn in den Darmkanal zu 
transplnntircn und so den Urin statt in der Blase im Rectum sieh 
ansaimneln zu lassen, in sehr wesentlich verbesserter Form wieder¬ 
holt und damit in einer Reihe von Fällen ein sehr günstiges 
Resultat erzielt. Die Patienten können den Urin stundenlang 
im Rectum zurüekhalten. Diese AI a y d l’sehc Afethode der 
Implantation der Uretercn in die Flexura sigmoidea, welch« 
schon In über 40 Fällen Anwendung gefunden hat, ist wohl die 
bei totaler Blasenspalte zur Zeit am meisten gebräuchliche. 



Fig. 1. Fig. 2. 


Ich habe nun in den letzten Jahren nach längerer Paus« 
wieder 3 Knaben mit vollständiger Blascnspalto in Behandlung 


*) Berl. klin. Wochen sehr. 1881, 30 un«l Verhandl. der Deutsch. 
Gesellsch. f. Chirurg. 1882. 

’) Wien. med. Wocheuschr. 1894, 23—28. 

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1740 


MuEjnuHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


bekommen und nach meiner Methode operirt. Zwei davon sind 
noch in Behandlung, der dritte ist. geheilt. Dieser, ein jetzt 
6 Jahre alter Knabe, kann den Urin bis zu 2 Stunden zurück¬ 
halten, die Menge des dann in kräftigem Strahl (vgl. Fig. 1) ent¬ 
leerten Urins betragt 40 ccm und darüber. Er kann den Strahl 
auch willkürlich abbrcchen und wieder in Gang setzen, kurz 
die Funktion der Blase ist vollständig hergestellt. Die einzige 
noch vorhandene geringfügige Störung besteht darin, dass das 
Uriniren wenigstens alle 2 Stunden, also häufiger als normal, 
erforderlich wird und dass bei psychischer Erregung mitunter 
einige Tropfen Urin unwillkürlich abgehen. Für gewöhnlich 
bleiben die Kleider ganz trocken. Nachts muss er einige Mal 
zum Urinlassen geweckt werden, wenn er trocken bleiben soll ’). 

Dieses Resultat ist erreicht durch im Ganzen 5 Operationen, 
wobei die Operationen zur Beseitigung der beiden angeborenen 
Leistenbrüche, welche bei dem Knaben bestanden haben, nicht 
mitgezählt sind. Die Operationen vertheilen sich auf einen 
Zeitraum von 2 V» Jahren. Ich hätte auch schneller Vorgehen 
können, aber es ist immer rathsam, die Kinder sich nach jeder 
Operation erst wieder ordentlich erholen und die Narben erst 
wieder weich werden zu lassen, ehe man die nächste Operation 
vornimmt, auch wurde die Behandlung dadurch verzögert, dass 
der zarte Knabe wiederholt von Anginen befallen wurde, die 
Masern durchzumachen hatte und gelegentlich Decubitus bekam. 
Das Bild vor Beginn der Behandlung war das typische Bild der 
Spaltung mit F.ktopie der Blase (vgl. Fig. 2). 


durch Naht geschlossene Wunde in der Gegend der Synchondrose 
heilt fast immer per primam. 

Drei Monate später wurde in Beckenhochlagerung, wobei in 
tiefer Narkose die sich sonst herausstülpende Blase ganz in die 
Bauchhöhle zurücksinkt oder mittels eines Schwämmchens leicht 
in die Bauchhöhle zurückgedrückt erhalten werden kann (vgl. 
Fig. 3), die Anfrischung, Ablösung und Vcmähung der Spalt¬ 
ränder vorgenommen. Nur etwa in der Mitte der vorderen 
Blasenwand wurde zum Abfluss des Urins eine etwa erbsengrosse 
Oeffnung zurückgelassen. Wie gewöhnlich gelang die Nahtver- ' 
einigung ohne Spannung sehr leicht im Bereich des Penis, etwas 
schwieriger im Bereich der Blase und am unvollkommensten an 
der wichtigsten Stelle, am Blasenhals. Hier bildete sich auch, 
während alles Uebrige glatt heilte, eine Fistel. — Auch nach 
dieser Operation that die Wasserstrahlpumpe, welche den Urin 
von der Nahtlinie absaugte, ausgezeichnete Dienste. 

Als der Knabe sich wieder vollständig erholt hatte, wurde 
das absichtlich offen gelassene Loch in der vorderen Blasenwand 
durch Lappendeckung geschlossen, wobei wieder eine kleine Fistel 
am Scheitel der Blase zurückblieb. 

In einer vierten Operation wurde diese kleine Fistel durch 
Deckung mit einem Hautläppchen zum Verschluss gebracht uni 
zugleich dio etwas weitere Fistel am Blasenhals bezw. an der 
Wurzel des Penis, durch welche jetzt aller Urin abfloss, in An¬ 
griff genommen. Die Fistel wurde durch 2 in der Längsrichtung 
der Harnröhre liegende schwach bogenförmig gekrümmte, nach 



Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. 


Die erste Operation bestand in der Trennung der rechten 
Synchondrosis sacro-iliaca, die linke Synchondrose blieb un- 
getrennt, da es sich zeigte, dass die einseitige Operation zur 
genügenden Annäherung der Spaltränder gegeneinander aus- 
reichtc. Der Knabe wurde in den früher von mir angegebenen 
Lagerungsapparnt zur seitlichen Kompression der Beckenhälften 
gebracht und der Urin mittels einer Bunsen’schen Wasser¬ 
strahl-Luftpumpe abgesaugt, so dass der Knabe ziemlich trocken 
blieb und die Operationswunde an der Synchondrose nicht mit 
Urin in Berührung kam. Die Anwendung dieser kleinen Pumpe, 
derselben, welche Perthes bei der Behandlung von Empyemen 
verwendet, um den Druck im Pleuraraum durch Ansaugen 
negativ zu machen, ist ein nicht unwesentlicher Fortschritt in 
der Nachbehandlung gegen früher. Die Pumpe wird an den 
Hahn der Wasserleitung angefügt, druch einen Gummischlauch 
steht sie mit einer verschlossenen Glasflasche und durch diese 
mit einem dünnen Drainrohr in Verbindung, dessen schräg ab¬ 
gestutztes Ende mittels eines Streifchens Heftpflaster in der 
Inguinalgegend so fixirt wird, dass das Lumen in den kleinen 
See von Urin eintaucht, welcher sich bei Rückenlage des Kranken 
in der Gegend des Blasenhalses ansammelt. Unter hörbarem 
Geräusch wird der Urin in kleinen Quantitäten stossweise in 
die Flasche hinein abgesaugt. Unter dem Schutze dieser ein¬ 
fachen Vorrichtung braucht der kleine Patient nur selten wieder 
trocken gelegt zu werden, die ganz oder fast in ganzer Ausdehnung 

*) Der Knabe wurde der chirurgischen Sektion der Versamm¬ 
lung deutscher Naturforscher und Aerzte ln Hamburg vorgestellt. 


oben bis in den unteren Abschnitt der Blase, unten bis zur Corona 
glandis reichende Incisionen Umschnitten, Blasenhals und 
Urethra wurden durch schräg in die Tiefe gehende Schnitte 
jederseits vom Schambein ergiebig abgelöst, und da Blasenhals 
und Anfangstheil der Harnröhre nach dem Aufklappen der Rinne 
als abnorm breit erschienen, so dass zu fürchten war, der durch 
Naht geschlossene Ring möchte zu weit werden, um einen Ver¬ 
schluss des Lumens durch Sphinkterwirkung zu Stande kommen 
zu lassen, wurde vor Anlegung der Naht vom Rande der Blasen- 
und Urethralrinne jederseits ein schmaler Streifen fortge¬ 
nommen. Sodann wurden Urethra und Blasenhals mit feinem 
Catgut, die darüber liegenden Weichtheile einschliesslich der 
Haut mit feiner Seide sehr sorgfältig vernäht. Der Urin wurde 
durch einen dünnen Katheter abgeleitet. 

Von dieser Operation, welche im Uebrigcn zu vollständiger 
Heilung führte, blieb eine haarfeine Fistel hinter der Eichel 
zurück, aus der beim Urinlassen — Kontinenz war jetzt vor¬ 
handen — der Urin in einem feinen Nebenstrahl oder tropfen¬ 
weise hervorkam. Dieses letzte Fistelchen Hess sich durch An¬ 
frischung und Naht leicht zum Verschluss bringen (vgl. Fig. 4). 

Ich will nicht behaupten, dass das geschilderte Verfahren in 
allen Einzelheiten vollkommen ist und sich nicht noch verbessern 
und vereinfachen Hesse. Versuche in dieser Richtung, mit denen 
ich beschäftigt bin, sind noch nicht abgeschlossen. Soviel scheint 
mir aber schon jetzt festzustehen, dass die Methode, wenn sie 
ein so gutes Resultat ergibt, wie in dem beschriebenen Falle (und 
ich hoffe bald über weitere ähnliche Resutato berichten zu können), 
der Implantation der IJreteren in den Darm vorzuziehen ist. 


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29. Oktober 1901. 


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1741 


Letzter? Methode beseitigt zwar die Inkontinenz, setzt aber an 
Stelle dieser schweren Infirmität eine andere, wenn auch sicher 
viel geringere Infirmität. Denn die Urinentleerung durch den 
Anus nach Art der Vögel und Amphibien ist und bleibt für den 
Menschen nicht nur ein unnatürlicher Zustand, sondern auch, 
wenigstens für das männliche Geschlecht, eine recht unange¬ 
nehme Infirmität. Die andere Methode schafft Kontinenz und 
zugleich nahezu normale anatomische Verhältnisse mit nahezu 
normaler Funktion der von der Missbildung betroffpnen Organe. 
Auch bezweifle ich nicht, dass die Maydl’sehe Methode sich als 
gefährlicher erweisen wird als die meinige, sobald einigermaassen 
gleichwertige Zahlenreihen einander gegenüber gestellt werden 
können. 

Bemerken möchte ich noch, dass die Form des Penis sich 
nach Anwendung meiner Methode auffallend gut gestaltet (vgl. 
Fig. 5, erwachsener Patient). Durch die Annäherung der 
Beckenhälften gegen einander werden auch die auseinander ge¬ 
wichenen Crura penis einander genähert und dadurch gewinnt 
der Penis wesentlich an Länge. Der Gang der jetzt erwachsenen 
Opcrirten ist ein absolut normaler, auch in dieser Beziehung 
braucht man die Trennung der Synehondrosen nicht zu scheuen. 


Ueber die Entstehung von Tumoren, Tuberkulose 
und anderen Organerkrankungen nach Einwirkung 
stumpfer 6ewalt (unter Ausschluss von Frakturen, 
Luxationen, Hernien und traumatischen Neurosen). 1 ) 

Von Professor Dr. Jordan in Heidelberg. 

M. II.! Seit der Einführung der Unfallgesetzgebung in 
Deutschland hat dieFragc der Beziehungen von Traumen zur Ent¬ 
stehung von Geschwülsten und einer Reihe anderer Organ¬ 
erkrankungen neben dem wissenschaftlichen Interesse, das sie 
früher fast ausschliesslich erweckte, eine eminent praktische Be¬ 
deutung erlangt, sic ist in neuerer Zeit bei den Aerzten geradezu 
populär geworden. In Folge der rapiden Entwicklung der Ver¬ 
kehrsverhältnisse und der stetigen Ausbreitung der Industrie ist 
die Zahl der Unfälle von Jahr zu Jahr gestiegen und andererseits 
ist die in der menschlichen Natur liegende Neigung der Kranken, 
ein lokal auftretendes Leiden mit einer lokalen Ursache, speziell 
mit Verletzungen, in Zusammenhang zu bringen, durch die Aus¬ 
sicht auf materiellen Gewinn, auf Entschädigung seitens der Be- 
rufsgcnovsenschaften eher grösser geworden. Jedem praktischen 
Arzte wird heutzutage die Aufgabe gestellt, sich gutachtlich da¬ 
rüber auszusprechen, ob die Angabe des Patienten, dass ein Car- 
cinom auf einen vor Jahren erlittenen Stoss, eine Caries pedis 
auf eine vor Monaten stattgefundene Distorsion, eine Osteo¬ 
myelitis tibiae auf einen vor wenigen Tagen erfolgten Fall 
zurückzuführen sei, Glauben verdiene. Das praktische Bedürf¬ 
nis« hat eine Vertiefung in den Stoff veranlasst, hat dazu ge¬ 
führt, Anschauungen, die man früher auf Grund klinischer Ver¬ 
hältnisse für feststehend hielt, auf experimentellem Wege zu kon- 
troliren und hat endlich eine statistische Verarbeitung des klini¬ 
schen Materials gezeitigt. Bei dieser Sachlage dürfte es von 
Interesse sein, objektiv festzustellen, welche positiven Kennt¬ 
nisse wir zur Zeit über das Kausalitätsverhältniss von Traumen 
und einer Anzahl von Erkrankungen besitzen und bin ich daher 
der ehrenvollen Aufforderung der Geschäftsleitung unserer Ver¬ 
sammlung. Ihnen einen solchen Ueberblick zu geben, gerne ge¬ 
folgt. 

Bei dem mir gestellten Thema handelt es sich nach 
meiner Auffassung ausschliesslich um die Frage des Ein¬ 
flusses einer einmaligen stumpfen Gewalt¬ 
einwirkung, einer Kontusion als Folge eines 
Falles, eines Stoss es etc. auf die Entstehung 
von Tumoren, chirurgischen Tuberkulosen und anderen 
chirurgischen Affektionen, deren Besprechung ich bei der Kürze 
der mir zugemessenen Zeit auf die akute Osteomyelitis und die 
Beritvphlitis beschränken muss. 

Eine Gewebsquetschung als solche bewirkt Gefässzerroissung, 
Blutung, Ernährungsstörung oder Abtödtung von Gewebsclemen- 
ten, kann aber nach der herrschenden Anschauung keine echte 
Geschwulst erzeugen. Erfahrungsgemäss entwickelt sich das 

’) Vortrag, gehalten lra Aufträge der GescliRftsleltung der 
73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Ham¬ 
burg am 24. IX. 1901. 


Gros der Tumoren ohne vorausgegangenes Trauma und die zahl¬ 
losen Unfälle, die zur Beobachtung kommen, sind nur in einer 
verschwindend kleinen Zahl von Fällen von Gesehwulstbildung 
gefolgt. Bei Thieren ist es niemals gelungen durch stumpfe Ge- 
walteinwirkung eine Neubildung zu erzeugen. Das Trauma 
könnte also nur durch Folgezustände, wie H.vperaemie, entzünd¬ 
liche, reparative Processe den Anstoss zur Tumorbildung geben, 
indirekt geschwulstbildend wirken. W issen- 
schaftlich wäre die Wechselbeziehung nur dann zu ergründen, 
wenn es gelänge, die verschiedenartigen, beim Menschen vor¬ 
kommenden Geschwülste etwa durch Implantation von Ge¬ 
schwulstpartikeln oder durch Impfung mit spezifischen Erregern 
bei Versuchsthieren zu erzeugen und den Einfluss von Kontu¬ 
sionen auf das infizirto Organ zu studiren. Die Frage des 
Kausalitäts Verhältnisses ist demnach auf’s 
Engste verknüpft mit dem Problem der Ent¬ 
stehung der Tumoren überhaupt. 

Was das letztere betrifft, so hat der 1877 von Cohnheim 
in seiner allgemeinen Pathologie ausgesprochene Satz: „wenn es 
irgend ein Kapitel in unserer Wissenschaft gibt, das in tiefes 
Dunkel gehüllt ist, so ist dies die Aetiologie der Geschwülste“ 
auch heute noch volle Geltung; von einer Einsicht in die Ur¬ 
sachen der Genese sind wir noch weit entfernt. 

Die theoretische Erörterung muss sich unter 
diesen Umständen an die über die Geschwulstent¬ 
stehung aufgestellten Hypothesen halten. Indem 
wir die gangbaren Theorien Revue passiren lassen, werden wir 
feststellen, ob und in welchem Umfang dieselben 
den Einfluss einer Kontusion auf die Ge¬ 
schwulstentwicklung verständlich erschei¬ 
nen lassen. 

Von der, zuletzt namentlich von B i 11 r o t h vertretenen An¬ 
schauung, dass der Geschwulstbildung eine spezifische allgemeine, 
der tuberkulösen analoge Diathese zu Grunde liege, ist man zu¬ 
rückgekommen, inan nimmt vielmehr mit V irchow an, dass 
es sich bei den Geschwülsten um ein rein lokales Leiden handelt 
und dass zur Entstehung zwei Momente gehören, nämlich einmal 
eine lokale Gewebsveränderung und dann ein Reiz, der die vor¬ 
handene Anlage zur Entfaltung bringt. Die verschiedenen Hypo¬ 
thesen legen auf den einen oder anderen dieser Faktoren das 
Hauptgewicht. 

Vircho w vertritt den Standpunkt, dass bei der Existenz 
gewisser, ihrer Natur nach unbestimmter Veränderungen der 
anatomischen Zusammensetzung einzelner Gewebsabschnittc lo¬ 
kale Reize, speziell auch Traumen, die Geschwulstbildung ver¬ 
mitteln können: der stumpfen Gewalteinwirkung kommt also 
nach V i r c h o w eine grosse Bedeutung für die Geschwulst- 
geneso zu. Cohnheim führte die Tumoren auf Unregel¬ 
mässigkeiten der embryonalen Anlage zurück, liess sie von über¬ 
schüssigen, beim Aufbau der Organe nicht zur Verwendung ge¬ 
langten Zellen uusgehen, die an einer Stelle im Gewebe ab¬ 
geschlossen sitzen bleiben oder mehr oder weniger gleichmässig 
über eine der histogenetischen Keimanlagen vertheilt sind. 
Reichliche Blutzufuhr, wie sie durch physiologische Verhältnisse 
(Pubertät, Gravidität, Knochenwachsthum) herbeigeführt wird, 
ist allein ausreichend, um diesen embryonalen Zellen die ur¬ 
sprüngliche Fähigkeit reichlicher Produktion wiederzugeben. 
Lokale Reize haben nach C o h n h e i m keine oder nur minimale 
Bedeutung, doch gibt er zu, dass die einem Trauma folgende 
entzündliche Hyperaemie einen vorhandenen Geschwulstkeim 
zur Entwicklung bringen oder dass bei der Anlage eines Systems 
zur Geschwulstbildung ein Trauma gelegentlich den speciellen Ort 
des Gewächses bestimmen könne. Bei seinem ablehnenden Stand¬ 
punkt hinsichtlich der traumatischen Aetiologie der Geschwülste 
stützt sich Oohnhoiin auch auf die Erfahrungen der Klinik, 
insbesondere auf die Statistik Wolf f s ’) aus der Langen- 
beck'schen Klinik, die ergab, dass bei 86 Proc. der Tumoren 
kein vorausgegangenos Trauma nachweisbar war. Die Cohn- 
h e i m’sche Theorie ist für einen Theil der Geschwülste als 
richtig anerkannt: Dermoidcysten, branchiogene Oarcinome, die 
Mischtumoren des Hodens, der Parotis lassen sich in der Thnt 
nur durch Keimversprengung erklären. Sic bedeutet insofern 
einen Fortschritt, als sie uns den Charakter der Ausgangszeilen 
der Geschwülste enthüllt. 

*) W o 1 11 : Zur Entstehung von Geschwülsten nach trau¬ 
matischen Einwirkungen. Inaug.-Dlss., Berlin 1874. 

1 * 


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1742 


MUENCHENER MEDICINISCHE WO CHEN SCHRIET. 


No. 44. 


R i b b e r t’s 3 ) neueste Lehre ist als eine Erweiterung der 
0 o h n h e i machen Hypothese, als eine Ausdehnung derselben 
au? das extrauterine Leben zu bezeichnen. Nach R i b b e r t 
bewahren die Zellen ihre embryonale Fähigkeit der Produktivität, 
sind aber durch ihre Einfügung in das normale Gewebe an der 
Entfaltung dieser Fälligkeit gehindert. Sobald das Hinderniss 
wegfällt, sobald die Zellen aus ihrem physiologischen Zusammen¬ 
hang gelöst und gleichsam ihrer ursprünglichen Freiheit wieder¬ 
gegeben werden, können sie schrankenlos wuchern und damit 
Geschwülste erzeugen. Die Geschwulstbildung setzt also nach 
R i b b e r t die Isolirung von Gewebselementen, das Unabhängig¬ 
werden derselben von der übrigen Umgebung voraus. Eine 
Qualitätsänderung der Zellen im Sinne Ilansemann’s (Ana¬ 
plasie) ist dabei nicht im Spiele. Für eine solche Loslösung 
von Zellen oder Zellgruppen aus ihrem Zusammenhang ist nun 
das Trauma nach Ribbert von grosser Bedeutung und zwar 
direkt und mehr noch indirekt. Durch einen Stoss, eine Quetsch¬ 
ung können Zellen direkt abgetrennt und damit zur Geschwulst¬ 
bildung befähigt werden. Die Möglichkeit einer solchen Ge¬ 
schwulstgenese ist z. B. für die Epithelcysten der Finger durch 
Thierexperimente Scliwenninge r’s, Kaufman n’s und 
R i b b e r t’s erwiesen. Für die Bildung maligner Tumoren 
dürfte indessen dieser Modus jedenfalls nur ausnahmsweise in 
Betracht kommen, da plötzlich abgerissene Zellgruppen in Folge 
unzureichender Ernährung meist zu Grunde gehen werden. Eine 
genügende Ernährung ist nach Ribbert nur dann gesichert, 
wenn die Abtrennung der Elemente ganz allmählich erfolgt. 
Beim Careinom wird diese allmähliche Isolirung durch primäre 
Bindegewebswucherung herbeigeführt, das wuchernde Binde¬ 
gewebe durchwächst das Epithel und die dadurch selbständig 
gewordenen Epithelzellen vermehren sich nun wie die embryo¬ 
nalen Zellen Cohnheim’s. Bei diesem Vorgang kann das 
Trauma indirekt eine Rolle insofern spielen, als es die Binde¬ 
gewebswucherung durch eine Entzündung vermittelt. Diese Ent¬ 
zündung wird möglicherweise — hier macht Ribbert den An¬ 
hängern der parasitären Aetiologie des Carcinoms eine Kon¬ 
zession — durch Parasiten verursacht, deren Lokalisation durch 
die vorausgegangene Gewebsquetschung begünstigt wird. 

Seitdem die bakterielle Richtung in der Medicin zur Herr¬ 
schaft gelangt ist, hat die Zahl derjenigen, die auch die malignen 
Tumoren auf Rechnung bakterieller Infektion zu setzen ver¬ 
suchen, bedeutend zugenommen. Die parasitäre Theorie, deren 
Anhänger sich zumeist im Lager der Chirurgen finden, schwebt 
indessen noch ganz in der Luft; alle Versuche, spezifische Er¬ 
reger zu finden, sind bis jetzt gescheitert. Eine Reihe von 
Momenten, in erster Linie das selbständige Wachsthum der 
Tumoren, ihre Weiterverbreitung durch die Zellen des primären 
Tumors sprechen gegen eine parasitäre Entstehung. Für die 
Vertreter der parasitären Lehre ist der Einfluss eines Traumas 
auf die Tumorentwicklung verständlich: die Kontusion setzt 
die Widerstandsfähigkeit des Gewebes herab und erleichtert den 
im Körper befindlichen Mikroben die Lokalisation und Wuche¬ 
rung. 

Aus den bisherigen Betrachtungen folgt, dass die be¬ 
stehenden Hypothesen den geschwulstbeför¬ 
dernden Einfluss einer stumpfen Gewaltein-' 
Wirkung in engeren oder weiteren Grenzen 
möglich erscheinen lassen, dass wir aber über 
die t h a t s ä c h 1 i ch e Rolle, die das Trauma spielt, 
keinerlei Anhaltspunkte besitzen. Bei Beur- 
theilung der Verhältnisse sind wir daher einzig und allein 
angewiesen auf klinische Erfahrungen und 
Beobachtungen. 

Wolf f 4 ) stellte 1874 574 Geschwulst fälle aus der Langen- 
bcck'schen Klinik zusammen und fand in 82 Fällen, d. h. in 
14.3 Proe., ein vorausgegangenes Trauma verzeichnet. Liebe“) 
verarbeitete das Material der Strassburger Klinik aus den Jahren 
1872—1881 und konstatirte bei 343 Tumoren in 37 Fällen = 
10,8 Pro«’, traumatische Aetiologie. Von 499 Fällen der Mün- 


*) 11 i b b ert: Lehrbuch der allg. Pathologie 1900 und: Inwie¬ 
weit können Neubildungen auf traumatische Einflüsse zurück¬ 
geführt werden? Aerztl. Saehverstündigenztg. 1898. 

*) 1. c. 

s ) Liebe: Beiträge zur Lehre von der traumatischen Ent¬ 
stehung der Sarkome und Euchondrome. Inaug.-Diss., Strass¬ 
burg 1881. 


chener Klinik wurden nach Z i e g 1 e r’s °) Berechnung 70, d. h. 
18Proc., auf einen Unfall zurückgeführt. Löwenthal 1 ) (1895) 
sammelte mit Bienenfleiss 800 traumatische Tumoren aus der 
Literatur, doch ist diese Zusammenstellung für unsere Frage 
werthlos, da eie uns keine Verhältnisszahl liefert und zudem die 
Angaben über das stattgehabte Trauma in der Mehrzahl der 
Fälle ganz unzuverlässige sind. Im Jahre 1898 regte v. Büngner 
in dankenswerther Weise eine Sammelforschung an, um durch 
grösseres klinisches Material die Frage des Kausalzusammen¬ 
hangs zwischen Tumor und Trauma der Lösung näher zu bringen. 
Sein Aufruf veranlasste eine Anzahl von chirurgischen Kliniken 
zur statistischen Verarbeitung der in den Jahren 1893—1898 
beobachteten Geschwülste und zur Publikation der Resultate. 

Unter 714 Geschwulstfällen der Brun s’schen Klinik waren 
nach Würz*) 19, d. h. 2,66 Proe., mit Wahrscheinlichkeit auf 
ein Trauma zurückzuführen. Zu einem ähnlichen Procent¬ 
satz 8 ). nämlich 2,06 Proe., gelangte Machol auf Grund von 
920 Tumoren der Strassburger Klinik, von denen 24 mit einiger 
Wahrscheinlichkeit traumatischer Natur waren. Sandhövel' 0 ) 
führte von 230 Geschwülsten der Bonner Klinik 17, d. i. 7 Proe., 
auf ein einmaliges Trauma zurück; von diesen sind aber nur 
8 Fälle, d. i. 3,5 Proe., stichhaltig und bei strenger Kritik nur 
1 Fall (Sarcoma scapulae) beweiskräftig. Von 579 malignen 
Tumoren der Königsberger Klinik wiesen nach Lengnick ") 
12 Fälle eine vorausgegangene Verletzung auf, d. i. 2,07 Proe.; 
eine Durchsicht der Krankengeschichten ergibt indessen, dass 
nur 5 als traumatisch anerkannt werden können, d. i. 0,86 Proe. 
Von 300 Fällen bösartiger Geschwülste der Erlanger Klinik i: ) 
waren 33 nach Angabe der Patienten traumatischen Ursprungs 
und von diesen wurden 6, d. i. 2 Proe., auf eine einmalige stumpfe 
Gewalteinwirkung zurückgeführt; thatsächlich hält aber nur 
einer der traumatischen Fälle (= 0,33 Proe.) der Kritik Stand. 

Die neuesten Statistiken, die augenscheinlich mit strengerer 
Kritik der Fälle bearbeitet worden sind, zeigen bezüglich 
der Frequenzziffer eine auffallende U eber¬ 
einstim mung, ergeben, dass einmalige stumpfe 
Gewalteinwirkung nur in einem sehr kleinen 
Procentsatz der Fälle für die Entstehung von 
Geschwülsten verantwortlich gemacht wird. 

Ueber den Einfluss des Traumas auf die einzelnen Ge¬ 
schwulstarten ergibt sich aus den erwähnten Zusammenstellungen 
Folgendes: 

1. Carcinome. 

Unter den Tumoren der Tübinger Klinik befanden sieh 
502 Carcinome, von denen nach Würz kein einziges mit Sicher¬ 
heit auf ein einmaliges Trauma zurückgeführt werden konnte. 
Die traumatische Entstehung wurde nur in 7 Fällen von Mamma- 
carcinom behauptet, doch war der Zusammenhang in keinem 
dieser wahrscheinlich. Machol verzeichnete unter 502 Car- 
cinomen 6 Fälle, d. i. 1,2 Proe., mit möglicher traumatischer Ent¬ 
stehung und zwar 4 Mamma-, 1 Magen- und 1 Gesiehtscarcinom. 
Von den Carcinomfällen Lengnick’s wurden 2 auf Trauma 
bezogen, die indessen beide nicht stichhaltig sind. Von 184 Fällen 
der Bonner Klinik wurden 6, nämlich 5 der Mamma und 1 des 
Gesichts, von Sandhövel als traumatisch erklärt, d. i. 3,26 Proe., 
thatsächlich ist aber keiner dieser Fälle auch nur einigermaassen 
beweisend. Ziegler (Münchener Klinik) verzeichnete 328 Car- 
cinomfälle und führte von 170 Mammacarcinomen 37 und von 
46 Carcinomen des Kopfes 1 Fall als traumatisch an; keine ein¬ 
zige dieser Beobachtungen kann indessen Anspruch auf Beweis¬ 
kraft erheben. Liebe hatte unter 221 Fällen 22 = 10 Proe. 
und W o 1 f f unter 344 42 = 12 Proe. traumatische Fälle re- 
gistrirt. 


*) Ziegler: Ueber die Beziehungen der Traumen zu den 
malignen Geschwülsten. Münch, med. Wochensclir. 1895. 

7 ) Löwenthal: Ueber die traumatische Entstehung der Ge¬ 
schwülste. Langenb. Arcli. Bd. 49. 

8 ) Würz: Ueber die traumatische Entstehung von (Je¬ 
schwülsten. Brun’s Beitrüge zur klln. Chirurgie Bd. 2(5, 1900. 

v ) Macliol: Die Entstehung von Geschwülsten iiu Anschluss 
au Verletzungen. Inaug.-Diss., Strassburg 1900. 

’") Sandhövel: Ueber den Einfluss von Traumen auf die 
Entstehung maligner Tumoren. Inaug.-Diss., Bonn 1900. 

“) Lengnick: Ueber den aetiologischen Zusammenhang 
zwischen Trauma und der Entwicklung von Geschwülsten. 
Deutsch. Zeitsohr. f. Chirurg. Bd. 52. 

,a ) Rausch: Verletzungen als Ursache von Tumoren. Inaug.- 
Diss., Erlangen 1900. 


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20. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1743 


Nach dem bis jetzt vorliegenden Material 
kann dem Trauma für die Entwicklung der 
Carcinome jedenfalls nur eine minimale Be¬ 
deutung zuerkannt werden. 

2. Sarkome. 

Für die Genese der Sarkome kommt dem Trauma zweifellos 
eine gewisse Bedeutung zu, es gibt Sarkomarten, bei denen die 
traumatische Entstehung direkt nachweisbar ist, nämlich die 
Callussarkome, die sich an der Stelle der Fraktur, offen¬ 
bar aus Zellen des regencrirenden Knochengewebes, entwickeln. 
In der Wür z’schen Statistik sind 82 Sarkomfälle verzeichnet, 
von denen 6 = 7,31 Proc. mit grosser Wahrscheinlichkeit auf 
stumpfe Gewalteinwirkung zurückzuführen sind, weil das Trauma 
an der Stelle der späteren Geschwulstbildung eingewirkt hatte 
und meist eine ununterbrochene Reihenfolge von Erscheinungen 
bestand. Von den 6 Sarkomen betrafen 5 die Extremitäten 
und 1 das Steissbein. Von 51 Fällen der Erlanger Klinik waren 3, 
d. i. 6 Proc., nach R a u s c h’s Ansicht im Anschluss an stumpfe 
Gewalteinwirkung entstanden, doch fehlen bei allen 3 Fällen 
nähere Angaben über das Trauma und die zeitlichen Verhält¬ 
nisse der Geschwulstentwicklung. Das Strassburger Material 
enthält 150 Sarkome, von denen nach M a c h o 1 11, d. i. 7 Proc., 
mit einem Trauma Zusammenhängen konnten. Leng nick 
sieht von den Königsberger Fällen 13 als wahrscheinlich trau¬ 
matisch an, doch sind von diesen nur 5 stichhaltig und gerade 
der Hauptfall, ein Myxosarcoma testis, ist in keiner Weise be¬ 
weiskräftig. Sandhövel fand bei 28 Sarkomen 1 mal trau¬ 
matische Entstehung (= 3,95 Proc.). C o 1 e y ”) gab von 170 Sar¬ 
komen 44 als traumatische an, doch ist die Mehrzahl derselben 
nicht beweiskräftig, da vielfach das Auftreten des Tumors schon 
1 Woche, 1—2 Monate nach dem Unfall beobachtet wurde. In 
Z i e g 1 e r’s Statistik (171 Fälle mit 35 traumatischen) sind die 
Angaben zu einer Verwerthung für unsere Frage zu ungenau. 
Liebe verzeichnete unter 42 Fällen 3 traumatische, d. i. 7 Proc., 
und W o 1 f f unter 100 Fällen 20 traumatische, d. i. 20 Proc. 
Unter den 800 traumatischen Tumoren Löwenthal’s fanden 
sich 316 Sarkome. 

Aus den angeführten Zahlen folgt, dass der Proceut- 
satz der traumatischen Sarkome zwar auch 
ein relativ geringer, aber doch ein mehrfach 
grösserer ist als der der Carcinome und die 
Durchsicht der Krankengeschichten ergibt, dass die trauma¬ 
tische Aetiologie vorzugsweise bei den Extremitäten¬ 
sarkomen eine Rolle spielt. 

Für die gutartigen Geschwülste, denen in puncto Begut¬ 
achtung keine so grosse Bedeutung zukommt, wie den bösartigen, 
berechnete Würz 3,12 Proc. und M a c h o 1 1,9 Proc. trauma¬ 
tische Fälle. Das Hauptkontingent zu den letzteren stellen die 
Enchondrome, Osteome und Exostosen, während die Kasuistik 
der Fibrome, Lipome, Myxome, Angiome, Adenome und Neurome 
nur vereinzelte Beobachtungen traumatischen Ursprungs auf- 
weist. Unter 10 Fällen von Exostosen der Brun s’schen Klinik 
waren 4 durch Trauma bedingt, von denen 2, durch Honsel 1”) 
ausführlich beschrieben, als typische Beispiele gelten dürfen. 
In der Statistik Lieb e’s sind von 7 Enchondromen 3 und von 
5 Exostosen 2, bei W o 1 f f von 18 Enchondromen 6 und von 
7 Exostosen 3 als traumatische notirt. Bezüglich der Exostosen 
ist übrigens zu bemerken, dass noch keine vollständige Ueber- 
cinstimmung darüber besteht, ob dieselben als echte Neubild¬ 
ungen oder als Produkte eines entzündlichen Processes aufzu- 
fassen sind. 

In der erwähnten LöwcnthaIschen Tabelle traumatischer 
Tumoren figuriren die Chondrome mit 3,4, die Fibrome und 
Keloide mit 2,6, die Osteome mit 2,25, die Lipome mit 2, die 
Gliome mit 1,4, die Adenome mit 1,25, die Myxome und Neurome 
mit je 1, die Angiome mit 0,6 und endlich die Myome mit 
0,25 Proc. 

Unter den benignen Tumoren kommt demnach der 
traumatische Einfluss überwiegend bei den Knochen- 
geschwülsten zur Geltung. 


Da wir für die Entscheidung der Frage eines Kausal¬ 
zusammenhanges uns ausschliesslich auf klinisches Material 
stützen können, müssen wir bei der Beurtheilung des letzteren 
strengste Kritik walten lassen. Einer klinischen Be¬ 
obachtung könnte meiner Meinung nach nur 
dann volle Beweiskraft zugesprochen werden, 
wenn sie folgende Bedingungen erfüllte: 1. Es 
muss die veranlassende Kontusion ärztlich 
beobachtet, topographisch genau fostgestellt 
und notirt worden sein. 2. Die Geschwulst 
muss in ihrer Lokalisation genau der Stelle 
der stattgehabten Gewalteinwirkung ent¬ 
sprechen. 3. Die Zeit zwischen Trauma und 
Auftreten des Tumors muss mit der Entwick¬ 
lungszeit des betr. Tumors übereiustimmen. 
4. Es müsste der Nachweis erbracht werden, 
dass an der Stelle der Kontusion nicht bereits 
die Anfänge der Geschwulstbildung bestanden. 

Ad 1. Die bisherigen Statistiken genügen dieser Forderung 
nicht. Die Angabe, dass die Geschwulst, auf ein früheres, oft 
jahrelang zurückliegendes, geringfügige« Trauma zurückzu¬ 
führen sei, stammt stets von den Patienten selbst und kann daher 
auf Zuverlässigkeit keinen Anspruch machen. Dazu kommt, 
dass die Statistiken nachträglich aus Krankengeschichten auge¬ 
fertigt wurden, bei deren Abfassung der Zweck der Sammel- 
forsehung noch nicht bestimmend war, dem Trauma als aetio- 
logischem Moment keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt 
wurde. In einer Reihe der veröffentlichten Fälle fehlt in der 
Tliat jeglicher Vermerk über den Ort der Kontusion und findet 
sich nur die Notiz „Fall“ oder „Stoss“. Die genannte 
Bedingung wird nur durch Einzelbeobacht¬ 
ungen, die der Zufall bringen muss, erfüllt 
werden können; erst nach Jahren werden wir, wenn die 
Aerzte der Frage ihr Interesse zuwenden, über ein grösseres zu¬ 
verlässiges Material zu verfügen in der Lage sein. 

Ad 3. Die Entwicklungszeit der Tumoren, 
insbesondere der malignen, ist im Allge¬ 
meinen unbekannt. Wir haben, wie ich schon an anderer 
Stelle ,5 ) ausführte, keine Ahnung davon, wie lange in einem 
gegebenen Falle die Neubildung von ihren ersten Anfängen im 
Gewebe bis zur Bildung eines klinisch hervortretenden Tumors 
gebraucht hat, nur so viel wissen wir, dass das Wachsthum sehr 
variirt, dass es sehr langsam und sehr rasch wachsende Car¬ 
cinome und Sarkome gibt. 

Bei den Carcinomen gibt uns das Auftreten von Recidiven 
nach Exstirpation des primären Tumors einen gewissen Anhalts¬ 
punkt für die Beurtheilung der Wachsthumszeit. Da die Reci- 
dive aus zurückgebliebenen Krebszellen sich entwickeln, die die 
gleiche Proliferationsenergie wie der Primärtumor besitzen, so 
wird die Entwicklungszeit der sekundären Geschwulst im Allge¬ 
meinen mit der der primären übereinstimmen. 

Wenn also nach Carcinomexstirpatiorien das Recidiv erst 
nach 5, 6, 8 Jahren in die Erscheinung tritt, so dürfen wir die 
gleiche Entstehungszeit für die ursprüngliche Geschwulst an¬ 
nehmen. Meiner Ueberzeugung nach können die ersten Stadien 
eines z. B. apfelgrossen Brustkrebses viele Jahre zurückdatiren. 
Auf der anderen Seite liegen bei den Sarkomen Beobachtungen 
vor, die für das Vorkommen einer sehr raschen Geschwulst¬ 
entwicklung sprechen. 

Aus der Kasuistik geht hervor, dass Callussarkome schon 
wenige Wochen nach geheilter Fraktur nachgewiesen werden 
können. Als typisches Beispiel sei ein Fall F 1 i t n e r’s '") aus 
der B r a m a n n’schen Klinik kurz erwähnt: 

Ein 17 jähriges Mädchen zog sich am 31.1.1891 eine Fractura 
femorls zu, die nach 5 Wochen consolidirt war; trotz bestehender 
Schmerzen ging die Patientin nun herum; nach 9 Wochen starke 
Anschwellung der Frakturstelle; Mitte April, also 10 Wochen 
nach dem Unfall, Sarkom festgestellt; die Operation wurde erst 
am 28. VII. von der Patientiu zugelasseu, als der Tumor nmnns- 
kopfgross war; am 29. IX. Exitus an Metastasen. 

T h i e m vertritt in seinem Handbuch der Uufallerkrank- 
ungen den Standpunkt, dass eine Kontusion für die Entstehung 
des Carcinoms nur dann verantwortlich gemacht werden könne. 


'*) Coley: The lufluence of injury upon the development of 
sarcoma. Annals of surgery 1898. 

,4 ) Hon seil: Heber traumatische Exostosen. Bruns’ Beitr. 
Bd. 22, 1898. 

No 41. 


’*) Jordan: Die chirurgische Behandlung der Uteruscarci- 
nonic. Zelt8chr. f. Geburtsh. u. Gynäkologie. Bd. 45, II. 2. 

,# ) Flltner: Ein Beitrag zur Lehre vom traumatischen Sar¬ 
kom. Inaug.-Diss., Halle 1890. 


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1744 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


wenn entweder die Erscheinungen der Geschwulstbildung späte¬ 
stens innerhalb zwei Jahren nach dem Trauma vorhanden seien, 
oder aber eine ununterbrochene Kette von Symptomen zwischen 
Unfall und Erkrankung bestehe. Eine solche verbindende Brücke 
wird durch zurück bleibende Anschwellung oder durch Schmerzen, 
die an der Quetschungsstellc bestehen bleiben oder innerhalb 
Jahresfrist wieder auftreten, hergestellt. Hat sich Jemand zwei 
Jahre nach dem Trauma völlig wohl befunden, so ist es nach 
T h i ( m höchst unwahrscheinlich, dass ein später auftretendes 
Carcinom von der Verletzung herrührt. 

Pieso Formulirung der zeitlichen Verhältnisse kann vom 
wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht als ganz einwandsfrei 
bezeichnet werden, denn einmal ist die Entwicklungszeit der 
C'arcinome, wie schon erwähnt, unbekannt und zweitens besteht 
die Erfahrungsthatsache, dass Carcinome lange Zeit symptomlos 
verlaufen können: Mammacarcinome von Eigrösse werden nicht 
selten von der Träger in oder von einem dieBrust aus anderenGrün- 
den untersuchenden Arzte zufällig entdeckt, Magenkrebse stellen 
vielfach einen zufälligen Sektionsbefund dar. Das Fehlen einer 
verbindenden Brücke zwischen Trauma und Tumor kann meines 
Erachtens nicht gegen einen etwaigen geschwulstbildenden Ein- 
iluss des Unfalls in’s Feld geführt werden und eine langjährige 
Latenzzeit ist ebenfalls nicht gegen den Kausalzusammenhang 
zu verwerthen. 

Ad 4. Da die Geschwülste aus mikroskopisch kleinen An¬ 
fängen sich entwickeln, von einzelnen Zellen oder Zellgruppen 
ihren Ausgang nehmen, entziehen sich die Anfangsstadien 
unserer Erkenntniss. Wir werden daher nie zu ent¬ 
scheiden vermögen, ob beim Eintritt des Un 
falles nicht schon der Tumor in kleinem Um¬ 
fang im Gewebe vorhanden war. Erschwerend für 
die Beurtheilung wirkt die oft lange währende klinische Latenz, 
sowie der Umstand, dass eine Kontusion ein rascheres Wachs¬ 
thum eines bestehenden Tumors auslösen kann. In Folge der 
nun mehr auf tretenden Schmerzen und der raschen Volums¬ 
zunahme wird die Aufmerksamkeit des Pat. auf die bis dahin 
symptomlose Geschwulst gelenkt. Diese Deutung gilt für eine 
Reihe von Fällen der einschlägigen Kasuistik, bei denen die 
Existenz eines schon ausgedehnten Carcinoms, z. B. der Mamma, 
einige Wochen nach einem Stoss konstatirt wurde. 

Bei der klinischen Rechnung haben wir es 
also mit 2 Unbekannten zu thun und sind da¬ 
her nicht in der Lage, einen vollgiltigen 
klinischen Beweis des Zusammenhangs von 
Tumoren mit einem Trauma zu führen. Es ent¬ 
zieht sich zur Zeit noch vollständig unserer Beurtheilung, in 
welcher Häufigkeit die Einwirkung von Kontusionen auf die 
Geschwulstgenese anzunehmen und welcher Art dieseWirkung ist. 

Das Ignoramus, das wir vom theoretischen Standpunkt aus¬ 
sprechen müssen, hat indessen keine erheblichen Konsequenzen 
für den begutachtenden Arzt; für ihn sind Möglichkeiten und 
Wahrscheinlichkeiten zur Abgabe seiner Entscheidung genügend, 
zumal nach dem Gesetz die Entschädigungsptlicht der Berufs¬ 
genossenschaft auch schon dann einzutreten hat, wenn der Un¬ 
fall nicht die alleinige, sondern nur eine der mitwirkenden Ur¬ 
sachen der Erkrankung bildet. Wenn das Trauma einen bis 
dahin symptomlosen Tumor zu raschem Wachsthum und damit 
zu klinischen Erscheinungen führt, so ist eben der Unfall als 
das ursächliche Moment der nun eintretenden Verschlimmerung 
zu bezeichnen. 

Da aus den statistischen Mittheilungen sich ergeben hat, 
dass die einmalige stumpfe Gewalteinwirkung im Grossen und 
Gunzen in der Aetiologie der Geschwülste eine sehr geringe 
Rolle spielt, wird man im Einzelfall ausserordent¬ 
lich kritisch bei der Beurtheilung des Kausal¬ 
zusammenhangs vorgehen müssen. Die Ver¬ 
sicherungs-Gesellschaft darf nur dann als 
haftpflichtig angesehen werden, wenn der 
Ort der Geschwulst genau der Stelle der 
stattgehabten Quetschung entspricht und 
die letztere selbst ärztlich festgestellt oder 
vom Patienten durch Zeugen einwandsfrei 
nachgewiesen worden ist. Ob die zeitlichen Verhält¬ 
nisse den ursächlichen Zusammenhang wahrscheinlich erscheinen 
lassen, muss im gegebenen Fall unter besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Natur des Tumors entschieden 


werden. Eine Brücke von Erscheinungen im Sinne T h i e m’s 
erleichtert dem Arzt die Beurtheilung des Falles, das Fehlen der¬ 
selben darf aber nicht für die Verneinung des Zusammenhanges 
bestimmend sein. 

Einen festeren wissenschaftlichen Boden betreten wir, wenn 
wir uns nunmehr der Frage zuwenden, übt eine Ge- 
webskontusion einen direkten Einfluss 
auf die Lokalisation chirurgischer Tuber¬ 
kulose, kann bei vorhandener tuberkulöser Disposition i n 
einem bis dahin gesunden Organ die Entwick¬ 
lung einer tuberkulösen Erkrankung durch 
eine einmalige stumpfe Gewalteinwirkung 
hervorgerufen werden? Wir kennen den Krankheits¬ 
erreger, wir sind im Stande, mit Reinkulturen desselben bei Ver- 
suchsthieren die Krankheit zu erzeugen und können demgemäss 
die Einwirkung von Traumen direkt studiren. 

Klinisch gilt es auf Grund vielfältiger Erfahrung längst für 
ausgemacht, dass in einem gewissen Procentsatz von Fällen 
tuberkulöse Affektionen der Knochen, Gelenke, Schleimbeutel, 
Sehnenscheiden, des Hodens, seltener Weise auch der Meningen 
in direktem Anschluss an Verstauchungen rosp. Quetschungen 
auftreten können und man hat daraus den Schluss gezogen, dass 
Kontusionsherde einen Locus ininoris resistentiae schaffen, den 
im Kreislauf befindlichen Tuberkelbacillen den Austritt aus den 
Gefässen, das Haften und Weiterwuchern ermöglichen. 

Ueber das Verhältniss von Trauma und Tuberkulose sind 
wir durch statistische Arbeiten der letzten Jahre genauer orien- 
tirt. Von 436 Fällen von Gelenk- und Knochentuberkulose der 
Mik ul ic ziehen Klinik wurden nach Wiener") 125, d.i. 28,6Proc. 
auf ein vorausgegangenes Trauma zurückgeführt und von diesen 
boten 26 Fälle, d. i. 6 Proc. das typische Bild der traumatischen 
Tuberkulose, insofern sich der tuberkulöse Process in mehr oder 
weniger direktem Anschluss an die Kontusion entwickelt hatte; 
in 54 der Fälle (= 12,4 Proc.) bestand eine kurze Inkubationszeit 
zwischen dem Unfall und dem Auftreten der ersten spezifischen 
Symptome. Lemgen“) berichtete über 261 Fälle der Bonner 
Klinik und führte 23 von diesen auf einen Unfall zurück 
(= 10 Proc.), von denen aber nur ein Theil als beweiskräftig 
angesehen werden kann. Unter 1729 Fällen der Tübinger Klinik 
waren nach H o n s e 11 1P ) 242, d. i. 14 Proc. wahrscheinlich trau¬ 
matischen Ursprungs, ln 88 dieser Beobachtungen gingen die 
direkten Folgen des Traumas ohne merkbare Grenze in die Tuber¬ 
kulose über (= 5 Proc.), in 100 Fällen bestand zwischen beiden 
eine Periode anscheinender Besserung und in 54 Fällen endlich 
ein kürzeres freies Intervall. Eine ausführlichere Kasuistik der 
traumatischen Tuberkulose der einzelnen Organe findet sich in 
den Handbüchern von Kaufmann und T h i e m. 

Die alte klinische Erfahrung, dass das Trauma eine wichtige 
Gelegenheitsursache für die Entwicklung der lokalen Tuber¬ 
kulose bildet, fand eine Stütze in den Thierexperimenten 
S c h ü 11 e r’s und Kraus e’s. Im Jahre 1879, also schon vor 
der Entdeckung des Tuberkelbacillus, brachte Schüller*") 
Hunden und Kaninchen tuberkulöses Material (Sputa, zer¬ 
riebene Massen tuberkulöser Lungen, Drüsen, Granulationen) 
durch eine Tracheotomiewunde in die Lunge und contundirte 
am gleichen Tage ein Kniegelenk. Neben allgemeiner Tuber¬ 
kulose entwickelte sich danach eine tuberkulöse Synovitis im 
verletzten Gelenk und es traten mehrfach auch osteomyelitische 
Erweichungsherde an den Gelenkenden mit Verkäsung auf. Da 
das Impfmaterial Scliüller’s nicht einwandfrei war, wurde 
die Beweiskraft seiner Ergebnisse späterhin angezweifelt. 
Krause“ 1 ) nahm die Versuche wieder auf und verwendete 
Reinkulturen von Tuberkelbacillen, mit denen er Meerschwein¬ 
chen subkutan und Kaninchen intravenös infizirte. Unmittelbar 
vor oder nach der Impfung oder auch mehrere Tage oder Wochen 
später wurden Distorsionen einzelner Gelenke und Frakturen er- 


") Wie n e r: Beitrag zur Statistik tuberkulöser Knocben- 
und Gelenkleiden nach Trauma. Inaug.-Diss., Breslau 1887. 

1S ) Bern gen: Zur Aetiologie der lokalen Tuberkulose etc. 
Inaug.-Diss., Bonn 1898. 

” Honseil: Ueber Trauma und Geleuktuberkulose. Bruns’ 
Beiträge Bd. 28. 

M ) Schüller: Experimentelle und histologische Unter¬ 
suchungen über Entstehung und Ursache der skrophulösen und 
tuberkulösen Gelenkleiden. Stuttgart 1880. 

:: ) Krause: Die Tuberkulose der Knochen und Gelenke. 
1891. 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1745 


zeugt. In Uebereinstimmung mit der klinischen Beobachtung, 
dass nach schweren Verletzungen bei tuberkulösen Individuen 
fast niemals lokale Tuberkulose zur Entwicklung kommt, heilten 
bei allen Thieren die Frakturen durch knöchernen Callus ohne 
die geringste Spur von Tuberkulose an der Bruchstelle zu bieten. 
Von den verstauchten Gelenken dagegen erkrankten eine Anzahl 
(bei Meerschweinchen von 44 Gelenken 15, bei Kaninchen von 
28 14) an Tuberkulose, während die nicht verletzten Gelenke 
bis auf ein einziges bei einem Kaninchen freiblieben. Daraus 
ergab sich der Schluss, dass zum Zustandekommen der Gelenk- 
tuberkulöse neben der Allgemeininfektion noch eine lokale Ur¬ 
sache, nämlich eine Kontusion, erforderlich sei. Gegen die an 
sich einwandsfreien Versuche Krause’s lässt sich geltend 
machen, dass die Gelenktuberkulosen auf dem Boden einer akuten 
Miliartuberkulose entstanden, und dass die Verhältnisse bei den 
Versuchstieren daher in keiner Weise denjenigen der chroni¬ 
schen Tuberkulose des Menschen entsprachen. 

Die Ergebnisse S c h ü 11 e r’s und Krause's wurden bei 
einer Nachprüfung, wie sie in neuester Zeit von Laune- 
1 o n g u e und A c h a r d , von Friedrich und von II o n s e 11 
vorgenommen wurde, nicht bestätigt. Lannelongue und 
Achard 33 ) machten eine Reihe von Impfungen bei Meer¬ 
schweinchen auf den verschiedensten Wegen und erzeugten die 
verschiedenartigsten Gelenk- und Knochenverletzungen unmittel¬ 
bar oder kürzere und längere Zeit nach der Infektion. Die Tliiere 
starben alle zwischen dem 8. und 232. Tage nach dem Trauma 
und an keinem der verletzten Gelenke war eine Spur von Tuber¬ 
kulose nachweisbar. Friedrich 33 ) benützte zu seinen Impf¬ 
ungen die arterielle Blutbahn, brachte das tuberkulöse Material 
von der Carotis aus direkt in den linken Ventrikel. 
Durch Verwendung sehr virulenzschwacher Reinkulturen gelang 
cs ihm, bei Kaninchen eine der menschlichen analoge, erst 
zwischen dem 4. und 9. Monat klinisch hervortretende Gelenk- 
tuberkulöse zu erzeugen. An keinem der traumatisch beein¬ 
flussten Gelenke gelangte eine Tuberkulose zur Entwicklung, 
sümmtliche beobachteten Knochen- und Gelonktuberkulosen be¬ 
trafen vielmehr traumatisch nicht affi/.irte Gelenke. Durch das 
Trauma wurde also keine Disposition für die Lokalisation im 
Blute kreisender Keime geschaffen. Auch Honsel l 34 ), der 
eine grosse Reihe von Thierversuchen mit theils vollvirulcnten, 
theils schwachvirulenten Reinkulturen in verschiedenster Art 
anstellte, kam zu der Ansicht, dass das Trauma keinen Einfluss 
auf die Lokalisation der Tuberkulose, übe und dass sogar die 
lädirten Gelenke eine geringere Tendenz zur Erkrankung auf- 
weisen als die nicht lädirten. — Die letztgenannten Forscher 
zogen aus ihren Thier versuchen den Schluss, dass es sich bei 
dem beim Menschen zur Beobachtung kommenden Zusammen 
hang zwischen Trauma und Tuberkulose um die Anfachung, 
um das Manifestworden eines bis dahin latenten tuberkulösen 
Herdes handle 

Da w-ir klinisch im E i n z e 1 f a 11 nicht zu ent¬ 
scheiden vermögen, ob das a f f i z i r t e Gelenk 
beim Eintritt der Verletzung völlig intakt 
war, können wir den E i n w a n d , dass di e Kon¬ 
tusion die Tuberkulose nur aus einem latenten 
in einen manifesten Zustand ü b e r g e f ü h r t 
habe, nicht entkräften. Die Frage, ob das 
Trauma einen Locus m i n o r i s resistentiao im 
eigentlichen Sinne schafft, muss demnach 
bis auf Weiteres noch als eine offene be¬ 
zeichnet werden. Diese Lücko in unseren Kenntnissen 
ist indessen ohne grosse Bedeutung für die Entscheidung des 
Begutachters. Auch wenn ein vor dem Unfall nur „anscheinend 
intaktes“ Gelenk im Anschluss an das Trauma tuberkulös er¬ 
krankt, ist der Unfall zum Mindesten als eine der mitwirkenden 
Ursachen der Erkrankung anzusehen und es hat Entschädigung 
zu erfolgen. Der Kausalzusammenhang wird dann 
angenommen werden müssen, wenn die Ver¬ 
letzung einwandfrei nach gewiesen ist, die 
Tuberkulose an der Stelle der Verletzung 


**) Lannelongue et Achard: Traumatlsme et Tuber- 
culose. Bullet. mödical 1899. 

a ) Friedrich: Experimentelle Beiträge zur Kenntnis« der 
chirurgischen Tuberkulose. Deutsch. Zeitschr. für Chirurgie. 
Bd. 53, 1809. 

,4 ) 1. c. 


sich entwickelt hat und die ersten Symptome 
des Leidens sich im unmittelbaren Anschluss 
an die Unfallerscheinungen oder nach einem 
kürzeren, jedenfalls einige Monate nicht 
übersteigenden Intervall geltend gemacht 
haben. 

Eine erfreuliche Uebereinstimmung zwischen den Erfah¬ 
rungen der Klinik und den Ergebnissen der experimentellen 
Forschung besteht auf dem Gebiete der akuten Osteomyelitis. 
Die Beurtheilung traumatischer Einwirkungen ist bei dieser Er¬ 
krankung in Folge ihres akuten Beginnes und typischen Ver¬ 
laufes erleichtert. Zum Zustandekommen der Knochenent¬ 
zündung bedarf cs keiner lokalen Gelegenheitsursachen, das Gros 
der Fälle zeigt vielmehr eine spontane Entwicklung. Durch 
stumpfe, geringgradige Gewaltcinwirkung, wie Stoss, Schlag, 
Fall, Erschütterung, wird indessen die Lokalisation der im Blute 
kreisenden Coccen zweifellos begünstigt, das vorausgegangene 
Trauma spielt, wie aus der Kasuistik hervorgeht, als disponirendes 
Moment eine gewisse Rolle. G e b e 1 e :t ) stellte aus der Literatur 
299 Fälle zusammen, von denen 8-3, d. i. 28 Proc., traumatische 
Entstehung aufwiesen. T h i e m bringt in seinem Handbuch 
eine Kasuistik von 102 typischen Fällen traumatischer Osteo¬ 
myelitis. Zur Illustration des Kausalzusammenhangs möchte ich 
2 einwandfreie Beobachtungen kurz mittheilen, die ich in der 
Heidelberger ehirurg. Klinik zu machen Gelegenheit hatte. 

1. Fall. Ein 15 jähriger Junge, mit einem Nackenfurunkel 
behaftet, rollte am 23. VIII. 1899 ein Wagenrad zur Vornahme 
einer Reparatur zum Wagner. Dabei strauchelte er. stürzte und 
das llad liel ihm auf den linken Unterschenkel. Wegen starker 
Schmerzen musste er sofort zu Bett gebracht und am 26. VIII. 
wegen Steigerung der Schmerzen, aufgetretener Anschwellung 
und schwerer Allgemeinerkrankung in die Klinik transferirt 
werden. Die Untersuchung ergab eine akute Osteomyelitis des 
1. Unterschenkels mit Abscessbildung in der Mitte der Tibia; 
Temperatur 39,7; in der rechten Nackenhälfte ein im Ausheilen 
begriffener Furunkel. Die am 4. Tage nach dem Unfall aus- 
gefährte Ineision ergab einen subperiostalen Abseess mit haemor- 
rliagischeiu Eiter. Nach 10 Wochen wurde ein 18 cm langer 
Corticalsequester entfernt. 

I’atient befand sich in Folge seines Furunkels im Zustande 
pyogener sympt.omloser Blutinfektion. Durch die Quetschung der 
oberflächlichen Knochenschiehto der Tibia xvurde ein IiOcus mlnoris 
resistentiao geschaffen, der den im Blute kreisenden Staphylo- 
coeeen das Haften und die weiten» Entwicklung ermöglichte. 

2. Fall* 1 ). Boi einem 15 jährigen Knaben wurde am 

3. III. 1899 in Narkose ein Redressement seiner Plattftisse mit 
Illlfe des Loren z'schen Keilpolstors manuell ausgeführt und 
beiderseits ein Gipsvevband angelegt. In den nächsten Tagen ent¬ 
wickelte sich unter heftigen Schmerzen und hohem Fieber eine 
Osteomyelitis des Cuboids, das sich bei der Ineision als nekrotisch 
erwies. 

Der Ursprung der haematogenen Infektion war nicht nach¬ 
weisbar, die lokale Disposition wurde offenbar durch die bei dem 
Redressement erfolgte Quetschung des Knochens herbeigeführt. 

Tliierexperimente haben ergeben, dass zur Erzeugung der 
akuten Osteomyelitis bei jugendlichen, noch in» Stadium des 
Knochen wachst hums befindlichen Thieren die Blutinfektion mit 
pyogenen Coccen allein genügen kann (Rodet, Laune- 
1 o n g u e et Achard, Lcxe r). Bei ausgewachsenen , £hieren > 
sowie bei geringerer Virulenz der Mikroben ist aber eine vor¬ 
gängige Verletzung des Knochens zur Lokalisirung erforderlich, 
jedenfalls gibt das Trauma die grössere Sicherheit in den Re¬ 
sultaten. Die meisten Autoren legten subkutane Frakturen an, 
in einzelnen Fällen wurde aber auch durch leichte Quetschungen 
(Schlag) die erwünschte Wirkung erzielt (Ullman n, Lexer). 

Aus den Erörterungen folgt, dass eine Kontusion des 
Knochens zweifellos den Boden für die Entstehung einer eitrigen 
Osteomyelitis sehaffen kann, dass das Trauma als eine wichtige 
Oclegenheitsursnehe angesehen werden muss. Hat sich die 
Osteomyelitis nachweislich an der Stelle der 
Verletzung entwickelt, so ist die Berufs- 
geno8senschaft als e n t s c h ii d i g u n g s pflichtig 
anzusehen unter der Voraussetzung, dass die 
Erkrankung in unmittelbarem Anschluss an 
den Unfall, innerhalb woniger Tage bis spä¬ 
testens 14 Tage nach dom Unfall, einsetzt. 
Wohl kann die Osteomyelitis in seltenen Fällen subakut und 

“) Geb eie: Ueber die Aetiologie der akuten spontanen 
Osteomyelitis und Ihren Zusammenhang mit Traumen. Inaug.- 
Diss., München 1896. 

**) Kaposi: Zwei bisher nicht beobachtete Unfälle nach 
modellirendem Redressement. Münch, med. Woehensehr. 1899. 

?* 


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1746 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44 


selbst chronisch sich entwickeln und es kann die Abscessbildung 
Monate auf sich warten lassen, doch müssen — darin stimme 
ich vollständig mit T h i e m überein — die ersten, wenn auch 
geringfügigen Zeichen der eingetretenen Entzündung innerhalb 
der ersten Wochen sich geltend machen, wenn man einen Zu¬ 
sammenhang mit dem Unfall annehmen will. Da die Folgen 
einer leichten Kontusion rasch zu verschwinden pflegen, ist eine 
lange Inkubationsdauer, etwa von Monaten oder Jahren, bei der 
Osteomyelitis ausgeschlossen. 

Aus der neuerdings gebrauchten Bezeichnung Epityphlitis 
traumatica 2T ) folgt, dass man auch für die Entstehung der 
Blinddarmentzündung Unfälle verantwortlich gemacht hat. Für 
den Begutachter ist die Kenntniss der Beziehungen des Traumas 
zur Perityphlitis von grosser Wichtigkeit, zumal nicht selten 
die Angehörigen von an Blinddarmentzündung verstorbenen 
Patienten Rentenansprüche erheben mit der Motivirung, dass 
die tödtliche Erkrankung Folge einer Verletzung gewesen sei. 

Dass ein ganz normaler, keinen Inhalt bergender Wurmfort¬ 
satz durch eine stumpfe Gewalteinwirkung lädirt oder abgerissen 
werden sollte, ist bei der Beweglichkeit des Organs unwahr¬ 
scheinlich. Dagegen ist es sehr wohl denkbar, dass bei der 
Existenz eines oder mehrerer harter Kothsteine durch einen 
Stoss ein Einriss der über dem Fremdkörper gedehnten Schleim¬ 
haut oder auch der Durchbruch eines Deeubitusgeschwürs durch 
die Wandung erfolgen kann. Die Anwesenheit von Kothsteinen 
braucht keinerlei klinische Symptome hervorzurufeu und ebenso 
kann wahrscheinlich auch eine Ulccration ohne Beschwerden für 
den Träger bestehen. Entwickelt sich bei solchem pathologischen 
Zustand im Anschluss an ein Trauma eine akute Appendicitis, 
so ist der Unfall als direkte Veranlassungsursache der Erkrank¬ 
ung aufzufassen. 

In der Literatur finde ich 9 Fälle verzeichnet, bei denen nach 
einer stumpfen Gewalteinwirkung, wie Fusstritt, Bajonettstoss, 
Stoss durch eine Wagendeichsel auf die rechte Bauchseite, eine 
Perityphlitis mit schwerem und mehrfach tüdtlichem Verlauf 
einsetzte. In fast allen diesen Fällen wurde ein Kohtstein fest- 
gesteilt und für die Perforation des Wurmfortsatzes verant¬ 
wortlich gemacht. Was die Häufigkeit, des Vorkommens trau¬ 
matischer Appendicitis betrifft, so waren von 150 Fällen 
Iv ö r t e's *) 3 traumatischen Ursprungs und von 152 Fällen 
B r a m a n n's :o ) 2 durch direkte Gewalt entstanden. 

Die Frage, o b ein K a u s a 1 z u s a m tn e n h a n g 
zwischen Appendicitis und Traum a b e stell e, 
w i r d d a n n bejaht w e r <1 e n m üssen, w e n n nach- 
pcwifsetif rmaassen die Blinddarmgegend 
v o n d e m Insult b ('troffen w u r d e u n d in u n - 
in ittelbnrem A n s e h 1 u s s an den Unfall bei d c m 
bis dahin gesunden Individuum die Ers c hei- 
nuugeii der Krankheit akut ein tret en. Hat eine 
Person schon wiederholt Attaquen von Blinddarmentzündung 
durchgemacht oder dauernd über Beschwerden geklagt, die auf 
chronisch-entzündliche Veränderungen des Wurmfortsatzes hin- 
weisen, so ist bei nach Kontusion erfolgender tödtlicher Per¬ 
foration der Unfall als ursächliches Moment der Verschlimmerung 
zu beschuldigen. 

M. II.! Die Aufgaben, die dem begutachtenden Arzte gestellt 
werden, sind, wie aus meinen Darlegungen hervorgeht, schwie¬ 
rige und verantwortungsvolle, sie nöthigen den Arzt häufig, 
noch dunkle Gebiete unserer Wissenschaft zu betreten. Wenn 
irgendwo, so gilt es hier zu individualisiren, das Urthcil auf 
die genaueste Berücksichtigung aller Einzelheiten des Falles zu 
gründen. Wenn trotz sorgfältigster Erwägung keine sichere 
Entscheidung möglich ist, wenn Zweifel bezüglich der Auffassung 
des Kausalzusammenhangs von Unfall und Erkrankung bestehen, 
dann sollte für das Votum der entsprechend modifizirte juristische 
Grundsatz in die Wagschale fallen: In dubio pro 
a e g r o t o. 


,7 > S e h o 11 m ii 11 e r: Epityplil. traunmt. Grenzgebiete von 
Medicin und Chirurg. Bd. »>. 

”) Bore li a r d t: Grenzgebiete der Medicin u. Chirurg. Bd. 2. 
") Neu mann: Ueber akute Appendicitis und ihren Zu¬ 
sammenhang mit Traumen. Langenbeck’s Arch. Bd. 62. 


Die Verwendung fabrikmäesig sterilisirten Naht¬ 
materials in der Praxis. 

Von Dr. Krönig, a. o. Professor in Leipzig. 

Durch die Vereinfachung, welche die Asepsis bei der Wund¬ 
behandlung in den letzten Jahren gewonnen hat, ist der Operateur 
heute eher in der Lage, selbst grössere Operationen im Privat¬ 
hause durchzuführen. 

In einem kürzlich im „Archiv für Gynäkologie“ erschienenen 
Artikel hat C o q u i') aus eigener Erfahrung heraus die Maass- 
nahmen geschildert, welche der Operateur treffen muss, um in 
möglichst einfacher Form, z. B. Laparotomien, wenn plötzlich ein¬ 
tretende Umstände deren sofortige Ausführung im Privathause 
erfordern, vorzunehmen. Er betont mit Recht, wie angenehm es 
hierbei ist, wenn die Verband- und Nahtmaterialien dem Opera¬ 
teur schon fertig sterilisirt geliefert werden. Noch weitgehender 
ist das Bedürfnis« des allgemeinen Praktikers nach fertig ge¬ 
liefertem sterilisirtem Verband- und Nahtmaterial, weil er unter 
den vielen schwierigen Verhältnissen, welche die Praxis, vor 
Allem die Landpraxis bietet, nicht im Stande ist, sich das 
Material selbst zu sterilisiren. Gerade ihm muss es darauf an¬ 
kommen, ein sicher aseptisches Verband- und Nahtmaterial jeder¬ 
zeit gebrauchsfertig zur Iland zu haben. Sterilisirte V erband- 
materialien werden in verschiedenster Form z. Z. dem Praktiker 
geliefert: Anders steht es mit dem Naht material. 

Wird ein n i c h t resorbirbares Material verwendet, so ist die 
Sterilisation der Seide allerdings einfach, da sie gleich¬ 
zeitig mit der Sterilisation der Instrumente ausgeführt 
werden kann. Damit verzichtet aber der Praktiker von vom 
herein auf die mannigfaltigen Vortheile, welche die Verwendung 
resorbirbaren Materiales, vor Allein des Catgut, bietet. Ich 
möchte hier nicht noch einmal die Vortheile des Catgut gegen¬ 
über der Seide in der Wundbehandlung hervorheben, sondern 
verweise auf einen früheren Artikel ; ). 

Speziell für den Landarzt hat die Anwendung dos Catgut 
bei Dammrissen etc. auch eine gewisse Annehmlichkci t, 
weil er nicht, in die Nothwendigkeit versetzt ist, an einem 
bestimmten Tage, am 6. oder 8. Tage, die Betreffenden wieder zu 
besuchen, um Fäden zu ziehen, sondern der Dammriss 1. und 
2. Grades heilt bei ausschliesslicher Anwendung von Catgut aus¬ 
nahmslos, so dass das für die Kranken wie für den Arzt lästige 
Fadenziehen erspart ist. 

Da die einwandfreie Sterilisation des Catgut für den Prak¬ 
tiker mit gewissen Umständlichkeiten verbunden ist, so habe iah 
mich schon seit, mehreren Jahren bemüht, Catgut sterilisirt 
in den Handel zu bringen, und dasselbe in möglichst, hand¬ 
licher Form verwendbar zu machen. Ich beauftragte die Finna 
Droiike in Köln a. Rh. Cat gut nach der von mir 3 ) an¬ 
gegebenen Methode in Schachteln zu sterilisiren. 

Es wird die fabrikmässige Sterilisation in der Weise 
vorgenommen, dass in eine kleine Schachtel 3 Faden 
zu je 3 m 1 Jingo, von denen jeder Faden wiederum 
einzeln in Seidenpapier gewickelt ist, eingelegt werden. 
Die Schachtel wird durch einen übergreifenden Deckel ge¬ 
schlossen. In den Rand dos Deckels sind an verschiedenem 
Stellen kleine Löcher eingebohrt, welchen gleiche Oeffnungen in 
dem Boden der Schachtel entsprechen, ähnlich wie bei den all¬ 
bekannten Schimmelbuse h’sehen Büchsen zur Sterilisation 
des Verbandmaterials. Die Schachteln werden in ein Cumolbad 
geworfen: durch die offen stehenden Löcher flieest das Cumol 
in das Innere der Schachteln ein. In dem Cumolbad worden die 
Schachteln-auf 160" eine Stunde lang erhitzt, kommen dann in 
Benzin und schliesslich in den Trockenofen. Ist die Trocknung 
des Materials vollendet, so genügt eine kleine Drehung de« 
Deckels, um die Oeffnungen zu verschliessen und das Catgut in 
der Schachtel bakteriendicht gegen die Aussenluft abzuschliesaen. 
Das Catgut hält sich in diesen Schachteln dauernd steril, 
wie von mir angestellto Proben nach zwei-, ja dreijährigem Auf¬ 
enthalt de« Catgut in den Schachteln oft erwiesen haben. 

’) Coqul: lieber Laparotomie im Privathause. Archiv f. 
Gyn. B(l. 03, Berlin 1901. png. 434 ff. 

: ) Krönig: Zur Wahl des Nahtmaterials. Deutsch, ined. 
Wochen8clir. 1900. No. 44 u. 45. 

*) Ueber Sterilisation des Catgut. Central bl. f. Gyn. 1894. 
No. 27. 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1747 



Schon seit vielen Jahren war dieses Material ausser in der 
Leipziger Universitäts-Frauenklinik noch in vielen anderen 
Kliniken, vor Allem auch bei praktischen Aerzten, in Gebrauch. 
Nur ein Einwand konnte bisher stets erhoben werden, nämlich 
der, dass der Abnehmer keine Garantie dafür hat, dass der Fabri¬ 
kant auch wirklich den Catgutfaden in der Schachtel auf die 
erforderliche Temperatur von 160° erhitzt hatte. 

Die vielen Anfragen, welche an mich gerichtet wurden, ob 
das von Dronke gelieferte Material auch wirklich sicher steri- 
lisirt wäre, konnte ich bisher nur durch einen Hinweis auf die 
glänzenden Resultate in der Leipziger Frauenklinik, in welcher 
jahrelang dieses Material bei allen Operationen ausschliesslich 
zur Verwendung gekommen war, beantworten. Ich konnte aber 
keine sichere Gewähr dafür geben, dass die Sterilisation in der 
Fabrik dauernd zuverlässig sei. Mein Bestreben musste daher 
weiter gehen: Ein gewisses Testobjekt zu finden, welches dem 
Abnehmer die Garantie gibt, dass der Faden in der Schachtel 
wirklich auf 160° erhitzt ist. 

Tch glaube dies in folgender Art einwandfrei erreicht zu 
haben. An das Ende des obersten Fadens in der Schachtel wird 
von dem Fabrikanten ein Metallröllchen angepresst, welches aus 
einer bei 160“ schmelzenden Legierung besteht. Bei der Er¬ 
hitzung auf 160“ wird das Metallröllchen nach und nach weich 
und schmilzt an den Catgutfaden an. Da das Oatgut eine Er¬ 
wärmung auf 160° nur in Cu mol verträgt, so ist dem Ab¬ 
nehmer dadurch die Garantie gegeben, dass auch wirklich die 
Schachtel in dieser Flüssigkeit auf 100 0 erhitzt worden ist; da 
ferner die Legierung nicht schnell schmilzt, so ist auch Sicher¬ 
heit dafür vorhanden, dass die Erhitzung auf 160° mindestens 
eine Stunde lang gedauert hat. 

Für die Anwendung in der Praxis möchte ich noch Fol¬ 
gendes erwähnen. Nehmen wir den Fall an, dass ein 
Dammriss zu nähen ist. so wird die Schachtel geöffnet und 
mit einer sterilen Pincette das oberste Cat gutpacket herausge¬ 
nommen. Es genügt der in dem obersten Seidenpapier liegende 
Catgutfaden von 3 m Länge vollständig, um auch einen relativ 
grossen Dammriss exakt zu vereinigen. Nach der Entnahme 
wird die Schachtel wieder geschlossen, und die beiden anderen 
in der Schachtel zurückgebliebenen, in Seidenpapier gewickelten 
Fäden können nach beliebig langer Zeit verwendet werden, 
da durch die einmalige Entnahme des obersten Catgut- 
packets die Keimfreiheit des darunter liegenden Materials nicht 
gestört ist. 

Ich hatte es bisher für praktisch gehalten, in jede S<hachtel 
3 Fäden von jo 3 m Länge einzeln in Seidenpapier gewickelt 
legen zu lassen. Neuerdings wurde mir von vielen Aerzten der 
Wunsch geäussort, aus Sparsamkeitsrücksichten Schachteln in 
den Handel zu bringen, welche 3 Fäden zu je 85—100 cm Länge 
einzeln in Seidenpapier gewickelt enthalten. Die Firma 
Dronke hat sich bereit erklärt-, auch derartige Seluichteln neuer¬ 
dings sterilisirt vorriithig zu halten. Dadurch, dass die meisten 
Instrumentenmacher heute diese von Dronke hergestellten 
Schachteln auf Lager haben, ist auch der Bezug für den prak¬ 
tischen Arzt vereinfacht worden. 

Das Oatgut wird in verschiedenen Stärken hergestellt. Für 
die Bedürfnisse des praktischen Arztes bei der Naht von Damm¬ 
rissen oder bei kleineren Operationen empfehlen sich im Allge¬ 
meinen die Nummer 0. 1 und 2. 

Noch besonders möchte ich darauf hinweisen, dass man 
das Oatgut nicht vor dem Gebrauch in eine wässerige Ib's- 
infoktionslüsung, z. B. Sublimat legt, weil hierdurch die Festig- 

No 44. 


keit des Materials wesentlich verringer wird. Es ist das Ein¬ 
fachste. das Oatgut direkt trocken aus der Schachtel in die 
Nadel zu fädeln und so zu verwenden. Nur dann, wenn der 
Oatgut faden in dickeren Nummern — 3—5 — etwas spröde 
ist, empfiehlt es sich, ihn kurz vorher einmal durch steri- 
lisirtes Wasser, event. auch durch eine Desinfektionslösung, 
hindurchzuzieheii. 

Ich habe diese Gebrauchsanweisung deswegen hier wieder¬ 
gegeben, weil bei der Verwendung der Schachteln so häufig b<v 
treffs technischer Einzelheiten Anfragen von den verschiedensten 
Seiten an mich gerichtet sind. 

Ich glaube, dass diese Methode der namentlich in Amerika 
angewendeton Form, das Oatgut sterilisirt in den Handel zu 
bringen, vorzuziehen ist. Auch hier wird das Oatgut meistens 
nach der von mir angegebenen Methode in Oumol sterilisirt, ist 
alx*r unter Alkohol in kleinen Glasröhrchen eingeschmolzen. Der 
Arzt muss vor dem Gebrauch das dünne Glasröhrchen zerbrechen, 
um das sterile Material gebrauchsfertig zu entnehmen. 


Ein Fall von Schwangerschaftsniesen. 

Von Dr. Karl Heil, Frauenarzt in Darmstadt. 


Frl L.. früher immer gesund und regelmässig menstrulrt. 
hatte ihre letzten Menses vom 18. bis 20. Februar 1901. also vor 
11 Vi Wochen (Tag der Untersuchung 8. Mai 1901). Alsbald nach 
Oessiren der Menses trat heftiges, häufiges Niesen auf. 
Seit 7. Mai 1901 starke Blutung. Die Untersuchung ergibt: be¬ 
ginnender Abort ns. Der Abort verlief am folgenden Tag spontan 
ohne stärkere Blutung. Ungestörte Convalescenz. 

Am 17. Juli 1901 erscheint Frl. L. wieder in der Sprechstunde: 
I-etzte Periode am 1. Juni. Seit 8 Tagen wieder heftiges, häutiges 
Niesen, «las seit dem Abortus bisher nicht wieder aufgetreten war. 
Die Diagnose: Gravidität Im Beginne des zweiten Mounts, hat sieh 
ln der Folge bestätigt. 

Patientin führte den ersten Abortus auf das heftige Niesen 
zurück. 

Um der eventuellen Wiederholung dieses Ereignisses vorzu- 
bougen und um die Patientin von dem lästigen Niesen zu befreien, 
e oenlnislrte i e li die N n s e n s e h 1 e i m h a u t wiederholt 
mit einer öproc. Lösung. Besonders die Schleimhaut des 
Septum, war stark injizirt: abgesehen von einer stärkeren Vor¬ 
wölbung des Septum linkerseits, fand sich ln den Nasenhöhlen 
nichts Abnormes: es bestand auch keine vermehrte Sekretion. 

Bereits nach einmaligem Ooealnlsiren Hess das Niesen nach. 
Nach der zweiten Coeainlsirung war die Gefässinjektiou der Nasen- 
schleimbnut bedeutend zurüekgegnngen und das Niesen schwand 
nach wiederholtem Coeninlslren nahezu vollständig. 

Da durch die Flies s’schen Angaben über die nasale Dys¬ 
menorrhoe die Wechselbeziehungen zwischen Nase und Genital¬ 
apparat erhöhtes Interesse gewonnen haben, schien mir dieser 
Fall um so mehr der Veröffentlichung werth, als die Handbücher 
der Geburtshilfe (P. Müller, Veit-Olshausen, Ahl- 
feld, Sohauta, und von älteren Hohl, Scanzoni, 
Spiegelberg. Späth) diese Sehwangerschaftskomplika- 
tion nicht, erwähnen, wohl aber z. Th. Veränderungen in der 
Goriiohsompfindung und kongestives Nasenbluten. 

Eulenburg dagegen (Realencyklopädio, III. Auflage, 
Bd. XVII. S. 267 u. 268) spricht von Fällen von Niesekrampf, 
„welche öfters typisch in Verbindung mit Menstrualstöruugcn 
und den letzteren parallel oder in bestimmten Abschnitten der 
Schwangerschaft auftroten“. Eulen bürg fasst dieses Niesen 
als einen von der weiblichen Genitalsphäre ausgehenden Reflex- 
vorgnng auf, wenn eine veranlassende lokale Noxe, z. B. Katarrh 
der Nasenschleimhaut, nicht, vorhanden oder wenigstens nicht 
nachweisbar ist. 


Da es nun den Rhinologen bekannt ist, dass während der 
Schwangerschaft Schwellungen der Nasenschleimhaut, stärkere 
Gefässinjektiou derselben, ja sogar lebhafte Wucherung von 
Schleimpolypen nicht selten zu beobachten sind, Veränderungen, 
die mit verrückender Schwangersclifift oder während oder nach 
dem Wochenbett wieder spontan zu schwinden pflegen, so dürfte 
für die Fülle von „Schwangersehaftsniesen“ die Annahme eines 
von der Genitalsphäre ausgelösten Reflexes als Ursache des 
Niesens von der Hand zu weisen sein. Die weit ein¬ 
fachere Erklärung dürfte vielmehr die sein, 
dass in Folge der durch die Schwangerschaft 
herbeigeführtenVeränderung imCireulations- 
System die Nasenschleimhaut aufgelockert 
und stärker injizirt wird, ohne dass ein Ka¬ 
tarrh besteht; diese stärkere Gefüssfüllung 

8 


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1748 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


verursacht ihrerseits durch Druck oder ver¬ 
mehrte Spannung eine Reizung der sensibeln 
Nasennerven, die alsdann das Niesen auslöst. 

Die primäre Ursache des in der Schwangerschaft auf¬ 
tretenden Niesekrampfes ist also nicht ein unbekannter, von der 
Genitalsphäre ausgehender Reflexvorgang, sondern die kongestive 
Hyperaemie der Nasenschleimhaut, die ja bekanntlich so stark 
werden kann, dass durch Ruptur der Schleimhautgefässe Nasen¬ 
bluten eintritt. 

Hierbei drängt sich der Gedanke auf, ob nicht auch manchen 
anderen Störungen während der Schwangerschaft, die wir aus 
mangelnder Kenntniss der letzten Ursache als Reflexe, bezw. 
Reflexneurosen zu deuten genöthigt sind, bestimmte anatomische 
oder chemische Veränderungen als primäre Ursachen zu Grunde 
liegen, die ihrerseits eine Alteration der nervösen Apparate erst 
sekundär zur Folge haben. 


Einige Bemerkungen Uber die Spezifität der Bakterien. 

Von Dr. med. Paul Klemm, dirigirender Arzt in Riga. 

Mit der wissenschaftlichen Erkenntniss des aetiologischen 
Zusammenhanges gewisser Mikrobenformen mit klinisch mehr 
oder weniger gut charakterisirten Krankheitsbildern wurde auch 
sehr bald die Frage aufgeworfen, ob die aufgefundenen Mikro¬ 
organismen in jedem Fall dieselbe bestimmte Erkrankung ver¬ 
ursachten, oder ob sie bald diese, bald jene Krankheit zu er¬ 
zeugen im Stande wären. Diese Frage ist im Laufe der letzten 
20 Jahre viel ventilirt worden und hat auch im Augenblick noch 
keinen allseitig befriedigenden Abschluss erhalten. 

So lange man noch bestimmte klinische Krankheitsbilder 
gewissen Mikroben gegenüber stellte und das aetiologische Ver¬ 
hältnis letzterer für die betreffende Krankheit zu entwickeln 
suchte resp. der Frage näher trat, ob die pathologischen Aeusscr- 
ungen der Mikroben eine spezifische Aktion gerade dieser Keime 
wären, war die Frage schwierig zu lösen; die beiden Begriffe: 
Klinisches Krankheitsbild und aetiologisches parasitäres Moment 
sind eben incommensurabel. 

Erst als man die Wirkung der Mikroben auf die Zellen 
zu studiren begann und die pathologischen Veränderungen, 
welche jene in den Körpergeweben erzeugten, zum Ausgang der 
Betrachtung pflanzlicher Einwirkung auf thierische Zellen 
machte, kam mehr Licht in die Frage. 

Man fand, dass die Mikroben in der Regel in den 
Geweben bestimmte Veränderungen bewirkten, dip für bestimmte 
Bacteriengruppen mehr oder weniger wohlcharakterisirte Merk¬ 
male aufwiesen. 

Die Gruppe der Streptococcen und Staphylo- 
coccen galt Anfangs nur als Erreger der Eiterung; im Laufe 
der Zeit stellte sich aber heraus, dass ausser diesen beiden noch 
eine ganze Reihe anderer Mikroben im Stande war, unter Um¬ 
ständen thierisches Gewebe unter Erweichungserscheinungen zu 
verflüssigen, wobei mehr oder weniger eiterähnliche Massen, wenn 
wir den Staphylococceneiter als klassisches Paradigma des Eiters 
hinstellen, gebildet wurden (Typhusbakterien, Tuberkelbacillen, 
Pneumococcen, Kolonbacillen, Aktinomyceten etc.). 

Die anatomische Untersuchung ergibt aber, dass jene 
Schmelzvorgänge sich verschieden gestalteten: Das Gewebe er¬ 
weicht unter Bildung eines dicken rahmigen Eiters, der sehr zell¬ 
reich ist und die ausgesprochene Neigung zur Propagation be¬ 
sitzt (Staphylococcengruppe); in anderen Fällen treten reichlich 
dünnflüssige, käsig-krümelige Massen auf, die von tuberkel- 
tragenden Membranen eingehegt werden. Die Flüssigkeit ist 
zellarm, die Leukocyten zeigen ausgesprochene Neigung zu re¬ 
gressiven Veränderungen, während Mitosen fehlen (Tuberkel¬ 
bacillen, Gumma, Leprom), wieder in anderen Fällen geht die 
Erweichung unter sehr lebhafter wässeriger Transsudation in 
die Gewebe vor sich. Im Verhältniss dazu wenig Leukocyten. 
Das Fluidum zeigt einen jauchigen Charakter und weist nicht 
selten brandige Gewebsfetzen auf. Wir sehen, die Eiterung ist 
kein einheitlicher Vorgang — die anatomischen Befunde variiren 
je nachdem, ob dieselben von dieser oder jener Baktcriengruppe 
bewirkt wurde. 

Die möglichen Reaktionsweisen der Gewebe Bakterien gegen¬ 
über, soweit sie sich auf erweichende Vorgänge beziehen, sind 
in der That nicht sehr mannigfaltig. Die Gefässe, die aus den¬ 
selben stammenden Leukocyten, sowie die freien Bindegewebs¬ 


zellen bilden die wesentlichen Faktoren, welche sich an dem Zu¬ 
standekommen der Erweichung der Gewebe betheiligen. Je nach 
der stärkeren oder geringeren Betheiligung einzelner dieser Kom¬ 
ponenten, je nachdem, ob hyperplastische Vorgänge, die erst 
sekundär zur Verflüssigung führen, vorwalten, kommen jene 
Eigentümlichkeiten der verschiedenen bacillären Erweichungs¬ 
vorgänge zu Stande. 

Produktion und Reduktion stellen die 
hauptsächlichsten B e w eg u n g s v o r g ä n g e der 
Ge webserweichung dar, deren celluläre Cbarakteristica 
dann natürlich anatomisch festgestellt werden können. 

Auch die anatomische Beschaffenheit des Gewebes, in 
welchem es zur Erweichung kommt, spielt eine wichtige Rolle, 
insofeme dieselbe auf die cellulärcn Vorgänge selbst, sowie auf 
die Richtung in der dies erfolgt, bestimmend einwirkt (Knochen, 
Intermuskularspalten, Haut, Drüsen, drüsige Organe etc.). 

Der Typhuskeim, der in der grössten Mehrzahl der Fälle seine 
primäre Aggressivität in den PeyePschen Plaques der Darm¬ 
schleimhaut zeigt und diese unter dem Vorgänge der markigen 
Infiltration zur Nekrose bringt, vermag durch Verschleppung 
auf dem Wege der Blutbahn in andere Organe, z. B. in das 
Knochenmark, zu gelangen und hier eine Erkrankung des 
Knochens zu erzeugen, die unter der Bildung käsiger oder puri¬ 
former Massen verläuft. Es treten dann durch den Lebens- 
process des Typhuskeimes pathologische Produkte auf, wie sie 
ähnlich durch den Tuberkelbacillus oder die Staphylococcen ver¬ 
ursacht werden. Ich machte in meiner Arbeit „Ueber 
Streptomykose der Knochen“ schon darauf auf¬ 
merksam, dass es Fälle von Tuberkulose der Knochen gibt, die 
grob anatomisch eine grosse Aehnlichkeit mit der Staphylo- 
mykose besitzen. 

Es sind dieses Fälle infiltrirender Tuberkulose, wo die 
primäre Erkrankung der Epiphyse nach Zerstörung der Knorpel¬ 
fuge auf das diaphysäre Knochenende übergreift. Sie befällt 
gelegentlich auch die schwammigen, platten Knochen, wie die 
O. ilei. Die bakteriologische Untersuchung hat in solchen Fällen 
die Aufgabe, das Bestehen einer tuberkulösen Monoinfektion 
nachzuweisen und das Nichtvorhandensein einer Mischinfektion 
mit Streptococcen oder Staphylococcen, die sonst bei der 
Knochentuberkulose, namentlich bei fistulösen Fällen, nicht 
selten ist, darzuthun. Die Aufdeckung des feineren anatomi¬ 
schen Baues bei den Schmelzvorgängen wird dann vollends Licht 
in den Process bringen. 

Derartige Beispiele lassen sich in grosser Menge anführen, 
sie beweisen sämmtlich, dass es eine obligate 
Spezifität der Bakterien nicht gibt, sondern 
dass dieselbe nur eine fakultative ist. 

In diesem Sinne ist auch das Verhalten der Streptococcen 
und Staphylococcen in den Geweben des menschlichen Körpers 
zu betrachten. In meiner Arbeit: „Ueber das Verhält¬ 
niss des Erysipels zu den Streptomykose n“ (Grenz¬ 
gebiete der Med. u. Chir. VIII. Bd., 3. H.) sagte ich, dass ich 
das Erysipel als Prototyp der streptomykotischen Gewebs- 
erkrankung hinstellen möchte, weil diese in erster Linie dazu 
angethan ist, die häufigste Eigenschaft der Streptococcen zu 
demonstriren; ich bezeichnete das Erysipel dabei als Lymph- 
angitis capillaris streptomykotica, weil gerade 
die Thatsache der streptomykotischen Aetiologie in Verbindung 
mit dem anatomischen Vorgänge der Ausbreitung der Er¬ 
krankung in den capillaren Lymphbezirken der Haut, zwei Pro- 
cesse, die sich in der Regel als Symptome des Erysipels 
äussern, erkennen lassen: 

1. die Lymphangitis serosa in den sub¬ 
kutanen Lymphnetzen; 

2. die schnelle Propagation der serösen 
Entzündung. 

Des Weiteren wies ich auf die anatomischen Vorgänge hin, 
welche das Auftreten nekrotisirender streptomykotischer Eite¬ 
rungen zu begünstigen im Stande sind. 

In seiner Arbeit: „Ueber die Aetiologie des Ery¬ 
sipels und sein Verhältniss zu den pyogenen 
Infektionen“ (Münch, med. Wochenschr. No. 35, 1901) 
wendet sich Jordan gegen diese Ausführungen: 

„K lemra behauptet nun, dass die Streptococcen in erster 
Linie die Erreger der serösen Entzündung seien, in dem befallenen 
Gewebe eine Reihe pathologischer Vorgänge erzeugen, die im 
Wesentlichen in einer sehr bedeutenden Hyperaemie und Trans- 


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29. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1749 


sudation bestehen. Spielt sieh die Entzündung an der Ober¬ 
fläche der Gewebe ab, so kann sich das Transsudat vertheilen 
und die erkrankten Gewebe werden ln ihrer Ernährung nicht be¬ 
einträchtigt. So zeigt sich nach Klemm ln allen serösen Häuten 
und in der Synovialis der Gelenke die Streptomykose in Form von 
seröser oder sero-fibrinöser Entzündung. Im Gegensatz dazu steht 
die Wirkung der Staphylococcen, die den von ihnen befallenen 
Boden unter starker Eiterung zerstören. Spielt sich die Strepto- 
ooccenentzünduug in Geweben ab, die von starken Fasclenwänden 
eingescheldet sind, wie z. B. im intermusculären Bindegewebe 
oder in den Lymphdrüsen, so kommt es in Folge des steigenden 
Druckes des Transsudates, das nicht ausweichen kann, zu nekro¬ 
tischen Zerstörungen grösserer oder kleinerer Gewebsabschnitte 
und zur Bildung einer dünnflüssigen, eiterähnlichen Jauche. Der 
Grund des differenten Verlaufes der Streptococceninfektion liegt 
nach Klemm in mechanischen Momenten des inflzirten Gewebes. 
Oberflächenerysipel und intermuskuläre Phlegmone sind demnach 
absolut gleichartige und anatomisch gleichwerthige Processe. Die 
Staphylococcen schmelzen in der Kegel ganz unabhängig vom Ge- 
websdruck und der anatomischen Spannungen den besiedelten 
Boden unter Bildung eines dicken rahmigen Eiters ein. Die 
Coccenwlrkung ist demnach eine priucipiell verschiedene.“ 

J ordan meint, dass diese Anschauungen, weil sie zu den 
thatsächlichen Verhältnissen im Widerspruch ständen, leicht zu 
widerlegen sind. Er fährt dann folgendermaassen fort: 

„Die Behauptung, dass die Streptococcen keine reine Eite¬ 
rung erzeugen, ist unrichtig: Eine Reihe von Empyemen, eitrigen 
Arthritiden, pnra- und perimetritischen puerperalen Eiterungen 
wie osteomyelitischen Abscessen sind durch Reinkulturen von 
Streptococcen bedingt; beim Erysipel werden nicht seiten sub¬ 
kutane, durch den Krankheitserreger selbst verursachte Eite¬ 
rungen beobachtet; ein Theil der abscedirenden Phlegmonen ver¬ 
dankt einer Streptococceninfektion die Entstehung. In vielen 
Fällen Ist es unmöglich, bei der Operation aus der Beschaffenheit 
des Eiters auf die Natur der veranlassenden Coccen zu schllessen.“ 

Ich habe nun den Streptococcen nirgendwo die Fähigkeit, 
Eiterung zu erzeugen, abgesprochen. Auf pag. 267 sage ich: 
„Die Streptococcen sind in erster Linie die Erreger der 
serösen Entzündung, eitererregende und nekrotisirende Eigen¬ 
schaften kommen ihnen erst in zweiter Linie und unter 
bestimmten Verhältnissen zu.“ Weiter unten heisst es: „Die 
Streptococcen schmelzen das von ihnen in- 
fizirte Gewebe in der Regel nicht ein etc.“ Dann 
weiter: „Dieses sind die Fälle, in denen die Streptococcen eine 
gewisse Aehnlichkeit mit den Staphylococcen 
haben, nur dass der gebildete Eiter weit dünnflüssiger, 
leukocytenärmer ist und stets Gewebsfetzen enthält.“ 

Ich habe also die eiterbildende Fähigkeit der Streptococcen 
gar nicht in Frage gestellt, ich habe nur, so weit ich mir aus dem, 
was ich durch Beobachtung und Untersuchung erfahren habe, 
ein Urtlieil erlauben darf, nach den Bedingungen geforscht, 
unter welchen die Streptococcen Eiterung bewirken. Ich habe 
ferner bemerkt, dass die Streptococceneiterung Merkmale, nicht 
prinzipielle, wie J ordan sagt, aufweist, die sie von anders¬ 
artigen Eiterungsprooessen unterscheiden lässt. Ich kam so zur 
Ueberzeugung, dass die streptomykotische Eiterung einen nekro- 
tisirenden Charakter trägt und dass der gebildete Eiter im Ver¬ 
gleich zu dem dicken rahmigen Staphylococceneiter durch seine 
dünnflüssige, jauchige Beschaffenheit auf fällt. Als die Ursache 
dieser Vorgänge glaube ich gewisse mechanische Momente, die 
in der anatomischen Beschaffenheit der Gewebe liegen, ansehen 
zu müssen. 

Ich glaube nicht, dass dieser Erklärungsversuch der That- 
sache, dass die Streptococcen unter Umständen den von ihnen 
besiedelten Boden einzuschmelzen vermögen, Abbruch thut. 

Jordan führt eine Reihe von Erkrankungen an: Arthritiden, 
Pleuritiden, subkutane Abscesse, Para- und Perimetriden, wo die 
Streptococcen sicherlich eine „reine Eiterung“ erzeugt hätten. Ich 
gebe das natürlich zu und stimme auch weiterhin mit ihm überein, 
dass die Seltenheit einer Erkrankung nicht als wissenschaftliches 
Argument gegen das Vorkommen derselben überhaupt ver¬ 
wertet werden darf. Ich behaupte aber wohl, dass man berech¬ 
tigt ist, die charakteristisch biologische Eigenart einer Pilz- 
species in der gewöhnlichen, sozusagen normalen Aktionsweise der¬ 
selben zu sehen. Aus dieser Betrachtungsweise soll natürlich kein 
starres Gesetz konstruirt werden, welches in letzter Linie zur abso¬ 
luten Spezifität der Bakterien führen muss; sie gewährt uns aber 
die Möglichkeit, Erkrankungen desselben Organes, die durch ver¬ 
schiedene Mikroben verursacht wurden, je nach der Reaktions¬ 
weise der Gewebe und den dabei auftretenden hyperplastischen 
und regressiven Vorgängen zu Gruppen zu vereinigen, die natür¬ 


lich sich nicht scharf durch prinzipielle Unterschiede von ein¬ 
ander trennen lassen. 

Betrachtet man z. B. die streptomykotischen Arthritiden, 
so kann doch nicht in Abrede gestellt werden, dass dieselben 
in der Mehrzahl der Fälle Eigentümlichkeiten be¬ 
sitzen, die den gleichnamigen staphylomykotischen Erkrank¬ 
ungen abgehen. Kein Geringerer als R. v. V o 1 k m a n n hat 
als Erster, auf rein klinische und anatomische Untersuchungen 
gestützt, die katarrhalische Gelenkeiterung beschrieben, 
die sich dann später, dank dem bakteriologischen Nachweis 
seines Schülers Krause, als eine Synovialisstreptomykose prä- 
sentirte. Nach LexePs und meinen Beobachtungen scheinen 
Erkrankungen der Synovialis, durch Streptococcen bedingt, sehr 
häufig abhängig von kleineren oder grösseren streptomykotischen 
Epiphysenherden aufzutreten, so dass die Gelenkergüsse resp. 
-Eiterungen nur Begleiterscheinungen einer osteomyelitischen 
Mykose wären. Betrachtet man ferner jene Arthritiden, wie sie 
im Gefolge des Scharlachs schon seit dem Jahre 1816 die Be¬ 
obachter interessiren und von jenen schweren pyaemischen 
staphylomykotischen Gelenkeiterungen und zwar auf klinischem 
Wege unterschieden werden, so muss doch die Berechtigung zu¬ 
gegeben werden, die Streptomykose der Knochen und Gelenke 
gesondert von der Staphylomykose derselben zu betrachten. 

Ein heutzutage viel diskutirtes Thema bildet die Gelenk¬ 
erkrankung, wie sie im Anschluss an tonsillare Affektioneu vor¬ 
kommt. Die Kasuistik dieser Arthritisform ist eine sehr grosse. 
Auch hier handelt es sich um seröse oder sero-fibrinöse strepto¬ 
mykotische Gelenkergüsse, die in der Regel schwinden, ohne 
eine Schädigung der Synovialis zu verursachen. Das strepto¬ 
mykotische Scharlachgelenk unterscheidet sich von der oben 
namhaft gemachten Gelenkaffektion in keiner Weise. Für die 
streptomykotische Osteomyelitis gibt es J o r d a u selbst zu, dass 
sie häufiger zu corticalen Herden, zu Herden in den Epiphysen, 
zu Lösungen derselben und Gelenkeiterungen führt, als die 
staphylomykotische Knochenerkrankung — freilich meint er, 
wäre dieses kein durchgreifender Unterschied; vergleicht man in 
meiner Arbeit: „D ie Streptomykose der o& h e n“ 
auf pag. 1247 meine Schlusssätze, so ersieht msm daraus, dass 
ich von einem „durchgreifenden“ Unterschied auch 
gar nicht gesprochen habe. In Satz 4 heisst es: „Die Veränder¬ 
ungen am Knochen sind im Gegensatz zur Osteomyelitis acuta 
staphylomycotica geringfügig, sie bestehen h ä u f i g in corticalen 
Herden oder solchen an den Epiphysen oder Epiphysengrenzen, 
so dass Epiphysenlösungen oder Gelenkergüsse hier häufiger 
sind, die fortschreitende Markphlegmone aber fehlt.“ Die ein¬ 
zige zu apodiktische Behauptung, die ich mir hier habe zu 
Schulden kommen lassen, kann in dem Negiren der fortschrei¬ 
tenden streptomykotischen Markphlegmone gesehen werden. 
Jedenfalls ist dieser Vorgang ein so excessiv seltener, dass er in 
der Symptomatologie der streptomykotischen Osteomyelitis sicher 
keine hervorragende Rolle spielt und die übrigen Charakteristica 
dieser Form der Knochenerkrankung dadurch verwischt würden. 
Ebenso kann man in seltenen Fällen im Verlauf der typhösen 
Osteomyelitis die Bildung eines grossen centralen Sequesters 
beobachten, ohne dass durch dieses Ereigniss die fürgewöhn¬ 
lich in Erscheinung tretenden charakteristischen Eigentüm¬ 
lichkeiten dieser Knochenerkrankung in Frage gestellt werden 
dürfen. 

Wie schon gesagt, habe ich nur davon gesprochen, dass die 
Streptococcen in erster Linie die Erreger der serösen Ent¬ 
zündung sind. Es bleiben demnach noch zwei andere Möglich¬ 
keiten bestehen: 1. dass die Streptococcen auch noch andere 
Eigenschaften, als die der Erregung einer serösen Entzündung 
besitzen und 2. dass letzterer Process durch andere Mikroben 
als Staphylococcen erzeugt werden kann. Auf pag. 1370 seiner 
Arbeit gibt Jordan selbst zu, dass das menschliche Erysipel 
in der Regel durch Streptococcen hervorgerufen wird. Wenn 
ich auch selbstverständlich zugebe, dass der bakteriologische 
Nachweis, der in den 5 von Jordan referirten Fällen von 
Erysipel den Staphylococcus ergab, völlig einwandfrei ist, so 
bitte ich doch zu bedenken, dass ein Einwand, der ja auch von 
anderer Seite erhoben worden ist, zu Recht bestehen bleibt, ich 
meine die Schwierigkeit, das Bestehen einer Mischinfektion mit 
Sicherheit auszuschliessen. In dem Falle von Bonome und 
Bondini-Uffreduzzi von Erysipela-s phlegmonosum 
wurde neben reichlichen Staphylococcen nur sehr spärlich 

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1750 


MüENCHENEH MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


Streptococcus Befunden, der zudem in der Kultur nicht einmal 
aofging, somit also als abgestorben betrachtet werden kann. 
Darf man hier nicht so sehliessen, dass das Erysipel durch 
Streptococcus verursacht worden ist, die Abscesse aber der Aus¬ 
druck einer später sich hinzugesellenden Mischinfektion sind? 

Ich hatte in diesem Semester einen 7 jährigen Knaben in 
meiner Abtheilung, der unter den Symptomen einer schweren 
Blutinfektion eingebracht wurde. Er war vor 6 Wochen an 
einem Kopferysipel erkrankt, zu dem sich phlegmonöse Abscesse 
der Kopfschwarte gesellt hatten. 

In dem dünnflüssigen, grünlichen Eiter fanden sieh sehr 
zahlreiche Staphyloeoccen und nur wenige Ketten, die bei nicht 
aufmerksamem Suchen sieh der Beobachtung wohl entziehen 
konnten. Im kreisenden Blut derselbe. Befund. 

Später traten ausgedehnte Abscedirungen an den Extremi¬ 
täten auf: Im Eiter Hessen sich gegenüber den üppig wuchernden 
Staphyloeoccen nur spärlich Streptococcen nachweisen. Bei der 
Sektion wurden multiple Abscesse in den Lungen, den Nieren, 
der Leber, im Herzfleisch etc. aufgedeckt. Der bakteriologische 
Befund war derselbe wie bei der intra vitam ausgeführten Unter¬ 
suchung. Es lag hier eine Mischinfektion vor, wo die Staphylo- 
coceen die Streptococcen zu überwuchern begannen; wäre I’at. 
lange genug am Leben geblieben, so wären möglicherweise die 
Streptococcen untergegangen und das Ganze hätte als Staphylo- 
mykose imponirt. Betrachtet man die grosse Kasuistik strepto- 
mykotischer Erysipele, so wird die Thatsache, dass sich in 5 Fällen 
nur Staphyloeoccen als muthmassliche Krankheitserreger haben 
nachweisen lassen, einem nicht die Berechtigung verweigern, 
das Erysipel schlechtweg als Streptomykose der Ilaut pur 
exeellence, als Lymphangitis streptomykotiea capillaris zu be¬ 
zeichnen. 

Dieselben Bedenken mache ich auch gegen die Ansicht 
J ordan’s geltend, der die Osteomyelitis als Pyaemie der Ent¬ 
wicklungsperiode bezeichnet. Dieser Anspruch gilt doch in erster 
Reihe für die staphylomykotisehen Knoehenerkrankungen — die 
übrigen, wie die typhösen, tuberkulösen, syphilitischen etc. 
Affektionen können doch nicht als eine Pyaemie des wachsenden 
Organismus gedeutet werden. Meiner Meinung nach ist es 
zweckmässiger, die Osteomyelitisformen nach dem Krankheits¬ 
erreger, dann den anatomischen Veränderungen, die dieser im 
Knochen bewirkt, zu klassifiziren. In der weitaus grössten Anzahl 
der Fälle ist die Osteomyelitis ein Werk der Staphyloeoccen, die 
ihrerseits wieder eine Reihe verschiedener anatomischer Er¬ 
scheinungen zu Wege bringen. Unter diesen ist die eitrige Ein¬ 
schmelzung des Markes mit Absterben grösserer und kleinerer 
Theile des Knochens der häufigste Vorgang. 

So wie ich für die Wirksamkeit der Streptococcen das Ery¬ 
sipel als Paradigma hinstellc, so sehe ich im Furunkel das 
klassische Beispiel der Staphylocoecenaktion. Trotzdem aber 
muss auch eine obligate Spezifität des Staphylocoecus in Abrede 
gestellt werden. Unter Umständen bleibt die eitrige Schmelzung 
der Gewebe aus und der Infektionsproccss kulminirt in einer 
serösen Entzündung. 

Betrachten wir z. B. einmal ein staphylomykotisehes Pana- 
ritium am Finger. Unter Anstieg der Temperatur, unter 
Frösteln und subjektivem Unbehagen kommt es zur Bildung 
leicht erhabener rotlier Streifen, die vom Pauaritium zu den 
regionären Lymphdriisen führen. 

Die Drüsen schwellen an und werden auf Druck schmerzhaft. 
Zu dem Panaritium hat sich eine Lymphangitis staphylomykotica 
und eine ebensolche Lymphadenitis gesellt. Das Ganze vermag 
zu schwinden, ohne dass es zur Eiterung kommt. Wenn man 
will, ist diese Lymphangitis auch eine Art Erysipel, wenngleich 
die Ausbreitung desselben, die ja in erster Linie von den ana¬ 
tomisch praeformirten Bahnen abhängt, hier vorherrschend in 
einer Richtung erfolgt. 

Die Passage der Staphyloeoccen ist offenbar in den Lymph- 
gängen eine zu flüchtige, die Keime haften nicht, sie gelangen 
bald in die Lymplulrüsen, wo sie der schnell einsetzenden Leuko- 
eytose zum Opfer fallen. 

Ob die sklerosirende Osteomyelitis als eine seröse Ent¬ 
zündung des Knochens aufzufassen ist. fragt sich. Meiner 
Ueberzeugung nach deutet man dieselbe besser als eine miliare 
eiterige Erkrankung des Knochens, hei welcher jedes Ab- 
seesschen durch sklerotische Knochenwucherungen abgekapselt 


ist, wie wir das isolirt beim solitären Knoehenabscess sehen 
können. 

Zum Schlüsse betone ich noch einmal, dass 
cs durchgreifende Unterschiede in der Wirk¬ 
samkeit der verschiedenen in die menschlichen 
Gewebe gelangenden Krankheitserreger nicht 
gibt. Es hängt dieses, wie ich schon oben sagte, mit der relativ 
beschränkten Reaktionsmöglichkeit der Gewebe selbst zusammen. 
Der Unterschierl in der Wirkungsweise ganz differenter 
Reize kann nicht einmal ein durchgreifender uml principieller 
genannt werden. Mechanische, chemische, thermische, elektrische 
und Bakterien-Wirkungen bringen in den Geweben Effekte her¬ 
vor, die sich zum Theil ähnlich sind und eines durchgreifenden 
Unterschiedes entbehren. Röthung der Ilaut und seröses In¬ 
filtrat, welches bald mehr der Fläche nach vertheilt, bald mehr 
in Blasen angcsammelt, auftritt. beobachten wir nach mecha¬ 
nischen Insulten (Schlag, Druck) Verbrennungen, Erfrierungen, 
Terpcnthincinwirkiing, Bakterieninfektionen etc. Je nach In¬ 
tensität und Dauer des Reiz<>s können sich die Gewebe erholen 
uml es vermag Restitutio completa einzutreten oder die Schä¬ 
digung war zu intensiv und es kommt zu einer Reihe regressiver 
Vorgänge, die in Gangraen, Nekrose und Verflüssigung enden. 

Trotz dieser Allgemeinheit in der Reaktionsweise der Ge¬ 
webe ist es aber doch berechtigt, Gleiehwerthiges zusammen¬ 
zufassen und nach Merkmalen zu suchen, die Gleichartiges ver¬ 
binden, um je nach dem aetiologisehen Moment von Druck¬ 
wirkung, Erfrierung, Verbrennung, Verätzung, Infektion etc. 
sprechen zu können und jeden dieser Vorgänge in seine patho- 
logiseh-anatomischen cellularen Details zu zerlegen. 

Wir kommen durch diese Betrachtungs¬ 
weise zur Ueberzeugung, dass es eine obli¬ 
gate Spezifität der Bakterien nicht gibt, 
dass dieselbe aber eine fakultative ist und 
dass den Aktionen der verschiedenen Bak¬ 
terie n g r u p pe n Reaktionen charakteristi¬ 
scher Art der Gewebe entsprechen. 


Aus dem städtischen Barackenkrankenhause in Düsseldorf. 

Tragrahmen zur Behandlung der Obersehenkel¬ 
frakturen kleiner Kinder. 

Von Dr. Carl Stern, leitender Arzt. 

Für die Behandlung der Oberschenkelbrüche bei kleinen 
Kindern haben wohl die meisten Chirurgen nach dem Vorgang 
von Schede die Extension in verticaler Suspension eingeführt, 
von der Ueberzeugung und Erfahrung geleitet, dass durch das 
senkrechte Aufhängen des Beines am besten die sonst so leicht 
auftretenden Ekzeme und Excoriationen unter den Verbänden 
vermieden werden. Diese Art der Suspension hat aber meines 
Erachtens zwei Nachtheile, deren Beseitigung mir wünschens- 
werth erschien. Erstens sind kleine. Kinder häufig nur schwer 
dazu zu bringen, ruhig zu liegen mit dem suspendirten Beine, 
vielmehr werfen sie sich herum, wodurch eine Drehung an der 
Frakturstelle zu Stande kommt, die die glatte Heilung beein¬ 
trächtigt, und zweitens sind die Kinder durch die Extensionslage 
gezwungen, längere Zeit zu Bette zu liegen, was z. B. bei 
rachitischen Kindern entschieden von Einfluss auf das All¬ 
gemeinbefinden ist. Auch erschwert die bisher übliche Art, die 
Kinder zu lagern, meiner Erfahrung nach doch die Reinhaltung 
bis zu einem gewissen Grade, insofern besonders in den ersten 
Tagen jede Bewegung des Oberkörpers au der Bruchstelle 
Schmerzen verursacht. Um diesen Uebelständen abzuhelfen 
und zu erzielen, dass erstens die Fraktur möglichst nach der An¬ 
legung des Verbandes unverrückt liegen bleibt, dass zweitens die 
Kinder mit der gerichteten Fraktur ohne viel Umstände in’s 
Freie getragen werden können, und dass drittens die Umbettung 
der Kinder bequemer erfolgen könne, habe ich mir als kleines 
Hilfsmittel den in nebenstehender Abbildung dargestellten 
Tragrahmen unfertigen lassen, der sich mir in einer Anzahl 
von Fällen gut. bewährt hat und dessen Brauchbarkeit auch für 
dio Praxis ausserhalb des Krankenhauses mir von einer Reihe 
von Kollegen bestätigt ist. 

Der Rahmen besteht aus einem starken, verzinnten Draht- 
biigel, der mit leinenen Gurten bespannt ist. An diesen Bügel 
(den Tragrahmen) ist eine Schiene senkrecht angebracht, in der 
das Beinchen mittels Heftpflasterextension aufgehängt ist und, 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1751 


worauf ich besonderes Gewicht legen möchte, durch kleine Leder¬ 
riemen auch fixirt ist. Die Extension geschieht am Fussstück 
durch Riemen und kann mehr oder minder stark angespannt 
werden. Es steht auch nichts im Wege, durch Anbringen einer 
Schraube die Extension zu bewirken, jedoch wird der Apparat 
dadurch komplizirter. Anfangs hatte Ich den Extensionsbügel 
drehbar machen lassen, so dass derselbe Rahmen für rechts und 
links nutzbar gemacht werden konnte. Es war dann nur nöthig, 
den ExtenslonsbUgel um 180 0 zu drehen. Es hat sich aber gezeigt, 
dass die Solidität des Rahmens hierdurch beeinträchtigt wurde; 
daher habe ich es vorgezogen, mir für jedes Bein einen beson¬ 
deren Apparat anfertigen zu lassen, der eine grössere Festigkeit 
hat. Die Versuche werden jedoch fortgesetzt und gelingt es uns 
vielleicht, ein stabiles Modell für beide Beine zu konstruiren. 



Die Anwendung des Rahmens zeigt die Abbildung. Wir 
lassen die Kinder tagsüber stundenweise im Freien umhertragen 
und haben so den Vortheil der Gehverbände bei den Er¬ 
wachsenen. 

Dass der kleine Apparat sich für alle Erkrankungen der 
unteren Extremität anwenden lässt, welche eine senkrechte Ex¬ 
tension wün8chenswerth machen, bedarf keiner Erläuterung. So 
haben wir Kinder mit Unterschenkelfrakturen in Extension 
darin gelegt, ebenso Kinder mit akuten entzündlichen Erkran¬ 
kungen, bei denen wir eine Suspension für zweckmässig er¬ 
achteten. 

Der Apparat ist durch die Verwendung der Gurten ungemein 
leicht und hat uns recht gute Dienste gethan, so dass wir ihn 
als Hilfsmittel bei der Behandlung von Erkrankungen der 
unteren Extremität bezw. Frakturen für Kinder bis zu 4 Jahren 
wohl empfehlen können. 

(Der Apparat wird angefertigt von Herrn Bandagisten 
L. B o r 8, Düsseldorf, Grabenstr. 10.) 


Urobilin in Ascitesflüssigkeit 

Von Dr. Conrad Stich in Leipzig. 

Bei Durchsicht der medicinischen Literatur, wie sie mir 
in der Kgl. medicinischen Klinik hier zugänglich ist, fand ich 
nur eine Notiz über Vorkommen des Urobilins im Serum, in 
der Ascitesflüssigkeit einer Leiche bei Lebercirrhose: die Haut 
war leicht ikterisch, die ascitisehe Flüssigkeit enthielt Gallen¬ 
farbstoff und zeigte nach Enteiweissung und Einengung den 
Streif des Urobilins. Man darf annehmen, dass dieser Stoff nach 
dem Tode durch Diffussion aus dem Dann in die Flüssigkeit 
gelangt war. So berichtet Quincke im 95. Bd. Virchow’s 
Arch. pag. 138. 

Hier handelt es sich um Urobilinbildung intra vitam, in der 
Ascitesflüssigkeit bei parenchymatöser haemorrhagischer Ne¬ 
phritis. 

Bei einer Reihe Eiweiss-Fettbestimmungen von Ascites¬ 
flüssigkeiten und Pleuraexsudaten wurde immer bei der Ascites- 
flüsoigkeit dieser Nephritis im Aetherextrakt der Trockensub¬ 
stanz eine lebhafte Fluorescenz beobachtet. Zur genaueren Fest¬ 
stellung des Urobilins wurde das Aetherextrakt abgedunstet, mit 
90proc. Alkohol aufgenommen. Diese Lösung zeigte durch Zu¬ 
gabe von 5 proc. alkoh. CaCl,-Lösung und Am mon- stärkere 

No. 44. 


Fluorescenz und im Spectrum zwischen b u. F die bekannten 
Absorptionsstreifen. 

Ein Theil der alkoholischen Losung eingedunstet und mit 
HNO s behandelt, liess die Farbenskala von grün-gelb nicht er¬ 
kennen. 

Anal. Labor, d. städt. Krankenhauses zu Leipzig. 


Zum 70. Geburtstage Carl v. Voit’s. 

Von Max C r e m e r. 


Der gewaltige Aufschwung, den die Physik und Chemie in 
der ersten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts genommen haben, 
ist nicht ohne mächtigen Einfluss auf die Physiologie geblieben. 
In Deutschland zunächst, dann aber auch in der ganzen civili- 
sirten Welt, beginnt mit Johannes Müller einerseits und mit 
Justus v. Liebig andererseits eine Blütheperiode der physio¬ 
logischen Wissenschaft, die ihres Gleichen nicht in der Vorzeit 
findet, mag man die Thätigkeit eines Galen, eines Harvey, 
eines Albrecht v. Haller u. A. noch so hoch angeschlagen, und von 
der die Epigonen nicht hoffen dürfen, dass sio je wiederkehrt. Wohl 
ist noch mancher Schatz in der Physiologie zu heben, aber die 
grossen Entdeckungen sind sehr viel seltener geworden. Wir 
leben hauptsächlich in der Zeit kritischer Detailarbeit nach der 
einen, und zusammenfassender Verallgemeinerungen nach der 
anderen Richtung. Jene Zeit dagegen, wo Schlag auf 
Schlag die Entdeckungen auf einander folgten, dürfte für 
immer dahin ein. Von jenen Männern, die in Deutschland da¬ 
mals berufen waren, Pathe zu stehen bei der gewissermaassen 
neugeborenen Wissenschaft und ihren Siegeezug mit in die Wege 
zu leiten, ist leider schon mancher aus dem Leben abberufen 
worden. Die Wissenschaft musste den Tod von Männern be¬ 
klagen wie Brücke, Helmholtz, Du Boia-Reymond, 
Ludwig, Heidenhain, Fick, Willy Kühne und zuletzt 
Pettenkofer. Andere aber aus jener grossen Zeit sehen wir 
noch in geistiger und körperlicher Frische unter uns weilen, ehr¬ 
würdige leuchtende Vorbilder für die jüngere Generation. 

Unter diesen befindet sich ein Mann, auf den wir Mün¬ 
chener mit besonderem Stolze blicken dürfen, der Altmeister 
der Lehre vom Stoffwechsel und der Ernährung, Herr Geheimrath 
Professor Dr. Carlv. Voit, dessen 70. Geburtstag Schüler und 
Freunde — auf Wunsch des Jubilars nur in kleinem Kreise — 
zu feiern sich anschicken. 


Aus diesem Anlass möge es mir gestattet sein, den bisherigen 
Lebens- und Entwicklungsgang meines hochverehrten Lehrers 
den Lesern dieser Wochenschrift in grossen Zügen wenigstens zu 
schildern. Natürlich kann es nicht meines Amtes sein, diesen 
dabei erschöpfend darzustellen. 

Carl Voit wurde am 31. Oktober 1831 zu Amberg ge¬ 
boren. Sein Vater August Voit verwaltete damals die Stelle 
eines „Baukondukteurs“ wurde aber sehr bald als „Bauinspektor“ 
nach Speyer versetzt. In Speyer empfing CarlVoit den ersten 
Unterricht im Hause der Eltern. Die Lateinschule und das Gym¬ 
nasium besuchte er erst in München, wohin sein Vater im Jahre 
1840 als Professor an die Kunstakademie an Gärtnefs Stelle 
berufen wurde. August Voit baute in dieser Stellung bekannt¬ 
lich die neue Pinakothek und den Glaspalast. 

Carl Voit verliess München von 1840 an nur noch zu 
Studienzwecken, so dass die Haupt- und Residenzstadt mit Fug 
und Recht als seine eigentliche Vaterstadt bezeichnet werden 
kann. Hier bezog er mit 17 Jahren (1848) die Universität. Die 
beiden ersten Jahre betrieb er hauptsächlich naturwissenschaft¬ 
liche Studien neben solchen allgemein philosophischen Inhaltes. 
Namentlich war es sein Umgang mit dem Professor der Botanik 
Sendtner, seinem späteren Freunde, durch welchen V o i t ge¬ 
rade für das erstere Studium besonders begeistert wurde. Die 
Medicin schien ihm am meisten geeignet seinen Wissensdrang zu 
befriedigen. Desshalb unterzog er sich 1850 der sog. Admissions¬ 
prüfung. Herbst 1851 ging er nach Würzburg, wo er bei Köl- 
liker, Leydig, Virchow, Scanzoni und namentlich 
auch bei Scherer Vorlesungen hörte. Das sog. Biennium 
brachte er dann wieder in München zu. Obwohl er den Besuch 
der Kliniken nicht versäumte, er besuchte namentlich die Klinik 
v. P f e u f e Ps, so fand er doch in diesen klinischen Semestern 
noch Zeit, die Vorlesungen des grossen Liebig zu hören. 


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1752 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


Im Sommer 1854 bestand V o i t die praktische Prüfung für 
Aerzte und bald darauf, am 8. August 1854 die Doktorprüfung. 
Jetzt wandte er sich nach Beendigung des eigentlich medicini- 
schen Studiums erst recht den Naturwissenschaften zu. Er hörte 
J o 11 y und v. Siebold, Bischoff und nochmals L i e b i g. 
Ausserdem bat er Pettenkofer, ihn als Praktikanten in sein 
Laboratoriuni aufzunelimen. Anfangs war Dieser gar nicht dazu 
geneigt. Zu dem abschlägigen Bescheid muss aber wohl der junge 
V oit ein so trauriges Gesicht gemacht haben, dass Petten¬ 
kofer den ungewöhnlichen Eifer erkannte und sich erweichen 
liess. Bekanntlich wurden aus Lehrer und Schüler bald zwei 
innige Freunde. Das Arbeiten im Laboratorium Petten- 
k o f e Fs, der damals Professor für medicinische Chemie war, 
trug schon sehr bald besondere Früchte. 

Die Cholera hatte ihren zweiten Einzug in München gehalten, 
und Voit führte, zum Theil auf Veranlassung Buhl’s, im 
Pettenkofer’schen Laboratorium eine Reihe von Unter¬ 
suchungen, theils am Harne von Kranken, theils au Leichen aus. 
L i e b i g war es nicht gelungen, im normalen Muskel Harnstoff 
nachzuweisen. Voit gelang dieser wichtige Nachweis bei den 
Choleraleichen (auch noch im Gehirn etc.). Es war eine Erst¬ 
lingsarbeit, wie sie selten, auch von später berühmten Forschern, 
geliefert wird. 

Weiter untersuchte dann Voit in demselben Laboratorium 
auf Veranlassung S e n d t n e r’s eine Reihe von Bodenarten, um 
eine bestimmte pflanzenbiologische Frage zu lösen (Flora 1855, 
S. 407). 

Herbst 1856 ging Voit nach Göttingen, um seine chemische 
Ausbildung zu vollenden. Er verfertigte im Laboratorium von 
W ö h 1 e r, dem berühmten Entdecker der ersten Synthese des 
Harnstoffs, unter Limpricht eine rein organische Arbeit: 
Ueber einige Benzoylverbindungen (Liebig’s Annalen Bd. 99, 
S. 100). Er führte damit den Nachweis, dass er es zum fertig aus- 
gebildeten Chemiker gebracht hatte. Voit nützte seine Zeit 
fleissig aus. Er vergass in Göttingen nebenbei die Physiologie 
nicht. Er besuchte gleichzeitig den Experimentalkurs bei Rudolf 
W a g n e r, damals dem bedeutendsten Physiologen nach 
Johannes Müller und nahm ebenfalls bei dem berühmten 
Physiker L i s t i n g einen Curs in der. physiologischen Optik mit. 

1856 kehrte Voit nach München zurück. Schon war er im 
Begriff nach Dorpat zu B i d d e r und Schmidt zu gehen, 
deren einige Jahre zuvor erschienenes Buch: „Ueber die Ver¬ 
dauungssäfte und den Stoffwechsel“ so mächtigen Eindruck auf 
ihn gemacht hatte, da erhielt er in München Gelegenheit zu 
dauernder Thätigkeit. Am 18. August wurde er Assistent bei 
Bischoff, wodurch die Arbeitsrichtung V o i t’s definitiv fest¬ 
gelegt wurde. 

In kurzer Zeit führte er mehrere Experimental Unter¬ 
suchungen aus, von denen zwei im Jahre 1857 im Druck er¬ 
schienen (Mcdieinisch-chemischo Untersuchungen, Augsburg, 
Verlag der Riege Fachen Buchhandlung). Die beiden Arbeiten 
erschienen auch einzeln und zwar die erstere: „Beiträge zum 
Kreislauf des Stickstoffs im thierischen Organismus“ auch als 
nachträgliche Inauguraldissertation, die zweite: „Ueber die Auf¬ 
nahme des Quecksilbers und seiner Verbindungen in den Körper“ 
als Habilitationsschrift. Die erstere ist für uns von grösserem 
Interesse, weil sie ein direkter Vorläufer der nun folgenden 
grossen Arbeiten ist. Im Scldussworte derselben sagt Voit: 
„Ich erhalte dabei von Herrn Prof. Bischoff die vielfachste 
geistige Anregung; der beste Dank für dies scheint mir zu sein, 
wenn ich ihm zeigen könnte, dass der Same, den er gesäot, nicht 
auf unfruchtbares Land gefallen. Vielleicht ist es mir gelungen, 
in dieser Abhandlung, die, obgleich nicht voluminös, doch viel 
Zeit und Mühe gekostet, ein solches Samenkorn von ihm zur 
Reife gebracht zu haben.“ 

Das hat V o i t in der That in dieser Abhandlung redlich ge- 
tlian. Um dies näher würdigen zu können, muss ich etwas weiter 
ausholen. Die meisten Forscher hatten damals ein sog. Stick¬ 
stoffdefizit bei Fütterungsversucheu an allen möglichen Thiercn 
gefunden. Das heisst, es gelang nicht, den Stickstoff der Nah¬ 
rung vollkommen in Harn und Koth wieder zu finden. Bei vielen 
Forschern war der scheinbare Verlust, also derjenige Theil, von 
dem man annehmen musste, dass er gasförmig den Körper ver- 
liees, ein ganz erheblicher Bruchtheil des zugeführten Nahrunga- 
stickstoffs. Nur B i d d e r und Schmidt, in so manchen 


Punkten V o i t’s, von ihm so hochgeachtete und verehrte Vor¬ 
läufer, hatten sowohl bei Hunden wie bei Katzen nahezu allen 
Stickstoff der Nahrung im Harn und Koth wiedergefunden, aber 
gerade V o i t’s damaliger Meister, Bischoff, hatte, trotzdem 
er sich der neuen Titrirmethode seines Freundes Liebig be¬ 
diente, entgegengesetzte Resultate gehabt. Die Sache schien 
nicht klar. Voit klärte sie, zum Theil in Gemeinschaft mit 
Bischoff, vollständig auf. Seine Inauguraldissertation war 
ein erster Schritt auf diesem Wege. Voit warf die Lehre vom 
Stickstoffdefizit vollständig über den Haufen. Und wie erreichte 
Voit dieses Ziel! Einfach dadurch, dass er die richtige Me¬ 
thode schuf. Man muss den Stickstoffwerth der Nahrung richtig 
kennen, man muss allen auf den Versuch treffenden Ham und 
Koth erhalten und ihn richtig analysiren, dann verschwindet das 
N-Defizit. Voit lehrte, wie man diesen Bedingungen gerecht 
werden muss. Besonders berühmt ist sein Versuch an einer Taube. 
Aber so einfach, so unantastbar seine Grundsätze auch waren, 
welch’ einen Kampf hat es V o i t gekostet sie zur Herrschaft zu 
bringen! 

Ich möchte hier einer kleinen Episode Erwähnung thun, die 
wohl nur Wenigen bekannt ist. Bischoff war anfänglich den 
neuen, von den seinen abweichenden Resultaten gegenüber etwas 
misstrauisch, namentlich zweifelte er, ob V o i t die Lieb i g’sche 
Titrirmethode im Geiste ihres Entdeckers ausführe. Er ver¬ 
anlasst« daher seinen Freund Liebig den Assistenten einmal 
unauffällig bei einer solchen Titration zu überwachen. Liebig 
that Bischoff den Gefallen und das Misstrauen B i s c h o f f’s 
war mit einem Schlage geschwunden. 

Bis der Kampf um das Stickstoffdefizit ausgekämpft war, 
verging eine lange Zeit, und Voit war in seinen äusseren Ver¬ 
hältnissen über den Assistenten weit hinaus. 

Am 8. Oktober 1857 war er als Privatdooent in die medi¬ 
cinische Fakultät auf genommen worden. Seine ersten Vor¬ 
lesungen behandelten auch den Ham. Im Allgemeinen aber sehen 
wir Voit über Dinge vortragen, die seinem eigentlichen Arbeits¬ 
gebiet fernlagen. So las er über Nervenphysiologie, namentlich 
aber auch über Sinnesphysiologie. In Bezug auf diesen Punkt 
haben wir es offenbar mit einer Nachwirkung seines Verkehrs 
mit Listing zu thun. Auch verräth sich hier die intime 
Freundschaft, die ihn mit Adolf Steinheil verband. Ich 
führe diese Thatsacshe hauptsächlich desahalb an, weil sie am 
besten geeignet ist, zu zeigen, wie vielseitig Voit trotz seiner 
für den Laien so einseitig erscheinenden Beschäftigung ist. 

V o i t’s Arbeiten (es kam da nicht bloss das Stickstoffdefizit 
in Betracht) verfehlten nicht mächtigen Eindruck zu machen. 
Ein Ruf nach Tübingen stellte die Fakultät vor die Wahl, ent¬ 
weder V o i t zu befördern oder auf ihn zu verzichten. Daraufhin 
wurde Derselbe 1860 ausserordentlicher Professor und 1863 
ordentlicher Professor der Physiologie, während sein Lehrer 
Bischoff nur noch anatomische Vorlesungen abhielt. 

Die ganze Thätigkeit V o i t’s war damals, abgesehen von 
einigen kleineren Arbeiten zum Theil physiologisch-chemischen 
Inhaltes, der fortwährenden Weiterbildung und Anwendung der 
exakten Methodik der Stoffwechseluntersuchungen gewidmet. 
Anfangs stand dabei Voit ganz auf dem Standpunkte Liebig’- 
scher Anschauungen. War es doch dieser gewesen, der prinoipiell 
gezeigt hatte, wie man aus der genauen Kenntniss der Ausschei¬ 
dungen Rückschlüsse machen könnte auf die Zersetzungen der 
Stoffe im Organismus. So richtig dieses Princip war, so waren 
doch andererseits L i e b i g’s Speculationen der Beobachtung weit 
vorausgeeilt und es kann nicht verwundern, wenn Voit bald 
Thatsachen fand, welche das gerade Gegentheil von dem waren, 
was man damals allgemein, in L i e b i g’s Ideen befangen, an- 
nabm. Liebig hatte die Nahrungsstoffe in plastische oder ge- 
websbildende einerseits und in Rcspirationsmittel andererseits 
eingetheilt. Zu den ersteren gehörten die Eiweissstoffe, zu den 
letzteren die Fette und Kohlehydrate. Soweit es sich hierbei 
nur um eine Eintheilung der Nahrungsstoffe in N-haltige und 
N-freie handelt, wird diese Eintheilung natürlich ihren ewigen 
Werth behalten. Aber Liebig war weiter gegangen. Er war 
von bestimmten theoretischen Voraussetzungen über die Ursachen 
der Stoffzersetzung im thierischen Organismus ausgegangen. Die 
Ei Weisssubstanz der Muskeln sollte bei der Arbeit zerstört, ein¬ 
gerissen werden. Zum Wiederersatz sollte das Nahrungseiwedss 
dienen, und diesen Vorgang betrachtete Liebig als den eigent¬ 
lichen „Stoffwechsel“. Der ausgeschiedene Harnstoff war sein 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1753 


Maass (cf. B i s c h o f f’s gleichnamiges Buch 1853). Auf die 
Zersetzung N-freior Stoffe dagegen hatte die äussere und 
innere Arbeit keinen direkten Einfluss. Das bestimmende Moment 
für ihre Zersetzung war der aufgenommene Sauerstoff. Sie 
lieferten dabei keine Kraft, sondern nur Wärme. 

Waren diese Vorstellungen richtig, so musste die Muskel¬ 
arbeit einen mächtigen Einfluss auf die Eiweisszersetzung 
äussern. Diese Konsequenz der L i e b i g’schen Ideen wollte 

V o i t sicher stellen. Wie gross war aber sein Erstaunen, als 
exakte Versuche, mit der neu geschaffenen Methodik gewonnen, 
das gerado Gcgentheil ergaben. Die Eiweisszersetzung kann trotz 
grosser Arbeit ungeändert bleiben, das war das nächste wichtige, 
auch heute noch giltige Resultat, das V o i t der Wissenschaft 
schenkte. 

Man findet häufig in der Literatur auch von Fachleuten, die 
es doch so leicht besser wissen könnten, die völlig irrige Meinung 
ausgesprochen, als habe V o i t gelehrt: das Eiweiss sei überhaupt 
an der Kraftleiatung der Muskeln nicht betheiligt, sei überhaupt 
nicht eine Quelle der Muskelkraft. Das ist total falsch; V o i t 
hat das nie gelehrt. 

Noch nach anderer Richtung trugen V o i t’s Untersuchungen 
zum Sturze L i e b i g’scher Anschauungen bei. Mit den ur¬ 
sprünglichen Meinungen Liebig’s war namentlich eine That- 
sache des Eiweissstoffwechscls schwer vereinbar: die Abhängig¬ 
keit der N-Ausscheidung von der N-Zufuhr. Liebig adop- 
tirte, um diesem Ein wand zu begegnen, die sog. Theorie der 
Luxuskonsuinption. Darnach sollte nur das im Hunger zer¬ 
fallende Eiweiss für den Menschen nolhwendig sein, jedes Pias 
wäre ein Luxus und fiele der Zerstörung durch den Sauerstoff 
anheim. V o i t zeigte, dass auch diese Theorie der Luxuskon- 
sumption unhaltbar sei. Er zeigte, dass man einem Hunde 
wesentlich mehr Fleisch darreichen muss, als im Hunger zerfällt, 
wenn man Eiweissvorhist vom Körper verhüten will. 

Im Verlaufe aller dieser Arbeiten klärte V o i t den Eiweiss¬ 
stoffwechsel gründlich nach allen Richtungen auf. Er corrigirte 
L i e b i g’s übertriebene Ansichten über die Bedeutung des 
Fleischoxtraktes, untersuchte den Einfluss einer Reihe von Fak¬ 
toren auf den Eiweissumsatz. Es sei hier nur der Entdeckung 
des ersparenden Einflusses der Fette und Kohlehydrate auf den¬ 
selben Erwähnung gethan. V o i t lehrte, wie man solche Vor- : 
suche überhaupt anzustellen habe. Man bringe die Thiero zu¬ 
nächst in’s Stickst off gleichgew ich t. Das ist die V o i t’sche 
Zauberformel, um die es sich hier immer handelt. 

Neben diesen Bemühungen V o i t’s um den Eiweissstoff¬ 
wechsel, liefen andere, um dio weitere Ausbildung der Stoff- 
wechselmethodik einher, die nicht weniger fruchtbringend waren. 

V o i t erkannte, dass dio bisherige Methode, aus der Aenderung 
dos Körpergewichtes einerseits und der N-Ausscheidung anderer¬ 
seits Schlüsse über die Fettzersetzung im Thierkörper zu machen, 
völlig unwissenschaftlich sei und dass ein Apparat für grössere 
Tliiore noththue, der, ohne das Thier in ungewohnte Bedingungen 
zu bringen, alle Ausgaben de« Thierkörpers genau zu bestimmen 
gestatte. Dass er mit Hilfe Pettenkofer’s, seines Lehrers 
und Freundes, einen solchen Apparat in den Dienst der Wissen¬ 
schaft stellte, darin lag das zweite grosso Verdienst 
Voit’s um die Ausbildung der Methodik der 
Stoffwechseluntersuchung. Es ist bekannt, in 
welch’ genialer Weise Pettenkofer die ihm von V o i t ge¬ 
stellte Aufgabe löste. Der grosse Respirationsapparat wurdo mit 
Hilfe der Munificonz Seiner Majestät des Königs Max erbaut 
und bewährte sich in für alle Zeiten klassischen Untersuchungen. 
Diese wurden von Pettenkofer und V o i t gemeinschaftlich 
herausgegebon; aber man weiss, dass der Löwonantheil daran 

V o i t zufüllt. Er führte dio eigentlichen Untersuchungen aus 
und nur wer ähnliche Versuche selbst an gestellt hat, kann ciniger- 
maasscu die Riesenarbeit würdigen, die mit denselben ver¬ 
bunden war. 

Zum ersten Mal war für Mensch und Thier ein exakter, 
sich über 24 Stunden erstreckender Bilanzversuch ermöglicht. Es 
lies9 sich zeigen, dass der Mensch zwar nicht, wohl aber ein Hund 
in der Lage war, von Fleisch allein zu leben. Uoberschüssig zu- 
gesetztes Fett zur Nahrung wurde im Wesentlichen einfach ab¬ 
gelagert. Im Detail auf alle diese Dinge einzugehen, hicsse eine 
Geschichte der Lehre des Stoffwechsels schreiben. 

In seinem rastlosen Eifer nach Vervollkommnung der Me¬ 
thodik baute V o i t nach dem Princip des grossen einen Respira- 


tionsnpparat für kleinere Tliiere und liess mit ihm durch seine 
»Schüler eine grosse Reihe von Untersuchungen ausführen. Wie 
berühmt auch dieser kleine V o i t’sche Respirationsapparat ge¬ 
worden ist, das wurdo mir erst klar, als ich eines Tages in London 
das South-Kensington-Museum besuchte und ich mich plötzlich 
zu meinem freudigen Erstaunen vor dem mir so heimathlichen 
Apparat befand. 

V o i t strebte immer nach der einen Wahrheit. Irgendwie 
begründete Zweifel an einer früher geäusserten Meinung ist er 
stets bereit durch neue Versuche prüfen zu lassen. Erkannte 
er einmal irgend einen Mangel, so gab er das stets gerne zu. 
„Wer nie etwas gearbeitet, hat auch nie geirrt.“ 

So stellte Voit seine frühere Meinung richtig, dass aas 
Kohlehydraten wahrscheinlich im Organismus kein Fett erzeugt 
werde, nachdem Versuche seiner Schüler (Erwin Voit und 
K. B. Lehmann, Rubno r) in seinem Laboratorium das 
Gcgentheil darthaten. 

Ausser den bisher besprochenen wurden aber auch noch eine 
ganze Reihe anderer Fragen des intermediären und allge¬ 
meinen Stoffwechsels in Angriff genommen. So prüfte Förster 
V o i t’s Ansichten über das circulirende und Organeiweiss, eine 
auch heute noch alle Thatsachen befriedigend erklärende Hypo¬ 
these, durch intravenöse Injektion von Blut und Eiweisslösungen. 
F e d e r verfolgte das Schicksal der Ammoniaksalze im Orga¬ 
nismus und den zeitlichen Verlauf der Eiweisszersetzung. 
Bauer und Voit untersuchten wichtige Fragen der Resorp¬ 
tion. Schon damals wurde festgestellt, dass besondere Vorgänge 
bei derselben obwalten müssen, die mit einfachen osmotischen 
Annahmen nicht erklärt werden können. Heidenhain hat 
dieses Verdienst um die Theorie der Resorption schon einmal ge¬ 
bührend hervorgehoben und auch heute noch ist jener V o i t’sche 
Standpunkt der einzig mögliche. Daran ändert sich nichts, auch 
wenn mau denselben Ausspruch in das moderne physikaliseh- 
chemische Gewand kleidet. 

Uober den Werth der Aschebcstandtheile förderten Förster 
und Erwin Voit wesentlich neue Thatsachen zu Tage. Eine 
ganze Reihe von Untersuchungen beschäftigten sich mit dem Ver¬ 
halten des Glykogencs im Organismas. Voit selbst schrieb 
darüber eine sehr wichtige Abhandlung (1891). 

Tndom ieh andere Arbeiten, deren Besprechung zu weit 
führen würde, übergehe, will ieh nur drei grosse Gesichtspunkte 
resp. Gosel ze hervorheben, die im V o i t’schen Laboratorium 
fest gestellt wurden. 

Man glaubte lange, Anfangs auch Voit noch, dass auch 
der Sauerstoff als eine direkte Ursache der Zersetzung angesehen 
werden müsse. Voit erkannte aber später die völlige Unab¬ 
hängigkeit der Zersetzungen von der Sauerstoffaufnahme. Auf 
anderem Wege kam Pflüger zur selben Erkenntnis«. Nicht 
dio Sauerstoffuufnahme bedingt die Zersetzungen, sondern um¬ 
gekehrt, die Zersetzungen in den Zellen bedingen die Sauerstoff¬ 
aufnahme. Das andere Gesetz ist unter dem Namen dee 
R u b n e r’sehen Isodynamiogeeetzcs bekannt, indem es R u b n o r 
war, der in V o i t’s Laboratorium die betreffenden Untersuch¬ 
ungen ausführte und dasselbe auf fand. Das Gesetz besagt, dass 
unter gewissen einschränkenden Voraassetzungen die Nalirungs- 
stoffo sich in den Verhältnissen im Organismus vertreten, in 
denen sie gleiche Wärmemengen entwickeln. Eng mit diesem 
verknüpft ist das andere von Rubner im V o i t’schen Labora¬ 
torium gefundene Gesetz, dass für den absoluten Werth der Ge- 
sammtwärmeproduktion nicht das Körpergewicht, sondern die 
Oberfläche maassgebend sei. 

Nach diesem Ueberbliek ül»or V o i t’s Bemühungen auf dem 
Gebiete der Lohre vom Stoffwechsel mass ich der anderen grossen 
Seite seiner Thütigkoit gedenken, die ganz besonders für die 
Hygiene und die Nationalökonomie von Bedeutung 
ist, seiner Lehre von der Ernährung. Streng sind beide Gebiete 
ja nicht von einander zu trennen. Das jetzt zu Besprechende 
enthält ja im Wesentlichen nur die praktische Anwendung des 
ersteren, docli treten auch einige selbständige Fragestellungen in 
ihr auf. 

Wir verdanken Voit, abgesehen von speciellen Vorschriften, 
namentlich die Klarstellung wesentlicher Begriffe. Im Anschlüsse 
daran stellte Voit gewisse Erfordernisse auf für jede Nahrung. 
Zunächst muss jeder Nahrungsstoff in genügender Menge vor¬ 
handen und resorbirbar sein. Die einzelnen Stoffe müssen im 
richtigen Verhältniss stehen. Ausserdem gehören die nöthigen 
Genussmittel dazu. 


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1754 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


Eine Reihe von Arbeiten, theils V o i t’s selbst, tlieils seiner 
Schüler, waren nun darauf gerichtet, für praktische Ernährung 
brauchbare Zahlen im Sinne der aufgestellten Grundsätze zu 
gewinnen. Ich erinnere hier an die praktisch so wichtigen Aus- 
nützungsversuehe (Rubner, Meyer, P r a u s n i t z), an die 
Untersuchungen über das Kostmaass (cf. Voit: Die Kost in 
öffentlichen Anstalten, Zeitsehr. f. Biologie, Bd. —. Derselbe: 
Anhaltspunkte zur Beurtheilung des sogen, eisernen Bestandes 
der Soldaten. Voit, Forster, Renk und Schuster: 
Untersuchung der Kost in einigen öffentlichen Anstalten. Voit, 
im Handbuch für Gefängnisswesen etc.) 

Man kann ohne Uebertreibung sagen, dass jetzt in der ganzen 
Welt die V o i t’schen Ideen bei der Massenernährung berück¬ 
sichtigt werden. Die 118 g Eiweiss, 56 g Fett und 500 g Kohle¬ 
hydrate, die Voit für einen mittleren Arbeiter verlangte, sind 
berühmt geworden. Die dogmatische Bedeutung, die diesen 
Zahlen von mancher Seite beigelegt wurde, sollten sie übrigens 
nie haben. 

Aber nicht nur in der Ernährung des Menschen waren 

V o i t’s Untersuchungen epochemachend. Sie dienten auch 
zum Segen der Land wir tli seli aft, indem eine rationellere Er¬ 
nährung unserer Hausthiere durch seine Arbeiten gleichfalls in 
die Wege geleitet wurde. Die Verleihung der goldenen Liebig- 
Medaille galt diesen Verdiensten. 

Bisher handelte es sich im Wesentlichen um die Verhält¬ 
nisse beim gesunden Menschen und dem gesunden Thicre. Al>er 
auch für den Pathologen verdankt die Wissenschaft Voit und 
seiner Schule werthvolle Aufklärungen. Um nur Einiges her¬ 
vorzuheben, so sei an die Untersuchungen V o i t’s und Petten- 
kofer’s am Diabetiker, Leukaemiker und Pleuritiker er¬ 
innert. Das grosse Werk über „Ernährungstherapie“, das 
L e y <1 e n herausgegeben hat, wäre nicht möglich gewesen ohne 

V o i t’s Wirken. 

Die meisten der bisher erwähnten Abhandlungen von Voit 
und seinen Schülern sind in der Zeitschrift für Biologie, ent¬ 
halten, die. er mitbegründete und jetzt seit dem Tode seines 
Freund«*« Kühne allein herausgibt. Andere, da runter auch 
eine Reihe meisterhafter Nekrologe, finden siel» in den Sitzungs- 
liericliteu und Schriften der bayerischen Akademie, der er seit 
1865 als Mitglied, seit 1.882 als Klassensekretär der mathematisch- 
physikalischen Klasse angehört. Ein kleiner Theil erschien in 
Licbig’s Annalen, in den Sitzungsberichten der G^ellschaft 
für Morphologie und Physiologie zu München und der Münchener 
medieinischen Wochenschrift. Ein Rest ist zerstreut. Von 
selbständig erschienenen Werken ist namentlich noch die Physio¬ 
logie des allgemeinen Stoffwechsels und der Ernährung zu nennen 
als Theil von . Ile r m a n n’s Handbuch der Physiologie. Ein 
vollständiges Verzeichniss aller Arbeiten findet sieh in den 
Almanachen der Akademie. 

Nicht nur aus dem Inlande, aus allen Welttheilen kamen 
Schüler zu Voit. Viele derselben sind sowohl au deutschen, 
wie an auswärtigen Hochschulen Inhaber von Lehrstühlen und 
Zierden des ILehrkörpers, dein sie angehören. 

Neben dieser Ehrung, die ihm seine Schule schuf, fehlte es 
einem Manne wie Voit selbstverständlich auch nicht an 
äusseren Anerkennungen, denen er selbst zwar in seiner Be¬ 
scheidenheit nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen suchte. 
So ist er Inhaber des Kronenordens und gehört dem Kapitel de« 
Maximiliansordens für Kunst und Wissenschaft an. 

Ich würde Wesentliches unberücksichtigt lassen, wollte ich 
nicht kurz der bedeutenden Verdienste um den physiologischen 
Unterricht, sowie der persönlichen Eigenschaften des Jubilars 
gedenken. Als akademischer Lehrer zeichnet er sich besonders 
durch klaren, angenehmen Vortrag aus, der seinen hervorragendem 
Rcdnereigenschaften entspricht. Im persönlichen Verkehr ist er 
stets von zuvorkommender Liebenswürdigkeit. Seine bekannteste 
Eigenschaft ist seine das gewöhnliche Maass weit überragende 
Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue. Von früh bis spät ist er 
auf das emsigste thiitig. Das Einzige, worüber er manchmal 
klagt, ist, dass seine übrigen Berufspflichten ihm nicht mehr so 
wie früher gestatten, persönlich an den Untersuchungen sich zu 
betheiligen. Oft erklärte er, dass er seine Assistenten um die 
schöne Zeit beneide, die denselben für wissenschaftliche Arbeit 
zu Verfügung steht. 

In voller geistiger und körperlicher Rüstigkeit steht Voit 
vor uns. Möge der allverehrt« Lehrer dem Kreise der Seinen, 


seinen Schülern und Freunden und vor Allem auch der Wissen¬ 
schaft noch lange, lange erhalten bleiben! Den schön¬ 
sten Lohn für seine Thätigkeit möge er in dem Be¬ 
wusstsein dessen finden, was er für alle Zeiten ge¬ 
leistet ! Gibt es doch keinen zweiten Menschen, auf den 
besser passt, was Donders so schön in seinem kleinen Buche 
über die Nahrungsstoffe ausdrückt: „Wer mit aller ihm inne¬ 
wohnenden Kraft an der Entwicklung dieser Kenntnisse arbeitet 
und mit Ausdauer den Resultaten seiner Untersuchung Eingang 
zu verschaffen bestrebt ist — der arbeitet auf breiter Basis au 
der Entwicklung der Menschheit“. 

Ad multos annos! 


Georg Friedrich Louis Thomas. 

Ende Oktober wird in Freiburg i. B. das 25 jährige Doppel¬ 
jubiläum von Geh.-Rath B ä u m 1 e r als Direktor der medicin. 
Klinik und Ilofrath Thomas als Direktor der medicin. Poli¬ 
klinik festlich begangen. Des Ersteren ist in dieser Wochen¬ 
schrift schon gedacht worden. Mögen diese Zeilen dem verdienst¬ 
vollen Wirken des zweiten Jubilars gerecht werden. 

L. Thomas wurde am 22. Januar 1838 in Möckern bei 
Leipzig als Sohn des späteren Schuldirektors Thomas geboren. 
Nach Absolvirung dos Gymnasiums in letzterer Stadt widmete 
er sich daselbst dem Studium der Medicin von 1855 bis 1860 und 
promovirte im Dezember dieses Jahres mit einer Dissertation: 
De albuininuria. Nach halbjähriger Assistentenzeit an der chir¬ 
urgischen Klinik in Rostock war er von Sommer 1861 bis Früh¬ 
jahr 1865 I. Assistent der medieinischen Klinik in Leipzig 
unter Wunderlich. Anfangs 1864 habilitirte er sich und 
erhielt, im Juli 1865 die Leitung der offiziellen Distriktspoli¬ 
klinik. 1868 zum Professor extraord. ernannt, folgte er 1876 
einem Rufe an die Universität Freiburg i. B. als ordentlicher 
Professor der Hcilmittcllchre und Direktor der medieinischen 
Poliklinik. 

In der Leipziger Zeit entstanden eine grosse* Zahl wissen¬ 
schaftlicher Arlx-itcn, meist, aus dein Gebiete der Kinderheil¬ 
kunde, welche Thomas besonders pflegte. Es seien davon nur 
horvorgchol>cn die vielcitirtcu Abhandlungen über die akuten 
Exantheme in Ziemss e n’s Handbuch der speeiellen Pathologie 
und Therapie, sowie die Bearbeitung der Kapitel Croupöse Pneu¬ 
monie und Nephritis in Gerhard t’s Handbuch der Kinder¬ 
krankheiten. 

Seine Freiburger Thätigkeit ist ausserordentlich vielseitig. 
Neben Vorlesungen über Arzneimittel- und Verordnungslehre, 
über Balneologie und Klimatologie, welch’ letztere Wissenschaft 
er durch eigene Studien bereicherte, wirkt er in der Poliklinik 
in einer für die Studirenden und Kranken gleich segensreichen 
Weise. Was die Studenten besonders zu ihm hinzieht, ist. die 
schlichte Art. in der er seinen Schülern auch persönlich nahe, 
tritt, und der einfache, auf das Praktische gerichtete Vortrag. 

Dem Lieblingsfache, der Kinderheilkunde, ist er auch hier 
treu geblielien und hat in nicht rastender Thätigkeit die Erbauung 
eines Kinderkrankenhauses du rehgesetzt, welches 1887 eröffnet 
und ganz neuerdings durch einen allen Anforderungen «1er Jetzt¬ 
zeit entsprechenden Bau für Infektionskrankheiten vergrössert 
wurde. Auch diese Anstalt wird von ihm geleitet und in der¬ 
selben regelmässig Kinderklinik abgehalt.cn. Damit hat er der 
Universität ein weitere« klinisches Institut geschaffen und fiir 
die Studirenden die Ausbildung in der Kinderheilkunde in vol¬ 
lendeter Weise ermöglicht. 

Neben dem Lehren hat Thomas auch die wissenschaftliche 
Thätigkeit nicht vergessen. Ich möchte vor Allem anführen die 
Bearbeitung des zweiten (semiotischen) Theils des bekannten 
Handbuches der Harnanalyse von Neubauer und Vogel. 
Seine klinischen und sonstigen Beobachtungen überlässt er 
meist in selbstloser Weise Studirenden zu Dissertationen, deren 
Zahl bereits eine sehr erhebliche geworden ist. 

Zu dieser reichen akademischen Thätigkeit kommt eine be¬ 
deutende Privat- und Konsultationspraxis, die ihn weit im 
badischen Lande und besonders im ganzen Schwarzwald herum¬ 
führt. Seine schon hervorgehobene einfache, schlichte Art macht 
ihn dabei bei Aorzten und Patienten gleich beliebt. 

Auch die Bürgerpflichten werden darüber von Thomas 
nicht vernachlässigt, und als Polikliniker wie als Mitglied des 
Armenraths lindert er mit seiner allgemein bekannten Menschen¬ 
freundlichkeit und Milde nach allen Kräften soziales Elend. 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1755 


Ein weiterer nicht zu übergehender Zug im Wesen unseres 
Jubilars ist sein tiefes Verständniss für landschaftliche Schön¬ 
heit und seine wahre Freude an der schönen Schwarzwaldnatur, 
die er in häufigen, oft langen Wanderungen bei grösster Massig¬ 
keit geniesst. So hat er sich einen gesunden, äusserst leistungs¬ 
fähigen Körper erhalten und ist den Schülern auch in seiner 
Lebensführung ein Vorbild hygienischer Körperpflege. 

Seine 18S0 geschlossene Ehe, welcher 4 Söhne entsprossen 
sind, ist das Muster eines schönen und gesunden Familienlebens. 
Und so haben wir denn zum Feste nur den Wunsch: Möge er uns 
noch lange Jahre in Frische und Arbeitskraft erhalten bleiben. 

R. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Hamburg in naturwissenschaftlicher und medicinischer 
Beziehung. Mit 254 Abbildungen im Text und 5 Tafeln. Ham¬ 
burg, Leop. Voss, 1901. 

Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im 19. Jahr¬ 
hundert. Mit 76 Abbildungen im Text und 3 Tafeln. Ebenda, 
1901. 

Die allgemeinen Krankenhäuser und Irrenanstalten der 
freien und Hansastadt Hamburg. Mit 94 Abbildungen im Text 
und 2 Tafeln. Ergänzungsband der Jahrbücher der hamburg. 
Staatskrankenanstalten, herausgegeben von Prof. Dr. len- 
hart z, Direktor Dr. Bey e und Direktor Dr. D e n e k e. 
Ebenda, 1901. 

Obige 3 Werke, welche allen ärztlichen Theilnehmern der 
73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Ham¬ 
burg überreicht wurden, werden voraussichtlich demnächst im 
Buchhandel zu haben sein, so dass auch an dieser Stelle ein 
empfehlendes Wort angezeigt erscheinen dürfte. Die zuerst ge¬ 
nannte Festschrift bringt nach einer allgemeinen Einleitung 
über die Topographie, Flora und Fauna Hamburgs eine Be¬ 
schreibung aller naturwissenschaftlichen und Krankenanstalten 
der Stadt, von deren letztgenannten nicht weniger als 26 auf¬ 
geführt werden, ferner das Krankentransportwesen und die Kran¬ 
kenfürsorge in der öffentlichen Armenpflege. Alsdann folgt eine 
Darstellung in der öffentlichen Gesundheitspflege im ham- 
burgischen Staatsgebiet mit seinen hygienischen und medicinal- 
polizeilichen Anstalten, sowie den der Gesundheitspflege dienen¬ 
den Anlagen, wie Wasserversorgung, Sielanlagen, Abfuhr u. dgl. 
Den Beschluss macht eine kurze Darstellung der ärztlichen Stan¬ 
desvertretung und eine Beschreibung der Bibliotheken und 
wissenschaftlichen Vereine. Das zweite Werk ist eine Frucht ge¬ 
meinsamer Arbeit der Aerzte des Hamburger Medicinal- 
kollegiums und enthält eine Geschichte der Gesundheitsverhält¬ 
nisse und Krankbeiten Hamburgs im vorigen Jahrhundert, so¬ 
weit dies nach dem vorliegenden Zahlenmaterial möglich war. 
Der 1. Theil behandelt solche städtische Zustände und Einrich¬ 
tungen, die, wie Klima, Bevölkerung, Wasserversorgung, Wohn¬ 
ungen u. dgl., von Einfluss auf den Gesundheitszustand der Be¬ 
wohner gewesen sind; der 2. Theil stellt die thatsächlich ge¬ 
wordenen Gesundheitsverhältnisse an der Hand der Geburten, 
.Sterbefälle, Säuglingsmortalität und Infektionskrankheiten dar; 
der 3. Theil fasst die Ergebnisse der beiden ersten Abschnitte 
als Rückblick und Ausblick zusammen. Das dritte Werk gibt eine 
ausführlichere Darstellung der in der erstgenannten Festschrift 
schon beschriebenen Staatskrankenhäuser Hamburgs und einen 
Rückblick auf deren Entstehungsgeschichte. Besitzer der grossen 
Festschrift werden diese, obwohl specieli für Aerzte berechnete 
Schrift entbehren können. 

Wenn die erste und letzte der vorliegenden Schriften mehr 
von lokalem Interesse sein mögen, so beansprucht die Arbeit des 
Medicinalamts eine weit darüber hinaus gehende Bedeutung. 
Wenn man sieht, dass ein grosses Gemeinwesen, wie Hamburg, 
welches im vergangenen Jahrhundert 3 grosse Cholera- und eine 
nicht minder verderbliche Pockenepidemie durchzumachen hatte, 
in seiner Gesammtsterblichkeit mit Einführung der sanitären 
Anlagen stetig heruntergeht und Dank derselben jetzt zu einer 
der gesündesten Städte Deutschlands geworden ist, so verlohnt 
es sich wohl der Mühe, den Ursachen dieser Verbesserung an der 
Hand des sorgfältig bearbeiteten statistischen Materials nachzu- 
golion. Es lässt sich deutlich verfolgen, wie zuerst die Kanali¬ 
sation und die verbesserten Wohnungsverhältnisso nach dem 

No. 44. 


grossen Brande 1842 den Grundstein zur allgemeinen Sanirung 
der Stadt legten, wie seit der Einführung des Impfgesetzes die 
Pocken verschwanden, aber auch, dass erst seit 1893 mit Ein¬ 
führung der allgemeinen centralen Wasserfiltration, unterstützt 
durch die planmässigen Desinfektionen bei ansteckenden Krank¬ 
heiten und verschiedene Maassnahmen der öffentlichen Hygiene 
das jetzt vorhandene glänzende Resultat erzielt wurde. Ist doch 
die Gesammtmortalität allein in den letzten 4 Jahren des Jahr¬ 
hunderts von 250 auf 172, also um 78 auf 10 000 Einwohner ge¬ 
sunken. Annähernd gleich mit Hamburg stehen jetzt nur noch 
Altona, Berlin, Bannen, Elberfeld und Hannover, überlegen sind 
ihm um ein Geringes Bremen und Frankfurt a. M., während alle 
anderen Städte erheblich ungünstiger daran sind, so auch z. B. 
selbst München um fast 6 auf 1000 Einwohner (23,5:17,9). 
Dass neben den allgemeinen hygienischen Maassuahmen auch 
die grossartige Ausgestaltung der öffentlichen Krankenhäuser 
ihren Antheil an der Herabminderung der Gesammtsterblichkeit 
hat, ist selbstverständlich. Wie weit die einzelnen Faktoren 
sich hieran betheiligt haben, möge man in den Originalschriften 
nachlesen, deren Studium jedem Arzt empfohlen werden kann. 
Die vornehme Ausstattung der Festschrift, für welche der Ham¬ 
burger Staat die Summe von 25 000 M. zur Verfügung gestellt 
haben soll, gereichen dem Verleger und Drucker zu grosser Ehre. 

Zur Chirurgie der Bauchhöhle. Aus dem Allge¬ 
meinen Kranken hause Hamburg-Eppendorf, 
Abtheilung von Dr. II. K ü m m e 11, I. Chirurg. 
Oberarzt. (Mittheilungen aus den hamburg. Staatskranken- 
anstalten, Bd. III, H. 3, 1901, Verlag von Leop. V o s s in Ham¬ 
burg.) 

Monatshefte für praktische Dermatologie, Bd. 33, No. 7, 

1901, Verlag von Leop. Voss in Hamburg. 

Auch diese beiden Schriften sind den Theilnehmern der dies¬ 
jährigen Naturforscherversammlung gewidmet, enthalten aber 
natürlich nur wissenschaftliche Arbeiten von allgemeinem Inter¬ 
esse. In der erstgenannten Schrift hat Kümmell, wohl einer 
der erfahrensten auf dem Gebiete der Bauchchirurgie, das grosse 
Krankenmaterial des Eppendorfer Krankenhauses aus den letzten 
5% Jahren zusammengestellt und einzelne Gebiete daraus dureli 
seine Assistenten bearbeiten lassen. Es sind über 1000 Laparo¬ 
tomien, welche der Arbeit zu Grunde gelegt werden konnten, 
darunter allein 528 Darmoperationen, 194 Operationen am 
Magen, 182 an der Leber und den Gallen wegen, 2 Milz- und 
8 Pankreasexstirpationen u. s. f. K. selbst hat die Einleitung ge¬ 
schrieben, in welcher er über die von ihm geübte Technik be¬ 
richtet. Es folgen Beiträge zur Chirurgie des Magens von 
Ringel, der Darmcarcinome und narbigen Darmstrikturen von 
Aichel, Hildebrandt und W i e t i n g, der Erkrankungen 
der Leber und Gallenwego von Sudeck, der Pankreaserkran¬ 
kungen und Fettgewebsnekrose von Tschirschwi tz, über 
Dauerresultate der operativen Behandlung der tuberkulösen 
Peritonitis von Thoenes, über Perityphlitis von Scholz, 
über entzündliche Adnexerkrankungen von Flockcraan n, 
über Extrauterinschwangerschaft von Rumpel. 

Von weitgehendstem Interesse dürfte Scholz’ Arbeit über 
Perityphlitis sein, da ihr sämmtliche Fälle von Appciulicitis zu 
Grunde gelegt sind, die seit 1888 auf der innern und seit Ende 
1895 auf der chirurgischen Abtheilung des Krankenhauses zur 
Behandlung kamen, im Ganzen 850 Fälle, von denen 655 zur 
ersten und 195 zur zweiten Gruppe gehören. Die Gesammt- 
mortalität betrug 4,7 Proc., die der Operirtcn 11,5 Proc. K. unter¬ 
scheidet leichte, mittelschwcro und schwere Fälle 
und stellt danach seine Prognose und Indikationen zur Opera¬ 
tion. In den leichtesten Fällen wird die Eis- und Opiumtherapie 
angewandt, in den schweren Fällen von Peritonitis wird sofort 
operirt. In den mittelschweren Fällen wartet K. ab, so lange 
der Allgemeinzustand gut ist. Wird der Puls schlechter, ist ein 
deutlicher Abscess vorhanden oder steigt die Temperatur, so wird 
sofort operirt. In anderen Fällen hat K. gewartet und viele, selbst 
schwere Fälle zur Heilung kommen sehen. Manche wurden dann 
noch später im intermediären Stadium mit Erfolg operirt. lv. 
steht mit seinen Anschauungen im Gegensatz zu manchen Chi¬ 
rurgen, wie Rehn und Sprengel, die jode Appendicitis so¬ 
fort operiren wollen, während Sonnonburg, der früher eben¬ 
so radikal dachte, jetzt konservativer geworden ist. lv.’s Rosul- 

fi 


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1756 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


täte beweisen vollauf die Berechtigung des von ihm stets ver¬ 
tretenen Standpunktes. 

Die übrigen Arbeiten des Heftes seien besonders den Chirur¬ 
gen zum Studium empfohlen. 

Die Abhandlungen des Monatsheftes für prak¬ 
tische Dermatologie sind von Hamburger Dermatologen 
verfasst und behandeln wissenschaftliche und praktische Fragen 
aus dem Gebiet ihrer Spccialwissenschaft. So berichtet Appel 
über ein neues Hautmittel „Sapolan“, Arning über die Be¬ 
handlung der Furunculosis, Herz über die Therapie der Prosta¬ 
titis chron. blennorrhoica. Leist ikow über die Ichthargan- 
behandlung der chron. Gonorrhoe, sowie Dorst-Delbanco, 
Lochte, Pappen heim, Unna, Werner und West¬ 
berg über verschiedene mikroskopische und klinische Befunde. 
Auch in diesem Hefte findet nicht nur der Specialist, sondern 
auch der Praktiker mancherlei von allgemeinem Interesse. 

J a f f e - Hamburg. 

Dr. August Hoffmann -Düsseldorf: Pathologie und 
Therapie der Herzneurosen und der funktionellen Kreislaufs¬ 
störungen. Mit 19 Textabbildungen. Wiesbaden, Verlag von 
J. F. Bergmann, 1901. 

Wie II offmann in der Vorrede seines Werkes schreibt, hat 
er in demselben den Versuch gemacht, die funktionellen Kreis- 
laufsstürungcn gewissermaassen als Supplement zu einem Hand¬ 
buch der Herz- oder Nervenkrankheiten zu behandeln. Es ist ge¬ 
wiss verdienstlich, die in den Lehrbüchern sehr zerstreuten An¬ 
gaben über die sog. Herzneurosen in einem geschlossenen Werke 
zusammenzufassen, aber es ist dies auch eine sehr schwierige Auf¬ 
gabe. Denn das Gebiet, um das es sich hiebei handelt, ist vor¬ 
läufig noch recht unvollständig von den anderen Kapiteln der 
Herzstörungen abzugrenzen, besonders gegenüber den Herz- 
nniskelcrkrankungen, und es lässt sich nicht vermeiden, dass 
unsere an so vielen Punkten noch nicht geklärte Einsicht in die 
Vorgänge das schöne Einordnen des Stoffes in gut abgegrenzte 
Kapitel verhindert. Bis zu einem gewissen Grade wird das bei der 
Darstellung von nicht in Paragraphen unterzubringenden bio¬ 
logischen Dingen auch stets der Fall sein. Was Verfasser in 
seinem mit einer enormen Litera tu rkenntniss geschriebenen 
Werke als zum Gebiet der nervösen Kreislaufsstörungen gehörig 
betrachtet wissen will, erhellt am besten aus einer kurzen Ueber- 
sicht des speciellen Theiles. Er bespricht da: die funktionellen 
Störungen seitens des Herzmuskels und die akute Herzdilatation, 
die Herzstörungen bei Vergiftungen, die Herzerscheinungen bei 
fieberhaften Erkrankungen, dio Störungen des Kreislaufs bei 
Konstitutionskrankheiten, bei den organischen Erkrankungen des 
Nervensystems, bei den funktionellen Neurosen, ferner die sog. 
reflektorischen Störungen der Herzthätigkeit, die Herzanomalien 
bei den Erkrankungen der Leber, der Nieren, der Lungen. End¬ 
lich finden gesonderte Darstellung die Adam-Stokes’sche 
Krankheit, die paroxysmale Tachykardie, die Basedow’sche 
Krankheit; den Schluss des so reichen Inhalts bilden die Gefäss- 
neurosen. Im Allgemeinen wollte II. alle diejenigen Erkran¬ 
kungen der Kreislaufsorgane schildern, welche ohne nachweisbare, 
sichere anatomische Erkrankung der Klappen, der_Muskulatur 
oder der Blutgefässe des Herzens einhergehen. Eine schärfere 
Scheidung wird erst dann möglich werden, wenn wir gelernt 
haben werden, dio „molekularen Veränderungen“, welche heute 
noch als Grundlagen der .sog. Herzneurosen supponirt werden, 
als etwas anders zu erkennen, als eine euphemistische Bezeichnung 
der Grenzen unserer Wissenschaft. Der allgemeine Theil des 
Werkes enthält einen gedrängten Abriss der Herzphysiologie, 
über die ja gerade in der Heimathstadt des Verfassers vor 
3 Jahren, bei Gelegenheit der damaligen Naturforscherversamm¬ 
lung, ein scharfer Kampf geführt wurde, ferner eine Darstellung 
der Untersuchungsniethoden, der Symptome bei den funktionellen 
Herzkrankheiten, sowie der Prognose und allgemeinen Therapie 
derselben. Hinsichtlich des Verhältnisses der funktionellen zu 
den organischen Erkrankungen des Herzens steht H. auf dem 
Standpunkt, dass erstcre nicht so selten als Vorläufer der letz¬ 
teren sich darstellen. Schon daraus erhellt die Bedeutung ihrer 
rechtzeitigen Erkennung. Ob man, wie es H. tliut, in Abrede 
stellt, dass eine funktionelle Erkrankung förmlich in eine orga¬ 
nische sich verwandeln kann, scheint mir gegenüber eben ge¬ 
kennzeichneter Stellung ohne Belang. Hinsichtlich der Rolle, 


die frühere syphilitische Infektion spielen kann, möchte Referent 
noch auf Grund eigener Untersuchungen anfügen, dass hiebei 
2 Momente berücksichtigt werden müssen; einerseits kann — aber 
meiner Ansicht nach in doch ziemlich seltenen Fällen — eine 
lange Jahre zurückliegende syphilitische Infektion für die An¬ 
nahme einer organischen Erkrankung des Herzens verwerthet 
werden; andererseits aber kommen funktionelle Störungen des 
Kreislaufes gerade in den früheren Stadien der Syphilis mit ganz 
ausserordentlicher Häufigkeit vor. Wenn in der Anamnese eines 
derartigen Kranken daher eine noch relativ frische, über das 
sekundäre Stadium noch nicht hinausgekommene Syphilis auf¬ 
findbar ist, so wächst die Wahrscheinlichkeit, dass wir es in dem 
betreffenden Falle nur mit einer funktionellen Erkrankung des 
Herzens zu thun haben, in hohem Maasse. Nach meinen Er¬ 
fahrungen muss unter den Konstitutionskrankheiten, bei denen 
häufig funktionelle Erkrankungen des Kreislaufs beobachtet wer¬ 
den, nach Chloroso und Anaemie gleich auch die Syphilis in 
ihrem Sekundärstadium genannt werden, und zwar im Sinne 
einer primären Ursache funktioneller Herzstörungen. Das H.’sehe 
Werk sei der Aufmerksamkeit aller Aerzte wärmstens empfohlen. 

Grassmann - München. 

Felix D 6 v 6: De PEchinococcose secondaire. Paris, Socictc 
d’Editions scientifiques, 1901. 256 Seiten. 8° Mit 7 Fig. 

Diese gründliche Arbeit, welche als These de Paris, praeside 
R. Blanc hard erschienen ist, wird für Parasitologen und 
Chirurgen von grossem Interesse sein. Die darin zu Tage tretende 
Kenntniss des französischen und deutschen Schriftenthums ist 
sehr achtenswerth. Die Ergebnisse lassen sich in folgende Sätze 
fassen: Die operativ, traumatisch oder spontan erfolgende Er¬ 
öffnung (rupturc) einer llydatide setzt eine Anzahl specifischcr 
Keime in Freiheit, die sich irgendwo festsetzen (greffor, ein¬ 
impfen) können, wodurch sekundäre Echinococccu entstehen. 
Diese Keime können Scolices oder Tochterblasen sein. Diese 
„Greffe“ kann örtlich begrenzt oder weit ausgebreitet (z.B. in einen 
serösen Sack) sein, sie kann auch auf dem Wege des Kreislaufs er¬ 
folgen (embolisch!). Praktische Folgen sind die Vermeidung 
aller, auch der diagnostischen Punktionen, grösste Vorsicht bei 
chirurgischen Eingriffen (worauf schon Volkmann aufmerk¬ 
sam gemacht hat). Der Eröffnung der Cysten soll eine parasiten- 
tödtonde Einspritzung vorausgehen. Verfasser hofft auch von 
dem Studium der sekundären Echinococcen Klarheit in einigen 
dunklen Punkten der Geschichte des fraglichen Parasiten zu 
gewinnen. 

In Deutschland ist die praktische Seite der Frage längst in 
Angriff genommen, so von Krause (in Volkmann’s Vorträgen 
1S88), von F. König jun. 1890, von Hohl 1892, von R i e - 
m ann 1899. Zuerst hat R. Volkmann 1877 die Gefahr der 
Keimzerstreuung klar geschildert. 

Die Verdienste V o 1 k m a n n’s werden auch von unserem 
Verfasser voll anerkannt. Ausser der historischen Partie sind 
auch die Experimente Dev e’s beachtenswerth, da eine grössere 
Anzahl derselben zu positiven Ergebnissen geführt hat. 

Eine sehr gute Zusammenstellung der bisherigen Beobach¬ 
tungen finden wir pag. 61—93. 

Im 2. Theil gibt der Autor eine Kritik der verschiedenen secun- 
dären Lokalisationen des Parasiten. Es kann hier bemerkt werden, 
dass R. Leuckart in der 2. Auflage die vielfachen Echino¬ 
coccen nur auf Masseninvasion zurückführt. Da ein reifes Glied 
der Taenia Echinococcus etwa 500 Keime enthält, so könnte man 
sich die Sache wohl erklären. Aber mit der Möglichkeit einer 
Keimzerstreuung hat der grosse Zoolog nicht gerechnet. 

Von Interesse ist die milde Beurthcilung, welche Deve 
unserm H. Klencke zu Theil werden lässt. Er nennt ihn 
„esprit brillant, curieux“. Bekanntlich hat Klencke, der Ver¬ 
fasser von 200 Schriften, im Jahre 1844 eine 168 Seiten starke 
Schrift „lieber die Contagiosität der Eingeweidewürmer, nach 
Versuchen“ herausgegeben, welche C. Th. v. S i eb o 1 d in seinem 
Berichte über dio Leistungen im Gebiete der Helminthologie in 
den Jahren 1843 und 1844 geradezu vernichtend kritisirt. Gleich¬ 
zeitig haben auch J. Henle und Bischoff in Canstatt’s 
Jahresbericht etc. mit Indignation den Stab über Klencke’s 
Arbeiten gebrochen. J. Ch. Huber- Memmingen. 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1757 


Prof. I)r. Heinrich Obersteiner: Anleitung beim 
Studium des Baues der nervösen Centralorgane im gesunden 
und kranken Zustande. Vierte, vermehrte und umgearbeitete 
Auflage. Mit 250 Abbildungen, 680 Seiten. Leipzig und Wien, 
D e u t i c k e, 1901. Preis M. 17.—. 

Das an dieser Stelle bereits in den früheren Auflagen be¬ 
sprochene Buch hält vollkommen Schritt mit der Entwicklung der 
Ilirnanatomie. Alle nennenswerthen Errungenschaften der letz¬ 
ten Jahre sind darin berücksichtigt und zwar nicht bloss durch 
Einschiebung in den alten Text, sondern, wo immer es wünschbar 
war, durch Umarbeitung betreffender Abschnitte. 

Durch ausgiebigere Benutzung verschiedener Typen ist trotz 
des grossen Umfanges die Uebersichtlichkeit erhöht worden. 

Bleuler- Burghölzli. 

Neueste Journalliteratur. 

Zeitschrift für klinische Medicin. 1901. 43. Bd. Heft 

5 und 0. 

39) A. Pappenheini: Beobachtungen über das Verhalten 
des Knochenmarks beim Winterschlaf, in besonderem Hinblick 
auf die Vorgänge der Blutbildung. 

IMe mit allem Kaftinemeut der modernen Bluthistologie aus- 
geführten Untersuchungen wurden an Zieseln vor, während und 
nach dem Winterschlaf vorgenommen. Während des Winter¬ 
schlafes tritt entsprechend der allgemeinen Körperreduktion eine 
einfache Atrophie und fettige Degeneration des Markes ein. Nach 
Beendigung des Winterschlafes erfolgt sehr rasch eine Regenera¬ 
tion des Malkes, schon nach wenigen Stunden findet sich rothes 
Mark, mikroskopisch ein Zustand, den mau am besten als „Rei¬ 
zungsmark“ bezeichnet. Belm Winterschlaf ist der Schlaf das 
Primäre; eine eigentliche Anaemie besteht nicht. 

Zum Schlüsse betont der Verfasser, dass alle Anaemlen sekun¬ 
där sind — es handelt sich stets um eine mehr oder minder grosse 
relative Insufücienz der haemoglobinbildeuden Knochenmarks 
funktion gegenüber dem nothwendlgen Bedarf an Blut — und 
gibt eine -Eintheilung der klinisch wichtigen Anaemien. Je nach¬ 
dem der Blutverbrauch vergrössert oder das Blutbildungsorgan 
beeinträchtigt ist, unterscheidet er primär haemophthlsische An¬ 
aemien (traumatische und toxogene, dazu auch die pernieiöse A. 
gehörig) und primär myelophthisische. 

20) Speck- Dillenburg: Abkühlung, Lichtwirkung und 
Stoffwechselbeschleunigung. 

Verfasser wendet sich gegen die Kritiklosigkeit, welche 
manche übereifrige Anhänger der physikalischen Heilmethoden an 
den Tag legen. Eine Einwirkung der Abkühlung (kalter Bäder) 
und namentlich der Belichtung auf den Stoffumsatz wird ent¬ 
schieden in Abrede gestellt. Es gibt nur ein Mittel den Stoff¬ 
wechsel anzuregen, das ist die Muskelthätlgkeit. 

21) Volhard: Ueber das fettspaltende Ferment des 
Magens. (Aus der med. Klinik, Geh. Rath Dr. Riegel, Giessen.) 

Die Abhandlung beschäftigt sich mit dem genaueren Studium 
des vom Verfasser uaehgewiesenen Fermentes. Es ist wie das 
Lab- und Popsinforinent im Schleimhautextrakt nicht als solches, 
sondern als Zymogen vorhanden. Dementsprechend verhalten sich 
Magensaft und Schleimhautextrakt verschieden. Gegen Alkali 
ist das Ferment im Magensaft sehr empfindlich, gegen Salzsäure 
ist es aiier resistenter als das Schleiinhautextrakt. Mit dem Lab- 
und Pepsinferment bestehen auch sonst Analogien: die Ver¬ 
dauungsprodukte verhalten sich wie die Quadratwurzeln der Fer- 
mentmengeu (Schütz - Borlsso w’sches Gesetz). Bei Achylien 
ist auch die Sekretion des fettspaltenden Fermentes herabgesetzt, 
ebenso bei stärkeren Graden von Il.vperacidität. 

22) Bloch: Beiträge zur Haematologie. (Aus dem städt. 
Krankenhaus Moabit-Berlin, Geh. Rath Prof. Renvers.) 

Die sehr eingehenden Untersuchungen, welche sich knum in 
den Rahmen eines Referates zwingen lassen, befassen sich haupt¬ 
sächlich mit der Morphologie der rothen Blutkörperchen. Was die 
normalen Verhältnisse betrifft, so kommt Verfasser zu dem Er- 
gebniss, dass eine feinere Struktur der Erythroeyten einstweilen 
nicht festzustellen ist und dass wir bis auf Weiteres ein homogenes 
Aussehen der intakten und normalen rothen Blutzellen annehmen 
' müssen. Dagegen sind eine Reihe von Veränderungen in Krank- 
heitszuständeu bekannt geworden. Unter diesen beschäftigt sich 
Verfasser besonders mit der körnigen Punktiruug des Cytoplas¬ 
mas. Das Hauptinteresse an dieser Erscheinung ist ein theo¬ 
retisches. ITaktisch ist sie nur insofern wichtig, als sie als erstes 
und einziges Zeichen einer krankhaften Veränderung bestehen 
kann, wo alle sonstigen Symptome noch fehlen; so bei Bleiintoxi¬ 
kation. wahrscheinlich auch bei der Tropeuanaemic. Sonst be¬ 
sitzt sie keine diagnostische oder prognostische Bedeutung. Was 
die Natur der Körnchen in den puuktirten Erythroeyten betrifft, 
so können sie aus verschiedenen Gründen, deren Erörterung im 
Original naehgesehen werden muss, nicht als Zerfallsprodukte des 
Zellkernes aufgefasst werden. Der Keruverlust der Erythroeyten 
hat damit nichts zu thun; er erfolgt in ganz anderer Weise und 
zwar ist wahrscheinlich die Möglichkeit der Entkernung eine 
doppelte: durch Kernaustritt und durch intracellulären Kern¬ 
schwund. Bei der körnigen Degeneration der Erythroeyten han¬ 
delt es sich vielmehr wahrscheinlich um bestimmte regressive Ver¬ 


änderungen, wobei es vielleicht zur Ausscheidung eines normaliter 
im Zellsaft gelösten Eiweiss- oder ei weissartigen Körpers kommt. 
Näheres lässt sich einstweilen nicht aussagen. 

23) Xeuberg; Ueber die wichtigsten Fortschritte auf dem 
Gebiete der Chemie und Physiologie der Kohlehydrate. II. 

Zusummenfassendes Referat. Kerscliensteincr. 

Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. 
Bd. V, Heft 5. 1901. 

1) Rudolf Funke: Zur Behandlung des nervösen Hustens 
mittels bahnender und hemmender Uebungstherapie. (Aus der 
I. mediclnischen Klinik des Hofrath P r 1 b r a ui in Prag.) 

Der nervöse Husten hat die Eigenthümlichkeit, fast jeder 
bisher üblichen Therapie zu trotzen. Hinsichtlich der Sympto¬ 
matologie zeichnet er sich durch den vorwalteud negativen Be¬ 
fund au den Respirationsorganen, durch das Fehlen reichlichen 
Auswurfs, durch die Klangfarbe, durcli das Sistiren desselben Im 
Schlaf, sowie eventuell durch die Kombination mit anderen ner¬ 
vösen Stigmatas aus. Der Charakter desselben kann anfallsweise 
als Hustenkrampf oder als kontinuirlicher rhythmischer Husten in 
Erscheinung treten. Wichtig für die Therapie ist auch die Dif- 
ferenziruug, ob es sich um einen von Irgend einer Körperstelle 
ausgelösten Reflexhusten oder um einen centralen Husten, bedingt 
durch psychische Alterationen, Hysterie oder Neurasthenie, 
handelt. Auslösemles Moment für den nervösen Husten kann 
ein ursprünglich auf anatomischen Veränderungen oder Infektion 
(z. B. Keuchhusten) beruhender Husten sein, der die Bahnen des 
Reflexes derartig ausschleift, dass nach Beseitigung desselben eine 
auf minimale Reize reagirende reflektorische Uebererregbarkeit 
zurückbleibt. Einen ähnlichen Symptomeukomplex, wie der ner¬ 
vöse Husten bieten die zuerst von F e r r 6 o 1 beschriebenen Crises 
laryngdes et bronchiques bei Tabes, bedingt durch degeneratlve 
I’rooesse der aufsteigenden Trigeminus-, Glossopharyngeus- und 
Vagusfasern. 

An der Hand einer Anzahl selbst beobachteter und behan¬ 
delter Fälle erörtert F. eine auf Uebungstherapie beruhende 
Methodik, welche die Aufgabe verfolgt, sowohl bei nervösem 
Reflex husten wie bei centralem Husten durch den Einfluss des 
Willens in Form von systematischer Atmungsgymnastik die 
reflexhemmeuden Bahnen In’s Uebergcwiclit zu bringen. Bei den 
Athmungsübungen wird zugleich die bei nervösem Husten oft 
pathoguomonische krampfhafte Art des Athmungstypus günstig be¬ 
einflusst. Die Athmungsübungen haben im Anfänge rhythmisch, 
später arhytlimisch stets unter Kommando des Arztes zu er¬ 
folgen. Unterstützt werden dieselben durch mit dem Athrnon 
synchrones Oeffnen und Sehliessen des Mundes mit oder ohne 
gleichzeitigem Hervorstrecken der Zunge. Bei krampfhafter Mit¬ 
betheiligung der Hals- und Sehultermuspulatur an den Anfällen 
des Hustens empfiehlt Verf., analog dem N a e g e 1 i’schen Hand¬ 
griff den Unterkiefer rasch und kräftig nach vorne zu ziehen. 

2) C. C. Daniels- Amsterdam : Die Thennometrie am 
Krankenbette. Historische Aufzeichnungen. 

Hippokrates, Celsus und Galen haben zwar schon 
die Temperaturerhöhung des Körpers bei Krankheiten gewürdigt, 
jedoch begnügten sie sich mit einer Schätzung derselben dem Ge¬ 
fühle nach. Von der Nothwendigkeit einer objektiven Messungs- 
methoue war erst Sanetorius überzeugt, der sich zu diesem 
Zwecke ein Thermoskop konstruirt hat. Dasselbe war so ein¬ 
gerichtet, dass eine Luftsäule bei Erwärmung eine Wassersäule 
durch Ausdehnung verdrängte. Boerhaave war der erste, 
der sieh eines unserem heutigen Thermometer entsprechenden 
Instrumentes mit einer Quecksilbersäule bedient hat. Jedoch 
verhielten sich die Aerzte nach Boerhaave’s und seiner 
Schüler Wirken der Thennometrie gegenüber wieder glelcligiltig. 
bis Traube und gleichzeitig Wunderlich durch systema¬ 
tische Messungen und Aufstellung von Temperaturkurven bei den 
einzelnen Krankheiten die klinische Bedeutung der Körperwärme¬ 
messung der wissenschaftlichen Welt offenbarten. 

3) C. Acliert- Bad Nauheim: Tuberkulose und Herzkrank¬ 
heiten unter therapeutischen Gesichtspunkten. 

Ausgehend von der bekannten Rokitausk y’schen Lehre, 
dass Stauungszustände im kleinen Kreislauf gegen Tuberkulose 
der Lunge eine Immunität verleihen, andererseits aller Hypoplasie 
des Herzens und Phthise sehr häufig kombinirt sind, glaubt A., 
gerade bei Lungentuberkulose für eine die Herzaktiou stärkende 
Balneotherapie, nämlich Anwendung kohlensäurereicher Stahl- 
80 olthermen, eiutreten zu dürfen. 

M. Wassermann - München. 


Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 60. Bd., 5. u. 6. Heft. 
Leipzig, Vogel, 190L 

23) Merk Ons: Ueber die beim otitischen Abscess des 
linken Schläfenlappens auftretenden Sprachstörungen. (Moabit, 
Berlin.) 

Verf. hat 25 genau beobachtete Fälle von Schläfenlappen- 
absccss zusammengestellt. Er fand Wortstummheit (Störungen 
des Ausdruckes der Worte) in 25, Worttaubheit (Störungen des 
Wort Verständnisses) in 8, Störungen beim Nachsprechen in 2, 
Schreibstörung in 7, Lesestörung in 9, Seelenblindheit in 4 Fällen. 

Zur Erklärung der Sprachstörungen hat M. ein Schema zu¬ 
sammengestellt, das im Wesentlichen mit dem G r a s h e y'sohcn 
übereinstimmt. Eine Wiedergabe der M.’schen Ausführungen Ist 
ohne Beigabe der Schemata nicht möglich. Die Sprachstörungen 
beruhen darnach in der Regel nicht auf einer Schädigung der 
Sprachcentren selber, sondern auf einer solchen der Leltungs- 

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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


1758 


lmlnien, hauptsächlich derjenigen, welche das Klangbildcentrum 
mit dem Begriffscentrum verbinden, seltener derjenigen zwischen 
Klangbildcentrum und Schriftbildcentrum 

241 Orlow: Echinococcotomie nach Posadas-Bobrow. 

Die I’osadas-Bobro w’sche Echinococcenoperation be¬ 
steht darin, dass man nach der Entfernung der Echinococcenblase 
den Sack vollständig vernäht O. hat 5 Fälle nach dieser Methode 
operirt und in allen einen günstigen Erfolg erzielt. Er hat aber 
doch Bedenken gegen die weitere Ausübung des Verfahrens. 
Erstens besteht die Möglichkeit, dass nach der Operation eine 
übersehene Blase in die eröffnete Höhle sich entleeren kann, 
zweitens kann der Inhalt septischer Natur sein und eine Peri¬ 
tonitis verursachen, drittens kann nachträglich ein Gallenausfluss 
oiutreten. 

Bei 134 veröffentlichten Eehinoeoccotomien mit Verschluss 
des Sackes kamen 27 Fälle von Eiterung und 9 Todesfälle vor. 
Verf. hält daher das Verfahren für unvollkommen und weiterer 
Verbesserungen bedürftig. 

25) T a v e 1 - Bern: Ueber Wunddiphtherie. 

3 genau untersuchte Fälle, die klinisch nichts für Diphtherie 
Charakteristisches boten: ein Paronychium mit starker Lymphangi- 
tis nach Sektion eines Diphtheriekindes, ein periostaler Abscess am 
Kücken, der zuerst als Senkungsabseess gedeutet wurde, eine ein¬ 
fache. mit zäher eitriger Flüssigkeit gefüllte Blase am Zeige¬ 
finger. 

Im Gegensatz zu diesen klinisch nicht als Dlphtheritis auf¬ 
fallenden Fällen fand Verf. in solchen Fällen, die klinisch als 
Wunddiphtherie hätten angesehen werden können, nie Diphtherie¬ 
bacillen. 

20) Dohm: Zur pathologischen Anatomie des Frühtodes 
nach Hautverbrennungen. (Stadtkrankcnhaus Chemnitz.) 

Verf. berichtet über 17 Beobachtungen von schweren Ver¬ 
brennungen, von denen 9 zur Sektion kamen. Die Untersuchungen 
lehrten ihn. dass es nicht angängig ist, den Frühtod nach Haut- 
verbrennungen in einheitlicher Auffassung zu erklären. Vor 
allen Dingen darf man nicht immer den Schock in den Vorder¬ 
grund stellen und die anatomischen Veränderungen als unwesent¬ 
lich bei Seite lassen. Bedeutungsvoll ist zunächst die Veränderung 
der rothen Blutkörperchen, "die besteht in einer auffällig starken 
Bildung von Stechapfelformen und in Zerfallserscheinungeu. Die 
wcissen Blutkörperchen finden sich meistens vermehrt, Haemo- 
globinurie und Mcthaemoglobinurie konnte nur 2 mal nachgewiesen 
werden. Eine ausgedehnte Blutgerinnung in lebenswichtigen 
Organen, wie sie so oft als Todesursache hingestellt wird, konnte 
trotz sorgfältigster darauf gerichteter Untersuchungen nicht nach¬ 
gewiesen werden. 

N’ierenerkrankungeu spielten in den sezirten Fällen keine 
besonders grosse Rolle, unter den 9 Fällen fehlten sie 6 mal voll¬ 
ständig. Auffallend war dagegen ein in allen Fällen gefundenes, 
mehr oder minder hochgradiges, entzündliches Ocdem im Gehirn. 
Dasselbe gibt eine Erklärung für die häutig auftretenden ner¬ 
vösen Erscheinungen und muss wohl auf eine Vergiftung zurück- 
geführt werden. 

27) Jenckel: Beitrag zur Kenntniss der sogen, embryo¬ 
nalen Drüsengeschwülste der Nieren. (Chirurgische Klinik zu 
Göttin gen.) 

J. berichtet über den seltenen Fall einer embryonalen Misch- 
gesclnvulst der Niere von gewaltigen Massen bei einer 43 jährigen 
Frau, bei dem keine Spur einer malignen Degeneration anzu- 
treffen war. Der Tumor trug auf seiner medialen Seite die Niere. 
Das Stroma des Tumors bestand aus hochentwickeltem, kernarmen 
Bindegewebe, m.vomatösem Gewebe, glatter Musculatur, Fett¬ 
gewebe. elastischen Fasern, drüsigen Elementen, letztere theils 
als kleine büschelförmig verzweigte Hohlräume, theils als grosse 
Cysten mit Uebergaugsformen vom einfach kubischen bis zum 
hohen Cyllndorepitiiel und geschichteten Plattenepithel. Glomerult 
wurden nirgends angetroffen. 

Bezüglich der Genese des Tumors hält J. es nicht für nüthig. 
eine Keimversprengung aus frühester Foetalperlode anzunehmen, 
da sich aus der Nierenanlage selbst alle Theile der Mischgesehwulst 
ableiten lassen. Nach J. ist ein Theil der foetaleu Niere vor der 
Zelt der Glomerulusanlnge in embryonaler Form stehen geblieben 
und erst später zu einer so grossen Geschwulst lierangewaehsen. 
Verf. führt einen Fall von kongenitaler Nierenhypoplasie an, der 
beweist, dass in der embryonalen Niere ganz gleiche Drüsen und 
Cysten wie in der beschriebenen Geschwulst Vorkommen können. 
Tn einem weiteren Falle von Nierenmissbildung konnte sogar in 
dem Stroma eine schön geformte, grosse Hornkugel nachgewiesen 
werden. 

2 S| Eversmann: Ueber das Verhalten der Gelenkkapsel 
und der abgesprengten Epitrochlea bei der Luxation im Ell¬ 
bogengelenk nach aussen mit Interposition. (Ilerzogl. Kranken¬ 
haus Braunschweig.) 

2 Fälle, bei denen die Absprengung der Epitrochlea Anfangs 
(von anderer Seite) übersehen war. Verf. weist darauf hin. dass 
eine ausgesprochene Luxation nach aussen ohne Absprenguug der 
Epitrochlea anatomisch gar nicht denkbar ist und dass man daher 
bei diesen Luxationen immer an die Absprengung der Epitrochlea 
denken soll. Die Röntgenuntersuchung wird heute immer den 
sichereren Aufschluss geben. Die Verletzung kann in 2 Modalitäten 
auftreten. indem das die Epitrochlea haltende Kapselband ent¬ 
weder eine nach innen oder eine nach aussen gerundete Falte 
bildet. Bi'ide Patienten wurden durch blutige Reposition völlig 
geheilt. 

29) A u 1 e r: Ueber extrasynoviale Kapselplastik und andere 
plastische Operationen am Kniegelenk. (P.ürgerspital Köln.) 

Nach Barden heuer lassen sich am Kniegelenk eine ganze 


Reihe von Eingriffen extrakapsulär, d. h. ohne Eröffnung der 
Syuovialkapsel ausführen. 

Bei der Behandlung der habituell nach aussen luxirteu Patella 
muss man suchen, die Patella nach innen zu verschieben, die 
Kraftwirkung des Vastus internus zu vergrössern und der Ver¬ 
schiebung der Patella nach aussen während der Flexion, Aussen- 
rotation und Abduktion des Unterschenkels wirkungsvoll ent- 
gegeuzutreten. B. verkürzt dazu den inneren Rand von dessen 
Sehne und des Llg. patellare. Er durchtrennt weiter höher oben 
die Quadricepssehne von aussen beginnend bis zur Hälfte ihres 
Querdurchmessers. Schliesslich excidirt er von der fibrösen Kapsel 
au der Innenseite der Kniescheibe ein 2—3 cm breites Stück. 
Ausserdem kann man noch die Ansatzstclle des Lig. patellare 
nach innen verlagern. Zwei ln dieser Weise operirte Fälle hellten 
ohne Störung. Eine Nachuntersuchung war leider nicht möglich. 

Eine ähnliche Operation hat B. wiederholt gegen die l»el 
Genu valgum vorkommende, auch nach der Operation oft zurück¬ 
bleibende Kapselerweiterung mit Erfolg vorgenommen: Ver¬ 
engerung der Kapsel an der Innenseite des Kniegelenks, Kürzung 
des inneren Randes der Quadricepssehne und des Ligamentum 
patellare, Verpflanzung der inneren Knlegclenksaponeurose in 
der Richtung nach aussen, unten und vorn an den inneren Patellar- 
rand und die Unterschenkelfascie. 

Auch die hei chronischem Knlegelenkshydrops sich ein- 
stellemle Kapselerschlaffung (Schlottergelenk) hat B. in dieser 
Weise mit Erfolg ln Angriff genommen. Er suchte die Kraft des 
Quadriceps zu steigern durch Exeision eines Stückes aus der 
Quadricepssehne und dem Ligamentum patellare proprium und 
gleichzeitig eine Verengerung der fibrösen Kapsel zu erzielen durch 
extrasyuoviale Verkürzung desselben. 

Aehnliche Versuche bei chronischem Gelenkrheumatismus 
und Arthritis deformans blieben erfolglos, etwas besser ln einem 
Falle von chronischem Folgezustand einer septischen Kniegelenks¬ 
entzündung. 

In einem Falle von Exstirpation des luxirten Meniscus 
extemus blieb starke seitliche Beweglichkeit lm Kniegelenk 
zurück. Es gelang durch Verengerung der äusseren Kapsel, diese 
Beweglehkeit völlig zu beseitigen. 

30) N o r d m a n n - Basel: Zur Kasuistik der Lymphcysten 
des Oberschenkels. 

Verf. beschreibt genau den Fall einer wahrscheinlich nach 
einem Trauma entstandenen grossen Cyste an der Iliuterselte des 
Oberschenkels. Die völlig geschlossene Cyste halte sieh in der 
Fasele entwickelt, nach ihrer Ausschälung lag die Musculatur 
zu Tage. 

31) Borcliard - Posen: Luxation und Torsion der Patella 
nach aussen durch Muskelzug. 

B. beschreibt den sehr seltenen Fall der Kombination einer 
Luxation der Patella nach innen mit der vertikalen Luxation nach 
aussen. Die Entstehungsweise der Verletzung wird sorgfältig 
nnalyslrt. Die Diagnose war sehr schwer. In des Vcrf.’s Falle 
war es nicht möglich, den First an der Innenseite der Patella 
zu fühlen. Von Bedeutung dürfte die als stark gespannter 
Strang zu fühlende Gelenkkapsel sein, während die Quadriceps- 
sehne und das Ligamentum patellare relativ erschlafft waren. 
Bel der Einrichtung muss natürlich zuerst die Torsion beseitigt 
werden. 

32) v. M e e r: Ueber wiederholte Einklemmung im Foramen 
obturatoiium sin. (Darmwandhernie) kombinirt mit Volvulus 
ilei. (Kölner Bürgerspital.) 

Beide Male wurde die Einklemmung vom Bauclisclinitt aus 
entdeckt und behoben. Die Radikaloperation wurde ständig ver¬ 
weigert. 

33) Rydygle r: Zur Geschichte der circularen Pylor- 
ektomie. 

R. vertheidigt gegenüber dem S t i e d a’sehen Widerspruch 
wiederholt seine Rechte an der circularen Pylorektomle. 

34) M a tt li I o 11 u s: Schädelschuss und Röntgenaufnahme. 

2 Röntgenbilder Hessen Anfangs die Kugel im Schädel vor- 

rautlien. Einfache Ueberlegungen führten aber zu der Annahme, 
dass die Kugel den Schädelknochen gar nicht durchbohrt hatte, 
und in der That wurde die Kugel durch einen einfachen Schnitt 
freigelegt und entfernt. Kreck e. 

Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P. v.Bruns. 
Tübingen, Laupp. 31. Bd. 1. Heft. 

Das 1. Heft des XXXI. Bandes der Beitr. z. klin. Chir. bringt 
zunächst eine Arbeit aus der Strassburger Klinik von C. A d r i a n 
über Neurofibromatose und ihre Komplikationen, worin A. die 
bisherigen Anschauungen über diese Erkrankung (v. Reckling¬ 
hausen ete.) nach ihren Kardinalsymptomen und sozusagen 
Symptomen 2. Ordnung (abnorme Behaarung, Haemotangiome, 
Lymphangiome, Kombination mit Lipomen etc.) bespricht und be¬ 
sonders auch den Einfluss äusserer Einwirkungen (Gravidität. 
Traumen, Infektionskrankheiten) betrachtet, sowie die eigentlichen 
Komplikationen der Neurofibromatose (maligne Degeneration, 
psychische Störungen, Exostosen etc.). Am häufigsten sind die 
Spinalnerven und zwar vorzugsweise die Hautiiste derselben, dann 
die Hlmnerven und der Sympathieus von der Neurofibromatose 
befallen, zuweilen kommt es auch zu extraduralen, seltener zu 
intraduralen Neurofibromen. A. theilt u. a. 12 eigene Beobach¬ 
tungen mit, davon 2 mit maligner Degeneration und Metastasen, 
ln einem Falle handelte es sich bol 9jäbr. Pat. um eine auf dein 
Boden einer Mcningocele langsam gewachsene Geschwulst des 
Hinterhaupts, die dann plötzlich wuchs, zu Erblindung, Iutellekt- 


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20. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1759 


schwächt* und Sarknimnotastason in Lunge und Zwerchfell führte, 
in einem 2. Falle mit ausgedehnten Neurofibromen der Haut und 
plexiformem Neurom des Iscliiadicus bei congenitalem Fibula¬ 
defekt erfolgte der letale Ausgang an Sarkom des Linsenkernes. 

Aus der Prager cliir. Klinik schreibt Fel. S m o 1 e r über 
einen 27 Jahre lang beobachteten Fall von Cystadenoma papil¬ 
läre der Schilddrüse und schildert unter Besprechung der in der 
Literatur mitgetheilt.cn Fälle klinischen Verlauf und Erschei¬ 
nungen der Cystadenome der Schilddrüse, die auch in Nebenschild¬ 
drüsen beobachtet wurden und deren Prognose, zumal bei ent¬ 
sprechender Therapie (radikaler Exeislon in gesundem Gewebe), 
eine günstige ist. 

Aus der Tübinger Klinik gibt B. Ilon seil einen Beitrag 
zur Kenntniss der sog. primären Myositis purulenta und be¬ 
schreibt n. a. 9 Fälle der v. Brun s’sclien Klinik, die in den 
3 letzten Jahren beobachtet wurden, in denen sämmtlich Staphylo- 
coccus pyogenes aureus als alleiniger Erreger nachgewiesen wurde. 
H. schildert Symptome. Verlauf und Prognose dieser Erkrankung, 
sowie die in breiter Ineision bestehende Therapie; nach den Er¬ 
fahrungen der betreffenden Klinik zeigt die akute purulente Myo¬ 
sitis auch in den Fällen, wo sie akut mit osteomyelitischen Er¬ 
scheinungen beginnt, häufiger, als bisher angenommen, guten Ver¬ 
lauf. 

Aus der gleichen Klinik berichtet Ernst II a a s über die 
Osteome der Nasenhöhle und gibt Im Anschluss an einen von 
v. Bruns operirten Fall eine Zusammenstellung der bisher be¬ 
obachteten Fälle (18. die <*r bestimmt als Osteome der Nasenhöhle 
ansprechen möchte; C Osteome der Nebenhöhlen der Nase); 
unter den klinischen Erscheinungen werden besonders die Obstruk¬ 
tion der Nase. Polypen dabei, Blutungen. Thränenträufeln etc. be¬ 
sprochen, zur Beseitigung muss eventuell die äussere Nase, wenn 
nötliig, gespalten werden. 

Aus dem Diakonissenliaus zu Freiburg 1. B. gibt E. Gold¬ 
man n einen Beitrag zur Behandlung der Prostatahypertrophie, 
wobei er anatomisch und klinisch die Beschwerden der Prostatiker 
stmlirt, die er in mechanische und septische Prostatiker mit 
Poncet eintlieilt; G. schreibt den günstigen Erfolg der Poli¬ 
ce t’sehen Operation der günstigen Einwirkung der Ventrofixation 
der Blase auf die Konfiguration der inneren Ilarnröhrenmündung 
mul auf die Riehtungsliuie der Blase zu und empfiehlt bei mecha¬ 
nischen Prostatikern, die das 2. Stadium nach Guyon nicht über¬ 
schritten haben, eine Anheftung der Blase an die vordere Bauch- 
wund derart auszuführen, dass eine vom Peritoneum freie Stelle 
der vorderen Blasenwand (bei cinporgedriingter Blase) möglichst 
hoch an die Bauchwand tixirt wird, während man nach der An- 
nühung mittels durch die Museularis der Blase gelegter Nähte die 
kleine Wunde der Heilung per seeundam überlässt. Der kleine 
Eingriff kann in Infiltrationsanaesthesie ausgeführt werden. 

Max Roher berichtet aus der Baseler Klinik über eine bis¬ 
her nicht beschriebene Form von Rectalstrikturen und eine 
neue Behandlung derselben, im Anschluss an 2 bei weiblichen 
Individuen im Anschluss an Myomoperationen 9 cm über dem Anus 
aufgetretene Strlkturfälle (derber Membran). R. ist der Meinung, 
dass eventuell Zerrung von Gefässen (wie der Haom. sup. bei An¬ 
spannung der 1) o u g 1 a s’sclien Falten behufs Naht des Peri¬ 
toneum nach derartigen Operationen) eine Lumenveränderung und 
Ernährungsstörung der Schleimhaut bewirken kann, eine Ansicht, 
die noch durch Abgang von abgestossenen (Schleimhaut-) Theilen 
in 2 Fällen unterstützt wird. Blosse Dilatation führt nicht immer 
zum Ziel und viele Autoren sind desslialb, wie Schede und 
It i e d e r, Anhänger der Radikaloperation, die nach S e h u 1 z 
75 Proc. Dauerheilungpu ergibt. Hildebrand hat in 3 Fällen 
ein neues Verfahren bewährt gefunden, das in Blosslegung des 
Reetums von hinterem Längsschnitt aus und Entfernung des 
Steissbeins und eines Tlieils des Kreuzbeins, Längsschnitt durch 
die hintere Rectalwand, circuläror Ablösung der Striktur mit Er¬ 
haltung des Peritoneums und querer Vereinigung dos oberen und 
unteren Wundrandes durch Naht (Vereinigung des Längsschnittes 
der hinteren Rectalwand in querer Richtung), Tamponade der 
äusseren Wunde besteht. 

Aus dem städtischen Krankenlmuse zu Altona beschreibt 
H. Wichman n einen Fall von isolirtem Carcinom der TJrethra 
bei 43 jähriger Frau, das primär bei Intaktsein der Nachbarorgane 
aufgetreten, zu Leistondriisoutunioron geführt hatte. Das Carcl- 
iioiu wurde Umschnitten und froipräpnrirt, Dis es wie ein Stiel an 
dem oberen gesunden Theil der Urethra hing, und die letztere 
1 cm vom Carcinom quer abgetragen, die Entfernung der Leisten- 
drüseupackete war nicht, ganz leicht. Glatte Heilung, Incontinenz 
bestand nur 20 Tage. 

Aus der Züricher Klinik gibt G. H a e m i g Beobachtungen 
über Perityphlitis an der Züricher chirurgischen Klinik während 
der 2 Dezennien 1881—1901 und zeigt darin den Standpunkt der 
betreffenden Klinik, die in der Perityphlitis ein chirurgisches 
Leiden sieht, hei dem dem Chirurgen ln weitgehendstem Maasse 
Gelegenheit gegeben werden soll, den Krankeu zu beobachten und 
Indikation und beste Zeit zur Vornahme der Operation festzu- 
stelien; während issi — 90 nur 10 Kranke mit perityphlitischen 
Aflfektionen aufgeiiommen wurden, steigt die Zahl von Jahr zu 
Jahr (1900: .54 Fülle). 1890 übertrifft, die Zahl der auf der eliirur- 
gisehen Klinik aufgenommenen Fälle zum erstell Mal die der in¬ 
ternen Klinik. Die überwiegende Mehrzahl geht jetzt direkt, von 
den praktischen Aerzten der chirurgischen Klinik zugewleson, zu 
(nur 19 wurden von der medieinisehen Klinik zur chirurgischen 
verlegt). 65 Proc. der Fälle betrafen das 2—3 Lcbeusdezennium, 


70 Proc. Männer, 30 Proc. weibliche Individuen. H. schildert die 
an dem reichen Material gewonnenen Erfahrungen. Nach Krön¬ 
lein Ist lm akuten perityphlitischen Anfall sofort zu operiren, 
wenn Grund zu der Annahme vorhanden ist, dass eine allgemeine 
Peritonitis droht oder schon vorhanden ist, eventuell nach Verfluss 
der ersten paar Tage ist zu operiren, wenn die schweren Anfaugs- 
symptome (Erbrechen, hoher Puls uud Fieber, schwere Allgemein¬ 
störung) nicht nach 3—5 Tagen zurückgehen, beunruhigende Er¬ 
scheinungen (Pulszunahme, Erbrechen, Collaps) sich einstellen oder 
mehren, oder die Existenz eines Absccsses sicher festgestellt wer¬ 
den kann. Bei 29 Fällen mit diffuser Peritonitis wurden nur 7 
durch die Operation gerettet, von den im Anfall operirten Fällen 
starben von 61 Fällen 5 (46 Fälle wurden nur mit Eröffnung des 
Absoesses behandelt, bei 9 Fällen handelte es sich um Perityphlitis 
lm Bruchsack), von den Resektionen des Proc. vermiformis im 
freien Intervall oder im chronischen Stadium der Krankheit wurde 
iu 112 Fällen kein Todesfall notirt. II. schildert die von Krün- 
1 e i n geübte Operationsweise, die mit einem Schnitt wie zur Unter¬ 
bindung der Iliaca coinmun. beginnt. Kr. lässt die Patienten 
20 Tage im Bett liegen, alle betreffenden Patienten wurden mit 
solider Narbe aus der Behandlung entlassen. 

Aus der Strassburger Klinik beschreibt Fr. Schaefer — 
ungewöhnliche Grösse einer carttlaginären Exostose — einen 
Fall von über kindskopfgrosser, von der Fibula ausgehender carti- 
laginiirer Exostose, die nach längerem Bestand plötzlich rasch 
herangewachsen war und bei dem 11 Jährigen Patienten sehr hef¬ 
tige Schmerzen veranlasste. Da der N. tibiniis zum Theil ln die 
Geschwulst lierei»bezogen war, wurde am'putirt und das Präparat, 
das im Innern grosse Erweichungscysten enthielt, wird niilu-r be¬ 
schrieben und abgebildet. 

Aus dem Krankenhauso Friedricbstadt zu Dresden berichtet 
Willi. Weber über Misserfolge nach Gastroenterostomie wegen 
Stenose und ihre Verhütung; er analysirt die bisher erreichten 
Fortschritte in den Erfolgen der betreffenden Operation und die 
zur Vermeidung der Funktionsstörungen der Fistel selbst (Magen- 
Heus) gemachten Vorschläge, er sieht erst iu dem Vorschlag von 
Lauenstein, die Anbringung einer Enteroanastomose zwischen 
zu- und abführendem Schenkel, den Weg, der im Verlauf all¬ 
mählicher Vervollkommnung zu einer gewissen Sicherheit führte, 
und theilt die Erfahrungen Lludner’s mit, der jetzt grund¬ 
sätzlich die vordere Gastroenterostomie nach W ö 1 f 1 e r im Sinne 
gleichgerichteter Peristaltik mit. gleichzeitig Brau n’scher Entero¬ 
anastomose etwa 10 bis 15 cm oberhall) der Magendarmfistel (beide 
mit Seidenknopfnähten) ausführt, im Allgemeinen dem Murphy¬ 
knopf keinen Vortheil zuerkennt. Bei 40 Fällen (mit 15 Proc*. 
Mortalität) hatte L. keinen Todesfall an Circulationsstörung, da¬ 
gegen einen an Aoliseudrehung der Darmschlinge. Auch W. 
schreibt der Magenatonie nach Gastroenterostomie eine relativ 
grosse Rolle zu und schildert die diesbezüglich zu treffenden 
Maassxmhmen (eventuell Ausheberung, baldige Steigerung des 
Speisezettels im Sinne der Konsistenz). Die postoperative Haemor- 
rhagie trat besonders in Fällen von Ulcus mit Verwachsungen 
und Betheiligung gefässreicher Nachbarorgane auf, das unum¬ 
gängliche Vorziehen des Magens bei der Operation ist wohl der 
nicht zu vermeldende Grund. Sehr. 

Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 41. 

No. 41. Carl L a n e n s t e i n - Hamburg: Das Vorziehen der 
Sehnen vor ihrer Abtragung, eine gelegentliche Ursache der 
Sehnenscheidenphlegmone bei Fingeramputationen wegen Ver¬ 
letzung. 

Lauen stein weist auf diesen Infektionsmodus bin und 
empfiehlt, das Verziehen der Sehnen vor ihrer Abtragung als un- 
nüthlg und gefährlich zu unterlassen, da sonst, die sieh zurück- 
zielieuden Sohnenstümpfe Eiterung der Sehnenscheide veranlassen, 
wie er es an den Beugesehnen wiederholt gesehen hat. 

C. M a r i a n i - Massa Maritima: Fernere Ergebnisse der 
beiderseitigen Resektion des Halssympathicus bei 9 Kranken 
mit gewöhnlicher Epilepsie. 

Von den 9 Patienten ist keiner von seiner Epilepsie befreit, 
einer sogar später in einem epileptischen Anfall gestorben: bei 
den meisten haben Id den ersten Monaten nach der Operation die 
Anfälle an Häufigkeit nachgelassen. Einmal wurde der Eingriff 
durch Zerreissung der Vena jugularis komplizlrt, die aber sofort 
unterbunden wurde und ohne Störung verlief. M. bezeichnet da¬ 
nach (wie auch die Erfahrungen Postcmpsk i’s, Schi a s s i's 
und Braun's ergeben) die Resektion des Halssympathicus bei 
Epilepsia vulgaris als eine unnütze Operation. 

Schreiber. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd. 

5. Heft. 

D F. M o r n 11 e r - Berlin: Ueber einen Fall von Wandungs- 
snrkom des Uterus (plexiformes Angiosarkom). 

Der npfelgrosse. weiche, runde Tumor an der hinteren Wand 
des Uterus machte den Eindruck eines cystischeu Myoms und 
wurde keilförmig exeidirt. nachdem der Versuch, den Tumor nus- 
zusehälen. vergeblich war. Die Untersuchung des Präparates er¬ 
gab kleinzelliges Rundzellensarkom der Uteruswandung mit aus¬ 
gedehnter Betheiligung der Gefässe. Totalexstirpation des Uterus. 
In einer neben der Uterusnarbe liegenden peritonitiseilen Ad- 
luiesion eingebettet, fand sich ein sterknadelkopfgrosses rundes 
Knötchen (Impfrceidiv). Eine genauere Untersuchung des Tumors 
ergab mit Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein vou den Gefiiss- 


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17G0 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 44. 


wänden, speziell der Adventitia, ausgegangenes plexiformes Angio- 
sarkom handelte. 

Pat. ist 1% Jahre nach der Operation recidivfrei. 

2) R. Gradeuwitz - Breslau: Dauerresultate der Alquifi- 
A lex and er’sehen Operation. 

Von 66 im Allerheiligenhospital nach dieser Methode Ope- 
rlrten kamen nach y s bis über 2 Jahren post op. 46 zur Unter¬ 
suchung. 39 von diesen Frauen waren ohne jede Einschränkung 
als geheilt zu bezeichnen. Unter den Uebrigen waren 2 Miss¬ 
erfolge. 12 Frauen hatten inzwischen wieder geboren; davon 
kamen 9 zur Untersuchung und zeigten ein in jeder Hinsicht un¬ 
gestörtes Heilresultat. Ebenso zeigten die Fülle Dauerresultate, 
in denen die Kolpotomia posterior zwecks Lösung von Adhnesionen 
der A 1 q u 1 6-A 1 e x a n d e r’schen Operation vorausging; Hernien 
wurden ln keinem Falle beobachtet. Die Misserfolge bilden, die 
Resultate weiterer 33 Operationen dieser Art eingerechnet, Proe. 

3) G. H a g e r-Stettin: Ueber eine Mischinfektion der Tube 
und peritoneale Sepsis. 

Bei der durch Laparotomie vorgenommenen Entfernung 
doppelseitiger fluktuirender verwachsener Adnextumoren entleerte 
sich etwas Eiter in der Tiefe des D o u g 1 a s’sehen Raumes. Tam¬ 
ponade. Am 3 Tag post op. kollabirte Pat. unmittelbar auf eine 
Stuhlentleerung nach Klysma und starb. Die Sektion ergab 
eiterige Peritonitis und eine erbsengrosse Perforationsöffnung in 
der Fiexur. 

Im Eiter der linken Tube befanden sieh massenhaft Strepto¬ 
coccen und Bact. coli, das mikroskopische Bild eines Schnitt¬ 
präparates durch diese Tube zeigte Tuberkel und Tuberkelbacillen. 
In der rechten Tube fanden sich nur Tuberkel. 

Die Mischinfektion der linken Tube ist dadurch zu Stande 
gekommen, dass die ursprünglich reine primäre Tubentuberkulose 
in den Darm perforlrte, aus dem Darm daun Streptococcen und 
Bact. coli eiuwanderten und bei Bildung eines neuen Eitersackes 
die Verklebung der Perforationsöffnung verursachten. Das bei 
der stumpfen Lösung dieser Verwachsung während der Operation 
entstandene Loch im Darm wurde wahrscheinlich durch das 
Klysma auseiuandergedrängt. 

Die plötzliche Intoxikationserscheinung am 3. Tage nach der 
Operation bei schon bestehender Peritonitis wurde jedenfalls durch 
den Austritt von Ivoth ln die Bauchhöhle lierbeigefiihrt. 

4) W. S t r o g a n o f f - St. Petersburg: Weitere Untersuch¬ 
ungen über die Pathogenese der Eklampsie. 

Die Eklampsie ist eine allgemeine, keine örtliche Erkrankung 
und unstreitbar eine akute Fieberkrankheit „mit raschem Anfang, 
kurzem Verlauf und raschem Ende". Es ist wahrscheinlich, dass 
die Infektion durch ein flüchtiges Kontagium verursacht wird, 
das auf dem Wege der Lungen in den Organismus der Frau ein¬ 
dringt. Die Keime besitzen schwache Virulenz und finden bei 
einigen Frauen während der Schwangerschaft, Geburt und im 
Wochenbett günstige Bedingungen zu ihrer Entwicklung. Sie 
können auch auf den Fötus übergehen. Der Krankheitskeim be¬ 
sitzt grosse Widerstandsfähigkeit und behält seine Virulenz In 
Krankenhäusern ca. 3 Wochen. Die Inkubationszeit beträgt 5 bis 
20 Stunden. Frauen, die während der Schwangerschaft die E. 
durchgemacht haben, gebären gewöhnlich glücklich. Die Er¬ 
krankung zeigt in ihrer Heftigkeit von einem Jahr zum anderen 
Unterschiede; ihr Auftreten nimmt durch Ueberfiillung der Ge¬ 
burtshäuser zu. Ferner spricht für eine Infektion die E. der 
Neugeborenen, die mit derselben Erkrankung der Kreissenden 
und Wöchnerinnen im Zusammenhang steht. 

Verf. sah, seitdem die E. als Infektionskrankheit an seinem 
Institut anerkannt worden, ein selteneres und schwächeres Auf¬ 
treten der E. und hat bei abgeänderter Therapie den Erfolg, von 
43 Fällen nicht einen mit tödtlichem Ausgang zu haben. 

3) Hucklenbroich - Düsseldorf: Spontane Uterusruptur. 

Kurze Mittheilung zweier Fälle; in beiden handelt es sich 
um V. Para, die unter der Geburt kollabirten. Im einen Fall 
wurde ein Riss im rechten Seheideugewölbe festgestellt; der Kopf 
war abgewichen. Wendung. Extraktion eines starken Knaben. 
Tamponade. Heilung. 

Die andere Frau starb iin Kollaps. Unmittelbar nach dem 
Tode wurde die Bauchhöhle eröffnet. In der freien Höhle liegen 
in den unversehrten Eihäuten zwei frischtodte stark entwickelte 
Knaben. Angnben über den Riss fehlen. 

6) A. Hahn- Breslau: Apnoe der Kinder bei Sectio caesarea. 

Verf. ist der Ansicht, dass die Kinder beim Kaiserschnitt im 

Allgemeinen nicht gefährdet sind. Eine leichte Asphyxie nach der 
Extraktion wird wohl vielfach angenommen, wenn das Kind nicht 
gleich anfüngt zu schreien und dann Reize ln Anwendung gebracht 
werden. 

In den meisten Fällen befindet sich das Kind in einem Zu¬ 
stand von Apnoe. 

7) B a r a b o - Nürnberg: Ueber einen Fall von ausgedehnter 
Verwachsung der Placenta mit dem Schädel bei gleichzeitiger 
Exencephalie. 

Das Kind wurde von einer I. Para ausgetragen und lobte 
nach der Geburt noch 11 Stunden. Kurze Beschreibung des inter¬ 
essanten Präparates, dessen Hauptsachen in der Uebersehrift an¬ 
geführt sind. 

8) W. R U h 1 e - Elberfeld: Ueber Ikterus gravis Neuge¬ 
borener. 

Nach Besprechung des Ikterus neonatorum und des im An¬ 
schluss an schwere Allgemeinerkrankungen und Leberkrankheiten 
auftretendeu Ikterus thcilt Verf. einen Fall von schwerem Ikterus 
eines Knaben mit. der einen Tag nach der Geburt desselben be¬ 
gann. Zwei Kinder derselben Familie waren kurz nach der Ge¬ 
burt in ähnlicher Weise erkrankt, eins davon gestorben. In diesem 


Falle war die Leiter stark geschwollen. Es stellte sich mehrtägige 
stark verlangsamte Athmung und Somnolenz ein. Temperatur nur 
im Anfang erhöht. Blutung aus dem Granulatiousstumpf des 
Nabelringes. Auf fortgesetzte Kalomelgabeu bildet sich die Leiter 
zurück. Genesung. 

Verf. glaubt, trotzdem Anhaltspunkte von Selten der Eltern 
fehlen, dass es sich um Lues handelte und zwar um eine circum- 
scrlpte kleinzellige Infiltration in der Umgebung des Ductus 
liepaticus, die durch die Kalomeltherapie zur Ausheilung ge¬ 
kommen ist, 

9) G. S t r u b e - Bremen: Die neueren Ergebnisse der Schild¬ 
drüsenforschung. (Sammelberieht.) 

Weinbrenner - Erlnngen. 

Jahrbuch für Kinderheilkunde. 54. Bd. Heft 3 u. 4. 

Dem 3. Heft voraus geht ein Nachruf aus Heubner’« 
Feder und ein Gedenkblatt von A. Steffen für Dr. Her¬ 
mann v. W i d e r li o f e r, den Mitbegründer der Gesellschaft für 
Kinderheilkunde, den Mitredakteur des Jahrbuchs seit 3863. 

Escherich - Graz ist an seiner Stelle in die Redaktion ein¬ 
getreten. 

7) M. Pfaundler: Ueber Stoffwechselstörungen bei 
magendarmkranken Säuglingen. Mit besonderer Bezugnahme 
auf die Czerny-Kelle r’sche Säurevergiftungshypothese. 

(Aus der Grazer Universitäts-Kinderklinik.) 

Die 90 Seiten umfassende Arbeit berührt so wichtige, noch 
ganz unaufgeklärte Fragen, und bekämpft die momentan viel ver¬ 
breitete Säurevergiftungslohro mit so interessanten Argumenten 
— die ihrerseits vorläufig noch Hypothesen bleiben —. dass eine 
gesonderte Besprechung in dieser Wochenschrift ln nächster Zelt 
erfolgen soll. 

8) Th. Froelich: Zur Aetiologie der Chorea minor. (Aus 
der Universitäts-Kinderklinik in Christiania.) 

Verfasser sehliesst sich den seit Germaln See erkannten That- 
saelien betreffs der Chorea als rheumatischem Aequlvalent au. Die 
Ursachen der rheumatischen Trias: Arthritis akuta, Endokarditis, 
Choren, sind vielfache Infektionsträger, immer aber handelt es sich 
um eine eolite, akute Infektionskrankheit. 

9) J. A. Sebnbnd: Die klinische Bakteriologie der Diph¬ 
therie. Beitrag zur Differentialdiagnose des Diphtherie- und 
Pseudodiphtheriebacillus. (Aus dem Peter-Paul-Hospita.1 in 
St. Petersburg.) 

Die 130 Seiten einnehmende Arbeit kommt auf Grund einer 
kritischen Studie der umfangreichen Literatur und eigener klinisch- 
bakteriologisclier Untersuchungen zu folgenden, mit Behrlng’s 
neuesten Anschauungen unvereinbaren Schlüssen: Diphtherie- und 
Pseudodiphtlieriebncillen sind 2 verschiedene Arten und zwar be¬ 
stehen fundamentale Unterschiede des Waehsthums auf Agar und 
in Ascitesttüssigkeit, der Reaktion der Bouiilonkultur — starke 
Säurcentwlcklung —, der Neisse r’schen Färbung und der Patho¬ 
genität für Tliiere. N e i s s e r’sche Färbung und Säurebildung 
sind die charakteristischsten Eigenschaften. Die Verwechselung 
von avlruleuten Diphtheriebacillen mit Pseudodiphtheriebaeillen 
ist immer zu vermeiden, allerdings nicht mit der S p r o n c k’schen 
Methode. Bcltrln g's nach Verf. falsche Anschauung beruht 
auf der Verwendung sehr stark alkalischer Bouillon und eines un¬ 
geeigneten Indikators, des Lacmus statt des Phenolphthaleins. 

10) Ilagenbnch-Burekhardt: Ueber Sauerstoff- 
inhalationen bei Kindern. 

Auf Grund von 20 eigenen Beobachtungen muss H.-B. die¬ 
selben bei Stenosen der Luftwege, ganz speciell l>ei Larynxdiph- 
therle warm empfehlen, wo sie direkt lebensrettend wirken können. 
Auch bol zur Cyanose führenden Pneumonien Ist der Erfolg oft 
überraschend gut. 

13) Kassowltz: Alkoholismus im Kindesalter. 

K. bringt zunächst eine Reihe von recht interessanten Er¬ 
fahrungen der akuten, wie chronischen Alkoholvergiftung von 
Kindern, selbst Säuglingen, mit schwersten psychischen und orga¬ 
nischen Schädigungen (hochgradigste Leborclrrhosen, Nephritiden 
etc.), sodann geht er mit Denen in's Gericht, die principiell oder 
fakultativ den Alkohol beim gesunden wie kranken Kind in irgend 
welcher Art oder Menge empfehlen oder erlauben. Im weiteren 
kritisirt K. die Autoren, welche im Alkohol ein Nähr- und Spar¬ 
mittel, ein Stomaclileum, ein Autipvretlcum, ein Tonicuin oder 
Excitans, ein Asoptieura oder schliesslich ein Anregungsmittel 
für die geistige Thätigkeit sehen wollen. 

Alle Ausführungen, in der K. eigonen, pointirenden, didak¬ 
tischen Weise geschrieben, verdienen eine ernste Berücksichtigung 
seitens der Aorztewelt im Allgemeinen und der Kinderärzte im 
Speeiellen. 

Dass absolute Enthaltsamkeit des Alkohols für den wachsen¬ 
den Organismus Im Allgemeinen durchaus zu verlangen sei, und 
dass durch ärztliche Empfehlung des Alkohols beim kranken 
Kinde, ohne die nötliige Belehrung der Eltern, gänzlich falsche 
Vorstellungen über Nutzen und Schaden desselben verbreitet wer¬ 
den. wird K. allgemein zugegeben werden müssen. Möchte sein 
Aufsatz viele Leser linden und alle zu „offenen, konsequenten und 
entschiedenen Gegnern“ des Alkohols für das Kind machen. 

S i e g e r t - Strassburg. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenknnde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 12, 1901. 

3) F 1 e x n e r - Pennsylvania: A comparative study of dysen- 
teric bacilli. 


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29. Oktober 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1761 



2) Theodor Müller- Graz: Vergleichende Untersuchungen 
über die desinflzirende Wirkung und die räumliche Vertheilung 
des Formaldehyds bei dem Versprayungs- und Verdampfungs¬ 
verfahren. (Schluss folgt.) R. O. Neumnnn - Kiel. 




Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 42 . 

1» F. L o e f f 1 c r - Greifswald: Eine neue Behandlungs¬ 
methode des Carcinoms. 

Versuche, das (’arcinom durch Einimpfung von infektiösen 
Organismen zu heilen, sind bekanntlich schon mehrfach unter¬ 
nommen worden (Fehleisen: Erysipelimpfung, v. Baum- 
garteu: Impfung mit Tuberkelbacillen). Bei der Gefährlichkeit 
der zur Infektion verwendeten Organismen jedoch ist eine all¬ 
gemeine Anwendung dieser Methode von vornherein ausgeschlossen. 
Nun macht L. auf die Thatsaclie aufmerksam, dass in Malaria¬ 
gegenden und weiter ln den Tropen überhaupt das Careinom zu 
den grössten Seltenheiten gehört und fordert zu ausgedehnten 
statistischen Erhebungen ln dieser Hinsicht auf mit dem Hinter¬ 
gedanken, dass vielleicht das durch die Koch'sche Methode leicht 
zu beherrschende Malariagift als Careinomgegengift angeweudet 
werden könnte. 

2) Ernst B e c k e r - Berlin: Ein Beitrag zur Lehre von den 
Lymphomen. (Schluss folgt.) 

3) E. S c h w a r z k o p f - Marburg: Ein Fall von Parotitis 
epidemica mit besonders schweren Erscheinungen. 

Kasuistische Mittheilung. 

4) A. M a r t i n - Greifswald: Symphyseotomie und Kaiser¬ 
schnitt. (Nach einer Demonstration Im Greifswalder medicln. 
Verein am <». Juli 1901. Referat siehe diese Wochenschrift No. 40. 
pag. 1589.) 

5) Ernst Z i e m k e - Halle: Weitere Mittheilungen über die 
Unterscheidung von Menschen- und Thierblut mit Hilfe eines 
spezifischen Serums. 

Z. hat das U h 1 o n h u t li’sche Verfahren weiter ausgearbeitet 
und gelang es ihm mit seiner Methode, auch in Cyankaliumaus- 
zügen alter. In anderen Lösungsmitteln unlösbar gewordener 
Blutspuren die Serumreaktion zu erzielen. 

0) Aus Egyptens Krankenstationen. 

Interessantes Feuilleton. 

7) Georg H e 1 m a n u - Berlin: Die Sterblichkeit an infek¬ 
tiösen Kinderkrankheiten in Preussen. 

Ein Beitrag zur sozialen Medicln und Statistik. 

S) E. D o e 111 o f f - Berlin: Bruchbandpelotten. 

F. L a c her- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg.No.20. 

Zum 20. Oktober (üerbstVersammlung des ärztliche» 
Central Vereins ln Olten, wobei zum Projekt der Zulassung des 
Realabiturienten zum medieinischen Studium Stellung genommen 
werden soll). 

E. Tavel: Durchwanderungs-Peritonitis. 

7 klinisch uud bakteriologisch gewürdigte Fälle dienen zur 
Darlegung der Bedingungen und des verschiedenartigen Verlaufs 
der Bnkteriendurchwachsung vom Darm aus (speziell hei Circu- 
lationsstörungen, Stagnation, Sehleinihautlaesion). Bei Opera¬ 
tionen am Peritoneum ist die „feuchte Asepsis“ (Koehsalzsoda- 
lösung) am Platz. 

W. H a g e n - Adelboden: Zur Epidemiologie der Masern. 

Ein Knabe, der vor 10 Jahren die Masern durchgemacht bat, 
acquirirt sie von seiner Schwester abermals und steckt 12 Be¬ 
wohner desselben Hotels an (Inkubationszeit bis 1(5 Tage, thell- 
weise Uebergünge zu Röteln). 

P1 s c h 1 u g e r. 


K 


Oesterreiohische Literatur. 

Wiener klinische Rundschau. 

No. 35. L. Kürt- Wien: Zur nasalen Therapie von Neurosen. 

Die Möglichkeit, gewisse Neurosen von der Nase aus zu be¬ 
kämpfen, muss heutzutage wohl anerkannt werden. Das Wirk¬ 
same Ist die Reizung des Trigeminus. Diese lässt sich ln vielen 
Fällen zweckmässig erzielen durch Schnupfpulver, z. B. ein Ge¬ 
menge von Chinin und Zucker, oder Nieswurz (Rliizomat. veratr. 
alb. 0,1—1.0 [je nach dem Alter], Tale, venot., P. Iroos floent. 
aa 10.0). Bei Kindern wirken auch Wattepfröpfe mit Präclpitat- 
snlbe (Merc. praecip. flav. 0,30, Vaselin 15.0) sehr günstig. 

Verf. berichtet günstige Fälle von Laryngospnsmus, Blepharo¬ 
spasmus, Enurese, Tic convulslf, Gühnkrnmpf, Hyperemesls gravi¬ 
darum. 

Auf dieser antispastischen Wirkung der Trigeminusreizung 
beruhen wohl auch die Erfolge von F 11 e s s und Schiff. 

No. 37. L. Hulsmans - Köln: Ein Beitrag zur Kasuistik 
der mediastinalen Erkrankungen. 

I. Rundzelleusarkom wahrscheinlich von den retrobronehlalen 
Lymphdrüsen ausgehend, war nach vorn auf das Perikard über- 
gewuehert. Versuch der Operation musste auf die Ineisiou in 
das Perikard beschränkt bleiben. 

II. Beiderseitige Spitzentuberkulose, linksseitige Pleuritis, von 
den retrobronehlalen Lymphdrüsen ausgehender Senkungsahscess 
bis In die Gegend des III. Lendenwirbels. 

III. Gangraeneseirender Absccss der Lungenspitze, wohl aus¬ 
gehend von einer centralen Pneumonie. Abscess des ganzen Media¬ 
stinums. Eröffnung der Abscess höhle nach theilweiser Resektion 
der II. Rippe uud des Mauubrium sterni konnte den Exitus nicht 
abweuden. 


No. 38 u. 39. .7. D e y 1: Die allgemein-diagnostische Bedeu¬ 
tung der Neuritis retrobulbaris und ein interessanter Fall 
dieser Krankheit. 

Von besonderer Wichtigkeit Ist das Symptom des centralen 
negativen Skotoms, dabei ist oft. zu erulreu, dass die Kranken 
in der Dämmerung besser sehen als bei guter Tagesbeleuchtung. 

Mehr beiläulig erwähnt D., dass er bei 7 Kranken, welche 
relativ frühzeitig, vor oder um das 50. Lebensjahr, Dupuytren- 
sche Schrumpfungen der Aponeurosis palmaris hatten, alle einen 
zuckerhaltigen Harn, 5 ein centrales negatives Skotom auf wiesen. 

Entgegen anderen Autoren hat 1). bei Hysterischen niemals 
ein centrales negatives Skotom beobachtet. 

Dagegen ist es bisweilen ein Aufangssymptom der multiplen 
Neuritis, öfter stellt es sieb Im Verlauf des Leidens ein. Nicht 
selten handelt es sieh auch um centrale Störungen, um Erschei¬ 
nungen der Polyneurltis Korsakov. 

Ausführlich wird ein Fall von Neuritis retrobulbaris bei einem 
Mann mit Carcinom des Rectums behandelt und werden zum Ver¬ 
gleich Fälle von Deutsch mann, Miura und L o r e j s heran- 
gezogen, bei welchen beiden letzten jedoch ausser einem Magen- 
carciuom noch die Erscheinungen der Polyueuritis bestanden. 

No. 40. M a n k 1 e w 1 c z - Berlin: Zur Asepsis des Kathe¬ 
terismus. 

Keimfreiheit des Ilarns, der Harnwege, der Instrumente und 
der Einfettungssubstanzen sind die vier Hauptforderungen. Der 
ersten zu genügen, fehlt es gewöhnlich an der Zeit. Es wären hier 
Salol oder Urotropin die geeignetsten Mittel. Die Reinigung der 
äusseren Urethralmündung geschieht besser mit Benzin als mit 
Aether oder Alkohol, welche ein brennendes Schmerzgefühl ver¬ 
ursachen. Die Harnröhre wird am besten mit 0,7 proc. Kochsalz¬ 
lösung ausgespritzt. Die gesunde Blase bedarf keiner Desinfek¬ 
tion. für die erkrankte empfehlen sich noch immer am besten 
schwache Lösungen des Arg. nitr. und verwandter Silbersalze. 
Die sicherste Methode für Reinhaltung der Instrumente, metallische 
wie elastische, ist die von KU in mell angegebene Auskochung 
mit einer wässerigen (3:5) Lösung von neutralem schwefelsaurem 
Ammonium durch 5 Minuten. 

Längeres Kochen und stärkere Konzentration der Lösung sind 
gleieligiltig. Für die Aufbewahrung und Applikation der Ein- 
lettungssubstauzen gibt M. ein eigens geformtes kannenülinliches 
Gefüss au. 

\ • 

Wiener medicinische Presse. 

No. 42. J. E 1 s e n b e r g - Wien: Ueber methodische An¬ 
wendung heisser Scheiden-Irrigationen (Innendouchen) hei 
Frauenleiden. 

Wenn (las so oft gerühmte und viel ordinirto Verfahren doch 
in der Praxis oft gar nicht zum Ziele führt, so beruht das zum 
grössteu Theil auf den Schwierigkeiten, denen die wirklich zweck¬ 
mässige Ausführung zu Hause begegnet Verf. hat daher ein 
kleines Institut geschaffen, wo unter seiner Aufsicht durch ge¬ 
schultes Personal das Verfahren genau den F r i t s c h'scheu 
Regeln entsprechend zur Anwendung gelangt. Bei genügendem 
Schutz der äusseren Tlielle werden Temperaturen bis zu 50° sehr 
gut vertragen. Die Erfolge — bei bekannter Indikationsstellung — 
sind gegen früher viel bessere geworden. Speziell zu rühmen ist. 
die gute vorbereitende Wirkung für die Massage und für die Vor¬ 
nahme von Operationen an verwachsenen Adnoxtumoren. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 42. J. Hamburger-Lemberg: Heilung des Pannus 
mit dem Paquelin. 

In 5 Fällen von Hornhautgeschwür mit Pannus ist H. erfolg¬ 
reich so vorgegaugen, dass er den weissgUiheudeu Paquelin über 
das Geschwür und seine Umgebung wegführte ohne direkte Be¬ 
rührung, so dass nur die heisse Luft zur Wirkung kam; schliess¬ 
lich wurden am Llmbus die Gefässe des Pannus berührt und ab¬ 
geschnitten. Einstauben von Jodoform. Atropiueinträufelungen. 

B e r g e a t - München. 

Rumänische Literatur. 

J. Constantlnescu: Ueher einen durch Pilocarpin ge¬ 
heilten Fall von Tetanus. (Spitalul, 15.—31. Milrz 1901.) 

Verfasser beschreibt einen Fall von Tetanus, bei welchem 
verschiedene Behandlungsmethoden versucht wurden, ohne den 
Zustand erheblich zu bessern und wo schliesslich durch subkutane 
Piloearpininjektionen Besserung und endlich Heilung erzielt 
wurde. Durch Chloralhydrat ln Dosen von 12 g täglich in Ver¬ 
bindung mit Morphium, 1—2 cg in subkutanen Einspritzungen, 
wurde zwar ein zeitweiliges Nachlassen der tetanischen Anfälle 
und der Muskelrigidität erzielt, aber beim Aussetzen dieser Mittel 
kehrte der alte Zustand wieder zurück. Künstliches uud nuti- 
tetanisches Serum waren erfolglos, resp. verschlimmerten den Zu¬ 
stand. Endlich wurde Pilocarpin subkutan, anfangs in Dosen von 
2mal täglich i/ 2 cg und später von 2mal täglich 1 cg, in Verbindung 
mit lauen Bädern ln Anwendung gezogen und so ein Nachlassen 
der krankhaften Symptome erzielt. Diese Behandlung wurde 
19 Tage fortgesetzt und konnte dann der Kranke gehellt entlassen 
werden. 

A. B a b e s: Die Behandlung der neuralgischen Schmerzen 
der cephalischen Region durch Pinselungen der Nasenschleim¬ 
haut mit Cocain. (Ibidem.) 

B. hat in den Pinselungen der Naseuschleimhaut mit 5 bis 
10 proc. Cocalnlösuug ein souveränes Mittel gegen die ver- 


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1762 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


schledeneu neuralgischen Schmerzen der Kopfregion, wie Trige¬ 
minusneuralgie, Hemikranie, ophtbalmlsche Migraine, Ceplmlalgie 
etc. gefunden. Bei unilateralen Schmerzen wird nur die Naseu- 
.schleimlmut der betreffenden Seite gepinselt. Diese Pinselungen 
werden sowohl auf den respiratorischen, als aueh auf den olfak¬ 
torischen Theil ausgeführt und namentlich die hinteren Partien der 
Nasengänge gründlich eiugepinselt. Hier kann auch ein mit Cocain 
getränkter Tampon liegen gelassen werden. 

Verfasser erklärt die Wirkung dieser Pinselungen durch Be¬ 
einflussung der Enden des Sympathieus, wodurch auf reflek¬ 
torischem Wege eine Irradiation auf die sensiblen Aeste des Tri¬ 
geminus ausgeiibt wird. 

K oliu: Die Operation von Kroenlein bei den Orbital¬ 
erkrankungen. (Uevista de Chirurgie, April 1901.) 

K. beschreibt 4 auf der Klinik von Th. Jonnescu nach der 
Iv r ö n 1 e i u’sclien Methode opcrirte Fälle von ltetrobulbür- 
tumoren und gelangt zum Schlüsse, dass dieser Operationsinodus 
die besten Resultate sowohl für die Erhaltung der Sehkraft, als 
auch, für den Fall, dass der Opticus mit resecirt werden muss, 
in aesthetischer Hinsicht gibt, da auf diese Weise der Bulbus er¬ 
halten bleibt. 

J. Dona: lieber einen Fall von Influenza mit typho- 
exanthematischer Form. (Spitalul, 1.—15. April 1901.) 

I). erwähnt einen Fall von Influenza, welcher sich unter dem 
Bilde eines schweren Typhus exanthematicus darstellte, und bei 
welchem konstant im Auswurfe der P f e i f f e r’sche Bacillus ge¬ 
funden wurde. 

C. Bacaloglu: Durch Staphylococcus hervorgerufene 
postabortive Septico-Pyohaemie. (Ibidem, 1.—15. Mai 1901.) 

In den meisten Fällen von Septikuemie und Pyaemie nach 
Geburt und Alwrtus wird als provoclrendes Agens der Strepto¬ 
coccus gefunden, seltener der Colibacillus oder Gonoeoecus. B. 
hat die Sektion einer nach Abortus verstorbenen Frau gemacht 
und zahlreiche kleine submaxlllare, pulmonale und renale Abscesse 
gefunden, aus welchen allen, sowie auch aus dem Uterus, fast ex¬ 
clusiv Staphylococcus aureus gezüchtet wurde. Ausser¬ 
dem wurde eine Thrombophlebitis dev rechten Nierenvene ge¬ 
funden, welche sich bis in die Cava inferior fortsetzte und auch 
aus diesem Medium wurden reichliche StaphylococFenkulturen an¬ 
gelegt. Nichtsdestoweniger bot die Insertionsstelle der Placenta 
und die Uterusschleimhaut keine evidente Eiterung. 

Elena Manicatide: Ueber die haemorrhagische Form 
der Scarlatina. (Ibidem, 15—31. Mal 1901.) 

Die haemorrhagischen Formen des Scharlachs sind ziemlich 
selten. M. hatte Gelegenheit im Krankenhause 2 Fälle zu be¬ 
obachten und hebt die besondere Schwere dieser Komplikation her¬ 
vor; beide Kinder starben. In dem einen Falle stellten sich 
während der Dcsquamationsperlode reichliche Blutungen aus 
Nase. Zahnfleisch, Conjunctiva, Magen und Darin ein. Der Harn 
enthielt rothe Blutkörperchen und auf der ganzen Ivörperober- 
fliiehe waren zahlreiche Petechien zu bemerken. Aehnliehe Blut¬ 
flecken wurden bei der Sektion auch auf Pleura und Perikard ge¬ 
funden. Bakteriologisch wurden in den Organen Streptococcen, 
Staphylococcus albus und aureus gefunden. 

In dem anderen Falle boten die Blutungen das Bild einer Pur¬ 
pura haemorrhagica und einer haemorrhagischen Nephritis dar. 

M. betrachtet diese Blutungen als eine sekundäre i n - 
f e k t i ö s e Komplikation des Scharlachs und ist der Ansicht, dass 
die betreffenden Keime von aussen durch die diphtherischen und 
ulcerativen Substanzverluste eindringen. Diese Annahme wird 
dadurch erhärtet, dass die erwähnten 2 Fälle ln sehr kurzen 
Zwischenräumen und im selben Krankensaale auftraten. 

.7. An ton ln: Multiple Abscesse der Leber und linken 
Lunge in Folge von Appendicitis. (Ibidem.) 

Es handelt sich tun einen Fall von eiteriger Appendicitis. 
komplizirt mit eiterigen Metastasen in Lunge und Leiter; der 
bakteriologisch untersuchte Eiter wurde steril gefunden. Die Dia¬ 
gnose konnte am Lebenden gestellt werden und verhalt hierzu 
ausser der Anamnese und sonstigen Krankengeschichte, haupt¬ 
sächlich das Auftiudeu des schmerzhaften Punktes von Mac 
B u r n e y. 

P. Bothezat: Appendicitis oder torsionirte Dermoid¬ 
cyste des rechten OvariumsP (Kevista de Chirurgie, Juni—Juli 
1901.) 

B. bespricht die verschiedenen krankhaften Zustände, welche 
mit Appendicitis verwechselt wurden, wie namentlich lokalisirte 
Bauchfellentzündungen, periappendiculäre Adenitiden, Epiploitis 
der Coecalrcgion, verschiedene Entzündungen der Adnexen etc. 
In dem selbst beobachteten Falle handelte es sich, wie die Autopsie 
erwies, um eine Periappendicitis, hervorgerufeu durch Stiehlrehuug 
einer Dcrmoidcyste des rechten Ovariums. Es werden aus der 
Literatur noch zwei ähnliche Fälle eitirt, welche mit gutem Er¬ 
folge operirt wurden. Auch hier war ursprünglich die Diagnose 
Appendicitis gestellt worden. 

Verf. gelangt zum Schlüsse, dass ein sicheres diagnostisches 
Zeichen in allen diesen Fällen nicht aufzufluden sei, dass aber 
die Anamnese, die Eigenschaften und Entwicklung der Geschwulst, 
die Rectal- und Vaginaluntersuchung wenigstens die Aufmerksam¬ 
keit dahin lenken sollten, dass es sich nicht um eine einfache Ent¬ 
zündung des Wurmfortsatzes handle. 

Jedenfalls soll frühzeitig die Laparotomie ausgeführt werden, 
von welcher allein eine Heilung des Leidens zu erwarten sei. 


J. N. Dona: Das K e r,n i g’sche Zeichen im Verhältniss 
zur Cytodiagnose bei Meningitis cerebrospinalis. (Spitalul 
1. Juli 1901.) 

I). bespricht die diagnostischen Hilfsmittel über welche die 
Klinik derzeit bei Cerebrospinalmeningitis verfügt. Er gelangt 
zum Schlüsse, dass diesbezüglich das Keruig'sche Symptom, 
bestehend im Unvermögen dieser Kranken mit wagrecht aus¬ 
gestreckten Beinen zu sitzen, die Lumbalpunktion und 
die Cytodiagnose von höchster, geradezu ausschlaggebender 
Wichtigkeit sind. Trotzdem hatte D. Gelegenheit, einen Fall zu 
beobachten, wo das Kerni g’sclie Symptom bei Jeder Unter¬ 
suchung in grösster Deutlichkeit vorzuflnden war, hingegen die 
Lumbalpunktion und die mikroskopische Untersuchung der centri- 
fugirton Cerebrosplnalflüssigkeit vollkommen negative Resultate 
ergeben haben. Kr Ist der Ansicht, dass cs sich wahrscheinlich 
um ein grippales Delirium auf alkoliolisirtem und durch Pellagra 
geschwächten Boden, und nicht um eigentliche Meningitis cerebro¬ 
spinalis gehandelt habe. 

St. G e o r g e s c u-M a n g i u r e a: Die spontane Elimination 
der Milz durch die Oeffnung einer Nabelhernie. — Heilung. 
(Ibidem, 15. Juli 1901.) 

Der 9 jährige Patient hatte viel an Wechselfieber gelitten. 
Seit einem Monat bemerkten seine Eltern eine Nabelgesehwulst, 
welche ln letzter Zeit exulcerirte. Bei der Aufnahme iu's Kranken¬ 
haus bot der Kranke folgendes Bild dar: Der Nabel war der 
Sitz einer hühnereigrossen in Ihrer ganzen Ausdehnung exulee- 
rirten Geschwulst. Die Milzdütnpfung vergrüssert. dehnte sieh 
bis zum Nabel aus. Nach einigen Tagen bildete sich um die 
Nabelgeschwulst eine rothe Demarkationslinie, die Geschwulst 
löste sieh im weiteren Verlaufe von der Umgebung ab uml wurde 
eines Tages summt dem im Bauchraume befindlichen Theile frei 
im Verbände liegend gefunden. Die Bauchöffnung schloss sich 
und heilte im weiteren Verlaufe vollständig zu. Der von Prof. 
Babe s untersuchte Tumor erwies sich als die nekrotislrte Milz, 
welche der Sitz einer sklerosirenden Arteriitis war. 

A. K o s 1 i n 8 k y: Das Glutol. Ein neues Antisepticum. 
Klinische und experimentelle Studie. (Itevista de Chirurgie. 
August 1901.) 

K. hat das Glutol als Verbandpulver mehrfach angewendet 
und Ist mit den Erfolgen sehr zufrieden. Er lobt die Geruch¬ 
losigkeit, Reizlosigkeit und Ungiftigkeit, indem er hervorhebt, dass 
die antiseptische Kraft desselben eine grössere und dauerhaftere 
sei, als die anderer, ähnlicher Antlseptica. 

A. Motz ulescu: Die Behandlung der Schlangenbisse. 
(Spitalul, August 1901.) 

Verf. hatte öfter Gelegenheit, ln seiner Abtheilung Schlangen¬ 
bisse, meistens von Vipera aspis herrührend, zu behandeln und 
empfiehlt seihst für den Fall, dass die krankhaften Veränderung« u 
bereits weit vorgeschritten seien, subkutane Injektionen von Kali 
liyperinnnganieum 1:100, sowohl an der Bissstelle als auch central- 
wiirts an mehreren Stellen, rund um die Peripherie des gebissenen 
Gliedes. Er nimmt an, dass das Kali hypenuanganicum als 
Antidot des Viperugiftes wirke, indem es Sauerstoff an das Blut 
abgebe und so der aspliyktlschen Wirkung des Schlangengiftes 
entgegenarbeite. Dr. E. T o f f - Braila. 

Holländische Literatur. 

J. D. van der Plaats und II. Off erb aus: Die 
Typhusepidemie zu Utrecht, August bis Dezember 1900. 
(Weekblad van liet Nederl. Tydschr. voor Geneeskunde, No. 4.) 

Der weitaus grösste Theil der Erkrankungen war auf Infek¬ 
tion durch Milch und Buttermilch zurückzufUhren, welche aus 
einer nahebei gelegenen Molkerei stammten. In diese hatte ein 
Bauer Milch geliefert, dessen 8 Kinder an Typhus erkrankt waren. 
Zudem waren die Exkremente auf Grundstücke verführt worden, 
welche an die zur Molkerei gehörigen Wasseranlage grenzten. 
Auch waren unter dem Personal der Molkerei selbst verschiedene 
Typhusfälle vorgekommen. 

J. W. van Kentere r: Behandlung des rupturirten extra¬ 
uterinen Fruchtsackes. (Ibidem No. 5.) 

Enthält eine in ganz Holland gesammelte Statistik über 
331 Fälle von Extrauteringravidität. Davon verliefen letal 42 
= 12,0 Proc. Die Conelusionen sind folgende: Die grosse Mehr¬ 
zahl rupturirt in den ersten Monaten unter wenig ernsten Er¬ 
scheinungen und wird vielfach misskannt. Jeder sicher kon- 
statirte extrauterine Fruehtsaek muss so schnell als möglich 
operativ entfernt worden, ehe Ruptur eintritt. Die Behandlung 
der eingetretenen Ruptur mit Ruhe, Eis, Opium, Exeitantien und 
Salzwasserirrigationen ist dagegen dem operativen Eingriff vor¬ 
zuziehen. Uebersteht eine Patientin den ln Folge Ruptur eiu- 
tretenden Collaps 24 Stunden laug, so ist die Proguose ohne Ope¬ 
ration günstig, weniger günstig dagegen, wenn eine langsam 
zunehmende Anaemie mit Collapserscheinuugen einhergeht, oder 
wenn sich ohne bekannte Ursache die Blutung wiederholt, in 
welchem Falle operatives Eingreifen vielleicht geboten ist 

J.vanderHoe v e: Schädliche Wirkung von ß -Naphthol 
in therapeutischer Dosis auf die Retina. (Aus der Augenklinik 
von Prof. Koster, Leyden.) (Ibidem.) 

Ein 40 jähriger Patient mit Katarakt auf beiden Augen war 
ein halbes Jahr vorher wegen Ekzem des Gesichts 2 Wochen 
lang mit 2 proc. ß -Naphtholsalbe behandelt worden, worauf Augen- 
entzündung eintrat. Dies veranlasste Verf. zu Thierversuchen 
uml ergaben sich bei NaphtholanWendung nicht nur in toxischer 
Dosis, sondern schon bei Verwendung kleinerer Quantitäten — sub- 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1763 


kutan, ln Salbenform, innerlich und bei lokaler Applikation ln 
den Conjunctivalsack, schwere Augenaffektionen, nämlich Retinitis 
und Katarakt. 

C. II. Stratz: Ein Fall von Sectio caesarea mit Ovario- 
tomie intra partum. (Ibidem, No. 6.) 

24 jährige, anaemlsche, seit 4 Tagen kreissende Primipava, 
bei welcher die Diagnose lautete: Erste Schädellage. Lebendes 
Kind. Tumor ovaril sinistri. Peritonitis adhaesivn. Status 
gastricus. Ruptura uterl imminens. 

Operation: Schnitt in der Linea alba links vom Nabel bis 
zur Symphyse. Eventration des leichte, nicht blutende Adhae- 
slonen zeigenden Uterus, elastische Ligatur. Schnitt in der 
Medianlinie trifft die Placenta am linken Rande; Extraktion des 
asphyktischen Kindes, Unterbindung und Durchschneidung des 
Nabelstrangs. Reinigung des Uterus mit Gaze. Geringe Blutung. 
Der sich gut kontrabirende Uterus wird mit 8 Seidenligaturen ge¬ 
schlossen und reponlrt. Hierauf wird der Ovarialtumor nach 
Lösung der Adhaesionen eventrirt, der oberste Theil der Rauch¬ 
wand durch Seidennähte geschlossen und der breite Stiel des Tu¬ 
mors mit 6 Ligaturen en masse versorgt, sodann der stark intra¬ 
ligamentär entwickelte Tumor enucleirt und entfernt, der Stiel im 
untersten Wundwinkel fixirt und die Bauchhöhle geschlossen. — 
Normaler, günstiger Verlauf für Mutter und Kind. Der Tumor 
war eine Dermoidcyste. 

Neben den beiden Fällen von Bo x all (Brit Med. Journ. 
1898) und Staude (Monatsschr. f. Gyuiikol. 1895) ist dies der 
dritte in der Literatur bekannte von Sectio caesarea -{- Ovarlo- 
tomie intra partum. In allen dreien blieben Mutter und Kind 
am Leben. 

W. van Yzercn, Assistenzarzt der medio. Poliklinik zu 
Utrecht: Die Pathogenese des chronischen Magengeschwürs. 
(Ibidem, No. 9.) 

Y. schnitt bei Kaninchen die Nervi vagi unter dem Dia¬ 
phragma durch und erzielte in der Hälfte der Fälle ein typisches 
rundes Magengeschwür. Das Ulcus zeigte keim» Tendenz zur 
Heilung, ist solitär und es geht dem Entstehen desselben eine 
Nekrose der Mucosa voraus. Mucosa und Muskel in der Um¬ 
gebung bleiben intakt. Die Vagotomle erhöht die MagenRaft- 
sekretion nur wenig. Gastro-Enterostomie und Längsspaltung des 
Muskels der Regio pyloriea verhindern in der Regel die Geschwürs¬ 
bildung. Einige Tage nach der Operation wird der Magen härter, 
d. h. es entsteht Magenkrampf. Dieser bleibt aus nach Gastro- 
Enterostomie und Durchtrennung des Muskels. Nach des Verf. 
Ansicht ist dieser nach Vagotomie auft.ret.ende Magenkrampf die 
Ursache der GescliwUrsbildung. Durch die kräftige Zusammen¬ 
ziehung des Muskels nämlich, der bekanntlich in der Regio pyloriea 
am dicksten ist, entsteht Anaemie der Mucosa, Nekrose derselben 
und sodann das Ulcus, dessen Nichtheilen das Fortbestehen d<*s 
Krampfes zur Ursache hat. Da nämlich nach Durchtrennung des 
Muskels kein Krampf entsteht, bildet sich auch kein Geschwür. 

Die ungeheure Aelmlielikeit, die das hier künstlich bei Ka¬ 
ninchen erzeugte Ulcus mit dem des Menschen hat, lässt mit 
Wahrscheinlichkeit auf die gleiche Ursache sohliessen: Krampf 
der Portio pyloriea, wie dies schon 1888 von Prof. Talma als 
wahrscheinlich angenommen worden ist. 

,T. A. Roorda S m i t: Aufgehen und Offenbleiben des 
Urachus. (Ibidem, No. 12.) 

Der erste Fall l>otraf einen 52 jährigen Herrn mit Retentlo 
urinae wegen inoperabler Strlktur. Die Nabelgegend des Patienten 
roch nach Urin und die Untersuchung der aus dem Nahei dringen¬ 
den Flüssigkeit erwies sich als solcher. Es hatte sich alRo hier 
der Urachus durch den hohen Blasendruck wieder geöffuet. Nach 
innerer Urethrotomie verschwand die Erscheinung. 

Im zweiten Falle handelte es sich um ein 17 jähriges ge¬ 
sundes Mädchen, das fortwährend in sehr geringen Mengen Urin 
durch den Nabel absonderte, eltenso verlor dasselbe bei jeder Men¬ 
struation Blut durch den Nabel. Die hier vorliegende con¬ 
genitale Fistula vesico-umbilicalis wurde operativ durch Spal¬ 
tung und Naht des Kanals beseitigt. 

Der dritte Fall betraf einen ly 8 Jahre alten Knaben mit nach 
Urin stinkendem Nabelekzem in Folge Fistula vesico-umbilicalis. 
Die Blase reichte bis zum Nabel und hatte die Musculi recti abdom. 
außeinandergedningt. Es bestand hochgradige Phimosis, die operirt 
wurde. Da trotzdem die Fistel fortbestand, wurde der Nabel ex- 
cidirt und der Urachus mittels Tabaksbeutelnaht geschlossen, 
worauf Heilung eintrat. Hier hatte sich also in Folge congenitaler 
Phimose und Harnstauung der Urachus wahrscheinlich schon vor 
der Geburt wieder geöffnet. 

Dr. S c h 1 o t h - Bad Brückenau. 

Inaugnral-Dusertationea. 

Universität Greifswald. September 1901. 

27. Amelohr Otto: Ueber 2 Fälle von Chorea chronica pro¬ 
gressiva. 

28. Mutke Emil: Ein Fall von Hemiplegie und Aphasie nach 
Ligatur der Arteria carotis communis sinistrn. 

29. Radefeld Fritz: Ein Fall von Fraktur der Halswirbelsäule 
und Hernla duodenojejunalis. 

30. W e h o w s k 1 Robert: Ueber Faltungstrübngen der Hornhaut 


Vereins- und Congressberichte. 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 

in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901. 

Die Sitzungen der Tuberkulosekommission 

am 26. September 1901. 

Eigener Bericht von Dr. Grassmann in München. 

Die 2 von der Tuberkulosekommission abgehaltenen Sitz¬ 
ungen fanden unter dem Vorsitze von Prof. Iluoppe-Prag 
statt, der in seinen einleitenden Worten sieh mit der aetio- 
logisehen Forschung über die Tuberkulose beschäftigte. An¬ 
knüpfend an die bekannten Aeusserungen R. Koc h’s über die 
selten stattfindende Uebertragung der Rindertuberkulose auf den 
Menschen, sowie einen der Beschlüsse des Londoner Tuberkulose¬ 
kongresses, die Frage der Konstitution als aetiologisehen Momen¬ 
tes für das Auftreten der Tuberkulose zum Gegenstand« ganz 
specieller Untersuchungen zu machen, führt« 1 T Ln *■ ()J.e aus, dass 
unter den für die Aetiologie der Tubcrkulo&TnT'Br&Pwffft kom¬ 
menden Faktoren bisher von der Forschung keiner so gründ¬ 
lich vernachlässigt worden sei, wie die Erblichkeit. Was die 
inedieinisclie Literatur darüber auch aus den letztoTTTfirhrzehnten 
aufzuweisen habe, ist, wie Redner^ unter theil weisem Wider¬ 
spruche seiner Zuhörer, aussprach, „unbnTüötTbnres~Zeüg"7 NacTi f 
seiner-Anschauung ist die aetiologische’HeLcüUlilg der Erblich- i 
keit für die Tuberkulose eine so unzwei fei ha ft bestehende und 
durch tausendfältige Beobachtung erwiesene, dass einige Ver¬ 
suche, welche dieser Thatsaehe zu widersprechen scheinen, als 
belang- und werthlos bezeichnet werden müssen. Es hat bisher 
durchaus an einer richtigen, wissenschaftlich formulirton Frage¬ 
stellung über das Wesen der Erblichkeit gefehlt; unsere Aufgabe 
ist es, zu erforschen, was sich denn eigentlich hinter dem mysti¬ 
schen Begriffe der Erblichkeit verbirgt. Der Weg wird darin be¬ 
stehen, dass wir die einzelnen Gewel>e des Körpers zum Gegen¬ 
stände der Untersuchung mnehen. um die Grundlagen der Erb¬ 
lichkeit herauszufinden, statt Dinge vorauszusetzen, von denen 
wir gar nichts wissen. Eine „Gewebsschwiiehe“ spielt hier eine 
Rolle. Es ist aber festzuhalten, dass diese Gewebsschwäche sich 
zwar bei den Kindern in der nämlichen Weis«» iiussern kann, wie 
Ix! den Eltern, aber nn«»h Anschauung des Redners auch in ganz 
an<lor<»n Erscheinungen si«ii zu manifestiren vermag. So ist 
daran zu erinnern, dass zwischen der Tuberkulose und Masern, 
Scharla«-h, Keuchhusten, sowie andcn»n Infektionskrankheiten, 
gewisse B«*zi«»hungen l>estehon, die wir in F«>lge uns«».rer bisherigen 
einseitigen Auffassung bislang für die Frage der Erblüh keit. 
noch nicht verwerthet habc.ii. Einseitig war unsere Auffassung 
bisher in dom Sinne, dass wir schlossen, dass die obigen Krank¬ 
heiten nosoparasitär mit Tuberkulös«! auf treten, während sie 
auch vikariirond dafür auftreten können. Tn web her Weis«! die 
Auslösung der durch dio Erblichkeit g»*sotzt«»n Disposition 
schlicsslhjh stattfindet, das hängt von verschiedenen, der Er¬ 
forschung zugänglichen Umständen ah. Aber dies«»* angeführt«: 
Verhiiltniss der Kranklunten zu einamler muss gerade auch für 
die praktische Seite «1er Forschung berücksichtigt werden. Die 
Versuche, welche gezeigt zu haU»n scheinen, dass beim Rind die 
menschliche Tuberkulose schwer haftet, müssen mit grösster Vor¬ 
sicht aufgenommen werden. Die Virulenz des Giftes ist, was 
den Bakteriologen gegenüber immer wieder zu betonen ist, nicht 
das allein Maassgebende. Hinsichtlich der Aeusserungen K oc h’s 
ist II. der Ansicht, dass thatsächlieh oben doch recht häufig 
eine infizirte Nahrung, speciell die Milch, eine Quelle tuberku¬ 
löser Infektion sein kann. Es ist festzuhalten, dass bei dem Be¬ 
funde einer Lungentuberkulose der primäre Krankheitsherd auch 
ganz wo anders als in den Lungen seinen Sitz gehabt haben 
kann, z. B. im Darm, in den Lymphdrüsen. Wie einer der 
später Vortragenden ausführen werde, ist die U«'.bortragung der 
Perlsucht vom Rinde auf den Affen gelungen. Die Anschau¬ 
ungen R. Koc h’s, wie sie dieser auf dem Tuberkulosekongress 
in London ausgesprochen hat, kann Redner daher durchaus nicht 
theilcn. Dio Tuberkulosekommission hat nach wie vor für dio 
Erforschung der grossen Volksseuche wichtige Aufgaben vor 
si«!h, und sie ist, wie Hueppe schloss, sehr wohl im Stande, 
durch ihre Arbeiten eine grosse Lücke auszufüllen. 

Es sprach nun zuerst M a r t i u 8 - Rostock über die Ver- ^ 
erbbarkeit des konstitutionellen Faktors der Tuberkulose, in- 




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1764 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


dem er ausfilhrte: Der internationale Tuberkulosekongress in 
London hat beschlossen, das Problem der Konstitution bei Tuber¬ 
kulose als Hauptgegenstand auf die nächste Tagesordnung zu 
setzen. 20 Jahre lang hat man nicht viel an diese Frage gedacht. 
Den Aerzten war die „tuberkulöse Konstitution“ längst eine ge¬ 
wohnte Beobachtung, aber in der Laboratoriumsmedicin hatte sie 
keinen Platz. Allein Einseitigkeit war zunächst nothwendig; 
jetzt kommt die Reaktion. Der materialistische Dogmatismus 
ist wieder einmal vorüber. Der Entwicklungsgang kehrt aber 
nicht einfach zum Ausgangspunkt zurück, sondern ein Fort¬ 
schritt der Erkenntniss ist erreicht worden. Jetzt ist vor Allem 
die Fragestellung darauf zu richten, was „individuelle Disposi¬ 
tion“ ist. Wir sehen, dass das eine Individuum unter scheinbar 
gleichen Bedingungen eher erkrankt, als das andere: das hat zum 
Schlüsse geführt, dass diese beiden Individuen nicht gleich¬ 
wertig sind. Zu beachten ist zunächst, wie gross die indivi¬ 
duellen Abweichungen vom Mittelmaass nach oben und unten 
schon in der Norm sind, wie sehr die Reaktionsfähigkeit auf 
krankmachende Reize schon an sich schwankt. Beispiele hiefür 
sind gegeben in den sog. Idiosynkrasien, z. B. gegen Antipyrin, 
Chinin, Arsen. Die Immunisirungslehre basirt auf diesen Er¬ 
wägungen. Ob die Theorie von Ehrlich den materiellen Vor¬ 
gängen bei der aktiven Immunisirung entspricht, möchte Red¬ 
ner nicht entscheiden. Nachdem nun eine Steigerung der Em¬ 
pfänglichkeit gegenüber krankmachenden Reizen eintreten kann, 
warum sollte nicht auch eine Herabsetzung derselben Platz 
greifen können? Die Vernachlässigung des Faktors der Dis¬ 
position erklärt sich aus der Laboratoriumsmedicin. Jode in¬ 
dividuelle Disposition muss in der Anlage der Zellen begründet, 
muss „konstitutionell* sein. Für den Menschen in seinem Ver¬ 
halten gegenüber einem krankmachenden Reiz tritt als weiterer 
Faktor noch der psychische Zustand hinzu. Das kranke Indivi¬ 
duum ist Gegenstand der aetiologisehen Forschung, nicht jeder 
mit Tuberkelbacillen infizirte Mensch. Die individuelle Dis¬ 
position ist besonders gegenüber der modernen Bacillenfurcht zu 
betonen. Wer wird krank? Welches sind die inneren und 
äusseren Bedingungen für die Entstehung der Tuberkulose bei 
dem einzelnen Menschen? Von Diesem hängt das Schicksal des 
Einzelnen und der Rasse ab, davon die Erfolge von Hygieno 
und Gesetzgebung, der jetzigen Heilstättenbewegung. Wir 
dürfen nicht von der Polizei alles hygienische Heil erwarten, 
sondern unsere erste Aufgabe muss bleiben, die individuelle An¬ 
lage zu bekämpfen. Aber wie? Für die Lösung des Problems 
der individuellen Veranlagung ist bei dem landläufigen Begriff 
des Habitus phthisicus nichts anzufangen; auch die vor¬ 
genommenen Organmessungen sind ein unfruchtbares Mittel ge¬ 
blieben. Den Ausschlag geben schliesslich vitale Kräfte. Es 
wird wohl noch möglich werden, ähnlich wie die individuelle 
Fähigkeit, Zucker zu verbrennen, für den Einzelnen berechnet 
werden kann, auch eine Messung der Widerstandsfähigkeit des 
Einzelnen vorzunehmen. 

Solange nun die Thatsache einer individuellen Disposition 
noch bestritten wird, müssen wir erst ihre Existenz beweisen. 
Der Streit setzt da ein, wo von den scheinbar gleichen Be¬ 
dingungen gesprochen wird, unter denen das eine Individuum 
erkrankt, das zweite nicht. Eine direkte experimentelle Unter¬ 
suchung am Menschen ist ausgeschlossen. Mit statistischen 
Aufstellungen wird nichts Sicheres mit der Frage der individu¬ 
ellen Disposition erreicht, die Resultate der Statistik sind hier 
— woraus ihr kein Vorwurf zu machen ist — mangelhaft. Die 
numerische Methode ist eben überhaupt ausser Stande, die Ur¬ 
sache einer Erscheinung nachzuweisen. 

Was versteht man unter erblicher Belastung? Diese Frage 
wird in sehr verschiedenem SiimoTk^rnwortet. Auch das drückt 
sich nur zu deutlich in den Ergebnissen der statistischen Me¬ 
thode aus, dio freilich für den Zweck einer vorläufigen Orien- 
tirung nicht entbehrt werden kann. Die Statistik sollte bei 
ihren Aufstellungen aber vor Allem „erworbene“ und „ange¬ 
borene“ Disposition wohl auseinander halten. Auch „angeboren“ 
und „vererbt“ muss unterschieden werden. Der Vorgang einer 
Krankheit kann überhaupt nicht vererbt werden. Allerdings 
kann der Tuberkelbacillus direkt erblich übertragen werden, 
doch kommt dies sehr selten vor. Ebenso ist intrauterine In¬ 
fektion ein seltenes Ereigniss. Es muss das Problem der kon¬ 
genitalen Tuberkulose von jenem der tuberkulösen Belastung 


strenge geschieden werden. Entgegen den K o c h’schen 
Aeusserungen spielt in der Aetiologie der Tuberkulose dennoch 
die Erblichkeit eine grosse Rolle. Nirgends thut mehr eine rich¬ 
tige Fragestellung noth, wie hier. Festzuhalten ist, dass „ver¬ 
erbt“ diejenigen Eigenschaften sind, welche nachgewiesener- 
maassen direkt im Keimplasma übertragen werden. Das kon¬ 
stitutionelle Moment muss in den Kernen der beiden Geschlechts¬ 
zellen zu suchen sein, in der Erbmasse. Eine Methode k ann 
zur Aufstellung des Verorbungsproblems weiter helfen: es ist 
die wissenschaftliche Genealogie nach Lorenz. Die Be¬ 
schaffung eines verlässigen Thatsachenmaterials hat freilich ihre 
Schwierigkeiten, doch kann ein solches aus den Zusammen¬ 
stellungen Riffel’s gewonnen werden, der mit Unrecht als 
unzuverlässig kritisirt worden ist. Redner demonstrirt zwei 
nach Riffel angelegte Ahnentafeln, aus denen die durch die 
Familien hindurchgehenden, die Tuberkulose betreffenden Ver¬ 
erbungserscheinungen ersehen werden können. In der wissen¬ 
schaftlichen Genealogie liegt nach Ansicht des Redners be¬ 
weisende Kraft. 

Es muss nicht jeder belastete Mensch erkranken, doch ist 
ein solcher immer mehr gefährdet als ein erblich nicht belasteter. 
Allein auch der nicht specifisch disponirto Organismus kann der 
Infektion erliegen; aber im Allgemeinen sind seine Lebens¬ 
chancen bessere. 

Heller- Kiel brachte, ohne weitere epikritische Erörte¬ 
rungen an seine Mittheilung zu knüpfen, wie sie mit Rücksicht 
auf die jüngsten Koch’schen Aufstellungen sehr nahe gelegen 
hätten, folgende drei interessante Beobachtungen zur Kenntniss: 
Eine 14 jähriger Knabe hatte sich eine Tätowirung an einem 
Vorderarm anbringen lassen; diese wünschte er wieder los zu 
werden und impfte, einer volkstümlichen Sitte folgend, dio 
tätowirten Stellen mit Kuhmilch nach, welche er immer von der 
nämlichen Kuh bezog. An der tätowirten Stelle zeigte sich nach 
einiger Zeit ein typischer Lupus, in dessen Gewebe Riesenzellen, 
aber keine Tuberkelbacillen gefunden wurden. Es hat also hier 
eine Uebertragung der Tuberkulose von der Kuh auf den 
Menschen stattgefunden. 

Betreffs der Häufigkeit der Darmtuberkulose hat R. Koch 
bekanntlich jüngst erklärt, dass primäre Darmtuberkulose selten 
sei. Heller hält das für unzutreffend. Vor Allem muss die 
Darmtuberkulose der Erwachsenen von jener der Kinder getrennt 
gehalten werden. Bei ersteren fand Redner allerdings nur 
2 Proc. Dagegen hat II. von 714 an Diphtherie verstorbenen 
Kindern bei 140 Spuren von Tuberkulose gefunden. Von diesen 
140 Fällen zeigten 43, d. i. 30 Proc. reine, primäre Darmtubor- 
kulose. In einer weiteren Anzahl dieser Fälle fanden sich die 
Mesenterial- und Bronchialdrüsen erkrankt. 

Als 3. Beobachtung führt H. folgende an, welche das Ein¬ 
wirken von Hilfsursachen beim Entstehen der Tuberkulose 
illustrirt: Redner hat eine grosso Zucht von Meerschweinchen 
(ca. 10 000 Stück) angelegt, welche ausschliesslich von tuber¬ 
kulösen Eltern abstammen. Keines dieser Thiere ist tuberkulös 
geworden, so lange sie unter sehr günstigen Verhältnissen ge¬ 
halten wurden. Vor einiger Zeit trat plötzlich unter diesen 
Thieren, sowie unter den Kontrolthieren eine auffallende Sterb¬ 
lichkeit an Tuberkulose auf. H. untersuchte eingehend und fand, 
dass die Thiere schlechtes Heu erhalten hatten. Nach Beseiti¬ 
gung dieses Missstandes blieben die Thiere wieder gesund. Nach 
einem Jahre wiederholte sich dieser Vorgang in der nämlichen 
Weise. Redner unterlässt es absichtlich, eine Erklärung dieses 
bemerkenswerthen Verhaltens versuchen zu wollen. 

An 4. Stelle sprach nunmehr Sprengel - Braunschweig 
über das Thema: Welche Fälle von sogen, chirurgischer Tu¬ 
berkulose eignen sich für die Behandlung in Heilstätten? 

Die chirurgische Tuberkulose ist auf dem Gebiete der Heil¬ 
stättenbewegung bisher im Allgemeinen zu wenig berücksichtigt 
worden, wenn auch eine Anzahl von solchen Fällen auch jetzt 
schon zur Behandlung in den betreffenden Anstalten gelangt. 
Auf eine genauere Entscheidung darüber, welche Fälle chirur¬ 
gischer Tuberkulose für die Heilstättenpflege sich eignen, ist 
man hinsichtlich der Erwachsenen schon aus dem Grunde 
nicht hingedrängt worden, als es sich bei der chirurgischen 
Tuberkulose der Erwachsenen ohnehin meist um eine 
Komplikation mit Lungentuberkulose handelt. Die chir¬ 
urgische Tuberkulose der Kinder in ihren verschiedenen 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


29. Oktober 1901. 


1765 


Formen (Drüsen-, Knochen-, Gelenktuberkulose) war natür¬ 
lich längst Gegenstand der Heilstättenbehandlung. Sie ist 
relativ gutartig, begrenzt und in der Mehrzahl der Fälle heil¬ 
bar. Allein für die Heilung möglichst vieler Fälle sind zwei 
Faktoren vor Allem maassgebend: eine genügend lange Dauer 
der Behandlung und die richtige Auswahl der zu behandelnden 
Fälle. In Deutschland ist die Behandlungsdauer in den Heil¬ 
stätten eine meist auf 6 Wochen beschränkte, wirkliche Heilungen 
daher selten, während in Frankreich bei unbeschränkter Behand¬ 
lungszeit ca. 70 Proc. Heilungen bei der chirurgischen Tuber¬ 
kulose der Kinder erzielt werden können. Wird bei unserer 
kurzen Behandluugszeit in der Statistik von einer „Besserung“ 
gesprochen, so können diese Fälle ruhig zu den Nichtgehcilten 
gezählt werden. Berücksichtigt man dies, so müssen im All¬ 
gemeinen für uns in Deutschland die Ergebnisse der Heilstätten¬ 
behandlung chirurgischer Tuberkulose der Kinder als sehr un¬ 
befriedigende bezeichnet werden. So waren von 263 Fällen 
chirurgischer Tuberkuloso von Kindern, welche im See-IIospiz 
auf Norderney sich befunden hatten, 142 ohne Erfolg wieder 
zurückgekehrt — bei einer Behandlungsdauer von 6 Wochen. 
Wie die Praxis jetzt gehandhabt wird, kann der Satz aus¬ 
gesprochen werden: In die deutschen Heilstätten werden alle 
Fälle chirurgischer Tuberkulose aufgenommen, aber mit ausser¬ 
ordentlich mangelhaften Resultaten behandelt. 

Um diese Misserfolge zu bessern, muss 1. die Behandlungs¬ 
zeit verlängert werden, 2. die Auswahl der Fälle geändert werden. 
Zu berücksichtigen ist, dass die chirurgische Tuberkulose ein 
lokaler Krankheitsprocess ist, der zunächst chirurgisch in An¬ 
griff genommen und, wie die statistische Zusammenstellung der 
Heilerfolge für die verschiedenen Formen chirurgisch behandelter 
Tuberkulose aufweist, in vielen Fällen der Heilung zugeführt 
werden kann. Da die Statistik zeigt, dass die Erfolge der rein 
chirurgischen Behandlung dieser Formen von Tuberkulose fast 
allenthalben bessere sind, als jene durch die klimatische Therapie, 
so ist kein Grund vorhanden, diese Fälle in die Seebäder zu 
schicken. Anzustreben ist die Kombination der chirurgischen 
Behandlung mit der klimatischen, da durch letztere besonders 
das Allgemeinbefinden gebessert werden kann. Freilich werden 
die Erfolge der Soole- und Seebäder auch in dieser Hinsicht oft 
überschätzt. Für den Grad der Aufnahmefähigkeit der Patienten 
mit chirurgischer Tuberkulose in die Heilstätten und Seehospize 
gibt S. ein Schema an, das die prognostische Werthigkeit aller 
hier einschlägigen Formen berücksichtigt und besonders den 
Unterschied zwischen offener und geschlossener Tuberkulose in 
dieser Hinsicht betont. Bei ersterer muss die chirurgische Be¬ 
handlung der klimatischen vorausgehen. Hinsichtlich der 
operativen Behandlung des Gibbus räth S. dringend von der¬ 
selben abzustehen und sich auf die Allgemeinbehandlung zu be¬ 
schränken. Die nur 6 wöchentliche Dauer der Behandlung in 
den See- und Soolbädem muss auch bei uns in Deutschland 
fallen. Man muss die Fälle chirurgischer Tuberkulose entweder 
ausschlicssen oder nach anderen Grundsätzen behandeln. Die 
Aufnahme der Kinder soll durch eine aus Chirurgen und Inter¬ 
nisten zusammengestellte Kommission stattfinden, ungeeignete 
Fälle müssen abgelehnt und die Dauer der Behandlungszeit vom 
Arzte bestimmt werden. Zwar soll nicht etwa die operative 
Behandlung principiell in die Bäder und an die See verlegt 
werden, aber die chirurgische Behandlung soll, wie erwähnt, der 
klimatischen vorausgehen. Die vorhandenen Anstalten müssen 
besser ausgenutzt, oder es müssen neue gebaut werden. Wenn 
die Kapitalkraft grosser Gemeinwesen sich dieser Sache an¬ 
nähme, könnten sich bei uns in Deutschland ebenso gesunde und 
dauernde Verhältnisse entwickeln, wie in Frankreich. Die 
meisten Anstalten halten mit der Bekanntgabe ihrer Resultate 
zurück. Die Kinder mit chirurgischer Tuberkulose können 
auch in ihren Heimathgegenden mit Erfolg behandelt und müssen 
nicht unbedingt in Sec- und Soolbäder geschickt werden, die 
heute in dieser Hinsicht oft nicht mehr darstellen, als kostspielige 
Sommerfrischen. Der alte Kampf gegen die Tuberkulose muss 
auch auf diesem Gebiete, dem der chirurgischen Tuberkulose, 
nach einheitlichen Gesichtspunkten geleitet werden! 

(Schluss der Vormittagsitzung.) 


Nachmittagssitzung vom 26. September 1901. 

Herr Grünbaum- Liverpool: TTebertragbarkeit der 
Rindertuberkulose. 

G. hat Chimpansen, also Affen, welche in ihrer Organisation 
dem Menschen nahe stehen, mit Rindertuberkulose geimpft. Es 
traten geschwürige Processe an den Impfstellen auf; nach 
1 Monat wurden die Thiere getödtet und es fanden sich die Leber 
und Milz voll Tuberkeln, Tuberkelbacillen in der Absonderung 
der Geschwüre, wie sie in dieser Menge in der eingeimpften 
Aufschwemmung nicht vorhanden gewesen waren. Eine Auf¬ 
schwemmung der Organe der Affen wurde mit Erfolg auf Meer¬ 
schweinchen übertragen. Auch auf Kühe gelang später die Ueber- 
tragung von den Chimpansen aus. Da letztere dem Menschen 
ziemlich nahe stehen und z. B. auch mit Typhus infizirt werden 
können, kann ein gewisser Rückschluss bezüglich der Uebertrag- 
barkeit der Rinder tuberkulöse auf den Menschen gemacht 
werden. 

In der Uber die vorausgegangenen Vorträge eröffneten Dis- 
cussiou bemerkt Herr Michaelis, dass er dem Faktor der 
Erblichkeit schon längst seine specielle Aufmerksamkeit zuge¬ 
wendet habe. Er verfüge in dieser Hinsicht über Beobachtungen 
an der nämlichen Bevölkerung, welche sich über 35 Jahre er¬ 
strecken. Unzweifelhaft spiele aber in der Aetiologie der Tuber¬ 
kulose die gewerbliche Thätigkeit der Betreffenden eine grosse 
Rolle. Von 100 Steinhauern starben 58, davon 54 an Tuberkulose; 
bei Kohlenbergwerkarbeitern dagegen ist innerhalb grosser Fa¬ 
milien seit 20 Jahren kein Fall von Tuberkulose vorgekommen. Er 
habe daher versucht, für Steinhauer eine Maske zu konstruiren, 
durch welche sie einathmen sollen. Vor Allem sei nöthlg, dass die 
Einathmungsluft aus weiter Entfernung herbeigeholt werde. 

Herr Friedmann - Berlin hat Kaninchenweibchen kurz 
vor der Begattung Tuberkelbacillen ln die Scheide gebracht und 
nun die Embryonen ln Serienschnitten untersucht. In allen Fällen, 
ausser in der Uterusschleimhaut der Weibchen konnte er Tuberkel¬ 
bacillen in den Embryonen nachweisen, woraus folgt, dass mit 
dem Sperma eingeführte Tuberkelbacillen auf die Frucht über¬ 
tragen werden können, ohne die Mutter zu infleiren. Der direkte 
Ucbergang von Tuberkelbacillen auf die Frucht gehört also, im 
Gegensatz zu den Ausführungen von Martius, durchaus nicht 
zu den Seltenheiten. 

Herr Sommerfeld betont ebenfalls den wichtigen Ein¬ 
fluss der Wohnungsverhältnisse und der gewerblichen Schädi¬ 
gungen. Nach seinen Untersuchungen leiden von allen lebenden 
Steinhauern über 25 Proc. an Tuberkulose und fast alle Steinhauer 
sterben an dieser Krankheit Die Masken hält er für nutzlos; die 
Hauptsache ist die Anfeuchtung des Materials, um die Verstäubng 
zu verhüten. 

Herr L e n h o f f - Berlin spricht über die günstigen Er¬ 
fahrungen mit den Erholungsstätten bei Berlin, deren Ein¬ 
richtungen er näher schildert Mit 4—5000 M. können Ein¬ 
richtungen für ca. 150 Kranke getroffen werden. Die Leute 
halten sich nur bei Tag dort auf; die täglichen Kosten betragen 
70—90 Pf. pro Person. Mit den Erfolgen ist L. sehr zufrieden; 
namentlich können solche Patienten aufgenommen werden, welche 
auf die Aufnahme in die Volksheilstätten warten müssen, aber 
auch solche, welche dort überhaupt nicht mehr aufgenommen 
werden können. Diese Erholungsstätten sollen besonders im An¬ 
schluss an Krankenhäuser aufgemacht werden. 

Herr Ivobert berichtet Uber 2 Fälle, in denen Fleischer¬ 
gesellen sich beim Schlachten tuberkulöser Kühe mit Tuberkulose 
inflzirten. 

Herr Martius erklärt, dass er die Möglichkeit der Uel>er- 
tragung von Tuberkelbacillen durchaus nicht in Abrede stelle. 
Bezugnehmend auf den Vortrag Sprengel (Vormittagssitzung) 
bespricht er die für die Auswahl der Kinder für die Bäder und 
Seehospize muassgebenden Grundsätze und vertritt die Ansicht, 
dass die Hauptsache nach wie vor die Prophylaxe bleibe und auch 
die Seehospize die schweren Fälle nicht heilen könnten. Immerhin 
seien sie etwas Anderes als kostspielige Sommerfrischen, wie 
Sprengel meine. 

S. B a n g - Kopenhagen spricht: lieber Lichttherapie. 

Dio durch die Arbeiten Vi dmaPs in Stockholm als thera¬ 
peutisch wirksam befundenen ultravioletten Strahlen bewirken 
eine nach einiger Zeit auftretende Röthe und hinterlassen eine 
bleibende Pigmentirifhg. Der histologische Vorgang bei der 
Liclitentzündung ist jetzt bekannt find besteht im Wesentlichen 
in einer Gefässerweitorung und ersetzender llyperleukocytose. 
Die allgemeine Wirkung des Lichtes ist noch nicht genau be¬ 
kannt. Engelmann hat gewisse Einflüsse dos Lichtes auf 
Amoeben nachgewiesen. Man sieht, dass isolirte Flimmerzelleu 
sich auf Lichtreiz kontrahireu. Auch besteht ein Einfluss des 
Lichtes auf Stoffwechselvorgänge. F i n s e n hat nachgewiesen, 
dass Lichtstrahlen eine reizende Wirkung auf Embryonen aus¬ 
üben; auch wird durch Lichteinwirkung eine Vermehrung der 


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1766 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Kohlensäureausschcidung bewirkt, doch spielen hier auch die 
vermehrten Muskelbewogungen mit. Die bakterientödtende Kraft 
des Lichtes ist besser bekannt; auch diese ist besonders den 
ultravioletten Strahlen zuzuschreiben. Die Bakteriologen, 
welche sieh mit dieser Frage, beschäftigen, haben vielfach das 
benützte Licht zu wenig umgrenzt. Bang hat gefunden, dass 
Licht, welches durch Bouillon gegangen ist, Bakterien erst in 
längerer Zeit tödtet, als solches, welches nur destillirtes Wasser 
passirt hat. 

Bei der therapeutischen Verwerthung des Lichtes hat man 
zunächst gewisse Strahlen abgehalten. F inson hat z. B. 
Variolakranke nur unter rothem Licht gehalten. Die Methode 
gibt auffallend gute Resultate, indem die Pustelbildung bei 
diesen Kranken ausbleibt. Für die positive Lichttherapie ent¬ 
behren wir des physiologischen Fundaments aus dem Grunde, 
da es bisher nicht möglich war, die Wärmewirkung völlig aus¬ 
zuschalten. Die Glühlichtbäder können nicht mit den elek¬ 
trischen Bogenlichtbädern in eine Kategorie gerechnet werden, 
denn ihre Wirkung beruht ganz besonders auf der Wärme¬ 
strahlung. Die Glühlichtbäder sind eine Form von Schwitzbädern, 
aber nicht von Lichtbädern. Die lokale Lichttherapie ist durch 
Einsen eingeführt. Er nimmt ein sehr starkes Licht (Bogen¬ 
lieht), lässt es durch Quarzlinsen konzentriren und durch Wusser- 
sehichten filtriren. Wichtig ist für die Wirkung, dass eine Kom¬ 
pression auf die belichteten Gewebe ausgeübt wird, um die Ge- 
websdicke zu vermindern und das Blut zu verdrängen, das einen 
grösseren Theil der wirksamen Strahlen absorbirt. Man kann 
auch Leiden mit Erfolg behandeln, welche nicht bakteriell sind, 
z. B. angeborene Angiome. Bei Lupus vulgär, hat die Finsen- 
Behandlung eine Art spezifische Wirkung. Von einer Aetz- 
wirkung, wie Bergmann meint, kann nicht gesprochen 
werden. Die Knötchen werden flacher und verschwinden, ohne 
dass das gesunde Gewebe leidet. Daher werden so schöne Re¬ 
sultate erzielt. 640 Lupusfälle wurden bisher der F i n s e n - 
Behandlung unterzogen, darunter ist keiner, in welchem das Licht 
nicht einen günstigen Einfluss ausgeübt hat, nur in 11 Fällen 
war die Wirkung nicht gross. Von 140 Füllen sind 130 bereits 
ein Jahr in Beobachtung gestanden, ohne dass ein Recidiv ge¬ 
sehen wurde. Ausser Lupus wurden Angiome, Alopecia areata, 
Akne vulgaris und beginnende Hautcarcinome behandelt. 

Die Zukunft der Lichttherapie hat eine sichere Position. 
Die Behandlung ist eine sichere, schmerzlose, die bleibende 
Narbe schön; ein Nachtheil liegt in der langen Dauer der Be¬ 
handlung und daher in den Kosten. Technische Fortschritte 
sind möglich. Strebei hat daran gearbeitet, das Funkenlicht 
zu verwenden, doch sind die Apparate komplizirt und tlieuer. 
Es ist dem Redner nun gelungen, eine Lampe zu konstruiren, 
welche fast nur ultraviolettes Licht gibt und fast keine Wärme 
entwickelt. Statt der Kohlenelektroden, an denen stets die 
Kraterbildung ungünstig wirkte, nimmt B. Eisenelektroden und 
schaltet noch eine Abkühlung durch Wasser ein. Es entsteht 
sodann ein kaltes sehr helles Licht, dessen bakterientödtende 
Wirkung eine ganz unerwartet grosse ist. Die Schnelligkeit, mit 
welcher durch die neue Lampe die Bakterien abgetödtet werden, 
ist 60 mal grösser, als mit den bisherigen Methoden. Der Strom¬ 
verbrauch mit der kleinen Lampe ist 56 mal geringer als beim 
F i n s e n’schen Bogenlicht. Es kann schon mit 5 Ampere ge¬ 
arbeitet werden. Es ist möglich, die Lampe an die elektrische 
Hausleitung anzuschliessen. In 5 Minuten kann dieselbe Wir¬ 
kung erzielt werden, wie früher in 114 Stunden. Die Reaktion 
ist so stark wie bei den grossen Finsen-Apparaten. Die einzelne 
Sitzung dauert nur einige Minuten, nur in wenigen Fällen bis 
10 Minuten. 

Am Schlüsse des hochinteressanten Vortrags demonstrirte 
Herr Bang die neue, sehr niedliche Lampe, welche ein höchst 
intensives Licht ausstrahlt, das jedoch eine fühlbare Wärmewir- 
kung nicht entfaltet, wahrlich ein höchst überraschender Anblick! 
Rief schon die praktische Vorführung der Bau g’sdien Lampe, 
welche die Lichttherapie des Lupus zu einer viel allgemeineren 
zu machen berufen sein wird, das grosse Erstaunen der Zuhörer 
hervor, so steigerte sich dasselbe zu lauten Ausdrücken der Ueber- 
raschung und Kundgebungen uneingeschränkten Beifalls, als 
Bang nun in vorzüglichen Lichtbildern die Erfolge der Einsen- 
scheu Lupusbehandlung an einer langen Reihe von Patienten vor¬ 
zuführen begann. Die erzielten Resultate müssen für viele Fälle 
als verblüffende bezeichnet werden und stellen in einer grösseren 
Anzahl der Fälle einen Idealerfolg therapeutischer Bestrebungen 
dar. Die tiefgreifenden Entstellungen des Gesichtes ln Folge aus¬ 
gedehnter Geschwürsbildungen sind durch die Llchttheraple noch 


No. 44. 


einer ausserordentlichen Besserung fähig. Die Narben erscheinen 
als glatt und sind bei den leichteren Fällen kaum zu sehen. Nach¬ 
dem der reiche Beifall sich beruhigt hatte, erklärte B. auf Anfrage, 
dass die lupöseu Schleimhuutleiden bisher nicht behandelt werden 
können, sondern nach wie vor mit Cauterlen behandelt werden. 
Die Lichtbehandlung der äusseren Haut hat auf die Schleimhaut- 
erkrnukungen keinen Einfluss. Auch Leprafälle wurden bisher 
nicht behandelt Auf eine Anfrage durch K o b e r t bemerkt B., 
dass eine Behandlung tuberkulöser innerer Organe keine Aussicht 
auf Erfolg biete, da die nöthige Kompression bei diesen Organen 
nicht angewendet werden könne. Das Blut aber absorbirt, wie 
K o b e r t gefunden hat, durch seinen Blutfarbstoff die wirksamen 
ultravioletten Strahlen. 

Herr Friedeberg; -Wiesbaden: Moderne Forderungen 
der Familienfürsorge. 

Redner bespricht die Fürsorge für die Familien jener, deren 
Angehörige zur Behandlung in Volksheilstätten kommen. Er 
ist der Anschauung, dass man sich hiebei nicht auf Wohlthätig- 
keit durch Private verlassen dürfe, sondern diese ganze Sache 
auf gesetzlichen Boden gestellt werden müsse. Das Volk müsse 
von dem Drucke befreit werden, als ob es Wohlthaten zu em¬ 
pfangen hätte! Schon auf Grund des früheren Invaliditätsge¬ 
setzes wurde da und dort für die betreffenden Familien etwas 
gesorgt, wie von den hanseatischen Versicherungsanstalten. Der 
§ 40 des neuen Invaliditätsgesetzes erleichtert in mancher Hin¬ 
sicht die angeregte Unterstützung der Familien. Redner stellt 
die Forderung auf, dass die Versicherungsanstalten sich ver¬ 
pflichten müssen, den Familien der in die Heilstätten Aufge¬ 
nommenen das ganze Krankengeld zu gewähren, das letztere zu 
beziehen berechtigt wären. Die Inval.-Anstalten sind dazu 
in der Lage. Auch die Krankenkassen müssen herangezogen 
werden und zwar sollen diese das halbe Krankengeld, das für 
den betr. Aufgenommenen anfiele, bezahlen müssen. 

Redner verbreitet sich nun über die Mittel zur Verbesserung 
der wirtschaftlichen Lage der deutschen Krankenkassen und 
wünscht vor Allem eine Centralisirung derselben. Die Berech¬ 
nung des sogen, ortsüblichen Taglohns ist vielfach eine unge¬ 
rechte und muss aus den Händen der Unternehmer genommen 
werden. Den Krankenkassen soll die Leistung der Kosten für 
die ersten 13 Wochen der Krankheit nach Unfällen abgenommen 
werden. Das bisher gezahlte Krankengeld ist zu gering, die Ver¬ 
sicherten sollen mehr leisten, um später mehr zu bekommen. 
Die Unternehmer sollen nicht das ausschlaggebende Wort haben. 
Es sollen Gefahrenklassen für die Versicherten eingeführt werden, 
deren höhere Beiträge von dem Unternehmer zu leisten sind. 
Die Reservefonds müssen verringert werden. Mit dem Satze: 
„Das deutsche Volk ist nicht zu arm, dass nicht der Born der 
Genesung für Alle fliesse“ schloss Fr. seine manchen Wider¬ 
spruch erweckenden Ausführungen. 

Hierauf spricht Herr Qebhard- Lübeck: lieber Haass- 
nahmen zur Ergänzung der dnreb Unterbringung in Heil¬ 
stätten geübten Fürsorge mit besonderer Berücksichtigung 
der Familienangehörigen der an Tuberkulose erkrankten Per¬ 
sonen. 

Vorläufig können in Deutschland 20 000 Personen der Heil- 
stättenfürsorge zugeführt werden. Hauptstützen hiefür sind die 
Invaliditäts-Versicherungsanstalten. G. erklärt es als nicht er- 
strebenswerth, dahin zu gelangen, dass diese Anstalten Alles 
thun. Nach dem Gesetz kann nun allerdings nur für die Ver¬ 
sicherten ei »geschritten werden, was aber nach dem Wesen der 
Tuberkulose nicht genügen kann. Wenn der Versicherte wieder 
in seine tuberkulöse Familie heimkommt, besteht sofort wieder 
die Gefahr der Ansteckung. Es müssen also ergänzende Maass¬ 
nahmen eintreten. Es empfiehlt sich, dass die Versicherungs¬ 
anstalten von dem ihnen im Gesetze zugebilligten Rechte Ge¬ 
brauch machen, von etwaigen Ueberschüssen auch die Ange¬ 
hörigen der Rentenempfänger und Versicherten zu unterstützen. 
Auch diese können auf diesem Wege den Heilstätten zugeführt 
werden. Was die Ausführungen des Vorredners über die Finanz¬ 
lage der Versicherungsanstalten betrifft, so soll nach den aufge¬ 
stellten Berechnungen keine derselben in der Lage sein, Ueber- 
schüsse zu machen. Von Ueberschüssen ist gegenwärtig faktisch 
nicht die Rede. Die Fried eher g’sehe Berechnung ist nicht 
zutreffend. Auf Wohlthaten kann nicht verzichtet werden, man 
müsse im Gegentheil die Neigung, Wohlthaten zu erweisen, 
unterstützen. Es sind Maassregeln zu treffen, welche dazu führen 
können, den Quell der tuberkulösen Erkrankungen zu verstopfen. 
In Betracht kommen da die Behandlung der Familienangehörigen, 
die Reinigung und Desinfektion der Wohnungen der Erkrankten. 


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29. Oktober 1901; ktUEticHENEk MfcDlClNISCÖE WOCÖENSCHRllFT. 


1767 


Man muss dem einzelnen Falle näher treten und Vorkehrungen 
treffen, dass der Erkrankte von den anderen Bewohnern der 
Wohnung möglichst abgesondert werde. Hier kann die Vereins- 
thätigkeit ein reiches Feld finden. Man muss den Leuten, welche 
in Gefahr sind, infizirt zu werden, praktisch zeigen, wie sie 
sich vor der Ansteckung schützen können. 

Herr Blasius betont, dass die Hygieniker seit Langem 
die allgemeine Anzeigepflicht der Aerzte gegenüber der Tuber¬ 
kulose fordern, ohne welche nicht viel auszurichten sei. 

Zu den Ausführungen F r i e d e b e r g's bemerkt Herr 
rnnnwi t z, dass die staatliche Fürsorge die private Wohl- 
thiltlgkelt niemals entbehren könne: dieselbe müsse aber in ge¬ 
wissem Sinne organisiit werden. Auch er befürwortet die all¬ 
gemeine Anzeigepflicht bei der Tuberkulose, doch erfüllt dieselbe 
ohne Isolirung nicht den gewollten Zweck. Die Heilstätten wirken 
vorläufig als eine gewisse theilweise Isolirung. Vor allen 
outrlrten Forderungen in diesen Fragen müsse übrigens gewarnt 
werden. 


Herr 0. Brunslow - Rostock: Ein Fall von Kniegelenks- 
r/" tuberkulöse und seine Behandlung mit K o c h’schem Tuber- 
X kulin neuer Art. 


B. gibt die ausführliche Krankengeschichte des Falles, bei 
welchem seit der letzten Einspritzung IVa Jahre verstrichen sind, 
ohne dass ein Rückfall eintrat. Sicher ist bei dem schweren 
Falle ein Stillstand zu verzeichnen. Ueber die Behandlung der 
Knochentuberkulose mit dem Tuberkulin liegen sehr wenige Mit¬ 
theilungen vor. Auf Grund seines Falles (14 jähriger Knabe) 
räth B. starke Reaktionen zu vermeiden und jedenfalls keine 
neue Einspritzung zu machen, bevor nicht eine etwaige Reaktion 
ganz abgelaufen ist. Im Ganzen hat B. bei seinem Kranken 
4 Injektionskuren durchgeführt, da immer wieder eine Ver¬ 
schlimmerung des Zustandes eintrat. 


J Herr W e i c k e r berichtet über: Bisherige Dauererfolge 
/ der Heilstättenbehandlung. 

\ Im Allgemeinen lässt sich für ungefähr 40 Proc. der in 
Heilstätten Behandelten der Nachweis erbringen, dass sie nach 
2 Jahren noch anhaltend arbeitsfähig sind. Die Erfolge, welche 
Redner selbst erzielte, sind ähnlich. Zahlenmässig können die 
Erfolge der im Betrieb stehenden 59 Heilstätten Deutschlands 
überhaupt nur schwer festgestellt werden, sicher werden nur 
20 Proc. der in den Heilstätten Behandelten aus denselben ohne 
Tuberkelbacillen entlassen. W. nennt seine Entlassenen niemals 
gesund. Redner kommt zu dem Schlüsse, dass die Heilanstalten 
die Aufgabe haben, die für die Tuberkulinkur geeigneten Per¬ 
sonen für die Kur vorzubereiten. Die bisherigen Dauererfolge 
sind nicht als Dauerheilungen zu bezeichnen, sie bedeuten nur 
ein Hinausschieben der Todesfälle. 


Aus dem von Herrn Petruschky angekündigten Vor- 
jrag: Ueber den gegenwärtigen Stand der diagnostischen und 
/therapeutischen Tuberkulinbehandlung liest der Autor in Folge 
(der sehr kurz zubemessenen Zeit nur einige Thesen vor. 

Die Erfahrungen über die Verwendbarkeit des Tuberkulins 
sind darnach nun soweit geklärt, dass Missgriffe bei der An¬ 
wendung mit Sicherheit vermieden werden können. Am meisten 
empfiehlt sich eine Kombination der etappenweisen Tuberkulin¬ 
behandlung mit der klimatischen. Die Frühdiagnose mittels 
Tuberkulin ist in weitestem Umfange anzustreben, eigene Unter¬ 
suchungsanstalten für Tuberkulose-Verdächtige sind zu schaffen. 
Auch sind Heilstätten für Tuberkulose-Invaliden nöthig. 

Herr 0 11 - Odersberg: Sind die bei Tuberkulösen nach 
leichten Körperübungen auftretenden Temperatursteige¬ 
rungen als Fieber anzusehen? 

(Der Vortrag erscheint in extenso in dieser Wochenschrift.) 

Um Val Uhr Abends wird die Sitzung vom Vorsitzenden 
geschlossen. 


Abtheilung für innere Medioin. 

Referent: A1 b u - Berlin. 

V. Sitzung. 

1. Herr E d e 1 - Würzburg: Heue Gesichtspunkte für die 
Bekämpfung von Albuminurien. (Der Vortrag erscheint in 
extenso in dieser Wochenschrift.) 

2. Herr v. P o e h 1 - Petersburg: Die Nervenüberreizungen 
als Ursache von Autointoxikationen. 

Man hat es bei Uebermüdungen mit Autointoxikationen 
in Folge herabgesetzter Gewebsathmung resp. Blutalkalescenz 
zu thun. 


3. Herr Eulenburg - Berlin: Gehirnerkrankungen nach 
elektrischem Trauma. 

Vortr. lenkt die Aufmerksamkeit auf die Nervenerkrankungen 
als Folge der elektrischen Strassenbahnunfälle durch Reissen 
und Ifernbfallen der Oberleitungsdrühte. Diese Erkrankungen 
kommen in sehr wechselnder Intensität zur Beobachtung vom 
leichten, rasch vorübergehenden Schock bis zum tödtlichen Aus¬ 
gang. In ganz seltenen Fällen entwickelt sich erst allmählich 
ein Krankheitsbild als Folge chronischer Veränderungen im 
Centralnervensystem. Vortr. berichtet einen Fall, über den er 
ein gerichtliches Obergutachten zu erstatten hatte. Ein 48jähr. 
vorher gesunder Mann brach beim Unfall ohnmächtig zusammen 
und klagte nach dem Erwachen bald über Kopfschmerzen und 
hatte einen taumeligen Gang. In den nächsten Stunden nahmen 
die Beschwerden noch zu, es stellten sich epileptische Krämpfe 
im rechten Arm und Bein ein, die dann gelähmt wurden, dazu 
gesellte sich linksseitige Erblindung und rechts Herabsetzung 
des Sehvermögens. Die Zuckungen traten in den nächsten Tagen 
atich an den linksseitigen Extremitäten auf und führten zur 
Lähmung derselben. Allmählich waren sämmtliche Sinnesorgane 
ausser Funktion gesetzt, es trat eine sichtliche Verblödung ein. 
Vortr. berichtet noch eine zweite, aber weniger intensive und 
ausgebreitete Erkrankung gleichen Ursprungs. Die Wirkungen 
des Hochspannungsstromes sind im Wesentlichen mechanische 
Momente; Lockerung dos Zusammenhanges der Nervenfasern 
ohne nachweisbare anatomische Veränderungen, wie Blutungen 
u. dergl., aber auch schwere Reizung des Nervensystems und 
Wärmeerzeugung innerhalb der Schädelhöhle kommen in Be¬ 
tracht. 

4. Herr Gumprecht- Weimar: Ein Handgriff znr Mast¬ 
darmbehandlung. 

Im Anschluss an die jüngste Publikation von Ebstein 
über Mastdarmpalpation und -Massage empfiehlt Vortr. eine Art 
„Dammschutz“ zur Erleichterung der Dcfaecation bei Haemor- 
rhoidariern u. dergl. Wenn das Rectum mit der linken Hand 
vom Steissbein weg in die Höhe gedrückt wird, tritt der Koth 
leichter aus. 

5. Herr B i a 1 - Kissingcn: Versuche zum Mechanismus der 
antiseptischen Wirkung. 

Für die bekannte Thatsaehe, dass die Magensalzsäure ihre 
antiseptische Wirkung dem Hefepilz gegenüber nicht zur Geltung 
zu bringen vermag, fehlte es bisher an einer plausiblen Erklärung. 
Dieselbe wird jetzt anscheinend durch die Ionentheorie geliefert, 
welche nachgewiesen hat, dass die chemischen Wirkungen der 
Säuren auf ihren Gehalt an freien H-Ionen beruhen, nicht auf 
den unzerspaltenenMolekülen. Diese freien Ionen muss man dess- 
halb wegschaffen, wenn man der Salzsäure die fäulnisshemmende 
Eigenschaft nehmen will: durch Zusatz von Kochsalz gelingt es 
in der That, den Gehalt an freien H-Ionen herabzudrücken, die 
aus der Salzsäure entstehen. So erklärt sich die schon lange 
bekannte Wechselbeziehung zwischen Salzsäure und Kochsalz. 
Ein Uebermaass des letzteren beeinträchtigt allerdings nicht nur 
nicht die gährungswidrige Eigenschaft der Salzsäure, sondern 
verstärkt sie sogar, wofür es bisher uns noch an Verständniss 
mangelt. Essigsäure, Ameisensäure u. a. erzeugen wenige freio 
H-Ione, haben daher nur geringe desinfizirende Kraft. Im 
menschlichen Magen handelt es sich um verdünnte Lösungen, 
auf welche die obigen Gesetze auch vollkommen zutreffen. Auch 
hier verhindert das Kochsalz die Zahl der freien H-Ione in der 
Salzsäure. 

6. Herr B u r wi n k e 1 - Nauheim: Zur therapeutischen 
Verwendung des Aderlasses. 

Vortr. hält die praktisch erprobte günstige Wirkung der 
Venaesektion bei chronischen Herzleiden und Zirkulations¬ 
störungen für physiologisch begründet. 

7. Herr Kuet - Wien: Ueber eine natürliche Schutemittel¬ 
therapie bei zwei Infektionskrankheiten. 

Die Anregung der Speichelsekretion durch Kauen, Schlucken 
und Saugen stelle eine praktische Ausnutzung der Chemotaxis 
dar, die sich dem Vortr. bei Diphtherie und Scarlatina be¬ 
währt hat. 

8. Herr L e n n h o f f - Berlin: Die öffentlichen Vorträge 
der Zentralkommission der Krankenkassen in Berlin. 

Die hygienische Erziehung des Volkes ist eine der vor¬ 
nehmsten Aufgaben der Aerzte. Hygienische Maassregeln sind 
nur wirksam, wenn das Volk von ihrer Nothwendigkeit überzeugt 


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1768 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


ist. Zur Vermittelung der Erziehung sind die Krankenkassen, 
als intercssirt, von grosser Bedeutung. Die Zentralkommission 
der Krankenkassen in Berlin hat dort in den letzten 2 Jahren 
hygienische Kurse für Arbeiter eingerichtet. Alle Aerzte waren 
zur Theilnahme aufgefordert. Anfang 1900 wurden 7 Kurse 
zu je 8, Anfang 1901 10 zu je 8 Vorträgen abgehaltcn. Der letzte 
Cyklus, 80 Vorträge mit 14 verschiedenen Thematen, war von 
über 10,000 Personen besucht. Auch Beamte der Gewerbeaufsicht 
botheiligten sich als Vortragende. 

9. Herr Alexander K a t z - Hamburg: Der gegenwärtige 
Stand der Krebsfrage. 

Vortragender bespricht im Anfang seiner Rede die grosse 
Wichtigkeit der Frage nach der Ursache des Krebses. Nachdem 
er auf die bisher in Anwendung gekommenen Forschungswege 
zur Lösung der Krebsfrage hingewiesen hat, wendet er sich zur 
Erörterung der muthmasslichen Ursachen der Krebskrankheit. 
Dieselben lassen sich in entogene und ektogene cintheilen. Unter 
entogenen Ursachen der Krebskrankheit werden alle die ver¬ 
standen, welche in spontanen Veränderungen und Anomalien 
des Körpers selbst beruhen, unter ektogonen solche Ursachen, 
welche durch Einwirkung von aussen zur Krebsbildung Ver¬ 
anlassung geben. Die meisten Theorien sind entogener Natur. 
Es werden in kritischer Weise die bekanntesten Theorien von 
Cohnheim, Thiersch, Ribbbert u. A. besprochen 
und ihre Unabhängigkeit dargelegt. Der vorgerückten Zeit 
wegen wird auf die Erörterung über die Erblichkeit des Krebses 
verzichtet. Die ektogenen Ursachen bestehen, wie die klinische 
Erfahrung gelehrt hat, in Reizen aller Art. Es werden unter¬ 
schieden einmalige und lang dauernde Reize. Erstere kommen 
verhältnissmässig weniger für die Aetiologio des Carcinoms in 
Betracht, viel verhängnissvoller sind die Reize chronischer Art, 
wie die Krebsfälle bei Theer- und Paraffinarbeitern, bei Schnaps- 
trinkem und im Gefolge von Gallensteinen beweisen. In ein¬ 
gehender Weise wird die Frage nach der parasitären Ursache 
des Krebses besprochen. Es lässt sich konstatiren, dass trotz 
mancher in’s Feld geführten Wahrscheinlichkeitsgründe ein 
Gegenbeweis der parasitären Ursache des Krebses nicht erbracht 
ist. Viele Gründe aber sprechen dafür, vor Allem die als sicher 
überall nachgewiesene, gleichmässig stetige Zunahme der Krebs¬ 
erkrankungen, das Vorkommen von Krebsendemien, Krebs¬ 
häusern, von Infektion des Krebses bei Personen, welche in Ge¬ 
meinschaft leben. Dafür spricht weiter die Analogie des mensch¬ 
lichen Krebses mit krebsartigen, parasitären Erkrankungen der 
Pflanzen, mit Infektionsgeschwülsten bei niederen Thieren. Nach 
eingehender kritischer Würdigung der Literatur über Krebs¬ 
parasiten, auch der jüngsten Entdeckungen, macht Redner auf 
die Bestrebungen des Comites für Krebsforschung aufmerksam, 
welches es sich zur Aufgabe gestellt hat, die Arbeiten auf diesem 
Gebiete zu konzentriren und in gemeinsame und einheitliche 
Bahnen zu lenken. 

Abtheilung für Chirurgie. 

Referent: Wohlgemuth -Berlin. 

6. Sitzung. 

Vorsitzender: Herr Kümmell - Hamburg. 

Vor der Tagesordnung demonstrirt: 1. Herr L e w i n - Berlin: 
Imstrumente zur endovesicalen Behandlung. 

2. Herr F u h r - Niederzwehren: Automatische Wundhaken 
und Klemmen als Ersatz von Assistenz bei Operationen, die 
durch Gewichtszug gehalten werden. 

Die Tagesordnung wird eingeleitet durch 

1. Herrn S t r a u s s - Frankfurt a. M. : Zur funktionellen 
Nierendiagnostik. 

Nach Casper und Richter scheiden normale Nieren 
meistens in gleichen Zeiten gleiche Mengen N und CI, sowie 
gleiche Mengen Zuckers nach Phloridzininjektion aus und die 
molekulare Dichte des aus jeder dieser Nieren gleichzeitig ab¬ 
gesonderten Urins ist gleich. Chirurgisch erkrankte Nieren 
weichen von diesem normalen Typus in der Weise ab, dass die 
kranke Niere schlechter arbeitet, als die gesunde, was sich in 
einer verminderten Ausscheidung von N, CI und Zucker (S) nach 
Phloridzininjektion und in einer geringeren molekularen Dichte 
(M. D.) des gleichzeitig abgesonderten Urins manifestirt. 
C a 8 p e r und Richter stellten ihre Untersuchungen in der 
Weise an, dass sie jeweils in einem Fall einmal dasjenige Nieren¬ 
sekret analysirten, das sie während einer bestimmten Zeit er¬ 


hielten. S t r a u 8 s hatte sich nun die Aufgabe geetellt, zu unter¬ 
suchen, wie unter normalen Verhältnissen sowohl, als auch unter 
pathologischen, erstens die Funktion jeder Niere sich verhält 
bei wechselseitiger Vergleichung mit einander im gleichen Zeit¬ 
abschnitt, aber in verschiedenen, auseinander liegenden Zeit¬ 
folgen, und wie zweitens ein und dieselbe Niere einer jeden 
Seite a)für sich allein sowohl, als auch b) im Vergleich zuranderen 
Niere betrachtet, arbeitet 1. in verschiedenen, aber sich unmittel¬ 
bar folgenden Zeiten, 2. in einem gegebenen Zeitpunkt, ver¬ 
glichen mit der Funktion während eines voraufgegangenen oder 
folgenden Zeitabschnittes. 

Es ergab sich aus 39 Einzeluntersuchungen bei normalen 
und chirurgisch erkrankten Nieren die physiologisch wie patho¬ 
logisch interessante Thatsache, dass die Werthe für M. D. für 
Ur-Phosphorsäure, für CI der zeitlich, mittelbar oder unmittelbar 
nacheinander abgesonderten Sekrete in gleichen Zeiteinheiten 
für beide Nieren normaliter gleich sind, dass sie aber wechselnde 
sind für ein und dieselbe Niere in eben dieser Zeit und zwar 
gleichsinnig wechselnde für jede Niere physiologisch sowohl wie 
pathologisch. Es lässt sich demnach zur Lehre von der Physio¬ 
logie der Funktion der Niere der Satz auf stellen, dass die 
Funktion physiologisch arbeitender Nieren in gleichen Zeiten 
die gleiche ist, verglichen linke mit rechter Niere, dass aber diese 
Funktion eine wechselnde ist, und zwar eine in jedem Augen¬ 
blicke wechselnde, in einer und derselben Niere. Zur Lehre von 
der Puthologie der Nierenfunktion (Nephritis, Nephralgie, Pyo- 
nephrose, Tumor): Es weist die Funktion, verglichen links und 
rechts, gleichzeitig stets analoge Differenzen auf und ist in ein 
und derselben Niere in jedem Augenblicke eine wechselnde, nie¬ 
mals eine konstante. M. D., CI, Ur-Phosphorsäuregehalt im 
Sekret der gleichen Niere wechseln also von Augenblick zu 
Augenblick, physiologisch wie pathologisch, sind aber physio¬ 
logisch jederzeit gleichwerthig dem korrespondirenden Sekret der 
korrespondirenden Niere. Diesen Wechsel der Concentration 
fand Strauss im direkten Verhältniss stehend zum Ver- 
dauungs- resp. Resorptionsprocess. M. D., CI, Ur-Ph. sinken 
mit Abklingen der Resorption, der Höhe der Resorption ent¬ 
sprechen die höchsten, dem Ende die niedrigsten Werthe. Bei 
Blut-M.D.-Bestimmung darf die Abegg-Nernst’sche Vorschrift 
und Correction nicht vernachlässigt werden. Auf Cl-Bestim- 
mung, die exakte Werthe liefert, sollte nicht verzichtet werden. 
Alle Untersuchungen, in denen eine bestimmte Grenze der M. D. 
im Gesammturin aufgestellt wurde, und wo man glaubte, aus 
einem diesseits oder jenseits dieser Grenze liegenden M. D. dia¬ 
gnostische Schlüsse auf pathologische Zustände schliessen zu 
können, sind werthlos ohne Angabe der aufgenommenen und 
ausgeschiedenen Flüssigkeitsmenge und ohne den dazu gehörigen 
S toff wechselvers uch. 

Dabei wurde Folgendes fest gestellt: In einem Fall von 
paroxysmaler Nephralgie wurden Cylinder im Urin der schmer¬ 
zenden Niere gefunden und es bestand darnach eine erhebliche 
funktionelle Beeinträchtigung der schmerzenden Niere. Dies 
konnte nur durch Reihenuntersuchung, wie sie Strauss an¬ 
wandte, konstatirt werden, und der Fall zeigt zum ersten Mal 
ohne autoptische Einsichtnahme in den Zustand der lebenden 
oder todten Niere einzig durch Analyse des gesondert auf¬ 
gefangenen Harnes, dass einer einseitigen Nephralgie eine ein¬ 
seitige Nephritis zu Grunde liegt. — Funktionelle Prüfung bei 
Pyonephrosis dextr. ergab % ccm Eiter der rechten auf 65 ccm 
normalen Urin der linken Niere. Noch vorhandener Zuckergehalt 
im Eiter (0,4 Proc.) bewies noch erhaltenes secemirendes Nieren¬ 
parenchym, was Strauss durch Nephrektomie bestätigt fand. 
M. D. des Blutes war 0,59 .... Ueber kindskopfgrosser Tumor 
der rechten Niere: Es ist nur noch wenig secemirendes Parenchym 
erhalten, die erkrankte Seite scheidet 20 mal weniger Zucker 
aus, als die gesunde .... In einem Fall, wo vor 7Va Jahren 
Nierentuberkulose links durch gelegentlich einer Nephropexie 
konstatirte Riesenzellen festgestellt war, fand sich völlig normale 
Funktion. Blut M. D. normal. Von vorgeschlagener Nephrek¬ 
tomie wurde daher Abstand genommen. Es existirt bislang keine 
Beobachtung, wo bei tub. Niere die Zahlen beiderseits gleich 
waren. Es wäre möglich, dass dies dennoch der Fall wäre, aber 
auch andere Möglichkeit ist zu erwägen; die Patientin ist gesund, 
ihre Nierentuberkulose ist geheilt. Doch möchte sich Strauss die 
Reserve auferlegen, die ihm nöthig erscheint, solange bis weitere 
Beobachtungen nach dieser Richtung hin vorliegen. Denn nach 


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29. Oktober 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. - 


1769 


dem Vorgang der Heilung von tub. Meningitis, Lungentuber¬ 
kulose und Tuberkel des Gehirns scheint auch die Heilung einer 
lokalisirten Nierentuberkulose sehr wohl möglich. 

Di sc us sion: Herr K ü m m e 11 - Hamburg: Seine Unter¬ 
suchungen der Gefrlerpunktsbestirainung in allen weiteren zahl¬ 
reichen Versuchen haben Uber die Frage der funktionellen Nieren¬ 
diagnostik niemals im Stich gelassen. Natürlich muss man zur 
absoluten Sicherheit den Urin jeder Niere gesondert auf fangen 
und seinen Gefrierpunkt bestimmen. Nur in dem Falle eines ein¬ 
fachen primären Nierensteines würde der Katheterismus der Niere 
nicht viel Aufschluss geben. Die Beobachtung von S t r a u s s 
über Nephralgie als Einleitung einer einfachen Nephritis hat K. 
mehrmals gemacht. Er hat dabei gefunden, dass die Nephritis 
einseitig anfängt, und das könnte wohl Fingerzeige für die opera¬ 
tive Behandlung der Nephritis durch Kapselspaltung und Ent¬ 
lastung der Niere geben. 

2. Herr Schultze - Duisburg berichtet Uber einen Fall von 
typischer Appendlcitis in einem Bruchsack und zeigt einen ortho¬ 
pädischen Redressionstisch. 

Discussion: Herr Ringel- Hamburg hat in letzter Zeit 
2 Fülle von Perityphlitis im Bruchsack operirt. In einem Fall war 
in einer lncarcerirten Hernie Coecura, Appendix und ein Thell des 
Dünndarms enthalten. Der Processus war gangraenös. Es war 
also keine eigentliche Appendicitis. Der zweite Fall war aber mit 
einer rechten Perityphlitis mit grosser Eitermenge. Hier bestand, 
trotzdem der Eiter die ganze Bauchhöhle inüzirt hatte, kein Fieber 
und keine Peritonitis. 

Herr Schultze: In seinem Fall war der Wurmfortsatz 
ganz normal. (Also keine Perityphlitis. Ref.) 

3. Herr G r a f f - Bonn: Geber die Spontanluxation des 
Hüftgelenks im Verlauf von akuten Infektionskrankheiten. 

Redner beleuchtet die Annahme der verschiedenen Autoren, 
die die Luxation durch Hydrops (P e t i t), durch Abschleifung 
der Knorpelflächen (Roser) oder als sogenannte paralytische 
Luxation (V erneuil) entstanden wissen wollen, und berichtet 
dann über einen Fall, wo die Luxation nach Typhus bei einem 
jungen Mädchen auftrat und zwar auf beiden Seiten, auf der 
einen als Luxatio iliaca, auf der anderen als Luxatio ischiadica 
und zeigt die Photographien. Versuche, die Lordose und Luxa¬ 
tion durch Extension zu redressiren, scheiterten an der gewal¬ 
tigen Muskelverkürzung und Schede entschloss sich zur 
blutigen Reposition. Die Operation zeigte, dass keine Pfannen 
mehr vorhanden waren, sie waren durch starkes Bindegewebe 
ausgefüllt und mussten erst künstlich wieder geschaffen werden. 
Auch die Schenkelköpfe waren stark verändert. Auf einer Seite 
bildete sich nach 6 Wochen ein Abscess und man fand in dem 
Eiter (IV 2 Jahre nach der Krankheit) lebensfähige Typhus¬ 
bacillen. 

In einem zweiten Fall von puerperaler Sepsis traten nach den 
ersten Gehversuchen Schmerzen im Hüftgelenk auf. Es wurde 
eine Coxitis angenommen und Gipsverband gemacht. Nach 
Abnahme des Verbandes stellte sich die Luxation heraus. Bei 
einem dritten Fall handelte es sich um eine Osteomyelitis der 
anderen Hälfte. In beiden Fällen waren Pfanne und Kopf wie 
bei Congenitalluxation stark deformirt. Besonders war ein 
Schwund de« oberen Pfannendaches auffallend. G. glaubt, dass 
durch ein entzündliches Exsudat ein Druckschwund des oberen 
Pfannenrandes cintritt und so eine Luxation zu Stande kommt. 
Es wäre noch die Möglichkeit einer congenitalen Anlage vor¬ 
handen, doch glaubt er nicht recht an diese Prädisposition. Quoad 
thorapiam wird man in frischen Fällen mit Streckverband nach 
unblutiger Reposition, in alten wohl nur mit blutiger Reposition, 
Bildung einer neuen Pfanne, eventuell Resektion, auskoinmen. 

Vorsitzender: Herr v. M i k u 1 i c z - Breslau. 

4. Herr Eiimmell - Hamburg stellt einen Fall von 
Hlrschsprun g’scher BLrankheit vor, eine im Kindesalter 
auftretende chronische Obstipation, die durch zu langes S roma- 
num auftreten soll, i^s handelte sich um einen kleinen Knaben, 
dessen Obstipation fast bis zum Ileus sich steigerte. Die Ope¬ 
ration zeigte ein enonn ausgedehntes Ivolou dcscendens mit 
Wucherungen bedeckt, aber ohne irgend ein mechanisches Hinder- 
niss. Die Bauchhöhle wurde ohne weiteren Eingriff geschlossen 
und es Ist langsam Heilung eingetreten. 

In einem zweiten Fall war auch ein Error diagnostious Ur¬ 
sache zum operativen Eingriff gewesen. Bel einem 10 jährigen 
Mädchen war ein Riesentumor zu fühlen, Ueuserschelnungen. Die 
Laparotomie zeigte ein sackförmiges, mit Kothmassen gefülltes 
Colon descendens. Die Operation war ohne Erfolg. Die Faeces 
klebten fest an der Schleimhaut des Darmes. 

Discussion: Herr R e h n - Frankfurt a. M. hat auch ln 
2 Fällen bei der Operation nichts gefunden, als die kolossal aus¬ 
gedehnten Darmschlingen, und hat schliesslich durch hohes Ein¬ 
legen eines Darmrohres Heilung erzielt. 

5. Herr Brösicke - Berlin demonstrlrt eine Collection von 
Bänder- und Schleimbeutelmodellen, mit denen er zeigt, dass es 


eine ganze Anzahl von Schlelmbeutelu mehr gibt, als man gewöhn¬ 
lich anzunehmen pflegt. 

0. Herr Kuhn- Kassel 1. Tetanus nach Gelatineinjektion. 

Bel einem Knaben, der als Bluter galt, wurden adenoide 
Wucherungen ln» Rachen entfernt. Als am Abend die Blutung 
nicht stand, wurde in der Apotheke sterilisirte Gelatineinjektion 
gemacht. Bald wurde die Einstichstelle gangraenös. am anderen 
Morgen trat Trismus, am Nachmittag allgemeiner Tetanus auf. 
dem der Exitus folgte. Die Kaninchenversuche ergaben zweifel¬ 
los, dass die Iujektionsstelle die Eintrittspforte des Tetanus war. 

2. Zur Frage der Transplantation zeigt K. einen Tüllstoff, den 
er schon Im Centralblatt beschrieben hat, der die Läppchen in 
Ihrer Lage hält. 

Disctission: Herr V o g e 1 - Eisleben empfiehlt die An¬ 
wendung von Schleiertüll zum Festhalten der Läppchen, der es 
ermöglicht, früher und unter weniger ungünstigen Umständen zu 
operiren. 

7. Herr H e i 1 e - Breslau: Experimentelles zur Frage der 
Operationshandschuhe, nebst Beiträgen zur Bedeutung der Luft¬ 
infektion. 

Seine Versuche an Kaninchen resultirten zu Gunsten der 
Operationshandschuhe. Demonstration verbesserter Handschuhe. 
Seine ferneren Untersuchungen über den Keimgehalt der Luft 
ergaben, dass fast alle Keime erst durch die in den Operationssaal 
hineinkommenden Zuschauer aufgewirbelt resp. hineingebracht 
werden. Bel eitrigen Operationen soll man prophylaktisch Gummi¬ 
handschuhe anzlehen. An seinen Händen konnte er noch nach 
3 Tagen nach vielfacher Desinfektion Bacillus prodigiosus naeh- 
weisen. 

8. Herr Jerusalem - Wien: Zur Aetiologie und Therapie 
des Erysipels. 

Bei dem Studium von 1000 Erysipelfällen. 500—0000. die .1. 
ln diesem Jahre im Wiener Franz-Joseph-Spital beobachtet hat. 
ist ihm aufgefallen, dass in 28 Fällen bei Frauen, die häufig Re- 
cidive bekamen, diese stets zugleich mit der Menstruation auf¬ 
traten. Darauf hat er nun vielfach Untersuchungen gemacht, wo 
auch bei Amenorrhoe Gesichtserysipel auftrat, und fand In allen 
Fällen bei Besichtigung der Nasenhöhle den Fliess’sclien Geuital- 
punkt an der unteren Muschel und schloss daraus, dass auch hier 
das Erysipel im Zusammenhang mit der Zelt der Menstruation 
stand. Aber auch bei Männern fand er den Flies s'schen Typus, 
wo er das recidivirende Erysipel nach 23 Tagen hier F 1 i e s s 
sehen hypothetischen Periode der Männer) auftreten sah. Die 
Behandlung bestand ln Thermophor-Kompressen, die besonders 
die Schmerzen schnell stillten und, wie er glaubt, beim Extremi- 
täten-Erysipel Phlegmonenbildung verhüteten. 

9. Herr Bade- Hannover: Ueber das modellirende Redresse¬ 
ment schwerer Skoliosen. 

B. gipst ln den Verband eine Pelotte mit ein zum besseren 
Redressement des Buckels. Zur Nachbehandlung empfiehlt er das 
Schede'sche Aluminlumkorset. 

Abtheilung für Geburtshille und Gynäkologie. 

Referent: Edmund Falk-Berlin. 
Gemeinsame Sitzung mit der Abt Heilung für 

Anthropologie und Ethnologie. 

Herr Schatz- Rostock : Geber die Gtemsformen bei den 
Affen. 

Die Kopflage ist nur l>ei denjenigen eingebärenden Thic.rcn 
welche eine dauernd horizontale Körperhaltung haben, durcli die 
Schwere bedingt. 

Die Natur musste, sobald sie den Menschen aufrecht stellte, 
ihren Zweck, das Kind mit dein Kopfe nach dem Muttermund 
hin zu stellen, zu erreichen suchen durch eine bestimmte. Form 
des Uterus, die Dreieckform oder noch besser die Trichterform, 
welche bestimmten Bewegungen des Kindes gestattet, überhaupt 
die Lage des Kindes zu verändern und insbesondere auch die 
Kopflage zu erzeugen und theilweise auch zu erhalten. Diese 
Form des Uterus ist erreicht worden durch die Vereinigung der 
bei den niederen Thierarten noch doppelt vorhandenen Uterus- 
schlüuche in der Weise, dass trotz der Vereinigung die Tuben- 
ecken des Uterus ziemlich weit von einander stellen bleiben, 
während am inneren Muttermund eine vollständige Vereinigung 
statthat. Die dadurch gebildete Trichterform des Uterus ist zwar 
nicht starr, wie es zu solchem Zwecke nöthig erscheinen könnte, 
sondern gibt gegenüber der Strackbewegung des Kindes reich¬ 
lich nach, und die schwangeren Frauen empfinden die durch die 
Streckbewegungen des Kindes erzeugten partiellen Ausbuch¬ 
tungen des Uterus oft recht .schmerzlich; aber diese Ausbuch¬ 
tungen stellen, wenn die dehnende Kraft des sich rockenden 
Kindes als immer gleich stark und allseitig wirkend, oder als rings 
immer fortschreitend gedacht wird, auch wieder eine Trichter¬ 
form dar, die zwar grösser ist als die wirkliche, die al>cr im 
Uebrigen dieselben Eigenschaften hat, wie der nicht gedelinte 
Uterus. Schatz nennt sie dynamische Uterusform, ln dieser 
l Weise kann eine einzige, genügend laug duuernde Streckbcwe- 


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1770 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


gung des Kindes dasselbe aus Schräglage mit tiefer liegendem 
Steiss in eine Schräglage mit tiefer liegendem Kopfe stellen. Die 
sehliessliehe Schräglage mit dem Kopfe tiefer wird sehr leicht 
fcur reinen Kopflage dadurch, dass bei vorhandener starker Wöl¬ 
bung des Uterusgrundes die Hacken des Kindes während der 
Reckung weiter in den Grund selber fortrutschen und damit auch 
den Kopf mehr in die Achse des Uterus stossen. Noch häufiger 
vielleicht wird diese sehliessliehe Geradstellung des Kindes zu 
Kopflage durch die Wehe erzeugt. 

Schatz bittet die versammelten Zoologen, bei allen im 
schwangeren Zustand getödteten oder gestorbenen Affenweibchen 
aller, und besonders auch der niederen Arten, nicht einfach die 
Sektion zu machen und sie einfach zu beschreiben, sondern den 
Uterus mit Inhalt möglichst in situ zu härten und nach exakten 
Durchschnitten genaue Abbildungen zu geben, wie dies 
Selen ka gethan hat. Es wird si<di dann zeigen, ob die Natur 
etwa ausser dem geschilderten Mechanismus noch weitere Mittel 
benutzt hat, um ihren Zweck, die Kopflage des Jungen, zu er¬ 
reichen. 

Herr Sellheim - Freiburg i. B. : Bildungsfehler beim 
weiblichen Geschlecht. 

Sellheim gibt zuerst einen kurzen Hinweis auf mehr¬ 
fache Arbeiten aus der Hegarschen und Freund’schon 
Klinik, welche das nicht seltene Vorkommen einer mangelhaften 
Ausbildung des weiblichen Organismus betonen und führt seine 
diesbezüglichen letzten Arbeiten an. (Unvollkommener Descensus 
ovariorum und rudimentäre Ausbildung des Dammes.) 

Um im Allgemeinen dieHäufigkcit von Bil- 
dungsf ehlcrn beim weiblichen Geschlecht zu 
beweisen und um zu zeigen, in welcher Weise 
sich die verschiedenen Stigmata einer man- 
g e 1 h a f r e n Entwicklung miteinander kombi- 
«iren. wurde das gesammte Kranken material 
der Freiburger Frauenklinik aus den letzten 
5 '/■> Jahren bearbeitet. 

Unter 2200 genau untersuchten Personen wurden nicht 
weniger als 109 Fälle herausgefunden, in denen immer 
mehrere eklatante Zeichen einer mangel¬ 
haften Körperausbild urig vereinigt waren, also circa 
5 P r o c. Es wurden fast nur nullipare Personen, meist zwischen 
20 und 30 Jahren, die ausser den Entwicklungsfehlern keine oder 
nur ganz geringfügige gynäkologische Leiden hatten, ausgewählt. 

Die Explorationen wurden in Narkose per vaginam 
und per rectum, in jeder Beckenhälfte mit der gleichseitigen 
Hand, fast immer von dem Chef der Klinik, Herrn Geh.-Rath 
II e g a r selbst vorgenommen und gewöhnlich durch einen ge¬ 
übten Assistenzarzt kontrolirt. 

Die Periode war bei diesen, mit gehäuften Entwicklungs- 
Störungen behafteten Personen fast immer verspätet, manchmal 
noch gar nicht eingetreten. 

Aus der Anamnese ergaben sich vielfach 
Momente, d i o man mit der mangelhaften Kör¬ 
perausbildung in aetiologischen Zusammen¬ 
hang bringen kann (Tuberkulose, Skrophulose, lang- 
dauernde und wiederholte Infektionskrankheiten, Bleichsucht). 

Bei den Untersuchungen stellten sich häufig Unter- 
m i 11 e 1 g r ö s s e, graci 1er Knochenbau und man- 
ehcrlei Verbildungen am Skelet heraus. Der 
Gaumen war oft sehr eng und hoch, die Zähne waren oft 
klein, wie Milchzähne (Demonstration von Abdrücken 
solcher Gebisse), frühzeitig abgenutzt und unregelmässig ge¬ 
stellt ; Brustdrüsen und Brustwarzen fanden sich 
fast immer sehr schlecht entwickelt. Neben 
häufigen Hohlwarzen sah man einige Male überzählige 
Mammillae. 

Dürftige Ausbildung der äusseren Geni¬ 
talien, besonders rudimentäre Bildung des 
D a m m e s (Erläuterung durch Demonstration von natur¬ 
getreuen Abgüssen normaler und rudimentär gebildeter Dämme 
von Patientinnen), trichterförmige Gestaltung und 
bedeutende Tiefe der Vulva (Demonstration von Ab¬ 
guss). an den Foetalzustand erinnernde, starke Falten¬ 
bildung in der Vagina (Demonstration von Abgüssen, 
die im S i m s’schen Speculum gewonnen wurden), abnorme 
BehaarungdesKörpers, Zeichen mangelhafter 


Ausbildung des Circulatiousap parates kommen 
mehrfach vor. Fast regelmässig fand sieh ein f oetaler oder 
infantiler Uterus, einige Male waren Doppelmiss¬ 
bildungen der Gebärmutter vorhanden. 

Die häufigen Rückwärts lag erun gen des Uterus 
werden durch den damit fast immer kombinirten mangelhaften 
Descensus ovariorum (Ovarien im grossen Becken 
manchmal bis zum 5. Lendenwirbel) erklärt. Ausser dem mangel¬ 
haften Descensus werden noch andere Zeichen eines infantilen 
Charakters der Ovarien beschrieben. 

Das knöcherne Becken hatte in der Hälfte 
der Fülle deutlich ausgesprochenen infan¬ 
tilen Charakter, manchmal mit starker, räumlicher Be¬ 
sch ränkung. 

Einige Male waren ausser diesen somatischen Entwicklungs¬ 
störungen psychische Störungen vorhanden, die 
sieh auf angeborenen Schwachsinn und man¬ 
gelhafte Ausbildung des Gehirns zurück¬ 
führen Hessen. 

Bestätigung dieser langjährigen kli¬ 
nische n E r f a h r u n g e n durch die Demonstra¬ 
tion von Präparaten und Schnitten von 
Organen solcher mit zahlreichen Entwick¬ 
ln n g s s t ö r u n g e n behafteten Mädchen, im Alter 
von 21 —23 J ahren, die an Tuberkulose gestorben 
wäre n. 

Die Präparate zeigen ausser all’ den klinisch festgestellten 
Bildungsfehlern noch abnorm tiefen Douglas, stark g e - 
schlängi'l te Tuben u. s. w. Tn einem Fall war das Becken¬ 
bauchfell mit zahlreichen kleinen Tuberkelknötchen besät, die das 
beste* palpatorische Erkennungsmittel der BauchfelltuberkuU>se 
darstellen. Genaue mikroskopische Untersuchung der Ovarien. 

Am Schlüsse des klinischen und anatomischen Beweis¬ 
materials wird die vielseitige, stets wachsende 
praktische Bedeutung dieser Bi1d u n g s f e h1e r 
und ihre richtige Erken ntn iss betont und 
ihre Wichtigkeit' für den Geburtshelfer, 
G y n ü k o logen, Chirurgen, inneren Mediciner 
und Psychiater im Einzelnen angedeutet. Daran 
schliesst sich die Mahnung, sich nicht mit allen möglichen ver¬ 
geblichen Kuren abzumiihen, solchen unentwickelten Geschöpfen 
zu helfen, sondern sie vor einer unnützen Behand¬ 
lung zu b e wahr e n, da es ja doch auf der Hand liegt, dass 
wir einen einmal schlecht ausgebildeten Organismus nicht mehr 
vervollkommnen können. 

Als besonders bedeutsam wird der Zusammenhang 
mit Tuberkulose, Chlorose, bösartigen Ge¬ 
schwülsten etc. hervorgehoben und noch auf 
die geringere Leistungsfähigkeit solcher un¬ 
fertiger Menschen und auf ihre mindere Taug¬ 
lichkeit für die Fortpflanzung hingewiesen. 

Für den Anthropologen ißt eine derartige Sichtung 
und Feststellung der Entwicklungsfehler nicht ohne Bedeutung, 
weil einzelne Bildungen gelegentlich als Rasseneigenthümlich- 
keiten beschrieben wurden, die man sich jedenfalls, so lange es 
sich um einzelne Beobachtungen handelt, besser als Bildungs¬ 
fehler erklären wird. (Sehr flache Brustwarzen, auffalleud kurzer 
Damm.) 

Abtheilung für Kinderheilkunde. 

3. S i t z u n g s t a g, Mittwoch den 25. September. 

(Schluss.) 

4. Herr Moro-Graz: Biologisohe Beziehungen zwischen 
Milch und Serum. 

Die Untersuchungen zerfallen in 2 Abschnitte. Der 1. Theil 
beschäftigt sich mit der Frage nach den Al ex in stoffen 
in der Milch und im kindlichen Blutserum. 

Die Redensart von bakterienvernichtenden Substanzen in 
der rohen Milch, insbesondere in der Menschemnilch, ist, trotz¬ 
dem einschlägige Untersuchungen fehlen, eine sehr allgemeine 
geworden. Da die Feststellung dieser angenommenen Thatsache 
für die künstliche E mäh rungsfrage von grosser Bedeutung ist, 
wurden zuerst Kuhmilch und Menschenmilch einer Prüfung in 
diesem Sinne unterzogen. Das Ergebuise war ein vollständig 


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29. Oktober 1901. 


MUENCJHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1771 


negatives: We der die K uh in i 1 eh n o cli die M e n s eh e n- 
mileli besitzt nachweisbare bakterieide Sub¬ 
stanze n. Von der Ueberlegung geleitet, dass, falls die Frauen¬ 
milch Alexine enthält, das Brustkinderserum vermöge der un¬ 
ausgesetzt mit der Nahrung zugeführten Stoffe eine Steigerung 
der ursprünglichen baktericiden Kraft erfahren muss, was bei 
den Flaschenkindern in Wegfall käme, da diese eine Milch er¬ 
halten, deren event. Alexine vorher durch die Hitze zerstört 
worden sind, wurde folgende Frage gestellt: Wirkt das Serum 
der Brustkinder unter gleichen Verhältnissen stärker baktericid 
als das Serum künstlich ernährter Säuglinge oder nicht? — 
Die in reicher Zahl und nach verschiedenen Methoden aus¬ 
geführten Versuche ergaben nun sämmtlich: Das Blut¬ 
serum der Brustkinder besitzt eine bedeutend 
grössere bakterieide Kraft als das Serum 
künstlich ernährter Säuglinge. Auch wurde an 
ein und demselben Fall gezeigt: Dass die bakterieide 
Kraft des Blutserums grösser ist, so lange 
der Säugling an der Brust trinkt, als nach 
Einleitung der künstlichen Ernährung. 

Diesen Experimenten schlossen sich haemolytische Versuche 
an, welche übereinstimmend ergaben: Das Serum der 
Brustkinder wirkt stärker haemoly tisch als 
das Serum künstlich ernährter Säuglinge. 

Die gesteigerte Kraft der Serumalexine bei den Brust¬ 
kindern ist, wie einschlägige Versuche zeigten, keineswegs etwa 
nur ein Ausdruck des meist besseren Gedeihens dieser Säug¬ 
linge, sondern die Quelle dafür muss zweifelsohne die Menschen¬ 
milch selbst sein. Der Umstand, dass die Alexine als solche in 
der Milch nicht nachweisbar sind, beweist gar nicht, dass diese 
Stoffe in der Milch nicht vorhanden sind. Sie können in der 
Milch in einem cigenthümlichen Bindungsverhältniss mit dem 
Caseinmolekül stehen und es ist anzunehmen, dass diese Sub¬ 
stanzen, sowie andere Imponderabilien der Milch erst auf dem 
Wege der Verdauung frei gemacht, leicht resorbirt werden und 
in die Blutbahn gelangen. Die Dazwischenhaltung des Organis¬ 
mus würde somit diese „alexogenen“ Substanzen aus der 
unwirksamen in die wirksame Modifikation überführen. Es ist 
sehr wahrscheinlich, dass die alexogenen Substanzen der 
Menschenmilch Abkömmlinge des mütterlichen Blutserums sind 
und wir können uns verstellen, dass die Bindung der normalen 
Blutalexine an das Blutcasein eine Funktion der Brustdrüsen¬ 
zelle selbst ist. 

Die vorliegenden Untersuchungen zeigen uns einen bisher 
nicht bekannten und praktisch wichtigen Unterschied zwischen 
der natürlichen und der künstlichen Ernährung und sind ein 
neuerlicher Hinweis auf die grosse Bedeutung der natürlichen Er¬ 
nährung. 

Der 2. Theil der Untersuchungen befasst sich mit dem 
Lactoserum von Bord e t. 1 njizirt man einem Kanin¬ 
chen mehrmals subkutan Milch, so gewinnt das Serum dieses 
Thieres bekanntlich die Eigenschaft, die Milch zu füllen. Ein 
derartig aktivirtes Serum nennen wir ein Lactoserum. Das 
Luctoserum vermag aber nur jene Milchart zu fällen, welche 
zu seiner Darstellung verwendet wurde. Kuhlactoseruin fällt 
nur Kuhmilch, nicht aber Frauen- oder Ziegenmilch u. s. f. Auf 
diesem Wege wurde der unzweideutige Beweis von «ler spezi¬ 
fischen Verschiedenheit des Eiwcisses verschiedener Milcharten 
erbracht (Wassermann und Schütze). Nach einigen 
Details, die Reaktion selbst betreffend, wendet sich V. der Frage 
nach den individuellen Verschiedenheiten des Mileh- 
eiweisses verschiedener Vertreter derselben Speeics, z. B. ver¬ 
schiedener Ammen, zu, in der Hoffnung, der Beantwortung dieser 
interessanten Frage nach dieser biologischen Methode näher 
rücken zu können. Dies gelang in der That insofern, als zahl¬ 
reichen Versuchen zufolge ein und dasselbe Mcnschenlactoserum 
gegenüber der Milch verschiedener Ammen sehr verschieden 
wirkte. Der Unterschied lag in der Fällungsgrenze. Die 
Fällungsgrenze erreichte stets den höchsten Worth, wenn das 
Mcnschenlactoserum mit derMilch jenes Individuums in Reaktion 
gebracht wurde, mit welcher das Lactoserum dargestellt wurde. 
(Der Vortrag wurde durch die Demonstration der Hauptversuche 
und einiger graphischer Darstellungen erläutert.) 

I) 18 c u h h 1 o n. Herr S c h 1 o s s m a n n - Dresden: Wenn 
Herr M o r o ln der rohen Milch bakterieide Eigenschaften ver¬ 
misst, so beruht dies vielleicht auf Versuchsfehlern: jedenfalls hat 
Hesse, der allerdings mit grossen Mengen Milch gearladtet lmt, 


diese Eigenschaft nach weisen können. Ganz stimmt S. dem zu, 
dass die Borde t’sehe Fällung am liesten und vollkommensten 
gelingt, wenn man zum Serum des kindlichen Blutes Milch der 
eigenen Mutter hinzusetzt. Hier zeigt sich deutlich das enge Band, 
das zwischen den Bluteigenschaften von Mutter und Kind besteht. 
S. benützt für seine Demonstrationen Hydrocelentiiissigkeit, ein 
Verfahren, das er allgemein empfehlen möchte. 

Herr M o r o (Schlusswort) entgegnet Herrn S e h 1 o s s m a n n, 
dass «lie Hess e’sclien Versuche bei Beibehaltung der Versuchs¬ 
anordnung schon von B n s e u n n bestritten wonleu sind. Im 
Uebrigen wäre kaum einzuseheu, wenn die Milch baktericid wirkt«*, 
warum es so schwer sei. Menschenmilch steril zu sammeln. 
(C oho und N e u in a n u, bestätigt von Moro selbst.) Ferner 
kam bei M.’s Versuchen nicht nur der Staphyloooccus, sondern auch 
Cholera, Typhus, Coli, Pyocyaneus und Prodigiosus zur An¬ 
wendung. 

5. Herr W. Freund- Breslau: Zur Kenntniss der Oxy¬ 
dationsvorgänge im Säuglingsorganismus. 

Die Vorstellungen Keller’s über «las Zustandekommen 
einer Acidose bei Säuglingen gipfeln, so wie er sie in seiner 
Arbeit „Malzsuppe, eine Nahrung für magendarinkrankt* Säug¬ 
linge“ zusammenfasst, in der Annahme, dass bei schweren Er¬ 
nährungsstörungen von Säuglingen die geschädigte Oxydations¬ 
kraft des Organismus eine wesentliche Rolle spielt. Ich habe 
seither auf verschiedenen Wegen versucht, einen präzisen Aus¬ 
druck für diese Annahme zu finden, zunächst durch Untersuch¬ 
ungen über das Verhältnis der Ausscheidung des oxydirt.cn 
zum uuoxydirten Schwefel im Harn von gesunden und kranken 
Säuglingen (Zeitschr. f. physiolog. Chemie, Januar 1900). Dies«» 
Untersuchungen führten nicht zum Ziele, da der genannte 
Quotient sich als Maassstab der Oxydationen unbrauchbar er¬ 
wies. Von therapeutischen Bemühungen mit Benzol bei chro¬ 
nischem Erbrechen ausgehend, versuchte ich «lie Anwendung 
der N e n e k i’schen Benzolmethode hei Säuglingen, nach der in 
den auf bestimmte Mengen einverleibten Be nzols ausg«*schiedenen 
Phenolinengen ein Maassstab für die Oxydationen im Organis¬ 
mus zu erblicken ist. Durch eine. Reihe von Versuchen an g<>- 
sunden und atrophischen Säuglingen konnte ich naehweisen, 
dass die letzteren aus gleichen Mengen Benzol ganz erheblich 
weniger Phenol zu bilden im Stande sind, als die gesunden. Wir 
stehen somit zum ersten Male vor dem direkten Nachweise 
eines gestörten Oxydationsvorganges bei Säuglingen mit schweren 
Ernährungsstörungen. 

I)a das Benzol zu den sogenannten im Körjier sekundär 
oxydablen Stoffen gehört, so dürfen wir aus dem beobachteten 
Verhalten kranker Säugling«* schliess«*n, «lass bei ihnen auch 
irgendwelche Störung«*» primärer Oxydationen bestell«*». In F«ilgc 
dessen seheint mir ein weiterer Schritt in «ler Deutung der er¬ 
höhten Ainmoniakausscheidung bei Säuglingen gethan. Oh aber 
di«*selbe durch «lit* Vermeidung der Oxydationsvorgfinge «lerart 
h«*einflus.st wird, wie Keller annimmt, dass nämlich saure 
Stoffwechsclproduktc nicht weiter oxydirt werden und Ammoniak 
mit sich reissen, «xler oh <*s richtig, was Pfaundler kürzlich 
wahrscheinlich zu machtm versuchte, dass eine Ainmoniakstauung 
eint ritt, weil die oxydative Synthese zu Harnstoff unterbleibt, 
muss vorläufig noch unentschieden bleiben. 

I) Isen ss Ion. Herr I* f a u ml 1 «* r - Graz: Es ist «>rfr«*u- 
li«*li. «lass «lit* Versuch«* von Fr«*un«l «li«> V<*rw«*iulbark«*lt eln«*r 
n«*u«*n liaiHllichcn Methode zur G«*win»ung eines «pinntltativen 
Maassstabes der oxydativen Ixdstuiig «les kindlich«*» Organismus 
ergeben hals*». Doch Ist «*s ni«*ht richtig, «lass die F r t* u n d’selie 
M(*thod(> «lie erst.«* ist. welch«* «licscni Zweck«* «li«*nt. da 
P f n u » «11 «* r s«»lli8t b«*r«*its im Vorjahre über Versnobe b«*riehten 
könnt«*, das oxydative Ferment «l«*s filierhdienden Ia*lierg«»w«*lM*s 
aus SäuglingHl«»lchi*n zu xol«*hen Bestimmung«*!! zu verwemlen. 
Sehr l>«‘in<*rk<*nswt*rth erscheint, dass die Ergebnisse der beiden, 
so v«*rs«-hied<*nei» Midhoden analoge sind. Beim au«*li Pf. hat die 
oxydative Energie im Organismus kranker uu«1 atrophischer Kinder 
wesentlich gegen die Norm vermindert. Die von Czerny- 
Keller nusgeworfen«* Frag«* <l«*r Süurev«*rgiftung b«*l chrouisch- 
mngendarmkrank«*» Kindern kann die Unt«*rsuehung auf die oxy¬ 
dative Energie des Organismus, wie schon Freund hervorhol», 
an sieh allerdings nicht entscheiden. 

H«*rr Camerer - Stuttgart glaubt, dass von Keller der 
Einfluss «les Hungers auf «lie Animonlakausscheidung nicht lw*rüek- 
si«*htigt worden ist, und die magendarmkranken Kinder befinden 
sich doch alle mehr «xler weniger im Ilungerzustande. Und zwar 
steigt «11«* NH,-Ausscheidung schon wi«*dt*r weuige Stunden nach 
auf genommener Mahlzeit an. Ferner hat (’. g«*z«*igt. dass <*rhüht<* 
relative NH,-Ausscheidu»g eine charakterist Ische Eig«*ns«*haft des 
kindlichen und Jugendlichen Körpers ist. C. ist g«*n«*igt. diese Er¬ 
scheinung auf Retention von Alkali zum Zweck der Knochenbihlung 
zurückzuführen. 

Herr F r e u n d - Bros]an (Schlusswort) erwidert, dass die von 
ihm angewemlete Metlio«le der P f a u u d I e r*sehen darum iib«*r- 


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1772 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


legen sei, weil sie durch die Verhältnisse des lebenden Organismus 
gegeben sei. Ausserdem erscheinen die Ergebnisse Pfaundler's 
nach bisher noch nicht veröffentlichten Untersuchungen von 
Bartenstein an der Breslauer Klinik anfechtbar. 

6. Herr v. Starck: Heber Skorbutes infantum. 

v. St. empfiehlt die Bezeichnung Skorbutes infantum statt 
B a r 1 o w’scher Krankheit, da es aus praktischen Gründen 
wünsclienswerth ist, das Krankheitsbild einer bestimmten Gruppe 
anzugliedern und die B.-K. dem Skorbut jedenfalls am nächsten 
steht. Genauere Kennt niss des Skorbut überhaupt haben uns 
die letzten Jahre nicht gebracht, dagegen hat sich die Auf¬ 
fassung, dass cs sich bei dem infantilen Skorbut um eine Er¬ 
nährungskrankheit handle, und auch die Aufforderung, bei 
künstlich genährten Kindern auf den Eintritt stärkerer Anaemie 
zu achten und eine rechtzeitige Aenderung der Ernährung vor¬ 
zunehmen, als berechtigt und fruchtbringend erwiesen. 

Wenigstens hat eine Umfrage bei den Aerzton in Schleswig- 
Holstein über das Vorkommen des infantilen Skorbut während 
der letzten 3 Jahre eine deutliche Abnahme gegen früher er¬ 
gehen. Von 300 Aerzten, welche die Anfrage beantworteten, 
hatten nur 14 im Ganzen 77 Fülle beobachtet. Die Ernährung 
war in allen Fällen künstlich gewesen (4 mal mit Gärtner- 
scher Fettmileh, 1 mal mit V o 11 m e Fs Muttermilch, 4 mal 
mit Soxhlotmilch, 1 mal mit anderweit sterilisirter Milch, 4 mal 
ausschliesslich mit. Haferschleim, 2 mal mit Haferschleim und 
Milch, 2 mal mit Griessuppe, 2 mal mit Kindermehl resp. Rahm¬ 
gemenge, 7 mal mit gewöhnlich gekochter Kuhmilch). 

Die Gründe für dio Abnahme des infantilen Skorbut sind 
darin zu sehen, dass die Kenntniss der Krankheit und die Mittel 
der Behandlung allgemeiner bekannt geworden sind, sodann in 
dem verminderten Gebrauch sterilisirter Dauermilch und in der 
Verbesserung der Milchbeschaffenheit. 

Oiscnsslon. Dieselbe ist eine lebhafte und betlieüigen 
sich an derselben die Herren Soltnui n n. Oalien-Brach, S i e- 
g e r t. Falkenhel m, L e v y. T li o m a s. S e t t e i\ Tclxeirn 
de Mat tos, Hecker): ohne dass durch die Aussprache die 
Pathogenese resp. die Aetlologie der Erkrankung wesentlich ge¬ 
fördert worden wäre. Hervorzuhobon ist Snltman n’s Stand¬ 
punkt. dass der infantile Skorbut entschieden zu trennen sei von 
»lein Morbus I’.arlowii und dass letzterer Name am besten bei- 
behnlten werde für ein so wohl eharakterislrtes Krankheitsbjld 
bis zu dem Moment, wo man vielleicht durch weitere Biutunter- 
suehungon genau wisse, um was es sieh hierbei bandle. S. weist 
auf das Auftreten von Skorbut nach Infekt ionskrankbeiten hin 
(II ü t teil bre n n e r) und erwähnt die Beobachtung K ii h n e’s 
einer direkten Uebertragung. S. selbst hat 1880 bereits eine kleine 
Skorbutepidemie nach Masern gesehen und beschrieben. 

Herr S leger t- Strassburg zieht die Möglichkeit gewisser lokaler 
Verhältnisse für die Entstehung der Erkrankung hieraus, da es 
auffallend ist. dass in einzelnen Gegenden zahlreich Morbus Bar- 
lowii (Dresden. Kiel), in anderen sehr wenig (Elsass-Lothriugen 
oder Schweiz) beobachtet werde. 

Auch JTerr S o 11 o r - Worms betont die WitteriiiigsverhRlt- 
nisso (gross«» und langdauernde Kälte) als event. aetiologisches 
Moment. Eine Einigung, ob mizweckmässige Nahrung (Somatose, 
Gaben - Brach; zu lang sterillslrte Milch, Tho m a s) oder eine 
gewisse Monotonie dersellien (II e c k e r) die Ursache des Morbus 
Barlowii abgebe, konnte nieht erzielt werden, da die überwiegende 
Meinung (S i e g e r t. Falkenheim u. A.) sich nieht für dieses 
Moment entscheiden mochte. Therapeutisch wurde von Einigen 
die prompte Heilung durch Citronensäure u. a. erwähnt (Tel- 
x e 1 r a d o M a 11 o s. v. Starck) von Anderen mehr oder weniger 
lH»sprltten (S o 11 m a n n). 

Herr v. Starck betont in seinem Schlusswort, dass er die Be¬ 
zeichnung ..infantiler Skorbut“ mehr aus praktischen Gründen 
gewählt habe, um dem praktischen Arzte einen Fingerzeig zu 
geben, wobei er diese Erkrankung zu rubriciren habe. Auch im 
Auslande werde dieser Ausdruck allgemein gebraucht. Den Zu¬ 
sammenhang mit Rachitis halte er gleichfalls für sehr lose im 
Einverständniss mit Allen, die sieh darüber geäussert. Die 
unzweckmässig sterilisirte Milch beschuldigt er nicht mehr so wie 
früher, in der Monotonie liege vielleicht ein disponirendes Moment 
für die Entstehung. 

Tritt indessen für die Diätändorung als therapeutischen 
Faktor ein. 


Verein fUr innere Medicin in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 21. Okto 1) e r 1901. 

Herr v. Leyden gedenkt der verstorbenen Ehrenmitglieder 
des Vereins Minister Bosse und Generalstabsarzt v. C o 1 e r, 
ferner des verstorbenen Nene kl und gibt endlich einen kurzen 
Rückblick auf die Virchow - Feier. 

Demonstrationen: 

Herr Zuelzer: 24,»ihr. Schriftsetzer aus gesunder Familie 
und selbst bis vor 2 Jahren gesund; vielleicht cpiieptifonuc An¬ 


fälle vorangegangen. Damals E k z e m der Beine und seitdem 
gewisse Steifigkeit in denselben, namentlich nach längerem 
Stehen bei der Arbeit. Ebenso Steifigkeit in deu 
Händen. Die willkürliche Bewegung ist also durch eine 
Steifigkeit gehemmt; die sensiblen Funktionen normal. Das 
Bild erinnert an die Thomsen’sche Krankheit, bietet jedoch 
keine myotonische Reaktion hei der elektrischen Untersuchung; doch 
besteht bei letzterer eine andere Elgenthümlichkeit: wenn man 
einen beliebigen Muskel reizt, so tritt eine tetanische Starre 
ganzer Muskelgmppon ein, auch solcher, die nicht die gleiche 
Innervation haben. 

Auf Anregung von Eulenburg machte er einen Stoff- 
weehselvcrsuch, da bei der Tliomse n’schen Krank¬ 
heit von Bechterew vermehrte Kreatininausscheiduug ge¬ 
funden wurde. Er fand zwar keine Vermehrung der Kreatiniu- 
aussclieidung, dagegen erreichte die Harnsäure- Ausscheidung 
den ganz abnormen W r erth von pro Tag 2.8 gr. In einem ex- 
eidirten Muskelstüokchcn fand sich nichts Besonderes. 

Herr De la Camp: Kurze Mittheilung, betr. Röntgenunter¬ 
suchungen über die Athmungsmechanik, aus dem Laboratorium 
der G e r h a r d t’schen Klinik. 

Herr Eulenburg: Junges Mädchen mit myogener De¬ 
viation der Scapula. Vielleicht ein vorausgegangener Gelenk¬ 
rheumatismus von ursächlicher Bedeutung gewesen. 

Tagesordnung: 

Herr A. Fraenkel: Heber Bronchiolitis fibrosa ob- 
literans. 

Es handelt sich um eine in subakutcr Weise erfolgende 
Bin dogewebsent wieklung innerhalb der Bron¬ 
chiole n, welche in kurzer Zeit und bei mässiger Ausdehnung 
zum Tode führt. Man kannte bisher diesen Proecss nur als 
Begleiterscheinung der indurirenden Lungenentzündung; dass er 
jedoch auch in selbständiger Weise, auf die Bronchiolen be¬ 
schränkt, Vorkommen kann, ist vor Kurzem von Lange an 
zwei Sektionsbefunden fostgwtellt worden. Doch sind diese 
Mitthoilungon fragmentarisch geblichen. A. Fraenkel konnte, 
angeregt durch die L a n g o’sche Publikation, in einem Falle auch 
schon i n t r a vi tarn dio Diagnose stellen und auch die 
Aetiologie klarlegen. 

25 jiilir. Gelbgicsser wurde am 20. Juni in’s Krankenhaus 
am Urban aufgenoinmen. nachdem er Tags zuvor beim Beizen 
von Messingguss Säuredämpfo eingeathmet hatte. Er hatte 
sofort heftige Beklemmung verspürt. Am folgenden Tag. nach 
der Aufnahme, fand sich Dyspnoe, Volumen pulmonum 
auktum; keine Dämpfung, nur geringe Absehwächung 
über den beiden Unterlappon; ferner kiel »blasiges 
Rasseln über der ganzen Lunge. Kein Fieber. Herzschwäche. 
Wegen letzterer wurde Digitalis in kleinen Dosen gegeben und 
diese Medikation nach eingetretenem Erfolg nach 3 Tagen aus- 
gcselzt. 

Pat. wurde vom Vortr. damals Im Aerztekurse als Fall von 
akuter Ilyporaeinie der Lunge vorgestellt, jener nach 
seiner Meinung lx»i uns in Deutschland zu wenig Pachteten 
Krankheit, die er selbst häufiger zu sehen l»ekonimt, z. B. bei 
Potatoren, die sieh einer plötzlichen starken Abkühlung aus¬ 
setzen. oder beim Typhus abdominalis. Vortr. weist auch auf das 
akute Lungenoedom hin. welches z. B. »‘intreten kann, wenn stark 
erhitzte Personen einen kalten Trunk zu sich nehmen. — Bei 
seinem Patienten trat nach 3 Tagen ein wenig rosafarbenes 
Sputum auf und zwar bei aulialtender Fieberloslgkoit: die Sym¬ 
ptome bcsst»rten sich nb»»r anhaltend (Unterbrechung durch ein 
nicht ganz aufgeklärtes, vielleicht durch Schröpf köpfe verursachtes 
Hautonipliysem) und am 10. Tage waren Dyspnoe. Rasselgeräusche 
und Lungenblähung verschwunden. Aber nach weiteren 4 Tagen 
(raten sie von Neuem und stärker auf. Damals kam dem Vortr. 
die Publikation Lange’s zu Gesi»-lit und er erkannte sofort den 
Zusammenhang seines Falles mit jenen beiden Lange’». Am 
21. Krankheitstage erfolgte der Tod. Die Sektion ergab den 
gleichen Befund, wie in den L a n g e’schon Fällen. Die Lunge bot 
makroskopisch das Bild einer akuten Miliartuberkulose bezw. 
einer tuberkulösen Peribronchitis. Die mikroskopische Untersuch¬ 
ung hingegen ergab, dass es sich um Binde gewebswuche- 
r u n g in deu Bronchiolen hand»‘lt. ausgehend von der Wand der 
letzteren und sich ln d»»n Alveolargängen und theilweise auch in 
den Alveolen verbreitend. Das (’yllnderepithel der Bronchiolen 
war vielfach ahgestossen. es bestand also ein starker D e s - 
q u a m a t i v k a t a r r h. ln den höher gelegenen Theilen der 
Bronchiolen fanden si»»h die abgestossenen Epithelien und allni- 
minoide Massen, ln den unteren Junges Bindegewebe. 

Vortragender erinnert an die 3 Bronchialaffektionen, welche 
mit Epithelabstossung einhergehen: das Asthma bronchiale, bei 
welchem, wie er selbst nachgewiesen, eine starke Desquamation 
besteht, die fibröse Bronchitis und endlich die oben beschriebene 
obliterirende Bronchitis, der eine nekrotisirendo Entzündung 
vorangeht. 

Oh in netiologischer Hinsicht für letztgenannte Affektion 
neben der Säureätzung (über die Natur der Säuren konnte von 
»ler Fabrik nichts Näheres ermittelt werden, wahrscheinlich 
Schwefel- und Salpetersäuregeincnge) auch andere Noxen in 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Frage kommen, ist vorläufig unentschieden; er glaubt, das« auch 
bakterielle Infektion eine solche Rolle spielen könne. 

Hans K o h n. 


Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 20. April 1901. 

Vor Eintritt ln die Tagesordnung macht Herr Walther Hesse 
kurze Mittheilungen Uber den Fortschritt seiner Versuche zur 

Händedesinfektion. 

Tagesordnung: 

1. Antrag des Vorstandes: 

Herrn Geheimen Rath Prof. Fiedler, dessen Verdienste 
um die Gesellschaft vom Vorsitzenden mit warmen Worten 
hervorgelioben werden, bei seinem Ausscheiden aus der Leitung 
des städtischen Krankenhauses zum Ehrenvorsitzenden 
der Gesellschaft zu wählen. 

Wird einstimmig angenommen. 

Es soll dem Erwählten eine Urkunde zu dem betreffenden 
Termin durch den Gesammtvorstand überreicht werden. 

2. Herr Kurt Wolf: Bericht des zur Erörterung der 
Frage der Verunreinigung des Dresdener Wasserwerkes an 
der Saloppe durch Hochiluthen der Elbe eingesetzten Aus¬ 
schusses. 

2. Herr Lange, Assistent des pathologischen Instituts des 
Stadtkrankenhauses (als Gast): Ueber seltene Knochenerkrank¬ 
ungen. (Mit Demonstrationen.) 

I. Osteogenesis Imperfecta. Unreifes männliches 
Kind einer körperlich wohlgebildeten Primipara. Gutes Fettpolster. 
Hochgradige Quantitativ mangelhafte Ausbildung des gesammten 
Skelets, qualitativ normale Knochenbllduug. (Mikroskopisch keiue 
Abweichung lm Verlauf der endochondralen Ossihcation.) - 
Knöchernes Schädeldach ist makroskopisch nicht nachzuweiseu. 
Massenhafte Frakturen der Kippen und Extremitäten, die zum 
Theil mit verhältnissinässlg überaus reichlicher Callusbildung ge¬ 
heilt sind; ln Folge der Frakturen und Infraktioueu besonders 
auffällige Verkürzungen und Deformitäten der unteren Ex¬ 
tremitäten. 

II. Senile Osteomalacie. A. Sch., Arbeitersehefrau, 
7 (j Jahre, am 24. VII. 00 in’s Siechenhaus wegen rheumatischer 
Schmerzen ln Armen und Beinen und allgemeinem Marasmus 
aufgeuommmen. Als Kind Rachitis, 13 Geburten. Tod am 
8. III. 01 unter den Erscheinungen des allgemeinen Marasmus. 
Sektionsbefund: Braune Atrophie der Herzens, chronische Bron¬ 
chitis, Lungenoedem. Atrophie der Bauchorgane. Osteomalacie 
des gesammten Skeletts: Mikroskopisch breite, ostelde Säume, 
makroskopisch allgemeine Atrophie und abnorme Weichheit der 
Knochen. Wirbelsäule: Kyphoskoliose nach rechts lm dorsalen, 
kompensatorische nach links und Lordose lm lumbalen Theile. 
Thorax: Unregelmässig gestaltet in Folge zahlreicher Infraktioneu 
der Kippen. Becken: Kartenherzform, Kreuzbein rechtwinklig ge¬ 
knickt, Acetabula nach vorn sehend, Darmbeinschaufei nach aussen 
Uberhängend. Im Hüft- und Schultergelenk Arthritis deformans 
mit reichlichen weichen, höekrigen Kuochenwucherungeu in der 
Umgebung der Gelenke. Ausserdem vereinzelte, geringfügige 
Knocheuneubildung an den Wirbelkörpem und Malleolen. 

III. Ostitis deformans. E. Sch., U8 Jahre, Maurers- 
wittwe, ln Dresden geboren und aufgewachsen. Am 2t). XI. 9t) 
iu’s Siechenhaus unter der Diagnose „Geistesstörung bei multipler 
Alkoholneuritis“ aufgenommen. 

Anamnese: 3 Kinder, mehrere Fehlgeburten. Seit Jahren ge¬ 
schwollene Füsse und Keissen in den Gliedern. 

Status: Fett, schlaffe Muskulatur, Tibien säbelförmig, Stirn 
breit, eckig. Bewegungsfähigkeit sehr beschränkt, Schmerz- 
empflndlichkeit in unregelmässiger Weise herabgesetzt. 

Unter den Erscheinungen von zunehmender Herzschwäche mit 
sehr starken Oedemen Tod am 18. IX. 00. ln der Zwischenzeit 
nichts Besonderes; vor dem Tod war das allmählich stärkere Her- 
vnrtreten der Stirn aufgefallen. 

Seklionsbefund: Atrophie des Gehirns, muskuläre Degenera¬ 
tion des Herzens, allgemeine Arteriosklerose, Tracheltis, Bronchitis, 
»Stauungsmilz, -Leber und -Nieren. Magendarmkatarrh. Leber- 
gummanarben. Duodenalgeschwüre. Ostitis deformans des ge¬ 
summten Skelets. 

Schädel: von unglelchmäsaiger Dicke, im r. Stirntlieil uud 
am Hinterhaupt bis zu 2 cm dick, besteht durchaus aus fein- 
iwriger, ziemlich weicher Knocheusubstanz. Sehiidelgrubeu sein* 
tiach. Gesichtstheil nicht verändert. 

Wirbelsäule: Besonders die unteren Brust- und die 
Lendenwirbel bestehen aus feinporiger, weicher Substanz, ebenso 
das Sternum. 

Rechter Humerus: Im oberen Drittel verbogen; zeigt 
an dieser Stelle eine auffällige Verengerung der Markhöhle durch 
Anlagerung von feinporiger Knochensustanz an die Compacta, auch 
am übrigen Schafte stellenweise Knocheuneubildung. 

Becken: Ueberaus schwer und plump, wenn auch ln der 
Form fast unverändert; nur eine leichte Andeutung von Karteu- 


1773 


herzform. Besonders die Darmbeinschaufeln und Schambeine sind 
stark verdickt, ihre Schnittfläche zeigt dasselbe Gefüge wie die 
Wirbelkörper. 

F e m o r a: Handbreit unter dem Trochanter major nach vorn 
gekrümmt und verdickt; auf der Sägefläche eine verbreiterte, durch 
feinporiges GeAvebe ersetzte Substantia compacta. Markhöhle ver¬ 
engt. 

Tibi a: Nach vorn gekrümmt, sehr stark unregelmässig ver¬ 
dickt; auf der Sägefläche ebenfalls die Subst. comp, sehr breit, 
aus feinporigem Gewebe bestehend, die Markhöhle verengt. 

IV. Osteoplastische Carcluose nach prim. 
Prostatacarcinom. K. C., 02 Jahre, Gelegenheitsarbeiter. 
Aus dem Stadtkrankenhause am 1. II. 1000 wegen chronischem 
Rheumatismus in’s Siechenhaus verlegt. 

Anamnese: Nie ernstlich krank; seit 1899 Rheumatismus zu¬ 
erst im linken, dann im rechten Bein, schliesslich im Kreuz. 

Status: Mittelgross, leidlich genährt, Knochen kräftig, 
Muskulatur schwächlich; Tod am 23. VI. 1900 unter marantischen 
Erscheinungen; A'or dem Tode wenig Schmerzen. 

Sektionsbefund: Braune Atrophie des Herzens; allgemeine 
Arteriosklerose. Hydrothorax beiderseits; Kompresslousatelekta.se 
der unteren Lungeupartieu. Atrophie von Milz, Leber, Niereu. 
Nebennierentumor am oberen Pol der linken Niere. Prostata- 
carcinom; osteoplastische Carclnose des gesammten Skelets. 

Prostata: Nur wenig vergrössert, gespannt, etwas unregel¬ 
mässig gestaltet, gegen das umgebende Gewebe nicht scharf ab¬ 
zugrenzen. Schnittfläche grauweiss, homogen, von einigen etwas 
helleren Knoten unterbrochen. Mikroskopisch: kleinzelliges, in- 
flltrirendes Carciuom. 

Schädeldach: Asymmetrisch, von ungleichmüsslger 
Dicke, schwer. Auf den beiden Stirnbeinen, auf der Höhe des 
Scheitels, auf dem 1. Schläfenbein und in der Hinterhauptsschuppe 
deutlich abgesetzte, graugelbe, flache Knocheuueubilduugeu, die 
zum Theil die ganze Dicke des Schädeldaches durchsetzen und auch 
an der Innenseite sich als bald mehr diffuse, bald mehr um¬ 
schriebene Auflagerungen kenntlich machen. 

Rippen uud Sternum:. Erheblich dicker und schwerer; 
ihre normale Spongiosa und Compacta ist durch ein sehr fein¬ 
poriges, ziemlich festes, grauweisscs, neugebildetes Knocheu- 
gewebe ersetzt. 

Wirbelsäule: Sehr schwer, die Form der Wirbel voll¬ 
kommen die normale; aber das normale Gewebe durch eine dichte, 
stellenweise elfenbeinartig feste, grauweisse Knochensubstanz er¬ 
setzt. 

Becken: Form im Allgemeinen erhalten, nur sind die 
Knochen überall diffus und knotenförmig verdickt, besonders die 
Daraibeinscbaufelu und die absteigenden Schambeinäste. Die Ver¬ 
dickungen bestehen hier zum Theil aus grauweissen, derben 
Tumormassen, zum Theil aus neugebildeter Knochensubstanz. 

Femora: Gewicht vermehrt; im oberen Theil des Halses 
und unter dem Trochanter major fingerdicke Ausbildung von 
junger, feinporiger Knochensubstanz. Im oberen Theile des 
Schaftes beiderseits ln Mitten von rothem Mark grauweisse, hasel¬ 
nussgrosse, Aveiche Tumoren, in den unteren Partien Fettmark. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 15. Oktober 1901. 

Vorsitzender: Herr K ü m m e 11. 

I. Demonstrationen: 

1. Herr Lehr demonstrirt a) ein 15 jähriges Mädchen mit 
einer Trache&lfistel. Vor 10 Jahren Avegen Kehlkopfpapillomen 
operirt, seitdem, besonders bei Erkältungen, Athemnoth. Die 
Hauptathmung findet durch die Fistel statt. — Derselbe berichtet 
ferner über einen Fall, in dem er aus der Pulsation der einen 
oralen Pharyuxhälfte die Diaguose auf ein Aneurysma der 
Art. pharyngea stellen konnte; Aveiter über 2 Fälle von Larynx- 
und Rachen tuberkulöse (Tonsillen) bei Schwangere n. 
Der tuberkulöse Process wurde durch die Gravidität entschieden 
ungünstig beeinflusst uud führte filK*rraschend schnell zum plötz¬ 
lichen Exitus durch Erstickung. 

2. Herr W a i t z demonstrirt ein junges Mädchen, bei dem er 
nach Heilung eines sehr ausgedehnten Lupus, der die ganze häutige 
Nase zerstört hatte uud durch Excochleation uud Röntgen¬ 
bestrahlungen geheilt Avar, eine Rhinoplastik aus dein Arme ge 
macht hat. Der kosmetische Effekt isl vorzüglich. 

11. Vortrag des Herrn Embden: Zur Kenntniss 
der metallischen Nervengifte mit Demonstration von 
Patienten. 

Den bekannten chronischen Metall-Gewerbevergiftungen mit 
Blei, Quecksilber und Arsen möchte Vortragender eine neue, 
bisher fast unbekannt gebliebene Metallvergiftung anreihen. 
Es handelt sich um ein Krankheitsbild, das bei Arbeitern auf- 
tritt, die in Braunste!nmühlen beschäftigt sind. Die Schädig¬ 
ungen durch Mangnnsuperoxyd sind so wenig bekannt, dass die 
einzige in der Literatur darüber vorhandene Beobachtung aus 
dem Jahre 1837 von Coup er in den toxikologischen .Hand¬ 
büchern Anfangs als bestätigungsbedürftig bezeichnet, dann 
gänzlich in Vergessenheit geratheu ist. Embde n’s Verdienst 


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1774 


MÜENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


ist es, auf dieses Krankheitsbild von Neuem aufmerksam gemacht 
zu haben. 

ln den Gewerbebetrieben, in denen Braunstein zu einem 
feinen Pulver zermahlen wird, herrscht ein dicker schwarzer 
Rauch; die Arbeiter sind mit einer dicken Staubschicht bedeckt. 
In einer hiesigen Mühle fand E. 3 erkrankte Arbeiter. Auf 
einer Reise durch Thüringen; wo sieh eine grössere Zahl kleinerer 
Braunsteinmühlen finden, wurden 2 Arbeiter eruirt, die das 
gleiche Symptomenbild boten. Die 3 hiesigen Fälle stellt E. 
vor und demonstrirt an ihnen die Symptome. 

Dio motorischen Störungen bestehen in einer allgemeinen 
Muskelsch wache (Paresen) und zwar in einer Parese 
einzelner Muskelgruppen. Im Gesicht ist der Facialis dauernd 
mangelhaft innervirt, dadurch wird das Aussehen maskeuartig; 
der Augenschluss ist schwach; alle willkürlichen Innervationen 
sehr beeinträchtigt. Die Extremitütenmusculatur ist gruppen\ 
weise geschwächt, die Riickenmuseulatur desgleichen. Dabei 
keine Atrophien, kein fibrilläres Zucken. Es bestehen Span- 
n ungen, insbesondere im Beginne der Bewegungen, bei einem 
Patienten auch Kontraktur der Armbeugemusculatur. Der 
Gang ist entsprechend bald steif und schwankend, bald steif 
und hüpfend, etwas spastisch und schwerfällig (so charakte¬ 
ristisch, dass E. einem Arbeiter in Thüringen auf den Kopf zu¬ 
sagte, er sei in einer Braunsteinmühle beschäftigt). Bei allen 
Patienten besteht Rctropulsion, bei einzelnen hochgradig (mit 
Rückwärtstaumeln und Ilintenüberfallcn). Treppensteigen, be¬ 
sonders abwärts, sehr erschwert. Ein Patient überstürzt sieh, 
nimmt mehrere Stufen auf einmal, läuft Gefahr, zu fallen. Kein 
Romberg. Wendungen oculis clausis sind ebenso gut bezw. steif 
möglich wie mit offenen Augen. Die tiefen Reflexe, be¬ 
sonders an den unteren Extremitäten, sind lebhaft gesteigert. 
In einem Falle bestand B a b i n s k y’scher Zehenreflex, keine 
Ataxie, kein eigentlicher Intentionstremor. Es besteht bei 
einigen Kranken in der Ruhe ein langsamer Tremor und 
ausserdem ein „A k t i o n s t r e m o r“, d. h. der betr. Kranke 
kann nicht zugleich zielen und Kraft anwenden; so vermögen 
z. B. 2 Kranke nicht, ein Streichholz an einer Schachtel anzu¬ 
streichen, sondern können es nur langsam an der Reibfläche hin- 
und herreiben. Ebenso ist kräftiges Stiefelputzen nicht mög¬ 
lich u. s. w. Diese Coordinationsstörung bedingt eine sehr aus¬ 
gesprochene Schrift Störung: Die Schrift ist steif, wird 
immer schlechter, kritzelnd, unsicher, geht endlich gar nicht 
mehr. Demonstration von Schriftproben. Die Sprach¬ 
störung betrifft sowohl die Phonation wie die Articulation. 
Dadurch wird die Sprache leise (Dysphonie) und stammelnd und 
stotternd. Bei einem Patienten ist das Sprechen ungestört, doch 
besteht angeblich Neigung zu Paraphasie. Es besteht ferner 
Zwangslachen. Keine oculopupillüren Symptome, kein 
Nystagmus. Das elektrische Verhalten ist normal. Es besteht 
ferner eine geringe Insuffieienz der Sphinkteren. Zu Beginn 
der Krankheit besteht Speichelfluss. Die subjektiven Be¬ 
schwerden (Paraost hesien und Schmerzen) sind 
gering. 

Die Inkubation, d. h. die Zeit, nach welcher die in den 
Mühlenbotrieb eingestellten Arbeiter an diesen nervösen Stö¬ 
rungen erkranken, ist. verschieden, hängt wohl auch von indivi¬ 
dueller Disposition ab. Die Kranken gaben das Auftreten der 
Symptome auf ’/a —% Jahr nach Beginn ihrer Arbeit an. Den Be¬ 
ginn des Leidens zeigten renale Symptome in Form von Oedemen, 
Auftreten von Eiweiss und Cylindern im Urin, Mattigkeit und 
Schwäche in den Beinen an. Meist war dann nach weiteren 
3 Monaten der oben geschilderte Symptomenkomplex vorhanden; 
bald priivalirtc das eine, bald das andere Symptom. 

Mehrere der in dem hiesigen Betriebe thiitigen Arbeiter sind 
bisher gesund geblieben. In dem Urin eines gesunden Arbeiters 
gelang der Nachweis im II a r n, während die auf Mangan- 
nusscheidung durch die Nieren gerichteten Untersuchungen bei 
den Erkrankten negative Resultate ergaben. 

Dass cs sich wirklich um eine Manganintoxikation handelt, 
geht aus 3 Punkten hervor: 1. war keine andere Schädlichkeit 
zu erweisen, 2. spricht der Beginn des Leidens mit renalen Sym¬ 
ptomen dafür (Mangen, in den Kreislauf gebracht, wirkt exquisit 
giftig und schädigt das Nierenparenchym, was auch durch Thier¬ 
versuche bestätigt wird), 3. ist der Nachweis im Harn als 
stringentester Beweis anzuführeu. 


Vortr. betont die Aehnlichkeit der Symptome mit den bei 
anderen Metall Vergiftungen vorkommenden Erscheinungen und 
erörtert die Differentialdiagnose gegenüber der multiplen 
Sklerose. 

Da die Vergiftung wohl per inlialationem zu 
Stande kommt, so hat die Prophylaxe in einer ausgiebigen Ven¬ 
tilation der Fabrikräume, in Beseitigung des Staubes durch 
Exhaustoren etc. zu geschehen. Dio persönliche Prophylaxe 
gipfelt im Tragen von Respiratoren. Ausserdem ist cs rathsam, 
Arlteiter, sobald sie sich auch nur leicht unwohl befinden, sofort 
aus dem Betriebe zu entfernen. 

I» I s e u s s I » u: Herren Abel und E m b <1 e n. 

Werner. 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Offlcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 18. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

1. Herr Neuberger demonstrirt: 

n) einen Mann mit einem lymphangiektatlsclien Tumor der 

Wang<v 

1>) einen Patienten mit universeller Folliculitis. 

2. Herr Wilhelm Merkel demonstrirt 2 Präparate, die 
er durch Operation in seiner Privatfrauenklinik gewonnen hat: 

a) Ein 2 faustgrosses knolliges Myom der linken Schamlippe 
eines 20 jährigen Mädchens, welches sich langsam ln den letzten 
10 Jahren entwickelte und schliesslich wie gestielt längs des oberen 
Drittels des Oberschenkels herabhing; ein deutlich nachweisbarer 
Hindegewebsstrang zog sich von der Geschwulst gegen den linken 
Leistenriug hin und vermittelte auch die Gefüssversorgung von 
dieser Richtung her; der Ausgangspunkt der Geschwulst ist dem¬ 
nach wohl, wie auch Sänger seiner Zeit beschrieb, im Ligamentum 
rotundum zu suchen. 

b) Die gut hühnereigrosse, in toto ausgeschälte Retentions- 
cyste der linken Bartholi n’schen Drüse einer 41 jährigen 
Frau. Patientin erlitt vor 20 Jahren durch Fall auf einen dürren 
Ast eine Verletzung der linken Schamtlieile, von welcher jetzt 
noch eine strahlige Narbe in der leicht verschiebbaren Schleimhaut 
über der Cyste zu sehen ist. Ein Ausführungsgang der Drüse links 
ist nicht zu finden, der rechterseits nicht geröthet. Gonorrhoe 
sicher nuszuschliessen. Der Inhalt der Cyste war dicklich, weiss¬ 
gelblich schleimig; die Wandung glatt. 

3. Herr v. Rad berichtet über Versuche mit dem neuen Schlaf¬ 
mittel Hedonal (BayerA Cie), die an 40 Patienten angestellt 
wurden. Uebereinstimmend mit den bisher veröffentlichten Be¬ 
richten wurden die besten Resultate erzielt bei Fällen von un- 
komplizirter nervöser Schlaflosigkeit. Wechselnd war der Erfolg 
bei melancholischen Kranken und Alkoholikern. Völlig versagt 
hat das Mittel auch in höheren Dosen bei psychischen Auf regungs- 
zuständen. 

Die durchschnittlich angewandte Dosis betrug 1,5 g. Un¬ 
angenehme Nebenwirkungen wurden auch bei länger fortgesetzter 
Darreichung des Mittels nicht beobachtet. 

4. Herr Neuburger bespricht einen Fall von plötzlich 
erworlnmer Kurzsichtigkeit in Folge von Diabetes mellitus. 

Die . r >0 jährige bisher gesunde Frau hatte vor 4 Wochen wegen 
Presbyopie eine Lesebrille (-|- 2,0 D) bekommen. Damals bestand 
Emmetropie und normale Sehschärfe für Fern und Nah. Nur 
war eine leichte Accommodationsschwäche notlrt worden. Jetzt 
erscheint sie wieder mit der Klage, dass ihr seit 10 Tagen beim 
Blick in die Ferne alles verschleiert erscheine, dagegen könne sie 
wieder ohne Brille lesen; auch sei sie manchmal schwindelig. Die 
Untersuchung ergibt normalen Augengrund, klare brechende 
Medien, auch mit Loupenspiegel. aber eine Myopie von —2,01). 
Damit ist die Sehschärfe in die Ferne = 1, feinste Schrift (Sn D/.t 
wird erst mit -}-1,0 D gelesen. Also besteht noch leichte Accomuio- 
dationsschwäche. Auf näheres Befragen wird vermehrter Durst 
und häufiges Urinlren, sowie allgemeine Schwäche angegeben. 
Der Urin (mehr als G Liter pro die) hat 3,5 Proc. Zuckergehalt 
(Giihruug8probe). Interessant ist der Fall insbesondere dadurch, 
dass der Diabetes durch die Kurzsichtigkeit entdeckt wurde. Fälle 
von diabetischer Kurzsichtigkeit sind in letzter Zeit häufiger 1 h*- 
sehriebeu worden, der erste wurde von Hirschberg (CentralbL 
f. Augeuheilk. 1890, Jan.) veröffentlicht. 


32. Versammlung der südwestdeutschen Irrenärzte 

am 2. und 3. Novemlter in Karlsruhe (Hötel Germania). 

Die erste Sitzung findet Samstag, den 2. November, Nach¬ 
mittags 2y 2 Uhr statt, die zweite Sonntag, den 3. November, Vor¬ 
mittags 9 Uhr. Auf die erste Sitzung folgt Nachmittags G Uhr 
ein gemeinschaftliches Essen im Hötel Germania. Die Unter¬ 
zeichneten Geschäftsführer laden hiermit zum Besuche der Ver¬ 
sammlung ergebenst ein und bitten diejenigen Herren, welche an 
dem gemeinsamen Essen theilznuehmen beabsichtigen, um eine 
lM*trctr«mde bnldgofiillige Mittheilung. 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1775 


Tagesordnung. 

I. Referat c: 1. Direktor Dr. Kreuser - Sekussenried: Der 
Werth der pharmazeutischen Beruhigungsmittel. 2. Prlvatdocent 
Dr. G a u p p - Heidelberg: Die Dipsomanie. Das erste Referat wird 
in der ersten, das zweite in der zweiten Sitzung erstattet werden. 

II. Vorträge: 1. Professor Iv r a e p e 1 i n - Heidelberg: 

lieber die Waohabtheihmg der Heidelberger Irrenklinik. — 2. Medi- 
einalrath Dr. Haardt- Emmendingen: Die neuen Aufnahme- und 
Ueberwaehungsabtheilungen der Heil- und Pflegeanstalt bei Em- 
mendingeu. — 3. Dr. Neu mann - Karlsruhe: Volksheilstil tten für 
Nervenkranke. — 4. Dr. F r i e d m a n n - Mannheim: lieber 

Zwangvorstellungen und fixe Ideen. — 5. Professor N I s s 1 - Heidel¬ 
berg: Hysterische Symptome bei einfachen Seelenstörungen. — 
<!. Direktor Dr. E rank- Münsterlingen: Strafrechtspflege und 
Psychiatrie. — 7. Dr. A 1 z h e i m e r - Frankfurt a. M.: Ueber 
atypische Paralysen. — 8. Dr. W e y g a n d t - Würzburg: Eine 
psychische Epidemie. — 9. Dr. S a n d e r - Frankfurt a. RI.: Zur 
Behandlung der akuten Erregungszustände. — 10. Dr. Bartels- 
Slrassburg: Heber endopklebitische Wucherungen im Central¬ 
nervensystem und seinen Häuten. — 11. Dr. Arndt- Heidelberg: 
Zur Geschichte der Katatonie. 

Die Geschäftsführer: 

V o r s t e r - Stephansfeld. Haardt- Emmendingen. 

Auswärtige Briefe. 

Briefe aus Ostasien. 

Von Oberarzt Dr. Mayer. 

5. Brief. 

Das Arbeitsfeld, welches in Peking meiner Station zufiel, 
umfasste vor Allem die Regelung der Wasserfrage, dann die 
Untersuchungen für die 3 dortigen Lazaretho und die verschie¬ 
denen Tnippentheile, ferner für die Rossärzte, die Fleischbeschau 
der von den Truppen angekauften Thiere, Kontrole von Nah- 
rungs- und Genussmitteln; ein sehr interessantes Material lieferte 
die von Herrn Privatdocent- I)r. Perthes aus Leipzig (Ober¬ 
arzt im 6. Feldlazareth) übernommene Chinesen-Poliklinik der 
London Mission. Im Folgenden sei in gedrängter Kürze das 
Wesentlichste vorgeführt: 

Es wurden 117 Brunnen (und Wasserläufe) in den verschie¬ 
densten Stadttheilen Pekings, die meisten wiederholt, bakterio¬ 
logisch und chemisch untersucht, ferner 42 Brunnen, Quellen, 
Flussläufe westlich und nördlich von Peking bis auf die Höhe 
des Gebirgskamincs. Ausserdem waren 2 chinesische Schacht¬ 
brunnen und 7 abessinische Röhrenbrunnen angelegt, letztere 
zum Theil bis auf IG m Tiefe getrieben. — Nur die bei Ba da 
tsliu, Dung slian, Dslni yung yuan und nahe dem Thore Ba da 
ling («1er grossen Mauer) Vorgefundenen, direkt dem Felsen ent¬ 
springenden Quellen hatten chemisch und bakteriologisch cdn- 
wandloses Wasser; ein 18 m tiefer Felsenbrunnen bei Men tou 
tsun enthielt Salpetersäure und 176 Keime, die Quelle von Yü 
tshiian shan (oberhalb deren eine grössere Tempelanlage liegt) 
war ebenfalls durch Salpetersäure und 198 Keime verunreinigt; 
von dieser Quelle bezog früher der kaiserliche Hof sein Trink¬ 
wasser. Sämmtlichc übrigen Wässer waren in zum Theil un¬ 
glaublicher Weise verunreinigt, namentlich innerhalb Pekings, 
aber auch auf dom offenen Lande. Ammoniak, salpetrige Säure, 
Salpetersäure in reichliehen Mengen, organische Substanz bis 
3,79 auf 100 000 Theile, Chlor bis 1,09 im Liter, deutsche Härte¬ 
grade bis 120, Abdampf rückst ände bis 5,32 vom Liter; in 1 ccm 
Wnssertliierchen (Amoeben etc.) bis 175, Gesammtkeimzahl bis 
52 930, darunter Bact. coli-ähnliche Keime bis 651, Komma- 
Kolonien bis 324; so beschaffen war Das, was wir in Peking 
und Umgebung als Trinkwasser vorfanden. (Ich bemerke, dass 
die Agar-Platten an Ort und Stelle gegossen wurden!) — Man 
hörte nun vielfach die Ansicht, die schlechte Beschaffenheit des 
Brunnenwassers sei auf Verunreinigung von oben zurückzu¬ 
führen, man könne durch Ausschöpfen die Brunnen reinigen, 
mau würde in grösseren Tiefen, namentlich unter event. Thon¬ 
schichten, gutes Wasser treffen. Dass dies unrichtig, bewiesen 
die von mir angelegten Brunnen: Bei 7 derselben traf man über¬ 
haupt keinen Lehm oder Thon, sondern richtigen Füllboden: 
Mürtclstücko, Ziegelsteine, thierisehe und menschliche Knochen, 
ganze Mault hierköpfe, zum Theil direkt versteinert, Kohlen- 
aschcnmengeu, Porzellanseherben, Eisen-, Kupfer-, Broncestücke 
in allen Tiefen; einmal, auf dem Gelände der deutschen Schutz- 
wache, in 8/4 m beginnend, ein alter, chinesischer Schacht¬ 
brunnen; die gewöhnlich in 7—8 m Vorgefundene erste wasser¬ 


führende Schicht schwärzlich-grünlich, schlammig, übelriechend, 
von 10—11 m an ein bräunlich-röthlieher, lehmiger Sand, in 13 
bis 14 m eine zweite unbrauchbare Wasserschicht. Bei den zwei 
anderen Brunnen erschien von 1 bezw. IVa m an harter, gelb¬ 
grauer, trockener Thon, in 9 m eine Wasserschicht, dann wieder 
Thon und in 15 m einer weitere wasserführende Kiesschicht: 
beide Grundwässer gänzlich unbrauchbar. Die erstangeführten 
Befunde beweisen zur Genüge, dass in Peking mehrere Städte 
übereinander gebaut sind. Die Wasserkalamität war nun dadurch 
noch erhöht, dass einerseits wegen des starken Salzgehaltes das 
Wasser der meisten Brunnen, auch gekocht, nicht zum Genuss 
zu gebrauchen war, z. B. Theo und Kaffee durch den abscheu¬ 
lichen Geschmack kaum zu geniessen waren, andererseits wegen 
des hohen Kalkgehaltes das Waschen sehr erschwert wurde. Dom 
wurde abgeholfen, indem einerseits die Heranschaffung von 
Wasser aus Brunnen in der fast unbewohnten Südwestecke der 
Chinesenstadt (welches sich durch sehr geringen Salzgehalt und 
niedrige Härte auszeichnete), um erhebliche Kosten durch chi¬ 
nesische Unternehmer ermöglicht, andererseits den Truppen- 
theilen und Lazaretheu aus Zinkblech hergestellte Deetillir- 
apparate überwiesen wurden. Für die beiden, Anfangs besonders 
von Typhus und Ruhr ergriffenen Seebataillone wurde nach 
meinen Angaben eine besondere Wassercentrale gebaut. Aus 
einem neuangelegten und einem mehrmals ausgeschöpften 
Brunnen wurde hier das ganze Gebrauchswasser, 10—12 000 Liter, 
täglich durch Berkefeldfilter getrieben, dann Va Stunde gekocht, 
und von den Kompagnien iu eigenen Wasserwägen abgefahren, 
die Brunnen in den Quartieren geschlossen. Eine ähnliche An¬ 
lage befand sich beim 6. Feldlazareth. Für die Gesandtschafts¬ 
wache ist ein grosser Dampfdestillationsapparat aufgestellt 
worden. 

Für die Lazarethe wurden vom 15. Dezember bis 11. Juni 
im Ganzen 441 Untersuchungen ausgeführt, darunter 111 mal 
die Widal’sche Reaktion, 57mal positiv; sie trat nicht vor 
Ende der 1. Krankheitswoche auf, mehrmals erst in der 2. und 3., 
wurde noch nach Wochen im lteconvalescenzstadium gefunden, 
jedesmal bei Typhus, nur einmal in einem Falle, wo die Sektion 
diphtheritische Ruhr und Leberabscess ergab, ohne dass jedoch 
ein früherer leichter Typhus ganz auszuschliessen war. Rasch¬ 
heit und Stärke der Reaktion gingen nicht parallel der Schwere 
der Erkrankung; gerade sehr heftige Typhen hatten eine eben 
positive, ganz leichte eine ganz hochgradige, bis 1:100. Im An¬ 
schluss sei die 27 mal ausgeführte Diazoreaktion bemerkt, davon 
12 mal positiver Ausfall 3 mal Influenza, 9 mal Typhus betraf; 
sie wurde nur bei bestehendem Fieber gefunden. 

Auf Tubcrkulose^wurden 58 Fälle wiederholt untersucht, je¬ 
doch nur 2 mal konnte emwandlos, auch durch Kultur aus dom 
Sputum, Tuberkulose erwiesen'werden. Bei 10 Fällen da¬ 
gegen fand sich im Sputum ein säure- und .massig 
alkohol festes Stäbe lieh, thells in (auch in der Kultur) 
richtig verzweigten, oft ziemlich langen Fäden, also eine Strepto- 
tlirix, theils auch in kurzen, oft in Grösse und Gestalt dem Tu¬ 
berkelbacillus gleichend, meist jedoch längeren und etwas 
dickeren Einzelstäbchen. Die Stäbchen konnten leicht im Sputum 
erwiesen werden, da sie stets in gelblichen Bröckeln sich fanden, 
zugleich zeigte dos Sputum als Zeichen von Lungenzerfall 
elastische Fasern, Alveolenstückchen, Blut. Ein zur Sektion ge¬ 
kommener Fall hatte als Hauptbefund abgekapselte 
Gangraenherde im rechten Oberlappen der 
sonst normalen Lunge. Aus dem pleuritischen Exsudat 
des Kranken konnte das gleiche Stäbchen isolirt werden, wie cs 
sich auch in den Ausstrichen und den Mikrotomschnitten der 
Gangraenherde fand. Es wuchs (auch aus dem Sputum ver¬ 
schiedener anderer Fälle gezüchtet) als weisser, später leicht ge¬ 
falteter Agarbelag schon bei Zimmertemperatur, war subkutan 
und intraperitoneal für Mäuse und Kaninchen nicht pathogen. 
Dieselbe Art fand sich später in dem Beckenabsoeeseiter eines 
Chinesen. Die obigen Erkrankungen erschienen zur Zeit der 
Sandstünne. Ein Fall (Musketier Fr.) bot schwerste Kavemon- 
symptome mit reichlichen säurefes ten Stäbchen, er genas unter 
Seilwinden aller Symptome"! Der letal" verlaufene Fall war das 
ausgesprochene Bild einer subakuten Phthise, auch die anderen 
Fälle zeigten Reizerscheinungen der Pleura bezw. tuberkulose- 
verdäehtige Symptome, wurden jedoch sämmtlich völlig bor- 
gestellt. Ich glaube, annehmen zu müssen, dass es sieh hier um 


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1776 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


die gleiche Stäbchenart handelt, die Fränkel, Pappen¬ 
heim, Rabino witsch und neuerdings Aoyama und 
Miyamoto bei Fällen von Lungengangracn fanden. Es ist 
wohl nicht auszuschliessen, das« hier eventuell das Bild einer 
„primären Lunge ngangraen“ durch obige 
säurefeste Streptothrix vorliegt. 

Influenzabacillen konnten in den charakteristischen, unge¬ 
heueren Mengen im Sputum von 6 Kranken nachgewiesen 
werden, einer starb nach kurzem, äusserst schwerem Krankheits¬ 
verlauf. Diese und mehrere verdächtige Fälle fielen in die Zeit 
vom 27. Januar bis 13. Februar. Diphthericbacillen fanden sich 
in 2 vereinzelt gebliebenen Fällen, beidemal kulturell erwiesen, 
der 2. Fall erschien unter dem Bilde einer eigenthümlichen sep¬ 
tischen Gangraen des weichen Gaumens. Malariaparasiten 
wurden in 14 Fällen konstatirt, 11 mal Tertiana, 3 mal Tropica; 
letztere waren augenscheinliche Reeidive einer nicht in Peking 
und Umgebung erfolgten Infektion. Von den frischen Fällen er¬ 
schien der erste nachgewiesene am 13. März, die Mehrzahl aber 
erst von Mitte Mai an. Im Mai wurde sowohl innerhalb der 
Lazarethgebäude, wie an anderen Orten Pekings Anopheles 
claviger gefunden, jedoch ohne Speieheldrüsenkörperchen. 
Mehrere der Tertianafälle waren in Tung-dshou inficirt worden, 
wo die Truppen dicht an dem sumpfigen Shahoufer untergebracht 
werden mussten. Typhusbacillen wurden, ausser aus der Milz 
von Leichen, einmal in einem posttyphösen, durch Operation 
eröffneten Leberabseoss. zugleich mit äusserst kleinen Coccen 
kulturell gefunden. Gonococcen erschienen in Reinkultur in 
einem postgonorrhoischen Prostataabscess, niemals aber in ana¬ 
logen, vereiterten Bubonen. Milzbrand wurde einmal aus dem Blute 
einer Leiche gezüchtet, eine ganz kurze, schwere septikaemische 
Erkrankung des im Traindepot mit der Pflege von Pferden be¬ 
trauten Mannes ging vorher; merkwürdig war ein einseitiger 
schwerer Bindehautkatarrh desselben. (Bei einigen wegen Milz¬ 
brandverdachtes dort getödteten Thieren fand sich übrigens 
nichts.) Von Bandwürmern kamen 9 Exemplare der Taenia 
saginata zur Beobachtung. Von den Sektionen ist ausserdem zu 
erwähnen eine Komplikation von Typhus und Ruhr, eine akute 
gelbe. Ieberatrophie, ein augenscheinlich durch das Klima be¬ 
schleunigter Fall von tertiärer Syphilis, ein akuter Herztod mit 
capillaren Blutungen in die Herzmuskelfibrillen, 2 Septico- 
pyaemien und ein typischer Fall von Lyssa, die auch durch intra¬ 
kranielle Impfung auf Kaninchen erwiesen wurde. 

(Schluss folgt) 


Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht) 

Wien, 26. Oktober 1901. 

Verein der Hilfsärzte an den Wiener Krankenanstalten. 
— Zahnärzte und Zahntechniker. — Verkauf der Privat¬ 
praxis. 

Letzthin fand dio konstituirende Versammlung eines Ver¬ 
eines der Hilfsärzte an den Krankenanstalten statt. Auch die 
„Jungen“ sehen den Werth einer Organisation ein und fühlen, 
dass zur Erörterung ihrer gemeinsamen Interessen ein ständiger 
Vertretungskörper unerlässlich sei. Derzeit streben die llilfs- 
ärzte eine Erhöhung ihrer Bezüge, und eine Vermehrung der be¬ 
zahlten Stellen an. Beiden Forderungen soll von Neujahr ab 
entsprochen werden, jedoeh — wie von maassgebender Seite er¬ 
öffnet wurde — keineswegs in einer die Hilfsärzte vollkommen 
befriedigenden Weise. Die Vereinsgründung hat also den Zweck, 
diesen Forderungen stärkeren Nachdruck geben zu können, so¬ 
dann an die Organisation der Spitalärzte aller Provinzstädte zu 
schreiten, in absehbarer Zeit einen Hilfsärztetag nach Wien ein- 
zuberufen, den Aspiranten eine kleine Besoldung zu ver¬ 
schaffen etc. Der neue Verein will auch den Anschluss an sämmt- 
liehe ärztliche Vertretungskürper in Form von Entsendung von 
Delegirten in diese Körporschaften anstreben •— ein, wie uns 
scheint, zu weit gehendes Ziel, da ja die Mitgliedschaft zu diesem 
Vereine einen überaus fluktuirenden Charakter hat. Die Aerzte- 
kammern werden sicherlich dio Interessen der Hilfsärzte jeder¬ 
zeit wahren und fördern. 

Seit Jahrzehnten führen die Zahnärzte Wiens mit den Zahn- 
technikcrn einen erbitterten Kampf um die Existenz. Vor einigen 
Tagen meldeten die Blätter, dass der Vorstand der Zahn¬ 
techniker-Genossenschaft von einem Zahnarzte wegen Kur¬ 


pfuscherei angezeigt wurde, weil derselbe unter Anwendung von 
Cocaininjektionen einen Zahn extrahirt und damit aeine Befug¬ 
nisse überschritten luibe. Dieser Vorstand ist ein Zahntechniker, 
dessen Ooncession behördlicherseits „erweitert“ wurde, der zur 
mechanischen Entfernung von Zahn- und Zahnsteinfragmenten 
berechtigt, aber nicht zur Extraktion ganzer Zähne oder gar zur 
Verwendung von Medieamenten autorisirt war. Die bezügliche 
Gerichtsverhandlung wurde behufs Einvernahme von Sachver¬ 
ständigen vertagt. 

Nun haben aber die Zahntechniker den Spiess umgekehrt. 
Sie üben ein concessionirtes Gewerbe aus und behaupten, dass 
die Zahnärzte nur widerrechtlich dieses Gewerbe an sich gerissen 
hätten. Die Genossenschaft der Zahntechniker ging also hin und 
klagte einen Wiener Zahnarzt an, dass er widerrechtlich das con- 
cessionirte Gewerbe der Zahntechnik ausübc. Die Verwaltungs¬ 
instanzen (Magistrat, Stntthalterei, Ministerium des Innern) er¬ 
klärten übereinstimmend, dass die Ausübung der Heilkunde von 
der Gewerbeordnung ausgenommen sei, und dass die von einem 
Zahnarzte selbst oder seinen Patienten gegenüber angewendete 
zahntechnische Kunst einen Bestandtheil der Zahnheilkupide 
bilde. Nun kam die Angelegenheit noch an den Verwaltungs¬ 
gerichtshof, woselbst der Vertreter der Zahntechniker hervorhob, 
dass ihr Gewerbe ein concessionirtes sei, also von Niemanden, 
auch nicht von Zahnärzten, als ein freies Gewerbe betrachtet 
und ausgeübt werden dürfe. Und thatsächlich stellte sich der 
Verwaltungsgerichtshof zum T h e i 1 e auch auf diesen Stand¬ 
punkt. Er entschied, dass die angezogene MinisterialVerordnung 
vom Jahre 1892 nur bestimme, dass Nicht Zahnärzte zur Aus¬ 
übung der Zahntechnik an eine Conccssion (der Gewerbebehörde) 
gebunden seien, während eine positive Norm bezüglich der Zahn¬ 
ärzte nicht getroffen sei. Dagegen seien die Administrativ- 
instanzen von der Anschauung ausgegangen, dass die Zahn- 
technik als Bestandtheil der Zahnheilkunde aufzufassen sei. 
und desshalb für Zahnärzte nicht den gewerberecht liehen Be¬ 
stimmungen unterliege. Diese Ansicht sei unrichtig. 
Der Zahnarzt, braucht zwar die Concession als Zahntechniker 
nicht zu erwerben, muss aber die Ausübung derselben als freit« 
Gewerbe anmelden und einen Gewerbeschein lösen. Da der be¬ 
klagte Zahnarzt einen solchen nicht, besitzt, war der Beschwerde 
stattzugeben. 

ln der Wiener Aerztekammer kam jüngst die Eingabe eines 
Arztes zur Verhandlung, in welcher die Kammer gefragt wird, 
ob es standeswidrig sei oder nicht, wenn ein Arzt seinen Nach¬ 
folger in eine fest, begründete, einträgliche Privatpraxis gegen 
Entgelt einführt und ihm auch private Praxis (Eisenbahn-, In¬ 
stituts- und Kassenarztenstelien) gegen bare Entschädigung 
übergibt. Der Referent (Dr. G russ) stellte nach ausführlicher 
Begründung folgenden Antrag: „Die Aerztekammer erklärt, dass 
entgeltliehe Einführung eines Nachfolgers in eine Privatpraxis, 
sowie die entgeltliche Uebcrlassung von privaten fixen Anstel¬ 
lungen im Allgemeinen nicht .standeswidrig sein muss, dass jedoch 
die Benrtheilung, ob in der entgeltlichen Uebertragung der Praxis 
an einen Nachfolger etwas Standeswidriges liege oder nicht, 
jedesmal nach den im conereten Falle obwaltenden Umständen 
beurtheilt werden muss. Im Wesentlichen docken sieh die bei 
Benrtheilung jede« Einzelfalles zu l>caehtenden Gesichtspunkte 
mit den Bestimmungen des § 878 des bürgerlichen Gesetzbuches.“ 
Dieser Antrag wurde angenommen. 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

ln dem Etat des k. Wantsministeriums des Innern für Kirchen- 
und Sehulangelegenheiten sind fiir die II e b n m m e n s c li u 1 e n 
au persönlichen und sächlichen Ausgaben jährlich 51556 M. t 
ea. 10 000 M. mehr als in der vomusgegangenen Finanzperiode au- 
gosetzt. Fiir die Münchener Hehammenschule ist ein Repetitor 
mehr postulirt mit Rücksicht auf die beabsichtigte Verlängerung 
der Hebaminenkurse von 4 auf 5 Monate und die Einführung von 
Repetitionskursen für die prakticirenden Hebammen. 

Auch die Beiträge an T a ubstu m men-. Blinden- eie. 
1 n s t i t u t e sollen erhöht werden. Für die Förderung des 
Unterrichts und der Erziehung der Taubstummen im Allgemeinen, 
insbesondere zur Bestreitung der Kosten von Anstaltsvisitationen 
und von kurzen Informationskursen für Specialärzte und Taub- 
stmn meide hi er, dann zur Gewährung von Stipendien zum Besuche 
auswärtiger Anstalten und von Zuschüssen an Taubstummen¬ 
anstalten in besonderen Fällen sind jährlich 5000 M. in den Etat 
eingesetzt. 


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29. Oktober 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1777 


Aus dem Neubauetat des Cultuswiulsterlums sind folgende 
Posten zu erwähnen: zunächst 82000 M. für Erweiterung des 
chemischen Laboratoriums In München einschliesslich 
innerer Einrichtung. Die neue ärztliche Prüfungsordnung verlaugt 
für die Zulassung zur ärztlicheu Vorprüfung den Nachweis, dass 
der Studireiulc ein Semester an einem chemischen Prakticum tlieil- 
genommen hat. Es ergibt sich hieraus die Nothwendigkeit, den 
Studirenden der Mcdiciu Gelegenheit zur Ableistung dieses Prakti- 
cutns zu beschaffen. Bisher haben, da ein solches Prakticum nicht 
vorgeschrieben war, nur Einzelne im chemischen Iaiboratorium 
praktlclrt; für die Folge muss nach der dermaligen Frequenz der 
mediciniseheu Fakultät damit gerechnet werden, dass alljährlich 
150—100 Studiremle das chemische Prakticum besuchen. Dazu 
kommt, dass die Studirenden der Medlcln nach dem mediciniseheu 
Studienplane und, da das Prakticum zweckmässig, erst nach 
Hörung der im Wintersemester stattfindenden Vorlesung über 
anorganische Chemie stattfindet, das Prakticum in der Kegel nur 
im Sommersemester erledigen können, und daher auf ein Semester 
sich zusammendrängeil werden. Für einen so starken Zugang 
von Praktikanten ist in den dermaligen Räumen des chemischen 
Laboratoriums kein Platz vorhanden oder zu beschaffen; es kann 
nur durch eine Erweiterung des Laboratoriums Abhilfe 'getroffen 
werden, die auch um desswillen als nothwendig sich erweist, weil 
der Unterricht für Chemiker und Mediciner nach verschiedenen 
Methoden erfolgt und daher eine Vereinigung beider in einem 
und demselben Arbeitsraume nicht thuulicli ist. (Es wird dann 
wohl auch eine eigene Professur für medicinische Chemie noth¬ 
wendig werden, lief.) — ln der Münchener Anatomie soll 
ein elektrischer Lelchennufzug um 0500 M. hergestellt werden, für 
Reparaturen an der U n 1 v e r s i t ä t s f r a u e n k 1 i n i k sind 
18 IKK) M., für Umbauten an der Kinderklinik 23 500 M. noth¬ 
wendig. Die frei werdenden Räume der bisherigen Centrallmpf- 
anstalt auf dem Areale des v. II a u n e r'schen Kinderspitals sollen 
der Kinderklinik zugewlesen werden und für die Dampfwäscherei 
adaptirt werden; das bisher im Hauptgebäude der Klinik abge- 
haltene Ambulatorium soll aus hygienischen Gründen, um An¬ 
steckungen im Hause zu vermeiden, in das Nelrengebäude verlegt 
werden. Für Umbau und Instandsetzungsarbeiteu am Münchener 
physiologischen Institut sind 13 500 M. postulirt. 

Der Wohnungshygiene wird seitens der bayerischen Staats¬ 
regierung grosse Aufmerksamkeit zugewendet. Zunächst ist für 
Förderung der W o li u u n g s p f 1 e g e ein ausserordentliches 
Postulat von 300 WO M. ln den Etat eingesetzt. Auf Grund der 
im vorigen Jahre vorgenommenen Ergänzung des Polizeistraf¬ 
gesetzbuches wurden mit Allerh. Verordnung vom 10. Februar 1901 
(Münch, med. Woehensehr. 1901, 8. 327) nähere Bestimmungen 
erlassen, noch denen die Beaufsichtigung des Wohnungs- und 
Schlafstellenwesens einzurichten und eine Beseitigung der wahr¬ 
genommenen Missstände herl>elzuführen sei. Die Handhabung 
dieser Bestimmungen kommt zwar in erster Linie den Gemeinden 
und der Ortpolizei zu; es wird jedoch dringend geboten sein, dass 
die Bestrebungen zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse und 
zur Beschaffung ausreichender und entsprechender Kleinwoh¬ 
nungen für Arbeiter und Minderbemittelte so viel als möglich 
durch Beihilfen des Staates unterstützt werden. Die Durchführung 
der Wohnungsaufsicht und insbesondere die Veranstaltung um¬ 
fassender Wohnungserhebungen wird namentlich in den grösseren 
Städten beträchtliche Kosten verursachen; hei der weittragenden 
Bedeutung, welche diese Maassnahinen für das öffentliche Leben 
haben, wird einzelnen Gemeinden, soweit veranlasst, eine pekuniäre 
Hilfe seitens dos Staates zu gewähren sein. Den Vereinen und 
Genossenschaften, welche sich die Sorge für Wohnungen zur be¬ 
sonderen Aufgabe machen, werden zwar staatliche Zuwendungen 
für ihre Bautluitigkelt nicht gewährt werden können; es erwachsen 
jedoch auf die Begründung, Befestigung und Ausgestaltung solcher 
Vereinigungen verschiedene nicht unerhebliche Ausgaben, die es 
gerechtfertigt erscheinen lassen, diesem gemeinnützigen Wirken 
mit Zuschüssen des Staates thunliehst entgegen zu kommeu und 
Vorschub zu leisten. 

Ausserdem ist der Abgeordnetenkammer ein Gesetzentwurf 
zugegangen, nach welchem der k. Staatsregierung ein Betrag von 
4 500 000 M. zur Verfügung gestellt werden soll zur Ver¬ 
besserung der Wohnungsverhältnisse der Be¬ 
amten, Bediensteten und Arbeiter der Staats- 
elsenbahnver waltu ng durch Herstellung von Wohn¬ 
gebäuden und Gewährung von Baudarlelien. 

Im k. Stnatsministerium dos Innern soll ein Central- 
Inspektor f ii r Fabriken u n d G e w erbe mit Titel, 
Rang und Gehalt eines Regierungsrathes aufgestellt werden. 
Hierdurch soll die einheitliche und planmässige Durchführung der 
Gewerbeaufsicht, sowie die Förderung des berechtigten Arbeiter¬ 
schutzes nach allen Richtungen erzielt werden, entsprechend den 
auch bei den letzten Lamltagsverlmudlungen geilusserteu Wün¬ 
schen, da die bisherigen Wahrnehmungen ergehen haben, dass die 
dem Ontraliuspektor obliegende Aufgabe denselben vollständig 
beschäftigt. Da seine Thätigkeit erheischt, dass derselbe von den 
Verhältnissen öfters an Ort und Stelle Einsicht nimmt und mit 
den äusseren Aufsichtsbeamteu vielfach in mündlichen Verkehr 
tritt, sind an hiefilr nothwemligen Diäten 2500 M. pro Jahr 
postulirt. 

Für den Bereleh der Post- nnd Telegraphen Verwaltung soll 
im Laufe der nächsten Finnnzperiode eine besondere Betriebs¬ 
krankenkasse errichtet werden; bisher waren die Arbeiter lokalen 
Krankenkassen zugetheilt. I)r. Becker- München. 


Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher. 
Der heutigen Nummer liegt das 118. und 119. Blatt der Galerie bei; 
(!arl v. Volt und Georg Friedrich Louis Thomas. 
Text hiezu siehe Seite 2751 uud 1754. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

M ü nchon, 20. Oktober 1901.*) 

— Der Kammer-Ausschuss zur Berutliung der Standes- 
und K h r e u g e r i e li t s o r d n u n g für die Aerzte Bayerns 
hat in seiner zweiten Sitzung die Generaldiscussion geschlossen, 
nachdem der ärztliche Korreferent, Herr Dr. II au her, nochmals 
mit warmen Worten für den Entwurf eingetreten war und auch 
der Referent, Herr v. Land mann, in seinem Schlusswort nicht 
mehr den schroff ablehnenden Standpunkt dnzunelimen sdileu, 
wie in seinem Referat. Es wurde sodann in die Spezialdiseussiou 
eingetreten und Lit. A Zlff. 1 in folgender Fassung ange¬ 
nommen: ,.A. Allgemeines. 1. Der Arzt ist verpfllebtet, seine 
Berufst liätigkeit gewissenhaft auszuüben uud durch sein Verhalten 
in Ausübung des Berufes, sowie ausserhalb dessellien sich der 
Aehtung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert. Politische, 
wissenschaftliche und religiöse Ansichten oder Hand¬ 
lungen eines Arztes als solche können niemals Gegenstand eines 
ehrengerichtlichen Verfahrens bilden.“ Hier Ist auf Antrag 
v. Landmnnn’s das Wort „wissenschaftliche“ nach „politische“ 
eingeschaltet. Die logische Folge dieser Aenderung der Ziffer 1 
wäre nun die Streichung der Ziffer 2: „Der Arzt muss auf dem 
Boden der wesentlichen Grundlagen der Heilkunde stehen, wie 
sie auf unseren Hochschulen gelehrt wird, und darf abweichende 
Ansichten nicht zu Reklatnezweckeu lienützen.“ Herr Korreferent 
H a u 1) e r hat diese Konsequenz nicht gezogen uud hielt (in der 
3. Ausschusssitzung) an seinem Anträge („Der Arzt muss auf dem 
Boden der wissenschaftlichen Heilkunde stehen und darf ab¬ 
weichende Ansichten nicht zu Reklamczweckeu benützen“) fest. 
Es liegt darin nach unserer Ansicht ein Widerspruch zu der vor¬ 
her angenommenen Ziffer 1. Herr v. Laudmauu wüuseht die 
Streichung der Ziff. 2 im Wortlaut des Entwurfs. Bis hierher 
werden zum Mindesten die Münchener Aerzte mit seinen Abäude- 
ningsantriigeu sehr einverstanden sein, denn sie entsprechen durch¬ 
aus den Beschlüssen, die der ärztliche Bezirksvereiu München in 
seiner Sitzung vom 15. Oktober 1898 (d. Wochenschr. 1898, S. 1303) 
gefasst hatte, denen dann allerdings die oberbayerische Aorzto- 
kauimer nicht beitrat. Wir sind damals heftig angegriffen worden, 
weil wir uns erlaubt hatten (d. Wochenschr. 1898, S. 1007) unser 
Befremden darüber auszusprechen, dass die Aerztekammer die 
wichtigen Anträge des Münchener Vereins ablehnte, ohne sie auch 
nur einer ernsthaften Discussion zu würdigen. I)le jetzigen Er¬ 
eignisse zeigen, wie berechtigt die Münclieiier Anträge waren. Denn 
alle Angriffe, die in der jüngsten Zeit in der Kammer und ausser¬ 
halb derselben gegen die Standesordnung gemacht wurden, richten 
sich in erster Linie gegen die Forderung, dass der Arzt auf dem 
Boden der wissenschaftlichen Mediciu stehen müsse. Mau be¬ 
fürchtet, wie vornuszuseheu war, von dieser Bestimmung, dass 
sie zur Knebelung jeder freien wissenschaftlichen Regung führeu 
werde. Man hätte vielen Schwierigkeiten, mit denen der Entwurf 
jetzt zu kilmpfeu hat, vorgebeugt, wenn man sich zur Streichung 
dieser undurchführbaren Bestimmung uud zur Annahme der Mün¬ 
chener Fassung der Ziffer 1, wie sie jetzt auch vom Kainmer- 
Ausscliuss gewählt wurde, entschlossen hätte. Wenn wir soweit, 
eigentlich gegen unser Erwarten, uns mit den Anträgen des Herrn 
Referenten in Uebereinstlmmung befinden, so erscheint uns da¬ 
gegen höchst bedenklich der von ihm der Ziffer 2 gegebene, ln’s 
andere Extrem gehende Wortlaut, der schliesslich auch zum Be¬ 
schluss erhoben wurde: „Die Heilmethode ist dem Ermessen des 
Arztes überlassen und kann nie den Gegenstand eines ehren¬ 
gerichtlichen Verfahrens bilden“. Was kann nicht Alles unter 
der Flagge einer Heilmethode segeln! Unter dem Schutze dieser 
Bestimmung könnten die bedenklichsten Experimente an Kranken 
ausgeführt werden, wenn dies nur unter der Form einer Heil¬ 
methode geschieht. Wir meinen, dass es auch für den Standpunkt 
»los Herrn Referenten genügt hätte, dass durch Ziffer 1 dem Arzte 
die unbedingte Freiheit seiner wissenschaftlichen Stellung ge¬ 
sichert ist. 

— 1 He neue bayerische Gebührenordnung f ü r ärzt¬ 
liche Dienstleistungen In der Prlvntprnxls ist 
nunmehr erschienen. Wir werden den Wortlaut der Verordnung 
in der nächsten Nummer bekannt gelten. 

— Der Stadt Frankfurt a. M. ist der Deutsch, med. Wochen¬ 
schrift zu Folge eine Stiftung zugefallen, die zur Förde¬ 
rung von Forschungen über die Ursache der 
Krebskrankheit bestimmt ist. Der Stiftungsbetrag beläuft 
sich auf 500 (HK) M. Namens der Pflegschaft der Stiftung ist Prof. 
Ehrlich, der Direktor des Instituts für experimentelle Patho¬ 
logie damit betraut worden, die Anstellung von Studien Uber den 
Krebs In die Wege zu leiten. Zu diesem Zweck ist Iteim Institut 
für experimentelle Patholögie eine ueue Asslstehteustelle einge¬ 
richtet worden, die Dr. Weiden re ich, dem bisherigen Assi¬ 
stenten an der anatomischen Universitätsanstalt in Stmssburg. 
übertragen worden ist. (Herr Dr. W. theilt uns mit, dass er nicht 


*) Die Kedaction der vorliegenden Nummer musste wegen 
eines sächsischen Feiertages im Interesse der onlnuugsinässigeii 
Bestellung der über Leipzig expedirten Bucbhändler-Auflnge schon 
heute geschlossen werden. 


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1778 


MXJENCKENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 44. 


auf die Venia legendi verzichten, wie in voriger Nummer gemeldet 
war, sondern sich nur beurlauben lassen wird.) 

— Die Deutsche Gesellschaft für Geschichte 
der Medlcin und der Naturwissenschaften, 
deren Gründung auf der Naturforscherversammlung ln Ham¬ 
burg vollzogen wurde, hat ihren Jahresbeitrag auf 10 Mark 
festgesetzt und als einmalige Einkaufssumme (statt des Jährlichen 
Beitrags) den Betrag von 150 M. bestimmt. Bei der Gründung der 
Gesellschaft sind ihr sofort 00 Herren aus Deutschland, Oester¬ 
reich-Ungarn und der Schweiz beigetreten, doch ist der baldige 
Eintritt Aller, welche sich für das Forschungsgebiet der Gesell¬ 
schaft interessiren, auch weiterhin dringend erwünscht. Auch 
körperschaftliche Mitglieder sind vorgesehen: naturwissenschaft¬ 
liche und medicinische Institute, Vereine und Bibliotheken, sowie 
industrielle Werke sind als solche besonders willkommen. Als 
unentbehrliches Erforderniss der historischen Forschung hat die 
Gesellschaft zunächst ein fortlaufendes Referat über alle Ver¬ 
öffentlichungen zur Geschichte der reinen und angewandten Natur¬ 
wissenschaften und der Medlcin in Angriff genommen. Das erste 
Heft dieses periodischen Organs soll zu Beginn des Jahres 1902 
erscheinen. — Als Schatzmeister der Gesellschaft funglrt Herr 
Dr. Emil W o h 1 w i 11 in Hamburg (Johnsallee 14), doch sind auch 
die anderen Herren des Vorstandes: Prof. Dr. Georg Kahl¬ 
baum in Basel (Stelnenvoretadt 4), Docent Dr. Max Neu¬ 
burger ln Wien (VI, Kollergerngasse 3), Dr. H. A. Peypers 
in Amsterdam (Parkweg 212), sowie der Vorsitzende, Sanitätsrath 
I)r. Karl Sudhoff in Hochdahl bei Düsseldorf zur Annahme der 
Beitrittserklärungen und der Mitglledsbeiträge, sowie zu jeder 
weiteren Auskunft bereit. 

— Das Orgnnisatlonscomltö für den 14. internationalen 
medieinisclien Kongress (Madrid 1903) hat beschlossen 
die Sektion für Otologie, Rhiuologie und Laryugologie in zwei 
Sektionen, fiir Otologie und für Rhinolaryngologie, zu theilen. 

— Pest. Italien. In Neapel ist zu Folge amtlicher Mit¬ 
theilung vom 12. Oktober seit dem 1. desselben Monats eine Neu- 
erkrankuug mit tüdtliebem Ausgange bei einer am Hafen herum¬ 
ziehenden Verkäuferin festgestellt worden. Von den bisherigen 
Pestkranken ist einer am 9. Oktober gestorben. Die Zahl der 
bakteriologisch festgestellten Pesterkrankungen seit Ausbruch der 
Epidemie wird auf 15 angegeben, daninter 8 Todesfälle; bei den 
übrigen Erkrankungen hat sich der Verdacht auf Pest nicht be¬ 
stätigt. — Aegypten. In der Zeit vom 4. bis 11. Oktober wurden 
insgesammt 5 Erkrankungen (4 Todesfälle) an der Pest gemeldet, 
davon 1 (2) in Alexandrien, 3 (1) in Mit Gamr, 1 (1) in Ziftah. — 
Britisch-Ostindien. In der Präsidentschaft Bombay sind in der 
am 2t». September abgelaufenen Woche 7144 Erkrankungen und 
5207 Todesfälle an »1er Pest festgestellt worden, d. h. 1111 bezw. 
<538 weniger als ln der Vorwoche. In der Stadt Bombay wurden 
in der am 21. S»*ptember endenden Woche 202 Erkrankungen und 
244 Todesfälle an der Pest, ermittelt; die Zahl der pestverdächtigen 
Sterbefälle betrug 149, die Gesammtzahl der Sterbefälle 914 gegen 
9(55 ln der Vorwoche. — Mauritius. In der Zelt vom 9. August 
bis 5. September wurden auf der Insel 11 Erkrankungen und 
8 Todesfälle an der Pest festgestellt. — Kapland. Nach amtlichen 
Ausweisen ist. in der Zeit vom 8. bis 21. September auf der Kap- 
halbinsel kein neuer Pestfall festgestellt worden. In Port Eliza¬ 
beth dagegen sind in der am 14. September abgelaufenen Woche 
11 neue Pestfälle, darunter 1 mit tödtlichem Verlaufe, ermittelt, 
und 3 verdächtig Erkrankte unter Beobachtung gestellt worden; 
ferner fand man am 18. September die Leiche eines an Pest ver¬ 
storbenen Eingeborenen. — Brasilien. In Rio de Janeiro ist einer 
Mittheilung in der dortigen Tagespresse vom 6. September zu Folge 
das Gebäude einer Zeitungsgeschäftsstelle behördlich geschlossen 
worden, weil mehrere Angestellte derselben an Pest erkrankt 
sind. — Queensland. Den amtlichen Ausweisen zu Folge ist ln 
der am 17. August abgelaufenen Woche 1 Pesttodesfall, ln der 
Woche darauf weder eine Erkrankung noch ein Todesfall fest¬ 
gestellt worden. Laut Mittheilung vom 7. September sollen seit 
dem 13. August neue Pestfälle nicht mehr angezeigt sein. 

— In der 41. Jahreswoche, vom 6. bis 12. Oktober 1901, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Posen mit 26,4, die geringste Kaiserslautern mit 6,4 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, Flensburg, Gera, Halle; 
an Masern in Altona; an Diphtherie und Croup in Borbeck, Erfurt; 
an Unterleibstyphus in Bochum, Gleiwitz. 

— Im Verlag von Otto Erler in Berlin erschien ein „Kunst¬ 
blatt“ unter dem Titel: Berlins berühmte Professoren 
der Medlcin. Das Blatt enthält 36 Medaillon-Portraits in 
Autotypie, auf Kreidepapier gedruckt. Das Format ist 50:65 cm, 
der Preis 2 M., angesichts der recht dürftigen Ausführung un»l 
Ausstattung nicht eben billig. 

(II ochsch ulnachrichten.) 

Breslau. Die neuen medieinischen Institute der hiesigen 
Universität sind nunmehr völlig fertiggestellt und haben einen 
Kostenaufwand von 393 000 M. erfordert, von denen auf »las hy¬ 
gienische Institut 110 000 M., auf das pharmakologische Institut 
100 000 M. und auf das physiologische Institut 177 000 M. eut- 
f allen. 

F r e i b u r g 1. B. Der ausserordentliche Professor in der 
medieinischen Fakultät der hiesigen Universität, Dr. Knies, 
hat auf die venia legendi verzichtet und wird sich künftig allein 
»ler Praxis als Augenarzt widmen. 

Heidelberg. Sonntag den 20. Oktober wurde im Audi¬ 
torium des physiolog. Instituts die Gedenktafel an W. Kühne 


mit Medaillon in Bronce vor einem Kreis von Freunden, Kollegen 
und Schülern des Verstorbenen enthüllt. 

Moskau. Der Privatdocent und ausseretatmässlge Assistent 
Dr. Lindemann ist zum ausseronlentlic-hen Professor der all¬ 
gemeinen Pathologie an der Kiewer Universität ernannt worden. 

Tomsk. Zum ausserordentlichen Professor der theoretischen 
Chirurgie ist der jüngere Arzt des Kalugaschen Milltärlazareths. 
K»>llogienussessor Dr A. M y 8 c h ernannt. 

(Todesfälle.) 

Die Aerzte Münchens haben einen schweren Verlust zu be¬ 
klagen: Einer ihrer besten und edelsten Kollegen, Herr Hof rat h 
Dr. Georg Näher, ist am 24. ds. in Folge einer Herzlühmuug 
plötzlich verschieden. Mit Näher geht eine markante Erschei¬ 
nung unter den Münchener Aerzten aus dem Leben, ein Mann, 
der in seltenem Maasse die Eigenschaften in sich vereinigte, die 
einem Arzte zur Zierde gereichen: Tüchtige Kenntnisse, ein für 
alles Gute und Edle begeistert schlagendes Herz, lebhaftes Inter¬ 
esse für alle öffentlichen Angelegenheiten, Arbeitsfreudigkeit und 
Aufopferungsfähigkeit im Dienste der Allgemeinheit, Energie und 
Initiative in der Behandlung übernommener Aufgaben, ein freier 
Sinn und ein festes Rückgrat. Liebenswürdigkeit im Umgang, ab¬ 
solute Zuverlässigkeit gegenüber seinen Freunden, strenges Recht- 
lichkeitsgcfühl und nie versagende Menschenfreundlichkeit; «lazu 
eine kraftvolle männliche Erscheinung, mit energischen und «loch 
so freundlichen Zügen, das mächtige Haupt von wallendem Haar 
umrahmt — das war Näher, so wird er In uns»‘rer Erinnerung 
fortlelM*n, ein leuchtendes Vorbild eines guten Arztes und 
Menschen. Die eingehende Würdigung der Thätigkeit X ä li »* r's 
einer späteren Schilderung überlassend, sei hier nur in Dankbar¬ 
keit au die Verdienste erinnert, die Näher sich in »len letzten 
Jahren, wohl unter allzu rücksichtsloser Anspannung seiner Kräfte, 
um die Aerztescliaft Münchens erworben hat. Nach dem To»le 
A u b’s zum Vorsitzenden des ärztlichen Bezirksvereins gewählt, 
wusste er alsbald das etwas erlahmte Interesse an den Arbeiten 
des Vereins auf eine bis dahin nicht gekannte Höhe zu bringen 
und vor Allem, er gewann d«*m Verein, worauf er bis dahin fast 
immer hatte verzichten müssen, praktische Erfolge. 
N ä h e r brachte »las Kunststück fertig, die gesummte Münchener 
Aer/.tescliaft unter einen Hut zu bringen uu«l erzielte dadurch in 
der Frage der Ilonorlrung der Atteste der Invalidität«- und Alters¬ 
versicherung, wie in dem Streite mit der Ortskrankeukusse IV 
Erfolge, die den Aerzten Münchens zur Ehre und zum grossen 
Nutzen gereichen. Weitere wichtige Aufgaben standen ihm in Aus¬ 
sicht. denen der Tod ihn nun entrissen hat. Ein unersetzlicher 
Verlust! Wir hoffen aber, dass der Geist des kollegialen Zusammen¬ 
halten«, den Näher unter die Münchener Aerzte getragen hat, 
ihn überdauern und die Lösung der von ihm no»*li angebahnten 
Aufgaben erleichtern wird. Das wäre der schönste Dank, »len wir 
unserem verstorbenen Führer für seine Treue erstatten können. 

Dr. T. Yanez y Font, Professor der geriehtl. Medlcin 
in Madrid. 

Dr. J. II. Ohievltz, Professor der Anatomie in Kopen 
liagen. 

Dr. Samuel J. Jones. Professor der Ophthalmologie und 
Otiutrie um Chicago medical College. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Verzogen: Dr. Ludwig Morgenthau von Ilollfeld nach 
Coburg. 

Gestorben: Dr. L. T. Hauer, Oberstabsarzt z. I». in 
Augsburg. 


Briefkasten. 

Von verschiedenen Seiten geht uns naehstelmüdes Inserat 
aus No. 492 der Münch. N. N. zu: „Aerzte! Ab Standesordnung 
Studie Aerzte v»*rsehiedener Branchen für Korrespondenz mul 
Reisen. Verzicht auf Approbation und Doktortitel Bedingung. 
Uebutig in brieflicher Behandlung erwünscht. Salair monatlich 
bis 1 00 M., Anfänger event. 30 M. Direktor J. Rottel. München. 
Sopliieustrasse la." Es handelt sich offenbar um einen, aller¬ 
dings recht übel angebrachten. Witz. Sophienstrasse la wohnte 
unser verehrter Kollege N ä h e r; »ler Name J. Rottel findet sich im 
Münchener Adressbuch überhaupt nicht. Damit entfallen alle au 
das Inserat geknüpften Folgerungen. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 42. Jahreswoche vom 13. biB 19. Oktober 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 1 (—*), Scharlach 1 (—), Diphtherie 
und Croup — (1), Rothlanf 1 (2), Kindbettfieber — (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 4 (2), Brechdurchfall 8 (11), Unterleibtyphus 
— (—), Keuchhusten 1 (1), Croupöse Lungenentzündung — (2), 
Tuberkulose a) »1er Lungen 12 (24) b) der übrigen Organe 10 (2), 
Akuter Gelenkrheumatismus 1 (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 3 (4), Unglücksfälle 3 (—), Selbstmord 1 (1), Tod durch 
fremde Hand — (—). 

Die Gesammtzahl der Ster jefälle 186 (181), Verhältn iss zahl auf 
dm» Jahr und lJ.'U Einwohner im Allgemeinen 19,3 (18,8), für die 
über dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 10,5 (10,0). 

•) Die a! ng eklam merten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verl»ig von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthaler's Buch- und Kunstdruckerei A,U-, München. 


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Zusendungen sind su adroartren: Tür die Bednotloil 
Ottostrasse t. — Kür Abonnement an J. F. Leh¬ 
mann, Henstraxse 20. — Kür Inserate und Beilagen 
an Rudolf Mosse, Promenadeplats 16. 



EDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Ch. Binlir, 0. Bolünger, H. CerschBinn, 

Treib «r* I. B. München. Lei pst*. 


Herausgegeben von 

C. 6erhirdt, 6. Mtrkil, J.!. Michel, H. v. Rilke, F. i. Wiickil, H. i Zlnssii, 

Berlin. Nürnberg. Berlin. München. München. München. 


No. 45. 


5. November 1901. 


Redaction: Dr. B. Spats, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Henstrasse 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der k. dermatologischen Klinik des Herrn Prof. Dr. Posselt 
zu München. 

Zur Protargolbebandlung der Gonorrhoe. 

Von Privatdoeent Dr. .T e s i o n e k, Assistent der Klinik. 

Im Anschlüsse an N e i s s e r’s erste Mittheilung über das 
Protargol und die mit don Lösungen dieses Silbereiweisspräpa¬ 
rates ausgeführten prolongirten Injektionen ist auch auf der Ab¬ 
theilung für Geschlechtskranke im Krankenhause 1/1. dieses neue 
Silbersalz bei der Behandlung der Gonorrhoe in Anwendung ge¬ 
zogen worden. Die Resultate, welche wir erzielt haben — in der 
ersten Zeit hauptsächlich bei der Behandlung der gonorrhoischen 
Urethritis des Mannes — sind üusseret befriedigende gewesen. 
Vor Allem waren wir erfreut zu sehen, wie rasch die Gouocoocen 
aus dem Sekrete verschwanden, wie rasch dasselbe an Quantität 
und Qualität sich zum Besseren wendete. Die sich allmählich 
erstellenden und bald sich häufenden ungünstigen Berichte in 
der Fachpresse blieben uns in Anbetracht unserer Erfolge längere 
Zeit unverständlich; wir thcilten vollkommen die Freude aller 
Derer, welche an einem grösseren oder kleineren Materiale das 
neue Mittel als gut befunden hatten und cs als eine bedeutsame 
Errungenschaft in der Therapie des blennorrhoischen Proeessee 
priesen. 

Indessen im Laufe der Zeit ergaben sich auch uns in nicht 
unbeträchtlicher Anzahl Beobachtungen, welche uns an der Vor¬ 
trefflichkeit der neuen Silberei Weissverbindung Zweifel zu er¬ 
wecken geeignet waren. Wir hatten Gelegenheit eine Reihe von 
Fällen zu verzeichnen, in welchen die Gonococcen durch das in 
Anwendung gebrachte Protargol wenig oder gar nicht beeinflusst 
worden sind. Dass der eine oder der andere Fall sich refraktär 
verhalten hätte, wäre ohne grosse Bedeutung gewesen; aber die 
ungünstigen Wahrnehmungen mehrten sieh in der Klinik sowohl, 
wie an Patienten, welche ambulant in unserer Behandlung stan¬ 
den'. Geradezu schlecht wnren die Erfolge, die wir bei der Be¬ 
handlung von gonorrhoischen oder anderweitig infektiösen 
Blasenkatarrhen oder von hartnäckigeren Erkrankungen der 
Urethra posterior erhielten. Wir hatten Ausspülungen der er¬ 
krankten Organe mit % bis 2 proc. Lösungen des Protai*gol ge¬ 
macht, ganz in der nämlichen Weise, wie wir früher mit den 
anderen antigonorrhoischen und desinfizirenden Mitteln vor¬ 
gegangen waren. Auf die Methode konnten unsere Miss¬ 
erfolge nicht zurückgeführt werden; cs erschien uns zweifellos, 
dass es das neue Mittel selbst war, welches uns da bei einer Reihe 
von Fällen im Stiche gelassen hat. 

Eines fiel uns auf. Die Spülflüssigkeiten, die wir, wie ge¬ 
wöhnlich bei der Applikation auf die inneren, Organe, erwärmt 
hatten, waren von sehr dunklem, oft bierähnlichem Aussehen. 
Der Konzentrationsgrad der Lösungen schien auf die Farbe nicht 
von ausschlaggebender Bedeutung zu sein. Bald überzeugten wir 
uns, dass die Farbe des Protargol selbst eine sehr variable war, 
bald war sie heller, bald dunkler. Wir waren geneigt, im An¬ 
schluss an die verschiedene Farbe des Protargol in Substanz, der 
Lösungen, im Anschluss an therapeutische Misserfolge, im An- 
schluss auch an literarische diesbezügliche Mittheilungen anzu¬ 
nehmen, dass es sich um ein Präparat handle, welches ab und zu 
in minderwerthiger Beschaffenheit auf den Markt gelange oder 

No. 46. 


wenigstens ungleichmässig in seiner Zusammensetzung, in¬ 
konstant in seinem therapeutischen Werthe sei. Erst allmählich 
wurde uns die Aufklärung. Wir erkannten, dass Blasen¬ 
spülungen, welche mit erwärmten Lösungen vorge¬ 
nommen wurden, nicht immer, aber recht häufig einen negativen 
Effekt ergaben im Gegensatz zu Spülungen, bei welchen die 
Flüssigkeit nicht erwärmt worden war. Als Hauptquelle aller 
unserer therapeutischen Misserfolge hatten wir bald die von uns 
vorgenommene Erwärmung der zu den Spülungen, Injek¬ 
tionen und Instillationen verwendeten Lösungen kennen gelernt. 
Wir gebrauchten seither ausschliesslich Lösungen von gewöhn¬ 
licher, nicht auf Körperwärme erhöhter Temperatur. 

Noch wichtiger aber für den therapeutischen Erfolg als das 
Erwärmen, resp. Nichterwännen der bereiteten Lösungen un¬ 
mittelbar vor der Applikation ist ein zweiter Punkt: Die 
Lösungen selbst müssen in der Kälte herge¬ 
stellt werden. 

In der letzten Zeit ist von verschiedener Seite darauf hin¬ 
gewiesen worden, welch’ grosse Bedeutung der richtigen Zu¬ 
bereitung der Lösungen des Protargol zukomrat. Es ist zu ver- 
muthen, dass den immer noch so sehr divergenten Urtheilen über 
den therapeutischen Werth des Protargol die verschiedene Art 
und Weise der Bereitung der Lösungen zu Grunde liegt, dass es 
Aerzten und Apothekern noch nicht genügend bekannt ist, dass 
bei der warmen Zubereitung der Protargollösungen und beim 
Kochen derselben eine Zersetzung des Protargol, eine Abspaltung 
des Silbers stattfindet. Die Flüssigkeit ist alsdann einerseits 
vollkommen wirkungslos, andererseits geeignet, Reizzustiinde am 
Orte der Applikation hervorzurufen. Von ophthalinologischer 
Seite hat letzthin Engel mann 1 ) darauf hingewiesen, dass 
dio ungemein verschiedenartige Bcurtheilung, welche dem Pro¬ 
targol seitens der Augenärzte zu Thcil geworden ist, wie das aus 
v. S i c h e r c r’s : ) Sammelreferat so deutlich zu ersehen ist, in 
erster Linie in der Ungleichmäßigkeit der Zubereitung der 
Lösungen begründet sein dürfte. Was F. Goldmann“) der 
Deutschen pharmazeutischen Gesellschaft in der Sitzung vom 
7. März d. J. vorgetragen hat, verdient allgemeinere Kenntniss- 
nahmc und Würdigung: 

„Der Ausführung von Protargolverordnuugon Ist eine be¬ 
sondere Sorgfalt zuzuwenden, da nicht sachgemäß hergestellte 
Lösungen nicht nur dem Patienten Nachthell bringen können, son¬ 
dern auch geeignet sind, Differenzen zwischen Apotheker und 
Publikum, sowie Apotheker und Arzt herbeizuführen. Die Her¬ 
stellung der Lösung soll niemals unter Benützung von warmem 
Wasser erfolgen. Bel höheren Konzentrationen kann eine Zer¬ 
setzung elntreten, welche als Trübung oder Niederschlag in Er¬ 
scheinung tritt. Eine solche objektiv erkennbare Veränderung 
kann Indessen auch fehlen, und so Ist es fast ausnahmslos bol 
Lösungen, wie sie für die Injektionen gegen die Gonocoecen- 
lnvaslon gebräuchlich sind. Wenn wir auch heute noch nicht mit 
Bestimmtheit In einer durch Erwärmen hergestellten Lösung eine 
Aenderung im chemischen Sinne uachwelseu können, so lässt sich 
ein Einfluss der Erwärmung doch nach anderer Richtung hin fest¬ 
stellen. Eine durch warmes Wasser erzielte Protargollösung 
sicht zunächst dunkler ln der Färbung aus, als eine kalt bereitete. 
Es handelt sich hierbei allem Anschein nach um eine Oxydation 
der im Protargol enthaltenen Proteinkörper. Eine warm bereitete 
Lösung als Injektionsflüsslgkeit benützt, reizt nicht selten, 
während die gleiche Lösung kalt bereitet und bei dem gleichen 


') Centralbl. f. Gyn. 1001, 1. 

*) Zeltschr. f. Augenheilk. 1900, Bd. IV. 

*) Berichte der D. pharm. Ges. 1901, XI. Jahrg., H. 3. 

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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1780 


No. 45. 


Patienten applizirt, reaktiouslos vertragen wird. Hieraus ergibt 
sieh ohne Weiteres, dass die Benützung von warmem Wasser zum 
Zwecke des Auflösens von* Protargol unstatthaft ist.“ 

Nichts ist einfacher und leichter, als sich von der Richtigkeit 
vorstehender Ausführungen zu überzeugen. 

Wir haben bei einer nicht geringen Anzahl von Patienten 
(Jelegenlieit gehabt, zu sehen, dass die von ihnen in richtiger 
Weise ausgeführten Injektionen von Protargollösungen die Gono- 
coceen nicht abzutödten vermocht hatten, dass das Sekret selbst 
nach bereits längerem Gebrauch des Protargol sich, diokrahmig, 
stark eitrig erhalten hatte, dass die akut entzündlichen Erschei¬ 
nungen an der Urethra noch sehr beträchtliche waren, da§s aber 
alle diese Erscheinungen sich besserten, dass Röthung und 
Schwellung des Orificium zurückgingen, dass das Sekret spär¬ 
lich, milchig, reicher an Epithelien wurde, dass die Gonococcen 
alsbald verschwanden, wenn wir die von uns selbst kalt her¬ 
gestellten Lösungen in Gebrauch nehmen Hessen. Wir mussten 
uns überzeugen, dass nichts anderes als die verschiedene Her¬ 
stellungsart die verschiedene Wirkung zu erklären vermochte. 

Zu dem Zwecke der Herstellung der Lösungen sind 2 Metho¬ 
den angegeben worden. Bei der ersten wird das Protargol mit 
Glycerin und Wasser in der Porzellanschale in bestimmtem Ver¬ 
hältnisse verrieben, worauf durch Aufgiessen von Wasser die 
gewünschte Konzentration erzielt wird. Es ist gegen diese 
Methode in erster Linie einzuwenden, dass schlechterdings nicht 
zu ersehen ist, aus welchem Grunde Glycerin zur Herstellung der 
Lösung in Anwendung gebracht wird, wenn es sich um die Aus¬ 
führung einer Rezeptur handelt, in welcher ausschliesslich Pro¬ 
targol und Wasser verordnet ist. Andererseits ist nicht in Ab¬ 
rede zu stellen, dass bei einer nicht kleinen Anzahl von Fällen 
das Glycerin, auf die Schleimhaut applizirt, eine Reizwirkung 
zu entfalten vermag. Ich habe mich davon durch eine an männ¬ 
lichen und weiblichen Urethren angestellte Untersuchung über¬ 
zeugt, dass das 20 p r o c. Protargolglycerin, das als Prophylak- 
tikum vielfach empfohlen wird, viel häufiger und in viel inten¬ 
siverem Grade eine Reaktion am Orificium urethrae veranlassen 
kann, als dies eine 20 proc. wässerige Lösung zu bewirken im 
Stande ist. Ich habe bis jetzt fünfmal Gelegenheit gehabt, 
Studirende zu untersuchen, welche das genannte Prophylaktikum 
nach der suspekten Kohabitation in Anwendung gezogen hatten. 
Drei davon zeigten, je zwei am vierten, der eine am fünften Tage, 
lebhafte entzündliche Symptome am Orificium, mit Gonococcen 
im dick-purulenten Sekret. Von den zwei anderen Studirenden 
aber kam der eine schon am ersten Tage, der andere am zweiten 
Tage post coitum in Behandlung mit Erscheinungen, die im 
ersten Momente gleichfalls daran denken Hessen, dass es sich 
um eine reeente gonorrhoische Infektion handle. Erst der nega¬ 
tive Ausfall der mikroskopischen Untersuchung und der weitere 
Verlauf der Affektion sicherte die Diagnose einer einfachen, 
nicht gonorrhoischen Entzündung. Mangels anderweitiger 
anamnestischer Anhaltspunkte bin ich geneigt, diese zwei 
Urethritiden auf die Einwirkung des Protargolglycerin zurück¬ 
zuführen, oder vielmehr im Wesentlichen auf das Glycerin allein; 
denn bei meinen Untersuchungen mit der 20 proc. wässerigen 
Lösung habe ich derartige heftige Reaktionserscheinungen an 
der Harnröhre nicht wahrgenommen, wie das bei jenen zwei 
Studirenden der Fall gewesen war. 

Brachte ich Glycerin tropfenweise in die vorderste Partie 
der Urethra von männlichen oder weiblichen Individuen, so 
konnte ich bei einem Drittel der also behandelten Fälle entzünd¬ 
liche Reizerscheinungen feststeUen. Es erscheint mir zweifellos, 
dass das Glycerin bei einer Reihe von Menschen auf die Schleim¬ 
haut ungünstig einwirkt. Im Uebrigen steht das Verhalten der 
Haut dem Glycerin gegenüber hierzu in Analogie. Das Ein¬ 
fetten der „gesprungenen“ Hände mit Glycerin wird häufig ge¬ 
übt und auch vielfach nicht schlecht ertragen. Daneben sind 
aber Beobachtungen vom Gegentheil, von Reizerscheinungen an 
der mehr oder weniger intensiv ekzematös erkrankten Haut nicht 
gerade selten zu machen. 

Mit Rücksicht auf diese Erwägungen halte ich die Her¬ 
stellung von Protargollösungen unter Glycerinzusatz für nicht 
zweckmässig. Ein zwingender Grund, Glycerin zuzusetzen, liegt 
überhaupt nicht vor. 

Protargol löst sich in kaltem Wasser bis zu einem Procent¬ 
satz, welcher für die Behandlung der Gonorrhoe gar rdeht mehr 
in Betracht kommt, bis zu. 50 Proc., und ausserdem ist die zweite 


Methode so einfach, dass nicht zu ersehen ist, warum ihr nicht 
vor der ersten der Vorzug eingeräumt werden sollte. Sic besteht 
darin, dass man das Protargol, ein pulvcrförttiiges^Präparat, apf 
der Oberfläche der Waasermengo in einem möglichst flächen, 
sc.halonartigen Gefässo durch Aufpudern möglichst fein vertl^ejt, 
so dass der Wasserspiegel wie mit einem staub- oder 1 pilzraseit- 
artigen Uoberzug bedeckt erscheint. Man lässt das Gefäss ruhig 
stehen, rührt nicht um; nach der vollkommenen Lösung, welche 
unter, Verfärbung, dejr Flüssigkeit eiphefgeht, bewirkt man den 
gewünschten Konzcntrattonsgrad- durch Zugieasen von Wasser. 
Bringt man bei Zimmertemperatur auf die Oberfläche des 
Wassers in einem gewöhnlichen Schoppenglas mit etwa 7 cm 
Weite 1,0 Protargol in der geschilderten Weise,, sq, hat. man 
nach 30—12 Minuten eine richtig hergestellte 0,4 proc, Losung 
von klarer hellbrauner Farbe. Lässt man nun diese läisung 
Licht und -Luft ausgesetzt stehen, bemerkt man, bereit^ nach 
12 Stunden, dass die Farbe der Flüssigkeit eine wesentlich 
dunklere geworden ist. Eine derartige, augenfällig^. Farhpr)- 
veränderung macht sich übrigens auch bei nur einigermaassen 
stärkeren Lösungen, die in dunklen verschlossenen Flaschen auf¬ 
bewahrt werden, gleichfalls nach nicht zu langer Zeit geltend. 
An 10 proc. Lösungen, welche wir bei der Behandlung der 
Cerviealgonorrhoe in Gebrauch nehmen, habe ich beobachtet, 
dass sie nach längerem Stehen nicht nur .sehr.dunkel, sondern 
auch sehr trübe werden. Es soll die allmählich sich geltend 
machende dunkle Farbe auf Oxydationsvorgängen der Eiweiss¬ 
körper beruhen, ohne, bei nicht zu hohen Konzentratioiisgradeu 
der Lösung, eine Zersetzung derselben anzudeuten. Es ist immer 
eine missliche Sache, bei Silberlösungen Farbeveränderungen 
wahrzunehmen; man ist gerne geneigt, ihrer therapeutischen 
Wirksamkeit gegenüber misstrauisch zu werden. Ich sehliesse 
mich vollkommen der Ansicht Goldman n’s an, welcher sich 
dahin ausspricht, duss die in manchen Apotheken scheinbar 
herrschende Gepflogenheit, konzentrirte Lösungen herzustelleu 
und von solchen mehr weniger lange Zeit aufbewahrtop Stamm¬ 
lösungen die in den Ordinationen gewünschten Verdünnungen 
zu bereiten, zu verwerfen sei, und dass es für den Arzt äüsserst 
zweckmässig sein dürfte, der Protargolordination beizufügen, 
dass die Lösung in der Kälte und frisch herzustellen sei. 

Achtet man darauf, dass die Lösungen in richtiger Weise 
zubereitet werden, dass dieselben vor ihrer Applikation auf,die 
Schleimhäute nicht erwärmt werden, dass nur frische. Lösungen 
stets in Anwendung gebracht werden, so wird man den von uns 
an einein sehr grossen klinischen Materiale gemachten Wahr¬ 
nehmungen nach die Vorzüge des Protargol erkennen und wohl 
nicht in Abrede stellen, dass seine Einführung in die Gonorrhoe- 
behandlung einen ganz wesentlichen therapeutischen Fortschritt 
bedeutet. • 

Aus der Menge der auf unserer Klinik mit Protargol. be¬ 
handelten Fälle von Urethritis gonorrhoica des Mannes sind im 
Laufe der letzten Jahre in ziemlich beträchtliche!; AnzahL solche 
Fälle herausgegriffen und zur Aufstellung einer Statistik-yer.- 
wendet worden, bei welchen hinsichtlich der Protargollösungen 
die oben besprochenen Verhältnisse in Berücksichtigung gezogen 
worden waren und welche von vorneherein längere Zeit hindurch 
in unserer Beobachtung zu bleiben versprachen. Es hat. sich 
dieses letztere, zum Zwecke einer möglichst exakten Beurtheilung 
des Heilwerthes unerlässliche Postulat, natürlich nur in. be¬ 
schränktem Maasse erfüllt. Immerhin verfügen wir über eine 
Statistik von 387 Fällen, welche nur insofeme als ausge- 
wählte bezeichnet worden dürfen, als sie mindestens .drei 
Wochen in unserer Beobachtung gestanden sind, und als ihnen 
eine genaueste protokollarische Würdigung der jeweiligen klini¬ 
schen Wahrnehmungen zu Theil geworden ist. Dass vor» Ein¬ 
leitung der Behandlung-in jedem einzelnen Falle der positive 
mikroskopische Nachweis von Gonococcen im UrethraUekrete er¬ 
bracht worden ist, ist selbstverständlich. ... : 

Bezüglich der im Allgemeinen zur Durchführung gebrachten 
Methodik der Behandlung muss vorausgeschickt werdeu, dass 
für dieselbe die Angaben N e i s s e Fs in seiner ersten Veröffent¬ 
lichung maassgebend gewesen sind. Da eine rationelle Tbeiapib 
der Gonorrhoe des Mannes in ganz hervorragendem Maosse den 
individuellen Verhältnissen Rechnung tragen muss, ist es ganz 
unmöglich, von vorneherein ein bestimmtes Sßhenja festzusteUen, 
oder, mit anderen Worten, an dieser [Stelle auseinandfirzusetaen. 


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5. November 1901. 


MUENCHENEß MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


1781 


welche einzelnen Modifikationen die therapeutischen Maass¬ 
nahmen bei den einzelnen Fällen erlitten haben, welche ver¬ 
schiedenartige Berücksichtigung den verschiedenen anatomischen 
und physiologischen in Betracht zu ziehenden Eigentümlich¬ 
keiten, den pathologischen komplikatorischen Zuständen zu Thoil 
geworden ist. Es können nur die allgemeinen, bei der Behand¬ 
lung der Gonorrhoe mit Protargol für uns maassgebeuden und 
in der praktischen Ausübung derselben betätigten Gesichts¬ 
punkte hier ihre Erwähnung finden. 

" 'Wir beginnen die Injektionsbehandlung s o f o r t nach der 
Erledigung der verschiedenen Voruntersuchungen, unter der Be¬ 
dingung, dass nicht zu heftige Reizerscheinungen, Kompli¬ 
kationen mit akutem Charakter vorhanden sind. Solche ver¬ 
suchen wir zuerst durch, antiphlogistische Maassnahmen zu be¬ 
einflussen. Durch Bettruhe, kühlende Uebcrschläge, Eisblase, 
prolpngirte Sitz- und Vollbäder, Regelung der Diät und der 
Darmthätigkeit, durch Suppositorieu u. s. w. streben wir darnach 
auch im weiteren Gange der Behandlung jede 
Reizung zu mildem und hintanzuhalten. 

Durch möglichst häufige und möglichst prolongirte Injek¬ 
tionen sueheil wir das Mittel möglichst lange auf die Schleim¬ 
haut einwirken zu lassen. Die Kranken werden geradezu unter¬ 
richtet, wie die Einspritzungen zu machen sind. Nach Mög¬ 
lichkeit werden dieselben, vom Arzte oder von geschultem Wärter¬ 
personale kontrolirt. 

Wie lange wir die prolongirten Injektionen in möglichster 
Häufigkeit vornehmen lassen, machen wir abhängig einerseits von 
den Reizerscheinungen, vor Allem von- der Beschaffenheit und 
Menge des Sekretes, andererseits von dem Verhalten der Gono- 
coccen. Sind diese aus den mikroskopischen Präparaten ver¬ 
schwunden, besteht dabpi das Sekret zum grösseren Theile aus 
Epithelien und Schleim,' so lassen wir bald nur dreimal des Tages, 
bei Fortdauer des günstigen Ablaufes schliesslich nur einmal 
des Tages eine prolongirte Injektion ausführen. 

Gerade bei der Verwendung des Protargols in der Tripper¬ 
behandlung muss der Gedanke beim Arzt wie beim Kranken 
immer mehr sich Bahn brechen, dass bei Beginn der Therapie 
gar nicht oft genug, soweit die entzündlichen Zustände der 
Schleimhaut dies nur einige rmaassen gestatten, und beim Ab¬ 
schluss der Therapie gar nicht lang genug „gespritzt“ werden 
kann. Bei der Behandlung der Ophthalmoblennorrhoe tritt es 
ganz besonders klar zu Tage, wenn man über ein grösseres Be¬ 
obachtungsmaterial zu verfügen Gelegenheit hat, dass es für den 
therapeutischen Effekt weniger in Betracht kommt, welches der 
nntigonorrhoiachon Mittel man in Verwendung zieht, als dass 
man möglichst häufig und damit möglichst gründlich den Con- 
junctivalsack von den der Schleimhaut auflagernden Sekret- 
massen mechanisch befreit. Ob man hiezu Borwasser, dünne 
Argentumlösungen, Argoniu, Largin oder Protargol verwendet, 
beeinflusst die vergleichende Statistik des Ileileffektes, nach 
unseren Erfahrungen, so gut wie gar nicht. Es liegt auf der 
Hand, dass die Urethralsehleimhaut es ebenso angenehm und 
vortheilhaft empfinden wird, häufig und gründlich von Schleim 
und Eiter und Pilzen gereinigt zu werden, wie das bei der Binde¬ 
haut der Fall ist, natürlich immer vorausgesetzt, dass die vor¬ 
handene Entzündung dabei nicht gesteigert wird, dass Mittel in 
Anwendung gezogen werden, welche neben einer spezifischen Wir¬ 
kung auf die Krankheitserreger die erkrankte Schleimhaut selbst 
günstig beeinflussen. Geeignete Protargollösungen können und 
müssen aber nicht nur bei Beginn der Behandlung oft und 
reichlich mit der Schleimhaut in Berührung gebracht werden; 
es ist unumgänglich nothwendig, wenn nicht nur scheinbare, 
vorübergehende Erfolge erzielt werden sollen, die Behand¬ 
lung lange fortzusetzen. Damit berühre ich einen 
Punkt, der vielfach nicht genügend berichtigt worden ist, und 
dessen Ausserachtlassung zu einer ungünstigen Beurtheilung des 
Protargol geführt hat, auf einen Nachtheil, der dem Protargol 
zum Vorwurf gemacht worden ist, der darin bestehe, dass die 
Protargolbehandlung der Verschleppung der Tripperkrankheit 
Vorschub leiste. 

Gewiss, es ist etwas Wahres in einer solchen Behauptung 
gelegen, aber der Vorwurf trifft nicht das Mittel selbst. Das 
Protargol vermag sehr rasch die Masse des Sekretes zu 
verringern, seine Qualität zu bessern, die Gonococcen im Gewebo 
abzutödten. Es ist absolut nichts Ungewöhnliches, dass wir be¬ 


reits 24 oder 48 Stunden nach Beginn der Behandlung keine 
Gonococcen mehr im Sekret oder in den Filamenten nachweisen 
können, dass wir höchstens noch vereinzelten, zerstreut liegenden 
Diplococcenpaaren von verschiedenen Grössenverhältnissen be¬ 
gegnen, deren Identifizirung gegenüber auch die G r a m’sclie 
Färbung uns oft genug im Stiche lässt. Die Erfahrung hat aber 
gelehrt, dass nichts in der modernen Trippertherapie einen ver- 
hängnissvolleren Irrthum darslellt, als wenn Arzt oder Patient 
sich verleiten lassen, im Anschluss an die günstigen Wahrnehm¬ 
ungen von definitiver Heilung zu sprechen und die Behandlung 
abzubreehen. Fast täglich haben wir Gelegenheit, uns zu über¬ 
zeugen, dass wenn wir schon 5 oder 8 Tage bei eingehenden zahl¬ 
reichen Untersuchungen das Sekret pilzfrei gefunden haben, nach 
dem Aussetzen der Injektionen die Gonoccccen wieder zum Vor¬ 
schein kommen können. Bevor nicht mindestens 10 Tage hin¬ 
durch die mikroskopische Untersuchung zahlreicher Präparate, 
oder mit Rücksicht auf die oft geringe Menge des Sekretes, 
möglichst zahlreicher Präparate, ein negatives Resultat er¬ 
geben hat, wagen wir es nicht, von wirklicher Heilung zu 
sprechen. Prostatamassage, Untersuchung, d. h. mechanische 
Reizung des Hamröhrenlumen mit der Knopfsonde, die Auf¬ 
nahme der gewöhnlichen Kost, von Bier, müssen zuerst reaktions¬ 
los vertragen worden sein. In unserer Statistik sind nur die¬ 
jenigen Fälle als „absolut“ geheilt aufgeführt, bei welchen diese 
Forderungen erfüllt sind. 

Dio Kranken können gar nicht ernst genug darauf auf¬ 
merksam gemacht werden, wie sehr es in ihrem Interesse gelegen 
ist, auch nach dem Verschwinden aller Symptome noch mög¬ 
lichst lange die Injektionskur fortzusetzen, indem sie wenigstens 
einmal des Tages eine prolongirte Einspritzung vornehmen. Von 
einer Abkürzung der Behandlung der Gonorrhoe durch das Pro¬ 
targol kann nicht die Rede sein. 

Was den Konzentrationsgrad der Lösungen betrifft, so be¬ 
ginnen wir beinahe bei jedem Falle mit V* proc. Lösungen. Es 
ist dies derjenige Procentgehalt, welchen wir auch während des 
weiteren Verlaufes der Behandlung, wenigstens bei frischen 
Fällen am meisten bevorzugen. Es kommt ihm die geringste Reiz¬ 
wirkung zu, und es hat den Anschein, als ob die Tiefenwirkung 
des Protargol in umgekehrtem Verhältniss zur Konzentration 
seiner Lösung stünde. Andererseits scheinen Lösungen von 
% bis 2 Proc. bei den verschiedenen Graden der Entzündungs¬ 
zustände älterer Infektionen sich so lange günstig zu erweisen, 
als eine gewisse, relativ graduirte Reizwirkung an und für sich 
indizirt erscheint. 

Ich berühre damit eine Eigenschaft des Protargol, hinsicht¬ 
liche deren in der mir vorliegenden Literatur im Grossen und 
Ganzen ein Standpunkt eingenommen wird, auf welchen ich mich 
auf Grund meiner Beobachtungen, wie sich aus den unten folgen¬ 
den Ausführungen noch des Weiteren ergeben wird, nicht zu 
stellen vermag. So absolut reizlos, wie im Allgemeinen das 
Protargol in seiner Einwirkung auf die Schleimhäute geschildert 
wird, habe ich es nicht gefunden. Eine oft nur sehr geringe 
Menge einer % proc. I-ösung in eine gesunde Urethra gebracht, 
vermag eine Reaktion hervorzurufen, welche an und für sich 
gerade nicht hochgradig ist, aber wohl kaum auf den mecha¬ 
nischen Insult der Schleimhaut allein zurückgeführt werden 
kann. Vergleiche mit der Reaktion der Schleimhaut auf unter 
den gleichen -Kautelen vorgenommene Injektionen von Bor¬ 
wasser oder physiologischer Kochsalzlösung vermögen das an 
einer Reihe von Individuen zu beweisen. Und je höher der Kon¬ 
zentrationsgrad, um so intensiver — ich gebe allerdings zu, 
nahezu immer innerhalb mässiger Grenzen sich haltend — sind 
die reaktiven Erscheinungen. Da nun aber eine auch nur gering¬ 
gradige entzündliche Reizung keineswegs während des ganzen 
Verlaufes der Behandlung am Platze sein dürfte, kehren wir 
nach dem vorübergehenden Gebrauche von Väs bis 2 proc. Lösungen 
immer wieder gerne zu den am wenigsten irritirenden !4 proc. 
Lösungen zurück. 

Eine exakte Angabe, wann die Behandlung mit adstringiren- 
den Mitteln sich den Protargolinjektionen anreihen soll, ist 
schwer zu machen. Auch hier sind individuelle Verhältnisse in 
hervorragendem Grade zu berücksichtigen. Fis kann durch eine 
zu frühzeitige Anwendung der bei uns gebräuchlichen Lösungen 
von Zinc. sozojodol. ebenso sehr geschadet werden, wie durch die 
gerade zur richtigen Zeit cinsctzcnde Unterstützung der anti- 

1 * 


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1782 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


bakteriellen Therapie der rasche und gründliche Ablauf der 
Affektion gefördert, wird. Im Allgemeinen ziehen wir das ge¬ 
nannte Adstringens in einer Lösung von Vz —1 Proc. dann in 
Gebrauch, wenn das Sekret vorwiegend epithelialen Charakter 
angenommen hat, die Gonococcen verschwunden sind, anderer¬ 
seits aber auch, wenn, ohne dass beträchtlichere Hyperaemie 
oder Schwellung an der Harnröhrenmündung oder sonst irgend 
wo sich nachweisen lassen, die purulente Sekretion, wie das ab 
und zu vorkommt, sich sehr hartnäckig erhält, auch wenn die 
Krankheitserreger selbst ganz oder theilweise aus den Präparaten 
sich verloren haben. Die Nothwendigkeit, ein Adstringens in 
die Behandlung neben das Protargol einzuführen, halten wir fast 
stets für gegeben. 

Bei der Erkrankung der Pars posterior greifen wir zur 
lokalen Therapie derselben erst dann, wenn sie gar keine Tendenz 
zur Besserung verräth, sei es, dass eine solche spontan zu Stande 
kommt oder unter dem Einflüsse der bei deii prolongirten eopi- 
ösen Injektionen durch den Sphinkter in die rückwärtigen 
Partien abfliessenden Protargollösung. Natürlich muss die Vor¬ 
bedingung gegeben sein, dass die Betheiligung seitens der Organe 
der Pars posterior jeglichen akuten Charakter verloren hat. 
Sehr gerne verwenden wir die Einführung von „armirten Bou¬ 
gies“, geknöpften elastischen französischen Bougies, welche mit 
10 proc. Protargol-Cacaobutter von unserer Apotheke in vor¬ 
züglicher Weise stets frisch überzogen werden. Durch die den 
jeweiligen Verhältnissen Rechnung tragende Auswalil unter den 
Nummern der C h a r r i e r e’sehen Skala bewirken wir neben der 
lokalen Applikation des specifischen Mittels eine graduell diffc- 
rencirte Dehnung der Schleimhaut, Ausgleichung ihrer Falten, 
mechanische Beeinflussung der entzündlichen Infiltrate. Diese 
Bougies werden innerhalb 24 Stunden nicht öfter als einmal vom 
Arzte gelegentlich der Morgenvisite eingeführt, verbleiben 10 bis 
20 (bis 30) Minuten in der Harnröhre. Der Kranke wird gelehrt, 
wie er durch zweckmässiges Festhalten des Bougies und des 
Penis dafür zu sorgen hat, dass nicht eine Reizung des Sphinkter 
zu Stande kommt, dass die unter dem Einflüsse der Körperwärme 
abschmelzende Masse nicht zu rasch aus der Urethra ausfliesst. 
Während des Verlaufes dos Tages werden daneben in vorsichtiger 
Weise die gewöhnlichen Injektionen fortgesetzt. Es Ist dies die¬ 
jenige Form der Posteriorbehandlung, welche uns — um dies 
gleich an dieser Stelle zu sagen — immer noch die besten Re¬ 
sultate ergeben hat, welche wir wegen ihrer Einfachheit, ihrer 
relativen Reizlosigkeit, ihres lokalen Effektes für gewöhnlich den 
anderen Methoden vorziehen. Wie oft die Bougies in die Urethra 
eingeführt werden, ob eine Zeit lang jeden Tag oder jeden 
zweiten Tag, hängt von dem weiteren Verlaufe der Erkrankung 
der hinteren Partie ab. Im Allgemeinen genügen nach unseren 
Erfahrungen einige wenige solcher Applikationen. Es sind Aus¬ 
nahmefälle, inveterirte, mit Strikturbildung, chronischen Pro¬ 
stataerkrankungen einhergehende Posteriores, bei welchen wir 
in regelmässigen, 1—2 tägigen Intervallen mehr denn 6 oder 
8 mal armirte Bougies eingeführt haben. 

Nach einer zweiten Methode behandeln wir die Erkrankung 
der Posterior in der Weise, dass wir Spülungen mit Vz —2 proc. 
Protargollösungen vornehmen mittelsNelatonkathetern von meist 
mittlerem Kaliber, die bis hinter den Bulbus, oder die Blase 
selbst eingeführt werden. In letzterem Falle legen wir ein grosses 
Gewicht darauf, unter möglichster Schonung der subjektiven 
Empfindung des Kranken eine reichliche Füllung der Blase zu 
erzielen, um auf diese Weise eine maximale Erweiterung des 
hinteren, in die Blase sich einbeziehenden Harnröhrenabschnittes 
zu erreichen, einen richtigen „Blasenhals“ zu schaffen. Für die 
eigentliche Urethrocystitis scheinen uns derartige Spülungen des 
Harnröhren-Blasentraktus am zweckdienlichsten zu sein. 

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass bei der Spülmethode 
und bei der Bougiemethode der Betheiligung der Prostata an 
dem entzündlichen Processo stets die grösste Aufmerksamkeit 
zugewendet wird, ganz besonders dann, wenn die Erscheinungen 
der Urethritis posterior nach dem Ablauf der akuten Symptome 
sich in die Länge zu ziehen drohen. Prostatamassago in mehr 
oder weniger grossem Umfange, je nach der objektiven Nachweis¬ 
barkeit der Betheiligung dos Organes an dem Processc hat bei 
den in Rede stehenden Fällen nahezu bei jeder Posterior statt¬ 
gefunden, bevor eine lokale Applikation erfolgt ist. 


Die Resultate, welche unsere von vorstehenden Gesichts¬ 
punkten geleitete Behandlung erzielt hat, sind am besten über¬ 
sichtlich zu ersehen aus den beigegebenen statistischen Tafeln, 
zu deren Erklärung ich nur noch wenige Worte anzufügen habe. 


Tafel I. 


Es sind zur Beobachtung ge¬ 
kommen : 

U. 

anterior. 

ü. 

posterior. 

In 

Summa 

113 

274 

887 

Davon sind abgeheilt, insoferne 
eine noch mindestens 10 Tage 
fortgesetzte Beobachtung dasFern- 
bleiben von Gonococcen ergeben 

hat, nach dem 2. Tage. 

w „ 7. „ . 

59 = 52°/o 
94 = 83°/o 
96 = 85®/o 
99 = 87°/o 

0 

77 

= 0°/o 
= 28°/s 
= 31°/© 

59 = 15»/© 
171=44®/© 
181 — 46»/o 

„14. 

85 

-.21. „ . 

85 

184 = 47% 

Relativ gehei t, d. h. *im Re¬ 
sultat unsicher geblieben, dadurch 
dass die Beobachtung nicht min¬ 
destens 10 Tage nach dem Ver¬ 
schwinden der Gonococcen fort¬ 
gesetzt werden konnte, waren... 

0 

108 

i- & ! 

® a .© 

C is 

nU 

103 = 27% 

Nicht geheilt waren nach der 
III. Woche . 1 

14 =_• l3°/o 

86 

- 3z°/o 

100 = 26% 


Tafel II 

Es wurden entlassen: 

Ohne Gonococcen 

mit massigem Tagessekret. 

mit spärlichem Tagessekret, regelmässigem 
Morgentropfen und Filamenten . 

mit Filamenten. 

ohne Filamente... 

Mit Gonococcen 

mit reichlichem Tagessekret. 

mit Morgentropfen und Filamenten . . 
mit Filamenten. 


12 

101 

172 

2 


34 

54 

12 


287 


99 anterior. 
188 posterior. 


) l0 °{ 


14 anterior. 
86 posterior. 


Tafel III. 


Von den 287 Kranken, welche ohne Gonococcen die Behand¬ 
lung verliesseu, waren die Gonococcen verschwunden, d. h. für 
Immer oder wenigstens fiir die Zeit der weiteren 15. obaelitung, die 
al>er zu kurz war, um ein definitives Resultat erkennen zu lassen. 


Nach der 


Davon bleiben minde¬ 
stem 10 Tage frei 


i 2. Tage der Behandlung bei 

59 


3- n n 

t. 

» 

81 


4- » „ 

b- n » 

n 

n 

0 

17 


171 

6. . „ 

n 

ff 

4 



7 . n ii 

n 

n 

10 



II. Woche H 


n 

83 

10 

III. „ n 

tt 

» 

20 

8 

IV. “ „ 

i» 


13 

0 




287 

184 


Wenig über zwei Drittel der Fälle schied mit dem Verlassen 
des Krankenhauses, d. i. nach mindestens 21 tägigem Aufent¬ 
halte, aus meiner Beobachtung; ungefähr ein Viertel der Ge- 
samintsumme stand nach mindestens 3 wöchentlichem Aufent¬ 
halte auf der Abtheilung noch längere Zeit hernach in meiner 
Beobachtung, so dass ich berechtigt bin, über den weiteren Ab¬ 
lauf der Erkrankung bei diesen Fällen ein positives Urtheil, wie 
es in den Tabellen zum Ausdruck gekommen ist, abzugeben. Ich 
habe in die Zahl der statistisch verwendeten Patienten eine kleine 
Reihe von Gonorrhoekranken aufgenommen, welche nicht im 
Krnnkenhause, sondern in meiner privaten Behandlung gestanden 
sirid, welche aber nach den nämlichen Principien behandelt 
worden und hinsichtlich der Forderungen der Statistik den 
anderen Fällen analog zu stellen sind. Ich habe geglaubt, diese 
31 Patienten hier anreihen zu müssen, weil gerade sie hinsicht¬ 
lich mancher in dieser Betrachtung berührten Punkte mir in¬ 
struktive Verhältnisse zu beobachten Gelegenheit gegeben haben. 

Was in den gegebenen Zusammenstellungen der verschie¬ 
denen Zahlen mir am auffallendsten erscheint, das ist die voll¬ 
kommene Regellosigkeit oder, um mich anders auszudrücken, der 


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5. November 19Ö1. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1783 


Umstand, dass die Zahlenwerthe in ihren relativen Beziehungen 
in gar keinem bestimmten logischen Verhältnisse zu einander 
stehen. Man vergleiche z. B. nur die Zahlen der Tafel III: 
59, 81, 0, 17, 4, 10. Für die geradezu verblüffende Unregel¬ 
mässigkeit in der Reihenfolge der zahlenmiissig festgelegten 
Thntsachen ist eine Erklärung nicht zu finden. Es dürfte sich 
auch dieser Statistik gegenüber empfehlen, mit weitgehenden 
Schlüssen vorsichtig zu seiu. 

Was das Gesammtreeultat unserer therapeutischen Bestre¬ 
bungen betrifft, so können wir damit nicht unzufrieden sein, da 
74 Proc. der Patienten gonococcenfrei unsere Behandlung ver¬ 
lassen haben. Andererseits aber ist es nach meinem Dafürhalten 
gerade keine hervorragende Errungenschaft, wenn wir ver¬ 
zeichnen, dass von 387 Fällen nach einer Behandlungsdauer 
von 21 Tagen 47 Proc. absolut geheilt gewesen sind. Die Vor¬ 
züge einer rationellen Protargolbehandlung liegen einzig und 
allein darin, dass es bei einer grossen Anzahl von Kranken 
gelingt, in kurzer und sehr kurzer Zeit die specifischen Krank¬ 
heitserreger zu vernichten, dieselben dauernd fern zu halten 
und damit eine rasche Heilung des Krankheitsprocesaes ein¬ 
zuleiten. Es ist als ein erfreulicher Erfolg in unserer Zusammen¬ 
stellung anzusprechen, dass von 113 Fällen von uukomplizirter 
Urethritis anterior 52 Proc. bereits nach dem zweiten Tage, 
83 Proc. nach dem siebenten Tage dauernd von Gonococcen frei 
geblieben sind, dass aus der Gesammtsummo unseres Materiales 
46 Proc. nach der zweiten Woche geheilt gewesen sind. 

Tafel I und III zeigen, dass die günstigen Resultate in den 
ersten Tagen der Behandlung zu verzeichnen sind, dass wenn 
nicht sehr rasch und bald die Abtödtung der Gonococcen er¬ 
reicht worden ist, die Zahlenverhültnisse sieh ungünstig ge¬ 
stalten. Der Umstand, dass innerhalb der dritten Woche die 
Zahl der zur absoluten Abheilung gelangten Kranken sich nur 
um 1 Proc. erhöht hat, ist geeignet, die Beurtheilung der Pro- 
targoltherupie in gewisser Hinsicht ungünstig zu beeinflussen. 
Bei Betrachtung unserer Zahlen kann man sich des Eindruckes 
nicht erwehren, als ob, wenn die Protargolbehandlung nicht schon 
in der ersten Zeit ein positives Resultat ergeben hat, die Aus¬ 
sicht, günstige Erfolge, eine definitive Heilung zu erzielen, eine 
geringe würde. Es ist schwer, in diesem Sinne eine Klärung 
der Sachlage herbeizuführen; mit unserem klinischen Materiale 
erscheint, mir dies unmöglich. Verschiedene und verschieden¬ 
artige Verhälnisse bringen es mit sich, dass geschlechtskranke 
Männer nur relativ kurze Zeit in Krankenhausbehandlung ver¬ 
bleiben, so dass wir wohl kaum in der Lago sein dürften, an 
erschöpfendem Materiale den Beweis zu erbringen, dass auch 
nach 4—5 wöchentlicher Anwesenheit von Gonococcen im Se¬ 
krete eine fortgesetzte Protargolbehandlung den Process zu 
Ende führen kann. Wir dürfen dabei nicht ausser Acht lassen, 
dass einerseits ein Zeitraum von 4 und 5 Wochen zum spon¬ 
tanen Ablauf der Trippererkrankung genügen kann, dass anderer¬ 
seits eine Reihe von Mitteln und Methoden uns bekannt ist, 
welche in der genannten Zeit die gonorrhoische Urethritis im 
günstigsten Sinne zu beeinflussen vermögen. Der Umstand, da<s 
bei 52 Proc. der Fälle von Urethritis anterior die Gonococcen 
nach 2 tägiger Protargoleinwirkung verschwunden sind, bei 
13 Proc. aber nach 3 wöchentlicher Behandlung, die unter den 
gleichen Verhältnissen in absolut analoger Weise durchgeführt 
worden ist, die Gonococcen immer und immer noch nachgewiesen 
werden konnten, zeigt eben, dass das Protargol so wenig uls alle, 
anderen bisherigen Mittel ein Specificum gegen die Gonococcen 
darstellt. 

Von einer Einthoilung des Materials in akute und chronische 
Fälle habe ich abgesehen. Eine solche hat meines Erachtens für 
die an dieser Stelle in Betracht kommenden Momente keine 
praktische, Bedeutung. Vielfach beruht die Unterscheidung 
zwischcr akuter und chronischer Gonorrhoe ausschliesslich auf 
den Angaben der Patienten. Und diesen irgendwelche weiter¬ 
gehende Beachtung zu schenken, ist nach den Erfahrungen, 
welche wir an der Klinik zu machen Gelegenheit haben, 
unstatthaft. Für die Zwecke der Therapio ist es wichtig zu 
konstatiren, ob in dem jeweiligen Falle akut entzündliche 
Keizungscrscliein ungen vorhanden sind oder nicht, und auf 
diesen Punkt muss, wie aus meinen Ausführungen ersichtlich 
ist, jederzeit Rücksicht genommen werden. Die Frage, wie 
das Protargol auf akute, wie auf chronische Gonorrhoe 
eiuwirkc, findet hierin ihre Erledigung. Wenn mangels 

No. 45. 


sicherer objektiver Anhaltspunkte über die Akuität der 
Erkrankung auf Grund subjektiver Anschauungen ein Urthcil 
zu dieser Frage gestattet ist, so kann ein solches ganz allgemein 
dahin ausgesprochen werden, dass es den Anschein hat, als ob 
frischere Infektionen in günstigerem Sinne beeinflusst worden 
wären als ältere. 

Hinsichtlich der Lokalisation des entzündlichen Processus 
in den verschiedenen Abschnitten der Harnröhrenschleimhaut 
habe ich hervorzuheben, dass es nur 252 Kranke waren, welche 
von Anfang an, gleich bei ihrem Eintritt in die Behandlung die 
Erscheinungen der Posterior aufgewiesen haben. Bei 22 Patienten 
ist die Komplikation von Seiten der hinteren Partien erst im 
Laufe der Behandlung hinzugetreten. Es ist möglich, dass diese 
selbst die nächste Veranlassung gebildet hat, insofern sie viel¬ 
leicht zu frühe begonnen, zu energisch durehgeführt worden ist. 
Jedenfalls kann für 12 dieser 22 Kranken mit Bestimmtheit 
auch noch unzweckmässiges Verhalten der Patienten selbst ver¬ 
antwortlich gemacht werden. Die geringe Anzahl der un- 
komplizirten Fälle von Urethritis anterior ist ohne Weiteres 
darauf zurüekzuführeu, dass Tripperkranke für gewöhnlich 
Krankenhausbehandlung erst dann aufsucheu, wenn Kompli¬ 
kationen sich geltend machen. Bezeichnend ist, dass von den 
31 zur Statistik beigezogenen Privatpatienten 21 mit Gonorrhoe 
der vorderen Harnröhre in Beobachtung getreten, also nur 35Proc. 
mit Komplikationen zur Behandlung gekommen sind, während 
von den 356 Krankenhauspatienten 242 = 68 Proc. von vornc- 
herein an Posterior gelitten haben. Auf die weiteren Kompli¬ 
kationen (Epididymitis, Prostatitis u. s. w.) brauche ich mich 
nicht des Näheren einzulassen, da ja die Behandlung der Ure¬ 
thritis erst dann in Angriff genommen worden ist, wenn von 
Seiten der sekundären Erkrankungen Reizerscheinungen nicht 
mehr Vorlagen. 

Aus der Behandlung gingen 

U. ant. U. post. 

ohne Gonococcen ... 99 = 87 Proc. 188 = 68 Proc. 

mit „ ... 14 = 13 „ 86 = 32 n 

Hierzu ist zu bemerken, dass von den Posteriores diejenigen, 
welche ohne Gonococcen aus der Behandlung schieden, sämmt- 
liche, also auch alle als relativ geheilt inTafell bezeichnetenFälle, 
hinsichtlich der Erkrankung der hinteren llamrohrenschleim- 
haut und ihrer Adnexe als geheilt zu betrachten waren, insoferne 
mehr oder weniger lange Zeit hindurch die Gläserprobo sowohl 
wie die digitale und inst rum ent eile Untersuchung Pars mera- 
branacea und prostatica, die Prostata selbst frei von objektiv 
nachweisbaren Veränderungen ergeben hatten; sexuelle Neur¬ 
astheniker mit lokalisirten subjektiven Beschwerden befanden 
sich darunter 8. Dagegen bestanden Sekretion oder min¬ 
destens Filamente aus der Pars anterior noch bei allen mit Aus¬ 
nahme eines einzigen Kranken, der wegen luetischer Mund- und 
Rachencrkrankung lange Zeit in Beobachtung geblieben war. 

Von den mit Gonococcen die Behandlung verlassenden 
Posteriores zeigten noch 15 Kranke bei der Entlassung einwand¬ 
freie objektive Erscheinungen seitens der hinteren Harnröhre, 
während bei den übrigen 71 diese vollkommen und zwar min¬ 
destens die 3 letzten Tage hindurch frei geblieben war. 

Gerade die günstigen Resultate hinsichtlich der Urethritis 
posterior sind wohl in erster Linie auf den Umstand zurüek- 
zuführen, dass es sich dabei fast ausschliesslich um Kranke ge¬ 
handelt hat, welchen die Vortheile einer geregelten Anstalts- 
behundlung zu Theil geworden sind, so dass, wenn wir die vor¬ 
liegenden Resultate mit denen früher zur Verwendung gebrachten 
Antigonorrhoica hier in Vergleichung ziehen, dem Protargol nur 
ein bescheidene» Verdienst zugewiesen werden darf. Die Ure¬ 
thritis posterior hat nach unseren klinischen Erfahrungen bei 
entsprechend frühzeitiger Rücksichtnahme auf die Prostata 
keineswegs eine so schlechte Prognose, als vielfach angenommen 
zu werden scheint. Lokalisirte Processe in der Pars bulbosa, Er¬ 
krankungen der Anterior, die mit periurethralen Erscheinungen, 
mit ausgesprochener Betheiliguug seitens der Schleimhautdrüseu 
verlaufen, -stellen von unserem klinischen Materiale wenigstens 
ein grösseres Kontingent zu den ungünstig verlaufenen Fällen 
von Gonorrhoe. 

Auf Tafel II sind es zwei Fälle, welche besonders in die 
Augen fallen, jene beiden einzigen Kranken, die ohne Filamente, 
gewissermaassen ideal geheilt aus der Behandlung getreten sind. 
Bei dem einen hatte es sich um Urethritis anterior, bei d< m 

o 


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1784 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


anderen um posterior gehandelt. Der Erstere kam am vierten 
Tage nach der Infektion zur Behandlung, war zwei Tage nach 
dem Beginn der Protargolkur von Gonococcen befreit, setzte die 
Injektionen in stetig sich vermindernder Häufigkeit drei Wochen 
hindurch fort, neben fleissigem Gebrauche der 1 proc. Lösung 
von Zinc. sozojod.; von der fünften Woche an war der Morgen¬ 
urin, wie die unter Tags entleerte Menge frei von jeglichen 
Flöckchen und Fädclien. Bei dem zweiten hatte der Tripper 
bereits fünf Wochen bestanden, als er mit den Erscheinungen 
der Posterior und mit linksseitiger akuter Epididymitis in’s 
Krankenhaus eintrat. Die Urethra posterior wurde lokal nicht 
behandelt, da die objektiven Symptome mit der Rückbildung 
der akut entzündlichen Reizerscheinungen an den Nebenhoden 
spontan sich involvirt hatten. Fünf Tage nach Einleitung der 
Injektionskur war das Sekret fast ausschliesslich aus epithelialen 
Zellen und Schleim gebildet. Vom 19. Tage der Behandlung an 
sind niemals mehr Verunreinigungen des Urins bei sorgfältigster 
Prüfung zur Wahrnehmung gekommen. 

Es ist erstaunlich, zu sehen, wie klein der Procentsatz der¬ 
jenigen geheilten Gonorrhoen sich erweist, die gar keine Spur 
von Residuen hinterlassen. Nahezu immer ist mau in der Lage 
im Urin früherer Gonorrhoiker mehr oder weniger Filamente 
nachzuweisen. Aber erst die mikroskopische, häufig wiederholte 
Untersuchung vermag zu entscheiden, ob denselben eine Be¬ 
deutung zukommt oder nicht. Therapeutisch zu beeinflussen sind 
derartige circumscripte postgonorrhoische Proccsse desquama¬ 
tiven Charakters nur in sehr geringem Grade. Das Protargol 
selbst ist ihnen gegenüber machtlos, eher geeignet die Katarrhe 
zu unterhalten. Wir beobachten nicht selten, dass Injektionen 
von Protargol, wenn der Urin schon längere Zeit absolut klar 
gewesen war, und sich in ihm nur die verschiedenen Formen 
gonococcenfreier Filamente dargeboten hatten, neuerdings eine 
diffuse Trübung der ersten Portion, „eine Verschlechterung des 
Grins“ herbeizuführen vermögen. Es kommt eben dem Protargol 
auch in schwächeren Konzentrationen, zweifellos eine gewisse 
reizende Wirkung zu. Dass wir oft noch lange nach dem Ver¬ 
schwinden der eigentlichen Entzündungserreger, wirkliches 
»Sekret noch beobachten, das spontan oder auf Druck aus der 
Urethra austritt, dass wir nahezu immer, so lauge die Injektions- 
therapie fortgesetzt wird, einen Morgentropfen und Filamente 
im Tagesharu zu verzeichnen haben, ist zum grossen Theile auf 
die irritirende Wirkung des Protargol zurückzuführen. Unsere 
Zahlen sind in dieser Beziehung sehr instruktiv. Andererseits 
aber erhellt aus ihnen wiederum die Thatsache, dass die prak¬ 
tische Bedeutung, welche den Filamenten im Urine zukommt, 
eine geringe ist. Hat eine eingehende sorgfältig durch längere 
Zeit hindurch gehende Untersuchung ergeben, dass sie keine 
Gonococcen enthalten, dass sie ausschliesslich oder fast aus¬ 
schliesslich aus Epithelien und Schleim bestehen, so sind wir 
berechtigt und verpflichtet, die Gonorrhoe als geheilt zu be¬ 
trachten, den Kranken darauf aufmerksam zu machen, dass die 
„Tripperfäden“ in seinem Urin ihn in keiner Weise beunruhigen 
dürfen. 

Der Zweck vorstehender Auseinandersetzungen konnte es 
nicht sein, wesentlich Neues zur Frage von der Gonorrhoe¬ 
behandlung beizusteuern; es hat sich mir darum gehandelt, an 
der Hand eigener Erfahrungen die Fehlerquellen einer oft recht 
ungünstigen Beurtheilung des Protargol aufzudecken, darauf 
hinzuweisen, wie wichtig für den praktischen Erfolg es ist, dass 
Arzt und Apotheker dafür Sorge tragen, dass stets nur frische 
und richtig zubereitete Lösungen zur Verwendung gelangen, 
dass die Resultate, welche man unter dieser wichtigen Voraus¬ 
setzung mit Protargol in der Therapie der Gonorrhoe des 
Mannes zu erzielen vermag, recht günstige sind, günstiger, als 
jede andere Medikation bis jetzt sieh uns erwiesen hat. 

Eine rationelle Therapie ist immer noch das beste Propliy- 
laktikum im Kampfe gegen die venerischen Krankheiten, und 
desshalb verdient meines Erachtens das Protargol die ausge¬ 
dehnteste Verwendung in der Behandlung der Gonorrhoe. In¬ 
dessen haftet auch dem Protargol noch eine Reihe von Mängeln 
an. welche das Suchen nach einem vollkommeneren, besseren 
Mittel gerecht fertigt und geboten erscheinen lassen. 


Aus der kgl. Universitäts-Kinderklinik München (Direktor: 

H. v. Ranke). 

Ein Fall von Spät-Meningitis nach Schädelverletzung. 

Von Dr. Kokko Fujisawa aus Tokio. 

Chirurgische und medicinisclie Erfahrungen lehren, dass 
die Erkrankung des Stirnlappens, besonders traumatische Ver¬ 
letzungen, von verhältnissmässig günstigerer Prognose sind, als 
die anderer Gehirnpartien, weil in diesem Gehimtheile keine 
lebenswichtigen Centrcn vorhanden sind. Im Stirnlappen soll 
nach der Meinung der Mehrzahl der Autoren (Ferrier, 
Allen- Starr, Knapp u. A.) ein Centrum für die höheren 
seelischen Funktionen vorhanden sein. Jedoch ist die Frage un¬ 
klar, ob die psychischen Anomalien bei Erkrankung beider Stiru- 
lappcn sich in gleicher Weise entwickeln. Nach Oppen¬ 
heim e r’s Beobachtung treten sie mehr bei den Affektionen der 
rechten Seite hervor, weil sie bei denen der linken durch die 
meistens bestehende Aphasie verdeckt und verwischt werden. 
Ebenso ist noch festzustellen, ob vornehmlich die Läsion der Kon¬ 
vexität oder die der medialen und basalen Windung des Stirn- 
lappens die psychische Alteration veranlasst. Starr sowie 
G r i f f i t h und Sehldona haben der Konvexität die Eigen¬ 
schaft zugeschricben, indess sind bei den Neubildungen des basal- 
modinlen Bezirkes dieselben Störungen beobachtet worden. Da¬ 
gegen ist, cs klar, dass das motorische Sprachencentrum im hin¬ 
teren Bezirke der dritten Frontalwindung nicht allzuweit von der 
B r o c a’schen Windung und zwar in der Regel links, bei links¬ 
händigen Menschen rechts, gelegen ist. Ein Schreibcentrum soll 
nach Chnrcot und in neuerer Zeit auch nach P i t r e s am 
Fuss der zweiten Stimwindung liegen, doch stimmen andere 
Autoren nicht damit überein. Jedenfalls sind die Unter¬ 
suchungen darüber noch nicht abgeschlossen. Entsprechen nun 
<!!<• klinischen Erscheinungen immer dem pathologischen Befund ? 

Nach den Beobachtungen verschiedener Kliniker ist die 
Thatsache, dass die klinischen Erscheinungen ganz fehlen, 
während die Sektion deutliche Veränderung zeigt, nicht selten 
konstatirt worden. (So bei Blutungen, Abscessen, Erweichungen 
u. a.) So bleiben Blutungen im vorderen Gebiet des Stirnlappens, 
die ohne Insult eingetroten sind, gewöhnlich überhaupt sym¬ 
ptomlos. 

P i t r e s veröffentlicht einen Fall, bei dem die Sektion unter 
dem vorderen Ende der mittleren rechten Frontalwindung einen 
nussgrossen, etwa 2—3 Wochen alten haemorrhagischeu Herd 
und punktförmige Haemorrhagien der bedeckenden Cortieal- 
substanz ergab, obgleich die 60 Jahre alte Patientin weder einen 
Insult erlitten, noch Spuren von Hemiplegie aufgewieeen hatte. 
Sie war wegen permanenter Kontraktur der Unterextremitäten 
aufgenommen worden (ein entsprechender Befund fand sich im 
Rückenmark vor) und 8 Wochen später in Folge einer Indigestion 
nach heftigem Erbrechen gestorben. 

Ebenso können Abscesse sich in der Schädelhöhle entwickeln 
ohne irgend welche oder mit nur geringen klinischen Erschei¬ 
nungen, die aber auch nach Monaten oder Jahren, nachdem die 
Kranken bis dahin ganz gesund erschienen, plötzlich die hef¬ 
tigsten Symptome auslösen können. 

Bergmann’s interessanter Fall ist in Bruns’ Hand¬ 
buch der speciellen Pathologie 57. Bd., S. 974, von S t ü v e be¬ 
schrieben. 

Auch Erweichungen im vorderen Gebiete des Stirnlappens 
pflegen nach W ernike vollständig latent zu bleiben, wenn sie 
sich chronisch oder ohne allgemeine Erscheinungen entwickeln. 
Als Beispiel führt dieser einen Fall von A n d r a 1 an. 

Ein Greis von 81 Jahren, magenleidend, war an allgemeiner 
Schwäche gestorben. Im Leben traten keine Gehirnerscheinungen 
auf, Bewegung und Sensibilität waren intakt. Keine Kopf¬ 
schmerzen, kein Erbrechen, nur die Intelligenz war etwas ab¬ 
gestumpft. 

Sektion: Die Arachnoidea war auf der Convexität der 
Gehirnhemisphäre durch eine kleine Quantität Serum abgehobeu. 
von dem sich auch 2—3 Kaffeelöffel in den Seiten Ventrikeln be¬ 
fanden, nur ln dem Theile der linken Hemisphäre, welche über 
der Augenhöhle liegt, war die Gehirnmasse ungefähr hühnereigross 
in einen schmutzig-welssen Brei verwandelt, in welchem keine 
Gefässe oder auch nur ein Tropfen Blut entdeckt wurden. Weiter¬ 
hin hatte das Gehirn anaemlsche Farbe. Alles Uebrige war ge¬ 
sund. Auch zeigten die Meningen in der Nachbarschaft jener 
erweichten Stellen keine krankhaften Veränderungen. 

Der Verlauf der komplizirten Schädelfrakturen ist ver¬ 
schieden, je nachdem es sieh um aseptische oder septische Wunde 


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5. Novem ber 1901. MÜENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1785 


handelt. Nach Hayem’s, Ziegler und Friedmann’s 
einschlägigen Untersuchungen ist festgestellt worden, dass eine 
Verletzung des Gehirns, die den Mikroorganismen keinen Zutritt 
zu diesem Organe verschafft, zu einer Encephalitis non purulenta 
führen kann. Die Erfahrungen der Chirurgen lehren, dass in’s 
Gehirn eindringende Fremdkörper nicht zur Eiterung zu führen 
brauchen, wenn sie nicht gleichzeitig das Gehirn infiziren. Unter 
diesen Bedingungen sieht man in der Umgebung des Fremd¬ 
körpers einen Process sich entwickeln, der die Charaktereigen¬ 
schaften der nicht eitrigen Encephalitis besitzt, wenn er auch 
nicht mit der akuten, haemorrhagischen Form identificirt werden 
kann. 

So bespricht Huguenin den Ausgang von Quetschwunden 
des Gehirns in gelbe Erweichung und Ziegler sagte: „Treten 
zu traumatischen Himerweichungen keine Infektionen hinzu, 60 
verlaufen sie im Allgemeinen wie ischaemische und haemor- 
rhagische Erweichungen.“ Mikroskopisch findet man in diesen 
Fällen Zerfall und Degeneration der Ganglienzellen und Nerven¬ 
fasern, mitunter auch Fett- oder Kalkdegeneration. 

Der weitere Ausgang der nicht eitrigen Encephalitis ist 
Cystenbildung, in Folge von Resorption der verflüssigten Him- 
bestandtheile, oder Sklerose in Folge Wucherung der Stützsub¬ 
stanz. Bei infizirten Gehimverletzungen entwickelt sich natür¬ 
lich eine eitrige Meningitis oder ein Abscess. Die eitrige 
Meningitis — die primäre sowohl wie die sekundäre — kann nun 
verschieden spät nach dem Trauma auftreten. Gewöhnlich 
kommt die primäre eitrige Meningitis sehr bald nach der Ver¬ 
letzung zum Ausbruche, häufig schon am 2.—3. oder spätestens 
am 5.—8. Tage. Sekundär kann die eitrige Meningitis, welche 
sich meist in umschriebener Form z. B. um Knochennekrosen 
oder abgestossene Knochensplitter herum entwickelt, auch später 
eintreten (Tillmanns). Huguenin beobachtete einen Fall 
von sogen. Spätmeningitis, bei dem sich eine sekundäre Menin¬ 
gitis noch in der 12. Woche nach der Verletzung (Perforation des 
Schädels durch ein Stück Holz) entwickelte. Tillmanns 
hat auch betont: „In schweren Fällen von Commotio cerebri er¬ 
holen sich die Kranken, um dann später doch noch an eitriger 
Meningitis oder Encephalitis zuGrunde zugehen. In solchenFällen 
findet man dann bei der Sektion meist eine Schädelbasisfraktur, 
durch die Eitercoccen von der Nasenrachenhöhle, Stirnhöhle, Keil¬ 
beinhöhle oder vom Ohr aus in die Schädelhöhle gelangt sind und 
zur eitrigen Meningitis oder zum Gehirnabscess geführt haben. 
(Tillmanns I, pag. 90.) Er gibt aber nicht an, wie spät nach 
der Verletzung noch eine eitrige Meningitis auftreten kann. 
An dieser Stelle sei es mir gestattet, einen Fall anzuführen, bei 
dem eine vor einem Jahre verursachte traumatische Erweichung 
im Stirnlappen ganz symptomlos verlaufen ist und der plötzlich 
an eitriger Meningitis ad exitjim kam, verursacht durch eiter- 
erregende Mikroorganismen, die durch die vor 1 Jahre ent¬ 
standene alte Schädelbasisfissur vom Nasen-Rachenraum aus in 
die Schädelhöhle gelangten. 

G. Crescenz, 10 Jahre alt, Ist am 15. Juni von einem Arzte 
zur k. Universitäts-Kinderklinik mit der Diagnose Gehirnabscess 
geschickt worden. 

Anamnese: Seit vorgestern Abend ist das Kind plötzlich 
erkrankt mit heftigem Erbrechen, Hitzegefühl, Bewusstlosigkeit 
und starken Krämpfen, so dass der Vater das Kind an’s Bett 
binden musste. 

Am 24. März 1900 war das Kind vom 2. Stock herab auf die 
Holzstiege und Uber letztere herunter gefallen. Das Kind hatte 
sich dabei eine Schädelverletzung au der linken Stirnseite mit 
Depression zugezogen, auch sollen Theile der Gehirnsubstanz aus 
der Wunde ausgeflossen sein; gleichzeitig entleerte sich Blut aus 
der Nase und dem Munde. Ob aus den Ohren auch Blut floss, 
kann der Vater nicht angeben. Nach Ausstossung eines Knochen¬ 
stückchens kam Heilung zu Stande. Nach 2 Wochen erlangte Pat. 
wieder das Bewusstsein. Nach 2 Monate dauernder ärztlicher Be¬ 
handlung llessen das Anfangs bestehende Erbrechen, das Fieber 
und die Krämpfe nach, so dass das Kind wieder ln die Schule 
gehen konnte. Ein Defekt ln körperlicher oder geistiger Beziehung 
blieb damals nicht zurück; die Sprache war ganz normal, ebenso 
das Gehör und die Funktion der Extremitäten, Krämpfe stellten 
sich nie wieder ein. In der Schule hat eB immer sehr gut gelernt. 
Ausserhalb derselben spielte es mit den übrigen Kindern, war 
lustig und zeigte niemals irgend eine psychische Depression; zu 
Hause war es recht folgsam. 

Vor dem Sturze hat das Kind keine Krankheit durchgemacht, 
die anderen 7 Geschwister sind gesund, die Mutter ln puerperio 
gestorben, angeblich an Wochenbettfleber. 

Vater gesund. 

Status praesens: Gut entwickeltes Mädchen in ziem¬ 
lich gutem Ernährungszustände. Temperatur 40,0. Pat wird in 
völlig bewusstlosem Zustande von der Sanitätskolonne eingeliefert. 


Die linke Seite ist vollständig gelähmt auch der linke Facialis 
ist paretisch; der Mund nach rechts hinübergezogen, der linke 
Mundwinkel steht tiefer als der rechte. Die Nasolabialfalte ist 
linkerseits sehr flach, rechts deutlich ausgesprochen. Die ganze 
linke Körperseite fühlt sich wesentlich kühler an als die rechte. 

Mit den rechten Ober- und Unterextremitäten macht das Kind 
excesslve choreaähnliche Bewegungen, die ununterbrochen fort- 
dauern. 

Die tiefen Reflexe sind auf der linken Seite ein wenig ge¬ 
steigert, die hohen erloschen, auf der rechten Seite verhalten sich 
die Reflexe normal. 

Die Pupillen sind von gleicher Weite und reagiren gut auf 
Lichteinfall. 

Nackenstarre angedeutet vorhanden. 

Lungeuschall nirgends intensiv gedämpft, überall Veslculär- 
athmen und diffuse Rasselgeräusche über beiden Lungen. 

Herzflgur normal. Töne rein, Puls beschleunigt, 104. Ab¬ 
dominalorgane ohne pathologischen Befund. 

Im Urin kein Eiweiss, kein Zucker. 

Diagnose: Leptomeningitls acuta? 

Therapie: Eisblase, Kampherinjektion. 

Der Puls war bei der Einlieferung sehr frequent und schwach, 
Abends wird er noch schlechter. Mehrmals Kampherinjektion. 
Das Krankheitsbild bleibt sich sonst ganz gleich. 

16. VI. 1V4 Uhr. Exitus letalis. 

Sektionsbefund: Gracil gebaute, magere, weibliche 
Leiche, Todtenstarre gelöst, Pupillen gleichmässlg erweitert. In 
der linken Stirnhöckergegeud eine 1 cm breite und 3 cm lange 
weissliche Narbe. 

Nervensystem: Schädeldach mit Dura innig verwachsen. Nach 
Herausnahme des Gehirns zeigen sich die welchen Häute der 
Basis, hauptsächlich in der Gegend der Medulla oblongata, des 
Kleinhirns und der Pons mit einer ziemlich dicken Schicht eitrigen 
Exsudats bedeckt, hinaufreichend bis zu den Stirnlappen. 

Die Dura ziemlich glatt, von geringem Blutgehalt, etwas ver¬ 
dickt, wenig durchsichtig. An der Convexität zeigen die weichen 
Hirnhäute ein Exsudat, das sich hauptsächlich zwischen den 
Windungen befindet, hier aber weniger dick ist als an der Basis. 
Nirgends befinden sich Knötchen. Die Gefässe sind ziemlich ge¬ 
füllt, Capillaren wie Venen. Die Seitenventrikel sind ohne be¬ 
sonderen Inhalt. An dem Ursprung des Kleinhirns ln der Gegend 
des Hirnstammes zeigt sich an der Oberfläche des Hirnstammes 
ein grünlich-gelbliches, scheinbar eitriges Exsudat. 

IV. Ventrikel, sowie Kleinhirn und Nucleus cuneatus ohne 
Besonderheit. 

Die Centralganglien zeigen keine Einlagerung. Die Substanz 
des Centrum semiovale von mässlgem Blutgehalt. Eiterungsherde 
von umschriebener Art können nicht nachgewiesen werden. 

Querschnitt der Pons und Medulla oblongata von negativem 
Befund, die Gefässe der S y 1 v i u s'schen Grube ziemlich zart- 
wandig. 

Dura mit Ausnahme des Chlasmas spiegelnd glatt An der 
Basis des linken Frontallappens ein alter gelblicher Erweichungs¬ 
herd, derselbe nimmt ln einer Ausdehnung von circa 2 cm Länge 
eine sehr stark verschmälerte Hirnwindung ein und ist durch 
bräunlich gelbe Pigmenteinlagerung von seiner Umgebung deut¬ 
lich unterscheidbar. In der Pars frontalis des Stirnbeins linker¬ 
seits befindet sich eine kleine dunkle Fissur, welche sich in der 
Medianlinie bis in die Lamina cribrosa des Siebbeines hlnelnzieht. 

Rechte Lunge ziemlich voluminös. 

Pleura getrübt. Man fühlt durch die Pleura Knötchen. Das 
Gewebe schneidet sich knisternd; es zeigen sich kirschkerngrosse 
käsige Herde und diffus eingestreut eine grosse Zahl frischer 
miliarer Knötchen. Gewebe saft-, blut- und lufthaltig. 

Die Drüsen des Hilus zeigen florlde Verkäsung und bilden 
Konglomerate. Die Unterfläche des Zwerchfelles bedeckt eine 
grosse Zahl miliarer gelblicher Knötchen. 

I,eber: ziemlich gross, Querdurchmesser 30 cm, Kapsel durch¬ 
sichtig, zeigt gelblich-graue Knötchen. An der Schnittfläche 
Aclnuszeichnung verwaschen, Blutgehalt gering, Konsistenz ver¬ 
mehrt, kautschukartig, schneidet sich knirschend, lm Ganzen ge¬ 
quollen. 

Gallenblase entleert 1 Esslöffel dicker grünlicher Galle. In 
der Leber keine Knötchen. 

Alle übrigen Organe ergaben negativen Befund. 

Anatomische Diagnose: Akute eiterige Leptomeniu- 
gitls, gelber Erweichungsherd an der Basis des linken Stirn¬ 
lappens. 

Tuberkulose der perlbronchialen Lymphdrüsen. Beginnende 
Tuberkulose im rechten Unterlappen, Tuberkulose des Zwerch¬ 
felles. 

Mikroskopische Untersuchung: In Paraffin ge¬ 
härtetes, mit Haematoxylin und Eosin gefärbtes Präparat. 

Die Grenze zwischen den Markleisten und der Hirnrinde ist 
deutlich erkennbar. 

In der Pia mater finden sich ziemlich viele Gefässe, deren 
Wände etwas verdickt und mit kleinen Rundzellen lnflltrirt sind. 

£>le graue Substanz ist arm an Zellen, sehr gelockert und zeigt 
ein feines Filzwerk, durchsetzt von verschieden grossen Hohl¬ 
räumen, die grossentheils ln der Mitte oder am Rande 1 oder 2 
Kerne enthalten und herzförmige, rundliche, unregelmässige oder 
spaltenförmige Gestalt annehmen. 

Die Ganglienzellen sind ganz unregelmässig angeordnet, Ihre 
Zahl ist sehr vermindert; normale sternförmige Zellen sind nicht 
mehr erkennbar. 

Ein Theil zeigt der Kalkdegeneration ähnliche Erscheinungen. 
Es sind kernlose polygonale geschrumpfte Zellen mit oder ohne 

2 * 


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1786 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


zerklüfteten Fortsatz, oder unregelmässige, höckerige, sediment¬ 
artige Körner, oder jetzt in Zerfall begriffene sternförmige Zellen 
(Ganglienzellen) oder ganz isolirte gekrümmte, verschieden lange, 
zuweilen unterbrochene Stäbchen (Achsencylinder-Fortsätze). 

An anderen Stellen zeigen sich verschieden veränderte 
Ganglienzellen: nämlich entweder sehr gequollene plattenepithelien- 
ähnliehe Zellen, jedoch mit granulirtem grossen Kern und mit zu¬ 
weilen noch erkennbaren kleinen Kernkörperchen oder schmale, 
keilförmige Zellen mit ziemlich grossen, unregelmässigen Kernen. 

Ausserdem sieht man in der grauen Substanz noch hie und 
da fein oder grob granullrte gequollene, zum Thell schon im Zer¬ 
fall begriffene, ziemlich grosse Rundzellen, oder kleine, deutlich 
gefärbte Körnerzellen oder spindelförmige Bindegewebszellen (viel¬ 
leicht von Gefässwänden herstammend). Ausserdem kommen 
eigentümliche kontraktile Zellen (wie v. Recklinghausen 
sie nennt) vor, grosse plasmareiche runde Zellen, die 1—2 dunkle 
granullrte Kerne und daneben häufig Yacuolen und manche auch 
Pigmentkörnchen enthalten. 

Sonst sind noch junge feine zahlreiche Gefässe und ganz 
feine Pigmentkörnchen erkennbar. 

Die Markleiste ist auch etwas gelockert, zellreich, besteht 
hauptsächlich aus den oben erwähnten kleinen deutlich gefärbten 
Körnerzellen (Neurogliazellen). 

Sonst sind noch wenig andere Zellen, gequollene, aber im 
Einzelnen in Zerfall begriffene granullrte rundliche Zellen 
(Wanderzellen) oder mit gequollenem Kern unregelmässige Epl- 
theloidzellen oder spindelförmige Bindegewebezellen erkennbar. 
Hier ist sehr bemerkenswert, dass in der Markleiste ein ganz 
kleines Knochenstückchen, welches Knochenkörper¬ 
chen und Lamellenstruktur zeigt, vorhanden Ist. 

Die Gefiisse jung, fein, dünnwandig, sind dort etwas zahl¬ 
reicher als in der Rindeusubstanz, aber an einigen Stellen etwas 
verdickt mit durch kleine rundliche Zellen inflltrirten Wänden 
(besonders in der Umgebung des Knochenstückchens). Pigmeut- 
körnchen wie in der grauen Substanz. 

Dieser mikroskopische Befund scheint mir ein komhinirtes 
Bild, Degeneration, Zerfall und gelbe Erweichung (Ziegler 
u. A.) in Folge von Blutung oder Zertrümmerung oder Gefäss¬ 
verschluss aufzuweisen. Die Kalkdegeneration, welche dem in 
Z i e g 1 e r’s pathologischer Anatomie 1895, pag. 342 gezeigten 
Bilde ähnlich ist, ist in diesem Falle vorhanden. Die Ganglien¬ 
zellen, sowie die grossen und kleinen Rundzellen, sind 
zum Theil zerfallen (s. oben). Die Fettdegeneration ist 
auch wahrscheinlich eingetreten, obwohl in diesem Präparat 
durch Alkoholbehandlung die ganze Fettsubstanz entfernt ist, 
weil die Vacuolen in den Zellen, sowie die kontraktilen Zellen 
von v. Recklinghausen erkennbar sind, welche eigentlich 
einen ausgesprochenen phagocytären Charakter zeigen, und zu¬ 
weilen mit Pigment oder manchmal mit Fettkörperchen, sogen. 
Fettkömchenzellen, gefüllt sein sollen. Diese Zellen beherrschen 
lange Zeit hinaus das mikroskopische Bild und sind charakte¬ 
ristisch für jeden Zerfall und jede Degeneration des Central¬ 
nervensystems (D ü r c k: Spec. patholog. Histologie II). 

Aus dem Vorhandensein von Pigmentkörnern oder Pigment¬ 
zellen muss man natürlich annehmen, dass in früherer Zeit Blu¬ 
tung vorhanden war. In den oben erwähnten verschiedenen 
Räumen war wahrscheinlich Serum enthalten. Junge, zahlreiche 
feine Gefüssvermehrung und Gefässverdickung sind wahrschein¬ 
lich durch chronische Reizung des in der Markleistensubstanz 
gebliebenen Knochenstückchen verursacht worden. 

Im Ganzen ist es das Bild einer alten encephalitischen gelben 
Erweichung mit Knochenstückchen. In diesem Falle kann man 
nnnghmen, dass die Erscheinungen (Krämpfe, Erbrechen, Be¬ 
wusstlosigkeit), welche bei der vor 1 Jahre stattgefundenen 
Schädelverletzung aufgetreten waren, von der durch intrakranielle 
Blutungen und Depression des Stirnbeins bedingten Commotio 
eerebri verursacht worden waren, die Heilung durch die Entfer¬ 
nung des Knochenstückchens zu Stande gekommen, und dass 
diese Verletzung glücklicher Weise aseptisch verlaufen ist, ob¬ 
wohl im Gehirn ein Knochenstückchen geblieben war, und zur 
chronischen gelben Erweichung geführt hatte ( 9 . o. Ziegler 
u. A.). Diese Erweichungsstellc in der linken Stimlappenbasis 
verlief über 1 Jahr lang ganz symptomlos ohne Sprachstörungen 
und ohne psychische Störungen, und plötzlich entwickelte sich 
eine eitrige Meningitis in Folge von Mikroorganismeninfektion 
durch die vor 1 Jahre entstandene Schödelbasisfissur hindurch. 
Die Verletzung im Stirnbein, die damals zur Commotio eerebri 
geführt hatte, war vollständig geheilt. 

Der Fall beweist, dass noch nach über 1 Jahr nach einem 
Trauma eine akute, eitrige Meningitis eintreten kann, wenn in 
der Basis eine Fissur noch vorhanden, die mit der Luft in Ver¬ 
bindung stellt. Der Infektionsmodus ist hier wahrscheinlich 
so zu denken, dass die eitererregenden Mikroorganismen von der 


Nasenhölde her cindrangen und durch die vorletzte Siebbein¬ 
platte hindurch allmählich ihren Zugang zu den weichen Hirn¬ 
häuten fanden. 

Mit der Miliartuberkulose, die die r. Lunge und das 
Zwerchfell ergriffen hatte, steht die eitrige Meningitis in gar 
keinem Zusammenhang, da, wie der Sektionsbericht ergibt, keine 
Tuberkelknötchen in den Hirnhäuten aufzufinden waren. In 
solchem Falle ist die Diagnose vorsichtig zu stellen und immer 
auf frühere Traumen zu achten, wenn eine andere Ursache nicht 
nachweisbar ist (Ohren-, Augen-, Nasen-, Rachenleiden, Kopf- 
oder Gesichtserysipelas, Cariee in Kopf oder der Halswirbel. 
Cerebrospinalmeningitis. Pyaemie, Lungenentzündung, Endo¬ 
karditis, Keuchhusten u. a.). 

Natürlich ist es in solchen Fällen klinisch schwer, zu unter¬ 
scheiden, ob diese plötzlich eintretende eitrige Meningitis aus 
einem lange latent verlaufenden Hirnabscess, oder durch eine alte 
Schädelfissur, welche noch mit der Aussenwelt in Verbindung 
steht, entstanden ist. Nur durch hin und wieder vorkommende 
Gehirnerscheinungen: Kopfschmerz, Schwindel, Schlaflosigkeit, 
u. s. w., kann man vermuthen, dass wahrscheinlich ein Hirn- 
abscess vorhanden sei. 

Auch muss man daran denken, da98 auch ohne Fraktur die 
sekundäre eitrige Meningitis durch einfaches Fortschreiten eines 
Nasenkatarrhs durch die Lamina cribrosa auf die Meninigen her¬ 
vorgerufen werden kann, wie diese Fälle von Seiten der Pharyngo- 
laryngologen oft beobachtet sind. 

Am Schlüsse meiner Arbeit ist es mir eine angenehme Pflicht, 
Herrn Direktor Ilofrath Professor v. Ranke für die gütige 
Uebcrweisung des Themas, sowie für das Interesse, das er der 
Arbeit entgegongebracht hat, und Herrn Privatdocent Dr. 
Dürck für die freundliche Unterstützung bei den patho¬ 
logischen Untersuchungen meinen Dank auszusprechen. 


Ueber die Bedeutung der Individualstatistik bei 
der Erblichkeitsfrage in der Neuro- und Psycho¬ 
pathologie.*) 

Von Dr. Wilhelm Strohmayer, Hausarzt der Privat- 
nervenklinik (Prof. Binswanger) in Jena. 

I. 

In keinem Zweige unserer Wissenschaft spielt — wenn wir 
von der Syphilis und der Tuberkulose absehen — die Erblichkeits¬ 
frage eine so grosse Rolle, wie gerade in der Neuro- und Psycho¬ 
pathologie. Ganz abgesehen von ihrer Würdigung in Fach¬ 
kreisen, die in den umfangreichsten Statistiken zum Aus¬ 
druck kommt, auch in das Laienpublikum ist Dank der 
Masse populär-medicinischer Abhandlungen die Kunde von der 
unheilvollen Thatsache gedrungen, dass sich Nerven- und Geistes¬ 
krankheiten von den Vorfahren auf die Nachkommen vererben 
können. Es ist so viel von berufener und ühberufener Hand über 
Erblichkeit geschrieben worden, dass in den Autoanamnesen ge¬ 
bildeter Laien die spontane Angabe der erblichen Belastung mit 
erschreckender Häufigkeit wiederkehrt, und nicht selten dem 
Facharzte, namentlich bei geplanten Eheschliessungen — sei cs 
auch nur zur formellen Gewissensberuhigung — die schwierigsten 
Fragen zum Entscheid von Laien vorgelegt werden. Wenn cs 
auch immer noch glücklicher Weise zu den Seltenheiten gehört, 
dass zweifelhafte Individuen, die in irgend einer Weise in den 
von unserer Gesellschaftsordnung gezogenen Grenzen anstossen 
oder mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt gerathen, ihre „erb¬ 
liche Belastung“ als Freibrief für ihre Handlungen benützen 
wollen, so ist doch nicht zu leugnen, dass das Schreckgespenst der 
Erblichkeit in den Köpfen gebildeter und ungebildeter Laien 
eine unheilvolle Verwirrung angerichtet hat. 

Die Hochfluth der literarischen Produktion bezüglich der 
Erblichkeit hat seit einigen Jahren einer wohlthuenden Ebbe 
Platz gemacht ’). Dass die Erblichkeitsfrage, soweit es sich 

*) Nach einem Vortrag für die VII. Versammlung mittel¬ 
deutscher Psychiater und Neurologen ln Jena am 20. X. 1901. 

’) Einen ganz vorzüglichen Ueberblick über die verwickelten 
Vererbungsfragen gibt die zusammenfassende Arbeit von R 0 h d e: 
Ueber den gegenwärtigen Stand der Frage nach der Entstehung 
und Vererbung individueller Eigenschaften und Krankheiten. 
Jena 1895, Gustav Fischer. — VgL auch Grassmann: Kritischer 
Ueberblick über die gegenwärtige Lehre von der Erblichkeit der 
Psychosen, Allg. Zeitschr. f. Psych. 1896, pag. 900 ff., und Watdn: 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


178' 


wenigstens um praktisch verwerthbare Ergebnisse handelt, 
auf positiven Boden gestellt wurde, kann man trotz der 
geistreichsten und detaillirtesten Hypothesen, welche . uns 
die biologischen Wissenschaften zeitigten, leider nicht be¬ 
haupten. Die Theorie lässt in der Praxis so häufig im Stich, und 
wenn man ehrlich ist, so muss man gestehen, dass bisher nur 
die Erfahrungsthatsaclie feetsteht, dass in bestimmten 
Familien, in denen auf irgend eine Weise Ner¬ 
ven- oder Geisteskrankheiten heimisch ge¬ 
worden sind, mehr als in anderen die Neigung 
herrscht, dieselben in mehr oder weniger prä¬ 
gnanter Form auf die Nachkommenschaft zu 
vererben. In welchem Umfange sich dieses „Gesetz“ bewahr¬ 
heitet, darüber gehen, wenn wir die procentuarischen Angaben 
der Vertreter unserer Wissenschaft einander gegenüberstellen, die 
Ansichten offenbar weit auseinander. Die Zahlen differiren in 
verwirrender Weise zwischen 4—90 Proc. 1 2 ) 

Es ist dies auch gar nicht verwunderlich, wenn man sich 
einen Augenblick klar macht, wie schwer eine gewissenhafte 
Statistik in der Neuro- und Psychopathologie ist. Ueber den 
statistischen Schlendrian, der sofort „erbliche Belastung“ notirt, 
wenn irgend ein Mitglied der Familie des in Frage stehenden 
Patienten einmal psychisch krank gewesen war, brauche ich kein 
Wort zu verlieren, obwohl er thatsächlich existirt. Auch für den 
gewissenhaften Untersuclier ist es in vielen Fällen schwer, die 
Mitwirkung des Erblichkeitsfaktors beim Zustandekommen eines 
psychischen Krankheitsbildes mit Sicherheit anzunehmen oder 
auszuschliessen. Die Entscheidung, mit welchem Gliede eine 
Familie von der Norm abzuweichen begann, w o die noch in die 
physiologische Breite gehörige Spielart der die Persönlichkeit 
ausmachenden Charaktere in die pathologische Varietät über¬ 
ging, ist der Willkür und der Fachkenntniss des Einzelnen 
überlassen. Ferner ist auch bei genauester Prüfung der Sach¬ 
lage oft unmöglich, auszusagen, ob die bei einem Individuum 
festgestellte pathologische Funktion des Centralnervensystems 
eine schon ererbte, d. h. von den Erzeugern überkommene 
oder eine im Individualleben erworbene Eigen¬ 
schaft ist, mit anderen Worten, mit welchem Punkte, unseren 
heutigen Vererbungsanschauungen entsprechend, dieselbe in 
Kraft zu treten beginnt. 

Aber selbst eine gewissenhafte Statistik vorausgesetzt, 
was besagen die so fleisaig zusammengestellten Zahlen¬ 
angaben? Doch nichts anderes, als bei wieviel Procent 
der zur Beobachtung gelangten Nerven- resp. Geistes¬ 
kranken ähnliche Krankheiten in der Ascendenz ana¬ 
mnestisch festgestellt wurden. So hoch sich auch 
dieses P r o c e n t v e r h ä 11 n i s s stellen mag, aus 
demselben einen Schluss auf die mehr oder 
minder grosse Vererbungstendenz der Neuro¬ 
sen und Psychosen ziehen zu wollen, wäre 
grundfalsch. Bei einer richtigen Betrachtungsweise ist es 
geboten, sich auch der gesund gebliebenen Glieder einer 
erblich belasteten Familie zu erinnern, wenn man Statistik macht. 
Sonst bekommt man eine falsche Ansicht von der Macht der Ver¬ 
erbung, sonst wird die zutreffende Annahme, dass die Nach¬ 
kommen geistee- oder nervenkranker Eltern in ähnlicher Weise 
erkranken können, zu der vollkommen irrigen, dass sie es 
müssen. Die allgemein übliche Massenstatistik be¬ 
sagt nur, dass in der Ascendenz kranker Individuen patho¬ 
logische Zweige nicht selten sind; wie viele Mitglieder 
derselben Familie aber gesund geblieben sind 
und als der Ausgangspunkt lebensfähiger und 
1 e b e n s f r i s ch e r Generationen unserer Be¬ 
obachtung entgehen, verschweigt sie. Deashalb 
ist die Forderung gerechtfertigt, dass man Individual- 
stammbäumc') studiren muss, wenn man sich von der Trag¬ 
weite und der angeblich destruirenden Wirkung der Vererbung 
ein richtiges Bild machen wilL Dieser Gedankengang — von 


Die Beziehungen der Heredität zur Pathologie des Nervensystems, 
Sammelreferat über die Literatur der Jahre 1894—1807, Monats¬ 
schrift f. Psych. und Neurol. 1898, pag. 388. 

*) Vgl. G r a s s m a n n: 1. c., pag. 1006 ff. 

*) Vgl. Bohde: 1. c., pag. IX u. 148. — S 1 o 11: Arch. f. Psych., 
Bd. 16. — Möbius: Allg. Zeltschr. f. Psych., Bd. 40. — Blns- 
wanger: Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie. Jena 
189b, pag. 29 ff. 

Ko 45 


Binswanger seit Jahren betont und gelehrt — war es 
zunächst, der mich dazu führte, besonders instruktive, schwer- 
durchseuchte Stammbäume von Patienten unserer klinischen 
und privaten Praxis zu sammeln und zu prüfen. 

Ein weiterer Grund, an der Hand einer geringen Zahl 
weitverzweigter Individualstammbäume die alte Erblichkeitsfrage 
wieder anzuschneiden, lag für mich in der Ueberlegung, dass sich 
die bei Massenstatistiken ergebenden Fehlerquellen hiebei 
weniger geltend machen und dass eine vorsichtige Betrachtung 
eines leichter übersehbaren Gebietes von grösserem Wecrthe und 
Nutzen ist, als die sich jeder Beurtheilung entziehende Massen¬ 
statistik. Zahlen reden wohl, aber nicht immer richtig, zumal 
wenn sich mit den wachsenden Zahlen auch die Irrthümer multi- 
pliciren. Individualstatistik ist eine noth- 
wendige Korrektur der Massenstatistik, und ich 
glaube, dass in unserer Wissenschaft der schon seit Langem 
von M ö b i u 8 und S i o 1 i angedeutete Weg noch bei Weitem 
nicht genug begangen ist. Auf jeden Fall halte ich es für ratio¬ 
neller, in den kurzen, von der Wirklichkeit geschriebenen That- 
sachen zu lesen und aus denselben für die Praxis zu lernen, als 
sich immer wieder von Neuem in den spitzfindigsten Vererbungs¬ 
hypothesen zu erschöpfen. Der Endzweck des medicinisohen 
Vererbungsproblems soll die Entscheidung der Frage bleiben, 
ob und welche schädliche Artabweichungen 
vererbbar sind. Das biologische Problem der Ver¬ 
erbung, wie und wodurch die Hervorbringung gleich¬ 
gestalteter und gleichgearteter Nachkommen 
gewährleistet wird, soll Sache der Biologen sein *). 

Ich habe aus der Fülle unseres Krankenmaterials nur solche 
Stammbäume verwandt, welche mindestens 3 Generationen mit 
einer grösseren Anzahl von Mitgliedern umfassen. Bei einer nicht 
geringen Zahl derselben war es mir möglich, aus den Angaben ver¬ 
schiedener in unserer Behandlung gewesener Mitglieder ein und 
desselben Namens zu kombiniren. Es ist gar nicht so leicht, wie 
es auf den ersten Blick scheinen mag, Stammbäume zu be¬ 
kommen, deren Sammlung und kritische Sichtung lohnt. Wenn 
es auch in den meisten Fällen gelingt, bei der Anamnese die 
direkte väterliche und mütterliche Ascendenz zu eruiren, so stösst 
die Erforschung der Verhältnisse schon in der 3. Generation 
aufwärts auf Schwierigkeiten. Ganz leer geht man häufig be¬ 
züglich der Nebenlinien aus. Und wie selten bekommt man in 
der Anamnese eine prägnante Charakteristik des Geisteszustandes 
derjenigen Individuen, die auf der Grenzscheide zwischen normal 
und pathologisch stehen und entweder „leicht erregbare“, .jäh¬ 
zornige“, „heftige Naturen“ benannt werden oder unter dem dehn¬ 
baren Sammelbegriff „nervös“ figuriren! Oft birgt sich sicher 
unter der euphemistischen Bezeichnung „Nervosität“ schon ein 
schwererer Zustand, z. B. eine Hysterie oder eine leichte mania- 
kalische Exaltation. Gar mancher schwere Psychopath segelt 
unter der Flagge gesund und mancher Sonderling wird von 
Laien mit der gravirenden Diagnose „Hypochonder“ belegt. 

Wie vorsichtig man bei allen zahlenmässigen Angaben von 
Vererbung bei Nerven- und Geisteskrankheiten sein muss, er¬ 
gibt sich endlich auch aus folgender Erwägung: Jedes erb¬ 
lich belastete Individuum besitzt die Mög¬ 
lichkeit, genau wie ein nicht belastetes, psy¬ 
chisch zu erkranken, wenn die äusseren Ur¬ 
sachen, die erfahrungsgemäss in der Aetio- 
logie der Nerven- und Geisteskrankheiten 
eine Rolle spielen, in seinem Individualleben 
zutreffen; da ist es recht schwer zu unterscheiden, wie viel 
bei einer eintretenden Erkrankung auf Rechnung der vererbten 
Anlage und wie viel auf „exogene“ Ursachen zurückzuführen ist. 
Erkrankt der nicht Belastete unter dem Einflüsse äusserer Um¬ 
stände, so hat er seine Krankheit erworben, beim „erblich 
Prädisponirten“ ist man ceteris paribus sofort geneigt, die ein¬ 
getretene Erkrankung als schlagenden Beweis von der Vor- 
erbungstendenz der Neurosen und Psychosen anzusehen. 

Ist überhaupt die Individualstatistik, wie wir sie in psychia¬ 
trischen Kreisen betreiben, etwas werth, und halten die aus ihr 
gezogenen Schlüsse einer ernsten Kritik Stand? In neuester 
Zeit hat M a r t i u s ‘) darauf aufmerksam gemacht, dass unsero 


4 ) Vgl. Martin 8: BerL klln. Wochenschr. 1901, pag. 814. 

*) Martlus: Das Vererbungsproblem in der Pathologie. 
BerL klln. Wochenschr. 1901, No. 30 u. 31. Vgl. auch Kirr h- 


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1788 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


Methodik der Stammbäume eine ungenügende sei und daaa 
wir Mediciner viel zu wenig die Lehren beherzigen, welche uns 
Lorenz*) als Historiker und Genealoge an die Hand gebe. 
Eine« muss ich Martius unbedingt zugeben, dass der 
Psychiater von einem Mann wie Lorenz nur lernen kann, und 
dass von der hohen Warte der Geschichte aus unsere medicinische 
Stnmmbaumstatistik, die sieh auf höchstens einige Menschen¬ 
alter stützt, fast „naiv“ erscheinen mag. Die Skepsis, welche 
Lorenz der Vererbung pathologischer Eigenschaften überhaupt 
entgegen bringt, gründet sich auf das Studium sogen. Ahnen¬ 
tafeln, wie sie dem Historiker eher zu Gebote stellen, als dem 
Mediciner. Er betont, dass eine einzelne Familie weder dem 
Physiologen, noch dem Psychologen eine Auskunft über die nor¬ 
mal vor sich gehende Vererbung, noch dem Pathologen eine Auf¬ 
klärung über die sogen, erbliche Belastung zu geben im Stande 
sei, weil dio Vererbung — als von Vater und Mutter herstam¬ 
mend — eine Gesammtheit von Familienzuständen voraussetzt, 
weil jede Vererbung ihren Ursprung von unendlichen Mengen von 
Vätern und Müttern genommen hat. Auf Grund seiner Ahnen¬ 
tafelbetrachtung kommt er zu der Annahme, dass es am Platze 
wäre, mit Rücksicht darauf Stammbäume mehr vom Standpunkte 
der Asttendenz als der Descendenz zu betrachten und verlangt, 
dass man in Anstalten, wo Erblichkeitstafeln angefertigt werden, 
vorgedruckte Formulare mit Berücksichtigung von mindestens 
S Ahnen benützen solle. Unsere officiellen Zählkarten erfüllen 
(liest« Postulat leider nicht; ich habe aber schon oben angedeutet, 
aus welchen Gründen dio Forderung von Lorenz eine ideale 
bleiben wird. 

Sicherlich sind „Stammbaum“ und „Ahnentafel“ 
zwei grundverschiedene Dinge ’), und es leuchtet aus den Dar¬ 
legungen von Lorenz ohne Weiteres ein, dass sich „aus der 
richtigen Aufstellung von Ahnenproben ganz andere Vererbungs-- 
bilder ergeben, als diejenigen zu sein pflegen, die man gemeinig¬ 
lich durch die Aufstellung einiger oberflächlich konstruirter Dee- 
cendentenreihen erhält (L c. pag. 437). Es will mir nur frag¬ 
lich erscheinen, ob gerade die aus den Ahnentafeln gewonnenen 
Vererbungsbilder die richtigen sind*). Wie verschieden die Auf¬ 
fassung über die Vererbung krankhafter Eigenschaften beim 
Historiker und Neuropathologen ist, geht aus der scharfen Kritik 
hervor, welche Lorenz Dejerine*) zu Theil werden lässt. 

Der Historiker sagt: „Wenn man die in den Anstalten 
eigens für den Zweck der Erbliclikoitsdarstellung angefertigten 
Tabellen ansieht, so bekommt man leicht ein anderes Bild (sc. 
als der Genealoge), aber man darf nicht vergessen, dass, wenn 
man die hier so dicht neben einander stehenden schwarzen Punkte 
auf den betreffenden vollständig durchgeführten Familienstamm¬ 
tafeln eingezeichnet hätte, diese doch oft nur wie vereinzelte 
Perlen im Meeressand erscheinen müssten“ (1. c. pag. 446). Ohne 
Zweifel trifft diese Argumentation zu, berührt aber den 
Psychiater wenig. Die Thatsache lässt sich nun ein für allemal 
nicht aus der Welt schaffen, dass in gewissen Familien die zur 
Betrachtung kommenden Generationen mehr schwarze Punkte 
aufweisen, als in anderen, dass diese schwarzen Punkte in einem 

hoff: Fragen aus dem Gebiete der Erblichkeit. Zeitschr. f. 
l’sych. Bd. 50, pag. 871. 

*) Lorenz: Lehrbuch der gesummten wissenschaftlichen 
Genealogie. Berlin 1888. Wilhelm Hertz. 

') „Ahnentafel“ wird Jene Betrachtungsweise genannt, 
welche von dem Individuum aufwärts steigend, die sich ver¬ 
doppelnden Elternpaare aufsucht, während die Nachweisuug der 
von einem Elternpaare abstaininenden Nachkommenschaft den 
Namen „Stammtafel" trägt (Lorenz: 1. c., pag. 78). 

') Man darf nicht vergessen, dass wir Aerzte einem Kranken 
gegenüber eine ganz andere Betrachtungsweise walten lassen, als 
der Genealoge bei einer Ahneuprobe behufs Aufnahme in einen 
Kitterorden. Die dichotomisch fortgesetzte Gabelung der Ahnen¬ 
tafel schliesst die Nebenlinien von der Betrachtung aus. Oft aber 
können wir nur auf dem Umwege der Nebenlinien zur richtigen kli¬ 
nischen Würdigung eines Falles bezüglich seiner erblichen Be¬ 
lastung gelangen. Das Bestreben, dem auch Lorenz unterliegt, 
rechnerisch zu bestimmen, wie viel von der pathologischen 
Erbmasse als Piiichttheil bei der Familienauftheilung auf ein In¬ 
dividuum kommen darf, etwa ’/• oder */>• oder f?ar V«. Je nachdem 
es auf der Ahnentafel von dem pathologischen Erblasser entfernt 
ist müssen wir zurückweisen. Der Schluss: der vor uns stehende 
Kranke hat aus der pathologischen Erbmasse der Ascendenz nur 
einen minimalen Bruchtheil abbekommen, ergo kann seine Krank¬ 
heit nicht ererbt sein, entbehrt der Begründung. 

') D6J6rine: L’h6r6dlt6 dans les maladies du systöme 
nerveux. Paris 1886. 


gewissen causalen Zusammenhang zu einander stehen und von ge¬ 
wissen äusseren Verhältnissen unabhängig zu sein scheinen. Wie 
sie sich im Verhältniss zu der vollständigen Ahnentafel aus- 
nehmen würden, kann uns gleichgiltig sein. In praxi liegt 
für uns die Macht der Vererbung in der Patho¬ 
logie nach wie vor fest. Und wenn wir auch weit ent¬ 
fernt sind, bühnenhafte Vererbungsbegriffe anzuerkennen und 
gegen den Einfluss der Vererbung mit Gesetzesmaassregeln ein- 
schreiten zu wollen, so sehen wir doch — donec contrarium pro- 
betur — unsere humane Aufgabe darin, mit unseren empirisch 
gewonnenen Grundsätzen zu rathen und wenn möglich zu helfen. 

n. 

Versuchen wir nun, an der Hand unserer medioinischen 
„Stammbäume“ zu eruiren, ob und was wir aus der In¬ 
dividualstatistik lernen können. Ich habe die 
Stammbäume von 56 Familien mit insgesammt 1338 feststell¬ 
baren Mitgliedern gesammelt. Dieselben gehören den ver¬ 
schiedensten Ständen und socialen Verhältnissen an, so dass eine 
Einseitigkeit den statistischen Angaben nicht zum Vorwurf ge¬ 
macht werden kann. Ich legte gleiches Gewicht auf die väter¬ 
liche, wie mütterliche Linie und zählte auch die in einen Stamm 
oingeheiratheteu Frauen mit ihren Ahnen mit. 

Was zunächst die allgemeinsten Procentverrhältnisse betrifft, 


so ergaben sich folgende Zahlen: 

1. geistes- resp. nervenkrank . . 413 = 30 Proc. 

2. neuro- resp. psychopathisch . 251 = 18,6 „ 

3 gesund . 595 = 44,5 „ 

4. nicht lebensfähige Kinder . . 42 = 3 „ 

5. Selbstmorde. 55 = 4 „ 


Bezüglich der gesunden Mitglieder schwankte das Verhältniss 
in den einzelnen Familien zwischen 0—87 Proc. Die nachstehende 
Gruppirung: 

0—10 Proc. in 3 Familien. 


11-20 

ft 

„ 4 

ff 

21—30 

»t 

„ 8 

ft 

31—40 

ft 

„ 9 

ff 

41-50 

ft 

„ 22 

ff 

51—60 

ft 

„ 2 

ff 

61-70 

99 

& 

ft 

71-80 

ff 

1 

fl 

81—87 

ff 

„ 2 

ft 


lässt erkennen, dass sich in den meisten Familien das Verhältniss 
der Gesunden zwischen 41—50 Proc. bewegt. Nun bin ich mir 
aber wohl bewusst, dass die Zahleuangaben der „Gesund- 
gcbliebenen“ nur einen sehr relativen Werth besitzen, da sie nur 
für den jeweiligen Zeitpunkt der Erhebung der Anamnese Gel¬ 
tung haben, und manche der als gesund Verzeichneten — wie 
mich öfter die Erfahrung lehrte — späterhin noch erkranken 
können. In ganz besonderem Maasse gilt dies von den im Kindes¬ 
alter stehenden Familienmitgliedern. 

Um diese Fehlerquelle zu eliminiren, bestimmte ich nun die 
Zahl der „gesund Gestorbenen“ (s. v. v. 1), sowie der im reifen 
Alter, zum Theil schon in oder vor dem Senium stehenden gesund- 
gebliebenen Mitglieder, unter Nichtbeachtung der jüngsten Gene¬ 
ration meiner Stammbäume. Ich fand 392, d. h. rund 
30 Proc. Von diesem Procentsatz kann man an¬ 
nehmen, dass er trotz erblicher Belastung und 
trotz der mannigfachen Schädlichkeiten des 
Individuallebens gesund geblieben ist. Selbst 
unter diesen C'autelen ist noch möglich, dass uns einzelne Mit¬ 
glieder für dio Rubrik „krank“ entgangen sind, so dass an¬ 
scheinend der Einfluss der erblichen Belastung noch etwas höher 
taxirt werden müsste. Dieser etwaige Fehler wird ausgeglichen 
durch die einfacho Erwägung, dass mindestens ebenso viele In¬ 
dividuen, als uns für die Rubrik „krank“ durch mangel¬ 
hafte Anamnese entgangen sind, unter der letzteren, als Produkt 
der erblichen Belastung betrachtet, stehen, während sie, wie jeder 
nicht Belastete, ihre Geistes- resp. Nervenkrankheit erworben 
halien. 

Bei all’ diesen Zahlen ist nicht zu vergessen, dass ich meiner 
Berechnung die schwerstdurchseuchten Stammbäume 
unseres Materials zu Grunde gelegt habe. Ich brauche kaum zu 
erwähnen, dass in zahllosen Familien 1—2 mal oder auch einige- 
male Nerven- resp. Geisteskrankheiten plötzlich auftauchten und 
ebenso wieder verschwanden, ohne dass der jeweilig Betroffene 
— soweit ersichtlich — der Ausgangspunkt erblicher Weiterver- 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1789 


Pflanzung geworden wäre. Dies zur Beruhigung vererbungs- 
scheuer Gemüther! 

Den Versuch, bestimmte Schlüsse auf die Stärke der 
V erorbungstondenz der väterlichen oder mütterlichen 
Ascendenz zu ziehen, muss ich als misslungen bezeichnen. Ich 
habe mich nach meinen Zusammenstellungen nicht davon über¬ 
zeugen können, dass die erbliche Belastung von der Vaterseite 
her mehr zu Erkrankungen des Nervensystems disponire, als die 
von der Mutterseite her, oder umgekehrt, bald traf die eine, bald 
die andere Thatsache zu. örchansky 10 ) glaubt das Gesetz 
nufstellen zu können, dass wenn der Vater krank sei, die Zahl der 
gesunden Kinder gleich der der kranken sei. Im Erkrankungs- 
fallo der Mutter überwiege die Zahl der gesunden. Seien beide 
Eltern krank, so finde man mehr kranke Mitglieder als gesunde; 
bei Krankheit beider Eltern ein starkes Uebcrwiegen der kranken 
Knaben. Von all’ diesen „Gesetzen“ bestätigte 
sich mir nur die eine verständliche Thatsache 
der stärkeren Vererbungstendenz im Erkran¬ 
kungsfalle des väterlichen und mütterlichen 
Elters. Auch die vielfach citirte Annahme einer Neigung zur 
gekreuzten Vererbung erwies sich mir nicht stichhaltig. Die 
weitero Behauptung Orchansky’s, dass der mit einer orga¬ 
nischen Erkrankung des Nervensystems behaftete Vater ihren 
Typus und ihr Geschlecht auf die Naclikommen übertrage und 
dass ein ähnliches Verhältniss bei den mit funktionellen Nerven¬ 
erkrankungen behafteten Müttern obwalte, scheint mir nur in be¬ 
schränktem Maassc zutreffend. Nach meinen Beobachtungen 
stimmte diese Schlussfolgerung nur für die arteriosklero¬ 
tischen Erkrankungen des Gehirns mit ihren 
Folgezuständen (Apoplexie, arteriosklerotische Hirndegeneration, 
]x>stapoplektische Demenz) und zwar war in den meisten Fällen 
das Bindeglied der naturgemäss im männlichen Gcsehlochte stär¬ 
ker und häufiger vertretene Alkoholismus. Auch die einfache 
senile Demenz prävalirtc bei der Vererbung im Mannes¬ 
stamme, von den sog. funktionellen Psychosen in auffallender 
Weise dio Hypochondrie mit ihren Spielarten, der hypo¬ 
chondrischen Neurasthenie und hypochondrischen Paranoia. Dass 
sieh in der weiblichen Linie besonders habitueller Kopf¬ 
schmerz, Migräne und Hysterie nicht selten mit hart¬ 
näckiger Konstanz durch mehrere Generationen vererbt, fand ich 
in vielen Familien bestätigt. 

Bezüglich des Vererbung«!» odus im Allgemeinen 
muss ich gestehen, dass mir auf Schritt und Tritt die 
Thatsache des Polymorphismus der Vererbung 
begognote. In buntem Wechsel tauchen auf der grossen 
Basis der neuro- resp. psychopathischen Disposition die ver¬ 
schiedensten Krankheitsbilder auf, um so bunter und regelloser, 
je schwerer die erbliche Belastung Ist. Schwere und leichte Er¬ 
krankungsformen kommen und gehen. In einer Generation 
schwillt die Erkrankungswellc zu einer erschreckenden Höhe an, 
um in der nächsten ohne weiteren ersichtlichen Grund wieder zu 
verebben und nur noch in einigen leichten Bewegungen naclizu- 
zittern. Wer kennt auch die vielen exogenem und endogenen 
Ursachen ausser der Erblichkeit, welche das Individuum von 
der Konstanz der Art abbringen ? Nur eines war mir auf¬ 
fällig, dass in geradezu frappanter Weise die 
intellektuellen und affektiven Psychosen 
sich gegenseitig auszuschliessen schienen. 

Wenn auch der Polymorphismus als Hauptgesetz in dem Ver¬ 
erbungsmodus gelten darf, so zeigte mir doch die genaue Betrach¬ 
tung meiner Stammbäume für viele Neurosen und 
Psychosen auch die Thatsachcexquisit. gleich¬ 
artiger Vererbungstendenz "), namentlich in Fällen 
einfacher Vererbung. Obenan steht in dieser Beziehung die 
Melancholie 12 ), welche sich mit grosser Konstanz und wech¬ 
selnder Ausdehnung in 5 meiner Familien vererbte (unter 164 
Familienmitgliedern 30 Melancholien). Eine ähnliche Neigung 
zeigte, wenn auch entsprechend ihrer absoluten Seltenheit sel- 

,# ) Vgl. W a r d a: 1. c. 

,l ) Vgl. Lund borg: Ueber Degeneration und degenerlrte 
Geschlechter ln Schweden. Klinische Studien und Erfahrungen 
hinsichtlich der familiären Myoklonie und damit verwandter 
Krankheiten. Stockholm 1901. 

“) Die Melancholie Ist ln unserem Krankenmaterial, das ln 
der Hauptsache aus Thüringen und der angrenzenden Provinz 
Sachsen stammt überhaupt sehr häufig. 


tener, die Manie und ihre leichtere Form, die mania- 
kalischo Exaltation (in einer Familie 6 maniakalische 
Erkrankungen), sowie die Hypochondrie. In nicht wenigen 
Familien ist die Epilepsie gowissermaasaen endemisch — ich 
zählte in einer Familie 7, in einer andereu 12 Epileptiker — in 
anderen der habituelle Kopfschmerz und dio M i - 
graue. Die Chorea fand ich in einer Familie bei Vater, 
Onkel und 3 Söhnen. In grosser Zahl tritt nicht selten die 
Hysterie in ein und demselben Stammbaum auf. Trinker¬ 
familien sind seit Langem bekannt, und ich brauche kaum zu 
erwähnen, dass unter meinen 56 Familien sich in 4 derselben der 
chronische Alkoholismus mit und ohne psychische Kompli¬ 
kationen durch 4 Generationen hindurch an der Degeneration 
und endlichen Ausmerzung des Stammes bethätigte ”). Was beim 
Alkoholismus die Vererbung ausmacht, und was auf Rechnung 
des bösen Beispiels zu setzen ist, will ich nicht entscheiden. In 
6 Familien stiess ich in jeder Generation auf apoplektische 
Insulte, ein trauriger Beweis für die häufige Uebertragung der 
apoplektischen Disposition auf dem Boden des Alkoholismus und 
der Arteriosklerose. Nicht unerwähnt will ich lassen, dass auch 
körperliche Degenerationszeichen sich leicht ver¬ 
erben. Ein seltenes Beispiel dieser Art ist die gehäufte Ver¬ 
erbung von Aniridie. Die Familie, um welche es sich handelt, 
liegt in 5 Generationen mit 23 Mitgliedern vor mir. Sie ent¬ 
stammt. einem thüringer Walddorfe und ist wegen der beschränk¬ 
ten örtlichen Verhältnisse leicht zu übersehen. 15 Mitglieder, 
6 männliche und 9 weibliche, zeigen vollkommenen Irismangel, 
ln der vierten Generation treten bei 3 Mädchen schwere psych¬ 
ische Entartungszustände auf (Epilepsie, Imbecillität und 
Idiotie). 

Besonders charakteristische Züge erhält die Vererbung, so¬ 
bald sie, meist durch Oumulation von Väter- und Mütterseite, 
eine d e g e n e r a t i v e. wird. Wie man sich bereits an dio kli¬ 
nische Erfahrung gewöhnt, hat. dass die sogen, degenerativen 
Psychosen sich durch auffallend plötzlichen Ausbruch, raschen 
Wechsel der Symptome, Unreinheit und Unfertigkeit der Zu¬ 
standsbilder etc. auszeichnen “), so führten mir alle meine 
Stammbäume als Endprodukt der Degeneration immer wieder 
dieselben Bilder vor Augen. Die Paranoiagruppe, vor 
allen Dingen die originäre Paranoia, die do- 
generative Hysterie, zumal die Hystero-Epi- 
lepsie, das Irresein aus Zwangsvorstellungen, 
das Jugondirrcsein, die periodischen und die 
cirkulären Formen, der Schwachsinn, Miss¬ 
bildungen und Lebens Unfähigkeit bildeten 
den Schlussakt der de generativen Vererbung s- 
t. r a g ö d i e. 

(Schluss folgt) 


Beschäftigungsneuritis im Gebiete des Plexus 
brachialis. 

Von Dr. L. II o e f 1 m a y r, Nervenarzt in München. 

Tin Laufe der letzten Jahre ist eine Anzahl von Kranken 
von mir beobachtet worden, die eine ganz gleiehmässige Er¬ 
krankung im Bereich des Plexus brachialis zeigten. Auf die 
Frage, was ihnen fehle, gaben sie zur Antwort, sie hätten Rheu¬ 
matismus in der Schulter und seien durch heftigste Schmerzen 
verhindert, ihrer Arbeit nachzugehen. Bei ganz bestimmten Be¬ 
wegungen, besonders aber Nachts im Bett, hätten sie so starke 
Schmerzen, dass sie es „bald nicht mehr aushalten könnten“. Die 
verschiedensten Mittel, die bei Rheumatismus sonst helfen, seien 
von ihnen ohne jeden Erfolg angewandt worden, so dass ihr bis- 


'*) Interessant sind die entgegengesetzten Deduktionen vou 
Lorenz. Er sagt: Man scheint Angesichts genealogischer Ver¬ 
hältnisse zu dem Schluss zu gelangen, dass im Gegensatz zu den 
Ansichten medicinischer Autoritäten Trunksucht entweder über¬ 
haupt nichts schadet oder Ihre Schädlichkeit gar nicht oder 
nur theilwei8e und unter erst noch zu erforschenden Umständen 
in vererbten Eigenschaften zum Ausdruck kommt (1. c., pag. 387 IT.». 
— Vergl. dagegen Legrain: HßrOditC* et Alcoolisme, 6tude 
psyehologique et clinique sur les dögönflrös buveurs et les familles 
d’lvrogues, und Hoppe: Die Thatsachen Uber den Alkohol, 
2. Aufl., Berlin 1901, pag. 254 ff. 

**) Vgl. Adler: Ueber die verschiedenen Formen der ..erb¬ 
lichen Entartung“ nach klinischen und biologischen Gesichts¬ 
punkten, Münch, med. Wocbenschr. 1901, No. 21, pag. K34. 

3* 


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1790 


MUENCI1ENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


heriger Arzt zuletzt selbst ganz verzweifelt sei und gemeint habe, 
sie möchten nun doch einmal einen Nervenarzt fragen. 

Ihrem Gewerbe nach waren diese Leute Schreiner, Weiss- 
gcrber und ein Uhrmacher, meist in einem Alter von über 
40 Jahren. Sie zeigten im Aeusseren nichts Krankhaftes, hatten, 
darnach befragt, nicht über Fieber oder Frost, nicht über Appetit¬ 
mangel, nur über Schmerzen und dadurch bedingte Schlafstör¬ 
ungen und über Behinderung in der Bewegung des rechten 
Armes (denn diesen betraf fast ausschliesslich die Erkrankung) 
zu klagen. Irgend welches Trauma oder sonstige äussere Ver¬ 
anlassung war nicht Schuld an der Erkrankung, auch war keiner 
der Patienten mit einer chronischen Krankheit behaftet, keiner 
war früher luetisch gewesen, nie war Rheumatismus vorherge¬ 
gangen, jede chronische Intoxikation mit Alkohol, Nikotin, Blei 
etc. war auszuschliessen. Die Erkrankung war nicht plötzlich 
aufgetreten, sie war nicht durch eine Erkältung oder dergl. ver¬ 
ursacht, sondern schon längere Zeit wollte der Arm nicht mehr 
so „mitthun“, wie sie es gewöhnt waren und nöthig gehabt 
hätten, sie glaubten, der Schmerz würde schon wieder vergehen, 
aber er wurde immer stärker und schliesslich ging es eben gar 
nicht mehr. 

Wenn ich nach dieser Anamnese den Kranken aufforderte, 
sich auszukleiden, um die genaue Untersuchung vornehmen zu 
können, dann kam stets die Bitte, ihm beim Ausziehen zu helfen, 
da er sonst den Rock und die Weste nicht vom Arm abstreifen, 
besonders aber nicht über die Schulterwölbung herunterbringen 
könne. Eine Bewegung aber ging nie, selbst wenn das vorher 
Beschriebene mit zusammengebissenen Lippen unter Missachtung 
des Schmerzes gelungen war; den Hosenträger konnte keiner 
rückwärts oder seitwärts abknöpfen. Es fehlten also stets die 
beiden Möglichkeiten, den Arm einwärts zu rollen und auf den 
Rücken zu bringen oder seitwärts so hoch zu heben, um an die 
vorderen Hosenknöpfe zu gelangen. 

Die Untersuchung ergab auch stets, dass diese beiden Be¬ 
wegungen absolut unausführbar waren — auch passiv nicht —; 
schon der Versuch rief laute Schmerzrufe hervor. Nur der hef¬ 
tige Schmerz hinderte daran, die Bewegungen auszuführen, 
sonstige Hindernisse lagen weder im Schultergelenk noch in der 
Museulatur, noch von Seite der centralen Erregung vor. 

Die beiden in Frage kommenden Bewegungen werden vom 
Gesunden ausgeführt mit dem Muse, latissimus dorsi, der von 
einem der Nerv, subscapulares, und dem deltoides, der vom Nerv, 
axillaris innervirt wird. Der Theil des Muse, trapezius, der bei 
der Seitwärtshebung des Armes auch mit thätig ist, kommt 
nach der Aetiologie meiner Fälle und als reiner Hilfsmuskel 
weniger in Betracht. 

Alle Bewegungen, bei denen keiner der vorstehenden Muskel 
betheiligt war, konnten ohne Schmerz ausgeführt werden, nur 
war der Patient mit Rücksicht auf seine Erkrankung überhaupt 
stets etwas vorsichtiger beim Bewegen des Armes. 

Betrachten wir die Kranken vom aetiologischen Standpunkt, 
so finden wir, dass bei allen Kranken, ausser bei dem Uhrmacher, 
die tägliche Arbeit eine stets gleichmässige, von denselben 
Muskeln ausgeführte und sehr anstrengende war. Bei den 
Sehreinern war es das stete, Tage lang dauernde Poliren, bei 
den Weissgerbern das Ausziehen von Fellen über Halbkugeln, 
Arbeiten, welche stets mit gestrecktem Arm in der Art aus¬ 
geführt werden, dass die Hauptbewegung nach vorne und der 
nöthige Druck mit der ganzen Schulter, die Rückwärts- und 
Zugbewegung mit demselben Theil, aber natürlich entgegengesetzt 
stattfindet. Es scheint nun bei diesen äusserst anstrengenden, 
stete Muskelkontraktion ohne genügende Entspannung be¬ 
dingenden Arbeiten eine dauernde Innervation der oben ge¬ 
nannten Muskeln und dadurch eine Ueberreizung der zu¬ 
gehörigen Nerven Ursache der äusserst schmerzhaften Entzünd¬ 
ung zu sein. 

Dass es sich um eine Neuritis und nicht um eine Myositis 
handelt, geht aus verschiedenen Gründen hervor. Es fehlen die 
Zeichen der Muskelentzündung, Röthe und Hitze, der Muskel 
ist bei Druck zwischen den Fingern nicht schmerzhaft und auch 
die Bewegungen des Armes bewirken in demselben keine 
Schmerzen. Dagegen finden sich Druckpunkte an Stellen, an 
denen die betheiligten Nerven zu erreichen sind, z. B. an der 
Stelle unter dem Deltoides, wo der Axillaris auf den Humerus 
gedrückt werden kann, meist auch in der Supraclaviculargrube, 
an dem von Ziemssen in seinem Schema angegebenen 


Punkt, und für den entsprechenden Subscapularis an dem seit¬ 
lichen Rand des Latissimus in der hinteren Achselhöhlen¬ 
begrenzung. Auch die bei vollständiger Entspannung und In¬ 
aktivität der Muskeln spontan auftretenden Schmerzen werden 
von den Patienten fast immer an diesen Punkten lokalisirt, 
nebenbei ebenfalls ein Symptom, das gegen eine Entzündung 
des Muskels selbst spricht. Diese Nervenschmerzen strahlen 
häufig auch in den Radialis aus, auch ist dieser Nerv oft an 
der spezifischen Stelle, ungefähr in der Mitte der äusseren Kante 
des Oberarmknochens, auf Druck schmerzhaft. Die anderen 
Aeste des Plexus brachialis sind unbetheiligt und die von ihnen 
innervirten Muskeln können, wie schon gesagt, ohne Schmerz 
ungehindert bewegt werden. Sensibilitätsstörungen in der Haut 
fehlen ebenfalls vollständig, auch die Gefässnerven sind frei von 
Reizerscheinungen. Wie die Patienten selbst adgeben, ist das 
Allgemeinbefinden in keiner Weise gestört. Auch die Urin¬ 
untersuchung war stets negativ, was wegen der Möglichkeit 
diabetischer Neuritiden zu betonen ist. 

Wir hatten es daher stets mit einer isolirten Neuritis in den 
beiden obengenannten Muskelästen des Plexus brachialis zu thun. 

Hätte es sich um eine einfache sogenannte Beschäftigungs- 
n e u r o 8 e gehandelt, dann hätten vor Allem nie die wirklich 
äusserst quälenden spontanen Schmerzen bestanden, es würden 
eolche höchstens bei der die Erkrankung verursachenden speziellen 
Bewegung und dabei weit gelinder auf getreten sein. Wir sehen 
dies ja häufig beim Schreibkrampf, Klavierspieler- und Weber¬ 
krampf. Auch die Therapie lässt einen deutlichen Unterschied 
zwischen Beschäftigungsneuritis und Beschäftigungsneurose er¬ 
kennen. Während bei letzterer die Gymnastik, in Anwesenheit 
und unter Leitung des Arztes angewandt, ein unentbehrliches, 
vorzügliches Heilmittel ist, muss man jeden diesbezüglichen Ver¬ 
such bei ersterer unterlassen, da sonst stundenlang die heftigsten 
Schmerzen verursacht und die schon eingetretene Besserung auf¬ 
gehoben wird. Auch die Massage kann nur in wenigen Fällen 
nach Aufhören der spontanen Schmerzen mit grosser Vorsicht 
angewendet werden. So haben wir in der Therapie gewisser- 
maassen die Gegensätze: Neurose — Bewegung, Neuritis—Ruhe. 
Auch aetiologisch finden wir einen gewissen Unterschied zwischen 
den beiden Formen. Während von der Neurose fast ausschliess¬ 
lich Personen befallen werden, die eine nervöse oder gichtische 
Disposition besitzen, trifft die hier beschriebene Neuritis, 
wenigstens in meinen Fällen, sonst vollkommen gesunde Leute, 
die sogar grosse Widerstandskraft gegen nervöse Erkrankungen 
besitzen. 

Trophische Störungen irgend welcher Art waren nicht zu 
bemerken, wenn man von der bei längerer Dauer der Erkrankung 
auf tretenden Inaktivitätsatrophie der Muskeln, die selbstver¬ 
ständlich ist, absieht. Auftreibungen an den betroffenen Nerven 
konnte ich nicht konstatiren, es dürfte dies auch bei der etwas 
versteckten Lage derselben sehr schwer sein. 

Die elektrische Untersuchung, die übrigens im Reizzustand 
der Nerven auch mit Vorsicht vorzunehmen ist, ergab nur ge¬ 
steigerte Erregbarkeit des Nerven für den faradischen Strom. 

Die Behandlung geschah mit Erfolg, wie bei jeder anderen 
Neuritis. Ruhe und Wärme und der galvanische Strom in An¬ 
fangs schwachen, später stärkeren (5—7 MA) Strömen, Anode 
auf die Schmerzpunkte und labil, leisteten gute Dienste. Nach 
Aufhören derSchmerzen zur Bekämpfung derlnaktivitätsatrophie 
der Muskeln auch schwache faradische Reizungen. Die Wärme 
wurde am besten vertragen in Form von Brodkataplasmen und 
Moorbädern mit steigenden Wärmegraden. Letztere dürfen 
natürlich nicht zu häufig aufeinander folgen, da die so wie so 
durch die Schmerzen und schlaflosen Nächte angegriffenen Pa¬ 
tienten sonst sehr geschwächt werden. 

Auch Blutentziehungen durch Blutegel, in derNäho der Druck¬ 
punkte angesetzt, versprechen im frischen Entzündungszustande 
Erfolg. Von dem von Oppenheim bei Neuritis gelobten Natr. 
salicyl. konnte ich keinerlei Erfolg wahrnehmen, dagegen be¬ 
währte sich gegen die nächtlichen Schmerzen eine Mischung 
von Chin. rauriat. und Phenacetin, in mittleren Dosen öfters 
genommen. Morphium konnte ich dadurch stets entbehren. 
Von der Anwendung des blauen Lichtes, als eines schmerz¬ 
stillenden Mittels, habe ich bei dieser Erkrankung keinen Erfolg 
gesehen. 

Die Dauer dieser umschriebenen Neuritis ist meist eine 
lange. 8—9 Wochen brauchten meine Fälle zur Heilung. 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1791 


Bei konsequenter Behandlung sind die Aussichten auf 
Heilung und Wiedergewinnung der Arbeitsfähigkeit günstige. 
Doch ist es nothwendig, dem Patienten auf Va —-1 Jahr eine 
andere Arbeit als vor der Erkrankung vorzuschreiben, die er in 
seinem Geschäft meistens ohne Schwierigkeit finden kann. 


Ein Fall rheumatischer Erkrankung eines Kiefer¬ 
gelenks. 

Von Dr. Hamm, Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Hals¬ 
krankheiten in Braunschweig. 

Das Kiefergelenk wird im Allgemeinen bei akutem Gelenk¬ 
rheumatismus nicht oft befallen; dagegen ist die isolirte rheu- 
matisclio Erkrankung, noch dazu nur einer Seite, ein so seltenes 
Ereigniss, dass eine kurze Veröffentlichung wohl angebracht er¬ 
scheint, besonders da bei einer derartigen Affektion sehr leicht 
Verwechslung mit Ohrerkrankung vorkommt. Im vorliegenden 
Falle war zumal der äussere Gehörgang betheiligt. 

Herr E. S., Buchhalter, 45 Jahr alt, ein lm Uebrlgen gesunder 
Herr, klagt bei der ersten Konsultation über heftige Schmerzen 
lm rechten Ohr, die seit etwa einer Woche bestehen. Auch können 
die Zähne auf der rechten Seite wegen Schmerzhaftigkeit nicht 
aufeinandergepresst werden, so dass das Kauen erschwert ist. 
Die Untersuchung des Ohres ergibt, dass das Trommelfell in seiner 
oberen Hälfte normal ist, während die untere Hälfte durch eine 
bläulich-schwärzliche Masse verdeckt wird; dieselbe gibt beim 
Sondlren das Gefühl der Fluktuation. Eine Incision ergibt die 
Anwesenheit von flüssigem Blut; dieses wird vollständig entleert 
und die Hautränder abgetragen, auf die Wundfläche kommt Bor¬ 
vaseline. Die untere Trommelfellhälfte, die nach Entleerung der 
Blutblase sichtbar wird, ist ebenso wie die obere normal. Uuter 
der Borsalbe heilt die Wunde in etwa einer Woche, ohne dass 
indess die Ohrschmerzen im Geringsten abnehmen; auch können 
Oberkiefer und Unterkiefer der rechten Seite noch immer nicht 
aufeinander gepresst werden. Bel der zweiten Konsultation, 
3 Tage nach der ersten, findet sich auf der Schleimhaut der Mund¬ 
höhle am auf steigenden Unterkieferaste der rechten Seite eine 
linsengrosse blutige Stelle, die im Laufe der Beobachtung ohne 
Behandlung verschwand. Als nach Heilung der Wunde im äusseren 
Gehörgang die Ohrenschmerzen und die Störung beim Essen un¬ 
verändert fortbestanden, untersuchte ich mit dem in den äusseren 
Gehörgang eingeführten Finger das Kiefergelenk der rechten und 
zum Vergleich auch der linken Seite, doch war eine Erkrankung 
nicht festzustellen, vielmehr erschien das linke Gelenk, das der 
gesunden Seite, dicker als das der rechten. Trotz des Mangels an 
Befund verordnete ich zweistündlich 0,5 Natr. sallcyl., mit dem 
Resultat, dass nach im Ganzen 2 g Sallcyl die Ohrenschmerzen 
verschwunden waren, und der Unterkiefer nun ohne Schmerzen 
gegen den Oberkiefer gepresst werden konnte. Ein Recidiv ist 
bisher nicht eingetreten. 

Beim Mangel aller objektiven Zeichen am Gelenk selbst, 
spricht wohl der Erfolg der Salicylmedikation neben der Un¬ 
möglichkeit eines festen Gebissschlusses am besten für die Dia¬ 
gnose. Einen Morbus maculosus Werlhofii anzunehmen, lag 
keine Veranlassung vor, da ausser der Blutblase im Ohr und der 
Schleimhautblutung im Munde weiter keine Blutung am ganzen 
Körper vorhanden war, und auch das Allgemeinbefinden nicht 
gelitten hatte. Für die Richtigkeit der Diagnose spricht weiter 
der Umstand, dass Pat. etwa 2 Monate nach Heilung dieses 
Leidens an Schmerzhaftigkeit einzelner Fingergelenke litt, die 
gleichfalls auf Gebrauch von Salicyl verschwand. 

Es ist wohl nicht unangebracht, zum Schlüsse nochmals da¬ 
rauf hinzuweisen, dass die immerhin seltenen Kiefergelenks- 
erkrankungen sehr leicht mit Ohrerkrankungen verwechselt 
werden, dass man das angeblich kranke Ohr, natürlich 
ohne Erfolg, behandelt und an das Kiefergelenk gar 
nicht denkt. In allen Fällen, in denen über Ohren¬ 
sehmerzen oder Ohrengeräusche geklagt wird, sollte man 
bei normalem Trommelfell und Gehör, sowie gesunden 
Zähnen niemals verabsäumen, an das Kiefergelenk zu denken, 
und dasselbe mit dem in den Gehörgang eingeführten Finger 
untersuchen, man wird dann manchmal eine Erklärung für 
eigenartige Ohrgeräusche oder Ohrschmerzen finden, die sonst 
für nervös oder aetiologisch dunkel gehalten werden. 


No. 45. 


Zwei Fälle von Fremdkörpern in Nasennebenhöhlen. 

Von Dr. Löhnberg, 

Specialarzt für Ohren-, Nasen- und Halskranke in Hamm i. W. 

Fremdkörper in Nasennebenhöhlen scheinen selten vorzu¬ 
kommen. Die Lehrbücher enthalten darüber zum Theil gar 
keine, zura Theil nur unbestimmte Angaben, welche ausschliess¬ 
lich die Oberkieferhöhle betreffen. Die übrige rhinologische 
Literatur weist, soweit sie mir zu Gebote steht, im Ganzen 
4 einschlägige Beobachtungen auf. 3 davon betreffen das Antrum 
Highmori, einer das Antrum sphenoidale. 

Von den ersteren ist allgemein bekannt der sensationelle, den 
Autor selbst betreffende und von diesem wiederholt berichtete 
Fall von Ziem’), der sich bei der Selbstoperation seiner Kiefer¬ 
höhle im Jahre 18S3 ein Stück vom scharfen Löffel so unglücklich 
abbrach, dass dasselbe in den Sinus gelangte und eine mit 
schweren psychischen Störungen einhergehende und zu einer zeit¬ 
weiligen Internirung des Arztes ln einer Irrenanstalt führende 
Entzündung hervorrief. 

Auf ganz ähnliche Weise kam es ln E u 1 e n s t e i n’s ? ) 
„Merkwürdigem Fall von einem Fremdkörper in der Kieferhöhle“ 
zu einer Fremdkörperinvasion In das Antrum maxillare. Dem 
Operateur brach die Spitze des Trolkarts ab. nachdem dieselbe 
die Knochenplatte des Proc. alveol. schon perforlrt hatte und ge¬ 
langte beim nachfolgenden Sondiren vollends in die Höhle. 

Einen dritten Fall tlieilte Combe 1 ) im Jahre 1894 auf dem 
Kongress der französischen Gesellschaft für Otologle etc. mit. 
Dem Patienten war zur Behandlung seines Kieferhöhlenempyems 
von seinem Arzte eine zinnerne Kanüle in die alveoläre Per- 
forationsöffnung eingelegt. Der Kranke brach sich den unteren 
Theil des Röhrchens ab und der obere verschwand ln der Höhle. 

In allen drei Fällen drang also das Corpus alienum auf 
künstlichem, nämlich auf dem operativen Wege In die an sich 
kranke Höhle ein: die Beseitigung erfolgte in dem Z 1 e m’schen 
durch operative Extraktion, in den beiden anderen durch spontane 
Ausstossung durch das natürliche Ostium, bei En lenstein 
nach ungefähr 4 Monaten, bei Combe nach mehr als 4 Jahren. 

Im Cavum sphenoidale beobachtete Betz 4 ) einen Fremd¬ 
körper. Einem Offizier war — muthmassllch beim Reiten — ein 
2 cm langer, dünner Strohhalm in die Keilbeiuhöhle geflogen und 
hatte eine foetide Eiterung derselben hervorgerufen. Extraktion 
und Heilung nach längerer Trockenbehandlung. 

Rieht man von den häufigeren Fällen ab, in denen corpus- 
culäre Theile aus dem Digcstionstraktus, wie Mageninhalt 
[II a r k e r ), H a j e k °), W e r t h e i m ')] und Eingeweidewürmer 
[Bordenave und Fortassin*)] oder aus dem Respira- 
tionstraktus (Schleim- und Eiterpartikel) per via9 naturales in 
die Kieferhöhle eindringen, so rechnen noch die aus der chirur¬ 
gischen Literatur von Eulenstein') angeführten Fälle von 
K ö n i g und Albert hierher. 

Ersterer berichtet, „dass ein Mann 42 Jahre lang eine 4 cm 
lange Meserklinge, die nur eine zeitweise Entleerung von Blut 
und Eiter bedingte, in einer Kieferhöhle trug, und welche sich 
nach dieser Zelt durch die Nasenhöhle entleerte“. — Albert 
erzählt von einem Fall, in dem eine Kugel in der Kieferhöhle lag, 
die man bei Bewegungen des Kopfes deutlich sich bewegen hörte, 
ohne dass sie dem Patienten Beschwerden verursacht hätte“. 

Der Umstand, dass über Fremdkörper in den übrigen pneu¬ 
matischen Nebenräumen der Nasenhöhle bislang nur ganz spär¬ 
liche Beobachtungen vorliegen, rechtfertigt es wohl, dass ich über 
2 solche Fälle hier berichte. 

Der eine betrifft die Cavitüten des Siebbeins und entstammt 
der Praxis meines verehrten Lehrers Herrn Dr. Noebel in 
Zittau, dessen Liebenswürdigkeit ich auch die Krankengeschichte 
verdanke. 

Herr A., 40 Jahre alt, aus Bischofswerda, trat Im Jahre 188G 
in Behandlung mit der Klage über völlige Verstopfung der rechten 
Nasenhöhle. Die Untersuchung derselben ergab eine enorme Ent¬ 
wicklung von Polypen. Dieselben hingen vorn zum Introitus nasi 
heraus und füllten hinten den Nasenrachenraum zum grössten 
Theile aus. Nach Extraktion einer grossen Menge wurde in der 
regend der vorderen Siebbeinzellen ein harter Körper sondlrbar, 
welcher sich schwer beweglich, aber immerhin verschieblich er- 
w'ies. Derselbe überragte anscheinend nur mit einem kleinen 
Theil seines Umfangs das Niveau der inneren Siebbeinlamelle 
und sas8 mit dem grösseren in der Richtung von rechts vorn nach 
links hinten iu den zelligeu Hohlräumen des Siebbeinlabyrinthes 
eingekeilt. Unter hebelnden Bewegungen gelang es mit der Zange 
den Körper aus seiner knöchernen Umfassung zu entbinden. Der- 


b Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1890, p. 13 ff., 1897, p. 482 ff. etc. 
5 ) 1. c. 1893, p. 187 ff. 

*) Nach Ziem, Monatsschr. f. Ohrenheilkunde 1890, p. 14. 

4 ) Diese Wochenschrift 1894, No. 24, p. 481 f. 

') Pathologie u. Therapie der oberen Luftwege. Wiesbaden, 
Bergmann. 

4 ) Die entzündlichen Erkrankungen der Nasennebenhöhlen. 

*) Beiträge z. Pathologie u. Klinik der Erkrankungen der 
Nasennebenhöhlen. Archiv f. Laryngologie, 11. Bd., 2. Heft. S.A. 
*) 1. c. 


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1792 


MUENCHENER MEDICENISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


selbe präsentirte sieh als ungefähr 2 qcjn grosses, krumm ge¬ 
bogenes Stück einer 2 mm dicken Eiseuplatte. Nunmehr 
erklärte der Patient auf Befragen, dass ihm vor 20 Jahren 
(1860) auf der Jagd sein Gewehr gesprungen wäre; ein Stück von 
nein Lauf hätte Ihm hierbei das rechte Auge ausgeschlagen. 
(Damals gab .es noch die alten Gewehrläufe aus Eisen.) In der 
That trug der Mann rechts ein Glasauge, und nun konnte über die 
Herkunrt des Fremdkörpers kein Zweifel mehr bestehen. Das 
Elsenstück hatte den Bulbus zertrümmert, die Papierplatte des 
Siebbeins durchschlagen und in dem Mascheuwerk des Siebbein- 
gehiiuses einen Widerstand gefunden, der es zur Ruhe brachte. 
Es war dann eingehellt und hatte — offenbar durch Geivebs- 
reizung — zu der massenhaften Wucherung von Polypen geführt, 
welche nach 20 Jahren den ahnungslosen Träger zum Arzte trieb. 

Den zweiten Fall, in welchem es sich um einen Fremdkörper 
in der Stirnhöhle handelte, hatte ich selbst zu beobachten Ge¬ 
legenheit. 

Am 6. Mai 1901 erschien bei mir der Klempner R., 32 Jahre 
alt, ans A. mit der Angabe, er sei vor 7 Wochen gelegentlich 
einer Rauferei mit einem Schraubenschlüssel von vorn gegen den 
Kopf geschlagen worden. Er habe dabei eine stark blutende 
Wunde au der Stirn erlitten und dieselbe schleunigst vom Arzte 
verbinden lassen. Es sei aber später noch Blut zur Nase und zum 
Munde herausgcfiossen. In den nächsten Tagen habe er an Stirn¬ 
kopfschmerzen gelitten und es hätte sich stinkende „Materie“ aus 
Nase und Mund entleert. Als der Arzt beim Verbandwechsel die 
Wunde ausgespült hätte, sei das Spülwasser aus der Nase ab- 
geflössen; auch hätte er die Sonde, mit welcher der Arzt die Wunde 
umersucht hätte, in der Nase gefühlt. Weil nun die Wunde gar 
nicht heilen wolle, die Kopfschmerzen und der übelriechende Aus¬ 
fluss aus Nase und Mund aber zunähmen, so halte er, Patient, 
eine Operation für nothwendig. 

Stat praes.: Gesichtsfarbe des ziemlich schwächlich ge¬ 
bauten Mannes blass. Puls 86, Temp. 37,1. Im Urin weder Eiweiss 
noch Zucker. lieber dem rechten inneren Augenwinkel, etwas 
unterhalb der Glabella, eine in senkrechter Richtung verlaufende, 
1 Vs cm lange, 0,5 cm breite, stark granulirende. etwas missfarben 
aussehende Wunde. Die Sonde dringt zwischen den Granulationen 
in der Richtung des Ductus nasofrontalis ungehemmt in die Tiefe 
und wird vom Pat. in der Nase gefühlt. Bei der rldnoskopisehen 
Untersuchung zeigt sich eine Eiterstrasse um den Kopf der mitt¬ 
leren Muschel: man sieht deutlich den Eiter neben der in der 
Wunde steckenden Sonde hervorquellen. Auch im mittleren Nasen¬ 
gang, sowie am Dach des Epipharynx rahmiger, foetider Eiter. 
— Perkussion der rechten Stirnbeinhälfte schmerzhaft. 

Diagnose: Traumatisches, subakutes Empyem des rechten 
Sinus froutalis; wahrscheinlich Knochensplitter. 

Operation (in Chloroformnarkose): Ilautschnitt in der 
Mittellinie an der Sutura naso-frontalis beginnend und auf dem 
Margo supraorbitalis temporalwärts geführt: senkrecht auf diesem 
durch die Wunde hindurch ein zweiter Schnitt. Blutstillung und 
Zurückschieben der Weichtheile nach der Basis des dreieckigen 
Lappens hin; Erweiterung der Knoclienlistel, bis der Sinus für 
den palpirenden Finger zugänglich wird. Die äussere Stirnbein¬ 
tafel von mittlerer Dicke, die Höhle selbst sehr geräumig. 
Schleimhautauskleidung milssig geschwellt, sonst ohne Besonder¬ 
heiten. Nur um das Ostium frontale des Infundibulums ist die 
Schleimhaut stärker geschwellt und granulös entartet. Bei der 
genaueren Inspektion und Austastung dieser Stelle findet sich ein 
ca. bohneugrosser, weicher, schwarzer Körper, welcher extrahirt 
wird. Derselbe entpuppt sich als ein 1.9 cm langes, 0,9 cm breites 
und 9 3 cm dickes Stück schwarzer Filz. Wie Patient nachher 
angab, war bei der Keilerei aus seiner Hutkrempe ein Stück von 
genau entsprechender Grösse herausgesclilageu gewesen; dasselbe 
war also mit einem Hieb durch die Tabula externa des Stirnbeins 
tief in den Sinus hineingetrieben worden. Nach Entfernung der 
granulösen Wucherungen, in welchen der Körper eingebettet ge¬ 
legen hatte, wird ein Drainrohr in den Stiru-Nasengang eingelegt 
und die Wunde bis auf die Einführungsstelle desselben durch Naht 
geschlossen. — Schon beim ersten Verbandwechsel nach 3 Tagen 
war die Spülflüssigkeit klar und wurde daher das Drainrohr durch 
einen Jodoform gazestreifen ersetzt. 14 Tage p. o. glatte Heilung. 
Sämmtliche Beschwerden blieben dauernd verschwunden; das 
kosmetische Resultat ist ausgezeichnet. 

Eine gewisse Aehnlichkeit hat der berichtete Fall mit folgen¬ 
dem von König“) beobachteten: „Ich fand in einem derartigen 
(sc. die Stirnhöhle treffenden) Verletzungsfall einige Tage nach 
der Verletzung Thcile der Kopfbedeckung des Kranken in der 
Nase n höhle“. König sah auch „Fremdkörper, welche in die 
Stirnhöhle eindrangen, zumal Kugeln, — Jahre lang in der¬ 
selben Zurückbleiben und sich noch nach vielen Jahren durch 
die Nase und den Radien entleeren“. Mit Recht erhebt er dess- 
halb die Forderung: „Bei Verletzungen, welche die Stirnhöhle 
treffen, sei man aufmerksam auf etwaige in die Nase eindringende 
l' remdkörper“. Derselbe Autor erinnert auch au das in seltenen 
1‘iillen (beim Menschen) beobachtete Vorkommen von Insekten¬ 
larven in den Stirnhöhlen 10 ). 


*) Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 

,0 j Tiedemann: Von lebenden Würmern uud Insekten in 
den Geruchsorganen. Mannheim 1844. 


Die kombinirten Sitzungen der medicin. Hauptgruppe 
und die 20. Abtheilung (Hals-, Nasen- u. Ohrenkrank¬ 
heiten) auf der diesjähr. Naturforscherversammlung. 

Von Dr. Ernst W ine kl er in Bremen. 

Zum ersten Mal sollte in Hamburg eine grössere Konzentration 
der wissenschaftlichen Arbeiten ln kombinirten Sitzungen vor¬ 
genommen werden. Um der Zersplitterung Einhnlt zu tliun, Avar 
auf vielseitigen Wunsch wieder einmal der Versuch gemacht 
Avorden, die Sektionen für Ohrenheilkunde, soivle die für Laryugo- 
logie und Rhinologie in einer gemeinsamen Abtheiluug zu ver¬ 
einigen. Die Leitung dieser grossen Abtheiluug hatten die Kol¬ 
legen ThoHt, L u d e av i g und Zarnlko mit vielen Opfern 
an Zeit uud Mühe übernommen. Die Geschicklichkeit und Energie, 
mit denen die Hamburger Kollegen das von allen Seiten zusammeu- 
getrageue Riesenmaterial bewältigten, haben bei allen Mitgliedern 
der 20. Abtheilung Bewunderung und aufrichtige Anerkennung 
hinterlassen. Wir Aerzte pflegen jedoch nach i'ollbracliter Arbeit 
und gesehener Dankesleistung nicht zu ruhen, vielmehr erwägen 
wir nach jeder Arbeit, welcher Nutzen uns und denen, für die 
diese Arbeit geschah, erwachsen ist. Eine solche Betrachtung 
sei mir auch über die Arbeit der 20. Abtheilung gestattet auf 
Grund der frischen, in Hamburg gewonnenen Eindrücke. 

Mit grosser Spannung und Erwartung sahen Avir zunächst 
der gemeinsamen Sitzung mit den Internen. Chirurgen, Neuro¬ 
logen und Ophthalmologen entgegen und Mancher von uns ist 
nur desshnlh nach Hamburg gekommen, um der für Dienstag, 
den 24. September. Vormittags, angekündigten Discussion bei¬ 
zuwohnen, zu der das praktisch so Avielitige Thema „Schwindel“ 
in Aussicht genommen Avar. Das einleitende Referat hatte Pause 
übernommen und Avar derselbe nur zu der angekündigten Sitzung 
unter grossen Schwierigkeiten, zwei Nächte hindurch reisend, 
nach Hamburg herübergekommen. Unsere Geschäftsführer 
hatten Alles in die Wege geleitet uud die Sitzung auf 10 Uhr am 
Dienstag mit den genannten Abtheilungen vereinbart. Wir waren 
pünktlich zur Stelle. Was geschah? Die Chirurgen und Internen 
Hessen uns an ihrer Discussion über Lungenchirurgie Theil 
nehmen, die geiviss auch für uns höchst interessant gewesen 
Aväre, Avenn Avir die Redner \ - ou den für uns im Konzerthaussaal 
übrig gebliebenen Plätzen hätten vernehmen können. Wir mussten 
Avarten und wieder Avarteu. bis schliesslich jede Aussicht. Pause's 
Referat noch am Vormittag zu erledigen, genommen Avar. Die 
20. Abtheilung zerstreute sich, für sie war der Vormittag am 
Dienstag verloren. 

Als Panse’s Referat nun Nachmittags stattfaud, fehlte eine 
nennenswert he Theilnahme der obengenannten Abtheilungen. Die 
schwachen Versuche einer Discussion konnten daher zu keinem 
befriedigenden Abschluss gelangen Dies hat mit uns Allen nament¬ 
lich Lucae empfunden, Aveleher Panse’s Referat durch wich¬ 
tige klinische Mittheilungen aus unserem Spezialgebiet ergänzte. 
Die Hoffnungen, Avelehe Avir uns von der kombinirten Sitzung ge¬ 
macht hatten, sind als gescheitert zu betrachten. Die gemeinsamen 
Sitzungen sind ja nun eine neue Einrichtung und bei gutem Willen 
lassen sich diese Bestrebungen sicher zur Zufriedenheit aller Theil- 
nehrner durchführen. 

Was nun die diesmal Avieder erfolgte Vereinigung der Rliino- 
logen und Laryugologen mit den Otologen anbetrifft, so ist von 
beiden Seiten über die Vereinigung und Trennung der Sektionen 
schon A’iel geschrieben Avorden. Sicher ist. dass die Trennung vom 
rein spezialistischen Standpunkt aus nur wieder gewünscht werden 
kann. Iiuless soll ja die Naturforscherversammlnng nicht allein 
der Erledigung von Spezialfragen in dem einzelnen Fache dienen. 
Aveil dazu die Spezialkongresse vorhanden sind. Daun aber muss 
sich jedenfalls noch Vieles ändern, damit die Arbeit ln der 20. Ab¬ 
theilung einen Avirkllchen GeAvinn bringt. 

Ich kann es hier nicht unterlassen, auf einen Protest kurz 
einzugeheu, Avelchen Schwartze gegen die 20. Abtheiluug vor 
Beginn der Arbeiten eingelegt hat. 

Derselbe erinnerte die Versammlung daran, welche Sclnvierig- 
keiten seiner Zeit UberAvumlen Averden mussten, um nach langen 
Kämpfen den Vertretern der Ohrenheilkunde eine selbständige 
Sektion auf der Naturforscherversammlung einzuräumen. Es Avar 
daher erklärlich, dass aus seiner Verwahrung gegen die dies¬ 
jährige Kombination von Otologie, Laryngologie und Rhinologie 
eine geAvisse Bitterkeit herausklang. Ich fand dies von seinem 
Standpunkte aus vollkommen begründet, und so Averden Avohl 
S e h av a r t z e Avie Lucae mit denen Avir die Ehre hatten, ge¬ 
meinsam zu arbeiten, wenig erbaut über die Konfusion der ge¬ 
nannten Abtheilungen, von uns Jüngeren mit dem Vonvurf der 
Undankbarkeit geschieden sein, dass Avir die Selbständigkeit der 
Otologie nicht geAvahrt haben. Nun ich meine, dass wir bei aller 
Hochachtung. Verehrung und Dankbarkeit, die wir unseren 
deutschen Altmeistern schulden, diesen Vorwurf nicht verdienen. 
Das Gebiet der Otologie ist mit der Zeit ein so grosses geAVorden, 
dass auf der Naturforscherversammlung. Avelehe ja die ver¬ 
schiedenartigsten Interessenten vereinigen soll, die Verschmelzung 
der Ohrenheilkunde mit noch Aveiteren Gruppen sehr förderlich 
sein Aviirde. Durch gemeinsame Sitzungen mit den Internen, 
Chirurgen, Neurologen und Ophthalmologen könnte der grösste 
Nutzen erAvachsen, wenn Fragen zur Discussion gebracht würden, 
die alle Betheiligten interessiren. Derartige Fragen behandelten 
z. B. die beiden Vorträge von Schwartze: 1. über die Lumbal¬ 
punktion und 2. den ophthalmoskopischen Befund bei otitischeu 
Hirnerkrankungen, speziell der Meningitis ln den Anfangsstadien 
— Themata, die für alle oben angeführten Sektionen A - on hoher 


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5. November 1901. 


1793 


MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


praktischer Bedeutung waren und die in so grossem Kreis sicher 
durch die DIscussIon zu einem wesentlichen Fortschritt gebracht 
wären. Leider blichen die erwarteten (lüste auf die zum 2. Vor¬ 
träge ergangenen Einladungen vollständig ans. Ich meine daher, 
dass die Otologen eine weitere Konzentration der Abtheilungen auf 
d«r Naturforsclierversammlung durchaus anstreben müssten. 

Falls nun die 20. Abtheilung (Ohren-, Hals- und Nasenkrank- 
heiten) in Zukunft weiter bestehen soll, so muss sie sich bald 
darüber schlüssig werden, wie die kurze Spanne Zeit während 
der Naturforsclierversammlung am besten auszunützen Ist. Ich 
würde vorschlagen, 2 Referate auf die Tagesordnung zu setzen 
und zur Iliscussion zu bringen, welche doch die Hauptsache bleibt, 
und alle Vorträge, sowie Demonstrationen, welche nicht zu den 
festgesetzten Referaten gehören, einfach fallen zu lass n. Dann 
bliebe den arbeitslustigen Theilnelimern Zeit, sich um allgemein 
interessante Vorträge aus den grossen Kapiteln der Mediein, sowie 
um Alles das. was die Naturforscherversammlung zur allgemeinen 
Belehrung bietet, genügend zu kümmern. 

Eine derartige Kraftvergeudung, wie die Hamburger Tage 
sie von der 20. Abtheilung durch vollständige Abwicklung aller 
Vorträge forderten, ist für die Dauer nicht zu ertragen. Sie führt 
nothweiulig dahin, dass die Arbeitslust der Kollegen erlahmt und 
alle mit (Jrauscn der Naturforsclierversammlung den Rücken 
kehren. Wird hier kein Wandel geschaffen, so wird das Interesse 
an der Sektion sehr bald schwinden und man erscheint dann lieber 
als Festbummler, alte Bekannte und gute Freunde begrüssend, 
ehe inan sich den Kopf in den ä Tagen mit Dingen aufüllen lässt, 
die für längere Zeit nur wegen ihrer Unverdaulichkeit einen Kater 
hinterlassen. 

Das aber ist gewiss nicht der Zweck der wichtigen und so 
angesehenen Naturforscherversammlung. 


Die Thätigkeit des Arztes bei der Invalidenver¬ 
sicherung.*) 

Von Dr. «T. Scndtnor - München. 

Bei der Durchführung des Invalidenverslcheruugsgesetzes 
ybildet das ärztliche Gutachten eine wichtige Grundlage. Einige 
Versicherungsanstalten haben die Abgabe dieser Gutachten be¬ 
stimmten Vertrauensärzten übertragen, während andere An¬ 
stalten es dem Rentenhewerber überlassen, ein Zeugulss von dem 
Arzte seiner Wahl beizubringen, ln der Regel wird der be¬ 
ll a n il e Indo Arzt um die Abgabe des Zeugnisses angegangen, 
der durch die vorhergehende Beobachtung des Kranken am besten 
über dessen Erwerbsfähigkeit zu urtheileu vermag. Auch die Ver¬ 
sicherungsanstalt von Oberbayern huldigt auf diesem Gebiete der 
frei e n A r z t w n h 1. Um jedoch eine einheitliche ärztliche Be- 
urlhoilung im Sinne «lcs Gesetzes herbeizuführen, wurde hier ein 
Anstaltsarzt aufgestellt, dem fast süiumtliche Anträge 
saiiimt dem ärztlichen Zeugniss zur nochmaligen Prüfung unter¬ 
breitet werden, ln zweifelhaften Fällen wird der Austaltsarzt ver¬ 
anlasst. auf Grund persönlicher Untersuchung ein Obergutachten 
abzugi ben. Als Stellvertreter des Anstaltsarztes habe ich mich 
seit mehreren Jahren eingehend mit dieser Arbeit zu beschäftigen, 
so dass mir alljährlich einige 1000 Anträge und ärztliche^ Zeugnisse 
durch die Hand gehen. Ich habe hiebei nicht selten Klagen von 
Seite der Versicherungsanstalt gehört, dass die vorliegenden ärzt¬ 
lichen Gutachten keine genügende Grundlage für die Verbeschel- 
dung der Anträge bilden. Wenn ich auch den Eindruck habe, 
dass die Kenntulss des verhältnissnnisslg neuen Invnlidenversiclie- 
rungsgesetzes mein - und mehr in die ärztlichen Kreise eindringt 
mul damit die ärztlichen Zeugnisse den Absichten des Gesetzes 
entsprechender werden, so lässt sieh doch nicht verkennen, dass 
manche Gutachten in Vorlage kommen, mit denen der Sache nicht 
viel gedient ist. 

Es dürfte daher eine kurze Besprechung der ärztlichen Thätig¬ 
keit im Dienste des Invalidenversicherungsgesetzes nicht über¬ 
flüssig sein, umsoweniger, als dieses Thema liier in München über¬ 
haupt noch nicht bospnxdion worden ist. 

Der Kernpunkt der ärztlichen Begutachtung ist hier die Fest¬ 
stellung der Invalidität oder vielmehr, da dieser Ausdruck 
dem < Jesetze fremd, der Erwerbsunfähigkeit im Sinne 
des InvalidenversieherungsgoKotzes. E r w erbsunfilhig im 
Sinne des § .% dieses Gesetzes sind diejenigen Personen, deren Er¬ 
werbsfähigkeit in Folge von Alter, Krankheit oder anderen Ge¬ 
brechen dauernd auf weniger als ein Drittel herabgesetzt ist Dies ist 
dann anzunehmen, wenn sie nicht mehr im Stande sind, durch eine 
ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechende Thätigkeit, die ihnen 
unter billiger Berücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres bis¬ 
herigen Berufes zugemuthet werden kann, ein Drittel desjenigen 
zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen der¬ 
selben Art, mit ähnlicher Ausbildung, ln derselben Gegend durch 
Arbeit zu verdienen pflegen. 

Nach dem neuen Gesetz vom 12 Juli 1809 ist es zwar nicht 
mehr erforderlich, dass der Arzt an dieser Stelle einen bestimmten 
Geldbetrag einsetzt, welchen nach seiner Schätzung sich der 
Rentenhewerber noch zu verdienen vermag. Immerhin ist eine 
derartige Angabe erwünscht, weil sie die Richtigkeit der vor- 
geschricbenen Beantwortung bestätigt. Als Anhaltspunkt für die 
Beurtheilung dieser Frage können uns die ortsüblichen Taglöhne 
dienen, welche im oberhayerlschen Kreisnmtsblatt veröffentlicht 
werden. Für München sind diese für erwachsene männliche Tag- 


•) Nach einem in der Abtheilung für freie Arztwahl des ärzt¬ 
lichen Boz.irksvereins München gehaltenen Vortrage. 


löhner auf 2, für weibliche auf 2 M. festgesetzt Ein Handwerker 
mit spccieller Berufsausbildung, ein Monteur z. B., Ist natürlich 
nicht nach diesem niederen Maass zu messen, dagegen sind die 
Arbeitslöhne unter ländlichen Verhältnissen geringere. Eine Be¬ 
zeichnung in Procenten der Erwerbsfähigkeit genügt dem Zweck 
vollständig. Die Grenze der Invalidität Ist somit 32% Proc. 

Man könnte nun vielleicht daran denken, die einzelnen Krank¬ 
heiten als Ursachen der Invalidität zu besprechen, gewisser- 
maassen ein einheitliches Schema für die Invalidität und Ihre 
Ursachen aufzustcllen, wie wir es für die Unfallschäden haben. 
Das ist nicht möglich. Man kann z. B. nicht sagen, ein bestimm¬ 
ter Herzklappenfehler beeinträchtigt die Erwerbsfähigkeit um so 
und so viel Procent. Es liegt mir eine Arbeit vor von Stempel, 
die Untersuchung und Begutachtung der Invalidenrentenanwärter, 
ein Buch von über 170 Seiten, welches sich hauptsächlich mit den 
einzelnen Krankheiten als Ursache der Invalidität beschäftigt. 
Ich halte dieses Bemühen für fruchtlos, da wir es bei der Unter¬ 
suchung auf Invalidität nicht mit einzelnen Krankheiten zu thun 
haben, sondern mit einer Summe von Faktoren, Alter, Ernährungs¬ 
zustand, Verhalten der verschiedenen Organe etc. ln ihrer Ge- 
sammtwirkung auf die Leistungsfähigkeit des Organismus. Man 
kann wohl eine Reihe von Krankheltszustiinden anführen, welche 
an und für sich die Invalidität begründen. Das Ist natürlich der 
Fall l>ei vorgeschrittenen Carcinomen, bei Tabes im ataktischen 
Stadium, bei Paralyse etc. Darüber wird Niemand im Zweifel sein. 
Bel Epilepsie werden, wenn die Anfälle häutig, sagen wir alle 
8—14 Tage, sich wiederholen, die Voraussetzungen der Invalidität 
gegeben sein. Wenn jedoch der Arzt nicht selbst einen Anfall 
beobachtet hat, so wird hier eine Feststellung der Anfälle durch 
einwandsfreie Zeugen oder besser durch Krankenhausbeobachtung 
uothwendlg sein. Einer sehr häuflg vorkommenden Invaliditäts- 
ursache möchte Ich aber mit einigen Worten gedenken, nämlich 
der Hernien. Dabei ist Verschiedenes zu berücksichtigen, die Art, 
Grösse und der Umstand, ob der Bruch reponibel Ist oder nicht. 
Ein gewöhnlicher Lelsteubruch, der reponibel und dann wohl 
immer durch ein passendes Bruchband zurückzuhalten Ist, wenn 
es uns die Leute auch oft anders glauben machen möchten, wird, 
wie Sie wissen, in der Unfallpraxis als 10 proc. Beschränkung der 
Erwerbsfähigkeit betrachtet, kann also an und für sich die In¬ 
validität, welche eine GO proc. Erwerhsbeschränkthelt voraussetzt, 
nicht begründen. Andere sind natürlich verwachsene 
Brüche oder sehr grosse Brüche, Eventrationen, wie sie bei 
Nabelbrüchen sich finden, zu beurtheilen. Was die Erkrankungen 
der Sinnesorgane betrifft, so kunn Ich hochgradige Schwer¬ 
hörigkeit, selbst Taubheit, bei einem landwirthschaftlicheu Ar¬ 
beiter, Taglöhner oder Dienstboten nicht uls hinreichenden Grund 
anerkennen, um die Invalidität als gegeben anzunehmen. Das 
Gleiche gilt von einseitiger Blindheit, während doppelseitige 
Blindheit den Träger zweifellos invalid macht. Bei den Störungen 
des Sehvermögens ist selbstverständlich auch eine eventuelle Ite- 
frnktlonsnnonuilie zu berücksichtigen und muss auch diesen bei 
Prüfung und Angabe der Sehschärfe Rechnung getragen werden. 
Was die Störungen des Bewegungsapparates betrifft, so dürfte 
der Grundsatz gelten, dass völlige Gebrauchsunfähigkeit der 
unteren Extremitäten, also ausschliessliche Befähigung zu sitzen¬ 
der Beschäftigung, hinreicht, um sich für die Invalidität auszu¬ 
sprechen. Wenn dagegen nur die Unfähigkeit zu andauern- 
d e m Gehen vorliegt und daher die Nothwendigkeit, vorwiegend 
im Sitzen zu arbeiten, so ist die Frage der Invalidität nicht iin 
Allgemeinen zu entscheiden, sondern nach Lage des Falles zu 
prüfen. 

Die grössten Schwierigkeiten für die Beurtheilung. namentlich 
bei einmaliger Untersuchung, bieten natürlich die funktionellen Er¬ 
krankungen des Nervensystems, bei denen der objektive Befund 
sehr gering oder negativ sein kann. In Zweifelsfällen bleibt als 
Auskunftsmittel die Unterbringung und Beobachtung in einem 
Krankenhaus. 

Eine weitere Frage, welche dem Arzt vorgelegt werden muss, 
Ist die nnch dem Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbs¬ 
unfähigkeit im Sinne des Gesetzes. Die Frage Ist unter Um¬ 
ständen für den Arzt, der den Antragsteller nicht durch längere 
Beobachtung kennt, schwer zu beantworten, aber für die Durch¬ 
führung des Gesetzes insoferne von Bedeutung, als es sich um 
Feststellung des Zeitpunktes handelt, von welchem ab die Rente 
zu gewähren ist; aber auch um Prüfung der Frage, ob der Be¬ 
werber zu einem gewissen Zeitpunkt noch versicherungspflichtig 
und berechtigt war, Marken eiuzukleben, mit anderen Worten, ob 
die gesetzliche Wartezeit erfüllt ist. 

Unter Umständen kann ein Gutachten, welches es recht 
gut meint und den Eintritt der Invalidität auf einige Jahre zurück- 
vorlegt, dadurch das Gegentheil des Gewollten bewirken, nämlich, 
dass der Antragsteller mangels Erfüllung der Wartezeit keine 
Rente erhält. Die Feststellung der erfüllten Wartezeit Ist überhaupt 
nicht Sache des Arztes, sondern der Versicherungsanstalt. Das 
ärztliche Urthell darf aber nicht von Beweggründen mensch¬ 
licher Milde, sondern einzig und allein von seiner ärzt¬ 
lichen Ueberzeuguug geleitet werden. 

Ebenso wichtig für den Vollzug des Gesetzes ist die Beant¬ 
wortung der Frage, ob die Invalidität ganz oder thellweise durch 
einen Betriebsunfall bedingt ist. Je nach Benntwortum; 
dieser Frage wird an Stelle der Invalidität» - Fürsorge die 
des U n f a 11 - Versicherungs-Gesetzes treten. Jedoch kann auch 
neben der Unfnllrente die Invalidenrente gewährt werden, und 
zwar insoweit als die zu gewährende Invalidenrente die gewährte 
Unfnllrente übersteigt. Das gegenseitige Uebergreifeu der Invali- 
ditiits- und Unfallversicherung ist durch das (Jesetz in kompli- 

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MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


zirter Weise geregelt, auf die ich hier nicht einzugehen brauche. 
Ich will nur betonen, dass es Aufgabe des Arztes ist. darauf hin- 
üuwelsen, wenn Untersuchung und Anamnese ihm Grund zu 
der Annahme geben, dass ein Betriebsunfall vorliegt. Ein 
derartiger Hinweis genügt, w r eun auch die bestimmte Beant¬ 
wortung der Frage nicht ohne Kenntuiss der Unfallakten mög¬ 
lich ist. 

Unter Unfall Ist nach der Rechtsprechung des Reichs- 
Versicheruugs-Amtes Jede dem Körper schädliche und plötz¬ 
liche Einwirkung eines äusseren Vorganges auf den mensch¬ 
lichen Körper zu verstehen. Es gehören also nicht liieher die 
sogen. Gewerbekrank li eiten, welche als Endergebniss 
der andauernden schädlichen Einwirkungen gewisser Berufs- 
tliätigkeiten auftreteu, z. B. Bleivergiftungen. 

Man sollte annehmeu, dass diese Begriffe allen Aerzten ge¬ 
läufig seien; es scheint dies aber doch nicht immer der Fall zu 
sein; sonst könnte es nicht Vorkommen, dass ein offenbar sehr 
wissenschaftlicher Kollege unter dieser Rubrik sich eingehend 
über die Aetiologle einer Metritis, Oophoritis und Salpingitis 
äussert und die Frage erörtert, ob die Ursache derselben eine Ge¬ 
burt oder der Gonococcus oder ein anderer Coccus sei. 

Ist die Erwerbsunfähigkeit festgestellt, so tritt die Fmge an 
uns heran, ob der Zustand als dauernd zu erachten ist oder 
nicht. Denn Invalidenrente erhält nur Derjenige, welcher entweder 
dauernd erwerbsunfähig ist oder bei vorübergehender Erwerbs¬ 
unfähigkeit, wenn diese bereits 20 Wochen andauert, für die 
fernere Dauer des Zustandes. In letzterem Falle ist eine Aeusse- 
rung über die fernere Dauer wünschenswerth. 

Es liegt in der Natur der Sache, dass hierüber nicht immer 
mit voller Sicherheit sich ausgesprochen werden kann. Unsere 
medicinische Voraussage beruht ja auf Wahrscheinlichkeitsberech- 
uung. Es kann sehr schwierig sein, bei einen) Fall von schwerer 
Hysterie zu sagen, ob überhaupt und bis wann Heilung zu er¬ 
warten ist. Hier genügt es, wenn unsere Antwort lautet: voraus¬ 
sichtlich oder wahrscheinlich dauernd; oder wesentliche Besserung 
und Aufhebung der Invalidität nicht ausgeschlossen, jedoch nicht 
vor Ablauf eines halben oder eines Jahres zu erwarten. 

Dauernde Erwerbsunfähigkeit besteht erst von 
dem Zeitpunkte ab, wo nach menschlichem bezw. ärztlichem Er¬ 
messen die Aussicht auf Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit 
geschwunden ist. „Dauernd“ ist daher hier nicht dasselbe wie 
„ununterbrochen andauernd“, sondern es ist etwa gleichbedeutend 
mit „für immer erwerbsunfähig“ oder „unheilbar erwerbsunfähig“. 

Die Auffassung des Reichs-Verslcherungs-Amtes wird durch 
einige Entscheidungen erläutert: War eine Person vom 1. Januar 
1899 ab bis zu ihrem am 1. Oktober 1901 erfolgten Tode ununter¬ 
brochen krank und erwerbsunfähig, bestand aber bis 1. April 1901 
noch Aussicht auf Heilung, so ist der Eintritt der dauernden Er¬ 
werbsunfähigkeit erst ab 1. April 1901 zu datiren. 

Dauernde Erwerbsunfähigkeit liegt ferner nicht nur dann vor, 
wenn die Möglichkeit der Heilung unbedingt und zweifei- 

1 o s ausgeschlossen ist, sondern schon dann, wenn nach ärztlichem 
Ermessen die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit unwahr¬ 
scheinlich ist. 

Dauernde Erwerbsunfähigkeit liegt auch dann vor, wenn die 
Hebung der Erwerbsunfähigkeit nur durch eine Operation erreich¬ 
bar sein würde, welcher sich zu unterwerfen der Kranke ablehnt. 

Wenn nicht ein früherer Zeitpunkt für Eintritt wesentlicher 
Besserung in Aussicht gestellt ist, so ptlegt unsere Versicherungs- 
Anstalt eine Kontroluntersuchung nach 2—3 Jahren zu veranlassen. 
Eine Rentenentziehung kann nur dann eintreten, wenn 
in den Verhältnissen des Rentenempfängers eine Veränderung ein- 
trltt, welche ihn nicht mehr als erwerbsunfähig erscheinen lässt. 
Die Veränderung muss eine thatsächliclie und wesentliche sein; 
eine veränderte Beurtheilung der Sachlage seitens des Begut¬ 
achters würde nicht genügen, um die Entziehung der 
Rente zu rechtfertigen. Es ergibt sich schon hieraus die 
Nothwendigkeit, den objektiven Befund in dem ersten ärztlichen 
Zeugnisse nicht allzu knapp darzustellen, um einen Vergleich mit 
dem später zu erhebenden Befund zu ermöglichen. 

Der Fall der vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit führt uns 
auf eine andere wichtige Frage, welche hier zu erwägen ist, die 
Einleitung eines Heilverfahrens. Die einschlägigen gesetz¬ 
lichen Bestimmungen sind § 18, welcher lautet: 

„Ist ein Versicherter dergestalt erkrankt, dass als Folge der 
Krankheit Erwerbsunfähigkeit zu besorgen ist, welche einen An¬ 
spruch auf Invalidenrente begründet, so ist die Versicherungs- 
Anstalt befugt, zur Abwendung dieses Nachtheils ein Heilver¬ 
fahren in dem ihr geeignet erscheinenden Umfang eintreten zu 
lassen. 

Die Versicherungs-Anstalt kann das Heilverfahren durch 
Unterbringung des Erkrankten in einem Krankenhaus oder in 
einer Anstalt für Genesende gewähren.'.“ 

Ferner § 47, Abs. II: 

..Ist begründete Annahme vorhanden, dass der Empfänger 
einer Invalidenrente bei Durchführung eines Heilverfahrens die 
Erworbsfähigkcit wieder erlangen werde, so kann die Versiche¬ 
rungsanstalt zu diesem Zwecke ein Heilverfahren eintreten 
lassen....“ 

Aus dein Erwähnten geht hervor, dass die Versicherungs¬ 
anstalt die B e f u g n i s s. aber nicht die Verpflichtung 
zur Anwendung eines Heilverfahrens hat und zwar nur in den 

2 Fällen, wenn es sich um die Verhinderung der drohen- 
d e n oder die Beseitig u n g der bestehenden Invalidität 
handelt. Diese beiden Gesichtspunkte werden in den ärztlicheu 
Anträgen auf Ueberuahiue des Heilverfahrens nicht immer ge¬ 


nügend festgehalten. Einzelne Aerzte stellen sich da auf den 
Standpunkt der Humanität und begutachten ein Heilverfahren, 
auch wenn sie dasselbe als aussichtslos bezeichnen müssen. 
Andere scheinen von der irrigen Voraussetzung auszugehen, 
dass das Heilverfahren den U ebergang von der Fürsorge der 
Krankenversicherung zur Gewährung der Invalidenrente bilden 
müsse. 

Für die Zwecke der Heilbehandlung werden seitens der Ver¬ 
sicherungsanstalten sehr erhebliche Aufwendungen gemacht. 
Im Jahre 1899 sind insgesammt 20 039 Personen mit einem Kosten- 
aufwände von 4 050975 M. seitens der deutschen Versicherungs¬ 
anstalten in Heilbehandlung genommen worden. Was die Heil¬ 
erfolge betrifft, so entnehme ich einem Vortrag von Posner 
über die ärztliche Tliätigkeit auf dem Gebiete der Iuvallden- 
versh 1 erung, dass gegen JX) Proc. als erwerbsfähig aus der Be¬ 
handlung entlassen wurden. Eine andere Frage ist es freilich, 
ob diese Erfolge dauernde sind. Gerade bei Lungenkranken wird 
es nicht selten Vorkommen, dass sie die günstigen Verhältnisse 
des Sanatoriums anscheinend geheilt verlassen, aber, wenn sie 
wieder in die frühere Misere des Lebens, in den Kampf um’s 
Dasein zurückkehren, alsbald rückfällig und reif für die Invaliden¬ 
rente werden. So mussten auch von 080 Männern, welche auf 
Kosten der Berliner Versicherungsanstalt ln Lungenheilstätten 
behandelt worden waren, 70 als rückfällig und rentebedürftig be¬ 
zeichn« t werden. Von 235 als erwerbsfähig entlassenen Frauen 
beziehen jetzt bereits 47 die Rente. 

Die Versicherungsanstalt von Oberbayern macht von 
ihrer gesetzlichen Befugniss, in geeigneten Fällen ein Heil¬ 
verfahren eintreten zu lassen, ausgedehnten Gebrauch. Ich ent¬ 
nehme dem Verwaltuugsbericht des Vorstandes dieser Anstalt 
über das Geschäftsjahr 1900 nachstehende Daten. 

Es wurden in diesem Jahre 1108 Anträge auf Heilverfahren 
gestellt, von denen 899 durchgeführt wurden. 209 kameu nicht 
zur Durchführung, und von diesen 95. also fast die Hälfte wegen 
Ablehnung des Heilverfahrens durch die Versicherten. Von 
den 899 Behandelten wurden 645 mit Erfolg behandelt, von 
denen jedoch schon nach den ersten Ermittelungen aus dem Be- 
triebsjahre 51 Personen Invalidenrente erhielten. Die bis¬ 
herigen Erfahrungen reichen noch nicht aus, um den eigentlichen 
Dauererfolg zahlenmässig nachzuweisen. Nach dem Bis¬ 
herigen wurde also im Berichtsjahre ln etwa 06 Proc. ein Heil¬ 
erfolg erzielt, der jedoch noch nicht als das dauernde Ergebniss 
anzusehen ist. Von den einzelnen Krankheiten, welche zur Be¬ 
handlung kamen, stellten das grösste Kontingent Erkrankungen 
der Lunge, von denen auf Kosten der Versicherungsanstalt 
440 behandelt wurden. Von 296 in der Volksheilstätte bei Planegg 
behandelten tuberkulösen Männern wurden 182 mit dem Erfolg 
der wiedererlaugten Erwerbsfähigkeit entlassen, von denen aber 
schon im Berichtsjahre 13 die Rente gewährt werden musste, 
denen jedenfalls noch weitere Rückfälle nachfolgen werden, so 
dass das Ergebniss der dauernd oder wenigstens für längere 
Zeit Geheilten und Arbeitsfähigen sich im günstigsten Falle wohl 
auf die Hälfte beschränken wird. 

Bessere Erfolge verspricht nach den bisherigen Er¬ 
fahrungen die Behandlung anderer Krankheiten, wie der 
Chlorose, der Gicht und die Anwendung der schwedischen Heil¬ 
gymnastik. 

In diesem einen Jahre betrug der Gesammtaufwand für 
die Durchführung des Heilverfahrens 191577 M., wozu noch die 
Kosten für Familieuunterstützung kommen. Der Durchschnitts¬ 
aufwand für den Kopf der Behandelten bezifferte sich auf 202 M, 
08 Pf. Ich erwähne hier nur noch die Kosten, welche seit 1900 
für künstlichen Zahnersatz übernommen wurden und 
schon in diesem ersten Jahre die Summe von 5000 M. überschritten. 
Diese Zahlen geben einen Begriff von den Leistungen der Ver¬ 
sicherungsanstalt auf dem Gebiet des Heilverfahrens; sie fordern 
aber auch uns Aerzte zu strengster Prüfung der Auträge auf. 
Die Versicherungsanstalt ist keine Versorgungsanstalt 
für arme Kranke, sondern sie bezweckt mit dem Heilverfahren 
lediglich die Beseitigung oder Verhinderung der .Invalidität. 

Besondere Vorsicht erheischt die Efilplenjüng e1ne& v Heil¬ 
verfahrens bei L ungentu b e r kn 1 ose. 'ÄTictl P osnTT“ 
weist ln der erwtnn)tt^'Arbeit^araiiT~hln, indem er betont, dass 
der Versuch eines Heilverfahrens principiell um so mehr gerecht¬ 
fertigt ist, je geringer die Mortalität einer Krankheit ist, um so 
länger sich also der Renteubezug des Betreffenden hinzieht. Unter 
den Invaliditätsursachen sind die Krankheiten des Bewegungs¬ 
apparates diejenigen, welche die höchste Rentenbezugsdauer und 
die geringste Sterblichkeit bedingen. Das Gegenbild ist die Tuber¬ 
kulose mit kürzester Rentenbezugsdauer und grösster Sterblichkeit. 
Es ist einleuchtend, dass das Heilverfahren hier ein schlechtes 
Geschäft ist, wenn man so sagen darf. Wenn einmal die Lungen¬ 
erkrankung in das Stadium des Zerfalles, der Höhlenbildung ge¬ 
treten ist, so sind die Aussichten auf Genesung so gering, dass 
wir der VersichernngB-Anstalt die Uebernahme des Heilverfahrens 
nicht mehr zumuthen können. 

Die Grenze, welche die Heilstätte Planegg für die Aufnahme 
der Tuberkulösen gesteckt hat, ist für die Versicherungs-Anstalt 
die äusserste Grenze der Zulässigkeit eines Heilverfahrens. Akute 
Miliartuberkulose ist natürlich kein Gegenstand des Heilverfahrens 
für die Versicherungsanstalt. 

Ueber die Art und Weise des Heilverfahrens behält sich die 
Versicherungs-Anstalt mit Recht freie Bestimmung vor. Es Ist 
ja oft unmöglich, die weit gehenden Wünsche der Bewerber, die 
meist auf Geld, möglichst viel Geld gerichtet sind, zu befriedigen. 
Man hat auch hier wie anderwärts mit der Behandlung ln der 


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5. November 1901. 


MüENCHENER MEDICtNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1795 


Familie schlimme Erfahrungen gemacht. Die Versicherungs- 
Anstalt legt daher grossen Werth auf die strenge ärztliche Ueber- 
wachung und geht von dem Princip der Austaltsbehandlung nur 
in besonderen Ausnalunefüllen ab. Die Versicherungs-Anstalt hat 
zu diesem Behufe mit verschiedenen Anstalten Uebereinkommen 
bi-zügl. Verpflegung der Versicherten getroffen; hier sind zu 
neunen die Anstalten in Planegg, Harlaching, Holzkirchen, War¬ 
tenberg, Oberülkofen, die hiesigen privaten und öffentlichen Heil¬ 
anstalten, Bad Aibling etc.; kurz es stehen so viele Heilstätten ln 
der Nähe zur Verfügung, dass es nicht nöthig ist, nach der Ferne, 
nach Karlsbad, Davos und Gastein zu greifen. Zum Punkt Heil¬ 
behandlung ist vielleicht daran zu erinnern, dass operative 
Maassnahiuen, welche in den Bestand oder die Unversehrheit des 
Körpers eingreifeu oder, wie jede die Chloroform irung er¬ 
heischende Operation, nicht ohne Lebensgefahr voi genommen 
werden können, die Zustimmung der Versicherten zu diesen Ein¬ 
griffen voraussetzen. 

Soviel in Kürze über das Heilverfahren und nun komme ich 
zu dem Gutachten wie es sein soll und wie es nicht sein soll. 
Was von den ärztlichen Gutachten im Allgemeinen gilt, gilt natür¬ 
lich auch hier. Nicht Humanität, Gefälligkeit oder gar ltücksicht 
uuf unsere Klientele darf uns hierbei leiten, sondern strengste 
Objektivität und Ueberzeugung. Die Legende, dass man ein ärzt¬ 
liches Zeuguiss für jeden Zweck haben kann, muss einmal gründ¬ 
lich zerstört werden. Es ist kein Zweifel, dass nichts das An¬ 
sehen unseres Standes mehr herabsetzen kann, als die Abgabe von 
solchen Gefälligkeitszeugnissen. Es kommen da manchmal Zeug¬ 
nisse in Vorlage, welche den Eindruck machen, dass der Aussteller 
sich nicht darüber klar war, dass sein Elaborat durch verschiedene 
Hände gehen würde und dass es einen § 278 des Strafgesetzbuches 
gibt, welcher Aerzte, die ein unrichtiges Zeuguiss über den Ge¬ 
sundheitszustand eines Menschen zum Gebrauche bei einer Be¬ 
hörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen aus¬ 
stellen, mit Gefäugnls88trafe von 1 Monat bis zu 2 Jahren bedroht. 

Als im vorigen Jahre Verhandlungen zwischen dem Münchener 
Bezirksverein und der oberbayerischen Versicherungsanstalt be¬ 
züglich der Honorirung der Gutachten gepflogen wurden, war es 
nicht erfreulich für die Vertreter der Aerzte, hören zu müssen, 
dass mitunter so mangelhafte Gutachten geliefert werden. Nach¬ 
dem diese Verhandlungen zu einem für die Aerzte befriedigenden 
Krgebniss geführt haben, muss aber auch das Hecht der Ver¬ 
sicherungsanstalt gewahrt werden, dass sie für ihr Geld an¬ 
ständige Gutachten beansprucht. Wenn die ärztliche Begut¬ 
achtung der Renten- und Heilverfahrensanträge ihren Zweck er¬ 
füllen soll, so müssen die vorhin besprochenen Fragen vom Arzt 
beantwortet werden. Da man aber nicht voraussetzen kann, dass 
diese Fragen, auf die es ankommt, dem Gutachter jederzeit gegen¬ 
wärtig sind, so ergibt sich hieraus die Nothwendigkeit eines 
Formulars für das Gutachten, wodurch andererseits die Be¬ 
gutachtung wesentlich erleichtert wird. Die Benützung dieses 
Formulars setzt aber als selbstverständlich voraus, dass auf die 
einzelnen Fragen eiugegangen werden muss. 

Ich könnte Ihnen da Beispiele von Zeugnissen vorlegen, denen 
man so recht die Unlust des Arztes über diese widerwärtige 
Schreiberthätigkeit ausieht. 

Wenn ein Arzt auf die Frage III: „Ist hlenach der Unter¬ 
suchte theilweise arbeitsfähig oder völlig arbeitsunfähig?“ und 
auf Frage VI: „Ist die Erwerbsunfähigkeit eine dauernde oder 
wird der Krankheitszustand beseitigt oder gebessert werden 
können?“ mit „Ja“ antwortet, so ist das eine ebenso leichtfertige 
als unlogische Antwort. Die Folge davon Ist, dass das Zeugniss 
zur Ergänzung zuriiekgegeben werden muss, was für beide Theile 
peinlich ist. Eine Forderung, die uns schon in den Lehrjahren 
eingeprägt wurde, ist, dass in den Zeugnissen die Angaben 
des Untersuchten und der objektive Befund scharf auseinander¬ 
gehalten werden. Ich kann Ihnen hier einige Beispiele vorlegen; 
meistens sind es Auszüge aus Gutachten eines und desselben 
Arztes — und zwar ist es kein Münchener —, die sich dadurch 
kennzeichnen, dass das ganze Gutachten auf den Angaben des 
Untersuchten beruht, die zum Tlieil wörtlich ln Gäusefüsschen 
angeführt werden. „Ich kann mir nichts mehr verdienen." „An¬ 
geblich“ dauernde Erwerbsunfähigkeit. Unter der Rubrik: Ergeb¬ 
nisse der Untersuchung und Diagnose, findet mau bisweilen merk¬ 
würdige Dinge: „Hat schwache, verdorbene Augen.“ „Beginnende 
Altersschwäche, spec. au den Augen.“ „Angebliche Kraftlosig¬ 
keit des linken Armes." „Schmerzen am Itippenraud durch eine 
alte Rippen fraktur, Schwindel, Uebelkeit, Ohnmachtsaufälle.“ 
Ein anderer Fall: Ergebnisse der Untersuchung: „Herzklopfen, 
Schmerzen am Arm.“ Diagnose: „Gicht.“ 

Ein Arzt empfiehlt bei einem Sarkom des Oberarmes — 
.,2 Kilo gross“, wie er sich ausdrückt — ein Heilverfahren und 
zwar, da hier die üblichen ärztlichen Behandlungs¬ 
methoden doch nichts nützen, die Anwendung von Kräuter- 
t h e e. S o u u e n b ä d e r n und Homöopathie. Ich brauche 
Ihnen wohl den Namen des Arztes nicht zu nennen, der sich 
dieses geleistet hat. 

Ich gebe zu, dass diese Beispiele ausgesuchte, krasse Fälle 
sind; allein sie bestätigen eben doch, dnss die Klagen der Ver¬ 
sicherungs-Anstalt zum Thell nicht unbegründet sind. Solche 
Gutachten sollten nach meiner Meinung überhaupt nicht Vor¬ 
kommen; sie nützen der Versicherungs-Anstalt nichts und schaden 
dem Ansehen des ärztlichen Standes. 

Was die Honorirung der Gutachten anbelangt, so erlaulie 
ich mir, auf die Vereinbarung vom 18. April ds. Bezug zu nehmen. 

No. 4f\ 


Die Aerzte des Münchener Bezirksvereins sind darnach berechtigt, 
gegenüber der VersIcherungs-ADstalt für das Gutachten zu llqui- 
diren, wenn sie den Rentenbewerber vorerst auf die ihm zunächst 
obliegende Verpachtung zur Zahlung aufmerksam gemacht, aber 
von demselben eine Zahlung nicht erhalten haben. Für die ge¬ 
wöhnlichen Fälle ist bekanntlich ein Satz von 3 M., für besonders 
schwierige und ausführliche Gutachten ein Höchstsatz von 
5 M. vereinbart. Es widerspricht also dieser Vereinbarung, wenn 
ein Arzt erklärt, wie es vorgekommen ist, für Jedes Gutachten 
grundsätzlich 5 M. zu beanspruchen. Voraussetzung für die Be¬ 
zahlung ist, dass der Arzt auch 1 i q u 1 d 1 r t, was bei dem neuen 
Formular bereits vorgesehen Ist, und — dass man die Unter¬ 
schrift des Arztes lesen kann, was bekanntlich nicht immer 
so leicht ist. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Zum Versicherungswesen der deutschen Aerzte. 

Trlesdorf, 28. Oktober 1901. 

Gutta cavat lapidem, non vi, sed saepe cadendo! Also schliesst 
ein Artikel des Herrn Bezirksarztes Dr. Spät in No. 40 der 
Münch, med. Woclienschr., welchen wir deutschen Aerzte neben 
der allerdings nicht sehr feuerigeu Erklärung des letzten Aerzte- 
tages, dass man nach Mitteln und Wegen suchen wolle, der Noth¬ 
inge des Standes entgegen zu wirken etc., als eine hochbedeutsame 
Kundgabe dafür, dass man praktische Beschlüsse und endlich ein¬ 
mal eine Umsetzung in die Timt erwarten darf, freudigst begrüssen 
müssen. 

Ja, steter Tropfen höhlt den Stein, aber von riesiger Dimension 
und diamantener Härte muss der Felsblock sein, welcher sich der 
Besserung unserer materiellen Lage bisher entgegenthünnte, und 
wenn die längst gefühlte Nothlage des Standes so wenig prak¬ 
tisches Verstäudnis8 zeitigte, diesen Stein zu höhlen oder zu be¬ 
seitigen durch freie Selbsthilfe, nicht aber durch Gnadenmittel 
des Reiches und der Einzelpariamente. Es ist daher wahrhaft 
traurig und völlig unverständlich, dass bisher Uber 97 Proc. der 
deutschen Aerzte Einrichtungen ferngeblieben sind, welche durch¬ 
aus in der Lage sind, der Nothlage und Sorge, besondere der nicht 
beamteten Aerzte, ln ihrem Alter entgegen zu wirken und den 
jetzt schon so fühlbaren wirtschaftlichen Nothstand der Aerzte- 
scliaft wirksam zu bekämpfen. Gottlob bricht sich nunmehr in 
Folge des durch wachsende Concurrenz seitens der Ueberzahl der 
Aerzte selbst, wie seitens der unberufenen Diener Aeskulaps, 
hervorgerufeneu materiellen wie ethischen Notstandes, in Folge 
der Verkennung und Missachtung des ärztlichen Standes seitens 
derjenigen Kreise, welche eigentlich das höchste Interesse hätten 
und Yerstüudniss dafür haben sollten, den ärztlichen Stand zu 
unterstützen und zu fördern, und in Folge der immer höher sich 
stellenden Preise für die Ia*beushaltuug, das Studium und die 
Fortbildung, allmählich die Ueberzeugung durch, dass etwas Ernst¬ 
liches von Seiten der berufenen Vertreter der Aerzteschaft und der 
Vereine und eventuell unter Mitwirkung seitens des Reiches resp. 
der Einzelstaaten geschehen müsse. Schon hier möchte ich zum 
Ausdruck bringen, dass ich ein Vertreter der freien Selbsthilfe bin 
und die von den Tischen der Parlamente fallenden Brocken, welche 
den Staaten nur ein Recht der Einmischung und Bevormundung 
sichern, herzlich gering anschlage. Wir können uns selbst helfen: 
Der Anfang zu dieser Selbsthilfe sind die verschiedenen Versiche¬ 
rungszweige für Alter, Krankheit, Invalidität, Unfall, Credit, 
Wlttwen und Waisen, für die Durchführung von Lohn- jjuü 
S tellungskämpfen gegenüber den Behörden, Kassen und Ge¬ 
nossenschaften irr rein berufsgeuossenschaftlicher Form durch ein 
einziges ganz Deutschland umfassendes Institut, welchem womög¬ 
lich alle Kollegen angeboren sollten und welches dann auch im 
Stande wäre, lür den Einzelnen, wie für den ganzen Stand von 
anderen Instituten, Genossenschaften, Gemeinwesen, sei es auf 
dem Wege des Vertrages oder des Kampfes, Vortlieile zu erreichen, 
welche sonst unerreichbar sind. Während wir uns nun nicht in 
erheblicher Unklarheit über das Warum und das Was befinden, 
macht das Wie, d. li. die Art des Ausbaues eines grossartigeu 
alldeutschen berufsgenossenschaftlichen Institutes noch recht viel 
Kopfzerbrechen und muss recht wohl erwogen werden. Bis 
soweit decken sich meine Anschauungen mit denjenigen S p ä t's 
und I) ö r f 1 e r’s resp. des Aerztetages vollkommen. Aber Beide 
rechnen mit Sicherheit darauf, dass nur bundesstaatliche Organi¬ 
sation durch Zwangsbeitritt zu neu zu gründenden Versiche¬ 
rungskassen es ermögliche, den Hebel am rechten Orte ein¬ 
zusetzen. Nur durch den Ausbau der bundesstuatliclien Kassen 
zu allgemeinen (?) Ililfskassen mit gesicherten Rechtsansprüchen 
auf Grund der gegebenen historischen Verhältnisse, und da eine 
allgemeine deutsche Aerzteordnung unerreichbar sei, wäre Abhilfe 
denkbar; andernfalls würden auch staatliche Subventionen weg¬ 
fallen; auch wären die Eiuzelstaaten eher zum gesetzlichen Ausbau 
des ärztlichen Vereinswesens und des damit verbundenen Versiche¬ 
rungswesens zq haben etc. Diese Art, unsere Bresteu zu heilen 
und wieder bessere Zeiten für den Aerztestand herbeizuführen, 
entsprach nicht gerade gesunden liberalen Anschauungen und 
sollte nur als ein Ultimum refugium versucht werden. Bei den¬ 
jenigen Aerzten, welche schon früher daran waren mit der Er¬ 
kenntnis der Gefahren Ihrer Stellung und Zukunft (ihrer selbst 
wie ihrer Angehörigen), welche bereits also anderweitig Deckung 
gesucht haben, würden überdies riesige Uebevgnn :vs hw erigk.-it. u 

f* 


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1796 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


hervortreten und beständige Gefahr, dass schliesslich ihre Küssen 
und Stiftungen dem Fiskus in den Schoss fallen. Des Ferneren 
bin Ich nicht so optimistisch, zu glauben, dass die einzelstaatlichen 
Parlamente und ltegierungen sehr entgegenkommend sein werden 
und halte auch die Buutscheckigkeit der resultirenden Stuudes- 
ordnungen und Kassen für nicht wtluschenswerth, sondern für 
eine Schwächung des Standesbewusstseins, ja bei den vielen 
kleinen Staaten könnte ja häutig gar keine leistungsfähige Unter- 
stützuugska8se gebildet werden. Die Erfahrungen mit der säch¬ 
sischen Standesordnung beim Aerztestreik in Leipzig sollten uns 
zu denken geben und die Gefahr erkennen lassen, dass wir uns 
z. B. bei Lohukümpfeu trotz oder gar wegen der vom Beamten 
ungünstig ausgelegten Standesordnung nicht helfen können. 
Die durch Staatsaufsicht bedingte Unterwerfung unter das Ur- 
thell von uns übelwollenden oder verkennenden Verwaltungs¬ 
beamten benimmt uns auch wahrscheinlich in versicherungs¬ 
technischer Hinsicht die notliwendige Freiheit und Beweglichkeit. 
Der andere von mir als freie Selbsthilfe bezeichnete Weg, welcher 
mir sympathischer und.edler erscheint, kann aber heute schon ein¬ 
geschlagen werden, ohne dass noch viel weitere kostbare Zelt, zu 
helfen, verloren geht. Wir könnten ganz gut auf der Basis der 
jetzt gegebenen Verhältnisse durch den Beitritt aller Bezirks¬ 
vereine zu einem lmponirenden Verband uns zusammen schliesseu, 
welcher ganz Deutschland umfasst, keine blau-, grün- oder 
scliwarzwelssen Grenzpfähle kennt, staatliche Bevormundung ver¬ 
meldet und nicht nöthig hat, sondern auf Subventionen verzichten 
kann. Im Laufe der Zeit werden dann sicher auch die nicht 
organisirten Aerzte nicht länger zögern, einer solchen Kasse resp. 
Vereinigung beizutreten, welche Gewähr für die Zukunft bietet. 
Durch solche grossen Vortheile würden daun auch immer mehr 
Mitglieder für die Vereine gewonnen werden. Das ganze Unter¬ 
stützungsunternehmen beruhte auf eigener Kraft, ohne dass es mit 
staatlichen Instituten verquickt und durch diese ln seiner Aktions¬ 
freiheit gelähmt werden könnte. Im Uebrigen wären die staat¬ 
lichen Subventionen gar nicht unmöglich; es mag den einzelnen 
Kammern unbenommen bleiben, etwas beizusteuern und vor Allem 
könnte der Reichstag ein Uebriges leisten, nicht als Almosen, 
sondern als Entgeld an den ärztlichen Stand für dessen wichtige 
Tliütigkeit auf dem Gebiete der Hygiene, der Versicherungsgesetze 
etc., für die Millionen, welche dem Stande entzogen werden durch 
Insolvenz und Nothlage der Kranken, durch Verteuerung der 
standesgemässen Lebenshaltung (Brodwuelierb u. s. w., durch 
Freigabe und nachsichtige Schonung und Ilegung der Kur¬ 
pfuscherei, durch Ausbeutung der Aerzte bei der kasseuärztlichen 
Tliütigkeit u. s. f. 

Die in den einzelnen Staaten bestehenden Unterstützungs¬ 
kassen brauchten übrigens gar nicht gleich zu verschwinden; sie 
könnten ihre Subventionen weiterbeziehen bis nach dem Erlöschen 
der alten Anwartschaften solcher, welche keinem neuen Verein 
mehr beitreten wollen oder können, ihre Existenz überflüssig wird. 
Dieser von mir angeregte Anschluss aller Bezirksvereine an eine 
allgemeine deutsche Kasse ist nun um so leichter durchzufUhren, 
als man nicht mehr einen Sprung in das Dunkle zu machen 
hat, da eine derartige Kasse schon seit Jahren gegründet und aus¬ 
gebaut ist. Das Gebäude steht bereits stattlich da und jeder Arzt 
kann sich heute schon bei einer berufsgenossenschaftlichen Kasse 
gegen alle Eventualitäten zu entsprechenden, massigen Preisen ver¬ 
sichern: ich meine die Versicherungskasse für die 
Aerzte Deutschlands, früher Centralhilfskasse. 
Also kommt, es ist Alles bereit! Es ist Sache und Pflicht aller 
Vereine, den Anschluss an diese ernstlich zu erwägen ohne Raum¬ 
gewährung für lokalpatriotische Erwägungen, sei es weil da oder 
dort schon eine einzelstaatliche Organisation des Standes bestehe 
oder in Erwägung gezogen würde. Denn auch bei staatlicher 
Organisation ist ein Anschluss an die (’entralhilfskasse sehr wold 
durchführbar. Den ethischen Antlieil au der Besserung des 
Standes resp. der Mitglieder besorgt dann die betreffende Standes¬ 
ordnung. den materiellen die Centralkasse. Wenn bisher nicht 
mehr Anschlüsse an diese erfolgten, so war daran vielleicht nicht 
lediglich die Indolenz der Aerzte schuld oder die Furcht, dass die 
Kasse zu schwach sei oder zu hohe Beiträge erheische — beide 
Vorwürfe wären, nelienbei bemerkt, ganz unbegründet — sondern 
die Ungewissheit über die Staudesorganisation und deren Initiative 
bei den Versicherungsfragen in den Einzelstaaten. 

Ich halte es für unuöthig, hier des Näheren auf die Organi¬ 
sation der Central hilf skasse einzugeheu, da jeder denkende Arzt 
diese auch als Nichtmitglied studirt haben sollte, als diejenige 
der einzigartig ausgebauten und einzigen berufsgenossenschaft- 
licheu Versicherungskasse, welche keine Tantiemen für die Ver¬ 
waltung kennt sondern von Kollegen ehrenamtlich geführt wird, 
in vielen Stücken mehr leistet als jede andere Kasse, in den 
anderen jüngeren Sparten nicht tlieuerer ist als die staatlichen 
Unterstützungskassen der Beamten. 

Es wäre zu begrilssen und dem wackeren Vorkämpfer der 
Versicherungskasse, Kollegen Bensch In Berlin, nls endliche 
Anerkennung seiner selbstlosen Tliütigkeit zu gönnen, wenn im 
Laufe der nächsten Monate die Vereine mehr als bisher den wirtli- 
schaftiichen Bedürfnissen und Schäden des Standes nachgingen 
und endlich positive Entschlüsse fassen und ausführen würden in 
«lern von mir angedeuteten Sinne, da Gefahr auf Verzug besteht 
Wir könnten sonst bereits in 10 Jahren Zustände erleben, welche 
nicht mehr besserungsfähig sind und Erscheinungen zeitigen 
würden, welche keine staatliche (ehrengerichtliche) Organisation 
mehr aufliiilt. Ich hoffe zuversichtlich, dass in Bälde dem 


Aschenbrödel der deutschen Aerzteschaft, der Verslcherungka s s ■ 
für die Aerzte Deutschlands, die Stellung und Wichtigkeit ein¬ 
geräumt wird, welche ihr seit langer Zeit gebührt und zu einer 
Gesundung unserer wirtlischaftlichen Lage führen wird. Die uner¬ 
freulichen Erscheinungen auf ethischem Gebiete werden dann von 
selbst zurückgehen, so dass für die noch zu fassende Standes¬ 
gesetzgebung, den 2. Heilfaktor der jetzigen schlimmen Lage, 
nicht mehr viel Anlass zum Einschreiten gegeben sein wird. 
Durch Besserung der materiellen Verhältnisse wird naturuotb- 
wendiger Weise eine Hebung des Standes in sittlicher Beziehung 
erzielt worden können. Also steuere man erst der Alltagsnoth 
und löse die Magenfragen, dann widme man sich den höheren 
Dingen. Per aspera ad astra! Dr. W. Heckei. 


Ueber die rechtliche Stellung der ärztlichen Standes¬ 
vertretungen gegenüber den Standesgenossen, den 
Krankenkassen und den staatlichen Aufsichtsbehörden. 

In mehreren deutschen Bundesstaaten wurden in den 1 tztrn 
Jahren Standes- und Ehrengerichtsordnungen erlassen. Zu dem 
Gefühl der Freude, nun das ersehnte Mittel an der Hand zu haben, 
um dem ärztlichen Stande nach innen und aussen aufhelfen zu 
können, mischte sich nur zu bald die unangenehme Erfahrung, 
dass die unvollständige und unklare Fassung des Gesetzes zu vielen 
Meinungsverschiedenheiten und Zwistigkeiten führte, allerlei 
Interpretationen erforderte und dass die Staatsbehörden dem Vor¬ 
gehen der Standesvereine gegenüber den Krankenkassen die 
grössten Schwierigkeiten bereiteten. Es ist daher schon von ver¬ 
schiedenen Seiten offen ausgesprochen worden, dass die wirth- 
scliaftliche Lage der Aerzte auch durch eine Standesordnung nicht 
zu bessern sei und hier nur eine thatkräftige Selbsthilfe Wandel 
schaffen könne. Da ln anderen Bundesstaaten der Erlass einer 
Standesordnung bevorsteht, ist es wichtig, von den Erfahrungen, 
speziell in Sachsen. Kenntuiss zu nehmen; zwei Vortrüge, die 
Dr. Jur. Schanz e, Kaiserl. Regieruugsrath a. D. in Dresden, im 
ärztlichen Bozirksvereine Dresden-Stadt über das obengenannte 
Thema hielt*), verdienen daher ein allgemeineres Interesse. 

Die Grundlage der Ausführungen bildet der § 15 der sächsi¬ 
schen Standesordnuug: „Verträge mit öffentlichen Korporationen, 
insbesondere mit Versicherungsgesellschaften und -Anstalten, so 
wie mit Kranken-, Unfall-, Invallditüts- und sonstigen Kassen 
sind dem Bezirksvereine vor ihrem endgiltigen Abschlüsse zur 
Genehmigung vorzulegen, falls ein Fixum oder ein nach der Mit¬ 
gliederzahl der Kasse, beziehentlich nach der Zahl der vorkommen¬ 
den Erkrankungsfälle zu bestimmender Honorarsatz vereinbart 
werden soll, oder wenn bei Honorlrung nach Einzelleistungen die 
zu vereinbarenden Liquidationsbetrüge unter die Mindestsätze der 
ärztlichen Gebührentaxe hinabgehen.“ 

Der Sinn dieser Bestimmung war jedenfalls der, dass der 
Vertrag eines Arztes mit einer Krankenkasse nur dann über alle 
Anfechtungen erhaben ist, wenn die vereinbarte Bezahlung nach 
der Einzelleistung und mindestens nach der Minimaltaxe erfolgt, 
dass aber jeder andere Vertrag unter Umständen gegen Ehre und 
Ansehen des ärztlichen Standes verstossen kann und desshalb die 
Prävcntiviuaassregel uothwendlg ist, dass jeder derartige Ver¬ 
trag vor dem endgiltigen Abschlüsse dem Bezirksvereine zur Ge¬ 
nehmigung vorzulegeu sei. 

In der Versagung dieser Genehmigung glaubten einzelne Be¬ 
zirksvereine ein wirksames Mittel zur Erzielung einer standes¬ 
würdigen Honorlrung der Kassenärzte zu haben. Sie konnten sich 
dieser Auffassung um so mehr hingeben, als in der Begründung 
des Gesetzentwurfes auf die schweren Schädigungen hingewiesen 
war, die der ärztliche Stand erfahren habe, seitdem die Organi¬ 
sation eines grossen Tlielles des Publikums ln Krankenkassen, die 
als mächtige Verbünde den einzelnen Aerzten gegenüber ein un¬ 
heilvolles Uebergewicht besässen, unter den Letzteren eine wilde 
Konkurrenz entfesselt, die Erwerbsverhältnisse ln unwürdiger 
Weise gedrückt habe und in der Lage sei, ihren Aerzten unwürdige 
Bedingungen nufzuerlegen. 

Aller als die Bezirksvereine die schönen Worte ln die That 
umsetzeu wollten, trat sofort das Ministerium entgegen; cs be¬ 
zeichnete als Zweck des § 15 der Standesordnung lediglich den. 
zu verhindern, dass einzelne Aerzte Vereinbarungen eingehen, 
welche der Stellung eines Arztes unwürdig sind bezw. die Standes¬ 
ehre verletzen; keineswegs nber habe den Bezirksvereinen au sich 
eine Einflussnahme auf die Höhe der Gebühren eingeräumt werden 
sollen; es müsse seitens der Bezirksvereine Alles vermieden 
werden, was den Anschein erwecken könnte, als ob der ihnen 
durch das Gesetz vom 23. März 1896 gebotene Einfluss auf ihre 
Mitglieder benützt werde, um auf andere Kreise, namentlich 
Krankenkassen, einen Druck nuszuüben; Bestrebungen dieser Art 
würde seitens der Aufsichtsbehörde entgegenzutreten sein. Weiter¬ 
hin versagte das Ministerium Vereinsbeschlüssen, welche eine 
Normaltaxe oder Grundsätze für die Beurtheilung der nach § lo 
1. c. vorzulegenden Verträge nufstellten, die Genehmigung, da bei 
der Mannigfaltigkeit der in Betracht kommenden Verhältnisse 
der zur Entscheidung von Differenzen zuständigen Behörde thun- 
1 lohst freie Hand gelassen werden müsse. In einer späteren Ver¬ 
ordnung machte das Ministerium darauf aufmerksam, dass nach 

*) Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, \or- 
waltung und Volkswirtschaft, 1901, No. 3 und 4. Preis beider 
Hefte 3 M. 


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6. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1797 


der Tendenz des § 15 ein Heruntergehen unter die Mindestsätze 
der ärztlichen Gebührentaxe an sich noch nicht als mit der ärzt¬ 
lichen Standesehre unvereinbar bezeichnet werden kann und dass 
der Umstand, dass eine Krankenkasse mehr als die gesetzlichen 
Mindestleistungen an ihre Mitglieder gewährt, allein einen Grund 
zur Verweigerung der nach § 15 erforderlichen Genehmigung nicht 
abzugeben vermag. In einer weiteren Verordnung wurde es noch¬ 
mals als unzulässig bezeichnet, dass ein Bezirksverein durch Auf¬ 
stellung bindender Vorschriften die Freiheit seiner Mitglieder be¬ 
schränke; der Verein habe abzuwarten, welche Verträge seine Mit¬ 
glieder abschliessen und habe sich dann darüber schlüssig zu 
machen, ob denselben, weil sie mit der ärztlichen Standesordnung 
unvereinbar seien, die Genehmigung versagt werden könne oder 
nicht. Ein Antrag der Plenarversammlung des Landesmedlcinal- 
kollegtums, welcher für die Bezirksvereine die Berechtigung er¬ 
strebte, „eine standeswürdige Honorirung der ärztlichen Leist¬ 
ungen innerhalb deT Grenzen der Mindestansätze der ärztlichen 
Gebührentaxe vom 28. März 1889 seitens der Krankenkassen zu 
verlangen, wobei Jedoch vorausgesetzt wird, dass sie auf die 
Jeweilige wirtschaftliche Lage der Kassen ihres Bezirkes Bedacht 
nehmen und mit einer allmählichen Aufbesserung der Honorirung 
dort sich begnügen, wo die Kassen nach weisen können, dass sie 
nicht im Stande sind, sofort eine standeswürdige Bezahlung der 
Kassenärzte zu gewähren“, ward vom Ministerium abgelehnt mit 
der Begründung, dass dieser Antrag auf eine Erweiterung der den 
Bezirksvereinen durch das geltende Recht eingeräumten Befug¬ 
nisse hinausgehe, hiezu jedoch kein Bedürfnis vorliege. 

Schanze erörtert nun vom Juristischen Standpunkte aus 
nach Lage des geltenden Rechtes die beiden Fragen, welche 
Maassnahmen die Bezirksvereine zu Gunsten der ärztlichen 
Standesinteressen ergreifen dürfen und wie sich die Sachlage ge¬ 
staltet, wenn die von den Bezirks vereinen getroffenen Maass¬ 
nahmen keine Billigung finden. 

Bel der Beantwortung der ersten Frage lässt Schanze die 
Begründung des Gesetzes bei Seite, da diese niemals rechtsver¬ 
bindliche Kraft habe, und folgert aus den Normen des Gesetzes 
selbst, dass der § 15 der Standesordnung den Bezirksvereinen wohl 
eine Handhabe zur Wahrung von Ehre und Ansehen, nicht 
aber darüber hinaus zur Förderung der wirthschaftllchen 
Interessen biete; um den einzelnen Arzt zur Förderung der all¬ 
gemeinen Standesinteressen auf ökonomischem Gebiete anzuhalten, 
stünden den Bezirksvereinen nur ethische, moralische Mittel, wie 
Pflege des Gemeingeistes, Aufrechterhaltung und Stärkung der 
Standesehre. Förderung des gedeihlichen kollegialen Verhältnisses, 
zur Verfügung, aber keine dlsclpllnellen Ahndungen; mit Ililfe 
des § 15 sei den eigenen Mitgliedern gegenüber der Kampf um 
die Ehre, nicht aber den Krankenkassen gegenüber der Kampf 
um die wirthschaftllchen Interessen zulässig. Nun ist schon von 
anderer Seite mit Recht geltend gemacht worden, dass die 
Schätzung der Standesehre und die Bewerthung der Gebühr für 
die Standesarbeit in innerem Zusammenhang stehen und dass der 
Kampf um die würdige Honorirung der Aerzte bei den Kranken¬ 
kassen nicht bloss ein Kampf urn’s tägliche Brod, sondern un¬ 
mittelbar auch ein Kampf um Ehre und Ansehen des Standes sei. 
Wo die Grenze zu ziehen ist, kann Schanze auch mit allen 
juristischen Deduktionen nicht angeben. Er gibt zu, dass es 
auch eine wlrthschaftliche Bedrückung gibt, die zugleich einen An¬ 
griff auf Ehre und Ansehen enthält, nur meint er, die Verletzung 
der wirthschaftllchen Interessen müsse eine besonders qualiflzirte 
sein oder eine gewisse Intensität erreichen, wenn sie zugleich eine 
Verletzung von Ehre und Ansehen mit der Maassgabe darstellen 
soll, dass ein ehrengerichtliches Einschreiten geboten ist. Von 
einem standeswürdigen, standesgemässen Honorar zu sprechen, 
will Schanze vermieden wissen, da hiedurch der Unterschied 
verdeckt werde, der zwischen den Anforderungen der Ehre und 
den ökonomischen Interessen des ärztlichen Standes obwalte; dass 
Vereinbarungen, welche dem sachlichen Wertlie der ärztlichen 
Leistungen nicht entsprechen, ln gewissem Sinne der Stellung 
eines Arztes „unwürdig“ sind, gibt Schanze selbst zu. 

Wie gestaltet sich nun die Sachlage, wenn ein Bezirksverein 
die nach § 15 erforderliche Genehmigung versagt, der betr. Arzt 
aber hiebei sich nicht beruhigt? Das Ministerium hat in dieser 
Frage entschieden, dass dann zunächst die Krelshauptmaun- 
schaft zu entscheiden habe, ob die Genehmigung mit ausreichenden 
Gründen verweigert worden sei; sei auf diese Weise festgestellt 
worden, dass durch den in Rede stehen Vertrag die ärztliche 
Standesehre nicht verletzt werde, so werde selbstverständlich 
gegen den betreffenden Arzt wegen Abschluss des Vertrages nicht 
noch auf ehrengerichtlichem Wege vorgegangen werden können, 
vielmehr sei die behördliche Entscheidung für den Ehrenrath 
bezw. Ehrengerichtshof insoweit bindend. Gegen diese Entschei¬ 
dung erhob sich natürlich ein lebhafter Protest aus ärztlichen 
Kreisen; inan machte geltend, dass das Gesetz vom 23. März 1890 
auf dem Principe der Selbstverwaltung, auf der Grundlage be¬ 
ruhe, dass über eine Verletzung der Standesehre nur Standes- 
genosseu, nicht Behörden zu entscheiden hätten. 

Die Frage, ob die vorerwähnte Ministerialverordnung mit 
dem geltenden Rechte im Einklänge steht, beantwortet Schn n z e 
mit einem bestimmten Nein. Er weist darauf hin, dass die Ent¬ 
scheidung darüber, ob das Verhalten eines Arztes gegen die 
Standesordnung verstosse, in der Regel vor den Ehrenrath und 
den Ehrengerichtshof gehöre, und daher auch die vom Ministerium 
für den Fall des § 15 statuirte Ausnahme unzulässig sei. Die Er¬ 
klärung der Bezirksvereine repräsentirt nach Schanze gewisser- 
maassen die öffentliche Meinung der Standesgenossen, die sicher 
von Bedeutung, aber doch von schwankender und nicht immer 
zuverlässiger Natur ist; sie bedarf einer sorgfältigen und ge¬ 


wissenhaften Nachprüfung und Kontrole; das ist die Aufgabe der 
mit Entscheidungsgewalt ausgestatteten Ehrengerichte. Nach ver¬ 
gleichsweiser Heranziehung anderer Bestimmungen der Stamhs- 
ordnung kommt Schanze zu dem Schlüsse, dass weder der 
Bezirks verein, noch dessen Aufsichtsbehörde, noch das Mini¬ 
sterium des Innern über Ehrenfragen zu entscheiden haben, son¬ 
dern die Entscheidung der Ehrenfragen ausschliesslich dem Ehrcu- 
rath und dem Ehrengerichtshof zustehen. 

Ein Eingreifen der Staatsbehörde findet Schanze mit Rück¬ 
sicht auf das gefährdete Gemeinwohl angezeigt wenn der Kampf 
zwischen Angebot und Nachfrage grössere Heftigkeit annimmt 
und die ruhige Besonnenheit von der Leidenschaft verdrängt wird. 
Die Staatsbehörden können dann, ausser der Verhinderung von 
Ausschreitungen und Maasslosigkeiten, eine positive Vermltteiungs- 
thätigkeit zur Herbeiführung eines für beide Parteien annehm¬ 
baren Friedensschlusses entwickeln; sie sind zu solch’ ehrlicher 
Mnklerthütlgkeit besonders befähigt; „denn sie bringen beiden 
Theileu das gleiche Wohlwollen entgegen, sie stehen den Tages¬ 
kämpfen, ohne an ihnen persönlich betheiligt zu sein, als ruhige 
Beobachter gegenüber, sie vermögen die Verhältnisse mit Klar¬ 
heit und ohne Voreingenommenheit zu überschauen. Was sollte 
somit die Staatsbehörden hindern, gerechte und praktische Rath- 
Schläge für einen Ausgleich der widerstrebenden Interessen zu 
ertheilen“. „Die Staatsbehörden sind“, so fährt Schanze unter 
Betonung des juristischen Standpunktes fort, „im wirtschaft¬ 
lichen Kampfe zwischen Bezirksvereinen und Krankenkassen nur 
Vermittler und Makler, Entscheidungsgewalt steht ihnen nicht zu. 
Die Staatsbehörden können faktisch den ganzen Einfluss ihrer 
Autorität geltend machen und die streitenden Thelle werden ge¬ 
wiss gut thun, sich diesem heilsamen Einflüsse nicht zu entziehen; 
aber gleichwohl können die Staatsbehörden nicht mit rechtsver¬ 
bindlicher Kraft befehlen, dass unter den von ihnen gutgehelssencn 
Bedingungen sich beide Parteien einigen.“ In ärztlichen Kreisen 
war man stets und wird auch in Zukunft immer damit einver¬ 
standen sein, dass die Behörden bei erheblichen Differenzen 
zwischen Bezirksvereinen und Krankenkassen vermittelnd eiu- 
greifen, wenn es sich eben um eine objektive Makierthätigkeit 
handelt, so wie sie Schanze vorschwebt 

Für die Zukunft hegt Schanze gute Erwartungen, wenn 
nicht die Bezirksvereine zu viel verlangen, die Krankenkassen zu 
viel verweigern und die Behörden die den Aerzten eingeräumle 
Selbstverwaltung zu sehr beschränken. 

Dr. Carl Becker. 


Referate und Bücheranzeigen. 


Bericht des Wiener Stadtphyaikates über seine Amts¬ 
tätigkeit nnd über die Gesnndheitsverhältnisse der 
k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien in den Jahren 
1897 — 1899 . Wien 1901. Verlag des Wiener Magistrates. 

Trotz aller Erschwerungen, welche der Ausgestaltung dieser 
städtischen Centralstelle für die sanitären Angelegenheiten Wiens 
seit der Gründung dieses Amtes hindernd entgegentraten, hat 
sich das Stadtphysikat in überaus befriedigender Weise ent¬ 
wickelt. In 7 Bureauräumen, welche — wie uns dieser Bericht, 
meldet — für den gesteigerten Geschäftsgang auch nicht mehr 
ausreichen, walten ihres Amtes: 1 Ober-Stadtphysikus (in Folge 
Ablebens des Reg.-Rath Dr. Kämmerer derzeit unbesetzt), 
sodann 2 Stadtphysiker (die DDr. Gregor Schmid und Adolf 
L Ö f f le r), 1 städtischer Oberbezirksarzt, 3 ärztliche Assistenten 
und die dem Amte zugewiesenen 7 Kanzleibeamten und 2 Amts¬ 
diener. Dem Stadtphysikate obliegen die wichtigeren Sanitäts¬ 
agenden und die Leitung des gesummten Sanitätsdienstes der 
Stadt und unterstehen ihm 25 städtische Bezirksärzte, die Fach¬ 
organe der magistratischen Bezirksämter, ferner 57 städtische 
Aerzte, welche für alle sonstigen gemeindeärztlichen Aufgaben 
(Todtenbeschau, Armenkrankenpflege etc.) aufzukommen haben, 
endlich 8 k. k. Armenärzte, deren Stellen im Erledigungsfalle 
durch städtische Aerzte besetzt werden. Rechnet man die im 
Stadtphysikate amtirenden 7 Aerzte hinzu, so ergibt dies einen 
Status von 97 Amtsärzten, welche insgesammt zur Zeit einer 
Epidemiegefahr zur Bekämpfung derselben verwendet werden 
können, in ruhigen Zeiten den lokalen Sanitätsdienst versehen. 
Endlich ist zu erwähnen, dass die Universitätsprofessoren und 
Chefs von Laboratorien: A. v. Vogl, Ludwig, Grub er 
und Kratschmer das Stadtphysikat durch Ausführung 
chemisch-mikroskopischer und bukteriologischer Untersuchungen 
in seiner Begutachtung wichtiger Lebensmittelf ragen etc. wesent¬ 
lich unterstützten. 

Der vorliegende Bericht über eine dreijährige Thütigkeit z' r- 
fällt naturgemäss in zwei Hauptgruppen, deren erste sich be¬ 
titelt: „Hygienische und sanitiitspolizeiliclie Angelegenheiten.” 
Für diese Gruppe wurden im Physikate alljährlich einige 3000 » 
Geschäftsstücke in Behandlung genommen, welche sich auf die 
Beseitigung sanitärer Uebelstände in den Strassen, Häusern, ge- 

&• 


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1798 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


werblichen Anlagen und Betrieben, sodann auf die Vornahme 
zahlreicher chemischer und mikroskopischer Untersuchungen von 
Wasser etc., Ueberwachung des Leichenwesens, des Giftverkehres 
etc. etc. bezogen. Gewerbliche Neuheiten, wir erwähnen beispiels¬ 
halber die Accumulatoren - Erzeugung, die neue Acetylengas- 
Beleuchtung, die Aufstellung von Speise- und Getränke-Auto- 
maten u. dergl. m., machten ein eingehendes Studium, fort¬ 
laufende Beobachtung und sorgsame Berichterstattung noth- 
wendig. In diesen Berichten müssen die Bedingungen für die 
Zulassungen neuer gewerblicher Betriebsanlagen genau fixirt 
werden, und der Fachmann weiss, wie hier die Wahrung der 
sanitären Interessen gar oft in Kollision gerathen kann mit dem 
Schutze merkantiler Interessen, indem zu weit gehende Präventiv¬ 
maassregeln, als zu kostspielig, nach Kräften (Rekurse) abgewehrt 
werden. Hier thut Sachkenntniss noth, die bei neuen Betrieben 
erst durch sorgsames Studium erworben wird. Und das Stadt- 
physikat ist zumeist die erste Instanz, an welche behufs fach¬ 
männischer Begutachtung herangetreten wird. 

Die zweite Hauptgruppe umfasst den ärztlichen und Sa¬ 
nitätsdienst, die Statistik, die Sanitätsanstalten, die Wohlfahrts¬ 
einrichtungen etc. Auf diesen Theil entfallen alljährlich im 
Stadtphysikate 60—70 000 Geschäftsstücke. 

Den städtischen Bezirksärzten sind 35 Sanitätsaufseher zur 
Dienstleistung beigegeben, welche in eigenen Unterrichtskursen 
für ihren Dienst ausgebildet, diesen nach einer besonderen „In¬ 
struktion“ in den 20 Bezirken verrichten. Sie erhalten ihre 
Aufträge von dem Bezirksarzte resp. vom Stadtphysikate, wo 
sic allwöchentlich zum Rapporte erscheinen und die erforder¬ 
lichen Direktiven bekommen. In erster Linie fällt ihnen die 
Aufgabe zu, Erhebungen bei den Infektionskrankheiten zu pflegen 
und über ihre Revisionen Berichte zu erstatten, welche sodann 
ärztlich überprüft, event. nachkontrolirt werden. Sie überwachen 
die Desinfektionen, helfen bei der Revision von Häusern, Schulen, 
Herbergen, Massenquartieren und erstatten auch Anzeigen über 
erhobene sanitäre Uebelstände. Ausserdem hat die Gemeinde 
Wien für den Kranken- und Leichentransport 52 Sanitätsdiener 
im Dienste; zur Unterstützung der Sanitätsaufseher verwendet 
sie 40 Desinfektionsdiener (Taglöhner); endlich gibt es 
30 Leichenwächter bei den Bezirks- und Friedhofs-Leichen¬ 
kammern. 

„Aber auch die praktischen und Spitalsärzte betheiligen 
sich am Sanitätsdienste der Stadt durch die Erstattung der An¬ 
zeigen von Infektionskranken und die Mitwirkung bei der Hand¬ 
habung der Prophylaxis und bei Veranlassung von Transporten 
solcher Kranker in die Spitäler. Die Wichtigkeit dieser sani¬ 
tären Bethätigung der praktischen Aerzte ergibt sich aus der 
grossen Anzahl der alljährlich zur Anzeige gelangenden In¬ 
fektionskranken, in den Jahren 1897—1899 : 27 434, 28 559 und 
30 432.“ 

Die Evidenzhaltung der Sanitätspersonen von Wien und 
die Ueberwachung derselben hinsichtlich der Ausübung ihrer 
Praxis ist eine Aufgabe des Stadtphysikates. Zu Ende des 
Jahres 1899 gab es in Wien 2301 Medicin-Doktoren, 34 Wund- 
und Geburtsärzte resp. Magister (im Aussterben begriffen), 
12 resp. 17 bloss zur zahnärztlichen Praxis Berechtigte, 107 Apo¬ 
theker, 147 Thierärzte, 5 Pferdeärzte, 10 Kurschmiedc und 
1680 Hebammen. 

Auf einen praktischen Arzt entfallen im Jahre 1897 noch 
724,6 Einwohner, im Jahre 1898 schon 705,8 und im Jahre 1899 
bloss 695,6 Einwohner, so dass, wie bei den Sanitätspersonen 
im Allgemeinen, auch bei den praktischen Aerzten noch immer 
eine fortschreitende Zunahme nicht nur in absoluter, sondern 
auch in relativer Zahl (d. i. im Verhältniss zur Bevölkerungs¬ 
zahl) zu konstatiren ist. „Im Allgemeinen muss demnach die 
Zahl der praktischen Aerzte in Wien als eine sehr bedeutende 
bezeichnet werden und ist schon diese Thatsache als eine 
Hauptursache der anerkannt ungünstigen sozialen Lage 
vieler derselben anzusehen, wobei noch zahlreiche andere Mo¬ 
mente mitwirken, so insbesondere derUmstand, dass das Kranken¬ 
kassenwesen und die mit demselben verbundene Pausehalirung 
des Honorars für die ärztlichen Leistungen immer mehr um 
sich greift und sich nicht mehr auf die arme und 
Arbeiterbevölkerung beschränk t.“ Ferner wirkte 
auch die Zeitströmung (Verbreitung der Naturheilmethode) 
schädigend auf den Erwerb der Aerzte, aber auch schädigend 


auf die genaue Durchführung der Prophylaxis gegen übertrag¬ 
bare Krankheiten mit und auf letzteres Moment hat das 
Stadtphysikat, wie schon früher, wieder 1898 hingewiesen und 
die Schäden dieser Propaganda für die Kurpfuscherei den Be¬ 
hörden dargelegt. 

Bezüglich der Stellungnahme der Wiener Aerztekammer 
zur Frage der unentgeltlichen Behandlung Zahlungsfähiger 
an den Ambulatorien und Polikliniken Wiens sagte das Stadt¬ 
physikat unter Anderem: „Es dürften sich kaum anderswo die 
Existenzbedingungen der Aerzte derart verschlechtert haben, 
wie hier in Wien in Folge der weitverbreiteten und durch ver¬ 
schiedene humanitäre Unternehmungen geförderten Anschauung, 
dass sich Jedermann ärztliche Hilfe, im Gegen¬ 
satz zu anderen Lebensbedürfnissen, müsse gratis ver¬ 
schaffen können. Von dem gleichen Standpunkte aus 
lassen sich auch die vor Jahren inaugurirten Kämpfe der Aerzte, 
und zwar sowohl im Schoosse des Doktoren-Kollegiums, als auch 
von Seite ärztlicher Vereine, gegen einige Humanitätsanstalten, 
wie freiwillige Rettungsgesellschaft, Poliklinik und Ambula¬ 
torien, erklären, welche Institute, namentlich im Beginn ihrer 
Thätigkeit, durch Spendung unentgeltlicher Hilfe an Personen 
ohne Unterschied der Vermögens Verhältnisse dazu beigetragen 
hatten, den Unwillen der Aerzte zu erregen, den Verdacht, eigen¬ 
nützige Zwecke zu verfolgen, auf ihre Mitglieder zu lenken, die 
Anschauungen der Bevölkerung über die Noth Wendigkeit der 
Honorirung ärztlicher Hilfeleistungen zu korrumpiren und die 
Existenzbedingungen der praktischen Aerzte zu verschlechtern. 
Seither ist es allerdings insoferne besser geworden, als die er¬ 
wähnten Institute in der Auswahl der Patienten rigoroser ge¬ 
worden und im Allgemeinen nun ebenfalls der Anschauung bei¬ 
getreten sind, dass sie zumeist zur Hilfeleistung für arme 
bezw. unbemittelte Personen berufen sind . . . .“ 

Leider können wir nicht die weiteren interessanten Gut¬ 
achten des Physikates, so das über den ärztlichen Nachtdienst, 
über das Verhältniss der Zahnärzte zum zahntechnischen Hilfs¬ 
personale, über die Regelung des Hebammendienstes in Wien, 
Hausentbindungen, Amn.cn Vermittlungsinstitute u. dgl. mehr 
auch nur andeutungsweise hier berühren. Noch weniger können 
wir die zahllosen Berichte über die Sanitätsanstalten und Wohl¬ 
fahrtseinrichtungen, die mit einem kolossalen Ziffernmateriale 
ausgestatteten Berichte über die Morbiditäts- und Mortalitäts¬ 
verhältnisse Wiens während der 3 Berichtsjahre auch nur aus¬ 
zugsweise anführen, da all’ dies zu viel Raum beanspruchen 
würde und schliesslich doch nur für die Fachleute ein beson¬ 
deres Interesse hätte. Vielleicht ergibt sich noch die Gelegenheit, 
auf Einzelnes zurückzukommen. 

In einem besonderen Abschnitte wird über die Fortschritte 
des Impfwesens in Wien, über die curativen und präventiven 
Impfungen bei Diphtherie, über die Lyssa-Schutzimpfanstalt in 
Wien, über prophylaktische Maassnahmen aller Art berichtet. 

Das Resultat jahrelanger, ernster Arbeit ist in diesem 
Physikatsberichte niedergelegt und dass diese Arbeit unserer 
städtischen Aerzte das sanitäre Wohl unserer Bevölkerung in 
überaus günstiger Weise beeinflusst hat, das wird hier ebenfalls 
in klarer und überzeugender Weise dargethan: es starben in 
den 3 Berichtsjahren von je 1000 der Bevölkerung Wiens incl. 
der Ortsfremden 21,30, 20,35, 20,92 und auch die Zahl der In¬ 
fektionskrankheiten resp. der Todesfälle an diesen hat im Ver¬ 
laufe der letzten Jahre stetig abgenommen. Wir freuen uns ob 
dieses schönen Ergebnisses und wünschen lebhaft, dass die Er¬ 
kenntnis hievon die leitenden Kreise zur stetigen weiteren Aus¬ 
gestaltung unseres städtischen Sanitätsdienstes veranlassen möge. 

Dr. Emanuel F rank. 

Dr. Carl E m m e r t, o. ö. Professor der Staatsmedicin an der 
Universität Bern: Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. Mit 

Berücksichtigung der deutschen, österreichischen und bernischen 
Gesetzgebungen. Leipzig, G. Thieme, 1900. 539 Seiten. 

Preis 14 M. t ' ; 

E m m o r t bringt eine grosse, eigene Kasuistik und behandelt 
einzelno Fragen von neuen Gesichtspunkten. Jedoch ist die 
neuere Literatur mit wenigen Ausnahmen unberücksichtigt ge¬ 
blieben und die vom Verfasser entwickelten Anschauungen ent¬ 
sprechen vielfach nicht dem gegenwärtigen wissenschaftlichen 
Standpunkt; auch die Diktion ist oft eine alterthümliche. Viele 
wichtige Fragen sind uncrörtert geblieben, das in der goricht- 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1799 


liehen Medicin bedeutungsvolle Kapitel der Schädelverletzungen 
ist viel zu kurz behandelt, Abbildungen fehlen vollständig. Den 
Anforderungen, die an ein modernes „Lehrbuch“ zu stellen sind, 
ist nicht genügend entsprochen. Dr. Carl Becker. 

Brnno Bosse: Leitfaden für den Unterricht in der Kran¬ 
ken- nnd Wochenpflege. Leipzig, S. H i r z e 1, 1901. M. 5.60. 

Die Kranken- und Wochenpflege gemeinsam in einem 
Lehrbuch zu behandeln, halte ich für eine dankenswerthe Aufgabe, 
der sich Verf. mit gutem Erfolge unterzogen hat. In dem Be¬ 
streben, Alles kurz und prägnant zu geben, hat sich aber doch ein 
gewisser Schematismus eingeschlichen, der das Verständ¬ 
nis« vielfach erschwert, z. B. das Kapitel über Fieber. Es 
will mir auch scheinen, als niuthc der Verfasser seinen Schüle¬ 
rinnen zu viel zu. Ist es wirklich nüthig, dass eine Pflegerin 
z. B. das Alles über Anatomie und Physiologie der weiblichen Ge¬ 
schlechtsorgane, über Zeugungslehre und Entwicklungsgeschichte, 
über Schwangerschaft wissen muss? Ich bin doch der Ansicht, 
dass dazu das Verständniss der Schülerinnen nieht ausreicht, zu¬ 
mal der Unterricht in diesen Dingen ja nur rein theoretisch sein 
kann. Die bakteriologischen Erörterungen wären besser entweder 
ganz weggeblieben oder hätten gekürzt vorgetragen werden 
müssen. Sonst aber enthält das Büchlein, dem wir noch zahl¬ 
reiche Neuauflagen wünschen, viel Nützliches und Lesenswerthes. 

Max Henkel- Berlin. 

Neueste Jouraalliteratur. 

Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 46. Band, 

1. Heft. Stuttgart, F. Enke. 1901. 

1) Paul B rö h e - Berlin: Zur Pathologie und Therapie der 
Parametritie posterior. 

Unter letzterem Namen hat B. S. Schultze schon 1876 eine 
entzündliche Affektion lm Douglas beschrieben, deren Sitz die 
Ligamenta sacrouterina sind. Die Krankheit entspricht auch der 
ton W. A. Freund beschriebenen Paraproctitls atro¬ 
phicans. In Bezug auf die Aetiologle kommen puerperale und 
andere, besonders gonorrhoische. Infektionen ln Betracht Ziegen- 
speck stellte das Beckengewebe als Sitz der Erkrankung fest. 
Küster hat dies neuerdings bezweifelt und behauptet, es handle 
sich dabei um perltonltische Processe. Demgegenüber weist nun 
B. auf Grund von 10 eigenen Beobachtungen nach, dass es sich 
nicht um eine Erkrankung des Peritoneums, sondern des Binde- 
gewel>es handelt. Dagegen kommt die P. p. oft zusammen mit 
Erkrankungen des Peritoneums und der Adnexe vor. Zur Heilung 
derselben Ist auch bei anteflektirtem Uterus die Ventrofixation 
ein ausgezeichnetes Mittel. Auch für Fälle von Retroflexlo uteri, 
welche durch parametritische Processe flxlrt oder mit chronischen 
Parametriten kompllzirt sind, ist die Ventrofixation anderen Ope¬ 
ratonsmethoden der Retroflexlo vorzuziehen. 

2) Robert M e y e r - Berlin: Ueber Drüsen der Vagina und 
Vulva bei Foeten und Neugeborenen. 

Eine Demonstration von Präparaten, die einem Material 
von 60 Fällen aus der O 1 s h a u s e n’schen Klinik entstammen. 
Zum Referat nicht geeignet 

3) Otto v. F r a n q u 6 - Würzburg: Endarteriitis obliterans 
der Placentarzotten bei lebendem Kind. 

Durch eine neue Beobachtung will v. F. den Beweis erbringen, 
dass bei einer lebend geborenen Frucht partielle Gefässobl Itera¬ 
tionen in den Placentarzotten Vorkommen können. Es handelte 
sich um das reife Kind einer 28 jährigen I. Para, das noch 2 Tage 
post partum lebte. Die Placeuta war in toto an der vorderen 
Uteruswand adhaerent und musste stückweise entfernt werden. 
Die Untersuchung derselben ergab Infarktbildung, fibrinöse De¬ 
generation der Decidua, alte Blutergüsse, daneben ln dem nicht 
infarcirten Placentargewebe diffus ausgebreitete fibröse Hyper¬ 
trophie der Zotten mit Periarteriitis und Endarteriitis obliterans 
derselben. 

4) K r e v e t - Mühlhausen 1. Th.: Kastration bei . fehlender 
Scheide und doppelter, vollständig getrennter Gebärmutter. 

Der Fall betraf ein 24 jähriges Mädchen, das nie menstruirt, 
aber stets dysmenorrhoische Beschwerden gehabt hatte. Bel der 
Operation, die übrigens glatt verlief, fanden sich 2 vollständig ge¬ 
trennte abdominelle Gebärmutterherde (Uterus duplex separatus 
8. didelphys), die jederseits an der vorderen Beckenwand inserirt 
waren. Schelde fehlte: an ihrer Stelle eine selchte Grube mit 
deflorirtem Hymen. Linkes Ovarlum normal, rechtes (in Folge 
eines Traumas) blutig infiltrirt und entzündet. 

5) E. S c h r o e d e r- Königsberg: Seltene Entstehungsursache 
einer Clavicularfraktur in der Geburt nebst Bemerkungen über 
die Zweckmässigkeit des Zuges am kindlichen Köpfe zur Ent¬ 
wickelung der Schultern. 

Es handelte sich um eine Zwilliugsgeburt bei einer I. Para. 
Das 1. Kind wurde mit Zange entbunden; bei dem 2. wurde wegen 
Verzögerung der Austreibung des Rumpfes der Kopf lege artis 
gefasst, zunächst nach abwärts gezogen, sodann angehoben. Hier¬ 
bei entstand eine Clavicularfraktur am hinteren Schlüsselbein. 
Das Ereigniss ist sehr selten; trotzdem räth S., die Schultern durch 
Zug am geborenen Kopf nicht herauszubefördern, da auch andere 
Schädigungen, wie Plexuslähmungen u. dgl., danach beobachtet 
No. 45 


sind. Man solle dafür die Schultern durch Druck auf den Fundus 
uteri zum Durchschneiden bringen. 

6) Ernst L e v y - Stuttgart: Beiträge zum Mechanismus der 
Placentarlösung. 

Die Frage, ob der Schultz e’sche oder D u n c a u'sche 
Modus der Placentarlösung der häufigere ist, ist noch immer nicht 
endgiltig gelöst. L. prüfte daraufhin das Material der Stuttgarter 
Landeshebammenschule, im Ganzen 624 Fälle. Die Naehgeburts- 
periode wird dort stets nach einem modiflzirteu Credö'schen 
Verfahren geleitet, iudem nach jeder Geburt, gleichviel ob es 
blutet oder nicht, der Uterus gerieben und die Placeuta nach 
30 Minuten exprimirt wird. Hierbei fand L., dass bei normalen 
Geburten der Schultz e’sche Modus weitaus der häufigere ist, 
bei engen Becken, pathologischen Lagen und operativ bedingter 
Beendigung der Geburt der D u n c a n’sclie Mechanismus häufiger 
auftritt. Letzterer überwiegt ebenfalls bei tiefem Sitz der Placenta 
und Geburten nicht aitsgetmgener Früchte. Belm D u n c a n’schen 
Modus komm es leichter zu Blutungen und zur Retention von Ei- 
liäuten. 

7) K. H e n s e-Königsberg: Der Einfluss von Schwanger¬ 
schaft und des Klimakterium auf die Dauerresultate der 
Radikaloperation des Uteruscarcinoms. 

Das Ergebnis« der statistischen Arbeit lässt sich kurz dahin 
zusammenfassen, dass die Dauerheiluugen in Schwangerschaft, 
Geburt und Wochenbett (24 Proc.) die schlechteste, diejenigen 
lm Klimakterium (56,34 Proc.) die beste Prognose abgeben. 

J a f f 6 - Hamburg. 


Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 42. 

1) O. A i c h e 1 - Erlangen: Ueber die sogen, physiologische 
Pul »Verlangsamung im Wochenbett. 

Dieselbe ist schon von Heil bestritten worden. A. prüfte 
die Frage bei 79 Fällen, von denen 35 Erstgebärende und 44 Mehr- 
gebäreude waren. Seine Resultate gehen ebenfalls dahin, dass 
eine physiologische Pulsverlangsamung nicht existirt. In den 
wenigen Fällen, wo sie vorkommt, erklärt sie sich durch die „tiefe 
Ruhe der Seele und des Körpers im Wochenbett“ (F r i t s c h). 

2) Arthur Mueller- München: Ueber die Mittelscheitellage 
Kehrer’s Positio verticalis posterior. 

M. ist mit K e h r e r der Ansicht, dass zwischen Vorderscheltel¬ 
und Hinterscheitellage noch eine 3. Schüdellage elnzureiheu ist, 
die sog. Mittelscheitellage. Bei der Hiuterscheltellage steigt der 
Scheitel von der Stirn nach hinten auf, bei der Mittelscheitellage 
von vorn und hinten dachförmig nach seiner Mitte, bei der Vorder- 
scheitellage von hinten nach vorn. Charakterlslrt ist die Mittel¬ 
scheitellage durch: 

1. Ilypsicephalie (Verkürzung des geraden und Verlängerung 
des mittleren vertikalen Kopfdurchmessers), 

2. Gleichstand beider Fontanellen, 

3. Ansteigen des Scheitels von vorn und hinten nach der Mitte. 

4. Umhebelu um die Stirugegeud oberhalb der Arcus super¬ 
ciliares (Glabella). 

Die 3 verschiedenen Mechanismen der Scheitellage entstehen 
also dadurch, dass bei Schädellage der Rücken hinten steht und 
nun entweder die kleine oder grosse Fontanelle tief steht oder 
beide gleich hoch stehen. J a f f 6 - Hamburg. 

Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. Bd. II, 

Heft 6. 

Schwabe-Hannover: Betrachtungen über die Beziehungen 
der Tuberkulose des Menschen zu der des Rindes an der Han d 
eines besonderen Falles. 

Durch jahrelange Beobachtungen in einer Musterwirthschaft 
kommt Schw. zu der sicheren Ueberzeugung, dass der dortige. 
Anfangs vollständig tuberkulosefreie Rindviehbestaud durch einen 
tul>erkulösen Schweizer angesteckt, nnd mit Tuberkulose durch¬ 
seucht wurde. 

De Giovanni: Die zur Tuberkulose Disponirten. 

Verf., Vorsitzender der Sektion I des Tuberkulosekongresses 
zu Neapel (Aetiologle und Prophylaxe), setzt seine schon in 
früheren italienischen Versammlungen ausgesprochenen Anschau¬ 
ungen über Disposition auseinander. Er unterscheidet 3 Haupt- 
typen der Disposition: 

1. Herzbasis dem Herzindex gleich oder nur wenig grösser 
als derselbe; linker und rechter Ventrikel in guten Eutwiekelungs- 
bedlnguugen, sowohl was ihr Verhültuiss Zu einander wie zur 
Basis anbetrifft; Venen-Situgadersystein stark entwickelt. 

2. Kleines Herz; die Herzbasis wenig geringer als der Herz- 
Index oder auch demselben gleich; Ventrikel in Bezug auf ihr 
gegenseitiges Verhältnis» und zur Herzbasis gut proimrtionirt; 
Venen-Lymphsystem von zwar nicht excesslver, aber doch vorherr¬ 
schender Entwicklung; Arterlensystein weit, In allen seinen 
Theilen wohl entwickelt. 

3. Anormales Herz; übermässige Grösse der Basis, die auf eine 
grössere Entwickelung des rechten Ventrikels gegenüber dem 
linken zurückzuführen ist; das Venen-Lymphsystem in der Ilaut, 
unter derselben und in den Inneren Organen stark entwickelt; 
das Arteriensystem klein und in allen seinen Theilen mangelhaft, 
wie man an den Arterien grossen und mittleren Kalibers deutlich 
sehen kann. Die diesen einzelnen Arten angehörenden Individuen 
werden ausführlich geschildert, zu 3 sogar ln 2 Unterarten. 

De Giovanni kommt schliesslich zu folgenden Schlüssen: 

1. Vom Klndesalter an hat die morphologische Prüfung des 
Individuums zu beginnen, damit diejenigen Bildungsnnomnlion 
entdeckt werden, die die Einleitung geeigneter prophylaktischer 
Maassnahmcn erforderlich machen. 


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MtJRNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


2. Letztere müssen den Zweck haben, die Entwickelung des 
Körpers so zu lenken, dass Bildungsfehler sich ausgleichen können. 

3. Diesem Ziele müssen die Aerzte zu entsprechen suchen, 
indem sie sich zur morphologischen Beobachtung erziehen und 
cs auf sich nehmen, in jedem Fall die erforderlichen prophylak¬ 
tischen Maassregeln anzurathen. 

4. Auch das Publikum muss Uber die Wichtigkeit dieser Dinge 
aufgekUlrt werden, dnmlt nicht, wie es allgemein geschieht, die 
Initiative der Aerzte lahm gelegt wird durch Unwissenheit. 

5. Die nationale Liga gegen die Tuberkulose muss dahin 
wirken, dass auf der einen Seite es nicht an Initiative von Seiten 
der Aerzte, auf der anderen aber auch nicht an sozialen Ein¬ 
richtungen fehle, um die von der Wissenschaft aufgestellten pro¬ 
phylaktischen Regeln In die Praxis umsetzen zu können. 

Reiche- Hamburg: Zur Kritik der Erfolge der Heilstätten- 
behandlung Lungenschwindsüchtiger. 

Das Ergebniss dieser statistischen Arbeit hisst sich ln fol¬ 
genden Sätzen zusammenfassen: 

Von den 1895 er Heilstätteupfleglingen lebten noch Ende 1899 
80 Proc., von den 1895 er Krankenhauspatienten lebten 1899 noch 
28 Proc., von den 1890 er: 85,9 Proc. gegenüber 38 Proc., von den 
1S97 er: 92,6 Proc. gegenüber 55,1 Proc., von den 1898 er: 91,4 Proc. 
gegenüber 77,5 Proc. 

Axel Blad und Paul V i d e b e c k - Kopenhagen: Ueber die 
Diazore&ktion, besonders ihr Auftreten bei der Lungentuber¬ 
kulose. (Schluss folgt) 

G o 1 d s c h m i d t - Paris: Anstaltsbehandlung der Lungen¬ 
phthise. 

Verf. geht von dem Satze aus: „Es ist die heutige Anstalts¬ 
behandlung die Behandlung der beginnenden Fälle geworden — 
eine Taktik, die natürlich die erzielten Resultate in günstigstem 
Lichte erscheinen lässt, die aber mit den berechtigten Anforder¬ 
ungen der Humanität und der öffentlichen Gesundheitspflege in 
schreiendem Widerspruche steht.“ Er spricht vielmehr für freie 
Behandlung auf der Insel Madeira oder ln anderen Orten mit 
aseptischer Luft, die sich auf dem Erdbälle nur im Hochgebirge, 
in der Wüste und auf dem Meere findet. Selbst die Waldluft 
entspricht nicht seinen Anforderungen. Dass seine Erwägungen 
zu dem Satze führen: „Das heutige Sanatorium bedeutet einen 
Rückschritt der Phthisiotherapie“, zeigt, dass diese selbst einen 
Rückschritt bedeuten. 

A. Weber- Berlin: Zur Sputumdesinfektion. 

Die chemischen Desinfektionsmittel sind zur Abtödtung der 
im Lungenauswurfe vorhandenen Tuberkelbacillen unbrauchbar. 
Die Desinfektion mit strömendem Wasserdampfe muss nach den 
bisherigen Erfahrungen für Krankenanstalten als die beste Me¬ 
thode zur Unschädlichmachung des Lungennuswurfes der Phthi¬ 
siker bezeichnet werden. 

M o e 11 e r - Belzig: Kurze Erwiderung auf den Artikel: 
„Zur Sputumdesinfektion“ von Dr. A. Weber. 

D w o r e t z k y - Riga: Neueres über Russlands Heilstätten¬ 
bewegung. Liebe- Waldhof Elgershausen. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenknnde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 13, 1901. 

1) A. D i e u do n n 6 - Würzburg: Zur Bakteriologie der 
Typhuspneumonie. 

Ganz ähnlich, wie bereits Stählern 2 Fälle von Typhus¬ 
pneumonie beobachtet hat, bei der mit Sicherheit Typhusbakterien 
nachgewiesen wurden, kann Verf. einen weiteren Fall hinzufügen. 
Bei der ersten bakteriologischen Untersuchung wurden nur 
l'ränkel’sche Diplococcen und ganz vereinzelte Stäb¬ 
chen gesehen, 8 Tage später Jedoch konnten die Stäbchen auf 
den Kulturen gezüchtet und als Typhus erkannt werden. Die 
Gruber-Wida l’sche Reaktion war 4 Wochen später positiv. 
Roseolen traten auf. Mllzschweüung trat erst sehr spät ein. Dann¬ 
erscheinungen fehlten. Der ganze Typhus verlief unter dem Bilde 
einer Pneumonie. Bemerkenswert ist ln diagnostischer Hin¬ 
sicht die haemorrhagische Beschaffenheit des Sputums und 
andererseits die Thatsache, dass noch 7 Wochen na'ch der Auf¬ 
nahme des Kranken ln seinem Sputum Typhusbakterien nach¬ 
gewiesen werden konnten. Letztere Beobachtung zeigt, wie ge¬ 
fährlich derartige „Typhusgesunde“ noch für die Umgebung 
werden können. 

2) M. Neisser und R. Lubowski - Frankfurt: Lässt sich 
durch Einspritzung von agglutinirten Typhusbacillen eine 
Agglutininproduktion hervorrufenP 

Die Untersuchungen lehrten, dass auf die Einspritzung von 
nlchtagglutinirten Typhusbakterien stets eine Steigerung 
dos Agglutinationswertlies, welche gewöhnlich sehr gross und 
nur selten gering ist, eiutritt. Auf die Einspritzung aggluti- 
uirter Typhusbakterien — sofern man nur für genügende Ab¬ 
sättigung mit Agglutination sorgt — erfolgt häufig gar keine 
Reaktion, manchmal eine geringe, selten eine wesentliche Steige¬ 
rung des Agglutinationswerthes. 

3) Hans Sachs- Frankfurt: Immunlsirungsversuche mit 
immunkörperbeladenen Erythrocyten. 

Die Versuche bestätigen die bei intraperitouealer Injektion 
gemachte Beobachtung, dass mit Immunkörpern gesättigte Blut¬ 
körperchen nicht immer die Fähigkeit verloren haben, im Or¬ 
ganismus die Immunitätsreaktion bis zu einem gewissen Grade 
auszulösen. 

Die theoretischen Erwägungen über die Versuche, die als 
Stütze der E h r 11 c h’schen Seitenkettentheorie angesehen werden 
müssen, lassen sich in Kürze nicht wiedergeben. 


4) P. Theodor Müller-Graz: Vergleichende Untersuchungen 
über die desinfizirende Wirkung und die räumliche Vertheilung 
des Formaldehyds bei dem Versprayungs- und Verdampfungs¬ 
verfahren. (Schluss.) 

Müller findet, dass im Wesentlichen die vertheilende Kraft 
des Versprayungsverfahrens und des Verdampf¬ 
ungsverfahrens so ziemlich die gleiche ist und dass Jeden¬ 
falls das Versprayungsverfahren dem letzteren nicht nachsteht. 
Diese Ergebnisse stehen auch im Einklang mit den Resultaten 
von K a u p und Reischauer. 

5) R. Well- Hamburg: Künstliche Herstellung von Sporen¬ 
testmaterial von einem bestimmten Resistenzgrade gegen strö¬ 
menden Dampf zur einheitlichen Ermittelung von Desinfek- 
tlonswerthen. (Schluss folgt.) R. O. Neumann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 42 u. 43. 

No. 42. 1) C. v. N o o r d e n - Frankfurt a. M.: Das Physo¬ 
stigmin gegen Erschlaffung des Darms. 

In der Veterinärmedicin wird das Physostigmin seit lange in 
der bezeichneten Richtung mit Erfolg verwendet. Verf. berichtet 
nun über 5 Fälle, wo er bei Zuständen von Tympanie, die theils 
durch primäre Darinparese, theils auch durch Typhus verursacht 
war. das Medikament Innerlich in Dosen von etwa 3 mal täglich 
1—2 mgr anwendete und zwar, wie aus den mitgetheilten Kranken¬ 
geschichten hervorgeht, mit dem augenscheinlichen Erfolg, dass 
die Darmgase sich ln grossen Massen entleerten und die Auf¬ 
treibung des Bauches verschwand. N. ordinirt das Mittel in 
Pulverform und zwar in Kombination mit Milchzucker. 

2) C. A. Ewald- Berlin: Ueber subakute Herzschwäche Im 
Verlaufe von Herzfehlern nebst Bemerkungen zur Therapie der 
Herzkrankheiten. 

E. hntte Gelegenheit, bei einem G2 jähr. Mann, der an Mltral- 
insufücienz litt, folgenden seltenen Verlauf zu beobachten: Aus 
relativem Wohlbefinden heraus entwickelte sich eine schwere 
Herzschwäche mit schliesslich hochgradigen Oedemen, denen 
gegenüber die gewöhnlichen Herzmittel wirkungslos waren. Auf 
die subkutane Darreichung von Morphium zeigte sich entschiedene 
Besserung des Allgemeinbefindens. Die stark geschwollenen Beine 
wurden mit E.'sehen grossen Troikarts punktlrt und jetzt erwies 
sich Digitalis mit Diuretin als sehr wirksam. % Jahr lang wurde 
Morphium gegeben. Der Patieut erholte sich so gut, dass er 
seinen Beruf wieder vollständig ausfüllen konnte. Verf. hält eine 
Myokarditis für die Ursache der schweren interkurrenten Storung, 
die zu dem alten Herzfehler hinzutrat. Morphium kann ln solchen 
Fällen geradezu lebensrettend wirken (was Ref. aus seiner Er¬ 
fahrung nur bestätigen kann) und sollte also damit nicht so lange 
gezögert werden, wie es meist geschieht. Den kontinuirlichen Ge¬ 
brauch der Digitalis kann E. nicht empfehlen. Die Wirkung des 
Digitalin und Digitoxin Ist unsicher. In den Fällen, in welchen 
eine Wirkung auf die peripheren Gefässe erzielt werden soll, ist 
nicht Tinct. Stropli., sondern nur Digitalis zu gebrauchen. 

3) Aufrecht - Magdeburg: Lungentuberkulose und Heil¬ 
stätten. (Schluss folgt.) 

4) F. Schanz- Dresden: Ueber das Westphal - Pi 11 z - 
sehe Pupillenphänomen. 

Daa letztere besteht darin, dass bei starkem Zukneifen des 
Auges eine Verengerung der Pupille beobachtet werden kann, und 
zwar fand Westphal die Erscheinung in den allermeisten 
Fällen reflektorischer Pupillenstarre, auch an llchststarren Pu¬ 
pillen, bei denen die Convergenzreaktlon noch erhalten war. 
Piltz beobachtete das Phänomen zuerst bei einem Paralytiker. 
Von neurologischer Seite wurde es auf eine Oculomotorluserregung 
zurückgeführt. Sch. ist der Ansicht, dass es sich hiebei um eine 
rein mechanisch zu erklärende Erscheinung handelt, die durch den 
Druck auf den Bulbus und Stauuugsvorgänge in der Iris selbst 
zu Stande kommt. Es Ist zu beobachten, dass das Phänomen 
am atropinisirten Auge zu Stande kommt, allein, wie dem Verf. 
eine Beobachtung zeigte, auch bei kompleterunheilbarerOphthalmo- 
plegia interna. Damit ist bewiesen, dass irgend eine Nerven¬ 
erregung bei der Erscheinung nicht mitspielen kann. 

No. 43. 1) S. S i in n i t z k y - Petersburg: Ueber den Einfluss 
der Gallenretention auf die sekretorische Thätigkelt der Magen¬ 
drüsen. 

Verfasser hat an 12 Personen, welche an Störungen der Gallen¬ 
sekretion litten, die Verhältnisse der Magensaftsekretion unter¬ 
sucht und fand konstant eine Hyperacidität, welche auf die freie 
C1H und den Gesammtclilorgehalt zu beziehen war. Die Steige¬ 
rung der sekretorischen Vorgänge im Magen zeigte sich in Ab¬ 
hängigkeit von der Gallenreteution. Die erhaltenen Resultate 
wurden durch Thierexperimente kontrolirt Die direkten Be¬ 
obachtungen an Hunden erwiesen, dass die Absonderung des 
Magensaftes bei Gallenretention deutliche, mit letzterer parallel¬ 
gehende Störungen aufweist, besonders eine Zunahme der Saft¬ 
sekretion. Mit dem Fortfall der Behinderung des Gallenflusses 
verschwinden die Störungen der Magensekretion, so dass ein Zu¬ 
sammenhang zwischen den beiden Vorgängen kaum zweifelhaft ist. 

2) Jahrmärker - Marburg: Ein Fall von Zwangs¬ 
vorstellungen. 

Die sehr interessante und ausführlich wiedergegebene Kran¬ 
kengeschichte der 27 jähr. Patientin eignet sich nicht zu kurzem 
Auszug. Es handelt sich um eine eigenartig sich äussernde Form 
von Grübel- und Zweifelsucht, wobei der Denkzwang die Kranke 
zu höchst abstrusen Aeusseruugen führte, trotzdem die Intelligenz 
sehr lange Zeit völlig intakt war. 

3) M. Einhorn- New-York: Scheinbare Tumoren des 
Abdomens. 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1801 


Das Vorkommen derselben ist von verschiedenen, besonders 
französischen Autoren beschrieben. Verfasser hat unter cn. 0000 
Kranken ln 42 Fällen solche scheinbare Tumoren gesehen, häufiger 
bei Frauen als bei Männern. Genauer gibt er die Kraukheits- 
geschichte von 4 derartigen Fällen, wo die Tumoren alle ln der 
obere!! Hälfte des Abdomens lagen. Mehrfach wurden sie fiir 
Carcluome des Magens gehalten, doch sprach der Verlauf ganz 
entschieden gegen diese Diagnose. B. bespricht eingehender die 
Differentialdingnose gegenüber den verschiedenen in Betracht kom¬ 
menden reellen Tumoren. Der scheinbare Tumor selbst kann be¬ 
dingt sein durch einen prolabirten linken Leberlappen, durch Ver¬ 
dickung und Blossliegen der Abdominalaorta, durch Hypertrophie 
einzelner Muskelpartieu der Bauchwand, durch Adbaesionen um 
die kleine Kurvatur des Magens. Grössten Werth legt der Ver¬ 
fasser darauf, dass er seine Fälle zum Tlieil schon Jahre lang 
kennt und in Folge dessen eine ziemliche Sicherheit über die Dia¬ 
gnose besteht. 

4) Aufrecht - Magdeburg: Lungentuberkulose und Heil¬ 
stätten. 

Gegenüber Koch ist A. der Ansicht, dass der Perlsucht¬ 
bacillus sehr wohl beim Menschen Tuberkulose erzeugen kann. 
Ein Eindringen desselben in den kindlichen Organismus durch den 
Darm ist nuch manchen Beobachtungen durchaus möglich und 
zwar ohne dass der Darm Krankheitserscheinungen aufzuweisen 
braucht. Nach den pathologisch-anatomischen Forschungen des 
Verfassers gehen die den Anfang der Lungenschwindsucht dar¬ 
stellenden Veränderungen des Lungengewebes immer von kleinen 
Gefüssen der Lungenarterie aus, von wo aus dann entzündliche 
l’rocesse im Lungengewebe ihren Ausgang nehmen. In den vor 
iiuderten Gefüssen können die Bacillen direkt nachgewieseu wer¬ 
den, wohin sie zuerst aus tuberkulös erkrankten Lymphdrtlsen ge¬ 
langen. In erster Linie kommen hier die mediastinnlen, in zweiter 
die mesenterialen Drüsen in Betracht Die Infektion der Drüsen 
selbst erfolgt am meisten von den Tonsillen aus. In den Lungen¬ 
spitzen können die eingedruugeneu Bacillen am schwersten wieder 
unschädlich gemacht werden. Die tuberkulöse Disposition liegt 
nun ganz l>esonders in der Neigung des Luugengewebes, sich im 
Anschluss au die Gefüsserkrankung zu entzünden. Die Furcht vor 
Ansteckung durch Einathmung hält A. für unbegründet. Hin¬ 
sichtlich der Frühdiagnose macht V. darauf aufmerksam, dass der 
Husten nicht zu den ersten Erscheinungen der Erkrankung zu ge¬ 
hören braucht, das Wichtigste ist ausser der begleitenden Auaemie 
der physikalische Befund. Die Erfolge der Heilstätten liegen 
darin begründet, dass in ihnen eine völlige Heilung des pneu¬ 
monischen Processes erzielt werden kann, während die tuberku¬ 
lösen Herde sich sonst nur abkapseln. Grosser Werth ist auf die 
Verhütung von Reeldiven der begleltendeu pneumonischen Kom¬ 
plikationen zu legen und müssen daher die aus den Anstalteu Ent¬ 
lassenen sorgfältig überwacht werden. 

5) H. E 1 s n e r - Berlin: Plätschergeräusch und Atonie. 

Gegenüber der gegentheillgen Ansicht S t i 11 e r’s setzt E. 

nochmals die nach seinen Untersuchungen sehr gering anzu- 
schlagende und besonders für die Aunalime einer Magenatonie un¬ 
zureichende Bedeutung des Plätschergeräusches auseinander. Die 
von Stiller geübte Unterscheidung von Atonie und muskulärer 
Iusufficienz kann in praxi nicht durchgeführt werden. 

G) Volland - Davos-Dorf: Plätschergeräusch und Atonie. 

V. ist auf Grund seiner Erfahrungen der Ansicht, dass ein 
Plätschergeräusch im ganz gesunden Magen uicht hervorgerufen 
werden kann, und dass es sich bei den Personen, wo es zur Be¬ 
obachtung kommt, sehr häufig um neurasthenische und sonst ner¬ 
vöse Individuen handelt, bei denen die normale Elasticität der 
Magen- und Darmwände aufgehoben oder vermindert ist. Neur¬ 
asthenische Personen leiden überhaupt meist an Mageudarm- 
katnrrlien mit oder ohne Erschlaffung dieser Organe. 

7) O. I s ra e 1 - Berlin: Zur Konservirung von Sammlungs- 
präparaten mit Erhaltung der natürlichen Farben. 

Stellt fest, dass die von ihm kürzlich erwähnte Methode im 
Wesentlichen von Kaiserling erfunden worden ist. 

Grassmann - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 48. 

1) K. Shiga-Tokio: Studien über die epidemische Dys¬ 
enterie in Japan, unter besonderer Berücksichtigung des Bacillus 
dysenteriae. (Fortsetzung folgt.) 

2) August L a (i u e u r - Berlin: Zur Kenntnlss uraemischer 
Zustände. 

In der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin 
angestellte Versuche an Uraemischeu bestätigen die Beobachtung 
von E. N e 1 s 8 e r und D o e r i u g, dass bei uraemlschen Zuständen 
das Inaktivirte, durch Erhitzen des thermolabilen Komplements 
beraubte Blutserum die Eigenschaft gewinnt, die haemolytlscho 
Wirkung des aktiven (unveränderten) Serums aufzuheben. Die 
gleichzeitig bei diesen Fällen angestellten Messungen des Blut¬ 
drucks mit dem G ä r t u e r’sclien Tonometer ergaben ferner, dass 
sich mit Hilfe dieses verlässigen und leicht zu handhabenden In¬ 
strumentes wichtige prognostische und diagnostische Schlüsse 
ziehen lassen, ebenso wie sich auch für die Therapie gewisse An¬ 
haltspunkte ergeben. 

3) Ernst B e n d 1 x - Göttingen: Zur Cytodiagnose der Menin¬ 
gitis. 

Die Untersuchung der Cerebrospinalflüssigkeit bei 5 Fällen 
tuberkulöser und 3 Fällen eitriger bezw. epidemischer Meningitis 


ergab bei der ersteren in sämmtlichen 5 Fällen vorherrschend 
Lymplioeyten, während der speclfische Krankheitserreger nur in 
einem Falle uaebgewiesen werden konnte. Bei der eitrigen Menin¬ 
gitis dagegen finden sich fast nur Leukocyten, während Lympho- 
cyten nur in chronischen Fällen vermehrt auftreten. 

4) E. Rachlmann: Ueber Dakryocystitis trachomatosa 
und über die Ursache der akuten Dakryocystitis. 

Vortrag, gehalten in der ophthalmologlsclien Sektion der 
73. Jahresversammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in 
Hamburg. 

5) Gumpreclit - Weimar: Ein äusserer Handgriff zur Er¬ 
leichterung der Defaecation („Hinterdammschutz“). 

Nach einem, auf der Naturforscherversammlung zu Hamburg 
gehaltenen Vortrag. Referat siehe diese Wochenschrift No. 44, 
pag. 17G7. 

G) Ernst B e c k e r - Berlin: Ein Beitrag zur Lehre von den 
Lymphomen. (Schluss aus No. 42.) 

Beschreibung eines Falles von Pseudoleukaemle mit daran 
anschliessenden Betrachtungen über eine dlfferentialdiagnostische 
Scheidung der unter diesem Namen zusammengefassten aetio- 
logisch und pathologisch-anatomisch verschiedenen Krankheits- 
formeu. F. L a e h e r - München. 


Oesterreiohisohe Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 42. II. Virchow-Nummer. 1) R. P a 1 1 a u f: 
Cellularpathologie und Immunität. 

Verf. führt aus, dass ein Ueberblick über die Ideen der Im- 
inuuitätslchre zeigt, dass die Vorgänge bei der Immunität schliess¬ 
lich doch auf die Cellularpatliologie zurückzuführen sind und 
durchaus keinen Triumph der Humoralpathologie bedeuten. 

2) R. Kraus und P. Clairmont - Wien: Ueber Bacterio- 
lysine und Antihaemolysine. 

3) Ph. E i 8 e n b e r g - Wien: Ueber Isoagglutinine und Iso- 
lysine in menschlichen Serie. 

Die beiden Artikel eignen sich nicht, zu auszugsweiser Mit¬ 
theilung. 

4) A. S c li 1 a e f r 1 g: Ueber eine pathogene Sarcine. 

Bei der bakteriologischen Untersuchung des Sekretes einer 
Ozaena, die schon mehrere Jahre laug bestand, fand sich neben 
anderen Mikroorganismen eine Sarcine-Art vor, welche Mäusen. 
Meerschweinchen und Kaninchen gegenüber sich als ausgesprochen 
pathogen erwies, indem die Thiere mit Pleura- oder Peritoneal - 
exsudaten eingingen. De Pathogenität blieb erhalten, wenn man 
die Kulturen von Zeit zu Zelt den Thierkörper passiren liess. Verf. 
bespricht noch die morphologische Stellung des gefundenen Mikro¬ 
organismus. 

5) B. K r e i 8 s 1: Zur Kasuistik des Lungenmilzbrandes. 

Mittheilung des pathologisch - anatomischen Befundes bei 
einem Kranken, der klinisch nicht längere Zeit beobachtet werden 
konnte, aber im Allgemeinen die Anzeichen von Gehirnblutungen 
darbot, die sich als embolischer Natur erwiesen. 

G» E. Schwarz- Wien: Zur Cytogenese der Zellen des 
Knochenmarks. 

Auf Grund seiner eigenen Untersuchungen kommt Verf. zu 
folgenden Feststellungen: Die Proliferation der Knochenmarks¬ 
eieinente geschieht auf dem Wege der Mitose. Jede Zellart nimmt, 
an derselben ihren relativen Autheil. Jede Zellart des Markes 
hat ihre eigene Generation. Es gibt im Knochenmnrk kein Nach¬ 
einander von Zellstadien, sondern nur ein Nebeneinander von Zell- 
nrten. Eine Reifung von Lymphocyteu zu granulirten Zellen be¬ 
steht ebenso wenig, als eine Reifung von «-Zellen zu «-Zeilen. 
Der Verf. hat bei seinen Untersuchungen das Knochenmark durch 
Toxininjektionen zur Proliferation angeregt und zur Färbung 
eine Modifikation der von D o m e n I c 1 angegebenen Methode ver¬ 
wendet. 

7) R. P a 11 a u f - Wien: Dextrokardie und Dextroversio 
cordis. 

P. veröffentlicht den Sektionsbefund eines Falles, in welchem 
vor Jahren von Bamberger die Diagnose auf Rechtslage des 
Herzens ohne Transposition desselben oder der Gefässe gestellt 
worden war. Die Autopsie bestätigte diese Diagnose vollkommen. 
Er erörtert das Zustandekommen der Anomalie, die er als eine 
erworbene für den betreffenden Fall auffasst und als Dextroversio 
cordis bezeichnet. 

8) R. Paltauf -Wien: Ueber das Vorkommen lateraler 
Furchen am Bückenmark bei Porencephalie. 

Die beschriebene Beobachtung wurde am Rückenmarke eines 
% Jähr. Kindes gemacht. Auf den histologischen Befund und die 
vom Verf. gegebene Deutung der Entstehung kann hier nicht ein¬ 
gegangen werden. 

9) E. G. v. Tannenhain (f): Zur Kenntniss des Pseudo¬ 
xanthoma elastlcum (Darier). 

v. Tannenhain gibt den eingehenden histologischen Be¬ 
fund eines Falles obiger Erkrankung, die an einer 74 jähr. Frau 
zufällig bei der Sektion aufgefundeu wurde. 

10) C. Sternberg -Wien: Ein Fall von eingeklemmter seit¬ 
licher Bauchwandhemie. 

Kasuistische Mittheilung mit Obduktionsbefund, eine Gl jähr. 
Frau betreffend. 

11) Derselbe: Multiple Sarkome des Dünndarms. 

Obduktionsbefund und histologische Elnzelnlieiten der an 

einem 44 jähr. Tischlergehilfen beobachteten seltenen Erkrankung, 
mit historischem Exkurs Uber letztere. 

G* 


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1S02 


MITENCIIENEK MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


No. 43. 1)0. Zuckerkandl- Wien: Ueber Blasenstein¬ 
operationen. 

Cfr. Referat über die diesjährige Naturforseherversammluug 
in Hamburg, pag. 1072 der Münch, med. Wochenschr. 1901. 

2) G. Gabriel- Wien: Zur Diagnose des Aneurysma der 
Arteria meseraica. 

l>ie Affektion ist eine recht seltene, so dass Verfasser in der 
Literatur nur 4 klinisch beobachtete Fülle auffinden konnte, denen 
er eineu 5., an einem lOJiilirigen Knaben beobachteten, anreiht. 
Die Aneurysmen der bezelchneten Lokalisation entstehen, wie es 
scheint, hauptsächlich auf embollschem Wege im Anschluss an 
eine Endokarditis, nach Ansicht anderer Autoren aber durch me¬ 
chanische Einflüsse, indem Kalkpartikelchen von den Herzklappen 
abgerissen werden und eine Laesion der betreffenden Arterie be¬ 
wirken. welche dann Sitz des Aneurysmas wird, ln dem beschrie¬ 
benen Falle bestand eine frische bakteritische Endokarditis, im 
Verlaufe trat eine auf dieselbe zurückzuführeude Hemiplegie auf, 
sowie ein rasch wachsender Tumor Im Abdomen, der bald rechts, 
bald links von der Medianlinie zu tasten war. Verfasser glaubt, 
dass auf Gnmd des Zusammentreffens dieser Zeichen lu manchen 
Füllen die Diagnose gestellt werden kann. 

3) R. v. Baraez - Lemberg: Ein Beitrag zur Tracheoplastik. 

Bei eluem 14 jährigen Knallen, der eine schwere Diphtherie 

durchgemacht und durch jahrelanges Tragen einer Kanüle einen 
Defekt au der vorderen Trachealwaud acquirirt hatte, benützte 
Verfasser zur Deckung desselben die Dehnbarkeit der den Defekt 
umgebenden Halshaut. Er hob letztere in einer grossen Falte auf. 
frischte oberflächlich an und krempelte sie nach innen um, so dass 
die vordere Wand des Kehlkopfes und der Luftröhre nur aus der 
eingestülpten Halshaut gebildet ist. Das erzielte Resultat war ein 
günstiges. B. bespricht noch die von anderen Autoren auge- 
wemleten Methoden. 

Im Feuilleton findet sich ein Artikel: Altes und Neues 
von der Feuerbestattung. G rasmuann - München. 

Italienische Literatur. 

Caminiti: Ueber die Dura mater bei Heilungen von 
Schädelverletzungen. (Experimentaluntersuchungen aus dem 
patholog. Institut der Chirurg. Klinik zu Rom.) 

Die Dura mater erzeugt bei Schädelverletzungen Knochen 
gleich dem Periost und gleich dem Knochenmark aber in ge¬ 
ringerer Weise und durch einen verschiedenen histologischen Vor¬ 
gang. 

Merkwürdig ist noch das Faktnru, dass bei allen Experi¬ 
menten, die unter gleichen Bedingungen angestellt wurden, das 
sehr verdickte Periost resorbirt wurde, während dies bei der Dum 
mater nie der Fall war. 

B 1 a n c h i: Ueber die Quelle der Synovia. (Lo sperimentale, 
fase. II, 1901.) 

Ist die Synovialis mit einem eigentlichen Endothel bekleidet, 
als dessen Produkt die Synovia aufzufassen? Gehört die Syn¬ 
ovialis zu den serösen Häuten? B. tritt dieser Ansicht auf Grund 
seiner Experimentaluntersuchung entgegen. Er betrachtet die 
Synovialis als gewöhnliches, nur etwas zellenreicheres Biude- 
gewebc. Man könne nicht sprechen von einer serösen Höhle, 
noch weniger von einer geschlossenen Drüse, vielmehr von einer 
erweil erteil Blndegewebsliöhle. Die klebrige Substanz der Syn¬ 
ovia komme vom Knorpel durch Zerschmelzuug desselben. In 
histochemischer Beziehung sei das aus der Synovia gewonnene 
Syuovin mit dem aus dem Mantel des Knorpels gewonnenen 
Schleim identisch. 

11 a 1 i a: Die Bakterien bei der Gallensteinbildung. (Rif. 
med. 1901. No. 143.) 

I. prüfte die Rolle, welche die Bakterien bei der Entstehung 
der Gallensteine spielen experimentell in der Klinik Roms unter 
Du raute. Diese Prüfling erstreckte sich auf Collbacillus. den 
Typlmslmcillus, den Streptococcus pyogenes, den Staphylococeus 
aureus und den Bacillus subtilis, welche in frisch entnommener 
filtrirter, steriiislrter Rlndergnlle gezüchtet wurden. 

Der Coli-, wie der Eberth’sche Bacillus haben 
die Eigen tliümlichkeit, das Cholestearln zu 
fällen. Die Conditio sine qua non dieser Fällung ist die saure 
Reaktion der Galle, welche sofort durch die Pilze liewirkt wird. 
Sie sind demnach als die spezifischen Mikroorganis¬ 
men der C h ol e s t e a r i u - S t e i n b i 1 d u n g zu be¬ 
trachten. 

Die Staphylococcen wie Streptococcen entwickeln sich in der 
Galle schlecht: sie verändern niemals die Reaktion der Galle und 
werden bald steril: sie fällen niemals das Cholestearln und könnten 
also höchstens zu Kalkkoukrementen Veranlassung geben. 

Bemerkenswerth ist die schnelle Sedimentbildung, wenn man 
zu den genannten pyogenen Infektionsträgern Bacterium coli hin¬ 
zusetzt. Das Sediment enthält reichlich Gallenpigmente und 
kohlensauren Kalk schon nach wenigen Tagen. Darauf nach 10 
bis 15 Tagen Cliolestenrin. 

Tralua: Ueber die Beaktion auf Gallensäuren von 
Haycroft. (II polielinieo, No. 41. Juni 1901.) 

Dieselbe besteht in einer bestimmten Fällung von Schwefel 
aus Flüssigkeiten; sie soll sehr genau und noch bei einem Gehalt 
von 1:5000 nachweisbar sein. Indessen hat man sich zu ver¬ 
gegenwärtigen dass gewisse medikamentöse Substanzen (so 
Chinolin, Jalappe, Menthol, Karbolsäure, Chromsäure) denselben 
Effekt haben, wie die verdünnten Gallensäuren. 

Zenoni: Ein Beitrag zur experimentellen Amyloident¬ 
artung. (Riforma med. 1901, No. 134—138.) 


Aus dem serumtberapeutlsclien Institut zu Mailand bringt Z. 
eine Abhandlung Uber die Pathogenese der amyloiden Ent¬ 
artung mit Berücksichtigung der ganzen Literatur über dieses 
Thema. Die Veranlassung zu dieser Untersuchung gaben dem 
Autor die Befunde von Amyloid an einer Reihe 
von Pferden, welche im Institut zur Gewinnung 
von Diphtherieheilserum benutzt worden waren. In 
dieseu Fällen war die Entstehung von Amyloid ohne 
Frage nur auf die Einwirkung der Diphtheriebak¬ 
terie u toxi ne zurückzuführen, keine Mikroorganismen Irgend 
welcher Art waren zu beschuldigen, da die Thiere nur mit sterilen 
Kulturen immunisirt waren, ebenso wenig irgend ein Eiterungs- 
process. 

Diese durch Toxine entstandene Amyloideutartung der ver¬ 
schiedensten Organe ist nach Z. so nufziifassen, dass die Toxine 
eine Störung im Leben der Zelle herbeiführen, welche der Grund 
wird zur Absonderung einer toxischen Eiweisssubstanz, dem 
Amyloidin. Diese Substanz dringe in die Lympligefässe und ver¬ 
mische sich dort mit dem zlrkulirenden Plasma und dlffundtrc 
so in den Kreislauf und lu alle Organe. So sei dieser Process als 
eine Art Autointoxikatiou aufzufassen. 

In ähnlicher Art wie diese allgemeine Amyloidöntartuug 
durch Bakterientoxin sei die örtliche, bei entzündlichen, eitrigen 
Processen bei Tumoren u. s. w. in Beziehung zu setzen zu einer 
örtlichen Störung des Zellprotoplasmas, welche ein in den Lymph- 
strom eiudringemles Gift (Toxoalbumose) erzeuge. 

Mori (Rif. med. 1.901, No. 118—120) theilt einen Fall von 
intestinaler Occlusion durch bewegliche Milz mit, ein in malaria- 
freien Ländern gewiss unerhörtes Faktum. 

Der Autor benutzt diese Gelegenheit, die Literatur Uber Lien 
mobile zusammen zu stellen, aus welcher hervorgeht, dass sie im 
Ganzen nicht so selten Ist und namentlich durch Malariaerkrankung 
veranlasst wird. 

Die Lageveränderung der Milz, wie man sie bei GlGnard- 
scher Enteroptose findet, lässt M. daliei ausser Betracht, weil er 
die Enteroptose als ein besonderes Krankheitsbild betrachtet. 

Meraiui: Als differential diagnostisches Mittel bei Magen¬ 
geschwüren soll sich nach M. das Orthoform bewähren. (Rif. 
med. 1901, No. 112—116.) 

1 g Orthoform als Schüttelmixtur in einem halben Glas Wasser 
genommen lindert den Schmerz bei Magengeschwür binnen 20 Mi¬ 
nuten vollständig und diese schmerzstillende Wirkung hält 3 bis 
4 Stunden an. Je nachdem die Wirkung des Mittels in der Rücken-, 
Bauch- oder Seitenlage schneller und vollständiger eintritt, kann 
man einen Schluss auf den Sitz des Ulcus machen. 

Bei rein nervösen Magenschmerzen oder bei solchen, die durch 
Gastritis, durcli Uebersehuss an Salzsäuregehalt bedingt sind, ver¬ 
sagt entweder die schmerzlindernde Wirkung des Ortboforms oder 
ist eine mehr weniger geringe. 

Ferrarini: Ueber Hyperthermie, bedingt durch Pepton-, 
Injektionen, und von der antagonistischen Wirkung des Atropins 
gegen Pepton. (II Morgagni 1901, Juli.) 

Ueber fieberhafte Temperaturen, welche durch Peptoneinspritz¬ 
ungen bewirkt werden, hat F. eine Reihe von Untersuchungen 
augestellt und durch Taliellen illustrirt. 

Merkwürdig ist daliel die antagonistische Wirkung, mit 
welcher Atropin diese Temperatur heruntersetzt. 

Die Temperaturerhöhung fand F. für gewöhnlich proportional 
der injizirteu Peptondosis bis zu einem Maximum von 2° C. Bei 
derselben stellt sich, wie unter uonnalen Verhältnissen, die Teni- 
paratur in der Leber immer um 0,5—1.5° C. höher als die Rectum- 
temperatur. Durch kleine Dosen Atropin wird die Temperatur 
leicht erhöht; durch grössere Dosen (bis 10 mg pro Kilogramm) 
erniedrigt sie sich um 1—2°. 

Die durch Peptoninjektioueu bewirkte Temperatursteigerung 
kann durch eine entsprechende Atropininjektion stets prompt 
zurfiekgehalten und gehindert werden und zwar sind 15 mg pro 
Kilogramm Körpergewicht lieini Thier nöthlg. um die Wirkung 
von 40 cg pro Kilogramm Pepton zu ueutralisiren. 

Aller noch weiter scheint dieser Antagonismus zu gehen. 
Vom Atropin ist n a ch g e w i e s e n. dass es hemmend 
auf die Glykogenbildung in der Leber wirkt 
und die Untersuchungsresultate F.’s machen es 
wahrscheinlich, dass Pepton Injektionen die 
umgekehrte Wirkung auf d i e Glykogenblldung 
in der Leber haben. 

De Lu ca: Ueber die Cardioptose, den Morbus Rummo der 
Italiener (Rif. med. 1901, No. 157 u. 158), welcher in diesen Blättern 
wiederholt von uns erwähnt ist veröffentlicht der obige Autor 
durch Abbildungen illustrirte Studien, welche sich zu einer kurzen 
Inhaltsangabe nicht eignen und auf welche wir sich Interesslrende 
hierdurch verweisen. 

Mariani: Heilung von Mal perforant des Fusses durch 
Nervendehnung des Nervus plantaris. (Gazzetta degli osped. 
1901, No. 81.) 

Die Methode ist nicht neu; eine Reihe von glücklichen Hei¬ 
lungen sind bekannt, trotzdem droht sie, wie M. bemerkt, der 
Vergessenheit, anheimzufalleu. Eine geeignete örtliche Behand¬ 
lung Ist selbstverständlich bei derselben nothwendig. 

T o r e 1 11: Seltenen Fällen von Gonococcus - Lokalisation 
(II Morgagni, Juli 1901) fügt T. einen neuen hinzu, in welchem 
sich dieser Infektionsträger in einem Ekzem der Oberlippe befand, 
dessen Hartnäckigkeit er bedingte. 

8 e p p i 111 veröffentlicht seine Untersuchungen über Alko¬ 
holismus und progressive Paralyse. (Anuali di nevrologia, fascl- 
colo II, 1901.) 




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5. November 1901. 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1803 


Unter 102 Füllen fand er IG mal, also ln 15 Proc., Al- 
koliolisinus als einzige Ursache. In Bezug auf Sym¬ 
ptome wie Obduktionsbefund unterschieden sich diese Fälle iu 
keiner Welse von den anderen. Neben der Lues ist also die Al- 
koholiutoxikation als ein ursächliches Moment der progressiven 
Paralyse aufzufasaen und S. neigt zu der Anschauung Kraepe- 
1 i n’s. dass die progressive Paralyse eine besondere Intoxikation^- 
form ist, welche zu schwerer Stoffwechselstöruug führt, und dass 
die Syphilis und der Alkohol nur den Anstoss zur Bildung des 
paralytischen Giftes geben. 

Benvenutl: Zur Pathologie des Pons Varoli. (Annali di 
nevrologia, fase. II, 1901.) 

Eine Zusammenstellung unserer bisherigen 
Kenntnisse Über die Affektionen des Pons 
Varoli. 

B. geht aus von einem Falle, welcher die klassischen Sym¬ 
ptome einer Laesion des Pons lx>t und bei welchem die Obduktion 
einen haemorrhaglschen Herd des 4. Ventrikels ergab, welcher 
die linke Hälfte des Pons ln Mitleidenschaft zog. Interessant ist 
besonders der mikroskopische Nachweis der durch diesen Herd 
gesetzten Veränderungen au den Kernen und Fasern des Pons und 
der Vergleich dieser pathologisch-anatomischen Daten mit den 
klinischen Resultaten. 

T e d e s c h i: Beobachtungen über Haut- und Sehnenreflexe, 

(Gazzetta degll osped. 125—128, 1901.) 

In einer ausführlichen durch viele Beispiele erläuterten Ab¬ 
handlung kommt T. zu dem Schlüsse, dass bei der Differential¬ 
diagnose zwischen organischen und funktionellen 
Nervenkrankheiten die Untersuchung der Haut¬ 
reflexe den grössten Werth hat. 

Bel Epilepsien der motorischen Sphäre und bei manchen 
Choreaformen ist ein Antagonismus zwischen Haut- und Sehuen- 
reflexen häufig zu bemerken. 

Den gleichen Antagonismus beobachtet mau bei Laesionen 
der Pyramidenstränge; neben Erhöhung der Sehneureflexe 
Schwäche oder Verschwinden der kutanen. 

Das B a b 1 n s k y’sclie Phänomen Ist besonders wichtig für 
Laesionen der Pyramklenbahuen; eine grosse Reihe von Autoreu 
fanden es beständig bei organischen Veränderungen derselben. 
Roth dagegen will es auch bei hysterischer Hemiplegie gefunden 
haben. Crocy in zwei Fällen von alkoholischer Paraplegie. 

Ein für gewöhnlich sicheres Zeichen von 
Erkrankung der Pyramidenbahnen ist ver¬ 
stärkter Sehnenreflex bei geschwächten Haut¬ 
reflexen. 

Das B a b i n s k y’sclie Symptom findet mau häufig modiflzirt 
in dem Sinne, dass die Streckung der grossen Zehe begleitet ist 
von mehr weniger deutlicher Flexion der anderen Zehen. 

Die Unregelmässigkeit und Undeutlichkeit des Symptoms 
scheint manchmal ln Verbindung zu stehen mit einem gewissen 
Schwächezustand der Extensoren. Ermüdung der Extensoreu 
durch längeres Faradisiren oder Schwächung derselben durch 
künstliche Ischaemisiruug kann das Phänomen modlflzireu und 
auch zum Verschwinden bringen dort, wo es vorhanden ist. 

Trombetta e Ostuio; Die Sinne und ihre gegenseitige 
Kompensation bei den Taubstummen und Blinden. (Archiv, 
ital. dl otologla, No. 3, 1901.) 

Das genannte Thema machten die Autoren zum Gegenstand 
methodischer Untersuchungen. Sie fanden, dass die objektive 
Orientirung bei den Taubstummen sich fast uormal verhält da¬ 
durch, dass 1. das Auge an Schärfe, an Beweglichkeit und au 
peripherischem Sehen gewinnt und der Olfactorius erheblich 
leistungsfähiger wird als iu der Norm, endlich der Gefühls- nml 
Tastsinn weit entwickelter wird und eine sogen, Synaestliesie sich 
entwickelt, wie sie den exodermischen Bildungen (Fühlern) der 
niederen Thiere eigen ist, deren Adäquata beim normalen 
Menschen verkümmert sind. 

In gleicher Weise ist bei Blinden Zunalnne des Geruchssinnes, 
vermehrte Schärfe des Gehörs und grössere Ausdehnung dieses 
Sinnes vermöge vermehrter Beweglichkeit des Kopfes und sogar 
der Ohrmuschel zu konstatiren. Die Lokalisation der Töne und 
Geräusche wird eine vollkommene. 

Auch hier wird der Tastsinn für Luftströmungen und Sen¬ 
sationen der verschiedensten Art ungemein viel empfindlicher und 
geübt im Lokalislren der Quelle und Richtung dieser Strömungen. 

Hager- Magdeburg-N. 


Vereins- und Congressberichte. 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 

in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901. 

Abtheilung für Geburtshilfe nnd Gynäkologie. 

Referent: Edmund Falk- Berlin. 

IV. Sitzungstag vom 26. September 1901. 

Herr Mackenrodt berichtet über seine weiteren Er¬ 
fahrungen, die er seit dem Giossener Kongress mit seiner Krebs- 
operation gemacht hat. Er fordert für alle über das früheste 
Stadium hinausgegangeuen Carcinonie des Uterus und für alle 
Scheidencarcinome die abdominale Operation mit Ausräumung 
des Beckens, einschliesslich der Beckendrüsen. Keine andere 
Operation könnte dieses Ziel so vollständig erreichen und sei 


so gefahrlos, wie die von ihm als Laparotomia hypogastrica be¬ 
schriebene Operation, welche bei geschlossener Bauchhöhle und 
vom Beckenbindegewebe aus au die Organe herantrete. Uterus 
und halbe Scheide müssen principiell entfernt werden, ohne die 
Ureteren zu gefährden. Das ganze Parametrium und Para- 
kolpium muss heraus. Die Drüsen werden aus der transperi¬ 
toneal eröffneten Beckengrube vollständig ausgeräumt. Durch 
geeignete Wundversorgung wird die Wunde geschlossen. Die 
Lebenssicherheit dieser Operation ist so gross, wie bei der vagi¬ 
nalen Totalexstirpation. Die Operation wird in 16 stereo¬ 
skopischen Bildern demonstrirt und darauf in der Klinik von 
Prochownick ein Fall von Cervixearcinom operirt. Der Ver¬ 
lauf der Operation war glatt. Alle wichtigen Einzelheiten konn¬ 
ten den zahlreich erschienenen (52) Kollegen demonstrirt werden. 
Die schwächliche Kranke hat die Operation gut vertragen. 

Hierauf demonstrirte M. noch seine transperitoneale Ureter- 
scheidenfisleloperatiou gleichfalls in der Prochownic k’scheai 
Klinik au einem Fall von linksseitiger Ureterscheidenfistel, welche 
nach einer vaginalen Totalexstirpation entstanden war. Die 
Operation gelang trotz ausgedehnter Narbenbildung ganz glatt. 

Herr Schröder - Bonn stellt vor: 

1. Ein seröses Cystadenom des Ovarium. kombinirt mit einem 
kiudskopfgrossen. die Hauptmasse des Tumors ausmacbendeu 
Oberflüehenpapillom. 

2. Eine doppelseitige tuberkulöse Hydrosalpinx: beide Tuben 
sind in armdicke, wurstförmige, ungefähr 27 cm lange, prall- 
gespannte Tumoren verwandelt und zwar nur au ihrem distalen 
Ende: in ihrem übrigen medianen Verlauf sind die Tuben verdickt 
und zeigen stellenweise knotige Auftreibungen. Auf der Serosa 
der Tubeu sowohl wie des Uterus üudeu sich zahlreiche miliare 
Knötcheu. Auf den Einwand hin, es könne sich nach dem makro¬ 
skopischen Aussehen auch um ein weiches Careinom der Tuben 
handeln, wird einer der Hydrosalpinxsäcke aufgeschnitten und 
der theilweise gewonnene Inhalt entleert; dabei wird die Diagnose 
Tuberkulose bestätigt. 

3 Schwangerschaft im 1. Mouat. kombinirt mit Myom; an 
dem Präparat lässt sich deutlich erkennen, wie die mächtig ent¬ 
wickelte Corpusschleimhaut sich scharf am Orificium iuternum 
von der Schleimhaut der Cervix abhebt. Auf der Kuppe der dem 
Myom gegenüber liegenden Schleimhautseite ist das Ei ein- • 
gebettet; seine Maasse sind 8,5 mm zu G,5 mm, demnach dürfte 
das Ei wohl Ende der 2. Woche stehen. 

Herr A. v. G u 6 r a r d - Düsseldorf: Zur instrumentellen 
Zerreissung des Uterus. 

Vortragender spricht über die Fälle instrumenteller Perfora¬ 
tion des Uterus, in welchen die Instrumente ganz ohne Gewalt 
den Uterus durchbohren. 

Klinisch ist das Bild ziemlich umschrieben. Es handelt sich 
fast in allen Füllen um Erweichungen der Gebärmutter im An¬ 
schluss an verschleppte Aborte oder Geburten, bei denen die 
Nachgeburtsperiode nicht glatt verlief. Fast immer (2 Aus¬ 
nahmen) handelt es sich Retroversioflexionen, ebenso in den 
meisten Fällen um Mehr- oder Vielgebärende. Theoretisch ist 
eine Erklärung also leicht gegeben: Endometritis, Metritis. Beide 
werden durch die pathologische Lage unterhalten, welche eine 
starke Stauung und Durchweichung bis zur Gänsefettweichheit 
(Gläser) herbeiführt. 

Eine anatomisch-pathologische Erklärung steht noch aus 
und doch lassen sich mikroskopisch typische Veränderungen 
nachweisen. Zur Untersuchung kamen zwei durch Exstirpation 
gewonnene Uteri. 

Fall 1. 35Jähr. Frau, 12 Partus. Bei der Abrasio zwei¬ 
fache Perforation des grossen uud dicken Uterus. Daher Total¬ 
exstirpation, ausgiebige Resektion der Ligamente. Einuähuug der 
Stümpfe ln die Vagina. Gutes Resultat. 

F a 11 2. 29 jähr. Frau, 9 Tartus. Zugesandt wegeu Ver¬ 

dachte auf Malignität. Beim Versuch der Prol>eauskratzimg 
3 malige Perforation. Am 3. Tag darnach Totalexstirpation. 
Deutlich sind die 3 Perforationsöffnungeil zu sehen, Es wurden 
Stücke aus dem Fundus, aus der Nähe der Perforationsöffnungeu 
und aus der Nähe der Cervix untersucht. Alle ergaben densellieu 
Bel und, besonders gut die Schnitte aus deu Fuudusstücken und 
zwar: die einzelnen Muskelbündel sind durch eigenthümliche 
Zwischenräume getrennt Diese sind im 1. Stadium frei, im 
2. sind sie mit einem sehr lockereu. feinmaschigen Gewebe aus- 
gefhllt, das ziemlich kernreich ist; lm 3. Stadium sind sie mit 
wohlentwickeltem jungen Bindegewebe ausgefUllt. Die Gefässe 
sind sehr zahlreich, sie zeigen eine sehr deutliche Verdlekung der 
Intima und zwar so sehr, dass der Durchschnitt bisweilen rosetten¬ 
artig uud sternförmig ist. Es handelt sich also der Hauptsuche 
nach um eine schwere Myometritis. 

Herr E b e r.h ar t * Köln: Zur Kasuistilr 4er Castration 
bei Osteomalacie. 

Vortragender bespricht die verschiedenen Ansichten über die 
Aetiologie der Osteomalacie und erwähnt in erster Linie Ludwig 


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1804 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


Winckel, den Vater der Münchener Gynäkologen, der sich 
um die Bekämpfung dieser Krankheit in seinem früheren Wir¬ 
kungskreise Gammersbach wohl ebenso viel Verdienst erworben 
hat, als Fehling, der uns in der Castration ein Heilmittel 
dieser Krankheit zeigte. 

Zur Zeit haben wir für diese Erkrankung keine befriedi¬ 
gende Erklärung. Wir haben, wenn wir auch viele Uebereinstiin- 
mung bei der mikroskopischen Untersuchung der Ovarien ge¬ 
funden haben, zur Zeit noch kein ausgesprochenes spccifisches 
osteomalacischee Ovarium gefunden. 

Dass ein Zusammenhang zwischen den erkrankten Ovarien 
und der Knochenerkrankung besteht, ist im höchsten Grade wahr¬ 
scheinlich, welcher Art derselbe aber ist, ist zur Zeit noch un¬ 
bestimmt. 

Wie schwierig sich die richtige Beantwortung zeigt, geht aus 
einem Stoffweehselversuche von Senator (Berl. klin. Wochen- 
schr. 1897, No. 6) hervor, wo in einem Falle von Osteomalacie 
die Krankheit sich besserte und doch dabei die Kalkausfuhr nicht 
abnahin. Diese Thntsacho macht die ganze Erkrankung noch 
komplizirter. 

Jedenfalls haben wir in der Castration, die nur von Feh¬ 
ling 1887 empfohlen wurde, ein glänzendes Heilmittel, das in 
83,1 Proc. sich bewährt. 

Vorher sollen wir jedoch eine Phosphorbehandlung versuchen, 
und wenn diese nichts nützt, dann erst zur Castration unsere Zu¬ 
flucht nehmen, jedoch soll man damit nicht warten, bis die 
Knoohendefonnität hochgradig geworden, da dieselbe trotz Hei¬ 
lung der Osteomalacie dann nicht verschwindet. 

Vortragender erwähnt den einen Fall, den er am 24. IV. 
ojierirt, nachdem eine Phosphorbehandlung erfolglos geblieben 
und dabei noch einen Darmkatarrh hervorgerufen hatte. Es sind 
aber auch Fälle vorhanden, wo eine Castration ohne Erfolg war 
und eine spätere Phosphorbehandlung Erfolg liatte. 

Wir müssen desshalb stets die Phosphorbehandlung vorher 
versuchen und zwar am besten in Form des Phosphorleberthrans, 
daneben Soolbäder etc. verordnen. 

Jedenfalls müssen wir noch weiter über diese Krankheit for¬ 
schen, unser Augenmerk aber besonders darauf richten, dio Fälle 
möglichst früh zu erkennen. 

Nach Koppen haben wir in den eigenthümliehen Schmer¬ 
zen, dem Watschelgang und in der Schwäche der Ileopsoas ein 
frühes Erkennungszeichen. 

Discu8Sion: Herr O. Fal k-Hamburg: Dass die Retention 
von PhoHphorsäure die Ursache der Osteomalacie sei, wie im 
Jahre 1895 von italienischer Seite behauptet wurde, ist durch die 
Untersuchungen F a 1 k’s widerlegt. Vor und nach der Kastration 
besteht kein Unterschied in der Ausscheidung der Phosphorsäure. 

Herr Zweifel berichtet über einen Fall, in dem die 
Kastration keinen Dauererfolg gehabt hat. Ein Recidiv trat ein, 
die Sektion ergab typische Osteomalacie. 

Herr P. Müller berichtet über ähnliche Misserfolge, das 
Recidiv trat in dem einen Falle nach 7 Jahren ein. 

Herr Heydrich betont, dass iu einem Falle, in dem die 
Kastration ohne Erfolg war, eine Phosphorsiiurebehandlung ein 
gutes Resultat ergab. 

Herr Zweifel: Bezüglich der Wirksamkeit der Phosphor¬ 
behandlung ist es von Wichtigkeit, ob und wie viel Phosphor in 
wirksamer Form dem Organismus zugeführt wird. Bei der Dar¬ 
reichung in Lebertliran hängt dieses von der Möglichkeit des 
Luftzutrittes ab; denn bei Luftzutritt oxydirt Phosphor sehr 
schnell. 

Schnell- Würzburg betont, dass zwischen dein nachweis¬ 
baren Grad der Erkrankung der Ovarien und dem Grade der vor¬ 
geschrittenen Osteomalncie ein deutlicher Zusammenhang bestehe. 

Herr Semon - Danzig berichtet über ein Fall von Ge¬ 
burtshinderung durch einen Ovarialtumor. 

Das kleine Becken war vollkommen durch den Tumor aus¬ 
gefüllt Der Muttermund lag hoch über der Symphyse, in dem 
Muttermund war ein Fuss zu fühlen. Eine Reposition gelang 
nicht; da ein dünnflüssiger Inhalt des Ovarialtumors nach dem 
Palpationsbefund nicht vorhaqden zu sein schien, wurde die 
Laparotomie ausgeführt; der Tumor war ein fester Ovarialtumor. 
Das Kind konnte eine halbe Stunde später lebend extrnhlrt werden. 
Die mikroskopische Untersuchung ergab ein grosszelliges Rund- 
zellensurkom. 

Im Anschluss betont Semon die Besserung in der Prognose, 
welche die Ovkriotomle intra partum mit den Fortschritten der 
Operationstechnik und der Asepsis ergibt. 

Die Reposition beseitigt nur momentan im Falle des Gelingens 
die Gefahr. Stieltorsion und nachfolgende Peritonitis können 
auch in der Folge noch zu tödtlichem Ausgange führen. — Die 
Punktion ergibt keineswegs immer eine genügende Verkleinerung 
der Geschwulst. Eingreifende geburtshilfliche Operationen end¬ 
lich. ohne das Hinderniss vorher beseitigt zu haben, sind in 
jedem Falle unzweckmässig. Die Prognose der Orariotomie 


intra gravlditatem ist für die Mutter die gleiche, wie die 
der einfachen Ovariotomie, die Prognose für das Kind hingegen 
wesentlich ungünstiger; in einer Reihe von Fällen tritt eine Fehl¬ 
geburt ein. Es ist daher unter Umständen, wenn auf das kind¬ 
liche Leben besonderer Werth gelegt werden muss, ein Warten 
bis zum Ende der Schwangerschaft bei gutartigem Ovarialtumor 
gestattet 

Herr Schatz betont die Zweckmässigkeit der Punktion bei 
Parovarialcysten. 

Herr Höhn- Kiel demonstrirt ein über mannskopfgrosses 
Cystomyom des Uterus. Das Präparat zeigt ausgesprochenen 
grossknolligen Bau, sämmtllche Cysten sind von hohem, cylinder- 
förraigeu FlimmeTepithel ausgekleidet. Der Tumor ist gestielt. 
Dickwandige Cysten, welche an der Innenfläche sulzlgweiche 
Knoten zeigen, unterscheiden sich von dünnwandigen mit glatter 
Innenfläche. Der Tumor zeigt eine peritoneale Hülle, ein fibro- 
musculäres Bett und zahlreiche Flimmercysten. Der Stiel ist 
musoulös und reich an Gefiissen, er ist an der Hinterwand des 
Uterus aus dem Stratum vasculare des Uterus herausgewachsen. 
Die Cysten stammen wahrscheinlich von einem Rest des W o 1 f f - 
sehen Köreprs. Die Frau war stets regelmässig menstruirt und 
hatte keine Beschwerden, ein Prolaps führte sie in ärztliche Be¬ 
handlung. 

2. Demonstrirt er den Uterus einer 55 jährigen Nulllpara mit 
Tuberkulose des Uterus und der Cervix. Der Uterus war ungleich- 
massig vergrössert, rechts und hinten liesonders stark: die Ver- 
grösserung wurde durch ein C y 11 n d e r z e 11 e n c a r c i u o in 
verursacht. Die Tuberkulose erstreckte sich auch auf das Myo¬ 
metrium; die Kombination von Tuberkulose und Carciuom ist 
sehr beachtenswertli. 

Herr G 1 o e k n e r - Leipzig demonstrirt einen Uterus, dessen 
Portio makroskopisch das Bild eines Carcinoma bot, es zeigte sich 
jedoch bei der mikroskopischen Untersuchung, dass es sich um 
Tubcrkuloe der Portio handelte. * 

Herr Heydrich- Liegnltz demonstrirt eine Punktious- 
nadol zur Punktion vaginaler Abscesse. welche unter Leitung der 
Finger geschützt eingeführt werden kann, Nebenverletzungen aus- 
schliesst und in sehr zweckmässiger Weise konstruirt ist. 

Gemeinsame Sitzung mit der A b t h e i 1 u » g für 

Neurologie und Psychiatrie. 

Herr J o 11 y - Berlin: Die Indikation des künstlichen 
Abortus bei der Behandlung von Neurosen und Psychosen. 

Die Scheu, einer falschen Anschuldigung ausgesetzt zu wer¬ 
den, ist wohl der Grund, dass über die Unterbrechung der Schwan¬ 
gerschaft wegen Neurose so wenig Mittheilungen veröffentlicht 
worden sind und doch bedingen die Neurosen nicht selten die 
Einleitung des Abortes. Als wichtigste Erkrankung ist die 
Chorea gravidarum zu nennen; viele Fällo derselben verlaufen 
allerdings glücklich und können vor der Zeit zur Ausheilung 
kommen, aber die Chorea der Erwachsenen ist prognostisch un¬ 
günstiger als die Chorea der Kinder. Dio Gefahren sind durch 
Endokarditis und Albuminurie, welche als Begleiterscheinungen 
der Infektion auftreten, bedingt. Ferner gesellen sich hallucina- 
toxische Zustände, in denen die Kranken schwer zu ernähren sind, 
hinzu, in Folge deren die Frauen marantisch zu Grunde gehen 
können. Eine weitere Gefahr liegt in der Intensität der chorea¬ 
tischen Bewegungen, welche zu Verletzungen und allgemeinen 
furunkulösen Abscessen führen können. Einen derartigen Fall, 
in dem die Kranke an Sepsis starb, beobachtete J o 11 y. Es lässt 
sich nun bestimmt versichern, dass man durch die Unterbrechung 
der Schwangerschaft gewöhnlich eine rasche Abnahme der chorea¬ 
tischen Erkrankungen erzielen kann. Bisweilen stellt sich un¬ 
mittelbar nach der Entbindung eine vorübergehende Zunahme der 
Bewegungen ein. Es ist nicht von vornherein bei Chorea noth- 
wendig, die Schwangerschaft zu unterbrechen, man muss aber 
darauf gefasst sein, bei Zunahme der Jactationen, bei Störung 
der Ernährung, die Fehlgeburt einzuleiten. Weitere Neurosen, 
welche in Frage kommen, sind die Epilepsie, bei ihr ist die 
Unterbrechung der Schwangerschaft werthlos; auf die Eklampsie 
geht J o 11 y nicht näher ein. Eher findet sich bei Hystcro- 
Epilepsie die Indikation zur Unterbrechung der Gravidität. 
Von den hysterischen Erscheinungen ist unstillbares Er¬ 
brechen zu erwähnen, wie weit dasselbe jedoch hysterischer Ur¬ 
sache ist, lässt sich nur von Fall zu Fall erörtern. Häufig ent¬ 
wickelt sich während der Schwangerschaft Melancholie, das 
Gefühl der fehlenden Leistungsfälligkeit, Selbstanklagen, Angst¬ 
gefühl und Selbstmordideen sind nicht selten. Viele Fülle ge¬ 
nesen während der Gravidität, bei manchen jedoch finden sieh 
Uebergänge in delirante Zustände, selbst Formen, welche zu 
dauernden Psychosen führen können. Die Angst vor dem un¬ 
günstigen Verlauf der Schwangerschaft ist häufig. J o 11 y schil¬ 
dert Felle, in denen durch Unterbrechung der Schwangerschaft 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDiClNlSCHE WOCHENSCHRIFT. 


1805 


sich sehr schnell das psychische Verhalten besserte. Es handelt 
sich stets um psychopathische Personen; meist waren mehrere 
Schwangerschaften gut verlaufen, aus irgend einer Ursache 
glauben die Frauen, dass sie diese Schwangerschaften nicht über¬ 
stehen werden, und so entwickelt sich das Bild der Melancholie, 
dieselbe war meist auf dem Höhepunkt angelangt, bei dem die 
Ucberführung in die Anstaltsbehandlung geboten schien; aber 
auch dann wäre es fraglich, ob die Patientin zu retten wäre, denn 
Selbstmord oder fortschreitende Psychose sind selbst bei der An¬ 
staltsbehandlung wahrscheinlicher, als Heilung. Ist also ohne 
Anstaltsbehandlung eine Rettung der Kranken nicht zu erwarten, 
so ist die Indikation zur Einleitung der Fehlgeburt gegeben. Die 
Aussicht, dass das kommende Kind psychopathisch belastet wäre, 
darf hingegen nicht in Betracht gezogen werden. Zweckmässig 
ist es, vor einem operativen Eingriff einen zweiten Arzt zu Rathe 
zu ziehen. 

Discussion: Herr Martin: Man muss unterscheiden ln 
den einzelnen Fällen, in denen die Frauen unsere Hilfe aufsuchen, 
oh die Frau am Ende der Gravidität sich befindet, hier ist ein Ab¬ 
warten möglich; hingegen ist die Verantwortung im Beginn der 
Schwangerschaft wesentlich grösser. Schwere Fälle von Choren 
führten hier wiederholt zur Unterbrechung der Gravidität, dieses 
war bei Epilepsie niemals nöthig. In einem Fall von Melancholie 
musste er gleichfalls den Abort einleiten; wir müssen uns jedoch 
bemühen, die Indikationen zur Unterbrechung mit den äussersten 
Vorsichtsmaassregeln zu umgeben. — Die Hyperemesis gravi¬ 
darum ist sicher In vielen Fällen eine Neurose, daher sah Martin 
wenige Fälle, welche nicht in einfacher Weise durch Aenderung 
der Ernährung sich bessern Hessen, nur 3 mal führte in seiner 
Praxis diese Indikation zur Einleitung der Fehlgeburt. 

Herr Zweifel sah verhältnissmässig viele Fälle von Chorea, 
in denen er längere Zeit mit der Unterbrechung zögerte und die 
Erfahrung machte, dass sie glücklich verliefen. Dann kamen 
aber wiederum so schwere Fälle, die nach anfänglich günstigem 
Verlauf unglücklich endeten. Er sieht daher jede Choreaerschei¬ 
nung in der Gravidität als strenge Indikation zur Unterbrechung 
der Schwangerschaft an, da ohne dieselbe in fast 25 Proc. der 
Fälle der Exitus eintritt. Anders verhält es sich bei der Melan¬ 
cholie. Melancholische Zustände sind sehr häufig, man soll sich 
den Wünschen der Frau nach Unterbrechung der Schwangerschaft 
streng entgegensetzen, man muss ihr zeigen, dass jede Angst vor 
der Entbindung unnüthig ist. ln sehr schweren Fällen der Psy¬ 
chose kann dieselbe allerdings zur Unterbrechung zwingen. 

Herr Lomcr knüpft an seine Arbeit über Unterbrechung 
der Schwangerschaft an, in welcher er einen Fall beschreibt, in 
dem er wegen Melancholie den Abort einleiten musste. Die Pat. 
hatte 0 Kinder, trotzdem hatte sie nicht den Wunsch, zu abortiren. 
später hat sie noch 2 mal geboren. 

Herr Crohn berichtet gleichfalls Uber günstigen Erfolg bei 
Einleitung der Frühgeburt wegen Melancholie. 

Herr Blnswanger betont, dass auch epileptische Formen, 
welche sich steigern und mit psychischen AflTektionen sich kom- 
biniren können, zur Unterbrechung der Schwangerschaft zwingen. 

Herr FI a t o w empfiehlt bei Hystero-Epllepsie die Sug¬ 
gestionstherapie zu verwenden. 

Abtheilung für Kinderheilkunde. 

Referent: B. B e n d i x - Berlin. 

IV. Sitzung vom 26. September. 

Herr W. Camerer jun.: Die chemische Zusammen¬ 
setzung des Neugeborenen. 

Die Untersuchung, über welche C. schon 2 mal in der Gesell¬ 
schaft für Kinderheilkunde berichtet hat, ist nun zu Ende ge¬ 
führt. Konnte man früher das Bedenken haben, dass die be¬ 
arbeiteten 4 Körper bei unternormalem Geburtsgewicht der 
untersuchten Kinder (im Mittel 2630 gr) etwas anders zusammen¬ 
gesetzt sein möchten, als die von Kindern mit normalem Ge¬ 
burtsgewicht, so ist dies Bedenken durch die Untersuchungen 
von weiteren 2 Kindern, No. 5 und 6, hinfällig geworden. Denn 
diese letzteren Kinder hatten ein Geburtsgewicht von 3048 gr 
und 3348 gr nud die Befunde bei ihnen stehen in der Mitte 
zwischen denen bei No. 1 und 2, den etwas fetteren Kindern, 
und 3 und 4, den etwas mageren Kindern, ohne dass d i e U n t e r- 
schiede unter allen Sechsen überhaupt von 
grossem Belang wären. , 

Auch ein Unterschied der Geschlechter ist nicht 
hervorgetreten — wir verfügen über 3 Knaben und 3 Mädchen. 

Eine Aenderung der Mittelwerthe durch Hinzufügung neuer 
Fälle (von normalen Neugeborenen) ist nach Allem nicht in 
Aussicht zu nehmen. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, 
bezüglich deren ich auf die ausführliche, demnächst erscheinende 
Veröffentlichung in der Zeitschrift für Biologie verweise, gebe 
ich nur die Mittelwerthe und benütze dieselben sodann zu 


einigen Folgerungen, die mir für die Kindsphysiologie und 
Kinderheilkunde wichtig erscheinen. 


Tabelle I. 



2 

o 

i 

V 

t? 

0 ) 

ff 

c 

U 

1 

u 

£ 

* 

! £ 

<• 

K 

c 

Fette || 

© 

43 

© 

m 

< 

e 

S 

s 

5 ' 
• 

Ss 

5 

1 

CB i 

► i 

t 

E 

s 

ü 

U 

5C 

O 

Absol mittlerer Werth 
für 1 Klr.d . . 

2880 

*926 

796 

343 

76 

380 

42 

44*',6 

67,16 

66,3 : 

147,46 

Auf 100 g Leibessub- 
stanz kommen 


71,8 

28,2 

12,3 

2,7 

11,7 

1,5 

16,9 

2,38 

1,98 

6,36 

Auf 100 g Trockensub¬ 
stanz kommen 

_ 

_ 1 

_ 

43,8 

9,4 

41,6 

6,3 

66,6 

8.4 

7,0 

187 

l n 0 g Erwachsener nach 
Volkmann . 

- 

66 

34 

- 

4,7 

- 

- 

18,6 

2.8 

2,6 

6,6 


Tabelle II. 

Asche n Verhältnisse (im Mittel aller 6 Kinder). 



O 

N 

be 

O 

£ 

CaO 

C 

s 


O 

£ 

S 

c 

* 

B 

a 

B 

CD 

u 

g 

-C 

Xi 

< 

I 

Ü W 

fl 

Das Durchschnittskind 

( 2820 ) enthält. 

6,4 

6,6 

28,6 

0.8 

0,4 

28,8 

6.0 

76,6 

1.1 

74,4 

76 

100 g Leibessubstanz ent¬ 
halten . 

0,19 

0,23 

1,01 

0,03 

',016 

1,02 

0,1b 

2,68 

_ 


2,7 

100 g Asche vom Kind ent¬ 
halten . . 

7,1 

8,6 

37,6 

1.0 

0,6 

38,2 

6,6 


_ 


_ 

100 g Asche von Frauen¬ 
milch enthalten , . 

31,4 

11,9 

16,4 

.»,6 

0,16 

13,6 

20,0 

- 

- 

— 

- 


Ausserdem fand sich, auf 100 g Leibessubstanz berechnet, 
rund 45 mg Harnstoff, 7 mg Ammoniak und 0,6 g Lecithin 
im Körper des Neugeborenen. 

Unter Beützung anderer Arbeiten und auf Grund von Er¬ 
wägungen, welche ich hier übersehen kann, kam ich zu dem 
sicheren Schluss, dass man keinen merklichen Fehler mit der 
Annahme begeht, es sei der tägliche Anwuchs des Säuglings von 
gleicher Zusammensetzung wie die Leibessubstanz des Neu¬ 
geborenen. Damit besitzt man nunmehr alle für die 24 stündige 
Stoffwechselbilanz des Säuglings nothwendigen Mittelwerthe; 
man kennt nämlich die Muttermilchmenge und deren 
chemische Zusammensetzung (auch die Elementarzusammen- 
setzung derselben), man kennt Grösse und Beschaffenheit von 
Urin und K o t h. Daraus ergeben sich ohne Weiteres die 
Zahlen für die direkt schwer zu beobachtenden Respirations¬ 
grössen. 

Tabelle III. 

24 stündige Bilanz eines Muttenuilchsäugllngs ln der 10. Woche, 
Gewicht 5,00 kg, tägliche Zunahme 25 g, Muttermilch 700 g, Urin 
520 g, Koth 20 g mit 20 Proc. Trockensubstanz. 


a) Zufuhr. 



e© 

5 

'S 

Anwuchs 

Bleibt für Ausscheidung 

c 

45,4 

3,9 

41,51 


41,5 

H 

6,8 

0,6 

6,2 


6,2 

N 

1,3 

0,5 

0,8 


0,8 

O 

87,1 

| 1,3 

35,8 

hierzu ans Atmosphäre 118,9 total 

149,7 

Asche 

1,4 

! 0,7 

0,7 


0,7 

Wasser 

708,0 

18,0 690,0 


690,0 

Summa 

800,0; 25,0 775,0 J 


888,9 


b) Ausfuhr. 



Urin 

Koth 

Respi: 

COa 

ration 

HiO 

Summa 

C 

0,9 j 

2,2 

38.4 



41,5 

H 

0.2 

0,8 

— 

5,7 


6,2 

N 

0,6 , 

0,2 

— 


Wasserbildung = 51,8 

0,8 

O 

0,8 

0,9 

102,4 

45,6 


149,7 

Asche 

0,5 

0,2 

— 

— 


0,7 

Wasser 

517,0 

16,2 

— 


166,8 

690,0 

Summa 

520,0 

20,2 

140,8 


208,1 

888,9 


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1806 


MUENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


Der respiratorische Quotient ist = 0,89. 

Der Verlust beim gasförmigen Stoffwechsel 1 „jg q _ ..q q _ „oc _ 
(perspir. insensib). J * * 

Calorienwerth der Zufuhr (Urin und Koth ab) ca. 480 

„ des Anwuchses.. 60 

Energieausgabe 430 

Es werden also reichlich 50 Proc. der zugeführten Mineral- 
bestandtheile und 40 Proc. des zugeführten Stickstoffs im Körper 
angesetzt, dagegen nur etwa 10 Proc. des Kohlenstoffs und 
Wasserstoffs. Pie Erfahrungstatsache, dass man einen Säug¬ 
ling auf sehr verschiedene Weise gross ziehen kann, wird durch 
Tabelle III in helle Beleuchtung gesetzt. Wenn nur die Ver¬ 
dauungsorgane die dargebotene Kost ohne allzugrosse Verdauungs¬ 
arbeit bewältigen können, zum mindesten durch dieselbe nicht 
beschädigt werden, wenn nur die kleine nothwendige Menge der¬ 
jenigen Stoffe resorbirt wird, die der Körper nicht selbst syn¬ 
thetisch aufbauen kann und zu seinem Wachsthum oder zu seiner 
Erhaltung nöthig hat — es mag sich täglich um reichlich 10 g 
meist stickstoffhaltiger organischer Bestandtheile und etwa 1,2 g 
Mineralbestandtheile der Frauenmilch handeln — so scheint 
schon beim Muttermilchkind, noch mehr beim künstlich Er¬ 
nährten, nicht viel darauf anzukommen, ob das Energiebedürfniss 
des Körpers mehr mit Fett oder mehr mit Milchzucker gedeckt 
wird, ob man (innerhalb gewisser Grenzen) überschüssiges Nah- 
rungseiweiss (d. h. eine über die Zufuhr der Frauenmilch hinaus¬ 
gehende Menge) oder Milchzucker, Maltose, Dextrin als Energie¬ 
spender bevorzugt. 

Noch möchte ich besonders darauf aufmerksam machen, 
dass man die Zahlen der Tabelle III nicht als eine Schablone 
zu betrachten hat, in welche alle Einzelfälle hineinzupressen 
wären, sondern als diejenigen Grössen, in deren Nähe sich die 
Vorgänge bei gesunden Kindern abspielen. 

2. Herr S a 1 g e: TJeber Buttermilch als Säuglingsnahrung. 

Der Vortragende theilt die Erfahrungen mit, welche mit der 
„Buttermilch“ auf der Säuglingsstation der königlichen Charite 
in Berlin gemacht wurden. Nach diesen Erfahrungen hält S. 
die Buttermilch für gut geeignet 1. als erste Nahrung nach 
akuten Verdauungsstörungen leichter und schwerer Art für Säug¬ 
linge jeden Alters, 2. verdient diese Nahrung bei Atrophie ver¬ 
sucht zu werden, und 3. leistet sie Gutes als Beigabe zur natür¬ 
lichen Nahrung beim sogen. Allaitement mixte, hier besonders 
in einer Kombination mit Malzsuppe. 

Die Buttermilch, wie sie in der Charite verwendet wird, wird 
aus saurem Rahm gewonnen und enthält durchschnittlich 0,5 bis 
1,0 Proc. Fett, 2,5—2,7 Proc. Eiweiss und 2,8—3 Proc. Zucker, 
die Acidität beträgt 7. Der Nährwerth beträgt in Calorien aus¬ 
gedrückt (nach direkter Verbrennung durch Rüben) 714 Ca, 
ist demnach ein ziemlich hoher, so dass schon mittlere Quanti¬ 
täten genügen, um den Energiebedarf eines Säuglings zu decken. 
Ein wichtiges Postulat ist, dass die Buttermilch frisch ist, 
sie darf bis zum Verbrauch nicht älter als höchstens 24 Stunden 
nach dem Buttern sein. 

Die Fäces der Säuglinge nach Buttermilchgenuss sind ge¬ 
bunden, beinahe normal, viel Buttersäurebakterien enthaltend. 

Die Nahrung wird so zubereitet, dass zur Buttermilch noch 
75 g Mehl und 60 g Rohrzucker zugesetzt werden, und das Ge¬ 
misch dann langsam bis zum 3 maligen Aufwallen erhitzt wird. 

Durch allerdings noch nicht abgeschlossene Resorptions¬ 
versuche hat sich ergeben, dass das Fett der Buttermilch bis 
auf 93 Proc. und das Eiweiss bis auf 89 Proc. vom Säugling 
ausgenutzt wird. Ein grosser Vorzug der Buttermilch besteht in 
ihrer Billigkeit, 1 Liter stellt sich auf 15 Pfennig. 

Bisher wurden in der Säuglingsabtheilung 119 Fälle mit 
Buttermilch behandelt, 85 mit gutem Erfolg. 

Di8CU88lon: Herr Scblossmann - Dresden: S. hat 
seit Mürz a. c. eine grosse Anzahl von Säuglingen (140—150) nach 
der Angabe von T e 1 x e i r a de Mattos mit Buttermilch be¬ 
handelt, seine Befunde entsprechen denen von S a 1 g e in allen 
Punkten. Wenn Gewichtszunahmen nach anfänglicher Zunahme 
«puter ausbliebe», so hat S. noch Sahne zur Buttermilch zugesetzt 
und weit bessere Resultate erhalten, wohlbemerkt, die Sahne 
nur bei gesunden resp. genesenen Kindern. Auch die Resultate 
Indra Allaitement sind glänzend. S. kennt keine künstliche Nah¬ 
rung, die in so vielen Fällen und zwar auch 1 h* 1 schwer kranken 
Kindern so gute Erfolge gibt. 

Herr Gernsheim-Worms drückt seine Verwunderung da¬ 
rüber aus, dass Kinder, die erheblich krank sind, so grosse Mengen 
von Nühreinheiten, in einzelnen Fällen sicher mehr als 200 Ca 
pro Kilo Körpergewicht vertrugen, ohne Schaden zu nehmen, und 


dass Kinder von 3 Wochen die grossen Mengen von Stärke, ohne 
Dyspepsien zu bekommen, zu sich nehmen. Es wäre interessant 
zu erfahren, wie sich In diesen Fällen die Reaktion und der Stärke¬ 
gehalt der Stühle verhielten. 

Herr Pfaundler-Graz: Bei den glänzenden Erfolgen, die 
mit der Buttermilch zu verzeichnen sind, wäre es wichtig zu wissen, 
welcher Faktor in derselben die günstigen Emährungsresultate 
zu bewirken vermag. Der geringe Fettgehalt scheint es nicht zu 
machen, da Schlossmann über glänzenden Erfolg bei Sahne¬ 
zusatz verfügt, der hohe Säuregehalt scheint es auch nicht zu sein, 
da S a 1 g e in einzelnen Fällen alkalische Malzsuppen zusetzt. 
Hingegen ist durchaus neu die Verabreichung einer bakteriell zer¬ 
setzten und einer trotz der stattgehabten Erhitzung noch eine 
bestimmte und eigenartige Vegetation enthaltende Nahrung. 
Pf. wird durch dieses Unternehmen an Versuche erinnert, welche 
Escherlch seit Langem an seiner Klinik ausführt. Dort werden 
Säuglinge, deren foetid riechende, schmierige und miss¬ 
farbige Stühle eine abnorme Fäulniss im Darme vermuthen lassen, 
24stiindige Bouillonkulturen von Bact lactis aerogenes in die Mahl¬ 
zeiten gegeben, in der Absicht, damit die Entwicklung einer den 
Filuluisserregern antagonistisch wirkenden Flora im Darme zu 
begünstigen. In einigen Fällen waren die Resultate hiermit gute. 
Da nun unter den Erregern der spontanen Milchsäure das B. lact. 
aerogenes eine grosse Rolle spielt, so kann vielleicht das Ergebnis* 
der Versuche Escherlch's mit den durch Buttermilchvernb- 
relchuug erzielten günstigen Stuhlbefunden und Verdauungsver- 
hiiltnisseu in Beziehung stehen. 

Herr Teixeira de Mattos - Rotterdam weist auf seine 
im Jahrbuch für Kinderheilkunde demnächst erscheinende aus¬ 
führliche Arbeit über den behandelten Gegenstand hin. Nur hält 
er es für betonenswerth, dass es sich bei der Buttermilch um 
eine Methode der Säuglingsernährung bandelt, die sich stützen darf 
auf die Empirie eines ganzen Volkes (holländischen) und 
seiner ganzen Aerzte, was weit mehr besagen will, als die Er¬ 
fahrung eines Einzelnen. Dazu kommt der geringe Preis der 
Nahrung und die ausserordentlichen Erfolge, die auch bleibende 
sind. 

Herr H e u b n e r - Berlin warnt davor, bei kranken Kin¬ 
dern die Buttermilch mit Sahne zu geben. H e u b n e r*s Er¬ 
fahrungen stimmen darin ganz mit der Breslauer Schule überein, 
dass magendarmkranken Kindern fettreiche Nahrung nicht 
bekommt. Bei allen Paradoxen, die dieser Nahrung anzuhaften 
scheinen, entspricht sie jedenfalls der Anforderung, auf die nach 
Heubnefs Meinung zur Zeit das Hauptgewicht gelegt werden 
muss, verböltnissinässig grosser Energiegehalt bei kleinen Vo¬ 
lumen und gute Bekömmlichkeit Dies letztere Moment ist es, 
worüber nichts anderes entscheidet, als das empirische Verfahren, 
völlig unbeeinflust von der Theorie. 

Herr S o 11 m a n n - Breslau: Vor den theoretischen Erwäg¬ 
ungen ist zu warnen. Der empirische Standpunkt ist vorläufig 
in vorliegender Frage sehr wichtig, denn wir wissen nicht die 
Indikationen für oder gegen Fett, Casein, Zucker u. s. w. in der 
Milch. S. hat gleichfalls brillante Erfolge mit Buttermilch, an¬ 
dererseits mit Magermilch, Molken (saurer oder Alaunmolken) 
gehabt, ohne dass er für den einen oder den anderen Fall eine 
bestimmte Indikation augebeu kann. Zweifellos sind wir in fort¬ 
schreitender Bewegung, indem wir künstliche Nährmittel per- 
horresciren. dagegen ausschliesslich Milch in den verschiedensten 
Präparationen anwenden. Buttermilchversuche sind aber nur mit 
frischer, nicht gekaufter, sondern selbst dargestellter 
Buttermilch anzustellen. 

Herr Schlesinger - Breslau macht darauf aufmerksam, 
dass alle Vorthelle der Buttermilch bei der Vollmilch vorhanden 
sind und mit letzterer mindestens die gleichen Resultate erzielt 
werden können als mit der Buttermilch. 

Herr Falkenheim - Königsberg weist auf die feine Ver¬ 
keilung des Caseins ln der Buttermilch als ein bisher nicht er¬ 
wähntes Moment hin, welches für die gute Bekömmlichkeit der 
Buttermilch von hervorragender Bedeutung ist und betont die 
grossen Gefahren der gewöhnlichen käuflichen Buttermilch. 

Herr Sa lge (Schlusswort): Der Zusatz von Fett zur Butter¬ 
milch ist bei kranken Kindern zu vermelden. Stärke lässt sich 
in den Stühlen nicht nacliwelsen; ob die Bakterienflora für die 
Erfolge ausschlaggebend ist, bleibt zu untersuchen. Die Eiweiss- 
vertheiluug ist sehr fein. Mit Vollmilch hat S. ganz andere Er¬ 
fahrungen wie Schlesinger gemacht und kann er dieselbe 
bei atrophischen Kindern absolut nicht empfehlen. 

3. Herr Basch: Innervation der Milchdrüse. 

Seitdem Goltz und Ewald beobachtet haben, daaä eine 
Hündin mit verkürztem Rückenmark (Brust und Lendenabschnitt) 
nicht nur lebende Jungen zur Welt brachte, sondern auch die 
Jungen säugte, hat sich die Forderung ergeben, die Innervation 
der Brustdrüse nicht ausschliesslich in den Bahnen der spinalen 
Nerven zu suchen, sondern auch jenen Antheil zu ermitteln, den 
das sympathische Nervensystem an der Erregung der Brustdrüse 
haben kann. 

Basch untersuchte nun die Veränderungen,- di© an der 
Milchdrüse eintreten nach Unterbrechung des Sympathien* (Ex¬ 
stirpation des Gangl. coeliac.) nach Ausschneidung peripherer 
Nerven (N. thorac. long., N. spermat. ext.) und nach Kombi¬ 
nation beider Eingriffe. Für die Erhebung der quantitativen. 
Veränderung der Milchabsonderung verwendete-B a sch die Me?; 


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5. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1807 


thode der Wägung der Jungen, für die Feststellung der quali¬ 
tativen Veränderungen die mikroskopische Untersuchung der 
Milch. 

Es zeigte sich nun, dass nach den verschiedenen Eingriffen 
am Nervensysteme die abgesonderte Milchmengo nicht vermin¬ 
dert war. Hingegen trut als Zeici en einer eingetretenen Inner¬ 
vationsschwankung in den entspreei enden Milchdrüsen Colostrum 
auf in verschiedener Stärke und Dauer neben Veränderung der 
Fetttröpfchen, während die Milch der Vergleichsdrüsen unver¬ 
ändert blieb. 

Das Colostrum ist hiernach a ifzufassen als Ausdruck einer 
unvollkommenen Thätigkeit der Milchdrüse, einer Innervations- 1 
Störung derselben, und unter diesem Gesichtspunkte lässt sich 
dann einheitlich die Abscheidung von Colostrum bei den ver¬ 
schiedenen Anlässen auffassen. Versuche am Gefässsystem der 
Milchdrüse zeigten, dass auch durch Abklemmen der Venen 
Colostrumabscheidung ausgelöst werden kann, während die 
Unterbindung der Arterie keinen hemmenden Einfluss auf die 
Abscheidung ausübt. 

Basch kommt zu dem Schlüsse, dass die Milchdrüse in 
gemischter Weise vom peripheren und vom sympathischen 
Systeme innervirt wird und dass von vornherein an der Milch¬ 
drüse eine vielseitige, eine Art Luxusversorgung besteht, die es 
mit sich bringt, dass auch bei Ausschaltung eines grossen Theiles 
des nervösen Apparates die Thätigkeit der Milchdrüse weiter¬ 
geht und so der Eindruck entsteht, als ob die Thätigkeit der¬ 
selben jedem Nerveneinflusse entrückt wäre, während die betr. 
Veränderungen der Milch eben qualitative sind und hauptsäch¬ 
lich ihre morphologische Beschaffenheit betreffen. 

Dlscussion: Herr Soltmann - Leipzig erinnert au <lie 
bereits über den Gegenstand vorhandenen Experimente von 
B a r t 8 c h und Heidenhain und vermisst ein Eingehen des 
Vortragenden auf die Colostrumabsouderung. 

Basch (Schlusswort): Die Versuche von Bartsch und 
Heiden ha in spielen nur eine kleine ltolle für die Frage der 
Innervation der Milchdrüse. Die Colostrumabsonderung ist nicht 
allein ein Zeichen von Stauung ln der Brustdrüse, sondern dafür, 
dass die Milchdrüse nicht richtig funktionlrt, die Innervation der¬ 
selben „entgleist“ ist, somit auch praktisch verwerthbar in der 
Ammenfrage. 

4. Herr Schlossmann - Dresden: Phosphorstoffwechsel 
des Säuglings. 

Sch. hat in seinem Referate auf der Braunschweiger Sitzung 
als einen Hauptunterschied zwischen Frauen- und Kuhmilch 
nach den Untersuchungen von Siegfried und Stoklasa 
die Differenz in Bezug auf die Bindung des Phosphors bezeichnet; 
es soll der Phosphor nach diesen Autoren in der Frauenmilch 
wesentlich organisch gebunden sein. Neue eigene Untersuch¬ 
ungen haben Sch. belehrt, dass dies ein Irrthum ist, besondevs 
beruhen die Befunde Stoklasa’s auf analytischen Fehlern. 
Auch die bisher verwandten Methoden zur Trennung des organi¬ 
schen Phosphors sind völlig mangelhaft, die erhaltenen Resultate 
entsprechen nicht den wirklichen Thatsachen. 

5. Herr Flachs- Berlin: Praktische Gesichtspunkte zur 
Säuglingsernährung. 

Verf. gibt auf Grund der Erfahrungen, die durch eine sach- 
gemässe Bewirtschaftung mit Ammen im Säuglingsheim zu 
Dresden gemacht worden sind, eine kurze Darstellung der er¬ 
zielten Resultate. 

Die Ammen bringen ihre Kinder in die Anstalt mit, erhalten 
freie Station und verpflichten sich damit, auch andere Kinder 
anzulegen. Oft werden auch tüchtige Ammen an Familien abge¬ 
geben, wenn sie in der Anstalt entbehrlich sind. Ausführlichen 
Erörterungen werden die Resultate in der Zeit vom 1. September 
1900 bis 31. August dieses Jahres unterzogen. Auf einer ein¬ 
gehend bearbeiteten Tabelle sind die Milchmengen verzeichnet, 
die von den einzelnen Ammen in jedem Monat geliefert wurden, 
wieviel die Kinder der Ammen selbst verbraucht haben, und so¬ 
dann, welches Milchquantum den kranken Kindern zukam. Als 
Durchschnittswerthc kommen bei 196 Verpflegtagen von Ammen 
223 Liter auf den Monat. Trotz der reichlichen Sekretion der 
Milch war bei keiner Amme eine etwaige Schwächung des Orga¬ 
nismus zu konstatiren, sie erfreuten sich im Gegentheil des 
besten Wohlbefindens, ja es wurde in vielen Fällen eine körper¬ 
liche Zunahme festgestellt. Von den oben erwähnten 223 Litern 
tranken die Ammenkinder 52 Liter monatlich, so dass für kranke 
Kinder 170 Liter im Monat zur Verfügung standen. Von grossem 
Interesse ist andererseits der Preis der gelieferten Ainmenmileh. 
Set/.t inan die Verpilcgekosten der Amme mit 3 M. pro Tag an, 


und die des Ammenkindes mit 1.50 M., Werthe, die sicher nicht 
zu niedrig angenommen sind, so ergibt sich mit geringen Spesen 
bei 196 Verpflegetagen von Ammen und 137 Verpflegetagen von 
Ammenkindern im Durchschnitt ein Kostenaufwand von 870 M. 
pro Monat. Entsprechend den oben angegebenen 223 bezw. 
170 Litern, stellt sieh der Marktpreis der im Durchschnitt ge¬ 
lieferten Ammenmilch auf 3.93 M. pro Liter. Nach Abzug des 
von den Ammenkindern verbrauchten Milchquantums, kostet der 
Liter Muttermilch, welche den kranken Säuglingen zu Gute kam, 
5.23 Mark. 

Dlscussion: Herr S 1 e g e r t - Strassburg plaidlrt bei 
Aufnahme von kranken Kindern ausschliesslich für Ammen- 
ernährung. 

Herr .Schlossmann - Dresden erklärt, dass ln seiner An¬ 
stalt für kranke Kinder das natürlich ernährte Kind nicht mehr 
kostet, als in anderen Anstalten das künstlich ernährte. Er legt 
Werth auf gute Ammenernährung, dann liefern dieselben auch 
gute Milch und die Kinder gedeihen. 

Herr Soltmann- Leipzig betont, dass durch das Heran¬ 
ziehen der Ammen zugleich ein Theil des Pflegepersonals erspart 
würde. Wie Säuglingsheime einzurichten seien (allerdings für ge¬ 
sunde Kinderl, dafür habe S. zuerst Instruktionen und Einrich¬ 
tungen gegeben. 

Herr B a r o n - Dresden rütli dringend davon ab, die Zahl der 
Pflegerinnen für kranke Kinder zu verringern mit Rücksicht 
darauf, dass die Aminen zu gewissen häuslichen Verrichtungen 
herangezogen werden können. Das hlesse Ersparnisse an falscher 
Stelle. 

Herr I, e v y - Strassburg fragt au, ob die Ammen für die 
Ernährung der in der Anstalt befindlichen Kinder bezahlt werden. 

Herr F 1 a c h s - Dresden (Schlusswort): Die Kürze der Zelt 
behindert F., auf wichtige Details näher einzugehen. So lange die 
Ammen ihre eigenen Kinder ernähren, erhalten sie keine Be¬ 
zahlung. später bekommen sie Gehalt. Was die Pflege des Säug¬ 
lings anbetrifft, so glaubt F., dass man im Grunde nicht genug 
Personal haben kflnn. 

6. Herr 0. H e u b n e r - Berlin : Kurze Bemerkung über 
die Kuhmilchfäces des Säuglings. 

Bekanntlich macht man besonders beim Uebergang von 
natürlicher Ernährung zur künstlichen häufig die Beobachtung, 
dass der bis dahin normale Stuhl nun trocken, erdig wird, ein 
grosses Volumen annimmt und schlecht riecht. Diese Verände¬ 
rung wird gewöhnlich auf grössere Mengen unverdauten Caseins 
im Stuhl bezogen; dies stimmt indessen nicht, da nachgewiesener 
Weise auch in den Säuglingsfäces die N-haltige Substanz eino 
sehr geringe ist. 

Eine Beobachtung, die H e u b n e r gelegentlich eines kleinen 
Experiments während der Klinik immer wieder zu beobachten 
Gelegenheit hatte, legten demselben den Gedanken nahe, dass 
vielmehr anorganische Bestandtheile den voluminösen Koth bei 
der künstlichen Ernährung bilden. 

Verbrennt man nämlich kleine Stuhlmengen auf dem Platin¬ 
blech, so beobachtet man, dass beim Kuhmilchstuhl ein grosser 
Ascherückstand übrig bleibt, dagegen beim Frauenmilchkoth ein 
weit geringerer. Und in der That zeigen die spärlichen Unter¬ 
suchungen, die bisher Vorlagen (Uffelmann, Blauberg) 
über Aschebestimmungen, dass Kuhmilchkoth viel mehr A ihe 
besass als Muttermilchkoth. Weitere Untersuchungen, die Heub- 
ner’s früherer Assistent.« B e n d i x , über diese Frage angestellt 
hat, bestätigen dies. Derselbe fand im Frauenmilchstuhl circa 
3—5—6 Proc. Ascherückstand, im Kuhmilchkoth dagegen 15 bi9 
22 Proc. Der Hauptbestandteil der Asche ist Kalk. Für die 
Ernährung liegt in der erhöhten Salzzufuhr bei künstlicher Er¬ 
nährung (trotz absolut grösserer Resorption) insofern eine ge¬ 
wisse Bedeutung, als für den Säugling eine Steigerung der Ver¬ 
dauungsarbeit damit verbunden ist. 

Zum Schluss betont H e u b n e r, dass der Fäulnissgeruch 
des Stuhls nicht von unverdautem Casein abhängig sein braucht, 
da ja auch ei weisshaltige Bakterien in den Fäces vorhanden sind, 
und das M i 11 o n’sehe Reagens gleichfalls keinen Beweis liefert 
für die Anwesenheit von Casein in den Fäces. 

Dlscussion: Herr B a g 1 n s k y - Berlin bemerkt, dass die 
eigouthUmlicheu balligen Stühle, wie sie sich z. B. häufig bei 
rachitischen Kindern finden, wie bereits Seemann naehwles, auf 
grossem Kalkgehalt der Faeces beruhen. Ob der durch den Koth 
ansgeschiedene Kalk allerdings für den Organismus werthlos war. 
Ist desslinlb schwer zu entscheiden, weil ein Theil des resorblrteu 
Kalkes auch wieder durch den Koth den Körper verlässt. 

Herr Gernsheim - Worms: Der normale Kuhmilchstuhl Ist 
glelchmässig lehmig, gelb, reagirt alkalisch, durch den hohen 
Aschogehnlt. Der dyspeptlsche alkalisch reaglrende, der ein ge¬ 
hackt-s Au«srhen hat. liefert dies.» alkalische Reaktion wohl durch 
die Anwesenheit jener weisseu Flöckchen, die ausgesprochene 


e 





1808 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


Milionreaktion geben, die beim Fehlen jener Flöckchen nicht zu 
erzielen ist. 

Herr Seit m a n n - Leipzig: Mit M i 11 o n'schem Reagens er¬ 
zielt man Rotlifiirbung auch bei Gegenwart von Phenol. 

7. Herr Stöltzner: Die Nebennierenbehandlung der 
Rachitis. 

Der Vortr. unterzieht die bisher über die Nebennieren- 
behandlung der Rachitis vorliegende Literatur einer kritischen 
Besprechung und kommt zu dem Resultat, dass in den bisherigen 
Versuchen nur die Nebennierentabloids B. W. & Co. die Rachitis 
günstig beeinflusst haben, das von Merck hergestellte Neben¬ 
nierenpräparat „Rachitol“ dagegen nicht. Es bestehen also nach 
seinen Ausführungen Unterschiede in der Wirksamkeit der ver¬ 
schiedenen Nebcnnieronpräparate, was durch die Erfahrungen, 
die man be i Erwachsenen mit der Nebonnierenbehundlung der 
A d d i so n'schen Krankheit gemacht hat, bestätigt werde. Jeden¬ 
falls könne bei der Unzuverlässigkeit der Nebennierentabletten 
die Behandlung der Rachitis mit ihnen für die Praxis nicht mehr 
empfohlen werden. 

Hierdurch werde jedoch die wissenschaftliche Bedeutung der 
mit wirksamer Nebennierensubstanz bei der Rachitis erzielten 
Erfolge nicht herabgesetzt, vielmehr seien diese Erfolge, sowie 
namentlich die in mit Nebennierensubstanz behandelten Fällen 
von Rachitis am Knoehengewebe gefundenen anatomischen Ver¬ 
änderungen für die Theorie der Rachitis von grösster Wichtig¬ 
keit. Bekanntlich hat der Vortr. in früheren Arbeiten die Ra¬ 
chitis in klinischer und anatomischer Beziehung zu dem Myx- 
oedeni in Analogie gesetzt und daraufhin die Hypothese aufge¬ 
stellt, dass auch die Rachitis durch funktionelle Insufficienz 
eines Organes mit innerer Sekretion entstehe. Die Thatsache, 
dass in mit Nebennierensubstanz behandelten Fällen von Rachitis 
das pathologische osteoide Gewebe in ein Gewebe umgewandelt 
wird, welches farbenanalytisch die Reaktionen des fertigen ver¬ 
kalkten Knochengewebes gibt, spreche stark zu Gunsten der An¬ 
nahme, da<s die Nebenniere dieses von der Hypothese des Vor¬ 
tragenden verlangte Organ mit innerer Sekretion sei, durch 
dessen funktionelle Insufficienz die Rachitis entstehe. 

I) iscussio:: Herr B e n d i x - Berlin: Derselbe hat 17 Fälle 
von Rachitis mit Nebennierensubstanz behandelt, und zwar hat er 
für diesen Zweck sehr schwer rachitische Kinder, bei denen zum 
Theil hochgradige Kraniotabes vorlag, ausgewühlt, um späterhin 
einen objektiv leicht nachweisbaren Effekt der Behandlung an dem 
Festwerden besonders des Hinterkopfes konstatiren zu können. 
Nennonswerthe Erfolge hat B. von dem Mittel nicht sehen können. 
Doch hat B. das Kaehitol (Merck) als Medikament verwerthet, 
das Stöltzner zwar selbst für die Behandlung empfohlen hat, 
von dem er aber heute zeigt, dass es vielleicht der nothwendigeu 
wirksamen Substanz entbehrt. 

Herr S 1 e g e r t - Strassburg: Langsteln’s Mittheilung ist 
('ine durchaus brauchbare Vergleichsarbeit, da bei mehreren Kin¬ 
dern die Medikation S t ö 11 z n e r’s genau angewendet wurde und 
zwar viel länger als St. brauchte, um einen Erfolg zu konstatiren. 
Erst nach dem Fehlen jedes nachweisbaren Erfolges wurde die 
Dosis zunehmend gesteigert. Der Unterschied beider besteht darin, 
dass St. specitische Wirkung annimmt, wo Langstein eine 
Besserung nur auf die appetiterregende Eigenschaft der Tabloids 
zuriickfiihren zu müssen glaubt. Eine specitische Wirkung dürfte 
auch durch die histologischen Untersuchungen Stöltzner's ein¬ 
wandsfrei kaum als erwiesen angesehen werden. Siege rt per¬ 
sönlich kann der Ansicht Längste! n’s nur belsthnmen. 

Herr Stöltzner (Schlusswort): Es ist sehr unwahrschein¬ 
lich. dass bisher alle wirksamen Substanzen der Nebenniere be¬ 
kannt sind. Wenn L angstein auch in einigen Fällen eiuige 
Wochen lang die S t ö 11 z n e r’sehen Dosen verabfolgt bat, so 
stehen dem doch viel grössere Zahlen Stöltzner’s gegenüber. 
Dass in L a n g s t e i n’s Fällen die grossen Dosen geradezu un¬ 
günstig gewirkt haben, wird dadurch wahrscheinlich, dass gerade 
die statischen Funktionen sich besonders häufig während der Be¬ 
handlung verschlechterten, bozw. sofort nach Aussetzen der Be¬ 
handlung sich besserten. Es erinnert dies an den Thyreoldismus. 
Dass trotzdem in manchen Fällen sehr grosse Dosen vertragen 
werden, stimmt ebenfalls mit den Erfahrungen über das Thyreoi- 
din überein. 

8. Herr H e c k e r - München: Die Diagnose der foetalen 
Syphilis. 

Unter G2 Poeten, die Vortr. secirt und histologisch unter¬ 
sucht hat, waren nur 1<’> = 2(! Proc. sicher nicht syphilitisch und 
33 — 53 Proc. botimmt luetisch. Die Diagnose Syphilis war 
hei der Sektion nur in 15 Fällen == 24 Proc. bestimmt zu stellen, 
in ebenso viel Fällen gelang dieselbe durch die mikroskopische 
Untersuchung. Es gibt Fälle, die klinisch wie anatomisch ab¬ 
solut negativen Befund geben und doch, wie das Mikroskop lehrt, 
exquisit luetisch sind. 


Die Kenntniss der foetalen Syphilis ist für den Praktiker 
nothwendig, da nach Konstatirung einer solchen durch ent¬ 
sprechende Maassnahmen die Eltern geheilt und die Erzeugung 
gesunder Kinder ermöglicht wird. Vortr. gibt auf Grund eigener 
und der Untersuchungen Anderer präzise Anhalts¬ 
punkte zur Erkennung der Syphilis todtge- 
borener Früchte bei der Sektion und durch 
das Mikroskop, indem er sichere, wahrscheinliche und un¬ 
sichere Erscheinungen unterscheidet. 

Makroskopiseh sind am regelmässigsten befallen Milz und 
Knochen. Mikroskopisch in erster Linie die N i e r e (in 90 Proc. 
der untersuchten Fälle). Dabei ist pathognomonisch die zellige 
Infiltration der kleinsten Rindenarterien, die als erste Stufe der 
interstitiellen Entzündung aufzufassen ist. Die Niere ist auch 
das dankbarste Organ zur Untersuchung, da sie der Maceration 
am besten widersteht (gute Kernfärbung in 90 Proc. der unter¬ 
suchten Fälle, wogegen Leber nur 4 Proc.). Ein sicheres Sym¬ 
ptom, leicht zu erkennen und relativ häufig ist auch die Infil¬ 
tration grösserer Gefässe der Milz und die interstitielle Ent¬ 
zündung der Thymus. Die mikroskopische Untersuchung, wenig¬ 
stens von Niere, Milz und Thymus ist zur Sicherung der Dia¬ 
gnose in nicht ganz zweifellosen Fällen vorzunehmen. 

Discnssion: Herr J. L e w i n - Berlin hatte Im letzten 
Winter Gelegenheit, einen Neugeborenen mit zahlreichen Narben 
vorstellen zu können. Narben, die besonders gross und deutlich 
an beiden Knie- und Ellonbogeugelenken, in der Gegend der kleinen 
Fontanelle der Nase und zu beiden Seiten des Nabels waren. L. 
bezeiohnete den Fall damals als einen ln utero abgelaufenen lue¬ 
tischen Process und begründete diese Anschauung damit, dass 
1. der Vater des Kindes Syphilis gehabt hat, 2. dass eine deutlich 
vergrösserte Milz und lieber vorhanden war und 3. das Zwilliugs- 
klnd in macerirtem Zustande zur Welt gekommen war. 


Im Anschluss au die in No. 42 dieser Zeitschrift erfolgte Ver¬ 
öffentlichung des Briefes von Herrn Ilofrath G ruber ersucht 
uns Herr Geheimrath Ehrlich, zur Klärung des Sachverhaltes 
einen Brief zu publlziren, den er seinerseits als Antwort auf die 
Ankündigung einer Stellungsänderung des Herrn Korreferenten 
an diesen gerichtet hat. 

Frankfurt a. M., den 13. September 1901. 

Verehrter Herr Kollege! 

Der Brief, den loh gestern von Ihuen empfangen habe, hat 
mich sehr überrascht, da er ln letzter Stunde eine vollkommene 
Veränderung des zwischen uns Abgemachten bedingt. Sie hatten 
Ja auf meinen Brief vom 28. II. folgender Vertbeilung zu 
gestimmt: Ich sollte den allgemeinen (cellularblologischen) Tbeil 
im Sinne der Croouian-Lecture übernehmen, während Ihnen 
der klinisch-praktische resp. therapeutische Theil zufallen sollte. 
Hätten Sie mir damals Ihre Absichten mitgetheilt, so hätte loh 
auf meine Betheiligung an der Versammlung Verzicht geleistet. 

Schon bei der Neuronen-DIscusslon ist es vielfach Übel ver¬ 
merkt worden, dass die Referenten so unvermittelte Gegensätze 
vertreten, derart, dass der Gesamrutelndruck der Discusslon ein 
ganz unbefriedigender war. Gerade dieses wollte ich, als ich 
die ehrenvolle Aufforderung erhielt, vermieden wissen und habe 
icli auch in diesem Sinne mit Herrn Professor N a u n y n kor- 
respondlrt. In diesem Sinne war es mir auch sehr sympathisch, 
dass Sie das Korreferat Übernahmen, da ich auf Grund Ihrer 
Publikationen eine weitgehende Ueberelnstimmung unserer An¬ 
sichten annahm — überdies war ja auch durch die zwischen 
uns getroffene Vertbeilung des Gebietes eine heftige Polemik, 
wie Sie sie jetzt ankündigen, ausgeschlossen. 

Hätten Sie mir rechtzeitig, wenn auch nur vor ein oder 
zwei Monaten von Ihrer polemischen Absicht Mittheilung ge¬ 
macht, so wäre ich bereitwilligst sogar zu Ihnen nach Wien ge¬ 
kommen, um die strittigen Punkte mit Ihnen ausführlich zu 
besprechen. Ich bezweifle nicht, dass es uns gelungen wäre, 
uns über viele Punkte der Theorie zu einigen und strittige Dinge 
wenigstens so weit zu klären, dass eine allgemein verständliche 
und das kleinliche experimentelle Detail vermeidende öffentliche 
Discusslon möglich gewesen wäre. Es hätte sich bei einer 
solchen Vorbesprechung auch Gelegenheit geboten, Missverständ¬ 
nisse meiner Anschauungen, wie sie jetzt häufig in gegnerischen 
Publikationen Vorkommen, aufzuklären und Ihnen Hauptfragen 
an der Hand neuer und nicht publizirter Versuche zu illustriren. 

Ich hätte gern dem weiteren Publikum, das diese Vorträge 
anliört und das nur zum geringsten Theil fachmännisch vor¬ 
gebildet Ist, das unerquickliche Schauspiel einer heftigen Debatte, 
in welcher ich der schärfst Angegriffene bin, erspart Wissen¬ 
schaftliche Polemiken nn uud für sich, besonders mit kom¬ 
petenten Fachgenossen, habe ich niemals gescheut uud habe ich 
auch jetzt nicht zu scheuen. 

Sie wissen, dass ich meine Polemiken stets literarisch ge¬ 
führt habe. Ich timt (lies in der Ueberzeugung. dass diese kom- 
plizirten und ein mannigfaltiges Material umfassenden Fragen 
mündlich kaum erschöpfend und mit befriedigendem Ende dis- 
cutirt werden können. Es liegt im Interesse der Sache und der 
Hörer, wenn Ich Sie bitte, mir freundlichst mitzuthellen, welche 


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B. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1800 


Punkte Sie zu bestreiten gedenken, damit ich Ihrem wohl vor¬ 
bereiteten Angriff gegenüber auch meinerseits eine Replik vor¬ 
bereiten kann. Wenn Sie diesem Wunsche nicht nachzukommen 
bereit sind und mich so in die äusserst schwierige Lage ver¬ 
setzen, während des Anhörens Ihres Vortrages die für die Dis- 
cussion nötlilgen Argumente zusammen zu suchen und zu dis- 
poniren, so bedeutet das eine derartig nachtheilige Veränderung 
meiner Position als Referent, dass ich es ernsthaft erwägen 
müsste, das Referat noch in letzter Stunde niederzulegen. Eine 
solche Improvisation, wie sie mir dann zufallen würde, ent¬ 
spräche auch keineswegs der Würde und den Wünschen einer 
so grossen Versammlung, welche ein Anrecht darauf hat, dass 
ihr wohlvorbereitetes Material vorgelegt wird. 

Indem ich Sie bitte, mir Ihre Antwort gütigst baldmöglichst 
zugehen zu lassen, bin ich mit besten Empfehlungen 
Ihr ganz ergebener 

P. Ehrlich. 


(Berliner medioinieche Gesellschaft siehe S. 1820.) 


Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Officlelles Protokoll.) 

Sitzung vom 27. April 1901. 

Tagesordnung: 

Herr Bich&rd Klemm: Eselmilch in der Säuglings¬ 
praxis. 

Der Vortrtigende weist die Angriffe zurück, welche Herr 
SchloBsmann in Hoppe-Seyleris Zcitschr. für physiolog. 
Chemie, Bd. XXIII, H. 3 vom 3. Juli 1897 und in der Sitzung 
der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde vom 6. Oktober 1900 
(vergl. den Bericht in No. 8 dieser Wochenschr. vom 29. Jan. 1901) 
gegen ihn und gegen den von ihm geleiteten Hellerhof gerichtet 
hat, und begründet folgende Sätze: 

Die Eselmilch ist ein wichtiges Nahrungsmittel für gesunde 
Säuglinge der ersten beiden Lebensmonate. 

Die Eselsmilch ist ein hervorragendes Nahrungsmittel für 
magendarmki-anke Säuglinge überhaupt. 

Sie übertrifft als solches die Kuhmilch, weil sie ein zuver¬ 
lässiges, von der Natur selbst im Euter der Eselin keim- und 
toxinfrei zusammengesetztes und erhaltenes Gemenge darstellt, 
und weil sie — Musterwirthschaft, wie die des Hellerhofs, voraus¬ 
gesetzt — roh, als lebende Milch, unzersetzt, uncoagulirt ge¬ 
nossen werden kann. 

Sie übertrifft hierin aber auch die Frauenmilch, weil sie 
schneller als diese das Erbrechen beseitigt, schneller den Appetit, 
den Kräftezustand, das Allgemeinbefinden lind das Körper¬ 
gewicht hebt und weil sich ihre Wirksamkeit als Diäteticum 
nicht wie bei der Frauenmilch nur auf das erste Lebenshalbjahr, 
sondern auf das ganze Säuglingsalter erstreckt. 

Dlscussion: Herr Schlossmann erinnert daran, dass 
er In seinem Vortrag den Namen des Herrn Klemm nicht er¬ 
wähnt, sondern rein objektiv seine gegnerische Ansicht dargestellt 
habe. Redner geht dann auf eine Anzahl der erhobenen Vorwürfe 
ein; seine Publikationen seien stets in wissenschaftlichen Zeit¬ 
schriften oder ln dieser Gesellschaft erfolgt, nichts sei von ihm in 
die öffentliche Presse gebracht. Die von ihm untersuchte Esel- 
milcli batte lm Durchschnitt 0,5 Proc. Fettgehalt, also weniger wie 
die von Herrn Ellenberger, die wahrscheinlich nicht eine 
Mischmilch, sondern eine Milch einer einzelnen Stute zur Unter¬ 
lage hatte. Die R a n k e’sehen Ergebnisse lassen keinen Schluss 
auf die Bedeutung der Eselsmilch zu. Eine Mortalität von 58 Proc. 
entspricht nichts Besonderem. Eine eingehende Besprechung wird 
der Statistik, wie sie bisher vorliegt, und den vom Vortragenden 
daraus gezogenen Schlussfolgerungen gewidmet Die Immunität 
des Esels, die Herr Klemm annimmt, ist nach den Untersuch¬ 
ungen von Professor Johne, die auch Herrn Klemm bekannt 
geworden sein dürften, absolut nicht vorhanden. Ein Abschnitt 
aus der John e’schen Arbeit wird verlesen. 

Herr Ellenberger bemerkt gegenüber den Ausführungen 
des Herrn Schlossraann, dass in dem von ihm geleiteten 
physiologischen Institute der thierärztlichen Hochschule die Milch 
von verschiedenen und nicht nur, wie Herr Schlossmanu an¬ 
nahm, nur von einer Eselstute analyslrt worden sei. Die Unter¬ 
suchung der Eselinmilch auf Ihren Fettgehalt sei ln seinem In¬ 
stitute und unter seiner Leitung von den Chemikern des Instituts, 
den DDr. K 11 m m e r und S e e 11 g e r ungefähr 400 mal und 
zwar stets an einer anderen Milchprobe ansgeführt worden. Aus 
diesen 400 Analysen habe sich bei allerdings sehr erhebliclieu 
Schwankungen ein mittlerer Fettgehalt der Eseliumilch von 
1,3 Proc. ergeben. 

Bezüglich der von den Herren Klemm und Schloss- 
m a n n angeregten Frage des Vorkommens der Tuberkulose bei 
Eseln bemerkt Ellenberger, dass der Esel zwar nicht immun 
gegen die Tuberkulose bezw. das Tuberkulosevlrus sei, dass die 
natürliche Tuberkulose aber gegenwärtig beim Esel noch so un- 
gemein selten vorkomme, dass die Hsellnmllch ohne jedes Be¬ 
denken im ungekochten Zustande vom Säugling genossen werden 


könne, dass also eine Tuberkuloseinfektion der Kinder durch den 
Genuss von Eselinmilch zur Zeit nicht zu befürchten sei. Die 
Möglichkeit, dass in fernerer Zukunft in Folge irgend welcher Um¬ 
stände die Tuberkulose ebenso wie bei audereu Thiergattungeu 
auch beim Esel häufiger auftreten werde, küune natürlich nicht 
bestritten werden. Zur Zeit zeigten aber die Esel noch eine sehr 
geringe Empfänglichkeit für, bezw. eine sehr grosse Widerstands¬ 
kraft gegen das Tuberkelvirus. Das gehe aus den von Chauveau, 
Viquernt, Stock mann, G a 11 i n , A r 1 v i u g u. A. ge¬ 
machten Beobachtungen über Impftuberkulose bei Eseln hervor. 
Es sei zwar dargethan, dass beim Esel cxperiiueutcll Tuberkulose 
erzeugt werden könne, dieselbe habe aber eiuou milderen Verlauf 
als bei anderen Thiereu und gehe nicht selten spontan in Heilung 
über. Ganz anders lägen die Verhältnisse bei den fiir das Tuberkel¬ 
virus sehr empfänglieheu Milchkühen; bei dieseu komme dieTuber- 
kulose so ausserordentlich häufig vor, dass mau zur Zeit keinem 
Kinde ohne die Gefahr der Tuberkuloseinfektion Kuhmilch im uu- 
gekochteu Zustande verabreichen könne. 

Herr Flachs: Die Ernährung mit Muttermilch Ist Jeder 
anderen vorzuziehen. Insbesondere bei mageudarinkranken Säug¬ 
lingen; für eine Säuglingsstation ist das Halten von Ammen un¬ 
erlässlich. Bel einem gut eingerichteten Betriebe sind die Kosten 
dafür nicht grösser als für die Beschaffung von Eselmilch, lm 
Säuglingsheim liefert im Durchschnitt jede Amme ca. 1700 g 
Milch täglich, von denen ca. 000 g den kranken Kindern zur Ver¬ 
fügung stehen. Unterhaltung der Ammen täglich ca. 1.50 M. 

Die Eselmilch ist als Medieaineut bei Magendarmerkrauk- 
ungen auzuerkemion; ol) sie mehr als eine plaumässig durch¬ 
geführte Heilmethode mit anderen Mitteln leistet, ist abzuwarten; 
die Muttermilch kann sie nicht ersetzen. Vor Allem aber ist ob 
des hohen Preises die Eselmilch nur den begüterten Klassen zu¬ 
gänglich. Das Ziel „fiir die Gesammtheit des Volkes einen Ersatz 
für die Frauenmilch zu liefern“, wie Herr Klemm meint, kann 
ein Betrieb zur Gewinnung von Eselmilch nie erreichen, hat auch 
der Hellerhof nicht erreicht. Wahrhaft nutzbringend für das 
Wohl der Bevölkerung würde es sein, wenn das Kapital, welches 
Im Hellerhof angelegt ist, und die grosse Mühe, welche es den 
Leitern der Anstalt verursacht, darauf verwendet würden, Muster- 
mllehwirthschaften mit Kühen und Ziegen eiuzurichten. Die 
Thiere würden bei der ausgezeichneten Lage der Anstalt (Auf¬ 
enthalt und Bewegung im Freien) und bei der vortrefflichen Pflege 
weniger leicht krank werden, als im Stall. Die Abgabe der so ge¬ 
wonnenen Milch, womöglich in fertigen Trinkportiouen, würde 
am besten dazu geeignet sein, die Säuglingssterblichkeit herab- 
zusetzeu, ein Ziel, welches wohl als eines der ersteu und vor¬ 
nehmsten der ganzen Paediatrie genannt zu werden verdient. 

Herr Schlossmann bedauert, dass seiu Wunsch, die Esel¬ 
milch aus der Veterinärschule ihm zur Untersuchung zu überlassen, 
nicht erfüllt wurde. Auch von Kühen sei tuberkulosefreie Mllcli 
zu beschaffeu und besonders aus dem jetzt von Herrn E llen- 
berger zu begründenden Stalle. 

Herr Förster II erwidert Herrn Schloss mann: Wollte 
man den Grundsatz gelten lassen, solange noch theoretische Be¬ 
denken sich gegen die Eselmilch erheben lassen, mit der Errichtung 
einer Anstalt wie des Hellerhofes zu warten, so würde der Ge¬ 
danke nie eine Verwirklichung finden. Denn in letzter Instanz 
entscheide die Praxis in allen Fragen der Siiuglingseruährung uud 
werde auch über den Werth der Eselmilch entscheiden; der Heller¬ 
hof aber mache es möglich, hier Erfahrungen zu sammeln. Uud 
so werde gerade erst durch die Errichtung des Hellerhofes eine 
Lösung dieser wichtigen Frage in der Säugllugseruährung er¬ 
möglicht und die Dresdner Aerzte hätten uucli aus dem Grunde 
alle Verpflichtung, zur Erhaltung der Anstalt das ihrige bean¬ 
tragen. 

Herr Unruh weist darauf hin, dass die Säugliugsthorapie 
nur durch sorgfältige Beobachtungen von Kranken gefördert 
werden kann; dankbar sind die vom Herrn Vortragenden vor- 
gebrachteu Ergebnisse zu begrüsseu, die auch vom Redner be¬ 
stätigt werden könnten, uud an denen jeder mitarboiteu sollte. 

Herr Schlossmann betont nochmals seinen Standpunkt, 
dass die Ammenbrust das einzig Richtige sei. 

Herr Förster II hat in 10 Fällen Gelegenheit gehabt. Esel¬ 
milch bei Säuglingen anznweuden und erwähnt von diesen Beob¬ 
achtungen folgende: 

Bei gesundem Säugling: Knabe 2575 g. erstes Kind, junge 
Mutter. Selbststillen unmöglich. (> Wochon Kuhmilch; wegen dys- 
peptischer Störungen und schlechter Zunahme Esolmilch von 7. 
bis 13. Woche, dabei erst 200, dann 150 g wöchentliche Zunahme, 
weiterhin bei Kuhmilch gut gediehen. Mit 1 Jahr .Si'.X) g. 

Bei hartnäckigen Dyspepsien zweier Brustkinder Uebergang 
zu Eselmilch mit 1 y s bezw. 2 Monaten; im ersten Falle rasch 
Schwinden des Erbrechens, Steigen des Appetits, Gewlcht- 
zunnhine, nach 1 Monat Kuhmilch; im 2. Fall vor Allem Nach¬ 
lassen der Koliken, bessere Stühle, nach Monat Kuhmilch. Bei 
beiden weiterhin regelmässiges Gedeihen. 

Bel einem 1 monatlichen, halb mit Brust-, halb mit Kuhmilch 
ernährten kräftigen Kind wurde bei Auftreten eines akuten Entero- 
katarrhs mit heftigen Koliken, abundanten, wasserreichen Stühlen 
neben der Brust Eselmilch gereicht. Die Stühle erfolgteu zwar 
noch häufiger als ln der Norm, aber die Koliken schwanden und 
eine Gewichtsabnahme blieb ganz aus. Förster möchte diesen 
günstigen Einfluss der Eselmilcli In einem Falle von akutem 
Euterokatarrh desslialb als bemerkenswertli bezeichnen, weil ja 
lm Allgemeinen bei Eselsmilch-Kindern eine Zunahme der Zahl 
und des Wasserreichthums der Stühle zu beobachten ist. 

Bel akuter fieberhafter (bis 39,6°) Euteritis follleul. bei vier¬ 
monatlichem Kind (8 Tage nach 8Jähriger Schwester erkrankt, 
offenbar Uebertrngnng) nnfflnirllch nnr Weglnssen der Milch dafür 


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1810 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


Nestle, Thee, Ol. riclni ln emuls., rectale Behandlung mit Liqu. 
alum. ac.; trotzdem Verfall, mehrtägiges Fieber, blutig schleimige 
Stühle, nach 8 Tagen bereits 500 g Abnahme; nun Eselmilch, 
keine Medikamente, rasche Wendung zum Besseren, nach 14 Tagen 
Gewichtsverlust wieder eingeholt, nach 3 Wochen Kuhmilch. In 
einem 2. Fall gleicher Erkrankung bei 7 monatlichem Kind sofort 
Eselmilch, schon nach 4 Tagen fast alle Störungen gehoben. 

In einem Fall einer schweren chronischen Enteritis mit 
Atrophie, Anfangsgewicht 3050 g, mit 4 Monaten 3320 g, trat 
bei 3 Wochen durchgeführter Eselmilchernührung noch Besserung 
ein, Appetit steigend, Schwinden von Erbrechen und Obstipation, 
mit 5 Monaten 3720 g. Nun Kuhmilch vertragen. 

Förster glaubt nach dem, was er gesehen, dass Eselmilch 
für den gesunden Säugling ein Ersatz der Brust ist während der 
ersten Lebensmonate (bis etwa zum 3. Monat), für den kranken 
Säugling aber noch gleich werthvoll jenseits des 6. Lebensmonats, 
und anscheinend In erster Linie bei akuten Erkrankungen. 

Förster betont, dass er den Werth seiner wenigen Beob¬ 
achtungen nicht überschätze, dass aber auch ein wesentlich 
grösseres Material nichts allein durch sein statistisches Ergebniss 
beweise. Der Werth solcher Beobachtungsreihen sei vielmehr in 
erster Linie ein persönlicher. Die Statistik allein könne in solchen 
Fragen nicht entscheiden. Es sei ihm ähnlich wie im Beginn der 
Heilserumbehandlung der Diphtherie gegangen, er habe schon 
nach Beobachtung weniger Fälle sich dem persönlichen Eindruck 
nicht entziehen können, dass mit Eselmilchbeliaudlung günstigere 
Bedingungen geschaffen seien, dass der Verlauf der Erkrankungen 
nicht mit den Beobachtungen übereinstimme, die er bei An¬ 
wendung anderer Behandlungsmethoden in klinischer wie poli¬ 
klinischer Säuglingsbehandlung bisher gemacht habe, und die ihm 
auch jetzt einen zuverlässigen Mnassstab gegeben haben für das 
Im einzelnen Falle mit früheren Methoden therapeutisch Erreich¬ 
bare und mit Eselmilch Erreichten. 

Förster erwähnt noch eine soeben erschienene Arbeit von 
Heubner »Die Energiebilanz des Säuglings" (Zeitscbr. f. diätet.- 
physlkal. Ther. V, 1), in der er Berechnungen aus den neuesten 
Versuchen Rubner's anführt, die für Eselmilch (vom Hellerhof 
bezogen) sogar einen Energiegehalt von 1 Kilo Milch = 502,5 Ka¬ 
lorien ergeben gegen 480 Kalorien, wie sie frühere Berechnungen 
ergeben haben. 

Herr R. Klemm: Wenn auch Herr Schlossmann Redner’s 
Namen ln seinem letzten Vortrage nicht erwähnt und die Polemik 
gegen die Eselmilch nicht in die Tages- sondern in die wissen¬ 
schaftliche Presse getragen habe, so sei doch Niemand darüber 
Im Zweifel gewesen, dass die von Herrn Schlossmann in 
diesem Saale gegen den Hellerhof und die Eselmilch vorgebrachten 
Angriffe ihre Spitze gegen den Redner als den Begründer und 
Leiter des Hellerhofes richteten, und überdies seien die gegen 
Redner persönlich in II o p p e - S e y 1 e r’s Zeitschrift gerichteten 
Angriffe von einer Schärfe gewesen, dass auch die schärfste Abwehr 
dagegen nicht Wunder nehmen könne. Den Verzicht auf die Be¬ 
nutzung der Tagespresse habe Herr Schlossmann wett¬ 
gemacht durch Verächtlichmachung der Eselmilch In nichtärzt¬ 
lichen Kreisen. Hierfür stehen Beispiele zur Verfügung. — Der 
niedrige Fettgehalt, welchen Herr Schlossmann an der Esel¬ 
milch bemängelt und welcher nach seinen Untersuchungen noch 
geringer Ist, als nach den Ellenberge r’schen, bildet wie schon 
hinreichend bekannt, gerade den Vorzug der Eselmilch als Diä- 
tetlcum. Die Schlossman n’schen Untersuchungen beweisen 
nur, dass die Eselmilch selbst bei so niedrigem Fettgehalt Vor¬ 
zügliches leistet. 

Immunität des Esels gegen Tuberkulose Ist nicht behauptet 
worden, wohl aber ausserordentlich grosse Widerstandsfähigkeit 
dagegen; und diese ist erwiesen, wie Herr Ellenberger so¬ 
eben dargethan hat — Dass man mit verdünnter Kuhmilch bei 
schweren Magendarmkrankheiten des Säuglings dasselbe erreichen 
könne, wie mit Eselmilch, ist auch durch die Beobachtungen 
Herrn Förster’s widerlegt. — Die Art der Kundschaft des 
Hellerbofes widerspricht der Annahme des Herrn Flachs, dass 
die Eselmilch ihres hohen Preises wegen nur den Bemittelten 
zugute komme. Der dritte Theil der Abnehmer gehört den ärmeren 
Bevölkerungsklassen an, welche, wie bekannt, einen Vorzugspreis 
zahlen. — Die Eselmilch fängt an, populär zu werden. Im ersten 
Jahre des Hellerhofes, 1895, wurde sie von 5, im letzten Jahre 
1900, von 60 Aerzten verordnet. In demselben Jahre betrug die 
Einnahme des Hellerhofes für Milch 9500 M. — Der Satz: »Die 
Eselmilch soll für die Gesammtheit des Volkes ein Ersatz für die 
Frauenmilch werden“, ist ln diesem Umfange nie aufgestellt 
worden. Wohl aber habe Redner es als vortheilhaft bezeichnet 
und thue es noch, Kinder ln den beiden ersten Lebensmonaten, 
gleichviel ob schwächlich oder kräftig geboren, für welche Frauen¬ 
milch schlechterdings nicht zu beschaffen ist, besonders während 
der heissen Monate mit Eselmilch zu nähren, ebenso magendarm¬ 
kranke Säuglinge Jeden Alters. — Besonders seit Wiederein¬ 
führung des Esels als Zugthier wird Eselmilch bald leichter zu be¬ 
schaffen sein, als Frauenmilch, die nur in grösseren Städten mit 
Frauenkliniken auch für die ärmeren Klassen in grösserer Menge 
zur Vc-ffigung gestellt werden kann. 

i ' \ 


Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in 
München. 

Sitzung vom 16. Juli 1901. 

Herr H. v. Tappeiner: Ueber die Wirkung fluores- 
cirender Stoffe. (Nach Untersuchungen von O.Raab, 1*. Daniel¬ 
sohn und R. J a k o b s o n.) 

M. H.! ln einem früheren Berichte') über eine Arbeit von 
O. Raab 2 ) wurde mitgetheilt, dass gewisse Stoffe (Acridin, 
Phosphin, Eosin, Chinin) für Infusorien (Paramaccium cau- 
datum) von ganz bedeutend grösserer Giftigkeit seien, wenn man 
sie auf diese Organismen statt im Dunkeln im Tages- odtr 
»Sonnenlichte, dessen Wärmestrahlen durch Vorlegung einer 
Schichte Kupfervitriollösung beseitigt waren, einwirken liess. 
Gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass diese auffällige Ver¬ 
schiedenheit der Wirkung sehr wahrscheinlich mit der allen 
diesen Stoffen gemeinsamen Eigenschaft, Fluorescenz zu er¬ 
regen, in Zusammenhang stehe, ln welcher näheren Weise indess 
durch die Fluorescenzerregung die Giftigkeit dieser Stoffe ge¬ 
steigert werde, ob z. B. durch Erhöhung ihrer chemischen Energie 
(R a a b) oder durch Begünstigung ihrer Osmose (J a c o b s o n), 
musste damals und muss auch jetzt vorläufig dahin gestellt 
bleiben. Die Untersuchungen, über welche im Folgenden be¬ 
richtet werden soll, befassen sich nur mit der Frage, ob die Er¬ 
scheinung allen fluorescirenden Stoffen eigen ist und sich auch 
auf andere Organismen und Zellenarten (Flimmerepithel und 
Bacterien) erstreckt. 

Zunächst fand P. D a n i e 1 s o h n ’), dass verschiedene Deri¬ 
vate des Acridins, welche Prof. Dr. Bernthsen dem Institute 
zur Verfügung zu stellen die Güte hatte, um so stärker auf 
Paramaeeien wirken, je grösser ihre Giftigkeit *) als solche (bei 
Untersuchung in trübem Lichte) und je stärker ihre Fluorescenz 
(bei Untersuchung in hellem Tageslichte). Die folgende Tabelle 
enthält die wesentlichsten Ergebnisse, welche beim Versetzen 
eines Tropfens Paramaecienkultur mit einem Tropfen der Lös¬ 
ungen der Chloride dieser Stoffe (1 Theil auf 20,000 Theile 
Wasser) erhalten wurden. 

Tod und Zerfall der Paramaeeien bewirkten: 



bei hellem 

bei 

trübem 


Tageslichte 

Tageslichte 

Acridin. 

nach 30 Min. 

nach 

105 Min. 

Phenylacridin. 

„ 28 „ 


90 r 

Rheonin. 



90 „ 

(Tetramethyltriamidophenylacridin) 
Acridinorange .. 

» 15 „ 


75 „ 

(Tetrarnelhylphenyldiamidoacridin) 
Methylacridin. 

,, 20 „ 


45 . 

Acridingelb . 

„ io „ 


23 „ 

(Diamidodimethylacridin) 

Benzofiavin. 

„ 8 „ 


15 „ 

Diamidophenyldimethylacridin). 





Eine Reihe von weiteren Stoffen hat sodann bezüglich ihrer 
Wirkung auf Paramaeeien im Dunkeln und im Hellen 
O. Raab“) eingehend untersucht. Eine erste Gruppe bildeten 
organische Farbstoffe (Fuchsin, Krystallviolctt), welche nicht 
fluoresciren, aber durch eine andere optische Eigenschaft (starke 

') Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 1. 

Wie mir nachträglich von competenter Seite mitgetheilt wird, 
lässt die etwas knappe Fassung der einleitenden Sätze dieses Be¬ 
richtes die Auffassung zu, als ob dieselbeu gegen den von Binz 1867 
nachdrücklich liervorgehobeneu Zusammenhang zwischen der von 
ilnn entdeckten Wirkung des Chinins auf Infusorien und der da¬ 
mals noch gänzlich unbekannten Ursache der Malaria gerichtet 
seien. Dies w r ar indess keineswegs beabsichtigt und schon darum 
völlig ausgeschlossen, als die von Binz vorausgeahnte Beziehung 
ja später durch die Entdeckung des Malariaparasiteu und den 
Nachweis seiner grossen Empfindlichkeit gegen Chinin glänzende 
Bestätigung fand und zur gesicherten Thatsache geworden ist. 
Die genannten einleitenden Sätze sollten nur besagen, dass diese 
Beziehung keine allgemeine, auf alle Infusoriengifte sich er¬ 
streckende Giltigkeit habe, in der Weise, dass man vom Auftreten 
der einen Wirkung auf die andere schliessen könne, indem sie 
selbst bei Substanzen, wie Plienylchluolin, Phosphin, deren che¬ 
mische Konstitution dem Chinin noch nach gewissen Richtungen 
ähnlich ist, fast völlig vennisst wird. 

’) Zeit8ciir. f. Biologie 39. 

*i Ueber die Einwirkung verschiedener Acridinderivate auf 
Infusorien, Iuaug.-I)iss., München 1899. 

4 ) Wofür der Eintritt von ein oder mehreren an Kohlenstoff 
gebundenen Methylgruppen bestimmend zu sein scheint. 

6 ) Ausführliches wird in der Zeltschr. f. Biologie erfolgen. 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDlClNlSCÖE WOCHENSCHRIFT. 


18Ü 


Absorption) sich auszeichnen. Keiner dieser Stoffe zeigte die 
in Rede stehende Erscheinung auch nur andeutungsweise. 
Die Giftigkeit war völlig gleich bei Ausschluss wie bei Zulassung 
des Lichtes. Krystallviolett 1: 25,000 tödtete die Para- 
maecien in 1 Stunde, Fuchsin 1:20,000 nach 3 Stunden. 
Eine zweite Gruppe waren fluorescirende StofFe. Zunächst wurde 
Harmalin, das Alkaloid der Samen von Peganum Harmala 
untersucht. Es fluorescirt ähnlich dem Acridin, hat aber zum 
Unterschied von diesem kein auffallendes Absorptionsvermögen, 
wenigstens ist im Spektrum seiner Lösung keine begrenztere Ver¬ 
dunklung zu sehen. Die Lösung seines salzsauren Salzes 
1:60,000 bewirkte im durch Kupfervitriollösung gesiebten 
Sonnenlichte Tod und Zerfall der Paramaecien in 50 Minuten. 
Im Dunkeln hiegegen war noch nach 5 Stunden keine Schädigung 
derrParamaecien zu bemerken und erfolgte deren Tod und Zerfall 
erst nach 12 Stunden. Von ganz analoger Wirkung war das 
Chinolinroth, ein Farbstoff mit lebhafter, feuergelber 
Fluorescenz. 

Der 3. untersuchte Körper war das Aesculin C ls H 10 O, 
das Glykosid der Rosskastanienrinde, ausgezeichnet durch starke 
blaue Fluorescenz. Diese Substanz erregte ganz besonderes 
Interesse, denn sie zeigte sich selbst in konzentrirter wässeriger 
Lösung für Paramaecien im Dunkeln als ungiftig und zeigte 
ebenso wenig Wirkung bei Bestrahlung mit durch Kupfervitriol 
gesiebtem Sonnenlichte. Diese Beobachtung ist von fundamen¬ 
taler Bedeutung, denn sie fordert die Annahme, dass ein Körper, 
um die in Rede stehende Erscheinung zu bewirken, zwei Eigen¬ 
schaften besitzen muss: er muss fluoresciren und muss (auch im 
Dunkeln) giftig sein. Aus den Befunden an den bisher fluores- 
cirenden Körpern, welche alle giftig waren, konnte dieser Satz 
noch nicht mit Sicherheit abgeleitet werden. Denn, wenn es 
sich bei dem vorhin genannten Chinolinroth z. B. zeigte, dass 
Paramaecien bei Zusatz einer Lösung von 1:50 000 im gesiebten 
Lichte noch nach 4—5 Stunden abstarben, im Dunkeln hingegen 
mehrere Tage anscheinend unverändert weiter lebten und erst 
nachher früher oder später zu Grunde gingen, so blieb es zweifel¬ 
haft, ob solche Verdünnung noch als schädlich resp. Tod bringend 
anzusehen war oder ob das schliessliche Absterben nach Tagen 
nicht sonstigen zufälligen imgünstigen Kulturbedingungen in der 
feuchten Kammer zugeschrieben werden musste. 

Nach diesen Ergebnissen an Paramaecien wurde von 
R. J acobson®) die Frage behandelt, ob auch Zellen anderer 
Art durch fluorescirende Stoffe in dieser Weise beeinflusst werden. 
Als geeignetes Objekt erwies sich das Flimmerepithel 
des Frosches. Kleine in physiologische Kochsalzlösung ge¬ 
legte Stückchen der Rachenschleimhaut wurden im hängenden 
Tropfen in feuchter Kammer auf dem Objektträger suspendirt. 
Die Flimmerzellen halten sich darin im Dunkeln 3—5 Tage in 
lebhafter Thätigkeit, ungefähr gleich lange Zeit auch im Lichte, 
selbst im Sonnenlichte, wenn die Wärmewirkung durch vorge¬ 
legtes Kupfersulfat ausgeschlossen wird. Findet sich hingegen 
in der Lösung ein fluoreecirender, giftiger Körper, so tritt das 
Absterben regelmässig viel früher ein, wie aus folgender Tabelle 
einer kleinen Auswahl von Versuchen unzweideutig hervorgeht. 
Als Moment des eingetretenen Todes wurde die Zeit notirr, 
wenn nicht bloss Stillstand der Flimmerbewegung einge¬ 
treten war, sondern diese auch nicht mehr durch mechanische 
Reize (Erschütterung des Objektträgers) oder Wärmereiz (Ver¬ 
bringung des Objektträgers auf das Wärmeoptimum 40°) belebt 
werden konnte. 


Tod des Flimmerepithels bewirkten: 

im Lichte 

im Dunkeln 

Eosin 1:500 . 

nach 3 2 /s Standen 

nach 

27 Stunden 

„ 1:1000 . 



28 „ 

Harmalin 1:2000 . 

5 


25 

„ 1:10000 . 

„ 5'/2 „ 


10 „ 

Acridin 1: 5000 . 

„ 2 h „ 


172 „ 

Chinolinroth 1:5000 .... 

>. */s 


6 7* „ 


Bei Aesculin 1:300 und Fuchsin 1:5000 liess sich analog 
wie an den Paramaecien kein Unterschied in ihrer Wirkung 
im Lichte und im Dunkeln erkennen. 

In einer zweiten Versuchsreihe wurden Frösche mit 0,02 g 
Eosin in physiologischer Kochsalzlösung injizirt, dann 24—48 
Stunden im Dunkeln gehalten. Nach dieser Zeit wurde das 
intensiv roth gefärbte Flimmerepithel des noch lebenden Frosches 


*) Ausführlich ln der Zeltschr. f. Biologie. 


herausgeschnitten und in physiologische Kochsalzlösung gebracht. 
Im Hellen aufbewahrt, war die Flimmerbewegung nach wenigen 
Stunden erloschen, im Dunkeln noch nach einem Tage erhalten. 

Die Untersuchung der Wirkung fluorescirender 
Stoffe auf Bakterien, welche bezüglich einer späteren 
eventuellen therapeutischen Anwendung besonderes Interesse be¬ 
sitzt, hat O. Raab in Angriff genommen, aber noch nicht zum 
Abschlüsse gebracht. Die vorliegenden Resultate machen es 
wahrscheinlich, dass auch hier zwischen der Wirkung fluoros- 
cirender Stoffe im Lichte und im Dunkeln Differenzen bestehen, 
wenn auch nicht so bedeutende, wie bei Infusorien und Flimmor- 
zellen. Die Versuchsanordnung war folgende: 3 Reagierröhren, 
von denen die erste destillirtes Wasser, die zweite und dritte die 
zu prüfende Substanz enthielt, wurden mit einer frischen Kultur 
von Bacillus pyocyaneus geimpft. 1 und 2 wurden 3 Stunden mit 
Kupfersulfatlösung gesiebtem Sonnenlichte ausgesetzt, während 
das 3. im Dunkeln gehalten wurde. Hierauf wurde auf Agar- 
Agar übertragen. 1 zeigte in allen Fällen gutes Wachsthum, 
ebenso 3 bei passender (nicht zu giftiger) Konzentration des Ver¬ 
suchsstoffes im ursprünglichen Reagierrohr. Hingegen blieb in 
2 bei Verwendung von salzsaurem Harmalin 1:1000 das Wachs¬ 
thum völlig aus und bei Verwendung von Chinolinroth 1:200 
und Chinin 1:500 war in 2 gegenüber 3 eine erheblich ge¬ 
ringere Anzahl von Kulturen aufgegangen. 

Ueber das V erhalten höherer Thiere (Frösche und 
Mäuse), denen fluorescirende Stoffe einverleibt wurden und 
welche dann zum Theile im Lichte und zum Theil im Dunkeln 
gehalten wurden, haben J acobson und Raab Untersuch¬ 
ungen angestcllt, aber bisher keine unzweideutigen Ergebnisse 
erhalten. Ich erwähne daher nur zwei ihrer Versuche, wonach 
solche Fluorescenzwirkungen bei höheren Thieren immerhin im 
Bereiche der Möglichkeit liegen. Füllte Jacobson den 
ausgeräumten Schädel eines frisch getödteten Frosches mit einer 
Mischung von Eosinlösung 1:1000 und Paramaecienkultur zu 
gleichen Theilen und setzte denselben dem gesiebten Sonnenlichte 
aus, so waren die Paramaecien in 1 Yi Stunden todt, wogegen sie 
in einem analogen, aber im Dunkeln gehaltenen Präparate 
4 Stunden und länger lebten. Dementsprechend fand Raab 
die Paramaecien in Glasröhrchen, welche mit Eosin 1:4000 oder 
Acridin 1:20 000 und Paramaecienkultur angefüllt und unter 
die Haut lebender, der Sonne ausgesetzter Meerschweinchen ge¬ 
schoben waren, nach ca. 1 Stunde abgetödtet. 

Licht vermag daher in genügender Weise die Haut und 
selbst die Schädeldecke von Thieren zu durchdringen und in 
darunter befindlichen Lösungen fluorescirender Stoffe Fluores¬ 
cenz zu erregen. Ein Resultat, das auch für eine event. spätere 
therapeutische Verwerthung, z. B. bei parasitären Hautkrank¬ 
heiten, von Bedeutung ist. 


III. Französischer Kongress für Gynäkologie, Geburts¬ 
hilfe und Kinderheilkunde 

zu Nantes Im September 1901. 

. Das erste Thema der Sektion, für Kinderheilkunde betraf den 
Arthritismus der Kinder. C o m b y, der Referent, sieht dieses 
Leiden als eine dauernde Ernährungsstörung an, welche meist auf 
hereditärer Grundlage beruht; besonders häutig in civilisirten 
Gegenden und bei der städtischen Bevölkerung, manifestirt sich 
diese Diathese von der Geburt an. Man darf daher zur Behandlung 
nicht die schweren Erscheinungen, wie Diabetes, Asthma, Gicht, 
Migräne, Steiulelden, Fettsucht, abwarteu, sondern muss schon im 
Kindesalter nach den ersten Anfängen fahnden. C o m b y unter¬ 
scheidet 2 Arten von Arthritismus: 1. die mit Polysareie und 2. die 
mit Magerkeit verbundene lymphatisch-nervöse Art. Letztere ist 
fast immer mit Anaemie verbunden, die körperliche Entwicklung 
ist im Allgemeinen eine genügende, zuweilen unter dem Mittel. 
Derartige Kinder sind intelligent, aber ungleichmässlg ln ihren 
geistigen Fähigkeiten. Arthritismus und Anaemie (Lymphatis¬ 
mus) sind häuüg vergesellschaftet, ferner sind Störungen des Cir- 
culations- und Athmungsapparates vorhanden: 
Tachykardie, Arhythmie des Pulses, vasomotorische Störungen (ab¬ 
wechselnd Blässe und Röthe), grosse Neigung zu Schnupfen, sog. 
spastischer Coryza, und Heufieber, periodischem Nasenbluten, 
Kehlkopfkrampf u. s. w. Nicht weniger häutig sind Ver¬ 
dauungsstörungen: Anorexie und perverse Hungergefühle; 
das häufigste Symptom ist periodisches Erbrechen, welches sich 
in mehr oder weniger langen Intervallen wiederholt und durch 
absolute Intoleranz dos Magens während 3, 5, 8 Tagen charakteri- 
sirt. Auch der Urogenitalapparat zeigt Abnormitäten: 
chemische Veränderungen des Urins, Polyurie, Pollakyurie, zu¬ 
weilen hartnäckige Vulvitis (ohne Gonococcen). Derartige Kinder 
mit arthritischer Anlage sind nervös, leicht erregbar, ihre Haut 


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MtJENCftENEU MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


isi2 


ist sehr reizbar, Dermatosen sind häufig bei ihnen, Ekzema tritt 
zuweilen alternirend mit asthmatischen Anfällen auf. Ausser dein 
gewöhnlichen Gelenkrheumatismus können andere locomoto- 
rische AiTektionen, wie uraemischo Arthritis, Myalgien Vor¬ 
kommen, welche mehr Aehnliehkeit mit Gicht, wie mit Rheuma¬ 
tismus haben. Zuweilen kommt bei den arthritischen Kindern ein 
Fieber anfall vor, welcher sich ähnlich wie bei der Malaria 
wiederholt, aber auf Chinin nicht zurückgeht. Coraby sieht 
dieses Fieber als eine Art larvirter Gicht, als uraemische Mani¬ 
festation an. Die Pathogenese des Arthritismus ist noch 
dunkel, aber die hygienischen und therapeutischen Resultate lassen 
keinen Zweifel, dass es sich dabei um eine Art Autointoxikation 
handelt ln prophylaktischer Beziehung muss man mög¬ 
lichst Aufenthalt auf dem Lande empfehlen, sitzende Lebensweise, 
Ueberemiihrung, Ueberanstrengung verbieten; keine alkoholischen 
Getränke, kein Fleisch vor dem 3. Lebensjahre. Ist die Krankheit 
zum Ausbruch gekommen, so sind alkalische Gewässer, Darmanti- 
septica, alkalische Thermen, warme und kalte Kochsalzwässer 
u. s. w. zu empfehlen; bei den akuten Anfällen absolute Bettruhe 
und Diät wie überhaupt genaue hygienische Ueberwachung, um 
regelmässige Funktion des Darmkanales, der Haut, Muskeln, 
Lungen u. s. w. zu erzielen. 

A u s s e t, ebenso wie Hallopoau und Sevestre 
glauben, dass C. das Bild des Arthritismus zu sehr verallgemeinert 
habe, Ersterer möchte den Typus der dicken, aufgetriebenen und 
anaemischen Kinder häufiger zur Rachitis zählen. Letztere möchten 
dem Arthritismus nicht die wichtige Rolle bei der Entstehung der 
Dermatosen im Kindesalter zuschreiben; Mery hebt die Wich¬ 
tigkeit hervor, welche die chronische Obstipation bei der Patho¬ 
genese des periodischen Erbrechens hat. 

Das zweite Ilaupttliema betraf die konservativen Behand¬ 
lungsmethoden bei der Behandlung der lokalen Tuberkulose im 
Kindesalter. Der Referent F o i s s o n führt in erster Linie die 
irrthilmliche Auffassung Derjenigen an, welche die lokale Tuber¬ 
kulose als fortschreitende Neubildung ansehen und daher die 
blutige Behandlung empfehlen; denn bei den Kindern hat sie, 
einige schwere Fälle mit multiplen Manifestationen ausgenommen, 
die grösste Tendenz zu Spontanheilung. Die unblutige Behandlung 
umfasst die Allgemeinbehandlung, die kontinuirliche Immobiii- 
satiou und Extensiou, die Kompression, die modifizireuden In¬ 
jektionen und die Ignipunktur. Bezüglich der Allgemein- 
behandlung, welche bei der Tuberkulose stets die erste Be¬ 
dingung ist, spricht P. dem Aufenthalt an der See, der nicht nur 
Monate, sondern Jahre lang währen soll, eine ganz besondere Rolle 
zu; durch denselben allein hellen leichte Fälle vollständig aus, bei 
schweren ist der Aufenthalt an der See ein unentbehrliches Unter¬ 
stützungsmittel der lokalen Behandlung. Die Immobilisation 
und kontinuirliche Extension geben gute Resultate, 
erstere in allen Fällen von Osteoarthritis, ausser bei Coxalgie und 
Malum Pottii, die kontinuirliche Extensiou ist ein vortreffliches 
Mittel, um die manchmal schrecklichen Schmerzen der Hüft- 
gelenkseutzündung zu beruhigen und die fehlerhafte Stellung zu 
korrigiren; beim Malum Pottii, gleich von Anfang an vor jeder De¬ 
formation angewandt, kann die Immobilisation (Gipsverband) 
Heilung bringen ohne sekundäre Lähmung, Verkrüm¬ 
mung oder Abscess. Die kontinuirliche Extension bringt hier 
nur wenig Nutzen. Ausser dem Gipsverband ist die Bonne t’selie 
Rinnschiene zur Immoblllsirung zu gebrauchen. Die Kom¬ 
pression wird sehr oft mit der Immobilisation zu deren Vervoll¬ 
ständigung verbunden; sie kann mit der elastischen Binde nach der 
Methode von Bier ausgeführt werden und scheint vortreffliche 
Resultate gegeben zu haben, wiewohl sie in Frankreich noch wenig 
verbreitet ist. Von den topischen Mitteln verdienen die 
Blasenpflaster und das Jod keine Erwähnung mehr; das Queck¬ 
silberpflaster, mit der Immobilisirung und Kompression ver¬ 
bunden ebenso das Unguent. neapolitanum, welches C h a-m - 
plonniöre bei Tumor albus der Finger, bei Spina veutosa 
des Fusses und der Hand ohne gleichzeitige Kompression anwendet, 
und die Friktionen mit grüner Seife nach H o f f a (25—30 g 2 bis 
3 mal pro Woche), welcher über 200 Fälle von Malum Pottii, 
Coxalgie, Tumor albus, tuberkulösen Drüsenschwellungen damit 
behandelte, scheinen von Erfolg zu sein. Von den m o d i fi¬ 
el r e n d e n Injektionen ist nach C o u d r a y die 10 proc. 
Chlorzinklösung besonders augezeigt bei der Tuberkulose der 
grossen, oberflächlichen Gelenke: Knie, Ellbogen, Hand- und 
Fussgelenk; die Injektionen mit 5—10 proc. Jodoformäther haben 
noch grössere Vorzüge und ein weiteres Anwendungsgebiet: von 
den nicht eiternden Formen bei Halsdrüsen, beginnendem Tumor 
albus, bei fungöser Synovitls der Sehnenscheiden, bei Spina ven- 
tosa; bei den eitrigen Processen soll die Injektion von Jodoform- 
äther einerseits die spontane Eröffnung des Eiterherdes verhüten, 
anderseits denselben ausheilen, das modifleirende Mittel bis zum 
Sitze der Initialaffektlon bringen und die Quelle der Eiterung ver¬ 
nichten. Chirurgische Eingriffe müssen jedoch oft noch mit diesen 
Einspritzungen verbunden werden. Aelmlich wie Jodoformäther 
wird Naphtholkampher angewandt, man muss jedoch mit diesem 
Mittel vorsichtig sein, da es zuweilen allgemeine krampfartige Zu¬ 
stände erzeugt, und über 1 g bei Fungus oder Drüsen nicht hinaus¬ 
gehen oder wenigstens eine wässerige Lösung anwenden, z. B. die 
Mischung nach B o u c li a rd, welche 5 g /S-Naphthol und Kampher 
auf 100 g destillirten, alkoholisirten Wassers enthält. Die Igni¬ 
punktur ist, oberflächlich angewandt, nutzlos, jedoch, wenn ge¬ 
hörig in die Tiefe gehend, von Vortheil bei der Tuberkulose der 
kleinen Gelenke. Ein chirurgischer Eingriff kann durchaus ge¬ 


boten sein bei Anwesenheit von Sequestern, fistulösen Abscessen, 
bei Fiel>er u. s. w. Letzteres, in Gemeinschaft mit einem allge¬ 
mein septikaeniischen Zustand, sind für P. die einzigen Indika¬ 
tionen zu einem chirurgischen Eingriff beim Tumor albus des 
Kindesalters. Die Resektion des Hüftgelenkes, die bei vorhandener 
Eiterung immer ein schwerer Eingriff ist, soll nur als letztes Mittel 
und wenn das I.elieu des Patienten in Gefahr ist, in Betracht 
kommen; in diesen Fällen muss zu rasche Vereinigung der Wunde 
vermieden werden. 


C o u d r a y - Paris stimmt im Allgemeinen den Ausführungen 
des Vorredners zu, insofern auch er die blutige Chirurgie bei der 
Tuberkulose des Kindesalters auf ein Minimum beschränkt wissen 
will. Den Einfluss der Meeresnähe hält er nicht für unabweisbar 
nothwendig zum Ileileffekt; ausserordentlich nützlich bei appetit¬ 
losen Kindern ist die Seeluft, geradezu contraindicirt bei nervösen 
Kindern. Was die topischen Mittel betrifft, so hat er bei Spina 
ventosa zweifellos gute Resultate mit Queeksilberpfiaster (Empl. 
Vigo in Streifen) erlebt. Die 9kierogene Methode hat ihm zahl¬ 
reiche Erfolge bei Arthritis und Osteoarthritis mit torpidem Ver¬ 
lauf gegeben. Zur Behandlung der tuberkulösen Abscesse wendet 
C. seit 2 Jahren mit Vorliebe das Jodoformöl an, welches dem 
Schmerzen verursachenden Jodoformäther vorzuziehen ist. Bei 
schweren Eiterungen des Malum Pottii und der Coxalgie empfiehlt 
er Drainage, die mit rigoroser Antisepsis auszuführen ist. und 
Jodoformbestreuung vermittels eines speciellen Instrumentes 
(Ipsilcurs nach G u i 1 m c t h). 


Kirmisson empfiehlt, obwohl sehr konservativ, bei der 
lokalen Tuberkulose die Ausschälung der isolirten Drüsen oder 
Drüsenpackete ohne vorhandene IYriadenitis, wenn der spontane 
Durchbruch droht. 

G a s t o n empfiehlt zur Behandlung der Drüseu- und Haut¬ 
tuberkulose bei Kindern dreierlei Methoden: 1. jene von Besnier 
(Cnrettage, dann Betupfen mit Höllenstein- oder Chlorzinkstift). 
2. die hohen Wechselströme (nach O u d i n) und 3. die Plioto- 
tlierapie. 

Ilallopeau hat ebenso gute Erfolge, wie mit der Photo¬ 
therapie, mit den Skaritikationen und nachfolgender Behandlung 
mit Kal. permangan. — entweder in 50 proc. Lösung oder als 
Pulver — gehabt. 


D’A s t r o s erläutert die Folgen der Osteomyelitis bei 
Neugeborenen und deren Einwirkung auf die Blutzusammen¬ 
setzung — als Komplikationen langdauernder Knoeheueiterungen 
der ersten Kindheit beobachtete er Rachitis und Spasmus glottidis. 

Ein weiteres Verhandlungsthema des Kongresses war die 
intermittirende Albuminurie im Kindesalter. Mery- Paris hebt 
als Referent hervor, wie häufig im Kindesalter die akute Nephritis 
ist, während die chronische Albuminurie eine Seltenheit sei; die 
intermittirende Albuminurie hat Jedoch im Gegensatz hiezu das 
Maximum ihrer Häufigkeit im Kindes- und Jugendalter. Bei dieser 
chemischen intermlttirenden Albuminurie der Kinder muss man 
die mit einer Niereuerkrankung verbundenen und die funktionellen 
Formen, wo letztere nicht nachweisbar ist, unterscheiden. Für 
erstere, die entweder ausheilen oder in die B r I g li t'sclie Krank¬ 
heit übergehen können, sind charakteristisch die nächtliche 
Polyurie, die in 24 Stunden bedeutend grössere Harnmenge als bei 
der funktionellen Albuminurie, die Niereninsufticienz bei der Ge- 
frierprobo u. s. w., wenn auch beide Arten viel Aehnliehkeit haben. 
Die funktionelle Form beobachtet man selten vor dem 7. Lebens¬ 
jahr, am häufigsten zwischen dem 10. und 17. Jahre und fällt 
besondere mit den Entwicklungs- oder Pubertätszeiten zusammen. 
Das wichtigste Merkmal des Urins ist, dass während der Nacht das 
Eiweiss verschwindet, ebenso bei liegender Stellung. Das All¬ 
gemeinbefinden ist wenig verändert, daher bleibt das Leiden lange 
unerkannt. Oft ist bei Tag Oligurie, bei Nacht Polyurie vor¬ 
handen; Cyllnder fehlen stets. Zuweilen bestehen als funktionelle 
Störungen Kopfschmerz, allgemeine Müdigkeit, Unfähigkeit zu 
jeder Arbeit, Schwindelanfälle, Anaemle, Cyanose, seltener Pal- 
pitatlonen, Verdaungsstörungen, Magenerweiterung, neurastheni- 
sche Erscheinungen. Als Varietäten werden unterschieden: 1. die 
als Vorläufer der Gicht auftreteude (praegoutteuse) cykllsche Al¬ 
buminurie, welche die häufigste Form der intermittireuden Al¬ 
buminurie im Kindesalter ist und in ganz ausgeprägter Weise 
den cykllsclien Typus zeigt: sie erscheint zwischen 12 und 1 Uhr, 
um gegen 4 bis 5 Uhr abzunehmen und meist gegen Abend ganz zu 
verschwinden; 2. die hepatogene Albuminurie ist gekenn¬ 
zeichnet durch die gelbe Hautfärbung an gewissen Körperetellen: 
Stirne, Ohren, Hals, Vorderfläche von Brust und Bauch u. s. w.; 
3. Albuminurie in Folge von Verdauungsstörungen, 
meist verursacht durch Magenerweiterung; 4. orthostatische 
Albuminurie; im Gegensatz zu deu 3 vorigen, die auf dyskrasischer 
Basis beruhen, ist sie mechanischen Ursprungs und zwar 
grösstentheils mit nervöser Grundlage; das Eiweiss tritt un¬ 
mittel- und unfehlbar nach längerem Stehen des Patienten auf. 
verschwindet jedoch beinahe stets gegen Abend, und zwar dann, 
wenn auch stehende Körperhaltung beibehalten wird. 5. JMe 
praetu berkul ii ti e—Albuminurie i°t y.war in4 n rnii tH, ’“ T “ 1 aber 
von unregelmassigem Typus; das Max imum der Elwelss äUMMt'lnM" 
düng findeTMorgens sTätTTd^ÜHlTF'! blimsi reich nn ■PiiUMjThaten; 
Teissier hat alternirend mit Perioden von Albuminurie solche 
von Lungenkongestionen und andererseits das Verschwinden der 
Albuminurie beim Auftreten der Tuberkulose beobachtet- Die 
Prognose der funktionellen Albuminurie scheint viel günstiger 
zu sein als bei der auf Nierenerkrankung beruhenden; in 78 Proc. 



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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


1813 


der Fülle wurde Heilung beobachtet, das Eiweiss ist im Verlaufe 
von 2—3 Jahren verschwunden. Im Allgemeinen scheint die Pro¬ 
gnose der auf Verdauungsstörung beruhenden Albuminurie weniger 
günstig wie die der übrigeu Formen zu sein. Die Gefahr bei 
späterer Schwangerschaft ist hier bezüglich des Wiederauftretens 
der Albuminurie eine sehr geringe. Die Behandlung bestehe 
nicht in Milchdiät, sondern in Milch- gemischt mit vegetarischer 
Kost und etwas weissem Fleisch, massigen Körperbewegungen, 
Massage, kalten Waschungen; bei manchen anaemischen Kindern 
Injektion von Natr. cacodyl., ausserdem Mineralwasser (alkalische 
wie Vichy, Chfltel-Guyou, St.-Nectaire). 

G a s t o u berichtet, in Uebereinstimmung mit dem Vorredner, 
Uber mehrere Fälle von intermittirender, familiärer Albuminurie. 

Zur Behandlung der essentiellen Skoliose empfiehlt der 
Berichterstatter Saquet die schwedische Bewegungstherapie; 
die französische oder deutsche Gymnastik wirkt eher deformirend, 
die Zimmerapparate sind ungenügend und eher schädlich, ebenso 
ist das beste Korset wertlilos. S. ist überzeugt, dass die Skoliose, 
wenn vor der Periode der Kompeusntionsdeforination in richtige 
Behandlung genommen, nusheilt, später kann mau eine Ver¬ 
schlimmerung des Leidens verhüten, (len Kranken zwingen, gerade 
zu wachsen. 

B i 1 h a u t hingegen hält noch immer für das beste Verfahren 
die Streckung der Wirbelsäule und die Fixation ln einem unbeweg¬ 
lichen Gipskorset. welches alle 0 Wochen zu erneuern ist, wenig¬ 
stens bei nicht sehr ausgesprochener Skoliose. Ist die Richtung 
der Wirbelsäule rektificirt, so ist das Gipskorset durch ein un¬ 
bewegliches IIolz- oder Lederkorset zu ersetzen und dann Massage 
und Gymnastik anzuwenden. 

Auf Veranlassung von K i r m i s s o u hat Delsmitt Unter¬ 
suchungen über den Zusammenhang zwischen Appendicltis und 
Eingeweidewürmern ausgeführt, den Stuhl von 21 mit Appendi- 
citis behafteten Kindern untersucht und bei 18 derselben Eier von 
Trichokephalus oder Ascariden gefunden. 

R a p p i n bekundetete die Anwesenheit von Tuberkelbacillen 
in manchen Fällen, wo keine Eier von Eingeweidewürmern ge¬ 
funden wurden. 

Tr ei Ile bemerkt, dass bei den Arabern von Algier, wo Ein¬ 
geweidewürmer so häufig sind, die Appendicltis eine seltene Affek¬ 
tion ist. 

Broca, Sevestre und Le Gen dre machen gegenüber 
dieser angenommenen Coincldenz verschiedene Einwände und 
halten dieselbe für noch unerwiesen. 

A u s s e t referirt über die Schilddrüsenbehandlung in der 
Pathologie des Kindesalters und speciell bei der mangelhaften 
Entwicklung. Die Schilddrüse besitzt einen sehr erheblichen Ein¬ 
fluss auf die Ernährung, sie regt den Stoffwechsel an und darauf 
hat man die Behandlung mancher Zustände begründet, bei welchen 
die organischen Proeesse verlangsamt sind oder stille stehen. 
Ausser der Wirksamkeit des Schilddrüsensaftes beim ausge¬ 
sprochenen und beim mehr latenten (fruste) Myxoedem, welche 
Fälle auf mangelhafter Funktion der Schilddrüse zu beruhen 
scheinen, gibt die Schilddrüsentherapie die besten Resultate beim 
sog. Infantilismus. Ausser den Fällen von mangelhafter Entwick¬ 
lung, wo die Schilddrüse zweifellos die Hauptrolle spielt, gibt cs 
solche, die scheinbar auf Rachitis. Tuberkulose, Syphilis beruhen, 
wo aber die Wachsthums- und Entwicklungsstörungen mit einer 
Behinderung der Schilddriisenfunktion Zusammenhängen. Ausset 
ist daher der Ansicht, dass man in allen Fällen von mangelhafter 
Entwicklung im Kindesalter, welches auch die scheinbare Ur¬ 
sache sei, die Schilddrüsentherapie versuchen müsse. Die künst¬ 
liche Erzeugung von foetaler Rachitis, wenn man die weiblichen 
Versuchsthiere der Schilddrüsen beraubt, die günstige Einwirkung 
der Schilddrüsentherapio auf die Rachitis beweisen, (lass diese 
Drüse eine bedeutende Rolle bei der Produktion des rachitischen 
Krankheitsprocesses spielt. Der Erfolg der Phosphate, (1er seit 
langer Zeit gegen die Rachitis schon bekannt ist, könnte zum Theile 
daher kommen, dass (Me au Phosphaten sehr reiche Schilddrüse 
so wieder diese organischen Substanzen gewänne, welche sie durch 
die primäre Krankheitsstöruug verloren hat. Die Schilddriiseu- 
therapie muss bei (len Kindern, die dafür besonders empfänglich 
sind, mit grösster Sorgfalt gehandhabt werden, Herz und Nieren 
sind genauestens zu überwachen und bei dem geringsten Zeichen 
von Schilddrüsenintoxikation muss die Behandlung ausgesetzt oder 
die Dosis vermindert werden. Man darf nur mit ganz geringen 
Mengen beginnen, um die Empfänglichkeit des Individuums zu 
prüfen, mir langsam mit den Dosen steigen und von Zeit zu Zeit 
aussetzen; die komprimirteu Tabletten und Pastillen sind für 
Kinder die geeignetsten Formen und bei deren Fabrikation sollte 
mit grösster Sorgfalt verfahren werden (Sterilisation). 

Gustave Bureau und Fortineau haben bakterio¬ 
logische Untersuchungen über den Keuchhusten angestellt und 
fanden in allen Fällen (10 mit 38 Untersuchungen) den Strepto¬ 
coccus als pathogenes Agens des Keuchhustens. Die (liver- 
girenden Resultate der verschiedenen Forscher seien wahrschein¬ 
lich die Folge verschiedener Untersuchungsmethoden; wenn man 
sich in Zukunft speeieller Nährböden (Bouillonkultur nach 
Sabouraud) bediene, so würde sehr wahrscheinlich allgemein 
der Streptococcus als Ursache des Keuchhustens gefunden werden. 

In den vereinigten Sektionen für Gynäkologie und 
Geburtshilfe referirte B a u d r o n über die angeborene Ante- 
flexion im Zusammenhang mit der Sterilität und deren Behand¬ 
lung. Die Behandlung, wie sie Pin ard empfiehlt, muss 2 bis 
3 Tage nach der Beendigung der Menses beginnen und besteht in 


2 Phasen: 1. Dilatation und Aufrichtung des Uterus mit Larni- 
* nariabougles und 2. wiederholte Dilatation mit (len (H e g a rischen) 
Bougies. Erstere Fhnse dauert im Mittel 8 Tage, da man eine 
ausgiebige Erweiterung erzielen muss; die Kranken müssen 
während dieser Zeit Bettruhe l>ewahreu, um die Lamluaria nicht 
zu verschieben und keine entzündlichen Erscheinungen hervor- 
zurufeu. Ist die letzte Laminaria entfernt, so ersetzt man sie durch 
einen .Toilofomigazestreifen, welcher 24 Stunden liegen bleibt. 
Dann beginnt die Dilatation mit den Metallbougies und zwar sind 
hiezu die II e g a rischen weniger geeignet — da sie zwischen 2 auf¬ 
einanderfolgenden Nummern einen zu grossen Abstand haben — 
als die von Segond. mit welchen mau allmählich bis auf Grösse 
40—50 gelangen kann. Sind die Menses eingetreten, meist einige 
Tage zu früh, seltener zu spät, so hört jede Behandlung auf; Je 
nach der Blutung wird Bettruhe empfohlen. Von 23 auf diese 
Weise behandelten Patientinnen waren 15 dysmenorrholsch und 
steril gewesen, 13 davon heilten vollständig und 2 unvollständig, 
4 wurden schwanger. 8 behielten als einziges Symptom noch die 
Sterilität. In Uebereinstimmung mit Plnard ist B. der Ansicht, 
dass die kongenitale Anteflexion die häufigste Ursache der Sterili¬ 
tät ist: die Stenose des Uterus und speciell des Oriflelum internum 
am Knickungswinkel ist das Hinderniss zur Befruchtung und die 
Ursache der Dysmenorrhoe. Die beschriebene langsame und all¬ 
mählich vorgenommene Dehnung ist die vollständigste, wirksamste 
und am wenigsten gefährliche Behandlung der angeborenen Ante¬ 
flexion. Die blutigen Operationen habeu ihre speciellen In¬ 
dikationen, selbst nach völliger Erfolglosigkeit der Dilatation; ist 
die Anteflexion mit Metritis oder Annexitis komplizlrt, so wird die 
Therapie jene der entzündlichen Komplikation. 

V a r n i e r berichtet über die Behandlung der Uterus- 
rupturen. Gestützt auf 23 Fälle, wovon die eine Gruppe exspecta- 
tiv, die andere operntiv behandelt wurde, erklärt er für die beste 
Behandlungsmethode unmittelbar folgende Laparotomie und Opera¬ 
tion (subtotale Hysterektomie. Naht des Stumpfes, der peritonealen 
Risse und Jodoformgazedrainage). 

Pinard ist ebenfalls Anhänger der Explorations- und Hei¬ 
lungs-Laparotomie. 

Sedan- Marseille empfiehlt warm (bis Aniodol in der 
Geburtshilfe. Nach seinen und anderer Geburtshelfer Er¬ 
fahrungen. wovon er einige frappante Beispiele anführt, zeichnet 
sich dasselbe durch seine sterilisirende Wirkung, absolute Un¬ 
schädlichkeit. Geruchlosigkeit. Leichtigkeit, der Anwendung (in 
0.25 bis 0.5 proc. Lösung) und Konstanz des Erfolges aus und 
es wird so zu einem werthvollen Bestaudtheil in der gynäko¬ 
logischen und geburtshilflichen Therapie, ebenso wie als Prophy- 
laktieum bei der Ophthalmie der Neugeborenen. 

O u i referirt über die Inversio uteri und deren Behandlung. 
Er unterscheidet hiebei dreierlei Arten: 1. die Inversion frischen 
puerperalen Ursprungs. 2. die alten und 3. jene polypösen Ur¬ 
sprungs. Bei der ersten Art muss man die Placenta ablösen und 
die Gebärmutterhautschleimlmut deslnfiziren. den Uterus in die 
Vagina zurückbringen und denselben schliesslich von unten nach 
oben völlig reduclren, indem man die Hand in die Scheide ein¬ 
führt und in den Kontraktionspausen mit Hilfe der Finger ent¬ 
gegendrückt. Es kann jedoch, und zwar liesonders während des 
Involutionsstadiums die manuelle Reduktion unmöglich sein und 
muss dann die Taxis unter Chloroformnarkose und eventueller Zu¬ 
hilfenahme eines elastischen Pessariums oder Ballons (Cham- 
p e t i e r) ausgeführt werden. Gegen die Blutung wird man In 
hohem Grade durch die Laktation unterstützt, welche beinahe 
jeden blutigen Ausfluss aus der Gebärmutter unterdrückt. Auch 
bei der zweiten Art, der puerperalen Inversion älteren Ursprungs, 
muss man in erster Linie die manuelle Taxis, welche auch hier 
oft noch gelingt, dann unter Narkose die instrumenteile Reposition 
versuchen und ei*st wenn dies Alles fruchtlos war. die Kolpo- 
hysterotomie und zwar am besten die vordere anwenden: die vagi¬ 
nale Hysterektomie ist in Fällen von Iufektiou oder Gangraen 
augezeigt, ebenso bei reeldivireuder Inversion, wo die Hystero- 
pexie ohne Erfolg gewesen ist Bei der polypösen Inversion ist 
der erste Akt natürlich Entfernung der Polypen, wonach oft der 
Uterus spontan zurückgeht in anderen Fällen muss die Taxis 
sachte iu obenerwähnter Reihenfolge ausgeführt werden. 

Boursier berichtet über die operativen Eingriffe bei 
Geburtshinderniss (Dystokie) in Folge von Fibromen; die meist 
zu wählende Operation, welche ein wirklich radikales Heilmittel 
darstellt, ist die totale abdominale Hysterektomie. 

DelageniSre - Mans bespricht die operativen In¬ 
dikationen bei Uterusmyomen während der Schwangerschaft. 

H u g 6 referirt über Ursachen und Behandlung des unstill¬ 
baren Erbrechens während der Schwangerschaft. Nach seiner 
Ansicht handelt es sich dabei meist um eine Autointoxikation, 
sei es, dass die Organe (Leber, Nieren, Magen u. s. w.) schon vor¬ 
her nicht gesund waren oder dieselben nicht mehr im Stande sind, 
die durch die Schwangerschaft erforderliche Mehrarbeit zu leisten. 
In anderen Fällen spielt jedoch auch das Nervensystem eine grosse 
Rolle bei der Entstehung dieses Erbrechens. Bel letzteren muss 
man die Hydrotherapie, Elektrisiren, sedative Mittel. Zerstreuung. 
Suggestion u. s. w. anwenden. Tn ersteren Fällen ist die Diät sehr 
wichtig, als Getränke sind Milch. Ivephir, Kumys vorzuschreiben, 
ferner vegetarianische Diät; die Aetherbesprengungcn von Wirbel¬ 
säule und Epigastrium sind zu versuchen. Als Medikamente hat 
man Chloroformwasser, Opiate. Cocain, Na bicarb. in hohen Dosen. 
Orexin u. s. w. empfohlen; gute Resultate wurden mit Sauerstoff- 


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1814 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


\ 


Inhalationen, mit Magenspülung erzielt. Gegen die Intoxikation 
Darmantlseptica, Bäder, Injektionen künstlichen Serums, wenn 
nöthig, Nährklystlere. Besteht eine Anomalie von Seite der Ge¬ 
bärmutter (Cervixgeschwüre, Verlagerungen, fehlerhafte Lagen), so 
Ist sie zu behandeln. Der Gebrauch einer Leibbinde, Bauch¬ 
massage, Cocnlnbepinseluug des Collum haben das Erbrechen 
während der Schwangerschaft schon zum Stillstand gebracht. In 
letzter Linie muss mau an die künstliche Entleerung der Gebär¬ 
mutter denken; der Zeitpunkt derselben muss je nach den Um¬ 
ständen wechseln und es ist schwer, hlefür allgemeine Regeln zu 
geben. 

G u 111 e m e t - Nantes ebenso wie P 1 n a r d heben die Tox- 
aemie als Ursache des Erbrechens hervor, welche, gleich wie die 
Eklampsie, eine Folge der Schwangerschaftsblutintoxikatlon ist. 

In den vereinigten 3 Sektionen wurde eingehend der Kinder¬ 
schutz (Puöriculture) besprochen, ein Thema, das für Frankreich 
bei der geringen Bevölkerungszunahtne von besonderer Bedeutung 
ist. Die beiden Hauptreferenten 011 i v e und Schmitt 
theilen diesen Schutz ein in 1. jenen vor der Erzeugung — 
strengere Reglementimng der Prostitution und T'eberwacliung der 
syphiliskranken Soldaten, Bekämpfung des Alkoholismus u. s. w.; 
2. während der Schwangerschaft und bis zur Ge¬ 
burt — geeignete Fürsorge für die unbemittelten Frauen. Grün¬ 
dung von geheimen Asylen für die schwangeren Mädchen: 3. nach 
der Geburt —- genügende Sorge für ärztliche Hilfe, Selbst¬ 
stillen der Mütter, in zweiter Linie Gratisvertheiluug von sterili- 
slrter Milch, Errichtung von Kiuderasylen u. s. f. 

P I n a r d geht so weit, während der letzten 3 Sehwanger- 
sehaftsmonate absolute Ruhe obligatorisch machen zu wollen: die 
Kosten, welche dadurch verursacht würden, seien in Wirklichkeit 
nur eine Ersparuiss, wenn man bedenkt, was diese Auswürfe der 
Gesellschaft kosten, und dass die Zahl der Geburten, was für 
Frankreich so wichtig sei, bedeutend vermehrt würden. P. ist 
ferner Feind aller Krippenanstalten und hält für das oberste 
Prineip des Kiuderschutzes, das Kind durchaus nicht von der 
Mutter zu trennen. 

Die Rolle des Arztes bei der Erziehung der Kinder und 
bakteriologische Untersuchungen über die Kindermilch zu Nantes 
waren noch weiters Verhandlungsthemata. 

Schliesslich wurde von dem Kongress folgendes Votum ein¬ 
stimmig angenommen: ...Tode schwangere Frau hat Anspruch auf 
öffentliche Unterstützung, um sich in denjenigen hygienischen 
Bedingungen zu befinden, welche für sie und das Kind in den 
letzten drei Monaten der Schwangerschaft und im ersten nach 
der Geburt unbedingt nothwendig sind. Der Kongress fordert die 
öffentlichen Behörden auf, die zur Ausführung dieser Maassregel 
nothwendigeu Verfügungen zu treffen.“ Stern. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Acadlmie des Sciences. 

Sitzung vom 19. August 1901. 

Die Beziehungen der Psoriasis zu der Neurasthenie. 

Nach B o u f f 6 ist die Psoriasis eine Trophoneurose. welche 
ihren Sitz in den Nervencentren und speciell im Sympathicus hat. 
Die Psoriasis bietet in ihrem Ursprung grosse Analogie mit der 
Neurasthenie, die vor Allem aus Störungen des cerebrospinalen 
Nervensystems resultlrt. Bei Psoriasis, gleicher Welse wie bet 
Neurasthenie, ist konstant eine Verminderung der Nerventhätig- 
keit vorhanden, welche durch Herabgehen des Gehaltes an Phos¬ 
phorsäure im Urin (auf 15. 14. ja 12 Proc.) charakterisirt ist; die 
Psoriasis ist eine eosinophile Krankheit. Die Hauptbehandlung, 
wie sich aus der Beobachtung der Neurasthenie und Psoriasis er¬ 
gibt, sollte daher in Kräftigung des Nervensystems ohne direkte 
Stimulation bestehen, dazu hält B. das O r c h i t i n, welches so¬ 
wohl auf das cerebrospluale Nervensystem, wie auf den Sym¬ 
pathicus elektivc Wirkung habe, für besonders geeignet. Die 
Dosis des Mittels für Injektionen betrage 10—12 ccm, 3 mal per 
Woche, kann unter Umständen auch erhöht werden. Die Dauer 
der Behandlung wechselt zwischen 3, 5—G Monaten, je nach dem 
Alter des Falles, dem Zustand des Kranken und seiner hereditären 
Belastung. 

Flammarion machte an Seidenwürmern Untersuchungen 
über den Einfluss des Lichtes auf die Entstehung der Ge¬ 
schlechter. 

Er fand bei freier Luft und fnrblosem Glas das gleiche Ver- 
liältniss von 50 Proc.. ebenso bei Hellroth und Hellgrün: je dunkler 
jedoch die Farben, desto mehr überwiegt das männliche Geschlecht 
(Dunkelroth 08 männliche und 32 weibliche Individuen). Die Ver¬ 
suche mit der Art der Ernährung ergaben kein Resultat, bei 
mangelhafter Nahrung aber war ausgesprochenes Ueber- 
wiegen des männlichen Geschlechtes zu konstatiren; das alte 
Problem der Erzeugung der Geschlechter würde hier eine Auf¬ 
klärung finden. Die Statistik lehrt auch, dass nach Kriegsjahren 
und Jahren der Entbehrung, ebenso wie in den ganz armen 
Ländern der Geburtsiiberschuss an Knaben ein bedeutender ist 

Sitzung vom 9. September 1901. 

Bill et berichtet über das gleichzeitige Erscheinen der 
Moskitos (Anopheles) und der ersten Fälle von Malaria in der 
Umgebung von Constantine. 


L a v e r a n hat seit Langem schon beobachtet, dass in Algier 
und der Umgebung von Constantine die ersten Fälle von Malaria 
stets in den letzten Junitagen sich einstellen und B. konnte sich 
überzeugen, dass damit die Anopheles, welche als die Hauptträger 
der Malariaplasmodien angesehen werden, auftraten. Die ver¬ 
schiedenen angeführten Fälle waren ausnahmslos ganz frisch ent¬ 
standen, welche junge, aus Frankreich gekommene Soldaten, die 
noch nie Malaria hatten, betrafen; bei allen hat übrigens die Blut¬ 
untersuchung das Vorhandensein der für die erste Invasion cha¬ 
rakteristischen Plasmodien (kleine, annuläre Form und im Wachs¬ 
thum begriffen) ergeben. Mit diesen Untersuchungen Ist somit ein 
neues beweiskräftiges Beispiel für das fast gleichzeitige Auftreten 
der spec. Moskitos (Anopheles) und der ersten Malariafälle (in 
Constantine) gegeben. Als weiterer, dabei vorgekommener Be¬ 
fund von besonderem Interesse ist noch das Vorhandensein der 
Malariasporozoen in der Magemvnnd der Anopheles angeführt. 

AcadSmie de mSdecine. 

Sitzung vom 1. Oktober 1901. 

Die Vertheilung und Lokalisation des Antimons im Thierkörper. 

Die Untersuchungen, welche Pouchet an Kaninchen und 
Hunden vornahm, führten zu folgenden Resultaten: 1. Die 
toxische Wirkung ebenso wie die Lokalisation des Antimons treten 
erst bei einer Dosis, welche viel höher als die entsprechende Dosis 
Arseniks ist, auf. 2. Die Lokalisation des Antimons ist ganz anders 
wie die des Arseniks; ersteres setzt sich besonders im Darmkanal 
fest, letzterer in den Organen der Epidermis und im Nervensystem. 
3. Bei einer Mischung von Antimon und Arsenik scheint ersteres 
keineswegs die Giftwirkung des Arseniks zu vermindern, vielmehr 
sogar zu unterhalten und zu vermehren. Der Zusatz einer geringen 
Menge Arseniks zum Antimon lässt die Haut- und Nervenerschei- 
nungeu früher auftreten und bewirkt auch Magen-Darm- 
stürungen; die Lokalisation und Vertheilung des Antimons wird 
nicht modificirt — Gehirn und Rückenmark, Muskeln und Leber 
enthalten Arsenik und kein Antimon; die Knochen enthalten 
Arsenik und eine Spur Antimons; der Darmkanal schliesst die 
grösste Menge des Antimons und nur ein wenig Arsenik ein. Die 
gleichzeitige Darreichung einer anderen medikamentösen Substanz, 
wie des BromknlU scheint ln sehr beträchtlicher Welse einerseits 
die Symptome der Vergiftung, andererseits die Vertheilung der 
toxischen Substanzen zu modiflziren. Aus letzterer Thtasache 
geht hervor, dass die zusammengesetzten Arzneiformeln und die 
Associationen der Medikamente, welche oft von den Anhängern 
einfacher Formeln kritisirt werden, gerechtfertigt sind. 


Aus italienischen medicinischen Gesellschaften. 

Königl. Akademie zu Turm. 

Aus der Sitzung vom 17. Mai 1901 erwähnen wir die Mit- 
tlieilung Mattirolo’s über die Anwendung von Erytroltetra- 
nitrat gegen Bleikolik. Das Erytroltetranitrat soll ähnlich 
wie Amyl nitrat ein Präparat von prompt vaso- 
dilatatorischer Wirkung sein und zwar von langsamer 
und dauernder. Bel einem klassischen Falle von Bleiintoxikatiou 
trat schon nach einer Stunde die Wirkung ein, und zwar nach einer 
Dosis von 3 cg ln Form von M e r c k’scheu Tabletten. 

Die Wirkung auf den arteriellen Blutdruck wurde durch das 
Sphygmomanometer Riva Rocei nachgewiesen und die Verminde¬ 
rung war eine prompte. 

H u c h a r d hat neuerdings ähnliche Resultate mit dem 
gleichen Mittel erzielt und veröffentlicht. 

Aus der Sitzung vom 28. Juni c. erwähnen wir die Erörterung 
von M 1 c h e 1 i über 2 Fälle von Albuminuria orthostatica. Be¬ 
sonders der zweite Fall gehört zu den stringentesten, welche je 
beschrieben sind. Die Albuminurie dieses Kranken, bei welcher 
cs sich allein um Scrumalbumin handelte, war nur durch eine 
einzige Bedingung hervorgerufen, durch die aufrechte Stellung, 
welche schon nach einer Viertelstunde wirkte. Mit derselben 
Schnelligkeit verschwand das Albumin, sobald der Patient die 
sitzende oder liegende Stellung einnahm: kein anderes Moment 
war im Stande die Albuminurie hervorzurufen noch auch zu be¬ 
einflussen, nicht die Digestiousperiode, nicht Milchdiät, nicht An¬ 
strengung, nicht Kälte. Monatelang fortgesetzte Urinunter¬ 
suchungen sprachen für eine vollkommen normale Nierenfunktiou. 

M. bespricht dann die Beziehungen zwischen dieser Form von 
Albuminurie und der Albuminuria cyclica Pavy’s, 
welche einige Axitoren, wie T e i s s i e r, von der Albuminuria 
orthostatica scharf trennen möchten. Beide Formen sind nahe ver¬ 
wandt. Bei der cyclischen Form sind es ausser der aufrechten 
Körperposition noch eine Reihe anderer Momente, wie Ermüdung, 
Verdauung u. s. w., welche den Eintritt der Albuminurie ver¬ 
anlassen. z. Th. auch noch unbekannte Momente. 

Bezüglich der Pathogenese ist eine Circulationsstörung der 
Nieren durch Stase oder durch veränderte vasomotorische Inner¬ 
vation der Nieren anzunehmen: Momente, welche ihren Einfluss 
iiussern auf von Hause aus empfindliche Nieren oder solche, welche 
durch vorhergegangene Infektionen bei nervöser oder arthritlscher 
Heredität empfindlich geworden sind. 

Aus der Sitzung vom 5. Juli erwähnen wir eine Mittheilung 
F o fi’s über freie Körper in der Bauchhöhle und den Ursprung 
derselben. Es handelt sich um Substanzen, welche Fibrin fällen, 
Leukocyten anziehen und einen klebrigen Körper bilden, der sich 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1815 


später langsam organlsirt, oft ln Form eines aufsitzenden Polypen. 
Ferner bei lokalen tuberkulösen Processen an den Tuben oder 
bei Appendlcltls gerlith käsige Substanz ln das Abdomen, welche 
mit Fibrin und Leukocyteu gemischt sich auf der Serosa ansetzt, 
hier ein Granulationsgewebe mit Riesenzellen bildet und einen 
Polypen darstellt. F. gelang es im pathologischen Institut an 
Kaninchen solche Körper zu erzeugen, indem er ihnen Kulturen 
vou virulentem Bacillus coli einspritzte, nachdem sie vorher im- 
munisirt waren. 

Medicinisch - chirurgische Gesellschaft zu Bologna. 

In der Sitzung vom 30. Juni berichtet P u g 1 i e s e Uber seine 
Versuche an entmilzten Hunden. Dieselben sollen eine Galle 
entleeren, welche bedeutend jirmer an G a 11 e u p i g m e n t 
ist, während der Procentgehalt an Gallens iiuren 
der gleiche bleibt. P. erklärt dies so, dass, wenn die Milz 
fehle, die Detritusmengen der rothen Blutkörperchen sich in» 
Knochenmark ablagern und später und in geringerer Zahl zur 
Leber gelangen, desshalb sei die Sekretion des Pigments eine 
spärlichere. Hager- Magdeburg-N. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Oberfränkischer Aerztetag. 

Die oberfränkischen Aerzte hielten am 24. Oktober d. J. in 
Kulmbach ihren, aus allen Theilen Oberfrankens zahlreich be¬ 
suchten Aerztetag ab. 

Kgl. Kreismedicinalrath Dr. I'ürckhauer - Bayreuth er- 
öffnete um 2 Uhr die Sitzung, begrüsste die Versammlung auf’s 
Herzlichste und wünschte den Berathungen ein „gut’ Gedeihen!“ 
Hierauf wurde per Acclamation die bewährte Vorstandschaft: 
Herr kgl. Kreismedicinalrath Dr. PUrckhauer als Vorsitzen¬ 
der, Herr kgl. Bezirksarzt Dr. S o 1 b r 1 g - Bayreuth als Schrift¬ 
führer, wiedergewählt; die Präsenzliste ergab 44 Theilnehmer, eine 
Zahl, wie sie seit Jahren nicht zu notiren war. 

Nach Bildung des Bureaus referirte Herr Oberarzt Dr. Jung- 
e n g e 1 - Bamberg, nach Vorstellung eines frischen Falles von 
Aktinomykose als einer für Oberfranken seltenen Erkrankung, über 
eine Schussverletzung im Unterleib bei einem 17 jährigen Jungen, 
welchem der Darm an 7 Stellen durchschossen war — Laparotomie 
— glatte Heilung. 

Sodann führte Jungengel einen GIps-Extensionsverband 
vor, anwendbar bei Schrägbrüchen am Unterschenkel, angegeben 
von Kefer in Odessa. Jungengel thellt 3 Fälle schwerer 
Unterschenkelfrakturen mit, in welchen der Apparat Anwendung 
gefunden habe; dieselben seien glatt geheilt, ohne Spur eines De¬ 
cubitus, und mit minimaler Verkürzung. 

Bezlrksarzt Dr. Hess- Wunsiedel referirte sodann über die 
erste ärztliche Studienreise, welche er mit etwa 350 Kollegen 
diesen Herbst von Hamburg aus, gelegentlich der diesjährigen 
Versammlung deutscher Aerzte und Naturforscher, machte, und 
welche die Orte Helgoland, Sylt (Westerland), Wyk, Amrum, Föhr, 
Cuxhaven, Norderney, Juist, Borkura, Wilhelmshafen berührte. 
Ungemein befriedigt von dem Erfolge des von selten schönem 
Wetter begünstigten Unternehmens theilte Hess seine Be¬ 
obachtungen über Land und Leute mit Uber die Beschaffenheit des 
Strandes, des Wellenschlages der Badeeinrichtungen, der übrigen 
Wohlfahrtseinrichtungen, machte kritische Betrachtungen über das 
Seeklima, die Seebäder, deren Einwirkung auf den gesunden und 
kranken Organismus, deren Indikation überhaupt Der % ständige 
Vortrag fand allseitig lauten Beifall. 

Augenarzt Dr. Miller- Bayreuth hielt hierauf einen äusserst 
instruktiven Vortrag Uber die Mitwirkung der Aerzte bei Bethätl- 
gung der socialen Rechtspflege. 

Der Vorsitzende dankte den Rednern und ertheilte Oberarzt 
Dr. Jungengel das Wort: Zur Stellungnahme der 
Aerzte zum v. Landmann’schen Referat betreffs 
Erlass einer ärztlichen Standes- und Ehren¬ 
gerichtsordnung. 

Oberarzt Jungengel hält es für die Pflicht des ober- 
frilnkischen Aerztetages, dass derselbe in der Sache das Wort 
nehme, da die Erregung, welche die ärztlichen Kreise Bayerns 
zur Zelt beherrsche, eine grosse und berechtigte sei gegenüber dem 
Standpunkte, welchen der Referent v. Land mann im Ausschüsse 
für die ärztliche Standes- und Ehrengerichtsordnung einzunehmen 
beliebe. Einen klaren Ueberbllck gebend über die Entstehung 
und den derzeitigen Stand der Vorlage verwahrt sich Jung¬ 
engel entschieden gegen den Standpunkt v. Landman n’s, den¬ 
selben lebhaft bedauernd, da, im Falle die Landman n’schen 
Ideen Gesetz werden sollten, die ärztlichen Bezirksvereine ge¬ 
zwungen wären, sich aufzulösen. Er schlägt desshalb folgende 
Resolution vor: 

Der heute In Kulmbach versammelte „Oberfränkische 
Aerztetag“ bedauert das für die Aerzte unannehmbare Re¬ 
ferat de§ Landtagsabgeordneten v. L a n d m a n n in 
Sachen der ärztlichen Standes- und Ehrengerichtsordnung und 
würde die Erhebung seiner Vorschläge zur Gesetzeskraft 
für alle Betheiligten gleich bedenklich, wie für das öffent¬ 
liche Wohl gefährlich halten. Als einzig erspriesslich er¬ 
achtet der Oberfränkische Aerztetag die unverkürzte An¬ 
nahme des Regierungsentwurfes; denn reiflich berathen von 
den berufensten und sachkundigsten Faktoren, getragen von 
der gesammten Aerzteschaft will derselbe nur jene Prln- 


cipien festlegen, die bislang die gute Tradition des ärztlichen 
Standes ausmachten. 

Die Resolution wurde einstimmig angenommen unter reichem 
Beifall für die entschiedenen Worte des Referenten. 

Zum Schlüsse der Verhandlungen wurde das Thema: Verhält¬ 
nis der Aerzte zur Invalldltätsverslcherung besprochen, worauf 
die sämmtlichen Theilnehmer des Aerztetags ein Diner mit nach¬ 
folgendem gemllthlichen Beisammensein bei einem Schoppen aus¬ 
gezeichneten lichten Kulmbacher Bieres vereinte. 

Der ärztliche Bezirksverein Bamberg ist in 
seiner Versammlung vom 25. Oktober einstimmig der obigen Re¬ 
solution des oberfränkischen Aerztetages beigetreten. 


Auswärtige Briefe. 

Eine ärztliche Studienreise in die deutschen Nord¬ 
seebäder. 

Vom 28. September bis 7. Oktober 1901. 

Sehr verehrter Herr Kollege! 

Als Einer von Denen, die nicht dabei gewesen sind, wünschen 
Sie durch mich zu erfahren, wie die erste deutsche ärztliche 
Studienreise ausgefallen ist? Ob es denn der Mühe und See¬ 
krankheit werth war, an diesem Kreuz- und Querzug nach den 
Sandinseln in der Nordsee theilzunehmen ? Was es denn da für 
einen Arzt, und noch dazu einen süddeutschen, zu sehen und zu 
lernen gäbe? Ob mir vielleicht der Bäderalmanach nicht mehr 
genüge? Ob-doch ich will Ihre Fragen nicht alle wieder¬ 

holen, sondern mir Mühe geben, aus der Erinnerung Ihnen meine 
Reiseeindrücke in Kürze zu schildern, um Ihre Neugier so viel 
als möglich zu befriedigen. Ich werde Ihnen keine Abhandlung 
über die Nordseebäder schreiben und auch die physiologische 
Wirkung der Seeluft und des Meerwassers nicht in gemächlicher 
Breite Ihnen vor Augen führen, aber ich hoffe doch es so weit 
zu bringen, dass Ihnen ein leises Bedauern darüber aufsteigt., 
nicht einen Theil Ihrer Sommerferien zu der Fahrt auf unserem 
schönen Salon-Schnelldampfer „Prinzessin Heinrich“ verwendet 
zu haben. 

Sie wissen bereits, dass sich die erste ärztliche Badereise an 
die 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in 
Hamburg anschloes. Die für die Reise gewählte Zeit hatte, wie 
die meisten Dinge, ihre zwei Seiten, von denen die guten meiner 
Ansicht nach überwiegend waren. Es ist richtig, der eigentliche 
Trubel der hohen Badesaison ist Ende September vorüber und 
wir sahen die Tausende von Strandkörben ohne Insassen im Sande 
stehen und die Promenaden verödet. Allein vergessen Sie ge¬ 
fälligst nicht, dass vorläufig unsere Aerzteschaft immer noch 
zum Haupttheil aus Männern besteht und für diese das Studium 
der Damentoiletten in den Bädern nicht die Hauptsache bildet. 
In 20—30 Jahren würde es freilich kein Komite gewagt haben, 
für eine Fahrt in die Bäder der Nordsee die toilettenlose, die 
schreckliche Zeit zu wählen. Sie wissen ja, das Frauen¬ 
studium -! Unsere Studienobjekte, daa Meer mit seinem 

Wellenschlag, die Inseln mit ihren Dünen und Strandpartien, 
die von den strebsamen deutschen Badeverwaltungen geschaffenen 
sanitären Einrichtungen hinsichtlich der Badekuren, der Wasser¬ 
versorgung und Entwässerung, die Seehospize und Genesungs¬ 
heime am Meer und vieles andere sind auch im Herbst zu sehen, 
und gewiss hätte auch die Unterbringung und die sachgemässe 
Führung der über 350 Köpfe starken Reisegesellschaft der Aerzte 
im Hochsommer viel grössere Schwierigkeiten bereitet. Ob 
auch die deutsche Seewarte in Hamburg um Rath angegangen 
worden ist, ob gerade in der geplanten Zeit das Meer am brävsten 
sich zu geberden pflege und auch aus nautischen Gründen die 
Inseln um diese Zeit am leichtesten zu erreichen seien, das kann 
ich Ihnen nicht sagen. Jedenfalls hatten wir mit dem Wetter und 
den Windverhältnissen den grössten Theil der Reise ein un¬ 
erhörtes Glück, und jener biedere Cuxhavener Bürger, der mir 
sagte, wir Aerzte hätten wohl insgeheim mit Geheimrath Nou- 
m a y o r, dem Direktor der Hamburger Seewarte paktirt, wird 
schon Recht gehabt haben. 

Ueber die Vorgeschichte der ärztlichen Studienreise muss ich 
Ihnen auch noch einige Worte sagen; denn Sie fragen mich mit 
Recht: Wer hat denn die ganze Unternehmung eigentlich er¬ 
funden? Die Idee, den balneologischen Unterricht dadurch zu 
erweitern, dass man die Aerzte in die Bäder führen und sie 
Alles aus eigener Anschauung beurtheilen lassen müsse, die all- 


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1816 


MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


gemeine Wirkung des betreffenden Bades und seinen speciellen 
Charakter, ist nicht auf deutschem Boden gewachsen. Wir ent¬ 
lohnen sie unseren westlichen Nachbarn, den Franzosen, welche 
ähnliche Studienreisen schon seit mehreren Jahren mit Erfolg 
veranstalten, wie die officiellen Berichte darüber erkennen lassen. 
Kollege Gilbert in Baden-Baden nahm nun diese Suche ge¬ 
legentlich des internationalen Kongresses in Paris mit grossem 
Enthusiasmus auf und, durchdrungen von der Fruchtbarkeit des 
Gedankens, ging er daran, ein ähnliches Unternehmen auch für 
die deutschen Acrzte in’s Leben zu rufen. Es wäre ein eigenes, 
langes Kapitel für sich, die mühevollen Arbeiten des vorbereiten¬ 
den Komites, dem zunächst ausser Dr. Gilbert, Dr. Meiss¬ 
ner- Berlin als Organisator und Dr. Oliven als Schatz¬ 
meister beitraten, während als Spitzen desselben v. Leyden 
und Liebreich gewonnen wurden, in seinen Einzelheiten aus¬ 
einanderzusetzen — es soll dies übrigens in einem eigenen 
Komitebericht später geschehen —, hier genügt es zu sagen, dass 
für das neue Unternehmen der Boden erst in grösstem Stil vor¬ 
bereitet werden musste. Die Regierungen der Bundesstaaten, die 
einschlägigen Ministerien mussten interessirt, dio medicinischcn 
Fakultäten aller deutschen Universitäten instruirt, die ärztlichen 
Korporationen und die einzelnen Aerzte mussten von dem Plan 
benachrichtigt und dann, als man eine ungefähre Uobersicht über 
die Aufnahme des Projekts gewonnen hatte, begannen erst, dio bis 
in’s Kleinste gellenden Verhandlungen mit den Badeverwaltungen 
und den Gemeinden der Bäder, mit den Rhedoreien der Dampf¬ 
schifflinien etc. Kreuz und quer reisten die Komitemitglioder, in 
erster Linie Gilb c r t und Meissner durch Deutschland, 
sich vorstellend und überall Aufschlüsse gebend, mit dem Cylinder 
in der Hand antiehambrirend, unzählige Briefe diktirend, die 
Tolegraphenvcrwaltungcn mit massenhaften Telegrammen be¬ 
reichernd. Ein Vergnügen muss es nicht sein. «1er Vater solcher 
Unternehmungen zu werden. Und dann die Hunderte von An¬ 
fragen durch die Theilnehmor! Gilbert schwört es Ihnen 
auf Verlangen, dass Einer angefragt habe, wo auf der Reise 
am besten Stiefel zu kaufen wären, ein Anderer, ob der Reiso- 
lieitrag von 100 M. auch den Aufenthalt in Hamburg bei der 
Nnturfarsohorversammlung mit einsehliesse — decken wir den 
Schleier christlicher Liebe darüber! Ein gross«« Tagewerk lag 
schon hinter dem vielgeplagten Oomite bis zu jenem nebligen 
Morgen des 28. September, als Morgens 7 Uhr in hellen Haufen 
die kühnen Seefahrer in Hamburg zum St. Pauli-Landungssteg 
gezogen kamen und endlich beim Scheine der Morgonsonne um 
8 Uhr das schöne Schiff sich in Bewegung setzte. 

Wenn ein Dampfer beseelt wäre, der unsere wäre sicher 
stolzer gewesen wie ein indischer Elephant, der auf purpurner 
Schabracke einen Fürsten zum F«;ste trägt! Ueber 350 deutsche 
Aerzte. auf seinen geräumigen Verdecken zu tragen oder in seinen 
prächtigen Salons zu vereinigen, eine solche Ehre widerfährt 
selten einem Snlondampfer und wäre er der vornehmste der Welt. 
Hier sah man das unerhörte Schauspiel: 350 Aerzte waren unter 
seinen Hut gebracht. Allerdings hatte das Comite dio Einzel- 
porsönlichkeit ein klein wenig abgeschwäcbt, indem wir gewisser- 
mnassen als Nummern reisten. Als Nummern spazierten wir in 
unsere Quartiere, als Nummern werden wir gelegentlich später 
auf mehrere Schiffe vertheilt, als Nummern erhielten wir Tag 
für Tag unser Gepäck zugestellt, um das wir uns eigentlich hoch¬ 
erfreulich wenig zu kümmern hatten — kurz, die Organisation' 
war im Ganzen unbestritten eine sehr praktische. Aus der 
Passagierliste der „Prinzessin Heinrich“, die uns gleich nach der 
Abfahrt ausgehändigt wurde, war zu ersehen, wie unsere ganze 
Reisegesellschaft zusammengesetzt war. Das Gros hatte natur- 
gemäss Norddeutsehland gestellt, in erster Linie stand Berlin 
mit seinen 24 Theilnehmorn, allein auch der deutsche Süden 
war erfreulich vertreten — konstatirten wir «loch bald, dass 25 
in Bayern domicilirende Aerzte auf dem Schiff waren (München 
war nur mit 3 Thoilnehmern vertreten), auch die Schweiz, Russ¬ 
land und Oesterreich hatten ihr Contingent gestellt. Dieser 
Mikrokosmus schwamm nun also die gelben Fluthen der Elbe 
hinab, Helgoland entgegen, das unseres ersten Reisetages 
Ziel war. Vorläufig war natürlich von ärztlichen Studien nichts 
zu bemerken, wenn Sie nicht dazu rechnen wollen, dass der 
grösste Theil der Herren Aerzte sich gar bald in den geräumigen 
Salons den Genüssen d«« ersten opulenten Frühstücks ergab, 
di«* Magcnleistungj-fiihigkeit auf die erste Probe stellend. Do«h 


sehr bald kam die wissenschaftliche Seite zur Geltung. Auf 
dem Achterdeck sammelte Dr. Lindemann, früher Badearzt 
auf Helgoland eine grössere Corona um sich und entwickelte im 
angenehmsten Parlando eine Skizze über die Bedeutung der Insel 
als Badeort. Sie werden mir verzeihen, Herr Kollege, wenn ich 
«'s unt«'rlasse, eingehender die speciellen Indikationen jedes ein¬ 
zelnen Badeorts und die dort zur Verfügung stehenden Heilfak¬ 
toren zu erörtern. Ich müsste Ihnen sonst umfängliche Aus¬ 
führungen bringtm übe.r dio Windrichtungen und Windstärken, 
über Ebbe und Flut, über den Salz- und Ozongehalt der Luft, 
über die Wasserwärme in den einzelnen Monaten dos Jahres, 
über die Feuchtigkeit der Luft, über die mittlere Temperatur 
derselben in den einzelnen Jahreszeiten vl A. Sie finden aber 
das Alles in den von den Badeärzten herausgegebenen Schriften 
mit aller wiinschenswerthen Genauigkeit geschildert. 

Vorüber an den schön bewaldeten Hügeln auf dem nörd¬ 
lichen Elbeufer, an dem Marschland auf dem südlichen, später 
an d«*r Mündung «les Nonl-Ostsee-Kanales bei Brunsbüttel, an 
dem Cuxhavener Leuchtthurm „zur alten Liebe“ ging die Fahrt 
hinaus in’s offene Meer, für viele der Reisegnosson wohl zum 
erst«'nmale. Die Sonne schien herrlich, es wehte eine angenehme 
Brise, die Stimmung war eine ausgezeichnete. Nach 7 stün- 
diger Fahrt — Helgoland liegt von Hamburg 180 km entfernt — 
tauchte der rothe Felwnblock «h*s merkwürdigen Eilandes vor 
unseren suchenden Blicken aus den grau-grünen Fluten. Leider 
war dies für Ihren Briefschreilx'r auch der Moment, wo er sein«.- 
klinischen K«*nntnisse hinsichtlich einer Erkrankung b«*reichem 
musste, die Sie wenigstens in meiner Strümpell-Ausgabe 
vergt'bens suchen werden. Rauchen Sie einmal nach einer dem 
Bacehusgotte geweihten Nacht mehrere recht kräftige Havana- 
cigarren, nüchtern, fahren Sie dann eine Stunde Caroussel und 
drehen Sie sieh noch 200 mal im Kreise herum — dann btdtommen 
Sie ein Verständniss, warum die Seereisen für aussehlitsslicdi 
gesundheitliche Zwcjcke nicht in Flor kommen. Schicken Sie 
niemals ein«‘U Patienten, der für «lies«' herrlichste alh'r akuten 
Gefässneurosen als Opferlamm eingerichtet ist, zur Erholung 
auf’s Schiff! Glaul>on Sic mir, oder Sie verlieren ihre Haus¬ 
arzt stelle! 

Das n<‘lg«diind<*r Oberland lx-sit-zt jcxlenfulls die herrliclist«- 
S««*luft v«*n der Welt, wie uns ein Abendspaziergang hinauf auf 
das mit dünnem Gras und Kartoffelfeldern bedeckte Plateau noch 
heh-hrte, während man beim ersten Schritt auf das von den 
Wellen bespülte Unterland durch den üblen Geruch des Seetangs 
belästigt wird. Die Luft ist sehr feucht und ich bemerkte, dass 
«lie Blechinstrumente der uns am nächsten Morgen festlich bc- 
griissenden Musikkapelle alle grün angelaufen waren. Was den 
vielangeführten Salzgehalt der Luft angeht, so haben ver¬ 
schiedene Untersucher nachgewiesen, dass schon in sehr geringer 
Entfernung vom Strande die Luft eines Salzgi'haltes überhaupt 
entbehrt und ihre unbestreitbar günstige Wirkung also auf andere 
Faktoren, besonders ihre Reinheit von schädlichen Beimengungen, 
ihre Bewegung und gleichmässige Temperatur zurüekzuführen 
ist. Gerade letztere ist auf Helgoland von einer sehr grossen 
Stetigkeit, nach den Zusammenstellungen von L i n «1 e m a n u 
überhaupt am gleichmäßigsten von allen Orten in Centraleuropa. 
Die Frequenz des Bade» hat sieh ausserordentlich gehoben, ge¬ 
rade au«di seit 1890, von wann an die Insel unter deutschen Be¬ 
sitz kam. 1886 wurden 8300 Gäste gezählt, 1899 schon fast 
20 000. Gebadet wird nicht auf der Insel selbst, sondern auf 
der 1720 durch das Meer von ihr losgerissenen Düne. Am 
nächsten Morgen — wer von den Reisegenoss<'n könnte die herr- 
licho Vollmondnacht vergessen, die dazwischen lag? — fuhren 
wir zum Badestrand hinüber und war die erste Gelegenheit ge¬ 
kommen, die physiologische Wirkung des Seebades am eigenen 
Körper zu erproben. Für den binnenländischen Arzt, der noch 
nie dieses genussvollste aller Experimente an sich selbst vornalnn, 
entsteht leicht ein geheimer Zweifel, ob nicht die so häufig ge¬ 
schilderte mächtige Wirkung des Seebades, besonders des mit 
kräftigem Wellenschlag verbundenen, im Enthusiasmus über das 
Meer mit zu lebhaften Farben gemalt werde; allein auch hier geht 
Probiren über Studiren. Wie des Witzes, ist Kürze auch des 
Seebades Seele. Herrlich ist das Wohlbefinden nach mit Maass 
genommenem Bade; dass ein zu langes Ausdehnen des voll¬ 
kommenen Genusses, vom Rücken her die daherrauschende Welle 
über sich zusammenschlagen zu lassen, nicht das Gefühl der er- 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1817 


höhten Spannkraft und Frische, sondern das Gegentheil hinter¬ 
lässt, darüber konnten einzelne der übereifrigen Kollegen schon 
liier die nützlichsten Erfahrungen sammeln. Schwächliche 
Patienten wird man nicht anweisen, sich einem kräftigen Wellen¬ 
schläge, wie ihn besonders die Sylter Bäder, Norderney, Borkum 
u. a. aufzuweisen haben, ohne richtige Vorbereitung auszusetzen. 
Für letztere eignen sich nun ganz besonders die von wohl allen 
Nordseebädern eingerichteten Warmwasser-Badeanstalten, in 
welchen überall die 3—3'/;> proc. Soole des Meerwassers zu den 
Bädern verwendet wird. Helgoland hat sich sogar ein grosses 
Schwimmbassin in seiner mit hohen Kosten geschaffenen Anstalt 
geleistet. Der Umstand, dass Helgoland von allen Seiten vom 
Festland weit entfernt liegt, hat für eine gewisse Kategorie seiner 
Gäste eine ganz besonders merkwürdige Wirkung, nämlich die 
Immunität gegenüber Heufieber, so dass liier ein Bund von Heu¬ 
asthmatikern in Blüthe stehen soll. Eine Sehenswürdigkeit von 
naturwissenschaftlichem Interesse ist auf Helgoland auch das 
Nordseemuseum, das eine sehr vollständige Sammlung der auf 
Helgoland vorkommenden Vögel enthält, sowie sehr schöne Prä¬ 
parate über die Entwicklung und Regenerationserscheinungen bei 
Krebsen, über die Entwicklung des Haies, der Quallen etc. Die 
preussische Regierung unterhält auf der Insel eine biologische 
Station. Ich darf nicht vergessen. Ihnen zu berichten, ein wie 
festlicher Empfang uns Aerzten von der Badeverwaltung bereitet 
worden ist und wie Abends beim festlichen Mahle die lange Kette 
der Toaste begann, die während der ganzen Reise auf uns warten 
sollten. 

In wundervollem Blau-Grün ruhte das Meer, als wir am 
29. September, Nachmittags, wieder in See gingen. Bald ent¬ 
schwand das romantische Eiland unseren Blicken, wie im Mär¬ 
chen zog ein duftiger Schleier über den rothen Fels der starr¬ 
aufragenden Küste, wie sie langsam in den Wellen zu versinken 
schien. Ein anderes Bild taucht bald zur Rechten auf: die zart¬ 
gezeichneten Umrisse der Insel Amrum, die wir aber heute, wo 
unser Kurs auf S y 11 zu gerichtet war, noch nicht anliefen. Bald 
hoben sich denn auch die Dünenhügel von Sylt am Horizonte ab, 
und die frohgestimmte Schaar der Passagiere eilte von der Lan¬ 
dungsbrücke zu den bereitstehenden 2 Extrazügen. Die Land¬ 
schaft, welche die ganz auf Sand errichtete Eisenbahn 18 km weit 
durcheilt, ist von ganz eigenthümlichem Reiz durch die wechsel¬ 
reiche Formation der Dünenberge und -Thäler, welche unser 
Hochgebirge in der gelungensten Weise nacküfft und doch sind 
die höchsten Spitzen nicht höher als 50 m und liegt in den Thälem 
nichts als loser, ungemein gleichmässiger Sand, stellenweise be¬ 
wachsen mit Haidekraut und Sandhafer. Die Insel hat ungefähr 
4000 Bewohner, wovon 1600 auf das seit einem Dezennium mäch¬ 
tig emporblühende Westerland kommen, das im letzten Jahre be¬ 
reits 16 000 Badegäste an seinem Strande sali. Dieser Strand 
sucht allerdings auch seinesgleichen auf dem Erdenrund. Die 
weit nach Westen in den Ocean hinaus vorgeschobene Lage der 
Insel, die Formation der Küste, welche an dieser Seite in fast ge¬ 
rader Linie 35 km weit hinläuft und den schönsten tang- und 
steinfreien Badestrand bildet, bietet dem Badegast hier den ganz 
vollkommenen Genuss eines ungemein kräftigen Wellenschlages, 
der nach dem Ausspruch eines so weitgereisten Mannes, wie 
Geh. Rath v. W i n c k e 1, nur an Biarritz einen Rivalen hat. Zu 
den natürlichen Bedingungen, welche einen Badeort zu einem 
blühenden zu machen vermögen, muss jedoch immer auch eine 
vor keiner Schwierigkeit und keinem Opfer zurückschreckende 
Unternehmungslust der betreffenden Bevölkerung lind der Be¬ 
hörden kommen. Das ist bei Westerland gewiss in hohem Maasse 
der Fall, wie überhaupt Niemand von unseren deutschen Nordsee¬ 
bädern heimkommen wird, dem nicht die ausserordentliche 
Energie, mit welcher von deutscher Seite die Konkurrenz mit den 
fremdländischen Badeorten in letzter Zeit aufgeuommen wurde, 
unbegrenzte Iloeliachtuug abgenöthigt hätte. Für Westerland, 
wie für die meisten anderen unserer Nordseebäder, die wir be¬ 
suchten, muss ganz besonders gerühmt worden, dass auf die 
Schaffung so allgemein wichtiger hygienischer Einrichtungen, wie 
der Ilerbeischaffung eines guten Trinkwassers, der Entfernung 
der Abwässer, der Kanalisation aller Wohnungen die grösste Sorg¬ 
falt verwendet wird. Welch’ herrliches Wasser tranken wir nur 
z. B. in Wennigstedt, einem bescheidenen kleinen Badeorte kaum 
eine Stunde von Westerlandl Süsswasser liefern die Brunnen 
schon ganz nahe der Küste. Westerland, wie auch Norderney, 


besitzen Rieselfelder, weit von den Behausungen und dem Bade¬ 
strande entfernt angelegt. Es ist überraschend, wie schnell da¬ 
durch der dürre Sand in Humus übergeführt werden kann. Das 
Trinkwasser wird aus der Haide, aus einer Tiefe von 35 m ge¬ 
hoben. Die Insel bietet für den Spaziergänger Gelegenheit zu den 
schönsten Ausflügen. Er kann sich im hohen Haidekraut er¬ 
gehen, und wird an manchem Abend wundervolle Beleuchtungen 
bewundern können, er kann in die aus der Ferne wie Seganti- 
nisehc Landschaften sich darstellenden Dünengebirge eindringen 
— warum lächeln Sie, verehrter Kollege? Sie müssen erst solche 
Formen gesehen und den merkwürdigen Zauber dieser Miniatur- 

alpen gefühlt haben-er kann stundenlang am Strande prome- 

niren, dem ewigen Kommen und Gehen der Wellen zuschauend. 
Schicken Sie nur einmal einen von aufreibendem Berufe Er¬ 
schöpften hieher. Sie werden sehen, dass die Reizbarkeit seines 
Nervensystems nach einigen Wochen eine bedeutende Besserung 
erfahren haben wird. Eine Sommerhitze ist hier so wenig wie in 
den anderen Bädern der Nordsee bekannt, auf Sylt z. B. beträgt 
die mittlere Lufttemperatur in den Sommermonaten 14—16 ü C. 
Westerland selbst, mit seinen hübschen und reinlichen, zum Thoil 
recht opulent ausgestatteten Häusern und dem sehr geschmackvoll 
gebauten und eingerichteten Kurhause liegt hinter der Dünen¬ 
kette relativ geschützt vor starken Winden. Hier harrte unserer 
ein geradezu l>egeisterter Empfang und eine ausserordentlich 
herzliche Aufnahme. Ueberhaupt haben die Badeverwaltungen 
an Gastfreundschaft sehr viel, fast zuviel geboten. Ueberall 
wehten Wimpel, in Schaaren war die Bevölkerung allerorten an 
den Strand geeilt, wenn unser prächtiges Schiff, für dessen Bereit¬ 
stellung der Hamburger Nordseelinie mit Recht der wärmste 
Dank zu zollen ist, sichtbar wurde, dann gab es ein Tücher- 
schwenken und Iiurrahrufen, ein Böllerschiessen, dann feierliche 
Begrüssung mit und ohne reizende Festjungfrauen, Anreden 
durch die Gemeindevertretungen, Einzug durch blumen- 
goschmiickte Thore und Triumphbögen — kurz wenn unter uns 
Aerzten Einer war, dem der Katzenjammer über die Misere 
unserer heutigen Verhältnisse und über das sinkende Ansehen des 
ärztlichen Standes so rocht tief in den Gliedern lag, so konnte er 
sich ganz auf den Inseln der Seligen träumen! Z u L a n d i s t’s 
anders! Wenn ich eben von fast zu reich gewährter Gast¬ 
freundschaft sprach, so denke ich in erster Linie an den Stoff- 
wt Achsel versuch, der von den wohlwollenden Badeverwaltungen 
in kolossalen Dimensionen an uns Aerzten angestellt wurde, 
leider wurde seine Bilanz nicht gezogen. Lang sich hinziehendc 
Frühstücke wechselten mit recht opulenten Diners und trugen 
dem durch die Seeluft geweckten Appetit mehr als genügend 
Rechnung. Bei diesen Gelegenheiten pflegte denn auch ein Toast 
dem anderen zu folgen, und Kollege Meissner, in erster Linie 
aber Gcheimrath Liebreich, auf dessen Schultern, in Folge 
der in letzter Stunde erfolgten Absage v. Leydcn’s die ganze 
grosse Last der Repräsentation lag, hatten fortgesetzt zu thun, 
alle gebotene Liebenswürdigkeit zu erwidern. Jeder der Theil- 
nehmer wird freudig zugestehen, dass die Herren des Komite’s, 
insbesondere der 1. Vorsitzende, diese sich imm er wiederholenden 
Aufgaben mit vollstem Geschick und Takt lösten, wie sie auch 
sonst unermüdlich darin waren, auf alle Fragen in freundlicher 
Geduld zu antworten. Das ist wenigstens meine persönliche Er¬ 
fahrung. (Schluss folgt.) 


Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Wien, 2. November 1901. 

Frequenzabnahme an der Wiener medicinischen Fakultät. 
— Die Zahnärzte gegen den Verwaltungsgerichtshof. — Ver¬ 
besserung der Lage der Hilfsärzte. — Ein Fall sog. Psoro- 
spermosis follicularis (Darier). — Ruptur des Uterus wäh¬ 
rend der Schwangerschaft. — Einfluss der B i e r’schen Stau¬ 
ung auf die Entwicklung des Enochencallus. 

Von officieller Seite wird ein starker Rückgang der Frequenz 
an der Wiener medicinischen Fakultät konstatirt. Einmal hat 
bei der Rektors-Inauguration an der Wiener Universität der ab¬ 
tretende Rektor in seinem Berichte mitgetheilt, dass an der Uni¬ 
versität im vergangenen Studienjahre 578 Doktorgrade verliehen 
wurden, um 57 weniger als im Vorjahre, wobei die Zahl der 
Promotionen an der medicinischen Fakultät eine A b - 
nähme von 102 aufweise (die philosophischen und juristischen 


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1818 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


Promotionen haben um 18 resp. 41 zugenommen). Sodann wurde 
in der Wiener Aerztekammer mitgetheilt, dass im heurigen 
Wintersemester sich bloss die Hälfte jener Zahl von Medi- 
cinern habe inskribiren lassen, als dies in den Vorjahren der Fall 
war, so dass auch hierin ein starker Rückgang sich bemerkbar 
mache. Die Ursache für diese Abnahme an Medicinern ist in 
erster Linie in den traurigen Erwerbsverhältnissen der prak¬ 
tischen Aerzte Oesterreichs zu suchen, sodann (speziell für die 
Wiener medicinische Fakultät) in der vom 1. Januar 1899 in 
Geltung getretenen Verordnung, dass die von österreichisch¬ 
ungarischen Aerzten und Hebammen erworbenen Diplome nur 
für jenen Staatstheil (Oesterreich oder Ungarn), wo sie er¬ 
worben wurden, Geltung erhalten. Die zahlreichen Angehörigen 
der ungarischen Nationalität bleiben jetzt zuhause, um mit dem 
ungarischen Diplom auch die Praxisberechtigung in ihrer Hei- 
math zu erwerben. 

Im letzten Briefe haben wir berichtet, dass der Verwaltungs¬ 
gerichtshof jüngst die Entscheidung gefällt habe, dass der Zahn¬ 
arzt verpflichtet sei, einen Gewerbeschein zu lösen, um die Zahn¬ 
heilkunde als freies Gewerbe ausüben zu können. Vor einigen 
Tagen fand nun eine Protestversammlung der Zahnärzte Wiens 
statt, bei welcher die Stellungnahme der österreichischen Zahn¬ 
ärzte zu dieser Entscheidung berathen wurde. Nach einer leb¬ 
haften Debatte wurde eine Resolution angenommen, in welcher 
die Regiernug ersucht wird, im Gesetzeswege Vorkehrungen zu 
treffen, damit in Oesterreich, der Natur der Sache entsprechend, 
der Arzt nicht genöthigt werde, sich, um einen Theil seines Heil- 
borufes ausüben zu dürfen, nach gewerblichen Befugnissen Um¬ 
sehen zu müssen. Das Exekutivcomite der Zahnärzte wurde er¬ 
mächtigt, die Eingaben an die medicinische Fakultät, das Mini¬ 
sterium des Innern, den Obersten Sanitätsrath, den Verband 
der Aerzte und an die in Betracht kommenden Gewerbebehörden, 
event. unter Beiziehung eines Rechtsbeistandes, zu verfassen und 
dort, wo es nothwendig ist, persönlich vorzusprechen. 

Ein officielles Communique lautet: Mit 1. Januar 1902 
wurden die Adjuten der Abtheilungsassistenten in den Wiener 
Krankenanstalten von 1400 auf 1800, der Sekundärärzte von 
1000 auf 1400 Kronen erhöht. Die Prosektursadjunkten und 
Laboratoriumsassistenten nehmen an dieser Erhöhung Theil, je 
nachdem sie der ersten oder der zweiten Kategorie von Hilfs¬ 
ärzten gleichgestellt sind. Es wurde ferner die Verfügung ge¬ 
troffen, dass die den Hilfsärzten hinsichtlich der Beköstigung 
und Beleuchtung zugedachten Begünstigungen, je nach den Ver¬ 
hältnissen in den einzelnen Anstalten, womöglich noch vor dem 
1. Januar 1902 durchgeführt werden. Schliesslich wurden 16 Se- 
kundärarztensstellen ganz neu systemisirt und wurde die Ver¬ 
anlassung getroffen, dass diese Stellen — insofern nicht in einer 
oder der anderen Anstalt wegen Mangel an Wohnungen ein 
Hinderniss obwaltet — noch im Laufe des Jahres besetzt werden. 
Anlässlich der Eröffnung des Betriebes der nächst dem Wilhel- 
minenspital befindlichen zwei Kinderspitäler wird eine 
weitere Vermehrung der hilfsärztlichen Stellen erfolgen. Die 
gesammten dauernden Mehrauslagen, die sich aus den vor¬ 
erwähnten Maassregeln für den Wiener Krankenanstaltsfonds 
ergeben, betragen rund 122 000 Kronen. 

Die k. k. Gesellschaft der Aerzte hielt letzten Freitag unter 
Vorsitz ihres Präsidenten, Hofrath Prof. R. Chrobak, ihre 
erste Sitzung in dieser Saison ab. Prof. Dr. S. Ehrmann 
stellte einen Fall von Psorospermose der Haut vor und besprach 
das Wesen dieser seltenen Erkrankung. Der Fall ist auch dosa- 
hnll> interessant, weil er der zweite bisher sicher nachgowiesene 
ist, in welchem die Krankheitsform in der zweiten Generation 
(Vater und Sohn) auftritt. Der 30 Jahre alte Patient steht seit 
1896 in Ehrmann’s Beobachtung. In der Rückenfurche, im 
Xacken und in der Lendengegend sieht man stecknadelkopf- bis 
Hirsekorn grosso, dunkelroth bis blauroth gefärbte, derbe Knöt¬ 
chen, von gelblich- bis ganz dunkelbraunen, leicht zerreiblichen 
llornmassen bedeckt, die zum Theile zu drüsigen und warzigen 
Flächen eonfluiren. Die Erscheinungen schwanden öfters, um 
«•phelidenartigen Pigmentirungen Platz zu machen, kehrten aber 
wieder. Auf der Kopfhaut waren gelblich-grüne, dicke Krusten, 
welche denen der Seborrhoe ähnlich waren. Skrophulöse Lympli- 
drüsen am Halse. Die Krankheit wurde oft für Lichen skrophulo- 
sorum gehalten. Darier hat sie als Erster erkannt und als 
«•ine eigene Krankheitsform, sogen. Psorospermosis follicularis 
beschrieben. Die histologische Untersuchung eines Knötchens 


zeigt, dass man es hier lediglich mit Hügelchen von Hornsub- 
stanz zu thun habe, die in die umgebende Epidermis eingefalzt 
sind, unter denen eine gewucherte M a 1 p i g h i’sche Schichte 
mit vergrösserten Zapfen sich findet; keine Riesenzellen, keine 
Tubcrkelbacillen, aber auch keine Psorospermien, Mikroorganis¬ 
men aus der Gruppe der Protozoen, wie Darier die kugeligen 
Gebilde mit einem homogenen Kern im Innern der Knötchen ge¬ 
deutet hatte. Im Weiteren differenzirt E. diese Affektion noch 
vom Lichen skrophulosorum und bespricht die Frage der Ver¬ 
erbung. In therapeutischer Hinsicht wendete Ehrlich mit 
Erfolg intern den Leberthran an. 

Prof. Karl August Herzfeld besprach den Fall einer 
Ruptur des Uterus während der Schwangerschaft und demon- 
strirte die bezüglichen Präparate. Eine 34 jährige Frau, im 
10. Monat ihrer 7. Schwangerschaft, war mit Teppichklopfen be¬ 
schäftigt, als sie plötzlich einen stechenden Schmerz in der 
Bauchhöhle fühlte. Allmählich traten Meteorimus, starkes Er¬ 
brechen auf. Bettruhe, Eisüberschläge. In den nächsten Tagen 
Ileus mit faeculentem Erbrechen. Ueber Darmirrigationen er¬ 
folgte Abgang von Gasen, Abnahme des Meteorismus. Bei der 
inneren Untersuchung fand man den kindlichen Kopf innerhalb 
der Uterushöhle, etwas gegen den linken Darmbeinteller abge¬ 
wichen. Vier Tage später Blasensprung und Eintritt von Wehen. 
Die Untersuchung in der Narkose ergab, was man schon ver- 
muthet hatte, dass an der vorderen Wand des Uterus sich ein 
ausgedehnter Riss befinde, durch den die Frucht zum grössten 
Theile ausgetreten war. Laparotomie, Extraktion des todten 
(macerirten) Kindes, Entfernung der Placenta, Totalexstirpation 
des Uterus, Naht, Drainage etc. Es macht den Eindruck, als ob 
der Riss des Uterus an der Stelle einer alten Narbe stattgefunden 
hätte, welche (in Folge einer früheren Excochleation ?) sich hier 
befand. Die Frau verschied einige Stunden nach dem Eingriffe. 
Der Fall mahnt zur grössten Vorsicht bei der Vornahme intra¬ 
uteriner Eingriffe während und ausserhalb einer Schwanger¬ 
schaft, da es bekannt ist, dass am Uterusinnem entstandene Ver¬ 
letzungen, die oft genug im Momente ihres Entstehens gar nicht 
beachtet werden, bei einer nächsten Schwangerschaft verderblich 
werden können. 

Zum Schlüsse hielt Prof. Pal seinen angekündigten Vor¬ 
trag: Ueber Beziehungen zwischen Circulation, Motilität und 
Tonus des Darmes. 

Dr. Anton Bum machte eine vorläufige Mittheilung über 
„Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss der Bier- 
sehen Stauung auf die Entwickelung des Knochencallus“. Der 
Vortragende berichtete über die Ergebnisse der ersten Serie 
seiner im Institute für experimentelle Pathologie der Wiener 
Universität (Prof. R. Pal tauf) mit Unterstützung des Prof. 
B i e d 1 unternommenen Thierversuche, zu welchen ihn die Ar¬ 
beiten Bier’s über den Einfluss venöser Stauung („Stauungs- 
hyperaemie“) auf Lokal tuberkulöse angeregt hatten. Die An¬ 
schauungen über die Wirkungsart der Stauung sind Angesichts 
der komplizirten biologischen Vorgänge bei derselben wohl noch 
nicht vollständig geklärt, doch scheint das Wesentliche dieser 
Wirkung in ihrem antiparasitären Einflüsse und in der Anregung 
von Gewebswucherung und Vernarbung (Bier) im Wege der 
Erzeugung aseptischer Entzündung zu liegen. Es erschien nun 
naheliegend, den Einfluss dieses Verfahrens auf eine physio¬ 
logische, in ihren einzelnen Stadien wohlstudirte Narbenbildung 
durch Knorpel- und Knochenproliferation, auf die Callusbildung 
nach subkutanen Frakturen von Röhrenknochen, zu erforschen. 
Schon Dumreicher hat auf empirischem Wege Pseudarthrosen 
durch eine Art Stauverband zu konsolidiren versucht und 
N i c o 1 a d o n i hat die Wirkung dieser Methode auf nutritive 
Reizung der Gewebe zurückgeführt, welche im hyperaemischen 
Zustande zur Aufnahme des im Ueberflusse gebotenen Materiales 
tauglicher sind. Die klinischen Erscheinungen, welche der 
mehrere Tage währenden Applikation des Verbandes folgten, 
waren die der Entzündung. Die Versuche des Vortragenden 
wurden zunächst an Kaninchen, die sich indess hiezu als un¬ 
geeignet erwiesen, später an jungen Hunden vorgenommen. Den¬ 
selben wurden beide Tibien möglichst, symmetrisch und glatt 
diaphysal frakturirt, Gipsverbände angelegt und die rechte Unter¬ 
extremität durch täglich 1—2 Stunden oberhalb des Kniegelenkes 
gestaut. Die Obduktion der theils etappenmässig getödteten, 
theils spontan eingegangenen Thiere zeigte in allen Fällen auf¬ 
fallenden Blutreichthum der Weichtheile der gestauten Seite, 


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5. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1819 


ferner seröse Imbibition des subkutanen und intermuskulären 
Bindegewebes an den peripheren Partien der gestauten Ex¬ 
tremität. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle konnte 
schon makroskopisch mächtigere Callusbildung und grössere 
Festigkeit der Knochennarbe an der gestauten Seite konstatirt 
werden. Die Schnitte zeigten ausnahmslos vorgeschrit¬ 
tene Verkalkung und Ossifikation des peri¬ 
ostalen Gallus der gestauten Seite. Die erhal¬ 
tenen Präparate (Demonstration) scheinen daher für die gestaute 
Seite den Callus in einem vorgeschritteneren Stadium zu zeigen, 
als für die nicht gestaute Extremität. Der Fortschritt betraf 
aber fast ausschliesslich den periostalen Callus, dessen Be¬ 
deutung für die Frakturheilung P. Ziegler erst jüngst wieder 
dargethan hat. Ein abschliessendes Urtheil gestattet die erste 
Serie der B.’schen Versuche nicht; weitere Thierversuche sollen 
bezüglich des Einflusses der Stauung auf die Entwickelung 
des myelogenen und intermediären Callus Aufschluss geben. 

Briefe aus Ostasien. 

Von Oberarzt Dr. Mayer. 

(Schluss.) 

Unter den Reit- und Zugthieren des Traindepots herrschte 
eine Seuche von rotzartigem Charakter; da die Untersuchungen 
erpt bei Beginn der wärmeren Jahreszeit in grösserem Maass¬ 
stab wieder aufgenommen werden konnten, wo die Kadaver sich 
sehr rasch zersetzten, so gelang es nur in 10 Fällen, aus der Milz 
einwandslose Reinkulturen zu erhalten, nämlich bei 2 austra¬ 
lischen Pferden, 4 mongolischen Ponys, 4 chinesischen Maul- 
thieren. Pathologisch-anatomisch und histologisch waren die Vor¬ 
gefundenen Veränderungen einander sehr ähnlich; es war das 
bekannte Bild einer allgemeinen Rotzinfektion, auch die Knöt¬ 
chen waren vom Bau der Rotzknötohen. Bei 3 Thieren nun, 
den 2 Pferden und einem Pony, wuchs direkt aus Milz nur bei 
37®, aber auf gewöhnlichem Agar ein fein graudurchsichtiger 
oder in feinerem Ausstrich aus einzelnen, feinsten thautröpfchen- 
artigen Kolonien zusammengesetzter Rasen, gebildet von einem 
feinen, nach Gram sich entfärbenden Stäbchen, absolut 
unbeweglich, das bei Uebertragungen dann auch bei 
Zimmertemperatur kümmerlich wuchs. Bei den 7 anderen 
Thieren aber wuchs schon bei Zimmertemperatur ein üppiger, 
grauweisslicher Rasen, gebildet von ebenfalls feinen, doch deut¬ 
lich etwas grösseren Stäbchen, die bei Zimmertemperatur leb¬ 
haft beweglich, bei 37® unbeweglich waren. Beide Stäb¬ 
chenarten bildeten auf Kartoffeln gelbliche bis bräunliche, etwas 
saftige Rasen, verflüssigten Gelatine nicht, auf der die beweg¬ 
lichen im Stich an der Oberfläche und ebenso im Ausstrich 
dichte, strahlige, grauweiseliche Ausläufer federbartartig aus¬ 
sandten , während die unbeweglichen gerades Wachsthum 
zeigten. Weisse Mäuse und die gelbgraue chinesische Haus¬ 
maus gingen nach Impfung in den Conjunotivalsack in 3 bis 
6 Tagen an einer septikaemischen Erkrankung ein, aus dem 
Blute wurden wieder die zwei obigen Arten erhalten. Interessant 
war nun das Verhalten beider Kulturen bei einer kleinen, bräun¬ 
lichen, sehr zahmen Ratte, die hier auf dem Markte zu kaufen 
war (ebenso wie weisse Mäuse und Kaninchen): Die Impfung in 
den Conjunctivalsock hatte mit der beweglichen Kultur eine 
subakute, letale Erkrankung von 9—11 Tagen zur Folge, Kehl¬ 
gang- und Unterkieferdrüsen waren zu breiig-gelblichen Packeten 
eingeschmolzen; Lunge, Leber, Milz, Nieren, Peritoneum mit 
miliaren grauweiselichen bis gelblichen Knötchen durchsetzt, 
histologisch vom Bau der Rotzknötchen. Die mit der unbeweg¬ 
lichen Kultur infizirten gingen dagegen erst nach einer chro¬ 
nischen Erkrankung von 4—5 Wochen unter zuletzt rapider Ab¬ 
magerung ein und boten dann das gleiche Sektionsbild, nur fiel 
hier die starke Geschwürsbildung der Nasenschpidewand und 
die jedesmalige hochgradige Betheiligung der Geschlechtsorgane 
auf. Aus Herzblut und Milz konnten wieder die 2 verschiedenen 
Stämme gezüchtet werden. Es handelte sich demnach bei der un¬ 
beweglichen Kultur um Rotz, bei der beweglichen 
um Pseudorotz, wie er ja schon mehrmals beschrieben ist. 
Zu erwähnen wäre noch, dass bei den Thieren dee Traindepots 
Unterschiede im klinischen Bilde bestanden, indem ein Theil der 
Erkrankungen entschieden viel gutartiger verlief, nur geringe 
Nasenhöhlen- und Hautaffektionen zeigte, der Prooees direkt zum 
Sistiren kam, die Thiere sich wieder gut fütterten. Mit der¬ 


artigen, weniger heftigen Erkrankungen waren nun die oben 
erwähnten (wegen Rotzverdacht getödteten) Thiere behaftet, aus 
denen die beweglichen Bakterien gezüchtet wurden. Eine 
weitere, auch in Europa gewöhnliche Erkrankung, die Druse, 
konnte kulturell durch Züchtung dee bekannten Diplostrepto- 
coccu8 erwiesen werden bei australischen Pferden. 

Die Fleischbeschau ergab unter 487 schwarzen Schweinen 
32 mal Leberdistomen, 22 mal Trichinose, 3 mal Rothlauf, 
1 mal Ecchinocoecus-, 9 mal Taenia solium-Cysten. Hier ist nun 
hervorzuheben, dass vom 19. Januar bis 28. Februar unter 
181 Schweinen 18 mal, von da an unter den übrigen nur 4 mal 
Trichinen gefunden wurden; ebenso fielen die 3 Rothlauf thiere, 
ö mit Taenia solium-Cysten und 17 mit Distomen in die erste 
Zeit: Diese Thiere stammten alle aus Peking, wo sie auf 
den Düngerhaufen und Aehnlichem ihre Nahrung suchten; die 
übrigen waren aus der Provinz zugetriebene Weidethiere, deren 
Ankauf von mir angerathen wurde. 110 Hammel und Schafe 
wurden gesund befunden. Unter 34 chinesischen Rindern (nicht 
Wasserbüffel) fanden sich 3 mal Taenia saginata-Cysten, 1 mal 
als einziger Befund ausgebreitete Abscesse der linken Lunge. 
1 mal tuberkulöse Perlsucht, 1 mal tuberkulöse, käsige Pneu¬ 
monie und Pleuritis. Von 18 Kälbern hatten 2 Brustseuche. 
Bei Hühnern fand sich mehrmals eine eigenthümliche einseitige 
Augenaffektion, bestehend in Einschmelzung des Bulbus zu 
einem gelblich-schmierigen, bröckeligen Brei; die Kultur ergab 
Ilühnerohlorea in Reinkultur. Bei Tauben, Enten, Gänsen 
wurden keine Infektionskrankheiten gefunden. 

Für die Lieferung des Fleisches vom Proviantamt wurden 
bei Beginn der wärmeren Jahreszeit Vorschriften ausgearbeitet 
über Schlachtung, Aufbewahrung, Abgabe, als deren wesent¬ 
lichste anzuführen wären: die Einführung der Schlachtung nach 
der Methode Emmerich (mit sorgfältiger Schonung der 
Fascie etc.), Schlachtung von nur so viel Vieh, als den Tages¬ 
bedarf unbedingt deckte, für die einzelnen Truppentheile An¬ 
fertigung von mit Blech ausgeschlagenen, täglich durch heisses 
Wasser zu reinigenden Fleisch wägen, mit dicht schlies9enden 
Deckeln, um beim Transport den Strassenschmutz fernzuhalten. 
So wurde es ermöglicht, den Truppen nur einwandsloses Fleisch 
zukommen zu lassen. 

Eine „Selterswasserfabrik“ lieferte zu auffallend billigen 
Preisen. Die chemische und speciell die bakteriologische Unter¬ 
suchung mit einem Resultat von 10—12000 Keimen im Cubik- 
centimeter bewies, dass nicht vorbehandeltes Pekinger Brunnen¬ 
wasser benutzt wurde, wie auch der Fabrikant dann zugab. Da¬ 
her wurde ein Verbot gegen den Ankauf erlassen und der 
„Fabrik“ ein grosses Wamungaschild vor die Thüre gesetzt. 
Nachdem sich der Besitzer eine genügende Koch- und Filtrir- 
einrichtung angeechafft, wurde der Betrieb unter meiner Auf¬ 
sicht wieder freigegeben. Gelungen war nur, dass ein ebenfalls 
Sodawasser fabricirender Japaner sich schleunigst eine gleiche 
Einrichtung angeschafft hatte, als ich mir seinen Betrieb ge¬ 
nauer ansehen wollte. 

Die von Dr. Perthes bei Chinesen operirten und mir 
freundlichst überlassenen Tumoren bestanden in kleinzelligem 
Rundzellensarkom, Spindelzellensarkom, Osteosarkom, Carci- 
nomeu, Adenom der Unterlippe, Nebenhodentuberkulose, tuber¬ 
kulöser Caries des Ellenbogengelenkes, gleicher am Becken. 
Sehr interessant waren folgende Befunde: Bei 7 Chinesen¬ 
kindern unter 3 Jahren konstatirten wir Tertianaparasiten im 
Blute, 4 davon hatten zugleich Noma, eine Erkrankung, die 
ziemlich häufig in Peking bei Kindern und so oft mit Malaria 
zusammen vorkommt, dass eine englische Aerztin erklärte, wenn 
sie ein Kind mit Noma sähe, so wisse sie, dass dasselbe auch 
eine grosse Milz habe. 

In den excidirten Stückchen fand sich nun stets das 
gleiche Kleinwesen, das Perthes schon in 
Deutschland bei Noma gefunden und be¬ 
schrieben hatte. An der Grenze des gesunden Gewebes 
und inseiförmig in dasselbe sich vorschiebend, lagen, mit 
Fuchsin und auch nach Gram gut, mit Methylenblau sich 
schwach färbende Züge von äuasorst feinen, wirren Faden¬ 
haufen, sowohl im Ausstrich, wie Mikrotomschnitt scharf sieb 
ausprägend als Faden mit deutlicher Verzweigung und dicken, 
endständigen Keulen. Viele der Fäden zeigten hellere und dunk¬ 
lere Stellen im Inneren, oder bei schwacher Färbung scheinbare 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 45. 


Lücken. Eine Sporenfärbung gelang nicht. Mit Romanowski 
erschienen die Gebilde gleichmässig roth. Die künstliche Züch¬ 
tung gelang uns insoferne, als bei 37“ in hoher Traubenzucker- 
agarschicht bei SauerstofFausschluss von einigen der implantirten 
Stückchen allerfeinstc federbart- oder wolkenartige Ausläufer 
wuchsen, die Impfung von diesen Ausläufern in Traubenzucker¬ 
agar und analoge Züchtung liess in einigen Röhrchen vom Stich 
wieder feinste, kurze, federige Ausläufer ausgehen, die davon ge¬ 
machten Ausstriche zeigten hauptsächlich einzelne sehr feine 
Stäbchen, daneben aber kurze, verzweigte Fäden und ganz ein¬ 
zelne schwache Keulen. Im Kaninchenperitoneum riefen im- 
plantirte Stückchen nur örtlich begrenzte Entzündung hervor, 
ein Thier starb an allgemeiner Peritonitis, die aber durch die dem 
Stückchen anhaftenden anderen Keime bewirkt erschien. Leider 
war es uns zunächst nicht möglich, die Versuche fortzusetzen. 

Ich habe nun weiter bei 19 Chinesenjungen zwischen 9 und 
16 Jahren in Peking, und dann im Juni und Juli bei 23 gleich¬ 
altrigen Jungen in Shanghai mehrmalige Blutuntersuchungen 
auf Malaria gemacht, ohne jedes Resultat. Anders aber verhielt 
sich die bei den gleichen Jungen vorgenommene Widal’sche 
Reaktion: 2mal, bei einem 13jährigen und einem 11 jährigen, 
fand ich dieselbe positiv in Peking in Verdünnung 1:40; 1 mal 
in Shanghai bei einem 9 jährigen schwächlichen Knaben. Die 
3 gaben dem Dolmetscher an, zugleich mit ihren Geschwistern im 
Winter lange krank gewesen zu sein, einige seien gestorben. Von 
den Geschwistern konnte ich keines zur Untersuchung be¬ 
kommen, es müssen kleine Kinder oder Mädchen gewesen sein, 
den jeder Knabe über 6 Jahren ist um 10 Cent zu haben. An 
meinem neuen Posten Shanghai werde ich der Frage wieder näher 
treten. 

Nun noch etwas vom „chinesischen Wein“, besser Schnaps,. 
Die Proben, die ich mir in Tshili verschaffen konnte, stellten alle 
ein ungenügend gereinigtes Destillationsprodukt von Kauliang, 
Hirse, Mais, Reis, Trauben dar. Es fand sich ein Fuselölgehalt 
von 0,2 bis zu 1,8 Proc., namentlich des Kauliangweines, Alkohol 
15—45 Proc., Säure 0,3—3,0 Proc. Der Verkauf und Ankauf 
dieses Getränkes wurde daher den deutschen Truppen unter¬ 
sagt. — Einige kleinere Brennereien in der Chinesenstadt 
Pekings, dann eine grosse in Dung pu tou, bei deren Besitzer 
wir uns zu Gaste geladen hatten, und der sich befliss, mir sein 
Etablissement vorzuführen, ermöglichten mir einen Einblick in 
die Darstellung. (In anderen Gegenden, z. B. in Shantung, soll 
die Darstellung wieder ganz anders sein.) In Dung pu tou wurde 
von den 5 obigen Früchten Wein gemacht von verschiedener 
Güte. Die Trauben kamen getrocknet, in Beeren gepflückt, zur 
Verwendung, die übrigen Körner in der Maulthiormühle ge¬ 
mahlen. Sie wurden zusammengerührt mit einer jeweils gleichen, 
noch feuchten, schon einmal gebrauchten Fruchtmasse und ausser¬ 
dem mit Stückchen eines getrockneten Teiges, der, aus Hafer 
und bunten Bohnen gewonnen, mit etwas Wasser verrührt und 
in geheiztem Raume 20 Tage sich selbst überlassen wird, wobei 
die Masse erhärtet. Diese Mischung kommt mit wenig Wasser 
in viereckige Erdgruben und bleibt hier, mit Hirseschalcn oder 
Aehnlichem zugedeckt, 7 Tage. Nim wird sie herausgenommen, 
auf einem Brett durchgeschaufelt und in den Apparat verbracht. 
.Derselbe besteht aus einem flachen, eisernen Kochkessel zur 
Wasseraufnahme, auf den ein Holzbottich aufgesetzt wird, dessen 
Boden ein Schilfgeflechteinsatz ist; hierauf wird obige Masse 
locker geschüttet und vou den Wasserdämpfen durchströmt. 
Der Bottich ist durch einen Blechaufsatz geschlossen, in den 
ein spitz nach unten laufendes, trichterförmiges Gefäss einge- 
löthet ist, das fortwährend mit kaltem Wasser beschickt wird. 
An der Unterfläche des Gefässes kühlen sich die Dämpfe ab und 
gelangen über eine Rinne durch ein dünnes Blechrohr in das 
Auffanggefäss als fertiger „Rohwein“. Zur Herstellung feinerer 
Sorten wird dieser in einem ganz ähnlichen Apparat, dem nur 
der Sehilfeinsatz fehlt, nochmals abgedampft bis auf ein Fünftel 
oder mehr der Flüssigkeitsmenge, der Rest wird als „Arznei“ 
verkauft; die verschiedenen Schnäpse werden zum Genuss noch 
theilweise mit gekochtem Wasser verdünnt, oder mit Frucht¬ 
säften versetzt, in den Handel gebracht. 


Berliner medicinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 30. Oktober 1901. 

Herr v. Bergmann begrüsst den Ehrenpräsidenten, Herrn 

V i r c h o w, in der ersten Sitzung, welche dieser nach seinem 
80. Geburtstage leitet, mit einer meisterhaften Ansprache; Herr 

V i r c h o w dankt dem Redner und der Gesellschaft. 

Tagesordnung: 

Herr v. Bergmann: Ueber Amputation bei Phlegmone. 

Entgegen der von V i r c h o w vertretenen Ansicht, dass das 
Blut kaum dauernd der Träger von Krankheitsstoffen sei, ist 
man heutzutage vielfach geneigt, bei Einwanderung von 
Bakterien indasBlutzu glauben, dass dieselben im Blute 
unter allen Umständen weiter vegetiren; und man halte sich beim 
Nachweis von Bakterien im Blute schon für berechtigt, die aller- 
traurigste Prognose zu stellen. 

Die guten Erfolge, die auch in solchen Fällen von Blut¬ 
infektion im Anschlüsse an Phlegmonen noch zu erzielen 
sind, habe er kürzlich in einer Festschrift zum 70. Geburtstagt; 
v. C o 1 e r’s geschildert. 

Die dabei angewendete Methode war die der grossen 
Incisionen. 

Zuweilen aber führen diese grossen Schnitte nicht zum 
Ziele und dann wird nur ein noch radikaleres Vorgehen, das 
der Absetzung des Gliedes helfen können. Man habe 
nun freilich gemeint., dass man bei positivem Blutbefund (d. h. 
die gleichen Bakterien im Blut, wie in der Phlegmone) nicht, 
mehr eingreifen dürfe; so habe namentlich vor Kurzem Dörfler 
in Regensburg in der Münch, med. Wocheuschr. sich in der 
heutzutage beliebten scharfen Weise gegen die Amputation bei 
positivem bakteriologischen Blutbefunde ausgesprochen. Es sei 
heutzutage Sitte geworden, in solchen ärztlichen Dingen über 
anders Denkende und Handelnde immer gleich so abzuurtheilen, 
als ob eine vor den Staatsanwalt gehörige That vorläge. 

Um so entschiedener müsse er daher in der 
vorliegenden Frage für die entgegengesetzte 
Meinung eintreten und erklären, dass, wenn eine Phleg¬ 
mone trotz der grossen Incisionen sich immer weiter auszubreiten 
die Neigung zeige, dass dann die Zeit zur Absetzung des Gliedes 
gekommen sei, und zwar auch dann, wenn das Blut bereits die¬ 
selben Bakterien enthält, wie das phlegmonöse Gewebe. 

Er habe kürzlich die einschlägigen Fälle von einem seiner 
Assistenten bearbeiten lassen. (Die Arbeit erscheint demnächst 
in dieser Wochenschrift.) In 6 Fällen wurden 5 mal im 
Blute durch Kultur die gleichen Bakterien, wie in der Phleg¬ 
mone gefunden und doch noch ein gutes Resultat erzielt. 

Folgenden derartigen sehr instruktiven Fall habe er noch 
in den letzten Wochen behandelt: 

Ein 20 jähriger Student kam am 27. September beim Ab¬ 
springen von der Pferdebahn mit der Hgnd unter einen vorüber 
fahrenden Bierwageu. Sofortige Einlieferung in die Klinik. Am 
29. musste der Finger amputirt werden; trotzdem ging die Phleg¬ 
mone schnell weiter. Blutuntersuchung positiv — Streptococcen, 
und zwar wurde das Blut selbstverständlich einer Vene der an¬ 
deren Seite entnommen. Grosse Schnitte, die nunmehr vor- 
geuommen wurden; hatten keinen Einfluss auf den schweren 
klinischen Verlauf und den wiederholten Blutbefund und darum 
wurde noch am selben Abend die Amputation des Arms vor- 
gonommeu. Es folgte schnell Besserung und Heilung. Es war 
nun Interessant, durch zweimalige tägliche Blutuntersuchung die 
allmähliche Abnahme der Bakterien im Blute zu verfolgen; doch 
waren sie noch ziemlich lange zu konstatiren und erst am 11. Ok¬ 
tober völlig verschwunden; an diesem Tage waren aber im Eiter 
der Wunde noch feste Reinkulturen zu finden. Jetzt völlige Hei¬ 
lung. Dies zur Ehrenrettung der Amputation. 

Herr Senator: Ueber die Bant i’sche Krankheit. 

Im Jahre 1895 habe B a n t i ein Krankheitsbild geschildert, 
das in Anaemie mit sehr grosser Milzschwellung, später auf¬ 
tretendem Lebertumor und Ascites besteht, und das in Italien 
unter dem Namen der Bant i’schen Krankheit bekannt geworden 
ist. Die deutsche Literatur habe davon gar keine Notiz ge¬ 
nommen. 

Es handle sich allerdings nicht um eine neue Krankheit, 
sondern um verschiedene, bis dahin unter verschiedenen Namen 
bekannt gewesene Zustände, welche zu einem Ejankheitsbilde 
zusammengefasst zu haben, Banti das Verdienst habe. 

B a n t i unterscheidet 3 Stadien: 1. Anaemie fnit voran¬ 
gehender Milzschwellung; Dauer 3 bis 5 Jahre; 2. Ueber- 
gangsstadium: Harn wird spärlicher, enthält reichlich Urate, 


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5. November 1901. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Urobilin uud zuweilen Gallenfarbstoffe; Dauer einige Monate; 

3. Ascites und Leberschwellung, Verschlimmerung der Anaemie, 
leichte Vermehrung der weissen Blutkörperchen. Tod nach 5 bis 
12 Monaten. Ganze Dauer ca. 6 Jahre; selten bis zu 12. 

Das erste Stadium bildet also das, was man früher unter 
dem Namen primärer idiopathischer Milztumor oder jetzt 
Splenomegalie bezeichnete. Auch andere Namen wurden ihm 
gegeben: Pseudoleukaemie (Cohnhei m), Auaemia spleniea 
(Griesinger). Die späteren Stadien seien wohl immer als 
Lebercirrhose mit Ascites beschrieben worden, doch sei immer 
aufgefallen, dass dabei etwas besonderes vorlag. 

B a n t i betrachtet die Milz als den primären Sitz 
der Erkrankung und den Lebertumor, der auch meist kleiner 
sei, als die Milz, als das Sekundäre; für seine Auffassung ver- 
werthete er ausser dem klinischen Bilde noch den anatomischen 
Befund von hochgradiger Atheromatose der Milzvene und den 
therapeutischen Erfolg. 

Diese Ansicht von der primären Erkrankung der Milz sei 
zuzugeben. Den Ausgangspunkt der ganzen Affektion dürfe man 
wohl in den Darmkanal verlegen (Infektion oder Intoxikation). 

Der Ascites sei nicht Folge der Lebercirrhose, die meist zu 
unbedeutend sei und da der Ascites trotz Fortschrei teils des 
Leidens spontan oder in Folge der Behandlung schwände. 

Im dritten Stadium sind heftige Blutungen aus Nase und 
Darmkanal charakteristisch. In diesem Stadium habe Banti 
im Blute nur Zeichen einer einfachen Anaemie gefunden; Vortr. 
konnte aller eine unverhältnissmässig grosse Abnahme 
des Haemoglobins und in 3 Fällen eine auffallende Abnahme 
der Leukocyten, also eine Leukopenie finden, vielleicht 
sei dies etwas für die Bant i’sche Krankheit Charakteristisches. 
Im Knochenmark fanden sich die sonstigen Zeichen der schweren 
Anaemie. 

Vortr. bespricht dann kurz die Unterscheidung dieser Affek¬ 
tion von der Pseudoleukaemie (Zunahme der Lymphocyten), 
der Malaria (Plasmodien), Lebercirrhose u. s. w. Er hält es nicht 
für unmöglich, dass diese Affektion ein Zwischenglied zwischen 
der Anaemie uud Leukaemie bildet. 

Die Prognose wäre eine ungünstige, wenn nicht schon 
Banti selbst ein Heilmittel angegeben hätte, die Exstir¬ 
pation der Milz. Von 11 operirten Fällen, über die 
Maragliano berichtet, wurden 9 gerettet; 2 starben an Ver¬ 
blutung. 

Es sei wünschenswerth, durch weitere Kasuistik zur Klar¬ 
stellung des Krankheitsbildes beizutrageu. Vortr. demonstrirt 
zum Schlüsse einen jungen Mann mit sehr grossem Milztumor, 
Anaemie und frülier vorhandenem Ascites; er stelle dio Diagnose 
auf Bant i’sche Krankheit. 

Discusslon: Herr Litten: Das Krankheitsbild sei 
schon bekannt, und er habe es in seinem Buche, iu N o t li n a g e l's 
Handbuch, geschildert; bespricht kurz 4 von ihm beobachtete Fülle. 
Die Blutungen erfolgen sehr häufig, wie bei der gewöhnlichen 
Lebercirrhose aus erweiterten Venen. 

Herr Lennhoff berichtet ebenfalls über einen Fall. 

Herr Senator: Herr Litten habe allerdings über ähn¬ 
liche Krankheitsbilder geschrieben, den Namen Baut! aber 
nirgends gebraucht. Hans K o h n. 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

Der besondere Ausschuss der bayerischen Abgeord¬ 
netenkammer zur Yorberatliung des Gesetzentwurfes über 
die ärztliche Standes- und Khrengerichtsorduung hat nach 
der anfänglichen Weitschweifigkeit seine Berathungen ver¬ 
kürzt uud beschleunigt und zunächst die Durchberatlmng 
der Standesorduuug bis auf die beiden letzten Abschnitte 
vom ärztlichen Honorar und von der Vertretung erledigt. 
Vielleicht hat hiezu die Erklärung des k. Staatsministers 
beigetragen, dass die Standesorduuug in das Gesetz selbst nicht 
Aufnahme finde; die Beschlüsse des Ausschusses und des Land¬ 
tages werde er als Wünsche dieser Körperschaften vorbehaltlich 
näherer Prüfung thunlichst berücksichtigen. 

Dem allgemeinen T h e i 1 e der Standesordnung gab der 
Ausschuss folgende Fassung: 

„1. Der Arzt ist verpflichtet, seine Berufsthätigkeit gewissen¬ 
haft auszuüben und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufes 
sowie ausserhalb desselben sieh der Achtung würdig zu zeigen, 
die sein Beruf erfordert. Politische, wissenschaftliche und religiöse 
Ansichten od#r Handlungen eines Arztes als solche können niemals 
Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden. 

2. Die Heilmethode ist dem Ermessen des Arztes zu überlassen j 
und kann nie Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens 
bilden. 


3. Die öffentliche Gesundheitspflege soll jeder Arzt nach Kräf¬ 
ten zu fördern trachten. 

4. Verwendung und Abgabe vou Geheimmitteln ist dem Arzte 
nicht verboten. Der Arzt darf Kurpfuscherei nicht unterstützen. 
Kurpfuscherei ist die Ausübung der Heilkunde durch unfähige 
Personen.“ 

In Ziffer 3 sieht Abg. Dr. v. Haller nur ein Dekoratious- 
iKÜwerk, Dr. G ä c h medieinlschen Bureaukratismus und die Mög¬ 
lichkeit der Chikaniruug praktischer Aerzte. Bei Berathuug der 
Ziff. 4 motlvirte Dr. H a u b e r das Weglasscu de» Passus bezüg¬ 
lich des Geheimmittelunweseus und der Kurpfuscherei iu seinem 
Correferate damit, dass die Unterstützung des Geheimmittel¬ 
unwesens für einen Arzt unehrlich sei, dies aber gegen die in Ziff. 1 
erforderte gewissenhafte Ausübung dos Berufes verstosse. Der 
Ausschuss stempelt auch „unfähige" Aerzte zu Kurpfuschern, trotz 
der Erklärung des k. Staatsministers, dass nur ein Nichtnrzt Kur¬ 
pfuscher sein könne. 

In dem speziellen Theile handeln die Ziffern 5—19 von 
der ärztlichen Praxis; dieselben wurden iu folgender 
Fassung vom Ausschüsse angenommen: 

5. Praxiseröß'nung, Wohnungswechsel und vorübergehende Ab¬ 
wesenheit darf nur in einer der Würde des Standes angemessenen 
(ortsüblichen) Weise angezeigt werden. 

(Das Wort „ortsüblichen“ wurde gestrichen.) 

6. Ausschreiben unentgeltlicher Behandlung ist verboten, aus¬ 
genommen vou staatlichen Anstalten zu akademischen Lelir- 
zwecken. 

7. Das öffentliche Anbieten brieflicher Behandlung ist dem 
Arzte verboten. 

(Der zweite Theil des Satzes, dass auch das Abhalteu von 
Sprechstunden ausserhalb seines gewöhnlichen Praxisgebietes dem 
Arzte verboten sei, wurde nicht angenommen.) 

8. Die Bezeichnung „Specialist“ ist ohne den Besitz der 
nötliigcii Vorbildung unstatthaft. 

(Die Fassung der Grundzüge lautete: „Ohne den Nachweis ls*- 
souderer Vorbildung“. Herr Obermedicinalrath Dr. v. G rasbey 
hob als Zweck dieser Bestimmung hervor, den Missbrauch mit dem 
Titel „Specialist“ hintanzuhalten uud du» Publikum vor Täu¬ 
schungen zu schützen. Wie der Nachweis der besonderen Vor¬ 
bildung zu erbringen sei, sei eine Ermessensfrage; auch durch 
eigenes Studium uud praktische Erfahrungen könne ein Arzt 
Specialist werden.) 

9. Die Bezeichnung Klinik und Poliklinik gebührt nur staat¬ 
lichen Lehranstalten und den von den Speclalisten geleiteten Heil¬ 
anstalten. 

(Die Heilanstalten wurden auf Antrag des Correfereuten hier 
initaufgenonimen.) 

10. Geschäftsmässiger Verkauf von Apparaten und Heilmitteln 
jeder Art. sowie dessen gesehäftsmässige Vermittlung ist dem 
Arzte verboten. 

11. Kauf oder Verkauf der är/.tlieheu Praxis, sowie das ge¬ 
werbsmässige Vermitteln solcher Geschäfte Ist unstatthaft. 

12. Es ist eines Arztes unwürdig, seine Hilfe aufzudringen, sei 
es persönlich oder durch Andere. 

13. Die Erwerbung von Kranken gegen Entgelt (durch Heb¬ 
ammen, Bader u. dgl.) ist als unwürdig verboten. 

14. Das Austellen von Zeugnissen für Reklamezwecke ist ver¬ 
boten. 

(Einer Verunglimpfung der bayerischen Amtsärzte, vou deren 
Reite mit solchen Zeugnissen Missbrauch getrieben werde, treten 
der Vorsitzende Dr. Casselmann und der k. Staatsminister 
Frhr. v. F e i 111 z s c h entgegen. Auf Anfrage erklärt Letzterer, 
dass auch die Universitätsprofessoren unter die Standesordnung 
fallen und dass nur die Handhabung der letzteren gegenüber den 
Universitätsprofessoren und amtlichen Aerzten durch die Vor¬ 
gesetzten Dienstesstellen bethätigt werde.) 

15. (Geheimmittel und Reklamemittel darf kein Arzt ver¬ 
ordnen. — Diese Ziffer gilt nach dem Beschlüsse zu Ziffer 4 als 
nbgelehnt.) 

16. Krankengeschichten, ärztliche Berichte etc. dürfen nur in 
ärztlichen Fachblätteni veröffentlicht werden. 

17. Oeffentliclie Danksagungen aller Art sind hlutanzuhalten. 

18. Ein Arzt darf nicht mit seinem Namen therapeutische 
Mnassnahmen von Nichtärzten decken. 

(Der Correferent, der seinerzeit diese Ziffer nicht aufgenommo» 
hatte, beantragte die Zustimmung liiezu.) 

19. Laien dürfen zu Operationen nicht eingeladen werden. 
Insbesondere für Reklame- und Sensntionszwecke Stäche und 
namentlich Zeitungsreporter zu Operationen und Demonstrationen 
nicht zugelassen werden. 

Bei der weiteren Berathung beantragte der Referent v. L a n d- 
manu, die Ziffern 21—35. welche den Verkehr mit den Patienten 
anderer Aerzte uud die Consilien betreffen, ganz zu streichen und 
dafür die generelle Vorschrift aufzustelleu, dass ln diesen Be¬ 
ziehungen keine Bestimmung getroffen werdeu dürfe, welche das 
Recht des Patienten, die Aerzte zu wählen uud zu wechseln, iu 
irgend einer Weise antastet. Der Correferent erklärte sich gegen 
diese generelle Fassung sowohl im Interesse der Aerzte als d<- s 
Publikums; der k. Staatsminister erklärt den Antrag für vollständig 
überflüssig, da das Recht des Kranken, einen Arzt zu wählen oder 
zu wechseln, ln den Grundzügen zur Stnndesordnung in gar keiner 
Weise angegriffen sei; dieselben befassen sich lediglich damit, wie 
sieh der Arzt gegenüber einem Kranken verhalten solle, der schon 
einen Arzt habe. Obermedicinalrath Dr. v. G r u s li e y versichert. 


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1822 


dass es den Aerzten fern liege, das Recht der Patienten zu schmä¬ 
lern; hierauf zieht v. Landmann seinen Antrag zurück. 

Ziffer 22: „In Nothfällen kann ein Rath auch den Kranken 
anderer Aerzte nicht verweigert werden, doch ist der behandelnde 
Arzt nachträglich davon zu verständigen“, sowie ein Abänderungs¬ 
antrag des Correferenten: „Der Arzt darf ohne genügenden Grund 
die von ihm geforderte Hilfeleistung nicht verweigern. In Noth- 
füllen darf die Hilfeleistung auch den von anderen Aerzten bereits 
behandelten Kranken nicht verweigert werden; doch ist der be¬ 
handelnde Arzt nachträglich zu verständigen.“ werden abgelehnt. 
Der k. Staatsminister erklärt sich mit der Tendenz des letzten An¬ 
trages vollständig einverstanden, allein § 144 Abs. 2 der Gewerbe 
ordnung lassen einen Zwang zu ärztlicher Hilfe nicht zu. 

Abschnitt II: „Verkehr mit Patienten anderer 
A e r z t e“, wird in folgender Fassung genehmigt, wobei mehrfach 
die Anträge des Correferenten berücksichtigt werden. 

„20. Nichtärzten gegenüber ist jede leichtfertige oder rück¬ 
sichtslose Kritik verboten. 

21. Das Benehmen eines Arztes, der einen Kranken übernimmt, 
der schon in anderweitiger ärztlicher Behandlung steht, muss den 
Rücksichten der Humanität und Kollegialität entsprechen. 

22. (Fällt weg.) 

23. Werden bei eiligen Fällen mehrere Aerzte gerufen, so be¬ 
hält der Hausarzt den Kranken, wenn nicht eine andere Willens- 
üusseruug des Kranken oder dessen Angehörigen vorliegt. 

24. Koutrolbesuche im Aufträge von Berufsgenossenschaften. 
Versicherungsgesellschaften, Kassen u. s. w. dürfen nur im Be¬ 
nehmen mit dem behandelnden Arzte stattflnden. Dauernde Kon- 
trolthätigkeit für solche Anstalten bedarf der vorherigen Genehmi¬ 
gung des für den in Aussicht genommenen Arzt zuständigen Be¬ 
zirksvereines. 

(In der Möglichkeit, dass der ärztliche Bezirksverein In der 
Lage sei, einem einzelnen Arzte etwas hineinzureden, liegt nach 
Dr. v. II aller eine Knebelung der Aerzte, man gebe damit dem 
Bezirksverein eine Peitsche in die Hand. Vom Rechtsstaudpuukte 
hat Miuisterialrath v. Hörmann nichts gegen den zweiten Satz 
einzuwenden). 

Bei Abschnitt III „Consilien“ werden abgelehnt 
die Ziffern: 

25. Als Consiliarius Ist jeder Arzt zuzulassen, welchem die Be¬ 
rechtigung hiezu nicht durch ehrengerichtlichen Spruch aberkannt 
ist. (Der Gesetzentwurf, der erst später als diese Grundztige zu 
einer Standesordnung abgefasst wurde, kennt als ehrengerichtliche 
Strafe die Aberkennung der Berechtigung, als Consiliarius zu fun- 
giren. nicht.) 

29. Der Consiliarius soll jeden Schein der Ueberlegenheit, so¬ 
wie jede Kritik der bisherigen Behandlung vor dem Kranken und 
seinen Angehörigen vermeiden. 

34. Consilien können sowohl vom Hausarzte als von dem zum 
Consilium vorgeschlagenen Arzt abgelehnt werden. 

Die übrigen ZifTem werden in folgender, theilwelse abgeänderter 
Fassung angenommen. 

2G. .Bei Consilien ist pünktliches Erscheinen nöthig. Der Erst- 
augekommene hat gegebenen Falles eine Viertelstunde zu warten, 
bei weiteren Entfernungen entsprechend länger. Nur ganz 
dringende, nachträglich klar zu legende Fälle entschuldigen das 
Fernbleiben. 

27. Ist der behandelnde Arzt im Consilium nur allein er¬ 
schienen, so verordnet er nach seinem Gutdünken. Ist der in’s 
Consilium gezogene Arzt nur allein erschienen, so hat er die ihm 
zweckmässig dünkenden Maassnahmen sofort zu treffen und den 
behandelnden Arzt hievon zu verständigen. Verzichten die An¬ 
gehörigen oder der Kranke selbst auf die Hilfe des erstbehandelu- 
den Arztes, so ist derselbe sofort hievon zu benachrichtigen. 

28. Der Meinungsaustausch der berathenden Aerzte soll Ln der 
Regel ohne Zeugen geschehen. 

30. Bei Uneinigkeit der berathenden Aerzte muss einem allen- 
fallsigen Verlangen des Kranken nach Zuziehung eines dritten 
Arztes entsprochen werden. Wird auch dabei eine Einigung nicht 
erzielt, so steht die Entscheidung beim Kranken oder seinen An¬ 
gehörigen. Jedenfalls steht es dem Consiliarius frei, sieh unter 
Angabe seiner Gründe zurückzuziehen. 

31. Die Familie des Kranken hat ein Recht, das Ergebnlss des 
Consiliums unverfälscht berichtet zu erhalten. 

32. Von dem im Consilium beschlossenen Verfahren soll nur 
im Nothfalie vom lx-handelnden Arzt abgegangeu werden. 

33. Die Initiative zu Wiederholungen des Consils steht sowohl 
dem Ilnusnrzte als der Familie zu. 

Dr. Becker- München. 

Therapeutische Notizen. 

Zur Therapie des Carbunkels. Es gibt viele 
Patienten, die nicht schneiden lassen wollen, und manche Aerzte, 
die nicht gerne schneiden. Diesen kann ich nachstehende, von 
mir erprobte Behandlung empfehlen. Man legt auf den noch ge- 
schlusscnen Carlmnkel folgende Salbe: 


Acid. salicylic. 

2,0 

Mellis crud. 

20,0 

Extract. amic. flor. 

10,0 

Farin, tritic. 



qu. s. 

ut fiat unguent. molle. 
S. äusserlich. 


No. 45. 


Diese Salbe, welche die umfangreiche Entzündung in ein 
paar Tagen auf eine ziemlich kleine Stelle einschränkt und zu¬ 
gleich die Erweichung beschleunigt, wird messerrückendiek (ja 
nicht sparsam!) auf Borlint gestrichen und breit aufgelegt, wo¬ 
rüber dann fingerdick Brun s’sche Watte und Guttaperehapapier 
kommt. Die Salbe wird alle 24 Stunden frisch auf neuen Borlint 
gestrichen und mit diesem Verbände fortgemacht, bis der Car- 
bunkel au einer oder, wie in der Regel, an mehreren Stellen (siel>- 
förinig) aufbricht 

Nun wird täglich nach jedesmaligem, möglichst ergiebigem 
Ausdrücken des Carbunkels und nach Reinigen mit 3proc. Karbol¬ 
wasser auf die offenen Stellen ein kleines Stück Borlint, mit 3 proe. 
Karbolwasser durehtrüukt, aufgelegt, worüber dann noch immer 
breit die Salbe mit gehörig Watte und Guttaperchapapier kommt. 
Die Salbe wird erst entbehrlich, wenn der eiterige Zellgewebs- 
pfropf offen zu Tage liegt, worauf dann nur noch täglich mit 
Borlint, in Karbolwasser getaucht, Brun s’scber Watte und 
Guttaperchapapier verbunden wird. 

Hat sich daun auch der Eiterpfropf abgestossen, so wird nun¬ 
mehr trocken verbunden, indem ln die reine Höhlung Jodofonn- 
gaze kommt und darüber noch Watte. 

Sind endlich die Granulationen bis zum Niveau der Haut 
heraufgewachsen, so legt man täglich 10 Proe. Xeroform-Lanolin 
mit 5 Proe. Glyceriu, auf gewöhnlichen Lint gestricheu, über die 
Wunde, wodurch bald eine glatte und weiche Vernarbung erzielt 
wird. Dr. S t r ö 11 - München. 

Eine Inunctionskur der Skrophulose und 
Tuberkulose lässt sich, wie Rohden- Lippsprlnge mittheilt, 
mittels eines Lcberthranseifenpräparates sehr gut 
durchführen (Tlierap. Monatshefte 1901, 8). Dasselbe wird unter 
, dein Namen Dermosapol von der Engelapotheke In Mülheim 
, dargestellt und enthält neben völlig desodorirtem la>berthran 
, Perubalsam und aetherlsclie Oele (01. clunamomi. citri, thymii. 
I Die Einreibung des Dermosupols wird 2—3 mal täglich an ver- 
■ schiedeuen Körpers teilen vorgenommen, nachdem die Haut vorher 
1 mit Franzbranntwein und dann mit Wasser gut abgerieben ist 
‘ 100 g sind auf 10—12 Tage berechnet. Das Dermosapol bewirkt 
I allmählich eine „Leberthrandurchseifung des ganzen Lyinpli- 
| apparates“. 

| Die Wirkung des Dermosapols kann noch durch 5 Proe. Jod- 
i kali oder 5 Proe. Formalin erhöht werden. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 5. November 1901. 

— Der Ausschuss zur Vorberathung der bayerischen 
■ Standes- und Ehrengerichtsordnung hat in der 
I vergangenen Woche etwas rascher gearbeitet als bisher und 
I den Entwurf bis zur Ziffer 34 erledigt. Was dabei heraus- 
I gekommen ist, finden unsere Leser auf Seite 1821 dieser 
, Nummer zusammengestellt. Im Ganzen bieten die Verhand- 
lungen ein unerfreuliches Bild; Vorurtheile gegen den ärzt¬ 
lichen Stand und bedauerlicher Mangel an Verständniss für 
1 die Bedürfnisse desselben herrschen vor. Einen Lichtblick in den 
Verhandlungen bildet nur die Erklärung des Herrn Ministers 
v. Feilitzsch, dass die Standesordnung nleht in das Gesetz 
aufgenommen werden solle, und dass die Beschlüsse des Aus- 
1 schusses nur als Wünsche zu betrachten seien. So können wir 
' hoffen, dass wir wenigstens vor Schaden bewahrt bleiben. Die 
in der vorigen Woche versammelten Aerztekammern haben keinen 
Zweifel darüber gelassen, dass die bayerischen Aerzte lieber gar 
keine als eine vom Entwürfe des Obermedicinalausschusscs in 
wesentlichen Punkten abweichende Standesordnung wünschen. 

— Für das Virchow-Haus hat als ersten Beitrag Prof. 
Lassar der Berliner medlclnischen Gesellschaft den Betrag von 
1000 M. überwiesen. — Und das Pettenkofer-Haus? Man 
hört nichts von demselben und doch verlangt die Dankbarkeit, die 
München dem grosseu Meister der Hygiene schuldet, dringend, 
dass endlich die Durchführung dieses schönen Gedankens, der 
allein ein würdiges Denkmal dieses Wohlthäters unserer Stadt 
sichern würde, in die Wege geleitet würde. Oder sollte München 
hinter Berlin in der Ehrung seiner grosseu Männer zurückstehen? 

— Eine neue Dienstanweisung für den bahn¬ 
ärztlichen Dienst wurde soeben von der Generaldirektion 
der kgl. bayer. Staatsbahnen nusgegeben. Sie gliedert sich ln die 
Organisation und die Aufgaben des bahnärztlleben Dienstes, die 
bahnärztlioheu Gutachten, die Feststellung der körperlichen Taug¬ 
lichkeit, die Bestimmungen für den Fall der Erkrankung des zur 
freien bahnärztlichen Behandlung berechtigten Personals, die bahn- 
ärztlieheu Gutachten in Pensionssachen, zum Zweck der Unter¬ 
stützung u. s. w. und endlich in die besonderen Vorschriften für 
Unfälle und Verletzungen von Personen Im Bereich der Staats¬ 
bahnverwaltung. 

— Der preuss. Minister der öffentlichen Arbeiten hat eine 
Verfügung erlassen, in welcher es als keinem Bedenken unter¬ 
liegend bezeichnet wird, Aerzten, Thierärzten und Hebanuneu 
unter gewissen, früher festgesteilten Voraussetzungen die Be¬ 
nutzung von Gtiterzügeu auch bei Lösung von Rückfahrkarten 
zu gestatten. * 

— Regierungs- und Medieinalratli Dr. Dietrich ist zum 
Geheimen Mediciunlrath und Vortragenden Rath im preussischen 
Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegen- 
heiten ernannt worden. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


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5. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


— Die beiden ersten ln Deutschland approbirten AerzUuuen, 
Frl. Dr. Klausner und Frl. v. d. Leyde n, haben sich in 
Berlin niedergelassen. 

— Die Ärztlichen Vereine der Provinz Pommern haben in 
ihrer gemeinsamen Sitzung am 16. Juni d. J. dem Beschluss der 
pommerschen Aerztekammer auf Gründung einer Unter- 
stützungskasse für nothleldende Aerzte und für die Hinter¬ 
bliebenen von Aerzten zugestimmt. Im Anschluss an dieses Votum 
hat ein menschenfreundlicher Kollege die Summe von 50 000 M. 
für die zu begründende Kasse zugesichert. 

— In der Zeit vom 2.—12. Januar 1902 (20_30. Dezember 1901 

n. St.) wird in St. Petersburg die XI. Versammlung russischer 
Naturforscher und Aerzte stattfinden. Theilnelimer au der Ver¬ 
sammlung werden ersucht, womöglich vor dem 15. Dezember 1901 
dem Comitß der Versammlung russischer Naturforscher und Aerzte 
(St. Peterburg, Universität) ihre genauen Adressen und den Mit¬ 
gliedsbeltrag (3 Rubel) einzusenden und anzugeben, welcher Sektion 
sie bdzutreteu wünschen. 

— Pest. Italien. Einer Mittheilung vom 18. Oktober zu 
Folge ist in Neapel die letzte Pesterkrankung am 6., der letzte 
Pesttodesfall am 9. Oktober festgestellt worden. — Türkei. Einer 
Mittheilung vom 19. Oktober zu Folge sind in einem von etwa 
20 Personen der niedersten Volksklasse bewohnten Hause der Vor¬ 
stadt Galata in Kopstantinopel 5 Pesterkrankungen, darunter eine 
mit tödtlichem Ausgange festgestellt worden. In Samsun sind 
einem Berichte vom 2. Oktober zu Folge 3 weitere Pestfälle, da¬ 
runter 1 Pesttodesfnil, festgestellt worden. — Aegypten. In der 
Zeit vom 11. bis 18. Oktober sind iusgesammt 4 Erkrankungen 
(1 Todesfall) an der Pest gemeldet worden, davon 3 (1) in Alexan¬ 
drien, 1 (—) in Mit Gamr. — Britisch-Ostindieu. In der Präsident¬ 
schaft Bombay sind in der am 27. September abgelaufenen Woche 
9342 Erkrankungen und 6653 Todesfälle an der Pest festgestellt 
worden, d. h. 2198 und 1440 mehr als ln der Vorwoche. In der 
Stadt Bombay wurden in der am 28. September endenden Woche 
205 Erkrankungen und 224 Todesfälle au der Pest angezeigt; die 
Zahl der pestverdächtigen Sterbefälle betrug 183, die Gesammtzahl 
der Sterbefälle 912 gegen 914 in der Vorwoche. Iu Surat, einem 
Hafen in der Präsidentschaft Bombay, sind am 23. September 
2 Pestfälle mit tödtlichem Ausgange gemeldet worden. — Kap- 
land. Einem amtlichen Ausweise zu Folge ist In der Woche vom 
22. bis 28. September ln Port Elizabeth ein Eingeborener an der 
Pest erkrankt und ein anderer als Leiche, unter Feststellung der 
Pest als Todesursache, aufgefunden worden. — Argentinien. In 
Buenos Aires ist einer Mittheilung vom 20. Oktober zu Folge auf 
einem Dampfer aus Asuncion ein Pestfall festgestellt worden. — 
Neu-Kaledonien. Vom 2. bis 7. Oktober ist in Numea eine tödtlich 
verlaufene Pesterkrankung bei einem Eingeborenen festgestellt 
worden. V. d. K. G. 

— In der 42. Jahreswoche, vom 13. bis 19. Oktober 1901, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Liegnitz mit 32,0, die geringste Koblenz und Schöueberg 
mit 3« 6.8 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als 
ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, 
Halle a. S., Solingen; an Masern in Fürth; an Diphtherie und 
Group in Bamberg, Erfurt. 

— Das College of Physicians iu Philadelphia schreibt den 
Alvarenga -Preis für 1902 (180 Dollars) aus. Die Prels- 
arbeiten können irgend eine medicinische Frage 1 Hitreffen, dürfen 
aller noch nicht publizirt selu. Näheres durch den Sekretär des 
College, Thomas R. N e i 1 8 o u. 

— Das Sanatorium Dr. Ebers am Annaberg in Baden-Baden 
ist durch Kauf in den Besitz des seitherigen Pächters. Herrn Dr. 
I’aul Ebers übergegangen. 

(Hochschulnachrichten.) 

Breslau. Der erste Assistent an der hiesigen Universitäts- 
Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohreukrankheiten, Dr. med. Victor 
II insberg, hat sich in der medlciuischen Fakultät als Privat- 
doceut für Otologie, Rliinologie Und Lar.vngologie liabilitirt. 

Giessen. Der Privatdocent l)r. E. Leutert in Königs- 
ln?rg ist als ausserordentlicher Professor für Ohrenheilkunde und 
als Direktor der Ohrenklinik an die hiesige Universität berufen 
worden. 

G ö 111 n g e n. Dr. W a 1 d v o g e 1 und Dr. Bickel haben 
sieh für innere Medicln liabilitirt. — Am 18. d. Mts. wurde die 
neubegründete Poliklinik für psychis.che und Nervenkranke, welche 
unter Leitung von Prof. C r a m e r steht, eröffnet. 

Königsberg. Die ordentlichen Professoren I)r. Ludwig 
Stleda (Anatomie), Dr. Wilhelm Lossen (Chemie) und Dr. 
Karl Pape (Physik) haben ihre Vorlesungen weiblichen Studiron- 
den verschlossen. In Folge dessen Ist Frauen ein ordnungsmässiges 
Studium der Medicln in Königslierg unmöglich. I>r. W. Scholtz, 
ein Schüler von Neisser in Breslau, hat sieh für Dermatologie 
hier liabilitirt. 

München. Die Privatdwenten an der kgl. Universität: 
Professor an der Hebnmmensehule Dr. Max Stil m p f und kgl. 
Olieretabsarzt Dr. Karl Seydel wurden zu Honorarprofessoren 
in der mediclnischeu Fakultät der kgl. Universlät München er¬ 
nannt und den Prlvatdocenten an der Universität München: Dr. 
Gustav Klein und Dr. Richard Barlow der Titel und Rang 
eines ausserordentlichen Professors verliehen. 

Rostock. Geh. Obermedlcinnlmth Prof. Dr. Thier¬ 
felder ist ln den Ruhestand getreten. Als sein Nachfolger 
hat Prof. Dr. Martlus die Leitung der hiesigen medicinlschen 
Universitätsklinik übernommen. 


1823 

Christian! a. Dr. H. A. S c h i ö t z wurde zum Professor 
der Augenheilkunde ernannt. 

Gent. Dr. v a n I) u y s e und Dr. G i 1 s o n zu o. Professoren, 
Dr. Vau der Schriebt zum a. o. Professor ernannt. 

Lüttich. Dr. P. Snyers zum o. Professor der inneren 
Medicln ernannt 

(Todesfälle.) 

Prof. Dr. Arthur lv o e n i g . Abtliellungsvorstand am physio¬ 
logischen Institut der Universität Berlin, ist, erst 46 Jahre 
alt, verstorben. Sein Arbeits- und Forschungsgebiet lH*trnf vor¬ 
wiegend die physikalische Physiologie, insbesondere die physio¬ 
logische Optik. 

In Prenzlau starb am 25. ds. Snnitütsiutli Dr. Julius Grosser, 
der Begründer und Herausgeber der „Deutschen Medicinalzeitung“. 

In Stettin starb Prof. Dr. Carl Schuchardt, der Direktor 
der chirurgischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses, an 
einer Blutvergiftung, die er sich bei einer Operation zugezogen 
hatte. Scli., ein Schüler Volkmann’s, wurde 1889 von Halle 
nach Stettin berufen. 

In Petersburg starb, 55 Jahre alt, Prof. Marcel Nencki, 
einer der hervorragendsten Vertreter der physiologischen Chemie. 
Ein Schüler B a e y e r's und Frerichs' kam er 1872 nach Bern, 
wo er bald zum Professor für medicinische Chemie ernannt wurde. 
1891 wurde er an das neubegründete Institut für experimentelle 
Medicln in Petersburg berufen. Von besonderer Wichtigkeit sind 
N.’s Forschungen zur Chemie der Fäulniss. 

Iu London starb der Hygieniker Dr. T h u d i c h u m. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassungen: Gustav Baer in Brand, Bez.-A. Wunsicdcl. 
Dr. Adolf Dehler zu Kaiserslautern. Dr. Julius It u d o 1 p Ii 
zu Breitenbach Dr. Felix Kamm zu Zweibrücken. Dr. Josef 
Osch manu, approl». 1901, zu Hammelburg. Dr. Heinrich 
Marsgraf f, approb. 1901, zu Gnodstadt, Bez.-A. Ocliseufurt. 
Dr. Karl Boenitscli, approb. 1901, in Schwarzeubach a. W., 
Bez.-A. Naila. Dr. Peter Ketterl, approb. 1895. in Cham. 

Verzogen: Dr. Ludwig Petz old von Gräfenberg nach 
Erlangen. Dr. Hell w 1 g von Breitenbach. Dr. L e 1 m von 
Grossiangheim nach Obereisenheim. Bez.-A. Gerolzhofen. Dr. Alfred 
Krempl von Schwarzenbach a. W., unlickannt wohin? 

Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse Dr. Joseph Spaeth ln 
Deggendorf, seiner Bitte entsprechend, nach Landshut. 

Erledigt: Die Bozirksarztstelle I. Klasse iu Deggendorf. Be¬ 
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche 
bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung, Kammer des Innern, bis 
zum 14. November 1. Js. einzureichen. 

Auszeichnungen: Das Ivomthurkreuz des Verdienst¬ 
ordens der Bayerischen Krone: Dem ordentlichen Professor 
an der kgl. Universität München, Geheimen Rath und Ober- 
mediciualrath Dr. Karl v. Volt. Der Verdienstorden vom 
Heiligen Michael 4. Klasse: Dem Assistenzarzt Im stiidt. 
Krnnkeuhause 1. d. 1. Dr. med. Theodor S t r u p p 1 e r. 

Ernannt: Der praktische Arzt Dr. Peter P r e i s e n d ö r f e r 
in Lohr zum Bezirksarzt I. Klasse «lortsolbst. Der prakt. Arzt 
Dr. Bernhard B a y e r 1 In Cham zum Landgerichtsarzt in Deggen¬ 
dorf. Der prakt. Arzt Dr. Alois Seelos iu Ottobeuren zum Be¬ 
zirksarzt I. Klasse in Wertingen. 

Sellens des Generalstabsarztes der Armee wurde der einjährig 
freiwillige Arzt Hugo Walter des 14. Inf.-Reg. zum Unterarzt 
im 2. Jäger-Bat. ernannt und mit Wahrnehmung einer offenen Assi¬ 
stenzarztstelle beauftragt. 


Briefkasten. 

Ende dieser Woche erscheint, gelegentlich des (‘>8. Stiftungs¬ 
festes des Aerztllclien Vereines München, die „V. Scherznummer“ 
der Münch, med. Wochen sehr. Wie die früheren, so stellen wir 
auch diese unseren Abonnenten, soweit dieselben Aerzte sind, 
cnler es demnächst zu werden hoffen, zur Verfügung. Da die 
Seherznummcr der Gesanimtaufläge nicht bdgelcgt werden kann, 
so wollen diejenigen Kollegen, welche dieselbe zu erhalten 
wünschen, ihre Adresse unserem Verlag baldigst mittheilen. 
Käuflich oder durch «len Buch li a n d e 1 ist dl e 
S c h c r z u u m m e r nicht e r h ä 111 i <• h. 


Amtlicher Erlass. 

(Bayern.) 

No. 23146. 

Kgl. Aller li. Verordnung vom 17. Oktober 1991, 
ärztliche Gebühren betreffend. 

Im Namen Seiner Majestät des Königs. 

Luitpold, 

von Gottes Gnaden Königlicher Prinz von Bayern, Regent. 

W i r haben Uns bewogen gefunden, die Bestimmungen der 
Verordnung vom IS. Dezember 1875, die Gebühren für ärztliche 
Dienstleistungen in der Privatpraxis betreffend, Gesetz- und Ver¬ 
ordnungsblatt Seite 816 ff., einer Revision unterstellen zu lassen, 
und verordnen hieuach auf Grund des § 29 Abs. 1 und § SO Abs. 2 


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No. 45. 


1824 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


der Gewerbe-Ordnung für das Deutsche Reich in der Fassung vom 
20. Juli 1900, Reiehsgesetz-Blatt Seite 904, was folgt: 

§ 1. Die Bestimmung der Vergütung für Dienstleistungen der 
nach § 29 der Keichsgewerbe-Ordnung approbirten Aerzte und 
Zahnärzte ln der Privatpruxis ist zunächst dem Uebereinkommen 
der Betheiligton überlassen. In Ermangelung einer solchen Verein¬ 
barung Ist für streitige Fälle die gegenwärtige Verordnung und 
die dazu nngefügte Gebührenordnung maassgebend. 

Aerztliche Verrichtungen, für welche die Gebührenordnung 
keinen Ansatz enthält, sind unter Zugrundelegung derjenigen 
Sätze, welche für ähnliche Verrichtungen gewährt werden, zu 
vergüten. 

§ 2. Soweit die Gebührenordnung einen Spielraum zwischen 
niedrigsten und höchsten Ansätzen gestattet, ist die Höhe der fest¬ 
zusetzenden Gebühr nach den besonderen Umstliuden des Einzel¬ 
falles und namentlich nach den örtlichen Verhältnissen, der Ver¬ 
mögenslage des Zahlungspflichtigen, sowie der Mühewaltung und 
dein Zeltaufwande zu bemessen. 

Wenn die Zahlung der Gebühr aus Kassen des Staates, der 
Gemeinden oder Wohlthütigkeitsstiftungen. aus Arbeitorkrauken¬ 
kassen oder von nachweisbar Unbemittelten zu leisten Ist, kommt 
der niedrigste Satz zur Anwendung, soweit nicht In besonderen 
Fällen wegen Schwierigkeit der ärztlichen Leistung oder nach 
dem Maasse des Zeitaufwandes ein höherer Satz gerechtfertigt 
erscheint. 

§ 3. Bel der Vergütung für ärztliche Dienstleistungen 
kommen nach Maassgabe der weiteren Bestimmungen darüber 
ln Betracht der Besuch oder die Berathung. die besondere ärztliche 
Verrichtung, der Zeitaufwand, die Fahrtkosten und besondere 
Auslagen. 

§ 4. Werden bei Besuchen oder Berathungen ärztliche Ver¬ 
richtungen vorgenommen, für welche ein Mindestansatz von 10 M. 
in der Gebührenordnung vorgesehen ist, oder eine Gebühr von 
mehr als 10 M. angesetzt wird, so darf eine Gebühr für den Be¬ 
such oder die Berathung bei Tage nicht berechnet werden 

§ S. Bel ärztlichen Dienstleistungen innerhalb des Wohn¬ 
ortes des Arztes steht diesem neben der Gebühr für den Besuch 
oder die Verrichtung eine besondere Entschädigung für Fahrt¬ 
kosten und für den durch den Hin- und Rückweg verursachten 
Zeitaufwand nicht zu. 

Jedoch kann auch innerhalb des Wohnortes des Arztes, weun 
die Wohnung des Kranken nicht unter 2 Kilometer von der des 
Arztes entfernt ist, für Besuche bei Nacht, für mündliche Berath- 
schlagungen zweier oder mehrerer Aerzte bei Tag oder bei Nacht, 
für Besuche, welche am Tage auf Verlangen sofort oder zu einer 
liestimmten Stunde gemacht werden, sowie für Beistandleistung 
eines Arztes bei einer ärztlichen Verrichtung bei Tag oder bei 
Nacht neben der Gebühr für den Besuch eine Entschädigung für 
Zeitaufwand ln der Höhe von 1,50 M. bis 3 M. auf jede ange¬ 
fangene halbe Stunde und Ersatz der Fahrtkosten berechnet 
werden. 

§ 0. Befindet sich der Kranke ausserhalb des Wohnortes des 
Arztes und zwar nicht unter 1 Kilometer von der Grenze desselben 
und nicht unter 2 Kilometern von der Wohnung des Arztes ent¬ 
fernt, so erhält der Arzt neben der Gebühr für den Besuch eine 
Entschädigung für den durch den Hin- und Rückweg verursachten 
Zeitaufwand und zwar 1.50 M. bis 3 M. für jede angefangene 
halbe Stunde, wobei die etwa nothwendlge Wartezeit bis zum 
Abgänge der Eisenbahn, des Dampfschiffes oder Fuhrwerkes ein¬ 
gerechnet wird. Hiezu kommt noch eine Entschädigung der Reise¬ 
kosten; dieselbe besteht in einer Vergütung der gehabten Auslagen 
für Benützung der Eisenbahn, des Dampfschiffes, der Post, eines 
Gefährtes oder sonstigen BeförderungsmIttels. Bei Benützung 
eigenen Fuhrwerkes oder Beförderungsmittels ist die Entschä¬ 
digung nach den ortsüblichen Preisen zu berechnen. Ist der Ort 
der Dienstleistung zwar zwei Kilometer von der Wohnung des 
Arztes, aber unter einem Kilometer von der Grenze entfernt, so 
findet die Bestimmung des § 5 Abs. 2 dieser Verordnung unter den 
dortselbst angeführten Voraussetzungen Anwendung. 

Dem K. Staatsministerium des Innern ist Vorbehalten, über 
die Entschädigung bei Benützung eigenen Fahrrades oder Motors 
besondere Bestimmung zu treffen. 

§ 7. Besorgt der Arzt auf demselben Wege mehrere Dienst¬ 
leistungen an verschiedenen Stellen, so darf er die nach dem 
§ 5 Abs. 2 und § 6 ihm zustehende Entschädigung für Zeitaufwand 
imd Fahrt- oder Reisekosten nur einfach in Aufrechnung brlngeu. 
Die Entschädigung ist entsprechend zu vertheilen. 

§ 8. Sind in derselben Wohnung gleichzeitig mehrere Ange¬ 
hörige der gleichen Familie zu behandeln, so kommt für die zweite 
und die folgenden Personen je die Hälfte der Gebühr in Ansatz. 

§ 9. Bei öfteren Wiederholungen einer und derselben mecha¬ 
nischen Hilfeleistung (Anlegung des Katheters, der Bougies, Ein¬ 
spritzungen oder ähnlicher Verrichtungen) kann für die drei ersten 
Male die volle Gebühr, für die folgenden dagegen nur die Hälfte 
derselben berechnet werden. 

§ 10. Mehr als zwei Besuche an einem Tage können nur dann 
berechnet werden, wenn dieselben im Einverständnis» mit dem 
Kranken oder dessen Angehörigen erstattet werden oder nach der 
Beschaffenheit des Falles geboten sind. 

§ 11. Die Kosten für die vom Arzte beschafften Medikamente 
und ‘Verbandmittel, ferner Kosten für Neubeschaffung oder Re¬ 
paratur von Instrumenten, welche in Folge der Benützung im 
einzelnen Falle unbrauchbar werden oder aus besonderen Gründen 
(■/.. B. Ansteckungsgefahr) vernichtet werden müssen, oder welche 
der Kranke zu fernerer Verwendung für sich behält, sind dem 


Arzte zu vergüten. Für die gewöhnliche Abnützung von Instru¬ 
menten und Apparaten wird eine besondere Entschädigung nicht 
gewährt. 

§ 12. Gegenwärtige Verordnung, durch welche alle entgegen- 
stehenden Bestimmungen und namentlich die Verordnung vom 
18. Dezember 1875, die Gebühren für ärztliche Dienstleistungen 
in der Privatpraxis betreffend, aufgehoben werden, tritt mit dem 

1. November 1901 für den ganzen Umfang des Königreiches in 
Kraft. 

Insoweit die Verordnung vom 20. Dezember 1875. die Ver¬ 
gütung für ärztliche Amtsgeschäfte betreffend, auf Bestimmungen 
der Verordnung vom 18. Dezember 1875 Bezug nimmt, bleiben 
dieselben bis auf Weiteres noch in Geltung. 

Hintersee, den 17. Oktober 1901. 

Luitpold, 

Prinz von Bayern, des Königreichs Bayern Verweser. 

Dr. Frhr. v. F c i 1 i t z s c h. 

Auf Allerhöchsten Befehl: 

Der Generalsecretär: 

Ministerialrath v. Kopplstätter. 

Anlage zu § 1 der Verordnung. 

Gebührenordnung für ärztliche Dienstleistungen in der 
Privatpraxis. 

A. Gebühren für Besuche und Berathungen (Zeugnisse, Berichte, 
Gutachten, Briefe). 

1. Besuch in der Wohnung des Kranken: a) für den ersten 
Besuch bei Tag 2—10 M., b) für jeden folgenden Besuch bei Tag 
im Verlaufe derselben Krankheit 1—G M., e) für Besuche bei Tag, 
welche auf Verlangen des Kranken oder seiner Angehörigen sofort 
oder zu einer bestimmten Stunde gemacht werden, und zwar für 
den ersten 4—20 M., für jeden folgenden 2—12 M., d) für jeden 
Besuch bei Nacht (von 9 Uhr Abends bis 7 Uhr Morgens) 4—20 M. 

2. Berathung eines Kranken ln der Wohnung des Arztes, 
sowie auch telephonische Berathung: a) für erste Berathung bei 
Tag 1—0 M., ’b) für jede folgende Berathung bei Tag im Verlaufe 
derselben Krankheit 1—3 M., c) für Jede Berathung bei Nacht 
2—20 M. 

3. Die Gebühr für den Besuch und die Berathung scbliesst 
die Untersuchung des Kranken und die Verordnung mit ein. 

Für eine besonders zeitraubende Untersuchung unter An¬ 
wendung des Augen-, Ohren-, Kehlkopf-, Scheidenspiegels oder des 
Mikroskopes kann eine Gebühr von 2—5 M. besonders berechnet 
werden. 

4. Muss der Arzt nach der Beschaffenheit des Falles oder auf 
Verlangen des Kranken oder seiner Angehörigen länger als eine 
halbe Stunde verweilen, so stehen ihm für jede weitere ange¬ 
fangene halbe Stunde 1,50—3 M., bei Nacht das Doppelte zu. Die 
uütliige Zeit zur Vorbereitung des Geschäftes, zur Erholung, zum 
Mittagessen, zum Uebemachten kann eingerechnet werden. 

5. Mündliche Berathung zweier oder mehrerer Aerzte jedem 
derselben (einschliesslich des Besuches): a) für erste bei Tag 
5—25 M., b) für jede folgende bei Tag während derselben Krank¬ 
heit 3—15 M.. c) zur Nachtzeit das Doppelte. 

G. Schriftliche Berathung (Zeugnisse, Berichte, Gutachten 
Briefe): a) für eine kurze Bescheinigung, worunter auch ganz 
einfache Berichte oder Gutachten fallen, über Gesundheit oder 
Krankheit eines Menschen 1—5 M. (die einfache Unterschrift unter 
dem gewöhnlichen Scheine einer Krankenkasse gilt nicht als ärzt¬ 
liches Zeugniss). b) für ausführlichen Krankenbericht 3—10 M.. 
e) für begründetes Gutachten 9—30 M., d) für einen Brief im 
Interesse des Kranken 2—10 M., e) für schriftlichen Sektions¬ 
bericht 3—10 M. 

B. Gebühren für ärztliche Verrichtungen. 

I. Allgemeine Verrichtungen. 

1. Durchleuchtung mittels Röntgenstrahlen 10—30 M. 

2. Photographie mittels Röntgenstrahlen je nach der Grösse 
20—50 M. 

3. Mikroskopische, chemische oder bakteriologische Unter¬ 
suchung von Sekreten, Exkreten: a) einfache 2—5 M., 1>) zeit¬ 
raubende 3--20 M. 

4. Beistand bei einer ärztlichen Verrichtung (Operation) für 
joden liiczu belgezogeneu Arzt 5—20 M., l>ei Nacht 10—40 M. 

5. Ausführung einer Narkose 5—15 M., welche Gebühr in 
Wegfall kommt, wenn der die Narkose ausführende Arzt für die 
Operation selbst nicht unter 10 M. beanspruchen kann. 

6. Anwendung der lnflltratiousanaesthesie 3—10 M. 

7. Wiederbelebungsversuche bei Verunglückten oder Schein¬ 
tod ton 4—20 M. 

8. Besichtigung oder äussere Untersuchung einer Leiche mit 
Ausstellung einer kurzen Bescheinigung 3—G M. 

9. Vornahme einer Leichenöffnung mit Ausstellung einer 
kurzen Bescheinigung 10—30 M. 

10. Assistenz bei Vornahme einer Leichenöffnung 5—20 M. 

11. Verlangte Anwesenheit bei Vornahme einer Leieben- 
öffnung 5—15 M. 

12. Eine Bluttransfusion 20—50 M. 


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5.'November 1901. 


MÜENCHENRR MEDICINISOIIE WOCHENSCHRIFT. 


1825 


13. Eine subkutane oder venöse Infusion 10—30 M. 

14. Impfung der Schutzpocken einsehl. der Nachschau und 
der Ausstellung des Impfscheines 3—G M. 

15. Leitung eines Bades 2—10 M. 

IG. Eine hydrotherapeutische Einwicklung 2—5 M. 

17. Massage 2—5 M. 

18. Anwendung der Elektrizität zu Heilzwecken 2—10 M. 

19. Eine subkutane Einspritzung 1—3 M. 

. 20. Einspritzung in die Harnröhre oder den Mastdarm 2—5 M. 

21. Einführung des Katheters, einer Bougie, eines Mastdarm¬ 
rohres (mit oder ohne Einglessung), Anwendung der Magensonde 
oder des Sclilundrohres, Magenausspülung 3—10 M. 

22. Ein Aderlass, Setzen von Schröpf köpfen, Ansetzen meh¬ 
rerer Blutegel, ausser dem Betrage derselben, 2—6 M. 

II. Wundärztliche Verrichtungen. 

1. Eröffnung eines oberflächlichen Abscesses oder Erweiterung 
einer Wunde einschliesslich des ersten Verbandes 2—10 M. 

2. Eröffnung eine tiefliegenden Abscesses 10—50 M. 

3. Anwendung des scharfen Löffels 2—10 M. 

4. Anwendung des Thermokauters oder der Galvanokaustik 
3— 20 M. 

5. Erster Verband einer kleinen Wunde mit oder ohne Naht 

2— 10 M., jeder folgende 1—5 M. 

G. Erster Verband einer grösseren Wunde mit oder ohne Naht 
10—30 M., jeder folgend^ 5—15 M. 

7. Ueberpflanzung von Hautstücken 3—30 M. 

8. Anlegung eines grösseren festen oder Streckverbandes 
jedesmal 5—20 M. 

9. Entfernung eines solchen Verbandes 2—G M. 

10. Sehnendurchschneidung 10—30 M. 

11. Sehnennaht 10—50 M. 

12. Isolirung oder Dehnung oder Durclischneidung oder Naht 
eines Nerven 10—50 M. 

13. Entfernung kleiner Geschwülste an äusseren Körpertlieileu 

3- 15 M. 

14. Entfernung grosser komplizirter Geschwülste 20—200 M. 

15. Entfernung einer Mandel 3—15 M. 

IG. Entfernung fremder Körper aus leicht zugänglichen 
Körpertheilen 2—10 M. 

17. Entfernung von fremden Körpern oder Knochensplittern 
aus Schusswunden und anderen Wunden 5—15 M. 

18. Entfernung von Flüssigkeiten durch Einstich: a) aus der 
Brusthöhle 10—30 M., b) aus der Bauchhöhle 10—30 M., c) aus der 
Blase 10—30 M., d) aus dem Wasserbruch 5—10 M. 

19. Zurückbringung eines beweglichen Bruches oder Mast- 
dormvorfalles 3—10 M. 

20. Zurückbringung eines eingeklemmten Bruches 10—50 M. 

21. Operation des eingeklemmten Bruches oder Radikal- 
operation eines Bruches 30— 200 M. 

22. Ausspülung der Blase als selbständige Operation 2—5 M. 

23. Erweiterung der weiblichen Harnröhre 3—20 M. 

24. Einrichtung und erster Verband gebrochener Knochen: 

a) kleiner Röhrenknochen oder flacher Knochen 5—30 M., jeder 
weitere Verband 3—15 M., b) grösserer Knochen 10—50 M., jeder 
weitere Verband 5—25 M. 

25 KnQchennaht bei Frakturen 20—100 M. 

2(5. Einrichtung und Verband gebrochener Knochen mit Durch- 
Iwhrung der Haut 15—100 M., jeder weitere Verband 10—50 M. 

27. Einrichtung und erster Verband verrenkter Glieder: a) des 
Unterkiefers 10—20 M., b) des Oberarmes 10—30 M., c) des Ober¬ 
schenkels 30—00 M., d) des Vorderarmes, Fuss- oder Handgelenkes 
10—30 M., e) von Fingern oder Zehen 2—10 M., f) der Wirbelsäule 
10—25 M. Bei veralteten Verrenkungen das Doppelte der vor¬ 
stehenden Sätze unter a bis f. 

28. Amputation oder Exartikulation von Gliedern: a) des 
Oberarmes, Vorderarmes, des Ober- und Unterschenkels 30 bis 
200 M„ b) eines Fusses oder einer Hand 20—150 M., c) eines 
Fingers, einer Zehe oder einzelner Glieder derselben 10—30 M. 

29. Entfernung eines Finger- oder Zehennagels 3—10 M. 

30. Trennung verwachsener Finger oder Zehen 5—30 M. 

31. Resektion eines Knochens der Gliedmaassen in der Kon¬ 
tinuität 30—150 M. 

32. Gelenkresektion oder Resektion des Ober- und Unter¬ 
kiefers 80—300 M. 

33. Resektion einer Rippe 20—150 M. 

34. Osteotomie 15—100 M., an der Hüfte 30—200 M. 

35. Knochenaufmeisselung 20—100 M. 

3G. Blutige Operation des Klumpfusses oder Plattfusses 30 bis 
100 M. 

37. Unblutige Korrektur von Difformitäten 10—30 M. 

38. Anfertigung eines Gips- oder Filzkorsetts u. dgl. 10—30 M. 

39. Anfertigung eines Gipsabgusses 5—30 M. 

. 40. Gewaltsames Strecken oder Wiederzerbrechen eines fehler¬ 

haft geheilten Knochenbruches 10—50 M. 

41. Eröffnung eines Gelenkes: a) durch Punktion 5—30 M., 

b) durch Incisiop 10—100 M. . 

• 42. Exstirpation der Gelenkkapsel 30—300 M. 

' 43. Eröffnung der Oberldeferhöhte 5—30 M. 

44. Eröffnung der Stirnhöhle 20—100 M. 

45. Eröffnung der Schädelhöhle 30—200 M. 

46. Punktion des Wirbelkanales 10—50 M. 

’ 47. Unterbindung eines grösseren Gefässes in der-Kontinuität 

•öder Operation einer PulsadeTgeschwulst 20—100 M. 

48. Grössere plastische Operationen an (Jen Augenlidern, der 
Nase oder den Lippen, Gaumenbildung, Operation der kompllairten 
.yaaefifwbarte, gehnenpiastik etc. 20—200 M. . . : ’ 


49. Neurelctomle oder Neurexeilese eines Gesichtsnerven 20 bis 
200 M. 

50. Operation der einfachen Hasenscharte 10—100 M. 

51. Entfernung eines Theils der Zunge oder der ganzen Zunge 
20--300 M. 

52. Eröffnung des Kehlkopfes oder der Luftröhre 20—200 M. 

53. Spaltung mit theilweiser oder gänzlicher Entfernung des 
Kehlkopfs 30—500 M. 

54. Eröffnung des Schlundes oder der Speiseröhre 30—200 M. 

55. Entfernung des Kropfes 50—300 M. 

56. Eröffnung von Kropfcysten: a) durch Stich 5—30 M., 
b) durch Schnitt 10—50 M. 

57. Absetzung einer Brustdrüse 30—200 M., mit Ausräumung 
der Achselhöhle 30—300 M. 

58. Entfernung entarteter Lymphdrüsen 15—100 M. 

59. Eröffnung des Empyems durch Schnitt mit oder ohne 
Rippeuresektlon 20—150 M. 

G0. Operation an Organen der Bauchhöhle 50—500 M.. 

Gl. Eröffnung der Bauchhöhle durch Schnitt 50—100 M. 

62. Operation au der Niere oder Exstirpation derselben 50 bis 
öoO M. 

03. Eröffnung oberflächlicher Verschlüsse des Afters, der 
Harnröhre oder Schamspalte 5—20 M. 

04. Eröffnung tiefer Verschlüsse des Afters, der Schelde oder 
Gebärmutter 15—100 M. 

65. Anlegung des künstlichen Afters 30—200 M. 

00. Operation der Mastdarmfistel, des Mastdarmvorfalles oder 
von Haemorrlioidalknoten 10—100 M. 

07. Exstirpation des Mastdarms 50—300 M. 

68. Operation der Phimose oder Parapliimose 0—20 M. 

09. Zurückbringung der Paraphlmose 2—10 M. 

70. Harnröhrenschnitt 10—100 M. 

71. Entfernung fremder Körper aus der Harnröhre 2—10 M. 

72. Operation der Harnröhrenfistel 20—100 M. 

73. Amputation des Penis 15—50 M. 

74. Spiegelung der Blase als selbständige Operation 5—20 M. 

75. Steinschnitt oder Steinzertrümmeruug 30—500 M. 

76. Operation der Varicoeele 10—30 M. 

77. Schnittoperation der Hydrocele 20—100 M. 

7S. Entfernung eines Jlodens oder beider Hoden 30—100 M. 

79. Resektion des Samenleiters 20—50 M. 

80. Grössere Operation an der Vorsteherdrüse 30—200 M. 

III. Geburtshilfliche und gynäkologische Ver¬ 
richtungen. 

1. Untersuchung auf Schwangerschaft, erfolgte Geburt oder 
Krankheit der Geschlechtsorgane 2—10 M., In Narkose 5—30 M. 

2. Untersuchung einer Amme 3—10 M. 

3. Beistand bei einer natürlichen Entbindung 10—40 M., bei 
Zwillingsgeburt 15—50 M., bei mehr als 4 Stunden Dauer für jede 
weitere halbe Stunde 2—5 M. 

4. Künstliche Entbindung: a) durch Manualextraktion 15 bis 
50 M., b) durch Wendung oder durch Zange 15—100 M., c) Per¬ 
foration mit oder ohne Kephalotripsie bezw. Kranioklasie mit 
Aus/.iehung des angebohrten Schädels oder Zerstückelung der 
Frucht mit Ausziehen derselben 30—120 M. * 

f-. Gewaltsame Erweiterung des Muttermundes mit nach¬ 
folgender künstlicher Entbindung 15—100 M. 

6. Künstliche Entbindung bei vorliegendem Mutterkuchen 
20-200 M, 

7. Beistand bei einer Fehlgeburt 6—50 M. 

8. Einleitung der künstlichen Frühgeburt oder des Abortus 
10—50 M. 

9. Ausstopfung der Scheide 3—10 M. 

10. Kaiserschnitt bei einer Lebenden 50—500 M., bei einer 
Verstorbenen 20—40 M. 

11. Reehtlngerung der nach rückwärts gebeugten schwangeren 
Gebärmutter 10—50 M. 

12. Entfernung der Nachgeburt 10—20 M. 

13. Behandlung einer Blutung nach der Geburt ohne Ent¬ 
bindung Inei. Entfernung der Nachgeburtsreste 10—100 M. 

14. Wiederbelebungsversuche bei scheintodtem Kinde 3 bis 
20 M. 

15. Naht eines frischen Dammrisses und Scheidenrisses 5 bis 
20 M. 

16. Operation veralteter Dammrisse 20—100 M. 

17. Operation in den Darm durchgehender Dammrisse 30 bis 
300 M. 

18. Operation der Mastdarm-Scheidenflstel, Blasen-Scheiden- 
fistel oder Hamleiter-Scheidenflstel 30—500 M. 

19. Abtragung von Geschwülsten der äusseren Genitalien 
(Elephantiasis, Lipom, Sarkom, Carcinom) 20—100 M. 

20. Einlegen von Arzneistiften in die Gebärmutter 3—10 M. 

21. Ausspülung der Gebärmutter 3—10 M. 

22. Aetzung des Gebärmutterhalses oder der Gebärmutter¬ 
höhle 3—10 M. 

23. Reposition der umgestülpten Gebärmutter 10—100 M. 

24. Einlegung des Mutterkranzes eventuell mit Lageverbesse- 
rung der Gebärmutter 2—20 M. 

25. Eröffnung der Bauchhöhle: a) zur Annähung der Gebär¬ 
mutter an die Bauchwand 50—500 M., b) zur Verkürzung der 
runden und Kreuz-Gebärmutterbänder 50—500 M., c) Veruiihung 
von puerperaler Gebärmutterzerreissung 50—500 M. 

26. Unblutige Erweiterung des Muttermundes oder Mutter¬ 
halses 3—20 M. 


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1826 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 45. 


27. Blutige Erweiterung des Muttenuundes 5-50 M. 

28. Dilatation der ganzen Gebärmutterhöhle 10—50 M. 

2t). Naht alter Mutterhalsrisse 20—50 M. 

30. Ausschabung der Gebärmutterhöhle 10—100 M. 

31. Auslöffelung eines Carcinoms der Scheide oder der Gebär¬ 
mutter 10—50 M. 

32. Theilweise Entfernung der Gebärmutter 20—100 M. 

33. Gänzliche Entfernung der Gebärmutter 50—500 M. 

iH. Entfernung von Polypen der Gebärmutter 10—50 M. 

35. Entfernung grösserer Geschwülste der Gebärmutter oder 
des Eierstockes 50—500 M. 

30. Nnrbenexcision und vordere oder hintere- Scheidennaht 
bei Uterusvorfall und Enterocele, Verkürzung der runden Mutter- 
biinder vom Leistenkanal aus zur Heilung der Rückwärtslagerung 
und des Vorfalles der Gebärmutter 50—500 M. 

IV. Au gen ärztliche Verrichtungen. 

1. Untersuchung der Sehkraft oder auf Farbenblindheit oder 
der Gesichtsfeldeinschrünkung 3—15 M. 

2. Galvanokaustische Aetzung der Bindehaut 3—20 M. 

3. Operation der verengten Lidspalte 5—30 M. 

4. Operation der krankhaft erweiterten Lidspalte 5—30 M. 

5. Operation des Entropium 10—100 M. 

0. Operation des Ektropium 10—50 M. 

7. Pto8is-Operation 10—100 M. 

8. Blephuroplastik 20—150 M. 

9. Sondirung der Tliränenwege, Katheterlsmus der Thräuen- 
wege 2—20 M. Bei den ersten 3 Wiederholungen der volle Satz, 
bei weiteren die Hälfte. 

10. Operation am Thränensack oder der Thränensackflstel oder 
der Thriinendrüsenflstel 10—50 M. 

11. Entfernung der Tkräuendrüse 20—80 M. 

12. Operation der Verwachsung des Augenlides mit dem Aug¬ 
apfel 20—100 M. 

13. Operation des Pterygium 10—50 M. 

14. Entfernung fremder Körper: a) aus der Bindehaut 2 bis 
10 M., b) aus der Hornhaut 3—20 M., c) aus der Augenhöhle 
5—50 M. 

15. Entfernung fremder Körper und von Parasiten aus dem 
Innern des Augapfels 20—150 M. 

10. Tiitowirung der Hornhaut 20—50 M. 

17. Schieioperation 15—150 M. 

18. Eröffnung der vorderen Augeukammcr durch Schnitt 10 
bis 50 M. 

19. Iridektomie 20—150 M. 

20. Disclssion des Stnares 30—150 M. 

21. Extraktion des Staares 50—300 M. 

22. Naclistaardiscission 30—150 M. 

23. Operation des Glaukoms 50—300 M. 

24. Enukleation oder Exeuteration des Bulbus 30—150 M. 

25. Exenteration der OrbitA 50—200 M. 

V. Ae rz tli che Verrichtungen bei Nasen-, Rachen-, 
Kehlkopf- und Ohren -Kranken. 

1. Tamponade der Nase 2—10 M. 

2. Entfernung fremder Körper aus der Nase 2—15 M. 

3. Operationen in der Nase mit dem Galvanokauter oder der 
Schlinge oder dem scharfen Löffel etc. 3—30 M. 

4. Entfernung von Geschwülsten und Wucherungen aus dem 
Nasen-Rachenraum 10—50 M. 

5. Kleinere Operationen Innerhalb dos Kehlkopfes einschl. 
der Einbringung von Medikamenten 2—10 M. 

0. Entfernung von Polypen und andere grössere Operationen 
innerhalb des Kehlkopfes 20—300 M. 

7. Entfernung fremder Körper aus dem Kehlkopf 5—50 M. 

S. Kleinere Operationen lin äusseren Gehörgang 2—10 M. 

9. Entfernung von Fremdkörpern aus dem Ohre 2—10 M.; 
in veralteten Fällen mit Abtragung der Ohrmuschel 20—50 M. 

10. Durchbohrung und Ausschneidung des Trommelfelles 
3-15 M. 

11. Schwierigere Operationen am Mittelohr vom Gehörgang 
aus 15—30 M. 

12. Anwendung des scharfen Löffels in der Paukenhöhle 
3—10 M. 

13. Anwendung des Ohrkatheters oder Politzer’schen Ver¬ 
fahrens 2—G M.; mit Ausspülung des Mittelohres durch deu 
Katheter 3—G M. 

14. Operationen am Warzenfortsatz: a) einfache Eröffnung 
15—100 M., b) Radikaloperation an den Mittelohrräumen 30 
bis 200 M. 

VI. Zahnärztliche Verrichtungen. 

1. Reinigung sämmtlicher Zähne 5—10 M. 

2. Ausziehen eines Zahnes oder einer Zahnwurzel 1—5 M.; 
bei mehreren die folgenden je 1—3 M. 

3. Narkose behufs Zahnextraktion incl. kleinerer operativer 
Eingriffe 3—10 M. 

Die Extraktionen, sowie das Honorar eines eventuell zuge¬ 
zogenen Arztes werden eigens verrechnet. 

4. Lokale Betäubung behufs Zahnextraktion 2—5 M. 

5. Stumpffeilen der rauhen Ränder eines Zahnes, Verteilen 
oberflächlicher Caries für jeden Zahn, sowie Separiren eng- 
stehender Zähne durch Feilen oder Schleifen für jeden Zwischen¬ 
raum 1—3 M. 

G. Abtragen einer Zahnkrone 1—5 M. 

7. Aufbohren eines gangränösen Zahnes 2—10 M. 


8. Plastische Füllungen (Cement, Amalgam, Guttapercha etc.), 
kombinirte und doubllrte Füllungen 3—10 M. 

9. Goldfüllung 10—30 M. 

10. Zinn- und ZinngoldfUUungeu 5—15 M. 

11. Wurzelfüllung eines Zahnes 2—10 M. 

12. Einlagen und Verbände bei Behandlung wurzel- oder 
pulpeukranker Zähne für die Sitzung 1—5 M. 

13. Kauterisation und Ueberkappung der Pulpa 2—4 M. 

14. Kleinere Operationen am Zahnfleisch, Eröffnung von Al»- 
scessen, Einspritzen von Arzneimitteln 2—5 M. 

15. Stillung einer übermässigen Blutung nach einer Zahu- 
operation 2—4 M. Etwa nothwendige Schienen werden eigens 
berechnet. 

IG. Eröffnung der Highmors-Höhle von der Alveole aus 
5—20 M. 

17. Behandlung bei Regulirung der Zähne für die Sitzung 

2— 5 M. 

18. Entfernung eines abgebrochenen Stlftzahnes aus der 
Wurzel 3—10 M. 

19. Wiederbefestigung eines ausgefallenen Stlftzahnes 2—10 M. 

20. Herrichtung einer Wurzel zur Aufnahme einer künst¬ 
lichen Krone 5—20 M. 

21. Anfertigung einer Platte aus Kautschuk für künstlichen 
Zahnersatz 5—10 M. -Jeder daran befestigte Zahn 5—10 M. Zähne 
mit Metallschutzplatten für jeden Zahn 10—15 M. 

22. Obergebiss oder Untergebiss in Kautschuk G0—150 M. 

23. Obergebiss und Untergebiss In Kautschuk 100—250 M. 
Mit Zahnfleisehzühnen 200—300 M. Für Goldfederverbindung 
weitere 25—50 M. 

24. Ersatz einzelner Theile der Federverbindung incl. Be¬ 
festigung: a) Goldspiralfeder das Stück 5—10 M.. b) Goklfeder- 
triigor das Stück 3—5 M., c) Goldschraube das Stück 3—5 M. 

25. ' Klammern oder Einlagen aus Edelmetall zur Befestigung 
oder Verstärkung einer Kautschukplatte 5—10 M. 

2G. Eine Kautschukreparatur 5—10 M. 

27. Ansetzen oder Ersetzen eines neuen Kautsehnkznhnes 
0—10 M. 

28. Reinigen und Poliren eines getragenen Ersatzstücke* 

3— 10 M. 

29. Ein Emailzahn mit Platinunterlage 30—50 M., zwei der¬ 
gleichen 50—G0 M. 

30. Ein Email-Ober- und Uutergebiss 300—500 M. 

31. Anfertigung einer Platte aus Gold excl. Metallwerth 20 bis 
30 M., jeder daran befestigte Zahn 10—15 M. 

32. Goldgebissreparatur oder Ansetzen eines neuen Zahnes 
15—30 M. 

33. Obergebiss und Uutergebiss in Gold mit Zähnen ln Kaut¬ 
schuk 250—350 M. Für Zahnfleischzilhne mehr 50—100 M. 

34. Obergebiss und Untergebiss In Gold mit Goldspiralfedern 
500-000 M. 

35. Einsetzen eines Stiftzahnes 10—20 M. 

36. Einsetzen eines Stiftzahnes mit Wurzelring 30—50 M. 

37. Brückenarbeiten für jeden Zahn 20—50 M. 

38. Regulirungsapparat in Kautschuk oder in Aluminium¬ 
bronze 20—100 M., ln Gold 50—300 M. 

39. Obturator in Kautschuk 30—200 M. 

40. Ersatz von Kieferdefekten aus Kautschuk einschl. der 
Zähne 30—200 M. 

41. Apparat zur Feststellung von Kieferbrüchen 30—200 M. 

42. Bei Anfertigung von Gebissen oder deren Theilen aus uu- 
edlen Metallen verringert sich der Preis um die Differenz des 
Metallwerthes. 


Morbiditätsstatistik d. Infectionskrankh eiten für Mönchen 

in der 43 Jahreawoche vom 20. bis 26. Oktober 1901. 

Betheiligte Aerzte 203. — Brechdurchfall 12 (10*), Diphtherie, 
Croup 15 (12), Erysipelas 8 (13), Intermittens, Neuralgia interm. 
2 (2), Kindbettfleber 2 (1), Meningitis cerebrospin. 1 (—), 
Morbilli 23 (21), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 1 (9), Parotitis 
epidem. 3 (3), Pneumonia crouposa 10 (16), Pyaemie, Septikaemie 
— (1), Rheumatismus art. ac. 17 (14), Ruhr (dysenteria) — (—\ 
Scailatina 7 (11), Tussis convulsiva 21 (9), Typhus abdominalis 
6 (4), Varicellen 16(10), Variola, Variolois — (—), Influenza 3 (3), 
Summa 144 (136). Kgl. Bezirksamt Dr. Maller. 


Uebersicht der Sterbefälle in Manchen 

wahrend der 43. Jahreswoche vom 20. bis 26. Oktober 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 1 (l*), Scharlach — (IX Diphtherie 
und Croup 1 (—), Rothlauf 1 (1), Kindbettfleber — (—X 
Vergiftung (Pyaemie) 1 (4), Brechdurchfall 11 (8), Unterleibtyphus 
l (—), Keuchhusten — (1), Croupöse Lungenentzündung 3 (—X 
Tuberkulose a) der Langen 17 (12) b) der flhrigen Organe 11 (10), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere abertragbare Krank¬ 
heiten 3 (3), Unglücksfftlle 4 (3X Selbstmord 3 (1), Tod durch 
fremde Hand — (—). 

Die Gesamratzahl der Sterbefalle 192 (186X VerhOltnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,0 (19.3X für die 
aber dem 1. Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,2 (10,5). 

•) Dl« eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Mühlthalcr's Buch- und Kunstdruckerei A.G„ München. 


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Die Manch. Med. Wochenachr. erscheint wöchentl. 
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen. 
Preis ln Deutschi. u. Oest.-Üngam vlerteljahrl. 6 Jt, 
ins Ausland 7.60 JL Einseine No. 80 4- 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind su adreeslran: Für die Bedactlon 
Ottostraase 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬ 
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen 
an Rudoll Mosse, Promenadeplats 16. 


MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Cd. Biialir, 0. Bolllngir, H. Curscbamn, 

Freiburg I. R München Leipzig 

No. 46. 12. November 1901. 


Herausgegeben von 

C. Girbirdt, 6. Merkil, J. t. Mlcbil, 

Berlin. Nürnberg. Berlin. 

Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasae 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Henstrasse 20. 


H. v. Buke, 

München. 


F. f. Wliekil, H. i. ZIirssii, 

Münehen. München. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Zur Theorie der Antikörper. 

I. Ueber die Antitoxin-Immunität.*) 

Von Max Gruber in Wien. 

Als v. Behring vor bald 11 Jahren mit K i t a s a t o 
seine Entdeckung der antitoxischen Wirkung des Serums der 
gegen Diphtherie- und Tetanusgift immunisirten Thiere ver¬ 
öffentlichte, erkannte man sofort die ungeheuere Wichtigkeit 
derselben für die ganze Lehre von der Immunität. Die Her¬ 
stellung antitoxischer Sera gegen zahlreiche andere Bakterien¬ 
gifte, gegen Schlangen-, Skorpionen-, Aal-Gift und gegen ge¬ 
wisse Pflanzengifte, wie Abrin, Riein, Crotin, die Entdeckung 
specifisch baktericider Sera, die der specifischen Agglutination, 
die Entdeckung der specifischen Präcipitation durch Herrn Kol¬ 
legen Kraus bestätigten die Richtigkeit dieses Urtheils. Aber 
nur allmählich reifte die Erkenntniss, dass man es hier nicht 
bloss mit Immunisirungsvorgängen, Reaktionen gegen Schäd¬ 
lichkeiten zu thun hatte, sondern dass es sich dabei um eine viel 
umfassendere Gesetzmässigkeit, um die Reaktion des Organismus 
gegen Einführung gewisser fremdartiger StofFe überhaupt handle. 
Der Erste, der die volle Auffassung von dem Umfang des hier 
vorliegenden biologischen Problems gewonnen hat, scheint mir 
Herr Kollege Landsteiner zu sein, der aus der Thatsache, 
dass es mir gelungen war, auch durch Einverleibung völlig harm¬ 
loser Saprophyten specifisch hakterieide und agglutinirende Sera 
zu gewinnen, den richtigen Schluss zog, dass es sich hier nicht 
um eine Schutzmaassregel gegen Infektionsgefahr, nicht um 
Reaktionsprodukte des kranken Organismus handeln könne, uni' 
daraufhin mit bisher dabei noch nicht verwendeten Stoffen Anti¬ 
sera zu erzeugen versuchte. .)• 

Mit der Veröffentlichung der Herstellbarkeit sppeifisch blut¬ 
körperchenlösender (globulicider, haemolytischef) Sera ist ihm 
Bordet zuvorgekommen, aber er erweiterte den Horizont so¬ 
fort. in ausserordentlichem Maasse dadurch, dass es ihm gelang, 
durch Injektion von Spermatozoen ein specifisch spermatocides 
Serum zu erzeugen. 

Heute können wir sagen, dass die Zahl der specifisch wirken¬ 
den Antisera, die durch Einverleibung fremdartiger chemischer 
Verbindungen oder fremdartiger Zellen erzeugt werden können, 
Legion ist. Wenn wir wollen, können wir Hunderte und 
Tausende von derartigen Seris herstellen. Wir kennen heute 
schon ausser den Seris, welche die Bakteriengifte, gewisse Thier¬ 
gifte und Pflanzengifte unschädlich machen, ausser den zahl¬ 
losen, die Blutkörperchen agglutinirenden und lösenden, haemo- 
lytischen Seris, ausser den ebenso zahllosen, die Bakterien agglu¬ 
tinirenden und lösenden, bakteriolytischen Seris, Sera, welche die 
Wirkung der Enzyme hindern; so Antiemulsinserum, Antiserum 
gegen die tryptischen Enzyme der Bakterien, Antilabserum, Anti- 
fibrinfermentserum. Durch Einspritzung von Milch, von Eier- 
eiweiss, von normalem Blutserum erhalten wir Sera, welche 
Milch, Eiereiweiss, die Eiweisskörper dieser fremden Sera zur 
Gerinnung bringen bezw. fällen. Einspritzung specifisch haemo- 
lytischer Sera führt zur Bildung von Seris, welche Antagonisten 
der ersten sind. Wie man durch Injektion von Spermatozoen 

*) Vortrag, gehalten in der k. k. fJesellsolmft der Aerzte in 
Wien am 2ö. Oktober 11)01. 

No. 46 


spermatocides Serum gewinnt, so durch die von Flimmerepithel 
Serum, welches dieses Epithel tödtet und analog Serum, das 
weisse Blutkörperchen, Nierenepithel, Leberepithel, Nervenzellen 
tödtet. Von diesen haemolytischen oder zelltödtenden Seris gibt 
es anscheinend ebenso viele als es Thierspecies gibt, die mit den 
betreffenden Organen und Zellen versehen sind. Ja, noch un¬ 
endlich viel mehr, denn Ehrlich und Morgenrot h und 
Anderen nach ihnen ist es gelungen, sogen, i s o lytische und 
i s o agglutinirende Sera darzustellen, d. h. durch Injektion des 
Blutes von einem Thiere in ein zweites Thier derselben Art 
Sera zu gewinnen, die für die Blutkörperchen anderer Individuen 
der gleichen Art schädlich sind; anscheinend ein höchst bedeu¬ 
tungsvoller Beweis für die Verschiedenheit des chemischen Auf¬ 
baues jedes einzelnen Individuums. 

Diese Studien haben uns also physiologisch-chemische Pro- 
cesse enthüllt, von denen wir bisher keine Ahnung hatten und 
deren volle Bedeutung für den tliierischen Stoffwechsel wir auch 
jetzt noch wohl kaum zu errathen begonnen haben. 

Eine Fülle von Fragen drängt sich uns daher auf. E i n 
Problem war es vor Allem, welches von Anfang an die Forscher 
im höchsten Maasse beschäftigte: Wie kommt diese unerhörte 
Veränderung des Stoffwechsels zu Stande, dass der Organismus 
in Folge der Einverleibung der fremden Stoffe anscheinend ganz 
neue Substanzen zu bilden beginnt? 

Woher diese erstaunliche Zweckmässigkeit, diese „prästabi- 
lirte Harmonie“, dass der Organismus gerade immer solche Stoffe 
erzeugt, welche die eingedrungene Schädlichkeit, Gifte, Bakterien 
u. "s. w. zu tilgen geeignet sind; diese specifische Anpassung von 
Stoff und Gegenstoff, die man von vomeherein für ganz un¬ 
möglich halten würde?! 

Wir stehen so sehr in den Anfängen der Kenntniss dieser 
Vorgänge, dass es von vomeherein für höchst unwahrscheinlich 
gehalten werden muss, dass wir schon zur Lösung dieser schwie¬ 
rigen Fragen befähigt sein sollten. Sie wissen aber, dass einer 
der hervorragendsten Forscher auf dem Gebiete der Physiologie 
und Bakteriologie des Blutes und auf dem der Immunität, Paul 
Ehrlich, in seiner Seitenkettentheorie bereits den Schlüssel 
zur Oeffnung dieses Räthselschreines gefunden zu haben glaubt. 

Nach seiner Auffassung sind die verschiedenen Antikörper, 
deren Vorhandensein wir die Wirkung der Antisera zuschreiben 
müssen, chemische Verbindungen, welche auch schon im nor¬ 
malen Organismus, wenn auch in viel geringerer Menge als im 
vorbehandelten, vorhanden sind. Während sie in jenem Orga¬ 
nismus, der die specifische Vorbehandlung erfahren hat, reichlich 
gelöst im Blute circuliren, sind sie im normalen Organismus nicht 
oder nur zum kleinsten Tlieile Bestandtheile des Blutes, sondern 
sollen sie Bestandtheile „gewisser Zellarten“, chemische An¬ 
hängsel, „Seitenketten“, wie der Chemiker sagt, des grossen leben¬ 
digen Protoplasmamoleküls sein, die mit diesem in ähnlichen Be¬ 
ziehungen stehen, wie die Seitenketten (Sulfogruppe, Nitro- 
gruppe, Fettsäureester u. s. w.) zum Benzolkern der aromatischen 
Verbindungen. Auf ihrer chemischen Verwandtschaft mit dem 
fremdartigen Stoffe, dem Bakterientoxin z. B., beruht ebenso die 
Giftwirkung wie die Schutzwirkung. 

Sitzt die Seitenkette am Protoplasma, so bringt sie durch 
die chemische Bindung des Giftes dieses in Wirkungsnähe an 
das Protoplasma heran, so dass dieses nun in seiner Lebeus- 
thütigkeit gestört wird, erkrankt. 

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1828 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Circuliren aber Seitenketten frei im Blute, so binden sie 
sofort das neueindringende Toxin, bevor dieses noch an die 
Seitenketten des Protoplasmas herankommen konnte. Da die 
frei eirculirenden Seitenketten selbst keine physiologische Auf¬ 
gabe zu erfüllen haben, bringt ihre Verbindung mit dem Toxin 
keinen Schaden und das geschützte Thier bleibt gesund. 

Es war ein genialer Einfall, dass dieselbe Substanz durch 
ihre chemische Affinität schädlich oder nützlich werden könne, 
je nachdem sie sich in den Zellen oder in den Säften befindet und 
es verdient bemerkt zu werden, dass Derartiges wirklich vor¬ 
kommt. Ransom, der Mitarbeiter v. Behring’s und Hans 
M e y e ris, dem wir eine Reihe der exaktesten Arbeiten auf dem 
Gebiete der Immunität verdanken, hat vor Kurzem bewiesen, 
dass die haemolytische Wirkung des Saponins darauf beruht, 
dass es sich mit dem Cholesterin der Erythrocyten verbindet und 
dass ebenso der Schutz gegen das Saponin, den die Erythro¬ 
cyten durch Zusatz von Blutserum erfahren, darauf beruht, dass 
auch die Blutsera Cholesterin enthalten, und dass dieses Serum¬ 
cholesterin das Saponin bindet, bevor es vom Erythrocyten- 
cholesterin aufgenommen werden kann. 

Wie kommen aber die Seitenketten in Folge der Vorbehand¬ 
lung in’s Blut? Nach der Annahme Ehrlich’» durch TJeber- 
produktion. Die chemische Affinität der Seitenkette am Proto¬ 
plasma, durch welche gegebenen Falls das Toxin gebunden wird, 
ist nach ihm ein nothwendiges Glied im normalen Stoffwechsel 
des Protoplasmas, indem sie gewisse Nahrungsmoleküle bindet, 
und dadurch in den Wirkungsbereich des Protoplasmas bringt. 
Wird eine solche Seitenkette durch Toxin gebunden und ausser 
Funktion gesetzt, so leidet darunter das Protoplasma. Es 
trachtet, den Defekt zu ersetzen und producirt daher neue 
Seitenketten derselben Art. Diese Reproduktion hält sich aber, 
wie We i g e r t für die Gewebsneubildungen nach Defekten ge¬ 
zeigt hat, niemals in den Grenzen des einfachen Ersatzes, son¬ 
dern erfolgt im Uebermaass. Es werden mehr Seitenketten 
gebildet als der Protoplasmakem festzuhnlten vermag, der TJeber- 
schuss wird abgestoosen und gelangt in’s Blut. 

Diese Hypothesen Ehrlich’s sind desshalb so bestechend, 
weil sie uns auf einen Schlag Giftwirkung und Schutzwirkung 
zu erklären und das Räthsel der Speeifität der Antikörper zu 
enthüllen scheinen. Am Protoplasma sitzen normaler Weise 
vielerlei Seitenketten, jedesmal wird bei der Tmmunisirung gerade 
nur jene im TTobermanss producirt, zu welcher das betreffende 
Toxin zufällig Affinität hat. 

Auf diese Grundhypothesen hat nun Ehrlich im Laufe 
der letzten Jahre Hypothese auf Hypothese gebaut und es ge¬ 
währt unzweifelhaft Genuss, dem geistvollen Manne atif dem 
kühnen Fluge seiner Phantasie zu folgen. 

Aber die Naturforschung will mehr sein als ein Spiel de« 
Geistes, sie will ein richtiges Weltbild entwerfen und ist durch 
die Erfahrung von Jahrhunderten allmählich ängstlich geworden 
gegenüber allen weitgTeifenden Generalisirungen, gegenüber allen 
Apercus und wären sie noch so geistreich. Am Ende hat sich 
nämlich die Natur immer als noch geistreicher, als noch phan¬ 
tasievoller erwiesen als das geistvollste menschliche Hirn. 

Der Naturforscher steht ja überhaupt der Hypothese, der 
Theorie viel nüchterner gegenüber als der Laie. Er fragt nicht 
um ihre Schönheit, um ihren Glanz, um ihre grössere oder 
kleinere Kühnheit und Originalität: denn die Hypothese und 
selbst die Theorie ist ihm zunächst nur Mittel, neue Wege in’s 
unbekannte Tbatsaehenland zu finden. Jede Hypothese hat für 
ihn nur heuristischen Werth. Auch wenn sie falsch ist, kann sie 
nützlich sein, indem sie neue Thatsachen finden lehrt; schädlich 
wird sie erst dann, wenn sie uns mit Worten betäubt, so dass wir 
die Lücken unseres Wissens übersehen, auf das Schauen und 
Suchen vergessen, wenn sie uns durch falsche Gruppirung der 
Thatsachen die Wege zum weiteren Vordringen verrammelt. 

Die Eh rl i e h’sche Theorie wirkt nun nach meinem Dafür¬ 
halten überwiegend schädlich. Mein heutiger Vortrag hat den 
Zweck, Gemeinsam mit. Ihnen die Grundlagen zu prüfen, auf 
welche Ehrlich seine Theorie zu bauen versucht hat. Ich 
hoffe Ihnen zeigen zu können, dass sie einer ernsthaften Kritik 
nicht. Stand zu halten vermag und mit. wichtigen Thaisachen in 
unvereinbarem Widerspruche steht. Ich gehe aber mit einigem 
Bangen an meine Aufgabe, denn der Weg, den wir zu gehen 
haben, ist ein so verschlungener und dunkler, dass wir nur Schritt 


No. 40. 

für Schritt mit gespannter Aufmerksamkeit tastend auf i hm 
vorwärts kommen können. Wir werden vorwiegend bereits be¬ 
kannte Thatsachen nach allen Seiten wenden und drehen müssen, 
um einigermaassen erkennen zu können, was sie zu bedeuten 
haben. Eine langweilige Arbeit! Wir Heutigen wollen vor Allan 
Neues. Neue Thatsachen habe ich aber heute nicht vorzubringen. 

Wenn ich das überblicke, womit ich es heute zu thun habe, 
so finde ich, dass es im Wesentlichen Grübeleien sind; querelles 
allemandes, wenn Sie wollen, denn auch hier zeigt es sich, dass 
der speculative Teufel uns Deutschen noch immer im Nacken 
sitzt. Ich warne Sie daher: Rette sich, wer an solchen Dingen 
kein Vergnügen findet, bei Zeiten! 

Die E h r 1 i c h’sche Lehre hat ihren Ausgang genommen 
von den Beziehungen des Toxins zum Antitoxin und stützt sich 
wesentlich auf die Feststellungen, die darüber beim Tetanus- und 
Diphtheriegifte gemacht worden sind. Man war lange darüber 
uneinig, wie denn die Wirkung des Antitoxins zu Stande komme, 
v. Behring hatte ursprünglich die näclistliegende Annahme 
gemacht, dass das Antitoxin das Toxin geradezu zerstöre. Diese 
Annahme erwies sich aber bald als unzutreffend, denn C a 1 - 
mette. Phy salix und Bertrand zeigten, dass das 
den Bakterientoxinen nahe verwandte Schlangengift wieder un¬ 
verändert zum Vorscheine kommt, wenn man ein vollkommen 
wirkungsloses Gemisch der Toxin- mit der Antitoxinlösung 
längere Zeit auf 68° erhitzt. Diese Temperatur zerstört das 
Ant itoxin,aber nichtdas Toxin. Ganz ähnlich verhalten sich dieGe- 
mischc des Abrin, des Riein, des Toxins des Bact. pyoeyaneum mit 
ihren Antitoxinen. Ohne Zweifel ist also das Toxin oder wenig¬ 
stens seine konstituirende Atomgruppirung im Gemische noch 
vorhanden und kommt nur nicht zur Wirkung. Einige Forscher 
nahmen nun an, dass das Antitoxin gar nicht direkt auf das 
Toxin, sondern als eine Art Entzündungsreiz auf die lebendigen 
Zellen wirke, wodurch diese gegen das Gift widerstandsfähiger 
werden sollten. Allein auch diese Annahme ist unhaltbar. Es 
widerspricht ihr der Umstand, dass neutrale Gemische von Toxin- 
und Antitoxinlösung vom ersten Augenblicke nach der Injektion 
an nicht die geringste Giftwirkung hervorbringen, während 
nach allen unseren Erfahrungen eine gewisse Zeit vergeht, bis 
auf den Entzündungsreiz die Reaktion des Organismus folgt. 
Es widerspricht ihr, dass jene Menge Antitoxinlösung, welche 
zusammen mit der Toxinlösung injizirt, diese völlig unwirksam 
macht, um Vieles schwächer wirkt, wenn sie vor der Toxin¬ 
lösung eingespritzt wird, während man das Umgekehrte erwarten 
müsste, wenn sie modifizirend auf den Organismus wirken würde. 
Endlich wird diese Annahme durch die Thatsache widerlegt, 
dass in vielen Fällen aktiv immunisirte Thiere, z. B. mit Di¬ 
phtherielösung behandelte Pferde, durchaus keine verminderte, 
sondern eine erhöhte Empfindlichkeit gegen das Gift zeigen, ob¬ 
wohl ihr Blutserum stärkste antitoxische Wirkung besitzt. Wir 
kommen auf diese letztere Thatsache, welche eine fundamentale 
Bedeutung für die Theorie der Antitoxinimmunität besitzt, sehr 
bald zurück. 

Man könnte noch daran denken, dass das Antitoxin, ohne 
das Toxin anzugreifen und ohne das Leben der empfindlichen 
Zellen im Ganzen zu beeinflussen, irgendwie auf rein chemischem 
Wege die Bindung und damit die Wirkung des Toxins hemme. 
Solche Hemmungen der Giftwirkungen kommen ohne Zweifel 
vor und müssen in der Theorie der Giftimmunität auf’s Emst- 
lichste in Betracht, gezogen werden, aber in unserem Falle scheinen 
sie nicht im Spiele zu sein. Heute dürften so ziemlich alle 
Forscher darüber einig sein, dass das Antitoxin das Toxin da¬ 
durch unwirksam macht-, dass es sich mit ihm chemisch verbindet. 
Dabei wird der giftige Atomkomplex des Toxins nur nicht zer¬ 
stört. so dass die Giftwirkung wieder zum Vorscheine kommt, 
wenn das Antitoxin aus der Verbindung abgetrennt oder zer¬ 
stört. wird. Wir können diese fundamentale Auffassung, die von 
E h r 1 i e h ausging und der er hauptsächlich zum Siege ver- 
holfen hat, als vollkommen gesichert betrachten. Ihre Richtig¬ 
keit. z. B. wird dadurch bewiesen, dass sich Toxin- und Anti- 
toxinlösungen nach dem Gesetze der Multipla neutralisiren, so 
dass, wenn 1 ccm Antiserum 50 tödtliche Dosen Giftlösung un¬ 
wirksam macht. 2 ccm 100. 3 ccm 150 neutralisiren u. s. f.; dass 
das Unwirksamwerden der Gemische von Toxinlösung und Anti¬ 
serum in vitro gerade so pine Funktion der Zeit, der Konzen¬ 
tration. der Temperatur ist, wie wir dies beim Ablaufe chemischer 
Reaktionen zu beobachten gewöhnt sind, u. a. m. Völlig ent- 


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12. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHEN SCH RIFT. 


1829 


scheidend für die chemische Verbindung des Toxins mit dem 
Antitoxin scheint mir die Beobachtung von Martin und 
Cherry zu sprechen, dass das Toxin aus der bis zur völligen 
Unwirksamkeit mit Antiserum versetzten Toxinlösung nicht 
mehr herausdiffundirt, während das freie Toxin durch dasselbe 
Diaphragma, ein dünnes Gelatinehäutchen, sehr rasch hindurch- 
kommt. 

Nachdem die Frage der Wirkung des Antitoxins in 
seinem Sinne entschieden war, hat sich Ehrlich daran ge¬ 
macht, die Verhältnisse der Neutralisirung der Giftwirkung des 
Toxins durch das Antitoxin -genauer zu studiren. Er hat eine 
ungeheuere Summe von Zeit und Arbeit darauf verwendet, in 
der Hoffnung, auf diesem Wege Aufschlüsse über die Kon¬ 
stitution der Giftlösung und des Giftes zu erhalten, die in an¬ 
derer Weise nicht zu erlangen sind, so lange wir nicht im Stande 
sind, das Gift oder die Gifte in chemisch reinem Zustande zu 
isoliren und durch chemische Reaktionen zu charakterisiren. 

Es würde uns viel zu weit führen, wenn ich alle Ergebnisse 
dieser Versuche, die zuerst mit Diphtheriegift und -Gegengift 
angestellt worden sind, schildern und die Deutung, die Ehrlich 
ihnen gibt, ausführlich darlegen wollte. Es sei also zunächst 
nur folgende wichtige Thatsache angeführt. Die Giftwirkung 
der Diphtherietoxinlösungen (filtrirte Bouillonkulturen) und 
anderer Toxinlösungen nimmt bei der Aufbewahrung insofeme 
ab, als immer grössere Mengen von ihnen erforderlich sind, uni 
den Tod der Versuchstiere herbeizuführen oder, anders aus- 
gedrückt, die Zahl der tödtlichen Giftdosen 1 ) in der Volumen¬ 
einheit wird immer kleiner. Trotzdem bringen selbst kleine 
Mengen dieser weniger tödtlich gewordenen Flüssigkeit noch 
Krankheitserscheinungen, Oedeme und nach langer Latenzzeit 
auftretende Paresen hervor. Um das Auftreten dieser Erschei¬ 
nungen vollständig zu verhindern, muss man der Giftlösung 
eine gewisse Menge Antiserum hinzufügen. Misst man nun, 
wieviel das ist, so stellt sich heraus, dass diese Menge genau 
ebenso gross ist, wie die, die man zur Aufhebung jeder Gift¬ 
wirkung der Giftlösung gebraucht hat, als sie noch ihre volle 
tödtliche Wirksamkeit hatte. Die Neutralisations¬ 
relation zwischen Gift - und Gegengiftlösung 
in Bezug auf völlige Entgiftung ist also un 
verändert geblieben, obwohl die Tödtlich- 
keit der Giftlösung inzwischen auf die Hälfte, 
auf ein Drittel, ein Zehntel gesunken ist. 
Daraus zieht Ehrlich den Schluss, dass jener Atomkomplex 
im Toxin, der dessen Affinität zum Antitoxin bedingt, ein ganz 
anderer sei, als derjenige, von welchem die Giftwirkung des 
Toxins ausgeht. Er nennt den ersteren die haptophore, den 
letzteren die toxophore Gruppe des Toxins. Er nimmt weiter 
an, dass beim Stehen der Toxinlösung die Toxinmolecule nach 
und nach ihre toxophoren Gruppen einbüssen, während die 
haptophoren erhalten bleiben und nennt das Toxin, welches seine 
toxophore Gruppe verloren hat, aber die haptophore noch be¬ 
sitzt, Toxoid. 

Beim Stehen soll also die Zahl der Toxinmoleküle ab, die 
der Toxoidmoleküle zunehmen; da aber Toxin- und Toxoid- 
molekul gleichviel Antitoxin binden, bleibt die Neutralisations- 
verhältniss zwischen Toxinlösung und Antiserum unverändert. 

Woher kommt aber die unveränderte Fähigkeit der Gift¬ 
lösung, Oedeme und Paresen hervorzurufen, trotzdem die Zahl 
der Toxinmoleküle abgenommen hat? Um dies zu erklären, mus3 
Ehrlich die weitere Hypothese machen, dass in der Giftlösung 
von Anfang an neben dem tödtlich wirkenden labilen Toxin 
noch ein zweites, Oedem und Paresen erzeugendes Gift, das er 
„Toxon“ nennt, vorhanden sei, ein Gift, dessen Molekül ebenso 
viel Antitoxin bindet und dieselbe haptophore Gruppe besitzt, 
wie das Toxininolekul, das aber geringere Affinität zum Anti¬ 
toxin besitzt wie Toxin und Toxoid und daher erst dann vom 
Antitoxin gebunden wird, wenn die beiden ersteren damit ge¬ 
sättigt sind. 

Man muss sagen, dass es von vorneherein viel Wahrschein¬ 
lichkeit für sich hat, dass es andere Atomgruppen sind, welche 
das Antitoxin binden und andere, welche die Giftwirkung auf 
das Protoplasma ausüben. Es ist ja eine ganz allgemeine 
chemische Erfahrung bei komplizirt gebauten, grossen Molekülen, 
dass bei jeder verschiedenen Reaktion andere Atomgruppen in 
Wirksamkeit treten und die früher erwähnte Thatsache, dass 


durch Erwärmen auf 68° das Toxin aus seiner Verbindung mit 
dem Antitoxin unversehrt regencrirt werden kann, scheint sehr 
im Sinne E h r 1 i c h’s zu sprechen; in viel höherem Maasse 
deuten noch andere Thatsachen darauf hin, auf welche ich später 
zu sprechen kommen werde. 

Ich möchte auch nicht leugnen, dass es möglich ist, dass 
Ehrlich mit der Annahme Recht hat, dass das Diphtherie¬ 
bakterium zweierlei Gifte, Toxine und Toxone, bilde und dass 
die Toxine in Toxoide übergehen. Ich bestreite aber, dass Ehr¬ 
lich dies zu beweisen vermag. Und noch viel weniger bewiesen 
ist der übrige Weichselzopf von Hypothesen, welche Ehrlich 
auf seine Experimente über fraktionirte Neutralisation der Toxin¬ 
lösungen durch Antiserum gegründet hat; seine Proto- und Syn- 
und Epitoxoide, seine Proto-, Deutcro-, Tritotoxine, sein Gift¬ 
spektrum u. s. w. 

Angesichts der riesigen Arbeit, die Ehrlich und seine 
Mitarbeiter und Nachfolger diesen Versuchen gewidmet haben, 
thut es mir leid, trocken sagen zu müssen, dass sich Ehrlich 
hier auf einem Irrwege befindet. Physiologische Versuche über 
Giftwirkungen von höchst komplizirt zusammengesetzten Flüssig¬ 
keiten, wieBakterionkulturlösungen und Sera, sind allzu vieldeutig, 
als dass sie als Ersatz für chemische und physikalische Reaktionen 
dienen und für sich allein sichere Analysen derartiger Flüssig¬ 
keiten ermöglichen könnten. Ich stehe mit diesem harten Ur- 
theile nicht allein, v. Behring spricht in seinem neuen Buche 
über die Diphtherie auf S. 91 dasselbe aus und erklärt, dass er 
selbst derartige Versuche nach jahrelangen Bemühungen als völlig 
aussichtslos aufgegeben habe. 

Ich will es aber nicht bei dieser allgemeinen Behauptung 
bewenden lassen, sondern an einigen Beispielen zeigen, dass es 
in der That unmöglich ist, diesen E h r 1 i c h’schen Versuchen 
den Charakter von in seinem Sinne beweisenden chemischen 
Reaktionen beizulegen. 

Ehrlich glaubt, durch abgestuften Zusatz von Antiserum, 
Toxine und Toxoide völlig wegneutralisiren zu können, so dass 
nur mehr die Toxone ungebunden bleiben und zur Wirkung 
kommen, die, wie Sie sich erinnern, nicht tödten, sondern nur 
Paresen hervorrufen. In der That haben er selbst und Andere 
gefunden, dass es für jede Giftlösung einen gewissen Zusatz von 
Antiserum gibt, nach dem bei einer bestimmten Thierart nur 
mehr Parese, also „typische Toxonwirkung“ sich einstellt. Wie 
wenig aber dadurch bewiesen ist, dass hier nur freies Toxon und 
kein freies wirksames Toxin mehr vorhanden ist, lehren neueste 
Mittheilungen von I) reye r und M a d s c n, zweier überzeugter 
Anhänger Ehrlich’s. So geben sie an, durch Zusatz einer 
gewissen Antitoxinmenge zu einem ihrer Diphtheriegifte (E) ein 
Gemisch erhalten zu haben, welches beim Kaninchen typische 
Toxonwirkung hervorbrachte und nach dem E h r 1 i c h’schen 
Maasssystem gcaicht 40 freie Toxonaequivalente enthielt. Das¬ 
selbe Gemisch rief aber bei dem für Toxon empfindlichen Meer¬ 
schweine nicht die geringste Wirkung hervor, enthielt also am 
Meerschwein geprüft, kein freies Toxon. 

Ein anderes Gemisch wirkte beim Meerschwein rein als 
„Toxon“ und enthielt an diesem Thiere ausprobirt 33 freie 
Toxon- und 0 freie Toxinaequivalente, beim Kaninchen aber 
machte es typische „Toxin“wirkung und an dieser Species titrirt 
enthielt es neben 40 freien Toxon- noch 33 freie Toxinaequi¬ 
valente! Nun, das kann nicht Beides zu gleicher Zeit wahr 
sein; entweder — oder; entweder ist das Toxin gebunden, dann 
kann es nicht wirken, weder bei Kaninchen noch beim Meer¬ 
schwein oder es ist frei, dann muss es Meerschwein wie Kanin¬ 
chen tödten, wenn die Giftwirkung allein von dem Vorhanden¬ 
sein ungebundener Giftmoleküle abhängt. 

Man braucht aber gar nicht nach so subtilen Versuchen zu 
greifen. Das Urtheil über E h r 1 i c h’s Bestrebungen in dieser 
Richtung ist gesprochen, wenn wir durch v. Behring er¬ 
fahren, dass zwei Diphtheriegiftlösungen, die in der Volumeinheit 
genau gleichviel -f- Ms enthalten, d. h. deren Volumeinheit genau 
gleichviel Gramme Maus binnen 4 Tagen tödtet, durchaus ver¬ 
schiedene Gehalte an + K, -f- T, + Z, -f Pf*) besitzen können. 

Dies zeigt uns unwiderleglich, dass die Wirkung der Diph¬ 
theriegiftlösung durchaus nicht allein abhängig ist von der Zahl 
der freien Toxinmoleküle in ihr, sondern dass sie auch abhängt von 
anderen unbekannten Stoffen in ihr, die die Giftwirkung hemmen 
oder fördern, beim einen Thiere so, beim anderen anders wirken. 


*) Dosis letalis Ist die kleinste Menge Giftlösung, die ein 
Meerschwein von 250 g binnen 4 Tagen sicher zu t¥dten vermag. 


*) 

Fferd. 


Tödtliche Dosis für 1 Gramm Kaninchen. Taube. Ziege, 


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1830 


MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


Wer widerlegt uns, wenn wir behaupten, die Abnahme der 
Letalität der Giftlösungen beruhe nicht auf einer Veränderung 
der Toxinmoleküle, ihrer Umwandlung in Toxoide, sondern auf 
ganz anderen chemischen Vorgängen in der Flüssigkeit durch 
welche Verbindungen entstehen oder vermehrt werden, welche die 
Giftwirkung der intakten Toxinmoleküle schwächen und modi- 
fiziren. 

Es ist ein verhängnissvoller Irrthum, dem wir noch wieder¬ 
holt begegnen werden, anzunehmen, dass das ungebundene Gift 
unter allen Umständen seine Wirkung entfalten müsse, dass 
daher dort, wo keine Wirkung wahrzunehnieu ist, auch kein freies 
Gift mehr vorhanden sei u.s.w. Der Laboratoriumsjargon, der Be¬ 
quemlichkeit halber statt Giftlösung „Toxin“, statt antitoxischem 
Serum „Antitoxin“, statt agglutinirendem „Agglutinin“, statt 
haemolytischem „Haemolysin“ zu sagen u. s. w. richtet ausser¬ 
ordentliches Unheil in den Köpfen an, indem er uns allmählich 
um das Bewusstsein bringt, dass wir alle diese Stoffe gar nicht 
kennen, dass wir sie gar nicht isolirt besitzen, dass wir nicht 
mit ihnen, sondern mit Gemischen arbeiten, von denen sie viel¬ 
leicht nicht den millionsten Theil ausmachen und deren wech¬ 
selnde Beschaffenheit möglicherweise in völlig ausschlaggebender 
Weise die Wirkung der von uns untersuchten Stoffe beeinflussen 
kann. Wir kennen bereits einzelne Stoffe, die so modifizirend 
wirken. Nach Studensky heben 0,5 g. Carmin in 10 ccm 
physiologischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt die Wirkung von 
100 tödtlichen Dosen Tetanustoxin (und Diphtherietoxin) auf, 
obwohl der Carmin das Toxin nur absorbirt und dasselbe an 
Wasser wieder allmählich abgibt. Nach v. Behring setzt 
Speichel den toxischen Effekt einer Tetanusgiftlösung herab, 
ohne dass dadurch der Antitoxinbedarf zur Herbeiführung voll¬ 
ständiger Neutralisation der Giftwirkung verringert wird. Auf 
ein anderes noch viel bösartigeres Beispiel komme ich zurück. 

Wenn ich die Mittheilungen über die Abnahme der Letalität 
der Toxinlösungen richtig verstehe — ich selbst habe darüber 
keine Erfahrungen — dann geht auch aus ihnen mit Nothwendig- 
keit hervor, dass diese Abnahme nicht einfach auf allmählicher 
Umwandlung von Toxin in Toxid beruhen kann. Nach den vor¬ 
liegenden Mittheilungen scheint es, als ob sich die Letalität, ge¬ 
messen an der Zahl der tödtenden Dosen in der Volumeinheit, 
nicht stetig, sondern sprungweise und zwar in einfachen Pro¬ 
portionen, ändern würde. Eine Giftlösung, die heute die Giftig¬ 
keit 1 hat, zeigt nach einiger Zeit die Giftigkeit %, V 2 , 14. 
Nirgends findet man wenigstens Angaben, welche auf eine all¬ 
mähliche, stetige Abnahme der Giftigkeit hinweisen würden. 
Nun, wenn dies so ist, dann fehlt ein Mittelglied, das nur in 
chemischen Processen gesucht werden kann, an denen das Toxiu 
keinen Antheil hat, die stetig fortschreiten und dabei zu plötz¬ 
lichen Veränderungen des Giftes oder der Giftwirkung führen, 
denn es ist unmöglich, dass stetige Einflüsse, wie sie sich 
bei dem allgemein üblichen Aufbewahren der Giftlösungen an 
dunkeln, gleichmässig temperirten Orten unter auch sonst so 
viel als möglich konstanten Bedingungen geltend machen, für 
sich allein zu sprungweise verlaufender Umwandlung des Giftes 
Anlass geben könnten.“) 

Fassen wir unsere Betrachtungen über diesen Abschnitt der 
E h r 1 i c h’sehen Untersuchungen und Theorien zusammen, so 
kommen wir also zu dem Ergebnisse, dass seine Methode un¬ 
geeignet ist, entscheidende Aufschlüsse zu geben, dass es nicht 
unmöglich ist, dass er im Grossen und Ganzen richtig errathen 
hat, dass es aber ebenso gut möglich ist, dass die richtige Deutung 
ganz anders lautet. Das ist sehr wahrscheinlich, dass die Toxi- 
cität des Toxins und die Affinität des Toxins zum Antitoxin 
auf dem Vorhandensein ganz verschiedener, von einander ziem¬ 
lich abhängiger Alomkomplexe im Toxinmoleküle beruhen. 
Es ist ein harmloses Vergnügen, wenn man nun die eine Gruppe 
die haptophore, die andere die toxophore nennen will. 

(Schluss folgt) 


*) In einer Phosphorsäure enthaltenden Lösung wird, falls 
sich darin stetig fortschreitend Alkali bildet, Molekül für Molekül 
freie Säure in saures Salz umgewandelt, dann Molekül für Mole¬ 
kül saures Salz in Dipliosphat, endlich ein Molekül Diphospliat 
nach dem anderen in Triphosphat. Trotz dieser stetig verlaufen¬ 
den Umwandlung tritt plötzlich Umschlag der Reaktion gegen 
riienolphthalein ein, sobald das letzte Molekül Monophosphat 
verschwunden, das erste Molekül Triphosphat gebildet ist und 
dieser Umschlag der Reaktion kann nun den Ablauf verschiedener 
anderer, in der Flüssigkeit ablaufender Processe wesentlich be¬ 
einflussen. Dies nur als Beispiel. 


Aus der mcdicinischcn Klinik zu Jena. 

Ueber Neuritis und Polyneuritis/) 

Von Prof. Dr. R. Stintzingin Jena. 

Wenn man die Geschichte der Neuritis und Polyneuritis auf 
ein Menschenalter zurück verfolgt, so begegnet man einer inter¬ 
essanten Wandlung der Grundanschauungen. So war in den 
70 er Jahren die Lehre von der Poliomyelitis oder der atro¬ 
phischen Spinallähmung die herrschende. Man war geneigt, alle 
ausgedehnteren, insbesondere symmetrischen Lähmungen mit 
Atrophie auf eine Kernerkrankung des Rückenmarks zurück¬ 
zuführen. Mau ging darin schliesslich soweit, dass man da, wo 
sich anatomisch keine oder nur geringe Ganglienzellenatrophie 
in den Vorderhörnern fand, den Thatsachen Zwang anthat und 
das Fehlen der Kernatrophie durch ungenügende U ntersuchungs- 
methoden zu erklären versuchte. Da trat mit dem Jahre 
1879/80 unter dem Einflüsse v. Leyden’s ein überaus 
befruchtender Umschwung in der Auffassung von den atro¬ 
phischen Lähmungen ein. Insbesondere hat v. Leyden das 
Verdienst, die Schwächen der Poliomyelitislehre auf gedeckt und 
nachgewiesen zu haben, dass ein grosser Theil atrophischer Läh¬ 
mungen nicht centralen, sondern peripherischen Ursprunges sei. 

Unter Bezugnahme auf einige nicht genügend gewürdigte Fälle 
aus der Literatur (Eichhorst, Dejerine, Eisenlohr) 
beschrieb Leyden 2 eigene Beobachtungen von ausgebreiteter 
atrophischer Lälunung, bei denen sich in bilateral-symmetrischer 
Ausdehnung entzündlich-degenerative Veränderungen peripheri¬ 
scher Nerven bei völliger Intaktheit, bezw. im wesentlichen Be¬ 
funden des Rückenmarks nachweisen liessen. Im Anschluss an 
diese Befunde entwarf v. Leyden ein noch heute mustergiltiges 
Bild der von ihm so genannten „multiplen degenerativen 
Neuritis“. Während man bis dahin bei atrophischen Lähmungen 
vorwiegend oder ausschliesslich das Rückenmark anatomisch 
untersucht hatte, in der vorgefassten Meinung, dass nothwendig 
eine spinale Ursache zu Grunde liegen müsse, berücksichtigte 
man in der Folge wieder mehr den Befund an den peripherischen 
Nerven. Und so brachten die nächsten Jahre von vielen Seiten 
Bestätigungen der Leyden’schen Voraussetzung. Es zeigte 
sich, dass die Mehrzahl der bisher als atrophische Spinallähmung 
oder Poliomyelitis aufgefassten Fälle zur multiplen Neuritis zu 
rechnen sei. Die Lehre von der Poliomyelitis wurde dadurch zwar 
nicht umgeworfen, aber doch auf ein wesentlich kleineres Gebiet 
beschränkt. 

In den beiden von v. Leyden beschriebenen Beobach¬ 
tungen handelte es sich in der That um einen akuten oder sub¬ 
akuten entzündlichen Process, für den die Bezeichnung multiple 
„Neuritis“ durchaus zutreffend ist. Mit der Zeit wurde diese 
oder die Bezeichnung Polyueuritis (Pierson) verallgemeinert. 

In unseren heutigen Lehrbüchern (Gowers, v. Strüm¬ 
pell, F. Schultz e, O p p e n h e i m), sowie in der aus¬ 
gezeichneten grundlegenden Monographie von E. R e m a k über 
Neuritis und Polyneuritis, wird sie ausgedehnt auf mehr oder 
weniger alle multiplen Erkrankungen der peripherischen Nerven. 
Man spricht schlechtweg von Polyneuritis saturaina, alcoholica, 
diphtherica, typhosa, puerperalis, ohne Rücksicht darauf, dass 
bei vielen dieser Erkrankungen, vielleicht in ihrer Mehrzahl, gar 
keine Entzündung, sondern eine nicht entzündliche Degeneration 
zu Grunde liegt. Freilich ist man sich dieses wesentlichen Unter¬ 
schiedes von echter Neuritis und degenerativer Atrophie der 
Nerven wohl bewusst gewesen. Das zeigen die von manchen 
Autoren gebrauchten Bezeichnungen: einerseits Neuritis inter- 
stitialis, andererseits parenchymatöse Neuritis (Joffroy), de- 
generative Neuritis (v. Leyde n). Andere, wie v. Strümpell, 
Fr. Schultze erklären, eine scharfe Tr ennung sei überhaupt 
weder möglich, noch nothwendig. 

Dem glaube ich widersprechen zu sollen. Ich halte bei dem 
heutigen Stande unseres Wissens die Abgrenzung der echten 
Neuritis von der Nervendegeneration in der Mehrzahl der Fälle 
für durchführbar, ich halte sie auch für nützlich und nothwendig 
im Interesse einer wohl gegliederten Systematik wie des Unter¬ 
richtes. Gerade im klinischen Unterrichte habe ich das Bedürf- 
niss einer möglichst scharfen Trennung lebhaft empfunden. Der 
zunächst mit dem Gedäclitnise arbeitende Anfänger klammert 
sich mit seinen Vorstellungen an unsere Terminologie; diese muss 


*) Vortrag, gehalten auf der 73. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerzte ln Hamburg. 


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12. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


sich daher mit den Begriffen, mit den wesentlichen Krankheits¬ 
erscheinungen nach dem Grundsatz „a potiori fit denominatio“ 
so viel wie möglich decken. Muss es aber nicht verwirrend auf 
den Lernenden wirken, wenn wir mit „Neuritis“, also „Nerven¬ 
entzündung“, Zustände bezeichnen, in denen von einer Entzün¬ 
dung gar nicht die Rede ist? Ebenso wie wir in der Nomenklatur 
der Gehirn- und Rückenmarkskrankheilen die Entzündungen und 
Degenerationszustände, die diffusen und systematischen Erkran¬ 
kungen auseinander halten, so sollen wir auch bestrebt sein, das¬ 
selbe bei den peripherischen Nervenerkrankungen zu thun. 

Es ist daher meine Absicht, zu untersuchen, ob und inwie¬ 
weit es möglich ist, die Bezeichnung Neuritis bezw. Polyneuritis 
auf das ihr zukommende Gebiet zu beschränken und die nicht 
entzündlichen Processe abzugliedern. Im Anschlüsse hieran wird 
die auch schon von anderer Seite (Goldscheider) auf¬ 
geworfene Frage von Neuem erörtert werden müssen, ob die in’s 
Schwanken gerathene Neuronlelire unsere Systematik beein¬ 
flussen kann und darf. 

Von einer Neuritis im anatomischen Sinne kann 
man nur dann sprechen, wenn sich im Bindegewebe des Nerven 
echte entzündliche Vorgänge entwickelt haben, wie Erweiterung 
der Gefässe, entzündliche Infiltration, bezw. Exsudation. Die 
entzündungserregende Ursache kann Erkältung, Trauma, ein 
chemisches Gift oder ein Mikroorganismus sein. Diese Ursachen 
sind wirksam von den Gefässen aus, schädigen zunächst diese 
selbst und das Bindegewebe, sekundär erst die Nervenfaser. Die 
echte Neuritis ist somit eine akute Neuritis intersti- 
t i a 1 i s. Makroskopisch sieht in solchen Fällen der Nerv ge¬ 
schwollen und geröthet aus, lässt auch bisweilen kleinere Blu¬ 
tungen, selten (bei grosser Virulenz) kleine Eiterherde erkennen. 
Mikroskopisch sieht man die erwähnten Entzündungserschei¬ 
nungen. Die Entzündung kann auch von der Nachbarschaft auf 
den Nerven übergreifen; dann wird zunächst das Peri- und Epi- 
neurium infiltrirt. Wirkt das Virus von den dem Nerven zu¬ 
gehörigen Blutbahnen aus, so vertheilt sich die Entzündung' 
gleichmässdg auf das Endo-, Peri- und Epineurium. Anfangs 
schwerer erkennbar, entwickeln sich bald auch Zerfallserschei¬ 
nungen in den Nervenfasern selbst. 

In der Natur des entzündlichen Vorganges liegt es begründet, 
dass derselbe sich ohne Wahl mehr weniger über den ganzen Quer¬ 
schnitt des Nervenstranges, also diffus, und in wechselnder 
Längsausdehnung verbreitet. Die Entzündung wird daher nie¬ 
mals elektivc oder systematische Erkrankungen der 
Nerven, also Degeneration einzelner, funktionell verschiedener 
Fasersysteme verursachen. 

Die interstitielle Neuritis kann auch einen chronischen Ver¬ 
lauf nehmen. Dann treten die geschilderten Erscheinungen mehr 
und mehr zurück, und es kommt in der bekannten Weise zu einer 
Neubildung des Bindegewebes mit Verdickung und Verhärtung 
des Nerven an den erkrankten Stellen. Zwischen die Nerven¬ 
bündel, ja in diese hinein zwischen die Nervenfasern erstrocken 
• sich dickere oder dünnere Bindegewebsstränge und führen zur 
Atrophie der Nervensubstanz (sekundäre dcgenerativc Atrophie). 

Wirken Noxen, die auf dem Wege der Blut- oder Lymph- 
bahnen den Nerven zugeführt werden, unter Verschonung der Ge¬ 
fässe und des Bindegewebes unmittelbar schädigend auf das 
Nervenparenchym ein, so entstehen primär die bekannten Er¬ 
scheinungen der degenerativen Atrophie, parenchy¬ 
matösen Neuritis (J off roy), degenerativen Neuritis (v. Ley¬ 
den): Zerfall der Markscheide, Quellung und Zerfall des Achsen- 
cylinders, Vermehrung und Vergrösserung der Kerne der 
Schwan n’schen Scheide, Auftreten von Fettkömchen zellen. 
Tritt nicht bald Regeneration ein, so entwickelt sich an Stelle des 
untergegnngenen Parenchyms Bindegewebe. In diesem Falle 
kann der Nerv verdickt erscheinen und fühlt sich derber an, 
oder er erscheint von Anfang an verdünnt. Mikroskopisch sind 
die noch erhaltenen Nervenfasern durch mehr weniger massen¬ 
haftes interstitielles Bindegewebe von einander getrennt. 

Es muss zugegeben werden, dass das zuletzt geschilderte Bild 
sich histologisch von den Folgezuständen der chronischen inter¬ 
stitiellen Neuritis nicht \mterscheiden lässt. Das Endergebnis« 
der chronischen Entzündung wie der primären Degeneration ist 
das gleiche: Schwund der Nervenfasern und Schwielenbildung 
an ihrer Stelle. Lässt hier also die anatomische Untersuchung 
No. 46. 


1831 

im Stiche, so müssen die Anamnese und die klinische Beobach¬ 
tung helfend einspringen. 

Beantworten wir nun die aufgeworfene Frage weiter vom 
Standpunkte der Aetiologie und der Pathogenese. 
Ueber die umschriebene Neuritis (Mononeuritis) be¬ 
darf es keiner längeren Auseinandersetzung. Hier sind wir ge¬ 
wöhnt streng zu sondern. Kennen wir den anatomischen Process 
nicht sicher, so gebrauchen wir funktionelle Bezeichnungen, wir 
sprechen von Facialislähmung, von Ischias oder anderen periphe¬ 
rischen Lähmungen oder Neuralgrien. Oertliche Neuritis nehmen 
wir nur dann an, wenn notorische örtliche Ursachen, wie Ver¬ 
wundungen, den Nerven unmittelbar getroffen, oder Entzün¬ 
dungen von der Umgebung auf ihn übergegriffen haben. Dass 
auch Erkältung gelegentlich eine echte umschriebene Nerven¬ 
entzündung verursachen kann, ist wahrscheinlich. Für alle diese 
Fälle ist der Ausdruck Neuritis passend gewählt und daher bei¬ 
zubehalten. 

Anders steht es mit mancher sog. multiplen Neuritis. 
Die Ursachen ihrer verschiedenen Formen sind uns ebenso wie 
ihr anatomisches und klinisches Verhalten grösstentheils ziemlich 
gut bekannt. Wir kennen, wie bereits erwähnt, einerseits Schäd¬ 
lichkeiten, die unmittelbar oder von den Gefässen aus auf eine 
grössere Anzahl von Nerven entzündungserregend wirken, 
andererseits solche, welche das Parenchym als solches schädigen. 

Zu den ersteren gehört vor Allem die Lepra, die häufig das 
klinische Bild der Polyneuritis verursacht. Hier findet man 
über den Nervenquerschnitt zerstreut die specifischen Bacillen 
und im Epi-, Peri- und Endoneurium, um die Gefässe herum, 
Herde von kleinzelliger Infiltration. 

Eine zweite Infektionskrankheit, die vorwiegend das peri¬ 
pherische Nervensystem ergreift, ist die Beri-Beri oder 
K a k k e. Mit Recht hat man sie zur multiplen Neuritis ge¬ 
rechnet. In tödtlich verlaufenen Fällen fand man eine erheb¬ 
liche Vermehrung des Nervenbindegewebes, besonders des Endo- 
ncurium und Verdickung der Gefässwandungen als Ausdruck 
einer chronischen Entzündung. (Scheube, Pekelharing 
und Winkler.) 

Dunkler in actiologischer Beziehung ist die idiopathische 
Polyneuritis, der man vielfach das Beiwort „rheumatica“ gegeben 
hat. Sie stellt gewöhnlich, wie z. B. die beiden Fülle v. Leyden’s, 
eine echte multiple Nervenentzündung dar. Anzunehmen ist, 
dass es sich hier um eine noch unbekannte Infektion handelt. 

Es gibt somit mindestens 3 Formen der multiplen Neuritis, 
bei denen in Folge direkter oder indirekter (Toxin-) Bakterien¬ 
wirkung zunächst ein interstitiell-entzündlicher Process sich ent¬ 
wickelt. Für diese ist die Bezeichnung Neuritis die gegebene. Es 
versteht sich, dass in allen solchen Fällen auch die Nervenfasern, 
sei cs durch den Druck des entzündlichen Exsudates, sei es in 
Folge mangelhafter Blutzufuhr oder örtlicher Bildung toxischer 
Produkte, in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber die in ihnen 
eintretende Degeneration ist sekundär. 

Eine weit grössere Gruppe bilden die primären mul¬ 
tiplen Nerven degenerationen. Sie werden verursacht 
durch Gifte, die entweder in den Körper von aussen aufge¬ 
nommen oder in demselben gebildet werden und die eine besondere 
Affinität zu dem peripherischen Nervensystem besitzen. Die von 
aussen in den Körper gelangenden Gifte sind uns bekannt, die 
in ihm entstehenden sind hypothetisch. 

Zu den ersteren gehört vor Allem der Alkohol. Die Al¬ 
koholneuritis (Alkohollähmung, Pseudotabes der Alko¬ 
holiker) ist weitaus die häufigste Form der sogen. Polyneuritis. 
Der anatomische Befund entspricht der degenerativen Atrophie 
ohne primäre Betheiligung des Bindegewebes. Dass der Alkohol 
gleichzeitig auch auf andere Gewebe schädigend einwirkt, ins¬ 
besondere auf die Gefässe, ist bekannt und beweist der von 
einigen Autoren (Lorenz, Minkowski) bei Polyneuitis 
erhobene Befund einer Verdickung sämmtlieher oder einzelner 
Schichten der Gefässwandungen und kleinzelliger Infiltration 
um die Gefässe herum. Diese Gefüsserkrankung ist aber gewiss 
nur als koordinirte Erscheinung, nicht als Ursache der Nerven¬ 
degeneration anzusehen, da sie nicht konstant ist. 

Bei der Bleilähmung, die von Manchen unter die 
Polyneuritis subsumirt wird, steht ebenfalls die Entartung des 
Achsencylinders und der Markscheide mit Kernvermehrung im 
Vordergrund, und erst sekundär schliesst sich daran an die Ver- 

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1832 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


dickung des Bindegewebes. Die Blcilähmung nimmt unter den 
Degenerationen der peripherischen Nerven insoferne eine Sonder¬ 
stellung ein, als sie das typische Beispiel einer System¬ 
erkrankung derselben darstellt. Wie die klinischen Er¬ 
scheinungen zeigen, werden fast ausschliesslich die motorischen 
Bahnen ergriffen. Eine derartig elektive Erkrankung wäre bei 
einer Entzündung, wie bereits erörtert wurde, undenkbar. Sie 
erklärt sieh nur durch elektive Giftwirkung. 

Aehnliches wie von der Bleilähmung gilt in anatomischer Be¬ 
ziehung von der Arseniklähmung, nur mit dem Unter¬ 
schiede, dass bei dieser auch die Sensibilität wesentlich be¬ 
theiligt ist, sowie wahrscheinlich von der sogen. Poly- 
neuritis mercurialis, die sich in Tremor, An- und 
Paraesthesien, ausnahmsweise auch in Lähmungen äussert. Bei 
letzterer fehlen bisher autoptische Befunde, aber die experimen¬ 
telle Vergiftung lässt Veränderungen des Nervenmarks und der 
Achsencylinder erkennen (Letulle, Spillmann und 
Etieun c). 

Ich komme nun zu den multiplen Nervenerkrankungen, die 
sieh nach unserer heutigen Anschauung durch Entstehung von 
eudogeuen Giften im Körper entwickeln und zwar unter dem 
Einfluss vor auf gehender Infektionskrankheiten. 

Die häufigste Form ist die postdiphtherische. 
Hier scheint nach den anatomischen Befunden das hypo¬ 
thetische Gift (Toxine des Diphtheriebacillus) ebensowohl auf 
das interstitielle Gewebe wie auf die Nervenfasern, gleichzeitig 
auch auf die Muskeln (Hochhaus) einzuwirken. Wir hätten 
hier also das Beispiel einer gleichzeitig entzündlichen und de- 
genera t ivon Nervena ffektion. 

Für die posttyphösen Lähmungen fehlen noch be¬ 
weisende anatomische Untersuchungen, doch fanden Pitres 
und V a i 11 a r d in Fällen von Typhus, die bei Lebzeiten keine 
Nervenerscheinungen dargeboten hatten, in den peripherischen 
Nerven dogeuerative Veränderungen. 

Vorwiegend parenchymatösen Degenerationen begegnen wir 
ferner nach Variola (J o f f r o y), bei der sogen. Neuritis 
puerperalis (Korsakoff und S e r b s k i), sowie bei den 
neuritischen Erscheinungen im Verlaufe der Syphilis, Tu¬ 
berkulose und des chronischen Rheumatismus 
(Pitres und V a i 11 a r d). 

Zu erwähnen sind noch die von v. Leyden sogen.«dys- 
krasisch-kachcktischon Formen der Polyneuritis. Für 
die Polyneuritis nach Diabetes ist von E i c h h o r s t ein¬ 
fache Degeneration peripherischer Nerven nachgewiesen worden, 
ln den seltenen Fällen von multiplen Nervenerkrankungen nach 
Gicht, C a r c i n o m, schwerer Anaemie, sowie im Senium 
und bei Marasmus wird man sich, soweit nicht Gefäßerkran¬ 
kungen (Arteriosklerose) hineinspielen, die Entstehung ähnlich 
wie bei Diabetes durch toxaemische Einwirkungen erklären 
müssen. 

Bekanntlich wird auch ein Theil der Fälle von akuter auf¬ 
steigender Landry’seher Lähmung auf multiple Neuritis 
oder doch auf eine Erkrankung des peripherischen Neuron zu¬ 
rückgeführt. Die anatomischen Veränderungen sind thcils inter¬ 
stitielle, theils parenchymatöse. Nach N a u w er k und Barth 
sind die letzteren sekundär. Unter dieser Voraussetzung würde 
also diese Kategorie zur echten Polyneuritis gezählt werden 
können; doch ist es wohl vorsichtiger, sie einstweilen mit 
Eisenlohr zu den entzündlich-dcgenerativen zu rechnen. 

Und nun sei noch eine andere Frage, die bei der Durch¬ 
musterung der anatomischen Befunde multipler peripherischer 
Nervenkrankheiten sich aufdrängt, kurz berührt. In einem 
.grossen Thcilc, wohl bei der Mehrzahl, haben die Beobachter nicht 
nur die peripherischen Nerven, sondern auch die zu ihnen ge¬ 
hörigen Abschnitte des Rückenmarks verändert gefunden, und 
zwar fast ausschliesslich diejenigen Theile, die wir bis vor Kurzem 
mit ungestörtem Beilagen uls zu den motorischen oder sensiblen 
Neuronen erster Ordnung rechnen durften. Die letzten Jahre 
haben uns aus dieser Ruhe leider auf gescheucht. Ich will nicht 
den Streit über die Berechtigung der Neuronlehre herauf¬ 
beschwören; er kann ja doch in unserem Kreise nicht ausge- 
fochten werden. Wenn sieh die neueren Untersuchungen, nament¬ 
lich diejenigen B e t h e's bestätigen, so dürfte in der That der 
bisherige Begriff der Nerveneinheit unhaltbar sein. Aber es ist 
doch eine sehr auffallende Thatsache, dass es pathologische Pro- 


ecsse gibt — und dazu gehört die sog. Polyneuritis —, die sich 
auf dem Territorium des sog. peripherischen Neurons abspielen 
und dieses nur ganz ausnahmsweise überschreiten. Lassen wir die 
aufgeführten multiplen Nervenerkrankungen noch einmal Revue 
passiren, so finden sich neben den Veränderungen der peri¬ 
pherischen Bahnen mit wechselnder Stärke und Regelmässigkeit 
auch histologische Alterationen im Rückenmarke verzeichnet: 
bei Beribcri (Scheube, Pekelharing und W i n k 1 e r), 
Alkoholneuritis, Bleilähmung (Oe 11 er, Oppenheim), Ar¬ 
seniklähmung (Henschen und IIildebrand),postdiphtherischer 
Lähmung (Dejerine). Nach unserer Auffassung von dem 
innigen Zusammenhang der peripherischen Nerven mit Theilen 
des Rückenmarks, sowie der trophischen und funktionellen Be-. 
Ziehungen zwischen beiden kann diese Thatsache nicht Wunder 
nehmen. Denn offenbar gibt es einerseits Schädlichkeiten, welche 
das hypothetische Teleneuron in seiner Gesammtheit betreffen, 
andererseits aber Noxen, die ihren Angriffspunkt in einzelnen 
Abschnitten: in den Ganglienzellen, Wurzeln oder peripherischen 
Strängen, ja sogar nur in funktionell abgegrenzten Faser- 
systemen haben. In letzteren Fällen breitet sich aber die Stö¬ 
rung mit der Zeit, sei es in ccntripetaler Richtung (retrograde 
Degeneration) oder in ccntrifugaler Richtung (W alle r’sche 
Degeneration) aus. Dieser Thatsache war in höchst ansprechen¬ 
der Weise die Neuronlehre gerecht geworden. Soll diese jetzt 
fallen, so muss die anatomische Forschung den Erkenntnissen 
der Pathologie eine neue Grundlage schaffen. Aber auch ohne 
diese müssen wir einstweilen an der Existenz einer funktionell 
abgegliederten Nerveneinheit vom klinisch-pathologischen Stand¬ 
punkt aus festhalten. Nehmen wir in diesem Sinne ein „Tele¬ 
neuron“ als bestehend an, so müssen wir auch den Begriff der 
„peripherischen“ Nervenkrankheiten für viele Fälle fallen lassen 
und nur für ausschliesslich peripherische Läsionen reserviren. 
Für diejenigen Erkrankungen aber, bei denen zwar der primäre 
anatomische Sitz mit Wahrscheinlichkeit in der Peripherie zu 
suchen ist, bei denen aber auch Wurzeln und spinale Theile 
meist miterkranken, empfieldt sich die neutralere Bezeichnung 
multiple „Tcleneurosc“ und multiple „T e 1 e n e u r i t i s“. 

Nicht zu diesen Formen zu rechnen wären andere, auf die 
motorischen oder sensiblen Teleneurone mehr weniger be¬ 
schränkten Erkrankungen, wie die Poliomyelitis, die spinale Form 
der progressiven Muskelatrophie und die Tabes. Bei der Polio¬ 
myelitis ist der spinale Beginn sicher gestellt, und bei der pro¬ 
gressiven Muskelatrophie wie bei der Tabes ist der Befund im 
Rückenmark und dementsprechend der klinische Verlauf so 
schwer, dass wir gut thun dieselben einstweilen zu den primären 
Rückenmarkskrankheiten zu rechnen und den altbewährten 
Sprachgebrauch beizubehalten. 

Für die sog. multiple Neuritis aber möchte ich folgende 
Nomendatur und Eintheilung Vorschlägen: 

I. Die echte multiple Nervenentzündung — Tele- 
neuritis multiplex; dazu gehören die Nervenentzün¬ 
dungen 

1. bei Lepra — Tcleneuritis mult. leprosa, 

2. bei Beriberi (Kakke) — Teleneuritis mult. indica 
(japanica), 

3. einzelne primäre Formen mit unbekannter (rheuma¬ 
tischer?) Ursache — Teleneuritis multipL idiopathica. 

II. Die multiple degenerative Atrophie der Nerven — 
Telencurosis multiplex (degenerativa); dazu gehören: 
A. diffuse Teleneurosen: 

a) toxischen Ursprungs: 

1. nach Alkoholvergiftung, 

2. nach Arsenikvergiftung, 

3. nach Quecksilbervergiftung, 

b) infektiösen Ursprungs: 

4- nach Typhus, 

5. nach Variola und anderen akuten Infektionskrankheiten, 

6. im Puerperium, 

7. nach Tuberkulose, 

8. nach Syphilis, 

c) konstitutionellen Ursprungs: 

9. bei Diabetes, 

10. bei Carcinom, schwerer Anaemie (kachektische Form), 

11. bei Marasmus (senile Form); 


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1833 


B. systematische (motorische) Teleneurosen: 

12. nach Bleivergiftung, 

III. Die multiplen entzündlich-degenerativen Formen — 
Teleneuritis multiplex degenerativa; dazu ge¬ 
hören : 

1. die Teleneuritis postdiphtherica, 

2. ein Theil der primären Formen mit unbekannter Ursache, 
einschliesslich der teleneuritischen Form der sog. L a n d r y’schen 
Paralyse. 


Literatur: 

J. Döjßrlne: Recherche« sur les teslons du Systeme m*r- 
veux daii8 la paralysie diplitlifritique. Archive« de ph.vsiol. norm, 
et pathol. 1878, S. 107. — H. E 1 c li li o r s t: Neuritis diabetica und 
ihre Beziehungen zum fehlenden Patellarreflex. Virchows Archiv, 
Bd. 127, S. 1. 1802. — O. E i s e n 1 o li r: lieber Landry’sche 
Paralyse. Deutsche med. Wochenschr., 1900, S. 841. — A. Gold¬ 
scheider: Zur allgemeinen Pathologie des Nervensystems. 
II. Heber Neuron-Erkrankungen. Berl. kliu. Wochenschr. 1804. 
S. 4-44. — S. E. Henschen und A. Hildebrand: Ein Fall 
von Arsenikliilimung mit Haematomyeile und Polyneuritis. lief. 
Centralbl. f. Nerveulieilk. 1894. — H. Hocliha u s: lieber diph¬ 
therische Lähmungen. Virchow’s Archiv, Bd. 124, S. 226. 1801. — 
A. Joffroy: De la nörvite parenchymateuse spontanee, g£n6ra- 
lls£e ou partielle. Archive« de physlol. 1870, S. 172. — S. Kor- 
s a k o w und W. Serbski: Ein Fall von polyneuritischer Psy¬ 
chose mit Autopsie. Arch. f. Psycli. etc., Bd. 23, S. 112. 1892. — 
M. Le tu Ile: Itecherches cliniques et experimentales sur les 
paralysies mercuriclles. Archives de physlol. 1887. I, S. 301 und 
437. — E. v. Leyden: Heber Poliomyelitis und Neuritis. Zeit¬ 
schrift f. klin. Med., Bd. I. 1880. S.-A. — H. Lorenz: Beitrag 
zur Ivenntniss der multiplen degeuerntlven Neuritis. Zeitsehr. 
f. klin. Med., Bd. 18. 1801, — C. Nauwerck u. W. Barth: 
Zur pathologischen Anatomie der Landr y’schen Lähmung. 
Ziegler’s Beitr. z. path. Anat. etc., Bd. 5. 1880. — .T. N. O e 11 e r: 
Zur pathologischen Anatomie der Biellähmung. München 1883. — 
H. Oppenheim: Zur pathologischen Anatomie der Bleiliihmuug. 
Arch. f. Psycli. etc., Bd. XVI, S. 476.. 1885. — C. A. Pekel- 
haring und C. Winkler: Mittheilung über die Beri-Beri. 
Deutsch, med. Wochenschr. 1887, S. 845. — A. P i t r e s et L. V a i 1- 
lard: Contribution ä l’ßtudc des nßvrites p6riph6riques survenaut 
daus le cours ou la convalescence de la fiövre typholde. Revue 
de mtklecine V. 1885. S. 085. — Dieselben: Nßvrites p6ri- 
pliöriques daus le rliumatisme chronique. Ibid. VII. 1887. S. 456. 
— E. Iiemak u. E. Fla tau: Neuritis und Polyueuritis. Spec. 
Pathol. u. Tliernp., herausgegeben von H. Nothnagel. Bd. XI, 

3. Th. 1809—1900. — B. Sclieube: Die japanische Kakke (Beri- 
Beri). Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. XXXI, S. 141. 307 und 
Bd. XXXII, S. 83. 1882. — P. Spill manu et G. Etienne: 
Polyußvrltes dans l’intoxicatlon hydrargyrique aigue et subaiguc. 
Revue de m6decine XV. 1895. S. 1009. 


Aus dem Laboratorium der mcdicinischen Universitätsklinik in 

W iirzburg. 

„Cyklische“ Albuminurie und neue Gesichtspunkte 
für die Bekämpfung von Albuminurien. 

Von Dr. Paul Edel, Assistenten der Klinik. 

In dem Bestreben, die Pathologie und insbesondere die 
Therapie deT chronischen Nephritiden zu fönlern, glaubte ich 
von dem Studium der cyklischen Albuminurie ausgehen zu 
müssen, weil bei ihr unmittelbar und unzweideutig durch nor¬ 
malen oder pathologischen Harn erkennbar ist, ob günstige oder! 
ungünstige Bedingungen zur Zeit in ihr zur Geltung gekommen 
sind. 

Ueber das eigentliche Wesen der cyklischen Albuminurie 
herrscht bisher völliges Dunkel. 

Das Verhalten der Eiweissausscheidung bei der cyklischen 
Albuminurie ist bekanntlich charakterisirt dadurch, dass das Ei- 
weiss bei Uebergang in die Horizontallago völlig schwindet und 
bei aufrechter Körperstellung bisher unerklärte Schwankungen 
von relativ starkem Eiweissgehalt bis gänzlichem Fehlen des¬ 
selben zu beobachten sind. 

Da ich vermuthete, dass die Ursache de» Cyklus, auch am 
Tage, irgendwie durch die Lebensweise begründet ist, war ich 
der Ueberzeugung, dass nicht Massenuntersuchungen, sondern 
allein das detaillirteste Eingehen auf das Verhalten des Einzelnen 
hier zum Ziele führen kann. In Folge dieser Ucberlegung wählte 
ich zwei besonders geeignete typische Fälle zu meinem Studium 
aus und revidirte die Resultate späterhin noch durch Versuche 
an einem dritten Falle. ' 


Die erste Versuchsperson war ein 28 .Talire alter Chemiker, 
die zweite ein 25 jähriger Arzt und die dritte ein 30 jähriger Kauf¬ 
mann. Diese Patienten besessen alle typischen Züge des so gleich¬ 
artigen Syinptomenbildes dbr cyklischen Albuminurie. (Relativ- 
geringe Albuminurie, Abhängigkeit des Auftretens von Eivveiss 
von der Körperstellung, Maximum der Eiweissausscheidung meist 
Vormittags, Fehlen jeder mit Bestehen einer manifesten Nephritis 
häufig eiuhergehenden Organerkrankung, „nervöser“, schwäch¬ 
licher, wenig widerstandsfähiger Organismus.) 

Genaue Krankengeschichten finden sich in der ausführlichen 
Publikation. ... 

Ich bediente mich; der Essigsäure — Ferrocyankaliüni — 
und zugleich der Kochprobe. 

Zur Erkennung des Gesetzes, welches die Niere bei den 
Trägern der cyklischen Albuminurie in einer Stunde normal, in 
der nächsten wie eine nephritische Niere funktioniren lässt, 
wandte ich mich zunächst den am Tage bei aufrechter Körper- 
stellung. zu beobachtenden Schwankungen zu und fasste von 
diesen naturgemäss die grösste in’s Auge, nämlich die von 
v. N o o r d e n erkannte Eigenthiimlichkeit, dass der Ham in der 
Mehrzahl der Fälle am Vormittag vorzugsweise reich an Albuinen, 
am Nachmittage dagegen wenig oder kein Eiweiss enthält. Diese 
auffallendste und regelmässigste Schwankung eignete sich um 
so mehr als Ausgangspunkt, weil bei den mir zur Verfügung 
stehenden Fällen diese genannte Eigentümlichkeit prägnant 
zum Ausdruck kam. 

Wie viele der früher auf diesem Gebiete thätigen Unter¬ 
sucher suchte auch ich in der jeweiligen Zusammensetzung des 
Harnes einen Anhaltspunkt zu finden. 

Bei der ersten Versuchsperson war gewöhnlich am Nach¬ 
mittage der Harn in dem Intervalle zwischen 3 und 6 Uhr kürzere 
oder längere Zeit eiweissfrei. Der in dieser Zeit entleerte Ham 
unterschied sich von ei weissreichen Portionen, z. B. am Vor¬ 
mittage, in der Regel dadurch, dass er heller, von niedrigerem 
spocifischem Gewicht und von grösserer Menge war. Dieses Ver¬ 
halten des Harnes war die Folge der zwischen 1 und 2 Uhr er¬ 
folgenden Aufnahme des Mittagessens. 

Wenn der genannte Einfluss des Mittagessens auf die Be¬ 
schaffenheit des Harnes nicht zura Ausdruck kam, pflegte auch 
dio eiweissfreie Periode auszubleiben. Hauptsächlich aus diesem 
Grunde kam ich auf die Vermuthung, dass die Aufnahme der 
Mittagsmahlzeit in irgend einer Weise das Zustandekommen der 
eiweissfreien Nachmittagspe.riode vermittle. 

Der häufig ausgesprochene Satz, dass Nahrungsaufnahme 
resp. Verdauung einen schädlichen Einfluss ausüben, hält An¬ 
gesichts der Thatsache, dass gerade der’Nachmittag eine gewisse 
Immunität aufweist, einer unvoreingenommenen Kritik nicht 
Stand, denn gerade auf den Nachmittag fällt die Hauptverdau¬ 
ungsperiode. 

Wenn das Mittagessen die grosse Bedeutung hatte, die ich 
ihm zuschrieb, dann musste eine Verschiebung des Mittagessens 
auf eine frühere oder spätere Zeit eine entsprechende Verschie¬ 
bung der eiweissfreien Nachmittagsperiodo herbeiführen. Ins¬ 
besondere aber musste erwartet werden, dass bei Aussetzen des 
Mittagessens auch ein Ausbleiben der eiweissfreien Epoche kon- 
statirbar ist, der Nachmittag seine Resistenz verliert und hin¬ 
sichtlich der Eiweissausscheidung dem Vormittage gleiehwerthig 
wird. 


Eine Durchsicht der folgenden Tabelle wird über den Aus¬ 
fall dieser Experimente belehren. Sie führen zu dem ersten 
wichtigen Resultate, das den Ausgangspunkt weiterer, praktisch 
wichtiger Ergebnisse bildet: 


Dio deutliche Abnahme resp. das Schwin¬ 
den de-s Eiweisses ain Nachmittag wird durch 
die Aufnahme des Mittagessons veranlasst. 


Erklärung der für die,Tabellen gebrauchten Zeichen: 


Eiweissreaktionen beurtheilt nach Dichte der Trübung (n 
Zusatz von Essigsäure — Ferrocyankalium): 


+ 


t 


0: kein Eiweiss. 

Trübung. 

doppelt so starke Trübung. 

-: 3mal so starke Trübung wie einzelnes -j- u. s. f. 
ca. 0,4 Prom. Eiweiss.) 


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MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


Tabelle L 

Verschiebung des Mittagessens. 


’S 

tsa 

EiweiBS-Reaktionen 

Ausschal¬ 
tung des 
Mittag¬ 
essens 

11 

i i i 

+4- 

4- 

1 44 

++ + 

+f+ 

4-4- + 

1 1 t 

III 

TTT* 

■M* + 

12 

+4- 

+4- 

++ + 

4-4-4- 

4-4-4- 

1 1 1 

1 

+++ 

*!•«*++ 


_i _i_ i 

1 1 1 

4-4-4- 

1 1 r 


TTT 

1 i 1 

2 

*itt»;++ 

lHUg+4- 

o 

0—+ j 

■ «•»+ + 


4-4-4- 

3 

o 

o 

0 

0 

O — + 

o 

4-4-4- 

4 

0 

0 

4* 

0 

o- + 

0 

4-4-4- 

5 

o 

0 —+ 

0 

0- + 

0 

0 

4-4-4- 


Die horizontal gestellte o entspricht dem eiweissfreien Ilam 
während der Mittagsruhe. 


nicht beobachtet, bezweifle ihn jedoch nicht, wie aus dem im 
zweiten Theil Dargelegten hervorgehen wird. 

Nachdem durch die beschriebenen Versuche gezeigt ist, dass 
die Aufnahme des Mittagessens in den untersuchten Fällen die 
grösste und regelmassigste Tagesschwankung veranlasst, ist die 
nächste vorwärtsführende Frage naturgemäss nunmehr die, in 
welcher Weise durch das Mittagessen die günstige Beeinflussung 
der Niere zu Stande kommt. 

Indem ich wieder auf die schon genannten augenfälligen 
Unterscheidungsmerkmale zwischen eiweissfreien Nachmittags¬ 
und den eiweissreichen Vormittagsportionen des Harnes mein 
Augenmerk richtete, überzeugte ich mich, wie viele Untersucher 
vor mir, dass specifisches Gewicht, Reaktion, Farbstoffgehalt 
ohne Einfluss auf die Eiweissausscheidung sind. Dagegen ge¬ 
wann ich durch Berücksichtigung des einen Unterscheidungs¬ 
merkmales, nämlich der Hammenge, einen wichtigen Anhalts¬ 
punkt. Je länger und eingehender ich untersuchte, je kürzer 
ich die Intervalle zwischen den einzelnen Harnentleerungen 


Tabelle II. 


Ausschaltung des Mittagessens. 


I. Versuchsperson. 
Normaltag 21.1 01 


y .. Eiweiss- : Harn- j 
1 j Reaetion imenge 


Zeit 


I. Versuchsperson 
H u n g e r t a g 22.1. 01 


Eiweiss- ! Harn- 
Reaction menge 


I. Versuchsperson 
Normaltag 24 1.01 


Zeit 


Eiweiss- 

Reaction 


Ham¬ 

menge 


'Nachth. 

7,50-8,301 


0 

++ 


I. F. 8,15 


9,10 
10 
11,5 
12 

12,45 
1,15 

Mittag 1,15 


0 

0 

4-4-4- 

+++ 

+++ 

+++ 


2,15 

8 

4 

5 

6 
7 


4 " 

0 

0 

0 


-+4- 


36,5 


22 

32,5 

57 

38 

29 

19 


37 

41 

60 

67 

53 

54 


Sltxen. 

Aufrechte Körper- 
atellung. 

(Stehen u.Bewegung 
im Zimmer.) 


Aufrechte Körper- 
Stellung. 

(Stehen u Bewegung 
lm Zimmer.) 


Nachth. 

7,50-8,30| 


0 

4-4- 


I. F. 8,20 


9,15 

10 

11 

12 

1 


4-4-+ 

nt 


t 


-+ 
-+ 
+4- 
4-4-4-+ 
44-4- 
+ -H-+ 
4-4-4- 


24 


18 

26 

40 

26 

28 


32 

30 

26 

24 

22 

19 

18 


8itsen. 


Aufrechte Körper¬ 
stellung. 

(Sieben u.Bewegung 
im Zimmer.) 


Nachth. 

7,55-8,35 


0 

+ 


I. F. 8,20 
9,10 I 0 
10 0 — 4 - 

10,55 | ++++ 
12 i 4-f+ 

1 ! + 4 - 4 - 


Mittag 1 

V 

o 

0 

+ + 
++ 


37 


15 

31 

35 

40 

38 


50 

70 

78 

106 

66 

45 


Sltxen. 

Aufrechte Körper¬ 
stellung 

(Stehen u. Bewegung 
im Zimmer.) 


Aufrechte Körper¬ 
teilung. 

(Stehen u. Bewegung 
lm Zimmer) 


In jeder, auch den folgenden, Tabellen ist nur e i n 
Beispiel aufgeführt. Eine grössere Zahl findet sich in der aus¬ 
führlichen Publikation. 

Bemerkungen zu Tabelle I: 

Die Tabelle demonstrlrt unverkennbar, wie der Beginn der 
nachmittäglichen Abnahme der Albuminurie — genau nach Lage¬ 
rung des Mittagessens — auf eine frühere Zeit zu verlegen ist. 
Am letzten Versuchstag wurde das Mittagessen nicht aufge¬ 
nommen; hier fehlt die eiweissarme Periode ganz. 

Dass die nach dem Mittagessen — entsprechend der Gewohn¬ 
heit des Patienten — eingehaltene Horizontallage keinen Anstoss 
zum Zustandekommen der eiweissfreien Periode gibt, wurde durch 
Kontrolversuche festgestellt. 

Hierüber, und ferner warum bei sehr spät aufgenommenem 
Mittagessen die Abnahme der Albuminurie relativ später beginnt, 
siehe ausführliche Publikation. 

Bemerkungen zu Tabelle II: 

„Normaltag“ = Tag mit gewöhnlich zu beobachtendem 
„Cyklus“ bei denselben täglichen Anforderungen. ..Hunger¬ 
tag" = Tag, an welchem kein Mittagessen aufgenoimnen wurde 
(nur Früh ein I. F.) I. F. = erstes Frühstück (etwas Thee und 
Weissbrod). „Nachth.“ = Nnchtbaru. 

Als Prüfstein für die Resistenz der zu prüfenden Zeit wurde 
Haut Iren und Bewegung im Zimmer in meist stehender — ge¬ 
legentlich durch Sitzen unterbrochener — Haltung gewählt. 

Der eiweissfreie Harn nach dem I. F. kann nicht als Beweis 
für den günstigen Einfluss des I. F. herangezogen werden, weil 
in dieser Zeit (bis 10 Uhr) die im Sitzen zur Geltung kommenden 
günstigen Bedingungen eingewirkt. 

Der 24. I. und nicht der 23. I. wurde als zweiter Vergleichs¬ 
tag gewählt, weil nach einem „Hungertag" gewöhnlich sich Er¬ 
schöpfung geltend machte. S. II. Theil der Abhandlung. 

Den gelegentlichen schädlichen Einfluss einer das physio¬ 
logische Maass überschreitenden Nahrungsaufnahme habe ich 


nahm, um so mehr kam ich zu der Ueberzeugung, dass zwischen 
Eiweissmenge und Harnmenge eine Beziehung besteht, ohne 
dass dem specifisohen Gewicht eine Bedeutung zukommt; d. h. 
wenn beispielsweise unmittelbar nach dem Auf stehen Früh das eine 
Mal ein spärlicher und dunkler Harn entleert wurde, so pflegte 
sich in ihm ein grosser Eiweissgehalt zu finden; wurde dagegen 
Früh bei genau den gleichen Bedingungen ein reichlicherer und 
hellerer Harn abgeschieden, so enthielt derselbe in der Regel 
absolut weniger oder kein Eiweiss u. s. f. Einschaltcnd bemerke 
ich schon hier, dass cs sich bei dieser Wahrnehmung nicht um 
Täuschung in Folge zunehmender Verdünnung handelt. Denn 
bei gewöhnlichem Verhalten kommt es fast nie zu Haruver- 
verdünnungen, die im Stande wären, einen deutlichen Eiweiss¬ 
gehalt zu verdecken. Natürlich ist diese Beziehung zwischen 
Hnmmengo und Eiweissgehalt keine absolute, was aus dem 
II. Theile hervorgehen wird und in meiner ausführlichen Ab¬ 
handlung eingehend dargclegt werden wird. Erwähnt sei hier 
nur: Wie ich durch das Beispiel angedeutet, müssen gleiche 
Zeiten, die unter gleichen Bedingungen stehen, mit einander 
verglichen werden. Kurz nach der Nahrungsaufnahme wird ge¬ 
wöhnlich wenig Harn producirt; dann kommt wieder die Periode 
der gesteigerten Diurese u. s. f. Solche Perioden müssen bei dem¬ 
selben Individuum und gleicher Nahrungsaufnahme mit einander 
verglichen werden. 

Die Beobachtung über die enge Beziehung zwischen Harn¬ 
menge und Eiweissgehalt und ferner die erwähnte Thatsaehe, 
dass bei gelegentlichem Ausbleiben der nachmittäglichen Albu¬ 
minurie auch die Steigerung der Diurese am Nachmittage 
nicht erkennbar war, liess mich vermuthen, dass der günstige 
Einfluss des Mittagessens mit der Steigerung der Diurese im 
Zusammenhang steht. Um dies in nicht misszuverstehender 


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12. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1835 


Weise zu entscheiden, versuchte ich, auf anderem Wege als durch 
das Mittagessen eine Steigerung der Diurese herbei zu führen. 
Ich lie.ss wiederum das Mittagessen aus und ersetzte es gewisser- 
maassen durch ein Diureticum. 

Feber den Ausfall dieses Experimentes belehrt ein Blick auf 
das untenstehende Beispiel. 


Tabelle III. 

Diureticum am Hungertage. 



Zeit 

Eiweiss- 

Reaction 

Harnmenge 


Li q. Kal. 

Nacht h. 

1 o 



auf 


ace t. 

I. 

F 8,40 



1 Minute 


(25:200) 

9-11 

1 o 



berechnet 

Sitzen. 

11-1 

++4- 





1,40 

-M-+ 

19 




2,20 

+++ 

22 




3 

++j 

- 

21 

12 










4 

+-H 

- 

12 




4,15 

+ +H 

- 

7 

0,47 



4,25 

++H 

4-4—1 

_ 

3 

0,3 

Aufrechte 


4,45 



0,3 

Körper- 

1 Essl. 4,36 
4,46 

r. „ 5,10 

i 1 1 



Stellung 
(Stehen 
und Be¬ 
wegung im 



I 5 

(+- 0 ) 

7 

0.47 | 

Zimmer.) 


■ 5,20 

( 4 — 0 ) 

9 

0,45 1 


lalkal. Harn 

U 

0 


22,5 

0,56 1 


! sa u r. Harn 

6,45 


- 

19 

0,42 


saur. Harn 

7,30 

h 

14 

0.31 



Boi ungünstigsten Bedingungen für die 
Niere, die sich vorher durch maximale Ei¬ 
weissausscheidung kundgibt, erzielt das Kali 
aceticum bei der cyklischen Albuminurie 
einen völlig eiweissfreien Harn, während es 
zur Wirkung gelangt. 

Bemerkungen zu Tabelle III: 

Am ,.Hungertag“ wie oben kein Mittag, nur I. F. Aus 
den auf 1 Minute berechneten Harnmengen wird ersichtlich, 
dass sich die Zeit der Steigerung der Harn menge 
mit der, in welcher die Abnahme resp. das 
Schwinden des Eiweisses stattfand, deckt. D;i 
das Kali acctic. den Harn alkalisch machte, so lässt sich beur- 
thoilen, bis zu welchem Zeitpunkte die Ausscheidung dui'ch die 
Niere anhielt. 

Besonders einwandsfrei werden diejenigen Versuche er¬ 
scheinen müssen, welche in der Hungerperiode gewonnen 9ind, 
weil ich durch sie — bei genau geregeltem bezw. genau gleichem 
Verhalten wie in der ei weissreichen Vormittagszeit künstlich eine 
Periode herbeizuführen im Stande war, in der ich mit Bestimmt¬ 
heit Stunde für Stunde fast gleich grosser maximaler Eiweiss¬ 
ausscheidung sicher war. Erst hierdurch ist die Möglichkeit zu 
eimvandsfreiem Prüfen von Mitteln auf ihren etwaigen günstigen 
Einfluss auf die Eiweissausscheidung geschaffen. 

In den von mir gewählten Dosen verabreicht, vermag das 
Kali aceticum die ohne dasselbe sicher zu erwartende starke Aus¬ 
scheidung von Albumen völlig zu verhindern oder auf Spuren 
herabzuselzen, zugleich mit Steigerung der Diurese. Die Be¬ 
deutung des Kali aceticum und wahrschein¬ 
lich auch der m o i s tj c Jn anderen Diuiretjica ist 
also eine viel grössere als das bisher angenommen wurde. Ihre 
II a u p t w i r k u n g müssen wir in der unmittel¬ 
baren Herabsetzung dos Eiweissgchaltes 
s u e h e n. 

Bei 14 Versuchen mit Kali aceticum blieb die genannte 
Wirkung auf die Eiweissausscheidung nur einmal aus. Nur 
dieses eine Mal fohlte auch zugleich die erwartete Steigerung 
der Diurese. Analoge Resultate ergaben die Versuche mit einem 
anderen Diureticum, dem Harnstoff. 

Mit Hinweis auf die Tabelle, die sich auf das Beispiel 
über die Wirkung de» Kali aceticum im Hungerzustande l>e- 
zieht, komme ich nochmals auf den möglichen Ein- 
w a n d zu sprechen, dass die Vermehrung der 
11 a r n m e n g e eine Abnahme des E i w e i s s g e li a 1 - 

No. 46 


tes Vortäuschen könnte. An den Hungertagen ist in 
Folge der Ausdürstung des Körpers die durch die Diuretica 
zu erzielende Steigerung der Diurese zwar unverkennbar, aber 
doch so gering, dass die al>solute Monge des Harnes auf die 
Minute berechnet noch erheblich hinter der am Tage als 
Durchschnitt geltenden Ilarnmcnge zurück bleibt. Da es bei 
diesen absolut noch zu geringen Harumcngcu 
zu einem völligen Schwinden des Eiweisses 
kommt, kann von einer Vortäuschung durch 
zu grosse Verdünnung nicht die Rede sein. 

Die bisher geschilderten und die folgenden Beobachtungen 
über die Beziehungen der Uarnuienge zur Eiweissausscheidung 
bei der cyklischen Albuminurie müssen auf den bekannten Satz 
Iieidenhai n’s führen, den ich der schnelleren Verständigung 
halber schon jetzt vorwegnehme: Die Stromgeschwin¬ 
digkeit des Blutes in der Niere ist maass¬ 
gebend für die Absonderungsgeschwindig¬ 
keit des Ilarnes und für die Menge von Ei¬ 
weis s, die in den Harn übergeht. 

Ich wende mich nun zu meinen Versuchen über den Ein¬ 
fluss von warmen resp. heissen Bädern auf die 
Ei weissausscheidung. 

Ich experimentirte aus genannten Gründen wieder meistens 
im Hungerzustande. Sie ersehen auch hier aus den Aufzeich¬ 
nungen den direkten Einfluss dieser therapeutischen Maass- 
nalmie auf die Eiweissausscheidung. 

Vom Momente der Einwirkung des heissen Bades wird der 
Harn reichlicher, heller und beträchtlich eiweisssirmer. Die Haut 
war gcrüthet. der Puls wurde merklich voller und frequenter. 

Es seheint mir, dass bei dieser momentan eintretenden 
günstigen Einwirkung, die durch den Hautreiz bedingte Erregung 
der llorzthiitigkcit eine Rolle gespielt hat. 


Tabelle IV. 




Helsses Bad am Hungertag (kein Mittagessen). 



Zeit 

Eiweiss- 

Reaction 

Hammenge 



Xiichth. 

7,32-8,15 

0 

4-4-+ 

26,5 

auf 

1 Minute 
berechnet 



I. F. 8 





8,40 

9,5 

9,5-1 

+ 

0 

0 

14 

12,5 

368 


8itzen. 

Horizontallage. 

dunkler Harn 

1,33 

2,30 

3 

l+,+l + l 

27,5 


1 Aufrechte 

tut 



r (Stehen u. Be- 

>» » t) 

4,10 

++lt 

24 

0,34 

wegung im 
) Zimmer) 


H e i s 8 e s Wannenbad 33 0 R. 
4 Uhr 5—4 Uhr 30 


heller Harn . . . 

1 4,22 
| 4,30 

(®—+) 

10 

4 

0,83 § 
0,5 | 

Helsses Bad 
(bei aufrechtem 
Oberkörper). 

sehrdunkl. Harn 

5,5 

++++ 

9,5 

0,27 

Bewegung Im 
Zimmer. 
(Ankleiden cto.) 


Es zeigte sich hier also das analoge Verhalten 
wie bei Anwendung der Diuretica: Vermehr¬ 
ung und entsprechendes Heller werden des 
Harnes, verbunden mit einer Abnahme des 
E i w e i s s g e h a 11 e s. 

Die Tabelle mit den heissen Bädern ist mit so ausführlichen 
Bemerkungen versehen, dass eine weitere Erklärung über¬ 
flüssig ist. 

Die n o r i z o n tallag e: Bei dom einen Patienten machte 
ich die Wahrnehmung, dass von einer bestimmten Zeit an der 
bisher Vormittags zwischen 10 und 11 ziemlich regelmässig 
eiweissfreie Harn eiweisshaltig wurde. Zugleich mit dom Auf¬ 
treten von Eiweiss nahm auch die Ilarnmcnge ab. Wie midi 
weiten» Prüfungen lehrten, waren Auftreten des Eiweisses und 
Abnahme der Harnmenge in gleicher Weise auf den Umstand 
zurückzuführen, dass statt der früher vorzugsweise sitzenden 
Position zwischen 10 und 11 Uhr nunmehr der Patient diese 
Zeit hauptsächlich stehend zubraehte. Schon beim Ucbcrgang 

3 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


1836 


vom Stehen zum Sitzen sah ich also, das9 zugleich mit der Ab¬ 
nahme des Ei weissgeh alt es eine Vermehrung der Harnmenge ein¬ 
trat. Beim I T obergang in die Horizontallage kam es stets zu 
erheblicher Steigerung der Diurese. 

Ich wurde so auf eine Thatsaehe aufmerksam, die mir un¬ 
bekannt war und bisher, obwohl von verschiedenen Seiten be¬ 
arbeitet. überhaupt nicht sehr bekannt geworden ist, weil sie bis¬ 
lang zur Pathologie dev Niere nicht in Beziehung gebracht wor¬ 
den ist. 

Den eben gekennzeichneten Einfluss der Körperstellung auf 
die Harnmenge haben E. Wend t, Q uincke, Laehr') u. A. 
festgestellt. Es geht also auch in der Horizontal¬ 
lage der günstige Einfluss auf die Eiweiss¬ 
au s s e h e i d u n g mit einer V ermchrung der llarn- 
m enge ei n h e r! Es wirkt die Horizontallage, wenn 
sie bestimmte Zeit hindurch eingehalten wird, gleichsam und zwar 
energisch d iuretisch. 

Von dem Gesichtspunkte, dass Harnmenge und Eiweissgehalt 
in enger Beziehung zu einander stehen, sind die folgenden Zahlen 
1. a e h r’s von Interesse: Laehr (citirt nach Quincke) theilte 
Tag und Nacht in 3 achtstündige Perioden und nahm im Beginn 
jeder derselben die gleiche, genau abgemessene Nahrung und 
Flüssigkeit auf. Während der nächtlichen 8 stiindigen Periode 
schlief L a e h r. während der anderen arbeitete er im Labora¬ 
torium »slcr am Schreibtisch. Er erhielt im Mittel aus 15 tägiger 
Beobachtung: 

Vormittags Nachmittags Nachts 

463 552 610 

Berücksichtigt man die von mir so oft erwähnte Beziehung 
zwischen Harnmenge und Eiweissgehalt, dann spiegeln die obigen 
Zahlen L a e h r's gewissermaassen den ganzen Cyklus bei unserer 
Albuminurie wieder: Die geringste Harnmenge Vormittags, er¬ 
hebliche Steigerung am Nachmittage, grösste Menge Nachts. 

Steigerung der Diurese und Abnahme des Eiweisses werden 
wir auch bei der Horizontallage auf günstigere. Circulations- 
l>edingungcn zu beziehen haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach, 
werden wir in der physiologischen Thatsaehe eine Erklärung 
finden, dass bei Horizontallage der Gcsammtblutdruck erheblich 
grösser ist. als lx-i aufrechter ruhiger Körperstellung. 

Zum Schlüsse der ersten Ilälfte dieser Abhandlung erinnere 
ich daran, dass auch unsere diätetische Behandlung 
<1 er N i e r e n k rank e n eine Steigerung der Diurese ver¬ 
anlasst. 

Man wird wahrscheinlich nicht fehl gehen, den günstigen 
Einfluss der Milch, der Vegetabilien mit ihrem hohen Kaligehalte, 
der alkalischen Wässer in Folge ihres Reichthums an Wasser 
und an Kalisalzen etc. in ähnlichem Sinne, wie die Wirkung der 
Diuretica zu deuten. 

Es hat sich also bei sämmtlichen Maassnahmcn, 
die bisher in der Therapie der Nierenkrank¬ 
heit e n zur Anwendung kamen, der Parallelismus 
zwischen Steigerung der Ilarn menge und dem 
günstigen Einfluss auf die Albuminurie dar- 
th u n lassen. 

(Schluss folgt.) 


Aus dem hygienischen Institut der Universität München. 

Einwirkung steriler Dauerhefe auf Bakterien. 

Von L. G e r c t. 

In einer vorläufigen Mittheilung (Centralbl. f. Gynäk. 1901, 
No. 17) hat W. Albert über sehr günstige Resultate einiger 
Versuche berichtet, welche sich auf die Verwendbarkeit der sog. 
sterilen Dauerhefe als Desinficiens bei vaginalen Erkrankungen 
bezogen. Die Dauerhefe ist bekanntlich eine, nach R. Albert 
durch geeignete Behandlung mit Alkohol und Aether abgetödtete 
und entwässerte reino Bierhefe')• Diese Abtödtung erstreckt 
sich nur auf die Vernichtung der Wachsthums- und der Fort¬ 
pflanzungsfähigkeit ; das bei der Hefe uns besonders interessirende 
Oährungsvermögen, beruhend auf ihrem Gehalt an Zymase, bleibt 
ebenso erhalten wie die übrigen an das Vorhandensein von En¬ 
zymen gebundenen (proteolytischen, invertirenden etc.) Eigcn- 

') Xämmtliehe Quellen-Angaben ln der später erfolgenden aus- 
1 'ilirlichen Publikation. 

') Ber. d. D. Cheui. Ges. 33, 3775. 


schäften. Die Dauerhefe stellt ein leichtes, staubtrockenes 
gelblich-weisses Pulver dar. 

W. Albert hat nun dieses mit Ausnahme einiger beim 
Trocknen eventuell hineingerathenen Luftkeime sterile Präparat 
verwendet zur Wiederholung und bedeutenden Verbesserung der 
mit lebenden Hefekulturen schon 1899 von Th. Landau 
versuchten und vielversprechenden Behandlung des Fluor albus. 
Der Erfolg der Versuche war ein überraschend günstiger. 

Hatte Landau noch unentschieden lassen müssen, ob die 
vernichtende Einwirkung der lebenden Hefezellen auf das 
Bakterienwachsthum der Scheide durch das einfache Ueber- 
wuchern der Bakterien und weiterhin durch die Entziehung des 
Nährbodens etc. verursacht werde, oder durch die Einwirkung 
von Stoffwechselprodukten u. s. w. der Hefezellen, so war diese 
Frage in der Arbeit A 1 b e r t’s schon auf die letzterwähnte Mög¬ 
lichkeit beschränkt: es war klar geworden, dass der 
beträchtliche baktericide Effekt bei den Ver¬ 
suchen nur gewissen Produkten der Hefe zu¬ 
geschrieben werden kann. Albert liess dagegen 
noch die Frage offen, ob die während der Gährung durch Ein¬ 
wirkung der Zymase entstehenden Produkte, Alkohol und 
Kohlensäure, oder ob das proteolytische Enzym der Hefe die 
baktericide Wirkung bedingt ? 

Um diese Frage der Lösung näher zu bringen und vor Allem, 
um die an sich so interessante und auffallende Thatsaehe weiter 
zu prüfen, unternahm ich, einer Aufforderung des Herrn Prof. 
11. Büchner folgend, eine Reihe von Versuchen. 

Es wurde dabei die Einwirkung gährender Dauerhefe auf 
verschiedene Bakterien in vitro durch das Plattenkultur¬ 
verfahren in allen Stadien verfolgt und ausserdem die Versuchs¬ 
anordnung in mannigfacher Weise variirt. Die Dauerhefe stellte 
ich mir zum grossen Theil selbst her, zum Theil bezog ich sie von 
Herrn Presshefe-Fabrikanten A. Schröder in München, welchem 
die Herstellung der Dauerhefe übertragen ist. Als zu vergährende 
Substanz nahm ich Rohrzucker. Das Verhältniss von Dauerhefe 
zu Zucker und Lösungsflüssigkeit wurde stets wie bei W. Albert 
1:1:5 angenommen, da auch ich bei diesem Verhältniss die 
geeignetste Gährungsintensität konstatiren konnte. Als Kon- 
trole benützte ich meist die gleiche Mischung (5 Theile Flüssig¬ 
keit und 1 Theil Zucker) jedoch mit 1 Theil eines unwirksamen 
Präparates von Dauerhefe, welches durch einen kleinen Fehler 
bei der Herstellung sein Gährungsvermögen verloren hatte. 

Die mit Bakterien geimpften Röhrchen wurden stets bei 
37° aufgestellt, bei mehreren Versuchen ausserdem im Be¬ 
wegungsapparat gehalten, der eine stete Mischung der Flüssig¬ 
keit bewirkte. 

Versuch 1. 

Die GährflUssigkeit, bestehend aus 1 g Zucker, gelöst in 
2,5 ccm dest. Wasser und 2,5 ccm Peptonboulllon. 

Röhrchen No. 1 a und b erhielten 5 ccm GährflUssigkeit -(-lg 
Dauerhefe, kräftig gährend J ), 

Röhrchen No. 2 a und b erhielten 5 ccm GährflUssigkeit -f- 1 g 
Dauerhefe, fast unwirksam ’), 

Röhrchen No. 3 a und b erhielten 5 ccm GährflUssigkeit -(- keine 
Dauerhefe. 

Die Röhrchen erhielten je 1 Tropfen einer Typhusbacilleu- 
emulslon als Aussaat. Nach 0,5 und 16 Stunden wurde je 1 Platin¬ 
öse des Röhrcheninhalts in der Üblichen Weise zu Platteukultureu 
verwendet. 

Kolonienzahlen. 



Sogleich 
nach Aussaat 

nach 

5 Stunden 

nach 

16 Stunden 

1 a 

5400 

1350 

0 

1 b 

6400 

5400 

0 

2 a 

5400 

4500 

verflüssigt 

2 b 

3600 

4050 

122400 

3a 

4500 

158400 

cs-. 

3b 

6300 

248400 

cr> 


Der Versuch zeigt also auch in vitro eine beträchtliche 
baktericide Wirkung der gährenden Dauerhefe; 
er bewies zugleich, dass die blosse Konzentration der Zucker¬ 
lösung (20 Proc.) die Vermehrung der Typhusbacillen nicht hin- 

3 ) 0,43 g CO, in 16 Stunden. 

“) 0,05 g CO, ln 16 Stunden. 


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12. November 1901. MUENCHENEß MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1837 


dort; dagegen ist auch bei dem in Bezug auf Gährvermögen prak¬ 
tisch .fast unwirksamen Präparat anfänglich eine schwache 
Hemmung der Vermehrung der Typhusbacillen zu erkennen 
(2a und 2b). 

In den Röhrchen 1 war nach Ablauf der Gährung eine ziem¬ 
lich stark saure Reaktion zu konstatircn, hervorgerufen sowohl 
durch Gährungsprodukte (CO, u. 8. w.) als auch besonders 
durch Produkte des proteolytischen Enzyms der Hefe (Amido- 
säuren etc.). Es war nun der Zweck der nächsten Versuchs¬ 
reihen, diese an sich bakterienfeindlich wirkenden Säuren bis 
auf die Kohlensäure auszuschalten. 

Versuch II . 

Röhrchen 4. lg Dauerhefe giihrkräftig, 2,5 ccm Bouillon. 
2,5 ccm 40 proc. Zuckerlösung. 

Röhrchen 5. Zusammensetzung wie 4, aber nach je 3 Stunden 
mit Natronlauge schwach alkalisirt. 

Röhrchen 6. 1 g Dauerhefe giihrkriiftig, 2,5 ccm Bouillon. 

2,5 ccm physiolog. Kochsalzlösung. 

Zu jedem Röhrchen Zusatz von 1 gtt. einer 12 st Und. Typhus¬ 
kultur. 


Iv o 1 o n 1 e n z a h 1 e u. 


Riilinh. 

| Sogleich 
uach 
! Anssaat 

nach 

5 8tdn. 

mch 

1 20 Stdn. 

1 

I nach 
i 26 Stdn 

Bemerkungen 

4 

16200 

7200 

1 

0 

Kontrole, nach 26 Stdn. in 
Bouillon geimpft, steril 

5 

19800 

18000 

1620 

630 I 

Kontrole, wie 4, ergibt 
Wachsthum 

6 1 

21600 

111600 

CO 

co 

— 


Die baktericide Wirkung der öfter neutralisirten Probe (5) 
ist immer noch unverkennbar, wenn auch nicht so prompt wie 
in Probe 4. Dass die Acidität für die Erklärung der bakteri- 
ciden Wirkung der Dauerhefe gar nicht oder sicher nur un¬ 
wesentlich in Betracht kommen kann, tritt noch klarer in den 
folgenden 3 Versuchsreihen hervor, in denen zur Bindung der 
gebildeten organischen Säuren doppelkohlensaurer Kalk im 
Ueberschuss zugegeben wurde, welcher Zusatz nach Kontrol- 
versuchen für die Intensität der Gährung ohne Einfluss ist. Auf 
die Schlüsse, welche aus dem Verhalten der Kontroleprobe 6 zu 
ziehen sind, werde ich später zu sprechen kommen. Ausserdem 
sei hier schon auf den später anzuführenden Versuch mit Bac. 
lactis aerogenes hingewiesen, der als Milchsiiurebildner wenig 
empfindlich für organische Säuren sein dürfte, während er 
dennoch in giihrender Hefe rasch abgetödtet wird. 


Versuch III. 

Je 1 g Dauerhefe und 5 ccm 20 proc. Zuckerbouillon. 

Röhrchen 7 ohne weiteren Zusatz, 

„ 8 -4- 1 g CaCOs, 

„ 9 4- 0,5 g CaCOs, 

„ 10 -j- NaOH alle 3 Stunden neutralisirt, 

„ 11 Kontrole wie 7, nur mit nicht gährender Hefe 

angesetzt 

Aussaat je 1 gtt Typhusbouillonkultur 


Kolonienzahlen. 


Röhrchen j 

i 

l Sogleich j 
| nachAussaat 1 

nach 

6 Stunden 

nach 

24 Stdn. 

nach 

48 Stdn. ( 

nach 

3 Tagen 

7 

1726 

488 

6 

0*) 

0 

8 i 

3125 

1197 

12 

0 

0 

9 II 

3906 1 

1210 

7 

0*) 

0 

10 

2526 

661 

17 

0 

— 

li >; 

2010 1 

180650 

CO 

CO 

— 


*) steril nach Aussaat in Bouillon. 


Im folgenden Versuch IV war: 

Röhrchen 12, 15, 18, 21 ohne Zusatz, 

„ 13, 16, 10, 22 mit 0,5 g CaCOs versetzt, 

„ 14, 17, 20, 23 mit nicht gährender Hefe als Kontrole 

angesetzt: 


K o 1 o n 1 e n z a h 1 e n. 


Röhrchen 

1 1 

Sogleich 

nach 

Aussaat 

nach 

3 Stdn. 

; nach 

112 Stdn 

i _ 

1 nach 
'24 Stdn. 

nach , 
45 Stdn. 

nach 

3 Tagen 

12 

«J 1 

g | 
r 1 

2013 

590 

0 

3 

0 

0*) 

13 


i 3473 

1308 ' 

6 

2 

0 

0*; 

14 

ll 

| 

2318 

1460 

3192 

4826 

11490 

152 

15 

2 1 

1 952 

18 

0 

0 

0 

0*) 

16 

O 

1492 i 

23 

0 

0 

0 

0 *, 

17 

C3 

>•' 

1276 , 

102 

4 

106 

— 

0 

18 '1 

•J c 

2350 

2413 

648 

150 

11 1 

0*; 

19 


2413 

1587 

952 

349 

118 

0 

20 

a £ 

1460 

2032 

58500 

171000 

260000 

CO 

21 

=> _ 

6032 

1689 | 

1041 

394 

116 

0 

22 

n. - 

7810 

1670 

825 

698 

230 

0 

23 

5 ü 
-ß 

4190 

1473 

10223 i 

CO 

CO 

CO 


*} Röhrchen 12, 13, 15, 16 u. 18 wurden nach 3 Tagen bei 
Aussaat in Bouillon steril gefunden. 

In Röhrchen 14 und namentlich 17 hatte die minimale 
Gährung der Kontrolhefe (siehe Tabelle I) und bei 17 wohl noch 
mehr die saure Reaktion derselben genügt, um eine schädigende 
Wirkung erkennen zu lassen. Im folgenden Versuch V war 
bei sonst gleicher Anordnung eine völlig unwirksame Kontrol- 
Dauerhefe verwendet worden. 


V e r s u c h V. 

K o 1 o n i c n z a h 1 e n. 


|j Röhrchen 

Sogleich 

nach 

1 Aussaat ! 

nach 

3 Stdn. 

i nach 

, 18 Stunden 

nach 

40 Stunden 


| 24 

130 

512 

0 

0 

ä cu 

25 1 

205 

960 

3 

0 

Cfl >» 
E- 

26 

128 

1 

1184 

189000 

162000 

0) 

ß 

1 27 

326 

44 

0 

0 

>'•3 

; 28 

1 307 

273 

, 2 

0 

M 1 

i 29 

307 1 

647 

90900 1 

5461 


Ein weiterer Versuch wurde mit einer durch Dauerhofe be¬ 
reits vergohrenen und dann filtrirten Bouillon-Zuckerlösung an¬ 
gestellt, um zu sehen, ob die baktericide Wirkung nur während 
der Gährung eintrete, oder ob durch die Gährung gebildete bak¬ 
tericide Stoffe auch nachher in der Flüssigkeit gelöst bleiben 
und zur Wirkung gelangen können? Das Ergebniss ist nicht 
ganz klar, spricht aber eher für die letztere Annahme. 


V e r s u c li VI. 

Es wurden 4 g Dauerhefe und 20 ccm 40 proc. Zuckerbouillon 
5 Tage bei 37° vergähren lassen, und danach die braune Flüssigkeit 
abfiltrirt. Die Röhrchen wurden in folgender Welse beschickt: 

30. 2,5 ccm Bouillon -f- 2,5 ccm Filtrat (sauer). 

31. 2,5 „ „ -f-2,5 „ „ neutralisirt. 

32. 2,5 „ „ 4-5,0 „ „ neutralisirt. 

Aussaat je 1 gtt Typhusbouillonkultur. 


K o 1 o n i e n z a h 1 e n. 


Röhrchen 

nach 
l 8tde. 

nach 

10 Stdn. 

nach 

1 24 Stdn. 

Aussaat in Bouillon 

nach 48 Stdn. 

nach 5 Tagen 

80 

889 

t 783 

1498 

Wachsthum 

steril 

31 

1143 

' 6750 

851 

Wachsthum 

Wachsthum 

82 

1016 

360 

413 

Wachsthuui 

Wachsthum 


Oben bei Versuch II war die Kontrolprobe (6.) in der Weise 
angesetzt, dass die Aussaat der Typhusbacillen in ein Röhrchen 
mit gährender Dauerhefe erfolgte, die aber ohne Zucker, 
nur mit physiologischer Kochsalzlösung und Bouillon versetzt 
war. Die Bakterien konnten sich in diesem Röhrchen ungehindert 
vermehren, trotzdem die Dauerhefe gute Gährkraft und bei 
Ueberschichtung auf Thymolgelatine deutlich nachzuweisendes 
proteolytisches Enzym besass, also ein für die baktericiden Ver¬ 
suche (s. Röhrchen 4) vollkommen entsprechendes Präparat dar- 
st eilte. 


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3* 

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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


183S 


No. 46. 


Dadurch, dass die baktericide Wirkung durch alleinige Weg¬ 
lassung des zu vergiihrenden Zuckers ausblieb, ist festgestellt, 
dass dem proteolytischen Enzym keine nennenswerthe Wirkung 
zuzuschreiben ist, und anderseits, dass das bakteri- 
cide Agens ein durch Einwirkung der Zymase 
auf eine verg äh rungsfähige Substanz ent¬ 
standenes Produkt sein muss. 

Der Versuch, welcher zu diesem Schlüsse führte, wurde noch 
einige Male wiederholt und auch auf andere Bakterienarten aus¬ 
gedehnt, stets mit dem gleichen Resultat, wie folgende Tabellen 
zeigen: 

Versuc li VII. 

Röhrchen 33 und 3-4. 1 g Hefe -|- 2,5 ccm Bouillon -(- 2,5 ccm 
40 proc. Zuckerlösung. 

Röhrchen 35. 1 g Hefe -f 2,5 ccm Bouillon -f- 2,5 ccm 

pliys. Na CI. 

Aussaat: Staphylococcus pyogenes aureus. 


Kolon! e n z a li 1 e n. 

Röhrchen 

Sogleich 

nach 

Aussaat 

nach 

10 Stdn. ; 

nach 

24 Stdn. 

nach 

48 Stdn. 

Aussaat in 
j Bouillon 

nach 5 Tagen 

33 

8100 

63 

30 

16 

steril 

34 ! 

1 9000 

63 

68 : 

2 

— 

35 ! 

1260 

18900 | 

48600 ' 

evo 

Wachsthum 


Versuch VIII. 


Röhrchen 30 und 37. lg Hefe -(- 2,5 ccm Bouillon 2.5 ccm 
4o proc. Zuckerlösung. 

Röhrchen 3.8. 1 g Hefe 2,5 ccm Bouillon -f 2.5 ccm 

pliys. Na Cl-Lösung. 

Aussaat: Bae. lactis aerogenes. 

I\ o 1 o n 1 e li z a li 1 e n. 


Röhrchen 

1 

Sogleich 1 
nach [ 
Aussaat ' 

nach 

nach 

nach 

Aussaat in Bouillon 

10 Std.24 Std. 

48 Std. 

nach 48 Stdn. 

nach 5 Tagen 

f 1 

36 

14400 

5400' 

1080 

1 

Wachsthum 

steril 

37 

12600 

— ! 

1800 

0 

1 Wachsthum 

steril 

38 

13500 

450000 

cs) 

CS) 

— 

i Wachsthum 


Versuch IX. 

Röhrchen 39 und 40. 1 g Hefe -f 2,5 ccm Bouillon + 2,5 ccm 
40 proc. Zuckerlösung. 

Röhrchen 41 und 42. 1 g Hefe -f- 2,5 ccm Bouillon -f- 2,5 ccm 
pliys. Na Cl-Lösung. 

Röhrchen 43 und 44. Keine Hefe, 2,5 ccm Bouillon -f- 2,5 ccm 
40 proc. Zuckerlösung. 

Röhrchen 45 und 40. Keine Hefe, 5,0 ccm Bouillon allein. 
In 39, 41, 43 und 45. Aussaat: Typhusbakterien. 

In 40, 42, 44 und 46. Aussaat: Cholerabakterien. 


Kolonlenzahlen. 


II Sogleich 
Röhrchen nach 

1 Aussaat 

nach 

3 Stunden | 

nach 

15 Stdn. 

nach | 
24 Stdn. ; 

nach 

4 Tagen 

39 

3136 

960 

6 

0 

0*) 

40 

36000 

512 

0 

0 

0*) 

41 

2680 

6144 

468000 

CS) 

120000 

42 

, 40500 

19700 

170000 

102000 

112000 

43 ; 

2432 

6400 

1080000 

CS) 

CS) 

44 | 

27600 

verflüssigt 

tS) 

CS) 

cs> 

45 ■ 

2^80 

41400 

CS) 

CS) 

CS) 

46 

36900 

verflüssigt 

CS) 

CS) 

CS) 


*) Röhrchen 39 und 40 nach 4 Tagen steril gefunden. 

Die bisherigen Versuchsreihen haben übereinstimmend be¬ 
wiesen, dass für die baktericide Anwendung der Dauerhefe un¬ 
bedingt nöthig ist: 

1. ein gewisser Gehalt on wirksamer Zymase, d. h. eine gähr- 
kriiftige Dauerhefe, 

2. die Gegenwart vergährungsfähigen Zuckers. 

Aus diesem Ergebniss muss wiederum geschlossen werden, 
dass Giihrungsprodukte das baktericide Agens darstellen. Unter 
den, durch Ilefcgiihrung aus den Zuckerarten entstandenen Pro¬ 
dukte n nehmen Kohlensäure und Alkohol die erste Stelle ein, 
da 94—95 Proc. des Zuckers in diese Verbindungen übergehen. 
Ständige Nebenprodukte der Hefegährung des Zuckers sind noch 
Glycerin (2,5—3,5 Proc.) und Bernsteinsäure (0,4—0,7 Proc.), 
doch kommen diese hier nicht in Betracht, da sie nach Unter¬ 


suchungen von E. Büchner und R. Rapp bei der reinen 
Z y m a s e gährung der Dauerhefe nicht zu finden sind, sondern 
nur Stoffwechsclprodukte lebender Ilefezellen darstelleu. 

Es galt, daher, den Einfluss der Kohlensäure und des Alko¬ 
hols auf Bakterien zu studiren. Dass Kohlensäure keine nennens¬ 
werthe Schädigung derselben bewirken kann, war nach Allem, 
was wir über Gährungsvorgiinge und das gleichzeitige Wachs¬ 
thum der Bakterien wissen, von vorneherein zu erwarten. Den¬ 
noch wurde ein Versuch in folgender Weise angestcllt: Ich 
machte zu dieser Zeit Studien über die Diffusionsfähigkeit von 
llühncrciweiss in wasserhaltiger Gelatine und dehnte diese, als 
sie positiv ausfielen, auf Rath des Herrn Prof. H. Büchner 
auch auf die baktericiden und globuliciden Stoffe des Serums 
aus, ebenfalls mit positivem Ergebniss. Nun stellte ich Ver¬ 
suche in dieser Richtung auch mit gährender Dauerhefe an: 
B. typhi und V. cholerae wurden in verflüssigter Nährgelatine 
gut vertheilt und diese in den Röhren erstarren gelassen. Darüber 
wurde das baktericide Agens, das Gemisch von Dauerhefe und 
Zuckt rlösung geschichtet und die Röhrchen bei 22" C. aufge¬ 
stellt. Nach 1—2 Tagen war dann deutlich sichtbar, wie die 
Bakterien in der Tiefe der Gelatine sich zu unzähligen Kolonien 
entwickelt hatten, während die an das Gährgemisch grenzende 
Schichte in einer Dicke von ca. 4—6 mm steril blieb und bis 
ca. 12 mm ein spärliches Wachsthum aufwies. Es war damit 
angezeigt, dass auch die, bei der Dauerhefegährung erzeugten 
baktericiden Stoffe in die Gelatine diffundirten. Ein Versuch 
mit Gelatine, welche durch Lackmus gefärbt war, liess erkennen, 
dass bis in die von den baktericiden Stoffen erreichte Tiefe auch 
saure Reaktion durch Röthuug sich anzeigte. Zur Kontrole ver¬ 
schloss ich nun mit Typhusbacillen und Choleravibrionen ge¬ 
impfte und mit Lackmus tingirte Gelatineröhrchen mit doppelt¬ 
durchbohrtem Gummistopfen, leitete Kohlensäure längere Zeit 
durch die eingeführten Glasröhren ein und schmolz dann die 
zu- und abführenden Glasröhren ab. Auch hier machte sich 
das Eindringen der CO, in grössere Tiefe rasch bemerkbar, aber 
die Bakterien der oberen Schichten vermehrten sich ebenso 
schnell und ungehindert, wie in den unteren Schichten und wie 
in den Kontrolröhrchen. Es geht also auch aus diesem Versuch 
zunächst die bekannte Erscheinung hervor, dass in Gelatine 
diffundirende gasförmige Kohlensäure an und für sich das 
Wachsthum der meisten Bakterien nicht wesentlich beein¬ 
trächtigt. 

Nun blieb noch die Einwirkung von Alkohol in der hier in 
Betracht kommenden Konzentration zu untersuchen. Nach vor¬ 
herigen Bestimmungen entwickelt 1 g Dauerhefe aus 1 g Rohr¬ 
zucker durchschnittlich 0,35—0,4 g Kohlensäure'), also auch 
ebensoviel Alkohol, so dass bei der Flüssigkeitsmenge von 5 ccm 
ein Gehalt von 7—8 Proc. erreicht wird. Ich stellte die Ver¬ 
suche daher in folgender Weise an: 

Zu Röhrchen, die das gewöhnlich gebrauchte Giihrungs- 
gemisch, jedoch mit unwirksamer Dauerhefe (1 g unwirksame 
Dauerhefe, 1 g Zucker, 2,5 ccm Aq. d. und 2,5 ccm Bouillon) 
enthielten, gab ich sogleich 0,15 ccm Alkohol, nach 3 Stunden 
wieder 0,15 ccm und weiteren 12 Stunden nochmals 0,1 ccm, 
so dass im Ganzen 0,4 ccm Alkohol zugesetzt waren. 

Versuch X. 

Röhrchen 47 und 48. 1 g unwirksame Hefe -f lg Zucker 

-f- 5 ccm Bouillon. 

Röhrchen 49 und 50. 1 g unwirksame Hefe -f- 1 g Zucker 

-)- 5 ccm Bouillon -f- Alkohol. 

Röhrchen 51 und 52. 1 g Zucker 5 ccm Bouillon -j- Alkohol. 

Röhrchen 47. 49 und 51 mit B. typhi geimpft. 

Röhrchen 48, 50 und 52 mit V. cholerae geimpft. 

Kolonlenzahlen. 


Röhrchen 

Sogleich 

nach 

Aussaat 

nach 

3 Stdn. | 

nach 

15 Stdn. j 

nach 

24 Stdn. 

nach 

3 Tage i 

47 

4500 

4544 

56450 

180000 

verflüssigt 

48 || 

45000 

12800 

832 

704 

990000 

49 

3840 

832 

5 

0 

0*) 

50 

22000 

397 

76 

12 

o*) 

51 il 

2624 

_ 

3968 

1984 

133 

52 

26000 

129600 

21600 

— 

verunreinigt 


*) Steril, nach l'eberimpfung in Bouillon. 


*) Circa 0.3 g CO, werden hievon schon in den ersten 3 Stunden 
entwickelt, wenn die Giihrung bei 37° vor sich geht. 

e 



12. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1839 


V e r s u e h XI. 

Kührehen Kl, 54, 55 und 56. lg unwirksame Hefe -f- 5eem 
40 proc. Zuckerlxmlllon. 

Kührehen 57, 58. 51) und 00. 1 g unwirksame Hefe -f- 5 een» 
40 proc. Zuekerlösung Alkohol. 

Kührelien 01, 02, 03 und 04 nur 5 ccm 40 proc. Zuokerbouillon 
-(- Alkohol. 

KOhrohen 05, 00, 07 und 08 nur 5 ccm Bouillon -)- Alkohol. 

Kührelien 53, 57. 01 und 05. Aussaat: B. lact. aerogenes (A). 

Kührchen 54, 58. 02 und 00. Aussaat: B. coli (CT). 

Kührelien 55, 51), (Kl und 07. Aussaat: Staphyloeoceus pyog. 

aur. (Kt. 

Kührelien 50, 00, 04 und 08. Aussaat: 11. typhi <T>. 


K o 1 o u 1 e n z a h I e n. 


Röhrchen 

Sogleich 

nach 

Aussaat 

nach 

6 Stdn. 

nach 

80 Stdn. 

nach 

5 Tagen 

Aussaat in 
Bouillon 
nach 5 Tagen 

53 A 

4928 

87300 

c r> 



54 C 

23420 

1)4000 

C/3 

cr> 


55 S 

13440 

8000 

verflüssigt 

verflüssigt 


56 T 

6848 

48600 

130000 

C/J 


57 A 

6208 

3968 

704 

0 

steril 

58 C 

22144 

11712 

4160 

35 

Wachsthum *) 

59 S 

11840 

704 

2112 

verflüssigt 

Wachsthum 

60 T 

6976 

768 

25 

0 

steril 

61 A 

4416 

33300 

95400 

27000 


62 C 

16400 

91800 

75600 

ts-> 


63 8 

6500 

verflüssigt 

verflüssigt 

verflüssigt 


64 T 

6880 

10240 

1790 

115 


65 A 

3764 

68400 

66600 

cn 


66 C 

14336 

284400 

84600 



67 8 

9600 

verflüssigt 

verflüssigt 

verflüssigt 


68 T 

4864 

12990 

4280 

29700 



*) B. coli wird auch in giiliremler Dauerhefe t-f- Zucken noch 
3 Tagen nicht vülllg abgetüdtet, es ist, wie Ktaphylococc. pyog. aur., 
widerstandsfähiger. 


Aus den Versuchen X u. XI geht hervor, dass Alkohol¬ 
zusatz bei Zuckerbouillon und nicht führender l) a u e r- 
liefe thatsiichlieh eine beträchtliche baktericide Wirkung zeigt. 
Diese Wirkung tritt aber bei Zusatz des Alkohols zu blosser 
Zuckerbouillon oder einfacher Bouillon (ohne Dauerhefe) 
nicht ein. Eine Erklärung dafür ist zur Zeit nicht möglich. 
Dennoch muss man annehmen, dass dem bei der Gährung auf¬ 
tretenden Alkohol der Hauptantheil an der baktericiden Wir¬ 
kung der Dauerhefe zuzuschreiben ist. Weiter besteht die Mög¬ 
lichkeit, dass dieses baktericide Vermögen des Alkohols in 
statu nascendi in erhöhtem Maasse zur Geltung kommt, worauf 
schon W. Albert (1. c.) hinwies. 

Auch die Zuckerkonzentration und die durch Kohlensäure 
und organische Säuren entstandene saure Reaktion werden un¬ 
günstige Lebensbedingungen für die Bakterien erzeugen und 
dadurch die Wirkung des oben genannten Gährungsproduktes 
unterstützen. 

Die Resultate der vorliegenden Untersuchungen lassen 
sich in folgender Weise zusammetifasscn: 

1. Die gährkräftige Dauerhefe äussert bei Zuckerzusatz auch 
in vitro eine baktericide Wirkung; 

2. gährunwirksame Dauerhefe oder gährwirksame ohne 
Zuckergegenwart äussem viel geringere Wirkung; 

3. die eigentliche Ursache dieser Wirkungen ist nicht völlig 
klargestellt. Vielleicht handelt es sich um einen kombinirten 
Einfluss der Zymase, der proteolytischen Enzyme, des entstehen¬ 
den Alkohols, der Kohlensäure und der konzentrirten Zucker¬ 
lösung. Vielleicht, spielen auch die bei der Gährwirkung ein¬ 
tretenden DifTusionsvorgänge eine wichtige Rolle. 

Obwohl somit in theoretischer Hinsicht die Frage noch 
nicht geklärt ist, so sprechen doch auch die vorliegenden Ver¬ 
suche entschieden dafür, dass Dauerhefe mit Zuckerlösung zur 
Bekämpfung von bakteriellen Processen an zugänglichen Kürper¬ 
oberflächen mit Nutzen angewendet werden kann. 1 ) 


5 ) Zur Herstellung der Dauerhefe für medicinische Zwecke ist 
autorisirt Herr Presshefefabriknut A. Schröder, München, 
Landwehrstrasse 45, von dem dieselbe jederzeit bezogen werden 
kann. 

No. 46. 


Bemerkungen zur Therapie der Seekrankheit. 

Von O. Rosenbach in Berlin. 

Es ist eine auffallende, aber nach meinen sonstigen Erfah¬ 
rungen nicht unerklärliche, Thatsache, dass in den zahlreichen 
Veröffentlichungen zur Theorie und Therapie der Seekrankheit 
meine Untersuchungen so gut wie nie Erwähnung finden. Und 
doch glaube ich, ohne den Verdiensten der Autoren, die vor mir 
mit der Frage sich beschäftigt haben, namentlich Kies c's, zu 
nahe zu treten, dass auch das therapeutische Problem nirgend 
so eingehend, unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, er¬ 
örtert worden ist, als in meiner Monographie: „Die Seekrankheit 
als Typus der Kinetosen. (Versuch einer Mechanik des psycho¬ 
somatischen Betriebes), von der ein Auszug in Nothnagel’s 
spezieller Pathologie und Therapie veröffentlicht ist. 

So habe ich auch (S. 42) die Wirkung periodischer, tieferer 
Athmungen, die II e i n z ‘) als Hilfsmittel gegen die Seekrank¬ 
heit empfiehlt, mit folgenden Worten erwähnt: „Auch periodische, 
massig tiefe, Einathinungeu sind vorlheilliaft; es ist ja doch 
diese Wirkung tiefer Einathmungen bei Neigung zum Erbrechen 
im Allgemeinen bekannt. Sie dürfen aber nicht zu excessiv 
werden, da sie sonst durch mechanische Expression das Erbrechen 
geradezu begünstigen.“ 

Dass excessivc Einathmungen nicht vortheilhaft sind, be¬ 
weist ja wohl die Thatsache, dass gerade vor dem erfolgreichen, 
durch beliebige Zustände ausgelösten, Brechaktc l>esonders tiefe, 
schluchzende Inspirationen auftreten; sie sind als Ausdruck 
stärkster Betlnitigung des Zwerchfells meines Erachtens eine 
der wichtigsten mechanischen Ursachen für das Zustandekommen 
der krampfhaften Entleerung des Magens, wie ich an anderer 
Stelle ausführlich dargelegt habe 2 ). Ob es, namentlich unter 
den abnormen Verhältnissen auf dem schwankenden Schiffe, mög¬ 
lich ist, durch willkürliche, abnorm tiefe Inspirationen Apnoe 
zu erzielen, die im Experimente allerdings eine wesentliche De¬ 
pression aller Reflexe, herbei führt, möchte ich hier nicht aus¬ 
führlich erörtern. Ich zweifle daran; alx*r ich bin überzeugt, 
dass — selbst den unwahrscheinlichen Fall einer wirklichen 
Apnoe vorausgesetzt — damit, für den au der Seekrankheit 
IAddenden kein Vortheil verbunden sein kann, da, ganz abge¬ 
sehen von dem bereits erwähnten, den Brechakt begünstigenden, 
Einflüsse tiefster Athmungen, die zu starke Beanspruchung des 
Willens sich, bei längerer Dauer der abnormen Verhältnisse und 
sicher bei einer Steigerung des abnormen Einflusses, durch um so 
grössere Widerstandslosigkeit gegen die Impulse des Schiffes 
zu rächen pflegt, wie ich in dem Kapitel üIht die psychische 
Therapie der Seekrankheit nusgeführt habe, und da erfahrungs- 
gemäss die 1/dden der Kranken hoi miissig gefülltem Magen 
wesentlich geringer sind, als wenn bei leerem Magen vorg e b - 
liehe Würg- resp. Brechbewegungen stnttflnden. Nach dem 
Erbrechen von Speisen pflegt übrigens bei den Meisten (»ine 
relative Euphorie einzutreten. 

Ich leugne nicht, dass im Thierexperimont Apnoe den Ein¬ 
tritt des Brechakte« verhindert; aber die künstliche Lüftung 
der Lunge — wohl die stärkste, mechanische Einwirkung 
auf den Athmungsapparat resp. das System des Vagus — lässt 
sich mit der natürlichen, wenn auch forcirten, Inspiration so 
wenig vergleichen, wie der durch Tetanisirung des Rückenmarkes 
erzielte Krampf einer Extremität mit der willkürlichen tonischen 
Muskelkontraktion. 

Endlich ist es sehr fraglich, ob die tiefen Einathmungen 
wirklich als solche, d. h. als Faktoren d c r A t h m u n g 
im weitesten Sinne, wirken. Auf Grund meiner Erfahrungen 
halte ich, wie Jeder, der sich dafür interessirt, in meiner Mono¬ 
graphie nachlesen mag, die grosse Reihe der scheinbar erfolg¬ 
reichen Maassnahmen und namentlich die durch den Willensakt 
bewirkten innerhalb sehr weiter Grenzen nicht für kausale 
(physische) Einwirkungen, sondern im Allgemeinen nur für 
Mittel, die auf p s y c h i s c h e m Wege wirken, weil sie geeignet 
sind, die Aufmerksamkeit ahzulcnken resp. die Vorstellung von 
dem abnormen Zustande abzusehwiiehen. Das Bewusstsein re-p. 
die Vorstellung von den Veränderungen des Gleichgewichte« hat 


') MUneli. med. Wochensohr. 1901, No. 38. 

J ) O. Kosen buch: Feber hysterisches l.urtsehliiekeu. 
Külpsen und respiratorisches Plätschern Im Mauen. Wien. nie«!. 
Presse 1889, No. 14/15. Nervöse Zustände und ihre psychische Be¬ 
handlung, Berlin 1897, 8. 45 ff. 

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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


IS40 


aber, wie ich mich zu beweisen bemüht habe, am Entstehen der 
eigentlichen Seekrankheit, <1. h. einer somatischen Störung, 
nur einen relativ geringen Antheil; die hauptsächliche Ursache 
ist nach meinen Ausführungen die Ausbildung einer K i n e t o s c, 
der leichtesten Form der traumatischen Störung, deren Wesen 
die durch abnorme B e w e g u n g s impulse bewirkten Vcrände- 
rungen der normalen Beziehungen der kleinsten Gewebselemcnte 
untereinander, d. h. des vitalen Tonus, ist. Die psychische Form 
der Seekrankheit verhält sich zu der p s y <• h i s c h bedingten, der 
Kinetose. wie Schwindel und Nausea gewisser Personen beim 
1 rerabschnucn von einem hohen Thurine zu dem durch Schock 
der Abdomiualorgane resp. des Gehirns bei geringem Trauma 
bewirkten Zustande. 

Dass die Wirksamkeit gewisser Mittel nur von ihrem psy¬ 
chischen Einflüsse 1 abhiingen kann, lehrt die Erfahrung. K-> 
ist Thatsaehe, dass dort, wo nur die Angst vor der Seekrankheit 
und die Hingabe an den Gedanken, dass man nun hilflos dem 
Schwanken des Schiffes nusgesetzt ist. den Eintritt von krank¬ 
haften Erscheinungen begünstigen, die entgegengesetz¬ 
ten Maas-nahmen dieselbe günstige Wirkung entfalten, d. h. 
man kann in solchen leichten Fällen ebenso durch die kräftige 
Spannung der Bauchmuskeln, also eine exspiratorisclieThätigkeit, 
wie durch die Inspiration oder durch jede Form der Bethätigung, 
die bei der Ausführung eine besondere Richtung d er Auf- 
m e r k s a m k c i t resp. bestimmte W i 1 1 e n s a k t o erfordert, 
einen Erfolg erzielen. Auch die von Vielen empfohlene genaue 
Anpassung des Körpers an die Bewegungen des Schiffes fällt in 
diese Rubrik; denn es handelt sieh hier meistens um eine Art 
von Inspiration beim Absinken des Schiffes oder, richtiger, um 
einen Stillstand in der Inspirationsstellung, und um eine Ex¬ 
spiration. richtiger, um Stillstand in der Exspirationsstellung 
beim Aufsteigen, also um eine reflektorische oder gewollte An¬ 
passung der grossen Körperhöhlen resp. des Zwerchfells an die 
neue Gleichgewichtslage. (Vergleiche auch das Verhalten im 

Lift.) 

Die Analyse der Wirkungsmögliehkeit der Legion von 
Mitteln, die namentlich auf Grund der Erfahrungen einer 
kurzen und relativ günstigen Seereise empfohlen werden, ergibt, 
wie ich auf Grund reichhaltiger Beobachtung ausgeführt habe, 
mit Sicherheit nur den Schluss, dass bei Willensschwächen, er¬ 
regbaren oder psychisch leicht zu aflizirenden Personen besser 
als irgend eine rein suggestive medikamentöse Maassnahme eine 
Verordnung wirkt, die an die W i 11 e n s t h ii t, i g k e i t An¬ 
ford e r u n g e n stellt; auf diese Weise kann eine k u r z o 
und nicht allzu s e h 1 i m in e Passage wesentlich erleichtert 
werden. Schon die Verordnung, die Augen geschlossen zu halten 
oder den Blick fest auf die Küsse zu richten, wirkt günstig; 
aber bei K i n <1 e r u oder bei T h i e re n , die man im Dunkeln 
hält, kann man di: sen Erfolg nicht erzielen, auch wenn man ihnen 
die Augen verbindet, wohl der beste Beweis für den auto- 
siiggestiven Eintlu-s resp. die Ausschaltung von unangenehmen 
Vorstellungen durch bewusste Willensakte. Aber leider 
ist auch die -tärk-te Suggestion und die grösste Willenskraft 
ohnmächtig gegenüber den kinetischen Einflüssen der 
Sehiff.'hewcL'liegen bei starkem Wellengänge. Es kann nicht ge¬ 
nügend hcnorirclioben werden, dass, energet iscli betrachtet, 
die Kräfte, die auch dem stärksten Willen zur Verfügung stehen, 
namentlich wenn der Einfluss der Uebung und Gewöhnung nicht 
in Befracht kommt, überaus klein sind gegenüber den mächtigen 
phy.-i-eben Einflüssen der Aussenwelt, denen das einzelne Indi¬ 
viduum und die Allgemeinheit in personellen resp. endemischen 
Krankheiten erliegt. Das ist von grosser Bedeutung, weil immer 
wieder der, e n e r g e t i s e h aussiehtsl o s e. Versuch ge¬ 
macht wird, die siegreiche Macht- des Wortes (der Suggestion) 
oder des blinden Glaubens zu übertreiben "), resp. das Ueber- 
gi wb-bt dieser, sonst nicht zu unterschätzenden, Imponderabilien 
über die Gewalt der physischen Mächte, die das Individuum be¬ 
drohen, hervorzuhehen. Um einen möglichst- einfachen Ver¬ 
gleich heranzuziehen: Man kann durch den Willen wohl die 
durch I nlustemplindungeii und unangenehme Vorstellungen, also 


■i (). IJii senh:ieIi: Telier psychische Therapie innerer Krank- 
1 ii* i 11 'ii. Iteii. Klinik ison. II. 'J'>. Vergl. auch: Nervöse Zustände 
mul ihn- psychische Behandlung. Berlin 18',»7. S. 30. Bemerkungen 
iilier psychisch«» Therapie, mit besonderer Berücksichtigung der 
I iiTzkrankluäti'ii, Therapie d. Gcgemv. lOOn. S. 145. Bemerkungen 
/nr I.i-bre vmi der Hypnose, ibid. I'.ioo, Mailiett. 


psyehsieh, auslösbare motorische Reaktion in weitem Umfange 
unterdrücken; aber ich glaube nicht, dass Jemand die Wirkung 
der ersten Cigarre oder eines Laxans durch Willensanstrengung 
paralysiron kann. 

Beiläufig sei zur Charakterisiruug der besonderen Kautelen, 
die hei der Beurtheilung eines gegen die Seekrankheit em¬ 
pfohlenen Mittels nothwendig sind, erwähnt, dass es sehr schwer 
ist, den Einfluss der äusseren Verhältnisse resp. die Grösse und 
Art der Seekrankheit hervorrufenden Faktoren bei verschiedenen 
Passagen ohne Weiteres richtig abzuschützen. Bei scheinbar 
höherem Wellengänge liegen die Bedingungen für die Erhaltung 
des normalen Befindens oft wesentlich günstiger, als bei 
niedrigem, und umgekehrt. Abgesehen von gewissen Imponde¬ 
rabilien, spielen eine bedeutende Rolle: die Richtung und Art 
des Windes, das Wetter, die Tageszeit, die Zeit und Art. der 
vorausgegangenen Mahlzeit und des Schlafes, die- besonderen 
Eigenschaften des Schiffes, und natürlich nicht zum Wenigsten 
die Richtung und Beschaffenheit der Strömung oder Dünung, 
die durchaus nicht mit der dem Laien am meisten imponirenden 
Grös-o der Wellen identisch ist. So kann eben eine Seefahrt 
bei anscheinend stärker bewegter See besser ertragen werden, 
als bei geringer Wellenbildung, ohne dass irgend ein zufällig 
gebrauchtes Mittel daran den geringsten Antheil hat. 


Aus dem Bürgerhospital in Stuttgart. 

Ueber einen Fall von Osteomalacie mit Geschwulst¬ 
bildung.*) 

Von Dr. G u s t a v E e 1 d in n n n, prakt. Arzt, vormals Assistenz¬ 
arzt am Bürgerhospital. 

Bei der puerperalen Osteomalacie oder, wie man richtiger 
sagt, hei der Knochenerweichung der Schwangeren und Wöch¬ 
nerinnen sind schon wiederholt Höhlenbildungen im Knochen¬ 
mark beschrieben und von einigen Autoren als Heilungsvorgang 
gedeutet worden. 

Bedeutend seltener schon sind alle Formen der nicht puerpe¬ 
ralen Osteomalacie und zu den seltensten gehören jene eigen- 
thümliclun Krankheitsbilder, wo an einer Person neben allge¬ 
meiner Knochenerweichung fibröse Herde und Höhlenbildungen 
im Knochenmark zugleich mit typischen Knochensarkomen äu¬ 
get rollen werden. 

Fibröse und sarkomatöso Metaplasie des Knochens hat 
Ziegler') bereits in einer 1878 erschienenen Abhandlung be¬ 
schrieben; den Zusammenhang zwischen Osteomalacie. Fibromen 
und Sarkomen hat meines Wissens v. Recklinghausen') 
als Erster im Jahre JSOI in einer sehr ausführlichen Darstellung 
auf’s Genaueste untersucht, wesshalb Sehuchardt 3 ) diese 
Fälle als „v. R e e k 1 i n g h a u s e n’s Knoehenkrankheit“ be¬ 
zeichnet. 

Wer sieh für die pathologisch-histologischen Einzelheiten 
dieser Erkrankung interessirt, muss auf die Originalabhand- 
liuigeii der ehenerwähnten Schriftsteller verwiese» werden. 

Mir sei es in Folgendem gestattet, die klinische Beschreibung 
eines Falles dieser merkwürdigen Krankheit zu geben: 

Karl II. wurde am 17. IX. 1872 in Heilbronn als Sohn eines 
Klaviormnehers geboren. Die Eltern des Patienten leben und sind 
gesund, ebenso 4 von ursprünglich G Geschwistern. Die Gross¬ 
en! er beiderseits sollen nierenkrank gewesen sein, ein Vaters- 
brnder soll in der Jugend X-Beiue gehabt haben. 

II. bat bis zum Alter von 4 Jahren in Heilbronn, hernach in 
Stu'(gart gewohnt, meist 4 Treppen hoch, nur einmal vom 8. bis 
14. Jahr in einer feuchten Parterrewohnung. Als Kind hat er 
Masern. Wasserpocken und Keuchhusten durehgemacht, war im 
Peinigen gesund: er war ein munteres Kind, wurde aber beim 
Spielen schneller müde als die andern. 

Mil G Jahren kam er in die Volksschule, machte sehr gute, 
später gute Fortschritte. Mit 14 Jahren kam er in die Lehre zu 
einem Buchdrucker, wo er 4 Jahre, davon 3 Jahre ohne Be¬ 
schwerde, lernte. Im 3. Jahre kam er an eine Tiegeldruckpresse, 
die er mit dem Fuss, besonders" mit dem rechten, treten musste, 
wodurch allmählich eine X Stellung des rechten Unterschenkels 
eintrat. 

*■) Vortrag, gehalten im Stuttgarter ärztlichen Verein. 

') E. Ziegler: Ueber Proliferation, Metaplasie und Re¬ 
sorption des Knochengewebes in Vivchow's Archiv. Bd. 73, 1878. 

*) F. v. Recklinghausen: Die fibröse oder deformireude 
Ostitis, die Osteomalacie und die osteoplastische Carcinose- in 
ihren gegenseitigen Beziehungen in „Festschrift, Rudolf Vircliow 
zu seinem 71. Geburtstage gewidmet", Berlin 1801. 

3 ) K. Sehuchardt: Die Krankheiten der Knochen und 
Gelenke in Deutsche Chirurgie, Lief. 2X, Stuttgart 1890. 


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1841 


12. November 1901. MUKNCHKNER MEDICINfSCIIE WOCHENSCilKU T. 


Patient wurde desshalb am 30. VI. l.s'.K) in ein hiesiges 1 
Krankenhaus aufgeuomnu-n und am 2. VII. 1890 opcrirt tOstcn- I 
tomle?); nachdem er 4 und dann .'5 Wochen im Gips verband ge- | 
legen hatte, hatte er ein O-Bein, welches seitdem schwach blich; | 
L\ musste von da ab mit einem Stock laufen, konnte aber wieder i 
arbeiten. Itn Mai 185)1 hatte er ausgelornt, arbeitete l>is Ende 1891 
als Gehilfe, konnte aber lieim Heben der schweren Formen mul 
Pupicrhullcn nicht melir stellen, wcsshalb er von 1 st*2 ab in ein«*r 
Klaviermechanikfabrik sitzend arbeitete. Ende Dezember 1X92 
fiel er auf der Strasse und zog sich hiedurch eine „Kimchcnwirbel- 
cntzündmig'* zu, derentlialben er 4 Wochen zu Ilatise und OWoelu n 
im Krankenhaus las, wo er 3 Wochen lang ein Gipskorsett trug. 
Die Folgezeit verbrachte er zu Hause, meistens liegend; ein 
5 wöchentlicher Aufenthalt im Soolbad Hall ermöglicht«- ihm, von 
Mitte Oktober 1893 at> ca. 7 Wochen lang gut und dann mit 
grossen, Beschwerden in der KhivicnncchniiiKfahrik zu arbeiten, 
bis er Anfangs 189-1 total erwerbsunfiihig wurde. Audi das linke 
Bein wurde allmählich schwächer. 

A m 2. April 1895 stürzte e r, als e r a u s d e tu Bett 
heraus einige Schritte i n's Z i m m e r in achte, p 1 ö t z- 
I ich zusammen. Der herbeigerufene Arzt konstatirte einen 
doppelten Knochenbruch an jedem Oberschenkel, legte sofort 
beiderseits Gipsverbiinde an und stellte am nächsten Tag noch 
einen Bruch des rechten Schenkelhalses fest; am dritten Tag 
wurde der Gipsverband beiderseits bis über das Becken hinauf 
verlängert. 

l>ü. Gipsverbiinde wurden im Verlauf eines Jahres S -9 mal 
gewechselt, doch erfolgte ,.k eine h a r t e Ve reinig u n g“ der 
Brüche, Druck auf die Knochen war sehr schmerzhaft. Während 
des Id e g e n s entstand all m ä h 1 i e h d i e h o he Brus t. 

Ende 1890 bekam I’at. etwa io -12 Wochen lang dauernde 
Nien iischnierzen; im Verlauf von 3—4 Wochen gingen 14 erbsen¬ 
grosse Steine und viel Sand, theilweise mit blutigem l : riu ab, 
dann hörten die Schmerzen auf. 

Im Oktober 1890 erfolgte anlässlich des Transportes des II. 
in eine andere Wohnung ein weiterer Knoeheubrueh unterhalb 
des rechten Knieos. 

Im Jahr 1895 hatte Patient einen Zahn des rechten T'iitcr- 
kiefers (den dritten von hinten) nassen lassen; angeblich an der 
gleichen Stelle begann Ende 1897 die Bildung der grossen Ge¬ 
schwulst. die im ersten Jahr langsam, dann schneller wuchs. Seit 
Mitte des Jahres 1898 kann Pat. auch links nicht mehr heissen. 

Ende des Jahres 1898 bekam II. Schmerzen in der linken 
Schulter, Im linken Ellbogen und im linken Oberarm, den er etwa 
Vs Jahr lang nicht mehr bewegen konnte. Es bildete sich all¬ 
mählich die Geschwulst am linken Oberarm, die bis Mitte 1899 
zuiinhm. Dann hörten die Schmerzen und die Zunahme der Ge¬ 
schwulst auf, die Gebrauchsfähigkoit des Armes kehrte wieder. 

Seit dem 20. Oktober 1900 befindet sich II. im Bürgerhospital, 
wo am 5. Juni .1901 die hier wiedergegebene Photographie auf- 
genonimcn wurde. 

Der körperliche Befund im November 1900 war folgender: 

Auf einem unförmlichen ltumpf sitzt ein Kopf von normaler 
Grösse, der durch eine vom rechten Unterkiefer ausgehende, kinds¬ 
kopfgrosse Geschwulst stark verunstaltet wird. 

. Di<* unteren Extremitäten sind ganz atrophisch, die Ober¬ 
schenkel zwerghaft, so dass die ebenfalls verkürzten oberen 
Extremitäten bis an die Mitte der Unterschenkel reichen. Alle Ex¬ 
tremitäten weisen Form- nnd Stellungsanomalien auf. Die Körper- 
niaassc sind folgende: 

Gesamlutlänge 118 cm, Kopflänge 20 cm. Rumpflängi* 

35 cm (Incisura semilunaris Storni — Symphysis oss. pub.i. 
rechte untere Extremität 03 cm (Spina oss. iloi ant. — Fersen- 
ebeiiol, linke untere Extrcmjtät 04 cm (Spina oss. iloi ant. — Ferse n- 
ebciio. rechte obere Extremität 04 cm (Acromion — Mlttelliuger- 
spitze», linke obere Extremität 58 cm (Acromion - - Mitteltinger- 
spitzer. • ' , • 

Alle diese Mnnsse sind Projektionsmaasse, d. li. sic geben ohne 
Itücksieht auf die bestellenden Verkrümmungen die gerade Ent¬ 
fernung der angeführten Endpunkte an. 

Füsse: Beide Fiisse liegen nach aussen rotirt, besonders der 
rechte. Das Fussgewölbe ist bei beiden sehr hoch und verkrümmt, i 
die Zellen normal, doch ist bei den grossen Zellen und bei der 
zweiten Zehe beiderseits das Endglied in Flexionsstellung ver¬ 
steift. Die Fuss- und Zehengelenke letztere mit Ausnahme der 
versteiften — sind beiderseits frei beweglich, das Fussgelenk nach 
allen Richtungen, links etwas weniger als rechts. Die Verunstal¬ 
tung des Fussgcwölhcs beruht offenbar auf Schrumpfung der 1 
Plantarfasde. 

Unterschenkel: Haut mul Musciilatur an beiden Unter¬ 
schenkeln ist atrophisch, das Fettpolster fehlt: die Wadcu- 
inuseulatur links ist noch schwächer als rechts. Der rechte Uon- 
ilylus tibiae ist verbreitert und nach vorn aufgetrieben. 

Knie p: Beide Kniegelenke sind verbreitert und in Streck¬ 
stellung 11 xirt, eine minimale, nicht messbare Beugung (2 bis | 
3 Winkelgrade) ist beiderseits möglich. 

Die Kniegelenkspalte rechts ist etwa cm breit und verläuft 
stark gekrümmt; die rechte Kniescheibe sitzt direkt oberhalb der j 
selben an der Ausseiiscite des Oberschenkels und ist nach allen 
Seiten um wenige Millimeter verschieblich. 

Die linke Kniegeienkspnlte ist ebenfalls stark verbreitert und , 
verkrümmt, die linke Kniescheibe sitzt oberhalb derselben an der 
Außenseite des Olierschenkels, sie ist schwer und ganz wenig 
verschieblich. 

Oberschenkel: Beide Oberschenkel sind verbreitert, ub- 
getlaelit, im oln-ren Drittel nach aussen gekrümmt und in der 


Mitte mit einem nach vo.ne olTcncu Winkel geknickt. Die Grenz 
liilicli der Knochen sind ganz unregelmässig. Beide Oberschenkel 
können aktiv ein wenig nach innen, gar nicht, nach aussen rotirt 
und gar nicht gebeugt werden. Passiv ist eine geringe Flexion 
und Abduktion möglich, links etwas mehr als rechts, beiderseits 
aber schmerzhaft. 

Becken: Das Becken ist stark abgcthieht. die Becken- 
scbniifcln ganz niedrig, die Schambeine anscheinend verdickt 
(Palpation etwas schmerzhaft». 

Brustkorb: Del- Brustkorb ist vorn unten und seitlich 
unten stark aufgetrieben. Der Rippenbogen stellt rechts 1 cm. 
links 2 cm über der Reckenschaufel. Das Brustbein ist ent¬ 
sprechend der Insertion der 3. Rippe fast winklig geknickt, Im 
Ganzen stark nach vorn gewölbt, der schwertförmige Fortsatz 
ganz weich und biegsam. Die oberen Kippen sind iu der Mammillar- 
Jinie eingedrückt, die unteren vorgewölbt; die unteren Rippen 
von der (5. abwärts sind mehrfach geknickt. Die beiden Schlüssel¬ 
beine sind auch mehrfach geknickt, das linke war am sternalen 
Ende offenbar gebrochen. 

Wirbelsäule: Die Wirbelsäule ist im I/endcntheil nach 
links, Im Brustthei! nach rechts und im IIsi Ist heil nach vorn ge¬ 
krümmt. 

Obere Extremitäten: Beide Schulterblätter sind in 
der Längs- und Querrichtung geknickt und verbogen, so dass ihre 
Breite auf die Hälfte reduzirt ist. Beide Oberarme sind im 
Schultergelenk theilweise nnkylosirt und können ohne das Schulter¬ 
blatt rechts nur um ca. 00®, links um 90“ vom Brustkorb entfernt 
weiden. Die Gesainiutahdiiktion — mit Hilfe des Schulterblattes 
geht rechts und links bis zur Horizontalen, die Erhellung nach 
vorn nicht einmal so weit; höher können die Arme nicht ge¬ 
bracht: werden. 

Der Uondylus internus des rechten Oberarmes ist verbreitet, 
er war jedenfalls gebrochen. Beide rechten Vorderarniknochen sind 
gekrümmt, der Unterarm kann nicht ganz supiuirt werden. 

Das rechte Handgelenk Ist frei, die Endphalangen aller 
Finger sind stark troimnelschlegelfürniig aufget rieben. 

Der linke Oberarm ist nach aussen gekrümmt und zeigt in 
seiner Mitte eine spindelförmige Auftreibung mit 
glatter, unregelmässig gestalteter Oberfläche. 

Am linken Ellenbogen tritt ebenfalls der Uondylus internus 
hervor, die Supination des Unterarms ist unvollkommen. Das linke 
Handgelenk ist frei, die Fingerendon sind ebenso wie rechts 
knollig verdickt. 

Die Einzelmaasse der obereu Extremitäten betragen: rechter 
Oberarm 27 cm, rechter Unterarm 24 cm. linker Oberarm 23 cm. 
linker Unterarm 24 cm. Auch liier ist die gerade Entfernung 
der Endpunkte gemessen. 

Kopf: Die Entfernung vom rechten zum linken Kiefer¬ 
gelenk über die Höhe der Geschwulst gemessen beträgt 38 ein, 
vom rechten Unterlid bis zum Zungenbein (vertikal über die Ge¬ 
schwulst) 25,5 cm. 

Der rechte Unterkieferast ist in eine enorme Knochen- 
geschwulst verwandelt; dieselbe besitzt eine ganz ll.-u-lte Basis, 
deren Hautbedeckung stark erweiterte Venen auf weist. Die 
Vorderseite der Geschwulst ist ziemlich gleiclunässig konvex, die 
obere Grenze unregelmässig. Das rechte Kiefergelenk ist derart 
deformirt. dass sieh die hintere Geh-nkgruho etwas höher als die 
Mitte des rechten Ohres vor diesem findet und die Grenze des 
vorderen Gelenkfortsatzes in der Höhe des rechten Augciibrauen- 
hogens gefühlt wird. 

1 in Munde hat die Geschwulst die Zunge ganz nach links 
hinten gedrängt, die Mundspalte ist weit geöffnet (Breite 8 cm, 
Ili'.lic t! cm), in ihr liegt eine konvexe, mit crodirtcr Schleimhaut 
überzogene Geschwulst, aus der die Zähne des Unterkiefers 
hervorragen. 

Die unter«» Zahnreihe ist so verschoben. «lass die «Irci linken 
Maldziiime (erster sehr schlecht) und die zwei linken Backenzähne 
etwa an normaler Stelle stehen, dann folgen in grösseren, nach 
rechts zunehmenden Abständen «li«* ührigi-u Zähne derart., dass 
die heulen rechten Schneidezähne noch ganz nach «l«»r linken Kopf- 
hiilfte verschob«-» sind und der 1 1 «in davon abg«-rückt«- rechte 
Eckzahn genau vertikal unter der Nasi-nseheidewaml liegt. 

Die beiden Zähne, welche neben einander auf der Höhe der 
Mundspaltengescliwulsl vorrageii. sind di<- Ix-üleii rechten Backen¬ 
zähne. Von den rechten Mahlzähin-n fühlt man nur noch einen 
hinten rechts in «I«*r Unterkleferg«-schwillst gegen die Wange 
gekehrt. 

D«*r Oberkiefer scheint nicht deformirt ts w. u.b, der Zalin- 
Img« li ist regelmässig; derselbe lmt zwei tiefe und breite Furchen 
in «li«- Unterkiefergeschwulst eingegraben. Die Zähne sind mit 
Zahnstein he«leckt. 

1 ii«* vonlereu Xaseinüffiuingeii siml erweitert. 

I 'elier «len B e f u n «1 an den W e 1 c h t h e 11 e n , wie er 
sich im Nov«-mlier 15 hh) «larstellt« 1 . ist F«dgendes zu bemerken: 

Die Lungen weis«-n LIIU Dämpfung und Knisterrasseln, 
RHU etwas Knisterrasseln auf. 

Eine Herzdämpfuiig ist kaum vorhanden. Deutliche Pulsatio 
«•pignstrica. Der im 5. Intorkostalrnuni siehtliar«- Herzstoss hebt 
ziiw« ih-n «li«* 5. Itipp«* mit. Die Herztön«* sind iilu-rall laut und 
r«*i 11 . - Der Puls beträgt b«*i«l« iscits so in «ler Minute, ist voll, 
lii« In hart. 

l‘« idi- Nicn-u sind deutlich fühlbar, liesonders aber die linke, 
\\' !<ln* ihrem halben Umfang inu-b gefühlt wenien kann; «li«- 
L’alpatlon derselben isi etwas schuu-rzliaft. Die re«-htc Nien* ist 
sehr beweglich. 

In den Leisten sind zahlreiche kleine Drüsen fühlbar. 

4* 


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1842 


MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


Die Urinuntersuchung ergibt wenig Eiwelss, Muclu, keinen 
Zucker. Das spärliche Sediment enthält rotlie und weisse Blut¬ 
körperchen. 

I >ie einen Monat lang fortgesetzte tägliche Messung der 
Körperwärme lässt den Kranken fieberfrei erscheinen. 

ln Befinden II.'s sind im Verlauf von U Monaten einige Male 
kleine Verschlimmerungen auf getreten. Ende Mai 11HI1 hat er eine 
leichte Bronchopneumonie diirehgemaeht. Im Urin wurden wieder¬ 
holt granulirte C.vlinder gefunden. 

Im September lbOl bekam Patient Schmerzen in der Nieren¬ 
gegend. rechts stärker als links. Dieselben steigerten sich einmal 
zu einer ausgesprochenen Nierenkolik und strahlten daun in die 
Blase aus. II. konpte in Rückenlage nicht mehr uriniren, eines 
Tages gingen 7 kleine Konkremente, das grösste etwas über linsen¬ 
gross. al*. Trotzdem hörten die Schmerzen in der Blasengegend 
nicht auf und in der zweiten Hälfte des Oktober machten sich 
auch wieder Schmerzen an der rechten Niere geltend. Der Urin 
kann auch jetzt nur in Seitenlage entleert werden. 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass sich in der Blase ein 
Stein befindet, obwohl derselbe durch die Sonde nicht nachge¬ 
wiesen wurde, und dass die Konkrementbildung in der Niere 
immer r.oeh andauert. 

Eine vorläufige Untersuchung der bisher abgegangenen 
Steinehcn liess sie ans harn- und oxalsauren Salzen zusammen¬ 
gesetzt erscheinen. 

Seit Juni ds. Js. wird eine schnell zunehmende Oeschwulst- 
bildung des linken Oberkiefers bemerkt, die auf der Photographie 
bereits sichtbar ist. 


Die ljcigegclieiio Abbildung zeigt besser, als es Worte ver¬ 
mögen, welches Zerrbild eines -Menschen Osteomalaeie und Sar¬ 
kom iin Verein mit Arthritis deformans aus einem vormals wohl¬ 
gestalteten Körper zu machen vermögen. 

Wir sehen die Verunstaltung des Fussgewölbes und der 
(irosszehengelenke, die Atrophie der Unterschenkel und die un¬ 
förmigen Kniegelenke. 

Wir sehen die verkürzten, eingeknickten und verkrümmten 
Oberschenkel, den Schwund der Beckenknochen und den wunder¬ 
lich missgestalteten Brustkorb. Die Verunstaltung der Wirbel¬ 
säule und der Schulterblätter kommen auf der Photographie nicht 
zum Ausdruck. Dagegen sieht man vorzüglich das Missverhält¬ 
nis der Arme unter sieh und zu den Beinen, die Geschwulst¬ 
bildung des linken Oberarms und die kolbige Auftreibung der 
Fingerenden. 

Die auf dem Bild auffallende Vergrösserung der linken 
lland ist nur eine scheinbare und beruht darauf, dass die 
photographische Aufnahme von links erfolgte. 

Sehr gut wiedergegeben sind die Grössenverhältnisse der 
Unterkiefergeschwulst, die unförmliche Mundspalte und die 
weiten Nasenlöeher. 

Als der wichtigste Punkt in der Krankengeschichte des H. 
erscheint mir der. dass er vom 8. bis 14. Jahr in einer feuchten 
Parterrewohnung gelebt hat; das ist ein Umstand, der erfahrungs- 
gemiiss die Entstehung der Knochenerweichung begünstigt. 
Auffallend ist allerdings, dass erst 4 Jahre nach dem Verlassen 
dieser Wohnung die Erkrankung des Knochensystems auftritt, 
und dass dieser Erkrankung eine liingerdauemde, durch den 
Beruf bedingte Ueheranstrengung des erkrankten Beines voraus¬ 
geht. Die schnelle Ermüdbarkeit beim Spielen als Kind ist H., 
wie er selbst zugibt, erst, später im Verlauf seiner Krankheit 
aufgefallen. 

Der schleichende Verlauf der Krankheit mit zeitweiser Besse¬ 
rung und die nach einem kleinen Trauma plötzlich auftretende 
hochgradige Verschlimmerung sind nichts Ungewöhnliches; 
ebenso ist die Bildung von Nierensteinen bei der Osteomalaeie 
bekannt. 

Wie aber verhält es sieh mit der Geschwulstbildung im 
Unterkicf* r und am Arm? 


H. erzählt, die Unterkiefergeschwulst sei im Jahr 1897 genau 
an der Stelle aufgetreten, wo er sich 2 Jahre vorher einen Zahn 
ziehen liess. Nun werden grössere oder kleinere Traumen ja 
sehr häufig für die Entstellung von Geschwülsten verantwort¬ 
lich gemacht, es ist aber doch nicht wohl anzunehmen, dass ein 
derart hervorgerufenes .Sarkom erst 2 Jahre nach der beschul¬ 
digten Verletzung auf treten soll. 

Sind die Geschwülste des II. überhaupt Sarkome oder sind 
es Knochencysten, wie solche bei der Osteomalaeie häufiger auf¬ 
treteil ? 

Die Entscheidung scheint mir einfach, obwohl keine ana¬ 
tomische Untersuchung vorliegt. Gegen Knochencysten spricht 
die Grösse der Gesehwulstbildungen und die das Wachstlium be¬ 
gleitenden Schmerzen, für Sarkome die Schnelligkeit des 
Wachsthums und vor Allem die Gleichheit mit den von 
v. Recklinghausen beschriebenen und durch histo¬ 
logische Untersuchung als Riosenzellensarkome erwiesenen Fällen. 

Insbesondere der von v. Recklinghausen beschriebene Fall 

Bl. gleicht dem des II. in seinem Verlauf ungemein. 

Die Lokalisation der Geschwülste entspricht dem v. Reck- 
1 i » g h a u s e n’schen Gesetz, wonach von der Geschwulstbildung 

„vorwiegend diejenigen Ab¬ 
schnitte der Röhrenknochen 
und diejenigen kurzen, 
spongiösen Knochen be¬ 
troffen werden, welche am 
meisten zu tragen haben, 
diejenigen Stellen der ein¬ 
zelnen Skelettheile, an wel¬ 
chen die Zug- und Druck¬ 
kräfte die Knoehenmasso 
am stärksten angreifen, 
also da, wo die Compacta 
beim ausgewachsenen, nor¬ 
malen Röhrenknochen die 
grösste Dicke erreicht.“ 

In den zuerst befallenen Knochen scheint das Wachsthum 
der Sarkome einen vorläufigen Abschluss gefunden zu haben. 
Dagegen bemerkt man, wie bereits erwähnt, zur Zeit ein neues 
Sarkom im Oberkiefer, das bei fortschreitendem Wachsthum die 
Ernährung des Kranken noch schwieriger gestalten wird, als 
bisher und sie schliesslich unmöglich machen wird, wenn nicht 
vorher Metastasen in den inneren Organen dem Leben ein Ziel 
setzen. 

Ich erfülle zum Schluss die angenehme Pflicht, Herrn Sani¬ 
tätsrath Dr. F a u s e r, dem Oberarzt des Bürgerhospitals, für 
die liebenswürdige Erlaubnis zur Untersuchung und Veröffent¬ 
lichung dieses Falles den verbindlichsten Dank abzustatten. 


Ueber die Bedeutung der Individualstatistik bei 
der Erblichkeitsfrage in der Neuro- und Psycho¬ 
pathologie. 

Von Dr. Wilhelm Strohmayer, Hausarzt der Privat- 
nervenklinik (Prof. Binswanger) in Jena. 

(Schluss.) 

Aus dem Vorhandensein der genannten Erkrankungsformen 
in einem Stammbaume kann man mit 'ziemlicher Sicherheit auf 
den hohen Grad der erblichen Belastung im Sinne einer bereit 4 
stattfindenden Degeneration schliessen, und für den Eingeweihten 
wirft das Vorkommen degenerativer Formen in einer Familie 
helle Streiflichter rückwärts auf die Dignität des Stammes. 
Prägnante Stigmata degenerationis sollten bei beabsichtigten 
Verbindungen ein Warnungszeichen von grösster Bedeutung sein. 
Schon aus praktischen Gründen allein erachte ich es für zweck¬ 
mässig, an dem Begriffe der Degeneration festzuhalten. 

Schon Morel hat bekanntlich eine Degenerations¬ 
skala aufgestellt, die sich aus folgenden Stufen zusammen¬ 
setzen soll: 

1. nervöses Temperament, sittliche Depravation, Excesse; 

2. Neigung zu Apoplexien und schwere Nervosität; 

3. psychische Störungen, Selbstmorde, intellektuelle Un¬ 
fähigkeit; 



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12. November 1901. 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1843 


4. angeborener Blödsinn, Missbildungen, Entwicklungs¬ 
hemmungen ; 

6. Verschwinden der Familien. 

Sicherlich ist in der Kegel der Weg der Degeneration so, wie 
ihn Morel in seinen grossen Etappen gezeichnet hat. Aber es 
bestehen doch auch recht markante Ausnahmen. Man stösst bei 
der Individualstatistik nicht selten auf „Psychopathen¬ 
familie n“, in denen es kaum ein normales Menschenkind 
gibt; in denen wir aber auch durch Generationen hindurch kaum 
eine ausgeprägtere Nerven- oder Geisteskrankheit finden. Das 
sind die Familien der „sonderbaren Käuze“, der „Erfinder“, der 
in „Amerika Verschollenen“, der nervös erregbaren, hitzigen, 
heftigen, jähzornigen oder verschrobenen Naturen und des un- 
motivirten, gehäuften Selbstmords. Ab und an taucht ein 
Potator auf oder die Neigung zu sexuellen Excessen. Eigent¬ 
liche Psychosen vermissen wir, auch die Neigung zur Degenera¬ 
tion verzögert sich auffallend lange, um aber um so rapider fort¬ 
zuschreiten, wenn es zu einer Vereinigung derartiger Psycho¬ 
pathenfamilien kommt. Gerade an solchen Ehen fand ich den 
verhängnisvollen Einfluss der cumulativen Vererbung ausser¬ 
ordentlich deutlich in die Augen springend. 

Noch einer weiteren Ausnahme vom More l’schen Gesetze 
bin ich mehrmals begegnet. Während in den ersten Generationen 
wohlausgeprägte Neurosen und Psychosen einfacher und de- 
generativer Art vorkamen, nahm die Degeneration in der Des- 
cendenz nicht zu, sondern ohne erkennbare äussere Ursache 
a b oder sprang auf die ethische Seite des psychischen Lebens 
über und zeitigte Defektmenschen, die entweder als Ver¬ 
schwender endigten oder durch betrügerische Handlungen, 
Diebstähle, Sittlichkeitsverbrechen, Vagabondage mit se¬ 
kundärem Alkoholismus etc. auffällig wurden. Gerade in 
dieser Kategorie fand ich Genie und Entartung häufig 
neben einander. Auch eine vollständige „Er¬ 
schöpfung“ der erblichen Belastung kommt 
vor, ohne dass eine Kreuzung mit Vollblut 
oder sonstige a r t a u f b e s s e r n d e Maassnahmen 
ersichtlich waren. In solchen Fällen hat man sich ge¬ 
wöhnt zu sagen: die Vererbung wird „latent“. Bei ruhiger Be¬ 
trachtung will dies nichts anderes bedeuten, als dass wir eben 
noch weit von dem Standpunkte entfernt sind, bestimmte Ver- 
erbungs gesetze aufstellen zu können. 

Lässt sich für die Thatsache der Tendenz der 
Artaufbesserung oft keine Erklärung finden, so dass 
man mit Lorenz zu der Ueberzeugung kommt, als stehe im 
Princip der „individuell entwickelten Impotenz die Totalität der 
vererbbaren Eigenschaften des Durchschnittes zur Seite, welcher 
das Fortleben der Gattung sichert“ (L c., pag. 488), so fällt es 
um so leichter, aus dem empirischen, klinischen Material die¬ 
jenigen Momente zu eikennen, welche an der Ver¬ 
schlechterung und der Degeneration der Art 
mitwirken. Schon dieser eine Vortheil aetiologisch-klinischer 
Betrachtungsweise rechtfertigt das Studium von Individual- 
stammbäumen, weil wir auf diese Weise eine vemunftgemässe 
Prophylaxe lernen. In dieser Beziehung reden nach mancher 
Richtung hin viele Familiengeschichten eine deutliche Sprache. 

Obenan steht als hauptsächlichster degenerativer Faktor der 
Alkoholismus, und zwar muss ich gestehen, dass meine 
diesbezüglichen Befunde alle meine Erwartungen hinter sich 
Hessen. Auf Schritt und Tritt begegnete ich den Verheerungen 
des Alkohols. In nicht weniger als 16 FamiHen von meinen 
56 waren der Stammvater oder die Stammmutter (<L h. das erste 
Glied, das uns von der Familie zur Kenntniss kam) Potatoren, 
und in 17 Fällen konnte ich konstatiren, dass der Alkoholismus 
als solcher sich von den Eltern auf das Kind übertrug. Es Hess 
sich natürlich nicht immer entscheiden, ob es sich dabei schon 
um die Vererbung einer eigentlichen Psychose handelte, auf 
deren Basis sich der Alkoholismus, etwa in der Form einer 
periodischen Dipsomanie, breit machte, oder ob nur eine gewisse 
Resistenzlosigkeit gegen Alkohol sich forterbte, so dass das böse 
Beispiel der Eltern bei den Kindern auf fruchtbaren Boden fiel. 
Gerade der Umstand, dass die Trunksucht der Eltern zu den 
verschiedenartigsten Psychosen und Neurosen u ) disponirt, macht 
die Annahme erklärlich, dass der Alkohol direkt 

“) Vgl. Kind: lieber den Einfluss der Trunksucht auf die 
Entstehung der Idiotie, Allg. Zeitscbr. f. Psych., Bd. 40, pag. 504. 
No. 46. 


toxisch auf die Keimzellen der Erzeuger 
wirkt. Auf die häufige Thatsache, dass der Alkohol für Er¬ 
krankungen des Centralnervensystems organischer Natur durch 
die Vermittlung der Arteriosklerose und Apoplexie die Wege 
ebnet, habe ich schon oben hingewiesen. Ob es nur ein Zufall 
ist, dass ich Potatorenehen öfter als kinderlos verzeichnet fand, 
möchte ich dahingesteUt sein lassen. 

Was die Syphilis als prädisponirendes Moment betrifft, 
so war meine Ausbeute recht spärlich. Sie war in der Anamnese 
der Paralytiker nie zu vermissen, und dass Mitgheder einer 
neuropathisch belasteten FamiHe auch an Himlues erkrankten, 
war nur verständlich. Einen allgemeinen, weittragenden Ein¬ 
fluss der väterlichen Lues auf die Desoendenz habe ich nur in 
einer einzigen FamiHe bemerkt. Der Vater, der seinerseits nur 
rnässig belastet war (der Grossvater wird als lebhaft excentrisch 
bezeichnet), infizirte die gesunde Mutter, die an einer syplii- 
Htisehen Hemiplegie in jungen Jahren erkrankt. Von den 
7 Kindern dieser Ehe endigte ein Sohn mit 16 Jahren durch 
Suicid, ein zweiter, körperHch und geistig zurückgebHeben, im 
zweiten Lebensjahre; ein dritter, Potator, mit mehrfachem De¬ 
hn um tremens, ist in Amerika verschollen, ein vierter neigt zur 
Einsamkeit; eine Schwester war neurasthenisch, eine zweite 
periodisch paranoisch und nur eine einzige gesund. 

Eine ganz merkwürdige Ansicht vertritt Orchansky“), 
dem zu Folge die erbHche Disposition die schädHche Wirkung der 
SyphiHs auf das Nervensystem verringere. Viel einleuchtender 
ist wohl die Ansicht, dass die Syphilis als keim¬ 
schädigendes Moment kraft ihrer Eigenschaft 
als Infektion, ähnlich wie der Alkoholismus als Intoxi¬ 
kation, prädisponirend wirke. Im Uebrigen scheint 
es mir nicht unwichtig, darauf hinzuweisen, dass nicht alle Er¬ 
krankungen des Centralnervensystems im Gefolge von Lues als 
erblich belastend gleich schwer in’s Gewicht fallen. Immer noch 
ist man geneigt, die progressive Paralyse, ja sogar die echte 
Himlues in neuropathologischer Hinsicht als erbliche Be¬ 
lastung zu betrachten, insofern es sich um Krankheiten handelt, 
die mit psychischen, resp. nervösen Störungen verknüpft sind. 
Belastend an derartigen Fällen ist wohl nur die Thatsache der 
schon bestellenden syphilitischen Durchseuchung des Elters zur 
Zeit der Zeugung. Die specielle Lokalisation im Centralnerven¬ 
system hat sonst nichts vor anderen Lokalisationen voraus. 
Ganz anders zu bewerthen sind die „dyskrasischen“ Allgemein¬ 
erkrankungen des Centraluervensystems funktioneller Natur auf 
dem Boden der syphilitischen Infektion (SyphiHsneurasthenie, 
SyphiHshypoohondrie etc.), wo aber die Lues jeder anderen 
causa externa aetiologisch gleich zu steHen ist. 

Die übrigen körperlichen Erkrankungen, vor AHem die 
Tuberkulose, als aetiologische Faktoren zu betrachten, hat 
3eine Schwierigkeiten. Handelt es sich doch dabei um Erschei¬ 
nungen, die überall einmal Vorkommen können, also auch in 
FamiHen, in denen Nerven- und Geisteskrankheiten heimisch 
sind. In sechs FamiHen schien mir jedoch gerade die Phthise 
eine mehr als nebensächliche Bedeutung in der Morbiditätsskala 
zu besitzen, indem eine einseitige oder gar doppelseitige Mit¬ 
wirkung derselben rapid zur Degeneration des Stammes führte, 
ohne dass anderweitige, äussere Ursachen dafür hätten verant¬ 
wortlich gemacht werden können. 

Vor nicht gar langer Zeit hat Crocq 1 ') eine umfassende 
Diathesenlehre aufgeatellt. Die Diathese im weitesten 
Sinne — und es gibt nur eine Diathese — ist ein durch 
die Störung der nutritiven Vorgänge oha- 
rakterisi rter Krankheitszustand, ein Ent¬ 
artungszustand, angeboren oder erworben, 
welcher zahlreiche „diathetische“ Erkran¬ 
kungen und besonders die Psychopathien er¬ 
zeugt. Geisteskrankheiten entwickeln sich nach Crocq 
ausserordentlich häufig aus einer anderen Form der Diathese 
der Ascendenz und können ihrerseits zu allen Formen der Dia¬ 
these bei der Deacendenz führen. Zu den diathetischen Er¬ 
krankungen rechnet er unglaublich viel: Rachitis, Osteomalacie, 
Gallen- und Blasensteine, Gicht, Rheumatismus, Obesitas, Dia¬ 
betes, Asthma, Migräne, Haemophilie, Varicen, Aneurysmen. 


- f*l«R 

“) Orchansky: VgL Neurol. Centralbl. 1897. pag. 918. 

,r ) Orocq: L’hßrßdltö en psyehopathologle, Progr. mM. 185»«'.. 
II, pag. 249. 


b 


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1844 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 4(1. 


Skropliulose, Tuberkulose, maligne Geschwülste, Herz-, Nervcn- 
und Geisteskranklxeiten — Alles ist und bewirkt die Diathese. 
Eine derartige Verallgemeinerung führt nur zu Unklarheiten, da 
doch Dinge unter einem Hut zusammen gefasst werden, welche 
pathogenetisch recht verschieden gewürdigt zu werden verdienen. 
Am glaubwürdigsten erscheint mir an der Diathesenlehre nur ein, 
wenn auch lockerer Zusammenhang der sogen. Constitutions¬ 
krankheiten, vor Allem der Gicht, des Diabetes und der Fett¬ 
sucht, mit Erkrankungen des Centralnervensystemes, wie es denn 
auch nicht schwer fällt, in neuro- resp. psychopathischen 
Familien einige solche „diathetisehe“ Mitglieder zu finden. Dass 
vielleicht für die Gicht etc. wiederum der Alkoholismus eine 
entscheidende Rolle spielt, darf nicht vergessen werden. Oft ist 
er allein die „Diathese“, auf der Gicht, Asthma, Nerven- und 
Geisteskranklieiten erwachsen. 

Wenn ich zum Schlüsse noch den Einfluss von Ver¬ 
wandtenehen auf die Gestaltung der Vererbung erwähnen 
darf, so ist es Folgendes. In den von mir studirten Familien 
kamen Verwandtenheirathen nur 7 mal vor. In einem Falle 
heiratheto die Mutter des Patienten — mit geringer erblicher 
Belastung — ihren Onkel, der aus einer apoplektischen Familie 
stammte. Ein schädlicher Einlluss liess sich bei den Nach¬ 
kommen nicht erkennen. In dem zweiten Falle waren die 
Urgrossmütter väterlicherseits Schwestern; die eine war geistes¬ 
krank gewesen und hatte durch Suicid geendet — schon in dem 
nächstfolgenden Geschlechte begann die Degeneration; ob post 
oder propter hoc, will ich nicht entscheiden. In einem dritten 
Stammbaume heiratheten zwei erblich belastete Schwestern A. 
und B. zwei Brüder R. und F. belasteter Abkunft, von denen R. 
geisteskrank wurde und durch Suicid endigte. Von den zwei 
Söhnen der Ehe A. und R. war der Eine Epileptiker, der Andere 
Potator. Von den vier Kindern aus der Ehe B. und F. war eine 
Tochter nervös, eine andere hysterisch, eine dritte litt an Irresein 
aus Zwangsvorstellungen, ein Sohn blieb gesund. In einer 
weiteren Familie mit cumulativer erblicher Belastung väter¬ 
licherseits heiratliete ein Psychopath eine mit ihm im 2. Gliede 
verwandte Frau. Fünf ihrer Kinder starben klein an Krämpfen, 
zwei Töchter leben als schwere Hystericae. Am krassesten doku- 
mentirt sich der degenerirende Einfluss der Ehe zweier belasteter 
naher Blutsverwandten. Der geisteskranke N. Fl. hat einen 
ehelichen Sohn A. Fl. Die Frau desselben, E. geb. K., (Zucht¬ 
häuslerin und Prostituirte), ist ein uneheliches Kind der M. K. 
mit dem genannten N. Fl. Aus dieser Geschwisterehe entspringt 
ein Sohn, der chronisch geisteskrank ist, und eine epileptische 
Tochter, welche durch Suicid endigt. Der Stamm erlischt. 

Im Uebrigen gilt es, bei diesem Punkte nachdrücklichst 
gegen Irrthümer Front zu machen, welche als gemünzte Waare 
von Hand zu Hand gehen, gegen die übertriebene Anschauung 
von der Schädlichkeit der Inzucht und der Verwandtenellen. 
Man sollte meinen, historische Belege, wie sie uns Lorenz von 
den Lagiden, den Habsburgern, dem russischen Herrscherhause 
u. s. w. gibt, sollten in dieser Beziehung aufklärend wirken. 
Unsere praktischen Beispiele haben uns nur 
die verständliche Thatsache kennen gelehrt, 
dass Verwandtenehen dann verhäng n i ssvo 11 
werden, wenn sich 2 belastete Familien copu- 
1 i r e n. 

Schlagende Beispiele nach der entgegengesetzten Richtung, 
von der Artaufbesserung durch „K reuzung mit 
Y o 11 b 1 u t“, vermag ich nicht beizubringen. Die Ehen zwiselien 
einem gesunden und einem kranken Elter zeigten durchaus kein 
gesetzmässiges Verhalten, selbst das Produkt aus der Vereinigung 
eines aus belastetem mit einem aus gesundem Stamme hervor¬ 
gegangenen Individuum war variabel. Kein Mensch weiss auch 
genau zu bestimmen, was ein anscheinend gesundes Mitglied von 
seinen Ahnen „latent“ mitbekommen hat. Tauchen plötzlich in 
einer gesunden, nicht belasteten Generation schwere Abweich¬ 
ungen vom Typus auf, auch bei der Kreuzung gesunder Stämme, 
so muss man immer an zwei Möglichkeiten denken, einmal an 
die bekannte Erscheinung des Atavismus, dem gerade 
Lorenz ein grosses Gewicht beilegt, und zweitens an die von 
Möbius “) betonte, hypothetische „K eimfeindschaf t“. 
Es leuchtet auch ohne Weiteres ein, dass bei der Vereinigung 

M ö t) i u s: Feber Entartung, Grenzfragen des Nerven- und 
Seelenlebens. 111. Wiesbaden, Bergmann 1900. 


zweier nicht passender, im Uebrigen aber gesunder Keime etwas 
Abnormes („Entartetes“) zu Stande kommen k ann (1. c. pag. 100). 

Leider war ein wichtiges Resultat, welches sich im Laufe 
der vorstehenden Arbeit für mich ergab, ein negatives. Es 
war die Ueberzeugung, dass die Frage, ob er¬ 
worbene Charaktere jemals in irgend einem 
Grade vererbt werden können, durch eine 
medicinische Individualstatistik ihrer Ent¬ 
scheidung kaum näher gerückt wird. Gerade 
je gewissenhafter man Individualstatistik betreibt, um so 
grösser werden die Schwierigkeiten bei der Beurtheilung, wie 
viel von einem Individualcharaktcr erworben und wie viel er¬ 
erbt ist. Je mehr man sich in Genealogien vertieft, um 60 
mächtiger wild der Zweifel, ob nicht schon das scheinbar erste 
Leiden einer Generation kein rein erworbenes war. Ich fürchte, 
die aetiologisch - klinische Forschung in der 
Neuro- und Psychopathologie wird das entscheidende Wort in dem 
Streite, ob nur ererbte oder auch erworbene Charaktere 
vererbbar sind, nicht sprechen, weil sie auf dem ihr vorgezeich¬ 
neten mühevollen Wege an den Hemmnissen räumlicher und 
zeitlicher Beschränkung, absichtlicher Täuschung und mensch¬ 
lichen Irrthums erlahmen muss. Es will mir scheinen, dass unsere 
Stammbäume nicht dazu geeignet sind, V ererbungs- 
g e 8 e t z e aufzustellen. Wie könnte auch die Betrachtung einer 
geringen Zahl von Generationen eines Stammes die Grundlage 
von „Gesetzen“ werden! Vielleicht eröffnet das Studium 
von Ahnentafeln weitere Gesichtspunkte. Sehr ermuthigend 
sind allerdings die Aussichten nach den Darlegungen von 
Lorenz nicht, welcher der Annahme zuneigt, dass das genea¬ 
logische Studium die ganze Erbliclikeitslehre wahrscheinlich er¬ 
heblich erschüttern würde ’*). 

Alle diese Spekulationen zwingen uns vor der Hand aber 
keineswegs, die Erbliclikeit als aetiologischen Faktor zu streichen. 
Unsere praktische Medicin hat uns manche therapeutische Maass¬ 
nahmen empirisch an die Iland gegeben, deren wissen¬ 
schaftliche Begründung uns noch vollkommen abgeht. Wir wen¬ 
den sie an, und überlassen die Probe auf das Exempel getrost 
der Zukunft. Hat uns die Praxis, selbst nur bei der mit der 
Wirkung einer Sammellinse vergleichbaren Betrachtungsweise 
des Psychiaters die Begriffe der erblichen Belastung, der ncuro- 
und psychopathischen Prädisposition, der cumulativen Vererbung 
und der Degeneration kennen und fürchten gelehrt, so liegen 
die praktischen Konsequenzen, welche wir 
Aerzte aus der Individualstatistik für eine 
Vernunft- und sachgemässe Berathung der 
gegenwärtigen und zukünftigen Generation 
ziehen können, klarer vor uns und ergeben sich aus den 
vorstehenden Erörterungen von selbst. Ist es auch oft Irrthum, 
was uns leitet, das Bewusstsein, trotzdem manchen Segen zu 
stiften, mag uns darüber trösten. 


Bemerkungen zu dem Artikel des Herrn Prof Dr. 
Cramer: „Bacillol 'und Lysoform. zwei neuere 
Desinfektionsmittel.“ 

Von Dr. Vertun in Berlin. 

Herr Prof. Dr. Cramer aus Aachen vergleicht ein neues 
Cresolseifenpräparat mit dem Formaldehydseifenpräparat „Lyso- 
form‘‘ hinsichtlich der Wirkung auf nicht Sporen bildende Bak¬ 
terien und kommt zu dem Schlüsse, dass das Lysoform dem 
Cresolpräparat an Desinfektionskraft nachstehe und nur als 
Desodorans und Kosmeticum zu empfehlen sei. Herr Cramer 
Übersieht bei den Reagensglasversuchen die Erfordernisse der 
ärztlichen Praxis. Da aber das Lysoform gerade diesen ge¬ 
recht wird, halte ich es für angebracht, hier entgegen den Schluss¬ 
folgerungen des Herrn Cramer auf die Bedeutung des Lyso- 
forms für die Praxis kurz hinzuweisen. 

Nur zwei Ansprüche stellt Herr Cramer an ein praktisches 
Antisepticum, nämlich dass es höchste Desinfektionskraft besitze 
und billig sei. Konsequenter Weise hätte Herr Cr. nun das 
Sublimat allein empfehlen müssen, denn diesem wohnt bei sehr 
billigem Preise eine weit höhere Desinfektionskraft inne, als den 
C resol p rä paraten. 

Der Praktiker wird ein minder heroisches Antisepticum für 
viele Zwecke bevorzugen, wenn dasselbe minder giftig oder un¬ 
giftig ist 

Die Cresolpräparate, auch das neue, wie Herr Cr. zugibt 
sind Antiseptica von starker Giftigkeit Erst vor einigen Wochen 

'*) Vgl. Lorenz, 1. c. pag. 377 ff. und 463, Anmerk. 1. 


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12. November 1901. MUENCHENER MEDICIN1SCJHE WOCHENSCHRIFT. 1845 


stellte Burgl 1 ) an dieser Stelle 18 publizirte Fülle von zum Theil 
tüdtllchen CresolVergiftungen zusammen. 

Dahingegen ist nach Versuchen von Symanski’) sowohl 
(die vor 2 Monaten erschienene Arbeit ist Herrn C r a m e r nicht 
bekannt), wie nach den meinlgen Lysoform relativ ungiftig und 
trotzdem, wenn auch nicht zu den heroischen, so doch zu den 
stärkeren Desinfektionsmitteln zu. zählen. Lysoform wirkt auch 
auf die sporenbildenden Bakterien ein. So wurden Milzbrandsporen 
nach S y m a u s k i ln einer 3 proc. Lysoformlösung in der un¬ 
gemein geringen Zeitdauer von 8 Stunden abgetödtet. 

Da Lysoform zudem nacli der Anwendung keinen Geruch 
hluterliisst, so wird es für Scheiden-, Mund-, Blasenspülungen, 
zur Benetzung der Hände während der Operation etc., besonders 
auch als Antisepticum für Kinder mit Recht bevorzugt 

Meine Versuche werde ich an anderer Stelle publlziren, da 
der Raum hier Ausführlicheres nicht gestattet. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Dr. Earl v. Bardeleben, Professor an der Universität 
Jena und Prof. Dr. Heinrich Hackel, Chefarzt des Kranken¬ 
hauses Bethanien in Stettin: Atlas der topographischen Ana¬ 
tomie des Menschen. Für Studirende und Aerzto. 
Zweite völlig umgearbeitete und vermehrte Auflage. Enthaltend 
176 grösstentheils mehrfarbige Holzschnitte, 1 lithographirte 
Doppeltafel und erläuternden Text. Herausgegeben unter Mit¬ 
wirkung von Dr. Fritz Frohse, Volontär-Assistent an der 
anatomischen Anstalt in Berlin. Mit Beiträgen von Prof. Dr. 
Theodor Ziehen. Fünftes bis siebentes Tausend. Jena, Ver¬ 
lag von Gustav Fischer. 

Dieser Atlas erscheint in fast vollständig neuem Gewände. 
Nachdem die erste Auflage von 4000 Exemplaren (!) abgesetzt 
worden war, haben sich die Verfasser entschlossen, ihrem Werke 
eine energische Verjüngung angedeihen zu lassen. Die Zahl der 
Abbildungen wurde um 42 vermehrt und von den alten wurden 
55 durch ganz neue Bilder ersetzt. Was dies besagen will, erhellt 
leicht, wenn in Rechnung gezogen wird, dass die Gesammtzahl 
der Figuren nicht mehr als 171 (ein Druckfehler auf dem Titel 
macht daraus 176) beträgt, eine Beschränkung des Stoffes, die 
der besonderen Hervorhebung der praktisch wirklich wichtigen 
topographisch-anatomischen Daten dienen soll. In diesem Sinne, 
d. h. in Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse des Arztes 
werden auch solche Materien illustrirt, welche der Regel nach 
anderwärts weniger Berücksichtigung finden, wie z. B. Sehnen¬ 
scheiden, Schleimbeutel, Lymphdriisen. Die neu eingefügten 
Bilder betreffen unter anderem auch die Gelenke, die Projektion 
innerer Organe, den Verlauf der Fascien; ferner sind die ab¬ 
weichenden Verhältnisse des kindlichen Körpers theilweise, näm¬ 
lich durch Einschiebung neuer Bilder bei Gehirn, Nasenhöhle, 
Brust, Herz und Situs viscerum, zur Darstellung gekommen. 
Schliesslich wurde darauf Bedacht genommen, solche Organe, 
deren klinische Behandlung auf dem Grenzgebiete der inneren 
Medicin und der Chirurgie liegt, welche also zur Zeit ein Gegen¬ 
stand des speciellen Interesses der Aerzte sind, durch zweckmässig 
ausgewählte Abbildungen zur Anschauung zu bringen. 

Die meisten Bilder dieses Atlas sind, was die Zeichnung 
und den Holzschnitt anbetrifft, ganz ausgezeichnet gelungen. 
Das Werk ist zudem vorzüglich gedruckt. Ich kann ohne Ueber- 
treibung sagen, dass die Uebersichtlichkeit, Klarheit, Einfach¬ 
heit und ästhetische Schönheit vieler Abbildungen bewunderungs¬ 
würdig ist. Wir glauben, dass dieser Atlas in den weitesten 
Kreisen der Aerzte mit Freuden begrüsst und sehr viel benützt 
werden wird. Martin Heidenhain. 

Dr. Ludwig S t i e d a , o. ö. Professor der Anatomie an der 
Universität Königsberg i. Pr.: Grundriss der Anatomie des 
Menschen. Vierte mit Berücksichtigung der neuen anatomischen 
Nomenklatur bearbeitete Auflage des Grundrisses der Anatomie 
von A. Panse li. Mit 446 zum Theil farbigen Holzschnitten 
im Text und 57 Abbildungen auf 10 Tafeln. Braunschweig, 
Verlag von Gebrüder Jännecke, 1900. 573 Seiten. 

Dieser Grundriss der Anatomie ist ein allgemein als tüchtig 
anerkanntes Buch. Der Verfasser gibt die systematische und 
topographische Anatomie etwa in dem Umfange, wie sie der Stu- 

l ) Burgl: „2 Fälle von tödtlicher Innerer Lysol Vergiftung 
mit Betrachtungen über Lysolwirkung“. No. 39, 1901, dieser 
Wochenschrift. 

*) Symanskl (aus dem hygienischen Institut der Universität 
Königsberg I. Pr.): „Einige Desinfektionsversuche mit einem neuen 
Deslnflcleus „Lysoform“. Zeltschr. f. Hyg. u. Infektlonskrankh.. 
37. Bd„ 1901, 8. 393. 


dirende braucht. Die Ueberladung mit Einzelheiten ist absicht¬ 
lich vermieden; der Hauptwerth wurde auf eine klare und prä¬ 
zise Schilderung der wesentlichen anatomischen Daten gelegt. 
Histologie und Embryologie werden nur gelegentlich zur Er¬ 
gänzung mit herangezogen. Den Text begleiten eine sehr grosse 
Reihe von Abbildungen, welche bei der Lektüre zur ersten Orien- 
tirung dienen, freilich den modernen viel gebrauchten Hand¬ 
atlanten keine Konkurrenz machen können. 

Von Einzelheiten möchten wir hervorheben, dass das Buch 
eine zwar kurze, aber recht gute Darstellung der Morphologie 
des Gehirns enthält. Wir haben in dem Herrn Verfasser endlich 
einmal einen Anatomen gefunden, der es abgelehnt hat, das im 
Unterricht unbrauchbare Eintheilungs- und Nomenklaturschema 
des Gehirns von H i s, welches in der Basler Nomenklatur „offi¬ 
ziell“ geworden ist, in Anwendung zu bringen. Es kann nur mit 
Freuden begrüsst werden, wenn die anatomischen Schriftsteller 
sich nicht blindlings in allen Stücken dem in der Basler Nomen¬ 
klatur gegebenen Kanon der Anatomie unterwerfen. 

Das Buch eignet sich zum Gebrauch vom Beginn des medi- 
einischen Studiums an und wird von unseren Studirenden ge¬ 
wiss gerne benutzt werden. 

Martin Heidenhain. 

Hermann Fehling: Lehrbuch der Frauenkrankheiten. 

Mit 223 in den Text gedruckten Abbildungen. 2. neu bearbeitete 
Auflage. Stuttgart, Ferd. Enke, 1900. 

Das Werk gehört zu der von Enke herausgegebenen „Biblio¬ 
thek des Arztes“, welche sich „eine Sammlung medicinischer 
Lehrbücher für Studirende und Praktiker“ nennt. F e h 1 i n g’s 
Buch bietet aber viel mehr, als dieser Sammeltitd besagt; es 
ist nicht nur ein ganz ausgezeichnetes Werk für „Studirende 
und Praktiker“, sondern auch jeder Gynäkologe wird es mit 
grösstem Interesse und Nutzen immer wieder zur Hand nehmen. 
F e h 1 i n g’s anregende Schreibweise ist bekannt — sie wirkt wie 
ein lebhafter, packender Vortrag. Dabei fehlt es nirgends an 
offener, wo nöthig selbst scharfer Kritik: „Während im Beginn 
der neuen operativen Aera (bei Retroflexio uteri) ein wüstes, 
indikationsloses Operiren statthatte, ist jetzt mehr Ruhe und 
Kritik vorhanden“ (S. 229). Das Werk ist reich illustrirt, 
meist mit guten Holzschnitten; nur einzelne Cliches (nach Blei¬ 
stiftzeichnungen?) wirken zu wenig scharf, so die Abb. 175, 176; 
diese und einige andere Bilder (94, 195) lassen sich in den 
nächsten Auflagen leicht durch neue ersetzen. 

Die 1. Auflage ist 1893 erschienen; in den 7 Jahren bis zum 
Erscheinen der 2. Auflage hat besonders die operative Gynäko¬ 
logie wichtige Wandlungen durchgemacht. In unübertrefflicher 
Weise beschreibt F. z. B. die Sturm- und Drangperiodo der 
operativen Uterusfixation: „Schon die Auswahl und die Tn- 
dikationsstellung war vielfach nicht richtig, die letztere wurde 
vor Allem zu weit ausgedehnt. Die Erfolge waren nur theil¬ 
weise befriedigend: neben Misserfolgen ergab sich so schwere 
Verwachsung des Uterus mit der Scheide (nach Vaginaefixation). 
dass erhebliche Schwangerschafts- und Geburtsstörungen ein 
traten, so dass Perforation und Kaiserschnitt nöthig waren.“ 
F. selbst hält die kritische Mitte zwischen diesem Uebersehwang 
und operativem Nihilismus. „Ich habe wegen Retroflexio. theils 
mobiler, theils leicht fixirter. 95 mal operirt (vaginale Vesico- 
fixatio). Von diesen haben 18 Frauen 23 mal geboren, und nur 
1 mal war die Geburt schwer und Perforation nöthig; auffallend 
ist, dass auf 13 Schädellagen 8 Querlagen kamen, nur 1 mal 
fand Abort statt.“ Ueber die Indikation zur operativen Fixation 
des Uterus bei Retroflexio schreibt. F.: „Operirt soll nur werden, 
wenn alle mechanische Therapie genügend lang, aber erfolglos 

ausgeübt wurde.-Die mobile Retroflexion dürfte bei Uebung 

in der Pessartherapie ein weit geringeres Kontingent zur Opera¬ 
tion stellen.“ Demgemäss beschreibt F. die Pessartherapie in 
der sorgfältigsten Weise; dieses und alle anderen für den prak¬ 
tischen Arzt so wichtigen Kapitel, wie Behandlung der chro¬ 
nischen Endometritis, der chronischen Adnexentzündung u. s. w. 
sind mit einer Fülle praktischer Winke versehen, welche nur 
durch ausgedehnte Erfahrung gewonnen werden. Dabei be¬ 
handelt F. nie allein das Genitale, sondern das Weib. Wie viele 
der modernen jüngeren „Operateure, Laparotomisten“. wie sie sich 
gerne nennen hören, sind statt Frauenärzten mir Frauengenital¬ 
ärzte! Man lese im Gegensätze dazu F.’s Abhandlung über 
„Diätetik der Menstruation, Badekuren bei Frauenkrankheiten“ 

S* 


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1846 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


u. s. w. Trotz oder besser in Folge scharfer Kritik an manchen 
wissenschaftlich nicht geklärten Wirkungen der Badekuren geht 
F. sorgfältig darauf ein. 

Von besonderem Interesse sind in der 2. Auflage auch die 
Beschreibungen der neuen vaginalen Operationsmethoden bei 
Uterusmyom, Carcinom und Adnexentzündung. Die Ver¬ 
gleichung der Ergebnisse einzelner Operateure unter sich, als 
auch deT vaginalen gegenüber den abdominalen Methoden ge¬ 
währen ein anschauliches Bild der erstaunlichen operativen 
Fortschritte in der Gynäkologie des letzten Jahrzehnts. Werden 
die Auswüchse der operativen Gynäkologie einerseits gegeisselt, 
so müssen doch andererseits auch ihre glänzenden Erfolge selbst 
ängstliche Praktiker ermuthigon, welche dem Operiren und 
Operirenlassen allzu abgeneigt sind. Für die vaginale Total- 
exstirpation der krebsigen Gebärmutter berechnet F. auf 1727 
Fälle 6,7 Proc. Mortalität, darunter hatte z. B. Olshausen 
auf 100 Fälle einen Todesfall, Fehling beim ersten Hundert 
2 Todesfälle. Bei Collumearcinom waren nach Krukenberg 
(Berliner Klinik) nach 5 Jahren 17,6 Proc., bei Corpuscarcinom 
66,7 Proc. recidivfrei, nach der Zusammenstellung von Hae- 
nisch unter 668 Fällen nach 5 Jahren 21,7 Proc. recidivfrei. 
Nach dem 5. Jahre wurde kein Recidiv mehr beobachtet. Das 
sind gewiss auch für den grössten Skeptiker — und deren gibt es 
leider unter den praktischen Aerzten noch zu viele! — sprechende 
Zahlen bei einem Leiden, das ohne Operation sicher zum 
Tode führt. Es ist kein Zweifel, dass durch frühzeitige Diagnose 
und frühzeitiges Operiren diese Erfolge noch erheblich zu bessern 
sind. 

Möchten* doch gerade die praktischen Aerzte durch das 
Studium so ausgezeichneter Bücher, wie des F e h 1 i n g’sehen, 
welches höchste wissenschaftliche Bedeutung mit scharfer Kritik 
und glänzender Darstellungsweise verbindet, auch ihrerseits bei¬ 
tragen zu allgemeiner Verbreitung der segensreichen Fortschritte 
unserer heutigen Gynäkologie! Gustav Klein- München. 

Stilling: Psychologie der Gesichtsvorstelhmg nach 
Kant’s Theorie der Erfahrung. Berlin und Wien 1901. 
Urban & Schwarzenberg. 

Verfasser versucht die Nothwendigkeit einer selbständigen 
psychologischen Erforschung unserer Gesichtsvorstellungen nach¬ 
zuweisen, wie er überhaupt die Nothwendigkeit einer Psychologie 
als Wissenschaft für unleugbar gegeben erachtet. Man lasse 
sich vom Studium dieses hochinteressanten und geistreichen 
Essays nicht abschrecken, wenn man auch die Kenntnis» der 
Philosophie Kanfs und Schoppenhaueris, wie sie vom 
Verfasser im Vorwort als nothwendig vorausgesetzt wird, nicht 
besitzt. Auch ohne deren genaueres Verständnis» wird man 
viel Anregung und Wissenswerthes finden, aber auch mit Kennt¬ 
nis» derselben gegen die Relationstabellen und manche Schluss¬ 
folgerungen wenigstens bedingten Widerspruch erheben, sicher¬ 
lich gegen das Leitmotiv, dass die Physiologie ihre Anweisungen 1 
auf die Forschung von der Psychologie zu empfangen habe, nicht ; 
aber diese von jener. Seggel. 

Heber die Bedeutung der chemischen Strahlen des Lichtes 
für Medicin und Biologie. 3 Abhandlungen von Prof. Niels 
R. F i n s e n in Kopenhagen. Mit 6 Abbildungen und 6 Tafeln. 
Leipzig. Verlag von F. P. W. V o g e 1. 1899. Preis 2.50 M. 

Ohne auf den höchst interessanten Inhalt der 3 Abhand¬ 
lungen. welche in fremder Sprache alle schon früher veröffentlicht 
worden sind, einzugehen, möchten wir nur die deutsche ärztliehp 
Leserwelt auf diese epochalen Publikationen F i n s e n’s. die seit¬ 
her durch praktische Anwendung der anfänglich mit begreif¬ 
licher Skepsis aufgenommenen Beobachtungen des Autors eine 
so glänzende Bestätigung erfahren haben, ganz besonders drin¬ 
gend aufmerksam machen. Die Behandlung des Lupus mittels 
der chemischen Strahlen des Sonnenlichts hat ja die Finsen’- 
sche Methode unterdess längst populär gemacht, allein diese hie- 
mit. dem deutschen Publikum zugänglich gemachten Arbeiten, 
durch welche Finsen ..die Aufmerksamkeit, der Aerzte auf die 
Bedeutung des Lichtes und namentlich der chemischen Strahlen 
für die Biologie und Mcdicin hinzulenken“ beabsichtigt, enthalten 
die wichtigen theoretischen Grundlagen für die wissenschaftliche ■ 
Auffassung der bekannten, höchst überraschenden praktischen 
Frfolgo. Für letztere enthalten die vorliegenden Abhandlungen 


No. 46. 


eine Anzahl von Belegen in der Wiedergabe von Photographien 
Behandelter vor und nach der Durchführung der Liohttherapie. 
Die 3 Abhandlungen sind: Behandlung der Blattern durch Aus¬ 
schluss der chemischen Strahlen des Tageslichtes; das Licht als 
Tncitamcnt: Behandlung von Lupus mit konzentrirten chemischen 
Strahlen. Grassmann - München. 

Mittheilungen aus F i n s e n’s medicinischem Lichtinstitut 
in Kopenhagen. (2.) Herausgeg. von Prof. Niels R. Finsen. 
Die deutsche Ausgabe herausgegeben von Dr. W. B i e, Labora¬ 
toriumsassistent am Institute. Leipzig, Veriag von F. C. W. 
V o g e 1, 1901. Preis 3 M. 

Das zweite Heft — über das erste wurde schon an dieser 
Stelle berichtet — enthält folgende Abhandlungen: 1. Die Wir¬ 
kungen des Lichtes auf Mikroorganismen von S. Bang; 2. das 
Aktinoskop von A. Larsen; 3. ein Photometer von A. Lar- 
sen; 4. die Abhängigkeit des elektrischen Bogenlichts von der 
Stromstärke und der Spannung von A. Larsen; 5. Bericht aus 
F i n s e n’s medicinischem Lichtinstitut von Prof. Dr. N. Fin¬ 
sen; 6. Untersuchungen über das Häufigkeitsverhältniss von 
Lupus vulgaris in Dänemark; 7. Behandlung von Masern und 
Scharlach mit Ausschlieesung der sogen, chemischen Licht¬ 
strahlen, Uebersichtsartikel von Dr. W. B i e. 

Grassmann - München. 

Dr. med. Fr. Scholz- Bremen: Von Aerzten und Pa¬ 
tienten. Lustige und unlustige Plaudereien. 2. verbesserte Auf¬ 
lage. München 1900. Verlag von Seitz & Schauer. 

Es ist sehr erfreulich, das Erscheinen der zweiten Auflage 
des an dieser Stelle schon eingehend gewürdigten prächtigen 
Buches anzeigen zu können. Schon aus dem Grunde ist es er¬ 
freulich, weil gewiss nicht angenommen werden kann, die so 
rasch vergriffene erste Auflage hätte ihre Leser nur in ärztlichen 
Kreisen gefunden: Sicher ist dieser tragi-komische, reizende 
Struwelpeter für Aerzte und Patienten — der Verfaasor möge 
mir diesen gut gemeinten Vergleich verzeihen — auch reichlichst 
in die Kreise des Publikums gedrungen und muss dort Gutes 
gestiftet haben, wenigstens gute Vorsätze. Am Inhalt hat sich 
nichts Wesentliches geändert, nur das Gewand dieser 2. Auflage 
ist prächtiger geworden. Gute Reise! 

Grassmann - München. 

Zwischen Aerzten und Klienten. Erinnerungen eines alten 
Arztes, geordnet und herausgegeben von Prof. J. B. II g h e 11 i. 
Deutsch von Dt. Giovanni G a 11 i. Mit einem offenen Briefe 
von Prof. Mantegazza. Wilhelm Braumüller, Wien 
und Leipzig, 1900. Zweite Auflage. 

Auch dieses Buch hat rasch nach der ersten seine zweite 
Auflage erlebt — bekanntlich blühet dieses Schicksal gerade 
guten Büchern nicht immer. Und U g h e 11 i’s an tiefer 
Tyohcnsphilosophie so reiches Werk ist ein vortreffliches. Wir 
haben auf den Reiz der Darstellung und den echten Goldgehalt 
dieser Schrift schon bei Besprechung der ersten Auflage hin¬ 
gewiesen und können beim Wiederanblick desselben nur sagen, 
dass sie zu jenen gehört, die man als klassische immer mit 
gleichem Genüsse zur Hand nimmt. 

Orassmann - München- 

Neueste J ouraalliteratur. 

Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 43 u. 44. 

No. 43. C. Deutachländer: Perimetrische Buckel- 
messnng. 

Nachdem die bisherigen (über 30) Methoden zur objektiven 
Beurtheilung der Form- und Gestaltsveränderungen der Wirbel¬ 
säule und des Thorax theils zu komplizirt, theils wegen des 
theuren Preises exakter Messapparate (Schnlthess, Zander, 
v. H e I n 1 e t h) nicht Jedermann zugänglich sind, empfiehlt D. 
ein einfaches Mittel zur Beurtheilung von Niveaudifferenzen am 
Rücken, indem er an dem in Bauchlage und mit rechtwinkelig 
abducirten Armen auf flachem Tisch liegenden Patienten mittels 
einer oder zweier Gipsbinden einen genauen Rückenabdrucfe her¬ 
stellt und diesen nach dem Erhärten als Buckelmesser benützt 
Will man nach einiger Zeit feststellen, ob Veränderungen am 
Skelett eingetreten sind, so wird nämlich der Gipsabdrnck auf 
seiner Innenfläche eingerusst und in der gleichen Lage des Pat. 
diesem angelegt. Hat eine Abflachung stattgefunden, so wird an 
der betr. Stelle die Schale nicht mehr anliegen resp. keine Russ- 
färbung stattflnden. 

Man kann die Russzeichnung deR Gipsnlwlruokes selbst mit 
Schellacklösung fixlren, oder das Russblld des Rückens auf einem 
weissen Bogen Papier abdrucken und fixlren, oder auch, da durch 


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12. November 1901. MUENCHENER MEDIC1N1SCIIE WOCHENSCHRIFT. 1347 


ein auf die Höhe der Konvexität gebohrtes Loch ein Blaustift oder 
marklrender Gegenstand eiugeführt werden kann, direkt die 
Grenzen, bis zu denen eine Berührung stattgefunden hat, messen 
und in ein perhnetrlsches Schema eintrageu. 

No. 44. I^eop. Casper: DieVerwerthung der funktionellen 
Nierenuntersuchung für die Diagnostik der Nieren- und Bauch¬ 
chirurgie. 

C. hat mit Paul Fr. Richter die Methode angegeben, den 
Harn beider Nieren gleichzeitig getrennt aufzufangen und die 
funktionelle Kraft einer Jeden der beiden Nieren aus der zu ver¬ 
gleichenden Menge des im Harn ausgeschiedenen N, des durch 
Phloridzin-Injektion künstlich produzirten Zuckers und der Ge¬ 
frierpunktserniedrigung des Harns (Wertlie, die bei gesunden 
Nieren beiderseits gleich, bei einseitiger Erkrankung stets auf der 
kranken Seite niedriger sind) zu messen. C. zeigt nun an einigen 
typischen Beispielen (Feststellung der Seite der Erkrankung bei 
einem Nierenstein, Vortäuschung einer Nierengeschwulst durch 
einen perityphlitischen Abseess, DiiTerentinldingnose zwischen 
Nierenstein- und Gnllensteinkolik, Fälle von Nephralgie, in denen 
durch die Methode das Vorhandensein eines Nierensteins trotz 
diesbezügl. Symptome von der Hand zu weisen war etc.) die Be¬ 
deutung der Methode als eine Ergänzung der früheren Verfahren, 
die sie übrigens nicht ersetzen soll. 

Bayer- Prag: Ergänzung zu der Mittheilung von Prof. 
Witzei in No. 40 d. Centralbl. 

B. erwähnt, dass dem Witze l’schen Verfahren eine Idee 
zu Grunde liegt, die Gusseubauer noch in Prag ausführte, 
indem er nach blutiger Ilerabholung des Schenkelkopfes zur Er¬ 
haltung der Reposition und Erzielung periostltischer Neubildung 
Stahlnügel über dem Femurkopf einschlug — ein Verfahren, 
das B. im Prager Kinderspital wiederholte (wobei er durch ein 
halbmondförmiges mit Löchern versehenes Stahlstück die Nägel 
ln der richtigen Stellung erhielt), aber wieder verlies«, da er keine 
ideale Heilung des Leidens erzielen konnte. Sehr. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 13. Bd 

6. Heft. 

1) O. Th. L i n d e n t h a 1 - Wien: Treber Decidua ovarii und 
ihre Beziehungen zu gewissen Veränderungen am Ovarium. 

L. weist an Präparaten von Ovarien aus verschiedenen Stadien 
der intra- und extrauterinen Schwangerschaft nach, in welcher 
Weise die Bildung und Rückbildung von Decidua ovarii erfolgt. 
Der Declduabildung geht eine Auflockerung und oedematöse 
Durchtränkung der betreffenden Partien der Albuginea voraus; 
die Decidunzellen selbst entstehen durch Umwandlung von Binde¬ 
gewebszellen der Albuginea und wahrscheinlich auch durch Tiici- 
lung aus schon vorhandenen Deeiduazellen. Ein Tlieil dieser Zellen 
verfällt nach Ablauf der Schwangerschaft der hyalinen, der andere 
und grössere Theil der „hydropischen“ Degeneration. Diese 
Stellen des Gewebes lassen sich dann noch lange Zeit nach der 
Schwangerschaft als Rest einer ehemaligen Declduabildung er¬ 
kennen. 

2) M. S t o 1 z - Graz: Zur Kenntniss der Influenza Im Wochen¬ 
bette und Ihrer Differentialdiagnose gegenüber puerperalen 
Infektionen auf Grund klinischer Beobachtungen. 

Die Erkrankung tritt meist ln leichter Form auf und macht 
sich am häufigsten am 3. oder 4. Tag nach der vermuthlichen In¬ 
fektion bemerkbar, zuweilen auch später bis zum 9. Tage. Dem 
Verlauf nach kann man 3 Fiebertypen unterscheiden: leichte, 
mittlere, schwere. Alle diese Typen haben besonders im Wochen¬ 
bett die Neigung zu zwei- und mehrfachen Recidiven. Die Fre¬ 
quenz des Pulses steigt entsprechend der Temperatur, erreicht 
ledoeh nur in den Fällen schwerer LungennfTektlonen abnorme 
Höhe. Sind lokale Erscheinungen nicht ausgesprochen, so ist eine 
Verwechslung namentlich in milden Formen mit Wochenbettfieber 
leicht möglich. Relative Langsamkeit des Pulses und das Ein¬ 
treten eines Recidives sind in der Unterseheidnngsdiagnosp zu ver- 
werthen: übelriechende Lochien, mangelhafte Involution. Druck- 
empfindlichkeit kommen häufig bei Influenza vor und kommen dess- 
halb differentialdlagnostisch nicht in Betracht. Werden keine 
Knlturversuehe gemacht, dann ist zur Entscheidung der Diagnose 
oft. die Kenntniss einer herrschenden Epl- oder Pandemie unent¬ 
behrlich. 

3) O. P o 1 a n o - Greifswald: Zur Lehre vom sog. Pseudo- 
myxoma neritonei. 

E'-stlrpatlon eines Cvstadenomn psendomuelnosum slnlstr. 
einer ßfl Jährigen Frau. Gallertmassen ln der Bauchhöhle. 2 Jahre 
lang Wohlbefinden. Darnach Bildung eines gleichen Tumors an 
dem zurückgelassenen rechten Ovarium. Nach einem Tnsnlt scheint 
dieser geplatzt zu sein. Seitdem rascher Verfall der Patientin. 
Ascites. Entfernung des rechten Ovarialtumors, an dessen Ober¬ 
fläche überall gallertartige Massen nufsitzen. An der Scrosa der 
Därme befinden sich nur hier und da kleine Knötchen, während 
auf dem Beckenperitoneum, der unteren Leberfläche und in den 
breiten Mntterbändem gallertartige Massen liegen. Patientin 
starb an Ileus. 

An dem Tumor ist besonders sein Verhalten zur Leber von 
Interesse. Makroskopisch war zu sehen, dass die glasigen Tumor¬ 
massen als begleitende TTÜlle der Vena port. und ihrer Aeste weit 
in die Leber sich forlsetzten. mikroskopisch, dass die Geschwulst 
an einzelnen Stellen durch aktive Wucherungen der Tumor- 
epithelien die Bindegewebskapsel durchbrochen und in das Leber- 
parenchym hineingewuchert war. 


Die Geschwulst bildet eine besondere Art der linphuitations- 
tumorcu beim Cystadenoma psoudomucinosum, die dem Carclnom 
sehr nahe steht. 

4) K. Schuchardt - Stettin: lieber die para vaginale 
Methode der Exstirpatio uteri und ihre Enderfolge beim TJterus- 
krebs. 

Vortrag, gehalten auf dem XXX. Kongress der Deutschen 
Gesellschaft für Chirurgie in Berlin. Referat siehe diese Zeit¬ 
schrift. Jahrgang 48. No. 18. 

ö) O. Busse: Verlagerung von Tube und Ovarium in Folge 
Ausbleibens des Descensus. 

Das Präparat stammt von einem IS jährigen nn Sepsis im 
Anschluss nn eine Kniegclenkstubcrkulose verstorbenen Mädchen. 
Uterus. Scheide und die rechten Anhänge sind normal, die links¬ 
seitigen Adnexe liegen ausserhalb des kleinen Beckens und ziehen 
sich vom Fundus des etwas nach links verlagerten Uterus über die 
Fossa ilinca. lateral der Lendcnwirbelsäule. ventral vom Muse, 
psoas, bis in die Nähe der Nierengegend in die Höhe. 

Diese weitgehende Verlagerung der linksseitigen Adnexe ist 
bedingt durch das Ausbleiben des Descensus ovarii; die Hem¬ 
mung bat ihre Ursache in einer in der ersten Hälfte des 3. Monats 
sich abspielenden foetalen Peritonitis, auf die eine Verdickung und 
Vernarbung des Peritoneums in der linken Lumbnlgogend hinweist. 
Das Präparat gestattet wertbvolie Schlüsse auf die Entstehung 
des Kierstoekbandappnrates und zeigt, dass das Ligamentum Sus¬ 
pensorium ein in früher Embrvonalperiode prilformirtes Band, 
nämlich einen Theil des Zwerchfell-Umieren-Leistenbnndes, dar¬ 
stellt. 

6) M. de M o u c h y - Leiden: Die gynäkologische Literatur 
in Holland 1900. 

Rnmmelborleht. Weinbrenner - Erlangen. 

Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 43 u. 44. 

Nicolai Wolko witsch - Kiew: Eine plastische Methode, 
schwer operable vesico-vaginale Fisteln durch den TJterus zu 
verschliessen. 

Das bis jetzt in 8 Fällen erprobte Verfahren besteht einerseits 
in Anfrischung des Uterus rosp. der Cervix und der Fistel, anderer¬ 
seits in Flxirung dos Uterus in der neuen Lage. W. beginnt die 
Operation mit Durcbschneidumr des Narbenrings: dann folgte Be¬ 
freiung der Cervix aus dem sie umgebenden Nnrbengewebe. wo¬ 
möglich ohne Verletzung des Peritoneums, und Herabziehung des 
Uterus bis zur Urethra. Die Fistel wird so weit angefrlsebt. dass 
ihre Ränder ihren narbigen Charakter verlieren: eine Naht der 
Schleimhaut™ ndor ln der Blase ist meist unnötliig. Den Schluss¬ 
akt bildet die Fixation des deseondirton Uterus nn die Fistel¬ 
öffnung. was mit 3 -4 Nähten gelingt. Um den Harn von der 
Plastik fernzulmlten. macht W. nnmlttcllmr vor der Flstcloperation 
eine Sectio nltn. legt ein Drain ein und leitet durch einen Schlauch 
den TTrin in ein am Boden befindliches Gefiiss. Von den 8 Fällen 
sind 5 vollständig gehellt. 3 noch theil weise in Behandlung. Die 
Kontinenz der Blase war völlig ausreichend. 

No. 44. 11 Otto K ü s t n e r - Breslau: Das Prinzip der 

medianen Uterusspaltung, seine weitere Verwendung im Dienste 
operativer Maassnahmen. 

Bisher wurde die mediane Utorussnnltung empfohlen hei vagi¬ 
naler Totnlexstirpntion bei der abdominalen Myomotomio und bei 
den sogen, konservlrcndon Invorsionsoperationen. K. erweitert die 
Indikationen dieser Operation bei Laparomvomotomien und bei 
der vaginalen Uterusfixation. Einzelheiten müssen im Original 
nachgesehen werden. 

2) K. A. H e r z f e 1 d - Wien : Ruptur des schwangeren 
Uterus. 

Eine 34 jühr. VII. Para bekam im 10. Scliwangerschaftsmonat 
nach Auslfiftcn eines schweren Tenpichs plötzlich heftige 
Schmerzen im Leibe. Wehen traten nicht auf. In den folgenden 
Tagen stellte sicli Meteorismus und fnekulentes Erbrechen ein. 
Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose lautete auf Ruptur des Fundus 
uteri. Bei der Laparotomie fand sieb die abgestorbene Fracht 
ln toto in der Bauchhöhle, ebenso die Placenta. Beide wurden 
exlrahirt. der Uterus durch Totaloxstirpntion entfernt. Pat. starb 
am nächsten Tage im Collaps. 

Am exstirpirten Uterus fand sieh ein grosser Riss der vor¬ 
deren Wand. Im Bereich des Risses war das Netz mit der Serosa 
uteri innig verwachsen. H. glaubt, dass hier früher eine Ver¬ 
letzung (Perforation) stattgefunden hatte, die veTheilt wnr. aber 
einen Locus mlnorfs resistentiae für den Uterus abgegeben. 
H. warnt vor allen unnützen intrauterinen Eingriffen, die ln un¬ 
geübter Hand leicht zu Perforationen führen. 

3) Sigm. Mlrabenn - München: Bemerkungen zu Dr. W. 
Stoeckel’s „Beitrag zur Diagnose der Tuberkulose in der 
weiblichen Blase“. (Centralbl. f. Gyn. ä901. No. 40.) 

M. deutet im 1. Falle St.’s (cf. das Referat ln dieser Wochen¬ 
schrift. No. 43. pag. 1710) die polypösen Erkrankungen an der 
narnleitermündung als Prolaps der tuberkulös veränderten Ure- 
tcrensehlelmhnut und erklärt das ..olrcumskriptc bullöse Oedem“ 
St.’s für sekundär. Im Uebrigen bestätigt M. die Befunde St.’s 
auf Grand von 12 eigenen Beobachtungen und betont ebenfalls 
dir Wohlthiitigkeit der Endoskopie zur Erkennung der Blasen¬ 
tuberkulose. J a f f ö - Hamburg. 

Archiv für Hygiene. 41. Bd. 1. Heft. 1901. 

11 R. O. N e u m n n n - Kiel: Beitrag zur Präge der Resorption 
und Assimilation des Plasmons, im Vergleich zum Tropon, Soson 
und zur Nutrose. 


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1848 

Wie durch die Stoffwechselversuche von Caspari, Albu, 
P r a u 8 n 11 z, Wintgen, Bloch. Müller und durch einen 
Versuch des Verfassers an sich selbst erwiesen wurde, 
wird das Plasmon so gut wie Fleisch ausgeniitzt. Nichts desto- 
weniger weist die Stickstoffbilanz bei den Versuchen ein 
Minus auf, welches durch ein vermehrte N-Ausscheidung 
im Harn bedingt wird. Diese Tliatsaehe lässt sich fast in allen 
Arbeiten deutlich naehweisen und liesse sich am besten wohl so 
erklären, dass man im Tlasm o n resp. im Casein Stiekstotl'- 
gruppen annimmt, die im Organismus nicht wie die Stickstoff- 
gruppen des Fleischei weiss verwendet werden. 

Die weiteren Beobachtungen des Verfassers zeigen, «lass in 
reinen oder fast reinen F 1 e i s c li e i w e i s s p r ä pa¬ 
rat e n, wie Tropnn und Roson im Harn keine Mehrausschei¬ 
dung von Stickstoff stattfindet, dagegen ist aber die Resorption 
eine schlechtere, d. h. es findet eine Mehrausscheidung von Stick¬ 
stoff im Koth statt. Eine Erklärung würde sich finden lassen 
entweder in einem ungenügenden „Aufschluss“ des ..Fleisch¬ 
pulvers“ im Magen oder Darm oder in einer durch das Mittel 
bedingten grösseren Abscheidung von Parmsiiften. die eine ver¬ 
mehrte N-Ausfuhr bedingen. 

21 St. Ruzcicka - Prag: Systematische Untersuchungen 
Uber die Angreifbarkeit des Bleies durch das Wasser. 

Die Untersuchungen erstreckten sich auf den Einfluss des 
Wassei-s resp. der in dem Wasser enthaltenen Carbon ate, 
Nitrate und Sulfate des C a 1 c i u m s und Natriums, 
der freien Kohlensäure, der atmosphärischen Luft 
und organischen Substanzen auf Bleiröhren, welche 
24 Stunden in der betreffenden Flüssigkeit aufbewahrt wurden. 

Zunächst wurde die bekannte Thatsache wiederum ermittelt, 
dass bei Luftzutritt der Bleiangriff erhöht wird. Dagegen 
findet Verfasser — entgegen der allgemeinen Anschauung —. dass 
freie Kohlensäure im Wasser eine recht bedeutende Ver¬ 
minderung des Bleiangriff«>s bewirkt. 

Der Einfluss auf die Löslichkeit des Bleies wird ln erster Linie 
durch die Säure des betreffenden, in Wasser gelöst«'n Salzes 
b«'dlngt. während die Basen ziemlich irrelevant sind. Bei com- 
binirten Salzlösungen verhält cs sich so, dass am meisten 
Nitrate, dann Chloride. Sulfate und am wenigsten 
Carbonate einen lösenden Einfluss ausüben. Organische 
Substanzen erhöhen im Allgemeinen den Bleiangriff nicht. 

3) C. T o n z i g - Padua: Ueber den Antheil, den die Milch 
an der Verbreitung der Tuberkulose nimmt, mit besonderen 
Untersuchungen über die Milch des Paduaner Marktes. 

Verfasser zeigt durch bakteriologische Untersuchungen, ver¬ 
bunden mit Thierexperiment, dass in der Marktmilch von Pa «1 u a 
unter 74 Proben keine Tuberkulose gefunden werden 
konnte. Andererseits ist auf Orund der Statistiken des Gemeinde- 
schlachthofes naehgewiesen. dass Tuberkulose in der Milch über¬ 
haupt in Padua Husserst selten ist. 

Es konnte sogar nachgewiesen werden, dass mesenterlsche 
Tuberkulose in den Provinzen, wo keine Kuhmilch, sondern 
Ziegenmilch*) getrunken wurde, viel häufiger vorkomme, als da. 
wo man sich ausschliesslich der Kuhmilch bediente. Da nun auch 
an solchen Orten, wie z. B. in Rom. wo durch Tuberkulin 
Impfungen eine tuberkulosefreie Milch garantirt war. der Pro- 
oontsntz der Tuberkulosesterblichkeit keine Aenderung erlitt, so 
sehllesst der Verf., dass die Gefahr der Uebortragung der Thier¬ 
tuberkulose auf den Menschen keine allzugrosse sein könne. Selbst¬ 
verständlich will aber T o n z i g die bisher bestehenden Maass- 
rcgeln gegen Ausbreitung d«'r Tuberkulose trotzdem gewahrt 
wissen. 

41 v. Wasielewski - Berlin: Ueber die Verbreitung und 
künstliche Uebertragung der Vogelmalaria. 

Die von Frosch und Rüge im Blut der Sperlinge ge¬ 
fundenen malaria ähnlichen Parasiten, welche zur 
Gattung Proteosoma gehören, wurden auch vom Verfasser bei 
Finken. Grünlingen. Goldammern und Ohreulen 
entdeckt, möglicherweise sind auch noch andere deutsche Vogel- 
arten damit belastet. Die Uebertragung gelingt durch Einspritzung 
geringer Mengen parnsitenhaltlgen Blutes (ca. 0.01 com) In den 
Brustmuskel. Besonders empfänglich sind Kanarienv«">gel. Der 
Nachweis der Organismen kann vom 4. Tage ab im Blut geführt 
werden. Die Infektion von Finken und Kanarienvögeln 
führte nach einem akuten Stadium fast stets zu sehr chronisch ver¬ 
laufender Tnfeklion. Bel diesen Thieren trat bei einer Nach¬ 
impfung eine neuerliche TJeberschwemmung des Blutes mit Para¬ 
siten ein. R. O. Ncnmann - Kiel. 

Centr&lblstt für Bakteriologie, Parasitenkunde und 
Infektionskrankheiten. Bd. 30. No. 14. 1901. 

1) A. M o e 11 e r - Belzie: Die Beziehungen des Tuberkel¬ 
bacillus zu den anderen säurefesten Bakterien und zu den 
Strahlenpilzen. 

Verfasser gibt ein Resumö über die beiden so nahe verwandten 
Arten, den echten Tuberkuloseerreger und die tulx'r- 
kuloseähnllchen Bakterien aus Mist, Gras, Milch und 
Butter. 

So schwer man die letztgenannten auch von der echten 
Tuberkulose in morphologischer und zum Theil auch biologischer 
Beziehung unterscheiden k«‘innte. so gebe cs doch einige charakte¬ 
ristische Eigenschaften, durch die sieh die echte Tuberkulose kenn- 


*) Ziegen können aber auch tuberkulös sein, (Ref.) 


No. 40. 

zeichnet. Es ist u. a.: Das Wachsthum bei Brüttemperatur, das 
langsame Wachsthum und die Pathogenität. Die echten Tuber¬ 
keln sind von derber, proliferirender Art, während die Knötchen 
von tuherkuloseähnliclieu Organismen stammend, einen mehr ex¬ 
sudativen Charakter mit Neigung zur Aliscessbildung aufweisen. 

2) Celli und Gasperini: Paludismus ohne Malaria. 

In Tosknn a sind durch neuere Untersuchungen von Celli 
mul Gasperini Orte gefunden worden, die alle für die 
Malaria priidisponireuden Ursachen, wie Sümpfe, 
stagnirende Kanäle, Maremmen, todte Ge¬ 
wässer. Reisfelder, Rotte gräben für Flachs, und 
unzählige Stechmücken (Anopheles und Culex) auf weisen, 
und doch kann man die Gegenden für malariafrei erklären. Noch 
vor ca. 30 .Taliren herrschte auch hier Malaria, jetzt wurden nur 
2 sporadische Fälle gefunden, trotzdem dass jedes Jahr neu«* 
Malariafälle aus anderen Gegenden eingeschleppt werden. Wie 
sich diese merkwürdige Thatsache des Verschwindens der Malaria 
erklären lässt, ist vorläufig noch nicht zu ermitteln gewesen. 

31 R. Weil- Hamburg: Künstliche Herstellung von Sporen¬ 
testmaterial von einem bestimmten Resistenzgrade gegen 
strömenden Dampf, zur einheitlichen Ermittelung von Des- 
infektionswerthen. (Schluss folgt.) 

R. O. Neumann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 44. 

1) P. B a u m g a r t e n - Tübingen: Ueber die pathologisch¬ 
histologische Wirkung und Wirksamkeit des Tuberkelbacillus. 

(Fortsetzung folgt.) 

2» A. D u e h r s s e n - Berlin: Die Kolpocoeliotomia anterior 
lateralis — ein neuer vaginaler Operationsweg in die Bauch¬ 
höhle. 

Das Wesentliche des neuen Operationsweges besteht darin, 
dass die vom Verf. schon vor Jahren angegebene Coelintnmia 
anterior noch mit der völligen Durehtrennung eines Ligament 
lntmn kouibinirt wird. D. hat die M«*thode schon bei einer grös¬ 
seren Anzahl von Fällen, deren Krankengeschichte er zum Theil 
in s«*iuem Vortrage nnführte, nngewendet. Werden nur di** ersten 
Stadien der Operation ausgeführt, so kann man parauietrane 
Absccsse oder Eiteransammlungen in Tuben oder Ovarien extra¬ 
peritoneal eröffnen und unter Konservirnng der Adnexe zur Aus¬ 
heilung bringen. Die Operation gewährt einen so guten Zmraug 
zu den Adnexen, wie die vaginale Totalexstirpation (cf. Abbild.!); 
eitrig inültrirte Adn«‘.\stiele können gut extraperitoneal gelagert, 
werden, ferner ist eine sehr gute Draininmg des Beckens möglich, 
wie sich an mehreren schweren Fällen erwies. Die Blutstillung 
kann unter den schwierigsten Verhältnissen durchgeführt werden. 
Di«* Operation wird berufen sein, auch bei den Rupturen des hoch¬ 
schwangeren Uterus denselben zu erhalten und die Vernäbung 
des Risses zu ermöglichen. Nachthelle besitzt die Durchtrennung 
eines Lig. lat um nicht, insbesondere leidet die Ernährung des 
Uterus nicht. Die entstehende Narbe ist schmerzlos und dislocirt 
das Organ nicht. 

3) B. B e 1 z e r - Baden-Baden: Ueber die Behandlung mit 
Dr. Fre y’s Heissluftdouche. 

An den Krankengeschichten von 15 Fällen weist Verf. nach, 
dass sich mit Hilfe «ies Apparates, welcher an jeder beliebigen 
Körperstelle eine aktive Hyperaemie der Haut hervorzurufen ge¬ 
stattet. sehr günstige Erfolge erzielen lassen, besonders bei Neur¬ 
algien in den verschiedensten Nervengebieten, daun bei Muskel- 
rhoumntismen. bei Gelenkveränderungen In Folge von Giclit oder 
Rheumatismus. Auch Fälle von Angina pectoris und Sklerodermie 
wurden mit günstigem Erfolge behandelt. Einige Fälle von Neur¬ 
algien. besonders Ischias, blieben unbeeinflusst. Die Wärme¬ 
erzeugung des Apparates geschieht mittels Elektrizität. Die Hand¬ 
habung wird als bequemer und einfacher geschildert, als di«* der 
ander<*n bekannten H«'issluftapparate. Eine Verbrennung der 
Haut kann bei richtiger Handhabung des Apparates mit aller 
Sicherheit vermieden werden. Verf. fordert zu zahlreichen Nach¬ 
untersuchungen auf. 

4) P 1 a c z e k - Berlin: Zur pathologischen Anatomie der 
spinalen Kinderlähmung. 

Cfr. pag. 815 der Münch, med. Wochenschr. 1901. 

Grassmann - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 44. 

1) H. St rau ss-Berlin: Zur Funktionsprüfung der Leber. 
(Nach einem am 1. Juli d. Js. Im Verein für innere Mediein ge¬ 
haltenen Vortrage. (Schluss folgt.) 

2) L. Michaelis- Berlin: Zur Theorie der Fettfärbung. 

Veranlasst durch die Versuche von Herxhelmer und auf 

Grund neuer Untersuchungen modifizlrt. M. seine These, wonach 
nur den indifferent«*n Farbstoffen die Eigenschaft der Fettfärbung 
zukommen soll, daliin. dass die indifferenten Farbstoffe allerdings 
durchweg spezifische Farbstoffe sind, dass aber diese Eigenschaft 
auch noch anderen Farbstoffen zukornmt und zwar so, dass Fett¬ 
löslichkeit und Wasserlöslichkeit in reciprokem Verhältnis stehen. 

3) L. Lew in: Ueber einige biologische Eigenschaften des 
Phenylhydrazins und einen grünen Blutfarbstoff. (Auszug aus 
einer im Oktoberheft der Zeitschrift für Biologie [.Tubelband für 
C. v. Volt] veröffentlichten Abhandlung.) 

4) S c h ii d e r - Posen: Zur Ausscheidung der Typhusbacillen 
durch den Harn. 

Das Resultat von (171 Harnuntersuchungen bei 22 Typhus¬ 
fällen ergab in 5 (— 22.7 Proc.) Typhusfällen das Vorhandensein 
von Typhusbaeillen im Harn, zum Theil ln ganz enormen Mengen. 
Meist handelte es sich dabei um schwerere Fälle mit gleichzeitiger 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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12. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1849 


Störung der Nierciitliatigkeit (Albuminurie), jedoch fanden sich 
dieselben auch in leichteren Fällen ohne jede Eiweissausscheidung. 
Das Auftreten der Bacillen im Urin wurde sowohl während der Er¬ 
krankung selbst, als namentlich auch in der Rekonvalescenz und 
zwar noch wochenlang nach der Entfieberung beobachtet. Die 
praktische Konsequenz dieser Befunde in Bezug auf Desinfektion 
des Harns und des Badewassers der Typhuskrauken liegt auf 
der Hand. 

5) K. Sh iga- Tokio: Studien über die epidemische Dys¬ 
enterie in Japan, unter besonderer Berücksichtigung des Bacillus 
dysenteriae. (Fortsetzung aus No. 43. Schluss folgt.) 

(5) N e u m a n n - Mühlheim: Typhus, Keimzahl und Trink¬ 
wasser nach Erfahrungen aus dem Ruhrgebiet. 

Interessante Beobachtungen über die Verbreitung und die 
Kmnkheitsbewegung des Abdominaltyphus in dem seit Jahren 
endemisch verseuchten Ruhrgebiet. Der Zusammenhang der 
Epidemieausbrüche mit dem Wasserstandswechsel der Ruhr und 
der negative Befund der bakteriologischen Trinkwasserunter¬ 
suchungen dürfte ein neues Argument für die Richtigkeit der 
Pettenkofer’scheu Theorie ergeben. 

7) S c h w i e n 1 u g - Berlin: Mittheilungen über die Ver¬ 
breitung von Volksseuchen. (Nach Veröffentlichungen des Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamtes.) Fr. Lacher- München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg.No.21. 

J a d a s s o h n - Bern: Bemerkungen zur Syphilistherapie. 
(Schluss folgt.) 

Haus W i 1 d h o 1 z - Bern: Ein Beitrag zur Lehre der 
Pneumaturie. 

Ein Kranker mit Albuminurie (ohne Zucker) zeigte starke 
Pneumaturie (kein Ammoniak), hervorgerufeu durch Bae. luetis 
aerogenes, das sich experimentell als sehr pathogen für die 
Kauineheublase erwies und aus eiweisshaltigen Urineu und Nähr¬ 
böden Gas erzeugte. Pischiuger. 

Oesterreichisohe Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 44. 1) E. Moro-Graz: Biologische Beziehungen zwischen 
Milch und Serum. 

Cfr. Referat pag. 1770 der Münch, med. Wochenschr. 1901. 

2) H. Sch mit-Wien: Ueber malignes Chorioepitheliom 
der Scheide bei gesundem Uterus. 

Bei einer 41Jähr. Frau, welche schon früher abortirt hatte, 
traten 7 Wochen nach einem 2. Abortus Blutungen auf, als deren 
Ursache sich in der vorderen Scheideuwand ein über haselnuss- 
grosser Tumor von bläulicher Farbe vorfand, während der Uterus 
mit den Adnexen sich als gesund darstellte. Letzterer Befund 
wurde auch durch die Operation bestätigt. Der Tumor erwies sich 
als ein Haematom, das im Centrum Chorionzotten und Geschwulst¬ 
gewebe von malignem Chorionepitheliom enthielt, das mit Be¬ 
stimmtheit von der ZotteuoberÜäche ausgiug. Verf. glaubt, dass 
benigne Chorionzotten in die Gefässe der Scheide verschleppt 
wurden und erst dort degenerirten. Der Vorgang für die Bildung 
des begleitenden Haematoms wird eingehender erörtert. S. hält 
es für möglich, dass unter günstigen Umständen einmal spontan 
eine Heilung der Geschwulstbildung eintreteu könnte. 

3) K. F r i e d J u n g - Wien: Einige Bemerkungen über die 
Lumbalpunktion bei Meningitis tüberculosa. 

Der Werth der Punktion ist fast ausschliesslich ein dia¬ 
gnostischer. Die Gewinnung einer ganz wasserklaren Flüssigkeit 
spricht für Tuberkulose; die Gerinnungsfähigkeit ist ohne sichere 
pathognomonische Bedeutung. Hinsichtlich der Auffindung von 
Tuberkelbacillen ist festzuhalten, dass sie meist erst im späteren 
Verlauf der Krankheit erscheinen und daher die Diagnose in 
diesem Zeitpunkt sehr häufig ohnehin schon feststeht. Der nega¬ 
tive Ausfall der Untersuchung auf die Tuberkelbacillen kann nicht 
ausschlaggebend sein. Verf. ist der Ansicht, dass man nicht be¬ 
rechtigt ist, die Lumbalpunktion bei allen Fällen der Meningitis 
tuberculosa wahllos vorzunehmen, sondern nur, wenn es zur 
Sicherung der Diagnose unerlässlich ist oder man sich im einzelnen 
Falle einen therapeutischen Erfolg verspricht. 

Im Feuilleton: Die Privatirrenanstalten und die pri¬ 
vate Irrenpflege. 

Ferner: Die deutsche medicinische Prüfungsordnung. 

Grassmann - München. 

Wiener klinische Rundschau. 

No. 41. Festnummer zum GO. Geburtstage Nothnage l’s, 
enthält eine sehr stattliche Reihe von Originalabhandlungeu, 
darunter: 

E. v. Leyden: Einiges über den Tuberkulosekongress in 
London. 

Seinem Titel „for preventlon of consumption“ entsprechend, 
hat der Kongress sich den mehr hygienischen Fragen der Prophy¬ 
laxe gewidmet, dagegen die Heilstätteufrage in den Hintergrund 
treten lassen, welche den ärztlich humanen Bestrebungen, der Hei¬ 
lung Kranker, eigentlich doch näher steht. In Deutschland gibt 
es 49 Volks- und 16 Privatheilstätten, die Eröffnung bezw. Er¬ 
richtung von weiteren 35 steht in Aussicht. Sie haben schon sehr 
segensreich gewirkt, vor Allem aber den Beweis für die Heilbar¬ 
keit der Tuberkulose erbracht. Es ist daher nicht mehr inhuman, 
dem Kranken die Diagnose zu sagen, sondern sogar eine Pflicht, 
damit er für sich und seine Umgebung sich entsprechend verhalte. 
L. erörtert weiter noch die Kinderheilstätten und die Zweck¬ 


mässigkeit eigener Krankenanstalten für vorgeschrittene Tuber¬ 
kulöse nicht nur zur Verhütung der Weiterverbreitung, sondern 
besonders zum Zweck specieller möglichst guter Pflege. Auch 
Bielefeld schlägt die Errichtung von lnvalidenhäuseru für 
Unheilbare vor. Wichtig für den Erfolg der Heilstättenbehaudluug 
ist, dass die Kranken nicht durch äussere Gründe gezwungen 
werden, vor der völligen Heilung die Anstalt zu verlassen. 

C. R o s e n b a c h - Berlin: Die Organisation als Trans¬ 
formator. 

Zu kurzem Referat ungeeignet. 

lt. v. J a k s c h - Prag: Ueber gehäufte diffuse Erkran¬ 
kungen des Gehirns und Rückenmarks, an den Typus der mul¬ 
tiplen Sklerose mahnend, welche durch eine besondere Aetiologie 
gekennzeichnet sind. 

Die drei Krankengeschichten stellen Fälle von multipler 
Sklerose des Gehirns uud Rückenmarks dar, wenn sie auch in 
einigen Punkten von dem typischen Bild abweichen. Besonderes 
Interesse beansprucht die Aetiologie. Es waren Arbeiter in einer 
Fabrik bei dem Trocknen von Manganhyperoxydschlamm beschäf¬ 
tigt, bei welchem Verfahren die unteren Extremitäten sehr hohen 
Temperaturen ausgesetzt waren, der Oberkörper jedoch häufig 
einer in dem Arbeitslokal herrschenden starken Zugluft. Diesen 
andauernden Temperaturinsulten, nicht etwa chemischen Schäd¬ 
lichkeiten, spricht J a k s c h die Schuld an den Erkrankungen zu. 

L. v. F r a n k 1 - H o c h w a r t und A. F r ö h 11 c h - Wien: 
Ueber den Einfluss von Bewegungen höherer Darmabschnitte 
auf den Mastdarmverschluss. 

Das Gefühl des Stuhldranges ist wahrscheinlich bedingt durch 
eine Fremdkürperempttndung und das Nachlassen des Spfiinkter- 
touus. Bekanntlich kommt aber das Gefühl auch unter Um¬ 
ständen, z. B. bei heftigen Diarrhöen, akuten Enteritiden zu Stande 
bei völlig leerem Rectum. Interessant sind nun die neuesten Ver¬ 
suche der Autoren, welche an Hunden mehrmals in eclatanter 
Weise durch Constrlctiou eines oberen Darmabschnittes Relaxation 
des Sphinkters hervorriefen, bei Erschlaffung der oberen Darm¬ 
partie eine Constriction des Sphinkters beobachteten. 

A. H a m m e r s c h 1 a g - Wien: Pylorusstenose nach Ver¬ 
giftung mit Salzsäure. 

Ein seltener Fall, wo eine Verätzung des Pylorus zu Staude 
kam ohne Schädigung des Oesophagus. Vielleicht gibt bei 
Rauchern uud Trinkern die vermehrte Sehleiinabsonderuug einen 
gewissen Schutz. Der Magen war dilatirt, es bestand eine inten¬ 
sive Milchsäuregährung. Durch krampfartige, nicht peristaltische 
Kontrakturen der gesammteu hypertrophischen Magenmuskulatur 
(Gastrospasmus), wurde zeitweilig ein fester Tumor erzeugt, der 
ein Neoplasma leicht hätte Vortäuschen können. 

J. Sl a n n a b e r g - Wien: Ueber Haemolyse durch Wasser¬ 
resorption vom Magendarmtrakt aus. 

Bei Thieren (Kaninchen, Hund), welche in Wasser ertränkt 
werden, lassen sich regelmässig als eine Folge der Ueberschwem- 
mung des Blutes mit der Ertränkungsflüssigkeit Zeichen der 
llaemolyse nachweiseu, diese fehlen, wenn die Thiere in 0,6 proc. 
Kochsalzlösung ertränkt werden. In weiteren Versuchen an Kanin¬ 
chen hat M. festgestellt, dass bei Wasserresorption vom Magen oder 
Darm aus Haemolyse in wechselndem Grade auf tritt, bei Hunden 
war das Resultat meist negativ oder sehr undeutlich. Wiederholt 
liess sich im Pfortaderblut eine stärkere Haemolyse erkennen als 
im Blute des rechten Herzens, es liesse dies auf eine Zurückhaltung 
gelösten Blutfarbstoffes in der Leber schliessen. 

It. Breuer-Wien: Bemerkungen zur Diagnose der tuber¬ 
kulösen Meningitis durch die Lumbalpunktion. 

Der Nachweis von Tuberkelbacillen in der Punktlonstiüssig- 
keit bildet ein sehr werthvolles Mittel für die Diagnose der oft 
atypisch verlaufenden Krankheit. In 17, meist der Nothnagel- 
schen Klinik angehörenden Fällen — ausschliesslich Kranke von 
über 14 Jahren — wurden bei allen die Bacillen gefunden, später 
die klinische Diagnose durch die Autopsie bestätigt. Für die 
Untersuchungstechnik gibt Verfasser sehr eingehende Vorschriften. 
Die Bacillen finden sich am sichersten in dem von Lichtbeim 
beschriebenen „spinneuwebenartigen“ Gerinnsel, das unverletzt 
nur bei völlig ruhigem Stehenlassen der Flüssigkeit erhalten bleibt. 
Um die Präparate genügend durchsichtig zu machen, sollen sie 
vor der Einbettung in Canadabalsam, Je 1—2 Minuten in absolutem 
Alkohol und dann in Xylol gebracht werden. 

J. Donath-Wien: Zur Serodiagnostik der Meningitis 
tuberculosa. 

In Uebereinstimmung mit A r 1 o 1 n g und Courmont 
spricht sich Verfasser dahin aus, dass die agglutlnirende Wirkung 
des Liquor cerebrospinalis des Tuberkelbacillus eine sehr geringe 
und nicht konstante und für die Diagnostik nicht verwerthbare ist. 
Bei seinen eigenen Untersuchungen an vier Erwachsenen fand er 
zweimal negative, einmal eine partielle, einmal eine starke Reak¬ 
tion. Bel zwei Kindern fehlte dieselbe ebenfalls. 

H. Lorenz-Wien: Ueber Zerfall und Wiederersatz der 
Skeletmuskulatur in physiologischen und pathologischen Zu¬ 
ständen. 

Zu kurzer Besprechung nicht geeignet 

G. Holzknecht-Wien: Ueber die Behandlung der Alo¬ 
pecia areata mit Röntgenlicht, nebst Studien über das Wesen 
der Röntgenwirkung. 

Absehend von den zahlreichen klinischen und technischen 
Einzelheiten der Arbeit, geben wir nur die zusammenfassende 
Schlussfolgerung wieder. Die durch die Röntgendermatltis von der 
Haut ausgestossenen Pilzmassen zeigen keine nierkllehe Wa< lis 


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1S50 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 40. 


Ihumsheiiummg auf Nährböden. I »it* baktcricide Dosis ist enorm 
viel höher als die kurative; tlio bakterichlc Eigenschaft der Könt- 
gcnstrnhlcn kann daher uieht die Ursache der Heilung infektiöser 
i'roeesse au der Haut sein. Es macht deu Eindruck, als ob die 
entzündliche Steigerung aller ihrer vitalen Eigenschaften die Haut 
in den Stand setze, sieh von deu Eindringlingen zu befreien. 

J. P. lvarplus: Polyneuritis nach medicinalen Dosen der 
Solutio arsenicalis Fowleri. 

Das Bemerkenswert he des Falles ist, dass die 23 jährige Pa¬ 
tientin, welche früher schon ohne Schaden Arsen genommen hatte, 
nach 50 g Sol nt. Fowleri, welche in Tagesdosen bis zu 1,20 g. in 
Einzelguben bis zu U,(>25 g eiuverleibt wurden, au zunehmend 
schweren Vergiftungseiseheinungen erkrankte, welche von dem 
Arzte unbeachtet bei einer Hesammtmenge von 05 g sieh bis zu 
Paresen in deu Extremitäten, namentlich den unteren, Aufhebung 
des Putellarreflexes, Paraesihesieu und Schmerzen au Armen und 
1 leinen gesteigert halten. Allmähliche, schliesslich völlige Wieder¬ 
herstellung. 

C. Kuun - Wien: Beitrag zur Lehre von der Ambiyopia 
ex anopsia. 

Eine Anzahl genauer beobachteter Fälle dient dem Verfasser 
als Beweis dafür, dass selbst jahrelanger Nichtgebrauch eines 
Auges dessen Sehschärfe uieht vermindern, andererseits ein solches 
Auge, wenn es durch einen Zufall zu dauernder Fixirung ge¬ 
zwungen wird, nie eine bessere Sehschärfe erlangen kann, als es 
vorher besessen hat. 

W. Pauli und li. Kaufmann- Wien: Zur Symptomato¬ 
logie des stenokardischen Anfalles. 

Bei drei Fällen, deren Krankengeschichten vorliegeu, wurde 
neben anderen typischen stenokardischen Symptomen ein inter¬ 
essantes Zeichen beobachtet: Ein heftiger, krampfartiger Schmerz, 
der dem Verlauf der Carotis folgte und in die Kiefer zahnschmerz- 
ähnlich ausstrahlte. Derselbe begleitete theils die übrigen Erschei¬ 
nungen, theils trat er auch aufulisweise isolirt auf. Diese Schmer¬ 
zen konnten als rudimentäre steuokardisehe Anfälle gelten und er¬ 
wiesen sich denselben Mittelu zugänglich, wie die wahre Steno¬ 
kardie. Verfasser betrachten sic als echte Cefässschmerzen, Pareu- 
ehymschmerzen der Gefässe im Sinne Nothnage l’s. 

A. Pick- Wien: Zur Kenntniss der Herzneurosen. 

Im Laufe eines Jahres hat Verfascr in seiner militärischen 
Tliiitigkeit 41 kräftige junge Leute zu Gesicht bekommen, welche 
alle folgende Symptome auf wiesen: Eine Struma mässigeu Grades, 
gesteigerte Erregbarkeit, beschleunigte Thätigkeit des Herzens bei 
geringen Anstrengungen, Dermographismus. Mehr oder weniger 
häutig fand sich eine Herzhypertrophie, besonders des linken Ven¬ 
trikels, einseitige, meist rechtsseitige Pupilleuerweiterung, Steige¬ 
rung der Selmenreüexe, Anaesthesie der Kachenschleimhaut, 
Hyperidrosi8 in der Achselhöhle, vereinzelt andere untergeordnete 
Symptome. Exophthalmus, das G r ä f e’sche und Stell wag¬ 
sehe Zeichen fehlte stets. 

Die Beschwerden pflegten nur bei grösseren Anstrengungen 
aufzutreten, alle Erscheinungen hielten sich stabil und zeigten 
keine Verschlimmerung. Es ist schwer, die Entscheidung zu trelfeu, 
ob es sich um rudimentäre Formen der B a s e d o w’schen Krank¬ 
heit oder um das Symptomenbild des „Kropfherzens“ nach Kraus 
handelt. 

H. Schlesinger: Nephrolithiasis und Bückenmarks¬ 
erkrankungen. 

Nierensteine sind bisher bei traumatischen KUckenmarks- 
destruktiouen und Syringomyelie relativ häufig, bei Rückenmarks¬ 
tumoren viel seltener, einmal bei Eucephalomyelltis beobachtet 
worden. Die Symptome der Nephrolithiasis folgen denen der 
Spiualaffektion um Monate oder Jahre nach. Meist sind es Phos¬ 
phat-, viel seltener Uratsteine. Die Spinalaffektion scheint die 
Nlerensteinbilduug direkt oder indirekt zu begünstigen. Vielleicht 
bedarf es, besonders für Uratsteine, einer bestimmten Disposition. 

J. Schnitzler - Wien: Ueber das Beeid! viren rheuma¬ 
tischer Gelenkschwellungen im Verlaufe akuter Eiterungs- 
proceese. 

S. führt drei Fälle an, die vor langen (15, 17, 20) Jahren einen 
Gelenkrheumatismus hatten und bei denen Jetzt gelegentlich einer 
lokalen Eiterung neuerdings Gelenkschwellungen eiusetzten, und 
zwar bei zweien nur ln den auch früher erkrankt gewesenen Ge¬ 
lenken. Es steht nichts im Wege, hier von Recidiven des Gelenk¬ 
rheumatismus zu sprechen, wie ja bekanntlich öfters frische In¬ 
fektionen die Deposita längst abgelaufener Krankheiten wieder 
zur Virulenz bringen können. 

Zu der immer noch strittigen Aetiologle des Gelenkrheumatis¬ 
mus liegt hierin kein neuer Beitrag, dagegen ist es von praktischem 
Weith, dass in solchen Fällen die anamnestische Feststellung die 
beruhigende Deutung eines Rheumatismusrecidivs zulässt gegen¬ 
über der Annahme pyaemisolier Erscheinungen. 

G. Singer: Ueber Störungen der Herz thätigkeit bei Er¬ 
krankungen des Magen- und Darmtraktes. 

Bezüglich des Vorkommens von irregulärer Herzaktion bei 
Darmatonie uud habitueller Obstipation hat S. 
eine Anzahl eindeutiger Fälle beobachtet: 4 Männer und 3 Frauen, 
lauter jugendliche Personen mit durchaus gesundem Gefässsy.stein. 
Es handelte sich um periodische Irregularität oder um wahre Herz- 
iutermittens die mit den ausgeprägtesten subjektiven Beschwerden 
bestand, bis die Entleerung des Darmes erfolgte und mit der 
Wiederkehr der Darmerscheinungen sich gleichfalls wieder ein¬ 
stellte. Viermal wurde intensive Indicanurie festgestellt. Wie 
weit ln aetlologischer Beziehung Refiexvorgänge in den Nerven¬ 


bahnen oder eine luloxicaliou (Autuiutoxication) angenommen 
werden müssen, ist vorerst noch nicht zu entscheiden. 

W. Z w e i g - Wien: Beiträge zur funktionellen Diagnostik 
der Darmkrankheiten. 

Als ein wertlivolles diagnostisches Hilfsmittel bei Erkran¬ 
kungen des Magens und des Dünndarmes ist die Fleischprobe zu 
empfehlen, in der Weise uusgeführt, dass 100 g ln Würfel ge¬ 
hacktes Bccfstcakfieisch mit etwas Salz gereicht und die beiden 
nächsten Stühle mit Hilfe des Boa s’schen Stuhlsiebes untersucht 
werden. Bei Gesunden linden sich keine makroskopisch nach¬ 
weisbare grösseren Reste von Bindegewebe oder Muskelfasern. 
Eine starke Vermehrung der Bindegewebsmassen im Stuhl weist 
auf eine Störung der Magen Verdauung mit wahrscheinlicher Herab¬ 
setzung des Peptonisatiousvermügens, eine schon makroskopisch 
erkennbare Vermehrung der Muskelmassen ist das Zeichen einer 
schweren chronischen Dünndarmaffektion, gewöhnlich des 
chronischen Dünndarmkatarrhs. ln beiden Fällen muss die 
Therapie darauf Bedacht nehmen, Fleisch nur ln ganz fein ver- 
theiltem Zustand zu verabreichen. B e r g e a t- München. 

Inaugur&l- Dissertationea. 

Universität Bonn. September uud Oktober 1901. 

37. Schmitz Matthias: Ueber Oberschenkelfrakturen auf Grund 
von Röntgenaufnahmen. 

38. v. Tiling Johannes: Ueber die mit Hilfe der Marchifärbung 
nachweisbaren Veränderungen im Rückenmark von Säuglingen. 

39. Dhein Josef: Zur Behandlung der Clavlcularfrakturen: eine 
Modifikation des Sayre'scheu Heftpfiasterverbandes. 

40. Kiel hör n Otto: Ueber die Prognose der Sehnennähte. 

41. Berger Fritz: Ueber die Resultate der Gelenkresektioueu 
bei Arthritis defommns. 

Universität Breslau. Oktober 1901. 

31. La nzer Paul: Erfolgreiche Exstirpation eines grossen Haem- 
angioms der Leber. 

32. M a s u g i Atsuhiko: Experimentelle Untersuchungen über deu 
lleilungsvorgaug bei perforirenden und nicht perforirenden 
lloruhautwuuden mit besonderer Berücksichtigung der Cocain¬ 
einwirkung. 

33. M a r s c h k e Ernst: Beiträge zur pathologischen Anatomie der 
Myopie des Hydrophthalmus. 

Universität Erlangen. Oktober 1901. 

23. Glanz Gustav Adolf: Ueber medico-mechanische Nachbehand¬ 
lung Unfallverletzter. 

24. Klug e Arthur: Statistische Untersuchungen über die Häufig¬ 
keit von Fällen tödtlich verlaufender Gallensteinerkrankung 
vor uud nach Einführung der Gallensteinoperation. 

25. Model Robert: Der primäre Krebs der Gallenblase. 

20. Zahn Hermann: Ueber Protoplasmagifte. (Aus dem pharma¬ 
kologisch-poliklinischen Institut der Universität Erlangen.) 

27. Meixner Ernst: Ein Beitrag zur Kenntniss der Raupenhaar- 
Ophthalmie. 

28. S t o e s s Ludwig: Ein Fall von Cysticercus racemosus des 
Gehirns. 

29. Hart Carl: Ein Beitrag zur Struma sufTocatoria. 

30. Scharf f Pius: Beiträge zur Frage der Ernährung des Neu¬ 
geborenen in den ersten Lebenslagen. 

Universität Freiburg 1. Br. Oktober 1901. 

30. Walch Rudolf: Favus sine scutulis mit Berücksichtigung der 
Favusfrage. 

37. Macken borg Clemens: Ueber Lymphangioma cysticum 
colli cougenitum. 

38. Sei 8 s Gustav: Ein Uterus gravldus mensis VI. Anatomisch 
und physiologisch betrachtet. 

39. Manss Theodor: Ueber Darmtuberkulose im Kiudesalter. 

40. Schub mehl Friedrich: Ueber Dermoide des Muudbodens. 

Universität Glessen. Oktober 1901. 

40. B i s c h o f f Alexander: Beitrag zur Frage der Gastrostomie. 

41. Brühl Alfons: Zur Kasuistik der Ektroplumoperatlonen. 

42. Nieberle Carl: Ueber die Nierenpapillenuekrose bei Hydro- 
nephrose. 

43. U b b e 1 s Dirk Gerard: Vergleichende Untersuchungen von 
mütterlichem Blute, foetalem Blute und Fruchtwasser. Ein 
Beitrag zur Kenntniss des Stoffaustausches zwischen Mutter 
und Frucht. *) 

44. R ii ther R.: Davalnea mutabills. *) 

Universität Heidelberg. Oktober 1901. 

17. Beck Carl: Zur Sliuferleber im Kindesalter. 

Universität München. Oktober 1901. 

138. Ruppert Adolf v.: Die croupöse Pneumonie auf der I. me- 
dicinlschen Klinik und Abtheilung des Herrn Geheimraths 
v. Z 1 e m s s e n ln den Jahren 1896—1900 incl. 

139. Lang Richard: Statistik des Rheumatismus articulorum 
acutus in den Jahren 1892—1899 incl. auf der I. medlcin. 
Abtheilung des Allgemeinen Krankenhauses 1. I. in München. 

140. Müller August: 2 Fälle von Extrauterinschwangerschaft, 
kombinirt mit Myoma Uteri. 

141. Horn Theodor: Ein Beitrag zur Kenntniss der Klappenfehler 

des rechten Herzens. 


*) Ist veterinür-medicini8che Dissertation. 


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12. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1851 


142. Schindler Karl: Feber subphrenische Abscesse. (Aus der 
k. Chirurg. Klinik zu München.) 

143. Muggenthaler August: l’eber eineu Fall von Gallert¬ 
krebs der Manuna. 

144. U li 11 g Arthur: Zur Kasuistik der Mediastinaltumoren. Ein 
Fall von inetastatischem. malignem Adenom der Schilddrüse. 

145. Schnitzler Franz: I'elK*r lelK»nde Fremdkörper im Olm*. 
1415. Scliroef I August: Zur Kasuistik der Syringomyelie. 

Universität Tübingen. Septeml>er und Oktober 1901. 

33. (’ lass Hugo: 38 Fälle von I'lacenta praevia an der Tübinger 
ITniversitäts-Augenklinik in den Jahren 1895—1SMU beobachtet. 

34. Cäsar Franz: Udier Illesenzellenbildung bei Echinococcus 
multilocularis und über Kombination von Tuberkulose mit 
demselben. 

35. Knebel Adolf: Ueber Keratomalacia infantum. 

3(5. Knapp Albert: Ein pathologisch - anatomisch bemerkens- 
wertlier Fall von Carcinoma ventriculi. 

37. Lamparter Otto: I T eber Kombination maligner Ovarial¬ 
tumoren mit Magencarcinom. 

38. Mainzer Julius: Beitrag zur Kenntniss der Aetiologie der 
Keratitis pareucliymatosa. 

39. W anner Ernst: Sulwonjuuctivale Injektionen bei infektiösen 
Protressen nach Sbuiroperationell. 

Vereins- und Congressberichte. 

73. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 

in Hamburg, vom 22. bis 2S. September 1931. 

Aus der Abtheilung für Laryngologie. 

Herr Arthur Kuttner - Berlin: Larynxtuberkulose und 
Gravidität. (Autoreferat.) 

Der Einfluss, den die Gravidität auf die Larynxtuberkul >.-v 
ausübt, ist bisher nirgends und niemals eingehend gewürdigt 
worden. Es flinkn sich in der Literatur 7 Fälle, von 4 Autoren 
mitgetheilt, die als kasuistische Beläge geeignet sin 1. das Kränk¬ 
ln itsbild, das mit dem Zusammentreffen von Schwanger-;.-halt 
und Kehlkopf tuberkulöse rosultirt, zu ilUistriren; man lmt es 
aixr bisher immer verabsäumt, aus einer Zusammenfassung und 
kritischen Würdigung «l«*r versehieelenscitigcn Erfahrungen ein 
Regulativ abzuloitcn, das. wenn auch nicht für jeden einzelnen 
Fall, so dreh principiell gütige Vcrhaltungsmaassregcln an die 
Hand geben kann. Zweck dieses Vortrages ist es. eine Anregung 
zu bieten, wie diesem Uebolstande nach Thunlichkeit ahgclioltcn 
werden kann. 

Das Material, das Verfasser zusammenzutragen in der Lage 
war, umfasst 15 gut beschriebene Fälle und ausserdem noch etwa 
10—12 weitere Fälle, von denen sieh genauere Details nicht bei- 
hringen Hessen. 

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren folgende: 
Eine hereditäre Veranlagung lh-ss sieh durchaus nicht in 
allen Fällen nachtreisen. Bei 3 Fällen war die wohl immer pri¬ 
märe Lungcnerkrankuug schon vor dem Beginn der Schwanger¬ 
schaft deutlich ausgesprochen; in den 12 anderen Fällen war 
von Seiten der Lungen gar keine oder nur eine minimale Er¬ 
krankung nachweisbar. Die Kehlkopferkrankung bestand 1 mal 
schon vor der C'onccptiou, 2 mal trat sie im 6. Monat auf, 12 mal 
in der ersten Hälfte der Gravidität. Erst- und Mehrgebärende 
sind der Erkrankung in gleicher Weise nusgrsetzt. 

Ganz ausgetragen wurde mische inend kein Kind; 4 wurden 
im 9., 8 im 8., 3 im 7. Monat geboren. Alle Kinder kamen 
lebend zur Welt, bei 4 fehlt jede Nachricht über ihr weiteres 
Schicksal; von 3 konnte Verfasser in Erfahrung bringen, dass 
sie noch leben. 8 Kinder sind gestorben, zum Theil unmittelbar 
nach der Geburt, spätestens 3 Wochen alt, das sind 72—73 Proe. 

Dio 15 Frauen, über die genauere Berichte vorliegen, sind 
alle ausnahmslos gestorben, zum Theil unmittelbar nach der Ent¬ 
bindung, spätestens 2 Monat nachher, obgleich Geburt bezw. 
Wochenbett normal verliefen. 

Die nicht genau registrirten Fälle zeigten fast durchgängig 
dasselbe Krankheitsbild; eine oder die andere Frau soll mit dem 
Leben davon gekommen sein, da aber präeise Angaben über 
diesen günstigen Ausgang nickt zu erlangen waren, so ist die 
Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass diese glückliche Resultat 
nur durch eine vorschnelle Unterbrechung der Beobachtung be¬ 
dingt wurde. Es wird Sache einer späteren Forschung sein, ft“st- 
zuatellen. wie groai die Zahl Derer ist, die die Fährnisse einer 
durch Larynxtuberkulose komplizirten Schwangerschaft und 
Entbindung überstellen: 


Die sonst übliche Lokalbehandlung per vias naturales ist 
durchaus erfolglos gewesen. 

Aus den eben skizzirten Erfahrungen glaubt Verfasser fol¬ 
gende Schlussfolgerungen ablciten zu dürfen: 

Bei Frauen, deren Befinden hoffnungslos ist, soll man die 
Larynxtuberkulose nur in der üblichen Weise lokal behandeln, 
event. bei ludicatio vitalis die Tracheotomie vornehmen. 

Bei Frauen, deren Allgemeinbefinden günstig ist, darf man, 
solange die Kehlkopfkrankheit ganz geringfügig ist, sieh ab¬ 
wartend verhalten. Sobald sieh Infiltrate bilden oder die Er¬ 
krankung sieh ansehickt, diffus zu werden, soll man so schnell 
als möglich die Tracheotomie vornehmen und, wenn dies«* nicht 
in wenigen Tagen günstig wirkt, den künstlichen Abort «‘in¬ 
leiten. 

Je früher dio Schwangerschaft unterbrochen wird, desto 
günstiger liegen tli<* Chancen für die Mutter, weil die An¬ 
strengung bei <l«*r Geburt, um so geringer ist, j<> kleiner «lic 
Frucht ist. 

Es ist rathsam, bei vorgeschrittener Kelilkopfcrkrankung vor 
der Entbindung die Tracheotomie vorzunehmen «m1«*i* wenigst«*ns 
zu ihrer Aasführung sieh immer bereit zu halten, um einer plötz¬ 
lichen Erstickung während d**s Gchurtsaktcs Vorbeugen zu 
können. 

Der Verfasser bittet behufs weiterer Klärung der angeregten 
Frag«* diejenigen Herren Kollegen, die über ein einschlägiges 
Beobacht uugsniutcrinl v«*rfiigen, ilnn ihr«* Fälle zur Veröfli-ut- 
liehung gütigst überlassen zu wollen (A«lr«>sse Berlin \V., 
Liitzowplatz 6) «xl«*r selbst zu veröffentlichen. 

Aus der Abtheilung für Dermatologie und Syphilis. 

Herr A. S a c k- Heidelberg: Die Uebertragbarkeit der Spät¬ 
syphilis in der Ehe. 

Die zeit liehe Abgivnzung der eontagiösen Periode «ler 
Syphilis stellt mich nicht, absolut fest, trotz «l«*r herrschenden 
Ansi«*ht, dass erst das sichtbar«* Auftreten des indurirU*n Prinnir- 
afl’cktes der „Terminus a «pio“, und das Krlös«*hen «ler «•«»nd.vloma- 
tös«*n Erscheinungen «ler „Terminus ad «pn m“ für die r«*b**rtrag- 
barkeit «ler Syphilis p«*r coiitagionem sei. l)«*r Vortragende «*r- 
örtert «lie Frage, ob ni«*ht auch schon in der «*rst«*n lneubathms- 
periode die gelegentliche Lebertragung möglich sei, und bejaht 
«liesi* Frage auf Grund theoretischer Erwägungen sowohl, wie 
einer einschlägigen eigenen, lx*i einem Ehepaar gemachten B«*- 
ohnehtung. Praktis«*h wichtiger erscheint die Frage, ob zer¬ 
fallende gummös«* Neubildungen, dio sehr spät nach «ler Infektion 
(0 bis 20 Jahre) auftreten, noch «las Syphilisvirus — namentlich, 
w« im sie auf «len Genitalien eines jung verheiratheten Mannes 
auftreten — auf die Ehegattin zu übertragen vermögen. Der 
Vortragende ist. in der Lag«*, neben einer stattlichen Reih«* 
frennler, zumeist französischer Beobachtungen auch einen eige¬ 
nen, einwandsfreien und beweisenden Fall anzuführcu, wo 
10 Jahre nach der Infektion die Contagionsquelle in der jungt*» 
Ehe eine z«*rfallen«le gummöse Uloeratio» am Frcnulum «les 
Mannes war. die in die Kategorie der „Pseudoehancre mlux‘* 
gehörte und hei der jungen Frau an «ler eorrespomlirenden Stelle 
(Commissura posterior) eine Sklerose erzeugte, der der ganz«* 
Syniptomenktiinplex einer re«*euteu Syphilis folgte und mit Fehl¬ 
geburt im 6. Monat endete. 

Für das Eintreffen so trauriger, nicht zur Regel gehörender 
Vorkommnisse in einer jungen Ehe scheint das Zusammentreffen 
von manchen Bedingungen niaassg«*lx*nd zu sein, wie da sin«!: 

1. Einkapselung «l«*s primären aktiven Syphilisgiftes an der ur¬ 
sprünglichen Impfstelle unter Beibehaltung seiner Virulenz; 

2. das Auftreten eines Gumma an der Stätte der Initialsklerose; 

3. Zerfall des Gumma; 4. traumatische Reize (wie die jungchc- 
liehen Excesse); 5. l)is]K)sition der Frau (Virgo intacta mit engen 
Genitalien); 6. mangelhafte vorausgegangen«; Behandlung d«vt 
Mannes. Doch genügen auch einzelne von diesen Bedingungen, 
um unter Umständen die Infektion zu ermöglichen. 

Der Vortrag»*»«!«* wäre den Kollegen für die Mittheilung 
analoger Beobachtungen zu Danke verpflichtet, da er lx*absi«*htigt, 
«liesos Kapitel ausführlicher zu bearbeiten. 



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MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOOHENSCHRIET. 


No. 46. 


is; 


VII. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und 
Neurologen 

zu Jona am 20. Oktober 1001. 

(Mlgener Bericht.) 

1‘. Sitzung. Ilörsaal der Olirenklinik. 

Vorsitzender: II i t z i *r - Halle. 

Sc! i ritt füll rer: 1 lberg-Soniu-iisti in und St roh mayor-Jona. 

1. H i t z i g - Italic: Aufklärung einiger Streitpunkte in i 
der Lokalisationslehre. 

1. Nach Oberlliielieiioptrationell an der Konvexität von 
Hunden traten im Innern der Hemisphären, vor Allem auch 
im l‘‘u.-sc des Stallkranzes Blutungen und Erweicliungsherde ein. 
Es sind also die Erscheinungen nach Operationen nicht immer 
mit der Obi-rllächc-nvcrlctzung in Zusammenhang zu bringen. 
(Demonstration.) 

2. An 24 1 liieren bat Yortr. l'ntersehueidungen einer oder 

mehrerer Windungen in der Nähe des (iyrus sigmoides vorge¬ 
nommen. Hei 11 Eällen fehlten die motorischen Störungen an 
den Extremitäten; bei 8 unter den 13 positiven Eällen fanden 
sich die oben erwähnten Erweichungsherde, 2 mal waren benach¬ 
barte .Markstraldungin mit verletzt, nur 3 blieben bei Erontal- 
schnilteii durch die Opera! ionsstelle unaufgeklärt. Der nega¬ 
tive Ausfall beweise, das- ein.ler mehrere Windungen von 

ihn n Marklagern getrennt, werden können ohne Symptome au 
den kontralateralen Extremitäten. Er könne al-o vorhiutig 
H i a u c h i gegenüber daran feslhalten. dass die motorische 
/.< ne stnng umgrenzt sei. (Demonstration.) 

I> i se ii s s i o n: T s e li <• r ui a U - Halle bestätigt das aus 
cig» n« r Erfahrung und hcriclitei. dass an anthropoiden Allen nur 
di« vordere < 'ent rat Windung als motorische Region zu be- 
Zeieliln II Sei. 

II i t z i g: Nur der galvanische, nicht der faradisehe Strom 
eigliell siell zu Keizvcrsueheii. 

2. K ö s t e r - Leipzig: lieber den Ursprung des Nervus 
depiesscr. 

Mittels Durchtrennung des Depressor, der Yagu-wurzt 1, des 
Laryngi tis superior und Virfolgung der Nervendegeneration 
(Marc hi) resp. der Zollveränderuiig- (N i s s 1 - 11 e 1 d) stillte 
Yortr. fest, dass das Jugularganglion die Ursprungsstiitte «Ics 
Di pn ssor. sowie des sensiblen Vagus und Lar.vngcus superior 
ist. Der Depressor nimmt den oberen Hol des (ianglious ein. 
Der Depressor lässt sich bis zum Aortenbogen lind der Wurzel- 
gi gend der Aorta verfolgen und endet mit vielen feinsten Nerveu- 
ästeheii in der Adventitia resp. Mulia der Aorta. Wahrscheinlich 
endet er marklos in der Intima, da Eiuspritzen einer physio¬ 
logischen warmen Kochsalzlösung eine Abnahme des Nerven- i 
Stromes im Depressor hervorrief. Der Depressor Dt also nicht, j 
der sensible oder Kdle.xnerv des Herzens, sondern der Aorta. 
(Demonstration.) 

IM s cu s s I o n: T sc Iie rm a k: Nach diesen Feststellungen ! 
kommt den Ilerzganglien nicht mehr eine selbstthätige. sondern 
nur eine regulatorische Funktion zu. 

3. Vogt- Döttingen: Ueber Neurofibrillen. 

An Retinazellen bei Säuget liieren ergaben Untersuchungen ' 
mit der B e t h ersehen, der Methylenblau- und der II o 1 m g r e n- 
scIk-iiE isenliaematoxylinfiirbung dt n fibrillären Hau derGanglien- ! 
Zillen und ihrer Eortsiitze mit Durchtreten durch den Zellleib. ; 
Tm Achscneylinder liegen die Eibrillen am diehtesten. fahren im j 
Zellleib pinselförmig auseinander. Einzelne Eihrillen bleiben i 
ganz peripher und verlassen mit dem nächsten Fortsätze die Zelle. 
Daraus ergibt sich eine ungemein grosse Mannigfaltigkeit der [ 
Heizleitung. In den Zellen verlaufen die Eibrillen bald mehr i 
bündelartig, bald mehr netzartig. Ein Hof von Hrotopla-ma 
bleibt stets von Eibrillen frei. 

Ana c tomosen treten als breite Hrotoplasmabriiekeii und als I 
Verbindung f« iner Primitivlibrillen auf; das pericelluläre Nerven- | 
netz steht in Zusammenhang mit dem intracellulären. 

Die anatomische Thatsaohe der Eibrillen und ihrer Kon¬ 
tinuität steht fest. Gleichwohl bedarf es noch weiterer, beson¬ 
ders biologischer Untersuchungen, um den Begriff des Neurons 
ganz entbehrlich zu machen und die <langlii nz.elle ihrer Bedeu¬ 
tung für das nervöse Leben zu entkleiden. (Demonstration.) 

Di seu ss Ion: K m d c n - Hamburg macht darauf aufmerk¬ 
sam. wie stark erschüttert die Neuroneiilehre durch B e t li e's 
Emula mental versuch geworden sei; auch die trophische Funktion 
der Nervenzelle sei durch B e t li e in Frage gestellt. 


Vogt glaubt, die Reste von Protoplasma erklärten Ihm 
Bethe's Experimenten das Bestehen der Erregbarkeit für kurze 
Zeit. 

4. 11 b e r g - SounoiHtoin: Das Centralnervensystem eines 
Hemicephalus. 

Hei einem lVs Tage alt gewordenen lleinieephalus, der 
Pupillenstarre und Dyspnoe gezeigt hatte, fand sieh eine starke 
\ ergrösserung der Schilddrüse und Verkleinerung der Neben¬ 
niere. 

Die Pyramidenseitenstrangbahnen marklos. (} o w e r s’sebes 
Bündel markschwach, ebenso die äusserste Randzone der Hinter¬ 
st ränge. 

Jm Xaehhirn Pyramidenkreuzung kaum angedeutet. Schleife* 
klein. aber markhaltig. Pyramiden und Oliven fehlen fast voll¬ 
ständig. {). —12. Hirnnerv vorhanden, (’entralkanal nur kurz- 
Strecke vorhanden in der Gegend des 4. Ventrikels. 

Im Hintcrhirn fehlen Brücke. Brüekcnarme. Pyramiden- 
biimlil und Kleinhirn. Trapczfaseru und Raphe vorhanden. 
('orjiora restiformia, aufsteigende V-Wurzeln.VIT-Kern.Vl-Wur- 
zi'ln und gekreuzte V-Easern markhaltig. Auf der einen Seite 
i-t. der VIII nur schwach entwickelt. Schleife klein, aber er¬ 
kennbar. Hinteres Liingsbündel vorhanden. 

Statt Zwischenhirn und GrosMiirn eine marklose, durch 
Blutungen und Cysten zerklüftete Masse. Auch sonst zahl¬ 
reiche kleine und grössere Blutungen. (Demonstration.) 

IMsfitssion: Hins w a n g e r weist darauf hin. dass 
trotz des Fehlens der l*yraniideiiliahneii Krämpfe aufgctretcu 
seien. 

Ilberg: Krämpfe traten nur bei der Athnumg auf. nicht 
aber universelle. 

r». Webe r- Göttingen: Hyaline Gefässerkrankung als 
Ursache multipler miliarer Hirnblutung. 

An mittleren und kleinsten Gefiissen tritt zuweilen, viel¬ 
leicht unter Mitwirkung von Blutsubstanzen, eine hyaline Ent¬ 
artung auf (Alzheimers hyaline Sklerose). Diese hyalin - 
Substanz ist widerstandsfähig gegen Säuren und Alkalien, zeigt 
keine Amyloid- und Eibrinrcaktion und färbt sich mit Ilaema- 
toxylin violett, mit Pikroearmin gelb, nach va n G ieson leucli- 
tciid roth. Allmählieh fasert die Gefiisswand auf und es kommt 
zu Blutungen; oft obliterirt das Gefäss. 

Die hyalin degenerirten Gefässwäude nehmen BlutfarbstotT 
auf und zwar einen eisenfreien und einen eisenhaltigen. 

In der Nähe der Gofässe enthält das aufgeloekerte Hirn-, 
geweht: frisch gebildete Gliazellen. 

Der Proeess findet sich selten bei Paralyse, meist nach 
Potatorium. 

Klinisch ist der Fall Wcbi'r’s als arteriosklerotische De¬ 
menz aufzufassen. (Demonstration.) 

Itisi! ussion: Auf eine Anfrage Säug e r‘s bemerkt 
Weber, dass die Entartung nur streckenweise, dann aber ring¬ 
förmig auftrete. 

b. S i e f e r t - Italic: Ueber das Carcinom der weichen 
Häute des Centralnervensystems. 

4 Fälle von multipler Gareinomatose des (Yntralncrveii- 
systems verliefen stets in der Weise: Durchbruch zahlreicher 
sekundärer Ilirnmetastascn, Verbreitung von den Meningen und 
den pcrieeri braleii und pcrispiunlcn Räumen aus, tertiäre Zer¬ 
störung der Nervensubstauz durch die Tumoren. Einmal fand 
sieh dazu eine ziemlich schwere Meningitis. Auch das klinische 
Bild der meist makroskopisch nicht völlig sicherzustellenden Er¬ 
krankung war ein ganz charakteristisches. (Demonstration.) 

bisoussion: Sänger- Hamburg bespricht einen eigenen, 
ülmlichcu Fall. Der Nachweis, dass bestimmte Stellen organisch 
erkrankt seien, mache die Hypothese des toxischen Ursprungs, 
besonders bei lokalisirteu Störungen, iiliertiüssig. 

Sief er t: Zuweilen sei doch die Zurückführung von Stör¬ 
ungen auf Toxine nicht abzuweisen. 

2. Sitzung. Psychiatrische Klinik. . 

Vorsitzender: Ganser- Dresden. 

7. Embde n- Italic: Ueber eine Nervenkrankheit nach 
Manganvergiftung. 

Vortragender hat 4 Fälle einer chronischen Vergiftung durch 
Mangan in Folge Einathmung in Braunsteinmühlen beobachtet. 
Der Syrnptomenkomplex ist ganz eigenthümlich und trotz der 
Achnlichkeit. mit multipler Sklerose von ihr verschieden. Sehnen- 
reflexe gerathen beim Beklopfen in einen langsam schwingenden 
Klonus. Bei Bewegungen keine Ataxie und kein Zittern; wird 
die Bewegung mit einer selbst geringfügigen Anstrengung ver- 


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12. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1853 


1 »uiiden, so tritt ein dem Intentionstremor ähnliches Zittern auf ! 
(Aktionstremor). Bei Schreibversuchen wird die Schrift immer 
kleiner und unleserlicher. Retropulsion. Zwangslachen. Keine : 
psychischen Veränderungen. Die Sprache zeigt wie die Sehnen- 
reflexe und der Aktionstremor eine charakteristische Störung: 
die Silben werden endlos wiederholt. (Die Erscheinungen werd* n 
an 2 Kranken demonstrirt.) 

Die Behandlung schien nicht viel Erfolg zu versprechen, j 
Vortragender glaubt, dass die eigenartige Krankheit sehr selten 
und bei entsprechenden prophylaktischen Maassnahinen in 
Braunsteinmühlen wohl gänzlich zu verhindern sei. 

8. Möbius- Leipzig: Serumbehandlung der Basedow¬ 
schen Krankheit. 

Vortragender bespricht die Versuche, die er mit dem Serum 
von sehilddriiseidosen Thieren gemacht habe und die in 3 Fällen 
eine deutliche Besserung gebracht hätten. Vielleicht genüge 
schon das Fleisch solcher Thiere, da es ja Blut genügend ent¬ 
halte» Bei der Aussichtslosigkeit aller sonstigen therapeutischen 
Bestrebungen dürfe man kein Mittel unversucht lassen. 

Discussion: Sänger ivnrnt vor der chirurgischen Be¬ 
handlung. 

Möbius hat. wie er auf eine Anfrag.* von Matlies-Jena 
erwidert, keine Albuminurie beobachtet. 

9. Aschaffenburg - Halle: Berufsgeheimniss (§ 300 
St.fr.B.) und Psychiatrie. 

Der § 300 St.G.B. bestraft das unbefugte Offenbaren von 
Privatgeheimnissen, die der Arzt kraft seines Berufes wahr¬ 
nimmt. Die Ansichten der Juristen über den Begriff des Privat- 
geheinmisses gehen ebenso sehr auseinander, wie die über den Begriff 
des „unbefugten Offenbaren*“. Verpflichtet zur Offenbarung sind wir 
nach dem Strafgesetzbuch nur bei Vorbeugung von Verbrechen 
(§ 139); wir sind berechtigt, sowohl im Straf-, als im Civilproce-s 
unser Zeugnis* zu verweigern. Dieser hohen Auffassung des Be¬ 
rufsgeheimnisses widerspricht das Verfahren bei der Aufnahme 
von Geisteskranken, von der alle Arten Behörden in Kenntnis* 
gesetzt werden müssen. 

Vortragender bespricht dann noch die Schwierigkeiten, die 
«las Berufsgeheimniss in der Psychiatrie besonders bei Ver¬ 
la irathungen mit sich bringt, die Berechtigung zur Begutachtung 
Verstorbener, klinischer Demonstrationen und der Veröffent¬ 
lichung von Abbildungen Geisteskranker. 

Discussion: Hitzig glaubt, die Befahren seien nicht s > 
gross. Wo der Dolus einer Schädigung des Kranken fehle, werde 
wohl kaum eine Verurt hei hing erfolgen. 

Aschaffe nb u r g: Zum Dolus genüge der Wille, gegen den 
Gosetzespnragraphen zu verstossen. gloieligiltig. ob dadurch der 
Kranke geschädigt werde. 

10. S c h ä f e r - Blankenhain: Ueber das Verhalten der 
Cerebrospinalflüssigkeit bei gewissen Geisteskranken. 

Bei Dementia paralytica war fast ausnahmslos eine Druck- 
Steigerung des Liquor cerebrospinalis zu beobachten, im Durch¬ 
schnitt 182 mm; gleichzeitig war der Eiweissgehalt erhöht, durch¬ 
schnittlich 1,23 Prom. (normal 0,2—0,5 Prom.). Bei Demenz 
nach Apoplexie, Epilepsie, angeborener und sekundärer Demenz 
war der Druck ebenfalls erhöht, der Eiweissgehalt dagegen nicht. 
Vortragender führt die Fliissigkeitsvermehrung auf einen Ilvdro- 
eephnlus ex vaeuo, die Eiweisszunahme auf die entzündlichen 
Proeesse au den Meningen zurück. Ausser an Eiweiss gebunden 
wurde kein Stickstoff ausgeschieden. 

Discussion: Auf eine Anfrage Hins w a n g e r’s stellt 
Schäfer fest, dass mit ein oder zwei Ausnahmen seine Fülle 
von Paralyse alle ältere waren. 

11. Sänger- Hamburg: Ueber das intermittirende 
Hinken. 

In 3 Fällen von Claudieation intermitteilte (Charcot) 
stellte Vortragender durch Röntgenaufnahmen Verkalkung der 
Gcfässe an den unteren Extremitäten fest. Aetiologiseh glaubt 
er Feberanstrengung der Beine feststellen zu können. Eine 
ncuropathiselie Diathcse sei nicht erforderlich. Der Unterschied 
zwischen Arteriosklerose (Erkrankung der Intima) um! Arterien¬ 
verkalkung. die in der Media lokalisirt sei, ist therapeutisch 
wichtig, da die letzte Affektion jeder Behandlung spottet. Zur 
Differentialdiagnose empfiehlt er die Anwendung von Ivönlgen- 
hildern. (Demonstration.) 

Discussion: W i n d s e li e I d - Leipzig warnt auch vor 
dem Zusa men werfen der Arteriosklerose mit der Verkalkung. Bei 
Fehlen von Gefüsserkrankungen konnte er mehrfach Sehwielcn- 
blklungen an der Planta feststellen, die eine Neuralgie wachriefcn. 

R e h m - Blankenburg hat zwei Fälle bei Nervösen (Hysterie* 
gesehen. 


G ii n z - Erfurt: In einem nach Trauma entstandenen Falle 
führte die schwere Artcrienveründenmg schliesslich zum Tode. 

Sänge r: Bei Arteriosklerose bewährte sieh das Jod, bei Ver¬ 
kalkung nicht. 

13. W i n d s c h e i d - Leipzig: Ueber die durch Arterio¬ 
sklerose bedingten Nervenkrankheiten. 

Die Verkalkung, Schlängelung oder Verdickung der peri- 
ph ereil Gcfässe lässt keinen Rückschluss auf die Gefiisse des 
Gehirns zu. Arteriosklcrosis cerebri zeigt sieh bei geistig ar¬ 
beitenden Leuten in einer geistigen Sterilität. Verminderte 
Conceptiousmögliehkeit. Später treten dazu Ermüdbarkeit. 
Schwindel, Kopfschmerz und GedüchnisssehwHehe, meist auch 
Alkohol int oieranz. Der Kopfschmerz sitzt vorwiegend in der 
Stirne, dauerndes Druckgefühl. 

Bei jungen Leuten bildet, sieh nach Sehädeltrauma oft 
Arteriosklerose der Extremitiilenarterien. Der Grund liegt in 
der körperlichen Arbeit, oft auch in Kombination mit Lues und 
Alkohol. Mit solchen Störungen, die zum Tlieil durch Hyper¬ 
trophie des linken Ventrikels ausgeglichen werden, können sie 
jahrelang ungestört arbeiten, bis ein Ereigniss, das Alter oder 
das Trauma die Regulirungsvorrichlungen stört; dann treten die 
schweren Erscheinungen zu Tage. 

Diesen arteriosklerotischen Symptomen müsse man nach Un¬ 
fall mehr Aufmerksamkeit schenken. 

Discussion: Köster- Leipzig: Alte Leute können trotz 
Arteriosklerose lange Jahre gesund bleiben, bis ein körperliches 
oder seelisches Trauma die Störungen plötzlich waehmfe. Für 
.lim ge Leute gelte Ed in ge r’s Hypothese der grösseren Empfind¬ 
lichkeit vielgebrauchter Organe. 

B i ii s w a n ge r bestätigt, dass Körper- und Gehirnarterien 
sich oft ganz verschieden verhalten. Höchstens in der Hälfte aller 
Fälle stimme die Erkrankung beider überein. 

Säuger: Die pathologisch-anatomische Trennung der End- 
arterlitis und Verkalkung sei oft recht schwer, müsse aber stets 
versucht werden. 

W i n <1 s e li e i d: K ding e r’s Anschauung sei wohl nur für 
die oberen Extremitäten haltbar. 

Zum Orte der nächstjährigen Versammlung wurde Dresden 
gewählt, als Einführender G a n s e r - Dresden und Pierson- 
Lindenhof. * Asehaffcnburg. 

Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung v o m 6. N o v e m b e r 1901. 

Vor der Tagesordnung: 

Herr Litten demonstrirt Milzpräparate von mehreren 
Krankheiten zum Vergleich einerseits der Grössen Verhältnisse 
(Banti’sche Krankheit, Leukaemie, Sepsis, Typhus in absteigen¬ 
der Beihenfolgc) und andererseits der mikroskopischen Verände¬ 
rungen bei der Bant i'schen Krankheit. 

Discussion: Herren Senator, Ewald, Litten. 
Letzterer weist darauf hin. dass die von Banti beschriebene 
und von diesem und Senator als wichtig betrachtete Sklerose 
der Milzvene schon lange von Virehow bei der gewöhnlichen 
Lebereirrhose beobachtet worden ist. 

Herr Adler: Zwei junge Männer mit Elephantiasis penis 
und Lymphorrhoe. 

Tagesordnung: 

Herr M. G. Borchardt: Operation der Halsrippe. 

Vortragender bespricht zunächst die Entwicklungsgeschichte 
und Anatomie der Ilalsrippc. Dieselbe macht in der über¬ 
wiegenden Zahl keine Beschwerden. Bis zum Jahre 1898 waren 
nur 28 intra vitam diagnosticirtc bekannt; davon machte nur die 
Hälfte Beschwerden. Etwa ICH) weitere Fälle waren Sektion*- 
bef unde. 

Die eventuellen Symptome sind sehr charakteristisch: 
a) eigciilhiimlieher Befund am Halse. 1>) bestimmte (’irculation — 
Störungen, <*) cigenthümliehe nervöse Erseheinungen. 

Die Fossa supraelavieularis der kranken Seite ist abnorm 
ausgebildet. Gewöhnlich sieht man auffallend starke Pulsation 
der Subclavia und fühlt eine knöcherne Resistenz, welche durch 
Röntgenbild als Halsrippe aufgeklärt wird. 

Die t’ireulaf iousstörungi n mach» u sieh in Thrombosen- und 
Aneurysmenbildung in der Subclavia hemerklich und in Blii-sc 
und Kälte der peripheren Theilc. Besonders lästig sind die ner¬ 
vösen Störungen: Heftige neuralgische Schmerzen ui: 1 Par- 
aesthesieti (nach Bernhardt: Neuritis), die bald allmählich, 
bald plötzlich zur Entwicklung kommen und zwar zumeist nach 
< ineni Trauma. 

Die Prognose quoad vitam günstig; Todesfälle sind nicht be¬ 
kannt. 


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1854 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Behandlung zunächst mit. Wärme und Elektricität; wenn 
dies erfolglos: Entfernung der llalsrippe, womit man nicht zu 
lange warten soll. 

Bis jetzt sind nur 15 operirtc Fälle bekannt, davon 4 aus der 
R c r jr m n n n'sehen Klinik; 3 davon werden vom Vortragenden 
denmnstrirt. 

Im 1. waivu bei einer Hebamme 2 Jahre lang heftige neural¬ 
gische Schmerzen vorhanden gewesen. Operation durch Nass e. 
Nach 4 Wochen Heilung. Im 2. von Bergmann operirteu 
ebenfalls Heilung. Im 3. blieb nach der Operation eine gewisse 
Schwäche zurück, so dass kein wesentlicher Vortheil erreicht 
wurde. Im 4. von Borchardt operirteu wurde ebenfalls nur 
wenig erreicht, was jedoch in der Natur des Syinptomenkomplexes 
gelegen ist. der sich aus Folgen der Halsrippe und einer h alb- 
s e i 1 1 g e n (! 11 o s e des lt ü c k e n m a rks zusammensetzte. 
So deutet wenigstens O p p e n h e i m den Befund: 35 jährige Frau, 
bis vor einem Jahr gesund, seitdem I’araesthesien. seit >/ 4 Jahre 
Heiserkeit und lästiges Druckgefühl im Halse. Ursache der 
Heiserkeit rechtsseitige Becurrensliihmung. Oppenheim fand 
dann ausserdem noch Ilypaesthesie in der ganzen rechten Seite 
des Iiumpfes. der rechtsseitigen Extremitäten und des Gesicht«»». 
Arreflexie der r. Cornea und des Caumeusegels. 

Der Nervenarzt war gegen die Operation, doch meinte Vortr.. 
dass mit Elektrizität sicherlich nicht zu helfen sei und operirte 
desshalb mit dem erwähnten Erfolg. 

Zum Schlüsse B«*spre«*lnmg der Methode. Nass e hatte sub- 
pcriostal operirt, die übrigen 3 Fälle mit Wegnalnne des Periosts. 

Discussio n: Herr .1. I s r a e I hatte in einem Falle* operirt. 
der Erfolg war schlecht, denn zu den bisherigen neuralgischen 
Symptomen war noch eine Lähmung des Serratus hinzugekommen. 
Der Fall ist interessant, da er familiär war. 2 Schwestern hatten 
die gleiche AtTektion. Er rathe zur subperiostalen Methode, um 
die Pleura zu schonen. 

Herr Oppenheim: Er vermisste die Erklärung des Zu¬ 
sammenhangs von Halsrippe und Oliose. Beide sind eben an¬ 
geborene Anomalien; man solle darum bei Halsrippen mehr 
nach anderen Zeichen von angeborenen Fehlern fahnden. Er habe 
noch einen 2. Fall gesehen, in welchem er Oliose neben der llals¬ 
rippe annehmeu musste. In einem 3. musste er die - nervösen 
Storungen nicht auf die Halsrippe, sondern auf eine gleichzeitige 
Neurohysterie zurückführen. Er frage, wie B e r n h a r d t darüber 
denke. 

Herr Bernhardt: Er habe nicht die ihm von O. zuge- 
sprochene besonder«* Erfahrung über Halsrippen, «1a «*r nur «len 
«■inen von ihm publizirten Fall beobachtet halt«*. Im Uebrlgen si*i 
er der Meinung Oppenheim'». 

Herr Landau fragt, ob mehr Männer oder Frauen dies«* 
Aficktion aufweisen. 

Herr B <> r «• h a r «11: Unter den (! B «* r g m a u n'sclu*n Fällen 
seien 4 Frauen; bei anderen Autoren sei das Verhältniss umge¬ 
kehrt. 

I lerr L e x e r; Bauchverletzungen. 

Die Frage. wi«> man sich bei Bnuchvcrlctzungen zu verhalten 
habe, sei in der letzten Z«*it soweit geklärt, «lass man einen früh¬ 
zeitigen Eingriff für «las richtige Vorgehen halte. Die Er¬ 
fahrungen auf dem Kriegsschauplatz der letzten Jahre könnt«*n 
daran nichts ändern, da «lort ein Eingriff nicht frühzeitig genug 
und unter zu ungünstigen Verhältnissen ausgeführt wird. 

Vortragender domonstrirt mehrere Fälle. 

Im ersten: Xehussvcrletzung, 5 Verletzungen «l«*s Dünndarms. 
Laparotomie: Naht «ler Löcher und Unterbimlung m«*hrer«*r Ge- 
l'ässt*. Kugel nicht g«*funden. Heilung. 

Auch hei Verletzung mit stumpfer Oewalt ist mau «»ft zum 
Eingriff gezwungen; «lie Diagnose und Indikation ist dabei nur 
vi»*l s«*hwieriger, <la man nicht immer weiss, <»1> eine Ruptur «*in«*s 
Eingeweides entstanden ist und inwieweit «las schwer«* Bild durch 
«len Schock bewirkt wird. Auch hier möglichst frühzeitig operireu. 

19 jähriger junger Mann schlägt ln*im Turnen (Bauehwellei 
Heftig g«*g«*u die Reckstange; er gellt unter Schmerzen zu Fuss 
nach Haus«*. (legen Mitternacht musste ein Arzt geholt w«*rd«*n. 
der in richtiger Erkcnutniss die Uebert'iihrung in die Klinik sofort 
veranlasst. Dort (,'ollaps. Erbrechen galliger Mass«*n. Man nahm 
S«*ho«-kwirkung an und wartet. die Nacht ab, obwohl gering«* 
Spannung der Bnn«*h<h*ck«*n, lu*ral»g«*s«*tzte Darmbewegung und 
Erbrechen für Darm Verletzung sprachen. Am nächsten Morgen 
zunächst Besserung. Dann alnu* Bauch aufgetri«*l>en. Puls be- 
sehleunigt utnl Temperatur 3X. Daher trotz Besserung «l«*s (!«*- 
samintbelimUms Operation in der Annahme einer Perforation»- 
Peritonitis. Bestätigung. Im Abdomen trüb-s«*r<"»s«* Fliissigk«*it. 
Ser«»sä be|«*gt. im Mesokolon und Paukreaskopf Qu«*ts«-hmig und 
an «ler Maccnhimerwaml kleiner Riss. \V«*g<*n Peritonitis wurd«* 
die Bauebwunde offen gelassen und «las Abdomen tampouirt. 
Heilung mit. breiter Narbe. 

ln 2 weiteren Fällen (Hufschlag bezw. V«*rl«*tzung beim 
Turnen) wurde «*b«*nfalls operirt und g«*h«*ilt. Ohne Operation be¬ 
trägt die Mortalität immer S0--90 Pr«*«*, und nu«*h von den olum 
Operation Geheilten sind manche späterhin Gefahren unterworfen 
durch Narbenstenose, ('ysteiibildnng. Abscess. Und auch ohne 
eigeiitliehe P«*rforsition «les Darms kann Peritonitis eintret«*n, wie 
in folgendem Fall: 


No. 4G. 


10 Jähriger Sohn eines Kollegen. Stoss gegen eine Deichsel. 
0 Stunden darnach peritouitlsche Erscheinungen. Openitiou. Keim* 
Perforation, aber ge«pietschte und gangraeuesclrende Stelle um 
Darin; Tamponade. Heilung. 

In einem anderen Fall Stoss beim Turnen: 2 Wochen darauf 
grosser Kotliabscess über «ler Symphyse. Operation. Heilung. 

ln einem weiteren hatte sich «»ine grosse Mesenterialcyste ent¬ 
wickelt; solche können zuweilen im Anschlüsse an verhültuiss- 
miisslg geringfügige Traumen entstehen. 

Haus Kohu. 


Verein für innere Medicin in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung v o m 4. X o v e m b e r 1901. 

Vor «ler Tagesordnung «leiuonstrirt Herr Senator ein Blut¬ 
präparat mit Recurrenssplrlllen; Herr L. Michaelis Deckglas- 
j*riii»arate mit Degeneratiousfurmeu von Pneumococcen aus plen- 
ritischen Exsudaten. 

Tagesordnung: 

1. Herr H. Brat: Ueber die Bedeutung des Leims als 
Nährmittel und ein neues Nährpräparat „Gluton“. 

Nach einer historischen 1 'ebersicht über die Schicksal«*, 
welche «ler Leim in «ler Beurthciluug erfahren hat, glaubt Vor- 
trageiuler, dass der Leim gegenüber den modernen Nährpräpa- 
raten allzuseltr in Vergessenheit geratlic-n ist. Eine. Schwierig¬ 
keit sei, grössere Mengen Gelatine in Gelees oder 
Supp«*n zu verabfolgen. B. hat eine Form der Gelatose nach 
einem besonderen Verfahren «largestellt, „Gluton“, ein Präparat, 
w«*lches nicht, mehr gelatinirt. Dasselbe lässt sich in kalter 
Iliissiger Konti mit Fruchtsäften, (’itronensaft, Zucker oder 
Saccharin g« messen. Als Voraussetzung für die vorgenommeneu 
St off Wechsel versuche stellt Vortragender fest, dass in allen Stoff - 
weclts«*lversuehen mit modernen Nährpräparaten erhebliche Men¬ 
gen Nahrungseiweiss gegeben wurde; er weist auf eine von 
Prausnitz (Münch, med. Woehenschr. 1899) aufgestellte 
Tabelle hin. Durchschnittlich betrage die Zahl «les ersetzten 
natürlichen Nahrungseiweisses nur 50 Proc.. In der Praxis 
kämen bei 100—150 g Nahrungsei weiss 40—50 g Nährpräparat 
in Betracht. 

Vortragender geht nun zur Besprechung einiger Stoffweoliscl- 
versuelte über, aus welchen Folgendes resultirte. 

Die Aetherschwof eisäuren und Fettsäur «• n 
werden durch Gluton nicht vermehrt; demnach werde durch 
Gluton keine Dartnfäulniss bewirkt. Im Stick- 
stoffh aushalt leiste das Gluton bei gleichzeitiger 
Verabreichung von Nalirungseiweiss dasselbe wie di«: 
E i w eiss nähr präparate; besonders trete die Wirkung 
des Glutens in den Fällen hervor, in welchen ausser einem Theil 
des Nabrungseiweisses noch ein Theil der Kohlehydrate 
durch ihr calorimetrisches Ae«iuivalent an Gluton ersetzt, werde, 
liier s«»i der erzielte Stickstoff Umsatz ganz bedeutend. Aas 
einem Versuche ergebe sich ein Resultat von allgemeiner B«*- 
d«*utung. Nach V o i t sei «lie Grösse des täglich verlustig 
gehenden Organeiweisses auf 16 g zu veranschlagen, eine Grösse, 
welche durch Vergleiehsversuche mit Leim gefunden sei. Vor¬ 
tragender folgert aus dem Umstande, dass nach den Zahlen eines 
Versuches, in welchem allerdings in der Reconvalescenz nach 
einer Krankheit innerhalb 4 Tagen gar kein Organeiweiss ein- 
gebüsst wurde, dass diese Zahl jedenfalls beträchtlich niedriger 
sein kann. Es wäre diese Thatsache ein Gegenstück zu der 
Herabsetzung des von Voit zuerst aufgestellten Eiweissmini¬ 
mums. Schliesslich weist B. auf die Ausnützungszahlen hin, 
welche grösser sind, als bei allen Eiweissnährpräparaten, da das 
Gluton ebenfalls wie die Gelatine im Organismus völlig ver¬ 
brannt wird. 

Vortragender stellt dann eine Reihe von Krankheiten 
auf, in welchen das Gluton besonders indicirt ist. Vor allen 
Dingen kämen in Betracht Krankheitszustände, in welchen die 
Zufuhr von Kohlehydraten mit oder ohne Einschränkung «ler 
Eiweisszufuhr contraindieirt ist: die Fettsucht uud «ler 
1) i a b «* t «* s. ln seinen Versuchen sei auch die Harnsäure- 
m o n ge im Vergleich zu anderen Nährpräparaten, von denen die 
Somatose besonders schlecht, ausgenutzt sei, 
herabgesetzt gewesen. Ferner weist B. auf die Möglichkeit der 
Anwendung bei Blutungen hin. Schliesslich erwähnt Vor¬ 
tragender die Arbeit Senator’» aus dem Jahre 1873, in welcher 
derselbe die Gelatine besonders im Fieber empfiehlt. Auch das 
Gluton werde sieli im Fieber in besonders grossen Dosen und in 


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MUENCIIENER MED1CINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


385 


12. November 1901. 

angenehmster Form, z. H. kalten Limonaden, verabreichen 
lassen. Volkswirtschaftliche Hoffnungen, wie man dieselben 
an Nährpräparate geknüpft hat, hegt Verfasser bezüglich des 
Gluton nicht; al>er die Hoffnung, dass das Gluton ein sehr 1 
brauchbares „Diätetieum“ sein wird, spricht Vortragender zu¬ 
versichtlich aus. 

An der Discusslon lietheiiigten sich die Herren Scna 
t o r, Iv 1 e m perer, B 1 u m eutli a 1, K w a 1 d, Kürbrluge r. 

A 11) u. 

Herr Senator betonte, dass der Leim in der Ernähruiigs- 
therapie viel zu wenig berücksichtigt werde; er habe den Leiin 
schon seit 30 Jahren fiir Diabetiker empfohlen und verwende ihn 
Immer gelegentlich in Form von Gelatine, Jus u. dergl. Sonst 
ging aus den geschehenen Bemerkungen hervor, dass sieh das Prä¬ 
parat in kalter Form, nach Zusatz von Frucht- oder (’itronen- 
saft etc. \Limonadenform) für die Krankendiät eignet. Dagegen 
wurde die Verabreichung in warmer Form, z. B. in Suppen, von 
den meisten Rednern verworfen, da sich dann ein u n a n g e 
n eh liier Lelmgeruch bemerklich machte. Das Präparat 
wird von der Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation in den 
Handel gebracht. 

2. Herr Litten; Ueber zwei neue Arzneimittel. 

Das eine ist ein neues Theobrominpräparat, eine Mischung 
von Theobromiimatrium mit essigsaurem Natron, Agurin ge¬ 
nannt; es wirkt in der gleich guten Weise, wie es vom Theobrom, 
natriosalicylicum, dein Diuretin, bekannt ist. Das andere ist 
das von Over lach neuerdings empfohlene Salochinin und 
das diesem nahestehende Rheumatin (Verbindungen der Snlieyl- 
säure und des (’hinins); liier ist L i 11 e n nicht in der Lage, den 
Lobspriichen O verlach’» beizutreten; im Gegentheil seien 
Wirkung und Nebenwirkung durchaus schlechte. 

Hans K o h n. 


Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 31. Oktober 1901. 

1. Herr Strauss: Vorstellung eines Palles von Banti¬ 
scher Krankheit. Der 35 jährige Manu war bereits 1S0<» in kli¬ 
nischer Beobachtung, damals mit der Diagnose: Auaemin splenica. 
In dem derzeitigen Stadium der Erkrankung ist die Diagnose nicht 
schwierig. Es findet sieh ein die ganze linke Bauehhälfte aus¬ 
fallender M 11 z t u m o v bei normalem Blutbefund und dem Fehlen 
nachweisbarer Leberveränderuugen oder sonstiger Organerkrank- 
uugen. 

2. Herr Gerhardt: Kranken Vorstellungen: 

a) Eines 40 jährigen Mannes mit Lues spinalis. Spastische 
Lähmung der unteren Extremitäten mit Herabsetzung des Ge¬ 
fühles für Berührung und Schmerz daselbst. Anaestliesie am 
Damm, Blasen- und Mastdarmstörung. Besserung nach Einleiten 
der Schmierkur. 

b) Einer 50 jährigen Frau mit Tabes dorsalis, Amaurose und 
Augenmuskellähmungen. Boinerkenswerth ist der langsame Ver¬ 
lauf der Krankheit wie meist bei den Fällen mit Sehnerven¬ 
atrophie und stärkeres Schwanken des Oberkörpers, wenn die Im 
Bett sitzende blinde Patientin die Augen scliliesst. 

e) Eines 17 jährigen jungen Mannes mit angeborenem Herz¬ 
fehler. Kleinheit des Pulses, starkes systolisches Geräusch und 
fühlbares, transversal verlaufendes Schwirren, am lauteten im 

2. linken Zwischenrippenraum, rechtfertigen die Annahme eines 
Defektes lm Septum ventrlculorum mit fehler¬ 
haftem Abgang und Engigkeit des Aorten- 
Ursprungs. 

d) Einer 52 jährigen Frau mit Cholelithiasis. Plötzlicher 
Ikterus mit Frost, Fieber und Abgang eines grossen Steines mit 
dem Stuhlgang. Bemerkenswertli war die Lokalisation der 
krampfartigen Schmerzen in der linken Bauch¬ 
seite, die auf einen Zusammenhang mit der linksseitigen 
Wanderniere bei der Frau hinführten. Vortr. berichtet Uber 
einen anderen, früher von ihm beobachteten Fall von linksseitigen 
Schmerzen hei Gallenstelukolik ln Folge von Schwellung einer 
linksseitigen Wanderniere. Während des Kolikanfalls war ferner 
bei der vorgestellten Kranken eine zosterähnliche haemorrhagische 
Bläscheneruption an Rumpf und linkem Arm aufgetreten. 

3. Herr Dorendorf: Demonstration von Blutplättchen¬ 
präparaten, die nach der Methode von Deetjen angefertigt 
sind. Die in Gemeinschaft mit Herrn Hamei angefertigten 
Präparate beweisen nach Ansicht des Vortragenden vollständig 
die Ansicht von Deetjen, dass die Blutplättchen selbständige 
zellige Gebilde sind mit einem Protoplasmaleih, der nmoebolder 
Bewegung fähig ist und einem Kern mit deutlich differenzirtein 
Gerüst. Auf dem D e e t j e n'sohen Nährboden lassen sich die 
Bewegungen der Blutplättchen hei erwärmtem Objekttisch demon- 
striren und mit Osmiumsäure fixiren. 

Discusslon: Herr Becker bezweifelt, dass die Blut¬ 
plättchen selbständige Zellen sind. 

4. Herr Hoffman n: Vorstellung zweier männlicher 
Kranker mit einem syphilitischen Primäraffekt an der Unter¬ 
lippe und starken Lymphdrüsenschwellungen am Unterkiefer. 

K. Brandenburg - Berlin. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung v o ni 29. O k l o b c r 1901. 

Vorsitzender: Herr lv ii m in e 1 1. 

I. Demonstrationen: 

1. Herr K o e n i g - Altona dcumnstrirt eine 70 jährige Frau, 
die mit den Zeichen einer Perforationsperitonitis in's Krankenhaus 
kam. Bei der Laparotomie fand man ein haeinoiTlmgiselies Ex¬ 
sudat. das die Tupfer gallig färbte. Die hieraus gestellte Diagnose 
auf Gallenblasenperforation fand sieh bestätigt. Die Gallenblase, 
an der I'iiiertläche des Kolon transversum verwachsen, war in die 
Länge gezogen und hot au der Kuppe eine fingerdicke Durchbrileh- 
stelle. aus der ein grosser Gallenstein hervorragte. l>a die intra- 
hepatischen Gallemvegc sich als frei erwiesen, wurde die Gallen¬ 
blase exstirpirt. ein Verfahren, dessen Empfehlung der Vortr. 
nach den bisher vorliegenden Erfahrungen mm 7 Fällen wurden 
5 geheilt) sieh anselilicsst. 

2. Herr C. Lauenstein denioustrirt 2 Arbeiter mit. den 
Folgen eines Unfalls. Einem 34 jährigen Arbeiter fiel Dezember 
INO!) ein 200 Pfd. schwerer Sack auf «len Kopf. Bei ihm entwickelt«* 
sich ganz langsam eine Steifigkeit der Wirbelsäule. Das Sym- 
ptoiueiihild entspricht weder genau dem B e e li t e r e w'sehon 
Krankheitshildc, noch der M a r i e - S t r ü m p e 11‘schen Form. 
Kadiographisch liessen sieh in den Ligamenta, interspinosa. im 
IVriost und im übrigen Bandapparat der Wirbelsäule Knochen- 
lietihildmigeu und Synostosen erkennen. Dabei ist di«* Form der 
Wirbelsäule durchaus normal. 

Im zweiten Falle handelt es sich tun eine Verlagerung der 
Nägel volarwärts nach Amputation der Endphalanx. Die Be¬ 
schwerden. die die klaiieiiartig wuchernden Nägel heim Gebrauche 
der Hand machen, mahnen zu einem weniger konservativen Vor¬ 
gehen in ähnlichen Fällen, da die Kranken später durch diesen Zu¬ 
stand belästigt werden und nicht leicht in eine sekundäre Ampu¬ 
tation der vorderen Fingerglieder einwilligeu. 

3. Herr Wiesinger stellt einen Fall von Magenperforation 
mit allgemeiner jauchiger Peritonitis vor. welcher 4 Tage nach 
nach der Perforation operirt und trotz mehrfacher gefährlicher 
Komplikationen der Wundlieilung vollständig geheilt ist. Die 
l’erforntionsstelle lag an der kleinen Curvatur. die Umgehung war 
in tlialergrosser Ausdehnung brüchig und hart durch ein Ulcus 
ventrienli. so dass die gesunden Magenwiiude von weiter her über 
der Perforationsstelle zusammeiigeuäht werden mussten. Zunächst 
trat einige Tage nach der Operation eine C o 1 i p h I e g tu o n e der 
Bauchwunde ein, welche die Entfernung der Nähte uötliig machte, 
wodurch die Därme in de? Bauehwunde in der Ausdehnung von 
25:15 cm freilagen. 14 Tage später beim Pressen entstand aus¬ 
gedehnter I’rolaps der Därme, die in Narkose reponirt 
wurden. 3 Tage später Ileus, bedingt durch grossen intra- 
nhdoniinellen Absoess. Nach dessen Entleerung verschwinden 
diese Erscheinungen. Endlich subphrenischer Ahscess 
reellterseits mit 1 Liter stinkendem Eiteriulialt, durch Resektion 
der 9. Rippe entleert, nachdem vorher ein Tlieil des stinkenden 
Inhalts durch Perforation eines Bronchus ausgehustet. Von da 
an ungestörte Rekouvalescenz bis zur Heilung. Gewichtszunahme 
24 Kilo. 

2. Fall. 40 jährige Frau. Nach Haematemesis Perforations¬ 
erscheinungen von Seiten des Magens mit nachfolgender all¬ 
gemeiner Peritonitis. Operation verweigert. Peritonitis dauert 
die folgenden 0 Wochen fort. Aeusserst elender Zustand. Zum 
Skelet nbgemngert. Ballonnrtige Auftreibung des Leibes. Puls 120 
bis 130. Temperatur 3S—39“. Tympanie über deu ganzen Leih. 
Leberdiimpfung verschwunden. Scharfer Leberrnnd rechts unten 
in der Gegend der Spina illaca deutlich zu fühlen. Eröffnung 
eines enormen gas- und jaucliehaltigeu Ahscesses mit 4 Litern 
Inhalt durch Schnitt vom Epigastrium bis zur Symphyse. Tam¬ 
ponade der Höhle. Drainage durch die unteren Rippen rechts. 
Heilung per granulationem. Völlige Wiederherstellung. 

4. Herr Lehr denioustrirt einen Tumor des Nasenrachen¬ 
raums bei einer 17 jährigen Patientin. 

5. Herr Trömner bespricht die Differentialdiaguosc 
zwischen Neuritis nodosa und Neurom, die hei solitärem Auf¬ 
treten ungemein schwierig sein kann. Bel dem vorgestellten 
Knnlien fand sich Im Verlaufe des Nervus peroneus superficialis 
eine dnttelkerngrosse Ansehwellung. Das Vorhandensein von 
Paresen In der Peronealmuskulntur, Entartungsreaktion und der 
Erfolg einer galvanischen Behandlung sprachen für Neuritis. 

0. Herr Bertelsmann zeigt eine von ihm angegebene 
Alkohol- und Aetherflasche mit Tretvorrichtung zum Gebrauch 
im Operntionszinnner. Die Unzweekmiissigkeit der Aufbewahrung 
und Verwendung von Alkohol und Aether in offenen Schalen ist 
evident. Die Flaschen haben ausser einem nur durch einen Tritt 
zu öffnenden Abzugshnhn auch noch eine Oeffnung. durch welche 
soviel Volumen Luft Zuströmen kann, als Flüssigkeit entweicht. 
Die Luftzuleitungsöffnung ist mit einem Rohr und einem Hahn 
versehen. Der Luflhnhn wird durch den gleichen Tritt zur gleichen 
Zeit geöffnet, wie der Alkohol- oder Aetherhahn. Durch eine Feder 
werden hehle Hähne wieder zugezogen. Es wird hierdurch jede 
Verdunstung vermieden, da die Luft innerhalb der Flasche Immer 
stark mit Aether- oder Alkoholdunst erfüllt sein wird. Der Appa¬ 
rat vereinigt also die Vorzüge einer geschlossenen Flasche und 
einer offenen Schale. Angefertigt von Leonhard Schmidt- 
Harahurg. Preis 120 M. 


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IS 56 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


7. Herr Keye den-.onstrirt mehrere Herzen mit Arterio¬ 
sklerose (1er auf steifenden Aorta und hochgradiger Verengerung 
des Coronararterienlumens. ln beiden Krankengeschichten ligu- 
riren Anfälle von Herzklopfen. Athemuoth und Schmerzen. Plütz- 
liclier Exitus, nachdem noch bis vor Kurzem normale Arbeit ge¬ 
leistet war. 

II. V o r t. r a g des Herrn Nonne: Ueber diffuse Sarkoma- 
tose der weichen Häute des Centralnervensystems (mit Skiopti- 

knu Vorführungen). 

N. berichtet über einen der seltenen Fälle, der folgenden Ver¬ 
lauf nahm: 

Ein 16 jähriges Mädchen erkrankt mit anfallsweisen Kopf¬ 
schmerzen. Seil- und (»elistörungen. Iler Wechsel der Symptome, 
von denen bald das eine, bald das andere vorherrschte, sowie die 
Beobachtung von gelegentlichen Jlemikomulsionen hatte vorher 
die Diagnose „Hysterie“ bedingt. Nach 4 Monaten fanden sich 
wechselnde Astasie und Abasie, Fehlen der Patellarreflexe, sub- 
soinuolentes Benehmen, weite, reaktionslose Pupillen, hochgradige 
Blässe der Optici (Anaemie oder Atrophie?). Auch jetzt waren die 
Symptome noch in ihrer Intensität sehr wechselnd, besonders die 
Weite und Reaktion der Pupillen und die Lähmungserscheinungen 
in den exterioren Augenmuskeln. Konstant war nur das Fehlen 
der Patella rreflexe. Nach weiteren 4 Wochen nahm die Benommen¬ 
heit zu. es kamen zu den jetzt konstant bleibenden Augenmuskel- 
lühmungen Vagnssyinptoine hinzu; dann traten meuingitische Er¬ 
scheinungen und Delirien auf und nach 7 Monate langem Ivrank- 
heitsverlauf trat der Exitus unter Bulbärerscheinungeu ein. . 

Die Diagnose war auf eine maligne Neubildung in der 
(legend der Vierbügel mit Metastase im Rückenmark gestellt, 
unter Ausschluss von Syphilis cerebrospinalis und disseininirter 
Tuberkulose. Ilei der Sektion fand sich, abgesehen von ein¬ 
zelnen zarten Piatrübungen am Plexus chorioideus und am 
('hiasma makroskopisch nichts Abnormes. 

Aufschluss ergab erst die mikroskopische Unter¬ 
suchung, die zur Feststellung einer diffusen Sarkomatose führte. 
Und zwar erwiesen sich die Neubildungen als dem Gefässverlauf 
folgend und in Begleitung der Piamaschen in das Nervengewebe 
hineingewuchert. Die Pia ist an einzelnen Stellen zu mächtigen 
Balken verdickt, die sich fingerförmig zwischen die Gehirnfurchen 
und in’s Rückenmark vorstrecken. Die Nervenplexus an den hin¬ 
teren Wurzeln sind von der Neubildung umklammert. Am Opti¬ 
cus, Oeulomotorius und Abducens folgt die Neubildung den Inter¬ 
stitiell, während die Fasern selbst intakt sind. Histogenetisch 
betrachtet handelt es sich um ein Peritheliom. 

Hervorzuheben sind 2 Punkte: Erstens die Zartheit der Pia- 
infiltration, die makroskopisch den Fall als „negativ“ ansehen 
li<ss, zweitens das Uebergreifen der Neubildung von den weichen 
Häuten des Rückenmarks auf die Rückenmarkssubstanz selbst, 
während das Parenchym des Gehirns frei geblieben war. 

Die klinischen Symptome, vor Allem das Fluktuiren der 
Symptome ist durch die Bedeutung, die die Gefässe in diesem 
Falle bezüglich der Tumorentstehung haben, genügend erklärt. 
Uebrigens war die klinische Symptomatologie der 3 ähnlichen in 
der Literatur vorhandenen Beobachtungen eine ähnliche. 

W erner. 


Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 30. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr Cursclimann. 

Schriftführer: Herr W i n d s c h e i d. 

Herr Harchand ilemonstrirt: 

1. Präparate von dem Fall von Hautcarcinom, der von 
Herrn Riehl in der Sitzung vom 18. Juni d. J. vorgestellt 
worden war. 

2. Eine aussergewülmlich grosse Hydronephrose unter Dar¬ 
stellung des pathologisch-anatomischen Bildes dieser Krankheit. 

Herr W. Müller demoustrirt mikroskopische Präparate 
vom Zahnfleisch und Muskel eines chronisch verlaufenen Skorbut¬ 
falles. 

Bei drei Skorbutfällen wurde der Urin bakteriologisch unter¬ 
sucht. Er wurde dazu unter den üblichen Vorsichtsmaassregeln 
mit dem Katheter entnommen und mehrere Kubikcentimeter zur 
Vorkultur in Bouillonrührehen gebracht. Nach 24 Stunden bei 
37 0 war noch kein Wachsthum sichtbar. Erst nach 48 Stunden 
trat eine sehr leichte Trübung der Bouillon ein mit Ausbildung 
eines geringen Bodensatzes, entsprechend dem Wachsthum einiger 
Streptocoeeenstämme. 

Der in 2 Fällen gewachsene Organismus war ein sehr kleines, 
meist zu 2 angeordnetes Stäbeheu von der Grösse des Iufluenza- 
baclllus. Er wächst auf Bouillon unter Ausbildung kleiner Schüpp¬ 
chen, vereinzelte Exemplare weisen eine sehr geringfügige „rnole- 
culare“ Bewegung auf. Erst nach 2 Tagen bei 37° erfolgt leichte 
Trübung und Ausbildung von Bodensatz. Auf Hammelblutserum 


wächst er gut und lässt sich hier von mitgewachsenen Strepto 
cocccn durch seine runde, bräunliche Koloniebildung unterscheidet). 
Von Bouillon auf Olyeerinagar übertragen, ging er nie an. 
auf Gelatine bei 22° in sehr spärlichem, nur mit der Lupe 
erkennbarem Wachsthum. Bei der Uebertraguug grösserer Mengen 
von der Serumkultur auf die Glycerinagaroberfläche wachsen nur 
sehr dürftige kleine Kolonien aus, Gelatinestich entwickelt sich, 
ebenfalls spärlich, aber weit besser als bei Uebertragung von 
Bouillonkultur auf Gelatine. Bel Uebertragung von Serum auf 
Traubenzuckeragar entstehen kleine Kolonien, ln einem Bezirk 
bis 2 cm unterhalb der Oberfläche, ohne Gasbildung. Petruschky- 
sebe Lnckmusmolke erfährt keine Farbenäuderung, der Organismus 
wächst unter Ausbildung eines massigen Bodensatzes. Milch er¬ 
fährt keine Veränderung, doch findet ln der Milch Waehstbui;> 
statt. Subkutane Uebertragung einer 5 tägigen Bouillonkultur auf 
Kaninchen blieb ln der Menge von y 2 und 1 ccm ohne sichtbar 
krankmachende Wirkung. 

Ein Organismus mit solchen Eigenschaften Ist als Saprophyt 
der Harnwege nicht bekannt. In manchen Eigentümlichkeiten 
stimmt er mit (lern von Babes 1893 aus dem Zahnfleisch gezüch¬ 
teten Bacillus überein. Ob ihm für den Skorbut eine aetiologiselu- 
Bedeutung zukommt, ist vorläufig gar nicht zu sagen. 

In einem Falle von „Cholera nostras“ züchtete der Vortr. 
durch Aufstrich auf Glyeerinagarplatten zwei Collstämme. Diese 
entsprechen 2 auf der Agarplatte gewachsenen, deutlich verschied , n 
gefärbten runden Kolonien. Die hellere war weit beweglicher und 
unterschied sich von den Bakterien der dunkleren Kolonie durch 
weniger energische Säurebildung auf Petruschky’scher Lackmus- 
mölke und geringere Gasbildung ln Traubenzuekemgar-Schüttei 
kultur. Der Träger der Bakterien agglutinirte beide Stämme 1:00 
in 20 Minuten. Ein zweiter Fall agglutinirte von beiden Stämmen 
nur die der dunkleren Kolonie entsprechenden Bakterien l:3o. 
während die lebhaft bewegliche Kultur nicht agglutinirt wurde. 
Dasselbe Hess sich für einen Fall von Perittyphlitis nachweisen. — 
Die Kolonie von Bact. coli auf der Agaroberfläche ist an sich un- 
charakteristisch. Nach diesen Resultaten scheinen der verschie¬ 
denen Färbung der Coli-Kolonien bei durchfallendem Licht auf 
der Agnrplntte andere Differenzen parallel zu gehen, welche die 
Agaroberfliichenkultur als Difforenzirungsmittel verschiedener Coli- 
stiimme wirkungsvoll erscheinen lässt. 

Herr Petz old: Zur Aetiologie des Skorbut. 

Im Mai dieses Jahres kam im Krankenhaus St. Jakob eine 
auffällig hohe Zahl von Skorbutfällen zur Behandlung. Eine 
genaue, Prüfung der Anamnesen der Erkrankten hat bezüglich 
der Aetiologie des Skorbut mehrere nicht uninteressante Beobach¬ 
tungen ergeben. 

Es ist bekannt, dass man früher als Ursache des Skorbut 
in der Hauptsache eine mangelhafte Ernährung anschuldigte. So 
sprach man von einer einseitigen Fleischnahrung, von einem 
Mangel an Pflanzensäuren, von Mangel an Fett, von Mangel an 
Kalisalzen (G a r r o d’s Theorie) und von einer zu reichlichen 
Kochsalzzufuhr. 

Dass die Verhältnisse nicht so einfach liegen, geht schon 
daraus hervor, dass es bisher noch nicht gelungen ist, durch 
mangelhafte Fütterung bei Thieren eine haemorrhagische Dia- 
these zu erzeugen. 

Auch die im Mai hier beobachteten Fälle von Skorbut sind 
zum Tlieil geeignet, diese Theorie der einseitigen mangelhaften 
Ernährung als Hauptursache des Skorbut von der Hand zu 
weisen. 

Es handelt sieh im Ganzen um S Fälle, sämmtlich männ¬ 
lichen Geschlechts, in mittleren Jahren, aus ganz verschiedenen 
Berufsklassen. Die Erkrankungen sind alle sporadisch auf¬ 
getreten und alle sind zum ersten Mal erkrankt. Der Zustand 
des Gebisses zeigte bei 6 der Erkrankten sehr defekte Zähne, 2 der 
Erkrankten waren Rheumatiker. 

Dass mehrere der Patienten sehr wohl in der Lage waren, 
sieh genügend zu ernähren, zeigt ihr durchschnittlich berechneter 
Tagesverdienst von 3.50 M., 3 M„ 2.80 M., und 2.50 M. etc. 

Betreffs der Wohnung ist bemerkenswerth, dass 6 der Er¬ 
krankten in neuen Häusern wohnten, 2 davon bezeichneten ihre 
Wohnungen direkt als feucht. Im Erdgeschoss wohnten 
4 Patienten, im 1. Stockwerk 3 und im 3. Stockwerk 1. Die 
Lage der Wohnung nach der Besonnung ergab bei 5 Erkrankten 
eine nach Norden gelegene Front, bei 2 eine nach Osten und bei 
1 eine nach Süden. 

Was endlich die Ernährung betrifft, so ist nur bemerkens- 
werth, dass 7 der Erkrankten angaben, fast nur kalt gegessen zu 
haben; frisches Gemüse fehlte mehr oder weniger bei fast Allen. 
Ein stärkerer Abusus von Alkohol oder Tabak ist bei Keinem mit 
Sicherheit zu konstatiren gewesen. 

Ich glaube hiernach behaupten zu können, dass bei vielen 
der Erkrankten eine impassende Ernährung als Ursache ihres 
Skorbuts nicht in Frage kommt. 


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12. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1857 


Denn es ist nicht anzunehmen, dass Leute mit derartig hohem 
Tag«*sverdienst, wie ihn einige, der Kranken aufweisen, ohne 
Weiteres unter ungünstigen Krn;ihrungsl>«*<liiigungo.ii gestunden 
haben. 

Für dies«; Leute muss <*l>eu in anderen Schädlichkeiten, sei 
es nun infektiöser oder miasmatischer Art. eine Ursache zur Er¬ 
werbung der haemorrhagisehen Dia diese gesucht werden. 

Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine 
mangelhafte oder einseitige Nahrung Schädigungen des Darmes 
erzeugen kann, so dass dann Gifte in den Körper einzudringen 
Gelegenheit finden, vor denen ein gesunder Organismus sich zu 
schützen vermag.. 

Herr Curichmann demonstrlrt: 

1. drei Fälle von sogenannter atypischer Tabes; 

2. einen Fall von Hemiatrophie der rechten Körperhälfte 
und zeigt im Anschluss daran Abgüsse eines Falles von Arthro- 
megalie; 

3. einen Fall von R a y n a u d’scher Krankheit; 

4. einen Fall einer eigentümlichen Beschäftigungsneurose 
1 h* 1 einem Schlosser. 

Herr Vi ereck demonstrlrt: 

a) zwei gö-lTfflbg Eiille vo n_Larynxtube rkulose: im ersten Falle 
ist ein Geschwür der Hinterwaml kmettTlT~fin<l mit konzoutrirtor 
Milchsäure behandelt worden: im zweiten Falle, wo ein tuber¬ 
kulöses Infiltrat des linken Taselienbnndes vorlag. das Taschen¬ 
band mit der Doppelkurette exstlrplrt und der Grund der Wuml- 
fliiehe wiederholt knuterisirt worden: 

b) einen operativ geheilten Fall von otitischem Schlnfen- 
lappenabscess, der nicht, wie gewöhnlich, von einer Erkrankung 
des Tegmen, sondern einer vereiterten Knoehenzelle in «1er Wurzel 
des Jochfortsatz«'8 an der Umbiegungsstelle der Schläfenbein- 
s«-huppe in die obere Felseubelnflilche ausgegangen war: 

c) drei geheilte Fälle von otitischer Sinusthrombose, welche 
mit Ausräumung des thrombosirten Sinus und Unterbindung «1er 
Jugularis behandelt worden sind. Von 16 in den letzten 2>/ a Jahren 
in dieser Weise behandelten Fällen der Universitilts-Ohrenklinik 
slnd 10 gehellt. In 8 von diesen Fällen erfolgte die Heilung nach 
der Operation ohne jede Tomperatursteigerung. in den beiden 
anderen Fällen bestand kurze Zeit noch Fieber fort, von nicht 
pyaemisclien Charakter, bedingt durch schon von der Operation 
ausgesäte Metastasen. Unter den 6 letal verlaufenen Fällen be¬ 
stand 4 mal schon vor der Operation ausgedehnte Metastasen¬ 
bildung. einmal hatte sich die Thrombophlebitis auf den Plexus 
vertebralis durch das Foramen cond.vloideum post, fortgesetzt: 

d) mit dem Epidiaskop an einer Reihe von Radiogrammen, 
mit dem Itöntgenapparat der chirurgischen Universitätsklinik von 
Herrn Dr. Mertens aufgenommen, die Möglichkeit, die richtige 
Lage von in die Keilbein- und Stirnhöhle eingeführten Sonden im 
Röntgenbilde zu kontrolireu. In einem Falle war die Lage der 
Sonde in einer frontalen Siebbeinzelle erkennbar: zwei Aufuahnum. 
welche vor und nach Ablassung eines Empyems der Stirnhöhle an¬ 
gefertigt sind, zeigen einen deutlichen Unterschied in der Schärfe 
der Contouren der Stirnhöhle 


Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik. 

(Offlcielle8 Protokoll.) 

Sitzung vom 10. Oktober 1901. 

Vortrag des Herrn Geheim. Medlcinalrath Professor Dr. 
P. M e r k e 1 - Güttingen (Ehrenmitglied der Gesellschaft): Ueber 
anatomische Verhältnisse des Mastdarmes. 

Die übliche Beschreibung des Itectums, welche auf Sans o n 
(1817) zurückgeht, unterscheidet drei Theile: der oberste Tlieii 
beginnt an der Syuchondrosis sacrolliaca und besitzt ein Meso- 
rectum, der zweite geht bis zur Spitze des Steissbeines. der dritte 
von da bis zum After. Wie Treves, Jonnesco, Wa 1 d e y e r 
sehr richtig sagen, gehört der erste Theil noch zum Colon sig- 
moideum, der zweite (Ampulla) ist eine Kothblas«* mit allen Attri¬ 
buten eines Blasenbehälters, der dritte (Pars analis» ist Aus¬ 
führungsgang (S y m I n g t o n), welcher, abgesehen vom Stuhlgang, 
stets leer ist. 

Houston beschrieb zuerst in das Innere des Itectums vor- 
sprlngeudc Falten. Neinton einen Sphincter tertius o«l«*r 
superior. Falten und Sphincter wurden in der Folge in verwir¬ 
render Weise zusammengeworfen. Der Vortragend«* scliliesst sich 
«lenjenigen Untersuchern an, welche einen Sphincter t«*rtius ganz 
in Abrede stellen. Was die Falten anlangt, so sind «Irei unv«*r- 
streichbnre als konstant anzusehen, eine grössere rechts, etwa 
6 cm über der AfteröfTnung (Plica transv«*rsalis). ein«* klidnere 
links h<’>her oben und eine ebensolche tiefer unten. Den Falten 
entsprechen jedesmal auf d»»r gegenüberliegenden Seite des Darm¬ 
rohres Ausbuchtungen (Snceuli). Die unterste steht unterball) der 
letzten Fnlte links und ist bei starker Füllung d«*s Darmes von 
aussen neben der Afteröffnung links fühlbar (Ebstein). — Bei 
starker Füllung «*rloidet «1er Darm am Beginne der Ampull«* oft. 
aber nicht immer, eine starke Knickung durch Hembsiukcn «l«*s 
nicht fixirten Colon sigmoldenm. Dieselbe dürfte praktisch nicht 
unwichtig sein. 

Nach einer Besprechung d«*r Muskel- und Gefässverhältnisse 
des Rectums bihlen Bemerkungen über die Peritonealbedeckung 
desselben den Schluss. Der tiefste Punkt des D o u g 1 a s’schen 


Raumes ist gewöhnlich, aber nicht immer, in der Höhe der Plica 
transversalis zu finden. Der Behauptung von Garson, dass der 
Höchstem! der Umschlagsfalt«* «l«*s Bauchfelles mit dem Füllungs 
gra«l des Mastdarm« s wechsele, siml «lii* Untersuchungen des Vor- 
trag«*nd«*n an männlichen Leichen günstig, an weii)li«*lien aber 
durchaus ni«*ht. Die gross«*n Verschiedi*nlieit«*n Im Hochstand der 
Umschlagsfalt«' sind vielleicht durch die Entwickelung erklärlich. 
Bei Kindern steht sie Immer sehr tief und verflacht sich im Lauf 
des weiteren Körperwachsthums durch Verwachsung der einander 
berührenden Oberflächen des Bauchfelles in vorschle<lenem Grad. 

(Selbstbericht.i 

Das Vorgetragene wurde durch Zeichnuugen und eine Reihe 
von Photographien nach Präparaten erläutert. 


Französischer Chirurgencongress 

in Paris vom 21. bis 26. Oktober 1901. 

(Eigener Bericht.) 

T>«*r 14. Kongress der französischen Chirurgen wurde in Paris 
in «l«*r Zeit vom 21.—26. Oktober unter «lern Präsidium des all- 
gemein bekannten Promotors der radikalen Operation d«*r Brüche, 
Herrn Dr. Just Lucas-Chii in|)ioniiiöre, abgehalten. 
Zahlreiche Fachmänner Frankreichs, besonders au«*h d«*r Provinz. 
betheiligt«*n sich an dieser Versammlung. Fremd«* sali man nur 
wenig«*, was wegen des auss«*hliesslich nationalen Charakters «l«*s 
Kongresses begreiflich ist. Zu gleicher Zeit tagte auch, ganz 
»«-parat, der Ürologenkougress, von dem wir nächstens berichten 
werden. 

„Die neue Chirurgie; die antiseptische Methode in Ver¬ 
gangenheit, Gegenwart und Zukunft“ war «las Thema der Kr- 
öffnungsr«'«le des Vorsitzenden, welche als das interessanteste Er¬ 
eigniss des Kongresses b«*trnchtet werden kann. l)i«*ser Vortrag 
- eine unb«Hlingte Huldigung d«*r List e r’s«*h«*n Metlmdc — wird 
gewiss jenseits der La Manche gross«*n Beifall erregen, auf dem 
Contimmt aber auf manclien Widerspruch von Seite der Anliäiig«*r 
«l«*r reinen Aseptik stossen. Nach H«*rrn L u c a s - C h n m p i o u- 
n i «'* re ist eben die Aseptik nichts anderes, als <*ine abgeschwacht«* 
und folglich weniger leistungsfähige Antiseptik. Ilm* Resultat«* 
können gewiss im Vergleich mit denen der alten, septischen Chir¬ 
urgie als brillant bezeichnet werden, aller man erreicht si»* nur 
unter peinlichster, zeitrauliender mul «len Operateur in seinen 
Handlungen störender Beobachtung von Vorsiohtsmaassivgeln. die 
mit «1er Zeit si«*h immer koniplizirt«*r gestalten (Mask«*n. Ilninl- 
schuhe ete.i — in kostspielig eingerleliteten Sälen, welche „Opera¬ 
tionslaboratorien“ g«*nannt werd«*n dürften. Und daliei ist man 
«l«>eh nicht immer im Stande. s«>kuiulären Eiterungspvoeessen zu 
eutgelien. Dann und wann erlebt inan auch schlimmere, durch 
irg«*nd einen Fehler in der As«*ptik hervorgerufene Komplikationen. 
Die antiseptische Methode leistet <*hen so viel und sogar mehr als 
die reine Aseptik und zwar mit Hilf«* einfacher Mittel und in v«*r- 
sehi«*d«‘iien äusseren Verhältniss«*n. Für sie ist die Errichtung 
luxuriöser Heilstätten Nel>«*nsach«>: sie bewährt sieh in allen 
M«*tli«»n. Mit ihr hat Herr L u e a s - C li a m p i o n n i «^ r «* bei 
1030 Radikaloperationen von IIenden nur ein«* Mortalität von 
i Proc. verzeichnet mul keinen «*inzigen von den 110 Kranken, 
i bei denen er das Kniegelenk res«*zirt. verloren. 

Was der Antiseptik geschadet, war einerseits die unvoll¬ 
kommene Art, in der sie von manchen Chirurgen angewandt wurde, 
und andererseits die Uebertreibungen, vor welchen der geniale Be¬ 
gründer der Methode selbst gewarnt lmt. Wie bekannt, war 
Li ster «1er eventuell scliii dl leben Wirkung der antiseptischen 
Substnnztm wohl bewusst, empfahl Vorsicht In ihrer Anwendung 
und schützte vor ihnen die Wunde durch Protektiv«*. Die Zukunft 
«ler operativen Chirurgie liegt, nach L u c a s - C h a m p iou- 
n i «^ r «*. ln der Befolgung «ler allgemeinen Prinzipien «i«»r Lister- 
schen Methode, da nur die Anwendung kelintödtender Substanzen 
eine absolut«* Garantie gegen Wiimlinfektionen zu gewähren im 
Stande ist. In der Bauchehirurgle (Magen. Darm. Leber), wo die 
Antiseptik weniger nützlich und zu gleicher Zeit schädlicher als 
bei anderen Operationen ist. möge man die chemische Desinfektion 
in beschränktem Maasse üben, aller sobald bei einer Laparotomie 
Chancen für septische Infektionen in Aussicht stellen, muss un- 
bedingt zur Antiseptik gegriffen werden. Für alle ausserhalb der 
Bauchhöhle auszufülircmlen Operationen bleibt «11«* Antis«*ptik «li«* 
beste und die einfachste Methode und sie ist «li«* allein sichere 
Wundbehandlung in «l«*r Spitalpraxis. Was die Wahl des Anti- 
scpticums betrifft, so bleibt «lie Karbolsäure noch das bestmögliche 
Mitt«*l. welch«*» «l«*m Sublimat weit überleg«*n ist. Man kann ihr 
«las Wasserstoffh.vperoxyd und auch «l«*n selir inässig«*n G«*bmn«-h 
von Jniloform anrellu*n. Einfach sterilisirte V«*rb:in<ist<ifl'«> müssen 
natürlieli Inrga manu angewandt werden. Die L i s t «* r’s«*lu* 
M«*tho«ii* gilit auch die best«* IJisung d«*r gegenwärtig so viel veii- 
tilirten Frage d«*s ..as«*ptiseli«*n Fa«U*ns“ für Nähte. Redner be¬ 
dient sich Immer dazu des nach <l«*m Verfalmm von 1, i s t «* r vor- 
liereit«*(en Catguts, «las <*r noeli eine Zeit lang in Oleum tliere- 
liintlünae verweil«*n lässt, ohnt* es nachher noch aiul«*ren Sterili- 
sntlonsv«*rfahr«*n ausznsetzen. Das so b«*lian«lelte Catgut hat in 
«ler Praxis des Vortragenden noch nie zur Elimination von Sutur- 
o«l«*r Ligatnrfäden V«*ranl:issung gegeben. 

Nach Schluss «ler Erütfnmtgsre<l«* begann«*n «li«* eigentlich«*!! 
Verhandlungen, die. ausser «len zwei grossen R«*f<*rat«*n F «* v r i »* r- 
Naney „U«*lier Milz«*hinirgi«*“ und Broca- Paris „Ueber «li«* B<*- 
haiidltlug tub«*rkul«is<*r Lyinph«lrii»en“, si«-h auf mehr als löo ein¬ 
zelne Mittheilungen bezogen. Eine Wi«Hlergab«*. selbst im kiir- 
z«*st«*n Rcsvunö, aller iliesor Vorträge wäre, wie leicht eiuzus«*hcu, 


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1858 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 40. 


unmöglich. Sie ist aber auch nicht wüuschenswertli. Wie es bei 
solchen Kongressen die Kegel ist. betrafen die weitmeisten Mit- 
theilungeu persönliche Operationsstatistiken, kasuistische Einzel¬ 
heiten. kleine Abänderungen bekannter Operationsverfahren oder 
von den Kellnern schon früher veröffentlichte Arbeiten u. dergl. 
mehr, also Dinge, die in Kongressprotokollen und Kpezialabliaud- 
lungeu wohl ihren Platz bewähren mögen, einer mehr allgemeinen 
Kedeutung oder des Charakters einer Novität jedoch gänzlich ent¬ 
behren. Wir werden uns desshall» hier mit wenigen von ihnen, 
mit denen, welche etwas Neues und wirklich Interessantes bringen, 
begnügen können. 

Was die vorzüglich abgefassten Keferate von Fevrier und 
Itroca anbetrifft, so sind sie natürlicher Weise nur eine syste¬ 
matische Darstellung der gegenwärtigen Lage der betreffenden 
Fragen. Im Original gele^m. kann man ihnen eine didaktische 
Kedeutung nicht absprechen, sie zu resutniren liiesse aber schon 
Kekanntes wiedergeben. Einige Bemerkungen wollen wir uns 
doch zum Keferat über die Therapie tuberkulöser Lymphdrüsen 
erlauben, dessen Verfasser, in eklektischer Weise alle Behand¬ 
lungsmethoden dieses Leidens würdigend, ihre einzelnen In¬ 
dikationen bespricht. Man müsse mit der allgemeinen Behand¬ 
lung (Arsenik, Leberthran. Luft- und Sinekuren) anfangen und 
erst wenn diese fehlgeschlagen, zu chirurgischen Mitteln greifen. 
Monoganglionäre. noch nicht vereiterte oder schon in Vereiterung 
begriffene Geschwülste behandle man mit modiliziremlen Ein¬ 
spritzungen. Offene, käsig entartete Abscesse und ausgedehnte 
Driisenpaquete, sogen, multiple Lymphome, erheischen die radikale 
Exstirpation mit dem Messer. Die Ausschabung ist eine minder- 
werthige Operation, die nur da in Frage kommt, wo die Exstir¬ 
pation aus irgend einem Grunde nicht ausführbar ist. Für die 
Injektionsbehandlung der tuberkulösen Drüsen empfiehlt Broca 
das Naphtolum eamphoratum und eine 10 proc. Lösung von Jodo¬ 
form in Aether sulf. — die zu diesem Zwecke in Frankreich fast 
ausschliesslich gebrauchten Mittel. Beide stellen aber der in 
Deutschland zu solchen Einspritzungen üblichen Suspension von 
Jodoform in Glycerin bedeutend nach. Die aetlierische Jodoform- 
lüsung verursacht starke Schmerzen, manchmal auch ausgedehnte 
Emphyseme des Fnterlmutzellgewebes, sogar Gewebsnekrosen und 
das Naphtolum eamphoratum ruft unter Umstünden bedrohliche 
Vi rgiftungserscheinungen hervor, wie es von mehreren au der 
Debatte sich betheiligenden Rednern anerkannt wurde. Herr 
Lucas-C h a m pionui e r e hatte tlalier vollkommen Recht, am 
Schlüsse der Diskussion hervorzuheben, dass er für die Injektions¬ 
behandlung der Drüsengeschwülste die Jodoformglycerinemulsion, 
deren er sich mit Erfolg bedient, den Vorzug vor anderen Mitteln 
verdient. Auch machte er darauf aufmerksam, dass mau gegen¬ 
wärtig die vorzügliche Wirkung des Unguentum nenpolitanum in 
Fällen von Lymphdriisongeschwülsten zu vergessen scheint. Der 
Vorsitzende hat in seiner Praxis manchen eklatanten Erfolg von 
einer konsequent und energisch durchgeführten Anwendung der 
grauen Salbe gegen voluminöse Ilals- und Leistenlymphome ge¬ 
sehen. 

Wir gehen jetzt zu den einzelnen Mittheilungen Uber und 
fangen mit denjenigen an. welche allgemeine Erkrankungen oder 
allgemeine chirurgisch-therapeutische Methoden betreffen. 

M o t y - Paris sprach „Ueber abgeschwächte purulente In¬ 
fektion oder subakute Staphylaemie“. Redner hat Fälle beob¬ 
achtet, wo furunkulüso I’rocesse. die. wie bekannt, zu Osteo¬ 
myelitiden unter Umständen Veranlassung geben, eine subakute, 
allgemeine, durch multiple Muskelabscesse sich kundgebende 
Staphylococceninfektion hervorgerufen hatten. Solche Erkrank¬ 
ungen sind oft recht schwer zu diaguostiziren und können leicht 
mit neuralgischen oder rheumatischen Beschwerden verwechselt 
werden, da der allgemeine Zustand dabei unverändert bleiben 
kann (kein Fieber) und die Patienten nur an Schmerzen klagen, 
deren Lokalisation dem Sitze der Abscesse entspricht, diese letz¬ 
teren aber einer oberflächlichen Untersuchung leicht entgehen. 
Di<* Abscesse entwickeln sich schleichend am Thorax, in den 
Lenden, an den Schenkeln, manchmal in der Nähe eines Gelenkes. 
Die Haut über ihnen ist nicht geröthet. nicht heiss anzufühlen 
und nur eine sorgfältig geübte Palpation ergibt das Vorhandensein 
an diesen Stellen von mehr oder weniger tief gelegenen entzünd¬ 
lichen Infiltrationen. Bei der Punktion, welche sofort die Schmerzen 
ln seitigt, entleert sich nur eine geringe Quantität stapliyloeocceu- 
haltigen Eiters. 

Latoux -Vannes Iwrichtete über 4 konsekutive Fälle von 
Tetanus traumaticus, die alle unter Anwendung des autitetani- 
schcii Serums zur Heilung kamen. Die Injektionen wurden intra¬ 
kraniell gemacht; die eingespritzten Quantitäten des Serums 
schwankten zwischen Io und 14 ccm. Diese vier nach einander 
folgenden Triumphe der antitetanischen Serumtherapie sind, wie 
Luc a s - C h a m p i o n n i e r e hervorgehoben . bemerkenswertli 
und müssen den von Latoux angewendeten hohen Dosen des 
Serums zugeschrieben werden. 

6 u i n a r d - Paris beschrieb „Eine rationelle Technik der 
Cocninisation des Rückenmarks“. Redner hat oft bei raehieocaini- 
sirien Patienten, um ihre Kopfschmerzen zu lindern, eine nach¬ 
trägliche Punktion des Wirbelkanals gemacht und bei dieser Ge¬ 
legenheit gefunden, dass die Punkt ionsHüssigkcit immer viel 
I ymphocyten enthält, deren Zahl später im strengen Parallelismus 
mit der Gcphalalgie abnimmt. Die Kopfschmerzen nach der 
Riickenmarkscocainisation erklären sich somit durch eine Art 
aseptischer Meningitis bedingt. Was provozirt diese Meningitis: 
•las Coo.iin oder das zu seiner Lösung gebrauchte Wasser? Die 
Schuld ist an letzterem, da Einspritzungen von reinem Wasser 
unter die Araclmoidea des Rückenmarks, wie Versuche Redners 
am Menschen gezeigt haben, dieselben Kopfschmerzen hervorrufen, 


wie die Cocainlösungen. In Folge dessen hat Gulnard eine 
neue Technik der Rückenmarkscocainisatiou ersonnen, welche ihm 
die besten Resultate ergeben hat. Er punktirt den Wirbelkanal 
mit der Kanüle von T u f f i e r, lässt ein gewisses Quantum von 
Liquor cerebrospinalis hcraustlicssen. schliesst dann die Kanüle 
mit einem Mandrin, nimmt 3 ccm der extrahirten Flüssigkeit, 
giesst dazu t> Tropfen einer konzentrirten Lösung von Cocaluum 
hydrochloricum, welche genau Ü,03 des Salzes entsprechen und 
injizirt nun diese Mischung in den Wirbelkanal. Nach einer so 
nusgeführten subduraleu Injektion hat Redner nie mehr Kopf¬ 
schmerzen oder etwaige andere Störungen des Allgemeinbefindens 
beobachtet. Zu dieser Mittheiluug bemerkte T u f f i e r, dass man 
in einfacherer Weise die von Gulnard empfohlene Abänderung 
der Riickenmarkscocainisation ausführen könne: man bringt in 
die leere Injektionsspritze einige Tropfen der konzentrirten Cocaiu- 
lösung, setzt die Spritze an die in den Wirbelkanal schon einge- 
fidirte Kanüle an. aspirirt die CerebrospinaJÜÜssigkeit, welche 
sich mit dem Cocain sogleich mischt und injizirt daun wieder die 
Mischung subdural. 

A. Malherbe - Paris bedient sich mit Erfolg des Chlor- 
aethyls für die allgemeine chirurgische Anaesthesie. Mau giesst 
2—4 g dieser Flüssigkeit auf eine einfache ln der Hohlhand ge¬ 
haltene Kompresse, die man hennetisch auf den Mund und die 
Nase des Patienten npplizlrt, so dass derselbe keine Luft zu 
atlimen bekommt. Die Anaesthesie zeigt sich nach 20—40 Se¬ 
kunden. ohne Aufregung, und dauert 3—4 Minuten an. Man kann 
sie durch neue Dosen des Chloraethyls bis zu 15 oder 20 Minuten 
verlängern. Für länger dauernde Operationen gibt man zuerst 
das Oidoraetliyl und lässt dann Chloroform iuhaliren. 

Die folgenden zwei Vorträge betrafen Operationen an den 
Luftwegen: 

M o u r e - Bordeaux machte eine Mittheilung: „Ueber so¬ 
fortige Sutur der Trachea bei der Tracheotomie“. Redner ein- 
pliehlt. bei Tracheotomien zur Extraktion von Fremdkörpern, die 
Traclicalwunde sowie die durchschnittenen Muskeln sogleich mit 
feinem Catgut zu vernähen und die Hautincision mit Rosshaar- 
fiiden zu schliessen. Wenn nöthig. kann man eine kleine Oeffnung 
in der Nähe der Trachenlwumle bestehen lassen, um einem 
etwaigen Hautemphysem vorzubeugen. Die sofortige Naht der 
Trachea beschleunigt die Heilung und gewährt einen Schutz gegen 
die infektiöse Bronchopneumonie. Diese Sutur ist auch ange¬ 
zeigt nach den Traclieothyreotomien zur Exstirpation von Kehl¬ 
kopfgeschwülsten (diffuse Papillome, Epitheliome etc.). 

H. DelagSniere - Maus: „Ueber den Nutzen des künst¬ 
lich hervorgerufenen Pneumothorax in der Lungenchirurgie“. 
Man hat Unrecht gehabt, den zufälligen Pneumothorax bei 
I.ungenoperationen als eine ernste Komplikation zu betrachten. 
Er kann ernste Folgen nach sich ziehen nur bei brüsquer Ent¬ 
stehung. Wenn man ihn aber allmählich provozirt. so ist er ge-, 
fahrlos und kann nach Belieben in seiner Fortentwickelung durch 
Annähen der Lunge an die Pleuralöffnung aufgehalten werden. 
Der langsam herbeigeführte Pneumothorax ist ein schätzbares 
Mittel gegen traumatische Pleuralhaemorrhagieu, wie Redner sich 
davon in einem Falle von Schusswunde der Lunge zu überzeugen 
Gelegenheit hatte. Hier wurde, wahrscheinlich, das blutende Ge- 
fäss durch die Gewebe der unter dem Einfluss des künstlichen 
Pneumothorax kollabirten Lunge kompriiuirt. Der künstliche 
Pneumothorax ist nicht nur von keiner schlimmen Bedeutung 
während der Operation, sondern er zieht auch keine weiteren 
Folgen nach sich, wenn man die in den Pleuralraum gelaugte 
Luft nachträglich mit dem P o t a 1 n’schen Aspirateur wieder ent¬ 
fernt. Delagönifre emptieldt den künstlichen Pneumothorax 
zu diagnostischen Zwecken in fraglichen Fällen von Lungen¬ 
chirurgie bei Patienten, deren Pleura intakt ist. Man lasse die 
Luft recht langsam eindringen. darauf öffne man die Pleurahöhle 
und gehe mit der Hand ein. um das Lungenfell und die Lunge 
selbst zu betasten. Findet man einen Krankheitsherd, so ist der¬ 
selbe leicht zu exteriorisiren. indem man den betreffenden Theil 
der Lunge au die Thoraxwunde anzieht und hier annäht. Darauf 
schliesst man hermetisch die Pleurawunde durch Suturen. saugt 
mit dem Aspirateur die Luft aus dem Oavum pleurae aus. inciilirt. 
reinigt und drainirt den exteriorisirteu Krankheitsherd der Lunge 
und schliesst endlich die Hautwunde durch Nähte. Redner hat 
diese Operation mit bestem Erfolg in einem Fall von central ge¬ 
legenem Luugenabseess ausgeführt. 

Aus dem Gebiete der Bauchchirurgie sind die Beobachtungen 
von Thifiry - Paris „Ueber eine partielle Resektion des Wurm¬ 
fortsatzes“ und von Le gueu-Paris „Ueber zwei Exstir¬ 
pationen von Syphilomen der Leber“ erwähnenswertli. Tliiery 
operirte einen Mann, der mehrere Anfälle akuter Appendicitis 
durchgemacht hatte, und fand einen etwa 15 cm langen Wurm¬ 
fortsatz. der theil weise sich unter der Leiter verbarg und mit der 
unteren Fläche dieses Organs verwachsen war. Redner resecirte 
den proximalen Theil der Appendix, deren distalen Abschnitt 
er mit dem ileocoecalen Stumpfe vernähte. Das persistirende 
Segment des Wurmfortsatzes wurde in dieser Weise in ein her¬ 
metisch abgeschlossenes Uavum umgewandelt. 2 Monate später 
brach die Operationsnarbe an einer kleinen Stelle auf. wobei sich 
eine ei weisshaltige und vollkommen sterile Flüssigkeit entleerte. 
Patient genas von seinen Apponillcitiskriseu. Das Verblei 1 h*ii in 
der Bauchhöhle eines durch Nähte vollkommen abgeschlossenen 
Segments des Wurmfortsatzes gibt folglich keinen Anlass zu 
neuen Infektionsprocessen und so kann die partielle Resektion der 
Appendix für die Fälle empfohlen werden, wo die völlige Exstir¬ 
pation dieses Organs schwierig oder unausführbar ist. — Legueu 
ist in zwei Fällen von umfangreichen Lebertumoren, die als 
maligne Geschwülste imponirten, zu einer probatorischeu Laparo- 


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12. November 1901. 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1859 


tomle geschritten und derbe, mehr oder weniger gut begrenzte 
Neoplasmen gefunden, die er excldlrte. Die Haemostase während 
der Operation wurde ln der Art einer Ligature en masse durch 
Zusammenschnüren mit durch die Lebersubstanz durchgezogenen 
Fildeu erreicht. Die beiden Operirten genasen. Die histologische 
Untersuchung derTumormasseu ergab einen Befund, der für Syphilis 
oder Tuberkulose sprach und nachträglich wurde festgestellt, dass 
die Patienten an syphilitischen Symptomen früher gelitten hatten. 
Redner ist der Meinung, dass in diesen zwei Fällen die anti- 
syphilitische Behandlung nicht im Stande gewesen wäre, die fort¬ 
geschrittenen und inveterirten Leberlaesioneu zu heilen und glaubt, 
dass bei syphilitischen Lebertumoren, die der spezifischen Therapie 
trotzten und bei der probatorischen Laparotomie sich dem Messer 
zugänglich erweisen, die Exstirpation ihre Anzeige finden kann. 

Folgen jetzt die dem Gebiete der Urologie ungehörigen Mit¬ 
thellungen von Röchet- Lyon „Ueber radikale Cutanoplastik 
von. Harnröhrenverengerungen“ und von Lavaux-Paris „Ueber 
eine weitere Einschränkung im Gebrauche der Sonde bei Prosta¬ 
tikern“. In mehreren Fällen von Urethralstenose, wo alle Diln- 
tirungsver8uehe und sogar die Urethrotomia interna gescheitert 
waren, erzielte Röchet eine vollständige und dauernde Heilung 
durch Excislon eines Theiles der Wand der Striktur und Annähen 
eines dem Perineum entnommenen Hautlappens. — Laraux 
machte darauf aufmerksam, dass die Prostatiker, die schon eine 
partielle Retention des Urins aufweisen, nicht sondirt zu werden 
brauchen, so lange die Blasenmuskulatur bei ihnen noch sufficient 
bleibt. Diese partielle Retention kann lange bestehen, ohne die 
höher gelegenen Harnwege zu beschädigen. Man greife zur Sonde 
nur, wenn der Blasenmuskel insufficient geworden oder bei plötz¬ 
lichen Harnverhaltungen, welche sich in Folge eines Anfalls von 
„prostatischer Polyurie“ (deren Genese noch dunkel ist) ereignen. 
Solche Anfälle kommen gewöhnlich Nachts vor. Der Kranke er¬ 
wacht nicht zeitlich genug, um zu uriniren; seine Blase wird über¬ 
füllt und gelähmt. In diesem Fall genügt eine einmalige Katlie- 
terisation, um die Miction wieder herzustellen und weiter soll nicht 
sondirt werden. 

Eine etwa vorhandene Cystltls bei Prostatikern mit nur par¬ 
tieller Urinretention ohne Abschwächung der Blasenmuskulatur, 
behandle man mit intra-vesicalen Cocaiuinstillationeu oder man 
wasche die Blase aus, aber mit Hilfe des Siphonapparates, nie mit 
der Sonde. 

Zum Schlüsse wollen wir noch zwei Mtttheiluugen aus dem 
Gebiete der Chirurgie der Extremitäten anfüliren: 

Guermonprez - Lille sprach „Ueber die unblutige Be¬ 
handlung der Coxa vara“. Redner bezeichnet diese Erkrankung 
mit der etwas langen, aber charakteristischen Benennung der 
„Coxopathie par ostSite söche douloureuse des jeunes campagnards“ 
und empfiehlt gegen sie eine unblutige Behandlungsmethode, die 
freilich nur im Anfangsstudium des Krankheitsprocesscs ausführ¬ 
bar ist, dass heisst ln den zwei ersten Monaten, wo noch kein 
Ueberkreuzen der Kniee besteht, die Patienten nur an Schmerzen 
leiden und der noch weiche Femurhals einem manuellen Redresse¬ 
ment zugänglich erscheint. Das Redressement wird in der Rücken¬ 
lage des Patienten ausgeführt.. Man extendirt den Schenkel, 
während die Contraextension von Assistenten ausgeübt wird, und 
mit einem brüsquen und gewaltigen Ruck macht man die forcirte 
Abduktion. Der Kranke empfindet einen heftigen Schmerz, aber 
man hört dabei kein Knarren. Nach einigen leichten Clrcum- 
ductionsbewegungen wird Patient im Bette, aber ohne Apparate, 
immobillsirt. Nöthigenfalls wird das Redressement manuell 
wiederholt. 

L a r g e r - Maisons-Laffitte machte an sich selbst eine Be¬ 
obachtung, die im Stande ist, ein Streiflicht auf die noch so dunkle 
Pathogenie des schnellenden Fingers zu werfen. Redner fiel bei 
einer Radfahrt auf den linken Arm und zog sich eine ganz kleine 
Erosion an der Grenze zwischen der ersten und zweiten Plialange 
des kleinen Fingers zu. Jedoch empfand er starke Schmerzen in 
der Hand und am Vorderarm, im Gebiete des N. cubltalis. Die 
Erosion wandelte sich bald in eine kleine kraterförmige Wunde, 
in ein wahres Mal perforant um und zu gleicher Zeit stellten sich 
am kleinen Finger die charakteristischen Erscheinungen des dolgt 
a ressort ein. Beide bestanden sechs Monate lang unverändert 
und nur als später das trophoneurotische Geschwür (denn mit 
einem solchen hatte man gewiss zu thun) anflng, zu heilen, Hessen 
auch die schnellenden Bewegungen des Fingers nach, um nach 
Abheilung des Geschwürs vollständig zu verschwinden. Der 
Parallelismus zwischen der Trophoneurose und dem doigt ü ressort 
war hier auf’s Deutlichste ausgesprochen. 

Dr. W. v. Holstein. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Soci6t6 de Pädiatrie. 

Sitzung vom 8. Oktober 1901. 

Die medikamentöse Behandlung der adenoiden Vegetationen. 

L a p e y r e - Fontainebleau erlebte bei Innerer Jodtherapie 
stets Verschwinden selbst voluminöser Vegetationen und konnte 
so seinen kleinen Patienten chirurgische Eingriffe sparen, die weit 
entfernt sind, ganz ohne Nachtheile zu sein. L. gibt die Jodtinktur 
in zunehmenden Dosen, beginnend mit 6 Tropfen 3 mal täglich 
für Kinder von 5—9 Jahren und rusch bis auf 60 Tropfen steigend. 
Diese hohe Dosis von 180 gtt pro Tag wird Im Allgemeinen voll¬ 
kommen gut ertragen; nur in 4 Proc. der Fälle wurden geringe 


Magenbeschwerden beobachtet, niemals ernste Zufälle. Das Jod 
findet man wieder im Urin durch die geeigneten Reagentien. 

Sevestre hatte vorzügliche Resultate mit der Anwendung 
von Jodwein und Instillationen von Mentholöl in die Nasenhöhlen. 

Var io t erwähnt, dass Par rot schon die adenoiden Vege¬ 
tationen mit Jodtinktur, zu Gentianasyrup zugesetzt, in der Dosis 
von 6 g Tinct. jodi und 6 g Jodkall pro Liter Wein behandelte; 
die Dosen von Lapeyre seien allerdings viel höher. 

Lesni! und Prosper M e r k 1 e n heben die Vorzüge der 
Reaktionen von Salkowski und Haycraft bei nor¬ 
malen Säuglingen und im Verlaufe der Gastroenteritis hervor. 
Aus früheren Arbeiten war zu konstatiren, dass nach der G m e - 
1 i n’schen Reaktion und dem spektroskopischen Befunde bei der 
Gastroenteritis der Säuglinge die normalen Gallenfarbstoffe im 
Urin meist (unter 49 Fällen 47 mal) fehlen; das steht aber nicht im 
Einklang mit den anderen Symptomen, welche, bei den akuten 
Formen wenigstens, eine funktionelle Hyperaktivität der Leber, 
bekunden. Die oben genannten Reaktionen ergaben nun viel 
häufiger die Anwesenheit vou Gnllenfarbstoff im Urin; Verfasser 
schliessen daraus nicht nur, dass Gallenfarbstoffe und -Säuren 
im Verlaufe der Gastroenteritis in den Urin übergehen, sondern 
dass die Gmeli u’sclie Reaktion im Allgemeinen ungenügend 
und zur Untersuchung auf Galleufarbstoffe feinere Reaktionen 
nothwendig sind. 

Sociätä de Thärapeutique. 

Sitzung vom 9. Oktober 1901. 

Behandlung des Pruritus ani und vulvae mit hohen Wechsel¬ 
strömen. 

L e r e d d e hatte ln Füllen vou rein lokalem Pruritus 
ani und vulvae, welche allen anderen Mitteln getrotzt, 3—12 Jahre 
bestanden hatten und nicht von allgemeinem Lichen begleitet 
waren, ausgezeichneten Erfolg mit den hohen Wechselströmen; 
in allen (4) Fällen trat nach 6—13 Sitzungen, welche 2—3 mal 
in der Woche wiederholt und allmählich bis auf die Dauer von 
15 Minuten ausgedehnt wurden, völlige Heilung ein. 

B a r d e t erwähnt, dass bei Vorhandensein einer tiefen Anal- 
flssur der Pruritus durch die elektrische Behandlung nur vorüber¬ 
gehende Besserung, aber keine dauernde Heilung bringt, wie ihn 
ein seit 1 Jahr damit behandelter Fall lehrt 

R o b i n ist völlig der Ansicht, dass man bei Fällen von 
Pruritus ani unterscheiden muss, ob sie einer medikamentösen 
Behandlung oder der elektrischen mit den häufigen Wechsel¬ 
strömen zu unterziehen sind. Er konnte sich überzeugen, dass 
man bei Magenkranken mit Hypersthenie und Hyperacidität hef¬ 
tiges Jucken, auf den Anus beschränkt, findet und dasselbe völlig 
durch entsprechende Behandlung des Magenleidens heilt. Ausser 
der Diät (nur völlig ausgekochte Speisen) empfiehlt R. hier speciell 
das Fluorammonium als Darmantisepticum und nach jeder Mahl¬ 
zeit eine Mischung von Ca earbon., Magnes. carbon. und ge¬ 
pulverten Krebsaugen (sic!); dieses letztere organische Präparat 
passirt den Magen, ohne sich zu zersetzen und kann auf diese 
Weise die Acidität des Darminhaltes ueutrnlisiren, während au den 
gleichzeitig gegebenen anorganischen Salzen sich die Wirkung der 
Magensalzsäure erschöpft. Stern. 

Aerztliche Standesangelegenheiten. 

„Hildesheimer Aerztetag“ und „Wirtschaftlicher 
Verband“.*) 

Von Dr. Scherer in Ludwigshafen. 

M. II.! Veranlasst durch die Schilderungen unseres hoch¬ 
verehrten Vorsitzenden und langjährigen Deleglrten zum Aerzte¬ 
tag. Med.-Rath Dr. Demutl», zog ich aus nach Hildesheim mit 
hohen Erwartungen — um eigentlich recht enttäuscht zurüekzu- 
kehreu. Ich hatte gehofft, zum Mindesten den guten Willen dort 
zu finden, der N'othlage unseres Standes abzuhelfen, aber ausser 
schönen, salbungsvollen Worten war davon nichts zu merken, im 
Gegentheil, mau hat sogar (lenen, die mit frischem Mutli etwas 
Derartiges wagen wollten. Prügel zwischen die Beine zu werfen 
versucht, wo es ging. Ehe ich jedoch darauf näher eingehe, 
möchte ich noch einen anderen Punkt hervorheben. Gelegentlich 
einer Abstimmung ergab sich das Verlniltulss vou 74 Deleglrten 
mit „Nein“ und 85 Delegirten mit „Ja“. Bei der nun auf Antrag 
vorgenommenen schriftlichen Abstimmung ergab das Resultat 
4500 Stimmen „Nein“ und 9000 Stimmen „Ja“. Dieses Missverhält¬ 
nis ist auch anderweitig aufgefallen und Herr Bezirksarzt Will e 
schreibt darüber in seinem Referat: „Meiner Ansicht nach liegt 
der Grund einer so augenfälligen Differenz in dem Um-, um nicht 
zu sagen Missstande, dass einzelne Delegirte die Vertretung vieler 
Hunderte von Stimmen in ihrer Person vereinigen. Wie ich hörte, 
sollen auch Kollegen des Geschäftsausschusses mit der Ehre einer 
doiuinirenden Wühlervertretung betraut sein. So verdient dies 
Vertrauen und die daraus entspringende Machtvollkommenheit 
auch sein mag, so widerspricht doch eine so grosse Präponderanz 
Einzelner den freiheitlichen Prinzipien unseres Standes und birgt 
gegebenen Falls die standesunwürdigen Fesseln einer Oligarchie. 


*) Referat, erstattet auf der Generalversammlung des Vereins 
Tfälzer Aerzte am 17. Oktober 1901 in Neustadt a. U. 


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1860 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


Dabei lehrt die Erfahrung, dass gerade die eifrigsten ärztlichen 
Vereine es sich nicht nehmen lassen, durch eigene Delegirte Ihren 
Anschauungen und Beschlüssen Ausdruck und Gewicht zu ver¬ 
leihen, während der Indolenz nicht selten eine bloss nominelle 
Repräsentation genügt.“ Das kann ich nur unterschreiben, vom 
ersten bis zum letzten Buchstaben, und bin der Ansicht, dass der 
gerügte Missstand sich auch bei der Neuwahl des Geschäfts¬ 
ausschusses ln der Weise geltend machte, dass der Ausschuss 
nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit vor Allem seine eigene 
Wiederwahl sicherte. Uebrigens hat auch der neugewählte — 
alte — Ausschuss sofort dargethan, wie sehr er Rücksicht auf die 
Wünsche der Delegirteu zu nehmen gewohnt ist. Nach den Ge¬ 
wählten kam als an Stimmenzahl Zweiter mit. über 6000 Stimmen 
Hart man n- Leipzig, so dass mau eigentlich erwarten durfte, 
der G.-A. würde diesen eooptlren. Das that. er aber nicht, sondern 
cooptirte u. A. den Kollegen, der als Einziger nicht die noth- 
wendige "Unterstützung von 10 Delegirten gefunden hatte, um auf 
den Wahlvorschlag zu kommen. Gewiss eine zarte Rücksicht¬ 
nahme. 

Suchen Sie nun zu ergründen, was an positiver Arbeit für ein 
Jahr seitens des A.V.B. geleistet wurde, so Huden Sie recht, recht 
wenig. Die Lebensversicheruugskominisslon lmt überhaupt keine 
Sitzung abgehalteu. über die eine Sitzung der Unfallversicherungs¬ 
kommission erfuhr man nur ein paar trockene Zahlen und die 
Kommission für Krankenversicherung musste sich sagen lassen, 
dass das, was sie geleistet, die Zusammenstellung von Material, 
voller schwerer Fehler sei, worauf das heitere Geständniss kam. 
dass die Kommission die ganze Zusammenstellung von einem 
jungen Mediciner in Berlin hatte anfertigen lassen und, nun die¬ 
selbe unrichtig befunden wurde, eigentlich die Verantwortung 
dafür ablehnte. Für den Scherz sollen lö00 M. bezahlt worden 
sein — ob dem wirklich so ist. war nicht mit Sicherheit zu er¬ 
fahren. Der Referent der Kurpfuschereikommission erschien über¬ 
haupt nicht und sein Referat, das gedruckt vorlag, wurde vom 
G.-A. selbst als vielfach unrichtig bezeichnet. — Ziehen Sie aus 
alle dem das Fneit. so werden Sie unendlich wenig heraus¬ 
bekommen, meine Enttäuschung begreifen, vielleicht auch be¬ 
greiflich finden, dass ich der Ansicht bin, wenn der wirthsehaft- 
lielie Verband noch nicht, existirt hätte, hätte er nach diesem 
Aerztetag gegründet werden müssen. 

Wenn ich damit zum Hauptthema meines Referates über¬ 
gehe, muss ich Ihnen gestehen, dass der Aerztetag, noch bevor er 
begann, mir eine Ueberraschung brachte. Als wir 5 Pfälzer am 
Abend der Ankunft unsere Stimmkarten abholten, trat ein Mit¬ 
glied des G.-A. auf mich zu und thellte mir etwa Folgendes mit: 
„Es hnt eine Sitzung des G.-A. stattgefunden, deren Resultat Sie 
iu dem Antrag der Tagesordnung finden, einen Delegirten zur Ver¬ 
waltung der Kasse des W. V. abzuordnen. Es wird von Seiten 
des G.-A. sehr friedlich vorgegangen werden und wenn die Ver¬ 
treter des Verbandes nicht scharfe Worte gebrauchen, wird der 
Friede sicher nicht gestört, sondern noch mehr befestigt werden.“ 

Das war angenehme Musik und ich säumte nicht dieselbe 
sobald als möglich auch zu Ohren der Vertreter des Verbandes 
zu bringen, die nach dem Vorausgegangeuen ebenso angenehm 
überrascht waren, wie ich. Ein Nachtheil für die Verbandsleute 
war es, dass ihnen die Stellungnahme des G.-A. erst im letzten 
Augenblick bekannt wurde, so dass sie nicht in der Lage waren, 
dem meisterhaften Referat Windeis’ etwas Aehnliches ent¬ 
gegenzusetzen, einem Referat, das, wie Bez.-Arzt Wille schreibt, 
„allerdings nicht geeignet schien, Spaltungen zu verhüten; denn 
aus den heftigen Anklagen und Vorwürfen desselben, die freilich 
nichts Neues boten, konnte wohl Niemand entnehmen, dass dies 
die Begründung des Antrags des G.-A., sondern eher befürchten, 
dass es wiederum die Motivirung einer plötzlichen gegenteiligen 
Stellungnahme sein sollte“. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, 
dass dies Referat ursprünglich einen ganz anderen Schluss hatte. 
Wir Mitglieder des Verbandes waren besonders schmerzlich be¬ 
rührt durch die ungerechtfertigten Angriffe auf einen Manu wie 
Geli.-Rath Pfeiffer, der als Ehrenmann die Konsequenzen aus 
den Erklärungen, die er und San.-Rath H e i n z e gelegentlich der 
Versammlung ln Leipzig am 31. III. abgegeben hatten, gezogen 
hnt, und da er das dort Versprochene nicht erfüllen konnte, aus 
dem G.-A. austrat, und ich halte es mit vielen Anderen für einen 
dunklen Punkt des Hildesheimer Aerztetags, dass dieser Veteran 
im Kampf um ärztliche Staudesfragen schmählich aus dem G.-A. 
herausgewählt wurde. 

Von ungünstigem Einfluss für die Vertreter des Verbandes 
war es ferner, dass nach dem Referat. Windeis' der Antrag 
Südfranken, betr. Gründung einer ärztl. Invaliditäts-, Wittweu- 
uiul Waisenkasse zur Verhandlung kam. ein Vorgeben, gegen das 
nicht nur der Referent Dörfler ausdrücklich protostirte, soli¬ 
dem das auch die Delegirteu unzweideutig durch häufige Schluss¬ 
rufe verurtheilten, so dass Referent zum Abbruch seines Re¬ 
ferats veranlasst wurde. Nichtsdestoweniger ertheilte der Vor¬ 
sitzende darauf dem Vertreter der Centraihilfskasse Berlin das 
Wort, der in unendlich langen Ausführungen die Vorzüge dieser 
Kasse erörterte und nur durch tumultuarisehe Schlussrufe veran¬ 
lasst werden konnte, sein Referat zu beenden. Es war das 
absolut nicht gegen die C.H.K. gerichtet, deren segensreiches 
Wirken allseitig anerkannt wird, aber hier war nicht der Platz 
für ein derartiges Referat und die allgemeine Stimmung war durch 
diese Vorkommnisse gründlich verdorben. 

Nun kamen endlich auch Vertreter des Verbandes zum Wort, 
alter nach dem überraschenden Antrag des G.-A. blieb ihnen 
eigentlich nicht viel zu sagen übrig, da derselbe ja eigentlich viel 


mehr gewährte, als der Verband zu verlangen gewagt hatte. 
Dieser Antrag wurde denn auch zum Schluss mit einer erdrücken¬ 
den Majorität — gegen 3 Stimmen — angenommen. Nun wäre 
es konsequent gewesen, wenn der Aerztetag, wie das ein Antrag 
Gütz wollte, seinen Mitgliedern den Beitritt zum Verband au- 
empfohlen hätte, während dieser Antrag, allerdings nur mit einer 
geringen Majorität, abgelehnt wurde. Das hatte aber wieder eine 
besondere Ursache, indem bei der Wahl des zukünftigen Wohn¬ 
ortes des Geschäftsführers des A.V.B. ein heftiger Streit um 
Berlin oder Leipzig entbrannte und die scharfen Worte, die da 
fielen, dem Leipziger Verband in die Schuhe geschoben wurden, 
während es sich doch nur darum handelte, dem aussichtsreichsten 
Bewerber um die Stelle des Geschäftsführers seinen Wohnsitz 
auch ferner in Leipzig zu garantireu. Das ist nicht gelungen 
und e r ist auch so zufrieden und zieht nach Berlin, während durch 
diesen Vorfall Viele veranlasst wurden, gegen den Verband zu 
stimmen. 

Nicht unterlassen kann Ich es auch, auf eine weitere In¬ 
konsequenz des Aerztetages gegen den W. V. hinzuweisen. Wäh¬ 
rend bei den Berathungen betr. die Kurpfuscherei mit grosser 
Mehrheit der Antrag angenommen wurde: „Der Aerztetag em¬ 
pfiehlt den Aerztekammern, ärztlichen Vereinsgruppen und ärzt¬ 
lichen Vereinen die Einsetzung von Kommissionen zur Bekämpf¬ 
ung der Kurpfuscherei“, wurde der W. V. gezwungen, § 2 f. seiner 
Statuten fallen zu lassen, ln welchem er als weiteren Zweck aus¬ 
sprach: „die berechtigten Bestrebungen der Aerzte zur Bekämpfung 
des Kurpfuscherthums zu unterstützen“. — Dies Verfahren kann 
doch kein Mensch objektiv und konsequent nennen. 

Nun, trotz aller Differenzpunkte, kam eine Einigung, wie 
schon erwähnt, zu Stande, eine Einigung, die hoffentlich von 
Dauer ist. wenngleich es für mich eine eigentümliche Bestätigung 
des bereits ln Hildesheim verbreiteten Gerüchtes ist. der G.-A. 
wolle, um die vielen lästigen süddeutschen Anhänger des Vor¬ 
bandes nächstes Jahr zu beseitigen, den Aerztetag hoch in deu 
Norden verlegen, dass nun tatsächlich Königsberg als Ort der 
nächstjährigen Tagung festgesetzt wurde. 

Nachdem aber in Hildesheim Differenzen nicht mehr ge¬ 
blieben sind und auch die Gegner des Verbandes meist ihren 
Frieden mit demselben gemacht haben, hoffe ich, dass der Verband 
auch im Osten. Westen, Süden und Norden immer mehr Fuss fassen 
wird und der nächste Aerztetag noch mehr Anhänger dort sieht, wie 
der diesjährige. Der Bann ist von dem Verband genommen, er ist 
Öffentlich sanktionirt und ln dieser Thatsache liegt ein trotz Allem 
erfreuliches Resultat der Hildesheimer Verhandlungen, das wir 
dankbar anerkeunen. Und nachdem nun beide Organisationen 
als nebeneinander berechtigt anerkannt sind, bitte ich Sie, den 
Wirtschaftlichen Verband auch moralisch zu unterstützen, Indem 
Sie ebenso wie der Bezirksverein Allgäu den Mitgliedern des Ver¬ 
eins Pfälzer Aerzte den zahlreichen Beitritt zum Verband nach¬ 
drücklich anempfehlen. 


Eine Weihnachtsgabe an unsere Frauen. 

Seit Jahren benützt eine weitverbreitete ärztliche Zeitschrift 
die weihnachtliche Feststimmung der Kollegen, um für die ln Noth 
geratheuen Wlttwen unserer Standesgenossen ein Scherflein zu 
sammeln. Wir beglückwünschen den verdienstvollen Herausgel>er 
zu diesem Werke hochherziger Kollegialität und wünschen der 
Wittwenkasse des Hamburger Centralanzeigers, auch in diesem 
Jahre für ihre Weihnachtszwecke viele neue Freunde und weiteren 
vollen lind ganzen Erfolg. 

Dies der eine Zweck dieser Zeilen, aber der zweite liegt uns 
nicht weniger am Herzen. Deun wichtiger noch als die Noth lin¬ 
dern. ist dies: Noth verhüten, und wer möchte bestreiten, dass es 
unter den deutschen Kollegen Tausende gibt, die im Falle eines 
unvorhergesehenen Todes die Ihrigen in Noth und schwerster 
Sorge zurücklassen und der Fürsorge mlldthätiger Menschen¬ 
freunde überliefern würden. Hieran werden auch die neuen 
Unterstiitzungsknssen der Kammern nicht viel ändern; denn auch 
sie sind nur für offenkundige Verarmung oder nachzuweisende 
Noth geschaffen. Soll das so bleiben? Warum darauf warten 
und nicht lieber heute, wo es noch möglich ist, eine vorbeugende 
Fürsorge treffen und statt anderer weniger wichtiger Geschenke 
der geliebten Frau eine ItenteuanWeisung auf den Weihnachts¬ 
tisch legen! Man sage nicht, es sei zu theuer, es kommt doch nur 
darauf an, wieviel man anlegeu will. Und wenn mau sich dabei 
nach seinen Mitteln elnschränkeu muss, so Ist dasselbe doch auch 
bei jedem anderen Geschenk nöthig. Aber warum gerade eine 
Rentenanweisung und nicht lieber eine Lebensversicherung? Wir 
sagen, das eine tbun und das andere nicht lassen; aber die 
Witwenrente ist billiger (siehe die Beilage). Sie ist ebenso wie die 
Lebensversicherung mit ihren Prämien bei der Selbsteinschätzung 
in Preussen abzugsfähig. Sie Ist sicherer, denn nicht jede Frau 
weiss mit Geld umzugehen. Sie ist ebenso unverlierbar, denn 
durch einen kleinen Zuschlag (siehe die Beilage) kann die Rück¬ 
gewähr aller Einzahlungen im Falle des vorzeitigen Todes der 
Frau mitversichert werden. 

Der zweite Zweck also dieser Zeilen ist der, den Herren 
Kollegen als Weihnachtsgeschenk eine Wittwenversicherung zu 
empfehlen, und wenn wir dabei bereits oben die Versicberungs- 
kasse für die Aerzte Deutschlands nannten, so geschah es nicht, 
weil wir gerade diese Kasse verwalten, sondern weil dieselbe bei 
sonst gleicher Sicherheit unter allen in Betracht kommenden In¬ 
stituten die unseren Standesverhältnissen am besten angepasste 
und noch neuerdings auf dem diesjährigen Aerztetage zu Hildes- 


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12. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


heim als geeignetste Versicherungsanstalt dem Herren Kollegen 
durch besonderen Beschluss ausdrücklich anenipfohlen worden Ist. 
Berlin, den 27. Oktober 11K)1. 

Landsberger-Platz 3. 


Das Direktorium der Versicherungskasse für 
die Aerzte Deutschlands. 


Dr. Bensch, Obmann. 


Eine 


Wittwenrente von jährlich 600 Mark kostet an 
Viert eljahresprämien 


bei der Versicberungskasoe für die 
Aerzte Deutschlands, lm Falle des 
vorzeitigen Todes der versicherten 
Frau 

ohne Rückgewähr, mit Rückgewfihr 
aller Einzahlungen 


bei dem preusslschen 
Beamtenverein In einer 
Höhe von 16000 Mark 
Lebens Versicherung, 
was, bei 4 Proc. Zinsen, 
den gleichen Renten¬ 
genuss ergeben würde 


für den 25 Jährigen X 32.— 

X 4L— 

X 

73.50 

„ . 30 

n 

X 34.50 

X 44.50 

X 

85.50 

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X 37.— 

X 49.— 

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X 4L— 

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117.— 

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X 46.50 

X 63.50 

X 

139.50 

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X 53.50 

X 74.— 

X 

171.— 


Auswärtige Briefe. 

Eine ärztliche Studienreise in die deutschen Nord¬ 
seebäder. 

Vom 28. September bis 7. Oktober 1901. 

(Schluss.) 

Der Vormittag des 30. September war zunächst der Besichti¬ 
gung des Strandes und dem sich anschliessenden Seebade ge¬ 
widmet, dann vereinigte die meisten der Theilnehmer ein von 
Liebreich im grossen Kursaale abgehaltener Vortrag: Ueber 
die therapeutische Anwendung von Seebädern, dem ein zweiter 
von Dr. Nicolas- Sylt über die speciell Sylt betreffenden Ver¬ 
hältnisse folgte. Der übrige Tlieil des wundervollen Herbsttages 
galt der Besichtigung des Krankenhauses und Genesungsheimes, 
der Kanalisations- und Wasseranlagen, die erst im Mai dieses 
Jahres zu Ende geführt worden sind und der Gemeinde 600 000 M. 
gekostet haben. Sylt besitzt 2 Kinderheilstätten für etwa 190 
Pfleglinge, die zur Hälfte Freiplätze haben. Ich kann auch an 
dieser Stelle nur den Ruf wiederholen, den kürzlich Kollege 
K r e c ke- München in so beredten Worten aussprach: Schaffen 
wir doch für unsere kranken und schwächlichen Kinder auch bei 
uns im Süden, in den Alpen und im Vorland, im grösseren Maass¬ 
stab Erholungs- und Genesungsstätten, schaffen wir ihnen wenig¬ 
stens Spielplätze! So herrliche Spielgelegenheiten, wie in dem 
fusshohen, ganz trockenen Sande am Strande des Meeres, können 
wir ihnen freilich nicht schaffen, aber unsere auf dem Asphalt¬ 
pflaster und in engen nöfen spielenden Kinder sind nicht an¬ 
spruchsvoll ! 

An dem nebligen Morgen des 1. Oktober zogen wir Alle schon 
frühe hinaus zur Düne, um dort einer Uebung des freiwilligen 
Rettungskorps beizuwohnen. Bei Sylt ist schon manches gute 
Schiff auf den Sand gelaufen und gestrandet. Die 63 Gräber im 
Friedhof der Heimathlosen, der alle angeschwemmten Leichen 
aufnimmt, spricht eine beredte Sprache. Bei diesen Katastrophen 
übt das Rettungskorps sein schweres, gefahrvolles Amt, wo es an¬ 
geht mit dem Raketenapparat, dessen Gebrauch uns vorgeführt 
wurde. Mancher, der das höchst interessante Schauspiel mit¬ 
angesehen, wird daraus Veranlassung schöpfen, der deutschen 
Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sein lebhaftes Wohl¬ 
wollen zuzuwenden. 

Nach einem geradezu rührenden Abschied von der Bevölke¬ 
rung Westerlands nahmen uns um 1 Uhr 2 kleinere Dampfer auf, 
auf denen die genussreiche Fahrt hinüber nach der Insel 
Amrum wieder bei prächtigem Wetter sich vollzog. Eine 
Schaar Seehunde that uns den Gefallen, sich zu zeigen, die 
grossen Spass erregten. Von einer Ehreneskorte Amrumer Fest¬ 
jungfrauen geleitet, die in der kleidsamen friesischen Tracht 
reizend aussahen und sich manches leicht entflammbare medi- 
cinische Herz im Sturme eroberten, und geführt von Mitgliedern 
der Gemeinde wurde auf der 3000 m langen Holzpromenade, die 
am Badestrande entlang führt, der Marsch zum sog. Kniepsand 
angetreten. Hier ist die Küste ausserordentlich flach, sehr weit 
zieht sich das Meer zur Zeit der Ebbe zurück, Tausende von 
kleinen Muscheln zurücklassend. Der Wellenschlag ist am Ge¬ 
stade der Insel in allen möglichen Abstufungen zu haben, bei 
ruhigem Wetter, wie wir es hatten, liegt das Meer in Folge vor¬ 


1861 


liegender Sandbänke an dem einen Tlieil des Strandes so ruhig 
und glatt da wie ein Binnensee und lädt zur ungefährlichen 
Kahnfahrt ein. Amrum zählt ungefähr 800 Einwohner. Es ist 
erstaunlich, was diese Leute in kurzer Zeit aus dem reichlichen 
Sand ihrer Heimath zu machen verstanden. Seit Kurzem er¬ 
standen 7 grosse Hotels am Südende der Insel, nicht so grossartig 
wie jene in Norderney oder auf Borkum, aber behaglich und gut 
eingerichtet. Die Insel besitzt vorzügliches Trinkwasser und hat 
eine gute Kanalisation. Im nördlichen Thoil der Insel, den wir 
der Kürze der Zeit wegen nicht besuchten, liegen 3 grosse See¬ 
hospize; hier gibt es auch Wiesen und Bäume, deren die Gegend 
von Wittduen, wo sich das Badeleben konzentrirt, ermangelt. Der 
südliche Theil der Insel, sowie die Südwestküste trägt hohe 
Dünen, wieder mit den merkwürdigen Formen, wie auf Sylt. 
Südöstlich von Amrum, im Wattenmeer, liegen die aus Bier- 
natzki’s meisterhaften Schilderungen bekannten Halligen, 
spärliche Ueberreste des Raubes, den das gefrässige Meer im 
Laufe von Jahrhunderten an einer früher reich bevölkerten und 
fruchtbaren Gegend stündlich übt. .Hinsichtlich der Heilfaktoren 
erfreut sich Amrum, ähnlich wie Föhr, eines sehr gleichmässigen, 
mildeu Klimas — kommen doch hier wie dort Trauben zur Reife 
— und bietet seinen schon vor 2 Jahren auf ca. 8000 an Zahl 
angewachsenen Badegästen einen ruhigen, allen schädlichen Bei¬ 
mischungen fashionablen Badetreibens abholden Aufenthalt. 

Die Insel Föhr, wohin uns am näclisten Morgen unsere 
kleinen Wattendampfer trugen, hat unstreitig die schönste Vege¬ 
tation von allen bisher berührten Nordseebädern und mit ge¬ 
rechtem Stolz führt der Wyker seine Badegäste durch die Allee 
alter Bäume oder in den neu angelegten Lembkehain, die einen 
prächtigen Schmuck des sauberen friesischen Städtchens bilden. 
Schmunzelnd reichte mir ein alter Mann eine hier gewachsene 
Traube zum Verkosten, und die hübschen Bürgermädchen, welche 
an der Landungsbrücke uns in ihrer Nationaltracht begrüssten, 
waren nicht kärglich mit der Darreichung der auf der Insel in 
ungewohnter Fülle blühenden Blumen. Das Klima ist hier weich 
und mild, wieder sehr gleichmässig, so dass die Tag- und Nacht¬ 
differenzen recht unbedeutend sich gestalten. Dies und der Um¬ 
stand, dass das Meer am Wyker Strand fast immer ruhig und 
sanft ist — es ist Wattenmeer — hat dem Bad den speciellen Ruf 
eines Kinderbades verschafft. Der Verein für Kinderheilstättcn 
an den deutschen Nordseeküsten hat seit 1883 in Wyk ein schön 
eingerichtetes Seehospiz in Betrieb und werden hinsichtlich der 
2 hauptsächlichsten Kinderkrankheiten, der Tuberkulose und 
Skrophulose sehr günstige Erfolge berieiltet. Auch nervöse 
Leiden finden auf Föhr oft sehr rasche Besserung, ebenso Zu¬ 
stände von Blutarmuth, chronische Katarrhe und rheumatische 
Erkrankungen. Unter Führung Einheimischer besichtigten wir 
das Seehospiz und den weit und flach sich hinziehenden Strand 
mit dem Warmbadehaus und fanden vor dem Frühstück eben 
noch Zeit, dem friosischen alten Dorfe Boldixum einen kurzen 
Besuch abzustatten, das zwar keine medicinischen aber andere 
Sehenswürdigkeiten kulturhistorischer Art darbot. Der Empfang 
der Aerzte war gerade auch in Wyk ein ganz besonders herzlicher 
und die hochgowaehsenen, hübschen und gewandten Bürgers¬ 
töchter erwiesen uns die Ehre, selbst den hungerigen Reisenden 
Imbiss und Wein aufzuwarten. Kein Wunder, dass Viele sich 
von der Insel mit ihren liebenswürdigen Bewohnern fast nicht 
trennen mochten. Wie manche biedere Doctorsfrau wird sich ver¬ 
wundern, wenn sie auf einer der zahlreich gerade an diesem Tage 
aufgenommenen Photographien ihren auf einer „ärztlichen 
Studienreise“ begriffenen Eheherrn Arm in Arm mit einer 
hübschen Wykerin zum Dampfer hinunter wandern sieht! Die 
„Woche“ bringt es an den Tag: denn ihr Photograph be¬ 
gleitete uns sorglich auf allen unseren Wegen. 

Es war ein ziemlich frischer Wind aufgesprungen, als wir 
am Nachmittag dieses 2. Oktobers im tiefen Fahrwasser draussen 
von den kleinen Watte-Dampfern wieder auf das Deck unserer 
„Prinzessin Heinrich“ hinüberklettern und Meissner 
prophezeite wieder stürmische Fahrt. Es war aber heute noch 
nichts damit. Der Kure war südlich nach Cuxhaven ge¬ 
richtet. Mit fast 2 stündiger Verspätung, deren Ursache weniger 
in „nautischen Gründen“, als an dem schweren Abschied von 
Wyk lag, trafen wir bei Dunkelheit an unserem Ziele wolil- 
behalten ein. Das letztere, Herr Kollege, bezieht sich ganz 
speciell auf mich, aber ich sah auch an diesem Tage einige Opfer 
der See in aschgrauem Elend unten auf den Polstern der Salons 


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1862 


MIXENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


liegen. Schon VA Stunden vor unserer verspäteten Ankunft war 
unser Schiff mittels der Marconi-Brau n’schen drahtlosen 
Telegraphie vom ersten Elbefeuerschiff aus nach Cuxhaven ge¬ 
meldet worden. Die Funkentelegraphie funktionirt zwischen 
letzterem und Helgoland mit grösster Sicherheit und erst in 
jüngster Zeit wurde berichtet, dass sogar nach Borkum mittels 
der Apparate Nachrichten gegeben werden konnten, also auf ca. 
180 km. Die von der Gemeinde Cuxhaven vorbereiteten Em¬ 
pfangsfeierlichkeiten kamen in Folge unserer späten Ankunft 
nicht mehr vollkommen zur Geltung, sondern Alles eilte in die 
Quartiere und dann an die wieder reich besetzten Tafeln, wo 
manch feierlicher Toast den Aerzten wieder einmal vor Augen 
führte, mit welchen praktischen und ideellen Hoffnungen die 
Verwaltungen der Nordseebäder den Besuch so vieler Aerzte aus 
allen Theilen des Vaterlandes begleiteten. Nochmal hob sich 
am 3. Oktober ein schöner Morgen aus dem Meer; man hatte 
Recht, ein unglaubliches Wetterglück war mit uns. Die Besichti¬ 
gung von Cuxhaven zeigte den Doppelcharakter der aufstreben¬ 
den, zum Hamburger Gebiet gehörenden Stadt. Da sie im letzten 
Jahr fast 10 000 Badegäste gehabt hat, und zugleich durch ihre 
günstige Lage an der Elbemündung mit deren riesigem Schiff¬ 
fahrtsverkehr die bestimmte Anwartschaft auf die grösste com- 
mercielle Bedeutung besitzt, können die Cuxhavener Stadtväter 
über das Schicksal ihrer Stadt beruhigt sein. Der eine Theil 
unserer Reisegenossen besichtigte die grossen Kinderhospize, von 
denen das Hamburger, einer Stiftung entstammend, 120 Kinder 
aufnehmen kann, ein anderer wandte sich nach den neuen sehr 
grossartigen Hafenanlagen, sowie nach der im Bau befindlichen 
Quarantaine- und der Desinfektionsanstalt. Die Wichtigkeit der¬ 
selben für die Gesundheit von Hamburg und damit ganz Deutsch¬ 
land liegt auf der Hand. Interessant war der Besuch des Leueht- 
thurmes, für Andere die zufällig mögliche Besichtigung eines 
aufilaufonden Auswanderersdiiffes, dann ein Blick in die Mar- 
eoni-Telegraphenstation. Doch wieder einmal drängten die 
nautischen Gründe zur Abreise und um 1 Uhr glitt unter 
schmetterndem Fanfarenschall unser Schiff die Elbe hinunter, 
diesmal den Kiel nach Westen richtend. 

Von den an der ostfriesischen Küste gelegenen Bädern war 
zunächst Norderney, an Frequenz, Comfort und Voll¬ 
kommenheit der hygienischen Einrichtungen die Königin der¬ 
selben, unser Ziel. 29 000 Kurgäste hat das Bad heuer in seinen 
schmucken Privatbauten und seinen grossartigen Hotels beher¬ 
bergt, ein glänzender Beweis, wie reiche Frucht die von der pr. 
Regierung und von der Bevölkerung im gleichen Maasse auf die 
Entwicklung des Bades verwendete Sorgfalt einträgt. Norderney 
ist das vornehmste deutsche Seebad und berufen, die benachbarten 
belgischen Seebäder allmählich aus der Rolle zu verdrängen, 
welche sie heute noch für einen Theil des deutschen Badepubli¬ 
kums spielen. Die „Prinzessin Heinrich“ wurde von einer grossen 
Menge am Landungssteg erwartet, und die freudigen Gesichter, 
die uns bei der Wagenfahrt durch den Ort an allen Ecken be- 
grüssten, zeigten uns gleich, dass wir auch hier willkommene 
Gäste waren. Der Strand mit einer breiten gemauerten Pro¬ 
menade versehen, elektrisch beleuchtet, durch eine gewaltige 
Steinmauer gegen die zerstörende Wuth der Wogen geschützt, 
hat kräftigen, an jenen von Sylt erinnernden Wellenschlag, 
sehönen, reinen Sandgrund und mag, im Sommer von Tausenden 
bevölkert, dann einen grossartigen Anblick gewähren. Nachdem 
wir in dem geschmackvoll dekorirten Saale des Kurhauses 
während des Abendessens durch einen Vortrag eines der Herren 
Kollegen au9 Norderney über die Studienobjekte vorbereitet 
worden waren, begann am 4. Oktober die Studienreise durch die 
Insel. Das Trinkwasser wird mittels 6 grosser Brunnen etwa 
45 m aus dem Sandboden der Insel gehoben, dann wegen des sehr 
intensiven Geruches nach SIL in einem Lüftungsthurm „ent¬ 
lüftet“ — ohne dadurch zu einem Musterwasser zu werden. Die 
aus der obligat eingeführten Schwemmkanalisation herstammen- 
den Abwässer werden Rieselfeldern zugeführt, wo inmitten des 
kahlen sandigen Dünenthaies plötzlich ein üppig gedeihendes 
Gemüsefeld sich dem Blicke darbietet. Eines lebhaften Inter¬ 
esses der Besucher erfreute sich das grosse Kaiserin-Friedrich- 
Seehospiz, das 264 Kindern den auch über den Winter sich er¬ 
streckenden Aufenthalt an der See bietet. Die Anstalt, nach 
Beneke’s Angaben musterhaft eingerichtet, besitzt 8 grosse 
luftige Pavillons mit einem Spielraum für die kleinen Pfleg¬ 
linge, die hier, den ganzen Tag in der Seeluft sich tummelnd, 


die besten Bedingungen für ihre Besserung oder Heilung finden 
können, wenn der Aufenthalt lange genug ausgedehnt werden 
kunn. Von den öffentlichen Einrichtungen Norderneys verdient 
noch die grosse Warmbadennstalt besonders hervorgehoben zu 
werden. 

Der Nachmittag des Tages war einem Ausflug nach der 
Insel Juist gewidmet. Auch dieses Bad, dessen schöner breiter 
Strand allgemein gefiel, arbeitet mit aller Energie an der weiteren 
Entwicklung seiner hygienischen und sonst den Badezwecken 
dienenden Einrichtungen. Die Gemeinde strebt vor Allem dar¬ 
nach, Juist den Charakter eines billigen Familienbades zu er¬ 
halten. Mit bedeutendem Aufwand wurde ein Isolierhaus für 
akut infektiös Erkrankte erbaut, sowie eine komfortable Warm- 
wasserbadanstalt eingerichtet. 

Das grosse Festessen, das Abends in Norderney stattfand, 
brachte in Folge der Anwesenheit des Herrn Regierungsprä¬ 
sidenten und anderer offieieller Personen unseren vielgeplagten 
Comitemitgliedern wieder einmal zahlreiche Repräsentations¬ 
pflichten, denen besonders Liebreich und Meissner in 
glücklichster Weise gerecht wurden. 

Sie sehen, Verehrtester, dass die Studienreise für uns Alle 
keine eigentliche Erholungsreise darstellte. Fast auf jeden Tag 
traf ein neues Bad, ein neues Bett und eine neue Insel. An 
einer Insel aber war das Comite bei dieser Rechnung ganz 
unschuldig. Das ist eine Geschichte für sich, die nicht zu den 
erfreulichen Kapiteln den - diesjährigen Studienreise gezählt 
werden kann. Die Sache hat schon ihren Weg in die Presse ge¬ 
funden, darum sei auch hier davon gesprochen. Ich als un¬ 
schuldiger süddeutscher Doktor hatte bisher kaum davon wispern 
gehört, dass das Meer bei Borkum und ein Theil seiner 
Schwimmgäste antisemitisch gefärbt sei. Nun war der Besuch 
der Insel sowohl auf dem ersten Reiseprogramme des Komitee 
gestanden, als auch noch auf der Quittung über den für die 
Reise eingesandten Betrag namentlich aufgeführt. Das definitive 
Programm hatte den Namen Borkum ausgemerzt. Bald wurden 
Stimmen laut, welche Borkum wieder auf den Reiseplan ge¬ 
setzt wünschten, sie konnten aber den Beschluss des Komites nicht 
ändern. Die Berliner Aerzte-Corr., welche die Angelegenheit in 
No. 42 bespricht, erkennt an, dass der Wunsch, Borkum zu be¬ 
suchen, objektiv betrachtet, ein ganz berechtigter war. Wenn 
Herr C o h n, der Verfasser des eben angeführten Artikels, dann 
weiter fährt, dass die wegen des Borkumer Besuches eingeleitete 
Agitation „schnell einen durchaus antisemitischen Charakter an¬ 
genommen“ hätte, so thut er mit dieser Behauptung entschieden 
einem grossen Theile jener Herren Unrecht, welche Borkum 
aus Interesse wissenschaftlicher Art zu be¬ 
suchen wünschten und die Verquickung mit antisemitischen Strö¬ 
mungen unter den Reisegenossen als eine durchaus nicht ange¬ 
nehme Beigabe empfanden. Es war doch nicht möglich, noch 
eine 3. Gruppe aus der Reisegesellschaft abzuspalten, welche 
auc h, aber ohne Antisemitismus, Borkum sehen wollte. Dann 
wäre man, wahrscheinlich mangels so vieler verfügbarer Dampfer, 
wirklich aus nautischen Gründen, nicht nach Borkum gekommen! 
Es wurde also eine Sonderstudienreise nach Borkum inscenirt. 
Die Anti-Borkumer blieben eben am 5. Oktober auf Norderney, 
die Philo-Borkumer mussten aus nautischen Gründen an diesem 
Tage zur Strafe um V*4 Uhr aufstehen, erblickten aber dann 
ihr geliebtes Eiland schon Morgens um Vz9 Uhr. 

Wer eine Studienreise in die deutschen Nordseebäder unter¬ 
nimmt, muss in der That Borkum gesehen haben. Seit dem Jahre 
1890, wo schon über 6000 Kurgäste den schönen Strand der 
Insel besuchten, ist ihre Zahl um weitere 10 000 gestiegen, und 
damit Borkum in die Reihe der Badeorte grossen Stils ein¬ 
gerückt, dessen Verwaltung mit dem oben gekennzeichneten Er¬ 
folge bestrebt ist, die Einrichtungen des Bades auf eine seiner 
Frequenz entsprechende Höhe zu heben. Wie in Norderney ist 
der Strand durch eine mächtige Mauer vor der zu grossen Gewalt 
der Wellen geschützt und mit ausgedehnten vortrefflichen Pro¬ 
menaden versehen, auf dem Ufer erheben sich wohlausgestattete, 
Hötelhauten, hübsche Villen nehmen die fremden Besucher auf. 
Im vorigen Jahr hat die Gemeinde zur Gewinnung eines ein¬ 
wandfreien Trinkwasser eine Wasserleitung einrichten lassen, die 
ebenso wie die Schwemmkanalisation für alle Häuser obligat ist. 
Borkum führt den Beinamen „Grüne Insel“ und einRundgang auf 
ihren schönen Wiesen belehrte uns, das9 sie ihn mit Recht trägt. 
An einer hinter der hohen Dünenkette liegenden geschützten 


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12. November 1901. MUENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 1863 


Stelle liegt das Kinderheim, durch dessen Räumt? sieh bald unsere 
Schaaren — 256 waren mit von Norderney herübergefahren —■ 
kritisch musternd ergossen. Hann ging der Marsch hinaus zum 
Badestrand und sie werden sehr erstaunt sein, es zu hören: 
eine Anzahl der Herren konnte sich das Vergnügen eines See¬ 
bades am 5. Oktober nicht versagen und kamen davon schwär¬ 
mend zum Frühstück. Wir Anderen hatten es vorgezogen, die 
grossartige Wannwasseranstalt zu besichtigen und dort die 
Glieder in dem auf 24 Grad angewärmten Meerwasser zu strecken, 
das in den Holzwannen von seinem poetischen Blaugrün sehr ver¬ 
liert und sich als bräunliche, die Schleimhäute durch den 
3Va proc. Salzgehalt merklich reizende Flüssigkeit darstellt. 

Daa Meer aus seiner bisherigen Ruhe durch einen steifen 
Südwest aufgejagt und den bei der Tafel Säumenden mit 
schwieriger Heimfahrt durch die Watten bei eiutretender Ebbe 
drohend, hatte die Güte, die Fortsetzung einiger Tischreden hint¬ 
anzuhalten, die, aus der oben kurz berührten Vorgeschichte des 
Borkumer Besuches herausgewachsen, einen erfreulichen Ein¬ 
druck nicht hinterlassen konnten. So ging ee schliesslich in Eile 
zur Bahn und hinein in den Dampfer, der unter sicherer Führung 
die „Borkumer“ bei strömendem Regen und sausendem Wind 
wieder an das Gestade Nordemey’s brachte, das eben im Scheine 
elektrischer Beleuchtungsapparate erglänzte, welche den auf 
Norderney Zurückgebliebenen bei einfallender Nacht vorgeführt 
wurden. In der Nacht auf den 6. Oktober hob sich der Wind 
zum Sturm, warf schäumende Wellen zum Strand und heulte und 
pfiff sein gewaltiges Lied mit voller Macht gegen die uns bergen¬ 
den Mauern. „Morgen gibt es schlimme Fahrt“, sagte Meiss- 
n e r. Diesmal hatte er Recht. 

+ 

Am Himmel hingen schwarze, wild zerrissene Wolken, als 
wir mit grauendem Tag auf das Verdeck unserer „Prinzessin 
Heinrich“ stiegen. Die Plätze mittschiffs waren sehr begehrt, 
nur die erfahrenen Seelöwen verachteten das und kletterten stolz 
auf den Stern, ganz vorne, wo es am lieblichsten schwankt. Sie 
werden es begreifen, Herr Kollege, dass meine Wenigkeit nicht 
vorn, nicht hinten, sondern in der Mitte sein Stiihlchen suchte. 
Als unser Schiff die ungestüm wogende See zu durchfurchen 
begann und vom Strande der Insel her Böllerschüsse, deren Schall 
der Sturm fast ganz verschlang, ihren Qualm erkennen Hessen, 
sollen schon die poseidonisehen Opfer begonnen haben. Ich 
selbst, um es Ihnen heimlich zu sagen, machte nach Heinz 
die tiefsten Inspirationen, ohne das betreffende Centrum auf 
die Dauer begütigen zu können. Auf Deck war und blieb die 
Stimmung aber gut und als wir später in etwas ruhigeres Wasser 
kamen und nicht alle paar Minuten durch grosse Gleichgewichts¬ 
störungen unserer Stiihlchen fast beraubt wurden, hätten Sie 
trotz des sturmgepeitschten Regens manch’ fröhliches Lied aus 
unserer Runde vernehmen können. Mit bedeutender Verspätung 
liefen wir Wilhelmshaven an, wo die Sturmwarnungssignale aus¬ 
gesteckt waren und die Führer der im Wimpelschmucke da¬ 
liegenden Lloyddampfer erklärten, nicht mit Sicherheit die Rei¬ 
senden nach dem Bade Wangerooge, dessen Besuoh für den 
Nachmittag geplant war, bringen zu können. Es war gewiss 
schade, dass die Fahrt nach dem aufstrebenden Kurorte unter¬ 
bleiben musste, der seine Gäste ebenso gerne wie die anderen 
Bäder an seinem Strande gesehen hätte. 

Hier endet meine Studienreise. Die „Prinzessin Heinrich“ 
lief am nächsten Tage, dem 7. Oktober, unter sehr heftigem 
Sturm und gewaltig bewegter See direkt, da Helgoland in Folge 
der Wetterungunst nicht mehr angelaufen werden konnte, nach 
Hamburg zurück, das sie erst am späten Abend erreichte. Das 
Gros der Theilnehmer hatte es vorgezogen, keine weitere Probe 
von Seefestigkeit auszufechten und ging in Wilhelmshaven an 
Land, hier sich mit den Ausdrücken warmen Dankes von deu 
Comitemitgliedern trennend, die ihn wohl verdient hatten. Wir 
sprechen die Hoffnung aus, dass die Borkumer Episode keine 
solche Verstimmung bei den so thatkräftigen Organisatoren der 
heurigen Studienreise hinterlassen haben möge, dass sie nächstes 
Jahr zu einer zweiten ihre bewährte Erfahrung und Energie 
in den Dienst der Allgemeinheit der deutschen Aerzte zu stellen 
unterlassen. Das Comite, die Badeverwaltungen, die Nordsee¬ 
linie, die Gemeinden und noch manche andere Mitwirkende 
haben sich die dankbare Anerkennung der Theilnehmer der 
ersten ärztlichen Studienreise verdient und die soll ihnen aus¬ 
gesprochen werden! 


Wenn Sie also das Resultat der Studienreise übersehen, 
Herr Kollege, so ist es gewiss ein zu weiteren Unternehmungen 
dieser Art sehr ermunterndes. Wie Liebreich in einer 
seiner Ansprachen mit Recht betonte, stellt die Reise eine Er¬ 
gänzung der Lehrmittel der Universität hinsichtlich des balneo- 
logischen Unterrichts durch die Natur dar. Aus der persön¬ 
lichen Anschauung haben wir reiche Anregung schöpfen und 
da und und dort uns Begriffe bilden können, wo vorher nur 
ein geschriebenes Wort stand; wir haben der guten Sache der 
deutschen Seebäder nützen können und, das dürfen wir nicht 
vergessen, unserer Suprema lex, dem Wohle der Kranken, die 
wir in manchen Stücken nun besser berathen werden. 

Wären Sie nur schon heuer mitgegangen! Sicher hätten 
Sie den Anfang damit gemacht, in den herrlichen Mondnächten 
von der Düne herab das glitzernde Meer zu bewundern, statt im 
Kurhaussaale Hummer und Krickenten zu speisen! 

Ihr balneologisch Ihnen jetzt überlegener Kollege 

Grassmann - München. 


Briefe aus Italien. 

(Eigener Bericht.) 

B e 11 a n o (Comersee), 15. Oktober 1901. 
Pathologie des Sympathicus und Morphologie des mensch¬ 
lichen Körpers von Prof. De Giovanni. — Die Quelle 
Boncegnos und ihre Eigenschaften. 

Die schöne Ferienzeit, die ich heuer wieder in Deutschland 
zubrachte, geht zu Ende und ich muss nach Rom zurückkehren, 
um meine Thätigkeit in B a c c e 11 i’s Klinik wieder auf¬ 
zunehmen. Bevor ich aber meine „römischen Briefe“, deren 
erste Serie ich im Juli beschloss, wieder beginne, möchte ich allen 
jenen verehrten Kollegen, die an diesen Briefen Gefallen fanden 
und dies mir in liebenswürdigen Zuschriften mittheilten, hier 
meinen herzlichsten Dank für ihre Freundlichkeit aussprechen 
und sie um ihr ferneres Wohlwollen bitten. 

Bei meiner Rückreise durch Südtyrol wollte ich diesmal die 
Gelegenheit benützen, Herrn Prof. De Giovanni von der 
Universität Pudua und das berühmte Bad Roncegno, wo er als 
Consulent weilt, kennen zu lernen. Ich hatte schon verschiedene 
Werke des gelehrten italienischen Klinikers gelesen und gewährte 
es mir desshalb doppelte Geuugthuung, mit dem liebenswürdigen 
Autor persönlich bekannt zu werden. Die Pathologie des Sym¬ 
pathicus und die Morphologie des menschlichen Körpers sind 
jene Werke De G i o v a n n i’s, die mir den grössten Eindruck 
machten. Bekanntlich bilden die Krankheiten des Sympathicus 
ein noch ziemlich dunkles Gebiet und sehr bunt, und von den ver¬ 
schiedenen Autoren verschieden gedeutet und erklärt sind die 
Krankheitsbilder, die durch die funktionellen und anatomischen 
Alterationen des Sympathicus hervorgerufen werden. Ich halte 
die Pathologie des Sympathicus von De Gio¬ 
vanni für eine der besten bis jetzt über dieses Argument ver¬ 
öffentlichten Arbeiten, die auch verdiente, im Auslande ihren 
Leserkreis zu finden. 

Sehr interessant und zu ernsten, nutzbringenden Gedanken 
anregend ist auch die Morphologie des menschlichen 
Körpers, ein Buch voll origineller Gedanken und gesunder 
Urtheile über den Zweck der Medicin, sowie über die Art, den 
Kranken gut zu untersuchen und zu behandeln. Des Weiteren 
wird durch dieses Werk eine neue Methode in der Klinik ein¬ 
zuführen gesucht, d. h. die genaue Messung der verschiedenen 
Theile des menschlichen Körpers, durch die man beurtheilen 
kann, welches der Organe am schwächsten entwickelt ist und 
daher den Locus minoris resistentiae bildet. In der 
weiteren Folge könnte man dann eine Art von vorbeugender 
Therapie ausüben, indem man das schlecht entwickelte (und 
daher früher oder später erkrankende) Organ durch geeignete 
Methoden zu stärken und 9eine, im Vergleich mit den übrigen 
Organen schwächliche Funktion zu heben sucht. De Gio¬ 
vanni stellt als „hauptsächliche, morphologische 
Type n“ drei Gruppen auf, welche wirklich gewöhnlich in der 
Praxis zu finden sind und in die jeder gesunde oder kranke 
Mensch auf genommen werden kann. Das Werk und das System, 
das der langjährigen Praxis des ebenso gelehrten, als bescheidenen 
Kliniker entspringt, verdient gewiss die weiteste Beachtung. 
Ich muss mir leider versagen, hier noch näher darauf einzugehen, 
aber ich kann nicht umhin, den Wunsch auszusprechen, dass 


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1S64 MlJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 46. 


diese Werke De G i <» v a n n i's eiyen guten Uebersct.zer finden 
möchten, damit auch die deutschen Kollegen mit ihnen bekannt 
werden. 

Wie schon gesagt, war der Zweck meines Besuches in Rou- 
cegno, auch das Bad und dessen Wirkungen aus persönlicher 
Anschauung kennen zu lernen. Ich muss es mir leider versagen, 
hier näher auf die entzückende Lage des ausgedehnten Eta¬ 
blissements und dessen comfortable Einrichtungen einzugehen.; 
ich will auch nicht von der glänzenden, internationalen Gesell¬ 
schaft sprechen, die aus allen Theilen der Welt hier zusammen¬ 
strömt, um Stärkung und Gesundheit zu suchen, sondern will 
mich darauf beschränken, über die Wirkungen der Quelle Ron- 
cegnos das zu berichten, was ich gesehen habe und was auch die 
verehrten Leser dieser Zeitschrift interessiren kann. Das als 
Iiaupttheile Arsen und Eisen, als Nebentheile Kobalt und Nickel 
enthaltende Wasser sprudelt durch Schachte, die in die Berge 
gegraben wurden, reichlich hervor. Von den Austrittsstellen 
wird es in Röhren in grosse Reservoirs geleitet und aus diesen 
in die bekannten Flaschen gefüllt oder zu Badezwecken direkt 
in die Anstalt wcitergeleitet. Das Wasser wird sowohl innerlich 
als äusserlich angewendet. Für innerlichen Gebrauch beginnt 
man mit einem Esslöffel voll und steigt bis auf 3—4 täglich. 
D e G i o v a n n i hat aber auch in einigen Ausnalunefällen — 
Neurose, verbunden mit schweren Blutdyskrasieu — bis zu einer 
Flasche (250 g) und mehr pro Tag mit bestem Erfolg verordnet. 
Kindern wird natürlich nur ein Theelöffeichen voll gereicht und 
in einzelnen Fällen ist es nöthig sogar tropfenweise anzufangen 
und die Dosis ganz langsam zu vergrössern. Als Bad wird das 
Wasser verwendet, indem man ilun so viel kochendes Wasser bei¬ 
mengt, dass man es auf eine Temperatur von 26—29 0 bringt. 
Die Dauer des Bades variirt von 10—40 Minuten. -Auch der 
Niederschlag des Wassers iu den Leitungen, bezw. Reservoirs 
kommt als Fango auf dein ganzen Körper oder auch nur auf be¬ 
stimmten Theilen bei gewissen Neuralgien, bei Rheumatismus, 
chronischen Entzündungen in Anwendung. Bei allen Krank¬ 
heiten, bei denen die Zusammensetzung des Blutes alterirt ist, 
bringt das Wasser Roneegnos den grössten Nutzen. Ich habe 
selbst viele Badegäste, besonders Mädchen gesprochen, die blass, 
kraftlos, mit andauerndem Kopfweh und schwachen Nerven 
nach Roncegno gekommen und hier hergestellt worden waren. 
Also die verschiedenen Anaemien finden hier die beste Kur¬ 
methode. Auch die Folgen der Malaria werden in Roncegno 
rasch beseitigt und war es eine grosse Freude für mich, liier 
viele Römer zu finden. Für die Pellagra ist das Wassor Ron¬ 
eegnos meiner Ansicht nach ein specifisches Heilmittel; ich be¬ 
schäftigte mich vor einigen Jahren viel mit dieser Krankheit 
und - kann desshalb aus Erfahrung behaupten, dass Eisen mit 
Arsenik die beste Wirkung hat Herr Dr. Gazzoletti, Arzt 
im Dorfe Roncegno, kam mir auf’s Liebenswürdigste entgegen, 
gab mir alle möglichen Erklärungen und zeigte mir auch seine 
Pellagrakranken, die eine Art von Kolonie in Roncegno bilden. 
Auch er rühmte die ausgezeichneten Erfolge, die er mit dem 
Wasser bei den Pellagrosen erzielt. Bei Neurasthenie, Hysteris¬ 
mus, bei Morbus Basedow und A d d i s o n’scher Krankheit, bei 
Gebärmutter- und Hautkrankheiten sind zahlreiche Erfolge in 
der medicinischen Literatur von Berühmtheiten, wie Bene¬ 
dikt, Braun, Hebra, Ewald, Nothnagel etc. ver¬ 
zeichnet. 

Nur Eines fehlt dem schönen, so heilkräftigen Bade und 
ich, als Italiener, bedauerte dies doppelt, das heisst eine direkte 
Bahnverbindung zwischen Roncegno und Venetien. Von Deutsch¬ 
land fährt man bequem über Innsbruck und Trient; ein grosser 
Theil der italienischen Gäste aber muss entweder einen grossen 
Hinweg mit der Bahn machen oder die Strecke von Bassano 
nach Roncegno zu Wagen zurücklegen. Ich halte es für einen 
grossen Fehler der italienischen Regierung, diese Strecke nicht 
auszubauen und dadurch diesen Theil Südtyrols, der durch Sitte, 
Sprache und Gesinnung italienisch ist, mit dem Mutterlande in 
direkte Verbindung zu bringen. Hoffentlich wird dieses Ver- 
säumniss bald nachgeholt, zu Nutz und Frommen der italie¬ 
nischen Besucher Roneegnos, zum Wohl des schönen Bades, so¬ 
wie zur Freude des ganzen Thaies! Dr. Giov. Galli. 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

Der ärztlichen Standes- und Ehrengerichts- 
o r d u u n g widmete der vorberathende Ausschuss der bayer. 
Abgeordnetenkammer zwei weitere Sitzungen, in denen die beiden 
letzten Abschnitte der Standesordnuug erledigt wurden und die 
4 ersten Artikel der Ehrengerichtsordnung zur Besprechung 
kamen. 

Die von den Aerztekammern und dem Obermedicinal- 
ausscliusse entworfenen Grundzüge einer Standesordnung lauteten 
iu Abschnitt 

IV. Vom ärztlichen Honorar: 

„35. Die ärztlichen Bezirksvereine sollen bindende Ortstaxen 
aufstellen. Diese Taxen mögen dem Bedürfniss entsprechend für 
Private lind für Kassen verschieden gehalten werden. Ein 
grösserer Ort oder ein abgegrenzter kleinerer Bezirk mag auch 
für sich Ortstaxen aufstelleu, die vom Bezirksverein zu ge¬ 
nehmigen sind. 

36. Verträge einzelner Aerzte mit öffentlichen oder privaten 
Korporationen, insbesondere mit Versicherungsgesellschaften und 
Anstalten, mit Kranken-, Unfall-, Iuvaliditäts- und sonstigen 
Kassen sind von diesen und den vom Bezirksverein dazu auge¬ 
stellten Kommissionen abzuscliliessen. 

37. Jeder Arzt ist ausserdem verpflichtet, nicht unter die auf- 
gestellten Staats- bezw. Ortstaxen herabzugehen. 

38. Unbemittelten kann das Honorar geschenkt werden. Nach¬ 
lässe am Honorar sollen nicht stillschweigend geschehen, sondern 
bei der Rechnungsstellung bemerkt werden. 

39. Jeder Arzt ist verpflichtet, zahlungsfähige Kranke in der 
Regel nicht unentgeltlich zu behandeln. 

40. Bei Bewerbung um öffentliche oder private ärztliche 
Stellen aller Art darf kein Unterbieten der bestehenden Taxen 
statt linden, seien sie von ärztlicher oder anderer Seite festgesetzt. 

41. Bei Bewerbung imu solche Stellen ist jede Aufdringlichkeit 
bei den vergebenden Verwaltungen, sowie jedes Herabsetzen der 
Eigenschaften von Konkurrenten streng zu melden.“ 

Keinem Abschnitte der Standesordnung ging es so schlecht 
wie diesem; Widerspruch mit der Gewerbeordnung! Zuchthaus¬ 
paragraph! so ähnliche Bemerkungen vermerken die Berichte der 
Tagespresse. So oft ein neuer Paragraph zur Berathung kam, 
beantragte der Referent mit automatischer Sicherheit die Ab¬ 
lehnung desselben; sie fielen auch alle in der mörderischen Rede¬ 
schlacht mit alleiniger Ausnahme des letzten, der gegen drei 
Stimmen (v. Landmann, Dr. G ä c h, Dr. v. Haller) an¬ 
genommen wurde. Dagegen wurde auf Antrag des Referenten, 
der nach seiner Aeusserung nicht bloss streichen, sondern auch 
eine positive Bestimmung treffen wollte, folgender Beschluss, aller¬ 
dings nicht ohne Widerspruch, gefasst: 

„Die Bezahlung der approbirten Aerzte ist der Vereinbarung 
überlassen; die Standesordnung darf keine Vorschriften ent¬ 
halten. welche dieser grundsätzlichen Bestimmung in irgend 
einer Weise widerspricht. Streiks mit Hilfeverweigeruug wider¬ 
sprechen der Würde des ärztlichen Standes.“ 

Vom Standpunkte des Gewerberechtes für heute nur einige 
kurze Notizen: Absatz 1 steht in der Gewerbeordnung, ist also 
überflüssig, Absatz 3 widerspricht derselben, da jeder Arzt zur 
Verweigerung der Hilfe, wenigstens nach der Gewerbeordnung, 
bereehtigt ist, ist also ungesetzlich und zu Absatz 2 ist zu be¬ 
denken, dass bei einer Vereinbarung die Aerzte selbst doch auch 
mitreden und durch kollegialen Zusammenschluss sich vor standes¬ 
unwürdiger Honorirung schützen dürfen. Der ganze Antrag Ist 
nur darauf berechnet, die Aerzte den Krankenkassen und sonstigen 
„Arbeitgebern“ bedingungslos auszuliefern. 

Da in der Ausschusssitzung auch über Aerztestrelks ge¬ 
sprochen wurde, nimmt Herr v. Landmann vielleicht Anlass, 
auch eine Standesordnung für Krankenkassen und untere Ver¬ 
waltungsbehörden mit „positiven“ Bestimmungen anzuregen. 

Nun zu Abschnitt 

V. Vertretung: 

42. Bei vorübergehender Erkrankung oder beruflicher Ab¬ 
wesenheit soll einem Kollegen unentgeltliche Aushilfe geleistet 
werden. 

43. Bei längerer Abwesenheit oder Erkrankung bleibt die 
Regelung einer Entschädigung dem Uebereinkommen überlassen. 
Wurden bei Verhinderung des Hausarztes andere Aerzte zuge¬ 
zogen, so müssen sie die hausärztliche Stellung respektiren. 

44. Unentgeltliche Aushilfe erstreckt sich nicht auf grössere 
chirurgische und geburtshilfliche Leistungen. 

45. Aerztliehe Hilfe bei einem Kollegen und dessen engerer 
Familie soll unentgeltlich geleistet werden. 

Diese vier Ziffern werden ohne besondere Debatte ange¬ 
nommen. 

Ueber die Berathung der Ehrengerichtsordnung 
soll das nächste Mal, wenn die Berathung darüber weiter vor¬ 
geschritten ist. im Zusammenhang berichtet werden. 

Dr. Becker- München. 

Therapeutische Hotisen. 

Ueber die innere Behandlung der Perityphlitis 
verbreitet sich in einem lesenswerthen Artikel Bourget - Lau¬ 
sanne (Therap. Monatsh. 7, 1901). Zu Anfang desselben wird zu- 


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12. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1865 


nächst den Chirurgen gehörig der Text gelesen. Die bösen Chir¬ 
urgen. was haben sie Alles auf dem Gewissen! Seit 1885 haben 
sie die Interne Behandlung der Perityphlitis völlig aufgehoben, 
sie haben den Eltern bei ihren Sprösslingen die Präventivoperatiou 
des Wurmfortsatzes vorgesehlagen, sie haben auch die innere 
Behandlung verdorben, indem sie nur Eis und Opium empfahlen 
und Abführmittel und Lavements verboten. Und dabei haben sie 
die Pathogenese in keiner Weise gefördert! 

Es würde hier zu weit führen, diese schweren Vorwürfe zu 
entkräften. Man kann cs ja verstehen, dass B. im Eifer für seine 
gute Sache sich zu einigen Ucbertreibungen hinreissen lässt. Aber 
es muss hier doch festgestellt werden, dass gerade unter den 
deutschen Chirurgen von Anfang an die Frage der Indikation 
zur Operation sehr genau erörtert worden ist und dass immer, 
wenn naturgemiiss auch Einzelne über das Ziel hinaus¬ 
geschossen haben, doch ein gutes Einvernehmen mit der internen 
Medlcin gewahrt geblieben Ist. Man hört das aus B.'s Aus¬ 
führungen ja auch schon theilweise heraus, wenn er sagt, dass die 
Chirurgen einerseits Alles operirt haben, andererseits die innere 
Behandlung verdorben haben. Beides zusammen können sie doch 
wohl nicht gethan haben. 

Tm Uebrigeu müssen wir B. für die Schilderung seiner Be¬ 
handlung, die sich ln der Tliat nicht unwesentlich von der landes¬ 
üblichen unterscheidet, dankbar sein. Verf. weist darauf hin, 
dass dem eigentlichen Perityphlitisanfall Monate- und Jahre lang 
Magen- und Darmstörungen vorausgehen. Deren Bekämpfung ist 
bei der prophylaktischen Behandlung sehr wichtig: Regelung der 
Diät (gemischte Kost mit wenig Fleisch, viel Gemüse, guten ge¬ 
kochten Früchten und viel Mehlspeisen). Sorge für Darmentleerung 
(Karlsbader Salz, Ricinusöl). 

Die Behandlung des eigentlichen Anfalles soll zum Zweck 
haben eine Desinfektion des Magens und Dünndarms und Aus¬ 
spülung des Dickdarms. Der Patient bekommt täglich 20.0 Ri¬ 
cinusöl, das 1 g Salacetol gelöst enthält. Zu den Darmspülungen 
nimmt man 1 Liter Wasser mit 4 g Ichthyol, nachdem man vorher 
eine kleine Menge Olivenöl mit etwas Menthol oder Thymol ein¬ 
geführt hat. Die Spülung wird Morgens und Abends gemacht, 
in der Zwischenzeit werden heisse Cataplasmen oder Blutegel an¬ 
gewendet. Vom 3. Tage ab bekommt der Kranke anstatt des 
Rlclnusöls folgendes Abführmittel: 

Rp.: Natrii bicarbonici’pur. 

Natr. phosnhor. exsicc. 

Natr. sulfur. sicc. äa 5,0 
Aq. ad 1000,0 

MDS. 3 bis 4mal täglich 150,0 zu nehmen. 

Mit dieser Behandlung scheint B. in allen Fällen völligen Er¬ 
folg gehabt zu haben. Krankengeschichten liegen nicht vor. Int 
anfallsfreien Stadium lässt er für geeignete Fälle die Operation 
gelten. K r e c k e - München. 

Ueber die Lichttber a p i e sprach Dr. L i n d e tu a n n - 
Berlin auf der Jüngsten Versammlung der balneologischen Gesell¬ 
schaft zu Berlin. Die Ilauptmomente seiner Ausführungen sind 
folgende: Die Glüh- und Bogenlichtbäder bewirken eine Anregung 
der Clrculation, des Stoffwechsels und besonders der Sehweiss¬ 
sekretion, und zwar wirken die Glühlichtbäder mehr erregend 
als die Bogenlichtbäder. Dieselben erweisen sich heilkräftig vor 
Allem bei Blutarmuth. chronischem Gelenkrheumatismus. Gicht. 
Ischias, sowie zur Unterstützung der Entfettungskur, endlich pro¬ 
phylaktisch anstatt der Dampfbäder, deren unerwünschte Neben¬ 
wirkungen (Kopfkongestion etc.» ihnen nicht anhaften. Die Be- 
strahlungsappHrate, in denen Bogenlicht von 15 bis 20 Ampöre 
Stärke auf die Haut reflektirt wird, wirken als: a) intensiver 
Hautreiz durch Konzentration der strahlenden Wärme auf die 
Haut (aktive nauthypememie). sowie korrosiv; l») haben sie eine 
unmittelbar bakterientödtende Wirkung, welche sich therapeutisch 
mit Erfolg verwerthen lässt zur Heilung schlaffer, atonischer 
Geschwüre. Aknepusteln, Furunkeln etc. Intensiver baktericld 
wirkt, zumal bei Lupus, das Finsenllclit. bei welchem ein Bogen¬ 
licht von 40—80Ampöre Stärke zur Verwendung kommt. (Deutsche 
Med.-Ztg. 1901, No. 34.) P. H. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 12. November 1901. 

— Die Standesordnung für die bayerischen Aerzte. 
In welcher die den Aerzten obliegenden Pflichten bei Ausübung 
ihres Berufes und zur Wahrung der Standesehre festgestellt wor¬ 
den. sollte nach dem Gesetzentwürfe nach Einvernahme der 
Aerztekammem und des Obermedicinalausschusses durch das 
Staatsininisterium des Innern erlassen werden. In dem vor- 
berathenden Ausschüsse der Abgeordnetenkammer wurde von 
Seiten des Referenten Abg. v. Landmann das Verlangen ge¬ 
stellt. die wichtigsten Bestimmungen der Standi^sordnung in das 
Gesetz selbst aufzunehmen, und es wurde zunächst beschlossen, 
dass der Referent und der Correferent im Benehmen mit dom 
Ministerialreferonten Vorschläge darüber machen sollten, welche 
Bestimmungen der l»ereits durchbernthenen Standesordnung in das 
Gesetz selbst mltaufgenommen werden sollten. 

Aus Anlass dieses Beschlusses sind der ständige Aus¬ 
schuss der oberbayerischen Aorztekammcr und 
der stellvertretende Vorsitzende des ärztlichen Be¬ 
zirksvereines München beim k. Staatsministerium des 
Innern in einer gewährten Audienz persönlich dahin vorstellig ge¬ 
worden. dass die Standesordnung nach der im Gesetzentwurf vor¬ 
gesehenen Weise durch das k. Stantsminlsterhim des Innern er¬ 


lassen werden und dass, wenn überhaupt, möglichst wenig Be¬ 
stimmungen aus derselben in das Gesetz herübergenommen werden 
mögen, und zwar nur diejenigen, welche die allgemeinere Ver¬ 
pflichtung des Arztes zu gewissenhafter Ausübung seines Berufes 
und zu einem standeswürdigen Verhalten in und ausser der Be- 
rufstlüitigkeit, sowie die Nichtunterstellnng der politischen, reli- 
.giösen oder wissenschaftlichen Ansichten oder Handlungen unter 
das ehrengerichtliche Verfahren enthalten. 

— Um der in den Ausschussverhandluugen betr. der ii rzt- 
liehen Standes- und Ehreugerichtsordnung 
wiederholt nufgestellten Behauptung, als stünde hinter den Befür¬ 
wortern dieser Ministerialvorlage nicht die Mehrzahl der prak¬ 
tischen Aerzte. ein für allemal die Spitze nbznbreehen, hat die 
mittelfränkische Aerztekammer bei ihrer letzten Tagung be¬ 
schlossen, eine Sammelforschung bei sämmtliehen Aerzten Mittel¬ 
fraukens zu veranstalten. Das Ergebnis* dieser EnqutHe ist fol¬ 
gendes: In Mlttelfrnnken beträgt die Zahl der praktischen Aerzte 
zur Zeit 365. Keine Auskunft konnte erhalten werden von 
27 Aerzten. von denen etwa 18 verreist waren: von den iibrlg- 
bleilK*nden 338 haben 329 mit. J a gestimmt. 

— Bei den preussischon Aerzten erregt ber«*ehtigtes Aufsehen 
der Versuch des Medicinalministers. den Medieinnll>enmton. die 
schon dev Judieatur der staatlichen Ehrengerichte entzogen sind, 
auch den Ehrengerichten der privaten Standes¬ 
vereine gegenüber eine Ausnahmestellung zu geben. In einem 
Erlasse erklärt es der Minister für empfehlenswerth. dass die ärzt¬ 
lichen Standes vereine diejenigen Bestimmungen in ihren Satzungen 
streichen, nach denen sich die Vereinsohrengeriehtsbarkeit auch 
auf die beamteten Aerzte erstreckt. Es ist erfreulich, dass zu¬ 
nächst die Berliner Aerzte diesen Versuch der Einmischung des 
Ministers in rein private Angelegenheiten der Aerzte zurückgewiesen 
haben. Der Geschäftsausschuss der Berliner ärztlichen Standes¬ 
vereine hat folgende Beschlüsse gefasst: 1. Die Beibehaltung der 
Elirepgerielitsbarkeit der Vereine ist dringend erforderlich: 2. die 
Unterstellung der Medicinalbenmten unter die Ehrengerichtsbarkeit 
der Vereine ist nach wie vor geboten: 3. eine behördliche Ein¬ 
wirkung auf die Verelnssntzungen ist zurtickzuweisen. Auch das 
Aerztliche Vereinshlntt verhält sich der Anregung des Ministers 
gegenüber entschieden ablehnend. Mit Recht wird dort darauf hin- 
gewiesen, welch’ schwere Schädigung cs für beide Tlieile sein 
würde, wenn die beamteten Aerzte der Theiinalime am ärztlichen 
Vereinsleben entzogen würden. 

— In Wien hat sich am 7. November 1. .Ts. eine ärztliche Ver¬ 
einigung als ..Gesellschaft für innere Med lein“ neu 
konstituirt. Hofrath Dr. Nothnagel führte als Präsident der 
Gesellschaft, in längerer Rede die Xothwendlgkelt dieser Gründung 
aus. Zu Vloepräsidenten wurden die nofrätho Neusser und 
v. Sehr ö t t e r. zu Sekretären die Dozenten Herz und Schle¬ 
singer gewählt. Die neue Gesellschaft hat sich auf der Grund¬ 
lage des früher bestandenen . Mediciniechcn Club“ gebildet. 

- Ein Institut für Lichtthernnie wird in Wien 
gegründet werden, ln der letzten Sitzung der Gesellschaft der 
Aerzte theilte Prof. T, n n g mit. dass er ln Verbindung mit 
mehreren anderen Aerzten und Menschenfreunden nach dem Vor 
bilde des F i n s e n’sehen Institutes ln Kopenhagen auch in Wien 
ein Institut, für TJchttheranie errichten werde. In erster Linie 
sollen hier Lupöse behandelt werden. Das Institut werde nach 
seiner Fertigstellung der staatlichen Oberleitung eewissermänssen 
als Stiftung übergeben werden. Unter den Stiftern befinde sich 
schon der Kaiser, welcher dem Institute 10 000 Kronen ge¬ 
widmet habe. Diese Mittheilung Prof. L a n g’s wurde sehr bei¬ 
fällig aufgenommen. 

— Aus Anlass des n.merdings erfolgten Auftretens des bös¬ 
artigen Maul- und Klauenseuche ln einigen Bezirken 
Bayerns hat das kgl. Staatsministerium des Innern angeordnet, 
dass von dem B a c c e 11 i'sehen Heilverfahren (Infektion eine 
Sublimntlösung in die Halsvenel in einzelnen von der bösartigen 
Form der Seuche betroffenen Orten, zunächst des Regierungs¬ 
bezirkes Mlttelfrnnken. mit thunllchster Beschleunigung Gebrauch 
gemacht werde. 

— Pest. Grossbrttnnnien. Einer Mittheilun<r vom 20. Okt. 
zu Folge sind ln Liverpool wegen Pestverdachts 2 Kranke In das 
nosnital nuftronommen worden. Tn Glasgow sind zu Folge einer 
Mittbellnnr' vom 1. Nov. neuerdings 4 Pesterkrnnkungen. darunter 
1 mit tödtltchein Ausgange, festgostellt worden. — Russland. In 
Batum sind zu Folge einer Mittheilnng vom 30. Okt. Pesterkrank- 
nngon festgestellt worden. — Aegypten. Tn der Zelt vom 18. bis 
25. Okt. sind Insgesammt 3 Erkrankungen (1 Todesfall) an der 
Pest festgostellt worden, davon 1 (—) In Alexandrien. 1 (1) in 
Mit Oamr. 1 (—) in Ziftah. - Britisoh-Ostind'en. In der Präsident¬ 
schaft Bombay sind in <b>r am 4. Okt. abgelaufenen Woche 9470 
Erkrankungen und 0532 Todesfälle an der Pest festgestellt worden, 
d. h. 134 mehr bozw. 121 weniger als in der Vorwoche. In der 
Stadt Bombay wurden in der am 5. Okt. endenden Woche 187 Er¬ 
krankungen und 177 Todesfälle an der Pest angezeigt: die Zahl der 
pestverdächtigen Sterbefälle betrug 175. die Gesnmmtzahl der 
Sterbefälle 875 gegen 912 in der Vorwoche. — Knpland. In der 
Woche vom 29. Sept. bis 5. Okt. sind auf der Kaplialbinsel 3 
(darunter 1 mit töiltliehem Ausgange) und in Port Elizabeth 4 (3i 
frische Pestfälie angezeigt worden: zu den Neuerkrnnkten an letz¬ 
terem Orte gehört auch die Oberin dos Pesthospitnis. — Queens¬ 
land. Einer Mittheilung vom 1. Nov. zu Folge ist das Land für 
post frei erklärt worden. 

— In der 43. Jahreswoclie. vom 20. bis 20. Oktober 1901. 
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 


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1.W; MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 4«. 


Sterblichkeit Beim mit 29,3 die* geringste Dessau und Kottbus 
mit je 9,0 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als 
ein Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen: 
an Masern in Essen; an Diphtherie und Croup in Beuthen. Brom 
borg. Königshütte; an Unterleibstyphus in Arnsberg. Düsseldorf. 

— In San Beim» wurde am 1. ds. das neu erbaute, unter Lei¬ 
tung von Dr. Curl Stern stehende Sanatorium ,.Riviera“ eröffnet; 

(Hochschulnachrichten.) 

Breslau. Das im Staatshaushaltsetat 1901/02 neu¬ 
geschaffene Extraordiuariat für innere Medicin an der hiesigen 
Universität ist dem ausserordentlichen Professor in der medi- 
einischen Fakultät Dr. med. Richard Stern übertragen worden, 
mit der Maassgabe, die Funktionen eines Direktors der zu er¬ 
richtenden selbständigen medicinlsehen Poliklinik auszuüben. 

Frei bürg i. B. Prof. Willibald Nagel erhielt einen Ruf 
nach Berlin als Vorsteher der physikalischen Abtheilung des physio¬ 
logischen Instituts der Universität, an Stelle des jüngst ver¬ 
storbenen Professors Arthur K ö n i g. 

Halle a. S. Zum a. o. Professor für gerichtliche Medicin 
wurde Dr. Z i e m k e - Berlin ernannt. 

Kiel. Die an hiesiger Universität neu errichtete Irren¬ 
anstalt wurde Anfang dieses Semesters ihrer Bestimmung über¬ 
geben und unter Leitung des Prof. Dr. S i e ra e r 1 i n g der 
klinische und poliklinische Unterricht begonnen. 

T ii b i n g e n. Prof. Dr. v. Bruns wurde von der Russischen 
chirurgischen Gesellschaft Plrogow's zum Ehrenmitgliede ge¬ 
wählt. 

Graz. Der ausserordentliche Professor der Histologie und 
Entwicklungslehre an der hiesigen Universität. Dr. Otto D rasch. 
Ist zum ordentlichen Professor befördert worden. 

Krakau. Habilitlrt: Dr. A. Roche nek für Anatomie: 
Dr. F. K r y s t a 1 o w i t s c h für Dermatologie und Syphilis. 

Wien. Prof. Englisch. Primararzt der chirurgischen 
Abtheilung an der k. k. Rudolfstiftung und a. o. Professor der 
Chirurgie, ist in den Ruhestand getreten. 


(Todesfälle.) 

Dr. A. V 111 a r d , Professor der medic. Klinik an der medi- 
cinisclien Schule zu Marseille. 

I>r. J. Magaz y Jai me. früher Professor der Physiologie 
an der med. Fakultät zu Madrid. 

(Berichtigung.) Herr Dr. Feld mann wünscht seiner 
auf S. 1ST0 dieser Nummer abgedruckteu Arbeit über einen Fall 
von Osteomalacie mit Geschwulstbildung noch beizufügen, dass 
einen weiteren, mikroskopisch sehr genau untersuchten Fall der 
beschriebenen Art W. S e h ü n e n b e r g e r im 1»>5. Baud von 
Virchow’s Arc.iiv publizirt hat. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. Johannes Reitz, approb. 1901, in Bogen. 
Dr. Max Borgenthal in Miltenberg (Unterfrauken). 

Gestorben: Dr. Eduard Reinhard, k. Hofrath, ln Weiden. 
Dr. Bernhard Dorsch in Mühlhof, 37 Jahre alt. 


Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheitenfür Mönchen 

in der 44. Jahreswoche vom 27. Oktober bis 2. November 1901. 

Betheiligte Aerzte 19G. — Brechdurchfall 12 (12*), Diphtherie, 
Croup 18 (15), Erysipelas 16 (8), Intermittens, Neuralgia intern. 
1 — (2), Kindbettfleber 2 (2), Meningitis cerebrospin. — (1), 
i Morbilli 25 (23), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat. 5 (1), Parotitis 
epidem. 4 (3), Pneumonia crouposa 9 (10), Pyaemie, Septikaemie 
— (—), Rheumatismus art. ac. 18 (17), Ruhr (dysenteria) — (—), 
Scailatina 7 (7), Tussis convulsiva 15 (21), Typhus abdominalis 
6 (6), Varicellen 13 (16), Variola, Variolois — (—), Influenza — (3), 
Summa 151 (144). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


•) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern: August 1 ) und September 1901. 


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Augsburg») 

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34 

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33 

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Pirmasens 

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3 

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1 

1 

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Bevölkerungsziffem*): Oberbayem l'823,888, Nlederbayera 678’192 
Pfalz 831,678, Oberpfalz 663,841, Oberfranken 608,116. Mlttelfranken 816,895, Unter¬ 
franken 660,766, Schwaben 713,681. — Augsburg 89,170, Bamberg 41,823, Hof 32,781, 
Kaizenlautem 48,310, Ludwigshafen 61,914, München 499,932, Nürnberg 261,081, 
Pinnasena 30,196, Regensburg 45,429, Würzburg 76,499. 

Einsendungen fehlen aus den Aemtem Kötzting, Neustadt a./II., Teusclmitz, 
Gunzenhausen, Neustadt a./A., Nürnberg, Hofheim, Königshofen, Würzburg und 
Wertingen. 

Höhere Erkrankungszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet 
aus folgenden Aemtem bezw. Orten: 

Brechdurchfall: Stadt- und Landbezirke Preising 39, Landsberg 41, 
Aemter Mimchen II 39, Altotting 34, Burglengenfeld 33 (hievon ärztl. Bezirk 
Schwandorf 29), Augsburg 40 beh. Fälle. 

Diphtherie, Croup: Stadt-und Landbezirke Bayreuth 16, Forchheim 14, 
ärztl. Bezirke Lenggries (Tölz) 14, Egling (Landsberg) 7 beh. Fälle. 

Influenza: Städte Augsburg, München, Nürnberg, Regensburg33, 60sonstige 
Bezirke 202 gemeldete Fälle 

Kindbettfleber: Bez.-Amt Zusmarshausen und ärztl. Bezirk Kallmünz 
(Burglengenfeld) je 3 beh. Fälle. 

Morbilli: Fortsetzung der Epidemien in den Aemtern Wegseheid (in 6 Ge¬ 
meinden). Germersheim (in Bellbelm, 41 beh. Fälle) und Kothenburga /T (Abnahme 
in Sehillingsfürst); ausgebreltcte Epidemie in der Stadt Nördlltigen, 146 beh. Fälle ; 
Epidemie ferner in Ochsenflirt, leicht, in Duehatt und in Oberkotzau (Hof). 
Stadt- und Laudbezirk Kaufbeuren 32, Bez.-Amt Hersbruck 27 beh. Fälle. 

Ruhr, dysenteria: 8 Fälle Im ärztl. Bezirke lfolzkircben (Miesbach). 

Searlatina: Stadt Erlangen 19 beh. Fälle, häutiges Vorkommen ln Neu¬ 
hofen und Rheingönheim (I.udwigshnfen). 

Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemien in den Bezirken Alt- 
ötting (noch 20 beh Fälle). Laufen (Schulschluss in den Sprengeln Aiehthal und 
Neukirchen, in einer Familie ausser den Kindern die beiden Eltern stark befallen), 
Mühldorf (noch in 4 Grenzgemeinden), Pfaffenhofen (Rückgang in Pfaffenhofen 
und Umgebung), Straubing (im ärztl. Bezirke Sira«skireben), Rothenburg a./T 
(Abnahme in Schlllingsfnrst), Donauwörth (beginnende Epidemie in Donauwörth 
und Rämnenheim), Memmingen (in Boos, Heimertingen und I.egau nach Masern), 
Zusmarshausen (Schulschluss in Streitheim und bayershofen, ferner Epidemie ln 


den Schulsprengeln Zusmarshausen und Wollbacb). Epidemisches Auftreten ausser¬ 
dem in den Aemtern Kbersberg iin Kirchseeon, leicht), München II (ini ärz • 
Bezirke Sauerlach), Kusel (in Diedelkopf), Nabburg (Verlegen des Schulbeginn!» 
in Sehwarzaeh und Altfalter, ca »/„ der Schulkinder krank), Marktheidenfeld 
Mariabrunn): gehäufte Fälle endlich ln Neuburg a./D.; Stadt- und Landbezirze 
Freising 21, Bayreuth 89, Amt Zweibrücken 21 beh. Fälle. 

Typhus abdominalis: Fortsetzung der Epidemien ln den AMiiero 
Kempten (Höhe mit 11 beh. Fällen ln Dletmannsried) und Oberdorf (in wuio 
noch 2, im Vormonate 10 beh. Fälle); epidemisches Auftreten ferner ln den 
Aemtem Vilshofen (Hansepldemie ln Osterhofen, 7 Fälle), Neuuburg a/W. (6 w 
Baue einer Stallung in Thanstein aufgetretene Fälle) und Marktheidenfeld (11 *ä 
ln Stadtprozelten). Aemter Naila 6, Zweibrücken 6, Landau i. Pf., Neustaat a< 
und Wunsicdel je 4 beh. Fälle. 

Varicellen: Häutig ln Pfaffenhofen neben Tussis. 

Ferner wird ein Fall von Fleischvergiftung aus Rodalben (Pirmasens) 
in Folge Genusses von Fleisch eines kranken Kalbes gemeldet. 

Im Interesse möglichster Vollständigkeit vorliegender Statistik wird am 
regelmässige und rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den 
monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen bezw. von Fehlanzeig 
ersucht, wobei anmerkungsweise Mittheilungen über Epidemien erwünscht st ■ 
Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünschenswert!»i, dassi rau 
aus der sog Grenzpraxis entweder dem Amtsärzte des einschlägigen ore - 
amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtern 
gezeigt werden. 

Zählkarten nebst zugehörigen Umschlägen zu portofreier Mn*®* 
düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. 
zti erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. 8 am m e 1 k a r t e n a» 
Einzelneinsendungen der Amts- und praktischen Aerzte, welche in 
terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle, zusamm engest eu 
Je 1 Karte pro Monat nebst allenf&llslgen Bemerkungen über Epidemien ewx 
Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht, von Einsendung sog. *a 
blättcheu oder Sammelbogen absnsehen. Allenfalls in Händeni 
liehe sog. Postkarten wollen aufgebraucht, Jedoch .durch Angabe aer 
der behandelten Influenzafälle ergänzt and unter Umschlag «ingesandt wem 


•) Definitives Ergebniss der Zählnng vom 1. Dezember 1900. — ») Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 41, 1901) eingelaufener 
Nachträge. — *) Im Monat August 1901 einschliesslich der Nachträge 1208. — *) 32. mit 36. besw. 36. mit 39. Jahreswoche. 


Verlag von J. F. Le lim am» in München. — Druck von E. Mühllhaler's Buch- und Kimsldruckcrei A.G., München. 

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Die Münch. Med. Wochenschr. erscheint wfichentl. 
ln Nummern von durchschnittlich 6—6 Bogen. 
Preis ln Deutschi. u. Oest.-Uugam vlertelj&brl. 6 JC, 
ins Ausland 7.60 Jt~ Einzelne No. 80 -4- 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind zu adresslren: Für die Redaction 
Ottoatrasse 1. — Für Abonnement an J. F. Leh¬ 
mann, Heustrasse 20. — Für Inserate und Beilagen 
an Rudolf Mosse, Promenadeplatz 16. 


MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Cb. Bännler, 0. Bolllnger, H. Curschnann, 

Freiburg 1. B. München Leipzig. 

No. 47. 19. November 1901. 


Herausgegeben von 

C. 6erhirtft, 6. Merkel, J. i. Michel, H. i. Rilke, 

Berlin. Nürnberg. Berlin. München. 

Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasee 1. 

Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20. 


F. v. Wlickel, H. i. Zlenssen, 

München. München. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der medicinischen Klinik zu Leipzig. 

Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre vom 
sogen. Fettherzen. 1 ) 

Von Privatdocent Dr. Carl Hirsch, 
v. Assistenten der Klinik. 

Wir alle begegnen im täglichen Verkehr sowohl, wie am 
Krankenbette einer grossen Anzahl fettleibiger Individuen. Wir 
beobachten Fettleibige mit und ohne Herzbeschwerden und wir 
sehen, dass körperliche Anstrengungen, akute Erkrankungen bei 
Leuten von fetter Konstitution das Herz in verschiedener 
Weise beeinflussen. Schon der rein empirisch urtheilende Laie 
traut dem Fettleibigen hinsichtlich seines Kreislaufmotors eine 
geringere Leistungsfähigkeit zu und betrachtet ihn bei akuten 
Erkrankungen für gefährdeter, als den normalen Durchschnitts¬ 
menschen. 

Wenn wir die Herzbeschwerden ins Auge fassen, die den 
Fettleibigen zum Arzte führen, so muss der gute Beobachter 
ohne Weiteres zugeben, dass dieselben bei verschiedenen Indivi¬ 
duen — mag der Grad der Fettleibigkeit auch der gleiche sein — 
oft wesentlich differiren. Andererseits sehen wir Fettleibige 
ohne wesentliche Störungen von Seiten ihres Circulatious- 
apparates einem körperlich und geistig anstrengenden Berufe 
nachgelien, tanzen, radeln u. s. w. 

Am häufigsten kommen Fettleibige zu uns mit Klagen, die 
auf eine herabgesetzte Leistungsfähigkeit ihres Herzmuskels 
hinweisen. Sie bekommen bei verhältnissmässig geringen An¬ 
strengungen, beim Treppensteigen z. B., Herzklopfen, Athemnoth 
und leichte Schwindelanfälle. Oft hört man die keuchend 
hervorgebrachte Klage: „Ach, Herr Doktor, mir vergeht so bald 
die Luft.“ 

Weiterhin beobachten wir Fälle, die wesentlich andere 
Klagen haben: Angstgefühle, stenocardiselie Anfälle in den ver¬ 
schiedenartigsten Schattirungen von den Herzschmerzen bis zur 
wahren Herzangst der Angina pectoris, variirend, beherrschen 
das Krankheitsbild. Störungen in der Sehlagfolge, in manchen 
Fällen schwerste Insufficienzerscheinungen mit Stauung gesellen 
sich hinzu. 

. In einem kleineren Theile der Fälle treten schwere Ohn¬ 
machtsanfälle auf, die im ersten Momente manchmal schwer 
von apoplektischen Insulten zu unterscheiden sind. Schon der 
erfahrene Stokes') hat auf diese Anfälle von Ohnmächten 
ohne Lähmungen bei Fettleibigen aufmerksam gemacht, die sich 
mit Cheyne-Stokes’schem Athmen und hochgradiger Puls¬ 
verlangsamung kombiniren können. 

Und schliesslich werden wir an das Krankenbett Fettleibiger 
gerufen, die das Bild der schwersten Herzinsufficienz, der Ortho¬ 
pnoe und des allgemeinen Hydrops bieten. 

Diese Verschiedenheit der Symptomen- 
komplexe bei den Circulationsstörungen der 
Fettleibigen weist eindringlich auf eine 
Verschiedenheit der ihnen zu Grunde liegen- 

') Nach einem ln der Mcdlciuischen Gesellschaft. zu Leipzig am 
14. Mal gehaltenen Vortrag. 

*) Stokes: Die Krankheiten des Herzens und der Aorta. 
Hebers, von Lindwurm. WUrzburg 1853. 

No. 47. 


den anatomischen Veränderungen hin. So ein¬ 
fach und logisch dieser Schluss auch erscheint, so ist er leider 
noch immer nicht Allgemeingut der Aerzte geworden. Nicht 
allein viele ältere, sondern auch viele jüngere Beobachter 
glaubten und glauben mit der alten generellen Diagnose des 
„Fettherzen s“ alle Erscheinungen einheitlich erklärt. 
Wie oft begegnen wir noch der Auffassung, dass mit der Fett¬ 
leibigkeit eine fettige Degeneration des Herzmuskels 
einhergehe, die für die Störungen seitens des Herzens dann ver¬ 
antwortlich zu machen sei. Man hat für die Richtigkeit dieser 
Auffassung häufig die. Autorität von Stokes angerufen. Wer 
aber das S t o k e s’sche Buch im Original liest, wird erkennen, 
dass Stokes niemals einen so einseitigen Standpunkt ver¬ 
treten hat und dass — wie wir schon werden — eine Reihe seiner 
Fälle von sog. Herzverfettung heute dem Gebiete der Coronar- 
sklerose mit Myomalacie zugereelmet werden müssen 3 ). 

Mit der Annahme einer fettigen Degeneration des Herz¬ 
muskels bei Fettleibigen trat dann später in Konkurrenz die 
F e t t u m 1 a g e r u n g und Fettdu roh wachs ung dos 
Herzens, die schon Lacnncc von der erstcren getrennt wissen 
wollte. 

Vornehmlich die Arbeiten von Ivisch*) haben in neuester 
Zeit die Meinung zu stützen versucht, dass das sogen. Fettherz 
lediglich als ein fett-um- und durchwachsenes Herz anzusehen sei. 

Es ist das Verdienst E. v. LeydenV'), diesen einseitigen 
Erklärungsversuchen gegenüber die Verschiedenheit der 
klinischen Erscheinungen eindringlich betont zu 
haben. Das „Fettherz“ stellt keinen einheitlichen, präcisen 
Begriff dar. Die Verschiedenheit der Symptome setzt auch 
eine Verschiedenheit der ätiologischen und anatomischen Mo¬ 
mente voraus. Und so stellt die Forderung E. v. Leyden’«, den 
Begriff des „Fettherzens“ weiter zu fassen, besser von Herz¬ 
beschwerden der Fettleibigen zu sprechen, einen 
wesentlichen Fortschritt dar. 

Fragen wir uns nun zunächst: Kann die fettige De¬ 
generation oder die Fe t t-Um- und D u r eh w a eh s u n g 
des Herzens zur Erklärung der von uns skizzirten Symptoinen- 
komplexe auch heute noch herangezogon werden? 

Was die Kasuistik von Stokes betrifft, so kann sie — 
wie bereits angedeutet — heute nicht mehr zur Bejahung dos 
ersten Punktes dieser Frage herangezogon werden, da von den 
S t o k e s’schen Fällen mit Herzverfettung mehrere als Myo¬ 
malacie bei Coronarsklerose zu erklären sind. Vor Allem gilt 
dies für die Fälle von Herzruptur bei „fettiger Degeneration“. 

Wir finden ausserdem die fettige Degeneration als sekundäre 
Erscheinung bei den verschiedensten Herzkrankheiten, ferner 

") Es gibt wohl kaum ein Buch, das bei seiner Fülle ausge¬ 
zeichneter Beobachtungen und Gedanken so „ausgeschrieben” wor¬ 
den Ist, wie die „Herzkrankheiten” von W. Stokes. Andererseits 
werden manchmal „neue“ Ansichten mit seiner Autorität zu stützen 
versucht, die er selbst niemals mit der Subjektivität und Einseitig¬ 
keit vertreten hat, wie seine sog. Nachfolger. T r a u b e ist es 
übrigens ähnlich ergangen. Die Mahnung Krehl's. mich in 
unserer Wissenschaft immer wieder die Quellen zu studiron. kann 
daher von gewissenhaften Beobachtern gar nicht ernst genug ge¬ 
nommen werden. 

*) Kisch: Petersburger med. Wocheusehr. 1N05. No. 21. -- 
Das Mast fett herz. Prag 181*4. — Die Fettleibigkeit. Stuttgart ISSN. 
— Prager med. Wochenschr. 1880. 

‘) v. Leyden: Zeitsehr. f. klin. Med. V. 


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1868 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


nach Infektionen und Intoxikationen, bei perniciöser Anaemie. 
Es bleibt das Verdienst Traube’s, darauf zuerst hingewiesen 
zu haben. Andererseits hat v. Leyden mit Recht betont, dass 
sich die fettige Degeneration in den Herzen Fettleibiger nicht 
einmal besonders häufig finde. 

Zeigt überhaupt die fettige Degeneration 
klinisch charakteristische Symptome? Nach 
den neueren anatomischen Untersuchungen dürfen wir diese 
Frage verneinen. Die fettige Degeneration steht 
in keiner festen Beziehung zu den Leistungen 
des Herzens im Leben (Romberg). 

Damit stimmt auch das Ergebniss der physiologischen Prü¬ 
fung der Frage überein. Hasenfeld und Fenyvcssy") 
zeigten uns am phosphorvergifteten Thier, dass eine bedeutende 
fettige Degeneration mit einer guten Leistung des Herzens sich 
vereinigen lässt. Ich selbst habe seiner Zeit über hundert 
Menschenherzen mittels der Osmium- und Sudanfärbung unter¬ 
sucht und dabei häufig höhere Grade fettiger Degeneration an 
bis gegen Ende funktionstüchtigen Herzen nachweisen können. 
Sümmtliche Fälle meines Materials waren klinisch genau be¬ 
obachtet T ). 

Bei der Phosphorvergiftung, bei der perniciösen Anaemie 
mit „Herzverfettung“ beobachten wir ferner auch nicht die 
Herzerscheinungen, die uns bei Fettleibigen begegnen. Ferner 
erscheint das Versagen des Herzens bei gewissen Infektions¬ 
krankheiten nach den Untersuchungen von Romberg und 
Pässler') als die Folge einer Vasomotorenlähmung und nicht 
durch die gleichzeitige fettige Degeneration bedingt. 

Auf einen weiteren wichtigen Punkt, der die klinische Ver- 
wertlibarkeit der anatomisch festgestellten Herzverfettung beein¬ 
trächtigt, weist Romberg“) hin: „Wir wissen, dass sich die 
fettige Degeneration im Laufe weniger Stunden zu sehr hohen 
Graden entwickeln kann und wir können ihr desshalb anatomisch 
nicht ansehen, wie lange sie bereits besteht und für welche Er¬ 
scheinungen sie eventuell verantwortlich gemacht werden kann.“ 

Und mit Recht betont Krehl ’“), dass sie gerade in den 
Fällen, bei denen das meiste von ihr erwartet wurde, oft nur 
in geringer Ausdehnung zu finden sei. Ich erinnere nur an 
den Chloroformtod. 

Die Lehre von der fettigen Umwandlung ist noch lange 
nicht abgeschlossen. Ist sie überhaupt ein Zeichen dos wirk¬ 
lichen Unterganges der Zelle? 

Nach den neuesten Untersuchungen von Mi esc her, Hans 
Meyer, Iloseufeld u. A. scheinen unsere gegenwärtigen 
Anschauungen wesentlicher Modifikationen und Einschränkungen 
bedürftig. So zeigt uns Miescher“). dass bei dem Itheinlachs 
in der Zeit, wo sich die Geschlechtsorgane des Fisches entwickeln, 
die Muskeln unter dem Bilde der fettigen Entartung schwinden, 
um das Baumaterial für die Eierstöcke abzugeben. Es handelt 
sich aber dabei keineswegs um einen vollständigen Zerfall der 
Muskulatur. Mies c li e r glaubt vielmehr, dass keine einzige 
Muskelfaser wirklich zu Grunde gehe. Die Muskelfaser verarmt 
nur an Protoplasma und kann sich später wieder erholen. 
Die fettige Degeneration erscheint also hier 
nicht als ein Zeichen für den Untergang der 
M u s k e 1 z e 11 e, sondern lediglich als eine F o 1 g e 
der Störung der chemischen Funktion 

Damit stimmen auch die interessanten Uutersuchungsergeb- 
nisse von lt o s e n f e 1 d ’*) überein. Neben der lokalen Entstehung 
von Fett aus dem Eiweiss der Zelle erscheint die Fetteinwanderung 
in die Zelle aus den sogen. Fettdepöts, das Liegenbleiben unver¬ 
brannten Fettes von Bedeutung. Wenn die Muskelzelle des Herzens 
in ihrer Funktion geschädigt ist, dann vermag sie das Fett nicht 
mehr zu oxydireu, es kommt zu Fettauhiiufung, die dann mehr als 
die Folge, denn als Ursache der Degeneration und Herzschwäche 
erscheinen muss. 


*) Hasenfeld und Fenyvessy: Berl. klin. Wochensclir. 
1899. 

’) Carl Hirsch: Ueber die Beziehungen zwischen dem Herz¬ 
muskel und der Körpermuskulatur u. s. w. Deutsch. Arch. f. klin. 
Med. Bd. 04, p. 1(51. 

*) Itomberg und Pässler: Deutsch. Arch. f. klin. Med. 
Bd. 64. 

’) Romberg: Herzkrankheiten in Ebstein und Schwalbe's 
Handbuch. 

Krehl: Nothuagel's Sammelwerk Bd. XV. 

”) Miescher: Ilisto-ehem. u. physiol. Arbeiten. iAüpzig 
1897. 

“) Wer sich über diese und andere Fragen des Stoffwechsels 
eine übersichtliche Darstellung wünscht, dem sei Fr. Mülle r's 
klassische Abhandlung: „Einige Fragen des Stoffwechsels und der 
Ernährung“ dringend empfohlen. Saminl. klin. Vorträge No. 272. 
’*) Rosenfeld: Zeitschr. f. klin. Med. XXVIII und XXXVI. 


Interessanter Weise liegen die Verhältnisse beim Rheinlachs 
so, dass die Muskelfasern bei der fettigen Degeneration nicht zu 
Grunde gehen, sondern dass die Fettanhäufung in den Zellen 
verschwindet, sobald nach der Laichzeit eine kräftigere Bewegung 
und dadurch eine bessere Durchblutung der Muskel statttindet 
(Miescher). 

Andererseits zeigt sich ln vollständig abgestorbenen Zellen 
keine fettige Degeneration: in verkästen Tuberkellnfarkten ist 
in den abgestorbenen Zellen kein Fett nachweisbar. Es findet 
sich nur am Rand und in den wohl geschädigten, aber nicht ab¬ 
gestorbenen Zellen. 

Auch wies Marchand gerade in der Fettleber nach Phos- 
pliorvergiftung noch gute Kernfärbung nach. Es ist also auch 
hier durchaus fraglich, ob die fettig degenerirten Leberzellen 
wirklich zu Grunde gehen. 

Wenn neuerdings Hasenfeld’ 4 ) gezeigt hat, dass bei hoch¬ 
gradiger Phosphorvergiftung die Herzkraft nachlässt, so bleibt die 
Frage offen, ob daran die fettige Degeneration an sich oder die 
von H. Meyer 11 ) dabei nachgewiesene Unfähigkeit der Zellen, 
den für ihre Thätigkeit nothwendlgen Sauerstoff aufzunehmen, 
Schuld ist. 

Vielleicht lässt sich auch die herabgesetzte Leistungsfähigkeit 
des verfetteten Herzens bei schweren Anaemien in Folge Sauer¬ 
stoffmangels des anaemischen Blutes erklären (Komberg '*). 

Die fettige Degeneration kann also heute nicht mehr als 
die Ursache des sogen. Fettherzens angesehen werden. Ihre Be¬ 
deutung ist überhaupt noch eine fragliche. 

Wichtiger erscheint die Frage, ob nicht gewisse Verände¬ 
rungen des Stoffwechsels, die zur Verfettung führen, in anderer 
Weise eine funktionelle Schädigung des Herzmuskels her- 
beifiihrcn können. 

So erscheint vielleicht die eigentümlich matschige Be¬ 
schaffenheit gewisser Herzen von Fettleibigen von Bedeutung. 
Schon Stokes 11 ) hat darauf hingewiesen und über die inter¬ 
essanten Beobachtungen von 0 rmerod") berichtet. „Die 
Fibrillen sind abnorm kurz und mürbe — eine Eigenschaft, die 
vielleicht wichtiger ist, als die wirkliche fettige Degeneration“. 

Diese Beobachtungen sind vielfach bestätigt worden; auch 
ich habe mehrere solcher mürber, schlaffer Herzen gesehen. 

Wir fragen nun weiter: Kann der eine oder andere Sym- 
ptomenkomplex des sogen. Fettherzens erklärt werden durch die 
sogen. Fett -Um- und Durchwachsung? 

Ich habe schon auf die Arbeiten von Kisch hingewiesen, 
die darzuthun versuchten, dass das fett-um- und durchwachsene 
Mastfettherz das Fettherz kat’ exochen darstelle. 

Dass diese Auffassung nicht richtig ist, habe ich in einer 
früheren Arbeit ausführlich dargelegt “'). Die Fctt-Um- und 
Durchwaclisung kann nicht die wichtigste Ursache der vermin¬ 
derten Leistung des Herzens sein, denn sie findet sich im 
höchsten Maasse auch bei Menschen entwickelt, die nie Erschei¬ 
nungen von Herzschwäche gezeigt haben und sie kann bei Fett¬ 
leibigen fehlen, deren Herz insufficient war. 

Ich habe 2 Fälle von vollständig fettdurchwachsenem rechten 
Ventrikel beobachtet, ohne dass Im Leben eine Schwäche desselben 
bestanden hätte. Bei entsprechender ruhiger Lebensweise hatte 
die hochgradig reduclrte Muskulatur vollständig zur Aufrecht¬ 
erhaltung des Kreislaufes ausgereicht. Aehnliche Fälle haben 
v. Leyden, Leube, R o m b e r g u. A. beobachtet. 

Wir sehen ferner häufig eine ausserordentlich starke Fett¬ 
ablagerung am Herzen bei Carcinomatösen, kachektischen Per¬ 
sonen (bis zu 50 Proc. des Herzgewichtes!), ohne dass dieselben 
ähnliche Herzerscheinungen bieten, wie Fettleibige. 

K i s c h’s Lehre steht aber auch mit der Thatsache in Wider¬ 
spruch, dass die Fett-Um- und Durchwachsung meist vorwiegend 
am rechten Ventrikel angetroffen wird, während klinisch bei Fett¬ 
leibigen gerade die Schwäche des linken Ventrikels in den 
Vordergrund tritt. Der Fettleibige ist meist lange Zeit dys- 
pnoisch gewesen, ehe sich Erscheinungen venöser Stauung 
geltend machen. 

Demnach kann uns auch die Fett-Um- und 
Durchwachsung keine befriedigende Erklä¬ 
rung für die Herzerscheinungen bei Fett¬ 
leibigen geben. 


’ 4 ) Ha senfe Id: Ueber die Leistungsfähigkeit des fettig 
entarteten Aorteninsufficienzherzens. Berl. klin. Wochenschr. 
1900, pag. 1158 ff. 

ll ) H. Meyer: Arch. f. experliu. Pathologie XIV. 

’°) R o m b e r g: 1. c. 

”) Stokes: 1. c. 

’*) Cit. bei Stokes. 

’*) Hirsch: Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 64. 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1869 


Die Erörterung der Adipositas eordis aber führt uns weiter 
zu der wichtigen Frage, wie verhält sich die Masse 
der Herzmuskulatur beim Fettleibigen? 

Diese Frage hat 9ich schon der ausgezeichnete Stokes vor¬ 
gelegt und er vermuthete, dass das Herz vieler Fettleibiger ab¬ 
norm klein und schwach sein müsse. 

Traube'*) unterschied dann auf Grund klinischer Er¬ 
fahrungen Fettleibige mit leistungsfähigem und solche mit 
einem schwachentwickelten Herzmuskel: „es gibt zwei ganz ver¬ 
schiedene Arten von fetten Menschen, solche mit kräftiger Mus¬ 
kulatur, gesunder Hautfarbe und solche mit gedunsenem Gesicht, 
schwacher Muskulatur, wie sie in der Volkssprache heissen: 
„Aufgeschwemmte“. 

Auf die Abhängigkeit des Herzmuskels von der verschiedenen 
Entwicklung der Körpermuskulatur wiesen uns ferner die Ergeb¬ 
nisse der vergleichend-anatomischen Untersuchungen hin. 

Schon Robinson J1 ) fand bei muskelstarken wilden 
Thieren einen kräftigeren besser entwickelten Herzmuskel, als 
bei muskelschwachen, fetten resp. gezähmten Thieren. Diese Be¬ 
funde R o b i n s o n’s fanden eine weitere Bestätigung durch aus i 
der Schule Bollingcr’s hervorgegangene ausgezeichnete Ar¬ 
beiten von Bergmann") und P a r r o t**). 

Bergmann fand bei fetten, gemästeten Thieren ein klei¬ 
neres Herz als bei frei lebenden. Auch bei Thieren derselben 
Gattung zeigte sich die Masse des Herzmuskels abhängig von 
der Muskelarbeit des Individuums resp. von der Entwicklung 
seiner Körpermuskulatur. 

Verhältnis« des Herzgewichts zum Körpergewicht (nach 
Bergmann). 

beim Menschen .1:170 Mann 

1:183 Frau 

,, Schwein.1 :220 

„ Rind.1:193 

„ „ kastrirt .... 1 :258 

„ Hasen.1 : 132—140 

„ Reh.1:86! 

Parrot fand dann in gleicher Weise bei fetten Vögeln ein 
muskclschwaches, bei mageren resp. muskelstarken ein muskel¬ 
starkes Herz. 

Diese Unterschiede in der Massenentwicklung des Herz¬ 
muskels müssen sich auch in einer verschiedenen Leistungs¬ 
fähigkeit kundgeben. Wem wäre dieser Unterschied nicht auf 
komische Weise klar geworden, wenn er z. B. einen dicken, fetten 
Mops einem Jagdhund nachsetzen sah? 

Ueber das Verhalten des Menschenherzens in dieser Hinsicht 
habe ich in einer früheren Arbeit S4 ) ausführlich berichtet. Die 
Herzwägungen beim Menschen ergaben eine prinzipielle Ueber- 
einstimmung mit den Befunden am Thierherzen. 

Dieser bestimmende Einfluss der körperlichen Arbeit auf die 
Entwicklung der Ilerzmasse zeigt sich übrigens schon bei den 
von W. M ü 11 e r ”) gewonnenen normalen Durchschnittswerthen. 
Bei gleichem Körpergewicht hat der muskelkräftigere Mann 
immer ein muskulöseres Herz als die muskelschwächere fettere 
Frau. 


Körpergewicht 
in kg 

Rechter 1 
Ventrikel 

Linker 

Ventrikel 

Septum 


1. Män 

n e r: 


30 40 

40,4 

75,7 

54,7 

40-50 

47,1 

84,5 

63,2 

50- 60 

55,6 

103,4 

73,9 

60 -70 | 

61,6 

120,7 

84,1 

70-80 ! 

66,1 

131,3 

90,5 


2. Woi 

b er: 


30—40 

37,7 

66,8 

50,4 

40-50 

41,9 

79,9 

57,5 

50-60 

49,7 

92,7 

65,9 

60-70 

56,5 

97,4 

75,7 


Traube: Die Symptome der Krankheiten des Kespira- 
tions- und Oirculationsapparates. Berlin 1867. 

=1 ) R o b i n s o n: A dissertation ou the food and discharges of 
human bodies. London 1748. 

--) Bergmann: lieber die Grösse des Herzens bei Menschen 
und Thieren. I.-I».. München 1884. 

“) Parrot: Ueber die Grössen Verhältnisse des Herzens bei 
Vögeln. Zool. Jahrbücher, Abth. f. Systematik, Bd. VII, 1894, 
p. 496 ff. 

”) Hirsch: L c. 


Nicht die Körpermasse als solche, sondern 
die Entwicklung der K ö r p e r m u s k u 1 a t u r hat 
einen bestimmenden Einfluss auf die Ent¬ 
wicklung des Herzmuskels. 

Es ist ja ohne Weiteres klar, dass die Fettmasse des Körpers 
nicht in der gleichen Weise die Herzarbeit erhöht, wie sie das 
Körpergewicht des Individuums steigert. Dabei führt sie zum 
Phlegma. Viele Fettleibige scheuen jede anstrengendere Be¬ 
wegung. 

Bei Fettleibigen erreichten die von mir festgestellten Herz- 
gewichte nur V. oder s / 4 des dem betreffenden Körpergewicht 
zukommenden normalen Herzgewichtes. 

Diese geringe Entwicklung des Herzmuskels, der seine Ab¬ 
magerung — nach dem treffenden Ausdruck des verstorbenen 
August Schott — hinter seiner dicken Fetthülle verbirgt, ist 
nun auch für die klinische Auffassung von dem sogen. Fett¬ 
herzen von ausschlaggebender Bedeutung. 

Das muskelschwache Herz ist eben den Anforderungen des 
täglichen Lehens weit weniger gewachsen. Der Kreislaufsmotor 
des Fettleibigen arbeitet unter der steten Gefahr der Ueber- 
lastung. Die abnorm grosse Körpermasse stellt besonders grosse 
Anforderungen an seine Leistungsfähigkeit. Bedarf doch der 
Fettleibige zu jeder Bewegung einer grösseren Anstrengung als 
der normale Durchschnittsmensch. 

Diese Abhängigkeit der Masse des Herzmuskels von der ver¬ 
schiedenen Entwicklung der Körpermuskulatur stimmt auch mit 
der schon von T raube") hervorgehobenen Thatsache überein, 
dass muskelstarke Fettleibige, die auch über ein kräftiges 
Ilerz verfügen, das Gewicht ihres fetten Körpers mit weit ge¬ 
ringeren Beschwerden ertragen, als die muskelschwachen, auf- 
geschwemmten Fettleibigen. 

Die Ursache der Herzinsuff icienz muskel¬ 
schwacher Fettleibiger muss also vor Allem 
in einem Miss Verhältnis« zwischen Herz¬ 
muskel und Körpermuskulatur gesucht werden. 

Wird dagegen das Herz eines muskelstarken Fett¬ 
leibigen insufficirt, dann müssen wir an anatomische oder funk¬ 
tionelle, mit der Fettleibigkeit nicht unmittelbar zusammen¬ 
hängende Ursachen denken. Wir erinnern uns dann vor Allem, 
dass der Fettleibige erfahrungsgemäss in her¬ 
vorragendem Maasse für die Coronarsklerose 
disponirt erscheint. 

Wir haben schon hervorgehoben, dass mehrere Fälle der 
Kasuistik Stokes’ in diesem Sinne gedeutet werden müssen. 

Wir werden daran erinnert werden, sobald Fettleibige über 
subjektive Sensationen, Herzangst, stenocardische Anfälle klagen. 

In einzelnen Fällen findet sich auch chronische Myo- 
carditis an den Herzen Fettleibiger. 

Dagegen weisen die seltenen Fälle von schweren Ohnmachts¬ 
anfällen, sog. Ohnmächten ohne Lähmungen, auf arterio¬ 
sklerotische Veränderungen der Ilimgefässe hin. Leich¬ 
tere Ohnmachtsanfälle beobachten wir aber auch bei anaemischen 
Fettleibigen. 

Das häufige Zusammentreffen von F ettleibigkeit und 
Arteriosklerose bedarf keiner besonderen Begründung. 
Für das Zustandekommen beider Zustände dürfen wohl häufig 
die gleichen Ursachen verantwortlich gemacht werden: Alkoholis¬ 
mus und Schlemmerei. In diesem Sinne geben wir K r e h 1 :T ) 
Recht, wenn er die Arteriosklerose auch als eine Krankheit der 
Kultur bezeichnet. 

In neuester Zeit hat v. Noorden“) die Ansicht aus¬ 
gesprochen, dass gewisse Formen von Fettleibigkeit zur Herz- 
hypertrophie führen können; er hat dabei speziell die plethorische 
Form des muskelstarken Fettleibigen im Auge. Ich möchte dem 
gegenüber betonen, dass die Fettleibigkeit als solche in keinem 
Falle zur Herzhypertrophie führen kann. Das muskelstärkere 
Herz des muskelstarken Fettleibigen mag auf den ersten Blick 
im Vergleich mit dem schwachentwickelten Herzmuskel eines 
muskelschwachen Fettleibigen hypertrophisch erscheinen. Die 
genaue Wägung aber wird zeigen, dass jedes Herz der Ent- 

■'-) W. Müller: Die Masseuverhältnisse des menschlichen 
Herzens. Hamburg 1883. 

Traube: 1. c. und Beiträge zur Pathologie und Physio¬ 
logie, Berlin. 

JI ) Krehl ln v. Mering’s Lehrbuch der Inneren Medicln. 
Jena 1891. 

*•) v. Noorden: Fettsucht, in Nothnagel’s Sammelwerk. 

1 * 


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1870 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47. 


wicklung der Körperrnusculatur des betreffenden Individuums 
entspricht. 

Finden wir aber bei einem robusten, muskelstarken Fett¬ 
leibigen ein durch die Wägung sichergestelltes hypertrophisches 
Herz, dann dürfen wir die Ursache nicht in der Fettleibigkeit, 
sondern in Komplikationen suchen. Dass wir die sog. Plethora, 
deren Existenz ich durchaus nicht leugnen will, nicht ohne 
Weiteres als Ursache einer Herzhypertrophie anerkennen können, 
habe ich bereits früher nachgewiesen. 

Die Ursache der Herzhypertrophie bei Fett¬ 
leibigen muss entweder in einer gleichzeitig bestehenden 
Arteriosklerose oder insbesondere bei fetten Bier- 
siiufern in Nierenveränderungen gesucht werden. 
Speziell die Annahme einer Arteriosklerose der Splanch- 
n i c u s g e f ä s s e kommt hier in Betracht. Die Anamnese 
eines fetten Schlemmers weist ja besonders dringlich auf eine 
Plethora abdominalis, d. h. auf eine häufige Ueberladung der 
Bauchgefässe hin. 

Nur die genaueste Analyse des einzelnen Falles kann die 
vielfach noch so verworrenen Vorstellungen von dem sog. Fett¬ 
herzen klären. 

Hinsichtlich der Symptomatologie und kli¬ 
nischen Diagnose möchte ich noch einige Punkte 
hervorheben. 

Es ist vor Allem auf eine sorgfältige Anamnese zu achten. 
Wir fragen den Patienten: Sind Ihre Herzbeschwerden all¬ 
mählich bei gewohnter Lebensweise oder mehr plötzlich nach 
aussorgewöhnliehen Anstrengungen aufgetreten? Das Moment 
der funktionellen Schädigung des Herzmuskels durch Ucber- 
anstrengung spielt hier bei dem so schwach entwickelten Herzen 
des muskelsctiwaehen Fettleibigen eine grosse Rolle. So be¬ 
richtet Oertel uns von 2 fetten Damen, die durch Aufsteigen 
auf das hohe Trittbrett des Eisenbahnwagens eine vorüber¬ 
gehende Herzschwäche acquirirten. Nächst der Ueberan- 
strengung erscheinen weiterhin als schwächende Momente 
Ernährungsstörungen von Bedeutung (Magendarm¬ 
katarrhe, unzweckmässige Diabetes- und Entfettungskuren, ab¬ 
gelaufene Infektionskrankheiten). 

Die Mahnung Romberg’s, bei Fettleibigen stets folgende 
Fragen zu entscheiden, kann nicht streng genug befolgt werden: 

1. Sind die Beschwerden Folgen von Herz- 
s e h w ii c h e ? 

2. W e n n d i e s der Fall, b e r u h e n s i o n u r au f 
dem Missverhältnis» zwischen Herz kraft und 
Körpermasse oder zeigt das Herz auch Er¬ 
scheinungen einer anatomisch e n Erkrank¬ 
ung oder funktionellen Schädigung ? 

Erst nach Beantwortung dieser Fragen kann der Kurplan 
entworfen werden. 

Bei beginnender Herzinsufficienz fallen uns Arbeitsdyspnoe 
schon nach geringer körperlicher Anstrengung, leichter Schwindel 
oder gar Ohmnachtsanfiille auf; der Puls ist meist sehr weich. 
Insbesondere bei Ohnmachtsanfällen ist festzustellen, ob die¬ 
selben lediglich auf Herzschwäche bei einem anaemischen Fett¬ 
leibigen oder auf arteriosklerotische Veränderungen zurückzu¬ 
führen sind. 

Fälle mit erhöhter arterieller Spannung erscheinen auf 
Arteriosklerose oder Nephritis verdächtig. Fette Anae- 
mische, Chlorotisehe und Neurastheniker 
haben manchmal Klagen, die den soeben geschilderten ähnlich, 
aber gewöhnlich leicht davon zu unterscheiden sind. Bekommen 
derartige Leute aber starke Dyspnoe, kleinen Puls, dann muss 
gleichfalls an beginnende Herzinsufficienz gedacht werden. Ins¬ 
besondere bei fetten Frauen und Neurasthenikern beobachtet man 
manchmal vorübergehend aussetzenden Puls, ohne dass dabei 
eine anatomische oder funktionelle Schädigung des Herzens 
nachzuweisen Ft. 

2 Fülle meiner Beobachtung gehören hierher: 

30 jährige Frau, nach «lern dritten Puerperium sehr stark ge¬ 
worden. Anaemisch. Nach geistiger und körperlicher Anstrengung 
leicht Dyspnoe uml geringer Schwindel. Puls aussetzend. 

Ausser starker Anaemie nichts nachweisbar. Bei Eison- 
therapie und vorsichtiger (iymnastik schwinden siimmtlieho Er¬ 
scheinungen. 

3ü jähriger corpulenter Kaufmann. Starker Raucher. Neur¬ 
astheniker. ln letzter Zeit Opprcssionsgefühl. ..Herzschmerzen", 
zeitweise Anfälle, die an steuokardische erinnern. Puls häutig 
aussetzend. 


Objektiv am Herzen nichts nachweisbar. 

Nach Rauchverbot und vorsichtiger Behandlung der Neur¬ 
asthenie schwinden siimmtllehe Heizerscheinungen, auch die Un¬ 
regelmässigkeit des Pulses. 

Hinsichtlich der Untersuchung des Herzens ist 
hervorzuheben, dass die Perkussion bei dem Fettpolster 
häufig sehr schwer ist und dass ihre Resultate nicht ohne Weiteres 
verwerthbar sind. 

Dio Herzdämpfung erscheint nämlich häufig verbreitert. 
Diese Vergrösserung der Herzdämpfung kann aber lediglich 
durch Fettablagerung (Mediastinum, Pericard, Bauch) und 
durch Hochstand des Zwerchfells bedingt sein. Schon Traube ’) 
hat dio Bedeutung dieser Momente hervorgehoben. Durch die 
Entwicklung des Bauchfettes besonders wird das Zwerchfell in 
die Höhe gedrängt und dadurch der Brustraum verengt. Die 
Inspiration findet einen grösseren Widerstand in der Spannung 
des Zwerchfells und der Bauchdecken. Der Fettleibige hat häutig 
starken Meteorismus. 

So erklärt es sich auch unschwer, warum bei manchen Fett¬ 
leibigen die Dyspnoe in der Nacht beim Liegen oder nach reich¬ 
licher Abendmahlzeit stärker wird. 

Erscheint die Herzdämpfung betleutend nach rechts ver¬ 
breitert, dann dürfen wir mit Rücksicht auf die obengenannten 
Verhältnisse nicht ohne Weiteres eine Herzschwäche des rechten 
Herzens diagnostiziren. Die letztere ist erst sichergestellt, wenn 
Stauung im venösen Körperkreislauf besteht. Es ist dabei 
vor Allem auf Cyanose und auf Schwellung 
der Leber zu achten. 

Fassen wir nun nochmals die Leitsätze zusammen, die uns 
bei der Beurtheilung der Herzbeschwerden Fettleibiger »mass¬ 
gebend sein sollen. Es sind folgende: 

1. Ein Fettherz als Krankheit s u i gencris 
gibt es nicht. Wir stimmen v. Ley d e n voll¬ 
ständig bei, wenn er die Bezeichnung „F c t t - 
herz“ durch „H erzbesch werden Fettleibiger“ 
ersetzt wissen will. 

2. Diese Herzbeschwerden sind verschie¬ 
dener Art und haben verschiedene Ursachen. 

3. Treten bei einem jüngeren m u s köl¬ 
sch w a ch e n Fettleibigen (etwa unter 40 Jahren) E r- 
schein ungen von Herzschwäche auf, so müssen 
wir zunächst daran d e n k en, dass dieselbe 
durch das Missverhältniss zwischen Körper- 
müsse und Herzkraft bedingt sein kann. 

Dabei muss aber insbesondere durch eine 
genaue Anamnese festgestellt sein, dass keine 
Anhaltspunkte für die Annahme einer Coro- 
narsklerose oder einer schweren funktio¬ 
nellen Schädigung bestehen. 

4. Bei muskelstarken Fettleibigen (auch 
jüngeren Individuen) mit Herzinsufficienz 
muss in erster Linie an das Vorhandensein 
anatomischer oder schwerer funktioneller 
Schädigungen gedacht werden. 

Es sind vor Allem die Arteriosklerose, 
insbesondere Coronarsklerose, Nieren Ver¬ 
änderungen, Arteriosklerose der Splanch- 
nicusgefässe und chronische Myocarditis in 
Betracht zu ziehen. 

Unter diesen im Einzelfalle oft recht schwierigen und kom- 
plizirten Verhältnissen wird die Prognose ein Prüfstein 
sein für das diagnostische und therapeutische Können des Arztes. 
Der Schematismus hat gerade bei der Behandlung des sog. Fett¬ 
herzens oft recht grossen Schaden angerichtet. 

Beruht die Störung der Herztliätigkeit ausschliesslich auf 
einem Missverhältnis» zwischen Körpermasse und Herzkraft, 
dann wird in vielen Fällen bei geeigneter Behandlung eine 
Heilung möglich sein. Schwerere Iusufficienzcrseheinuugen 
müssen freilich auch hier mit grosser Reserve beurtlieilt werden. 

Schwerere Anfälle von Angina pectoris geben bei Fett¬ 
leibigen im Allgemeinen eine sehr ernste Prognose. 

Die Herzbeschwerden muskelstarker Fettleibiger müssen 
nach den jeweiligen Komplikationen beurtlieilt werden. In man¬ 
chen Fällen von schwerer Herzinsufficienz ist eine genauere 

- t j' r a u b e: 1. e. 


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19. November 1901. 


MUENOHENER MEDIOINI8CJHE WOCHENSCHRIFT. 


1871 


Diuguose anfangs nielit selten unmöglich. Diagnose und Pro¬ 
gnose werden dann erst an dem Erfolg oder Misserfolg einer 
vorsichtig eingeleiteten Therapie gemacht werden können. 

Ich komme zur Besprechung der Therapie. In dem 
Glauben, dass das sog. Fettherz lediglich durch die Fettsucht 
bedingt werde, sieht man vielfach in einer Entfettungskur die 
Erfüllung der Indicatio causalis. Es kann gar nicht genug vor 
einer derartigen schematischen Auffassung gewarnt werden. 
Die Berechtigung dieser Warnung ergibt sich ohne Weiteres 
aus meinen Ausführungen. 

Wir müssen streng unterscheiden zwischen Fettleibigen mit 
leistungsfähigem und solchen mit geschwächtem 
Herzmuskel. Eingreifende Entfettungskuren eignen sich aus¬ 
schliesslich für die Ersteren. Bei beginnender Herzmuskel- 
insufficienz ist daher zunächst vor Trinkkuren in Marienbad, 
Taiasp, Karlsbad dringend abzurathen. Handelt es sich ledig¬ 
lich um eine Herzinsufficienz in Folge eines Missverhältnisses 
zwischen Körpermasse und Herzmuskel, dann ist vor Allem eine 
vorsichtig geleitete Uebungstherapie mit gewissen diä¬ 
tetischen Vorschriften angezeigt. 

Wir suchen den weiteren Fettansatz zu verhüten und den 
Herzmuskel systematisch durch körperliche Bewegung zu kräf¬ 
tigen. Man überhaste sich aber nicht bei der Therapie. Terrain¬ 
kuren/ Radfahren, die insbesondere bei Laien so hoch im Ansehen 
stehen, sind bei der Herzschwäche Fettleibiger zu verbieten. 
Dnreh derartige Kuren werden vielfach die grössten Verwüst¬ 
ungen angerichtet. 

Das Prinzip der allmählichen Anpassung, der Uebung muss 
bei 'der Herzgymnastik für uns leitend sein. Die Muskelübung 
muss daher dosirbar, dem einzelnen Falle jeder Zeit angepasst 
werden können. Für den Anfang der Behandlung erscheinen 
kohlensäurehaltige (sogen. Nauheimer) Bäder angezeigt. Werden 
dieselben gut vertragen, dann geht man zur Widerstands¬ 
gymnastik (am besten abstufbar in ihren Widerständen 
sind die Z a n d e r’schen Apparate) über. 

Digitalis, Strophanthus, die man auch in diesen Fällen noch 
häufig verordnen sieht, haben keinen Zweck. Die häufige Wir¬ 
kungslosigkeit dieser Mittel bei muskelschwachen Fettleibigen 
ist übrigens dem Erfahrenen bekannt. 

Tritt eine Besserung der Herzkraft ein, dann kann mit der 
Kräftigung des Herzmuskels durch die Gymnastik eine Ver¬ 
minderung des Körperfettes einhergehen. Dieselbe 
ist ja heutzutage ohne wesentliche Störung des Eiweissbestandes 
zu erreichen. 

Gemilderte Karlsbader, Marienbader oder Tarasper und Hom- 
1 Minier Kuren können dann angewandt werden. Bei jedem Ver¬ 
dacht auf eine anatomische oder fuuktionelle Schädigung des Herz¬ 
muskels sind jedoch auch diese leichten Kuren zu unterlassen. 

Bei Fettleibigen, deren Fettansatz auf eine Anomalie 
des Stoffwechsels zurückgeführt werden muss, sei man 
mit Nahrungsbeschränkung ganz besonders vorsichtig. Von der 
Anwendung von Schilddrüsenpräparaten bei Fettleibigen mit 
Herzbeschwerden möchte ich abrathen. Zu verwerfen ist weiter¬ 
hin die seit O e r t e 1 so beliebte forcirte Beschränkung der 
Flüssigkeitsaufnahme. 

Wesentlich anders sind die therapeutischen Maassuahmen 
bei muskelstarken Fettleibigen, deren Herz inmitten kör¬ 
perlicher Thätigkeit insufficient wird. 

Hier tritt die Frage nach anatomischen oder funktionellen 
Läsionen des Herzmuskels in den Vordergrund. Es erscheint 
daher vor Allem eine Beschränkung der körperlichen Thätigkeit, 
in schweren Fällen absolute Ruhe geboten. Das Gleiche gilt für 
alle Fälle, in denen die Herzinsufficienz bei Coronarsklerose, nach 
Ueberanstrengung, im Anschluss an Infektionskrankheiten auf- 
tritt. 

Es gilt hier vor Allem die Ursache der Herzinsufficienz zu 
ergründen, um möglichst bald zur Erfüllung der Indicatio cau- 
sulis zu gelangen. So kann man sich bei der Coronarsklerose 
von einer konsequent durchgeführten Jodbehandlung in ein¬ 
zelnen Fällen Erfolg versprechen. 

Einer besonderen Besprechung bedarf das Kontingent der 
fetten Biersäufer. In der Mehrzahl der Fälle handelt 
es sich um muskelschwache, aufgeschwemmte Individuen. Solche 
Leute trinken viel, essen wenig und schlafen lange. Insbesondere 
unter den Studenten begegnet man häufig diesem Typus. 

Bei dem bequemen Leben kommt es zur Fettanhäufung und 
schliesslich zur Ausbildung eines Missverhältnisses zwischen 

Vo <7 


Herzmuskel und Körpermasse. . Es gelten daher für sie im All¬ 
gemeinen die früher besprochenen Indikationen. Daneben ist 
der Bierkonsum möglichst einzuschränken und bei der unzu¬ 
reichenden Ernährung für eine bessere regelmässigere Ernährung 
zu sorgen. Schon Aug. Schott hat auf derartige Fälle auf¬ 
merksam gemacht, wo bei Fettleibigen der Herzmuskel leistungs¬ 
fähiger wurde, obgleich das Körpergewicht zunahm. 

In einzelnen Fällen sieht man schon nach Einschiebung 
eines reichlicheren Frühstückes eine Besserung des Befindens ein- 
treten. Ich halte es für besonders wichtig, darauf hinzuweisen, 
da wir gerade bei uns in Deutschland viele Menschen den ganzen 
Vormittag thätig sehen, nachdem sie früh nur eine Tasse Kaffee 
und ein Brödchen genossen haben. 

Was die sogen, „plethorischen“ Fettleibigen be¬ 
trifft, die neben Arteriosklerose einen erhöhten Blut¬ 
druck haben, so ist bei denselben stets an die Möglichkeit 
einer Splanchnicusarteriosklerose zu denken. Bei ihnen bewährt 
sich neben der Einschränkung der Schlemmerei und des Alko¬ 
holismus oft (insbesondere bei abdomineller Stauung) eine sehr 
vorsichtig geleitete Trinkkur in Karlsbad, Marienbad oder Tarasp. 
Bei gleichzeitigen Magenstörungen wird Kissingen gut vertragen. 

Es wäre wünschenswerth, wenn sich die Aerzte an diesen 
Orten mehr noch als bisher mit fettleibigen Herzkranken be¬ 
fassten, denen jeglicher Schematismus von Schaden sein kann. 
Ich würde es als einen grossen Fortschritt betrachten, wenn man 
an diesen Kurorten auch einer sorgsam individualisirenden Be¬ 
handlung der Fettleibigen mit Herzbeschwerden sich zuwenden 
würde, die ja naturgemäss eine ganz andere sein muss, als die 
der gewöhnlichen Fettleibigen mit leistungsfähigem Herzmuskel. 
Für Fettleibige mit Gicht und Diabetes kommt — falls 
es der Zustand des Herzens erlaubt — in erster Linie Karlsbad 
in Betracht. 

Anaemische Fettleibige bedürfen zunächst der 
Ruhe und der Eisentherapie, ehe ein eingreifenderes Verfahren 
versucht wird. 

Die Fettleibigen mit schweren Insufficienz- 
erscheinungen sind selbstverständlich der Ruhe bedürftig. 
Bei ihnen muss jeder Entfettungsversuch zunächst unterbleiben. 
Digitalis kann versucht werden, versagt aber auch hier oft. 
Handelt es sich um Biersäufer, dann ist der Bierkonsum ein¬ 
zuschränken. Bessert sich die Leistungsfähigkeit des Herz¬ 
muskels, dann kann später vorsichtig eine langsame Entfettung 
eingeleitet werden. Nehmen aber die Insufficienzerscheinungen 
zu, dann versuche man keine diätetische Kur mehr. 

Ich bin am Schlüsse meiner Darstellung. Ohne mich der 
Anführung eines Gemeinplatzes schuldig zu machen, darf ich 
wohl sagen, dass das „qui bene diagnoscit, bene mede- 
b i t u r!“ und das nil nocere ganz besonders bei der Be¬ 
handlung der Fettleibigen mit Herzbeschwerden dem Arzte 
gegenwärtig sein muss. 


Aus der medicinischen Klinik in Giessen 
(Geheimrath Professor Riegel). 

Ueber die Wirkung der Alkoholklysmen auf die 
Magensaftsekretion beim Menschen. 

Von Dr. Richard Spiro. 

Metzger 1 ) hat bei im vorigen Jahre in hiesiger Klinik 
angestellten Versuchen über den Einfluss von Nährklysmen auf 
die Magensaftsekretion sowohl an Hunden mit P a w 1 o w’scher 
Magenfistel, als auch an Menschen gefunden, dass Rothwein, 
als Klysma verabfolgt, die Saftsekretion des Magens anregt. 
Des Weiteren ergaben die Versuche von Radzikowsky 1 ) an 
Hunden, sowohl bei Aufnahme des Alkohols per os als per rectum, 
dass der Alkohol ein mächtiger safttreibender Stoff ohne Spur 
von pepsinbildender Wirkung ist. 

Metzger hat nur sehr wenige Versuche an Menschen 
angestellt. Bei der Bedeutung dieser Frage bin ich gern der 
Aufforderung meines Chefs, Herrn Geheimrath Riegel, ge¬ 
folgt, derartigo Versuche in grösserer Zahl an Menschen an¬ 
zustellen. 

’) Metzger: Ueber den Einfluss von Nährklysmen auf die 
Saftsekretion des Magens. Münch, med. Wochenscbr. 1900, No. 45. 

*) Radzikowsky: Beiträge zur Physiologie der Verdau¬ 
ung. III. Ein rein safttreibender Stoff. PflUger’s Archiv f. Physio¬ 
logie Bd. 84. 

9 


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1872 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Bei meinen Versuchen kamen zur Verwendung: 

Alkohol absolut., Cognac, Weisswein, Rothwein und Flaschen¬ 
bier. Die Versuchsflüssigkeit war in physiologischer Koch¬ 
salzlösung suspendirt. 

Die Versuchsanordnung war folgendermaassen: 

Reinigungsklysma — eine Stunde darauf rektale Applikation 
der Versuchsfliissigkeit. Nach einer Stunde Ausheberung des 
Magens und dann weitere 1—2 Ausheberungen in Vs stünd¬ 
lichen Intervallen. 

Der Patient nahm während der Versuchszeit keine Nahrung 
zu sich. Bei den meisten Versuchspersonen konnte schon vor 
dem Alkoholklysma Magensaftsekretion nachgewiesen werden 
und ich kam dadurch in die Lage, durch Vergleichung der 
Säurewerthe vor und nach dem Versuche die Alkoholwirkung 
um so deutlicher zu sehen. 

M. A., 43 Jahre. Gastroptose. 

2. VII. S Uhr Itelnigungsklysma; 9 Uhr 15 Min. Aush. 1 ccm 
(Congo -}-); 9 Uhr 20 Min. Klysma von 10 ccm Alkohol absolut, 
in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr 30 Min. Aush. 5,5 ccm (HCl 7, 
Ges.-Acld. 12); 11 Uhr AuSh. 2 ccm (Congo schwach -{-). 

4. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. beiläufig 1 ccm 
(Congo schwach -f); 9 Uhr 5 Min. Klysma von 10 ccm Alkohol 
absol. in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr Aush. 14 ccm (IIC1 10, 
Ges.-Acld. 28); 10 Uhl’ 30 Min. Aush. 2 ccm (Congo deutlich -f). 

8. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 7 ccm (Congo 
schwach -f, Ges.-Acld. 13); 9 Uhr 5 Min. Klysma von 15 ccm 
Cognac; 10 Uhr Aush. G ccm (Congo schwach -(-, Ges.-Acid. 7); 
11 Uhr Aush. 8 ccm (Congo schwach -f-. Ges.-Acid. 18). 

9. VII. 8 Ulli’ Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 3,0 ccm (Congo 
schwach -{-, Ges.-Acid. 9); 9 Uhr 10 Min. Klysma mit 20 ccm 
Cognac; 10 Uhr Aush. 6,4 ccm (Congo schwach -j-, Ges.-Acid. 4); 
11 Uhr Aush. 7 ccm (Congo schwach Ges.-Aciu. 11). 

11. VII. 8 Uhr Rehiigungsklysma; 9 Uhr Aush. 4 ccm 
(Congo —, Ges.-Acid. 3); 9 Uhr 10 Min. Klysma mit 30 ccm Cognac; 
10 Uhr Aush. 7 ccm (HCl 2, Ges.-Acid. 7); 10 Uhr 30 Min. Aush. 
4,5 ccm (HCl 7, Ges.-Acid. 10); 11 Uhr Aush. 0 ccm (HCl 7, Ges.- 
Acid. 10). 

15. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 1,5 ccm (ohne 
Congo-Reaktion); 9 Uhr 10 Min. Klysma mit 200 ccm Rothwein; 
10 Uhr Aush. 15 ccm (ohne Congo-Reaktion); 10 Uhr 30 Min. 
Aush. 2 ccm (Congo deutlich -}-); 11 Uhr 15 Min. Aush. 10 ccm 
(Congo —). 

19. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr 45 Min. Aush. 

5 ccm (Congo —, Ges.-Acid. 5); 9 Uhr Klysma mit 300 ccm Bier; 

9 Uhr 45 Min. Aush. 8 ccm (HCl 10, Ges.-Acid. 18); 10 Uhr 30 Min. 
Aush. 2 ccm (Congo schwach -)-); 11 Uhr Aush. 8 ccm (Congo —, 
Ges.-Acid. 6). 

22. VII. 8 Uhr Rcinigungsklysma; 9 Uhr 15 Min. Aush. 1 ccm 
(Congo —, Ges.-Acid. 2); 9 Uhr 30 Min. Klysma von 200 ccm Weiss¬ 
wein; 10 Uhr j^usli. 8 ccm (Congo schwach -f-, Ges.-Acid. 3); 10 Uhr 
30 Min. Aush. 6,5 ccm (HCl 2, Ges.-Acld. 5). 

M. M., 15 Jahre. Hysterie. I 

16. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 4 ccm 
(Congo —, Ges.-Acid. 7); 9 Uhr 10 Min. Klysma von 7 ccm Alkohol 
absol.; 9 Uhr 45 Min. Aush. 3 ccm (Congo schwach -4-, Ges.- 
Acid. 9). 

18. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr 45 Min. Aush. 2 ccm 
(HCl 6, Ges.-Acid. 8); 9 Uhr Klysma von 300 ccm Bier; 9 Uhr 
45 Min. Aush. 3,5 ccm (HCl 8, Ges.-Acid. 10). 

20. VII. 7 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr Aush. O; 8 Uhr 10 Min. 
Klysma von 150 ccm Rothwein; 9 Uhr Aush. 38 ccm (11C1 35, 
Ges.-Acid. 48); 10 Uhr 30 Min. Aush. 36 ccm (HCl 26, Ges. 
Acid. 49). 

22. VII. 7 Uhr Rcinigungsklysma; 7 Uhr 45 Min. Aush. 15 ccm 
(Congo —, Ges.-Acid. 2); 8 Uhr Klysma von 15 ccm Cognac; 9 Uhr 
Aush. 1,9 ccm (IICl 6, Ges.-Acid. 8); 10 Uhr 30 Min. Aush. 5 ccm 
(Congo schwach -|-, Ges.-Acid. 3). 

23. VII. 7 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr 40 Min. Aush. 1 ccm 
(Congo schwach Ges.-Acid. 6); 9 Uhr Klysma von 100 ccui 
Weissweiu; 9 Uhr 45 Min. Aush. 6 ccm (Congo deutlich -f-, Ges.- 
Acid. 6); 10 Uhr 30 Min. Aush. 2,5 ccm (Congo deutlich 4-, Ges.- 
Acid. 4). 

.J. H., 29 Jahre. Atonia ventriculi und Gallen¬ 
rückfluss nach Gastroenterostomie. 

5. VII. 7 Uhr Reiniguugsklysma; 8 Uhr Aush. 6 ccm (Congo 
schwach -f-, Ges.-Acld. 17); 9 Uhr Klysma von 10 ccm Alkohol 
absolut., in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr Aush. 7,5 ccm (HCl 14, 
Ges.-Acid. 27); 11 Uhr Aush. 22 ccm (Congo schwach 4-, Ges.- 
Acid. 8). 

8. VII. 8 Uhr Reiniguugsklysma; 9 Uhr Aush. 25 ccm 
(Congo —, Ges.-Acid. 13); 9 Uhr 5 Min. Klysma mit 20 ccm Alko¬ 
hol absol., in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr Aush. 57 ccm 
(Congo Ges.-Acid. IS); 11 Uhr Aush. 30 ccm (Congo —, Ges.- 
Acid. 11). 

10. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr Aush. 38 ccm 
(Congo —, Ges.-Acld. 7); 9 Uhr 10 Min. Klysma mit 30 ccm Alko¬ 
hol absol., in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr Aush. 90 cciu 
(Congo —, Ges.-Acid. 9); 11 Uhr Aush. 36 ccm (Congo —, Ges.- 
Acld. 5). 


No» 47. 


12. VII. 8 Uhr Reinigungsklysma; 9 Uhr 30 Mh). Aush. 12 ccm 
Congo —, Ges.-Acid. 1); 9 Uhr 40 Min. Klysma mit 30 ccm Alko¬ 
hol. absolut., in 200 ccm Kochsalzlösung; 10 Uhr 30 Min. Aush. 
85 ccm (HCl 15, Ges.-Acld. 25); 11 Uhi 4 15 Min. Aush. 40 ccm 
(HCl 3, Ges.-Acld. 17). 

16. VII. 8 Uhr Reiniguugsklysma; 9 Uhr 45 Min. Aush. 30 ccm 
(Congo —, Ges.-Acid. 10); 10 Uhr Klysma mit 150 ccm Rothwein; 
10 Uhr 45 Min. Aush. 25 ccm (HCl 25, Ges.-Acid, 37); 11 Uhr 
20 Min. Aush. 40 ccm (HCl 10, Ges.-Acid. 24). 

18. VII. 8 Uhr Rcinigungsklysma; 8 Uhr 45 Min. Aush. 40 ccm 
(Congo schwach -j-, Ges.-Acid. 19); 8 Uhr 50 Min. Klysma mit 
500 ccm Bier; 9 Uhr 45 Min. Aush. 15 ccm (HCl 11, Gea-Acld. 20): 
10 Uhr 20 Min. Aush. 8.5 ccm (HCl 22, Ges.-Acid. 41); 11 Uhr 
Aush. 22 ccm (HCl 6, Ges.-Acld. 19). 

23. VII. 7 Uhr Rcinigungsklysma; 8 Uhr 30 Min. Aush. 
37 ccm (11C1 4. Ges.-Acid. 23); 8 Uhr 40 Min. Klysma mit 150 ccm 
Weissweiu; 9 Uhr 30 Min. Aush. 14 ccm (HCl 11, Ges.-Acld. 17); 
10 Uhr 80 Mlu. Aush. 15 ccm (HCl 20, Ges.-Acid. 43). 

O. v. M., 22 Jahre. Gastroenteritis chronica. 

20. VII. 7 Uhr Reinigungsklysma; 8 Uhr Ansh. 15 ccm 
(IICl 11, Ges.-Acid. 17); 8 Uhr 10 Min. Klysma mit. 10 ccm Alko¬ 
hol absolut., in 200 ccm Kochsalzlösung; 9 Uhr 15 Min. Aush. 
82 ccm (IICl 40, Ges.-Acid. 48); 10 Uhr 30 Min. Aush. 25 cciu 
(IICl 25, Ges.-Acid. 43). 

Bei 2 Achylien und bei einer Hypochylie in Folge von 
Carcinoma ventriculi konnte ich keinen Effekt erzielen. Bei 
den beiden ersten Fällen blieben auch Pilocarpininjektionen 
resultatlos. 

Schlussfolgerungen. 

1. Alkohol absolut, und alkoholhaltige Getränke wirken bei 
rektaler Anwendung magensafttreibend. 

2. Die Wirkung tritt meistens bereits nach Verabreichung 
von 7—10 ccin Alkohol absolut, resp. nach alkoholischen Ge¬ 
tränken auf, die einem Alkoholgehalt von 7—10 Proc. ent¬ 
sprechen. 

3. Die höchsten Säurewerthe sind beiläufig eine Stunde 
nach den Klysmen zu bemerken; darnach nehmen sie gradatim 
wieder ab. 

4. Bei Achylien, sowie bei einem Falle von Car¬ 
cinoma ventriculi konnte nach Verabreichung von 
Alkoholklysmen keine Wirkung bemerkt werden. 

Am Schlüsse sage ich noch Herrn Geheimrath Riegel 
für die Anregung, sowie für die gütige Ueberlassung des 
Materials meinen verbindlichsten Dank. 


Oie praktische Bedeutung der Lactationsatrephie 
des Uterus. 1 ) 

Von W. T h o r n. 

Unbestreitbar bringt die fortschreitende Kultur eine 
Schwächung des Weibes in der Erfüllung seiner physiologischen 
Aufgaben mit sich. So wird unter anderem die Zahl derjenigen 
Frauen, welche das Säugen überhaupt und insbesondere eine 
wünschenswerth lange Zeit ausüben können und wollen, in den 
heutigen Kulturländern immer geringer, Ammenwesen und künst¬ 
liche Ernährung nehmen in wenig erfreulichem Maasse zu und 
es scheint fast, als wenn wir neben F rankreich in dieser Be¬ 
ziehung an der Spitze marschirten. Es liegt mir hepte fern, auf 
die Ursachen dieser wenig vortheilhaften Wirkungen der Kultur 
einzugehen. Sind sic doch uralte Erfahrungstatsachen, die wir 
schon aus den kulturell vorgeschritteneren Epochen der alten 
Inder, Griechen, Römer etc. her kennen. Mit. dem Un¬ 
vermögen, überhaupt stillen zu können, geht Hand in Hand eine 
geringere Widerstandsfähigkeit der Säugenden, die sich in all¬ 
gemeinen und lokalen Ernährungsstörungen äussert und vielfach 
zu einer Verkürzung des Stillungsgeschäftes führt. 

Die interessanteste und praktisch wichtigste unter den von 
der Lactation abhängigen lokalen Ernährungsstörungen dürfte 
die Uterusatrophie sein, seinerzeit von mir Lactationsatrqphie ge¬ 
tauft, weil sie in ihren reinen Formen ausschliesslich eine Folge¬ 
erscheinung der Lactation darstellt. Sie befällt keineswegs, wie 
immer noch hier und da behauptet wird, etwa nur anaemischc, 
schlecht genährte und in ungünstigen Verhältnissen lebende 
Stillende, sondern kann so gut wie ausnahmslos auch bei allen 
gesunden und wohllebenden nachgewiesen werden, sofern sie nur 
längere Zeit während der Lactation amenor- 
rlioisch sind. Diese Atrophie ist nicht zu allen Zeiten der 

’) Nach einem auf der 73. Versammlung deutsche^ Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Hamburg gehaltenen Vortrag., 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICIM8CHE WOCHENSCHRIFT. 


1878 


Lactation gleich stark, sondern wechselt, wie auch die Stärke 
der Miiöhsekretion und erreicht, gleich dieser im Allgemeinen 
ihren Höhepunkt etwa im 4. Monat. Bei robusten Frauen macht 
sie gewöhnlich keinerlei Symptome und hierin ist der Grund zu 
su(dien, warum sie so lange der Erkenntnis» entging. Sie zeigt 
liier durchaus einen physiologischen Charakter auch insofern, als 
sie fast ausnahmslos spontan heilt, d. h. zu einer völligen Repara¬ 
tion des Uterus nach dem Absetzen des Kindes führt. Intensität 
und Dauer der Atrophie hängen aber, wie nicht anders zu er¬ 
warten, innig von dem allgemeinen Kräftezustand und der socia¬ 
len Lage der Säugenden ab, dergestalt, dass sie bei primär anae- 
mischen, schwächlichen, unter ungünstigen äusseren Bedingungen 
lebenden, oder gar an einem sonstigen konsumirenden Leiden 
kränkelnden Säugenden hier und da, zumal in ihren Begleit¬ 
erscheinungen einen pathologischen Charakter gewinnt. Doch 
sind auch hier bleibende Atrophien Seltenheiten, sofern nur die 
Schwächung des Gesammtorganismus und die komplizirende Er¬ 
krankung schwinden oder sich bessern. Diese schwereren Formen 
der Lactationsatrophie machen naturgemäss Beschwerden, die 
theils durch die Anaemie und den mangelhaften allgemeinen Er¬ 
nährungszustand, theils auch durch die Lockerung in der Befesti¬ 
gung des Genitalapparates und katarrhalische Erkrankungen des¬ 
selben ausgelöst werden und ein Krankheitsbild von wenig distinc- 
ter Art bilden. Do das Absetzen de3 Kindes fast regelmässig von 
einer baldigen Besserung resp. Heilung der Beschwerden gefolgt 
ist, so kommen in die Hände des Gynäkologen im Allgemeinen nur 
die schweren Fälle und darin ist der Grund zu suchen, warum 
immer noch der physiologische Charakter der reinen Fälle ge¬ 
leugnet resp. angezweifelt und warum mir immer wieder der Vor¬ 
wurf gemacht wird, dass ich die Prognose der Lactationsatrophie 
zu optimistisch beurtheilt hätte. 

Eine falsche Bewerthung greift unter Umständen stark 
in das Geschick von Kind und Mutter ein; wird viel¬ 
leicht zufällig im heissen Sommer bei der Säugenden eine 
Atrophie de9 Uterus von 4,5 cm Cavumlänge konstatirt und das 
sofortige Absetzen dekretirt, so kann das dem Kinde Krank¬ 
heit und Tod bringen; auf der anderen Seite kann die allzu 
günstige Beurtheilung eines hoch pathologischen Falles vom 
rechtzeitigen Absetzen abhalten und eine dauernde Funktions- 
unfäbigkeit des Uterus mit verschulden. Es handelt sich dem¬ 
nach um eine Frage von allgemeiner Bedeutung, deren Erörte¬ 
rung wohl für jeden Arzt von Interesse sein dürfte. 

Auf den ersten Blick erscheint eine richtige Beurtheilung 
«Irr Lactationsatrophie schwierig, da die Grenzen zwischen physio¬ 
logischen und pathologischen Formen schwimmende sind und 
der Symptomenkomplex ein so wenig charakteristisches Krank¬ 
heitsbild liefert; es gibt aber doch eine Anzahl Kriterien, die uns 
unschwer in den Stand setzen, die Lactationsatrophie im kon¬ 
kreten Fall richtig zu bewerthen. 

Zunächst sei es mir gestattet, einige Irrthümer, die auch 
neueren Bearbeitern der Lactationsatrophie wieder unterliefen, 
richtig Zu stellen, da sie für die Beurtheilung der ganzen 
Frage von einschneidender Bedeutung sind. Im 62. Band des 
Archivs für Gynäkologie berichtet L. Fraenkel über 95 Fälle 
von Lactationsatrophie aus der G. F raenkel’schen Klinik und 
Privätpraxte, auf Grund deTen er meiner Prognosenstellung im 
AHgethbinen' bteipflichtet, aber sie dahin ergänzen will, dass viele 
Fälle 'tiifcht erst nach dem Absetzen, sondern schon während 
des Stillens heilten. Es ist das eine Thatsache, die schon allein 
aus dem Umstand, dass amenorrhoische stillende Frauen con- 
cipirdn köflnCn, klar hervorgeht und in meinerf Arbeiten genügend 
gewürdigt worden ist. Dänn aber urgirt mir L. Fraenkel die 
Behauptung: jede stilletide Frau bekomme eine Lactations- 
atrojthie. Er vergibst „amenorrhoisch“ und zwar „während der 
Lactation amenorrhoisch“ dazuzusetzen, und das ist ganz klar 
die ; HäüptSftche. 

Die AfnCnorriioo ist Während der Lactation die Regel, doch 
mertstruirdn nach meinen Erfahrungen etwa 25 Proc. unregel- 
niäfeäig, theist 1—^2 rtiäl, trtn dftnn amenorrhoisch zu werden, oder 
in lftngfen Ptftfsen, etwa 15 Proc. haben regelmässig die Regel, 
Wttd ^®Wa-90 , Pi*oc. cönoipiren während des Säugens, darunter auch 
Arfifnorthoische. Diese Zahlen unterliegen naturgemäss mannig¬ 
fachen Aerfderungen, die von dem allgemeinen Kräftezustand 
tflrd der sodiölen Lage der Bevölkerung abhängen. Bei den regel¬ 
mässig menstruirten, stillenden, gesunden Frauen zeigt der 


Uterus im Allgemeinen normale Grösse, und Beschaffenheit. 
Selten kommen bei ihnen geringe Grade der exoentriscljen Atro¬ 
phie vor. Häufiger tritt die letztere, zuweilen auch ein geringerer 
Grad concentrischer Atrophie bei solchen Frauen ein, die selten 
und in längeren Pausen menstruiren; natürlich kann auch eine 
Anfangs regelmässig oder unregelmässig menstruirte, daun aber 
lange Zeit amenorrhoische Säugende höhere Grade der Atrophie 
aufweisen. Dagegen unterliegen alle dauernd während der Lac¬ 
tation Amenorrhoischen der Atrophie und zwar weisen sie zu¬ 
meist höhere Grade und die concentrisclie Form auf bis zu einer 
Verkürzung der Cavumlänge auf 4,5 cm und Verringerung der 
Wanddicke bis auf einige Millimeter. Dabei behält die Cervix 
annähernd normale Grösse und Beschaffenheit, sodass die 
Grössenverhältnisse zwischen Corpus und Cervix total verschoben 
werden und ebenso zeigen die Ovarien normale Grösse. Das 
Alles gilt nur für die völlig gesimde Frau, deren Uterusatrophie 
ganz ausschliesslich von der Lactation abhängt. Diese Falle sipd 
von jenen, wo es sich um primär schwächliche und kranke oder 
im Verlauf der Lactation erkrankte Säugende handelt, streng 
zu scheiden, was von manchen Autoren nicht in genügender 
Weise geschehen ist. Darauf sind die Differenzen in den Er¬ 
gebnissen derselben im Wesentlichen zurückzuführen. Auch ist 
das Material, das sie zu den Untersuchungen benutzten, kein 
gleichwertiges gewesen. Das habe ich Engström gegenüber 
schon betont; trotzdem unterliegt L. Fraenkel dem gleichen 
Irrthum, wenn er meint: „es ist ein interessanter Zufall, dass der 
eine Forscher (Thorn) wesentlich die physiologische, der 
andere (F r o m m e 1) die pathologische Form der Lactations¬ 
atrophie an einem nahezu gleichen Material sah“ und an anderem 
Orte: „somit stehen sich die Ansichten und Resultate von 
F r o m m e 1 und Thorn ziemlich unvermittelt gegenüber. Der 
Erstere sah unter 28 Fällen eine einzige Heilung, Thorn sah 
25, zum Theil recht schwere Fälle, säramtlich vollkommen ge¬ 
nesen. Diese Divergenz erscheint um so unerklärlicher, weil das 
Material beider Forscher grossstädtischen Polikliniken (Berlin 
und Halle) entstammt, ja sogar Thorn die in Halle ge¬ 
wonnenen Resultate später an dem Berliner Materiale wieder 
finden konnte.“ 

Das Material von F rommel und das meinige sind toto 
coelo verschieden. F rommel sah unter 3000 poliklinischen 
Kranken 28 mit TJterusatrophie behaftete, meist unter ärmlichen 
Verhältnissen lebende, mangelhaft ernährte Frauen, die zwar 
längere Zeit gestillt, aber bereits seit einer Reihe von Monaten 
abgesetzt hatten; die Portio fand er klein, mitunter ganz ge¬ 
schwunden, die Ovarien verkleinert; von diesen 28 Atrophien 
sah F rommel nur eine heilen. Ich will dahin gestellt sein 
lassen, ob die Beobachtung9zeit eine genügend lange gewesen ist, 
um die übrigen fiir dauernd unheilbar halten zu können; jeden¬ 
falls ist das Material Frommel’s ein hochpathologisches, bei 
dem auch andere aetiologischc Faktoren, als nur die Lactation, 
mitsprechen. Dagegen handelt es sich bei meinen 25 Fällen, 
wio ich seinerzeit ausdrücklich betont habe, um völlig gesunde 
Frauen, bei denen ausschliesslich die Lactation als ursächliches 
Moment in Frage kam und die normale Cervix und normale 
Ovarien aufwiesen. Leichte Grade der Anaemie, leichte Sen¬ 
kungen der Vagina, Deviationen des Uterus etc., wie sie viele 
gesunde Stillende zeigen, .sind dabei ausser Acht gelassen; sie 
sind hier Folgen der Lactation und Atrophie, nicht Ursachen. 
An der Frauenklinik in Halle unter Olshausen bestand 
zu meiner Zeit auch eine Poliklinik für Kinder des ersten 
Lebensjahres. Säugende Mütter solcher Kinder und andererseits 
Frauen, die ich in der geburtshilflichen Poliklinik entbunden 
hatte, denen selbst nichts fehlte, die aber stillten und amenor¬ 
rhoisch waren, bilden das Gros jener 25 Fälle. Getrennt davon 
habe ich streng alle Fälle, die irgend eine Erkrankung auf¬ 
wiesen, von der man hätte annehmen können, dass sie schwächend 
auf den Organismus einwirkc, und weiter diejenigen, welche ich 
nicht bis zur völligen Reparation des Uterus beobachten konnte. 
Das Resultat meiner damaligen Untersuchungen habe ich so¬ 
wohl in B e r 1 i n, wie später in meinem Magdeburge- 
Wirkungskreis bestätigt gefuiid«'n und ich bin der testen Uebcr- 
zeugung, dass die Differenzen mit den Ergebnissen anderer 
Autoren nur in der Qualität des Beobachtungsmateriales zu 
suchen sind; das trifft nicht nur für das Material Frommcl’s 
zu, sondern, wenn auch in geringerem Maasse, für das E n g - 


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1874 


MUENOHENER l f EDI01NIS(J] i K WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


81röm’s und L. Fraenkel’a Ich habe noch keinen Fall von 
reiner Lactationsatrophie gesehen, der nicht geheilt wäre. Aber da 
es keine Regel ohne Ausnahme gibt, so mag es bei übermässig 
langem Stillen, ähnlich wie bei Galaktorrhoe, auch hier und da 
einmal zu einer dauernden Atrophie kommen; an der Regel 
ändert das nichts. 

Die reine Form der Lactationsatrophie habe ich den reflek¬ 
torischen Trophoneurosen zugerechnet, in der Annahme, dass 
die Atrophie des Corpus uteri — und um diese handelt es 
sich nur, Cervix und Ovarien bleiben charakteristischer Weise 
unbetheiligt — durch Kontraktionen, welche durch das Saugen 
ausgelöst werden, eingeleitet wird. Der nervöse Zusammenhang 
zwischen Mammae und Genitalien ist bekannt; das Saugen an 
den Brüsten löst ebenso wollüstige Gefühle, wie fühlbare Kon¬ 
traktionen des Uterus beim Weibe aus und man hat diese Er¬ 
scheinung bekanntlich zur Einleitung der künstlichen Frühgeburt 
verwerthen wollen. Eine grosse Zahl Frauen empfindet während 
des Stillens ein eigenthümliches Gefühl in der Sacralgegend und 
im Becken, das sich bis zu ziehenden Schmerzen bisweilen 
steigert, und nicht anders als durch Uteruskontraktionen her¬ 
vorgerufen gedeutet werden kann. Je weiter die Atrophie vor¬ 
schreitet, desto geringer wird, der Verringerung der kontraktilen 
Substanz wegen, dieser Kontraktionen auslösende Einfluss des 
Säugens sein. Dem Verlust an Nährmaterial durch die Milch¬ 
abgabe ist in zweiter Linie eine aetiologische Bedeutung für die 
Atrophie beizumessen. Doch schätze ich sie für die erste Zeit 
nicht so hoch ein, da unter normalen Verhältnissen der Verlust 
durch eine geeignete Ueberemährung kompensirt zu werden 
pflegt. Auch muss der Organismus schon sehr erheblich ge¬ 
schwächt werden, wenn allein daraus eine Atrophie des Uterus 
zu Stande kommen soll; wir kennen diese Wirkung von akuten 
und chronischen Infektionskrankheiten (Typhus, Pneumonie, 
Tuberkulose etc.) und schweren organischen Störungen (Nephri¬ 
tis, Diabetes etc.) her, wissen aber auch, dass Amenorrhoe und 
Atrophie des Uterus hier nur nach sehr schwerer Consumption 
des Körpers oder durch eine Schädigung des Ovarialparenchyms 
aufzutreten pflegen. Dagegen sehen wir, dass bei der Stillenden 
schon geringe Störungen in der Ernährung des Körpers und 
interkurrente, an sich nicht schwere Erkrankungen die Atrophie 
des Uterus wesentlich begünstigen und hochgradig machen 
können. Auch hier scheinen mir dennoch zunächst und in erster 
Linie die vom Säugen ausgelösten Kontraktionen des Uterus die 
Atrophisirung einzuleiten. 

Mit dieser Annahme, dass am Zustande¬ 
kommen der Atrophie in erster Linie die Kon¬ 
traktionen des Uterus, in zweiter der Nähr¬ 
verlust durch die Milohabgabe betheiligt 
sind, harmonirt auch die Thatsache, dass die 
hohen Grade der Atrophie im Durchschnitt 
bereits gegen den 4. Monat erreicht zu sein 
pflegen, zur gleichen Zeit, wo auch die Milch¬ 
abgabe ihren Höhepunkt gewonnen hat. Für 
die mit völliger Reparation des Uterus ausheilenden Atrophien, 
also in erster Linie für die reine Lactationsatrophie, dürften die 
Resultate der Untersuchungen M. Saenger’s, BroceFs, 
D i 11 r i c h’s Geltung haben, dass lediglich die einzelne 
Muskelfaser reducirt wird, nicht dass Fasern zu Grunde gehen. 
Anders könnte der wunderbare Vorgang, dass ein so stark in allen 
seinen Körpermaassen reducirter Uterus sich in so verhältniss- 
mässig kurzer Zeit wieder zu einem funktions- und erneut 
gestationsfähigen Organ auf baut, kaum zu verstehen sein. Mit dem 
Beginn des Schwundes von Muskelfasern und weiter mit dem 
Beginn der Schrumpfung der Cervix und der Ovarien gewinnt 
allem Anschein nach die Atrophie den pathologischen Charakter, 
der die Reparation in Frage stellt. Bei der Beurthei- 
lung der Lactationsatrophie müssen wir uns 
also besonders auf das Verhalten der Cervix 
und der Ovarien stützen und dürfen auch in solchen 
Fällen, wo das Stillen eine erhebliche Reduktion des Kräfte- 
zustamlcs zu Wege bringt, bei normalem Verhalten jener ohne 
Weiteres eine Regeneration des Uterus nach dem Absetzen er¬ 
warten. Demnach kann die Atrophie des Uterus an sich, mag 
sie noch so hochgradig sein, niemals Anlass geben, das Stillen 
sofort zu verbieten, wenn nicht eine hochgradige Ernährungs¬ 
störung des ganzen Körpers oder intercurrente Erkrankungen 


gleichzeitig auftreten, die einer geeigneten Behandlung trotzen. 
Damit soll aber in keiner Weise ein übermässig langes Stillen 
Amenorrhoischer empfohlen werden. Als äusserster Zeitpunkt 
dürfte ein Jahr anzusehen sein, in der Regel jedoch nimmt die 
Milchabsonderung bereits vom 7. Monat an bald langsamer, bald 
rascher dermaassen ab, dass das Absetzen vor Abfluss eines 
Jahres bereits erzwungen wird. So wenig man Amenorrhoischo 
übermässig lange säugen lassen soll, weil eine allzulange Ausser- 
funktionssetzung des Uterus doch einmal schädliche Folgen 
haben kann, so wenig kann das Eintreten der Menstruation Grund 
zum Absetzen des Kindes geben. Es ist ja nicht zu leugnen, da-s 
die Säuglinge während der Menstruation oft unruhig und dys¬ 
peptisch zu sein pflegen, weil zweifellos in den menstruellen 
Togen die Muttermilch eine qualitative, oft auch quantitative 
Aenderung erleidet, doch geht das Alles rasch und ohne ernst¬ 
hafte Störung vorüber. Dieser Einfluss der Menstruation auf 
die Lactation wird vielfach überschätzt und bildet nicht so selten 
Anlass, menstruirende Ammen abzulehnen, mit Unrecht; im All¬ 
gemeinen ist die regelmässige Menstruation während der Lac¬ 
tation nur ein Zeichen besonders günstiger Ernährungsverhält¬ 
nisse. Fälle, wo bei erheblich atrophischem Uterus menstruirt, 
ja sogar profus menstruirt wurde, wie sie Gottschalck und 
Kleinwächter berichtet haben, sah ich nie; ich nehme an, 
dass es sich dabei um komplizirende Erkrankungen, speziell der 
Ovarien gehandelt hat. 

Das Wiederauftreten der Menstruation ist 
in der Regel ein sicheres Zeichen der voll¬ 
lendeten Regeneration des Uterus, wenigstens der 
Mucosa desselben, die an der Atrophie starken Antheil zu nehmen 
pflegt; es erfolgt gewöhnlich etwa 4—6 Wochen nach dem Ab¬ 
setzen des Kindes. Ausnahmsweise tritt die Menstruation schon 
während des Stillens wieder ein, sei es dass der Uterus bei ge¬ 
ringer Milchabgabe und besonders gutem allgemeinem Kräfte¬ 
zustand sich früher regenerirte, sei es, dass zunächst nur die 
Mucosa wieder funktionsfähig wurde, während Muskulatur und 
Bindegewebe noch nicht völlig zur Norm ausgebildet waren. Es 
kann aber auch die Regeneration bereits soweit gediehen sein, 
dass Conception erfolgt, bevor es überhaupt zu einer menstruellen 
Blutung kam. Die nicht seltenen Conceptioncn 
während der Lactation, das völlige Fehlen 
aller Ausfallserscheinungen, die wir bei 
solch’ jugendlichen Personen erwarten müss¬ 
ten, und zuletzt der Tastbefund, der unter nor¬ 
malen Verhältnissen keine Verkleinerung 
der Ovarien ergibt, beweisen klar, dass die 
Eierstöcke in Funktion bleiben. Trotzdem wir 
also annehmen müssen, dass während der Lactation die Ovu¬ 
lation ungestört vor sich geht, oder höchstens nur verlangsamt 
sein kann, hat der uralte Volksglauben, dass die Stillende vor 
der neuerlichen Conception geschützt sei, doch in gewissen Gren¬ 
zen Rocht. Die Atrophie des Corpus, welche etwa 
% aller Stillenden längere oder kürzere Zeit 
auf weisen, istthatsächlich ein sicherer Schutz 
gegen die erneute Empfängniss und verhin¬ 
dert so eine Erschöpfung der Kräfte weniger 
widerstandsfähiger Frauen. Die Robusten, welche 
regelmässig während der Lactation menstruiren und allenfalls 
nur unbedeutende Atrophien des Uterus acquiriren, entbehren 
dieses Schutzes, ebenso wie im Allgemeinen das auf niederer 
Kulturstufe stehende und den physiologischen Anforderungen 
ihres Geschlechtes besser gewachsene Weib, sofern es nicht die 
dem Manne gebotene Abstinenz schützt. Während in den oberen 
Schichten der Kulturvölker selten die Stillzeit 1 Jahr erreicht, 
in den unteren allerhöchstens 2 Jahre, sehen wir bei den 
Naturvölkern im Durchschnitt eine erheblich längere, die z. B. 
bei den Eskimos bis 14 Jahre betragen soll, 60 dass unter 
Umstünden 2, ja 3 verschieden alte Kinder gleichzeitigt gesäugt 
werden. In der neuerlichen Conception findet man im All¬ 
gemeinen Grund, das Kind zu entwöhnen; ich habe oft beobachtet, 
dass ohne Schaden woclicn- ja monatelang bei neuerlicher Gra¬ 
vidität weitergestillt wurde und bin daher der Meinung, das? 
man das Absetzen nicht gebieten soll, falls für den Säugling di«' 
Woiterernührung durch die Mutterbrust, etwa in der heissen 
Jahreszeit oder bei akuten Erkrankungen, vorteilhaft erscheint; 
dies Regel wird allerdings sein, dass man nach der Empfängnis- 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1875 


absetzen lässt. Bei unseren Durehsehnittsfrauen bildet also ganz 
entschieden die Corpusatrophic, nicht etwa die fehlende Ovula¬ 
tion, während der Lactation einen gewissen Regulator der Con- 
eeption und es ist sehr zu bedauern, dass mit dem Vorschreiten 
der Kultur dieses natürliche anticonceptionelle Mittel durch die 
Einschränkung des Stillens eine immer grössere Beschränkung 
erfährt und dass man einen sehr üblen Ersatz in allen möglichen, 
zumeist schädlichen Mittel sucht. 

Das Normale bei der stillenden Frau ist 
also die Amenorrhoe, bewirkt durch eine Atro¬ 
phie des Körpers der Gebärmutter, keineswegs 
durch ein Sistiren der Ovulation. Diese Atro¬ 
phie lässt unter normalen Verhältnissen Cer¬ 
vix und Ovarien intakt und heilt spontan, 
manchmal schon während des Stillens, in dev 
Regel aber 4—6 Wochen nach dem Absetzen des 
Kindes aus. Diese Uterusatrophie der ge¬ 
sunden amenorrhoischen Stillenden ist ein 
durch au« physiologischer Vorgang, der nur 
durch U ehe rtreibu ngen im Stillen und durch 
intercurrente organische oder Allgemein¬ 
er k r a n k u n g e n des Körpers einen patho¬ 
logischen Charakter gewinnt, aber auch dann 
fast ausnahmslos nach dem Absetzen des Kin¬ 
des heilt, wenn nur d i o Komplikationen be¬ 
seitigt worden. 

Hegt man auch hinfort noch Zweifel an dem physiologischen 
Charakter der reinen Laetationsatrophic, so bedarf es nur der 
exakten Beobachtung und Untersuchung eines Materiales gleicher 
Qualität., wie es mir in den erwähnten 25 Fällen und später 
noch in vielen anderen zu Gebote stand, um alle Betlenken zu 
verscheuchen; das Material gynäkologischer Polikliniken ist im 
Allgemeinen nicht dazu geeignet, weil es zuviel komplizirte Fälle 
enthält, jedenfalls aber bedarf es einer entsprechenden Sichtung. 

Jeder physiologische Vorgang zeigt innerhalb einer gewissen 
Breite Schwankungen und Ucbergänge zum Pathologischen; so 
auch die Laetationsatrophic. Handelt es sich in den 
rein o n Fälle n i in W e s e n t 1 i c h e n nur u in e i n e 
Atrophie des Corpus, so kann bei wenig wider¬ 
standsfähigen oder kranken Frauen die Er¬ 
nährungsstörung in geringerem oder höhere in 
Grude auch den Handapparat, das Peritoneu m, 
die. Par a in o t r i e n, die Vagina, die ä u s s e r e n 
Genitalien, die ßauclidecken und zuletzt auch 
d e n g a n z e n Körper in Mitleidenschaft z i e h e n. 
Den längsten Widerstand leisten auch hier Cervix und Ovarien. 
Die Grössenverhältnisse zwischen Cervix und Corpus Uteri wer¬ 
den, wie ich schon erwähnte, fast umgekehrt. Engst rüm 
führte die relative Grösse der Cervix auf katarrhalische und 
chronisch entzündliche Zustände derselben zurück. Das« die 
Cervix gar nicht selten bei Laetationsatrophic diese Erkran¬ 
kungen aufweist, darauf habe ich selbst schon in meiner ersten 
Arbeit hingewiesen; diese Fälle sind aber leicht von jenen — 
und die bilden die Regel — auseinanderzuhalten, wo eine an¬ 
nähernd normal grosse und durchaus gesunde Cervix dem hoch¬ 
atrophischen Corpus ansitzt. Warum die Cervix nicht wesentlich 
der Atrophie unterliegt, beruht wohl auf ihrer anatomischen Un¬ 
abhängigkeit und histologischen Verschiedenheit, zumal dem 
Mangel kontraktiler Elemente. Wie die Cervix in der 
Schwangerschaft neben Tuben und Ovarien 
am Wenigsten liypert rophirt, so a t r o p h i r t sic 
n eben den genannten Organen auch am Ge¬ 
ringsten bei der Lactation; beides entspricht ihrer 
physiologischen Auf gälte. Die katarrhalischen und chronisch 
entzündlichen Zustände der Cervix können natürlich schon vor 
der Schwängerung bestanden halten oder mögen auf Verletzungen 
und Infektionen bei der Geburt und iin Puerperium zurück¬ 
zuführen sein, oft stehen sie alter doch auch in aetiologischein 
Zusammenhang mit der Laetationsatrophic. Nimmt der Band¬ 
apparat, die Parametrien, die Vagina, der Beckenboden an der 
Atrophie Theil, so kommt es oft zu Deviationen dos Uterus und 
der Vagina; der Descensus und Prolaps der vorderen Vagina und 
die Retroversio kompliziren häufig die höheren Grade der Lac- 
tationsatrophie, so dass auch die? Cervix allen von aussen ein¬ 
dringenden Schädlichkeiten in erhöhtem Maasse ausgesetzt wird. 

No. 47 


Mit diesem Uebergreifen auf die übrigen Theile des Genitalappa¬ 
rates und seine Umgebung gewinnt also sensu strictiori die Lae- 
tationsatrophie einen pathologischen Charakter und die Krank- 
heitssymptomo, welche die Katarrhe, Entzündungen und Sen¬ 
kungen hervorrufeu, führen zumeist erst die Stillende dem Arzte 
zu. So sehr also das Stillen als das beste Hilfsmittel, die nor¬ 
male Rückbildung der Genitalien zu begünstigen, zu erachten ist, 
so kann es doch durch die höheren Grade der Laetationsatrophic 
bei wenig widerstandsfähigen und in ungünstigen socialen Ver¬ 
hältnissen lebenden Frauen zu erheblicheren Störungen und zur 
Lockerung der Befestigung des Genitalapparates führen. Die 
Bedeutung der Lactationsatrophie für die Aetiologie der Retro- 
deviationen und des Prolapses wird entschieden noch unter¬ 
schätzt. 


Oft bei der gesunden robusten, fast regelmässig bei der 
schlecht genährten Stillenden liegt also der lactationsatrophisehe 
Uterus retrovertirt-flektirt. wie wir das ja überhaupt vom atro¬ 
phischen, besonders dem senil-atrophischen her kennen. So selten 
aber wie der senil-atrophische, so selten macht auch der lactations- 
atrophische durch seine lietrodeviation Symptome. Man hüte 
sich besonders, die von Stillenden oft. geklagten Kreuzschmerzen, 
«las Drängen nach unten etc. ohne Weiteres auf die Retro- 
deviation zurückzuführen und meide nach Möglichkeit, die Pessar¬ 
behandlung. Der erschlaffte Beckenboden ist wenig zur Stütze 
geeignet, die Scheide ist allzu nachgiebig und die Reetifieation 
der Lageanomalie bei dem atrophischen Uterus nicht leicht; es 
werden daher gewöhnlich zu grosse Instrumente gewählt, die 
mir zur weiteren Dehnung und Erschlaffung führen. Das Gleiche 
gilt für den Descensus und Prolaps der Vagina; möglichst suche 
man mit kleinen weichen Ringen und geeigneten Bandagen aus- 
zukommen. Das Hauptaugenmerk ist auf die Kräftigung des 
Allgemeinbefindens zu richten und erst wenn hier alb“ Mittel 
versagen, kommt das Entwöhnen in Betracht. Die Ket ro¬ 
ll c v i a t i o ii des lact a t i onsa troph is c h e n Uterus 
erfordert also so gut wie. nie eine orthopädische 
Therapie, dagegen sollte man während der Regeneration, 
spätestens nach dem Abschluss derselben eine Kontrolc nicht 
unterlassen und Deviationen, die Symptome machen, jetzt korri- 
giren. Bei gleich massiger Regeneration des Genitaltraktus und 
seiner Umgebung verschwinden Verlagerungen und Senkungen 
sehr häufig spontan, bei ungleichmiissiger Reparation und bei den 
schwer arbeitenden Frauen dagegen werden sie nunmehr unter 
dem schwereren Gewicht des Uterus stärker und bedürfen der 
Therapie. Setzt sic rechtzeitig ein, so wird gar manch«' Operation 
überflüssig gemacht. 

Wird das Stillen bei hochgradiger Atrophie des Uterus und 
seine Umgebung, zumal von schwächlichen Frauen übermässig 
lango fortgesetzt., so können naturgemiiss die sonst so wider¬ 
standsfähigen Ovarien der Atrophie unterliegen und je nach dem 
geringeren oder grösseren Verlust von Ovarialparenchym wird 
die Atrophie der Ovarien eine dauernde und Hand in Hand damit 
auch die Uterusatrophie eine bleibende werden. Immerhin sind 
das sehr grosse Ausnahmen, weil in der Regel der allgemein 
schlechte Ernährungszustand und das Versiechen der Milch¬ 
sekretion die Stillenden zuin Absetzen zwingen wird. So weist 
z. B. das Material L. F r a e n k c l’s nur 3 einschlägige Fälle 
auf; ich selbst verfüge über eine Anzahl solcher Fälle, finde aller, 
dass man nicht skeptisch genug sowohl bezüglich der Aetiologie 
„Lactation“, wie der Prognose „Unheilbarkeit“ sein kann. Zur 
Bewerthung solcher Fälle ist es absolut erforderlich, durch ge¬ 
naueste Untersuchung und Beobachtung jede organische und 
Allgemeinerkrankung auszuschl iessen: zumal ist auf Albu¬ 
minurie, Melliturie, Anaemie, Fettsucht und Tuberkulose zu 
achten und die Anamnese muss besonders alle Störungen bei der 
Geburt und im Wochenbett und alle akuten Erkrankungen 
während der Lactation berücksichtigen, so unbedeutend sie auch 
erscheinen mögen. Wie häufig die Uterusatrophio zu den Nach¬ 
krankheiten akuter Infektionskrankheiten gehört, hat ja beson¬ 
ders Gott schalk gezeigt. Eine so strenge Sichtung des 
Materials ist. nicht leicht und gewöhnlich nur bei längerer Be¬ 
obachtung möglich, al>er sie ist geboten, will man nicht zu Un¬ 
recht die Lactation beschuldigen. Ich bin seinerzeit, etwas zu 
weit gegangen, wenn ich meinte, man könne die Uteru«atrophie 
als diagnostisches Hilfsmittel für die Tuberkulös«* verwerthen: 
wahr ist aber, dass sie ungemein häufig im Prodromalstadium der 

3 


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1876 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


Phthise, wie auch der peritonealen Tuberkulose zur Beobachtung 
kommt. Was die Fettsucht anbetrifft, so ist es oft schwer, zu 
entscheiden, ob sie die Ursache oder Folge der Uterusatrophie 
vorstellt; doch sind die Fälle, wo Wohlleben und Ueberernährung 
neben mangelnder Bewegung die Fettsucht und wohl im Gefolge 
davon die spärliche Menstruation oder die Amenorrhoe und weiter 
die Uterusatrophie bei jugendlichen, sonst ganz gesunden 
Frauen zu Wege bringen, nicht selten. Vereinigt sich das mit 
der Lactation — und man sieht ja häutig Stillende, die sich durch 
Ueberernährung ein mächtiges Fettpolster zulegen und auch nach 
dem Absetzen konserviren — so hat das Beharren der Uterus¬ 
atrophie nichts so Auffallendes. Das gilt in weit höherem 
Muasse für schwerere Störungen, wie Diabetes, Nephritis und 
akute und chronische Infektionskrankheiten, wie Influenza, Pneu¬ 
monie, Typhus, Tuberkulose etc. Doch ist die Prognose solcher 
Falle keineswegs ungünstig, wenn die komplizirende Erkrankung 
heilbar ist und wenn eine entsprechende lokale Behandlung nicht, 
zu spät einsetzt; noch nach 4 Jahren habe ich Reparation und 
Neueoneeption in solchen Fällen gesehen. Alles hängt auch hier 
wieder davon ab, ob die Ovarien intakt bleiben; findet man sie 
in annähernd normaler Grösse, so gebe man die Hoffnung auf 
eine Regeneration nicht auf und begünstige diese durch Diät¬ 
kuren, Bäder und lokale Behandlung des Uterus, wie Blutcnt- 
zichungen an der Portio, Intrauterinstifte, heisse und abwechselnd 
kalte Douchen, Massage, Elektrieität etc. 

Es ist also in allen solchen Fällen, wo irgend eine Störung 
bei der Geburt, im Wochenbett oder während der Lactation auf 
die Stillende eingewirkt hat, schwer, den Antheil der Lactation 
an der Uterusatrophie sicher zu bestimmen; schaltet man aber 
diese gestörten Fälle als unrein aus, so schrumpft die 
Zahl derjenigen Frauen, die allein durch die 
Lactation eine dauernde Funktionslosigkeit 
des 1' t e r u s acquiriren, auf ein Minimum zu¬ 
sammen. ln den Fällen, die ich gesehen habe, lagen stets 
Kxees.se im Stillen vor, sei es durch übermässige Milchabgabe 
bei gracilcn, schwächlichen Frauen, sei es durch allzulangcs 
Stillen. Dagegen gebe ich zu, dass leichtere Grade der Atrophie 
bei spärlicher oder seltener Menstruation, verbunden mit Sterili¬ 
tät, enteroptotisehen und nervösen Erscheinungen, hier und da 
bei sonst gesunden, früher kräftigen und auch während der Lac¬ 
tation nicht kränkelnden Frauen Vorkommen, die bei langer 
Dauer der Therapie trotzen. Die ich gesehen habe, hatten meist 
über 1 Jahr gestillt und es erschien zweifelhaft, ob nicht das an¬ 
gebliche Wohlbefinden während des Stillens mehr durch die 
Mutterliebe dictirt war. Manche Fälle geben uns in aetiologischer 
Beziehung geradezu Räthsel auf, so der folgende. Eine 20 jähr. 
gesunde, kräftige Frau stillt nach normalem Partus und Puer¬ 
perium 1*4 Jahr ohne alle Störung bei völliger Euphorie, bleibt 
dabei 8 Monate amenorrhoisch in Folge Corpusatrophie, men- 
struirt dann 7 Monate regelmässig bei annähernd normal grossem 
Uterus, setzt darauf ab, bekommt nie wieder Menses und acquirirt 
nunmehr eine totale Atrophie des Uterus und der Ovarien, die 
aller Therapie trotzt. Man wird leicht geneigt sein, doch das 
lange Stillen als Ursache zu beschuldigen, obgleich die Frau bei 
annähernd normalem Uterus regelmässig menstruirt hatte; ich 
kann den Grund der Atrophie dos Uterus nur in einer primären 
idiopathischen Atrophie der Ovarien suchen, deren Ursache 
allerdings völlig dunkel blieb. Man sieht aber auch hier und da 
solches räthselhafte Sistiren der Menstruation mit consecutiver 
Uterusatrophie ausserhalb der Lactation bei sonst ganz gesunden 
Frauen, so dass nicht einmal diejenigen Fälle, wo sich bleibende 
Amenorrhoe und Uterusatrophie an die Lactation knüpfen, und 
bei denen einzig und allein die Lactation als Ursache in Frage 
zu kommen scheint, völlig eindeutig sind. 

Für die Praxis ergibt sich hieraus, dass die reine Lactations- 
atrophie des Uterus, mag sie noch so hochgradig sein, an sich nie¬ 
mals Grund zum Absetzen des Kindes geben kann, weil sie ein 
durchaus physiologischer Vorgang ist, der stets, spätestens 
6 Wochen nach dem Absetzen, spontan mit völliger Regeneration 
heilt. Amenorrhoisehe Stillende, die ein Vorschreiten der Atrophie 
auf den übrigen Genitalapparat, seine nächste Umgebung, ja 
den ganzen Körper zeigen, soll man nach Möglichkeit durch 
Ueberernährung. Stillen in längeren Pausen und Interpoliren 
der künstlichen Ernährung so zu kräftigen suchen, dass die Atro¬ 
phie in ihre physiologischen Grenzen zurückkehrt; gelingt das 
nicht, so lasse man absetzen. Ergibt eine exakte Beobachtung und 


Untersuchung von sachverständiger Hand, dass zweifellos auch 
Cervix und Ovarien an der Atrophie Antheil zu nehmen be¬ 
ginnen, so ist sofort das Entwöhnen anzuordnen. Principiell ist 
das Stillen über 1 Jahr allen Frauen zu verbieten, ganz besonders 
aber den amenorrhoischen; im Durchschnitt sollen mittelkräftige 
amenorrhoisehe Stillende mit Lactationsatrophie gegen den 
8. Monat absetzen, wenn nicht triftige Gegengründe im Interesse 
des Kindes (heisse Jahreszeit, akute Erkrankungen etc.) geltend 
gemacht werden können. Die Lactationsatrophie des Uterus an 
sich erfordert während des Stillens keine lokale, die mit ihr 
sehr häufig vergesellschaftete Rctrodeviation keine orthopädische 
Behandlung. Auch bei dem nicht seltenen Descensus der Vagina 
sei man vorsichtig mit der Pessartherapie und suche sie, wenn 
irgend möglich zu umgehen. Nach dem Absetzen hat eine Kon- 
trole stattzufinden. Macht der regenerirte retrodeviirte Uterus 
nunmehr Beschwerden, so ist mit der Pessartherapie zu beginnen, 
womöglich aber erst nach dem Ablauf der ersten Menstruation. 
Komplizirt die Lactation irgend eine Erkrankung, die einen con- 
sumirenden Einfluss auf den Körper der Stillenden ausiibt und 
somit im Stande ist. die Uterusatrophie zu verstärken, resp. eine 
Atrophie der übrigen Geschlechtsorgane, speciell der Ovarien her- 
beizuführei'., so hängt die Entscheidung, ob abgesetzt werden soll 
oder nicht, von der Qualität und Prognose der Komplikation ab. 
Da auch trotz intereurrenter Erkrankungen, wenn sie nicht allzu 
sehr die Körperkräfte reduciren und nur das Ovarialparenchyn» 
intakt lassen, die Lactationsatrophien in der Regel heilen, wenn 
die komplizirenden Erkrankungen genügend gebessert oder geheilt 
werden, so soll man auch hier der Befürchtung, die Uterus¬ 
atrophie möchte eine dauernde werden, nicht übertrieben Raum 
gewähren, wenn das Interesse des Kindes die Fortsetzung des 
Stillens verlangt. Die Qualität der Komplikation kommt in¬ 
sofern in Betracht, als die Prognose für die Mutter günstig und 
eine Infektionsgefahr! für das Kind selbstverständlich ausge¬ 
schlossen sein muss. Rogenerirt sich der lactationsatrophisehc 
Uterus nicht innerhalb 6 Wochen nach dem Absetzen, so hat 
neben der allgemeinen roborirenden auch eine geeignete lokale 
Therapie einzusetzen. 

Was die Diagnose der Lactationsatrophie und speziell die 
Beurthcilung der Grössenverhältnisse der Ovarien anbetrifft, 
deren Verhalten neben demjenigen der Cervix von ausschlag¬ 
gebender Bedeutung ist, so mag auch dem weniger Geübten zur 
Beruhigung dienen, dass die kombinirte Untersuchung gerade 
hei dem atrophischen Zustand der Genitalien und ihrer Um¬ 
gehung ungemein leicht auszuführen ist. Sondenmessungen des 
Uterus werden kaum nothwendig sein, da das kleine Corpus so 
ungemein charakteristisch gegen die normale Cervix kontrastirt. 
Glaubt man aber, ihrer nicht entrathen zu können, so ist äusserste 
Vorsicht geboten, da die fast papierdünne und weiche Corpus- 
wand allzuleicht vom Sondenknopf verletzt oder gar perforirt 
werden kann. 

Es war zu befürchten, dass mit dem Bekannterwerden der 
Lactationsatrophie und auf Grund neuerer Bearbeitungen der¬ 
selben die Prognose dieses merkwürdigen Vorganges, des Gegen¬ 
satzes zu der Schwangerschaftshypertrophie, zu ungünstig bc- 
urtheilt und die Zahl der stillenden Frauen noch mehr ein¬ 
geschränkt werden möchte; ich hoffe, man wird bei neuerlichen 
Untersuchungen in der Auswahl und Sichtung des Materiales 
meinen Anforderungen mehr nachkorrunen und meiner Auf¬ 
fassung immer mehr beipflichten. 


Die Beurtheilung des Wochenbettes nach der Puls¬ 
zahl.*) 

Von Dr. phil. et med. Otto Ai ehe 1, Privatdozent 
in Erlangen. 

Sind wir in der Lage, das gesunde und das krankhaft ver¬ 
laufende Wochenbett scharf zu scheiden? In erster Linie muss 
zur Beantwortung dieser Frage die Körperwärme herangezogen 
werden. Nach langjährigen Untersuchungen ist jetzt wohl ziem¬ 
lich allgemein eine Körperwärme von 38 0 C. als Grenze zwischen 
gesundem und krankhaftem Wochenbett angenommen worden. 

Auch die Beobachtung der Herzthätigkeit ist von Alters her 
in ihrer Bedeutung für die Beurtheilung des Zustandes einer 

*) Nach einem im Aerztlichen Bezirksverein Erlangen ge¬ 
haltenen Vortrage. 


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19. November 1901. MÜENCHENER MEDICINISCltE WOCHENSCHRIFT. 187/ 


Wöchnerin hervorgehoben worden. Man hat sich daher bemüht, 
aus einer Reihe von Massenbeobaehturigen auch eine Pulszahl 
festzustellen, die die Grenze zwischen gesundem und krankhaftem 
Wochenbett abgeben sollte. Mit der Zunahme der Anzahl der 
Beobachtungen wuchs die Verschiedenheit der Angaben, so dass 
öfters Stimmen laut wurden, die angestellten Beobachtungen 
seien nicht genau oder noch immer nicht zahlreich genug. 

Ich will daher die mitgetheilten Zahlenangaben kurz zu- 
sammenfassen und auf Grund auch eigener Untersuchungen 
folgende Fragen zu beantworten suchen. 

I. Ist der bis jetzt eingeschlagene Weg, den Puls zur Bc- 
urtheilung des Wochenbettes heranzuziehen, der richtige? 

II. Können wir auf anderem Wege durch Beobachtung der 
Pulszahlen ein besseres Urtheil über den Zustand einer Wöch¬ 
nerin erhalten, als es bisher der Fall war? 

Um die abweichenden Angaben über die dem gesunden 
Wochenbett zukommenden Pulszahlen zu zeigen, lusse ich eine 
Zusammenstellung folgen. 

Im gesunden Wochenbett findet 


Blot. 

.44—G0 Pnlsschlüge in 

der 

Kehrer ... 

. . . 52-58 


Fehling . . . 

.40-60 

,, 

Olslimiseii . . . 

.50-60 


Kaltenbach 

. 64 


Crede . .... 

.50—70 


Schauta 1 



v. \Vinekel | ' 


•» 

Spiegelberg . . 

.44—70 

»> 

Schröder | 
Ahlfeld | 

. . . gegen 60 oder 70 „ „ 

•i 

Leopold . . . 

.60-80 

>» 

Heil ... 

.... 71-75 


Hemey . 

. 76 


Zweifel. 

.72 — 88 



Minute 


Heiney fand nur in 0 Proc. der Fülle CO Pulsschlüge und 
darunter, Olsluiusen dagegen ln 63 Proc. seiner Fülle. 

P r o 1» y n - W 1111 n m s und Leonhard C u 1 1 e r fanden nie 
unter 72 Schlügen in der Minute. 

T o r g g 1 e r betrachtet mehr als 80, Knapp mehr als 
90 Schlüge in der Minute als krankhaft. 

v. It o s t h o r n findet, dass 90 Schlüge zu hoch siud. 

Weniger zahlreich sind die Angaben über das Verhiiltniss 
der Pulszahlen zur Körperwärme im gesunden und krankhaften 
Zustand der Wöchnerinnen. 

Die hierüber vorhandenen Mittheilungen gaben ebenfalls 
Durchschnittszahlen aus Massenbeobachtungen. Die angegebenen 


Verhält nisszahlen weichen stark 
sprechen einer Körperwärme von 

von 

37,5° 

einander 

ab. So ent- 

hei Fehling. 

72 Pulsschläge 

in der Minute 

„ Baumfelder . . . 

78 


n n 

„ Ahlfeld. 

82 

„ 

„ „ 

„ Sopp . 

88 


n n »» 

„ Schulze .. 

100 

n 

•» r* »» 

„ Leopold . 

110 

* 

„ „ » 

„ v. Rosthorn ... 

110 

„ 

>» n n 


Die drei letztgenannten Zahlen entstammen Tabellen 

Einer Körperwärme von 37,9 0 entsprechen 

bei Koppehl.77 Pulsschläge in der Minute 

„ Buumfelder .83 « « » 

„ Fehling.83 „ ,, „ „ 

„ Ahlfeld.88 „ „ „ 

Vergleichen wir schliesslich die in den Schriften angegebenen 
Zahlen über den Puls bei verschiedenen Erkrankungen der Wöch¬ 
nerinnen, so scheinen die Angaben der einzelnen Forscher nicht 
so sehr abweichend, es liegt dies aber nur an dem grossen Spiel¬ 
raum, der den Zahlenangaben belassen wird. 

Bei allgemeiner Peritonitis finden wir z. B. als Pulszahl an¬ 


gegeben 

bei Kehrer. 120—140 Pulsschlftge in der Minute 

„ Ahlfeld. 140-150 „ - „ 

„ Schröder.140 —IGO und darüber * „ 

„ Kaltenbach .... 140—1G0 „ „ » n 


Ich will nicht fortfahren, für mehrere oder gar alle Krank¬ 
heitsbilder des Wochenbettes Beispiele dieser Art anzuführen, da 
ein einziges dazu genügt, um daran zu erinnern, dass nahezu 
durchweg in den Lehrbüchern bei der Besprechung der Krank¬ 
heitsbilder neben der durchschnittlich gefundenen Erhöhung der 
Körperwärme auch die nackte Durchschnittszahl des Pulses an¬ 
geführt wird. Diese beruht zum Theil auf eigenen Berechnungen, 
zum Theil ist sie abgeschrieben. 


Ich möchte nicht unterlassen, hervorzuheben, dass in 
manchen Lehrbüchern und Einzelarbeiten sehr dankenswerthe 
Bemerkungen über den Puls gegeben werden, im Allgemeinen 
kann man aber wohl sagen, dass man den Eindruck gewinnt, der 
Vollständigkeit halber sei auch die Pulszahl nicht vergessen 
worden. 

Wir würden natürlich dasselbe erreichen, wenn wir an Stelle 
von Zahlenangaben einfach sagen würden, der Puls ist wenig er¬ 
höht, erhöht oder stark erhöht. 

Bei der Durchsicht aller statistischen Arbeiten über die 
Zahlen Verhältnisse des Pulses überzeugt man sich, dass der Puls 
der Wöchnerinnen ausserordentlich verschieden ist. Daher müssen 
die einzelnen Untersucher bei der Berechnung der Pulsdurch¬ 
schnittszahlen für das gesunde und krankhafte Wochenbett stets 
zu Ergebnissen gelangen, die von einander mehr oder weniger 
abweichen. So erklären sich die verschiedenen Angaben über die 
dem gesunden und krankhaften Wochenbett eigenthümlichen 
Pulszahlen und der Unterschied in den Zahlenangaben für das 
Verhältnis3 der Pulszahl zur Körperwärme. 

Es wäre daher ein Unrecht, die Genauigkeit der von zahl¬ 
reichen Forschern angestellten Zählungen anzuzweifeln. 

In dem Wechsel der Pulszahl beim einzelnen Menschen liegt 
es daher begründet, dass wir nie in der Lage sein werden, den 
einzelnen Fall nach einer Durchschnittszahl sicher beurtheilen 
zu können, auch wenn wir aus Milliarden von Einzelzählungen 
eine Durchschnittszahl berechnen. 

Ausgeschlossen ist es auch, dass wir das Wochenbett nach 
der Pulszahl in ein gesundes und krankhaftes scheiden, trotz der 
Klage Torggler’s: „Auf alle Störungen im Wochenbett, 
schwere wie leichte, antwortet am frühesten der Puls wie eine 
empfindliche Quecksilbersäule. Seine Schwankungen verlangen 
daher eine grössere Beachtung als die Temperatur, schrieb Leo¬ 
pold vor bereits mehr als 4 Jahren, und trotzdem wird die 
Woehenbettstatistik in der Regel noch immer nach der Körper 
wärme allein verfasst.“ 

Die Beurtheilung des Wochenbettes nach der Körperwärme, 
d. h. die Annahme von 38° als Grenze zwischen gesundem und 
krankhaftem Wochenbett ist gewiss nicht für alle Fälle zu¬ 
treffend, sondern nur ein nothwendiges Uebereinkommen, um in 
der Lage zu sein, mit geringer Mühe festzustellen, ob unsere Er¬ 
gebnisse mit dem Wechsel der Behandlungsweise bessere geworden 
sind. Der Zweck wird bei dieser Eintheilung gewiss erreicht. 
Doch Jeder wird zugeben, dass unter seinen Wöchnerinnen, die 
unter 38 0 geblieben sind, eine ganze Reihe krank waren. (Siehe 
Knap p’s Tabelle der verstorbenen Wöchnerinnen, p. 234.) 

Die Pulszahl nun ist bei gesunden wie bei kranken Wöchne¬ 
rinnen viel schwankender als die Körperwärme, die Verwerthung 
von Pulsdurchschnittszahlen zur Beurtheilung einer Wöchnerin 
muss daher als ganz ungeeignet gelten. 

Der Versuch Torggler’s, das Wochenbett nach der Puls¬ 
zahl in ein subnormales (Puls unter 60), normales (Puls zwischen 
60 und 80), subfebriles (Puls zwischen 80 und 100) und febriles 
(Puls über 100) einzutheilen, erwarb sich keinen Freund. 

Die zahlreichen berechneten Durchschnittszahlen für das ge¬ 
sunde Wochenbett werden in vielen Fällen gewiss zutreffen, wer 
bürgt aber dafür, dass der Fall, der gerade in Behandlung steht, 
eine Frau mit Durchschnittspuls betrifft? 

Ich möchte daher die Pulszahl nicht mit dem Auge des 
Statistikers betrachtet wissen. Die Anklammerung an statistisch 
berechnete Zahlen für das gesunde und krankhafte Wochenbett 
führt sogar zu einer falschen Beurtheilung mancher Wöchnerin! 
Wir müssen jeden Fall für sich betrachten, dann werden wir 
leichter vor Fehlern bewahrt bleiben, und sehen, dass die Puls¬ 
zahl uns zur Beurtheilung einer Wöchnerin dienlicher wird. 
Wir müssen also den Puls der Wöchnerin in völlig gesundem Zu¬ 
stande kennen, dies erreichen wir nur durch Kenntniss des Pulses 
der Frau vor Einsetzen der Geburt. 

Ich habe bei über 130 Schwangeren den Puls gezählt, um 
bei ihnen Vergleiche mit dem Puls während der Geburt und im 
Wochenbett anzustellen. Es wurde hierbei so verfahren, dass der 
Puls der Schwangeren — diese werden zum grössten Theil in 
unserer Klinik 4—6 Wochen vor der Entbindung aufgenommen 
— Morgens um 6 Uhr und Abends um 6 Uhr gezählt wurde. 
Abends mussten sieh die Schwangeren um öVi Uhr zu Bette 
legen und blieben bis zur Pulszählung unter Aufsicht, so dass 
Morgens und Abends bei möglichst ausgeruhtem Körper die 

3* 


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1878 MUENCHENER MFDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47. 


Zählungen vorgenommen werden konnten. Eh wurde jedesmal 
eine ganze Ali nute lang gezählt. 

An dieser Stelle will ich die Ergebnisse, lediglich so weit 
sie für die Beurtheilung des gesunden und kranken Wochenbettes 
in Betracht kommen, mittheilen. 

Dass die Pulszahl während der Geburt steigt, ist eine all¬ 
gemein bekannte Thatsache. Die Ergebnisse über die Puls¬ 
beschleunigung in den einzelnen Abschnitten der Geburt aus¬ 
führlich zu besprechen, ist hier nicht der Ort. Hervorheben will 
ich nur, dass wir bei Erstgebärenden eine stärkere Pulsbeschleu¬ 
nigung finden als bei Mehrgebärenden und dass nur in sehr ver¬ 
einzelten Fällen eine Pulsbeschleunigung während der Geburt 
völlig vermisst wird. 

Die Pulskurve kehrt im gesund verlaufenden Wochenbett 
allmählich zur Höhe der Schwangerschaftskurve zurück, wir 
können im Allgemeinen sagen, je eher im Wochenbett die Puls¬ 
zahl sinkt, desto grösser ist die Gewähr, dass wir eine gesunde 
Wöchnerin vor uns haben. 

Die Frage, ob es im Wochenbett eine physiologische Puls¬ 
verlangsamung gibt, ist immer noch nicht entschieden, wir wollen 
von der Beantwortung dieser Frage hier Abstand nehmen, und 
für das Wochenbett bei einer Frau die Pulszahl als physiologisch 
betrachten, die bei der Frau in der Schwangerschaft gefunden 
wurde.*) 

Beobachten wir eine Frau erst von dem Beginn der Geburt 
ab, so haben wir zu berücksichtigen, dass der Puls während und 
nach der Geburt ein erhöhter ist. Nur in den Fällen, in denen 
die Pulszahl in den ersten Wochenbettstagen einen sturken Ab¬ 
fall zeigt, sind wir in der Lage, zu sagen, dass dieses Zeichen 
wahrscheinlich auf ein gesund verlaufendes Wochenbett hin- 
deutet. Der Zusatz „wahrscheinlich“ ist aber auch für diese 
Fälle? nothwendig, da im Wochenbett bekanntermaassen sehr 
niedrige Pulszahlen Vorkommen — sie gaben Veranlassung zur 
Annahme einer physiologischen Pulsverlangsamung im Wochen¬ 
bett. Der Puls Schwangerer ist nicht im gleichen Muasse 
Gegenstand der Untersuchung gewesen wie der Wochenpuls. 
Sicher ist, dass auch in der Schwangerschaft, wie überhaupt 
beim Menschen, der länger liegt und dabei zufrieden lebt, nie¬ 
drigere Pulszahlen Vorkommen, als im Allgemeinen angenommen 
wird. 

So hatten z. B. unter den von mir beobachteten Fällen 
8 Proc. einen Puls, der sich unter 60 Schlägen in der Minute 
hielt. Steigt nun bei einer dieser Frauen der Puls während der 
Geburt, und das ist das Gewöhnliche, auf 100 Schläge und da¬ 
rüber und wir beobachten die Frau erst von der Geburt ab, so 
würden wir einen Abfall auf 80 Schläge in den ersten Wochen¬ 
bettstagen als durchaus der Regel entsprechend betrachten, wir 
würden diesen Abfall fraglos als günstiges Zeichen begrüssen. 
Ganz anders fällt unser Urtheil aus, sobald wir wissen, dass die 
der Frau eigcnthümliche Pulszahl unter 60 Schlägen in der 
Minute liegt. 

Nun zeigt aber auch eine nicht ganz geringe Zahl 
der Frauen einen verhältnissmässig hohen Puls. So 
hatte ich unter der geringen Zahl der von mir 
beobachteten Fälle 45 Proc., die eine Pulszahl von 80 Schlägen 
in der Minute aufwiesen, 5 Proc. der Fälle hatten einen Puls, 
der um 100 spielte. Ist bei diesen Frauen der Schwangerschafts¬ 
puls unbekannt, so wird jeder Arzt, der bei diesen Frauen im 
Wochenbett dauernd einen Puls von 100 beobachtet, in der 
Stellung der Voraussage sehr vorsichtig sein müssen. Haben 
wir aber Kenntniss von der Thatsache, dass die Wöchnerin in 
der Schwangerschaft eine Pulszahl von 100 hatte, so wird uns der 
Puls von 100 im Wochenbett nicht beunruhigen. Es ist durchaus 
nicht nothwendig, dass Wöchnerinnen mit einem Puls von 100 
krank sind — ich erinnere hier an die Chlorose und an chronische 
Herzfehler —; die von mir beobachteten 5 Proc. der Fälle, die 
einen Puls von 100 in der Minute hatten, betrafen völlig ge¬ 
sunde Schwangere. Als Beispiel führe ich folgenden Fall an. 
Ein den besseren Ständen angehöriger Mann bat um die Unter¬ 
suchung seiner in den Wochen befindlichen Frau, da sie stets 
einen Puls von 100 Schlägen habe. Der Gatte habe gelesen, 
dieses sei im Wochenbett das Zeichen einer vorliegenden Er¬ 
krankung. Die Frau hütete lange das Bett, gewiss nicht zu 

•i Siehe hierüber: Ale hei: Ueber die sogen. Pulsverlang- 
*amung im Wochenbett. Centralbl. f. GynUkol. 1901, No. 42. 


ihrem Schaden, aber der Puls blieb immer in der Höhe von 100 
Schlägen. 

Fehlt also der Abfall der Pulszahl im Wochenbett, gegen¬ 
über der Pulszahl unter der Geburt, so haben wir ohne Weiteres 
nicht die Berechtigung, auf eine Störung im Verlaufe des 
Wochenbettes zu schliesseu. 

Wir haben demgemäss nur dann aus der Beobachtung der 
Pulszahl einer Wöchnerin ein sicheres Mittel zur Beurtheilung 
ihres Zustandes, wenn wir ihre Pulszahl vor Beginn der Geburt 
kennen. Ein hoher Puls im Wochenbett beweist im Allgemeinen 
nicht das Vorhandensein einer Krankheit, eine geringe Pulszahl 
schliesst sie nicht aus. 

Dieso Beobachtungen gewinnen ausserordentlich an Werth, 
sobald eine Wöchnerin fieberhaft erkrankt. Es ist ja richtig, 
dass während der Dauer der Erkrankung nicht die Zahl der Puls- 
Schläge für uns die grösste Bedeutung hat, wir beurtheilen viel¬ 
mehr die Kranke, besonders in schweren Fällen, nach der Grösse, 
Spannung und Stärke des Pulsschlages. Dennoch darf die Zahl 
der Pulsschläge nicht unberücksichtigt bleiben. Behandeln wir 
z. B. eine Wöchnerin mit einer Körperwärme von 38,5“ und wir 
finden bei ihr einen Puls von 100, so muss zugestandeu werden, 
dass wir im Allgemeinen wenig mit dieser Zahl anfangen können, 
ist uns aber die Pulszahl während der Schwangerschaft bekannt, 
so wird in manchen Fällen bei geringer Körperwärmesteigerung 
unser Urtheil lediglich von dieser Zahl abhängen. Es ist doch 
nicht dasselbe, ob ein Puls von 100 im fieberhaften Wochenbett 
bei einer Frau mit einem Puls von 50—60 Schlägen im gesunden 
Zustand oder bei einer Frau mit einem ursprünglichen Puls von 
300 gefunden wird. Aber auch in schweren Erkrankungsfällen 
dürfte die Kenntniss der Pulszahl der in Behandlung stehenden 
Frau im gesunden Zustande nicht unwichtig sein. Dieselbe Puls¬ 
zahl hat eben während des Fiebers eine ganz andere Bedeutung, 
je nach der Zahl des Pulses im gesunden Zustande einer Frau. 
Ganz besonders hervorheben möchte ich, dass wir bei einer 
fieberhaft erkrankten Wöchrerin in der Zeit des Abfalles des 
Fiebers und in der folgenden Zeit in der Pulszahl ein sehr gutes 
Mittel zur Beurtheilung der Genesung einer Wöchnerin besitzen, 
sobald wir die gewöhnliche Pulszahl der Kranken wissen. Ich 
möchte dieses um so mehr betonen, als bisher hierauf von keiner 
Seite aufmerksam gemacht wurde. 

Geben wir zu, dass der Puls auf die geringste Erkrankung 
durch Zahlvennehrung antwortet, und zwar zuverlässiger als die 
Steigerung der Körperwärme, so müssen wir auch zugeben, dass 
eine Wöchnerin, deren Pulszahl in der Schwangerschaft uns 
bekannt war, nur dann als gesund zu betrachten ist, wenn in den 
ersten Woehenbettstagen die Pulszahl auf die Zahl des Pulses jn 
der Schwangerschaft sinkt. Ebenso, folgerichtig ist der Satz, 
dass wir eine fieberhaft erkrankte Wöchnerin erst dann als gesund 
ansehen dürfen, wenn neben der Körperwärme auch der Puls 
zur ursprünglichen Zahl zurückgekehrt ist. 

Ein Beispiel hierfür beweist das Gesagte zur Genüge. (Siehe 
beigegebene Kurve.) 



Eine 35 Jährige Zweitgeschwängerte zeigte 5 Woehen lang 
vor der Entbindung einen Puls, der sich zwischen 42 und 60 Puls- 
schliigeu hielt In den letzten 3 Tagen der Schwangerschaft zeigte 
die Pulszahl eine ganz geringe Zunahme. Während der Geburt 
stieg die Pulszahl auf 80. 

Heim Durchschneiden des Kopfes entstand ein Dammriss 
zweiten Grades, der sofort nach Ausstossung der Nachgeburt mit 
Katgutknopfuiihten geschlossen wurde. Schon am Abend zeigte 
die Wöchnerin eine Körperwärme von 38,3" C. I ei einem Puls von 
88 Schlägen. Am zweiten Wochenbettstage zeigte das Theruio- 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1879 


meter Abends 40 0 C., der Puls war aber ruhig (80 Schläge in der 
Minute), erst am folgenden Morgen folgte die Höhe der Pulszahl 
der Höhe der Warmesteigorung und zwar auf 110 Schläge ln der 
Minute. Dem Abfall des Fiebers folgte ein Sinken der Pulszahl 
und es hielt sich nun der Puls zwischen 80 und 90 Schlägen, 
während die Körperwärme nach einem zweiten Anstieg am 4. und 
5. Tage langsam bis zum 9. Tage auf 37° herunterging. 

Erst vom 12. Tage ab sehen wir eine regelmässige Körper¬ 
wärmekurve auftreten, die sich zwischen 36,2 0 und 36,8 0 C. 
hält. Dem Sinken der Körperwärme zur Norm folgt der Puls 
erst am 14 Tage. Von da ab beobachten wir erst die Pulszahl, 
welche wir bei der Wöchnerin in der Schwangerschaft kennen 
gelernt hatten. 

Nehmen wir an, wir hätten in diesem Falle nicht gewusst, 
dass die Frau im gesunden Zustand eine Pulszahl unter 
60 Schlägen in der Minute hatte, so würden wir fraglos einen 
Puls von 80 Schlägen für sie als regelrecht angenommen haben. 
Mit dem Abfall des Fiebers würden wir das Sinken der Pulszahl 
von 116 auf 80 für eine Rückkehr der Pulszahl zur ursprüng¬ 
lichen Zalil angesehen haben und wir würden den Fall der Pulszahl 
nach für günstig erachtet haben. Mit der Kenntniss aber, 
dass die Frau im gesunden Zustand einen 
Puls hat, der sich der Z a h 1 nach unter 60 li ä 11, 
wissen wir, dass die Frau nicht als gesund zu 
betrachten ist, obwohl die Körperwärme auf 
37 0 C. herabgesunken war. 

Ich beobachtete eine ganze Reihe entsprechender Fälle, in 
denen an der Kranken oft nur übelriechender Wochenfluss fest- 
gestellt wurde, der Puls hielt sich auch nach Abfall der Körper¬ 
wärme über der Schwangerschaftszahl, einmal fiel er erst am 
18 Wochenbettstage auf die Sehwangerschaftszahl herab. Es 
dürfte nicht bezweifelt werden, dass wir die Wöchnerinnen nur 
dann als gesund anzusehen haben, wenn der Puls neben der 
Körperwärme zur Sehwangerschaftszahl zurückgekehrt ist. 

Sehr interessant waren mir Fälle, in denen nach einer 
Fiobersteigerung völliger Abfall der Körperwärme eintrat, 
während der Puls sich höher hielt als in der Schwangerschaft 
und nach einer ganzen Reihe von Tagen plötz¬ 
lich eine erneute Steigerung der Körper¬ 
wärme auftrat. 

Ebenso wichtig sind Fälle, in denen ich bei üblicher Körper¬ 
wärme der Wöchnerinnen einen höheren Puls fand als in der 
Schwangerschaft, und erst am sechsten, siebenten 
oder achten Tage durch Ansteigen der Kör¬ 
perwärme der Beweis für eine vorliegende Er¬ 
krankung erbracht wurde. 

Ist demnach der Puls im Wochenbett der Zahl nach grösser 
als in der Schwangerschaft, so müssen wir stets das Vorhanden¬ 
sein von Krankheitskeiraen vermuthen, auch wenn die Körper¬ 
wärme sich ordnungsgemäss verhält. 

Wir kommen daher zu dem Ergebniss, dass ein hoher Puls 
im Wochenbett durchaus nicht ein Zeichen einer Erkrankung 
zu sein braucht, dass ferner ein verhältnissmässig niedriger Puls 
kein Beweis für das Fehlen einer Erkrankung oder für die Ge¬ 
nesung einer Wöchnerin sein muss. 

Ist eine Wöchnerin erkrankt, so haben wir in dem Vergleich 
der Pulszahl der Schwangerschaft mit dem Puls der Wöchnerin 
zur Beurtheilung der Krankheit selbst und vor Allem zur Fest¬ 
stellung der völligen Genesung der Kranken ein nicht zu unter¬ 
schätzendes Mittel. Zur Feststellung der völligen Genesung gibt 
der Vergleich der Pulszahlen sogar eine feinere Probe ab, als der 
Abfall der Körperwärme. 

AVird dieses zugestanden, so müssen wir auch die Folge¬ 
rungen ziehen, d. h. wir sind verpflichtet, bei einer Schwangeren 
im Hinblick auf das Wochenbett die Pulszahl festzustellen. Die 
Möglichkeit hierzu ist in sehr vielen Fällen gegeben. Oft wird 
der Arzt schon während der Schwangerschaft um Beistand ge¬ 
beten, die Hebamme wird meistens in der Schwangerschaft schon 
zugezogen. Diese müssten verpflichtet werden, bei allen Frauen, 
die sie in der Schwangerschaft schon zu Rathe ziehen, den Puls 
zu zählen. 

Es kommt nicht gar so selten vor, dass Frauen, die im 
Wochenbett leicht gefiebert haben, und die nach einer Anzahl 
fieberfreier Tage entlassen werden, in Kürze mit Exsudaten 
wieder in Behandlung treten. Sollte es nicht möglich sein, die 
Zahl dieser Fälle durch sorgfältige Beobachtung zu verringern, 
d. h. durch Vergleich der Pulszahlen der Schwangerschaft und 

No. 47. 


des Wochenbettes? Nach meinen Auseinandersetzungen muss 
dieses ohne Weiteres zugestanden werden. 

Aber, wird mancher Leser einwenden, die Forderung, den 
Puls in der Schwangerschaft zu zählen, ist zu umständlich. Da¬ 
gegen lässt sich sagen, dass es durchaus nicht nothwendig ist, 
in der Weise bei der Pulszählung vorzugehen, wie ich es that, 
um möglichst einwandsfreie Ergebnisse zu erhalten. Es genügt 
vollständig, wenn wir oder die Hebammen bei Frauen, die unseren 
Rath schon während der Schwangerschaft in Anspruch nehmen, 
den Puls zählen, auch ohne dass wir sie zwingen, bestimmte Zeit, 
vor der Zählung das Bett zu hüten. Wir müssen dann nur vor 
Augen haben, dass der PuIr bei völliger Ruhe an Zahl kleiner 
sein würde. Wir müssen im Wochenbett einen etwas geringeren 
Puls bei gesundem Verlauf erlangen, als die in der Schwanger¬ 
schaft gefundene Zahl ergeben hatte. So werden uns die Frauen 
nicht entgehen, die einen besonders hohen oder einen besonders 
niedrigen Puls haben; dieses in der Schwangerschaft erkannt zu 
haben, wird dem Arzte stets von Nutzen sein. 

Kehren wir nun auf die Eingangs gestellten Fragen zurück, 
so muss ich die erste dahin beantworten, dass der bis jetzt vor- 
geschlagene Weg zur Beurtheilung des Wochenbettes nach der 
Pulszahl — der Weg der Statistik — nicht der richtige ist. 
Gleichgiltig, ob es sich um statistische Feststellung einer Durch¬ 
schnittszahl für den regelrechten Puls des Wochenbettes oder um 
das Verhältmiss der Pulszahlen zur Körperwärme handelt. 

Die zweite Frage beantwortet sich dahin, dass wir allerdings 
in der Pulszahl ein vorzügliches Mittel zur Beurtheilung der 
Wöchnerinnen besitzen, wir müssen aber die Schablone der 
Statistik verlassen, und jeden Fall für sich betrachten. Sehen 
wir bei einer Wöchnerin den Puls der Schwangerschaft neben 
dem Puls im Wochenbett vor uns, dann sind wir in der Lage, ein 
klares Bild über den Zustand der Wöchnerin zu erhalten. Manche 
Frauen werden wir auf diesem Wege vor Späterkrankungen im 
Wochenbett, vor Rückfällen und vor plötzlichem Tod (Lungen¬ 
embolie) schützen können. 

Jeder Chirurg und jeder Gynäkologe beachtet den Vergleich 
der Pulszahlen vor und nach einer Operation. Warum ist es in 
der Geburtshilfe nicht ebenso? 

Schriften verzeichniss. 

1. Die Lehrbücher der Geburtshilfe. — 2. Baumfelder: 
Inaug.-Dlse., Leipzig 3807. — 3. Blot: Arch. g£n6r. de raC*d., Paris 
18G7. — 4. Braun: Bibi. d. ges. med. Wissensch., Bd. f. Geb. 
u. Gyn. — 5. Cutler: Mon. f. Geb. u. Gyn. Bd. I, p. 652. — 
6. F e li 1 i n g: Pliys. u. Path. d. Wochenbettes. Stuttgart 1897. 

— 7. Fritsch: Arch. f. Gyn. Bd. VIII, p. 383, und Obi. d. med. 
Wiss. 1875, p. 472. — 8. H e i 1: Arch. f. Gyn. Bd. 56. — 9. II e m e y: 
Arch. gön£r. de m<kl., Paris 1868. — 10. Kehrer: Ueber die Puls¬ 
kurve im Puerperium. Heidelberg 1886. — 11. Knapp: Zeitschr. 
f. Heilk. Bd. XIX, H. 2 u. 3. — 12. Koppehl: Diss., Halle 1893. 

— 13. Leopold: Geburtsh. u. Gyn. 1895, Bd. II. — 14. Mont- 
gomery: Dublin. Hosp. Gaz. 1887. — 15. Neu mann: Mon. f. 
Geb. u. Gyn. Bd. II, II. 4. — 16. O 1 s h a u se n: Centralbl. f. Gyn. 
1881, No. 3. — 17. Pastorello: Gaz. med. ital. prov. Venete, 
Padova 1863. — 18. Probyn -Williams: Mon. f. Geb. u. 
Gyn. Bd. I. — 19. Riegel: Zeitschr. f. klin. Med. Bd. XIII. — 
20. v. R o s t h o r n: Mou. f. Geb. u. Gyn. Bd. V. — 21. S o p p: 
Inaug.-Diss., Marburg 1898. — 22. Torggler: Münch, med. 
Wochenschr. 1899, No. 21. — 23. V e j a s: Volkmann’s Samml. klin. 
Vortr. No. 269. 


Zur Behandlung des Milzbrandes mit intravenösen 
Injektionen von löslichem Silber (Collargolum). 

Von Militäroberarzt Dr. Fischer in Dresden. 


Die Literatur über die Behandlung septischer Erkrankungen 
mit Argentum colloidale ist bereits eine ziemlich umfassende. 
Aus dem Bereiche anderer Infektionskrankheiten sind jedoch 
noch wenig gut beobachtete Fälle veröffentlicht worden. Ich 
halte mich desshalb für verpflichtet, einen Fall von Milzbrand 
mitzutheilen. Die Darreichung des Argentum colloidale geschah 
bis vor Kurzem fust allein in der Form der Silbersalbe (Unguen¬ 
tum Crede). Im Carolahause werden indess schon seit über 
2 Jahren intravenöse Injektionen namentlich bei solchen Kran¬ 
ken nngewendet, bei welchen aus irgend einem Grunde die 
Schmierkur als nicht geeignet oder für nicht energisch genug an¬ 
gesehen werden muss. Die Beobachtungen hierüber hat C re d e 
in No. 21 und 22, 1901, der Mini. Woche und in der 
BerL klin. Wochenschr. 1901, No. 37, mitgetheilt, soweit sie 
sich auf Strcpto- und Staphylococcen beziehen. Da der Milzbrand 


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1880 


MUENCI1ENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


beim Menschen noch niemals in dieser Weise behandelt worden 
ist, so gestatte ich mir in Folgendem diesen Fall mitzutheilen. 

Am 19. Mal ds. Js. wurde der Schafinetster Adolf M. aus 
Lolimen bei Pirna in das Carolahaus aufgenommen. Die Dia¬ 
gnose Milzbrand war vom behandelnden Arzt und vom Bezirks¬ 
arzt mikroskopisch festgestellt worden. Beide Herren hatten die 
sofortige Vornahme eines operativen Eingriffes für ganz dringlich 
erachtet. 

Der 35 Jahre alte Patient war bisher nie krank gewesen. 
Am 4. Mai half er eine Kuh, die seit wenigen Stunden Symptome 
von Milzbrand zeigte und bereits dem Verenden nahe war, aus 
dem Stalle schaffen. Patient kannte die Gefahr der Ansteckung, 
hatte sich die Hände eingefettet und nachher mit Kalium per- 
mauganicum desinfizirt. Kleine Hautverletzungen im Gesichte 
oder an den Händen will er nicht gehabt haben. Nach 5 Tagen 
spürte er Brennen auf der rechten Backe und allmählich bildete 
sich dort ein etwa erbsengrosser, liochrother Fleck aus. Der 
Appetit nahm ab, es stellten sich Schlingbeschwerden und Abge- 
schlagenheit ein. Am 16. Mai. also 12 Tage nach der Infektion, 
war die ganze rechte Backe hochrotli geschwollen und stark ge¬ 
spannt. lieber dem Jochbein hatte sich jetzt eine runde, etwa 
markst Uckgrosse Blase gebildet. Trotz schlaffen Allgemein¬ 
befindens, unruhiger Nächte und Fröstelgefühl arbeitete Pat. noch 
stundenweise. Vom 17. Mai Nachmittags ab traten wiederholt 
Schüttelfröste auf. Patient hatte starke Schlingbeschwerden und 
Schmerzen in der rechten Kopfseite, in die Schulter und den 
Rücken ausstrahlend. Am 18. Mai erst ging er zum Arzt, der 
zuerst Umschläge auf das stark, geschwollene Gesicht verordnete 
und nach mikroskopischer Feststellung der Diagnose Milzbrand, 
des sich rasch verschlimmernden Zustandes wegen, ihn am Nach¬ 
mittage des 19. Mai in das ('arolahaus überführen Hess. An 
diesem Tage hatte Patient mehrere Schüttelfröste gehabt. 

Der Aufnahmebefund Abends 6 Uhr ist folgender: 

Mittelgrosser, kräftig gebauter, gut genährter Mann. Innere 
Organe ohne nachweisbare Veränderungen. Au der rechten Wange, 
dicht unterhalb des Jochbogens eine in der Mitte vertiefte, ring¬ 
förmige, sehwarzgrnue Blase von l'/ 3 cm Durchmesser. Die 
nächste Umgebung der Pustel hart intiltrirt, die weitere bis zum 
Halse hinab stark entzündlich geschwollen. Hals- und Clavicular- 
drüsen sind vergrüssert und schmerzhaft. Patient ist sehr hin¬ 
fällig, leicht benommen, klagt über heftige Kopfschmerzen und 
Brennen im Gesichte, fröstelt fortgesetzt, ist gänzlich appetitlos, 
sieht blass und etwas verfallen aus. Temp. 38.8, Puls 9t), weich. 
Da er von jetzt an unter steter Kontrole blieb und noch eine gute 
llerzthiitigkeit hatte, wurde von der üblichen Behandlung mit 
grossen Einschnitten u. s. w. zunächst abgesehen, um die Wirkung 
des Argentum colloidale einwandfrei beobachten zu können. Er 
erhielt 5 ccm einer lproc. Lösung direkt in die linke Vena eephaliea 
injizirt. Die Gesichtshälfte wurde mit Borsalbe bisleckt. 8 Uhr 
Abends Temp. 38,4, Puls 90, Resp. 24. 

12 Uhr Abends. Temp. 39.0, Puls 92, Resp. 24. Intensiver 
Schüttelfrost; von da au wurde er ruhiger. 

20. Mai 1901, Früh 7 Uhr. Patient hat gegen Morgen stark 
geschwitzt, von 4—5 Uhr spontan geschlafen, fühlt sich wesent¬ 
lich besser und nimmt mit leidlichem Appetit flüssige Nahrung 
zu sich. Temp. 30.8, Puls 80. Resp. 10. Die entzündliche Infil¬ 
tration hat sich weiter nusgebreitet und ist im Bereich der Backe 
noch fester geworden. Sie betrifft die ganze Halsseite, Hinter¬ 
kopf, die Stirne bis zur Mitte rechts. Die Augenlider sind so stark 
gosenwollen, dass sie nicht mehr geöffnet werden können. Die 
Pustel hat sich kaum verändert, die Umgebung ist blauroth ver¬ 
färbt und bis zum Kieferwinkel bretthart. Die Drüsen noch sehr 
vergrüssert und druckempfindlich. Innere Organe ohne Befund. 
Gegen Abend nehmen die lokalen Beschwerden weiter zu und 
das Morgens deutlich viel bessere Allgemeinbefinden neigt zur Ver¬ 
schlimmerung. 

Abends 0 Uhr. Temp. 38.0, Puls 88. kräftig, gleichmässig, 
Resp. 18. Bei der Schwere der Infektion war durch eine einmalige 
Injektion nur eine vorübergehende Hemmung in der Entwicklung 
der Krankheitskeime zu erwarten. Da das Herz noch immer gut 
arbeitete und die Schüttelfröste, vorher sehr häufig, seit beinahe 
24 Stunden ausgesetzt hatten, glaubte man es rechtfertigen zu 
können, mit ausgedehnten Incisioneu noch weiter zu warten, um 
die Wirkung einer 2. Injektion, die nach Analogie der Einwirkung 
bol rein septischen Processen in der Regel viel nachhaltiger sich 
geltend macht, erst übersehen zu können. Injektion 0,30 N wie 
früher. 

10 Uhr Abends. Temp. 37,0, Puls 80. Resp. 18. Patient ruhig, 
fühlt sich wohlor, Spannung im Gesichte bis Mitternacht unver¬ 
ändert 

2t. Mai 1901. Allgemeinbefinden viel besser, gegen Morgen 
2 Stunden Schlaf. Guter Appetit. Temp. 37,0, Puls 80. Resp. 18. 

Das entzündliche Oedem ist nicht weiter gegangen, die Augen- 
gogond lK‘roits freier. Im Laufe des Tages tritt die Rückbildung 
des Infiltrates deutlich in Erscheinung. Das mit dem Blute durch 
den ganzen Körper gebrachte lösliche Silber hat die Oberhand 
über die Infektion gewonnen, das Allgemeinbefinden fast zu 
einem normalen gemacht und die Aufsaugung der entzündlichen 
Ausschwitzung eingeleitet. Obwohl anscheinend nicht mehr 
nöthig, wurde der Sicherheit wegen um 0 Uhr 30 Min. Abends 
eine 3. Injektion in gleicher Weise gegeben. Abends Temp. 37,0, 
Puls SO, Resp. 18. 

22. Mai 1901. Allgemeinbefinden sehr gut. Viel und ruhig 
geschlafen. Periodisch noch leichte Kopfschmerzen, die früher 
subjektiven Beschwerden alle verschwunden, ganz fieberfrei. 
1 1 Ultra t sehr bedeutend zurückgegangen, an seiner Stelle die 


Weiehtheile weich und unempfindlich, nur noch wenig Röthung. 
Der ursprüngliche Herd bildet nur noch eine derbe, wallnussgrosse 
Geschwulst, ohne Fluktuation, dereu Mitte von dem schwarzen, 
etwas eingesunkenen Schorf eingenommen wird. Die Halsdriiseu 
schmerzlos, wenig fühlbar. 

23. Mal 1901. Anhaltend gutes, fieberfreies Befinden. 

20. Mai 1901. Keine Klagen. Die Haut iin Gesichte hat wieder 
normale Beschaffenheit. Der Schorf beginnt sich abzustossen. da¬ 
runter kein nekrotischer Propf. der Henl wird aufgesaugt. 

30. Mai. Der Hautschorf hat sich nbgestosseu, an seiner Stelle 
befinden sich gute Granulationen. 

14. Juni. Geheilt, mit vernarbter Wunde entlassen. 

Dieser Fall, der durch das klinische Bild und durch die 
bakteriologische und mikroskopische Untersuchung als Milz¬ 
brand fcstgestellt war, muss jedenfalls für einen mindestens 
mitielscbweren bezeichnet werden, dessen Prognose namentlich 
bei der Nachbarschaft des Gehirns und dem stürmischen Verlauf 
eine üussorst. schlechte war. Ausgedehnte Incisionen hätten 
natürlich die Prognose gebessert, höchst zweifelhaft wäre sie. aber 
auch dann noch geblieben und im besten Falle hätte dann die 
Krankheit einen sehr viel längeren Verlauf genommen und be¬ 
trächtliche Entstellungen im Gesichte zurückgelassen. Durch 
die antibakterielle Silberbehandlung dürfte einwandfrei eine so¬ 
fortige Besserung, eine sehr baldige Sistirung der Infektion, eine 
kurze Genesungszeit und eine Abheilung mit Wiederherstellung 
normaler örtlicher Verhältnisse erreicht worden sein. Eben¬ 
solche Beobachtungen liegen bei milzbrandkranken Thieren schon 
vor. Zweckmässig wäre es vielleicht gewesen, wenn die zweite 
Injektion schon am anderen Morgen gemacht, worden wäre, da 
bei der grossen Virulenz der Infektion die Wirkung der ersten 
nur in einer kurzdauernden Hemmung der Bakterienentwicklung 
bestand und bestehen konnte. Die Verschlimmerung am 20. Mai. 
Nachmittags, wäre dann nicht eingetreten. Wie in allen Fällen 
interner Behandlung mit Argentum colloidale trat auch hier nach 
einigen Stunden zunächst. Ruhe und spontaner Schlaf ein. dann 
subjektives Bcsserbefindon und Schweiss, später erst der Rück¬ 
gang der örtlichen Entzündung. Nachtheile der intravenösen 
Injektion sind auch in diesem Falle nicht beobachtet worden, 
auch nicht ein Frost einige Zeit nach der Injektion (der Frost 
nach der 1. Injektion muss wohl noch auf die Erkrankung ge¬ 
schoben werden). Es war aber auch sorgsam vermieden worden, 
dass ungelöste oder ausgeschiedene Silberpartikelehon mit in¬ 
jizirt wurden. Ein Frost muss nach Ansicht, von Credo in der 
Regel auf die Technik der Einspritzung zurückgeführt, werden, 
und ist nicht als eine speeifisehe Wirkung des Mittels zu l>e- 
t rächten. 

Da diese Beobachtung bei Milzbrand sieh ganz analog ver¬ 
hält, wie diejenige bei anderen Infektionskrankheiten nicht rein 
septischer Art, wie z. B. Rheumatismus acutus septieus, so hat 
der beschriebene Fall auch eine typische Bedeutung über seine 
speciello Infektionsart hinaus und mich dosshalb mit veranlasst, 
ihn zu veröffentlichen. 


Zur Theorie der Antikörper. 

I. Ueber die Antitoxin-Immunität. 

Von Max G r u b e r in Wien. 

(Schluss.) 

Wir wenden uns nun zu einer ganz anderen Reihe von 
Beobachtungen, die mit den eben besprochenen in einem recht 
losen Zusammenhang stehen. 

Wie Ihnen Allen bekannt, ist, gibt es einzelne Bakterientoxine 
von einer ganz furchtbaren Giftigkeit, mit der verglichen die 
giftigsten Pflanzenalkaloide harmlose Substanzen sind. So würde 
unter der Voraussetzung, dass der Mensch ebenso empfänglich 
für das Tetanustoxin ist, wie die Maus, % mg des giftigsten 
Tetanusgiftpräparates, das bis jetzt hergestellt worden ist, für 
ihn die tüdtliche Dosis sein und in diesem Präparate bildet das 
Toxin nur einen winzigen Bruchtheil. Dagegen sind ca. 70 mg 
Strychnin, ca. 100 mg Blausäure zur Tödtung eines Menschen 
erforderlich 1 

Um so auffallender ist es, dass diese Toxine bei subkutaner 
oder intravenöser Injektion niemals unmittelbar ihre Wirkung 
ausüben. Immer, auch wenn man sehr grosse Dosen nimmt, 
vergeht eine gewisse Inkubationszeit., eine Latenzfrist, bis die 
Krankheitserscheinungen einsetzen; eine Frist, welche Stunden, 
ja Tage und selbst Wochen betragen kann. 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


1881 


Andererseits kann man sich davon überzeugen, dass das iu- 
jizirte Toxin bei empfänglichen Thiereu rasch aus dem Blute 
verschwindet. Knorr, der treffliche junge Forscher, der allzu¬ 
früh ein Opfer seines Berufes geworden ist, überzeugte sich da¬ 
von zuerst beim Kaninchen bezüglich des Tetanusgiftes. Anderer¬ 
seits fand er, dass bei dem sehr unempfindlichen Huhne, wenn 
kleine Giftdosen injizirt werden, die keine nennenswerthen 
Krankheitserscheinungen hervorrufen, fast alles Gift im Blute 
zu finden ist, während Ihm grossen Dosen, die Tetanus erzeugen, 
auch bei diesem Thiere ein grosser Theil des injizirten Giftes 
im Blute nicht mehr aufgefunden werden kann. Dönitz hat 
dann darüber höchst wichtige genauere Versuche angestellt. 
Werden Tetanustoxin und Antiserum gleichzeitig eingespritzt, 
so genügt jene Serummenge, die man in vitro der Toxinlösung 
heimischen muss, um volle Unschädlichkeit zu erreichen, auch 
im Thiere. Lässt man aber die Seruminjektion der Giftinjektiou 
nachfolgen, so zeigt es sich, dass bereits bei einem Intervall von 
7—8 Minuten die einfache neutralisirende Serumdosis nicht 
mehr hinreicht, um das Thier vor dem Tode zu retten. Diese 
Rettung ist zunächst noch möglich, wenn man das Mehrfache 
dieser Dosis anwendet. Sind aber 15 Minuten verstrichen, dann 
gelingt es auch mit den grössten Serumgaben nicht mehr, die 
Krankheit aufzuhalten. Also bereits binnen 7 Minuten ist beim 
empfänglichen Thiere die tödtliehe Dosis Tetanusgift aus dem 
Blute, wo es vom Antitoxin erreicht und unschädlich gemacht 
werden müsste, verschwunden und binnen 15 Minuten ist cs 
bereits vor den Angriffen des Antitoxins völlig geschützt. Ganz 
übereinstimmend damit hat Hcymans gefunden, dass ein 
empfängliches Thier vom Tetanus nicht gerettet werden kann, 
wenn man unmittelbar nach der intravenösen Injektion das Thier 
nahezu vollständig verbluten lässt und durch Transfusion von 
giftfreiem Blute am Leben zu erhalten trachtet. 

Man hat nun gesucht, wohin denn das aus dem Blute ver¬ 
schwundene Toxin gelangt ist. Dieses Suchen kann natürlich 
wieder nur mit Hilfe des physiologischen Experimentes ge¬ 
schehen. Man nimmt die Organe des vergifteten Thieres und 
prüft sie oder ihre Extrakte auf ihre Giftigkeit gegenüber 
neuen, empfänglichen Thiereu. Da stellte es sich nun z. B. bei 
den Versuchen Ransom’s heraus, dass Tetanus durch alle 
Organe der dem Tetanus erlegenen Taube hervorgerufen werden 
kann, nur nicht durch das Centralnervensystem, durch Hirn und 
Rückenmark; also gerade durch jene Organe nicht, welche offen¬ 
bar die allein spezifisch giftempfindlichen der Taube sind. 

Diese Thatsachen glaubt man nun mit Ehrlich nicht 
anders erklären zu können, als dass das Toxin in den gift¬ 
empfindlichen Organen sofort fest gebunden wird. Indem man 
cs stillschweigend als selbstverständlich annahm, dass das Toxin 
durch Blut und Lymphe gleiclnnässig in alle Organe des Körpers 
gebracht werde, erblickte man in der Thatsache, dass es im gift- 
emptindlichen Thiere alsbald aus dem Blute verschwindet, wäh¬ 
rend es sich im Blute des unempfindlichen Huhnes erhält, in der 
Thatsache, dass es in den giftempfindlichen Organen nicht nach¬ 
weisbar ist, wohl aber in den für das Gift unempfindlichen, den 
unumstössliehen Beweis dafür, dass die Toxine nur dann ihre 
Giftwirkung entfalten können, wenn sie, vom Protoplasma der 
giftempfindlichen Zellen gebunden, gewissennaassen assimilirt 
werden. Die Inkubation aber glaubt Ehrlich so erklären zu 
können, dass das Toxin zunächst durch besondere Affinität 
— wieder durch eine haptophore Gruppe — an gewisse Theile 
des Protoplamas, die nicht unentbehrlich lebenswichtig sind und 
die er mit den Seitenketten der organischen Verbindungen in 
Analogie setzt, verankert werde, dass dadurch der eigentlich« 
Protoplasmakern, den er „Leistungskern“ nennt, zwar in die 
Wirkungssphäre der toxophoren Gruppe gelangt, dass aber diese 
toxophore Gruppe trotzdem nur ganz allmählich ihre zerstörenden 
Wirkungen auf das Protoplasma entfalte, da sie viel geringere 
Affinität zum Protoplasma habe, als die haptophore Gruppe zu 
der betreffenden „Seitenkette“. Durch den Besitz dieser hapto- 
phoren Gruppe, durch diese, Assimilationsfähigkeit seitens dos 
Protoplasmas sollen sich nun nach E h r 1 i e h die Toxine durch¬ 
greifend von den meisten pharmakologischen Agcntien, von den Al¬ 
kaloiden, Antipyreticis und Antisepticis unterscheiden, welche vom 
Protoplasma nicht fest gebunden werden, sondern mit ihm nur 
salzähnliche. Verbindungen oder Verhältnisse wie sie der sogen, 
„starren Lösung“ entsprechen, eingehen. Auf die lockere Bin¬ 
dung schliesst Ehrlich daraus, dass alle zuletzt genannten 


Stoffe durch Extraktionsmittel aus den vergifteten Organen leicht 
ausgezogen werden können, während die Toxine angeblich nicht 
extrahirbar seien. Die Assimilirbarkeit durch das giftempfind¬ 
liche Protoplasma, behauptet Ehrlich weiter, sei Vorbedingung 
für die Antitoxinbildung; nur assimilirbare Gifte können Anti¬ 
toxinproduktion provoziren. Und nun macht er den weiteren 
verwegenen Hypothesensprung, zu behaupten, jene haptophore 
Gruppe des Toxins, welche das Toxin an das Protoplasma fessle, 
sei identisch mit der haptophoren Gruppe für das Antitoxin und 
die Seitenkette des Protoplasmas, welche das Toxin verankert, 
sei identisch mit dem Antitoxin selbst. 

Es wird nützlich sein, hier wieder Halt zu machen und die 
kritische Sonde anzulegen, bevor wir zum letzten Theile der 
E h r 1 i e h’sehen Theorie übergehen. Aber ist es nothwe.ndig, 
hier noch zu prüfen? Ist es nicht bereits experimentell bewiesen, 
dass Ehrlich gerade mit diesem letzten kühnen Salto an’s 
Ufer der Erkenntniss gelangt ist? 

Es machte ungeheures Aufsehen, als — kurze Zeit, nachdem 
E h r 1 i eh seine Seitenkettentheorie publizirt hatte — Wasser- 
m a n n und bald nach ihm und unabhängig von ihm Kanso m 
mit einem geistvoll ersonnenen Kxj>erimente hervortrat, das in 
überraschendster Weise diese Lehre zu bestätigen schien. 

W asber m a n n und R a n s o m sagten sich, wenn E h r - 
lieh Recht hat, wenn das Centralnervcnsysteiu eine dem Te¬ 
tanusantitoxin identische Substanz enthält, dann muss Ilimbrei 
eines giftempfindlieheu Thieres beigemischtes Toxin gerade so 
unschädlich machen, wie das Antiserum selbst, indem es wie das 
Antitoxin in diesem das Toxin bindet, seine haptophore Gruppe 
sättigt und ihm dadurch den Ankorhaken raubt, mit dem es sich 
an das lebendige Protoplasma heften konnte. Und siehe da! 
Eine Mischung von Tetanustoxin mit dem frischen Brei von 
Meerschweinchenhirn und -Rückenmark erweist sich bei einem 
gewissen Mengenverhältnisse in der Tliat als vollkommen un¬ 
schädlich, während der Brei aller anderen Mcerschweinehen- 
organe die Wirkung nicht hemmt. Ganz ähnlich wie das (’cntral- 
nervonsystem des Meerschweines wirkt das der Taube, des Ka¬ 
ninchen, des Pferdes, des Menschen. 

Wir müssen uns also vor Allem fragen, ob die Sache durch 
dieses Experiment wirklich entschieden sei, wie so Viele an- 
neluneii. Das ist nicht der Fall. Ich führe sitatt vieler Gründe 
nur ein Experiment v. Behring’« an, das völlig eindeutig ist. 

Falls llirnbrei identisch wäre mit dem Antitoxin, müsste 
man weniger Antitoxin brauchen, um eine mit llirnbrei versetzte 
und dadurch theilweise neutralisirte Menge Giftlösung unschäd¬ 
lich zu machen als für die gleiche Menge Giftlösung für sich 
allein. Dies ist aber nicht der Fall: 0.008 ccm Tetaimsgiftlösung 
No. 3 brauchten bei B e h r i n g’s Versuchen 0,001 ccm eines 
Antiserum« zur völligen Neutralisation. Als er nun 0,008 com 
Giftlösung zuerst mit 0,2 ccm Meerschweinhirnbrei, einer zur 
Unschädlichmachung des Giftes unzulänglichen Menge, und dann 
mit 0.001 ccm Antiserum versetzte und dann die Mischung an 
Mäusen auf ihre Giftigkeit prüfte, zeigte es sich, dass sic nicht 
etwa einen Antitoxinüberschuss enthielt, sondern freies Gift, 
denn sie tödtete noch Mäuse, so dass also der llirnbrei die Neu¬ 
tralisation von Toxin und Antitoxin sogar gehindert, hatte! Das 
todte Centralnervensystem wenigstens enthält somit keine Sub¬ 
stanzen, die wie das Antitoxin wirken und die Beobachtungen 
von Wasser m a n n und Ransom sollten schon längst nicht 
mehr als Beweise für die E h r 1 i c h’sehe Theorie citirt werden. 
Im Gegentheile liefern sie einen weiteren im höchsten Maasse 
beaehtenswerthen Beleg dafür, wie die Giftwirkung durch Stoffe, 
die sich mit dem Gifte selbst nicht verbinden, aufgehoben werden 
kann und wie unsicher daher die Deutung eines lediglich physio¬ 
logischen Experimentes sein muss. 

Angesichts dieses v. B o h r i n g’sehen Exj>erimentes kann 
z. B. keine Rede mehr davon sein, dass es durch die früher er¬ 
wähnten Versuche bewiesen sei. «lass das Tetanustoxiu durch 
die giftempfindlichen Organe fest gebunden werde, denn die Un¬ 
möglichkeit des Nachweises de„s Giftes im Centralnervensystcm 
findet eine ausreichende Erklärung in der Hemmung der Gift- 
wirkung durch den Brei dieser Organe. 

Jeder Schatten eines Beweises fehlt für die Behauptung, 
dass die Toxine erst durch ihre haptophore Gruppe an das Proto¬ 
plasma gebunden, „assimilirt“ werden müssen, damit sie ihre 
Giftwirkung entfalten können und dafür, dass sic sich dadurch 

4* 


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3882 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


fundamental von den bisher bekannten, chemisch definirten Gif¬ 
ten unterscheiden. 

Selbst wenn wir zugeben wollten, dass es bewiesen sei, dass 
das Toxin durch das Centralnervensystem fest gebunden werde, 
so fehlt der Beweis, dass diese Bindung gerade in den gift- 
emptlndlichen Ganglienzellen erfolgt; so fehlt der Beweis, dass 
diese Bindung eine nothwendige Vorbedingung der Giftwirkung 
sei. Im Gegentheile beweisen wichtige Thatsachen, dass dies 
nicht der Fall ist. Courmont und Doyen haben gefunden, 
dass das Centralnervensystem von Warmfröschen absolut nicht 
geeignet ist, beim Mischversuche in vitro das Tetanusgift un- 
sehiidlich zu machen, zu binden, obwohl diese Thiere gegen das 
Gift enorm empfindlich sind. Dasselbe konstatirte Metsch- 
n i k o f f bezüglich des Hirns der giftempfindlichen Kröten und 
wenn das Rückenmark des Huhnes dieser Wirksamkeit entbehrt 
und sein Hirn sie nur in geringem Grade besitzt, so spricht dies 
auch entscheidend gegen E h r 1 i c h’s Hypothese, da das Huhn 
bei intracerebraler i. e. subaraehnoidealer Injektion ungeheuer 
empfindlich für das Tetanusgift ist. Wenn man die bekannten 
Gifte aus den vergifteten Organen extrahiren kann, so darf man 
nicht vergessen, dass wir sie isoliren und durch chemische Re- 
agentien in den Extrakten sicher naehweisen können, die Toxine 
aber wieder nur durch das unsichere physiologische Experiment. 

Uebrigens ist es nicht einmal richtig, dass mau die Toxine 
nicht extrahiren könne, denn Danysz hat gezeigt, dass man 
das Tetanustoxin aus dem Gemische von Hirnbrei und Toxin 
allmählich mit Wasser ausziehen könne, dass das, frisch bereitet 
unschädliche Gemisch von Hirn und Toxin durch fünf¬ 
tägige Maeeration in physiologischer Kochsalzlösung wieder stark 
giftig wird — nebenbei bemerkt, welche drastische Beweise dafür, 
dass das Centralnervensystem keine mit dem Antitoxin identische 
Substanz enthält. 

Es ist auch von vornehercin gar nicht einzusehen, warum die 
Toxine nur durch Vermittlung ihrer hypothetischen haptophoren 
Gruppe zur Wirkung kommen sollten, da Ehrlich selbst an¬ 
nimmt, dass die Toxine bezüglich ihrer toxophoren Gruppe den 
bekannten organischen Giften sich analog verhalten und da doch 
diese letzteren ihre Giftwirkung ausüben, obwohl sie angeblich 
einer haptophoren Gruppe entbehren? Warum soll die toxophore 
Gruppe des Tetanustoxins, die doch ebenfalls eine gewisse che¬ 
mische Verwandtschaft zum Protoplasma besitzen muss, nicht 
unmittelbar zur Wirkung kommen können, wohl aber die toxo¬ 
phore Gruppe des Strychnins, das Cyanradikal und andere 
toxische Radikale. Uebrigens wissen wir heute auch in vielen 
bekannten organischen Giften „lmptophore“ und „toxophore“ 
Gruppen zu unterscheiden und wissen, dass beide im Molekül 
vorhanden sein müssen, damit ein Stoff als Gift wirken könne. 
Ich verweise in di<wer Beziehung auf das neue vortreffliche Buch 
unseres Kollegen Sigmund Fraenkel über Arzneimittel- 
Synthese. 

Die Thatsache der Ineubation darf da nicht als Gegenbeweis 
angeführt werden, denn Ineubation findet sich auch bei manchen 
bekannten Giften, wie heim Colehiein (Jacobj), bei Saponin 
(R anso m) und vor Allem bei der chronischen Vergiftung mit 
Blei; eine geringe Ueborlegung zeigt, dass sie durch die Ehr- 
1 i e h’sche Hypothese gar keine befriedigende Erklärung findet.. 
Denn angenommen, das Toxin müsse erst mittels der hapto¬ 
phoren Gruppe iu den Reaktionsbereich des Protoplasmakerns ge¬ 
bracht werden, warum dauert cs aber dann, nachdem das Toxin 
verankert ist, noch so lange, bis die toxophore Gruppe wirkt? 

Gerade das genauere Studium der Ineubation bei den Toxinen 
hat uns in neuester Zeit höchst wichtige Einblicke in die Vor¬ 
gänge bei der Toxinvergiftung verschafft und ich hoffe, dass diese 
»Studien uns auf gesündere Bahnen lenken werden, als die Ehr- 
1 i c h’schen Phantasien. Eine auffällig laugt'. Ineubation findet 
sich nicht bei jeder Art der Einverleibung der Toxine, sondern 
nur bei der sukutanen und intravenösen. R a n s o m hat ge¬ 
zeigt, dass sie sich manchmal nur nach Minuten bemisst, 
wenn man das Gift intracerebral, d. h. subarachnoideal applicirt 
(Tetanusgift beim Kaninchen). Wenn also das Gift von vorne- 
herein in die Nähe der giftempfindlichen Zellen gebracht wird, 
dann wirkt es auch sofort, wie andere Gifte! 

Warum bei subkutaner und intravenöser Injektion die In- 
cubation so lange dauert, das hat in jüngster Zeit Hans Meyer, 
bekanntlich einer unserer hervorragendsten Experimental- 
Pharmakologen, gemeinsam mit R a n s o m für das Tetanus¬ 


toxin entrathselt. Ihre Versuchsergebnisse sind, ganz abgesehen 
von der Immunitätslehre, von höchstem physiologischen Interesse, 
da sie uns eine bisher unbekannte Funktion des Achsencylinders 
enthüllen. Es ist stets als eine der merkwürdigsten Thatsachen 
angesehen worden, dass nach subkutaner Einverleibung des 
Tetanustoxins meist nur lokaler Tetanus entsteht und zuerst und 
am stärksten und vielleicht ausschliesslich jene Muskelgruppen 
ergriffen werden, welche der Injektionsstelle benachbart sind. 
Da der Tetanus ohne Zweifel eine centrale Erkrankung ist und 
die Krämpfe von den erkrankten motorischen Zellen der Vorder- 
hümer ausgelöst werden, und die Erkrankung ohne Zweifel nur 
dann eintritt. wenn die Zellen selbst vom Gifte getroffen werden, 
so blieb diese Lokalisation ganz unverständlich, solange man an¬ 
nahm, dass das Tetanusgift von den Säften aufgenommen und 
durch Blut und Lymphe weiter verfrachtet werde. Man hat da¬ 
her schon lange die Vermuthung ausgesprochen, dass der Trans¬ 
port des Tetanustoxins auf dem Wege der Nerven erfolgen müsse. 
Dies haben nun Hans M e y o r und R a n s o m bewiesen. »Sic 
zeigten, dass nach subkutaner Injektion das Toxin in den benach¬ 
barten peripheren Nerven angehäuft wird; sie zeigten, dass der 
Tetanus viel rascher eintritt, wenn man das Gift in den Nerven 
selbst injizirt. als wenn subkutan; sie zeigten, dass man den Ein¬ 
tritt des lokalen Tetanus nach subkutaner Injektion vollkommen 
verhindern kann, wenn man gleichzeitig oder innerhalb gewisser, 
ziemlich langer Fristen nachträglich Antitoxin in den betreffen¬ 
den Nervenstamm centralwärts injizirt, dass dagegen, wenn ein¬ 
mal das Toxin von den peripheren Nerven aufgenommen worden 
ist, die Injektion selbst sehr grosser Mengen von Antitoxin in’s 
Blut die Krankheit nicht mehr aufzuhalten vermag, da das Anti¬ 
toxin (offenbar iu Folge mechanischer Hindernisse) aus der Blut¬ 
bahn nicht in das Nervensystem überzutreten vermag. Das in 
die Säfte, gelangende Tetanustoxin wird also bei den empfäng¬ 
licheren Thieren rasch von den Nervenendigungen aufgenommen 
und wandert nun langsam, von dem Antitoxin geschützt, in den 
Achsencylindem der Nerven centralwärts. Erst wenn «* die 
Ganglienzellen erreicht hat, bricht die Krankheit aus; daher die 
Latonz]>eriode. 

Wir kommen also, wenn wir das eben Besprochene ülx*r- 
bliekcn, wieder zu dem »Schlüsse, dass nichts von dem, was Ehr- 
1 i c h’s Theorie behauptet, erwiesen ist. Es ist nicht erwiesen, 
dass die giftompHndlichcn Zellen das Toxin binden, assimiliren. 
E« ist höchst unwahrscheinlich, dass das Gift nicht unmittelbar 
durch eine toxophore Gruppe wirke. Das Verschwinden des Toxins 
aus dem Blute und die Ineubation haben eine ganz andere Er¬ 
klärung gefunden. Es ist wenigstens für die todte Nervensustanz 
erwiesen, dass in ihr kein dem Antitoxin gleicher Stoff enthalten 
ist. Ich könnte eigentlich abbreehen; aber die E h r 1 i c h’schen 
Anschauungen haben in vielen Köpfen bereite so feste Wurzeln 
geschlagen, das« es nothwendig ist, ihre völlige Werthlosigkeit 
in allen Stücken unerbittlich blosszulegeu. 

Wir kommen zur Frage d<*s Ursprung«? de« Antitoxins iiu 
Blute. 

Ehrl ich sagt, jene Seitenketten des Protoplasmas, welche 
unglücklicher Weist? Verwandtschaft, zum Toxin besitzen und da¬ 
durch dieses aus den Säften abfangen und verankern, müssen 
noch anderen physiologischen Zwecken dienen. Er nimmt an, 
dass sic dem normalen Stoffwechsel dienen, indem sie Nahrungs- 
moleküle aus den Säften abfangen und so für die Zelle ausnützbar 
machen. Das Verhalten solcher aufnahmsfähiger Seitenketten 
ist daher für das Leben der Zelle nothwendig. Werden die Seiten¬ 
ketten durch das Toxin gesättigt, so erleidet die Zelle, ganz ab¬ 
gesehen von der späteren Wirkung der toxophoren Gruppe, einen 
Defekt. Diesem Defekt trachtet sie daher zu ersetzen u. s. f., 
wie bereite besprochen. 

Fragen wir uns nun, stimmen die Erscheinungen bei der 
Antitoxinbildung mit der Auffassung überein, dass es sich um 
den Ersatz eines Defekte« handle? Nun, ein Defekt, der zu einer 
so übermässigen Reproduktion Anlass gibt, der müsste doch im 
»Stande sein, an und für sich Leben und die Funktion der 
Zelle ernsthaft zu stören; da müsste man doch etwas von Krank - 
heitsorscheinungen wahniehmen. Es ist daher von Ehrlich’s 
Theorie aus unannehmbar, wenn Morgenroth meint, dass 
die Seitenketten der tetanusempfindlichen Zellen der Kaltfrösche 
wochen- und monatelang mit dem Toxin beladen sein könnten, 
ohne dass dies im Geringsten das ^Wohlbefinden der Frösche stört, 


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19. November 1901 


MüENCHENEIt MEDIC[NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


solange nur die Temperatur so niedrig bleibt, dass die toxopliore 
Gruppe ihre Wirkung nicht entfalten kann. Wenn es sieh um 
den Ersatz eines Defektes handeln würde, wäre es undenkbar, dass 
das Huhn nach Gaben von 200 bis 200t) -j- Ms Tetanusantitoxin 
bildet, ohne die geringste Gesundheitsstörung zu zeigen (Knorr), 
dass der Alligator inissisipiensis. ohne im Geringsten krank zu 
werden, reichlichst Tetanus- und Diphtherieantitoxin erzeugt 
(M e t s e h n i k o f f). 

Die Antitoxinproduktion hat im Gegentheile durchaus 
den Charakter einer Sekretion. Im Verhält niss zum 
eingespritzten Toxin ist die Antitoxinproduktion oft ganz 
riesig, so bei einem der Pferde Knorr’s, wo 100 000 Anti¬ 
toxineinheiten durch 1 Toxineinln it gebildet wurden. Gleiche 
Giftdosen rufen bei Thieren verschiedener Art ganz ungeheuer 
verschieden grosse Antitoxinproduktion hervor, z. H. beim 
Pferde eine 20 000 mal grössere als beim Huhne (K n o r r). Ein¬ 
mal in Gang gekommen, kann die Antitoxinbildung Wochen-, 
monate-, ja jahrelang forlgehon, ohne dass sie durch neues Toxin 
wieder angeregt zu werden braucht; nach starken Aderlässen 
kommt die Tetanusantitoxinbildung in so reichlicher Weise zu 
Stande, dass in kurzer Zeit nahezu die alte Höhe des Antitoxin¬ 
gehaltes im Blute wieder erreicht ist (Roux und Yaillard). 
Bei fortgesetzten Toxininjekiioncn steigt rt sieh die Fähigkeit 
der Antitoxinbildung. Pilocarpin fördert nach den interessanten 
Versuchen von Salomonsen und Mndsen wie andere Se¬ 
kretionen, so auch die Antitoxinbildung. 

Der Zusammenhang dieser Stkretion mit Erkrankung, Hei¬ 
lung und aktiver Immunisirung erscheint als ein äusserst loser, 
so lose, dass uns auch dies wieder abhalt« n müsst.-, der Eh r- 
1 i c Ir sehen Anschauung von dem Mechanismus der Toxinwirkung 
beizupfliehten, wenn wir sonst noch dazu Lust hätten. Wie wir 
eben besprochen haben, bildet der Alligator inissisipiensis bei 
nahezu völliger, das Ilulm bei sehr hochgradiger Unempfindlich¬ 
keit- gegen Tetanusgift reichlichst Antitoxin, ebenso die gegen 
Diphtheriegift unempfindlichen Ratten reichlichst Antitoxin 
gegen dieses Gift (Klempercr. Aronson). Dagegen weisen 
Meerschweine und Menschen, welche vom Tetanus genesen sind, 
in ihrem Blute nicht die kleinste Menge Antitoxin auf (Kn o r r, 
Vineenzi). Frösche können gegen Abrin immunisirt werden 
ohne Spur einer Antitoxinbildung. Sie bleiben dann gesund, 
auch wenn ihr Blut soviel Abrin enthält, dass normale Tliiere 
durch die kleinste Menge davon gotödtet worden. Drevor und 
M a d s e n berichten neuerdings von einem Kaninchen, das mit 
Hilfe von Diphtherie-„Toxon“ so weit immunisirt wurde, dass 
es die 2000 fache tödtliche Dosis ertragen konnte, ohne dass sein 
Blut auch nur eine Spur von Antitoxin enthielt. 

Und noch ganz andere Thatsachen liegen vor, welche un¬ 
widerleglich beweisen, dass «1 i e Antitoxinbildung an 
e i n e m ganz anderen Orte im Organismus er¬ 
folgen muss, als die G i f t w i r k u n g. 

Knorr hat schon in seiner von mir bereits oft citirten 
Abhandlung, die zu dem Besten gehört, was über Immunität ge¬ 
schrieben worden ist, darauf liingewiesen, dass gewisse That¬ 
sachen sieh mit Khrlieh’s Theorie nicht vereinigen lassen, 
und man hat sieh allzu leicht über seine Argumente hinweg- 
gesetzt: Kaninchen können Antitoxin bilden, während gleich¬ 
zeitig ein gelinder Tetanus wochenlang gleiclunässig fortbesteht; 
beim Huhne kann es nach etwas grösseren Dosen Toxin dahin 
kommen, dass die telanischcn Erscheinungen sich steigern, trotz 
reichlicher fortdauernder Antitoxinbildung. Ja, warum werden 
denn, wenn die Antitoxinbildung im Centralnervensystem im 
Gange ist, nicht die mit Toxin besetzten Seitenketten abge- 
stossen und so unschädlich gemacht ? Man hat sieh darauf aus- 
redon wollen, dass die Zellen, von denen die Tetanuserseheinungen 
ausgehen, zu schwer geschädigt seien, um Antitoxin regetieriren 
zu können, aber diese flaue Ausrede gilt nicht im folgenden Falle: 
Aktiv immunisirte Tliiere, deren Blut reichlich Antiloxin ent¬ 
hält und welche daher subkutane und intravenöse Dosen d«.-s 
Giftes gut vertragen, erliegen der intracerebralen Injektion. Be¬ 
trachten Sie genau den folgenden Fall, der von Roux und 
Borrel berichtet worden ist: Activ immunisirte Kaninchen, 
welche subkutan die 4—6 fache tödtliche Dosis vertrugen, erlagen 
l>ei intracorebraler Injektion einem Zwanzigstel der tödtliehen 
Dosis nach einer Krankheit von 17—20 Tagen. Hier war also 
bereits vor der Vergiftung die Antitoxinbildung im Gang. Die 

No. 47 


1883 


gesunden Zellen stiessen fortwährend die überschüssigen Seiten¬ 
ketten ah. Wie konnte denn da das Toxin am Protoplasma 
haften bleiben?? Aber wir finden die >peeirisch empfindlichen 
Zellen des aktiv immunisirton Tliiere» nicht allein sehr häufig 
nicht besser geschützt gegen das Gift als die des normalen Thiercs, 
sondern im Gegentheile nicht selten in ungeheurem Mansse 
über e m p ti n d 1 i c h gegen dasselbe, v. I» e h ring hat dies 
schon sehr frühe erkannt und berichtet, „dass er immunisirt«! 
Pferde, Schafe, Ziegen besitze, die auf d« n tausendsten, ja auf 
den millionsten Theil derjenigen Dosis stark reagircu, welche für 
andere, nicht behandelte Tliiere derselben Gattung noch in¬ 
different ist. trotzdem sie zu gleicher Zeit massenhaft Antitoxin 
in ihrem Blute besitzen. Wäre diese Erscheinung der UcIkt- 
emplindliehkeit denkbar, wenn das O.-ntralnerven-ysteni oder, 
allgemein gesagt, «las speeifiseli to.xinempfiudli«*he Gewelx; der 
Ort der Antiloxinbildung wäre? Dagegen wird sie 
auf Grund der Versuche von Meyer und Ransom 
verständlich. Bei nicht genügend behutsamer limnuni- 
sirung oder besonderen Eigenthüniliihkeitin der Thi«-iv 
wer«len die giftcmpfiinlliehcn Zellen «lau<rn«l ge-ohädigt. und 
bleiben geschädigt trotz Antitoxinbildung, so dass sie jetzt viel 
weniger Toxin vertragen, als im normalen Zustande, und daher 
schon durch solche Spuren Tetanustoxin krankgemaeht werden, 
welche bei subkutaner Injektion dem Antitoxin der Säfte ent¬ 
wischen und in die peripheren Nerven gelangen. Sind diese 
Toxinspnren einmal da, dann bcgi'gnet ihnen kein Antitoxin 
mehr, der Weg zu den empfindlichen Zi llen stellt ihnen trotz 
allem Blutantitoxin offen. 

Es gibt, andere, dem eben B«-sprneh«-nen völlig entgegen¬ 
gesetzte merkwürdige Erfahrungen, welche eiten so deutlich 
sprechen: Unter Umständen h«*sscrt sich und heilt die Krankheit 
bei und durch fortgesetzte Giftzufuhr 1 

So hat K n o r r beoba«-htet, dass sich «icr Tetanus von Kanin- 
«•hen Ix'i fortgesetzter Giftzufuhr unter gleichzeitiger Steigerung 
der Antitoxiiu rzetigung Ixssert; und höchst- wichtige einschlägige 
Minlu'iluugen hat neu«'r«lings v. Behring gemacht. Er hat 
gefundi ii, «lass tuberkulös«- Kinder durch vorsichtig fortgesetzte 
Tuh« rkelgif tinjektiunen geheilt werden können und dass ihr Blut¬ 
serum dann antitoxiseh wirkt. Fis ist in diesen Fällen mein«-» 
Fira«-hlens undenkbar, «lass «las schon erkrankte und durch das 
Gilt sehiver geschädigte Geweht; durch noch vermehrte Giftzufuhr 
gebessert und zur Gegengift Produktion angeregt wird. Dagegen 
wird der Vorgang gerade lx_-i der Tuberkulose verstiimllieh, wenn 
man anuimmt, dass der parasitirende Tub« rkelbacillus selbst zu 
wenig Gift bildet, als «lass genügende Mengen davon in die unti- 
toxin!>ild«-ndcn Organe gelangen würde, um hier die Antitoxin¬ 
bildung in Gang zu bringen; dass dies aber dann geschieht, wenn 
von aussen grössere -Mengen von fertigem Gift in’s Blut gebracht 
wer«len, worauf dann «las in «len antitoxinbildendcn Organen 
erzeugte Gegengift dem erkrankten Gewebe zugeführt wird und 
«las hier entstehende Gift bindet. 


F’iir Denjenigen, welcher durch da- «-ben Vorgebraebte noch 
nicht überzeugt ist. habe ich zum Schlüsse noch Thatsaolu-n auf- 
bewahrt, welche mir ganz utiwid« rleglieh seheim.-n. Wie bereits 
wiederholt erwähnt worden ist, ist das Huhn gegen das Tetanus- 
toxin hei subkutaner und intravenöser Injektion äusserst un¬ 
empfindlich. Kleinere Dosen als 200 -f- Ms pro Gramm Körper¬ 
gewicht machen gar keine wahrnehmbar«* Veränderung. Erst 
Dosen von 200+Ms bis 2000 + Ms fiihren reichliche Antitoxin- 
hildung herbei, ohne dass aber dabei «las W «»h 11 >« -finden des Thieres 
im Geringsten gcstörl wird. Erst Dosen von mehr als 2000 -f- Ms 
rufen tetanisebe Erscheinungen herbei und erst ca. 15 000 +Ms 
ist nach Knorr die tödtliche Minimaldosis. Bringen wir aber 
dem normalen Huhne auch nur 5 + Ms pro Gramm intrneerebral 
lx-i, so stirbt es, wie v. Behring aniribt. unfeldbar an Tetanus! 
Also v o n d <; n 200 b i s 2000 + Ms k a n n nichts i ins 
Centralnerven.sys t e m ko m in «• n und t r o t z «1«; m 
b i 1 d o t d a s Huhn reichlich Antitoxin! 


Ebenso entseheidcml spre«-hcn Thatsachen 1>« treffend die Ent¬ 
stehung der Antikörper «l«-r liaemolytisch« u und «•ytot«*xiscln-n 
Sera gegen «leren Bildung in den empfindlichen Zellen. 

Die E h r 1 i c h’sche Tlu-orie muss also aufg«-g«lx-n wenb-n, 
und wir stehen neuerdings im Dunkeln, nachdem uns schon ein 
helles Lieht aufgegnngen zu sein s«-hien. 


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1884 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


Vielleicht tröstet es Sie in dieser Lage, wenn ich Ihnen sage, 
dass der Lichtschein von vorneherein nur eine Sinnestäuschung 
war. «lass die Theorie, auch ganz . abgesehen von den Wider¬ 
sprüchen mit den Thatsaehen, schon wegen ihrer inneren Un¬ 
möglichkeiten hätte aufgegeben werden müssen. 

Wenn das Antitoxin identisch wäre mit jenem Theile des 
Protoplasmas, mit welchem sich «bis Toxin verbindet, dann wäre 
die Heilwirkung der Antisora unmöglich. Es bliebe 
chemisch unverständlich, wie durch noch so gross«* Mengen Anti¬ 
toxin im eingespritzten Serum auch nur eine Seitenkette des 
Protoplasmas vom Toxin befreit werden könnte. Aut i toxi n 
und T oxiii bi n d e n «1 e o d e r in i t d e m T o xin re- 
agirende A t o in g r u p p e n des Protoplasmas müssen 
u n b e d i n g t v o n e i n a n d e r c h e m i s c h vors c h i e d e n 
s e i n. 

Ebenso unannehmbar ist von vom« lit rein die Hypothese, dass 
ein Theil des Protoplasmas, der dadurch der Ernährung desselben 
dient, «lass er gewisse Nahrungsstoffe an sich fesselt, bei Uober- 
produktion in die Säfte abgesto>>«-n winl. Denn diese l’eber- 
pr«Kluktion un«l Absto>sung würde. w«*nn sie möglich wäre, natür¬ 
lich nicht allein dann eiutr«*ten, wenn di«' Seitenkette «lureh Toxin 
gesättigt wird, sondern auch dann, wenn sm durch Nahrungs- 
inoleküle dauernd mit Beschlag belegt würde. Dies müsste häufig 
Vorkommen, dem« wir wissi n ja. dass das Blut oft mit einzelnen 
Xahrungs'totfen, z. B. mit Zucker «lerartig überschwemmt wird, 
dass die Eebersehiiss«* ülx*r «las von den Zt*ll«*n Bindbar«* und Zcr- 
s«*t/.hare in Form von Glykogen un«l Fett aufg»**pei<*h«*rt wer«len. 
Wiinlen aber die Seitenketten, welche di«* Nährstoffe der Zellen 
an sich ziehen, in’s Blut abgestossen werden —- und E h r 1 i e h 
nimmt, an, «lass dies ganz regelmässig geschieht, und sieht daher 
das Blut von solchen Seitenketten wimmeln —, dann würde er¬ 
sichtlich dadurch «las L« hi n «ler Zellen auf’s Ernstliehste ge¬ 
fährdet wcrd« n. Denn «liese Seitetiketn-n im Blute würden ja 
geradeso wie gelegentlich «las Toxin so auch ili«* Nahrungs- 
moh'kiile abfangeti und «len Zellen bliebe* das Nachsehen. 

Eli« 11 i«*h ist es aber überhaupt nur der Schein einer 
chemischen Erklärung, was Ehrlich gegiben hat. Den Laien 
in der (’hemie blendet di«« Hypotl)«*.-«*, weil sie scheinbar die 
dunkeln Vorgäng«* in d«*r lebenden Zelle auf bekannte chemische 
Proeesse zurückführt. Die Sache beginnt ja ganz ordentlich mit 
Kern und Seitenkette u. s. w. Dann alx*i* kommt auf einmal «lie 
ganz unzulässige V«*rmengttng von Biologischem und rhe¬ 
inischem. Be<»ba«*htung«*n über Z« llprolifi-ration bei Gewebsncu- 
bilduug ohne Weiteres auf das völlig anders geartete («ehiet «ler 
chemisch«*n Vorgänge im Molekül zu ül>ertragcn, widcrstrcit«*t 
den Regeln gesunder llypothcsenbilduiig. Denn, wo haln*n wir 
eine eliemisehe Analogie «laiiir. «lass ein Molekül aus sich heraus 
eitn-n. ihm verloren gegangenen Atomkomplex m it bildet, ihn 
im U«*tx*rscluiss bildet und dann abstösst. l)i«*s Albs sind ehe¬ 
rn iseh ganz unmögliche Ding«*. Derartige Reaktion«*» gibt nur 
«las Lebendige, voll dessen eheniBehem Verstiindniss wir leider 
noch immer weltenweit entfernt sind, (icnnu beselun «*n«h*t also 
«lie sogen, ehemiseh«* Erklärung E h r 1 i e h’s nirgends anders, 
als wo alle pliy.-inlngi-.-hcii Erklärnngsreiheu an irgend einer 
Stelle vorläufig enden müssen, heim Rütlis«-] des Reizes! 

In die Reih«* der Reizerseheinungen gehört nun di«* Anti¬ 
toxinbildung unbedingt, was ich ja schon früher angediuitet hah«*. 
indem ich ihr «hm ( harakter eines Sekretionsproee.sses zusehrieh. 
Das zur Antitoxinhildung gereizt«* Organ ist aber nicht «las für 
«las (Jift empfindlich«*. unter der Oiftwirkung erkrankende, son¬ 
dern ein gesund«*«. Nur « in solches Organ, seheint mir. ist zur 
Antitoxinerzeugung befähigt, w« lclu*s für «lie toxophor«* Grupp«* 
<l«*s Oift«*s uiiemptindlii-h ist und ich glaube, das* v. Behring «l:i- 
Richtig«* getroffen hat. wenn er au*sprieht, dass nur spcci- 
I i ' «* h e Z «• 1 1 g i f t <*. die ausschli«*s«lich bestimmte Zellkate- 
gori« n seliiidigen. zur Antitoxiuproduktiou Anlass geben können; 
Hum«) r a 1 g i f t e und a 1 1 g «■ m eine Z e 1 1 g i f t e aber 
nicht. 

Die erwähnten, für Sekretion spr<*<*hemlcn Eigenthümlieh- 
keit« n der Antitoxinj)r«)«luktion machen es unmöglich. «l«*r An- 
"ahme heizupfliehteii, welche anfänglich aufgetaueht ist und 
w«*lch<* die Speeititiit der Antikörper in einfachster Weis«* er¬ 
klären wiird«*, «lass die Anl ik«"»rp<*r einfach die in den Körper¬ 
haften entgifteten m«>«litizirtim Oift<* seihst s«*i«*n. Trotz«lein halt«* 
b*h «- mit B u <* h n «• r uml den Fors«*hern d«*s Instituts 
Pasteur für «las weitaus Wahrsi-heinlichst«*. dass die Anti¬ 


körper (und dies gilt von allen) irgendwie von den Stoffen, wel¬ 
chen sie entgegenwirken, deriviren *). Je grösser «li«> Zahl der 
Antikörper wird — und sie ist, wie wir besprochen haben, unab¬ 
sehbar —. um so weniger scheint es mir möglich zu sein, «lass alle 
diese Stoffe normale Bestandteile des Blutes seien, die nur je 
nach. Bedarf reichlicher produeirt worden. Ich werde vielleicht 
bei späterer Gelegenheit auf diesen Punkt noch einmal zurück- 
kommen und sagen, was sich darüber meines Erachtens aus den 
vorliegenden Thatsaehen noch weiter folgern lässt. Es ist recht 
wenig. Nur «las sorgfältigste Detailstudium kann uns in der Er¬ 
kenntnis* dieser so schwierig auzupaekenden Phänomene lang¬ 
sam vorwärts bringen. Dazu braucht’« Zeit. Jeder Versuch, «lie 
fehlenden Thatsaehen durch Gedankengebihle zu ersetzen, muss 
in der Naturfors«*hung scheitern. Naturwissenschaft ist «chliess- 
li«*h nichts anderes als Beschreibung. Ehrlich’» Versuch ist ein«* 
Verirrung. Trotzdem wäre «*s thörieht, von ihm gering zu «lenken. 
Nur Leute, die Einfälle haben, können «lureh Einfälle auf Abwege 
geführt wertlen. Ehrlich ist aber nicht allein ein Mann mit 
Einfällen, sondern er ist- auch ein unermüdlicher Arbeiter, ein 
unübertrefflicher Experimentator und Beobachter. Sein Name 
wird s«*ine Theorie überleben und bleibt untrennl>ar mit der 
Immunitiitslelm* verbunden, «lie er durch eine Fülle <l«-r. wich¬ 
tigsten Thatsaehen ber«*ieh«*rt hat. 

Wenn Sie mir freundlich Gehör seh«*nk«*n wollen, werde ich 
nii«*list«-ns «lie Lehre von der Bakt« l ieidie und Glohulicidie *'r- 
örtern. 

In <I«*r vor. Nummer ist auf S. 1s:»o. Sp. 1. Zell«* ö «l«*s Haupt 
texles von unten zu lesen: ..unabhängiger", statt ..abhängiger". 


„Cyklische“ Albuminurie und neue Gesichtspunkte 
für die Bekämpfung von Albuminurien. 

Von Dr. Paul Edel, As-istcnten der Klinik. 

(Schluss.) 

Der zweite T h «• i 1 dieser l'iitersuehungi n hat die Auf¬ 
gabe. diejenict ii Schwankung«*!! de« Kiwcissgchalles hei «1« r 
cykii-ehin Albuminurie zu deuten, welche durch «Li- bisher Ge¬ 
sagte n«H*h keine Erklärung gefunden haben. 

Warum tritt zu «lersclben Tug«*szeit und unter «1« n-elh.-n B«- 
dingungeii heute Eiwciss in den Harn über und morgen nicht? 
(/. B. kurz nach <l«*m Aufstehen.) 

Warum gewährt am Vormittag die durch da- er-te Eriih- 
stiiek bedingte Diurese keine au-reichende Resistmz. um s«*hii«l- 
lieln* Moment«.*, wie St«*heii und Bewegung im Zimmer zu über¬ 
winden u. s. w. ? 

Warum enthält «l«*r in der Regel eiweissfreie Naehtharn 
ausnahmsweise «*twas Alhumen? 

Bei «ler gros-en Summe von Untersuchungen, «lie ich un¬ 
unterbrochen Monate lang anstellen konnte, war ich mit «lein 
Grad«* und Umfange «l<*r Schwankungen des Eiweissgchnltes ge- 
nau vertraut. Solange die Patienten ihre ausserordentlich reg«*l- 
mässige Lehen-weise einhielten, iilx-rschritt die Stärk«* «1« r Ei- 
wei-sreaktum <*in«*r Prolx* nicht den mit 3 Pluszeichen (-r-t—W 
g«*kt uuzi iehneten Grad («1. h. etwa 0.4 Prom.). Kamen Prolx*» 
zur Beohaehtung. von denen auch nur einzelne dies gewöhnliche 
Maximum überschritt«*», so liess sieh in der Regel naeh\veis«*n, 
dass eine Unr«*gelmässigkeit in der vorsichtigen Lt*lx*nsweise der 
s« hr wenig widerstandsfähigen Patienten schwächen«! cingewirkt 
hatte. Gr«ös«ere, anstr«*ngemle Reisen, durchtanzte Nacht«-. 
Alkohol« •xcesst* und «h«*ns<> intercurrente Erkrankungen, wie 
Magcndarmkatiirrhe, hei «lenen nicht Ruhe eingehalten wurde, 
führten zu einem leichten Ersehöpfungszustamle. der g«*kenn- 
zeiehnet war durch Wrschleehterung <l«-s subj«*ktiveii Befinden- 
uml gro.-vs«* Ermüdbarkeit, spärlichen dunklen Harn. Steigerung 
der Albuminurie und — kleineren Puls. Erst wenn alle ge¬ 
nannten Symptome geschwunden, kam es wieder zu den stnti«»- 
liän n Graden d«*r Albuminurie. 

Ferner fi«-l«*n bei dem ersten Patienten gewöhnlich die 
stärksten am lag«* zu beobachtenden Eiweissausscheidung«*» auf 
die zweite Hälfte des Vormittags (10 resp. 11—1 Uhr). 

"> Vi«*ll«*ielit darf man anueluneii. «lass die fremden Stolle 
in «*iii«*ui blutldlden«!«*» oder in einem iniu*r«*r Sekretion «li«*m»iul**ii 
Organe al»g«*lag«*rt und nufgesp«*i«*liert und liier uingewandelt «mI**v 
mit normalen Sekretbestamltlieilen v«*rlnm«len wenieii und seldiess- 
lieli mit den Sekr«*t«*n in's circullmide Blut g«*lang«*n. Alles, was 
di«* Tliiitigkeit il«*s Organs beeinflusst, würde daun aueli die Anti 
toxiubildung und Absond«*i*ung Ixoinflusseu. 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1883 


In dieser Zeit war der Patient zugleich matt und weniger 
arbeitsfähig und hatte bei bestimmten Anforderungen einen Puls, 
der hinter dem am Nachmittage und Abend deutlich an Grösse 
und Spannung zurückblieb. Mattigkeit und unzulänglicher Puls 
waren, wie später die Therapie bestätigte, die Folge davon, dass 
am ganzen arbeitsvollen Vormittag im Laboratorium nur ein 
erstes Frühstück, bestehend aus etwas Thee und einem Brödchen, 
aufgenommen wurde. 

Die Richtung, welche die früher mitgetheilten Versuche 
nahmen, brachten mir den Einfluss der Blutversorgung für die 
Niere sehr bald zum Bewusstsein und veranlassten mich, dem 
Pulse meiner Versuchspersonen die grösste Aufmerksamkeit zu 
schenken. 

In der Ilorizontallage, auch im Sitzen, am Nachmittage und 
besonders auch am Abend, war der Puls von guter und gleich- 
massiger Qualität, seine Grösse dem eines gesunden jungen 
Mannes ebenbürtig. Es fiel mir nun auf, dass gewisse An¬ 
forderungen resp. Bewegungen zu verschie¬ 
denen Zeiten einen verschiedenartigen Ein¬ 
fluss auf das Verhalten des Pulses ausübten, 
und dass diese Erscheinung in enger Beziehung 
zu dem Ausbleiben oder Auftreten resp. Grade 
<1 e r Eiweissausschoidung stand. Diese Be¬ 
obachtung drängte sich mir besonders l>ei dem Vergleich des 
Pulses Morgens unmittelbar nach dem Aufstehen, Nachmittags 
nach der gewohnten Mittagsruhe und Abends vor dem Schlafen¬ 
gehen auf. Sobald Morgen* nach dem Aufstehen die mit der 
Toilette und dem Ankleiden zusammenhängenden Ilantiruugen 
begannen, insbesondere deutlich während des Waschens, wurde 
»ler Puls klein und oft für Momente kaum fühlbar. Die Fre- 
»juenz verhielt sich etwas verschieden. Es war nun ausserordent¬ 
lich charakteristisch, dass dieselben Ilantiruugen besonders 
Abends und meist auch Nachmittags den geschilderten Einfluss 
auf den Puls nicht ausübten. 

Am Abend und in der Regel auch nach dem Mittagssohlafe 
blieb der Harn eiweissfrei und Morgens enthielt er Albumen 
und war stark gelb und von geringer Menge. War das ge¬ 
schilderte unverkennbare Klein werden des Pulses am Morgen 
einmal nicht zu beobachten, dann war gewöhnlich die Harn inenge 
entsprechend grösser und vor Allem war der Ilarn eiweissfrei. 

Der Puls zeigte hinsichtlich der Be¬ 
wahrung seiner Grösse zu verschiedenen 
Zeiten denselben Anforderungen gegenüber 
eine verschieden grosse Resistenz; und hier¬ 
von war der G r a <1 der Albuminurie abhängig. 
Auf das Zutreffen dieses Satzes konnte bei dem Patienten durch¬ 
schnittlich durchaus gerechnet werden, wenn nicht etwa 
bei kleinem Pulse, lokal in der Niere ein»* 
Steigerung der Diurese vorher einge leitet 
war. Sicher konnte gegen die. Albuminurie bei Andauern eines 
unzureichenden Pulses nur durch Diuretica bei entsprechend 
grossen Dosen angekämpft werden. 

Entsprechend dem eben Dargelegten war das Verhalten des 
Pulses an den Tagen leichter Erschöpfung (nach Reisen, Ver¬ 
dauungsstörungen etc.). Der Puls zeigt»» sich dann, und zwar 
vorzugsweise Vormittags, ziemlich übereinstimmend mit dem sub¬ 
jektiven Ermüdungsgefühl weniger wi«Ierstan»lsfähig. Einen 
Einfluss der Frequenz auf die Eiw»*issausscheidung sah ich bei 
»ler c.vklischen Albuminurie nicht. 

Hauptausschlaggclieud und unverkennbar ist der Einfluss «ler 
(i rösse. 

Die Sphygmographic konnte ich nicht zu Hilf«* nehmen, da 
die geschilderten Veränderungen im Verhalt«*)! «l»*s Pulses von »l«*n 
Bewegungen im Zimmer abhängig waren, und l>ei Ruhe (Sitzen) 
rnseh Erholung eintrat, di»* zur Sekretion eines eiweissfreien 
IIarn«*s für gewöhnlich auch an Tagen »ler Erschöpfung aus¬ 
reichte. Aus dem glci«*h«*n Grunde verzichtete ich auf die an 
und für si»*h mit unseren hisherig<*n Methoden l>cim Mensehen 
nicht sieh«*r«> Blutdruckmessung. 

Ein objektiver l»ew«*is dafür, dass meine sich auf den Puls 
beziehen«l»*n B«*obachtungen richtig, war auf anderem Wege mög¬ 
lich. Wenn das Herz in «l»*m dargidcgteu Sinne beim Zustande¬ 
kommen der Albuminurie mitwirkt, daun musste ich erwarten, 
«lass eine z. B. am Vormittag mit unzulänglichem Pulst* <*inher- 
gohende Albuminurie sich vermindern o«l«*r schwind»*» muss, so¬ 


bald die Herzthätigkeit verstärkende Maassnahmen zur Geltung 
gebracht wer»len. Ein solches physiologisches Mittel erblickte 
ich in Bewegungsformen, die eine Anregung un«l gleiehmässig«* 
Verstärkung der Herzthätigkeit bewirken, ohne zur Ermüdung 
zu führen. Meine Voraussetzung traf zu. Ein geordneter, m i t 
einer gewissen soldatischen Strammheit a u s - 
geführter Spaziergang, noch sicherer eine 
Bergbesteigung') war im Stande, eine mit un¬ 
zulänglichem Pulse verbundene maximale 
Albuminurie zu unterbrechen. 

Wie bei allen früher beschriebenen, eine Abnahme des Ei- 
weisses bewirkenden Maassnahmen. ging auch hier Ver¬ 
mehrung und Hellerwerden des Harnes mit 
Schwinden des Albumens einher. Wie ich unlängst 
aus der Literatur erfahren, haben Zuntz und Schum bürg 
ebenfalls die Beobachtung gemacht, dass auf dem Marsche ein 
wasserreicher Harn abgesondert wird, mul dass geringste Gra»le 
von physiologischer Albuminurie nachher vermindert, waren. 

Je stärker «lie Anregung der Herzthätigkeit war, je sicherer 
sah ich einen vollständigen Erfolg. Am frappantesten Ist der 
folgende Versuch: Nachdem ich selbst in diesem Jahre «len Titlis 
(3289 m) hei Engelberg (Schweiz), hergebrachter Weise von 
Trübsee (1790 m) aus bestiegen und bei mir Ausscheidung hellen 
Harnes beobachtet hatte, veranlasste ich «len einen, zur Erholung 
am Vierwaldstätter See weilenden Patienten, nachdem ent¬ 
sprechende Touren zur Hebung vorangegangen waren, ebenfalls 
die Besteigung des Titlis zu unternehmen. Der während «les 
Aufstiegs entleerte Harn, kam in 2 Proben von 2 getrennten 
Portionen zur Untersuchung. Während der ganzen 
vierstündigen Hoehtour, einer, für den bisher durch 
das Schonungsprinzip geschwächten Patienten, grossen Kraft- 
und Muskelleistung, wurde ein heller, völlig ei- 
weissfreierHarn entleert! Der überraschende Erfolg 
dieses Versuches ist »ler mächtigen Anregung der Herzthätig¬ 
keit und Athmung zuzuschrciben. Ich betone, dass die Tour 
keine schlaffe Ermüdung zur Folgt*, hatte. 

Der momentane Erfolg einer M u s k e 1 b e w e - 
g u n g blieb aus, w e u n d er Patient, statt m i t 
einer gewissen soldatischen Strammheit zu 
marschiren. energielos dahin schleuderte. 
Dann fehlte »lie Anregung d«*r Herzthätigkeit und Athmung mul 
bestand der auch sonst Albuminuri»* erzeugende ungünstige Ein¬ 
fluss der aufrechten Kürperstcllung. 

Einen ebenfalls negativen oder direkt, un¬ 
günstigen Effekt hat eine aus irgend einem 
Grunde zur Er in ü d u u g f ii h rende M uskelan ■ 
s 1 1 * e n g u n g, entsprechend allen Einwirkungen, 
«lie eine Erschöpfung zur Folge habe n. 

Für die nach Muskelanstrengungen. Märschen etc. auf¬ 
tretende, physiologische Albuminurie bei Gesunden (v. LeuheJ 
und sonstigen vorübcrgolu*n«len Eiwcissausscheidungen wird das 
Gesagt« eltenso, wir für »lie eyklische Albuminurie, ein klares 
Verstaiulniss vermitteln. 

Es war eine seihst verständliche Conscqucnz, diese Erfahr¬ 
ungen für »lie Therapie zunächst der eykli sehen Albu¬ 
in i ii u r i «* zu verwerthen (die aus äusseren Griimlcn bislang nur 
bei der ersten Versuchsperson dur»*hführbar war). 

D»*r erst»* Theil »ler Behandlung bestand in der vorsichtigen, 
systematischen Hebung «1 »• s H erzens; der zweite 
galt, der d i ii t <* t i s e h e n S <* i t e. Die Symptome »ler Er¬ 
müdung und »ler gering»‘ren Leistungsfiihigki*it d»*s Herzens am 
Ende «les Vormittags liesven mich v«‘rmutln*n, dass für «li«*se 
sehr wenig widerstandsfähigen Patienten am V«irmittage ein»* 
reiehli«*lier<* Nahrungsaufnahme nöthig ist. Die. Haupt versuch.-- 
person nahm bisher nur 3 mal täglich Nahrung auf: Morgens 
8 Hhr erst»*s Früstüek (2 Tass»*n Thee, 1—2 Bröd»*h»*n mit Butt»*r>. 
Mittag»*ss»*n l'/i Hhr, n*i«*hli«*h und gut, Al>»*ndt*ss»*n zwis»*h«*n 
7 '/- mul 8'* Hhr, ausr(*i»*h<*inl. Indem i»*h mich vorzugsweis»* 
gegen «Ii»* »lürftige Ernährung am Vormittag»* zu w»*n«l«*n halte, 
traf ich folgend»* «*infaehe Wrtmlnung: Früh im Bett "i Stunden 
vor dem Aufslehen: 2—3 Tassen Milch, Morgens 8 Hhr erst«- 
Frühstück: Th»*e «»der Caeao mit kaltem Fleisch »nh-r Eii-ru. 

M D»*n liervorragemlen Einfluss »l«»r Atlmning auf «li«* Albn 
n.lnurie 1»»*i »len .Musk»*Ibew«*gung»*ii l»«*spr»*ch»* i< h in «l.*r ausfiihr- 
Uelien Publikation. 

5* 


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1RS6 


MUENCHENER MED1CINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


Xo. 47. 


zweites Frühstück: Cneao oder dergl. wieder mit viel kaltem 
Fleisch mul Bind, Mittag- und Abendessen wie gewöhnlich. 
Zwischen lx*iden noch Einschaltung von Kaffee mit Zubiss. 

Ich verzichtete hier bei der cyklisehen Albuminurie auf eine 
die Diurese durchweg begünstigende Nahrung, weil bei ihr schon 
die Verbesserung der llerzthiitigkeit allein genügt. 

Die einfachen Vorschriften sind in Anbetracht der Anforde¬ 
rungen >les Vormittags dem specicllen Falle angepasst. Der an¬ 
fängliche Einfluss dev Aufnahme von Milch % Stunden vor dem 
Aufstehen auf „Resistenz“ des Pulses und Albuminurie war sehr 
ersichtlich. 

I'm ein klares 1'rtheil über die Wirkung dieser Behandlung 
zu gewinnen, licss ich den Patienten in seiner gewohnten Berufs¬ 
tätigkeit und gleichmiissigen Lebensweise. Jede — ausser 
durch die Therapie Ix-dingte — Veränderung hätte Unsicherheit 
der Deutung gebracht. 

Nachdem ich lxä der ersten Versuchsperson 8 Monate hin¬ 
durch an keinem einzigen Tage die Ausscheidung von Eiweiss 
vermisst hatte, trat sofort mit Beginn der Therapie eine rasche 
Abnahme der Albuminurie ein. Nach 5 wöchentlicher, exakt 
durchgefiihrter Behandlung in Wiirzburg und anschliessender 
3 wöchentlicher planmiissiger Uebung in der Schweiz ist unter 
denselben Lebciislx-di.igungeti wie früher in den stündlich ent¬ 
leerten I larnportionen mit den üblichen Methoden Eiweiss 
nicht mehr nachweisbar. Zugleich habe ich keine 
Harnporiion mehr zu Gesicht bekommen, die, wie das früher be¬ 
sonders Vormittags die Regel war. relativ sehr gering an Menge 
und so stark dunkel wie früher war. Parallel mit Schwinden der 
Albuminurie ging dio Veränderung des Verhaltens des Pulses. 
Am Nachmittage blieb der Puls wie früher, aber am Vormittage 
wurde seine Widerstandsfähigkeit der des Nachmittags ähnlich. 
Besonders fiel in dieser Richtung das veränderte Verhalten Früh 
nach dem Aufstchcn auf. 

Es i-t selbstverständlich, das« die regelmässige und plan- 
mässig Lehmig des Herzen-, auch jetzt, wo die Albuminurie nicht 
mehr zu kmistatiren ist, mit gleicher Regelmässigkeit und Exakt¬ 
heit weitergeführt wird. Nur so kann auf dauernden Erfolg 
durch dauernde Hebung der Widerstandsfähigkeit und Leistungs¬ 
fähigkeit des Herzens gerechnet werden. Energie und äussere 
völlige Freiheit meines Patienten Hessen einen relativ raschen 
Erfolg der Therapie schon im Voraus hoffen. Wo häufige Schädi¬ 
gungen einwirken oder mit geringerer Energie und Glciehinässig- 
keit die Lehmig durchführbar ist, wird ein gleicher therapeu¬ 
tischer Erfolg entsprechend länger auf sieh warten lassen. Bei 
meinem ersten Patienten war die Albuminurie verstärkt uml 
gowissermaassen erzogen durch die dürftige Ernährung am Vor¬ 
mittag und eine Schonungstherapie. Hier Hess sieh rasch und 
leicht der Erfolg erzielen. Bei der körperlich viel schwächeren, 
heruntergekommenen zweiten Versuchsperson, die fortwährenden 
Leberaustiviigmigcn ausgesetzt ist und hei der erst vor wenigen 
Tagen sich eine Behandlung anbahnen licss, wird der Erfolg un- 
gb ich längere Zeit in Anspruch nehmen und viel schwieriger zu 
erreichen sein. Diese Lntersehiede sind bei Beurtheilung einer 
Therapie zu berücksichtigen. 

Sollten sich die an meinen 3 Fällen gemachten Erfahrungen 
für alle intermittirenden resp. cyklisehen Albuminurien be¬ 
stätigen — was hei der grossen Gleichartigkeit dieser Fälle sehr 
wahrscheinlich ist —, dann Indien die anscheinend so räthsel- 
ha f teil klinischen E rseh e i n u n gen der c y k 1 i - 
s c h e n A 1 b u in i n u r i c h i n r c i c h o n de Erklär u n g 
gefunden, und auf der Erkenntnis^ der Entstehung dieser 
Allmminuric fussend. hat die c y k 1 i s c h e A 1 b u m i n u r i e 
eine die Heilung er in ö glich c u de Therapie e r - 
h al t eil. Wie aus meinen Darlegungen hervorgehen muss, wird 
die bisherige Therapie durch Bettruhe nur in den seltenen 
Füllen dieser Albuminurie „Heilung“ versprochen, wo eine akute 
Erschöpfung des Herzens vorliegt. 

Die Gefahr des späteren Leherganges in eine eontinuirliehe 
Albuminurie, also eine unzweifelhafte Nephritis, fordert auf¬ 
merksame Behandlung. Beaehtenswerth scheint mir ein Fall zu 
sein, dessen Zuw< i-ting ich der gütigen Vermittlung des Herrn 
Dr. Müller, hier, verdanke: Der Patient ist (‘in Kaufmann 
von 42 Jahren: eine Erkrankung der inneren Organe, insbesondere 
aiioh des Herzens, lässt sich nicht nachweisen. Vor ea. 10 Jahren 
wurde von zw« i bekannten und renommirten Aerzten Wiirzburgs 
eine interniittireiide Albuminurie festgestellt. Der Harn wurde 


zeitweise ganz eiweissfrei gefunden. Obwohl die Eiweissmenge 
einer Portion 0,5 Prom. nicht zu übersteigen pflegt, wird auch 
in der Ilorizoutallage jetzt niemals mehr eiweissfreier Harn 
produeirt. 

Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei genauer Beobachtung 
weiterer Falle von cyklischer Albuminurie sich ergeben wird, 
dass die verschiedenstem Einflüsse eine zeitweilige Verminderung 
der Herzkraft zur Folge haben und so eine wichtige Rolle bei 
Herbeiführung der Schwankungen der Albuminurie spielen. Die» 
wird bei allen thera]x*utischen Versuchen zu bedenken seiu. 

Schliesslich will ich cs nicht unterlassen, auf einen Punkt 
hinzuweisen, aus dem eine interessante Folgerung, vielleicht für 
die Therapie auch anderer innerer Organe, abgeleitet, werden 
kann: Aus meinen Untersuchungen geht hervor, dass — min¬ 
destens bei der cyklisehen Albuminurie — der momentane Effekt 
der Schonung und Uebung aller Wahrscheinlichkeit 
nach für die Niere in der gleichen Ursache gipfelt, näm¬ 
lich in der verbesserten Blut Versorgung. 

In meinen letzten Versuchen habe ich mit der Prüfung be¬ 
gonnen, ob und inwieweit die für die cyklisehe Albuminurie ge¬ 
fundenen Thatsachen auf die chronische Nephritis übertragbar 
sind. Ich habe zu meinen Versuchen 15 Nephritiker aasgewählt, 
bei welchen nachweisbare Herzveränderungen nicht bestehen. Ich 
spreche das Folgende mit. der Zurückhaltung aus, 
z u w elchrr eine relativ kurze Beobacht u n g 
n ö t h i g t: 

Der Cyklus, welcher der sogen, cyklisehen Albuminurie 
eigen ist, ist mehr oder weniger ausgeprägt auch bei der chro¬ 
nischen Nephritis erkennbar. Er wird um so deutlicher beim 
Nephritiker, je mehr sein Allgemeinzustand dem eines Menschen 
mit cyklischer Albuminurie ähnlich, d. h. je schwächlicher, ner¬ 
vöser. weniger widerstandsfähiger er resp. sein Herz ist. je 
grösser die Anforderungen und je geringer die Nahrungsaufnahme 
Vormittags ist. Je widerstandsfähiger und geschulter das Herz 
des Xephritikers ist, je geringer sind die Schwankungen. Da 
bei eoutinuirlieher Albuminurie niemals eiweissfreier Harn pro¬ 
dueirt werden kann, auch relativ die Schwankungen nicht so 
gross sind, wie hoi der cyklisehen Albuminurie, so sind die 
Schwankungen nie so augenfällig, wie bei letzterer. Ausschal¬ 
tung des Mittagessens, Diuretica, Bäder, Ilorizontallage wirken 
auf Diurese und. soweit, qualitative Prüfungen auf Eiweiss ein 
Lrtheil gestatten, in gleichem Sinne wie bei der cyklisehen Albu¬ 
minurie. Ein bindendes Urtheil hinsichtlich der Abnahme der 
Albuminurie bei Nephritis, kann ich erst nach zahlreichen quanti¬ 
tativen Bestimmungen aus<prcehen, die bei eoutinuirlieher Albu¬ 
minurie nöthig für endgiltige Schlüsse sind. 

Bei mehreren Fällen leichter Nephritis licss sich nach 
Ilühcnbostciguug eine Abnahme der Albuminurie mit Heller¬ 
werden des Harnes erkennen. In der Horizontallage habe ich in 
der Regel einen günstigen, nie bisher einen ungünstigen momen¬ 
tanen Effekt von einer Gymnastik gesehen, die, kombinirt mit 
t i e f e r A t h m u n g. bei steter Kontrole des Pulses eine gleich- 
miissige Anregung der Herzt hä tigkeit erstrebte. Die stehende 
Haltung eignet sieh zur Erzielung momentan erkennbarer Effekt 
auf die Albuminurie anscheinend nicht. 

Nachdem es — dem im ersten Theile Dargelegten zu Folge — 
durchaus wahrscheinlich geworden, dass die günstige Wirkung 
aller bisher üblichen therapeutisch werthvollen Maassnahmen auf 
Verliesserung der (’irculation resp. Steigerung der Strom- 
gesehwindigkeit des Blutes in der Niere zu beziehen ist 3 ), und 
ich durch einen bemerkenswerthen Erfolg an der cyklisehen 
Albuminurie demonstriren konnte, in wie hohem Grade die 
Muskelühutig durch platitnässige Kräftigung des Herzens für die 
Therapie der schwachen resp. kranken Niere nutzbar zu machen 
ist, halte ich mich fiir berechtigt, (‘ine vorsichtige und 
zielbewusste Uebung des Herzens der Nieren- 
k rank e n i n’s A u g e z u fassen, und zwar mit ähn¬ 
lichen E i n s e h r ii n k u n g e n wie bei den Herz¬ 
kranken. Durch letzteren Zusatz deute ich an, dass ich mir 
der Grenzen, sowohl hinsichtlich des Erfolges als auch der Au— 
dclmiing einer sulchen Debungstberapie bewusst bin. Achnlicii 

Ä > Eine eingehende Begründung der Annahme, (lass alle günstig 
auf die Albuminurie wirkenden Maassnahmen ihre Wirkung eitler 
verbesserten <'ireulation in der Niere verdanken, ist in meiner 
ausführlichen Publikation zu tindeu. 


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19. November 1901. 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1887 


wie bei den Herzkranken würden von ihr voraussichtlich die¬ 
jenigen Nierenkranken auf eine Besserung zu hoffen haben, 
welche ein schwaches und ungeübtes Herz haben und dement¬ 
sprechend wie die Triiger der cyklischen Albuminurie, deutliche 
und beeinflussbare Schwankungen der Eiweissausscheidung auf¬ 
weisen. Zwischen dem leistungsunfühigen Herzen der Schwäch¬ 
lichen, körperlich Ungeübten und dem kraftvollen, grossen An¬ 
forderungen gewachsenen Herzen des von Jugend auf geübten 
Turners, Bergsteigers u. s. f. liegt ein weiter Weg. Ob und in¬ 
wieweit der Nephritiker auf diesen Weg zu führen ist, inwieweit 
sich die oben genannten Hoffnungen verwirklichen lassen, muss 
eingehende Untersuchung und ausgedehnt.* Erfahrung fest stellen. 
Ein irgendwie abschliessendes Urtheil über Art und Ausdehnung 
der Uebertragung dieser Uebungstherapic von meinen Er¬ 
fahrungen an der cyklischen Albuminurie auf die Nephritis, be¬ 
halte ich weiterer Arbeit vor. 

F ii r etwaig e ii h n 1 i e h e U n ters u c h u n g e n v o n 
anderer Seite mache ich auf Folgendes auf- 
nx e r k s a in: 

Unerlässliches Erforderniss zur Beurtheilung der Momente. 
<lie ftir den Eiweissgehalt bestimmend sind, ist, in möglichst 
k u r v. e n Int e r v a 11 e n . d e n H a r n entl e e r e n z u 
lassen und die Intervalle je nach dein Eingriffe zu gruppiren 
(a. Tabelle mit Prüfung der IHuretiea z. B.). Fängt man die ein¬ 
zelnen eiweissreichen und eiweissavineii Portionen nicht getrennt 
\oii einander ab. so mischt sich der eiweissreiche Harn dem 
ei weissfreien hei und es entgeht die Erkennung des günstigen 
Momentes der Beobachtung. Soll beispielsweise geprüft werden, 
welchen Einfluss eine Bergbesteigung ausiibt. so darf der Harn, 
der auf dem Wege von der Wohnung des Patienten bis zum Kusse 
des Berges und auch nicht der, welcher heim Abstieg produzier 
wird, in der Blase mit dem Harne vermischt werden, den die Niere 
beim Anstieg ausscheidet. Unmittelbar vor Beginn der Besteigung 
und unmittelbar nach Erreichung der Höhe muss der Harn ent¬ 
leert werden. Eine Vernachlässigung dieser selbstverständlichen 
('autele macht den Versuch unbrauchbar. Am deutlichsten wird 
das. was ich meine, durch mein Vorgehen bei Prüfung «1er I»i- 
uretiea demonstrirt: Nach Verabreichung des Diureticunis (ge¬ 
wöhnlich in den Versuchen in den leeren Mageni li«*ss ich erst 
so viel Minuten verstreichen, wie nach meiner Erfahrung voraus¬ 
sichtlich bis zur Aufnahme resp. «1er Wirkling in der Ni«*re nöthig 
war. Dann wurde der Harn entleert und dieses, trotzdem das 
Mittel schon veraltreicht war. seil »st redend nicht auf das Dlure- 
tienm bezogen. Erst die nächste Harnportion gehörte der Vor¬ 
suchsperiode an. denn erst in ihr konnte frühestens das Mittel 
seine Wirkung in der Niere entfalten. Es wurde dann in mög¬ 
lichst kurzen Zwischenräumen der Harn entleert, um ahzugreiizeu, 
wie lange die Wirkung des Mittels anhält. Weiterhin sind eine 
Täuschung und sich widersprechend«? Resultate nur dann zu ver- 
nieiden. w e n n d er l’ntersiichor sei n e u P a t i e n t e n 
genau kennt. Er muss genau gelernt haben, unter welchen 
Verhältnissen und Bedingungen auf starke Eiweissausscheidung 
b« stimmt zu rechnen ist. Und wenn er diese B<‘dingungeu be¬ 
herrscht. so muss er absolut sicher sein, am besten durch an¬ 
dauernde persönliche Beobachtung, dass diese Bedingungen 
während des ganzen Versuches in s«*in«*m Sinne ununterbrochen 
eingehalten werden. So wusste ich beispielsweise bei der I. Ver- 
s!tehsp«*rson (Chemiker», «lass hei der gewohuten Lebensweise 
(früh 8 Uhr Theo und Brö«lcheu und dann bis Mittags 1 \U Ulir 
keine Nahrungsaufnahme molm zwischen 10 resp. 11 — 1 mit 
Sicherheit auf starke Albuminurie zu rechnen war. wenn der 
Patient in stehender Position, auch mit kurzer Unterbrechung 
shzend. in seinem Laboratorium resp. überhaupt im Zimmer 
hantirte. 

Prüfte i«*h später (siehe unten), oh die gewöhnlich zu beob¬ 
achtende grösser«* Resistenz «l«*s Nachmittags auch konstatirbar 
war. wenn «las Mittagessen ausgtdassen wurde, so musste ich 
dafür sorgen, dass in gleicher Weise als Prüfstein dieselben B<*- 
dingungen oinwirkten. welche sich am Vormittag als schädlich 
erwiesen, für gewöhnlich aber am Nachmittag ln Folge einer un¬ 
erklärten grösseren Widerstandsfähigkeit der Niere, keine oder 
viel geringere Kiweissnusseht*i«lung zur Folge hatten. Setzte sich 
«ler Patient oder begab sieb sogar in Horizontallage. in der zu 
prüfenden Zeit, so konnte den gewonnenen Resultaten natürlich 
keine* Bew«*iskraft zugosproelien w«*rden. Es muss ferner, wie 
aus dem zw«*iteu Theil «li«*s«*r Abhandlung hervorgeht, sehr 
<1 e m U ni stau <1 «* Ii «* c ii n u n g g «* t r a g e n w e r d e n . dass 
sich nicht irgend «*twas in die V«*rsu«*hszeit einschleicht, was einen 
Einfluss auf die II <* r z t h ii t i g k eit a u s ii b t u. s. f. 

l)a demnächst über «las vorliegende Thema ausführliche Mit- 
theilungcn von mir crs«*hciiien werden, so habt* ich eingangs 
dieser Abhandlung von allen einl«‘iten<len Worten Abstand ge¬ 
nommen und verschiebe auf sic die Würdigung der vielen auf 
diesem Gebiete «*rsehieiicii<*n vcnlicnstvollen Arbeiten und die 
Ausfüllung «ler hier in Folg« 1 »1 «t Kürze entstandenen unvermeid¬ 
lichen Lücken. 


| Referate und Bücheranzeigen. 

Paul Jakob und Gotthold Pannwitz- Berlin: Ent¬ 
stehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose. Auf Grund 
ihrer in den deutschen Lungenheilstätten angestellten Sammel- 
forschung. I. Band. Leipzig, Georg Thieme, 1901. IX, 
372 pagg. Preis geheftet 10 M. 

Vor einem Jahr etwa wurden von Jakob und Pann¬ 
witz an alle deutschen Lungenlieilanstalten Fragebogen ver¬ 
sendet, die von den Kranken selbst auszufüllen waren und in 
ihren sehr detaillirten Fragen di«? ganze Actiologie der Lungen- 
| tuberkulöse umfassten. Nunmehr liegt der erste Band d«*s ge¬ 
nannten Werkes vor uns, gegründet auf die Ergebnisse di«?ser 
Saminelforschung. Ein Riesenstoff; 3295 Fragebogen waren zu- 
sammeugeströmt, dazu wurden noch 612 Fälle von Lungentuber-i 
kulose aus 2 Lebensversichorungsgesellsohaftcn herangezogen; 
i das Alles wurde mit grösster Sorgfalt kritisch gesichtet und korp- 
hinirt. 

i Doch die Verfasser Hessen cs si«;li mit der Verwerthung dieses 
Materials nicht genügen. Wie sie selbst allerorts naehdrücklicli 
aussprechen, kommt allen aimmnestischen Erhebungen nur ein 
bedingter Werth zu (lief, möchte hier auf die kurze Arbeit hin- 
weisen: l’eber die Verwerthung «ler Anamnese v«m A. Ham¬ 
me 1 ha c h e r und ll«?f.; 5. Bericht des Oberbayerischen Vereins 
für Volksheilstütten für 1900). Die Subjektivität des Arztes war 
durch die Fragehog«*n glücklich ausgesehaltet, nicht aller die¬ 
jenige des Kranken, und diese konnte auch durch nachträgliche 
(theilweise) Revision des Arztes kaum verbessert werden. Mögen 
; viele Kranke in diesen schriftlichen Antworten aufrichtiger un«l 
1 unbefangener gewesen sein als hei der persönlichen Ausforschung 
! durch den Arzt Aug’ in Auge, so können andererseits ihre Un¬ 
wissenheit, mangelnde Erinnerung, ungenügende Beobachtung, 
unwillkürliche (der fast sprichwörtliche Optimismus der Phthi¬ 
siker) und, vielleicht am meisten, willkürliche Entstellungen 
den Werth der Angaben erh«*hlich herabmindern; und «lie Ver¬ 
hältnisse wcnh'ix noch komplizirt durch alle möglichen Ten¬ 
denzen, Agitationen, einseitig «ungebildeten Aufklärungen unter 
den Kranken, lief, glaubt nicht fehl zu gehen, wenn er die Wir¬ 
kung letzterer Faktoren, z. B. in «len bei verschiedneen Anstalten 
so auffallend divergirendeu Verhältnisszahlen gewisser aetio- 
logiseher Momente (Einathmung von Staub, Zusammenleben mit 
Phthisikern, Militärdienst) vermuthet, wenn er darauf so manche 
angeblich reine Berufskrankheit zurüekführt. Ein grosser Vor¬ 
zug des Materials ist dessen weitgehende Gleichartigkeit, so 
speziell (wenn auch nicht absolut) hinsichtlich der Diagnose 
Tuberkulose; «loch beeinträchtigt diese Gleichartigkeit vielfach 
(z. B. in der Frage der Disposition) den Allgemeinwcrtli des 
Materials, da in Heilstätten (in der Regel) nur Kranke im initi¬ 
ieren Lebensalter, deren Krankheitsbild einen Kurerfolg ver¬ 
sprüht, aufgenommen werden. Die Verfasser haben daher die aus 
den Fragebogen gewonnenen Zahlen nur mit grosser Vorsicht 
ausgenützt und die Bedeutung des Werkes wesentlich vertieft 
dureli eine ausserordentlich gründliche literarhistorisch-kritische 
Darstellung «ler Entstehung der Lungentuberkulose, wobei sie 
überall zu «len vorliegenden Streitfragen in beachtenswert her 
Weise Stellung nelniien und dieselben ihrer Entscheidung näher 
bringen. Allenthalben wird, was «lie Phthiseotherapeuten den 
Verfassern besonders danken werden, ein v«-rmitt«lnder Stand¬ 
punkt gefestigt und allen Extremen, so vor Allem der Lehre der 
reinen Kontagionisten (doch hätte hier Ref. an einigen StelLii 
«lic Konzessionen geringer ’ gewünscht) " entgegengetreten. 
Andererseits wird immer wieder auTTTTe"zahlreichen Lücken der 
a«-tiologisehen Erkenntniss und die Nothwendigkcit weiterer 
Unt.ersu«*hungen hingewiesen. 

Fs Kt unmöglich, auf den überaus reichen Inhalt des Werkes 
im Speziellen einzugehen, nur die Disposition und die wichtigsten 
Sätze können wiodergegeben werden. Nach den einzelnen 
Tabellen der betheiligten (33) Lungenheilanstalten, der alle um¬ 
fassenden Generaltahelle und der Zusamni<*nstellung der Ver- 
si«*herungskrank«*n (die später wcg«*n ihrer Unverlässigkeit nur 
mehr wenig angezogen worden) wird der Stoff in 8 Kapitel «*in- 
getheilt. Im 1. Kapitel „Heredität und Disposition in ihren B«>- 
zichungcn zur Lungentuberkulose“ wird die germiuative und 
phu*eutare Infektion als Ausnahme Is-trachtet. dagegen an d«*r <*r- 
«•rhten Disposition fcstgclialtcn. Verfasser hatten in «len Frage¬ 
bogen genau unt«*r>chie«len. oh «lie Eltern <!«*•> G* fraut« n zur Zeit 


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1888 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


seiner Geburt krank gewesen seien oder nicht, und fanden ersteres 
nur in 119 Fällen gegeben. Immerhin erscheint dieses schwierige 
Gebiet noch nicht genügend aufgeklärt, und „auch die Theorie, 
dass es eine kongenitale Disposition zur Tuberkulose gibt, ist 
durch die nackte Statistik kaum zu beweisen“. Das folgende 
Kapitel behandelt die „Beziehungen zwischen Skrophulose und 
Lungentuberkulose“. Als allgemeine Skrophulose ist der charak¬ 
teristische Symptomenkomplex (abgesehen von Drüsenerkran¬ 
kungen) zu bezeichnen, welcher aus der ererbten oder post- 
foetalen Anlage (oder beiden) rosultirt; Drüsenerkrankungen 
machen die Skrophulose zu einer tuberkulösen oder pyo¬ 
genen. Zur Unterscheidung dieser Formen empfehlen 
sich probatorische Tuberkulinimpfungen, falls (vom Ref. 
betont) sie sich als unschädlich und diagnostisch 
sicher erweisen. Der häufigste Infektionsweg der Tuberkulose 
wird auch hier, wie. beim Erwachsenen, die Inhalation sein. 
(V o 11 a n d’s Theorie wird abgelehnt.) In den Drüsen, können 
die Bacillen (virulent) liegen bleiben und später bei entzündlichen 
Vorgängen in den Lungen durch die Leukoeyten dorthin über¬ 
geführt werden: „Infektion von i n n e n h e r“. Die Sta¬ 
tistik ergibt, dass das weitaus wichtigste Moment für die Skrophu¬ 
lose die Abstammung bezw. das Zusammenleben mit tuberkulösen 
Eltern ist. das zweite das Aufwachsen unter ungünstigen Verhält¬ 
nissen. Ueber „die Entstehung der Tuberkulose durch den Ge¬ 
nuss tuberkelbacillenhaltiger Nahrung“ urtheilen die Verfasser 
nach genauer Zusammenstellung der vielverzweigten Literatur 
dahin, dass die Möglichkeit einer tuberkulösen Infektion vom 
Darm her, auch ohne specifischo Darinerkrankung, zu bejahen 
ist (besonders für Kinder, doch — bei fortgesetzter Bacillenauf¬ 
nahme oder Darmalteration — auch für Erwachsene); es kommt 
zunächst zu Drüsentuberkulose, dann zu „Infektion von innen 
her“. Die Statistik ist hier nur wenig maassgebend, da die ein¬ 
gehenden Fragen über Milchgenuss vielfach an der (wohl sehr 
allgemeinen) Unkenntniss der Patienten scheiterten. Im nächsten 
Kapitel „Die Entstehung und l’ebertragung der Lungentuber¬ 
kulose in geschlossenen Räumlichkeiten“ wird gegenüber den 
reinen Kontagionisten energisch die Bedeutung der erworbenen 
Disposition gewahrt, für welche in erster Linie alle unhygie- 
nischen Lebensverlnilfnisse und hier wieder zuerst unhygienische 
geschlossene Räumlichkeiten in Betracht kommen, sei es, dass 
nunmehr eine latente Tuberkulose ausbricht oder dass zugleich 
oder später eine Infektion stattfindet. Hier wird vortrefflich die 
Bemerkung angefügt, dass auch die ärmsten Bevölkerungskreise 
nach vielen Richtungen hin eine zweckmässigen? Lebensweise 
führen könnten, als dies vielfach geschieht. Auf Grund ihrer 
eingehenden Darlegungen und der Statistik kommen die Ver¬ 
fasser zu dem wichtigen Resultat, dass alle übrigen Infektions¬ 
gefahren gering sind gegenüber denen, welche sich aus dem Zu¬ 
sammenleben tuberkulöser und gesunder Arbeiter in Werk¬ 
st ä 11 e n ergeben. Besonders hervorheben möchte Ref. 
«las Kapitel: „Ehe. Schwangerschaft und Lungentuberkulose“. 
Entgegen den unheimlich düsteren Darstellungen, welche 
vielfach über die Bedeutung der Ehe eines Phthisikers 
für die ganze Familie gegeben wurden, betonen die Ver¬ 
fasser eindringlich, dass zur Beurtheilung solcher Fragen 
stets alle aetiologisehen Momente zu berücksichtigen sind, 
un«l schliessen aus ihren mit grosser Kritik benützten Er¬ 
hebungen (die bezüglichen Krankengeschichten werd«*n siimmt- 
lich wiedergegeben), dass zwar die Gefährdung der Frau durch 
Sehwang«*rsohaft und Geburt sehr gross ist. dass aber im Uebrigon 
«lie Gefahr der Ehe (besonders für den Mann) bei einseitiger Be¬ 
trachtung leicht überschätzt wird. „Die Beziehungen der 
Lungentuberkulose zu anderen Krankheiten“ werden an der Iland 
«ler Literatur «lurchgesprjx'hen. „Die Bedeutung d«*s Traumas 
für «li«- Entstehung d«*r Lungentuberkulose“ — wobei einmalige 
und fortg«s« tzte, lokale und allgemeine traumatische Einflüsse 
und die Einwirkung verletzender Staubarten zusammen ge¬ 
nommen w«*r«len — wird dahin klargelegt, dass ein Trauma sowohl 
bei schon vorhandenen Bacillen, als auch b«*i folgender Bacillen- 
invasioii die Entstehung und Ausbreitung <l«*r Tuberkulose am 
Lo« us minoris resistentiae befördern kann. Mit Recht wird eine 
gross« re Beachtung traumatischer Einflüsse für die Aetiologie, 
an«I«‘|s« its aber auch hiebei die grösste Vorsicht wegen der 
mannigfach möglichen Entstellungen gefordert. Verhültniss- 
mii'sig kurz Dt «las letzte Kapitel ..Andere Ursachen für die Ent- 
t-t« Innig der Lungentuberkulose“ geratheu (Staub. Anstrengung, 


Militärdienst, Alkohol, psychische Momente). Auch hier erfreut 
die vermittelnde Stillung bei Ablehnung der strengen Alkohol- 
abstinenz. 

Das Werk gibt ein prächtig harmonisches, kritisch geklärtes 
Bild der ganzen Aetiologie der Lungentuberkulose. Wir haben 
allen Grund, auf den zweiten Theil, „Die Bekämpfung der 
Lungentuberkulose“, gespannt zu sein; doch schon an sich ist 
der vorliegende Band für jeden Phthiseologen unentbehrlich, für 
jeden Arzt eine sehr cmpfehlenswerthe Anregung und Belehrung 
über dieses so eminent aktuelle Gebiet. 

O. Pis e hing e r. 


L. M a d e r: Mikrophonische Stadien am schallleitenden 
Apparat des menschlichen Gehörorgans. Sitzungsberichte der 
kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. Mathematisch- 
naturwissenschaftliche Klasse, Bd. CIX, Abth. 111, Februar 1900. 

Mader beschreibt zunächst den von ihm „Otomikrophon“ 
benannten Apparat, mit Hilfe dessen durch Töne und Geräusche 
erzeugte Bewegungserscheinungen, welche auf den Stift eines 
Mikrophons übertragen werden, durch ein Abgabetelephon in 
einem Nebenzimmer gemessen werden können. 

Die Töne wurden durch Stimmgabeln. (Jeräusche durch «len 
Fall einer Schrotkugel auf eine Marey’sche Trommel erzeugt; 
die Fallhöhe konnte nach einem graduirten Stab bestimmt 
werden. 

Auf diese Weise untersuchte M. an Präparaten die Bewegungen 
des Trommelfells, und kam zu dem Schlüsse, dass die mikro¬ 
phonische Wirksamkeit des hinteren unteren Quadranten am 
grössten, die d«’s vorderen am geringsten ist. Die einzelnen 
Theile des Trommelfelles betheiligen sich demnach verschieden 
an den Massenschwingungen des Trommelfells. Das Maximum 
«ler Wirkung tritt int inneren Drittel, in nächster Nähe des 
Hammergriffes auf, während dieselbe im äussersten am ge¬ 
ringsten ist. 

Durch «lie Prüfung der Wirkung der Gehörknöchelchen 
glaubt M. den Beweis für die Richtigkeit der H e 1 m h o 11 z*- 
schen Theorie über die Schallleitung durch Hammer und Ambos 
experimentell erbracht zu haben. An der Steigbügelfussplattc 
wur«le die grösste Wirkung in der Mitte festgestellt. 

Weiters untersuchte M. die Knochenleitung und fand hie¬ 
bei. dass die Schädelknochen von relativ schwachen Schallwellen 
der Luft in ziemlich erhebliche. Schwingungen versetzt werden 
können, welche vom Knochen wieder mit ziemlicher Kraft ab¬ 
gegeben werden können. Von grossem Einfluss auf diese Ueber- 
tragung ist die Struktur des Knochens; die Kraft der Uebcr- 
tragung ist um so bedeutender, je kompakter die Knochenmas>e 
i-*t. Auch die Frage, ob das Entstehen von Schwebungen cen¬ 
tralen Ursprungs ist oder nicht, hofft M. mit seiner Methode zu 
entscheiden. Er ist der Meinung, dass die Schwebungen im 
Knochen entstehen. 

Hinsichtlich der Sehallleitung mit und ohne Trommelfell 
kommt M. durch seine Versuche zu dem Schlüsse, dass die Steig- 
bügelfussplatle und damit das Labyrinthwasser mit Hilfe de> 
Trommelfells in stärkere Schwingung versetzt wird, als ohne das¬ 
selbe, ausserdem dass bei Fehlen des Trommelfells neben Herab¬ 
setzung der Leitung an der Steigbügelfussplatt«* gleichzeitig eine 
Erhöhung derselben durch die Knochenleitung auftritt. 

Bei «ler osteo-tvmpanalen Leitung soll nach M. lediglich der 
Steigbügel in Betracht kommen, während die Ueberleitung vom 
Knochen auf das Trommelfell ohne wesentlichen Einfluss ist. 

W anner - München. 

Prof. Dr. E. Zuckerkandl: Atlas der topographischen 
Anatomie des Menschen. II. Heft: Brust; in 48 Figuren mit 
erläuterndem T«*xt«*. III. Heft: Bauch; in 95 Figuren mit er¬ 
läuterndem Texte. Wien und Leipzig, Wilhelm B r u u m ii 11 e r. 
1900 und 1901. 

Wir haben die erste Lieferung dieses Werkes seinerzeit an¬ 
gezeigt und empfohlen. Die beiden inzwischen erschienenen 
Lieferungen sind durchaus vorzüglich ausgefallen. Es lässt sich 
nach den bereits vorlieg«*n«len Theilen des Zuckerkandl'- 
schcn Atlas sagen, «lass dieses Werk mit zu dem Besten gehört, 
was in dieser Art erschienen ist. Der Verfasser fährt fort, «lie 
topographisch«* Anatomie in schönen Einzelausselmitten. also 
durchaus regionär und dabei schichtenweis von der Oberfläche 
nach «ler Tiefe v«mlriugcnd. vorzuführen. Die Bilder zeigen. 


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.19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


18S9 


dass der Verfasser eine gmsse Erfahrung hinsichtlieh der prak¬ 
tischen Bedürfnisse des Arztes hat und so finden sielt da vielerlei 
Bilder, die man in anderen Büchern ähnlicher Art vergeblich 
suchen würde. Ucberall haben wir den Eindruck der Originali¬ 
tät, der geistigen Frische und Regsamkeit, so dass die Dar¬ 
stellungen in entschiedene tu (irade anregend auf den Beschauer 
einwirken. Wenn unsere Praktiker, besonders die Chirurgen, «las 
Werk benützen wollten, so würden sie sicherlich vorzüglich be¬ 
rat hell sein. Martin II c i d e n h a i n. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsches Archiv für klinische Medicin. 1901. 71. ßd. 

2. u. 3. Heft, 

l(n S c h ii 1 e - Freiburg i. 1!.: a) Inwieweit stimmen die Ex¬ 
perimente von P a w 1 o w am Hunde mit den Befunden am 
normalen menschlichen Magen überein? 

b) Ueber die Beeinflussung der Salzsäurekurve durch die 
Qualität der Nahrung. 

Die von I* a w I o w im Thiere.xperiuient gewonnenen Resul¬ 
tate, dass die Haupt Ursache für «Ile Mageiisaftsckretlon (1er Appe¬ 
tit sei. dass der ganze sekretorische Effekt nicht durch das mecha¬ 
nische Monn 11 t. das Kauen. arch n’elit durch den chemischen Reiz 
der Nahrung, sondern nur durch das psychische Moment, durch 
das Verlangen des Tlderes nach Nahrung bedingt s *i, sind nach 
Schäle nicht ohne Weiteres auf den Menschen zu übertragen. 
Beim gesunden Menschen bildet sich im ticgeiitlieil der „reine 
Appetitsaft I’awlow's" selten oder gar nicht, vielmehr werden 
die Mageiidrt'isen schon während des Aufenthaltes der Speisen im 
Munde reflektorisch zur Sa Izsiiu ivp r o< hi k t i o n < j- Pepsini 
angeregt und zwar sowohl durch Kauen, wie durch chemisch wirk¬ 
same Substanzen, besonders durch Nahrungsmittel mit ange¬ 
nehmem Geschmack. Diese sekretorischen Punktionen brauchen 
zu ihrer Auslösung eint» gewisse Zeit: Lntoiizstadiuni. Die als¬ 
bald entstehenden Verdauungsprodukte werden theilweise resor- 
birt lind unterhalten die einmal eingoleitete Absonderung des 
Magensaftes; ein liiechanischer Heiz der Ingesta auf die Magen- 
wund selbst kommt dultei nicht in Betracht. Die Verschiedcnlmit 
der Ingesta ist nur von geringem Einfluss auf den procentualeu 
Säuregrad. Keim CJesunden ist die Salzsäurekurve nach Probe- 
frühstück und Probemalilzeit nahezu gleich, beim Kranken gii>t 
die Proliemahlzeit genauere Resultate als das Probefrühstiick. 

lli W 1 e b e - Dresden: Ueber hysterische Taubheit. 

Nach kurzer Besprechung der Kraiiklieitserselieinungeii. di • «lii* 
Hysterie am Gehörorgan liervorbringt, theilt W. ö Fälle schwerster 
hysterischer Taubheit mit. wovon der erste Fall als idiopathische 
Hysterie, die beiden anderen als traumatische Hysterie anzu- 
spreehen sind. In einem Falle handelte es sich um eine nicht mit 
anderen Olirkranklieitcn koinplizirte. rein hysterische Taubheit, die 
beiden anderen hatten gleichzeitig chronische Mlttelobraffektionen. 

12» F. R 1 u m - Frankfurt a. M.: Ueber Nebennierendiabetes. 

Bei allen Säuget liieren entsteht nach subkutaner oder intra¬ 
venöser Einverleibung von Nebeiniierensaft Glykosurie (Dextrose», 
auch bei dauernd kohlchydratl'reier Ernährung, selbst nach vielen 
Huugcrtageii. wenn längst alles Glykogen aus der Leiter ver¬ 
schwunden ist. Dabei ist es glcichgiltig. von welchem Säuget liiere 
(auch vom Menschen» die Nebenniere stammt. Diese Glykosurie 
ist bedingt durch toxische Einwirkung des Nebennierensaftes auf 
ein oder mehrere dem Kohlchydmtstoffwechsel vorstehende Or¬ 
gane. Den Nebennieren kommt wohl, ähnlich wie der Thyreoi iea. 
die Aufgabe zu. den Organismus von Stoffwechsclgiften zu be¬ 
freien. Von diesen» Gesichtspunkte aus kann man sich verstell« n. 
dass bei dauernder Insufiieietiz derselben Addison. Kachexie, mich 
Dialietes entsteht, z. B. der sogen. Broneediabetes. den Blum als 
eine Nebeiinieronstörmig auffasst. 

Ifl» Clemens: Zur E h r 1 i c h’schen Diniethylamidobenz- 
aldehydreaktion. (Aus der liudicin. Klinik zu Frelimrg 1. B.» 

Diese neue Ilarnrcaktion besitzt zur Zeit weder diagnostis -lu* 
noch prognostisclie Bedeutung und bedarf noch d; r näheren Auf¬ 
klärung. 

14» R. Link: Untersuchungen über die Entleerung de3 
Magens bei verschiedenen Lagen des Körpers. (Aus d.*r medicin. 
Klinik zu Freiburg i. B.» 

Auf Gnnid seiner rntersucimugeu an einer Reihe von Magen¬ 
kranken. die au einer Herabsetzung der Motilität des Magens 
litten lAtonie. Gastroptose. Dilatatio Veiitriculi etc.) empfiehlt L. 
die auch in der Literatur mehrfach erwähnte Eimialime der 
r e e Ii t e n S e i t e n 1 a g e n a <• li d e m E s s e ii. da die Ent¬ 
leerung des Magens sich in der Tliat 1 u-i dieser I.age schneller voll¬ 
zieht. Bei Kranken eingangs erwähnter Art erscheint also die 
therapeutische Verwendung der rechten Seltenlage rationell (mit 
Ausnahme von Ficus pylori». 

lö» .T. Burke: Ueber angeborene Enge des Aortensystems. 
(Aus der II. medicin. Klinik der i'niversitiit Wien: Direktor: Hof- 
ratli Prof. Neusser.i 

In dieser inteiessanteu Arl»eit t»esprielit B. naeli Definition der 
Erkrankung und kurzem historischen Fcberbiiek die bisher er 
schienen«“ Kasuistik (ca. Ion Fälle) in kritischer, erschöpfender 
Weise unter Anfügung eigener einschlägiger Beobachtungen. Er 


kommt zu dem Schlüsse, dass es eine Enge des Aortensystems als 
Krankheitsursache zweifellos gibt, deren Folgeerscheinungen sieh 
am Herzen in linksseitiger Herzhypertropliie mit Dilatation, später 
aueli rechtsseitiger Herzdilat.ition und deren Folgen Hussein, 
während in den Arterien sich Arteriosklerose bei jugendlichen 
Individuen als Ausdruck eines längere Zeit erhöhten Blutdruckes 
findet. Aetiologisch kommt sowohl angeltorcuo Hypoplasie als 
Zurückbleiben des Gofässappurnlcs im Waehsthum In Betracht. 
Eine besondere Bedeutung hat die Enge des Gefässsystetnes als 
prädisponireude Ursache für Infektionskrankheiten, da sie sicher 
zu einer Schwäche des behafteten Individuums führt. Die intru 
vitam uiigeniein seiiwlerige Diagnose“ wird man stellen dürfen. 
..wenn hei einem jungen, blassen, graeil gebauten Individuum, 
bei dem Zeichen mangelhafter Entwicklung, wie Hypospadie, zu¬ 
rückgebliebene Genitalien etc. nachweisbar sind, sich nach ge¬ 
ringen Muskclnnstrcngutigcu oder psychischer Erregung Störungen 
im Kreisläufe. Dyspnoe und Herzklopfen zeigen, während zugleich, 
bei Ausschluss eines Klappenfehlers Herzhypertrophie bezw. Dila- 
lation iles linken Vorli des und gespannter Puls bestehen, die 
Pulsation im .luguliiiii fehlt und der 2. Pulmonalton aecentuirt er¬ 
scheint." 

1*h Hamei: Klinische Beobachtungen über 2 Fälle von 
Morbus Addisonii mit besonderer Berücksichtigung des Blut¬ 
befundes. (Aus der inneren Ahtheihmg des städt. Krankenhauses 
zu < 'harlottenburg.» 

11. untci-suehte besonders den Bluthcfund in 2 Fällen von 
Addison, von denen d«ff eine sieh als eine typische Nobennieren- 
tuberkulose erwies, bei sonst tuberkelfreien Organen, während 
der andere gebessert entlassen wurde. Er betrachtet die Atmende 
als ein wesentliches und untrennbares Symptom des Addison. 
Wenn mich der einzelne Blutstropfen sieh bei der Untersuchung 
morphologisch als normal erwies, so besteht «loch eine Oligaemie 
des Gesainiutblutcs, bedingt durch die in den käsigen Neliennieren- 
herden aiisgeseliirdenen Giftstoffe der Tuberkulose. Bei Careinom 
der Nebennieren ist auch eine morphologische Schädigung des 
Blutes zu erwarten. 

17t Th. Struppier: Ueber alternirenden En- und Ex¬ 
ophthalmus. (Aus der H. medic. Klinik des Herrn Professor 
v. Bauer in München.i (Mit 2 Abbildungen». 

Mittlicilung eines interessanten Falles, der als Exophthalmus 
in Folge varieöser Erweiterung der retrobulbären Venen toph- 
i thalmoskopisch stark«* Venensehlängehmg» entstanden, im Laufe 
einiger Jahre in Folg«* von ('ireuiationsstörung und dadurch be¬ 
dingter Ernährungsstörung allmählich einen Schwund des Orbital- 
f«*ttos und damit «*iiicn Exophthalmus hcrbolgefiihrt hat. Durcli 
Druck auf «li«* Ilnlsgel'ässc z. B. kann jederzeit aus diesem En- 
oplitlialimis artetici«*il ein Exoplithalmus gemacht werden. 

IS» A. Ott: Der zeitliche Verlauf der Glykogenablagerung 
in der Kaninchenleber im Normalzustände und im Fieber. (Aus 
«Um tned.-klin. Institut der Universität München.» (Mit 1 Kurv«*.) 

In» Normalzustand«* envicht die Glykogeimnhäufung in der 
Kaninchenleber ihr Maximum nach 12—lö Stunden, im Fieber 
envicht <li«> Kurve Ihr Maximum etwas früher und fällt rascher 
und eher ab. wahrscheinlich in Folge rascheren Glykogeiivcr- 

hrauches. 

l!»i Berichtigung B a in b <• r g e r - Krona eh. 

I 

i Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 44. 

Ludwig B ni u n - Wien: Die Entstehung des ersten Tones an 
der Herzbasis. 

Die bisher geltende B a m b e r g «* r’sclte Theorie der Ent- 
st« limiu von <» Herzb'hieii wurd«* erschüttert durch die Arbeit. 
R. Geige l's. welcher mittels der Mnrkirmetliode von Martins 
in «‘iiiwandsfivier Weise naeliwles. dass die lx*iden ersten Töne, 
an der Spitze und an der Basis, gleichzeitig erschallen. Darin 
liegt nun auch der Beweis dafür, dass die systolische Anspannung 
der grossen Gefasst“ de norma als Ursache einer hörbaren Ton- 
bildung nicht aii«‘i'knniit werden könne: die systolische An¬ 
spannung der Aorta und der Puhnonalis erfolgt ja erst in der 
Austreibungszeit, eine messbare Zeit nach dem Erklingen des 
ersten Tones. Es gibt also im ersten Schallmomento nicht 
zweierlei Schnllerscheintingen. an der Herzspitze und an der Ilcrz- 
basis. Der erste Ton wird vielmehr hier und dort durch «He plötz¬ 
lich«“ Zustandsändening der Ventrikelwand und durch die Schwing- 
iiugeii «l»*r v«*i»ös«*n und der arteriellen Klappen erzeugt. 

Für «li«* Richtigkeit dieser Lehre bringt Verfasser einen klini¬ 
schen Beitrag. Di«“ Beobachtung betrifft eine öd jährige Patientin 
mit Perikarditis hei Arteriosklerose. Der Auskultatioiisbefund 
«•in«“rs(*its. Herzpalpation un«l Untersuchung «1«*s Gefiisssystcms 
andererseits waren in diesem Falle geeignet, als Bestätigung der 
Annahme zu «Heuen, «lass der 1. Herzton an der Spitz«* und au 
der Basis den gleiclien Ursprung, im Ventrikel, besitzt. Es gibt 
demnach nicht <>. sondern bloss 4 IlerzKino. Di«“ Kranke hatte 
einen Pulsus intennitteils irr«*gularis. Die Extrasystole erz«*ugte 
n»«“ist keine Pulsclcvation in Aorta. Carotis. Rmlialis. Trotzdem 
hört«* mail hei j«“«ier ExtrakaininerkonYraktion an der IIorzbasD 
und an «l«*r H«*rzspltz«* einen ilistini-teii systolischen Ton. Von 
einer systolischen Anspannung «I«*r Aortenklappen kann bei dein 
fehlenden Pulse über d«*r Aorta nicht «He Rede sein. D«“r tmtz- 
dein hörbare systolische Ton an «l«*r llerzhnsis wiihivnd d«*r Extra- 
! systol«* muss (h-ninaeli ebenso wie «ler g«>uau gl«*i«-h kling«*nde 
I systolisch«* Ton «ler Herzspitz«* als in «ler V«*iitrik«“lwand eiit- 
I standen geflacht werden. W. Z i n n - B«*riin. 


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1890 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 47. 


Archiv für klinische Chirurgie, öö. Bd., t.Heft. Berliü, 
Hirschwald, 1901. 

1i Jo a c h i in s t li a 1 - Berlin: Beiträge zum Verhalten des 
Hüftgelenks bei der angeborenen Verrenkung. 

1!) Gottstein: Die diagnostische Bedeutung der Probe- 
excision auf oesophagoskopischem Wege. (Chirurgische Klinik 
Breslau.) 

5) B e s s e 1 - H a g e n - Charlottenluirg: Ueber plastische Ope¬ 
rationen bei vollkommenem Verlust der Hautbedeckungen am 
Penis und Skrotum. 

*;i Nils 8 j ö bring- Lund: Ueber Krebsparasiten. 

Die Referate über vorstehende Arbeiten iirnlen sich in dem 
Bericht über den JO. Chirurgenkongress. No. 10—19 dieser Wochen¬ 
schrift. 

3i Koch: Zur Diagnose des akuten Rotzes beim Menschen. 
(Chirurg. Abtheilung des St. Iledwig-Krankenhauses Berlin.) 

Her Fall von akutem Rotz, den K. beobachten konnte, war 
durch Inhalation einer verstäubten Rot/.kultur entstanden: er be¬ 
gann mit Lungenerscheinnngeu und endete am 12. Tage tödtlich. 
Das Krankheitsbild «ler akuten Rotzinf« ktion schildert K. folgender* 
maassen: Nacli einer Inkubationszeit von 3—ö Tag«*ii Beginn mit 
heftigen Allgemeinerscheintingen und Fieber; die Diagnose ist in 
diesem Studium nicht, zu stellen. .Meist treten dann lokalisirte 
Rotzherde in Haut und Muskeln auf oder es stehen Gelenk¬ 
erkrankungen im Vordergrnn«! in Form von eitrigen Ergüssen 
mit periartikuiären phlegmonösen Entzündungen, ln der Hälfte 
der Fälle bildet sieh gegen Ende der Erkrankung der Nasenrotz 
aus. der als orysipelatüse Schwellung des Nasenrückens atteh 
äusserlieh sichtbar wird. 2—0 Tage vor dem Tode tritt das charak¬ 
teristische. zur Gcschwürsbihlung führende pustulöse Exanthem 
auf. das die Verschleppung der Bacillen übet* den ganzen Körper 
anzeigt. Tod nach 2—4 Wochen. 

4 t (’») mers: Ueber plastische Operationen am Penis nach 
Zerstörungen seiner Hautbedeckungen. (Chirurg. Abtheilung des 
städi. Krankenhauses Charlollenburg.i 

Auf Grund einer eigenen B«*obachtung und des Studiums der 
Literatur kommt C. zu folg«*u«len Resultaten: Bei ausgedehnten 
Verletzungen oder brandigen Zerstörungen der l’enishaut ist nie¬ 
mals die spontane Ausheilung abzuwnrten. sondern st«*ts der Ver¬ 
such einer plastis« hen Deckung des Defektes zu lunchet). Als 
Material zur Deckung kommt in erster Linie «lio Skrotalhaut in 
Betracht: weniger eignet sieh dazu die Bauehhaut. am wenigsten 
<Ji<* Haut der Obi*rs<*h«*nk«*l. Es sind nur gestielte Lappen zu ver¬ 
wenden: oh eiufaeli oder dopp'di gestielt, hängt von «1er Lage <les 
Defektes ab. Di«* Anwendung eines doppelt gestielten, briieken- 
ftörmigen I.app«*ns biet«*t aber in d«*r Regel mehr Aussicht auf 
Erfolg und muss daher, wenn möglich, vorgcz«ig«*n wcr«h*n. 

7 1 Engländer: Ein Fall von uniloculärer Nierencyste. 
(Chirurg. Abtheilung des St. Lnzarus-Spitales in Krakau.) 

Kindskopfgrosse, uniloeuliire Cyste im unt«*reti Xicrciipnl. 
durch Lnpnrotomi«* entfernt. Wand der Cyste aus Bindegewebe 
mit Resten von Nierenparenchym Imstehend, mit einschichtigem 
Epithel ausgeklehlet. 

8i v. B r u n n: Veränderungen der Niere nach Bauchhöhlen¬ 
operationen. (Pathulog. Institut in Güttingen und Chirurg. Univers.- 
Klinik in Berlin.i 

Br. hatte Gel«*genheit. bei 21 Patienten, die nach Batn-hliöhlen- 
operatioiicti gestorben waren, die Nieren mikroskopisch zu unter¬ 
suchen. Er fand meist starke Veränderungen, im Wesentlichen 
in einer Nekrose des Xieivm-pithels bestehend. Boi fast allen 
Fällen mit positivem Nieivnbi-fnnde hatte Peritonitis bestanden, 
die v. Br. «iesshalh für die Xi«*r«*n Veränderungen verantwortlich 
macht. Die letzteren können auch ohne Peritonitis eintreteu, 
ähn«*ln aller im mikroskopischen Bilde stets der Nekrose des 
Nier«*n«*pilln*ls. wie si«* durch schwere Intoxikationen nmlerer Art 
hervorg«*ruf«‘n wird: die Art ihres Auftretens bei der Peritonitis, 
sowohl der Schnelligkeit als der Intensität nach, zeigt, wenigstens 
bezüglich des histologischen Bildes, eine grosse Verwandtschaft 
mit den schwersten Vergiftungen arzneilicher oder anderer Art, 
welche wir überhaupt kennen. 

9t Biirkliarilt: Das Verhalten der A 1 t m a n n’schen 
Granula in Zellen maligner Tumoren und ihre Bedeutung für 
die Geschwulstlehre. (Chirurg. Universitätsklinik Würzburg.) 

Zu kurzem Referat nicht geeignet. 

Kn de Quervain- La Cliaux de Fotnls: Ueber den seit¬ 
lichen Bauchbruch. 

Der 2 jährige Patient de Qu.’s zeigte eine angeblich seit dem 
3. Monat bestehende, kinderfaustgrosse Hernie zwischen linkem 
Rippenbogen und Darmbeinkamm. Bei der operativen Fndlegung 
faml sich eine hochgradige Atrophie sämmtlicher Bauchmuskeln 
im Bereich d«*r Hernie. D«*r als angeborene seitliche Bauch- oder 
Lendcidu-rnie bezeichnet«* Symptonicnkomplcx kann demnach nicht 
nur durch einen congenitalen Defekt der Bauchmuskulatur, son- 
«lern auch dur« h scharf abgegrenzt«* Lähmung mul Atrophie der 
seitlichen Baui-hmuskulatur entstehen. Die T'rsaclio dieser 
Atro|«lii«* führt di* Qu. mit Wahrscheinlichkeit auf eine Erkrank¬ 
ung <l«*s versorgenden Nerven o«l«*r seiner Ursprungsst«*lle im 
Riii-lo-nmark zurück tdttri-h Poliotuyelitis aut. o«l«*r Lu«*s». Das 
klinische Bild dieser Lähmung ist dcmjeuigi*u eines ausg«*d«*hnten 
Muskeldef« , kt«*s so ähnlich, «lass nur die anatomische l'nt«*rsuchuug 
«•in«* sichere Diagnose gestattet 

lll Dehler: Zur Heilung traumatischer Schädeldefekte 
nach Müller-König. (Chirurg. Klinik Würzburg.) 

D. beschri'ibt das Präparat eitles Schädels, bei d«*m vor 
1" Jahren die Deikung eines grossen Kuocliciulcfckt.es im Stirn¬ 


bein durch Hautperiostkimchenlappen vorgenommen war. mit voll¬ 
kommenem Erfolge. D. zieht aus seinen Untersuchungen folgende 
Schlüsse: Grosse traumatische Seliiidehlcfekte sind sekundär zu 
Implantiren. weil die Asepsis sicher garantirt sein muss und weil 
erst, wenn die Granulationen iu's Niveau der Umgebung empor- 
gewuchert sind, eine einigermaassen genügend stützende Unter¬ 
lage für einen grösser«*n Knochen lappen g«*gel>en ist. Eine bereits 
gebildete Narbe soll, wenn möglich, excidirt werden. Die Ivnocheu- 
defektränder sollen ang«*frischt werden. Der Periostknochen- 
lappen «lürfte etwas grösser, als der Defekt ist. zu nehmen sein, 
damit seine Ränder die Defektränder völlig Uberdeckeu. Bei der 
Fix innig «l«*s Lappens ist auf eventuelle Verschiebung durch 
Narheiizug zu achten. Je grösser <l«*r zu trausplantiremle Haut- 
periostknocheiilappeu, desto nothwendiger ist eine kräftige Arterie 
in seinem Sti«*l. Dass auch ln dem Stiel d«*s Lappens eine dünne 
Cortiealsehicht mit dein Periost ln Zusammenhang abgemeisselt 
uiul mit verlagert werde, Ist nicht nötliig. 

12) M aa s s - Xew-York: Die Tuberkulose des Sprunggelenks. 
Nach Beobachtungen der Göttinger Klinik (1875—18921. 

Sehr eingehende statistische Bearbeitung von 1(17 Tuber¬ 
kulosen d«*s Fussgeletiks. Bezüglich der Therapie ist hervorzu¬ 
heben. dass in jeder Beziehung die günstigsten Resultate mit «ler 
K ö n i g'sehen Resektion von 2 vorderen Längsschnitten aus er¬ 
zielt wurd«*n. Genaueres muss im Original nachgelcsen werden. 

13) EI gart: Ueber Indikation und Methodik der Darm- 
wandexcision bei gangraenösen Hernien. (1. Chirurg. Abthellung 
«lcr Land«*skrank«*nanstalt Briinn.) 

E. plaidirt dafür, hei solchen Füllen von gangraenösen Brii- 
elien, hei denen die Gangraen entwe«l«*r nur die Sehntirfurelie 
oder nur di«* Kuppe der eingeklemmten Schlinge an umschriebener 
Stell«* Ix-trilVt. die Darmwand«*xeisi«»n an Stelle der eireuläreii Re- 
Sektion anszufiihren, weil bei letzterer die Stelle des Mesenterial- 
ansatzes immer ein g«*fährlieher Punkt bleibt. Die Methode d«*r 
Einstülpung und Uebernühung der Gangraen will E. auf ganz 
klein«*, streifenförmige und gut deinarkirte Nekrosen beschränkt 
wissen. II e i u e k e - Leipzig. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 14. B«l. 
1. Heft, 

1) E. K r a u s - Wien: Ueber das Zustandekommen der Krebs¬ 
metastasen im Ovarium bei primärem Krebs eines anderen 

Bauchorgnns. 

An 5 Fällen von primärem Krebs verschiedener Bauchorgane 
(Magen. UiM'cutn. Gall«*ngang) mit Metastasen an den Ovarien 
erklärt Verfasser den histologischen Vorgang hei «lcr Entstehung 
; dieser Ei«*fst«>i-ksmctas1asen. Si«* kommen zu Stand«* durch 1m- 
I plantatiou in der Bauchhöhle frei gewordener Kivbspartikel auf 
! dem Epitlud des Ovariums. 

Die Art des Eindringens der Geschwulstzellen in das Inner«* 
der Ovarien von «l« r obcrilä«ln* her ist eine verschiedene. Sie 
liegen entweder auf der Oht*rt1ä«*he der Ovarien fliiehenförmig 
ausg«*lm»itet. oder sie hihlcn Häufelien. dip in den Lücken unil 
Einscukung«*n eingebettet sind. Das Keimepithel ist oft unt« r 
ihnen deutlich erhalten. Die Z«*llauflagernngen können in tot«» 
in die. Ovarialsuhstanz hlneinwuchem oder auf präformlrten 
Bahnen fortsehr«*iten. Dann kommt es auch vor. dass die auf- 
lagernd«*n Krchsz<*llen ohne Veränd«*mng ihres Platzes eine binde¬ 
gewebig«.* Wucherung des unterliegenden Stromes hervorrufen und 
ilann erst sekundär, meist auf dem Wege der Blut- und Lymph- 
bahnen. wcibwwuchem. 

Die begünstigende Bi'dingttng für die häufige Krebsein* 
pllanzuug am Eierstock liegt w«>hl in der Natur «les Keimepithels. 
Die Neigung der Metastasen am Ovarium zur Entwicklung von 
grossen Tumoren gegenüber der Entwicklung der disseminlrten 
Tumorpartikoh-hen am Peritoneum zu oberflächlichen Knötchen 
hat ihren Grund in den histologischen und physiologischen Eigen¬ 
schaft« n der Ovarien, vor Allem in ihrem Lymphgefässreichthum. 

2) A. A m a n n - München: Das polypöse Kystom des 
Ovarium. 

Diippcllmannskiipfgr«>s«er Tumor, aus einem Convolut von 
«hünnwan<lig«*n. zum Theil gestielt mit einander verbundenen 
Blasen besuchend, ähnlich einer Binsenmole von enormer Entwick¬ 
lung. Tube und Ovarium beiders«‘its erhalten. 

Bei der Untersuchung täuschte die Lageverämlerung der 
Blasen Ascites vor. 

Die g«*st ielte traubige Form der Kystome führt A. auf Ent¬ 
stehung aus disseminlrten Ovarialanlagen zurück (Umwandlung 
v<*rsehi«*«h*in*r von einander getrennter Coelomepithelpartien in 
Keimdrüsensnbstanz), während die aus grösseren sogen, aecesso- 
risclien Ovarien sich bildenden Cysten den Typus der gewöhn¬ 
lichen Ovarialkystome erhalten. 

3.i A. R 1 e c k - Altona: Vaginiflxur und Geburt. (Schluss Im 
nächsten Heft.) 

1) S. Stolper- Wien: Ueber Entbindungslähmungen. 

Nach einem Ueberbliek über die in der Literatur bekannten 
Mittheilungen von Entbindungslähmungen theilt Verfasser einen 
Fall mit. hei dem nach Extraktion durch die Zange die Mm. d«*l- 
toides. biceps. brachialis internus, supinator lougus und infra- 
spinatus eines 5*4 kg schweren Knaben gelähmt waren. Eine 
Epiphysoiurennung oder Diaphysenbrueh des Oberarmes wurde 
durch die Durchleuchtung ausgeschlossen. 

Verfasser schliesst die Zang«* als Ursache der Lähmung aus 
und kommt auf Grund von Experimenten an Leichen reifer Kinder 
zu dem Ergebnis«, dass diese Lähmung nicht durch Zerreissung, 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCRE WOCHENSCHRIFT. 


1891 


sondern durch Zerrung und Spannung des 5. und zum Tlieil des 
6. Cervlcalnerven in Folge starken Zuges bei Entwicklung der 
Schultern entsteht. 

5) L. Knapp- Prag: Beiträge zur Geschichte der Eklampsie. 

6) S. N e u w a n u - Ofenpest: Sammelbericht über die im 
Jahre 1899 in Ungarn erschienenen Arbeiten geburtshilflichen 
und gynäkologischen Inhalts. 

W e i n b r e u u e r - Erlangen. 

Ceatr&lblatt für Gynäkologie. 1901. No. 45. 

1) Georg Za nder- Mannheim: Ein Fall von Anus praeter¬ 
naturalis vestibularis. 

Die genannte Missbildung, auch Atresla ani vestibularis oder 
Anus vulvaris oder hymenalis genannt, fand sich zufällig bei einer 
20 jährigen I. Para, die wegen Abort curettirt werden sollte. Die 
Cloakenöffnung lag an der Oommissura posterior, darüber der In¬ 
troitus vaginae. An der Stelle des Anus war nichts zu entdecken. 
Der Coitus muss durch die gemeinsame Oeffnung stattgefunden 
haben. Pat. war übrigens für Stuhl und selbst Flatus kontinent. 

2i II. A. v. G u 6 r a r d - Düsseldorf: Wahre Graviditas inter- 
stitialis. 

Dieselln» betraf eine 38 jährige Frau, die 2 Aborte und 4 nor¬ 
male Geburten gehabt, hatte. Im 3. Monat der 7. Gravidität traten 
Erbrechen und plötzliche Ohnmächten auf. Diagnose: Extrauterin¬ 
schwangerschaft. Bel der Laparotomie fand sich die geplatzte Ei¬ 
höhle i u der Uterussubstanz. Die Höhle wurde von v. G. excidirt 
und die Wundriinder vernäht. Heilung. Das Präparat zeigte, auch 
mikroskopisch, deutlich, dass die Wand dos Sackes nur von IJterus- 
muskulatur gebildet war, in die das Ei sich vollständig „einge¬ 
fressen“ hatte. 

3) Otto G r ö n 6 - Lund: Ein neuer Fall von Facialisparese 
nach spontaner Geburt. 

Ein Analogon zu dem kürzlich von K ehre r in diesem Blatte 
veröffentlichten Fall (ref. in No. 41, p. 18151. G.'s Fall wurde in 
Gesichtslage geboren. Als Ursache fand G. hinter der Symphyse 
eine Exostose, sonst keine Zeichen von Verengerung des Beckens. 
Die Parese war nach 12 Tagen spurlos wieder verschwunden. 

Jaf f 0 - Hamburg. 


Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie. 30. Bd. 

2. Heft. 1901. 



8) F. Katsurada - Okayalila (Japan}: Zur Lehre von den 
sogen. Dermoidoysteh oder Embryoihen des Eierstockes. (Aus 
dem pathol. Institut zu Freiburg i. B.» 

K. beschreibt eingehend 4 Fälle von Derulpidcysten des Ei«»r- 
Ktocks mit derartigen Einschlüssen von Geweben und Organen, 
dass hei der Entstellung derselben alle drei Keimblätter betlu'lligt 
gewesen sein müssen („Embryoue“ nach Will m s). Bemerkens- 
Werth ist der noch nie bisher erhobene Befund von Herz- 
inuskelfasern im Fall 1. Hinsichtlich der Genese stellt sich 
K. auf den jüngst von Bon net vertretenen Standpunkt. 

7) G. Schmort uml Lossen: Zur pathologischen Ana¬ 
tomie der Barlo w’schen Krankheit nebst Beiträgen zur 
Kenntniss der traumatischen Störungen der endochondralen 
Ossiflcation. (Aus dem pathol. Institut des Dresdener Stadt¬ 
krankenhauses Frledrichstndt.) 

Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob irgend 
ein Zusammenhang zwischen Rachitis und Ba rlow’sclier Krank¬ 
heit besteht. Zu diesem Zweck beschreibt Sch. einen Fall von 
reiner B.-Krankheit ohne Spuren von Rachitis mit genauem makro- 
und mikroskopischem Befund: bespricht alsdann die für eine ein¬ 
wandfreie Diagnose der Rachitis nötIngen Kriterien, wobei er 
hauptsächlich auf di»? an allen Skeh>ttheilcu mikroskopisch nach¬ 
weisbare Wucherung der osteoiden kalklos»»n Knoclmnsubstanz hin¬ 
weist (bei oft gänzlich fehlendem makroskopischem Befund!). Nach 
diesen Kriteri«»ii werden dann die von »len früheren Autoren 
angeführten Fälle von B.’s»-her Krankheit auf ihren Zusammenhang 
mit Rachitis hin g»»prüft. l)i»* Thatsaehe. »lass in elnz»»lnen Fällen 
von B.’scher Krankheit sonstige rachitische Veränderungen völlig 
fehlen, dagegen Störungen d»*r eudochondnilen Ossiflcatlon vor¬ 
handen sind, wie sie wohl l»el leichten Raehitisfälleu »»lx»nfnlls 
Vorkommen — diese Thatsaehe suchen Sch. u. L. auf experimen¬ 
tellem Wege zu erklären. 

8) J. A. Grober: Die Resorptionskraft der Pleura. (Aus 
der modle. Universitätsklinik zu Jena. Dir. Prof. Dr. Stintzing.) 

G. veröffentlicht liier im Anschluss an seine interessante Ab¬ 
handlung über „Die Infektlouswege der Pleura“ (Aivh. f. klin. 
Med. Bd. 08, S. 200) nunmehr seine umfassenden Untersuchungen 
über den anatomischen Bau und über die Resorptiouskraft der 
normalen wie der pathologisch veränderten Pleura. Seim» Ergeb¬ 
nisse fasst G. selbst zusammen in folgende Schlusssätze: 1. die 
Pleurahöhle steht mit den Lymphgefiissen in direkter Verbindung 
(Stomata); 2. die gesund«» Pleura resorblrt Fr»»m«lkörp»»r uml 
Flüssigkeiten und zwar für Jedes Thier eine seiner GWisse ent¬ 
sprechende Menge in einer gewissen Zeit; 3. die Resorptiou wird 
bewirkt sowohl »lurch Diffusion und Osmose als auch durch die 
Athmungsbcwegungcn (s. Orig.!): 4. die Resorption der entzündeten 
Pleura ist bedeutend verringert und 5. die gesunde Pleura kann 
gewisse Mengen lebender Mlkroorganisim»n und deren Toxine, ohne 
zu erkranken (!) so resorbiren, »lass dieselben im Körper unschäd¬ 
lich gemacht werden können. Der entzündeten Pleura f»»hlt »lies»» 
Fähigkeit. 

9) D. P. Kisch ensky: Primärer Plattenepithelkrebs der 
Nierenkelche und Metaplasie des Epithels der Nierenkelche, 


des Nierenbeckens und des Ureters. (Aus »lein pathol. Institut 
der kaiserl. Universität zu Moskau.) 

Kasuistische Mittheilung eines derartigen seltenen Falles; es 
handelte sich um eine inültrirende Form »1er rechten Niere mit 
ausgedehnter Verhornung und sekundärer Verkalkung der Horn- 
perlen; daneben bestand ausgesprochene epidermisähnliche Meta¬ 
plasie der Schleimhaut des Nierenbeckens, der Kelche, sowie des 
rechten Ureters; »lie Blase, sowie der linke ITreter zeigten 
hochgradige Entzündung ohne Epithelmetaplasie. Iv. fügt die 
ganze beziigl. Literatur ausführlich bei. 

10) W. Türk: Untersuchungen zur Frage von der para¬ 
sitären Natur der myeloiden Leukaemie. (Aus der II. medi<». 
Universitätsklinik zu Wien. Dir. Hofrath Prof. Neusser.) 

Entgegnung auf die Monographie und die Streitschrift 
Löwit's; auch in vorliegender Arbeit sucht T. den völligen Be- 
weis dafür zu erbringen, dass die Haeinamoeben der Ltmkaemia 
magna nur Kunstproduktc sind. Im 2. Theil berichtet T. über die 
von ihm und l)r. v. Decastello ang«*st»*llten Uebertraguugs- 
versuehe myeloider Leukaemie auf Kaninchen, die ganz analog 
den Löwit’sclien Versuchen unternommen, sä mint lieh ne¬ 
gativ austielcn. 

11) A. Dietrich: Bemerkungen zu der Arbeit von 
K. Sudsukl: „Ueber die Pathogenese der diphtheritischen 
Membranen“. (Aus dem pathol. Institut zu Tübingen.) 

Erwiderung. H. Merkel- Erlangen. 


Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 15, 1901. 

1) Schilling- Kleinpopo (Togo): Bericht über die Surra- 
Krankheit der Pferde. 

Es handelt sich um 3 Fälle von Surrakranklieit hei Pferden. 
Die charakteristischen Symptome: Abmagerung, Schwellung der 
Testlkel. des Penis, der Fussgeleuke und eine strangförmige, an 
der Hautfalte zwischen den Vorderbeinen bis in die Mittelbnucb- 
gegeml sich hinziehend»» Schwellung zeigte sich bei allen Thieren; 
he! einem Pony fiel ausserdem der schwankende Gang »les Thier*»« 
auf. Merkwürdig ist die Fr«»sslust. die l>ei den Thieren trotz »ler 
zunehmenden Abmagerung bis zum To»le anhält. Die Sektion 
zweier Thier«» ergab ausser einer hochgradigen Anaemie nichts 
Besonderes. Das Blut enthielt ziemlich viele 1 e 1» li a f t b e w e g- 
liehe T r y p a li o s o m e n. 

Impfversuche mit parasitcnhaltigem Blut wurden bei Pferden. 
Esel. Rind, Hund und Schweinen angestellt. Schweine re- 
nglrti»n nicht. Pferde waren am empfindlichsten; die Erschei¬ 
nungen nach der künstlichen Infektion waren aber ander»», wie l»ei 
der natürlichen Infektion. Es fehlten namentlich die Oedeme, 
so dass Verf. annimmt, dass die Parasiten, so wie si»» beim Tode 
des l’f«*rd»»s gefunden werden, nicht auf dasselb»» übertragen 
werden. 

Als Ueherträgcr der Krankheit wird di»* Tsetsef 1 leg«» lx»- 
schuldigt. Im Schutzgebiet Togo kommt sic im Ktistenstreifen 
nicht vor, 3 km von der Küste entfernt jedoch häutig. 

2» E m m e r i c li und L ö w: Ueber biochemischen Anta¬ 
gonismus. 

Im Gegensatz zu Ehrlieh's Hypothese stellen die Verf. für 
die theoretische Erklärung der Immunität eine neue Theorie auf. 
welche mehr auf bekannten chemisch-physikalischen Thatsacheu 
fasst. Es handelt sich im Prinzip darum, dass cs gewisse sog. 
racemisehe, <1. h. optisch inaktive, Substanzen gibt, welche 
unter lH?sonder«»n Bedingungen in die beld»»n optischen Antipoden 
wieder zerlegt werden können, von denen dann die eine oder «li»» 
ander»» Modifikation im Organismus besonders physiologisch ver- 
werthet und ausgeiiützt würde. In Betreff der Einzelheiten muss 
auf »las Original verwiesen werden. 

3) A. Loos-Cairo: Notizen zur Helminthologie Egyptens. IV. 
Ueber Trematoden aus Seeschildkröten der egyptischen Küsten. 
(Schluss folgt.) 

4) L. Hei m - Erlangen: Zum Nachweis der Choleravibrionen. 

Um ein«» liessen» H ii u t c b e n b 11 d u n g und eine Intensivere 

ludolreaktion bei CholeraVibrionen zu erzielen, stellte sieb 
Verfasser eine B 1 u t a b k o «• li u n g dar, die entweder aus 
fris«-hem Blut oder Bluteoagiilum bereitet werden kann. Die 
II ii u t c h e n b 11 <1 u n g gelingt, wenn man zu 200 ccm Wasser, 
welches rholeravlbrionen enthält, 4 g Pepton uml 2 g Kochsalz 
und ca. 50 ccm Blutdeeoct hinzufügt Bel 37 0 erscheint nach 
24 Stunden das Häutchen. Die I n d o 1 re a k t i »> n wird ebenfalls 
in Blutdeeoct stärker. Auf Agar-Gehitine-Blutnährb»*den ged«‘ilieii 
die Cholernkolonien üppiger, doch scheint die Lebensfähigkeit der¬ 
selben zu leiden. R. O. N e u m a u n - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 45. 

1) F. Martins- Rostock: Die Vererbbarkeit des constitutio- 
nellen Faktors der Tuberkulose. 

Vergleiche das Referat pag. 1763 der Münch, med. Woeheu- 
sclir. 1901. 

2) A. W o 1 f f - Berlin: Untersuchungen über Pleuraergüsse. 

In diesem 2. Theile seiner Publikation bespricht Verfasser 

dl«» D»»g(‘ii«»i*at.ioiiserseheiiuing»»ii in den pleuritlsch»»n Exsudaleii 
und kommt unter B«»rüeksichtigung der B«»funde einer grösseren 
Reihe anderer Autoren zu folgenden Feststellungen: Die h»*rr- 
scheude Lehre, dass die Exsudatzellen zu fettigem Detritus zer¬ 
fallen und dann resorblrt werden, entspricht nicht «len Tliat- 
saclien. Das Fett In d»»n Leukocyten ist spärlich und mit keiner 
bekannten Fettart zu Identificireu. Es zeigt besondere färberische 



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1892 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


Eigenschaften. Das Fett in (len Pleuraergüssen verdankt, seine 
Entstehung einem dcgenerativen Vorgang. Die glykogenlge Ent¬ 
artung ist häutig, sie kommt nur bei frischen, sonst noch wenig 
veränderten Zeilen vor. Es scheint ein Gegensatz zwischen gly- 
kogeulger und fettiger Entartung zu bestehen. Ein diagnostischer 
Werth kommt nur der morphologischen rntersuclning zu, nicht 
auch der der Degenerationszustiinde. 

II) K. (I umbertz: Ueber doppeltes Bewusstsein. 

Ufr. den Bericht der Münch, med. Woehensehr, über die 
Sitzung der Herl. med. (Jesellsch. vom 20. März l'.HH, No. 13 der 
Münch, med. Wochensehr. 

4» I\ B a u m g a r t e n - Tübingen: Ueber die pathologisch¬ 
histologische Wirkung und Wirksamkeit des Tuberkelbacillus. 

(Schluss folgt.» (J ra s s m a n n - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 45. 

1) Carl B ec k - Xcw-York: Die Operation der Hypospadie. 

ln genialer Weise löst B. das schwierige Problem der Schaffung 

einer den normalen Verhältnissen entsprechenden Urei hm. welche 
durch die bisherigen Methoden von I> n p u y t r e n bis T li i e r s c li 
nur in seltenen Fällen in wirklich befriedigender Weise gelungen 
war. Anstatt eine neue Harnröhre zu creiren. bedient er sich 
unter Benützung der durch die Erektion bedingten Mobilisations¬ 
fälligkeit der Harnröhre, löst sie los und dislocirt sie nach vorn. 
Dies das Prinzip der Methode: auf Details, die nach dem Grade 
der Hypospadie wechselt), kann hier nicht näher eingegangen 
werden, die Resultate sind selbst in hochgradigen Fällen sowohl 
in kosmetischer wie in funktioneller Beziehung sein* gute. 

21 Uli 1 e n h u t li - Greifswald : Die Unterscheidung des 
Fleisches verschiedener Thiere mit Hilfe spezifischer Sera und 
die praktische Anwendung der Methode in der Fleischbeschau. 

In Verfolgung seiner bekannten Untersuchungen kommt I 7 . 
zu dem Ergehniss, dass es durch Anwendung spezifischer, durch 
Bluteinspritzungen hei Kaninchen erzeugter Antisera gelingt, auch 
die betreffenden Fleischsorten zu erkennen, was bei der Prüfung 
von Hack Heisch z. B. auf Beimengung niindenvcrthiger Flclsch- 
sorten (Pferde-. Hunde- und Katzenfleiscli) von praktischer Wich¬ 
tigkeit ist. Bei gekochten Wurst waaren versagt die Methode, da 
die reaktionsfähigen Eiweisskürpcr durch (len Koehproecss ver¬ 
ändert werden, bei Hauclierwaaren dagegen lässt sie sieh mit Er¬ 
folg verwenden. 

3) L. J o res- Bonn: Ueber eine seltene Form der Leber- 
cirrhose. 

Krankengeschichte und Sektionsliefund eines Falles von ziem¬ 
lich akut verlaufener Lebereirrhose. deren Aetiologle unter Aus¬ 
schluss eines alkoholischen oder tuetiselien Ursprungs auf ein seit 
längerer Zeit, liesteliendes Magen leiden zurückgeführt wird. 

4) Iv. Sh iga-Tokio: Studien über die epidemische Dys¬ 
enterie in Japan unter besonderer Berücksichtigung des Bacillus 
dysenteriae. (Schluss aus No. 43 u. 44.) 

Vorliegende ausführliche, aus dem Institut für Infektions¬ 
krankheiten in Tokio hervorgehende Abhandlung gliedert, sieli in 
14 Abschnitte, in welchen die Morphologie, das kulturelle Ver¬ 
halten. die Lebensfähigkeit, das Vorkommen der DysenteriebacIUen 
beim Kranken und ihr Verhalten zum Blut der Ruhrkranken: die 
Beziehung des Agglutinationsvermögens des Blutes zuin Krank- 
lieltsproeesse der Dysenterie, ferner die bakteriologische Diagnose 
und die Serumtherapie, sowie die Bedeutung dos Dysenterie- 
baelllus als Erreger derselben mehr oder minder eingehend be¬ 
sprochen wird. Zum Schlüsse finden sieh noch statistische An¬ 
gaben ülK*r die Dysenterieepidemie in Japan, eine Ueberslcht über 
Symptomatologie und Pathologie, Bemerkungen über die Diffe- 
rentialdiagnose der epidemischen und der sogen. Amoebeudysen- 
terle und Vergleichung des Krus e’schen. Simon F 1 e x n e r’selien 
und S 1» i g a’sehen Dysenterielmeillas. 

“») H. S trau ss-Berlin: Zur Funktionsprüfung der Leber. 
(Schluss aus No. 44 der Deutsch, med. Wochensehr.) 

Nach einem am 1. Juli 1901 im Verein für innere Medicin ge¬ 
haltenen Vortrage. Referat siehe diese Wochenschrift No. 28, 
pag. 1156. 

6) Durl a e her - Ettliugen (Baden): Ueber einen Fall von 
Uterusruptur mit Durchtritt des abgeschnittenen Kopfes in die 
Bauchhöhle, mit einigen epikritischen Bemerkungen. 

Kasuistische Mittheilung. F. Lacher- München. 

Oesterreiohisolie Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 45. 1) S. Klein-Wien: Ueber Cataracta diabetica. 

Bel Diabetischen können zwar verschiedene Formen von 
( utarnet Vorkommen, doch hat eine derselben eine gewisse patlio- 
guomonische Bedeutung, wie sieh Verfasser an einer Anzahl von 
Füllen Ultcrzcugen konnte. Es ist dies eine hintere Polar- und 
(’ortiealentarnet, vollkommenster Ausbildung. Aelinllehes kommt 
nur noch Ihm gleichzeitiger Retinitis pigmentosa vor. welche dann 
im einzelnen Falle leicht ausztisehliessen ist. Eine ähnliche Ent¬ 
wicklungsart des grauen Stars ist auch lx*i der senilen Cataract 
zu beobachten, doch beginnt hier die Entwicklung an der vor¬ 
deren C’ortiealis. 

2) S. J e 11 i n e k - Wien: Elektricität und Chloroformnarkose. 

Gelegentlich seiner Studien über die Wirkling hochgespannter 

elektrischer Ströme auf den menschlichen Organismus konnte J. 


beobachten, (lass Kaninehen, die er sehr tief ehloroformirte, so 
dass sie dem Tode nahe waren, sieh unter Eintreten starker 
Krämpfe wieder erholten, sobald er einen sehr starken Strom 
durch ihren Körper leitete. Der hochgespannte Wechselstrom 
erwies sieh als direkt lelH*nsrettend. Therapeutische Schlüsse 
möchte Verfasser hieraus noch nicht ziehen. 

3) J. Preindelsberger - Sarajevo: Zur operativen Be¬ 
handlung des Ileus. 

Im ersten der mitgetheilten Fälle war die Incarceration durch 
Stränge bedingt, deren Aetiologie auch durch die Sektion nicht 
klnrgestellt wurde: der Kranke war ein 15 jähriger Kuala*. Im 
zweiten Falle handelte es sieh tun eine Invaginatlon des (’oecunis 
und Achsendrehung desselben; auch dieser Fall endete letal. Im 
3. Falle bestand lad dem 65 jährigen, durch die Erkrankung und 
den Transport, sehr heruntergekommenen Patienten eine Torsion 
der Flexnr. Dieser Fall endete mit Heilung. 

Im Anschluss an einen mit Erfolg operirten Fall la*sprielit der 
Verfasser ferner eine Modifikation der Strumadislocation nach 
Wölf ler. P. exstirpirte l>el der 23jälir. Kranken den rechten 
Lappen der Struma, machte dann den linken nach Unterbindung 
der Art. thyreoidea sup. aus seinem Bette ganz frei und dislocirte 
denselben na eh vorne und median. Hier erfolgte ungestörte Elu- 
heilung. Nach einiger Zeit liess sieli eine Schrumpfung des dis- 
loeirten Lappens naehweiseu. 

4) I\. Fürth-Wien: Akuter Jodismus unter dem Bilde 
einer mumpsähnlichen Erkrankung. 

Die 52 jährige Patientin hatte von einer Jodnatriumlösung 
(5:130) einige Zeit ohne jede Nebenwirkung Gebrauch gemacht, 
bekam aber später plötzlich Fieber. Herzklopfen und eine 1h*- 
trüchtliehe Anschwellung der Speicheldrüsen; auch die Plicac 
linguales waren angeschwollen. Nach 5 Tagen war die Affektiou 
vorüber, deren Zusammenhang mit der Joddarreiehung späterhin 
noch dadurch sichergestellt wurde, dass auf erneute Jodeinnalunc 
der ganze Symptniucukomplcx nochmals, nur schwächer, wieder 
eintrat. Diese Form des Jodismus gehört zu den Seltenheiten. 

G r a s s m a n u - München. 

, ' »r * 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 40 bis 42. ('. Paraseandolo und E. Marchese: 

Das Curettement der Blase als Behandlungsmethode der Cystitis. 

Nachdem sie sieli eingehend über Aetiologie und Therapie der 
Cystitis verbreitet, besprechen die Autoren das Curettement. (las 
('um bst on in 10 Fällen am Menschen mit gutem Erfolg vor- 
geuommen hat. Sie haben es in analoger Welse an einer Anzahl von 
Hunden, bei denen sie auf verschiedene Welse eine eitrige Cystitis 
hervorgerufen, ausgeführt, und zwar, wie die Harnbefunde er¬ 
gaben. mit ebenfalls guter Wirkung. 

No. 40 bis 42. J aoobi - Klausenburg: Ueber die Wirkung 
des Heroins. 

Das Heroinum purum ist ein vorzügliches hustenstilleudesMittel, 
besonders bei den seit Monaten oder Jahren lK*steheuden, mit star¬ 
kem Husten verbundenen Erkrankungen, wo es öfters in halb so 
grossen Dosen rascher wirkte, als das lange hindurch gegebene 
Morphium. Eine gewisse Gewöhnung tritt auch bei dem Heroin 
ein. doch erweisen sieh nach einigem Pauslren die früheren Dosen 
wieder wirksam. Am meisten indleirf. dürfte es bei Tuberkulösen 
sein. Auf die Ilerzthntigkeit scheint es keinen Einfluss zu haben. 
Von Nebenwirkungen ist. es nicht frei, schon nach 0.005 sah J. 
leichte Intoxikationscrseheintingen auftreten. Man beginnt daher 
am besten mit 0,005 pro dosi und höchstens 0,02 pro die. 

P. B a u m g a r t e u - Tübingen: Ueber experimentelle 
Lungenphthise. 

Man hat bisher geglaubt, dass auf exjieriinentellein Wege nur 
das Bild der Miliartuberkulose, nicht das der Phthise erzeugt wer¬ 
den könne. Und doch hat B. neuerdings bei Einführung von 
Tuberkelhacillen durch die unverletzte Harnröhre und Blase an 
Versuclistliiereu Lungencavemen in typischer Welse in den 
Lungenspitzen auftreten sehen. Die drei Haupttypen der Tuberku¬ 
lose, akute Miliartuberkulose, akute käsige Pneumonie und chro¬ 
nische nlceröse Tuberkulose (Phthise) sind ülierhaupt nicht ganz 
scharf umschrieben, sondern gehen ln zahlreichen Kombinationen 
in einander über. Für die herrschende Annahme, dass die Tnlier- 
kulose durch Inhalation entstehe, sind sichere Beweise überhaupt 
noch nicht erbracht, sie muss vielmehr als sehr zweifelhaft er¬ 
scheinen. Mehr und mehr wird eine liaematogcne Ent¬ 
stehung für die grosse Mehrzahl von Tuberkuloseerkrankungen 
wahrscheinlich, wie dies jüngst auch Aufrecht für die Lungeu- 
phthlse ausgesprochen hat. 

v. Basch: Eine neue Modiflcation der Pelotte meines 
Sphy gmomanometers. 

v. B. hat der Pelotte mehr die Form des R I v a - R o c c i’schen 
Ringes und der v. R e c k 1 i u g li a u s e n’schen Manschette ge¬ 
geben und findet, dass diese Modiflcation Aerzten wie Laien die 
Ausführung von Blutdruckmessungen erleichtert. 

Druse h e - Wien: Ueber Herzgeräusche. 

Ein eigeuthümlich schwirrend-schnurrendes Geräusch au der 
Herzspitze bei einem So jährigen marantischen Patienten fand 
erst durch die Obduktion seine Erklärung. Es ist jedenfalls aus- 
gegangen von zwei kurzen 4 bezw. 7 mm langen Strängen, welche 
neben anderen perikarditischen Verwachsungen, welche frei von der 
Herzspitze nach dem Perikard hiuübergespannt waren. Durch die 
Systole wurden sie angespannt und in Schwingungen versetzt. 


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19. November 1901. MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1893 


Ferner beschreibt 1>. 3 Fälle von Aorteninsufficienz mit linisi 
kalisehen Ilerzgerüuschen. Bei dem einen ist die Erklärung nicht 
mit Sicherheit zu geben, bei den anderen zweien lag eine Kluppen¬ 
ruptur an der Aorta vor — bei dem einen durch die Obduktion er¬ 
wiesen, bei dem anderen nach den klinischen Erscheinungen an¬ 
genommen — und ist in dem Flottiren eines losgerisseuen Ivlappen- 
fragmentes die Ursache des (Jeräusehes zu suchen. Schliesslich 
gibt D. das Resultat chronoskopisclier Untersuchungen über Ilerz- 
gerüusclie, die er vor langen Jahren ohne die modernen Hilfsmittel 
augestellt hat. Er fand bei eiuom kräftigen Taglöhner ein dia¬ 
stolisches Aortengeräusch in der Dauer von 0,54 Sekunden, die 
Länge der Systole 0,30 Sekunden. Die Resultate stimmen gut zu 
deueu der modernen Untersuchungen von Krau s. 

A. Steruthal - Braunschweig: Ueber eine neue Röntgen¬ 
röhre, nebst Bemerkungen über Radiumwirkungen. 

Verfasser ist, wie er des Näheren darlegt, zu der Anschauung 
gelangt, dass das Wesentliche der Röntgentherapie in einer elektro¬ 
chemischen bezw. elektrolytischen Wirkung besteht. Wie die An¬ 
wendung zu starker elektrischer Ströme ein Felder ist, ist dies 
auch bezüglich der viel zu grossen, z. Zt. allgeniein gebräuchlichen 
Röntgenröhren der Fall. Daher ihre unerwünschten starken, 
zum Theil deletären Wirkungen auf die Oe webe. Er verwendet 
desshalb eine näher beschriebene kleine Röhre, welche ohne schäd¬ 
liche Nebeueffekte und auf schärfer umschriebene kleine Gebiete, 
freilich auch erst in längerer Zeit ihre Wirkung ausübt. Auf die 
weiteren klinischen Details kann hier nicht eingegangen werden. 

J. C o e r t - Haag: Die Unterleibsbrüche und die Unfall¬ 
versicherung. 

Bei der grossen Schwierigkeit, einen traumatischen Bruch von 
einem nicht traumatischen zu unterscheiden empfiehlt C., dass für 
Brüche eine Spozialversiehorung, unabhängig von der Art ihrer 
Entstehung, als Nachtrag zur allgemeinen Unfallversicherung ein¬ 
geführt werde. 

H. B u r g e r - Amsterdam: Das Ohr und die Lebensversiche¬ 
rung. 

Von der Versicherung ausgeschlossen sollen werden: 1. die 
Fälle, die mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit als Atticus- 
oder Antrumeiterungen zu deuten sind. 2. Die Tuberkulose und 
«las Cholesteatom. 3. Fälle nachweisbarer oder vormuthlielicr 
Carles oder Nekrose. 4. Facialisparalyse bei bestehender Eiterung. 
5. Nicht gehellt«? Entzündung mit Schwindelanfälleu, wie«lerliolten 
Ohrenschmerzen «xler erheblicher Verengerung des äusseren Ge- 
hörgang«‘s. Ji*«le chronische Entzündung an»l«*r«*r Art soll nach 
Gutachten eines Spocinliston mit ITneini«*nerhöhung angenommen 
worden. 

Bei den Folg«'ii chronischer Mittelohivntziindung, Schwerhörig¬ 
keit und Schwindel ist ebenso zu verfahr«*». 

Wiener medicinische Presse. 

No. 42 und 43. H. S t r c b e 1 - München: Die Brauchbarkeit 
des Induktionsfunkenlichtes ln der Therapie. 

Der Imluktionsfunkon ist eine ergiebige Quelle ultravioletten 
Lichtes. Zur Verwemlung zieht St. die Leydeuerfiasche in Ver- 
bimluug mit einem eigenen Knpselapparat heran oder «lie stillen 
Entladungen der Hoehspnnnnngsstrüme «»der «l«*n Primärfunken, der 
vom W a g n e r’sclieti Hammer geliefert wir«l. Das Wirksame ist 
«lie bncterlcide Eigenschaft «1er Ultraviol«*ttstmhl«*n. Als Heilungen 
führt St. an je einen Fall von Psoriasis, Sykosls, Herpes tonsurans. 
nässendem Ekzem, Otorrhoe nach S«*harlach. Fluor albus und 
Erosionen (Vagiualbestrnhhing), Metritls chronica (intrauterine Be¬ 
strahlung), luetische Rhagaden am Anus, zwei Fälle von «*liro- 
nIsolier Gonorrhoe beim Manne. Sehr gute Wirkung sah er bei 
Uuterschenkelgeseliwüren. 

No. 43. L. G e i r i n g e r - Wien: Therapeutische Er¬ 
fahrungen mit Heroin. 

Das Horoinum hydrochlorleuin wirkt, besonders mit C« Klein 
verglichen, sehr gut zur Beseitigung von Husten und Athemuoth. 
lwsitzt auch dem Morphin gegenüber Vorlheile, führt kaum zur 
Angewöhnung und nur ausnahmsweise zu ungünstig«*!» Neben- 
ci*sc)ieinungcn. B e r ge a t - München. 

Englische Literatur. 

RndclifTo Crocker und G. Pornet: Ueber einen Fall von 
Epitheliom nach Arsenik-Keratosis. (Bilt. Med. Journ., 2K. Sept. 
1901.) 

Ein OOJiihr. Mann, d«»r seit langen Jahren an Psoriasis litt, 
seit 38 Jahren aber kein Arsenik mehr genommen hatte, erkrankte 
an einem Geschwür, das am Ulnarrande «1er rechten Hand sass; 
in der Nähe befanden sich zwei kleinere Geschwüre und einig«* 
warzige Gebilde, die Haut, im Allgemein«*» war verdickt. Di«* 
Excision war von einem R«*ci«llv gefolgt, «las einen grösseren chir¬ 
urgischen Eingriff nöthig machte. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung dos excidirten Hautstückes ergab Wucherung der Staeliel- 
zellen und beginnende Einwanderung in «las Corium, ferner Kera- 
tosis und Akanthosis mit epith«*llalen Wucherungen und klein¬ 
zelliger Infiltration der papillären und tieferen Schichten des 
Corlums. Namentlich an den Sei»weissdrüsen fanden sich zahl¬ 
reiche Mastzellen. Die Verfasser sind davon überzeugt, dass sie 
es mit einem der seltenen Fälle zu tlmu haben, in denen Keratosis 
und Carcinombildung nach Arsenikgebrauch Auftreten. Merk¬ 
würdig ist das lange Zurückliegen des ArsenIkgebrauches. 

Herbert S n o w: Die Behandlung weit vorgeschrittener 
Lupusfälle. (Ibid.) 


Während liel kleineren Flächen «lie Excision die beste Be¬ 
handlungsweise ist. muss man bei grösseren zur Auss«*habung 
schreiten; zur nachfolgend«*» Aetzuug hat siel» «lern Verf. am 
meisten ein Umschlag mit J«Hlliniinent bewährt, der ülH»r Nacht 
liegen bleibt. Unter dieser Behandlung, der Sullien verbände 
folgen, heilen auch «lie hartnäckigsten Lupusgesehwüre. selbst 
solche, die oft vergeblich mit «lern Thermokauter behandelt wurden. 
Bei gleichzeitigem Befallensein von Haut und Schleimhaut wird 
letztere nach der Ausschabung mit Eiseuclilorid behandelt. 

John M a c k i e: Chloraethyl als allgemeines Anaestheticum 
bei Nasenoperationen. (Ibid.) 

Verf. hat «las als „Kelene" bekannte Präparat 48 mul mit 
bestem Erfolge angewendet. Die Maske muss dem Gesi«*ht luft¬ 
dicht unliegeu und das Kelene etwa eine Minute lang fortwäliretul 
aufgespritzt werden. Operationen iu der Nase können dabei völlig 
blutleer gemacht werden, nur müssen die Nasenh'icher nachher 
fest tamponirt werden, du sonst lei«*ht heftig** Nachblutungen 
uuftreten. 

A. E. W r i g h t: Die Veränderungen der bactericiden Eigen¬ 
schaften des Blutes, welche durch antityphöse Impfungen er¬ 
zeugt werden. tLanc«*t, 14. Sept. 1901.) 

Veif., der sich bekanntlich seit langer Zeit mit diesem G«*g«*n- 
stande beschäftigt un«l nach «lesseti M«*tliode zahlrelclu* Soldaten 
geimpft wurdtM», hat gefunden, «lass nach einer Im]>fung, welche 
die bekannten, ziemlich schweren Störungen «l.*s Allgemeinbefindens 
hervorruft, eine Periode der abgeschwächten hak (erleiden Eigen¬ 
schaften des Blutes folgt und eine dadurch bedingte grössere Dis¬ 
position zur Erkrankung. Nach etwa 3 Wochen folgt eine Ver- 
mehrting «ler baktericiden Eigenschaften des Blut«*s und eine <la- 
durch bedingt«* grössere Widerstandsfähigkeit gegen Typhus. 
Nimmt man zur Impfung so viel Vaccine, dass sehr schwere all¬ 
gemeine Störungen auf treten, so folgt «ler Periode «ler Ahsrhwäch- 
ung überhaupt keine Zeit der erhöhten baktericiden Eigenschaften. 
Impft man dagegen mit so wenig Vaccine, dass Störungen des 
Allgemeinbefindens gera«le vermietlen werden, so folgt sofort, meist 
schon nach 24 Stunden, eine grössere Widerstandsfähigkeit gegen 
Typhus. Praktisch folgert daraus, dass Impfungen mit grösseren 
Dosen zu vermeiden sind und zwar ganz besonders während einer 
Epidemie, <la sie die Disposition erhöhen. Es sind dagegen Impf¬ 
ungen mit geringen Mengen zu empfehlen, «lenen bald eine Impfung 
mit grösser«*ii Mengen zu folgen hat. Findet mail bei <*lnem 
Kranken, «ler Typbus Überstauden hat, l»ei Untersuchung «l«*s 
Blut«»s eine «ler Norm nicht entsprechende bakterichle Eigenschaft, 
so kann und soll inan dies«*lbe durch Impfung mit Antityphus- 
Vaeclnc erhöhen, besonders hat «li«*s zu g«»s<*li«*lien, wenn <l«*r 
Kranke einer n«*uen Ansteckung ausgesetzt ist. Hat «lugegen «las 
Blut schon ülternormale baktericide Kig«*ns«*hnft<*n, so lassen sich 
dieselben durch die l>eschriel)*>iu*n Impfungen ni<*ht mehr erhöhe». 
(Im Anschluss an diese Arb«*it sei an die sehr verschiedenen An¬ 
sichten erinnert, «lie in Südafrika thätige Aerzte über «len Werth 
der Schutzimpfungen geäussert haben. Manche erklären sie «llrekt 
für schädlich und haben beobachtet. dass frisch geimpfte Soldaten 
leichter inüzirt wurden, als andere, eine Bt*obaolituiig. «lie «lur«*l» 
«las olH*n Gesagte verständlich wir«l. Refer.) 

Wharton: Die Verwundungen der venösen Hirnsinuse. 
(Annnls of Surgery, Juli 1901.) 

(»«•stützt auf ein Material von 70 Fällen, das aus verschie¬ 
denen Quell«*» stammt (5 eigene Beobachtungen), kommt Verf. zu 
folgenden Schlüssen: Di«* g«*naiiiiten Wrwundungen sind als sehr 
schwere Verletzungen anzusehen, «In äussere od«*r innei-e Blu¬ 
tungen, sowie Sepsis häutig zum Tode führen. Bes«»nd«*rs sind 
septische Thromliose mit nachfolgender Pyaemie zu fürchten: am 
besteu wird die Blutung durch aseptische Tamponade gestillt; die 
Unterbindung des Sinus ist schwierig und oft unausführbar, «la 
«ler Zugang nicht gr«>ss genug ist. Seitliche Ligaturen «nl«*r di«* 
Naht der Sinuswunde sind 1 k* 1 kleiner«*». l«*i«*ht zugänglichen 
Wunden zu versuchen, tlic Dauerklemmen haben keinen Vorzug 
vor der Tamponade. 

Porter: Ein Fall von Sarkom der Bruatwand. Entfer¬ 
nung von 3 Bippen und einem Theile des Zwerchfells. (Ibid., 
August 1901.) 

Verf. führte bei dem 41 jälir. Manne die präliminäre Trach«*«»- 
tomie aus, um Im En lie des Collapses der Lunge dieselb«* sofort 
aufblasen zu können. Der Tumor, der von der 7., 8. und 9. Ripp«* 
ausging, erstreckte sich weit in den Pleuraraum hln«*in und hatt«* 
auch «las Zwerchfell ergriffen. Das Zw«*rchf«*ll wurde il<‘sshalh 
zum Theil entfernt und «las gross«* Loch, durch weleln*s sofort 
Därme ln <l«*n Pl«*uraraum sich drängt«*», wurd«* durch Naht ge¬ 
schlossen. Der Tumor, ein Riescnzollensarkom. war nach 1(5 Mo¬ 
naten noch nicht reoldivirt. 

Charl«*8 II. Garland: Die Post und «lie Verhütung der 
Tuberkulose. (La licet, 14. Sept. 1901.) 

Gestützt auf die 10 jährigen Beobachtungen einer lediglich 
aus Postbeamte» bestehemlen Versicherungsgesellschaft von 
19180 Mitglie«lern weist Verf. nach, dass die Sterblichkeit an 
Tuberkulose unter den Angestellten der Post auffallend gross ist. 
Während von 1000 Personen der allgemeinen Bevölkerung jähr¬ 
lich nur 1,3 an Phthise sterben, verliert die Post von 1000 ihrer 
Angestellten 2.4. Von 100 Todosfäll«*»» unter Sortirern und T«*le- 
graphisten sind 45.4 auf Phthise zurückzuführen. Diese Zahlen 
werdeu dadurch noch be«leutsamor, dass die Beamten, ehe sie in 
den Postdienst eintreten, sich einer ärztlichen Untersuchung unter¬ 
ziehen müss«*n; dass also die Loben eigentlich gegenüber «ler Ge- 
samintbevölkerung auffallend gut sin«l. Verf. führt diese hohe 
Krnnkheltsziffer einmal auf bestimmte ungesunde Bes«*häftigung«*u 
lm Postdienst, dann aber auf das Fehlen aller Vorsichtsmaass- 


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1894 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


regeln im Hauptpostgebäude zu London zurück. Kranke und 
Gesunde leben zusammen in schlecht ventilirten Räumen, nirgends 
wird vor Spucken gewarnt oder die Kranken sonst über ihr Leiden 
aufgeklärt. Kranke und (Jesunde sollen über die (Jefahr des 
Spuckens aufgeklärt werden und die Postverwaltung muss den 
Kau von Sanatorien in die Hand nehmen, wie dies in Frankreich 
bereits geschehen ist. 

S. Snell: Cuprol in der Behandlung der Körnerkrankheit. 
(Ibid.) 

Cuprol. ein uucleinsaures Kupfersalz, wird als Pulver in den 
Conjunctivalsack eingestäubt. Es wirkt nach Yerf.'s Erfahrungen 
ebenso gut wie der Kupferstift, ohne dessen unangenehme Neben¬ 
wirkungen (Schmerzen) zu besitzen. Kranke, die mit beiden 
Mitteln behandelt wurden, zogen das Cuprol bedeutend vor. 

E. Mause! Sympson: Ein Fall von Tetanus, der durch 
Antitoxin geheilt wurde. (Ibid.) 

Ein 45 jähr. Mann verletzte sich am 28. März im (Jesicht, am 
i». April erste Tetanussymptouie, am 14. Beginn der spezifischen 
Behandlung mit Einspritzung von 10 ccm Serum unter die Haut, 
dieselbe Menge wurde an den folgenden 4 Tagen eingespritzt. 
Rasche und völlige Heilung, die sofort nach Beginn der Ein¬ 
spritzungen einsetzte. 

W. S. P 1 a y f a i r: Chronisches Siechthum bei Frauen, seine 
Ursachen und Heilung. (Ibid., 21. Sept. 1001.) 

Hie „nervöse“, ewig leidende Frau findet sich fast ausschliess¬ 
lich in den besseren Ständen. Schon die Schuh 1 muss auf die Pro¬ 
phylaxe hinwirken und es ist grundfalsch, anzunehmen, dass 
zwischen den beiden (Jeschlechtern kein Unterschied sei und den 
Lehrplan demgemäss einzurichten. In England, wo die Mädchen 
der oberen Klassen meist in Pensionen erzogen werden, über¬ 
sehen die Vorsteherinnen oft geflissentlich die in der Pubertäts¬ 
zeit auftretenden Störungen und legen so den ersten Keim zu spä¬ 
terem Siechthum. Es sind desshalb Amenorrhoen, Menorrhagien 
etc. zu behandeln und zwar besonders durch Regelung der Diät 
und Freiluftspiele, ln späteren Jahren ist besonders vor dem 
allzueifrigen (Jynäkologen zu warnen, dessen Polypragmasie in 
Aetzungen, Pessarbehandlung etc. nur durch seine Ferien unter¬ 
brochen wird. Behandelt werden derartige Kranke, die häufig 
stark abgemagert sind, fortwährend liegen und nichts mehr essen 
können, am besten durch eine Mast- und Ruhekur, die aber in 
jedem Falle ausserhalb des eigenen Hauses durchzufiihreu Ist. 
Von grosser Wichtigkeit ist eine Pflegerin, die sich ganz der 
Kranken widmet und eine gute Masseuse, die mindestens 2Stunden 
täglich alle Muskeln durchmassirt. 0 Wochen lang bleibt die 
Kranke fest im Bett, nach dieser Zeit darf sie aufstehen und nach 
und nach mit der Pflegerin ausgehen, schliesslich auch Theater 
und Konzerte besuchen; ehe dies nicht erreicht ist und die Kranke 
sich nicht irgend einem Sporte, sei es Reiten, Radfahren u. dergl., 
ergeben hat, darf sie nicht nach Hause entlassen werden. Die 
lM'trüchtliehen Kosten einer solchen Behandlung machen sich da¬ 
durch bezahlt, dass fast in jedem Falle aus der chronisch Invaliden 
eine gesunde Frau wird. 

F. Parkes Webe r: Ueber die häufigste Ursache des blauen 
oder grünen Harns. (Ibid.) 

Diese eigentliümliche Verfärbung des Urins wird nach Weber 
am häufigsten durch Methylenblau erzeugt, welches in England 
nicht seiten zur Färbung billiger Zuckersachen verwendet wird. 
Schluckt man Methylenblau, so wird schon nach einer Stunde 
der Urin hellgrün, später dunkler und schliesslich blau; die Blau¬ 
färbung hält 3 oder 4 Tage an, wird daun intermittirend (Morgeu- 
urin am stärksten gefärbt) und verschwindet schliesslich ganz. 
Derartige Uriue färben weisses Fliess- oder Schreibpapier blau. 
Kochen verstärkt ebenso wie Zusatz von Essigsäure gewöhnlich 
die Farbe, während Filtriren ihn entfärbt. Fügt mau zu dem nicht 
erwärmten Urin Kalilauge, so verschwindet die Farbe ebenso, 
wie bei Kochen mit Salpeter oder Salzsäure. Beim Neutralisiren 
tritt die Farbe wieder auf. Schüttelt man blauen Urin mit Aether, 
so nimmt derselbe die Farbe nicht an, wohl aber Chloroform. 
Im Spektralapparat zeigt der blaue Urin zuweilen einen Ab¬ 
sorptionsstreifen im Roth, ziemlich entfernt von der Fraunhofer- 
schen Linie D. Lebende Organismen zerstören das Methylenblau, 
so entfärbt sich der Urin bei der Faulniss, nur die oberste Schicht 
bleibt in Folge der Sauerstoffwirkung der Luft gefärbt. Ausser 
den blauen Uriuen findet man gelegentlich einen rosafarbigen, der 
durch mit Eosin gefärbte Zuckersachen verursacht wird. 

Harold J. Stiles: Die Radikalbehandlung des Leisten¬ 
bruches bei Hindern. (Brlt. Med. Journ., 7. Sept. 1901.) 

(■Jestützt auf ein Material von 100 eigenen Operationen will 
Verf. auch bei kleinen Kindern die Operation mehr in den Vorder¬ 
grund gerückt sehen. Die Behandlung mittels eines Bruchbandes 
ist einmal unsicher, dann aber bei armen, weniger intelligenten 
Leuten auch gar nicht durchführbar. Das jugendliche Alter ist 
keine Gegenindikation, Kinder unter 1 Jahr bieten sogar für die 
Nachbehandlung weniger Schwierigkeiten, als Kinder, die schon 
gelaufen haben und schwer ruhig im Bett zu halten sind, ln 
7 Fällen operirte Verf. wegen Einklemmung (Alter zwischen 
2 Wochen und IS Monaten), 7 mal wurde das Coecum als Bruch¬ 
inhalt gefunden, wobei ein besonders langer Appendix stets ent¬ 
fernt wurde; 3 mal war der Bruchsack tuberkulös entartet, ohne 
«lass vorher eine Bauchfelltuberkulose hätte diagnostizirt werden 
können. Komplizirte Operationen, wie die von B a s s i n I, sind 
nur ausnahmsweise nöthig. meist dann, wenn wegen Einklemmung 
eine llernlo-Laparotomie gemacht werden musste. Meist genügt 
es, den Sack möglichst hoch zu unterbinden und zu entfernen und 
den Ring durch 1 bis 2 Nähte zu verkleinern. Verf. verlor 3 Fälle 
von seinen 100. In einem hatte es sich um eine eingeklemmte 
Hernie gehandelt, die aber kurz vor der Operation durch Taxis 


reponirt wurde; das Kind starb bald nach der Operation. Bel der 
Sektion fand sich schwere Quetschung der eingeklemmten Darm¬ 
schlinge und starke Blutung in das Mesenterium. Ein 18 Monate 
altes Kind starb au unaufgeklärter Ursache 3G Stunden nach der 
Operation (keine Sektion), das dritte starb au späterer Chloroform¬ 
wirkung in Folge von vorgeschrittener fettiger Leberentartung. 
(Ref. kann auf Grund von etwa 30 Fällen bei Kindern unter 
2 Jahren die Operation warm empfehlen; er hat 3 mal wegen Ein¬ 
klemmung operirt. einmal bei einem 12 Tage alten Kinde, einmal 
fand er die tor<]uirte Tube sammt Ovarium als Inhalt eines schein¬ 
bar eingeklemmten Bruches; einen Todesfall hat Ref. noch nicht 
beobachtet.) 

Wm. Ewart und W. LeeDickinson: Zwei Fälle von 
chronischem Hydrocephalus bei kleinen Kindern; Punktion und 
Ersatz der Flüssigkeit durch sterile Luft. (Ibid.) 

Um eine möglichst ausgiebige Entleerung desVentrikelhydrops 
zu bewirken, führten die Verf. zwei Kanülen in den Ventrikel ein. 
von denen die eine als Drain dient, die andere aber mit einer 
Spritze in Verbindung steht, durch welche dann sterile Luft eiu- 
gepumpt wird. Bei Ihrem ersten Falle punktirten sie innerhalb 
von 0 Monaten 8 mal und sie entleerten jedes Mal zwischen 40 
und 50 Unzen, im Ganzen aber 11 Pinten Flüssigkeit Der Ver¬ 
lauf war im Allgemeinen ein günstiger, wenn auch vorübergehend 
Temperatursteigerungen, Facialislühmuug etc. lieobachtet wurden. 
In einem zweiten Falle scheint die Operation einen dauernden 
Erfolg gehabt zu haben, wenigstens hatte sich nach einigen Mo¬ 
naten die Flüssigkeit noch nicht wieder angesammelt. Es ist 
günstig, wenn sich die Punktionsöffnuug nicht gleich schliesst. 
sondern noch einige Tage lang Flüssigkeit aussickert. 

11. T. Wi 11 i a ui s o n: Die Behandlung des Diabetes mellitus. 
(Medical Chroniele, August 1901.) 

Die genauen Diätvorschriften, die Verf. gibt, entsprechen 
den auch in Deutschland üblichen, ebenso die Eintheilung der 
Krankheit in eine milde, mittelschwere und schwere Form. Das 
Trinken der heissen Wnsser in Karlsbad, Marlenbad und Neueu- 
ahr hält er entschieden für nützlich. Von Arzneimitteln bevor¬ 
zugt er das salicylsaure Natron, das ihm in vielen mittelschweren 
Füllen von entschiedenem Nutzen zu sein schien, ähnlich gute Er¬ 
folge sah er neuerdings von Aspirin. In ganz schweren Fällen 
mit reichlicher Ausscheidung von Aceton hat er beträchtlichen 
Nutzen von grossen Dosen von Natrium bicarbon. gesehen (30 g. 
im Koma 00 g täglich); in diesen schweren Fällen gibt er aucli 
Strychnin und Digitnlis, daneben hält er den Leib mit salinischen 
Wässern offen. 

F. M. C a i r d: Chirurgische Eingriffe bei Strikturen des 
Dickdarms. (Scot. Med. and Surg. Journal, September 1901.) 

Die sehr interessante Arbeit ist auf 20 eigene Operationen 
begründet. 0 Resektionen wegen Ileoeoecalcarcinom mit sofortiger 
Darmvereinigung; 5 geheilt, 1 gestorben. In einem 7. Falle konnte 
die Operation nicht beendigt werden, es wurde ein Kuustafter au- 
gelcgt, die Kranke starb. In einem 8. Falle wurde nach der Re¬ 
sektion das Ileum in das Kolon ascendens seitlich eingepflanzt, 
die Operation war erfolgreich. 1 mal wurde wegen nicht maligner 
Striktur reseclrt und circulür genäht, Heilung; 1 mal wurde re- 
sccirt und sekundär genäht, ebenfalls Heilung. Von 3 Fällen von 
Garcinom der Flexura sigmoidea, die resecirt und durch sofortige 
circulare Darinnaht behandelt wurden, wurden 2 geheilt, 1 starb. 
Von 6 mit. sekundärer Darmvereinigung Behandelten starben 2 
und bei 1 blieb eine Darmfistel, 3 Fälle wurden geheilt In einem 
weiteren Falle konnte die Operation nicht beendet werden, trotz 
Anlegung eines Kunstafters starb die Kranke. 

Besteht bei resp. vor der Operation kein Darmverschluss, so 
Ist stets die sofortige Wiedervereinigung der resecirten Darmenden 
vorzunehmen, bei Obstniktiouserschelnungeu jedoch sind diese 
zuerst zu beseitigen, d. h. es wird ein künstlicher After angelegt, 
wobei man womöglich die Geschwulst gleichzeitig vor die Wunde 
lagert, nach einigen Tagen wird reseclrt und der Kunstafter später 
operativ geschlossen. 

John C. DaCosta und F. J. K a 11 e y e r: Die durch die 
Aethernarkose hervorgerufenen Veränderungen des Blutes. 
(Annals of Surgery, September 1901.) 

Fast immer findet sich nach einer Narkose eine Polycythaemie. 
dieselbe hängt ab einmal von den der Operation vorausgegangenen 
Vorbereitungen, dann von der Narkose selbst und drittens vom Ver¬ 
lauf des postoperativen Stadiums. Das Blut wird durch Wasser¬ 
verlust konzeutrirter und zwar macht sich dies besonders sofort 
nach Beendigung der Narkose bemerkbar. Die absolute Haemo- 
globinmenge ist stets vermindert; die Aetherisation bewirkt ver¬ 
mehrte Hacmolyse; zwar ersetzt der Körper die verloren ge¬ 
gangenen rotlien Blutkörperchen sehr rasch, doch sind sie mit 
einer unter der Norm befindlichen Menge von Haemoglobin ausge¬ 
stattet. Es Hess sich nicht sicher feststellen, ob die Dauer der 
Narkose und die Menge des verbrauchten Aethers die Blut¬ 
zusammensetzung beeinflusste. In jedem Falle sollte kurz vor 
der Operation das Blut mehrfach untersucht werden, findet sich 
ein niedriger Haemoglobingehalt schon ehe die Vorbereitungen 
zur Operation begonnen wurden, so kontraindizirt dies eine all¬ 
gemeine Narkose; niemals darf Aether oder Chloroform gegeben 
werden, wenn der Haemoglobingehalt unter 50 Proc. herabge¬ 
sunken ist. Muss man bei niedrigem Haemoglobingehalt operlreu 
und besteht neben Indicatio vitalis die absolute Nothwendigkeit 
der allgemeinen Narkose, so müssen in der Vorbereitung zur 
Operation alle Maassnahmen unterbleiben, die das Blut durch 
Wasserverlust konzeutrirter machen. Eine Anzahl von Tabellen 
zur Illustration des Gesagten sind der Arbeit beigefügt. 

Richard C. C a b o t, John B. Blake und J. C. H u b b a r d: 
Das Blut in Beziehung zur chirurgischen Diagnose. (Ibid.) 


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10. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1895 


Verfasser sind auf Grund zahlreicher in extenso beigefügter 
Untersuchungen zu folgenden Schlüssen gekommen. Am Endo 
einer allgemeinen Narkose besteht zuweilen eine geringe Ver¬ 
mehrung derLeukoeyten aber nur selten eine ausgesprochene Leuko- 
cytose. Am Ende einer Operation besteht beträchtliche Leukocytose 
in der Hälfte aller Fälle, diese Leukocytose ist stärker als die 
etwa beim Ende der Narkose an demselben Kranken zur Beob¬ 
achtung gekommene. Einfache, unkomplizirte Knochenbrüche 
erhöhen die Leukocytose nur selten in merklicher Weise. Nach 
Operationen wegen maligner Geschwülste regenerirt das Blut sich 
meistens ebenso rasch und .vollständig wie in der Norm. Es ist 
nicht angängig, in der Diagnose von perforirten Darmgeschwüren 
(Typhus) die Veränderungen in der stündlich untersuchten Leuko- 
cytonmenge zu verwertlien, da solche Schwankungen bei vleleu 
Krankheiten und auch bei ganz gesunden Leuten vorkommeu. 
Sehr heftige körperliche Anstrengungen verändern die Leuko- 
cytenmenge ganz beträchtlich. 

John A. Wyeth: Das ILecidiviren der Sarkome. (Ibid.) 

Auf Grund sehr ausgedehnter eigener Erfahrungen und gründ¬ 
licher Nachuntersuchungen von durch ihn und Anderen operirten 
Fällen ist Verf. zu der Ueberzeugung gekommen, «lass das Sar¬ 
kom, ganz gleich welcher Art, äusserst leicht recidlvirt und dass 
z. B. Kranke, denen wegen Sarkom des Beines die Exartikulation 
im Hüftgelenke gemacht wurde, fast immer nach kurzer Zelt 
sterben. Selbst nach 5 Jahren hat er Ileeidlve beobachtet. Lang¬ 
dauernde resp. völlige Heilungen scheinen nur bei solchen Fällen 
vorzukommen, bei denen es während oder nach der Operation zur 
Streptococceneiterung resp. zum Ausbruch eines Erysipels kam. 
Er empfiehlt desshalb in jedem Falle, gleichviel, ob man operirt 
hat oder ob der Fall nicht mehr operabel ist. die Wunde resp. 
den Tumor mit Streptococcen zu infiziren. Es werden einige lange 
beobachtete Fälle genauer beschrieben und au ihnen die Richtig- 
keit des Gesagten nachzuweisen versucht. 

George Heaton: Die Prognose und Behandlung der kind¬ 
lichen Hernien. (Quarterly Medical Journal, August 1901.)- 

Verf., der sich auf ein sehr grosses eigenes Material stützt, 
findet, dass Hernien am häufigsten im 1. Lebensjahre beobachtet 
werden, von da an nehmen sie langsam ab, mit dem 13. oder 14. 
Jahre beginnt wieder eine Zunahme. Kann man die Behandlung 
ln den ersten Lebensmonaten beginnen, so ist eine Heilung durch 
ein Bruchband sehr wahrscheinlich, wenn die Behandlung gnt 
durchgeführt wird. 

Nabelhernlen kleinerer Kinder heilen fast immer durch ein 
Band; Schenkelhernien am wenigsten leicht. Eine grosse Holle 
ln der Prognose spielt die Fürsorge und Intelligenz der Mutter, 
da die Bandagenbehaudlung schwierig ist. Nie darf der Allge¬ 
meinzustand und etwaige disponiremle Ursachen (Rachitis mit 
Verdauungsstörungen. Bronchitis. Würmer und Polypen im Rec¬ 
tum, Phimose und Hyperacidität des Urins) unberücksichtigt 
bleiben. Behandelt man mit einem Bruchband, so muss dasselbe 
Tug und Nacht getragen werden und darf nur zum Ausw’echseln 
abgeuommen werden, selbst beim Wechseln muss die Mutter oder 
Wärterin die Bruchpforte mit dem Finger verscliliessen. Für 
kleine Kinder ist der amerikanische „skeln-wool truss“, den Jede 
Mutter aus einer Docke Wolle selbst machen kann, der einfachste 
und beste; sonst ist die Art des Bandes ziemlich einerlei, es darf 
nur nicht drücken und reizen und muss sauber und billig sein. 

Wird der Bruch nicht vor dem t>.—8. Lebensjahr gehellt, so 
wird die Aussicht auf Heilung durch ein Baud sehr gering und 
auch bei Kindern Intelligenter und sorgsamer Eltern tritt die 
Operation in den Vordergrund. Bei kleineren Kindern räth Verf. 
zur Operation, wenn die Hernie sehr gross und der Ring sehr weit 
ist, ferner, wenn die Ilernie nicht zurückgebracht werden kann, 
ferner bei Komplikation mit Nondescensus des Hodens (er ent¬ 
fernt hierbei gewöhnlich den Hoden, der doch atrophisch ist. eine 
Erfahrung, die Ref. nicht bestätigen kann). Die Operation besteht 
in der möglichst hohen Entfernung des Bruchsackes, womöglich 
ohne Verletzung der Aponeurose des Obliqus externus. 

Niemals wird drainlrt, sondern die Wunde ganz vernäht. Das 
Kind muss 5 Wochen ruhig liegen (was nach des Refer. Erfahrung 
überflüssig lang erscheint). Bei 114 Operationen hatte Verf. keinen 
Todesfall, von Ö4 Inguinalhernien, die vor dem 12. Lebensjahre 
operirt wurden, recidlvlrten 4 (Eiterung). 7 mal entfernte er den 
im Leistenkanal liegenden Hoden, 2 mal fand sich Tuberkulose 
des Sackes, in einem dieser Fälle verschwanden nach der Operation 
alle Zeichen von Peritonitis tuberculosa. 

Jonathan Hutchinson: Ueber durch Jod hervorgerufene 
Sarkome. (Archlves of Surgery. Vol. XI, No. 42.) 

Genau wie durch Arsenikgebrauch zuweilen multiple Epi¬ 
theliome hervorgerufen werden, so kommen nach Verf.’s Meinung 
durch Jodkali und andere Jodsalze zuweilen multiple Sarkom- 
bildungen vor. Er glaubt, dass viele Fälle von sogen, multiplen 
Hautsarkomen, sporadischer Lepra und ähnlichen tuberösen und 
ulcerativen Neubildungen der Haut thatsächlich auf den Gebrauch 
von Jodsalzen zurückzuführen sind. Mit der Behauptung, dass 
kein Jod genommen worden sei, muss man namentlich in Eng¬ 
land sehr vorsichtig sein, da viele weitverbreitete „Patentmedi- 
ciuen“ Jodkali enthalten. Verf. beschreibt und bildet verschiedene 
Fälle ab, die seiner Meinung nach als Jodsarkome aufzufassen sind. 

Rayinund Crawfurd: Die Tuberkulose des Herzmuskels. 
(Edinburgh Medical Journal, Septeml>er 1901.) 

Gestützt auf 1 eigenen und 57 aus der Literatur gesammelten 
Füllen glaubt Verf.. dass die Erkrankung niemals primär vor¬ 
kommt, meist kommt die Infektion durch direkten Kontakt (ver¬ 
wachsenes Pcrikardlum) mit tuberkulösen Tracheal- und Broncliial- 
drüsen zu Stande, in anderen Fällen scheint es sich um eine Ver¬ 


schleppung durch deu Blutstrom zu handeln. Neben dem grossen 
Solitärtuberkel findet man die miliare Erkrankung des Myokards 
und schliesslich auch eine tuberkulöse Myokarditis, bei welcher 
der Muskel von Bindegewebssträngen durchsetzt ist, die Tuberkel 
und Tuberkelbacillen enthalten. Die Diagnose dieser seltenen Er¬ 
krankung zu machen, dürfte, wie Verf. sagt, auch dem „jüngsten“ 
Internisten schwer fallen. 

J. P. zum Busch- London. 

Otiatrie. 

S c h w a b a c h - Berlin: Ueber den therapeutischen Werth 
der Vibrationsmassage des Trommelfells. (Zeitschr. f. Obren- 
hellk. 39. Bd., 2. Heft.) 

An einer grossen Reihe (270) genau beobachteter Fälle kou- 
statirt Schwabach, dass die Vibrationsmassage bezüglich 
Besserung des Hörvermögens bei der Sklerosirung deH Schall- 
leitungsapparates recht wenig leistet, bei chronischem Mittelohr¬ 
katarrh mit Trübung und Einseukung des Trommelfells dagegen, 
sowie bei subakutem Mittelohrkatarrh, abgelaufenen akuten Mittel¬ 
ohrentzündungen und bei Residuen chronischer Mittelohreiterung 
oft erheblichen Nutzen brachte. Besonders bei Residuen mit per- 
slstirender Perforation erscheint das Resultat bemerkenswert!» da 
hier die Luftdouche ohne Einfluss ist. Das günstige Resultat bei 
den übrigen aufgezählten Affektionen dagegen kann den Referenten 
nicht von der Ueberlegeuhelt der Massage über die Luftdouche 
überzeugen, da die letztere meist weniger lauge angewandt wurde, 
und das Urtheil über ihre Wirkung meist auf Angaben der Patien¬ 
ten basirte. Ueberdies sind die meisten dieser Affektionen auch 
einer spontanen Besserung fähig. 

Bei den Erkrankungen des Schallperceptionsapparates wurde 
keinerlei Erfolg erreicht. 

Bezüglich des Einflusses auf die subjektiven Geräusche wird 
ein ähnlich günstiges Resultat gemeldet, wie es bisher von anderen 
Uuter8uchem gefunden wurde, wenn auch die Besserung nur in 
einem Theil der Fälle dauernd blieb. 

Fritz Roh rer: Ueber ein Symptom der H&emoglobinurie: 
Cyanose und Gangraen am äusseren Ohr. Mit 1 Tafel. (Ibid.) 

Cyanose und Gangraen der Muschel hellten mit der Haemo- 
globlnurie. 

Kleinschmidt - Chemnitz: Ueber die Schallleitung zum 
Labyrinthe durch die demselben vorgelagerte Luftkammer (ge¬ 
schlossene Paukenhöhle). Mit 2 Abbildungen. (Ibid. 3. u. 4. Heft.) 

Kletnschmldt stellt die Theorie auf, dass die Ueber- 
tragung des Schalles durch die allseitig abgeschlossene „Paukeu- 
luftsäule“ auf die Membran des runden Fensters geschieht. Von 
letzterer würden die tiefen Töne auf die Labyrinthflüssigkeit, die 
hohen aber durch den Knochen auf die Nervenendigungen über¬ 
tragen. Die Gehörknöchelchenkette dagegen diene nur als 
Dämpfungsapparat bei den stärkeren Schalleinwirkungen. 

Die Experimente sind unter anderen als den natürlichen 
Verhältnissen angestellt, indem bei der Nachahmung der Pauken¬ 
höhle die Membran des runden Fensters „aus praktischen Grün¬ 
den“ weggelassen wurde. 

Daniel Kaufmann: Ueber doppelseitige Missbildungen 
des Gehörorgans. Mit 13 Abbildungen. (Ibid. 3. Heft.) 

Fall I: Os tympanicum, Gehörgang und Trommelfell fehlen. 
Hammer und Amboss rudimentär, Antrum mast, nicht vorhanden, 
dagegen ovales und rundes Fenster, sowie Labyrinth und Hörner 
normal. 

Fall II: Rechts fehlen Trommelfell und Paukenhöhle, links ist 
der Gehörgang zum Theil von Knochenmasse ausgefüllt, Trommel¬ 
fell vorhanden, Paukenhöhle und Labyrinth kleiner als normal. 

J. II e g e n e r: Theoretische und experimentelle Unter¬ 
suchungen der Massagewirkung auf den Schallleitungsapparat. 
Mit 9 Abbildungen und 6 Kurventafeln. (Ibid. 4. Heft.) 

Hegener legt die Wirkungsweise der Massageinstrumente 
klar und bestimmt die Arbeitsleistung derselben am Schallleitungs- 
apparate durch direkte Beobachtung und Messung. Er kommt zum 
Theil zu anderen Resultaten als vor Ihm Ostmanu, welchem 
er Fehlerquellen nachweist Die Druckschwankungen können und 
sollen viel stärkere sein als Ostmann angibt und dürfen bei 
unverändertem Trommelfell plus—minus 120 mm Hg betragen. 

Da die Wirkung der Massagenpparate von dem Cylinderquer- 
schnitt abhängt, derselbe aber bei verschiedenen Instrumenten 
verschieden ist, schlägt er Normalmaasse vor. Um nur negative 
Schwankungen zu erreichen," gibt er ein Ventil an. 

Hegener macht ferner darauf aufmerksam, dass die Luft¬ 
druckschwankungen im Gehörgang auch auf die entferntest liegen¬ 
den pneumatischen Zellen einwirken. 

Ausserdem wurde auch die Wirkung der Drucksonde auf den 
Steigbügel festgestellt und im Gegensatz zu O s t m a n n sehr 
energisch gefunden. Genaueres muss im Original nachgelesen 
werden. 

A. von zur Mühlen-Riga: Die Nachbehandlung der 
Badikaloperation ohne Tamponade. (Ibid.) 

Die Tamponade wird etwa vom 8. Tage an fortgelassen und 
die Wundhöhle nur mehr ausgespritzt. Referent kann die gün¬ 
stigen Resultate dieser Nachbehandlungsmethode auf Grund jahre¬ 
langer Erfahrung bestätigen. 

Karl L. S c h ä f e r - Berlin: Ueber die intrakranielle Fort¬ 
pflanzung der Töne, insbesondere der tiefen Töne, von Ohr 
zu Ohr. (Arch. f. Ohrenheilk. 52. Bd., 3. u. 4. Heft.) 

Wenn man eine Stimmgabel vor das eine Ohr und eine zweite, 
deren Schwingungszahl nur wenig differirt, vor das andere Ohr 


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1896 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


4 - 


hält, hört man (diotische) Schwebungen. Schäfer findet, dass 
diese Schwebungen deutlich sind bei Tönen von ca. 50 Schwing¬ 
ungen an aufwärts. Da die tiefen Töne nicht um den Kopf 
herum gehört werden können, folgert Schäfer, „dass durch die 
Luft dem einen Ohre zugeleitete Töne von ca. 50 Schwingungen 
an sicher durch den Kopf hindurch auch das Ohr der anderen 
Seite miterregen.“ Diese Schlussfolgerung ist aber nicht richtig 
(Referent), wie jeder Fall von einseitiger Taubheit zeigt, denn die 
tiefen Töne werden von der kranken Seite aus nie, auch nicht 
durch die Kopfknochen hindurch, im gesunden Ohr gehört. 

Gustav Alexander - Wien: Ein neues, zerlegbares Mittel¬ 
ohrmodell zu ■Unterrichtszwecken, (lbid.) 

Das Modell stellt das Mittelohr mit Ausnahme der Innenwand 
in 30 facher Vergrösserung dar und ist bei L e n o i r und Förster 
in Wien zu beziehen. 

Josef Sorgo: Zur Klinik der Tumoren des Nerv, acust. 
nebst Bemerkungen zur Symptomatologie und Diagnose der 
Kleinhirntumoren. Mit 1 Tafel. (Monatssehr. f. Ohrenheilk. 
1901, No. 7.) 

Mittheilung eines genau beobachteten Falles und Zusammen¬ 
stellung der Literatur. Die Tumoren stehen in innigem Zu¬ 
sammenhang mit dem Nerv, acust., gehen aber meist nicht von 
ihm selbst aus. Sie können symptomlos verlaufen oder nur Taub¬ 
heit hervorrufen oder schwere Erscheinungen und in 1 y s —2 Jahren 
den Tod verursachen. Einzelheiten sind im Original nachzulesen. 

Erwin .1 U r g e n 8 - Warschau: Die diagnostische Bedeutung 
der Rhodanreaktion des Mundspeichels bei Ohrenerkrankungen. 
(Ibld. No. 8.) 

Bei chronischer Mittelohreiterung fiel die Rhodanrenktion 
negativ aus, bei akuter war der Ausfall verschieden. Bei Ver¬ 
schlimmerung oder Besserung der Ohreiterung kann die Reaktion 
sich ändern. Jürgens gibt eine Methode an, den Speichel Jeder 
Drüse gesondert zu untersuchen. Scheibe- München. 

Inang^ural-Dinertationen. 

Universität Greifswald. September 1901 (Nachtrag). 

31. Rathert Carl: lieber 2 Fälle von Magenkrebs mit Metastasen 
in den Ovarien. 

Oktober 1901. 

32. Tresp Aloysius: Zur Kasuistik des Empyems der Stirn¬ 
höhlen. 

33. T r 1 e p c k e Oskar: Ueber Blutcysten in Nebennieren- 
strumeu. 

Universität Kiel. September und Oktober 1901. 

80. Minssen Otto: Angina und Polyarthritis rheumaticu. 

87. Mau August: Ueber primären lA*berkrebs. 

88. Spiller Karl: Ueber Amaurose nach Blutungen. 

89. Fleischmann Fritz: Ein Beitrag zur Therapie bei Placenta 
praevia. 

90. Richter Alexander: Zwei Fälle von Aktlnomykose als Bei¬ 
trag zur Kenntniss der Generalisation aktinomykotischer Er¬ 
krankungen. 

91. Re venstorf Hermann: Ueber die Implantation der Ure- 
teren in den Darm zur Heilung der Ektopia veslcae. 

92. Kuntzsch Karl: Beitrag zur diagnostischen Bedeutung di¬ 
elektrischen Untersuchung des Gehörorgans. 

93. Pernhorst Gustav: Ueber die Entstehung von peritouealen 
Verwachsungen nach Laparotomie. 

94. Glaubitt Otto: Ueber Magentuberkulose. 

95. Lippe Alfred: Drei Fälle von Tetanus. 

96. Pfannkuche Adolf: Zur Kenntniss der serösen Peritonitis 
und der Perihepatitis im Zusammenhang mit Perikarditis und 
Pleuritis. 

Universität Königsberg. Oktober 1901. 

23. L üben au Carl: Haemolytische Fähigkeit einzelner patho¬ 
gener Schizomyceten. 

24. Dräer Richard: Ueber Lichen ruber pemphigoides. 

Universität Strassburg. Oktober 1901. 

Nichts erschienen. 

Vereins- und Congressberichte. 

/3. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Aerzte 

in Hamburg, vom 22. bis 28. September 1901. 

Abtheilung für Geschichte der Medicin. 

(Eigener Bericht.) 

Die historische Abtheilung tagte als Unterabtheilung der 
Abtheilung 14 (Innere Medicin) in gesondertem Sitzungslokal 
unter eigenem Einführenden und Schriftführer. 

I. Sitzung vom 23. September, Nachmittags. 

Der Einführende, Krankenhausdirektor Dr. Deneke, be- 
griisst die Versammlung und betont, dass die Leitung der Natur- 
forscherversammlung dem Wunsch der Historiker nach einer 
eigenen Abtheilung, so weit es irgend noch möglich gewesen sei, 
gern entsprochen habe. Die grosse Zahl der angemeldeten Vor¬ 


träge (25) habe die Berechtigung dieses Wunsches hinreichend dar- 
gethan. Er stellt den Schriftführer, Herrn Kotelmann, vor, der 
sich als Medicohistoriker schon einen Namen gemacht hat und 
den langwierigen Verhandlungen der Sektion mit grosser Ge¬ 
wissenhaftigkeit und Treue bis an’s Ende gefolgt ist. 

Als Vorsitzender wird Herr Prof. Rudolf Kobert 
(Rostock) gewählt. Er ertheilt an erster Stelle das Wort dem 
von der kgl. ungarischen Regierung zur historischen Sektion 
und zur projektirten Gesellschaftsgründung ausgesandten jungen 
Medicohistoriker Dr. Tiberius v. Györy aus Ofenpest und 
betont gleichzeitig, dass demselben sein Vaterland eine voll¬ 
ständige „Bibliographia medica Hungariae“ verdanke; es wäre 
zu wünschen, dass auch andere Nationen eine derart muster- 
giltig zusammengestellte medicinische Bibliographie besässen. 

1. Herr v. Györy- Ofenpest legte in erschöpfender Dar¬ 
stellung die Aetiologie des Morbus hungaricus dar. Seit die 
Türken das Land betreten hatten, lag die Bodenkultur Ungarns 
völlig brach. Die begonnenen Trockenlegungen des Bodens 
stockten völlig. Die grosse ungarische Ebene war fast durchweg 
Sumpfland, dessen Ausdünstungen die Luft verpesteten. Heisse 
Tage, sehr kalte, feuchte Nächte, glühende Sommer, eisige 
Winter waren die Folge der Entwaldung; namentlich den Fremden 
waren diese schroffen Gegensätze verderblich. Auch die Fluss¬ 
läufe waren hochgradig verunreinigt; das oft stinkende Wasser 
verursachte Affektionen des Darmtraktus. Reichlich, wenn auch 
launisch spendete die Natur ihre Gaben; Jahre des Ueber- 
fiusses wechselten mit Hungersnöthen. Getreide, Fische, Wasser¬ 
geflügel, Obst waren meist in Ueberfluss vorhanden und wurden 
in Masse genossen und in Zeiten der Fülle vergeudet. Die 
Truppenlagerplätze strotzten von Schmutz; in ihrer Nähe 
faulten Thierkadaver und Menschenleichen. Die Insektenplage 
stieg auf’s Höchste. Für die Verpflegung der Truppen waren 
lächerlich geringe Summen ausgeworfen; so waren die deutschen 
Heere auf Selbstverproviantirung angewiesen, was die Schädlich¬ 
keiten der veränderten Lebensverhältnisse iu’s Ungemessene 
steigerte. — So wurde das Ungarland in der Welt berüchtigt. 
Die in ungewohnten Genüssen schwelgenden deutschen Soldaten 
fielen den verderblichen Einflüssen von Wasser, Boden und Klima 
widerstandslos zum Opfer. Hundert tausende starben dahin, wo 
Eingeborene kaum und auch die strenger lebenden Türken nur 
wenig erkrankten. Dazu war der ärztliche Lagerdienst der 
denkbar unzureichendste, wie die ganze Verpflegung. In diesem 
Milieu schoss in üppigste Blüthe der ex anthematische 
Typhus, der seit dem Einschleppungsjahr 1542 als „Morbus 
hungaricus“ Ungarn zum „Grab der Deutschen“ machte. 

In der angeregten Dlscusslon (Rüge, Scheube. 
Györy, Neuburger, Sud hof f), welche dem Vortrag folgte, 
wurde namentlich die Frage ventillrt, ob nicht eine Mischung ver¬ 
schiedener Krankheitsformen diesem Krankheitsbilde des „Morbus 
hungaricus“ zu Grunde liegen möge (namentlich Malaria, Dys¬ 
enterie und andere Typliusfonnen), blieb v. Györy bei seiner 
Aufstellung, dass es sich um wohlumschriebenen Flecktyphus 
gehandelt habe, wie er das in seiner In den nächsten Tagen er¬ 
scheinenden Monographie (Morbus hungaricus. Eine medico- 
historisclie Quellenstudie. Jena, Verlag von Gustav Fischer. 
1901.) eingehend dargelegt habe, deren erstes Exemplar er der 
Versammlung vorlegte, es gleichzeitig Herrn Sudhoff, dem 
„Antüus der historischen Sektion" als Geschenk überreichend. 

2. Herr Prof. Kahlbaum- Basel: Die Entdeckung des 
Kollodiums. 

Als Entdecker dieser auch heute in der Wundpflege noch 
nicht antiquirten, in der photographischen Technik noch un¬ 
ersetzlichen. als „Celluloid“ hochmodernen Lösung von Schiess - 
wolle in Alkoholäther gilt bis heute in den Encyklopädien 
Maynard, doch mit vollem Unrecht: der Entdecker der Schiess¬ 
baumwolle Christian Friedrich Schönbein (1799—1868) ist 
auch der Entdecker ihres Lösungsmittels und der medicinischen 
Verwendung des Lösungsproduktes, des „Klebäthers“. Der Ameri¬ 
kaner Charles J. Jackson, der berühmte Entdecker der An- 
aesthesie durch Chloroform, entdeckte allerdings selbständig ein 
Lösungsmittel für sein Cellulosenitrat und gab Winke für seine 
Verwendung (6. Jan. 1847); B i g e 1 o w und Maynard suchten 
es dann als Firniss- und Wundheilmittel in Amerika zu frukti- 
fiziren. Die Franzosen Flores D o m o n t e und Menard lösten 
im März 1847 ein Cellulosenitrat zum Theil in Alkoholäther und 
dachten gar nicht an Kollodium. Dagegen hat Schönheit! 
bestimmt schon im November 1846 die Löslichkeitsverhältnisse 
der Schiesswolle gekannt und ihre Verwendbarkeit in der Wund¬ 
pflege nicht nur durchschaut, sondern auch Fachmänner zu Ver 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1897 


suchen angeregt. Im Februar 1847 war diese neue Wundbehand¬ 
lung nach S c h ö n b e i n’s Vorschlägen schon Stadtgespräch in 
Genf und am 24. März1847 hielt der Prof, der Medicin Karl Gustav 
Jung in der naturforschenden Gesellschaft zu Basel einen Vor¬ 
trag, in welchem er über eine grosse Zahl klinischer Fälle mit 
Kollodiumbehandlung in Basel und in Bern (durch Professor 
M i escher) berichtete. 

Die Priorität S c h ö n b e i n’s ist gegen alle seine Neben¬ 
buhler einwandfrei gewahrt. 

In der Dlscusslon weist Sudhoff darauf hin, wie ge¬ 
rade dieser Vortrag in seinem ständigen Uebergreifen von chirur¬ 
gischer Verwendung zu technischer Darstellung und umgekehrt, 
die Nothwendigkeit des Zusammengehens der historischen For¬ 
schung in Naturwissenschaft und Medicin besonders einleuchtend 
darthue. 

(K a h 1 b a u m’s Vortrng ist imless in den Verhandlungen der 
Naturf.-Gesellschaft in Basel, Bd. XIII, Heft 2, S. 33S-3G0 er¬ 
schienen.) 

II. Sitzung am 24. September, Vormittags. 

Vorsitzender: Herr S u d h o f f - Hochdahl. 

3. Herr Julius Ephraim - Berlin ist am Erscheinen ver¬ 
hindert. Der Vorsitzende lässt einen der beiden angcrneldeten 
Vorträge, der im Manuskript eingesandt war, vorlesen: Die Be¬ 
deutung der Geschichte für die Technik. 

Dlscusslon: Sch eien z, Kobert, Sud hoff. 

4. Herr Kotelmann- Hamburg: Luther und Leo X. 
als Brillenträger. 

Nach einer einleitenden Mittheilung über geschliffene Gläser 
und Steine zu optischen Zwecken im Alterthum kommt K. zu 
seinem Thema. Dass Luther eine Brille getragen hat, geht 
aus einem auf der Hamburger Stadtbibliothek befindlichen Ori¬ 
ginalbrief desselben an seine Gattin hervor, datirt: Koburg, am 
Pfingsttag 1530. Darin heisst es: „Sage meister Christanus, 
das ich mein tage schendlicher Brillen nicht gesehen habe, denn 
die mit seinem Briefe komen. Ich kund nicht ein stich dadurch 
sehen.“ War dies nun eine Konkav- oder eine Konvexbrille, war 
Luther weit- oder kurzsichtig? Gegen Myopie spricht, dass er 
auf der Wartburg mit auf die Jagd ging und dort gern den 
Krähenschwärmcn zusah; ein Konkavglas hat er als Junker in 
Rittertracht wohl nicht getragen; auch hat er als Bauernsohn 
Kurzsichtigkeit wohl kaum geerbt. Er hat also wohl ein Konvex¬ 
glas gebraucht, wie es Presbyopen zu benutzen pflegen. Dazu 
stimmt auch, dass ihm die „schändliche Brille“ des Goldschmieds 
Christian Döring in seinem 46. Lebensjahre zugesandt wurde. 

War Luther weitsichtig, so litt sein Widersacher, Papst 
Leo X., an Kurzsichtigkeit. Wir besitzen die bündigsten Zeug¬ 
nisse dafür. Zunächst war nach Burckhardt im Hause 
Medici, dem L e o X. angehörte, die Kurzsichtigkeit erblich. 
Weiter heisst es von ihm: „Seine Augen waren gross und standen 
etwas zu weit hervor“, was auf Langbau derselben hinweist. 
Endlich schreibt Roscoe geradezu, „der Papst habe entfernte 
Gegenstände nur mit Hilfe eines Glases unterscheiden können“. 
Namentlich auf der Jagd pflegte er einen konkaven Krystall zu 
tragen, dessen Leistung Paulus J ovius mit folgenden Worten 
hervorhebt: „admoto autem crystallo concavo oculorum aciem in 
venationibus et aucupiis adeo late extendere solitus, ut non modo 
spatiis et finibus, sed ipsa etiam discernendi facultatc cunctos 
anteiret“. Aber auch für die Nähe benutzte Leo X. ein Konkav¬ 
glas. Mit einem solchen hat ihn Raffael auf seinem be¬ 
rühmten Gemälde im Palazzo Pitti vor einem Buche sitzend 
dargestellt. 

Die D i s c u s s 1 o n über diesen geistvollen Vortrag (S u d - 
hoff, Peypers, Kobert. Kotelmann) drehte sich haupt¬ 
sächlich um das Alter der Augengläser und die Etymologie des 
Wortes Brille (von Beryll). 

5. Herr Max Neuburger - Wien: Die anti toxische 
Therapie der akuten Infektionskrankheiten in der Ver¬ 
gangenheit. 

Der Gedanke einer ätiologischen, direkt entgiftenden Be¬ 
handlung ist uralt, wenn auch die Ausführung der Gegen¬ 
wart gegenüber wenig besagen mag. Tm Heil- und Schutz- 
verfahren gegen Schlangenbiss war das Immunisirungsprinzip bei 
afrikanischen und amerikanischen Völkerschaften lange realisirt, 
Inder und Chinesen kannten die Blattcrn-lnoeulation u. s. w. 
Der Theriak des Mithridates und seine Abkömmlinge erstrebten 
bewusst eine aktive Iminunisirung; Blut und andere Körper- 
bestandtheilc giftfester Thiere innerlich und äusserlich ange¬ 


wandt zeigen das Prinzip passiver Immunisirung. Die akuten 
Infektionskrankheiten imponirten als Vergiftungen und wurden 
desshalb antitoxisch behandelt. An die älteste Form einer spezi¬ 
fischen Therapie, wie sie die Beschwörung der Krankheitsdämonen 
darstellt, schlossen sich antitoxisch-prophylaktische Maass¬ 
nahmen, Räucherungen, Salbungen, Waschungen, desinfizirende 
Einbalsamirungen der Leichen. Nach dem Theriak, dessen Im¬ 
munisirungsprinzip nicht mehr verstanden wurde, kamen die 
Schwitzmittel, die auch entgiftend wirken sollten. Die Araber 
führten allerhand Seltenheiten als Antitoxica ein: Edelsteine, 
aromatische Pflanzen, Bestandteile unheimlicher Thiere und 
namentlich den Bezoar. Es folgen die Quecksilber- und Arsen- 
Amulette der Renaissance, die direkt ätiologische Therapie des 
Paracelsus mit seinen Speeificis, die empirische Verwertung 
des Quecksilbers gegen die Syphilis, weiter die Neutralisirungs- 
gedanken der Chemiatriker und die „wurmtödtenden“ Mittel 
der antiparasitären Schule mit ihrer Pathologia animata. Die 
Chinarinde lieferte das erste wirkliche Specificum und ee begann 
das Suchen nach ähnlichen Körpern für andere Infektionskrank¬ 
heiten, die man in Antimon, Quecksilber, Kampher zu finden 
glaubte. Inoculation und Vaccination gegen Blattern brachten 
den Immunisirungsgedanken wieder in die Erscheinung; man 
suchte mittels abgeschwächter Krankheitsgifte Infektionskrank¬ 
heiten zu coupirei^. Chlor- und Essigwaschungen und Räuche¬ 
rungen führten zur desinfizirenden Richtung eines Eisen- 
m a n n (1835), die bei den leitenden ärztlichen Kreisen keinen 
Anklang fand. So lange ist die Reihe der Vorläufer unserer 
modernsten Anschauungen in der Therapie der Infektionskrank¬ 
heiten. „Das Unzulängliche, hier wird’s Ereigniss.“ 

Die D 1 8 c u s 8 1 o n zu diesem bedeutenden Vortrage (der eben 
bei Ferdinand Enke in Stuttgart separat erschienen ist) gab 
dem Redner Gelegenheit, auf die „Cordialia“ des Mittelalters, auf 
die Kainpherbehandlung der Pocken durch Ch. L. Hoffmann 
und anderes näher einzugehen. (Sudhoff, Neuburger, Pey¬ 
pers, v. G y ö r y.) 

6. Herr Reinhold Rüge- Kiel: Hygienische Zustände auf 
Seeschiffen im 17. und 18. Jahrhundert. 

Die alten Schiffe waren alle Segelschiffe und in Folge dessen 
vollständig abhängig von Wind und Wetter. Sie mussten also 
sehr viel an Ausrüstung und Proviant mitnehmen, weil sie nie 
wussten, wie lange die Reise dauern würde; überdies konnten 
sie sich nur an wenigen Plätzen des Auslandes neu ausrüsten. 
Die Schiffe waren in Folge dessen stets sehr tief geladen. Es 
kam vor, dass in % Jahren die Seitenfenster kaum ein paar Mal 
geöffnet werden konnten: Licht und Luft fehlten daher unter 
Deck. Da die Schiffe 3—4 mal so stark bemannt waren wie 
heutzutage, waren sic mit Menschen geradezu vollgepfropft. 
Schutz vor Nässe und Kälte gab es nicht. 

Die Verpflegung war äusserst eintönig und nach kurzer Zeit 
ungeniessbar. Das Wasser, das in Tonnen mitgeführt wurde, 
war bald faul und faulte öfters nicht aus, sondern blieb dauernd 
schlecht; dafür gab es aber an Bord der Kriegsschiffe täglich 
Vt Liter Schnaps als offizielle Ration. 

Zu Matrosen machte man Alles, was man bekommen konnte. 
Man holte die Leute von der Strasse, aus den Hospitälern die 
Genesenden, aus den Gefängnissen die Verbrecher, „die zur 
Strafe zu Matrosen gemacht wurden!“ (Historisch.) Diese beiden 
letzten Kategorien schleppten fortwährend Krankheiten ein. Die 
Hauptkrankheiten an Bord der Kriegsschiffe waren Skorbut, 
Dysenterie und „Fieber“ (Flecktyphus und. Abdominaltyphus). 
Es kam wiederholt vor, dass ganze Schiffe daran ausstarben. 

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts bemühten sich die Schiffs¬ 
ärzte vergeblich, die Lage der Mannschaften zu bessern. 

Desaguli e r, II ales und S u 11 o n schufen ganz gute 
Ventilationsvorrichtungen, sie kamen aber in Misskredit, weil 
man durch frische Luft den Skorbut glaubte beseitigen zu 
können, was natürlich nicht gelang; so liess man die Ventilation 
wieder fallen. Auch wurden seit dem Ende des 16. Jahrhunderts 
Versuche gemacht, aus Seewasser Süsswasser zu destilliren. Der- 
Erste, der ein trinkbares Wasser in genügender Menge destillirte, 
war Lind. P o i s s o n i e r verbesserte nachher diesen Apparut. 
Warum er nicht eingeführt wurde, ist nicht festzustellen. Um 
die Verbesserung der Verpflegung bemühten sich namentlich 
Lind und Blanc, sic konnten aber auf die Dauer nichts 
durchsetzen. Nur so lange als die Sicherheit des Staates auf den 
Seeleuten beruhte, wurde etwas für sie gethan; dann trat der alte 
Zustand wieder ein. Und doch hatte Lind schon in der Mitte 


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1898 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


des 18. Jahrhunderts durch methodische Versuche bewiesen, dass 
der Skorbut, der damals die Besatzungen der Schiffe furchtbar 
dezimirte, durch Citronensaft geheilt werden könne. 

Der Erste, der sich die Erfahrungen der Aerzte zu Nutze 
machte, war Cook. Auf seiner berühmten Weltreise 1771 bis 
1775 vorlor er nur einen Mann an Krankheit und zwar an 
Schwindsucht, während 10 Jahre später die Sterblichkeit auf dem 
englisch-westindischen Geschwader noch 12 Vi Proc. betrug. 

Discussion: Kotelmann, Rüge. 

7. Herr Hermann Schelenz- Kassel sprach über die 
„Pestordnung; für Hamburg“ von Johannes B ö k e 1 i u s , ge¬ 
druckt 1597 bei J. Lucius daselbst. Erhebt sich das wohl nur 
von Gernet erwähnte Werk auch kaum über die nicht eben 
seltenen anderen Pestordnungen des Jahrhunderts, so ist es, ab¬ 
gesehen von seinem medicinischen Werth, kulturhistorisch be¬ 
sonders für die Stadt Hamburg interessant und regt zu Ver¬ 
gleichen zwischen damals und heute an. Bökel ist seiner Zeit 
in manchen seiner Anschauungen voraus und, worauf Sch. be¬ 
sonders hinwies, im Grunde auch noch der Naturforscher¬ 
versammlung von 1830 in Hamburg. Diese weigerte sich näm¬ 
lich, wohl auf Grund des Eintretens eines Dr. Julius für die 
Nichtansteckbarkeit der Cholera, auf den Antrag des Geheim¬ 
raths H a r 1 e s s aus Bonn und einen weiteren Antrag des russi¬ 
schen Konsulates einzugehen, welche dahin lauteten, „den Re¬ 
gierungen Mittel vorzuschlagen, durch welche dem weiteren Ver¬ 
breiten dieser gefährlichen Pest Grenzen gesetzt werden könnten“. 

Discussion: Robert, Sud hoff, Schelenz. 

III. Sitzung am 24. September, Nachmittags. 

Vorsitzender: Herr P a g e 1 - Berlin. 

8. Herr Prof. Julius P a g e 1 - Berlin: Die Analogie der 
Gedanken in der medicinischen Geschichte. 

Die Betrachtung der Analogien, d. h. der Aehnlichkeit und 
Wiederholung mancher Gedanken und Vorgänge in der Entwick¬ 
lung der Medicin als Wissenschaft und Kunst fällt in das Ge¬ 
biet der Geschichtsphilosophie oder genauer genommen in das¬ 
jenige der Geschichtsmoral. Ihr Studium ist. von grossem Nutzen 
und gestaltet die historische Betrachtung u. a. desshalb zu einer 
besonders fruchtbaren, weil sie zugleich eine gewisse Unterlage 
bildet zur Ermittelung desjenigen Gesetzes, das bei der Ver¬ 
kettung der historischen Thatsachen eine Rolle spielt. P a g e 1 
erörtert zunächst den „Circulus therapiae“ (Peypers), der sich 
nicht nur in der theoretischen und praktischen Rehabilitirung 
alter therapeutischer Encheiresen zeigt, sondern auch darin, dass 
in allen Perioden der Geschichte neben den wissenschaftlichen 
Richtungen der Therapie solche unwissenschaftlicher Natur 
Platz greifen, die auf mystischen, dynamischen, rein spekulativen 
Vorstellungen beruhen und dem Aberglauben und Schwindel 
Thür und Thor öffnen. Redner weist auf die einzelnen Beispiele 
hin und geht dann zu den biologisch-pathologischen Doktrinen 
über, wo das Spiel der Analogien nicht minder deutlich als in 
der Therapie hervortritt. Als Beispiele hierfür erwähnt P. unter 
Anderem die Aehnlichkeit der Lehren der Methodiker mit dem 
System von Friedrich Hoffmann, den Zusammenhang in 
den Grundgedanken der Humoral- und Solidarpathologien der 
verschiedenen Zeitalter, der Vitalisten etc., die Verwandtschaft 
der Lehre von den Organkonsensualitäten mit derjenigen der 
Sympathien in Broussais’ physiologischer Medicin. — Auch 
in Bezug auf die ärztliche Ethik, die Vorschriften sowohl wie 
die Literatur, ergeben sich Analogien, die Redner im Einzelnen 
darlegt. 

In der Discussion (Neuburger. Pagel) weist S u d - 
hoff darauf hin, dass die demnächst von hervorragenden Natur¬ 
forschern zu veröffentlichenden „Annalen der Naturphilosophie“ 
unverkennbar an eine Periode der Medicin und Naturforschung 
wieder ankniipfen, an deren definitives Todtsein noch vor 5 Jahren 
Jeder unerschütterlich geglaubt habe. 

(Page l’s Vortrag erscheint in extenso Im Novemberheft der 
Heilkunde in Wien.) 

9. Herr C r ö n e r t - Bonn: Ueber eine Gesammtausgabe 
des Galen. 

Nach einem Ueberblick über die erhaltene medicinische 
Literatur der Griechen legt Crönert dar, dass eine der wich¬ 
tigsten Vorarbeiten für die Erforschung der Geschichte der Heil- 
wisscnschaft eine sorgfältige Bearbeitung des gewaltigen schrift¬ 
stellerischen Nachlasses des pergamenischen Arztes Galen sei. 
Bis jetzt sei für diese Vorarbeit nur wenig geschehen; man 


müsse überall von vorne anfangen. Zunächst seien sämmtliche 
griechischen Handschriften des Galen ausfindig zu machen 
und damit zugleich die zum Theil sehr werthvollen Ueber- 
setzungen in’s Lateinische und in’s Arabische, dann sei mit 
diesem Stoffe der Text, in der Hauptsache nach philologischen 
Grundsätzen, festzustellen, weiter werde man eine wortgetreue 
Uebersetzung beigeben müssen, endlich dürften aber auch ein¬ 
gehende, Sache und Form behandelnde Erklärungen nicht fehlen. 

Eine längere Discussion (Robert, Crönert, v. G yöry, 
Pagel, Sudhoff) zeigt das Interesse aller Anwesenden au 
dem grossen Werke. 

10. Herr Karl S u d h o f f - Hochdahl: Zur Geschichte der 
Lehre von den kritischen Tagen. 

Im orientalischen Alterthum sind Spuren einer Prognostik 
des Fieberendes nach der Tagzahl nicht bekannt. Das älteste 
Denkmal der Lehre von den kritischen Tagen im Krankheits- 
verlauf bildet das „Corpus Hippocraticum“, in welchem sich 
das Ganze dieser Lehre schon vorfindet, doch keine zusammen¬ 
hängende Entwickelung des Lehrgebäudes. Die Aerzte nach 
Hippokrates nahmen die „kritischen Tage“ meist als fest¬ 
stehend an. C e 1 s u 8 spottet darüber. Einen methodischen 
Ausbau hat erst G a 1 e n o s der Lehre von den Krisen und 
kritischen Tagen gegeben und die Ursachen dieser scheinbaren 
Gesetzmässigkeit im Mondeinfluss gesucht, allen astrologischen 
Spielereien der späteren Jahrhunderte damit den Schein einer 
schulmässigen Berechtigung verleihend. Was nach Galenof 
dieser Lehre noch hinzugefügt wurde, waren Spitzfindigkeiten 
und Detailarbeit. Der Ausbau in’s Astrologische begann in 
Alexandrien und wurde von den Arabern weitergeführt, mehr 
noch von den „Iatromathematikern“ des ausgehenden Mittel¬ 
alters, der Renaissance und des 16. Jahrhunderts. Im 15. bis 
17. Jahrhundert fand die Sache selbst keine Widersacher, man 
stritt nur um die Ursachen der anerkannten Gesetzmässig¬ 
keit. Die literarische Fehde der päpstlichen Leibärzte Fraca- 
storo, Th urinus und B i o n d o ist hierfür besonders 
charakteristisch. Amatus Lusitanus griff zur Erklärung 
auf die Zahlenmystik der Pythagoräer zurück, Baptista 
van Heimo nt wollte von der ganzen Lehre so recht nichts 
wissen. Später verdrängte der Streit um das Wesen des 
Fiebers die Frage nach den kritischen Tagen. Erst Ludwig 
Traube (1818—1876) wandte der alten Lehre wieder lebhaftes 
Interesse zu und glaubte sie durch exakte Temperaturbeob¬ 
achtungen bei Fiebernden in ihren Grundzügen bestätigen zu 
können. 

Discussion: Pagel, Sudhoff. 

(Der Vortrag erscheint in der Wiener med. Wochenschr.) 

IV. Sitzung am 25. September, Nachmittags. 

Vorsitzender: Herr Kahlbaum -Basel. 

11. Herr Crönert - Bonn theilt im Anschluss an seinen 
Vortrag vom Tage vorher mit, dass ihm eben die Kunde zu¬ 
gekommen sei, wie die Berliner Akademie der Wissenschaften 
im Verein mit der Kopenhagener Akademie ein „Corpus veterum 
medicornm“ herzustellen sich entschlossen habe und zwar ganz 
der Methode entsprechend, wie Redner sie dargelegt habe. Die 
ersten Arbeiten, nämlich die Herbeischaffung des handschrift¬ 
lichen Stoffes, sollen bald in Angriff genommen werden. So 
wird man denn in absehbarer Zeit eine neue, schöne Ausgabe 
des Galen erhalten, eine Hoffnung, die dem Philologen und dem 
Mediciner gleich werthvoll erscheint. 

Discussion: Sudhoff, Robert, Stieda. 

12. Herr Prof. Rudolf K o b e r t - Rostock: Welche dem 
Menschen schädlichen Spinnen kannten die Alten? 

In den Schriften der Griechen, Römer, Araber finden sich 
viele auf Giftspinnen bezügliche Angaben, welche die heutige 
Wissenschaft meist als Fabeln zu deuten geneigt ist. Eine Ant¬ 
wort auf die im Titel enthaltene Frage kann erst gegeben werden, 
wenn vorher zwei Vorfragen beantwortet sind: 1. Welche Spinnen¬ 
arten kamen in Griechenland, Italien etc. vor? 2. Welche dem 
Menschen schädlichen Spinnen kennt denn die heutige Wissen¬ 
schaft? Die zweite Frage ist eine offene. Der Vortragende hat 
daher zunächst zu deren Beantwortung literarische und experi¬ 
mentelle Studien gemacht, deren Ergebniss er in einer 12 Bogen 
umfassenden Monographie bei Enke in Stuttgart soeben er¬ 
scheinen lässt. Auf Grund dieser Untersuchung ist er jetzt im 
Stande gewesen, auch die Angaben der Alten nachzuprüfen und 
sie keineswegs für leere Fabeln zu erklären. Er glaubt vielmehr 


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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1899 


19. November 1901. 


mit einiger Wahrscheinlichkeit nachweisen zu können, dass die 
Alten 1. Solpugen, 2. Taranteln, 3. Lathrodektesarten gekannt 
und namentlich den Biss der letzteren sehr gefürchtet haben. 
Ob sie auch die zur Gruppe der Vogelspinnen gehörige Cteniza 
gekannt haben, lässt sich nicht entscheiden. 

Dlscussion: SchlmmelbuBch, Kotelmann, 

Kalilbaum. 

13. Herr Max Neuburger -Wien: Swedenborg’i 
Beziehungen zur Gehimphysiologie. 

In seiner naturwissenschaftlichen Epoche vor dem Jahre 
1745 hat sich Emanuel Swedenborg auf’s Eifrigste selb¬ 
ständig mit Physiologie beschäftigt und die Ergebnisse seiner 
Studien in der „Oeconomia animalis“ niedergelegt. Bezüglich 
der Gehirnfunktionen lehrte er (1740) im Gegensätze zu allen 
Zeitgenossen und in Vorahnung der jetzigen Resultate, dass die 
Hirnrinde Sitz der höheren psychischen Funktionen ist und 
den psychomotorischen Angriffspunkt, die Zentralquelle der 
Muskelthätigkeit darstellt. Ja, er lehrt sogar, dass der Cortex 
ccrebri in so viele Bezirke eingetheilt sei, als es Muskelgruppen 
gäbe, und er forderte die Fachleute auf, durch Thierexperimente 
(Reizung durch Stiche, Schnitte, künstliche Kompression) diese 
Bezirke nachzuweisen. Bedenkt man, dass Sömmering 
noch 1796 den Sitz der Seele in’s Gehirnwasser verlegte und 
dass Gall’s Lokalisation der geistigen Funktionen in der Ge¬ 
hirnrinde bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ohne 
Anerkennung blieb, so muss die Leistung Swedenborg’s Be¬ 
wunderung erregen. 

Dlscussion: Schimmeibusch, Neuburger. 

14. Herr Skevos Z e r v o s - Athen: lieber die Gynäkologie 
des Aetios. 

Vortragender schildert seine Beschäftigung mit den grie¬ 
chisch noch nicht edirten 7 Büchern des 16 theiligen medi- 
cinischen Werkes des dem 6. Jahrhundert angehörigen Aetios 
von Amida. Das 16. habe er kürzlich erscheinen lassen und 
wolle, mit dem 9. beginnend, die übrigen bald nachfolgen lassen. 
Auf die Bedeutung dieses kürzlich erschienenen 16. gynäkologi¬ 
schen Buches geht Z. dann näher ein. 

In der Dlscussion geht Pagel, der eine Ausgabe des 
nämlichen 16. Buches des Aetios zu Vlrcho w’s 80. Geburts¬ 
tage ln Gemeinschaft mit Wegscheider in Berlin vorbereitet 
hatte, auf Zervos’ Ausgabe näher ein. 

15. Herr Geheimrath Prof. Ludwig S t i e d a - Königsberg, 
der das gleiche Thema schon am Montag (23.) in der anthropo¬ 
logischen Sektion behandelt hatte, spricht auf Wunsch der 
historischen Sektion auch hier über die Sitte der Infibulation 
bei Griechen und Römern. 

Vortragender zeigt an Zeichnungen und Photographien 
nach antiken Bildwerken die verschiedenen Methoden der Um¬ 
schnürung und des Verschlusses der Vorhaut bei Griechen und 
Römern und sucht die Schamhaftigkeit als veranlassendes 
Moment für diese Maassnahme klar zu legen. Es sollte die 
Entblössung der Glans auch bei heftigen Körperbewegungen 
dadurch verhindert werden. 

Die daran sich anschliessende eifrige Dlscussion (Ro¬ 
bert, Stleda, Schelenz, Crönert, Pagel, Kahlbaum, 
Kotelmann) bewies dem Vortragenden das Interesse der Sek¬ 
tion und die Dankbarkeit für sein liebenswürdiges Entgegen¬ 
kommen. 

Es schloss sich an die konstituirende Versamm¬ 
lung der 

„Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medicin und der 
Naturwissenschaften“. 

Auf Wunsch des provisorischen ComitSs (Prof. Kahl- 
bäum, Prof. Pagel und Dr. S u d h o f f) übernahm den 
Vorsitz: Geheimrath Prof. S t i ed a - Königsberg. 

Er ertheilt zunächst das Wort Herrn P e y p e r s - Amster¬ 
dam über den schon in München (1899) von ihm vorgelegten 
Plan einer „Soci6te internationale pour l’histoire et la geographie 
m£dicales“. 

Als zweiter Redner berichtet S u d h o f f über die Aachener 
Verhandlungen, welche die Nothwendigkeit einer vorherigen 
Gründung nationaler Gruppen ergeben hätten, deren späterer 
Zusammenschluss zu einer internationalen Gesellschaft in Aus¬ 
sicht zu nehmen sei und sich vielleicht schon im kommenden 
Frühjahr in Rom bewerkstelligen lasse. Er gibt dann eingehend 
Mittheilung über die von dem deutschen provisorischen ComitS 
seit Mai dieses Jahres geleistete Arbeit und über die Erwäg¬ 


ungen, welche für ein Abgehen von der Verquickung der Ge¬ 
schichte der Medicin mit der Tropenhygiene und der Pathologie 
und Therapie der Tropenkrankheiten maassgebend gewesen 
seien, wogegen ein Zusammengehen mit der allseitig in der 
Forschung enge verbundenen Geschichte der reinen und an¬ 
gewandten Naturwissenschaften (nach dem Vorbild der Düssel¬ 
dorfer historischen Ausstellung, Sektion und Festschrift) sich 
ganz von selbst ergebe. Für die Gründung einer deutschen 
Gesellschaft dieses Forschungsgebietes seien heute alle Voraus¬ 
setzungen vorhanden, aber auch nur für diese. Jeder Chau¬ 
vinismus liege dieser Gründung völlig fern. 

Einstimmig wurde darauf die Frage bejaht, dass man eine 
„Gesellschaft für Geschichte der Medicin und der Naturwissen¬ 
schaften“ gründen wolle und nach längerer animirter Discussion 
mit allen (20) gegen 5 Stimmen beschlossen, dass die neue Ge¬ 
sellschaft sich gleich allen anderen auf deutschem Boden ge¬ 
gründeten „deutsche“ Gesellschaft nennen solle, wobei noch 
in die Waagschale fiel, dass die Geschäftsordnung der „Gesell¬ 
schaft deutscher Naturforscher und Aerzte“ als Vorbedingung 
für jede selbständige Abtheilung auf den Versammlungen das 
Bestehen ein&r „allgemeinen deutschen Spezialgesellschaft“ des 
betreffenden Faches verlangt (§ 16). Die neue Gesellschaft soll 
gemeinsam mit unseren Naturforscherversammlungen tagen, 
deren ganzes Arbeitsgebiet historisch umfassen und als ihre 
wissenschaftlichen Sitzungen die der „Abtheilung für Geschichte 
der Medicin und der Naturwisenschaften“ anzusehen sein 1 — 
durchaus analog dem Verhältnis der „Deutschen pathologischen 
Gesellschaft“ zu den Naturforscherversammlungen im Allge¬ 
meinen und zu der Abtheilung für allgemeine Pathologie und 
pathologische Anatomie im Besonderen. 

Der Jahresbeitrag der Gesellschaft wurde auf zehn Mark 
festgesetzt oder statt dessen eine einmalige Einkaufssummo 
von 150 M. bestimmt. Zum Schluss wurde einstimmig Sud¬ 
hoff -Hochdahl als Vorsitzender gewählt und die weitere Ver¬ 
handlung auf Donnerstag vertagt. 

V. Sitzung am 26. September, Nachmittags. 

Vorsitzender: Herr Neuburger -Wien. 

16. Herr Botho Scheube- Greiz: Die venerischen Krank* 
heiten in den warmen Ländern. 

Vortragender macht Mittheilung über die Ergebnisse einer 
von ihm über Vorkommen und Verhalten der venerischen Krank¬ 
heiten in den warmen Ländern veranstalteten Fragebogen¬ 
forschung. Mit der Syphilis beginnend bespricht er Verbrei¬ 
tung, Art des Auftretens und endemische Formen derselben, 
zu denen er auch die Framboesia tropica zu rechnen geneiert ist, 
ferner den Einfluss von Klima, Malaria, Rasse und Alkoholismus 
auf ihren Verlauf. Sodann behandelt er weichen Schanker und 
Tripper und schliesst mit einigen historischen Bemerkungen 
über den Ursprung der Syphilis. Auf Grund allgemein-patho¬ 
logischer Momente, die nach der Ansicht des Redners bei Ent¬ 
scheidung dieser Frage bisher nicht genügend berücksichtigt 
worden sind, spricht er sich für die Theorie von der ameri¬ 
kanischen Abstammung dieser Krankheit aus, die noch eine 
kräftige Stütze in dem Eingreifen der Spanier Oviedo und 
Las Casas finde. 

In der Dlscussion hält Sudhoff diese beiden Berichte 
nicht für genügend, um die Lehre von der Alterthumssyphllls 
umzustürzen und schlägt vor, die ganze Frage einmal als be¬ 
sonderen Verhandlungsgegenstand in einer künftigen Tagung zu 
bestimmen. 

P e y p e r 8 nimmt einen ähnlichen Standpunkt ein. 

17. Herr Karl Sudhoff -Hochdahl: Heber Hohen* 
heim’s chirurgische Schriften. 

S. sucht zunächst die Ursachen auf, welche zu einer so ver¬ 
schiedenartigen Bewerthung der chirurgischen Lebensarbeit des 
Paracelsus geführt haben und geht dann die chirurgischen 
Schriften desselben in chronologisch sichtender Weise durch: 
zunächst <jie beiden Baseler chirurgischen Vorlesungen, die uns 
in je zwei Kollegienheften überliefert sind. Weiter die sog. 
„Bertheonea“, den ersten Niederschlag seiner allgemein-patho¬ 
logischen Anschauungen über chirurgische Krankheiten — ein 
vorläufiger Entwurf, dessen Text in den Kolmarer 7 Büchern 
von offenen Schäden (1528) theilweise Verwendung fand. Nach 
langen Jahren des Reifens fasst Hohenheim seine allgemein- 
chirurgischen Ansichten in der „Grossen Wundarznei“ (1536 und 
1537) endgiltig zusammen. Alles andere Chirurgische, was unter 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


5900 


T F C o p h T a r t’s Namen gellt, sind Vorarbeiten oder Auszüge 
Anderer aus seinen Schriften oder Kinder seiner Laune wie die 
„sechs chirurgischen Büchlein“: Serogolia, Antimedicus, Apo- 
ei'yplfus etc. 

18. Herr Prof. K a h 1 b a u m - Basel : Zur Werthung 
•Karl Gerhardt’s. 

• Durch ein neuerdings erschienenes Werk über den hervor¬ 
ragenden deutsch - französischen Forscher, das den Sohn des¬ 
selben und Edouard G r i m a u x zu Verfassern hat und eine 
Fülle von Quelleninatcrial beibringt, sah sich der Vortragende 
veranlasst, an der Iland eben dieses Materials, das in entschuld¬ 
barer Weise, ist doch der Maler zugleich der Sohn, geschmeichelte 
Porträt G e r h a r d t’s, in verschiedenen Zügen richtig zu stellen. 

Von einer ganz wunderbaren Intuition, wenn man nicht 
sagen will, von ganz wunderbarem Instinkt geleitet, ist G. aUer- 
diugs in der Erkenntnis« des Aufbaus der organischen Stoffe 
seiner Zeit gewaltig vorangeschritten und hat so ohne Zweifel 
das, was uns heute als Wahrheit am nächsten kommend scheint, 
zuerst deutlich und konsequent ausgespiochen und vertheidigt, 
immer aber, ohne seine Meinung sachlich begründen zu können, 
ja auch die schon vorhandenen Hilfstruppen kannte resp. ver- 
wertheto er nicht. Diesem Mangel an Beweisen glaubte er durch 
besonders starke Ausfälle und rücksichtslose Behandlung der 
Gegner am besten abhelfen zu können, während er für sich selbst 
doch zarteste Rücksichtnahme beanspruchte. Mit vollem Recht 
wurde ihm diese Lebensart von den Fachgenossen verdacht. Und 
wenn man sich ihn, wie sein Sohn mit Recht klagt, vom Leibe 
hielt und seine Theorien nicht sofort aufnahm, so trifft ihn selbst 
der grössere Theil der Schuld, nicht aber seine Zeitgenossen. 

19. Herr Rom. Joh. Sohaef er - Remscheid: Die Stellung 
des Dichters Jung-Stillingin der Augenheilkunde seiner 
Zeit. 

Um die Mitte des 18. Jahrhunderts begann sich die Augen¬ 
heilkunde aus dem traurigen Zustande zu erheben, in welchem 
sic sich Jahrhunderte lang befunden. Bis dahin wurde sie fast 
nur von landfahrenden Abenteurern ausgeübt. Noch 1750 finden 
wir einen solchen, John Taylor, in Dresden, Karlsbad und 
Leipzig. Die Zahl der Blinden war damals sehr gross; viele 
litten an grauem Staar und anderen, der Operation zugänglichen 
Augenleiden. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts traten 
auch in Deutschland Augenärzte hervor, welche die Anatomie 
und Physiologie beherrschten, unter ihnen Joh. Heinrich Jung, 
gen. Stilling, geh. am 12. September 1740 im Dörfchen Grund 
l>ei Siegen, gestorben am 2. April 1817 zu Karlsruhe; 1772—1778 
Arzt in Elberfeld. Redner geht auf seinen wechselvollen Lebens¬ 
gang näher ein. 

Als medicinische8 Werk ist besonders seine „Methode, den 
grauen Star auszuziehen“ (Marburg 1791) hervorzuheben, dessen 
Bedeutung im Einzelnen skizzirt wird, namentlich die Verdienste 
.1 u n g - S t i 11 i n g’s um die Zurückführung der verschiedenen 
Krankheitsformen des Auges auf bestimmte anatomische Ver¬ 
änderungen, um die allgemeine Einführung der Extraktion des 
grauen Staars gegenüber der Depressiousmethode und die Aus¬ 
bildung einer bis auf Graefe recht guten Operationsmethode. 
J ung war ein Wohlthäter der Augenleidenden, trug viel dazu 
bei, dass wissenschaftlich gebildete und geschickte Augenärzte 
herangebildet wurden und gab vielfach Anregung zur Anlage 
von Augenkliniken. Dadurch, dass er später als Lehrer der 
Stäätswissenschaft weder von Arm noch Reich Bezahlung an¬ 
nahm, war sein Material ein enorm grosses. 

DTscu'ssion: Schimmelbusch, Schilfer, Sud¬ 
hoff, Kotelmann. 

20. Herr Walther Schimmelbusch- Hochdahl: Der 
tttundirrthum in von Kr afft- Ebing’ s Psychopathia 
Wxtmlis historisch nnd philosophisch betrachtet. 

Der Vortragende beschränkt sich, da der Stoff in so kurz be¬ 
messener Zeit unmöglich zu erschöpfen, zudem die entsprechende 
Monographie bereits in Druck gegeben sei, auf die Aufstehung 
einer Reihe von Thesen, welche darin gipfelten, dass perverses 
Sexualempfinden, welches der regsame Forscher Ulrichs 
..I'mingthum“ genannt, nicht als angeboren, sondern als 
durch Masturbation und sonstige Excesse erworben zu be¬ 
lichten sei. Beweis: Bernhard i’s auch von v. Krafft- 
Ebing citirte, aber ungedeutete Lösung eines 2000jährigen 
Räthsels, die nach richtigen Beobachtungen und Untersuchungen 
nur leider in einen falschen Schluss entgleist sei; damit st imm e 


denn auch der Heilerfolg v. Schrenck-Notzing’s bei 
Homosexuellen, da wohl eine Trieb entartung wegzuaogge- 
riren, nicht aber ein Geburts-Manko, das im letzten Grunde doch 
ein organisches sei, durch Suggestion ausgeglichen werden könne. 
Die praktische Konsequenz zog Sch. dahin: als erwotben sei der, 
dennoch durch Willenskraft des psychisch Erkrankten allein nur 
selten zu heilende Trieb bei richtiger Therapie zweifellos heilbar, 
daher zwangsweise Verbringung des gemeingefährlich Erkrankten 
in eine Heilanstalt die nothwendige Reform der zuständigen 
Rechtspflege. 

Die lebhafte Discusslon (Neuburger, Kahlbaum. 
Schimmelbusch, Kotelmann, S c h e u b e) dreht sich 
namentlich um die Zahl der Perversen und das Vorkommen dieser 
psychischen Störung im Orient und Hinterasieu. 

Es sehliesst sich an die 

Sondersitzung der „Deutschen Gesellschaft fttr Ge¬ 
schichte der Medicin und der Naturwissenschaften“. 

Vorsitzender: Herr S u d h o f f - Hochdahl. 

Zunächst wird der Vorstand durch die Walil von vier Bei¬ 
sitzern vervollständigt. Es werden gewählt zwei Vertreter der 
Naturwissenschaften: Herr Prof. Kahlbaum - Basel und Herr 
Emil W o h 1 w i 11 - Hamburg und zwei Vertreter der Medicin: 
Herr Neuburger - Wien und Herr Peypers - Amsterdam, 
da Geheimrath S t i e d a - Königsberg und Prof. P a g e 1 - Berlin 
ihre Wahl in den Vorstand abgelehnt hatten. 

Darauf trat man in die erste Lesung der „Satzung“ der 
neuen Gesellschaft ein, welche nach den Vorschlägen des provi¬ 
sorischen Comite’s mit einigen Aenderungen Annahme fand und 
in der nächsten Tagung zu Karlsbad im September 1902 definitiv 
genehmigt werden soll. Bis dahin gelten die Satzungen in der 
in Hamburg genehmigten Gestalt. Die neue Gesellschaft ist also 
in aller Form „konstituirt“. Möge sie reichen Zuspruch finden 
und ihr ein gedeihlich Wirken beschieden sein, im Sinne des 
ersten Paragraphen ihrer „Satzung“, der folgendermaassen 
lautet: 

Zweck und Ziele. 

„Die Gesellschaft will alle Bestrebungen, welche der histo¬ 
rischen Forschung auf dem Gesammtgebiete der Medicin und 
der reinen und angewandten Naturwissenschaften dienen, nach 
Kräften fördern und unterstützen, die Erkenntnis« von der 
Nothwendigkeit eines eindringenden Studiums der Geschichte 
der genannten Disciplinen in weitere Kreise tragen, dieselben 
von der Erspriesslichkeit der Erwerbung historischer Fach¬ 
kenntnisse für jeden Arzt, Naturforscher und Techniker über¬ 
zeugen, endlich die Ergebnisse der historischen Forschung der 
Wissenschaft und Praxis zugänglich machen.“ 

Des walte ein gütiges Geschick! 

Karl S u d h o f f. 


Berliner medicinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 13. November 1901. 

Demonstrationen: 

Herr Holländer: Demonstration eines durch Operation 
(Castration) geheilten Falles von Osteomalacie. 

Beginn des Leidens, wie häufig, mit rheumatischen Schmerzen. 
Während O. sich meist bei Frauen im Auschluss an Gravidität 
entwickelt, ist sie liier bei einer Virgo aufgetreteu, wie ja auch 
Fülle bei Männern bekannt geworden sind. 

Im Laufe der Zeit wurde Pat. immer kleiner, der Rumpf 
sank zusammen, so dass die untersten Rippen in’s Becken hineln- 
gesunken sind. Die Gehfnliigkeit war schliesslich nahezu voll¬ 
ständig aufgehoben. 

Röntgendurchleuchtung ergab fast überall entkalkte Knochen. 

Nach, vergeblichen Versuchen einer konservativen Therapie 
nahm H. die Castration vor, welche in derselben unerklärten 
und zauberhaften Weise, wie dies anderweitig berichtet wird, die 
ganze Affektion besserte. 

Am gleichen Tage scliwandeu die Schmerzen und sehr bald 
stellte sich die Bewegungsfälligkeit wieder her, so dass Pat jetzt. 
y 2 Jahr p. o. gut gehen kann, kiloraeterlange Strecken zurücklegt 
und schon einen schwachen Versuch zu tanzen gemacht hat. 

Discusslon: Herr Senator fragt, ob Albumose im Urin 
gefunden wurde, was II. verneint. 

Tagesordnung: 

Herr E. Sani: Beitrage zur Morphologie des Typhhs- 
bacillus nnd des Bact. coli comm. 

Vortragender hatte vor ca. einem Jahr die interessante Mit¬ 
theilung gebracht, dass Staphylococeen sich unter gewissen Yer- 


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19. November 1901. MTTENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


suchsbedingungen im Agar so entwickeln, dass bei genügend 
laugftr D^per der Beobachtung (Wochen bis Monate) eine 
Differenzirung der Individuen im Zellstaate der 
Kolonie eintritt, und zwar dass sich die Kolonie nach dem 
Schema makroskopischer Pflanzen mit Stamm, Aesten 
und Laub entwickelt. Ganz das Gleiche konnte er späterhin 
für den Typhus- und Colibacillus feststellen und dabei differen¬ 
tiell-diagnostische Unterschiede in der Entwicklung der Typhus- 
und Coli-„Pflanze“ auffinden. 

Demonstration der Präparate. 

Herr Abel: Fall von Haematometra und Haematosalpinx 
bei Uterus duplex bipartitus: Operative Heilung. 

26 Jähriges junges Mädchen, vielfache Beschwerden bei der 
Menstruation. Objektiver Befund: Kindskopfgrosse. Haemato¬ 
salpinx und Haematometra im einen Uterushorn. Operation 
von der Vagina aus. Entfernung des kranken Uterushorns 
und der zugehörigen Adnexe. Heilung. 

Herr (J. Zuelzer: Zur Symptomatologie und Therapie 
der,Lungenhlähnng (Vagusneurose). 

Es ist für das Asthma bronchiale klinisch und experimentell 
festgestellt,, dass ein Bronchialmuskelkrampf mit consecutiver 
Lungenblähung durch Reizung des Vagus entstehen und durch 
Atropin bekämpft werden kann. Audi das gleichzeitige Vor¬ 
kommen von Lungenblähung und Herzneurose wurde beschrieben, 
wobei die Lungen äste gereizt, die Herzfasern gelähmt (Puls¬ 
beschleunigung) waren; diese Kombination konnte auch experi¬ 
mentell, erzeugt werden. Es lag nahe, auch eine gleichzeitige 
Reizung der Her?- und Lungenvagusäste zu erwarten, und in der 
Th&t konnte,Vortragender dieses klinische Bild — Lungen¬ 
blähung und Puleverlangsamung — in einer Reihe von Fällen 
erkennen. 

Hta Patienten, meist Männer, klagten über vage Be¬ 
klemmung auf der Brust, die sich bis zur Angst steigerte; dabei 
zuweilen Brennen in der Brust; einige hatten Athemnoth und 
glaubten deashalb lungenkrank zu sein. Herzklopfen war häufig. 

Das, sind zwar Klagen, wie man sie vielfach von Nervösen 
zu hören bekommt, doch wies die objektive Untersuchung ein 
Volumen pulmonum acutum nach. Der Puls war verlangsamt, 
43—60, 

Das Herz war meist gesund, doch fanden sich auch einige 
Heaekranke darunter. Das Abdomen war ohne Besonderheit. 
Es liess sich nachweisen, dass der N. vagus am Halse einer- oder 
beiderseits auffallend druckempfindlich war und eine Dosis 
Atropin brachte prompte Hilfe. Die erste Dosis, 0,001, wurde 
subkutan und dann nach ca. 8—10 Tagen innerlich ebensoviel ge¬ 
geben mit dauerndem Erfolg. Rückfälle bis jetzt nur in den mit 
ILer,zkrankheit kombinirten Fällen. Für die Aetiologie kommen 
Uejberanstrcngung und Aehnliches in Betracht. 

Hans Kohn. 


Modtokiische Gesellschaft in Chemnitz. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 16. Oktober 1901. 

Herr Na,uwerck: Zur Pathologie des Darmkanals. 

Redner wendet sich zunächst gegen die besonders von 
manchen Chirurgen vertretene Anschauung, dass der Begriff der 
Typhlitis stercoralis hinfällig geworden sei; er legt das 
Präparat von einem 78 jährigen, dementen Manne vor, welcher 
an chronischer Obstipation gelitten hatte und an Perforativ- 
peritonitis gestorben war. Im Coecum fanden sich umschriebene, 
diphtheritisch-ulceröse Zerstörungen vor, welche zu mehrfacher 
Dtyr^ivlöch^rung der Darmwand geführt hatten und auf Kopro- 
stasa bezogen werden mussten. — Weiter bespricht Redner die 
falschen Divertikel des Darmkanals und zeigt u. a. 
ein, 1,5 m langes Stück des Jejunums mit 66 Divertikeln vor; 
er meint» dass ein Theil derselben entweder als solche oder in 
ihrer Anlage angeboren sei. Gefässlücken scheinen regelmässig 
die Bajm der Divertikel zu bilden. Als eine bisher nicht sicher 
festg^tellte , Fundstätte falscher Divertikel ist der Wurm- 
f o r ts a.t.z zu bezeichnen; Herr Mertens fand an 106 Leichen 
des Chemnitzer Materials bei einem 75 jährigen Manne 3 hanf- 
korngrosse, kolbenförmige, am Mesenterialansatz gelegene Diver¬ 
tikel, die dem Verlauf der die Muskulatur durchsetzenden Blut¬ 
gefässe folgten; ferner bei einer 75 jährigen Frau ein Divertikel, 
welches die Kuppe des Processes vermiformis einnahra. Die 
krankhaften Folgezustände betreffen bisher wesent- 


1901 


lieh die Divertikel der Flexura sigmoidea: Entzündung der 
Schleimhaut, übergreifend auf Subserosa und Serosa (Graser); 
allgemeine Peritonitis bei zahlreichen, kothhaltigen, stark ent¬ 
zündeten Divertikeln ohne Perforation (Looiüis); Druck- 
gcschwüre in multipeln Divertikeln mit Durchbruch in das ipn- 
gebende Gewebe des Mesokolon und der Appendices epiploiqae, 
Eiterung, Bindegewebswucherung, narbiger Schrumpfung; Ver¬ 
dickungen und Verwachsungen am Peritoneum; Verzerrungen; 
Stenosen des Darms (Graser), u. U. mit Bildung harter, buck¬ 
liger Tumoren (Gussenbauer); Verwachsung von Diver¬ 
tikeln mit Nachbarorganen, Perforation der ersteren in letztere; 
Sidney-J ones sah eine in dieser Weise entstandene Fistel 
zwischen der Flexura sigmoidea und der Harnblase. Ais eigene 
Beobachtung berichtet Redner über einen 45 jährigen 
Mann, der bei bestehender Obstipation nach starkem Pressen 
während der Defaecation Schmerzen im ganzen Bauehe bekam 
und rasch an Perforativperitonitis starb. Als .Ursache fand 
sich ein, offenbar durch den mechanischen Insult an der Kuppe 
eingerissenes Divertikel der Flexura sigmoidea, welches f rei! if 
das Peritoneum mündete. Ein zweites Divertikel lag, nilt. 
Koth gefüllt, einige Centimeter weiter oberhalb (Demonstration). 
Endlich macht Redner darauf aufmerksam, dass Divertikel- 
des Wurmfortsatzes für die Entstehung eitriger 
Perityphlitis von Bedeutung werden können und theilt die 
Geschichte eines 15 jährigen Jungen mit, welcher Wegen recidi- 
vireuder eitriger Perityphlitis von Herrn Reichel 2ipal upe- 
rirt wurde; Heilung; am resecirten Wurmfortsatz fanden sich 2 
mit den Abscessen communicirende, von Schleimhaut ausge- 
kleidete, neben dem Mesenteriolum gelegene, dünne Kanäle, 
d. h. die engen, die Darmwand annähernd senkrecht durchsetzen¬ 
den Theile von Divertikeln, deren Kuppen ulcerirt und per- 
forirt waren. 

Herr Kleinschmidt spricht zur Differentialdiagnose 
zwischen Otitis externa und Mastoiditis. Walther. 


Aerztiicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 12. November 1901. 

Vorsitzender: Herr Kümmell. 

I. Demonstrationen: 

1. Herr Hess bespricht einen Fall von Osteoarthropathie 
hypertrophiante pneumique, jenem Krankheitsbilde, das 180Ü 
Marie von der Akromegalie abtrennte. Die allmählich sich ent¬ 
wickelnde Anschwellung der Hände und Füsse entstand seit An-: 
fang vorigen Jahres bei dem 34 jährigen Maurer unter ziehenden 
Schmerzen. Von der hyperplastischen Ostitis werden Röntgen- • 
bilder demonstrirt. Die Behandlung bestand bisher ln Colchiciu 
und Jodothyrin. 

2. Fall von B, a y n & u d’scher Krankheit bei einem Maurer, 
in welchem die Aetiologie ln den andauernden Traumen bei der • 
Arbeit gefunden werden kann. Der Fall ist ferner insofern be* 
merkenswertb, als die Verfärbungen, der. Finger nur auf der einen 
Seite auftreten, sehr wechselnd sind und es nicht zur Gangraen 
gekommen ist. Die Verfärbung der Fingerglieder geht anfaUaweise 
so vor sich, dass Anfangs die,Finger weis» werden, dann schwarz¬ 
blau und endlich wieder, roth erscheinen. Däbei.wlrd eine BlÄa--.> 
chenbildung an den Fingerspitzen beobachtet; die Bläschen füllen 
sich mit haemorrhagisebem Serum, platzen, hinteriasaen schwärz¬ 
liche Schorfe. In der Nähe der Bläschen wird vermehrte Schweiss- 
sekretlon beobachtet 

2. Herr Kümmell stellt eineu Fall von Lebercirrhose vor, 
bei dem er durch Laparotomie den Ascites entfernt und Bach 
Talma durch Netzfix. ation au der vorderen Bauch wand 
neue Collateralen zwischen Pfertaderaystain und Vena enva in¬ 
ferior geschaffen hat. Die-bisher gewonnenen Erfolge ermuthigeu 
zu weiteren Versuchen. K. selbst hat 6 derartige Fälle operirt 
und Ist mit den Resultaten zufrieden. Von. den 1 & bisher ln der 
Literatur bekannten Fällen Bind 5 gehellt 4 wesentlich, 2 etwas 
gebessert Die übrigen starben, bezw. sind nicht lange genug 
beobachtet 

3. Herr S a e n g e r demonstrirt 3 Fälle aus der Hirpchinurgfe, 

a) 2 jähriges Kind. Sturz aus dem Fenster 3 Etagen tief.. 
Bewusstlosigkeit. Rechtsseitige Lähmung. Blutig-seröser Aus¬ 
fluss aus dem linkeu Ohr. Depression des Scheitelbeins. Nach 
2 Tagen Besserung; dann tiefe Benommenheit, erneute rechts-. 
seitjge Lähmung mit rindenepiieptischen Zuckungen der rechten. 
Seite. Zunehmender Collaps. Trepanation. Entfernung eines, 
subduralen Haematoms über der Centralwindungi Vollk o mm e ne 
Heilung bis auf leichte Schwäche im rechten Arm. 

b) Wiedervorstellung eines 21 Jährigen Mnnqes, bei dem wegou. 
Kleinhirntumor die palliativ«* Trepanation 1800 auegefüh*4 
wurde. Die, doppelseitige Stauungspapille ,ging prompt wrtick, 
ebenso wie die übrigen TumorerscheinUUgen, die in Pulsveriang- 



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1902 


MtJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


Nunnng, cerebellarein Gang, Kopfschmerz, Erbrechen bestanden. 
Im Mürz dieses Jahres traten ähnliche Tumorerscheinungen 5 Tage 
lang auf. Zur Zeit relatives Wohlbefinden. S. empfiehlt die pallia¬ 
tive Trepanation auch bei inoperablen Hirntumoren, zur Beseiti¬ 
gung der quälenden Hirndruckerscheinungen, insbesondere zur Ver¬ 
meidung völliger Erblindung; da die Stauungspapillen in 7 Fällen 
nach Trepanation zurückgegangen sind. 

c) 00 jähriger Mann, der vor 12 Jahren wegen eines 
otitiEchen Hirnafcscesses im linken Schläfenlappeu operirt wurde. 
Trepanation. lneisiou. Heilung. Damals bestand nel)en einer 
alten Otitis sensorische Aphasie, vorübergehende Pulsverlang¬ 
samung, beginnende Stauungspapille liuks. Pat. ist jetzt noch 
dauernd geheilt, bis auf gelegentliches Versprechen. 

4. Herr Maes demonstrirt eine geplatzte Tubenschwanger- 
schaft Im 1. Monat mit Deciduabilduug im Uterus und einen 
graviden Uterus im 1. Monat; beide Präparate stammen von Sek¬ 
tionen plötzlich verstorbener Frauen. 

5. Herr Michael demonstrirt das Centralnervensystem 
eines 7 jährigen Kindes, das mit Oculomotorius- und Facialisparese, 
Stauungspapille, Amaurose, anfallsweiser Benommenheit, Para¬ 
parese der Beine, Incontinenz, zeitweisem Erbrechen und anderen 
Zeichen eines hochgradigen Hirndrucks in mehreren Monaten zu 
Grunde ging. Es fand sich ,wie auch klinisch angenommen war, 
ein kleiuapfelgrosses, weiches Gliosarkom, das auf den Boden des 
IV. Ventrikels drückte und einige metastatische Rückenmarks- 
tumoreu. 

(3. Herr Mond berichtet unter Vorzeigung des frischen Präpa¬ 
rates über einen von ihm operirten Fall von Pseudomyxoma peri- 
tonei. Die 50 jährige Kranke war rasch abgemagert, bot eine be¬ 
deutende Auftreibung des Leibes, in dem ein grosser Tumor zu 
konstatlren war. Bei der Koeliotomie faud sich die Bauchhöhle 
augefüllt mit einer gallertigen Masse, die einer geplatzten Eier- 
stockscyste entstammte uu« von der mehr als 14 Pfd. entleert 
wurden. Amputation des myomatösen Uterus. Die Darmschlingen 
fanden sich vielfach untereinander verwachsen. Prognose un¬ 
günstig. 

7. Herr S u d e c k bespricht die nach Traumen auftretenden 
Muskelverknöcherungen. 

Am bekanntesten sind die „Keitknoehen“ und „Exercier- 
knochen“. Viel seltener sind die im Brachialis internus 
auftretenden Verknöcherungen nach Luxation 
des Ellenbogens nach hinten. Diese Verknöcherungen, 
deren Entstehung auf die Muskelzerreissung oder Zertrümmerung 
zu beziehen und die durch die Röntgenaufnahmen genau zu ver¬ 
folgen sind, bieten zum Thell ziemlich hochgradige Motilitäts¬ 
störung, vor Allem behindern sie die Beugung. S. demonstrirt 
eiue Reihe derartiger Beobachtungen mittels Projektionsapparat 
und bespricht die operativen Maassnahmen zur Beseitigung die.-er 
Ossifikationen. 

II. D i s c u s s i o n zu dem Vortrag des Herrn Nonne: 
lieber diffuse Sarkomatose der weichen Häute des Central¬ 
nervensystems. 

Die D i s c u s s i o u, an der sich die Herren Deutsch- 
mann, Embden, Saenger, Boettiger, Buchholz, 
Beselin und der Vortragende betheiligen, dreht sich haupt¬ 
sächlich um die Erklärung der Sehstörung, des Befundes am Ner¬ 
vus opticus; ferner um die Differentialdiagnose gegen Lues, end¬ 
lich. um den Befund bei anderen malignen Neubildungen: Carcinose 
der Pia und Subarachnoidea. Werner. 


Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik 

(OffldeUea Protokoll.) 

Sitzung vom 17. Oktober 1901. 

Herr Emmerich demonstrirt ein 5monatliches Kind fnit 
linksseitigem angeborenem Schiefhals, als dessen Ursache sich 
eine fingerdicke, strangförmige Schwellung des ganzen Muscul. 
sternocleidomastoideus vorflndet. 

Ferner berichtet derselbe über einen jungen Mann mit fast 
völligem angeborenen Defekt des r. Muse, pectoralis major. 
Wie aus der vorgelegten Photographie zu ersehen ist, ist nur ein 
kleiner, dem Deltamuskel zunächst liegender Muskelstrang vor¬ 
handen. 

Herr Heinlein: Ueber Gelenkmäuse. 

H. gibt unter Zugrundelegung zweier eigener Beobachtungen 
eine eingehende Darstellung des heutigen Standes der Lehre von 
der Aetiologie, der pathologischen Anatomie und den klinischen 
Erscheinungen der als „Gelenkmäuse“ bezeichneten freien 
Körper ln den Gelenken. Die von einzelnen Autoren erwähnte 
Thatsache des bisweilen beobachteten Festwachsens der freien 
Körper ln den Gelenken wurde durcli die einschlägige Beobachtung 
eines eigenen Falles erhärtet, in welchem wiederholt und mit Be¬ 
stimmtheit ein fast erbsengrosser freier Körper in dem Ellbogen¬ 
gelenk nachgewiesen war; nach Eröffnung des Gelenkes gelang 
nirgends der Nachweis des sicher darinnen befindlichen freien 
Körpers, so lange auch nach demselbeu mit Schieihaken, 
Aueurysmanadeln, gekrümmten Sonden, Gallensteinfüngern der 
Gelenkraum durchforscht wurde. 

Nach bald vollendeter Wundbehandlung kehrte ln Kurzem 
die Gelenkfunktion völlig zur Norm zurück, so dass die Annahme 
's Fest Wachsens des freien Körpers an einer Stelle, wo kein 


direkter Kontakt gegenüberstehender Gelenkflächen stattflndet, 
keinem Zweifel begegnen wird. 

Durch die Wahrnehmung, dass beim Nachweis und der Fixation 
einer Gelenkmaus der Patient nicht selten mehr Erfolg hat, als 
der Arzt, wurde H. bestimmt, ln einem Falle von Kniegelenk maus 
dieselbe therapeutisch nutzbar zu machen in der Welse, dass nach 
der in Schleie li’s Iuflltrationsanaesthesle bethütigteu Arthro 
tomie die sorgsam desinflzirten und mit Handschuheu beklei¬ 
deten Finger des Patienten den freien Körper aufsuchten und 
denselben innerhalb weniger Augenblicke in den Gelenkwundspnlt 
einstellen konnten, so dass die Extraktion mühelos gelang. Es 
erfolgte, wie im ersten Falle, Heilung p. pr. int. mit völlig normaler 
Geleukfuuktion. DeT fast haselnussgrosse knorpelig - knöcherne 
freie Körper mit einigen kurzen fadenförmigen bindegewebigen 
Anhängen wird vorgelegt. 

Herr Flatau bespricht unter Vorlegung der einschlägigen 
Präparate einige wichtigere Fälle aus den letzten Monaten seiner 
operativen Thätigkeit. 

1. Eine Dermoidcyste des rechten Eierstocks bei bestehender 
3y z monatlicher Schwangerschaft. 

Die Dame erkrankte plötzlich mit peritonitisclieu Erschei¬ 
nungen, Fieber und hohem Puls. Die Diagnose war erschwert 
durch den Sitz der harten Geschwulst, die, scheinbar unbeweglich, 
unter dem linken Kippeubogen sass; da Nieren-, Milz- und Netz¬ 
tumoren auszuscliliessen waren, lautete die Diagnose „Adnextumor 
oder gestieltes Myom mit Stieldreliung“. Bei der Laparotomie 
wurde das oben genannte Dermoid (kopfgross) entwickelt, der 
Stiel war 3*4 mal um seine Achse gedreht; im Balg und im Innern 
zahlreiche Blutgefässe, die Tube ist zu einer akut entstandenen 
Haemotosalpinx umgewandelt Heilung ohne Beeinträchtigung 
der Schwangerschaft 

2. Das Präparat eines total cystisch degenerirtenmyomatösm 
Uterus von Doppeltmannskopf grosse bei einer 29 jähr. Virgo. 

Die Einschmelzung des festen Gewebes ist eine so vollstän¬ 
dige, dass nur ein ca. 2 mm dicker Balg übrig geblieben ist der 
makroskopisch nicht von einem Cystenbalg zu unterscheiden ist. 
Der Vortragende erinnert an die Demonstration eines analogen 
Präparates vom 5. X. 1899 (s. diese Wochenschr. 1899, No. 50) und 
au seinen Protest, ähnliche degenerirte Myome als „Uteruscysten" 
anzusprechen. Was die Erklärung des Vorgangs der Einschmelz¬ 
ung des Flbromyomgewebes anbetrifft, so möchte sich F. dahiu 
aussprechen, dass man es hier mit einer bestimmten regressiven 
Metamorphose der Bindegewebszelle zu thun hat, mit einer che¬ 
mischen Veränderung biologischer Natur. Charakteristisch für die 
cystisch degeuerirten Myome ist das rapide Wachsthum, wenn die 
Einschmelzung grösseren Umfang angenommen hat. (Die Ope- 
rirte ist geheilt.) 

3. Die Demonstration dieses abdominal totalexstlrpirten 
Uterusmybms und noch zweier anderer myomatöser Uteri be¬ 
nutzt F., um wieder einmal die von ihm seit 6 Jahren geübte 
Methode der abdominellen Totalexstirpation in Erinnerung zu 
bringen. Schon Jahre vor Bum m’s Aufsatz in den HegaFschen 
Beiträgen hat F. so operirt, dass er die Ligamente von oben nach 
unten mit Hilfe von etappeumässlg vorgeschobenen Klemmen 
durchtrennte, während eiue grosse Klemme, längs der anderen 
Uteruskante angelegt, den Blutzufluss aus den gegenüber gelegenen 
Gefiissen abhlelt Die Portio wurde entweder erst vaginal aus¬ 
gelöst oder in den letzten 2 Jahren meistens von oben frclgelegt. 
Nach Abtragung des Uterus mit seinen Geschwülsten werden die 
einzelnen Klammern abgenommen; wo es blutet, wird eine Ligatur 
angelegt und zuletzt mit einer fortlaufenden Naht der ganze Peri¬ 
tonealschlitz geschlossen. Dieses Vorgehen, dem F., durch aus¬ 
gezeichnete Erfolge bestärkt, treu geblieben ist, hat er schon im 
Jahre 1897 in dieser Gesellschaft demonstrirt und in ihren Proto¬ 
kollen publizirt (s. diese Wochenschr. 1897, No. 36). 

4. 6 Fälle von Pyosalpinx, alle geheilt. Von der erst geübten 
sog. Stielung der Tubeneitersäcke und Ihrer Abbindung Ist F. bald 
abgekommen und hat sich dann der vaginalen Radikaloperation 
nach Doyen -Landau zugewandt. In den letzten Jahren hat 
F. wieder die abdominale Exstirpation vorgezogen. Die beiden 
grossen früheren Nachthelle dieses Verfahrens, nämlich die Ge¬ 
fahr des Platzens der meist fest adhaerenten Tumoren bei deu 
Versuchen der Stielbildung und die lästigen und quälenden Stumpf¬ 
exsudate post operationein, glaubt er durch seine Technik ver¬ 
mieden zu linben. Ein Anhänger Rump f’s sieht F. von Jeder 
Stielung ab, wo nicht die natürlichen Verhältnisse einen solcheu 
darbieten, ebenso von jeder Massenligatur. Die Adhäsionen der 
Tubensäcke werden vorsichtig mit Messer, Scheere und Pinzette, 
ln situ, ohne Zerren und Ziehen am Tumor, getrennt und dann 
der Tumor mit der Scheere direkt am Ligameutansatz so abge¬ 
schnitten, dass die ganze Tubenecke des Uterus in Gestalt einer 
Pyramide raltexstirpirt wird. Es blutet nur unbedeutend, diese 
2 oder 3 Stellen werden mit Schiebern gefasst und unterbunden 
und dann wird der Uterusspalt und der Schlitz im Ligamentum 
latum durch eiue sorgfältige, fortlaufende Naht so geschlossen, 
dass Peritoneum an Peritoneum liegt. F. demonstrirt die Tuben¬ 
tumoren mit deu nocli daran hängenden Stücken der Uterustuben- 
ecke. Da Jede unnatürliche Zerrung des Peritoneums bei diesem 
Verfahren fortfällt, Ist auch die Schmerzhaftigkeit in den ersten 
Tagen post operntionem eine sehr gemilderte. Als Unterbinduugs- 
und Nahtmaterial In der Bauchhöhle dient seit Jahren das vor¬ 
treffliche Cuinolcatgut nach K r ö n i g. 


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19. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1903 


Rostocker Aerzteverein. 

Sitzung vom 14. September 1901. 

Herr Kühn: Beiträge zur Pathologie und Therapie des 
Unterleibstyphus. (Bericht über die im Jahre 1900 in der mcd. 
Klinik zu Rostock behandelten Typhusfälle.) 

Der Vortrag wird in ausführlicher Bearbeitung demnächst 
im Deutsch. Archiv für klin. Med. erscheinen. 

Vor Eintritt in die Tagesordnung ertheilte der Vorsitzende 
Herrn Barfurth das Wort zu einer kurzen Mittheilung über 
eine in seinem Institut gemachte interessante Beobachtung, hetr. 
die Regeneration der Linse beim Hühnchen. 

Vortragender demonstrirt und erläutert die Sehnittserie eines 
Hühnerembryo, bei welchem am zweiten Bebrüt tu ngsta ge die Lin¬ 
senanlage mit heisser Nadel zerstört war und der am fünften Be- 
briitungstage lebend konservirt wurde. Herr eand. med. O. Dra¬ 
ge n d o r f f. dem wir das Präparat verdanken, legte mir dasselbe 
zur Aufklärung vor, da ihm die etwas schwierige Deutung nicht 
gelang. Meine Untersuchung ergab, dass in dem verletzten rechten 
Auge Regenerationserscheinungen eingetreten sind, die an anderer 
Stelle besprochen worden sollen. liier genüge es. die wichtige 
Thatsaclie hervorzuheben. dass sieh eint* neue Linse vom 
I r i s r a n d e des sekundären Augenbechers aus ge¬ 
bildet hat. geradeso wie es bei den Augen der Tritonen und 
Salamanderlarven nach Extraktion der Linse von C o 1 u c c i, 
G. W o I f f. E. M ii 11 o r. W. K ochs u. A. beobachtet worden ist. 
Die neugebildete Linse misst 0,100 mm im Durchmesser, hängt vorn 
und hinten noch mit dem Augeiiheehcrrande zusammen, besitzt 
eine sehr kleine Höhlung und weist im unteren Theil langgestreckte 
Zellen auf, wie sie in der normalen Linse vor Bildung der Fasern 
gefunden werden. Die normal entwickelte Linst* des nicht ope- 
rirten linken Auges ist dagegen viel weiter entwickelt, hat im 
Durchmesser 0.3. r >0 nun, zeigt schon gut entwickelte Linsenfasern, 
eint* der Ausbildung nabe Kernzone und eine Reduktion der 
Höhlung auf einen schmalen Spalt. 

Dieser interessante Befund lehrt, dass auch die Vögel im 
Embryonalstadium noch Regenorat ionsfähigkeit besitzen,während 
sie den erwachsenen Vögeln fast gänzlich fehlt. Das gleiche Ver¬ 
halten habe ich seit Langem für Amphibien festgestellt. 

Ferner.folgt aus der initgetheilten Thatsaclie. dass die Zellen 
des Augenbecherrandos bei der regenerativen Entwicklung auch 
Linserfasfirn zu bilden vermögen, während die normale 
Linse sieh direkt aus dem Ektoderm entwickelt. 

Zur Erläuterung des Vorgetragenen waren einige Präparate 
unter dem Mikroskope aufgestellt worden. 

Im Anschluss an die Statistik macht Herr Pfeiffer auf 
die. verhältnissmässig grosse Anzahl von Erkrankungen an 
Brechdurchfall aufmerksam und gab einen Theil der 
Schuld den hierorts bestehenden ungünstigen Milchverhältnissen, 
insofern die Kühe der hiesigen Gegend eine auffallend fettarme 
Milch lieferten. 

Herr G e f f c k e n a. G.: Grundzüge (Ziele und Aufgaben) 
der modernen sozialen Gesetzgebung. (Erscheint in dieser 
Wochenschrift.) 


Phy8ikalisch-medicinische Gesellschaft zu WQrzöurg 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 29. Oktober 1901. 

1. Herr J. Riedinger: Ueber eine Haltungsanomalie 
bei Hysterie. (Der Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift.) 

2. Herr Edel: Ueber cyklische Albuminurie, Nephritis 

und deren Behandlung. (Der Vortrag ist ausführlich in No. 40 
und 47 dieser Wochenschrift- abgedruckt.) 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

Der besondere Ausschuss der bayerischen Abgeordneten¬ 
kammer zur Vorheratlimig des Gesetzentwurfes über die ärztliche 
Standes- und Ehrengeriehtsordnung hat in den beiden letzten 
Sitzungen von den 10 Artikeln der Elirengerii htsordnung die ersten 
7 durehberatheu und damit, den materiell grösstem und wichtigsten 
Theil derselben erledigt. Zum Glück ist die Abstimmung innerhalb 
des Ausschusses noch nicht »massgebend für die Stellungnahme 
dos Plenums; sonst müsste die vom Ausschüsse beschlossene 
Fassung des Art. 2 die Prognose für das Zustandekommen des Ge¬ 
setzes trüben. 

An Stelle des Art. 1: S ii m m 11 i e li e A urzt e. w e 1 e li o 
in Bayern Praxis a u s ii b e n, u nterst <* li e n e i n o r 
Standes- nn d E li r <* n g e r lebt s o r d n u n g" wollte der 
Referent Abg. y. Land mann den § 1 der pivussischen Ehren¬ 
gericht.sordnung einsetzen: „Für den Bezirk einer jeden Aerzte- 
kammer wird ein ärztliches Ehrengericht, für den Umfang des 


Königreichs ein ärztlicher Elnvngerichtshof gebildet“. Der Re¬ 
ferent konstatirte als seine Meinung, dass unter den „Aerzteu“ 
sätnmtliehe approbirte Aerzto, also auch Zahnärzte und Aerztinnen 
zu verstehen seien; bezüglich der Zahnärzte ist diese Meinung 
nicht richtig: sie haben mit «hm Aerzteu zwar das Erfordernis» 
einer Approbation gemein, wie auch die Thierärzte, gelten aber 
sonst nicht als Aerzto sui generis, und waren auch bisher weder 
in den ärztlichen Bezirksvereinen, noch iu den Aerztekammern ver¬ 
treten. Aerzto, welche keine Praxis ausüben, unterliegen nach der 
Erklärung des k. Staatsministers der Standes- und Ehrengerichts- 
ordnung nicht, sonst aber alle, welche Praxis ausüben; der Voll¬ 
zug gegenüber den Nachbarstaaten bleibt der Vereinbarung mit 
denselben überlassen. Du «li«* Annahme des Art. 1 die Schaffung 
einer Standesordnung prüjudiciren würde, wird zunächst provi¬ 
sorisch abgestimmt, wobei er angenommen wird. 

„Art. 2. In der Stnndcsotdiiung werden die Pflichten fest- 
gestellt. welche den Aerzteu in Ausübung ihres Berufes und zur 
Wahrung der Standexelm* obliegen. 

Die Staudesordnung wird nach Einvernahme der Aerzte¬ 
kammern uml des Oberuicdieimilausseliusses durch das Siaats- 
miuisterium des Innern erlassen. 

Die Ueberwaehung der Standesorduung erfolgt durch die 
nach Verordnung gebildeten ärztlichen Bezirksvereine und 
Aerztekammem.“ 

Eine lebhafte Discmssion war gerade hier zu erwarten. Der 
Referent erklärte sich nicht damit einverstanden, dass die Pflichten 
der Aerzto in der Standesorduung aufgeführt werden sollten und 
verlangte, dass die wichtigsten Bestimmungen in das Gesetz auf- 
zunelimen und nur minder bedeutende im Verordnungswege zu 
regeln seieu; Absatz 3 müsse ganz gestrichelt werden. Der Cor- 
referont bat um unveränderte Annahme des Regierungsentwurfes. 
war aber auch «lafür. gewisse grundlegende Bestimmungen in das 
Gesetz selbst mitaufzunehimm. Der k. Staatsminister erklärte, 
die Regierung würde es vorzielieu, wenn im Allgemeinen die ganze 
Regelung der Standesordnung den Aerztcn überlassen würde, alter 
aus wichtigen Gründen habe sie das Odium auf sieh genommen, 
eine Standesorduung zu erlassen; gegen die Aufnahme einzelner 
wichtiger Punkte in das Gesetz habe er nichts. Bei dem Wider¬ 
streit der Meinungen ward die weitere Berathung vertagt; Referent 
und Correferent sollten im Benehmen mit den Miulsterialreferenten 
darüber Vorschläge machen, welche Bestimmungen der Standes- 
ordmmg in das Gesetz aufzuneluneu seien. Auch diese wohl¬ 
gemeinte Absicht führte nicht zu einer Uebereinstimmung der 
Anschauungen. In der folgenden Sitzung bracht«? der Referent 
Abg. v. Land mann folgenden Antrag ein, der schön Positives 
vom Negativen schied: 

„Die Staudesordnung muss folgende Be¬ 
stimmungen enthalten: Der Arzt ist verpflichtet, seine 
Berufsthätigkeit gewissenhaft auszuüben und durch sein Ver¬ 
halten in Ausübung des Berufs, sowie ausserhalb desselben sich 
der Achtung würdig zu zeigen, die seiu Beruf erfordert. Poli¬ 
tische, wissenschaftliche und religiöse Ansichten oder Hand¬ 
lungen eines Arztes als solche können niemals Gegenstand eines 
ehrengerichtlichen Verfahrens bilden. Streiks mit Ililfeverweige- 
rung verstossen gegen «lie Würde des ärztlichen Standes. 

Die Standesordnung darf keine Bestim- 
m u n g e n t li a 11 e n : welch«* 1. dem Arzte die freie Wahl der 
Heilmethode oder des Heilverfahrens; 2. die freie Verordnung 
und Verwendung von Heilmitteln aller Art; 3. das Abhalten von 
Sprechstunden ausserhalb seines gewöhnlichen Praxisgebietes; 
4. das Halten von wissenschaftlichen Vorträgen; 5. die Bezeich¬ 
nung als Specinlist. wenn er im Besitz d«*r nütliigeii Vorbildung 
ist; G. die Kritik ärztlicher Thätigkoit Nichtärzten gegenüber, 
cs sei denn eine leichtfertige oder rücksichtslose; 7. die unent¬ 
geltliche Behandlung der Patienten: S. das Bekanntgeb«*n der 
Praxiscröffming und <l«*s Wohnungswechsels, soferae es nicht in 
einer «les Standes unwürdigen Form geschieht, verbietet. Durch 
die Staudesordnung darf in keiner Weise 9. eine Bestimmung 
über die Festsetzung des ärztlichen Honorars; 10. über den Ab¬ 
schluss von Verträgen mit öffentlichen und privaten Korpora¬ 
tionen: sowie 11. über «las Unterbieten bei Bewerbungen um 
ärztliche Stellen getroffen werden. Es können auch jene Hnnd- 
hingen «1er Aerzte, welche unter die unter Absatz 10 aufgeführten 
Punkte fallen, nicht Gegenstand eines ehrengerichtlichen Ver¬ 
fahrens bilden.“ 

Wenn «las Alles künftig erlaubt sein sollte, was nach «les Re- 
ft-renten Meinung nicht v«*rboten w«*r«l«*n darf, «lnnn würde» di«* 
Aerzte auch, und gerade bei „gebildeten Nichtärzten“, nicht viel 
Ehre mit einer Standesonlnung einleg«*n. Den Passus über Streiks 
erklärte der Referent fallen zu lassen: obwohl «*r Jurist ist und 
obwohl im Ausschuss«* schon so viel von d«*r Gewerbeordnung di'* 
Rede war, bat er. scheint, es. «loch erst in letzter Stund«* sieh davon 
überzeugt, «lass di«* Gewerbeordnung ihn auch liier im Stiche lass«-. 

In einen erfreulichen <;«>gcnsatz stellt«* sieh «l«*r Korreferent 
Dr. Hau her: «*r trat «len einzelnen Punkten des Ref«*raf«*s ent¬ 
gegen und beantragt«*, nur «lie beiden Bestimmungen, weielu* «li«* 
allgemeinen Berufspüichten «l«*r Aerzte und «lie Niehtv«*rfolgbark«-it 
politischer, religiöser und wiss«*nsehaftli« , her Ansichten uml Hand¬ 
lungen betreffen, in «las Gesetz aufzunchuieii: <*r wurde hiebei vom 
Vorsitzenden Dr. Casselman n unterstützt, von I)r. Gäeli und 
Dr. Frlir. v. llall <• r bekämpft. 1 >«*i* k. S t a a t s m i n i s t e r 
erklärte sieh mit «lein Antrag«* «i(*s Korivfeivnien «unverstanden; 
dagegen seien die Anträge des Referenten t h e i 1 s 


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1904 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


überflüssig, theils gegen die Gewerbeordnung, 
t h e i 1 8 sonst nicht acceptnbel. 

Bei der Abstimmung wurden die Anträge des Referenten aus¬ 
schliesslich der Streitklausel mit 4 gegen 3 Stimmen (Dr. Cassel- 
mann, Dr. II a über und Le hm ei er) angenommen und so¬ 
dann der ganze Art. 2 mit den Anträgen des Referenten zum Be¬ 
schluss des Ausschusses erhoben. 

Bei der Beratliung des Art. 2 machte der k. Staatsminister 
auch Mittheilung über die von der mittelfränkischen Aerztekammer 
veranlasste Abstimmung der mittelfriiukisehen Aerzte, von denen 
325) sich für und nur 5) gegen eine Standes- und Ehrengerichts¬ 
ordnung aussprechen. Dieser zum mindesten beachtenswerthen 
Kundgebung legten Dr. Güoh und Dr. Erhr. v. Haller keine 
Bedeutung bei. Letzterer äusserte sich in verletzender Weise, dass 
die del minorum gentium sehr oft geneigt seien, dem Drucke der 
Oberen nachzug<*ben. Der Vorsitzende Dr. Cassel mann wies 
dies gebührend zurück: es wundere ihn. wenn gerade ein Sozial¬ 
demokrat einer solchen Abstimmung gebildeter Männer so wenig 
Werth beilege, während er die Abstimmung selbst des letzten Ar¬ 
beiters so hoch halte. Der Referent äusserte sich anscheinend nicht 
dazu: seine Gewährsmänner, auf die er sich wiederholt bei den 
Ausschussberat hangen berufen hat. sind anonym, hier uIkt han¬ 
delt«* es sich um eine öffentliche und namentliche Abstimmung, 
«*s wurden sogar die Stimmzettel der Abgeordnetenkammer cin- 
geschh'kt. 

„Art. 3. I)«*n ärztlichen Bezirksv«*reinen kommt «>s für den 
Bezirk, auf welchen der Y«*rein sich «*rstreckt. zunächst zu. 
die Einhaltung der Standesordnung seitens der Praxis ausüben¬ 
den Aerzte zu wahren. Die Vorstandschaft des Veivines ist 
dabei — vorbehaltlich dessen, was unter Art. 4 Abs. 3 Iwstimmt 
ist — befugt. Aerzte auf ein Verhalten, das mit der Standesord¬ 
nung nicht im Einklänge st«*hen«l eracht«*! wird, aufmerksam zu 
machen, vertrauliche Mahnungen und Warnungen damit zu vor- 
bimb n und die Einhütung des ehrengerichtlichen Verfahrens an¬ 
zudrohen. 

Sollte für den einschlägigen Bezirk ein ärztlicher Bezirks¬ 
verein nicht iM'Stehcn, so hat die Vorstandschaft der Aerzte- 
kammer die unter Abs. 1 bezeichnete Aufgabe einem benach¬ 
barten Bezirksvereine innerhalb des Aerztekammerbezirkes zu 
übertragen.“ 

Der Referent erklärt, sich dagegen, da Art. 3 nicht in das Ge¬ 
setz. sondern in «lit* Vollzugsvorschriften gehöre und die Mitglieder 
der Bezirksvereine immer Konkurrenten des Arztes seien: der Kor¬ 
referent ist für Art. 3, da an den Bezirksvereinen als erste Instanz 
festzulialten sei: auch der k. Staatsminister hält diese Bestimmung 
für absolut nothwendig. 

Art. 3 wird mit 4 gegen 3 Stimmen (v. Landmann, 
Dr. G ä c h und Dr. Frhr. v. Ilaller) angenommen. 

„Art. 4. Im veranlassten Falle ist gegen den betreffenden 
Arzt wegen Verletzung der Standesordnung durch di«* zuständige 
Vorstandschaft des ärztlichen Bezirksvereines «las ehreng«*richt- 
liclie Verfahren einzuleiten und zu diesem Zwecke für die ent¬ 
sprechende Feststellung <l»*s Thatbestandes. die Vernehmung des 
Beschuldigten und die Erhebung «l«*r Beweise Sorge zu tragen. 

B«*l diesen Verhandlungen kann, namentlich wenn eidliche 
Vernehmungen nothwendig werden, die Mitwirkung der Distrikts- 
poliz«*ibehörd«‘n in Anspruch g«»nommen werden. In Bezug auf 
Z<*ug«*u und Sachverständige kommen bei den Distriktspoliz«*i- 
behürden die Bestimmungen der Reichs-Strafprocessordnung in 
entsprechender Weise zur Anwendung. 

Richtet sich in den Fällen des Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 
die Beanstandung geg«*n «*inen im Staats- oder Militärdienste 
stehenden Arzt, so ist die Ang«*leg«>nheit ohne weiter«*» Verfahren 
an die demselben Vorgesetzte Behörde abzugeben.“ 

Es werden zunächst die beiden ersten Absätze zur Beratliung 
gestellt; der Referent und Dr. v. Haller nehmen auch hier eine 
ablehnende Stellung ein. doch werden die beiden ersten Absätze 
gegen 3 Stimmen (wie oben) angenommen. Die Anfrage des Re- 
ferenten, ob auch j«*«ler Dritte ohne vorherige Thätigkeit des Be¬ 
zirksvereins Klage bei der Aerztekamuier erheben könne, ward 
vom k. Staatsminister bejaht. 

Auch der letzte Absatz gelangte unverändert zur Annahme. 
Es war ein schöner kollegialer Zug zahlreicher Amtsärzte, dass sie 
selbst darum nachsuchten, in ihrer privatürztliehen Tliäitigk**it der 
ärztlichen Ehreng«*richtsor«lnnng unt«*rstellt zu werden. aln*r es 
ist auch verständlich, wenn die k. Staatsregierung nicht auf ihr 
Disziplinarreeht g«'genül>or einem Theile ihrer Beamten verzichten 
o«ler dieselben einer doppelten Abunheilung unterstellen wollte: 
<i«*r k. Staatsminister erklärt«* ausdrücklich, «lass die Stnud«*s«»rd- 
nung auf alle Amtsärzte Anwendung findet und dass nur di«* Ab 
urtiuülung durch die Vorgesetzte Dicnstesbehörd«* erfolgt. Referent 
und Korreferent erklärten sich mit Abs. 3 einverstand *n. Dr. G ä c h 
möchte, «lass die Amtsärzte aus den Aerztekamtm-rn und dem Ober- 
inedicinalausschiisse hiuauskämen, da «lie praktischen A«*rzte kein 
Vertrauen zu ihn«*n hätten und Dr. v. Haller stellte den Antrag, 
«lass di«* der Zuständigkeit des Ehrenrathes und des Ehrengerhüits- 
bol'cs nicht uut<*rworfeneu Aerzte bei «len Wahlen hiezu wc«l«*r 
aktives noch passives Wahlre<-ht hab«*n sollten. (In der prettssischen 
Ehrengeri«*htsonlnung ist ein solcher Passus enlhalt«*n.) Der kgl. 
Staatsminister b«*dauerl«* «li<* abfällig«* Kritik über die Amtsärzte, 
die wohl von «len übrigen A«*rzten nicht allgemein gctheilt werde: 
wenn man «lie Amtsärzte unter di«* Stamlcsordnting stelle, müsse 
man ihnen auch das Recht lassen, in die Aerztekamtuern u. s. w. 
gewählt zu werden. Auch der Vorsitzende Dr. Cassel mann 


war der Ansicht, dass die Rechte der Amtsärzte bezüglich der 
Wählbarkeit etc. nicht beschnitten werden sollten und dass man 
nicht eine Animosität gegenüber dem ganzen Stande der Amts¬ 
arzt«* zum Ausdruck bringen solle. Der Antrag Dr. v. H a 11 e r's 
ward abgelehnt, die Petition der Amtsärzte durch die Beschluss¬ 
fassung über Art. 4 Abs. 3 als erledigt erklärt. 

„Art. 5. Zur ehrengerichtlichen Entscheidung in erster In- 
stanz wird am Sitze jeder Aerztekammer ein Ehrenrath aus vier 
Aerzten und einem Verwaltungsbeamten gebildet. 

Die ärztlichen Mitglieder nebst zwei Ersatzmännnem werden 
von der Aerztekammer auf je drei Jahre gewählt, der Verwal¬ 
tungsbonint«* und ein Ersatzmann für denselben werden von der 
Regierung, Kammer des Innern, für den gleichen Zeitraum b«*- 
stimmt. 

Die Mitglieder des Ehrenratlies wählen unter sich einen Vor¬ 
sitzenden und Steilv«*rtroter.“ 

Der Art ~> wird, da sich der Referent dafür erklärte und nur 
statt d«*s Wortes „Ehrenrath“ „Ehrengericht“ vorschlug, nur gegen 
die Stimmen von Dr. Gäeli und Dr. v. Haller angenommen. 
Der Erster«* war dagegen, weil die Amtsärzte nicht ausgeschlossen 
sei«*n. der Letztere zog die Unabhängigkeit der Verwaltungsbeamten 
in Zweifel und wollte oin«*n richterlichen Beamten. Der 
Referent vertheidigte sein«* Kollegen, die Verwaltungsbeamten, der 
k. Staatsminister erklärte, wenn man keine Venvaltungsbeamten 
wolle, sei es «lern Ministerium sachlich gleich, irgend jemand 
Anderen zu wählen, es handle sich unter anderem nur darum, dass 
die Formalitäten g«*or<lnet werden: auch den Aerzten sei es wohl 
gleich, ob ein Verwaltungsbeamter oder ein Richter genommen 
würde. Dr. v. Haller, der «lie Thätigkeit der Bezirksvereine 
auf ein Minimum beschränkt wissen will, stellte auch d«*n Antrag, 
dass das Ehrengericht zugleich als Ehrenrath die Beilegung von 
Streitigkeiten zu vermitteln habe, welche sieh aus dem ärztlichen 
Berufsverhiiltniss zwischen Aerzten oder zwischen einem Arzte 
und einer Person ergeben. Der Antrag wurde jedoch nicht ange¬ 
nommen. 

„Art. 6. Die abgeschlossenen Vorerhebungen sind von dem 
ärztlichen Bezirksvereine an d«*n Vorsitzenden des Ehrenrathes 
einzusenden. 

Soferne nicht etwa zu Ersetzungen in der Sache Anlass be¬ 
steht, wird von dem Vorsitzenden d«*s Ehrenrathes Termin zur 
Verhandlung anberaumt, zu welchem siimmtliche Mitglieder des 
Ehr«*nra1h<*s und der Ang«*schuldigte zu laden sind. 

Dem Letzt«*r«*n steht, es frei, entw«*der persönlich zu er¬ 
scheinen oder sieh vertreten zu lassen. 

Die Verhandlung ist nicht öffentlich: «len Mitgliedern d«*r 
Aerzt«*kamm«*r ist jedoch der Zutritt gestattet, anderen Personen 
nur nach «lern Ernmssen «l«*s Vorsitzenden." 

Die beiden Referenten sind im Allgemeinen mit Art. 6 ein- 
verstanden. der Refer«*nt wünschte den Zutritt für andere Personen 
nur auf Antrag «les Ang«*schuldigt«*n. der Korrefer«*nt wünscht«*, 
dass auch der Kläger anwohnen dürfe. Dr. Glich verlangte auch 
Zutritt, für die Pr«*sse: man plane ja das reinste Vehmgericht mit 
den Aerzten. Dr. Cassel mann und der k. Staatsminister 
sprachen sich gegen eine solche Bestimmung aus; letzterer glaubte, 
«lass <>s dem Kläger nii-ht angenehm sein dürfte, wenn verlangt 
würd«*, «lass er erscheine; Imü der Oeff«*ntlichkeit könnte neben der 
Straf«* auch <*in Verlust der ganz«*n Praxis eintreten. das grosse 
Publikum und «li«* Presse sollten dosshalb ausser Spiel gelassen 
werden. Dr. v .Haller schlug vor, dass wenigst«*ns alle Aerzte 
Zutritt haben sollten. Der Referent beantragte hierauf folgende 
Fassung des Abs. 4: „Die Verhandlung ist nicht öffentlich: den 
Mitgliedern der Aerzteknnunern. sowie allen unmittelbar Betei¬ 
ligten ist j«*doch der Zutritt gestattet: anderen Personen nur nach 
dem Ermessen des Vorsitzenden.“ Mit dieser Abänderung ward 
Art. 0 angenommen. 

„Art. 7. Itn Verhandlungstermine wird von einem Mitglieds 
«l«*s Ehrenrathes der Sachverhalt nebst dem Beweismateriale dar- 
gelegt und sodann der Ang«>s<*huldigte oder dessen Vertreter mit 
seinem Vorbringen gehört, 

Di<* Entscheidung «les Ehrenrathes, bei welcher die fünf 
Mitglieder. b«*zl«*hungsweise Stellvertreter derselben mitzuwirken 
haben, erfolgt in Abwesenheit des Angeschuldigten nach absoluter 
Stimmenmehrheit.“ 

Die beiden Referenten b«*antragen die Annahme. 
Dr. v. Ilaller. dass zu jeder dem Ang«*schuldigten 
na«*htheilig«*n Entscheidung, welche die Schuldfrage be¬ 
trifft. «*ine Mehrheit von */, der Stimmen erforderlich 
sei. wirtl hiebei von Dr. Glich unterstützt, drang aber damit 
nicht durch. Dagegen wird sein Antrag auf Einfügung ein«*s der 
preiissisclicn Eiirengeriehtsordnung entnommenen Zusatzes ange¬ 
nommen: „Die bei einer Ang«*legenhelt betheiligten oder für be- 
fang«*n erklärten Mitglieder des Ehrenrathes sind bei einer Be¬ 
schlussfassung oiler Entscheidung über dieselbe ausgeschlossen 
und werden durch St«*llvertr«*tor ersetzt. Der Ausschluss und die 
Ersetzung durch Stellvertreter tritt ohne Weiteres ein. wenn die 
betreffenden Mitgli«*d«*r des Ehrenrathes sieh selbst fiir betheiligt 
oder befnngi'ii «>rkliiren: andernfalls entscheidet hierüber end¬ 
gilt ig der Ehrenrath.“ Mit. diesem Zusatze gelangte der ganze 
Art. 7 zur Annahni«*. 

Aus den bisherigen Verhandlungen «les Plenums der 
b a y e r. Abgeordnetenkammer sind nachstehende Be¬ 
schlüsse auch für ärztliche Kreise von Interesse: 


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19. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1905 


Zunächst wurden die Gesetzentwürfe angenommen, wonach 
die Kreisgemeiuden von Niederbayern und Oberfranken die Ge¬ 
nehmigung zur Aufnahme eines Aulehens von 14S0U0 bezw. 
153 000 M. zur Deckung der Kosten für Erbauung eines Pavillons 
fiir männliche unruhige Kranke bei der Kreisirrenanstalt 
Deggendorf bezw. behufs Zurückzahlung der zur Deckung der 
Kosten der Erweiterung, Verbesserung und Einrichtung der 
Kreisirrenanstalt Bayreuth bei verschiedenen Kreis¬ 
fonds entnommenen Vorschüsse erhalten. Bei der Besprechung 
nahm nur der Abg. G ä c h das Wort, um seine prinzipiellen Be¬ 
denken gegen die Uebernahme der Irrenanstalten auf die Kreise 
auszusprechen; wenn der Staat das Recht habe, gewisse Geistes¬ 
kranke zwangsweise in das Irrenhaus einzuliefern, habe er auch 
für den Bau und die Unterhaltung dieser Anstalten zu sorgen; 
wenn dies in anderen Ländern, z. B. in Hessen, möglich sei, werde 
es sich auch ln Bayern durchführen lassen. (Sten. Ber. No. 100.) 

Nach den Vorschriften des bayer. Armengesetzes sind die 
auf Verpflegung hilfsbedürftiger Geistes¬ 
kranker erwachsenden Kosten von der Heimathgemeiude 
zu tragen. Aus unangebrachter Sparsamkeit wurden nun der¬ 
artige arme Kranke nicht in die Anstaltspttcge gegeben, sondern 
in der Gemeinde in Privatpüege zwar billiger, aber auch schlechter 
untergebracht oder die Kranken wurden nicht frühe genug in 
die Anstalt gebracht und zu schnell wieder herausgenommen, was 
nicht nur für die Heilung, sondern auch für die öffentliche Sicher¬ 
heit nachtheilige Folgen hatte. Um den einzelnen Gemeinden die 
oft sehr drückende Irrenlast abzunehmen und auf breitere Schul¬ 
tern zu legen, war bereits in der vorigen Session ein Antrag von 
mehreren Abgeordneten gestellt worden, die Kosten für Ausialts- 
verpflegung von Irren und Kretineu auf die Kreiskassen zu über¬ 
bürden. Von diesem weitgehenden Anträge, sowie von dem An¬ 
träge des Referenten Abg. Stöcker, dass mangels anderweitiger 
Alimentation je ‘/j dieser Kosten von der Gemeinde- und Distrikts¬ 
armenpflege und */, von der Kreisarmenpflege zu tragen seien, 
kam man im Ausschüsse ab, da hiebei zwischen reichen und armen 
Gemeinden kein Unterschied gemacht war, voraussichtlich ganz 
ungemessene Ansprüche an den Staat herantreten würden, wenn 
die Gemeinden nicht mehr selbst für die Irrenpflege aufzukommen 
hätten, und die bestehenden Irrenanstalten nicht mehr ausreich¬ 
ten, wenn alle armen Irren und Kretineu von den Gemeinden den¬ 
selben zugewiesen würden; auch wollte man an dem prinzipiellen 
Standpunkte fcsthalteu, dass die Armenpflege in erster Linie von 
den politischen Gemeinden und dem Armenpflegschaftsrat he, in 
zweiter Linie von den Distrikten und in dritter von den Kreisen 
ausgeübt werde. Man einigte sich dann im Ausschüsse zu dem 
auch vom Plenum angenommenen Anträge, dass den Distrikts¬ 
gemeinden, denen die Unterstützung der mit Armenlasten über¬ 
bürdeten Gemeinden obliegt, die hiedurch entstandenen Kosten 
für Unterbringung von Irren und Blöden in Irren- und Blöden- 
Anstalten zu zwei Dritttheilen aus Kreismitteln zu ersetzen 
seien und bei den der Kreisregierung unmittelbar unter¬ 
geordneten Gemeinden bei Ueberbürdung mit Armenlasten zu drei 
Viertheilen. Bei der Besprechung in der Abgeordnetenkammer 
(Sten. Ber. No. 178) machte der k. Staatsminister eingehende sta¬ 
tistische Mittheilungen über die Höhe und Vertheilung der Kosten 
für die Verpflegung und Unterbringung der Irren. Wie weit eine 
Kreisgemeinde ihre Fürsorge ausdehneu kann, zeigte der Abg. 
Conrad an den rühmeuswerthen Verhältnissen der Rheinpfalz. 
Dem von einigen Rednern geiiusserten Wunsche, auch für die 
Blinden und Tauben in ähnlicher Weise zu sorgen, wurde keine 
Folge gegeben, da dieselben nur zu Bildungszwecken eines An¬ 
staltsaufenthaltes bedürfen, später in der Familie leicht Beschäf¬ 
tigung finden und im Gegensätze zu den Irren hannlos sind. 

Dass hie und da Geisteskranke länger als nothwendig in Irren¬ 
anstalten zurückbehalten werden, wurde von zwei Rednern ge¬ 
rügt; der eine stützte sieh dabei auf die Angaben einer schwach¬ 
sinnigen Hausmagd. Im Anschlüsse hieran wies der k. Staats¬ 
minister auf die gesetzlichen Bestimmungen hin, wonach nur für 
die Dauer der Gemeingefährlichkeit Geisteskranke gegen ihren 
oder ihrer Angehörigen Willen in den Anstalten zurückbehalten 
werden dürfen und mit Wegfall dieser Voraussetzung auf Ver¬ 
langen zu entlassen sind. 

Auch möchten Nichtärzte immer bedenken, dass ebenso wie 
bei körperlichen Krankheiten das Verhalten eines aus der Anstalt 
entlassenen Geisteskranken keinen sicheren Rückschluss auf 
seinen früheren Zustand gestattet. Die Anschauungen über uu- 
nöthlge oder zu lange Verwahrung in den Irrenanstalten würden 
sich gewiss ändern, wenn die betreffenden Herren nur ein Jahr 
lang die Berichte über Selbstmorde und Verbrechen seitens solcher 
Geisteskranker sammeln würden, welche aus Sparsamkeitsrück¬ 
sichten entweder gar nicht ln eine Anstalt verbracht oder gegen 
den Rath der Aerzte zu früh wieder herausgenommen wurden. 

Ganz mit den Anschauungen der Aerzte deckt sich der Be¬ 
schluss der Abgeordnetenkammer vom 10. Oktober (Sten. Ber. 
No. 178), die k. Staatsregierung zu bitten, beim Bundesrathe dabin 
zu wirken, dass bei der demnächst in Aussicht stehenden Revision 
des Krankenversicherungsgesetzes die Helmathgemeinden auch 
bei Krankheiten ln Folge geschlechtlicher Ausschwei¬ 
fung u. s. w. von allen Leistungen für Kur und Verpflegung 
Innerhalb der ersten 13 Wochen der Krankheitsdauer frei bleiben. 
Auch die Aerztekammern haben sich wiederholt dahin ausge¬ 
sprochen, dass diese Kosten von den Krankenkassen ganz zu über¬ 
nehmen seien. Die bayerische Staatsregierung hat nach der Mit¬ 
theilung des k. Staatsministers bereits eine Erklärung im Sinne 
des vorstehenden Antrages an das Reichsamt des Innern ab¬ 
gegeben. Dr. Becker- München. 


Das Automobil und der Arzt. 

Wer als Arzt in einem ländlichen Bezirk auf das Halten von 
Pferden angewiesen ist, lernt die Schattenseiten eines Pferde¬ 
fuhrwerks nur allzubald kennen. Bessere Erfahrungen habe ich 
mit meinem Automobil, das ich nun seit über einem Jahre fahre, 
gemacht und ich möchte diese meine Erfahrungen meinen Kollegen 
nicht vorenthalten. 

Ich wohne in einer sehr hügeligen Gegend mit Steigungen bis 
zu 18 Proc. und mehr und ich nehme diese Steigungen spielend. 
Durch die grössere Geschwindigkeit meines Vehikels spare ich 
viel früher verlorene Zeit. Der letzte Winter war einer der schnee¬ 
reichsten und kältesten bei uns; trotzdem benützte ich mein leicht* 
und doch zugleich massiv gebautes Automobil ununterbrochen 
selbst bei Schneegestöber und bei beschotterten Strassen. Ich fahre 
ein Motordreirad ohne Verdeck aus den Motorfahrzeugwerken von 
Hei nie und Wegelin in Oberhausen bei Augsburg. 

Vor der Kälte im Winter schützte mich ein Pelzmantel und 
im Regen hält mich ein Gumtuianzug vollständig trocken. Von 
einer Erkältung habe ich nie etwas beobachtet und meine frühere 
Nervosität habe ich ziemlich verloren, vielleicht durch die fort¬ 
währenden leichten, aber nicht unangenehmen Erschütterungen 
von Seiten des Motors, die einem Elektrisiren gleichkommen. 

Ich halte ein Motordreirad für die ärztliche Praxis aus ver¬ 
schiedenen, hier nicht näher zu erörternden Gründen für am Vor- 
theilhaftesten und ein Dach ist, wie oben flüchtig angedeutet, über¬ 
haupt nicht nothwendig. Dr. Erlanger- Stockach (Baden). 

Therapeutische Notizen. 

II y p e r h i d r o s i s. In vielen Fällen versucht man ver¬ 
geblich mit adstringirenden und spirituösen Waschungen oder 
durch Streupulver, auch elektrische Bäder, hydriatrische Proce- 
duren, intern mit Atropin und Antipyriu der überaus lästigen 
und hartnäckigen Hyperhidrosis Herr zu werden. Es ist bekannt, 
dass manche Kranke sogar zu einem Berufswechsel sich in Folge 
der Hyperhydrosis, besonders wenn sie au den Händen lokulisirt 
ist, entschliessen mussten. Mit einem sehr einfachen Mittel nun 
habe ich viele Versuche unternommen und mich von der zu¬ 
verlässigen Wirkung sowohl bei lokalisirter Hyperhydrosis, als 
auch bei NagiltadUKhisaea <1 “ 1 ’ EhlM siker überzeugt. Es ist das 
2 proc. Lysoform-Dennosapol, welches als Natrüuseife hergestellt 
isl (cfr. Therap. Monatsli., August 11)01). Den Schaum der Seife 
lässt man 3—4 mal täglich eintrocknen in die Haut; derselbe hat. 
die Eigenschaft, von den Poren der Haut ausserordentlich schnell 
aufgenommen zu werden. Nach ungefähr 1—2 Stunden wäscht 
man dann mit Spiritus rectif. oder Kau de Cologne ab, nöthig 
ist letzteres iiuless nicht. Kurz nach der Schaumeiutrocknung 
beobachtet man ein Kältegefühl, das aber nach kurzer Zeit zum 
Schwinden kommt. Nach der Einseifung lasse ich bei Ilaud- 
selnveiss keine Handschuhe tragen. Die Füsse bedecke ich mit 
leinenem Lappen, ebenfalls die Achsel. Bei allgemeiner Hyper¬ 
hidrosis der Phthisiker z. B. empfiehlt sich eine schnelle Ein¬ 
seifung Abends von Brust, Bauch und Rücken, am besten sehllesst 
sich dieselbe an eine Abwaschung mit Franzbranntwein oder For¬ 
malinspiritus an. Die Erfolge sind sehr zufriedenstellend. Die 
Seife wird als „Hautschutzseife** — deren antiseptische Wirkung 
durch den Lysoform-1 >ermosapolgehalt unverkennbar ist, und die 
in Folge dessen auch in der Krankenpflege zum Schutz gegen In¬ 
fektion verwendet werden soll — in den Handel gebracht (Bezugs¬ 
quelle: Gustav Wegen er, Droguen en gros, Bad Lippspriuge). 
Da sie reizlos und wohlriechend (Heliotrop) ist, ist ihre Anwendung 
sehr angenehm. Dr. Beruh. Rohden- Lippspriuge. 

Die Ozaena ist 3 nach Prof. Montoro de Francesco 
zweifellos eine Infektionskrankheit, die auf die Nasenschleimhaut 
beschränkt ist und durch den von Löwemberg gefumleneu 
Coccus verursacht wird. Dieser Coceus muss, um sich vermehren 
zu können, und um die Veränderungen hervorzurufen, die man bei 
der Ozaena findet, die Schneide r'sche Schleimhaut bereits 
krankhaft alterirt vorfindeu. Derartige Alterationen der Schleim¬ 
haut. einfache akute oder chronische Rhinitis, beruhen meistens 
auf der in der Nase stets vorhandenen Flora von Bakterien, welche 
dort so lauge in Symbiose oder autonom leben können, als nicht 
irgend eine Gelegeuheitsursache das chemisch-dynamische Gleich¬ 
gewicht zwischen Schleimhaut und Bakterien stört; dann erst 
werden sie pathogen. Wenn auf dem Boden einer einfachen 
akuten oder chronischen Rhinitis bei zumeist durch fehlerhafte 
organische Konstitution oder chronische Krankheit geschwächten 
Personen zu den anderen Bakterien zufällig der Löwemberg'- 
sche Coccus hinzutritt, dann entsteht die Ozaena. Dieser Coceus, 
der die Schleimhaut und die zugehörigen Drüsen bis zur völligen 
Atrophie schädigt und der den stärksten Antisepticis und der 
energischsten Allgemeinbehaudlung widersteht, wird durch den 
Streptococcus erysipelatis vernichtet. Die Heilung beruht viel¬ 
leicht auf der eintretenden Entzündung (entzündliche Leukocytose). 
die der Streptococcus in den durch deu Löwemberg'schen 
Coccus atrophisch gemachten Geweben hervorruft; gleichzeitig 
auch darauf, dass der Erysipelstreptococcus durch seine löslichen 
Stoffwechselprodukte die kranken Gewebe widerstandsfähiger 
macht: indem er in ihnen eine chemisch-dynamische Veränderung 
bewirkt, können sie schliesslich gegen den L ö w e m b e r g'schen 
Coccus ankämpfen und Ihn vernichten. (Deutsche Medlciualztg. 
1901, No. 61.) P. H. 


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1906 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 47. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

M ii n c h e n, 19. November 1901. 1 

— Der Reichs« nzeiger veröffentlicht nachstehende vom 
G. November datirte Rekaimtmacliung, betreffend die Zulassung ! 
v o u Reuig y m u a s i a 1 a b i t u r i e n t e u /. u den ä r z t - j 
liehen I’rtifungeu: Der Bundesrath hat beschlossen, die 
Zulassung derjenigen ltealgymnasialabiturienlen, welche ihr rnedi- 
einisehes Studium vor dem 1. Oktober dieses Jahres begonnen 
haben, zur Ablegung der ärztlichen Prüfungen nach den bisherigen 
Vorschriften nicht von der Ergänzung des Reifezeugnisses durch 
eine Nachprüfung im Lateinischen und Griechischen abhängig zu j 
machen. Das bedeutet eine Vergünstigung für die Realgyninasial- ! 
abiturlenten, die das mediciniselie Studium schon vor dem 1. Ok¬ 
tober dieses Jahres begonnen haben. 

— Durch Beschluss des Bundesraths vom 3. Oktober 1991 ist \ 
über die b e rufs g enossens c li a f t 1 i c h e Orgaul 
s a t i o n der durch die §§ 1 und 2 des Gewerbeuufallversicherungs- ■ 
gesetzes vom 30. Juni 1900 in die Unfallversicherung neu ein- I 
bezogenen Gewerbszweige Bestimmung getroffen worden. Da- j 
nach wird für diese Gewerbszweige voraussichtlich mit dem Be- \ 
ginn des kommenden Jahres die Gesetzgebung in Kraft treten und 
damit der sehr ausgedehnte Kreis der in den fraglichen Betrieben 
beschäftigten Personen des Schutzes der Unfallversicherung theil- 
haftig werden. Nach den bei den unteren Verwaltungsbehörden 
eingegangenen Anmeldungen wird es sich um einen Zuwachs von 
mindestens 87 000 Betrieben mit. annähernd 100 900 beschäftigten 
Personen handeln. Daran ist von den bestehenden Berufsgenossen- j 
schäften am stärksten betheiligt die Fleischereiberufsgenossen- , 
schalt, die eine Zunahme um mehr als 30 (>'>(i Betriebe mit etwa 
43 WO Arbeitern erfährt: ferner werden zur Spedition»-. Speicherei- I 
und Kellereiberufsgenossenschaft mindestens 7000 mir einem Man- ■ 
delsgewerbe verbundene Lagerung»- und Beförderungsbetricbc, zu | 
den Eisen- und Stahlberufsgenossenschaften etwa 0000 Schlossereien, 
ruz Brauerei- und MälzereilRunifsgenossenseluift etwa 40O0 klei¬ 
nere Brauerei bet riebe hinzutreten. Die einzige vom Bundesraih 
beschlossene neue Berufsgenossenschaft ist die das ganze Reich ! 
umfassende Berufsgenossenschaft für Betriebe, welche sich auf die ' 
Ausführung von Schmiedearbeiten erstrecken, sie wird I 
nahezu 40 OOO vcrsichorungsptiichtige Schmiedebetriebe mit etwa | 
02(KM) beschäftigten Arbeitern umfassen. (1). med. W.) 

— Zur Erinnerung an die vor jetzt 30 Jahren erfolgte Erlin- ; 
düng des Augenspiegels ist in der k. Augenklinik der Charite in I 
Berlin unter Leitung des Prof. <4 ree ff eine historische 1 
S a m m lang v o n A n g e u s p i e g e I n aufgestellt worden. Die 
Sammlung umfasst ca. 120 Stück und zeigt die Entwicklung des 
Instruments in den verschiedenen Ländern. 

— Pest. Aegypten. In der Zeit vom 23. Okt. bis 1. Nov. 
ist nur in Ziftali eine Neuerkrankung und ein Todesfall an der 
Pest festgestellt worden. — Brit iseh-Ostindion. In der Präsident- i 
scliafl Bombay sind in der am 11. Oktober abgelaufenen Woche i 
10 780 Erkrankungen und 7337 Todesfälle au der Pest fest gestellt 
worden, d. h. 1310 und 1003 mehr als in der Vorwoche. In der 
Stadt Bombay wurden in der am 12. Oktober endenden Woche 
13G Erkrankungen und 189 Totles fülle an der Pest angezeigt; die , 
Zahl der pestverdächtigen Sterbefälle betrug 131, die Gesammt- 
zalil der Sterbefälle 822 gegen 873 in der Vorwoche. — Kapland. 

In der Woche vom 0. bis zum 12. Oktober sind auf der Kaphalb- 
insel weder Erkrankungen noch Todesfälle an der Pest zur amt¬ 
lichen Kenntnis» gelaugt, in Port Elizabeth sind 4 Personen an j 
der Seuche erkrankt und davon 1 gestorben. — Paraguay. Iu j 
Asuncion sind neuerdings Pestfälle festgestellt worden. 

— In der 44. Jahreswoche, vom 27. Okt bis 2. Nov. 1901, 
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste ; 
Sterblichkeit Borbeck mit 2G.7, die geringste Linden und Potsdam 
mit 7.0 Todesfällen pro Jahr uml 1000 Einwohner. Mehr als ein 
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen. Dort¬ 
mund: an Masern in Altona, Bromberg: an Diphtherie und Croup 
in Pforzheim. 

(Hochschulnachrichten.) 

Leipzig. Prof. Dr. Willi. His jun. ist in Folge seiner Er¬ 
nennung zum Oberarzt des städtischen Krankenhauses in Dresden 
von der Professur zurückgetreten. 

Chicago. Dr. A. I’. Ohlmaehcr wurde zum Professor 
der allgemeinen Pathologie ernannt. 

Neapel. Ilabilitirr: Dr. C. Cucca für Geburtshilfe und 
Gynäkologie; Dr. G.Martuscelli für Laryngologle; Dr. B. C i a- j 
roll a für Otologie und Rhinologie. 

R o m. Ilabilitirt: Dr. P. D o r c 11 o für Anatomie; Dr. V. 1) u c- j 
c esc hi für experimentelle Physiologie; Dr. F. Schupfcr für 
Neurologie; Dr. O. Casag randi für Experimentalhygiene und , 
Sanitätspolizei: Dr. C. Colombo für physikalische Therapie. 

Turin. Ilabilitirt: Dr. A. Ceconi, bisher Privatdocent au | 
der med. Fakultät zu Padua, für mediciniselie Pathologie. 

Z ii r i c h. Dr. A. Prochaska hat sich für innere Medicin 1 
Ilabilitirt. 


Correspondenz. 

Herr Hofrath Dr. Friedrich Haenel in Dresden schreibt uns 
unterm 32. ds.: Im Begriffe ein Referat über den diesjährigen 
Aerztetag in meinem Bezirksvereiu zu geben, lese ich den Bericht 
in der Münch, med. Wocbenschr. No. 28 vom 9. Juli 1901 und finde, 
dass meine Betheiligung an der Discusslon über den Leipziger 


wirthschaftlichen Verband falsch dargestellt ist. Es ist eine Ver¬ 
wechslung von meinen Ausführungen mit denen des Herrn Bezirks¬ 
arzt Dr. Kindt iu Grimma vorgekommen. Ich habe iilter den 
Leipziger Streik und die Entscheidung des Leipziger Ehrengerichts¬ 
hofes kein Wort gesprochen, sondern nur meine Zustimmung zu 
dem Referat dos Herrn Windeis ansgedrückt, nachdem in den Ver¬ 
handlungen unseres Bezirksvereins derselbe Gesichtspunkt (vou 
mir vertreten) anerkannt worden war. Ich habe meine kurzen Be¬ 
merkungen auf dem Aerztetag mit den mehrere Wochen vorher von 
meinem Bezirksverein angenommenen Sätzen geschlossen: 

„1. Der Aerztliehe Bezirksverein Dresden-Stadt hält es im 
Interesse des ärztlichen Vereins für wünschenswerth, 

a» dass der Leipziger Verband sich möglichst eng an den 
Aorzlevereinsbund bezw. dessen Geschäftsausschuss angliedert. 

b) dass die von ihm unter b—f genannten Aufgaben dem Ge- 
sehäftsaussehuss des Aerztevereinsbundes oder bei Errichtung 
eines Syndicatos des Aerztevereinsbundes diesem zufallen. 

II. Der Aerztliche Bezirksverein Dresden-Stadt empfiehlt 
seinen Mitgliedern den Beitritt zu dem Leipziger Verband unter der 
Voraussetzung der eudgiltigen Beseitigung aller Gegensätze 
zwischen Aorztevereinsbund und Verbandsleitung.“ 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. E. August Herrich-Schaeffer. 
appr. 1893, Dr. Eugen Gaek, appr. 1897, Dr. August Drum ui, 
1878, säuuutliche in Regensburg; Dr. Fritz Reinhard, appr. 1900. 
in Weiden. 

Gestorben: Dr. Adam Ott, k. Bezirksarzt a. D. in Miesbacli. 
im S9. Lebensjahr. Dr. Friedrich Lex, 47 Jahre alt, iu München. 


Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee 

für den Monat September 19 (| 1. 


Iststärke des Heeres: 

57 458 Mann, — Invaliden, 203 Kadetten, 146 Unteroff.-Vorschäler 







Enter- 



Mann 

Invali¬ 

den 

Kadetten 

Oflizier- 

vor- 

sehüler 

1. Bestand waren am 





31. August 1901: 

1195 

— 

— 

— 


im Lazareth: 

877 

— 

— 

7 

2. Zugang: 

im Revier: 

21 Hl 

— 

4 

— 


in Summa: 

3058 

— 

4 

( 

Im Ganzen 

sind behandelt: 

4253 

— 

4 

7 

°/oo 

der Iststärke : 

74,0 

— 

19,7 

47,9 


dienstfähig: 

337G 

— 

-_> 

G 


u /oo der Erkrankten: 

793,8 

— 

500,0 

857,1 


gestorben: 

5 

— 

— 

— 

3. Abgang: 

u /oo der Erkrankten : 
invalide : 

1,2 

25 

z 

z 



dienstunbrauchbar : 

12 

— 

— 

— 


anderweitig : 

158 

— 

— 

1 


in Summa : 

3576 

— 

2 

7 

4. Bestand 
bleiben am 

30.Sept.1901: 

in Summa: 

°/oo der Iststärke : 
davon im Lazareth : 

. davon im Revier: 

677 

11,8 

485 

192 

— 

2 

9,8 

2 

— 


Von den in Ziffer 3 aufgefiihrten Gestorbenen haben gelitten 
an: Pyaemie (nach eiteriger Knochenmarksentzüudung de< 
12. Brustwirbels) 1, akuter Miliartuberkulose 1, Lungentuberku¬ 
lose 2, eiteriger Blinddarmentzündung 1. 

Ausserdem starben noch 3 Manu ausser militärärztlicher B.- 
handlung: 1 Mann in Folge von Verblutung nach einer im Urlaub 
gelegentlich eines Streites erlittenen Stieliverletzung des Unter¬ 
leibes. 1 Manu in Folge von Schiidolbruch, 1 Mann wurde während 
der llerbstiibuugen durch einen umstürzenden Gepäckwagen er¬ 
drückt. 2 Mann endeten durch Selbstmord (1 durch Erschlossen. 
1 durch Erhängen). 

Der GesammtVerlust der Armee durch Tod lietrug demnach 
im Monat September 10 Mann. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

wahrend der 45. Jahreswoche vom 3. bis 9 November 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 2 (l*), Scharlach — (—), Diphtherie 
und Croup 2 (3), Rothlauf 1 (1), Kindbettfieber 1 (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 3 (2), Brechdurchfall 4 (6), Unterleibtyphus 
3 (1), Keuchhusten — (3), Croupöse Lungenentzündung 3 (1 , 

Tuberkulose a) der Lungen 25 (21) b) der übrigen Organe 4 (5 , 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 4 (2), Unglücksfälle 7 (2), Selbstmord 2 (3), Tod durch 
fremde Hand 1 (1). 

Die Gesammlzahl der Sterbefälle 193 (184), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 10 0 Einwohner im Allgemeinen 20,1 (19,1), für die 
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 12,8 (10,4). 

*) Dis eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Muhlthnler's Buch- und Kunstdruckerei A.Q., München. 

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DIo UQneh. Med. Wochen««*hr. erachelnt wAchentl. T| *"rY'\T/"YrT liVVTTilT} Zusendungen rind «n igreMlren: Fflr die Bedactfon 

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MCINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Gb. Biuiler, 

Freibarg 1. B. 


Heraasgegeben von 

0. Bollligtr, H. GarscbBui, C. Girbirdt, 6. Märtel, J. v. Michel, 

München Leipzig Berlin Nürnberg Berlin 


H. i. Baabe, F. i. Wiacbil. 

München München 


H. i, ZliasstR. 

München 


No. 48. 26. November 1901. 


Redaction: Dt. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. P. Lehmann, Henstrasse WO. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der medicinischen Klinik in Leipzig. 

Zur diagnostischen Beurtheilung der vom Blinddarm 
und Wurmfortsatz ausgehenden entzündlichen Pro- 

cesse.*) 

Von H. Cursclimann. 

Nach vielfachen, zum Theil mit grossem Eifer geführten, 
literarischen Kämpfen, kann es heute als gesichert betrachtet 
werden, dass wie überall in serösen Höhlen, so auch in der 
Fossa iliaca dextra, die vorzugsweise mit Appendicitis zusammen¬ 
hängenden umschriebenen Entzündungen zu einfachen serös 
fibrinösen Exsudaten führen können. 

Unter den Chirurgen ist es namentlich Helferich ge¬ 
wesen, der gelegentlich seines glänzenden Referates auf dem 
Kongress für innere Medicin in München**) für das nicht seltene 
Vorkommen solcher Processe sich aussprach und sie auf „Ent¬ 
zündungen niederen Grades“ treffend zurückführte. 

Wenn man solche Fälle in der rechten Fossa iliaca vom An¬ 
fang in ihrer Entwickelung und ihrem Fortschreiten zu beob¬ 
achten Gelegenheit hat, so sind sie oft unschwer zu erkennen. 
Es handelt sich dann meist um das Zustandekommen kleinerer 
entzündlicher Geschwülste, die keine völlige Dämpfung geben, 
seltener von hoher Schmerzhaftigkeit sind und unter geringer, 
ja selbst fehlender fieberhafter Steigerung der Körperwärme zu 
verlaufen pflegen. 

Wenn man in anderen Fällen den Process mit Frösteln oder 
Schüttelfrost eintreten und unter hohen Temperaturen verlaufen 
sieht, wenn die entzündliche Ausschwitzung über dem Pou- 
p a r t’schen Bande unter lebhaften Schmerzen rasch zu grossen, 
deutlich sich vorwölbenden Exsudaten führt, wohl noch unter 
Verfärbung und Oedem der Haut, so ist die Diagnose der Abscess- 
bildung fast selbstverständlich. 

Die ersteren Fälle — sie bilden einen erheblichen Theil der 
in der Privatpraxis zur Beobachtung kommenden — gehen meist 
ohne zu abscediren zurück. Wenn manche Aerzte, besonders 
jüngere eifrige Chirurgen, dies für selten hielten, ja Einzelne 
die fraglichen Formen direkt leugnen wollten, so machten sie 
sich arger Uebcrtreibungen schuldig, die in der Praxis dazu noch 
zur grössten Schädigung der Kranken führen konnten. 

Wie die neueren Verhandlungen in der einschlägigen Litera¬ 
tur und auf Fachkongressen zeigen, sind die erfahrenen und be¬ 
sonnenen Chirurgen heute in dieser Richtung vollkommen einer 
Meinung mit den inneren Aerzten. Sie überlassen ihnen die 
Anfangsbehandlung aller und die dauernde der erwähnten leich¬ 
teren Fälle. Die wenigen Chirurgen, die immer noch dafür 
streiten, dass jede Appendicitis vom ersten Anfang an ihrem 
Gebiet und der operativen Behandlung angehöre, finden heute 
kein rechtes Gehör mehr. 

Dagegen sind sich die inneren Aerzte weit mehr wie früher 
der grossen Verantwortung bewusst, den richtigen Moment zum 

*) Nach einem Vortrag, gehalten in der Sektion für Innere 
Medicin der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu 
Hamburg 1901. 

**) Kongressber. Wiesbaden (Bergmann) 1895. 

No. 48. 


operativen Eingriff nicht zu übersehen oder unnöthig hinaus¬ 
zuschieben. Hier steht die Frage der Abscessbildung im Vorder¬ 
grund. So wie es feststeht oder nur wahrschein¬ 
lich ist, dass ein Exsudat eiterig geworden 
ist, darf mit der Ueberweisung an den Chi¬ 
rurgen nicht gezögert werden. Auf Resorption oder 
Eindickung mit Abkapselung selbst kleiner Abseesse kann nie 
gerechnet werden, so wenig wie man sich auf den etwaigen 
Durchbruch des Exsudats nach aussen oder nach inneren Hohl¬ 
organen, dem Darm, der Blase etc. verlassen darf. 

Wie steht es aber mit der Diagnose der Abscessbildung l 
Die extremsten typischen Fälle, die leichten mit serofibrinösem 
Exsudat und die an der gewöhnlichen, leicht zugänglichen Stelle 
rasch zu umfangreicher Eiterung oder Verjauchung führenden, 
sind meist leicht auseinander zu halten. Betrachtet man aber die 
grosse Reihe der in ihren Erscheinungen so überaus verschieden¬ 
artigen, zwischen diesen Extremen gelegenen Fälle, so zeigen sich 
hier zahllose Schwierigkeiten, deren nähere Erörterung ausser¬ 
halb der Grenzen dieses Vortrags liegt. Nur das muss festgestellt 
werden: Wo man nicht direkt Vonvölbung, elastische Span¬ 
nung und Fluktuation fühlt, oder durch Probepunktion die Eite¬ 
rung feststellen konnte, ist auf andere Zeichen nicht mit ge¬ 
nügender Sicherheit zu rechnen, weder auf den Schmerz, noch 
auf das Verhalten der Körperwärme, auf das Manche besonderen 
Werth legen wollen. Oft genug sieht man Fieber überhaupt aus- 
bleiben oder anfangs bestehendes zurückgehen, während grosse 
Abseesse zur Ausbildung kommen. 

Dass das für so charakteristisch gehaltene Oedem und die 
Verfärbung der Haut durchaus nicht allen eitrigen Fällen zu¬ 
kommen, braucht kaum erwähnt zu werden und dass man mit der 
entscheidenden Anwendung der Probepunktion sehr vorsichtig 
sein muss, und auch von ihr oft nichts Ausschlaggebendes zu er¬ 
warten hat, ist namentlich in jüngster Zeit mehr und mehr klar 
geworden. 

So sieht sich denn der gewissenhafte Beobachter oft genug 
schweren Zweifeln oder unerwarteten Erlebnissen gegenüber 
gestellt. Scheinbar leicht einsetzende, zunächst langsam und gut¬ 
artig verlaufende Fälle überraschen durch Perforation in die 
freie Bauchhöhle mit allgemeiner Peritonitis und andere, heftig 
einsetzende, werden, wenn man dadurch zu früh zum chirur¬ 
gischen Eingriff sieh drängen liess, ohne dass Eiter gefunden 
wurde, eingeschnitten. 

Unter solchen Umständen wird man förmlich dazu gedrängt, 
nach weiteren und besseren diagnostischen Methoden zu suchen. 
So wandten wir uns denn seit über 2 Jahren einer planmässigen 
Untersuchung des Blutes, namentlich des Verhaltens der weissen 
Blutkörperchen bei unseren Appendieitiskranken zu. 

Schon seit Hayem 1 ) und Patrigcon 2 ) ist es be¬ 
kannt und durch neuere Forscher, besonders Rieder 11 , v. Lim- 


’) Du sang et de ses altßrations anatomiques. Paris 1889. — 
Derselbe: De la numerntion des globules du sang. Gaz. liebdom., 
Mai 1875. 

’) liech, sur le nombre dos globules rouges et blaues du 
sang etc. Tböse Paris 1877. 

Beide Autoren gedenken schon der entzündlichen und der 
durch Eiterbildung bedingten Leukoeytose. 

*) Beiträge zur Kenntniss der Leukoeytose. Leipzig 1892. 

1 


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1908 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


beck*), Grawitz") und Ca bot') bestätigt, dass bei akut 
entzündlichen Erkrankungen, besonders solchen mit um¬ 
schriebener Eiterung, die Zahl der weissen Blutkörperchen steigt, 
während dies ja bei anderen infektiösen Processen nicht ganz 
selten und bei manchen so konstant ausbleibt (Unterleibstyphus), 
dass man darauf diagnostische Schlüsse bauen konnte. 

Die Zahl der in der fraglichen Richtung während der letzten 
2'/_■ Jahre in meiner Klinik eingehend untersuchten Fälle beträgt 
60, eine Anzahl anderer ist nicht ununterbrochen oder so kurz 
beobachtet, dass sie wohl zur Festigung unserer allgemeinen 
Anschauungen, nicht aber als exakte Unterlagen dienen konnten. 

Die hier verwerteten Fälle sind meist von der Aufnahme an 
täglich ein-, häufig zweimal auf das Verhalten der weissen Blut¬ 
zellen untersucht *). 

Ich kann gleich im Voraus sagen, dass unsere Unter¬ 
suchungen ein positives und, wie ich glaube, praktisch sehr 
brauchbares Ergebniss gehabt haben. 

Wenn wir für Erwachsene 8—10 000 weisse Blutzellen im 
Kubikmillimeter, bei Kindern um ein geringes höhere Zahlen 
als normal annehmen, so liess sich bei der grösseren 
Mehrzahl aller Fälle von Perityphlitis gleich 
im Anfang des Processes oder doch mit Beginn 
der Exsudatbildung eine Vermehrung der 
Leukocyten im Blute nachweisen **). 

In diesem frühen Stadium der Krankheit ist aber zweifellos 
die Leukocytenzahl zeitlich und individuell grossen Schwan¬ 
kungen unterworfen. Sicher spielt hier die Art der Fälle, viel¬ 
leicht die Art und Virulenz der pathogenen Mikroorganismen 
eine grosse Rolle, abgesehen von anderen Umständen, die wir 
noch weniger mit in Rechnung ziehen können oder überhaupt 
nicht ahnen. 

Während dieser Anfangszeit ist daher auf die absolute Höhe 
der Leukocytenzahl nicht allzuviel zu geben, besonders nicht 
nach oben hin, wenn auch einmalige Feststellungen von 
20—25 000 Leukocyten im Kubikmillimeter zur Vorsicht auf¬ 
fordern. 

Bleibt während der ersten Beobachtungs- 
tage die Leukocytenzahl normal oder zeigt 
sich nur geringere, vorübergehende Vermeh¬ 
rung, so kann man in den meisten Fällen 
darauf rechnen, dass es nur zu kleineren, 
nicht abscodirenden Exsudaten kommen und 
auch im Uebrigen der Verlauf leicht und 
relativ kurz sein wird. 

Ich verfüge über eine Anzahl günstig verlaufener Fälle, wo 
sehr früh, (2.—4. Tag) mit der Zählung begonnen werden konnte, 
und die weissen Blutzellen dauernd überhaupt nicht oder nur 
vorübergehend und geringfügig vermehrt gefunden wurden. 
Diese Fälle sind nicht gerade häufig, aber von erheblicher prak¬ 
tischer Bedeutung. Wenn es hier auch fast immer bei kleineren, 
höchstens mittelgrossen Exsudaten bleibt, und fieberhafte Tem¬ 
peratursteigerung nur ausnahmsweise und dann geringfügig und 
vorübergehend beobachtet werden, so ist damit doch erfahrungs- 
gemäss durchaus keine Sicherheit gegen den Uebergang in Ab- 
scessbildung gegeben. Nur das Verhalten der weissen Blutzellen 
gestattet eine solche mit Bestimmtheit auszuschliessen und die 
Fälle, auch wenn sie sich länger hinziehen, ohne Bedenken einer 
ausschliesslich inneren Behandlung zu unterwerfen. 

*) Grundriss einer klinischen Pathologie des Blutes. II. Aufl. 
Jena 1896. 

J ) Klinische Pathologie des Blutes. Berliu 1896. 

c ) A Guide to the elinieal oxamination of tlie blood etc. 

Dieses ln Deutschland viel zu wenig gekannte, selbst in 
grösseren Rpezialwerken nicht einmnl citirte ausgezeichnete Buch 
erweitert die Angaben der früheren Autoren wesentlich und bringt 
unter allen bisherigen die weitaus ausführlichsten Angaben. 

O. betont nicht allein die Leukocytose bei den verschiedensten 
Entzündungsvorgiingen, sondern gedenkt auch ihres Vorkommens 
und ihrer Bedeutung bei Perityphlitis. 

*) l'm die mühsamen Untersuchungen haben sich meine 
Herren Assistenten sehr verdient gemacht. Herr Dr. Müller be¬ 
sonders noch um ihre Durchrechnung und Zusammenstellung. 

**) Meine Angaben beziehen sich vorwiegend auf Unter¬ 
suchungen bei Erwachsenen. Individuen unter 14 Jahren wurden 
nur ln geringer Zahl beobachtet, zeigen aber wahrscheinlich auch 
keine anderen Verhältnisse wie jene. Die Zählungen wurden stets 
lu bestimmten Morgenstunden ausgeführt, so dass eine Be- 
einflussung unserer Ergebnisse durch die physiologische Ver- 
•lauungsloukocytosc ausgeschlossen ist. 


Einige. Beispiele mögen das Gesagte erhärten. 

O. M., 33 jähriger Handarbeiter. Aufnahme am 1. VI. 1899 
(6. Krankheitstag) mit derbem, emptindlichem. 3 Finger breit nach 
oben vom Lig. Poup. dextr. sich erstreckendem Exsudat. 


Tag 

Zahl der Leukocyten ' 

Körperwärme 

1. VI. ] 

Morgens 

9500 j 

37,6 

2. VI. | 

f Morgens 

8800 

36,6 

1 Abends 

5000 

37,0 

8. VI. | 

[ Morgens 

7000 

86,0 

1 Abends 

5700 

36,2 

4 

VI. 

8000 

36,4 

B. VI. | 

( Morgens | 

7200 

36,2 

I Abends 1 

6700 

36,3 

6. VI. Morgens 

8200 

36,0 


Das Exsudat ging stetig und rasch zurück. Am 6. nur noch 
eine kleine, flache, druckempfindliche Härte in der Fossa illaca. 

Am 13. VI. Ist auch sie völlig geschwunden, so dass Pat ge¬ 
heilt entlassen werden kann. 

W. M., 17 Jahre. Knecht. Aufgenommen 3. I. 1900 (4. Krank¬ 
heitstag). ly 2 Finger breit oberhalb des Lig. Poup. in der Höhe 
der Crist. oss. ilel eine fünfmarkstüekgrosse, derbe, druckempfind¬ 
liche Stelle. 


Tag 

Zahl der 
Leukocyten 

Tag 

Zahl d. 

Lenk. 

8.1. 

11600 

8.1. 

11000 

(4. Krkhtag.) 


9. L 

12000 

4.1. 

8000 

10.1. 

9000 

5.1. 

7500 

11. L 

7500 bafatliebt mir uehifiikJ 

6.1. 

6500 

12.1. 

6500 

7.1. 

10000 

30.1. 

geheilt entlassen. 


F. G., 15 Jahre, Kellnerlehrling. Aufgenommen 4. II. 1901 
(2. Krankheitstag). Zum ersten Mal von Perityphlitis befallen. 
Leib mlissig auf getrieben, gespannt und fast überall schmerzhaft 
Rechte Ileocoecalgegend bis herauf zum Nabel stark resistent und 
besonders druckempfindlich. Gedämpft-tympanitischer Per¬ 
kussionsschall. 


Tag 

Zahl der 

Leukocyten 

6. n. 

12000 

(4. Krkhtag ) 

> 

7. n. 

12000 

10. u. 

9600 

13. n. 

9700 

15. II. 

10200 Erbrechen, Herpes labialis. 

19. n. 

9800 

22.11. 

6500 

26. II. 

6800 Leib ganz schmerzfrei, Exsudat nicht 


mehr nachweisbar. 

27 . n. 

6500 steht auf. 

9. III. ! 

geheilt entlassen. 


| Zu diasen von Anfang an und dauernd mit verhältnissmässig 
! niedrigen Leukocytenzahlen verlaufenden Fällen ist noch beson- 
| ders zu bemerken und aus ihnen zu ersehen, dass, abgesehen von 
i den in der Methode gelegenen Fehlem, diese Zahlen in mässigeu 
Grenzen zu schwanken pflegen. Ein Ansteigen von einem zum 
anderen Tage von 7—8000 auf 10 bis 11, selbst 12 000 beweist, 
I wenn es vorübergehend ist, nichts Besonderes. 

Auch höhere Leukocytenwerthe bedeuten, wie schon erwähnt, 
besonders im Anfang der Affektion und wenn 
sie nur kurz dauern, nichts Schlimmes. Wir haben eine 
! ganze Anzahl von Fällen gesehen, wo in den ersten Tagen ein¬ 
mal und selbst wiederholt 15—20000 weisse Blutzellen gezählt 
wurden, und Verlauf und Ausgang, ohne dass es zum Abscess 
; kam, glatt und günstig waren. 

Beispiele dieser Art des Verlaufs bieten die folgenden Fälle: 

E. Sch., 25 Jahre, Arbeiter. Aufgenommen am 11. V. 1901 
j (3. Krankheitstag) mit mittelgrossem derbem Exsudat. 


Tag 

Zahl der 

I Leukocyten 

Tag 

! Zahl der 

I Leukocyten 

11. V. 

19200 

16. V. 

6200 

12. V. 

! 6000 

17. V. 

5500 

13. V. . 

8000 

16. V. 

4600 

14. V. 

! 7300 

17. V. 

5800 

15. V. 

i 5700 


1 


An diesem letzten Tage noch ganz geringe, thalergrosse, un¬ 
empfindliche Resistenz. 

11. VI. Geheilt entlassen. 


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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1909 


A. I)., 25 Jahre, Dienstmann, Aufgenominen am 24. I. 1901 
(4. Kraukheitstag) mit einem oberhall) des rechten Lig. Polin, 
fühlbaren, hall* hühnerelgrossen, derben, sehr empfindlichen Tu¬ 
mor. Der übrige Leib massig aufgetrieben. 


Tag 

Zahl der 

Leukocyten 

24. I. 

18600 

(5. Krkhtag.) 

26. I. 

11200 

27. L ! 

10400 

28. I. 

10400 

29. L 

8600 

l. n. 

8000 Tumor verschwunden. 

10. IL 

steht auf. 

5. I£L 

geheilt entlassen. 


Besonders interessant, weil er vom 2. Krankheitstag an be¬ 
obachtet werden konnte, ist der Fall der 19 jährigen Arbeiterin 
M. D., die am 20. III. 1900 auf die Abtheilung aufgenommen 
wurde. Sie hatte schon am Aufnahmetag eine sehr schmerzhafte, 
zunächst nicht scharf abgegrenzte Resistenz der rechten Fossa 
iliaca, die nach innen bis zur Linea alba und nach oben in einer 
Ausdehnung von 3 Fingerbreite sich erstreckte, um in den fol¬ 
genden Tagen zu einem deutlich abgreifbnren, fast hühnereigrossen 
Tumor anzuwachsen. Leukocytenzahlen und Temperaturverlauf 
waren folgende: 


Tag 

Zahl der 

Körper- 

Leukocyten 

wärme 

26 . m. 

16600 

38,6 

27. III. | 

20000 

12400 

37,8 

37,6 

28. m. | 

10400 

11400 

37,2 

37,4 

29. in. | 

12600 

10800 

36,6 

37,2 

30. III. | 

7200 

8800 

36,8 

37,4 

3i. m. 

6800 

37,0 


Schon vom 30. an begann das Exsudat stetig zurück^ugeheu; 
am 5. IV. waren alle Beschwerden im Leib und die objektiven 
Erscheinungen verschwunden. 

Am 10. IV. konnte dem dringenden Wunsch nach Entlassung 
entsprochen werden. 

In diesem letzten Falle kam die hohe Zahl von 20 000 Leuko- 
cyten zur Wahrnehmung. Darüber hinaus, bis 22 und 
25000, gehen, soweit ich bis jetzt beobachten 
könnt o, auch auf ein oder wenige Male die 
Leukocytenzahlen nicht, wenn der Fall nach¬ 
her ohne Abscessbildung abläuft. Wo aber selbst 
nur ein- oder zweimal 25—30000 erreicht oder 
überschritten werden, kann man den Kranken 
getrost der chirurgischen Behandlung über¬ 
lassen. Ich sah in keinem dieser Fälle einen vergeblichen 
Eingriff, und pflege jetzt, nachdem ich grössere Erfahrung habe, , 
wenn die ominösen Zahlen festgestellt sind, ohne ganz besondere 
Gründe die TTeberweisung nicht mehr durch Fortsetzung der 
internen Beobachtung zu verzögern. 

Dieses Leukocytenverhalten pflegt besonders mittelgrossen, 
rasch sieh entwickelnden, derben, umschriebenen Exsudaten, die 
oft unter ganz geringem Fieber oder fieberlos bestehen, zuzu¬ 
kommen. Es ist darum besonders bemerkenswerth, weil recht 
häufig gleich beschaffene Ausschwitzungen, auch ohne eiterig zu 
werden, glatt zurückgehen, und beide Formen oft nur 
durch das Verhalten der Leukocyten von ein¬ 
ander zu unterscheiden sind. 

Wie werthvoll die Blutkörperchenzählung aber auch bei sehr 
grossen, unter lebhaften örtlichen und allgemeinen Störungen 
rasch anwachsenden Exsudaten werden kann, bewiesen uns einige 
derartige Fälle, bei denen wir früher die Abscessentwicklung für 
unausbleiblich gehalten hätten. Allein die dauernd niedrigen 
oder nur vorübergehend mässig steigenden Zahlen der weissen 
Blutzellen hielten uns hier ab, chirurgisches Eingreifen zu ver¬ 
anlassen, und in der That sahen wir dann zu unserer Befriedi¬ 
gung die Rückbildung ungestört von Statten gehen. 

Wollte man für solche Fälle annehmen, ee sei doch Eiter vor¬ 
handen gewesen,und nur eineWiederauf saugung oder Abkapselung 
desselben erfolgt, so muss ich einwenden, dass meine Erfahrung, 


besonders für grosso Herde, der Möglichkeit eines solchen Er¬ 
eignisses widerspricht. Gegen einen aus etwaigem Durchbruch 
des Eiterherdes in den Darm oder andere Hohlorgane möglichen 
Irrthum bewahrte uns die genaue Beobachtung der Fälle, ganz 
abgesehen davon, dass, wie weiter unten gezeigt werden wird, 
gerade zur Perforation gelangende peri typhlitische Abscesse sehr 
eigenartige, leicht zu deutende Leukocytenkurven bieten. 

Zwei Beispiele mögen das Gesagte erläutern: 

E. F., 17 Jahre, Buchdrucker. Aufgenommeu am 4. Krank¬ 
heitstag mit äusserst schmerzhaftem, handtellergrossem, derbem 
Exsudat. Die von ihm eingenommene Gegend ist kaum zu be¬ 
tasten und auch in weiterer Ausdehnung der Leib so empfindlich, 
dass selbst der Druck der Bettdecke geuirt Schmerz¬ 
hafter Harndrang, mehrfach galliges Erbrechen. Dazu nicht un¬ 
bedeutende Temperatursteigeruug (39,9) am Abend des ersten Be¬ 
obachtungstages. 

Bei der klinischen Vorstellung des Falles wurde aus dem 
örtlichen und allgemeinen Bilde die Möglichkeit, ja Wahrschein¬ 
lichkeit des Ausganges in Abscessbildung erörtert, mit der Ueber- 
weisung zur chirurgischen Behandlung aber darum gezögert, weil 
in starkem Gegensatz zu den übrigen Erscheinungen an den 
ersten Beobachtungstagen verhältnissmässig niedrige, in der Folge 
nicht erheblich steigende Leukocytenzahlen sich ergeben. Der un¬ 
gestörte, bei interner Behandlung zur raschen Rückbildung der 
Ausschwitzung führende Verlauf gab uns Recht. 

Hier die Leukocytenzahlen: 

4. Krankheitstag 15400 Leukoc. I 8 Krankheitatag 9300 I^ukoc. 


12200 

>» 

9- „ „ 

9800 


11400 

n 

io. „ „ 

10500 

n 

98u0 

n 

H- 

9800 

n 


Sehr bemerkenswerth ist, der zweite Fall, der einen lang¬ 
samen. hartnäckigen, aber schliesslich gleichfalls günstigen Ver¬ 
lauf bot: 

G. W., 18 jähr. Dienstmädchen. Zum ersten Male von Appen- 
dicitis befallen. Sehr ausgedehnte, über hühnereigrosse Aus¬ 
schwitzung unmittelbar über dem rechten Lig. poupart. Derbe 
Konsistenz, starke Dämpfung. Schwere Störung des Allgemein¬ 
befindens. 

Verhalten der Leukocyten: 


Tag 

Zahl der 
Leukocyten 

Tag 

Zahl der 
Leukocyten 

16. X. ! 

13000 

24.X. 

9000 

(4 Krkhtag.)' 


25.X. 

10000 

17.X. 

19800 

26.X. 

9200 

18. X. 

14800 

27.X. 

12000 

19. X. 

18000 

28.X. 

11800 

20. X. 

10400 

29 X. 

9600 

Der Tumor beginnt kleiner zu 

30 X. 

7600 

werden. 

31.X. 

8800 

21.X. I 

20200 

i n. 

9800 

22.X. | 

9200 

Jede Geschwulst verschwunden. 

23.X. i 

106« K) 

23. II. 

geheilt entlassen. 


Ganz anders wie die bisher beschriebenen verhalten sich 
die in Abscedirung ausgehenden Fälle. 

Mögen die Exsudate klein oder gross, nur unvollkommen 
fühlbar sein, kein Fluktuationsgefühl zur Wahrnehmung, kein 
nennenswerthes Fieber zu Stande kommen lassen oder selbst ganz 
fieberfrei verlaufen, fast immer ist das Verhalten der weissen 
Blutzelleu so charakteristisch, dass es diagnostisch ausschlag¬ 
gebend und oft vor Feststellung anderer bezeichnender Erschei¬ 
nungen entscheidend für die Verweisung in chirurgische Be¬ 
handlung wird. 

Dies Verhalten geht dahin, dass die Zahl 
der weissen Blutzellen schon sehr bald nach 
Beginn des entzündlichen Processes, vom 2., 
selbst 1., Tage an oder nach mehreren meist nur 
wenigen Tagen zu sehr hohen Werthen sich er¬ 
hebt und, mit meist nur geringen Schwan- 
ungen nach unten, auf der erlangten Höhe 
bleibt oder noch weiter steigt. 

Das Wesentliche ist hier nicht die absolute Grösse der Zahl, 
wenn sie auch nicht ohne Bedeutung ist, sondern ihr Tage langes 
Andauem und selbst Wachsen. 

Kommen die Kranken, was im Hospital nicht gerade häufig, 
schon vom 1. oder 2. Tage an zur Beobachtung, so können bei 
erheblichem Fieber und wesentlichen örtlichen Beschwerden zu¬ 
nächst noch normale oder wenig gesteigerte Leukocytenzahlen 
festgestellt werden. Steigen sie darnach aber und bleiben sie 
dauernd hoch, so deutet dies mit Sicherheit auf eingetretene Ab- 
8cediruug. 

1 * 


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1910 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


Zuweilen, zweifellos in sehr akut sich entwickelnden und be¬ 
sonders rasch fortschreitenden Fällen findet man schon in sehr 
früher Krankheitszeit, am 3., selbst 2. Tage, sehr erhebliche direkt 
auf Abscessbildung hinweisende Leukocytenwerthe. Als charak¬ 
teristischen Beleg hiefür mögen die folgenden Fälle dienen: 

B. M., 17 Jahre, Laufbursche, wird am 15. X. 1899. am Anfang 
des 3. Krankheitstages, aufgenommen. Ueber dem rechten Lig. 
Poup. eine handtellergrosse druckempfindliche, leicht gedämpfte, 
wenig resistente Stelle. Ein umschriebener Tumor ist zunächst 
nicht erweisbar. Zahl der weissen Blutzellen und Temperaturen: 


Tag 

Zahl der 
Leukocyten 

Körper¬ 

wärme 

15. X. i 

83 =.0 

39,4 

(3. Krkhtag.) 1 
16 X. 

10200 

39,0 

17.X. 

26250 

3h, 3 

1 * X. 

•-'90<>0 

38,0 

20 X 

34000 

38,2 Resistenz deutlicher. 

21 X. 

39=00 

3h, 3 Verlegung zur rhir Abthei- 

lang Incision. Entleerung mitu* grosser Menge stin- 

kenden Eiters 

und eines Kothsteines. 


Eibrechen und Schmerz in der Ileoeoecalgegend erkrankt 
Aufnahme am 11. IV. Gegend über dem rechten P o u p a r t’sehen 
Baude aufgetrieben, sehr druckempfindlich, massig gedämpft. 

A. Sch., löjiihr. Dienstmädchen, am 9. IV. 1900 Abends mit 
Kein distinkter Tnmor fühlbar. Urinentleerung spontan un¬ 
möglich. Katheter. 

Temp. M. 38,2. Ab. 39,1. Weisse Blutzellen 30 800. Am fol¬ 
genden Morgen bei 38.6 Temp. 28 800 Leukocyten. Trotz relativ 
niedrigen Fieberstandes und nicht deutlicher örtlicher Veränder¬ 
ungen, besonders Fehlen von umschriebener Härte und Fluk¬ 
tuation, in Anbetracht der hohen Leukoc.vtose Verlegung zur 
chirurgischen Abtheiluug, wo sofort operirt und eine mässige 
Menge stinkenden Eiters entfernt wurde. Darnach glatte Heilung. 
Entlassung am 22. V. 1900. 

Treten die Patienten nach längerem Bestehen 
der Krankheit in Behandlung und finden sich 
dann sofort sehr hohe Leukocytenwerthe, so 
spricht dies mit grosser Bestimmtheit dafür, dass bereits Abscess¬ 
bildung besteht, selbst dann — und das Untersuchungsergebniss 
ist in solchen Fällen besonders werthvoll — wenn die örtlichen 
Erscheinungen noch unsicher und wenig ausgesprochen sind. Wir 
sind im Laufe der Zeit dazu gekommen, in solchen Fällen schon 
nach ein- bis zweitägiger Beobachtung, bei besonders hohen 
Zahlen sogar sofort nach der ersten Zählung zur Operation zu 
rathen. 

Beispiele: 

E. D., 31 Jahre. Kutscher, aufgenommen am 12. VI. 1901, am 
2. Krankheitstag, mit einem fast faustgrossen, im Wesentlichen 
retroperitonealen entzündlichen Tumor. Ziemlich bedeutende 
Schmerzhaftigkeit. Geringes Fieber Morgens 38.4, Abends 38,9. 
Leukocyten 25 800, am folgenden Tag 26 600. Sofort zur chir¬ 
urgischen Abtheilung verlegt Incision. Entleerung von reichlich 
y 2 Liter stinkendem Elter. 


Tag 

Zahl der 

Körper- 

Leukocyten 

wärme 

12. VI. 

25800 

38,4 

13 VT / 

VA ‘ \ Abends 

26600 

38 , 1 Incision. ’/* Liter Eiter. 

21000 

40,1 

14. VI. 

16400 

36,9 

15 VI. 

8000 

36,6 

17. VI 

92-0 

36,3 


Ich glaube, es ist kein Zufall — wenigstens sprechen unsere 
bisherigen Beobachtungen dafür — dass auch bei den in Abscess¬ 
bildung ausgehenden Appendicitisfällen durchschnittlich nicht 
allzu hohe Zahlen von weissen Blutkörperchen festgestellt werden, 
nicht so hohe namentlich wie man sie bei manchen anderen 
akuten infektiösen Processen, z. B. bei der fibrinösen Pneumonie, 
zu treffen pflegt. Die Zahlen von 32—35 000 wurden nur in der 
Minderzahl unserer Fälle überschritten. Durchschnittlich be¬ 
wegten sich die Leukocytenwerthe um 25—30 000. Bis zu 
40 000 sah ich sie nur ganz vereinzelt steigen und nur einmal 
darüber hinauskommen. 

(Schluss folgt.) 


Aus der I. chirurgischen Abtheilung dos Stadlkrankenhauses 
Friedrichßtadt zu Dresden. 

Beiträge zur Nierenchirurgie. 

Von II. L i n d n e r. 

I. Heber Verletzungen der Vena cava bei der Nephrektomie. 

Am 3. VI. 1901 wurde auf meiner Abtheilung im Augusta- 
hospital der 62jühr. Franz P. aufgenommeu wegen eines mauns- 
kopfgrossen Tumors der rechten Niere, der als Carcinom an- 
gesprochen wurde. Der grosse, von Hause aus recht kräftige 
Mann war ln der letzten Zeit stark abgemagert, klagte über ausser¬ 
ordentlich heftige Schmerzen und verlangte dringend eine Ope¬ 
ration, trotzdem ihm gesagt worden war, dass er möglicher Weise 
auf dem Operationstisch sterben würde. Was mich bestimmte, 
schliesslich dem Drängen des Pat. nachzugeben, war der Umstand, 
dass der Tumor trotz seiner Grösse doch den Eindruck ziemlich 
freier Beweglichkeit machte und daher die Hoffnung, wenigstens 
für einige Zelt dem Träger Linderung seiner hochgradigen Be¬ 
schwerden zu gewähren, nicht ganz ausgeschlossen erschien. Von 
einem sehr grossen, von den Rückenstreckern bis beinahe zur 
Mittellinie des Leibes reichenden Schrägschnitte aus liess sich 
die Geschwulst in der That ohne allzu grosse Mühe und ohne allzu 
starke Blutung frei machen, so dass sie bis auf einen nicht über¬ 
mässig dicken Stiel ln der Gefässgegend umgangen und vor¬ 
gezogen werden konnte. Ehe ich sie vor die Bauchdecken wälzte, 
instruirte ich meinen ersten Assistenten, dass er sofort nach den 
Gefässen greifen sollte, da ich auf eine heftige Blutung gefasst war, 
sowie ich sie aber etwas anzog, fuhr sie plötzlich aus der Bauch¬ 
höhle heraus und aus der Tiefe ergoss sich ein enormer schwarzer 
Blutstrom, so dass eine ausgedehnte Verletzung der Cava ange¬ 
nommen werden musste. Ich sah sogleich, dass diese zerrissen 
war, es gelang mir aber a tempo, die beiden Enden mit laugen 
Arterienzangen zu fassen und zu unterbinden. Das Bild, welches 
das Operationsfeld darbot, wird wohl jedem der bei der Operation 
Anwesenden unvergesslich sein: Wie zwei grosse blaue Würste 
bäumten sich bei jedem Herzstoss die beiden unterbundenen Ge- 
fässenden in der Tiefe des Abdomens auf. Leider hatte ich das 
distale Ende zuerst gefasst und unmittelbar darauf ein deutliches 
Schlürfen gehört, Pat. verfiel rapid und starb kurz nach Vollen¬ 
dung der Operation. Die Sektion ergab, dass die Cava in der 
Länge von mehreren Centimetern vom Carcinom durchwaehseu 
gewesen und dieses Stück beim Anziehen des Tumors aus dem 
Gefäss ausgefallen war. Der Tod war durch Lufteintritt in’s Herz 
verursacht; die Unterbindung war so rasch ausgeführt worden, 
dass eine verhängnisvolle Anaemie nicht zu Stande gekommen 
war. In der Umgebung der unterbundenen Venenstümpfe fanden 
sich noch reichliche Carcinommassen. 

Dieser Fall von Zerreissung und doppelter Unterbindung der 
Cava dürfte wohl einzig in seiner Art dastehen, Bedeutung hatte 
er damals, als er beobachtet wurde, nur als operationstechnisches 
Curiosum, jetzt liegen die Verhältnisse insofern anders, als wir 
inzwischen gelernt haben, die Verletzung auch der grössten Venen 
mit anderen Augen anzusehen. Was die Cava betrifft, so hat 
B o 1 1 i n i neuerdings in einem Falle von praevertebralem Drü¬ 
sentumor den zwischen 2. und 3. Lendenwirbel gelegenen Theil 
derselben resezirt und den betreffenden Patienten 2 Jahre am 
Leben bleiben sehen, Purpura (della legatura della vena cava 
inferiore. Riform. med. 1899, No. 195) hat an Hunden Versuche 
gemacht und gefunden, dass man das Leben sehr wohl erhalten 
kann, wenn die Cava unterbunden wird zwischen Zusammen¬ 
fluss der Iliaca und der Leber, schwieriger, wenn die Unterbin¬ 
dung über den Venae renales erfolgt, leichter, wenn sie unmittel¬ 
bar unter denselben stattfindet; im letzteren Falle erfolgt der 
Ausgleich der Circulation durch die Plexus spinales 
anteriores, durch die linksseitigen Beokenvenen, in zweiter 
Linie durch die Venen der Bauchwandungen und die Vena 
mesaraica inferior, im ersteren Falle durch die Vasa pro- 
pria der Vene, durch die Venen des Nierenparenchyms und der 
Nierenkapsel, die Plexus spinales anteriores, die Venen der Bauch¬ 
wand und die Vena meseraica inferior. Es wird also hiernach 
gestattet sein, in vorkommenden geeigneten Fällen die Vena cava 
doppelt zu unterbinden. Ist eine vollständige Ausschaltung dieses 
wichtigen Gefässes ohne direkte Gefährdung des Lebens möglich, 
so wird um soviel mehr die Einengung seines Strombetts ohne 
Gefahr ertragen, also die Entfernung eines Stücks seiner Wan¬ 
dung mit nachfolgender Naht ausgeführt werden können. Wenn 
wir die bekannt gewordenen Fälle von Verletzung der Cava bei 
Nierenexstirpation überblicken, so sind zunächst diejenigen — 
das sind bis auf einen Fall alle — zu nennen, bei denen diese Ver¬ 
letzung unabsichtlich erfolgte. Die Zahl der so gesetzten Ver¬ 
letzungen in der Literatur ist keine grosse, ich habe nur 8 Fälle 
auffinden können, möglich wäre es allerdings, dass ich einen oder 
den anderen übersehen hätte, für die Zwecke dieser Arbeit sind 
aber auch diese 8 hinreichend. Die eingreifendste Läsion der 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1911 


26. November 1901. 

Vena cava ereignete sich bei einer Nephrektomie wegen Pyelitis 
calculosa dextr., die B i 11 r o t h ausführte (Brenner, Beitrag 
zur Kasuistik der Nephrektomien. [Aus der B i 11 r o t h’schen 
Klinik.] Wien. med. Woehensehr. 1885, No. 32—34). Mittels 
Lumbalschnitts wurde die kindskopfgrosse Geschwulst freigelegt 
und, nach Punktion und Entleerung von viel stinkendem Eiter, 
die Auslösung derselben vorgenoramen. Als man in die Gegend 
der Gefiisse kam, trat plötzlich eine heftige Blutung ein, die durch 
Kompression gegen den vorderen Wundrand zunächst zum Still¬ 
stand kam. Da nach Auslösung der Niere und Abklemmung des 
Stiels die Blutung sehr heftig sich erneuerte, musste der Opera¬ 
teur den Finger in ein weitklaffendes Venenlumen einführen und 
unter vorsichtigem Zurüekziehen des Fingers das Gefäss durch 
3 Seidenligaturen sehliessen. Pat. starb 1 Vs Stunden p. op.; die 
Sektion ergab, dass nicht, wie angenommen worden war, die stark 
erweiterte Vena renalis, sondern die V. cava unterbunden wor¬ 
den war. 

Bei den übrigen Fällen handelte es sich um umschriebene 
Verletzungen der Venenwand. Der älteste und bekannteste ist 
der von Lücke (Deutsch. Zeitschr. f. Chirurg. XV, pag. 518. 
1881). 

Bel der Exstirpation eines rechtsseitigen Xierenearcinoms, 
1. VIII. 80, mittels Laparotomie (Mediansehnitt) riss der Tumor 
beim Herausheben plötzlich ab und fiel auf den Boden und im 
Moment füllte ein schwarzer Blutstrom den Abdoininalrauiu. Es 
wurden karbolisirte Schwämme und Karbolgaze in das Abdomen 
gepackt und mit den HUmlen ein starker Druck ausgeübt. Puls 
und Kespiration des Kranken blieben unverändert. Der Druck 
wurde mehrere Minuten lang fortgesetzt, dann ein Stück Gaze, 
ein Schwamm nach dem anderen fortgenommen; es wurde nun 
ein mehrere Oentimeter langer Strang gefühlt, mit der Schiebor- 
pincette gefasst und nebst noch mehreren anderen mit Catgut 
unterbunden. Die Blutung trat nicht wieder auf. Es wurde nach 
der Operation kein Urin abgesondert. Tod am 4. Tage p. op. 
Bei der Sektion fand man die Cava mit ihrer vorderen Wand auf 
einer Strecke von 7 cm in der Operationshöhle zu Tage liegen, 
in ihr ein Schlitz von 15 mm Länge, keine Unterbindung an der¬ 
selben. Linke Niere hochgradig verändert, daher die den Tod 
herbeiführende I'raemlc. 

ln diesem Falle hatte eine kurzdauernde Kompression ge¬ 
nügt, die Blutung aus der verletzten grossen Vene zum Ver¬ 
schwinden zu bringen, dieselbe kehrte bis zum Tode nicht wieder, 
so dass erst die Sektion die Verhältnisse aufklärte. 

Diesem L ü e k c’schen Falle schliesst. sich ein solcher von 
Sociu au (Bräuninger: Beiträge zur Nierenchirurgie. 
Beitr. z. klin. Chirurg. XVtlI, pag. 486): 

45jühr. Mann. Nephrektomie wegen rechtsseitiger l’yo- 
nephrose am 13. II. 1896. Beim Versuche, die freigelegte Niere 
auBzußehülen, erweist sich diese als sehr brüchig, reisst vielfach 
ein. Heftige Blutungen aus den Adhaerenzen und Einrissen, die 
nur schwer zu stillen sind. l)a auf diese Weise Stielbilduug un¬ 
möglich ist, sucht man intraperitoneal zum IIHus und den Ge- 
fässen zu gelangen. Verlängerung des Schnittes nach vorn, breite 
Eröffnung des Peritoneums. Abklemmung des Hilus summt Ge¬ 
wissen. Abtragung der Niere summt Kapsel vor der B i 11 r o t li - 
sehen Klammer; plötzlich sehr heftige venöse Blutung aus der 
Gegend der Vena cava (Riss?). Nach vielen vorgeblichen Ver¬ 
suchen. die Quellen der Blutung zu fassen, gelingt es endlich. 
Tod 24 Stunden p. o. Sektion; ln der V. cava Inf.. 2 ein unterhalb 
der Elnmündungs8telle der Vena renalis dextr. am vorderen rechten 
Umfange ein linsengrosses Loch mit unregelmässigen, zerrissenen, 
etwas gewulsteten Rändern. 

Auch in diesem Falle wurde erst durch die Sektion die Ver¬ 
letzungsstelle genauer erkannt. 

Hier schliesst sieh ein zweiter von mir beobachteter Fall an: 

Bel dem 35 jähr. Arbeiter B. exstirplrte ich im Mai 1898 eine 
rechtsseitige, stark vergrösserte tuberkulöse Niere, die besonders 
ln ihrer oberen Hälfte sehr fest verwachsen war. Bel der Lösung 
dieser Verwachsungen erfolgte plötzlich von der Gegend der Vena 
cava her eine ganz enorme Blutung. Nach rascher Aushülxung 
der Niere und Unterbindung des Stiels gelang es nicht, die Quelle 
der fortdauernden heftigen Blutung zu Gesicht zu bekommen, die 
Blutung stand nach vieler Mühe auf sehr fest»* Tamponade 
mittels zahlreicher grosser Mullkompressen. Es trat eine reich¬ 
liche Eiterung ein. die lange Zeit s»*br übelriechend war. die aber 
nach allmählicher Entfernung sämmtllcher Kompressen rasch ver¬ 
schwand. Pat. genas. — Di* ganz enorme Blutung Hess keine 
andere Deutung zu, als dass eine Verletzung der Venenwand selbst 
statt gefunden haben musste. 

Die übrigen 4 Fälle haben »las Gemeinsame, dass schon wäh¬ 
rend der Operation die Verletzung «1er Vene mit Sicherheit fest- 
gestellt und durch Naht resp. Abklemnuing geschlossen wurde, 
indessen gelang es in keinem derselben, dadurch einen Dauer¬ 
erfolg zu erzielen, särnmtliche Patienten starben, wenn auch nicht 
in Folge der Gcfiissvcrlctznng. Tn alphabetischer Reihenfolge 

Mo, 48 


nach den Namen der Autoren folgen die betreffenden Kranken¬ 
geschichten. 

Busse (Virehow's Arch., Bd. 157, pag. 353): 57jähr. Frau. 
Seit ungefähr 1 Jahre rasch zunehmende Geschwulst der rechten 
Seite. Beschwerden gering. Urin vermehrt und hin und wieder 
stark elweisshaltig. Brechreiz. Kolon nach der Medianlinie ver¬ 
schoben, vor dem Tumor gelegen. Kräft»*zustand befriedigend. 
Diagnose: Carcinoma renls dextr. Nephrektomie (II e 1 f e r 1 c h) 
3. XL 1895, in Chloroformnarkose. Vena cava aseendens ange¬ 
rissen, das Loch durch die Naht geschlossen. Seitdem mir noch 
wenige Kubikcentiineter Uriu entleert. Exitus 2 Tage später. 
Sektion ergab keine Metastasen in anderen Organen. Linke Niere 
gesund. 

G rohO (Deutsche Zeitschr. f. Clilr., Bd. 60, pag. 31): 60jähr. 
Frau. Adenocarcimnna renls dextr. Nephrektomie (Riedel) 
26. II. 1900. Schnitt längs des r. Muse, rectus. Darm liegt vor 
dem Tumor, Gallenblase enthält zahlreiche Stein»*, Wurmfortsatz 
nach oben verlagert. Duvchtrenuung dos hinteren Peritoneums. 
Der Nierentumor wird unter ziemlichen Schwierigkeiten heraus 
geschält. Unterbindung der Gefässe des Stiels einzeln, sie scheinen 
in der Gegend des oberen Pols einzumiinden. Um die V. cava 
herum ein grösseres Drüsenpnquet, das wich so fest an diese g«>- 
lag»*rt hat, dass ein linsengrosser Defekt in ihrer Wand entst»»bt. 
der sofort durch die Naht geschlossen wird. — Pat. bleibt dauernd 
souuiolent, stirbt am 27. 11. Die seit der Operatioii gelassene 
Urinmenge betrug ca. 200 ccm. Autopsie ergibt allgemeine Anaemie 
und Marasmus. 

Israel (Chirurg. Klinik der Nierenkrnnkheiteu. Berlin 1901, 
pag. 506); Hypernephrom der Huken Niere. Nephrektomie 5. IX. 
1899. Lmnbo-alxlominaler Querschnitt, auf den später ein ab¬ 
steigender Schenkel in der Richtung des Ureters gesetzt wird. 
Niere subscapulär enucleirt. die sichtbaren Stielgefässe werden 
nach Anlegung von Klemmzangen »lurchschnitten. Bel der Lu¬ 
xation der Niere flt‘1 es auf. dass sie durch einen daumendicken, 
vom Hilus ausgehenden, nach den grossen Gefässen hin verlaufen¬ 
den Strang festgehalten wurde. Nach Abtragung der Niere sieht 
inan in der Tiefe der Wundhöhlc ein stark t1ngerdlek**s. unregel¬ 
mässig walzenförmiges Gebilde, wel«-hes zunächst für eine ent¬ 
artete Lymphdrilse gehalten wird. Nach seiner im Wesentlichen 
stumpfen Auslösung, die bei »1er Lage nabe »1er Wirbelsäule nur 
unter Leitung »les Gefühls geschehen konnte, »luillt ein profuser 
Strom schwarz«*» V«*nenbluts hervor, dessen Quelle die Vena cava 
ist, an »leren linker Keitonwand ein Loch entdeckt wird. Dies«*s 
wird durch zwei «lit* Defektränder fassende Klemmzangen ver¬ 
schlossen. Nun wird «lie mit »1er Proprla zu einer untrennbaren 
Schwarte verbundene Adiposn exstirpirt. Die beiden wandstäudig 
an der V. cava hängenden langen Kleinmznngeu werden aus der 
Bauchwand herausgeleitet, Im Uehrigen wird diese, nach Tampo¬ 
nade der Höhle, durch Nähte g»*seblossen. Tod 11 Tage p. op. unter 
Erscheinungen, »lie auf fortschreitende Thrombosirung der V. cava 
deuten. Keine Sektion. 

Schede (Arch. f. kli». Chirurg. XLI1I. pag. 338: Carcinoma 
renis dextr. Nephrektomie 25. XI. 1892. Schnitt vom Rande des 
Saero-lumbalis. 1 cm unterhalb der 12. Rippe und mit dieser 
parallel etwa 20 cm lang nach vorne geführt. Bei der Grösse und 
geringen Beweglichkeit des Tumors wurde dann noch die Re¬ 
sektion «1er 12. Rippe nothwendig. Bald zeigte sich, dass »li«* 
Geschwulst in grosser Ausdehnung mit »lern Peritoneum ver¬ 
wachsen war. Dieses wurde daher eingeschnitten und mit der 
in die Bauchlmhle «‘Ingoführten Hand die Geschwulst nach aussen 
gedrängt und nllmählicli unter grossen Anstrengungen gelöst. Ein 
etwa hamlgvosses Stück l'eritoueum musste mitentf«*rnt werden. 
Schliesslich lag «He Geschwulst ringsum frei, aber der Stiel war 
so auss«*rordentH»-li kurz, «lass eine isolirte Unterbindung «l«*r Hilus- 
gefäss»* unmöglich war. er wunle <l»*sshalh mit einer elastischen 
Ligatur uii)s«-lmürt und vor derselben nbgesehnltt»*n. Nach der 
Naht d«*s Periton«*m»s zeigt sich, «lass die elastische Ligatur die 
Waml der Cava mitgefasst hat: unter Kompression «1er Vena ölten 
und unten Lösung »l**r Ligatur, und als eine sehr heftige Blutung 
aus der linken Renalis eintritt. Ahklemmung mittels konvergirend 
nugelcgter Arterienpinzetten. Es bleibt ein 2 ein langer Defekt 
in d«*r Wand der Cava, der »Inreh fortlaufende Naht geschlossen 
wird. Tod 18 Tag«* p. op. in Folge von akuter, hochgradiger, 
fettiger D»*gcnerati«m «1er Leber, des Herzens und der linken Niere. 
Die V. cava war mit flüssigem Blute g«*fiillt: keine Thromben- 
bildung. die Wnmle «ler Intima verbellt, die Lumen des Gefiisses 
entsprechend der Nahtstelle in merklicher Weise verengt. 

Wie aus dieser Uebersicht hervorgeht, wurde nur in dem 
I s r a e l’schen Falle hei linksseitiger, sonst in allen Fällen — 
auch in dem letzten, unten zu referirendon Falle — bei rechts¬ 
seitiger Nephrektomie die Cavavcrletzung lxx>baehtct, eine Er¬ 
scheinung, die sich aus den anatomischen Verhältnissen leicht er¬ 
klärt. Das Studium der geschilderten Fälle ergibt das inter¬ 
essante Resultat, dass es stets gelungen ist, der Blutung aus der 
vorletzten Ilnuptvene Herr zu werden, ein» die Anaemie einen be- 
drohli«*hen Grad erreicht hatte, «lass die Blutung in keinem Falle 
die Todesursache g«*bildet hat. und «lass überhaupt, mit Ausnahme 
meines ersten Falles, in welchem Lufteintritt in’s Herz, und d«*s 
Israelischen, in welchem fort schrei t«*i ule Thrombosirung der 
Cava als Todesursache angenommen werden musste, die Folg«*» 
der Gelass Verletzung für den Ausgang der Operation ohne Be¬ 
deutung geblieben sind, wir dürfen danach den Schluss machen. 

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1912 


MUENCJHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


dass wir berechtigt sind — besonders auch in Hinblick auf deu 
Eingangs erwähnten Fall von B o 11 i n i —, die Cava in opera- 
tiousteohnischer Beziehung den anderen grossen Körpervenen 
gleichzustellen, bei denen wir, wenn es erforderlich ist, Resek¬ 
tionen aus der Kontinuität, wie von Theilen der Wandung, ohne 
jedes Bedenken vorzunehmen gewöhnt sind. Diese Betrachtung 
leite t uns über zu der zweiten Kategorie von Verletzungen der 
Cava, nämlich zu den mit Absicht gesetzten, einer Kategorie, die 
bisher in der Literatur unseres Wissens nur durch einen FaLl 
vertreten ist, aber einen Fall, der geeignet ist, uns mit der 
grössten Bewunderung für den Operateur zu erfüllen, wir meinen 
den im Centralbl. f. Chirurg. 1899, pag. 7b3, veröffentlichten 
von v. Zöge-Man teuffei: 

Exstirpation eines Nieren carcinoins mit Re¬ 
sektion eines Careiuomknoteus aus der Wand 
der V. cava. Heilung. 4!)jähriger Manu. Carcinoma reuis 
dextr. Nephrektomie 17. 111. IS99. Niere haftet nach Enucleatiou 
und Unterbindung der Nierengeiasse in der Gegend der Wirbel¬ 
säule fest, es wird datier Peritoneum und Kolon mediauwärts 
abgehoben und das erstere eröffnet. Es findet sich Folgendes: Der 
Tumor sitzt der V. cava mit einem (> cm breiten und 1 cm dicken 
Stiel direkt auf, oder ist vielmehr in genannter Ausdehnung durch 
die Venenwand hindurchgewachseu. Er bildet im Innern der 
Vene einen weissschimmernden, ca. 10 cm laugen und reichlich 
fingerdicken Fortsatz, von dem noch weitere astförmige Appeu- 
dices im Strom des venösen Eluts aufwärts llotlireu. v. Z.-M. 
legte nun, um das Eoslosen und Verschleppen von Bröckeln zu 
verhüten, dicht unter dem Zwerchfell, 1 Zoll über dem letzten 
liottireuden Fortsatz, eine weiehlcderude, mit Gummidraius über¬ 
zogene Magenklemme au die V. cava, dann trennte er den Haupt¬ 
tumor so ab, dass noch eiu guter Stiel au der Vene sitzen blieb, 
ergriff diesen und Umschnitt mm, während der Assistent die Vene 
unterhalb gegen die Wirbelsäule komprimirte, die earciuomatöse 
Partie der Gefässwaud im Gesunden. Die etwa 0 cm lauge und 
*J >/2 cm breite Oeffuung schloss der leicht abgezogene Tumor ab; 
als aber der Tumor entfernt wurde, stürzte aus der V. renalis der 
anderen Seite eiu Blutstrom heraus, v. Z. schloss durch Druck 
mittels der äusseren Kaute der r. lland das blutende Gefäss und 
nabte mit der linken Hand fortlaultud die Vene zu, legte daun 
noch eine zweite Nahtliuie darüber und zog das anliegende Binde¬ 
gewebe mit einer Knopf naht herüber. Nach Entfernung des Kom- 
pressoriums, das ca. 15 Minuten gelegen hatte, ging der venöse 
Strom m dem auf die Hälfte seines eigentlichen Lumens reducirten 
Gefitsse normal wieder vor sich. Der bis dahin schlecht und kaum 
fühlbar gewesene Puls wurde nach 2 Minuten wieder gut und 
voll. Der Pat. verliess am 20. Tage p. op. geheilt das Krankenhaus. 

Der Werth der hier referirteu Fälle von Verletzung der Vena 
cava bei Niercncxstirpatiou, besonders des v. Z.-Mäschen von ziel¬ 
bewusster Exstirpation eines Geschwulstzapfens, ist nicht nur der 
von (Juriosis, für die Nierenehirurgie werden sie voraussichtlich, 
wenn auch bei seltenen Gelegenheiten, Bedeutung gewinnen 
können, und es dürfte von manchen derselben noch das Wort 
gelten: Meminisse juvabit. J. Israel, einer unserer hervor¬ 
ragendsten Meister der Nierenchirurgie, hat uns soeben in seiner 
vorzüglichen „Chirurgischen Klinik der Nierenkrankheiten“ ein 
Bild von dem gegenwärtigen Stande dieses wichtigen Zweiges 
der Chirurgie nach seinen ausgedehnten Erfahrungen gezeichnet; 
nicht der geringste Vorzug dieses schönen Werkes ist die Mässi- 
gung und Vorsicht in der Stellung der Indikationen, aber auf 
der anderen Seite zeigt dasselbe auch wieder, wie schöne und 
dankensweitlie Früchte ein kühnes und zielbewusstes Vorgehen 
im geglichenen Falle zeitigt; wissen wir, dass uns durch die 
Rücksicht auf die Integrität der V. cava keine Grenze gesteckt 
ist, so dürfte es in so manchem Falle gelingen, bessere und 
dauernde Erfolge, besonders auch bei bösartigen Tumoren und 
ihren Metastasen, zu erzielen. Der v. Z.-M.’sehe Fall wird dafür 
ein glanzendes Vorbild sein. 

II. Ein seltener Fall von Nieren Verletzung. 

Der nachfolgend referirte Fall von Nierenverletzung wird 
jedenfalls zu den äusserst seltenen gehören und bietet nach so 
mancherlei Seiten praktisches Interesse, dass sich seine Ver¬ 
öffentlichung rechtfertigen dürfte. 

Ein 19 jähriges Hausmädchen wurde am 22. III. 1901 auf 
meine Abtheiluug gebracht, nachdem es kurz vorher von einer 
Leiter rücklings ca. 1 m hoch herab und auf die rechte Seite 
gefallen war. l’at. hatte sofort Schmerzen in der linken Seite des 
Unterleibes verspürt. Die mittelkriiftige. graeile, sehr blasse Pat. 
zeigt ängstlichen Gosichtsausdruck, macht einen schwerkranken 
Eindruck. Der Leib ist im Ganzen weich, etwas empfindlich, zwi¬ 
schen linkem Rippenbogen und Darmboinkamm eine nach vorn bis 
zur Mamniillarliuie reichende Resistenz fühlbar, die bei Betastung 
schmerzhaft Ist. bei leiser Perkussion gedämpft erscheint, keine 
Fluktuation darbietet. Kein freier Erguss in abdomine. Uriu 
ohne Abnormität, in specie ohne Blut. Diese Resistenz nahm 


No. 48. 


nicht wesentlich zu, dagegen wurden die Schmerzen heftiger, es 
trat einmaliges Erbrechen auf, Pat fing an zu fiebern und machte 
einen schlechten Gesammteinilruck. Urin normal. Die Wahrschein- 
lichkeitsdiagnose lautete auf eine Verletzung des Tankreas. Am 
25. III. erölTuete ich durch einen ca. 15 cm langen Schnitt vor der 
Crista il. inf. die Bauchhöhle und kam sofort auf einen wallartigen 
dunkelblauroth aussehenden, länglichen, sich etwas schräg von 
oben hinten nach innen unten erstreckenden Tumor, den ich als 
das auseinamlergetriebene Mesokolou descendens erkannte. Aus 
der Bauchhöhle floss eine mässige Quantität duukleu Bluts. Ich 
ineidirte das Mesokolou, dessen Blätter durch eine grosse Menge 
thcils llüssigen, tlieils geronnenen Bluts stark auseinandergedrängt 
erschienen, entleerte einen grossen Theil des Blutes und gelaugte 
in eine sieli nach oben nach der Gegend der linken Niere hin er¬ 
streckende Ilöhle, konnte aber in derselben, die mit Gerinnseln 
erfüllt war, etwas Genaueres nicht fest stellen. Da die Blutung 
ziemlich stark war, tamponlrte ich die Höhle Im Meeokolon und 
die Bauchhöhle rings um die Wunde im Mesokolon. Nach der 
Operation fiel das Fieber zunächst, stieg aber dann wieder an, 
ohne irgend hohe Grade zu erreichen, nach 14 Tagen trat für 
längere Zeit Entfieberung ein. später kamen wieder Zeiten eines 
massigen, remittireuden Fiebers, ohne dass sich jedesmal ein deut¬ 
licher Grund dafür auffinden liess. Vom 4. Tage p. op. trat eiu 
reichlicher Urinabfluss aus der Höhle im Mesokolon auf und 
(lauerte etwa 4 Wochen au, dann trat allmählich Schluss der 
Fistel ein. Der Urin aus der Blase war dabei dauernd ohne jede 
Abnormität. Später bildete sich noch eine kleine Kotlifistel iui 
Kolon descendens aus. die schliesslich durch die Naht geschlossen 
werden musste. Am 17. VIII. wurde Pat. geheilt und iu vor¬ 
züglichem Allgemeiuzi!8tande entlassen. Der Leib war ganz weich 
und schmerzlos, eine nennenswerthe Resistenz in der linken Seite 
nicht mehr vorhanden, von Seiten der Nieren bestanden keine 
krankhaften Erscheinungen. 

Die Erklärung für diese merkwürdige Beobachtung kann 
wohl nur dahiu lauten, dass es sich um einen Einriss in den 
unteren Pol der linken Niere gehandelt hat, der nur gerade das 
Nierenbecken an einer kleinen Stelle eröffnete, so dasB kein Blut 
in dasselbe hinein-, wohl aber Urin aus ihm herausgelangen 
konnte. Immerhin ist es sehr merkwürdig, dass bei einer ver- 
hältnissmiissig so geringen Verletzung eine so starke Blutung 
auf trat und dass sie gerade den Weg nach unten in das Meso¬ 
kolon einschlug, während doch in den allermeisten Fällen von 
Nierenverletzung sich das Blut in der Umgebung der Niere in 
der Lumbalgegend anzusammeln pflegt, es kann dies nur dadurch 
verstanden werden, dass der Riss auch in ausgedehnterem Maas?e 
die Capsula adiposa betheiligte. Auch das Zustandekommen 
einer derartigen Verletzung der linken Niere, zweifellos einer 
„Abreissungsverletzung“, durch Fall auf die rechte Seite, dürfte 
nicht häutig Vorkommen. Es ist mir nicht gelungen, in der 
Literatur eine ähnliche Beobachtung aufzufinden. 


Aus dem Allgem. Krankenhause Hamburg-Eppendorf. Chirur¬ 
gische Abtheilung von Dr. K ü m m e 11, I. chirurg. Oberarzt. 

Zur Beeinflussung der Ausfallserscheinungen bei¬ 
derseitig kastrirter Frauen durch Ovarialpräparate. 

Von Dr. A. F 1 o c k e m a n n, Assistenzarzt. 

Die Bearbeitung von 135 Fällen, bei welchen Dr. Kümmell 
bis Ende April 1901 wegen entzündlicher Adnexerkrankungen 
die Laparotomie ausgeführt hat, gab mir auch Anlass, an diesem 
Material die Wirksamkeit der Eierstockstherapie bei der opera¬ 
tiven Klimax aus eigener Anschauung kennen zu lernen. 

Bekanntlich kommt es durch die vollständige Entfernung 
beider Ovarien bei gcschlechtsreifen Frauen zum Auf hören der 
Menses und meist auch zu Erscheinungen klimakterischer Natur, 
die nach dem Vorgänge von Hegar, Glävecke, Schmal- 
f u s s u. A. als Ausfallserscheinungen bezeichnet werden. Von 
diesen sind bei weitem die wichtigsten, weil am regelmassigsten 
vorhanden und am meisten belästigend, die vasomotorischen Stö¬ 
rungen. welche sich als Wallungen, Gefühl aufsteigender Hitze. 
Blutandrang nach dem Kopf äussern und auch äusserlich durch 
starke Röthung des Gesichts und Scliwcissausbrüche erkennbar 
sind. Bei stärkerer Ausbildung sind Kopfschmerzen, Schwindel- 
gefühl und an Bewusstlosigkeit grenzende Eingenommenheit zu 
verzeichnen. Oft treten solche Anfälle in periodischer Wieder¬ 
kehr an Stelle der verschwundenen Menses auf, mauchmal aber 
ganz regellos. 

In manchen Fällen verschwindet die Libido, sehr selten sind 
auch Depressionen zu beobachten und was sonst die zahlreichen 
Einzelheiten sind, auf die hier nicht näher eingegangen werden 
kann. 


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MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1913 


26. November 1901. 


Die Belästigungen, die die Frauen durch diese Dinge zu er¬ 
leiden haben, können sehr schwerer Natur sein. Immerhin er¬ 
weckt es doch wohl falsche Vorstellungen, wenn man von einer 
Kachexia ovarioprivn spricht, wie es Landau [0] tliut, oder 
nach ihm Mond [15], der Kachexia ovaripriva sagt. Denn nach 
unseren Erfahrungen an 97 nachuntersuchten Salpingooophor- 
ektomirten, sowie den sonstigen Berichten fehlen die schweren 
Veränderungen des Blutes und des Allgemeinstatus, die wir bei 
den verschiedenen kachektischen Zuständen finden oder bei dem 
durch natürlichen oder künstlichen Ausfall der Schilddrüsen¬ 
funktion hervorgerufenen, dem zu Liebe die Bezeichnung ge¬ 
braucht wurde. Das Tertium comparationis zwischen letzterem 
und der Kastration besteht lediglich darin, dass nach Ausfall 
eines bestimmten Organs bestimmte Veränderungen im Körper 
und seinen Funktionen hervorgerufen werden. 

Den Ausdruck Kachexie auf Kastrationswirkimgen anzu¬ 
wenden verbietet schon der Umstand, dass die Beschwerden der 
künstlichen Klimax im Laufe von einigen Jahren von selbst ub- 
klingen, um schliesslich dauernd zu verschwinde«. 

Trotz dieses Trostes hat die Therapie schon immer versuchen 
müssen, die Beschwerden zu lindern, jedoch ohne viel Erfolg. 

Die geradezu verblüffenden Erfolge, die bei der Kachexia 
strumipriva durch Fütterung mit Schilddrüsen oder Extrakten 
daraus erzielt wurden, verlangten gleiche Versuche bei den durch 
den Wegfall der Ovarialfunktion gesetzten Veränderungen. 

Die erste Veröffentlichung über solche Bestrebungen stammt 
von M a i ii z e r [10] aus der L a n d a u’schen Klinik: ein Fall, 
der etwa im Februar 1896 mit frischer Ovariensubstanz erfolg¬ 
reich behandelt ist. 

Schon am 21. VIII. 1895 hatte M o n d an der Wert h’schen 
Klinik in Kiel Versuche mit Ovarialtabletten begonnen, die er 
einige Wochen später publizirte [14], alsMainzer seinen Fall. 
Ovarialtabletten sind bereits aufgeführt in Merck’s Jahres¬ 
bericht von 1895, der sie, nach Mond, auf Anregung von 
Werth hergestellt hat. 

Die Verabreichung von Ovarialsubstanz geschieht jetzt all¬ 
gemein in Form von Tabletten, zu denen der Trockenextrakt aus 
ganz frischen und von allem sonstigen Gewebe befreiten Ovarien 
von Kuh, Kalb, Schaf, Schwein verarbeitet wird. Die Merck- 
schen Präparate werden, wie erwähnt, „Ovarialtabletten“, die von 
T)r. F rcund in Berlin auf Anregung von Landau her¬ 
gestellten „Oophorintabletten“ genannt. Auch C h r o b a k [3] hat 
ein Präparat herstellen lassen. 

Die von den verschiedenen Autoren mit der Eierstocks¬ 
therapie beim Klimakterium praecox erzielten Erfolge gehen nun 
ziemlich auseinander. Mond [14 u. 15] hat fast nur Erfolge 
zu verzeichnen, ebenso Mainzer [12] (S. 497: „Durch Dar¬ 
reichung von Oophorintabletten Hessen die Symptome in allen 
Fällen nach“ ist allerdings so zu verstehen, dass sie geheilt oder 
gebessert wurden, wie man aus einer früheren Publikation 
Mainzer'« [11] erkennt). Aehnlich spricht sich sein Chef 
L. Landau [ 9 ] und Chrohak [ 3 ] nach seinen ersten Ver¬ 
suchen aus. Seeligmann [17] hat bei 3 Fällen künstlicher 
Klimax mehr oder weniger ausgesprochene Besserung gesehen. 
Jacobs [6] berichtet über grossartige Erfolge bei der post 
operativen Menopause. Tn einem Falle von typischen Ausfalls¬ 
erscheinungen nach Kastration verschwanden bei B o d o n [2] die 
Beschwerden. Dalche [5] erklärt als die beste Indikation 
des Ovariins die Beschwerden der Menopause, sowohl der natür¬ 
lichen als auch der durch Kastration hervorgerufenen, und 
J a y 1 e [7] erscheint es bei künstlicher, operativer Menopause 
jeder anderen Medikation überlegen, da cs hauptsächlich im 
günstigen Sinne gegen die kongestiven Zustände wirke. Tou- 
venaint [19] sah bei 2 Fällen von doppelseitiger Abtragung 
der Adnexe von Ovarialtherapie guten Nutzen. 

AndercAutoren konnten weniger günstig berichten. A. M a r - 
tin [13] sah Erfolg nur in der Hälfte der Fälle, Baruch [1] 
hatte unter 12 Fällen nur 2 Erfolge (1 mal prompten Erfolg, 
1 mal erhebliche Besserung) und Cohn [4] konnte bei einem 
grösseren Material in einigen Fällen allerdings eine Abnahme 
der Erscheinungen wahrnehmen, bei der Mehrzahl der Fälle aber 
Hessen die Ovarialtabletten so gut wie ganz im Stich. Für 
manche Fälle betont dies auch der oben erwähnte Javle [7]. 

Bei diesen beträchtlichen Verschiedenheiten der Erfolge sind 
noch weitere einschlägige Versuche nothwendig und ich hnbe dess- 


lialb diejenigen von den ovariotomirteu Frauen, welche noch Aus¬ 
fallserscheinungen darboten, mit Ovarialtabletten (M e r c k) ge¬ 
füttert. Auf die Fälle von natürlicher Menopause, Amenorrhoe 
und anderen Beschwerden, welche von den meisten der genannten 
Autoren auch noch der Ovarialbehandlung unterzogen werden, 
hatte ich keine Veranlassung, meine Versuche zu erstrecken. 

Es folgen hier kurze Angaben über doppelseitig kastrirte 
Frauen, die zu Versuchen mit der Organotherapie geeignet 
waren. 


1. Voller Erfolg. 

Fall 1. Hannchen D., 29 Jahre. Arbeiterin. 27. IX. 1900: 
Abdominelle Exstirpation der Adnexe beider¬ 
seits wegen Pyosalpinx duplex. Kystoma ovarii 
sin. 4. III. 1901: Alle 4 Wochen aufsteigende Hitze (an Stelle 
der Menses, wie sie spontan angibt). Libido nicht erloschen. — 
Soll 1 Woche vor dem nächsten zu erwartenden Anfall 3 mal täg¬ 
lich 1 Tablette nehmen. 15. V. 1901: Briefliche Auskunft: Keine 
aufsteigende Hitze wieder, seitdem sie die Tabletten genommen. 
Auch Regel sei wieder eingetroffen! aber gering. 

Fall 2. Frau Hannchen Fr.. 48 Jahre, Restaurateursfrau. 
Pyosalpinx duplex. Uterus myomatosus. 6. X. 
1900: Totalexstirpation snmmt Adnexen durch 
Laparotomie. 1. III. 1901: Aufsteigende Hitze mit dem ihr sehr 
unangenehmen Gefühl des intensiven Erröthens. Starker feuchter 
Schweiss. Zuerst vor einigen Tagen aufgetreten. Nimmt schon 
wieder ab. Menses nie wieder. Soll in 3 Wochen (1 Woche vor 
dem sonst zu erwartenden Unwohlsein. 3 mal täglich 1 Tablette 
nehmen. 1. IV.: Bezeichnet die Wirkung als glänzend. Keine aur¬ 
steigende Hitze wieder. 15. V.: So geblieben. Dauerndes Wohl¬ 
befinden. 

Fall 3. Frau Fanny K.. 34 Jahre. 13. I. 1890: Exstir¬ 
pation der Adnexe beiderseits durch Laparotomie 
wegen Salpingitis duplex. 27. TTT. 1899: Hatte leicht auf- 
steigende Ilitze seit der Operation, besonders lästig, wenn sie sich 
körperlieh etwas angestrengt hatte, wonach sie leicht ein urti 
cariaartiges Exanthem bekam. Ist dann eine zeitlang von anderer 
Seite mit Ovarialtabletten (Merck) gefüttert worden, mit gutem 
Erfolg. 

F a 11 4. Frau O.. 39 Jahre. 14. VII. 1808: Exstirpation 
der Adnexe beiderseits per lap. wegen Pyosalpinx 
duplex. 20 . VI. 1899: Alle 1—2 Wochen für einige Tage leicht auf- 
steigende Hitze. Bemerkt schon ein Längerwerden der Zwischen¬ 
räume. 4. V. 1901: Hat von ihrem Hausarzt Ovarialtabletten 
bekommen, im Ganzen 150 Stück. Die Erscheinungen seien dar¬ 
nach geschwunden, die Beeinflussung sei unverkennbar gewesen. 

Fall 5. Frau M., 27 Jahre. Schneidersfrau. 13. I. 1901: 
Abdominelle Entfernung der Adnexe beider¬ 
seits wegen Salpingitis chron. lat. u t r 1 u s q u e. 
8. V. 1901: Seit kurz nach der Operation alle 4 Wochen auf¬ 
steigende Hitze für 3—4 Tage, an Stelle des ausgebliebenen Un¬ 
wohlseins. Bekommt 42 Tabletten. Soll 1 Woche vor dem nächsten 
zu erwartenden Anfall fetwa 22. V.) eine Woche lang 3 mal täg¬ 
lich 2 Tabletten nehmen. 5. VI.: Aufsteigende Ilitze nicht wieder¬ 
gekehrt. 

Fall 0. Frau T.. 43 Jahre, t Mai 1900 Totalexstlr 
p a t i o n des mvomatösen Uterus. 28. V. 1901: Seit der Operation 
Anfälle von aufsteigender Hitze mit Schweissausbrm-h und Kopf¬ 
schmerzen. Namentlich Nachts. Die Anfälle wiederholen sieh 
alle 4 Wochen, an Stelle der seit der Operation ausgebliebenen 
Menses. Libido seitdem erloschen. 7. VI. 1901; Nimmt 1 Woche 
vor dem nächsten zu erwartenden Anfall (15. VI.) 3 mal täglich 
1 Tablette. 28. VI.: Keine Anfälle eingetreten. Doch klagt Pat. 
dass sie seit der Operation oft traurig sei und weinen 
müsse. Dabei habe sie in keiner Beziehung Grund zum Traurig¬ 
sein. Soll vor den nächsten zu erwartenden Anfällen 1 Woche 
lang 2 mal täglich 1 Tablette nehmen. 1. VIII.: Pat. ist über¬ 
glücklich und fliesst über von Dankesbezeugungen (sie ist aller¬ 
dings etwas im Komperativ mit ihren Gefühlen). Sie habe keine 
Ilitze mehr, ihre alte Fröhlichkeit sei wiedergekehrt. 

2. Besserungen, 
a) erhebliche. 

Fall 7. Frau Christine Sch.. 39 Jahre. Brodhiindlersfrau. 
25. VIII. 1899: Abdominale Exstirpation derbeider¬ 
seitigen Adnexe wegen Pyosalpinx duplex, Ky¬ 
stoma ovarii d e x t r. Seit v, Jahr nach der Operation be¬ 
kam Patientin aufsteigende Hitze und Küthe des Gesichtes, manch¬ 
mal so stark, dass sie schwindlig wird. Alle 4 Wochen steigern 
sich diese Erscheinungen, so dass sie dann etwa 12 mal am Tage 
auftreten. Nachts schläft sie durch. Libido und Voluptas wie 
früher. 14. III. 1901: Soll 2 Wochen lang 3 mal täglich 1 Tablette 
nehmen. 1. IV.: Keine nennenswerthe Wirkung. Wird wegen 
Fadenlistel wieder aufgenonunen. Bekommt vom 1.—0. IV. täglich 
3 Tabletten. Die Wallungen werden danach geringer, kommen 
seit dein 18. IV. in stärkerem Grade wieder. Soll 1 Woche lang 
3 mal täglich 1 Tablette nehmen. 7. VIII.: Schriftliche Antwort: 
Die Hitzanfälle haben in den letzten Wochen bedeutend nach¬ 
gelassen und treten nur noch schwach und vereinzelt auf. 

Fall 8. Wllhelmlne V., 41 Jahre, Arbeiterin. <1. X. 1900: 
Exstirpation der Adnexe per lap. wegen Pyosal- 

2 * 


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1914 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48. 


piux bilater. 7. 111. 1901: Aufsteigeude Hitze 10—20 mal 
am Tage. Nachts wird sie dadurch am Schlafen gehindert. Libido 
nicht vorhanden, aber auch vorher nicht. Menses nie wieder. 
Soll 2 Wochen lang 3 mal täglich 1 Tablette nehmen. 3. V.: 
Nach den Tabletten ist es etwas besser geworden mit der auf- 
steigenden Hitze. Bittet um neue. Bekommt 42 Tabletten, soll 
1 Woche lang 3 mal 2 täglich nehmen. 5. VII.: Briefliche Antwort: 
Nach den Tabletten aufsteigende Hitze sehr viel weniger, ihr werde 
aber noch immer ganz ohnmächtig zu Muthe, wonach ein tüchtiger 
Scliweiss ausbricht. 

Fall 9. Jenne B., 31 Jahre. Dienstmädchen. 5. IX. 1890. 
Exstirpation der beiderseitigen A d n e x e wegen 
Pyosalpinx b i 1 a t. 24. II. 1899: Manchmal Wallungen und 
aufsteigende Ilitze. Bekommt 50 Ovarialtabletteu. August 1899: 
Brief: Tlieilt spontan mit, dass nach den Tabletten Wallungen und 
aufsteigende Hitze geschwunden waren, dann aber, nachdem sie 
zu Ende gegangen, wiedergekehrt seien, wesslialb sie um das lte- 
eept bittet. 20. IX. 1899: Brief: So oft sie das Ovarialpräparat 
nimmt, welches ihr Arzt ihr auf unsere Bitte verschrieben hat, 
verschwinden Blutandrang und Kopfschmerzen. 

Fall 10. Johanna B„ 30 Jahre. 20. I. 1901: Total¬ 
exstirpation des myomatüsen Uterus s a m m t 
Adnexen durch Laparotomie. 4. II. 1901: Briefliche Antwort: 
Gefühl der aufsteigenden Hitze und Wallungen nach dem Kopf 
9—11 mal am Tage, Angstgefühl. Nachts intensiver, es sei ihr 
dann als müsse ihr Körper förmlich eine Gluth ausstrahlen. 
22. V.: Brief: Hat 42 Tabletten genommen: Wallungen weniger 
heftig und weniger häufig. Zustand schon ganz erträglich. Wenn 
das Uebel auch keineswegs ganz geschwunden sei, so sei doch ein 
Erfolg dagewesen. Bittet um Fortsetzung. 10. VI.: Nachdem 
die Tabletten eine Zeit lang ausgegangen waren, erreichten die 
Beschwerden wenn auch nicht ganz, so doch beinahe den alten 
Grad, um dann nach Erneuerung der Medikation wieder fast gauz 
zu verschwinden. Wenn der Zustand so bliebe, würde sie gauz 
zufrieden sein. 

b) geringgradige re. 

Fall 11. Frau H., 35 Jahre, Expcdientensfrau. Ende 1899 
Exstirpation der Adnexe beiderseits wegen Pyo- 
salpinx duplex. Seit der Operation täglich aufsteigende 
Hitze. Nachts mehr, erwacht davon. Menses nie wieder. 17. III. 
1901: 42 Tabletten genommen. Die Beschwerden sind etwas 

weniger, indem die Hitze nachts nicht mehr auftritt. 

Fall 12. Frau Louise F., 37 Jahre. Buchhaltersfrau. 18. VIII. 
1900: Exstirpation der Anhänge wegen beider¬ 
seitiger Pyosalpinx, 11. III. 1901: Seit 3 Monaten nach 
der Operation alle paar Tage aufsteigende Hitze, wie wenn sie mit 
heissem Wasser übergosseu würde. Der Scliweiss lief ihr dabei 
vom Gesicht. 17. III.: 28 Tabletten genommen. Unverändert. 
14. IV.: Nach Gebrauch von weiteren 42 Tabletten war die auf- 
steigende Hitze geschwunden, kehrte dann aber wieder. 23. V.: 
Hat Tabletten in wechselnder Menge weiter genommen. Die 
Hitze sei noch nicht ganz geschwunden, aber eine Besserung sei 
unverkennbar. 

Fall 13. Frau F., 33 Jahre. Arbeitersfrau. 13. XI. 1900: 
Exstirpation der Adnexe wegen Salpingitis 
chronica dupl. 14. III. 1901: Aufsteigende Hitze, fast jeden 
Tag 3—4 mal. Dabei Beklemmungsgefühl. Nachts schläft sie 
gut. Menses nie wieder. 0. V.: 42 Tabletten genommen. Brief¬ 
liche Antwort: Aufsteigende Hitze nach den Tabletten ganz fort¬ 
geblieben. „Nachdem dieselbe leider schon lange alle sind“ be¬ 
kommt sie es leicht wieder. 

F a 11 14. Frau Lina E.. 25 Jahre. Arheitsmannsfrau. 
22. VII. 99. Salpingo-Oophorckto tu i e beiderseits wegen 
Pyosalpinx. 22. III. 01: 3 Monat nach der Operation Menses ein¬ 
getreten und 3—4 mal wiedergekehrt, seitdem nicht mehr. Seit 
August 1900 ansteigende Hitze, besonders Nachmittags, 5—6 mal. 
Nachts uicht Bemerkt schon ein Nachlassen. — Libido fehlte 
nm-h früher. 1. V. 1901: Nach 40 Tabletten, innerhalb von zwei 
Wochen genommen, ist die aufsteigende Hitze bedeutend weniger 
geworden, nur 2—3 mal in drei Wochen aufgetreten und dann 
rascher vorübergegangen als vorher. Soll weiter nehmen. 

Fall 15. Elsa G.. 25 Jahre, Verkäuferin. 18. IX. 1900: Ex¬ 
stirpation der Adnexe beiderseits wegen Pyosalpinx. 6. IV. 1901: 
Aufsteigende Hitze 2—3 mal die Woche, zuerst 3—4 Monate nach 
der Operation. Fühlt sich heiss im Gesicht und wird roth. Manch¬ 
mal auch schwindelig, so dass sie sich hinsetzen muss. Die Wall¬ 
ungen treten besonders Nachmittags und Abends auf. Nachts 
schläft sie. Hat noch kein Abnehmen bemerkt. Menses nie wieder. 
12. VII.: Innerhalb 2 Wochen 42 Tabletten genommen. Etwas 
geholfen, aber zeitweise stellt sich die aufsteigende Ilitze noch ein. 
Befinden soweit ganz gut. Am 1. Mal Menses, sehr schlimm, 
10 Tage. 

Fall IG. Frau S.. 21 Jahre. Destillateursfrau. 27. VIII. 1898: 
Exstirpation beider Tu b e n und des r. O variums 
wegen Pyosalpinx b i 1 a t. und I’arovarialcy st e 
rechts. 20. VI. 1899: Hat nach der Operation alle paar Wochen 
einige Tage lang Anfälle von Wallungen und aufsteigender Hitze. 
Diese wurden weniger, seit Pat. Ovarialtabletteu bekommen hat. 
Menses regelmässig. 

Fall 17. Frau L.. 20 Jahre, Landwirthsfrau. 2(5. IX. 1899: 
Exstirpation der Adnexe beiderseits wegen doppel¬ 
seitiger Intraligamentärer Parovarialcyste. 29. VI. 1901: 
Briefliche Antwort: 2 Monate nach der Operation zuerst Auf¬ 
treten von Ausfallserscheinungen. Es überlaufe sie plötzlich sie¬ 


dend heiss, sie sehe in dem Augenblick glühend roth aus uud sei 
wie in Scliweiss gebadet. Schwindel fühle sie dabei uicht. Zeit¬ 
weise, wenn sie Kopfschmerzen habe oder sich in trüber Stimmung 
befinde, trete es alle Stunden auf. Ein Nachlassen der Erschei¬ 
nungen sei schon insofern bemerkbar, als sich die Hitze schneller 
w ieder verliere. Menses nie wieder. 22. V.: Gebrauch von 42 Ta¬ 
bletten innerhalb 2 Wochen. In den ersten Tagen habe sich die 
Ilitze ganz verloren, sei dann wieder aufgetreten, aber nicht mehr 
so häutig am Tage uud nicht in so langer Dauer. 

Fall 18. Frau L., 40 Jahre, Lehrersfrau. 2. V. 1896: E x - 
stlrpation der Adnexe beiderseits wegen Pyosal¬ 
pinx. März 1899: Alle 4 Wochen Blutandrang nach dem Kopf. 
Menses nie wieder. 1. V. 1901: Briefliche Mittheilung: noch alle 

4 Wochen Blutandrang nach dem Kopfe, häufig so stark, dass sie 
glaubt, wahnsinnig werden zu müssen. Zu bestimmten Zeiten 
grosse Schlaflosigkeit. Schmerzen in der „Gallenröhre", die ihr 
das Leben \erbittern und Alles in trübem Lichte erscheinen lassen. 
24. V.: Persönliche Vorstellung. Hat 42 Tabletten genommen. 
Etwas seien ihre Beschwerden gelindert. Sehr exaltirt, burschi¬ 
koses Wesen. Schriftstellerin! 

Fall 19. Frau E., 32 Jahre, Schiffszimmermannsgattin. 
4. VI. 1897: Supravaginale Amputatio Uteri sammt 
Adnexen durch Laparotomie wegen Myoma uteri 
submucos. 23. IV. 1901: Bald nach der Operation trat auf- 
steigende Hitze auf, mehrmals am Tage, in der Regel ohne 
Scliweiss. Kein Schwindel oder Kopfschmerz. Manchmal eine 
bis einige Wochen Pausen dazwischen. In leichtem Maasse ist 
schon ein Nachlassen der Erscheinungen bemerkbar. 3. VII. 1901: 
42 Tabletten genommen. Hitze wurde danach weniger uud auch 
nicht so häufig. Bittet um neue Tabletten. 10. VIII.: Nach wei¬ 
teren 25 Tabletten Beschwerden fast geschwunden. 

3. Misserfolge. 

Fall 20. Johanne D., 33 Jahre. 13. XII. 1900: Vaginale 
Hysterektomie sammt Adnexen wegen Adenoiua 
mallgnum uteri. G. V. 1901: Brief. Aufsteigende Hitze bei 
jeder Anstrengung. Wird blauroth im Gesicht. Bestand aber 
auch vor der Operation schon einige Jahre. 20. V.: 3 mal täglich 

2 Tabletten genommen, im Ganzen 50 Stück. Eher schlimmer, 
als besser. 5. VII.: Noch weitere 50 im Ganzeu genommen ge¬ 
nommen, 2 mal täglich 1. Unverändert. 

Fall 21. Frau S. Caroline, 47 Jahre, Cigarrenhändlersfrau. 
4. I. 1900: Exstirpation der Adnexe wegen Pyosalp. 
dupl. 10. V. 1901: Seit der Operation kehren die vorher regel 
mässigen Menses alle 2—3 Monat wieder. Wenn die Blutungen 
ausbleiben, tritt — an ihrer Stelle, wie sie selbst meint — mehrmals 
am Tage aufsteigende Hitze ein. Seit den letzten Menses 
(Februar 1901) hat sie beständig aufsteigende Hitze gehabt, be¬ 
sonders Nachts, G-—7 mal. Wacht davon auf, am ganzen Körper 
nass von Schweiss. 21 Tabletten, innerhalb einer Woche genommen, 
sind ohne Einfluss geblieben. 7. VI.: Darauf 1 Woche lang 3 mal 
täglich 2 Tabletten. Keinerlei Veränderung. Menses noch nicht 
wieder auf getreten. 

Fall 22. Frau N. Amanda, 27 Jahre, Bauaufsehersfrau. 
22. XI. 1900: Exstirpation der Adnexe wegen Pyosal¬ 
pinx d u p I e x. G. III. 1901: Seit 6 Wochen aufsteigeude Hitze, 
mehrmals täglich. Bis jetzt kein Nachlassen zu verzeichnen, 
Libido unverändert. Nach 75 Tabletten, innerhalb 4 Wochen ge¬ 
nommen, keinerlei Beeinflussung. 

Fall 23. Emilie K., 17 Jahre, Sängerin. 7. II. 1899: Ex¬ 
stirpation der Adnexe wegen Pyosalpinx duplex 
6. IV.: Seit der Operation aufsteigeude Hitze, oft mehren» Male 
am Tage. Es ist ihr, als solle ihr der Kopf zerspringen. Gleich¬ 
zeitig unklar im Kopf, weiss nicht, was sie thun soll u. s. w. Menses 
nie wieder. Auf 24 Tabletten, innerhalb 8 Tagen genommen, 
keinerlei Veränderung. 18. V.: Noch weitere 105 Tabletten ge¬ 
nommen. Keine Besserung. 

Fall 24. Marie K., 33 Jahre. Köchin. Mai 1900: Exstir¬ 
pation der beiderseitigen Adnexe wegen car- 
cinomatös degenerirter Ovarien. Seit einigen Wochen 
nach der Operation aufsteigende Hitze mit starker Röthuug des 
Gesichts alle 2—3 Stunden. Noch keine Abnahme bemerkt 
11. III.: Wieder im Krankenhaus aufgeuommen, hat sie seit 

5 Tagen 3 mal täglich 1 Tablette bekommen nebst kalten Ab¬ 
klatschungen. Danach seien die Beschwerden etwas geringer 
geworden. 30. IV.: Hat noch weitere 50 Tabletten genommen, 
die „leider gar nichts genützt haben“. 

Fall 25. Frau L., 43 Jahre, Fischersfrau. 30. IX. 1898: E x - 
stlrpation der Adnexe beiderseits wegen Pyosal¬ 
pinx d u p 1 e x. 20. VI. 1899: Alle 4 Wochen einige Tage lang 
Wallungen, Schwindel und Kopfschmerzen. Herzklopfen, Menses 

6 Monate post oporationem noch einmal spurweise, seitdem nicht 
mehr. 16. IV. 1901: Hat schon einmal 50 Tabletten genommen 
ohne Erfolg. Im Laufe der Zeit sind die Erscheinungen spontan 
etwas geringer geworden. 30. V. 1901: Weitere Einnahme von 
42 Tabletten ist ohne Wirkung auf die Häufigkeit oder die Stärke 
der Anfälle geblieben. 

Fall 2G. Frau A., 46 Jahre, Küfersfrau. 9. II. 1898: E x - 
stirpation der Adnexe beiderseits wegen P y o s al¬ 
pin x d u p 1 e x. 9. VI. 1S99: Alle paar Wochen für einige Tage 
leichte Wallungen uud aufsteigende Hitze. Die Anfälle werd n 
anscheinend schon seltener. Blutungen spurweise alle 2 Monate 
angedeutet. 24. IV. 1901: Hat die Anfälle noch mehrmals am 
Tage. 12. VII.: Hat 84 Tabletten genommen im Laufe von 

3 Wochen, ohue jede Wirkung, „eher schlimmer". 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1Ö1S 


Fall 27. Frau S., 30 Jahre, Arl»eiter8frau. 29. IX. 1898: 
Exstirpation der Adnexe beiderseits durch Laparo¬ 
tomie wegen Pyosalpinx. 21. VI. 1899: In mehrwöchent¬ 
lichen Pausen manchmal für einige Tage Wallungen. 19. IV. 1901: 
Die aufsteigeude Hitze und Wallungen sind noch stärker ge¬ 
worden, fast Jeden Tag und mehrere Male. Sie weiss dann gar 
nicht, was sie thut, wirft Alles hin u. s. w. Menses im Ganzen 
noch 2--3mal nach der Operation aufgetreten; dann nie wieder. 
5. VII.: Hat 42 Tabletten Innerhalb 1 Woche genommen. Die auf¬ 
steigende Hitze war nur für den Augenblick vorbei, wo sie die 
Tabletten genommen hatte. 

Fall 28. Frau H., 30 Jahre, Lackirersfrau. 18. VIII. 1899: 
Exstirpation der Adnexe per laparotomiam wegen 
doppelseitiger Corpus luteum-Cyste. 30. IV. 1901: Einige 
Monate nach der Operation bekam sie oft aufsteigende Hitze, 
wobei sie ganz roth im Gesicht wurde. Dann verlor sich das nach 
einiger Zeit fast ganz wieder, um jetzt vor Kurzem wieder aufzu¬ 
treten. Menses noch einige Male spurweise; seit 1 Jahr ganz fort¬ 
geblieben. 20. V. 1901: Hat in 2 Wochen 42 Tabletten genommen. 
Keine Veränderung. 

Aus Vorstehendem ist ersichtlich, dass die gegebenen Mengen 
bei uns im Allgemeinen begonnen wurden mit 3 mal täglich 
1—2 Tabletten 1—2 Wochen lang. Die Frauen, bei welchen eine 
periodische Wiederkehr der Erscheinungen zu erkennen war, be¬ 
kamen das Präparat eine Woche lang vor den zu erwartenden 
Anfällen. Fall 16 gehört zu den seltenen Fällen, wo trotz 
Zurücklassung eines Ovariums sich Ausfallserscheinungen ein¬ 
stellten. Fall 18 ist nur bedingt verwerthbar, weil die 
Beschwerden noch 5 Jahre nach der Operation geklagt wurden 
und es sich um eine psychisch nicht ganz normale Frau handelte. 

Eine üble Wirkung von den Tabletten ist bei keiner unserer 
Patientinnen aufgefallen, und übereinstimmend äussern sich alle 
Autoren, auch die, welche weit höhere Dosen gaben. Mond [15], 
dessen Dosis 2—4—10 Tabletten pro die betrug, hat bei allen 
Frauen Herz, Urin, Temperatur, Puls, Allgemeinbefinden genau 
beobachtet und das Fehlen jeglicher übler Erscheinungen fest¬ 
gestellt. Thumiir. [18] hat, wie Merck 1 ) angibt, im weiteren 
Verfolg der Studien Richter’s — welche an ovariotomirten 
Hündinnen angestellt waren — gefunden, dass beim Menschen 
Zerfall stickstoffhaltigen Materials nicht bewirkt wird, also ihre 
Verabreichung unbedenklich ist. 

Häufig stellen sich in den günstig beeinflussten Fällen eine 
gewisse Zeit nach dem Aussetzen der Präparate die Beschwerden 
— wenn auch oft in geringerem Grade — wieder ein, so dass 
neue Verabreichung nothwendig wird. Diese Erfahrung hat sich 
bei allen Versuchen gezeigt, und wir können dieselbe nur be¬ 
stätigen (Fall 12, 13, 14, wo die Erscheinungen gänzlich ge¬ 
schwunden, Fall 7 und 10, wo sie gebessert waren). 

Um bei der naheliegenden suggestiven Beeinflussbarkeit 
dieser vorwiegend subjektiven Beschwerden nicht zu Trug¬ 
schlüssen zu kommen, muss man besonders sorgfältig bestrebt 
sein, jede suggestive Wirkung auszuschalten. Das betonen u. A. 
auch Mainzer [10], der Kontrolversuche mit Hysterischen 
anstellte und Mond [14], der in noch zweckmässigerer Weise 
„Pseudoovarialtabletten“ zwischendurch verabreichte, die nach 
Angabe von W e r t h aus Kochsalz und einem geringen Fleisch- 
extraktzusatz hergestellt waren. Die bei den wirklichen Tabletten 
bei der gleichen Patientin erzielten Erfolge blieben aus. 

Ich habe die Suggestion dadurch zu vermeiden gesucht, dass 
ich den Frauen immer sagte, wir wollen diese Tabletten mal 
versuchen. Manchmal bringen sie die Beschwerden zum Ver¬ 
schwinden, in anderen Fällen lindern sie sie, und manchmal ver¬ 
sagen sie. 

Einen anderen Weg zur Einverleibung von Eierstocksgewebe 
hat C h r o b a k [3] angebahnt, indem er Knauer veranlagte, 
an Thieren (Kaninchen) Versuche von Ovarialtransplantationen 
vorzunehmen. Knauer [8] hat gefunden, dass 1. beim Ka¬ 
ninchen die Ovarien auf andere von ihrem Standort entfernte 
Stellen überpflanzbar sind, 2. dass sie sowohl am Peritoneum 
als auch zwischen die Muskulatur eingclagert einheilen können, 
3. dass sie nicht nur ernährt werden, sondern auch funktioniren, 
d. h. Eierchen entwickeln, zur Reife bringen und unter Umständen 
vielleicht auch zur Ausstossung bringen. 

Dass von anderer Seite angeetellte derartige Versuche vor 
ihm stets erfolglos waren, erklärt Knauer damit, dass vielleicht 
die Aseptik nicht hinreichend gewahrt oder dass das Ovarium 
verletzt oder festgenäht war. Knauer erwähnt bei dieser Ge¬ 
legenheit auch, dass erfolgreiche Transplantationen von Hoden 

') M e r c k’s Jahresberichte. 

No. 48. 


bei Thieren von John Hunter, R. Wagner, Berthold Lode 
berichtet sind, nach welchen in den Hoden nach der Trans¬ 
plantation die Spermazellen vollkommen unverändert erhalten 
bleiben können. 

Ich habe nichts darüber gefunden, ob diese Versuche von 
Knauer oder Anderen auch auf Menschen übertragen sind. 

Einfacher und sicherer ist es jedenfalls, wenn man schon 
bei der Operation trachtet, Ovarialgewebe soweit als angängig 
zu erhalten, und dadurch den Ausfallserscheinungen vorzubeugen. 
C h r o b a k [3] berichtet 1896, dass er schon seit mehreren 
Jahren aus diesen Erwägungen bei manchen Operationen, be¬ 
sonders bei Myomotomie, beide Eierstöcke zurückgelassen hat. 
Eine üble Einwirkung davon hat er nie erlebt, und glaubt, 
dass die Mehrzahl der so Operirten geringere Wechselerschei- 
nungen hat, als jene Frauen, bei denen die Eierstöcke entfernt 
wurden. 

Wir haben in den letzten Jahren häufig ebenso verfahren und 
gefunden, dass bei Zurücklassung eines oder beider Ovarien 
Ausfallserscheinungen in den meisten Fällen nicht auftreten. 

Zusammenfassung: 

Die oft sehr lästigen Ausfallserscheinungen nach doppel¬ 
seitiger Oophorektomie werden durch Ovarialpräparate nicht 
regelmässig, aber doch hinreichend häufig günstig beeinflusst, um 
in jedem Falle einen Versuch damit anzustellen. 

Die Ovarialpräparate sind unschädlich. 

Bei der Operation soll man stets an den Versuch denken, 
Ovarialgewebe zu erhalten, um Ausfallserscheinungen vorzu¬ 
beugen. 

Literatur. 

1. Barucli: Spiltresultate von doppelseitigen Adnexopera¬ 
tionen. Zeitsehr. f. Geburtsh. u. Gyn. 1900. Bd. 42. — 2. Bodon: 
Geber 3 mit Ovariinura slceum (Merck) behandelte Fälle. Deutsch, 
uied. Woclienschr. 1986, No. 45. — 3. Chrobuk: Ueber Einver¬ 
leibung von Eierstocksgewebe. Oentralbl. f. Gyn. 1890, No. 20. — 
1. Cohn: Ueber die Dauererfolge nach vollständiger oder tlieli- 
weiser Entfernung der Gebärmutteranhänge. Arch. f. Gyn., Bd. 59. 
— 5. Da Ich 6: Bull. g6n6r. de thC*rapeut. 1898. Rer. von Hohl. 
Centralbl. f. Gyn. 1898. — 0. J a c o 1) s: Eierstockstherapie. Poli- 
elinique 1896. Ref. von Witt hau er. Centralblatt für Gynä¬ 
kologie 1890, S. 022. — 7. .Tayle: Zur Ovarienverabreichung be. 
künstlicher (operativer) und natürlicher Menopause. Revue de 
gyn. et de chir. abdom. 1898. Ref. von Büttner. Centralbl. 
f. Gyn. 189S, S. 1327. — 8. Knauer: Einige Versuche über 
Ovarialtransplantationen bei Kaninchen. Centralbl. f. Gyn. 1896. 
No. 20. — 9. L. Landau: Zur Behandlung von Beschwerden der 
natürlichen und antecipirten Klimax. Berl. klin. Wochensehr. 
1890, No. 25. — 10. Mainzer: Deutsche med. Wochenschr. 1890. 
No. 12. — 11. Derselbe: Ebenda, No. 25. — 12. Derselbe: 
200 vaginale Radikaloperatiouen wegen chronisch-eiteriger und ent¬ 
zündlicher Adnexerkraukungen u. s. w. Arch. f. Gyn., Bd. 54. — 
13. A. Martin: Zum Spätbefinden Ovariotomirter. Sammlung 
klin. Vortr. N. F. No. 255. Ref. von Witthauer im Central¬ 
blatt f. Gyn. 1900, S. 685. — 14. Mond: Münch, med. Wochenschr. 
sclirift 1896, No. 14. — 15. Derselbe: Ebenda, No. 36. — 
10. Richter: Deutsche med. Wochenschr. 1899, No. 46, Vereins¬ 
beilage No. 44. — 17. Seellgmaun: Ueber die Resultate der 
Oopliorinbehandlung bei gynäkol. Erkrankungen. Centralbl. f. 
Gyn. 1900, S. 303. — 18. Thum im: Therapie der Gegenwart 
1900, S. 451. — 19. Touvenalnt: Ueber Organotherapie mit 
Eierstockssubstanz. Centralbl. f. Gyn. 1897, S. 198. 


Aus der kgl. chirurgischen Universitätsklinik zu Berlin 
(v. Bergmann). 

Blutvergiftung und Amputation.*) 

Von Dr. Heinrich W o 1 f f , Assistent der Klinik. 

Doerfler hat am Schlüsse eines Aufsatzes gleichen 
Titels seine Erfahrungen in Thesen niedergelegt, welche ihrem 
Hauptinhalte nach sehr angreifbar sind. 

Die apodiktische Art, in der D. seine Folgerungen vorbringt, 
ist unseres Erachtens keineswegs gerechtfertigt durch die Beweis¬ 
kraft der theoretischen und praktischen Erwägungen, auf denen 
jene aufgebaut werden. 

Wir sind der Meinung, dass Lehren, welche in der hier ge¬ 
wählten allgemeinen und dabei so positiven Form aufgestellt 
werden, eine geradezu verhängnissvolle Wirkung haben können, 
zum wenigsten auf das Thun und Lassen derjenigen, welche nicht 
in der Lage sind, auf Grund ausreichenden eigenen Beobachtungs- 

*) Vergl. den gleichnamigen Aufsatz DoerfleFs in No. 17 
und 18, 1901, der Münch, med. Wochenschr. 


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1916 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 46. 


materials sich ein selbständiges Urtheil zu bilden und die so 
nothwendige Kritik zu üben. 

Dies gibt uns Anlass, die an grossem klinischen Material 
von uns gewonnenen Erfahrungen denen D.’s gegenüberzustcllen. 

Wir werden uns dabei auf den Kernpunkt des Themas, die 
Amputationsfrage beschränken; auf mehr abliegende 
Gebiete, wie die Methode der Wundbehandlung u. a., lassen wir 
uns hier nicht ein, ohne dass daraus hervorgehen soll, dass unsere 
Grundsätze sich nach dieser Richtung mit denen D.’s decken. 

Auf eine eingehende Darlegung des von uns in der Phleg¬ 
monenbehandlung vertretenen Standpunktes kann ich um so 
eher verzichten, als dieses Thema erst vor Kurzem von der 
Meisterhand v. Borg man n’s') einer Bearbeitung unterzogen 
wurde. 

Die Bezeichnung „Blutvergiftung“ haben wir der 
Einfachheit wegen beibehalten und verstehen darunter d i e 
mit mehr oder weniger ausgedehnten Allge¬ 
meinerscheinungen einhergehende progre¬ 
diente infektiöse Eiterung, einschliesslich 
des malignen Oedems und der foudroyanten 
Gangrae n. 

„Die Amputation bei Blutvergiftung (progredienter, septi¬ 
scher Phlegmone, malignem Oedem, foudroyanter Gangraen) ist 
vollständig zu verwerfen; sie ist ein Missgriff der ärztlichen 
Kunst, eine Sünde gegen die Natur und ihre Gesetze, die sich 
von selbst verbietet. Die unglückliche Lehre, dass in verzweifel¬ 
ten Fällen von progredienter Phlegmone ampjit-irt werden soll, 
muss aus den klinischen Lehrbüchern der Chirurgie ver¬ 
schwinden.“ 

So lautet in der Hauptsache D.’s geharnischter Protest gegen 
eine chirurgische Maassnahme, die sich bei den Aerzten vieler 
Generationen bis heute eines unbestrittenen Ansehens erfreut. 

Wir würden uns in vollem Einverständniss mit D. befinden, 
wenn er, wie man nach den einleitenden Worten des genannten 
Aufsatzes erwarten konnte, davor gewarnt hätte, ein Glied z u 
frühzeitig abzusetzen, es zu opfern, bevor die mit vollem 
Recht gerühmten grossen Einschnitte versucht wurden, in ihrer 
Wirkung aber versagt hatten. 

Einer solchen Warnung hätten wir uns um so lieber ange¬ 
schlossen, als auch wir, wie ich gleich hervorheben möchte, d i e 
Amputation als die ultima ratio an sehen, als 
die letzte Waffe, welche wir gegen den unheimlichen Siegeslauf 
der progredienten Eiterung in’s Feld zu bringen vermögen. 

1). denkt anders. 

Unter keinen Umständen, bei keiner Form der fortschreiten¬ 
den Phlegmone will er dieses Kampfesmittel gelten lassen, er 
verwirft es mit solcher Entschiedenheit, dass seine Anwendung 
einem Kunstfehler gleich zu achten sein muss für Jeden, der 
sich D.’s Anschauungen anschliesst. 

Wir sind, wie gesagt, anderer Meinung. Wir halten 
die Amputation bei bestimmten Fällen von 
Blutvergiftung für die einzige Encheirese, 
welche noch Rettung hingen kann, deren Vor¬ 
nahme desshalb nicht allein berechtigt, son¬ 
dern absolut geboten ist. 

Bevor ich auf die Begründung dieses Standpunktes eingehe, 
kann ich es mir nicht versagen, D. auf ein Gebiet zu folgen, auf 
welchem er, allerdings nicht mit Glück, Stützen für seine Lehren 
gesucht hat, ich meine die experimentellen Unter¬ 
suchungen über Infektion und Bakterien¬ 
resorption. 

SehimrnolbuschV) klassische Impfversuche am Ratten¬ 
schwanz hatten ja zweifellos einen grundlegenden Einfluss auf 
unsere Anschauungen über die Vorgänge bei der Blutvergiftung, 
sicherlich hätte es ihr genialer Autor aber selbst am meisten 
beklagt, wenn diese Experimente uns verführt haben würden, 
unser Handeln ohne Weiteres durch Beobachtungen beeinflussen 
zu lassen, welche uns zunächst nur das Princip der septischen 
Infektion, nicht aber eine einseitige Methode ihrer Bekämpfung 
lehren sollten. 


’) Die Behandlung der akut progredienten Phlegmone, v. Berg¬ 
mann, Arbeiten aus der chirurgischen Klinik. XV. 1901. 

J ) Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, 
und: Geber Desinfektion septisch inlizirter Wunden. Fortschritte 
der Meülciu 1895, No. 1 u. 2. 


Die einzige folgerichtige Uebertragung dieser experimen¬ 
tellen Erfahrungen auf die Praxis musste der Verzicht 
auf dieprimäre Desinfektion der Wunden sein, 
eine Konsequenz, welche Sch., wie aus seinen späteren Arbeiten 
hervorgeht, schon selbst gezogen hat. 

Von vornehercin standen nun die Ergebnisse des Experi¬ 
ments in gewissem Widerspruch zu den täglichen Erfahrungen, 
welche wir schon lange bei ausgedehnten phlegmonösen Pro¬ 
cessen ohne nachweisbare Betheiligung des Gesammtorganismus 
gemacht hatten. 

Der Gegensatz musste um so grösser erscheinen als man 
merkwürdiger Weise so häufig vergass, dass das bei den er¬ 
wähnten Versuchen verwendete Infektionsmaterial von dem bei 
gewöhnlichen Infektionen vorkommenden durchaus verschie¬ 
den war. 

Aufbauend auf Scliimmelbusch’s Lehren haben cs 
dann neuere Autoren, unter ihnen besonders Friedrich und 
N ö t z e 1, verstanden, diesen vermeintlichen Widerspruch zu 
lösen und die Resultate der experimentellen Versuche in vollen 
Einklang zu bringen mit den Verhältnissen, wie sie bei mensch¬ 
lichen Infektionen obwalten. 

So konnte Friedrich 3 ) den Beweis erbringen, dass jede 
natürliche, nicht mit Reinkulturen bewerkstelligte Infektion in 
der weitaus grössten Zahl der Fälle bis mindestens zur 6. Stunde 
oder dauernd einen örtlichen Charakter habe. 

N ö t z e 1 *) kommt auf Grund seiner Versuche zu dem 
Schlüsse, dass für den rein praktischen Standpunkt der Process 
so lange als rein örtlicher anzusehen sei, als die Resistenz 
des Thierkörpers den bereits resorbirten Keimen gewachsen ist. 

In der Bakterienresorption darf man eines der Schutzmittel 
erblicken, durch welche der Thierkörper sich gegen die in eine 
Wunde oder in eine der Körperhöhlen hineiugerathenen Infek¬ 
tionserreger wehrt. Der Hauptkampf des Thierkörpers gegen 
die Infektionserreger, welcher mit dem Siege eines Theiles enden 
muss, spielt sich ohne Zweifel am Orte der Infektion selbst ab. 
(N ö t z e 1.) 

Diese für das Verständniss der Infektion beim Menschen 
hochwichtigen Untersuchungen, welche von vielen Seiten be¬ 
stätigt wurden, sind der Beachtung D.’s entgangen. 

Auf Grund der erwähnten Schimmelbusch’schen Ex¬ 
perimente und der C a n o n’schen Forschungen über Keimver¬ 
mehrung in der Wunde, wird der Satz aufgestellt, dass man 
selbst mit einer nach den ersten Stunden der Infektion ausge¬ 
führten Amputation nichts nützen würde, da ja doch schon 
Eitererreger im Blute kreisen. Wolle man amputiren, so müsse 
dies bei den ersten Fiebererscheinungen geschehen, da dies für 
den, der überhaupt an’s Amputiren denkt, noch der einiger- 
maassen brauchbarste Moment sei. 

Kein Arzt wird, glaube ich, in Fällen, in denen er die In¬ 
dikation zur Amputation gegeben sah, daran gezweifelt haben, 
dass überhaupt Bakterien und Toxine in’s Blut aufgenommen 
waren; am allerwenigsten wird dies Moment ihm bei der Indi¬ 
kationsstellung Schwierigkeiten bereitet haben, wohl aber die 
Beurtheilung des Allgemeinzustandes; die 
Frage, ob in Hinblick auf diesen noch Chancen bestünden, dass 
der Organismus im Kampfe mit den Infektionsstoffen Sieger 
bleiben könne. 

So lange uns dabei nicht Mittel und Wege zu Hilfe kommen, 
die Menge und den Virulenzgrad der den Körper überschwem¬ 
menden Bakterien und Toxine, sowie die Energie der im Organis¬ 
mus gebildeten Abwehrstoffe auf exakte Weise abzuschätzen, so 
lange können uns die bisherigen experimentellen Untersuch¬ 
ungen über septische Allgemeininfektion keine brauchbaren Ar¬ 
gumente für oder gegen die Berechtigung der Amputation bei 
progredienter Phlegmone liefern. 

Von Fall zu Fall ist die Entscheidung zu treffen. 

Die richtige Beurtheilung des Allgemeinzustandes, welche 
nur möglich ist unter sorgfältigster Berücksichtigung des voran¬ 
gegangenen Verlaufs, der Fieberbewegungen und aller übrigen 
Reaktionserscheinungen des Organismus, erfordert den er¬ 
fahrenen Blick des geschulten Arztes, leicht wird sie niemals 

’) Die aseptische Versordung frischer Wunden. Langenbeck’s 
Archiv f. klin. Chirurg. 1898. S. 288. 

4 ) Weitere Untersuchungen über die Wege der Bakterien¬ 
resorption von frischen Wunden und die Bedeutung derselben. 
Laugeubeck’s Arch. f. klin. Chirurg., Bd. 60, S. 25. 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1917 


sein, Jeder muss sein Lehrgeld zahlen und wird selbst dann 
noch manche Enttäuschung erleben. 

Wenn wir nach dem Gesagten auch von vomeherein uns da¬ 
rüber klar sein müssen, dass die Indikationen zur Amputation 
mit absoluter Schärfe nicht werden festgelegt werden können, 
so möchten wir doch versuchen, die Verhältnisse zu skizziren, 
unter welchen wir den Eingriff für berechtigt und geboten er¬ 
achten. 

Wir führen bei progredienter Eiterung, malignem Oedem 
und foudroyanter Gangraen die Absetzung der befallenen Ex¬ 
tremität aus: 

1. Wenn trotz vorher gegangener breitester 
Eröffnung des eiterig infizirten Gebietes die 
akute Progredienz der Phlegmone fortbesteht 
und dabei die Allgemeinerscheinungen der¬ 
artige sind, dass der Organismus zu unter¬ 
liegen droht. 

2. Wenn die Phlegmone zwar zum Stillstand 
gekommen zu sein scheint, aus den Allgemein¬ 
symptomen aber hervorgeht, dass trotz best¬ 
möglichen Abflusses der Wundprodukte durch 
Resorption von Bakterien, Toxinen und pu¬ 
triden Stoffen das Leben gefährdet ist oder 
wenn lang bestehende Eiterung trotz aller 
den Abfluss sichernden Maassnahmen immer 
wieder in Schüben exacerbirt und dabei das 
Allgemeinbefinden sich mehr und mehr ver¬ 
schlechtert. 

3. Wenn die Funktion der Extremität durch 
schwere primäre Schädigung (ausgedehnte 
Zertrümmerung von Knochen und Weich- 
theilen) und daran sich anschliessende de¬ 
struktive Processe (Nekrosen von Muskeln 
und Sehnen, Gelenkeiterung etc.) auch bei der 
Möglichkeit der Erhaltung eine voraussicht¬ 
lich sehr g e r i n g w e r t h i g e sein wird und die 
Absetzung des Gliedes dem Kranken ein 
monatelanges, immerhin lebensgefährden¬ 
des Krankenlager erspart. 

Dass besonders bei der letzten Indikation die Rücksicht auf 
andere gleichzeitig bestehende Krankheiten, auf Alter und 
soziale Verhältnisse der Patienten eine sehr beachtenswerthe 
Rolle spielen wird, bedarf keiner weiteren Erörterung. 

Bevor wir uns den aufgestellten Indikationen des Näheren 
zuwenden, will ich Eines nochmals ausdrücklich hervorheben: 

Wir vertreten ganz den gleichen Standpunkt wie Doerfler, 
indem wir als eigentliche Behandlungsmethode der akut pro¬ 
gredienten Phlegmone die möglichst frühzeitige 
Eröffnung des infizirten Gebietes durch aus¬ 
giebige, planvoll angelegte Incisionen ver¬ 
langen. Von diesen erwarten wir in der Mehrzahl der Fälle, 
erfahrungsgemäss mit Recht, vollen Erfolg. Ich darf hier auf 
den schon zitirten Aufsatz v. Bergman n’s und die darin 
niedergelcgten Maximen verweisen: „Unsere zur rechten Zeit 
und am rechten Orte angebrachten Schnitte sind allein im 
Stande, die Zahl der Fälle, in welchen wegen des Fortschritts der 
Phlegmone oder der von ihr angerichteten Zerstörungen die Ab¬ 
setzung eines Fingers oder Armee nothwendig wird, zu mindern“, 
so schliesst v. Bergmann seine Ausführungen, andeutend, 
dass wir mit der konservirenden Behandlung sehr Vieles, doch 
nicht Alles erreichen können. 

Es bleiben leider immer noch genug Fälle, in denen wir 
den Rettungsversuch der Amputation machen müssen. 

Ich gebe D. ruhig zu, dass es häufig nur ein letzter Versuch 
ist, aber sollte dieser da nicht vollkommen gerechtfertigt sein, 
wo alle anderen Hilfsmittel erschöpft und die Hoffnungen, das 
Leben zu erhalten, nur noch geringe sind? 

Hier ist es ein Fehler, den seelischen und körper¬ 
lichen Schock der Operation zu überschätzen, wie D. es 
gethan hat. 

Wenn wir sehen, wie Patienten empfänglich für unseren 
mahnenden Rath sich zu dem Opfer eines Gliedes entschliessen, 
dessen Entfernung vielleicht eine bösartige, aber völlig schmerz¬ 
los wachsende Geschwulst erheischt, so haben wir eine viel ge¬ 
ringere seelische Alteration zu erwarten bei einem Menschen, 
welcher von den vorhergegangenen wirkungslosen Eingriffen ent¬ 


täuscht und ermattet, die Absetzung des Gliedes eher als eine 
Erlösung empfindet, die ihm das Ende unsäglicher Qualen wohl 
sicherer noch als uns verspricht. 

So wenig wie der psychische kann in den allermeisten Fällen 
der körperliche Schock in’s Gewicht fallen. Der rasch und unter 
Vermeidung jeglichen Blutverlustes ausgeführte Eingriff ver¬ 
liert besonders dann noch an Gefahr, wenn die allgemeine Nar¬ 
kose vermieden werden kann. 

Kehren wir zur Betrachtung der aufgestellten Indikationen 
zurück. Wie wir oben schon andeuteten, werden wir meist da, 
wo die Amputation für uns in Frage kommt, die Allgemein¬ 
erscheinungen der Blutvergiftung vorfinden. Hohes Fieber, 
Schüttelfrost, Uebelkeit oder Erbrechen, kleiner fliegender Puls, 
belegte trockene Zunge, Ikterus, Abgeschlagenheit oder völliger 
Collaps, Benommenheit in ihren verschiedenen Graden, De¬ 
lirien, dies sind die Symptome, welche je nach ihrer 
Intensität und ihrem mehr oder minder vollzähligen Zu¬ 
sammenwirken die Prognose des Falles sehr ernst oder absolut 
infaust werden stellen lassen; abgesehen von letzteren Fällen aber 
werden sie uns nie abhalten dürfen, einen Eingriff zu unter¬ 
nehmen, der nach unserer Erfahrung schon so häufig lebens- 
rettend gewirkt hat. 

Der Raum gestattet es leider nicht, aus der Fülle der uns 
zu Gebote stehenden Beobachtungen mehr als einige wenige mar¬ 
kante Fälle herauszugreifen; doch können auch diese schon eine 
Illustration zu den angeführten Indikationen bilden. 

Der junge, kräftige Arbeiter A. hatte sich im März 1897 durch 
eine Anfangs unbeobachtete Verletzung an der linken Hand eine 
starke entzündliche Schwellung derselben zugezogen. Einige Tage 
auswärts behandelt, ohne dass Besserung eintrat, suchte er die 
Klinik auf. 

Es fand sich eine von der Hand Uber den Vorderarm und das 
Ellbogengelenk bis zur Mitte des Oberarms sich erstreckende 
phlegmonöse Schwellung. Das Allgemeinbefinden war kein gutes. 
Fieber bis 39.5°, verfallenes Aussehen, ikterische Verfärbung der 
Haut, Erbrechen. 

Sofort vorgenommeue, sehr ausgedehnte Incisionen, welche bis 
nahe zum Schultergelenk reichten, Hessen erkennen, dass es sich uin 
eine äusserst maligne Form des akut purulenten Oedems Plrogoff’s 
handelte. Der Erfolg der sehr ausgiebigen Spaltungen war nicht 
befriedigend. Die septischen Allgemeinerscheinungen nahmen zu, 
die Phlegmone war am nächsten Tag in progredieutester Welse 
über das Schultergelenk auf Brust und Rücken übergegangen; 
dabei äusserster Collaps und Benommenheit des Patienten. Der 
Fall schien aussichtslos. Ohne Zögern wurde jetzt die Exarti- 
culation in der Schulter vorgenommen, obwohl auch sie eine 
sichere Gewähr gegen das Fortschreiten des lokalen und allge¬ 
meinen septischen Processes nicht bieten konnte. Die Wirkung 
des Eingriffes war frappant. Rückgang der Phlegmone am Rumpf 
und Schwinden der septischen Allgemeinerscheinungen folgten un¬ 
mittelbar der Absetzung des Gliedes. Der Patient erholte sich 
weiterhin schnell und konnte nach wenigen Wochen geheilt ent¬ 
lassen werden. 

Wir sind nach dem klinischen Bilde des Falles der festen 
Ueberzeugung, dass ohne den vorgenommenen Eingriff oder bei 
Hinausschieben desselben der Kranke sicher verloren gewesen 
wäre; dabei sind wir uns aber auch bewusst, dass auch die 
Amputation vielleicht nicht mehr lebensrettend gewirkt hätte, 
wenn die günstigen Konstitutionsverhältnisse des Kranken nicht 
zu Hilfe gekommen wären. 

Der 42 jährige Landwirth M. stürzte beim Mähen in eine 
Sense, welche 1 '/ 2 cm oltcrhalb der Kniescheibe durch Haut. 
Quadricepssehne bis in den oberen Recessus des Kniegelenkes 
einschnitt. 

Nach der noch an demselben Tage erfolgten Aufnahme ln die 
Klinik wurde die Wunde erweitert und offen gehalten. Sehne und 
Gelenkkapsel wurden mit einigen Nähten vereinigt, durch eine 
aussen angebrachte Gegenöffnung das Gelenk dralnirt. Am Tage 
nach der Verletzung Temperaturanstieg auf 38.9°, beginnende 
phlegmonöse Schwellung der Gelenkgegeud. Sofortige Entfernung 
der Sehnen und Gelenkkapselnähte. Weitere breite Contmaper- 
turen an der Innenseite des Gelenks und ausgiebige Drainage aller 
Wunden. Dennoch geht in den nächsten Tagen die Infiltration 
nach oben weiter; trotz breitester Incisionen am Oberschenkel 
hält sieh das Fieber um 39°. Patient ist unruhig, sehr aufgeregt, 
schliesslich benommen. Die Eiterung kommt zum Stillstand. Tem¬ 
peratur bleibt jedoch hoch und nach kurzer Besserung tritt wieder 
völliger Collaps und Benommenheit des Patienten ein. So ver¬ 
gehen unter Schwankungen im lokalen und allgemeinen Befinden 
4 Wochen, nach deren Ablauf der Kräfteverfall rapid fortschreitet, 
die Eiterung immer, wenn auch weder progressiv uocli sehr pro¬ 
fuse, besteht, aber jauchigen Charakter angenommen hat Fieber 
beständig um 39°. 

Die Widerstandsfähigkeit des zeitweise immer noch somno- 
lenten Kranken geht zu Ende; da wird 6 Wochen nach der Ver¬ 
letzung zur hohen Amputation des Oberschenkels geschritten. 

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1918 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


Der Schnitt trifft in der Tiefe der Muskulatur eitrig inflltrirtes 
Gewebe und zwingt dadurch zur Exarticulation in der Hüfte. 
Patient überstellt den Eingriff. Noch am Tage der Operation 
füllt die Temperatur auf 87.8", bleibt am nächsten Tag 37,7° und 
überschreitet von da ab nie mehr die Norm. Allgemeinbefinden 
bessert sich rasch, Wundverlauf bleibt ungestört und Patient wird 
nach t» Wochen geheilt entlassen. 

Zu diesem kurz skizzirten Falle erscheint mir wie zu dem 
vorigen ein Kommentar überflüssig. 

Wie hier so war in allen wegen septischer progredienter 
Phlegmone amputirten Fällen der Versuch voraufgegangen, 
durch ausgiebige lncisionen, breite Gelenkeröffnung, sorgfältige 
Drainage die Phlegmone und die septischen Allgemeinerschein¬ 
ungen zum Stillstand und Rückgang zu bringen, und erst wenn 
diese Behandlungsmethode im Stiche liess, wurde zur Absetzung 
geschritten. 

W a n n der geeignete- Moment für diesen Eingriff gekommen 
ist, lässt sich in allgemeinen Regeln nicht festsetzen. 

Der Blick des erfahrenen Praktikers wird erkennen, wo er 
zu warten und wo er vorzugehen hat. 

Ich gebe D. zu, dass es Vorkommen mag, dass ein allzu 
aggressiv veranlagter Kollege ohne strikte Indikation die Am¬ 
putation vornimmt, aber viel zahlreicher sind sicher die Fälle, 
in denen Aengstliehkeit und Unentschlossenheit des zur Rettung 
des Kranken Berufenen die Schuld tragen, dass erst der un¬ 
glückliche Ausgang das „Zu spät“ ihn einsehen lässt. 

Die lebensbedrohende Bedeutung der septischen Allgemein¬ 
erkrankung kann durch Abstufungen in der Virulenz der Eiter¬ 
erreger und ihrer Toxine, durch grosse individuelle Schwank¬ 
ungen in der Widerstandsfähigkeit des Organismus und seiner 
Abwehreinrichtungen so ausserordentlich verschieden sein, dass 
auch in dieser Hinsicht jeder Fall für sich betrachtet und be¬ 
handelt sein will. Ueber all’ diese Schwierigkeiten kommt man 
freilich am leichtesten hinweg, wenn man wie D. sagt: „Es gibt 
überhaupt keinen richtigen Zeitpunkt für die Amputation und 
desshalb ist sie in allen Fällen zu unterlassen“. Wenn man aber 
für eine solche Behauptung keine weiteren Beweise erbringt, 
als dass aus dem Vergleich der von verschiedenen Lehrbüchern 
geholten einschlägigen Stellen Widersprüche in den Ansichten 
der betreffenden Autoren herauskonstruirt werden, die in Wirk¬ 
lichkeit gar nicht existiren, so kann man keinen Anspruch auf 
die Ueberzeugungsfähigkeit dieser Deductionen machen. 

Wie in den oben geschilderten, so ist es uns in Dutzenden 
von Fällen gelungen, den richtigen Zeitpunkt für die Amputation 
zu finden. Wir haben nach den gegebenen Indikationen eine 
Reihe von Patienten mit Glück amputirt, bei denen nicht 
nur die klinischen Symptome der Allgemein - 
infektion unverkennbar bestanden, sondern 
auch durch Impfung aus dem Blute die Ueber- 
schwemmung desselben mit Eitererregern 
nachgewiesen war. Bei manchen der unter dem Bilde 
allgemeiner Sepsis verlaufenden Fälle war die vor und nach der 
Amputation wiederholt vorgenommene bakterielle Blutunter- 
suehung negativ; hier handelte es sich um reine Toxinaemie; 
diesen von der Wirkung der Toxine beherrschten Fällen gegen¬ 
über stellen diejenigen von Bakteriaemie, von denen 
wiederum ein Theil, vielleicht die meisten, eine Kombinations¬ 
form von Toxinaemie und Bakteriaemie darstellt. 

Auf Grund der Erfahrung und des Experiments sind wir 
zu der Anschauung gekommen, dass sowohl die lokale als be¬ 
sonders die allgemeine Infektion mit Streptococcen derjenigen 
mit Staphvlococcen an Malignität überlegen ist, selbstverständ¬ 
lich mit der Reserve, dass auch hier der Virulenzgrad eine be¬ 
deutsame Rolle spielt. Sehen wir nun, dass eine unter unseren 
Augen sich rapide entwickelnde Infektion in kurzer Frist zur 
Allgemeininfektion mit all’ ihren ominösen Erscheinungen führt 
und zwar trotz aller von der ersten Stunde an ausgeführten 
sachgemässen Maassnnhmen und gelingt es uns dann, den von 
nachweisbar hoch virulenten Streptococcen überschwemmten 
Organismus durch die Amputation noch zu retten, so dürften 
wir eine solche Beobachtung schon als beweiskräftig genug in 
Anspruch nehmen. 

Vor Kurzem kam der 20 jährige Student W. M. in unsere Be¬ 
handlung. Derselbe war beim Abspringen vom Wagen auf der 
Strasse gefallen und vom Pferde auf die linke lland getreten 
worden. Sofort nach dein Unfall erfolgte die Aufnahme in die 
Klinik. 

Bei dem etwas nnncmischen. graeil gebauten jungen Mann 
fanden sich zunächst ohcrllachlirhe Quetschwunden auf beiden 


Seiten der 1. Mittelhand; eine tiefe Bisswunde zwischen 4. und 
5. Metacarpus trennte den 5. Finger theilweise von der Hand, 
im Uebrigen war dieser unverletzt und noch leidlich ernährt; 
ferner bestand eine kompllzirte Fraktur des 4. Metacarpus. 

In gewohnter Weise wurde die Umgebung der Wunden mit 
Seifenwasser, Alkohol, Sublimat sorgfältig desinflzirt, aus der 
Wunde grobe Verunreinigungen und Gewebsfetzen entfernt, locker 
mit .lodoformgaze tamponirt und Suspensionsverband angelegt. 

Da die Temperatur am zweiten Tage 38,4 0 betrug, ohne dass 
Schmerzen vorhanden waren, wurde der Verband gewechselt. 
Wunden sahen reaktionslos aus, keinerlei Schwellung der Um¬ 
gebung. Erneute Jodofomignzetamponade. Weitere 2 Tage später 
Temperatur 37,8°; subjektives Befinden sehr gut, Wunden sehen 
etwas belegt aus, sonstige beunruhigende Erscheinungen fehlen 
vollkommen, ln der Nacht zum 0. Tag steigt unter ziemlich akut 
einsetzenden Schmerzen die Temperatur auf 39,9°, im Laufe des 
Tages stellt sich grosse Unruhe ein. das Allgemeinbefinden wird 
schlecht. Ikterus. Die Wunden sehen stark belegt aus, der kleine 
Finger ist im obersten Theil gangränös, an der Stelle der kom- 
plicirten Metacarpusfraktur quillt etwas Eiter vor, beginnende 
phlegmonöse Schwellung der Umgebung, auch der Gegend des 
Handgelenks, Druckempflndlichkeit daselbst. 

In Narkose wird mm der 5. Finger amputirt, der 4. Metacarpus 
resecirt; die an der Volarseite des Vorderarms angelegte Iucision 
ergibt keinen Eiter. Darauf lassen die Schmerzen nach. Tem¬ 
peratur sinkt auf 38,5°, Schwellung in der Handgelenksgegend geht 
etwas zurück, dagegen zeigt sich eine Lymphangitis an der Beuge¬ 
seite des Vorderarms. Am nächsten, dem 8. Tage wird das All¬ 
gemeinbefinden viel schlechter, Puls klein und fliegend, Temperatur 
39,2°, grosse Schwäche. Die Wunden werden sorgfältig revidirt. 
die lncisionen am Vorderarm ausgiebig erweitert und aus der Tiefe 
der Muskulatur reichlicher dicker Eiter entleert. Abendtempera¬ 
tur 41,3 °. 

Die Jetzt aus der Ven. mediana des r. Arms entnommene 
Blutimpfung ergibt Reinkultur von Strepto¬ 
coccen; aus der Wunde selbst waren schon vor einigen Tagen 
Streptococcen, Stnphylococcen und Bac. pyocyaneus gewachsen. 

Die Streptococcen werden auf Mäuse verimpft. 

Am 9. Tage nach der Verletzung bleibt das Allgemeinbefinden 
sehr schlecht. Puls 140, Temperatur 39,7 °. Lymphangitis ist ver¬ 
schwunden, dagegen die Handgeleuksgegend stärker geschwollen 
und mehr druckempfindlich. Das Gelenk wird breit eröffnet und 
ein trüb-seröser Erguss entleert, die Intercarpalgelenke sind ver¬ 
eitert und werden resecirt. Weitere breite lncisionen bis zum 
Ellbogengelenk. 

Im Laufe des Tages wird der Zustand äusserst bedrohlich. 
Puls sehr frequent, kaum noch fühlbar trotz aller Excitantieu, 
Ikterus hochgradig, am Herzen deutliches systolisches Geräusch. 
Benommenheit verfallenes Aussehen. 

Urin eiweissfrei, stark gallenfarbstoffhaltig. Es wird noch 
am Abend die hohe Oberarmamputation unter Digitalkompression 
der Arteria axillaris in Narkose ausgeftihrt. 

Die Sektion des Arms ergibt eine eitrige Infiltration entlang 
den Lymphbahnen und Muskellnterstitlen bis zum Ellbogengelenk, 
entzündliches Oedem erstreckt sieh bis zur Amputationsstelle. 

Am Tage nach der Amputation Ist das Allgemeinbefinden be¬ 
deutend gehoben, Temperatur bleibt noch auf 39,1°. 

Die täglich vorgenommenen Blutimpfungen ergeben 
regelmässig Streptococcen ln Reinkultur und 
bleiben positiv bis zum 5. Tag nach der Amputation. 

Die beim Manifestwerden der Infektion mit diesen Strepto¬ 
coccen geimpften Mäuse sterben, aus ihrem Herzblut wird der¬ 
selbe Eitererreger rein kultivlrt. 

Der Kranke erholt sich nach der Amputation rasch, der Wund¬ 
verlauf ist ungestört und der baldigen Entlassung des Patienten 
steht nichts lm Wege. 

Ich glaubte den Verlauf dieses Falles eingehend schildern 
zu müssen, weil mir solche Beobacht ungen von eminenterWichtig- 
keit zu sein scheinen. Die denkbar bösartigste Infektion ent¬ 
wickelt sich vor unseren Augen, völlig machtlos müssen wir Zu¬ 
sehen, wie mit unheimlicher Schnelligkeit der Organismus von 
dem eindringenden Virus niedergeworfen wird und trotz aller 
Maassnahmen zu unterliegen droht. Gewiss nicht leichten Her¬ 
zens entschliessen wir uns, das Glied zu opfern und sehen unser 
Vorgehen von Erfolg gekrönt. 

Auch die akute infektiöse Osteomyelitis, 
die meist unter dem Bilde der Staphylomykose verläuft, 
kann weitere lehrreiche Exempel liefern. Die Knochenmark¬ 
phlegmone, als progrediente Eiterung sehr wohl in Parallele 
mit jeder anderen Phlegmone zu stellen, überschwemmt oft den 
Kreislauf in akutester Weise mit ihrem Erreger oder dessen 
Toxinen. 

Wie hier möglichst radikale Ausrottung des Giftherdes, unter 
Umständen die Amputation des Gliedes, auch unter verzweifelt¬ 
sten Umständen noch Rettung bringen kann, mögen einige wei¬ 
tere Beobachtungen illustriren. 

In dem einen, schon bei anderer Gelegenheit von Lexer 5 ) mit- 


6 ) Sammlung klinischer Vorträge, v. Bergmann, Erb 
und W 1 n c k e 1, No. 173. 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1919 


getheilten Falle handelte es sich um einen 14 jährigen Knaben, 
der wegen einer seit 5 Tagen unter Fieber und Schüttelfrost auf¬ 
getretenen Schwellung des r. Oberarmes zur Klinik kam. Als 
wahrseheiuliehe Eingangspforte ergab sich ein in Heilung be¬ 
griffenes kleines Panaritium am r. kleinen Finger. Der r. Humerus 
wurde sofort im unteren und mittleren Drittel aufgemeisselt. 
Knooheumnrkeiter und Blut aus der Yen. mediana des 1. Annes 
ergaben den Staphylococcus albus, der intravenös jungen Kanin¬ 
chen verimpft auch in geringen Dosen schnell tödtlicli wirkte. 
3 Tage später wuchsen noch massenhafte Kulturen aus dem Blute, 
dabei blieb die Temj>enitur sehr hoch mit starken Morgen¬ 
remissionen. 

Bei der Spaltung einer phlegmonösen Schwellung des r. Vorder¬ 
arms am dritten Tage fand sich die ganze Ulna von Eiter utn- 
spiilt. von der Haudgelenkepiphys» gelöst, nur noch in lockerem 
Zusammenhänge mit dem (»eleukknorpel und Kapseltheilen am 
Kllbogengelenk, welches vereitert war. 

Obwohl die Ulna völlig entfernt, das Gelenk weit geöffnet, der 
Humerus bis zur oberen Epiphyse weiter aufgemeisselt wurde, 
stieg die Temperatur alle Abend bis 40“ und die in regelmässigen 
3—4 tägigen Intervallen vorgenommenen Blutuntersuchungen er¬ 
gaben immer noch sehr reichliche Kulturen des Staphylococcus 
albus, das letzte Mal am 25. Krankheitstage. Nachdem noch eine 
eitrige Epididyinitis und ein weiterer metastatischer Abscess in der 
1. Tibia im Laufe der nächsten Zeit operirt werden musste, konnte 
schliesslich 4 Monate nach seiner Aufnahme der Patient in Heilung 
entlassen werden. 

Kann es auch einmal, wie im vorliegenden Falle, gelingen, 
eine so schwere, unter pyaemisehen Erscheinungen oinhergehende 
Markphlegmone, deren Ausbreitung bestimmten Bahnen folgt, 
auch ohne Amputation durch breiteste Aufmeisselung oder gänz¬ 
liche Entfernung eines Knochens zum Stillstand zu bringen, so 
gibt es doch auch so schwere Formen, wo nur das Preisgeben 
der Extremität den Organismus vor immer wieder sich erneuern¬ 
den pyaemisehen Sehüben schützen kann. 

Bel dem 13 jährigen Schüler M. hatte sich im Anschluss au ein 
geringfügiges Trauma unter Fielnjr, Appetitlosigkeit, Kopfschmerz 
und Erbrechen eine sehr schmerzhafte Schwellung oberhalb des 
1. Kniegelenks entwickelt. Nach 8 tägiger Behandlung mit Salben 
und Umschlägen wurde Patient in die Klinik gebracht; es fand 
sich das typische Bild der akuten Osteomyelitis am 1. Oberschenkel 
mit Bildung eines grossen Alwesses, der bis unter die Haut durch¬ 
gebrochen war. Im Kniegelenk geringer Erguss. Allgemein¬ 
befinden schlecht, Tcmp. 39". 

Es wurde sofort die breite Aufmeisselung der unteren % des 
Femurschaftes vorgenonnnen, in deren Bereich die Markhöhle von 
Eiter erfüllt war. Aus dem prall gefüllten oberen Itecessus ent¬ 
leerte sich eitrig-seröse Flüssigkeit. Nach Anlegung von Gegen- 
incisionen auf der Beugeseite wurde die grosse Wunde durch aus¬ 
giebige Drainage offen gehalten. Das Fieber liel in den nächsten 
Tagen etwas ab. das Allgemeinbefinden besserte sich nicht: obwohl 
die Wundhöhlen breit offen gehalten wurden, eine Verhaltung 
nirgends l>estehen konnte, stieg nach einigen Tagen die Temperatur 
plötzlich auf 40°. Es trat von Neuem Erbrechen ein. Patient wurde 
völlig benommen. Ueber dem Herzen war deutliches perikardi¬ 
tisches Reiben, über der Tricuspidalis systolisches Geräusch hör¬ 
bar. Puls klein und fliegend. Der Zustand schien hoffnungslos. 

Es wurde die Abtragung des Beines beschlossen und da die 
Erkrankung bis nahe zum Hüftgelenk reichte, die Exarticulatlon 
in der Hüfte ausgeführt. 

Die schweren Allgemeinerscheinungen gingen zurück. Patient 
wird wieder klar. Fieber fällt ab. und S Wochen später wird der 
Knabe geheilt entlassen. 

Die auf der Höhe des septischen Zustandes wiederholt vor- 
geuoinmenen Blut unters uc li ungen hatten negatives 
Ergebnlss. 

•Wir hatten es also hier unzweifelhaft mit einem Fall 
reiner Toxinaemie zu thun, welche ihre deletäre Wir¬ 
kungskraft mit dem Augenblicke verlor, wo mit Entfernung des 
Gliedes die ergiebige Giftquelle versiegen musste. 

In dem zuvor mitgetheilten Falle war es gelungen, mit Um¬ 
gehung der Amputation durch totale Entfernung des die Mark¬ 
phlegmone beherbergenden Knochens die Allgemeininfektion zu 
beherrschen, mit anderen Worten dem Organismus durch Aus¬ 
schaltung des vulkanartig thätigen Bakterienherdes so weit zu 
Hilfe zu kommen, dass er der bereits eingedrungenen Bakterien¬ 
mengen Herr werden konnte. Solche noch relativ günstige Fälle 
kommen glücklicher Weist? vor, aber nicht immer sind die Be¬ 
dingungen so günstig, dass wir darauf rechnen können, ohne 
radikale Entfernung des lokalen Eiterherdes der bestehenden 
Sepsis noch Einhalt zu thun. Den Beweis dafür liefern die ja 
leider immer noch zahlreichen Fälle, in denen mit der Ampu¬ 
tation zu lange gewartet wurde und erst der eintretende mori¬ 
bunde Zustand den Entschluss zu dieser letzten Maassregel er¬ 
zwang. In solchen Fällen kann natürlich auch die Amputation 
keine Hilfe mehr bringen und wird sie vorgenommen, so werden 
die Misserfolge mit Unrecht auf ihr Konto gesetzt. Bei einer 

N<>. 48. 


statistischen Berechnung der Mortalität sind selbstverständlich 
solche verlorene Fälle von vorneherein auszuscheiden. 

Zur Entscheidung der Frage, ob der Eingriff überhaupt be¬ 
rechtigt ist, können wir einer eigentlichen Statistik eutratken. 
wenn uns nur Fälle zur Verfügung stehen, deren glücklicher Ver¬ 
lauf nach streng objektiver Beurtheilung einzig 
und allein der noch rechtzeitig ausgeführten Amputation anzu- 
rechnen ist. 

Eine weitere derartige, erst kürzlich von uns gemachte 
Beobachtung will ich zum Schluss noch anreihen. 

Der 27 jährige Schlächter W. machte vor 18 Jahren eine akute 
eitrige Osteomyelitis am r. Oberschenkel durch; nach deren Heilung 
blieb der sehr kräftig entwickelte Mann gesund bis Anfang Juli 
3901; ohne äussere Veranlassung entstand nun an der Stelle der 
früheren Erkrankung oberhalb des r. Kniegelenks eine recht 
schmerzhafte Anschwellung unter Fieber bis 39“ und starker Be¬ 
einträchtigung des Allgemeinbefindens. 

Bei der nach einigen Tagen erfolgten Aufnahme in die Klinik 
findet sich das Bild eines akuten osteomyelitischen Processes am 
r. Oberschenkel, ein Wiedernufflackcm der vor IS Jahren an¬ 
scheinend mit voller Heilung iiberstnndenen Erkrankung. Dab.'i 
besteht Erguss im Kniegelenk. Temp. 39". Zunächst wurde der 
serös-eitrige Erguss im Kniegelenk durch Punktion entleert, das 
Gelenk ausgespült; daun folgte die Aufmeisselung des unteren 
Femurdrittels mit Ausräumung des eitrig iufiltrirten Markes. Das 
Fiel>er fiel nur wenig ab. die Wunde sah schmierig aus und zeigte 
auch in den nächsten Tagen keine Tendenz zur Reinigung. Dabei 
wurde das Allgemeinbefinden immer schlechter. Patient war leicht 
ikterisch und machte den Eindruck der schwersten septischen All¬ 
gemeininfektion. Nun wurde zur Amputation des Oberschenkels 
geschritten, zu welcher die Einwilligung ohne Zögern gegeben 
wurde. 

Obwohl im Gesunden amputirt wurde, im Amputationsstumpf 
eine Sekret verhalt ung nicht vorhanden war. hielt sich das Fiel**r 
unter grossen Morgenromissionen noch 8 Tage lang wenig unter 
und iil>er 40 n : dal>ei blieb der Allgemeinzustand sehr schlecht und 
erst nach 8 Tagen wichen mit dem Fieber Ikterus und Delirien: 
der wieder völlig klare Patient erholte sich bei ungestörtem Wund¬ 
verlaufe weiterhin rasch. 

Dass es sich hier um eine ausgesprochene Sepsis handelte, 
unterlag nach den klinischen Erscheinungen keinem Zweifel. 
Die Probe auf das Exempel lieferte aber auch h i e r w i e d c r 
die Blutuntersuchung; noch in den ersten 
8 Tagen nach der Amputation konnte durch Züch¬ 
tung aus dem der Vena mediana entnommenen Blute d e r 
Staphylococcus pyogenes aureus in Rein¬ 
kultur nachgewiesen w’erden. So lange brauchte der Organis¬ 
mus, um mit den Eindringlingen fertig zu werden, aber er wurde 
mit ihnen fertig, weil der Giftherd rechtzeitig entfernt und 
damit die Quelle erneuter Nachschübe von Eitercoecen beseitigt 
war. Wohl vermochten die bereits in den Kreislauf resorbirten 
Keime auch nach der Amputation das Fieber noch eine Weih* 
zu unterhalten und das Allgemeinbefinden zu schädigen, aber 
sie mussten schliesslich im Kampfe mit den Abwehreinrichtungen 
des Körpers unterliegen. 

Solche für unseren Standpunkt entscheidende Beobach¬ 
tungen sind auch von anderer Seite schon berichtet worden, so 

u. A. von Sonnenburg und C a n o n ')• 

C a non amputirte noch mit Glück das Bein eines Kranken, 
in dessen Blut nicht nur der Staphylococcus albus nachgewiesen, 
bei dem auch durch Reinkultur desselben Erregers aus dem 
Sputum ein Lungeninfarkt festgestellt war. Der Patient 
genas. 

Solche Beobachtungen müssen Doerfler unbekannt sein, 
wenn er fragen kann: ,AVas soll uns die Amputation noch 
nützen, da wir nicht wissen, ob nicht schon metnstatische Ab¬ 
lagerungen von Reinkulturen pathologischer Mikrobonkolonien 
da und dort stattgefunden haben u. s. f. (“ 

Für uns hiesse dies wahrlich die Flinte in’s Korn werfen 
vor einem Gegner, den wir durch zielbewussten Angriff schon so 
oft niedergeworfen haben. 

Den von uns mit Absicht so ausführlich geschilderten 
Fällen gegenüber wird sich I). vielleicht ebenso stellen wie zu 
einer von S c h r e i b e r : ) mitgetheilten Beobachtung, wo bei einer 
schweren septischen Panphlegmone nach hoher Oberarmampu¬ 
tation Heilung eintrat. Für I). erledigt sich der Fall sehr ein¬ 
fach durch die Frage: „Kann der Gegenbeweis erbracht werden, 
dass Schrei ber’s Patient ohne Amputation gestorben wäre?* 1 

■‘t (entralbl. f. Chir. 189*. S. 1(5. Freie Vereinigung der Chi¬ 
rurgen Berlins. 

*> Handbuch der praktischen Chirurgie, v. Bergmann. 

v. Bruns, v. Mikulicz, lhl. IV. 1. 

1 


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i92Ö 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


Mit demselben Rechte könnte man D. entgegenhalten: „Kann 
der Beweis erbräche werden, dass unter seinen von septischer 
progredienter Phlegmone ohne Amputation Geheilten auch nur 
einer war, bei dem nach Lage der Dinge ein Anhänger der 
Amputation diese selbst für nöthig befunden hätte?“ 

Uns selbst erscheinen wenigstens die von D. aus Zeitungs¬ 
notizen entnommenen Fälle, in denen er durch nachträgliche 
Erkundigungen „genau erfahren hat, wo Heilung eintrat und 
wo Tod“, nicht so werthvoll hinsichtlich ihrer Verwerthbarkeit 
für die Entscheidung der uns beschäftigenden Frage, als e i n 
positiver Fall, welcher von Anfang an unter Beobachtung und 
Behandlung eines zuverlässigen Chirurgen gestanden hat. 

Wenn irgendwo, so muss hier die nackte Zahlenstatistik, 
sofern sie nicht unter genauester Kritik der Einzelfälle auf¬ 
gestellt wird, zu Trugschlüssen führen. 

Keineswegs aber kann auf solehe Weise ein chirurgischer 
Eingriff abgethan werden, welcher, zur rechten Zeit und 
am rechten Orte angewendet, auch für die 
Zukunft seinen wohlberechtigten Platz in 
der chirurgischen Praxis behaupten wird. 


Aus dem städtischen Krankenhaus in Barmen. 

Ein Fall von epidemischer Dysenterie beim Foetus. 

Von Dr. Marckwald, Prosektor am stiidt. Krankenhaus 

zu Barmen. 

Während der diesjährigen Dysenterieepidemie in Barmen 
wurde die 24 jährige M. L. am 9. VII1. 1901 mit den Symptomen 
einer schweren akuten Dysenterie in das hiesige Krankenhaus 
auf genommen. Sie war gravida, angeblich 6—7 Mens. Am 
10. VIII. 1901: Beginn von Wehen, die am 11. Nachts, gegen 
1 Uhr, zur spontanen Geburt eines tief asphyktischen, männ¬ 
lichen Kindes führten. Dasselbe wurde in Watte eingepackt, es 
wurden Schultz e’sche Schwingungen gemacht. 

Nach einiger Zeit begann das Kind zu schreien und regel¬ 
mässig zu athmen. Nach etwa 2 ständiger Lebensdauer erfolgte 
der Exitus plötzlich und ohne bemerkenswertlie Erscheinungen 
gegen 3 Uhr Nachts. 

Am 11. VIII. 1901, 9 Uhr Morgens, eröffnete ich die Bauch¬ 
höhle des Kindes, welches eine Länge von 37 cm hatte und relativ 
gut entwickelt war. Es entleerten sich ca. 60—70 ccm trüber 
Flüssigkeit. Das Peritoneum war spiegelnd, i. G. blass; nur die 
Serosa der unteren Theile des Dünndarms und des Dickdarms bis 
zur Flexura lienalis war intensiv gerüthet. Die Darmtheile fühlten 
sieh derber und dicker an als die übrigen. Die mesenterialen 
Lymphknoten und die dem Diekdarm anliegenden waren ge¬ 
schwollen, bis linsengruss und intensiv gerüthet. 

Dieser Befund erregte den Verdacht auf eine Uebertraguug 
der dysenterischen Erkrankung der Mutter auf den Foetus. Da 
die Umstände für Vornahme einer bakteriologisehen Unter¬ 
suchung günstig waren (6 Stunden post exitum, kühle Nacht- 
resp. Morgentemperatur, Einpackung des Foetus in Watte und 
dadurch vermiedene Berührung mit etwaigem infizirenden 
Material etc.), eröffnete ich unter den üblichen Cautelen die 
Brusthöhle und mit 2 glühenden Pincetten den rechten Ven¬ 
trikel des Herzens. Durch Ansaugen mittels steriler Pipette er¬ 
hielt ich etwa 6 ccm flüssigen Blutes und vertheilte dieses Quan¬ 
tum auf 5 Gelatineröhrchen, die ich sodann in Petrischalen aus¬ 
goss. Es entwickelten sich im Ganzen 4 Kolonien auf 3 Platten 
mit allen Merkmalen des K r u s e’schen Dysenteriebacillus, der 
auch in den Faeces der Mutter nachgewiesen werden konnte. 
Sonst sind die Platten steril geblieben. 

Makroskopisch zeigten die erkrankten Darmtheile Schwel¬ 
lung und Köthung der Schleimhaut, stellenweise kleienförmige, 
streitige Beläge, nirgends au-gesprochene Geschwürsbildung. 

Zur mikroskopischen Untersuchung kamen verschiedene 
Theile des erkrankten Darms und einige der am stärksten ver- 
grösserten Lymphknoten. 

Der Befund am Dann entspricht frühen Stadien dys¬ 
enterischer Darmerkrankung: Infiltration der Darmwand mit 
Hundzellen bis in die Serosa hinein, Erweiterung und starke 
Füllung der Blutgefässe, Zerfall der Darmschleimhaut in ge¬ 
ringer Ausdehnung und Auflagerung von Exsudat an Stelle der 
zerfallenen Sehieimhaulpartien und in deren Umgebung. Das 
Exsudat ist stark mit Loukoeyten durchsetzt. 


In mit Methylenblau gefärbten Schnitten waren Bacillen in 
der Darmschleimhaut selbst ausserordentlich spärlich nachweis¬ 
bar, reichlich dagegen in den Exsudatmassen, wo sie auch intra¬ 
cellulär auf traten und im Meconium. In den Lymphknoten ist 
es mir trotz Untersuchung einer grossen Anzahl von Schnitten 
nicht gelungen, Bacillen nachzuweisen. 

Die übrigen Organe des Foetus zeigten keine makroskopisch 
erkennbaren Veränderungen. 

Die Placenta stand mir zur Untersuchung leider nicht zur 
Verfügung. 

Die Diagnose „Dysenterie“ bei der Mutter fand ihre ana¬ 
tomische Bestätigung am 3. IX. 1901. 

Ich glaube durch die mitgetheilte Beobachtung den Ueber- 
gang der mütterlichen Dysenterie auf den Foetus einwandsfrei 
nachgewiesen zu haben. In der mir zur Verfügung stehenden 
Literatur habe ich einen gleichartigen Fall nicht auf Anden 
können. 


Aus dem hygienischen Institut in Bonn. 

Krebs und Malaria. 

Von Professor Kruse. 


Die Krebsfrage ist von so gewaltiger Bedeutung, dass jeder 
ernsthaft gemeinte Versuch, sie zu lösen, sorgfältige Berücksich¬ 
tigung verdient. Das gilt auch von dem Vorschlag Löffle rV), 
den Krebs durch Einimpfung von Malaria zu behandeln. Löff¬ 
ler stützt sich dabei vornehmlich auf eine alte Beobachtung von 
Trnka, die beweisen soll, dass ein Krebskranker durch Ueber- 
stehen einer Malariainfektion von seiner Geschwulst befreit 
worden sei. Die Entscheidung über die Brauchbarkeit des 
Löffle r sehen Vorschlages wird natürlich die Beobachtung 
am Kranken und das Experiment zu liefern haben. Bei dem 
Mangel direkter Erfahrungen ist es aber inzwischen wohl an¬ 
gebracht, sich an der Hand der Thatsachen, die die Statistik be¬ 
züglich der Krebs- und Malariaverbreitung liefert, ein vorläufiges 
Urtheil über die Aussichten des neuen Verfahrens zu bilden. 


Ich muss offen gestehen, dass ich die Löffle Fsche Mit¬ 
theilung von vornherein mit grossen Zweifeln aufgenommen 
habe. Von einem mehrjährigen Aufenthalt in Italien her war 
mir der Umstand bekannt, dass dieses Land auch in den am 
stärksten von Malaria heimgesuchten Gegenden eine stattliche 
Anzahl tüchtiger Aerzte besitzt. Sollte diesen Kollegen der 
günstige Einfluss einer Malariainfektion auf ein bestehendes 
Krebsleiden, wenn ein solcher wirklich existirte, ganz entgangen 
sein? Oder wenn ähnliche Erfahrungen gemacht worden sind, 
warum ist dann nichts weiteren Kreisen bekannt geworden? 
Beides wäre doch kaum zu glauben. Mag dem sein wie ihm wolle, 
auch ohne die Aeusserungen der medicinisehen Welt Italiens über 
den Löffle r’schen Vorschlag abzuwarten, haben wir in der 
italienischen Statistik eine brauchbare Grundlage für die Bo- 
urthcilung unserer Frage'). 

Beginnen wir mit einem internationalen Vergleich 5 ). 


Tabelle I. 


Es starben 1887—91 auf je 10,000 Einwohner: 
in an Malaria an malignen Geschwülsten 


Italien 5,81 4,28 

Preussen — 4,20 

Irland 0,03 4,42 

Oesterreich — 4,98 

Schottland 0,05 6,34 

England 0,06 6,63 

Holland 0,40 7,28 


Es starben also in Preussen, Oesterreich und Irland verhält- 
nissmässig ebensoviel Personen an Krebs wie in Italien, während 
die Malaria nur in letzterem Lande eine häufige Ursache des; 
Todes ist 4 )- Eine Malariasterblichkeit von 5,81 auf 10000 bedeutet, 
dass mindestens 100—200 mal so viel Personen an Malaria er- 


') Löffler: Deutsche med. Woelienschr. 1901, No. 42. 

J ) Statistica Italiana. Cause di morte. Anno 1881—90. Roma 
1882—97. 

*) Ibid. Jahrg. 1891/92, S. LXII u. LXV. 

*) Desswegen wird die Malaria in der preussischen Todes- 
ursachenstatistik gar nicht aufgeführt. In den Krankenhäusern 
Preussens starben 1S87—89 jährlich 6 Personen an Malaria, in 
denen Italiens 1885 hundertmal so viel, nämlich 569! 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1921 


kranken 6 ). Trotz dieser enormen Verbreitung 
der Malaria ist der Krebs in Italien ebenso 
häufig wie in Preussen, wo die Sumpffieber zu 
den seltensten Krankheiten gehören! 

Natürlich sind wir damit noch nicht am Ende unserer Be¬ 
weisführung angelangt. Da man ja von vornherein nicht das 
Recht hat, anzunehmen, dass Krebs und Malaria gleiohmässig im 
Lande verbreitet seien, bliebe die Möglichkeit offen, dass in dem 
einen Theil des Landes der Krebs, in dem anderen die Malaria vor¬ 
herrschten, beide Erkrankungen sich also dennoch ausschlössen. 
Es lässt sich nicht leugnen, «lass ein erster Blick auf Tabelle II 6 ) 
diese Vermuthung, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, zu 
rechtfertigen scheint. 


Tabelle II. 


In den italienischen Landschaften starben 1887—89 auf je 
10,000 Lebende: 


in 

an Malaria 

an bösartigen 
Geschwülsten 

wegen zu kleiner 
Statur wurden von 
Je I t 8tellungspflieh- 
tlgen ausgemustert 

1. Piemont 

1,3 

3,5 

6,3 

2. Ligurien 

0,3 

5,1 

5,2 

3. der Lombardei 

1,0 

5,3 

7,3 

4. Venezien 

1,5 

4,3 

3,3 

5. der Emilia 

LI 

6,4 

4,5 

6. Toscana 

1,3 

6,8 

4,0 

7 den Marken 

0,6 

5,5 

7,1 

8. Umbrien 

1,2 

4,4 

7,7 

9. Latium 

9,8 

4,9 

7,6 

10. den Abruzzen 

9,8 

2,9 

10,7 

11. Campanien 

6,1 

3,2 

10,6 

12. Apulien 

11,5 

2,9 

11,9 

13. der Basilicata 

17,5 

2,2 

18,7 

14. Calabrien 

15,3 

13,8 

2,3 

18,6 

15. Sicilien 

3,0 

12,2 

16. Sardinien 

29,6 

1.7 

20.9 

irn Königreich Ital 

ien 6,0 

4,3 

8,3 


Im Ganzen kann man allerdings sagen, dass die italienischen 
Landschaften, die eine hohe Krebssterblichkeit haben, von der 
Malaria wenig heimgesucht sind und umgekehrt. Nur muss man 
sich hüten, beide Erscheinungen in ursächlichen Zusammen¬ 
hang zu bringen. Schon die Ziffern aus Latium, also der Provinz 
Rom, würden einen bösen Strich durch diese Rechnung machen. 
Die römische Landschaft ist ebenso stark vom Krebs wie von 
der Malaria heimgesucht. In ersterer Beziehung steht sie den 
nördlichen Landestheilen, in letzterer den südlichen gleich. Auch 
Piemont will sich nicht in das allgemeine Bild einfügen. Die 
Krebssterblichkeit ist dort auch ziemlich niedrig, annähernd so 
gross wie in Campanien und Sicilien, während die Malaria¬ 
infektion eine unvergleichlich geringere Rolle spielt als in beiden 
südlichen Landschaften. 

Vollends in die Brüche geht aber die Theorie einer Beziehung 
zwischen Malaria und Krebs, wenn man die Landschaften weiter 
in kleinere Bezirke (Provinzen) zerlegt. 

Tabelle III. 


ln den italienischen Provinzen starben 1896 von 10,000 Lebenden: 


ln an 

Malaria 

an Krebs 

in 

an Malaria 

an Krebs 

Alexandria 

0,1 

4,5 

Rovigo 

3,7 

4,9 

Cuneo 

0,2 

3,8 

Treviso 

0,3 

4,7 

Novara 

1,4 

4,8 

Udine 

0,4 

5,4 

Torino 

0,5 

5,5 

Venezia 

3,1 

6,1 




Verona 

0,7 

4,8 

Genova 

0,2 

6,6 

Vicenza 

0,3 

4,5 

Porto Matirizio 

0,2 

6,1 







Bologna 

0,4 

8,2 

Bergamo 

0,4 

5,6 

Ferrara 

4,2 

4,7 

Brescia 

0,5 

7,4 

Forli 

0,1 

9,4 

Como 

0,1 

5,7 

Modena 

0,3 

5,7 

Cremona 

1.5 

7,2 

Parma 

0,3 

8,9 

Mantova 

0,7 

6,4 

Piacenza 

0,3 

6,5 

Milano 

0,8 

6,5 

Ravenna 

1,9 

12,0 

Pa via 

0,7 

5,6 

Reggio d'Emilia 0,5 

7,2 

Sondrio 

0,4 

5,3 







Arezzo 

0,6 

7,4 

Belltino 

0,1 

5,9 

Firenze 

0,1 

9,9 

Padova 

0,8 

5,4 

Grosseto 

8,6 

5,8 

3 ) 1883—85 

starben 

selbst ln 

den Krankenhäusern 

nur circa 


1—2 Proc. der wegen Malaria Aufgenommenen (Movimento degli 
Inferuii uegll ospedali clvlli. ISST»— S7.I 

") Stat. ital. Cause di inorte 188!)/S)U. Die Durchschnitts 
zahlen für die drei Jahre sind von mir berechnet. 


ln an 

; Malaria 

an Krebs 

ln 

an Malaria 

an Krebs 

Livorno 

0,2 

9,2 

Napoli 

0,7 

4,5 

Lucca 

0,1 

5,8 

Salerno 

4,6 

2,9 

Massa-Carrara 

0,4 

5,7 




Pisa 

1,5 

7,2 

Bari 

7,1 

3,0 

Siena 

1,0 

9,0 

Foggia 

26,7 

2,4 




Lecce 

12,1 

3,6 

Ancona 

0,4 

6.9 




Ascoli Piceno 

0,5 

4,4 

Potenza 

19,6 

3,0 

Macerata 

0,5 

6,3 




Pesaro-Urbino 

0,2 

6,5 

Catanzaro 

10,2 

2,7 




Cosenza 

10,0 

3,1 

Perugia 

0,9 

4', 7 

Reggio di Calabria 9,4 

2,6 

Roma 

6,6 

5,5 

Caltanisetta 

13,2 

3,0 




Catania 

9,1 

3,5 

Aquila 

1,6 

4,2 

Girgenti 

13,0 

3,2 

Campobasso 

9,2 

3,7 

Messina 

7,6 

3,1 

Chieti 

7,2 

3,7 

Palermo 

5,7 

3,3 

Teraino 

6,0 

3,1 

Siracusa 

18,1 

3,3 




Trapani 

8,8 

3,1 

Avellino 

13,4 

3,0 




Benevento 

9,4 

3,1 

Cagliari 

19,2 

1,8 

Caserta 

6,5 

3,1 

8aesari 

13,7 

1,5 


Aus Tabelle III T ) ersehen wir, dass es auch im Norden einige 
schlimme Malariaherde gibt, so in Rovigo, Venedig, Ferrara und 
vor allen Dingen in Grosseto. Man sollte im Sinne jener Theorie 
denken, dass hier auch die Krebssterbeziffer hcrabgedrückt wäre. 
Statt dessen finden wir nur Zahlen wie in der Nachbarschaft 
auch. Andererseits kommen auch im Süden grosse Schwan¬ 
kungen in der Intensität der Malaria vor, ohne dass denselben 
ähnliche Verschiedenheiten in der Krebssterblichkeit gegenüber¬ 
ständen. 

Es bleibt uns danach nichts übrig, als nach anderen Gründen 
für die Eigenthümlichkeiten der Verbreitung des Krebses in 
Italien zu suchen. 


Zunächst darf man nicht etwa glauben, dass ähnliche Diffe¬ 
renzen in der Krebssterblichkeit wie in Italien sonst nirgends 
vorkämen. Einer auf meine Anregung entstandenen, eben er¬ 
schienenen Arbeit von Laspeyres") entnehme ich z. B. fol¬ 
gende Zahlen: 

Es starben 1891—95 an Krebs auf je 10 000 männliche Per¬ 
sonen in den preussischen Regierungsbezirken: 


1. Koblenz. 2,9 

2. Marienwerder.3,0 

3. Trier.3,0 

4. Münster.3,2 

5. Oppeln.3.4 


30. Magdeburg.5,4 

31. Stralsund .5,4 

32. Köln.5,7 

33. Stettin.5,7 

34- Schleswig.6,6 


Also auch in Preussen haben wir Schwankungen der Krebs¬ 
ziffer von 3—6V #I , wie in Italien, ohne dass dort von einem Ein¬ 
fluss der Malaria auch nur die Rede sein könnte. 

Laspeyres führt den Nachweis, dass ein Theil der Unter¬ 
schiede verschwindet, wenn man die verschiedene Altersver¬ 
th o i lu n g in den Landestheilen berücksichtigt. Auch für 
Italien wird dieses Moment hier und da in Betracht kommen, je¬ 
doch genügt cs nicht zur Erklärung der maassgebenden Diffe¬ 
renzen. Z. B. habe ich nach dem Census von 1871 berechnet, 
dass der Anthcil der über 50 Jahre alten, also vornehmlich der 
Krebserkrankung ausgesetzten Personen an der Gesammtbevölke- 
rung in Ligurien und Cnlabrien ungefähr derselbe (ca. 16 Proc.) 
ist. und doch in Ligurien mehr als doppelt so viel Menschen 
an Krebs sterben als in Calabrien. 

Viel bedeutsamer als die Altcrsvertheilung ist nach Las¬ 
peyres die Dichtigkeit der Bevölkerung oder genauer aus- 
ged rückt die Anhäufung der Bevölkerung in 
städtischen Ccntron. So ergab sieh, wenn man die 
34 Regierungsbezirke Preussens nach der Zahl der Städter, die 
auf den Quadratkilometer kommen, ordnete, folgende Scala: 


Gruppe 

1. (No. 1—10) 

2. (No. 11—24) 

3. (No. 25 -34) 


Durchschn.-Zahl 
der Städter pro 
□ km 
14 
26 
80 


Zahl der Todesfälle an Krebs 


(lm Alt«>r von 
b d. Männern 

14.1 Prom. 

17.1 „ 

20.1 „ 


30 - 80 Jahren) 

b. d. Weibern 

13.3 Prom. 

17.0 „ 

19.4 „ 


’) Für die Jahre ISS? /SS), die den vorhergehenden Tabellen zu 
Grunde lagen, lassen sieh aus der italienischen Statistik nicht die 
Zahlen für die einzelnen Provinzen ansziehen: loh musste ein 
späteres Jahr wählen. Die Quotienten habe ich berechnet. Sie 
beziehen sich auf genügend zahlreiche Sterbefälle. Für ein Kin¬ 
gehen auf noch kleinere Verwaltungsbezirke liefert die Statistik 
leider nicht das Material. 

V Ein Beitrag zur Krebsstatistik. Centralbl. f. allgeni. Ge- 
sundsheitsptl. 1001, Heft 9/10. 


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19*2 MUENCHENER MEDIOINTSCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48. 


Für Italien, im Ganzen genommen, lässt uns auch dieses Er- 
klärungxprinzip im Stich. Gerade der vom Krebs mehr ver¬ 
schonte Süden Italiens enthält besonders dicht bevölkerte und mit 
Städten reich besetzte Provinzen, wie folgende lieber sicht zeigt. 


Tabelle IV. 


in 

auf 1 □ km 
lebten 1881 

dav.i. Orten 
von 8000 u 
mehr Elnw. 

, auf 1 □ km 

,u lebten 1881 

dav.i. Orten 
von 60X) u. 
mehr Elnw. 

Piemont 

104 

25 Proc. 

Latium 

74 

48 Proc. 

Ligurien 

165 

37 „ 

Abruzzen 

77 

15 „ 

Lombardei 152 

20 „ 

Campanien 

175 

41 „ 

Venezia 

117 

16 „ 

Apulien 

77 

69 „ 

Emilia 

105 

31 „ 

Basilicata 

51 

42 „ 

Toscana 

92 

29 „ 

Calabrien 

84 

21 „ 

Marken 

95 

21 „ 

Sicilien 

113 

73 „ 

Umbrien 

60 

26 . 

Sardinien 

29 

19 „ 

Im 

Einzelnen 

freilich ist 

der b«Tör<l« 

'rüde Einfluss, den 


die Zusammendrängung der Bevölkerung auf die Verbreitung des 
Krebses ausübt, auch in Italien nicht zu verkennen, ln der 
Liste der Provinzen (Tab. 111) mache ich besonders auf Neapel 
aufmerksam, das «lie grösste Anzahl von Einwohnern auf den 
Quadratkilometer (1276) und daher auch eine höhere Krebsziffer 
als die Eingebung zeigt. Noch deutlicher spiegelt sieh dieser Ein¬ 
fluss in folgender Talielle V wieder. 

Tabelle V. 


In den italienischen Gressstädten starben 1885 auf 10,000 Lebende: 


in 

an Malaria 

an Krebs 

in an 

Malaria an Krebs 

Turin 

0,4 

8,5 

Rom 

13,4 

7,0 

Genua 

0,1 

8,6 

Neapel 

1,0 

6,0 

Mailand 

0,6 

10,7 

Bari 

4,3 

5,4 

Venedig 

1,1 

10,9 

Catania 

5,2 

5,6 

Bologna 

0,1 

15,5 

Messina 

1,4 

3,9 

Florenz 

0,2 

10,3 

Palermo 

2,6 

4,4 

Livorno 

0,1 

8,3 




Allen 

thalben ist 

also in den Grossstädten 

«lie 

Krebsziffer 


höher als in den angrenzenden Landschaften. Dennoch ist auch 
hier das I’ebergewieht des Nordens über den Süden nicht zu ver¬ 
kennen. Die. südlichen Gressstädte haben kaum soviel Todes¬ 
fälle an Krebs wie die ganzen Landest heile im Norden (Tab. 11). 

Enter diesen Emständeu scheint es fast am nächsten zu 
liegen, «lie klimatisch e n Verhältnis» e für die wesent¬ 
lichen Differenzen im Auftreten des Krebses in Italien ver¬ 
antwortlich zu machen. Wir hätten danach im Krebs ein Gegen¬ 
stück zur Malaria. Wie wir schon lange wissen, dass «las südliche 
Klima die Intensität der Malariainfektion steigert, so würden wir 
jetzt «lie Erfahrung machen, «lass es die Ausbreitung des Krebses 
erschwert. Gegen einen solchen Schluss lassen sich aber doch ge¬ 
wichtig«* Bedenken erheben. Zunächst steht Ligurien, wenn es 
auch geographisch zum Norden gehört, klimatisch dem Süden 
Italiens viel näher. Die Krebssterblichkeit daselbst ist trotzdem 
ein«* hohe. Emgekehrt hat «las Klima der Abruzzen, obwohl sie 
geographisch dem Süden benachbart sind, durchaus nicht den 
südlichen Charakter 1 '). End doch haben wir hier eine niedrige 
Krebszitfer. Auch «las Klima kann also nicht «1er manssgebende 
Faktor für die Vcrthcilung des Krebses in Italien sein. Sollte 
nicht vielleicht «lie Rasse nvers c h i e «1 e n heit den wahren 
Erklärungsgrund abgeben * 

Den Anthropologcu ist die Thalsache längst geläufig, dass die 
Bevölkerung Kmlitaliens mit Einschluss «l«*r Inseln sieh durch 
geringere Körpergrössc, schmalere Kopfform, stärkere Pigmcn- 
tinnig von der des Nordens unterscheidet. Ich selbst bin bei 
meinen Studien iib«*r Kckrutirungsstatistik auf diese und andere 
Differenzen aufmerksam geworden. Es fragt sieh, wo man die 
Gr«*nz«*n zwis«*hen beiden Rassen zu ziehen hat. Wählen wir zu¬ 
nächst als unterscheidendes Merkmal die Körpergrössc. Ich 
hatte in «*in«*.r früheren Arbeit "') die Zahlen «1er h«*i «1er Rekru- 
tirung von 1887—89 wegen Mindermaass Ausgemusterten für die 
einzelnen Landschaften Italiens ausgerechnet und gebe sie hier 
in «l«*r letzten Kolumne der Tabelle II wieder. Man vergleiche 
jetzt diese Kolumne mit der vorhergehenden und man wird fol- 

”) Man vergleiche das tredliche Werk ..Risultuti «leü’inchiesta 
sulie cotidizioni igieuielii* e xanitaric nci coiimumi «lei regno. Uc- 
laziotie generale. Roma isst». (Ilerausg. v«»n der Direzione 
generale delln statistiea.) 

10 ) Vergl. Tal». XXX in meiner Abhandlung über den Ein¬ 
fluss des städtischen Lebens auf die Volksgesnndhelt. (Centralbl. 
f. allgem. Gesumllieitspfl. 1898, Heft 8/9.1 

Antropometria militare. Roma 1898. 


gendes überraschende Resultat erhalten: Krebsstcrblich- 
keit und Körpergrösse stehen in einem ganz 
bestimmten Verhältniss: je geringer die Zahl der 
Mindermässigeti, d. h. je grösser die mittlere Statur der Be¬ 
völkerung, desto höher ist die Krebsziffer. Wenn wir von den 
beiden Grenzprovinzen Piemont und Venezien absehen, können 
wir uns kaum eine regelmässigere Stufenleiter denken. An der 
Spitze stehen die Landschaften Toscana und Emilia mit der gröss¬ 
ten Krebssterblichkeit und den grössten Leuten, dann folgen 
Ligurien, die Txmibardei, die Marken, Latium und Umbrien. Jetzt 
kommt ein ziemlich plötzlicher Sprung zu den LandestheiLen mit 
niedriger Krebsziffer und kleineren Leuten; aber auch hier bleibt 
die Regelmässigkeit «1er Reihenfolge, die von den Abruzzen, 
Apulien und Campunien über Sicilien zu Calabrien, der Basili- 
eata und schliesslich Sardinien führt, ganz unverkennbar. Diese 
Gesetzmässigkeit kann natürlich kein Zufall sein. Sie beweist 
uns, dass die Krekskraukheit in Italien von 
der Rasse seiner Bewohner abhängig ist. Denn 
die Statur ist nur eines «ler zahlreichen anderen Rassemdiaraktere. 
Es würde hier zu weit führen, darauf genauer einzugehen. Ich 
verweise d«*sswegen auf das grundlegende Werk von L i v i "). 
dem zahlreiche sehr instruktive Karten beigegeben sind. Auf 
den ersten Blick sieht man da, dass die Vertheilung des brünetten 
Typus, des schmalen Kopfes, der niedrigen Stirnen, der grossen 
Mund form im Wesentlichen mit jener der kleinen Staturen über- 
einstimmt. Auch andere krankhafte Anlagen ausser der Dis¬ 
position zum Krebs scheinen durch die Rasse gegeben zu sein. s<> 
hat schon Sormani 15 ) gefunden, dass die Varicen sehr vi«*l 
häufiger in den nördlichen als in den südlichen Theilen Italiens 
Vorkommen. Für die geistige Verschiedenheit der beiden italie¬ 
nischen Rassen gibt t^s einen interessanten ziffernmässigen Be¬ 
weis — die Zahlen für Mord und Selbstmord. 1887—89 starben 
in den 7 südlichen Landschaften — von den Abruzzen abwärts — 
0,1—0,2 der Bevölkerung an Selbstmord, in den 9 nördlichen 

0,5—0,9 Wir haben hier genau dieselbe Abgrenzung wie bei 

«ler Krebssterbliebkeit. Umgekehrt fielen in den südlichen Land¬ 
schaften 0,5—1,0"/..,, durch fremde Hand, in den nördlichen nur 
0,1—0,4 Die Grenze ist hier fast die gleiche, eine Ausnahme 

bildet nur die römische Provinz, die bei weitem die meisten Morde 
wie Selbstmorde liefert. Danach scheint die norditalienische 
Rasse sieh eher am eigenen als am fremden Leibe zu vergreifen, 
die süditalienische aber mehr das eigene Leben als das des 
Nächsten zu r«*spektiren (Sorman i) ”). 

Verlockend genug wärt* die Aufgabe, den Einfluss der Rasse 
auf die Verbreitung des Krebses auch in anderen Ländern zu 
studiren. Leider ist das Material dazu kaum irgendwo in solcher 
Vollständigkeit gegeben oder wenigstens nirgends so durchsichtig, 
wie in Italien. Ich beschränke mich hier auf einige Andeutungen. 
DieMedieinalstatistik des Deutschen Reiches’*) und Oesterreichs **) 
lehrt, dass der Krebs in den südlichen Theilen von Baden. Würt¬ 
temberg und Bayern, in Salzburg, Tirol, Steiermark, Ober- und 
Niederösterreich eine maximale Ausbreitung besitzt. Ebenso 
wie in Italien findet sieh also in Mittel¬ 
europa nach den Alpen zu eine Zunahme der 
Iv rebserkrankungen. 

Das stimmt ganz gut zu den anthropologischen Beobacht¬ 
ungen, die uns die Existenz einer von den Alpen als Centrum 
aus nach Norditalien und Süddeutsehland vorgeschobenen Rasse 
nahclegen. Derjenige Charakter, der diese „alpine“ Rasse von 
ihren Nachbarn im Süden wie im Norden unterscheidet, ist die 
ausgeprägte Kurzküpfigkeit. In Körpergrössc und Pigmentirung 
nimmt sic dagegen eine mittlere Stellung ein: gegenüber «lern 
Süditaliener erscheint der Alpenbewohner grösser und heller gt- 
färbt, gegenüber «lern Norddeutschen kleiner und dunkler. 

Eine genauere Darstellung dieser Verhältnisse, ebenso wie 
derjenigen in anderen Ländern, insbesondere auch in den Tropen, 
wäre sehr erwünscht. 

Falls die Vcrmuthung Löffle r’s, dass der Krebs in den 
Tropen viel weniger häufig sei, als sonst, sich bestätigte — wie 


r -'> Sorman i: (»eografln nosologiea (lell* Itnlia, Anuali di 
statistiea. 2. serie. Vol. 1881. 

,r ') Vergl. die Karte, die der Arbeit von Ralits iMediciual- 
statistisclie Mittheilungen aus dem Iv. Gesundheltsnuite. <>. Bd.. 
2. Heft) beigegeben ist. 

'*) Oesterreichisehes statistisches Handbuch 1899. Aus den 
hier gegebenen absoluten Zahlen sind die relativen leicht zu be¬ 
rechnen. 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1923 


es nach den Angaben Scheub e’s und Behl a’s fast zu er¬ 
warten steht — so würde man daraus nichtaufeine Wir¬ 
kung der Malaria, sondern auf eine angeborene 
(relative) Immunität der tropischen Rassen 
gegen den Krebs zu schlieseen haben. 


Aua dem Elisabeth-Krankenhaus Kassel. 

Tetanus nach Gelatineinjektion.*) 

Von F. Kuhn. 

Die folgenden Zeilen betreffen eine zur Zeit recht aktuelle 
l'rage, nämlich die subkutane Einverleibung von Gelatine in den 
menschlichen Körper zum Zwecke der Blutgerinnung und Blut¬ 
stillung. 

Das Verfahren gründet sich auf einige physiologische Ex¬ 
perimente von französischen Forschern, über die Blutgerinnung 
befördernden Eigenschaften von Gelatineeinspritzuugen (Dastre, 
Floresco), die allerdings nicht ohne Widerspruch geblieben 
sind (Laborde, Comus, G 1 ey). 

Wiewohl also physiologisch noch nicht genügend fundirt, 
fand das Verfahren alsbald Empfehlung in der klinischen Medi- 
cin und zwar zunächst für eine Reihe unangenehmer Erkran¬ 
kungen, wobei eben der Wunsch zu helfen leitend war. Gemein¬ 
sam war allen Bestrebungen die Absicht, rasch eine intensive 
Blutgerinnung herbeizuführen. 

So wurden denn die Injektionen empfohlen: 

. 1. Für Blutungen überhaupt, und von verschiedenen Seiten 

mit mehr oder weniger Erfolg ausgeführt ’). In diesen Fällen 
war die Anwendung subkutan. 

Andere Autoren brachten die Gelatine auch direkt auf die 
blutende Wunde. 

2. Ein zweites grösseres Feld eröffnete Kehr, indem er die 
Gelatineinjektionen für die unstillbaren cholaemischen Blu¬ 
tungen verwandte. In 3 Fällen will er guten Erfolg gesehen 
haben. 

3. Endlich fanden die Einspritzungen von G-latine warme 
Empfehlung für die Aneurysmen, so von Lancereaux 1898, 
gestützt auf seine mit Paulesko ausgeführten Versuche; 
Fraenkel und Senator sahen gute Erfolge 1 ). Weniger 
Erfolg sah Schrötter nach seinen Mittheilungen auf dem 
inneren Kongress in Karlsbad. 

Aueserdem bekam die anfängliche, namentlich von fran¬ 
zösischer Seite geäusserte Begeisterung im Laufe der Zeit einen 
bedenklichen Stoss durch die Mittheilung einzelner Unglüeksfälle, 
welche der Gelatine zur Last gelegt wurden. So theilte Scho¬ 
ber aus Paris einen Todesfall mit, und Unverricht be¬ 
richtete über einen Fall, der während der Injektionskur (ob 
durch die Gelatine ist zweifelhaft) gestorben ist. Gleichzeitig 
begannen auch die Franzosen zur Vorsicht zu mahnen, und 
Gerhardt warnte entgegen Klemperer geradezu vor zu 
grossem Enthusiasmus und vor voreiligen Versuchen an Kranken. 

Der Warnungsruf Gerhardt’s scheint nur zu sehr berech¬ 
tigt: denn betrachtet man die angezogene Frage näher, so er¬ 
geben sich ausser den von anderer Seite berührten Bedenken be¬ 
züglich zu rascher Gerinnung des Blutes etc., noch eine Anzahl 
weiterer wichtiger Einwände. Wir müssten nichts von Toxinen 
wissen, um ein thierisches Präparat so zweifelhafter und 
verschiedenartiger Herkunft, wie es die käuf¬ 
liche Gelatine ist, dem lebenden Körper ruhigen Ge¬ 
wissens zu injiziren. Wer jemals den Geruch in der Nähe von 
Leimfabriken erlebt hat, kann sich eine Vorstellung von den 
Zersetzungen machen, die in solchen Anstalten an den auf ge¬ 
stapelten Kadaverresten vor und während ihrer Verarbeitung vor 
sich gehen. 

Zugegeben, dass die lebenden Fäulnisskeime bei der weiteren 
Verarbeitung wieder zu Grunde gehen, so trägt die Gelatine, bei 
der Unsauberkeit der Räume und der gehäuften Gelegenheit 
neuer Infektionen, doch den lebenden Schmutz mit sich heraus 
in’s Leben. Und bietet'sich dann durch längeres Liegen auf ge¬ 
stapelter Massen, besonders in feuchten, schmutzigen Räumen, 
Gelegenheit, so propagiren die Keime und bilden Fäulniss- 
produkte in üppigster Weise. Der Verwendung am Kranken¬ 
bette geht wohl eine neue Sterilisirung voraus. Dadurch gehen 

*) Nach einem auf der 78. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Ae rate ln Hamburg gehaltenen Vortrage. 

*) Literatur siehe in dem Originalartikel ln den Verhandlungen 
der 73. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 

No. 48. 


bei guter Ausführung zwar die Keime zu Grunde, aber nicht die 
Toxine. Aber auch lebende Keime können, wenn sie selbst oder 
ihre Sporen recht widerstandsfähig sind, gelegentlich in die Blut¬ 
bahn kommen und nur ganz besondere Vorsicht und sachverstän¬ 
dige bakteriologische Accuratesso, die in der täglichen Praxis oft 
nicht zureichend sein dürfte, kaim vor schweren Infektionen 
schützen. 

Dies soll der folgende unglückliche Fall von Wund¬ 
tetanus nach Gelatineinjektion illustriren: 

Pat. Ist ein schwächlicher Junge von 12 Jahren, Bluter. 
Wegen adenoider Vegetationen Im Rachen zu Rathe gezogen, hatte 
ein Kollege die Operation abgelehnt, nachdem bei palpatoriscbev 
Untersuchung diese Theile stark geblutet hatten. Ein Jahr später 
liess er in Anbetracht des besseren Allgemeinbefindens sich doch 
zur Operation bewegen. Die Blutung war sehr lebhaft trotz Eis¬ 
wasser und Kompression. Als sie bis zum Abend anhielt, lnjlzirte 
der Arzt unter allen antiseptischen Kautelen 50 gr 2 proc. Gelatine, 
die er sterlllsirt aus der Apotheke bezog. Die Injektion war recht 
schmerzhaft; die Schmerzen, die von der Iujektionsstelle an der 
Innenseite des linken Oberschenkels nach der Bauchhöhle aus¬ 
strahlten, dauerten die nächsten Tage an. Die Stelle verfärbte 
sich und nahm gangraenösen Charakter an. So kam der kleine 
Pat am 4. Tage nach der Einspritzung Mittags zur Aufnahme ln's 
Krankenhaus. 

Die örtliche Läsion bestand ln einer handtellergrossen gan¬ 
graenösen Partie am Oberschenkel: die Umgebung war livide. 
oedeinatös, ln Gangraenesclrung begriffen, die todten Fetzen Hessen 
sich stumpf ohne Blutung bis auf die Musculatur ablösen. Tam¬ 
ponade mit Jodoformgaze. Nach dem Becken breitete sich etwas 
Oedem aus. Allgemeinbefinden leidlich. 

Am nächsten Morgen bei der Visite deutlicher Trismus. 
Im Laufe des Vormittags rasche Zunahme, Beine tetanlsch, 
Mittags bereits Ophisthotonus mit starken Stössen. Zum 
Glücke dauerte der furchtbare Zustand nicht lange. Bevor das 
Tetanusserum, das inzwischen beschafft war, eingespritzt werden 
konnte, war der Junge eine Leiche. 

Nachdem der Tod des Kindes unter unzweifelhaften Sym¬ 
ptomen von Tetanus erfolgt war, bestand für mich naturgemäss 
das höchste Interesse, den definitiven Beweis zu erbringen, dass 
die Injektionsstelle die Eintrittsstelle des Giftes gewesen, be¬ 
ziehungsweise : dass die Gelatine die Trägerin des 
Tetanusgiftes gewesen. 

Es wurden daher nach dem Tode des Knaben Kaninchen mit 
Kürpertheilen der Leiche in die Rückenhaut infizirt und zwar: 

1. 2 Kaninchen mit Herzblut; 

2. 2 Kaninchen mit Abstrichen von der Wunde; 

3. 2 Kaninchen mit Gewebstheilen aus der Wunde, einem 
grösseren und einem kleineren Stück. 

Die Resultate der Versuche an den Thieren entsprachen ganz 
den Erwartungen: die mit Blut und mit Gewebesaft infizirten 
Thiere blieben ganz und dauernd gesund. Dagegen zeigte das mit 
dem grösseren Gewebsstück beschickte Thier schon am dritten 
Tage leichten Pleurosthotonus, am Abend desselben Tages Tris¬ 
mus; am nächsten Morgen liegt das Thier mit tetanischen Ex¬ 
tremitäten in einer Ecke des Käfigs, und geht in der folgenden 
Nacht zu Grunde. 

Das mit wenig Gewebe infizirte Thier zeigt nur leichte Ver¬ 
biegung der Wirbelsäule, am 5. Tage etwas Trismus, der eine 
Reihe von Tagen dauert; dann erholt sich das Thier und wird 
gesund. 

Nach diesen meinen Versuchen war ohne Zweifel das Vor¬ 
handensein von übertragbare^ Tetanuskeimen in der Wunde des 
Kindes bewiesen. Dieselben stammten ohne Zweifel aus der 
eingespritzten Gelatine, deren Sterilisirung in der Apotheke sicht¬ 
lich zur Tödtung der Keime nicht ausgereicht hatte. Das Gela¬ 
tineblättchen war sichtlich Trägerin der Keime und stammte 
wohl von tetanuskrankem Material, möglicher Weise von ge¬ 
fallenen Pferden. 

Die praktische Tragweite unserer Versuche, die mein Assi¬ 
stent, Herr Dr. Krug, noch weiter verfolgt, ist von Bedeutung: 
Im Angesichte des geschilderten Falles ist es doch im geringsten 
Falle ein recht unheimlicher Gedanke, käufliche Gela¬ 
tine, wie seither, subkutan zu verwenden. Ich wenigstens 
komme von dem Gedanken nicht frei, in ihr den direkten Träger 
von Fäulniss und Infektion zu sehen. Bei der Widerstandsfähig¬ 
keit des Tetanusbacillus, der in 100 9 strömendem Wasserdampf 
erst nach 8 Minuten 3 ) zu Grunde geht und 80° 1 Stunde lang 
unbeschadet verträgt, und bei der Widerstandsfähigkeit anderer 
Sporen, z. B. dee Milzbrandes, ist die Gefahr der Uebertragbarkeit 
doch recht gross. Aber selbst zugegeben, dass eine intensive fach¬ 
gemäße Sterilisirung alle lebenden Keime tödtete, so bleibt es 


*) Vergl. E. Rose: Deutsche Chirurgie. 

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Lief. 8., pag. 289. 

^odgle 



1924 


MTJENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


immer noch ein furchtbarer Gedanke, so gerade mit genauer 
Noth an den schwersten Infektionen vorbeizukommen. Toxine 
bekommt man daneben noch genug unter seine Haut. 

Will man an den Einspritzungen von Gelatine festhalten, so 
muss man die Forderung auf stellen, dass die zur subkutanen 
Injektion zur Verwendung kommende Gela¬ 
tine frisch aus dem leimgebenden Gewebe ge¬ 
sunder Schlachtthiere hergestellt werde. 


Ein Fall von Atropinvergiftung. 

Von Dr. Max Selo, prakt. Arzt in Berlin. 

Am 28. August Nachmittags zwischen 6—7 Uhr konsultirte 
mich Frau Sch., indem sie die Fahne einer Arzneiflasche zu mir I 
brachte und fragte, ob die hierauf vermerkte Medicln giftig sei. 
Sie fügte gleichzeitig hinzu, ihr 11 jähriger Junge habe die Flasche 
leer getrunken und liege in Krämpfen. 

Auf der Fahne stand vermerkt: 

Atropini sulf. 0,05. : 

Aq. dest. ad 10,0. 

Mds. 3 mal tägl. 1 Tropfen in's Auge zu träufeln. 

Ich begab mich sofort mit einem Magenschlauch in die Woh¬ 
nung des Patienten und erfuhr hier, dass der Knabe schon vor 
3 Stunden die noch nicht gebrauchte Medicin getrunken habe, bis 
auf einen ganz kleinen Rest, den sein kleinerer Bruder zu sich 
genommen habe. Der Mutter war in den 3 ersten Stunden nur 
aufgefallen, dass der Knabe so häufig das Kloset aufsuchte und 
sich so sehr unruhig zeigte. Diese Unruhe steigerte sich all¬ 
mählich bis zur Tobsucht, in der Ich den Knaben bei meinem Ein- i 
treffen fand. Er warf sich mit einer Geschwindigkeit und einem 
Kraftaufwand im Bette umher, dass es zwei kräftigen Personen 
kaum möglich war, ihn zu halten. In der That staunenswerte 
welche Kraftentfaltung das Atropin diesem sonst schwächlichen 
Knaben geben konnte! Dabei schrie und redete er allerhand un¬ 
verständliche Worte vor sich hin und .reagirte auf mein Anrufen 
nicht Seine Haut- und Gesichtsfarbe war bleich, der Puls klein 
und von einer enormen Schnelligkeit. Die Pupillen waren ad 
maximuni erweitert und reaktionslos. Es war deutlich wahr¬ 
zunehmen, wie bei der Prüfung durch stärkeren Lichtreiz die Tob¬ 
sucht sich steigerte. 

Meinen ersten Gedanken, eine Magenausspülung vorzunehmen, 
liess ich fallen, nachdem ich gehört hatte, dass bereits vor : 
3 Stunden die Lösung getrunken war und ein Anfangs gemachter i 
Versuch bei dem in seiner Raserei sich heftig wehrenden Knaben j 
mir missglückte. Ich machte einen Essigwassereinlauf und gab 
dann ein Klystier von Chloralhydrat 0,5, worauf die Tobsucht sich 
legte und alsbald Schlaf eintrat. Beim nächsten Morgenbesuch 
hörte ich, dass der Schlaf nur 2 Stunden angehalten habe, sodann 
derselbe Aufregungszustand wieder eingetreten sei, der die ganze 
Nacht hindurch angehalteu habe. Ich fand am Morgen den ! 
Knaben bedeutend ruhiger, er phantasirte zwar noch zeitweise, i 
sah weisse Mäuse, suchte im Bette nach Geld, gab aber auf meine I 
Fragen ganz vernünftige Antworten. Als ich nach 10 Tagen den 
Knaben wiedersah, klagte er noch Uber zeitweise auftretendeu I 
Kopfschmerz, Trockenheit im Halse und über Sehstörungen beim 1 
Lesen kleiner Schrift. 

Dieser Fall lehrt, wie verhältnissmüssig günstig eine Atropin- j 
Vergiftung ausgehen kann. Es war fast das 50 fache der 
Maximaldosis für Erwachsene von einem durchaus nicht kräftig 
entwickelten Knaben aufgenommen worden, ohne dass es zu. 
einem verhängnisvollen Ausgang gekommen ist. 


Die Nadelzange, ein einfaches Instrument zur Naht 
anlegung, Umstechung, Stielabbindung. 

Von Dr. Edgar Kurz in Florenz. 

Bekanntlich ist l>ei Operationen in Höhlen, zumal bei be¬ 
schränkten räumlichen Verhältnissen, die Anlegung der Nähte oft 
schwierig und zeitraubend, da die Nadel oft nicht leicht in der 
gewollten Direktion geführt und nicht leicht an der Spitze gefasst 
und durchgezogen werden kann, besonders wenn die Spitze kaum 
aus dem Gewebe hervorsteht oder durch Blut verdeckt ist. 

Zur Vermeidung dieses Uebelstandes hatte Ich vor 8 Jahren 
das „Nadelpistol“ konstruirt, mittels dessen die Nadel gewisser- 
raassen abgodrückt oder abgeschossen und so durch die Gewebe 
vorwärts getrieben wurde, so dass ein längerer Abschnitt der 
Spitze aus dem Gewebe hervortrat und somit leichter zu fassen 
war. Dieses Instrument (publiclrt lm Centralbl. f. Chirurgie 1893, 
No. 13; hat sich mir auch, besonders bei schwierigen Gefässunter- 
binduugen in der Continuität, sowie bei Stielbildungen, Abbindung 
der Lig. lata ext nicht schlecht bewährt. Es blieb jedoch immer¬ 
hin noch der Nachthell, dass das Fassen der Nadelspitze doch 
nicht immer ganz leicht und sicher ging, dass dieselbe auch 
manchmal, schon gefasst, der Piucette oder den Fingern wieder 
entglitt, auch das Durchziehen der gefassten Nadel, besonders bei 
beschränktem Raum, nicht immer ganz anstandslos von Statten 
ging und somit manche Nähte doch nicht mit der gewünschten 
Schnelligkeit angelegt werden konnten. Auch waren, wie bei den 
gewöhnlichen Nadeln, die Finger der Gefahr der Verletzung aus- 
•-setzt. 


Ich habe desshalb zur schnellen und sichern Nahtanlegung 
bei Operationen In der Tiefe, wie Hysterektomien etc., ein neues, 
auf ganz anderem Princip beruhendes Instrument ersonnen, 
welches mir allen Anforderungen weit besser zu genügen scheint. 
Mit demselben können z. B. die Lig. lata sehr bequem abgebunden, 
ebenso Umstechungen blutender GefUsse, Stielabbindungen etc. 
mit grösster Leichtigkeit vorgenommen werden. 

Das Instrument, welches ich „Nadelzange“ genannt habe, ist 
so einfach, dass es kaum einer Beschreibung bedarf. Die Abbil¬ 
dung stellt dasselbe in % natürlicher Grösse dar. In der einen 



Branche der Zange steckt die kurze, leicht gekrümmte Nadel in 
einem kleinen Kanal, der zu beiden Seiten einen Schlitz für den 
Faden hat. Die Nadel besitzt auf ihrer konkaven Fläche, nahe der 
Spitze, eine leichte Einkerbung. Die Zange wird, mit der Nadel 
bewaffnet, unter Leitung des Auges oder des Fingers leicht ge¬ 
öffnet an Ort und Stelle gebracht. Durch Schluss der Zange wird 
die Nadel durch das Gewebe gestossen; dabei schnappt ihre Ein¬ 
kerbung in das federnde Maul der anderen Brauche ein, wodurch 
die Nadelspitze in dieser Branche fixirt ist. Man hat nun nichts 
zu thun, als die Zange zu öffnen und zurückzuziehen. Damit ist 
die Nadel sammt Faden an der gewollten Stelle durch das Ge¬ 
webe gezogen, indem das federnde Klemmmaul der zweiten 
Branche sie dem Kanal der ersten Branche abgeuommen hat. 
Durch eine halbe Umdrehung der Nadel (um ihre Kante) wird 
dieselbe aus dem Klemmmaul befreit, und der Faden kann sofort 
geknotet werden. 

Es ist klar, dass auf diese Weise Nähte und besonders Ab¬ 
bindungen in der Tiefe an den schwierigsten Stellen mit grosser 
Leichtigkeit, Sicherheit und Schnelligkeit ausgeführt werden 
können, da Durchstechen, Fassen und Durchziehen der Nadel in 
weniger als einer Sekunde bewerkstelligt wird. Die Folge davon 
ist eine wesentliche Abkürzung der Operationsdauer. Ausserdem 
habe ich es auch als Annehmlichkeit empfunden, keine Nadel¬ 
stiche in die Finger zu bekommen, wie dies bei der Versorgung 
der Parametrien und Lig. lata mit anderen Nadeln, die man auf 
den tastenden Finger durchstechen muss, so häufig nicht ver¬ 
mieden werden kann. 

Seit 4 Jahren habe ich die Nadelzange bei einer Reihe von 
Operationen verwendet. Besonders gute Dienste hat sie mir bei 
zwei schwierigen vaginalen Exstirpationen sehr grosser carci- 
nomatöser Uteri mit straffen, schwer zugänglichen Ligamentis 
latis und alten perimetritischeu Verwachsungen geleistet. (Beide 
Fälle waren, nebenbei gesagt, anderwärts für inoperabel erklärt 
worden; die eine Patientin erlag nach iy 2 Jahren einem Recidiv. 
die andere ist noch jetzt, nach 4 Jahren, vollständig gesund.) 
Die assistirenden Kollegen waren beidemal erstaunt über die 
exacte und rasche Nahtanlegung und über die dadurch bedingte 
relativ kurze Dauer der Operation. 

Ich hoffe, dass sich diese Nadelzange auch anderen Chirurgen 
wegen ihrer Einfachheit und Handlichkeit als praktisches und 
nützliches Instrument bewähren wird. Am besten hält man l>t“i 
schwierigeren Operationen 2 Exemplare mit der nöthlgen Anzahl 
Nadeln bereit, um jeden Zeitverlust zu vermeiden. Sobald der 
Operateur die eine gebrauchte Zange abgibt, reicht ihm der 
Assistent die andere, schon mit der Nadel armirte Zange. 


Aus dem hygienischen Institut der Universität Wien. 

Zur Theorie der Antikörper. 

II. lieber Bakteriolyse und Haemolyse.*) 

Von Max Gruber in Wien. 

Im Jahre 1890 lieferten v. Behring und Nissen den 
ersten schlagenden Beweis dafür, dass bei manchen Imrnuni- 
sirungen das Blutserum specifisch baktericide Wirkung bekommt. 
Während das Serum normaler Meerschweine den Vibrio 
Metschnikovi nicht schädigt, fanden sie, dass das Serum der 
gegen diesen Vibrio immunisirten Meerschweine ihn energisch 
abtödtet. Es stellte sich dann bald heraus, dass insoferne eine 
vollständige Analogie zwischen specifisch baktericiden und spe¬ 
cifisch antitoxischen Seris bestehe, als es. in beiden Fällen mög¬ 
lich ist, durch Injektion des specifischen Serums sofort normale 
Thiere passiv zu immunisiren. Das Merkwürdigste, was Fraen- 
k e 1 und Sobernheim bei diesen Versuchen passiver Im- 
munisirung mit baktericiden Seris fanden, war, dass die Sera, 
welche in frischem Zustande die betreffenden Bakterien in vitro 
abtödteten, diese Fähigkeit spontan beim Stehen oder durch kurz- 


*) Vortrag, gehalten in der k. k. Gesellschaft der Aerzte am 
8. November 1901. 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1925 


dauernde Erhitzung auf 60° einbüssten, trotzdem aber auch in 
diesem inaktiven Zustande noch, einem normalen Thiere injizirt, 
Immunität ertheilten und das Serum des Thieres specifisch bak- 
tericid machten. 

Man fand dann weiter, dass man den Process der Schädi¬ 
gung und Auflösung der Bakterien in der baktericiden Flüssig¬ 
keit mit dem Mikroskope verfolgen kann, wenn man die Bak¬ 
terien in die Bauchhöhle eines aktiv immunisirten Thieres oder 
zusammen mit aktivem oder inaktivem Immunserum in die 
Bauchhöhle eines normalen Thieres injizirt und von Zeit zu Zeit 
durch Punktion Proben des Peritonealinhaltes entnimmt. Bei 
genügend kräftiger Immunisirungswirkung sah man binnen 
ganz kurzer Zeit die injizirten Bakterien aus der freien Flüssig¬ 
keit in der Bauchhöhle vollständig verschwinden. Man deutete 
nun dieses Verschwinden als vollständige Auflösung der Bak¬ 
terien und zog, da man in vitro eine solche rapide Auflösung 
niemals zu erzielen vermochte, den Schluss, dass das inaktive 
Immunserum Vorstufen der auf lösenden Stoffe enthalte, die man 
„Lysogene“ nannte, und die zu den Lysinen in ähnlichem Ver¬ 
hältnisse stehen sollten, wie die Zymogene zu den Enzymen. 
Durch aktives Eingreifen der Körperzellen, also erst durch eine 
Reaktion des Organismus, sollten sie in die Lysine umgewandelt 
werden. 

Es stellte sich aber bald heraus, dass diese Hypothese von 
den Lysinen und ihrer reaktiven Entstehung aus lysogenen 
Stoffen unhaltbar sei. Ich und D u r h a m zeigten, dass man den 
Process der Auflösung der Bakterien in der Bauchhöhlenflüssig¬ 
keit quantitativ ungeheuer überschätzt hatte und dass der grösste 
Theil der aus der freien Flüssigkeit verschwundenen Bakterien 
noch nach langer Zeit in lebendem Zustande auf dem Mesen¬ 
terium und Omentum gefunden werden könne. Die Bakterien 
verschwinden desshalb so rasch aus der Flüssigkeit, weil sie sich 
unter dem Einflüsse des Immunserums zu grossen Flocken zu¬ 
sammenballen, die daun an der Mesenterialoberfläche kleben 
bleiben. Insoferne es zu Gestaltveränderung (Kügelchenbildung), 
Abtödtung und Auflösung der Bakterien kommt, geschieht dies 
in vitro genau in demselben Umfange, wie in der Bauchhöhle. 
Metschnikoff und Bordet und unabhängig von ihnen, 
ich und Durham haben gefunden, dass diese Phänomene auch 
ausserhalb des Thierkörpers auftreten, wenn man ganz frisches 
Immunserum, ganz frische Peritoneallymphe eines aktiv immuni¬ 
sirten Thieres nimmt oder wenn man den inaktiv gewordenen 
Immunflüssigkeiten ein wenig frisches Serum oder frische 
Lymphe eines normalen Thieres zusetzt. Es bedarf keiner Re¬ 
aktion des Organismus, um die baktericide Wirkung des inaktiven 
Immunserums wieder herzustellen; das normale Thier, dem 
solches Serum injicirt wird, verhält sich vollständig passiv und 
die baktericide Wirkung kommt einfach durch das Zusammen¬ 
treffen der zwei Flüssigkeiten, durch das Zusammentreffen von 
zwei fertigen Stoffen zu Stande, von welchen der eine stabile und 
hitzebeständige, beim Immunisirungsprocesse gebildet wird, 
während der andere, hitzeunbeständige, labile, sich auch im nor¬ 
malen Serum vorfindet. 

Während man bis dahin die specifische Wirkung der Immun¬ 
sera als durchaus von der schon lange bekannten baktericiden 
Wirkung der frischen Normalsera verschieden betrachtet hatte, 
wurde es jetzt klar, dass beide Erscheinungen im engsten Zu¬ 
sammenhänge miteinander stehen und sich nur durch ihre In¬ 
tensität und den Grad ihrer Specifität von einander unterscheiden. 

Offenbar sind in beiden Fällen dieselben labilen Substanzen 
im Spiele, die man als die Träger der baktericiden Wirkung be¬ 
trachtet und welche Büchner daher Alexine („Schutz¬ 
stoffe“) genannt hatte. 

Da die Existenz dieser Alexine von einigen Forschern noch 
immer bestritten und die baktericide Wirkung der Normalsera auf 
Mangel an passenden Eiweissnährstoffen im aktiven Normal- 
sormn und auf Plasmolyse in Folge schroffen Wechsels der Con- 
centration der krystalloiden Stoffe bei Uebertragung der Bak¬ 
terien aus ihren gewöhnlichen Nährböden in das Serum bezogen 
wird, muss darauf hingewiesen werden, dass diese von Baum- 
garten und dem Botaniker A. Fischer hartnäckig ver¬ 
fochtene Ansicht als endgiltig widerlegt zu betrachten ist. Vor 
Kurzem hat Hegel er, ein Schüler Büchner’«, die Ent¬ 
scheidung gebracht, indem er die Bakterien zunächst in inakti- 
virtem Normalserum anwnehsen liess und dann eine kleine Menge 
aktiven Serums desselben Thieres hinzufügte. Obwohl in diesem 
Falle weder von Nahrungsmangel noch von Veränderung der 


Salzconcentration gesprochen werden kann, stellte sich starke 
Abtödtung ein. Dasselbe wie IlegelePs Versuch beweisen die 
umfangreichen, ausserordentlich fleissigen und gründlichen 
Untersuchungen v. L i n g el s h e i m’s, die in jüngster Zeit aus 
dem F1 ü g g e’schen Laboratorium hervorgegangen sind. 

Die Wirkung der bereits im normalen Serum vorhandenen 
Alexine wird durch die hitzebeständigen specifischen Stoffe der 
Immunsera nur verstärkt und in die bestimmte Richtung auf die 
zur Immunisirung verwendeten Bakterien geleitet. Dass auch 
noch im inaktiven Immunserum Stoffe vorhanden sind, die un¬ 
mittelbar auf die Bakterien wirken, ergibt sich au6 dem von mir 
und Durham gemachten Funde der specifischen Agglutination; 
ein Fund, der mit seiner Verwerthung zur Diagnose der Bak¬ 
terien (ich und Durham) und zur Diagnose der Krankheiten 
(ich und Grünbaum) so grosses Gefallen erregt hat, dass man 
von verschiedenen Seiten versucht hat, ihn nochmals zu machen. 
Da die Herren wussten, wo sie zu suchen hatten, gelang ihnen 
der „Fund“ natürlich auch ganz vortrefflich. 

Ich habe dann mit Durham zuerst den wichtigen Nachweis 
erbracht, dass die specifischen Immunstoffe — die Agglutinine wie 
die übrigen Antikörper, wenn'solche noch neben den Agglutininen 
im Immunserum enthalten sein sollten — von den betreffenden 
Bakterien gebunden werden. Da auch diese, für das Verständniss 
der specifisch baktericiden Wirkung grundlegende Entdeckung 
in der Literatur ignorirt zu werden pflegt, sei es gestattet, den 
betreffenden Absatz aus meinem im Jahre 1896 in der k. k. Ge¬ 
sellschaft der Aerzte gehaltenen Vorträge 1 ) hier wiederzugeben: 

„Ich habe erst gestern und heute wieder den Versuch in fol¬ 
gender Welse wiederholt: Ich habe 00 mg hochwirksames V. 
Elversserum genommen, eine Dosis, welche das Vielfache des¬ 
jenigen beträgt, was beim Thierversuche zur vollständigen Um¬ 
wandlung der Vibrionen in Kügelchen erforderlich ist; habe dazu 
ca. 2,5 mg einer 18 stündigen Agarvegetation von Elversvibrio 
ln 1 ccm Bouillon gegeben und habe das Gemisch 20 Stunden 
lang lm Brutofen aufbewahrt. Am Morgen fand sich in dem Ge¬ 
mische neben den Ballen, die durch das Agglutinin erzeugt wor¬ 
den waren, eine Unzahl üppig wachsender und lebhaft sich be¬ 
wegender Vibrionen vor. 

Ich habe nun das Gemisch durch eine Stunde auf 55 —60° 
erwärmt, um die vielleicht an die Antikörper „gewöhnten“ 
Vibrionen zu tödten, dann neuerdings 2,5 mg vollvirulenter Kul¬ 
tur hinzugegeben und das Ganze einem 200 g schweren Meer¬ 
schweinchen injizirt. Der Erfolg war der erwartete. Die 
P f e 1 f f e r’sche Reaktion blieb vollständig aus. In allen Proben 
blieben stets lebhaft bewegliche Vibrionen ln grosser Zahl sicht¬ 
bar; auch noch nach einer und zwei Stunden und das Thier Ist 
bereits der Infektion ln typischem Verlaufe erlegen. 

Eine Kontrolprobe mit der gleichen Dosis desselben Serums 
stellte neuerdings sicher, dass die specifische Serumwirkung durch 
das Erhitzen auf 55—60 0 nicht beseitigt wird. 

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich mit Nothwendigkeit 
die Folgerung: dass in dem injizirten Gemische die 
Antikörper nicht mehr vorhanden waren, was ich 
schon mit voller Sicherheit aus dem Ausbleiben der Agglomera¬ 
tion der neu zugesetzten Vibrionen erkannt hatte. 

Das Resultat dieser Versuche Ist nun wieder von ausser¬ 
ordentlicher theoretischer Tragweite, da dadurch bewiesen wird, 
dass die Agglutinine bei der Reaktion auf- 
gebraucht werde n, wodurch sich in einfacher Weise er¬ 
klärt, warum die Wirkung der Immunsera streng den angewende¬ 
ten Mengen proportional ist. 

Die Agglutinine gehen offenbar Irgend welche Verbindung 
mit den Bakterien, beziehungsweise mit deren Membranbestand- 
theilen ein." 

Ich habe, au« unseren damaligen Beobachtungen den Schluss 
gezogen, dass die Agglutination dadurch zu Stande komme, dass 
sich die Agglutinine mit gewissen Membranbestandtheilen der 
Bakterien verbinden und dadurch die Membranen klebrig machen; 
eine Erklärung, welche nach meiner Meinung allein mit allen 
Erscheinungen im Einklänge steht. 

Ich habe dann weiter, die Agglutinine mit den die Bakteri- 
eidie befördernden Antikörpern identifizirend, angenommen, dass 
die specifischen Antikörper dadurch die Wirkung der Alexine 
verstärken, dass sie durch ihre Verbindung mit gewissen Mem- 
branbcstandtheilen die Membran der Bakterien für das Alexin 
durchgängig machen. Diese Hypothese ist fast von allen Seiten 
bestritten worden. Es würde heute zu weit führen, die Ein¬ 
wendungen zu discutiren. Ich behalte mir vor, dies ein anderes 
Mal zu tlnin. Ich muss nachdrücklich darauf hinweisen, dass 
dieser Versuch die Bindung des Immunkörpers be¬ 
weist, ganz gleichgiltig, ob der Immunkörper mit dem Agglutinin 
identisch ist oder nicht. 


') Wien. kliu. Wochenschr. 1890, No. 12. 

5* 


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1926 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


Die typischen Sera gewannen ein gesteigertes Interesse, als 
man entdeckte, dass man im Stande sei, in völliger Analogie zu 
den bactericiden Scris specifisch globulicide, haemolytische Sera 
durch Einverleibung von Blutkörperchen herzustellen. Man be¬ 
kam so ein ausserordentlich bequemes Untersuchungsmaterial, da 
natürlich an den grossen Erythrocyten Dinge leicht zu sehen sind, 
die man bei den Bakterien nicht wahmehmen kann und Lösung 
des Blutfarbstoffs unendlich bequemer zu konstatiren ist, als Tod 
der Bakterien. Büchner hatte schon lange vorher gezeigt, 
dass die baktericiden Normalsera zugleich die Fähigkeit besitzen, 
fremde Blutkörperchen zu lösen; dass beide Fähigkeiten auf’s 
Engste miteinander Zusammenhängen, beim Stehen oder Erhitzt¬ 
werden des Serums zugleich verloren gehen und offenbar auf die 
Wirkung derselben Stoffe, der Alexine zu beziehen seien. Bel - 
f a n t i und Carbone zeigten jetzt, dass man diese haemo¬ 
ly tische Wirkung ungeheuer steigern und specifisch machen 
könne. Sie erhielten ein intensiv kaninchenblutkörperchen¬ 
lösendes Pferdeserum, indem sie Pferden Kaninchenblut in- 
jizirten. Bordet zeigte, dass, wie durch die baktericiden Sera 
die bakteriolytische Wirkung, so durch die specifisch globuliciden 
Sera die haemoly tische Wirkung von einem Thiere auf das andere 
übertragen werden könne; dass die specifisch haemolytische Wir¬ 
kung wie die baklericide durch Erhitzen u. s. w. beseitigt, aber 
durch Zusatz von frischem Normalserum sofort wieder hergestellt 
wird. Die Agglutination spielt bei der specifischen Haemolyse 
genau dieselbo Rolle wie bei der specifischen Bakteriolyse. Ehr¬ 
lich und Morgen r o t h bewiesen, dass ebenso wie die Ver¬ 
mittler der specifisch baktericiden Wirkung nach meinen und 
Durham’s Versuchen durch die Bakterien gebunden werden, 
ebenso die Vermittler der specifisch globuliciden Wirkung durch 
die Blutkörperchen. Ihre elegante Versuchsanordnung war die 
folgende: Sie hatten ermittelt, dass Haemolyse nur bei höherer 
Temperatur stattfindet. Sie kühlten also inaktivirtes, für Schaf- 
blutkörpercheu specifisehes Ziegenserum, normales Kaninchen¬ 
serum und Schafblutkörperchen, jedes für sich auf 0 0 ab, misch¬ 
ten sie zusammen und Hessen das Gemisch durch 2 Stunden in 
der Kälte stehen; dann wurde rasch centrifugirt und so Flüssig¬ 
keit und Körperchen getrennt. Es zeigte sich nun, dass die 
Körperchen den Antikörper absorbirt hatten, denn nach Zusatz 
von an sich unwirksamem normalen Kaninchenserum lösten sie 
sich sofort auf. Dagegen enthielt die Flüssigkeit den Antikörper 
nicht mehr, da sie neu eiugebrachte Schafblutkörperchen nicht 
mehr zu lösen vermochte; sie enthielt aber noch das nicht* 
specifische Alexin, denn die Lösung der neuen Schafblut¬ 
körperchen erfolgte sofort, nachdem eine neue Portion inaktiven 
specifischen Ziegenserums beigemischt worden war. 

Aus dem Gesagten ergibt sich die wichtige Thatsache einer 
ganz vollständigen Analogie zwischen Baktericidie und GlobuH- 
cidio der Sera. 

Ehrlich und Morgenrot h wiederholten denselben 
Versuch, den sie mit dem specifisch haemoly tischen Serum ge¬ 
macht hatten, mit Normalserum. Normales Ziegenserum löst 
Kaninchen- und Meerschweinblutkörperchen. Durch Abkühlung 
wurde wieder der Eintritt der Haemolyse nach Vermischung der 
Flüssigkeiten verhindert, dann centrifugirt und geprüft, ob die 
Blutkörperchen einen die Haemolyse vermittelnden Stoff auf¬ 
genommen, die Flüssigkeit einen solchen an sie verloren hatte 
oder nicht. Der Befund entsprach dem soeben berichteten. Die 
abcentrifugirten Körperchen lösten sich leicht in frischem 
Normalserum, während die abcentrifugirte Flüssigkeit neuen 
Blutkörperchen derselben Art gegenüber kein Lösungsvermögen 
mehr besass. Also auch im Falle des Normalserums waren 
2 Substanzen, eine hitzebeständige, bei niederer Temperatur 
durch die Blutkörperchen bindbare, und eine hitzeunbeständige, 
l>ei niederer Temperatur nicht bindbare und unwirksame an der 
haemoly tischen Wirkung betheiligt. 

Und nun begann Ehrlich wieder seinen Hypothesenbau. 
Er behauptete, dass s t e t s 2 Substanzen zur haemolytisehen wie 
zur bakteriolytischcn Wirkung zusammentreten müssten. Das 
sogen. Alexin für sich allein wirke niemals baktericid, sondern 
immer nur durch Vermittlung einer zweiten Substanz, welche 
einerseits das sogen. Alexin, andererseits das Bakterium oder 
Blutköri>erchen an sich fesselt, also zwei „haptophore“ Gruppen 
besitzt. Diese zweite Substanz wird von ihm daher 
„Zwischenkörpc r“, neuerdings „Ambooeptor“ ge¬ 


nannt, während er das Alexin zu „Addiment“ Bpäter „Com- 
plement“ umgetauft hat. Amboceptor und Complement ver¬ 
binden sich miteinander zum Lysin. Die Auflösung der frem¬ 
den Zellen kommt dadurch zu Stande, dass der Amboceptor die 
Zellen in die Wirkungsnähe des Alexins bringt, welches ein 
proteolytisches Enzym ist und als solches die Zellen verdaut und 
löst. Die Amboceptoren sollen wieder normaler Weise als Seiten¬ 
ketten am Zellprotoplaama sitzen und dem Stoffwechsel dienen, 
indem sie Nahrungsetoffe verankern und der Verdauung durch 
die Complemente zuführen. Wieder wie bei der Antitoxinbildung 
soll bei der Immunisirung die Anhäufung der Amboceptoren im 
Blute dadurch stattfinden, dass die betreffenden Seitenketten 
durch die eingeführten Bakterien oder Erythrocyten gebunden 
und ausser Funktion gesetzt und dadurch die Zellen zu ihrer 
Ueberproduktion angeregt werden. Da solche Ueberproduktion 
zeitweise auch im normalem Stoffwechsel vorkomme, so fänden 
sich im normalen Blute stets eine Menge der verschiedensten 
Seitenketten in freiem Zustande vor, eben die Amboceptoren, und 
ihrer Anwesenheit bezw. den von ihnen mit den Complementen 
gebildeten Lysinen verdanke das normale Blut seine mannig¬ 
faltige nicht-specifische baktericide und globulicide Wirkung. 
Auch die Complemente desselben Serums sollen verschieden¬ 
artig sein. 

Bei der Immunisirung sind es also wieder nicht neuartige 
Stoffe, die im Blute auftreten, sondern wie bei der Antitoxin¬ 
bildung handelt cs sich nur um einseitige übermässige Ver¬ 
mehrung eines bestimmten Ambooeptors. 

Auch dieses Hypothesengebüude ist vollkommen unhaltbar. 
Was zunächst den Versuch anbelangt, die lytischen Vorgänge mit 
dem normalen Stoffwechsel in Zusammenhang zu bringen, so 
muss betont werden, dass kein Schatten eines Beweises dafür vor¬ 
liegt, dass die Alexine proteolytische Enzyme sind. Von Enzymen 
sind sie zunächst schon dadurch unterschieden, das6 sie beim 
lytischen Procesße verbraucht werden und daher nur eine quanti¬ 
tativ eng begrenzte Wirkung ausüben. Die Veränderungen, die 
sie sowohl an den Bakterien als an den Erythrocyten hervor- 
rufen, haben keine äussere Aehnlichkeit mit Verdauuugs- 
vorgängen. Darin hat Baumgarten durchaus Recht, dass 
diese Veränderungen den Charakter von osmotischen, plasmo¬ 
lytischen Processen tragen, wenn er auch irriger Weise die Plas¬ 
molyse als eine Wirkung der Salze auf fasst. Speciell bei der 
Haemolyse geschieht sicherlich nichts anderes, als dass das an 
und für sich schon wasserlösliche Haemoglobin das Stroma der 
Erythrocyten verlässt, während es aus der normalen Stromahülle 
nicht herausdiffundiren kann. Das Stroma als solches bleibt er¬ 
halten und das gelöste Haemoglobin vöüig unverändert. Ich habe 
mich durch einen besonderen Versuch davon überzeugt, dass in 
einer Flüssigkeit, in welcher reichlich rothe Blutkörperchen der 
Serumwirkung zum Opfer gefallen sind, keine Verdauungspro¬ 
dukte nachweisbar sind. 

Indessen ist die Art und Weise der Alexinwirkung eine ver- 
hültnissmässig untergeordnete Sache. Die E h r 1 i c h’sche Theorie 
ließse sich wohl auch mit einer anderen Auffassung der Alexin¬ 
wirkung in Einklang bringen. Dagegen wird säe in’s Herz ge¬ 
troffen durch den Nachweis, dass der Hilfskörper (spe- 
cifischo Antikörper) gar nicht als „Zwischen- 
körper“ wirkt, gar keine Verwandtschaft zum Alexin besitzt, 
mit diesem gar keine Verbindung eingeht. 

Diesen Nachweis hat schon Bordet durch folgenden fein 
ersonnenen Versuch erbracht. Bordet mischte zwei specifisch 
wirkende Sera zusammen, z. B. Kaninchenblut lösendes Meer¬ 
schweinchenserum und Ilühnerblut lösendes Kan inchenserum. 
Eines dieser Sera wurde im aktiven, das andere im inaktiven Zu¬ 
stande verwendet. Nun wurden zu dem Gemische Blutkörperchen 
der einen empfindlichen Art zugesetzt, z. B. Kaninchenblutkörper¬ 
chen. Dieselben gingen alsbald in Lösung. Nach angemessener 
Zeit fügte man Hühnerblutkörperchen hinzu. Diese Hieben un¬ 
gelöst. Es war also das ganze Alexin bereits bei der Lösung der 
ersten Blutart aufgebraucht worden. Für diesen Erfolg war es 
ganz gleichgiltig, ob man das Meerschweinchenserum oder das 
Kaninchenserum in aktivem Zustande verwendet hatte. Ebenso 
wurde das Alexin vollständig für die Lösung der ersten Blutart 
aufgebraucht, wenn man zuerst Hühnerblutkörperchen und dann 
Kaninchenblutkörperchen zusetzte. Dieses Ergebnißs ist voll¬ 
kommen verständlich, wenn das Alexin neben den beiden Anti- 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISOHE WOCHENSCHRIFT. 


1927 


körpern in freiem Zustande im Gemische vorhanden ist, während 
man, wenn Ehrlich Recht hätte, erwarten müsste, dass die 
Bindung des Alexins an den einen oder an den anderen Hilfs¬ 
körper von Einfluss auf die Lösung der beiden Blutkörperehen¬ 
arten ist. 

Man kann aber in noch viel einfacherer und absolut sicherer 
Weise zeigen, dass Alexin und Hilfskörper keine Verbindung mit 
einander eingehen. Es bedarf hierzu nur einer kleinen Modi¬ 
fikation des früher beschriebenen Ehrlich -Morgenrot h- 
schen Versuches über die Bindung des Ililfskörpers. Ehrlich 
und Morgen rot h mischten das inaktive Immunserum und 
das frische Normalserum in abgekühltem Zustande zu¬ 
summen und konnten nun aas dem kalten Gemische den Hilfs¬ 
körper allein durch die Blutkörperchen absorbiren lassen, während 
das Alexin in Lösung blieb. In diesem Falle konnte die Ver¬ 
bindung des Alexins mit dem Hilfskörper zum Lysin durch die 
Kälte verhindert worden sein; dementsprechend trat ja auch in 
der Kälte keine Haemolyse ein. 

Wenn man aber inaktives Immunserum und aktives Normal¬ 
serum in der Wärme zusammenmischt, dann muss die Ver¬ 
bindung von Alexin und Hilfskörper eintreten, da ja ihre Ver¬ 
bindung zum Haemolysin nach Ehrlich Vorbedingung für die 
Ilaemolyse ist und diese thatsächlich eintritt, wenn man die be¬ 
treffenden Blutkörperchen zu dem Gemische der beiden Flüssig¬ 
keiten bei erhöhter Temperatur zufügt. Ist aber einmal 
diese Verbindung ein ge treten, dann muss sie 
auch bei Abkühlung der Flüssigkeit bestehen 
bleiben, den fl es gibt keine Dissociation durch 
Kalt e. 

Kühle ich also das Gemisch auf 0° ab und trage ich in das¬ 
selbe die empfindliche Erythroeytenart ein, so muss jetzt mit 
dem Amboce.ptor auch das Complement, d. h. also das fertige 
Lysin von den Blutkörperchen fixirt werden. 

Es in ii s s e n also die abcentrifugirten Körperchen nach 
dem Erwärmen sofort in Lösung gehen, wenn E h r 1 i c h's 
Theorie richtig ist. 

Ich nahm inaktives Ziegonserum, das specifiseh gegen 
ilainmelblut wirkte, mischte es in passendem Verhältnisse mit 
aktivem, normalem Kaninehenserum und hielt einen Theil des 
Gemisches durch 2 Stunden bei Zimmertemperatur, den anderen 
bei 37". Dann wurde abgekühlt und in die kalten Gemische ge¬ 
waschene liammelbhitkörperehen eingetragen. Nach mehrstün¬ 
digem Verweilen in der Kälte unter wiederholtem Umschütteln 
wurde in der Kälte centrifugirt und die abcentrifugirten Körper¬ 
chen wiederholt mit eiskalter physiologischer Kochsalzlösung 
gründlich gewaschen. Schliesslich wurden die Körperchen in 
etwas Kochsalzlösung suspendirt auf 37° erwärmt. Es trat 
a u c h n i e h t spur e n w eise Lösung des II a e m o - 
g 1 o 1) i n s ein, während in der abgekühlten Flüssigkeit das 
Alexin mit Dichtigkeit nachgewiesen werden konnte. Noch 
schlagender vielleicht ist dieser Versuch mit der Modifikation, 
«lass nicht zweierlei Sera, inaktives immun- und aktives Normal- 
scrum, sondern unmittelbar aktives specifisches Serum angewendet 
wird. In diesem muss unbedingt fertiges Lysin vorhanden sein, 
vorausgesetzt, dass t*s ein solches überhaupt gibt. Als ich aber 
aktives Antihammelblut - Ziegenserum abkühlte und Hammel¬ 
blutkörperchen eintrug, wurde wieder nur der specifische Anti¬ 
körper ohne die geringste Spur Alexin absorbirt. 

Dieser Versuch lehrt also mit Nothwendigkeit, dass es gar 
keineHaemolysine (und gewiss auch keine Bakteriolvsine) 
im Sinne von selbständigen einheitlichen chemi¬ 
schen Verbindungen gibt, dass der Antikörper und das 
Alexin gar nicht unmittelbar aufeinander rcagiren. Die spe- 
«• ifisc h haemoly tische beruht wie die speei- 
fische bakterioly tische Wirkung vielmehr 
darauf, dass die betreffenden Zellen zu¬ 
nächst den Antikörper auf nehmen und da¬ 
durch d e in A 1 e x i n zugänglich werden, das von 
ihnen irgendwie aufgenommen und gebunden wird und die Zer¬ 
setzung ihres Plasmas einleitet, wie dies von Metschnikoff 
und Bordet, sowie von mir und Durham gelehrt worden ist. 

Die ganze E h r 1 i c h’sche Nomenklatur muss, da sic auf 
falschen Annahmen beruht, aufgegeben werden. Bordet nennt 
den Antikörper „Substance senaibilisatritje“, Mötsch nikof £ 
„Fixateur“. Ich möchte vorschlagen, ihn vorläufig Präparator 
No. 48. 


zu nennen, da diese Bezeichnung am wenigsten über dieWirküngs- 
weiso der Substanz präjudizirt. 

(Schluss folgt) 


Wesen und GrundzUge«der deutschen Arbeiter¬ 
versicherung.*) 

Von Prof. Dr. Geffcken. 

M. II.! Wenn «39 Ihre Absicht ist, sich während der nächsten 
Versammlungen Ihres Vereins mit den Pflichten, Problemen und 
Schwierigkeiten zu beschäftigen, welche dem einzelnen Arzte und 
dem ärztlichen Berufsstande als solchem während der beiden letzt¬ 
vergangenen Jahrzehnte aus der sogenannten sozialpolitischen Ge¬ 
setzgebung des Deutschen Reiches erwachsen sind, so dürfte es 
wohl die erste und nächstliegende Aufgabe dieses einleitenden 
Vortrages sein, zu erörtern, was man eigentlich unter sozial¬ 
politischer Gesetzgebung zu verstehen hat. Besonders glüddich 
— das wird von vornherein zugegeben werden müssen — ist der 
Ausdruck nicht gewählt. Denn soziale Politik ist sinngemäss 
jede Staatskunst, welche sich mit der Lösung von Problemen 
befasst, die aus der gesellschaftlichen Gliederung des Volkes her¬ 
vorgehen, und jede legislatorische That, welche die gesellschaft¬ 
lichen Zustände innerhalb einer Rechtsgemeins<jhaft zu regeln 
unternimmt, verdient daher an sich den Namen eines sozialen 
oder sozialpolitischen Gesetzes. Nun sind aber die Faktoren der 
gesellschaftlichen Gliederung und Abstufung auch heutzutage 
noch der mannigfachsten Art. Freilich Stände im Rechtssinne 
gibt es innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft unseres Zeitalters 
nicht mehr: Adel, Bürger und Bauer leben wesentlich nach 
gleichem Recht und sind längst aus ihrer früheren kastenartigen 
Abgeschlossenheit herausgetreten. Dafür aber haben andere 
soziale Kategorien ihren ehemaligen Einfluss auf die Gliederung 
des Volkes theils erhalten, theils bedeutsam vermehrt: die Ab¬ 
hängigkeitsverhältnisse innerhalb der Familie, die traditionelle 
Werthung dos Adels, die kräftige Entwicklung der Berufsehre, die 
lieber- und Unterordnung innerhalb des Bcamtenthums, Bildung 
und Besitz — all’ das sind Momente, durch welche in mannig¬ 
facher gegenseitiger Verschlingung die gesellschaftliche Rolle des 
Einzelnen individuell bestimmt wörd. Und glaubt der Gesetz¬ 
geber in die «lamit gegebene soziale Schichtung des Volkes unter 
dem einen o«ler dem anderen der genannten Gesichtspunkte ein- 
greifen zu sollen, so entstehen nothwendiger Weise Rechtsnormen 
von sozialem oder sozialpolitischem Charakter. In diesem, rein 
logischen Sinne kann daher z. B. weder dem Familienrochte des 
neuen bürgerlichen Gesetzbuches, noch den Nonnen, welche die 
rechtliche Regelung des nationalen Bildungswesens bezwecken, 
noch den ehrengerichtlichen Institutionen der Offiziere, der Be¬ 
amten, der Rechtsanwälte und der Aerzte die sozialpolitische 
Natur abgesprochen werden. 

Aber der Sinn, welchen wir für gewöhnlich mit der sozial¬ 
politischen Gesetzgebung verbinden, ist doch ein wesentlich 
engerer. Denn so mannigfach auch die Elemente sein mögen, 
«lie dein einzelnen Menschen seinen Platz im Bau dt» sozialen 
Volkskörpers an weisen, so lässt sich doch nicht leugnen, dass es 
heutzutage vor Allem und in erster Linie die wirthschaftlichen 
Unterschiede, die Abstufungen und Gegensätze des materiellen 
Besitzes sind, von denen die gesellschaftliche Klassifiziruug des 
Individuums abhängt. Und da es, wie wir alle wissen, die 
•Signatur «l«»r sieh selbst überlassenen modernen Wirthschafts- 
entwicklung ist, den Gegensatz zwischen Arm und Reich zu ver¬ 
schärfen, grosse Vermögen in der Hand Weniger zu vereinigen 
und dafür breite Bevölkerungsmassen zu prolctarisiren, so wird 
als sozialpolitisch meist nur diejenige Gesetzgebung bezeichnet, 
welche es sich zur besonderen Aufgabe macht, den gesellschaft¬ 
lichen Gefahren dieser neuzeitlichen Wirtlischaftsentwieklung 
zu begegnen, ln den damit gegebenen engeren Rahmen der 
sozialp«)litisehen Gesetzgebung gehören alle jene legislatorischen 
.Maassnahmen, welche in irgend einer Weise die minder «xler gar 
nicht. Begüterten in ihrem Kumpf um*s Dasein zu unterstützen 
bezwecken. Hierher sind zu rechnen die Gesetze, welche auf 
dem Weg«» «1er Wie«Ierbelebung des Innungswesens den Hand¬ 
werkerstand vor «1er Aufsaugung durch das industrielle Gewerbe 
zu schützen suchen; hierher zählen ferner «lie gesetzlichen Be- 

*) Vortrag, g« halten im Kostocker Aerzteverein am 12. Oktober 
lt*bl. (Vergl. «lie di«*sb«»zilgl. Mttthotlung unter „Vers«»hledcncs" 
in dieser Nummer.) 

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: 






1928 


MUENCHENER MEDICTNTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


Schränkungen der Sonntags-, der Frauen- und der Kinderarbeit, 
das Verbot des sogen. Trucksystems und die Vorschriften, welche 
sich auf Fabrikhygiene und Unfallverhütung in gefährlichen Be¬ 
trieben beziehen, hierher gehören endlich und vor Allem auch die 
sogen. Arbeiterversicherungsgesetze, d. h. jene umfangreichen 
Gesetzeswerke, deren Zweck es ist, die wirtschaftlich Schwachen 
vor den ökonomischen Nachtheilen zu schützen, welche ihnen aus 
Krankheit, Unfällen, Invalidität und hohem Lebensalter er¬ 
wachsen. 

Nur mit diesen letzteren, den Arbeiterversicherungsgesetzen, 
werden sich meine weiteren Ausführungen näher zu beschäftigen 
haben. Denn die übrigen sozialpolitischen Gesetze im engeren 
Sinne sind mit wenigen Ausnahmen ohne unmittelbares Interesse 
für den Arzt als solchen, gewerbliche Unfallverhütung und Fa¬ 
brikhygiene aber beschäftigen immerhin nur eine verhältniss- 
mässig geringe Zahl medicinisch Sachverständiger. Die Arbeiter¬ 
versicherungsgesetze dagegen, und unter ihnen wieder am meisten 
das Krankenversicherungsgesetz, ziehen einen grossen Procent¬ 
satz aller prakticirenden und amtirenden Aerzte und damit zu¬ 
gleich den gesammten ärztlichen Berufsstand in den Kreis ihres 
Einflusses. 

Fragen wir uns zunächst, wie es zu den sozialen Zuständen 
gekommen ist, welche das Bedürfniss einer Arbeiterversicherung 
im Deutschen Reiche je länger, desto unabweisbarer erscheinen 
liessen, so wendet sich unser Blick rückwärts zu derjenigen 
Wirthsehafts- und Gesellschaftsordnung, wie sie, als ein Erbtheil 
des Mittelalters, noch dem 18. Jahrhundert eigentümlich war. 
Die Signatur derselben ist, um es mit einem Worte zu sagen, Un¬ 
freiheit, Gebundenheit. Der absolute Staat hat den Adel und die 
Städte unter seine politische Allgewalt gebeugt. Aber auf 
sozialem Gebiet ist er mit diesen ständischen Mächten ein Kom¬ 
promiss eingegangen: er hat den Rittergutsbesitzern ihr altes 
Herrschaftsrecht über die bäuerliche Bevölkerung belassen, er 
hat den städtischen Gilden und Zünften ihre Privilegien be¬ 
stätigt.. Das Verhältniss des Unternehmers zum Arbeiter ist 
daher in allen drei Produktionszweigen, in Landwirtschaft, 
Handel und Gewerbe, dasjenige eines mit obrigkeitlichen Befug¬ 
nissen ausgestatteten Herrn zum Unterthanen, das Arbeits- 
verhältniss beruht nicht auf einem privatrechtlichen Vertrag, 
baut sich nicht auf dem Prinzipe der Rechtsgleichheit und der 
individuellen Willensfreiheit auf, sondern unterwirft den Arbeiter 
einer öffentlichrechtlichen Gewalt, die der Herr kraft staatlicher 
Uebertragung über ihn ausübt. Diesem obrigkeitlichen Ilerr- 
sehaftsrechte des Unternehmers aber entspricht andererseits seine 
ebenfalls öffentlichrechtliche Pflicht, dem Arbeiter in allen Noth- 
fällen des Lebens beizustehen: der grundhörige Bauer kann 
sich auf die Unterstützung seines Herrn, des adeligen Guts¬ 
besitzers, verlassen, wenn er durch Krankheit, Viehsterben, Feuers¬ 
brünste oder anderes Missgeschick in Noth geräth, die städtischen 
Handlungsgehilfen werden in Krankheitsfällen durch die Gilde, 
die Handwerksgesellen aus der Zunftkasse unterstützt. 

Dies gebundene Wirtschaftssystem beginnt nun aber um die 
Wende des 18. und 19. Jahrhunderts einer vollständigen Um¬ 
wälzung unterzogen zu werden. Die Voraussetzungen seines Be¬ 
stehens waren eine verhältnissmässig wenig zahlreiche Bevölke¬ 
rung und die damit in unmittelbarem Zusammenhänge stehende 
Geringfügigkeit der Produktion und des Umsatzes gewesen. 
Mit dem nunmehr einsetzenden starken Anwachsen der Volks¬ 
ziffer muss der landwirtschaftliche Betrieb, um dem gesteigerten 
Konsumptionsbedürfniss zu entsprechen, einen intensiveren Cha¬ 
rakter annehmen, und aus demselben Grunde muss auch die ge¬ 
werbliche Gütergestaltung gesteigerte Leistungen anstreben. Die 
Notwendigkeit eines grösseren und schnelleren Güterumsatzes 
lässt den menschlichen Geist auf Mittel zur Fortbildung das Ver¬ 
kehrs- und Transportwesens sinnen. Es beginnt ein Zeitalter der 
Erfindungen, der Maschinen. Durch das Aufkommen der Ma¬ 
schinenarbeit aber wird allmählich das gesammte bisherige Wirt¬ 
schaftssystem von Grund aus umgewandelt. Die. Maschine 
arbeitet schneller und billiger als die menschliche Hand. Wer 
sich als Unternehmer die neu erfundenen Maschinen an- 
sehaffon konnte, war in der Lage, seinen bisherigen Handwerks¬ 
betrieb in einen Fabrik- oder Grossbetrieb umzuwandeln. Da 
nun aber ein solcher Betrieb innerhalb der altererbtcn Zunft- 
verfassung, die jedem Zunftgenossen genau vorschrieb, was und 
wie viel er produeiron dürfe, unmöglich war, so hat das Auf¬ 


kommen der Maschine dem Zunftwesen das Todesurteil ge¬ 
sprochen: die gebundene Konkurrenz des zunftmässigeu Be¬ 
triebes wich Schritt für Schritt vor der Gewerbefreiheit zurück. 
Mächtige Hilfe fand diese Bewegung in den politischen Ideen der 
Zeit. Das erstarkte Bürgerthum fordert mit wachsendem Un¬ 
gestüm die Beseitigung aller Privilegien und völlige Rechtsgleich¬ 
heit aller Untertanen, die bisherigen Zwischenbildungen öffent¬ 
licher Gewalt sollen verschwinden. 

Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind diese 
Ansprüche im Wesentlichen durchgesetzt worden. Damit ist die 
Bahn für eine neue, die moderne Wirthschaftsordnung frei ge¬ 
worden. Das Arbeitsverhältniss ist nunmehr seines früheren 
öffentlichrechtlichen Charakters entkleidet. Arbeitgeber und 
Arbeitnehmer stehen sich jetzt als durchaus gleichberechtigte 
Individuen gegenüber, die auf Grund eines beiderseits völlig 
freien Willensentschlusses mit einander einen rein privatrecht¬ 
liehen Vertrag abschliessen, kraft dessen der Arbeiter die Arbeit, 
der Unternehmer den Lohn verspricht. Jedo persönliche Ab¬ 
hängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber scheint beseitigt 
zu sein. Dafür ist freilich auch jede Pflicht des letzteren ent¬ 
fallen, sich um den Arbeiter zu bekümmern, falls derselbe krank, 
alt, invalide oder von einem sonstigen seine materielle Existenz 
beeinflussenden Unfall betroffen wird. 

Schlimm nur, dass diese rechtliche Neuordnung das eigen¬ 
artige Wesen des Arbeitsverhältnissee völlig verkannte. Indem 
man den Arbeitsvertrag wie jeden anderen rein privatrechtlichen 
Vertrag behandelte, setzte man die Arbeitsleistung einer ge¬ 
wöhnlichen Waare gleich, ohne zu bedenken, dass sie eine Waare 
von ganz besonderer Art und von allen übrigen Waaren durch 
ein nur ihr wesentliches Merkmal geschieden ist. Denn während 
jede andere Waare unabhängig von ihrem jeweiligen Eigentümer 
existirt, ist die Waare, welche der Arbeiter zu verkaufen hat. 
seine Arbeitsleistung, unauflöslich an seine Person gebunden, sie 
ruht zunächst nur als Potenz, als Fähigkeit in ihm und sie löst 
sich erst von ihm, wenn er sie vollendet hat. Der Arbeiter ist 
daher gezwungen, seiner Waare persönlich an den Ort zu folgen, 
wo sie veräussert werden soll, und dort zu bleiben, bis das Ver- 
äusserungsgeschäft von ihm in allen seinen Theilen erfüllt ist, 
mit anderen Worten: er muss sich persönlich an den Ort der 
Arbeitsleistung verfügen und unter den dort obwaltenden loka’en 
Verhältnissen ausharren, bis er seinerseits den Arbeitsvertrag er¬ 
füllt hat. 

Es leuchtet ein, dass zu Folge dieser Eigenart des Arbeits¬ 
vertrages die rechtliche Unabhängigkeit des Arbeitnehmers vom 
Arbeitgeber, wie sie die moderne Wirthschaftsordnung pro- 
klamirt hatte, eine thatsächliche Unmöglichkeit war und daher 
illusorisch bleiben musste. In Wirklichkeit besteht vielmehr das 
alte Ilerrsehaftsverhältniss fort, nur ist es weit drückender ge¬ 
worden als früher, w T eil der Staat, der es einst anerkannt und 
seiner Oberaufsicht unterstellt hatte, es nunmehr als nicht vor¬ 
handen betrachtet, und weil das bisherige Aequivalent der Ab¬ 
hängigkeit, der Anspruch des Arbeiters auf Unterstützung durch 
den Arbeitgeber in Fällen der Noth, fortgefallen ist. Dazu 
kommt, dass je länger desto deutlicher die kapitalistische Ten¬ 
denz des neuen Wirtschaftssystems hervortritt. Ueberall. wo 
ein Produktionszweig sich dem maschinellen Betriebe öffnet, 
weicht der handwerksmässige Betrieb zurück, um endlich ganz 
zu verschwinden. Dadurch wird der kleine Handwerker sammt 
seiner Familie proletarisirt und gezwungen, im Heere der Fabrik¬ 
arbeiter Dienste zu nehmen. Dies Heer schwillt zu immer 
grösseren Dimensionen an, das Arbeitsangebot übersteigt regel¬ 
mässig die Nachfrage, dadurch ist dem Unternehmer die Mög¬ 
lichkeit gegeben, die Löhne zu drücken, in Zeiten sinkender 
wirtschaftlicher Konjunktur werden die überflüssigen Arbeits¬ 
kräfte ohne Weiteres entlassen und sind, da sie selten Ersparnisse 
gemacht, der öffentlichen Armenpflege preisgegeben, ln der 
Fabrik selbst ist der Arbeiter, ausser den allgemein menschlichen 
Wechselfällen, häufig noch besonderen, durch den Betrieb ver- 
anlassten Gefahren ausgesetzt, ohne dass der Herr doch für den 
seinen Arbeiter auf diese Weise etwa treffenden ökonomischen 
Schaden aufzukommen hätte. 

Auf dem flachen Lande hat sich dieselbe Entwicklung, wenn 
, auch langsamer, und nicht in ganz so schroffer Weise vollzogen. 
Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit beraubt den Ritterguts¬ 
besitzer seiner bisherigen herrschaftlichem Stellung über die 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1929 


Bauern, und ihrer bis dahin geschuldeten persönlichen Dienst¬ 
leistungen. Er muss sich nach anderen Arbeitskräften Umsehen 
und gewinnt, ebenfalls durch rein privatrechtlichen Vertrag, 
Tagelöhner, die oline Grundeigenthum lediglich auf den Erlös 
ihrer Handarbeit angewiesen sind. Seitdem die Maschine auch 
im landwirthschaftliehen Betriebe erobernd vordringt, erwächst 
diesem ländlichen Proletariat ebenfalls eine gesteigerte Unfall¬ 
gefahr. 

Diesen jo länger desto unleidlicher werdenden Zuständen 
gegenüber ist der Staat sich allmählich seiner Pflicht zum ge¬ 
setzlichen Eingreifen bewusst geworden. Ansätze hierfür finden 
sich bereits vor der politischen Einigung Deutschlands in der 
partikularen Gesetzgebung, namentlich Preussens, die ein¬ 
schlägige Bundes- und Reiclisgesetzgebung von 1867—1881 ist 
sogar vielfach nur Umwandlung preussisehen in deutsches Recht. 
Von den sozialen Reformen, welche auf diese Weise angestrebt 
wurden, kommen für uns hier als vorbereitende Schritte auf dem 
Wege der Arbeiterversicherung die Gesetze über die Beschlag¬ 
nahme des Arbeits- und Dienstlohnes vom 21. Juni 1869, über 
die Haftpflicht vom 7. Juni 1871 und über die eingeschriebenen 
Hilfskassen vom 7. April 1876 in Betracht. Das erstgenannte 
dieser Gesetze suchte durch entsprechende Bestimmungen zu 
verhüten, dass der Lohn des verschuldeten Arbeiters von seinem 
Gläubiger beschlagnahmt werde und ersterer somit zeitweilig der 
öffentlichen Armenpflege anheimfalle. Das Ilaftpflichtgesetz war 
der erste Versuch, den Arbeiter gegen die materiellen Nachtheile 
zu schützen, welche ihm aus den besonderen Gefahren des neu¬ 
zeitlichen Transportwesens und Fabrikbetriebes erwachsen. Zu 
diesem Zwecke muchte es den Unternehmer für alle Unfälle haft¬ 
bar, die durch seine oder seiner Vertreter Verschulden einen im 
Betriebe beschäftigten Arbeiter treffen. Leider waren aber damit 
die zahlreichen Fälle nicht mit betroffen, wo der Unfall überhaupt 
nicht auf ein Verschulden zurückzuführen war, und auch in 
anderen Fällen hielt es häufig schwer, den Nachweis des Ver¬ 
schuldens zu führen. Fast immer aber musste das Recht des 
Arbeiters erst in einem Processe erstritten werden, während 
dessen Dauer er ohne die gerade dann besonders dringende Hilfe 
(Instand. Etwas wirkungsvoller erwies sich das Haftpflichtgesetz 
allein auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens, weil hier die be¬ 
sondere Bestimmung galt, dass der Unternehmer für jeden Un¬ 
fall schadensersatzpflichtig sei, sofern er nicht nachweise, dass 
der Unfall durch höhere Gewalt oder eigenes Verschulden des 
Verletzten herbeigeführt sei. 

Gewährte aber so das Haftpflichtgesetz im Allgemeinen dem 
Arbeiter bei Unfällen nur eine sehr prekäre Hilfe, weil es noch 
ganz in den Schranken des Privatrechts blieb und demgemäss an 
dem unbedingten Zusammenhang zwischen Schadensorsatzpflicht 
und \ erschuldung festhielt, so wurde 5 Jahre später auf dem Ge¬ 
biete, der Krankenfürsorge der erste Schritt gethan, um die 
soziale Gesetzgebung von öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten 
aus zu gestalten. Das ist die hauptsächlichste Bedeutung des 
schon erwähnten Gesetzes vom 7. April 1876, durch welches das 
gewerbliche Hilfskassenwesen neu geregelt wurde. Denn diese 
Jlilfskassen, welche dio gegenseitige Unterstützung ihrer Mit¬ 
glieder in Krankheitsfällen bezweckten und welchen, falls sie 
gewissen gesetzlich festgestellten Bedingungen genügten, von 
der höheren Verwaltungsbehörde die Rechte eingeschriebener 
Ililfskassen verliehen werden konnten, durften laut einer gleich¬ 
zeitig erlassenen Novelle zur Reichsgewerbeordnung im Bedürf- 
nissfalle von den Gemeinden und grösseren Kommunalverbänden 
für obligatorisch erklärt werden, d. h. es konnte durch Ortsstatut 
der Beitritt zu einer solchen Kasse für die unselbständigen Ar¬ 
beiter -zu einer Zwangs Vorschrift erhoben werden. Gleichzeitig 
wurde bestimmt, dass in solchem Falle die Gemeinde befugt sein 
solle, den Arbeitgebern gewisse Leistungen aufzuerlegen, nament¬ 
lich sie zu Zuschüssen bis auf die Hälfte der Höhe der Arbeiter¬ 
beiträge zu verpflichten. Im Jahre 1881 sind dann für den Be¬ 
reich des Innungswesens analoge Bestimmungen getroffen worden, 
indem auch hier die Möglichkeit der Bildung von IJntorstützungs- 
knssen mit Beitrittszwang für Innungsmitglieder und gewerb¬ 
liches Hilfspersonal gegeben wurde. 

Was sich aber in diesen letztbesprochenen Gesetzen immer¬ 
hin nur zaghaft und vorklausulirt an’s Tageslicht gewagt hatte, 
das ist sodann seit 1883 in umfassendster und konsequentester 
Weise in’s Werk gesetzt worden. Die berühmte kaiserliche Bot¬ 


schaft vom 17. November 1881 zeichnet bereits die Grundgedanken 
dieser Gesetzgebung vor, indem sie die Schaffung einer Kranken-, 
Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung als Ziel hinstellt. 
Der äussere Gang dieses gewaltigen legislatorischen Werkes hat 
sich dann in der Weise vollzogen, dass zunächst die Kranken¬ 
versicherung (durch Gesetz vom 15. Juni 1883) geregelt wurde. 
Hierauf nahm man die Unfallversicherung in Angriff und brachte 
sie zugleich mit Erweiterungsgesetzen zur Krankenversicherung 
in den Jahren 1884—87 zum Abschluss, endlich folgte die 
Invaliditäts- und Altersversicherung, welche die arbeitenden 
Klassen im weitesten Sinne umfasst und durch das Gesetz vom 
22. Juni 1889 verwirklicht wurde. Die neunziger Jahre des ver¬ 
gangenen Jahrhunderts sind dann der Revision aller drei Ge¬ 
setze gewidmet gewesen: die Krankenversicherung hat eine solche 
im Jahre 1892 erlebt und sieht neuerdings weiterer Abänderung 
entgegen, welche den Reichstag vielleicht schon in seiner nächsten 
Tagung beschäftigen wird, die Alters- und Invaliditätsversiche¬ 
rung beruht heutzutage auf dem Invalidenversicherungsgesetz 
vom 13. Juli 1899, und die geltende Form der Unfallversiche¬ 
rungsgesetze datirt vom 30. Juni 1900. 

Zwei grosse Gedanken sind es, von denen diese umfassende, 
und wir werden hinzufügen müssen, kühne Gesetzgebung ge¬ 
tragen wird. Einmal hat man eingesehen, dass es ein Irrthum 
war, wenn dio moderne Wirtschaftsordnung in ihren Anfängen 
die persönliche Arbeitsleistung des Arbeiters einer gewöhnlichen 
Waare gleichsetzte. Man ist sich bewusst geworden, dass ein 
Arbeiter, indem er sieh an den Ort der Arbeitsleistung begibt 
und dort unter den obwaltenden lokalen Verhältnissen arbeitet, 
ausser seiner Arbeit noch etwas anderes leistet: dass er sich 
eines Theils seiner persönlichen Freiheit entäussert, dass er 
unter Verhältnissen ausharren muss, die unter Umständen seiner 
körperlichen Integrität schädlich werden und dass er, selbst wenn 
dies letztere nicht der Fall sein sollte, doeh jedenfalls fort¬ 
dauernd in kleinen Quoten das einzige Kapital, welches er sein 
eigen nennt., zusetzt, nämlich seine Arbeitskraft. Dies Plus aber, 
dies Mehr an Leistungen, welches der Arbeiter nothwendiger 
Weise dem Unternehmer ausser der Arbeit selbst prästirt, muss 
ihm vergütet werden, er hat einen rechtlichen Anspruch an den 
Unternehmer über den Lohn hinaus, der das Aequivalent allein 
für den Arbeitserfolg darstellt. 

Die Vergütung aber, welche somit der Unternehmer dem 
Arbeiter für die Opfer schuldig ist, die Letzterer ihm an per¬ 
sönlicher Freiheit, an Sicherheit vor Unfällen und an Schonung 
der Körperkräfte bringt, diese Vergütung kann niemals gerechter 
Weise — und das ist der zweite grosse Gedanke unserer Ileichs- 
versieherungsgesetze -— auf dem Boden des Privatrechts, im 
Wege des privaten Vertrages realisirt werden. Der privaten 
Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überlassen, 
würde die Verwirklichung des arbeiterlichen Rechtsanspruclies 
völlig illusorisch bleiben. Umgekehrt eignet er sich kraft seiner 
allgemeinen Natur ausgezeichnet zur Verwirklichung auf dem 
Gebiete des öffentlichen Rechts: denn da er ein Aequivalent sein 
soll für das im Widerspruch zum individuellen Freiheitsrecht 
bestehende thatsächlichc Herrschaf tsverhältni.ss des Unter¬ 
nehmers über den Arbeiter, so entspricht es nur seinem Wesen, 
wenn er durch einen Zwang realisirt wird, den der Staat kraft 
seines Herrschaftsrechtes auf den Arbeitgeber ausübt 

Es bedeutet keine Verkümmerung dieser grossen Leitideen 
unserer in Frage stehenden sozialpolitischen Gesetze, dass sie 
insgesammt ihre arbeiterfreundlichen Zwecke in der dem Privat¬ 
recht entnommenen Form der Versicherung verfolgen und eben¬ 
sowenig spricht es gegen ihre soeben entwickelten Grund¬ 
gedanken, dass wenigstens das Kranken- und das Invaliditäts- 
versicherungsgesetz aueh die Arbeiter mit Lohnabzügen zur 
Schaffung der Fonds heranzieheu, durch welche die staatliche 
Fürsorge im einzelnen Bediirfnissfulle ermöglicht werden soll. 
Was zunächst diesen letzteren Punkt anbetrifft, so hat der Gesetz¬ 
geber eben bedacht, dass Krankheit, Invalidität und Alter 
I/obcnserschcinungcn sind, welche den Mcnseheu auch unabhängig 
von seinem Berufe treffen und demgemäss insofern zu seinem 
individuellen Schicksal gehören, dessen Folgen er wolil oder übel 
tragen muss. Bei der Unfallversicherung dagegen trifft diese Er¬ 
wägung nicht zu, der Betriebsunfall würde dem Arbeiter sicher¬ 
lich niemals zustossen, wenn er nicht eben in dem betreffenden 
gefahrbringenden Betriebe beschäftigt wäre, und das Unfall- 


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1930 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48. 


Versicherungsgesetz hat daher durchaus folgerichtig die Unter¬ 
nehmer allein für verpflichtet erklärt, die finanziellen Mittel der 
Versicherung aufzubringen. Umgekehrt ist eine bis zu hohem 
Lebensalter oder bis zu sonst eingetretener Invalidität fort¬ 
gesetzte Arbeit von der Gesetzgebung als so wichtig und nutz¬ 
bringend für das soziale Leben des Staates und den Volkswohl¬ 
stand anerkannt worden, dass das Reich sich für jede Alters¬ 
und Invaliditätsrente zu einem jährlichen Zuschuss von 50 M. 
verpflichtet hat. 

Die Form, in welcher die öffentlichrechtliche Fürsorge des 
Reiches für den Arbeiterstand auftritt, ist, wie schon betont, die¬ 
jenige der Versicherung. Der Grund, warum man gerade diese 
Form wählte, liegt in Zweckmässigkeitsenvägungen, denn, wirth- 
sehaftlich betrachtet, ist die Versicherung derjenige Weg der 
Sorge für die ungewisse Zukunft des Menschen, welcher dem ein¬ 
zelnen Fürsorgeberechtigten die verhältnissmässig geringsten 
Gegenleistungen auferlegt, während er andererseits auch die Für¬ 
sorgeverpflichteten vor einer ihre Kräfte übersteigenden In¬ 
anspruchnahme verhältnissmässig am besten schützt. 

(Schluss folgt) 


Aerztliche Standesangelegenheiten 

Aerzte, Behörden und Gesetzgebung 

In der glänzenden Begrttssuugsrede, mit welcher der Vor¬ 
sitzende des Aerztevereinsbundes den Hildesheimer Aerztetag er- 
öffnete, und in welcher er denjenigen Kollegen, die im letzten Jahre 
für die eigene Existenz sowohl, wie für die Ehre des ganzen Aerzte- 
Standes schwere Kämpfe gegen Krankenkassenverwaltungen zu 
führen hatten, hohe Anerkennung zollte, warf er die Frage auf, 
ob nicht durch die Gesetzgebung die Errichtung von 
Einigungsiimtern zu fordern sei. Es musste diese Forderung ge¬ 
rade an dieser Stelle der Rede um so mehr befremden, als im 
Satze vorher Herr Löbker vor der ganzen Welt konstatirte, 
dass nach den bisherigen Erfahrungen die berufenen Verwaltungs¬ 
organe bei der Schlichtung von Differenzen zwischen Aerzten und 
Kassen Vorständen keineswegs eine Stellung eingenommen haben. 
«eiche für einwandsfrei erklärt werden könne, ln der letzten 
Sitzung des ärztlichen Kreisvereins iin Regierungsbezirk Leipzig, 
einer vorberathenden Instanz für das Lundesmedicinalcollegium. 
standen 3 Anträge zur Berathuug, welche sich ebenfalls — in Hin¬ 
sicht auf die Kassenstreitigkeiten der letzten Jahre — mit dieser 
Materie beschäftigten. Diese Anträge forderten bei der bevor¬ 
stehenden Revision des Krankenversicherungsgesetzes im Wesent¬ 
lichen eine straffere Aufsicht der Behörden über die Kranken¬ 
kassen und eine Erweiterung dieses, bereits durch die §$ 44 und 
45 des KVG gegebenen Rechtes, und vor allen Dingen zur Ver¬ 
hütung unliebsamer, folgenschwerer Zerwürfnisse und Streitig¬ 
keiten zwischen Aerzten und Kassen die Regelung der V e r - 
trags Verhältnisse durch die königlichen Re¬ 
gierungsbehörden. Angesichts der Erfahrungen, welche 
wir in Leipzig mit der k. Kreishauptmannschaft bei der Beilegung 
des Leipziger Aerztestreiks gemacht hatten, konnte sich allerdings 
gerade dieser Kreisverein von der Erweiterung der Befugnisse 
der Aufsichtsbehörden keinen Vortheil für die Kassenärzte ver¬ 
sprechen. Er lehnte desshalb die Anträge ab. Trotzdem aber 
wurde beschlossen, „zwecks Regelung der Verhältnisse zwischen 
Aerzten und Krankenkassen in Bezug auf die Anstellung, Kündi¬ 
gung und Uebenvachung der Kassenärzte die gesetzliche 
Einführung von Kontrolkommissiouen und Schiedsgerichten bei 
der Revision des KVG zu fordern“. 

Bekanntlich traten mit dem Inkrafttreten des Kranken- 
knsseugesetzes sofort die Schäden zu Tage, welche entgegen all- 
seitigem Erwarten dem Aerztestande daraus erwuchsen, und die 
Aerzte und ihre Standesvertretung sind seitdem nicht müde ge¬ 
worden, Besserung durch die Gesetzgebung anzustreben. Zwar 
erwartete mau noch nach dem Eisenacher Aerztetag von 18S4 er- 
sprlessliehe Verhältnisse durch die Thiitigkeit derVereine und deren 
Veberwaehung der abzuschliessenden Verträge; nach 4 jähriger 
eifriger Kommissionsarbeit begann man aber, mit Forderungen 
an den Gesetzgeber herauzugehen. So verlangte der Aerztetag 
1887 und 1888. dass im Gesetz ausgesprochen werde, unter ärzt¬ 
licher Behandlung (§ 0) sei nur die eines npprobirten Arztes zu 
verstellen; 1890, dass die Kurpfuscher von der Behandlung der 
Kasseukrauken ausdrücklich auszuscldiessen seien, und eine offi- 
ciclle Vertretung der Aerzte in den Kasseuverwaltungeu. Die¬ 
selben Forderungen wiederholte man 1801 in Weimar. Die Ge¬ 
setzgebung aber blieb taub, so dass Graf 1802 in Leipzig ver¬ 
anlasst war, lebhaft darüber zu klagen, „dass die wichtigsten, 
unseren Stand berührenden Fragen ohne jede Mitwirkung der 
Aerzte erledigt werden“. Nachdem man sich 1805 zu Eisenach im 
I’rincip für das System der freien Aerztewahl ausgesprochen hatte, 
und 1800 dagegen protestiren musste, dass der preusslsclie Haudels- 
minister den Krankenkassen zu verbieten beliebte, Verträge mit 
ärztlichen Organisationen zu schliessen, verlangte man 1807 nach¬ 
drücklich die Herausnahme der Heilkunde aus der Gewerbeord¬ 
nung. Den Schlussstein bildete die 1809 in Dresden in einer im¬ 
posanten Kundgebung auf gestellte Forderung der gesetz¬ 
lichen Einführung der freien Arztwahl. Und von allen 


diesen Wünschen und Forderungen, w eich e d e r 
Aerztetag seit Beginn der Arbeiterschutz¬ 
gesetzgebung zum Krankeuversicherungsgesetz 
gestellt hat, ist auch nicht das kleinste Th e li¬ 
eh e n erfüllt w o r d e n; und nicht nur das. wiederholt sind 
höhnische Worte und Spott im Reichstag dar(il>er verlnutbnrt. Und 
so ging es nicht nur mit den wirtlischaftlichen Dingen, auch auf 
anderen Gebieten war kein geneigtes Ohr zu linden. Man denke 
nur an das Frauenstudium und die Zulassung der Realschul¬ 
abiturienten zum medicinischen Fach. Bei der Aufstellung dieser 
Forderungen hatte allerdings dem Aerztetag eine glückliche Stunde 
mit nlchten geschlagen; er hatte den Flügelschlag der Zeit zu 
wenig verspürt, und kämpfte wie der brave Ritter von La Maucha 
den aussichtsvollen Kampf gegen Windmühlen. Herr Löbker 
hat in Hildeshelm mit Freuden feststellen können, dass in Bezug 
auf die Bedenken, welche die Aerzte wegen der Zulassung der 
Realschüler alleiifuud nur zur Medicin und nicht auch zur Juris 
prudenz hegen, bei der maassgebenden Stelle volles Verständnis« 
und Entgegenkommen zu finden war. Aber auf die Uebersetzuug 
dieses Verständnisses in das Thatsächliche warten wir heute ver¬ 
gebens. Dagegen sind die Ausfiihruugsbestimmuugen des Buudi-s- 
rathsbeschlusses, betreffend das Medieiustudium der Realschüler 
bei allen Fakultäten der deutschen Hochschulen sehr prompt ein¬ 
gegangen. 

Durch die gesammte Tagespresse ging vor Kurzem eine Notiz, 
dass der neugewählte Geschäftsführer des Aerztevereinsbundes 
seine Hauptaufgabe darin zu sehen habe, mit den manssgebenden 
Stellen in der Verwaltung und den gesetzgebenden Körperschaften 
in Fühlung zu treten. Nach den gemachten und oben geschil¬ 
derten Erfahrungen wahrlich eine wenig beneidenswerthe Auf¬ 
gabe! Und wenn das wirklich die Richtung ist. nach welcher sich 
die Wirksamkeit des stets mobilen Generalstabes zu bewegen hat. 
dann werden die Aerzte die Hoffnungen, welche sie an die Errich¬ 
tung des Syndikates knüpfen, wieder ein gutes Stück herabstlinmen 
müssen. 

Das fortwährende Verlangen nach Staatshilfe und das unauf¬ 
hörliche Anrufen des Gesetzgebers hat nun nicht allein nichts ge¬ 
nützt. cs ist. ganz zweifellos, dass daraus dem Stande grosser 
Schaden erwachsen ist. Weil eben Aerzteverelusbund und Aerzte¬ 
tag eine Besserung der Zustände als allein durch die Gesetzgebung 
möglich hinstellte, ist allen unseren Forderungen die agitatorische 
Kraft bei den Kollegen genommen; in dumpfer Ergebenheit er¬ 
warten die deutschen Aerzte Alles und Alles vom Staat und nur 
vom Staat. Das ist das Schlimme und Verhäugnissvolle, was di? 
angeführten Beschlüsse der Aerztetage verschuldet haben. Unser 
Vorgehen in allen Standesangelegenheiten zeigt eine lähmungs- 
artige Schwäche, und nicht in letzter Linie ist der Indiffereutismus 
und die Indolenz unter den deutschen Aerzten so gross geworden 
in Folge der geringen Initiative, welche die Aerztetage in wir h 
schaftliclien Dingen gezeigt haben. Warum hat der Hildesheimer 
Aerztetag die Gelegenheit, welche die Aussprache über den Leip¬ 
ziger wirtlischaftlichen Verband darbot, nicht dazu benutzt, in 
einem flammenden Protest gegen die Vergewaltigung des Standes 
die Aerzte zum äussersten Widerstande gegen eine unseren be¬ 
rechtigten Interessen zuwiderlaufende und feindliche Gesetzgebung 
aufzufordernV! So endete die grosse Sache — parturiuut montes -- 
in einem öden Kompeteuzstreit, auf den näher einzugehen sich 
die Vertreter des Verbandes um so weniger veranlasst fühlen 
mochten, als bereits durch die Annahme des Antrages S e n d 1 e r 
betr. die Auskunftsstelle für überseeische Vakanzen und Schiffs¬ 
arztstellen das Prinzip der Einheitlichkeit des zu gründenden Syn¬ 
dikats durchbrochen war, mehr aber noch, weil die Anforde¬ 
rungen an den Verband nach Annahme des Antrages Becher, 
welcher den Vereinsgruppen und Vereinen die Bekämpfung der 
Kurpfuscherei dringend iiu's Herz legt. Anspruch auf Folgerichtig¬ 
keit kaum mehr erheben konnten. Ich kann es mir nicht versagen, 
an dieser Stelle noch eines Kuriosums Erwähnung zu thun. Ge¬ 
rade in diesem Augenblicke, wo ich diese Zeilen schreibe, bringt 
mir in meiner Eigenschaft als Vorsitzenden des Leipziger Ver¬ 
bandes der Briefträger einen Sonderalnlruck aus dem ärztlichen 
Vereinsblatt: Mittheilung über Verurtheilung von Kurpfuschern 
Der Briefumschlag trägt den Vordruck: Geschäftsausselmss 
des Deutschen Aerztevereinsbundes, und darin finde ich die Auf¬ 
forderung, dafür besorgt zu sein, dass die betreffenden Mit- 
theiluugeu in die Lokalpresse gelangen. Und in Illldesheim 
nöthigte man uns. runkt F unseres Programms, „Unterstützung 
der berechtigten Bestrebungen der Aerzte zur Bekämpfung der 
Kurpfuscherei“, aufzugeben. Difficile est, satiram non scribere. 

Welcher Grad von Verstämlniss für die Angelegenheiten der 
Aerzte manchmal maassgebenden Personen und Abgeordneten 
innewohnt, beleuchten neuerdings wieder recht grell die jüngsten 
Beschlüsse des vorberathenden Ausschusses der bayerischen Ab¬ 
geordnetenkammer in Sachen der ärztlichen Standes- und Ehren¬ 
gericht sordnung. Dass eine in die Standesordnung aufgeuommene 
Bestimmung „Streiks mit Hilfeverweigerung widersprechen der 
Würde des ärztlichen Standes“ einen unerhörten Angriff auf die 
Koalitionsfreiheit, die durcli die Gewerbeordnung gewährleistet 
ist. bedeuten, scheint den Herren v. Landmann, G ä c h und 
v. Haller nicht recht klar zu sein. 

Die gesetzliche Einführung von Einigungsämtern, Kon- 
tiolkommissioneu und Schiedsgerichten würde zur unerlässlichen 
Vorbedingung haben einen weitgehenden Einfluss der Behörden 
auf die Zusammensetzung solcher Körperschaften wie Innerhalb 
dieser selbst. Das liegt in der Natur der Sache. Als die Leipziger 
Bezirksvereine in die fatale Lage kamen, die Vermittelung der 
Regierungsorgane in Anspruch zu nehmen, da dekretirte die Kreis- 
hauptmannschaft über die Köpfe der Bezirksvereine hinweg. 


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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


welche Persönlichkeiten das Einigungsamt bilden sollten. Hei 
den sehr häufig sich wiederholenden Ilonorarstreitigkeiten zwischen 
sächsischen Kassen und Aerzten im Laufe der letzten .Jahre haben 
verschiedene Kreisliauptmannschaften einfach entschieden: so und 
soviel ist standeswürdig und damit habt Ihr Kassenärzte euch zu¬ 
frieden zu geben. 

Die schlechte Stellung der Aerzte zu den Kassen beruht in 
erster Linie auf dem miserablen wirtschaftlichen Abhängigkeit»- 
Verhältnis», erst auf dieser Basis leiden sekundär di»* ethischen 
Interessen unseres Standes. Ist das richtig, so müssen wir zu¬ 
nächst die Besserung unserer wirtschaftlichen Lage in's Auge 
fassen, und da muss man sich beim Verlangen nach Hilfe durch 
Gesetzgebung und Behörden die Frage \orlegen, ob nach 
Lage der Gesetzgebung auf diesem W «* g e ii b e r - 
liaupt etwas erwartet worden kann. Diese Frage 
muss entschieden verneint werden. Die da Ziffer <> des KVG. 
welcher von den bestimmten Aerzten handelt und 4<» Ziffer 2, 
welcher ermöglicht, dass die Orts- und Gemeindekrankenkassen 
innerhalb eines Bezirks sich behufs Abseliliessung gemeinsamer 
Verträge mit Aerzten u. s. w. zu Verbänden vereinigen, hat der 
Gesetzgeber doch wohl nicht ohne ganz bestimmte Absicht so 
gestaltet?! Eben dadurch wollte er ja den Kassen die Gelegenheit 
geben, sich „billige“ Aerzte zu verschaffen. In diesen Tagen 
ging folgende Nachricht durch die Zeitungen: „Eine beachtens- 
wertlie Bewegung ist unter den Krankenkassen der Provinz 
Sachsen eingeleitet. Vor einiger Zeit regte die Allgemeine Orts¬ 
krankenkasse zu Stendal ein»* Vereinigung siinuntlichcr altmärki¬ 
scher Krankenkassen an. Diesem Vorgehen haben sieh nun die 
anderen Bezirke der Provinz Sachsen angeschlossen und es wird 
nun ein Bund aller Krankenkassen der Provinz Sachsen in's Leben 
gerufen werden. Der Bund verfolgt ln der Hauptsache folgende 
Ziele: vorthellhafte Abschlüsse mit Gen»*sungsstiitten, Heil¬ 
anstalten, Apotheken etc.“. Wer unter dem „etc." zu ver¬ 
stehen ist, wird mau unschwer errathen. Die beiden ungezogenen 
Paragraphen des KVG bilden denn auch in der That die Grund¬ 
lage für das Finanzgebahren aller Krankenkassen ohne Ausnahme; 
es ist desshalb nicht zu begreifen, woher die Aerzte den Opti¬ 
mismus hernehmen, um auf eine Aendorung derselben zu hoffen. 

Ist also die Hilfe des Staates weder so sehr begehrenswerth. 
noch überhaupt leicht möglich, so scheint »*s mir überhaupt des 
ärztlichen Standes wenig würdig, die Besserung der wirtschaft¬ 
lichen Erwerbsverhältnisse vom Staat zu verlangen und diesem 
damit Gelegenheit und Veranlassung zu geben, in diese ureigensten 
Privatangelegenheiten der Aerzte hitieinzurcdcu. Der ärztliche 
Stand setzt sich zusammen aus lauter hochgebildeten Männern, 
welche wahrlich zu stolz und zu vornehm sein müssen, die Ab¬ 
schätzung und Wertung ihrer Arbeit Dritten zu überlassen. Die 
Honorirung der ärztlichen Dienste unterliegt der freien Verein¬ 
barung, so steht es im Gesetz, so muss cs werden und so muss 
es bleiben immerdar. Wenn ich mir beim Schuhmacher ein Paar 
Stiefel, beim Bäcker ein Brot und heim Schreiner einen Stuhl 
kaufe, so werde ich mich mit diesen über den zu zahlenden Preis 
einigen; wird ein Uebereinkomnien nicht erzielt, so wird sieh 
das Geschäft zerschlagen. Nun habe ich schon oft die Schuh¬ 
macher über zu geringen Verdienst klagen hü reu, aber ich wüsste 
nicht, dass sie schon jemals Staat und Behörden zu Hilfe gerufen 
hätten. Nein, sie tliun si<*h zu Verbänden zusammen und ge¬ 
winnen so besseren Einfluss auf ihre Erwerbsverhältnisse. Ich 
möchte nun fragen, hat denn das von verschiedenen grossen poli¬ 
tischen Gruppen beliebte Geschrei nach Staats- und Gesetzeshilfe 
wirklich etwas so Schönes und Vornehmes, dass es für uns Aerzte 
nnclmhmenswerth wäre? 

Streiten sich zwei Parteien, die auf einander angewiesen sind, 
und können sie allein zu einem Uebereinkomnien nicht gelangen, 
so werden sie allerdings einen Dritten um seine Vermittelung an- 
gehen müssen. Auch Aerzteorganisationen werden, wenn es mit 
Krankenkassen Differenzen gibt, zuweilen der Anrufung eines 
Einigungsamtes nicht entrathen können. Aber ein solcher Ver¬ 
mittelungsamt muss getragen sein vom Vertrauen beider Parteien, 
d«-sshalb müssen auch beide Theile einen gleichen Einfluss auf 
seine Zusammensetzung beanspruchen. Amtliche Personen mit 
der Macht, diktatorisch aufzutreten, müssen unbedingt abgelehnt 
werden, weil sie nach Lage der Gesetzgebung gar nicht anders 
können, als im arztfeindlichen Sinne ihren Einlluss geltend zu 
machen. Wie es bei Konflikten in Zukunft zu handhaben sein 
wird, dafür haben kürzlich die Krimmitschauer Kollegen ein vor¬ 
bildliches Beispiel gegeben. Sie waren in einen schweren Streit 
mit der Krankenkasse der Bauhütte gerat heu, und nur, weil 
s i e j e d e Einmischungdcr Behörden f er u z u li a 11 e n 
wussten (Säehs. Korr.-Bl. 1001, No. J>) wurde ein für die Aerzte 
Schaft günstiges Ergebnis.» erzielt. Dort, wo die Behörden eine 
Bolle spielen konnten, wie in Colmar und in Leipzig, wird man 
von einem günstigen Ergebniss für die Aerzte wolil nicht zu reden 
wagen. 

Nach alle dem sage ich mit G r a f: wenn unseren Wünschen 
von oben nicht allzuviel Rücksieht geschenkt wird, und. wie ich 
hinzufügen muss, auch nicht geschenkt werden kann, so haben 
wir um so dringenderen Grund, im Zusammenschluss die Selbst¬ 
hilfe zu suchen. Dass der Weg der Selbsthilfe, welcher einge¬ 
schlagen werden muss, um die Aerzte aus ihrer Nothlage zu be¬ 
freien, der vom Leipziger wirtschaftlichen Verband vorgezeichnete 
ist, hat man in Hildeshoim dem Münchener Vertreter des Ver¬ 
bandes durch eine lebhafte Beifallskundgebung zugegeben. Und 
»lie Morte des Herrn Windeis, dass dem wirtschaftlichen 
Verband das Verdienst gebühre, eine neue, fruchtbringende Idee 
nusgestaltet und praktisch in die Wege geleitet zu haben, wurden 


1931 

(laut Protokoll) ebenfalls von lebhaftem Beifall begleitet. Warum 
konnte man sielt nun nicht dazu verstehen, den sieh daraus allein 
ergebenden Schluss zu ziehen? Der Weg der Selbsthilfe ist nur 
gangbar, wenn sich Keiner ausschliesst, auch dann nicht, wenn 
er Gnuul zum Groll zu haben vermeint. 

Leipzig-Connewitz, 14. November 1901. 

Dr. Hart m a n n. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Dr. Fr. Merkel, Professor der Anatomie in Göttingen; 
J. Henle's Grundriss der Anatomie des Menschen. 4. Auf¬ 
lage. Mit zahlreichen, zum Thcil farbigen Abbildungen und 
einem Atlas. Textband mit 802 Seiten, Atlas 498 Seiten. Braun- 
sclnveig, Druck und Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn. 
1901. 

Dieses Buch hat einen anseheinen d geringen Umfang; 
es umfasst nämlich der eigentliche Text ausschliesslich der An¬ 
hänge nur 647 Seiten. Und dennoch hat der Verfasser in dein 
gegebenen Rahmen eine ausserordentliche. Menge anatomischen 
Materiales untergebracht. Wir finden in dem Merk ersehen 
Werke nicht nur eine Darstellung der systematischen Anatomie 
in ziemlich weitem Umfang und die Hervorhebung der wich¬ 
tigsten topographischen Daten, sondern wir haben auch bei vielen 
Kapiteln ontwicklungsgeschiehtliehe Einleitungen und als Zu¬ 
gabe am Schlüsse der Einzelabschnitte die Besprechung der wich¬ 
tigsten Varietäten. Das Buch-eignet sieh daher nicht nur für 
Studirende zum Gebrauch neben dem Kolli*g, sondern*auch zum 
Nachsehlagen für alle Mcdieiner und Aerzte. 

Merkel hat die Baseler Nomenklatur in seinem Werke 
durehgehends eingeführt, wie die Vorrede sagt : auch diejenigen 
Bezeichnungen, welche durch bessere ersitzt werden konnten. 
Dem Referenten scheint, dass Merkel vielleicht gerade der 
Mann dazu gewesen wäre, der es sieh hätte herausnehmen dürfen, 
diese uns offieicll auferlegte neue Namengebung mit einiger Frei¬ 
heit zu gebrauchen. Die Liste »1er neuen Namen ist. nicht so 
unschuldig, wie es im Anfang d»-n Anschein hatte; sie übt viel¬ 
mehr auf den Einzelnen einen starken Zwang aus, da sie selbst 
schon eine Art Kanon »ler Anatomie im Kleinen ist. Wir würden 
es sehr nützlich finden, wenn die Schriftsteller gcgenüb»*r diesem 
offieiellen Kanon sich ihre |>ersönli»*he Freiheit bewahren wollten. 

Das Werk bringt im Anhang ein»*, kurze Präpariranlcitung 
und eine ausführliche Liste der Synonyma, welche den Praktikern 
der Mediein sehr dienlich sein wird. 

Der Textband ist hinsichtlich der Darstellung mustergiltig; 
die neuere Literatur wurde vollständig eingearbeitet. Der Atlas 
bringt eine sehr grosse Anzahl von Abbildungen, grösstentheils 
in guten Holzschnitten. Die älteren, die Muskellehre betreffend»*!! 
Figuren wurden durch sehr hübsche buntfarbige Autotypien er¬ 
setzt. Das Werk ist auf gutem Papier sehr sauber und schön g»*- 
druckt und kann, Alles in Allem genommen, allerbesten» em¬ 
pfohlen werden. Martin H e i d e n h a i n. 

Dr. G. Sultan: Atlas und Grundriss der TTnterleibs- 
brüche. Lehmann’» medicinische Handatlanten, Bd. 25. 
München, J. F. Lehmanns Verlag. 1901. Preis M. 10. 

Dieser neue Band »ler L e h m a n n’schen Atlanten ist von 
grossem Werth»* für den praktischen Arzt. Er enthält in über¬ 
sichtlicher und klarer Darstellung »lie gesammte Lohre von den 
Unterleihsbrüchen in anatomischer wie in klinischer Beziehung. 
Schon »las Durchblättern des Buches und die Berichtigung »ler 
lehrreichen Abbildungen ist ein Vergnügen und leitet zu ge¬ 
nauerem Studium auch des Textes. 36 farbige Tafeln und 
83 schwarze Figuren erläutern anatomische und entwicklungs¬ 
geschieh tli che (Descensus testiculormn) Dt'.tails; die Erschei¬ 
nungsformen der gewöhnlichen, nicht komplieirten Brucharten 
wie auch der selt»*ner»*n sind zur Darstellung gebracht: So 
finden wir gute Abbildungen von eingeklemmten Brüchen, auch 
der experimentell nachweisbaren Einklemmungsmechanismen, 
von Seheinreduktion, von der llernia inguino-proporitonealis, dem 
Nabelsehnurbruch, der llernia obturatoria ete. Mit gleicher Sorg¬ 
falt wird auch die Therapie behandelt, im Text wie in zahlreichen 
Abbildungen, welche sowohl die Bruchbänder, wie auch die cin- 
z»*lnen Operationsiucthodcn darstcllen. Auch statistische An¬ 
gaben über die Entstehung der Brüche und die sogen. Bruch¬ 
anlage, über die Erfolge der Therapie, besomlers der Ra»likal- 
operation, sind vorhanden; ebenso wird die Begutachtung von 



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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


1932 

Bruchleidenden, dio traumatische Ursache der Brüche im Zu¬ 
sammenhang mit erlittenen Unfällen, die militärische Dienst¬ 
tauglichkeit Bruchkranker nach den in Deutschland, Oesterreich 
und der Schweiz geltenden Vorschriften besprochen. Kurz das 
Buch ist in jeder Hinsicht sehr lehrreich und nützlich. 

Helferich. 

H. Kisch: Entfettungskuren. Berlin, Iloffmann, 
1901. 140 p. Preis 3 Mark. 

Die auch für Laien verständliche Arbeit von Kisch be¬ 
spricht in sehr übersichtlicher Weise früher und jetzt geübte 
Methoden der Entfettung. Von den allgemeinen Rathschlägen, 
welche Verf. gibt, seien besonders folgende hervorgehoben: Keine 
Entfettung ohne ärztliche Kontrole, keine zu schnelle Entfettung, 
daher regelmässige Wägungen; bei der plethorisehcn Form kann 
inan mit Unterernährung und körperlicher Bewegung dreister 
sein als bei der anaemischen Form. 

Kisch bevorzugt ein Kostregime, bei welchem neben circa 
100 g Eiweiss und 80 g Kohlehydraten nur 11 g Fett gegeben 
werden, während die Flüssigkeitszufuhr im Allgemeinen nicht 
beschränkt wird. Zur Unterstützung der Kur empfiehlt Iv. syste¬ 
matische Körperbewegung in Form von Terrain-Kuren und Gym¬ 
nastik (Radfahren nur in massigem Grad zu empfehlen) Herab¬ 
setzung der Dauer des Schlafes, Anregung des Stoffwechsels durch 
Bäder, sowie kohlensäurehaltigc Thermolbiider, als Kaltwasser- 
proceduren und Schwitzbäder (bei gesundem Herzmuskel). Als 
wichtiges Hilfsmittel für eine Entfettung benützt K. den Ge¬ 
brauch der kalten kohlensäurereichen Glaubersalzwiisser, unter 
denen die Marienbader Quellen (Kreuzbrunnen und Ferdinands¬ 
brunnen) an erster Stelle stehen. 

Einige Krankengeschichten illustrircn die Erfolge der von 
Kisch geübten Behandlung und wenn in 4—6 Wochen eine Ab¬ 
nahme von OG, 36, 32 und 22 Pfund erzielt wurde, so wird Jeder¬ 
mann die, glänzenden Resultate der Marienhader Kur anerkennen 
und sich höchstens die Frago vorlegen, ob bei einer so rapiden 
Fettabnalune auch das Postulat einer allmählichen Einschmelzung 
des überschüssigen Fettes, das Verfasser für eine rationelle Ent¬ 
fettungsmethode stellt, genügend erfüllt wurde. K. verwirft die 
Banting-Kur mit Recht als eine Hungerkur; wenn wir aber 
die Kostordnung betrachten, welche Kisch als Beispiel für die 
Diät plethoriseher Fettleibiger anführt, so ergibt sich, dass die¬ 
selbe bei einem Gesammtcaloriemverth von nur 1100 auch eine 
Hungerkost darstellt. 

Die modifizirtc Ebstein'sehe Eiweiss-Fettkost, wie Ref. 
sie seit Jahren bei Fettleibigen erprobt hat, gibt einen wesentlich 
höheren Cnlorienwerth und obwohl die Gesammtmenge von Nah¬ 
rungsmitteln, welche bei diesem Kostregime gegeben werden, die 
von Kisch erlaubten Gewichtsmengen bei Weitem übertritft — 
also auch das Hungergefühl viel weniger entstehen lässt — so 
sind die Resultate dieser E b s t e i n’schen Methode doch sehr 
erfreuliche. v. H o e s s 1 i n - Neuwittelsbach. 

Dr. Ph. S c h e c h, Professor an der Universität München: 
Die Krankheiten der Mundhöhle, des Rachens und der Nase. 

Mit 45 Abbildungen. Sechste vollständig neu bearbeitete Auf¬ 
lage. Leipzig und Wien, Fr. Deuticke, 1902. 

Eindringlicher als jede Kritik es vermöchte, spricht für 
Werth und Bedeutung des angezeigten Buches die Anerkennung, 
dio ihm seit Jahren in den weitesten ärztlichen Kreisen zu Theil 
geworden und in den rasch auf einander folgenden Auflagen 
deutlich genug zum Ausdruck gelangt ist. Dass dieser Erfolg 
den Verfasser nur zu fortgesetzter Vervollkommnung seines 
Werkes anspornte, geht auch aus der gegenwärtigen Ausgestal¬ 
tung demselben hervor. Die Neubearbeitung bezieht sich nicht 
allein auf Veränderungen der formalen Anordnung des Stoffes, 
auch manche Zusätze und Ergänzungen sind eingeschaltet 
worden, so z. B. bei den „C'irculationsstörungen“ in den sämnit- 
lichen drei Hauptabtheilungen; ausführlicher behandelt wurden 
ferner die Abschnitte über den Zungenabscess, über die Neu¬ 
bildungen im Rachen u. s. w. Auch eine Anzahl neuer, sehr in¬ 
struktiver Abbildungen — hauptsächlich die Nase und ihre 
Nebenhöhlen betreffend — ist hinzugefügt worden. 

So stellt das Werk in klarer und conciser Fassung wieder den 
vorgerücktesten Standpunkt dar, den Wissenschaft und Praxis 
auf dem Gebiete der betreffenden Diseiplin bis heute erreicht 
haben. Wcrtheirabor. 


Stereoskopischer medicinischer Atlas, herausgegeben von 
Neisser. 41. Lieferung. Gerichtliche Medicin, 6. Folge, 
redigirt von besser. Leipzig, J. A. Barth. Preis 5 Mark. 

Die vorliegenden 12 Tafeln illustriren Verletzungen einiger 
Unterleibsorgane, sowie Schwangerschafts- und Wochenbetts¬ 
veränderungen der Gebärmutter: zunächst eine Leberzerreissung 
durch Pferdetritt, die in einigen Minuten zum Tode führte, und 
eine partielle demarkirte Lebernekrose ,die durch eine 4 Monate 
vor dem Tode erlittene Quetschung durch Ueberfahrenwerden 
entstand, dann einen Querriss der Harnröhre in der Pars mciu- 
branaeea durch Beckenbruch in Folge Ueberfahrenwerdens nebst 
einem falschen Wege in der Pars prostatica, sowie eine Beratung 
der Harnblase durch Druck auf die Unterbauchgegend. Als nor¬ 
male Befunde sind eine Gebärmutter am Ende des zweiten 
Schwangerschaftsmonats mit eröffneter Fruchtkapsel und 
eine Gebärmutter ö'/x Wochen nach rechtzeitiger Ent¬ 
bindung und normalem Wochenbett dargestellt. Die 
weiter abgebildeten Verletzungen sind theils durch instrumenteile 
Fruchtabtreibung, theils durch Zange und Curettement, theils 
durch den Kolpeurynther und in einem Falle bei präcipitirter 
Geburt einer sechsmonatliehen Frucht entstanden; eine Tafel 
bringt ein instruktives Bild einer Placenta praevia centralis, 
mit Durchbohrung der über dem Muttermunde gelegenen Partie 
zur Blasen Sprengung und ausgedehnter Ablösung der Placenta 
von der Uteruswand durch Wehen. 

Dr. Carl Becker. 

J. Hirschberg: Katalog der Büchersammlung. Berlin 
1901. 434 S. 8°. 

Der als Augenarzt und Historiker rühmlich bekannte Ver¬ 
fasser gibt uns in diesem Katalog eine wahre Musterleistung. 
Die lichtvolle reiche Gliederung des Stoffes, dio Beigabe von 
Sach- und Personalregistern verdienen die grösste Anerkennung. 

Die historische Partie ist auf S. 1—32 behandelt; besonders 
reich sind die Abschnitte über alte Aerzto § 1—8 und die Ge¬ 
schichte der Augenheilkunde § 25—37, welch’ letztere noch nie 
eine so vollständige bibliographische Darstellung gefunden hat.— 
Die Literatur dieser Augenheilkunde nimmt 400 Seiten ein und 
soll als Vorarbeit zu einer systematischen Bibliographie des Faches 
angesehen werden, die Prof. Hirschberg zu publiziren ge¬ 
denkt. 

Als Beispiel für die übersichtliche Darstellung wollen wir 
nur dio Aufschriften des Abschnittes: Trauma oculi wieder¬ 
geben : Grössere Werke, Statistik und Kasuistik der Augenverletz¬ 
ungen im Allgemeinen, Verletzungen der Lider, V. der Hornhaut, 
Verbrennung und Verätzung, durchbohrende V. der Horn- und 
Lederhaut, V. durch Blendung, V. der Iris, V. der Linse, V. der 
Netzhaut, des Sehnervs und des Augengrundes, V. der Orbita, 
Enophthalmus, Fraktur des Schädels, Luxation und Evulsion des 
Augapfels, Fremdkörper im Allgemeinen, Fremdkörper an der 
Oberfläche des Augapfels, Fremdkörper der Iris, Linsen, Glas¬ 
körper, F. im Augengrund und in der Orbita, Verletzungen durch 
Zündhütchen, Röntgen Untersuchung bei F., Sehussverletzung, 
Verletzung durch Pulver und Dynamit, V. durch Blitzschlag. 

Dio Ausstattung des Buches ist glänzend. — Dem Verfasser 
und seiner „treuen Mitarbeiterin“ sei Lob und Dank gesagt. 

J. Ch. Huber- Memmingen. 

Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde. Medi- 
cinisch-chirurgisches Handwörterbuch für praktische Aerztc. 
Herausgegeben von Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Albert Eulen- 
bürg. 3. gänzlich umgearbeitete Auflage. 26. Band. Ver¬ 
stümmelung—Zyinose. General register. Berlin und Wien, 
Urban & Schwarzenberg, 1901. 

Der Abschluss einer neuen Auflage der Realencyclopädie 
darf mit Recht als ein Ereigniss auf dem mediciuischen Bücher¬ 
märkte bezeichnet werden; denn es gibt wohl kein Werk, das 
nach seinem äusseren Umfang und nach der Bedeutung, die es 
als Fortbildungsmittel für die Aerzte gewonnen hat, sich ihr 
vergleichen kann. Als die Realencyclopädie zum ersten Male er¬ 
schien (18S0—1883) verkörperte sie einen neuen Gedanken, dessen 
Zweckmässigkeit und glückliche Durchführung ihr sofort zu 
einem grossen Erfolge verhalf. Seitdem hat das Unternehmen 
manche Nachaluuung und Konkurrenz erfahren, allein es hat 
sich, Dank der unermüdlichen Anstrengungen des Herausgebers 
und der Verlagsbuchhandlung, stets als Sieger erwiesen. Mit der 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Vollendung der neuen Auflage ist ihm der Vorrang wieder für 
geraume Zeit gesichert. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, 
ein wie ungeheueres Maass von Arbeit die Vollendung eines 
26 bändigen Riesenwerkes, wie die Realencyclopädie — die neue 
Auflage kommt einer vollständigen Neubearbeitung gleich — er¬ 
fordert; zur erfolgreichen Bewältigung der Aufgabe nach sieben¬ 
jähriger Mühe und Last darf man die Leiter des Unternehmens 
aufrichtig beglückwünschen. Dass der vorliegende Schlussband 
seinen Vorgängern ebenbürtig ist, bedarf keiner weiteren Be¬ 
tonung, dagegen ist das dem Bande beigegebene ausführliche 
Generalregister als eine wichtige, seine Benutzung 
wesentlich erleichternde Bereicherung des Werkes hervor¬ 
zuheben. Für die wohl bald in Angriff zu nehmenden Vorarbeiten 
für die 4. Auflage sei nur noch der Wunsch ausgesprochen, es 
möchte den zahlreichen Verweisungen, die in der gegenwärtigen 
Auflage häufig irreführen, grössere Aufmerksamkeit zugewendet 
werden. So ist z. B. bei Carbunkel auf Karbunkel verwiesen; 
dieser Artikel aber fehlt. Im Artikel Menstruation ist auf 
Klimax, im Artikel Harn auf Titrirmcthoden verwiesen, beides 
fehlt. Bezüglich des Nachweises von Zucker im Harn ist sowohl 
im Artikel Diabetes mellitus wie bei Zucker auf Melliturie ver¬ 
wiesen. Dort ober finden wir wiederum lediglich den Vermerk: 
siehe Diabetes mellitus. Wir unterlassen es, der Liste dieser ja 
unwichtigen, aber doch für den Benützer des Werkes ärger¬ 
lichen Fehler zu vermehren und sprechen nur den Wunsch aus, 
dass die Gelegenheit zu ihrer Verbesserung durch eine 4. Neu¬ 
auflage des sonst so vorzüglichen Werkes recht bald gegeben 
sein möge. 

Neueste Journalliteratur. 

Zeitschrift für klinische Medicin. 1901. 44. Bd. Heft 
1 und 2. 

1) D. v. Hansemann: Ueber Nierengeschwülste. 

Die Abhandlung gibt ln knapper, aber sehr anschaulicher Weise 
ein Bild über den gegenwärtigen Stand der Lehre von den Nieren- 
tumoren. Diese sind ein pathologisch - anatomisch sehr häufiger 
Befund, wenn sie auch klinisch selten zur Erscheinung kommen. 
Die makroskopische Untersuchung ist nicht immer zureichend, 
oft können die Tumoren erst nach dem histologischen Befunde 
diagnosticirt werden. Am häufigsten, wenn auch klinisch stets 
symptomlos, sind die papillären Tumoren. Sie künuen rnnlign 
werden und bilden dann als maligne papilläre Kystome in Nieren 
wie Ovarien eine besondere, von Carcinom und Sarkom zu tren¬ 
nende Geschwulstgattung. Sehr selten sind im Gegensatz zu 
früheren Anschauungen die Adenome. Anlässlich der inter¬ 
essanten und klinisch wichtigen Hypernephrome (G r a w i t z’sche 
Tumoren) wird besonders die Differentialdiagnostik gegenüber den 
Eudotheliomen besprochen. Die Hypernephrome entstehen wie 
die ebenfalls nicht seltenen Teratome durch embryonale Vor¬ 
werfungen. 

2) Lüthje: Beiträge zur Kenntniss des Eiweissstoff- 
wechsels. (Aus der medicinisehen Klinik in Greifswald.) 

Das Hauptresultat sorgfältiger Stoffwecliseluntersuchungen 
am Menschen ist, dass sich durch sehr reichliche Ernährung mit 
erheblicher Steigerung der Eiweisszufuhr eine sehr grosse und 
lang andauernde Stickstoffretention erzielen lässt. Es erscheint 
dabei ausgeschlossen, dass der zurückgehaltene Stickstoff ins- 
gesammt als Fleisch zum Ansatz gekommen ist, oder auch nur in 
Verbindung mit Wasser, in dem Verhältnis, wie beide in den Ge¬ 
weben enthalten sind. 

Vergleichende Versuche au Hund und Mensch, die Ernährung 
mit Nutrose und Fleisch betreffend, ergaben, dass das Milch¬ 
eiwehs sich sicher nicht besser zum Ansatz eignet als das 
Muskelfleisch. 

3) Reissner-Bad Nauheim: Ueber das Verhalten des 
Chlors im Magen und die Ursache des Salzäuremangels heim 
Magenkrebs. 

Die Ursache des Salzsäuremangels bei Magencarcinom kann 
begründet sein in Aufhebung der Salzsäuresekretion oder in Bin¬ 
dung der sezernirten Salzsäure. Handelt es sich um Verminderung 
der Salzsäureabscheldung, so ist zu erwarten, dass nicht nur die 
Salzsäure, sondern auch der Gesammtchlorgehalt verringert ist. 
Um diese Frage zu entscheiden, wurde in 18 Carcinomfällen lind 
bei 22 anderweitigen Magenerkrankungen der Gesammtchlorgehalt 
bestimmt. Die Chloride fanden sich nun bei Carcinom nicht nur 
nicht verringert, sondern vermehrt. Da ferner im nüchternen Magen 
der Krebskranken sich ein Alkali nach weisen lässt, das nicht aus 
der Nahrung stammen oder Ammoniak sein kann, liegt es nahe, 
anzunehmen, dass die Geschwulst einen alkalischen Saft sezer- 
nirt, welcher die Salzsäure ncutralisirt. So erklärt sich auch das 
Fehlen der Salzsäure bei Oesophagus- und Duodenal krebsen, bei 
völliger Intaktheit der Magenschleimhaut, das oft sehr rasche 
Auftreten des Salzsäuremaugels und die relative Schonung der 
Fermente, ferner die Wiederkehr der Salzsäuresekretion nach 
glücklichen Operationen. Die alkalische Sekretion ist Folge der 
Uloorntion des Tumors: diese braucht aber keine in die Augen 
fallende Erweichung zu sein, sondern es genügt Verlust des ober- 


1933 


Sächlichen Epithels. Dass nebenbei eine Atrophie der Schleim¬ 
haut bestehen und die Salzsäureabscheldung eine verminderte 
sein kann, wird nicht in Abrede gestellt, doch spielt dies bei der 
Entstehung des Salzsäuremangels nur eine sekundäre Rolle. 

4) Dünschmann - Wiesbaden: Einfluss des Salzgehaltes 
der Trinkquellen auf die Blutbeschaffenheit. (Von der Hufe- 
1 n n d’schen Gesellschaft gekrönte Preisschrift.) 

Kaninchen wurde mittels Sehlundsonde und intraperitoueal 
Homburger Elisnbetlibrunnen (Kochsalzwasser) einverleibt. Blut- 
aualysen ergaben eine Zunahme des Wassergehaltes, Abnahme der 
Trockensubstanz, Abnahme der stickstoffhaltigen Stoffe und er¬ 
hebliche Zunahme des osmotischen Druckes. 

f>) Boekelmann: Untersuchungen zur pathologischen 
Anatomie des menschlichen Magens in Fällen von Ulcus und 
Carcinom bei bekannter chemischer und motorischer Funktion. 
(Aus der medicinisehen Klinik zu Utrecht.) 

Die untersuchten Schleiinhnutstiickehen wurden gelegentlich 
von Gastroenterostomien gewonnen und stammten von Fällen mit 
Magengeschwür (17), von Carcinomen post ulcus oder mit deut¬ 
licher Salzsäuresekretion (9) und von Carcinomen mit geringer 
oder fehlender Salzsäuresekretion (IS Fälle). Bei Ulcus fanden 
sich häutig kleinzellige Infiltrationen, viele Blutgefässe und Blu¬ 
tungen, Vermehrung der Belegzellen, stärkere Erkrankung der 
Haupt- als der Belegzellen, keine Vermehrung des interstitiellen 
Gewebes. Die Magenmukosa leidet bei Ulcus verhältnissmässig 
wenig. Aehulich verhält sie sich bei Magencnrcinomen mit fort¬ 
bestehender Salzsäuresekretion. Bei den Fällen mit fehlender 
Salzsäure findet sich dagegen das Drüsengewebe stark ergriffen, 
die Zahl der Belegzellen ist verringert, das interstitielle Gewebe 
ist vermehrt. 

0) B e u d i x - Göttingen: Wirkt die Harnsäure antiseptischP 
(Aus dom städtischen August«hospitale zu Köln, Prof. Min¬ 
kowski.) 

Zusatz von Harnsäure oder harnsauren Salzen zu Nährböden 
hat keinerlei Einfluss auf das Waclistlium von Bakterien. 

7) S i n g e r-Elberfeld: Ueber den Einfluss des Aspirins auf 
die Darmfäulniss. 

Steigerung der Gallensekretion wirkt darmantiseptisch. Da 
Salieylsäure und ihre Verbindungen cholagogiscb wirken, ist von 
ihnen auch eine darmdeslnflzirende Wirkung zu erwarten. Ver¬ 
fasser untersuchte in dieser Richtung das Aspirin (AcetyUlerivat 
der Salieylsäure) und zwar bestimmte er die indicanausseheidung 
als Iudicator der Darmfäulnissprocesse. Am Hund und beim ge¬ 
sunden Menschen war sie thatsächlich nach Asplriugnbcu ver¬ 
mindert. Beim Kranken erwartet Verfasser noch eine deutlichere 
Wirkung. 

8) A. B e 1 s k i - Pskow: Ueber die an der A-V-Grenze 
blockirten Systolen. 

Mittheilung eines Falles, in dem sich Vorhofskontraktionen 
bei längerem Ventrlkelstillstnnd durch Venenpuls hei gleichzeitig 
fehlendem Arterienpuls und absoluter Stille über dem Herzen 
bemerkbar machten. Solche bloekirto Systolen kommen wahr¬ 
scheinlich in der terminalen Periode verschiedener Herzkrank¬ 
heiten vor, sind aber nicht immer leicht zu konstatiren. 

Korschcusteiuer. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 61. Bd., 1. u. 2. Heft. 
Leipzig, V o g e 1, 1901. 

- P Göbell: Zur Kenntniss der lateral-retroperitonealen 
Tumoren. (Chirurgische Klinik Kiel.) 

Unter lateralen retroperitonoalen Tumoren versteht mau die¬ 
jenigen Geschwülste, welche sich unabhängig von den Nieren und 
Nebennieren im lateralen retroperitoncaleu Raum entwickeln. 
Lateral retroperitoneal nennt man denjenigen Raum, welcher nach 
oben vom Zwerchfellansatz, median von der Wirbelsäule, nach 
unten von der Linea terminails (innomiuata) begrenzt wird. 

Die Mehrzahl der hier beobachteten Geschwülste gehört den 
Bindegewebsneubildungen an. In der chirurgischen Klinik Kiel 
wurden 3 derartige Tumoren beobachtet. Bei dem ersten der¬ 
selben handelte es sich um einen sehr interessanten Tumor, der 
vom Verf. auf Grund genauer Untersuchungen bezeichnet wird 
als teratoide Geschwulst, iu welcher das Ektoderm in Form einer 
vielkainmerigen Dermoidcyste auftritt, das mesodermale Gewebe 
zum Theil sarkomatös ist, und vom Entoderm mit Cylindereplthel 
ausgekleidete Hohlräume abzuleiten sind. Die letzteren sind 
carcinomatös degenerirt und haben durch Metastasenbildung den 
Tod der Patienten lierbelgefUhrt Die anderen beiden Tumoren 
gingen von accessorlschen Nebennieren aus. Mikroskopisch ent¬ 
hielten die Tumoren zum Theil Zellen, denen der Nebennieren 
gleichend, zum Theil grosse polygonale Zellen mit grossem Kern, 
und kleinere cylinderförmige Zellen, oft in alveolärer Anordnung 
mit centraler Riesenzelle. 

Des Weiteren zählt Verfasser die sonst ln dieser Region vor- 
kommenden Geschwülste auf und stellt die gesammte Kasuistik 
in übersichtlichen Tabellen zusammen. 

2) Canon-Berlin: Zur Aetiologie und Terminologie der 
septischen Krankheiten, mit Berücksichtigung des Werthes 
bakteriologischer Blutbefunde für die chirurgische Praxis. 

('. gibt einen guten Ueberbliek über die Literatur des ge¬ 
nannten Themas. Darnach kommt die Allgemeininfektion bei den 
sept(sehen Erkrankungen in folgender Weise zu Stande: zunächst 
Vermehrung der Eiterooeeen im lokalen Herd mit Bildung von 
Toxinen. Eindringen der Coccen in das Blut, die zunächst noch 
durch die bakterieide Kraft des Blutes vernichtet werden, später 
Vermehrung der Coeeen im BIul. Bildung von Metastasen, der 
Organismus geht zu Grunde. 


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1934 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


Wie bei dem Milzbrand, so ist auch bei den septischen Krank¬ 
heiten die eigentliche Todesursache noch nicht hinreichend aufge¬ 
klärt; bei beiden finden sich verhältnissmilssig wenig Bakterien 
im Blute, und bei beiden sind entweder keine oder nur geringe 
Mengen von Toxinen nachweisbar. 

Die Ausdrücke „Baktoriaemie“ und ..Toxinaemie“ für Sepsis 
hält C. für unangebracht. Das Wort Toxinaemie ist höchstens 
am Platze bei Vergiftungen durch Kothstauungen, bei Ileus, bei 
Brucheinklemmung. 

3) B o r c h a r d - Posen: Ueber luetische Gelenkentzün¬ 
dungen. 

In einem vom Verfasser opcrirten Kniegelenk fand sich die 
Synovialis sammetartig geschwollen und dicht besetzt mit kleinen 
und grösseren, bis 2 cm langen und 1 cm breiten Zotten; im 
oberen Kecessus ren. ein Polyp von Taubeneigrösse. 

ln den mikroskopisch untersuchten Zotten konnte von Lü¬ 
bars eh deutlich gangraenöses Gewebe nachgewiesen werden. 

B. unterscheidet die akute syphilitische Gelenkentzündung — 
eine Begleiterscheinung der Allgemeininfektion — und die chro- ! 
irische syphilitische Gelenkentzündung, als Ausdruck eines lokalen 
syphilitischen Produktes, eines Gumma. Die in diesen Fällen be¬ 
obachtete Zottenbildung ist bedingt durch die Bildung miliarer 
Gummata in der Synovialis. Der akute Hydrops kann nicht ohne 
Weiteres in die chronische Form übergehen. 

4) Wodarz: Zur Kasuistik der traumatischen Luxationen 
im Talonaviculargelenk. (Allerlieiligenhospital Breslau.) 

Verfasser veröffentlicht einen Fall der genannten seltenen 
Luxation. Die Diagnose wurde durch das Böntgenbild ermöglicht. 
Der Fuss stand in starker Varusstellung. Der operative Eingriff, 
bestehend in Resektion des luxirten Gelenkes, hatte einen guten 
Erfolg. 

5) Wiemuth: Die habituellen Verrenkungen der Knie¬ 
scheibe. 

In dem ersten der vom Verfasser beschriebenen Fälle handelte 
cs sich um einen 20jälirigen Grenadier, der seit seiner Geburt 
eine intermittireiule Luxation der beiden Patellae mich aussen 
hatte. Bei der Beugung glitt die Patella regelmässig an die 
Aussenseite des Condylus externus, um bei der Streckung wieder 
in ihre normale Lage zurückzukehren. Der Condylus externus 
war auf beiden Seiten sehr mangelhaft entwickelt, die Grenze 
zwischen Troclriea und Planum epicomlylicum externum sehr 
wenig ausgesprochen, die Fovea supratrochlearis bildete eine nach 
aussen abfallende schiefe Ebene. 

Im zweiten Falle handelte es sich um eine habituelle Luxation 
traumatischen Ursprungs (hoher Sprung: Zerreissung des Lig. 
patellare und des Vastus internus» bei congenitaler Disposition 
(geringe Breite des Condylus externus». Die Luxation war im 
(tanzen etwa 25 mal eingetreten. 

Aus der Literatur hat Verfasser 71 Fälle zusammengestellt. 
Bei 5 derselben ist eine Luxation nach innen beschrieben. Von 
den 06 Verrenkungen nach aussen waren 32 angeborene, 14 trau¬ 
matische, 20 pathologische Luxationen. Die Ursache der ange¬ 
borenen dürfte in einer mangelhaften Entwicklung des Condylus 
«xternus zu suchen sein. Bei den traumatischen Luxatioueu liegt 
die Schuld auf Seiten des ligamentüsen oder muskulösen (Jelenk¬ 
apparates: Zerreissuugen des medialen Theiles der Gelenkkapsel, 
des Ligamentum patellae, des Vastus internus. Bei den patho¬ 
logischen Luxationen kommen vor allen Dingen Genu valgum 
und Aussenrotation des Unterschenkels in Betracht ferner Läh¬ 
mungen, Hydrops, Haemarthros. Tuberkulose, Gonorrhoe, Lues, 
Arthritis deformans und urica, Rachitis. 

Die Behandlung wird in allen Fällen die Ursache zu beseitigen 
haben. Ein grosser Theil der vorgeschlagenen Methoden bezweckt 
eine Verkürzung der Gelenkbänder und der Kapsel an der Innen¬ 
seite. Vorbedingung ist, dass sich die Patella ohne alle Spannung 
durch Zug und Druck leicht in der Troclriea zurückhalten lässt. 

0) Fuchsig: Ueber die an der Klinik in den letzten 
12 Jahren ausgeführten Darmresektionen. (A Iber t'sclie Klinik 
Wien.) 

Von den 48 ausgeführten Resektionen wurden 17 wegen Car- 
cinom vorgenommen: 8 Heilungen, 9 Todesfälle. Von den ge¬ 
heilten Fällen war bei zweien ein Dauererfolg zu verzeichnen, der 
eine Patient war nach 8 Jahren reeidivfrei, der andere starb nach 
8 Jahren an unbekannter Krankheit. 

Von 9 tuberkulösen Tumoren wurden 0 durch die Operation 
geheilt, 3 starben. 

Invaginationen kamen 3 zur Beobachtung, 2 Heilungen, 

1 Todesfall. 

Wegen Darmfisteln und Anus praeternaturalis wurden 7 Re¬ 
sektionen vorgenommen. 4 Patienten wurden geheilt, 3 starben 
im Anschluss an die Operation. 

Wegen Darm inen rceration wurde 12 mal operirt. der Erfolg 
war: 4 Heilungen und 8 Todesfälle. 0 der Todesfälle erfolgten 
au Peritonitis, die 3 mal in Folge Nahtinsufticienz entstanden war. 

7.i Stieda: Noch einmal zur Geschichte der cirkulären 
Pylorektomie. 

R y d i g i e r: Antwort. 

K 1 a p p: Eine einfache Lagerungsvorrichtung für die 
untere Extremität. (Chirurgische Klinik Greifswald.) 

Der Apparat bestellt aus einem bis über das Knie reichenden 
Tricotsehlauch. welcher vermittels eines durchgestockten Stockes 
lang arsgcbii ii.-t und an einer Rolle aufgehängt wird. Mit diesem 
Trikoischlamh kann man auch eine Si reck vorrieht ung vereinigen. 

K r e c k e. 


Hegar’s Beiträge zur Geburtshilfe und Gynäkologie. 

Bd. V, Heft 2. Leipzig, Arthur Georgi. 

II. S e 11 h e i m - Freiburg i. B.: Ueber normale und unvoll¬ 
kommene Dammbildung. (Mit 4 Abb. und 1 Tafel.) 

Der definitive Damm entsteht aus der Wucherung des meso¬ 
dermalen Gewebes in der Umgebung des Anus. Zu den seltenen 
Missbildungen, die sich als reine Hemmuugsmissblldungen dar- 
stellen, gehört auch die unvollkommene Bildung des definitiven 
Dammes. Diese hat S. bei Personen, die auch sonst in der Ent¬ 
wicklung zurückgeblieben waren, öfter gesehen und er erklärt sie 
damit, dass die Ränder der ektodermalen Kloake sich am Mast¬ 
darm nur in geringem Umfange geschlossen haben. In einer 
Tabelle sind 22 Fälle zusammengestellt: „kurz“ nennt S. einen 
Damm unter 2.5 cm. ..sehr kurz“ unter 1,5 cm. Oft war Tiefe und 
trichterförmige Gestalt der Vulva, schlechte Entwicklung der 
Brustdrüsen und des Mohr veneris, der Scheide, des Uterus und 
infantiler Charakter des knöchernen Beckens zu finden; also 
handelt es sich bei der Anomalie um eine Theilersclieinung einer 
allgemeinen mangelhaften Ausbildung. 

Derselbe: Unvollkommener Descensus ovariorum. (Mit 
1 Tafel.) 

Gleichfalls eine Arbeit über eine Eutwickelungsstörung beim 
weiblichen Geschlecht, nämlich eine exquisite Hochlageruug der 
Eierstöcke. Diese wird angenommen, wenn unter Ausschluss 
sonstiger pathologischer Prozesse die Ovarien wenigstens theil- 
weisc im grossen Becken liegen. Auch hier fanden sich oft noch 
andere Entwickelungsstöirungen, sehr oft auch Rückwärtslagorung 
des Uterus: bei 4 Personen war deutlich nachzuweiseu, dass die 
IJingsach.se der Ovarien parallel der Körperlängsachse lief. 

F. A. I\ e h r e r-Heidelberg: Ueber tubare Sterilisation. 

Ueber diese Frage sind die Ansichten noch sehr getheilt. 
K. führt 4 Fälle aus seiner Praxis an. iu 2 Fällen war die Be¬ 
rechtigung zur Operation gegeben durch „Erschöpfung“ der 
Frauen, in 1 Falle durch rechlivirte Ilernia lin. alb., in 1 Fall 
durch schwere Psychose. Naehherige Konzeption trat nie ein. 
Von den verschiedenen Methoden ist am besten Resektion grösserer 
Tlieile der lsthmi und Keilexcision der Tubeuecken. Bei der Iudi- 
kationsstellung muss vorausgesetzt sein, dass andere antikonzep¬ 
tionelle Mittel versucht, lebende Kinder vorhanden und beide 
Gatten einverstanden sind. In diesem Falle Ist die Sterilisation 
angezeigt bei Beckenenge 2. und 3. Grades, bei ungünstigen kon¬ 
stitutionellen Zuständen, schweren chronischen Allgemein- und 
Loknlkrankhoiten und als Gclegenheitsoperation bei Laparotomien 
aus besonderen Gründen. 

E. K n a uor - Wien: Die Erfolge der an der Klinik Chrob&k 
wegen Gebärmutterkrebs ausgeführten vaginalen Totalexstir¬ 
pationen. 

K. stellt, ein Material von 10 Jahren zur Verfügung. Die Ge* 
sammtzahl der wegen Unreinem hilfesuchenden Kranken betrug 
1374, d. i. 3.4 Proe. des (iesammtkrankcmnatorials. 236 dieser 
Fälle wurden „radikal" operirt, 213 durch vaginale Totalexstir¬ 
pation, 23 auf andere Weise. Operirt wurde, so lange noch Aus¬ 
sicht. war. im Gesunden zu exstirpiren, also auch nach Ueber- 
schroiton der Utcrusgronze durch das Carcinom. 21 Fälle, wo 
wegen stark fortgeschrittener Erkrankung nur palliativ operirt 
wurde, müssen hei der Berechnung des Erfolges abgezählt werden: 
sie starben bald an Recidiv, also haben hier Pall lat ivexstirpationeu 
zu unterbleiben, vielmehr ist die hohe Amputation zu machen. Bei 
12 von den 213 bleiliondon vaginalen Totalexstirpationen trat im 
Anschluss an die Operation der Tod ein. 6 andere starben an 
Allgcineinlciden. 19 wurden nicht kontrollirt und somit bleilien 
noch 176. Dauerheilungen — mindestens 5 Jahre Rectdivfreiheit — 
kamen vor hierbei in 34.6 Proe., die Operabilität lag zwischen 
15.0 Proe. und 29.2 Proe., d. h. von allen so operirten Uteniscarci- 
liomcn wurden 7.7 Proe. geheilt. Das S c h u c h a r d t’sche Ver¬ 
fahren ist am besten mit der Igniexstirpation zu vereinigen. 

S. O 1» e r n d o r f e r-Genf: Ein Fall von Chorioangiom. 
(Mit 1 Fig.» 

O. fügt den 40 bisher beschriebenen Placentatumoren einen 
hinzu, der dicht neben der Nabelschuurinsertion sass, nur aus 
einem mit dem Choriouiiberzug identischen Stroma und ungemein 
zahlreich entwickelten Capillaren bestand. 

R. F re u n d - Halle: Beiträge zum Ulcus rodens vulvae. 
(Mit 1 Tafel.) , ^ 

Besprechung zweier Fälle und des Zusammenhanges zwischen 
Ulcus rodens, Lues, Elephantiasis und Tuberkulose. F. hält seine 
Beobachtung für primäre Vulvatuberkulose. 

H. S c li tt h m a c h e r - Strassburg: Experimentelle Beiträge 
zur Eklampsiefrage. 

Eine sehr interessante, auf schönen Untersuchungen basirende 
Arbeit. Die Versuche wurden an Kaninchen angestellt und zwar 
uurde unter grössten Vorsichtsmaassregeln CINa-Lösung. Harn 
und Serum von gesunden nicht schwangeren, schwangeren und 
kranken schwangeren Frauen, wie auch Fruchtwasser in die Ju- 
gularis oder Femoralis injizirt. Sie ergaben Folgendes: Boi ge¬ 
ringem Salzgehalt können von der CINa-Lösung bedeutende Mengen 
ohne Schaden eingeführt, werden. Urin gesunder Nichtschwangerer 
macht Krämpfe. Der Urin gesunder Schwangerer und Wöch¬ 
nerinnen hat bald höhere, bald niedrigere Toxlcität. kein Sinken 
oder Steigen derselben je nach der Nähe der Entbindung; bei 
den Puerpercu* ist keine Zunahme der Giftigkeit zu sehen: diese 
hängt besonders ab vom spezifischen Gewicht. Bei den Versuchen 
mit dem Harn von Kranken, die Nephritis gravidarum hatten, 
zeigte es sich, dass dieser nicht giftiger war als der von gesunden 
Schwangeren, dass der Albumingehalt einflusslos ist, dass aber 
winler die Konzen' ••ation entscheidet. Der Urin Eklamptischer 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1935 


l>esltzt zwar scheinbar bei deu Konvulsionen starke Giftigkeit, in¬ 
dessen beruht diese nur darauf, dass dieser Harn eine stark 
konzentrirte CINa-Lösung darstellt. — Das Serum ist viel wirk¬ 
samer und jede intravenöse Injektion ist für das Thier lebens¬ 
gefährlich. Die Sera der verschiedenen Individuen sind sehr ähn¬ 
lich, das foetale Blut hat keinen hohen Toxingehalt; wie das 
Serum verhält sich auch das Fruchtwasser. 

W. Zangemeister - Leipzig: lieber Ammoniakgehalt 
des Urins in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mit Be¬ 
rücksichtigung der Eklampsie. 

Nach genauen Untersuchungen, die Z. an Gesunden und 
Kranken anstellte, kommt er zu dem Resultat, dass der eklamp- 
tische Urin auch bei stark darniederliegender Diurese einen relativ 
geringen Ammoniakgehalt besitzt; zwar will Z. einen direkten 
Zusammenhang mit der Eklampsie darin nicht erblicken, indess 
Ist die eklampti8che Niere ln ihrem Durchlässigkeitsvermögen für 
gewisse Salze gestört. Vogel- Würzburg. 

Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 14. Bd. 

2. Heft. 

1) A. R 1 e c k - Altona: Vaginifixur und Geburt. (Schluss.) 

Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein in Hamburg; Referat 

s. d. Zeitschrift, Jahrgang 47, No. 41. 

2) G. H a u f f e - Posen: Ein. Beitrag zur Wehenerregung 
allein durch intrauterine, wenig nachgiebige Gummiblasen. 

Der Ballon fand in 24 Fällen von Fehl-, Früh- und recht¬ 
zeitigen Geburten Anwendung. Er wurde zuerst von Zweifel 
angegeben und besteht aus einem etwa kleinüugerdicken bieg¬ 
samen, mit Hahnverschluss versehenen Metallrohr, Uber dessen 
Ende ein Saughütchen geschoben und mit einem Seideufaden be¬ 
festigt wird. Nach Einführung in den Uterus wird der Sauger 
mittels Stempelspritze mit Lysollösuug auf 80—120 ccm ausge¬ 
dehnt. Die Methode ist billig und leicht anzuwenden und soll 
den Vortheil haben, dass der überdehnte, nur wenig zusamineu- 
drückbare Balleu mit Sicherheit den Muttermund so weit er¬ 
weitert, dass ein grösserer Ballon eingeführt oder zerstückelnde 
Operationen vorgenommen werden können. Eine Belastung des 
Ballons wurde gewöhnlich nicht angebracht. 

(Die Ausführungen können in manchen Punkten nicht ohne 
Einwand bleiben. Die Contraindikation der Wendung pag. 279 
bezieht sich doch wohl nur auf Erstgebärende? D. Ref.) 

3) A. S i p p e 1 - Frankfurt: Kaiserschnitt wegen Eklampsie. 

Verf. vertritt die Ansicht, dass die Sectio caesarea bei 

Eklampsie berechtigt ist, wenn die äusseren Bedingungen zur 
Vornahme einer solchen Operation erfüllt sind und eiue schouendere 
Entbindung für Mutter und Kind ausgeschlossen ist. 

Mittheilung eines Falles. 

4) R. Kossmann - Berlin: Zur Geschichte des Wortes 
„Eklampsie“. 

Forschungen Uber die Entstehung des Wortes „Eklampsie" 
und seine Anwendung von der Zelt des Hippokrates an. 

5) E. P e i s e r - Berlin: Zur Kenntniss der Implantations¬ 
geschwülste von Adenocystomen des Ovariums. 

V/g Jahr nach Exstirpation einer in Folge nicht aseptischer 
Punktion vereiterten allgemein verwachsenen glandulären Ovarial- 
cyste fand sich eine Implantationsmetastase der Bauchwaud in 
der Gegend der Punktionsstelle. Der Tumor ist faustgross, derb, 
überragt die Oberfläche, ist von normaler Haut überzogen und 
hat einige Fistelöffnungen, aus denen schleimig-eiterige Flüssig¬ 
keit sich entleert. 

Entfernung der Geschwulst, die mit einem Convolut von 
Darmschlingen verwachsen ist. An zwei Stellen hatte die Ge¬ 
schwulst den Darm durchbrochen und sich im Darmlumen weiter 
entwickelt 

Das Präparat besteht aus kleinen, miteinander zum Tlieil 
kommunizirenden Cysten und zeigt mikroskopisch das Bild des 
Cystoma proliferum glanduläre ovarii. 

Verf. deutet den Fall so, dass durch die Punktion Zellen 
der gutartigen Ovarialgeschwulst ln die Bauchwunde verpflanzt 
wurden und sich dort zur Geschwulst entwickelten, dass also 
derartige Zellen im Stande sind, ausserhalb der Peritonealhöhle 
lebend zu bleiben und Tumoren zu bilden, die in ihrem Aufbau 
dem Muttergewebe gleich sind. 

Der Durchbruch der Geschwulst in den Darm beruht auf 
Usur des vorher durch Entzündung an die Bauchwand flxirten 
Darmes; das Wachsthum in deu Bauchdecken fand durch Ver¬ 
drängen der einzelnen Schichten statt, indem sieh die Geschwulst 
von der Punktiouswunde aus entwickelte. 

6) E. Lichtenstern - Prag: Beitrag zur Lehre vom 
Adenomyoma uteri. 

Halbfaustgrosser, nicht scharf abgegrenzter Tumor in «1er 
Wand des rechten Uterushornes eines 22 jährigen Mädchens. Kx- 
clsion des Tumors, der zum grössten Tlieil aus Muskelgewebe, 
zum geringeren Theil aus Bindegewebe besteht. In seinem Innern 
befinden sich mit Blut angefüllte Hohlräume bis zu Kirschengrösse, 
die mit Epithel ausgekleidet sind und in der Wand reichliche 
Drtiseneinlagerungen haben. In dem Myomgewebe finden sich 
zahlreiche Tuberkel. 

Die Geschwulst ist den kongenital angelegten „schleim- 
häutigen“ Adenomyomen zuzurechnen. Die Wnudliekleiduug der 
mit Blut angefüllten Hohlräume gibt ein typisches Bild der liieu- 
struirenden Uterussehleimhaut. Die Ilolilräume stammen daher 
sehr wahrscheinlich von embryonal verlagerter Uterusmucosa ab. 
Die zur Zeit der Regel bei der Pat. auftretenden kolikartigen 
Schmerzen, die mit der Entfernung des Tumors verschwanden, 
finden eine Erklärung in der Betheillgung der Schleimhaut der 


Ilohlräume an der Menstruation, die die Blutstauung in den 
Cysten zur Folge hatte. 

Eine entzündliche Ursache der Gesellwulstbilduug selillesst 
Verf. aus und hält die tuberkulöse Affektion für das Sekundäre. 

Weinbreuner - Erlangeu. 

Archiv für Kinderheilkunde. 32. Bd., 3. u. 4. Heft. 

Th. Hryntschak - Wien: Ueber Fhosphorleberthran und 
Phosphortherapie. 

Verfaser wendet sich gegeu K a s s o w 11 z und die von 
diesem vertretene Phosphortherapie. Gleich M o n t i und 
Zweifel weist H. nach, dass aus Flaschen mit Phosphorleber- 
thrau, die länger im Gebrauch sind, der Phosphor verschwinde 
und gibt als Beweis eine einfache, haudllche Methode zum Nach¬ 
weis von Phosphor an; ferner ist er gegen die Verwendung des 
Leberthrans als Vehikel, welcher schwer zu nehmen und oft 
schlecht vertragen werde. Die von Kassowitz früher ge¬ 
gebene Erklärung der Heilung der Rachitis hält Verfasser für 
falsch und mit den physikalischen Gesetzen der Hydrodynamik 
für unvereinbar, für gleich unrichtig die hellende Wirkungsweise 
des P-Leberthrans. Ferner weist Hr. auf den mit und ohne Thera¬ 
pie langsamen Verlauf der Rachitis hin, betont die grosse Zahl 
der Spontanheilungen und tadelt die allzu schematische Dia¬ 
gnostik und Therapie der Rachitis, wie sie von Kassowitz 
geübt wird. 

Jos. Esser- Bonn: Enteritis syphilitica unter dem Bilde 
der Melaena neonatorum. 

Ein Kind verstarb am 10. Lebenstage nach dem Auftreten von 
Darmblutungen und Blutungen aus einer Schwellung des Hand¬ 
rückens. Die Obduktion zeigte, dass das Kind congenital luetisch 
war, im Darm fanden sich, theils ulcerirte, Verdickungen als Quelle 
der Blutuug; von den mikroskopischen Befunden sei nur hervor¬ 
gehoben die Verdickung der Media vieler Gefässe. 

T. Luzattl und P. Sorgente: Heber einen Pall von 
paroxysmaler Haemoglobinurie a frigore. Klinische Beobach¬ 
tungen und experimentelle Untersuchungen. (Aus der Universi¬ 
täts-Kinderklinik zu Rom, Prof. C a n c e 111.) 

Ein 7 jähriges Mädchen litt au Haemoglobinurie, welche be¬ 
sonders im Winter auftrat und auch künstlich durch Abkühlung 
hervorgerufen werden konnte. Die Verfasser waren in der Lage, 
eine grosse Reihe von Versuchen und Beobachtungen darüber an- 
zustcllen, bezüglich deren Details auf das Original verwiesen 
wird. 

O. C o z z o 1 i n o - Neapel: Ueber Säuerung von Kuh-, 
Schaf-, Eselin- und Frauenmilch durch Bacterium coli commune. 

Verfasser versetzte die verschiedenen Milcharten mit C'oli- 
bacillen und bestimmte die unter verschiedenen Bedingungen er¬ 
haltenen Säuregrade; die Intensität der Milchacidität lässt auch 
Schlüsse zu auf die Güte und Verdaulichkeit der Milch überhaupt, 
und es zeigte sich bei den vielen Versuchen die Frauenmilch den 
anderen Milcbarteu ül>erlegeu. 

E. Neter: Die Beziehungen der congenitalen Anomalien 
des S romanum zur habituellen Verstopf ring im Kindesalter 
(zur Hirschsprun g’schen Krankheit) und zum Volvulus 
flexurae sigmoideae der Erwachsenen. (Aus der Kinderpoliklinik 
des Privatdoceuteu Dr. N e u m a n n ln Berlin.) 

Verfasser erörtert die anatomischen, beim Kinde ln Frage 
kommenden Verhältnisse: diese sind besonders eine relative 
grössere Längenausdehnung des S romanum als beim Er¬ 
wachsenen; ferner hat es ein freies längeres Mesenterium, dessen 
Endpunkte weiter von einander absteheu und einen stumpferen 
Haftwinkel bilden als später: dazu kommt eine zahlreichere 
Schlingeubildung. Diese Momente zusammen ermöglichen das 
Zustandekommen der sogen. Hirschsprun g'uehen Krankheit 
— exccssive chronische Obstipation, Dilatation und Hypertrophie 
des Kolon und ihre meist deletären Folgezustände: die Krankheit 
scheint aber auf Grund der prädispoidrenden anatomischen Ver¬ 
hältnisse erworben und nicht angeboren zu sein; wahrscheinlich 
besteht auch ein Zusammenhang zwischen der Hirsch- 
s p r u n g’schen Krankheit des Kindesalters und dem Volvulus 
flexurae sigmoideae der Erwachsenen. Verfasser bringt auch zwei 
eigene einschlägige Beobachtungen, von denen die eine den günsti¬ 
gen Erfolg der operativen Therapie, der In einer grossen Resektion 
der Flexur bestand, illustrirt. 

C. Stam in - Hamburg: Ueber Spasmus nut&ns der Kinder. 

Erörterung über das Wesen dieser Affektion au der Hand von 
8 eigenen Beobachtungen; diese mit Spasmus nutans behafteten 
Kinder wiesen sämmtllch Rachitis und, bis auf eines, Nystagmus 
auf; die drei Krankheitserscheinungen sind untereinander wohl 
aetiologisch verknüpft 

Vollmilch, Kuhmilchverbesserung und Muttermilch. Ein 

Briefwechsel zwischen Prof. Biedert-Ilagenau und Dr. Oppen¬ 
heim er-München. 

Eiue Kritik B i e d e r t's der früher erschienenen Arbeit 
Oppenheimer*» über Saugllngsemährung mit Vollmilch; 
daran anschliessender Meinungsaustausch lieider Autoren. 

Referate. L 1 c li t e u s t e i n - München. 

Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluss der 
Stoffwechselpathologie und der Diätetik. Herausgegeben von 
Dr. J. Boas- Berlin. Band VII. Heft 4 u. 5. 

18) Hemmeter und Stokes- Baltimore: Chronische 
hypertrophische Gastritis syphilitischen Ursprungs in Ver¬ 
bindung mit hyperplastischer Pylorusstenose. 

Obiger Fall stellt ein Beispiel hypertrophischer Gastritis dar 
in Verbindung mit Stenosirung des Pylorus, auf syphilitischer 


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1936 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


Grundlage entwickelt. Die eingehende Beschreibung sowohl ana¬ 
tomisch, wie klinisch und histologisch darf umsomehr allgemeines 
Interesse beanspruchen, als ja die Syphilis des Magens durchaus 
keine so seltene Krankheitsform darstellt, wie man früher all¬ 
gemein geneigt war anzunehmen. 

19) Marischier - Lemberg: Ueber den Einfluss des Chlor- 
natriums auf die Ausscheidung der kranken Niere. (Medicin. 
Klinik Prof. G 1 u z i n s k i.) 

Nach Untersuchungen von v. Limbeck und Dresser 
(Areh. f. experim. Pathol. Bd. XXV. u. XXIX) wirkt das intern 
eingeführte NaCl bei gesunden Nieren stark diuretisch durch 
direkte Erregung des wassersekretorischen Apparates der Niere. 
Bezüglich des entsprechenden Verhaltens bei Nephritis hat Ver¬ 
fasser bei einer Reihe von Nephritikem Stoffwechselversuche 
unternommen und lautet das Ergebniss seiner Untersuchungen, 
dass bei parenchymatöser Nephritis die wassersecernirende 
Thütigkeit der Nieren darniederliegt im Gegensatz zu den inter¬ 
stitiellen Formen, in welchen sie ziemlich erhalten bleibt; die 
Chloride selbst werden bei parenchymatöser Nephritis gleichzeitig 
mit der Wasserretention zurückgehalten. 

20) E 1 n h o r u - New-York: Ueber die idiopathische Oeso- 
phagusdilatation. 

Unter idiopathischer Oesophagusdilatation verstehen wir den¬ 
jenigen Zustand, in welchem eine Erweiterung der Speiseröhre 
statthat, ohne dass irgend ein mechanisches Hinderniss inner¬ 
halb oder ausserhalb der Wand des Oesophagus oder der Kardia 
vorhanden ist, d. h. die Differentialdiagnose muss maligne Ge¬ 
schwülste, Traktionsdivertikel oder Antrum der Kardia aus- 
schliessen. So priizisirt Einhorn seine Ansicht über obiges 
Kraukheitsbild, um dann nach einem zusammenfassenden Rück¬ 
blick über die von anderen Autoren bisher publizirten Oesophagus- 
dilatationen seinerseits 10 neue Fälle zu veröffentlichen. Eine 
out sprechende Diät. Uebungen zur Beförderung des Essens durch 
Kompression des Brustkastens und abendliche Ausspülungen des 
Oesophagus sind nach Einhorn die Hauptpunkte der Therapie. 

21) S c h ü 1 e - Freiburg i. B.: Die diagnostische Bedeutung 
des Magenplätscherns. 

Wohl wenige Symptome werden in der Magenpathologie so 
verschiedenartig bewerthet betreffs ihrer diagnostischen Bedeu¬ 
tung wie die sogen. Plätschergeräusche und doch liegt auch hier 
wie bei so vielen anderen Erscheinungen die Wahrheit in der 
Mitte. Auch bei völlig magengesunden Individuen ist dieses Phä¬ 
nomen auszulöseu. Allerdings sind hiezu ziemlich starke Er¬ 
schütterungen des Abdomens nöthlg (uud niemals tritt bei einem 
gesunden Menschen während des Gehens oder bei leichter körper¬ 
licher Bewegung Magenplätschern auf). Hingegen ist das, wie 
Sahli es benennt, oberflächliche Plätschergeräusch kein nor¬ 
males Phiinomen. Dasselbe spricht immer für einen Zustand 
von Atonie der Magenwand (cf. No. 14: Zweig, Bd. VII, H. 3. 
No. 35 Münch, med. Woclieuschr.), doch kann aus der Intensität 
des Geräusches keinerlei Schluss auf den Grad der Atonie ge¬ 
zogen werden. 

22) Stiller- Ofen-Pest: Die stigm&tische Bedeutung der 
Costa decima fluctuans. 

Die mobile 10. Rippe, sagt Stiller, ist ein Stigma der 
Euteroptose, der Atonie, der Neurasthenie und der nervösen Dys¬ 
pepsie, d. li. diese vier Elemente bilden die Gruudzüge eines auf 
eiuer augeborenen wahrscheinlich erblichen Anlage beruhenden 
Krankheitsbildes, der Astkenia universalis congenita, deren Be¬ 
griffskreis Stiller zuerst ausgesteckt hat uud wofür er eben 
die Costa decima fluctuans als Monostigma bezeichnet. Nach aus¬ 
führlicher Begründung dieser seiner Ansicht wendet sich Stiller 
gegen Zwelg’s Arbeit im vorigen Hefte „die Bedeutung der Costa 
fluctuans decima" und es gelingt ihm entschieden, Z w e l g's An¬ 
griffe, sowohl auf anatomischem wie klinischem Gebiete, ver¬ 
schiedentlich abzuseklugeu beziehungsweise zu entkräften. Was 
S t i 11 e r’s Stellung zur Frage der atonisclien Ektasie anlaugt, 
so hält er diese Form der Dilatation für die allerhäufigste, die 
Zahl der obstruktiven Ektasien um Vielfaches übertreffend. Ich 
für meine Person kann dem nur hinzufügen, dass ich trotz des 
grossen mir bei Dr. Crämer zugänglichen Materials, einen wirk¬ 
lich einwandfreien Fall atonischer Ektasie noch nicht gesehen 
Imlie. 

23) R e n c k i - Lemberg: Die diagnostische Bedeutung der 
mikroskopischen Blutuntersuchung bei Carcinoma und Ulcus 
ventriculi rotundum mit besonderer Berücksichtigung der Ver- 
dauungsleukocytose. (Med. Klinik Prof. G 1 u z i u s k 1.) 

Die nicht unwesentlichen Abweichungen der bisherigen Be- 
obachtungsresultate von einander lassen eine neuerliche Prüfung 
obiger Fragen nur lebhaft begriissen. Die Blutveräuderuugeu, 
die bei beiden Krankheiten oft angetroffen werden, beziehen sich 
nt auf die rothen, b) auf die weissen Blutkörperchen und c) auf 
die Verdau ungsletikoey tose. Zu a> lautet Rencki's Unter- 
suchungsresultat, dass die rothen Blutkörperchen in Fällen von 
Neubildungen und rundem Magengeschwür sowohl normale Ver¬ 
hältnisse als auch pathologische Veränderungen hinsichtlich Zahl, 
Gestalt und Hglb-Gehalt aufweisen können, doch zeigen diese letz¬ 
teren keinerlei charakteristische Eigenthümliclikeiton für die zwei 
so verschiedenen Krankhoitsproeosse. Weder das Sinken des Hglb- 
Gchaltes unter «50 Prot*, ist diagnostisch verwerthbar für Carcinom, 
noch ist die Gegenwart kernhaltiger rot her Blutkörperchen ein 
Ausschliessungsgrund für Ulcus. Es lässt sich lediglich konsta- 
tireii. dass Blutarmuth bei Neubildungen des Magens häutiger und 
bedeutender ist als bei Magengeschwür. Bezüglich der weissen 
Blutkörperchen fand Rencki: das Procentverhältniss derselben 
liefert keine charakteristischen Merkmale, kann also diagnostisch 


keine Bedeutung haben. Von dem Resultat der Versuche betreffs 
Punkt c) erwähne ich folgende Schlüsse: Während der Verdauung 
der Eiweisskörper ist in der Mehrzahl der Fälle Verdauungs- 
leukocytose vorhanden uud ist ihr Auftreten au die normale 
Funktion des Pylorus und Darmes gebunden. Vou krankhaften 
Veränderungen dieser lieiden ist der Mangel au Verdauungsleuko- 
cytose bei pathologischen Zuständen des Verdauungskanals ab¬ 
hängig. Der Mangel der Verdauungsleukocytose bei gesunden 
Menschen ist auf eine Schwäche der Kontraktionsfähigkeit des 
Pylorus zu beziehen, welche eine Insufflcienz zur Folge hat. Es 
kann also auch die Verdauungsleukocytose. beziehungsweise ihr 
Vorhandensein oder Fehlen nicht als differeutialdiaguostisches 
Symptom in zweifelhaften Fällen einer Neubildung oder eines 
Magengeschwürs angesehen werden, da sie von der Natur des 
Leidens selbst unabhängig ist. 

24) J. Boas-Berlin: Beiträge zur Kenntniss des Magen- 
carcinoms. 

An der Hand eines Materials von 141 Magencarcinomen, das 
Boas in den letzten Jahren beobachtete und zum Thell auch 
länger behandelte, theilt er uns in vorliegender Arbeit einige 
seiner klinischen Erfahrungen beim Magenkrebs mit und zwar 
erstreckt sich seine Besprechung auf Beginn, Verlauf und Kom¬ 
plikation des Mageucarcinoms, ferner das Verhalten des Darms 
und Urins. Wegen des grossen Interesses, das diese Arbeit für 
joden Arzt bietet, erlaube ich mir etwas ausführlicher auf die¬ 
selbe einzugehen. Der Beginn ist keineswegs immer ein schlei¬ 
chender, vielmehr oft ganz akut einsetzend oder sich mit einer 
plötzlichen Blutung per os oder anum maulfestirend. Besonders 
bei wiederholter Blutung ist die Unterscheidung, ob Ulcus, 
Ulcuscarciuom oder primäres Carcinom, oft sehr schwer. Wenn 
im Ganzen der Satz, dass bei Carcinom der Appetit meist stark 
herabgesetzt ist, auch zu Recht besteht, so ersehen wir doch aus 
den beigegebenen Krankengeschichten, dass das Verhalten des 
Appetits in den verschiedensten Graden uud Nuancen wecliselu 
kann, ebenso ist, wie auch schon andere Praktiker wiederholt 
betQnt haben, vou einem erkennbaren Connex zwischen dem 
schweren pathologischen Process des Magens und dem Verhalten 
der Zunge gar keine Rede. Für den zeitlichen Verlauf des Car- 
cinoms ist eutscheidend die Art des Tumors und sein Sitz, ob 
am Pylorus oder Fundus, da im ersteren Falle die Stagnation doch 
viel häutiger uud dadurch eben ein weiteres ungünstiges Moment 
geschaffen wird, die Neigung zu ulcerativem Zerfall und kapil¬ 
lären Blutungen. Bestimmend sind natürlich für den Verlauf 
ajuch Komplikationen von Seiten anderer Organe, am häufigsten 
kommen wohl Störungen der Darmthätigkeit in Betracht. Im 
Gegensatz zu Müller und T r i p i e r, die bei Magencarciuom 
bis zu 50 Proc. Diarrhöen konstatirten, fand Boas diese nur 
in etwa 4 Proc., während in der Mehrzahl der Fälle Obstipation 
bestand. Vereinzelt kamen auch zur Beobachtung: Oedeme und 
Ascites, epigastrische Hernien, Schwellung der Supraclavicular- 
und UmbilicaldrÜ8en, sekundäre Nabelcarcinome, Lebermetastasen, 
Neurasthenie. Albuminurie gehört nach Boas’ Erfahrung zu 
den überaus seltenen Vorkommnissen, ebenso selten ist der Be¬ 
fund vou Zucker im Harn. Indican ist, wie besonders Senator 
hervorgehoben hnt, eine häufige Komplikation jener Fälle mit 
starker Pylorusstenose. Für die Frage der Häufigkeit des Zu¬ 
sammentreffens von Carcinom und Lungentuberkulose, welche 
Thatsache ja heutigen Tages feststeht, hält Boas seine beob¬ 
achteten Fälle nur theilweise verwerthbar. Jedenfalls steht 
Boas auf Grund seiner Wahrnehmungen auf dem Standpunkt, 
die Lungenaffektiou als das den Widerstand des Organismus 
gegenüber der zweiten Infektion herabmindernde, primäre Leiden 
zu betrachten. A. J o r d a n - Müucheu. 

Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 34. Bd., 
3. Heft. 1901. 

M. Probst- Wien: Ueber den Bau des vollständig balken¬ 
losen Grosshiras, sowie über Mikrogyrie und Heterotopie der 
grauen Substanz. (Mit 0 Tafeln.) 

Der Verfasser gibt eine eingehende makroskopisch- und mikro¬ 
skopisch-anatomische Beschreibung des balkenlosen Gehirns eines 
epileptisch - blödsinnigen Mädchens mit Beugekontrakturen. Au 
Stelle dos Balkens tritt bei dem bisher fünfzehmnal am ausgo- 
bildeten Gehirn beobachteten Balkenmangel ein im normalen Ge¬ 
hirn nicht vorkommendes „Balkenlängsbündel“. Der epileptische 
Blödsinn steht in Beziehung zu der häutig gleichzeitig beob¬ 
achteten Mikrogyrie und Heterotopie der grauen Substanz. 

II. Wachsmntli- Marburg: Cerebrale Kinderlähmung 
und Idiotie. (Mit 2 Tafeln.) (Aus dem Landeshospital Merx¬ 
hausen.) 

Unter 185 Idioten hatten 22 unzweifelhafte cerebrale Kinder¬ 
lähmung (11,89 Proc.). Für die Hälfte davon Hess sich erbliche 
psychopathische Belastung nachweisen, besonders häufig Trunk¬ 
sucht des Vaters. Schwer belastet waren namentlich die Fälle 
„kongenitaler“ cerebraler Kinderlähmung. Degeneratiouszeichen 
fanden sich mehrfach. Bei anderen Fällen waren Infektionskrank¬ 
heiten die Ursache der Lähmung, niemals Syphilis. Epileptische 
Krämpfe blieben in der Regel nicht nach dem 40—50. Lebens¬ 
jahr bestehen, in einem Falle hörten sie nach einem Typhus schon 
früher für immer auf. Die psychische Schädigung (Idiotie) ent¬ 
spricht nicht immer dem Grade der Iäilnnung; eines kann auch 
ohne das andere als Folge der gleichen Gehirnerkraukung Zurück¬ 
bleiben. 

Irma K 1 a u s u e r - Halle: Ein Beitrag zur Aetiologie der 
multiplen Sklerose. 


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26. November 1901. 


MTTENCHENER MEDICTNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1937 


Alle irgendwie für die Entstehung der multiplen Sklerose in 
Betracht kommenden Momente sind aus einem Material von 12«! 
Fällen statistisch verwertliet. Der daraus gezogene Schluss, dass 
Infektionen und Intoxikationen entweder gar keine oder nur als 
auslösende Faktoren eine Rolle spielen, führt zu der Annahme, dass 
der multiplen Sklerose in der Hauptsache ein endogener Ur¬ 
sprung zukommt. Dafür spricht auch der relativ häutig geführte 
Nnchweis nervös-erblicher Belastung, sowie das vereinzelt vor- 
kommeude familiäre Auftreten der Krankheit. Dennoch wird die 
Möglichkeit offen gelassen, dass die multiple Sklerose eine chro¬ 
nische Infektionskrankheit sui generis ist. 

L. v. M u r a 11 - Burghölzli (Zürich): Ueber das Nerven¬ 
system eines Hemicephalen. (Mit einer Tafel.) 

Die interessanten Ergebnisse dieser anatomischen Arbeit 
lassen sich nicht in einem kurzen Referat Zusammenflüssen. Be¬ 
sonders bemerkenswerth ist das Erhaltenbleiben der Spinal¬ 
ganglien mit den Hintersträngen, des Sympathicus und der Brust- 
markseitenhornzellen. sowie die Möglichkeit selbständiger Aus¬ 
bildung der Ilautsinuesorgane bei einer primären Bildungs- 
hemmung des Medullarrolirs, die ihren höchsten Grad im Kopf¬ 
ende erreichte und von da caudalwärts abnahm. 

Adolf Wallenberg - Danzig: Anatomischer Befund in 
einem als „akute Bulbäraffektion (Embolie der Art. cerebellar. 
post. inf. ainistr. P)“ beschriebenen Falle. (Mit 2 Tafeln.) Vergl. 
Arch. f. Psych. Bd. XXVII, Heft 2, S. 504. 

Die Sektion ergab einen Verschluss der genannten Arterie 
durch einen Thrombus, der in Folge von Arteriosklerose ln loco 
oder in der linken Vertebralis gebildet worden war. Der dadurch 
entstandene Erweichungsherd lag in der linken Hälfte der Medulla 
oblongata am Eingang zum Centralkanal und hatte dort eine 
scharf umschriebene Quersclinittslaesion bewirkt. Bezüglich der 
eingehenden Schilderung der anatomischen Einzelheiten und der 
daraus für den klinischen Befund gewonnenen Ergebnisse muss 
auf das Original verwiesen werden. Der Fall ist auch bemerkens¬ 
werth wegen der ausserdem beobachteten congenitalen Opticus¬ 
atrophie mit Cataract und Mikroeeplialus. die durch besonders 
starke Entwicklung des Nervus coclilearls eompensirt waren. 

A. F o r e 1 - Zürich: Selbstbiographie eines Falles von 
Mania akuta. 

Die selbstverfasste Krankengeschichte einer seit 10 Jahren 
geheilt gebliebenen gebildeten Dame mit ausführlicher tabel¬ 
larischer Uebersicht aller während der Krankheit vermerkten 
Sinnestäuschungen und Wahnideen gibt mit dem gleichfalls init- 
getheilten Anstaltsbericht einen lehrreichen Beitrag zur Kenntniss 
akuter Psychosen. 

R. H e n n e b e r g - Berlin: Heber Spiritismus und Geistes¬ 
störung. 

Die hier mltgetheilten Krankengeschichten lehren, dass so¬ 
wohl neuropathisch veranlagte wie nicht krankhaft disponirte 
Personen in Folge intensiver Beschäftigung mit spiritistischen 
Experimenten von tiefgreifenden, meist hysterischen Geistes¬ 
störungen befallen werden können. Besonders unheilvoll und 
allein schon durch die Störung der Nachtruhe gefährlich scheint 
die Ausübung des „Psychographismus“ zu sein, da sich die An¬ 
hänger des Spiritismus derselben zu jeder Zeit und auch allein, 
oft in übertriebenster Weise, hingeben können. Es ist daher 
Pflicht der Aerzte, namentlich nervöse Personen vor dem Besuch 
spiritistischer Kreise zu warnen, in denen überdies vielfach dem 
Kurpfuscherthum Vorschub geleitet wird. 

26. Wanderversammlung der Südwestdeutschen Neurologen 
und Irrenärzte ln Baden-Baden am 8. und 9. Juni 1901. Re- 
ferirt in No. 25, 1901 dieser Wochenschrift. 

Beferat. J a m i n - Erlangen. 


4 


\ Centralblatt für Baoteriologie, Paraaitenknnde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 16, 1901. 

1) Lode und G r u b e r - Innsbruck: Bakteriologische 
Studien über die Aetiologie einer epidemischen Erkrankung 
der Hühner ln Tirol (1901). 

Die Epidemie hatte sich von März bis .Tuli 1901 auf 121 Ge¬ 
meinden mit Uber 300 Gehöften erstreckt. Im Ganzen konnten 
über 2000 Hühner als inflzirt beobachtet werden. Das auf¬ 
fallendste Merkmal war das B 1 a u w e r d e u des Kammes. 
Die Thiere sträuben die Federn, lassen die Flügel hängen, worauf 
sich bald ein somnolenzartiger Zustand herausbildet, in welchem 
die Thiere allmählich zu Grunde gehen. Der Sektionsbefund war 
so gut wie negativ. Bakteriologisch wurden, mit Ausnahme von 
wenigen Malen, wo es sich um zufälligen Colibefund handelte, 
sowohl im Ausstrich wie auf Plattenkulturen, ein negatives 
Resultat erzielt. Nichtsdestoweniger konnte mit dem Blut der 
eingegangenen Hühner eine neue Infektion erzielt werden, selbst 
mit dem enorm verdünnten Filtrat aus Blutmischungen 
starben dieThiere in derselben kurzen Zeit, als wenn sie mit reinem 
Blut geimpft worden wären. Diese Thatsache legt den Gedanken 
nahe, dass hier Organismen im Spiel sein könnten, die ähnlich 
klein wie bei Maul- und Klauenseuche, die Berkefeldfllter passlrt 
haben würden. 

2) S. Goldberg - Petersburg: Die Agglutinationsreaktion 
bei Infektionen verschiedenen Grades. 

Bei tödtlicher Infektion verhält sich die Aggluti¬ 
nationsreaktion ebenso wie vor der Infektion. Bel nicht tödt¬ 
licher Dosis tritt eine Verstärkung der Agglutinatlonsfählg- 
keit des Blutes ein. Sie ist jedoch bei verschiedenen Thieren ver¬ 
schieden. Die Reaktion wächst allmählich an Intensität an, er¬ 
reicht ein gewisses Maximum und kehrt dann allmählich zu ihrer 
anfänglichen Norm zurück. Während der Immunlsation von 


Thieren gegen Typhus- oder Pyocyane u s Infektion wächst 
die Agglutinationsfähigkeit des Blutes, doch ist ihre Intensität 
dem Grade der Immunität durchaus nicht proportional. Ein An¬ 
wachsen der Agglutinationsfähigkeit des Blutes ist als ein frühes 
Merkmal des erfolgreichen Selbstschutzes des Organismus anzn- 
sehen. 

3) A. Loos-Cairo: Notizen zur Helminthologie Egyptens. 
IV. Ueber Trematoden aus Seeschildkröten der egyptischen 
Küsten. (Schluss.) 

4) E. Coli n-Halle: Troikart zur sterilen Entnahme von 
Gewebetheilen. 

Dieses Instrument ist ähnlich so eingerichtet wie der von 
C. Fraenkel angegebene Apparat zur Entnahme von Boden 
aus tieferen Schichten. Oberhalb der Spitze befindet sich eine 
seharfrandige Aushöhlung, die beim Einstechen in das Gewebe von 
einer Hülse überdeckt ist. Beim Herauszieheu schneidet die 
scharfe Hülse ein Stückchen Gewebe ab, welches In der Höhlung 
liegen bleibt und unversehrt herausgenommen werden kann. 

5) Michaelis- Berlin: Bemerkungen zu dem Aufsatz von 
Karl Reuter. 

Polemischer Natur. R. O. Nemuann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 46. 

1) H. S e n u t o r - Berlin: Ueber Anaemia splenica mit 
Ascites (Bant i’sche Krankheit). 

Vergleiche das Referat der Münch, med. Woehenschr. 1901, 
pag. 1820. 

2) Römer- Marburg: Untersuchungen über die intra¬ 
uterine und extrauterine Antitoxinübertragung von der Mutter 
auf ihre Descendenten. 

Die rein theoretische Annahme, dass unter normalen Ver¬ 
hältnissen ein Uebertritt von Antitoxin auf den Foetus gar nicht 
oder nur in sehr geringem Grade stattlinden kann, konnte Ver¬ 
fasser durch seine Versuche an Pferden bestätigen. Auch an 
Kaninchen wurde ein gleiches Resultat gewonnen. Eine Reihe 
anderer mitgetheilter Versuche zeigten, dass noch stomaehaler 
Antitoxinaufuahme Im Darminhalt und iu den Exkrementen stets 
Antitoxin auftritt, allerdings in geringer Menge im Verhältnis 
zur eiugefülirten Quantität. Hinsichtlich des Genaueren, 1 h*- 
soiulers der zahlreich mltgetheilten Protokolle der Versuche wird 
auf das Original verwiesen. 

3) M. Relmar - Görlitz: Ein Fall von Fremdkörperabscess 
in der Ohrgegend. 

Als Ursache deR Abscesses fand sich in dem beschriebenen 
Falle ein Quarzstückchen, das 15 Jahre früher gelegentlich eines 
Unfalles durch eine neben dem Ohr gelegene Wunde in die Haut 
gekommen und bei der primären Naht zuriickgeblielHm war. Im 
Laufe der Jahre war das Stückchen mindestens 3 cm weit ge¬ 
wandert. Mehrmals während der langen Zeit traten Entzün¬ 
dungen an der betreffenden Stelle auf und wiederholt wurde iu 
dem betreffenden Falle geglaubt, dass die sich wiederholenden 
Abscesse Ihren Ausgang vom Mittelohr nähmen. An anderen 
Fällen erläutert Verfasser noch die Diagnose otogener Abscesse. 

4) P. Asch- Strassburg: Ueber die frühzeitige Diagnose 
der Blasentuberkulose. 

In dem ersten der mltgetheilten Fälle litt der 22 Jährige 
Patient seit 5 Jahren an Blasenbeschwerden, trotzdem der Urin 
klar erschien. Mikroskopisch zeigten sich Blutkörperchen, wess- 
lialb A. cystoskopirte. Dabei fand sich ein Geschwür an der Mün¬ 
dung des linken Ureters. Schliesslich gelang auch der Nachweis 
der Bacillen, und wurde zudem noch durch Thierimpfuug der 
tuberkulöse Charakter der Erkrankung festgestellt. 

Im 2, Fall ergab die Cystoskopie bei dem 34 jährigen Kranken, 
der aus gesunder Familie stammte und früher nur einen Tripper 
durchgemacht hatte, Blutextravasate an verschiedenen Stellen und 
stärkere Blutgefässentwicklung an denselben, ferner eine Ver¬ 
härtung im linken Prostatalappen. Auch hier gelang schliess¬ 
lich der Nachweis der Bacillen im Urin. Bel Blasentuberkulose 
steht der cystoskopischen Untersuchung das Bedenken entgegen, 
dass der tuberkulöse Process dadurch verschlechtert werden kann, 
so dass die Untersuchung nur ausgeführt werden soll, wenn es zur 
Feststellung der Diagnose wirklich nöthig ist. 

5) P. B a u m g a r t e n - Tübingen: Ueber die pathologisch¬ 
histologische Wirkung und Wirksamkeit des Tuberkelbacillus. 

Vortrag, gehalten in der Sitzung der deutschen pathologischen 
Gesellschaft auf der heurigen Naturforscherversammlung in Ham¬ 
burg (24. September). 

Grassmann - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 46. 

1) F. P 1 e h n: Ueber die praktischen Ergebnisse der neueren 
Malariaforschung und einige weitere Aufgaben derselben. (Fort¬ 
setzung folgt) 

2) Heinrich E m b d c n - Hamburg: Zur Kenntniss der metal¬ 
lischen Nervengifte. 

Ueber die chronische Manganvergiftung der Braunsteinmüller. 
Vortrag, gehalten im Aerztlichen Verein zu Hamburg am 15. Okto¬ 
ber 1901; Referat siehe diese Wochenschrift No. 44, pag. 1773. 

3) Alexander v. P o e h 1 - St. Petersburg: Die Nervenüber¬ 
reizungen als Ursache von Autointoxikationen. 

Die Resultate der von P. angestellten Untersuchungen, durch 
welche auch die Angaben von V erworn bestätigt werden, 
lassen sich ln folgende Sätze znsammenfassen: Durch Ueber- 
müdung wird die Alkalescenz der Gewebssäfte, sowie die Energie 
der Oxydntionsprocesse herabgesetzt, dagegen der Gehalt an inter- 




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193S 


MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


mediärcn stickstoffhaltigen Stoffwechselprodukten in den Gewebs- 
siiften erhöht. Ferner lüsst sich eine Abnahme der osmotischen 
Spannung ln denselben, sowie eine Herabsetzung der Strömungs¬ 
geschwindigkeit des Harnkanäleheninhaltes, und endlich auch eine 
solche des elektrischen Leitungsvermögeus der Gewebssäfte kon- 
statiren. 

4) A. Pappen heim - Hamburg: Eine panoptische Triazid¬ 
färbung. 

Nach P. gibt eine Behandlung mit Metliylenazurblau-Eosin 
eine differenzirte gleichzeitige Färbung der Kerne und Leiber der 
Lymphocyten, polynukleären Leukocyten, xanthophilen und 
orythrophilen Erythroblasten, sowie der Granula der neutrophilen 
Zellen, der Mastzellen und der eosinophilen Zellen. 

5) Ed. Ii e i c h m a n n - Berlin: Zur Grössenbestimmung 
innerer Organe. 

Veranlasst durch die ln No. 38 der Deutsch, med. Wochenschr. 
veröffentlichte Arbeit von M. Buch über perkussorische Auskul¬ 
tation beschreibt R. in einer vorläufigen Mittheilung das von ihm 
geübte Verfahren, welches eine Kombination der obigen Methode 
mit dem Auf rech t’schen Friktionsstethoskop bildet und eine 
scharfe Grenzbestimmung der Organe gegeneinander ermöglicht, 
während Veränderungen innerhalb der einzelnen Organe nicht zum 
Ausdruck kommen. 

G) S. W a t e f f - Sofia: Ein Fall von Vergiftung mit 
Oleandrin. 

Beschreibung des klinischen Bildes einer Vergiftung durch 
eine Abkochung von Oleanderblätteru. wie sie in Bulgarien viel¬ 
fach als Abortivmittel gebraucht wird. 

7) Feuilleton: Ueber den Sitz der Damen zu Pferde. 

8> Emanuel Fink- Hamburg: Eine neue Methode der Be¬ 
handlung des Heufiebers und verwandter Affektionen. 

Nach den neueren Untersuchungen beruhen alle in der Form 
einer Coryza nervosa auf tretenden Zustände auf einer Affektiou der 
sekretorischen Fasern des Trigeminus und stammt, die Hydro- 
rrhoea nasalis aus der Kiefer- oder Stirnhöhle, oder aus beiden. 
Durch Einblasen von Aristolpulver nun in die Highmorshöhle ge¬ 
lang es F. in 11 Fällen jedesmul, in einem Falle sogar durch 
eine einmalige Applikation das Leiden zu beseitigen. 

F. Lacher- München. 


Oesterreichuche Literatur. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 4G. 1) A. Pick- Prag: Ueber Symptomenkomplexe, 

bedingt durch di» Kombination subcorticaler Herdaffektionen 
mit seniler Hirnatrophie. 

In früheren Publikationen hat P. schon darauf hingewiesen, 
dass es in Folge einer, ein bestimmtes funktionelles Hirnrinden¬ 
gebiet stärker betreffenden senilen Hirnatrophie zu Herd¬ 
erscheinungen isolirter Art kommen kann. Er veröffentlicht liier 
nun eine Krankengeschichte mit Sektiousbefund, eine 28 Jährige 
Patientin betreffend, aus welcher hervorgeht, dass trotz der schein¬ 
bar zutreffenden klinischen Erscheinungen keine corticale Herd¬ 
affektion vorhanden zu sein braucht, sondern ein subcorticaler 
Herd mit seniler Hirnriudenatrophie die Symptome bei der Sektion 
erklärt. In dem mitgetheilten Falle, welcher rechtsseitige Hemi¬ 
plegie. Aphasie. Störungen des Lesens und Schreibens, endlich 
partielle optische Asymbolie darbot. fanden sich ausser der Hirn¬ 
atrophie noch Herde im Nachhirn, deren histologische Einzelheiten 
im Original ausführlich beschrieben werden. 

2) H. Schloss: Ueber den Einfluss der Nahrung auf den 
Verlauf der Epilepsie. 

Bei 16 epileptischen Kranken, zum Tlieil Männern, zum Theil 
Frauen, hat Verfasser periodenweise bald Fleischkost, bald Milch 
und vegetabilische Kost gereicht. Er schliesst aus seinen Be¬ 
obachtungen, dass ausschliessliche Fleischkost die Anfälle eben¬ 
sowenig vermehrt, wie sie die andere Kostordnung vermindert. 
Fleischnahrung braucht also Epileptischen nicht widerrathen zu 
werden. Weitere Versuche ergaben, dass unter dem Einfluss 
kochsalzarmer Nahrung bei gleichzeitiger Darreichung von Brom¬ 
salzen die Zahl der Anfälle reduzirt, das psychische Befinden nicht 
verändert wird. Dagegen sinkt unter dem Einflüsse dieser Nahrung 
das Körpergewicht und die Kraukeu werden schwach und hin¬ 
fällig. Fett- und säurereiche Kost hat keinen ersichtlichen Ein¬ 
fluss auf die Zahl der Anfälle; auch vermehren mässige Alkohol - 
gaben die Anzahl der Anfälle nicht. 

3) H. v. Halban-Wien: Weiterer Beitrag zur Xenntniss 
der juvenilen Tabes. 

Aus der Krankengeschichte der 23 Jährigen Kranken geht 
hervor, dass sie Im Säuglingsalter durch eine Amme syphilitisch 
iuflzlrt worden war. Trotz der schon früh eingeleiteten spezifischen 
Behandlung bildeten sich allmählich die Erscheinungen der Tabes 
aus, denen schon frühzeitig eine genuine Migräne vorausging, 
welche nicht als Tabessymptom aufgefasst werden darf. Im 
Uebrigen fehlten subjektive Symptome völlig. Bemerkenswerth 
Ist der hier wieder nachgewiesene Zusammenhang mit acquirirter 
Syphilis. 

4) K. Landsteiner - Wien: Ueber Agglutinationserschei¬ 
nungen normalen menschlichen Blutes. 

Der Artikel eignet sich nicht zum Auszug an dieser Stelle. 

Grassmann - München. 


Wiener klinische Rundsoh&n. 

No. 40, 42—44. A. Lorenz-Wien: Ueber die Behandlung 
der Knieankylosen mittels des modellirenden Redressements. 

Je mehr sich die Orthopädie zu einem selbständigen Fache 


der Chirurgie entwickelt, desto mehr werden die alten rigiden 
Ankylosen des Kniegelenkes Gegenstand unblutiger Eingriffe 
werden. Die blutige (Itesektions-) Behandlung ist eigentlich nur 
für die absolut starren knöchernen Ankylosen angezeigt, welche 
nicht mehr als 3—5 Proc. aller Fälle ausmachen. Das bekannte 
Etappenredressement ohne Narkose kommt für die leichteren 
Fälle in Betracht, wo voraussichtlich nur wenige Etappen erforder¬ 
lich sind, die älteren Fälle, gleichviel, ob mehr oder weniger 
starr und ob mehr oder weniger flektirt, behandelt L. uublutig mit 
dem sogen, modellirenden Redressement. Dasselbe wird auf eine 
hier nicht näher zu beschreibende Art mit Hilfe eines Redresseur- 
Osteoklnsten ausgeführt. 

Mit aller Vorsicht wird in Narkose in 1—2 Stunden allmählich 
die Streckung vorgenommen bis zu einer Ueberstreckung. 
welche vor Allem den Zweck hat, durch Ueberdehnung die Elasti¬ 
zität der Weiehtheile möglichst herabzusetzen. Bel rechtwlnkeligeu 
und spitzwinkeligen Ankylosen wird in gleicher Weise, nur noch 
vorsichtiger vorgegangen. Die spitzwinkeligen Ankylosen sind 
selten, die höchsten Grade niemals knöchern. Eine gewisse Ge¬ 
fahr besteht bezüglich der Ausbildung einer Peroneusparalyse. 
Diese tritt jedoch nicht nach kurzem Redressement ein, sondern 
bei längerer Fixirung des frisch redressirten Gliedes ln Ueber- 
streckuug. Zu Fixirung in dieser Stellung soll daher nur langsam 
übergegangen werden. 

Eine Contraindikation bilden secernireude Fisteln; Fistel¬ 
narben ln der Kniekehle gebieten nur vermehrte Vorsicht. Die 
Möglichkeit, das Grundleiden neu anzufachen, Ist auch bei den 
operativen Methoden nie ganz ausgeschlossen. 

Der Verband Ist monatelang nöthig, eventuell muss noch eine 
Nachbehandlung mit Belastung durchgeführt werden. Das Ziel 
des Verfahrens ist nicht eine Beweglichkeit des Kniegelenks, 
sondern eine möglichst feste Ankylose. 

No. 42—43. E. B 1 s c h o f f - Klosterneuburg : Ueber die 

pathologisch-anatomische Grundlage der sensorischen Aphasie. 

Nach kritischer Sichtung des vorliegenden Materiales fasst 
B. die wenigen sichergestellteu Kenntnisse ungefähr so zusammen: 
Die corticale sensorische Aphasie beruht auf einer Laesion der 
akustischen und optischen Sinneseentren der linken Hemisphäre 
(bei Rechtshändern) resp. der associatlven Verknüpfung der 
Sinneseentren mit dem corticalen Sprachgebiet Laesion des 
akustischen Sprachcentrums bewirkt Sprachtaubhelt Störung des 
Nachsprechens und des Diktatschreibens. Laesion der Objekt- 
bildcentren oder ihrer Associationsbahnen bewirkt amnestische 
Aphasie, Alexie und Störung des Copirens. Inwieweit Laesion 
des Klangbildcentrums Paraphasie, Lese- und Schreibstörung be¬ 
wirkt, ist nicht genau bekannt, sehr wahrscheinlich kommen ge¬ 
ringe Störungen dieser Funktionen bei corticaler Sprachtaubhelt 
regelmässig vor. Die Sprnchcentren scheinen funktionell so eng 
untereinander verknüpft, dass sie bei jeder sprachlichen Thätig- 
keit alle Zusammenarbeiten und die Funktionsfähigkeit des einen 
auch eine gewisse Behinderung in der anderen zur Folge hat 

Völlige Intaktheit der Spontansprache kommt daher bei cor¬ 
ticaler sensorischer Aphasie nicht vor, wesshalb der Symptomen- 
komplex der reinen Worttaubheit nicht auf Laesionen des Klang¬ 
bildcentrums bezw. der sensorischen Rindeufelder, sondern auf 
eine Läsion der Projektionsbahn des Klangbildcentrums zurück- 
zuführeu ist. 

No. 44. Kesjakoff - Sofia: Das Protargol bei der Be¬ 
handlung der Gonorrhoe. 

K.’s Erfahrungen an 53 Kranken sind sehr günstige gewesen. 
Das Protargol verschlimmert die entzündlichen Erscheinungen nie. 
sondern mildert sie, vernichtet die Gonoeoccen jedenfalls rascher 
als die anderen bisherigen Mittel. Die Behandlung ist so lang.- 
fortzusetzen, bis wiederholte mikroskopische Untersuchungen keine 
Gonoeoccen mehr nachweisen. Adstringlrende Mittel wandte K. 
nur bei wiederholten Infektionen an. 

No. 40. A. Guttenberg -WUrzburg: Kasuistische Bei¬ 
träge zur Therapie der Erkrankungen im Bereiche des Plexus 
sacralis. 

Mit dem vorliegenden ergänzt Verf. seinen Aufsatz in No. 7. 
1901 dieser Wochenschrift durch zwei Krankengeschichten. Die 
schon dort empfohlene lokale Massage wird wesentlich erleichtert, 
wenn etwa 1 Stunde vorher in das Rectum eine Lösung (40° C.) 
von Antipyrin 2,0—2,5, Cocain mur. 0,025—0,05, Aq. 25,0 einge¬ 
führt wird. Be rgeat- München. 

Französische Literatu. 

Vaschide und Marchand: Athmungsstörungen im 
Zusammenhang mit den verschiedenen Graden eines patho¬ 
logischen Erregungszustandes. (Revue de mßdecine, Sept 1901.) 

Vorliegender Fall, einen 57 Jährig. Strassenarbeiter mit Melan¬ 
cholie, multiplen Hallucinationen, Verfolgungsideen u. s. w. be¬ 
treffend, liefert einen interessanten Beitrag zur physiologischen 
Psychologie der Geistesstörungen und den Beziehungen derselben 
zu den Veränderungen der peripheren Clrculation und der Respi¬ 
ration. Bei den akuten Anfällen (von Verfolgungswahn u. s. w.) 
zeigte sich die Athmung bedeutend verlangsamt, bei solchen 
äusserster Angst jedoch vermehrt; die Herzthätigkeit (Pulsscblag) 
ist dabei ebenfalls sehr vermehrt, wie die aufgenommenen Kurven 
lehren. Die Erklärungsversuche dieser Beziehungen, sowie die 
näheren Einzelheiten, die bei diesen psycho-pathologischen Ver¬ 
suchen in Betracht kommen, sind im Original nachzulesen. 

A. Thomas und Jean Ch. Roux: Ueber eine besondere 
Form von Heredoataxie des Kleinhirns. (Ibid.) 

Patientin wurde im Alter von 35 Jahren von der Krankheit, 
welche noch 4 andere Glieder derselben Familie ln 2 Generationen 


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26. November 1901. 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSC11K1 FT. 


1939 


betroffen hatte, lwfaJleu; Beginn und Verlauf war bei allen fünfen 
der gleiche. Zuerst Schmerzen in einer unteren Extremität, dann 
schwankender (Jang, spontanes Zittern der Muskelmassen der¬ 
selben. Schwierigkeit sich, sogar bei offenen Augen, aufrecht zu 
halten. R o m b e r g'sches Zeichen. Patellamdlexe erhalten. Die 
Kopfbewegungen langsam. Keslclit uul>eweglieh. Sprache ziehend 
und weinerlich, ausserordentlich heftige Schmerzen in der Leudeu- 
gegeud und den Weichen. Anaesthesie für Wann und Kalt 
Pupillenreaktion gut. Erbrechen und l’cbelkeit nach dem Essen. 
Am Ende des Lebens die Beine unlveweglich durch Selinen- 
retraktiou, Kuss in Klum])fussstellung. Tod im Alter von öl .laliren. 
Lungentulterkulose. Die Autopsie gestattete eine genaue histo- 
logische Untersuchung, deren Einzelheiten nur durch die beige¬ 
gebenen 14 Zeichnungen verständlich sind. Im Allgemeinen han¬ 
delte es sich um partielle Degeneration des ganzen Vorder- und 
Seitenbündels (des Rückenmarkes). um Veränderungen der grauen 
Substanz (t heil weise Atrophie) und theilweise Degeneration der 
Hinterstriinge: das Kleinhirn war im Ganzen, wie überhaupt die 
Gehirnmasse, verkleinert. Verfasser führen aus der Literatur noch 
einige analoge Fälle an und erklären diese Ileredo-ataxie als eine 
Familieuerkrankung. yelche von einer Veränderung des Kleinhirns 
variabler Natur (Kleinheit, degenerative Atrophie. Sklerose) oder 
der zu- und abführenden Ncrventlieile herriihrt. Diese familiären 
Erkrankungen, zu welchen auch wohl die Friedreicli'sche Fonn 
der Taltes gehört, ähneln sich durch die allgemeine Kleinheit der 
Xervennclise. die ihnen gemeinsam ist. aber sie sind von einander 
verschieden entweder durch den Sitz «»der die Ausdehnung der 
Erkrankung (Kleinhirn oder Medulla oblongata» oder durch ihre 
Natur: wenn vom anatomischen Standpunkt aus die extremsten 
Typen auch kaum mehr zu vergleichen sind, so gibt es andere, 
welche unter sich zahlreiche Berührungspunkte haben und eine 
Reihe von Zwisohenfomien bilden: dahin gehören die Beobacht¬ 
ungen von Klippel-Durnntc (Vin cent-Svitalski). 
von Sänger. B r o w n u. A. ui. 

Dopt er und Tan ton: 2 Fälle von Neuritis ischiadica 
in Folge von intramuskulären Quecksilberinjektionen. (Ibid.) 

Die 2 Fälle waren in Folge von Kalomel-, resjt. Jodquecksilber- 
(Hg bijodat.)Injektionen in die Glutaealgegend bei Syphilitikern 
entstanden. Bei dem ersten Kranken waren zwar die anfäng¬ 
lichen Erscheinungen sehr schmerzhaft, sie giugen Jedoch unter 
dem Einfluss der Behandlung zurück und 4 Monate nach Beginn 
bestand nur mehr Hypoaesthesie an «ler Planta pedis. welche den 
Gang nicht mehr hinderte. Bei «lein zweiten Falle jedoch sind die 
Störungen viel schwererer Natur, die Bewegungen und der Gang, 
obwohl bedeutend gebessert, werden wahrscheinlich nicht mehr 
zur Norm zurückkehren, da gewisse Muskelgruppen degenerirt 
sind, und es ist zu fürchten, «lass die betreffende Unterextremitüt 
für immer ihrer vollen funktionellen Thütigkeit beraubt ist. Die 
an Meerschweinchen vorgenommenen Experimente lehrten nun, 
dass eine ganz geringe Stenge von Quecksilbersalzen (Kalomel. 
ITg bijodat.) genügt, um bei allen Thleren rasch hochgradige Er¬ 
scheinungen von Neuritis zu erzeugen: man muss als«» die Gefahr 
kennen, welche diese Injektionen mit sich bringen, wenn «lie 
Flüssigkeit in Berührung mit <l«*m Nervus ischiadicus kommt (bei 
Injektionen von 8 u b 1 i m a t wurde diese Komplikation unter 
Tausenden von Malen vom Referenten übrigens niemals beolv- 
aclitet). Um diese Eventualität zu venuehlen, muss mau. wie 
Verfasser schliesslich hervorheben, «lie sogen, gefährliche Zone bei 
den intramuskulären Injektionen in die Glutaealgegend kennen 
(Zeichnung). 

Regnaul t: Zur Behandlung des Malariaanfalles. (Ibid.) 

Während das Chinin nur vor dem eigentlichen Flelieranfnll 
wirksam ist. empfiehlt It. als ein vortreffliches Medikament 
während desselben folgend«* .1 o d niisc li u n g: Tinct. jodi, 
Kal. jodat. äa 4.0. Aqu. «lest. 100.0 S. Einen Kaffeelöffel voll in 
etwas Wasser währen«! des Anfall« 1 *, wenn nöthig. nach lö bis 
20 Minuten einen zweiten Kaffeelöffel. Di«*s Mittel war schon 
früher von Brl vet un«l Will e I» r a n d empfohlen worden, aber 
in Vergessenheit geratlien. Diese Behandlung, welche sich It. in 
zahlreichen Fällen Iküiu Militär bewährte, hindert nicht. Chinin 
zu geben, um am folgenden oder die nächsten Tag«* dem Anfall 
zuvorzukommen; nur muss man der Jodmischung genüg«*nde Zeit 
lassen, um zum grossen Theile zu verschwinden, bevor man Chinin 
gibt, um die chemische Unv«*reinbarkeit beider M«*dikamente zu 
vermeiden. Die Jodmedikation ist daher als eine Vervollkommnung 
«les Chinins oder Methylenblaus bei der Malnriabehaudlung anzu¬ 
sehen, keineswegs als Ersatz derselben. 

Marfan: Die Cocainomanie als Ursache der Idiotie bei 
Kindern. (Revue mensuellt* des maladies «le 1'enfance. Sept. 1901.) 

Es handelte sich um 2 Kinder desselben Vaters. weleln*r wegen 
einer Nasonaffoktion lange Zeit hindurch jed«*n Tag 3 g Cocain 
durch «lie Nase genommen hatte: das eine der beiden Kinder, 
t» .fahre alt, war vollständig idiotisch, das andere. 10 Monat alt. 
hatte ebenfalls alle Zeichen der Idiotischen Mikrocephalie. Zwei 
Kinder, welche vor dem Co«*nlu-Missl>raueli des Vaters zur Welt 
gekommen waren (1.1 und 8 .Talire alt). waran wohl entwh-kelt 
und geistig ganz normal. 

Coucliet: Betrachtungen über die makroskopische Ana¬ 
tomie der Thymusdrüse beim Kinde. (Ibidtnn.) 

Die an ö9 Fällen ausgeführten Untersuchungen beschäftig«*)! 
sich mit Farbe, Konsistenz. Form (ausserordentlich variabel). Ge¬ 
wicht (von 3—5 g l>ei der Geburt bis 7—9 g mit 3—4 Jahren) und 
Zusammensetzung d«*r Drüse. Im Allgemeinen kann man an Ihr 
ein Corpus und zwei Ausläufer unterscheiden; ersteres bildet die 


sogen. Pars thoracica, der obere Ausläufer bildet die sogen. Cornua 
superiora (linkes und rechtes), der untere das Unterhorn, welches 
oft fehlen, alH*r zuwiüien auch bis zum Zwerchfell herabgehen 
kann. Die Einzelhtdten über den Zusammenhang dieser Theile mit 
den Naehbarorgauen. dessen Beschreibung in «len Lehrbüchern 
mich Verfassers Ansicht meist eine mangelhafte ist, sind genau 
«•rörtert. Bezüglich der Arteri«*n, Venen, Lymphgefässe oder 
Nerv«*n waren keine B«*sonderheit«*n zu konstatiren. 

S p o I v e r i n i • Rom: Beitrag zum Studium der akuten, 
infektiösen und toxischen Nephritis im Kindesalter. Aetiologle, 
Pathogenese, B«*lmiullung. (Aunales «le medeciue et Chirurgie in¬ 
fantiles 1901. No. 17 und 18.) 

Im I. Tlieih* di«*ser ausführlichen Arbeit werden ö Fälle von 
akuter Nephritis bt*sehriel>en, welche nach Scharlach vorkamen, 
ferner die nach Masern. Diphtherie, Impetigo (2 Fället verkommen¬ 
den Fälle dieser Art erörtert. Der II. Theil der Arbeit ist allge¬ 
meinen Betrachtungen (il>er diese, im Kindesalter gar ni«*ht selten«*, 
Komplikation gewidmet und kommt zu folgenden Schlüssen: Alle 
Fälle von akuter Nephritis, von welchen die Retle war. lassen sich 
in zwei Kategorien gruppireii: 1. solche bakteriellen, 2. toxischen 
Ursprungs. Zur erstereu gehören die nach Impetigo und Scharlach 
uml zur zweiten die nach Diphtherie und Masern auf tretend ,*n Fälle 
Die nach Impetigo vorkommende Nephritis beruht nicht auf einem 
sp«‘citis<*lu*u Inf«*ktionskeim: das pathogene Element kann Je nach 
«lein ursächlichen Keim «ler Iuipiüigo wechseln (Stapliylocbceus, 
Strcpt«K«i<cus, Bacillus ]>yocyan«*usi: bei «ler post-scarlatiuöscn 
Form hingegen hat Sp. fast immer einen einzigen und «leiiselbeu 
(Streptococcus) Mikroorganismus gefunden. B«*i «ler Impetigo 
stammt die Nephritis von der Septikaemie. «lie in «ler Hautaffektion 
ihren Ausgangspunkt hat. beim Scharlach scheint derselbe im 
Rachen «nler «l«*n sulunaxillärcn und Hals-Lymphdriiseu zu liegen. 
Die toxische Nephritis entstellt durch die speciflsehen Gifte (Diph¬ 
therie. Masern), di«* bakteriologische Untersuchung hat hier immer 
ein negatives Resultat gegeben. Nach den ferneren Untersuch¬ 
ungen «les Verfassers wäre «Ile Hauteruption von Maseru und 
Scharlach unter der ausschliesslichen Abhängigkeit eines toxischen, 
specilisclien Agens. Die bakteriologisch«* Nephritis (nach S«-harlach, 
Impetigo) lokalisirt sich mit VorlielH* in den Glouu*rul!s und ist 
in Folgt* dessen viel schwerer als die toxische Form, «lie meist und 
mit Vorliebe tubulär ist: «*s gibt alter auch gemischte Formen. 
Das Re n ad en Kuoll ist völlig unschädlich, es kann in Milch. 
Suppe u. s. w. in der Dosis von 2—4 g pro Tag verabreicht wenleu 
und ist «las beste, beinah«* speeiflsche Mittel bei der Nephritis der 
Kinderjahre. 

Eugen Schlesinger - Strassburg: Die Magenspülungen 
bei der Gastroenteritis der Säuglinge. (Ibid. No. 18.) 

Schl, hebt «li«* Wichtigkeit dieser therapeutischen Maassnahme. 
besonders hei «ler Cholera nostras. hervor: sie ist weder irgendwie 
schädlich noch gefährlich noch «lie Technik schwierig. Nur bei 
den Fällen, die sich in «lie Längt* ziehen, versagt sic eltenso wie 
alle anderen lleilmitt«*!. In der Hälfte aller Fälle hat die Magen¬ 
spülung. natürlich gleichzeitig mit «ler strengen Diät, vorzügliche 
Erfolge gegeben: Das Erbrechen hat sofort aufgehört, die Diarrhoe 
ziemlich bald, nach Wrlauf einiger Tage war die Krankheit geheilt; 
ln einem weit «»reu Drittel «ler Füll«* wur«le b«*trü« - htHi - he Besserung 
konstntirt. manchmal beendigte erst die zweite Spülung «las Er¬ 
brachen. Eine Kontnümlikatlon der Magenspülung ist vor¬ 
handen, nämlich Ix i bestehendem Kollaps. 

O. Metschuikof f: Ueber den Einfluss der Bakterien bei 
der Entwicklung der Kaulquappen. (Anuales de rinstitut 
Pasteur, August 1901.) 

Man hat sieh schon s«*it Langem gefragt, welches die Rolle 
«lei 1 nicht pathogeueu Bakterien im Dannkauale ist: Pasteur 
nahm an. dass sie zur vollständigen Verdauung der Nahrungsmittel 
unentbehrlich sind. Es wurden nun zur Lösung dieser schwierigen 
Frage Versuch«* dahin angestellt. «lass man die Entwicklung junger 
Tliiere unter aseptischen Bedingungen anstrabte, die dabei er¬ 
zielten, völlig konträren, R«*sultat<* veranlassten Verfasserin neuer¬ 
dings zu Versuchen an jung«*n Fröschen. Es ergab sich, dass «1a, 
wo «lie Ernährung absolut steril g«*halt«*n wurde, «lie Tliiere viel 
schlechter sich entwickelten und ein viel g«*ringeres Gewicht an- 
nalimeu als die unter gewöhnlicher Füttcnmg gehaltenen. Es 
stellt daher für Verfasserin fest, «lass di«* Mikroorgauism«*n zum 
Leln*n und zur Entwicklung «ler Kauli|iiappcn notliwendlg sind; 
die Aufklärung ül»er den gauz«*n Mechauismus dieses bakteriellen 
Einflusses will sie iu weiteren Versuchen bringt-n. 

N i e o 11 e und A d i 1 - B e y: Studien über die Rinderpest. 
(Ibidem. September 1901.) 

In dieser, als Fortsetzung früherer Studien nusgefübrten, ex¬ 
perimentellen Arbeit werden Symptome und Erkruukuugsherde der 
überimpften Krankheit, die expcrimeutiülen Untersuchungen, 1 h*- 
somlers über die R«*sisteuz «l«*s Giftes (im Reagensglast* und bei 
verschiedenen Tlii«*rani. «lie Impfungen mit «ler Galle und «lie 
Senimtherapi«* (pruphylaklisch und kurativ» erörtert. Die Einzel¬ 
heiten sind nur bei der g«*uaueu Lektüre der Arlieit verständlich. 

Henry It «• y u f* s - Marstülle: Die Enterocolitis mucomem- 
branacea, ausgehend vom Uterus und dessen Adnexen. (Presse 
tuöillcnle 1901, No. 49.) 

U«*l»«*nünstlmmcnd mit anderen Autoren, welche die Iläuflg- 
keit «li«*ser Affektion beim weiblichen Geschlecht«* konstntirt haben. 
li«*l»t 11. «leran Auftraten im Anschlüsse an Entziimlungen «ler Gt‘- 
liiirnmttcr und deren Umgebung hervor; bei dem physiologischen 
Zusammenhang zwischen Dickdarm und w«*ibli«üu*n G«*schlechts- 
organeii. welch«*! - unter patliologischeu Verhjiltniss«‘n (Verwachs- 


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1940 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48. 


unpron u. s. w.) noch vennehrt ist, kann diese Colneldenz nicht auf¬ 
fallen. Das klinische Bild ist entweder derartig, dass die Da rin - 
aflfektion mit ihrer bekannten Abwechslung zwischen Diarrhoe und 
Obstipation vorherrscht oder gegenüber der Affektion der Ge¬ 
schlechtsorgane in den Hintergrund tritt. Bezüglich der Therapie 
ist es natürlich wichtig, ln erster Linie eine vorhandene Metritis, 
Perimetritis. Entzündung der Adnexe u. s. w. zu behandeln: ab¬ 
undante Heisswasserinjektionen in die Vagina, streng diätetisches 
Verhalten, warme Salzwasserlavements. wie überhaupt alb* Hilfs¬ 
mittel der H.vdrothermotherapie. sind von besonderer Wichtigkeit. 

Alexander M a z e r a n: Die spastische Obstipation. (Ibidem 
No. 50.) 

Dieselbe steht im Gegensatz zur sog. atonischen Obstipation, ist 
vorherrschend beim weiblichen Oeschlechte. eharnkterlsirt durch 
plötzliches Auftreten, besonders in Folge eines psychischen Ein¬ 
flusses, durch die eigenthiimliche Art des Schmerzes, auf getriebenen 
Leib und gleichzeitige spastische Erscheinungen benachbarter 
Organe (Blase: Tenesmus. häufiger Harndrang). Der oft in der 
rechten Fossa iliaca lokalisirte Schmerz macht die T’nterscheidung 
von Appeudicitis zuweilen recht schwierig. Die antispasmodische 
Behandlung, in erster Linie mit Belladonna, kann auf den richtigen 
Weg führen: therapeutisch kommen ausserdem noch in Betracht 
Asa foetida in Kamilleninfus. Opiumpräparate, leichte Laxantien, 
ferner Hydro- und Mechanotherapie: heisse Sitzbäder. Bauch- 
douche, Massage. Enteroklyse. Bezüglich der Diät sind zu kalte 
und zu heisse Getränke, stark gewürzte Speisen. Alkohol, Theo. 
Kaffii 1 absolut zu meiden. Die französischen Bäder ChAtol-Guyon 
(leicht abführende Mineralwässer) und Plombü'res (tonisch-sedative 
Wirkung) rühmt Verfasser als besonders erfolgreich bei dieser 
Affoktion. Tabellarische Gegenüberstellung der Hauptmerkmale 
der spastischen und atonischen Obstipation. 

Pierre Merk len und Girard: Primäres Carcinom der 
grossen Bronchien. (Presse mödlcale 1001. No. 52.) 

Beschreibung eines solchen Falles bei einem 45 jährigen 
Färber mit autoptischem Befund (sehr anschauliche Abbildung der 
gerade von der Bifurkationsstelle ausgehenden, im rechten Haupt¬ 
bronchus sitzenden Geschwulst), welcher auch den Febergang des 
Leidens auf die rechte Lunge nachwies — zahlreiche, in der histo¬ 
logischen Struktur obiger Neubildung entsprechende Knötchen. 

A. Katz: Ein Fall von Myositis ossifleans im Bereiche 
eines Amputationsstumpfes. (Progros medical 1001. No. 33.) 

Diese ausserordentlich seltene Komplikation stellte sich bei 
einem 38 jährigen Manne (Fuhrknecht) ein. bei welchem wegen 
schwerer Verletzung am unteren Drittel des rechten Oberschenkels 
Amputation mit zweimaliger Operation sich als nothwendig erwies. 
Nach der zweiten Operation, welche wegen Eiterung am Knochen¬ 
stumpf angozeigt war. entwickelte sich an demselben eine Neu¬ 
bildung, welche allmählich den ganzen Stumpf umfasste und wegen 
ihrer grossen Schmerzhaftigkeit resecirt werden musste. Die Folge 
war die Bildung eines wohl brauchbaren, schmerzlosen Knochen¬ 
stumpfes. Bezüglich der Pathogenese solcher Fälle glaubt K., 
dass es sich um eine lokale ossificirende Muskelentzündung handle, 
da diese Osteome nicht mit den benachbarten Knochen Zusammen¬ 
hängen. sondern mit der Muskulatur innig verwachsen sind. 

L. M a r c h a n d: Die Neuroglia bei der allgemeinen Para¬ 
lyse. (Presse mödieale 1001, No. 65.) 

M. kommt nach zahlreichen Untersuchungen an Schnittprä¬ 
paraten zu dem Schluss«, dass man bei der allgemeinen, pro¬ 
gressiven Paralyse am Beginn der Erkrankung immer eine Pro¬ 
liferation der Neuroglia an gewissen umschriebenen Stellen und 
gleichzeitig die Infiltration der Gefässwand dureh eine grosse 
Menge von Rundzellen findet. Die Ansicht, wonach die Nerven¬ 
zellen die zuerst ergriffenen seien, könne daher nicht mehr aufrecht 
erhalten werden, zumal M.’s Untersuchungen mit den am besten 
erprobten Fiirbemethoden (N i s s 1) ausgeführt worden sind. Wahr¬ 
scheinlich ist jedoch, dass Nerven- u n d Nenrogliagewebe gleich¬ 
zeitig bei der chronischen Encephalitis ergriffen werden und dass 
diese Veränderungen durch Toxine oder einen bestimmten Gift¬ 
stoff hervorgerufen werden, welcher die Lebensfähigkeit der 
Nervenzelle vermindert und die Reizung des Bindegewebes be¬ 
wirkt. 

Le red de: Die Indikationen der Lichtbehandlung bei 
Lupus und anderen circumscripten Dermatosen. (Ibid. No. 72.) 

L. beschreibt die Apparate von F i n s e n. welcher eine Bogen¬ 
lampe von 00—R0 Ampore, jenen von hortet und G e n o ti d. 
welcher nur eine Stärke von 10—20 AmpAre benöthigt. und deren 
Anwcndungsart. Beim Lupus vtilg. ist die Lichtthernpie jeden¬ 
falls angezeigt, wenn alle anderen Mittel fehlgeschlagen haben, 
ferner bei anderen Dermatosen des Gesichts, die der übrigen 
Therapie trotzen, wi« Lupus e r y t h e m a t„ Naevus vaS- 
c u 1 a r. planus: bei Rykosis. wenn sie sehr ausgedehnt und 
vehon auf die* tieferen Schichten der Haut übergegangen ist. 
scheint die Photnthorapie zur völligen Heilung zu führen, während 
*1 ies b«i superliciellen Affektionen nicht der Fall ist. 

Stern- München. 

Italienische Literatur. 

Rem-I’i cd: Ueber Albuminurien durch kalte Bäder. 
(II polielinico 19ol, No. 53. August.) 

Die Untersuchungen des Autors, Professor der chemischen 
und mikroskopischen Klinik der Universität in Rom erstrecken 
sieh auf 35 Individuen, die 115 kalte Bäder und kalte Douelien 
nuhnicn und an denen 350 Frinaualysen vorgenommen wurden. 


Das Phänomen der Albuminurie nach kalten 
Bädern ist ein sehr regelmässig auftretendes, 
indessen handelt es sich nur um einen leichten und vorübergehen¬ 
den Gehalt von Serumalbumin, welcher höchstens bis zu 0,25 Prom. 
steigen kann. Sensible und gegen Kälte empfindliche Personen 
zeigen das Symptom am ausgesprochensten: es tritt schon bald, 
etwa i/i Viertelstunde nach dein Bade auf, kann einige Stunden 
dauern, aber nicht über 24 Stunden. ,Te kälter das Bad, um so eher 
tritt Albuminurie auf: bei einem Bade von 8—10° genügen schon 
3 Minuten Dauer, ebenso bei kalten Douehen von derselben Tem¬ 
peratur. Bei 15—20° C. ist schon eine Dauer von 15 Min. erforder¬ 
lich: Ueber 20° C. hinaus kommt es auch bei langer Dauer nicht 
zur Albuminurie. Eine Gewöhnung ändert an dem Zustande¬ 
kommen dieses Symptoms nichts. Von einem Zugrundegehen 
rother Blutkörperchen rührt diese Erscheinung nicht her. Uro¬ 
bilin enthält der Urin nicht. Ebensowenig scheint es durch Blut¬ 
drucks Veränderungen bedingt, wie wohl häufig mit der Albumin¬ 
urie vermehrte Diurese verbunden ist. Auch durch vasomotorische 
Einflüsse soll sich dasselbe nicht erklären. Rem-Plccl ent¬ 
scheidet sich für das Zustandekommen dieser Albuminurie durch 
einen direkten Einfluss der Ncn'en, wie solcher vom 
Nervus vagus auf die Niere durch Vannl nachgewiesen wurde. 

Ricci: Ueber den Stoffwechsel der Nephritiker. (II poli- 
clinico, fase. 9. 1901.) 

R. kommt zu folgendem Resultat: Zu gewissen Zeiten be¬ 
obachtet und erzielt man in Fällen von chronischer parenchyma¬ 
töser Nephritis leicht eine positive N-Bilanz mit N-Retention, 
welche mehr oder weniger erheblich ausfallen kann, je nachdem 
man das nicht verarbeitete Elweiss im Urin mitrechnet oder von 
ihm absieht 

Ohne Zweifel stehen die Einfuhr und Verarbeitung des N ln 
engster Beziehung zu einander. 

Die Milch-, die Fleisch- oder die gemischte Diät hat keinen 
besonderen Einfluss auf den Stoffwechsel und auf die Ausscheidung 
des Stickstoffs: dieselbe bleibt sich in manchen Fällen gleich. 

Eine N-Retention, sei es. dass man dieselbe bei Milch- oder 
anderer Diät konstatirt, bedeutet nicht ohne Weiteres eine Nieren- 
insufficienz, d. h. eine Retention toxischer Ausscheidungsstoffe: im 
Gegeilt heil ist nnzunehmen. dass dieses N häufig zu Gunsten des 
Organismus selbst abgelagert zuriickgehalten wird, im Sinne eines 
Ersatzes für den beständigen eeilulären Eiweissverlust. 

Desshalb muss in solchen Fällen die Ernährungstherapie, an¬ 
statt übermässig iiesehriinkt. eine reichliche sein, um das N-Gleich- 
gewieht in eine leicht positive N-Bilanz umzuwandeln, aus¬ 
genommen in Fällen von bestimmter Contraindikatiou (TJraeinle. 
Dyspepsie etc.!. 

R. konstatirt. ferner, dass es eine deutliche alimentäre Albu¬ 
minurie gibt, welche am stärksten 3 Stunden nach der Mahlzeit ist. 

Fiori: Experimentelle Beiträge zur Nierenexstirpation. 
(Aus dein cliir. Institut zu Pisa.) (II polielinico 1901. Juli. Aug.) 

Die Folgen der Nieronwegnahme üussern sich zunächst in einer 
durch die llyperaemie und vermehrte Toxlnauscheidung durch das 
zurückgebliebene Organ bewirkten Rindegowebswucherung, zu 
welcher aber s>hr bald Veränderungen des Parenchyms der Niere 
liinzut roten. 

Die Gewichtszunahme einer Niere kann bis zu 60 Proc. be¬ 
tragen und ist vollendet gegen den 20. bis 25. Tag nach der Weg¬ 
nahme der anderen. 

Die Proliferation epithelialer Elemente, welche von den Tubuli 
aus erfolgt, und welche zur Anhäufung und zu Strängen von Epithel 
im peritubulären Bindegewebe führt, ist die Grundlage der funktio¬ 
nell >n Hypertrophie: sie deutet eine Rückkehr zum embryonalen 
Zustand der Niere an. Eine Neubildung von Tubuli ist 
indessen nicht n a c h z u w o i s e n. Ebensowenig ist 
bei den massenhaften E p i t h e 1 p r o 1 i f e r a t i o n e n. 
welche sich nach Resektionen um die Narbe an- 
häufen, eine Neubildung von eigentlichem spe- 
elfischen Drlisengewebe zu konstatiren. 

Immerhin aber muss der funktionelle Ersatz der durch diese 
Epithelproliferationen bewirkt wird, ein sehr bedeutender sein, 
da l>oi Thieren ausser der Wegnahme einer Niere auch noch Ent¬ 
fernung der zurückgebliebenen, sogar bis zu % sich mit dem 
Leben vereinbar erwies: so dass nach F. bei Huuden die unerläss¬ 
lich zum Loben noGiwendige Gewichtssubstanz an Niere pro Kilo¬ 
gramm Thier nur 1.12 g betragen würde. 

Setti: Ueber die diuretische Wirkung der Urea. (Gazzetta 
degli osped. 1901. No. 93.) 

Eine Reihe italienischer Autoren, so Ralmondl. Mos¬ 
en c c i. B e n s o - D e - S t e f a n 1 s aus der Klinik M a r a g 1 i a - 
n o's haben ihre Erfahrungen über die diuretische Wirkung des 
Harnstoffs bekannt gegeben. 4 

Diese Wirkung ist unzweifelhaft vorhanden: sie übertrifft aber 
nicht diejenige der bisher gebräuchlichen Mittel, namentlich nicht 
die der Digitalis. Die Wirkung ist eine sehr schnell vorüber¬ 
gehende. selbst in Dosen von 20 g pro die: sie versagt in Füllen 
von Ascites mit Lebercirrhose. weiche sich ln einem schon etwas 
vorgerückten Stadium befinden. 

Der durch den Magen eingeführte Harnstoff wird fast voll¬ 
ständig durch die Nieren entleert; er wird gut vertragen und gibt 
zu keinerlei Intoxicationsersclieinungen irgend welcher Art Ver¬ 
anlassung. 

J e m m a: Ueber das Sklerem der Neugeborenen. (Pamina 
tone, anno V, mim. 1.) 


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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1941 


Dass diese Krankheit infektiösen Ursprungs ist, ist neuerdings 
von den meisten Autoren, namentlich von M y a seit l.XlHj betont; 
meist ist eine Nephritis im Anschluss au die Infektion noch vor¬ 
handen. B a g i n s k y betont noch eine Veränderung au den 
kleinsten Gefüssen. J e m m a fand im Blute eines 6 tägigen 
Kindes zahlreich den Diplococcus Fraenkel, aber nicht die von B. 
betonten Veränderungen au den Uefässwändeu. 

Er ist geneigt, ausser auf die Infektion und auf die Nephritis 
das grösste Gewicht zur Erklärung der Entstehung dieser Krank¬ 
heit auf Schwäche des Herzens und deu niedrigen arteriellen Druck 
zu legen, welchen mau ja normaler Weise beim Neugeborenen 
findet. 

J e m m a: Ueber die infantile Anaemia splenica. (La clinica 
med. Italiuna 1901, No. 4.) 

Die idiopathische Anaemia splenica der Kinder wird von den 
Autoren immer noch verschieden gedeutet. Die meisten Italiener, 
Ga rdairell i, F e d e, Grau tu reo, 1’iauese, ausserdem 
Epstein, halten sie für eine primäre Infektionskrankheit mit 
einein besonderen pathologischen Agens. L u z e t hält sie für 
eine der Leukaemie nahe stehende Krankheitsform, Andere wie 
Senator, Hausse, Fox, .Mont 1, \V e i s s sehen in ihr eine 
Sekundüraffektiou der Rachitis, der Lues, der Malaria, während 
Marfan und C o n c e 11 i sie von intestinalen Intoxicatiouen für 
abhängig halten. 

Einen neuen Beitrag zur Pathogenese liefert J e m m a. Er 
führt den Beweis, dass es toxisch-infektiöse Substanzen sein 
müssen, welche Milz und Knochenmark zu erhöhter Aktivität au- 
regen. ln jedem Falle ist diese Krankheit immer auf eine 
Infektion zurückzuführen, welche häufig eine 
gastrointestinale sein kann. 

Fiocca: Ueber einen Fall von gemischter Typhus- und 
Mal&ri&infektion. (11 policlinico 1901, läse. 10.) 

Der Patient stammte aus einem Dorie, in welchem zur Zeit 
beide Infektionen herrschten. Beide Infektionen, die neben und 
nacheinander verliefen, ohne sich zu beeinflussen, wurden durch 
Blutuntersuchungen und durch VV i d a 1 sehe Reaktion konstatirt. 
So lange der Typhusablauf dauerte, waren Malariaparasiten nicht 
nachzuweisen, daun traten sie wochenlang im Blute auf. Es er¬ 
folgte ein Typhusrecidiv und wieder blieb die Untersuchung auf 
Malariaparasiten negativ, um später wieder nach Ablauf des 
Itecidivs positiv zu werden. 

Der Fall soll nach Angabe des Autors der erste derartige in 
Italien beobachtete sein. 

Sanarelli: Ueber die Rolle, welche Insekten bei der 
Uebertragung des gelben Fiebers spielen. (Gazzetta degli ospe- 
dali 1901, No. 102.) 

Dieser Uebertragungsmodus gehört, wie bei anderen Infek¬ 
tionskrankheiten, nicht mehr und nicht weniger, zu deu nicht ganz 
von der Hand zu weisenden Möglichkeiten, aber er ist weit davon 
entfernt, eine besondere Bedeutung beanspruchen zu köunen. 
Namentlich aber spielen Insekten nicht wie bei der Malaria die 
Rolle des Zwischenwirths. Der durch seine sorgfältigen Arbeiten 
über deu bakteriologischen Träger der Gelbtieberiufektiou be¬ 
kannte und auch in diesen Blättern vielerwähnte Autor sieht sich 
genöthigt, bei dieser Gelegenheit über viele oberflächliche bak¬ 
teriologische Mittheilungen, welche diesen Gegenstand und die 
Ursache des gelben Fiebers überhaupt betreffen, ein herbes Urtheil 
zu fällen. Dies gilt nicht nur von den Arbeiten amerikanischer 
Aerzte, sondern auch von der aus der Schule für Tropenmedicin 
inLiverpool hervorgegangenen Arbeit Durham's und W. Meyer'». 

Beide seien, anstatt sich vorher mit dem seit 4 Jahren iso- 
lirt gezüchteten und nach allen Regeln der Mikrobiologie von ihm 
erforschten Bacillus ikteroides in Liverpool zu beschäftigen, un¬ 
genügend ausgerüstet nach Brasilien gezogen; beide seien von der 
Krankheit befallen, Meyer sei derselben erlegen und ihre Ver¬ 
öffentlichungen über die Bakteriologie des gelben Fiebers seien das 
Werthloseste, was auf diesem Gebiete seit einem halben Jahr¬ 
hundert zu Tage gefördert sei. 

Monteverdi: Die M a r a g 1 i a n o’sche Serumtherapie. 
(Gazzetta degli ospedali 1901, No. 90.) 

Dieselbe erwies sich dem Autor, Arzt in Cremoun, in 3 Fällen 
von Tuberkulose, welche er ausführlich beschreibt, von vorzüg¬ 
licher Wirkung. Wichtig erscheint ihm namentlich, dass man 
das Präparat auch in vorgerückteren Fällen anwendeu kann und 
dass dasselbe auf Fieber, Nachtseliweisse und Auswurf, so lange 
es sich nicht um ausgesprochene Mischinfektion handelt, eine 
sichtliche Wirkung auszuüben im Stand ist. 

/ B a e r i: Tuberkulinanwendung in der Klinik Neapels. 

(Nuova rivista elinico-terapeutiea 1901, No. 6.) 

B. berichtet, dass in der Klinik De Renz i’s schon seit 
längerer Zeit Tuberkulin aus dem Laboratorium von M a ra¬ 
gt iano zu diagnostischen Zwecken bei suspekter oder latenter 
Tuberkulose angewandt wird, ln allen Formen von Lokalisation 
der Tuberkulose fahre es fort, vorzügliche Dienste zu leisten: 
keinerlei Inconvenienzen seien dabei vorgekomuien, und Täu¬ 
schungen seien, wie auch eine Reihe anderer Autoren bestätigt 
hätten, sehr selten. 

Spinell! beschäftigt sich im Areliivio ital. di Gineeologin 
(1901, No. 6) mit der Spätsyphilis des Uterus. 

Sie sei den Gynäkologen fast unbekannt und den Sypliilo- 
graphen wenig bekannt. Er habe zwei Fälle beobachtet und halte 
eine Differentialdiagnose zwischen gummöser, tuberkulöser und 
carcinomatöser Fteruserkrankung für möglich. 


Die Krankheit ist charakteristisch durch Metrorrhagien, 
welche immer heftiger und reichlicher werden. Der Uterus ist 
hypertrophisch, gleieluuässig vergrössert, die entfernte Mucosa 
zeigt keine Veränderung, die Untersuchung der Adnexe bleibt 
negativ. Die Auskratzung ergibt nur eine vorübergehende Besse¬ 
rung, oft stellt sich der Blutverlust unter abundanten Metror¬ 
rhagien wieder ein. Nichts hilft, nur eine specitische Behandlung 
beseitigt die Metrorrhagien und regelt die Menstruation. Im 
klimakterischen Alter äussert sich die Krankheit durch alarmirendc 
Blutungen und Leukorrhöen, zu denen Schwäche und Kachexie 
hinzutritt. Die Untersuchung ergibt senile Atrophie des Collum 
und Corpus Uteri. Die Auskratzung ergibt nur Detritus atrophi¬ 
scher Mucosa. 

Die Metrorrhagien, die jeder Behandlung widerstehen, sind 
ein sicheres Kennzeichen der späten Uteruslues und sie sind nach 
S. auf eine Endoarteriitis syphilitica zu beziehen. 

Chile cotti: Ueber deciduaähnliche Zellwucherungen bei 
Eklampsie. (11 policlinico, August 1901.) 

Diese Proliferationen finden sich am peritonealen Ueberzug 
des Uterus, der Ovarien, des Beckens und sind bereits von ver¬ 
schiedenen Autoren konstatirt. C. ist der Ansicht, dass sie aus 
Epithelzellen, nicht aus Bindegewebe hervorgehen, dass sie ein 
Produkt des eklamptischen Zustandes sind und sich um so mehr 
entwickeln, je länger eine Eklampsie dauert. Er beschreibt deu 
Befund, welchen er au zwei Leichen Eklamptischer erhoben hat. 

Binettl: Ueber ein Athmungsgeräusch, synchronisch mit 
jeder Herzsystole, welches als Exspirationsgeräusch auch von 
ferne wahrzunehmen war und den Kranken belästigte, handelt 
der obige Autor. (Gazzetta degli ospedali 1901, No. 90.) 

Unter physiologischen Zuständen, so führt B. aus, ist im Be¬ 
ginne der Systole, ehe das Blut der Aorta den Thoraxraum ver¬ 
lassen hat, während das der Vena eava in die Vorkammer ein¬ 
strömt und der rechte Ventrikel sein Blut in die Pulmoualis sendet, 
der Thorax mit Blut überfüllt. Diise Ueberfüllung ist grösser, als 
dass sie durch Volumsverminderung der Ventrikel bei der Kon¬ 
traktion ausgeglichen werden könnte. Es tritt demnach eine ge¬ 
ringe Quantität Luit bei jeder Systole durch die Luftröhre aus der 
Lunge und dem Thoraxraum hinaus. Dieses Quantum Luft ist 
aber so gering, duss es nur mit den feinsten Instrumenten nach¬ 
gewiesen werden kann. Wenn aber verschiedene günstige Momente 
zusammeutreteu, so Atelektase umfangreicher Lungeupartien, 
Hpertrophie des rechten Ventrikels, so kann in seltenen Fällen 
diese mit der Systole herausgestossene Luft zu einem systolischen 
Athmungsgeräusch Veranlassung geben. 

Einen derartigen Fall von eardiopulmonaler Respiration be¬ 
schreibt B. 

Als ein Analogon zu demselben erwähnt er einen Fall, welchen 
Herz (Wien. klin. Wochenschr. No. 11, 1891) unter dem Titel 
Athempuls veröffentlichte. 

Marian! beschreibt aus der Genueser Klinik einen Fall 
von doppelseitigem pulsirenden Exophthalmus, den einzigen, 
welcher bisher in der Literatur bekannt geworden sein soll. (II 

policlinico 1901, fase. 30.) 

Er war bei einem 00 Jährigen Manne entstanden durch Ruptur 
der Carotis interna siuistra im linken Sinus cavernosus. Dilatation 
des Sinus, der Orbitalvenen beiderseits, hatte das Phänomen zu 
Stande gebracht. Das linke Auge war vollständig erblindet; das 
rechte erkrankte sehr langsam einige Wochen später. 

P i a n e 11 a: Ueber progressive Paralyse durch Pellagra, 
(ltiv. di Pat. Nev. e Ment., fase. G, 1901.) 

P. tritt auf Grund seiner Erfahrung und seiner pathologisch- 
anatomischen Befunde dafür ein, dass die Pellagra so gut wie die 
Lues und der Alkoholismus unter die ursächlichen Momente der 
progressiven Paralyse zu rechnen sei. Es handle sich bei der 
Pellagra zweifellos um eine Krankheit toxischen Ursprungs mit 
einer Reihe psychischer und nervöser Störungen. 

Lambranzi: Ueber Polyklonien bei progressiver Para¬ 
lyse. (Riv. di Pat. Nev. e Ment., fase. G. 1901.) 

Polyklonien bei psychischen Krankheiten sind selten und noch 
seltener bei paralytischer Demenz. L. berichtet über zwei Fälle 
dieser Art. Er erweist sich als Anhänger der Anschauung 
Schupfe r's, dass die Polyklonie nur als ein Symptom aufzu¬ 
fassen und dass dieselbe, wie M a s s i will, cortiealen Ursprungs ist. 

Brindi: Ueber Ersatzmittel des Morphium. Eine experi¬ 
mentelle Studie aus dem pharmakologischen Institut zu Turin. 
(Gazzetta degli ospedali 1901, No. 102.) 

Die Wirkung auf die Respiration der Versuchsthiere ist zum 
Ausgangspunkt der Untersuchungen genommen und zwar die Wir¬ 
kung auf die durch gesetzte Exsudate künstlich verkleinerte Ath- 
inungsfläehe und auf die durch Nerveneinflüsse gestörte Re¬ 
spiration. 

Die Versuche, deren Schilderung hier zu weit führen würde, 
ergeben eine Reihe Interessanter Thatsachen, vor Allem die, dass 
kleine Morphiumdosen am geeignetsten sind, die Respiration zu 
beruhigen, ohne die Tiefe derselben erheblich zu beeinträchtigen. 

Keines der Substitute kommt dem Morphium au Wirkung 
gleich: am nächsten steht ihm das Dionin. Das Codein citr. wirkt 
schwächer; darauf folgt Perouin und am unvollkommensten wirkt 
das Heroin. 

In Bezug auf den toxischen Einfluss gilt die umgekehrte 
Reihenfolge: derselbe ist beim Heroin am grössten. l>eim Morphium 
am geringsten. Hager- Magdeburg N. 


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1942_ MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48. 


L&ryngo-Rhinologie. 

3) D e n k «* r - Hagen: Zur Technik der intranasalen Ope¬ 
rationen. (Zeitsclir. f. Ohrenhcilk. etc. B<1. 31). 11. 3.) 

Zur Vermeidung stärkerer Blutung bei operativen intra- 
nasalen Eingriffen, sowie zur prophylaktischen Kernhaltung 
etwaiger Nachblutungen benutzt Denker, ähnlich wie Ost- 
m a n u. vor Beginn der Operation den Galvanokauter. indem er 
die zuführenden Gefässe bis auf den Knochen bezw. bis tief in 
den Knorpel hinein mittels galvanokaustischer Aetzung zerstört. 
Durch diesen präliminaren Eingriff wird ausserdem das öftere 
Tninponlren zur Blutstillung vermieden, «las Operationsfeld bleibt 
übersichtlich und die Dauer der einzelnen Operationen wird be¬ 
deutend abgekürzt. 

2» H i n s b e r g - Breslau: Ueber Augenerkrankungen bei 
Tuberkulose der Nasenschleimhaut und die Milchsäurebehand¬ 
lung der letzteren, tlldd.t 

Enter 0 Patienten mit Tuberkulose der Nasenniucosa zeigten ö 
Erkrankungen der Thriinenwege resp. des Auges und seiner Um¬ 
gebung: bei all* diesen ö liess sich ein ..kausaler Zusammenhang 
zwischen der Erkrankung der Nase rnd der des Auges ziemlich 
sicher feststellen, und zwar die letztere stets sekundär". Letzteres 
konnte theils aus dem lokalen Befund, theils aus anamnestischen 
Daten gefolgert werden, ln therapeutischer Hinsicht erzielte 
Autor mit der Milchsäure die besten Erfolge. Er cmptichlt auf 
(»rund seiner Erfahrungen eine durch längere Zeit hindurch fort¬ 
zusetzende tägliche Tamponade der erkrankten Nasengegend mit 
Milclisäuretampons bis zu einer Dauer von 3 Stunden. Dabei 
empfiehlt es sich, abwechselnd konzentrirte und verdünnte 
Lösungen zu wählen, denen man zweckmässig einen Jodoformbrei 
zusetzt. Auch bei dieser jeweilig langdauernden Tamponade 
konnte II insberg die ..bekannte Beobachtung bestätigen, dass 
die Milchsäure fast nur die erkrankten Schleimhaut- und 
Ilnutpnrtien angreift, während die gesunde Umgebung wenig 
verändert wird.“ 7 Krankengeschichten zur Illustration. 

3t T h o 1 1 o n - Toulouse: Beitrag zum Studium des Pharynx - 
Enanthems in der Sekundärperiode der Syphilis. (Revue heb 
domadaire de laryngologie etc. ISHlL No. 33.i 

Das von den Dermatologen meist bestrittene Vorkommen eines 
Schleimhaut-Exanthems in Pharynx und Larynx in der Sekundiir- 
Periode der Lues konnte Autor in 4 Fällen beobachten. Dieses 
Exanthem bildet meist den Vorläufer der Plaques muqueuses und 
der Roseola und zeichnet sich durch eine zinnoberrothe Verfärbung 
und leichte sammtartige Schwellung der Schleimhaut aus. die — 
ungefähr 1 % cm hinter dem freien Rande des Caumenscgcls scharf 
absehneidend — sich auf alle (»ebilde der Pars oralis pharyngis 
und auch auf die Schleimhaut des Larynx erstreckt. Mit dem 
Erscheinen der Plaques verschwindet das Exanthem wieder, das 
Autor als eine specitische. wohlchnrakterisirte Pharyngitis auf¬ 
fasst. die mit den übrigen luetischen Sckundärerscheinungeu wohl 
gleichzeitig auf treten kann, meist aber als Vorläufer der Sekundär 
Periode sich geltend macht. Die subjektiven Beschwerden «les 
Patienten sind geringe: Mässlges Brennen und etwas erschwerte 
Peglutition. Fieber besteht nie. Bezüglich weiterer Details muss 
auf das Original und die demselben angefügten 4 kasuistischen 
Fälle verwiesen werden. 

4» L e f ra n <; o i s - Cherbourg: Können wir Varicen an der 
Zungenbasis als ein Symptom eines bestehenden Oesophagus- 
carcinoms ansprechenP ilbid.. No. 3i).i 

Autor hatte (lelegenheit 3 Fälle zu beobachten, die theils 
wegen dysphagischen Beschwerden, theils wegen Blutungen in 
seine Behandlung kamen. Bei allen 3 wurde eine starke Vari- 
cositas basis linguae festgestellt. Vnricositäten an anderen Köirper- 
stellen bestanden nicht. Alle 3 starben im Verlauf eines Jahres 
an Oesophaguskrebs. Lefraucois wirft die Frage auf. ob 
zwischen dem ()«*sophaguscarcinom und diesen Zungenhasis-Vnricen 
Beziehungen anzunehmen sind, ob das Careinom eventuell durch 
Kompression oder anderweitige Störungen der venösen (»efäiss- 
bahnen als Ursache der Varicen nnzusprechen ist. oder ob es sieh 
vielleicht nur um eine zufällige Coincidenz handle. 

öl L e r m o y e z und M a h n: Neue Untersuchungen über 
die Wirkungsweise der heissen Luft auf die Schleimhaut der 
oberen Luftwege. (Annales des maladies de l'oreille etc. IDOL 
No. 7.) 

Unter Bezugnahme auf ihre frühere Publikation <efr. diese 
Wochenschr. ISMtO. No. 43. S. 1Ö0S. Referat No. öl und Ergänzung 
der einschlägigen Literatur berichten Autoren über den weiteren 
Verlauf der bisher mittels lleissluft erfolgreich behandelten Fälle. 
Bei der überwiegenden Mehrheit war — auch nach Aussetzen der 
Therapie — der Erfolg andauernd, so dass man von Dauerheilung 
sprechen kann. Bei einer Reihe neuer Patienten, deren Kranken¬ 
geschichten in extenso beigefügt sind, wurde das gleich gute Re¬ 
sultat erzielt, bei einigen weiteren, bisher noch nicht mittels helsser 
Luft behandelten Affektionen (akute Rhinitis. Heulicber. sowie 
einige Formen von trophischen oder sensoriellen nervösen Stör¬ 
ungen etc.» war ein immerhin beachtenswert her Erfolg zu kon- 
statiivn. 

(!» I* o n t h i e r e - Charleroi: Eiterabfluss nach dem Munde 
in Folge eines chronischen Highmors-Empyems. Einige Be¬ 
trachtungen über die Operationsmethode von Caldwell- 
L u c. Mit 1 Abbildung, ilbid.. No. Si.i 

Im Anschluss an einen in extenso mitgothoilton Fall tritt 
Pont hie re für die Radikaloperation der Kieferhöhle nach 
C a 1 d w e 1 1 - L u e ein <]»rimiirer Naht Verschluss der Operatious- 
wiimle im Munde und Nachbehandlung von der Nase aus nach 
Resektion eines Theiles der lateralen Wand des unteren Nasen 
ganges ü fr. diese Wochenschr. IMIN. No. 27. S. Ndöi mit der Modi 


flkation, dass Autor die nach energischem C’urettement der Höhle 
vorgenommene Ausützuug mit Uhlorzink als schädigend verwirft 
und die erste (»azetamponade der mit Jodofonn reichlich 1 k*- 
streuten Höhle 14 Tage liegen lässt. Die Nachbehandlung soll 
sich hierdurch einfacher gestalten und die Heilung rascher ein¬ 
tret eu. 

7i Ambrosinl - Mailand: Heisslufttherapie bei Erkrank¬ 
ungen der oberen Luftwege. Vorläufige M i 1 1 h e 11 u u g 
mit Abbildung des betreffenden Apparates, 
ilbid.) 

ln gleicher Weise wie Ler m o y e z und Mahu (cfr. Referat 
No. öi hat A m brosinl die Heissluftbehaudlung bei einer Reihe 
von nasalen Erkrankungen versucht und dieselben insbesondere 
bei Sekretionsnnomalien und nervösen Störungen mit Erfolg ange¬ 
wandt. Zur Erzeugung der heissen Luft verwandte er eineu dein 
H o 11 ä n d e r'sehen Helssluftgebliise ähnlichen, in Abbildung an- 
gefiigten Apparat, der es ihm gleichzeitig ermöglichte, der heissen 
Luft noch medikamentöse Beimischungen hiuzuzufügen. Bezug 
licli Details muss auf das Original verwiesen werden. 

Hecht- München. 


Vereins- und Congressberichte. 

Verein für innere Medicin in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung v o in 18. X o v e m b e r 1901. 

Demonstration vor der Tagesordnung: 

Herr Cohnheim: 4 Fälle von Amoeben-Dysenterie; in 
dreien fand sich das Megustomum entericum, in einem Tricho¬ 
monas intestinalis. Es handelte sich in diesen Fällen um lang- 
dauernde Diarrhöen, dl«* aber den Ernährungszustand auffallend 
wenig beeinträchtigten. 

Ein zwingender Beweis für die netiologisehe Bedeutung dieser 
Amoela-n ist ja bis auf den heutigen Tag nicht erbracht: Vortr. 
schlosst sich jenen Autoren an. die dem genannten Parasiten die 
Unterhaltung der Diarrhoe zuschreiheu. Unter «-iuer adstria- 
gircmleu Behandlung trat Heilung ein. 

Di sc u ss io n. Herr J a p li a hat einen glehlien Fall bri 
einem russischen Kinde beolinehtet. «las jaimdang au Diarrhöen 
litt. Die Stühle eigentliiimlieli kleisterartig und von auffallendem 
Geruch. Unter Uliinin und Darmspiiliingen besserte sich der Zu¬ 
stand, ohne — wenigstens für di«* Zeit «ler Beobachtung — zur 
völligen Heilung zu führen. 

Tagesordnung: 

1. Diseussion über Herrn L i 11 e n’s Vortrag: Ueber 
Agurin und Rheumatin. 

Es m«*ld«*te sich Ni«*mand zum Worte. 

2. Herr Ernst Unger u. (».: Kurze Mittheilnng über 
gonorrhoische Gelenkerkrankung mit Gonococcennachweis im 
Flut. 

Ein junger Mann er'.itt beim Turn« n einen Sturz auf «He Hilft *. 
Unter ausserordentlich starken Schmerzen erfolgt.* ein«* Anschwel¬ 
lung des Ohcrsfhrnkcls. die au Osteomyelitis «>di*r Uoxltls denken 
liess. Mein fache Pr«dt«*punktioucn ergalH*n keinen Eiter aus «l.*m 
Periost. sondern nur blutige Flüssigkeit. Man fahndete auf 
(Joimniuu*. aber vcrgebli«-li. Allinähliclie Rückbildung un«l nach 
einiger Zeit plötzlicher Wicderanstieg «les Fiebers und multiple 
Arthritis. In Narkose erneute Punkti«m«*u und hiebei entdeckt, 
dass die an normaler St«*ll«> gelegene Hnrnröhr«‘tiöffnung blind 
endete, und die <*ig« ntliehe Oeffnung «ler Urethra an «ler Unter- 
t1ii«-he d«*s (Riedes g«*leg«*n war: in dieser konnte ein Tropf«*» 
Eiter «mtb-ort und darin (ionoe«M‘een naeligewiesen wenlen. Nuu- 
m«hr vorg«*mimin«*iie Aussaat aus «lein Blute auf Ascitesboulilo» 
unter Entnahme grosser Bliitmengen ild ccm Blut» ergali in 
d«*n mit viel Blut b«*s<-liickf«*n Riilirclien «lie Bildung einer Itahin- 
liaut. welche Diplo<*cocen enthielt, «li«* si«-h als Gonococcen |ia«*h- 
w«*is«*n liess«*n. 

Der Nachweis von Gonocotven durch Kultur ist im Blute 
scImhi wiederholt gelungen, «loch erst dann, als man vi«*l Blut uu«l 
flüssige Nährböden anwamlte. Patient Ist langsam geneseu. 

Disc ussio n. H«*rr M. M 1 «• li a e 11 s hat. wie früher mit- 
g«*tlu*ilt. zwar ln «len II«*rzklapp;*nauflag«*ruugeu <ioiu>co<*«*eu g.*- 
fttmlen. «lics«*lb(*n aber bisher nicht im Blute nacbwelsen könneii. 
obwohl er sehr viele gonorrhoische Rheumatismen zu sehen 1 h* 
kommt. Er ist der Meinung, dass auf «ler L e y d e n’scheu Klinik 
wenigst«*ns mehr gom>rrh«>is«-he Arthritid«*n zur Behaudlung ge 
langen, als Fälle von Polyarthritis rheumatica. 

Herr Klein per«*r: Er sah «len Fall, wo bei einem Kinde 
im Anschluss«* an Blennorrhoe der Augen sich dm* Polyarthritis 
«*ntwick«*lt:* und dann ein Abscess am Rücken. In letzterem 
komm u (iouo«*occeii naeligewiesen werden und er glaubt daraus 
wold schlmssen zu dürfen, dass aiu-h di * Polynrthritis g.am.'- 
rlmis«-lu*r Natur war. 

Herr A. Fraenkel: Die Arthritis gonorrhoica sei viel 
häutiger als man nimelim«*. do«*h sei si«* gewöhnlieh an der dg.*» 
tlmmlichen Konti (meist mounrticiilär. Hartnäckigkeit. teigig« 
Atis«-liwelbmgi l«*i«*ht zu «*rkennen. Man könne sie l«*icht mit der 
(iieiit v« , rw«*chst*ln. 

Herr Unger: Man müsse gi«*l«4i in «len «>rst«*n Tagen auf 
(touo<*occeii unt«*rsu«*ln*n: «leim wie Bauer naeligewi«*s«*n. ver- 
sdiwimlen sie schon midi ö Tagen aus «len (Jelcnken. 


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26. November 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1943 


3. Herr Karewski: Ueber Gallensteinileus. 

Vortr. bespricht an der Hand mehrerer sehr instruktiver 
Fälle diese Affektion, die sehr häufig der Diagnose grosse Schwie¬ 
rigkeit bietet, da sie unter wechselndem Bilde verlaufen kann: 
chronische Obstipation, vollständiger Darmverschluss, Koth- 
abscess u. dergl., und da sie sich zuweilen bei Leuten entwickeln 
kann, die bis dahin von der Existenz eines Gallensteins in ihrem 
Körper noch keine Empfindung gehabt haben. 

Die Mechanik des Gallensteinilcus ist noch controvers; 
jedenfalls spielen reflektorische Momente dabei eine bedeutende 
Rolle, denn er kann auch eintreten, ohne dass der Stein 
in den Darm selbst hineingelangt ist. 

Discussion vertagt. Hans K o h u. 

Gesellschaft der Charite-Aerzte in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 14. November 1901. 

1. Herr Greef: a) Historisches zur Entdeckung des 
Augenspiegels. 

Vortragender berichtet über seine Quellenforschungen zur 
Entdeckung des Augenspiegels durch Helmholtz. Die gel¬ 
tende Annahme, dass die Entdeckung in das Jahr 1851 fällt, ist 
falsch. Es wird ein Brief von Helmholtz an seinen Vater 
verlesen, vom 17. Dezember 1850, in dem von dem Augenspiegel 
erzählt wird. In der Sitzung der physikalischen Gesellschaft zu 
Berlin vom 6. Dezember 1850 wurde nach dem aufgefundenen 
Protokoll durch du Bois-Reymond eine Mittheilung von 
Helmholtz über seinen Augenspiegel verlesen. 

b) Besichtigung der historischen Sammlung von Augen¬ 
spiegeln (circa 100 Modelle). 

c) Demonstration von Augenhinterbildern mit dem Epi¬ 
diaskop. 

2. Herr Nicolai: Heber Affektionen des Sehorgans bei 
Schläfenschüssen. 

Vortragender zählte unter 159 Schussverletzungen bei Selbst¬ 
mordversuchen 112 Kopfschüsse, unter denen 85 Schläfenschüsse, 
von welchen nur 9 linksseitige. Es handelte sich weniger um 
direkte Verletzung des Augapfels, als um Schädigungen des Seh¬ 
nerven. Das Geschoss kam meist, in den Knochen der .Schädel¬ 
basis zur Ruhe. Vortragender demonstrirt Röntgenbilder mit 
Projektil und mit Knochensplittern in den Orbitae und weist 
darauf hin, dass um so mehr Muskeln verletzt sein werden, je 
weiter nach hinten der Schusskanal in der Augenhöhle liegt. 
Verletzung des Sehnerven und seiner Gefässe machte Amaurose, 
Netzhautanaemie und Netzhautblutungen. 

3. Jlerr Thorner: Ein neuer stereoskopischer Augen¬ 
spiegel. 

Vortragender demonstrirt seinen neuen Apparat (siehe auch 
Borl. klin. Wochenschr. No. 38, 1901), der aus dem monokularen 
reflexlosen Augenspiegel des Verfassers entstanden ist. Bei dem 
neuen Instrument ist das Beleucbtungsrohr nach oben verlegt, 
so dass das Licht nur durch die obere Pupillenhillfte in das Auge 
des Untersuchten eintritL Das aus der unteren Pupillenhälfte 
austreteude Licht wird nun durch Spiegelung in 2 Prismenpanren 
in 2 Hälften zerlegt, die in der Entfernung der Augendistanz des 
Beobachters parallel zu einander verlaufen, und geht dann zum 
Auge des Beobachters durch 2 gleichgebnute Rohre, an deren 
Ende sich noch ein Umkelirungsprisma befindet, zur Vermeidung 
pseudoskopisclier Wirkung. Vergrösserung ist 25 fach. Tiefen¬ 
wahrnehmung 18 mal so empfindlich wie bei dem Giraud- 
T e u 1 o n’schen Spiegel. 

4. Herr Hoffman n: Demonstrationen mikroskopischer Prä¬ 
parate von Molluscum contagiosum und einer Horncyste aus 
der Bauchliaut des Menschen mit aufgerollteu Haaren. 

K. Brandenburg - Berlin. 


Verein der Aerzte in Halle a. S. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 17. Juli 1901. 

Vorsitzender: Herr C. F r a e n k e 1. 

1. Herr H e r s c h e 1: Ein seltener Fall von Trommelfell- 
mptur. 

Er betrifft ein f> jähriges Mädchen, das l>eitn Spielen auf der 
Strasse von einem grossen Hunde umgerissen wurde und mit der 
linken Kopfseite dermnassen unglücklich und mit solcher Gewalt 
auf's Trottoir aufschiug, dass es fast besinnungslos liegen blieb. 
Es wurde Blutausfluss aus dem linken Ohr koustatirt, der so reich¬ 
lich war, dass der Verband in Folge Durclitränkuug öftere er¬ 
neuert werden musste. Weitere Erscheinungen waren: Schmerzen 
in der linken Ohrgegend, vor Allem aber häufiges Erbrechen und 


starker Schwindel. Am 4. Tage nach dem Trauma kommt der Fall 
erst zur genauen Beobachtung: Im linken Gehörgang nimmt ein 
grösseres Blutgerinnsel die ganze hintere Gohörgangswaiul ein und 
verdeckt fast den grössten Theil des sonst blass ausseheudeu 
Trommelfells. Die Hörprüfung ergibt, dass das linke verletzte Ohr 
nur ziemlich laute Sprache direkt am Ohr hört und für hohe Stimm¬ 
gabeltöne eine bedeutend herabgesetzte Perceptlon zeigt. Die 
tiefe Stimmgabel vom Scheitel aus (sog. Weber’scher Versuch) 
wird auf der rechten gesunden Seite wahrgenommen, ebenso das 
Ticken der au den linken Proe. mastoid. angelegten Uhr. Im kran¬ 
ken Ohr ein beständiges brummendes Geräusch. Belm Stehen mit 
geschlossenen Augen starkes Schwanken, ebenso beim Gehen, wo¬ 
bei das Kind auffallend nach der linken kranken Seite taumelt. 
Im Urin weder Eiweiss noch Zucker. 

Die Behandlung war eine sehr einfache: Verschluss des Ohres 
durch eiuen leichten Occlusivverband und Bettruhe. Eine Unter¬ 
suchung nach 11/ 2 Wochen ergibt schon eine wesentliche Besse¬ 
rung nicht nur des Schwindels, sondern auch des Hörvermögens: 
das kranke Ohr hört jetzt schon Flüstersprache ln einiger Ent¬ 
fernung, ebenso die Uhr vom Proc. mastoid. aus; auch wird die 
tiefe Stimmgabel vom Scheitel aus jetzt lauter auf dem verletzten 
Ohr gehört, also gerade umgekehrt, wie zu Anfang der Läsion. Die 
Besserung schreitet fort, so dass man es bald mit einem völlig 
normalen Gehör zu thun hat: auch der labyrinthäre Sehwindel 
hat gänzlich anfgehört. 

Nachdem jetzt das Coagulum im Gehörgang entfernt ist, wird 
folgender Trommelfellbefund festgestellt: Das Trommelfell hatte 
durch das Trauma an seiner ganzen hinterem oberen Umrandung 
eine Ablösung erfahren, die sich auch durch stärkere Injektion 
dokumentirte. Das Epithel ist hier nufgeloekert und lässt ent¬ 
sprechend dem narbigen Verschluss der Rupturstelle eine Anzahl 
kleiner Reflexe sichtbar werden. In der hinteren Gehörgaugshaut 
bemerkt man eine vernarbende Rissstelle; diese ist wohl auch als 
Ausgangsstelle der stärkeren Blutung anzusehen, weniger die 
Trommelfellruptur, da solche erfahrangsgemäss nur wenig blutet. 
Eine Zerreissung des häutigen Gehörganges deutet meist noch auf 
tiefere Verletzungen hin, auf eine Infraktiou des knöchernen Ge¬ 
hörganges. Dass eine schwerere Verletzung des Labyrinthes hier 
stattgefunden hat, ist nicht anzunehmeu; die Erscheinungen — 
Schwindel, Erbrechen. Schwerhörigkeit — lassen sich allein schon 
durch eine stärkere C'ommotion des Labyrinthes erklären; an eine 
solche braucht man gerade hier nur zu denken, da die Restitutio 
ad integrum so vollkommen und in so kurzer Zeit eingetreten war. 

Bei Besprechung der Therapie wird vor Allem die Warnung 
wiederholt, bei frischer Trommelfcllrupt.ur nur ja nicht das Ohr 
auszuspritzen; eine Eiterung wäre unweigerlich die Folge. Am 
Besten unterbleibt jegliches Abtupfen oder sonstiges instrumen- 
tclles Mauipuliren gänzlich. Unter einem aseptischen Occlussiv- 
verband heilen die Rupturen in kurzer Zeit. Auch vor einer 
kritiklosen Behandlung des Ohres mit Luftdouchc wird gewarnt. 
Wenn die Schwerhörigkeit labyrinthürer Natur ist, würde die 
Luftdouehe nicht nur keinen Zweck haben, sondern sogar den 
Verlauf der Labyrinthaffektion ungünstig beeinflussen; ferner 
wäre das Lufteinblasen im Stande, den Trommelfell riss stets von 
Neuem wieder aufzureissen und die Verklebung seiner Ränder 
zu verhindern; schliesslich könnte die Luftdouehe sogar einmal 
infektiösen Schleim aus der Nase per tubain in’s Mittelohr 
schleudern und dann auf diesem Wege dasselbe zur Eiterung 
bringen. Aus diesem Grunde ist den Patienten vorsichtiges, ein¬ 
seitiges Schnauben der Nase anzuempfehleu. 

Bestehen labyrinthäre Erscheinungen, so ist unbedingte Bett¬ 
ruhe am Platze, bis das Erbrechen und der Schwindel völlig 
vorüber sind; vor Allem ist jede Kongestion nach dem Labyrinth 
zu vermeiden, wesshalb dem Patienten der Genuss von Kaffee. 
Theo, Alkohol gänzlich zu verbieten ist. Gegen laute Sehall- 
eindrücke ist das Ohr durch Tragen eines Oeelusivverbandes resp. 
einer gut anliegenden Ohrenklappe zu schützen; selbst Hör¬ 
prüfungen sind in der ersten Zeit zu unterlassen, um auch jede 
Reizung des Ilömerven auszuschliessen. 

2. Herr Frick erstattet Bericht über die Verhandlungen 
des Aerztetages in Hildesheim. Er erörtert in zustimmeuder 
Weise die Behandlung der Frage des Leipziger wirtschaftlichen 
Verbandes. Es schllesst sich daran eine kurze B e s p r e e h u u g 
einiger Einzelheiten. Namentlich wirft Herr Fries die Finge auf. 
wesshalb sichder Aerztetag in so selirofferWeiso gegen die Zulassung 
von Sludirenden mit d e r schweizer Maturität zu 
den mediclnischen Prüfungen in Deutschland erklärt habe. Herr 
Fraenkel erwidert, dass dieser Beschluss ohue Zweifel auf 
mangelhafte Kenntniss der tatsächlichen Verhältnisse znrückzu- 
fiihren sei. Die eigentliche Schweizer Gymnasialmaturität zeige 
zwar in ihren Anforderungen gewisse kantonale Vereehiedenheiten. 
stehe aber im Ganzen mindestens auf der Höhe der deutschen. 
Daneben gebe es nun noch eine ..eidgenössische Maturität für Medi- 
ciuer“, die von den ausserhalb der Gymnasien vorbereiteten Kandi¬ 
daten, männlichen wie weiblichen, bestanden werden könne und 
zum ordnungsmässigen Studium der Medlein, sowie zu den späteren 
Prüfungen berechtige. Diese Maturität, die an von Jahr zu Jahr 
wechselnden Orten vor einer grossen staatlichen Kommission nb- 


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1944 


MUENCHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


gelegt werde, stelle gleichfalls ziemlich erhebliche Ansprüche, die 
etwa denen unserer Realgymnasien gleichkämen. Endlich gebe es 
in der Schweiz noch eine sog. Zulassungsprüfung, die viel leichter 
sei und den Zugang zu manchen Studienfächern, aber nicht zu dem 
der Medicin eröffne, und noch weniger zu den Staatsprüfungen 
qualificire. Vielleicht hätten der Aerztetag und seine Bericht¬ 
erstatter nur von der letzteren gewusst und danach beschlossen; 
es sei das aber eine ganz unbegründete Voraussetzung, und auch 
die weitere Behauptung, dass die Zulassung der in der Schweiz 
vorgebildeten Studireuden zu den deutschen Prüfungen ungesetz¬ 
lich sei, völlig haltlos, wie Pr. des Näheren darlegt. Der Bundes¬ 
rath habe sich durchaus im Recht befunden und nur einer loyalen 
Auffassung gehuldigt, als er den relchsangehörigen weiblichen 
Studirenden, die ihre medicinisclien Studien zu einer Zelt begonnen, 
wo bei uns die Erwerbung der Maturität noch unmöglich, durch 
eine Uebergangsbestimmung die Rückkehr in’s Vaterland und 
auf unsere Universitäten habe erleichtern wollen. Im Ganzen handele 
es sich übrigens nur um nicht ganz ly 2 Dutzend weiblicher Stu- 
dirender; es erscheine dalier auch, abgesehen von allem Anderen, 
in hohem Grade kleinlich und der deutschen Aerzteschaft un¬ 
würdig, wegen einer solchen Bagatelle ln die Lärmtrompete zu 
stossen. 

3. Herr Reineboth: Experimentelle Studien über 
Brustkontusionen. 

Dieselben sind im Deutschen Archiv für klinische Medicin, 
Bd. 69, ausführlich niedergelegt; sie haben den Zweck, am Brust¬ 
korb des Kaninchens durch Einwirkung annähernd gleicher 
Kräfte und annähernd gleicher Richtung der Gewalt Wirkung die 
Gegenden des Thorax zu bestimmen, an denen die Folgen eines 
Traumas für die Lunge in Gestalt von Kontusionen am ehesten 
sich geltend machen. Steigern wir an j e d e r Stelle die Gewalt¬ 
wirkung bis zur Entstehung dieser dauernden und sichtbaren Ge¬ 
websschädigungen, so haben wir damit ein Vergleichsmaass für die 
Grösse der Kraft, die in den einzelnen Thoraxpartien nöthig ist., 
um die genannten Folgen zu erzeugen. 

Die Grösse der Kraft, wurde bestimmt durch aus gemessener 
Hohe fallende Gewichte, ihre Richtung durch möglichst absolut 
senkrechtes Aufschlagenlassen derselben. Die Gewichte wurden 
innerhalb von Glasröhren fallen gelassen, deren Lumen etwas 
weiter als der Umfang der ersteren war. So lange es sich um 
kleine Gewichte handelte, wurden die einzelnen Intercostalräume 
gesondert der Gewaltwirkung unterworfen, bei Anwendung 
grösserer Gewichte grössere, immer wieder leicht bestimmbare 
Thoraxpartien. 

Ausschliesslich wurden Kaninchen verwendet. 

Die Versuche sind im Einzelnen 1. c. nachzulesen und nicht 
gut zu referiren: sie beschäftigen sich mit Einwirkung der Ge¬ 
walt auf die frei präparirte Pleura, auf einzelne frei gelegte 
Rippen, mit Erschütterungen grösserer Partien der Thoraxwand, 
der Wirbelsäule und Rückenfläche des Brustkorbes, mit Stoss 
gegen die drei letzten beweglichen Rippen und das Epigastrium. 

Aus den Versuchen geht hervor, dass am 
frühesten, leichtesten und ausgedehntesten 
der ventrale untere Lungeuran d, demnächst 
die Spitze und weit schwerer die anderen oben 
bezeichneten Thorax- resp. Lungenpartien su- 
gillirt werden. 

Als traumatische Sugillationen sind dabei solche aufzu¬ 
fassen : 

1. die, an der Stelle der Gewaltwirkung gelegen, eine den 
Verlauf von benachbarten Knochentheilen (Rippen) abzeichnende 
Gestalt besassen; 

2. die, an der Stelle der Gewaltwirkung gelegen eine unge¬ 
wöhnliche Grösse (0,5 cm) und unregelmässige Begrenzungen 
(streifen- oder bandförmig) boten; 

3. endlich solche, die, im Bereich der Gewaltwirkung gelegen, 
nicht durch Form (rund) und Grösse, sondern durch ihr gehäuftes, 
der Lunge ein buntgetigertes Aussehen gebendes Auftreten sich 
auszeichneten, während die übrige Lunge nur mit vereinzelten 
Sugillationen besetzt war. 

Schwer gelang es, durch Stoss gegen die drei beweglichen 
Rippen traumatische Sugillationen des unteren Lungenrandes zu 
erzeugen; bei abgemessener Gewaltwirkung gegen die Wirbel¬ 
säule in der Höhe des 1.—4., de« 5.—8., des 9.—12. Wirbelfort¬ 
satzes glückte es nur einmal, und zwar auch nur wieder am 
unteren Rand des Unterlappens, Kontusionen hervorzurufen; 
es gelang nicht, selbst bei Anwendung erheblicher Gewalt, vom 
Epigastrium aus traumatische Sugillationen zu erzielen. 

Die gefundenen Resultate sind ohne Weiteres nicht in der 
menschlichen Pathologie verwerthbar. Indes« können sie speziell 


in der Unfallheilkunde künftighin bei klinisch oder pathologisch¬ 
anatomisch zur Beobachtung kommenden Fällen die Aufmerksam¬ 
keit mehr wie bisher auf den Ort der Gewaltwirkung und deren 
Folgen im einzelnen Falle hinlenken. Der Vergleich wird dann 
ermöglichen, für den Menschen dieselben Gesetze zu bestätigen 
oder entsprechend zu korrigiren. 


Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 22. Oktober 1901. 

Vorsitzender: Herr C. Lauenstein. 

Schriftführer: Herr H a f f n e r. 

■ I. Demonstrationen: 

1. Herr H&ffner stellt aus dem Hafenkrankenhaus 2 Fälle 
von Schädelbasisfraktur vor, die beide in gleicher Weise (Schlag 
gegen die eine Schläf engeg ?nd, Gegenschlagen der anderen 
Schläfengegend gegen eine Wand) entstanden waren. Beide waren 
kompllzirt durch eine einseitige Abducenslähmung, durch einseitige 
motorische und sensible Trigeminusstörungen und durch eine 
doppelseitige Facialislähmung, die bald nach der 
Verletzung sich zeigte, in einigen Tagen komplet wurde und Jetzt 
(7% bezw. 5'/ 2 Monate nach der Verletzung) zum grössten Theil 
geschwunden war. 

Der Verf. bespricht die durch die Diplegia facialis hervorge¬ 
rufenen Störungen, die für die Bearbeitung der Speisen in der 
Mundhöhle und das Schlingen des Bissens sehr in’s Gewicht fallen, 
und weist besonders auf den Funktionsausfall des M. stylohyoldeus 
und M. biventer hin. 

2. Herr Beinitz stellt einen 22jährigen Mann vor, der 
sich am 17. September mit einem 7 mm - Revolver zweimal in die 
rechte, einmal in die linke Schläfe geschossen hatte. Aus der 
linken Einschussöffnung war Gehirnmasse ausgetreten. 

Radiographisch Hess sich eine Kugel in der vorderen 
Schädelgrube etwas links von der Crista Galli dicht über der Basis 
nachweisen. Die zweite sitzt vermuthlich in der lateralen Wand 
der rechten Orbita. Die dritte ist nicht zu sehen. 

Wundbehandlung: Desinfektion, Freilegung der Knochen- 
wunden, Excislon der Wundränder. 

Wundheilung o. B., beendet IG. Oktober. Patient bietet Inter¬ 
esse, insofern bei ihm bis auf Anfangs heftige, z. Z. mässige Kopf¬ 
schmerzen und bis auf geringe Klopf- und Druckempflndlichkeit 
des r. Proe. mastold. und der r. Hinterhauptsgegend objektive wie 
subjektive Abweichungen von der Norm fehlen. 

D 1 s e u s s i o n: Herr Bertelsmann erbittet sich Auf¬ 
klärung über die Art der Behandlung der erwähnten Schuss¬ 
wunden, da er nicht mit dem Vorredner darin übereinstimmen 
kann, dass die gewählte Methode der Excislon der Wundränder 
die allgemein übliche sei. Er selbst habe im Allgemeinen Kranken¬ 
hause St. Georg und im Südafrikanischen Feldzuge eine grosse An¬ 
zahl von Schusswunden nur mit Oberflächen-Desinfektlon und Ver¬ 
schluss durch Gaze und Pflaster mit bestem Erfolg behandelt 

Dieses Verfahren erspare bei fast allen Schussverletzungen 
die Narkose und gebe ideale Resultate. 

Herr C. Lauenstein: Die Lage der einen Kugel, von 
Herrn Dr. Albers-Schönberg mit dem Orthodiagraplien be¬ 
stimmt, war: 12,6 cm im Querdurchmesser von der Einschuss¬ 
öffnung entfernt. In der verschiedenartigen Behandlung der Ein¬ 
schussöffnung bei penetrirenden Schussverletzungen kann er keinen 
prinzipiellen Unterschied erkennen. 

Herr Wiesinger: Beide Verfahren geben gute Resultate. 
Der Wegfall der Narkose sei aber ein Vortheil. 

3. Herr Wiesinger demonstrirt zwei Speichelsteine, 
welche beide aus der Drüse selbst, nicht aus dem Gang derselben, 
stammen, fast die gleichen Erscheinungen gemacht haben und 
gleichschwer siud (5.0 g). 

Der eine wurde im Allgemeinen Krankenhause Hamburg- 
St. Georg, der andere von Med.-Rath N 1 e p e r - Gosslar durch 
Operation gewonnen und zwar beide durch Operation einer 
Fistel auf der linken Halsseite unterhalb des Kehl¬ 
kopfs, welche nach Ineislon eines „Drüsenabscesses“ mehrere 
Jahre bestanden hatte. Deutliche Erscheinungen, dass der Ab- 
scess seinerzeit mit der Speicheldrüse im Zusammenhänge steht, 
waren in beiden Fällen nicht vorhanden. 

Di sc ns sion: Herr Alsberg hat einen gleichen Fall 
operlrt. bei dem die Diagnose durch eine Röntgenaufnahme bei 
Dr. Albers-Schönberg gesichert worden war. 

4. Herr Bertelsmann demonstrirt eine Dermoidcyste, 
welche er im St Georger Krankenhause vor ungefähr 14 Tagen 
wegen Stieldrehung schleunigst exstirpiren musste. 

Die Angaben der Tatientin machten es wahrscheinlich, dass 
die entscheidende Drohung 4 Tage vor der Operation stattgefunden 
hatte. Nach Eröffnung der Bauchhöhle sah man den Tumor 
gangraenös, er war 2 y 2 mal um sich selbst gedreht die Blutzufuhr 
völlig abgeschnitten. Ausserdem fand man in der Bauchhöhle 
1 Liter blutig-seröser Flüssigkeit und einen Theil des Inhaltes des 
Tumors. Es war nämlich 4 Stunden vor der Operation von anderer 
Seite eiDe Punktion durch die Bauchdeeken gemacht worden und 
man konnte jetzt ganz deutlich sehen, wie sich der atheromatöse 
Inhalt der Cyste in Gestalt einer kleinen geringelten Wurst in die 
Bauchhöhle hiueln ergoss. Tumorinhalt und Erguss erwiesen sieb 


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26. November 1903. 


MtTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


3945 


bakteriologisch als mit Bakterium coli inficirt. Ein Erguss in die 
Buuchhüble wird uun bei so lange bestehender Stieldrehung wohl 
meist nicht fehlen. Auch kann man sich vorstellen, dass beide zu 
gleicher Zeit mit Bakterium coli inficirt wurden. Ein Beweis, dass 
durch die Punktion infektiöses Material in die freie Bauchhöhle ge¬ 
langte, hisst sich nicht erbringen. Dennoch glaubte ich diesen Fall 
als einen Beleg beibriugen zu können, dass man bei Punktionen in 
der Bauchhöhle manchmal unangenehme Ereignisse auslösen kann. 
Ich rathe, in der Bauchhöhle nur im Notlifall zu punktiren und 
den Zeitpunkt dazu so zu wählen, dass man bei positivem Befund 
die Operation sofort ansehliessen kann. 

Discussion: Herr Wiesinger: Die inneren Mediciner 
haben sich daran gewöhnt, die Punktion als einen harmlosen Ein¬ 
griff zu betrachten. Er glaube, dass die Punktion oft Schaden 
stifte, wenn nicht die Operation gleich angeschlossen werden 
könne. 

Herr Just fragt, ob die Punktion von der Vagina aus als 
ebenso gefährlich zu betrachten sei und bittet um Auskunft, auf 
Grund welcher Diagnose puuktirt worden war. 

Herr W i e s i n g e r: Die Punktion von der Scheide aus halte 
er für etwas weniger gefährlich, desswegen, well allenfalls aus¬ 
tretende infektiöse Flüssigkeit sich im Douglas ansammelu und 
abkapseln könne. Es möchte vor der Punktion von Echinococcen 
noch warnen. Aus der Punktionsöffnung können Blasen austreten 
und zu einer Weiterverbreitung in der Bauchhöhle führen. 

Herr Bertelsmann entgegnet Herrn Just, dass er Punk¬ 
tionen von der Scheide aus, wenn es sich um abgeschlossene In¬ 
fektionsherde -handle, die aber der Schelde nicht anlägen, und sich 
in der freien Bauchhöhle befänden, also nach dem kleinen Becken 
zu nicht durch Verwachsungen abgegrenzt seien, ebenfalls für be¬ 
denklich halte. Der punktlrende Arzt habe in der Annahme einer 
Peritonitis punktirt. 

5. Herr C. Lauenstein demonstrirt das bei der Sektion 
gewonnene Präparat eines Carcinoma des Magens, der Leber, der 
retroperitonealen Drüsen etc., das als Beispiel einer Carcinomform 
gelten kann, die in der Regel so spät diagnosticirt wird, dass fast 
ausnahmslos ein operativer Eingriff nicht mehr möglich ist. Der 
Grund dafür liegt darin, dass in diesen Fällen das Careinom sich 
weder au der Kardia, noch am Pylorus entwickelt, sondern in 
anderen Gebieten des Magens, so dass charakteristische Symptome 
von Seiten des Magens an Kardia und Pylorus nicht auftreten. 
In der Regel gelangen in solchen Fällen die Allgemeinerschei¬ 
nungen, Abmagerung, KräfteverfaJl etc. früher zur Beobachtung 
als lokale Erscheinungen. Klinisch geradezu pathoguomoniseh 
ist das Erscheinen eines Tumors unter dem 1. Rippenbogen, der 
meist bedingt ist durch sekundäre retroperitoneale Drüsenschwel¬ 
lungen. 

In dem demonstrirten Präparat sitzt das Carcinom ebenfalls 
lm mittleren Abschnitt des Magens und hat von da aus den grössten 
Theil des Magens ergriffen. Kardia und Pylorus waren bis zuletzt 
durchgängig, so dass PaL, der Ostern erkrankte, Mitte September 
ln’s Hospital geschickt wurde und vor einigen Tagen verstarb, 
nicht ein einziges Mal erbrochen hat. Die retroperitonealen Drüsen 
waren enorm geschwellt, die Leber übersät mit Carclnoinknoten. 

II. Vortrag des Herrn Professor Edlefsen: lieber 
Nierenquetschung. 

Der von Edlefsen besprochene Fall betraf einen Brauerei¬ 
arbeiter, dem ein 40—50 kg schweres Halbhektolitergebinde aus 
einer gewissen Hohe gegen die Brust gefallen war, während er 
ein anderes, welches er eben von dem Stapel herabgenommen 
hatte, noch in den hoch über den Kopf erhobenen Händen trug. 
Ein Ausweichen nach hinten wurde durch ein dort befindliches 
eisernes Geländer verhindert. Es war streitig, ob das gleich nach 
dem Unfall zu Tage getretene Nierenleiden spontan entstanden 
oder durch den Unfall veranlasst sei. E. entschied sich nach 
Abwägung aller dafür oder dagegen sprechenden Gründe für die 
letztere Annahme. (Der Vortrag erscheint ausführlich in dieser 
Wochensehr.) 

Di sc us sion: Herr C. Lauen stein ist überzeugt, 
dass Herr Edlefsen sich in der richtigen Weise in 
seinem Gutachten entschieden hat, indem er die Schädigung durch 
das Trauma anerkannt hat. Die zweitägige, wenn auch leichte 
Haematurie und das schliessliche Aufhören der Nierenaffektion 
spricht durchaus zu Gunsten der schädlichen Einwirkung des 
Traumas. Wenn auch dieser Fall keiner weiteren Klärung bedarf 
durch eine Discussion, so schlägt L. doch vor, das Thema der 
Nierenquetschung in der nächsten Sitzung zu discutiren. 

Die weitere Discussion wird auf die nächste Sitzung vertagt. 

Französischer Urologenkongress. 

in Paris vom 24. bis 26. Oktober 1901. 

(Eigener Bericht.) 

Die V. Versammlung der französischen Urologen wurde am 
24. Oktober im kleinen Amphitheater der Pariser medicinischen 
Fakultät durch eine Antrittsrede ihres Vorsitzenden, Herrn Prof. 
G u y o n , eröffnet. 

Die zuerst zur Discussion gestellte Frage betraf die 

Pathogenese der beweglichen Niere und die Indikationen für 
operative Eingriffe bei derselben. 


Ueber diesen Gegenstand lagen zwei umfassende Berichte 
von G u i 11 e t - Caen und Chevalier- Paris vor, die nichts be¬ 
sonders Neues für die Aetiologie des Ren mobilis brachten und 
sich ziemlich zurückhaltend in Bezug auf den Werth der Nieren¬ 
fixation ausspracheu. In der sich daran anknüpfenden Discussion 
waren die meisten Redner der Meinung, dass die Nephropexie 
überhaupt nur da am Platze ist, wo die orthopädische Behandlung 
fehlgeschlagen und wenn heftige Schmerzen vorhanden sind. 
PousBon - Bordeaux stellte die Frage auf, ob in Anbetracht 
der zahlreichen Misserfolge der Nephropexie in den dyspeptischen 
und ueuropathischen Formen der Wanderniere, es nicht angezeigt 
wäre, während dieser Operation die Nerven des Plexus renalis 
zu dehnen, um in dieser Weise einen sedativen Einfluss auf deu 
Plexus solaris auszuüben. Hat doch der bekannte Lyoner Chirurg 
Jaboulay bei heftigen Becken- und Bauchneuralgieu vorzüg¬ 
liche Resultate durch eine solche Einwirkung auf die sensitiven 
Fasern des Nervus sympathicus erzielt. In derselben Discussion 
berichtete D e 8 n o s - Paris über einen interessanten Misserfolg 
der Nephropexie bei exquisit neuralgischer Form von Wander¬ 
niere. Es handelte sich um eine 25 jährige Frau, bei der Redner 
die Nierenfixation ausübte. Die Schmerzen blieben nach der 
Operation gelindert, so lange Patientin das Bett hütete, um nach¬ 
träglich heftiger als Je vorher zu werden. Als Desnos die 
Kranke 8 Monate später untersuchte, schien ihm die operirte Niere 
sehr vergrössert zu sein und er dachte, sie hätte sich wieder dis- 
locirt, wobei eine Hydronephrose durch Abknicken des Harnleiters 
entstanden wäre. Patientin wurde nochmals operirt. Die bei der 
klinischen Untersuchung gefundene Geschwulst gehörte der herab¬ 
gesunkenen beweglichen Leber an, während die Niere an der 
Stelle, wo sie angenäht worden war, festsass. Redner exstirpirte 
diese Niere, worauf die neuralgischen Beschwerden verschwanden. 

Von den einzelnen in den verschiedenen Sitzungen gemachten 
Mittheilungen seien hier folgende erwähnt: 

P o u s s o n - Bordeaux: Die Nephrotomie in Fällen von 
Nephritis. 

Der chirurgische Nierenschnitt übt, wie bekannt, indem er 
die Gewebe der kranken Niere entlastet, eine dreifache Wirkung 
auf die von diesem Organ ausgehenden Beschwerden aus: er 
lindert die Schmerzen, hemmt die Blutungen und führt die Harn¬ 
sekretion auf ihre physiologische Norm zurück, in den Fällen 
wenigstens, wo das secerniremle Nierenepithel noch funktionsfähig 
ist. Von diesen Thatsachen ausgehend, hat Vortr. versucht, bei 
Nephrltikeru, die Störungen der Urinsekretion, welche er einer 
erhöhten Spannung des Nierengewebes zuschreibt, durch die ein¬ 
fache Nierenincision zu bekämpfen. Diese Operation wurde von 
ihm bis Jetzt in 5 Fällen von Nephritis parenchymatosa, inter- 
stitlalis und mixta ausgeführt, wobei er das Vorhandensein einer 
wirklichen intrarenaleu Hypertension festzustellen in der Lage 
war. Die kranke Niere wurde immer derb, geschwollen und ge- 
röthet gefunden; nach Einschneiden der Kapsel prolabirte das 
Parenchym und die Schnittoberfläche blutete reichlich. In den 
erwähnten 5 Fällen hat Poussou nur einseitig operirt — auf 
der Seite nämlich, wo die schmerzhaften Empfindungen oder die 
Oedeme am stärksten ausgesprochen waren. Bel 2 Patienten war 
die Nephritis wahrscheinlich nur auf eine Niere lokalisirt, wäh¬ 
rend bei den 3 übrigen der Krankheitsprocess sicherlich beide 
Nieren betraf. Einer dieser letzteren verschied 2 Tage nach der 
Operation, die zwei anderen aber blieben nicht nur am Leben, 
sondern wurden auch gebessert: ihr Harn, der vor der Nephro¬ 
tomie hochgradige pathologische Veränderungen aufwies, wurde 
nach der Operation quantitativ wie qualitativ normal. Dies schein¬ 
bar paradoxe Resultat findet seine Erklärung in der gegenseitigen 
Reflex Wirkung beider Nieren (reno-renaler Reflex). 

A 1 b a r r a n- Paris: Die perineale subtotale Prostatektomie. 

Als Radikalbehandlung der Prostatahypertrophie empfiehlt 
Vortr. die perineale subtotale Prostatektomie, welche er im Laufe 
der letzten 6 Monate bei 14 Kranken Gelegenheit hatte auszu¬ 
führen, ohne einen einzigen von den Operirten zu verllereu. In allen 
diesen Fällen war bereits Infektion der Harnwege vorhanden und 
manchmal war der Allgemeinzustand ein schlechter. 11 Patienten, 
bei denen die Behandlung schon abgeschlossen ist, sind gehellt. 
Davon litten 4 an chronischer vollständiger Harnverhaltung, deren 
Dauer von 8 Monaten bis 5 Jahre schwankte; 2 hatten seit etwa 
2 Wochen eine recidivirende komplete Verhaltung und bei 5 be¬ 
stand eine chronische partielle Retention von 150 bis 500 Gramm, 
welche die Kranken zwang, sich mehrmals täglich zu katheteri- 
siren. Die übrigen 3 Patienten befinden sich noch ln Behandlung, 
sind aber schon im Stande, spontan zu uriniren. 

Was die Operationstechnik betrifft, so macht Vortr. eine prä¬ 
rektale, von einem Sitzbeinhöcker zum anderen geführte In¬ 
eision, sucht den Bulbus, die Pars membranacea der Urethrae und 
deu Rand der Prostata auf, separirt das Rectum, welches durch 
einen speziell dafür konstruirten löffelartigen Halter automatisch 
geschützt und fixirt wird. Die Levatores ani, wenn sie den Ope¬ 
rateur stören, werden mit einer Sclieere abgelöst, was aber selten 
nöthig ist. Jetzt wird die Prostatakapsel eingeschnitten und so 
weit als möglich abgelöst. Die Enucleation der Vorsteherdrüse 
muss eben subkapsulär nach dem Verfahren von N i c o 11 aus¬ 
geführt werden. Die extrakapsulären Exstirpationen seien viel 
gefährlicher. Nach Ablösung der Kapsel macht A 1 b a r r a u eine 
Hemisektion der Prostata durch die untere Wand der Harnröhre, 
hinter dem Sphinkter der Pars membranacea, und führt den 
Schnitt bis in die Nähe des Blasenhalses, aber ohne diesen zu 
treffen. Dann löst er mit der Scheere die vorderen suburethralen 
Theile der Prostata ab und exstirlprt Bie, führt den Zeigefinger ln 
die Blase ein und entfernt die übrigen Partien der Drüse. Das 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Ablösen der Prostatakapsol und das sorgfältige Betasten der Blase 
mit dem Finger ermöglichen ein sicheres Vorgehen und bewahren 
vor starken Blutungen. Nach geschehener Exstirpation vernäht 
inan die Urethral wunde, deren Ränder man zuerst exeidirt, uni 
diesen Theil der Harnröhre (der bei Prostatikern Immer erweitert 
ist) zu verengern. Man hisst aber am vorderen Winkel der Wunde 
eine kleine Oeffnung bestehen, durch welche ein Drain in die Blase 
eiugeführt wird. Diese perineale Drainage in den ersten Tagen 
nach der Operation ist nach Albarran von grosser Bedeutung. 
Vortr. hält die perineale subtotale Prostatektomie bei allen Fällen 
von Prostutah.vpertrophle indizirt, wo keine diffuse Vereiterungen 
oder ernste Xiereuerkrankungen bestehen, der Allgemeinzustand 
kein schlechter ist und der Katheterismus nicht vertragen wird. 

Discussion: Herr P o u s s o u - Bordeaux: Die klinischen 
Varietäten der Hypertrophie der Prostata sind so zahlreich, dass, 
mit Ausnahme der Kastration und der Vasektomie, alle operativen 
Verfahren, welche gegen diese Erkrankung empfohlen worden 
sind (B o 111 n i’sche Operation, hypogastrische Prostatektomie) 
ihre Indikationen linden können. Für Fälle, wo die Hypertrophie 
hauptsächlich den mittleren Lappen der Vorsteherdrüse betrifft, 
scheint die hypogastrische Prostatektomie mehr am Platze zu 
sein, als die perineale Methode. Dessen ungeachtet glaubt Vortr., 
dass die perineale subtotale Prosta tektomie eine grosse Zukunft hat. 

B r i n - Angers: Auswaschen der Harnröhre bei bestehender 
Orchi-Epididymitis acuta. 

In 11 Fällen von mit Hodenentzündung komplizirter Gonor¬ 
rhoe hat Vortr. die Harnröhre mit schwachen antiseptischen Lös¬ 
ungen vorsichtig ausgewaschen und dabei bei 10 Patienten eine 
rasche Heilung erzielt. Der Hoden schwoll ab und wurde schmerz¬ 
los schon nach 2—3 Tagen. Nur bei einem Kranken rief das Aus- 
spiilen der Urethra einen Fieberanfall hervor, so dass von weiteren 
Auswaschungen Abstand genommen werden musste. Vortr. meint, 
dass die Harnröbrenspülungeu eine Gegenanzeige nur bei akuter 
Urethritis, Prostatitis und Cystitls, nicht aber bei Orchi-Epididy¬ 
mitis. finden. 

B. Motz- Paris: Die Bedeutung der Palpation der Harn¬ 
röhre mit harten Sonden für Prognose und Therapie der chro¬ 
nischen Gonorrhoe. 

Um das Vorhandensein von chronischen, der Behandlung 
trotzenden gonorrhoischen Infiltrationen der Urethra festzustelleu, 
empfiehlt Vortr. die Palpation der Harnröhre mit Hilfe einer 
dicken Bougie BeniquG auszuüben. Solche Infiltrationen können 
dann ganz deutlich als kleine, harte Knoten oder Plaques gefühlt 
werden. Leider kann diese Untersuchungsmethode keine Auf¬ 
schlüsse über den Zustand der Urethra anterior geben, deren 
oberster Theil nur hinter den Schwellkörpern mit der Sonde ab¬ 
tastbar ist. Sobald man sich von der Existenz chronischer In¬ 
filtrationen der Harnröhre überzeugt hat, soll man deren trübe 
Prognose dem Kranken offen gestehen, da in solchen Fällen Aus¬ 
spülungen und Instillationen im Stiche lassen. Das einzige Mittel, 
welches hier von Nutzen ist. besteht in Dilatiren der erkrankten 
Stelle (während wenigstens 10 Minuten) mit dicken metallischen 
Bougles und nachträglicher Massage auf der Sonde. Diese Be¬ 
handlung muss sehr lange fortgesetzt werden. 

N o g u ft s - Paris: Ueber einen Fall von Urethrorrhagie 
hepatischen Ursprungs. 

Es handelte sich um einen 54 jährigen, an hypertrophischer 
Lebercirrhose mit chronischem Ikterus leidenden Mann, welcher 
plötzlich von starker Blutung der Harnröhre betroffen wurde. Die 
Quelle der Haemorrhagie war die Pars anterior der Urethra, die 
vorher nichts Krankhaftes aufgewiesen hatte. Die Blutung stand 
unter Anwendung von Einspritzungen einer 3 proc. Antipyrin- 
iüsuug. Deren Abhängigkeit von der Lebererkrnnkuug wurde 
bald durch das Auftreten profuser Nasen-, Lungen- und Darm- 
hacmorrhagien und von Purpura bewiesen. Der Kranke ging 
3 Monate später zu Grunde. 

Genouville - Paris: Ueber die galvanokaustische Meato- 
tomie der Urethra. 

ln Fällen von TJrethralstenosc, wo die Enge der Harnröhreu- 
öffnung das Eiufiihren von dicken Sonden verhindert, führt Vortr. 
die Meatotomie nicht mit dem Meatotom, sondern auf galvano- 
kaustischem Wege aus. Nach sorgfältiger Reinigung und lokaler 
Cocainanaestliesie des Operationsfeldes, während die Lippen der 
Harnröhrenmündung mit dem Dilatator oder einer haemostatischen 
Pinzette auseinander gehalten werden, schneidet man einfach mit 
dem galvanokaustischen Messer ein. Als Verband genügt ein 
aseptischer Wattebausch, den man unter die Vorhaut schiebt. 
Diese kleine Operation ist wenig schmerzhaft, gibt fast zu keiner¬ 
lei Blutung Anlass und schafft eine Wunde, welche keine Tendenz 
zur Infektion zeigt. Die so erzielte Vergrösserung der Uretliral- 
öffnung ist eine bleibende. Bei seinen Patienten hat Vortr. die 
grössten Sonden 9 Monate naeli der Operation ohne Schwierig¬ 
keit eiufiihren können. 

Albarran und Cathelin: Behandlung der Incon¬ 
tinentia urinae mit epiduralen Injektionen von Cocain oder von 
physiologischer Kochsalzlösung. 

Die Vortr. haben in 15 Fällen von Incoutiuenz des Blasen- 
sphinkters bei Kindern, Erwachsenen und Greisen ennuthlgende 
Resultate durch epidurale Einspritzungen von 15—20 ccm einer 
physiologischen Kochsalzlösung oder von 1 ccm einer 2proc.Cocain¬ 
lösung erhalten. Solche Einspritzungen wurden zuerst jeden 
zweiten Tag. später in längeren Zwischenräumen wiederholt. Nur 
bei 2 Kranken, die an Tuberkulose der Ilarnwege litten, blieb 
diese Behandlung erfolglos. Alle anderen Patienten wurden von 
ihrer Incontinenz dauernd geheilt oder bedeutend gebessert. 

Dr. W. v. II o 1 s t e 1 n. 


No. 4$. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztlicher Bezirksverein. München. 

Sitzung vom 20. November 1901. 

Im Mittelpunkte der Sitzung des Bezirks Vereines, welcher zum 
ersten Male seit dem Tode seines I. Vorstandes, Hofrath Dr. 
N ä li e r, sich versammelt hatte, stand die an Inhalt und Form 
gleich hervorragende Rede, welche Kollege K r e c k e als der 
zeitiger stellvertretender Vorstand unserem hochverdienten Führer 
zum ehrenden Gediichtniss hielt. Da der Wortlaut derselben ln 
dieser Wochenschrift veröffentlicht wird, begnügen wir uns mit 
der Ivoustatirung, dass die prächtigen, von hoher Werthschätzung 
und Verehrung für den Verstorbenen dureliglühten Worte dt* 
Redners offensichtlich in den Herzen aller Anwesenden einen 
tiefen Eindruck hinterliessen, von dem wir nur wünschen, dass 
er recht lebhaft auch bei denen aufleben möge, welche den Ne¬ 
krolog nur in gedruckter Form zu Gesicht bekommen werden. 
Die athemlose Aufmerksamkeit, besser gesagt Ergriffenheit, mit 
der die Versammlung das Lebensbild des uns so früh Entrissenen 
sich entrollen sah, war gewiss in erster Linie der Ausdruck unseres 
Schmerzes über den grossen Verlust, den wir Münchener, man 
darf sagen wir deutschen Aerzte in diesem Zeitpunkte durch den 
Tod eines Mannes wie Näher erleiden, dessen Platz schwer 
durch einen ebenso tüchtigen Streiter zu besetzen sein wird; sie 
entsprang aber gewiss auch dem immer gründlicher sich Bahn 
brechenden Verständnis« von dem Ernste der Lage, in welche 
der ärztliche Stand mit einer fast elementaren Schnelligkeit und 
Rücksichtslosigkeit sich hineiugetriebeu sieht, sie entsprang dem 
nie so tief gefühltem Bedürfnis« nach Männern, nach Kämpfern, 
wie uns eben einer in Näber entrissen worden ist! 

Nach dem Eintritt in dieTagesordnung gab der stellvertretende 
Vorsitzende bekannt, dass der ständige Ausschuss der oberbayeri- 
schen Aerztekammer an den Bezirksverein die Anregung gebracht 
habe, im Laufe des nächsten Sommers einen oberbayerisehen 
Aerztetag in München veranstalten zu wollen. Die Versammlung 
beschloss, dieser Anregung nachzukoinuien und auf einen noch 
zu bestimmenden Tag des nächsten Sommers eine derartige Ver¬ 
sammlung zu arrangiren. Die nächste Sitzung des ärztlichen 
Bczirksverelus wird am 14. Dezember stattflndeu und wird ein 
wichtiger Punkt der Tagesordnung die Neuwahl des Vorstandes 
sein. Dr. K recke gab noch bekannt, dass eine Abordnung der 
Vorstandschaft des Vereines beim Herrn Minister des Innern 
mit der Bitte vorstellig geworden sei, womöglich zu ver¬ 
hindern, dass ein grösserer Tliell der in Vorlierathuug be¬ 
findlichen Standesorduung in das Gesetz aufgenommen werde: 
denn in diesem Falle sind etwa sich als nöthig er¬ 
weisende Aenderuugen sehr schwer lu’s Werk zu setzen. 
Excellenz v. Feilltzscli machte ln dieser Hinsicht wohlwollende 
Zusagen. — Da der Vortrag des Herrn Dr. Krücke: „Wie 
kommen wir Aerzte aus der Gewerbeordnung?“ wegen Erkrankung 
desselben nicht stattfinden konnte, so nahm die Versammlung 
sofort den von dem Schriftführer des Pressausschusses. Dr. 
Nassauer, verfassten Bericht über die bisherige Tbätigkeit 
dieser neuen Institution entgegen. Mit Beifall konnte den Dar¬ 
legungen entnommen werden, dass der Pressausschuss des ärzt¬ 
lichen Bezirksvereins seit der kurzen Zeit seines Bestehens schon 
manches Stück Arbeit im Dienste des ärztlichen Standes geleistet 
hat. Dass der Einrichtung und dem wirksamen Fuuktionireu des 
Pressausschusses von Seite der Mitglieder des Bezlrksverelnes ein 
reges Interesse entgegengebracht wird, bewies die lebhafte Theil- 
nnhme an der sich anschliessenden Berathung über die Satzungen, 
die sodann nach den Vorschlägen der Vorstandschaft genehmigt 
wurden. 

Nach einigen geschäftlichen Mittheiluugeu des Vorsitzenden 
wurde die Sitzung um 10% geschlossen. 

Grass mann - München. 


Auswärtige Briefe. 

Hamburger Brief. 

Hamburg, 15. November 1901. 

Das Vorlesungswesen in Hamburg. 

Vor Kurzem ist das „Gesetz, betreffend die 
wissenschaftlichen Anstalte n“, dessen Entwurf 
vom Senat im Januar 1900 der Hamburger Bürgerschaft zu¬ 
gegangen, von letzterer mit unbedeutenden Abänderungen, die 
der Senat genehmigt hat, angenommen worden. Damit ist auch 
das öffentliche Vorlesungswesen in Hamburg, das in den 
letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen, auf lange 
Zeit hinaus geregelt und organisirt worden. Da über dieses Vor¬ 
lesungswesen in der weiteren Oeffentliclikeit allerlei unklare und 
abenteuerliche Vorstellungen herrschen, so komme ich gern dein 
Wunsch der Redaktion nach, eine kurze Schilderung des jetzigen 
Zustandes zu entwerfen, wobei ich für den historischen Theil die 
vortreffliche Darstellung von Klussmann zu Grunde lege, die 
derselbe in der Festschrift zur letzten Hamburger Naturforscher¬ 
versammlung gegeben hat. 


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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1947 


K. theilt die Geschichte des Hamburgischen Vorleeuugs- 
wesens in 3 Perioden ein. Die erste Periode umfasst die Zeit 
von 1613—1883, in der das sogen. „Akademische Gymnasium“, 
eint* Art Mittelanstalt zwischen Schule und Universität, hier 
bestand, die zweite Periode die Zeit von 1883—1895, wo das Vor¬ 
lesungswesen seine erste Reorganisation erfuhr, und die dritte 
Periode von 1895—1901, wo das oben erwähnte Gesetz das Vor¬ 
lesungswesen definitiv geregelt hat. 

Als Begründer unserer Vorlesungen kann der Mathematik¬ 
professor Johann Georg Büsch gelten, der im Jahre 1764 den 
ersten öffentlichen Vortrag in Hamburg hielt. Später wurden 
die Docented des Akademischen Gymnasiums verpflichtet, jähr¬ 
lich mindestens einen Vortrag zu halten; doch machte sich schon 
damals das Bedürfniss geltend, auch auswärtige Professoren zu 
diesem Zwecke heranzuziehen, und im Jahre 1846 sollen über 
500 Zuhörer da gewesen sein. Mit dem Jahre 1883 ging das 
Akademische Gymnasium ein, und die Führung des Vorlesungs¬ 
wesens gelangte in die Hände der wissenschaftlichen Anstalten, 
deren Direktoren fortab durch Gesetz verpflichtet wurden, wissen¬ 
schaftliche öffentliche oder nicht öffentliche Vorträge zu halten. 
Die Oberleitung des Vorlesungswesens ging jedoch auf die 
Oberschulbehörde über, welche dieselbe auch bis auf 
den heutigen Tag behalten hat. Schon damals wurde dieser Be¬ 
hörde zur Bezahlung anderer Docenten als der genannten Direk¬ 
toren, ein jährlicher Betrag von 12 000 M. zur Verfügung ge¬ 
stellt. Später wurde die Verpflichtung zur Haltung von Vor¬ 
lesungen auch den Assistenten der wissenschaftlichen Anstalten 
auf erlegt. So gab es z. B. im Jahre 1894/95 12 gesetzlich ver¬ 
pflichtete und 7 andere Docenten. 

Im Jahre 1895 trat dann die jetzt noch giltige Neuordnung 
des Vorlesungswesens in Kraft., welche erst in Zukunft durch 
das Eingangs erwähnte Gesetz etwas modifizirt werden wird. 

Die Oberschulbehörde ernannte eine aus 3 Mitgliedern be¬ 
stehende Kommission, welche hauptsächlich folgende 4 Punkte 
regelte: 

1. Erweiterung des Programmes der Vorlesungen, die sich 
fortan auf alle Wissenschaftsgebiete erstrecken sollten; 

2. Eini’ichtung von regelmässig wioderkehrenden Reihen von 
Vorträgen in bestimmten Wissenschaften, die in einem regel¬ 
mässigen Turnus von 4 Jahren vorgetragen werden sollten; 

3. Einrichtung von Fortbildungskursen für Lehrer und 
Lehrerinnen; 

4. Verlegung der Hauptvorträge in das Wintersemester. 

Der bisherige Jahreszuschuas wurde von 12 000 M. auf 

43 000 M. (1901) erhöht, zu denen noch ein Extrafonds von 
14 000 M. zur Anschaffung von Apparaten u. dgl. kam. Einen 
Theil der gesammten Vorträge bilden nun auch die Fort¬ 
bildungskurse für Aerzte in Form von praktischen 
Uebungen und Vorlesungen, die theils in den Staatskranken¬ 
häusern, theils am Hygienischen Institut und der Pharmazeuti¬ 
schen Lehranstalt gehalten werden. Der Besuch dieser Vorträge 
steht den hiesigen Aerzten frei, während Auswärtige, die sich 
an den Fortbildungskursen betheiligen wollen, dafür ein ent¬ 
sprechendes Honorar zu zahlen haben. Seit 1895 haben im 
Ganzen bis jetzt 150 Docenten (119 hiesige und 31 auswärtige) 
gelesen, unter denen sich 43 Aerzte befinden. 

Die Räume, in welchen die Vorträge gehalten werden, sind, 
abgesehen von den schon genannten medicinisehen Instituten, die 
Hörsäle des alten Akademischen Gymnasiums und der wissen¬ 
schaftlichen Anstalten, sowie die Aulen unserer beiden akademi¬ 
schen Gymnasien. Allerdings x*eichen diese Räume bei einer 
grossen Zahl von Docenten schon lange nicht mehr aus. Die 
grossen Aulen fassen nur 500 bezw. 440 Hörer, und zu den Vor¬ 
lesungen berühmter Docenten, wie Erich Schmidt, L i t z - 
mann, v. Berger u. A. wurden zwischen 1152 und 2196 Ein¬ 
lasskarten verlangt. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, hat der 
Senat bereits im März 1899 den Bau eines eigenen Vorlesungs¬ 
gebäudes bei der Bürgerschaft beantragt, das die letztere jedoch 
vorläufig abgelehnt hat, bis „die weitere Entwicklung des öffent¬ 
lichen Vorlesungswesens einen genauen Ueberblick über das zu¬ 
künftige Raumbedürfniss gestattet haben wird“. Nach dem neuen 
Gesetz werden nun die wissenschaftlichen Anstalten und das mit 
ihnen verbundene Vorlesungswesen etwas anders organisirt sein. 
Als „Wissenschaftliche Anstalten“ bezeichnet man in Hamburg 
z. Zt. folgende 10: Die Stadtbibliothek, das Museum für Völker¬ 
kunde, die Sammlung Hamburgischer Alterthümer, das Museum 


für Kunst und Gewerbe, die Sternwarte, das Physikalische Staats- 
Laboratorium, das Chemische Staats-Laboratorium, das Natur¬ 
historische Museum, den Botanischen Garten und das Botanische 
Museum nebst Laboratorium für Waarenkunde. Dieselben unter¬ 
stehen einer eigenen Sektion der Oberschulbehörde, welcher min¬ 
destens 4 bürgerliche Mitglieder der letzteren angehören müssen. 
Die Direktoren der wissenschaftlichen Anstalten, sowie die zum 
Halten von Vorlesungen fest äugest eilten Gelehrten, welchen 
hierorts die Amtsbezeichnung „Professor“ beigelegt worden ist, 
bilden den „Professoren-Convent der wissen¬ 
schaftlichen Anstalten“. Derselbe stellt seine Ge¬ 
schäftsordnung seihst fest und wählt alljährlich aus seiner Mitte 
einen Vorsitzenden. Als Aufgaben des Professoren - Convents 
werden bezeichnet: 

1. Die Erstattung von Berichten und Gutachten; 

2. die Herausgabe eines Jahrbuches der wissenschaftlichen 
Anstalten; 

3. die Aufstellung eines Planes für die von Beamten der 
wissenschaftlichen Anstalten, sowie den zum Halten von Vor¬ 
lesungen fest angestellten Gelehrten alljährlich zu haltenden Vor¬ 
lesungen und praktischen Uebungskurse. 

Von den Leitern und den übrigen wissenschaftlichen Be¬ 
amten der wissenschaftlichen Anstalten sind Vorlesungen und 
praktische Uebungskurse abzuhalten. Auch kann die Oberschul¬ 
behörde mit der Abhaltung von Vorlesungen und Uebungskursen 
solche Gelehrte beauftragen, welche den wissenschaftlichen An¬ 
stalten nicht angehören. 

Zu der letztgenannten Kategorie gehören nun gerade alle 
Aerzte, deren Vorlesungen und Kurse, wie schon erwähnt, einen 
breiten Raum im Vorlesungsverzeichniss einnehmen. So kommt 
es wohl auch, dass ausser den Oberärzten und Assistenten der 
Krankenhäuser eine Anzahl tüchtiger praktischer Aerzte, be¬ 
sonders Spezialisten, zur Abhaltung mediciniseher Vorträge und 
Kurse aufgefordert werden und stets starken Zuspruch haben. 
Unter den 32 mediciniselien Docenten des jetzigen Winter¬ 
semesters finden sich 4 solche praktische Aerzte; es liegt in der 
Natur der Sache, dass die an den Krankenhäusern angestellten 
Aerzte, denen das grosse Material derselben zu Gebote steht, in 
erster Linie zu den Vorträgen herangezogen werden. 

Ueberblicken wir nun noch einmal die hierorts bestehende 
Organisation der wissenschaftlichen Anstalten und das damit 
verbundene Vorlesungswesen, so sehen wir, dass wir uns auf 
bestem Wege befinden, einstmals zur Gründung einer Universität 
zu gelangen. Das alte Märchen, dass Hamburg nur Sinn für 
kaufmännische Geschäfte und materielle Genüsse habe, ist längst 
als solches erkannt worden. Es pulsirt hier ein frisches geistiges 
Leben und ein Wissensdrang der Bevölkerung, um den uns 
manche altehrwürdige Alma mater beneiden dürfte. Das Material 
unserer Krankenhäuser und wissenschaftlichen Institute ist so 
gross, dass wir es auch darin getrost mit den grössten Uni¬ 
versitäten aufnehmen können. Trotzdem dürfte noch mancher 
Tropfen Wasser die Elbe hinabfliessen, bis Hamburg Universität 
werden wird. Die Gründe hierfür liegen weder auf finanziellem 
noch auf wissenschaftlichem, sondern auf politischem Gebiet und 
bleiben in einer mediciniselien Faehzeitung besser unerörtert. 
Wie die Vorlesungs-Kommission selbst ihr Vorlesungswesen an¬ 
sieht, das geht aus einem Bericht hervor, den sie dem Senat er¬ 
stattet hat, und der die Ansicht aller studirten Männer Ham¬ 
burgs wiedergibt. Sie erklärt daselbst das Vorlesung.swesen, 
wenn auch eine Bezeichnung desselben als Hochschule, 
Akademie oder Volksuniversität bisher absichtlich 
vermieden sei, da keiner dieser Namen ganz zutreffe, doch für 
eine den lokalen Bedürfnissen Hamburgs angepasste höhere 
Bildungsstätte für Erwachsene, die mehr und 
mehr einen Hauptfaktor im geistigen Leben unserer Stadt bilde 
und wohl eine Hochschule im weiteren allge¬ 
meineren Sinne genannt werden könnte. Dass dieser 
Faktor schon jetzt ein grosses geistiges Kapital darstellt, das die 
reichsten Zinsen trägt, davon sind alle Kreise Hamburgs längst 
überzeugt, wofür die von Jahr zu Jahr steigende Hörerzahl, die 
im verflossenen Winter bereits die Zahl von 66 447 erreicht hat, 
wohl den bündigsten Beweis erbringt. K. J a f f c. 


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1948 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48. 


Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Wie n, 16. November 1901. 

Was ist ärztlicher Unterricht ? — Das sogen. Drtisenfieber. 
— Lupus vulgaris. — Behandlung der Ankylostomiasis. — 
Heilung von Epitheliom und Ulcus rodens mittels Röntgen¬ 
strahlen. 

Unter „ärztlichem Unterricht“ kann, im Sinne des Gesetzes, 
nur die Erlangung das Doktorates der Medicin verstanden werden. 
So entschied jüngst der k. k. Oberste Gerichtshof in letzter In¬ 
stanz. Und diese Entscheidung wurde durch folgende Umstünde 
hervorgerufen: Ein Raseur wurde von einem Bezirksgerichte zur 
Strafe des dreitägigen, strengen, mit einmal Fasten verschärften 
Arrestes verurtheilt, weil er gewerbsmässig Zähne extrahirte. 
Er berief und das Kreisgericht hob dieses Urtheil auf, weil die 
erste Instanz der Einwendung des Angeklagten, dass er dies Zahn¬ 
ziehen bei einem Arzte erlernt. lud>c, nicht nachgegangen war. 
Bei der zweiten Verhandlung legte der Raseur das Zeugniss eines 
Med. Dr. vor, in welchem bestätigt, wird, dass der Raseur im 
Jahre 1895 unter Aufsicht des Doktors Zähne zog. dass der Arzt 
selbst Znhnleido.nde zum Angeklagten schickte etc. Der An¬ 
geklagte habe also, im Sinne d«s § 843 Str.-G., ärztlichen Unter- 
licht genossen. Nun wurde der Raseur frei gesprochen. Der 
Generalprocurator erhob die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung 
des Gesetzes und der Cassationshof erblickte in diesem Einsprüche 
eine Verletzung des Gesetzes. Das Ziehen von Zähnen, das mit 
sehr ernsten Komplikationen verbunden sein kann, gehört un¬ 
bedingt in den Bereich ärztlicher Praxis. Daran knüpft sich 
jedoch die ganze unabweisbare Forderung, dass unter jenem ärzt¬ 
lichen Unterrichte, von welchem der oben eitirte § 343 spricht, 
eben nur die Erlangung des Doktorates der Medicin verstanden 
sein kann. Wie sonderbar, dass erst, der oberste Gerichtshof da¬ 
rauf hinweisen musste, dass es nicht angehe, einem Raseur das 
zu gestatten, was sogar den eoneessionirten Zahntechnikern ver¬ 
boten sei, und dass unter „Ausübung der Heilkunde“ auch der 
zahnärztliche Beruf inbegriffen sei! 

Tm Wiener medicimachen Doktorencollegium sprach Dr. Carl 
Hochsinger über das sogen. Drüsenfieber der Kinder. Die 
von Emil Pfeiffer als Infektionskrankheit sui generis be¬ 
zeichnet e Affektion der Kinder geht mit einer schmerzhaften, 
zumeist einseitigen, selten zur Vereiterung führenden Anschwel¬ 
lung der eerviealen oder submaxillaren Lymphknoten einher. Das 
Allgemeinbefinden der Kinder ist meist gestört (Gliederschmerzen, 
Erbrechen, belegte Zunge), die Fauces sind leicht geröthet, das 
Schlucken oft schmerzhaft, die Kopfhaltung — nach Hoch¬ 
sin g e Fs Beobachtung — eine torticollisähnliche. In schweren 
Fällen auch Milz- und Leberschwellung, Nephritis etc. All’ dies, 
sowie das oft beobachtete epidemische Auftreten des sogen. 
Drüsenfiebers veranlassten Pfeiffer und andere Autoren von 
einer specifischen Infektionskrankheit zu sprechen. Nach eigenen 
zahlreichen Beobachtungen und nach eingehendem Studium der 
bezüglichen Literatur leugnet Hochsinger die Specifität des 
Proeesses, ist vielmehr der Ansicht, dass diese Drüsonschwel- 
lnngon am Halse durch allerlei Infektionen in der Mund-, Nasen- 
und Raehenhöhle, bedingt werden, mithin sekundärer Natur seien. 
Es handelt, sieh hier, nach Hoehsinger. um sekundäre regio¬ 
näre Drüsenentzündung, wobei die primäre Affektion entweder 
übersehen oder nicht erkannt wurde. Die ursächliche Affektion 
im Wurzel gebiete der Halsl.vmphdriiscn kann aLso eine voraus- 
gegangene Infektionskrankheit sein (Scharlach, Masern, Vari¬ 
cellen oder eine speeifisehe infektiöse Erkrankung der Nasen¬ 
oder Raehenschleimhaut, ein retronasaler Tnfektionsproeess) und 
speeiell spielt l>ei den Kindern der adenoide Sehlundring eine 
grosse Rolle. Jeder akute Schnupfen der Kinder kann auf dem 
Umwege der Tonsilln pharyngea zu Lymphadenitis febrilis eer- 
viealis und somit zum Bilde des „Driisenfiebors“ führen. Kon¬ 
sequenter Weise zählt Hoehsinger hieher auch den Rct.ro- 
pharyngcalabseess (Vereiterung der retropharyngealen T.vmph- 
driisen. ebenfalls durch Infektion bedingt). In praktischer Be¬ 
ziehung ist diese Drüsensehwellung auch desshalb wichtig, weil 
Infi längerem Bestände derselben des Oefteren „Skrophulose“ dia- 
gnosticirt wurde, während diese Affektion nicht vorhanden war. 
Die Behandlung besteht sowohl in Applikation von Umschlägen 
mit essigsaurer Thonerdo oder mit Aqua Goulardi, sodann, bei 


längerer Andauer und Ablauf des Fieberetadiums, in Einreibung 
von Schmierseife mit Ichthyolzusatz (10 Proc.). In prophylak¬ 
tischer Hinsicht empfiehlt Hoehsinger, da er bei Hals¬ 
entzündungen das gebräuchliche Gurgeln für werthlos hält, die 
Anwendung von Kaupastillen, deren Basis eine schwer lösliche 
Gummisehleimmasso ist, welche mit Borsäure, Menthol u. dergl. 
versetzt wird, um auf diese Weise reichliche Spoichelsekretion zu 
bedingen, wodurch die Tonsillen gut deeinfizirt werden. Solche 
Halspastillen gebrauchen die Kinder sehr gerne, da sie auch süss 
sein können. 

In der Discussion empfahl Dr. Moritz Weil bei Halsentzün¬ 
dungen Gurgelungen mit 2 prom. Kresollösung und zur prophy¬ 
laktischen Behandlung dos Nasenrachenraumes die Einblasungen 
pulverisirtcr Substanzen, namentlich Natr. sozojodolic., mittels 
einer, nach seiner Angabe hergestellten, einfachen Vorrichtung, 
welche das Kind sogar selbst gebrauchen könne. Sie besteht aus 
einem kurzen Hartgummistück, welches, mit dem Pulver be¬ 
schickt, in die Nase eingeführt wird, während ein sich daran 
schlicssender Gummisehlaueh ein perforirtes Mundstück trägt, 
mittels welchem (von der Mutter oder dem Kinde) das Pulver 
in die Nase geblasen wird. 

Tn der Gesellschaft der Aerzte stellte Prof. Lang einen Fall 
von floridem Lupus vulgaris von ganz excessiver Ausdehnung vor. 
Die Infiltration ist am Kopfe, im Gesichte, dem Stamme, an den 
oberen und unteren Extremitäten siehtbar, theils in grosser, zu¬ 
sammenhängender Fläche, theils als mächtige Plaques, bloss die 
Brustwarzen und die Warzenhöfe sind vollkommen frei geblieben. 
Am rechten Vorderarm wurde im Jahre 1895 ein Stück lupöser 
Haut exeidirt, der Substanzverlust gedeckt und diese Stelle ist 
heute noch lupusfrei. 

Bei diesem Anlässe bespricht Lang das sociale Moment, 
dass Lupösc, wenn sie auch nicht intensiv erkrankt sind, sobald 
ihr Leiden siehtbar ist, sehr bald brotlos würden, da schon kleine 
Lupusherdo irn Gesichte oder an den Händen es verschulden, 
dass der Kranke von seinen Kameraden gemieden, resp. aus der 
Beschäftigung entlassen wird. Andererseits berichtet Lang über 
eine Reihe von Fällen, in welchen die Lupösen radikal operirt 
wurden und roeidivfrei blieben, so dass sie jetzt ungehindert 
ihrem Berufe naehgehen. Für inoperable Fälle hat sich in 
neuerer Zeit die Behandlungsmethode von Finsen in Kopen¬ 
hagen, die Bestrahlung der lupösen Partien mit ultravioletten 
Strahlen, vorzüglich l>ewührt. Tn Kopenhagen besteht ein In¬ 
stitut, in welchem täglich 300 Lupuskranke belichtet werden; 
das Institut ist aus Beiträgen der Bevölkerung hervorgegangen. 
Sein (L a n g’s) Bestreben sei es nun, auch in Wien ein solches 
Institut, zu errichten und die vorbereitenden Schritte hiezu seien 
bereits gemacht worden. (Siehe den Notizentheil der No. 46.) 

Die Behandlung der Ankylostomiasis gab sodann Anlass zu 
einer längeren Discussion. Assistent W. Hofbauer hatte 
einen Mann vorgestellt, der im Kohlenbergwerke in Brennerberv 
gearbeitet und an Ankylostomiasis mit hochgradiger conseeutiver 
Annemie litt.. Er wurde einer Kur mit Extract. filicis maris 
Ilelfonberg (12 Kapseln ä 1 g) mit nachfolgendem Infus. Sennae 
unterworfen und der Erfolg war ein sehr günstiger, indem seit¬ 
her die Parasiten und deren Eier aus dem Stuhle verschwunden 
sind. Nun erinnerte Professor Pal daran, dass Dr. Gold- 
m a ii n seinerzeit in einem längeren Vortrage ebenfalls das Ex- 
traet filicis maris bei dieser Behandlung sehr gelobt habe. Docent 
I)r. Mannaberg aber hat, dieses Extrakt, in solchen Fällen 
an der Klinik Nothnagcl’s wiederholt erfolglos angewendet. 
dagegen mit Thymol, welches auch in Südamerika für Ankvlo- 
st<tmin=is vielfach verwendet wird, gute Erfolge, selten auch Miss¬ 
erfolge, erzielt. Tn West.indien werden mit Thymol, wie 
Dr. G e r s t 1 aus eigener Erfahrung bestätigt, sehr befriedigende, 
duiregen mit Filix mar. keine Erfolge erzielt. 

Nun demonstrirte Prof. Schiff einen 60jährigen Mann 
mit Epithelioma faeiei, welches im Jahre 1900 operativ entfernt 
wurde, seither stark reeidivirte. so dass der Kranke im Januar 
1. J. alwrmals operirt werden musste. Damals sass an der linken 
Joc hbeingogt nd eine bis gegen den Augenwinkel heranreichendo. 
nur wenig elevirte Geschwulst, über welche die Haut stark ex- 
ulec-rirt war. Exstirpation und Deckung mittels T hier sch - 
scher Ilnutlnppen. Mikroskopischer Befund: Epitheliom. Da 
die Geschwulst abermals reeidivirte, wurde der Kranke dem In- 


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26. November 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1949 


stitute für Radiotherapie dos Prof. Schiff zugewiesen, da es 
bekannt war, dass S j ö r g e n und Stenbeck über günstige Er¬ 
folge dieser Behandlungsmethode berichtet hatten. Die Ge¬ 
schwulst wurde nun täglich durch 10 Minuten den Rontgen- 
strahlen (harte Röhre) ausgesetzt. Nach 15 Sitzungen leichte 
Reaktion, wesshalb einige Tage lang mit der Beleuchtung aus¬ 
gesetzt wurde. Nach weiteren 8 Sitzungen l>ot der Kranke das 
jetzige Bild dar: das Neugebilde hat einer vollkommen glatten, 
ebenen, normal gefärbten Narbe Platz gemacht, so dass der Mann 
als geheilt betrachtet werden kann. 

Ferner stellte Seh i f f ein 30 jähriges Mädchen vor, welches 
soit 7 Jahren an einem Ulcus rodens am Nasenrücken und am 
rechten Nasenflügelrand litt, in verschiedenster Weise behandelt 
wurde, ohne dass das Leiden radikal beseitigt wurde. Patientin 
wurde jetzt 35 mal der Röntgenbestrahlung ausgesetzt. Die Ge¬ 
schwüre reinigten sich allmählich, überhäuten schliesslich 
in normaler Weise, so dass auch dieses Mädchen als geheilt er¬ 
klärt wird. 


Pariser Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Antisyphilitische Propagandabestrebungen: „Les AvariSs“, 
Schauspiel in drei Akten von B r i e u x. — Eine pestilenzielle 
Vergnügungsreise und ihre sanitätspolizeilichen Konsequenzen. 
— TJnwandlungen in der Association gen6rale des medecins 
de France als Zeichen des wachsenden Pauperismus des ärzt¬ 
lichen Standes. — Der „Caduc6e“, eine wissenschaftlich-inter¬ 
nationale militärärztliche Zeitschrift. — Der neue Dekan der 
medicinischen Fakultät. 

Entsprechend den auf der jüngsten Brüsseler Konferenz für 
Prophylaxe der venerischen Krankheiten formulirten Wünschen, 
hat sich in Paris, am 31. März dieses Jahres, unter dem Namen 
der Soeiöte de prophylaxie sanitaire et morale, eine antisyphi¬ 
litische Liga unter dem Präsidium des Grossmeisters der fran¬ 
zösischen Syphiligraphie, Herrn Prof. Alfred F o u r n i e r, ge¬ 
bildet. Einer der eifrigsten Mitglieder dieser Liga ist Herr 
Brienx, der bereits ziemlich bekannte dramatische Schrift¬ 
steller, welcher mit Vorliebe medicinisch-soziale Fragen in seinen 
Theaterstücken behandelt. Das letzte von ihnen, „Les Rempla- 
centes“, schilderte die Immoralität und Gefahren des Stillens von 
Säuglingen durch fremde Ammen und hat auf der Bühne einen 
massigen Erfolg davon getragen. Nun schrieb Herr Brieux 
ein neues Schauspiel in 3 Akten, „Les Avaries“, um dem grossen 
Publikum die Gefahren der Syphilis und die Mittel zur Be¬ 
kämpfung dieser Krankheit klarzustellen. 

Das Stück ist Herrn Prof. F ournier gewidmet, welcher 
dem Verfasser die wissenschaftlichen Daten für sein Werk 
lieferte. Die erste Scene wird eingeleitet durch den Regisseur. 
„Meine Herren und Damen“, sagt derselbe, sich an’s Publikum 
wendend, „der Verfasser und der Theaterdirektor haben die Ehre, 
Sie darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Stück das Studium 
der Syphilis in ihren Beziehungen zur Ehe zum Ziele hat. Sie 
enthält nichts Skandalös«*- oder Widerliches, kein unstütes Wort 
und kann von Jedermann angehört werden, wenn man nur nicht 
der Meinung ist, die Frauen müssen unbedingt dumm und un¬ 
wissend bleiben, um ilire Tugend zu bewahren.“ 

Im ersten Akt kommt ein junger Mann, den Rath eines 
Specialisten für venerische Krankheiten abzuholen. Der Spe- 
cialist ist ein „grosser“ Arzt. Das merkt man schon an seinem 
rothen Ordensband und am Luxus seiner Wohnung. Der junge 
Mann leidet an reeonter Syphilis und doch will er bald heirathen. 
Der Doktor verbietet ihm, es früher als nach einer drei- bis 
vierjährigen Behandlung zu thun. Patient geht aber zu einem 
anderen Arzt, dessen Adresse er in einer Zeitungsannonce gelesen, 
und der ihn in sechs Monaten auszukuriren verspricht, und ver¬ 
mählt sich nach sechsmonatlicher Kur. Im zweiten Akt ist der 
junge Mann verheirathet und hat schon ein Töchterlein, das aber 
plötzlich an einem Ausschlag erkrankt. Der grosse Spocialist des 
ersten Aktes wird eingeladen und diagnosticirt die Syphilis bei 
dem Kinde. Die Consultation wird an der Thüre durch den 
Kammerdiener abgelauscht, der Alles der Amme erzählt. Letztere 
verlangt eine Entschädigung. Während dieser Erpressungssoene 
tritt tinerwartet die junge Mutter ein. Aus den Worten der 
Amme erfährt sie die ihr bis dahin verheimlichte Wahrheit und 
stürzt ohnmächtig zu Boden. Der dritte Akt vollzieht sich im 


Sprechzimmer der Klinik des grossen Specialisten; es erscheint 
der Schwiegervater des syphilitischen Ehemannes. Er will sich 
rächen und beabsichtigt, einen Eheseheidungsproccss für seine 
Tochter anzustrengen. Es wird ihm vom Doktor davon abgerathen. 
Die Ehescheidung würde nur zur öffentlichen Anerkennung der 
Syphilis derMutter und des Kindes führen, Beiden ihr Leben lang 
Schaden bringen und ein Hindemiss für etwaige Verheirat hung 
werden. Was soll ich denn thunl ruft der unglückliche Vater. 
Verzeihen! antwortet der Arzt, welcher dann auseinandersetzt, 
wie die einmal versöhnten Ehegatten glücklich loben können 
und sogar absolut gesuude Kinder zu erzeugen im Stande werden, 
wenn sie sich nur einer regelrechten und genügend langdauem- 
den Behandlung unterziehen wollen. „Die Syphilis ist eine ge¬ 
bieterische Person, die nicht duldet, dass man ihre Macht ver¬ 
kennt. Sie ist schrecklich für die, welche ihr eine ernste Be¬ 
deutung absprechen und gutartig, wenn man ihre Gefahren kennt. 
Sie ist eben wie gewisse Frauen, sie wird unmuthig, wenn 
man sie vernachlässigt. Sagen Sie es Ihrer Tochter ... führen 
Sie sie wieder in die Arme ihres Gatten, von dem sie nichts mehr 
zu befürchten hat, und, ich garantire Ihnen, in 2 Jahren werden 
Sie ein freudiger Grossvater sein.“ Dann lässt der Doktor vor 
dem schon halb versöhnten Zuhörer eine durch ihren Mann in- 
fizirte Arbeiterin, eine in Behandlung stellende junge Prosti- 
tuirte und den Vater eines syphilitischen Gymnasiasten er¬ 
scheinen. Die Aussagen dieser Personen zeigen, wie man oft 
unschuldig oder unwissend inflzirt wird, wie das Vorurtheil, die 
Syphilis als eine schändliche Krankheit anzusehen, deren Be¬ 
handlung erschwert, und wie die sogen, unentgeltliche Spital- 
behandlung der Syphilis, wie sie gegenwärtig geübt wird, dem 
Arbeiter durch den grossen Zeitverlust, den sie mit sich bringt, 
in Wirklichkeit sehr theuer zu stehen kommt. Um diese Uebel 
zu bekämpfen, soll man gewisse gesetzliche Maassnahmen er¬ 
greifen, eine wirklich unentgeltliche und in keiner Weise ent¬ 
ehrende öffentliche Behandlung venerischer Krankheiten durch 
die Errichtung zahlreicher Ambulatorien stiften und das Publi¬ 
kum durch alle möglichen Mittel über die Aetiologie, die Ge¬ 
fahren, die Vorbeugung und die Behandlung der Syphilis be¬ 
lehren. 

Wie man sieht, sind die Intentionen des Verfassers löbliche 
und redliche, das ganze Werk ist in keiner Weise unanständig 
geschrieben und jedenfalls ist es viel weniger schlüpfrig als die 
meisten auf den Pariser Theatern vorgeführten, von zweideutigen 
Anspielungen strotzenden Stücke. Und doch wurde den 
„Avaries“ die Erlaubuiss zur öffentlichen Vorstellung auf der 
Bühne von der Ceusur verweigert. Darauf hat Herr Brieux 
im privaten Theätre Antoine sein Stück vor einem auserwählten, 
aus Aerzten, Gelehrten, Künstlern und Schriftstellern bestehen¬ 
dem Publikum vorgelesen und grossen Beifall geerntet. Die Cen- 
sur wurde dabei verpönt. Ohne hier die Frage über die Zulässig¬ 
keit oder Unzulässigkeit einer Cc-nsur für Theaterstücke berühren 
zu wollen, muss man doch gestehen, dass im gegebenen Falle die 
Censur genügende Gründe hatte, die Vorstellung zu verhindern. 
Sie that es nicht wegen der Immoralität des Werkes, sondern 
weil dasselbe für die Bühne nicht passte. Die „Avaries“ sind 
klug und pikant geschrieben, aber dramatische Schönheiten und 
feine psychologische Analysen enthalten sie nicht. Im Grunde 
genommen sind sie nichts anderes als eine „civile Predigt“, eine 
dialogisirte Popularisation wissenschaftlich - medicinischer und 
sanitätspolizeilicher Fragen. Wie weit diese Popularisation ge¬ 
trieben wird, zeigt am besten ein Passus aus dem ersten Akt, wo 
der Doktor — immer der berühmte Specialist — die jungen Leute 
anweist, wie sie am besten die Gefahren des unehelichen ge¬ 
schlechtlichen Genüsse» auf ein Minimum reduziren können. 
Er räth ihnen, sich an die „patentirteil Liebeshändlerinnon“ zu 
wenden und Solche auszuwählen, die etwas reif sind, weil dies«' 
reiferen gewöhnlich ihren Tribut an die Syphilis schon abgezahlt 
haben. „Das schönste Mädchen auf «1er Welt kann Alle» geben, 
was sie besitzt, nicht aber das. was sie nicht mehr hat.“ Solch.* 
„praktische Winke“ gehören gewiss nicht auf die Bühne und 
das Gleiche kann man auch von dem ganzen Stück sagen. 

Jedoch dürfte es nicht in Abrede g«*stellt werden, dass die 
..Avaries“ für den Laien ein lesenswerthes Buch sind. Diese 
Lectiire kann belehren ohne zu langweilen. Sie wird aber kaum 
einen hindernden Einfluss auf flotte junge Burschen ausüben, 
wenn dieselbe nicht gerade eine Anlage zur Syphiliphobie. einer 


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1950 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


der häufigsten Aeusserungen von Pathopliobien, aufweisen. Es 
steht eben in diesem Büchlein — was auch der Wahrheit ent¬ 
spricht. — dass die Syphilis nur in einer ganz kleinen Minderzahl 
der Fälle jeglicher Behandlung trotzt \md verhängnissvoll wird, 
dass sie aber in den weitmeisten Fällen sich gründlich und ohne 
Schaden für die Nachkommenschaft auskuriren lässt. Das Risico 
wird somit Manchem nicht gross genug scheinen, um es gelegent¬ 
lich nicht mit in den Kauf zu nehmen. Im Unglücksfalle 
braucht man nur sich von sachkundiger Seite behandeln zu lassen. 
Was diesen letzten Punkt anbetrifft, so wäre vielleicht zu be¬ 
dauern, dass Herr B r i e u x in seinem Schauspiel nur die beiden 
Extreme des ärztlichen Berufs einander gegenübergestellt hat: 
«len ebenso gelehrten wie rühmlich bekannten Kliniker, der keiner 
Reklame bedarf, und den sich in Zeitungen annoncirenden „Char¬ 
ta tau“. Zwischen beiden gibt es genug bescheidene, aber tüch¬ 
tige Aerzte, welche befähigt sind, die meistens unschwierige Dia¬ 
gnose der Syphilis zu stellen, den Kranken über Alles, was er 
zu wissen braucht, zu belehren und ihn lege artis zu behandeln.... 

Fort aber mit der Syphilis! Gehen wir jetzt zu einem 
andereil, noch viel schlimmeren Menschen- und zugleich Ratten¬ 
feind, zur Pest, über. Eine schöne Vergnügungsreise in Aus¬ 
sicht habend, sich auf einem mit Pest infizirten Schiffe zu be¬ 
finden — ist eine böse Geschichte, die jüngst einer auserlesenen 
Gesellschaft, in welcher 17 Aerzte sich befanden, passirte. Es war 
eine der Seereisen, die Herr Olli vier, der Redakteur der 
Revue generale des. Sciences, alljährlich während der Sommer¬ 
ferien organisirt. Diesmal beabsichtigte man auf dem ..Senegal“, 
einem Packetboot der Messageries maritimes, Rhodos, Syrien, 
Palästina etc. zu besuchen. Das genannte Schiff fuhr am 14. Sep¬ 
tember von Marseille ab. Schon am dritten Tag der Reise er¬ 
eignet« sich etwas Unheimliches. Herr O 11 i v i e r, der als 
Direktor der Expedition fungirte, bat die anwesenden Aerzte, mit. 
dem Schiffsarzt und dem Kapitän über die Erkrankung eines 
Matrosen sich unterhalten zu wollen. Man hatte es mit einem 
grossen Leistenbubo und starkem Fieber zu thun. Der Verdacht, 
es sei die Pest, war um so näher liegend, als es sieh herausstellte, 
dass der „Senegal“ vor 8 Monaten diese Krankheit an Bord ge¬ 
habt hatte. Seitdem war das Schiff desinfizirt worden und 
machte mehrere Reisen, ohne Krankheitsfälle aufzuweisen. Aber 
20 Tage vor seiner jetzigen Abfahrt von Marseille war es von 
Alexandrien, wo es Pestfälle gab, zurückgekehrt. Man beschloss, 
sofort nach Marseille zurückzufahren, und als man bei Bonifacio 
vorüberglitt, liess der Kapitän die Sanitätsdirektion in Marseille 
von seiner Rückkehr mit einem verdächtigen Krankheitsfalle an 
Bord semaphorisch benachrichtigen. Nachdem das Schiff vor der 
Quarantäneanstalt in Frioul Anker geworfen hatte, erhielt es den 
Besuch des Sanitätsarztes, welcher die Passagiere inspizirte und 
den durch eine Punktion des Bubo dis erkrankten Mannes er¬ 
haltenen Saft zur bakteriologischen Untersuchung mitnahm. Der 
kranke Matrose wurde sofort in’s Lazareth gebracht, wo er bald 
verschied. Noch am darauffolgenden Tage gaben die in Frioul 
angestellten bakteriologischen Untersuchungen keine entscheiden¬ 
den Resultate und die Passagiere, sowie die Mannschaft, blieben 
an Bord, aber schon am selben Tage erkrankte ein anderer 
Matrose, an der Pest. Er wurde auch in’s Lazareth transportirt 
und dort mit Einspritzungen von Y ersin’s Antipestserum be¬ 
handelt, wonach er genas. Man fand auch im Kielraume des 
Schiffes mit Pestbacillen infizirte Ratten. Es konnte somit be¬ 
züglich der Diagnose kein Zweifel mehr bestehen. Die Passa¬ 
giere wurden alsdann in die Quarantäneanstalt übergeführt, aber 
dies geschah erst nach 48stündigem Verweilen auf dem ange¬ 
steckten Schiffe, auf welchem die Mannschaft, um sie mit den 
Passagieren nicht zu vermischen, zurückgelassen wurde. In 
Frioul fand die vornehme Gesellschaft recht dürftige Einrich¬ 
tungen, eine ganz rudimentäre Restauration, und musste über¬ 
haupt ziemlich viel unter dem Mangel an Komfort leiden. Es 
wurden hier den lnternirten auf ihre Einwilligung (mit Aus¬ 
nahme von Einigen, die sich dessen weigerten) Präventivinjek¬ 
tionen mit Antipestserum gemacht. Keiner von ihnen erkrankte, 
und so konnten sie glücklicher Weise nach siebentägigem Ver¬ 
weilen in Frioul aus der Quarantäne befreit werden. Die ganze 
Affaire gab in den letzten Sitzungen der Akademie de Medecine 
zu ziemlich lebhaften Discussionen Veranlassung, welche haupt¬ 
sächlich durch die allerdings recht höfliche Kritik der sanitären 
Einrichtungen in Frioul seitens des Herrn Dr. Buequo y. eines 


No. 48 . 

der Passagiere des „Senegal“, hervorgerufen wurde. Die amt¬ 
lichen V ertreter des Sanitätsdienstes, Herr Prof. Proust und 
Herr II. M o n o d, gaben darauf vollkommen befriedigende Ant¬ 
worten. Es ist leicht einzusohen, dass der sanitäre Dienst in 
Frioul, was seine Einrichtungen und das Personal anbetrifft, dem 
plötzlichen Einbrechen einer so grossen Zahl Reisender erster 
Klasse nicht gewachsen war. Die Verzögerung in der Lan¬ 
dung der Passagiere findet in diesem Umstande, wie auch in 
der Unmöglichkeit einer sofortigen Diagnose der Krankheit ihre 
genügende Erklärung. Man rmicht es eben so gut, wie es das vor¬ 
handene Budget erlaubt. Wesentliche Verbesserungen im Sani- 
tätswesen werden gewöhnlich durch solche Ereignisse, wie es mit 
dem „Senegal“ der Fall war, hervorgerufen und kommen ihnen 
nicht zuvor. Und so wird diese pestilenzielle Seefahrt die nütz¬ 
lichsten Konsequenzen in sanitätspolizeilicher Hinsicht nach sich 
ziehen können. Sie hat nämlich gezeigt, wie es Herr Prof. 
Bernheim (von Nancy) in einem soeben in der Revue medi- 
cale de Fest erschienenen Artikel hervorhob, dass die sanitäre In¬ 
spektion der abfahrenden und ankommenden Schiffe, ihrer Mann¬ 
schaften und Passagiere viel schärfer als bisher geführt werden 
soll. Fahrzeuge, auf denen ansteckende Krankheiten vorgi- 
kommen sind, müssen gründlich auch in ihrem Kielraume durch 
schweflige Dämpfe (welche die Ratten vernichten) desinfizirt wer¬ 
den. Jedes zu langen Reisen bestimmte Schiff sollte an Bord 
einen in der bakteriologischen Diagnose der wichtigsten an¬ 
steckenden Krankheiten bewanderten Arzt, sowie die ver¬ 
schiedenen Heilsera und eine isolirbare Krankenkammer be¬ 
sitzen. Handelt cw sich um eine- ansteckende Krankheit, die eine 
radikale Desinfektion und Isolirung der Reisenden erheischt, so 
müssen, sobald das Schiff an’s Lazareth gelangt ist, sämintliche 
Passagiere und die Mannschaft sofort in die Quarantäne oder, 
wenn die Lokale der Station dazu nicht genügen, auf ein stets 
disponibles Pontonschiff übergeführt werden. Das Gepäck wird 
vorläufig auf dem Schiff gelassen und nur die absolut nöthigen 
Gegenstände mitgenommen. Vor ihrem Eintritt in die eigent¬ 
lichen Räume des Lazareths sollen die lnternirten sammt ihren 
Effekten der gründlichsten Desinfektion in einem ausserhalb des 
Lazareths gelegenen Lokale unterzogen werden. 

Aus recht komplizirten Gründen, deren Auseinandersetzung 
hier nicht am Platze wäre, erleidet der ärztliche Stand in Frank¬ 
reich (wie auch mehr oder weniger überall in Europa) eine wahre 
ökonomische Krise. Nicht nur junge angehende Praktiker haben 
die grösste Mühe den Kampf um’s Dasein zu führen, sondern 
bereits schon erworbene ärztliche Stellungen werden oft gefährdet. 
Ein neuer Beweis davon ist gegeben durch die in der Association 
generale des mödccins de France sieh vollziehenden Umwand¬ 
lungen. Diese grösste von allen ärztlichen Körperschaften Frank¬ 
reichs wurde im Jahre 1858 gegründet. Sie zählt gegenwärtig 
mehr als 8500 Mitglieder. Sie ist eine Art von Föderation aller 
in den verschiedenen Departements existirendeu ärztlichen Hilfs- 
vereine. Ihr Zweck war bis jetzt, den verunglückten Mitgliedern 
und deren Wittwen und Waisen nach Gutachten, d. h. fakultath 
Hilfe zu leisten und auch die Prineipien der ärztlichen Deonto- 
logie aufrecht zu erhalten. Obgleich die jährliche Mitglieds¬ 
gebühr nur 12 Franken lx-t.rügt, besitzt gegenwärtig diese Associa¬ 
tion ein Kapital von 2 203 743 Franken, und im Laufe des vorigen 
Jahres hat sie mehr wie 50 000 Franken als Pension an 71 Mit¬ 
glieder vertheilt. Nun aber, trotz dieser glänzenden finanziellen 
Verhältnisse, wurde mit der Zeit die Rekrutirung neuer Mit¬ 
glieder der Gesellschaft immer schwieriger. Ursache davon ist 
die prekäre Lago junger Aerzte, welche nicht mehr an rein philan 
tropischen Vereinen theilnehmen können, sondern das von ihnen 
mit Mühe ersparte Geld zur persönlichen Versicherung gegen 
Krankheiten und andere Unglücksfälle anwendon müssen. Diesem 
Bedürfnis» gemäss hat schon im verflossenen Jahre die Associa¬ 
tion generale denjenigen von ihren Mitgliedern, welche sich dazu 
meldeten, das Recht auf Krankheitsentschädigungen uml 
Alterspensionen zuerkannt. Soeben hat aber die Gesellschaft 
noch einen weiteren Schritt in dieser Richtung gethan: dem 
Wunsche vieler Kollegen folgend, hat. sic in einer allgemeinen 
ausserordentlichen Versammlung beschlossen, um die Frauen der 
Aerzte versichern zu können, dieselben als wirkliche Mitglieder 
in die Gesellschaft aufzunehmen. Und so hat die Association 
generale des mcdecins de France, die ursprünglich den Charakter 
einer philnntropischen Gesellschaft trug, sich unter dem Einflüsse 


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26. November 1901, 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1951 


der gedrückten ökonomischen Lage des ärztlichen Standes in 
einen Versichernngsverein umgestalten müssen. 

Ein Faktum, welches wir wegen seiner noch bestehenden 
Aktualität hier erwähnen wollen, ist der recht schnelle und be¬ 
deutende Erfolg des in Paris vor einigen Monaten gegründeten 
und unter der Redaktion des ehemaligen Militärarztes, Herrn Dr. 
Q r a n j u x, stehenden zweiwöchentlichen Blattes „Le Caducee“. 
Diese Zeitschrift ist der Kriegschirurgie, der Kriegsmedicin, der 
exotischen Pathologie, der militären, navalen und kolonialen 
Hygiene gewidmet. Ihr Erfolg ist zum grössten Theil durch 
ihren in wissenschaftlicher Beziehung internationalen Charakter 
bedingt. Der „Caducee“ hat nicht nur der ausländischen Litera¬ 
tur den vollen ihr gebührenden Platz eingereiht, sondern er be¬ 
sitzt auch hervorragende Korrespondenten in verschiedenen 
Armeen Europas. Bei den Civilärzten hat der „Caducee“ die 
beste Aufnahme gefunden, was auch leicht zu begreifen ist, denn 
in Frankreich schlummert in jedem Civilen — Aerzte einbe¬ 
griffen — immer der Soldat. 

Wir haben einen neuen Dekan! Der bisherige Dekan, Prof. 
Brouardel, hat sich geweigert seine Kandidatur für die 
neuen Wahlen aufrecht zu erhalten und so wurde an seiner Stelle 
Herr Prof. Debo ve, der bekannte Kliniker und Lieblingsschüler 
C h a r c o t’s, gewählt. Dr. W. v. Holstein. 


Briefe aus Italien. 

(Eigener Bericht) 

Mailand, 28. Oktober 1901. 

Gesammteindruck Mailands. — Trinkwasser und Kanali¬ 
sation. — Schulhygiene. — Zustände der Krankenhäuser. — 
Erfolge der Pockenimpfung. — „Albergo popolare“. 

Jedem Arzt, der Mailand besucht, werden sich gleich ver¬ 
schiedene Fragen aufdrängen. Selbst demjenigen, der sich die 
geographische Lage Mailands nur auf der Karte betrachtet, wird 
es auffallen, dass sich in der Nähe der in einer grossen Ebene 
liegenden Stadt kein Fluss befindet, als die winzige Olona, ein 
unbedeutendes Nebenflüsschen, das überhaupt nur auf grossen 
Spezialkarten zu finden ist. Und doch ist die Wichtigkeit eines 
Flusses für die Städte selbst dem Laien bekannt und es gibt sehr 
wenige grössere Städte, die nicht von einem solchen durchzogen 
sind. Das Wasser des Flusses dient zur Reinigung der Strassen, 
zu Bädern und gewerblichen Zwecken und es findet — natürlich, 
nachdem es filtrirt wurde — auch im Haushalt und als Trink¬ 
wasser Verwendung (so z. B. in Berlin das Spreewasser). Ausser¬ 
dem ist der Fluss meist auch der natürliche Kanal zur Weg¬ 
führung der Abfälle der Stadt und zwar geht diese Wegführung 
um so rascher tind gründlicher vor sich, je höher sich die Stadt 
längs des Flusses aufbaut. Die Ebene ist desshalb auch an sich 
selbst ein hygienischer Nachtheil und ich bin der Meinung, dass 
z. B. Rom seinen guten Gesundheitszustand auch seiner Lage 
auf den sieben Hügeln zu danken hat. Die Lage Mailands in 
der wasserlosen Ebene bietet daher zwei grosse natürliche Nach¬ 
theile. 

Schon die alten Mailänder versuchten, dem einen Uebel ab¬ 
zuhelfen, indem sie von den grossen, ca. 40—50 km entfernten 
Flüssen Kanäle ableiteten, die noch heute sogar für die Schiff¬ 
fahrt Verwendung finden, so dass sowohl der Lago maggiore, als 
auch der Comersee in direkter, fahrbarer Verbindung mit Mai¬ 
land sind. Diese Kanäle durchschneiden Mailand in verschie¬ 
denen Annen, welche sich südwärts der Stadt wieder sammeln 
und bei Pavia (ca. 30 km südlich von Mailand) in den Ticino 
münden und mit diesem zum Po und weiter in das adriatische 
Meer gehen, so dass man vom Comersee, bezw. Lago Maggiore 
über Mailand bis Venedig zu Wasser kommen kann. Dem Be¬ 
sucher Mailands werden auch gewisse Stadttheile aufgefallen 
sein, die mit ihren dicht an den Kanälen, bezw. Wasserstrassen 
stehenden Häusern beinahe an Venedig selbst erinnern. 

Das Trinkwasser entnahmen die alten Mailänder gewöhn¬ 
lichen Brunnen, aber mit der fortschreitenden Entwicklung 
wurde auch die Frage einer besseren, bequemeren Wasserver¬ 
sorgung der Stadt immer brennender. Es fehlte nicht an Ver¬ 
suchen und Projekten, die technische Kommission hatte 23 ver¬ 
schiedene Pläne zu prüfen, nach welchen das Wasser von mehr 
oder minder entfernten Gegenden nach Mailand geleitet werden 
sollte, aber diese Projekte scheiterten alle theils an den tech¬ 
nischen Schwierigkeiten, theils an den übergroesen Kosten. Doch 


mussten die neuen Stadttheile, die mit fieberhafter Eile her- 
gcstellt worden waren, endlich auch mit Wasser versorgt werden 
und man entschloss sich daher dazu, das Wasser direkt dem 
Untergrund zu entnehmen. Im Jahre 1889 traten die ersten 
neuen Brunnen in Thätigkeit und der Erfolg war so zufrieden¬ 
stellend, dass man an zwei entgegengesetzten Punkten der Stadt 
noch weitere derartige Brunnen anlegte. Dieselben bestehen aus 
eisernen Röhren von 0,80 m Durchmesser, deren einzelne Stücke 
ca. 4 m lang sind und die 30—60 m tief in den Boden eingerammt 
wurden. Durch elektrisch betriebene Pumpen wird das Wasser 
auf einen Druck von 40 m gebracht, wodurch eg ohne Schwierig¬ 
keit in die obersten Stockwerke der Häuser geleitet werden kann. 
Die Qualität des Wassers ist vorzüglich, denn der Boden Mai¬ 
lands besteht aus Sand, Thon und Kies, so dass durchsickerndes 
Regenwasser vollständig filtrirt und gereinigt in der Tiefe der 
Brunnen ankommt. Um immer sicher zu sein, dass das Wasser 
gut ist, wird es täglich bakteriologisch untersucht und einmal 
monatlich chemisch analysirt. Auch die Quantität des Wassers 
ist reichlich, denn die Pumpen liefern so viel, dass auf jeden Ein¬ 
wohner täglich 150 Liter treffen. Auf diese Weise ist das Pro¬ 
blem der Wasserversorgung für Mailand sowohl in hygienischer 
als finanzieller Beziehung auf’s Einfachste und Beste gelöst. 

Auch die Kanalisation der Stadt hielt gleichen Schritt mit 
der Herstellung der Waserleitung und ein grosser Theil der 
Häuser ist bereits an dieselbe angeschlossen. Der Inhalt der Ab¬ 
fuhrkanäle wird weit ausserhalb der Stadt auf umfangreiche 
Rieselfelder geleitet; d. h. auf terrassenartig angelegte Wiesen, 
von denen die Abfälle als Dünger absorbirt werden, während das 
Wasser endlich völlig gereinigt das letzte Rieselfeld verlässt und 
durch weitere Kanäle zu den grossen Flüssen, bezw. in’s Meer 
geleitet wird. 

Mit der Wasserfrage ist jene der Bäder auf’s Engste ver¬ 
knüpft. Es gibt zwar nur zwei Volksbäder in Mailand und die 
Frequenz derselben ist verhältnissmässig gross; im Jahre 1900 
wurden z. B. 135 774 Bäder verabreicht, doch könnte der Besuch 
bei dem geringen Preis von 10 Cent, pro Bad immerhin noch 
etwas grösser sein. 

Auch in den Schulen sind Bäder eingerichtet, jedoch nur 
Douchen, wodurch die Reinigung der Kleinen rasch und mit ver¬ 
hältnissmässig geringen Kosten ermöglicht wird. Das Wasser 
für die Douchen wird durch Gasflammen erwärmt. Jeder Schüler 
erhält jedesmal ein reines Tuch und ist angehalten, dieses Bad, 
das gratis verabreicht wird, vor dem Beginn der Schule zu 
nehmen. In jeder Schule befinden sich auch einige „Zampilli 
d’acqua, d. h. kleine Springbrunnen, die ihren dünnen Wasser¬ 
strahl direkt in den Mund des Schülers senden, der sich über 
sie beugt. Durch diese Art Brunnen wird das Trinkgefäss über¬ 
flüssig und jede Ansteckungsgefahr vermieden. Die Hygiene in 
den Schulen wird von drei Aerzten ad hoc überwacht; dieselben 
untersuchen Lehrer, wie Schüler, sorgen für die Entfernung der 
Kranken und lassen den Armen durch Schulwohlfahrtseinrich¬ 
tungen die nöthigen Arzneien etc. überweisen. Für jene Kinder, 
die an Krätze und infektiöser Conjunctivitis leiden, wurden 
zwei eigene, von den anderen völlig getrennte Klassen ein¬ 
gerichtet. 

Die Oberleitung sämmtlicher mit der Hygiene und öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege betrauten Aemter befindet sich seit 1896 
in den bewährten Händen des Prof. Bordoni-Uffreduzzi 
und man kann sagen, dass sich seit dessen Ernennung Mailand 
eines wahren, tadellos funktionirenden Gesundheitsamtes erfreut. 

Von den Krankenhäusern Mailands ist das grösste das 
„Ospedale maggiore“, eines der grössten in ganz Italien. In 
demselben können 2200 Kranke untergebracht werden. Wer 
dieses Krankenhaus gesehen hat, wird gewiss den prachtvollen 
Monumentalbau mit dem grossen, eleganten Hof bewundert 
haben, aber dies Alles hat doch nur künstlerisches und histo¬ 
risches Interesse, der Hygieniker wird von dem schönen Bau 
weniger befriedigt sein; die Säle sind zwar gross, aber nicht 
luftig und sonnig genug, es befinden sich zu viele Kranke in 
einem Raum und zudem liegt das Krankenhaus inmitten der 
Stadt. Man hat desshalb auch schon angefangen, dasselbe zu 
entlasten; für die Infektionskrankheiten wurde 1896 bei Der- 
gano, ca. 2 km von Mailand, ein modernes, isolirtes, mit allen 
Desinfektionsapparaten versehenes Krankenhaus errichtet, wäh¬ 
rend die Kranken der chirurgischen Abtheilung seit Kurzem in 


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1952 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 48. 


zwei schönen, nach ihren Stiftern, P o n t i und L i 1 1 a, be¬ 
nannten Pavillons Unterkunft finden. 

Die Tuberkulösen warten aber noch auf ihre besonderen Säle 
und die Heilstätte. Vor 2 Jahren wurden etwa 600 000 Lire 
für eine Lungenheilstätte gesammelt und die betreffende Kom¬ 
mission hat auch schon einige Orte im Gebirge in Vorschlag ge¬ 
bracht, doch sind die Studien über Klima und meteorologische 
Verhältnisse dieser Orte noch nicht zum Abschluss gekommen. 
Hoffentlich wird bald der geeignetste Platz gewählt und mit dem 
Bau begonnen. 

Die private Initiative hat auf diesem Gebiet schon ganz 
hübsche Resultate erzielt und ich kann nicht umhin, hier meinen 
Freund und Studiengenossen Dr. Z u b i a n i lobend zu erwähnen, 
der sich gleich nach seiner Approbirung in Sondalo, einem ent¬ 
legenen Dorfe des hohen Veltlin als medico condotto (Gemeinde¬ 
arzt) niederlicss und dort ohne Hilfe, aus eigenen Kräften und 
Mitteln vor Kurzem ein kleines Sanatorium errichtete, in 
welchem etwa 20 Schwindsüchtige Verpflegung und Heilung 
finden, da der bescheidene medico condotto trotz anstrengender 
Arbeit in seinem grossen Bezirk noch Zeit findet, seine Kranken 
mit besonderem Interesse und Verständniss zu behandeln. 
Nächsten Sommer beabsichtige ich, diesen in seinem kleinen 
Kreis so eifrig und tüchtig wirkenden Freund und Kollegen zu 
besuchen und dann auch über sein Sanatorium und das Veltlin 
überhaupt des Näheren zu berichten. 

Noch eine andere Krankheit macht den Mailändern viel zu 
schaffen, d. i. die Malaria, die, wie eine jüngst erschienene Arbeit 
ßettinetti’s ausführt, besonders an der Peripherie der Stadt 
ziemlich häufig und auch in ihren schwersten Formen zu finden 
ist. Es ist dies auf die Nähe der Reisfelder, die sich rings um 
Mailand ausdehnen, zurückzuführen. Das den Reisbau be¬ 
treffende Gesetz datirt vom Jahre 1866 und das Reglement für 
die Provinz Mailand gestattet die Anlage von Reisfeldern schon 
in nur 30 m Entfernung von Häusergruppen, deren Bewohner¬ 
zahl 300 nicht übersteigt. Dieses Gesetz entspricht den heutigen 
wissenschaftlichen und socialen Forderungen nicht mehr und 
wäre es daher im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege 
sehr zu wünschen, dass es bald modificirt, bezw. durch ein an¬ 
gemesseneres ersetzt würde. 

Besonders lehrreich ist auch die Geschichte der Pocken¬ 
impfung in Mailand: sie zeigt deutlich, wie gross der Einfluss 
der Vaccination ist. Seit 1896 wurde Dank der Anordnungen des 
Prof. Bordoni-U ffreduzzi die Impfung mit aller 
Strenge ausgeführt. Jedermann, der sich in Mailand aufhalten 
will, und kein Impfzeugniss neuen Datums vorweisen kann, muss 
sich der Impfung unterziehen. Das Personal der kleinen wan¬ 
dernden Theater, der Karuselle und sonstigen Schaustellungen 
muss sich impfen lassen, ehe die Erlaubniss zu Vorstellungen 
ertlieilt wird; kein Kind darf die Schule betreten, kein Arbeiter 
in einer Fabrik angenommen werden, wenn er den Impfschein 
nicht vorlegen kann. Kommt in einem Hause ein Fall vor, so 
müssen sich alle Bewohner sofort der Impfung unterziehen. Der 
Erfolg dieser strengen Maassregeln ist grossartig; in den letzten 
3 Jahren kam kein einziger Todesfall vor, während 
früher die Sterblichkeit eine ziemlich bedeutende war. 

Am Schlüsse meiner Correspondenz möchte ich noch eine 
Einrichtung aus jüngster Zeit erwähnen und jedem Kollegen, 
der nach Mailand kommt, empfehlen, dieselbe zu besichtigen. 
Ich meine den „Albergo popolare“ (Volkshaus), der im ver¬ 
flossenen Juni eröffnet wurde. Urheber und Hauptförderer des 
grossartigen Baues war einer der bescheidensten, aber hervor¬ 
ragendsten Wohlthäter Mailands, Herr Luigi Buffoli. Das 
nöthige Kapital wurde theils gesammelt, theils durch Antheil- 
scheine zu je hundert Liren aufgebracht. Im Albergo popolare 
sollen die Leute der unteren Volksschichten bei geringen Aus¬ 
gaben alle jene Bequemlichkeiten finden, die sonst nur dem 
Wohlhabenden in guten Hotels zur Verfügung stehen. Der Bau 
wurde eigens zu diesem Zweck errichtet, die Einrichtung ist ein¬ 
fach, aber gediegen und das Ganze, mit elektrischer Beleuchtung, 
Centralheizung und reichlich vertheiltem Wasser versehen, ein 
Muster von Reinlichkeit und Ordnung. Das Haus besteht aus 
530 kleinen Schlafzimmern, Lesezimmer, Rauch- und Spiel¬ 
zimmer, einem grossen Speisesaal mit anstossendem Buffetraum, 
Bädern, Aborten, einem Schuhmacher- und einem Barbierladen. 
Jedermann fühlt sich wie zu Hause, denn das Princip des Albergo 
popolare ist: nehme Rücksicht auf die Andern, wenn Du willst, 


dass man auf Dich Rücksicht nehme. 

Die Küche ist gut und billig, Fleischspeisen kosten 25 bis 
40 Cent., eine Bouillon 5, eine Suppe 15 Cent. Für das Schlaf¬ 
zimmer bezahlt man 50 Cent, pro Nacht und hat das Recht, 
von 7 Uhr Abends bis 9 Uhr Morgens darin zu verweilen. Am 
Tage selbst muss das Zimmer frei bleiben um gereinigt und ge¬ 
lüftet zu werden. Ein Bad kostet 20 Cent., eine Douche 10 Cent., 
beides mit grossem Tuch und der nöthigen Seife. Diese Preise 
sollen übrigens später noch erniedrigt werden. Der Albergo 
popolare ist nur für Männer errichtet, Frauen sind wohl aus sitt¬ 
lichen Rücksichten ausgeschlossen, doch könnte man meiner An¬ 
sicht nach ohne jeden Schaden eine der 5 Etagen den Frauen 
ein räumen. 

Die hygienische Wichtigkeit dieses Volkshauses? Meines 
Erachtens ist dieselbe sehr bedeutend 1 Ich war selbst Gast dort, 
um die Sache de viso und de tactu kennen zu lernen und 
ich bin davon entzückt und rathe deeshalb auch allen Kollegen 
das Volkshaus zu besichtigen. Schon am Eingang mahnt eine 
Inschrift: „Du bist hierher gerufen, um als freier, denkender 
Mann zu handeln, damit du alle Vortheile der Freiheit gemessen 
und die höchsten Menschenpflichten erfüllen kannst“, und weiter: 
„Jeder, der sich selbst verbessert, verbessert die Menschheit“. 
Der Zweck des Albergo ist, die Leute an Ordnung und hygie¬ 
nisches Leben zu gewöhnen. 

Krankheiten entstehen hauptsächlich dort, wo Schmutz und 
Unordnung herrschen und jeder Arzt der in der Stadt praktizirt, 
kennt gewisse Punkte, wo Epidemien sich entwickeln, oder so¬ 
zusagen ihren Sitz haben. Wahre Brutstätten der Krankheiten 
sind vor Allem jene schrecklichen, moralisch und physisch ver¬ 
seuchten Spelunken, wo eine Unzahl armer Teufel für etliche 
Centesimi die Nacht verbringt. Herr Buffoli hat den Mai¬ 
ländern diese schauderhaften Zustände so lange und eindringlich 
vorgestellt, dass er in kurzer Zeit das nöthige Geld für das Volks¬ 
haus zusammengebracht hatte. Die guten Wirkungen dieses 
Albergo popolare werden sich gewiss bald zeigen, denn der Besuch 
ist ein ausserordentlich reger und nicht selten ist das Haus voll¬ 
ständig ausverkauft. In nächster Zeit sollen noch einige andere, 
noch billigere Volkshäuser entstehen, und es ist zu wünschen, 
dass das Beispiel Mailands auch andere Städte Italiens und des 
Auslands zur Nachahmung anspome, denn dies ist. sicher eines 
der besten Mittel zur Hebung der sittlichen und hygienischen Zu¬ 
stände der unteren Volksschichten. Dr. Giov. G a 11 i. 


Verschiedenes. 

Aua den Parlamenten. 

Nach 10 Sitzungen ist nunmehr die Ausschussberathung über 
die ärztliche Standes- und Ehrfcngerichtsordnung zu Ende geführt, 
wenigstens in erster Lesung; je mehr es dem Ende zuging, desto 
schneller ward das Tempo; 7 Sitzungen entfielen auf die vom 
Ministerium zu erlassende Standesordnung und 3 auf den Gesetz¬ 
entwurf selbst; an Zeit und Ausdauer fehlte es also nicht Etwas 
mehr Verständniss für die wechselseitigen Beziehungen zwischen 
Arzt, Kranken und Publikum und etwas mehr guter Wille hätten 
daneben nichts geschadet. Die Freunde der Vorlage und die 
k. Staatsregierung haben sich in anerkennenswerthester Weise alle 
Mühe gegeben, die Angriffe des Kleeblattes v. Landmann. 
Dr. G ä c h und Dr. v. Haller zu pariren und zu erhalten, was 
bei der Zusammensetzung des Ausschusses noch möglich war. Was 
sich überhaupt an Vorwürfen gegen den ärztlichen Stand erheben 
Hesse, wurde vorgebracht und für Redner in ärztegegnerischen 
Versammlungen würde sich in den stenographischen Berichten 
des Ausschusses eine wahre Fundgrube authentischen Materiales 
aufthun. 

In der letzten Sitzung wurden die Art. 8 bis 16 mit einer Ab¬ 
änderung bei der Höhe der Geldstrafen angenommen. 

Art. 8. „Die ehrengerichtliche Entscheidung lautet entweder 
auf Aussetzung des Verfahrens oder auf Freisprechung von der 
Anschuldigung oder Verurtheilung des Augeschuldigten. Im 
letzteren Fall kann einzeln oder ln Verbindung der einen und 
der anderen Strafe erkannt werden auf 

a) Verwarnung, 

b) Verweis, 

e) Geldstrafe von 20 bis 2000 M., 

d) zeitweilige oder dauernde Ausschliessung von dem ärzt¬ 
lichen Vereinsleben. 

Daneben kann ausgesprochen werden, dass die Entscheidung 
öffentlich bekannt zu machen sei." 

Der Referent v. Landmann beantragt als Maximum der 
Geldstrafe 300 M.; die öffentliche Bekanntmachung soll nur dann 
zulässig sein, wenn es sich um einen Vorgang handelt, welcher 
auch die Oeffentlichkelt beschäftigte. Der Korreferent Dr. Hau- 
b e r ist für eine höhere Geldstrafe und für die Veröffentlichung, 
wenn eine Strafverschärfung am Platze ist und wenn die Ange- 


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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1953 


26. November 1901. 


legenlielt schon die Oeffentliehkeit beschäftigte. Der Vorsitzende 
Dr. Casselmann wünscht die Beibehaltung des vorge¬ 
schlagenen Strafmaasses, nachdem auch für die Rechtsanwälte 
eine gleiche Maximalstrafe vorgesehen ist; gerade im Interesse 
des Publikums sollen die hohen Strafen und die Veröffentlichung 
beibehalten werden. Dr. G ä c h, der früher die uneingeschränkte 
OefTentlichkeit für die ehrengerichtlichen Verhandlungen forderte, 
damit aber nicht durchdrang, erklärt es als lnconsequent, die Ent¬ 
scheidungen zu veröffentlichen. Dr. v. Haller, der in den 
früheren Sitzungen sich als Gegner der ärztlichen Bezirksvereine 
bekannte, ist gegen die Strafe der Ausschliessung von dem ärzt¬ 
lichen Vereinsleben, well dadurch dem Arzte alles „Ideelle" ge¬ 
nommen würde, was er in den ärztlichen Vereinen zu finden hoffe; 
man möchte sich über die Anerkennung der Idealen Seite des 
Vereinslebens seitens des Herrn Dr. v. Haller wundern, aber 
er fürchtet auch für die „materielle“ Schädigung wegen des Ab¬ 
schlusses von Verträgen mit Krankenkassen. Der k. Staats' 
minister vertheidigt die angesetzte Strafgrenze von 2000 M., 
das Maximum soll den Arzt warnen, mit der Standesordnung in 
Konflikt zu kommen; man müsse auch für den Rückfall eine 
Steigerung der Strafe in Aussicht nehmen, darum seien 300 M. 
zu wenig; die Veröffentlichung der Entscheidung hänge mit dei 
Oeffentliehkeit der Verhandlung nicht zusammen; erstere biete 
einen Schutz für das Publikum und soll für den Rückfall an¬ 
gedroht werden; ähnliche Bestimmungen hätten auch andere 
Ränder. Die höchste und letzte Strafe sei die Ausschliessung; 
auf die Berechtigung zur Ausübung der Praxis habe diese keinen 
Einfluss, da ein Zwang zum Beitritt ln einen ärztlichen Bezirks¬ 
verein nicht bestehe, käme diese Strafe bei Nichtvereinsmitgliedern 
nicht zur Anwendung. — Bei der Abstimmung wird der Art. 8 
angenommen mit der Abänderung, dass die Geldstrafen von 20 
bis 300 M. festgesetzt werden. 

Art 9. „Die Entscheidung ist zu begründen und dem An- 
geschuldlgten in schriftlicher Ausfertigung gegen Nachweis zu¬ 
zustellen. Innerhalb 14 Tagen nach dieser Zustellung kann von 
dem Angeschuldigten gegen die Entscheidung des Ehreurathes 
Berufung an den Ehrengerichtshof erhoben werden.“ 

Art. 10. Der Ehrengerichtshof hat seinen Sitz in München 
und wird alle drei Jahre aus je einem Deleglrten der acht 
Aerztekammern und einem vom k. Staatsministerium des Innern 
zu bestimmenden Verwaltungsbeamten zusammengesetzt Für 
diese Mitglieder ist auch je ein Ersatzmann zu bestellen. 

Die Mitglieder des Ehrengerichtshofe« wählen aus ihrer 
Mitte einen Vorsitzenden und Stellvertreter auf die Dauer der 
Funktionsperlode.“ 

Art. 11. „Der Ehrengerichtshof entscheidet in zweiter und 
letzter Instanz, wobei die Anwesenheit von sechs der ärztlichen 
Mitglieder und des Verwaltungsbeamten erforderlich ist. Für 
das Verfahren und die Entscheidung desselben finden die für 
den Ehrenrath geltenden Bestimmungen analoge Anwendung.“ 

Zu Art. 11 stellt der Referent v. L a n d m a n n den Antrag, 
noch eine Revlsionsinstanz zu schaffen: Gegen die Entscheidung 
des Ehrengerichtshofes soll sowohl dem Augeschuldigten als dem 
Verwaltungsbeamten die Revision zum k. Verwaltungsgerichtshofe 
zustehen; sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entschei¬ 
dung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe; das Gesetz ist 
verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig ange¬ 
wendet worden ist Die Revisionsfrist beträgt 14 Tage und be¬ 
ginnt für beide Theile mit dem Ablaufe des Tages, an welchem 
dem Angeschuklgten die Ausfertigung der Entscheidung zugestellt 
ist. Für das Verfahren und die Entscheidung finden die für den 
k. Verwaltungsgerichtshof geltenden Bestimmungen Anwendung. 

Eine derartige Bestimmung würde die letzte Entscheidung 
in Standesfragen ausschliesslich Juristen übertragen und damit 
gegen das Grundprincip verstosseu, dass nur Stnndesgouossen zur 
ehrengerichtlichen Beurtheilung zu berufen seien. 

Der k. Staats minister hält eine Revisionsinstanz für 
nicht nöthig, der Verwaltungsgerichtshof entscheide nur In Ver¬ 
waltungsrechtssachen, die ihm gesetzlich zugewiesen seien; die 
vom Referenten vorgeschlagene Bestimmung stehe im Wider¬ 
spruche mit dem Verwaltungsgerichtsliofgesetze. Auch der Kor¬ 
referent und der Vorsitzende erklären sich gegen den Vorschlag 
des Referenten; Dr. Casselmann weist darauf hin, dass auch 
andere Staaten, sowie das Richterdlscipliuargesetz keine Revisions- 
Instanz hätten. Der Referent zieht seinen Antrag vorerst zurück. 

Art. 12. „Die Kosten des Verfahrens können Im Falle einer 
Verurthellung dem Angeschuldigten überbürdet werden: andern¬ 
falls sind dieselben von der betreffenden Aerztekammer zu 
tragen, wogegen dieser auch die erkannten Geldstrafen zu- 
fliessen.“ 

Auf Anfrage erklärt der Staatsminister, dass der Ange- i 
schuldigte, wenn er nicht verurtheilt werde, keine Kosten ausser 1 
die i h m erwachsenen zu tragen habe. 

Art. 13. „Zur Vollstreckung ehrengerichtlicher Entschei¬ 
dungen können erforderlichen Falles die Distriktsverwaltungs¬ 
behörden um Beihilfe angerufen werden.“ 

Auf die Anfrage des Referenten, worin die Beihilfe der 
Distriktsverwaltungsbjhörden zu bestehen habe, verweist der 
k. Staatsminister auf die Motive zum Gesetzentwürfe, wonach 
die Zustellung und Vollstreckung ehrengerichtlicher Entschei¬ 
dungen zunächst Sache der Ehrenräthe lm Zusammenwirken mit 
den Aerztekammern und Bezirksvereineu sein wird; soweit je¬ 
doch die Beitreibung von Geldstrafen oder von Kosten auf 
Schwierigkeiten stossen sollte, wird sich der Ehrenrath an die 
einschlägige Distriktsverwaltungsbehörde zu wenden haben, die 
nach Maassgabe der Art. 6, 7 des Ausführungsgesetzes zur Reiehs- 
Clvilproeessovdnung — siehe Minlsterlal-Bekanntmachung vom 


26. Juni 1899, S. 403 des Gesetz- und Verordnungsblattes — Vor¬ 
gehen wird. 

Art. 14. „Die Aerztekammern und ärztlichen Bezirks vereine 
sind befugt, zur Erfüllung ihrer Aufgabeu von den Praxis aus¬ 
übenden Aerzten des betreffenden Bezirkes Beiträge zu erheben.“ 

Der Referent bemerkt, dass hiernach jeder Arzt, ob Mitglied 
eines Vereines oder nicht, Beiträge zu zahlen habe, und fragt au, 
wie die Höhe des Beitragsfusses zu bestimmen sei, ob nach der 
Steuer oder wie sonst. Der k. Staatsminister betont, dass bisher 
nur Vereinsmitglieder Beiträge zu zahlen hatten, es sei aber notli- 
wendig, dass eine breitere Basis geschaffen werde. Die Aufgabeu 
der Aerztekammern und Bezirksvereine würden im Verordnungs¬ 
wege des Näheren präcisirt werden; die getroffenen Einrichtungen 
unterlägen der auf sichtlichen Würdigung des Staatsmluisteriums 
des Innern. Im Interesse der Wittwen und Walsen werde sich die 
Annahme des Art. 14 dringend empfehlen. 

Art. 15. „Zum Vollzüge der in den Art. 3 bis 14 getroffeueu 
Bestimmungen Ist das Staatsministerium des Innern ermächtigt, 
unter Beachtung der darin enthaltenen Grundsätze nähere Vor¬ 
schriften zu erlassen." 

Art. 16. „Vorstehendes Gesetz tritt am.in Kraft.“ 

Der k. Staatsminister schlägt vor, dass das Gesetz am 1. Juli 
11*02 in Kraft treten soll, was angenommen wird. 

Die an die Abgeordnetenkammer eingereichten Petitionen 
werden durch die gefassten Beschlüsse als erledigt erklärt. 

Dr. Becker- München. 

Vorträge über praktische und wissenschaftliche Sozialmedicin 
im Rostocker Aerzteverein. 

Die moderne soziale Gesetzgebung hat nicht nur die medi- 
cinisclie Wissenschaft vor ganz neue Probleme gestellt, sie ist auch 
auf dem Wege, den praktischen Aerztestand von Grund aus um¬ 
zugestalten und auf eine neue Basis seiner Existenz zu stellen. 
Bisher hat sich dieser Umschwung für die Aerzteschaft fast ganz 
passiv vollzogen. Sie — die Aerzteschaft — ist bei der Ausarbei¬ 
tung jener Gesetze nicht gefragt worden und hat sich bei der Ein¬ 
führung derselben in das praktische Leben notligedrungen den 
neuen Verhältnissen anpassen und fügen müssen. Diese mehr 
passive Rolle der Aerzte bei der Umgestaltung der Lebensver- 
hältuisse von mindestens 40 Millionen Einwohnern des Deutschen 
Reiches ist vom Uebel, einmal für die Allgemeinheit, — denn ohne 
verständnisvolle und willige Mitarbeit der Aerzte ist die Durch¬ 
führung jener Gesetze unmöglich, verkehrt sich im Einzelfalle der 
gewollte Nutzen in Unzufriedenheit und Unsegen — und zweitens 
für den Aerztestand selbst; denn dieser muss wirthsohaftllch und 
ethisch verkümmern, wenn er es nicht lernt, innerhalb des nun 
einmal gegebenen neuen Rahmens frei sich zu bewegen und an der 
praktischen Ausgestaltung der ärztlichen Seite der sozialen Gesetz¬ 
gebung mit freudigem Verständnis Theil zu nehmen. 

Das setzt aber für jeden Einzelnen die Bewältigung der nicht 
ganz leichten Aufgabe voraus, die Bedeutung und die Ziele der 
drei grossen sozialen Gesetze zu übersehen und in ihren ver¬ 
schlungenen Ffnden sich zurecht zu finden. Um in gemeinsamer 
Arbeit dieses Ziel zu fördern und das Verständnis für die ge¬ 
bieterischen Forderungen einer neuen Zeit unter den Kollegen zu 
verallgemeinern, hat der Vorstand des Rostocker Aerztevereins — 
einem anderwärts, namentlich in Berlin, gegebenen Beispiele fol¬ 
gend — beschlossen. Im Anschluss an eine zusammenhängende 
Reihe von Vorträgen, die im Wintersemester 1901/02 lm Aerzte¬ 
verein gehalten werden sollen, die wichtigsten Fragen der prak¬ 
tischen und wissenschaftlichen Sozialmedicin zur Dlscussion zu 
stellen. Die einleitenden Vorträge sind bereits zugesichert. 

Es sollen folgende Themata zur Verhandlung kommen: 
1. Grundzüge (Ziele und Aufgaben) der modernen sozialen Gesetz¬ 
gebung. Ref.: Prof. Dr. Geffcken a. G. — 2. Arzt und Kranken¬ 
kasse. lief.: Dr. Lee hl er. — 3. Der Arzt als Sachverständiger 
auf dem Gebiete der Unfallversicherung. Ref.: Prof. W. Mülle r. 
— 4. Die ärztliche Thätigkelt auf dem Gebiete der Invaliden¬ 
versicherung, sowie über den Begriff der Arbeitsinvalidität. Ref.: 
Prof. Marti us. — 5. Psychiatrische und neurologische Erfahr¬ 
ungen auf dem Gebiete der Unfall- und Invaliditätsgesetzgebung. 
Ref.: Prof. Schuchardt — 6. Unfall und Invalidität in dev 
Ohrenheilkunde. Ref.: Prof. Körner. — 7. Unfall und In¬ 
validität in der Augenheilkunde. Ref.: Prof. Peters. 

Der Vorstand gibt sich der Hoffnung hin, dass dieser Plan 
zu gemeinsamer Arbeit den Beifall gerade der mitten in der 
Praxis stehenden Herren Kollegen haben und dass seine Durch¬ 
führung der Aerzteschaft zu Nutz und Segen gereichen werde. 

Särnmtliehe Vorträge werden in dieser Wochenschrift zum 
Abdruck kommen; der erste (Wesen und Grundzüge der deutschen 
Arbeiterversicherung von Prof. Geffcken) findet sich auf 
Seite 1927 der vorliegenden Nummer. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München. 26. November 1901. 

— Zu dem Erlass des preuss. Medleiualministers, durch 
welchen für die Medicinnlbeainten eine Ausnahmestellung 
gegenüber den Ehrengerichten der ärztlichen 
Vereine gefordert wird, äussert sich von der gesammten Fach¬ 
presse nur die Zeitschrift für Mediciualbeamte zustimmend. Diese 
Forderung sei das ganz naturgeniässo Ergebnis« der gesetzlichen 
staatlichen Ehrengerichtsbarkeit für die Aerzte in Preussen und 


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1954 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 48. 


Ihre Ablehnung werde zur logischen Folge haben, dass den Medi- 
cinalbeamten amtlich untersagt werde, einem ärztlichen Vereine 
anzugehören, der nach seinen Satzungen eine Ehrengerichtsbarkelt 
über alle seine Mitglieder ausübt. Wir bezweifeln doch, dass das 
Blatt hier die Ansicht der Mehrheit der preuss. Amtsärzte aus¬ 
spricht Wie im ärztlichen Vereinsblatt treffend auseinander¬ 
gesetzt wird, ist die ministerielle Forderung keine Konsequenz der 
staatlichen Ehrengerichtsbarkeit, sondern es handelt sich dabei um 
ein vollständiges Novum; der Staat hat bisher gegen die Unter¬ 
stellung seiner Beamten unter die Ehrengerichte privater 
Vereine nichts eingewendet; so unterstehen viele Beamte als alte 
Herren akademischer Vereinigungen noch immer den Ehren¬ 
gerichten dieser. Die bayerischen Amtsärzte haben vor Kurzem in 
einer Eingabe an das Ministerium den Wunsch geäussert, den zu 
errichtenden staatlichen Ehrengerichten für Aerzte auch ihrer¬ 
seits unterworfen zu werden. Dieser Wunsch konnte aus Gründen, 
die wir verstehen können, allerdings nicht gewährt werden. Wenn 
aber die preuss. Medidnalbeamten angesichts der ihnen drohenden 
Gefahr, dem ärztlichen Vereinsleben entsagen zu müssen, sich zu 
einem ähnlichen Schritte entschliessen würden, so würde es ihnen 
wohl nicht schwer fallen, die Nothwendigkeit ihres Verbleibs in 
den Vereinen so (überzeugend darzutbun, um den Minister von 
einem Schritt abzuhalten, der ein Schlag wäre für das ganze ärzt¬ 
liche Leben in Preussen, in erster Linie aber für die Mediclnal- 
beamten selbst. — Die Berlin-Brandenburglsche Aerztekammer hat 
sich in ihrer Sitzung vom 23. ds. mit der vorliegenden Frage be¬ 
schäftigt und einen Antrag Alexander angenommen, der be¬ 
sagt: Die ehrenräthlichen Bestimmungen der ärztlichen Vereine 
erübrigen sich nicht; den Medidnalbeamten eine Ausnahmestellung 
innerhalb der ärztlichen Vereine zu geben, empfiehlt sich nicht; 
die Zugehörigkeit der Medidnalbeamten zu den Aerztevereinen 
entspricht den allseitigen Interessen. In der Kammer wurde auch 
mitgetheilt, dass die beamteten Aerzte, welche Mitglieder des 
Aerztevereins der Lausitz sind, selbst verlangt haben, den Ehren¬ 
gerichten des Vereins unterworfen zu bleiben. 

— Der preuss. Aerztekammerausschuss tritt am 
30. ds. in Berlin zusammen. 

— Die Verhandlungen des Kammerausschusses Uber die 
Standes- und Ehrenger i c htsordnung für die 
bayerischen Aerzte mit ihrer ausgesprochen ärztefeind¬ 
lichen Tendenz erwecken begreiflicher Weise frohe Hoffnungen 
bei Allen, die den Aerzten gerne etwas am Zeuge flicken möchten. 
Auch Herr Rechtsrath, H e 1 n d 1, der im Streit der Münchener 
Aerzte mit der Ortskrankenkasse IV so üble Erfahrungen mit den 
geeinigten Aerzten gemacht hat, schwelgt bereits in dem Gedanken 
an das unterdrückte Koalitionsrecht der Aerzte. Der Beschluss 
des Ausschusses, dass ein Aerztestrelk mit Hilfeverweigerung des 
ärztlichen Standes nicht würdig sei, gellt ihm jedoch nicht weit 
genug. In einer im Verwaltungssenat des Münchener Magistrats 
abgegebenen Erklärung verlangt er Klarstellung der Frage, ob 
auch die Verweigerung des ärztlichen Scheines zum Krankengehl- 
empfauge (auch wenn der Schein bezahlt wird) als Hilfeverweige¬ 
rung zu betrachten sei oder nicht und wünscht überhaupt, dass in 
der ärztlichen Standesordnung die Streikfrage eine erschöpfende 
Beantwortung erfahre, damit ähnliche Vorkommnisse, wie in 
München, vermieden bleiben. Damit ist schon gesagt, wie der 
Herr Rechtsrath diese Beantwortung sich denkt, und da seine An¬ 
regungen noch rechtzeitig vor der zweiten Lesung kommen, so 
besteht ja die Möglichkeit, dass der Ausschuss sich dieselben an¬ 
eignet. Wenn der Herr Rechtsrath aber hofft, dass solche Be¬ 
schlüsse des Ausschusses nun auch Gesetz werden würden, so 
dürfte er sich darin gründlich täuschen. Dass jede Bestimmung, 
die die Freiwilligkeit der Hilfeleistung in Frage stellt — und das 
tliut die Streikbestimmung des Ausschusses — gegen die Gewerbe¬ 
ordnung verstösst. ist hier bereits betont worden. Es ist aber noch 
Folgendes zu bemerken: Der Wunsch nach einer Standes- und 
Ehrengerichtsordnung ist aus den Kreisen der Aerzte selbst her¬ 
vorgegangen. Wenn ihnen dieser Wunsch nicht gewährt werden 
kann, so verweigere, man ihn: das Streben nach einer Standesord¬ 
nung nun aber zur Veranlassung zu nehmen, dem ärztlichen Stande 
Verpflichtungen und Beschränkungen aufzuerlegen, die er nicht 
wünscht, wäre ein schreiendes Unrecht, eine Vergewaltigung, zu 
der, wie wir zuversichtlich erwarten, die Regierung die Hand nicht 
bieten wird. Und so hoffen wir, dass alle Erwartungen, die unsere 
Gegner au die Beschlüsse dieses Kammorausschusses knüpfen, zu 
Schanden werden. — Was den übrigen Inhalt der Erklärung des 
Herrn Rechtsrath H e i u d 1 betrifft, so ist hier nicht der Ort, 
darauf einzugehen; das wird wohl an anderer Stelle geschehen. 

— Die Geschäftskommission des Vereins für innere Medicin 
in Berlin hat beschlossen, in Deutschland approbirte Aerztinnen 
zur Aufnahme ln den Verein zuzulassen. 

— Geh. Sanitätsrath L e n t in Köln, der Vorsitzende des 
preussischen Aerztekammerausschusses und langjähriges Mitglied 
des Geschäftsausschusses des Aerztevereiusbundes, feierte am 
US. ds. seinen 70. Geburtstag. 

— Pest. Russland. In Odessa sind einer Mittheilung vom 
10. November zu Folge 2 Pesttodesfälle unter der einheimischen 
Bevölkerung vorgekommen. — Türkei. Am 5. November wurde 
ein tödtlieh abgelaufener Pestfall in dem am Golf von IsmUl 
(landeinwärts von Kartal) liegenden Dorfe Jakadjik beobachtet. 
— Aegypten. In der Zeit vom 1. bis 8. November sind insgosammt. 
4 Erkrankungen (3 Todesfälle) an Pest festgestellt worden, davon 
2 (1) in Alexandrien. 1 (1) in Mit Gamr, 1 (1) ln Ziftah. — Britisch- 
Ostindien. Während der am IS. Oktober abgelaufeneu Woche 


sind ln der Präsidentschaft Bombay 10 500 neue Erkrankungen 
und 7538 Todesfälle an der Pest festgestellt, also 280 Erkran¬ 
kungen weniger als ln der Woche vorher. In der Stadt Bombay 
sind in der am 19. Oktober endenden Berichtswoche 158 Personen 
au der Pest erkrankt und 193 erweislich der Pest erlegen; weitere 
131 Todesfälle wurden als pestverdächtig bezeichnet, 505 auf 
andere Ursachen zurückgeführt. — K a p 1 a n d. ln der Woche 
vom 13. bis 19. Oktober sind 3 Erkrankungen und 3 Todesfälle 
an der Pest zur amtlichen Kenntniss gelangt. In Behandlung 
blieben am Schlüsse der Woche noch 20 Kranke, nämlich 12 Ein¬ 
geborene. 4 Europäer und 4 Mischlinge. — Brasilien. Vom 
27. September bis zum 15. Oktober sind in Rio de Janeiro 59 Fälle 
von Pest angezeigt; von den Erkrankten sind 7 in ihren Woh¬ 
nungen verstorben und 52 nach dem Pestkrankenhause über- 
geführt worden, wo 13 Kranke verstorben sind. In Campos im 
Staate Rio de Janeiro wüthet einer Mittheilung vom 22. Oktober 
zu Folge die Pest seit Wochen mit grosser Heftigkeit, auch sind 
an einigen anderen Orten dieses Staates in letzter Zeit Pestfälle 
festgestellt worden. 

— In der 45. Jahreswoche, vom 3. bis 9. November 1901, 
hatten von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Heidelberg mit 30,6, die geringste Flensburg mit 
9,4 Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein 
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, Hagen; 
an Masern in Altona, Bochum, Fürth, Pforzheim, Worms; an Diph¬ 
therie und Croup in Borbeck, Bromberg, Offenbach. 

(Hochschulnachricbten.) 

Erlangen. Vom 1. Oktober 1. J. au ist bei dem Medicinal- 
eouiitö an der Universität Erlangen in die Stelle eines ordentlichen 
Beisitzers der ausserordentliche Universitätsprofessor Dr. Gustav 
Specht und in die Stelle eines ersten Suppleanten der ordent¬ 
liche Universltätsprofessor Dr. Adolph Gessner vorgerückt. 
Zum zweiten Suppleanten wurde der ordentliche Universitätspro- 
fesKor Dr. Ernst Graser ernannt. 

Petersburg. Zum stellvertretenden Direktor des che¬ 
mischen Laboratoriums des kaiserlichen Instituts für Experimental- 
medicin ist au Stelle des kürzlich verstorbenen Prof. M. N e n c k i 
die langjährige Mitarbeiterin Nencki’s, Nadesha Sieber- 
Schum o w, ernannt worden. Bisher hat noch nie eine Frau 
einen derartigen Posten bekleidet, 

(Todesfälle.) 

Bei Schluss der Redaktion erhalten wir die betrübende Mit¬ 
theilung. dass der Vorstand der medlcinlschen Klinik In Tübingen. 
Prof. Dr. Karl v. Liebermeister, am 24. ds. im 69. IiCl>ens- 
jahre gestorben ist. Eine Würdigung des bedeutenden und all¬ 
gemein verehrten Klinikers hoffen wir in Bälde bringen zu können. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. G. R ti d i n g e r, bezirksärztlicher Stell¬ 
vertreter in Weissenhorn. Dr. Gustav Zimmermann, approb. 
1895, zu Würzburg. Dr. Jakob Zwerger, approb. 1896, zu Gau 
königshofen. 

Verzogen: Dr. Karl P a s t o r y von Marktbreit nach 
Fürth i. B. Dr. Theodor Pfeifer von Klingenberg a. M. nach 
Kleinwallstadt Dr. Wilhelm Schmidt von Bayreuth nach 
Plauen. Dr. Eduard Meyer von Nürnberg nach Gröningen, Bez.- 
Amts Memmingen. 

Gestorben : Dr. Heinrich D ö 1 g e r in Kleinwallstadt. 
Dr. Johann Al brecht, bezirksärztlicher Stellvertreter In Nord- 
halben, 43 Jahre alt. Dr. Albrecht Welsch in Augsburg, 
54 Jahre alt. 


Morbiditätsstatistik d. Infektionski^khettenfür München 

in der 46 Jahreswoche vom 10 bis 16. November 1901. 
Betheiligte Aerzte 208 — Brechdurchfall 9 (.8*), Diphtherie, 
Croup 14 (16), Ery sipelas 10 (4), Intermittens, Neuralgia interm. 

— (1), Kindbettfieber 1 (1), Meningitis cerebrospin. 1 (—), 

Morbilli 14 (31), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat — (—), Parotitis 
epidem. 6 (5), Pneumonia crouposa 11 (10), Pyaemie, Septikaemie 

— (1), Rheumatismus arti ac. 13 (21), Ruhr (dysenteria) — (1), 

Scailatina 11 (12), Tussis convulsiva 20 (10), Typhus abdominalis 
5 (5), Varicellen 18 (28), Variola, Variolois — (—), Influenza . (—), 
Summa 153 (154). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in Mtinchen 

während der 46. Jahreswoche vom 10. bis 16 November 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 2 (2*), ßcharlach — (—\ Diphtherie 
und Croup 3 (2), Rothlauf — (1), Kindbettfieber — (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 1 (3), Brechdurchfall 6 (4), ünterleibtyphus 
— (3), Keuchhusten 2 (—), Oroupöse Lungenentzündung 4 (6), 

Tuberkulose a) der Lungen 25 (25) b) der übrigen Organe 6 (4), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 8 (4). Unglücksfälle 3 (7), Selbstmord 4 (2), Tod durch 

fremde Hand — (1). . 

Die Gcsainmtzahl der 8terbefälle 212 (198), Verhältmsszahl auf 
das Jahr und 10 0 Einwohner im Allgemeinen 22,0 (20,1), für die 
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 14,2 (12,8). 


•) Die pingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle dpr Vorwoche. 


Verlaß von .1. F. I.chmnnn in München. — l>ruck von E. Mühlthnler's Huch- und Kunstdruckcrel A.Q., München. 

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Die Mönch. Med. Wochen*ehr. erscheint wöcheotl. UTl T”AT/^1 I ¥ Iü'VT’ I jl I > Xtuendangeti »lnd in adreanren: Für die Redaeflon 

ln Nummern von durchwshoittllch 6-6 Bogen. VI I I \ I . f~| r. \ ri. r\, Ottottraaae 1. — Für Abonnement an J. F. Leh- 

Prola ln Dentachl. n. Oeat.-Ontcarn rierteljfthrl. 6 Jt, A.TA UH V/XXX-iXi UAU mann, Henatraue 20. — Für Inserate und Beilagen 

Ins Ausland 7.60 Jt. Klnselne No. 80 4- an Rudolf Mosse, Promenadeplats 16. 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

Ch. Biiiitr, 0. Bolliigtr, H. Cirsehmi, C. Btrfcirit, 6. Mirkil, J. i. Mein, H. i. Riik», 

Fredburg 1. B. München. Ledpslg. Berlin. Nürnberg. Bertha. München. 


No. 49. 3. Dezember 1901. 


Rednction: Dr. B. Spats, Ottoetnuw© 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Hetuitraue 20. 


F. i. Wlickil, H. v. ZImsmi, 

München. Mflnohen. 

48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der Dr. V u 1 p i u s’sehen orthopädisch-chirurgischen Heil¬ 
anstalt zu Heidelberg. 

Zur Behandlung der Kontrakturen und Ankylosen 
des Kniegelenkes.*) 

Von Oscar Vulpius. 

Die Kontrakturen und Ankylosen des Kniegelenkes, welche 
sich auf Grund intraartikulärer Erkrankungen ent¬ 
wickeln, sind in der weitaus überwiegenden Mehrzahl auf 
Tuberkulose zurückzufUhren. Speciell mit diesen Folge¬ 
zuständen tuberkulöser Gonitis und ihrer Behandlung werden 
sich die folgenden Erörterungen befassen. Es kommen nicht 
in Betracht die Kontrakturen bei frischer tuberkulöser Gelenk¬ 
entzündung, welche als reflektorisch spastische aufzufassen 
sind und in Narkose ohne oder ohne wesentliche Gewaltanwen¬ 
dung verschwinden. Vielmehr beschäftigen uns hier die ab¬ 
normen Gelenksstellungen in späteren Stadien der Krankheit 
bezw. nach völligem oder scheinbar völligem Ablauf der tuber¬ 
kulösen Entzündung. Zu dieser Zeit ist aus der spastischen Kon¬ 
traktur eine Schrumpfungskontraktur geworden, welche nicht nur 
die Muskeln und Sehnen der Beugeseite, sondern die gesammten 
Weiclitheile von der Haut der Kniekehle bis zur Kapsel eiu- 
bezieht. Ist Eiterung, Fistelbildung im Laufe des Leidens ein- 
getreton, so ist die Schrumpfung durch Narbenzug noch inten¬ 
siver bis zu dem Grad, dass derbe Stränge Narbengewebee in 
Gestalt einer Flughaut die Rückseite des gebeugten Kniegelenkes 
überbrücken. Besteht da9 Bild einer reinen Kontraktur, so 
mangelt nur ein grösserer oder geringerer Thedl der Streckfähig¬ 
keit, während die weitere Beugung frei ist. Freilich ist ein 
solcher Folgezustand der tuberkulösen Gonitis verhältnissmässig 
selten, meist lässt die Gelenkerkrankung auch intraartikuläre 
Veränderungen zurück, so dass auch diese, nicht nur die ver¬ 
kürzten Weiehtheile die Streckhemmung bedingen. Nur eine 
verhältnissmässig rasch und mild verlaufende Erkrankung kann 
den Gelenkknorpel so intakt lassen, dass er den normalen Be¬ 
wegungen kein Hindemiss entgegensetzt. Und selbst in einem 
solchen Fall wird bei langem Bestehen der Kontraktur eine Ver¬ 
änderung der unbenützt bleibenden Gelenkflächen sowohl hin¬ 
sichtlich der feineren Struktur, als der groben äusseren Formen 
nicht ausbleiben. Sind doch bei älteren Kontrakturen selbst Ver¬ 
biegungen des Femur in höchst auffallender Form wiederholt 
beobachtet und beschrieben worden (vgl. S c h a r f f: Zeitschr. f. 
orthopäd. Chirurg. 7. Bd., 1. Heft). 

Bei den meisten Gonitiden kommt es zu einer ausgiebigen 
Destruktion des Gelenkes, zur Einschmelzung grosser Flächen 
des Gelenkknorpels und als Folge zur fibrösen, eventuell später 
zur ossären oder am häufigsten wohl zu einer gemischten fibrös- 
ossären Ankylose. Nicht selten tritt eine Subluxation der Tibia 
nach hinten, eine Rotation nach aussen und eine Valgusstcllung 
des Unterschenkels hinzu. 

Mit diesen geschilderten Folgezustünden der tuberkulösen 
Gonitis hat sich unser© Therapie zu beschäftigen, sie hat ihre 
Aufgabe zu erblicken in einer möglichst vollkommenen 

*) Vortrag, gehalten auf der Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte ln Hamburg, September 1901. 

No. 49. 


und dauerhaften Streckung des Gelenkes auf einem 
in jeder Hinsicht, speciell aber im Hinblick auf da$ Grundleiden, 
möglichst gefahrlosen Wege. 

Je rascher, sicherer, einfacher ein Heilverfahren dies ge¬ 
steckte Ziel erreichen lässt, desto mehr wird es in der allgemeinen 
Praxis vor anderen konkurrirenden Methoden den Vorzug ver¬ 
dienen. 

Nun sind aber die Ansichten über die best© Methode noch 
sehr getheilt, und es kann meines Erachtens auch niemals das 
eine oder das andere, speciell das blutige oder das unblutige 
Verfahren verworfen werden, da verschiedenartige Zustände des 
Gelenkes uns zu verschiedenartigem Vorgehen veranlassen werden. 

Speciell Lorenz hat nun auf der letztjährigen Versamm¬ 
lung bei der Empfehlung seines modellirenden Redressements 
einen überaus exklusiven Standpunkt eingenommen, indem er 
als „Grundprinzip einer rationellen Orthopädie der Kniegelenks- 
kontrakturen und Ankylosen absolute Schonung des Skelets auf 
; Kosten der Weiehtheile“ aufstellte. 

Diese damals vorgetragene Anschauung weckte alsbald den 
, Widerspruch auf chirurgischer Seite und sie gab auch mir die 
| Veranlassung, über mein Verhalten bei dieser uns Orthopäden 
vielfach beschäftigenden Deformität Rechenschaft abzulegcn. 

Lassen wir zunächst die unblutigen Methoden Revue 
t passiren, so wäre die Gewichtsextension als das harm¬ 
loseste Verfahren in erster Linie zu nennen. Kontrakturen 
massigen Grades und neueren Ursprungs können wohl auf diesem 
Wege beseitigt werden, bei schwereren Fällen, insbesondere bei 
älteren fibrösen oder gar ossären Ankylosen bleibt der Gewichts¬ 
zug ziemlich wirkungslos. 

Die Anwendung der Gewichtsextension erfordert wochenlunge 
Bettruhe mit allen Unbequemlichkeiten und Schädigungen des 
Allgemcinzustandes. Und schliesslich ist die Wahrscheinlichkeit, 
i dass die schonend gedehnten Weiehtheile nach Beseitigung des 
Gewichtszuges sich wieder verkürzen werden, eine recht grosse, 
wie die praktische Erfahrung lehrt. 

Bequemer für Arzt und Patienten scheint es, wenn die 
redressirende Kraft iu eine einzige Sitzung zusammengedrängt 
wird, wie dies beim Brisement for$6 oder bei dem m o - 
dellironden Redressement der Fall ist. Aber es er¬ 
heben sich gewichtige Bedenken gegen ein solches Verfahren. 

Gewiss können wir mit entsprechender Gewalt den Wider¬ 
stand verkürzter Weiehtheile brechen, intraartikuläre Verwach¬ 
sungen sprengen'und dehnen. Aber wir sind niemals sicher vor 
unerwünschten Ueberdehnungen oder gar Zerreissungen von 
Nerven und Gefässcn, wir laufen Gefahr, durch Abkapselung 
glücklich unschädlich gemachte tuberkulöse Herde wieder auf- 
zureissen und dadurch erneute Entzündung auzufachen, wir haben 
mit der Möglichkeit einer tödtlichen Fettembolie zu rechnen, wir 
können endlich eine Subluxation der Tibia erzeugen. 

Gerne sei zugegeben, dass das Redressement in der Hand 
oder richtiger in dem Apparat von Lorenz schonender aus¬ 
geführt werden kann als es früher geschah, es sei auch zugegeben, 
«lass eine ungünstige Verschiebung der Tibia dabei nicht Vor¬ 
kommen kann, trotzdem bleiben die genannten Gefahren be¬ 
stehen und sie werden wohl die Meisten abhalten, bei hoch¬ 
gradigen Kontrakturen und Ankylosen tuberkulöser Natur dies 
Verfahren anzuwenden. 


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1956 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


Was da9 Resultat desselben im günstigen Fall dea schad¬ 
losen Gelingens betrifft, so werden wir nach den früheren patho¬ 
logisch-anatomischen Ausführungen ein bewegliches Gelenk nur 
bei leichten und frischen Kontrakturen erwarten dürfen, im 
Uebrigen aber ein in Strecksteilung versteiftes Gelenk, das un¬ 
zweifelhaft die dauernde Tendenz hat, dem Zug der Beuge¬ 
muskeln neuerdings nachzugeben. Eine spätere Kontrole, nament¬ 
lich auch der poliklinischen Fälle, wird auch Lorenz eine 
überraschend grosse Zahl von Recidiven der Beugestellung liefern, 
wenn das Resultat auch anfänglich noch so erfreulich schien. 

Interessant sind die Bestrebungen, mittels portativer 
Apparate die Stellungskorrektur zu erzielen, insofern sie 
Zcugniss ablegen von der Leistungsfähigkeit der modernen Ap- 
parattechnik. Der exakt sitzende Hülsenapparat sichert die Wir¬ 
kung der mit ihm verbundenen, ein langsames Redressement er¬ 
zeugenden Schlägerklinge, anderweitige Vorrichtungen schieben 
sogar die mässig subluxirte Tibia wieder nach vorne, kurz es 
können selbst starr erscheinende Kontrakturen einem derart ge¬ 
bauten Apparat weichen. 

Schwere \md alte Fälle freilich, mit derbem Narbengewebe 
in der Kniekehle, mit starker Dislokation, eignen sich nicht zu 
einer solchen ambulanten Apparatbehandlung. Letztere hat 
ausserdem ihre Nachtheile, welche ihrer ausgedehnteren Anwen¬ 
dung von vornherein im Wege stehen. Der Apparat will nicht 
nur bezahlt, sondern auch richtig verstanden und behandelt 
werden, beides Forderungen, welchen die Mehrzahl der Patienten 
nicht genügen kann. Nach erfolgter Streckung aber gilt es, durch 
einen weiteren Apparat den Erfolg zu sichern, da andernfalls ein 
Recidiv wahrscheinlich ist. 

Wir wenden uns zu den blutigen Methoden, die an 
Weiclitheilen und am Skelet angreifen können. 

Die kulissenartig vorspringenden, bei jedem Streckversuch 
sich anspannenden Beugesehnen der Kniekehle fordern zu 
ihrer Durch trennung auf, die unbedingt offen geschehen 
soll, sowohl um Nebenverletzungen zu vermeiden, als auch vun 
radikal vergehend benachbarte verkürzte Weichtheile durch- 
sehneiden zu können. 

Die plas tische Verlängerung der Sehnen an Stelle 
der queren Tenotomie ist meist unnöthig, die Regeneration der 
Sehnen bleibt nicht aus, ausser bei sehr erheblicher Winkel¬ 
stellung des Gelenkes, wo nach erfolgter Streckung die Diastase 
der Sehnenstümpfo übergross wird. In solchen Fällen aber pflegt 
ein bewegliches Gelenk nicht das Ziel unseres Eingriffes zu sein, 
da intraartikuläre Veränderungen vorliegen. Und dann ist es 
geradezu erwünscht, dass die Wiedervereinigung der Beugesehnen 
ausbleibt, damit der Muskelzug als Ursache eines Recidivs aus¬ 
geschlossen ist. 

Die Diastase der quer durchschnittenen Sehnen bewirkt eine 
Verlängerung der letzteren und mindert dadurch das Ueberwiegen 
der Flexoren über die Streckmuskulatur, welches Missverhältniss 
ja vielfach als direkte Ursache der Beugekontraktur angesehen 
wird. 

Jedenfalls aber beseitigen wir durch die Tenotomie einen 
Theil de9 Widerstandes, der sich der irgendwie zu erzielenden 
Geraderichtung entgegenstellt, wir beseitigen zugleich zum Theil 
die Gefahr, dass bei der Geraderichtung des Gelenkes die Sub¬ 
luxation der Tibia eintritt oder z unimm t. 

Auf der anderen Seite ist freilich zu bedenken, dass nach 
erfolgter Durchschneidung der 3 Beugesehnen Gefässe und 
Nerven eines wesentlichen Schutzes bei erfolgender Streckung 
lxjraubt sind, dass letztere also um so schonender ausgeführt wer¬ 
den muss. 

In jüngster Zeit ist statt der Flexorentenotomie die Ueber- 
pflanzung derselben auf die Streckmuskulatur von Heuss- 
lier empfohlen worden, mit der Begründung, dass allein schon 
durch diesen Eingriff eine Streckung der Kontraktur, wenn auch 
langsam zu Stande komme. 

Ich habe diese Operation bei paralytischen Kontrakturen 
schon wiederholt gemacht und habe gesehen, dass in der That 
die Bcugemuskeln zur Extension benutzt werden können. 

Ob diese Kraft hinreicht, um ernstere Kontrakturen oder gar 
fibröse Ankylosen zu strecken, darüber fehlt mir die Erfahrung, 
doch möchte ich es eher bezweifeln. 

Jedenfalls muss in Betracht gezogen werden, dass eine solche 
Verlagerung der Beuger zweierlei bewirkt, erstlich ein Minus auf 


der Beugeseite, ebenso wie die Tenotomie, und zweitens ein Plus 
auf der Extensorenaeite. Es wäre möglich, dass die erstgenannte 
Wirkung die wesentlichere und eine ausreichende ist, wofür der 
eine Heussuefsche Fall spricht, in dem trotz Eiterung und 
Ausstossung der Sehne ein Erfolg eintrat. 

Die Ueberpflanzung ist kein ganz einfacher Eingriff, da die 
Weichtheile in grosser Ausdehnung unterminirt werden müssen, 
da ferner die Sehnen nur knapp bis an die Patella heranreicheu, 
wodurch ihre sichere Befestigung erschwert wird. 

Eine spätere Rückverpflanzung der Beugesehnen, nachdem 
sie ausgedient haben, dürfte wenig aussichtsreich sein. Endlich 
ist die Ueberpflanzung nicht ausführbar, wo rings um das Gelenk 
schwieliges Narbengewebe, adhärente Fistelnarben u. dergl. vor¬ 
handen sind. Immerhin sind weitere Nachprüfungen des Ver¬ 
fahrens in geeigneten Fällen gewiss berechtigt und interessant. 

Von den Eingriffen am Skelet sei zuerst genannt die 
suprakondyläre Osteoklase. Dieselbe ermöglicht die Gerade- 
riohtung des Unterschenkels durch Erzeugung einer Dislokation 
an der Bruchstelle, einer Bajonettstollung, die um so hässlicher 
natürlich wird, je grösser der Beugungswinkel der Deformi¬ 
tät war. 

Die Osteoklase ist ein entschieden roher Eingriff, der im 
vorliegenden Fall aber gewichtigere als — sit venia verbo — nur 
aesthetische Bedenken gegen sich hat. 

Die Quetschung, der die Weichtheile der Kniekehle aus- 
gesotzt worden, die Zerrung, welche mit der Abknickung der 
Bruchstelle verbunden ist, sind namentlich dann gefährlich, wenn 
Gefässe und Nerven in derbes, unnachgiebiges Narbengewebe ein¬ 
gebettet liegen. Nach geschehener Osteoklase setzt sich der Ge¬ 
raderichtung des Beines dann noch der Widerstand der ge¬ 
schrumpften Weichtheile entgegen, der selbst nach der Tenotomie 
nicht verschwindet, es muss gewaltsam redreesirt werden und 
hiervon können schwere Störungen der Circulation und Läh¬ 
mungen die Folge sein. 

Einzelne der angeführten Bedenken fallen weg, wenn au 
Stelle der Osteoklase die lineäre Osteotomie tritt, was 
übrigens bei älteren Individuen selbstverständlich zu geschehen 
hat. Was aber hinsichtlich des Ersatzes der ursprünglichen De¬ 
formität durch eine neue, nämlich die Bajonettabknickung, und 
bezüglich der Gefährdung von Gerfäss und Nerv bei der Osteo¬ 
klase gesagt wurde, trifft ebenso für die Osteotomie zu. 

Weiter ist die keilförmige Osteotomie angewendet 
worden, deren Basis die Scheitelhöhe der Deformität einnimmt, 
während die Spitze des Keiles mit dem hinteren Rand der Gelenk¬ 
flächen zusammenfällt. Die Methode beseitigt bei hochgradigen 
Verkrümmungen die Hemmnisse, welche von Seiten des Skeletes 
der Geraderichtung entgegenstehen, sie berücksichtigt nicht die in 
den entsprechend hochgradig verkürzten Weichtheilen gegebenen 
Widerstände. Nach dieserhalb hinzugefügter Tenotomie sind 
dann Gefäss und Nerv ganz ebenso einer gelegentlich verhängniss- 
voll werdenden Dehnung ausgesetzt, wie nach der lineären Osteo¬ 
tomie bezw. Osteoklase. 

Anders liegen die Verhältnisse nach der typischen oder 
der von Helferich empfohlenen bogenförmigen Re¬ 
sektion. 

Hier wird nicht ein Keil, sondern ein Trapez ausgeschnitten, 
es werden auch die hinteren Knochen- resp. Gelenkabschnitte 
insoweit reeezirt, bis ohne bedrohliche Dehnung die Streckung 
dos Untorechcnkela möglich ist. 

Ein unvermeidlicher Nachtheil dieses Verfahrens ist die er¬ 
zeugte Verkürzung des Beines, die unangenehm ist, weil häufig 
bereits eine Wachsthumsverkürzung vorliegt, die aber doppelt 
iu’s Gewicht fällt, wenn eine Verletzung der Epiphysenfugen ge¬ 
setzt wurde. 

Dio Masse des geopferten Knochens bleibt geringer, wenn 
nach Helferich bogenförmige Sägeflächen angelegt werden. 

Selbstverständlich müssen wir bestrebt sein, die genannte 
Schädigung mögliclist gering zu gestalten, durch möglichst spar¬ 
same Resektion. Doch darf diese Sparsamkeit nicht so weit ge¬ 
trieben werden, dass darunter der erstrebte Erfolg der Operation, 
die Streckung ohne gefährliche Ueberdehnung der Weichtheile, 
leidet-. 

Ein weiterer Nachtheil, den die Resektion mit der keil¬ 
förmigen Osteotomie gemein hat, im Gegensatz zur suprakondy- 
lären Osteotomie, ist die definitive Zerstörung dee Gelenkes, die 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1957 


Erzeugung einer Ankylose in Strecksteilung. W’ie Eingangs aus¬ 
einandergesetzt wurde, handelt es sich aber bei hochgradigen 
Beugestellungen fast ausnahmslos um bereits zerstörte und anky- 
losirte Gelenke, so dass die Resektion nur in seltenen Fällen zu¬ 
gleich die Opferung eines bis dahin partiell beweglich gewesenen 
Gelenkes bedeutet. 

Den genannten Nachtheilen stehen erhebliche Vorzüge der 
Resektion gegenüber. 

Die Streckung gelingt vollkommen und ohne gefährliche Ge¬ 
waltanwendung. Es bleibt kein federnder Widerstand der Weich- 
theile zurück, der im Verband Decubitus, später erneute Beuge¬ 
stellung veranlassen könnte. Gerade die erzeugte ossäre Anky¬ 
lose bietet, wenn nicht absoluten, so doch weit besseren Schutz 
gegen ein Recidiv der Deformität als jede andere Methode. 

Ferner aber werden durch die Resektion alle Reste der Tuber¬ 
kulose eliminirt, ein nicht zu unterschätzender Gewinn, da be¬ 
kanntlich nicht selten das infektiöse Material zwar durch Ab¬ 
kapselung temporär unschädlich gemacht wird, unter der Ein¬ 
wirkung eines Traumas aber Veranlassung zu erneuter Entzün¬ 
dung geben kann. 

Solchen Eventualitäten beugt am sichersten die Resektion 
vor, die häufig derartige alte Herde aufdeckt und gründlich aus 
dem Körper hinausschafft. Gerade die bestehende Abkapselung 
erleichtert die radikale Entfernung alles Krankhaften. Die Ein¬ 
fachheit und die Sicherheit bezüglich des Erfolges, die geringe 
Anforderungen an Arzt und Angehörige stellende Nachbehand¬ 
lung sind Vortheile, welche den Werth der Resektion namentlich 
in der poliklinischen Praxis steigern. 

Die Auswahl unter all’ den genannten Verfahren wird nun 
gewiss entsprechend den persönlichen Neigungen und Er¬ 
fahrungen des Arztes, entsprechend auch den Verhältnissen und 
Wünschen des Patienten, etwas verschieden ausfallen. Aber im 
grossen Ganzen glaube ich doch, dass die im Vorausgehenden ge¬ 
gebene Kritik der verschiedenen Methoden uns Anhaltspunkte 
liefert, deren Beachtung dem Arzt wie dem Patienten zum Vor¬ 
theil gereicht. 

Handelt es sich um eine reine Kontraktur ge¬ 
ringen Grades, jungen Datums und ohne Ge¬ 
lenkveränderung, so wird die Flexorentenotomie 
gemacht und dann das Redressement ausgeführt. 

Der feste Verband bleibt mindestens 6 Wochen liegen, um 
vor erneuter Sehnenverkürzung zu schützen. Dann werden 
Massage und Bewegungen vorsichtig ausgeführt, daneben natür¬ 
lich Bäder angewendet. Während der Nacht wird die Streck¬ 
stellung durch eine genügend lange und versteifte Lederhülse 
mit seitlicher Schnürung gesichert. Ein gut bewegliches Knie¬ 
gelenk ist in diesen seltenen Fällen beabsichtigt. Wird jeglicher 
operative Eingriff verweigert und gestatten es die Verhältnisse, 
so kann die Streckung auf mechanischem Weg durch Hülsen- 
npparat. versucht worden. 

Die dadurch erzielte Extension muss lange beibehalten wer¬ 
den, um der Dehnung der Flexoren nicht wieder verlustig zu 
gehen. Die Kur dauert also erheblich länger als beim operativen 
Verfahren. 

Ist die reine und massige Kontraktur alten 
Datums, so empfiehlt sich Tenotomie und suprakon- 
dyläre Osteotomie. Die Nachbehandlung geschieht wie 
vorhin angegeben. 

Beabsichtigt ist nicht eine Zunahme der Bewegungsweite, 
sondern eino Verlagerung derselben in der Richtung der Ex¬ 
tension. 

Ist die Kontraktur zwar rein, aber durch erhebliche 
Narbenbildung, Muskelinfiltration u. dergl. komplizirt, so 
ist das Redreesement in einer Sitzung, wie die Osteotomie, ge¬ 
fährlich. Ist der Beugungswinkel verhältnissmäaaig gering, so 
mache man die Tenotomie und versuche langsam in Etappen 
oder mit portativem Apparat zu strecken. Ist aber der Beu¬ 
gungswinkel grösser, d. h. beträgt der nach hinten geöffnete 
Winkel der Deformität 13 5 0 oder weniger, so ist die Re¬ 
sektion angezeigt, einerlei ob Narbenschrumpfung nach Eite¬ 
rung vorliegt oder nicht. 

Besteht eine Ankylose, so ist ebenfalls nach voraus¬ 
geschickter Tenotomie. der Flexoren die Resektion auszu¬ 
führen, ohne Rücksicht auf Art, Grad und Alter der Deformität. 


Fast immer lässt sich die Gelenkspalte finden, so dass das 
(jelenk unter schrittweiser Durchschneidung resp. Durchmeisse- 
limg der Verwachsungen in typischer Weise geöffnet und nach Be¬ 
darf resezirt werden kann. 

Nach genauer Adaption der Sägeflächen wird die Wunde 
völlig geschlossen. Das Bein kommt in exakter Strecksteilung 
sofort in einen Gipsverband, der 12 Wochen liegen bleibt. Dann 
wird die bereits Vorgefundene Ankylosirung weiter gefördert 
durch Ruhigstelluug in einer Lederhülse. Die Verkürzung wird 
alsbald im Stiefel ausgeglichen, falls sie IVz —2 cm überschreitet. 
Eino leichte Verkürzung ist erwünscht, um trotz steifen Knie¬ 
gelenkes das Bein gut vorwärts zu bringen. 

Die Befolgung dieser Kegeln hat sich mir bei der Behandlung 
von etwa 100 Kniekontrakturen tuberkulöser Natur bewährt, 
während Abweichungen gelegentlich Enttäuschung und selbst 
üble Zufälle gebracht haben. 

Ich kann nicht glauben, dass das Princip der absoluten Scho¬ 
nung des Skeletes auf Kosten der Weichtheile in der Therapie 
der tuberkulösen Kniekontraktur die Richtschnur unseres Han¬ 
delns abgeben darf. Denn das Werthverhältniss zwischen 
Knochen und Weiclitheilen ist ein anderes am Kniegelenk als 
etwa am angeborenen Klumpfuse, wo die Aufstellung des ge¬ 
nannten Princips eine segensreiche Umwandlung der Therapie 
zur Folge gehabt hat. 


Aus dem Neuen Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf. 

lieber den diagnostischen Werth der Röntgenstrahlen 
in der inneren Medicin. 

Von Dr. Heinrich Hildebrand, früherem Sekundär¬ 
arzt des Krankenhauses, jetzigem Physikus in Hamburg. 

Schon bald nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen be¬ 
mächtigten sich auch die inneren Mediciner dieses neuen dia¬ 
gnostischen Hilfsmittels und versuchten dasselbe ihren Interessen 
dienstbar zu machen. So wurde auch im Eppendorfer Kranken¬ 
hause schon früh mit der Verwendung der Röntgenstrahlen bei 
inneren Krankheiten begonnen und in Erkenntniss der Wichtig¬ 
keit des Verfahrens wurde auf Veranlassung von Prof. Rumpf 
im Frühjahr 1897 ein eigenes Institut für die innere Abtheilung 
eingerichtet. 

Den folgenden Besprechungen liegen die in diesem Institut 
gemachten Erfahrungen zu Grunde, welche an mehreren Tausend 
von Aufnahmen und zahlreichen Durchleuchtungen gewonnen 
wurden. 

Bei dem sehr umfangreichen Material des Eppendorfer 
Krankenhauses sind im Lauf der Zeit eine grosse Menge inter¬ 
essanter Befunde erhoben worden, jedoch wurden dieselben 
meistens nicht veröffentlicht, einmal, weil ein Theil derselben 
Seltenheiten sind und ihre Veröffentlichung nur Verwirrung zu 
stiften geeignet ist, solange über die regelmässigen Befunde noch 
Meinungsverschiedenheiten herrschen, dann, weil wir selbst erst 
Erfahrungen sammeln wollten und uns von einer späteren zu¬ 
sammenfassenden Besprechung der gewonnenen Resultate 
grösseren Nutzen versprachen. 

Jetzt, nach vierjährigem Bestehen des Instituts, nachdem 
wir die Röntgenstrahlen bei den verschiedensten inneren Leiden 
in Anwendung gebracht haben, glauben wir uns ein Urtheil über 
den Werth derselben bei den einzelnen Krankheiten erworben zu 
haben. 

Was die Literatur über den Gegenstand anlangt, so ist die¬ 
selbe bereits eine recht umfangreiche. Ein grosser Theil der 
Arbeiten sind Einzelmittheilungen interessanter Fälle, doch gibt 
es auch eine Reihe von zusammenfassenden Arbeiten. 

Auffallend ist es, dass die Urtheile über den Werth der 
Röntgenstrahlen, zu denen die einzelnen Autoren kamen, noch 
recht verschiedene sind. 

Während von den Einen berichtet wird, dass mit Hilfo der 
Röntgenstrahlen alle möglichen Krankheiten diagnostizirt werden 
können, welche uns sonst verborgen bleiben würden, während 
diese also den Werth der Strahlen als einen sehr grossen preisen, 
fehlt es nicht an Stimmen, welche ermahnen, nicht Unmögliches 
zu verlangen, und welche vor Allem davor warnen, aus einzelnengut 
gelungenen Aufnahmen Schlüsse auf die Allgemeinheit zu ziehen 
und nach einzelnen Bildern, welche vielleicht Raritäten sind, 
über den diagnostischen Werth der Röntgenstrahlen bei be¬ 
stimmten Krankheiten ein Urtheil zu fällen. 

1 * 


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1958 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. :,F 


No. 49. 


Der letztere Standpunkt ist, wie ich schon hier hervor¬ 
heben möchte, auch der unserige. Einzelne Bilder, so interessant 
sie zuweilen sind, beweisen nichts für die Brauchbarkeit der 
Methode; denn der Nachweis einer Veränderung, welcher einmal 
unter besonders günstigen Verhältnissen geglückt ist, missräth 
vielleicht in Dutzenden von anderen Fällen. 

Dazu kommt, dass man bei der Deutung von Röntgenbildern 
mancherlei Täuschungen ausgesetzt ist und man schon desshalb 
mit seinen Schlussfolgerungen bei einzelnen Bildern vorsichtig 
sein sollte. 

Je mehr Bilder man sieht, um so öfter wird man Befunde, 
welche man früher erhoben zu haben glaubte, als Täuschungen 
erkennen und um so vorsichtiger wird man werden. Dann wird 
man aber auch zugeben, dass es nicht möglich ist, wie viele 
Autoren glauben und behaupten, mit Hilfe der Röntgenstrahlen 
die meisten Krankheiten mit Sicherheit zu diagnostiziren. 

Ich beginne unsere Besprechung mit dem Körperabschnitt, 
dessen Durchleuchtung von vornherein am meisten Erfolg ver¬ 
spricht, dem Thorax, und wende mich zunächst den Lungen zu. 

Da die Lungen wegen ihres grossen Luftgehaltes leicht 
durchgängig für Röntgenstrahlen sind und Veränderungen, z. B. 
verdichtete Stellen, sich als Schatten im Röntgenbild präsentiren 
müssen, so lag von vornherein der Gedanke nahe, dass die 
Röntgenstrahlen im Stande sein würden, Erkrankungen der 
Lungen schon zu einer Zeit aufzudecken, ehe dies mit unseren 
übrigen Untersuchungsmethoden möglich sei. Bei der unge¬ 
heuren Wichtigkeit, welche besonders die Frühdiagnose der 
Phthise hat, wurden von vornherein Versuche in dieser 
Richtung angestellt. In ihren Schlussfolgerungen sind die 
Autoren aber absolut nicht einig. Eine ganze Reihe derselben 
ist begeistert von ihren Resultaten und sie behaupten, m i t 
Sicherheit die Diagnose Phthise zu einer Zeit stellen zu 
können, wo es mit anderen Untersuchungsmethoden noch nicht 
gelingt, andere dagegen versichern, die Röntgenuntersuchung 
bei Spitzenaffektionen leiste absolut nicht mehr, wie die bis¬ 
herigen Methoden. 

Auf Grund der grossen Menge von Brustaufnahmen, welche 
wir hier gemacht haben, schliessen wir uns der letzteren Ansicht 
voll und ganz an. 

Zunächst möchte ich betonen, dass, um feine Veränderungen 
an den Lungen zu studiren, die Durchleuchtung mit Hilfe des 
Scliirmes durchaus unzureichend ist. Solch’ feine Details, wie 
man sie hier beobachten muss, gibt der Schirm, welcher viel 
weniger empfindlich ist als die Platte, nicht her. Bei der Ver¬ 
vollkommnung der Apparate ist es uns jetzt möglich, Aufnahmen 
bei völligem Stillstand der Lungen zu machen, so dass wir auf 
der Platte ganz scharfe Bilder der Thoraxorgane erhalten. Ich 
stimme desshalb bezüglich der Lungen durchaus mit Z i ein s s e n 
und Rieder überein, welche der Platte vor dem Schirm den 
Vorzug geben. Ich möchte hier einschalten, dass wir von der 
Methode, sog. Momentbilder mit einer Expositionsdauer von 
1—5 Sekunden herzustellen, wieder mehr abgekommen sind. Die 
Bilder werden besser, kontrastreicher, wenn man länger ex- 
ponirt, und dies ist, wenn die Kranken den Athem anhaltcn, 
ganz leicht ausführbar. . Wir exponiren jetzt gewöhnlich 30 Se¬ 
kunden. Die Kranken werden vor der Aufnahme aufgefordert, 
einige Mal schnell hinter einander zu athmen, um möglichst viel 
Sauerstoff aufzuspeichern; dann müssen sie bei tiefer Inspiration 
den Athem anhalten. Auf diese Weise halten die Kranken be¬ 
quem 30—45 Sekunden still. 

Der von Rieder [11] gerühmte Vorzug der Momentauf¬ 
nahmen, dass keine Verbrennungen bei denselben möglich seien, 
ist nur ein theoretischer, denn auch bei einmaliger Zeitaufnahme 
kommen keine Verbrennungen vor, wir haben wenigstens bei 
Tausenden von Aufnahmen keine gesehen. 

Kehren wir zur Besprechung der beginnenden Lungen¬ 
phthise zurück. Wenn man eine grössere Reihe normaler 
Lungen im Röntgenbilde betrachtet, so wird man finden, dass 
die Lungenspitzen sich sehr verschieden verhalten. Die Gegend 
der Lungenspitzen ist für das Röntgenbild recht ungünstig. 
Hier sieht man den Schatten der ersten Rippe, welche so deut¬ 
lich wie keine andere Rippe in ihrer ganzen Länge sichtbar ist, 
ferner sieht man den Schatten der Clavicula und endlich den 
der Hals- und Schultermusculatur. Besonders der letztere wird, 
da die Musculatur bei dem einen Menschen sehr kräftig, bei 
dem anderen sehr mässig ist, verschieden ausfallen und Unter¬ 


schiede des Bildes bewirken. So kommt es, dass bei normalen 
Menschen, welche nie ein Lungenleiden gehabt haben, häufig 
die Gegend der Lungenspitzen weniger durchleuchtet ist und 
einen stärkeren Schatten gibt, als die übrige Lunge. Auf diesen 
diffusen Schatten darf man nicht den geringsten Werth legen. 

Was aber die deutlich abgegrenzten Herde in den Lungen¬ 
spitzen anlangt, so ist es uns nie gelungen, solche mit Sicher¬ 
heit nachzuweisen, wenn sich mittels Auskultation und Per¬ 
kussion keine Veränderungen hatten feststellen lassen. Wir haben 
eine Menge suspecter Kranker untersucht und trotz sehr guter 
Bilder, auf welchen der Bronchialbaum in grosser Schärfe zu 
sehen war, keine sicheren Veränderungen nachweisen können. 
Fanden wir Veränderungen, so waren auch klinische Symptome 
vorhanden. Bei der geringen Dicke der Lungen an der Spitze 
lässt sich von vomeherein nichts anderes erwarten. Die Herde 
müssen, um durch die Halsmusculatur hindurch einen Schatten 
zu geben, immerhin eine gewisse Ausdehnung haben, und wenn 
eie diese haben, so müssen sie auch für die Auskultation und 
Perkussion zugänglich sein, da sie sich nicht weit von der Ober¬ 
fläche befinden. 

Ich glaube, dass man nicht berechtigt ist, auf das Röntgen¬ 
bild allein, beim Fehlen eines sonstigen physikalischen Befundes, 
die Frühdiagnose Phthise zu stellen und daraufhin eingreifende 
Maassregeln anzuordnen, ich bin vielmehr der Ansicht, dass 
das Röntgenbild bei Spitzenaffektionen nicht 
mehr leistet, als die übrigen Untersuchungs¬ 
methoden. 

Man sollte sieh desshalb in der Praxis die Röntgenunter¬ 
suchung bei zweifelhaften Fällen von Lungenphthise ruhig er¬ 
sparen. 

Genau dasselbe gilt von den vorgeschrittenen Fällen, bei 
welchen es sich um den Nachweis von Cavemen handelt. Ueber 
diesen Punkt wird von einigen Autoren ziemlich kritiklos be¬ 
richtet. Man kann lesen, dass das Röntgenverfahren für die 
Diagnose der Cavernen ausserordentlich wesentlich sei, dass man 
nur durch dieses einen Aufschluss über Zahl und Grösse 
der Cavernen erlangen könne. Es gibt sicherlich einige sehr 
klare und eindeutige Fälle; im Allgemeinen aber hüte ich mich, 
auf ein Röntgenbild allein die Diagnose „Caveme“ zu stellen. 
Sind auch sonstige Cavernensymptome vorhanden und finde ich 
an der betreffenden Stelle von dichtem Schatten umgebene, 
runde, lufthaltige Partien, so halte ich diese für Cavernen; sind 
keine sonstigen Cavernensymptome da, so kann die lufthaltige 
Stelle ebenso gut gesundes Lungengewebe sein. Wer viel Lungen¬ 
platten gesehen hat, wird mir Recht geben, wenn ich behaupte, 
dass es in den meisten Fällen unmöglich ist, lufthaltiges Lungen¬ 
gewebe in einer theilweise erkrankten Lunge von Cavernen zu 
unterscheiden, dass hier Täuschungen an der Tagesordnung sind 
und dass es desshalb eine gewagte Behauptung ist, dass uns erst 
das Röntgenbild über Zahl und Ausdehnung der Cavernen Auf¬ 
schluss gebe. 

Einige interessante Befunde liefert indessen das Röntgen¬ 
bild auch bei der Lungenphthise, wenn dieselben auch für 
die Diagnose nicht wichtig sind. 

So wird man in vielen Fällen durch das Röntgenbild darüber 
belehrt, dass die Krankheit schon viel weiter fortgeschritten 
ist, dass die Herde im Centrum schon viel zahlreicher sind, als 
man von vornherein vermuthet hatte. 

Diese schon längst am Sektionstisch gemachte Erfahrung 
kann man sich jetzt schon am Lebenden bestätigen lassen. 

Ferner fiel mir häufig die starke Schrumpfung der er¬ 
krankten Brustseite auf, welche sich durch das Röntgenbild 
schon in frühen Stadien nachweisen liess, ehe man nach der 
Inspektion an eine solche dachte. Dieselbe äussert sich zunächst 
in einer Abknickung der Rippen nach unten, welche dadurch 
sich selbst und der Wirbelsäule genähert werden, ferner in einer 
früh auf tretenden Verbiegung der Wirbelsäule nach der er¬ 
krankten Seite hin. Durch Beides wird der Pleuraraum der be¬ 
treffenden Seite verkleinert. In einzelnen frischen Fällen war 
es noch nicht zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule ge¬ 
kommen, sondern nur zu einer Torsion der Wirbelkörper nach der 
erkrankten Seite hin, während die Processus spinosi noch eine 
gerade Linie bildeten. 

Sehr viel mehr als bei der Tuberkulose leistet das Röntgen¬ 
bild bei anderen Erkrankungen der Lunge, besonders wenn ee sich 
um central gelegene Erkrankungsherde handelt, welche weit von 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1959 


der Oberfläche der Lunge entfernt liegen und durch Perkussion 
und Auskultation nicht nachgewiesen werden können. Bei diesen 
centralen Herden liefert wirklich keine andere Untersuchungs¬ 
methode ähnlich sichere Resultate und man sollte bei Verdacht 
auf solche das Röntgenverfahren wenn irgend möglich zu Hilfe 
nehmen. 

Von besonderer praktischer Wichtigkeit ist in dieser Be¬ 
ziehung die Lungengangraen. 

Wir haben eine Reihe vou Fällen beobachtet und wegen 
der Wichtigkeit, welche dieselben haben, seien einige kurz ge¬ 
schildert : 

Der erste Fall, welchen wir untersuchten, betraf eine Frau 
in mittleren Jahren, welche schon seit längerer Zeit reichlichen 
übelriechenden Auswurf hatte und immer mehr herunterkam. 
Perkutorisch und auskultatorisch war der Gangränherd, um 
welchen es nach dem klinischen Bilde handeln musste, nicht mit 
.Sicherheit zu koustatiren; es fand sich zwar eine verdächtige 
Stelle hinten links, doch waren die Erseheiuuugeu nicht deutlich 
genug, um ein operatives Eingehen an dieser Stelle zu recht- 
fertigen. Die itöntgeiiaufnähme ergab nun ein sehr überraschen¬ 
des Resultat: entsprechend jener verdächtigen Stelle fand sich ein 
etwa 3 Finger breiter und ebenso langer, ganz scharf abge¬ 
grenzter dunkler Schatten in Mitten völlig 
freien Lungengewebes. Es wurde sofort die Operation 
vorgeuommen; an der betreffenden Steile wurde eiugegangeu und 
eine Rippe resecirt Die Pleura war verwachsen, beim weiteren 
Vordringen kam man sofort auf einen gangraenösen Lungenherd, 
welcher ausgeräumt und tamponirt wurde. Die Heilung ging gut 
von Statten. Leider starb die Patientin mehrere Monate später 
aus anderer Ursache. 

Einen ähnlichen Fall bekamen wir bald nachher in Behand¬ 
lung. Ein Junger Mann, der bis dahin immer gesund gewesen war, 
erkrankte an Lungenentzündung. Nach Ablauf der Haupterschei¬ 
nungen wollte er sich nicht wieder recht erholen, nach einiger Zeit 
bekam er wieder Fieber und reichlichen stinkenden Auswurf. Bei 
der Aufnahme konstatlrten wir links hinten unten eine Dämpfung, 
aufgehobenes Athmungsgeräusch etc.; offenbar war hier ein Er¬ 
guss. Nach mehrmaligen vergeblichen Punktionen gelang es end¬ 
lich mit der Spritze, stinkenden Eiter herauszubekommen. Es 
war nun klar, dass es sich um eineu Guugraenherd in der Lunge 
mit Durchbruch und sekundärem abgekapselten Empyem handle. 
Um über den Sitz des primären Lungenherdes Aufschluss zu ge¬ 
winnen, machte ich eine Röntgenaufnahme. Das Resultat war sehr 
befriedigend: Man sah entsprechend der Dämpfung einen gleich- 
massigen Schatten in den unteren Partien der Lunge. Am oberen 
Rande dieses Schattens erkannte man aber einen ziemlich scharf 
begrenzten, viel dichteren Schatten von ca. 5 cm Durchmesser, 
welcher offenbar dem Gangraenlierd entsprach. Ich resecirte an 
dieser Stelle eine Rippe und kam, nachdem der sehr spärliche Eiter 
des Empyems abgetlossen war, mit dem Finger in eine Lungen¬ 
höhle, in welcher einige kirschgrosse Lungensequester lagen. 

Der Fall verlief ausserordentlich günstig; der stinkende Aus¬ 
wurf hörte sofort auf, das Fieber verschwand. Pat erholte sich 
prächtig. Bei seiner Entlassung hatte er noch eine kleine, mit 
einem Bronchus communieirende Fistel. Vor einigen Wochen 
schrieb er, dass die Fistel geschlossen und er völlig gesund sei. 

Der 3. Fall betraf einen Kranken, bei welchem die Diagnose 
Lungengangraen feststand, bei welchem auch ln der rechten Lunge 
ein Herd durch Perkussion etc. nachgewiesen werden konnte. 
Pat. sollte operirt werden, vorher jedoch wurde noch eine Rönt¬ 
genaufnahme gemacht. Auf der Platte sah man nun nicht nur 
einen scharf umschriebenen Schatten an der bereits bekannten 
Stelle in der rechten Lunge, sondern noch einen zweiten kleineren 
ln der linken Lunge. Es wurden desshalb multiple Gangraen- 
herde angenommen und von einer Operation abgesehen. Pat. starb 
nach einiger Zeit. Die Sektion bestätigte die Diagnose: Ausser 
den beiden auf der Platte sichtbaren grösseren Herden fanden 
sich noch einige andere, ganz kleine Gangraenherde in anderen 
Thellen der Lunge. Das Röntgenbild hatte uns hier also vor einer 
ganz zwecklosen Operation bewahrt. 

Noch einen ähnlichen Fall bekamen wir kurz darauf zur Be¬ 
obachtung. Auch hier handelte es sich um multiple Gangraen¬ 
herde, welche auch klinisch angenommen worden waren. Im 
Röntgenbild sah man eine grössere Zahl Uber die Lunge ver¬ 
streuter kleiner Herde. Bei der Sektion fanden sich dement¬ 
sprechend zahlreiche kleine gangraenöse Herde. 

Aus den angeführten Fällen dürfte zur Genüge hervor¬ 
gehen, von welch’ unschätzbarem Vortheil die Röntgenunter¬ 
suchung bei Lungengangraen ist; sie liefert uns nicht nur Auf¬ 
schluss über den Sitz der Herde, sondern wir gewinnen durch 
sie auch Anhaltspunkte für die Prognose und die Therapie. 

In ähnlicher Weise lassen sich natürlich auch andere central 
gelegene Krankheitsherde nachweisen und lokalisiren. So haben 
Levy-Dorn und Za deck [9] einen Fall von Lungen - 
echinococcus beschrieben, bei dem in beiden Lungen runde, 
scharf begrenzte Schatten sichtbar waren. Von Anderen sind 
Lungentumoren nachgewiesen. Auch wir haben Lungen¬ 
tumoren im Röntgenbild gesehen. Bezüglich der letzteren wird 
No. 49. 


besonders von Leo [3] betont, dass über die Grösse und Aus¬ 
dehnung der Tumoren nur das Röntgenbild Aufschluss gibt, 
während Perkussion und Auskultation versagen oder wenigstens 
die. Ausbreitung der Geschwulst viel geringer erscheinen lassen, 
als sie wirklich ist. 

Fremdkörper in den Lungen sind in grosser Zahl durch 
Röntgenstrahlen nachgewiesen, und dass hier in vielen Fällen 
nur das Röntgenbild uns in den Stand setzt, den Sitz der Fremd¬ 
körper zu erkennen, bedarf wohl kaum der Erwähnung. 

Wir hätten noch einige andere Erkrankungen der 
Lunge, bei welchen es sich nicht um einzelne Herde handelt, 
zu besprechen, und es wäre zu untersuchen, was hier das Röntgen¬ 
bild leistet. 

Bei der Lungenentzündung finden wir einen der 
Dämpfung entsprechenden mehr oder weniger dichten Schatten, 
welcher weiter keine Besonderheiten bietet. Einzelne Autoren 
haben geglaubt, aus der Art der Schatten Schlüsse auf die Pro¬ 
gnose ziehen zu können; einer strengen Kritik halten diese Be¬ 
hauptungen wohl kaum Stand. Die Schatten bieten nichts 
Charakteristisches und man erfährt durch sie nicht mehr, als man 
schon wusste. * 

Aehnlich ist es mit der Pleuritis. Schwartenbildungen oder 
Exsudate, welche man klinisch nachgewiesen hat, kann man sich 
durch das Röntgenbild bestätigen lassen, Neues wird man nicht 
finden; höchstens Kalkablagerungen in alten Schwarten, welche 
scharf zur Darstellung kommen. 

Wenn französische Forscher (vgl. Dollinger [12]) an¬ 
geben, dass pleuritische Exsudate, in sitzender Stellung des 
Patienten aufgenommen, eine scharfe, in gerader Linie ver¬ 
laufende obere Grenze haben, so können wir dies im Allgemeinen 
nicht bestätigen und stimmen darin mit Stembo [20] überein, 
welcher meist eine nach aussen abfallende Zickzacklinie fand. 
Auch wir fanden die obere Grenze beim einfachen Exsudat ge¬ 
wöhnlich unregelmässig. Es ist dies von vornherein anzunehmen, 
denn wenn keine Luft, sondern nur Lunge und Exsudat im 
Pleuraraum vorhanden ist, so ist das Exsudat nicht in der 
Lage, eine ganz wagerechte Oberfläche zu bilden, besonders wenn 
die Lunge verwachsen ist. 

Bildet bei einem Exsudat die obere Grenze im Röntgenbild 
eine ganz scharfe, wagerechte Linie, so ist der Verdacht ge¬ 
rechtfertigt, dass gleichzeitig Luft im Pleuraraum ist, dass es 
sich um einen Pyo- oder Hydro - P n e u m o thorax handelt. 
In diesen Fällen steigt die Luft neben der Lunge in die Höhe, 
die Flüssigkeit kann sich nach unten senken und nun kommt 
ein horizontaler Flüssigkeitsspiegel zu Stande. Die Röntgen¬ 
bilder des Pyo- oder Hydro-Pneumothorax sind 
sehr charakteristisch. Der Kontrast zwischen der oben liegen¬ 
den, stark durchleuchteten Luftblase und dem Schatten des Ex¬ 
sudats, ferner die scharfe, linienförmige Begrenzung beider lassen 
die Diagnose, auf den ersten Blick stellen. Es sind eine ganze 
Reihe von Fällen veröffentlicht worden (s. D o 11 i n g e r [12], 
Kienböck [6], Stembo [20]). Auch mit Hilfe des Schir¬ 
mes sind interessante Beobachtungen über die Bewegungen des 
Flüssigkeitsspiegels, welche in Folge der Athmung und des Herz¬ 
schlags eintreten, gemacht worden. Die Untersuchungen sind 
lehrreich und man kann dieselben gelegentlich nachprüfen. 
Wichtiges für die Diagnose hat die Untersuchung des Pyo- 
pneumothorax jedoch nicht ergeben. 

Anders steht es mit dem reinen Pneumothorax. Es kann, 
wie auch A r n sperge r [31] hervorhebt, Fälle geben, in wel¬ 
chen die klinische Diagnose aus irgend welchen Gründen nicht 
gelingt oder wenigstens nicht ganz sicher gelingt, und hier sind 
wir im Stande, mittels der Röntgenstrahlen die Diagnose zu 
stellen. Wir selbst verfügen über einen lehrreichen Fall dieser 
Art. Derselbe wird demnächst ausführlicher an anderem Orte 
veröffentlicht werden; ich will ihn desshalb nur kurz erwähnen. 

Ein Junger Mann kam in das Krankenhaus wegen verschieden¬ 
artiger neurasthenischer Beschwerden; Klugen, welche auf eine 
Erkrankung der Lunge hinwiesen, äusserte er kaum. Bei der 
Untersuchung der Lunge fand sich, dass rechts die unteren Gren¬ 
zen herabgerückt waren. Die Perkussion ergab Uber der ganzen 
rechten Seite einen dumpfen Perkussionsschall; bei der Auskul¬ 
tation hörte man rechts überall auffallend leises Athemgeräusch; 
es wurde an Emphysem, Brouchostenose und Pneumothorax ge¬ 
dacht; letzteres erschien aber wegen Mangels subjektiver Sym¬ 
ptome zweifelhaft. Durch die Röntgenuntersuchung konute nun 
deutlich nachgewiesen werden, dass es sich doch um einen Pneumo¬ 
thorax handelte. Das Herz war etwas nach der anderen Seite 
verlagert, das Zwerchfell nach abwärts gedrängt. Der ganze 


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MUKNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


Pleurasack war leer, und an der Wirbelsäule, ln der Gegend des 
Lungenliilus, sah man die zusuinmengesunkene Lunge, deren 
Grenze sich durch eine scharfe convexe Linie gegen den leeren 
Pleuraraum abgrenzte. 

Interessant war der weitere Verlauf, den wir mittels Röntgen¬ 
aufnahmen verfolgten. Wir konnten konstatiren. wie die Lunge 
sich laugsam ausdehnte; der an der Wirbelsäule belegene Schatten 
wurde Immer grösser — man erkannte in Ihm die* astförmig ver¬ 
laufenden Bronchien — und füllte schliesslich wieder die ganze 
Pleura aus. 

Patient wurde entlassen: nach einiger Zeit stellte er sich aber 
wieder ein; das Rünlgenbild belehrte uns. dass die Lunge wieder 
zusammengosunkon war. dass sich ein neuer Pneumothorax aus¬ 
gebildet hatte. Die Crsaclie des Pneumothorax blieb in diesem 
Fall völlig unbekannt; es Hess sich an den Lungenspitzen nichts 
Krankhaftes nachweisen, auch im Köutgenbild zeigten dieselben 
keine Veränderungen. 

Wir hatten Gelegenheit, noch mehrere Patienten mit 
Pneumothorax zu untersuchen. Das Bild war immer das gleiche; 
dasselbe ist sehr typisch: 

Da an den mit Luft gefüllten Stellen des Pleuraraums der 
Schatten der Lunge wegfällt, so erscheinen diese Partien auf 
der Platte stärker durchleuchtet; die Schatten der Rippen mar- 
kiitm sich hier sehr scharf, die Schatten des Bronchialbaums 
fehlen; Jemand, der Hebung hat im Auslegen von Platten, er¬ 
kennt, dass der Pleuraraum leer ist. Die geschrumpfte 
Lunge sicht., man am Hilus oder, je nachdem Verwachsungen 
da sind, an anderer Stelle oben oder unten. Charakteristisch 
ist die scharfe Abgrenzung des Lungenrandes gegen den leeren 
Pleurasack. Diese Grenze muss zu sehen sein, wenn man die Dia¬ 
gnose auf Pneumothorax stellen will. Die Lunge selbst ist ent¬ 
weder so stark geschrumpft, dass man nur einen gleichmässig 
dichten Schatten sieht, oder bei weniger starker Schrumpfung 
erkennt man noch deutlich die Verästelung des Bronchialbaumes 
in demselben. Arnsperger [31] glaubt einen durch¬ 
greifenden Unterschied zwischen traumatischem und entzünd¬ 
lichem (d. h. nach Lungenerkrankungen entstandenem) Pneumo¬ 
thorax machen zu können; er gibt an, dass beim traumatischen 
Pneumothorax dio Lunge in der Gegend des Hilus belegen sei. 
beim entzündlichen in der Gegend der Spitze. Oefters liegen 
die Verhältnisse so, wie Arnsperger sie schildert, öfters 
aber auch nicht. Eine völlig freie Lunge wird sieh beim trauma¬ 
tischen Pneumothorax nach dem Ililus zurückziehen; sie wird 
dies aber nicht können, wenn sie in Folge früherer Verwachs¬ 
ungen fixirt ist. 

Ferner braucht die Lunge bei dem durch Krankheiten be¬ 
dingten Thorax nicht immer an der Spitze verwachsen zu sein; 
es ist dies zwar meist der Fall, da es sieh gewöhnlich um Tuber¬ 
kulose handelt, jedoch kommen auch Verwachsungen au an¬ 
deren Stellen vor; wir haben einen Fall, hei welchem die ganze 
Lunge unten am Zwerchfell vorwachsen war und beim Ein¬ 
tritt des Pneumothorax in den Winkel zwischen Wirbelsäule und 
Zwerchfell zusammengedrängt wurde, und einen anderen, bei 
welchem nur ein auf die Spitze beschränkter Pneumothorax be¬ 
stand. 

Sodann befand sich die Lunge bei dem oben erwähnten 
Patienten mit Pneumothorax deutlich in der Gegend des IIüus; 
hier war zwar die Aetiologie unbekannt, aber sicher handelt es 
sich um keinen traumatischen Pneumothorax. 

Einen ähnlichen interessanten Fall hatten wir endlich noch 
vor Kurzem zu beobachten Gelegenheit: 

Es handelte sich ebenfalls um eineu ohne akute Erscheinungen 
entstandenen Pneumothorax; im Rüutgeubild sah man die am Hilus 
zusammengedrängte Lunge; von ihr ging ein freies, ganz dünnes, 
ea. 10 cm langes Band nach oben zur Gegend der Spitze. Das¬ 
selbe verdankte offenbar einer kleinen aber festen Verwachsung 
der Lunge seine Entstehung. 

Eine sichert» Unterscheidung zwischen traumatischem und 
entzündlichem Pneumothorax ist dem Gesagten zu Folge 
mit Hilfe des Rüntgciibildes nicht möglich. 

Zur Darstellung des Pneumothorax nach Operationen, z. B. 
nach Empyem, ist das einfache Röntgenbild nicht geeignet. Meist 
handelt cs sich um kleinere von Verwachsungen und Schwarten 
umgebene Höhlen, welche im Bild nicht gut zu sehen sind. 
Um sich über die Grösse dieser Empyemhöhlen zu orientiren und 
den Heilungsverlauf zu verfolgen, hat man verschiedene Ver¬ 
fahren augcwemlct: man hat die Hohlen mit Wisrnuthlösung, 
auch mit reinem Quecksilber angefüllt und dann Aufnahmen ge¬ 
macht. Viel erreicht mau nicht, in der Praxis kommt man mit 
den Resultaten, welche Perkussion und Auskultation liefern, 
völlig aus. 


Zum Schlüsse der Besprechung der Lungen sei ein Curiosum 
erwähnt: Ein französischer Forscher behauptet, man könne die 
Miliartuberkulose im Röntgenbild erkennen, und er empfiehlt 
desshalb das Röntgenverfahren zur Di fiteren tialdiagnose zwischen 
dieser und dem Abdominaltyphus. Der betreffende Autor muss 
entweder das Röntgenverfahren nur mangelhaft betrieben haben 
oder die pathologische Anatomie, vielleicht auch beides. 

Ich wende mich zu den Erkrankungen des Herzens. Auch 
bezüglich uic-as Organs hatte man grosse Erwartungen auf das 
Röntgen verfahren gesetzt und man glaubte, dass dasselbe bei 
der Diagnose der llerzerkrnnkungen eine grosse Rolle zu spielen 
berufen sei. Es haben sich viele Autoren mit den Untersuch¬ 
ungen beschäftigt, zahlreiche Arbeiten sind erschienen, Apparate 
und Methoden zur Bestimmung der wahren Grösse des Herzens 
sind konstruirt worden etc. 

Audi wir haben lange Zeit hindurch Untersuchungen ange¬ 
stellt und sowohl mit dem Schirm wie mit der Platte das Herz 
bei den verschiedensten Krankheiten studirt. Das einzige Re¬ 
sultat, welches wir gewonnen haben, ist die Ueberzeugung, dass 
das Röntgenverfahren bezüglich des Herzens selbst keine 
Vortheile für die Praxis bietet. Gewiss kann man Verlagerungen 
des Herzens, Vergrößerungen nach beiden Seiten deutlich nach- 
weisen, das kann man aber mit anderen Methoden auch. 

Wie Oe streich [38] durch exakte Untersuchungen an 
Lebenden und an Leichen nachgewiesen hat, gibt uns die Form 
der absoluten II e r z d ä m p f u n g in jedem Fall einen 
sicheren Anhaltspunkt über die Grössen Verhältnisse der einzelnen 
Ilerzabsehnitte; die Perkussion genügt also vollständig und man 
kann das Köutgenbild bei Herzerkrankungeii entbehren. Wir 
haben durch das Köutgenbild kein Mal mehr erfahren, als wir 
schon wussten. 

Verkalkungen der Coronararterieu zur Darstellung zu 
bringen dürfte bei den schnellen Bewegungen des Herzens un¬ 
möglich sein. (Schluss folgt.) 


Aus der dermatologischen Universitätsklinik des Herrn Prof. 

Dr. Alf. Wolff in Strassburg. 

Resultate von Untersuchungen, angestellt an 4 Fällen 
von Mikrosporie und 81 Fällen von Trichophytie. 

Von Dr. G. II ü g e 1, früher erster Assistent der Klinik. 

Eine der brennendsten Tngesfragen, die in dem letzten Jahr¬ 
zehnte die dermatologische Welt aller Länder beschäftigt hat, 
ist gewiss die genaue Erforschung des Wesens der bis jetzt 
am besten unter dein Namen Herpes tonsurans be- 
zeichnetcn Dermatomykosen. Es ist und bleibt das grosse Ver¬ 
dienst Sabnnrau d’s, diese Frage angeregt und in die richtigen 
Bahnen gebracht zu haben. W T ährend man bis zu S a bo u r au d’s 
epochemachenden Arbeiten allgemein der Ansicht war, dass die 
bedeutenden klinischen Differenzen, welche die oben genannten 
Affektionen darbieten, entsprechend der verschiedenen Lokali¬ 
sation auf die verschiedenen anatomischen Verhältnisse und auf 
sekundäre Einflüsse zurückzuführen seien, so gelaugt man jetzt 
mehr zu der Meinung, dass auch wohl die Differenz des Krank¬ 
heitserregers die Verschiedenheit des Krankheitsbildes hervor¬ 
ruft n könne. Nur ist man sich in dieser Frage der Multiplici- 
t.iit der Herpes tonsurans-Pilze noch nicht einig. DiePublikationen 
nicht, nur der einzelnen Autoren untereinander, sondern auch eines 
und desselben Autors haben eine solche Fülle widersprechender 
Angaben zu Tage befördert-, dass, wie Ja risch in seinem Lelir- 
buehe ganz treffend sagt, es schwer wird, sich in der entstandenen 
Disharmonie der Meinungen zurecht zu finden. Es ist noch viel 
weiteres Suchen und Forschen an den verschiedenen Stätten der¬ 
matologischen Wirken» nöthig, bis ein definitives Resultat er¬ 
zielt. wird, ln jedem einzelnen Falle genaue Beobachtung des 
klinischen Bildes, dessen methodische mikroskopische und mvko- 
logischo Untersuchung, dann die erhaltenen Resultate mit den 
Resultaten anderer Forscher vergleichen, wird uns doch hoffent¬ 
lich zu einer bestimmten und genauen Erkenntniss dieser Der¬ 
matomykosen führen. 

In der Zeit, in der wir als Assistent des Herrn Prof. Dr. 
W o 1 f f in dessen Klinik thiitig waren, haben wir nun Gelegen¬ 
heit gehabt, mehrere Fälle nach dieser Richtung hin genau zu 
untersuchen und zu beobachten, und wollen wir im Nachfolgenden 
kurz die Ergebnisse dieser Untersuchungen wiedergebeu. 


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3. Dezember 1901. 


MTTENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1961 


Zunächst lial>en wir an 4 von uns lx-obaeliteten Fällen genau 
feststellen können, dass es sieh um Fälle von Mikrosporon 
Audouini handelte. Die Fälle betrafen zwei Geschwister, einen 
8 jährigen Knaben und ein 6 jähriges Mädchen aus Barr im 
Eisass, einen 11 jährigen Knaben aus Neudorf bei Strassburg 
und einen 7jiihrigen Knaben aus Strassburg selbst. Bei allen 
4 Patienten bestanden, als sie zu uns in die Klinik gebracht 
wurden, seit geraumer Zeit auf dem behaarten Kopfe ein oder 
mehrere 1 Mark- bis 5 Markstück grosse, kreisrunde erkrankte 
Stellen. An diesen Stellen sahen die Haare brüchig aus, waren 
ungleich kürzer als die sie umgebenden gesunden Haare und 
waren an ihrer Basis bis zu einer Höhe von ungefähr 5 mm von 
einer gräulich-weissliehen Scheide umgeben. Ebenso war der 
Ilaarboden von einer gräulich-weisslichen, squamösen Masse be¬ 
legt. Diese Haare Hessen sich mit Leichtigkeit epiliren, und 
man konnte, ohne nur den geringsten Schmerz zu verursachen, 
ganze Büschel von 8, 10 und mehr Hauren ausreissen. Beim 
Ausreissen solcher Haare blieben leicht von den oben erwähnten 
schuppenden Epidermismassen an der Haarbasis hängen. Ausser 
auf dem behaarten Kopfe war nur bei einem Pat.. noch auf der 
linken Schulter eine 1 Markstück grosse. Stelle erkrankt. Diese 
war kreisrund, geröthet, nach der Mitte zu etwas blasser als an 
dem Rande, und hier mit ganz kleinen Bläschen bedeckt. Diq 
mikroskopische Untersuchung der erkrankten Haare ergab, dass 
dieselben bis zu einer gewissen Höhe wie von einem Mantel 
lauter kleiner, theils rund, theils etwas mehr weniger polyedriseh 
aussehender Sporen umgeben waren. Wo die äussere Wurzel¬ 
seheide bei unseren Haaren vorhanden, lag dieser Sporenmantel 
zwischen derselben und dem Haarsehafte; wo dieselbe nicht mehr 
vorhanden war, lag er dicht an den Haarschaft angeschmiegt an. 
Der Hnnrsehaft selbst war immer frei von Sporen. Stichkulturen 
dieser Sporen auf peptonisirtem Maltosenährboden ergaben nach 
3—4 Wochen einen kreisrunden, 3—4 cm im Durchmesser 
messenden, von wcissein Flaum bedeckten Diskus, an welchen sich 
nach weiteren 8—14 Tagen meistens ein oder auch mehrere 
denselben umgebende, coneontrische, mit wcissein Flaume be¬ 
deckte Kreise anschlossen. Durch Kulturen im hängenden 
Tropfen lernten wir die morphologisehen Eigenschaften dieses 
Parasiten kennen. Aus den eingeimpften Sporen entwickelten 
sich nach einigen Tagen lange, feine Mycelien, die sich nach 
allen Richtungen hin verzweigten. Diese Mycelien bildeten 
wiederum in ihrem Inneren Sporen. Ausser dieser Art der Fort¬ 
pflanzung, der Endoeonidienform, merkte man auch,, allerdings 
selten, an einzelnen Mycelien Sporen auf den Seilen aufsitzen 
oder noch seltener an ihrem Ende in F'orm von Trauben, also 
Eetosporenfonn nach dem Typus Aeladium. Die Sporen der 
Eetosporenform waren durchweg kleiner als die nach Endo- 
conidienform gebildeten. 

Verschiedene Impfversuche. sei es durch Reinkulturen, sei 
es durch direkte Übertragung auf Meerschweinchen, verliefen 
immer resultatlos. 

Tn letzter Zeit hat unser Kollege Herr Dr. Gunsett Ge¬ 
legenheit gehabt, bei einer kleinen Epidemie, noch weitere Fälle 
von Mikrosporon zu beobachten und zu untersuchen. Das Re¬ 
sultat seiner Untersuchungen, die er an anderer Stelle veröffent¬ 
licht, deckt sich vollständig mit dem unsorigen. Herr Dr. Gun¬ 
sett hat. ausserdem bei seinen mikroskopischen Untersuchungen 
Färbungen vorgenommen, die ihm erlaubten, in den erkrankten 
Haaren, und zwar in den Haarschäften, Mycelien zu sehen, und 
Impfungen, die von ihm auf Kartoffeln vorgenommen wurden, 
ergaben die von Sabouraud für Mikrosporon Audouini an¬ 
gegebenen charakteristischen Blutflecken. Wir haben also bei 
unseren F'itllen von Mikrosporon in klinischer, mikroskopischer 
und mykologischer Hinsicht genau alle Merkmale gefunden, die 
Sabouraud als beweisend für Fälle von Mikrosporon 
Audouini angibt, und somit festgestellt, dass d’cse Dermato- 
m.vko 60 hier in .Strassburg vorkommt. Auch was die Therapie 
anbclangt, so scheinen unsere Fälle gerade wie die Fälle in Paris 
sehr schwer heilbar zu sein. Trotz mehrerer Behandlungsweisen 
mehrere Monate hindurch können wir bei unseren Patienten 
von keinen nennenswerthon Erfolgen sprechen. Immer und 
immer wieder finden sich Pilze und wir werden wahrscheinlich 
die Erreichung der Pubertätszeit abwarten müssen, um dauernd'» 
Heilung eintreten zu sehen. Ob diese Fälle nun vereinzelt oder 
häufiger bei uns Vorkommen, können wir natürlich noch nicht 


sagen; da müssen wir noch weitere Untersuchungen abwarten. 
Auch konnte nicht festgestellt werden, ob ein ursächlicher Zu¬ 
sammenhang zwischen unseren Fällen bestand — die beiden 
Geschwister natürlich ausgenommen, wo das Mädchen von dem 
Knaben angesteckt worden war - und es ermangelte auch eines 
jeden Beweises, dass die Fälle von auswärts importirt worden 
seien. 

Vielleicht kommt diese Erkrankung endemisch bei uns vor. 
Jedenfalls sind wir hier in Strassburg somit die Ersten in 
Deutschland, die an der Hand obiger Fälle das Vorkommen von 
Mikrosporon Audouini f<*stgestellt haben. Soweit wir die ein¬ 
schlägige Literatur der letzten Jahre überschon können, hat in 
Deutschland nur Unna Fälle von Mikrosporon veröffentlicht. 
Seine l'iille stimmen aber ganz und gar nicht, wie er übrigens 
selbst zugibt, mit den Fällen der Pariser Mikrosporie überein 
— wir erinnern hier bloss an das Vorkommen von grossen Sporen 
an den erkrankten Haaren seiner Fälle. 

Neben diesen 4 Fällen von Mikrosporie, haben wir nun im 
Laufe von ungefähr IM* Jahren Gelegenheit gehabt, noch 
81 Fälle von llauterkrankungen. die durch das Trichophyton 
tenvurans bedingt waren, genau zu beobachten. Es wäre zu lang¬ 
weilig und es wäre auch nicht bei diesen kurzen Betrachtungen 
am Platze, wollten wir die Krankengeschichten aller dieser 
S1 Falle wiedergeben. Es waren unter diesen Fällen alle mög¬ 
lichen klinischen Krankheitsbilder, wie sie eben das Trichophyton 
tonsurans bedingt, vertreten, und wie sie eben zur Genüge be¬ 
kannt sind. Sowohl Herpes tonsurans des behaarten Kopfos 
um! der bebarteten Stellen, als auch Horpes tonsurans der nicht 
behaarten Stellen in ihrer squamösen. vesieulösen und impet.i- 
ginösen Form waren vertreten, ln ihrem jeweiligen klinischen 
Bilde boten alle diese Fälle nichts Neues. Die mikroskopische 
Untersuchung der Haare oder von Schuppen, die den kranken 
Stellen entnommen waren, ergab nun in allen 81 Fällen ein 
überall gleiches Bild: Die erkrankten Haare waren bis zu einer 
gewissen Höbe von einem Mantel von grossen Sporen — die 
Sporen waren 3—4 mal so gross als die Sporen von einer Mikro¬ 
sporie — oder auch von sporulirten Mycelien untermischt mit 
reinen Mycelien unige!>en. Da, wo die äussere Wurzelseheide 
vorhanden war, war diese meistens ganz ausgefüllt, und über ihre 
Grenzen nach aussen bin hinaus, mit solchen Pilzelementen. 
Nirgends, in keinem Falle, haben wir umgekehrt feststellen 
können, dass Pilzelemcnte in den Haarsehaft hineingewachsen 
waren. Der TIaarsohaft war vielmehr immer von solchen froi- 
geblieben gewesen. Um mit Sabouraud zu sprechen, hatten 
wir also in allen unseren Fällen das grosssporige Trichophyton 
ectothrix (Trichoph. ectrothrix ä grosses spores). nirgends ein 
Trichophyton ondothrix oder cndo-ectothrix. Tn den Schuppen, 
die unseren Fällen entnommen waren, befanden sieh ebenfalls 
immer dieselben Pilzelemente: grosse Sporen, grosssporige My¬ 
celien oder Mycelien. Tn dem Aussehen der Pilze an sich 
konnten wir in keinem Falle bedeutende Differenzen finden; mir 
dass liier und da einmal vielleicht die Sporen uni ein Geringes 
kleiner zu sein schienen, und die sporulirten Ketten vielleicht 
wie brüchig nussahen. Diese geringen Unterschiede in den Pilz¬ 
elementen waren aber nicht an besondere klinische Formen hei 
unseren Erkrankungen gebunden. Wir konnten nicht ent¬ 
scheiden, ob es sich hier um besondere Pilzarten handelte. Auch 
die Kulturen, die wir bei der Hälfte unserer Fälle anlegten, und 
zwar so, dass natürlich ein jede« klinische Bild durch einige 
Kulturen vertreten war, gaben uns hierüber keinen Aufschluss. 
Alle 40 Kulturen sahen sieh nämlich ziemlich gleich: Nach 
3—4 Wochen hatte sieh bei gewöhnlicher Zimmertemperatur 
auf pepton. Maltosenährböden, um einen mehr weniger er¬ 
habenen, kraterfürmigen Mittelpunkt, ein röthlich-grauer, 3 bis 
4 cm im Durchmesser messender Kreis gebildet. Was diese Kul¬ 
turen gleich beim ersten Anblick von den Kulturei von unserer 
Mikrosporie unterschied, war. dass bei den Trichophytonkulturen 
der weinst» Flaum vollständig fehlte. Auch waren die später bei 
Mikrosporie sieb bildenden eonccntrisehen Kreise hier nur sehr 
selten vorhanden und da nicht besonders ausgeprägt. Bei den 
einzelnen Trichophytonkulturen untereinander konnten wir, wie 
gesagt, keine wesentlichen Unterschiede herausfinden. Kulturen 
in hängenden Tropfen in Bouillon zeigten uns nach einigen 
Tagen ein weit verzweigtes Netz von Mycelien. Das Wachs¬ 
thum bildete sich nach Eeto- und Endosporenform. Zum Unter- 

2 * 


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1962 


MÜENCHENER MEDICINTSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


schiede der Mikrosporie erfolgte hoi der Trichophytie die Ecto- 
sporenbildung nach dem Typus Botrytis. 

Ttnpfungsversuehe auf Meerschweinchen waren bei Tricho¬ 
phytie immer von Erfolg gekrönt. Nach 14 Tagen bis 3 Wochen 
bildete sich regelmässig eine vesiculöse, etwas schuppende, mehr 
weniger runde erkrankte Stelle, an der sich wieder ganz die¬ 
selben Pilzelemente nachweisen Hessen. Auch bei den erkrankten 
Haaren der Meerschweinchen war nur die Form Ectothrix vor¬ 
handen. 

Nach den Ergebnissen dieser Untersuchungen scheint es uns 
also, als ob bei allen unseren 81 Fällen von Trichophytie ein und 
derselbe Pilz im Spiele gewesen wäre, der dann, je nach der 
Lokalisation, von anatomischen und sonstigen Einflüssen be¬ 
stimmt, ein jeweilig verschuxlenes, klinische« Krankheitsbild 
hervorgerufen hat. Was uns neben unseren mikroskopischen Re¬ 
sultaten und neben unseren Kulturversuchen in diesem unseren 
Urtheile bestärkt, sind folgende klinische Versuche: Wir haben 
bei einem gesunden Individuum, mit dessen Einwilligung, auf 
seine l>ehaarte Kopfhaut Pilze eiugeimpft, die einmal von einem 
ausgedehnten Falle von Sycosis, das andere Mal von einem Falle 
von Ekzema marginatum Hebrae herrührten. Es bildete sich 
nun nach einiger Zeit bei demselben nicht etwa ein der Sycosis 
oder dem Ekzema marginatum ähnlich sehendes klinisches Bild, 
sondern beide Male ein sehr oberflächlicher, runder, squamöser, 
leicht vesiculöser Her|>cs. dessen Pilzelemente mit denen der 
Prim ä raff cktionen identisch waren. (Nebenbei gesagt, heilten die 
entstandenen Herpesringe sehr bald nach Anwendung von 
Ohrysnrobin.) 

Was die Prognose bei unseren Trichophytonfallen betraf, 
so war dieselbe durchweg eine günstige. Die ausgebreite taten 
Fälle heilten bei entsprechender Behandlung nach einigen 
Wochen. Der Therapie trotzte hartnäckig bloss ein Fall von 
Ekzema marginatum Hebrae. Wahrscheinlich, dass da die Lo¬ 
kalisation — es war auch noch bei einer Puella publica — einer 
erfolgreichen Behandlung im Woge stand. 

Zusanunenfassend haben also unsere Untersuchungen bis 
jetzt, folgende Ergebnisse gehabt: 

1. Constntirung des Vorkommens in Strassburg von Mikro¬ 
sporie Audouini, dieser bereits um die Mitte des vorigen Jahr¬ 
hunderts von G r ü b y genau beschriebenen Dermatomykose, die 
wieder in Vergessenheit gerieth, um 50 Jahre später durch die 
genialen Untersuchungen Sabouraud’s ihre Renaissance 
zu feiern. 

2. Bei den durch das Trichophyton tonsurans bedingten Haut¬ 
erkrankungen haben wir bis jetzt nur immer einen und den¬ 
selben Pilz gefunden — ein Trichophyton ä grosses spores ecto¬ 
thrix — der verschiedene Krankheitsbilder hervorrufen kann, 
die vielleicht, bedingt werden durch anatomische, chemische und 
noch andere Einflüsse, und der auf das Thier (Meerschweinchen) 
überinipfbar ist. Unsere Untersuchungen lassen uns also bis jetzt 
noch nicht auf eine Multiplicität des Krankheitserregers bei der 
T richophytie schl iessen. 


Aus der medieinischen Klinik zu Leipzig. 

Zur diagnostischen Beurteilung der vom Blinddarm 
und Wurmfortsatz ausgehenden entzündlichen Pro- 

cesse. 

Von H. Curschmann. 

(Schluss.) 

Um so interessanter sind die Fälle, wo durch interkurrente, 
an sich mit hoher Leukoe.ytose einhergehende Processe die Zahlen 
vorübergehend ungewöhnlich gesteigert werden. 

Hierzu bietet der folgende Full ein treffendes Beispiel: 

Das ‘Jöjälir. Dienstmädchen L. A. wird am 23. VII. 1900. am 
2. Krankheitstag. mit starker Druclcempflndlichkeit der rechten 
Fossn iliaca aufgenommen. Wiederholtes Erbrechen und Würgen, 
Stuhlgang angehalten. Temp. 37.8. Die schmerzhafte Stelle leicht 
gedämpft ohne deutliche Härte. Eisblase. Opium, absol. Diät. 
Temperatur- und Leukocvtenbeobaehtung gestalteten sich wie 
folgt: 


Tag 

Zahl der 

Körper- 

Leukocyten 

wärme 

23. VH. 

(2. Krkhtag.) 

19200 | 

37,8 

°4 vn 

25800 

39,1 

VJ1 ‘| Abd. 

43400 

39,4 Akutes Einsetzen einer pneu- 
raon. Anschoppung R. H. U. 

25. VII. 

40600 

38,4 1 Schlaffe, umschriebene Pneu- 

26. VII. 

41400 

38,8 J monie v gering. Ausdehng. 

27. VII. 

27800 

38,0 Beginnende Lösung der Pneu¬ 
monie. 

28. VII. 

24800 

38,0 Exsudat der r. Fossa iliaca 

grösser und 

derber. Verlegung zur chir. Abtheilung 

wegen der Pneumonie Rekonvalescenz verschoben 

29. VII. 

24400 

37,9 

30. vn. 

31400 

' 37,9 

31. VH. 

25000 

i 37,3 

i. vm. 

27200 

37,0 


2 . vm. 


27800 


36,7 


Zur chir. Abtheilung verlegt, 
nicht 


wo alsbald eingeschnitten und reichlich dicker, 
stinkender Eiter entleert wird. 

28. VIII. wird Pat. geheilt entlassen. 


Der vorstehende Fall bietet neben dem interessanten Ver¬ 
halten des Blutes während der Pneumonie noch eine ihr folgende 
längere Beobnchtungszeit und während dieser die bemerkens- 
werthe Gleichmässigkeit der auf die Eiterung bezüglichen immer¬ 
hin noch erheblichen Leukocytose. Wir verdanken diese unge¬ 
wöhnlich lange Zahlenreihe dem Umstand, dass uns die grosse 
Schwäche der Patientin bei nicht sehr dringlichen örtlichen Ver¬ 
hältnissen die Uehergabe in chirurgische Behandlung länger zu 
verschieben veranlasste, wie wir sonst gethan hätten und zu thuu 
ratlien. 

Noch ein anderer Umstand verdient an diesem Falle hervor¬ 
gehoben zu werden: Das nur langsam horvorge- 
tretenc und weiter entwickelte, zuletzt sehr 
grosse eiterige Exsudat bestand während der 
letzten 7 Tage vor der Operation fast ganz 
ohne Fieber (T c m p. - M a x i m. 38,0). Ausschlag¬ 
gebend für die richtige Beurtheilung seiner 
Beschaffenheit war die dauernde beträcht¬ 
liche Erhöhung der Leukocy teil zahlen. 

Fälle dieser Art gehören übrigens durchaus nicht zu den Be¬ 
sonderheiten. Während jedem erfahrenen Arzt bekannt ist, dass 
bei eiteriger Appendieitis die Schwere und Ausdehnung des Pro¬ 
cessus und das Manss der Erhöhung der Körperwärme sich durch¬ 
aus nicht decken, lässt sich der Anfänger durch das nicht seltene 
zeitweilige oder fast dauernde Fehlen einer solchen nur allzu 
leicht verleiten, das Vorhandensein eines Abscesses von der Hand 
zu weisen. 

In solchen Fällen kann, wenn sie auch sonst noch unsicher 
liegen, die Leukocytenzählung durch keine andere diagnostische 
Methode ersetzt werden. 

Nach der operativen Entleerung des Eiters 
sinkt, wenn sie völlig gelungen, nach unserer 
Erfahrung 7 ) die Leukocytenzahl entweder un¬ 
mittelbar, nicht selten zur Norm, selbst etwas 
darunter, oder sie bleibt, noch kurze Zeit auf 
der vorher erlangten Höhe, ja sie kann sich in 
ganz seltenen Fällen sogar noch über dieselbe 
erheben. 

Geht aber daruaeh die Zahl der .wissen Zellen nicht bald 
zur physiologischen herunter, oder steigt die Leukocytcnkurve gar, 
nach kurzer Remission oder ohne eine solche, noch weiter an. 
so kann mit Sicherheit entweder auf unvollständigen Eiterabfluss 
geschlossen werden oder auf das Bestehen von der Ineision nicht 
getroffener nachbarlicher oder entfernter gelegener Eiterherde 
oder endlich auf anderartige Komplikationen, die an sich mit 
Leukocytose verknüpft, zu sein pflegen. 

Beispiel: 

21 jähr. stud. med. am 7. V. 1899 (ain 3. Kraukbeitstagi auf- 
genommen. Beträchtliche Temperatursteigerung: 40.1. lieber 
dem rechten Lig. Poupart. vier Finger breit nach oben, nach der 


T ) Herr Koll. Trendelenburg hatte die grosse Freund¬ 
lichkeit, uus auch hei den operirten Patienten zahlreiche Zählungen 
zu gestatten. Hierfür, sowie für die Erlaubniss, Mittheilungen 
über das Operatlonsergebniss einiger anderer seiner Abtheilung 
überwiesenen Kranken zu machen, sei ihm an dieser Stelle be¬ 
sonders gedankt. 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1963 


Mittellinie bis fast zur Lin. alba sich erstreckende schmerzhafte 
Resistenz mit tympnnitlseher Dämpfung. Die betreffende Gegend 
bis zur Blase hin deutlich vorgetrieben. Leukocytenzahl am 7. V.: 
15 000. An den folgenden Tagen steigt, zunächst ohne wesentliche 
Veränderung der örtlichen Erscheinungen und bei starkem Herab¬ 
gehen der Temperaturkurve (am 11. V. 38,1), die Zahl der weissen 
Zellen auf IG 800. 21400, 20 400. 

In der Nacht vom 11. V. zum 12. V. lebhafte Steigerung der 
örtlichen Schmerzen, Brechneigung und starke Auftreibung des 
Leibes. Am Morgen Verlegung zur chirurgischen Abtheilung, wo 
sofort die Inclsion gemacht und zunächst leicht getrübte, seröse 
Flüssigkeit, dann, nach vorsichtiger Lösung einer verklebten Darm¬ 
schlinge, dicker Eiter in mässiger Menge, zusammen mit einem 
fingergliedlangen Kothstein entleert wird. 

Während des folgenden Tages geht, unter Fortdauer der Eiter¬ 
entleerung in den Verband, die Zahl der weissen Zellen um ein 
Geringes herunter: Morgens 17100, Abends 15 200. Ein Rückgang 
der Leukocytenzahlen auf die Norm wird aber vergeblich er¬ 
wartet. Sie steigen im Gegentheil alsbald wieder an und bleiben 
fortdauernd auf verdächtiger Höhe. 

Am 20. V. wird nochmals eingeschnitten und 
eine grosse Menge (etwa 2 Liter) übelriechenden 
Eiters aus einem zweiten abgesackten Abscess 
im kleinen Becken entleert. Die Zahl der weissen 
Blutzellen sinkt sofort dauernd zur Norm und die Heilung geht 
nunmehr ungestört vorwärts. 

Ich gebe im Folgenden die Zählungsergebnisse und die Tem¬ 
peraturen: 


Tag 

Zahl der 
Leukocyt. 

Temp. 

Tag 

Zahl der 
Leukocyt. 

Temp 

7. V. 

15000 

40,1 

15. V. 

16900 

37,0 

(3. Krkhtag.) 



16. V. 

15100 1 

37,0 

9. V. 

16800 

38,1 

17. V. 

17900 

37,0 

10. V. 

21400 

38,2 

18. V. 

15400 

37,6 

11. V. 

20600 

38,1 

19. V. 

18800 | 

38,4 


I. Oper 

ation. 

20. V. 

II. Operation. 

12. V. 

17100 

37,1 

23 V. 

10600 

36,7 

Abends 

15800 

38,0 

24. V. 

8300 

36,2 

13. V. 

19300 

38,0 

25. V. 

80U0 

36,8 

14. V. 

18500 

37,8 

27. V. 

7700 

36,4 


Der vorstehenden Tabelle mag hinzugefügt werden, dass auch 
sie ein sehr bemerkenswerthes Beispiel dafür liefert, dass bei 
selbst grossen Abscessen die Höhe und der Verlauf der Tem¬ 
peraturkurve keine oder nur ganz unsichere Anhaltspunkte bieten, 
im Gegensatz zu dem sehr prägnanten Verhalten der Leukocyten. 
Ein besonders grosser Beckenabscess, der durch die Zahl der 
letzteren sich deutlich kennzeichnete, hatte nur ganz geringfügige. 
Tage lang überhaupt keine Steigerungen der Körperwärme zur 
Folge gehabt. 

Wie sehr verlässlich die Beobachtungen sind, die wir an 
den ohne Eiterung bei gewöhnlicher interner Behandlung Ge¬ 
heilten und denjenigen, bei denen durch Abscesseröffnung Hei¬ 
lung erzielt wurde, machten, zeigten uns vereinzelte Fälle, wo 
trotz nur geringfügiger oder im Anfang vorübergehend stärker 
erhöhter Vermehrung der weissen Zellen die örtlichen Verände¬ 
rungen zum Einschneiden Anlass gegeben hatten. Es wurde hier 
kein Eiter gefunden und Heilung erzielt, ohne dass es dazu kam. 

Beispiele: 

M. R., 23 jähriges Dienstmädchen, wird am 12. X. 1899 
(am 2. Krankheitstag) mit einem entzündlichen, schmerzhaften 
Tumor der rechten Unterbauchgegend aufgenommen, der am 
deutlichsten nach rechts vom Nabel nachweisbar Ist, nach oben 
bis 2 Finger breit unterhalb des rechten Rippenbogens sich er¬ 
streckt und nur durch eine reichlich 3 Finger breite Zone vom 
P o u p a r t’schen Bande getrennt Ist. Diagnose: Appendlcitis mit 
Exsudat, wahrscheinlich bei abnormer Lage des Wurmfortsatzes. 

Ordln.: Absol. Diät, Eis, Opium. 


Tag 

Zahl der 
Leukocyt. 

Temp. 

Tag 

Zahl der 
Leukocyt. 

Temp. 

12.X. 

14800 

36,6 

22.X. 

8800 

36,5 

13.X. 

15000 

38,1 

23.X. 

8800 

36,5 

14.X. 

20400 

38.5 

24. X. 

8600 

36,5 

15.X. 

17600 

38,2 

25.X. 

10200 

37,0 

16.X. 

14000 

38,2 

26 X. 

j 10000 

37,0 

17.X. 

12600 

36,0 

27.X. 

9600 

37,2 

18.X. 

13v00 

37,0 

28. X. 

15800 

39,3 

19.X 

18000 

37,5 

29. X. 

1 15600 

39,4 

20.X. 

12800 

36,6 

30. X. 

1 14600 

38,9 

21.X. 

9200 

36,3 


I 



Neben nicht sehr hohen Temperatursteigerungen und Gleich¬ 
bleiben der entzündlichen Geschwulst waren während der ersten 
Beobachtungstage relativ hohe Leukocytenzahlen festzustellen. 

Vom 6. Krankheitstag an verminderten sie sich, um bald 
zu normalen Zahlen zurückzugehen. 

No. 49. 


Vom 27. zum 28. traten Schmerzen beim Athmen und am 29. 
die Erscheinungen einer pneumonischen Verdichtung im rechten 
Unterlappen ein unter Steigerung der Zahl der weissen Zellen. 
Da auch der entzündliche Tumor deutlicher geworden und der 
Leber und dem Zwerchfell näher gerückt zu sein schien, so er¬ 
wachten Zweifel, ob die Verdichtung R. H. U. wirklich eine pneu¬ 
monische oder auf einen zur Ausbildung gekommenen subphre¬ 
nischen (perityphlitischen) Abscess zu beziehen sei, nach Analogie 
mehrfacher von uns gemachter ähnlicher Beobachtungen. 

Die Kranke wurde zur chirurgischen Abtheilung verlegt. Hier 
wurde nach Eröffnung der Bauchhöhle von vorne eine retro 
peritoneal gelegene Anschwellung gefunden, welche Fluktuations¬ 
gefühl gab. 

Zunächst wurde nun, um Verwachsungen und Abkapselung 
nach der freien Bauchhöhle zu erzielen, tamponirt. 10 Tage später 
wurden die Tampons entfernt, worauf sich die erwähnte Vor- 
wölbuug hinter dem Peritoneum entschieden verkleinert erwies. 
Da die Probepunktion keinen eiterigen Inhalt der Geschwulst er¬ 
gab, so wurde wieder tamponirt und abgewartet. 

Auch später erfolgte keine Eiterung. Pat. wurde vielmehr 
am 19. XII. geheilt entlassen. 

Ein zweiter, in gleichem Sinn zu verwerthender Fall betraf 
den 21 Jiihr. Färber P. W., der am 7. VI. 1900, angeblich nach 
2 tägigem Bestand seiner Krankheit, mit einem fast hühnerei¬ 
grossen, derben, druckemptindlichen, entzündlichen Tumor der 
Fossa iliaea dextra aufgenommen wurde. 

Am 8. VI. Temp. 38,3, Zahl der Leukocyten 13.100. Am 9. VI. 
ziemliche Schmerzhaftigkeit auch in anderen Gegenden des Unter¬ 
leibs, besonders am S romanum. 

Am 10. VI. Meteorismus, allgemeine Druekempfindlichkeit, 
Erbrechen. Temp. 37,9, Leukocyten 13 000, am Abend 38,1, Leuko- 
e\ teu 12 000. 

Da auch am 11. VI. Schmerzen und Erbrechen nicht nacb- 
lasseu, die Auftreibung des Leibes aber zunimmt, so wird der 
Kranke auf die chirurgische Abtheiluug verlegt. 

Wenn auch an das Vorhandensein einer grösseren umschrie¬ 
benen Eiteransnmmluug nicht zu denken war, so hofften wir doch, 
dass andersartige das Krankheitsbild so bedrohlich gestaltende 
Veränderungen (Verklebungen, Knickungen des Darm etc.) hier 
wirksamer als bei uns behandelt werden könnten. 

Operation 6 ): Nach Durchtreunung der Bauchmuskeln an der 
typischen Stelle fühlt man eine Resistenz auf der Darmbein¬ 
schaufel. Beim Versuch, sie von hintenher (retroperitoneal) ein¬ 
zuschneiden, gelangt man nicht zum Ziele. Es wird desshalb von 
vorn das Peritoneum eröffnet und eine Lösung der hier verklebten 
Darmvorschlingen vorgeuommen. In der Tiefe, in der Höhe des 
Wurmfortsatzes zeigen sich nun zwischen den Darmschlingen 
eiterige Beläge, aber kein umschriebener Eiterherd. Die Stelle 
wird tamponirt. 

Zahl der weissen Blutzellen am 15. VI. 23 000. 

10. VI. Starke Absonderung fäkulent riechender Flüssigkeit. 

18. VI. Tampon entfernt. Aus der Operntionswunde kommt 
Eiter und ein haselnussgrosser Kothstein. 

7. VIII. Geheilt entlassen. 

Den incidirten ganz ähnlich verhalten sich 
diejenigen Fälle, bei denen Perforation und 
Entleerung perityphlitischer Abscesse in 
Hohlorgane des Unterleibs, besonders die 
Blase und den Darm erfolgt. 

Auch sie zeichnen sich zunächst regelmässig durch hohe, 
anhaltende Leukocytenzahlen aus, die mit Eintritt der Perfo¬ 
ration, zuweilen ganz plötzlich zur Norm zurückkehren. Zu¬ 
weilen geschieht der Abfall langsamer wie nach kunstgerechter Er¬ 
öffnung oder es folgen nach nur vorübergehender Verminderung 
selbst nochmals Steigerungen der Leukocytenzahlen und erst dar¬ 
nach der dauernde Abfall. Diese Verhältnisse sind zweifellos, 
und an einzelnen Fällen lässt sich dies direkt durch Beobachtung 
des Stuhlgangs oder Urins nachweisen, der Ausdruck mangel¬ 
haften oder vorübergehenden, stockenden Eiterabflusses, was ja, 
wenn man die topographischen Verhältnisse in Erwägung zieht, 
bei spontanen Durchbrüchen so leicht der Fall sein kann. 

Ein besonders charakteristischer, hierher gehöriger Fall ist 
der folgende: 

E. W., 15 jälir. Arbeiterin, wird, nachdem sie angeblich 4 Tage 
vorher mit Erbrechen, Kopfschmerz und Empfindlichkeit in der 
Ueocoecalgegend erkrankt war, am 24. V. 1901 in die Klinik auf¬ 
genommen. 

Die kleine, magere, sehr anaemische Kranke zeigt zunächst 
nur eine mässige meteoristische Auftreibung des Leibes ohne deut¬ 
lich fühlbare Resistenz ln der bei Betastung ziemlich schmerz¬ 
haften Regio iliaea dextra. 

Die am Tag nach der Aufnahme vorgenommene Blutzählung 
ergibt nur 9200 weisse Blutzelleu, also eine zunächst unverdächtige 
Zahl. Am 8. und 9. Krankheitstag steigerte sie sich jedoch auf 
10 000 bis 18 400. 

In der rechten Fossa iliaea wurde nuu ein derbes Exsudat fühl¬ 
bar, das unter verhiiltnissmässig hohem Fieber langsam sich ver- 
grösserte und am 14. Kraukheltstag einen grossen Umfang ange- 


•) Die betr. Angaben verdanke ich der Freundlichkeit des 
I. Assistenten der chirurgischen Abtheilung, Herrn Dr. W 11 m s. 


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1964 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


uomuum hatte. Es reichte von der Fossa iliaca bis fast zmu 
Rippenbogen und überschritt nach der Mitte hin die Linea alba 
um ein Geringes. Die Zahl der Leukocyten war schon am 10. Tag 
auf 20 000 gestiegen und blieb nun auf dieser Höhe und noch 
darüber, so dass wir am 14. Tag 20 000 zählten. 

An der Bildung eines grossen Abscosses war kein Zweifel mein-, 
Nur der besonders elende Zustand der Patientin und gewisse 
äussere Verhältnisse veranlassten uns, mit der Verlegung zur 
chirurgischen Abtheilung noch etwas zu zögern. 


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Sie wurde überhaupt unnüthig. 

In der Nacht vom 15. zum 10. Ivrankheltstag erfolgte ein 
rascher Abfall der bis dahin den Charakter einer Febris continua 
bietenden Temperatureurve. der auch am 10. noch fast ununter¬ 
brochen sich fortsetzte, so dass am 17. subnormale Temperaturen 
erreicht waren. Ebenso schnell wie d e r A b f a 11 der 
K u r v e s a n k a u ch die Zahl d e r w cissen Zelle n, 
d i e a m 17. Krankheitstag nurno c h 13 700 u n d a m IS. 
OfiOO betrug. 

Der nach dem Abfall entleerte dünne Stuhl 
enthielt Blut und Eiter. 

Vom Eintritt Mer Perforation an verkleinerte sich der Tumor 
rapid, der Meteorismus schwand, die Kranke wurde schmerzfrei 
und der Kräftezustand hob sich sichtlich. Eine kleine Eiter¬ 
retention, die in der Kurve durch vorübergehende Temperatur¬ 
steigerung und ebenso lang andauernde geringe Vermehrung der 
Leukocyten sich kennzeiclmete. wurde rasch überwunden, die 
Leukocyten sanken dann dauernd zur Norm und am 2ö.Krankheits¬ 
tag war bei der definitiv outfieberten Kranken, die nun nur noch 
5900 weisse Zellen bot, das mächtige Exsudat bis auf eine geringe, 
schmerzlose Resistenz oberhalb des Poupar t’sclien Bandes ver¬ 
schwunden. 

Am 3. VII. wurde das Mädchen ohne jeden nachweisbaren 
Rest des früheren Exsudates geheilt entlassen. — 

Wenn ich das im Vorstehenden besprochene Verfahren den 
Fachgenossen zur Nachprüfung empfehle, so glaube ich damit 
auf eine diagnostische Methode hingewiesen zu haben, die, ein¬ 
fach und leicht, auch für den beschäftigten Arzt anwendbar, in 
schwierigen, verantwortungsreichen Fällen ausschlaggebend 
werden kann. 

Ich denke natürlich nicht daran, für jeden Appendicitisfall 
tägliche Blutkörperchenzählung zu empfehlen. Eine nicht ge¬ 
ringe Zahl von Fällen wird auch ohne sie wie bisher diagnostisch 
und therapeutisch genau genug beurtheilt werden können. Für 
eine andere Zahl erblicke ich jedoch in dem Verfahren eine 
wesentliche Erweiterung unseres diagnostischen Könnens. Hier 
wird es in Zukunft nicht mehr entbehrt werden können 

Ich zweifle übrigens nicht, dass die Leukocytenzählung auch 
für die nähere Beurtheilung anderer entzündlicher Ausschwitz¬ 
ungen, sowohl direkt nachweisbarer, wie latenter oder schwerer 
zugänglicher von Wichtigkeit werden dürfte. Ich denke hier 
zunächst an umschriebene entzündliche Processe an anderen 
Stellen des Unterleibs, z. B. subphrenische und im Becken und 
Beckenzellgewebe entwickelte. 

Wenn ich bisher nur von Leukocyten im Allgemeinen ge¬ 
sprochen habe, so möchte ich bemerken, dass wir auf die Mengen¬ 
verhältnisse ihrer einzelnen Formen bisher nicht häufig und ein¬ 
gehend genug geachtet haben, um bestimmte Angaben machen 
zu können. Im Allgemeinen hatten wir nicht den Eindruck einer 
besonderen Vermehrung der einen oder anderen Form. Vielleicht 
wird dies von anderer Seite nachgeholt, womit wahrscheinlich 
mehr der theoretischen als der praktischen Seite der Frage ge¬ 
nützt werden wird. 

Die Verschiedenheit der Eitererreger scheint, so weit ich 
dies bis jetzt übersehe, auf unsere Untersuchungsergebnisse ohne 
erheblichen Einfluss zu sein”). Ich möchte aber auch hier end¬ 
gilt ige Schlüsse von näheren Untersuchungen abhängig machen. 

'I Aligeselien natürlich von den pathogenen Mikroorganismen, 
die eine Verminderung oder doch nicht Vermehrung der im Blute 
kreisenden weissen Zellen machen und die gelegentlich Eiterung 
erregend wirken können, wie z. B. der Bacillus Eberth. 


Wenn man, wie vorauszusehen, den Einwand erheben wollte, 
das Zählverfahren sei durch die Anwendung der Probe¬ 
punktion überflüssig gemacht, so erwidere ich, dass es diese, 
wo sie anwendbar ist, durchaus nicht verdrängen soll. Einen 
vollen Ersatz aber bietet sie bestimmt nicht. Einmal habe ich 
selbst -— und mit mir gewiss viele erfahrene Aerzte — genug 
Fälle beobachtet, wo die geschickt und mehrfach ausgeführte 
Probepunktion wirklich vorhandene Eiterung nicht erweisen 
konnte und ausserdem ist das Verfahren weder immer gefahrlos, 
noch überhaupt überall anwendbar. 

Zum Schluss fasse ich die wesentlichsten Ergebnisse meiner 
Arbeit zusammen: 

In der überwiegenden Zahl aller Fälle sind durch die Leuko¬ 
cytenzählung die Appendicitisfälle mit einfacher, sogen, fibri¬ 
nöser Exsudation von den zur Abscessbildung kommenden sicher 
zu unterscheiden, auch da, wo andere Zeichen, Form und Con- 
sistenz der Ausschwitzung (Fluktuation), das Temperaturverhal¬ 
ten und die Probepunktion im Stiche lassen. 

Die nicht abscedirenden Fälle zeichnen sich dadurch aus, 
dass sie entweder ganz ohne Vermehrung der weissen Blutzellen 
verlaufen — hierher gehören fast nur die leichteren — oder dass 
sic eine verhältnissmitssig geringe Steigerung im Anfänge der 
Erkrankung bieten, die, im weiteren Verlaufe dauernd, oder 
mit nur vereinzelten Erhebungen an wenigen Tagen, zur Norm 
zurückgeht. 

Höhere Leukocytenzahlen kommen ohne spätere Abscess¬ 
bildung nur im Anfang der Erkrankung und dann vorübergehend 
vor. Die Zahl der weissen Zellen überschreitet dann aber, auch 
individuelle Schwankungen in Betracht gezogen, nur äusserst 
20 bis 22 000. 

Erhebt sich schon in den ersten Tagen oder, was minder 
häufig, im Laufe der weiteren Beobachtung die Leukocytenzahl 
dauernd zu hohen Werthen, so ist, falls anderartige Leukozytose 
erregende Processe (Pneumonie etc.) auszuschliessen sind, mit 
Sicherheit Abscessbildung anzunehmen und chirurgische Be¬ 
handlung unbedingt angezeigt. 

Leukocytenzahlen von 25 000 und darüber sind schon an sich 
und vereinzelt beobachtet dringend verdächtig. Stellt man sie 
nach längerem Bestand der Erkrankung fest, so ist die Diagnose 
Eiterung so gut wie sicher und weiteres Zuwarten unnöthig. 

Wird der Abseess durch Einsebneiden entleert, so sinkt, 
falls die Entleerung vollständig war, die Leukocytenzahl rasch, 
vielfach direkt und dauernd zur physiologischen ab. Sinkt sie 
nach der Operation nicht oder steigt sie gar an, so ist an Ver¬ 
haltung von Eiter oder Vorhandensein eines oder mehrerer ander¬ 
weitiger Abscesse zu denken. 

Werden perityphlitisehe Abscesse durch Durchbruch in den 
Darm, die Blase oder andere Hohlorgane des Unterleibs nach 
aussen entleert, so ist das Verhalten der Leukocyten dem nach 
chirurgischer Behandlung gleich: rasches Absinken bei leichtem 
vollständigem Abfluss, langsame Verminderung, Fehlen derselben 
oder Wiederansteigen, je nach den ihm entgegenstehenden 
Schwierigkeiten. 

Für die Diagnose der Abscessbildung steht das Verhalten der 
Leukocyten demjenigen des Fiebers, speciell der Körperwärme, 
weit voran. Während Form und Verlauf der Temperatur¬ 
kurve hier ungemeine Verschiedenheiten bieten und sehr geringes 
Fieber, ja dauerndes Fehlen desselben zur Ausdehnung der eite¬ 
rigen Processe oft genug in grellem Missverhältnis stehen, kenn¬ 
zeichnen diese sich fast ausnahmslos durch dauernde, innerhalb 
enger Grenzen schwankende hohe Leukocytose aus. — 

Wenn ich nicht zweifle, dass andere Beobachter meine An¬ 
schauungen im Grossen und Ganzen bestätigen werden, so möchte 
ich doch schon hier davor warnen, das Vorgetragene allzu sche¬ 
matisch zu nehmen. So wenig in einer Schilderung des charak¬ 
teristischen Verlaufs der Fieberkurve bei einer bestimmten In¬ 
fektionskrankheit alle Möglichkeiten und Einzelabweichungen 
herangezogen werden können, so wenig wird dies für das Ver¬ 
halten der Leukocyten bei der Appendicitis möglich sein. Ja ich 
halte es für sehr wahrscheinlich, dass bei Beobachtung einer 
grösseren Zahl von Fällen der eine oder der andere sich finden 
wird, der durch nicht oder nur unerheblich gesteigerte Leuko¬ 
cytenzahl bei bestehender Eiterbildung zu meinen Erfahrungen 
in scheinbarem Widerspruch steht. Sind doch schon die Gegen¬ 
sätze zwischen serofibrinösen Exsudaten und Abscdhsbildung 


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3. Dezember 1901. 


MüENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1965 


lange nicht so schroff, wie dies bei theoretischer Erörterung 
scheinen möchte. 

Bezüglich einiger Formen fehlt mir bis jetzt die genügende 
Erfahrung, z. B. über das Verhalten der Leukocytose bei den 
seltenen Fällen von kleinen Abscessen, die durch allseitige derbe 
Abkapselung und Eindickung ihres Inhalts zu relativer Heilung 
kommen. 

Auch über die Fälle, die in Folge Durchbruchs des Abscess- 
inhaltes in die freie Peritonealhöhle unter Erscheinungen akuter 
allgemeiner Peritonitis rasch tödtlich enden, habe ich bezüglich 
des Leukocytenverlialtens keine genügende Erfahrung. Ich 
glaube, Grund zu der Annahme zu haben, dass bei einzelnen — 
ihrem Wesen nach mir noch nicht näher bekannten — Fällen 
' mit Eintritt der allgemeinen Bauchfellentzündung die Anfangs 
hoch gesteigerte Zahl der weissen Blutzöllen rasch und erheblich 
sinkt, bis zur Norm und selbst darunter. 


Aus dem hygienischen Institut der Universität Wien. 

Zur Theorie der Antikörper. 

II. Ueber Bakteriolyae und H&emolyse. 

Von Max Gruber in Wien. 

^ (Schluss.) 

Dass die Ehrlich’sche Auffassung des Alexins lediglich 
als Complemont nicht richtig ist, ergibt sich daraus, dass durch¬ 
aus nicht in allen Fällen die Wirkung des Alexins an das Vor¬ 
handensein eines Präparators gebunden ist. Es ist zwar ganz 
richtig, dass in vielen Fällen die Haemolyse durch die Normal¬ 
sera genau so vor sich geht, wie die durch speeifische Antisera, 
d. h. dass zunächst die Blutkörperchen einen Präparator absor- 
biren bezw. absorbiren müssen, um gelöst zu werden. Aber in 
anderen Fällen ist eine solche Hilfssubstanz nicht nachweisbar. 
Die Frage ist leicht zu entscheiden, indem man in das abgekühltc 
Serum die Blutkörperchen in grosser Menge einträgt, nach an¬ 
gemessener Zeit abcentrifugirt, in die Flüssigkeit neuerdings 
eine angemessene Menge Blutkörperchen der gleichen Art ein¬ 
trägt und eventuell dies»** Verfahren mehrfach wiederholt. 
Jedesmal prüft man, ob sich die abcentrifugirten Körperchen 
in der zuletzt abcentrifugirten Flüssigkeit (Alexinlösung) 
beim Erwärmen lösen oder nicht. Ist zur Lösung ein Präparator 
nothwendig, so geht nur die erste Blutkörperchenportion in 
Lösung, allenfalls noch ein Theil der zweiten; vermag aber das 
Alexin für sich allein zu lösen, so gehen die letztabcentrifugirten 
Körperchen genau so in Lösung, wie die ersten. Auf diese Weise 
würfle z. B. ermittelt, dass Rinderserum Schafblut, Kaninchen¬ 
serum Hammelblut, Hühnerserum Kaninchenblut mit Hilfe von 
in diesen Normalseris enthaltenen Präparatoren löst, dass da¬ 
gegen die Lösung von Kaninchenblut durch Hundeserum, die 
von Kaninchenblut durch eoncentrirtes Meerschweinserum, die 
von Kaninchen- und Meerschweinblut durch Rinderserum ohne 
Mitwirkung eines Präparators durch die Alexine dieser Serum¬ 
arten allein besorgt wird. Auch die Abtödtung abgeschwächter 
Bacterienrassen durch die Normalsera erfolgt anscheinend durch 
das Alexin allein, während es zur TÖdtung der vollvirulenten 
Kassen der Mitwirkung der specifischen Präparatoren der 
Immunsera bedarf. Ebenso tödtet nach Metschnikoff 
normales Kaninchenserum die Spormatozoen des Meerschweines, 
ohne dass in ihm ein Präparator nachweisbar wäre. 

Wenn das Alexin unter Umständen schon für sich allein hin¬ 
reicht, um Haemolyse und Bakteriolyse herbeizuführen, so muss 
man erwarten, dass seine Wirkung durch verschiedene Präpara¬ 
toren gefördert werden kann. Dies verhält sich auch so. Ehr¬ 
lich hat nicht einmal den Versuch gemacht, seine Behauptung 
zu beweisen, dass die Präparatoren der Normalsera mit den Prä¬ 
paratoren der Immunsera identisch seien. Der Umstand, dass 
beiderlei Präparatoren durch die Erythroc.vten absorbirt werden 
und die Alexinwirkung ermöglichen, ist noch kein Beweis dafür. 
Man müsste sonst auch Schwefelsäure und Salzsäure für identisch 
erklären, weil beide sauro Reaktion verursachen, eine Reihe von 
Processen ermöglichen, die nur bei saurer Reaktion vor sich 
gehen und beide durch Lauge neutralisirt werden. 

Thatsächlich lässt sich beweisen, dass der normale, nicht- 
speciflsche Präparator und der specifischo Präparator von 
einander verschieden sind. 

Concentrirtes, normales, aktives Kaninchcnscrum löst Meer¬ 
seh weinblutkörperchen unter Mitwirkung eines Präparators. 


Inaktivirt man es, so lässt es sich durch Zusatz von aktivem 
normalem Meerschweinserum gegenüber Meerschweinblutkörper¬ 
chen nicht wieder aktiviren, d. h. die Imprägnation der Meer- 
schweinblutkörperchen mit dem Präparator des normalen Ka- 
ninchenserums genügt nicht, um sie für das Alexin ihres eigenen 
Serums empfindlich zu machen. Genau ebenso verhält cs sich 
mit innktivirtem Hühnerserum gegenüber Meerschweinblut- 
körperchen und -Serum, inaktivem Hundeserum gegenüber 
Kaninchen- und Meerachweinblutkörperchen und -Serum, in¬ 
aktivem Schafserum, inaktivem Rinderserum gegen diese selben 
Blutkörperchen- und Serumarten. Niemals scheint der 
Präparator der Normalsera die Erythro- 
cyten einer anderen Species für ihr eigenes 
Serum empfindlich zu machen. Inakt ivirt. man 
dagegen das Serum von Kaninchen, die mit Meer- 
schweinhlut vorbehandelt worden sind, versetzt man es mit 
frischem Meerschweinserum und trägt man in dieses Gemisch 
Meerschweinblutkörperchen ein, so gehen diese in Lösung und ich 
glaube Voraussagen zu können, dass die specifischen 
Präparatoren regelmässig die Erythrocyten 
in ihrem eigenen Serum löslich machen. Dies 
wäre also ein durchgreifender Unterschied zwischen beiden. 

Die Thatsaehe, dass in mauchen Fällen die Alexino für sich 
allein lytisch wirken, dass die Alexine in ihrer Wirkung durch 
verschiedene Präparatoren gefördert werden können, macht es 
etwas begreiflicher, dass schon die Normalsera eine so mannig¬ 
fache lytische Wirkuug, wenn auch in beschränktem Ausmaassc, 
auszuüben vermögen. Wenn, wie Ehrlich will, jedesmal ein 
ganz bestimmtes, durch Vereinigung eines ganz specifischen 
Amboceptors mit einem ganz bestimmten Alexin gebildetes Lysin 
in Wirkung treten müsste, wäre es noch räthselhafter, woher 
denn alle diese Stoffe kämen. 

Dass im normalen Serum vielerlei Stoffe Vorkommen, die 
fremde Zellen für das Alexin präpariren, ist nicht zu bezweifeln. 
Ebenso ist es völlig sicher, dass das Serum jeder Species 
ein anderes Alexin enthält. Viel strittiger ist es, ob im 
aktiven Serum einer bestimmten Thier- 
species ein oder mehrere Alexine enthalten 
sind, d. h. ob bei allen lytischen Wirkungen eines bestimmten 
Serums ein und dasselbe Alexin in Aktion tritt? 

Ich schliesso mich in dieser Hinsicht Bordet und 
Büchner an, die für die Einheit des Alexins eintreten. 
Es scheint mir dies durch den Nachweis Bordet’s sichergestellt 
zu sein, dass durch Vermischen eines aktiven Serums mit einer 
bestimmten empfindlichen Blutkörperchenart oder empfindlichen 
Bakteriennrt seine Aktivität gegenüber allen empfindlichen 
Blutkörperchen, sowie gegenüber allen empfindlichen Bakterien, 
aufgehoben werden kann. Denselben Nachweis hat Wilde mit 
abgetödteten Bakterien geführt; z. B. macht Vermischen von 
Normalserum mit abgetödteten Choleravibrionen, falls genügende 
Mengen davon angewendet werden, und die Einwirkung lange 
genug währt, dieses gegenüber allen empfindlichen Elementen 
inaktiv. Ich selbst habe zu anderem Zwecke ähnliche Versuche 
mit ganz gleichem Erfolge an'gestellt. 

Allo Einwendungen, die gegen die Einheit des Alexins ge¬ 
macht worden sind, scheinen mir nicht stichhaltig zu sein. Sie 
gehen alle von der irrigen Voraussetzung aus, 
dass dort, wo Alexin vorhanden ist, auch alle 
Alexinwirkungen in gleicher Weise eintreten 
müssen, ganz unabhängig von der Concentration des Alexins, 
von der Menge der einzelnen vorhandenen Präparatoren und dem 
Grade der Imprägnation der zu lösenden Elemente mit diesen, 
von der übrigen Zusammensetzung der Flüssigkeit, die doch 
nach Umständen fördernd oder hemmend wirken können wird. 
Sicherlich spielt allein schon die Concentration des 
Alexins eine sehr grosse Rolle. Nur ein Beispiel dafür! 
Rinderserum löst Kaninchen- und Mecrschweinblutkörperchen 
noch in grosser Verdünnung. Schafblutkörperehen aber mir in 
eoncentrirtem Zustande. 


Nach meinem Dafürhalten gehen also die verschiedenen 
Ilacmolysen und Bakteriolysen durch ein bestimmtes Serum so 
vor sich, dass immer dasselbe Alexin die Plasmolyse veranlasst, 
entweder für sich allein oder unter Mitwirkung bestimmter, nor¬ 
maler oder spezifisch erzeugter Präparatoren. Alle Beobachter 
scheinen darin überein zu stimmen, dass bei der specifischen 

3 * 


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1966 


No. 49. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Vorbehandlung der Thiere nur die Präparatoren neu gebildet 
werden, während die Menge des Alexins im Blutserum davon 
nicht beeinflusst wird, so dass also die höhere Intensität der 
lytischen Wirkung der specifischen Sera lediglich darauf beruht, 
dass der reichlich vorhandene Präparator die ganze vorhandene 
Alexinmenge auf ein empfindlich gemachtes Element concentrirt. 

So lange als die baktericide Wirkung der Normalsera be¬ 
kannt ist. dauert auch der Streit darüber, welche Bedeutung 
dieser Wirkung als natürliches Schutzmittel des Organismus 
gegen Infektion zukomme. Während ein Theil der Forscher 
diesen Schutz sehr hoch bewerthet, halten ihn Andere für ganz 
unbedeutend und Metschnikoff und seine Schule läugnen 
überhaupt das Vorhandensein von freiem Alexin in den lebenden 
Säften. Erst beim Absterben der polynucleären Leukocyten und 
daher nur ganz ausnahmsweise im lebenden Körper selbst, soll 
Alexin frei werden. Man kann nicht läugnen, dass viele That- 
saclien berechtigte Zweifel an der Existenz des Alexins im 
lebenden Körper erwecken und dass bisher, trotz aller Be¬ 
mühungen, ein einwandfreier Beweis für diese Existenz nicht 
beigebracht werden konnte. 

Wenn wir sehen, dass das Serum eines für die künstliche 
Infektion mit Milzbrandbacillen so enorm empfänglichen Thieres, 
wie das Kaninchen, Milzbrandbacillen energisch abtödtot, dass 
andererseits das Serum des Hundes, der gegen Milzbrandinfektion 
fast unempfänglich ist, für Milzbrandbacillen einen guten Nähr¬ 
boden abgibt, so wird uns dies abhalten, in der Sorumwirkung das 
Fundament der natürlichen Immunität zu suchen. Wenn wir 
aus den Versuchen von Conrad i, Ostrianine und Wilde 
erfahren, dass man aus dem reichlich lebende Bacillen führenden 
Blute milzbrandkranker Thiere Serum gewinnen kann, das gerade 
so oder nur wenig schwächer baktericid wirkt als das Serum eines 
normalen Thieres, so scheint dies wenigstens entscheidend 
gegen die Existenz des Alexins im Plasma zu sprechen.') Es gibt 
noch andere bedenkliche Facten. 

In sehr geistvoller Weise hat Wassermann versucht, diese 
Frage zur Entscheidung zu bringen. Wenn man einem Thiere A 
aktives Serum einer anderen SpeeiesB in passender Weise beibringt, 
gewinnt das Serum des behandelten Thieres A die Eigenschaft, die 
lytische Wirkung des Serums B auf die Blutkörperchen von A 
und auf andere empfindliche Elemente zu paralysiren. Wasser¬ 
mann sagte sich nun, wenn das Alexin im lebenden Thier prä- 
exist.irt. und wenn ihm eine wesentliche Bedeutung bei der natür¬ 
lichen Immunität zukommt., dann muss ich im Stande sein, diese 
natürliche Immunität aufzuheben oder merklich zu schwächen, 
wenn ich einem Thiere solches Antialexinserum in genügender 
Menge einverleibe. Er verschaffte sich also durch Injektion von 
frischem Meersehweinserum bei Kaninchen Antialexinserum und 
injicirte dieses zusammen mit einer für normale Thiere nicht 
tödtlichen Dosis von Typhusbacillen in die Bauchhöhle von 
Meerschweinen und — siehe da! — während die normalen Thiere 
die Typhusinfektion Überstunden, erlagen ihr die mit dem Serum 
behandelten. 

Aber so schlagend dieser Versuch für die Bedeutung des 
Alexins zu sprechen scheint, er lässt doch allerlei Einwände zu, 
die von Besredka. einem Schüler MetschnikofFs. auch 
alsbald erhoben worden sind: Normales Meerschweinserum wirkt 
so schwach auf Typhusbacillen, dass dieser Wirkung unmöglich 
die verhältnissmässig grosse Resistenz der Meerschweine gegen 
die Infektion mit diesen Bacillen zugeschrieben werden kann. 
Das injicirte Serum hebt nicht allein die Alexinwirkung auf, 
sondern erzeugt auch Niederschläge, hemmt auch die Agglutina¬ 
tion. schädigt auch die Leukocyten und hindert die Phagocytose, 
so dass es bis zu einem gewissen Grade dem Belieben überlassen 
bleibt, welche dieser vielen Wirkungen man für die Verminderung 
der Widerstandsfähigkeit des Organismus verantwortlich machen 
will. ** 

Ich habe daher einen anderen Versuchsplan entworfen und 
glaube damit in der That zu einem eindeutigem Ergebniss ge¬ 
langt. zu sein. Tch gab einem Kaninchen intraperitoneale Injek¬ 
tionen von Meerschweinblut und verschaffte mir so ein spe- 
eifisches, Mcorschwoin-Erythrocyten lösendes Serum. Dieses 

M Der letztere Widerspruch Ist durch die Erwägung zu be¬ 
hoben. dass die Bakteriolyse nicht momentan eintritt, 
sondern erhebliche Zeit erfordert. 


Serum inaktivirte ich durch Erhitzen auf 56". Erhitzt löst es 
die Blutkörperchen nicht mehr, agglutinirt sie aber noch sehr 
kräftig. Setzt man aber frisches Meerschweinserum hinzu, so 
werden Moerschweinblutkörpcrclien sofort wieder gelöst, wie ich 
schon früher erwähnt habe. Ich injicirte nun eine gewisse Menge 
(4—10 ccm) »flehen inaktiv irten Serums in die. Bauch¬ 
höhle von Meerschweinen, von wo es ganz allmählich und 
schonend in die Blutbahn übergeführt werden musste. Die Folge 
des TJebertritts musste auf jeden Fall eine Verminderung der 
Erythrocyten in der Volumeinheit des cireulirenden Blutes 
sein; auch dann, wenn lediglich Agglutination ein trat, weil die 
agglutinirten Körperchen in den Kapillaren oder in den Lacunon 
der Milz u. s. w. stecken bleiben mussten. Enthielt aber das Blut¬ 
plasma Alexin, so musste der Uebergang des Präparators in die 
Blutbahn »»fort. Haemoglobinurio zur Folge haben. In der 
Bauchhöhle selbst traf zwar das injizirte inaktive Serum mit 
Alexin zusammen, aber ich rechnete nach früheren Erfahrungen 1 
darauf, dass diese Menge zu klein sein werde, um den Versuch 
zu stören. 

Der Versuch verläuft nun in folgender Weise Alsbald nach 
der Injektion verschwinden die normalen Leukocyten der Peri¬ 
toneallymphe aus der freien Flüssigkeit, zugleich erfolgt massen¬ 
hafte Transsudation in die freie Bauchhöhle hinein, so dass diese 
zeitweise das Doppelte der injizirten Flüssigkeit und mehr ent¬ 
hält. Auf dieses Stadium der „Leukopenie“ folgt bald Ein¬ 
wanderung von polynucleären Leukocyten, die so massenhaft wird, 
dass die Flüssigkeit, fast einen eitrigen Charakter annimmt ; daun 
erscheinen die Makrophagen in immer zunehmender Zahl, fressen 
die Polynucleären auf und verlassen mit ihnen beluden den 
Bauchraum, aus dem auch die Flüssigkeit schliesslich bis auT 
wenige Tropfen resorbirt wird. Dies Alles nimmt im Ganzen 
etwa 36 bis 48 Stunden in Anspruch. Es verläuft also dieser 
Theil des Processes genau so, wie es Durham in seiner klassi¬ 
schen, leider ignorirte.it Abhandlung aus meinem Institute: 
„Mochnnism of roaction to peritoneal infection“*) beschrieben hat. 
Es ist. nun höchst. In-merkenswerth, dass der Bauchhöhleninhalt 
bis zuletzt allerdings in abnehmendem Maasse Meersehwein- 
erythrocyten kräftig agglutinirt, dass aber in keinem Stadium 
auch nur eine Spur von Haemolyse zu beobachten ist.*) 

Was das cireulironde Blut anbelangt, so weist es in den 
ersten 8—12 Stunden eine Erhöhung der Erythrooytenzahl 
in der Volumeinheit auf (um ca. Vs —1 Million pro Kubik¬ 
millimeter), was. durch die massenhafte Transsudation von 
Lymphe in die Bauchhöhle bedingt ist. Während dieser Zeit 
bleibt der Harn vollkommen haemoglobinfrei. Dann aber be¬ 
ginnt auf einmal die Zahl der Blutkörperchen abzunelimen und 
zu gleicher Zeit beginnt der Harn ganz schwach röthlich 
oder dunkler zu werden und das Spektroskop beweist die An¬ 
wesenheit von Hnemoglobin. Einmal begonnen 
nehmen beide Phänomene rapid zu und dauern stunden- und tage¬ 
lang ununterbrochen fort. Der Harn wird schwarzroth wie lack- 
farbenos Blut, oder dunkelbraun. Seine Menge ist, verglichen 
mit der Norm, ungeheuer vennehrt. Die Zahl der Blutkörperchen 
sinkt von 5,5 bis 6 Millionen auf 0,9 und 0,8 Millionen im Kubik¬ 
millimeter herab, bis schliesslich in Folge Sauerstoffmangels der 
Gewebe der Tod eintritt! 

Ich glaube, dass dieser Versuch keinen Einwand zulässt nnd 
dass durch ihn die Jahrzehnte alte Streitfrage in dem Sinne 
entschieden ist-, dass das Alexin ein Erzeugniss des 
lebenden Organismus ist und bereits im nor¬ 
malen Blutplasma circulirt; dort aber auch eine 
gewisse Scliutzwirkung entfalten muss. 

Dass das Alexin nicht erst in Folge des Ueberganges des spe- 
cifischen Serums in’s Blut gebildet wird, schliesse ich daraus, dass 
die Verminderung der Blutkörperchen zahl niemals der Haemo- 
globinurie vorhergeht und dass im Blute niemals eine mehr ab 
spurenweise Agglutination*) der Blutkörperchen, und auch diese 
niemals vor dem Auftreten der Haemoglobinurie wahrnehmbar 
ist. Uebrigens hoffe ich diese Frage durch Verwendung iso- 

*) Siehe Wien. klin. Wochenschr. 1890», No. 12. 

*) Journal of Pathology and Bacteriology, März 1897. 

*) Dieselbe äussert sich darin, dass sich die Blutkörperchen iin 
frischen Blutstropfen rasch zu Boden setzen. 

*) Die so kräftig baktericide normale Peritoenallymphe selbst 
wirkt nur spurenweise haemolytisch. 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1967 


lytischen Serums noch schärfer beantworten zu können und 
bin ich mit dessen Herstellung schon beschäftigt. 

Woher stammt nun das Blutalexin? Man nimmt be¬ 
kanntlich jetzt ziemlich allgemein an, dass es von den Leukoeyten 
abstamme. Es ist sogar auf Grund dieser Annahme zu einer ge¬ 
wissen Besänftigung des Streites über die Bedeutung der Phago- 
cyten für die natürliche Immunität gekommen. Nach Büchner 
soll das Alexin das Sekret der Leukoeyten sein, während 
Metschnikoff es als deren Absterbeprodukt betrachtet. 

Weder die eine noch die andere Ansicht kann als richtig an¬ 
genommen werden, wenn auch vielleicht ein entfernterer Zu¬ 
sammenhang zwischen dem Absterben der Leukoeyten (und 
anderer Körperzellen) und dem Blutalexin besteht. 

Es ist nämlich durch Büchner und seine Schüler, nament¬ 
lich auch durch Schatten froh, zwar völlig sichergestellt 
worden, dass bei der Zerstörung der polynudeären Leukoeyten 
durch Einfrieren und Aufthauen und andere Mittel baktoricide 
Stoffe entstehen, die Untersuchungen von Schattenfroh 
haben aber ergeben, dass diese Stoffe mit dem Blutalexin nicht 
identisch sind. Dies geht schon daraus hervor, dass das 
Blutserum und das Leukocytenextrakt desselben Thieree auf das¬ 
selbe Mikrobium verschieden einwirken, während z. B. das Serum 
normaler Meerschweine eine bestimmte Choleravibriorasse ener¬ 
gisch abtödtet, schädigt sie das Leukocytenextrakt (nach Buch- 
ne Fs Methode mittels Aleuronatinjektion in die Pleurahöhle 
erhalten) nicht im Geringsten. Die baktericide Wirkung des 
I^eukocytenextrakteo ist im Gegensätze zu der des Blutserums 
völlig unabhängig vom Salzgehalte des Mediums; sie erlischt 
erst uei viel höherer Temperatur (80—85 “ C. gegen 55—60 u beim 
Blutserum). Endlich aber — und dies ist meines Erachtens 
entscheidend —: die baktericiden Leukocy ten- 
extrakte üben nicht die geringste haemo- 
lytische Wirkung aus. Wenn man sich daran erinnert, 
dass mit grösster Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, 
dass im Blute nur ein Alexin vorhanden ist, von dem sowohl 
die bakteriolytische als die haemolytische Wirkung ausgeht, so 
folgt aus der letzt angeführten Thatsachc die Verschiedenheit der 
baktericiden Zerfallsprodukte der Leukoeyten und des Blutalexins 
mit Nothwendigkeit. Man hätte höchstens noch einwenden 
können, dass die baktericide Wirkung gegenüber Bakterien, 
welche nicht voll virulent sind, auch ohne Hilfe eines Präparators 
erfolgt, während zur globulicideu Wirkung das Alexin der Mit¬ 
hilfe eines solchen bedürfe. l>ie Hacmolyse durch das Leuko- 
eytenextrakt sei vielleicht wegen Mangels der erforderlichen Prä¬ 
paratoren in demselben ausgeblieben. l T m auch diesem Einwande 
Rechnung zu tragen, haben ich und Kollege Schattenfroh 
in letzter Zeit noch einige Versuche angestellt, bei welchen wir 
den Leukocytenextrakten inaktivirtes Blutserum desselben 
Thiercs hinzusetzten, also den allfälligen Mangel des Präparators 
ersetzten. Diese Modifikation änderte aber nicht das Geringste 
am Ausfall der Versuche, Z. B. tödtete in einem Versuche 
Schattenf roh’s ein Gemisch von 0,75 ccm Leukocytenextract 
und 0,25 ccm inaktivem Serum vom Kaninchen 630 Exemplare 
von Bacterium coli binnen 21 Stunden und 2600 Exemplare einer 
Vibrioart binnen 3 Stunden, während ee nicht die geringste 
Lösung von Mcerschweiucrythrocyten herbeiführte, wogegen das 
Gemisch von 0,75 ccm aktivem und 0,25 ccm inaktivem Serum 
desselben Thieres die gleiche Menge Meerschweinerythroeyten 
binnen wenigen Minuten vollständig löste. 

Metschnikoff glaubte die Anwesenheit lmktericider 
Stoffo in der Bauchhöhle von Thicrcn, welche irgendwelche intrn- 
peritonealo Injektion erhalten haben, auf den von ihm ange¬ 
nommenen Masscnzerfnll der in der Peritonoullymphe normaler 
Weise enthaltenen Leukoeyten zurückführen zu können. Aber 
auch dies ist nicht richtig, denn, wie ich und Durhain gefunden 
haben, handelt es sich auch bei der sog. „Phagolyse“ nicht oder 
nur zum geringsten Theilo (Picralini) um Untergang und 
Auflösung der Leukoeyten, sondern um Zusammenballung der¬ 
selben und Ablagerung der Ballen auf den Peritonealflächen, und 
zweitens sind in der normalen IVritoneallympho gar keine oder 
fast gar keipe polynudeären Leukoeyten, sondern nur grosse, 
inononucleäre hyaline Zellen, die wahrscheinlich mit den Makro¬ 
phagen identisch sind, eosinophile Leukoeyten und Lymphocyten 
vorhanden, während nach den neuesten Ermittelungen von 
Gengou nur beim Zerfall der polynudeären Phagocyten bak¬ 
tericide Stoffo entstehen. 

No. 49. 


Ebensowenig wie die baktericiden Leukocytenstoffe können 
die neuerdings von C o n rad i entdeckten, bei der Autolyse der 
Organe auftretenden baktericiden Stoffe mit dem Blutalcxin 
identifizirt werden. Daran hindert nebst anderen Umständen die 
Thatsachc, dass die ersteren mehrstündiges Kochen vertragen, 
ohne zerstört zu werden. 

Wir sind also vorläufig leider völlig im Dunkeln darüber, wo¬ 
her das Blutalexin stammt; wenn auch die Möglichkeit., dass es 
ein Umwandlungsprodukt (Derivat) der baktericiden 
Zcllzerfallsstoffe sei, nicht ausgeschlossen worden kann. 

Nicht viel mehr wissen wir über die Abstammung der Prä¬ 
paratoren. Ich verweise zunächst auf das, was ich in meinem 
Vortrage über Antitoxinimmunitiit gesagt habe. Je klarer wir 
erkennen, dass die Zahl der möglichen Antikörper Legion sei, 
um so unmöglicher wird die Annahme, dass es sich bei ihnen um 
normale Leibesbcstandthoile oder Stoffwechselprodukte handle, 
um so nothwendiger wird die Annahme, dass die Antikörper in 
genetischem Zusammenhänge mit den Substaiizen stehen müssen, 
deren Antagonisten sie sind. Für diese Abstammung scheint mir 
auch sehr gewichtig der Umstand zu sprechen, dass anscheinend 
immer dasselbe Diphtherie- oder Tetanusantitoxin entsteht, 
gloichgiltig, welche Species ich immunisire, dass, wie in den 
letzten Tagen Be s r c d k a mitgctlieilt hat, auch der Präparator 
(Fixateur) der für ein bestimmtes Element lytischen Sera stets 
derselbe ist, gleichgiltig, von welchem Thiere das Serum geliefert 
wird. 

Insoferne es sich um komplizirto Lösungen und geformte 
Elemente handelt, muss man sich von vomeherein klar machen, 
dass nicht das ganze Element, sondern stets nur der eine oder 
andere chemische Beetandtheil desselben an der Antikörper- 
bildung betheiligt ist. So weiss man heute, dass die Gegengift¬ 
bildung an die Einverleibung des Giftes oder der ihm nahestehen¬ 
den ungiftigen Abkömmlinge geknüpft ist, dass die Bildung der 
Bakterienprüparntoron und -Agglutinine mit gewissen ungiftigen 
Leibcsbestandt heilen der Bakterien zusammenhängt (G ruber), 
dass die Bildung der Erythrocytenprüparatoren und -Agglutinine 
jedenfalls durch einen Bestandtheil des Erythrocytenstromas pro- 
vocirt wird (Bordet). Schattenf roh’s wichtige Ent¬ 
deckung, das* specifisch haemolytisehos Serum auch durch In¬ 
jektion von eiweissfreiem Ham gewonnen werden kann, dürfte 
dazu bestimmt sein, uns nähere Aufschlüsse über diesen Bestand¬ 
teil zu bringen. Er selbst wird Ihnen wohl bald darüber be¬ 
richten können. 

Wenn angenommen werden muss, dass die Antikörper irgend¬ 
wie Derivate der fremden Stoffe und geformten Elemente sind, 
dann muss man ihre Bildungsstätte in jenen Zellen und Organen 
suchen, wo diese fremden Stoffe und Elemente abgelagert, verdaut 
und aufgelöst worden. Dass diese keineswegs dieselben Orte zu 
sein brauchen und sind, wo die fremden Stoffe eventuell ihre 
schädlichen Wirkungen entfalten, habe ich schon letzthin dar¬ 
gelegt. 

Von dem dargelegten Gesichtspunkte aus haben ich und 
D u r h a m auf die Makrophagen als mögliche Bildungsstätte 
für die Bakterienpräparatoren und -Agglutinine aufmerksam ge¬ 
macht. Nach intraperitonealer Infektion wird nämlich, falls der 
Thierkörper die Oberhand gewinnt, der grösste Theil der in- 
jizirten Bakterien von den polynudeären l/cukocytcn verzeiht 
und diese wieder von den später aukommenden Makrophagen, und 
kann man sehen, wie im Leibe dieser beiden Jxmkocytensorten die 
allmählige Auflösung der Bakterien erfolgt. Endlich werden 
nach Injektion von Erytlirocyten in die Bauchhöhle, diese zum 
grössten Theilo direkt von den Makrophagen verzehrt. 

Man hat gegen diese Hypothese eingewendet, dass dann in 
der Peritonealflüssigkeit zuerst dio Antikörper auftreten müssten ; 
dies sei aber nicht der Fall. Dieser Einwand wiegt aber nicht 
sehr schwer, da, wie ich heute schon gelegentlich erwähnt habe, 
dio mit Nahrungsbeuti? beladenen Makropliagon nicht in der 
Bauchhöhle bleiben, sondern auswandern. Schon D urhani hat 
sie auf ihren weiteren Wegen verfolgt, mit grösserem Erfolge 
neuerdings IM etschnikof f, nachdem er sie mit den leicht 
kenntlichen Gansblutkörperchen beladen hatte“. Er konnte l'est- 
stellen, dass sie in die freie Blutbalm gelangen und sich nament¬ 
lich in der Milz, der Leber und den Mesenterial! ni-oi fest setzen. 

Dadurch wird es mit meiner Vermuthung in Einklang ge¬ 
bracht, wenn von anderer Seite die Milz, die Lymphdrüsen und 

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MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


1968 


das Knochenmark als die Stätten der Präparatorenbildung an¬ 
gesprochen wurden. Dass z. B. der Milz nicht von vomeherein 
eine ausschlaggebende Bedeutung für diese Präparatorbildung zu¬ 
kommt, sondern diese erst im Laufe des Processen — vermuth- 
lich durch die Einwanderung der Makrophagen — erhält, gellt 
aus den interessanten Untersuchungen von Ladislaus Deutsch 
über die Folgen der Splenektomie für die Antikörperbildung her¬ 
vor. Wird die Milz früh exstirpirt, dann leidet die Antikörper¬ 
bildung darunter nicht, wird sie aber spät, d. h. erst 4—5 Tage 
nach der Infektion, entfernt, dann wird erheblich weniger Anti¬ 
körper gebildet — wie ich annehme dosshalb, weil diesmal ein 
Thcil des Materiales zur Antikürperbildung mit der Milz ent¬ 
fernt wurde. 

Auf die Orte, wo die Antikörperbildung erfolgt, deuten 
wohl auch die Tlmtsachen hin, welche vielleicht noch eine grosso 
praktische Wichtigkeit erlangen werden, dass geringe Mengen 
von haemol.vtischem Serum, welche keine »Hier nur geringe llae- 
molyse hervorzurufen im Stande sind, nach Cantacuzene 
die Produktion von Erythrocyten lebhaft anregen, dass ebenso 
nach Bosredka leukotoxisches (leukoeytentödtendes) Serum 
in kleiner Menge Hyperleukocytoso bewirkt. 

AU’ dies sind nur Andeutungen, Winke. Weiteren 
Forschungen bleibt es Vorbehalten, diesen Problemen näher zu 
kommen. Sie werden um so eher Frucht tragen, je weniger wir 
Alles unter einen llut zu bringen, in eine Schablone zu pressen 
suchen werden. Ich glaube, wir müssen bezüglich der Antikörper 
und speciell bezüglich ihrer chemischen Natur und Wirkungsart 
auf eine viel grössere Mannigfaltigkeit gefasst sein, als man bis¬ 
her voraussetzt. Wer weiss, was da bei ernstlichem Suchen nicht 
noch Alles gefunden werden wird. Ich erinnere Sie z. B. an die 
von Bansom entdeckte Rolle des Cholesterins bei der Saponin¬ 
vergiftung. Pohl in Prag vermochte im Widerspruche mit 
E h r 1 i c h’s Präsumption ein antitoxisches Serum gegen das 
Solanin zu präpariren und zeigte, dass bei seiner Wirkung saure 
Phosphate wenigstens mitbeteiligt sind°). Besredka scheint 
cs sogar gelungen zu sein, wenn auch nur in sehr kleiner Menge 
ein Antitoxin gegen Arsen zu erzeugen. Fuld und Spiro 
haben ermittelt, dass das Antilab im normalen Pferdeserum, 
d. h. jener Bestandteil des Serums, welcher die Caseinausschei¬ 
dung durch Lab hemmt, dadurch wirkt, dass er den zur Para- 
globulincalciumfällung unentbehrlichen Kalk bindet. 

Gemig; Mannigfaltigkeit, wohin man sich wendet.! 


Wesen und Grundzüge der deutschen Arbeiter¬ 
versicherung. 

Von Prof. Dr. Geffcken. 

(Schluss.) 

Bei jeder Versicherung nun sind verschiedene an dem Rechts¬ 
verhältnisse beteiligte Rochtssubjekte zu unterscheiden. Man 
spricht einmal von dem Versicherer oder dem Träger der Ver¬ 
sicherung, man spricht ferner von dem Versicherungsneluner und 
man spricht endlich von dem Versicherten. Träger der Versiche¬ 
rung ist diejenige physische oder juristische Person, welche im 
Falle des Eintritts der Versicherungsbedingung zur Leistung der 
Versicherungssumme oder Versicherungsrente verpflichtet ist. 
Versicherungsnehmer ist derjenige, welcher für sich oder einen 
dritten die periodisch wiederkehrenden Versicherungsprämien an 
den Träger der Versicherung leistet und dadurch für sich oder 
jenen Dritten den Anspruch auf entsprechende Fürsorge bei Ein¬ 
tritt der Versicherungsbedingung erwirbt. Versicherter endlich 
ist derjenige, zu dessen Gunsten das Versicherungsverhältniss be¬ 
gründet wird. Versicherter und Versicherungsnehmer sind also 
identisch, so bald Jemand sich selbst versichert; und sie fallen 
in zwei verschiedene Personen auseinander, wenn Jemand zu 
Gunsten eines Dritten ein Versicherungsverhältniss begründet. 

Als Träger der deutschen Arbeiterversicherung erscheinen 
regelmässig öffentlichrechtliche Subjekte, welche durch die 
Arbeitervorsieherungsgcsetze selbst erst geschaffen worden sind. 
Das sind bei der Krankenversicherung die Krankenkassen, bei 
der Unfallversicherung die Berufsgenossenschaften und bei der 

*) Die Einwendungen B a s li f o r <1 - E li r 1 i c h’s dagegen hat 
Pohl als hinfällig erwiesen. 


Invaliditätsversicherung die Versicherungsanstalten. Während 
letztere, wie schon ihr Name sagt, den Charakter von Anstalten 
im juristischen Sinne des Wortes haben, ohne dass sie doch ge¬ 
wisser körperschaftlicher Elemente entbehrten, ist die Natur der 
Krankenkassen und der Berufsgenossensehaften eine rein korpo¬ 
rative, d. h. es sind Personeuvereine mit juristischer Persönlich¬ 
keit. Ausnahmsweise treten auch politische Gemeinwesen, näm¬ 
lich Gemeinden oder höhere Kommunalverbände, als Trüget der 
Versicherung auf. 

Der Kreis der Versicherten, d. h. derjenigen Personen, für 
welche gezahlt wird und die oder deren Angehörige eintreten¬ 
den Falles Anspruch auf Gewährung von Unterstützungen haben, 
ist bei den verschiedenen Zweigen der Arbeiterversicherung sehr 
verschieden umgrenzt, ich komme daher hierauf zweckmässiger 
erst später bei der Spezialbesprechuug der einzelnen Gesetze 
zurück. liier ist nur zu betonen, dass die Versicherten zerfallen 
in Versicherungspflichtige und Versicherungsberechtigte. Ersten-. 
sind Personen, für welche das Versicherungsverhältniss kraft 
Gesetzes durch Eintritt in eine bestimmte Beschäftigung ent¬ 
steht. Die rechtliche Nothwendigkeit, kraft deren dieselben der 
Versicherung unterliegen, wird als Versicherungszwang be¬ 
zeichnet. Versieherungsberechtigt sind dagegen diejenigen Per¬ 
sonen, welche nicht kraft des Gesetzes versichert sind, wohl aber 
durch einen besonderen, von ihrem oder eines Dritten Willen ab¬ 
hängigen Akt versichert werden können. 

Mit den Versicherten fallen bei der deutschen Arbeiter¬ 
versicherung entsprechend meinen früheren Ausführungen über 
die Leitideen der Versicherungsgeeetze als identisch zusammen 
die Versicherungsnehmer. Von einer Versicherung zu Gunsten 
eines Dritten, wie sie im privaten Versicherungswesen h&Ufig 
vorkonimt, kann liier in alle Wege keine Rede sein, die Beitrage, 
welche die Arbeitgeber leisten, sind, wie wir sehen, das Aetjui- 
valent für persönliche Opfer, welche der Arbeiter zu Folge der 
Eigenart des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber zu bringen ge- 
nöthigt ist. Auf diese Beiträge hat also der Arbeiter ein For¬ 
derungsrecht, Forderungen aber werden, auch wenn sie noch nicht 
erfüllt sind, allgemein als Bestandtheil des gläubigerischen Ver¬ 
mögens angesehen, und in diesem Sinne ist der periodische Ver¬ 
sicherungsbeitrag des Arbeitgebers, sobald der Arbeiter die zeit¬ 
lich entsprechende Arbeitsleistung prästirt hat, Eigenthum des 
letzteren. Freilich bekommt er dies Objekt seines Eigenthums 
niemals sofort in seine Hände. Denn ’ wiederum aus Zweck¬ 
mässigkeitsgründen ist bestimmt worden, dass gegenüber den 
Trägern der Versicherung allein der Arbeitgeber für die that- 
sächliche Leistung der gesammten Beitragsquoten hafte: der 
Arbeitgeber führt also nicht nur seinen eigenen Beitrag un¬ 
mittelbar an die Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Ver¬ 
sicherungsanstalten u. s. w. ab, sondern bei Kranken- und Invali¬ 
ditätsversicherung ausserdem auch noch den Beitrag des Ar¬ 
beiters, welchen er diesem dann bei der nächsten Lohnzahlung 
in Abzug zu bringen berechtigt ist. 

Das Versicherungsverhältniss selbst ist, wie schon nach 
fridieren Ausführungen einleuchlet, kein privatrechtliches, son¬ 
dern ein öffentlichrechtliches. Es beruht niemals auf Vertrag, 
sondern stets und nothwendiger Weise auf gesetzlicher Anord¬ 
nung, auch für die nur versichcrungsberechtigten Personen wird 
es nicht durch Vertrag, sondern durch deren einseitige Willens¬ 
erklärung begründet. Die ganze Organisation, welche zur Durch¬ 
führung der Arbeitorversieherungsgosetze geschaffen worden ist, 
hat. öffentlichrechtlicho Natur: die Träger der Versicherung sind 
juristische Personen des öffentlichen Rechts und vom Staate zur 
Ausübung gewisser obrigkeitlicher Befugnisse ermächtigt. Den¬ 
selben öffentlichrechtlichen Charakter tragen die Beiträge, welche 
von den Arbeitgebern im Namen und für Rechnung der Arbeiter 
entrichtet werden, und nicht minder die Ansprüche, welche die 
Versicherten gegenüber den Trägern der Versicherung haben. 
Endlich erfolgt auch die Geltendmachung dieser Ansprüche nicht 
im Wege des Civilprocesscs, sondern eines verwaltungsgericht¬ 
lichen Verfahrens. 

Da die Arbeiter die Leistungen des Versicheruugsträgers 
nicht unentgeltlich empfangen, sondern nachdem sie in der mehr¬ 
fach betonten Weise ein vollgiltiges Aequivalent dafür prästirt 
haben, so ist selbstverständlich, dass die beim Eintreten der 
Versicherungsbedingung gewährten Unterstützungen nicht das 
Geringste mit Armenunterstützungen zu tliun haben. Hilfs¬ 
bedürftigkeit im Sinne des Unterstützungswohnsi tzgeeetzes ist 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1969 


daher auch durchaus keine Voraussetzung; für den Bezug von 
Cield oder Ccldeswerth aus den Fonds der Versieherungsträger, 
dem Versicherten steht vielmehr der Versicherungsanspruch 
auch dann zu, wenn er ausreichendes eigenes Vermögen oder 
leistungsfähige alimentationsverpflichtcte Verwandte hat. Weil 
aber die Bezüge aus der Arbeiterversicherung keinen armen- 
rechtlichen Charakter haben, so können sie auch nicht von armen¬ 
rechtlichen Folgen begleitet sein: während Armenunterstütz¬ 
ungen die Suspension des aktiven und passiven Wahlrechts zu 
den pariamentarischen Körperschaften und kommunalen Ver¬ 
tretungen nach sich ziehen und ausserdem das Ruhen der Frist 
für den Erwerb oder Verlust des Unterst ützungswohnsitzes be¬ 
wirken, ist von derartigen Konsequenzen der arbeiterversiche¬ 
rungsrechtlichen Fürsorge keine Rede. 

Das Unfall- und Invaliditätsversicherungswesen findet seine 
verwaltungsrechtliche Spitze in dem sogen. Reichsversicherungs¬ 
amte, einer kollegialen, in Berlin residirenden Reiehsbehörde, 
welche aus einem Vorsitzenden, sowie ständigen und nicht 
ständigen Mitgliedern besteht. Der Präsident und die übrigen 
ständigen Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundesrathes 
vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Von den nicht ständigen 
Mitgliedern werden sechs vom Bundesrathe und zwar mindestens 
vier aus seiner Mitte gewählt. Die. übrigen zwölf, nicht ständigen 
Mitglieder sind zu gleichen Theilen Vertreter der Arbeitgeber 
und der Arbeitnehmer. Die Befugnisse des Reichsversicherungs- 
amtes sind theils rein verwaltende, thcils verwaltungsgerichtliche. 
In letzterer Beziehung steht ihm namentlich die Entscheidung 
von Streitigkeiten zwischen den Versicherungsträgern und den 
Unterstützungsberechtigten zu, doch gehören zu seiner Kompe¬ 
tenz auch Streitigkeiten der Berufsgenossenschaften mit den Be- 
triebsunternehmem. In einer Reihe deutscher Gliedstaaten 
werden übrigens die Funktionen des Reichsversicherungsamtes 
zum Theil von besonderen Landesversicherungsämtern wahr- 
genommen. 

Wenden wir uns nun noch zu einer etwas spezielleren Be¬ 
sprechung der einzelnen Arbeitcrvcrsieherungsgesetze, so tritt 
uns als ältestes und zugleich den Aerztestand am meisten inter- 
essirendes von ihnen das Krankenversicherungsgesetz entgegen. 
Die Versicherungspflicht, d. h. der öffentlichrech fliehe Zwang, 
versichert zu sein, beruht hier, wie bei den anderen Reichsver¬ 
sicherungsgesetzen theils auf unmittelbarer reichsgesetzlicher 
Vorschrift, theils auf der im Reichsgesetze der einzelstaatlichen 
legislative oder gewissen Reichs- und Landesbehörden gegebenen 
Befugniss. nach ihrem Ermessen die Versicherungspflicht auf 
gewisse Personenklasscn auszudehnen, die ihr nicht ohne Weiteres 
unterliegen. Der Versicherungszwang erstreckt sich aber auf die 
reichsgesetzlich versieherungs pflichtigen Personen nur dann, wenn 
sie einmal gegen Gehalt oder Lohn und zweitens, wenn sie 
dauernd in dem versicherungspflichtigen Betriebe btwcliiiftigt 
sind. Als nicht dauernde Beschäftigung gilt, eine solche, die 
durch die Natur ihres Gegenstandes oder im Voraus durch den 
Arbeitsvertrag auf einen Zeitraum von weniger als einer Woche 
beschränkt ist. Während im Allgemeinen die Höhe des Arbeits¬ 
verdienstes für das Bestehen der Versicherungspflicht unerheb¬ 
lich ist, unterliegen doch gewisse Personenklassen, wio z. B. 
Werkmeister und Betriebsbeamte, dem Vor sicher ungsz wange nur, 
falls ihr Verdienst ein bestimmtes Maximum nicht übersteigt. 
Für Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge kann ausserdem 
die Versicherungspflicht, auch wenn sie sonst gegeben sein sollte, 
fortfallen, wenn sie einen gj-setzlichen Anspruch auf Fortbezug 
von Gehalt und Unterhalt während unverschuldeter Dienst¬ 
unfähigkeit besitzen. 

Wie aber dieser Versieherungszwang theils durch Laudes¬ 
gesetz, theils durch statutarische Vorschrift eines Selbstverwal- 
tungskörpers, theils durch Verfügung des Reichskanzlers und der 
(’entralbehörde eines Gliedstaates auf andere im Reichsgesotz 
namhaft gemachte Personenklasscn ausgedehnt, werden kann, so 
ist andererseits für gewiss«; Kategorien von Personen die Be¬ 
freiung von der Versicherungspflicht möglich, und zwar sind be¬ 
stimmte Personen kraft Gesetzes vom Versicherungszwange aus- 
genomnum, während andere Personen auf ihren Antrag oder auf 
denjenigen ihrer Arbeitgeber hin aus der Versicherungspflicht 
zu entlassen sind. Versicherungsberechtigt endlich sind prin¬ 
zipiell alle in versicherungspflichtigen Betrieben beschäftigten 
Personen und alle Dienstboten. Durch statutarische Bestimmung 
kann diee Recht auch anderen nicht versicherungspfliohtigen Per¬ 


sonen, deren Jahresverdienst 2000 M. nicht überskngt, eingeräumt 
werden. 

Als Träger der Krankenversicherung treten uns theils die 
Gemeinden, theils die Krankenkassen entgegen. Die normale 
und regelmässige Organisation im Sinne des Gesetzes wird von 
den Ortskrankenkassen gebildet. Ihre Errichtung erfolgt durch 
die Gemeinden für Angehörige, sei es eint« einzigen Gewerbe¬ 
zweiges, sei es mehrerer oder sännntlicher in der Gemeinde vor¬ 
handenen versicherungspflichtigen Betriebe. Auch für mehrere 
Gemeinden oder für einen weiteren Kommunalverband können 
gemeinsame Ortskrankenkasseu errichtet werden. Sind die ge¬ 
setzlichen Voraussetzungen für die Bildung von Ortskranken- 
kassen gegeben, so muss auf Verlangen der höheren Verwaltungs¬ 
behörde die Errichtung geschehen. Die Ortskrankenkasseu 
haben, wie bereits betont, die Eigenschaften öff«*ntlicher Körper¬ 
schaften mit bestimmten obrigkeitlichen Befugnissen, kraft 
derer sie gewisse, für ihre Mitglieder rechtsverbindliche Vor¬ 
schriften erlassen und Uebertretungen mit Strafe bedrohen 
können. Als Mitglieder der Korporation erscheinen nicht, wie 
gewöhnlich behauptet wird, lediglich die Versicherten, sondern 
ebensowohl die Arbeitgeber der Versicherungpfliehtigen, denn 
diese Letzteren habim Anspruch auf Theilnahme an der Bildung 
der Korporationsorgane, diese aber können logischer Weise nur aus 
Körperschaftsmitgliedern bestehen. Die Organe der Ort-skranken- 
kassen sind die Generalversammlung und der Vorstand. Erster«! 
besteht aus der Gesammtheit der Kassenmitglieder oder «leren 
Vertreter, letzterer wir«l von der Generalversammlung behufs 
Führung der laufenden Geschäfte gewählt. Die Thätigkeit der 
Kassenorgant! unterliegt obrigkeitlicher Aufsicht. 

An Stelle der Ortskrankenknssen können für grössere. Einzel¬ 
betriebe Interniere Betriebs-(Fabrik-) Krankenkassen treten. 
Ebenso können für vorübergehende grosse Baubetriebe Bau- 
kraukenkassen errichtet werden. Die Organisation derselben 
«ntspricht im W«.\sentliehen derjenigen der Ortskrankwikassen. 
Ausserdem bestehen Innungskrankenkassen für Gesellen und 
Lehrlinge d«'r Innungshandwerke, sowie Knappschaftkassen für 
die B«!rgarbcit«!r, und endlich sind auch freie Hilfskassen als 
Ersatz «ler Ortskrankenkassen zugelassen, sofern sie ihren Mit- 
gliedorn ein gesetzlich bestimmtes Mindestmaass von Unter¬ 
stützung in Krankheitsfällen angedeihen lassen. Für diejenigen 
versicherungspflicht igen und versieherungs berechtigten Personen 
aber, welche keiner der «lurch das Gesetz zugelassenen Kranken¬ 
kassen angehören, tritt subsidiär «lie Gemeindekrankenversiche¬ 
rung ein, d. h. die betreffende Gemeinde übernimmt als solche 
die Funkt Ionen «les Trägers der Versicherung, erhebt die Beiträge 
und leistet die Krankenunterstützung. 

Sofern für eine Person die Versicherungspflicht bei einer 
Zwangskasse besteht, beginnt das Versi<*heruugsverhältniss ohne 
Weiteres im Augenblick ihres Eintritts in einen versicherungs- 
pfliehtigen Betrieb. Es bedarf also hierzu weder seitens des 
Arbeiters selbst, noch seit«*ns der Krankenkasse eines besonderen 
Aktes. Den Arbeitgebern ist zwar die Verpflichtung zur An¬ 
meldung der betreffenden Personen auferlegt, und die Versäum¬ 
nis dieser Pflicht zieht den Säumigen Nachtheile zu, die An¬ 
sprüche der Versicherungspflichtigen gegenüber d«*r Kasse aber 
«‘utstehen auch im Falle unterlassener Anmeldung. 

Was die Beitragspflicht anbotrifft, so ist dieselbe nicht in 
gleicherweise für die einzelnen Kassen geregelt. Bei derGemeinde- 
krankenversiclierung, den Orts-, Betriebs-, Bau- und Innungs¬ 
krankenkassen zahlen die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer 
nur % der B«*iträge aus ihrem Lohn, das letzte Drittel entrichtet 
«ler Arbeitgeber als besonderes Aequivalent für die Ausnutzung 
der Arbeitskraft. Durch K«nnmunalstatut aber können ganz 
kleine Arbeitgeber und Unternehmer, in deren Betrieb«! keine 
Dampfkessel oder durch elementare Kraft bewegte Tri«‘bwerke 
Verwendung finden, von der Beitragspflicht aus eigenen Mitteln 
befreit werden. Die Höhe der Beiträge wird bei d«*n Orts-, Be¬ 
triebs-, Bau- und Innungskrankenkassen entweder in Procenten 
«les Durchschnittslohnes im Höclist bet rage von 3 M. odor des 
Individuallohnes im Höchstbetrage von 4 M. festgesetzt. Die 
Beiträge sollen regelmässig 4Vs Proo. des Durehschnittslohnes 
nicht übersteigen. Bei der Gemeindekrankonv«*.rsicherung sind 
die Beiträge wesentlich niedriger: sie betragen für gewöhnlich 
nur lVa Proc. des ortsüblichen Taglohnes gewöhnlicher Taglöhner, 
können aber bis auf 2 Proc. desselben erhöht werden. Bezüglich 
der Knappschaftskassen ist das Landesrecht maassgebend ge- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


1970 


blieben, »lio freien Hilfskassen sind in der Festsetzung der Höhe 
ihrer Beiträge nicht, beschränkt. 

Die Folge dieser Verschiedenheit »1er Beitragshöhe muss 
selbstverständlich eine Verschiedenheit der Leistungen sein, 
welche die einzelnen Träger der Krankenversicherung im Bedürf- 
nissfalle prästiren. Die Gemeindekrankenversicherung gewährt 
nur Krankenunterstützung für 13 Wochen und zwar höchstens 
soviel als die Mindestleistungen der Ortskrankenkassen betragen. 
Die, Orts-, Betriebs-, Bau- und Innungskrankenkassen gewähren 
Krankenunterstützung auf höchstens 13 Wochen, Unterstützung 
von Wöchnerinnen für 4 Wochen nach der Niederkunft oder die 
sonst gesetzlich (Gewerbeordnung) bestimmte längere Zeit der 
untersagten Beschäftigung und Sterbegeld. Die Krankenunter¬ 
stützung hat hier denselben Umfang wie bei der Gemeinde¬ 
krankenversicherung (freie Kur und bei Erwerbsunfähigkeit vom 
dritten Tage, ab Krankengeld im Betrage von 50 Proc. des 
Durchschnittslohnes), doch wird für die Berechnung des 
Krankengeldes nicht wie dort der ortsübliche Taglohn gewöhn¬ 
licher Tagearbeiter, sondern der Durchschnittslohn der arbeit¬ 
nehmenden Kassenmitglieder zu Grunde gelegt; auf statutari¬ 
schem Wege kann auch die Bemessung nach dem Individuallohn 
von höchstens 4 M. vorgeschrieben werden. Wird an Stelle des 
Krankengeldes Verpflegung in einem Krankenhause gewährt, 
so muss der Familie des Kranken ein Theil des Krankengeldes be¬ 
lassen bleiben. Die Leistungen der Wöchnerinnenunterstützung 
sind dieselben wie die der Krankenfürsorge. Das Sterbegeld be¬ 
trägt zum Mindesten das Zwanzigfache des ortüblichen Tage¬ 
lohnes. Durch Kassenstatut dürfen die Mindestleistungen bis 
zu einem bestimmten Maximum erhöht werden: so kann das 
Krankengeld vom Erkrankungstage an summt freier Kur 
bis zu einen) Jahre gewährt werden, die Wüehnerinnenuntcr- 
stützuug kann auf (5 Wochen erstreckt, das Krankengeld bis zu 
75 Proc. des Durchsclniittslohnes, das Sterbegeld bis auf das 
Vierzigfache des ortsüblichen Tagelohnes erhöht werden. Die 
Leistungen der Knappschaftskassen müssen den gesetzlichen Min- 
»lestbetrag der von den Betriebskrankenkassen gewährten Für¬ 
sorge erreichen, im Uebrigen ist, für sie Landesrecht maass- 
gebend. Die Mitgliedschaft bei freien Hilfskasaen befreit nur 
dann von der Zugehörigkeit zu einer Zwangskasse, falls die be¬ 
treffende Kasse mindestens die Leistung tler Gemeindekranken- 
versichcrung am Sitze der Kasse prästirt. 

Die Unfallversicherung, zu der ich mich nunmehr 
wende, galt ursprünglich nur für die Bergwerks-, Werft-, Fabrik-, 
Dachdecker-, Steinhauer- und Brunnenarbeiter. Durch die sog. 
Ausdelmungsgesetze ist sie dann aber auf die Betriebe der Trans¬ 
portanstalten, der Marine- und Heeresverwaltung, auf die land- 
und forstwirtschaftlichen Arbeiter, auf die Bauarbeiter und auf 
die Se»‘leute erstreckt worden. Auch nacli der Reform von 1900 
beruht, daher die Unfallversicherung auf mehreren (4) äusserlich 
selbständigen Gesetzen, welche jedoch inhaltlich nur geringe Ab¬ 
weichungen von einander aufweisen. 

Der Unfallversicherungspflicht unterstehen, wie wir ganz all- 
g»*mein sagen können, all»* Arbeiter und Betriebsbeamten mit 
einem Jahresverdienst von höchstens 3000 M., sofern sic in einem 
Betriebe beschäftigt sind, der sie als solcher einer ständigen Un¬ 
fallgefahr aussetzt. Welches derartige Betriebe sind, sagen die 
Unfallversicherungsgowetze. Einzelne mit sehr geringer Unfall¬ 
gefahr verknüpfte Betriebe können durch Bundesrathsbeschluss 
von der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden. Umgekehrt 
kann dieselbe durch Statut auf kleine Unternehmer, insbesondere 
Hausgewerbetreibende und auf Betriobsbeamte mit mehr als 
3000 M. Jahresverdienst erstreckt werden. Nicht versicherungs¬ 
pflichtige Personen können wie bei der Krankenversicherung für 
versicherungsberechtigt erklärt werden. 

Träger der Unfallversicherung sind, wie schon erwähnt, die 
sog. Berufsgenossenschaften, welche die Unternehmer der ver- 
sicherungspflichtigen Betriebe umfassen. Die Gesichtspunkte, 
nach denen die Zusammenfassung der Unternehmer zu Berufs¬ 
genossenschaften erfolgt, sind verschieden, je nachdem es sich um 
industrielle, land- und forstwirtschaftliche, bau- oder see¬ 
männische Betriebe handelt, die letzteren sind für das ganze 
Reich in einer einzigen Korporation, der Seeberufsgenossen¬ 
schaft, vereinigt. Als Organe der Berufsgenossenschaften fun- 
giren, wie bei den Krankenkassen, Generalversammlung und Vor¬ 
stand, für grosse Berufsgenossenschaften kann ausserdem durch 


Statut eine Theilung in örtliche Sektionen vorgeschrieben 
werden, an deren Spitze dann besondere Sektionsvorständo treten. 

Zweck der Versicherung ist der Ersatz des materiellen Scha¬ 
dens, welcher für einen Versicherten bezw. dessen alimentations¬ 
berechtigte Angehörigen durch einen Betriebsunfall entsteht, 
d. h. durch ein mit dem Betriebe in ursächlichem Zusammen¬ 
hänge stehendes Ereiguiss, welches die Körperverletzung oder den 
Tod eines Menschen zur unmittelbaren Folge hat. Ausgeschlossen 
ist der Ersatz, wenn der Verletzte oder Getödtete den Betriebs¬ 
unfall selbst vorsätzlich herbeigeführt hat, abgelehnt oder den 
Angehörigen überwiesen kann er werden, wenn der Unfall den 
Verletzten in Begehung eines straf gerichtlich festgestellten Ver¬ 
brechens oder Vergehens traf. Die Höhe der Entschädigung wird 
nicht nach dem im Einzelfalle vorhandenen individuellen 
Schaden bemessen, sondern richtet sich nach allgemeinen Vor¬ 
schriften, die eine Individualisirung nur in beschränktem Maasse 
zulassen. Die Prästationen der Berufsgenossenschaften beginnen 
erst mit der 14. Woche vom Zeitpunkte des Unfalls an gerechnet, 
bis dahin erfolgt die Unterstützung regelmässig durch die Kran¬ 
kenkassen, unter Umständen durch die Unternehmer oder die 
Gemeinden. Von der 14. Woche an hat der Verletzte g».*genüber 
der Berufsgenossenschaft, zu welcher sein Arbeitgeber gehört, 
Anspruch auf Ersatz der Kosten des Heilverfahrens und auf 
Unfallrente. Die letztere ist für die Zeit der Erwerbsunfähigkeit 
zu gewähren: ist diese Unfähigkeit eine vollkommene, so beläuft 
sich die Rente auf 66% Proc. des Arbeitsverdienstes, ist sie nur 
eine thoilweise, so beträgt die Rente entsprechend weniger. Er¬ 
höhung derselben bis zum Vollwerth des Arbeitsverdienstes kann 
stattfinden, wenn für den Verletzten fremde Wartung und Pflege 
nothwendig wird. Hat der Betriebsunfall den Tod des Be¬ 
troffenen herbeigeführt, so bekommen die Hinterbliebenen zu¬ 
nächst ein Sterbegeld, welches '/ 16 des Jahresvordienstes tles Ge- 
tödteten, mindestens aber 50 M. beträgt, und ausserdem eine 
Rente, welche für die Wittwe und für jedes Kind bis zum zurück¬ 
gelegten 15. Lebensjahre auf 20, für Wittwe und alle Kinder 
zusammen jedoch auf höchstens 60 Proc. des Arbeitsverdienstes 
ihres bisherigen Ernährers zu lxunossen ist. Leben noch Ascen- 
denten des Getödtetcn. die mit ihm ihren einzigen Ernährer ver¬ 
lieren, so erhalten auch sie 20 Proc., falls nicht, schon die Wittwe 
und Kinder das Höchst maass von 60 Proc. bekommen. 

Die Rechtsprechung auf dem Gebiete der Unfallversicherung 
ist durch die jüngst»* legislatorische Gestaltung an diejenige auf 
dem Gebiete der Invalidenversicherung angeschlossen worden, die 
Träger derselben führen nunmehr den Namen „Schiedsgerichte 
für Arbeiterversieherung“. Höchste Instanz ist, wie wir schon 
sahen, das Kciehsversieh''rungsnmt. 

Um im Einzel falle »lie zu zahlenden Entschädigungen fest- 
sl.ellen zu können, hat der Unternehmer die Pflicht, jode« im 
Rinne des Gesetzes als Betriebsunfall geltende Ereigniss sofort 
der Ortspolizeibehörde und der Berufsgtmossenschaft. anzuzeigen. 
Daraufhin veranstaltet die Ortspolizeibehörde unter Zuziehung 
bestimmter Beamten, Interessenten und Sachverständiger eine 
Untersuchung des Unfalls. Hierauf wird durch den Vorstand der 
Genossenschaft bezw. der Gcuosscnschaftssektion die Entschädi¬ 
gung ausgeworfen und den Betheiligten ein entsprechender, mit 
Gründen versehener Bescheid zugestellt, gegen welchen binnen 
eines Monats Berufung beim Vorsitzenden des Schiedsgerichts 
eingelegt werden kann. Die schiedsgerichtliche. Entscheidung 
wiederum kann binnen eines Monats sowohl von »ler B»*rufs- 
genossensehaft als von dem Verletzten bezw. seinen Angchörigim 
durch Rekurs beim Reichsversicherungsamt.angefechten werden. 

Die Kosten der Versicherung werden durch Repartition unter 
den Mitgliedern der Berufsgenossenschaft aufgebracht. Die Bei¬ 
tragspflicht der einzelnen Unternehmer richtet sich nach d»*r Zahl 
der von ihnen beschäftigten Personen, der Höhe »1er von ihnen 
bezahlten Löhne und Gehälter, sowie nach der grösseren oder ge- 
ringeren Unfallgefahr, die in ihren Betrieben obwaltet. Gegen 
die Umlegung kann Widerspruch beim Vorstaude d«*r Genossen¬ 
schaft und folgewtüse Beschwerde beim Reichsversicherungsamte 
erhoben wertlen. 

Treten wir nun endlich noch in eine etwas nähere Charakte¬ 
ristik der Invalidenversicherung ein, so ist von ihr 
zunächst zu sagen, dass der Personenkreis, welchen sie der Ver¬ 
sicherungspflicht unterwirft, den Begriff des „Arbeiters“ viel 
weiter fasst als die Kranken- und Unfallversicherung. Dem In¬ 
validenversicherungszwang unterstehen nämlich vom vollendeten 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1971 


16. Lebensjahre ab alle Personen, welche gegen baaren Lohn oder 
Gehalt als Arbeiter, Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge oder Dienst¬ 
boten beschäftigt werden, ferner Betriebsbeamte, Werkmeister, 
Techniker, Handlungsgehilfen und Handlungslehrlinge, sonstige 
Angestellte, deren dienstliche. Beschäftigung ihren Hauptberuf 
bildet, sowie Lehrer und Erzieher, sämmtlich sofern sie einen 
regelmässigen Jahresarbeitsverdienst bis zu 2000 M. haben, end¬ 
lich die gegen Lohn oder Gehalt beschäftigten Personen der 
Schiffsbesatzung deutscher Fahrzeuge, die Sehiffsfiihrer jedoch 
nur bis zu 2000 M. Gehalt oder Lohn. Dieser Zwang kann durch 
den Bundesrath auf kleine Betricb.suntemehmer ausgedehnt wer¬ 
den, andererseits bestehen auch Ausnahmen von der Yer- 
sicherungspflicht, sei es unmittelbar auf Grund des Gesetzes, sei 
es zu Folge von Beschlüssen de« Bundesraths, sei es, dass auf 
Grund eines Antrages Befreiung eingetreten ist. Endlich sind, 
ebenso wie bei den anderen Zweigen der Arbeiterversieherung, 
gewisse Personenklassen fiir vorsieherungsbereelitigt erklärt 
worden. 

Versicherungszweck ist Gewährung einer Rente an die Ver¬ 
sicherten für den Fall der Invalidität oder der Erreichung des 
70. Lebensjahres. Voraussetzung de« Anspruchs ist, dass vor¬ 
her während einer bestimmten Zeit die Versicherungsbeiträge ge¬ 
zahlt worden sind. Diese Wartezeit beläuft sich für die Invaliden¬ 
rente auf 200, unter Umständen aber auch auf 500 Beitrags¬ 
wochen, bei der Altersrente beträgt, sie 1200 derartige Wochen. 
Es sind jedoch für eine längere Uebergangszeit bezüglich der 
Wartefrist verschiedene Erleichterungen vorgesehen. Durch den 
Bezug einer Invalidenrente fällt der Anspruch auf Altersrente 
hin, und umgekehrt. Die Altersrente gebührt auch dem er¬ 
werbsfähigen Versicherten vom 70. Lebensjahre ab, die Invaliden¬ 
rente wird demjenigen gewährt, der nach Ablauf der Wartezeit 
sich dauernd oder doch während mindestens einem Jahre er¬ 
werbsunfähig erweist. Ist Rentenanspruch auf Grund der Reiehs- 
unfallversicherung gegeben, so wird als Invalidenrente nur das 
Mehr gewährt, um welches ihr rechnerischer Gesammtbetrag die 
Unfallrcnte übersteigt. 

Die Invaliden- und Altersrente besteht stets aus einem festen 
Reiehszuschusse von jährlich 50 M. und dein, was die Träger der 
Versicherung aus ihren Fonds aufzubringen haben. Dieser 
letztere Betrag bestimmt sich nach der Höhe und Zeit der ge¬ 
leisteten Beiträge. Behufs Festsetzung derselben sind die Ver¬ 
sicherten nach Maassgabe ihres Jahresarbeitsverdienstes in fünf 
Lohnklassen eingetheilt. 

Die Aufbringung der Mittel geschieht, abgesehen von dem 
ebenerwähnten Reiehszuschusse durch die Versicherten. Die 
Hälfte dieser Beiträge entstammt dem Arbeitslöhne, die andere 
Hälfte ist das Acquivalent des Arbeitgebers für Abnutzung der 
Arbeitskraft des Versicherten. Dem Träger der Versicherung 
gegenüber ist. wie bei den übrigen Zweigen der Arbeit orversiche- 
rung allein der Arbeitgeber verpflichtet, den aus dem Arbeits¬ 
lohn stammenden Beitragstheil kann er daher bei der Lohn¬ 
zahlung in Abzug bringen. Die Beiträge werden nach Wochen 
bemessen, sic sind für die nächsten 10 Jahre im Gesetze selbst 
je nach den Lohnklassen abgestuft worden, später soll für weitere 
Perioden von je 10 Jahren weitere Festsetzung erfolgen. Die 
Abführung der Beiträge erfolgt durch den Ankauf von Marken 
bei dem Versicherungsträger und durch deren Einkleben in eine 
auf den Namen des Versicherten lautende Quittungskarte. 
Unter Umständen besteht ein Anspruch auf Rückerstattung der 
Beiträge, der häutigst vorkommende Fall desselben ist derjenige 
weiblicher Versicherter, die sich verheirathen, vorausgesetzt, dass 
sie. mindestens für 200 Beitragswochen Beiträge geleistet haben. 

Träger der Invalidenversicherung sind die sog. Ver¬ 
sicherungsanstalten, juristische Personen des öffentlichen Rechts, 
welche, wie schon ihr Name sagt, den Charakter von Anstalten 
haben, also keine Personenvercine sind, wie die Träger der Kran¬ 
ken- und Unfallversicherung. Jede derartige Versicherungs¬ 
anstalt hat ihren örtlich abgegrenzten Bezirk: alle innerhalb des¬ 
selben beschäftigten versicherungspflichtigeu und versicherungs¬ 
berechtigten Personen sind bei ihr versichert. Organe der Ver¬ 
sicherungsanstalt sind ihr Vorstand und ein aus Vertretern der 
Arbeitgeber und Arbeiter bestehender Ausschuss. Die Ver¬ 
sicherungsanstalten unterstehen obrigkeitlicher Aufsicht, ins- 
l>esonders der T.amlesvcrsicherungsiimter bozw. des Reiehsver- 
sicherungsaiutes. 

No 497“ 


Die Feststellung der Renten erfolgt auf Antrag des Be¬ 
rechtigten durch die untere Verwaltungsbehörde und den Vor¬ 
stand derjenigen Versicherungsanstalt, an welche zuletzt Bei¬ 
träge entrichtet sind. Gegen den entsprechenden Bescheid steht 
dem Antragsteller binnen eines Monats die Berufung an das 
Schiedsgericht frei. Solcher Schiedsgerichte, die ja, wie wir 
sahen, auch für die Prüfung der Ansprüche aus der Unfall¬ 
versicherung thätig werden, soll für den Bezirk jeder Versiche¬ 
rungsanstalt mindestens eines errichtet werden: es setzt sich zu 
gleichen Thoilen aus vom Ausschüsse der Versicherungsanstalt 
gewählten Arbeitgebern und Arbeitern unter dem Vorsitz eines 
öffentlichen Beamten zusammen. Gegen seine Entscheidungen 
findet binnen eines Monats das Rechtsmittel der Revision an das 
Reichsversicherungsamt statt. 

Dies, m. H., ist. etwa das, was ich Ihnen im Laufe einer 
kurzen Stunde über das Wesen und die Grundzüge der deutschen 
Arbeiterversicherung mittheilen konnte. Absichtlich habe ich 
mich hierbei darauf beschränkt, zu schildern, wie dies grosse 
Gesetzgebungswerk thatsächlich ist, ich habe nur de lege lata ge¬ 
sprochen und Bemerkungen de lege ferenda vermieden. Sicher¬ 
lich aber ist gerade auch in dieser letzteren Richtung viel zu 
sagen, viel zu bessern. Die deutsche Arbeiterversieherung ver¬ 
dankt ihren Ursprung eben einer ganz ausserordentlich kühnen 
gesetzgeberischen Initiative. Zögernd und tastend nur folgen 
die anderen Nationen unserem Beispiele, und der deutsche Geist 
hat hier wieder einmal, wie schon so oft, Pionierarbeit für die ge- 
sammto Kulturwelt gethan. Was ist da natürlicher, als dass dem 
kühnen Versuche auch heute, nachdem er sich doch bereits als 
wesentlich gelungen bewährt hat, noch schwere Mängel anhaften? 
Sicherlich ist es z. B. kein Vorzug zu nennen, wenn in einem 
Krankenversicherungsgesetze der Aerztestaud so gut wie ignorirt 
ist. Aber ich habe es nicht für meines Amtes gehalten, hierüber 
vor Ihnen zu sprechen. Denn ich würde dann vielleicht dem¬ 
selben Fehler verfallen sein, wie der Gesetzgeber, welcher das 
Krankenversicherungsgesetz schuf, ohne dabei den Rath er¬ 
fahrener Mediciner genügend auszunutzen. Ich würde mir eine 
Autorität beilegen auf einem Gebiete, für welches ich sie auch 
nicht im bescheidensten Maasse beanspruchen kann, ich würde 
lehren wollen, wo ich zu lernen habe. Den Medicinern gebührt 
daher nunmehr das Wort. 


Marcel v. Nencki +. 

Es gibt vielleicht wenige unter den wissenschaftlich hervor¬ 
ragenden Medieinern, deren Namen so wenig in die breite Oeffent- 
lichkeit gedrungen ist, wie derjenige Marcel Nencki’s, 
welcher nach kurzem, schwerem Leiden am 14. Oktober d. .1. 
in Petersburg verschieden ist. Freilich unter seinen engeren 
Faehgenossen, den medicinischen und organischen Chemikern, 
hatte sein Name einen vortrefflichen Klang. Aber selbst die 
weiteren praktisch-medicinisehen Kreise wissen wohl wenig mehr 
von ihm, als dass er der Lehrer L. B r i e g e r’s war, und das 
Laienpublikum ist wohl nur selten, wie es bei anderen medi- 
cinischen Grössen üblich ist, durch Zeitungsnotizen über sein 
Schaffen und die Wandlungen seines Daseins unterrichtet worden. 
Der Grund dafür liegt einmal in seiner Thätigkeit, die namentlich 
in den ersten Decennien wesentlich auf die Lösung rein theo¬ 
retischer Fragen gerichtet war, und ferner in seiner einfachen, 
schlichten Persönlichkeit, die nur im tüchtigen Schaffen das Ziel 
des Lebens erblickte und alle Aeusserliehkcit verabscheute. Ist 
er doch persönlich nicht einmal mit einer ganzen Zahl seiner 
engeren Faehgenossen bekannt geworden, weil er eine starke Ab¬ 
neigung gegen Kongresse, Besuchsreisen etc. hatte! Unter solchen 
Umständen muss cs einem seiner vielen dankbaren Schüler ge¬ 
radezu als eine Elirenpflicht erscheinen, wenigstens den medi- 
cinischen Kreisen einen kurzen Abriss seines Lebensganges und 
seiner umfassenden wissenschaftlichen Thätigkeit zu geben. 

M arcel v. Nencki wurde 1846 als der Sohn eines Guts¬ 
besitzers kalvinistisehen Bekenntnisses zu Boczki im Gouverne¬ 
ment Kali sch geboren. Nachdem er in seinem Heimathlandc 
die Schule besucht und anfänglich auf der Universität Krakau 
Philosophie studirt hatte, wandte er sich, durch die, politischen 
Verhältnisse bewogen, nach Deutschland, um zunächst unter 
Kuno F i s ch e r, N ö p p e r d e y, G ö 111 i n g etc. in Jena Philo¬ 
sophie und klassische Philologie zu studiren, welche Studien er 
später auch in Berlin foitsetzte. 


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1972 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


Aus dieser Zeit hat er für sein Leben eine streng logische 
Schulung des Denkens und ein gewisses linguistisches Interesse 
mitgenommen. Aber bereits 1867 bekundete er seine immer leb¬ 
hafter werdende Neigung zu den Naturwissenschaften und zur 
Medicin dadurch, dass er sich dem Studium der Chemie und der 
Heilkunde gänzlich zuwandte. Es war die Zeit der Entdeckung 
des Alizarins, als der junge Nencki in das Laboratorium 
Baeyer’s, das damals noch wenige, nach heutigen Begriffen 
dürftige Räume in der alten Gewerbeakademie in Berlin um¬ 
fasste, eintrat. Das Zusammenarbeiten unter einem Baeyer 
mit G r a e b e und Liebermann hat den Grund gelegt für 
das tiefgehende Interesse, das Nencki der synthetischen Chemie 
sein Leben lang bewahrt hat. Hier und in der gemeinsamen 
Arbeit mit Schultzen, erst im chemischen Laboratorium der 
Berliner Anatomie, später in der F rerich s’schen Klinik, legte 
er aber auch das gute Fundament zu der medicinisch-chemischen 
Thiitigkeit, die er alsbald begann und deren Ergebnisse stets den 
gründlich vorgebildeten Chemiker im Gegensatz zu einigen che¬ 
misch dilettirenden Medicinern erkennen liessen. 

Im Jahre 1870 zum Doktor der Heilkunde promovirt, folgte 
er 1872 bereits einem Rufe als chemischer Assistent an das patho¬ 
logische Institut der Universität Bern. Bestimmend war bei 
diesem Schritt für ihn, dass sein Mitarbeiter Schultzen, 
dessen Schwester bald Nencki’s Lebensgefährtin wurde und 
ihm ein glückliches Heim bereitete, einen Ruf als Professor der 
inneren Medicin nach Bern erhielt. Nach kurzer Zeit habilitirte 
sich Nencki als Privatdocent und bald darauf wurde er als 
ordentlicher Professor Vorstand eines Laboratoriums für medi- 
cinischc Chemie. Fast 20 Jahre hat er dieses Institut in Bern 
geleitet. 

Von zahlreichen Schülern umgeben, bildete er durch seine 
wissenschaftliche Thätigkeit eine der Hauptstützen der Berner 
medicinischen Fakultät, deren Frequenz sich damals gerade zu 
heben begann. Aber er hatte freilich axich das Glück, welches 
er selbst am meisten zu schätzen wusste, wie er in Berlin in 
Schultzen einen verständnissvollen Mitarbeiter gehabt hatte, 
der ihm leider nur zu bald durch den Tod entrissen wurde, so 
auch in Bern Männer wie Kocher, L a n g h a n s, L i c h t h c i m, 
Sahli, Kroneckcr u. A. an seiner Seite zu finden. Auch 
mit den Professoren der thierärztlichen Abtheilung, die in Bern 
zur medicinischen Fakultät gehörte, stand er in regem wissen¬ 
schaftlichen Verkehr, der beide Theile in gleicher Weise förderte. 
Schliesslich erwuchs ihm auch noch in Kostanecki ein 
treuer Freund und Berather für seine rein chemischen Interessen. 
Nicht kleinliche Eifersüchtelei, sondern ein inniges, selbstloses 
Zusammenarbeiten war der bestimmende Zug in dieser Berner 
Zeit und dankbar gedachte N encki oft, wie gerade die Kliniker 
ihm ein Material für seine Untersuchungen zur Verfügung ge¬ 
stellt hatten, um welches ihn selbst seine Fachgenossen in grossen 
Universitäten hätten beneiden können. Alltäglich fast wanderte 
aus den Pavillons des Inselspitals irgend ein interessantes Unter¬ 
suchungsobjekt hinauf in die Räume des N e n c k i’schen Labo¬ 
ratoriums, von wo Meister und Schüler sieh bei ihrer stillen 
Arbeit auch durch einen Blick auf die herrlich ausgebreitete 
Alpenkctte des Berner Oberlandes erfreuen konnten. Die Stunden, 
die man dort in Bern unter Nencki verleben durfte, werden 
jedem seiner Schüler unvergesslich sein. Aber freilich hatte das 
Laboratorium auch einen Nachtheil: Die Mittel waren gar zu 
knapp bemessen. Nencki empfand diesen Missstand bei seinem 
rastlosen Vorwärtsstreben, seinem Ideenreichthum selbst am pein¬ 
lichsten. Und so entschloss er sich denn im Jahre 1891 nach 
Petersburg überzusiedeln, wo ihm durch die grosse Liberalität 
des Prinzen Alexander von Oldenburg, der Nencki von da 
ab ein treuer Förderer wurde, im kaiserlichen Institut für experi¬ 
mentelle Medicin eine würdige Stätte der Thätigkeit geschaffen 
wurdo und reiche Mittel für Untersuchungen jeder Art zur Ver¬ 
fügung standen. Schon durch den Umstand, dass seine lang¬ 
jährige, verständnissvolle Mitarbeiterin Frau Nadine Sieber 
und sein begabter Assistent Simon Dzi erzgowski, sowie drei 
seiner Schüler ihm nach Petersburg folgten, fühlte sich Nencki 
bald einigermaassen heimisch, aber mehr t rug noch das Zusammen¬ 
arbeiten mit P a w 1 o w, dem ausgezeichneten physiologischen Ex¬ 
perimentator, dazu bei, ihn die neue Arbeitsstätte schätzen zu 
lehren. Reiche Anregung gewährte ihm auch der Verkehr mit so 
erfahrenen, allen neuen Ideen zugänglichen Männern, wie dem 
Kliniker R a u e h f u s s und dem Chemiker B e i 1 s t e i n. Tn 


dem neuen prächtigen Laboratorium, das ihm dort erbaut wurde, 
schaarteu sich auch bald wieder wiseensdurstige und arbeits¬ 
lustige Schüler um den berühmten Gelehrten, der rastlos weiter 
schaffte, bis der Tod seinem an inneren Erfolgen reichen, mit 
äusseren weniger bedachten Leben ein schnelles Ende bereitete. 

Es ist schwer, in grossen Zügen einen Ueberblick über 
Nencki’s umfassende Lebensarbeit zu geben, auch wenn maxi 
die rein chemischen Publikationen ausschaltet. Das Bedeutsame 
und zugleich für ihn charakteristische in seinem Schaffen ist 
das Festhalten an einmal gewonnenen Interessen und Gedanken. 
Seine ersten Arbeiten beschäftigten sich mit der llarnstoffbilduug 
und die Publikationen seiner letzten Lebensjahre zeigen, dass das 
Interesse für diesen Gegenstand nie in ihm erloschen ist. Wie 
cs ihm in seiner ersten Arbeit in Gemeinschaft mit Schultzen 
gelang, die. Klasse der Körper, aus welcher Harnstoff sich bilden 
kann, zu umgrenzen, so konnte er später in Gemeinschaft mit 
Pawlow nachweisen, dass die lieber zwar nicht die einzige, 
aber doch eine der Hauptbi ldungsstätten des Harnstoffs und als 
Vorstufe wesentlich das carbaminsaure Ammoniak anzusehen sei. 
Wie er frühzeitig seine Studien über den Blutfarbstoff und dessen 
Derivate begann, so ging er noch in seinen letzten Lebensjahren 
den Beziehungen des Blutfarbstoffs zum Blattfarbstoff nach und 
erörterte die gemeinsame biologische Grundlage. Charakteristisch 
für die Thätigkeit N e n e k i’s ist ferner sein Bestreben, eine mög¬ 
lichst enge Verbindung der rein chemischen und medicinischen 
Interessen herzustellen und die Ergebnisse der chemischen Forsch¬ 
ungen auch für die Medicin nutzbar zu machen. Kennzeichnend 
ist nach dieser Richtung die Art, wie er die Richtigkeit seiner 
Formeln des Blutfarbstoffs und seiner Derivate durch eine grosse 
Reihe mühevoller Studien feststellte, bei denen er alle Hilfsmittel 
der organischen Synthese und Analyse amvandte und wie er dann 
darauf fassend die Beziehungen des Blutfarbstoffs zu den Gallen- 
und Ha ruf arbst offen, zu den t hicrisclien Melaninen und «lern 
Blat.tfarbstoff untersuchte und deutete. Die zahlreichen Ver¬ 
suche, in denen er das Verhalten organischer Körper im Thier¬ 
körper studirte, könnten demjenigen, der sie nicht mit voller 
Aufmerksamkeit verfolgt, als eine Liebhaberei erscheinen. Aber 
die Anlage derselben ist eine durchaus planmässigc. Sie führten 
ihn dazu, für die Oxydationen im gesunden und kranken Orga¬ 
nismus einen analytisch genau festzustellendon Maassstab in der 
Umwandlung des Benzols zu Phenol zu finden und so konnte 
er z. B. bei einem Falle von Loukaemie eine Herabsetzung dieses 
Oxydationsvermögens konstatiren. Eine Frucht seiner Studien 
über das Verhalten organischer Körper im thicrischen Organismus 
war auch die Darstellung und Einführung des Salols, das sich 
als werthvoller Bestandteil im Arzneischatz zu erhalten scheint. 
Aber selbst der organischen Chemie — und dies dürfte ein sel¬ 
tener Fall sein — sind seine physiologischen Studien einmal 
wieder zu Gute gekommen: N oiicki konnte die strittige Frage 
nach der Konstitution des Carbonyl-o-amidophenols dadurch zur 
Entscheidung bringen, dass er die Umwandlung desselben in 
Carbonyl-o-oxynmidophenol durch den thierischen Organismus 
feststellte. 

Solche Studien mögen es auch gewesen sein, die Nencki 
zuerst angeregt haben, sich mit den Zersetzungsvorgängen im 
Dann zu beschäftigen, dio ja auch auf das Verhalten eingeführtcr 
organischer Substanzen ihren Einfluss üben. So entstanden zuerst 
seine Arbeiten über die Pankreasvordauung, die eine Erklärung 
für das Auftreten von Indiean im normalen Harn brachten, da¬ 
durch, dass N e n c k i dio Bildung von Indol bei der Pankreas- 
fäulniss nachwies. Weitere Untersuchungen über das Indol und 
sein Vorkommen führten denn auch zur Untersuchung der patho¬ 
logischen Phenolausscheidung, sowie zur Entdeckung des Scatols, 
die Nencki’s Schüler, Br i eg er, gelang und die das Indol 
nicht mehr als ,,einen in der organischen Chemie ohne Analogon 
dastehenden Körper“, wie Baeyer einmal geäussert hatte, er¬ 
scheinen lies«. Aber schon frühzeitig suchte Nencki die Pan¬ 
kreasverdauung von der Pankreasfäulniss zu trennen, und die 
Erkenntniss von der Verschiedenheit dieser Vorgänge führte ihn 
zu einem gesonderten Studium der Fäulnissprocesse, namentlich 
der Zerlegung de6 Eiweiss und der Kohlehydrate durch Spalt¬ 
pilze. Gerade diese Arbeiten, unter denen besonders die mit 
Macfayden und Sieber ausgeführten Untersuchungen an 
einer Patientin mit einer Dünndarmfistel hervorgehoben werden 
müssen, sind als grundlegend für die biologische Chemie zu be¬ 
zeichnen. So befruchtend die P a s t e u Fachen Studien nach 


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3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1973 


dieser Richtung auf N «• n e k i gewirkt haben mögen, er hielt sich 
trotzdem von einer Ueberschätzuug der Rolle frei, die den Bak¬ 
terien im menschlichen Organismus, insbesondere im Darmkanal, 
zufällt. Während Pusteur die Anwesenheit und Thiitigkeit 
der Bakterien als geradezu nothwendig für den thicrischon Orga¬ 
nismus hinstellte, beharrte Ncncki stets darauf, dass die Bak¬ 
terien im Darmkanal nach der Art ihrer chemischen Produktion 
keine nützliche Thätigkeit zu entfalten vermögen. Zahlreiche 
Arbeiten N e n e k i’s und seiner Schüler haben Aufklärungen 
über die chemische Zusammensetzung der Bakterien und ihre 
chemische Thiitigkeit, namentlich l»ei Anaerobio.se, schon zu einer 
Zeit gebracht, wo die einfachen Ko c h’schen Züchtungsmethoden 
noch nicht zur Verfügung standen. Wir verdanken Nene.ki 
die Erkenntnis«, dass die Spaltpilze durch ihre eigenen Stoff 
woehselprodukte zu Grunde gehen können, dass die Speoifitiit der 
einzelnen Bakterienarten in der Quantität, und Qunlität ihrer 
Stoffwechselprodukte, s. z. B. der verschiedenen Milchsäuren zum 
Ausdruck kommt, und die späteren ergebnissvollen Forschungen 
Brieger’s über Ptomaine sind zweifellos auf die Anregungen 
zurückzuführen, die er im N e n c k i’schen Laboratorium zum 
Studium der bakteriellen Fäulnissprodukte empfangen hatte. Der¬ 
artige Untersuchungen Noncki’s kamen aber nicht nur der 
Bakterienchemie zu Gute, sondern sie erweiterten auch die Keimt- 
niss von der chemischen Natur der Eiweisskörper, in denen 
Ncncki u. a. durch Untersuchung der anaeroben Fäulniss- 
produkte neben der aromatischen Gruppe des Tyrosins und der 
Phcnylumidopropionsüure noch eine dritte, die der Seatolamido* 
essigsäure, feststellen konnte. 

Auch der neuesten Richtung in der Bakteriologie ist Ncncki 
nicht ferngeblieben. Schon frühzeitig hatte er sich der Ansicht 
N aegel i’s angeschlossen, dass „die Konkurrenz der Zellen des 
Thierkörpers, dass deren Lebeiisproecssc das Aufkommen des 
Lebens der Spaltpilze beliindern“ und damit, das Problem der 
„natürlichen Widerstandsfähigkeit“, in den Kreis seiner Betracht¬ 
ungen gezogen. Später fesselten ihn die Arbeiten Behring’s 
und insbesondere E h r 1 i o h’s in hohem Maasse, regten ihn zu 
Studien über die Einwirkung der Verdauungssiifte auf die Toxine 
an und veranlasston ihn mit S. Dzierzgowski die Her¬ 
stellung des Diphtherieserums in Russland auf’s thatkräftigste 
zu fördern. Eine Expedition zur Erforschung der Rinderpest, 
die er im Jahre 1895 unternahm, gab ihm Gelegenheit, im Verein 
mit N. Sieber seine Erfahrungen auf dem Gebiete der Immuni- 
sirung auch praktisch zu verwerthen und brachte bezüglich der 
Aetiologie der Rinderpest aussichtsvollo Ergebnisse, die denen 
sieh würdig anreihen, welche er in Bern schon l>ei anderen 
Zoonoscn, so beim Rauschbrand, der Streptoeoccenmastitis der 
Kiihe etc. gewonnen hatte. 

Wohl die reifsten Früchte seiner denkerischen Thätigkeit 
sind die Anschauungen, die er in den letzten Arbeiten über die 
Ilarnstoffbildung, zu denen er durch die ausgezeichnete Mitarhoit 
P a w 1 o w’s angeregt und bei denen er namentlich zuletzt durch 
Zaleski unterstützt wurde, sowie in den Betrachtungen über 
die Beziehungen des Blutfarbstoffes zum Blattfarbstoff nieder¬ 
gelegt hat. 

Es ist, wie schon Eingangs gesagt wurde, schwer, in wenigen 
Zeilen einen IJeberblick über die umfangreiche Forscherthiitigkeit 
Nencki’s zu geben: sind es doch etwa 140 Publikationen, in 
denen er die Ergebnisse seiner experimentellen Untersuchungen 
niedergelegt hat! Noch schwieriger aber ist es, in wenigen Worten 
eine erschöpfende Charakteristik seiner Persönlichkeit zu liefern. 

N e n c k i war polnischer Abkunft, hatte in Deutschland 
studirt, in der Schweiz und in Russland den grössten Theil seines 
Lebens zugebracht. So war er eigentlich in gutem Sinne inter¬ 
national in seiner Art: er verband den Ideenreichthum seiner 
Stammesgenossen mit deutscher Gründlichkeit und deutschem 
Forschereifer, slavische Liebenswürdigkeit mit einem behaglichen 
Humor, der an den allemannischen erinnerte, und in der Ein¬ 
fachheit und Schlichtheit seines "Wesens kam der Schweizer 
Bürger zum Ausdruck. 

Kein Denkmal aus Stein oder Erz ist nöthig, um Marcel 
N e n c k i’s Andenken zu sichern: er hat sich selbst ein Denkmal 
gesetzt in der Geschichte der Medicin und Chemie durch seine 
Lebensarbeit — in dem Herzen seiner Schüler durch seine Per¬ 
sönlichkeit. Martin Hahn- München. 


Georg Näher +.*) 

Hochverehrte Herren Kollegen! 

Seitdem wir uns zum letzten Male zu gemeinsamer Be- 
ruthung an dieser Stelle vereinigt haben, ist schweres Unheil 
über unseren Verein heroingebrochen. Der Manu, den wir an 
dem Platze des Vorsitzenden zu sehen gewöhnt waren, dessen 
klaren und bedeutenden Worten wir Münchener Aerzte mit An¬ 
dacht und Anerkennung zu lauschen pflegten, er ist mitten in 
seiner Arbeit durch den unerbittlichen Tod uns entrissen worden. 

Der ärztliche l’ezirksverein München hat Bitteres in den 
letzten Jahren erfahren. Seine hervorragenden Führer Aub 
und W e i s s sind ihm in kurzer Aufeinanderfolge durch den 
Tod geraubt, nunmehr ist auch Näher, unser Stolz, unsere 
Hoffnung von uns gegangen. Ich stehe nicht an, zu erklären, 
dass dieser Verlust als der schwerste anzusehen ist, der uns in 
diesen ernsten Zeiten treffen konnte, dass es einfach unabsehbar 
ist, wie derselbe auch nur einigermaassen auszufüllen sein wird. 
Wenn ich es heute unternehme, mit Worten die Grösse unseres 
Verlustes auszudrüeken und den Verdiensten des Verstorbenen 
gerecht zu werden, so mögen Sie bedenken, dass diese Aufgabe 
mir auf Grund meiner Stellung in der Vorstandschaft zugefallen 
ist. Ich rechne mir diese Aufgabe zur höchsten Ehre, verhehle 
mir aber keinen Augenblick, dass mein Vermögen bei Weitem 
nicht ausreicht, das zu sagen, was heute unser Aller Herzen 
erfüllt! 

Der Beruf als Arzt war Näher gewissermaassen vor¬ 
gezeichnet. Sowohl sein Vater wie sein Grossvater übten in 
Lindau am Bodensee die ärztliche Praxis aus. Und doch war 
der früh aufgeweckte Knabe lange Zeit ernstlich gesonnen, sich 
einem anderen Berufe zuzuwenden. Man sagt den Lindauern 
nach, dass in Folge der insularen Lage ihrer Heimath ihr Blick 
und ihre Neigung mehr wie bei anderen Menschen auf’s Meer 
gerichtet seien, und es ist bekannt, dass viele Lindauer in fernen 
Welttheilen sieh eine hohe Stellung und reiche Glücksgüter er¬ 
worben haben. Dieser Drang über’s Wasser mag auch bei 
Näher eingewirkt und in ihm den Wunsch rege gemacht haben, 
ebenfalls in die Welt hinaus zu wandern und zwar merkwürdiger 
Weise als Missionar. Zum Glück für unseren Stand wurde 
diese Neigung bald erstickt, als Thatsache ist aber wohl an¬ 
zusehen, dass die gewaltigen Eindrücke, die der Knabe Näher 
von den Schönheiten seiner Heimath bekommen hat, für zwei 
Hauptzüge seines Wesens die Grundlage abgegeben haben, für 
den weiten, freien Blick, den er sich in allen Lebenslagen be¬ 
wahrte und der ihn immer über das Kleinliche sich erheben Hess, 
und die schwärmerische Liebe zu der hehren Welt der Berge, 
zu der seine Augen in seinen Kinderjahren oft verlangend 
hinübergeschaut hatten. 

Im Jahre 1859 bestand Näher sein medicinisches Staats¬ 
examen und wurde Assistent bei Hecker, später bei Nuss- 
b a u m und bei Bischof. Eifrig lag er den medicinischen 
Studien ob und blieb lange Zeit schwankend, ob er die aka¬ 
demische Laufbahn als Anatom ergreifen oder in die Praxis 
gehen sollte. Als es im Jahre 1864 galt, das meerumschlungene 
Schleswig-Holstein dem deutschen Lande wieder zurück zu ge¬ 
winnen, litt es auch Näher nicht zu Hause. In den preussi- 
schen Lazarothen hatte er vielfach Gelegenheit, seine reichen 
Kenntnisse zu erproben und stolz durfte er zurückblicken auf 
seine Mitarbeit an diesem ernsten, blutigen Kampfe, der unsere 
nationale Einheit vorbereiten half. Bald nach dem Friedens¬ 
schluss finden wir ihn dann in Lindau als Arzt thätig, hoch¬ 
angesehen und beliebt, nicht nur als den werkthätigen Helfer 
in aller Noth, sondern auch als den Förderer vieler gemein¬ 
nütziger Einrichtungen. Der Krieg des Jahres 1870 trieb ihn 
wiederum in’s Feld. Für seine aufopfernde Thätigkeit wurde 
ihm der Militärverdienstorden zu Theil. 

Bei seiner Wirksamkeit in den Kriegslazarethen war der ge¬ 
wandte Arzt mit einer Reihe von Münchener Herren näher be¬ 
kannt geworden, die nach Beendigung des Feldzuges lebhaft in 
ihn drangen, seine Thätigkeit von Lindau nach München zu 
verlegen. Nach reiflicher Berathung gab Näher ihrem Zu¬ 
reden nach, und so zog er im Jahre 1871 hierher in die Landes¬ 
hauptstadt. Auch hier wurde er alsbald ein in den weitesten 
Kreisen angesehener Arzt, der nicht nur seine Pflicht in der 


*) Gedächtnis8rede, gehalten Im Aerztliclien Bezirksverein 
München am 20. XI. 1901. 


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MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


1974 


strengsten Weise erfüllte, sondern vielfach, zumal hei den 
Aermeren seiner Klienten, ein Uebriges gab und oft die linke 
Hand nicht wissen liess, was die rechte that. 

Das Kriegs- und Friedenssanitätswesen hielt ihn besonders 
in den ersten Jahren nach dem Feldzüge stark gefesselt. Er 
wirkte lebhaft für die freiwillige Sanitätskolonne und konstruirte 
einen recht brauchbaren Sanitätswagen, dessen Modell in 
Berlin ausgestellt wurde. 

Seinem lebhaften Geiste, der allen Fragen des öffentlichen 
Lebens höchstes Interesse entgegen brachte, erschloss sich da¬ 
neben noch ein reiches Feld der vielseitigsten Thätigkeit. Von 
seiner Studienzeit her war er mit dem Bürgermeister v. Widen- 
m ayer befreundet, später hatte er wesentlich mit dazu bei¬ 
getragen, dass Widenmayer als Bürgermeister nach Lindau 
berufen wurde, und Widenmayer war wiederum mit unter 
Denjenigen gewesen, die N ä h e r .bestimmt hatten, von Lindau 
nach München zu ziehen. Die Freundschaft der beiden Männer 
kam unserem aufstrebenden städtischen Gemeinwesen in treff¬ 
licher Weise zu Gute. Es war die Zeit, wo es galt, unserem 
München den Namen einer typhusverseuchten Stadt zu nehmen, 
es mit eintreten zu lassen in den edlen Wettstreit der deutschen 
Städte um die Verbesserung und Festigung ihrer gesundheitlichen 
Verhältnisse. Auch Näher hat redlich an der Vorbereitung 
dieses grossen Werkes mitgearbeitet. Vom Jahre 1873—78 war 
er Magistratsrath und hatte als solcher besonders das Referat 
der Krankenhäuser auf sich genommen. Auch nach seinem Aus¬ 
scheiden aus dem Magistrat widmete er allen gemeindlichen 
Angelegenheiten andauernd ein reges Interesse und noch die 
letzten beiden Jahre seines Lebens war er als Arzt einer unserer 
segensreichsten Gemeindeanstalten, des städtischen Waisen¬ 
hauses, thätig, hochverehrt von den Leiterinnen dieser Anstalt 
und aufrichtig geliebt von den seiner Obhut anvertrauten 
Kindern. 

Neben der Begeisterung für seinen Beruf und neben der 
Liebe zu dem Gemeinwesen, als dessen Glied er sich fühlte, galt 
sein ganzes Fühlen dem grossen Gemeinwesen, dem wir alle 
angehören, dem grossen deutschen Vaterlande. Hervorgegangen 
aus den Reihen der Burschenschaft, selbst noch ein Zeuge der 
ohnmächtigen Zerrissenheit Deutschlands, sah er mit freudigem 
Stolz den Traum seiner Jugend- und Studentenjahre unter eigener 
thätiger Mitarbeit zur Wirklichkeit erstehen, sah er die Einigung 
der deutschen Stämme in einem mächtigen deutschen Reich. 
Durch und durch national gesinnt, war er lange Zeit ein thätiges 
Mitglied der nationalliberalen Partei, ohne dass er je schablonen- 
mässig sieh hätte den Anschauungen seiner politischen Gruppe 
unterwerfen lassen. Dem Vaterlande, nicht der Partei, galt sein 
ganzes Fühlen, und wo das Gute ihm auf anderer Seite entgegen¬ 
trat, da hinderte ihn nichts, sich frei und offen dazu zu be¬ 
kennen. In den letzten Jahren hatte er sich sehr den national¬ 
sozialen Anschauungen, wie sie von Naumann vertreten 
werden, zugewandt. 

Der Eifer für Hebung des nationalen Gedankens war wohl | 
neben seiner Freude an körperlichen Hebungen mit die Ursache, : 
die ihn so enthusiastisch dem Turnwesen seine Kräfte weihen 
liess. Er dürfte mit einer der Ersten gewesen sein, der mit 
klarem Kopfe erkannte, dass bei der heutigen Parteistellung, 
bei der Bearbeitung der grossen Volksmassen durch sozialdemo¬ 
kratische und klerikale Einflüsse, sich die grosse Menge immer 
mehr dem nationalen Gedanken entfremden muss, dass auf diese 
Weise sich schliesslich zwei grosse Gruppen im deutschen Reiche 
kalt und fremd gegenüber stehen werden. Dieser Gefahr glaubte 
er, könne man durch Einigung der verschiedenen Elemente ge¬ 
rade in den Turnvereinen auf’s Wirksamste begegnen, und nichts 
freute ihn mehr, als wenn er bei diesen seinen Bestrebungen 
die Anerkennung und die Zustimmung der einfachen Leute sich 
erwarb. Dass er daneben der gesundheitlichen Bedeutung des 
Turnens eine grössere Würdigung zu verschaffen bestrebt war, 
ist klar. Unvergessen soll es ihm bleiben, dass er mit wahrem 
Feuereifer für das Turnen der Frauen eintrat und in dem von 
ihm geleiteten Turnvereine auch in dieser Beziehung ganz aus¬ 
gezeichnete Erfolge aufweisen konnte. Bekannt ist auch, dass 
er bis zu seinem Lebensende die Turnübungen der Zöglinge des 
hiesigen Max Joseph-Stiftes geleitet hat. 

M. II.! Die grossen Gesichtspunkte, die Näher bei seiner 
ganzen öffentlichen Thätigkeit geleitet haben, sie sind auch be¬ 
stimmend gewesen für all sein Wirken in unseren 


ärztlichen Vereinen und in sonstigen ärzt¬ 
lichen Institutionen. Ueberall wurde er bald auf einen 
wichtigen Posten gestellt. Das Vertrauen seiner Kollegen be¬ 
traute ihn zweimal mit der Leitung des ärztlichen Vereins, unter 
den Bahnärzten nahm er von jeher eine höchst angesehene und 
leitende Stellung ein, seit dem Jahre 1887 wirkte er mit grösstem 
Erfolg im Kreismedicinalausschuss. seit A u b’s Tode war er 
Vorsitzender der Oberbayerischen Aerztekammer, wiederholt ver¬ 
trat er den Münchener Bezirksverein auf dem deutschen Aerzte- 
tage und in den letzten Jahren war er ständiges Mitglied in 
dessen Geschäftsaussehuss. 

Wir schätzten und ehrten ihn als eines unserer treuesten 
und zuverlässigsten Mitglieder, dem unter einem oft streng er¬ 
scheinenden Aeusseren ein warmes Herz schlug für alle Fragen 
unseres ärztlichen Standes. Es mussten verschiedene Ereignisse 
zusammen kommen, um diese unsere Achtung in, ich darf wohl 
sagen, schwärmerische Verehrung zu verwandeln und Näher 
in kurzer Zeit zu dem populärsten Mann in den Münchener, 
zu einem höchst angesehenen Mann in den bayerischen und auch 
in allen deutschen ärztlichen Kreisen zu machen. 

A u b, der hochverdiente Führer, starb im März 1900. Unter 
seiner energischen Leitung hatte sich der Bezirksverein aus einem 
behaglichen und beschaulichen Dasein zu einer angesehenen, 
eifrig für die Interessen der Kollegen kämpfenden Korporation 
entwickelt, hatte besonders bei den Verhandlungen mit der 
Ortskrankenkasse III wegen Einführung der freien Arztwahl 
hoch bedeutende, überall anerkannte Erfolge zu verzeichnen. 
A u b’s dominirende Stellung nicht nur unter den Münchener 
und bayerischen Aerzten, sondern auch im deutschen Aerzte- 
vereinsbund, ist Ihnen Allen bekannt. Man konnte Denen nicht 
ganz Unrecht geben, die sagten: „A u b ist der Bezirksverein 4 "', 
oder vielmehr, „der Bezirksverein, das ist A u b“. Man sah unsere 
Interessen bei A u b so gut gewahrt, und hatte sich so sehr ge¬ 
wöhnt, sich ganz seiner Führung zu unterwerfen, dass im All¬ 
gemeinen keine Neigung bestand, Gegenstände, die nicht der 
Initiative A u b’s entsprungen waren, oder vorher seine Billigung 
gefunden hatten, dem Bezirksvereine zu unterbreiten. Vermöge 
seiner ausserordentlichen Geschäftsgewandtheit und seiner viel¬ 
fachen Beziehungen zu den verschiedensten Stellen war es A u b 
leicht, in allen Dingen die Leitung in seiner Hand zu behalten, 
so dass neben ihm das Hervortreten anderer bedeutender Per¬ 
sönlichkeiten im Bezirksverein einfach unterblieb. Alles ging 
seinen glatten Gang, auch dann, als mit den Jahren Au b’s 
Empfindlichkeit gegen selbständige Regungen anderer Köpfe 
eine ziemlich lebhafte wurde. Hinter den Kulissen kam e9 ge¬ 
legentlich wohl auch zu Zusammenstössen der auf einander 
platzenden Geister, und gerade bei unserem Näher hatte eine 
solche gelegentliche Entladung der hochgespannten Individuali¬ 
täten keinen friedlichen Ausgleich, sondern eine um so grössere, 
sich lange hinziehende Spannung zur Folge. 

So war es kein Wunder, dass nach A u b’s Tode sich eine 
gewisse Unsicherheit des Bezirksvereius bemächtigte, und er zu¬ 
nächst nicht klar entscheiden konnte, wer als Nachfolger A u b’s 
zu wählen sei. Zwar hatte A u b schon zu Lebzeiten Näher als 
Denjenigen bezeichnet, der unbedingt die besten Eigenschaften 
in sich vereinigte, sein Nachfolger zu werden. Näher wurde 
dann in der That zum I. Vorsitzenden gewählt. Sie entsinnen 
sich aber noch, meine Herren, unter welchen erschwerenden 
Umständen diese Wahl zu Stande kam. 

Gerade in die Zeit des Eintritts N ä h e r’s in die Stellung 
eines ersten Vorsitzenden fiel nun eine Erscheinung, die für die 
Entwicklung des deutschen Aerztestandes von einschneidender 
Bedeutung werden sollte. 16 Jahre lang hatte das Kranken¬ 
versicherungsgesetz seine unheilvollen Wirkungen auf die Lage 
der deutschen Aerzte ausgeübt, hatte zerstörend auf die an¬ 
gesehene Stellung der Aerzte eingewirkt, hatte Uneinigkeiten in 
ihre Reihen gebracht und hatte viele, und nicht die schlechtesten, 
in ein unwürdiges Abhängigkeitsverhältniss von den sogen. 
Arbeitgebern getrieben. Unsere Rufe nach Hilfe bei Regierung 
und Parlament waren ungehört verhallt, die Resignation einer¬ 
und die Erregung andererseits hatte bedenkliche Grade erreicht, 
da kam man an den verschiedensten Stellen unseres Vaterlandes 
zu der Erkenntniss, dass nur die Selbsthilfe den unwürdigen 
Zuständen ein Ende bereiten könne. In Nord und Süd, in Ost 
und West regte es sich, eine elementare Bewegung bemächtigte 
sich fast der ganzen deutschen Aerzteschaft, und überall fanden 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHKNER MED1CIN1SGH K WOCHENSCHRIFT. 


1975 


sich die richtigen Männer, die in dem uns Hufgezwungenen 
Kumpfe die Führung übernahmen. Auch hier in München war 
der Stein ins Rollen gekommen, der Bezirksverein »nachte die 
Sache der Kassenärzte zu der seinigen, und kaum ins Amt ge¬ 
treten, sah sich Nähe r einer Riesenaufgabe gegenüber, der 
Aufgabe, die Interessen der Münchener Aerzteschaft gegen einen 
mit mächtigen Hilfstruppen kämpfenden Gegner zu vertheidigen. 
Die Aufgabe war um so grösser, als Näher vollkommen Laie, 
in Kassenangelegenheiten war, als er nie eine kassenärztliche 
Praxis ausgeübt hatte. 

Und wie hat er seine Aufgabe gelöst! 

Die Vorgänge sind Ihnen noch in lebhafter Erinnerung, 
Sie sind selbst Zeugen gewesen dieser bewegten, ereignisreichen 
Zeit, ich brauche Sic nur an die wichtigsten Thatsaehen er¬ 
innern. Mit überraschender Klarheit hatte Näher in Kurzem 
das Wesen der Sachlage erkannt, hatte er eingesehen, dass nur 
die Einigung aller Münchener Aerzte die Grund¬ 
lage des Erfolges werden könne. Mit eiserner Beharrlichkeit 
wurde diese Einigung durchgesetzt und das Ergebnis der rast¬ 
losen Arbeit war die unerhörte, in allen deutschen Landen als 
ein Wunder angestaunte Thatsache, dass alle über 500 Mün¬ 
chener Aerzte sich in dieser Sache solidarisch erklärten und be¬ 
schlossen, Mann für Mann für einander einzustehen. Was das 
sagen will, vermag nur Derjenige richtig zu beurtheilen, der je¬ 
mals Zeuge gewesen ist von den Eifersüchteleien, die, Gott sei 
es geklagt, zu jeder Zeit unter den Aerzten geherrscht haben, 
der jemals gesehen hat, wie die Zwangslage des Einen sofort von 
dem Anderen zu seinen Ungunsten ausgebeutet wird. Fürwahr, 
ein herrliches Werk, allein werth, der Geschichte der ärztlichen 
Stundesbestrebungen am Anfänge des 20. Jahrhunderts mit 
goldenen Lettern einverleibt zu werden! Wenn an allen Orten 
Deutschlands in Zukunft gleich begeisterte Führer erstehen, so 
braucht es uns um die Zukunft unseres Standes nicht bange zu 
sein, dann werden auch wir Aerzte noch einmal ausrufen dürfen: 
„Es ist eine Lust zu leben!“ 

Die Einigung allein that es nicht, es musste auch un¬ 
verdrossen gearbeitet werden. Wie gross diese Arbeit ge¬ 
wesen, davon hat auch der Eingeweihteste kaum Kennt- 
niss. Aber es gibt Ihnen doch einen Anhaltspunkt, wenn Sie 
erfahren, dass Näher in der ersten Hälfte diese« Jahres 
25 Vorstandssitzungen präsidirt hat, dass er nebenher all’ die 
Veröffentlichungen in der Presse zum Theil selbst verfasst, zum 
Theil überarbeitet hat, dass er einmal noch Nachts um 11 Uhr 
eine Vorstandsitzung zusammenberufen hat. Dabei mögen Sie 
bedenken, dass Näher nebenher immer noch seinen anderen 
ausgedehnten Verpflichtungen nachkommen musste. So verging 
kein Abend, wo er nicht irgend einer Sitzung beizuwohnen hatte, 
und war er wirklich einmal zu Hause, so sass er bis 1 Uhr am 
Schreibtisch und der nächste Morgen fand ihn schon wieder 
in aller Frühe bei der Arbeit. 

Der Lohn der eifrigen Arbeit blieb nicht aus. Was uns 
nach den Erfahrungen der früheren Jahre immer als ein Ding 
der Unmöglichkeit erschienen war, wir erlebten einen wirk¬ 
lichen Erfolg in dem Kampfe um unsere wirthschaftliche Exi¬ 
stenz; das geschlossene Vorgehen der geeinten Münchener Aerzte¬ 
schaft hatte sich glänzend bewährt. Mit freudigem Stolz durfte 
es Näher nach monatelangem Kampf verkünden, dass der 
Friede im Wesentlichen auf Grund unserer Bedingungen ge¬ 
schlossen sei. Nur seinen und seiner Mitkämpfer — ich nenne 
hier vor Allem unseren stets hilfsbereiten Becker — Be¬ 
mühungen war dieser Friede zu danken. Es wurde schon da¬ 
mals angeregt, Näher zur Anerkennung seiner hohen Ver¬ 
dienste zum Ehrenpräsidenten des Bezirksvereins zu ernennen. 
Der Tod hat diese Absicht vereitelt. 

Wie in München, so gährte es in jenen sturmbewegten Tagen 
an den verschiedensten anderen Orten xintor der deutschen 
Aerzteschaft und der Ruf nach Selbsthilfe liess eine Vereinigung 
erstehen, die ausschliesslich den Kampf um unsere wirthschaft¬ 
liche Lage auf ihre Fahne geschrieben hatte, „den Leipziger Ver¬ 
band der Aerzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaft¬ 
lichen Interessen“. Hier in München begegnete diese Neugrün¬ 
dung von vornherein den lebhaftesten Sympathien, und in wohl¬ 
tuendem Gegensätze zu vielen anderen Herren aus der alten 
«Schule erkannte Näher mit klarem Kopfe, welche Bedeutung 
dieser neuen Vereinigung zuzuschreiben sei. Er hatte einen 
offenen Sinn für alles Neue und ein warmes Herz für die Forde¬ 


rungen «1er stürmisch andrängonden Jugend. Im steten Verkehr 
mit den jungen Mitgliedern seiner Burschenschaft, war er selbst 
jung geblieben, er klebte nicht am Althergebrachten und ver¬ 
stand wohl einzusehen, dass neue Ziele auch neue Wege ver¬ 
langten. Aber mit weiser Ueberlegung warnte er vor dem Ein- 
reissen. bevor etwas Neues aufgebaut war, und mit eifrigen Be¬ 
mühungen suchte er zwischen der alten und der neuen Ver¬ 
einigung zu vermitteln. Wenn in Hildesheim auch unsere 
Münchener Anträge kurzer Hand abgelehnt wurden, so war doch 
der dort geschlossene Waffenstillstand nicht zum Wenigsten 
seiner Mitarbeiterschaft, die allerdings nach aussen nicht so zum 
Ausdruck gekommen war, zu verdanken. 

Die von Näher geschlossene Eintracht der Münchener 
Aerzteschaft trug alsbald noch weitere Früchte. Bei dem Aus¬ 
bruch von Meinungsverschiedenheiten mit der Versicherungs¬ 
anstalt für Oberbayern, die sich auf die Honorirung von In¬ 
validitätszeugnissen bezogen, gelang es Näher, der den ganzen 
Bezirksverein hinter sich hatte, in kürzester Zeit eine Einigung 
auf Grund unserer Wünsche zu erzielen. 

So war Näher mit einem Schlage der populärste Manu 
in unserem Bezirksverein geworden. Eine Arbeitslast, wie sie 
sich nach den bisherigen Erfahrungen unseres Vereins vielleicht 
in 6 Jahren anzusammeln pflegt, war von ihm in 6 Monaten be¬ 
wältigt worden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass er bei der 
nächsten Wahl wieder einstimmig zum 1. Vorsitzenden ernannt 
worden wäre. Wir hätten ihm damit einen glänzenden Ver¬ 
trauensbeweis gegeben und wieder gut gemacht, was wir bei der 
vorigen Wahl ihm an Zweifel entgegengebraeht hatten. 

Er hätte uns noch so viel zu sagen gehabt, er hätte noch so 
oft uns mit thatkriiftiger Hund in ernsten Kämpfen zur Seite 
stehen müssen. Gerade jetzt, wo wir gehofft hatten, das Ziel 
unserer Bestrebungen, eine ärztliche Standesordnung zu 
erreichen, um damit auf Ordnung und Sauberkeit im eigenen 
Hause zu halten, und wo wir leider sehen müssen, dass das Er- 
gebniss unserer jahrelangen Arbeit einfach gestrichen werden 
soll, wo man uns sagt, dass es nothwendig sei, das Publikum gegen 
die Aerzte zu schützen, hätten wir seinen Beistand noch so noth¬ 
wendig gebraucht. Mit der «Sorge für diese von den Aerzten 
so sehnlich erwartete Ordnung waren die letzten Tage seines 
Lebens ausgefüllt. 

Mitten in seinen Bemühungen für unsere Stnndesinteresscn 
ist er von uns gegangen. Sein Ende hat geradezu etwas Tra¬ 
gisches. Am 22. Oktober, Abends •149 Uhr, erschien in seiner 
Wohnung ein Geriehtsbote, der ihn zur Zeugnissabgabe für den 
nächsten Tag vor das Amtsgericht beschied. Zwei Stunden 
musste er am andern Tage vor Gericht warten und dann in 
einer fünfstündigen Verhandlung all’ die schweren Kämpfe der 
letzten Monate nochmals an seinem Geiste vorüberziehen lassen. 
Es ist kein Zweifel, dass die Erinnerung an diese bewegte Zeit 
eine schwere Erregung in seinem Gemüth hervorgerufen hat. 
In der Sitzungspause erledigte er dann noch seine ärztlichen 
Geschäfte und präsidirtc am Abend einer Sitzung im Turnverein 
München. So verlief der vorletzte Tag seines Lebens in der an¬ 
gestrengtesten Thätigkeit. Am nächsten Tag fühlte er sich schon 
in der Frühe unwohl und am Nachmittag, wie er sich gerade zur 
Abhaltung seiner Sprechstunde anschickte, traf ihn der schwere 
Anfall von Stenokardie, dem er kurz darauf erlag. Unser treuer 
Vorkämpfer, unser unermüdlicher Berather hatte den ersehnten 
leichten und schnellen Tod gefunden. Für uns ist es kein 
Zweifel, dass die Erregungen und Strapazen der letzten Monate 
ihr gut’ Theil mit. zu dem schweren Leiden beigetragen haben, 
das ihm zum ersten Mal in Hildesheim sein drohendes Gesicht 
gezeigt hatte. Er fürchtete den Tod nicht. Im Gegentheil, von 
jeher war in seinem Wesen, auch in ganz glücklichen Tagen, eine 
Sehnsucht nach dem Ende zu bemerken gewesen. Ein Satz 
Nussbaum’s, den letzterer unter ein seinem Schüler über¬ 
reichtes Bild gesetzt hatte: ..Das Schönste am menschlichen 
Leben ist das Ende“, hatte sieh Nähe r’s besonderer Zustim¬ 
mung zu erfreuen. 

Dieser leicht resignirende Zug in seinem Wesen mag Jedem 
wunderbar erscheinen, «1er in Näher nur die frohe Kämpfer¬ 
natur gekannt hat. Ein Kämpfer war er in des Wortes bester 
Bedeutung, ein Kämpfer, der in seiner edlen Begeisterung Alles 
mit sich hinriss. Bei seinem feurigen Temperament erging es 
ihm aber nicht so, wie jenen geistigen Führern, die starr und 
eigensinnig auf ihrer Meinung beharren und ihre Gefolgschaft 


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1976 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


/u derselben hinüberzufülireu suchen. Im Gegentheil hörte er 
surgsam auf jedes Wort und achtete eine jede Ueberzeuguug. 
Als Vorsitzender huldigte er dem Grundsätze, jede Meinung zum 
Ausdruck kommen zu lassen und liess in dieser Beziehung nicht 
gern eine Beschränkung der Debatte ein treten. Hatte er dann 
alter das Ergebniss der verschiedenen Ansichten gezogen und 
hatte er einen bestimmten Weg als den allein gangbaren erkannt, 
dann vermochte ihn nichts zu veranlassen, von seinem Ziele ab¬ 
zusehen. Wir sehen ihn noch Alle vor uns stehen, die kraftvolle 
männliche Erscheinung mit dem mächtigen, lockenumwallten 
Haupt, mit der etwas harten, aber doch so zu Herzen dringen¬ 
den Stimme, in temperamentvoller Begeisterung rückhaltlos ohne 
jede Ansehung der Person seiner Ueberzeugung Ausdruck gebend 
und unerbittlich die Folgerungen der vorliegenden Thatsaehen 
ziehend. Er stand vor uns als eine jener immer seltener werden¬ 
den Persönlichkeiten, denen die Sache über Alles geht, die 
nirgends irgend welchen persönlichen Vortheil suchen, sondern 
um der verfochtenen Sache willen sich gern der grössten Arbeit 
und den unangenehmsten persönlichen Belästigungen aussetzen. 
Wie er als Arzt am liebsten Jedem das Honorar schenkte, so 
lag ihm auch bei seinem Auftreten in der OefFent.lichkoit jeder 
Gedanke an einen persönlichen Vortheil durchaus fern. Be¬ 
scheiden blieb er am liebsten im Hintergrund, wie in der Vor¬ 
standschaft der freiwilligen Rettungsgesellsehaft. Wo er aber 
einmal an einen hervorragenden Platz gestellt war, da verwaltete 
er denselben nur nach Recht und Gewissen. Er war kein sanfter 
Gegner, seine Hiebe sassen gut, wenn sie treffen sollten, und oft 
sind in heisser Redeschlacht die Funken geflogen. Aber auch im 
«•bittertsten Kampfe blieb er immer der vornehme ritterliche 
Gegner, der auch bei seinen Widersachern sich höchster Achtung 
erfreute. 

So herb er Manchem bei flüchtiger Bekanntschaft, erscheinen 
mochte, in ihm schlug ein tief empfindendes, für alles Schöne 
empfängliches Ilerz. Wie er dem Kampfe hold war, so ver¬ 
schmähte er auch nicht den fröhlichen Genuss alles Dessen, was 
die Erde bietet, lieber Alles ging ihm sein Drang auf die 
Höhen der Berge. Noch im hohen Mannesnlter hat er alle wich¬ 
tigeren Spitzen in den Tiroler- und Schweizeralpen bestiegen, 
und noch im April dieses Jahres unternahm er in den südtiroler 
Alpen Touren auf den Monte Pizzocolo und die Rothwand. Im 
fröhlichen Wagen an steiler Berglehne fand er Erholung von 
seinen vielfachen Geschäften und stählte sich für die in Aus¬ 
sicht stehende neue Arbeit. Wie dem Alpinismus und dem 
Turnen, so huldigte er jedem Sport. Er war ein ausgezeichneter 
Fechter und Schwimmer, und es ist bekannt, dass er den Starn¬ 
bergersee von Possenhofen nach Leoni hin und zurück ohne aus¬ 
zuruhen durchschwommen hat. Er war ein schwärmerischer 
Verehrer jedes echten Naturgenusses. Nicht nur die stolzen 
Höhen der Berge waren ihm vertraut wie selten Einem, auch all’ 
die herrlichen farbenprächtigen Alpenblumen hatten in ihm einen 
Freund und wohlunterrichteten Kenner. Noch im letzten 
Sommer, wo ihm das Bergsteigen versagt war, brachte er von 
seinem Aufenthalte in Hohenschwangau eine reiche Flora mit 
nach Hause. 

Näher lebte von Anbeginn seiner Praxis an in glück¬ 
lichster Ehe. Nur ein Schatten fiel auf das innige Familienleben, 
als ihm im Jahre 1876 sein elfjähriger einziger Sohn durch eine 
Perityphlitis geraubt wurde. In der damaligen Zeit war die 
Möglichkeit der operativen Behandlung der Perityphlitis noch 
nicht erkannt und doch äusserte Näher wiederholt, dass er sich 
Vorwürfe mache, nicht auf eine Operation gedrungen zu haben. 
Er selbst hatte sich schon zu seiner Studienzeit mit der In¬ 
dikation zur Operation beschäftigt, wie die erste seiner Doetor- 
thesen beweist: „In casibus typhütidis stercoralis gravioribus 
laparotomiae indicatio esse potest“. Den Verlust seines Sohnes 
hat Näher nie verwinden können, und derselbe mag wohl mit 
zu der Neigung zu leicht melancholischen Stimmungen bei¬ 
getragen haben. Sonst war er ein Freund froher Geselligkeit, 
und in seinem gastfreien Hause hat mancher junge Kollege be¬ 
hagliche Stunden verlebt, Besonders gastfrei war er gegen die 
jungen Mitglieder seiner Burschenschaft, zumal zum Weihnachts¬ 
feste suchte er gern Denen, die fern von der Heimath weilten, 
das Elternhaus zu ersetzen. Für manch’ jungen Arminen hat 
er väterlich gesorgt, meist in gütiger Weise, aber auch mit 
Strenge, wo es ihm nöthig erschien. 


No. 49. 


M. H.! So reich an den schönsten Zügen steht das Lebens¬ 
bild des seltenen Mannes vor uns. Allen, denen er in den mannig¬ 
faltigsten Stellungen Führer und Leiter sein durfte, wird er stets 
vorschweben als das Muster strengster Pflichterfüllung und hoch¬ 
herzigen Charakters. Uns Aerzten aber, die wir bis in die letz¬ 
ten Tage seines Geistes Hauch verspüren durften, denen er der 
treue Eckart war in unseren Kämpfen und Sorgen, wird er 
allezeit unvergessen bleiben, als der unerschrockene Kämpfer, 
der sein Bestes an die Wahrung unserer Standesinteressen ge¬ 
setzt hat. Mitten im Kampf ist er von uns gegangen. Wie sagt 
der grosse Philosoph? „Den schönsten Tod 6tirbt der Voll¬ 
bringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden.‘ ; 
Ja, über sein Grab hinaus hoffen wir und geloben wir, ihm naoh- 
zustreben immerdar in vornehmer, lauterer, uneigennütziger Ge¬ 
sinnung für unseres Standes Ehre und Wohlergehen! 

K r e c k e. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Dr. Richard Stern, Privatdozent an der Universität 
Breslau: Ueber die traumatische Entstehung innerer Krank¬ 
heiten. Klinische Studien mit Berücksichtigung 
der Unfall-Begutachtung. Jena, Verlag von Gustav 
Fischer, 1901. 

Das erste Heft der vorliegenden Studien erschien 1896 und 
beschäftigte sich mit der eingehenden Darstellung der trauma¬ 
tischen Entstehung von Herz- und Lungenerkrankungen, wohl 
jenem Theile des hier in Frage stehenden Gebietes, wo unsere 
Kenntnisse noch die grössten Lücken aufweisen. Es ist kein 
Zweifel, dass die auf ungemein grosser persönlicher Erfahrung 
des Verfassers, wie auf einer ausserordentlichen Kenntniss der 
einschlägigen Literatur sich aufbauende Bearbeitung des 
schwierigen Gebietes durch St. für die allmähliche Klärung dieser 
gerade in der Gegenwart so wichtig gewordenen Fragen — 
alle Tage treten ja in Folge der Unfallgesetzgebung solche an 
den Arzt heran -— ganz Erhebliches beigetragen hat. Verfasser 
hat darauf verzichtet, die traumatische Entstehung der ner¬ 
vösen Krankheiten in da3 Bereich seiner Darlegungen zu ziehen, 
da hierüber schon zusammenfassende Werke in grösserar Zahl 
existiren und unsere Kenntnisse in dieser Hinsicht schon eine 
grössere Sicherheit erlangt haben und bringt in diesem zweiten 
(Schluss-) Heft die auf ein vorausgegangenes Trauma zurück¬ 
zuführenden Krankheiten der Bauchorgane, des Stoffwechsels 
und dos Blutes zur Darstellung. Da St. mit vollem Recht da¬ 
rauf hinweist, dass bei den inneren Krankheiten der Zusammen¬ 
hang des Traumas mit der später sich etablirenden Erkrankung 
nur durch eine möglichst genaue Beobachtung der Entwicklung 
des Leidens nachgewiesen werden kann, so ist auch in diesem 
Theile der Studien auf die Einflechtung instruktiver Krankheits¬ 
geschichten, grösstentheils von solchen Fällen, welche Verfasser 
selbst beobachten konnte, das gebührende Gewicht gelegt. Ge¬ 
rade diese werden dem begutachtenden Arzte in zweifelhaften 
Fällen ganz besonders zu Statten kommen und müssen über¬ 
haupt für den Aufbau der ganzen Lehre über diese Dinge den 
Grundstock liefern. 

Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden, doch 
mag ein kurzer Ueberblick den reichen Inhalt andeuten, welchen 
das jüngst erschienene 2. Heft darbietet. Es werden geschildert 
die traumatischen Krankheiten des Magens, besonders das trau¬ 
matische Magengeschwür, dann die verschiedenen Formen der 
traumatischen Darmaffektionen, die nach Trauma folgende Peri¬ 
tonitis; in einem weiteren Abschnitte folgen die Erkrankungen 
der Leber und Gallengänge, der Milz, des Pankreas, dann ein 
ausführlicher Abschnitt über die traumatischen Nierenerkran¬ 
kungen, dann eine Zusammenstellung der traumatisch entstan¬ 
denen Unterleibsgeschwülste und Gefässerkrankungen. 

Der das Werk sehliessende 6. Abschnitt behandelt den nach 
Verletzungen auftretenden Diabetes mellitus und insipidus, dann 
noch die Leukaemie und die allgemeinen Infektionskrankheiten, 
soweit sie mit einem Trauma in Zusammenhang gebracht werden 
können. Das Werk bietet also für jeden Arzt, der mit der Be¬ 
gutachtung von Unfallfolgen zu thun hat, eine reiche Fund¬ 
grube instruktiven Materials und trägt zum Ausbau der Theorie 
der traumatisch entstandenen inneren Krankheiten in vortreff¬ 
licher Weise bei. G r a s s m a n n - München. 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1977 


Dr. Richard Lenzmann: Die entzündlichen Erkran¬ 
kungen des Darmes in der Regio ileo-coecalis und ihre Folgen. 

Hirschwald, Berlin 1901. 

Die vorliegende Abhandlung bringt eine klare und an¬ 
sprechende Darstellung der in der Ueberschrift genannten Krank¬ 
heitsgruppe. Auf vielfache eigene, sowohl interne wie chirur¬ 
gische Erfahrungen sich stützend, sucht der Autor die Einzel¬ 
erscheinungen der Appcndieitis und ihrer Komplikationen in 
Grup]>en zu bringen, die vor Allem dem Handeln des Arztes am 
Krankenbette nach Möglichkeit Rechnung tragen sollen. Von 
diesem Bestreben geleitet, ordnet Lenz mann den Stoff zu 
folgenden klinischen Bildern: 

1. Appcndieitis acuta catarrhalis. 

2. Appcndieitis acuta mit Reizung des benachbarten Peri¬ 
toneums. 

3. Die Peri- und Paratyphlitis sero-tibrinosa. 

4. Die Perityphlitis als Folge einer schweren Infektion des 
die Apj>endix umgebenden Peritoneums. 

5. Die diffusen Kntzündungsprocesse im Anschluss an eine 
Appcndieitis. 

6. Die Recidive bei der Appcndieitis und Perityphlitis. 

7. Die Appcndieitis larvata. 

Zahlreiche, sorgfältig bearbeitete Krankenbeobachtungen 
sind der fliessend geschriebenen Abhandlung eingefügt. Be¬ 
sonders ausführlich sind die einzelnen Exsudatarten in ihrer 
Entstehungsweise, in der Form ihrer klinischen Symptome und 
in ihrer prognostischen Bedeutung geschildert. 

Hier wird der Leser manche werthvolle Beobachtung und 
brauchbare diagnostische Winke finden, auf die einzeln hier ein¬ 
zugehen der Raum fehlt. Der Referent möchte nur nachdrück¬ 
lich auf die berechtigte Skepsis hinweisen, mit welcher die Probe¬ 
punktion besprochen wird. 

In der selir ausführlichen, auch die Technik der Operationen 
eingehend berücksichtigenden Darstellung der Therapie zeigt sich 
ein verständiges Abwügen der Indikationen für die internen 
resp. chirurgischen Behandlungsweisen. 

Den Schluss der cmpfehlenswerthen Arbeit bildet eine kurze 
Schilderung dor specifisch entzündlichen Erkrankungen des 
Durmes der Regio ileocoeealis (Tuberkulose, Aktinomykosc, 
Typhus, Dysenterie). Prof. Brauer- Heidelberg. 

Prof. Dr. Ad. Czerny und Dr. A. Keller in Breslau: 
Des Kindes Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungs¬ 
therapie. Ein Handbuch für Aerzte. Erste Abtheilung. 
Leipzig und Wien, Franz Deut icke, 1901. Gr. 8". 160 S. 
4 M. 50 Pf. 

Ein umfangreiches Handbuch in 10 Abtheilungen vom Um¬ 
fange der vorliegenden beabsichtigen C. und K. der Aerztewelt 
zu bieten, welches die auf Grund der gesummten Literatur, wie 
der so vielseitigen eigenen Erfahrung der Breslauer pädiatrischen 
Schule heute als gesichert anerkannten Beobachtungen, Unter¬ 
suchungen und Thatsachcn zu einer streng wissenschaftlich be¬ 
gründeten Lehre von der Physiologie, Pathologie und Therapie 
der Ernährung des Säuglings und Kindes im späteren Alter ver¬ 
einen soll. 

Eine k r i t i s c h o Sichtung der Literatur und 
eine besondere Berücksichtigung des nach¬ 
gewiesenen Erfolges empfohlener Hcilmctho- 
<1 e n sollen dem Handbuch seinen bestimmten Charakter geben. 
Zur leichteren Orientirung werden die umfangreichen Kapitel, 
welche der eingehenden Erörterung des Stoffwechsels des Kindes 
und anderen, ausschliesslich wissenschaftlichen Fragen gewidmet 
sind, abgetrennt von jenen, welche für den praktischen Arzt von 
unmittelbarem Interesse sind. 

Ein Werk von solcher Bedeutung, welches die schwierigsten 
und zum Theil in widersprechendster Weise bisher beantworteten 
physiologischen, pathologischen und therapeutischen Fragen be¬ 
handelt, erfordert bei seinen Autoren grosse wissenschaftliche 
und praktische Erfahrung, zähe Arbeitskraft und Lust und Liebe 
zur Sache. Einer Bearbeitung aus der Feder der auf diesem 
Gebiet seit Jahren so vielseitig thätigen Autoren dürfte desshalb 
das Interesse aller sich mit paediatrischen Problemen beschäfti¬ 
genden Aerzte gesichert sein. 

Wie sich C. und K. ihre Aufgabe denken, und dass und wie 
sie dieselbe lösen, ersehen wir aus der ersten der 10 auge- 
kündigten Abtheilungen. 


Im ersten Kapitel wird die Frage der E r - 
| nährung am ersten Lebenstage dahin beantwortet, 
i dass keine oder eine ganz indifferente Nahrung am Platze ist. 

Mit wichtigen hygienischen und sozialen Fragen beschäftigt 
sich das 2. Kapitel über die Nahrung am zweiten 
Lobenstag. Aus demselben könnte die grösste Mehrzahl aller 
praktischen Aerzte Vieles lernen, was den heutigen Anschau¬ 
ungen vielfach widerspricht. Mit so mancher wissenschaftlichen 
Spielerei und Grossthuerei wird gründlich aufgeräumt, der 
praktischen Erfahrung der berechtigte Werth eingeräumt. Die 
| energische Betonung der Minderwerthigkeit jeder künstlichen 
Ernährung gegenüber der natürlichen, wird leider auch bei der 
Aerztewelt nicht, den gebührenden Eindruck machen. 

Anatomie und Physiologie des Magen- 
darmtractus und seiner Adnexe unter normalen 
i Verhältnissen finden im 3. Kapitel eine die speciellen An¬ 
schauungen Czorny’s und seiner Schule wiedergebende Be- 
| arbeitung. Der Werth der Physiologie und Chemie gegenüber 
j der Bakteriologie zur Aufklärung der Fragen betreffs der Darm- 
i funktion des Säuglings wird besonders hervorgehoben. Das 
4. Ka p i t e 1 behandelt die chemische Zusammen- 
J Setzung des Körpers beim menschlichen Foe- 
tus und Neugeborenen, das 5. die Technik der 
Stoffwechsoluntersuchungen. Auch das 6. Ka¬ 
pitel betrifft einen ausschliesslich wissenschaftlichen Gegen¬ 
stand, das Meeonium. Im letzten vollständigen Ka- 
pi tel der 1. Abtheilung erfährt die wissenschaftlich wie prak¬ 
tisch interessante, viel und widersprechend erörterte und beant¬ 
wortete Frage der sogen, physiologischen Albuminurie 
der Neugeborenen eine eingehende Beleuchtung, nach¬ 
dem das Thatsächliche der Lehre vom normalen Harn des Neu¬ 
geborenen von dem Hypothetischen oder nachweisbar Falschen 
getrennt worden ist. 

Abgesehen von der Wiedergabe aller für die behandelten 
Fragen werthvollen, zum Theil wenig bekannten und schwer zu¬ 
gänglichen Literaturangaben und der scharfen, persönlichen, 
kritischen Stellungnahme der Autoren zu vielen Fragen, wird 
auch die Vereinigung aller Untersuchungen, Erfahrungen und 
Anschauungen der Czorn y'sehen Schule auf dem weiten Ge¬ 
biete der Lehre dor Physiologie, Pathologie und Therapie der 
Ernährung des Kindes in diesem Handbuch den weiteren Ab¬ 
theilungen einen grossen Leserkreis sichern. 

S i e g e r t - Strassburg. 

I 

Dr. Max Biechele: Anleitung zur Prüfung der Arznei¬ 
mittel. 10. Auflage. Berlin, J. Springer, 1901. Preis 5 M. 

Die Bearbeitung sehliesst sich enge an die IV. Ausgabe des 
Arzneibuches für das deutsche Reich an und enthält zur Er¬ 
kennung und Prüfung dor in dasselbe aufgenommenen Arznei¬ 
mittel präcisc Anleitungen, sowie mehrere Tabellen über Ver¬ 
wendung und Beschaffenheit von Reagentien und volumetrischen 
Lösungen, Aufbewahrung von Arzneimitteln, Consistenz der 
Extrakte, Zerkleinerung der Drogen u. s. w. Hauptsächlich zum 
Gebrauch des Apothekers bestimmt, wird sich das Buch auch in 
ärztlichen Handapotheken als nützlich erweisen; zugleich kann 
es amtlichen Aerztcn als Leitfaden bei Apothekcnvisitationen 
dienen. Dr. Carl Becker. 

Kryptogamen-Flora : Moose, Algen, Flechten und Pilze, 
herausgogeben von Prof. T)r. Walter M i g u 1 a. 5. Band von 
Prof. Dr. T h o in e’s Flora von Deutschland, Oesterreich und 
der Schweiz. Lief. 1. Gera, ltcuss j. L. Friedr. v. Zez- 
sclnvi t z, vorm. Fr. Köhler’» botanischer Verlag. 

Der bekannten Thom e’seheu Flora hat eine Bearbeitung 
der Kryptogamen (mit Ausnahme der im 1. Bande enthaltenen 
Farne) bisher gefehlt. Es ist um so erfreulicher, dass diese 
Lücke jetzt ausgefiillt werden soll, als eine gute, reich illustrirte. 
für weitere Kreise brauchbare deutsche Kryptogamenflora über¬ 
haupt nicht existirt. In Prof. M i g u 1 a, dem durch seine bak¬ 
teriologischen Arbeiten auch in der Medicin wohl bekannten 
Botaniker, hat die Verlagsanstalt «‘inen kompetenten Bearbeiter 
des wichtigen Bandes gewonnen. Das Werk soll 40—45 Liefe¬ 
rungen umfassen, von denen die uns vorliegende 1. Lieferung 
mit den Moosen beginnt und den Aufbau der Moospflanze und 
das Auf suchen, Sammeln und Bestimmen der Moose bespricht. 
Dem Heft sind 5 lithographische Tafeln beigcg«‘ben, die zeigen. 


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1978 


MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


<las.s in dem Werk dein für die Kenntniss der Kryptogamen so 
wichtigen mikroskopischen Verhalten dieser Pflanzen die nöthige 
Sorgfalt geschenkt wird. Das Werk verdient auch in ärztlichen 
Kreisen viele Freunde zu finden. Der Preis der Lieferung 
ist 1 M. 


Neueste Journalliteratur. 

Centralblatt für innere Medicin. 1901. No. 47. 

R. G r U n 1) a u in: Zur Methodik der Pulszählung. (Aus dein 
Institut für Mecliunothcrapie des I)r. A. Bum in Wien.» 

Wir verfügen zwar über Untersuchungen der Pulsfrequenz 
vor und nach Muskelarbeit und haben daraus wichtige Schlüsse ge¬ 
zogen; doch gestattet diese Kenntniss kein sicheres Vrtheil über 
das Verhalten des Herzrhytlnnus während der Arbeit. Da die 
graphische Methode hier nicht anwendbar ist. kann nur eine ein¬ 
fache Zählung zum Ziele führen. Die Nachtheile, welche die ein¬ 
fache Zählung in 20 oder 30 Sekunden in Bezug auf Genauigkeit 
bietet, schaltet Verfasser dadurch aus. «lass er mit Ililfe einer 
sogen. Stopp- oder Wettrennuhr die Zeit, liestimiut. welche während 
der Zählung von 15 Pulsselilägen verstreicht. Diese Uhren sind 
so eingerichtet, dass sie ausser dem gewöhnlichen Sekundenzeiger 
noch einen zweiten, grösseren besitzen, der 15 Sekunden genau an¬ 
zeigt, und dessen Gang durch leichten Druck auf einen kleinen 
Knopf ausg«4öst und al»gest«*Ut werden kann. Durch einen 
weiteren Druck kehrt der Zeiger immer wieder zur Ausgangs¬ 
stellung zurück. Man eruirt die »it. von 15 Pulsselilägen in der 
Weise, dass, während der Untersuchende mit der einen Hand den 
Puls fühlt, er mit der anderen Hand zu Beginn des ersten zu 
zählenden Pulses den grossen Sekundenzeiger in Bewegung setzt 
und am Ende des 15. Pulses stoppt und die verflossene Z«*it direkt 
abliest. Fehlerfrei ist auch diese Methode nicht. Ein Fehler ist 
dadurch bedingt, dass von dem Momente des Fühlen* des Pulses 
bis zum Niederdrücken des Knopfes der Stoppuhr eine gewisse 
Zeit nothwendiger Weise vergehen muss. Die abgelesenen Zahlen 
sind daher etwas grösser als die Zeit von 15 Pulsen. Aber dieser 
Fehler ist nicht grösser wie eine Sekunde. Ein weiterer Fehler 
ist dadurch gegeben, dass, wie bei der gewöhnlichen Art der 
Zählung auch bei dieser Methode nicht immer das Ende des Pulses 
mit dem Ende der Sekunde zusammenfallen muss. Aber dieser 
Fehler ist 5 mal kleiner und erreicht niemals di«* Grösse einer 
Sekunde. Die Beobachtungsfehler sind demnach l»ei dieser Me¬ 
thode viel kleiner als bei der einfachen Zählung. Die Ergebnisse, 
die der Verfasser mit seiner Methode über «las Verhalten der Puls¬ 
frequenz während der Muskelnrboil erhalten hat. will er anderen 
Orts berichten. W. Z i n n - Berlin. 

Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 45—47. 

No. 45. H. M a r x: Chinin als Stypticum und Antisepticum. 

Auf Grund von Versuchen betr. des Studiums der Blutbak¬ 
terien, bakteriologischer und klinischer Beobachtungen empfiehlt 
M. »las salzsaure Chinin in feuchter Tamponade bezw. Kompression 
von in 1—2 proc. ('hin. hydrochloricumlösung getauchter Gaze, 
eine absolut unschädliche Applikation, di«* sicher im Stande ist. 
1 h* 1 aseptischen Operationen den l«*tzt«*n Rest parenchymatöser 
Blutung zu stillen und die spärlichen, von «len operirenden Händen 
In die Wunde gelangten Keime vollends unschädlich zu machen. 
Polier die antiseptische Kraft d«»s Chinins bei Sepsis (intravenöse 
Injektion) stellt M. weitere Veröffentlichung in Aussicht. 

Grosse: Trachealknorpeldefekt und Silberdrahtnetz¬ 

deckung. 

G. theilt aus der chirurgischen Abtheilung des Olga-Kranken¬ 
hauses (Stuttgart) den Fall elues 12 jährigen. früher wegen 
Diphtherie tracheotomirt«*n Mädchens mit. das an schweren dys- 
pnoisehen Zuständen in Folge schlaff zusammenklappender 
Traehenlstolle (liei Defekt der rud. Trachea über 3- 4 Ringe hin¬ 
weg) litt und bei dem die Einpflanzung eines festen Drahtgeflechtes 
(von 2:3 cm. halbrinnenfönnig zurechtgebogen und durch Alu- 
minlumbroncedrähte befestigt» zu reaktionsloser Einheilung und 
vollständig normaler Athmung führte. 

No. 47. A. Bum: Experimentelle Untersuchungen über 
den Einfluss der Stauung auf die Entwicklung des Knochen- 
callus. 

B. bespricht seine im Wiener Institut für experimentelle 
Pathologie (I* a 11 a u ft unternommenen Versuche und histo¬ 
logischen Befunde. Anfangs an Kaninchen, dann an jungen 
IIuud«‘n. «lenen er lieide Tibien diaphysär glatt subkutan frak- 
turirte. die er mit Gipsgehvcrbnnden liehandelte, bei denen er je 
auf einer Seite Stauung appiieirte. Die Nekroskopie «ler betr. 
Tldere ergab auffallenden Blutreichthum der Weichtheile der ge¬ 
stauten Seite, schon makroskopisch mächtige Oallusbildung und 
grössere Festigkeit des Callus spee. vorgeschrittenere Verkalkung 
und Ossifikation des periostalen Callus. Sehr. 

r 1’ Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie. IM. XIV. 
Heft 3. 

1) Iv rö n ig - Leipzig: Zur Technik der abdominellen Total- 
exstirpntion des Uterus. 

Das Verfahren der abdominellen Totalexstirpntion von Mar- 
i i u und D o y e n hat Verf. in der Weise mo»lifizii*t. dass er. ähn- 
lii-li wi«* I> •"» «1 e r 1 e i u bei der vaginalen Totalexstirpation, di«* 
hint«*r<* Waml lies stark nach vorn«* über di«* Symphyse gebogenen 


Uterus mit dem Messer genau in der Mittellinie bis In die Uterug- 
liöhlo spaltet und d«*n Schnitt dann mit der Schoere bis in’s hinter«* 
Scheiden ge wölbe fortsetzt. Nach Abtrennung der hinteren Sclieideu- 
wand wird die Operation nach der Methode Martin'« beendet. 
«Hier es wir«! auch «lie vordere Waud des Uterus mit dem Messer 
in der Mittellinie durclitreuut. die Blase stumpf aus dem Gesichts¬ 
feld weggesehoben und die Spaltung bis in di«* vordere Scheiden- 
wand fortgesetzt. Nach Durchtrennung der vorderen Sehelden- 
wand hat man eine vorzügliche Stieluug des Uterus; die Uterina 
wird leicht freigelegt, der Uterus bequem ahgeeetzt. Die Scheideu- 
wunde wird vollständig vernäht und mit Peritoneum überdeckt. 

Eine wesentliche Erleichterung bietet diese Art der Total- 
exsiirpation in Fällen, in denen b<*i Pelveoperitonitis mit chro¬ 
nisch«*» A<liu*x«*rkraiikung«*ii «lie vollständige Entfernung des 
Uterus erwünscht ist. Hamh'lt es sich uni Myome, so ist das Ver¬ 
fahren nur dann zu empfehlen, wenn es sich um einfach sym¬ 
metrische hotuoeeut rische Myome des Uteruskürpers handelt, bei 
denen die Auffindung «ler Uterushöhle keine Schwierigkeiten 
macht 

2) W. P o teil - Hannover: Beitrag zur Diagnose der Blasen¬ 
molenschwangerschaft. 

Bei fehlerhaftem Uterusinhalt, besonders bei Molenschwauger- 
seliaft, ftud»*n sich mitunter Kontraktionen einzelner umschriebener, 
meist grösserer Gebännutterabschnitte. Die Dauer der Kontrak¬ 
tion ist ziemlich lang. In einem Falle von Blasenmole wurde An¬ 
fangs die über faustgrosse, von «lern (ihrigen weichen Utems- 
gewelie sich deutlich abhebende Partie als Myom diaguosticirt. 
Diese partiellen Kontraktionen werden bei normaler Schwanger¬ 
schaft nicht beobachtet, weniger deutlich ausgesprochen bei al>- 
gestorliener Frucht, am deutlichsten bei Blasentnole, so das« der 
Befund bei Blasenmole als charakteristisch gelten kann. Die 
Kontraktionen entstehen wahrscheinlich durch Reaktion der 
Uteruswaud auf lokale Ablösungen der Blasenmassen und um¬ 
grenzte Blutnustritte an der Peripherie des entarteten Eies. 

3) O. Fell n «* v - Wien: Herz und Schwangerschaft. (Schluss 
im nächsten Heft.) 

4) J. M a ii d e 1 h t a m in - .Odessa: Zur operativen Behand¬ 
lung der Genitalprolapse. 

Mittheilung von 7 Operationen schwerer Genitalprolapse nach 
der F r e u n d’sclien Methode. Die ursprünglich von Freund 
angegebene Art. den Uterus an die vordere oder hintere Vaginal- 
wund zu fixiren, ist nur dann anzuwendeu. wenu die heraus 
gefallenen Tlieile durch längeres Liegen ausserhalb des Beckens 
tiefgreifend«* Veränderungen ihrer Struktur und eine bedeutende 
Volunizunnhme erfahren haben. Bei der in diesen Fällen unent- 
liehrlicheu ausgedehnten Fixation des Uterus kann mau auch die 
Bildung (>ines künstlichen Muttermundes unterlassen, wenn das 
(\*r\ ixium«*n nicht obllterirt ist. da an den Seitenflächen des Uterus 
genügend Raum zum Abfluss der Ausscheidungen ist. In den 
übrigen schweren Fällen kann man sich auf die Werthei m’sche 
Modifikation beschränken. Die meisten in Betracht kommenden 
Fälle fallen in das klimakterische Alter, in anderen wäre durch 
Resektion «ler Tuben eine Conception zu verhindern. 

5) W. R o s e u f e 1 d - Wien: Ein Beitrag zur Anatomie der 
Tuberschwangerschaft und Bildung der Decidua reflexa. 

Nachweis der Decidua reflexa in einer wegen Ruptur des 
Fruehtsaekos exstirpirten Tube. 

Genaueres über «las Präparat und den mikroskopischen Be¬ 
fund muss in der Arbeit selbst nnchgesclien werden. 

öl E. E s s o n - M ö 11 e r - Lund: Sammelbericht über Ori¬ 
ginalarbeiten aus der schwedischen Literatur auf dem Gebiete 
der Geburtshilfe und Gynäkologie für das Jahr 1900. 

Weinbrenner - Erlangen. 

Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 46 u. 47. 

X. O s t c r ui a y e r - Ofen-Post: Ein Fall von ausgedehnter 
Buptur des linken Scheidengewölbes durch Coitus. 

Rupturen des Scheidengewölbes kommen am häufigsten hinten. 
s**lt«*ner seitlich, am seltensten vorne vor. O.’s Fall betraf ein 
24 jähriges Mädchen. «Ins im Anschluss an den angeblich ersten 
Coitus eine heftige Blutung liekam. O. fand normale äussere 
Genitalien. Hymen sogar erhalten, dagegen im linken Fornix 
vaginae einen sich nach oben verlierenden tiefen Riss, dessen Naht 
mittels 8 Nadeln erst nach den grössten Schwierigkeiten gelang. 
O. glaubt, dass, wie Warm an zuerst behauptet hat. zur Ent¬ 
stellung der Fomixmptur ein gesteigerter sexueller Reizzustancl 
der Frau vorliegen müsse und nimmt «lies auch für vorliegenden 
Fall an. in dem weder die Beschaffenheit der Genitalien, noch 
sonstige Umstände das Entstehen einer Fornixruptur begünstigten. 

Interessant ist. dass O. auch die Mutter des Mädchens früher 
an einem hinteren Fornix riss, der ebenfalls beim Coitus entstanden 
war. behandelt hatte. 

No. 47. 1) L. Knapp-Prag: Ein gynäkologisches Demon- 
strations- und Uebungsphantom. 

Dass«*]!»«* ist b«*stinimt, die gynäkologische Massage und die 
häufigsten gynäkologischen Erkrankungen einzuüben. Leider 
fehlte jegliche Besehreibung, die einer ausführlicheren Mittheilung 
an anderer Stelle Vorbehalten bleiben soll. 

2) W. Kühl- Dillenburg: Ueber einen Fall von vorzeitiger 
Lösung der normal sitzenden Nachgeburt; Beendigung der Ge¬ 
burt durch vaginalen Kaiserschnitt. 

HI. Para, di«* nach einem Stoss gegen die Bauchwand am 
foig«*nden Tage Wehen, Blutabgang und alle Zeichen Innerer Ver- 


e 



1970 


3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


blutung bekam. Ein Kolpeurynter, In den Uterus geführt, war 
erfolglos. Hierauf machte R. an der fast pulslosen Frau den 
vaginalen Kaiserschnitt, extrahirte das todte Kind mit der Zange, 
dem die Placenta folgte, und beendete so die ganze Geburt ln 
6 Minuten. Durch fortgesetzte Kochsalzinfusionen. Kampfer, 
Nilhrklystiere etc. gelang cs, die Frau am Leben zu erhalten. 

R. milchte den Dührsse n’schen Kaiserschnitt als Indi¬ 
kation für ähnliche Fälle aufstellen. J a f f 6 - Hamburg. 

i " ' ' ' i 

Virchow’s Archiv. Bd. 168. Heft 1.*) 1901. 

1) B. Coli mann: Beiträge zur Kenntniss der Chondro¬ 
dystrophia foetalis. (Aus dem pathol. Institut zu Königsberg.) 

Die vorliegende kasuistische Mittheiluug betrifft einen acht¬ 
monatlichen Foetus. 

2) P. Rohmer: TJeber Knochenbildung in verkalkten endo- 
karditischen und endarteriitischen Herden. (Aus dem pathol. 
Institut zu Strassburg.) 

R. beschreibt die Bildung von typischem, theilweise sogar mit 
Markräuiuen versehenem Knochengewel)e in arteriosklerotisch ver¬ 
änderten Gefüssen und Herzklappen und zwar fand er dieselbe 
In den Aorten- und Mitralklappen, sowie in den Wandungen der 
Art. femoralis vor. Es handelt sich dabei nach R. um eine richtige 
luetnplustische Knochenentwicklung und es stellt dieser Befund, 
«ler, wie aus den mehrfachen Berichten hervorgeht, nicht so ex- 
«luislt selten ist, ein Stadium in der Entwicklung des arterio¬ 
sklerotischen Proeesses dar. 

3) M. A b e 8 8 e r: Ueber die Herkunft und Bedeutung der 
in den sogen. Naevi der Haut vorkommenden Zellhaufen. (Aus 
dem pathol. Institut zu Göttingen.) 

Die vorliegende preisgekrönte Arbeit enthält eine kritische 
Zusammenstellung der diesbezüglichen Arbeiten und des Weiteren 
l»erlchtet A. über seine 10 in Serienschnitte zerlegten Pigment- 
Naevi. Er fasst seine Ergebnisse in folgende Sätze zusammen: 
Alle Naevuszellen, auch die verästelten Pigmentzellen, stammen 
von der Epidennis ab, die Umwandlung erfolgt unter Verlust der 
Epithelfnserung. Die abgelösten Zellen erfahren keine Metaplasie 
zu Bindegewebszellen (wie Kro m a y e r glaubt), sondern be¬ 
wahren auch in der Cutis cpitheläluillchen Charakter. Die aus 
PIgmentwar/.en hervorgegangeneu Melanome sind demnach nicht 
als Sarkome, sondern als Corel nome aufzufassen. 

4) H. F. n a r r 1 s - Atlanta (Amerika): Experimentell bei 
Hunden erzeugte Dysenterie. (Uebersetzt von Dr. Davidsohn 
in Berlin.) 

II. sucht wiederum durch Experimente der Lösung dieser 
schon so vhdfach diskutirten Frage nahe zu kommen. Es ist ihm 
nie gelungen, durch ractale Einverleibung von den mannigfachsten 
Rnkterienkulturen überhaupt, nur irg«*in1 welche krankhafte Ver¬ 
änderung an seinen Versuchthieren zu erzielen. Dagegen gelang 
«*s ihm (wie auch vor ihm amleren Autoren) durch Einspritzung 
von Faeeulmnssen I»ysenterischer bei jungen Hunden das 
typische, klinische und anatomische Bild der Dysenterie hervor¬ 
zubringen. in 2 Fällen auch Loberabsc<*s8o. Die ln den Faeces 
vorhandenen Amoeb»*n konnte H. nie künstlich züchten, dagegen 
g«'lang ihm das hinsichtlich der l>ei den DysenteriefiUlen vor- 
hamlenen Dannbnktorhm. 

Weil dio Einverleibung dieser letzteren bei seinen Thieren 
keine Reaktion hervorrief, glaubt H.. „der Beweis, dass die Vor¬ 
gefundenen Amoeben (A. coli) ln der Timt die ursächlichen Wesen 
bei chronischer Dysenterie sind. Ist Jetzt klar erbracht“ und nimmt 
an, dass diese Organismen nicht auf mechanischem Weg. sondern 
durch ein von ihnen gebildetes Toxin wirkten. «Dies«' Auffassung 
dürfte kaum von einem objektiven Leser getheilt werden! cf. die 
letzt«*n Verhandlungen der pathologischen Gestdlschnft! Ref.) 

5) A 1 b u: Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Harngift. 
(Aus dem physiol. Institut zu Berlin.) 

('•) I «1 e in : Zur experimentellen Erzeugung von Oedemen 
und Hydropsien. 

A. weist nach, dass es möglich ist. Kaninchen selbst grössere 
Meng«*n hypertonischer Flüssigkeit«*!« «Kochsalzlösung und mensch¬ 
lichen Harn) intravenös z«i iujiziren. «>hm* dass Gift Wirkung ein- 
trit.t, w«*nu nur di«* Flüssigkeit, möglichst langsam ein ver¬ 
hüllt wird: di«* Ausscheidung erfolgt durch tlii* Nieren, aber auch 
«liuvli andere 1 >rüseuorgane «Darm. Speichel- und Thräuendrüse». 
Klieliso gelang es A. auch durch langsam«* Injektion grosser 
Flüssigkeitsineng«*u sowohl 1 k* 1 gesunden wie künstlich gescliii- 
digten Nieren und auch bei nephrektomirten Thieren Oedeine und 
Hydropsien zu erzeugen, deren Gross«* und Lokalisation indivi¬ 
duellen Schwankungen unterworfen. Für «las Zustandekommen 
dersidlien nimmt A. eine abnorm g«*st«»ig«*rt<* Permeabilität «ler 
(’apillarwaudung an. die ihrerseits wi«*der durch die Hydnieiuie 
und die Plethora bedingt sein soll. 

7) E. Wieland: Studien über das primär multipel auf¬ 
tretende Lymphosarkom der Knochen. (Aus dem pathol. Institut 
zu Basel.) 

Die vorliegenden 2 Fälle schliessen sich ganz an 3 von W. 
früher beschriebene an. Es handelt sich um multipel auftretende, 
scharf umschriebene Geschwulst knoten, die nicht zu Metastasen 
in anderen Organen führen, somlern lediglich auf das Knochen- 
system beschränkt sind «Wirbelkörper, Femur. Sternum, Schädel- 
- r . . 

*) Die Referirung von Virchow’s Archiv hat durch die Be¬ 
hinderung unseres seitherigen Referenten «‘iiva.uplie.häainu L'uter- 
brechup g -gefahren. Mit dem vorliegenden lieft wird das regel- 
inöwrtge Kefefat* w ieder aufgonomim*n. Red. 


dach, seltener Rippen). Mikroskopisch stellen sich die Tumoren 
als Sarkome mit dem Typus des LymphdrüsengewebeR dar. Zu¬ 
letzt folgt eine kritische Llteraturangabe. sowie Berücksichtigung 
der klinischen Gesichtspunkte und pathologischen Differential- 
diagnose. 

8) L. Locb - Chicago: Ueber eine aus Lute'ingewebe be¬ 
stehende Neubildung in dem Ovarium eines Kalbes. 

9) M. G 1 o g n «* r - Berlin: Ein Beitrag zur Beurtbeilung der 
Malariarecidive und ihrer Behandlung. 

Nach den Erfahrungen des Verfassers sind dio Sphären- und 
Halbmond formen als Ursache «1er mit grosser Regelmässigkeit und 
trotz Chininbehnndlung auf tretenden Malariarecidive zu 1 Mi¬ 
tnichten: man bat «H«*selben wi«*«lcrliolt ln «len fieberlosen Inter¬ 
vallen vorgefunden. G. weist «lio Einwürfe K o c li’a znrü«*k und 
betont wieder, «lass «*s eine erworbene Immunität gegen Ma¬ 
laria nicht gibt, unter Hinweis auf seine Erfahrungen, die auch 
von anderer Seite bestätigt sind: dagegen rückt er die ange¬ 
borene Immunität, sowie die Vinilonzsohwankungon «ler Plas¬ 
modien in den Vordergrund. 

10) R. V 1 r c h o w : Rachitis foetalis, Phokomelie und 
Chondrodystrophia. 

Kritische Betrachtungen, ausgehend von Artikel I. 

II. M e r k o 1 - Erlangen. 

Archiv für Hygiene. 41. Bd. 2 Heft. 1901. 

1) R. O. N e u m a n n - Klei: Die Wirkung des Alkohols als 
Eiweisssparer. Neue Stoffwechselversuche am Menschen. Zu¬ 
gleich Entgegnung auf R o s e m a n n’s Kritik. (Pflüger's Aroli. 
Bd. 77.) 

Bereits im Jahre 1809 hatte Verf. einen 35 tägigen Stoff¬ 
wechsel versuch mit Alkohol an sich angcstellt und war dftlK*i zu 
dem Resultat gekommen, «lass Alkohol als Eiweiss- 
Sparer aufzufassen sei. Diese Schlussfolgerungen wurden nlK*r 
von Rosemann auf Grund zweier kurzdauernder Versuche von 
Schmidt und Schöneseiffen, die er hatte ausführen lassen, 
angezweifelt. 

Infolgedessen machte Neu mann einen zweiten 30 tägigen 
Versuch, mit anderer Anordnung. wolw*i er jedoch seine ersten 
Resultate vollständig bestätigen könnt«*. 

Er stellt sich nach einer 40 tägigen Alkoholabstinenz in einer 
VonK*riode mit 112 g Eiweiss. 110 g Fett und 254 g Kohlehydrate 
In N-Gleiehgewicht. Alsdann gab er in der zweiten. 18 tägigen 
Period«\ zunächst um die Giftwirkung des Alkohols 
auf den nicht, an ihn gewöhnten Organismus 
a u s z ti s c h 11 e s s e n. zu «1er gleichen Nahrung kleine 
Mengen Alkohol, die «*r allmählich bis auf 100 g steigerte, 
hinzu. Es musste, falls d«*r Alkohol eiweissspnreude Kraft hatte, 
nunmehr ein N-Ansalz erfolgen. Dieser trat auch in der That bei 
Gaben von ea. 50 g Alkohol ein und steigerte sieh bis zu einer 
Plusbilnnz von 2.02 g bei 100 g Alkohol. Hier konnte nur 
der Alkohol diese Wirkung erzielt haben. 

Bel weiterer Untersuchung, ob der Alkohol dem F«*tt in seiner 
Sparwirkung wirklich gleichwertig sei. ergab sich, dass der¬ 
selbe etwas hinter dem Fett zuriiekstebt. eine Be¬ 
obachtung. die Verfasser auch schon in seiner ersten Arbeit ge¬ 
macht batte. 

N o n m a n n’s zweiter Versuch bestätigte die auch von 
Rosenfeld und O f f e r gemachten Beobachtungen über die 
E1 weisssparwlrktiug des Alkohols und wurde fast zu gleicher Zeit 
bestätigt durch einen langdanernden Versuch von C 1 o p a 11 der 
nicht nur im Stickstoffstoffwechsel-, sondern auch im GnsRtoff- 
wcchselversuch genau dasselbe fand. 

Unterdessen hat übrigens Rosemnnn in einer neuesten 
Publikation die Richtigkeit der Netunan n’schen Resultate selbst 
anerkennen müssen, da er auf Grund neu ang<*stellter Versuche, 
die nun mit den Ergebnissen des Verfassers und C 1 o p a t t’s 
Übereinstimmton. nicht länger auf dem entgegengesetzten Stand¬ 
punkte beharren konnte. 

D ».mit darf w olil die T h a t s a c li «*. dass der 
Alkohol als Klwelsssparer an zu sehen ist. als 
«* n «1 g i 11 i g feststehend angesehen werden. 

2) O. Ln xa-Prag: TJeber die Spaltung des Butterfettes 
durch Mikroorganismen. 

Die Bakterien (Milchsäurebakteri«*n, Kasein peptonisirende 
Bakterien. Schimmelpilze und Saccharomyeeteni wirken auf das 
Butterfett auf verschiedene Weise ein. Die Milchsäure- 
bakterien sind indifferent. Die übrigen Mikroorganismen be¬ 
wirken Fettspaltung, liesonders O i d I u in, P e n i «* i 11 i u in. 
Mn cor fluorescens 1 i q. Die Fettspaltung geht nicht bei 
allen Glyeerlden des Butterfettes gleiehmässig vor sich, was zum 
Tbeil in der Schädlichkeit der frei gewordenen löslichen Fettsäuren 
gegenüber den Schimmelpilzen seinen Grund hat. Die frei- 
gewordenen flüchtigen Fettsäuren werden durch Schimmelpilze 
weiter zerlegt. Die Ursache der Glyeeridespaltuiig wurde beim 
Penieillinm lind Mncor in der Gegenwart von Enzymen gefunden. 

3| C. Ehrlich- Strassburg: Die Reinigung des Obstes vor 
dem Qenusse. 

Aus den bakt«*riologischen Untersuchungen verschiedener Obst¬ 
sorten ergibt siel«, dass die BakterienzahJ eine recht reichliche, aber 
durchaus inkonstante ist und wohl mit Zufälligkeiten zusaiumi'ii- 
liängt o<ler durch die verschiedenartigen, mehr o«l«*r weniger rein¬ 
lichen Verhältnissen 1 m*1iii Ahnchmen. Aufbewahren. Verkaufen 
dos ()bst«*s IxMÜiigt ist. Aus ein«*r Zusaiiiin«*ust«*llung «l«*r bak- 


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1980 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


No. 49. 


terienzalil. auf 200 g Frucht berechnet, geht hervor, dass Heidel¬ 
beeren 400 000, Zwetschgen 470 000, Mirabellen 700 000. Birnen 
800 000, Stachelbeeren 1 000 000, Gartenerdbeeren 2 000 000, Him- 
1 »‘eren 4 000 000, Weintrauben 8 000 000, Johannisbeeren 11000 000 
und Kirschen 12 000 000 Bakterien im Durchschnitt aufweisen. 
Der Grund für diese oft merkwürdige Verschiedenheit ist nicht 
leicht anzugeben. Glattes Obst beherbergt im Allgemeinen weniger 
Organismen, doch machen die Kirschen, wie man sieht, schon 
eine bedeutende Ausnahme. 

Reinigt man das Obst mit Wasser durch Abspülen, so geht der 
grösste Tiieil der Bakterien herunter, man wird aber vorsichtig ln 
der Praxis damit sein müssen, weil viele Obstsorten das Aroma ver¬ 
lieren und am Geschmack einbüsseu. Hier könnte man sich mit 
Abreiben mittels eines trockenen Läppchens helfen. In der Mehr¬ 
zahl der Fälle Hilden sich Schimmelpilze. Coli- und Proteus¬ 
arten. 

Die Anwesenheit, pathogener Keime scheint nicht häufig zu 
sein, da nur Husserst selten, trotz des enormen Obstkonsums, von 
irgend welchen Infektionen durch Obst etwas liekannt wird. (Ref.) 

R. O. N euma n n - Kiel. 

Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde nnd 
Infektionskrankheiten. Bd. 30, No. 17. 1901. 

1) A. R o s e n f e 1 d - Königsberg: Heber die Involutions¬ 
formen einiger pestähnlicher Bakterien auf Kochsalzagar. 

Verfasser untersuchte M ii u s e t y p h u s, Hogeholera, 
F r e 11 c h e n s e ii c li e. Dnnyzbaclllen. Geflügel- 
cholera. deutsche Schweineseuche. B a c i 11. 
p s e u d o t u b. rode nt. auf 2- -5 proc. Agar. Ein hoher Koch¬ 
salzgehalt veranlasst Entwicklungshemmung der Bakterien. Das 
Wachsthum und die Formenbildung wird bei den einzelnen Arten 
ganz verschieden beeinflusst, doch aber nicht so. dass man ohne 
Weiteres die Arten diagnosticlren könnte. Die Unterscheidung 
von deutscher und amerikanischer Schwei n e - 
seuclie und H lihne r choi e r a soll allerdings durch den 
Chlornatriumagar erleichtert werden. 

Trotz der intensiven Involutionsformenbildung l>ei den ge¬ 
nannten Bakterien, wird man doch im Stande sein, dieselben von 
P e s 11 u v o 1 u 11 o n s f o r m c n zu unterscheiden, da bei der¬ 
selben schon bei schwachem Wachsthum auf 2'/ a —4 proc. NaCl- 
Agar intensiv gefärbte hefeähnliche Kugeln neben anderen gut ge¬ 
färbten Aufquellungsprodukten reichlich in jedem Gesichtsfeld zu 
finden sind. 

21 E. C a c a c e - Neapel: Die Bakterien der Schule. Bak¬ 
teriologische Untersuchungen, ausgeführt an dem Staube der 
Normalschule zu Capua. 

Die gefundenen Bakterienmengen waren grösser als die bis¬ 
her bekannten Mengen. In den Schulzimmern fanden sich 
0—25 Millionen, in der Turnhalle 17—40 Millionen, im Kinder¬ 
garten 70—108 Millionen. Im Juni wurden die meisten Bakterien 
gezählt. Ebenso fanden stell nach der Stunde mehr wie am An¬ 
fang. 

Thierexperimente zeigten, dass pathogene Keime vorhanden 
waren. Einige geimpfte Meeseliweinehen starben an Septikaeinie. 
Aus dem Blut wurde gezüchtet: Stapliylococcus aureus. Coli, ein¬ 
mal Pneumonie Frankel. Tetanus- und Tuberkel- 
b a c 111 e n fanden sich nicht. Unter den gefundenen Bakterien 
ist zu erwähnen: Subtilis. Proteus, Megatherium, Mesentericus. 
Fluoreseens. Sarcinen. Hefen. Schimmelpilze. 

Da in den Kindergärten die meisten Bakterien gefunden wur¬ 
den. so hält Cacace es für wichtig, gerade diesem Institut, wo 
so viel kleine Kinder ihren Aufenthalt haben, besondere Sorg¬ 
falt in der Reinlichkeit zuzuwenden. 

3) H. Hnmmerl-Graz: Ein Beitrag zur Züchtung der 
Anaeroben. 

Als wichtigstes Moment bei der Züchtung von Anaeroben gilt 
die Entfernung des Sauerstoffs, welche aber nur schwer sich ganz 
erreichen lässt. Verfasser schlägt als besonders günstiges Material 
zur Absorption des Sauerstoffs Ammoniumsulfhydrat 
NIT, HS vor. welches man sich in jedem Falle durch Beigabe von 
Ammoniak zu Schwefelwasserstoff bereiten müsste. Etwas be¬ 
quemer sei ja der von-T renkmann angegebene Nährboden mit 
Na, S bereitet, doch komme dieser dem selnlgen an Reduktions¬ 
kraft nicht gleich. 

Ausserdem wird noch die Angabe gemacht, dass man die 
letzten Spuren von Sauerstoff aus den Platten und Röhrchen 
herausbringen könne, wenn man in den Deckel der Platten ein 
mit Pyrogallussäure und Kalilauge getränktes Papier 
(Bierglasuntersetzer) anbringt resp. einen mit dieser Mischung 
getränkten Wattepfropf in den Röhrchenhals einschiebt. 

R. O. Neumann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 47. 

1) J. H I rs c h b e rg-Berlin: Ueber die Pupillenbewegung 
bei schwerer Sehnervenentzündung. 

Bei frischer Durchtrennung eines Sehnerven und ebenso bei 
frischer einseitiger Erblindung durch Entzündung des Sehnerven 
zeigt sich, wenn das gesunde Auge verdeckt wird, eine ausser¬ 
ordentlich starke Erweiterung der Pupille des kranken Auges. 
Da der Augenspiegelbefund anfangs noch vollkommen normal sein 
kann, so ist das Vorhandensein jenes Zeichens ein fast unfehl¬ 
bares Anzeichen dafür, dass es sich um eine organische Erblindung 
des betreffenden Auges handelt. H. schildert einen Fall, welcher 
den diagnostischen und auch prognostischen Werth des Zeichens 


illustrirt. Bel der betr. Kranken, welche früher auch Erschei¬ 
nungen von Hysterie dargeboten hatte, konnte Verfasser die an¬ 
gegebene Erweiterung der Pupille des kranken Auges bei Be¬ 
deckung des gesunden Auges konstatiren und dlagnosticlrte lad 
noch negativem Augenspiegelbefund eine Sehnervenentzündung, 
was auch durch den ferneren Verlauf durchaus bestätigt wurde. 
Während die Entzündung unter diaphoretischer Behandlung zu¬ 
rückging. verlor sich auch jenes Symptom. Das Sehvermögen 
wurde vollständig wieder hergestellt, doch blieb längere Zeit eine 
Abblassung des Selinervenelntritts bestehen. 

2) J. A. B ec li e r - Würzburg: Ueber die Frühdiagnose der 
Arthritis deformans coxae. 

Verf. macht an der Hand eines Falles auf den diagnostischen 
Werth des sogen. H o f f a’sehen Zeichens aufmerksam, das darin 
besteht, dass auf der erkrankten Seite schon sehr frühzeitig eine 
Behinderung der Abduktion des Beines auftritt, wie an den l>ei- 
gegelieuen Photographien sehr deutlich zu sehen ist. In dem betr. 
Falle war zuerst die Diagnose auf Ischias gestellt worden. Hin¬ 
sichtlich der Behandlung empfiehlt B. die Anwendung eines voll¬ 
ständigen H e s s I n g’sehen Schienenhülsenapparates. oder eine 
abnehmbare Gips- resp. Celluloidhülse; ferner ist sehr wichtig eine 
täglich vorzunehmende Massage der Oberschenkel- und Hüft- 
lnuskulatur, sowie aktive und passive Bewegungsgynmastik. 

3) B ledert und E. Biedert- Hagenau i. E.: MilchgenusB 
und Tuberkulosesterblichkeit. 

Schon 1883 hat B. den Standpunkt vertreten, dass die In¬ 
fektionsgefahr durch Milchgenuss keine sehr hervortretende Rolle 
spielen könne, wie sich aus der statistischen Verwerthung sehr 
zahlreicher Sektionen ergibt. Bekanntlich hat Koch in neuester 
Zeit, dies wieder in den Vordergrund gestellt. Die Verfasser haben 
nun die Frage der Infektion durch den Dann von der Seite aus 
neuerdings in Angriff genommen, dass sie die Tuberkulosesterb¬ 
lichkeit in den einzelnen Regierungsbezirken Bayerns ln Vergleich 
setzten mit der Viehzahl, resp. mit. dem Milchgenuss in den betr. 
Bezirken. Ueber die Einzelheiten kann ohne die beigegebenen 
Kurven hier nicht berichtet werden, doch geht aus Allem hervor, 
dass sich ein Einfluss der Verbreitung des Milchgenusses in der 
Bevölkerung auf die Häufigkeit der Tuberkulose und die Mortalität 
an derselben nicht erkennen lässt, indem der hohen Viehzahl sogar 
die günstigsten Tuherkuloseverliältuisse bei den Menschen gegen¬ 
über stellen. Der Rolunilchgenuss erscheint in gewissem Sinne 
sogar eher nützlich als schädlich, indem bei ausgedehnter Milcb- 
wirtlisclinft ein grösserer Wohlstand vorhanden zu sein pflegt. 

4) J. H e r z h e r g - Berlin: Rhinogener Stirnlappenabscess, 
durch Operation geheilt. 

Bei dem 20 jährigen Kranken bestand ein linksseitiger epi- 
duraler und ein linksseitiger Frontallappenabseess im Anschluss 
an akute Stirnhöhleneiterung. Der Hirnabscess hatte ausser der 
Verlangsamung des Pulses keine nachweisbaren Erscheinungen 
hervorgerufen, nur zeigte der Kranke eine eigentümliche Apathie, 
welche nach der Operation wieder verschwand. Ueber die De¬ 
tails des mit bestem Erfolge gemachten operativen Eingriffs ist 
das Original einzuselien. Die Diagnose der von Stiruhöhleneite- 
rnngen hervorgerufenen Ilimnbscesse ist. übrigens eine besonders 
schwierige. Werden erst Herdsymptome abgewartet, so kommt 
die Operation meist schon zu spät. 

5) J. K i s s - Ofen-Pest: Ueber den Werth der neueren Unter¬ 

suchungsmethoden zur Bestimmung der tfisreninsuffleienz. 
iSchluss folgt.) G l* a s s m a n n - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 47. 

1) H. C u r sc h m a n n - Leipzig: Medicin und Seeverkehr. 
(Schluss folgt.) 

2) Hugo R i b b e r t - Marburg: Ueber die parasitäre Natur 
des Carcinoms. 

R. betont, dass in der Art des Wachsthums der Carcinome. 
ausschliesslich durch Vermehrung der bereits das Neoplasma zu- 
sammensetzenden Zellen und ohne jede Mltbetlielligung angrenzen¬ 
der epithelialer Zellgebiete, allein selion derHauptbeweis für die Un¬ 
möglichkeit einer rein parasitären Natur gegeben sei. Dagegen kann 
mau eine Parasitenwlrkung sehr wohl annehmen für die initialen 
entzündlichen Processe am Bindegewebe, durch welche Eplthelieu 
aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang getrennt werden und 
damit den Anstoss der Neubildung geben. 

3) Friedrich Franz F r 1 e d m a n n - Berlin: Untersuchungen 
über Vererbung von Tuberkulose. 

Eine Statistik der II. medicinischen Universitätsklinik der 
k. Charitö von 1885 bis 1001, umfassend 2984 Fälle. Unter den 
083 Fällen mit positiver elterlicher Heredität (33 Proc.) sind 503 
(51.2 Proc.) mit väterlicher Belastung. 323 (32,8 Proc.) mit mütter¬ 
licher und 157 Fälle (15,9 Proc.) mit beiderseitiger Belastung. 

4) B. Möllers- Berlin: Beitrag zur Frage über den Werth 
des Tetanusantitoxins. 

Aus den bisherigen Beobachtungen und experimentellen Unter¬ 
suchungen geht hervor, dass seihst bei strikter Einhaltung der 
B e h r i n g*sehen Forderung, nicht später als .'10 Stunden nach er¬ 
folgter Infektion und nicht unter 100 A.-E. auf einmal einzu¬ 
spritzen, keine Garantie für den Erfolg gegeben ist. dass vielmehr 
die Schwere der Infektion allein entscheidet. Nichtsdestoweniger 
ist es Pflicht des Arztes, das Antitoxin sofort und in hinreichender 
Menge anzuw T enden, um jede Chance einer Heilung auszunützen. 

5) W. Silberschmidt - Zürich: Zur bakteriologischen 
Diagnose der Aktinomykose. 


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3. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1981 


L)ie Erkennung der Krankheit ist nicht immer leicht, da bei 
der Aktlnomykose sowohl die makroskopisch sichtbaren Drusen 
ini frischen Eiter, als die Keulen im mikroskopischen Präparat 
fehlen können. S. empfiehlt die Herstellung direkter gefärbter 
Ausstrichprüparate und die Anlegung von Kulturen, wobei jedoch 
die grosse Aehidichkeit mit Diphtheriebacillen beachtet werden 
muss. 

0» Johann v. B 6 k a y - Ofen-Pest: Beiträge zur Lokalbehand¬ 
lung der im Gefolge der Intubation entstandenen Geschwüre des 
Kehlkopfes. 

Unter Mittheilung von 5 Fällen eigener Beobachtung empfiehlt 
B. angelegentlich die von CD w y e r eingeführte Anwendung mit 
Gelatine-Alaun präparirter und mit schmälerem Halstlieilc ver¬ 
sehener Bronzetuben bei allen Fällen, ln denen die Dauer der 
Tubage 100 Stunden überschreitet und die successive Abnahme der 
ExtubationsDUUsen den Verdacht auf Bildung von Deeubltus- 
geschwüreu im Kehlkopf uahelegt, als ein äusserst einfaches, leicht 
durchführbares und erfolgreiches Verfahren. 

7) Fritz L e s s e r - Breslau: Ueber die gleichzeitige thera¬ 
peutische Anwendung von Quecksilber- und Jodpräparaten. 
(Schluss folgt.) 

8) S t e i n li e i 1 - Kochendorf-Jagstfeld: Verlauf von Schwan¬ 
gerschaft, Geburt und Wochenbett nach Nierenexstirpation 
wegen Tuberkulose, und 

0) Richard Adler- Prag: Bin Fall von entzündlichem Brust- 
drüsencarciom. 

Kasuistische Mittheilungen aus der ärztlichen Praxis. 

10) Julius 1) o 11 i n g e r - Ofen-Pest: Ein Beitrag zur Hoch¬ 
schulpädagogik, und 

11) H e n i u s - Berlin: Specialärzte für das Naturheil¬ 
verfahren. 

Zwei lesenswerthe Beiträge zum Kapitel „Standesangelegen- 
heiten". 

Therapeutische Neuigkeiten: 

a) <!. P. Drossbaeh: Zur modernen Lichttherapie. 

b) Eugene O p p e n li e i m e r - Berlin: Zur Behandlung des 

Entropium senile. F. L a c li e r - München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31 .Jahrg.No.22 

C'ourvoisier: TJeber die schweizerische Medicinal- 

maturität. (Referat, gehalten auf der Versammlung des ärztlichen 
Centralvereins in Olten am 2t». Oktober 1901.) 

Treffliche, leider nicht zu kurzem Referat geeignete Be¬ 
sprechung <les neuen schweizerischen Gesetzentwurfs, der für das 
medicinlsehe Studium rein klassische Gymnasialmaturität oder 
reine Reahnaturltät verlangt. 

Jadassolin - Bern: Bemerkungen zur Syphilistherapie. 
(Schluss.) 

V. tritt hauptsächlich den Ausführungen H e u s s' (ibld. No. 0, 
ef. Münch, med. Woclienschr. No. 13, pag. 513) entgegen. Die 
Präventivbolinndlung Ist bei diagnostisch sicheren Fällen nicht 
schädlich, und zu empfehlen. Die Möglichkeit der Coupirung der 
Syphilis durch sofortige Zerstörung der Invasionspforte oder auch 
des frischen Primäraffektes (dafür 3 eigene Fälle) muss zugegeben 
und sollte ausgenützt werdeu. Die F o u r n 1 e r’sche lnler- 
mittirende Behandlung ist theoretisch — das Quecksilber l»eolu- 
flusst den Syphiliserreger, auch ln der Latenzperiode — und prak- | 
tisch — die noch ungenügende Statistik macht ihre prophylak¬ 
tische Wirksamkeit gegen den Tertlarismus wahrscheinlich, In- 
dlvlduallsirung ist möglich, eine Schädigung zu verhüten — gut 
gestützt. 

Verfasser verwendet in erster Linie Einreibungen, daun auch 
Einspritzungen mit Salicyl-Quecksllber-Emulsion, auch während 
der tertiären Symptome und bei maligner Syphilis. Bei progre- 
dieuteu tertiären Processen sind manchmal sehr hohe Jodkalium¬ 
dosen wirksam. Das beste Mittel gegen Jodismus, doch nicht gegen 
.Todexantheme, ist Antipyrin. 

Ernst Pflüger, zum 25 jährigen Jubiläum seines Amts¬ 
antrittes als Professor der Augenheilkunde in Bern. 

P i 8 c h i n g e r. 

Oesterreiohisohe Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 47. 1) N e u m a n n - Wien: Ueber ein durch den internen 
Gebrauch der Solutio Fowleri entstandenes Erythema gyratum, 
papulosum und bullosum. 

Nach kurzer Uebersicbt Uber die toxischen Wirkungen des 
Arsen auf die Haut, berichtet N. Uber ein an einem 37 Jährigen 
Kranken zur Beobachtung gekommenes Arseuexanthem oben ge¬ 
nannten Charakters, das nach Verbrauch von 40g Sol. Fowleri inner¬ 
halb 33 Tagen an dem Patienten zum Vorschein kam. Es scheint 
also auch eine Arsen-Idiosynkrasie zu bestehen. Die begleitende 
Schlaflosigkeit, heftiges Jucken und Brennen, allgemeine Unruhe 
und Aufregung machten das ganze Krankheitsbild in dem be¬ 
schriebenen Falle zu einem ziemlich ernsten. 

2) R. R. v. S t e n i t z e r - Wien: Ueber den Fluktuations- 
n&chweis bei Pleuraergüssen und dessen diagnostische Bedeu¬ 
tung. 

Schon ältere Autoren haben auf dieses Symptom aufmerksam 
gemacht, doch ist es fast in Vergessenheit gerathen. Bel der Her¬ 
vorruf ung des Zeichens kommt es ganz wesentlich auf die Technik 
an, welche gebraucht wird, ferner auf die bei dem betr. Kranken 


für das Auftreten der Fluktuation schon an sich am Thorax ge¬ 
gebenen Widerstände. Im Allgemeinen ist nach Verf. eine jnlttel- 
bare Palpationspercussion, bei welcher eine 2. Person mitzuwirkeu 
hat, eine der besten Methoden, über deren Einzelheiten auf die 
Originalmittheilung verwiesen werdeu muss. Hie und da gelingt 
es schon ln*l ganz geringfügigen Ergüssen, die Fluktuation hervor¬ 
zurufen; besonders werthvoll erscheint es. dass sie bei mittleren 
Ergüssen meist erhalten werden kann, wo die übrigen Methoden 
unter Umständen im Stich lassen können. Verf. beleuchtet dies 
au der Krankengeschichte eines -12 jährigen Patienten des Näheren. 
Besonders empfehlenswerth dürfte die Prüfung auf Fluktuation 
bei Kindern sein, wo die Bedingungen für das Zustandekommen 
und den Nachweis der Fluktuationswellen meist gegeben sind, 
während die anderen physikalischen Methoden oft nicht aus- 
reiclieu. 

3) J. S U s s w e i u - Wien: Die Influenza bei Masern. 

Bel 21 Masernfüllen hat Verf. auf das Vorkommen von In¬ 
fi uenzabacillen untersucht und dieselben in 10 dieser Fälle mit 
Sicherheit nachweisen können. Der Nachweis wurde ln einer Zeit 
erhoben, als keine Influenznepidemie herrschte. Es stellt sich also 
die Influenza jedenfalls als eine sehr häufige Komplikation der 
Maseru dar. Aus dem Verfolg der klinischen Erscheinungen in 
den betr. Fällen geht hervor, dass das Zusammentreffen der Masern 
mit Influenza den Verlauf der erst ereil meist in ungünstiger Weise 
beeinflusst, dass es Maserufälle gibt, hei denen die Komplikation 
mit Influenza aus dem klinischen Verlaufe nicht erschlossen 
werden kann, indem sie völlig unkomplizlrten Masern gleichen. 

4) .1. Do n a t h - Ofen-Pest: M e n 1 ö r e’scher Symptomen- 
komplex, geheilt mittels galvanischen Stromes. 

In dem mltgetheilten Falle, einen 40 jährigen Schriftsetzer 
lK'tr., hörten die heftigen Schwindelanfälle auf Galvanisation der 
N. acustlcl schon nach der 2. Sitzung auf und nach kurzer Zeit 
wurde vollkommene Heilung erzielt. Da gleichzeitig Verände¬ 
rungen am Trommelfell bestanden, wurden die Ohren vorher auch, 
aber ohne Erfolg, betr. der Sehwludelaiifälle behandelt. Es zeigte 
sich also an diesem Falle, dass die Behandlung event. auch ohne 
Rücksicht auf das gleichzeitige Ohrleiden zu einem Erfolge führen 
kann. Beim M e li i ö r e’schen Syniptomenkomplex soll also in 
jedem Falle vor Anwendung anderer Methoden die Galvanisation 
dos Kopfes versucht werden; auch die Anwendung der statischen 
Elektrlcität wird in neuerer Zeit empfohlen. 

Grass mann - München. 

Prager medicinische Wochenschrift. 

No. 38—45. O. lt o z ä u e k - Franzensbad: Necrosis haemor- 
rhagica pancreatis acida acuta und ihre Beziehung zum Klimak¬ 
terium. 

Sehr ausführliche Krnnkheitsgeschichte einer 53 jährigen Frau, 
auf Grund deren Verfasser die Vermuthung nussprlcht, dass hier 
und auch in anderen Fällen dieser Art das Klimakterium die aller¬ 
dings noch nicht näher bekannten Voraussetzungen für die Er¬ 
krankung für sich birgt. 

No. 41—44. L. K a 8 t - Prag: Ueber daa Verhalten der Herz¬ 
affektionen hei chronischem Gelenkrheumatismus resp. Arthritis 
deformans. 

Bel der Durchsicht von rund 36 000 Sektiousprotokollen des 
pathologisch-anatomischen Institutes in Prag fanden sich nur 30, 
in denen die klinische oder anatomische Diagnose auf Arthritis 
deformans oder chronischen Gelenkrheumatismus lautete; davon 
erschienen 24 als reine Fälle verwerthbar. Bel denen nun, die 
vor Jahren mit akuter Polyarthritla begonnen hatten, bildeten 
schwere Herzfehler mit tödtlichem Ausgang die Mehrzahl, die von 
Anfang an chronisch verlaufenden endeten weitaus überwiegend 
mit Tuberkulose, Morbus Brightil, Endarteriitis chronica. In der 
ersteren Klasse wurde nur einmal das V. Lebensdecennium über¬ 
schritten, ln der letzteren wurde häufig das VII., mehrmals das 
VIII., einmal das IX. Decennium erreicht. 

No. 43. L. W ä 1 s c h - Prag: Ueber chronische, nicht gonor¬ 
rhoische Urethritis. 

Iu den letzten 4 Jahren hat W. 5 Fälle von chronischer Ure¬ 
thritis bei Männern beobachtet, für deren Typus er die ausführliche 
Krankengeschichte eines Kollegen vorführt. Dieser ist dadurch 
ausgezeichnet, dass sich niemals, trotz sehr zahlreicher Unter- 
i suehungen auch nur ein Gonococcus nachweisen liess, die In- 
cubationszelt eine längere (8—16 Tage) war, dass ferner der Verlauf 
von Anfang an ein mehr chronischer und immer sehr langwieriger 
war und sich durch keines der in der Gonorrhoebehandlung üb¬ 
lichen Mittel, Ja überhaupt durch kein Mittel beeinflussen llesa. 

No. 44. H. S c h 1 o f f e r - Prag: Zur Technik der Trige- 
mi nusresektion. 

Genauere Beschreibung der in dem Sitzungsbericht ln No. 37, 
Jahrgang 1901 dieser Wochenschrift genannten Operationen. Zur 
Aufsuchung des II. und III. Trigeminusastes nach temporärer Re¬ 
sektion des Jochbeines lässt sich in manchen Fällen sowohl die 
Resektion des Processus coronoideus, wie auch die breite Ablösung 
der Weichtheile von der Unterfläche der Schädelbasis umgehen. 
Von dem hintersten Punkt der inneren Urspruugskante des Pro¬ 
cessus zygomaticus ln frontaler Richtung gegen die Mittellinie vor¬ 
gehend, erreicht man das Foramen ovale. Eine durch genannten 
Punkt gelegte Frontalebene durchschneidet ln der Regel das 
Foramen. 

No. 45. H. B re 1 te n s t e 1 n - Karlsbad: Carcinom in den 
Tropen. 


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1982 


MITKNOITENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 49. 


L «'S f f1 e r liat in der jüngsten Zeit den Vorschlag gemacht, 
C'urcinomkranke durch Einimpfung der Malaria zu behandeln und 
stützt seine Hoffnung auf einen günstigen Erfolg auf die Selten¬ 
heit des Carcinoines in den Tropen und specieli auf eine Mittheilung 
Pagel’s aus Nordbomeo. Der Anregung L ö f f 1 e r’s folgend 
gibt Br. bekannt, dass er Jahre lang in Borneo gelebt hat und sich 
ohne Weiteres einer Anzahl tödtlicher Carciuomfiille entsinnt, trotz 
notorischer Häufigkeit der Malaria in jenen Gegenden. 

No. 4t». 11. T seliinkel- Prag: Heber einen Fall von Diplo- 
coccenmeningitis. 

Nachweis der Diplococceu in der durch Lumbalpunktion bei 
einer 43jilhrigen l’atientin gewonnenen Cerebrospinalflüssigkeit. 
Bestätigung der Diagnose durch die Obduktion. 

Wiener medicinische Presse. 

No. 47. A. T r u m e r - Klosterneuburg: Beiträge zur haemor- 
rbagisehen Diathese bei Typhus abdominalis. 

Von 98 Typhuskrauken hat T. 2 unter den Erscheinungen einer 
rasch einsetzenden und rasch verlaufenden haemorrhagischen Dia- 
these (Nas(*ubluten, Darmblutungen, Iluutblutungen) verloren und 
zwar den einen um Schluss der dritten Woche, den zweiten nach 
G tägigem Bestand der Fieberlosigkeit. Zur Differentialdiagnose 
gegenüber den dem Typhus als solchem zukommenden Blutungen 
betont er den parenchymatösen Charakter der Nasenblutung aus 
beiden Nasenhäiften, die dunkle Farbe des Blutes, das gleichzeitige 
Bluten aus der Mundschleimhaut, ferner die über den ganzen Kör¬ 
per verbreiteten Petechien, das späte Auftreten der Blutungen, 
ln aetlologischer Beziehung liegt die Erklärung nahe, dass es sich 
um eine Sepsis und zwar auf Grund einer Sekundär- oder Misch- 
infektion handelt. B e r g e a t - München. 

Inaujpir&l-DisMrtationeiL. 

Universität Breslau. Oktober 1901. (Berichtigung.) 

Ul. Langer vuicht Lanzer) Paul: Erfolgreiche Exstirpation 
eines grossen llaemaugioms der Leber. 

Universität Rostock. Sepleinl>er bis Mitte November 1901. 

21. Dekowski St.: Beitrag zur Kenntniss des sogen. Frühjahr- 
kntarrlis der Conjunktiva, besonders der atypischen Formen. 

22. Fabian Erich: Die Bindegewebshyperplusie im Fibrom und 
im Fibroadenom der Mamma. 

23. Kamp he rst ein Alfred: Die operative Behandlung der 
hochgradigen Kurzsichtigkeit ln der Universitäts-Augenklinik 
zu Rostock von 1897 bis 1901. 

24. Stephan Paul: Beitrag zur Diagnose des Echinococcus 
orbitae sowie zu seiner Operation nach der K r ö u 1 e i n’schen 
Methode. 

2ö. W icucrs Aloys: Die erste Menstruation nach der Ent¬ 
bindung. 

2G. Kobert Haus Ulrich: Ueber das mikrokristallogruphlsclie 
Verhalten des Wirbelthierblutes. 

Universität Würzburg. April bis September 1901. 

UO. Arendes Josef: Ueber primäres Carciuom der Tuben. 

Ul. Apetz Wilhelm: Beiträge zur Anatomie der Periorchitis 
sero-libriuosa. 

U2. A i c h e 1 Otto: Das Teetu in loborum opticorum embryonaler 
Teleostier. 

UU. Bamberg er Leopold: Ein medulläres Adenocarcinom der 
Prostata. 

34. Becker Martin: Beiträge zur Therapie des Ulcus ventriculi. 
33. Bolzano August: Untersuchung einer grossen Dermoid- 
cyste („rudimentärer Ovarialparasit", „Embryom“, Wllms) des 
Ovarium. 

UG. Bosse rt Adolf: Beiträge zur Frage der Wasserverunreiui- 
guug. 

37. Castorph Max: Cystlsehe Ovarialtumoren, mit besonderer 
Berücksichtigung der sekundären Metamorphosen. 

38. Deutloff Cuno: Lungeninduration bei Peribronchitis 
tuberculosa. 

U9. Doris Friedrich: Ueber einen Fall von Tuberkulose der 
Ader- und Netzhaut, sowie der Episklera. 

40. Eberle Haus: Ueber die Veränderungen des Oberflächen¬ 
epithels über schwellbaren Polypen. 

41. Gütz Moritz: Ueber die Bedeutung der Zerkleinerung von 
Speisen für die Pepsinverdauung des Eiweiss. 

42. Gaudenz J. U.: Ueber die Zerkleinerung und Lösung von 
Nahrungsmitteln beim Ivauakt. 

43. 11 o r w i t z Ludwig: Ueber eine neue Methode zur Bestim¬ 
mung des Aetlierdampfes in der Luft 

44. II a r 11 g Hans: Wirkung des Strychnins auf den Stoff¬ 
wechsel. 

45. Heiniberger Theodor: Ueber Kaiserschnitt und Sym- 
physeotomie. 

4G. Hein Albert: Ueber ein Peritheliom der weichen Hirnhäute, 
nebst kurzer Betrachtung über die Entstehung der Neoplasmen 
überhaupt. 

47. U e r s e Ernst: t'eber die Komplikation von Schwangerschaft 
Geburt und Wochenbett mit Herzfehler. 

48. Just Walter: Beitrag zur Kenntniss der Erkrankungen des 
Rückenmarkes bei der progressiven Paralyse. 

49. Kahn Jakolt: Ueber penctrirende und stumpfe Bauchver- 
ietzuugen. 


50. Keibel Eduard: Ein Beitrag zur Kenntniss der nitrirten 
Phenole. 

51. Keul Hermann: Histologische Studien über das Xanthom 
des Augenlides. 

52. Korn Mauricio A.: Ein Fall von Geleukkörper. 

53. K r ein p Rudolf: Querlage bei Erstgebärenden. 

54. Krieger Richard: Ueber die Wirkung des Guajacetins. 

33. Krug Carl: Kasuistischer Beitrag zur Behandlung der Per¬ 
forationsperitonitis. 

50. Küster Emil: Beiträge zur Aetiologie und Therapie kon¬ 
genitaler und acquirirter Gynatresien. 

57. Löffler Ilans: Ueber 19 in der Würzburger geburtshilf¬ 
lichen Klinik vom Jahre 1889—99 beobachtete Fälle von 
Eklampsie. 

58. Losen Adolf: Ein Beitrag zur Morvan'scheu Krankheit 
(Syringomyelie). 

59. Meyer Wilhelm: Ueber elektrolytische Abscheidung der 
Sch wenn etal le. 

00. M a 1 11 g Karl: Zur Kasuistik der Tubo-Abdominalschwanger- 
schaften. 

Gl. Meyer Justinian Eduard: Ueber 2 Fälle von multiplen c-arti- 
laginären Exostosen in röntgograpliischer Darstellung. 

G2. Marcus Salo: Ein Fall von Huraerussarkom. 

63. Muttheus Fritz: Ueber Wocheubettserkrankungen nach 
geburtshilflichen operativen Eingriffen. 

G4. Noll Hugo: Ein Fall von Ixdoinyom des Magens. 

65. Nirschl Joseph: Ueber Lebermetastasen bei Oesophagus- 
carelnomen. 

66. Nu ss bäum Isaak: Ueber Sklerodermie im Kindesalter. 

67. Otsuka R.: Ueber Heilungsvorgäuge nach ausgedehnter 
Verätzung des Magens und der Speiseröhre. 

G8. v. Ostoja Ln i ski Franz: Ueber die neueren Anaesthe- 
sirungsmethoden ohne Anwendung von Chloroform und 
Aether. 

09. P o 1 y Fritz: Die Rechtere w’schen psychoreflektorischen 
Facialisbahuen unter Zugrundelegung eines Falles metasta¬ 
tischen Tumors im Bereich des Thalamus opticus. 

70. Paasch Karl: Einwirkung des Kohlenoxyds auf Kalt¬ 
blüter. 

71. Pürekbauer Rudolf: Beiträge zur Komplikation der 
Gravidität durch Ovarialtumoren. 

72. Rosenberger Franz: Ursachen der Karbolgangrnen. (Ex¬ 
perimentelle Untersuchungen.) 

73. Riess Friedrich: Zur Pathologie der Schrumpfniere. 

74. Rohe Theodor: Erfolge der seit dem Jahre 1886—1895 in der 
chirurgischen KUnik zu WUrzburg nach v. V o 1 k m a n n aus- 
geführten Hydrocelenoperationen. 

75. R e i s 8 Peter: Ueber Formalindesinfektion. 

76. Röper Wilhelm: Ueber Typhuspneumonie. 

77. Rudolph Gustav: Ueber Vereiterung und Verjauchung der 
Uterusmyome 

78. Sauer Franz: Die Dauererfolge der operativen Behandlung 
der Uterusmyome. 

79. S c h a p e r August: Beitrag zur Aetiologie und Therapie der 
spontanen Uterusruptur während der Geburt. 

80. Schutz Rudolf: Ein Fall von multipler Gangraen der Milz 
bei Septicopyaemle. 

81. Schmelz Franz: Ueber einen seltenen Fall von Cystitis 
granulosa, verbunden mit umfangreicher Neubildung von 
lymphatischem Gewebe in der Schleimhaut der Blase. 

82. Schmidt Alfred: Ueber die Komplikation von Gravidität 
mit Uterusmyomen. 

83. Seng ler Fritz: Ein Beitrag zu den Lymphangiomen des 
Halses. 

84. S p r i n z Oscar: Ueber die Möglichkeit, sterilisirte Kinder- 
milch und pasteurisirten Rahm herzustellen. 

85. Völker Hans: Zur Frage der Behandlung der Eihautreteu- 
tion, nebst Bemerkungen über die Ursache dersellren. 

86. V o s 8 Alfons: Ueber superflcielle teleangiektatische Meta¬ 
morphose der Uteruswand im Puerperium, zugleich ein Bei¬ 
trag zur pathologischen Anatomie der Placenta rst eile. 

87. Wohls eck er Franz: Ueber einen Fall von Adenoflbroma 
perl- et intracanaliculare obllteraus mamrnae. 

88. Wegstein Friedrich: Ein Fall von Lymphosarkombildung 
der Tonsillen. 

89. Werner Armin: Ueber rothe und weisse Muskeln und 
deren Haemoglobingehalt. 

90. Weyermann Hans: Geschichtliche Entwicklung der Ana¬ 
tomie des Gehirns. 

91. W i c k m a n n A.: Ueber operative Behandlung der Meningo- 

cele. 

92. Wülfing Hans: Zur Pathologie der Geschwulstbildung im 
weiblichen Geschlechtsapparat. 

93. Zeltler Fritz: Ueber Carcinom der weiblichen Harnröhre. 

Oktober 1901. 

94. B 1 ü m m Guido: Ueber ein Adamantinom des Oberkiefers. 

95. Bö h mann Friedrich: Ueber Tuberkulose der Tuben, nebst' 
einem Falle von primärer Salpingitis tuberculosa. 

96. Dauber Hermann: Experimentelle Untersuchungen über 
den Umfang von Stärkeverdauung im Mund und Magen des 
Menschen bei Brodgeuuss. 

97. End re s Richard: Ein Fall von akuter interstitieller Pneu¬ 
monie bei Sepsis. 


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3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1983 


98. F au bei Rudolf: Die Rupturen des Trommelfells durch 
Luftverdichtung im äusseren Gehörgang. 

99. Finger Ferdinand: Ueber disseminirte Lymphknötchen¬ 
bildung in inneren Organen (unter dem grobanatomischen Bild 
der Miliartuberkulose). 

100. Huber Richard: Ueber die Entstehung der freien Gelenk¬ 
körper. 

101. Mandelbaum Samuel: Weitere Beiträge zur Kenntniss 
über den Haemoglobingehalt der Muskeln. 

102. Müller Alfred: Beitrag zur Lehre der desmoideu Ge¬ 
schwülste des Beckenbindegewebes. 

103. Oschruann Josef: Ein Fall von freiem Gehirncysticerkus, 
komblnirt mit Ependymitis nodulosa. 

104. Bunte Josef: Der primäre Leberkrebs. 

105. Sack Wilhelm: Ueber Corpora amylacea in den Lungen. 

IOC». Schwab Otto: Beiträge zur Frage der Zinnvergiftung durch 

Nahrungsmittel. 


32. Jahres-Versammlung der südwestdeutschen 
Irrenärzte 

in Karlsruhe am 2. und 3. November 1901. 

Eigener Bericht von Dr. L i 1 i e n s t e i n - Bad Nauheim. 

Vorsitzender: Ludwig Heppenheim. 

In der ersten Sitzung referirt Herr Kreuser - Schüssen - 
ried: Heber den Werth der medicamentösen Beruhigungsmittel 
bei Behandlung von Geisteskranken. 

Nach einem kurzen Ueberblick über die Entwicklungsstufen 
einer psychiatrischen Behandlung der psychischen Erregungs¬ 
zustände versucht Ref. aus einer Analogie mit den Ergebnissen 
des physiologischen Experiments über die Ermüdungserschei¬ 
nungen Anhaltspunkte dafür abzuleiten, dass und inwieweit ein 
ärztliches Eingreifen bei demselben zweckmässig und nothwendig 
sei. Von den hierzu geeigneten Mitteln werden neben der Be¬ 
achtung allgemeiner psychiatrischer Grundsätze als speciellc 
Mittel in erster Linie die Bettruhe und die hydrotherapeutischen 
Proceduren genannt; sodann aber ausgeführt, dass neben den¬ 
selben noch andere Mittel nur erwünscht sein können und dass 
Medikamente unverkennbaren Nutzen bringen können, während 
sich deren Gefahren bei genügender Erfahrung, Vorsicht und 
Individualisirung vermeiden lassen. Von den in diesem Sinne 
verwendbaren Medicamenten werden der Alkohol, die Brom- 
präparate, die Opiate, Chloralhydrat, Amylenbydrat (Dormiol), 
Paraldehyd, Hedonal, Sulfonal und Trional, sowie das Hyoscin 
(Scopolamin) einer kurzen Besprechung hinsichtlich ihrer 
wesentlichsten Indikationen und Kontraindikationen unterzogen. 

Herr Kraepelin - Heidelberg: Ueber die Wachabthei¬ 
lungen der Heidelberger Irrenklinik. 

Unter den Neuerungen, die getroffen wurden, ist zunächst 
die Trennung der ruhigen überwachungsl>edürftigen Kranken 
von den unruhigen hervorzuheben. Ein Korridor verhinderte 
früher die Uebersichtlichkeit. Durch Niederlcgen der Wände 
wurden grosse übersichtliche Räume geschaffen. Ferner wurde 
das System der ständigen Nachtwachen (durch Wärter, die für 
diese Zeit vom übrigen Dienst befreit werden) als zweckmässig er¬ 
probt eingeführt. Endlich werden jetzt, bei vielen Kranken 
Dauerbäder (auch in der Nacht) angewandt. Für letztere Be¬ 
handlungsweise haben sich nur gewisse Katatoniker als unge¬ 
eignet erwiesen. Die gefürchteten Schädigungen (Collapse, In¬ 
fektionen: Herpes tonsurans, Phlegmonen, Furunkel) haben sich 
nicht herausgestcllt. Menses bilden (nach K.) keine Contra¬ 
indikation. Besonders günstige Wirkungen sah Vortragender 
bei manischen Erregungszuständen, ebenso bei paralytischen Er¬ 
regungszuständen (Delirium acutum). Epilepsie und Angst¬ 
zustände eignen sich weniger. Für Gelähmte wird über die 
Badewanne ein Tuch gespannt, auf das dieselben gelegt, werden. 
Isolirungen werden durch diese Behandlungsart seltener nöthig. 
Die Kranken „isoliren sich“ quasi in der angenehmen Tempera¬ 
tur des Badewassers nach kurzer Zeit „von selbst“. 

Das System ist theuer. Es ist mehr Personal erforderlich. 
Dagegen wird gespaart an zerstörten Sachen und das G r i c s i u - 
ge Esche Tdeal der Krankenhausbehandlung Geisteskranker wird 
eher erreicht. 

Discusslon: Fürstncr - Strassburg warnt vor der Ein¬ 
seitigkeit der Badebchandluug. S c li ü 1 e - Illenau möchte gleich¬ 
falls die Indikation für Büderbehandlung mehr eingeschränkt 
wissen. Isolirungen seien nicht so bedenklich, da doch viele Kranke 
wünschten, allein zu sein. (Handelt es sich um diese Kranke? 
Ref.) 

A 1 z h e 1 m e r - Frankfurt a. M. schildert die günstigen Er¬ 
fahrungen, die man in Frankfurt a. M. mit der permanenten Rüder- 


behaudlung gemacht habe. Der Eindruck der Abthellungen sei ein 
ganz anderer geworden. Besonders Maniakalische seien sehr ge¬ 
eignet für diese Behandlungsart. 

Kreuser- Scliussenried hat keine besonderen Erfolge ge¬ 
sehen. 

B i b e r b a c h - Heppenheim dagegen lobt wieder die Wirkung 
der Dauerbäder in Bezug auf Appetit, Ernährungszustand und 
psychisches Verhalten der Kranken. 

Herr Haardt- Emmemlingen: Die neuen Aufnahme- 
und Ueberwachungsabtheilungen der Heil- und Pflegeanstalt 
bei Emmendingen. 

II. hebt die praktische Bedeutung der Wachabthellungen für 
die moderne Irrenpflege hervor. Die Frage derselben wird Immer 
wieder aktuell bei Anstaltsneubauten und Veränderungen älterer 
Anstalten. Vortr. demonstrirt dann die Pläne der Emmendinger 
Anstalt, die bereits 1896 entworfen und Jetzt ausgeführt worden 
sind. 

In der jetzt '/ 2 resp. 1 jährigen Dauer des Betriebs haben sich 
die neuen Abteilungen gut bewährt. 

Bel der Bauausführung sind in erster Linie ärztliche Gesichts¬ 
punkte maassgebend gewesen. Durch die Fürsorge des badischen 
Ministeriums des Innern resp. dessen Medicinalreferenten w r ar die 
Leitung der Bauten in die Hände des Arztes gelegt und der Archi¬ 
tekt kam in verständiger Weise den Intentionen desselben nach. 

Herr Bartels- Strassburg: Ueber endophlebitische 

Wucherungen im Centralnervensystem und seinen Häuten. 

B. demonstrirt hübsche mikroskopische Präparate und gute 
Zeichnungen von solchen aus dem Gehirn einer 33 jährigen Frau. 
Klinisch bestanden Konvulsionen in allen Extremitäten mit nach¬ 
folgenden Paresen und starken Bewusstseinstrübungen. Erbrechen, 
Kopfschmerz, Stauungspapille. Anatomisch fanden sich punktirte 
Ilnomorrhngien in beiden inneren Kapseln und Stauungsganglien. 
Mikroskopisch: Periarteriitis, Mnscularls und Intima der Arterien 
Intakt, dagegen neben Periphlebitis und Phlebitis eine weitver¬ 
breitete Endophlebitis. Trotz mangelnden Anhaltspunktes ln Ana¬ 
mnese und übrigen Sektionsbefund wird Lues als ätiologisches 
Moment angenommen. 

Herr S a n d e r - Frankfurt a. M.: Zur Behandlung der 
akuten Erregungszustände. 

S. schildert die Behandlungsart, die sich im Laufe der letz¬ 
ten Jahre in den modernen Anstalten und speciell in der Frank¬ 
furter städtischen Irrenanstalt herausgebildet hat: Neben Bett- 
behondlnng als Grundprincip werden hydrotherapeutische Proce¬ 
duren und insbesondere. Dauerbäder empfohlen. Die letz¬ 
teren machen häufig Isolirungen und Narkotica überflüssig. 
Mechanische Zwangsmaassrcgelu sind auf eine iiusserst geringe 
Zahl von Fällen beschränkt worden. Sie kommen ausschliesslich 
bei Lebensgefahr, Selbstverletzungen und chirurgischen Ein¬ 
griffen in Betracht. Die Sondenfütterung (natürliche, fein zer¬ 
hackte. Krankenkost) und Kochsalzinfusionen haben sich bei 
schworen Erregungs- und Erschöpfungszuständen (Delirium 
acutum) gut bewährt. 

Discusslon: Kraepelin- Heidelberg hält bei An¬ 
erkennung der Ausführung des Vortr. die mechanische Be¬ 
schränkung von Kranken für überflüssig, fragt wieviel Kranke 
dieselbe betroffen habe. Sand e r: Es handelt sich um 6 Fälle, 
von denen 4 chirurgische Affektionen hatten. Alzheimer, der 
die Fälle mit S. beobachtet hat, fügt ergänzend hinzu, dass es 
Kranke mit Delirium acutum waren. A. sah solche Fälle früher 
regelmässig an Phlegmone Sterben. Bei allen Kranken bestand 
Lebensgefahr. L u d w i g - Heppenheim erinnert an den Aus¬ 
spruch G u d d e n’s, es sei eine Rohheit, einen einzelnen Kranken 
dem Prinzip zu Liebe zu opfern. 

Herr Frank- Miinstcrlingen (Schweiz): Strafrechtspflege 
und Psychiatrie. 

Die mangelhaften Kenntnisse der Richter und Gesetzgeber 
auf psychiatrischem Gebiet gefährden nach F.’s Ansicht die 
menschliche Gesellschaft, In anderen Fragen, z. B. bezüglich 
eines gefälschten Lebensmittels begnügt sich der Richter nicht 
mit seinem eigenen Gutachten. 

Bei der Beurtheilung der geistigen Gesundheit eines An¬ 
geklagten genügt cs, dass weder ihm, noch dein Ge¬ 
fangenen wärt er, noch dem Staatsanwalt etwas Verdächtiges an 
dem Angeklagten aufgefallen ist. Abhilfe muss von Seiten der 
Psychiater kommen, die diese — natürlich unverschuldete — TJn- 
kenntniss der Juristen beseitigen müssen. Die Untersuchungs¬ 
methode der Richter fordert vor Allem zur Kritik heraus. Die 
Vorschrift, die in Deutschland besteht, dass dem Antrag seitens 
der Verteidigung auf Beobachtung des Geisteszustandes des An¬ 
geklagten statlgegeben werden muss, ist nicht einmal in allen 
Staaten eingeführt. Nach F. genügen die Kenntnisse der Ge¬ 
richtsärzte nicht für die zu entscheidenden Fragen. 

Die Untersuchungen entbehren in der Regel jeder natur¬ 
wissenschaftlichen und individualisirenden Methode. Es kommt 


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1984 


gewöhnlich nur darauf an, den Thatbcstand des Verbrechens fest¬ 
zustellen. Dagegen wird vollständig ausser Acht gelassen, wie der 
Angeklagte zum Verbrechen kam, welches seine Gehimanlage 
war, wie er sich entwickelt hat und welchen äusseren Einflüssen 
er unterlag. 

Und ist der Verbrecher verurtheilt, so hat die Schablone des 
Strafvollzugs das Wort. Hier kommt es nur darauf an, dass der 
Schuldige arbeitet und schweigt. Von individualisirender Be¬ 
handlung keine Spur. Er wird nach seiner Strafzeit entlassen: 
sein Zustand intercssirt Niemand. Er begeht wieder ein Ver¬ 
brechen. Die Formalitäten beginnen von Neuem, 30 oder 
40 mal und noch öfter, im Namen des Souverains und des Rechts, 
immer nach der Schablone. 

• Eine gründliche psychiatrische Ausbildung der Juristen 
wird auch netie Arbeitsgebiete — Kriminalsociologie und Krimi¬ 
nalbiologie — erschliessen und befruchten. Ohne diese Aus¬ 
bildung ist der Staat nicht im Stande, Leben, Gesundheit und 
Besitz des Einzelnen in der erforderlichen Weise zu schützen. 
F. verlangt praktische psychiatrische Kurse für die Juristen. 
Don Untersuchungsbehörden müssen an Zahl und Qualität ge¬ 
nügende Psychiater beigegeben werden. Falls Unzurechnungs¬ 
fähigkeit seitens des Gutachters bewiesen wird, sollte das Gut¬ 
achten nicht der freien Würdigung durch den Richter unter 
liegen. 

Von grossem aktuellen Interesse ist der Vortrag von Herrn 
Neumann- Karlsruhe: Ueber Volksheilstätten für Nerven¬ 
kranke. 

Den Anlass zu einer erneuten Besprechung des Themas gab 
eine Umfrage des badischen Ministeriums an verschiedene Stadt¬ 
verwaltungen des Grossherzogthums, wie es mit dem Bedürf¬ 
nisse nach einer für Minderbemittelte! und Unbemittelte be¬ 
stimmten Nervenheilstätte bestellt sei. 

Von den in der Sache in Betracht kommenden Einzelfragen 
ist von vornherein die Bediirfnissfrage erledigt. Diese kann nach 
der allgemeinen Erfahrung nur in bejahendem Sinne beantwortet 
werden. Statistisches Material darüber liefern frühere Publi¬ 
kationen zur Genüge. Bezüglich der zur Aufnahme geeigneten 
Krankheitsfonnen wird eine Einigung schwerer zu erzielen sein. 
Geisteskranke und schwere Epileptiker sollen von der Aufnahme 
ausgeschlossen sein, dessgleichen solche organisch Erkrankte, die 
völlig und dauernd fremder Hilfe und Wartung bedürftig sind. 
Bezüglich anderer Krankheitszustände ist es am rathsamsten, 
dem jeweiligen Ermessen des Anstaltsleiters einigen Spielraum 
zu lassen. Den Hauptbestand werden die nervös Erschöpften, 
die Neurastheniker und Hysterischen bilden. Besonderen Werth 
legt Vortragender darauf, dass auch die Anaemischen und Ohio- 
rotischen eine Stätte in den Anstalten finden. Hinsichtlich der 
Geschlechter besteht die Nothwendigkeit von Xervenheilstättcn 
für das weibliche Geschlecht zum mindesten in gleichem, wenn 
nicht in höherem Maasse als für das männliche. Der Anschluss 
an die städtischen Krankenhäuser, die Universitätskliniken und 
die Irren an stal teil erscheint unzwoekmiissig, hingegen die Ver¬ 
bindung mit einzelnen der vorhandenen ländlichen Reconvales- 
centenhäuser für durchaus rationell und durchführbar. Für den 
wichtigsten Punkt in der ganzen Ilcilstät tenbewegung, die 
Deekungsfrage, kommen Staat, Gemeinden, Krankonversiche- 
rungsanstaltcn (Kassen, Invaliditätsversicherungen, Berufsge¬ 
nossenschaften) und endlich Vereinigungen von Privatpersonen 
in Betracht. Der Staat und die öffentlichen Verbände werden 
sich der Unbemittelten, d. h. wohl im Grossen und Ganzen der 
gesetzlich Versicherungspflichtigen annehmen, für den minder 
vermögenden Mittelstand muss in erster Linie die private Wohl- 
tluitigkeit bezw. das private Unternehmen cintreten. Auf die 
Nothwendigkeit von Mittelstandssanatorien wird ganz besonders 
hingewiesen. 

Discnssion: Ludwig- Heppenheim : Der hessische 
..Ililfsverein“ hat in dieser Frage einen Erfolg aufzuweisen, da 
eben ein entsprechendes Sanatorium in Liudenfels im Odenwald 
zum Theil aus den Mitteln dieses Vereins errichtet wird. Solche 
Sanatorien halten — entgegen den TJrtheilen von anderer Seite — 
thatsiiehlich dauernde Kurerfolge aufzuweisen. 

F r i ed m a n n - Mannheim: Es bestellt ein grosses Ke 
diirfniss nach Volks-Nervenheilanstalten, wie die* Erfahrung 
in der Sprechstunde beweist. Bisher hatte mau nur Notli- 
l>t-helfe (mau schickte die Leute zu Verwandten auf's Lund u. s. w.j. 
Die Mannheimer Krankenkassen haben Genesuugsküuser, in denen 
auch Nervöse ein zweckmässiges Fnlcrkoinmen linden. 


No. 49. 


A1 z h e i m e r - Frankfurt, a. M.: Die Stadt Frankfurt a. M. 
errichtet eben zwei Sanatorien im Taunus (je 70 Betten; Verpfleg¬ 
satz 2.50 M.) als Dependence einer landwirtschaftlichen Kolonie. 

Smith- Marbach meint, die Anfrage der bad. Regierung 
beziehe sich auf Alkoholkranke. 

F 1 s c h e r - Pforzheim erklärt die Anfrage durch die Noth¬ 
wendigkeit von Neubauten an staatlichen Irrenanstalten. 

W 11 d e r m u t h - Stuttgart bestätigt aus seiner Praxis die 
dringende Notwendigkeit von Volks - Nervenheilanstalten, will 
Geisteskranke und Alkoholiker von denselben ausgeschlossen 
wissen. Ebenso die traumatischen Neurosen. 

F (i r s t n e r - Strassburg schlägt vor, eine Kommission mit 
dieser Frage zu betrauen. 

Gaupp - Heidelberg: In Schlesien dienen die Genesungs- 
liäuser der Landesversieherungsanstalten den ln Rede stehenden 
Zwecken. Die Kranken werden von dem Vertrauensarzt den An¬ 
stalten überwiesen, wenn sie Aussichten auf Heilung bieten. 

Das Thema wird auf der nächstjährigen Versammlung ein¬ 
gehend referirt und besprochen werden. 

Herr Friedmann - Mannheim: Heber die Grundlage 
der Zwangsvorstellungen. 

Der Vortrag ist zu einem kurzen Referat nicht geeignet. 
F. führt unter eingehender Begründung aus, dass die Zwangs¬ 
vorstellungen zu den unabgeschlossenen Vorstellungen gehören 
und in letzter Linie auf dem Grundgesetz des Associations¬ 
zwanges und dem Zwang zum Fortschreiten des Denkens be¬ 
ruhen. 

Herr Alzheimer - Frankfurt a. M.: Heber atypische 
Paralysen. 

Lissauer hat in einer aus seinem Nachlasse von Storch 
horausgogebenen Arbeit eine typische und atypische Paralyse 
unterschieden. 

Die von L. als typische Form bezeichnete umfasst wohl 
\ 80 Proc. aller Paralysen. Sie ist klinisch gekennzeichnet durch 
eine langsam zunehmende, eigenartige Verblödung. Der Degene¬ 
ration sprr.cess beschränkt sich vorzugsweise auf die vorderen 
(5 rosshi rnhälf teil. 

Bei der atypischen Paralyse LissauePs lässt 
die Degeneration das Stirnhirn relativ frei, es kommt dagegen in 
mehr oder minder lokalisirton Partien der hinteren Gross¬ 
hirn h ä 1 f t c n zu einer ganz besonders weit gehenden Atrophie. 
Klinisch zeigt die atypische Paralyse einen Verlauf in 
Schübe n. Oft mit Anschluss an apoplectif orme An¬ 
fälle auftretende corticale Herdsymptome treten in den Vorder¬ 
grund. Die Demenz erreicht erst später erhebliche Grade, sic 
ist partieller, aus anderen Defekten zusammengesetzt, mehr der 
Demenz bei Hirnherd-Erkrankungen ähnlich. 

Die histologische Untersuchung lässt keinen Zweifel, dass 
die Gewebsveränderung eine paralytische ist, nicht etwa eine 
luetische im engeren Sinne. Manchmal können dabei plötzlich 
wie mit einem Schlag ausgedehnte nervöse Gewebspartien ausser 
Funktion gesetzt werden, und dem Untergang verfallen. 

Während bei der typischen Paralyse fast stets beide Stim- 
lapi>cn gleich erkrankt sind, ist bei der atypischen Paralyse 
L i s s a u e r’s die hochgradige Atrophie oft auf eine Stimhälfte 
beschränkt. Dadurch kommen oft sehr erhebliche Gewichts¬ 
unterschiede zwischen beiden Hemisphären zu Stande. 

Bei der Dementia senilis gibt es übrigens eine der atypischen 
Paralyse Lissauer’s ganz entsprechende atypische Dementia 
senilis. Hierher gehören die senilen Aphasien. 

Da cs nicht nur eine, sondern zahlreiche atypische Formen 
der Paralyse gibt, würde es sich empfehlen, die von Lissauer 
beschriebene Form nicht kurzweg als atypische Paralyse, sondern 
vielleicht als L i s s a u c r’scho Paralyse zu bezeichnen. 

Eine dritte Form ist schon früher als foudroyante Form 
bezeichnet worden. Sie ist klinisch gekennzeichnet durch einen 
an das Delirium acutum erinnernden Verlauf, also durch ausser¬ 
ordentliche Erregung und Unruhe bei erheblicher Benommenheit, 
pseudospontanen, manchmal fast, choreatischen Bewegungen, 
histologisch durch über das ganze Gehirn verbreitete akute Ver¬ 
änderungen. 

Eine vierte Form zeichnet sieh durch vorzugsweise» Er¬ 
kranken des Kleinhirns aus. Nach neueren Untersuchungen 
(N a eck e) erkrankt das Kleinhirn regelmässig bei der Paralyse, 
oft aber nur in massigem Grade. Bei dieser Form handelt es 
sich aber um besonders schwere Atrophien des Kleinhirns. Die 
ersten Symptome der Krankheit sind daher auch eine eerebellare 
Ataxie und Drehschwindel. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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1985 


3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Es gibt iiuoli seltene Fälle, bei denen offenbar die Er¬ 
krankung der Sehhügel das Primäre ist. Die Betheiligung der 
Sehhügel an der paralytischen Degeneration bedarf noch ein¬ 
gehenderen Studiums. 

Als atypische Paralyse müssen weiter noch manche Formen 
bezeichnet werden, die sich an Tabes anschliessen. Es mag wohl 
sein, dass die in ihrem Verlauf manches Abweichende bietende 
Tabesparalyse auch durch eine bestimmte Lokalisation 
der paralytischen Degeneration charakterisirt sind. Bis jetzt 
hat sich etwas Greifbares nicht herausfinden lassen. Dagegen 
fand sich bei zwei eigenartigen, halluzinatorischen Verwirrtheits¬ 
zuständen bei alter Tabes übereinstimmend eine Lokalisation des 
paralytischen Degenerationsproeesscs beschränkt auf die tieferen 
Rindenschiehten im Gegensatz zu der typischen Paralyse, bei 
welcher die obersten Rindenschichten am ersten und stärksten 
erkrankten. 

Schliesslich stellen auch die senilen Paralysen (nach 
dem 60. Lebensjahr), die nach der histologischen Untersuchung 
nicht ganz so selten sind, zum grössten Theil eine atypische 
Form dar. Sie zeigen klinisch oft ein der Dementia senilis ähn¬ 
liches Krankheitsbild, die körperlichen Begleiterscheinungen 
treten mehr zurück, die Gliawucherung scheint im Vergleiche 
zu dem weitgehenden Ausfall der nervösen Elemente manchmal 
sehr unerheblich. 

Herr Arndt- Heidelberg: Zur Geschichte der Katatonie. 

Der Vortrag hat fast nur psychiatrisches Interesse. A. schil¬ 
dert die Entstehung und Wandlung des Begriffs der Katatonie 
seit Kahlbaum, die Verschmelzung mit der Hebeplirenie 
durch Kraepelin. Ein immer deutlicher werdendes wesent¬ 
liches Merkmal ist die schlechte Prognose. Die Geschichte der 
Katatonie erinnert an diejenige der Paralyse. 

Herr Ganpp - Heidelberg referirt ausführlich über die 
Dipsomanie. Er definirt den Begriff der Dipsomanie und zeigt 
auf Grund eigener und in der Literatur niedergelegter Er¬ 
fahrungen deren innigen Zusammenhang mit der Epilepsie. 
Symptomatologie, Pathogenese, Prognose und Therapie werden 
eingehend besprochen. 

Herr Smith- Marbach spricht über den Zusammenhang 
von Depressionszuständen mit Störungen der Herzfunktion 

demonstrirt die mittels der Phonendoskop-Friktionsmethode ge¬ 
wonnenen Ergebnisse seiner Untersuchungen. Mit derselben 
Methode hat Sm. auch Veränderungen des Ilorzurnfangs unter 
dem Einfluss von faradischen, galvanischen und Wechselströmen 
gefunden. 

In der Discussiou Üben G a u p p - Heidelberg und 
Ivraepelin- Heidelberg Kritik an der Methode und den 
Uutersuehungsergebnisseu von Sm. 

Lilienstein - Bad Nauheim. 


Gesellschaft fUr Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offlcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 28. September 1901. 

1. Herr Pusinelli: Vorstellung eines Kranken mit 
diffuser Sklerodermie. 

Der Fall bietet besonderes Interesse wegen der grossen Aus¬ 
breitung des Hautproce8ses. Mit Ausnahme der Haut des Rückens 
und der Genitalien ist fast die ganze Körperoberfläche ergriffen. 
Am stärksten ausgebildet ist die Sklerodermie an den Händen und 
Füssen, an den Beinen, dem Bauche uud der Brust. Der Patient 
ist ein 30 jähriger Steinhauer, der im Wesentlichen seither gesund 
war; ln seinem 9. und 10. Jahre litt er an starker Chorea. Der 
Proeess begann Anfang dieses Jahres angeblich nach Erkältung 
mit Schmerzen und Schwellungen der Hände; allmählich er¬ 
krankten auch die übrigen Hautpartien. Bei seiner Aufnahme im 
Carolahause zu Dresden am 19. August 1901 war der Kranke kaum 
im Stande sieh fort zu bewegen, konnte sich weder an- noch aus- 
ziehen; denn seine Hände standen in steifer Krallenstellung; Be¬ 
wegungen der Oberarme und Beine waren nur sehr beschränkt 
möglich. Die Exkursionen des Thorax bei tiefster In- und Ex¬ 
spiration betrugen kaum y, ein. Trotzdem ist leidlich gutes 
Vesiculärathmen zu hören, was auf genügende Zwerchfellathmung 
schliessen lässt. Das Gesicht zeigte einen maskenartigen, starren 
Ausdruck. Die Haut an den Händen uud Füssen fühlte sich hart 
und kalt wie Stein, an den übrigen Körperstellen wie trocknes 
Leder an. Nur am Rücken Hessen sich Falten aufheben. Alle 
sensiblen Funktionen der Haut waren normal, vielleicht etwas 
abgeschwüchte Schmevzempflndlichkeit. Reflexe, Blase und Mast- 
dann ohne Besonderheiten. Die elektrische Erregbarkeit Ist so¬ 
wohl für den faradischen als galvanischen Strom etwas herab¬ 
gesetzt. Keine Entartungsreaktion. Der Leitungswiderstand, den 
Windscheid ln ähnlichen Fällen erhöht fand, konnte nicht ge¬ 
prüft werden. Beim Versuch, passive Bewegungen auszuführen. 


fühlte man besonders an Händen uud Füssen deutliches Leder¬ 
knarren. Schmerzen oder Paraosthesleu fehlen. Es besteht eine 
chronische Endokarditis mit unregelmässigen Fiebersteigerungen 
bis 38,3, Galopprhythmus über dem 3 cm nach links verbreiterten 
Herzen. Im Verlaufe der Behandlung trat eine recht schwere 
parenchymatöse Nephritis mit 2 Proni. Eiweiss (Esbach) auf. 
zahlreichen Epithel- und granulirten Cylindern; die Nierenerkran¬ 
kung ist in der letzten Zelt bedeutend zurückgegangeu. Die Affek¬ 
tion der Haut ist aber auch heute noch, trotz Anwendung von 
warmen Bädern, Massage, B i e rischer Stauung und Aspirin, kaum 
gebessert. Nur die Beweglichkeit der harten, auch bereits stark 
atrophischen Finger ist etwas gebessert. 

Der I’roeess hält sieh in diesem Falle an die unter der Haut 
gelegenen Handapparate, Faseien uud au die Sehnenscheiden und 
hat die Fascieumnhülluugen der Muskeln ergriffen, wodurch die- 
sellten wie eingeschnürt erscheinen und atrophireu. Ueberall, wo 
die Faseien besonders stark entwickelt sind und mit stärkeren 
Bandappnraten in Verbindung stehen, ist der Proeess besonders 
stark entwickelt. 

Die Aetiologie für die Sklerodermie ist dunkel; bald werden 
Erkältungen angeführt u. s. w., bald wird, und zwar besonders 
in letzter Zeit, die Schilddrüse angescbuldigt, durch deren krank¬ 
hafte Thätigkeit nicht nur Myxoedem und Morbus Basedowii, 
sondern auch Sklerodermie entstehen soll. In dem vorliegenden 
Falle ist am wahrscheinlichsten eine rheumatische Affektion 
anzunehmon, welche, wie auch sonst zuweilen, in den 
Sehnenscheiden begonnen hat und längs der Faseien weiter ge¬ 
wandert ist; auch die bedeutende Endokarditis und Nephritis 
sprechen dafür. Es Hesse sieh sonach in diesem Falle von einer 
rheumatischen Fnscienentzündung sprechen, die zu einer Schrum¬ 
pfung derselben geführt hat, worauf der Proeess auch auf das 
Unterbaut Zellgewebe übergegangen ist. Dass das Leiden einen 
centralen Ursprung hat, wird vielfach behauptet, ist aber bisher 
nicht bewiesen worden. Mit dem Worte Angiotrophonourose ist 
nicht viel gesagt; viel eher könnte man annehmen, dass eine 
solche sekundär entstanden ist. 

Aus der Literatur sei nur das Werk von L e w i n und 
Heller angeführt, welche Autoren 508 Krankengeschichten 
mittheilen. 

Ferner wird die Arbeit von Juliusberg aus der 
Neisserschen Klinik erwähnt, in welcher das Thiosinamin 
(Allylsulfocarbamid oder Allylsulfoharnstoff) als Heilmittel gegen 
Sklerodermie gerühmt wird. Das Mittel wurde zuerst von 
Ilebra empfohlen, der auch im Jahre 1899 3 geheilte Fälle von 
Sklerodermie in der Wiener dermatologischen Gesellschaft vor¬ 
stellen konnte. Auch G a 1 e w s k y und Herxheim er haben 
die günstige Wirkung bestätigt. Die von Hebra angewandte 
15proc. alkoholische Lösung brennt ziemlich stark, daher wendet 
J uliusberg folgende Lösung an: 

Thiosinamin 10 Proc. 

Glycerin 20 Proc. 

Aqu. dest. 100 Proc. 

welche gut vertragen wird. 

Er injicirt zwischen die Schulterblätter 1—2 tägig je 1 dg 
dos Mittels. 

Auch dieser Kranke bekommt jetzt Einspritzungen mit 
Thiosinamin. 

Besprechung: Herr G a 1 e w s k y berichtet über 3 Fälle 
von Sklerodermie, die er seit einem Jahre in Behandlung hat. Es 
handelt, sieh um 2 Fälle vou Sklerodermie en plaque und um 
1 Fall von diffuser symmetrischer Sklerodermie. Alle 3 Fälle sind 
mit Thiosluamin mich Neisse rischer Vorschrift behandelt, die 
Injektionen waren nur wenig schmerzhaft uud wurden gut ver¬ 
tragen. Ein Fall von Sklerodermie en plaque ist gehellt, einer 
wesentlich gebessert, ebenso die diffuse Sklerodermie. Letztere ist 
dadurch Interessant, dass es Dank der intensiven Behandlung er¬ 
möglicht wurde, die bereits ziemlich starke Sklerodaktylie der 
Hände soweit zu bessern, dass Patient seinem Beruf als Schreiber 
wieder völlig nachgehen kann. Die 3 Fälle, über welche bereits 
auf der Hamburger Naturforscherversammlung berichtet wurde, 
sollen diesen Winter vorgestellt werden. 

Herr W erther hat vor einigen Monaten eine Frau mit 
Sklerodermie behandelt und gibt zur Demonstration die betreffen¬ 
den Photographien herum. Es handelt sich um lokalisirte Sklero¬ 
dermie, sog. Sklerodaktylie, seit ca. 10 Jahren bestehend. Die 
Nägel verdickt und verkrümmt und rissig. Die Mukulatur der 
Finger, des Daumen- und Kloinlingerballens scheint atrophirt zu 
sein. Sogar die Knochen machten einen verkleinerten Eindruck. 
Die Frau klugte über rheumatische Schmerzen in lliinden uud 
Schultern. Die Sensibilität war normal, keine Entartungsreaktion 
vorhanden. Die Behandlung mit heissen Sandbädern, darnach 
Massage mit 5 proc. Salieylsalbe, dabei Thioslnnmininjektionen 
(0.1 jeden zweiten Tag) besserte die Beweglichkeit etwas. Bei 
so vorgeschrittener Atrophie der Haut und Muskeln war jedoch 
eine Heilung nicht zu erwarten. 


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1986 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2. Herr Fischer: Feber einige Fälle von Tumor cerebri. 

I >or Vortragende berichtot zuerst über 3 Fälle von metastn- 
tisclieu eareinoinatösen Hirntumoren, von welchen 2 der genauen 
örtlichen Diagnose im Leben zugänglich waren, während der 
dritte Fall, in welchem sich bei der Sektion multiple Carcinome 
und zwar im linken Schläfenlappen und an der basalen Fia fan¬ 
den, sich der Erkennung bei Lebzeiten entzog: er betraf eine 
Patientin von 41 Jahren, die nur 2 Tage im Kraukenhause be¬ 
obachtet werden konnte, und bei welcher der primäre Tumor 
ein Lungencarcinom war. 

Weiter kamen 3 Fälle von Tumor des Stirnlappens zur Be¬ 
obachtung: sie betraten einen Mann von 35, ein Mädchen von 16 
und eine Frau von 04 Jahren. 

Der Mann, welcher an einer Apoplexie iu’s rechte Corpus Stria¬ 
tum zu Grunde ging, hatte einen cavernöseu Tumor im rechten 
Stirnlappen, welcher etwa Jahr vor dem Tode als einziges Sym¬ 
ptom eine, unter Bewusstseinsstörung auftretende, aber sich wieder 
bessernde Parese des linken Annes gemacht hatte. 

Das 16 jährige Mädchen, seit Jahren geistig etwas zurück¬ 
gegangen, hatte bis zum Tage der Aufnahme, die wegen heftiger 
Kopfschmerzen erfolgte, gearbeitet; sie bot nur Allgemeinsym¬ 
ptome dar. und zwar eine bald in Benommenheit übergehende 
Schlafsucht, Pulsverlangsamung und Stauung in den Venen der 
etwas vorgetriebeneu Sehnervenpapille. Tod nach 17 tägiger Be¬ 
obachtung. Das haemorrhagische Gliom des linken Stirulappens 
hatte 8 cm im Durchmesser. 

Bei der 64 jährigen Frau, welche Lues geleugnet hatte, und 
bei der Zeichen von Lues im Leben nicht aufzufinden waren, faud 
sich ausser einem Gumma der Leber ein kirschgrosses Gumma 
an der vorderen Seite des rechten Stirnlappens. Symptome im 
Leben waren: Kopfschmerz seit einem halben Jahre, Schwindel, 
Erbrechen, Bewusstseinsstörungen. Lähmung des linken Annes, 
des linken Beines und des linken Facialis, epileptiforme Krämpfe 
bei erhaltenem Bewusstsein, nur die linke Körperseite befallend, 
mit Kopfdrehung nach links. Die Symptome wiesen also auf die 
motorische Region hin. 

Fenier berichtet der Vortragende über 3 Fälle, bei denen der 
Tumor die motorische Region betraf, bezw. auf dieselbe bezogen 
werdeu musste. 

Eine 67 jährige Frau war plötzlich mit Lähmung der rechten 
Seite und Sprachstörung erkrankt, es fanden sich Spasmen der 
gelähmten rechten Seite. Benommenheit und Störung in den Venen 
des Augenliintergrundes. Zweimal traten anfallsweise Ver¬ 
schlimmerungen ein. hei denen die etwas beweglicher gewordenen 
Extremitäten der rechten Seite jedesmal wieder mehr gelähmt 
wurden. Die Diagnose musste schwanken zwischen Hirnblutung 
und Tumor. Für letzteren sprach die Stauung im Augeuhinter- 
grunde. Bei der Sektion fand sich in der linken Hemisphäre, die 
voluminöser ist als die rechte, und deren Windungen abgeplattet 
sind, ein kleinapfelgrosses kaemorrhagischos Gliom, welches die 
motorische Region und das Sprncheeutrura mit trifft. 

Ein 28 jähriger Mann, dem vor 12 Jahren ein Stein auf deu 
Kopf gefallen war, oiine dass sieh an dieses Trauma Berufs- 
störungen augesclilossen hätten, erkrankte 4 Monate vor der Auf¬ 
nahme au krampfhaften Zuckungen der rechten Seite und Kopf¬ 
schmerz. Bei der Aufnahme bestand Apathie, Erbrechen, Schwin¬ 
del beim Aufrichten Im Bett, Parese der rechten Extremitäten; 
Stauungspapille. Zeitweise Zuckungen im paretisehen rechten 
Arme, zunehmende Somnolenz; nach 4 wöchentlicher Beobachtung 
Tod. Die Sektion zeigte ein mehr als apfelgrosses, im Centrum 
erweichtes Gliom in der linken Hemisphäre, nach aussen bis in die 
Rinde sieh eindrängend, medialwärts bis an den Seitenventrikel 
reichend, scharf gegen das weisse Mark sich absetzend. Das 
Trauma des Kopfes wird, weil 12 Jahre zurückliegend, als für die 
Entwicklung des Tumors bedeutungslos erachtet. 

Bel einem dritten Falle wurde, leider erfolglos, zur Operation 
geschritten. Es handelte sich um einen 55 jährigen Taubstummen, 
der, seit einem Jahre an Kopfschmerzen leidend, wegen Kräm¬ 
pfen in der rechten Körperseite zur Aufnahme kommt. Die 
rechten Extremitäten waren paretisch, ebenso der rechte Facialis. 
Beiderseitige Stauungspapille. Allmählich vollständige Lähmung 
der paretisehen Gliedmaasseu; Krämpfe vom rechten Gesicht nach 
rechtem Arm und Bein fortschreitend, bald häufiger werdend; 
Kopfschmerzen ln der linken Seite. Der letzteren wegen, die un¬ 
erträglich heftig werden, verlangt Patient dringend Hilfe. Nach 
Freilegung der linken motorischen Region und Spaltung der Dura 
wird kein Tumor gefunden. Trotzdem schwanden nach der Opera¬ 
tion die Kopfschmerzen vollständig; die Lähmungen blieben un¬ 
verändert. Tod 3 Tage nach der Operation. Tumor in der linken 
motorischen Region musste nach dem Syinptomenkomplex ange¬ 
nommen werden. Die Sektion zeigt, dass der apfelgrosse Tumor 
im subeortiealeu Marklager sass, Dis an den linken Seitenven¬ 
trikel reichte und von der Umgebung wenig scharf abgesetzt war. 

Endlich wird über 2 Kleinhirntumorfülle berichtet. Der 
erste Fall betraf einen 28 jährigen Mann, der nur Allgemefn- 
symptome darbot. Von hinten ausstrahlender Kopfschmerz führte 
den Kranken in’s Haus. Es fand sich beiderseits Neuritis optica; 
bisweilen Erbrechen. Bei sich steigerndem Kopfschmerz 4 Wochen 
nach der Aufnahme ziemlieh plötzlicher Verfall. Somnolenz und 
plötzlicher Tod. Sektion: Kirschgrosser Tumor hu Kleinhirn. 

Der zweite Fall betraf einen 50jährlgen Mann ohne Vorerkran¬ 
kungen. der seit Monaten Kopfschmerzen hatte und 7 Wochen 
vor seiner Aufnahme plötzlich mit Schwindel und Erbrechen er¬ 
krankte und rasch abmagerte. Patient war psychisch klar, nur 


No. 49. 


zeigte er Apathie, die stetig sich bis zur völligen Benommenheit 
steigerte. Nie Pulsverlaugsamung. Beiderseitige Stauungspapille. 
Schädel nicht druckempfindlich. Gehen wegen starker Gleich¬ 
gewichtsstörungen und Ataxie unmöglich; Patcllarrefiexe gesteigert 
Oefters Erbrechen. Geringe Ptosis des linken Oberlides, später: 
Lähmung des unteren, dann des oberen rechten Facialis und des 
rechten Hypoglossus. Tod nach dem etwa vierwöchentlichen 
Krankenlager. Sektion: Wallnussgrosses Gllosarkom im oberen 
Wurm des Kleinhirns. 

Der Vortragende erwähnt in der Epikrise, dass die Autoren 
in der Würdigung das Trauma für die Aetiologie der Gehirn¬ 
tumoren verschiedener Ansicht seien. Während Bruns sich 
ziemlich ablehnend verhält, sind Wunderlich, Hasse, 
V i r c h o w, Gerhardt, Oppenheim der Meinung, dass 
ein Schädeltrauina wohl im Stande sei, die Entwicklung eines 
Tumor gelegentlich zu begünstigen bezw. zu beschleunigen. 

Nach einer eingehenden Analyse der Allgemeinsymptome 
sowohl, als auch der Herdsymptome bei den Tumoren der ver¬ 
schiedenen Hirnregionen verbreitet sich der Vortragende noch 
ausführlich über die Ansichten der Autoren betreffs der Opera¬ 
tion der Hirntumoren und führt aus, dass die endgiltigen Erfolge 
der Exstirpation bisher ziemlich bescheiden seien, indem nur in 
etwa 4—8 Proc. aller Fälle die Lokaldiagnose so sicher zu stellen 
war, dass die Operation unternommen werden konnte, v. Berg- 
mann’s bestimmt ausgesprochener Ansicht sei er, dass nur die 
Tumoren der motorischen Region sich zur Operation eigneu, dass 
aber in diesem Falle der Arzt zur Operation verpflichtet sei. 
Bruns habe nur 7 Fälle zur Operation gebracht, aber keine 
Heilung erzielt. 

Auf sein eigenes, oben vorgetragenes Material zurück¬ 
greifend, erklärt der Vortragende zum Schlüsse, dass er nicht 
glaube, durch Unterlassung des Operationsvorschlages sich seinen 
Kranken gegenüber einer Unterlassungssünde schuldig gemacht 
zu haben. 

Besprechung: Herr Stegmann hat deu v. Bra- 
mann’sclion Fall «1892 operirt) im Herbst 1897 gesehen. Der 
Manu trug zum Schutz eine Kappe, welche den Schädeldefekt 
deckte; er war frei von subjektiven Beschwerden, arbeitsfähig und 
war inzwischen Vater eines gesunden Kindes geworden. 

3. Herr Fischer empfiehlt eindringlich das in Ober¬ 
ungarn gelegene Bad Pistyan, in welchem er sich selbst auf- 
gehalten hat. Als Kurmittel komme der von der Natur reichlich 
gelieferte heisse Schwofelschlamm und das heisse Schwefelwasser 
zur Anwendung. Den einzelnen Anwendungen folgen alsdann 
meist noch Einpackungen des ganzen Körpers und schliesslich 
ein Nachschwitzen im Bett. Die Kur wird sehr ernst genommen 
und empfiehlt cs sich, besonders an Gelenkerkrankungen aller Art 
oder an Ischias Leidende nach Pistyan zu schicken. Das dort 
bestehende Arbeiterpensionat wird besonders rühmend erwähnt. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 26. Nov e m b e r 1901. 

Vorsitzender: Herr K ü m m e 11. 

I. Demonstrationen: 

1. Herr Hirsch: 3 jähriges Kind; vor 5 Wochen Sturz auf 
das Kinn: Fraktur des Unterkiefers zwischen mittlerem und seit¬ 
lichen Sehneidezahn rechts. Fixation durch Silberdraht unau- 
gängig. da eine dauernde Fixation bei Milchzähnen unmöglich ist. 
Vortragender fertigte eine Kautse hukschiene an, die 
kappenartig auf die Zähne gesetzt, den reponirteu Unterkiefer 
dauernd in seiner Lage fixirt. Das Kind hat die Schiene 5 Wochen 
lang ohne Beschwerden getragen, damit essen und sprechen können. 
Die Fraktur ist darunter tadellos consolidirt. H. empfiehlt der¬ 
artige Apparate, wenn auch ihre Anfertigung technische Schwierig¬ 
keiten bietet, für ähnliche Fälle. 

2. Herr Liebrecht stellt 2 Patienten mit hochgradiger 
Myopie vor, als Beweis dafür, dass das dauernde Tragen möglichst 
korrigirender Gläser dem hochgradig kursichtigen Auge ln der 
Regel nicht zum Schaden gereicht. Der eine Patient von 35 Jahren 
hat eine Kursichtigkeit von 30 D, hat dauernd bisher 18 D ge¬ 
tragen und dazu noch zeitweise als Zusatz 8 D. Die Sehschärfe 
ist eine relativ gute, die eentralen Veränderungen nur gering. Die 
zweite Patientin von 30 Jahren mit Myopie von 24 D hat niemals 
ein Glas getragen; die Augen sind jetzt hochgradig myopisch de- 
geuerirt; die Patientin nicht mehr arbeitsfähig. 

Herr L. hält die Fälle für typisch und gibt an, dass die prak¬ 
tischen Erfahrungen auch sonst der experimentellen Erkenntniss, 
dass die Accoinuiodation den Druck im Auge nicht vermehre, Recht 
gäben. Man müsse diese physiologische Erfahrung praktisch 
fructiflciren. 

Der zweite Grund für die Vorstellung der beiden Patienten 
ist das Vorhandensein einer scharfrandlgen partiellen hin- 


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Dezember 1901. 


MUENCIIENER MEDT CT NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


teren Skleralektasie, wie sie in einigen Füllen hoch¬ 
gradiger Myopie beschrieben worden ist. Man siebt concentriscb 
zum inneren Rande des Opticus, etwa 2 Papillen breit entfernt, 
eine scharfrandige. dunkle Linie, an der die Netzhautgefitsse wie 
l>ei einer glaukomatösen Excavation abgebrochen sind. 

3. Herr Thost berichtet über 2 Fülle von Fremdkörpern in 
der Lunge, a) 8 jähriger Knabe, Aspiration dos Inneren eines 
Federhalters am 3. November. Nach einer kurzen Cyanose befindet 
sich das Kind relativ wohl, spielt munter, hat nur etwas frequente 
Athmung. Am ü. November leichte Dämpfung, bronchitische Ge¬ 
räusche, Tempcrntursteigerung. Radioskopisch wird der Fremd¬ 
körper im rechten Bronchus nachgewiesen. Am folgenden Tage 
Tracheotomia inferior. Versuch, mittels K 11 i a n’scher Apparate 
denselben von der Tracheotomiewunde aus zu fassen, misslingt. 
Danach fibrinös«' Bronchitis. Am 8. November Exitus. Sektion 
ergibt, «lass die Feder im Bronchus, der zum Mittellappen führt, 
steht, während die Apparate in den Unterlappenbronchus gelangt 
sind. — bl 17 Jahre alter Patient hat vor 11 Jahren ein Knochen¬ 
stück aspirirt. Seitdem von Zeit zu Zeit bronchopneumonlsche 
Erscheinungen, gelegentlich Haemoptoe und Eiterentleerungen. 
Im Röntgenbild auf der rechten Seite deutlicher Schatten. Th. be¬ 
spricht die Therapie, die er in diesem Falle vorhat. 

4. Herr Simmonds stellt einen Fall von Fettgewebs- 
nekrose nach Pankreaszerreissung vor. Ein 51 jähriger Mann 
war von einem Lastwagen überfahren worden und starb nach 
•ty 2 Tagen, nachdem sich zuletzt peritonitische Erscheinungen ein¬ 
gestellt hatten. Die Autopsie zeigte multiple Rippenfrakturen. 
flache Risse an der Leber- und Nierenoberfläche und eine totale 
Querzerreissung d«>s Pankreas sammt seinem Ductus. In dem 
umgebenden subperitonealen Fett .besonders der Bursa omentalis 
und des Mesenterium fanden sich zahlreiche bis linsengrosse gelb¬ 
liche und weisse, z. Th. mörtelühnliche Herde, während ln grösserer 
Entfernung von dem verletzten Pankreas die Fettnekroseherde nur 
ganz vereinzelt vorhanden waren. Es entspricht diese B«*obnchtnng 
also wieder einer früher (diese Wochenschrift 1890. No. P>) von 
ihm mitgetheilten, in welcher die Fcttgewebsnekrose sich an eine 
Schussverletzung des Pankreas nngesehlossen hatte und liefert eine 
neue Stütze für die von ihm vertretene Anschauung, dass die Fett- 
gewebsnekrosp der Peritonealhöhle keine selbständige Erkrankung 
darstellt, sondern wohl meist die Folge einer Pankreaserkrankung 
oder -Verletzung ist. Findet sich in der Anamnese eines an Fett¬ 
nekrose erkrankten Individuums eine schwere Verletzung des 
Unterleibs, so ist man wohl berechtigt, die Erkrankung als Folge 
des Traumas anzusehen -- eine Entscheidung die unter Umständen 
von grosser praktischer Bedeutung sein kann. 

TT. Vortrag des Herrn Wiesinger: Zur Behandlung 
hochsitzender Mastdarmcarcinome. 

W. stellt in seinem Vortrage zunächst den grossen Unter¬ 
schied in "Bezug auf die Mortalität nach der Operation zwischen 
hoch- und tiefsitzenden Rectumcarcinomen fest. Selbst bei 
glücklich überstandener Operation bleiben häufig den Kranken 
sehr quälende und den Lebensgenuss ihm verkümmernde Folge¬ 
zustände zurück: stenotische Erscheinungen, neuralgische Be¬ 
schwerden, T)armfist«‘ln, mehr oder weniger vollständige Inkonti¬ 
nenz etc. Besonders ungünstig lic'gen ferner die Verhältnisse 
bei neu eintretenden Reeidiven, da dieselben an dem durch die 
Wunde geleiteten Darmrohr wieder die früheren Beschwerden 
hervorrufon können. In unmittelbarem Anschluss an die Ope¬ 
ration sind die Gefahr der septisch-peritonitischen Wundinfektion 
und des Oollapsos in Folge der Operation die häufigsten Ur¬ 
sachen d«*s Todes. 

Um «lies«* Gefahren und Widerwärtigkeiten für den Kranken 
zu umgehen, schlägt W. vor, l>ei den schwierigeren und kompli- 
zirten Fällen von hochsitzendem Mastdarmcarcinom von vorn¬ 
herein auf die Herstellung normaler Verhältnisse zu verzichten 
und statl dessen einen Anus praeternaturalis, welcher bestimmt 
ist. dauerml zu bleiben, auf der linken Seite am Kolon descendens 
anzulegen, den er vorschlägt nach einer von Witzei ange¬ 
gebenen Modifikation zu machen: denn diese bietet schon an und 
für sich eine gewisse Garantie d«*r Kontinenz. Durch dies Ver- 
f all reu werden «lic Todesfälle im Anschluss an die Operation be- 
deutend verringert ; die postoperativen Gefahren und Beschwerden 
reduzirt, ohne dass darunter die Gründlichkeit der Radikal¬ 
operation leidet. Tn dieser Weise sind 11 Fälle operirt, von 
«lenen 2 im Anschluss an die Operation gestorben sind, einer an 
bronchitiseben Erscheinungen 14 Tage post Operationen!, einer 
6 Wochen p. op. an Erschöpfung. An septischer oder septisch- 
peritonitis<*her Wundinfektion oder an Collaps ist keiner der 
Kranken zu Grunde gegangen. 

Die Anlegung eines Anus praeternaturalis, welche auch von 
Sehe «1 <* früher empfohlen worden ist. hat den grossen Vor¬ 
theil, dass schon vor der Radikalexstirpntion die Darmfunktionen 
geregelt sind und der zu exstirpirende Darm durch Antiseptica 
gereinigt worden kann, so dass unter annähernd aseptischen Ver¬ 


1987 


hältnissen operirt werden kann. Für später ist es von Vortheil 
für die Kranken, dass die Darmfunktion von dem erkrankten 
Gebiete völlig unabhängig ist und daher von eventuellen Reci- 
diven nicht tangirt wird. Ebenso fallen dadurch alle 1k* i anderen 
Methoden beobachteten postoperativen Störungen an dem durch 
die Wunde geleiteten Darmrohr fort. Die Operation wird also 
vereinfacht und abgekürzt, was hei den meist geschwächten Per¬ 
sonen von Einhaltung ist. Den .seitlichen künstlichen After hält 
W. für die Kranken, da sie denselben übersehen und selbst rei¬ 
nigen können, für angenehmer als den sacralen, ganz abgesehen 
davon, dass letzterer erst während der Operation angelegt wird, 
während der seitliche bereits bei der Operation den Kranken 
zu Gut«' kommt. 

1> iscussiu n: 11«*rr«*n Sick. Iv ii m m c 11. L a u e u s t e i n 
uml «ler V o r trag e n «1 e. W e r n <* r. 


Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Offlcielles Protokoll.) 

Sitz u n g v o in 22. O k t. o b e r 1901. 

Vorsitzender: Herr I? a h r d t. 

Schriftführer: Herr Braun. 

Herr Bahr dt tlieill mit, «lass dem Ehrenmitglied der Ge¬ 
sellschaft, Rudolf V i r «• li o w, U*i Gelegenheit dessen 80. Ge¬ 
burtstages eine Glück\vunselmdr<-sso überreicht worden ist. und 
gedenkt ferner ths verstorbenen Ehrenmitgliedes Hofrath Prof. 
Dr. Winter in Leipzig und Mitglied«?« Dr. H a g e r in Leipzig. 
Zu Ehren der Tod teil erheben sieh die Anwesenden. 

Herr Lenhartz stellt vor eine 19jährige Köchin mit 
septischer Angina. Erkrankt, in der Nacht vom 20. 21. Oktober 
mit Atheinhekleinniung: hoi geringen Erscheinungen «1er Raclien- 
sehleimliäute ist auffallend eine ..akute Anschwellung der Schild¬ 
drüse“. so dass der normale Umfang des Halses um 7—10 cm 
vergrössert erscheint. Ara 21. Oktober arbeitet sic bei absolutem 
Wohlbefinden: kein Fieber, keine Drüsenscliwellung. Am 22. Ok¬ 
tober dasselbe Wohlliefinden. aber objektiv starke Verminderung 
des Urins, der eine enorme Menge liyalin«*r Cylind«'r mit körnigem 
Detritus enthält — 22 bis 30 Prom. Eiweiss. 

Herr Soltmann berichtet über einen Fall von allgemeiner 
Pyocyaneusinfektion bei einem 13 jährigen Knaben, wtdeher. bis 
dnliin ganz gesund, plötzlich an schwerer Pneumonie erkrankt, 
die unter cerebralen und typhösen Erscheinungen bei amphlbolen 
Temperaturen mit Leber- und Milzsehwellung und ausg«>dehnten 
Hautblutungen in wenigen Tagen zum Tode führt. Im liepatisirten 
Lungengewebe cingesprengte gelbgrüne Herde, ebenso lm Magen 
rasenartige gelbe Auf- und Einlagerungen, im Darm gelbgrüne, 
linsengrosse Platten, Nekrosen, welche überall in Haufen und 
Schwärmen kleine, schlanke Stäbchen erkennen lassen, die in Fär¬ 
bung. Form, Kultur und Farbstoffbildung als Pyocyaneus sich 
ehnrakterlsirten. Am intensivsten produeirten Kulturen ln lOproc. 
Peptonlösungeu den dunkel saftig-grünen Farbstoff uml Hessen 
bei Eintrocknung der Gelatiueplatten typische, aus blaugrünen 
prismatischen Nadeln zusammengesetzte Krystalldmsen er¬ 
kennen. Auch in Blut und Milz die glei«*hen Bacillen. Meer¬ 
schweinchen mit dem Gewebssaft und kleinen Partikclelien der 
erkrankten Theile subkutan geimpft, gingen unter Abscessbildung 
bald zu Grunde. Im Eiter wiederum Pyoeyaneusbaeillen in Rein¬ 
kultur. 

Der vorliegende Fall beweist, wie mehren' Einzelbeobach¬ 
tungen gerade bei Säuglingen und Greisen, die hohe Pathogenität 
des Pyocyaneus für den Menschen, so dass er selbst, und zwar 
ohne Symbiose mit anderen Spaltpilzen, sogar bei bis dahin völlig 
gesunden Individuen unter dem Bilde der Sepsis zum Tode 
führen kann. Für die Allgomoininfektion scheint. wie 
schon Charrln zeigte, die Eintrittspforte von grosser Be¬ 
deutung zu sein. Der Magendnnntraktus steht hier weit hinter 
dem Respirationstraktus zurück. Auch hier war nach Auftreten 
und Verlauf des Krankheitsprooesses über den bronchogenen Ur¬ 
sprung kein Zweifel. Wahrscheinlich hat «ler Knabe. Sohn eines 
Droschkenkntsch«*rs. auf seinem Lieblingsspielplatz lm Pferdestall 
und auf dem Heuboden mit <h*tn Inspirationsstrom d«'n Infek- 
tionskeiin eingesogon, der ihm unter dein Bilde einer septischen 
Pneumonie ein jähes Ende bereitete. Die beigefügten, bisher in 
ähnlicher Weise noch nicht zur Darstellung gebrachten kolorirten 
Tafeln illustriren die Pyoeyaneuseruptioiu'n und -Herde in Lunge. 
Magen und Darm in situ und im mikroskopischen Bilde in vor¬ 
trefflicher gelungener Wiedergabe. 

Discussion: Herr K o c k e 1 hat ähnliche Veränderungen 
der Schleimhaut des Magen-Darmkanals, w.ie sie Herr Solt¬ 
mann erwähnt, einige Male auch ln Fällen gesehen, wo der 
Bacillus pyocyaiH'iis nicht im Spiel war. 

Herr Bartli weist auf die starken entzündlichen Erschei¬ 
nungen hin, welche der Bae. pyocyaneus bei Ohreiteningen ver¬ 
ursache. 

Herr Hohlfeld stellt einen Fall von Tetanus vor, der 
sich bei einem 12 jährigen Knaben 14 Tage nach einer kleinen Ver¬ 
letzung des rechten Oberschenkels entwickelte, am 8. Tage der 
Erkrankung in das Kinderkrankenhaus aufgenomnien wurde und 


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1988 MTTENOnKNER ME DIf’TNLSOHE WOCHENSCHRIFT. No. 49. 


am Togo darauf mit 25 ccm des B e h r i n g'schen Toianusanti- I 
toxins (20 com unter die Brustliaut, 5 com auf dem Wege der | 
Lumbalpunktion in den Duralsack, im Hanzen 250 Antitoxin- 
einheiten) Injieirt wurde. 

D«*r Fall erreichte mit einer Attacke h«>chgradigst«*r Atheni- | 
noth den Höhepunkt seiner Erscheinungen am Abend des Iujek- ] 
tionstages, in den nächsten beiden Tagen Stillstand, am dritten | 
Tage augenfällige Besserung, die dann schnellere Fortschritte bis 
zur völligen Heilung machte. 

Nach einer kurzen Schilderung des Zustandes bei der Auf¬ 
nahme und des weiteren Kraukhcitsvcrlnufcs, glaubt der Vor¬ 
tragend«' den Fall wegen der hochgradig«‘n Betheiligung der Ath- i 
mungsmuskulatur zu den schwereren rechnen zu dürfen, obwohl 
die Inkultation 11 Tage ltetrug. di«* Temperatur im Maximum nur . 
ÖS,7 0 erreicht«*, und der Verlauf «l«»ch ein etwas protrahirter war. 

Für die Heilung als solche kann der Vortrag«*nder «li«* g«>- 
l«*g«*n11ich gegebenen Morphiuminj«‘ktionen ni«*ht. verantwortlich 
machen. g«*förd«‘rt zu haben glaubt er die Heilung in ihrem 
weiteren Verlaufe durch die Einleitung einer reichlichen Diurese. 
Die Frag«*, ob «li«* Heilung als Serumwirkung aufzufass**n s«*i. lx*- 
antwort«*t «*r dahin, dass die M«öglichk«*it. einer Serumwirkung 
.1«*<lenfalls nicht olnu* Weiteres von der Hand zu weisen sei. 

D i s c u s s i o n: Herr T r e n d «* 1 e n 1» u r g glaubt nicht mehr 
an «li«‘ Wirksamkeit, «les B «• li r i n g'scheu Tetanusserum. <>r sah 
nie einen Erfolg von ihm: die leichten Tetanusfälle genesen ohne 
Serum, die schwer«*!! verliefen mit Serum auch ungünstig. Herr 
T. gedenkt ferner der. allerdings vorüberg«*h«*nden. günstigen Ein¬ 
wirkung der in Form von Schwitz- oder Lichtbädern angewandten 
Wärme auf di«* Tetanuskranken. Der Krampfzustand erfährt 
eine eklatante Besserung, so lange die Kranken t ranspiriren. 

Herr Bahrdt hat Oel«*genheit gehabt, einen Tetanuskranken 
mit d«*m Genfer Tetanusserum zu behandeln, hat aber auch davon 
keinen Erfolg gesehen. Er friigt. ob sich l«*icht«*re und schwerer«* 
Tetanusfälle durch ihren T«*mp«*raturverlauf unt«*rsclieid«*n. 

Herr Sol t mann liiilt die Frage von der Wirksamkeit des 
B e h r i n g’schen Tetanusantitoxins tiocli nicht für entschieden. 
Nach seinen Erfahrungen sind die leichteren Tetanusfälle g«>- 
wOlinlioh «lurcli weniger hohe Temperaturen ausgezeichnet. Ob 
in dem vorher demoiistrirt«*» Fall das Serum die Heilung bewirkt 
habe, sei von Herrn Ilohlfeld selbst als zweif«*lhaft hingestellt 
worden. Die Einleitung vermehrter Diurese, z. B. durch Pih>- 
«•arpindarrcicliung. sei ein wiclitiger therap«*utisch«*r Faktor bei 
der Behandlung «les Tetanus. 

II«*rr Kollmann «lemonstrirt ein Cystoskop mit beweg¬ 
lichem Lampenknie. Die V«*ranlassung zur Konstruktion dieser 
Neuerung ist zu suchen in «lein Umstand, dass Cystoskope, bei 
denen die Optik und die Lampe in einer geraden Linie liegen, 
von manchen Aerzten nicht so gern benützt, werden, als solche, 
welche die Lampe an der Spitze ein«*s gekrümmten Schnabels 
tragen, wie z. B. die meisten der N i t z e’sehen Modelle. Die 
Ausführung geschah in zweifacher Weise. Bei der einen Kon¬ 
struktion ist zwischen einem centralen, die eigentliche Lampe hal¬ 
tenden Metallstück und «*in«*m anderen peripheren Metallstück, 
welches zum Anschraul>en an den optischen Theil dient, ein kleiner 
Duriteyllnder g«*l«*gen. in dein die Leitungsdrähte für die Lampe 
verlaufen; bei der anderen Konstruktion geschieht die bewegliche 
V«*rbindung durch einen Gummischlauch mit einem darin befind¬ 
lichen Leitungsdraht, und ausserdem noch durch ein um diesen an¬ 
gebrachtes festes Metallsehnrnier. Diese beweglichen Lampen- 
kniee werden auf Wunsch sowohl dem von Kollmann be- 
schriebenen Spüleystoskop (Nitzc-Oberlände r’sches Cen- 
tralbl. 11. Bd., 1900. Heft 81, als auch «lein Uretercystoskop mit 
übereinander liegenden Gängen (Nltze-Oberlände r’sches 
Centralbl. 11. Bd.. Heft 91 beigegeben; bisher hatten die genann¬ 
ten zwei Instrumente nur Cystoskope mit geradem, unbeweglichem 
Lamp«*ustück. Sollen die beweglichen Kniee an ihnen angebracht 
werden, so erhalten die Aussenhiilsen derselben im centralen Thelle 
des Auges eine schiefe Ebene, welche die Lampe beim Ilineiu- 
schiebeu der Optik aufrlcbtet. und zuletzt genau in die gleiche 
winkelige Stellung zum Cystoskopscbaft bringt, wie dies bei den 
gewöhnlichen Nitz e’sehen Cystoskopen der Fall ist. Der Ver¬ 
fertiger der genannten Konstruktionen ist C. G. Heyuemann 
in Leipzig. 

Herr Seiffert berichtet über weitere, in der Universitäts- 
Kinderklinik ausgeführte Untersuchungen zur Aetiologie der 
Noma. 

Der Vortragende hat im Jahre 1897 zwei Fälle von Noma 
demonstrirt. und über histologische und bakteriologische Unter¬ 
suchungen d«*s nomatös erkrankten Gewebes berichtet. Er hat 
«labei auf die Nothwendigkeit hingewiesen, bei der bakterio¬ 
logischen Untersuchung der Noma anaerobe Kulturmethoden in 
Anwendung zu bringen und ül>er den auf diese Weise erhobenen 
Befund einer anaerob wachsenden Cladothrixart, welche beim 
Meerschweinchen eine progressive, allerdings meist später durch 
Eiterung sieh «lemarkirende Nekrose, beim Kaninchen Eiterung 
erzeugt«*, in ein«*m der damals «lemonstrirten Fälle, berichtet. 

Die Befunde des Vortragenden erhielten bald darauf eine Be¬ 
stätigung durch Untersuchungen von Perthes an zw«4 Noma- 
füll«*n der Leipziger chirurgischen Klinik. 

Seitdem hat sich die Kasuistik des Vortragenden um weitere 
vier Fäll«- v<Tinehrt. von denen der ein«* ein«* typisch«* Noma faciei. 


ein«*r eine Noma vulvae darstellte, die beiden letzten dagegen 
unter dem Bilde einer in fortschreitende Nekros«* d«*r Mund¬ 
schleimhaut und ihrer Unterlagen und Nekrose des Alveolarfort¬ 
satz«-s des Unterkiefers endenden Stomatitis ulcerosa verliefen. 
Da gennle diese l«*tzter«*n Formen in der neuesten Literatur der 
Noma (Bern heim und Pospischill, Com ha, Gui- 
z «* 1 1 i) mehrfach Erwähnung gefunden haben, musste «1er Aus¬ 
fall der bakteriologischen Untersuchung für di«? Frage, oh diese 
Formen wirklich «lein Krankheitsbilde d«*r Noma zuzurechnen 
seien, von erheblicher Bedeutung sein. Es gelang nun dem Vor¬ 
tragenden in allen vier Fällen mit Hilfe der nnaeroben Kultur¬ 
methoden «li«* gleiche Fäden, Spirillen und V(*rzweigung«*n auf- 
woiseiul«* Cladothrixart r«*in zu züchten, wie im ersten Falle. Auch 
die Thiorversuelie mit den neuen Kulturen ergaben Pathogenität 
<l«*s aufg«*funden<*n Mikroorganismus für Meerschweinchen und 
Kaninchen, ja <-s wurde sogar die Spontaninfektion eines Kanin¬ 
chens an der Lippe beobachtet. Wenn es bei «licsen Thieren aber 
meist zu «*inetn »Stillstand «ler Nekrose durch demarkiren«lo Eite¬ 
rung kommt, so glaubt der Vortragende, dass dies an dem Bau 
der fhieris«*hen Gewebe und vor Allem dem Mangel einer vor¬ 
herig« n disponiremlen Laesion liegt. Eiir weitere experimentelle 
Stu«li«-n mit «ler Nomaeladot.hrix dürfte daher eine vorgängige 
Schädigung <l«*r Haut oder »Schleimhaut der Versuchstiere, etwa 
durch Krzeugung eines lokalen ()«*<lems oder einer kleinen asepti- 
scIhmi Nekrose, in’s Auge zu fassen sein. 

Aus seinen Untersuchungen glaubt der Vortrageialc sehliessen 
zu «liirfen, dass gegenüber den zahlreichen früheren Bakterien- 
hefunden ln-i Noma, der von ihm und Perthes nachgewiesenen 
anaerolx-n Cladothrix mit grosser Wahrscheinlichkeit eine aetio- 
logis«*he Bedeutung für die Pathogenese der Noma zugosprochen 
werden muss, um so mehr, da auch frühere Untersucher (G r a - 
wi t z u. A.) die Fällen im Gewebe gesehen und beschrieben, in 
Folg«* Vernachlässigung «ler anaeroben Kulturmethoden aber 
nicht reiugczüchtet hab«*n. 

Dlsnission: Herr Braun: Bei einem kürzlich im Dla- 
k«»niss«*nliaus beolmchteten Fall von Noma sind die beschriebenen 
Fadenpilze ebenfalls gefunden wonltMi. Reinkulturen von ihnen 
ai’zult'gen. gelang auch trotz Anwendung nnaerober Verfahr«»» 
nicht, «‘bensowenig die T'eb«*rtragung auf Thiere. 

Herr P e r t li e s berichtet über das häufige Vorkommen von 
Noma in China. Er sah wiederholt Chinesen mit Gesiehts«l«»fekteil, 
die von «ler Krankheit herstnmnit»*n und beobachtete in Peking 
4 frische Nomafälle: mikroskopisch fanden sieh in ihnen wiederum 
dieselben Fadenpilz«*. Die Konstanz dieses Befundes spreche doch 
stlir «lafilr. dass diese Bakterien wohl mehr, als eine zufällige 
Begleiterscheinung der Noma s«*ien. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 

Soci^te de ThSrapeutique. 

Sitzung vom 9. Oktober 1901 (Schluss). 

G a 11 o i s bespricht die Behandlung mit Kakodylsäure. 
Wenn auch die hypodermatisehe Anwendung vorzuziehen und be- 
sonders im Krankenhaus«* anwendbar ist. so ist dies In der Privnt- 
praxis selten durebzufiihreu: G. wählte daher den Weg der in¬ 
ternen Medikation und empfiehlt folg«*nde Mischung: Natr. kako- 
dyl. 2.0. Rum. slrup. simpl. äa 20,0, Aqu. dest. *10,0. Spirit. Menth, 
piper. gtt. 1—2 S. 1 KafTeelöffcl bei jeder Mahlzeit zu geben. 
10 Tage lang ist dieses Mittel zu geben, dann setzt man ebenso 
lange aus u. s. f. 1—3 Fälle ausgenommen, wurde bei etwa 
50 Kranken das Mittel immer gut vertragen. Das auffallendste 
Resultat war dit* Vermehrung des Appetits: die KraDken haben 
ausserdem das Gefühl, «lass ihre Kraft zugenommen habe. Die 
AflVktion, welche am glücklichsten durch die Kakodyldarrelehung 
beeinflusst wird, ist die chro nische Bronchitis mit 
asthmatischen Anfällen bei älteren Leuten: G. bat i.5 solcher Fälle 
mit grossem Erfolge behandelt, sogar wenn schon Herzschwäche 
in Folge der Anfälle bestanden hatt«*, gegen «las noch zurück¬ 
gebliebene Oedem wurde Digitalis sodann mit Erfolg geg«*lH*n. 
Bei der asthmatischen Bronchitis der Kinder wirkt bekanntlich 
.Tr»d sehr rasch. 

Acad6mie de m6decine. 

Sitzung vom 15. O k I o b e r 1901. 

Albert Josias berichtet über die Behandlung des Tetanus 
nach Baccelli (Injektionen von Karbolsäure), fand jedoch 
nach eingehenden Versuchen an Ziegen. Meerschweinchen und 
Hunden, «lass diese Injektionen (von 2—3 proe. Karbolsäure, sub¬ 
kutan oder intramuskulär) ln keiner Weise die Entwicklung «les 
ausgesprochenen Tetanus zu beeinflussen schienen, selbst wenn 
«lies«* Behandlung sehr frühzeitig, mit dem Auftreten der ersten 
Symptome, eiiigelcitet wird. 


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3. Dezember 1901. MURXCttENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1989 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztekanuner für die Provinz Brandenburg; und den 
Stadtkreis Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Ordentliche Sitzung am 23. N o v e ui b e r llHJl. 

Vor Eintritt ln die Tagesordnung erhält Herr Iv o s s in a n n 
«las Wort zu einer Erklärung, in der Sitzung am 1<>. Juni d. J. 
hatte lv. geäussert, der übel Präsident hatte mit den von der lte- 
gierung gewählten Vertrauensmännern im Elirengerlelilshof «lie 
zur Freisprechung ertorderliche Stimm« nzahl zur Verfügung. Diese 
Aeussseruug, sagt Herr K o s s m a u n, war, wie der /.usammen- 
liang ergibt, nicht im allgemeinen sinne gemeint, bezog sich viel¬ 
mehr auf den betreffenden Fall. Hie Absicht einer Verletzung 
von Mitgliedern des Blirengericlitshoies habe ihm fern gelegen. 
Im Anschluss hieran erstattet 

Herr Kossmann den Bericht der lv u r p f u s e lierei- 
Kommission. Wie sich aus einer Zuschrift des Vorsitzeiulen 
des Spandauer Aerztevereins ergibt, hat der Vorstand der dortigen 
l ischierkasse das Ersuchen des \ erelus, die nicht approoirte Person 
aus der Aerzteiiste zu streichen, anfangs abgelehm, dann aber auf 
Anweisung seitens des Vorstandes der Kasse in Hamburg, au den 
der Verein sich gewandt, die Streichung bewirkt. Leber den 
anderen Spandauer Fall habe mau nichts mehr gehört, der Kur¬ 
pfuscher habe sein Geschäft jedenfalls aufgegeben. 

Hiermit war mau bereits in die Verhandlungen eingetrcteu, 
denen Namens der llegierung überprüsident v. B e t h m a u n - 
Holl w e g und ltegieruugsrath v. Gneist beiwohnen. Her Vor¬ 
sitzende, Herr Geheimrath Dr. B e c h e r, bringt ein Antwort¬ 
schreiben des Herrn Professor Dr. Körte zur Verlesung, dem 
der Kammervorstaud zu seinem 00 jübrigen Doktor-Jubiläum seine 
Glückwünsche ausgesprochen, und berichtet dann Uber die Be- 
iheillguug des Vorstandes an der Vlrchow-Feler im Hause der 
Abgeord ne teil. Vom Aerztekammer-Aussehuss ist ein Schreiben 
des Mediciualministers eingegangen, nach dem bei Verleihung des 
Titels Sauitätsrath resp. Geh. Sanitütsrath von der Einziehung 
der Stempelsteuer von 3U0 Al. in Zukunft abgesehen werden soll. 
Herr Schaef fe r beantragt, Herrn Dr. Steffau zu Alar- 
burg u. d. E. (früher zu Franklurt a. Ai.), dessen mannhaftem Vor¬ 
gehen die Beseitigung der Stempelsteuer zu verdanken sei, die An¬ 
erkennung und den Dunk der Kammer auszusprechen. Der An¬ 
trag wird ungeuommen. In einer Zuschrift an den Vorstand hat 
Herr v. Bergmann als Kurator auf die 11 offbau er- Stil - 
t ti ng aufmerksam gemacht, die auch für \\ aiseu aus dem Aerzte- 
staude bestimmt sei. 

An Stelle des Gcheimrath Dr. Schöneberg, der aus Ge¬ 
sundheitsrücksichten sein Amt als Ehrenrichter medergelegt hat, 
wird Dr. Kühle r-Charlottenburg zum Mitglied des Ehrengerichts 
und Dr. 11 o t h - Berlin zum Stellvertreter gewählt. 

L'eber die Verbrennung der Festleichon spricht 
Herr Privatdoeent Dr. Weyl als Gast. Das sporadische Vor¬ 
kommen der Pest, wie in Glasgow’, Bremerhaven, Kousiantlnopel 
legt den Gedanken nahe, dass die Pest uns heimsuchen könnte. 
Diese Gefahr hat auch die lteichsregieruug iu's Auge gefasst, wie 
die neuerliche Verordnung zur Verhinderung der Ausbreitung der 
Pest zeigt. Die Verordnung hat aber ein wesentliches Mittel, das 
sehr wohl geeignet ist. die Ausbreitung der Pest zu verhindern, 
ausser Acht gelassen, das ist die Verbrennung der Pestleichen. 
Das Erdgrab gleicht einem Kieselfeld in Bezug auf die Wirkung 
der Mineralislrung der organischen Substanzen, nur dass es viel 
langsamer arbeitet, wie das Rieselfeld. Die Erdbestattung leistet 
nicht Gewähr für die Vernichtung der Pestkeime, welche also von 
begrabenen Pestleichen verschleppt werden können. Seitens eines 
aus Aerzten bestehenden Ausschusses ist zu Gunsten der Erlaub- 
niss, zu Pestzeiten die Pestleieheu an allen Orten im Deutschen 
Reiche verbrennen zu dürfen, eine lebhafte Agitation iu's Werk 
gesetzt, es sind an viele Aerzte Karten mit einer entsprechenden 
Anfrage gesandt und fast 3U00 zustimmende Antworten oiuge- 
gaugen. Herr Weyl, der noch besonders betont, dass es sich 
keineswegs darum handle, durch eine Hiuterthür die LcJehen- 
verbrennuug einzuschmuggeln, stellt den Antrag: 

„Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg, in Er¬ 
wägung I. dass die Pestleichen geeignet sind, die Pest zu ver¬ 
breiten, 2. dass die Erdbestattung der Pestleichen nicht unter 
allen Umständen eine schnelle und sichere Vernichtung der Pest¬ 
keime gewährleistet, 3. dass die schnelle und sichere Vernichtung 
der Pesterreger im öffentlichen Interesse geboten ist, beschliesst: 
a) den Herrn OberpriLsidenten zu ersuchen, bei der kgi. Staats- 
regierung dahin wirken zu wollen, dass die Vernichtung der Pest- 
leicheu durch Feuer gestattet werde, b) von dem gefassten Be¬ 
schlüsse allen preussisclien Aerztekammern Kcnntniss zu geben.“ 

Herr v. Bergmann wendet ein, die Durchführung des An¬ 
trags würde gewaltige Anforderungen an den Fiskus stellen, da 
überall kostspielige Krematorien gebaut werden müssten. Das 
Kaiserliche Gesundheitsamt hat sehr wohl beachtet, dass von be¬ 
grabenen Pestleichen unter Umständen die Pest verschleppt werden 
könne. Das wird aber verhindert, wenn die Gräber für die Pest¬ 
leichen so hergerichtet werden, wie es in der Pestverordnung vor¬ 
geschrieben ist 

Herr Weyl bemerkt es Messen sich in allerhöchsteus 
24 Stunden mit verhältnissmässig geringen Mitteln geeignete Vor¬ 
kehrungen zur Leichenverbrennung herrichten; es handle sich niehl 
um dauernde Einrichtungen. 


Herr Oberpräsideut v. Betlima n-n - II o 11 w e g behält sich 
die Stellungnahme zum Antrag vor, möchte aber für den Fall, dass 
der Antrag angenommen wird, empfehlen, in ihm zu betonen, dass 
provisorische Krematorien geplant seien: sonst würde der 
Minister sicherlich den Einwand machen, welchen Herr v. Bürg¬ 
in a n n zur Sprache gebracht. 

Der Antrag wird mit grosser Majorität angenommen. 

Von Seiten einer Keihe nicht praktizirender Aerzte (Profes¬ 
soren, Dozenten etc.) ist an den Oberpriisidenteu und an den 
Minister eine Eingabe. Ihm rollend die Beltragsleistung zur Aerzte¬ 
kammer, gerichtet worden. Zu diesem Gegenstand der Tages¬ 
ordnung macht der Vorsitzende einige einleitende Bemerkungen. 
Die Aerztekammer-Brnndenlmrg-Berlin hat eine solche Besteuerung 
der Aerzte durchgeführt, dass man wirklich daran denken könne, 
dem Elend der Aerzte, wie ihrer Hinterbliebenen, zu steuern. 
Freilich seien gewisse Kategorien der Aerzte, die mit »len prak¬ 
tischen Aerzten überhaupt wenig in Berührung kommen, wie alte 
Militär- und beamtete Aerzte, die sich zurückgezogen, mit betroffen 
worden. Der Kammervorstaud berücksichtige al>er die Verhält¬ 
nisse in dem einzelnen Fall, so seien etwa Co Jüngere Existenzen 
von der Beitragsleistung lief reit worden. Die Kammer, welche 
zuerst das Gcsanimtciukomnn-n iiesteuert, habe sich damit ein 
unvergängliches Verdienst um das ärztliche Unterstützungswesen 
erworben, und es stehe zu hoffen, dass die anderen preussisclien 
Kammern dem Beispiele der Brandenburg-Berliner folgen werden. 
Dem gegenüber erscheine es auffallend, «lass eine Keihe vornehm¬ 
lich solcher Aerzte. die sieli mit der Lehrthätigkeit befassen, die 
Heranziehung zur Steuer als Unrecht ciuplindcn und sich mit einer 
Eingabe an den Oberprüsidenhm und den Minister gewandt habe. 
Am Schluss der Eingabe heisse es, d e r A e r z t e k a m m e r - 
v o rs t a u d sei in d e r 11 e r a n Ziehung zu «len Bei¬ 
trägen w i 11 k ü r 1 i c li v o r g e g a n gen; Aerzte, die sich be¬ 
hufs Ausübung der Hcilkumlc beim Kreisarzt gemeldet, seien nicht 
besteuert worden, dagegen die nicht praktizltcnden Theoretiker. 
Der Vorsitzende bemerkt hierzu, er hätte für diese In¬ 
sinuation keinen parlamentarischen A u sdru c k; 
wollte er sl«> l»eiui reell teil Namen neunen, dann würde er sich 
selbst zur Ordnung rillen müssen. Darauf gelangt die Eingabe 
zur Verlesung, die mit wiederholtem ironischem Lachen, zum 
Schluss mit Pfui-Kufeii lw*gleit«*t wird. Die Eingabe fasst eine 
grosse Keihe von Gründen zusammen, welche gegen die Heran¬ 
ziehung der nicht prakticirendeii Aerzte sprechen, und betont im 
Besonderen, dass die theoretischen Mediclner von den liechten, 
welche mit der Approbation verknüpft sind, keinen Gebrauch 
machten, und mit den praktischen Aerzten fast gar keine Fühlung 
hätten. Sie läuft auf die Bitte hiuuus, ilahlu wirken zu wollen, 
dass diejenigen upprobirteu Aerzte, welche gar nicht oder nur 
vorübergehend prakticlrt haben und zu einem anderen Beruf über- 
gegaIlgen sind, von der Steuer hei reit würden, «lass es«-m. die Ge¬ 
nehmigung zur Besteuerung versagt uml dass die Mängel, welche 
in Bezug auf die upprobirteu, uichtprakticirenden Aerzte im Gesetz 
vorliainhm seien, durch gesetzgeberische Aenderuugeu beseitigt 
würden. Unterzeichnet sind die Eingaben u. A. von Waldeyer, 
11 e r t w i g, K u b n e r, E n g e 1 in a n n, F r i t s c h, 11. M u u k, 
ll. Virehow, v. Hausemauu, L a n g e r h a n s. Die Ein¬ 
gabe ist dem Kuniinervorstaud zugestellt wonleu, und dieser hat. 
ohne zur Aeussenmg auf gef ordert zu sein, die Beschwerden als 
ungereclilfertigt zuriickgewiesen; vielmehr seien die betreffenden 
Hemm zu Recht besteuert wonleu; die Aeusseruug, bei der Heran¬ 
ziehung zur Bcitrugslcistung sei der Vorstaud mit Willkür vor- 
gegangeu, sei eine schwere Beleidigung, die der Kummervorstand 
zurück weise. Deu namentlichen »Steuer!istim werde das amtliche 
Aerzteverzeiclmiss zu Grunde gelegt. 

Herr 11 e u i u s bemerkt, er habe seiner Zeit dafür pluidirt, 
«lass die nicht piaktieireuileu Aerzte zur Steuer nicht licraugezogeu 
würden. Nie und nimmer habe er dabei an die Professoren und 
Doi-cuten gedacht, welche, um an Krankenhäusern augestellt zu 
werden, der Approbation bedurftem und durch Ferienkurse für 
Aerzte von diesen Einnahmen hätten. Es sei eine falsche Vor¬ 
nehmheit, auf Grund deren die Akademiker sich von den prak¬ 
tischen Aerzten und ihrem Vereiuslebeu feruhielteu. Die* medi- 
einischeii Theoretiker kümmerten sich ja um andere Angelegen¬ 
heiten ärztlicher Natur, sie kiiminertem sich um die medicinisclie 
Gesellschaft, sie ständen an der Spitze ärztlichen - und wissenschaft- 
licher Bestrebungen, und wenn sie au den Staudesfreuden sieh her¬ 
vorragend betheiligton, so sei es ein nobile ofüeium, auch an deu 
Stau«lossorgen theilzuueliiuem. Herr lleulus beantragt Ueber- 
gang zur Tagesordnung. 

Herr v. Bergmann bedauert, dass von einer Reihe von 
Universitätslehrern gesündigt worden sei. Andererseits müsse er 
Verwahrung einlegen gegen die Aeussenmg des Vorredners, die 
Akademiker hielten sieh in falscher Vornehmheit von den prak¬ 
tischen Aerzten fern; mau erinnert* sieh nur, was «lie Vertreter der 
praktischen Medicin gelegentlich der Virehowfoier g«*sngt. Auch 
«lie Vertreter «1er theoretischen Diseiplimm verdankten ihre aka¬ 
demische Stellung dem Umstand«*, dass sie approblrte A«*rzto 
wenien. Nur approbirt«* Aerzte würden Assist«*ut«*u an Kliniken 
uml Krankenhäusern. Er veistehe nicht, wie die Herren behaupten 
könnten, sie hätten keine Fühlung mit dem ärztlichen Stande. 
Einige der Herren seien Examinatoren, Herr 1t u bn e r sogar Vor¬ 
sitzender der Prüfungskommission, und Herr Walde v e r sei 
wiederholt mit der Vertretung der deutschen Aerzteschaft im Aus¬ 
lände lietraut gewesen. Freilich seien etliche Lehrer der theore¬ 
tischen Medicin keineswegs glänzend gestellt; der Gehalt der 


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1990 


MUENGHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


ji ussorordentliclien Professoren ist gering und die Kollegiengelder 
seien ihnen zu Gunsten der Staatskasse gekürzt worden. 

Herr Koss m a u n betont die ideelle Seite der Sache. Da 
man in erhöhtem Maasse Mittel für ein kollegiales Liebeswerk ver¬ 
lange. stosse man auf Widerstand. Die praktischen Aerzte fühlten 
sich als Kollegen der theoretischen Medieiuer und wähnten bei 
diesen eine gegenseitige Empfindung. 

Herr Hoiiius bemerkt gegenüber der Zurückweisung seiner 
Worte durch Herrn v. Bergmann, er habe nicht sümmtliche 
Professoren gemeint, vielmehr nur die Unterzeichner der Eingabe. 
Dafür, dass auch Professoren für das Wohl des Standes eintreteu, 
sei ja Herr v. Bergmann das beste Beispiel. 

Eingegangen ist ein Antrag Joachim: Die Kammer spricht 
über die beleidigenden Vorwürfe, die dem Vorstand in der Eingabe 
gemacht werden, ihre lebhafte Missbilligung aus und geilt über die 
Eingabe zur Tagesordnung über. 

Die Kammer lehnt den Uebergang zur Tagesordnung ab, 
nimmt aber den ersten Theil des Antrags an, sowie einen Zusatz¬ 
antrag v. Bergmann, dem zu Folge die Kammer sich mit der 
Kiicküusserung des Vorstandes einverstanden erklärt und diese 
Mittheilung dem Herrn Minister zugehen zu lassen wünscht, 
indem sie noch betont, dass auf die lebendige Wechsel¬ 
wirkung zwischen den Vertretern der theoretischen und denen der 
praktischen Mediciu nicht verzichtet werden kann und dass die 
Erwerbung der Approbation die Vorbedingung für die theoretisch- 
medicinische Laufbahn ist. (Schluss folgt.) 

Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

B e r 1 i n, den 21. November 1901. 

Verein zur Beschaffung freier ärztlicher Behandlung.— 
Invalidenhaus für Lungenkranke. — Hygienevorträge für 
Krankenkassenmitglieder. 

Unter den vielerlei Kalamitäten, welche dem Arzt in der 
Grossstadt das Leben erschweren, indem sie in das Selbstgefühl 
des Einzelnen wie in die wirtschaftlichen Verhältnisse des 
Standes tief einschneiden, spielen die sogen. Sanitäts- und ähn¬ 
lichen Vereine eine nicht unwesentliche Rolle. Was das Kranken¬ 
kassengesetz an nicht versieherungspiliehtigen Personen übrig 
gelassen hat, das befindet sieh zu einem beträchtlichen Theil in 
diesen Vereinen, deren einziger Zweck, gleichviel welchen Namen 
sie tragen, die Beschallung billiger ärztlicher Hilfe ist. Wir 
hatten schon früher Gelegenheit gehabt, uns mit diesen Vereinen 
näher zu beschäftigen, und darauf hingewiesen, dass die Mit¬ 
glieder nicht gerade den wirtschaftlich schwachen Schichten 
der Bevölkerung angehören. Unter den Aerzten hatte Niemand 
rechte Freude an diesen Vereinen; diejenigen, welche ihnen fern 
standen, klagten naturgemäß darüber, dass das Feld ihrer Tliätig- 
keit noch inehr eingeengt wird, und die Aerzte wiederum, welche 
mit einem solchen Verein behaftet waren, seufzten unter der 
Last der Arbeit, die sie für ein unverhältnissmässig geringes 
Entgelt zu leisten hatten. Es ist selbstverständlich, dass bei 
den unbedeutenden Vereinsbeiträgen die Gewährung freier ärzt¬ 
licher Behandlung und vielfach auch freier Arznei nur aus dem 
Grunde möglich war, weil die erstere weit unter ihrem Werth 
lionorirt wurde, mit anderen Worten, weil die Aerzte die Kosten 
des Vereins trugen. Schliesslich aber nahm die Aerztekammer 
Veranlassung, sich mit der Angelegenheit zu beschäftigen, und 
erklärte es für standosunwürdig, bei privaten, dem Kranken¬ 
kassengesetz nicht unterworfenen Vereinigungen gegen ein 
Honorar thütig zu sein, welches hinter den Minimalsätzen der 
Gebührenordnung zurückbleibt. Damit wurden diese Vereine 
zwar nicht aus der Welt geschafft, die betreffenden Aerzte auch 
nicht sofort gezwungen, ihre Thiitigkcit niederzulegen, denn zu¬ 
nächst müssen die laufenden Verträge respektirt und bei ihrer 
Verlängerung kann durch Erhöhung des Honorars oder Ver¬ 
ringerung der Thätigkeit dieser Bestimmung Genüge getlian 
werden. Aber man sollte meinen, dass eine Neigung, neue 
Vereine dieser Art zu gründen, nicht mehr bestehen könnte, da 
ihnen jetzt nicht nur die Existenzberechtigung, sondern auch 
die Existenzbedingungen fehlen. Aber weit gefehlt. Einige 
unternehmungslustige Leute fanden, dass es doch noch eine An¬ 
zahl Personen in Berlin gibt, die gegen Krankheit nicht ver¬ 
sichert sind, und fühlten den Beruf in sieh, sic mit einem neuen 
Verein zu beglücken. Dieser „Verein Hygiea zur Beschaffung 
freier ärztlicher Behandlung“ wollte einen Wochenbeitrag von 
50 Pfg. von seinen Mitgliedern erheben und ihnen dafür freie 
ärztliche Behandlung für die ganze Familie und die freie Wahl 
unter vorläufig 100 Aerzten gewähren. Es zeigte sieh aber, dass 


er die Rechnung ohne diese 100 Aerzte bezw. ohne die Aerzte 
überhaupt gemacht hatte. Auf Grund des erwähnten Aerzte- 
kammerbeschlusses mussten die Minimalsätze der Gebühren¬ 
ordnung gewährt werden, das ist aber bei der geringen Höhe 
der Beiträge, von denen auch noch die Verwaltungskosten be¬ 
stritten werden müssen, nicht möglich; darum ist mit Sicherheit 
vorauszusehen, dass der Verein seine Verpflichtungen weder den 
Mitgliedern noch den Aerzten gegenüber wird erfüllen können 
und nach kurzer Zeit zu bestehen aufhören wird. Diese Gesichts¬ 
punkte kamen in einer von den Begründern des Vereins ein- 
berufenen Aerzteversnmmlung zur Sprache; der Zweck dieser 
Versammlung sollte die Begründung eines Aerztevereins sein, 
in Wirklichkeit aber endete sie mit einer unzweideutigen Ab¬ 
lehnung der Aerzte, sich an den Bestrebungen der Hygiea zu 
betheiligen. Auch eine weitere Berathung der Angelegenheit 
durch eine zu wählende Aerztekommission wurde abgelehnt mit 
der Begründung, dass ehrenwerthe Aerzte es ablehnen müssen, 
ein Monopol für sich zu schaffen, dass die Bildung einer Aerzte¬ 
kommission schon ein mächtiges Agitationsmittel für den Verein 
sei, dieser aber nach seinen Statuten keine Gewähr für ein ge¬ 
sichertes Bestehen biete. Unter diesen Umständen dürften sich 
schwerlich noch Aerzte finden, die das Risiko und das Odium 
zugleich auf sich nehmen werden, bei einem solchen Verein 
sieh anstellen zu lassen; und die schon nicht mehr ernst ge¬ 
nommenen verzweifelten Anstrengungen der Begründer, den 
Verein doch noch zu Stande zu bringen, dürften daher sehr 
bald im Sande verlaufen. 

Eine für die künftige Gestaltung der Fürsorge für Lnngen - 
kranke vielleicht bedeutungsvolle Neuerung ist von der Landes* 
Versicherungsanstalt Berlin in’s Leben gerufen worden. Es ist 
das ein Invalidenhaus für Lungenkranke. Die Volksheilstätteu 
nehmen, der ihnen gestellten Aufgabe entsprechend, bekanntlich 
nur solche Kranke, auf, bei denen eine gänzliche oder theilweise 
Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit zu erwarten ist. Eine 
Ergänzung dazu bildeten die Erholungsstätten, in denen ausser 
den Erholungsbedürftigen anderer Art einerseits solche Tuber¬ 
kulöse Aufnahme finden, welche für die Heilstätten angemeldet 
sind, aber wegen Platzmangels noch auf ihre Aufnahme zu 
warten haben, andererseits solche, welche w<*gen vorgeschrittener 
Erkrankung für die Ileilstiittenbehandlung nicht geeignet sind. 
Die Erfahrung lehrte, dass gerade Kranke der letzteren Kategorie 
ein sehr beträchtliches Kontingent zu den Erholungsstätten 
liefern. Diese können aber nur im Sommer geöffnet sein, und 
die Kranken mussten eine Einrichtung, die sich als werthvoll 
erwiesen hatte, entbehren. Auch aus anderen Gründen, besserer 
Fürsorge für die Kranken, Schutz der Umgebung vor der In¬ 
fektionsgefahr, ist schon wiederholt die Forderung der Errich¬ 
tung von Siechenhäusern für schwer kranke Phthisiker erhoben 
worden. Aber es ist bekannt, wie weit der Weg zwischen der 
Aufstellung einer noch so berechtigten Forderung und ihrer 
Erfüllung ist. Hier zeigt sieh die segensreiche. Wirkung «ler 
Laiidesversicherungsaiistalten. Auf Grund des Invaliden- 
vorsicherungsgesetzes stellt dem Vorstand der Versicherungs¬ 
anstalt das Recht, zu, dem Rentenempfänger an Stelle der In¬ 
validenrente Aufnahme in ein Invnlidenhaus oder in ülmliehe 
Anstalten zu gewähren. Die nicht erwerbsfähigen Lungenkrank«» 
haben, sofern sie nicht im Hause und nicht in den Erholungs¬ 
stätten bleiben können, nur die Möglichkeit, ein Krankenhaus 
aufzusuchen. Diese sind al>er gerade im Winter meist überfüllt, 
und für viele nicht bettlägerige Phthisiker ist das Krankenhaus 
auch kein geeigneter Aufenthalt; hier soll das Lnvalidonhaus er¬ 
gänzend eintreten, und es ist zu erwarten, dass dieser erste Ver¬ 
such sich als ein sehr glücklicher erweisen und zur Errichtung 
weiterer Invnlidenhiiuser für Lungenkranke den Anstoss geben 
wird. 

Zu den Aufgaben, welche die Berliner Krankenkassen sieh 
freiwillig gestellt haben, gehört auch die Verbreitung allge¬ 
meiner hygienischer Kenntnisse unter ihren Mitgliedern. Zur 
Durchführung dieser Aufgabe- feedThTeiTTie^ie«^MitwiTkung der 
Aerzte, welche bereitwilligst ihre Zeit und Kraft zur Verfügung 
gestellt haben, in der Erkenntniss, dass die Aufklärung des 
Publikums über die grundlegenden Fragen der Gesundheitslelm 1 
das beste Mittel gegen die Gefahren und Schäden der Kur¬ 
pfuscherei ist. Die in den früheren Jahren abgehaltenen hygie¬ 
nischen Vorträge haben allseitig viel Anklang gefunden ■'und 
sollen daher mich in diesem Jahre fortgesetzt werden. In der 




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MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


3. Dezember 1901. 


zu diesem Zweck abgehaltenen Vorbesprechung war auch ein 
Delegirter des Reichsversicherungsamtes erschienen und erklärte 
im Namen des Präsidenten des Reichsversicherungsamtes, dass 
dieser der Veranstaltung sehr sympathisch gegenüberstehe, und 
dass einige ständige Mitglieder des Reichsversicherungsamtes 
bereit seien, ebenfalls Vorträge zu übernehmen. Eine ad hoc 
gewählte Kommission wird für den nächsten Vortragscyklus die 
Themata bestimmen; eine grössere Anzahl von Aerzten hat sich 
bereits zur Abhaltung von Vorträgen bereit erklärt. 

M. K. 


Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht) 

W i e n, 23. November 1901. 

Die Aerzte und die Sanitätsverwaltung. — Schutz des 
Aerztestandes in Deutschland. — Das sogen, magnetische Heil¬ 
verfahren. 

Als jüngst in Wien der XII. Oesterreichische Aerztevereins- 
tag abgehalten wurde, war auch der oberste Medicinalreforent, 
Sektionschef Dr. R. v. Kuay anwesend und sagte in seiner Be- 
grüssungsanrede, „dass die Berathungen und die Ergebnisse dieser 
Versammlung von Seite der Sanitätsverwaltung die ernsteste 
Beachtung finden werden“. Diese Zusicherung wurde von 
der Versammlung selbstverständlich mit grossem Beifalle auf- 
genommen. Wir zweifeln auch nicht, das9 der Herr Medicinal- 
referent gegebenen Falles sein in weihevoller Stunde gegebenes 
Versprechen einlösen, dass er „für die zahlreichen Sorgen und 
Kümmernisse, welche — seiner Ansprache zu Folge — in der 
gegenwärtigen Zeit den ärztlichen Stand so schwer bedrängen“ 
nach Möglichkeit Abhilfe treffen werde. 

Bisher haben die Aufsichtsbehörden den hart bedrängten 
Aerzten leider nicht immer den ihnen gebührenden Schutz zu¬ 
kommen lassen. Wenigstens leuchtet dies aus zwei Vorkomm¬ 
nissen hervor, über welche wir hier kurz referiren wollen. In der 
mährischen Aerztekammer beschwerte sich ein Arzt darüber, dass 
die Regelung der Gehalte der Distriktsärzte auf Grund des Er¬ 
gebnisses der letzten Volkszählung noch immer nicht erfolgt sei, 
dass er seinen Gehalt als Distriktsarzt ganz unregelmässig aus¬ 
gezahlt bekomme und dass sein Rekurs wegen der Revaccination 
vom Ministerium noch immer nicht erledigt sei. Der Referent 
beantragte, bezüglich der beiden ersten Punkte eine Eingabe an 
die k. k. Statthalterei, beziehentlich an den Landesausschuss zu 
richten. „Bezüglich des letzten Punktes wäre, da die gleichen 
Rekurse vieler anderer Aerzte und eine Ein¬ 
gabe der Kammer an das Ministerium in derselben Ange¬ 
legenheit noch immer imerledigt sind und eine neuerliche Ein¬ 
gabe an das Ministerium sicherlich erfolglos wäre, eine Inter¬ 
pellation im Abgeordnetenhause durch einen Reichsrathsabgeord¬ 
neten zu veranlassen.“ Dieser Antrag wurde angenommen. 

In der steiermärkischen Aerztekammer kam eine Eingabe 
dieser Kammer an die dortige Statthalterei zur Verlesung, die 
nach mancher Richtung hin interessant ist. Der Vorstand der 
steiermärkischen Aerztekammer bringt der Statthalterei zur 
Kenntniss, dass die Strafkammer des kgl. Landgerichtes in 
Breslau am 29. Juni 1901 die Journalisten Reinhold Gerling 
und Georg Wagner, früher Uhrmacher, welche in ihrer 
Entgegnungsschrift auf die Broschüre Dr. Alexanders: 
„Wahre und falsche Heilkunde“ den ganzen Aerztestand herab¬ 
setzten, zu M. 50.— Geldstrafe (event. 10 Tage Gefängniss) und 
zur Tragung sä mm dich er Kosten verurtheilt habe. Das Wich¬ 
tigste aber ist, dass auch auf Einziehung der Gerling- 
W a g n o Fsehen Schrift und Vernichtung der Platten vom Ge¬ 
richtshöfe erkannt wurde. „Es ist daraus zu entnehmen, dass 
sich in Deutschland der Aerztestand eines Schutzes von Seiten 
der Organe des Staates erfreut, welchen er in Oesterreich voll¬ 
ständig entbehren muss, obwohl das Gesetz den richterlichen und 
politischen Behörden Spielraum genug gibt, um gegen den Unfug 
der Naturheilvereine einzuschreiten“. Beweis dafür ist ein im 
»Grazer Tagblatt' früher erschienener Artikel: „Grazer Natur¬ 
heilverein“, in welchem den obgenannten Herren Gerling und 
Wagner vollste Anerkennung ausgesprochen und deren Schmäh¬ 
schrift auf die Aerzte als „eine ausgezeichnete Flugschrift“ be¬ 
zeichnet wird, „so dass jeder unbefangen denkende Mensch leicht 
unterscheidet, auf welcher Seite Finsterniss und Lüge sich breit 
macht und wo die einfache Wahrheit zu finden ist“. 


1991 


Wahrhaft ergreifend wirkt das Schlusswort dieser Eingabe: 
„Der Unterzeichnete Vorstand wiederholt am Schlüsse dieser seiner 
Mittheilung, die für sich selber spricht, den schon früher ge¬ 
machten Hinweis, dass die Aerzte Oesterreichs von Seiten der 
Behörden für die ihnen nach mühevollen Studien und vielen 
strengen Prüfungen feierlich ertheilten Befugnisse zur Ausübung 
der ärztlichen Thätigkeit im Interesse der leidenden Menschheit 
einen solchen Schutz nicht gemessen, wie er in bezüglichen 
Fällen den Aerzten anderer Staaten zu Theil wird.“ Werden nun 
diese und die ihnen ähnlichen zahlreichen Recriminationen 
unserer Aerztekammern \on Seite der obersten Sanitätsverwal¬ 
tung künftighin wirklich die „ernsteste Beachtung“ finden? 

Die niederösterreichische Statthalterei verlangte von der 
Wiener Aerztekammer eine Aeusaerung, betreffend das sich 
in letzterer Zeit in Wien wieder bemerkbar machende sogen, 
„magnetische Heilverfahren“. In der nach dem Anträge des 
Referenten beschlossenen Aeusserung wird die Ansicht der 
Kammer dahin ausgesprochen, dass die sogen. Heilmethode mit 
thierischem Magnetismus nicht als eine wissenschaftlich begrün¬ 
dete Heilmethode anzusehen sei, dass das Publikum gegen event. 
Ausbeutung zu schützen Sache der staatlichen Aufsichtsbehörde 
sei, und dass der marktschreierischen Anpreisung dieser wie jeder 
Heilmethode durch die Disziplinarmittel der Aerztekammern be¬ 
gegnet werden solle, wobei dieselben die werkthätige Unter¬ 
stützung der Regierung benöthigten. 

Im Wiener medicinisehen Doktoren-Kollegium sprach jüngst 
Dr. Ferdinand Kornfeld über Gonorrhoe und Ehe, über ein 
sowohl in hygienisch-ärztlicher, als in ethischer und sozialer Be¬ 
ziehung ungemein wichtiges Thema. Nach einigen einleitenden 
Worten wies K. darauf hin, dass sich in der Gonorrhoefrage 
während der letzten 30 Jahre ein vollständiger Umschwung voll¬ 
zogen habe. Seit den Forschungen von N oeggerath, Wert¬ 
heim, Bumm, Finger u. A. sind wir mit der Aetiologie 
und Verbreitungsweise, sowie mit der erstaunlichen Häufigkeit 
des Uebels bei Mann und Weib vertraut; wir wissen von der 
Zugehörigkeit mancher femliegenden Affektion zur Blennorrhoe, 
schliesslich von den leider ausserordentlich häufig unheilvollen, 
oft letalen Folgen derselben bei Uebertragung Vom Manne auf 
die Frau. All’ das ist zum Gemeingute, durch alltägliches Vor¬ 
kommen zur Tradition geworden, wobei Häufigkeit und Gewöh¬ 
nung Hand in Hand gehen. Wie ernst die Sache ist, das be¬ 
kunden die Handbücher der Gynäkologie und die täglichen Er¬ 
fahrungen der Frauenärzte aller Länder, die einmüthig bekennen, 
dass der überwiegende Procentsatz der Frauenleiden gonor¬ 
rhoischen Ursprunges sei, dass man aber die Mehrzahl der Gonor¬ 
rhoefälle beim Weibe sicher nicht zu Gesichte bekomme. 

Unter Hinweis auf dio enormen Schwierigkeiten und die 
eigenartige Handhabung der Statistik im Allgemeinen nennt Vor¬ 
tragender einige Vergleichszahlen bezüglich der Frequenz der 
Blennorrhoe beim Manne und acceptirt als einen der Wahrheit 
nahekommenden Schätzungswerth die Zahl von 80—90 Proe. 
(E. W. F rank). Zur Konstatirung des virulenten Charakters 
einer Urethralaffektion wäre Gonococeennachweis mikroskopisch 
und kulturell erforderlich; dieses Postulat kann aber selbst auf 
Kliniken und in Spitälern keineswegs jedesmal erfüllt werden. 
Lange Dauer der Infektion, Differenz in den Heilmethoden, ver¬ 
schiedene Skrupelhaftigkeit, Geduld und Geschick bei der Be¬ 
handlung zählen mit bezüglich der Chancen der Heilung, der 
gegenüber man nicht vorsichtig genug sich aussprechen sollte, 
will man nicht unliebsame Ueberraschungen erleben. Es gibt 
dabei kaum edn Gebiet der Medicin, auf dem dem Arzte dis¬ 
kretester Takt geboten wäre, als beim Eingehen auf die Frage 
der Erlaubniss der Eheschliessung und der Klarlegung einge¬ 
tretener böser Folgen, wenn der Mann mit nicht geheilter 
Blennorrhoe in die Ehe getreten war. 

Vortragender akizzirt in knappen Zügen das vielgestaltige, 
jedoch einheitlich fundirte Bild der Gonorrhoe des Weibes und 
knüpft daran die Darlegung der Bedeutung des Zusammenwirkens 
der Urologen mit den Frauenärzten, um im Interesse der Heilung 
des Einzelnen und zum Schutze der Allgemeinheit helfend ein- 
greifen zu können. Bisher ist leider darin nahezu nichts erzielt 
worden und die immer wachsende Frequenz der Blennorrhoe trotz 
Prophylaxe und Reglementirung der Prostitution gibt einen 
strikten Beweis, wie wenig aussichtsvoll unsere Bemühungen trotz 
zunehmender Erkenntniss über das Wesen des gonorrhoischen 


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1992 


MÜKNCHENER MED1CIK1SCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


Processes sind. Dem Ernste der Sachlage gebühre daher an¬ 
dauernd die gewissenhafte Handhabung unserer therapeutischen 
und prophylaktischen Maaseregeln. 


Verschiedenes. 

Ausländische Aerzte in der Kapkolonle. 

In einer Sitzung des „Medical Council“ der Kapkolonle am 
2. v. M. wurde folgender Antrag angenommen: „Kein Diplom, von 
einer fremden Regierung oder Universität oder einer anderen aus¬ 
ländischen Körperschaft ausgestellt, soll den Besitzer berechtigen, 
;ils Arzt oder Zahnarzt in dieser (Kap-) Kolonie zu prakticiren, es 
sei denn, dass dem Besitzer eines englischen Diploms dieselben 
Rechte und Vorthelle von dem betreffenden Lande zugestanden 
werden.“ Aus der Discussion ergab sich, dass der Antrag haupt¬ 
sächlich gegen Deutschland gerichtet war, und eingegeben ist von 
der Furcht vor allzu starker ausländischer Konkurrenz; denn 
während im Jahre 1892 nur 2,8 Proc. der Aerzte im Kapland aus¬ 
ländische Diplome besassen, gab es deren im Jahre 1900 27,7 Proc. 
und unter den im Jahre 1901 bis 17. August erfolgten Neunieder- 
lnssungen befanden sich sogar 02,5 Proc. Aerzte mit fremden 
Diplomen. Auch politische Gründe wurden für den Antrag in's 
Feld geführt. Nur zwei Mitglieder, die die deutschen Namen 
Beck und Petersen führen, bekämpften den Antrag, der mit 
7 gegen diese 2 Stimmen Annahme fand. 

Zu dieser Sache schreibt uns ein Kollege: „Ich habe 2y 2 Jahre 
in Südafrika zugebracht und habe in der Kapkolonle prakticirt. 
Die Verhältnisse sind dort äusscrst günstige und zwar selbst dann, 
wenn der Krieg zu Gunsten der Engländer sich wenden sollte, 
würde noch vielen deutschen Aerzten eine glänzende Zukunft sich 
«larbieten. Sollte jedoch betr. Antrag Gesetz werden, so müsste 
ein jeder Besitzer eines nicht-englischen Diploms zunächst einem 
Examen in England sieh unterziehen, da das Kapland keine eigene 
medleiuisehe Fakultät besitzt. Nicht nur würden dadurch deutsche 
Aerzte abgeschreckt, sondern auch den dort lebenden Holländern 
j«Mle Möglichkeit abgeschnitten werden, auf deutschen Hochschulen 
sich auszubilden, was doch ganz entschieden sehr beklagenswerth 
sein würde. Sollte Transvaal englisch werden, so würde natürlich 
betr. Antrag auch in Transvaal durchgeführt werden. Natal steht 
bereits auf dem Standpunkt des Antrages." Unser Korrespondent 
meint, dass unter diesen Umständen die deutsche Regierung der 
«mglisehen entgegenkommen solle, indem sie englische Aerzte zur 
Praxis in den deutschen Kolonien zulässt. Dagegen wäre wohl 
nichts einzuwenden, da die deutschen Aerzte die Konkurrenz der 
englischen wohl nicht so sehr zu fürchten brauchen, wie dies um¬ 
gekehrt der Fall zu sein scheint Es ist jedoch kaum anzunehmen, 
dass die Kapregierung dem engherzigen Antrag ihres Medical 
Council stattgibt in einem Moment, wo Krieg und Seuchen das 
Bedürfniss nach ärztlicher Hilfe in dem unglücklichen Lande so 
bedeutend gesteigert haben. 

Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher. 
Der heutigen Nummer liegen das 119. und 120. Blatt der Galerie 
bei: Marcel v. Nencki und Georg Näher. Nekrologe siehe 
S. 1971 und 1973. 

Therapeutische Notizen. 

Ueber den Einfluss der Thymusfütterung auf das 
Wachsthum junger Thiere hat Dr. Adolf Bickel eine 
Reihe experimenteller Untersuchungen ausgeführt. Es ergibt sich 
aus denselben, dass Darreichung von Thymus fremder Thierarten 
auf das Wachsthum junger Hunde keinen speciflschen Einfluss 
ausübt Ohne in Abrede zu stellen, dass Thymus als nucleiureiehe 
Substanz ein gutes Nahrungsmittel ist, glaubt Verfasser, dass keine 
Berechtigung vorliege, sie als ein speclflsch wirkendes, organo- 
therapeutisches Mittel zur Förderung des Körperwachsthums an- 
znsohen. (Die med. Woche 1901, No. 24.) P. H. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 3. Dezember 1901. 

— Die vom Ceutralcomitö für das ärztliche Fort¬ 
bildungswesen im laufenden Wintersemester in Berlin ver¬ 
anstalteten Fortbildungskurse und Vorträge werden wiederum sehr 
zahlreich besucht sein. Es sind im Ganzen 1513 Meldungen ein¬ 
gelaufen; hiervon konnten 1224 Meldungen berücksichtigt werden, 
während 289 in Folge Raummangels zunächst unberücksichtigt 
bleiben und für den nächsten Cyklus vornotirt werden mussten. 
Auch in zahlreichen anderen grossen Städten Preussens haben 
wiederum Fortbildungskurse begonnen oder werden demnächst be¬ 
ginnen, so in Altona, Bochum, Breslau, Bromberg, Danzig, Düssel¬ 
dorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Köln, Magdeburg, Posen, Wies¬ 
baden. Neuerdings eingerichtet, oder doch schon in Vorbereitung, 
sind die Kurse in Aachen, Bielefeld, Bannen, Duisburg (zusammen 
mit Mülheim und Ruhrort), Essen und Stettin. 

— Im Königreiche Bayern kamen während des Jahres 1900 
0 Erkrankungen an Blattern vor, 1 in Oberbayern, 3 in der Ober¬ 
pfalz und 2 in Schwaben. Es traf also auf ca. 1 Million Einwohner 
eine Pockenerkrankung. Von den 6 Erkrankten ist eine Person 
gestorben, die nur einmal geimpft war, die 5 Genesenen waren 
revacclnirt Ein Vergleich dieser Zahlen mit der Pockenstatistik 
der Nachbarländer beweist am besten die wohlthätige Wirkung 
des deutschen Impfgesetzes. 


— Die k. Centralimpfanstalt in München hat am 30. d*. ihren 
Betrieb nach dem Bauprovisorium auf dem Territorium des 
Schlachthauses, Tumblingerstrasse 25, verlegt. 

— Ein bezeichnendes Stückchen eines Kurpfuschers 
wird uns aus Königsberg mitgetheilt. Dort hielt im vorigen Monat 
im „Naturheilverein“ ein Danziger Wanderlehrer, Natur- und Zahn¬ 
arzt M. Ahrenfeld, einen öffentlichen Vortrag: „Wie wird man 
alt und bleibt doch Jung?" mit Vorschriften zur Ausübung eines 
naturgemässen Lebens und den üblichen Hackereien auf die 
„Medicinärzte“. Anschliessend an einige Anweisungen über rich¬ 
tiges und ausgiebiges Athmen, kam er auf die Nothwendigkeit 
ähnlicher Uebuugen für die an einer Lunge Erkrankten, z. B. die 
Lungenschwindsüchtigen, zu sprechen. Diese müssten aber nur mit 
der gesunden Lunge athmen, und das sei sehr einfach: bei recht 
kräftiger Ein- und Ausathmung (der Vortragende zeigt es an sich 
selbst) bräuchten sie nur das Nasenloch der erkrankten Seite, also 
das rechte bei kranker rechter Lunge, mit dem Finger zu ver- 
schliessen! 

— Am 15. November beging der Nestor der Wildunger Aerzte 
und Besitzer der dortigen Königsquelle, Dr. Carl R ö r 1 g sen., die 
Feier seines 50 jährigen Doktorjubiläums. Seitens des Fürsten von 
Waldeck und Pyrmont wurde dem Jubilar der Charakter als 
Sanitätsrath verliehen. Die medicinlsche Fakultät der Universität 
Marburg erneuerte ihm das Doktordiplom in Anerkennung seiner 
Verdienste um die Hygiene seiner engeren Heimath und das 
Emporblühen des Bades Wildungen. 

— Der 6. französische Kongress für innere Medicln findet 
am 1. April 1902 zu Toulouse statt 

— Der vor einer Reihe von Jahren ausgesetzte Herbst- 
preis für Mittel und Methoden zur Beseitigung des Schmerzes 
beim Ausbohren der Zähne wurde zur Hälfte dem Lehrer der kon- 
servirenden Zahuheilkunde an der Universität München, Dr. Wal- 
koff, zuerkannt. Die andere Hälfte ist unter die Zahnärzte 
Bauchwitz - Stettin, Barbe- Halle und Hirschbruch- 
Berlin vertheilt 

— Der „C r a i g - C o 1 o n y“ - Preis im Betrage von 200 Dollars 
für die beste Arbeit Uber Pathologie und Behandlung der Epilepsie 
wurde am 8. Oktober 1. J. dem Professor Carlo C e n i in Pavia 
für seine Arbeit: „Serotherapie der Epilepsie“ zuerkannt Der 
Preis wird neuerdings ausgeschrieben und steht der allgemeinen 
Bewerbung offen. Manuskripte, die noch nicht publicirt sein 
dürfen, sind in englischer Sprache, mit Motto versehen, bis 30. Sep¬ 
tember 1902 bei Dr. Frederick Peterson, 4 West, 50. St., New- 
York City einzureicben. Preisrichter sind 3 Mitglieder der Neure- 
logischen Gesellschaft in New-York. 

— Pest Grossbritannien. In Glasgow war bis zum 
18. November ein weiterer Pestfall nicht bekannt geworden, die 4 
im Hospital abgesonderten Pestkranken befanden sich auf dem 
Wege der Genesung. — Russland. Zu Folge einer amtlichen Er¬ 
klärung vom 17. November ist nach dem 8. November in Odessa 
kein neuer Pestfall vorgekommen. — Aegypten. In der Zeit vom 
8. bis 15. November wurden insgesammt 2 neue Erkrankungen an 
Pest in Aegypten festgestellt, nämlich je eine am 10. und 11. d. M. 
in Alexandrien. Der Pest erlegen ist während dieser Zeit 1 Person 
in AJexandrien, die am 8. November ln Zlftah und Mit Gamr be¬ 
handelten 2 Pestkranken kamen als geheilt ln Abgang. — Britiscli- 
Ostlndien. Während der am 25. Oktober abgelaufenen Woche sind 
in der Präsidentschaft Bombay 10 036 neue Erkrankungen und 
7061 Todesfälle an der Pest festgestellt, in der Woche vorher nach 
einem berichtigten Ausweise 10 284 und 7427. ln der Stadt Bom¬ 
bay zählte man während der am 26. Oktober endenden Berichts¬ 
woche 173 neue Pesterkrankungen und 176 erwiesene Pesttodes¬ 
fälle; weitere 183 Todesfälle wurden als pestverdächtig bezeichnet, 
459 auf andere Ursachen zurückgeführt. — Hongkong. Für die 
7 Wochen vom 17. August bis 5. Oktober sind nacheinander 3, 3, 
6, 11, 2, 3, 3, im Ganzen 31 Erkrankungen und 2, 3, 6, 11, 2, 3, 2, 
im Ganzen 29 Todesfälle an der Pest gemeldet Mittels amtlichen 
Schreibens vom 12. Oktober hat die Kolonialregierung erklärt, 
dass Hongkong, nachdem sich während der letzten 10 Tage kein 
Pestfall mehr ereignet habe, als pestfrei im Sinne der Konvention 
von Veuedig zu betrachten sei. — Mauritius. In der Zeit vom 
6. September bis 10. Oktober wurden auf der Insel 193 Erkran¬ 
kungen und 136 Todesfälle an der Pest beobachtet Innerhalb der 
5 Wochen ist die wöchentliche Zahl der Erkrankungen von 16 auf 
66, der Todesfälle von 13 auf 47 stetig gestiegen; nach den Er¬ 
fahrungen früherer Jahre vermuthet man die Höchstzahlen für 
den Oktober. — Mozambique. In Magude, 140 km von Lourenco- 
Marques entfernt, sind zu Folge einer am 19. November einge¬ 
gangenen Drahtmittheilung 5 Peetfälle gemeldet worden. — Kap¬ 
land. In der Woche vom 20. bis 26. Oktober sind 6 Personen, 
darunter 4 in Port Elizabeth, an der Pest erkrankt ausserdem 
wurde die aufgefundene Leiche eines Europäers in Port Elizabeth 
als Pestleiche erkannt; von den 2 Pestfällen auf der Kaphalblnsel 
betraf der eine einen englischen Soldaten. Die Gesammtzahl der 
ln der Kolonie bis zum 26. Oktober der Pest erlegenen Personen 
betrug nach dem amtlichen Ausweise 402, darunter befanden sich 
73 Europäer, 82 Eingeborene und 247 Mischlinge. — Vereinigte 
Staaten von Amerika. Vom 29. August bis 10. Oktober sind ln 
San Franzisko 8 Erkrankungen und 6 Todesfälle an der Pest beob¬ 
achtet insgesammt daselbst nach den vom 28. Juni bis 1. November 
beim Marine-Hospital Service eingegangenen Meldungen 13 Er¬ 
krankungen und 10 Todesfälle. — Neu-Süd-Wales. Am 16. Nov. 
wurde in Sydney ein Fall von Pest amtlich festgestellt 

(V. d. K. G.-A.) 


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3. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 1993 


— In der 4G. Jahreswoche, vom 10. bis IG. November 1901, 
lmtteu von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste 
Sterblichkeit Königshatte mit 30,7, die geringste Remscheid mit 
G.l Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein 
Zehntel aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, Kassel; 
an Masern in Bannen, Fürth, Gera, Potsdam; an Diphtherie und 
Croup in Beuthen, Danzig, Elbing, Heidelberg, Liegnitz. Pforz¬ 
heim. 

— Von den Jahressupplementen zur 5. Auflage von Mcye r's 
Konversationslexikon ist der 3. Band (Bd. 21 des Ge- 
sammtwerkes), mit Gesammtverzelchniss der ln den Supplement- 
biinden (Bd. 18—21) enthaltenen Artikel, vor Kurzem erschienen. 
Die Supplementbände sind den Besitzern des Hauptwerkes un¬ 
entbehrlich, um dieses vor dem Veralten zu schützen. Sie be¬ 
rücksichtigen Alles, was in der jüngsten Vergangenheit auf den 
verschiedensten Gebieten des Wissens, der Politik, der Kunst etc. 
bemerkenswert!! gewesen ist. Wie das Hauptwerk, so sind auch 
die Ergilnzungsbände reich illustrirt 

(Hochschulnachrichten.) 

Breslau. Der zweite Assistent am pathologisch-ana¬ 
tomischen Institut Dr. med. Carl Winkler hat sich für all¬ 
gemeine Pathologie und pathologische Anatomie in der medi- 
eiuischen Fakultät habilitirt. 

Kiel. Der Privatdocent in der hiesigen medicinlschen Fakul¬ 
tät Dr. Richard Hölscher, gegenwärtig Oberarzt am städtischen 
Krankenhaus in Lüneburg, hat seine Doceutenthätlgkeit an der 
hiesigen Universität eingestellt. 

Leipzig. Dr. med. Martin Ficker, Privatdocent an der 
Universität und erster Assistent an der hygienischen Unlversitäts- 
anstalt, ist als Kustos an das Hygienemuseum in Berlin berufen 
worden. Er tritt dort an die Stelle des Professors Dr. Günther, 
der die Leitung der neuen Centralstelle für Wasserversorgung in 
Berlin übernommen hat 

München. Prof. Dr. H. v. Ranke feierte während der 
Herbstferien sein 50 jähriges Doktorjubiläum. Aus diesem An¬ 
lasse wurde Ihm von der medicinlschen Fakultät Erlaugen das 
Doktordiplom erneuert und ihm, „der in langjähriger segensreicher 
Wirksamkeit seine Kraft der Förderung der medicinlschen 
Wissenschaft und der werkthätigen Liebe an der leidenden 
Menschheit mit den schönsten Erfolgen gewidmet habe," der 
Glückwunsch der Fakultät ausgesprochen. 

Strassburg. Herr Dr. Karl Adrian babllitlrte sich als 
Privatdocent für Dermatologie. Prof. Dr. Kümmel in Breslau 
hat den Ruf als Direktor der otologischen Klinik und Prof. extr. 
für Otologie abgelehnt. 

Marseille. Der Professor der internen und allgemeinen 
Pathologie an der medicinlschen Schule Dr. B o 1 n e t wurde zum 
Professor der medicinlschen Klinik ernanut. 

Neapel. Habllitlrt: DDr. Fr. Camaggio und 
U. De Rinaldis für chirurgische Anatomie und operative Medi- 
vln, Dr. G. Sorge für Unfallkrankheiten. 

Wien. Privatdocent Dr. Heinrich A 1 b r e c h t, der 1807 
Mitglied der österreichischen Kommission zur Erforschung der 
Pest ln Indien war, und Privatdocent Dr. Richard Kretz. Fro- 
sektor am Kaiser Franz Josefs-Spital, sind zu ausserordentlichen 
Professoren der pathologischen Anatomie ernannt worden. Der 
Vorstand der psychiatrischen Klinik und der Klinik für Nerven¬ 
kranke im allgemeinen Krankenhause in Wien, Hofrath Frhr. 
v. Krafft-Eblng hat aus Gesundheitsrücksichten beim 
Unterrichtsministerium das Gesuch um seine Pensionlruug als 
Universitätsprofessor überreicht. Als sein Nachfolger als Leiter 
der ersten Klinik wird Prof. Wagner R. v. Jauregg, Vorstand 
der zweiten psychiatrischen Universitätsklinik, genannt. 

(Todesfälle.) 

In Giessen starb am 26. v. Mts. der Geh. Medicinalrath Prof. 
Dr. L ö h 1 e i n, Direktor der dortigen Frauenklinik. 

Dr. E. de R o s s 1, Professor der Oto-Rhino-Laryugologie an 
der medicinlschen Fakultät zu Rom. 

Dr. Fr. de Castro, Professor der propaedeutisch-medi- 
cinischen Klinik zu Rio de Janeiro. 

Dr. N. Guardia, früher Professor der Geburtshilfe an der 
medicinlschen Fakultät zu Caracas. 

Dr. Ch. E. S t o n e r, Professor der Chirurgie am Jowa College 
of Physicians and Surgeons. 

Dr. G. Chlarleoni, Professor der geburtshilflichen Klinik 
zu Palermo. 

Dr. A. M a s e r a s, Professor der medlcinischen Pathologie 
au der medicinlschen Fukultiit zu Maulila. 

(Berichtigung.) In No. 4G, S. 1852, Sp. 2, Z. 0 v. u. 
ist statt E m b d e n - Halle zu lesen: Heinrich E m b d e n - Ham¬ 
burg. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. Karl Fischer (aus Remscheid), appr. 
1900, zu Bad Kissingen. Dr. Melchior Faulliabe r, appr. 1897, 
zu Wiirzburg. 

Erledigt: Die Bezirksarztsstelle 1. Klasse in Alzenau. Be¬ 
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmässig belegten Gesuche 
bei der ihnen Vorgesetzten k. Regierung, K. d. Innern, bis zum 
IG. Dezember 1. Js. einzureicheu. 

Ernannt: Seitens des Generalstabsarztes der Armee wurden 
die elnjährig-freiwilligeu Aerzte Ludwig Roth des 1. Schweren 
Reitcr-Reg. und Dr. Hugo Noll des 7. Feldartlllerie-Reg. zu Unter¬ 


ärzten, Ersterer im 23. Inf.-Reg., Letzterer im 1. Clievaulegers- 
Reg. ernannt und mit Wahrnehmung offener Assistenzarztstellen 
beauftragt. Zum Divisionsarzt der 4. Division der Oberstabsarzt 
Dr. M o o s m a i r, Regimentsarzt Im 15. Inf.-Reg. unter Beför¬ 
derung zum Generaloberarzt. Zum Regimentsarzt im 15. Inf.-Reg. 
der Stabsarzt Dr. J a c o b y, Bataillonsarzt Im 7. Inf.-Reg. unter 
Beförderuug zum Oberstabsarzt. 

Versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse Dr. Franz Eduard Hof- 
m a n n in Alzenau, seiner Bitte entsprechend, auf die Bezirksarzts¬ 
stelle I. Klasse für den Verwaltungsbezirk der Stadt WUrzburg. 

Die Oberärzte Dr. Landgraf vom 1. Chev.-Iteg. zum 
19. Inf.-Reg., Dr. Gassert vom 23. Inf.-Reg. zum 12. Feld.-Art.- 
Reg. 

Charakterisirt: Als Generaloberärzte die Oberstabsärzte Dr. 
Höhne, Regimentsarzt im 8. Inf.-Reg., Dr. Petri, Garnisons¬ 
arzt beim Gouvernement der Festung Ingolstadt. 

Den Abschied mit der gesetzlichen Pension bewilligt: Den 
Generaloberärzten Dr. Fischer, Divisionsarzt der zweiten 
Division, unter Verleihung dos Charakters als Generalarzt, und 
Dr. S c h m 1 d, Garnisonsarzt bei der Kommandantur der Haupt- 
und Residenzstadt München, unter Verleihung des Ritterkreuzes 
1. Klasse des Militärverdienstordens, beiden mit der Erlaubnis« 
zum Forttrageu der Uniform mit den für Verabschiedete vor- 
geschriebeuen Abzeichen. 


Correspondenz. 

Herr Prof. Max G r u b e r ersucht uns um Aufnahme des 
Folgenden: 

Da durch das In No. 45 veröffentlichte Schreiben des 
Herrn Geheimrath Elirllchan mich nicht erklärt ist, warum ich 
das Correferat über die Schutzstoffe des Blutes für die 73. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte iu Hamburg zu¬ 
rückgelegt habe, ersuche ich Sie auch noch die an mich ergangene 
Einladung und das folgende Schreiben des Vorsitzenden, Herrn 
Geheimrath N a u n y n, abzudrueken, weicht« ich empfangen habe, 
l>ovor ich den Brief Geheimrath E h r 1 i c h’s beantworten konnte 
und welch«« mich zum Rücktritt bestimmt hat. Herr Geheimrath 
Niiunj n hatte die Freundlichkeit, mir die Veröffentlichung seines 
Briefes zu gestatten. 

Uochachtungsvollst 

14. XI. 01. Prof. M. G r u b e r. 

Strassburg i/E., 1. II. 01. 

Verehrter Herr Kollege! 

Auf der diesjährigen deutschen Naturforseherversnmmluug 
soll am 20. September in einer Sitzung der medlcinischen Ilnupt- 
gruppe über die Schutzstoffe des Blutes gehandelt werden. Als 
Referent habe ich Ehrlich (Frankfurt) gewonnen und ich erlaube 
mir Sie vorläufig anzufrageu, ob Sie das Correferat übemehmeu 
wollen; nach Ihren Arbeiten, ich denke dabei iu erster Linie an die 
Agglutininc, sclminen Sie mir wie Ehrlich der berufene Mann 
dazu zu sein. Darf Ich Sie bitten, mir recht bald Ihren Entschluss 
kund zu thun, damit ich Sie danu iu Hamburg vorschlagen kann. 

Hochachtungsvoll 

Ihr sehr ergebener 

Naunyu. 

Baden-Baden. 14. IX.01. 

Verehrter Herr Kollege! 

Von Kollegen Ehrlich erhalte ich Mittheilung, dass eine 
Differenz zwischen Ihnen Beiden betreffs der Vertheilung des zu 
referirenden Stoffes hervorgetreten ist. Der Grund, wesehalb 
Ehrlich mir von der Sache Mittheilung macht, ist wohl der, 
dass ich ihn nicht ganz leicht bewogen habe, das Referat 
zu übernehmen und so ln der That eine Art Verantwortung dafür 
habe, dass ihm keine Uugel«*genheiten daraus entstehen, dass er 
meinem Drängen nachgegeben hat. 

Sie werden mit mir der Ansicht sein, dass es wirklich eine 
grosse Sache wäre, E h r 11 c h ln gemeinverständlicher Welse über 
seine neuen Theorien sprechen zu höreu, und in höchstem Maasse 
beklageuswerth wäre, wenn es dahin käme, dass dies unterbliebe. 
Andererseits kann Ihnen nicht zugemuthet werden, Ja und Amen 
zu Etwas zu sagen, was Sie nicht für richtig halten, und auch iu 
der klinischen und therapeutischen Erörterung des Gegenstand«« 
ist Ihnen dann Gel«*genheit genug zu Strclfzügeu und auch pol«;- 
misclien Streifzügen iu das Gebiet der Theorie gegeben. Wie weit 
Sie da gehen können, ohne den Zweck des ganzen Unternehmens 
ln Frage zu stellen, das ist sicher sehr schwierig zu entscheiden. 
Meiner Auffassung nach ist dieser Zweck in erster Linie der, dem 
in Hamburg vertretenen weiteren Publikum die geniale Ehr¬ 
lich’sc he Auffassung zugänglich zu machen»), 
sollte Ehrlich zurücktreten, so wäre die Sache verfehlt! Du 
ich sicher bin, dass Sie, verehrter Herr Kollege, diese meine Auf¬ 
fassung thellen, so bin ich auch Ihres guten Willens, nämlich sieb 
mit Ehrlich zu verständigen, sicher. 

Seine Bedenken, dass eine eingehende Kritik die Auffassung 
des von ihm Vorgebrachten durch «las Publikum sehr stören kann, 
halte ich für richtig, und das« er sicher sein will davor, dass ihm 
eine solche Störung, die er durch eine Replik auf keine Weise 
wieder gut machen kann, nicht widerfahre, halte ich für s«*hr be- 


*) Im Original unterstrichen. 


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1994 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 49. 


«reiflich. — Ehrlich hat, als Ich Ihn bat das Referat zu über¬ 
nehmen, Sie als 2. Referenten gewünscht und dadurch offenkundig 
gezeigt, dass er Ihnen In dem eben erwähnten Punkte jedes Ver¬ 
trauen schenkte und so hoffe Ich, dass es Ihnen, verehrter Herr 
Kollege, auch jetzt möglich sein wird, sein Vertrauen wieder lier- 
zustellen, ohne dnss unser Unternehmen durch die Absage eines 
von Ihnen Schaden leide. 

In ausgezeichneter Hochachtung 

Ihr sehr ergebener 

N a u u y u. 

Amtlicher Erlass. 

(Bayern.) 

No. 23 431. München, den 4. November 1901. 

An die k. Regierungen, 

Kammer des Innern. 

X. Staatsministerimn des Innern. 

Betreff: Die Verhandlungen der Aerztekammem im Jahre 1900. 

Mit Bezug auf ZlfTer 6 der Ministerialentschliessung vom 
27. Juli 1. J., No. 10 849. ergeht im Einverständnisse mit dem 
K. Staatsmini8terium des Innern für Kirchen- und Schulangelegeu- 
heiten nachstehende Entschliessung: 

Was den Antrag betrifft, es möge der Beginn des Unterrichts 
in den beiden untersten Schulklassen der Volksschulen, soweit 
möglich im ganzen Königreich, im Winter auf 9 Uhr gelegt werden, 
so erscheint es mit Rücksicht auf die Verschiedenartigkeit der 
örtlichen Verhältnisse im Allgemeinen und an den Stadt- und 
Landschulen im Besonderen nicht angezeigt, in dieser Beziehung 
eine generelle Vorschrift für das ganze Königreich zu erlassen; 
dagegen bleibt der Iv. Regierung, Kammer des Innern, die Würdi¬ 
gung der gegebenen Anregung in eigener Zuständigkeit Vor¬ 
behalten. 

Hinsichtlich der Frage einer etwaigen allgemeinen Fest¬ 
setzung des Schuljalirbeginues an den Volksschulen auf das Früh¬ 


jahr wird auf die an sämmtliche Regierungen, Kammern des 
Innern, ergangene Entschliessung des K. Staatsministeriums des 
Innern für Kirchen und Schulangelegenbelten vom 7. September 
1901, No. 18977, verwiesen. 

Ein Exemplar der anliegenden 3 Abdrücke gegenwärtiger Ent¬ 
schliessung ist dem Vorsitzenden jeder Aerztekammer zur Kennt- 
nlssnahme und geeigneten Verständigung der ärztlichen Bezirk»- 
vereine zuzustellen. 

gez. v. Fellltzsch. 

Hiezu wird von der K. Regierung von Oberbayem erläuternd 
bemerkt, dass mit der dort angezogenen Entschliessung des 
K. Staatsministeriums des Innern für Kirchen- und Schul 
angelegenheiten vom 7. September 1901, No. 18977, unter Anderem 
Erhebungen über etwaige Festsetzung des Schuljahrbeginne« au 
den Volksschulen auf das Frühjahr angeordnet wurden, dass diese 
Erhebungen aber noch nicht zum Abschluss gekommen sind, 
gez. v. Auer. 

Uebertlcht der SterbeflUle in München 

während der 47. Jahreswoche vom 17. bis 23. November 1901. 

Bevölkerung«zahl; 499 93S. 

Todesursachen: Masern —(2*), Scharlach —(—X Diphtherie 
und Group 1 (3), fiothlanf — (—), Kindbettfieber 2 (—), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) — (1), Brechdurchfall 1 (6), Unterieibtyphus 
— (—), Keuchhusten 2 (2), Croupöse Lungenentzündung 6 (4), 
Tuberkulose a) der Langen 26 (25) b) der übrigen Organe 5 (6), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 8 (3), Unglücksfälle 2 (3), Selbstmord 1 (4), Tod durch 
fremde Hand — (—). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 189 (212), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 19,7 (22,0), für die 
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 13,8 (14,2). 

*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern: September 1 ) und October 1901. 



Bevölkerungsziffern*): Oberbayem 1'823,888, Niederbayem 678,103 ln den Aemtem Viechtach (in Gotteszell SOProc.der Kinder Im 1. und 2. 8chuljahr* 

Pfala 831,67», Oberpfalz 553,841, Obertranken 608,116, Mittelfranken 816,806, Unter- krank; keine ärztl. Behandlung) und Pirmasens (ln Trulben). Stadt- und Land 

franken 660,766, Schwaben 713,631. — Augsburg 89,170, Bamberg 41,823, Hof 32,781, bezirk Freising 22, lrztl. Bezirk Sanerlaob (München II) 12 beh. BlDe. 

Kaiserslautem 48,310, Ludwigshafen 61,914, München 499,932, Nürnberg 261,061, Typhus abdominalis: 8 (ausserdem mehrere Abortirformen) beh. Fälle 

Pirmasens 30,195, Regensburg 46,429, Würzburg 76,499. in Reichenschwand (Hersbruck\ Hausepidemien in Gemeinde Schal bin* (Wes 

Einsendungen fehlen aus der unmittelbaren Stadt Nürnberg und den Aemtem scheid) mit 6, ln Eitensheim (Ingolstadt) mH 4 FKllen. Aemter Marktheidenfeld 
Bogen, Grafenau, Bergzabern, Neustadt a/H., Teuschnitz, Eichstätt, Feuchtwangen, 4, Germershelm 7, Zweibrücken 8 beh. Fälle. 

Günzenhausen, Neustadt a/A., Nürnberg, Gerolzbofen, Hofbelm. (Königshofen, Im Interesse möglichster Vollständigkeit Vorliegender Statistik wird na 

Mellrichstadt, Schweinfnrt, Würzburg, Augsburg, Kempten und Oberdorf. regelmässige and rechtzeitige (bis längstens 20. des auf den Bericht*- 

Höhere Erkranknngszahlen (ausser von obigen Städten) werden gemeldet monat folgenden Monats) Einsendung der Anzeigen besw. von Feh len* elf«» 

aus folgenden Aemtem besw. Orten: ersucht, wobei anmerkungswelss Mitthellungen Ober Epidemien erwünscht find. 

Diphtherie, Croup: Stadt- und Landbezirk Bayreuth 18, Aemter Bam- Zur Vermeidung von Doppelzählungen erscheint es wünsebenswerth, dsss Fäll* 

berg II 17, Wunsledel 14, ferner in den Orten Dorfprozelten (Marktheidenfeld) 7, ans der sog. Orenspraxls entweder dem Amtsärzte des einschlägigen Onns- 

Welbdorf (Ncuburg a. D) ln 8 benachbarten Hänsera 6 beh. Fälle. amtes oder dem K. Statistischen Bureau unter Ausscheidung nach Aemtem zu- 

Influenza: In den grossen Städten Augsburg, Regensburg, München, Bam- gezeigt werden, 
berg zusammen 63, 268 wehere Fälle vertheilt auf 67 sonstige Bezirke ohne lokale Ferner erscheint es mit Rücksicht auf die im Berichtsjahre vielfach lücktn- 

eptdemlsche Hänfung hafte und unregelmässige Berichterstattung dringend wünschenewerth , 

Morbilli: Fortsetzung der Epidemien ln den Bezirken Dachau (lm Praxis- dass Infolge Wechsels lm amtsärztlichen Personale oder aus sonstigen Ursachen 

bezirke Odelzhausen), Wegscheid (in Oberazell, Wlndpasslug — 8chulschluss — bisher nicht zur Anmeldung gelangte Fälle von Infektlonskran*- 

und 4 weiteren Gemeinden; 285 Fälle amtlich zur KenntnUs gekommen, nur 4 helten aus früheren Monaten bald thunllchst, spätestens aber bis 

ärztlich behandelt). Hof (in Oberkotzau. 37 beh. Fälle), Rothenbarg a/T (In 16. Januar 1902 nachträglich (ausgeschieden nach Monaten) angezeit' 

Schillingsfürst erloschen, nunmehr ln Gailmann und unter kleinen KiDdem ln werden. 

Rothenburg) and Nördllugen (in der Stadt Nordlingen 198, in B&lgheim 60 und Meldekarten nebst sagehörigen U m s o h 1 ä g e n zu portofreier Ein«» 

Kleinerdlingen 19 beh. Fälle; zunächst noch gutartiger Charakter). Epidemisches düng an das K. Statistische Bureau sind durch die zuständigen k. Bezirkspri« 

Auftreten ferner ln Ruhmannsfelden (Viechtach) und unter Schulkindern in zu erhalten. Diese Zählkarten dienen ebenso zu sog. Bammelkarten shw 

Pfuhl iNeuburg a. D.) Bez.-Amt Speyer 35 beh. Fälle. Einselneinsendnngen der Amts- and praktischen Aerste, welche ln l«t*- 

Parotitis epidemica: Stark# Verbreitung unter Schulkindern in terem Falle die im betreffenden Monate behandelten Fälle snsammengesteHt zu 

Schwabach, Schulschluss ln 8ondernau (Neustadt i8), nachdem 26 von 47 Schul- Je 1 Karte pro Monat nebst allenfaüaigen Bemerkungen über Epidemien etc. 
kimlern erkrankt; keine ärztliche Hilfe begehn. Anzeige bringen wollen. Dagegen wird ersucht, von Einsendung sog. Zäni 

Tussis convulsiva: Fortsetzung der Epidemien in den Bezirken Kusel blättchen oder Sammelbogen abzuaehen. Allenfalls ln Händen benwi- 

(in Kusel). Donauwörih (in Donauwörth, Bäumenheim und Meningen; 66 beh. liehe sog. Postkarten wollen angebraucht, jedoch durch Angabe derj*b> 

Falle) und Memmingen (in MemmiDgen und Boos). Epidemisches Auftreten ferner der behandelten Inflneniafälle ergänzt und unter Umschlag elngeaandt werden 

•) DeflniUves Ergebnis# der Zählung vom 1. Dezember 1900. — J ) Einschliesslich einiger seit der letzten Veröffentlichung (No. 46) elagelanfener 
Nachträge. — *) im Monat September 1901 einschliesslich der Nachträge 1237. — *) 36. mit 39. bezw. 40. mit 44. Jahrezwocbe. 


Verlag vou J. F. Le hui «ui* in München. — Druck von E. Mühlthnlcr’s Buch- un ' Uunstdruckorel A.G., München. 


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tHe Mftnoh. Med. Wochen«*!. enchelnt wöebentl. 
ln Nummern von durchschnittlich 6-6 Bogen. 
Prela ln Dentxobl. u Oest.-üa»tam vlertelj&hrl. 6 X 
Ins Ausland 7.50 JL. Einzelne No. 80 4. 


MÜNCHENER 


Zusendungen sind n sdnatm: für AteBadartiaA 
Ottoetrawe 1. — Wi ll.. . aa J. F. Leh¬ 

mann, Henitrawe 20. — Für Inaerate und BeOagen 
an Rudolf Moese, PromenadepMirift 



(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

CI. Blialir, 0. Bolliigtr, H. Cirscbaui, C. Birlirti, 6. Haiti!, J. i. Mein, H. v. Riaka, 

Frefburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. NSrnberg. Berits. Kttnehes. 


No. 50. 10. Dezember 1901. 


Redaction: Dr. B. Spats, Ottostnune 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heurtrasse 20. 


4 


F. T. WInM, B.I.ZIW W , 



48. Jahrgang. 

- ' >'i ^ 0 ": - - 


Originalien. 

Aus dem pathologisch-anatomischen Institute zu Dresden. 

Zur Frage der beginnenden Lungentuberkulose.*) 

Von Dr. Schmorl in Dresden. 

^ M. II.! Ich möchte mir erlauben, Dinen in aller Kürze über 
Beobachtungen zu berichten, welche ich im Laufe der letzten 
Monate gemacht habe und die mir für die Frage nach der Ur¬ 
sache, auf welche die Prädilektion der beginnenden Lungen¬ 
tuberkulose für die hinteren Abschnitte der Lungenspitze zurück¬ 
zuführen ist, nicht ohne Bedeutung zu sein scheinen. Auf die 
Gründe, welche mich veranlassen, dieselbe ausserhalb des 
Rahmens der Tagesordnung zu besprechen, will ich später zu¬ 
rückkommen. 

Bekanntlich hat Birch-Hirschfeld in der letzten 
grösseren von ihm publicirten Arbeit den Nachweis geliefert, dass 
die Lungentuberkulose in der Mehrzahl der Fälle in den Bron¬ 
chien III. bis V. Ordnung des Oberlappens beginnt und zwar 
ganz vorwiegend im Gebiet des von ihm als Bronchus apicis 
posterior bezeichneten Bronchialastes. Die vorwiegende Lokali¬ 
sation der primären Tuberkulose gerade in diesem Bronchial¬ 
gebiet ist nach seiner Ansicht dadurch zu erklären, dass das von 
diesem Bronchus versorgte Lungengebiet in Folge der topo¬ 
graphischen Lage des betreffenden Bronchus (steile Verlaufs¬ 
richtung, wodurch es bedingt wird, dass die in- und exspira- 
torischen Luftströme hier zu der Luftbewegung in der Trachea 
in geradezu entgegengesetzter Richtung verlaufen müssen) eine 
nur geringe respiratorische Leistungsfähigkeit besitzt, durch 
welche die Absetzung von mit der eingeathmeten Luft zugeführ¬ 
ten infektiösen Substanzen begünstigt wird. 

Es würde zu weit führen, wenn ich hier ausführlich auf die 
weiteren von Birch-Hirschfeld in dieser Hinsicht ge¬ 
gebenen Deduktionen eingehen würde, ich möchte nur noch be¬ 
merken, dass Birch-Hirschfeld wiederholt in seiner 
Arbeit darauf hinweist, dass er an Ausgüssen des Bronchial¬ 
baumes gesunder Individuen öfter im Gebiet der hinteren api¬ 
kalen Bronchien Abweichungen vom normalen Verlauf (Zu- 
snmmendrängung der Aeste, unregelmässiger Verlauf und Ver¬ 
kümmerung derselben) gefunden habe, und dass er die Ver¬ 
mut hung ausspricht, dass in der bezeichneten Gegend, welche 
der Prädilektionsstelle der primären Ansiedelung der Spitzen¬ 
tuberkulose entspricht, raumbeeinträchtigende, die respira¬ 
torische Funktion der Luftwege hemmende Momente wirk¬ 
sam sind. 

Ich bin nun bei meinen Untersuchungen über beginnende 
Tuberkulose, die in allen wesentlichen Punkten die Birch- 
Hirschf eld’schen Befunde bestätigt haben, den Ursachen 
nachgegangen, welche für die erwähnte Deformität der Bronchien 
maassgebend sind, die ihrerseits sicher nicht ohne Bedeutung für 
den Beginn der Tuberkulose gerade in diesen Lungenbezirken 
sind. 

Ich glaube nun, dass eine dieser Ursachen in einer die 
Lungenspitze von hinten und oben nach vorn und unten zu um¬ 
greifenden Furche gelegen ist, welche ich bei einer Anzahl von 
Lungen Erwachsener gefunden habe und deren Bedeutung für 

*) Vortrag, gehalten ln der Sitzung vom 2. November 1001 der 
Gesellschaft für Natur- und Heilkunde ln Dresden. 

No. 60. 


die Prädilektion der hinteren Lungenabschnitte für Tuberkulose 
bisher, so viel ich aus der Literatur ersehen habe, noch nicht 
in genügender Weise gewürdigt worden zu sein scheint. Diese 
Furche ist in einzelnen Fällen verschieden stark entwickelt, bald 
erscheint sie als flache Rinne, die eben nur angedeutet ist, bald 
als 1 cm breite, scharf von der Umgebung abgesetzte bis finger¬ 
dicke Einsenkung, durch welche eine Abschnürung der Lungen¬ 
spitze von den übrigen Lungenabschnitten angedeutet wird. 
Stets ist sie an den hinteren Abschnitten des Lungengewebes am 
stärksten ausgebildet und am tiefsten. Sie liegt 1—2 cm unter¬ 
halb der höchsten Erhebung der Lungenspitze, also gerade im 
Verbreitungsbezirk derjenigen Bronchialäste, welche nach 
Birch-Hir9chfeld einerseits am häufigsten Irregulari¬ 
täten ihres Verlaufs und ihrer Anordnung erkennen lassen, 
andererseits aber die Prädilektionsstelle für die beginnende 
Tuberkulose bilden. Mitunter lässt sich im Bereich des hinteren 
Abschnitts dieser Furche eine leichte schwielige Verdickung der 
Pleura nachweisen, ohne dass aber Adhäsionen mit der Brust¬ 
wand beständen. 

In einigen Fällen, bei denen diese Furchen besonders deut¬ 
lich ausgeprägt waren, liess sich nun nachweisen, dass der nach 
dem Gebiet dieser Furche zu verlaufende Spitzenbronchus 
oder V. Ordnung Sitz einer beginnenden Schleimhaut tuberkulöse 
war, die sich nur auf die Bronchialwand selbst erstreckte und 
stets der Theilungsstelle eines Bronchialastes entsprach. Durch 
diesen Befund erhält meine Vermuthung, dass diese Furchen¬ 
bildung für die Ansiedelung der beginnenden Tuberkulose nicht 
ohne Bedeutung sei, eine wesentliche Stütze. Der Einwand, 
dass in diesen Fällen die Furchenbildung erst die Folge der 
Schleimhauttuberkulose gewesen und dadurch bedingt sei, dass 
durch die Schleimhauttuberkulose ein Verschluss des Bronchial¬ 
rohrs und damit eine Atelektase bezw. eine Schwielenbildung in 
dem zugehörigen Lungenbezirk herbeigeführt worden sei) lässt 
sich leicht dadurch widerlegen, dass die betreffenden Lungen¬ 
bezirke noch gut lufthaltig waren und die Furche nicht bloss 
auf die von dem erkrankten Bronchialast versorgten Lungen- 
theile beschränkt war. 

Diese Furchenbildung ist nun, wie sich leicht nachweisen 
lässt, durch ein abnorm weites Vorspringen der ersten Rippe in 
die Thoraxkuppel zurückzuführen, welches wohl auf einer mangel¬ 
haften Entwicklung dieser Rippe beruht, die Freund bereits 
vor 40 Jahren als einen für die Lokalisation der Tuberkulose in 
der Lungenspitze wichtigen Faktor durch genaue Messungen er¬ 
kannt hat. 

Diese mangelhafte Entwicklung der ersten Rippe, welche, 
wenn sie hochgradig ist, mit einer Abflachung der oberen Thorax¬ 
abschnitte Hand in Hand geht, die, wie schon längst bekannt, 
gerade bei für Tuberkulose disponirten Individuen gefunden wird, 
und die durch dieselbe hervorgerufene Furchenbildung in der 
Lungenspitze können nach meinem Dafürhalten in verschiedener 
Richtung disponirend für die Ansiedelung der Tuberkulose 
wirken. Besonders kann durch sie eine Missbildung bezw. Ver¬ 
kümmerung des hinteren Astes des Spitzenbronchus, wie sie 
Birch-Hirschfeld bereits beschrieben hat, herbeigeführt 
werden; in Folge dessen kann es hier leichter als in anderen 
normal gebildeten Abschnitten des Bronchialbaumes zu Stör¬ 
ungen der Ventilation in den von den betreffenden Bronchien 
versorgten Lungenbezirken kommen, wodurch die Ablagerung 
von mit dem Luftstrom zugeführten schädlichen Substanzen be- 

oögle 


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1996 


MtfENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


günstig! wird; es können dadurch leicht Katarrhe und im An¬ 
schluss daran Sekretstauungen sich entwickeln, deren Bedeutung 
für die Ansiedelung von Tuberkelbacillen allgemein anerkannt 
wird. Es ist aber fernerhin in Betracht zu ziehen, dass durch 
den ständigen Druck, welchem die im Bereich der Furche 
liegende Lungenpartie ausgesetzt ist, und dessen Wirkung auch 
in den erwähnten Verdickungen der Lungenpleura deutlich zu 
Tage tritt, Störungen in der Blut- und Lymphcirculation herbei¬ 
geführt werden, durch die ebenfalls dem Haften und der An¬ 
siedelung der Tuberkelbacillen Vorschub geleistet werden kann. 

Die in Rede stehende Furchenbildung findet sich nun sehr 
häufig, vielleicht sogar konstant bei Neugeborenen und Kindern, 
lässt sich aber stets durch Aufblasen der Lungen, soweit meine 
Erfahrungen reichen, ausgleichen. Mit dem Wachsthum des 
Thorax aber verschwindet sie allmählich und ist in der Regel bei 
Erwachsenen nur noch andeutungsweise vorhanden. Sie muss da¬ 
her, wenn sie hier vorhanden ist, als etwas Abnormes angesehen 
werden, zumal wenn sie durch Auf blasen der Lunge nicht mehr zum 
Verschwinden gebracht werden kann, also stationär geworden 
ist. Es muss also hier dauernd ein Druck von Seiten der sich 
mangelhaft entwickelnden ersten Rippe auf die ihr anliegenden 
Theile der Lunge ausgeübt worden sein. Dass bei diesem andauern¬ 
den Druck die Entwicklung der nach diesen Bezirken verlaufenden 
Bronchialäste beeinträchtigt werden kann, bedarf keines Be¬ 
weises. Gegen die Bedeutung der in Rede stehenden Furche für 
die Prädisposition des hinteren Spitzenbronchus für die be¬ 
ginnende Tuberkulose lässt sich freilich ein schwerwiegendes 
Bedenken erheben, welches in dem häufigen Vorkommen dieser 
Furche bei Kindern gegeben ist, da bei diesen die Spitzentuber¬ 
kulose eine sehr seltene Erscheinung ist. Ob hier vielleicht die 
grössere Elasticität der Rippen, welche eine bessere Ventilation 
der Lunge ermöglicht, den schädlichen Einfluss dieser Furche 
auf die Spitzenbronchien nicht zur Geltung kommen lässt oder 
ob dabei auch die Anordnung und der Verlauf der Spitzen¬ 
bronchien, welche sich nach Birch-Hirschfeld bei Kin¬ 
dern von dem der Erwachsenen unterscheidet, betheiligt ist, 
oder ob noch andere Verhältnisse dabei wirksam sind, kann ich 
auf Grund meiner Beobachtungen, soweit sie jetzt vorliegen, 
nicht entscheiden, ich habe darüber aber weitere Untersuchungen 
in Aussicht genommen. 

Wenn ich Ihnen demnach über eine noch nicht abge¬ 
schlossene Untersuchungsreihe berichtet habe, so geschieht dies 
desshalb, weil ich mir meine Priorität in dieser Frage 
wahren möchte. Es ist mir kürzlich aus Berlin eine An¬ 
frage zugegangen, ob ich gestatte, dass die Ihnen eben mit- 
getheilten Beobachtungen, welche durch Vermittlung eines die 
sonnabendlichen pathologisch-anatomischen Demonstrationen be¬ 
suchenden auswärtigen Herrn der Aasgangspunkt und die Ver¬ 
anlassung einer in einem Berliner pathologischen Institut vor¬ 
genommenen Untersuchungsreihe geworden waren, in einer über 
diese Untersuchungen demnächst erscheinenden Arbeit Erwähnung 
finden dürften. Wenngleich mir mm auf meine, in dieser Hin¬ 
sicht erhobenen Reklamationen heute die Zusicherung zu¬ 
gegangen ist, dass durch die Berliner Untersuchungen meine Be¬ 
obachtungen nicht berührt würden, so habe ich es doch, um un¬ 
liebsamen Konflikten und unerquicklichen Prioritätsstreitig¬ 
keiten aus dem Wege zu gehen, für angezeigt gehalten, Ihnen 
heute meine Beobachtungen, wenn auch in unabgeschlossener 
Form, vorzulegen. 


Aus der Lungenheilanstalt Holsterhausen bei Werden a. d. Ruhr. 

Die medikamentöse Bekämpfung des Fiebers bei den 
Lungentuberkulose. L 

Von Dr. med. Fritz Köhler in Elberfeld, Chefarzt der AnstaltP 
Die Bekämpfung des Fiebers in der Therapie der Lungen¬ 
tuberkulose kann au9 verschiedenen Gründen meist nicht streng 
und ausschliesslich nach Brehmer-Dettweile rischen 
Principien, deren Quintessenz hier die vollkommene Bett¬ 
ruhe bei wesentlich reduzirter Kost ist, durchge¬ 
führt werden. 

Die Erfahrung lehrt, dass häufig trotz konsequenter Bett¬ 
ruhe und erheblich eingeschränkter Kost das Fieber der Tuber¬ 


kulösen nicht weichen will, während der Lungenbefund selbst 
entweder Tendenz zur Verschlechterung oder zur Besserung oder 
zum Stillstand im Processe zeigt. Hier versagen auch nur zu 
oft die hydrotherapeutischen Maassnahmen, 
denen ich im Uebrigen bei der Behandlung der Lungentuber¬ 
kulose einen weitgehenden, allerdings scharf individualisirten Be¬ 
reich einräumen möchte. Durch die anhaltend gesteigerte Körper¬ 
temperatur leidet aber der Organismus des Tuberkulösen ausser¬ 
ordentlich, der gesammte Stoffumsatz reduzirt das noch vor¬ 
handene Kraftquantum in sichtbarer Eile, die Zufuhr des Nähr- 
materials unter dem Einfluss des Fiebers ist meist unverhältniss- 
mässig erschwert und herabgesetzt. So entspricht also häufig die 
nur physikalisch-diätetischen Grundsätzen nachgeheudeTherapie 
des tuberkulösen Fiebers nicht den Erwartungen und der Zweck¬ 
mässigkeit, so dass wir zur Anwendung von Antipyreticis unsere 
Zuflucht nehmen müssen. Wir thun das mit um so grösserem 
Recht, als „der naive Glaube“, wie Kobert auf dem Kongress 
zur Bekämpfung der Tuberkulose in Berlin 1899 sagte, dass das 
tuberkulöse Fieber eine nützliche Heilbestrebung des Organismus 
sei, und die Abschwächung oder gar Abtödtung der Bakterien 
zur Folge habe, sicher ein verkehrter ist. 

Es ist nun allerdings richtig, dass in den seltensten Fällen 
die medikamentöse Behandlung des tuberku¬ 
lösen Fiebers im Stande ist, ein für alle Mal dem Auf¬ 
treten des Fiebers bei dem betreffenden Fall ein Ende zu bereiten, 
ich will nicht an dieser Stelle auf die bei einigen Mitteln 
zu schroff oinsetzende Reaktion eingehen, wie man sie z. B. nicht 
selten bei dem Kairin und bei dem Hydrochinon beobachtet; un¬ 
zweifelhaft treten meist beim Aussetzen des Antipyreticum wieder 
hohe Temperaturen auf, und auch eine wochen- bis monatelang 
fortgesetzte Arzneiverordnung macht nur dann endgiltig der un¬ 
liebsamen Begleiterscheinung der gesteigerten Temperaturen ein 
Ende, wenn die physikalisch-diätetische Therapie ihren günstigen 
Einfluss auf den Zustand der Lungen selbst ausgeübt hat. 

Aber gerade unter Berücksichtigung dieses letzten Punktes 
möchte ich der antipyretischen Behandlung mit Fiebermitteln das 
Wort reden. Dass ich in erster Linie das jetzt häufiger ge¬ 
brauchte, 1896 von F i 1 e h n e in den Arzneischatz eingeführte 
Pyramiden, das Dimethylamidoantipyrin, bevorzuge, beabsichtige 
ich in einer späteren Mittheilung eingehend zu begründen. 

Es gelingt, unter der Anwendung von Antipyreticis die 
Temperatur der Tuberkulösen oft so zu regeln, dass eine vor¬ 
sichtige Bewegung im Freien ermöglicht wird. Natürlich bezieht 
sich das nicht auf zu weit vorgeschrittene Fälle, bei denen die 
blosse Rücksicht auf die Erhaltung der Körperkräfte eine an¬ 
dauernde Bettruhe gebietet. — Wir schalten damit den so wich¬ 
tigen Faktor des Freiluftgenusses unter gleich¬ 
zeitiger vorsichtiger Herzanregung unter dem 
Einfluss der Muskelbewegung wieder in die Therapie des ein¬ 
zelnen Falles ein, worauf wir vorher, so lange das Fieber Bett¬ 
ruhe gebot, verzichten mussten. Das subjektive Wohlbefinden 
des Patienten wird dadurch in gleich angenehmer Weise für 
diesen, wie für den behandelnden Arzt, der nur zu leicht mit 
einer gewissen Ungeduld dem immer wiederkehrenden Fieber des 
bettlägerigen Tuberkulösen zusehen muss, gesteigert. 

Vor allen Dingen ist weiterhin die psychische Seite zu 
berücksichtigen. Der chronisch Kranke bedarf der Aufmunte¬ 
rung und der Abwechslung, er darf nicht zu viel sich selbst 
überlassen bleiben und muss durch Anregungen mannigfacher 
Art auf Gedanken, welche das Gemüth erfreuen, gebracht werden. 
Dafür aber ist die freie Bewegung in den den meisten Lungen¬ 
heilanstalten beigegebenen Park- und Waldanlagen das beste 
Mittel. Auch vermag hier der Verkehr mit anderen Kranken 
viel auszurichten. 

Natürlich bedarf die Bewegung im Freien besonders 
bei dieser Klasse der Tuberkulösen, welche ohne Fiebermittel 
gesteigerte Temperaturen zeigen, genauer Dosirung, der üblichen 
Liegekur ist ein grösserer Zeitraum am Tage einzuräumen, 
wie bei solchen Patienten, welche kein Fieber zeigen, oder nur 
Abends leichte Temperatursteigerungen aufweisen. Auch würde 
ich die Bewegung im Freien nicht ohne Weiteres täglich ge¬ 
statten, vielmehr den ganzen Tagesplan erst endgiltig nach ge¬ 
nauer Kenntnissnahme von vorausgehenden Versuchstagen, an 
welchen nach der Arzneibehandlung des Fiebers körperliche Be- 


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10. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1997 


wegung in freier Luft gestattet wird, aufstellen. Uebrigens 
spielt hierbei auch die P e n z o 1 d t’sche Temperatuiregistrirung 
bei Tuberkulösen nach leichten Marschübungen eine ausschlag¬ 
gebende Rolle. 

Ueber den Zusammenhang des Fiebers und 
der eigenthüm 1 ichen Veränderungen in der 
Psyche des Tuberkulösen sind die Untersuchungen 
noch nicht zu einem klaren Resultat gekommen. Ob die An¬ 
wendung von antipyretischen Mitteln somit einen Einfluss hat 
auf das Zustandekommen toxischer Psychosen im Ver¬ 
lauf der Lungentuberkulose wage ich an dieser Stelle nicht zu 
entscheiden. Es ist hier noch ein dankbares Feld der wissen¬ 
schaftlichen Bearbeitung und Untersuchung geboten. 

Weiter ist noch zu berücksichtigen, dass nieist die Nahr¬ 
ungsaufnahme zu fieberfreier Zeit reichlicher ausfällt, als 
zur Zeit gesteigerter Temperaturen. Es gelingt, wenn bei Tuber¬ 
kulösen etwa zur Mittagszeit die höchste Temperatur erreicht 
wird, durch Anwendung von Fiebermitteln wenige Stunden vor¬ 
her, normale Temperaturen zur Zeit der üblichen Nahrungsauf¬ 
nahme zu gewinnen. Die Folge ist, dass wir uns dem Ziele der 
ausreichenden Ernährung, wenn nicht gar der Ueber- 
ernülirung des tuberkulösen Individuums, bedeutend nähern. 
Eine Zunahme des Körpergewichtes und der gesammten 
psychischen Leistungskraft des Organismus ist die Folge, welclie 
auch auf die psychische Verfassung des Kranken einen wohl- 
thätigen Einfluss ausübt. 

Es gelingt also häufig, durch Anwendung der Antipyretica 
in der Behandlung der Lungenschwindsucht in mannigfacher 
Hinsicht. Erfolge zu erreichen. Es sind dies nicht nur günstige 
Resultate, bei denen eine planmässige Heilstättenbehandlung vor¬ 
auszusetzen ist, sondern auch in der Privatpraxis, in welcher die 
Regeln der Anstaltsbehandlung nur in beschränktem Maassstabe 
und mit weniger günstigem Erfolge durchgeführt werden 
können, kann man von einer einsichtsvollen F i e b er¬ 
be k ä m p f u n g bei der Behandlung Tuberkulöser mancherlei 
erwarten. Die medicamentöse Fieberbehandlung unter¬ 
stützt unzweifelhaft wirksam die zweckmässige physikalisch¬ 
diätetische Therapie der Lungentuberkulose, indem unge¬ 
schmälerter Freiluftgenuss mit gleichzeiti¬ 
ger Herzanregung, ferner psychische Anregung 
und subjektives Wohlbefinden, sowie gestei¬ 
gerte Nahrungsaufnahme durch Ausschaltung 
des Fiebers erreicht wird. Ich füge zu letzterem Punkte 
hinzu, dass die meisten Antipyretica an und für sich keinen 
Einfluss auf den Appetit des Kranken haben. 

Es ergibt sich aus diesen Ausführungen, dass eine einseitige, 
ich möchte sagen kritiklose Anwendung rein diätetisch-physi¬ 
kalischer Principien einer wissenschaftlichen Auffassung unserer 
therapeutischen Thiitigkeit bei einer Krankheit wie der Lungen¬ 
tuberkulose nicht gerecht werden kann. Gewiss stehen wir heute 
auf dem Standpunkt, dass es specifische Mittel in der 
Behandlung dieser Krankheit nicht gibt. Trotz vereinzelter 
gegentheiliger Ansicht, nach welcher das früher so beliebte 
Kreosot mit seinen Abkömmlingen oder ähnliche Mittel un¬ 
zweifelhafte Wirkungen haben sollen, müssen wir heute den 
Standpunkt einnehmen, dass zweifellos das physikalisch¬ 
diätetische Regime die Therapie Lungenschwind¬ 
sucht in erster Linie beherrscht; wir dürfen aber nicht vergessen, 
dass der medicamentöse Theil der Phthiseothcrapie und zwar be¬ 
sonders die medicamentöse Bekämpfung des Fie¬ 
bers eine, bei richtiger Anwendung, segensreiche Unterstützung 
bilden kann und muss. 

Von diesen Gesichtspunkten aas habe ich an der Brehmer- 
schen Heilanstalt zu Görbersdorf die Behandlung des Fiebers 
bei Lungentuberkulose durehgefiihrt, deren Resultate ich einer 
späteren ausführlichen Mittheilungen an dieser Stelle Vorbe¬ 
halten will. 


Ist die bei Phthisikern nach leichten Körperanstreng¬ 
ungen auftretende Temperatursteigerung als Fieber 
zu betrachten ?*) 

Von Dr. A. Ott, Heilstätte Oderberg i. Harz. 

Vor einiger Zeit hat Penzoldt 1 ), gestützt auf die Unter¬ 
suchungen, die zuerst Höchstetter’) auf seine Veranlassung 
vorgenommen und die er später selbst im Verein mit Birgelen 5 ) 
ergänzt und erweitert hatte, darauf aufmerksam gemacht, dass 
bei sonst fielwrfreien Phthisikern verhültnissmässig leichte An¬ 
strengungen, die bei Gesunden nur von unwesentlichen Tempe¬ 
ratursteigerungen gefolgt sind, Erhöhung der Körperwärme auf 
38° und darüber hervorrufen. Diese Angaben haben inzwischen 
von verschiedener Seite Bestätigung gefunden, u. A. von Tur¬ 
ban 4 ), Chuquet und Davemberg 1 ); ich selbst konnte bei 
etwa 100 darauf untersuchten Tuberkulösen das fast regelmässige 
Eintreten des genannten Phänomens durchaus bestätigen. In 
der allerletzten Zeit sind indess die Penzoldt’schen Angaben 
bestritten worden und zwar in einer aus dem. WeickePschen 
Krankenheim in Görbersdorf stammenden Dissertation von 
Schneider*). Letzterer behauptet auf Grund einer grösseren 
Anzahl von Untersuchungen, dass bei wirklich fieberfreien 
Phthisikern — als solche will er nur die gelten lassen, deren 
Temperatur auch am Abend 37,0 (Mundmessung, bei After¬ 
messung 37,3°) nicht überschreitet — durch Körperbewegungen 
keine wesentlichen Temperatursteigerungen hervorgerufen 
werden; ja er hat vielfach in den von ihm mitgetheilten 
Tabellen Temperaturabfall danach verzeichnet. Diese Arbeit 
ist aber nicht beweiskräftig. Penzoldt hat ausdrücklich 
hervorgehoben, dass es zur Konstatirung der fraglichen Erschei¬ 
nung unbedingt erforderlich ist, die Messung im After vorzu¬ 
nehmen ; Schneider hat dagegen nur Mundmessung ange¬ 
wandt. Nun hätte ihn schon der Umstand, dass das Thermo¬ 
meter häufig direkt im Anschluss an den Spaziergang Abfall 
der Körpertemperatur manchmal bis zu 0,6 0 anzeigte, eine That- 
saehe, die physiologisch unerklärlich ist, auf die Vermuthung 
bringen können, dass in diesem Falle die Mundmessung nicht 
zuverlässig sei. In der That hat inzwischen Frln. Dr. Bluhm T ) 
in der Heilstätte Belzig festgestellt, dass die Mundtemperatur 
von der Temperatur des umgebenden Mediums abhängig ist, in- 
soferne, dass niedrige Aussentemperaturen ein Sinken der Mund¬ 
wärme bewirken. Ich selbst habe bei einer Anzahl von Kranken 
gleichzeitig Mund- und Aftertemperatur vor und nach dem 
Spaziergang gemessen und gebe in nachstehender Tabelle die 
dabei erhaltenen Resultate wieder: 


Laufende 

No. 

After- 

messung 

. & 

§1 

Luft-Tem¬ 

peratur 

© 

-o 

© d 
•Sfc 

CK) 

© g 
S 1 

Mund- 

messung 

Luft Tem¬ 
peratur 

1 

37.1 

38.1 

37,1 

36,9 

— 

8 

37,5 

38,2 

37.4 

87.5 

10,5 


36,9 

36,9 



37,0 

36,9 

10,5 


37,9 

37,1 



37,9 

36,4 

3 

37,0 

37,6 

37,0 

37,0 

i3,o ; 

i 10 

37,2 

37,9 

37,1 

37,3 

10,5 

4 

37,6 

38,2 

37,4 

37,2 

13,0 

1 11 

37,3 

37,7 

37,1 

36,9 

10,5 

5 

37,2 

38,0 

37,1 

36,9 

13,0 , 

12 

36,8 

38,1 

36,7 

36,6 

10,5 

6 

37,1 

37,9 

37,0 

37,2 

18,5 

13 

37,4 

38,0 

37,8 

37,6 

10,5 

7 

36,7 

38,3 

36,7 

37,0 

18,5 j 

j 14 

37,4 

38,0 

37,2 

37,4 

10,5 


Die obere der beiden Zahlen stellt Jedesmal die Abgangs-, die untere die 
Ankunftstemperatar dar. 


*) Vortrag, gehalten ln der Sitzung der Tuberkulosekommissiou 
der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Ham¬ 
burg 1901. 

’) Penzoldt und S 11 n t z 1 n g: Handb. der spez. Ther. Inn. 
Krankh. Bd. 3. S. 306. 

*) Inaug.-Dissert München 1895. 

*).M ünch, med. Wochenschr. 1899, No. 15. 

*) B eltr. z. Kenntn. d. Tub. S. 23. 

_ franz. Congr. f. Inn. Med. 1899. 

Tv Die normale Temperatur bei Initialer Lungentuberkulose ln 
Ruhe und Bewegung. Inaug.-Dissert Breslau 1901. 

0 Zeitschr. f. Tub. u. HellBtättenw. Bd. 2, S. 809. 


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1998 


MUENOHENER MEDICJINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


Aus der Tabelle ergibt sich deutlich die Unzuverlässigkeit 
der Mundmessung in diesem Falle. Während vor dem Spazier¬ 
gang, nachdem sich die Kranken längere Zeit im temperirten 
Zimmer aufgehalten hatten, Mund- und Aftertemperatur nur 
um 1 höchstens 2 Zehntelgrad von einander differiren, ist nach 
dem Spaziergang die Abweichung durchweg 6ehr erheblich, viel¬ 
fach über 1°, und während die Aftermessung das Penzoldt’sche 
Phänomen fast immer ganz deutlich zeigt, lässt die Mund¬ 
messung es nirgends hervortreten, sondern zeigt sogar öfter 
Temperaturabfall, ein deutlicher Beweis für die lokale Ab¬ 
kühlung der Mundhöhle durch den Aufenthalt und das Sprechen 
im Freien. Es sei hier hervorgehoben, dass die Messungen so 
sorgfältig wie möglich unter meiner persönlichen Kontrole mit 
geprüftem Maximalthermometer vorgenommen wurden und zwar 
im After 5 Minuten, unter der Zunge 10 Minuten lang. 
Uebrigens erweist sich auch die Messung in der Achselhöhle 
unter diesen Umständen als nicht zuverlässig. 

An dem thatsächlichen Vorkommen des P e n z o 1 d t’sehen 
Phänomens und zwar, wie ich hinzufügen kann, fast regel¬ 
mässigen Vorkommen desselben bei Phthisikern, kann desshalb 
nicht gezweifelt werden. 

Wie schon Höchstetter*) hervorhebt, ist indess ledig¬ 
lich mit der Feststellung einer derartigen Temperaturerhöhung 
noch nicht bewiesen, dass es eich dabei um Fieber handelt; 
es gibt ja auch nicht fieberhafte Temperatursteigerungen, wie 
eie durch Wärmestauung im warmen Bade oder im Dampf bade 
erzielt werden. Gerade in unserem Falle liegt es nahe, an eine 
derartige Wärmestauung zu denken. Durch Körperbewegung 
wird ja zweifellos wesentlich mehr Wärme produzirt als bei 
Ruhe und man könnte sich wohl vorstellen, dass beim Phthisiker, 
der ja fast immer auch nervöse Störungen auf weist, das Wärme- 
regulirungscentrum mangelhaft funktionirt, so dass das ge¬ 
bildete Plus an Wärme nicht so schnell fortgeschafft wird, wie 
beim Gesunden. Der Gedanke liegt um so näher, als auch beim 
Anaemischen und bei Fettleibigen dasselbe Symptom von Pen- 
zo 1 dt konstatirt wurde. Höchstetter kam auf rein theo¬ 
retischem Wege zu der Annahme, dass es sich hier um Fieber 
handele, hervorgerufen durch vermehrte Resorption von Toxinen, 
eine Ansicht, der sich Penzoldt anschloss. Bei der prak¬ 
tischen Bedeutung, welche diese Frage für die gesammte 
Phthiseotherapie besitzt, darf man sich indessen mit theoretischen 
Deduktionen nicht begnügen, sondern muss die Frage experi¬ 
mentell zu lösen versuchen. 

Durch die Untersuchungen von K r e h 1 und M a 11 h e s *), 
sowie von Schultess“) ist festgestellt worden, dass in ca. 
90 Proc. aller Fälle von Fieber sich Albumosen im Harn finden; 
ferner konnte Martin“) zeigen, dass diese Albumosurie ein 
Zeichen dee fieberhaften Processes an sich und nicht die Folge 
der Temperaturerhöhung ist; denn bei einfacher Temperatur¬ 
erhöhung durch Wärmestich oder den Aufenthalt im Brutkasten 
konnte er nie eine Albumoseausscheidung konstatiren. Auf 
Grund dieser Erfahrungen konnte ich der experimentellen 
Lösung dieser Frage näher treten und zwar auf folgende Weise: 
Die Kranken wurden veranlasst, sich 2 Tage ruhig im Zimmer 
aufzuhalten und wurden während dieser Zeit alle 3 Stunden 
im After gemessen. Stellte sich am ersten Tage heraus, dass 
sie fieberfrei waren, d. h. 37,5° nicht überschritten, so wurden 
sie am 2. Tage spazieren geführt und zwar in der Zeit von 
2 V »—SVa Uhr; der während dieser Zeit in mässig flottem Tempo 
zurückgelegte Weg betrug 2% km hin und ebensoweit zurück, 
also im Ganzen 4V& km; der Weg war so gewählt, dass auf dem 
Hinweg ca. 100 m auf guter Chaussee abgestiegen und dieselbe 
Strecke nachher wieder heraufgegangen wurde. Mit Absicht 
wurde der Weg so eingerichtet, dass der Aufstieg auf den Rück¬ 
weg fiel,, weil dadurch die Temperaturerhöhungen deutlicher 
ausgeprägt werden. Unmittelbar vor und nach dem Spazier¬ 
gang wurde gemessen; der Urin von Morgens 7 Uhr bis vor dem 
Spaziergang und ebenso der nach dem Spaziergang bis Abends 
9 Uhr gelassene wurde getrennt gesammelt und auf Albumosen 
untersucht. Angewandt wurde die von Schultess 13 ) be- 

') 1. c. S. 23. 

•) Arch. f. exp. Path. u. Pliannakol. Bd. 40. 1898. 

,0 ) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 58. 1897. 

u ) Arch. f. exp. Path. u. Pbarmakol. Bd. 40. 

**) l c. 


schriebene Methode, die auf der Fällung durch, grossen Ueber- 
schuss von Alkohol beruht; nur ei weissfreie Harne wurden dazu 
verwendet. In der nachfolgenden Tabelle sind die bei 25 Kranken 
erhaltenen Resultate zusammengestellt. Es sei hervorgehoben, 
dass bei Allen vor Antritt des Spazierganges die Albumosen- 
probe im Ham negativ ausgefallen war. 



Lungenbefund 

Maximaltem¬ 
peratur des 
Tages vorher 

Temperatur 

vor J nach 

demSpa- dem Spa¬ 
ziergang ziergang 

Albumosen-! 
befund nach¬ 
her 

1 

Katarrh beider Spitzen 

37,3 

37,0 

38,3 

unsicher 

2 

Katarrh des L. Ober- u. 
Unterlappens 

37,4 

37,3 

38,5 

dto. 

3 

Katarrh beider 8pitzen 

37,1 

87,0 

38,4 

dto. 

4 

dto. 

37,5 

37,0 

39,1 

positiv 

ß 

Verdicht, der R. Spitze 

37,3 

37,3 

37,4 

37,9 

negativ 

6 

Katarrh des R. Oberlapp. 

37,2 

38,2 

positiv 

7 

Verdicht, des R. Oberl. 

37,3 

37,4 

38,0 

dto. 

8 

Katarrh beider Spitzen 

37,4 

86,9 

37,9 

unsicher 

9 

dto. 

37,0 

37,1 

38,3 

negativ 

10 

Katarrh des I.. Oberl. 

37,0 

37,2 

38,2 

positiv 

11 

Katarrh beider Spitzen 

37,3 

37,2 

• 38,3 
38,1 

dto. 

12 

dto. 

37,5 

37,0 

unsicher 

13 

Katarrh der R. Spitze 

37,1 

36,8 

37,0 

38,3 

positiv 

14 

Verdicht, der L Spitze 

87,1 

87,9 

negativ 

15 

Verdicht, der R. Spitze 

37,2 

36,7 

38,3 

schwach pos 
negativ 

16 

Katarrh der L. Spitze u 

L. Unterlappens 

37,4 

37,5 

88,2 

17 

Verdicht, der R. Spitze 

87,5 

37,6 

88,2 

unsicher 

18 

Katarrh beider Spitzen 

86,4 

37,0 

1 38,0 

dto. 

19 

Verdicht, der R. Spitze 

36,4 

36,7 

38,2 

dto 

20 

Katarrh beider Spitzen 

37,2 

37,1 

38,6 

negativ 

21 

Katarrh der R. Spitze 

37,1 

37,2 

38,1 

positiv 

22 

Verdicht, beid. Spitzen 

37,2 

37,4 

38,0 

negativ 

23 

dto. 

37.2 

37.3 

37,3 

38,0 

unsicher 

24 

Katarrh beider Spitzen 

37,4 

38,2 

positiv 

25 

Katarrh der L. Spitze 

37,2 

37,3 

38,0 

unsicher 


Bei No. 1 bis 10 waren Tuberkelbneille.n im Aus¬ 
wurf nachgewiesen; bei den Uebrigen war die Diagnose 
lediglich aus dem, allerdings deutlichen, klinischen Befunde ge¬ 
stellt. In einer Anzahl von Fällen liess sich wegen des Vor¬ 
handenseins von sehr geringen Albumoeenmengen nicht mit 
Sicherheit entscheiden, ob die Biuretprobc als positiv oder als 
negativ anzusehen war; dieselben sind in der Tabelle mit „un¬ 
sicher“ bezeichnet. 

Aus der Tabelle ergibt sich, dass unter 25 Fällen 9 mal, 
d. h. in 36 Proc., nach dem Spaziergang Albumosen im Harn 
sicher zu konstatiren waren; 10mal ist das Resultat als unsicher 
bezeichnet; mit Rücksicht auf die Umstände darf man diese 
wohl auch als positiv bezeichnen. Denn mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit handelt es sich, entsprechend den verbal tnissmäseig ge¬ 
ringen und kurz dauernden Temperatursteigerungen, auch um 
recht geringe Mengen von Albumosen, die in den Ham über¬ 
treten, oft so geringe Mengen, dass die Probe, die ja nur bei 
bestimmten, nicht zu geringen Quantitäten positiv auftritt, un¬ 
deutlich wird oder überhaupt versagt. Man darf hier desshalb 
wohl ohne Bedenken von 19=76 Proc. positiven Resultaten 
sprechen. Wahrscheinlich ist auch in den als negativ be- 
zeichneten Fällen das Vorhandensein von Albumose nicht aus¬ 
geschlossen, sondern dieselbe nur in so minimaler Menge zu¬ 
gegen gewesen, dass sie nicht nachgewiesen werden konnte. 

Damit ist der Beweis, dass es sich bei dem in Rede stehenden 
Symptom thatsächlich um Fieberzustände handelt, erbracht. 
Für die Praxis ergibt sich daraus die unbedingte Nothwendig- 
keit, die Entstehung solcher Fieberanfälle zu verhindern, und 
das ist nur möglich durch Beschränkung von Körperbewegungen. 
Ich will damit keineswegs einer protrahirten Liegekur von 
Morgens bis Abends das Wort reden; man darf aber auch nicht 
in das andere Extrem verfallen, das unbeschränkte Bewegungs¬ 
freiheit den fieberlosen Phthisikern einräumen will. Die nicht 
selten vorkommende Thatsache, dass sich an körperliche Ueber- 
anstrengungen beim Lungenkranken lang dauerndes Fieber mit 
fortschreitendem Verfall anschliesst, ein Umstand, der uns durch 


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10. Dezember 1001. 


MUENCHENER MEDICiNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


1999 


die Penzold t’schen Angaben in neuer Beleuchtung erscheint, 
dürfte uns zur Genüge über die Gefährlichkeit dieses Extrems 
belehren. 


. Zur Frühdiagnose der Tuberkulose. 

Von Dr. A. M o e 11 e r in Belzig. 

Für eine erfolgreiche Durchführung der Behandlung Tuber¬ 
kulöser in Heilstätten ist es von grösster Wichtigkeit, dass mit 
Sicherheit die Frühdiagnose der Tuberkulose gestellt 
werden kann; denn nur bei Anfangsstadien der Krankheit kann 
die Heilstättenbehandlung mit vollem Erfolg in Anwendung ge¬ 
bracht werden. Zur Feststellung der Diagnose ist jedes der zu 
Gebote stehenden Hilfsmittel heranzuziehen. Der einfachste Weg 
zur Sicherung der Diagnose ist, wenn im Sputum Tuberkel¬ 
bacillen nachgewiesen werden können, ln der Regel handelt es 
sich aber, wenn sich dieser Nachweis ohne Weiteres mühelos 
führen lässt, nicht mehr um Initialfälle, sondern ein wiederholt 
nachzuweisendes zahlreiches Vorkommen von Tuberkelbacillen 
in reichlich entleertem Sputum lässt schon auf ein vor¬ 
geschritteneres Stadium, auf einen bereits eingetretenen Gewebs¬ 
zerfall schliesscn. 

In den Anfangsstadien ist selten Auswurf vorhanden; höch¬ 
stens wird Morgens ein zäher Schleim ausgeworfen, der aber 
meistens den oberen Luftwegen entstammt. Hierin wird man 
vergeblich nach Tuberkelbacillen suchen. Durch Anwendung von 
Hilfsmitteln ist daher eine Expeetorirung von L u n g e n - 
sputum zu begünstigen. Zu diesem Zwecke lässt sich die 
hydriatrische Packung in Form einer Kreuz¬ 
binde 1 ) mit Erfolg anwenden. Diese wird des Abends dem 
Kranken angelegt und bleibt die Nacht über liegen. Des Mor¬ 
gens beim Entfernen der Packung werden dem Kranken Brust 
und Rücken schnell und kurz mit nasskaltem Tuche abgerieben, i 
Durch diesen Schock wird der Kranke zum Husten gereizt und 
das Sekret, das sich unter dem Einlluss der durch die Packung 
verursachten feuchten Wärme angesammelt hatte, wird nun aus¬ 
geworfen. In diesem Sputum lassen sich meistens auf dem ge¬ 
wöhnlichen Wege des Hera umgreifen» kleiner Partikelchen zur An¬ 
fertigung von Präparaten noch keineTubcrkelbacillen nachweisen. 
Ich lasse daher das meist in spärlicher Menge entleerte Sputum 
von mehreren Tagen sammeln, giesse dasselbe unter Zusatz von 
etwas Wasser in einen Glascylinder, werfe eine Anzahl Blei- 
kiigelchen (grober Flintenschrot) hinein, verschliesse mit einem 
Gummistopfen und schüttle das ganze kräftig durch. Nach 
Herausnahme der Schrotkügelchen centrifugire ich die so homo- 
genisirte Masse und untersuche das Sediment auf Tuberkel¬ 
bacillen. 

Als weitere Hilfsmethode ist das Anreicherungs¬ 
verfahren zu nennen. Dieses Verfahren gründet sich auf 
die Thalsache, dass mitunter eine Vermehrung der Tuberkcl- 
baeilleu in dem bei Bruttemperatur gehaltenen Sputum statt¬ 
findet. Diese Vermehrung, die sich vielleicht durch das Mit¬ 
bringen von globulinartigen Substanzen aus dem Körper er¬ 
klären lässt, hört nach ca. 48 Stunden auf. Bei dem Anreiche¬ 
rungsverfahren gehe ich in folgender Weise vor. Ich bringe das 
Sputum in eino Petrischale und zwar so, dass es in einzelnen 
Flöckchen auf dem Boden vertheilt, liegt. Damit keine Ein¬ 
trocknung des Sputums stattfindet, stelle ich diese Schale in 
eine feuchte Kammer und lasse das Ganze bis 48 Stunden in 
dem bei 37 0 gehaltenen Brütschrank stehen; es ist zu empfehlen, 
schon nach etwa 36 Stunden Ausstrichpräparate anzui’ertigen. 
Aufmerksam machen möchte ich noch, dass sich auf dem beim 
Verreiben zu unterst liegenden Objektträger etwa vorhandene 
Tubcrkelbaeillen am leichtesten nachweisen lassen; das ist wohl 
daraus zu erklären, dass die Tuberkelbncillen vermöge ihrer 
specifischen Schwere sich unten ablagern. 

Kommt, man mit diesen Methoden noch nicht zu einem 
positiven Resultate, so bleiben als letztes noch die Thierver¬ 
such c. 

Fallen diese auch negativ aus, so ist mit Sicherheit anzu¬ 
nehmen, dass überhaupt keine Tubcrkelbaeillen entleert werden; 

') Nähere Beschreibung siehe: A. Moellor: „Die Behand¬ 
lung Tuberkulöser ln geschlossenen Heilanstalten." Die deutsche 
Klinik am Eingänge des XX. Jahrhunderts; Urbani Schwär- 
z e n b e r g, Wien und Berlin, l‘J01. 

>'o. ft». 


was ja aber das Vorhandensein von Tuberkulose gewiss nicht 
ausschliesst. Die Entscheidung hierüber muss uns die Tuber- 
k ulinprobe geben. Ich halte die Anwendung des Tuber¬ 
kulins zu diagnostischen Zwecken für den II c i 1 - 
stättenarzt für unentbehrlich, wenn er den beiden gleicher¬ 
weise berechtigten Aufnahmebedingungen gerecht werden will, 
nämlich erstens nur Initialfälle aufzunchmen und zweitens nur 
Tuberkulosefälle in der Anstalt zu behalten. 

In allen Fällen, wo sich bei Anwendung aller Hilfsmethoden 
im Sputum keine Tuberkelbacillen nachweisen lassen, aber der 
Verdacht auf Tuberkulose besteht, schreite ich zur probatorisclien 
Tuberkulininjektion. Ich will gleich anführen, dass ich nie¬ 
mals schädliche Neben- oder Nachwirkungen 
bemerkt habe; abgesehen natürlich von den unvermeidlichen, 
aber schnell vorübergehenden Begleiterscheinungen des Fiebers, 
wie Kopfschmerz und allgemeine Indisposition. Selbstverständ¬ 
lich gehe ich in jeder Hinsicht mit der allergrössten Vorsicht 
zu Werke. Ich verwende das alte Tuberkulin. Die Lösung 
wird vor dem jedesmaligen Gebrauch neu angefertigt. Ich be¬ 
diene mich zur Injektion einer Pravazspritzc, deren Stempel 
auch aus Glas besteht, die also gut und leicht zu sterilisiren 
ist. Als Injektionsstelle wähle ich den Rücken; hier habe ich 
niemals grössere lokale Anschwellungen in Folge der Injektion 
bemerkt, während solche am Arm, bei gleichem sterilen Vorgehen, 
in den allermeisten Fällen zu beobachten sind. Ich mache die 
Injektionen in den Abendstunden zwischen 7 und 8 Uhr, um 
so die allermeistcns nach ca. 12 Stunden eintrotende Reaktion 
über Tag durch 2 stündliche Temperaturmessungen genau kon- 
troliren zu können. Ich beginne in der Regel mit einer Dosis 
von y M mg. Als Reaktion betrachte ich eine Temperatursteige¬ 
rung von mindestens 0,5 4 C. Natürlich ist eine genaue Ueber- 
sicht der Temperaturen der vorhergehenden Tage nothwendig; 
die ist für mich schon eo ipso dadurch gegeben, weil jeder in die 
Anstalt neu eintretende Patient in den ersten 8—10 Tagen 
2 stündlich messen muss. Tritt auf mg keine Reaktion, oder 
doch nur Steigerung von ca. 0,3—0,4 “ ein, so genügt in diesen 
Fällen meistens bei der 2. Injektion, die nach 3 Tagen folgt, eine 
Gabe vou J / 10 mg. Ist nach der 1. Injektion gar keine Tempera¬ 
turveränderung eingetreten, so gebe ich bei der 2. Injektion 
V„ mg; bei der 3., dasselbe vorausgesetzt, 1 mg u. s. w. bis 
höchstens 10 mg bei Erwachsenen; bei Kindern sind nach An¬ 
gabe von Koch 5 mg als Maximaldosis zu betrachten. Bei 
diesem Vorgehen lassen sich hohe Reaktionen leicht vermeiden; 
in der Regel treten nur Steigerungen bis ca. 38° ein. 

Zu therapeutischen Zwecken wende ich das Tuber¬ 
kulin nur auf direkten Wunsch des Patienten an, und selbst¬ 
verständlich nur da, wo durch den ganzen Status keine Contra¬ 
indikation gegeben ist. Hier ist die Steigerung der Dosen ganz 
individuell vorzunehmen. Oft erfordert es viel Mühe und Ge¬ 
duld, das Verfahren überhaupt durchzuführen. So hatte ich 
kürzlich einen Fall, wo schon auf rag Fieber bis 39° auf- 
trat. Auf ’/„ mg trat noch geringe Steigerung ein. Erst nach¬ 
dem ich wochenlang jeden 3. Tag '/„ mg injizirt hatte, konnte 
ich langsam steigen. Nach ca. 4 monatlicher Behandlung war 
ich bis auf 10 mg gekommen, dann ging es verhältnissmässig 
schneller vorwärts. Vor Kurzem habe ich einen Patienten ent¬ 
lassen, bei dem ich über 90 Injektionen nüthig hatte, um auf 
1 g zu kommen. Einen anderen Patienten konnte ich in 
ca. 5 Monaten schon auf die Dosis von 1 g bringen. Eine Er¬ 
scheinung möchte ich hier noch erwähnen. Bei hohen Gaben von 
Tuberkulin, % g und mehr, stellen sich bei sonst vollständig 
reaktionsloscm Verlaufe am nächsten Tage manchmal nicht un¬ 
erhebliche Magenbeschwerden ein. Dieselben lassen sich durch 
Regelung der Diät (flüssige Diät) und Darreichung eines die 
Verdauung fördernden Mittels, ich pflege Kräutertheo zu geben, 
coupircn. 

In allen Fällen, in denen ich Tuberkulin zu therapeutischen 
Zwecken anwandte, konnte ich einen guten Verlauf der Kur, d. h. 
eine stetig fortschreitende Besserung des Lungenbeflindes bei 
gutem Allgemeinbefinden beobachten. Wie hoch der Werth der 
Tubcrkulinbehandlung. wenn sie mit der hygienisch- 
diätetischen Anstaltsbehandlung kombinirt 
wird, überhaupt, anzuschlagen ist, darüber kann ich mir noch kein 
abschliessendes Urtheil erlauben; jedenfalls kann ich aber wieder¬ 
holen, dass ich eine nachtheilige Wirkung des Tuberkulins bis 
jetzt niemals beobachtet habe. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5Ö. 


2000 


Eine neue Methode zur Sicherung der Frühdiagnose 
bei Tuberkulose wurde unlängst von Arloing und Cour- 
mont angegeben; ich meine die Agglutinationsmethode. Ent¬ 
sprechend der grossen Bedeutung dieser Frage sind diese Aus¬ 
führungen mit vielseitigem Interesse aufgenommen und sind 
mehrfach Nachprüfungen angestellt worden. Ich habe mich 
gleichfalls mit grossem Eifer darangemaeht. Meine Versuche, 
mir selbst eine homogene Tuberkulosekultur, wie sie zur An¬ 
wendung der Methode erforderlich ist, herzustellen, fielen sämmt- 
lich negativ aus, trotzdem ich auf’s strikteste nach den Angaben 
der beiden Forscher verfuhr. Durch besondere Vermittlung ge¬ 
langte ich endlich in den Besitz einer dem Laboratorium von 
Arloing und Courmont entstammenden Kultur, mit dev 
ich nunmehr die Nachprüfung anstellte. 

Ich setzte 3—4 Tropfen dieser Kultur zu 6 proc. Glycerin¬ 
bouillon, mischte gut und stellte die beschickten Röhrchen in 
den auf 37 0 gehaltenen Brütschrank. Ich schüttelte die Bouillon 
tagsüber mehrmals durch. Auf diese Weise erhielt ich gut homo¬ 
gene Kulturen; das mikroskopische Bild zeigte auch die Bak¬ 
terien einzeln gelagert. 

Zu der Ausführung der Versuche benützte ich 12 tägige 
Glycerinbouillonkulturen. Das Blut entnahm ich den Patienten 
meistens mittels Lanzettenstiches in die auf das gründlichste 
desinfizirte Fingerkuppe; einige Male entzog ich es auch mittels 
Pravazspritze aus der Mediana. Ich stellte die das Blut ent¬ 
haltenden Röhrchen auf Eis und nahm nach ca. 12 Stunden 
das Serum mit der Pipette. Neben den beschickten Röhrchen, 
welche ich nach dem Vorschläge von Arloing und Cour- 
mont auf 4o" geneigt aufstellte, hielt ich stets ein Kontrol- 
röhrehen. Da Arloing und Courmont selbst eine ge¬ 
ringere Verdünnung als 1:5 für werthlos halten, so nahm ich 
dieses Verhältniss als unterste Grenze an. 

Eine vollständige Klärung habe ich nicht beobachtet, 
eine relative, d. h. einen mehr oder weniger starken Bodensatz 
und eine mehr oder weniger starke Aufklärung der Kultur nicht 
vor Ablauf von 12 Stunden. 

I. Bel Erkrankung leichteren Grades: 

1. Männlicher Patient, 25 Jahre alt, keine Tuberkelbaeilleu 
nachzuweisen. 

Reaktion bei 1:5 und 1:10 nach 24 Stunden negativ. 

Patient erhielt dann mg Tuberkulin ohne Kenktlou. nach 
3 Tagen 1 mg ohne Reaktion, nach weiteren 3 Tagen 3 mg mit 
Reaktion (38,5). 

2. Männlicher Patient. 15 Jahre, keine Tuberkelbacillen nach¬ 
weisbar. 

Reaktion bei 1:5 und 1:10 nach 24 Stunden negativ. 

Hier wiederholte ich später nach positivem Tul>erkulinausfnll 
die Serumprobe (tun eine etwaige ngglutinirende Eluwirkung des 
im Körper noch vorhandenen Tuberkulins auszusehHessen, wartete 
ich, bis die Körpertemperatur 8'Tage lang wieder normal gewesen 
wart, wiederum mit negativem Resultate. 

11. B e i E rkraukung m i t 11 e r e u G r a d e s. 

Männlicher Patient, 35 Jahre alt, Tuberkelbaeilleu reichlich 
im Sputum. 

Reaktion bei 1:5 nach 24 Stunden: geringe Klnrifikation mit 
starkem Bodensatz; bei 1: 10 nach 24 Stunden: negativ. 

III. Bei Erkrankung schwereren Grades. 

Männlicher Patient, 17 Jahre, Tuberkelbneillen in enormer 
Menge. 

Reaktion bei 1:5 nach 24 Stunden: geringe Klnrifikation mit 
Bodensatz. 

IV. Bei Gesunden. 

1. Mann, 33 Jahre alt. 

Reaktion beiT:5 nach 24 Stunden: starker Bodensatz und fast 
vollständige Klarifikation; bei 1:10 nach 24 Stunden: negativ. 

2. Mann. 27 Jahre alt. 

Reaktion bei 1:5 und 1:10 nach 24 Stunden negativ. 

Einen Beweis dafür, dass die agglutinirenden Stoffe im 
Serum wechseln, erhielt ich, als ich kurze Zeit nach der positiv 
au-gefiillenen Reaktion bei dem 33jährigen, gesunden Mann 
eine zweite Prüfung vernahm; dieser Versuch fiel uueh bei 1:5 
nach 24 Stunden negativ aus. Höhere Verhältniss«» als 1:5 
wann al-o s ü m in t 1 i e h n c g a t i v ausgefallen. Ein posi¬ 
tives Resultat ergab sich also nur bei dem einen Gesunden (vor¬ 
übergehend) und bei c inem Lungenkranken, b.»i dem die Diagnose 
durch den Nachweis von Tuberkelbneillen schon gesichert war. 
ltaaegcn hat die Methode in fraglichen Fällen vollständig ver- 


Nacli diesen Resultaten habe ich von praktischer Anwendung 
der Arloing - Courmon t’sehen Serumreaktion zur Siche¬ 
rung der Diagnose bei Tuberkulose abgesehen. 


Aus der Volksheilslätte bei Planegg. 

Zur Behandlung der Lungenblutungen mit subkutanen 
Gelatineinjektionen. 

Von Dr. A. II a in m e 1 b a c h e r und Dr. O. Fisching er. 

Die zuerst von den Franzosen angegebene Behandlung von 
Blutungen mit subkutanen Gelatineinjektionen hat bei Lungen - 
blutungen trotz Curs o h m a n n’s Empfehlung (Münch, med. 
Wochenschr. 1899, p. 370; dazu neuerdings Wagner, Grenz¬ 
gebiete d. Med. u. Chir. Bd. VI, H. 4 u. 5) noch wenig Verbrei¬ 
tung gefunden. Davezac (Alfr. Bass, Centralbl. f. d. Grenz¬ 
gebiete d. Med. u. (’hir. Bd. III, No. G u. 7, 1900) hat sie 2 mal 
(1 mal zugleich mit Ergotin) verwendet und rasches Aufhüren 
der Blutung erzielt. Uebor ähnlich günstige Erfahrungen be¬ 
richtet Huchard (1897, Journal des Practiciens). K. Bauer 
(1. Jahresbericht der Heilstätte Engelthal für 1900) nahm die 
Methode schon 1898 im Nürnberger Krankenhaus auf, verlies» 
sie aller wieder in Folge Auftretens starker Dyspnce bei einem 
Kranken und wendet sie gegenwärtig nur im äussc-rsten Noth- 
fall an. Dieses spärliche kasuistische Material dürfte es be¬ 
rechtigt erscheinen lassen, über 2 in solcher Weise behandelte 
Fälle von Lungenblutung bei Tuberkulose des Näheren zu be¬ 
richten. 

1. Herr F. B„ Theologe, 22 Jahre alt, am 3. XI. 1900 in die 
Anstalt eingetreten; in der Ascendenz keine, Jedoch bei 2 Ge¬ 
schwistern Tuberkulose. Pnt. hatte im März 1S99 ohne alle Vor¬ 
boten nach raschem Laufen eine geringe Haeraoptoe liekommen. 
der weiterhin noch mehrere zum Theil schwere folgten; dabei in 
der Kegel einige Tage vor der Blutung Temperaturerhöhung, die 
unmittelbar nachher absank. 

Pnt. Ist ziemlich gut ernährt (früher sehr stark), zeigt im 
ganzen rechten Ober- und Mittelhippen und hinten bis zum 8. Brust¬ 
wirbel starken Katarrh ohne wesentliche Verdichtungserschei¬ 
nungen. deutliche Verdichtung der linken Spitze, geringe katar¬ 
rhalische Erscheinungen hier und an circumskripter Stelle LVU 
gegen Seite. Im Auswurf ziemlich zahlreiche Tuberkelbaeilleu; 
Puls sehr frequent; übrige Organe ohne Besonderheit. Die Körper¬ 
temperatur war von Anfang au Morgens erhöht; von der 8. Woche 
an ziemlich unregelmässige subfebrile Temperaturen mit einer 
zeitweise sehr grossen Tagesschwankung. Einige Tage nach Be¬ 
ginn dieser Periode wurde sehr vorsichtig mit Intravenösen Hetol- 
Injektionen begonnen, welche die Temperaturkurve nicht ver¬ 
änderten, aber schon nach der 7. Einspritzung wegen der Lungen- 
blutuugeu aufgegeben werden mussten. 

Am 26. I. 1901 (Tags zuvor doppelseitige Tonsillotomie ohne 
wesentliche Nachblutung) und in den nächsten Tagen mehrfache 
geringe Haemoptoen. Am 30. T. starke Haemoptoe (fast % Liter). 

Wir hatten uns schon einige Tage zuvor Gelatinelösuug nach 
Rudolf Hey m an n’s Vorschrift (Münch, med. Woehenschr. 1900. 
png. 1109) hei Bender & Hobeln, München, bestellt (2,5 proc. 
neutrnlislrte Lösung von Gelatine in physiologischer Kochsalz¬ 
lösung); nunmehr am 25. II. unter aseptischen bezw. antiseptischen 
Knutelen Einspritzung von 120 ccm der nochmals sterillslrteu und 
auf 40° abgekühlten Lösung In gleichen Portionen auf beiden 
Brustseiten gegen die Achselhöhle hin. Bei dem starken Fett¬ 
polster des Patienten entstand dadurch keine wesentliche Hervor- 
wölbung und die Vertheilung gelang durch sorgfältiges, vorsich¬ 
tiges Streichen, besonders nach der Achselhöhle hin. leicht und 
ohne Beschwerden. Die Einspritzung wnr schmerzlos (Patient 
hatte zuvor 0,01 Morph, subcutau bekommen). Erst nach 
ca. 2 Stunden trat ziemlich heftiger spannender Schmerz auf beideu 
Brustseiten auf, der 2 Stunden auhlelt, übrigens die Athmung nicht 
störte. Die schmerzenden Theile waren während dieser Zeit leicht 
entzündet und heiss, doch nur wenig druckempfindlich. Pat., ein 
sehr intelligenter und sorgfältiger Beobachter, bemerkte schon 
8—10 Stunden nach der Einspritzung einen „siegellackartigen“ Ge¬ 
schmack im Mund, der 1—2 Tage währte. Der Auswurf war. 
subjektiv und objektiv, von zäherer Konsistenz. 

Es war vom Pat. unangenehm und mit BesorgnlsR empfunden 
worden, dass wir auf die Brust zunächst keine Eisblase, wie bei 
den früheren Blutungen, batten legen lassen, um die Resorption 
der Gelatine nicht zu verhindern: auch überlegten wir uns, dass 
die Einspritzung, weun sie wirklich Erfolg hat. vielleicht ganz 
analog, nur energischer, wie ein Senfpapier (ableitend) wirke. Wir 
versuchten cs daher, als aui 28. II. wieder eine geringe Blutung 
auftrat, mit einer Einspritzung von 00 ccm Gelatine unter die 
Haut des rechten Oberschenkels. Hier war schon die Vertheilung 
der Masse etwas schwieriger: die folgenden Schmerzen waren 
stärker und andauernder, als das erste Mal; jener ..Siegellack¬ 
geschmack“ trat erst viel später und lange nicht so intensiv auf. 
Pat. behauptete mit aller Bestimmtheit zu fühlen, dass diese Ein¬ 
spritzung nicht so gut wirke. Am Abend des 1. III. starke Hacino- 
ptoe (Pnt. hatte einen aufregenden Besuch bekommen) und in 
der Nacht des 2. III. abermals elue solche. Am 3. III. wurden 
80 ccm Gelatine, die wir nun.seihst bereitet batten, an der Brust 


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MTJENCHENER MEDTCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2001 


10. Dezember 1901. 


eingespritzt. Die subjektiven Erscheinungen waren ganz ent¬ 
sprechend wie das erste Mal. Auch ohne Morph, fast kein pri¬ 
märer Schmerz, ’) 

Der Geschmack war diesmal „gummiartig“, nach 2 Stunden 
traten wieder ziemlich starke Schmerzen auf, wurden aber durch 
warme Umschläge (die jedenfalls die Resorption begünstigen, 
siehe Fall 2) wesentlich vermindert und abgekürzt. In der Folge 
traten nur mehr ganz geringe Blutbelmengungen im Auswurf bis 
zum 13. III. auf; am 17. TII. nochmals ganz wenig frisches Blut. 
Am 0., 10., 13. und 20. III. wurden noch vorsichtshalber 80, 40, 
20" und 40 ccm Gelatine auf der Brust eingespritzt und Jedesmal 
waren die subjektiven Erscheinungen die typischen. Allmählich 
bildete sich eine wenig harte Infiltration des Dntorhautgcwebes 
an der Kinspritzungsstelle in etwa Handtellergrösse aus, die bei 
Druck schmerzte und die späteren Einspritzungen etwas unan¬ 
genehmer machte, übrigens bald wieder völlig verschwand. Pat. 
zeigte dann noch ein paarmal Spuren Blutes im Auswurf und stand 
am 22. III. zum ersten Male auf. 

Am Tage nach der ersten und zweiten Einspritzung war die 
Körpertemperatur steil in die Höhe gegangen bis 40° (unter der 
Zunge), doch auch wieder schnell gesunken; am 2. Tage nach der 
3. Einspritzung geringes Fieber, dann normale Temperatur. 
Erst späterhin ist wieder ein ausgesprochener subfebriler Status 
eingotreten; die Erkrankung der rechten Seite hatte sich in der 
Zwischenzeit ausgebreitet. 

Im Urin waren niemals Eiweiss — wir halten es nach den 
vorliegenden Literaturangaben keineswegs für erwiesen, dnss Ge¬ 
latineeinspritzung an sich Albuminurie erzeugen könne — oder 
Blutbestandthelle nachzuweisen; das spezifische Gewicht war stets 
sehr hoch, doch ohne Bezug zur Einspritzung. 

Nach schriftlicher Mittliellung des B. sind bis jetzt keine er¬ 
heblichen Blutungen mehr aufgetreten. 

Der Eindruck dieses Verlaufes auf die beobachtenden Mit- 
patienteu war so günstig gewesen, dass der Nächste, der eine 
einigermaassen wesentliche Haemoptoe bekam, sofort dringend 
bat, ebenso behandelt zu werden. 

2. Aus der Vorgeschichte des Herrn F. N.. Friseurs, 20 Jahre 
alt. aufgenommen am 30. III. 1901. ist zu entnehmen, dass die 
Mutter und ein älterer Bruder früher wahrscheinlich an Tuber¬ 
kulös«* gelitten haben, dass Pat. seit 2 Jahren sich etwas kränk¬ 
lich fühlte, vor 1 Jahre zu husten begann und seitdem 3 mal 
massige Ilaemoptoen, die erste nach einer stärkeren Anstrengung 
beim Turnen, durchmachte. Pat. ist In reduzlrtem Ernährungs¬ 
zustand, zeigt fluchen Thorax, deutliche Verdichtung und trockenen 
Katarrh auf dem rechten Oherlappen und in der linken Spitze; 
im Auswurf ziemlich zahlreiche Tuberkelbacillen; andere Organe 
ohne Besonderheit. Von Anfang an subfebriler Status mit ziem¬ 
lich erheblichen Tagesschwankungen. Am 23. IV. leichte Haoino- 
ptoö (etwa y 4 Liter), ebenso am 30. IV. Hierauf Einspritzung vou 
50 ccm sell)stl»ereiteter Gelatinelösung in die linke Brustseite. 
Bei dem geringen Fettpolster bildete sich eine sehr erhebliche 
Vorwölbung der Haut, doch gelang die Verthellung leicht und 
rasch ohne irgend nennenswerthe Schmerzen: «•rat. nach 3 Stunden 
stärkere Schmerzen, die ungefähr 2'/ 2 Stunden andauerten und 
nach Applikation warmer Umschläge verschwanden. Pat. bekam 
schon V/ a Stunden nach der Einspritzung einen deutlich ..gummi¬ 
artigen" Geschmack im Munde, der atu nächsten Morgen und 
Al>cnd nach neuerlicher (versuchsweiser) Anwendung der warmen 
Umschläge wieder deutlich auftrat. In der Nacht des 2. V. geringe 
Ilneinoptoe; am nächsten Morgen Einspritzung von 50 ccm Ge¬ 
latinelösung auf der rechten Brustseite unter denselben Verhält¬ 
nissen; dieses Mal wurden von vornoherein warme Umschläge ge¬ 
geben und I’at. hüllte sich sehr warm ein. wodurch die Schmerzen 
nur in sehr geringem Grade nuftrnten. Von nun an (bis 4. V.) 
mir mehr ganz geringe Blntbeimengungen im Auswurf. In der 
Brusthaut ist weder subjektiv noch objektiv etwas naohzuweisen, 
von Dyspnoe war auch hier nichts zu liemerken. 

Die Körpertemperatur war schon 2 Tage nach der ersten grös¬ 
seren Blutung bis auf 39.2 gestiegen und sank mit starken Morgen- 
reniissionen täglich etwas ab; am Tage der 2. Gelatineeinspritzung 
(schon vor derselben) nochmalige Akme bis 39.7. seitdem wieder 
Abfall. 

Im Urin konnten niemals Eiweiss oder Blut nachgewiesen 
werden: am 2. V. deutliche Diazoreaktion. die weiterhin bei täg¬ 
licher Untersuchung nicht wieder auftrat: spezifisches Gewicht 
während der ganzen Zeit hoch, jedoch nicht deutlich durch die 
Injekthmen beeinflusst Auch N.. der gegenwärtig noch in Be¬ 
handlung steht, hat kein Blut mehr gespuckt. 

Wenn es auch bei «lern wechselvolleu Yorlnut’ der Lungvn- 
blutungen bei Tuberkulose gewagt wäre, ihren Stillstand in 
unseren Füllen bestimmt auf die Gelutineinjcktion zurückzu- 
fiihrcn, so möchten wir es doch in jedem Falle einer starken 
Haemoptoe für rathsnm halten, einen Versuch damit zu machen, 


’) Vielleicht Ist die unseren Erfahrungen direkt zuwider- 
laufende Angabe mehrerer Autoren über grosse Schmerzhaftigkeit 
der Einspritzung durch ungenaue Neutralisation der Lösung zu 
erklären; wir hatten darauf unter Befolgung der Vorschriften 
von Heim (Lehrbuch der Bakteriologie 1S9H, pag. 73 u. 74) beson¬ 
dere Sorgfalt verlegt. Andererseits hatten wir die Einspritzungen 
nicht so ausserordentlich langsam wie andere Autoren, sondern 
Jedesmal lm Laufe von 5—10 Minuten durchgeführt. 


falls nach den äusseren Verhältnissen die Beschaffung einer ein- 
wandsfreien Lösung und ihre aseptische Applikation möglich ist. 

Anmerkung während der Korrektur: Bei noch 
2 weiteren Fällen hat sich die günstige Wirkung und Schmerzlosig¬ 
keit erwiesen. 


Aus der medicinischen Klinik zu Breslau. 

Purpura haemorrhagica bei Lungentuberkulose. 

Von Dr. E. Cohn, Volontär-Assistenten der Klinik. 

Die relative Seltenheit der Purpura haemorrhagica und die 
mangelhafte Aufklärung ihrer Aetiologie geben immer noch Ver¬ 
anlassung, einzelne Fälle dieser Erkrankung mitzuthcilen; der 
vorliegende Fall ist um so mehr dazu angethan, als er die Frage 
des ursächlichen Zusammenhanges von Purpura und Tuberkulose 
zur Diskussion stellt, und als er sich ausserdem durch unge¬ 
wöhnliche Intensität der Ilauthaemorrhagien wie der Visceral- 
erscheinungcn auszeichnete. 

Um die Darstellung des Falles vorwegzunehmen, so handelt 
es sich um ein 19 jähriges Dienstmädchen, Ilcdwlg Sch., welche am 
13. XII. 1900 in die medieiniseho Universitätsklinik zu Breslau auf¬ 
genommen wurde. Der Vater d«*r Kranken ist an Lungenschwind¬ 
sucht gestorben; die Mutter leidet an Gallensteinen; von den Ge¬ 
schwistern sei keines lungenkrank. Das Mädchen selbst hatte 
als Kind Scharlach, Im Alter von 15—17 Jahren „Bleichsucht“, 
sonst angeblich keine wesentlichen Inneren Erkrankungen. Die 
Periode, die zuerst mit IG Jahren eintrat, sei öfters unregelmässig 
gewesen; die letzte Menstruation soll nach 8 wöchentlicher Meno¬ 
pause vor ca. 8 Tagen stattgefunden haben und nicht besonders 
stark gewesen sein. Vor 10 Tageu bemerkte die Patientin, wie sic 
sich ansdrüekte, „Blattern“ au den Beinen, ohne dass sie eine un¬ 
angenehme Empfindung gehabt hätte. Die „Blattern" vermehrten 
sich dann, besonders in der Richtung nach oben; es entstand ein 
Gefühl von Schwere ln (len Beinen, welche sich vor 4 Tagen 
geschwollen zeigten. Das Gefühl wird als das einer schmerzhaften 
Spannung, besonders der Waden, ohne erheblichere Beschwerden 
von Selten irgend eines Gelenkes augegeben. Iu den letzten Tagen 
will die Patientin auch noch ein geringes Schmerzgefühl im Halse 
verspürt haben, auf welches sie aber erst durch Befragen auf¬ 
merksam gemacht wird. 

Am Tage der Aufnahme wurde bei ihr der folgende Befund 
erhoben: Temp. 37°: Puls 96. Mittelgrosse, graeil gebaute Patien¬ 
tin von blassem Aussehen, schlaffer Muskulatur und geringem 
Fettpolster. Am rechten Unterkiefer eine schmerzhafte Lymph- 
drilse. Mässiges Oedem beider Beine, besonders des rechten, am 
stärksten in der Knöchelgegend; doch ist die Bewegung der Fuss- 
g«*lenke nicht sehr schmerzhaft. Die Kniegelenke, ebenso wie 
alle anderen Gelenke, sind frei. Beide untere Extremitäten 
sind auf der Vorder- und Rückseite bis zur Beekengegend ziem¬ 
lich gleiclnnässig von einem fleckigen Exanthem bedeckt. Das¬ 
selbe besteht aus multiplen punktförmigen bis linsengrossen, an 
einzelnen Stellen conflulrenden Flecken, von denen die hochrothon 
offenbar jüngeren, die gelb-bräunlichen älteren Datums sind. Alle 
behalten bei Ginsdruck ihre Farin* und sind über die Oberfläche 
nicht erhaben. Am Rumpf und den oberen Extremitäten finden 
sich nur kleine und vereinzelte, im Gesiebt gar keine Eruptionen. 
Die Schleimhaut des Rachens zeigt sich leicht gerötbot. die rechte 
Tonsille etwas geschwollen mit zerklüfteter Oberfläche. Die 
Pupillen reagiren prompt. Ani Halse fällt eine stark arteriell«* 
Pulsation auf. An Thorax und Wirbelsäule besteht eine ganz 
geringgradige Deformation lm Sinne einer Kyphoskoliose nuf rachi¬ 
tischer Basis. Die Lungen reichen hinten beiderseits bis zum Pro- 
oess. spinös, des XI. Brustwirbels und sind respiratorisch leidlich 
verschieblich. Vorn stellt die rechte Luugengrenze am unteren 
Rande der VI. Rippe. Perkussion und Auskultation lassen patho¬ 
logische Verhältnisse nirgends erkennen; es besteht keine Spur von 
Husten oder Answurf. Den Anschlag des Herzens fühlt man im 
IV. und V. Interkostnlraum diffus und kräftig. Die relative Herz- 
(lämpfung reicht nach oben bis zum unteren Rand der III. Rippe, 
nach rechts bis fast zur Mitte des Sternums, nach links um Quer- 
fingerbreite über die Mammillarlinie hinaus. Die Herzaktion ist 
sehr erregt, der I. Ton an der Spitze geriluschnrtlg und paukend, 
der II. Puhnonalton acceutuirt. Am Abdomen ist nichts •Be¬ 
sonderes; Milz und Leber sind nicht palpabel: doch ist die Milz- 
dämpfung vergrößert und sehr g«*sättigt. Der Urin erweist sich 
als frei von Eiweiss und Zucker. Die 2 Tage später vorgenommen«* 
Rlntuntersuehung ergab keine nennenswerthe Herabsetzung des 
Haemoglobingehnltes (13 Proc. gegen 15 Proe. in der Norm), keine 
btHleutende Leukocytose (9400 im Kubikcentimeter); ebensowenig 
ergab die Untersuchung des mit Ehrl! ob's Triaeid gefärbt«*!! 
Trockenpriiparntes irgend welche Anhaltspunkte. 

Fenier möge bereits an dieser Stelle Erwähnung finden, dass 
auch die am 18. XII. vorgenoiiiiiiene kulturelle l'ntersuelniug des 
durch Veiinepunktion gewonnenen Blutes ein negatives Resultat 
ergeben bat. 

Der Verlauf der Erkrankung war nun im Weiteren ein höchst 
eigentliümliciier. Bereits in der Nacht vom 14. bis 13. XII. hat 
di«* Patientin grössere Mengoen gallig gefärbter Flüssigkeit er¬ 
brochen. welcher einige grössere auf dein Boden des Gefasst*» 
liegende Blutgerinnsel boigemengt waren. Das Erbrechen eben- 

2 * 


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2002 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


solcher Massen, aber ohne Blutbeiniengung, dauert ln den nächsten 
Tagen fort, obwohl die Patientin sehr wenig zu sich nimmt. 
Inzwischen blasst das Exanthem an den unteren Extremitäten sein- 
rasch ab; es erfolgen al>er neue Blutungen auf den Armen und am 
Stamm, während Schleimhäute und Augenhintergrund frei bleiben. 
Am linken Unterarme hat sich eine Haemorrhagie im Anschluss 
au eine Morpliiuinjektion ausgebildet. 

Am IS. XII. gestaltet sich der Status plötzlich sehr ernst. 
Nachdem die Patientin schon am Abend vorher über Leib- 
schnierzen geklagt hatte, iiussert sie am anderen Morgen heftige, 
anfallsweise auftreteude Schmerzen im unteren Thelle des Ab¬ 
domens. welches keine besondere Auftreibung und keine lokalisirte 
PruekempÜndlichkeit zeigt. Habel immer neues Erbrechen galliger 
Massen; kleiner frequenter Puls (120 in der Minute) bei niedriger 
Temperatur (.'5(1.7 u ) und so starker Collaps, dass das Krankheits- 
bild einer schweren peritonealen Reizung dargeboten und un¬ 
mittelbarer Exitus letalis befürchtet wurde. Ileussymptome fehl¬ 
ten: der Urin wurde bei der Kochprol>e opaleseent; am rechten 
Handrücken fand sich ein leichtes Oedein im Umkreise einer 
Haemorrhagie. 

Wider Erwarten remittirt das schwere Krankheitsbild bereits 
am selben Alteml und am anderen Tage — dem 19. XII. 1900 — 
sind Puls und Allgemeinbctinden bedeutend besser. Auch sonst 
hat sich der Status bereits wieder verändert: Am linken Ellbogen 
sind mehrere bedeutende und tiefsitzende Hautblutuugen von Zehn- 
pfennigstück-(»rosse aufgetreten; ausserdem zahlreiche sternförmige 
Blutungen am Zäpfchen und welchen (intimen, vereinzelte Blut¬ 
ungen auch au der Lippenschleimhaut und am Zahnfleisch; schlles- 
Ileh noch eine Reihe neuer kleiner Ekchymosen am Gesäss uud 
Rücken. 

In der nächsten Zeit bleibt bis auf zeitweilige Anfälle von 
Koliken und Erbrechen das Allgemeinbefinden zufriedenstellend. 
Hie erste Stuhlentleerung nach den schweren gastrischen Erschei¬ 
nungen vom 18. XII. tritt am 22. XII. ein und erweist sich als 
völlig normal, ebenso die folgenden. Interessant und wechselnd 
ist Immer noch das Verhalten der Hacmorrhagicn: während die 
alten Flecke und auch die letzterwähnten Schleimhautblutungen 
in Resorption begriffen sind, bilden sich neue aus, erstens kleinere 
Hautblutuugen am rechten Oberarm, dann eine k’eine Conjunctival- 
blutung am linken Auge, vor Allem aber grosso konfluirende Blut¬ 
ungen auf dem Gesäss. welche ihrer seltenen Intensität wegen zur 
Anfertigung einer Moulage Veranlassung gegeben haben. Jeder 
einzelne dieser Flecke bestand aus einem tiefdunklen Centrum 
mit hellerem Hofe. Dann entstanden noch einige neue Fhcke am 
linken Knie und bemerk »»nswert her Welse auch solche an clrcum- 
scripter Stelle im Bereich einer Eisblase auf der Herzgegend, zu 
deren Applikation das Auftreten eines systolischen Geräusches An¬ 
lass gegeben hatte. Dasselbe Phänomen wiederholte sich einige 
Tage später auf der Haut des Abdomens, als der Wiedereintritt 
heftiger gastrischer Erscheinungen auch dort die Eisapplikation 
notliwendig machte. Diesmal blieben Collapszustündo aus. dafür 
kam es zu kleineren Blutungen iu das Darmlumen, welche sich 
am .1. und 9. I. 1901 durch blutige Stuhlentleerungen kund gaben. 

Nach endgiltigem Abklingen der Intestinalerscheinungen, wie 
der llauthaemorrlmgien. lwgnnn allmählich ein anderer Faktor das 
Krankheitsbild zu beherrschen, nämlich eine schwere Alteration 
des uropoeti sehen Systems, welche schon vor einiger Zeit durch 
das Auftreten von Albuinen. Cylinderu und /eiligen Blutelementen 
im Urin konstatirt worden war. Am 13. I. fällt an letzterem zum 
ersten Mal eine starke, schon dem blossen Auge erkennbare Blut¬ 
beimengung auf: die Besichtigung eines mikroskopischen Urin- 
prüpnrates ergibt das Vorhandensein massenhafter rother und 
weisser Blutkörperchen, zahlreicher gekörnter und hyaliner 
(’ylinder, sowie auch vereinzelter Wachscyünder. Zugleich mit 
dem Eintritt »ler Hnemnturie geht auch die Temperatur, die vorher 
nur kurze Zeit fieberhaft, gewesen war. wieder in die Höhe. Die 
Menge des ausg»-schled»‘ncn Albaniens schwankt im Allgemeinen 
zwischen 2 und 3 I’rom. (Esbach»: der Urin enthält von jetzt 
ab täglich eine mehr oder minder grosse Beimengung von Blut. 
Das Allgemeinbefinden ist dalxü ein leidlich befriedigendes. 

Dies war für einige Wochen die Signatur des Kraukheltsbildes. 
bis sein Charakter durch ein ganz neues Moment abermals ver¬ 
ändert wurde. Scheinbar ln ursächlichem Zusammenhänge mit 
einer Erkältung begann die Patientin, was vordem nie bemerkt 
worden war, zu husten. Am 9. II. wurde bei Ihr feuchtes Rasseln 
über beiden Oberlappen ohne perkutorische Veränderungen ge¬ 
funden. Es bestand auch etwas Auswurf, der aber vorwiegend 
schleimig und so völlig unverdächtig aussah. dass seine mikro¬ 
skopische Untersuchung zunächst unterlassen wurde. Erst als 
nach einigen Tagen bei entsprechender Therapie der Husten nicht 
nachliess. wurde der Patientin .Todkali gereicht, worauf eine 
stärkere Expektoration erfolgte und in dem so erhaltenen Material 
reichlich Tuberkclbacillen nachgewies»-n wurden. Auf Grund dieser 
Erfahrung wurde die gleiche Untersuchung an dem centrifugirten 
Urinsediment vorgenommen, aber mit negativem Krgehniss. 

Die Krankheit nimmt nunmehr — bei gleichzeitig b»»siehend»»r 
haeniorrh.-uriseht r Nephritis den Verlauf einer rapid fortschrei- 
ienden Phthise. Am 23. H. ist bereits ein deutlicher auskultatori¬ 
scher und perkutorischer Befund in »ler Krankengeschichte 
notirt: «lie Perkussion ergibt üb» r der rechten Lungenspitze vorn 
und hinten gediimi'l'i-tytnpanitisch'. n Sehall. im ersten und zweiten 
Intei-kostalraum vorn m-hterseits ausgesprochen»» T.vmpanfe; über 
• ler linken Spitz«» intensiven» Dämpfung, nach vorne »lie Clavikel 
mit < innelmiend. Die Auskultation ergibt re»»bts deutii»-b ver¬ 
längertes, stark bronchiales Exspirium und fmu-ht«», nach Llusten- 


stössen etwas liell klingende Rasselgeräusche auf der Höhe des vesi¬ 
kulären Inspiriums; links ist «las Athemgeräusch abgeschwächt, von 
sehr dichtem feinblasigeu Rasseln begleitet. — In den letzten 
Krankheitstageu stellte sich »lauu noch eine Ulceration im Larynx 
ein (links an der hinteren Commissur sitzend) und am 5. III. 19‘Jl 
erfolgte der Exitus. 

Die Obduktion ergab: Vorg»»schrlttene cavernöse Phthise beider 
Oberlappen, besonders des rechten (links waren zwei Caverneu 
mit Eiter und Gewebstheileu ausgefüllt. rechts eine von über 
Wallnuss-Grosse). Herz klein, ohne Besonderheiten. In der Bauch¬ 
höhle: Serosa Spiegelud und glatt: Milz von normaler Grösse uud 
weich; Leber vergrössert mit Muskatnusszeichnung auf dem Durch¬ 
schnitt. Nieren zeigen Verfettungen und zahlreiche kleine llaemor- 
rlmgien; mlkroskopiscli sieht man massenhafte Blutungen in Glo- 
meruli und Kanalsystem bei verhältnissiuässig sehr geringer Be¬ 
theiligung des interstitiellen Gewebes: Nebennieren, auch mikro¬ 
skopisch. ohne Besonderheit; Genitalorgnne ebenso; int Dann 
finden si»»h verschiedene hellroth pigmeutirte Stellen, die P e y e r'- 
scheu Plaques geschwollen, nnt Eingang «les Processus vermiformis 
zwei ganz kleine Geschwüre. 

Resumircn wir noch einmal die Gruntlzijge dieses Fall»?s, 
so haben wir: Beginn der Erkrankung bei einem vorher gesunden, 
aber hereditär belasteten Individuum mit haemorrhagischcr l)ia- 
these, heftigen Visceralerscheinungen, ohne Betheiligung von 
Gelenken; weiterer Verlauf unter dem Bilde der haemorrhagi- 
schen Nephritis und als Finale eine Phthise. Die Fragestellung 
für eine epikritische Beurtheilung des Falles ergibt sich von 
selbst. Erstens: Hat die Phthise zur Zeit der Purpuraeruption 
bereits latent, bestanden oder ist sie jüngeren Datums? Sodann 
— für den Fall, dass die erster» 4 Möglichkeit zutrifft — ist ein 
Zusammenhang zwischen beiden Erkrankungen denkbar, und 
welcher? 

Die erste Frage kann auf Grund des Organbefundes in 
autopsia und des Vorliegens einer hereditären Disposition wohl 
mit Sicherheit bejaht werden. 

lind wenn wir uns somit der zweiten Frage zuwenden, st* 
haben wir zunächst eine Reihe anderer Möglichkeiten, welche 
zur Entstehung einer Purpura Anlass geben könnten, auszu- 
schliessen versucht. Vor Allem wurtle, nachdem die bakterielle 
Blutuntersuehung keinen Aufschluss gegeben hatte, an irgend 
eine Vergiftung gedacht, wobei ja wiederholt purpuraartige 
Exantheme beobachtet worden sind. Allein erstens ist in der 
Umgebung des Mädchens nach ihrer und des behandelnden Arztes 
Aussage kein weiterer derartiger Krankheitsfall vorgekommen 
und zweitens hat sich auch sonst bei eingehendster Inquisition 
nicht der geringste Anhaltspunkt für die obige Annahme finden 
lassen; unter anderem erwies sich das Roth von Papierblumen, 
welche die Patientin kurz vor ihrer Erkrankung angefertigt hatte, 
als ein völlig unschädlicher, organischer Farbstoff. Nachdem 
dann die Tuberkulose als ätiologische« Moment in Betracht kam, 
haben wir uns in der Literatur nach Analoga eines solchen Falles 
umgesehen. Dabei hat es sich gezeigt, dass in der sehr umfang¬ 
reichen Literatur über Purpura, in der allen erdenklichen Ein¬ 
flüssen ätiologische Geltung zugesprochen wird, die Tuberkulose 
nur eine sehr geringe Rolle spielt. 

Von Wiechel, welcher über die „Aetiologie der liaemor- 
rhagischen Dlathesen mit besonderer Berücksichtigung derselben 
b»»l Lungentuberkulose“ eine Dissertation (Greifswald 1897) ver¬ 
fasst hat, wird das Vorkommen von Purpura lm Gefolge von Tuber¬ 
kulose geradezu als „ausserordentlich selten“ bezeichnet ln dieser 
Arbeit wird die genaue Krankengeschichte eines dem unserigen 
analogen Falles aus der Greifswalder Klinik mitgethellt auf dessen 
Deutung wir an einer anderen Stelle zurüekkommen werden; Bei¬ 
spiele aus der Literatur finden sich aber nicht lierangeeogen. 

Es sei uns daher gestattet, das der zu unserer Verfügung 
stehenden Literatur entnommene Material ohne Anspruch auf ab¬ 
solute Vollständigkeit an dieser Stelle kurz zu referlren. Am 
meisten an unsere Beobachtung erinnert das, was Molllöre 
(Annoles de Dermatologie 1887) als Purpura prömonltolre de lu 
tuberculose pulmonnire bezeichnet hat. Der von Ihm mitgethellt.» 
Fall (Ohsen-. XVI) betrifft »»Inen 20 jährigen Mann ohne hereditäre 
Belastung und ohne Alkoholmissbrauch iu der Anamnese (der mit¬ 
unter auch eine ätiologische Rolle spielt>, bei dem lm zeitlichen 
Anschluss an die Purpura eine Lungentuberkulose manifest wurtle, 
die aber »ler Darstellung des Falles nach mit Sicherheit schon vor¬ 
her bestanden hatte. Bei demselben Autor findet sieh noch ein 
zweiter Fall (Observ. III), wo ebenfalls ein jugendliches Indi¬ 
viduum im Verlauf einer Tuberkulose eine I’urpuraerkrankung 
durehgemacht hat Dem erstgenannten Falle sehr ähnlich 
ist ein von Herzog (Arch. f. Kiuderheilk. XI) mitgelheilter. 
in welchem der Publicist hei einem 4*/ s jährigen, an Purpura er¬ 
krankten Knaben die Prognose desshall) dubiös g»»stellt hatte, weil 
lmroditäro Belastung mit Tuberkulose vorlag. Der Knabe ist dann 
nach mehrfachen Itecidiven von Purpurn an allgemeiner Tuberku¬ 
lose im Alter von 11 Jahren zu Grunde gegangen. Sonst hat es* 
sich öfter uni Phthisiker in stadio ultimo gehandelt, bei welch«»» 
hnemorrlingische Diathesc eintrat; von solchen berichten Lelofr 


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10. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2003 


(Aunales <le Dermatologie 1884). Wagner (Deutsch. Arcli. f. 
klin. Med. Bd. 39). V a r i o t (Journal de l'anntomle et de la physiol. 
No. G; Ref. Virehow-Hirsch Jahresbericht 1887, S. 257) und Wood- 
bury (Phlladelph. med. Times, 18. Sept; Ref. Vlrehow-Hlrsch 
Jahresl»e rieht 188G). 

Anderweitige Beobachtungen der Kombination von Purpura 
mit Lungentuberkulose Anden sich ferner noch l»el Steffen 
(Jahrb. f. Kinderheilk. 37, I) — Fall eines 10 jährigen Mädchens, 
defunkt an verbreiteter Tuberkulose und chronischer Peritonitis —, 
bei Plgot (Cnvernensymptome im linken Oberlappen, Gaz. hebd. 
de mGd. et de Chirurg. 1807: Ref. Centralbl. f. Innere Med. 1898) 
und bei Rathery (Union med. 1883; Ref. Centralbl. f. innere 
Med. 1884), letzterer Fall dadurch interessant, dass die Trägerin 
der Phthise nach abgelaufener Purpura eine Pockeninfektion in 
Gestalt einer leichten Variolols, nicht aber einer haemorrhagischen 
Variola durchmachte. Ferner beschreibt Scheby-Buch unter 
3G Purpurafällen 3 mit tuberkulös erkrankten Lungen (Deutsch. 
Arch. f. klin. Med. Bd. 14). Unter einen etwas anderen Gesichts¬ 
punkt fällt die von Burreiff gemachte Beobachtung eines 
rasch letal verlaufenden Falles (Observation d'un cas de maladie 
de Werlhof (Purpura haemorrhagiea) il inarche foudroyante; Ree. 
dt* mein, de Möd. mil. 78; Ref. Vircliow-HIrsch Jahresber. 1878), 
in welchem bei der Sektion ausser kleinen InAltraten ln einer 
Lungenspitze eine Vergrösserung der Nebennieren mit käsiger Er¬ 
weichung ihrer Marksubstanz gefunden wurde. Es sind nämlich 
auch Fälle von Purpura bei Drilsentuberkulose bekannt gegeben 
worden; so von H o k e bei Tuberkulose der rechtsseitigen iliacalen 
und retroperitonealen Lymphdrilsen und lokaler chronischer 
Nierentuberkulose (Wien. klin. Wocheusclir. 1897, No. 35; Ref. 
Virehow-Hirsch Jahresber. 1898) und von Palmedo bei Schwel¬ 
lung der Halsdrüsen eines aeuaeinischen. hereditär belasteten In¬ 
dividuums (Dissertation Würzburg; Ref. Virehow-Hirsch Jahresber. 
1890). Ferner theilt Re inert (Münch, med. Wochensclir. 1S95) 
einen Fall von Barlow’scher Krankheit mit enormen Blutungen 
bei einem 3 Jährigen Knaben mit, dessen Autopsie latente Bron¬ 
chialdrüsentuberkulose ergab, ohne dass aber der Beobachter die¬ 
selbe für die haemorrhaglsohe Diathese verantwortlich macht. 
Erwühnenswerth ist schliesslich noch eine Publikation Voll- 
bracht’s (Wien. klin. Wochensclir. 1899, No. 28; Ref. Centralbl. 
f. innere Med. 1899, 20), welcher bei einem 15 jährigen Mädchen 
11 Monate nach voraufgegangener Purpura haemorrhagiea einen 
Morbus Addison! sich entwickeln sah und bei der Obduktion eine 
Tuberkulose der Nebennieren fand. In unserem Falle waren, um 
es nochmals hervorzuheben, die Nebennieren intakt. Soweit die 
kasuistischen Mittheilungen in der Literatur, denen wir nur noch 
die Bemerkung anschliessen wollen, dass v. Kagerer ln einen» 
Artikel „Zur Entstehung von Hauthaemorrliagien“ (Zeitschrift für 
kfmisclie Medicin. X. S. 234) bei den Blutaustritten im Verlaufe 
chronischer Krankheiten u. a. auch die bei der Tuberkulose er¬ 
wähnt, und dass M a t h i e u unter seinen Purpuras cachectiques 
(Arch. g£n6ral de m6d. 1883, Sept.; Ref. Virchow-Hirsch’s Jahres¬ 
bericht 1883) neben progressiven Anaemlen und hydroplschen 
(id est Herz- und Nieren-) Krankheiten der Tuberkulose ihren 
Platz einrüumt. 

Wenn also das Zusammentreffen von Purpura und Tuber¬ 
kulose nach der Ansicht einer Reihe von Autoren mehr als eine 
zufällige Kombination zu bedeuten hat, so ergibt sich von selbst 
die weitere Frage nach der Erklärung ihres Zusammenhanges. 
Eine Art desselben, die theoretisch möglich wäre, glauben wir 
für unseren Fall mit Sicherheit ausschliessen zu können, näm¬ 
lich die Annahme von multiplen Embolien; und zwar desshalb, 
weil die Lokalisation der Haemorrhagien an Orten der Ein¬ 
wirkung mechanischer Insulte (Gesäss und Ellbogen bei Rücken¬ 
lage, Haut des Rumpfes unterhalb einer Eisblase, Einstichstelle 
einer Pravaz’schen Spritze) durchaus für eine lokale Erhöhung 
der Disposition zu Blutaustritten zu sprechen scheint. Als ana¬ 
tomisches Substrat für dieselbe möchten wir eine Schädigung 
der Gefässwände annehmen und stützen uns dabei auf die An¬ 
sicht Litton’s (Nothnagel’s spez. Therapie Bd. 8, III), der 
dieses Moment insbesondere für Blutungen bei chronischen 
Krankheiten, wie Tuberkulose, gelten lässt; befinden uns auch 
in Uebereinatimmung mit W i e c h e 11, der den oben citirten 
Fall aus der MosleFschen Klinik bearbeitet hat, während 
L e 1 o i r für den seinigen (Annales de Dermat. 1884) eher eine 
Blutalteration anzunehmen geneigUTst. 

Von Wi ec hell möchten wir auch die Erklärung dafür 
acceptiren, wesshalb die Purpura im Verlauf einer Tuberkulose 
bei scheinbarem Fortbestehen der grundlegenden Schädlichkeit 
nur ein interkurrentes Ereigniss bildet. Er sieht den Grund 
darin, dass die haemorrhagische Diathese (id est Alteration der 
Gefässwand) durch die Resorption von Toxinen aus einem plötz¬ 
lich zerfallenden tuberkulösen Herde bedingt sei, deren Ausschei¬ 
dung aus dem Körper naturgemäss zu einem Erlöschen des 
Symptomes führen müsse. 

Für unseren Fall, der ja sichtlich mit dem Floridwerden 
eines vorher latenten Processes einherging, scheint uns diese 
Erklärung um so mehr zu passen, als darin auch die haemor- 

No. 50. 


rhagische Nephritis, herbeigeführt durch die Ausscheidung der 
Toxine, ihren Platz findet. Wir sind uns natürlich wohl be¬ 
wusst, dass der einzelne Fall nicht danach angethan ist, um be¬ 
weiskräftige Schlüsse daraus zu ziehen, dass insbesondere der 
Einwand, es könne dasselbe unbekannte Krankheits-Agens, 
welches die Purpura hervorgebracht hat, auch das Virulent werden 
einer alten Tuberkulose ausgelöst haben, nicht mit Sicherheit 
widerlegt werden kann. Immerhin glauben wir, dass, wenn der 
Fall sich noch anderen Beobachtungen anreihen sollte, er nicht 
ohne Werth ist, und dass er jedenfalls genug des Interessanten 
bietet, um die kasuistische Mittheilung zu rechtfertigen. 


Ueber einen neuen Apparat zur Bestimmung des 
Haemoglobingehaltes im Blute.*) 

Von Prof. Dr. Gustav Gaertner in Wien. 

Die Entscheidung der Frage, ob ein Individuum anaemisch 
ist oder nicht, tritt an alle Aerzte täglich heran; sie sollte eigent¬ 
lich in jedem Krankheitsfalle gestellt und beantwortet werden. 

Unter den Abnormitäten des Blutes, die in Betracht gezogen 
werden müssen, sind aber die Abweichungen im Haemoglobin- 
gehalt sicherlich die allerwichtigsten. Sie sind es auch, die unser 
therapeutisches Handeln am meisten beeinflussen. 

Es gibt bekanntlich verschiedene Vorrichtungen zur Bestim¬ 
mung des Haemoglobingehaltes. Ich will sie hier weder auf- 
zählen noch beschreiben, noch im Einzelnen kritiairen. Einen, 
wie ich glaube, kapitalen Fehler muss ich aber hervorheben, der 
allen in klinischer Verwendung stehenden Apparaten dieser Art 
gemein ist; denn das Vermeiden dieses Fehlers war die Aufgabe, 
die ich mir gestellt und die ich auch gelöst habe. 

Die Bestimmung des Haemoglobingehaltes geschieht auf 
colorimetrischem Wege. Sie wäre recht einfach, wenn wir jeder¬ 
zeit ein „Normalblut“ zur Hand hätten, mit dessen Farbe wir 
das zu untersuchende Blut — selbstredend in entsprechender Ver¬ 
dünnung — vergleichen könnten. 

Dieses Postulat kann aber schon aus dem einen Grunde nicht 
erfüllt werden, weil das Blut eine äusserst labile Substanz ist, 
die sich, wie später noch ausführlicher besprochen werden wird, 
namentlich in der Farbe schon in kurzen Zeiträumen verändert. 

Man musste also andere Vergleichsobjekte heranziehen. Mit 
diesen wird entweder eine verschieden dicke oder verschieden 
konzentrirte Blutlösung verglichen oder das Vergleichsobjekt ist 
keilförmig gestaltet und es wird die Stelle des Keila aufgesucht, 
die der in bestimmter Weise hergestellten Blutlösung in der Farbe 
entspricht. 

Alle diese Vorrichtungen haben nun den gemeinsamen Uebel- 
stand, dass das Vergleichsobjekt in seiner Farbe dem Blute nur 
mehr oder weniger ähnelt, aber durchaus nicht gleicht. Dies gilt 
ebenso vom V. Fleisch l’schen Keil, wie von der Pikrokarmin- 
gelatine des Gowers’schen und den Kartonscheibchen des 
Hayem’schen Apparates. 

Die sichere Beurtheilung gleicher Sättigung ist aber nur 
hei identischer Farbe der beiden Vergleichsobjekte, ferner 
bei Vorhandensein verschiedener anderer Bedingungen möglich. 

Um diese letzteren zu charakterisiren, will ich nur beispiels¬ 
weise an führen, dass die stark lichtbrechende, vollkommen klare 
Gelatine des Gowers’schen Apparates stets einen wesentlich ver¬ 
schiedenen Gesichtseindruck hervorruft, als die trübe, schwächer 
lichtbrechende Blutlösung. 

Ich habe beim Arbeiten mit diesem Apparat niemals das an¬ 
genehme, sichere Gefühl, wirklich zu messen, sondern die be¬ 
drückende Empfindung des Rathens, des oberflächlichen Schützens. 

Als spezieller Fehler des weitverbreiteten Gowers’schen 
Apparates ist noch der Umstand hervorzuheben, dass es bei der 
Anwendung desselben kein Zurück gibt, wenn man versuchs¬ 
weise oder aus Unachtsamkeit zuviel Wasser zugesetzt hat. Wir 
können nicht durch wiederholten Vergleich aus zwei Werthen 
den richtigeren auswählen, sondern müssen uns sofort für den 
einen entscheiden. 

Mein neuer Apparat beruht auf folgenden, zum Theil be¬ 
kannten, zum Theil erst von mir ermittelten Prinzipien. 

Eine Blutlösung, resp. eine Oxyhacmoglobinlösung, abeorbirt 
neben anderen auch die sogen, aktinischen Strahlen. Dieser auch 


*) Vortrag, gehalten auf der 72. Versammlung deutscher 
Naturforscher und Aerite su Hamburg. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


aus dein Studium des Spektrums sich ergebende Umstand, ist 
schon beachtet, ja praktisch verwerthet worden. Finsen hat 
gezeigt, dass eine photographische Platte unverändert bleibt, 
wenn auf sie durch das Ohrläppchen hindurch Lichtstrahlen ge¬ 
schickt werden, dass aber die Lichtwirkung eintritt, wenn man 
das Ohrläppchen durch Kompression auaemisch macht. 

Eine drei- oder vierprooentige Blutlösung ist schon in einer 
Schichte von wenigen Millimetern Dicke für die photographisch 
wirkenden Strahlen undurchlässig. Andererseits macht 
sich bei richtiger Auswahl der Verdünnung 
ein geringer Konzentrationsunterschied auf 
photographischem Wege bereits deutlich be¬ 
merkbar. Ich nahm zwei Blutlösungen, die sich in ihrem 
Gehalt an Blut wie 100:103 verhielten, füllte dieselben in zwei 
planparallele Glaskammern von genau gleicher Beschaffenheit. 
Weder im durchfallcnden Lichte noch im auffallenden Lichte 
auf weisser Unterlage konnte ich einen Unterschied in der Fär¬ 
bung der beiden Lösungen sicher erkennen. Das Unterscheidungs¬ 
vermögen für so feine Nuancen ist übrigens sicherlich bei ver¬ 
schiedenen Menschen sehr verschieden. 

Legt man die beiden Kammern nebeneinander auf photo¬ 
graphisches Papier und setzt das Ganze dem Lichte aus, so wird 
dieses in der konzentrirteren Lösung mehr von seinen chemischen 
Strahlen verlieren, als in der anderen und die photographischen 
Kopien der beiden werden, in geeigneter Weise verglichen 
jedem Auge unverkennbare Unterschiede der Tönung auf¬ 
weisen. Der verdünnteren Lösung entspricht natürlich eine 
stärkere Bräunung des Papieres. 

Das photographische Kopir-Verfahren 
macht also an und für sich nicht wahrnehm¬ 
bare Unterschiede im Haemoglobingehalt 
deutlich erkennbar'). 

Die Kefintniss dieser Thatsachen war für mich der Aus¬ 
gangspunkt zum Baue des neuen Instruments. Ein weiter und 
beschwerlicher Weg musste aber durchmessen werden, ehe das 
Ziel erreicht wurde. Dass dies gelang, danke ich unter anderem 
den freundlichen Rathschlägen des bekannten Fachmannes auf 
dem Gebiete der Photochemie, Hofrath Dr. J. M. Eder, Leiters 
der graphischen Lehranstalt in Wien. Es hat mir eine grosse Ge¬ 
nugtuung gewährt, als ich später aus seinem Munde das bei¬ 
fälligste Urtheil über den fertigen Apparat vernehmen konnte. 

Ich kann nicht umhin, auch der Firma Siebert in Wien 
und speciell dem Organ derselben, Herrn E. Strohmayer, der 
unermüdlich meinen zahlreichen Wünschen entgegenkam, den 
besten Dank auszusprechen. 

Der neue Apparat, der den Namen Ilaemophotograph 
führen soll, besteht in der Hauptsache aus einem „photographi¬ 
schen Keil“ und einer Kammer, die zur Aufnahme der Blutlösung 
dient. Ausserdem enthält derselbe die Einrichtungen zur Her¬ 
stellung einer entsprechenden Blutverdünnung und eine Blende, 
deren Zweck später erwähnt werden wird. 

Der wichtigste Bestandteil ist der „photographische Keil“. 
Es ist dies ein Glasdiapositiv von 1 cm Breite und 10 cm 
Länge, welches wir uns in verschiedenster Weise hergestellt denken 
können. Z. B. so, dass man von dem aus Rubinglas gefertigten 
Keil des Fleisch l’schen Apparates ein photographisches Nega¬ 
tiv und von diesem ein Diapositiv erzeugte. Oder indem man 
eine rechteckige photographische Platte an dem einen Ende für 
sehr kurze Zeit und gegen das andere Ende fortschreitend immer 
länger belichtete. 

In Wirklichkeit hat sich nach langem Probiren nur die 
Methode als zum Ziele führend erwiesen, die in der wissenschaft¬ 
lichen Photographie bei der Sensitometrie verwendet wird. 

Das Ergebniss ist eine Platte, die an dem einen Ende fast 
glashell ist und gegen das andere Ende zu in gesetzmässig fort¬ 
schreitender Weise immer undurchsichtiger, bezw. dunkler wird. 

F.s ist gewiss überflüssig, zu erwähnen, dass die Schwärzung 
durch die unter der Lichteinwirkung und der nachträglichen 
photographischen Behandlung ausgeschiedenen Silberpartikelchen 
entsteht. 


’) In analoger Weise wird bekanntlich die Photographie zur 
Aufdeckung von Fälschungen ln Dokumenten augewendet. Unter¬ 
schiede in der Tiutenfarbe, die bei einfacher Besichtigung nicht er- 
keuubar sind, verrathen sich deutlich im photographischen Bilde. 


Parallel mit dem Keil und mit ihm auf derselben Glasplatte 
vereinigt, befindet sich eine in Centimeter und Millimeter ge- 
theilte, ebenfalls auf photographischem Wege hergestellte Scala, 
deren Anfang dem hellen Ende des Keils entspricht. 

Die Schichtseite von Keil und Scala ist durch einen Firniss¬ 
überzug widerstandsfähiger gemacht. 

Die „Kammer“ besteht aus einer basalen Glasplatte von 
gleicher Länge wie der Keil, in deren Mitte ein Rähmchen aus 
Hartgummi von stets gleicher, ungefähr 2 mm betragender Höhe 
aufgekittet ist, welches einen cylindrischen Hohlraum von kreis¬ 
rundem Querschnitt enthält. Eine abnehmbare quadratische Glas¬ 
platte bildet die Decke dieses zur Aufnahme der Blutlösuug 
dienenden Gefässes. 

Der Keil mit der Scala ist in einem kleinen photographischen 
Kopirrahmen befestigt, der an der einen Seite ein Chamiergelenk 
trägt und mittels zweier, federnder Klammern fest geschlossen 
werden kann. In diesem Rahmen findet auch die mit der Blut¬ 
lösung beschickte Kammer Platz, wie aus der Abbildung (Fig. 1) 
ersichtlich ist. 





Fig. 1. 


Noch sei erwähnt, dass ein kleines Segment des Kammer¬ 
bodens, und zwar der unteren Fläche desselben, welche mit der 
Flüssigkeit nicht in Berührung kommt, mit hellvioletter Farbe 
bemalt ist. 

Behufs Vornahme einer Untersuchung wird der Rahmen ge¬ 
öffnet und nach Einfügung eines photographischen Papieres 
wieder geschlossen. 

Jetzt wird exponirt, indem der Rahmen auf einer Fenster¬ 
brüstung oder einem anderen geeigneten Ort dem zerstreuten 
Tageslicht ausgesetzt wird. 

Die Exposition dauert so lange, bis die beiden durch die 
Blutlösung hindurch sichtbaren Abschnitte des Kammerbodens 
im Ton annähernd gleich erscheinen. Der eine Abschnitt ist, 
wie erwähnt, mit unveränderlicher Oelfarbe von einer durch die 
Erfahrung als geeignet erprobten Tönung untermalt, den anderen 
bildet das im Beginn weisse, im Lichte aber dunkelnde photo¬ 
graphische Papier. 

Eine Zeit lang erscheint dieser Abschnitt heller, dann wird 
er dem anderen gleich oder doch sehr ähnlich, und wenn man 
weiter exponirt, wird er dunkler als der andere. 

Der Zeitpunkt, wo die beiden Theile des Kammerbodens, 
durch die Blutlösung hindurch gesellen, annähernd gleich er¬ 
scheinen, entspricht einem auf dem Wege der Erfahrung er¬ 
mittelten Optimum für die Genauigkeit der Messung. 

Theoretisch sollte diese von der Dauer und von der Intensität 
der Belichtung unabhängig sein. Thatsächlich ist aber sowohl 
bei allzu kurzer Exposition, bei der das Bild des Keils nur an dem 
einen Ende gebräunt, im Uebrigen aber noch gleichmässig weiss 
erscheint, oder bei allzu langer Belichtung, wo der ganze Keil 
gleichmässig dunkel wird, eine genauere Messung selbstredend 
unmöglich. Kleine Abweichungen in der Expositionszeit nach 
der einen oder der anderen Richtung sind aber belanglos. 

Ich will gleich hier einem Einwand begegnen, der gegen die 
leichte Ausführbarkeit der Methode in praxi erhoben werden 
könnte, und zwar vielleicht gerade von Seite der in jedem Stande 
und auch unter den Aerzten heute so zahlreich vertretenen Photo¬ 
graphen, also gewissermaasßen von den Fachleuten. 

Man wird sagen, die Herstellung einer photographischen 
Papierkopie, als welche sich der ganze Vorgang darstellt, er- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2006 


10. Dezember 1901. 


fordert unter ungünstigen Bedingungen — bei schlechtem Licht, 
besondere im Winter — allzu viel Zeit. 

Zur Beruhigung dieser meiner Leser sei nun angeführt, dass 
eine vollständige Messung, die Copierzeit inbegriffen, 5 bis 
höchstens 15 Minuten, im Durchschnitt 7 Minuten, erfordert. 

Die Expositionszeit allein beträgt bei gutem Licht meist 
2—3, bei schlechtem Licht 10—12 Minuten. 

Zur Herstellung einer photographischen Landschaft*}- oder 
Portraiteopie braucht man bekanntlich viel länger. Die Blut¬ 
lösung, durch welche das Licht hindurchgeht, ist eben sehr ver¬ 
dünnt, die Fliissigkeitsschichte beträgt nur 2 mm und die Tönung, 
die erreicht werden soll, ist so wenig tief, dass sio schon in der 
angegebenen kurzen Zeit erzielt wird. 

Es ergabt sich aus dem Vorhergehenden, dass Blut mit hohem 
Ilaemoglobingehalt länger exponirt wird, als solches von chloro- 
tischen oder anaemischen Personen. Die oben angeführten Zahlen 
für die Expositionszeit sind die Maxima und entsprechen dem 
normalen Blute. 

Nach beendeter Belichtung wird der Rahmen geöffnet und 
das Papier aus demselben herausgenommen; es entspricht der bei¬ 
stehenden Figur 2. 



Flg. 2. 

Wir sehen, von oben nach unten schreitend, die Millimeter¬ 
scala, dann das Bild des Keils, endlich von einem weissen, 
aussen quadratischen Felde umgeben, das kreisförmig begrenzte 
Bild der Blutkammer. 

Unsere Aufgabe ist es nun, zu bestimmen, welchem Punkte 
des Keils das Blutbild im Tone gleichkommt. Diese Entschei¬ 
dung ist nur möglich, wenn man die zu vergleichenden Theile 
unmittelbar nebeneinander sieht, und wenn alle Objekte, die 
durch Kontrastwirkung unser Auge täuschen könnten, verdeckt 
werden. 

Man schneidet zu diesem Zwecke das gewonnene Bild an 
2 Stellen mit einer Scheere entzwei. Der eine Schnitt geht, wie 
aus Fig. 2 ersichtlich, durch die Mitte des Blutbildes, der andere 
durch den Keil nahe dem unteren Rande desselben. Jetzt legt 
man das Blutbild neben dem Keil, und über 
beide die Blende, so dass in dem runden 
Fenster derselben Blutbild und Keilbild 
gleichzeitig sichtbar werden (Fig. 3). 

Jedes der Bilder muss genau die Hälfte 
des kleinen Gesichtsfeldes ausfüllen. 

Ist dies geschehen, so verschiebt man 
das Keilbild nach auf- oder abwärts, bis 
die beiden Hälften des Gesichtsfeldes 
identisch erscheinen. 

Diese Einstellung ist so 
leicht und so einfach, dass sie 
von den Meisten beim ersten 
Versuch, vo n Jedermann nach 
ganz kurzer Hebung ausge¬ 
führt wird. 

Wie ersichtlich, handelt cs sich dabei 
um eine Einstellung auf gleiche 
Sättigung derselben Farbe, 
wie im Ilalbechattenpräparat’). 

Thatsächlich stellt nicht bloss der¬ 
selbe Beobachter bei wiederholter Ablesung, 
sondern auch verschiedene Beobachter fast ausnahmslos auf den¬ 
selben Theilstrich ein. 


J ) Die aus der „Keilform“ sich ergel>ende UngleielimHssigkeit 
des Gesichtsfeldes macht sich dabei ebensowenig geltend wie lm 
F 1 e i s c h 1'sehen Apparate. Sie kommt nicht zu unserem Be¬ 
wusstsein und wir steilen unwillkürlich auf den mittleren Ton. der 
der Mitte des Gesichtsfeldes entspricht, ein. 



Fig. 3. 


Die übrigen Bedingungen für eine exakte Bestimmung sind 
nicht schwer einzuhalten. Das Licht muss genügend hell seiu, 
darf aber doch nicht zu viel chemische Strahlen enthalten, um 
schon während der Ablesung eine wesentliche Veränderung der 
zu vergleichenden Objekte hervorzurufen. Am besten geeignet 
ist künstliches Licht, z. B. Petroleum, gewöhnliches Gaslicht und 
elektrisches Glühlampenlicht. Auerlicht enthält recht viel che¬ 
mische Strahlen, man nähere sich demselben also nicht zu sehr 
— auf 1 m Distanz kann man es ohne Weiteres an wenden —. 
Elektrisches Bogenlicht ist zu vermeiden, vor Allem natürlich 
direktes Sonnenlicht. 

In den meisten Fällen wird die Ablesung bei gedämpftem 
Tageslicht vorgenommen. Man begibt sich, nachdem die Ex¬ 
position beendet ist, in den dunkelsten Tlieil des Arbeitsraumes, 
führt die nothwendigen Manipulationen — Entfernen der Kopie 
aus dem Rahmen, Zerschneiden, Adaptiren an die Blende da¬ 
selbst — und noch mit der Vorsicht aus, dass man das Objekt 
durch den eigenen Körper beschattet. In dieser Weise stellt man 
provisorisch ein, kehrt sich dann dem Uchte zu und kontrolirt 
oder korrigirt die Einstellung. 

Der ganze Vorgang erfordert nur einige Sekunden. Will 
man die Einstellung wiederholen, so bedeckt man das Fenster 
der Blende mit der Kuppe eines Fingers und lässt das Auge in¬ 
zwischen ausruhen. 

Bei künstlicher Beleuchtung ist man natürlich unabhängiger 
und kann sich beliebig viel Zeit nehmen. 

Die erste Ablesung, die ein Beobachter vornehmen wird, 
sollte er nur bei künstlicher Beleuchtung durchführen. Sobald 
ihm aber die wenigen, einfachen Handgriffe geläufig sind, wird 
er wohl lieber bei gedämpftem Tageslicht arbeiten. 

Im schlimmsten Falle, wenn man aus Unvorsichtigkeit das 
‘ Tageslicht zu lange einwirken liess, schneidet man von den beiden 
Objekten einen 3 mm breiten Streifen ab und hat nun wieder 
durch die Blende geschützte, also imveränderte Stellen zur Ver¬ 
fügung. 

Es ist ein naheliegender Gedanke, die Papierkopie zu fixiren, 
also unveränderlich zu machen, ehe man die Messung vornimmt. 
Dies gelingt ganz leicht und der hierbei einzuschlagende Weg 
soll sofort beschrieben werden. Vorher sei aber betont, dass dieser 
Vorgang, der doch immerhin Zeit und die Mithilfe von Chemi¬ 
kalien erfordert, zur Ausführung genauer Messungen nicht notli- 
wendig ist. 

Will man dennoch am fixirten Bilde arbeiten — vielleicht 
zu dem Zwecke, um ein unveränderliches Dokument zu gewinnen, 
das der Krankheitsgeschichte einverleibt werden kann — dann 
kopire man etwas tiefer als vorhin angegeben (so dass also das 
Papier unter der Kammer dunkler wird als das untermalte Seg¬ 
ment desselben), fixire und tone im Goldbade *), wasche und 
trockne genau nach den Regeln der Photographenkunst. 

Beim Fixiren und Tonen oder bei der Vereinigung beider 
Proceduren zu einer, dem „Tonfixiren“, achte man darauf, dass 
alle Theile des Bildes gleichzeitig von der betreffenden Flüssigkeit 
benetzt werden, da sonst grobe Fehler unterlaufen können. 

Die fertige Kopie wird dann nach Fig. 2 zerschnitten und 
Abschnitt 2 mit dem Kammerbilde um 180 0 gedreht mul 
mit dem Abschnitt 1 zusammen auf einen Karton so aufgeklebt, 
wie es zur Ablesung nothwendig ist. Eine durch die Mitte des 
„Blutbildes“ gezogene Vertikale falle mit dem abgelesenen Scalen- 
theile zusammen. Man kann dann jederzeit die Messung kontrol- 
liren, indem man die Blende wie in Fig. 3 auflegt und parallel 
mif, der Schnittlinie verschiebt, bis die beiden Bildhälften iden¬ 
tisch erscheinen. 

Man erreicht am fixirten Bilde meist nicht dieselbe Genauig¬ 
keit in der Einstellung, wie am unfixirten, und ich würde daher 
vorschlagen, in jedem Falle zunächst ein nicht fixirtes Bild zur 
Messung zu verwenden und dann ein zweites, tiefer kopirtex lmr- 
zustellen. welches fixirt und aufgehoben werden kann. Aus Grün¬ 
den, die weiter unten ausgeführt werden, muss man zur Gewinnung 
des zweiten Bildes entweder eine frische Blutlösung bereiten oder 
den Rest, der im Glase zurückblieb, und der zu einer noch¬ 
maligen Füllung der Kammer auareicht, verwenden. 

Dieses Glas muss in der Zwischenzeit bedeckt und in einem 
nicht zu hellen Raum aufbewahrt werden, um die Lösung vor 
Verdunstung und vor der verändernden Einwirkung der Licht¬ 
strahlen zu schützen. 


s ) Das Tonen Ist micrliisslicli. weil sonst die Niinucirung des 
Hildes ungenügend Ist. 


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2006 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


Als letzter Akt der Messung folgt nun das Aufsuchen der 
gefundenen Zahl in der dem Apparat beigegebenen Tabelle. 
In der zweiten Colonne findet man den korrespondirenden 
Ilaemoglobinwerth. 

Ich habe es für vortheilhafter gehalten, dem Beispiele 
v. Fleisch l’s und Gowers’ zu folgen und den Haemoglobin- 
gehnlt des normalen Blutes mit 100 zu bezeichnen, statt nach 
wirklichen Haemoglobinwerthen zu aichen und dies aus einem 
naheliegenden Grunde. 

Die Abweichungen von der Norm kommen dabei viel an¬ 
schaulicher zum Ausdruck und Irrthümer in der Beurtheilung 
des Gefundenen sind völlig ausgeschlossen. Im anderen Falle 
muss ich von dem Untersucher voraussetzen, dass er den Normal- 
haemoglobingehalt des Blutes seinem Gedächtniss eingeprägt 
hat. Dieses Gedächtniss ist aber beim praktischen Arzt, für 
den das Instrument zunächst bestimmt ist, ohnedies mit Zahlen 
so belastet, dass ich mich nicht für berechtigt halte, ihm eine 
weitere Bürde aufzuerlegen. Will Jemand den wahren Haemo- 
globingehalt erfahren, dann multiplizire er die in der Tabelle 
gefundene Zahl mit 0,14. 

Die Tabelle reicht nur bis zu einem Haemoglobingehalt von 
20 Proc. hinab. Für niedrigere Werthe als 20 Proc. wären 
direkte Angaben nicht mehr gut abzulesen. In Fällen hoch¬ 
gradiger Anaemie, wo Werthe unter 20 oder um 20 herum auf- 
treten können und die als solche schon vor der Untersuchung 
des Blutes kenntlich sind, nehme man zur Verdünnung des 
Blutes statt 2 bloss 1 ccm Wasser (bereite sich also eine 2 proc. 
Lösung. (Die Wasserpipette ist zu diesem Behufe auch mit 
einer Aichung für 1 ccm versehen.) Die Quantität der Lösung 
(1 ccm) ist für die Füllung der Kammer genügend. Man ver¬ 
fährt im Uebrigen wie oben angegeben. Die in der Tabelle ge¬ 
fundene Haemoglobinzahl dividirt man durch zwei, um den 
richtigen Worth zu erhalten. 

Es verschlüge nichts, wenn man, die Grösse der Anaemie 
überschätzend, auch in Fällen mit 30, 40 oder 50 Proc. Haemo- 
globin dieses Verfahren in Anwendung zöge. Die Genauigkeit 
der Messung leidet darunter nicht merklich. 

Der Unterschied von 1 mm der Scala entspricht bei den 
hohen Haemoglobinwerthen mehreren (bis 5) Procenten, bei den 
niedrigsten meist 1 Procent. 

Es rührt dieses grösstentheils daher, dass aktinische 
Strahlen immerhin auch durch das Glas der Kammer und 
ihrer Decke absorbirt und reflektirt werden. Diese Constante 
macht sich um so mehr geltend, je geringer der Werth der 
Variablen, i. e. der Blutlösung, ihr gegenüber wird, also bei 
den niedrigsten Haemoglobinzahlen. Man könnte dies kompen- 
siren, wenn man auch über dem photographischen Keil eine 
Wasserkammer anbrächte. Da indess die Auswerthung der 
Scala auf empirischem Wege durch Bestimmung zahlreicher 
Punkte derselben geschieht, so resultirt aus dieser Eigenschaft 
des Apparates kein Fehler desselben und ich habe daher von 
dieser, den Bau komplizirenden und die Gebrechlichkeit steigern¬ 
den Anordnung abgesehen. 

Die Aiohung und Auswerthung der Keile wird allerdings 
etwas mühevoller. 

Ein gutes Haemoglobinometer muss mit exakten Abmess¬ 
vorrichtungen zur Herstellung der Blutlüsung versehen sein. 
Es ist bekannt, dass der ältere Apparat v. F 1 e i 8 c h l’s unter 
der Unvollkommenheit seiner Blutpipette litt, und dass er wesent¬ 
lich gewann, als M i e s c h e r die automatische Blutpipette durch 
eine bessere ersetzte. 

Ich habe mir diese Erfahrungen selbstverständlich zu Nutze 
gemacht und den Haemophotograph mit einer Blutpipettc ver¬ 
sehen. die, wie es M i es eher verlangt, eine polirte Spitze und 
eine die ganze Peripherie umgebende Marke trägt. Selbst mit 
einer guten und richtig geaiehten Pipette ist es aber recht 
schwierig, genau zu messen, wenn man, wie üblich, das Blut 
mit dem Munde genau bis zur Marke — nicht höher, nicht 
liefer — nn*augen soll. Ich komme über diose längst bekannte 
Schwierigkeit in einfacher Weise hinweg, indem ich in jedem 
Falle etwas mehr Blut ansauge als nothwendig ist, dann die 
Spitze vom anhaftenden Blute reinige und nun mit der schräg 
nach abwärts geneigten Spitze gegen ein Filtrirpapierblatt 
wiederholt antupfe. Dabei wird jedesmal eine kleine Quantität 
Blut aus der Pipette zuriiekgesaugt, die Blutsäule zieht sich 


ruckweise, jedesmal ca. Vs mm zurück und es gelingt ganz leicht, 
mit aller nur wünschenswerther Schärfe auf die Marke eiuzu- 
stellen. 

Das Abmessen des Wassers geschieht in bekannter Weise 
durch Pipettiren. Die Pipette ist auf „Ausblasen“ geaicht, weil 
sie zum Einfüllen des Blutes in die Kammer wieder Verwendung 
finden soll und es leicht geschehen könnte, dass man beim An¬ 
saugen der Blutlösung auf den in der Pipette zurückgebliebenen 
Wasserrest vergässe und damit einen Fehler beginge. So aber 
gewöhnt man sich, die Pipette zu entleeren und kommt gar nicht 
in die Lage, den erwähnten Umstand zu übersehen. 

Es spricht sicherlich für die Gebrauchsfähigkeit des Ap¬ 
parates, wenn ich bemerke, dass das Abmessen des Wassers der 
schwierigste Theil der ganzen Handhabung ist. Dieses Urtheil 
habe ich auf Grund wiederholter Beobachtung von Kollegen, die 
ich unter meinen Augen Messungen ausführen liess, gewonnen. 

Als Ersatz des Pipettirens, das übrigens vom chemischen 
Laboratorium her den Aerzten geläufig sein sollte, würde sich 
im Nothfalle der Gebrauch einer richtig geaiehten Spritze em¬ 
pfehlen. Die Pravaz’sche Spritze soll genau 1,0 ccm ent¬ 
halten. Kleinere Abweichungen kommen nach meiner Erfahrung 
allerdings vor. Sie lassen sich leicht erkennen, wenn man die 
Spritze auf einer Apothekerwange leer und mit kaltem destil- 
lirtem Wasser gefüllt wägt. Die Differenz beträgt genau 1,0 g, 
wenn die Spritze richtig geaicht ist. Jetles Centigramm mehr 
oder weniger bedeutet also einen Fehler von 1 Proc. Den ge¬ 
fundenen Werth müsste man entsprechend korrigiren, indem mau 
ihn um ebensoviel Procente vergrössert oder verkleinert, als die 
Spritze zu gross oder zu klein ist. Selbstverständlich bcuöthigt 
man zu einer gewöhnlichen Messung zwei Füllungen einer 1 g 
fassenden Spritze. 

Es erübrigt nun nur noch, über einige Erfahrungen zu be¬ 
richten, die ich während der Arbeit gemacht habe und die den 
Nachprüfern manche Mühe ersparen dürfte. 

Eine wässerige Blutlösung ist eine in der Farbe höchst ver¬ 
änderliche Flüssigkeit. Die Veränderung wird durch Licht und 
Wanne beschleunigt; sie erfolgt aber auch im dunklen und 
kühlen Raume. Wenn man eine Blutlösung ein paar Stunden 
lang stehen lässt, so verliert sie bekanntlich ihre schöne rothe 
Farbe und wird braun. Den Anfang dieser Verfärbung kann 
man mit der empfindlichen haemophotographischcn Methode 
nach einer halben, ja wenn das Blut dem Lichte ausgesetzt war, 
schon nach einer Viertelstunde nachweisen. Es geht daher nicht 
an, um die Constanz der Angaben des Apparates zu prüfen, die¬ 
selbe Blutprobe wiederholt zu kopiren. Die ersten zwei Kopien 
pflegen, wenn bei gutem Lichte, daher rasch gearbeitet wird, zu 
stimmen, die dritte zeigt gewöhnlich schon abweichende Werthe*). 
Auch im unverdünnten, defibrinirten Blute sind solche Verände¬ 
rungen rasch nachweisbar. Im Uebrigen eignet sich diese.-' 
als Standardflüssigkeit, aus welcher man sich die gewünschten 
Verdünnungen nach Belieben hersteilen könnte, auch aus anderen 
Gründen nicht. Die rothen Blutkörperchen haben die Neigung, 
sich zu senken und man hat bei Entnahme zweier Proben keine 
Gewähr dafür, dass der Gehalt an Blutkörperchen resp. an 
Haeinoglobin in beiden genau gleich ist. Dazu ko mm t, noch, 
dass bei dem Rühren oder Schütteln, welches dem Probeziehen 
unbedingt vorausgehen muss, leicht kleine Luftblasen in grosser 
Zahl in die Flüssigkeit gelangen, welche eine richtige Abmessung 
mittels Pipette unmöglich machen. Es bleibt also nichts anderes 
übrig, als jedesmal frisches Blut vom Lebenden zu nehmen. Die 
gewonnenen Werthe stimmen dann miteinander vortrefflich 
überein. Ich habe es nicht versäumt, zu prüfen, ob die Qualität 
des Lichtes einen Einfluss auf das Resultat nehme und zu diesem 
Behufe mein eigenes Blut wohl an hundertmal zu verschiedenen 
Tageszeiten im Sommer und Winter in Fenstern, die nach den 
verschiedenen Himmelsrichtungen orientirt waren, bei klarem 
und bei bedecktem Himmel geprüft. Nicht genügend überein¬ 
stimmende Werthe fand ich nur beim Arbeiten in direktem 
Sonnenlicht und bei fahlem Dämmerlicht, wenn Expositionszeiten 
von mehr als 15 Minuten nothwendig waren. Auch unter diesen 

‘) Auch kleine Gasbläschen, die sich bei liiugerem Stehen 
aus der Blutlösung nbscheldcn und an der Decke der Kammer 
unlegen, können Fehler l>edlngcn. Ich sah solche niemals bei der 
ersten Belichtung entstehen. Immerhin wäre dies bei Verwendung 
sehr kalten und sehr gashaltigen Wassers möglich. Vorheriges 
Kochen oder Vorwiirmen des Wassers wäre dann am Platz. 


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2007 


MTTENOHENKR MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


10. Di»mb.r 1001. 

Umstiimlen betrugen di<*. Alnv»*iehuiigeii in tl«*n Angaben dos 
Instrumentes selten 10 Pro»*. Sir wäron also für »len prak¬ 
tischen Arzt noch immer irrelevant. 

Mit künstlichen Lichtquellen habe ich noch nicht- experi- 
mcntirt. Ich werde dies später imohholcn. Die Möglichkeit, 
stets vollkommen gleiches Lieht verwenden zu könnc*n, lässt ein«! 
grosse Genauigkeit der Methode erwarten. Als Kopirpapier 
müssen natürlich die hoehemptindliehen liromsilherpapiere 
dienen. Der I'instand, dass die Kopien unbedingt entwickelt 
und fixirt worden müssen, komplizirt allerdings die Handhabung. 
Es ist nicht unwahrscheinlich, »lass bei der totalen Verschieden¬ 
heit der Lichtquellen einerseits, der lichtempfindlichen Papiere 
andererseits eine specioll für diese Zwecke ausgeführte Aichung 
des Keils vorgenommen werden müsste. 

Mit der Möglichkeit rechnend, dass sieh verschiedene Kopir- 
papiero gegenüber den vom Blute absorbirten Strahlen nicht 
unbedingt ganz gleich verhalten müssen, wünsche ich, »lass vor¬ 
läufig immer nur die Starte, mit der ich selbst gearbeitet habe, 
in Anwendung gezogen werde. Es ist ein Colloidinpapier, dessen 
Farbe als Pensoc bezeichnet ist. Die. betreffende Marke ist 
vieler Orten erhältlich. Die Erzeuger des Haemophotograph 
halten das Papier in entspreehomler Grösse geschnitten auf 
Lager ). 

Ib'i dieser Gelegenheit sei bemerkt, »lass man fast immer 
mit einem halben Blättchen das Auslangen findet, welches dann 
so in den Rahmen geh'gt- wird, »lass es den Theil des Keils 
»leckt, »1er (laut Tabelle) b»*i «ler Messung in Betracht kommt. 
Die Auslagen für das Papier mlueiren sieh dann auf 2 Pfennig 
rosp. auf 214 Heller für jede Untersuchung. 

Zum Schluss»“ seien no»*h einmal die Eigenschaften des 
Haemophotograph recapitulirt, welche ihn nach meiner Ansicht 
»len anderen Konstruktionen gegenüber auszeichnen: 

1. Sicherheit der Ablesung, weil auf Identität (nicht auf 
blosse Aehnlichkeit) beider Gesiehtsfeldhälfteu eingestellt wird. 

2. Jedermann, selbst »ler Farbenblinde, lii*st richtig ab. weil 
keine Farbenuance, sondern nur die Helligkeit resp. Sättigung 
einer Farbe* zu beurtheilen ist. 

3. Die Methode ist empfindlich. Kleine, bei tlirekter Be¬ 
obachtung kaum wahrnehmbare Unterschiede zweier Bluf- 
lösungen machen sich im haemophotographisehen Bilde »leutlieh 
bemerkbar und kommen in der Ablesung zum Ausdruck. 

4. Die Anwendung»weise ist sehr einfach und stellt an die 
Geschicklichkeit und Uebung des damit Betrauten s»*hr geringe 
Anforderungen. 

5. Es ist die Möglichkeit vorhanden, das Resultat der 
Messung als Dokument aufzubewahren und die eventuellen Ver¬ 
änderungen an einer Serie solcher Dokumente selbst verfolgen 
od»»r einem Schülerkreise, eventuell auch dom Kranken, deinon- 
striren zu können. 

6. Der Preis der Apparate ist niedrig. Er beträgt nur 
30 Mark rosp. 36 Kronen österr. Währung, also ungefähr ein 
Drittheil d»“s Preises eines v. Fleischl-Miescher’sehen 
llaemometers. 

Der IIa»;mophot»)graph wird in Oesterreich von Herrn Rud. 
Siebert, Wien IX, Gamisonsgasse 9 und in Deutschland von 
Herrn Franz Hugershoff in Leipzig, Carolinenstrasse 13 
ausgeführt. 

Jedem Apparat wird eine genaue Gebrauchsanweisung bei¬ 
gegeben. 


:, j II«MT Di*. M o s «• r. g»“g«*uw;Lrtig stell vertretender Vorstand 
»ler Klinik weiland v. W i d e rli o f e r’s. hat über meinen Wunsch 
während der verflossenen 3 Monate «len Hacmopliotograph zu zahl¬ 
reichen uml vergleifln*n»len Untersuchungen an dem Materiale der 
Klinik herangezogeu. Er tlieilt mir mit, »lass er probeweise auch 
Aristopapier verwendet«*. I>i«* U«*sultiite s»*i«*n dadurch in keiner 
\V»*ise lM'«*intiusst w«irden. Di«* Mxpositionszcit s«*i allerdings etwas 
länger gew»*s«»n, dafür aln*r lml»«* man »len Vortheil ln Tausch 
genommen, »lass man <li<* Ablesung ohne ein Nachdunkeln be¬ 
fürchten zu müssen, auch bei hellerem Lichte uml ohne je»le Hast 
und Eile vornehmen könnt«“. 

Deber die sonstigen Erg«*lmiss<* seiner B«*obnchtung»*n wird 
Herr Dr. Moser in Bälde selbst berichten. 

No. 50. 


Ein Führungsdraht für den Magenschlauch mit Vor¬ 
richtung zur Freihaltung und Reinigung der Sonden¬ 
fenster von verstopfenden Nahrungsmitteln. 

Von Dr. Walther Nie. Clemm in Darmstadl. 

Als der Mageusehlaueh von Kuss m a u 1 zu therapeutischen 
uml von Leube zu diagnostischen Zw«*eken in dm Praxis ein¬ 
geführt wurde, entnahm mau den Mageninhalt ausschliesslich 
mit Hilfe der K u s s m a u l’schen Magenpumpe. 

An Stelle dieser Pumpe wurden verschiedentlich Flaschen- 
sauger, sowie von Ewald und Boas Ballonaspiratoren an¬ 
gegeben. Während Ersterer mittels Ansaugens des Mageninhalts 
in einen Ballon — der alsdann umständlich entfernt und ent¬ 
leert werden musste — arbeitete, erlaubte Letzterer durch 
Schliesscn einer Sehlauchklemme am abführenden Trichter- 
sehlaueh hei Kompression des Ballons Ansaugung des Magen¬ 
inhaltes in diesen; durch Ab»|u»“tsehung des vor »lein Ballon be- 
legenen Schlauchstückes und Zusammen»!rücken des Ballons 
bei geöffneter Klemme konnte danach der Inhalt durch 
den Trichter entleert werden. Letzterer Apparat ermöglicht also 
im Gegensatz zu ersterem eine ununterbrochene Entleerung des 
Mageninhaltes ohne die Abnahme des Ballons nach dessen 
Füllung. 

Die Umständlichkeit der Handhabung dieser Vorrichtungen, 
ihre schwierige Reinigung und Unhandlichkeit für den Trans¬ 
port haben ihre Einbürgerung in die Praxis verhindert. — Zu¬ 
gleich aber sichern die Ballonaspiratoren auch je nach ihrer An¬ 
saugungskraft keineswegs gegen die Gefahren, welche die 
Kuss m a u l’sehe Pumpe aus der Rüstkammer der Aerzte ver¬ 
drängt haben. Nicht selten nämlich kam es — besonders bei 
brüchiger Schleimhaut in Folge chronischer Schleimhautentzün¬ 
dung. Uebersäurc*). krebsigen oder gcschwürigen Zerstörungen 
»ler Mucosn — bei Anwendung starker Aspiration dazu, dass den 
Somlenfenste.m anliegende Schleimhautfetzen losgerissen, und «la- 
dureh rocht unangenehme Komplikationen geschaffen wurden. 

Es war daher selbstverständlich, dass sich alsbald die Aerzte 
der einfachen Expression, wie sie von Ewald und Boas') 1885 
in die Praxis eingeführt und von Riegel“) bereits seit 1879 
geübt wurde, zuwendeten. 

Eine grosse Uiibequemliclikeit aber dieser Ausdrückung des 
Mageninhaltes durch Brechbewegungen und durch die Thätigkeit 
der Bauchpresse »les Kranken bildete die häufige Verstopfung 
der Sonden feilster durch grobe Nahrungsbestandtheile. 

Erfolgt die Ausheberung zu diagnostischen Zwecken, so 
sucht man sich durch feine Vertheilung der Nahrungsmittel 
bei der Probemahlzeit vor diesen Zufälligkeiten zu schützen. 
Abgesehen aber von der — in praxi nicht seltenen — Unter¬ 
lassung dieser Vorschriften »lurch Schuld »l»*r Küche oder des 
Kauapparates »les Patienten treten bei motoriseher Insufficienz, 
einfacher »nler Krebs»>ktasie des Magens die Uebelstände hinzu, 
dass seit Langem im Magen liegende grobe Speisereste, sowie 
in Folg»* katarrhalisch»“!! Sehleimhautreizes gebildet»*, ungemein 
zähe Sehleimmassen auch »lie seitens »les Patienten beob¬ 
achtete f»“ine Schabung »ler Rindtieischsehnitte und »lit*: sorg¬ 
fältige ZulK*reitung »les Kartoffelbreies zu einer zwecklosen 
machen können. 

In <lics»*n Fällen nun kann inan sieh wohl dur»*h Heraus¬ 
nahme, Reinigung un»l Witnlereinführung der Sonde helfen; 
eine mehrmalige Wiederholung dies»*» Verfahrens pflegt sich j»‘- 
doch für Arzt wie für Patient gleich ekelhaft uml langwierig 
zu gestalten. 

Diese Störungen kommen aber weit m»‘hr in Betratet und 
fallen schwerer in’s Gewicht bei Ausheberungen und nachfolgen¬ 
den Ausspülungen, welche zur Entfernung von Giften, Säuren 
»Hier Aetzalkalien vorgenoinmcn werden müssen: liier kann jede 
Zeitversäumniss für das Lehen des Kranken bedrohlicli •worden, 
denn auch d»*m Eindringen der rettenden Spülfliissigk»‘it in «len 
Magen können solche Sond»“nverstopfungen ein immer wieder- 
kehrendes, di»* Rettung in Frage stellend»« Hindernis» entgegen* 

*l An St«*U«* «les Imrliariseheu. meist g«*l>rüm*hlieh»*ii Ausdrucks 
.,H.vp»*niel»litiit“ für abnorm liolie Salzsäurewerthe im Magen- 
sekret gestatte ich mir. diese ebenso einfach wie natürlich mich 
»Hinkende Verdeutschung hleuilt in Vorschlag zu bringen — ohu«* 
von modernen „Ueber‘‘-Ge«lanken beherrscht zu sein! 

’) und *) Riegel: Die Erkrankungen d«*s Magens. Noth- 
nagel’s spec. Patliol. u. Therap. XVI. B»l., I. Theil, S. 72. 

4 


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2008 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


setzen, zumal bei solchen Fällen bei bereits eingetretener Be¬ 
nommenheit oder gänzlicher Bewusstlosigkeit des Verunglückten 
die Wirkung der Bauchpresse und die Unterstützung durch den 
Brechakt in Wegfall kommen, während anderseits die Aspirations¬ 
gefahren bei Anätzung der Schleimhaut erhöhte sind. 

Es ist nun eine Reihe von Apparaten angegeben worden, 
welche — ebenso wie selbstredend auch die Eingangs erwähnten — 
zur Beseitigung solcher Hindernisse dienen sollten. Ohne Aus¬ 
nahme beruhen dieselben auf Ansaugung des Mageninhaltes oder 
auf Hlnausschleudem des Hindernisses aus dem Schlauche durch 
Druckluft; im letzteren Kalle muss bei Nothwendigkelt stärkerer 
Kompression naturgemäss dem Aufhören des Druckes wieder 
Aspiration mit ihren Gefahren für die Schleimhaut folgen. 

In Verfolgung ersteren Zieles schaltete Fried leib*) einen 
kleinen Ballon zwischen Magen- und Trichtersehlauch ein, durch 
dessen Kompression mittels Ansaugung die Hindernisse zu be¬ 
seitigen gesucht werden sollen. Bei kleingewähltem Ballon lässt 
diese Vorrichtung leicht im Stiche, bei stark aspirirendem treten so¬ 
fort die Aspirationsgefahren auf. welche den geschilderten Appa¬ 
raten anhaften. Ich sehe dabei ganz davon ab. dass die mit dem 
Mageninhalt ln Berührung kommenden Ballonwände schwer sauber 
zu halten sind, und dass hinsichtlich der Feststellung der aus¬ 
geheberten Menge die Genauigkeit Eiubusse erleiden muss. 

Die letztgeüusserten Bedenken nun sucht die von Strauss'l 
angegebene Konstruktion zu beseitigen: Er ersetzte den einfachen 
Ballon durch ein Ballongebläse, welches mit dem Mageninhalt bei 
glatt verlaufender Ausheberung nicht in Berührung kommt; das¬ 
selbe ist nämlich durch ein Kiissmaul’sches T-Itohr in den 
Hel>erapparat eingeschaltet und von demselben durch eine 
Klemme c absc-hliessbar. Am zuführenden wie am abführenden 

Schenkel des Hebers sitzt je eine 

- gleiche Klemme (a und b). Wird 

|| nun bei eingetretener Stockung 
]! im Abflüsse die seither offene 
!! Klemme b geschlossen und die 
|| Klemme c geöffnet, während a 
;; offen bleibt, so genügen einige 
Ballonstösse, um das Hinderniss, 
welches den Schlauch verstopfte, 
aus demselben hinauszuschleudern, 
worauf bei wiedergeschlossener 
4* Klemme c die Ausheberung ruhig 
Trichter jt„. on Fortgang nehmen kann. 

Diesem Apparate wird noch als besonderer Vorzug nachge- 
riihtut. dass unmittelbar an die Ausheberung und Ausspülung 
noch die diagnostische Aufblähung des Magens mit Luft ange- 
sehlosseu werden kann. 

Die Eventualität der Ansaugung von Mageninhalt in das Ge¬ 
bläse von dem K u s s m a u l’scheu T aus, sowie der Umstand, 
dass solche Gebläse häufig ihren Dienst versagen durch Platzen 
der dünnen Gummimembran, welche das Zwischenstück beider 
Ballons verschliesst, werden neben der umständlichen Zusammen¬ 
setzung und dem hohen Preise dieses Apparates demselben nicht 
allzuviele Freunde erworben haben. 

Der gänzlich verfehlte Gros s’sche Apparat 5 ), der zum Ueber- 
fluss noch mit Glasballon und Manometer ausgestattet ist. setzt 
überhaupt völlig flüssigen Mageninhalt voraus, da den dünnen 
Nelatonkatheter nur solcher zu passlren vermag. 

Wenn nun ein sehniges Stück Fleisch sich — wie ich es schon 
des Oefteren beobachtet habe — durch das untere Sondenfenster 
eingezwängt und gegen das weiter oben belegene ausgestemmt 
hat. so muss sehr kräftig angesogen oder geblasen werden, wenn 
es überhaupt gelingen soll, den Verschluss des Rohres zu beseitigen. 
Eine plötzliche Losreissuug des Hindernisses wird aber zu einer 
ebenso heftigen Ansaugung der dem Sondenfenster von aussen an¬ 
liegenden Magenschleimhaut und dadurch zur Abreissung eines 
Stückes derselben führen. Derart eingekeilte Hindernisse, die 
sich wie eine Schleusse dem Strome des sich entleerenden Magen¬ 
inhaltes entgegenstellen, mittels des Straus s’schen Gebläses zu 
entfernen, halte Ich aber, zumal die Sondenfenster selbstredend 
nie luftdicht abgeschlossen werden, für gänzlich unmöglich. 

Zur Umgehung und Durchfahrung von Ausbuchtungen der 
Speiseröhre hat man der Magensonde nach Art der Katheter¬ 
mandrine eine Metallseele gegeben, welche, aus biegsamem Draht 
bestehend, alle Krümmungen des Schlauches mitmacht. 

Diesen Gedanken nun griff ich auf, um ihn der Freihaltung 
des Sondenlumens bei der Ausheberung dienstbar zu mache». 

Zu diesem Behufe ersetzte ich zunächst das Kuss m a u 1’- i 
sehe T-Rohr durch ein solches, in dem das Ausatzrohr in möglichst, 
spitzem Winkel aus der Hauptröhre entspringt. Während nun der 
durch Expression gewonnene Mageninhalt in der gewohnten Weise 
durch letztere abläuft, ist das nach oben weisende Ansatzrohr mit 
einem Korkstopfen verschlossen, der bei vorheriger Miteinführung 
des Drahtes auch durch des letzteren Griff ersetzt werden kann. 

Bei Eintritt einer Stockung im Abflüsse, die nach Hebung und 
Senkung des Schlauches sich als durch Verstopfung hervorgerufen 
herausstellt, wird rasch der Korkstopfen gelüftet, der Mandrin 
in das Ansatzröhrchen geschoben und im Schlauche hinabgebracht, 


ö Deutsch, mcd. Wochensehr. IS'.».'!, No. öl. 

'.) Therapeut. Monarsh. 3-S'JÖ. Ii. 

'•) Fortschritte der Krankenpflege. Dezember lS'.iö, und Thera¬ 
peut. Munatsh. 3.SJG, No. 12. 


falls er nicht von vorneliereiu als dessen Seele mit hinabgeführt 
wurde. 

Durch die stumpfkeilige 
Gestalt des das Soudenlumen 
füllenden Körbchens nun, 
welches die Spitze des Füh¬ 
rungsdrahtes bildet, wird das 
Hinderaiss durchfahren und 
alsdann durch Hin- und Her¬ 
drehen des Drahtes dasselbe 
mittels der vorstehenden 
Messerzacken gefasst und 
zerrissen, worauf der nach¬ 
dringende Mageninhalt, die 
Stücke vor sich hertreibt 
und mitentleert. 

Der Draht, welcher einen 
bequemen Handgriff von Me¬ 
tall, auf das Röhrchen mit 
Gummiring einpassend, oder 
von Holz, auf die Mündung 
als Stopfen gearbeitet, trägt, 
ist aus weichem, ausgeglüh¬ 
tem. dünnem Kupferdraht 
gezogen und trägt an seinem 
Finde das erwähnte Körb¬ 
chen aus Neusilber, Alumi¬ 
nium oder Nickelin. 

Dieses hat mit seinen 
Zacken die Gestalt einer um¬ 
gestülpten Sturmhaube, deren 
Ohrschutzstücke messerartig 
geschärft in’s Lumen des 
Schlauches nach oben zu 
ragen und bei Anziehen am 
Griffe auch die festesten 
Sehnenbrocken zu zerreissen 
vermögen und so dem Magen¬ 
inhalt die Bahn frei machen. 

Eine Verletzung der 
Magenschleimhaut ist dabei 
völlig ausgeschlossen, da das 
Körbchen, das Lumen des Schlauches füllend, nicht durch die 
Sondenfenster ausweichen kann. Mir ist bisher keinerlei Un¬ 
annehmlichkeit in der Anwendung des Instrumentcheus begegnet; 
vielmehr hat bei erfahrangsgemüss sehr schwieriger Ausheberung 
die Leistung des Führungsdrahtes meine Erwartungen übertroffen. 

Das Instrumenteheu hat die Firma Fr. D r ö 11 in Mannheim 
die Liebenswürdigkeit gehabt, mir zu fertigen, und ist es zu Sonde 
No. 20 passend hergestellt. Für dickere Sonden genügt es voll¬ 
kommen. zumal, je weiter das Schlauchlumen, desto weniger fest 
die Einkeilung der Speisebrocken ist; für dünnere Nummern fertigt 
genannte Iustruraentenfabrik entsprechend dünnere Schlauchseelen, 
wie ich das Instrument der Kürze halber benannt habe. 

Sicherlich ist es zweckmässig, wenn das Körbcheu genau 
passend das Lumen des Schlauches ausfüllt, damit die Speise- 
.brocken möglichst wandglatt abgeschnitten werden. Bei der Tüch¬ 
tigkeit der Firma Friedr. I) r ö 11 in Mannheim glaube ich. eine 
auch hinsichtlich der Ausführung vollkommen zweckentsprechende 
Bereicherung des ärztlichen Instrumentariums angegeben zu habeu, 
welche in manchem Falle die für Arzt wie für Patient gleich un¬ 
angenehmen. unter Umständen sogar für Letzteren rettuugsver- 
zögernd wirkenden Sondenverstopfungen vermeiden lässt, ohne da¬ 
bei die Gefahr des Abreissens von Schleimhautfetzen mit den seit¬ 
herigen Instrumenten zu theilen. Dabei ist die Schlauchseele — 
im Gegensätze zu den Gummiballonapparaten — stets gebrauchs¬ 
fertig und versagt niemals den Dienst; sie stellt nicht die gering¬ 
sten Ansprüche bezüglich ihres Transportes oder ihrer Auf¬ 
bewahrung an ihren Besitzer; endlich ist sie — last not least — im 
Gegensätze zu den GummInspiratoren leicht sterilisirbar und über¬ 
trifft zugleich dieselben an Billigkeit um ein Bedeutendes. 


Aus dem Neuen Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Eppendorf. 

Ueber den diagnostischen Werth der Röntgenstrahlen 
in der inneren Medicin. 

Von Dr. Heinrich Hildebrand, früherem Sekundär¬ 
arzt des Krankenhauses, jetzigem Physikus in Hamburg. 

(Schluss.) 

Leistet das Röntgenverfahren bei den Erkrankungen des 
Herzens nur wenig, so leistet es um so mehr bei den Erkran¬ 
kungen der Aorta, speziell beim Aneurysma der Aorta. Hier ge¬ 
lingt es recht häufig, durch das Röntgenbild zweifelhafte Fälle zu 
klären und wir besitzen in ihm ein sehr werthvolles Hilfsmittel, 
welches in diesen Fällen sich oft unseren übrigen diagnostischen 
Methoden überlegen zeigt. Immerhin ist Vorsicht geboten; denn 
Fehldiagnosen sind auch hier möglich. 

Besonders in den ersten Jahren sind viel Fehldiagnosen auf 
Aortenaneurysma gestellt worden; wir selbst hatten in unserer 
Sammlung aus früherer Zeit Platten, nach welchen die Diagnose 


MuxwuuU jlxAsT 


Maytnxkhuich 


ßaUoru/ebiäst 



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10. Dezember 1901 


MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Aneurysma gestellt war, die wir aber später als normal bezeichnen 
mussten. Der Grund liegt in dem auch unter normalen Verhält¬ 
nissen nicht ganz regelmässigen Verlauf des Aortenbogens. Bei 
der geraden Durchleuchtung von vorn nach hinten oder um¬ 
gekehrt, erscheint regelmässig im 2. Intercostalraum links neben 
dem dunklen, von Wirbelsäule und Sternum gebildeten Mittel¬ 
schatten, ein rundlicher, nach aussen convexer Schatten, welcher 
der Aorta descendens und dem Bogen angehört [Holzknecht 
[23], Weinberg er [27]). Liegt die Aorta nur ein wenig 
mehr nach links, so erscheint der Schatten viel grösser, auch 
wenn die Aorta nicht erweitert ist. Dieser normale Schatten 
ist, wenn er besonders deutlich hervortrat, früher häufig für ein 
beginnendes Aneurysma gehalten worden. Es bedurfte erst 
längerer Zeit, bis man sich darüber klar wurde, dass hier durch¬ 
aus normale Verhältnisse vorliegen. 

Zu weiteren Fehldiagnosen geben die Mediastinaltumoren 
Veranlassung. Dass Verwechslungen zwischen beiden möglich 
sein müssen, ist selbstverständlich. Die Tumoren können jede 
beliebige Form und beliebigen Sitz haben; es kann also Vor¬ 
kommen, dass sie im Röntgenbild genau denselben Effekt hervor¬ 
bringen, wie ein Aneurysma. Solche Verwechslungen sind 
Anderen passirt (Eulenstein, Kirchgässer [32]) und 
sind auch uns vorgekommen. Ich erinnere mich besonders eines 
sehr lehrreichen Falles, bei welchem wir ganz sicher ein Aneu¬ 
rysma angenommen hatten und bei dem sich nachher ein Sarkom 
von Apfelgrösse fand, welches dem Aortenbogen aufsass und mit 
diesem verwachsen war. Klinisch war eine umschriebene Däm¬ 
pfung im 2. Intercostalraume und deutlich sicht- und fühlbare 
Pulsation an dieser Stelle vorhanden. Im Röntgenbild zeigte der 
Schatten genau die Form eines Aneurysmas, und wir waren nicht 
wenig erstaunt, als sich bei der Sektion ein Sarkom entpuppte. 
Aehnliche Fälle habe ich noch öfters gesehen und ich bin dess- 
halb im Gegensätze zu der Behauptung Anderer der Ansicht, dass 
das Röntgenbild zwar in sehr vielen Fällen von Aneurysma und 
Mediastinaltumoren uns wichtigen Aufschluss gibt, aber keines¬ 
wegs in jedem Fall eine sichere Unterscheidung ermöglicht. 

In neuerer Zeit ist von Holzknecht [23] ein hübsches 
Verfahren angegeben, sich den Aortenbogen für die Untersuchung 
zugänglicher und leichter sichtbar zu machen. Es besteht darin, 
dass man den Thorax schräg durchleuchtet und zwar von hinten 
links nach vorne rechte. Es erscheint dann der Herzschatten 
frei vor der Wirbelsäule liegend. Zwischen Herz und Wirbelsäule 
ist ein heller Raum, in welchem die Speiseröhre verläuft. Vom 
Herzen zieht nach oben ein dunkles, frei oben endigendes pul- 
sirendes Band, welches dem aufeinander fallenden Schatten der 
Aorta ascendens und descendens, sowie dem Bogen entspricht. 
Man hat also die Aorta frei vor sich und ist im Stande, Ver¬ 
änderungen an ihr besser als sonst zu studiren. Beginnende 
Aneurysmen des Bogens sollen ein typisches Bild geben, sie er¬ 
scheinen als „halsartig dem Herzen aufsitzende, keulenförmige 
Schatten“. 

Die Methode II o 1 z k n e c h t’s ist sehr gut und brauchbar. 
Nur geht auch er im Schlusssatz seiner Arbeit zu weit, wenn er 
sagt, dass das Vorhandensein dieser Erscheinung „mit grosser 
Sicherheit“ die Annahme eines beginnenden Bogenaneurysmas 
erlaube. Seine eigenen Fälle sind nicht sehr ermuthigend; er 
berichtet über 8 Fälle. Bei zwei von diesen, von welchen der 
eine klinisch fast sicher, der andere (durch Autopsie) ganz sicher 
war, fand er nichts Besonderes; in den 6 anderen Fällen 
fand er die keulenförmige Anschwellung. 'Leider ist al>er von 
diesen Fällen nicht berichtet, ob auch die Diagnose sicher war. 
Ich glaulx>, dass Täuschungen Vorkommen können, denn sobald 
der Aortenbogen nur ein wenig bogenförmig in der horizontalen 
Ebene verläuft, wird im Röntgenbild eine keulenförmige An¬ 
schwellung vorgetäuscht werden. 

Immerlin ist das Verfahren recht gut und bietet vor der ge¬ 
raden Durchleuchtung wesentliche Vortheile. 

Diese Vortheile treten vor Allem hervor, wenn es sich um 
Untersuchung des hinteren Mediastinums, speziell der hier ver¬ 
laufenden Speiseröhre, handelt. Dieselbe liegt in dem 
hellen, zwischen Wirbelsäule und Herzschatten befindlichen 
Raum. Sie selbst gibt keinen sichtbaren Schatten und sie diffe- 
renzirt sich nicht von den anderen Gebilden des Mediastinums; 
krankhafte Veränderungen desselben lassen sich desshalb nicht 
direkt beobachten. Wohl aber kann man sich durch Ein¬ 


2009 


führen von Sonden oder Eingiessen von schattengebenden Flüssig¬ 
keiten über die Verhältnisse des Oesophagus orientiren. Solche 
Versuche sind schon frühzeitig gemacht worden; so brachte schon 
1897 Rumpel [40] in unserem Institut durch Eingiessen von 
Wismuthlösung eine spindelförmige Erweiterung des Oesophagus 
zur Darstellung. Auch Divertikel sind auf diese Weise für das 
Auge sichtbar gemacht worden (Blum [29]). 

Durch Einführen von Sonden oder durch Verschlucken- 
lnssen grosser Wismuthballen kann man ferner den Sitz von 
Stenosen bestimmen. Besonders die letztere Methode, welche zu¬ 
erst von Holzknecht (1. c.) angegeben wurde, ist sehr in¬ 
struktiv. Man kann auf dem Schirme die Schicksale desWismuth- 
ballens genau verfolgen. Man sieht, wie derselbe zunächst ober¬ 
halb der verengten Stelle sitzen bleibt; nach einer Weile schickt 
er einen langen, dünnen Fortsatz durch die stenosirte Stelle, 
welche später abreisst, um im Abdomen zu verschwinden. Dies 
wiederholt sich, bis der ganze Ballen verschwunden ist. Ist eine 
zweite verengte Stelle vorhanden, so sammelt sich an dieser das 
Wismuth wieder. Der ganze Vorgang sieht sehr niedlich aus; 
ob für die Wissenschaft oder für den Patienten viel Vortheil bei 
diesen Untersuchungen herauskommt, erscheint mir allerdings 
zweifelhaft. Denn den Sitz einer Stenose kann man mit der 
Sonde ziemlich genau feststellen und dass z. B. bei Carcinomen 
sehr häufig zwei verengte Stellen, dem oberen und unteren auf¬ 
geworfenen Raum entsprechend, vorhanden sind, ist eine vom 
Sektionstisch her bekannte Thatsache, deren Nachweis am 
Lebenden ohne Bedeutung ist. 

Möglich, dass sich ein Vortheil der Methode später einmal 
erweist, wenn die Chirurgie des Oesophagus weiter ausgebildet 
ist und es sich um den Nachweis handelt, ob eine oder mehrere 
gutartige Strikturen vorhanden sind. 

Etwas Wesentliches haben übrigens auch die sonstigen Me¬ 
thoden der Untersuchung des Oesophagus nicht zu Tage ge¬ 
fördert; es handelte sich immer um eine Bestätigung der vorher 
gestellten Diagnose. 

Ebensowenig wie die Speiseröhre selbst geben kleinere 
Tumoren derselben einen Schatten. Grössere, auf das Mediasti¬ 
num übergreifende Tumoren werden sichtbar, wenn sie im oberen 
Abschnitt sitzen. Zur Darstellung derselben macht man besser 
eine Aufnahme im geraden Durchmesser; im schrägen Durch¬ 
messer werden bei grossen Tumoren die Verhältnisse imdeutlich. 

Wichtig kann die Untersuchung des Oesophagus noch bei 
verschluckten Fremdkörpern werden. Wenn Quadflieg [33] 
und Bätsch [34] den Satz aufstellen: „dasß der Nutzen des 
Röntgenverfahrens bei Fremdkön>ern im Oesophagus gering, bei 
künstlichen Gebissen aber mit Kautschuckplatten gleich Null 
sei“, so kann ich dem nicht beistimmen. So gut wie man den 
feinen Fortsatz des Wismuthballen« im Oesophagus sehen kann, 
so gut kann man auch andere Fremdkörper sehen; man muss 
nur nach Holzknecht’s Vorgang den Schatten der Wirbel 
durch schräge Durchleuchtung ausschalten. Auserdem geben 
Gebisse init Kautschuckplatten einen sehr deutlichen Schatten; 
wir konnten noch vor Kurzem durch eine Reihe von Aufnahmen 
die Wanderung eines Gebisses vom Magen durch den Darm bis 
zum Rectum verfolgen. 

Wir kommen zur Besprechung der Krankheiten de« Ab¬ 
domens. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Röntgen¬ 
verfahren hier erheblich weniger Erfolg hat, als bei den Erkran¬ 
kungen des Thorax. Die Organe des Abdomen differenziren sich 
im Röntgenbild nicht von einander, weil ihre Gewebe dio gleiche 
Dichtigkeit haben. Die Wand des Bauches sowie die Muskulatur 
der Lendengegend ist dicker als die des Thorax. Ferner ist der 
Füllungsgrad der Eingeweide wechselnd und der Inhalt selbst 
sehr verschieden. Dazu kommt endlich, dass die Bauchorgane 
sich nicht in Ruhe befinden; einerseits macht der Dann peri¬ 
staltische Bewegungen, andererseits nehmen säramtlicho Ein¬ 
geweide an den Bewegungen des Zwerchfells Theil. Alle diese 
Umstände wirken zusammen, so dass die Bilder des Abdomens 
verschwommen werden und dio einzelnen Organe sich nicht ab¬ 
grenzen lassen. Einen Theil der Uebelstände kann man be¬ 
seitigen, indem man den Darm vorbereitet, ihn tüchtig entleort 
und dann durch Opium stillstellt; man kann wenigstens Täu¬ 
schungen durch Kothballen so vermeiden. Die Bilder bleiben 
aber trotzdem undeutlich; denn so kurze Aufnahmen wie beim 

4* 


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2010 MÜENCHENER MEDlClNlSCHE WOCHENSCHRIFT. No. 5Ö. 


Thorax kann man nicht machen und der Einfluss der Athmung 
lässt sich desshalb nicht vermeiden. 

Wie viel die Bewegungen der Baucheingeweide dazu bei¬ 
tragen, die Bilder zu verwischen, kann man erkennen., wenn man 
Aufnahmen von Leichen macht. Hier tritt der Darm mit grosser 
Schärfe hervor, besonders wenn er Oase enthält. Wenn man bei 
einem Lebenden den Dann mit Luft aufbläst, erhält man nie 
ein ähnlich scharfes Bild. 

Kurz und gut, die Organe des Abdomen lassen sich mit Rönt¬ 
genstrahlen nicht darstellen, und es folgt schon hieraus, dass man 
auch bei Erkrankungen dieser Organe nur wenig sehen wird. 

Trotzdem gibt es Enthusiasten, welche vom Nutzen der Rönt¬ 
genstrahlen auch bei Baucherkrankungen schwärmen und welche 
Abscesse, Hydronephrosen, Echinococcen, Tumoren des 
Magens (!), des Darms (!) etc. mit Röntgenstrahlen diagnost.icirt 
haben wollen. Ich bin nach den hier gemachten Erfahrungen der 
Ansicht, dass bei allen diesen und ähnlichen Erkrankungen das 
Röntgenbild nicht den geringsten Nutzen gewährt. 
Gewiss kann es einmal einen Fall von Magentumor oder Hydro- 
neplirose oder Aehnlichem geben, Ihm welchem man an der be¬ 
treffenden Stelle einen Schatten auf der Platte sieht, aber dann 
ist der Tumor auch so gross, dass man ihn längst und viel besser 
durch die Palpation diagnosticiren kann. Kleinere Tumoren, 
welche sich der Palpation entziehen, kann man auch mit Rönt¬ 
genstrahlen nicht finden; es ist gar nicht einzusehen, warum ein 
kleiner Tumor, dessen Gewebe nicht dichter ist als das der Um¬ 
gebung, einen deutlichen Schatten geben soll. Ausnahmen bilden 
die Tumoren, welche festere Bestandteile enthalten, z. B. vom 
Becken ausgehende Osteome oder Osteosarkome, oder verkalkte 
Lyinplidrüsen. Von beiden habe ich Bilder gesehen. 

Da die Bauchorgane der direkten Besichtigung nicht zugäng¬ 
lich sind, so hat man versucht, einige derselben in ähnlicher Weise 
wie den Oesophagus zu untersuchen. Es kann sich dabei nur um 
Magen und Darm handeln. 

Was den ersteren betrifft, so ist Verschiedenes versucht wor¬ 
den: man hat Wismuthlösung in denselben gebracht, man hat mit 
Schrot gefüllte Sonden eingeführt, hat ihn aufgeblasen (B a d e 
[22]), man hat diese Methoden kombinirt, gleichzeitig Sonden 
eingeführt und aufgeblasen und schliesslich noch Wismuthlösung 
zugegeben (Rosenfeldt [8]). Die verschiedenen Autoren 
geben an, gute Resultate erzielt zu haben, und wichtige Auf¬ 
schlüsse über die Grösse und Lage des Magens gewonnen zu haben. 

Wir haben selbst einige der Methoden angewandt und uns 
überzeugt, dass man die Luftblase sehen kann und auch die Wis- 
muthlösung und die Schrotsonde darstellen kann. Ob den Metho¬ 
den wirklich ein praktischer Werth zukommt, darüber zu ur- 
theilen fehlt es uns jedoch an genügender Erfahrung. Angenehm 
sind dieselben für alle Betheiligten nicht. 

In neuester Zeit wurden in unserem Institut von Rumpel 
Versuche gemacht, den Darm genauer zu studiren. Wir hatten 
zufälliger Weise eine Platte von einem Patienten angefertigt, 
welcher innerlich eine Zeit lang Wismuth eingenommen hatte. 
Auf der Platte sah man in der Nierengegend mehrere dichte, 
scharf abgegrenzte Schatten, deren Deutung ums Anfangs nicht 
möglich war. Schliesslich erfuhren wir, das« der Patient Wis- 
rnuth bekommen hatte, und wir erklärten uns nun die Schatten 
als mit Wismuth durchsetzte Kothballen. Auf Grund dieses 
Falles kam Rumpel auf die Idee, die Methode zur Darstellung 
des Dickdarms zu verwerthen. Nach verschiedenen Vorversuehen 
gingen wir schliesslich folgendernmasson vor: Die Patienten be¬ 
kamen zunächst einige Tage hindurch grössere Dosen Wismuth; 
alsdann wurde, um den Darm st-illzusteilen und die Eindickung 
der Kothballen im Dickdarm zu befördern, Opium gegeben. Kurz 
vor der Röntgenaufnahme wurde dann noch der Darm mit Luft 
aufgeblasen. Die so gewonnenen Bilder sind in der That- über¬ 
raschend schön. Der Dickdarm kommt in seiner ganzen Aus¬ 
dehnung zur Darstellung, in den Haustren sieht man die einge¬ 
dickten Kothballen, welche rosenkranzartig ungeordnet, sind und 
besonders am Querkolon gut zu sehen sind. 

Der Gedanke liegt nahe, auf diese Weise Stenosen des Diek- 
darms, z. B. durch Carcinom, nachzuweisen und zu lokalisiren. 
Vorläufig haben wir die Versuche äusserer Umstände halber auf- 
geben müssen. Angenehm ist auch dies Verfahren nicht. 

Leistet ln?i den bisher besprochenen Krankheiten des Ab¬ 
domens das Röntgenverfahren nur wenig oder nichts, so ist es 


um so werthvoller bei den Konkrementbildungen, den Steine n. 
Es gelingt mittels des Röntgenverfahrens ganz sichere Diagnosen 
in Fällen zu stellen, bei welchen wir mit Hilfe unserer sonstigen 
Untersuchungamethoden höchstens auf Vermuthungen ange¬ 
wiesen sind. Schwere operative Eingriffe können vorgenommen 
werden, vor welchen man sich ohne Röntgenbild scheuen würde, 
und so gewährt uns dasselbe einen grossen praktischen Nutzen. 

Ich wende mich gleich den wichtigsten Konkrement¬ 
bildungen, den Nierensteinen, zu. Die Nierensteine haben 
theilweise ein hohes Absorptionsvermögen für Röntgenstrahlen 
und sie markiren sich desshalb in vielen Fällen als deutliche 
Schatten. Welche Arten von Steinen am leichtesten nachzuweisen 
sind, ob Oxalat-, Phosphat- oder Uratsteine, darüber waren die 
Ansichten eine Zeit lang gethoilt, nach den neueren Veröffent¬ 
lichungen verhalten sich Phosphat- und Oxalatateine ziemlich 
gleich; der Nachweis beider ist in vielen Fällen gelungen. Die 
Uratsteine geben den geringsten Schatten und werden am schwer¬ 
sten nachzuweisen sein. 

Der Nachweis von Nierensteinen gelang schon verhältniss- 
miissig früh; schon im Jahre 1897 wurden in dem Röntgen¬ 
institut der chirurgischen Abtheilung unseres Krankenhaust?« 
Nierensteine gefunden. Die Mittheilungen über gelungene Auf¬ 
nahmen haben sich aber erst in der neueren Zeit gemehrt, und 
dies ist der besseren Technik, vor Allem der Verbesserung der 
Röhren zuzuschreiben; denn das Wesentlichste bei dem 
ganzen Röntgen verfahren ist und bleibt eine 
gute Röhre. 

Albers-Schönberg [14] hat bei Besprechung des 
Nachweises von Nierensteinen ganz besonders den Werth der 
Bleiblenden betont. 

Diese Blenden wurden im Jahre 1898 von Walter [2GJ 
empfohlen, um die Diffusion der Strahlen zu vermeiden. Wir 
haben uns schon lange mit den Bleiblcnden beschäftigt und 
können bestätigen, dass dieselben entschieden von Vortheil sind. 
Die Bilder werden klarer und kontrastreicher. Störend ist, dass 
man stets nur eine kleine Partie des Körpers darstellen kann, 
und dass so der Ueberblick leidet. 

Den grössten Vortheil bietet die Blende bei Anwendung des 
Schirms. Dieser leuchtet schon ziemlich intensiv, wenn er nur 
von schwachen Strahlen getroffen wird, die diffundirteu Strahlen 
bringen desshalb auf ihm eine verhiiltnissmässig stärkere Wirkung 
hervor, als auf der Platte, so dass das an sich schon wenig con¬ 
trastreiche Bild des Schirmes noch mehr verschleiert wird. Hier 
kann mau durch Anwendung der Blende die Contraste erheblich 
verstärken; man hat auch den Vortheil, dass man durch Beweg¬ 
ungen des Patienten grössere Partien des Körpers absucheu und 
sich einen genügenden Ueberblick verschaffen kann. So kann 
man auf dem Schirme z. B. das Herz und die Aorta mit Hilfe der 
Blende sehr viel besser studiren. 

Die mangelnde Uebersicht ist der Grund, wesshalb die An¬ 
wendung der Blende bei der Platte nur in solchen Fällen 
möglich ist, wo eine scharf lokalisirte Veränderung vorhanden ist, 
also z. B. bei Wirbelsäulenerkrankungen oder bei Fremdkörpern, 
Nierensteinen etc.. 

Auch nach unseren Untersuchungen ist die Wirkung der 
Blende bei der Aufnahme von Nierensteinen deutlich; die Steine 
treten klarer und schärfer hervor. Ob es allerdings gelingt, die 
Contouren so zu verschärfen, dass ein vorher ganz verschwomme¬ 
ner Schatten mit Hilfe der Blende in eine grosse Anzahl kleiner 
Schatten zerlegt wird, welche von vielen kleinen Nierensteinen 
herrühren, dafür fehlt es uns an einem beweisenden Fall. Ich 
hal>o viele diesbezügliche Versuche gemacht und gefunden, dass 
kleine Steine auf einer guten Platte auch ohne Blende von ein¬ 
ander differenzirt werden können, wenn sie überhaupt sichtbar 
werden. So stark wirkt die Diffusion meistens nicht, dass die 
Schatten der verschiedenen Steine in einander übergehen; wäre 
dies der Fall, so würde man ohne Blende auch nie ein scharfes 
Bild anderer kleiner Theile, z. B. eines Wirbolquerfortsatzes. !x*- 
kommen. 

Ich glaube, dass die Athmung bei der Aufnahme von Nieren¬ 
steinen eine grosso Rolle spielt. Ich erinnere mich eines Falles 
von Quetschung des Rückenmarkes, bei welchem sich sekundär 
Nierensteine gebildet hatten. Auf einer intra vitam hergestell- 
ten Platte sah man einen grossen diffusen Schatten in der Nieren¬ 
gegend, bei einer nach dem Tode gewonnenen Platte erkannte man 
eine Menge, kleiner, dicht neben einander liegender Schatten. 
Da in beiden Fällen keine Blende angewendet war, so kann 
der Unterschied nur durch die Athmung bedingt sein. Durch 


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10. Dezember 1001. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2011 


die Bewegungen des Zwerchfells wird auch die Niere bewegt und 
dadurch weiden die Contouren etwaiger Nierensteine undeutlich. 
Man sollte desshalb auch bei Nierensteinaufnahmen die Athmung 
nuszusehaltin wi suelu. n. Eigene Erfahrungen hab-.i ich in dieser 
Beziehung noch nicht, aber ich glaube, dass die Bilder 
schärfer werden. Bei mageren Patienten genügt vielleicht 
eine kurze Expositionsdauer, während welcher dieselben den 
Athem anhalten können; andernfalls müsste man sie ermahnen, 
mit der Brust zu. athmen und das Zwerchfell still zu stellen. 

Trotz Anwendung aller technischen Hilfsmittel wird es aber 
keineswegs gelingen, in jedem I'a 11 von Nierensteinen die¬ 
selben nachzuwtifttn. Ich bestreite entschieden die Behauptung 
von Leonard [42], dass jeder Nierenstein auf einer guten 
Platte sichtbar werden muss und dass ein negativer Aus¬ 
fall des Röntgenbildes mit Sicherheit gegen 
die Anwesenheit eines Nierensteines spricht. 
Eine gewisse Grösse muss der Stein haben, soll er durch den 
Körper hindurch noch einen Schatten geben; je korpulenter der 
Patient, um so dicker muss der Stein sein. Bei einem sehr fett¬ 
leibigen Menschen z. B. einen stecknadelkopfgrossen Stein, der 
noch dazu aus Traten besteht, nachzuweisen, dürfte wohl nicht 
möglich sein. 

Gerade bei Beurtheilung der Nierenstcinplatten muss man 
eine strenge Kritik üben, da Täuschungen zu leicht möglich sind. 
Auf eine einzelne Aufnahme hin darf keine Diagnose gestellt 
werden, wenn t-s sich nicht um einen ganz klaren, einwandsfreien 
Fall handelt. Man sollte sogar lieber 3 Aufnahmen machen als 2, 
und zwar an verschiedenen Tagen nach gründlicher Entleerung 
des Darms. Findet sich dann auf allen 3 Platten der gleiche 
Schatten, so ist die Diagnose ziemlich sicher. Dass man auch 
dann noch Täuschungen erleben kann, z. B. durch Plattenfehler, 
davon haben wir Beispiele. 

Unsere Erfahrungen sprechen entschieden gegen den Satz, 
dass auch der negative Ausfall des Röntgenbildes beweisend 
für die Diagnose sei. Es ist uns einerseits passirt, da;s bei Opera¬ 
tionen Steine gefunden wurden, welche wir im Röntgenbild nicht 
gesehen hatten, andererseits habe ich durch Versuche au Leichen 
festgestellt, dass es auch unter den günstigsten Verhältnissen, 
bei Kinderleichen und bei Anwendung der Blende, nicht gedingt, 
siimmtliche Nierensteine, welche man eingeführt hat, nachzu- 
weisen. 

Wenn man nun auch nicht sämmtliche Nierensteine nach- 
weisen kann, so gelingt es doch bei einer grossen Zahl von Fällen. 
Die vorher nur auf Vermuthungen basirend? Diagnos? wird durch 
das Röntgenbild oft gesichert und hierin besteht ein grosser, 
wenn nicht <1 e r grösste V o r t h e i 1, welchen die 
innere Medicin dem Röntgen verfahren ver- 
<1 a li k t. 

Ausser den Nierensteinen lassen sich noch Blasensteine 
ziemlich leicht dnrstcllen; cs empfiehlt sich dabei, die Patienten 
auf den Bauch zu legt n. In einzelnen Fällen, bei welchen man den 
Stein mit der Sonde nicht findet, z. B. wenn er in einem Diver¬ 
tikel liegt, können die Röntgenstrahlen wichtige Dienste leisten. 

Auch Prostata^teine sind von einem Engländer naehgewiesen. 
Grosse praktische Bedeutung kommt diesem Nachweis nicht zu. 

Was endlich den Nachweis von Gallensteinen betrifft, so sind 
«lie Berichte hierüber noch sehr spärlich. Es existirt nur eine 
einzige positive Mittheilung von Beck [19], welcher Gallensteine 
in einem Falle gefunden und das betreffende Bild veröffentlicht 
hat. Alle anderen Forscher berichten, dass es ihnen bisher nicht 
gelungen sei, Gallensteine zu finden. Dass der Nachweis dieser 
Steine so schwer, ja meist unmöglich ist, erscheint, nicht wunder¬ 
bar, wenn man die. geringe Dichtigkeit derselben in Betracht 
zieht. 

Ich habe auch mit Gallensteinen Versuche angcstdlt und ge¬ 
funden, dass dieselben in der grossen Mehrzahl so stark für 
Rüntgenstrahlen durchgängig sind, dass sie überhaupt nur einen 
ganz schwachen Schatten auf der Platte geben. Die-er Schatten 
verschwindet vollständig, wenn man die Steine auf irgend ein 
Gewebsstückchen, z. B. den Rand einer Leber, legt. Nur einige 
Steine gaben einen intensiveren Schatten, aber hier waren es 
auch immer nur Theile. desselben; entweder erschien der Kern 
deutlich auf der Platte oder einzelne coneentrisehe Schichten. 
Führte man diese Steine in die Gallenblase einer Leiche ein, so 
wurden diesollx-n auf der Platte schwach sichtbar; alle übrigen 

No 50. 


Steine verschwanden vollständig, trotzdem magere Leichen be¬ 
nutzt und die Blende in Anwendung gebracht wurde. Daraus 
folgt, dass der Nachweis der Gallensteine beim Lebenden in der 
überwiegenden Mehrzahl der Fälle unmögl ich ist, zumal beim 
Lebenden die Atlunung hinzukommt und störend wirkt. Unter 
ganz besonders günstigen Umständen, wenn es möglich ist, die 
Athmung auszuschalten, und wenn es sich um einen der er¬ 
wähnten Steine handelt, welche einen etwas stärkeren Schatten 
geben, könnte es, eine gewisse Dicke der Steine vorausgesetzt, 
möglich sein, dieselben auf dem Röntgenbilde sichtbar zu 
machen. Einen solchen günstigen Fall hat Beck offenbar ge¬ 
habt. Diese Fälle bilden aber ganz seltene Ausnahmen, deren 
praktische Bedeutung gleich Null ist. 

Herr Apotheker Sartorius hatte die Freundlichkeit, die 
von uns benutzten Gallensteine chemisch zu untersuchen. 

Fast sämmtliche Steine enthielten Spuren von Eisen, einige 
auch Spuren von Kupfer, doch waren die Mengen so gering, dass 
dieselben für uns keine Bedeutung haben. 

Die Steine, welche keinen Schatten gaben, bestanden aus 
Cholesteri n und wechselnden Mengen von Gallenfarb¬ 
stoff. Die Steine welche einen Schatten gaben, enthielten 
ausserdem kohlen sauren Kalk. 

Auf den Gehalt an kohlensaurem Kalk kommt es an, wie 
wir exakt nachweisen konnten. Es fand sich nämlich, dass 
immer nur in den Schichten, welche einen Schatten gaben, Kalk 
enthalten war, in den anderen nicht. Z. B. bei einein Stein, 
dessen Kern keinen Schatten gab, dessen Rinde dagegen eon- 
eentrischen Schatten zeigte, bestand der Kern nur aus Chole¬ 
sterin; die Rinde dagegen enthielt reichlich Kalk. Umgekehrt 
war das Verhalten, wenn der Kern einen Schatten gab und die 
Rinde nicht. Enthält also ein Stein viel kohlensauren Kalk, 
so wäre es unter günstigen Umständen möglich, denselben zu 
finden. Die übrigen Steine dagegen mit Röntgenstrahlen nach¬ 
zuweisen, ist nach meinen Versuchen unmöglich. 

Wir kommen in unserer Besprechung zur dritten Körper- 
höhle, den Schädel. Einige Forscher wollen auch hier mittels 
den Röntgcnstrnhlen wichtige Befunde erhoben haben, sie wollen 
Tumoren (Gummata! etc.) auf diese Weise naehgewiesen haben. 
Wir haben viele Fälle von sicheren Hirntumoren untersucht 
lind nie das geringste Resultat gehabt. Warum sollte auch z. B. 
ein Gummiknoten im Röntgenbild einen Schatten geben? Der 
Schatten des massiven und dichten Gehirns ist so stark, dass ein.* 
Bleikugel sich von demselben wohl noch deutlich abhebt, dass 
aber der Schatten eines Tumors vollständig verschwindet, da 
dessen Gewebe nicht dichter ist als das des Gehirns. 
Grün mach [5] berichtet, über einen Fall von Tumor bei 
einem Kind, bei welchem es sich um ein sehr dünnes Schädel¬ 
dach handelte und die Geschwulst eine grosse Menge von Kalk¬ 
einlagerungen enthielt, ln einem solchen Ausnahmefalle ist. es 
vielleicht (?) möglich, einen Schatten zu sehen, im Allgemein;*n 
aber dürfte cs vergebene Mühe sein, Uirnveründorungen mit 
Rüntgenstrahlen diagnosticiren zu wollen. Das Gleiche gilt vom 
Rückenmark; der Schatten der Wirbelsäule macht e. unmöglich, 
Veränderungen im Wirbelkanal zu erkennen. Zwar behauptet 
ein Autor, Blutungen in die Wirbelsäule naehgewiesen zu haben, 
das erinnert jetloch sehr an den Nachweis der Mifiartubcrkulo.se! 

Veränderungen der Wirbelsäule selbst sind gut zu erkennen. 
Meist handelt es sich um chirurgische Leiden, doch kann das 
Röntgenverfahren hier auch dem inneren Mediciner von Nutzen 
sein. 

So kann das Röntgenbild bei beginnender Spondylitis, wenn 
noch kein deutlicher Gibbus vorhanden ist. Klarheit schaffen; 
denn die Zerstörungen sind meist erheblicher, als man nach den 
Beschwerden annehmen sollte. Wir verfügen über einige der¬ 
artige Fälle. Besonders lehrreich war einer von diesen: 

Eine Frau klagte schon seit langer Zelt über sehr versrhLden;* 
Beschwerden, blonder« Mattigkeit und ausstrnhlendc Schmerzen 
ln den Keinen und dem Becken. Da wir zuerst bei der l'nter- 
suchung nichts Wesentliches linden konnten und die Klagen sehr 
mannigfaltige wareu. so schien die Frau hysterieverdilehtig. Bei 
einer späteren genauen Untersuchung fand Ich ein:* etwas schnicrz- 
hafte Stelle der unten*» BrustwirbelsHule. Elin* Köntg naufualiiue 
ergab eine ausgedehnte Erkninkung von zwei Wirbeln, welche 
srhon grosse Defekte aufwieseu. Die Frau musste daraufhin 
viele Monate lang ln horizontaler Lage rulilg liegen und Ist jetzt 
geheilt. Man sieht auch jetzt noch Im Uöntgenblld die ver¬ 
änderten Wirbel, welche sieh etwns ineinander geschoben haben; 
an der betreffenden Stelle stehen die Processus spinosi leicht vor. 

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2012 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


Von sonstigen Erkrankungen des Skelets, welche in das Ge¬ 
biet der inneren Medicin gehören, wären noch kurz die ver¬ 
schiedenen Formen der Gelenkerkrankungen zu nennen. Wir 
haben sehr viele Aufnahmen von chronischen Gelenkerkran¬ 
kungen gemacht. Bei vorgeschrittenen Fällen sieht man deut¬ 
lich die Veränderungen, welche besonders in einem Schwund 
des Knorpels bestehen, so dass die normaler Weise im Röntgen¬ 
bild sichtbare Gelenkspalte wegfällt; ausserdem erkennt man 
meist sehr deutlich eine Atrophie der Knochen (Sud eck [39]). 
Einen Nutzen für die Diagnose oder Prognose der Gelenk¬ 
erkrankung hat uns das Röntgenbild in keinem Fall gebracht. 

Erwähnt sei endlich noch ein Fall von Osteomalacie, bei 
welchem der Schwund der Knochensubstanz im Röntgenbild 
gut zu erkennen war. Der Fall wird an anderer Stelle veröffent¬ 
licht werden. 

Hiermit dürfte die Besprechung der Krankheiten, welche 
für uns in Betracht kommen, erschöpft sein. 

Wir haben gesehen, dass das Röntgenbild bei vielen inneren 
Leiden ein wesentliches diagnostisches Hilfsmittel darstellt, 
während c.s bei vielen anderen so gut wie nichts leistet. 

Nach den reichen Erfahrungen, welche jetzt gemacht worden 
sind, kann man bei einer bestimmten Krankheit schon von vorn¬ 
herein sagen, ob die Röntgenuntersuchung einen Erfolg ver¬ 
spricht oder nicht, und im letzten Fall sollte man in der Praxis 
überhaupt von einer Aufnahme absehen. Zu den Erkrankungen, 
bei welchen man durch das Röntgenbild nicht mehr erfährt als 
durch die sonstigen Untersuchungen, gehören Lungenphthise 
sowohl im Anfang als später bei Cavernenbildung, Lungenent¬ 
zündung, Herzfehler, Gallensteine, Tumoren des Bauches und 
die Erkrankungen des Centralnervensystems. 

Wesentlich unterstützt uns das Röntgenbild bei Lungen- 
gangracn und anderen central gelegenen Lungenherden (Echino¬ 
coccus etc.), Mediastinaltumoren und Aortenaneurysmen, Fremd¬ 
körpern, endlich bei Nierensteinen; bei diesen Entrankungeu 
sollte man, sobald irgend ein Zweifel besteht, in jedem 
Fall das Röntgenverfahren mit zu Hilfe nehmen. Bei den 
übrigen Krankheiten richtet es sich nach dem einzelnen Fall, 
ob man sich von einer Röntgenuntersuchung einen Erfolg ver¬ 
sprechen kann. 

Das Röntgen verfahren leistet auch in der inneren Medicin, 
wenn es verständig gehandhabt wird, ganz ausserordentlich viel, 
und es stellt eine wesentliche Bereicherung 
unserer diagnostischen Hilfsmittel dar; aber das unterliegt 
keinem Zweifel, dass im Allgemeinen viel zu viel von dem¬ 
selben verlangt wird und dass es auch jetzt noch, trotz der ge¬ 
machten Erfahrungen in Fällen angewandt wird, bei welchen 
gar keine Aussicht auf irgend einen Erfolg ist- Ferner wird 
zu häufig der schon Anfangs erwähnte Fehler gemacht, dass von 
einer vielleicht gut gelungenen Platte Schlüsse auf die All¬ 
gemeinheit gezogen werden und dadurch falsche Vorstellungen 
von dem Werth des Verfahrens erweckt werden. 

Literatur: 

1. Durustrey und Metzner: Die Untersuchung mit 
Itüntgenstrahlen. Eine kritische Studie. Fortschritte auf dem Ge¬ 
biete der Röntgenstralden Rd. 1. S. 115. — 2. Imme] mann: 
Kann man mittels Rüntgeustralileu Lungenschwindsucht schon 
zu einer Zeit erkennen etc. Fortschritte Bü. II. S. 142. — 3. Leo: 
Nachweis eines Osteosarkoms der Lungen durch Itüntgenstrahlen. 
Rerl. klln. Wochenschr. 1898. — 4 .11 e i t z e n s t e 1 n: Zur Kennt¬ 
nis»» und Diagnose der tiefen Oesophagusdivertlkel (Literaturver¬ 
zeichnis«!). Miineli. med. Wochenschr. 1898. — 5. Grün mach: 
l'cher Fortschritte in der Aktinograpliie etc. 70. Versammlung 
»leutsclier Naturforscher etc.. Düsseldorf 1898. — G. Kienböck: 
Auf dem Röntgenschirm beobachtete Bewegungen in einem Pyo- 
pneiimothorax. Wien. klin. Wochenschr. 1898, No. 22. — 7. Als¬ 
berg: l'eber einen mit Hilfe des Rüntgenverfalirens diagnosti- 
oirten Fall von Ni«»renstein etc. Münch, med. Wochenschr. 1898, 
No. 5o. - 8. Ilosen fe Id: Klinische Diagnostik der Grösse, 

Form und Lage des Magens. Centralbl. f. innere Med. 1899, No. I. 
- 9. L e vy-Iiorn und Zadeck: Zur Untersuchung mit Rönt- 
irenstrahlcn hei Lungcneehinococeus. Berl. klin. Wochenschr. 1899, 
No. 2o. — 10. S <• h m I d t: Kasuistische Beiträge zur Röntgenunter¬ 
suchung etc. Fortschritte Bd. HI, S. 1. — 11. Rieder und 
U o s «> n t h a 1: l'eber Moment-Röntgenaufnahmen. Fortschritte 
Ud. III. S. ltm.-- 12. Dollinger: Dritter Bericht über die An¬ 
wendung der Kontgenstrahlen .... in Frankreich. Fortschritte 
Bil. ui. S. 111. — N i e h u s: Drei Fälle von Fremdkörpern 
in »len tiefen Luftwegen etc. Fortschritte Bd. 111. S. 207. — 
II. A 1 b »• r s - S <• h ö n b e r g: Zur Technik der Nicrensteinauf- 
naluncn. Fortschritte Bd. 11L, S. 210. -- 15. Lauenstein: 


Nachweis von Nierensteinen etc. Fortschritte Bd. 111, S. 211. — 
IG. Wagner: Nachweis von Nierensteinen mit Rüntgenstrahleu. 
Fortschritte Bd. III, S. 214. — 17. Le vy- Dorn: Phosphatsteiue 
in der Niere eines Erwachsenen. Fortschritte Bd. III, S. 215. — 
18. Emil Levy: Nachweis und Operation eines Phospliatsteine« 
ln der rechten Niere. Fortschritte Bd. III, S. 215. — 19. Carl 
Beck: Darstellung von Gallensteinen in »1er Gallenblase und 
Leber. Fortschritte Bd. III, S. 217. — 20. Stembo: Beiträge zur 
diagnostischen Venvertliung der Itüntgenstrahlen. Deutsch, med. 
Wochenschr. 1899. — 21. Grün mach: Ueber die diagnostische 
und therapeutische Bedeutung der X-Strahlen. Deutsch, med. 
Wochenschr. 1899, No. 37. — 22. Bade: Eine neue Methode »1er 
Röntgenpliotographie »les Magens. Deutsch, med. Wochenschr. 

1899, No. 38. — 23. Holzknecht: Das rniliogrnphische Ver¬ 
halten »ler normalen Brustaorta. Wien. klin. Wochenschr. 19UÜ. 
No. 10. — 24. Dersellie: Zum radiographischen Verhalten 
pathologischer I’rocesse der Brustaorta. Wien. klin. Wochenschr. 

1900, No. 25. — 25. L e o: Ueber einen Fall von Dextrokardie. 
Jahrbuch f. Kinderheilk. B<1. 50, Heft 4. — 26. Walter: Physi¬ 
kalisch-technische Mittheilungen. Fortschritte Bd. I., S. 83. — 
27. Weinberger: Bemerkung zum Aufsatz in No. 25 dieser 
Wochenschrift: Holzknecht etc. Wien. klin. Wochenschr. 
1900, No. 28. — 28. L e v y - D <> r n: Zur Kritik und Ausgestaltung 
des Röntgen Verfahrens. (IJteruturverzeichnlss!) Deutsch. me»l. 
Wochenschr. 1899. — 29. Blum: Zur Diagnostik der Oesophagus- 
divertikel. Wien. klin. Wochenschr. 1900, No. 11. — 30. Büttue r 
und Müller: Technik und Verwerthung der R ö n t g e n' selten 
Strahlen im Dienste der ärztlichen Praxis und Wissenschaft. 
Halle 1800, W. Knapp. — 31. Arnsperger: Ueber Pneumo¬ 
thorax im Rüutgenbilde. Mittheil, aus den Grenzgebieten etc. 1901. 
S. 3G7. — 32. Kirchgässer: Fehldiagnose eines Aortenaneu¬ 
rysmas in Folge der Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen. Münch, 
med. Wochenschr. 1900, No. 29. — 33. Q-ua»lflieg: Entfernung 
eines künstlichen Gebisses durch Gastrotomie aus dem Oesophagus. 
Münch. me»l. Wochenschr, 1901, No. 4. — 34. Bätsch: Künst¬ 
liches Gebiss im Oesophagus. Münch, med. Wochenschr. 1901. 
No. 33. — 35. Albers-Schönberg: Ueber den Nachweis von 
kleinen Nierensteinen mittels Röntgenstrahlen. Fortschritte Bd. IV, 
S. 118. — 3G. Gebauer: Ist die Durchleuchtung mit Röntgeu- 
strahlen ausschlaggebend für die DÜTerentialdiagnose zwischen 
Aortenaneurysma und intrathoracisclieiu Tumor? Deutsch, med. 
Wochenschr. 1900, No. 35. — 37. Becker: Bestimmung der 
unteren Magengreuze vermittels Röntgendurchleuchtung. Deutsch, 
med. Wochenschr. 1900. — 38. Oes t reich: Zur Perkussion des 
Herzens. Virchow’s Archiv 1900. Bd. 1G0. — 39. Sud eck: Zur 
Altersatrophie und Inaktivitiitsatrophie der Knochen. Fortschritte 
B»l. III, S. 201. — 40. Rumpel: Die klinische Diagnose der spindel¬ 
förmigen Speiserölirenerweiterung. Münch, med. Wochenschr. 
1897, No. 15. — 41. Jaworskl: Beitrag zur diagnostischen 
X-Dmvlistraldung der Respirationsorgane. Wien. klin. Wochen- 
sehr. 1897, No. 30. — 42. Leonard: The diagnosis of caleulous 
»llsea.se of tlic Kidneys ete. The Philadelphia Medical Journal 190 ). 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 


Aerzte, Behörden und Leipziger Verband. 

Kollege Hart m a n n, der federgewandte, hat in No. 48 der 
Münch, med. Wochenschr. einen Artikel gebracht, der neben einer 
später zu würdigenden Empfehlung des ,.WIrthschaftli»*heu Ver¬ 
bandes“ im Wesentlichen gegen die mehr und mehr hervortreten¬ 
den Bestrebungen polemisirt, die Streitigkeiten zwischen Aerzten 
und Kassen ..Einigungskommissionen“ unter unparteiischer Lei- 
tung. sei es auch des Staates, zu übertragen. Dabei könne nichts 
herauskommen und in dieser eigensten Privatangelegenheit, dürf¬ 
ten sieh die Aerzte von Niemand, besonders nicht von dem von 
vornherein voreingenommenen Staat hineinreden lassen. Am 
Schlüsse widerspricht sich Hart mann dann selber, indem er 
solche Einigungsämter schon zulässt, falls sie von beiden Par¬ 
teien gleichmässig beschickt, sich selbst eine Leitung wählen. 

In der That ist aber das Ende von solchen Ix»hnstivitigkeiten 
auf gar keinem anderen Wege abzusehen, als auf dem mündlicher 
Verhandlungen in Kommissionen. Wir verkennen doch selbst 
nicht, dass auch den gerechten Forderungen der Aerzte oft nicht 
minder gerechte der Kassen gegenüberstehen, dass theoretisch 
wohlbegründete Wünsche selten voll durchzusetzen sind, «lass am 
Ende je»len Streites doch die Friedensverhandlung steht, in der 
das Mögliche erreicht, auf das vielleicht nur momentan Unmög¬ 
liche verzichtet werden muss. Der Unterschied zwischen Hart- 
m a n n's und den von mir heute (largelegten Anschauungen ist 
nur der, dass ich, und mit mir Viele, solche Einiguugsämter. 
-stellen, -kommissionen oder wie man sie heissen will, in Friedens¬ 
zeiten schaffen möchten, so dass in irgend einer Weise die Stan¬ 
desvertretung offteiell den Abschluss von Kassen vertrügen über¬ 
wachen könnte, und »ler einzelne Arzt nicht mehr aus Irgend einem 
Grunde sich gerechte Ansprüche drücken zu lassen brauchte. Es 
leitet uns dabei »iie Erfahrung, »lie au vielen Plätzen gemacht 
wurde, dass schon die Möglichkeit, überhaupt gehört zu werden 
mul an Berathungen gleichberechtigt theilzunelimen, genügt, um 
bessere Verhältnisse zwistdien Aerzten und Kassen zu bringen. 

Bedingung <h*s Erfolges solcher Einigungsämter ist freilich, 
dass sich auch »ler übelgesinnte Arzt denselben nicht entziehen 
kann, und eine solche Unterredung aller Aerzte kann schwer 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. ~ 2013 


10. Dezember 1901. 

durch die Helehsgedetzgebung (deutsche Aerzteorduung!) gegeben 
werden, aber wohl durch dl« Standes -und Elirengericlitsoulnungen 
der einzelnen Länder. Das ist iln Augenblick das Bestreben Derer, 
die niemals au ein freiwilliges Zusammenhalten aller Aerzte 
glauben, wie sie H a r t m a « n trilumt. In diesem Sinne gibt 
mau sich Mühe die neu zu schaffenden Aerzteordnuugen besser zu 
fuudireu als die erste in Sachsen, wo die Bestimmungen beim 
ersten, vielleicht etwas zu schroffen Ansturm der ärztlichen Vereine 
versagten. Hessen hat in seinem Entwurf bereits eine In¬ 
stitution geschaffen, die den daneben nothwendlgen Kom¬ 
missionen zwischen Aerzten und Kassen brauchbare Arbeltsgrund- 
lageti gelH'n wird. Ob ein Honorarsatz standeswürdig sei 
oder nicht, entscheidet ein aus 2 Ae raten und einem Staats¬ 
beamten zusammengesetzter Senat. 

So durfte der Vorsitzende beim Hildesheimer Aerzletag mit 
Hecht nusspreehell, dass die Gründung solcher Einigungsämter das 
Erstrelienswerthe sei. So halten die Vorstände der 8 bayerischen 
Acrztekammem in einer letzten Eingabe betr. die bayerische Stan¬ 
desordnung an den Landtag — sich Im P r i n c i p für die Schaltung 
solcher Einigungsstelleu ausgesprochen. 

Da kommt aber immer wieder der Schlusseinwand: bei dieser 
Art von Vermittlung spricht der „Staat“ hinein, und der will uns 
Übel, der soll wegblelbeu. So argumentirt auch Hart ui a n n. 
Ich kann dies in so uneingeschränkter Form nicht zugeben. Dass 
gemachte Gesetze nicht leicht geändert werden. Ist begreiflich, 
dass Missstände, durch Gesetze hervorgerufen, nur langsam den 
nicht direkt Betroffenen klar werden, ebenso. Dass die Schädi¬ 
gungen, die der ärztliche Stand durch das Krankenversicherungs¬ 
gesetz erlitten, so grosse sind, war weder vorherzusehen, noch so¬ 
fort als dauernd, ja sich steigernd, zu erkennen. Ich glaube wohl 
behaupten zu dürfen, dass ein Erkennen dieser Missstände mehr 
und mehr auch in den Kreisen derer Platz greift, die Abhilfe 
schaffen können. Sind nicht die Vorlagen von Aerateordnungeii 
ln allen Bundesstaaten dafür ein Beweis? Und die oben be¬ 
sprochenen in Hessen geplanten Kommissionen erst recht? Wir ln 
Bayern ringen im Augenblicke schwer um unsere Standesordnung 
gegen Unverstand und bösen Willen. Aber die Staatsregierung 
steht mit vollem Verständniss auf unserer Seite und nicht an ihr 
liegt es, wenn unsere Hoffnungen sich zerschlagen sollten. 

Noch mehr das rechtzeitige verständige Eingreifen der Kreis¬ 
regierung hat den Kampf der Münchener Aerzte mit einer Kasse 
zu einem guten Ende geführt. Leipzig ist in gleichem Falle auch 
unter Vermittelung der Regierung mit einem blauen Auge davon 
gekommen. Hartmann hat sich später bitter über den Friedens¬ 
schluss ausgelassen — bin ich falsch berichtet, dass er selbst ohne 
zu protestiren dabei war, und theilten nicht Viele mit mir den 
Glauben, dass ohne diese Itegierungsvermittlung der Leipziger 
Streit mit einer grossen Niederlage zu enden drohte? 

Wenn man dahin strebt, Einigungsämter zu errichten, und 
wenn dieselben unter unparteiischer Leitung stehen müssen, so be¬ 
steht kein Grund, die Betheiligung des Staates prinzipiell abzu¬ 
lehnen. Derselbe wird dabei Gelegenheit haben, den bei uns 
herrschenden Notlistiinden im Detail näher zu treteu und wir 
werden im mündlichen Gedankenaustausch leichter etwas erreichen 
als mit den oft verspotteten Eingaben und Resolutionen, die eben 
erst Bresche schiessen müssen. 

Nun ist aber der eigentliche Zweck des Hartman n’sclieu 
Artikels eine neuerliche Empfehlung des Leipziger Verbandes, und 
wenn er dies recht eindringlich tliut, hat er sicher Recht. Nur 
scheint mir jetzt die Zeit vorbei, wo die alten Gründe für die 
Notlnvendigkeit dieses Verbandes immer wieder aufgewürmt 
werden. 

Dass bisher nichts oder nicht viel von den Aerzten erreicht 
wurde, ist allseitig anerkannt. Dass aber dosshalb «1er Weg des 
Verbandes der allein richtige sei, ist doch nur eine Behauptung, 
die vorerst nicht zu beweisen ist Und nicht an dem fortwährenden 
Nörgeln an den Bestrebungen der Kollegen kann der Verband sich 
stärken, sondern nur in einem gegenseitigen Anerkennen der guten 
Absicht und in der wechselseitigen Unterstützung aller Pläne, die 
schliesslich doch dasselbe Endziel haben. Wir, die wir die Wege 
des leipziger Verbandes für schwer zu einem brauchbaren Resultat 
führend, halten, haben trotzdem es gerne gesehen, dass neue 
Kräfte neues Leben in die ärztlichen Vereine gebracht haben, 
und da wir bei einem vernünftigen Zusnnimenstehen der Gut¬ 
gesinnten keinen Schaden von dem neuen Vereine mehr fürchten, 
so zeigen auch wir den guten Willen, und treten dem Leipziger 
Verbände bei, damit, nicht den Wegbleibenden schliesslich die 
Schuld am Misserfolg gegeben und die guten Kräfte nicht der 
guten Sache abwendig gemacht werden. Wir grollen also nicht, 
nur sollte Kollege Hartmann auch nicht grollen und nicht 
immer post festum die Ereignisse schlimmer anseheu als beim 
Fest selber. Jetzt hätte er in Hildesheim einen flammenden 
Protest haben wollen gegen unsere Gesetzgebung, warum hat er 
ihn denn dort nicht selber angeregt? Wenn dem Verband oder 
ihm ein recht gutes Mittel gegen die Kurpfuscherei einfällt, soll 
er es uns nicht vorenthalten, wir Alle wollen ihm helfen, es all¬ 
zu wenden. Aller dem leipziger Verband die Bekämpfung der Kur¬ 
pfuscherei als Hauptaufgabe mit zu übertragen und den deutschen 
Aerzte Vereinsbund m*ben hinzuschieben, war doch unmöglich. 

Die Zelt für solche Streitigkeiten unter den Wohlmeinenden 
Ist vorbei. Jetzt wollen wir nichts mehr hören als die mit Gründen 
belegten Pläne des Verbandes für die Zukunft, und den Fortschritt, 
den er seit y, Jahr gemacht hat. Da können die Zweifelnden be¬ 
kehrt werden, und in weiteren Jahren wird ein rascher Ueber- | 


blick zeigen, wie viele von den für den Erfolg der Sache nach 
Hartmann’s eigenen Worten uöthigen „sämintllehen Aerzten 
Deutschlands“ noch fehlen. Dr. Wilhelm Mayer. 


Referate und Bücheranzeigen. 

J. Bernstein -Halle: Lehrbuch der Physiologie des 
thierischen Organismus, im Speciellen des Menschen. Zweite, 
umgenrbeiteto Auflage. 696 Seiten mit 276 Textabbildungen. 
Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart 1900. Preis 14 M. 

Das in 2. Auflage erschienene Lehrbuch des Hallenser 
Physiologen, welches einer von F. Enke veranstalteten Samm¬ 
lung medieinischer Lehrbücher angehört, hat gegenüber der 
1. Auflage (1894) insofern eine Aenderung erfahren, als die 
IJauptthatsachen der Physiologie durch Grossdruck hervorge- 
hoben werden und von den minder wichtigen und speziellen Er¬ 
örterungen durch Kleindruck geschieden sind, wodurch natürlich 
das Buch an Uebersichtlichkeit gewinnen musste. Neu hinzu¬ 
gefügt wurden ein etwas über 12 Seiten umfassender 2. Anhang, 
der die Grundlagen der modernen physikalischen Chemie be¬ 
handelt und 5 Textfiguren; trotzdem konnte die Seitenzahl um 
59 vermindert werden. 

Die 13 Kapitel des Buches sind im Anschluss an eine Ein¬ 
leitung allgemeineren Inhalts nach einander dem Blute, dem 
Kreisläufe des Blutes, der Athmung, der Verdauung und Se¬ 
kretion, der Lymphe, Resorption und Assimilation, der Exkretion, 
der Ernährung, der thierischen Wärme, der thierischen Bewegung, 
der allgemeinen Nervenphysiologie, der Physiologie der Central¬ 
organe des Nervensystems und ihrer Nerven, der Physiologie der 
Sinne und der Fortpflanzung gewidmet. Die Gruppirung des 
Stoffes weicht also von der bisher üblichen nicht ab. In einem 
Anhang I bespricht Verfasser noch die chemischen Bestandteile 
des Körpers, in einem II. Anhänge, wie erwähnt, die Hauptdaten 
der physikalischen Chemie. Ein Sachregister bildet den Schluss. 

Das Buch ist sehr gehaltvoll und stellt besonders in der vor¬ 
liegenden zweiten Auflage eine schätzenswerte Bereicherung der 
physiologischen Lehrbücherliteratur dar. 

Dr. K. Bürker - Tübingen. 

Dr. Paul Schulz, Privatdocent und Assistent am k. physio¬ 
logischen Institut der Universität Berlin: Compendium der 
Physiologie des Menschen. Für Studirende und Aerzte. Zweite, 
verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 47 Abbildungen im Text 
und 1 lithographischen Tafel. Berlin 1901. Verlag von 
S. Karger. 

In knapper, klarer Form bringt das vorliegende Compendium 
die zur Zeit als anerkannt geltenden Lehren der Physiologie, 
untergebracht in 26 Kapiteln, welche den in der staatlichen 
Prüfungsordnung vorgeschriebenen Thematen entsprechen. An 
vorzüglichen Lehrbüchern der Physiologie ist kein Mangel, allein 
dein beschäftigten Arzte, der das Bedürfnis» nach rascher Orien- 
tirung in irgend einer physiologischen Frage fühlt, ist es oft zu 
zeitraubend, sich durch ein weit angelegtes Werk hindurch zu 
lesen und gewiss greift er gerne nach einem sorgfältig ge¬ 
schriebenen Compendium. Es ist schwer, iu der Auswahl des 
aufzunehmenden Stoffes das Rechte zu treffen, allein der Verf. 
des vorliegenden Werkeliens scheint im Ganzen eine recht glück- 
licho Hand gehabt zu haben. Die beigegebenon Zeichnungen sind 
sorgfältig ausgeführt. Wie das Erscheinen der zweiten Auflage 
zeigt, hat sieh das Compendium bereits gut eingeführt. Gr. 

Dr. Carl H a e g 1 e r: Händereinigung, Händedesinfektion 
und Handschutz. Eine experimentelle und kritische »Studie. 
Basel, B. Schwabe, 1900. 

Ha egl er will in der dem Andenken A. Socin’s ge¬ 
widmeten eingehenden Arbeit, „obgleich zur Zeit das aktuelle 
Interesse an dieser Streitfrage aus Ermüdung erloschen 
ist“, die Resultate in 12 jähriger Arbeit im Laboratorium 
und am Krankenbett gemachter Studien über Wund¬ 
infektion und Wundbehandlung geben, die speziell die Hände¬ 
vorbereitung und alles was damit zusammenhängf, behandeln, 
die ja neben der operativen Technik in erster Linie, für den 
Erfolg maassgel>end ist. Die wichtige Frage, ob es möglich sei. 
die Hände mit annähernder Sicherheit keimfrei zu machen, wird 
von II., wie der Mehrzahl der Forscher, verneint.; II. hält es 
für unrichtig, die Laparotomien als Testobjekte zu wählen, da 

5 * 


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2014 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


bei anderen Operationen (Kropfoperationen, Herniotomien, Gc- 
lenkoperationen) die Gewebe viel feiner auf Mikroben reagiren, 
als das Bauchfell. Zu der Methodik bakterieller Prüfung hat 
II. seine Fadenmethode benutzt, d. h. ein dicker Seiden¬ 
faden von 20 cm Länge wird sterilisirt mit der Pinzette aus 
dem Reagensgins entnommen, man zieht ihn durch die Hand 
resp. reibt damit event. den Untemagelraum sägend aus und 
bringt ihn dann in den Nährboden, d.h. eine mit flüssigem Agar 
beschickte Petrischale. Die 2. Hälfte des mit geglühter Scheere 
durchschnittenen Fadens, die von der Versuchsperson zwischen 
den Fingern etwas zusammengeknäult wird, lässt man in ein 
Bouillonglas einfallen, das 24 Stunden im Brutofen gehalten 
wird und von dessen Inhalt die Hälfte dann unter Sauerstoff - 
abschluss gehalten werden kann. — Das Eindringen der Bak¬ 
terien in die Haut, die vorzugsweise in kleinen Epidermisrissen 
sich fostsetzen und von rauhen Händen viel schwerer zu ent¬ 
fernen sind, als von wohlgepflegten, glatten Händen, studirte II. 
experimentell in dem analogen Eindringen corpusculürer Ele¬ 
mente, z. B. Tuschpartikelehen bei Tuscheinreibung der Hände 
und an histologischen Präparaten; er fand, dass die Keime an 
unseren Händen sich nur relativ selten und spärlich in Ilaar- 
bälgen finden (nur in den peripheren Partien), dass sie in den 
Schweissdrüsen gewöhnlich fehlen und in alle diese natürlichen 
Ilautöffnungen nicht einwachsen, sondern durch Reiben von 
aussen dahin verbracht werden, dass sie einmal dort, unter 
normalen Verhältnissen sich nicht vermehren, dass die acciden* 
teilen Hautöffnungen (kleinem Verletzungen) sich anders ver¬ 
halten, indem hier sich Keime regelmässig nachweisen lassen und 
Vermehrung in die Tiefe und Einwachsen in die Tiefe anzu¬ 
nehmen ist. Trockene Hautoberfläche ist der Vermehrung un¬ 
günstig, Schweiss dagegen steigert sie. Wenn auch der mecha¬ 
nischen Reinigung, d. h. der Entfernung des Keimmateriales von 
den Händen, die wichtigste Rolle zukommt, so dürfen wir doch 
in der Unterschätzung der Antiseptiea nicht zu weit gehen. 
II. geht auf die Technik der Ilündereinigung näher ein; Haupt¬ 
bedingung derselben sind: warmes Wasser, Seife, ein Frottir- 
instrument und Abreiben mit rauhem Tuch; die Behauptung, 
dass durch die Bürste beim Waschprocess Keimmaterial in die 
Hände gerieben werde, lässt sich auch bakteriologisch entkräften, 
eine Schädigung der Haut durch grüne Seife konnte II. nicht 
finden, eine reine Entfettung der Haut gelingt am besten durch 
pasten- oder breiartige Massen (Gips, Bolus). Auch die Nagel¬ 
toilette bespricht II. des Näheren; das was der Reinigung im 
chirurgischen Sinne am schwersten zugänglich ist, ist nicht der 
glatte Nagel als solcher, sondern das rauhe Ende des Nagelbettes, 
dcsshalb darf die instrumenteile Nagelreinigung erst nach den 
entfettenden und epidermislockernden Maassregeln und nicht mit 
spitzen oder scharfen Nagelreinigern geschehen; II. zeigt durch 
Experimente, dass das Ausreiben des Unternagel raumes mit 
einem rauhen aber geschmeidigen Medium viel wirksamer ist. 
II. geht dann auf die Reinigung der Hände mit Desinfektions¬ 
mitteln näher ein und bespricht besonders an der Hand seiner 
experimentellen Untersuchungen die Bedeutung des Alkohols 
hiebei und kommt nach 32 Versuchsserien zu dem Resultat, dass 
(30—TOproc. Alkohol, wie alle eiweisscoagulirenden Mittel, zu den 
Antiseptieis zu zählen sei, dagegen nicht befähigt sei. Keime, 
die an der Haut der Hände Vorkommen, mit Sicherheit in einer 
für die Praxis der Händedesinfektion in Betracht kommenden 
Zeit abzutödten und dass die Ansicht von der reinigenden Wir¬ 
kung des Alkohols nur bedingt richtig sei; die Alkoholvorberei¬ 
tung bahnt der wässerigen Sublimatlösung in auffälliger Weise 
den Weg in die Zellen. — Auch der Seifenspiritus leistet nicht 
mehr, als die Alkoholwaschung; die besten Resultate wurden 
mit Subliinatdesinfektion in einer im Wesentlichen der Für- 
bringe Eschen gleichkommenden Methode erzielt, d. h. wenn 
die Iland mit Boluspaste 1—2 Minuten entfettet, mit Kaliscife 
und Bürste in möglichst warmem Wasser 5 Minuten lang ge¬ 
reinigt, mit trockenem Tuch abgerieben und 3 Minuten lang in 
TOproc. Alkohol, dann 3 Minuten in 1 prom. Sublimatlösung 
gebürstet wurde. Die Idee einer wirksamen antiseptischen Seife 
ist nach H.’s Ansicht nicht zu verwirklichen; die Servatolseife 
M-heint ihm immerhin noch das beste Präparat. — Waschungen 
der nicht vorbereiteten Hände in antiseptischen Lösungen sind 
nutzlos. Des Weiteren bespricht H. die Versuche mit Operations- 
handscliuhen und ist der Ansicht, dass die von Doederlein 
naohgowiesono Imbibition der Zwirnhandschuhe mit Keimen 


während der Operation sicher nur zum Theil auf den Luftstaub, 
zum Theil auf die Keime der Ilandoberfläche zurückzuführen 
ist; Imprägnation mitParaffin (Menge) setzt dem Durchwandern 
der Keime (wenigstens für den Anfang) einen Damm entgegen, 
besser sind die Lederhandschuhe, da hier zweifellos ein gewisses 
Zurückhalten der Handkeime stattfinde und bieten diese vor den 
Handkeimen, besonders in der ersten Viertelstunde eine ziem¬ 
lich bedeutende, aber nicht absolute Sicherheit. Unter den 
Gummihandschuhen sah H. nach seinen experimentellen Unter¬ 
suchungen trotz aller Maceration in einer Zeit, die für operative 
Eingriffe in Frage kommt, weniger Epithelzellen und eorpus- 
culärc Verunreinigungen von der Ilandoberfläche sich ablöscn, 
als unter dem Zwimhandschuh oder der unbedeckten Hand, da 
orsterc die Reibung der Ilandoberfläche hintanhalten. Kein 
Operationshandsehuh bietet nach II. absolute Sicherheit, ebenso 
sind die undurchlässigen Ueberzüge als ungenügender Schutz zu 
verwerfen. II. bespricht schliesslich die Prophylaxis, den Hände¬ 
schutz und kommt zu der Ansicht, dass man hauptsächlich 
ausserhalb des Operationssaales Handschuhe oder Handsehutz- 
muassregeln (Wachspaste, Paraftinübcrzug) benützen solle, da 
man überall im Krankenhaus gefasst sein muss, infektiöses Ma¬ 
terial zu treffen; der Operateur kann nur dann seine Hände 
tadellos erhalten, wenn er ihrer Beschaffenheit eine intensive 
kosmetische Pflege zuwendet, „letzteres gehört für den Chirurgen 
ebenso zum täglichen Pensum, wie das Aufziehen der Taschen¬ 
uhr“. Im Gebiet der Prophylaxis kann noch Manches weiter ge¬ 
fördert werden und II. theilt in dem Schluss seiner Arbeit noch 
eine Reihe von Punkten mit. die zu der erwünschten Sicherheit 
der Operationsresultate beitragen. Dem schönen Werke H.’s ist 
eine betreffende Literaturübersicht und eine Reihe von Tafeln 
(Kulturen und histologische Befunde) angereiht. Dio darin 
niedergelegten Resultate experimenteller Prüfung des Gebietes 
durch H. verdienen zweifellos das grösste Interesse und ist der 
Arbeit weite Verbreitung zu wünschen. Schreiber. 

Paul Petit: E16ments d’Anatonie gynäcologique clinique 
et opgratoire. Mit 32 Originalbildern. Vorwort von P. So b i - 
1 e a u. Paris. Car re et Naud, 1901. 

Petit hat im Laboratorium R c b i 1 e a u’s drei Jahre an 
diesem anatomisch-gynäkologischen Werke gearbeitet. In Wort 
und Bild werden, stets unter Berücksichtigung der klinischen und 
operativen Aufgaben, geschildert: I. Die Dammgegend, 11. das 
kleine Becken und sein Inhalt, III. die vordere und seitliche 
Bauchwand, IV. die Fossa iliaca. — Petit hat theils sehichten- 
weise präparirt und die Schichten in ihrer Reihenfolge mit er¬ 
staunlicher und erschöpfender Genauigkeit beschrieben und ab- 
zeichiien lassen, theils hat er zum gleichen Zwecke Fenster- 
schnitte, horizontale, frontale und sagittalo Fläehenschnitto an¬ 
gewendet. Bei den heutigen operativen Methoden der Gynäko¬ 
logie ist die genaueste Kenntniss der Anatomie nothwendigor 
als je; die. inguinale Verkürzung der Ligamenta rotunda nach 
Alex ander-Adams setzt die Vertrautheit mit der Anatomie 
der Inguinnlgegrnd und ihren anatomischen Varietäten vo-aus, di- 
abdominale Radikaloperation bei Uteruskrebs mit Ausräumung 
der Parametrien und der regionären Lymphdrüscn erfordert sorg¬ 
fältiges Präpari reu des Ureters und der grossen Gefässplexus, 
kurz — es ist jedem Gynäkologen ein Werk, welches diese Ge¬ 
biete mit vollkommenem Eingehen auf die operativen Einzelheiten 
schildert, nicht nur von grösstem Werthe, sondern einfach notli- 
wendig. 

Neben den bekannten Fixationsmethoden dos Uterus be¬ 
schreibt P. eino von ihm angegebene „indirekte Cystopexie durch 
Verkürzung der Aponeurosis umbilico-pelviea“, welch? in Deutsch¬ 
land wenig bekannt zu sein scheint. 

An den Abbildungen ist neben der eimvandsfreien Sorgfalt 
besonders der Umstand rühmend hervorzuheben, dass die einzelnen 
Gewebe (Fett, Muskel, Bindegewebe etc.) gut eharaktcrisirt sind. 
Um den Beschauer gleich beim ersten Anblick topographisch zu 
orientiren, wäre bei einigen Bildern die Hinzufügung von Con- 
turen der Umgebung erwünscht — so z. B. auf Tafel I des 
anderen Oberschenkels, auf Tafel VI der Gesässbaeken und des 
Ansatzes der Oberschenkel, da durch die verschiedene Stellung 
des Objekts, theils in Rücken-, theils in Knie-Ellenbogen-, theils 
in Schräglage die Uebersicht etwas erschwert ist. Auch stören 
an einigen Bildern die stark bei Seite oder vorgozogoneu Labien 


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10. Dezember 1901. 


MüENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2015 


und andere Organe. Für den Nicht-Franzosen bildet es auch 
eine kleine Erschwerung für den Gebrauch des Buches, dass meist 
nicht die. lateinisch-griechische, sondern die französische Be¬ 
nennung (veine hontcuse etc.) gewählt ist; für den internationalen 
Gebrauch wäre, wie dies W aldeyer in seinem grossen Werke 
„Das Becken“ gothan hat, die lateinisch-griechische Bezeichnung 
vorzuziehen. — Das sind aber geringe Einzelheiten gegenüber 
den hervorragenden Vorzügen des Buches, das ein praktischer 
Gynäkologe seinen Fachgenossen darbietet. Die Ausstattung ist 
eine glänzende. Möge das ausgezeichnete Buch auch in Deutsch¬ 
land die weiteste Verbreitung unter den Gynäkologen finden! 
Dies wünscht seinem hochverdienten Berufs- und Namens¬ 
kollegen 

Der Referent : Gustav Klein- München. 

Dr. Hugo Seilheim, Privatdocent und 1. Assistenzarzt: 
Leitfaden für die geburtshilflich-gynäkologische Unter¬ 
suchung. Mit 2 Abbildungen. Freiburg i/B. und Leipzig, 
Speyer & Käme r, 1901. Preis 1 M. 

In dem vorliegenden Leitfaden bringt der Verfasser eine 
Skizze des Ganges der geburtshilflich-gynäkologischen Unter¬ 
suchung, wie er an der H e g a r’schen Klinik in Freiburg ein¬ 
gehalten wird. Tn seinen verschiedenen Abschnitten berück¬ 
sichtigt er den Gang der gynäkologischen Untersuchung, ferner 
die Untersuchung Schwangerer, die Untersuchung Kreissender, 
die specielle Beckenuntersuchung; im Anhang findet sich eine 
Anleitung für die Diagnose der Schwangerschaft, für die Ein- 
theilung der Kindslagen und für die Diagnose des Wochenbettes. 
Wir machen auf das praktische Werkchen aufmerksam. Gr. 

Kochbuch für Zuckerkranke und Fettleibige unter An¬ 
wendung von Aleuronatmehl, sowie aller auf dem Gebiet der 
Ernährung für Diabetiker vorkommenden Neuerungen von 

F. v. W i n c k 1 e r, Verfasserin der ,.365 Speisezettel für Zucker¬ 
kranke und Fettleibige“. 4., vermehrte und verbesserte Auflage. 
Wiesbaden, Verlag J. F. B er gm a n n, 1901. Preis 2 M. 

Das wohlbekannte, vortreffliche Kochbuch erscheint hieniit 
in 4. Auflage, ausgestattet mit allerlei erprobten Neuerungen auf 
diesem Gebiete. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir dem nütz¬ 
lichen Werkehen dieselbe günstige Aufnahme prognostieiren, wie 
den vorausgegangenen Auflagen. Gr. 

0. Dornblüth: Klinisches Wörterbuch der Kunst¬ 
ausdrücke der Medicin. 2. verm. Aufl. Leipzig, Veit & Co., 
1901. 176 p. 3 M. 50 Pf. 

Dieses medicinische Fremdwörterbuch wird gewiss von 
Studirenden, besonders aber von den „Realabiturienten“ mit 
Nutzen nachgeschlagen werden, aber auch der reifere Arzt wird 
Neues finden. 

Mit besonderem Fleisse sind die dem Gebiete der Neuro¬ 
pathologie zugehörigen Ausdrücke registrirt; doch auch hier 
wird manche Lücke auszufüllen sein. Nehmen wir den ersten 
besten Band der Nouvelle leonographie de la Salpetriere zur 
Hand, so stossen wir gleich auf eine Reihe von Wörtern, die bei 
Dornblüth fehlen, z. B. Metamcric, Trophoedeme, Gigan- 
tisme, Feminisme, Chromatolyse, Adenolipomatose, Tympanisme, 
Pince de Homard, Radiographie, Tricliotillomanie (Hallopeau 
1889), Hypothyroidie, Ectrodactylie, Achondroplasie u. s. w. 

Die Cochinehina-Diarrhoe rührt nicht von Anguillula her 
(richtiger. Rhabdomena). „Cutorse“ ist Druckfehler für 
„entorse“. — Die Wörter „felon“, Nagelgeschwür (sonst Tour- 
niole“) und „fester“ gibt cs gar nicht. Weder der grosse L i 11 r e 
noch der neueste vorzügliche Dictionnaire von Hatzfeld, 
Darm steter und Thomas führen sie auf. — „hoohet“ 
soll „Zahnen“ bedeuten, es ist aber nach Litt re ein Spiel¬ 
zeug, das man zahnenden Kindern zum Darauf heissen gibt. 

Katgut soll heissen „catgut“; lisse peau, als schlaffe Haut 
ist falsch, dagegen pag. 119 peau lisse richtig erklärt. — 
Lymphe ist kein griechisches Wort trotz des griechischen Ge¬ 
wandes. Bei „melanodermie“ ist beizufügen, dass sie meist von 
Pedieulus vestimenti herstammt. • 

Bei „Paget“ ist zu erinnern, dass <*s auch Paget’s Disease 
of the bones gibt (Stilling, Virch. Arcli. 119). 

Das „Parumaecium“ besser „Balantidium“ ist kein unge¬ 
fährlicher Gast iles Darms (Solowjew im C. f. B. 29). Der 


Name „Proglottis“ stammt von Dujardin 1841 und bezieht, 
sieh auf die zungenförmige Bildung der Taenienglieder. — Das 
Wort „remede“ wird vielfach in der Bedeutung „Klystier“ ge¬ 
braucht. — „Rhaphanus“ existirt nicht; wir haben das Wort 
von Plinius, der (Lib. 19) nur „raphanus“ schreibt. — 
Rhaehitis muss heissen Rachitis, wie R. Virehow (Archiv V.) 
es eingeführt hat. — „Sonde“ bedeutet im Französischen „Ka¬ 
theter“; unser „Sonde“ heisst „stylet“. — „Sporozoen“ ist nicht 
gleich mit Gregarinen, welche nur eine Abtheilung der grossen 
Sporozoenklasso bilden. 

Bei Teratom ist zu merken, dass „Teras“ nicht Wunder 
heisst, sondern Wunderzeichen = Ostentum, prodigium. —- Die 
Trichomonas kommt auch in der Harnblase des Mannes vor. 

Die historische Onomatologie bedürfte in einem Lexieon 
einer besonderen Sorgfalt. Aber Verfasser hat nicht einmal die 
von mir in dieser Wochenschrift 1890, No. 23 ff. angeführten 
Namen vollständig. In den letzten 10 Jahren hat sich der 
Wortschatz hier sehr gemehrt; z. B. Maladie de Münchmeyer, 
(Nouv. Ieonogr. 1898), de Savill (ibid. 1895), de Recklinghausen 
(Archiv, general. 1890, Sept.). de Riga (Coinby, Malad, de. l’enf. 

I, 299), Koschewnikow’sehe Krankheit. (Berl. Woehensehr. 1900, 
No. 44), Henoch’sehe Purpura, Maladie de Carrion (Odriozoln 
1896), Lisere de Burton, Morbo di Brinton (Sansoni 1894) u. s. w. 

Ich hoffe, dass Verf. bei einer dritten Auflage von diesen 
Andeutungen Nutzen ziehen kann. 

J. Ch. Huber- Memmingen. 

The Thompson Yates Laboratories Report. Edited by 
Hubert Boyce and C. S. Sherrington. With Illu¬ 
strations and Plates. Vol. IV. Part I. 1901. The Uuiversity 
press of Liverpool. 1901. Pr. 4 S. 6 d. 

Die Berichte der Thompson Yates Laboratorien in Liverpool 
bilden eine hüelist bemerkenswert he, namentlich für den Bakterio¬ 
logen wichtige Publikation. Der vorliegende Band enthält den 

II. Theil des Berichtes der Malaria-Expedition der tropenhygieni¬ 
schen Schule zu Liverpool nach Nigeria, und zwar die Studien 
der Expedition über Filaria. Berichterstatter sind: Annett, 
Dutton u. E 11 i o t t. Bei der Untersuchung westafrikaniseher 
Vögel auf Parasiten der rothen Blutkörperchen wurde eine Reihe 
neuer Blutfilarien gefunden, die eingehend beschrieben werden; 
auch Beobachtungen über Filaria sanguinis dos Menschen wurden 
verwerthet. Der Filariaarbeit ist das ausführliche Literaturver- 
zeichniss von Stossi e h beigefügt. Weitere Arbeiten des Bandes 
Ik 1 treffen die Ueberwintcrung der englischen Muskito’s von 
A nnett und Dutton, die F'lora der gesunden und kranken 
Gonjunetiva von G r i f f i t h. Milch als Träger der Tuherkuli>se 
von Hope etc. Dein sehr schön ausgestatteten Band sind zahl¬ 
reiche Tafeln beigegeben. 

Neueste Journalliteratur. 

Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P.v.Bruns. 
Tübingen, Lau pp. 31. Bd. Supplementlieft. 

Jahresbericht der Heidelberger Chirurg. Klinik für das 
Jahr 1900. 

Der Jahresbericht fiir 1900 gibt in der Weise der früheren 
Berichte aus der gleichen Klinik die Uel*ersiclit über das grosse 
von dersellxm bewältigte Material. I'etersen erstattet nach 
einem Vorwort von Czerny den allgemeinen Bericht über die 
stationäre Klinik (2522 l’at.» mit 1930 Operationen (darunter 23S 
Laparotomien), dann werden die Todesfälle nach Gruppen zu- 
snmmengestellt des Näheren angeführt (3.34 Mort.), aus denen 
zu entnehmen, dass in dem betr. Jahr ein gesteigerter Zugang an 
schweren Verletzungen (23 -{-) zu konstatiren war. Unter den 
1715 Narkosen sind 3 Chloroformtodesfälle vorgekommen. 

Im speziellen Thell werden nach Beginnen die einzelnen Ge¬ 
biete (bearb. von V ö Icke r. W Ci r t h v. Wii r t li e u a u. S i in o n 
mul Kaposi. Uetersen. Schüller» behandelt u. a. über 
24 Schädelfrakturen (5 mit Gehirnverletzungenl 50 Strumaopera- 
tionen (22 Resektionen, IS Euuclcatioueut. 13 Empyeme. 23 Ope¬ 
rationen wegen Ulcus ventriculi, 14 Gastroenterostomien wegen 
Narbenstenosen. .'50 wegen Carcinoma ventr.. 0 Magenresektionen, 
33 AppendicitIsoperntioiien. S4 Ilernienoperationen ((iS Operationen 
freier Leistenhernien. 11 bei Einklemmung. 20 Cruralhernien», 
Kt Operationen an den Gallemvegen (22 (\vstotonden. 4 Cystieo- 
tomien. 4 Cystektoinien, 0 Choledoebotomien». 0 Operationen der 
Nephrolitliiasls. 5 Steinoperationen lieriehtet. 

Unter dem reiehen Material linden sieh manche Raritäten 
(Milzecliinoeoceus etc.) mul die relativ sehr hohe Zald der Frak¬ 
turen ist wohl wesentlich durch das Eisenbahnunglück von: 
7. N. 1900 in der Nähe Heidelbergs lieeinliusst. üln*r das Völker 
d' s Näheren berichtet und das in der Einleitung als ..eine ITobc- 


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2016 


MUENCHENER MEDIC1NISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


Xo. BO: 


luobilmnchung grossen Stiles“ bezeichnet wird, bei der sich die 
Einrichtungen der Klinik sehr gut bewährten. M n rwedel und 
Schüller berichten schliesslich über die ambulatorischen Fälle 
0X501 Patienten, darunter 270 Frakturen, 52 Luxationen) mit 
140 Narkosen und 100 Lokalnarkosen. 

Der Bericht gibt eine grosse Anzahl kurzer krankengeschicht¬ 
licher Auszüge, die viel des Belehrenden enthalten, und bietet als 
wissenschaftliche Yerwerthnng des reichen Materials einer der 
grössten chirurgischen Kliniken grosses Interesse. S c li r. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 9. Bd, 4. Heft. 
1901. 

18) v. F r i e d 1 ä n d e r: Heber die Entstehung der ange¬ 
borenen Hüftverrenkung. 

Verf. studlrte die normale Entwicklung des Hüftgelenkes und 
des Femur im embryonalen Leben und weiter die Störungen dieser 
Entwicklung bei schweren Missbildungen, insbesondere bei Even¬ 
tration. Er fand, dass in solchen Fällen eine Deformität des 
Femur entsteht, welche an die Form des Knochens bei Luxatto 
congenita erinnert. Daraus schliesst er, dass ähnliche Faktoren 
in beiden Fällen im Spiel sind. Und zwar vermuthet er, dass eine 
abnorm starke lumbale Lordose das (lemeinsame sei. Es fehlt 
also nur der Nachweis, dass die angeborene Luxation kombinirt 
ist mit angeborener Lordose. Es wäre dann die gewöhnlich als 
Folge der Luxation aufgefasste Ix>rdose vielmehr deren Ursache. 

Sind auch die Folgerungen noch wenig fest begründet, so 
sind die anatomischen Untersuchungen (loch jedenfalls sehr 
interessant. 

19) Keine r: Heber den kongenitalen Femurdefekt. 

Auf Grund von Literaturstudien, namentlich aber an der 
Hand von 5 eigenen Beobachtungen und von Itöntgenbilderu ent¬ 
wirft II. das anatomische Bild der Deformität, das recht ver¬ 
schiedenartig sein kann. Es werden 5 Arten charakterislrt, von 
(lenen 4 das gemeinsame Merkmal haben, dass das proximale 
Femurende defekt ist. 

Die Ursache erblickt er in einem von den Eihüilen ausgehen¬ 
den „modelllrenden Trauma“, einem Druck von Seiten des eng an¬ 
liegenden Amnion. 

20) Blencke: Ueber kongenitalen Femurdefekt. 

Verf. hat mit grossem Flelss die Literatur zusammengetragen, 
sein Quollen verzeichniss umfasst nicht weniger als 195 Nummern. 
Drei eigene Beobachttingen fügt er hinzu. Besonders ausführlich 
ist die Besprechung der A e t i o 1 o g i e , hinsichtlich welcher er 
zur gleichen Anschauung gelangt wie Keiner. Interessant ist 
die eingehende Erörterung des „Versehens“ als ätiologischen 
Faktors. 

21) Frei borg: Zur Herstellung von Fussabdrücken. 

Die mit alkoholischer Eisenchloridlösung befeuchtete Fuss- 
sohle wird auf Karton abgedruckt. Der Abdruck wird mit Tannin¬ 
lösung geschwärzt. 

22) M ö h r i n g: Gelenkneurosen und Gelenkneuralgien. 

M. unterzieht sich der dankenswerthen Aufgabe, ln diesem 
wenig geklärten Kapitel der Gelenkpathologie etwas Ordnung zu 
schaffen, indem er die Neuralgie von der Neurose zu trennen sucht. 
Letzterer liegt wahrscheinlich keine anatomische Veränderung des 
Nervensystems zu Grunde. Meist ist die Ursache der Gelenk¬ 
neurose zwar ein Trauma, aber gerade das Missverhiiltniss 
zwischen letzterem und den Gelenksymptomen führt zur Diagnose 
einer Neurose: Das betreffende Gelenk ist in seiner ganzen Aus¬ 
dehnung schmerzhaft und zwar meist kontinuirlich. Psychische 
Folgeerscheinungen fehlten fast nie. 

10 interessante Beobachtungen illustriren das Krankheitsbild 
der echten Gelenkneurose, deren Therapie, ihrem Wesen ent¬ 
sprechend, wesentlich eine psychische sein muss. 

Wegen vieler lehrreicher Einzelheiten muss auf das Original 
verwiesen werden, dessen Lektüre jedem Praktiker willkommene 
Aufklärung bringen wird. V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Archiv für Gynäkologie. 64. Bd. 2. Heft. Berlin 1901. 

1) Hans Schroeder: Heber Vorkommen von Follikel¬ 
anlagen in Neubildungen. Ein Beitrag zur Entstehung der 
Eierstocksgeschwülste. (Aus der Bonner Frauenklinik.) 

Eine 30 jährige III. Para blutete seit 4 Jahren unregelmässig, 
das rechte Ovarlum war in einen Tumor von der Grösse einer 
Billardkugel umgewandelt. Vaginale Totalexstirpation des Uterus 
und der Adnexe, ln dem Tumor war das Ovarialgewelie durch 
eine atypische Neubildung verdrängt. Die Neubildung bestand aus 
dicht mit Epithel gefüllten, follikelähnlichen Alveolen, in denen 
sich zahlreiche, reifenden Follikeln ähnliche Gebilde eingeschlossen 
fanden. Die Neubildung geht vom Follikelepithel aus. Sehr, 
schlügt für diese Geschwülste den Namen „Folllculoina“ vor. 

Die folgenden Arbeiten gehören zur Festschrift für Prof. 
L. L a n d a u. 

2» Theodor L a n d a u - Berlin: Die Entzündungen der inneren 
weiblichen Genitalien in klinischer Darstellung. 

Per Verfasser beabsichtigt eine subjektive Darstellung der 
Pathologie und Therapie dieses Gebietes und ein Resume über die 
Entwicklung dieser Frage bei I:. Landau und seiner Schule zu 
gel>en. Es wird auf die entsprechenden früheren Publikationen 
verwiesen. Aus dem Abschnitt über Therapie sei erwähnt, dass L. 
den nicht operativen Maassnahmen tauch der Belastungstherapie) 
keinen sehr weitgehenden Einfluss zuspricht, insliesondere nicht 
bei intensiveren anatomischen Veränderungen. Ausserdem wendet 
sich L. energisch gegen das brüske Redressement des lixirten 
letroflektirten Uterus. 


3) Abel-Berlin: Frühdiagnose des Gebärmutterkrebses. 

Mit W e i g e r t’scher Resorein-Fuehsln-Färbuug stellte A. bei 
Plattenepithel-Careiuomen fest, dass sich zwischen den Zellen dos 
Carcinoma Reste elastischer Fasern tindeu, während solche Hie¬ 
zwischen den Zellen des normalen oder gutartig gewucherten Epi¬ 
thels liegen. 

1) Edmund Falk-Berlin: Ueber Form und Entwicklung 
des knöchernen Beckens während der ersten Hälfte des intra¬ 
uterinen Leben?. 

F. benutzte zu seinen Untersuchungen 09 Becken aus dem 
2.—0. Monat. — Röntgenbilder und für früheste Stadien Präpa¬ 
ration und Aufhellung. — Ossifikation lieginnt schon ln der ersten 
Hälfte des 3. Mounts, Gesehleehtsuntersehlode treten im 5. Mount 
auf (Symphyse). — Die Ursache der Läugskrünitnung der Kreitz- 
beimvirhelsämle ruht, nicht in einer primären Keilform der Wirln-l 
(Fehling), sondern in der Witchstliunisrichtung der Parmlx-In- 
schaufeln. Nur die liitervertebinlsrheibeh silld ventral dicker als 
dorsal. 

5) C. i>. .1 o s e p h s o n - Stockholm: Heber die Neoplasmen 
der missgebildeten Gebärmutter. (Aus Prof. L. Lauda u’s 
Frauenklinik.) 

.1. bespricht anschliessend an frühere Arbeiten aus (1er 
L a n d a u’schcn Klinik die Beziehungen zwischen Geschwulst¬ 
bildung au der Gebärmutter und Missbildungen, zwei an Landau 
zur Untersuchung übergebene Fälle von Uterus unicornis: 1. Uterus 
unieornis sin., vom rechten Mülle Fächelt Gang Ist mir das 
Fimbrien-Ende der Tube vorhanden. Der distale Abschnitt der 
Cervix Ist durch ein mesonephrittsches Adenomyoni erfletüt. 
2. Uterus unicornis dexter mit Carcinom der vorderen Lippe. 
Rudimentäres linkes Nebenhorn mit Ilydrometra und schleiin- 
hiiutlgem Adenomyoni. 

Entstehung von Kugelmyomen aus einem hyperplastischen 
embryonalen Septum zwischen den M ü 11 e r'schen Gängen. — 
Kasuistik über Carcinom und Sarkom im missgebildeten Uterus. 

<>) L. Fraenkol: Versuche Über Unterbindung de« Harn¬ 
leiters. 

Fr. veröffentlichte früher Untersuchungen iilter Unterbindung 
der Eileiter bei Kaninchen. Die Unterbindung des Ureters machte 
er l>ei 15 Kaninchen. Die mikroskopische Untersuchung der Unter¬ 
bindungsstelle ergab meist Einbruch der Ureterwandung, sehr 
selten Atresie oder Intaktheit des Kanals. 

Für den Menschen gilt, wie für das Kaninchen, dass bei gut 
liegender Ligatur und Ilydronephrose der Ureter eröffnet sein 
kann und Urin austritt. Deswegen soll der unterbundene centrale 
Ureterstumpf prophylaktisch unter die Haut gelagert werden. 

7 1 A. Gabriel- Gotha: Heber die Entstehung der Haemato- 
cele retrouterina aus Ovarialblutungen. 

Rei einer 24 jährigen Patientin vaginale lladikaloperatiou 
wegen Haematocele retrouterina und eiteriger Adnexe. Für die 
Ilaematocele fand sieb keine andere Quelle als eine mit frischen 
Bluteoagulis erfüllte, kirschgrosse Höhle im linken Ovarlum. deren 
mikroskopische Untersuchung (Prof. Beneke) einen frisch ge¬ 
platzten Follikel (keine Eireste) ergab. 

Dr. Anton H e n g g e - München. 

Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie. Bd. XIV. 

Heft 4. 

1) W. It Uhl- 1 »Ulenburg: Kritische Bemerkungen über Ge¬ 
burtsstörungen nach Vaginaefixatio uterl. 

Unter 71 Geburten nach Vaginaefixatio. bei der ln 49 Fällen der 
Fundus Uteri an die vordere Scheiden wand tixlrt war, hatte Verf. 
nur 3 mal den vorderen l'terusscheideuschnitt nöthig und be¬ 
obachtete bei den übrigen Geburten keine neunenswertlieu 
Störungen. Verfasser gibt zu. dass die ausgedehnte Fixation des 
Corpus und Fundus Uteri zu schweren Geburtsstörungeu führen 
kann, doch ist es auffallend, dass nach der so oft ausgeführten 
Operation nur 9 Kaiserschnitte in Folge schwerer Geburtsstörungen 
veröffentlicht worden sind. Diese 9 Kaisersehuittsfiille, die aus¬ 
drücklich als durch Vaginaefixation veranlasst bingestellt werden, 
unterzieht R. eiuer kritischen Betrachtung und findet, dass kaum 
2 Fälle eiuwandfrei der Operation zur Last zu legen sind, sondern 
Nebenumstände die Geburt komplizirten. 

Der Statistik nach sind die Resultate bei Geburten nach 
Vaginaefixation besser wie nach Ventriflxation. Verfasser hebt 
die ausgezeichneten Heilerfolge der Vaginaefixation hervor und 
empfiehlt hei schwersten Geliurtsstörungen nach dieser Operation 
den vorderen Uterusscheidensehnltt. der in diesen Fällen dem 
Kaiserschnitt gegenüber gute Resultate gibt. 

2» G. L e w i t z k y - Kiew: Ein Fall von Pseudomyxoms des 
Bauchfells und des Netzes. 

'Geplatzter Ovarialtumor, dessen Stiel 2y» mal um seine Achse 
gedreht war. Colloldmassen in der Bauchhöhle, an manchen 
Stellen des Bauchfelles durchsichtig-weisse, sago-ähnliche, cystösc 
Neubildungen, theils breit, theils mit langen Stielen festsitzend. 
Ebenso bestellt das ganze Netz aus derartigen Cysteu. die in der 
Netzwand eingelagert oder kürzer und länger gestielt festsitzen. 

3) P. Rosonsteln - Königsberg : Ein Fibromyom der 
Douglasfalte. 

Rundlicher, etwa mamiskopfgrosser Tumor, der mit einem 
langen bleifoderdicken Stiel von der rechten Douglasfalte ausgiug. 
Das Myom hat aus Muskelfasern des Ligamentum sacro-uteriuum 
seinen Ausgang genommen. 

4) O. Fellner- Wien : Herz; und Schwangerschaft. 

(Schluss.) 


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2017 


10. Dezember 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


In einer ausführlichen Arbeit theilt Verfasser seine Resultate 
über Blutdniekuntersu«hung«'n während der Geburt und im 
Wochenbett mit und bespricht die Bedeutung der Herzfehler in 
der Schwangerschaft und unter der Geburt. 

Die Blutdruckmessungen in den einzelnen Phasen der Geburt 
und im Wochenbett wurden mit Hilfe des G iirt ner’selien Tono¬ 
meters vorgenommen. In der Schwangerschaft bleibt der Blut¬ 
druck annähernd in normalen Grenzen, l'nter der Geburt erreicht 
er auf der Höhe einer Wehe den höchsten Stand und füllt in der 
Wehenpause wieder ab. Mit dem Blasensprung sinkt der Blut¬ 
druck etwas. Der höchste Druck wird zur Zeit des Einsclineideus 
des Kopfes beobachtet. Unmittelbar nach der Geburt fällt der 
Druck bis tief unter den normalen. Nach der Geburt fällt der 
Druck bei Kontraktion des Uterus und steigt in der Wehenpause. 
Im Wochenbett steigt er bis zum 3. Tag an und sinkt dann kon¬ 
stant. 

Während des Stillens steigt der Druck und die Pulsfrequenz, 
unmittelbar darnach fallen beide, um allmählich wieder an¬ 
zusteigen. 

• Puerperale Pulsverlangsamung kommt selten vor. 

Ein grosser Theil der Herzfehler wird unter der Geburt und 
im Wochenbett übersehen. Bei unkompensirtem Fehler findet sich 
immer ein nekrotischer Randstreifen der Plaeentn. 

Tuberkulose und Nephritis sind sehr ungünstige Kom¬ 
plikationen der Herzfehler. Die Mitralstenose scheint gefährlicher 
zu sein wie die übrigen Viticn. Ein übler Einfluss der Schwanger¬ 
schaft auf den Verlauf der Herzfehler ist nur sehr selten nachweis¬ 
bar. Die Therapie richtet sich bei kompenslrteiu Fehler nach dem 
Verhalten der Schwangeren bei früheren Geburten. 

Bei Lungenoedem kann der Blasenstich von Vortheil sein, bei 
drohendem Collaps ist er zu meiden. Ist die Wendung angezeigt, 
so darf die Extraktion nicht folgen. Der Kaiserschnitt hat grosse 
Gefahren. Lag Patientin an einer früheren Gravidität am Tode, so 
ist die Sterilisation auszuführen. 

ß) W. B a n d 1 e r - New-York: Zur Aetiologie der Dermoid¬ 
cysten und Teratome. 

Die Arbeit enthält im Wesentlichen nur Entgegnungen und 
Angriffe auf B o n n e t, die nicht geeignet sind, ausführlicher re- 
ferirt zu werden. 

(•) R. II o 1 z a p f e 1 - Kiel: Sammelbericht über neuere Ar¬ 
beiten über die Entstehung des Krebses. 

7) M. Le M a i r e - Kopenhagen: Sammelbericht über die 
geburtshilflich-gynäkologische Literatur Dänemarks 1900. 

C. Weinbrenner - Erlangen. 

Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 48. 

1) F. Sil ler-Wien: Multipler Echinococcus des Peri¬ 
toneum und des Beckenbindegewebes. 

Der Fall betraf eine 27 jährige Frau, der vor (> Jahren ein 
Leberechinoeoccus punktirt worden war. Allmählich entwickelten 
sich eine Schwellung des Abdomens und krampfartige Schmerzen 
im Kreuz. Bei der Laparotomie fanden sich ein grosser cystisclier 
Tumor im kleinen Becken und zahlreiche hanfkom- bis gänseei¬ 
grosse Tumoren am Netz, Peritoneum viscerale und parietale. Das 
Netz wurde resezirt, der grosse Tumor eröffnet und angenäht, die 
kleinen Tumoren konnten aber wegen ihrer grossen Zahl nicht 
radikal entfernt werden. Zunächst Heilung. 

8. nimmt an, dass die Punktion eine Keimzerstreuung über 
das ganze Peritoneum zur Folge gehabt hat, woraus sich die mul¬ 
tiplen Tumoren sekundär entwickelten. 

2) W. Stroganoff• Petersburg: lieber die Behandlung 
der Eklampsie. 

S. verficht seit 4 Jahren die Theorie, dass die Eklampsie eine 
akute Infektionskrankheit ist, die bis zu 4S Stunden dauert und 
besonders durch die Krämpfe gefährlich wird. Seine Behandlung 
besteht in einer kombinirten Darreichung von Morphium (0.015) 
und Chloral (1,5—3,0), die thunlichst prophylaktisch zu geben sind. 
Daneben Sauerstoffeinathmüng im Anfall, Pflege der Lungen- und 
Herzthätigkeit, Vermeidung jeglicher Erregung. Die Entbindung 
soll thunlichst beschleunigt werden, sobald sie keine ernste Gefahr 
für Mutter und Kind bietet. L.’s Resultate sind geradezu glänzend. 
Von 113 Fällen starben nur 0, die alle durch Komplikationen, 
nicht durch die Affektion zu erklären waren. Sobald der Zustand 
der Pat im Anfang der Behandlung ein befriedigender war, ver¬ 
lief kein Fall tödtlich. Die Anfälle verminderten sich schnell, der 
Proceutsatz der lebenden Kinder war sehr günstig, die Geburt ver¬ 
lief verhältnissmässig normal. 

Selbstverständlich verwirft S. die Perforation, den vaginalen 
Kaiserschnitt und die anderen Formen des Accouchements foref? 
durchaus. J a f f 6 - Homburg. 

Jahrbuch für Kinderheilkunde. 54. Bd. Heft 6. 

12) Biedert: Zur Behandlung der Perityphlitis, insbe¬ 
sondere zur operativen. Eine offene Dari c g u n g. 

Der Aufsatz aus der Feder eines Mannes, wie Biedert, 
der auf Gntnd unermüdlicher Verfolgung der modernen Bestreb¬ 
ungen und Errungenschaften und mit einer kaum zu übertreffen- 
den Gewissenhaftigkeit bei der Behandlung jedes Einzelfalles eine 
offene Darlegung aller zweifelhaften oder strittigen Punkte auf 
dem Gebiet der operativen und internen Behandlung der Peri¬ 
typhlitis gibt, wird von jedem Arzt mit Interesse und Gewinn ge¬ 
lesen werden. 


B. empfiehlt warm di«' Wetterprüfung <h*r Rosenberger- 
sclien Operation, intern die einmalige und periodische Entleerung 
mit nachfolgender Opiumbehandlung. 

13) Folg e r: Zur Lehre vom erschwerten Decanulement 
und dessen Behandlung bei tracheotomirten, diphtheriekranken 
Kindern. (Aus weil. Wiederhole r’s Kinderklinik ln Wien.) 

Aus der Praxis für die Praxis geschrieben, finden sieh Dia¬ 
gnose. Prognose und Therapie aller unangenehmen Formen des 
erschwerten Decanulements eingehend abgehandelt. Die Wieder¬ 
gabe prägnanter Krankheitsbilder, «lie Fülle der praktisch er¬ 
probten therapeutischen Mnassnnhmen. das Eingehen auf die nur 
dem Praktiker durch eigene, reiche Erfahrung so geläufigen Vor¬ 
läufer und Frühsymptome «ler verschiedenen Formen des er¬ 
schwerten Ih'canulements sichern diesem Aufsatz einen grossen 
Leserkreis, erlauben aber leider kein kurzes, genügendes Referat. 

14) W. Nissen: Zur Klinik der Tumoren der Vierhügel - 
gegend nebst Bemerkungen zu ihrer Differentialdiagnose mit 
Kleinhimgechwülsten. (Aus dem Elisabeth-Kinderhospital zu 
St. Petersburg.) 

Fortsetzung folgt. 

15) Uebersicht aus der nordischen pädiatrischen Literatur, 
unter Redaktion von Prof. Dr. A. J o li n n n e s s e n in Christiauia. 

W. Stoeltzne r: Bericht über die Verhandlungen der 
pädiatrischen Sektion auf der 73. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte in Hamburg. 

Rey-Aachen: Bericht über die vierte Sitzung der „Ver¬ 
einigung niederrheinisch - westphälischer Kinderärzte “ zu 
Düsseldorf. 

Literaturbericht. Besprechungen. 

S i e g e r t - Strassburg. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 1901. 
Bd. 88. 8. Heft. 

1) Scliüder - Berlin: Zur Aetiologie des Typhus. 

Verfaser hat aus der TyphusUteratur von 30 Jahren «lie Art 
der U e b e r t r a g u n g iu U3S Epidemien zusammengestellt und 
gefunden, «lass auf das Wasser als Febertragungsursacbe allein 
70.8 Proc. aller Fälle gerechnet werden müssen. Auf die M 11 c li 
entfallen 17 Proc., auf Nahrungsmittel und W i r t h - 
se haftsbet rieb 3,5 Proc. Die sonstigen Uebertragungs- 
mügliehkeiten, wie Kleidungsstücke, Betten, Latrinen, Dünger, Ver¬ 
unreinigung des Bodens. Staub, Luft, Gruudwnsser, Ueberschwem- 
muugeii und Begräbnisse, treten ganz iu den Hintergrund. 

Einer besonderen Art der Uebertragung gedenkt Verfasser 
noch, die bis jetzt gar nicht berücksichtigt wurde, die der Ueber- 
tragung von T y p h u s k r a n k e n auf Personen der U m - 
g e b u n g. Hier lässt sieb noch weisen, dass 3,3 Proc. des Pflege¬ 
personals erkrankt. 

Als prophylaktische Mnassnnhiuen gegen «lie Ausbreitung des 
Typhus fordert er Infektionssichere Wasserenl- 
u a h m e lind F r e i h a 11 u ii g aller offenen Gewässer 
von den Erregern; ein-Postulat allerdings, welches sich s<» 
hdclit wird nicht erfüllen lassen. Für das Pflegepersonal empfiehlt 
er Impfungen mit abgetüdteten Typhusbakterien. 

2.1 J. A p p e 1 - Hamburg: Ein Fall von Bakteriurie, durch 
einen typhusähnlichen Bacillus bedingt. 

Das bei einem an Gonorrhoe leidenden Patienten gefundene 
Bakterium, welches eine 0 monutl. Bakteriurie unterhielt, ist dem 
T y p li u s ausserordentlich ähnlich, nur zeigt es für Mäuse und 
Meerschweinchen keine pathogene Eigenschaften, ausserdem wenig 
Bewegung und wird nicht vom Tjphussernm ngglutinirt. Der Ver¬ 
fasser nimmt an, dass der Organismus in der Prostata so lauge 
lelKMisfähig sich erhalten hat. 

3) M a r x - Frankfurt a. M.: Experimentelle Untersuchungen 
über die Beziehung zwischen dem Gehalt an Immunitätsein¬ 
heiten und dem schützenden und heilenden Werth der Diph¬ 
therieheilsera. 

Die toximuMitmllsircnde Kraft eines Diphtherieheil -erums, 
seine iinmunisirende und seine hellende Wirkung stehen in strengster 
Beziehung zu einander und zwar in «ler Welse, dass der Immun!- 
slmngs- und Heileffekt eines Serums dem Gehalt an l.-E. direkt 
prop«»rtional ist. Es ist also nach Marx’ Untersuchungen nicht 
richtig, den von Roux angenommenen präventiven und curativen 
Effekt «ler Diphtlierieheilsern noelt besonders zu bestimmen. 

4.1 Y. K o z a i - Halle: Weitere Beiträge zur Kenntniss der 
natürlichen Milchgerinnung. 

Durch diese Interessante Untersuchung wird wiederum fest¬ 
gestellt, «lass nicht das von II Uppe zuerst aus d«»r Milch lsollrte 
Bact. acidi lacticl die Milch allein zu Säuerung bringt, 
sondern dass <s vor allen Dingen das von Leichmann be¬ 
schriebene Baet. lactis a c i <11 (Bneill. aeidl paralactici Koz) 
sei. Nebenbei ist der ..Bacillus acidi laevolactlci" 
und der „M i k r. acidi paralactici llquefaciens" be 
theiligt. Ersterer wächst bei Zimmertemperatur und Brutwärmc, 
«ler zweite vorzugsweist' bei näherer Temperatur und «ler dritte 
nur bei höherer Temperatur. 

Bei der Milchsäuerung scheint auch B. <*oli bet heiligt zu sein. 
Neben M i 1 c h s ii u r e werden auch A e t li y 1 a 1 k o h o 1, Essig- 
s ii u r e und B e r n s t e i n s ii u r e, nl>or nur in ganz geringen 
Mengen gebildet. 

Bei länger dauernder Aufltewalirung der Milch tritt eine 
wehere Zersetzung der stickstofffreien und der stickstoffhaltigen 
Substanz«'!) ein, wobei die gebildeten Säuren aufgezehrt werden un«l 
zwar die Rcchtsmljeh säure eher als die Linksmilchsäure. 


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2018 


MUENCIIENER MEDTOINISCTIK WOOI.I ENSOIIRIFT. 


No. n0. 


!>rr weiter«* Abbau der Kiw«*isskörp«*r findet erst nach Zerstörung 
d«*r Milchsäure statt unter Bildung von Ammoniak, Tri* 
m e t li y i und B o r n s t e i n s ä u r e. 

5» II. C o n r a «1 i: Erwiderung. 

0) Ost er tag-Berlin: Untersuchungen über den Tuberkel¬ 
bacillengehalt der Milch von Kühen, welche auf Tuberkulin re- 
agirt haben, klinische Erscheinungen der Tuberkulose aber noch 
nicht zeigen. 

Die von Oster tag angestellten Untersuchungen erstreckten 
sieli auf den UindviehlH-stand auf lt i 11 e r g u t Haus Zossen, 
der ea. 150 Küiie zählt. Es rengirten eine wider Erwarten grosse 
Anzahl von Kühen auf die T u b e r k ii 1 i n i in p f u n g. selbst 
von den gesündesten und wohlgenährtesten. Xichtdestowenlger 
fand man. dass unter 4!> reagiremien Kühen in deren Milch kein e 
T u b e r k e 1 b a e i 11 e n vorhanden waren. Durch Fütte¬ 
rn n g s v e r s u e li e m i t M i 1 c li a n K ii 1 b e r n u u <1 
Schweinen, welche Monate und Wochen anhielten, konnte 
keine Tuberkulose erzielt werden. 

Diese lediglich reagiremien Kühe sind also für die Milehwirtli- 
schaft ohne Nachtheil. Es ist dagegen vor Allem darauf zu achten, 
«lass Kühe, die Entertuberkulose zeigen und bei denen man klinisch 
Tuberkulose nach weisen kann, ausgemerzt werden müssen. Dies 
sieht Oster tag als die wichtigste Maassnahme zur Verhütung 
Tuberkulose an. 

7i F. K. Kleine- Berlin: Ueber die Resorption von Chinin¬ 
salzen. 

Du es bei der Behandlung der Malaria nicht unwesentlich 
ist. genau zu wissen, auf welche Weise (.’ h i n i n im Organismus 
zur Ausscheidung gelangt, hat Kleine die Ausscheidungsweise 
bei Applikation per os, per clysma und bei subkutaner In¬ 
jektion untersucht. Von dem per os aufgnommetieu salzsauren 
('hinin fanden sich im Durchschnitt ca, 25 Proe. wieder, einmal, 
wo die Intoxikationserscheinungen heftiger waren, 38,2(1 Proe. Von 
schwefelsaurem Chinin dagegen nur 20 Proe. Bei gefülltem Magen 
leidet die Resorption wesentlich. 

Die Resorption v o m I) n r m k a n a 1 aus findet ebenfalls 
statt, im Gegensatz zu den Angaben von Itabow. Es gelangten 
17 Proe. zur Resorption. Die Anwendung wird al>er etwas er¬ 
schwert, weil heftiger Stuhldrang nach dem Klysma erfolgt. Recht 
günstige Resultate lassen die Chinininjektionen erwarten. 
Intoxikationserscheinungen fehlen und das Salz wird merkwürdig 
langsam und nur sehr wenig ausgeschieden. 

Bei Verwendung von Chinin, b i m u r I a t. wurden circa 
11 Proe. ausgesebieden. 

8) F. K. Kleine- Berlin: Ueber Schwarzwasserfleber. 

Veröffentlichung von 15 Krankengeschichten über Schwarz- 
wasserf lebe r, welche den Beweis erbringen sollen, dass die 
Annahme K o c h’s richtig ist, dass das Schwarzwasserfleber in 
erster Linie eine durch C h i n i n genuss hervorgerufene Erkran¬ 
kung bei Malariakranklieiten sei, im Gegensatz zu den vielseitigen 
Meinungen Anderer, die die Ilaemoglobinurie durch Anstrengungen, 
Erkältungen. Gemiitliserregung, Excesse, Gelenkrheumatismus und 
andere Ursachen erklären wollen. 

SM A. Schütze: Weitere Beiträge zum Nachweis ver¬ 
schiedener Eiweissarten auf biologischem Wege. 

Es gelang dem Verf.. mit dem Serum eines mit Pflanzen- 
e i w e i s s (R o borg t) vorbehandelten Kaninchens eine geeignete 
Lösung des Rolxwates zur Ausfüllung zu bringen, dagegen gelang 
es nicht, mit diesem Serum eine Lösung von thieriscliem 
(Muskeleiweiss) auszufällen. Es muss hiernach, scliliesst Schütze, 
das Eiweissmolekül vom Thier und von der Pflanze verschieden 
sein. 

10) B. Heymann und M a t z u s c h i t a - Breslau: Zur 

Aetiologie des Heufiebers. 

Die von Einigen behauptete Möglichkeit, dass Pollen - 
körnor verschiedener Pflanzen und Gräser in der 
Aetiologie des Heuschnupfens eine erhebliche oder die aus¬ 
schliessliche Rolle spielen sollen, müssen die Verfasser auf Grund 
ihrer Untersuchungen vorläufig ablelinen. Es fanden sich im 
(’ubikmeter nur 25 Pollen, selbst auf grasreiehen Plätzen. Auch 
scheint die Bakterienmenge, die an den Pollen und Staubgefilssen 
der Blfithe sitzen, nicht verantwortlich gemacht werden zu können, 
da sie nur aus ganz vereinzelten Organismen besteht. 

Es scheint also die Aetiologie des lleusehnupfens damit noch 
nicht aufgeklärt. R. O. Neu m a n n - Kiel. 

Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde nnd 
Infektionskrankheiten. Bd. 30, No. 18. 1901. 

lt F. Kohlbrugge: III. Agglutination durch Toxine zur 
Bestimmung der Virulenz. 

Impft man z. B. Cholera in Bouillon, und lässt 48 Stunden 
im Brutschrank wachsen, so sammelt sich in der Bouillon eine 
Menge Toxin an. welches im Stande ist. Bouillonkulturen von 
weniger virulenten Cholerastämmen zur Agglutination zu bringen. 
Für praktische Fälle braucht man nur die IVstbonilloukultur 
zu eentrifugiren oder durch Thonzellen zu flltriren und soviel 
davon zu den zu untersuchenden Bouillonkulturen hinzuzufügen, 
bis eine vollständige Agglutination entstanden ist. Die Menge 
des verbraucht«*» Toxin zeigt an, wie virulent die fraglichen 
Stämme waren. 

J) J. G o 1 «1 1> e r g - Petersburg: Ueber die Einwirkung des 
Alkohols auf die natürliche Immunität von Tauben gegen Milz¬ 
brand und auf den Verlauf der Milzbrandinfektion. (Schluss 
folgt, i 


31 M. B ra u u - Königslsrg: Ein neues Dicrocoelium aus der 
Gallenblase der Zibethkatze. 

4) G. W e s e u b e r g - Elberfeld: Eine einfache Tropf¬ 
vorrichtung für sterile Flüssigkeiten. 

R. O. Xcuiuann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 48. 

1) E. L e x e r- Berlin: Ueber Bauchverletzungen. (Schluss 
folgt.) 

2) R. G r e e f f - Berlin: Historisches zur Erfindung des 
Augenspiegels. 

Cfr. Referat pag. 1943 der Müncli. med. Wocheuschr. 1901. 

3f T h o r u e r - Berlin: Ein neuer stereoskopischer Augen¬ 
spiegel. (Ibidem.) 

4» .T. K i s s - Ofen-Pest: Ueber den Werth der neueren Unter¬ 
suchungsmethoden zur Bestimmung der Niereninsuflicienz. 

Verf. sucht in seinen Ausführungen den Nachweis zu liefern, 
dass die Theorien, welche v. Korauyl an die Kryoskopie des 
Harnes geknüpft hat, nicht zu Recht bestehen und dass mit der 
Methode der Gefrierpunktshestimmung die Bestimmung des spe- 
eitisehen Gewichtes als ebenbürtig betrachtet werden darf. 
Bestehen eines abnorm tiefen Gefrierpunktes kaun noch lange kein 
die Niere betreffender chirurgischer Eingriff als berechtigt gelten. 
Die kryoskopischen Methoden können überhaupt nicht als „funk¬ 
tionelle“ Uutersucliungsmethoden ang<*selien werden. Letzteres 
gilt aber auch von der Prüfung der Nierenfunktiou mittels Me¬ 
thylenblau. Eine Abweichung vom normalen Ausscheidungsmodus 
desselben kann auch ohne jede Laeslon der Niere zu Stande 
kommen. Andererseits kann die Ausscheidung des Methylenblau 
sogar bei Urnemie eine ganz normale sein. Auch die Phloridzin¬ 
probe Ist nicht verlässig und kann damit auch nicht der Grad 
d«*r Niereninsufücienz bestimmt werden. Verf. betrachtet die an¬ 
geführten Methoden an sieh als werthvolle Entdeckungen, welche 
aber die älteren Untersuchungsmethoden nicht verdrängen können. 

5) A. v. Korauyl: Zur Discussion über die wissenschaft¬ 
liche Begründung der klinischen Kryoskopie. 

Verf. widerlegt die von Iv i s s gegen «Ile kryoskopischen Me¬ 
thoden erhobenen EinwUrfe lind betont, dass die Kritik desselben 
den von K. und Anderen gefundenen Tlmtsaehen keine nuderen 
Thatsachen entgegengestellt habe. 

(!) G. Zuelzer* Berlin: Zur Frage des Nebennierendiabetes. 

Da hei der Glykosurle, welche nach der subkutanen 
Injektion von Nebenuierensaft hei Thieren auftritt. eine Hyper- 
glykaemie besteht, so ist «lie Möglichkeit, diese Glykosurle als 
renalen Ursprungs zu bezeichnen, ausgeschlossen. Verf. kann 
durch eigene Experimente die B i u m’schen Ergebnisse bestätigen. 
Zuckergehalt des Harnes trat hei den Thieren auch l>ei völlig 
kohlehy«lmtfreier Kost auf und zwar bis zu 4 Proe. Verf. unter¬ 
suchte auch das Verhalten der verschiedenen Zuckerarten bei den 
Thieren, welche er mit NYbeuuiereuextrakt diabetisch gemacht 
hatte, ln einigen Fällen Hess sieh auch Laevulose Im Harn nacli- 
weisen. wenn solche verfüttert wurde. Nach Traubenzuckerver- 
füttcrung stieg die Glykosurle meist bedeutend, nach Milchzucker 
trat sehr häutig Laktosurie auf. Grass mann- München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 48. 

1» Robert Koch: Ueber die Agglutination der Tuberkel¬ 
bacillen und über die Verwerthung dieser Agglutination. 

Nach einem Vortragt* ln dem zu Berlin gehaltenen ln- 
formatiouscursus der Heiistätten-Uhefärzte lm Oktober 1901. Aus¬ 
führliches Referat Vorbehalten. 

2» lt. Pfeiffer und E. F r i e d 1> e r g e r - Königsberg i. I’.: 
Ueber die Im normalen Ziegenserum enthaltenen bakteriolyti¬ 
schen Stoffe (Amblceptoren E h r 1 i c h’s). 

Diese vorläufige Mittheilung stellt als das Ergebuis.s «1er Im 
hygienischen Institut der Universität Königsberg angestellten Ver- 
suehe «li«* experimentell bewiesen«* speeifische Differenzirung «l«*r 
im normalen Ziegenserum enthaltenen Seliutzkörper gegen «lie ein¬ 
zeln«*» Bakterien fest und verweist auf (He demnächst erscheinende 
ausführliche Althandlung. 

3) W. C ursch mann - Leipzig: Medicin und Seeverkehr. 
(Fortsetzung aus No. 47.) (Schluss folgt.» 

4) F. Plelin: Ueber die praktischen Ergebnisse der neueren 
Malariaforschung und einige weitere Aufgaben derselben. (Fort¬ 
setzung aus No. 40.) (Schluss folgt.) 

5» Fritz L e s s e r - Breslau: Ueber die gleichzeitige thera¬ 
peutische Anwendung von Quecksilber- und Jodpräparaten. 
(Schluss aus No. 47.) 

Eine grosse Anzahl Autor«*u warnen vor der gleichzeitigen 
Anwendung der Quecksilbersnlze und des JodkaJis (ltesonders in 
der Augenheilkunde), andererseits alter wird genule die kombinirte 
.Todkali-Merkuriulkur bei der tertiären Lues fast von allen Syphili- 
dologen empfohlen. Die experimentellen Untersuchungen, welche 
L. in der N e I s s e r’sehen Universitätsklinik angest«*lit hat. er¬ 
gehen, dass «li«* Furcht vor der Bildung «l«*s atzenden .htdqueck- 
siIbers (Ilg.I.) bei der kombinirten Anwendung beider Mittel nur 
unter gt*wisseu Umständen begründet ist. 

Was di«* einzelnen Veronlnungswelsen betrifft, so ist du* 
äusserllehe Anwendung von Kalnmel sowohl wie per os bei jedem 
Organismus, in welchem Jodkalium «tder Kalium kreist, unbedingt 
verboten. Als Reagens empfiehlt L. die Prüfung des Speichels mit 
Kahtmel, bei Gelbfärbung «less«*lln*n ist die Anwesenheit von Jod- 
alkali im Organismus erwiest*». Kl>t*nso eontraindizirt ist die An¬ 
wendung des Protojixluretuin hydrargyri in solchen Fällen, «1a das 


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1Ö. Hczember 11)01. 


Mt'RNCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2010 


unschädliche Quecksllberjodür durch das Jod in ätzendes Queck- 
sillxrjodid umgewandclt wird. Aeliulich verhält sich das Hydrar- 
gyrum oxydulatmn tannicum, während das Sublimat sowohl inner¬ 
lich. wie äusserlich augeweudet keine schädlichen Verl>indungen 
('ingeht. Von den bei hypodermn tischen Injektionen gebräuchlichen 
Präparaten zeigte Knlomel bei gleichzeitiger Jodkalidarreiehung 
starke lokale Heiz- und Sclnnerzwirkung. während das Hg snli- 
eylicuui, Thyinol-aceticum und Oleum cinereum ohne jede Reaktion 
blielx»ii. ebenso die löslichen QuecksillierHalze. Das (deiche gilt 
endlich auch noch von Inunctionen mit Unguentum cinereum. 
während die weisse und gelbe Präcipitatsallx» Vorsicht in der An¬ 
wendung erfordern. 

(!) Ivonrad Kilst e r: Milchhygiene. 

Beitrag zum Kapitel: „Oeffentliches Sanitiitswcsen." 

7» Therapeutische Neuigkeiten: 

K. R o li d e n - Lippsprlnge: Dermosapol-Vaginalsuppositoria 
und -Globuli. 

Ni II. F 1 s c li e r - Berlin: Der M c K i n 1 e y-Bericlit. 

F. L a c h e r - München. 


Oeiterreichische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 48. 1) F. Sc hopf-Wien: Verletzungen des Hals- 

theiles des Ductus thoracicus. 

Der Verlauf der Verletzungen und Erkrankungen ist ein ziem¬ 
lich verschiedener, da der Ductus thoracicus zahlreiche anato¬ 
mische Variationen seines Baues und seiner Einmündung nnfweist. 
Die eintretende ('hylorrhoe führt um so häutiger zum tüdtllehen 
Ausgang, als durch Tamponade durchaus nicht immer ein Still¬ 
stand erzielt, werden kann und die austüessenden Mengen ausser¬ 
ordentlich beträchtliche sein können. Auch kann Ohylothorax ent¬ 
stehen. Die Verletzung erfolgt leichter nach der Nahrungsauf¬ 
nahme. wenn der Ductus stark gefüllt ist. Bel Erkrankungen 
des Ductus, welche langsam zu seiner Stenosiruug führen, sind 
die Folgen oft nicht so verderbliche, da Collateralen sich aus¬ 
bilden könueu. Traumatische Verletzungen des Duct. thorac. sind 
selten, von operativen sind 1!) Fälle beschrielwn. Verf. selbst be¬ 
schreibt eineu weiteren Fall, der eine 4!) jährige Frau mit Maimna- 
eareiuom betrifft. Bei Entfernung der Lymphdrilsen am Schlüssel¬ 
bein wurde der Duct verletzt. Durch die in Folge der elutretemlen 
Cliylorrhoe bewirkte Inanition und beiderseitigen Chylothorax 
wurde der Tod herbeigeführt. Es konnten sich in dem mlt- 
getheilten Falle keine Collateralen ausbilden. Der Fall fordert 
dazu auf, bei Driisene.xstirpationen in der linken Supraclavicular- 
grube sehr vorsichtig zu operiren. 

2» I>. Pupovac-Wien: Beiträge zur Kasuistik und 
Therapie des Echinococcus, insbesondere des Nierenechinococcus. 

Verf. berichtet über 3 Fälle, von denen der eine schon früher 
veröffentlicht wurde. In dem einen der neu mitgetheilten Fälle 
— 28 jähriger Patient — wurde die richtige Diagnose schon vor 
der Operation gestellt, da der Kranke schon früher wegen Leber¬ 
echinococcus ln Behandlung gewesen war. Heilung. Im 2. Falle 
war bei der 3G jährigen Patientin der Echinococcus der linken 
Niere mit Pyonephrose kombiuirt. Die Niere wurde summt dem 
knabenkopfgrossen Tumor entfernt. Auch hier erfolgte Heilung. 
Verf. bespricht noch die verschiedenen in Betracht kommenden 
Operationsmethodeu. Schliesslich wird noch die Krankengeschichte 
eines Falles gegelien. wo der Echinococcus im subkutanen Zell¬ 
gewebe des Oberschenkels sass. 

3) A. Jeney-Wien: Kasuistische Beiträge zur Pathologie 
und Therapie der Darminvagination. 

Verf. gibt die Krankengeschichte und Epikrise von 4 Fällen 
von Darminvagination: 2 iieocoecalen, einer rectalen und einer 
iliaealen, von denen 3 zur Heilung kamen. Die Besprechung der 
Symptomatologie und Therapie bringt nichts Neues. 

4) V. Blum-Wien: Ein Fall von Mesenterialcyste mit 
Dünndarmvolvulus. 

Die Erkrankuug betraf ein G jähriges Mädchen, das wieder¬ 
holte Attaquen von Darm Verschluss durchzumachen hatte. Als 
Ursache ergab sich bei der vorgenommenen Operation eine manns¬ 
faustgrosse Cyste an der Drehungsstelle des Mesenteriums. Le¬ 
taler Ausgang. Hinsichtlich der Diagnose macht B. darauf auf¬ 
merksam, dass man bei Fällen mit wiederholten Attaquen von 
Darmverschluss an eine derartige Cyste als Ursache denken darf, 
wenn in Nahelhöhe ein weicher, tiuefuirender, frei liewoglicher 
Tumor sitzt. Bei der Entstehung der Cysten denkt Verf. an 
tuberkulöse, auch typhöse Veränderungen der Lymphdrüsen des 
I »a rmd rüsennppa ra t es. 

o) L. Freund-Wien: Ein Instrument zur chirurgischen 
Naht. 

Das Princip des im Original abgebildeten Instrumentes be¬ 
steht darin, dass die Nadel einen langen Stiel hat. in dessen Bauch 
die Fndenspule untergebracht wird. Das Ganze ist gut sterilisir- 
bur und auch schon praktisch zur Zufriedenheit erprobt. Hin¬ 
sichtlich der näheren Beschreibung muss auf das Original hin¬ 
gewiesen werden. 

G> L. M o s z k o w i c z: Eine einfache Befestigungsart für 
den Dauerkatheter. 

Die ganz aus (lumiuidraius hergestellte Vorrichtung ist im 
Original abgebildet und muss auch wegen der Beschreibung auf 
letzteres verwiesen werdeu. Grassmauu - München. 


Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 4G. K o z 1 o v s k y - Prag: Bedeutung der Corning- 
B i e r’schen Analgesie des Bückenmarkes für die Kriegs¬ 
chirurgie. 

Von dem Verfahren, modiliztrt durch Eucaininjektionen, wird 
auf der M a y d l’sehen Klinik bei Operationen an den unteren 
Extremitäten und am Abdomen ein ebenso ausgedehnter wie er¬ 
folgreicher Gebrauch gemacht und es ist eine weitere Verbreitung 
desselben zu erwarten. Auch für die Kriegschirurgie kommen ihm 
schwerwiegende Vortheile zu. Diese Art der Narkose resp. Anal¬ 
gesie ist nicht nur weit ungefährlicher, sondern beansprucht auch 
viel weniger Ueberwachung als die Chloroformnarkose. ihre An¬ 
wendung erspart viel ärztliches Ililfs- und Pflegepersonal. 

Es gibt eigentlich keine Krankheit, welche wie bei Chloro¬ 
form. eine Contraiudikation bilden würde. Der baldige Transport 
der Verwundeten ist erleichtert, die Dauer der Operation abge¬ 
kürzt. Die Technik des Verfahrens ist einfach und auch im Felde 
leicht durchführbar. 

No. 4G und 47. E. i’llman n- Wien: Benützung von Unter- 
hautzellgewebslappen bei Operationen. 

Wird ein in gewöhnlicher Weise gebildeter liautlappeu 
parallel zur Oberfläche in 2 Theile zerlegt, dessen oberer die Epi¬ 
dermis und die Hauptmasse des Oorium, dessen unterer das sub¬ 
kutane Fett- und Zellgewebe und den Rest des Coriura enthält, so 
wird der untere Theil. zum Einheilen gebracht, allmählich sich so 
verändern, dass an seiner Stelle nur ein massiges Bindegewebe 
verbleibt. Dieses Verhalten hat. IT. sich mit Erfolg zu Nutze ge¬ 
macht bei Operationen, wo es darauf ankommt, einen derben binde¬ 
gewebigen Pfropf, ein gegen Lockerung besonders resistentes Ge¬ 
webe zu verwert heu: l>ei grossen Scheukelbrttcken und in einem 
Fall bei einer Wanderniere. Auch für Nabelbernien verspricht er 
sieh von dem Verfahren einen guten Effekt. Bezüglich der Ein¬ 
zelheiten der Technik muss auf das OrigimU verwiesen werden. 

No. 47 und 48. G. N ob 1-Wien: Zur Kenntniss der er¬ 
worbenen genitalen Lymphangiektasie. 

Verfasser macht zunächst die wenigen bekannten Fälle von 
Lymplningiektasien am Penis namhaft und geht dann zur Be¬ 
schreibung eines eigenen Falles ül>er, mit ausführlicher Berück¬ 
sichtigung des mikroskopischen Befundes an der exstjrplrten Ge¬ 
schwulst. Eine aetiologisclie Bedeutung darf vielleicht einer vor 
13 Jahren erfolgten luetischen Infektion /((geschrieben werden. 

No. 48. K. I) e m m o - Berlin: Ueber Gefässanomalien im 
Pharynx. 

Weniger geklärt als die Verhältnisse an der hinteren Pharyn¬ 
gealwand waren bisher die ln der Umgebung der Tonsillen. Nach 
D.’s Studien und Experimenten verläuft regelmässig die Arteria 
lingualis mit einem Bogen, der sich durch die Pulswelle streckt 
und näher an die Oberfläche tritt, nahe an die Tonsille heran; dies«* 
Gefässschllnge liegt regelmässig entsprechend dem unteren Drittel 
oder der unteren Hälfte der Tonsille, welche mit der Pharyux- 
wand bisweilen in pulsatorische Mitbewegung versetzt wird, zu¬ 
mal, wenn die Art. lingualis und Art. maxlllaris externa einen 
gemeinsamen Urspruugsstamm haben. Was die Tonsillotomie¬ 
blutungen betrifft, so erfolgen sie in der Regel aus der Art. ton¬ 
sillaris oder Art. palatlna. die gefürchteten schweren, bisweilen 
tödtlichen Blutungen jedoch aus der Schleife der Art. lingualis. 

Wiener kliniiehe Rundschau. 

No. 47 und 48. A. F r ö h 11 c li - Wien: Ein Fall von Tumor 
der Hypophysis cerebri ohne Akromegalie. 

Bel dem 14 jährigen Knaben der Not h nage 1’sehen Klinik 
Uessen allmähliche Erblindung des linken Auges und Abnahme 
des Sehvermögens auf dem rechten, Atrophie des linken N. opti¬ 
cus, rechtsseitige temporale Hemianopsie Im Verein mit anderen 
klinischen Erscheinungen eine Erkrankung ln der Gegend der 
Schädelbasis, speclell des Uhiasina nervi optici nnnehmen. Im 
weiteren Verlauf bildeten sich Symptome aus, welche an Myx- 
oedein erinnern, dabei eine auffallend zunehmende Adiposität. Ge¬ 
rade diese letztere hat eine Anzahl von Fällen der Literatur, wo 
die Obduktion einen Tumor der Hypophyse» ergab, auch auf¬ 
gewiesen. theils mit. thells ohne die Zeichen der Akromegalie. Ob¬ 
wohl ln dem in Bede stehenden Fall keine Akromegalie zu kon- 
stntlrcn Ist. erscheint, demnach die Annahme eines Tumors der 
Hypophyse als durchaus Ix-grüudet. 

A. Pllcz-Wien: Geistesstörungen bei den Juden. 

Mehr oder weniger unbestimmte Behauptungen ill>er die starke 
Heimsuchung des jüdischen Stammes durch Geisteskrankheiten 
sind schon oft aufgestellt worden. Eine intensive mul kritische 
Bearbeitung an einem statistischen Material von 1437 Kranken der 

I. psychiatrischen Universitätsklinik in Wien ermöglicht nun den 
Verfasser für dieses Material folgende Sätze zu präeisiren: 

1. Alle jene Psychosen, als deren aetlologlsclier Faktor der 
Alkoholmissbrauch angesehen werden kann, gelangen 1 m» 1 den 
.Inden kaum je zur Beobachtung. 

2. Bei jenen Geisteskrankheiten, wo äussere Schädlichkeiten. 
Infektionskrankheiten. Vergiftungen u. dcrgl. »»Ine erhebliche Rollt» 
spielen, weist die jüdische Rasse kein unterschiedliches Verhalten 
auf. 

3. Die jugendlichen Vcrblödungsprocesse und Demenz nach 
akuten Psychosen kommen bei jüdischen Geisteskranken häu¬ 
tiger vor. 

4. Zu jener Geisteskrankheit, bei der neben Lues besonders 
die mit gemüthliehen Aufregungen verbundene geistige Ueber- 


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No. 50. 


ÄßO MUF.NOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


unstrengung in Betracht kommt (Paralyse) stellen die Juden ein 
procentual hohes Uoutingent. 

5. Zu Psychosen auf hereditilr generativer Basis, wo oft die 
erbliche Belastung das einzige oder wichtigste Moment ist, er¬ 
scheinen die Juden unverhiiltnissmassig stark disponirt (Inzucht). 

B e r g e a t - München. 

Italienische Literatur. 

Belli: Wirkung hoher Kältegrade und flüssiger Luft auf 
Bakterien. (Rif. med. 11)01, No. 59.) 

Während die Wirkung hoher Temperatur auf die Mikroorga¬ 
nismen der Gegenstand zahlreicher Forschungen war, ist über die 
Wirkung hoher Kältegrade weniger bekannt. Die Entdeckung 
flüssiger Luft hat Gelegenheit gegeben, ohne Schwierigkeiten hohe 
Kältegrade von ISO—190" herzustelleu. 

M a c f a d y a n hat eine Reihe von Untersuchungen angestellt, 
welche B. vervollständigt hat. 

Aus denselben geht hervor, dass seihst sehr hohe Kältegrade, 
wie die obengenannten, nicht nur das Leben der Sporen nicht be¬ 
einträchtigten, sondern dass sic auch die morphologischen und kul¬ 
turellen Eigentlnimliehkeiten der nicht sporontragenden Pilze, so¬ 
wie die der entwickelten Formen von sporentragenden nicht ver¬ 
ändern. 

Die hob e Kalt e, selbst — 200 °. verhindert nur 
dleVermehrung der geprüften Infektionsträger, 
aber nicht ihre Lebensfähigkeit — ein für die 
II y g i e n e wichtiges Fakt u m. 

M e m m i: Heber den prognostischen Werth von eosino¬ 
philen Zellen im Auswurf Tuberkulöser. (Gazzetta degli osped. 
1901, No. 114.) 

Bekanntlich sind die eosinophilen Zellen im Auswurf Tuber¬ 
kulöser von vielen Autoren als eine Abwehrbestrebung 
des Körpers gegen die tuberkulöse Infektion 
aufgefasst worden. Ehrlich verlegt ihre Bildungs¬ 
stätte in das Knochenmark. Er ist der Ansicht, dass toxische Sub¬ 
stanzen, wie sie sich bei verschiedenen Infektionskrankheiten bil¬ 
den. die Eigeiithümliclikeit haben, chemotaktisch die eosinophilen 
Zellen, welche in sehr kleinen Mengen im Blute kreisen, an sich 
zu ziehen. Ist aber die Krankheit vorgerückt und bilden sich 
Toxine in grossen Mengen und gelangen sie demnach auch reich¬ 
lich in den Blutstrom, so wirken sie auch auf die physiologischen 
Ablagerungsstätten der eosinophilen Zellen, d. h. auf das Knochen¬ 
mark und bringen eine mehr weniger bedeutende Eosinophilie 
hervor. 

Ehrlich macht auf den Antagonismus zwischen lnfektions- 
proeesseu und Eosinophilie aufmerksam. Dieser Anschauung zu 
Folge müsste «lein Auftreten der Eosinophilie ein gewisser pro¬ 
gnostischer Werth beiwohnen. 

M. fand in Untersuchungen, welche er in der Klinik zu Siena 
über 95 Kranke ausdehnte, diese Anscliauuug nicht bestätigt. Er 
fand diese eosinophilen Zellen allerdings häufig bei beginnender 
Tuberkulose, sobald dieselbe einen günstigen Verlauf nahin, aber 
auch bei Haemoptoe, also in Fällen, die weniger günstig verliefen, 
und ferner bei ganz vorgerückter Tuberkulose. 

Auch die Angabe, dass das Auftreten der eosinophilen Zellen 
im Sputum dem Auftreten der Tuberkelbacillen vorhergehe, fand 
M. nicht bestätigt. 

F i g a r 1 und Lattes bringen einen Bericht zur Statistik 
der Maragli&no' sehen Serumtherapie der Tuberkulose. 

(Ibid., No. 117.) 

Derselbe reicht vom 1. Januar 1900 bis 1. Juli 1901 und um¬ 
fasst 171 Fälle, zum Tiieii auch solche schwerster Art. Diese 
Kranken wurden alle ambulatorisch beliaudelt; sie blieben bei 
ihrer gewöhnlichen Lebensweise, zum Theil auch bei ihrer Be- 
sehäftiguug; oliue andere medikamentöse Behandlung. Die Serum- 
belmndlung, 1 ccm subkutan joden zweiten Tag, wurde mit 
grosser Konsequenz lange fortgesetzt. 

Das Resultat war von 171 Fällen 44 Heilungen (soweit 
dauernde Symptomlosigkelt bei Tuberkulose Heilung bedeutet), 
04 Besserungen, 99 Fälle blieben stationär, in 12 Fällen schritt die 
Krankheit fort; letal endigte wälirend der Behandlungszeit keiner 
der In Behaudluug genommeueu Fälle. Wenn man bedenkt, dass 
Fälle leichtester Art, wie sie sich für Tuberkulinbehandlung am 
besten eignen, kaum zu dieser ambulatorischen Behandlung kamen, 
so muss das Resultat als ein recht günstiges bezeichnet werden. 

De G r a z i a: Heber die Serumdiagnose bei der Lungen¬ 
tuberkulose. (Ibid., No. 108.) 

Im Institut für Infektionskrankheiten zu Genua stellte De Gr. 
eine Reihe von Untersuchungen an über den Werth der Serum¬ 
diagnose bei Lungentuberkulose. Dieselben ergaben im Gegensatz 
zu den französischen Autoren Arloing uud Courmont und 
in Uebereinstinimung mit einer Reihe deutscher Bakteriologen, 
dass ein diagnostischer Werth dieser Unter- 
suchungsmethode nicht zukommt 

Nicht nur (las Blutserum Tuberkulöser, sondern auch (las voll¬ 
ständig normaler Individuen und dasjenige von Individuen, welche 
an anderen Infektionen leiden, vermag die Agglutination von 
Tuberkelbacillen in Reinkulturen zu bewirken. Diese Aggluti- 
nirung erfolgt bei lebenden Koch’schen Bacillen wie bei abge¬ 
storbenen; bei letzteren nur erheblich langsamer. Das Blutserum 
Tuberkulöser kann aber auch oft in energischer Weise in Kulturen 
von Staphyloeoccus, Typhus-, Colibacillen, ebenso bei Diphtherie- 


uiul Cholerabacillen Fällungen bewirken; so dass von irgend einer 
speclflschen Eigenschaft desselben nicht die Rede ist. 

Cicognanii: Heber 14 Fälle von Milzbrand, welche durch 
S c 1 a v o ’ aches Milzbrandheilserum geheilt wurden. (Ibid., 

No. 114.) 

In fast allen italienischen Fachschriften mehren sich die gün¬ 
stigen Urtlieile über das von Prof. Sclavo dargestellte Milzbrand¬ 
heilserum. Wir können nicht von allen einzelnen günstigen Be¬ 
richten in dieser Zeitschrift Notiz geben und führen den vorliegen¬ 
den Bericht C.’s au als Paradigma vieler anderer. 

Die Commune S. Croce am Arno verdankt ihren Wohlstand 
dem Fellhandel uud ihren Gerbereien. Bel einer Bevölkerung von 
5190 Seelen gibt es dort 90 Gerbenden die nicht weniger als 
950 Arbeiter beschäftigen. 

Dementsprechend herrseht unter der Bevölkerung als ein- 
Hauptplngo Milzbramlerkraukuug. Die Gefahr von derselben be¬ 
troffen zu werden ist besonders gross bei Häuten, welche aus dem 
J Orient und aus China kommen, so dass manche Gerbereien der¬ 
artige Sendungen gar nicht annehmen und verarbeiten. 

Seit der Einführung des Sclav o’scheu Milzbrandheilserums 
bat die Milzbraudkraukhoit für die Bevölkerung ihre Schrecken 
verloren, auch die Verarbeitung der gefährlichen orientalischen uud 
chinesischen Häute wird nicht mehr perhorreseirt. 

Audi ausserordentlich schwere Fälle mit 
hartnäckigem Erbrechen, Fälle, welche vor der 
Serumbchandlung nach C.’w Erfahrung immer 
letal endigten, erweisen sich einer speclflschen 
Behandlung z u g ä n g i g. 

C. schildert unter seinen 14 Fällen mehrere von solchen 
schweren. Er betont die Nothwendigkeit, von vorneherein die 
Quantität Serum nicht zu gering zu bemessen, immer etwa 40 ccm 
bei Erwachsenen. Injektion in die Venen wirkt schneller. Ist aber 
nicht erforderlich. 

Wird die Behandlung gleich im Beginn eingeleitet, so kann es 
gelingen, eine Pustel binnen 2 mal 24 Stunden zu heilen. Immer 
ist eine Besserung des Allgemeinbefindens schon bald nach der Ein¬ 
spritzung zu erkennen; der Einfluss auf das Fieber ist nach 
24 Stunden deutlich. 

In allen Fällen aber hatte die Injektion keinerlei unangenehme 
Nebenwirkung; nur 2 mal trat eine leichte Urticaria auf. 

S i 1 v e s t r i: Heber Serumtherapie gegen Tussis convulsiva. 
(Ibid.. No. 114.) 

Nach dem Vorgänge von Heubner und Blumenthal, 
welche bei Scharlach, Masern uud Lungenentzündung die Serum 
therapie anwandteu, versuchte S. eine Serumbehandlung bei Keuch¬ 
husten. Er entnahm einem 8 Jährigen, von Keuchhusten genesenen 
Mädchen 120 ccm Blut, präparlrte von demselben das Serum und 
spritzte es keuchhustenkranken Kindern ein; etwa 15—20 ccm pn> 
Kind. 

Die Wirkung soll in Bezug auf das Allgemeinbefinden eine so¬ 
fort sichtbare, aber auch auf die Hustenanfälle eine deutliche seiu. 
In 8 bis spätestens 11 Tagen soll die ganze Krankheit ver¬ 
schwunden gewesen sein. 

Burzag 11: Heber die Natur der Polyorromenltis oder 
Polyserositis. (Ibid., No. 90.) 

Der Autor wendet sich gegen die Anschauung, dass alle Fälle 
von Polyserositis oder seihst die überwiegende Mehrzahl derselben 
eine Aeusserung des Koc h’scheu Tuberkelbacillus seien. 

Er glaubt annehmen zu müssen, dass es eine Polyorronieuitis 
Simplex gibt, welche eine günstige Prädisposition für das Haften 
des Tuberkelbacillus schaffe. Er fragt: Wie soll man das Faktum 
erklären, dass nicht alle Tuberkulöse, sondern nur eine so kleine 
Zahl diese Kmnkheitsform der serösen Häute zeigen? Warum 
kann der Tuberkelbacillus ausgedehnte Zerstörungen der Lungen 
wie dos Darmes machen, und doch nicht die Pleura und das Peri¬ 
toneum ergreifen, wenn er in anderen Fällen eine solche Vorliebe 
für diese serösen Membranen zeigt? 

Die Antwort, welche der Autor sich gehen konnte, liegt nahe. 
Er braucht nur an die anderen eigentümlichen, oft milden Krank- 
heitsmanifeslationen des Tuberkelbacillus zu denken: an die 
Skrophulose, die Knochentuberkulose, den Lupus, die Hauttuberku¬ 
lose. (Kef.) 

C a 1 a b r c s i : Die Injektion einer bestimmten Quantität 
von Qlykose in die Venen, setzt die Zuckerbildung in der Leber 
herab. (Ibid., No. 108.) 

Diese Tliatsaehe stellte C. Im physiologischen Institut zu 
Ferrara unter Leitung von Cavazza nl experimentell an Hun¬ 
den fest. Diese Erniedrigung der zuekerbildenden Kraft der Leber- 
zelic soll nach grösseren Injektionen in den ersten 10—20 Stunden 
am deutlichsten sein, dann langsam abnehmen. 

Kos ci uud Nepl: Zur Leberprobe. (Rif. med. 1901. 
No. 177.) 

Die Leberprobe (Docimasie hepatlque) ist eine 
von den französischen Autoren Lacassagne und Martin in 
die forensische Mediein eingeführte Untersuchungsmethode, welche 
davon ausgeht, aus dem grösseren Zucker- oder 
Glykogengehalte der Leber Schlüsse auf ge¬ 
waltsame oder wenigstens plötzliche Todes- 
arten zu machen. . 

Die obigen Autoren haben im Institut fiir gerichtliche Mediein 
der Universität Siena eine Reihe von Untersuchungen an Leichen 
von Thieren und Menschen gemacht, um die Brauchbarkeit der von 
den französischen Autoren auf ge stellten Theorie zu prüfen. 


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10. Dezember 1901. 


MUENCHKNER MEDICINTSCIIE WOCHKNSCHRTFT. 


2021 


Sie fanden bei gewaltsamen Todesarten der Thiere den Zucker 
in der Leber immer in erheblichem Muasse vermehrt, weniger das 
Glykogen. 

Bei den Beobachtungen an der Leiche ist die Anwesenheit von 
Glykogen und G ly kose in der Leber allein nicht genügend, um 
gewaltsame Todesarten von nicht gewaltsamen zu unterscheiden, 
noch weniger gewöhnliche Todesfälle ohne Agonie von solchen mit 
Agonie; nur die verschiedene Quantität kann nützliche und manch¬ 
mal sichere Anhaltspunkte bieten. In der Timt ward ein grosser 
Ueberschuss dieser Stoffe dort gefunden, wo der Tod in heftigerer 
Weise erfolgte. 

Der Glykogen- wie Glykosebefund ln der Leiche hängt, ab¬ 
gesehen von dem Einfluss der Ernährung, von der Heftigkeit des 
Krank hei tsproccsses ab, welcher den Tod verursachte. Er wird 
erheblich l>eeinflusst von der Dauer der Agonie und nicht unerheb¬ 
lich, wenn auch in geringerem Muasse, durch die Fäulniss. 

Pascale: Ueb«r chirurgische Eingriffe bei Cirrhose der 
Leber. — Veränderung des Blutstromes der Vena porta und 
der Cava inferior. (Ibid., No. 195—197.) 

I*. theilt aus der Klinik D’Autona’s seine Untersuchungen 
und klinischen Resultate über das obige Thema mit, welche darin 
gipfeln, dass eine Veränderung und Erleichterung der Blutcircu- 
lation in der Leber bei Cirrhose auf chirurgischem Wege nicht ohne 
Weiteres von der Hand zu weisen sei. Dieselbe kann in einer 
Unterbindung der unteren Hohlvene oder der Pfortader bestehen. 
Diese beiden chirurgischen Eingriffe sind aber nur dann mit der 
Fortdauer des Lebens vereinbar, wenn in einer Voroperation für 
die Bildung collateraler Bahnen zwischen unterer Hohlvene und 
Pfortader einerseits und oberer llohlnder andererseits gesorgt ist. 
Dies geschieht durch Einheilung des grossen Netzes mit den Ver¬ 
ästelungen der Arterla gastroepiplolca in die Laparotomiewunde, 
und so in die Bauchwand. P. beschreibt eingehend seine Thier¬ 
experimente und auch 4 in der Klinik chirurgisch behandelte Fälle. 

Er gibt zu, dass bisher ein Urtheil über die Zweckmässigkeit 
der Operation noch nicht möglich ist, einmal, weil mau über die 
differente pathologische Dignität der verschiedenen Formen von 
Lebercirrhose noch kein sicheres Urtheil habe, daun auch, weil 
man noch nicht über die Funktion der Leber genügend unterrichtet 
sei, um entscheiden zu können, ob derselben eine so grosse Menge 
Blut dauernd entzogen bleibeu könne und ob andere Organe 
vicariirend die Funktion dieses Organs übernehmen können. 
Immerhin sei es wahrscheinlich, dass in manchen Fällen ein mög¬ 
lichst frühzeitiger derartiger Eingriff der immer zu wiederholenden 
Punktion des Ascites vorzuziehen sei. 

Ninni: Einen Beitrag zur Herzchirurgie bringt N. (Rif. 
med. 1901, No. 56) betr. die Sutur einer Wunde des Ventrikels 
mit glücklichem Ausgang. 

Ungeachtet der Unsicherheit der Technik und der, wegen der 
Dringlichkeit des Eingriffs meist unsicheren Antiseptik rechnet N. 
von 30 Fällen von Wunden des Herzens mit Sutur 10 Heilungen 
aus; ein Resultat, welches gewaltig zu Gunsten eines operativen 
Eingriffs bei Verletzungen des Herzens spricht. 

Nizzoli: Heber subkutane Hehlkopffraktur. (Ibidem, 
No. 190.) 

Die lin Ganzen nicht reiche Statistik der Kehlkopffrakturen 
bereichert N. um einen Fall. Derselbe betraf einen 10 jährigen 
Knaben, welcher sich beim Fall mit einem Zweirad den Kehlkopf 
an der Lenkstange verletzte. Blutauswurf, Aphonie und Athem- 
noth waren die nächsten Folgen; indessen heilte die Verletzung 
bei stark rückwärts gelagertem und durch Sandsäcke flxirtem 
Kopf, ohne dass eine Tracheotomie sich als nöthig erwies. 

Der Autor ist geneigt, mit Massel in solchen Fällen der 
Intubation den Vorzug vor der Tracheotomie zu geben. 

Das Hautemphysem, wie es bei solchen Fällen in der Regel 
aufzutreten pflegt, hielt sich in rnässigen Granzen und verschwand 
allmählich. Am 10. Tage erschien der Knabe geheilt. Vom 7. Tage 
ab ward Callusbildung auf der linken Lamina thyreoidea nachweis¬ 
bar, das Poraum Adami erschien nach links verschoben, die Stimme 
war noch rauh. Die Vereinigung der Fragmente wird vielleicht 
nach Monaten eine knöcherne. 

M o d i c a und Audenino: Heber die Wirkung der Lobi 
praefrontales auf den Stoffwechsel. (Archivlo di psichiatrla. 
Fase. III. 1901.) 

Nach den Experimenten der Autoren sollen die vorderen Stirn¬ 
windungen des Gehirns in besonderer Weise den Stoffwechsel be¬ 
einflussen. Nach ihrer Entfernung wird 1. die N-Ausscbeidung 
durch den TJrin geringer, 2. der Phosphor-Gehalt des Urins nimmt 
ab, 3. die erdigen Phosphate nehmen konstant ab bis zum voll¬ 
ständigen Verschwinden längere Zelt nach der Operation. 

Auch Erfahrungen am Menschen sollen diesen Befund zu be¬ 
stätigen geeignet sein. 

Mich eil und Mattirol o: Ueber fettarme chylöse Ex¬ 
sudatflüssigkeiten. (Gazzetta degli osped. 1901. No. 111.) 

Die milchartige Farin* und Beschaffenheit mancher Exsudate 
Ist nicht bedingt durch den Fettgehalt derselben, sondern durch 
eine bestimmte Modifikation eines Globulins von besonders licht- 
brechenden Eigenschaften. 

Die Autoren beschreiben in ihren Erfahrungen aus der Turiner 
inneren Klinik, wie es Ihnen gelungen, dieses Globulin zu fällen 
und rein darzustellen, so dass die zurtickbleibende Flüssigkeit voll¬ 
ständig klar war. 

Eine besondere prognostische oder klinische Bedeutung soll 
dieser Beschaffenheit der Exsudate nicht innewohnen. 


Ferruccio Schupfer: Jodipin zur Bestimmung der motori¬ 
schen Kraft des Magens. (Rif. med. 1901, No. 175 u. 176.) 

Aus den in der B a c e e 11 i'schen Klinik gewonnenen Boni¬ 
täten schliesst Sch., dass dem .Jodipin, vorausgesetzt, dass das Prä¬ 
parat ein zuverlässiges ist, eine gewisse Ueberlegenheit vor dem 
Salol zur Prüfung der motorischen Funktion des Magens zukommt. 
Nicht zu verwenden ist es ls*i Verschluss der Gallenwege, wo es 
ganz versagt und das Jod nicht zur Ausscheidung im Speichel 
kommt. Bei Ikterus ist es unzuverlässig. 

Boi Verschluss des Ductus pankreatieus tritt die .Todreaktion 
ein. während die Salolreaktlon unvollkommen wird. Die Differenz 
im Resultate beider Mittel kann möglicher Weis«* zur Dingnos«* von 
Störung der Pankreasausscheidung verwandt werden. 

Meist stimmen die mit dem Jodipin erlangten R«*sultate mit 
(Urnen überein, welche die L e u b e - U 1 e g e l’selie Methode der 
Magenehtleerung ergibt. 

II a ge r - Magdcburg-N. 

Inau^ural-Dissertationen.. 

Universität Berlin. St*ptember 1901: Nichts erschienen. 

Oktober bis November 1901. 

23. Hector Jacob: Die Erfolge der Nervennaht in Fällen der 
v. Berg m a n’n’schen Klinik. 

24. Simon solin Alfred: Ueber Massage des Herzens. 

25. Bauch Ludwig: Ueber periodisches Erbrechen. 

26. M 1 c h e 1 s e n Mars: Ueber die a«*tiologischen Beziehungen der 
akuten Entzündungen der Tonsillen zu anderen Erkrankungen, 
mit besonderer Berücksichtigung der Angina tonsillaris retro¬ 
nasalis. 

27. Rabert Fritz: Zur Aetiologie der Chorea minor im Kindes¬ 
alter. 

28. Seyffarth Paul: Ueber manuelle IJisung von Placenton und 
Placentarresten nach reifer Geburt. 

29. Lessersohn Hugo: Ein Beitrag zur Lehre vom Llponm 
multiplex symmetricum. 

30. L o m e r Georg: Ueber die Verkalkung der Fibrnmyome d«*s 
Uterus, mit besonderer Berücksichtigung des gleichzeitigen 
Vorkommens von Pyosalpinx. 

31. Dennemark Ferdinand: Ueber Dermoide, insbesondere «1er 
Ovarien. 

32. Tschiidakoff Iwan: IVber das «»pidemische Auftreten «l«»s 
Skorbuts im Zusaram«»nhange mit Ilungersnoth. 

33. Fischer Julius: Ein Fall von Polyneuritis peripherica als 
Folgezustand von Typhus abdominalis. 

Universität Bonn. Novt*raber 1901. 

42. Kuliueinann Willy: Ueber die Ectopia vesicae unil ihre 
operative Behandlung. 

43. M e n z e u Jacob: Ueber Gonorrhoe bei kleiuen Mädchen. 

Universität Erlangen. Novemb«*r 1901. 

31. Hagen Wilhelm: Ein Fall von traumatischer Erkrankung 
«les unteren RUckenmarksabschnittes, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Lokalisation des Refiexeeutrums für die Blas«*. 

32. Paasch Peter: Ein Beitrag zur Kasuistik Uber klonische 
Aceessoriuskrämpfe. 

Universität Freiburg i. B. Noveml>er 1901. 

36. Hirschfeld Berthold: Ein Fall von Lebercchiuocta-eus. 

37. Bock Wilhelm: Ueber das Zusammentreffen von la*lH.*r- 
clrrhose mit Tub«*rkulose. 

38. Kornmiun Frank: Ueber einen Fall von kardialer Brady¬ 
kardie nach Ueberanstreugung. 

39. P r i e 1> a t s c h Walter: Ueber Pleuritis calculosa im An¬ 
schluss an zwei in der Freiburger chirurgischen Universitäts¬ 
klinik gemachte BtK>bachtungeu. 

40. Huldschlnsky Carl: Ein Beitrag zur Kenntniss der mul¬ 
tiplen Dermatomyome. 

Universität Göttingen. September bis November 1901. 

31. Adam P.: Beiträge zur Rachitis. 

32. Blasius O.: Ein Fall von Epidermoid (Perlgesehwulst) der 
Balkengegend. 

33. C reite O.: Beiträge zur Radikoloperntitm der Leisten- und 
Schenkelhernien. 

34. du Bois K.: Uelx*r die in den Jahren 1877 bis liHM) ln der 
Göttinger medlcinisch«*» Univ«*rsltäts-Klinik beobachteten Fälle 
von Bauchf«*U(*ntzüudung. 

35. Juch O.: T T «*her Blutversorgung der Ilondwurzelknochen. 

36. Köhler E.: Ein Fall von doppelseitiger Jugulurvenen- 
thromboee. 

37. Pfannkuch Fr.: IVber Blutau8aminlung«*ii im ver¬ 
schlossenen Genitalkanal des Weib«*s. 

38. Remy H.: Beitrag«* zur K«*nntniss der Punkrcuscysteii. 

39. Vellguth L.: U«*iH*r eineu elgenartig«*u ErkrankuugsfaU in 
der Zuckerindustrie. 

40. Wege G.: Beitrag zur Kasuistik der <*iugeklemmt«*n Brüche. 

41. Will er s Chr.: Beiträge zur I^ehre von Purpurn iiu Kindes¬ 
alter. 

42. Willke O.: Beitrag zur Kenntniss des Zusammenhang«** 
zwischen Nierenentzündung und Geistesstörung. 


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2022 


MUENOHKNER MEDIOINISOIIE WOCIIENSCHRI FT. 


Xo. so. 


Universität Halle. September bi« Novcmlx»r 1001. 

■io. 1*1 li r ** ii f r *»ii n tl Friedrich: Die vaginale Entfernung ilcr 
Fterusadnexc. 

41. H iibcrkorn Mjix: Untersuchungen des l.ochialsckrcls von 
Wöchnerinnen mit und ohne antiseptixche Kompressen. 

42. ilirola Kioniemou: Feber die Mikroorganismen im Sekret 
der Conjunctivitis catarrlmüs und im Kindelmutsack des ge¬ 
sunden Auges. 

4:i. II irsch Georg: Feber den Schock. 

44. K i s li i Jehida: Feber den peripheren Verlauf und die Endigung 
des Nervus coohleue. 

45. Kitter Arno: Erfahrungen über Zangengeburten der Halle- 
schen Fniversitüts-Frauenkliuik und Poliklinik vom 1. April 1804 
bis 31. März 1001. 

Universität Heidelberg. November 1001. 

18. Adams Heinrich: Feber Fremdkörper In der Speiseröhre. 

10. Rubin Arthur: Beiträge zur Anwendung des Murphy'schen 
Darmkuopfes. 

Universität Jena. Oktober UHU: Nichts erschienen. 

November 1901. 

25. Bartseh Emil: Feber Tuberkulose der Brustdrüse. 

20. Driver Robert: Ein Fall von Tuberkulose der Corueosklertd- 
grenze. 

27. diese Ernst: Experimentelle Untersuchung über Erfrierung 
(Habilitationsschrift). 

28. Gut mann Emil: Zur Kenntniss der Yerdaiuungsprodukte 
des Leims. 

Universität Königsberg. November 1SMU. 

25. K o b Martin: Feber Prophylaxe des Trachoms in der Armee. 

20. Conditt Bert hohl: Feber subcuta ne neue Knochenbildungen. 

Fniversitöt Marburg. Septemlaer und Oktober 1901. 

27. Amelung Rohst: Feber die Operationen lx»i Prostalahyper- 
trophie. 

28. Bergmann Wölfgang: Feber die Ausscheidung von Phos¬ 
phorsäure beim Fleisch- und l»eim Pflanzenfresser. 

29. Berns Arnold: Zur Kenntniss der traumatischen trockenen 
Peritonitis. 

30. Fischer Franz: Die laml- und forstwirtschaftlichen Un¬ 
fälle im Kreise Wittgenstein von 1889/1899 und die hierfür 
gewährten Renten. 

31. Funk Wilhelm: Feber ein Fibrosarkom des Samenstrang**«. 

32. Grotefend Wilhelm: Die Kinderverluste in der Marburger 
Entbindungsanstalt in den Jahren 1883—1899. 

33. .1 aussen Hugo: Zwei Fälle von Ileus in Folge von Dann¬ 
einklemmung durch das Meckel’sehe Divertikel. 

34. Thpsing Ernst: Zur Frage: „Ist. die Cliolelithiasis chirurgisch 
oder intern zu behandelnV“ Statistisches und Theoretisch- 
Kritisches. 

35. Flriei Franz Hellmuth: Fetier pharmakologische Beein¬ 
flussung der Hnrnsnureausxcheidung. 

Universität München. November 1901. 

147. Zorn Ludwig: Beitrag zur Kenntniss der Amoeben-Enteritis. 

148. Oberndürffer Ernst: Experimentelle Untersuchungen 
über Foagulationsnekrose des quergestreiften Muskelgewebes. 

149. Gu mp rieh Faul: Feber den Zusammenhang des Befundes 
im cireulatorlscheu und respiratorischen Apparat 1x4 der 
Cldorosis. 

150. Böhm Eduard: Ein Fall von Ferithelloma ovarii. 

151. Beer Otto: Ein Fall von Thrombose des Sinus cavernosus 
beiderseits. 

152. Re lisch Friedrich Hermann: Statistische Betrachtung der 
Typhusfälle in den Jahren 1890—1898 im Krankenhause 1. d. I. 
II. Medicinische Abtheilung. 

153. G roth Alfred: Feber den Lohns impar der Medulla oblongata 
bei Cyprinoklen. 

Universität Strassburg. November 1901. 

33. Rücker Hans: Zur Kenntniss des Hämatoporphyrins und 
seiner Derivate. 

34. Bruch Friedrich: Zur Diagnostik und operativen Therapie 
der Auuria calculosa. 

35. Birnmeyer Friedrich: Feber die Diagnose von Nieren- 
tumoren. 

30. Kamm Felix: Die operative Behandlung der hochgradigen 
Myopie in der Universitäts-Klinik für Augenknink hei teil zu 
Strassburg. 

37. F erst «• r Andreas: Beiträge zur Kenntniss der Entwicklungs¬ 
geschichte iles Interparietale. 


Vereins- und Congressberichte. 

Berliner medicinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung v o m *27. No v e m b e r 1901. 

Herr W. A. Freund: Thoraxanomalien als Prädisposition 
zur Lungenphthise und Emphysem. 

Vortragender nahm Untersuchungen, welche er vor 45 Jahren 
nach der gleichen Richtung hin augestellt und dann für diesen 
langen Zeitraum durch seine gynäkologische Thätigkeit unter¬ 
brochen hatte, wieder auf und führte diese zu Ende. Er kam zu 
dem Schlüsse, dass eine Prädisposition der Lungenphthise durch 
vorzeitige Verknöcherung der obersten Rippenknorpel und da¬ 
durch bedingte ungenügende Entwicklung der Lungenspitze be¬ 
dingt sei. Zuweilen bildet sich dann hier später eine Pseud- 
arthrose, was einem Heilungsvorgang gleichkommt. 

Dieser Ileilungsproeess liesse sich nach Vortragendem auch 
künstlich herbeiführen mittels Durchschneidung des Rippen- 
knorpels. 

Beim Emphysem sei umgekehrt eine Vergrößerung des 
oberen Thoraxumfanges verhandelt, der ebenfalls auf operativem 
Wege einer Besserung zugänglich sei. 

Herr G. Elemperer: Ueber die Entstehung und Ver¬ 
hütung der oxalsauren Nierensteine. 

Die oxalsauren Nierensteine seien häufiger, als man allgemein 
annehme. Um* Entstehung werde begünstigt durch kalkreiche 
Nahrung, sowie durch oxalsäurereiche Substauzen, wie Gemüse. 
Theo; aber auch Glvkokoll und das davon abzuleitende Kreatinin 
machen Oxalsäure. 

Für die Lösung vorhandener Oxalsüureniedersehläge sei 
i Magnesium zu empfehlen, welches im Fleisch und den Legumi¬ 
nosen reichlicher vorhanden ist. während Milch hingegen gleich 
den Gemüsen nicht zu empfehlen sei, da sie kalkreich und 
magnesianrm ist. 

I) 1 s c u s s I o ii: Herr Senator hält diesen Hinweis auf 
die Magnesia, für sehr interessant und meint, dass damit viel¬ 
leicht die Häufigkeit der oxalsauren Coucremente bei Kindern 
(Milchdiät) zu erklären sei. 

Herr J. Ruhemann: Eine einfache Methode zur so¬ 
fortigen quantitativen Harnsäurebestimmung im Urin. 

Mittels der Jodtitrirung, welche früher schon versucht, alx*r 
wieder verlassen worden war. und Schwefelkohlenstoffs als Indi¬ 
kators soll sieh Harnsäure sehr einfach bestimmen lassen. Vor¬ 
tragender hat dazu eine kalibrirte Röhre unfertigen lassen. 

H. Iv. 

Sitzung vom 4. D e z e in b e r siehe S. 2032. 


Verein für innere Medicin in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung v o m 25. Kove in b e r 1901. 

Demonstrationen: 

Herr Fedor X r a u s e stellt die von ihm vor ca. % Jahren 
in der Discussion zu Kört e’s Vortrag über Magenoperntiouen 
erwähnte Patientin vor, bei welcher er wegen Kcirrlius des Magens 
eine ,.s o gut wie“ vollständige Resektion des Magens 
vorgenomuien hatte. Patientin hat sich sehr erholt. 33 Pfund 
zugeuommen und verträgt alle Speisen ln reichlichen Mengen. 
Eine Gastroenterostomie, wie projektirt gewesen, konnte nicht ge¬ 
macht. werden, da fast die ganze Magemvaud vom Krebs ein¬ 
genommen war. 

Ferner einen zweiten Fall, in welchem wegen Pyloruseareinoiu 
die Resektion des Pylorus nach der 1. B 111 r o t li’sehen Methode 
gemacht wurde. Resultat ebenfalls sehr gut. Gewichtszunahme 
34 Pfund. 

Discussion: Herr L. B 1 u m e n t h a 1. aus dessen Praxis 
Patientin I ist schildert di** Mahlzeiten, welche die magenlose 
Patienten jetzt zu sieh nehmen kann (Teller Suppe, grossen Teller 
Gemüse. Portion Fleisch, Brod und Bier zu einer Mahlzeit). 

Discussion zum Vortrage des Herrn Kare wsky: 
Ueber Gallensteinileus. 

Herr Ga ns schildert 2 von ihm beobachtete Fälle, desgleichen 
Herr Becker einen. Herr A Ibu weist darauf hin. dass beim 
Galleusteinileus das Kothbreclien fehlen könne, wenn der Stein 
im Duodenum sitzt. Herr A. F r a t* u k *• I erwähnt, dass anderer¬ 
seits beim Galleusteinileus Kotlmhgang vorkomme. 

Herr K. Brandenburg: Ueber Alkalescenz und 
Alkalispannung des Blutes in Krankheiten. 

Die bekannte, von A. Loewy und Zuntz ausgearbeitete 
und fiir physiologische Verhältnisse untersuchte Bestimmuug der 
„Alkalispminung“ im Blute suchte Vortragender für patho- 


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10. Dezember 1901. MUENCIIENER MEDICINISCIIE WOCHENSCHRIFT. 


logische Zustände zu venverthen. Während, wie schon Loewy 
und Zuntz gezeigt hatten, die Alkaleseenz (die Gesammtalkali- 
menge) des Blutes lediglich proportional dem Eiweissgehalt des 
Blutes geht, also ihre Bestimmung nicht weiter bringt, als etwa 
die Stickstoffbostiinmung desselben und ähnliche Methoden, ist 
die Alkalispannung von der Eiweissmenge unabhängig. Und es 
gelingt, gewisse, für einzelne Krankheitsbilder charakteristische 
Schwankungen der Alkalispannung aufzufinden, wofür Vor¬ 
tragender einzelne Beispiele bietet. 

Auch die seit länger bekannte Thntsaehe, dass die bakteri- 
eide Kraft des Blutserums parallel seiner Alkaleseenz geht, führt 
Vortragender nicht auf das Gcsanuntalkali zurück, sondern auf 
die Alkalispannung; denn neuere Untersuchungen von Ham¬ 
burger zeigten, dass die baktericide Kraft des Blutes mit 
seinem Kohlensäuregehalt steigt, und da ferner die Kohlensäure 
Alkali, welches bis dahin an Eiweiss gebunden war, losreisst und 
dieses freie, bezw. als kohlensaueres Alkali diffusible Alkali die 
Alkalispannung erhöht, so sch Hess t Vortragender, dass es diese 
erhöhte Alkalispannung ist, was die baktericide Wirkung steigert. 

Sitzung vom 2. Dezember siehe S. 2031. 

Hans K o h n. 


Gesellschaft der Charitä-Aerzte in Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 28. November 1901. 

1. Herr Hopf engärtner stellt einen Fall von Uraemie 
hei einem OjiHIrtgeh Mildeheu vor. Bel dem tuju*rkulös_ erldicfi 
belast eten uiuLlixstcrlachen Kinde, das~ in TRnfi»i n i n«* n ein Zustande' 
ln cnUlvluderklinlk eingeliefert worden war. ergaben sich beson¬ 
dere diagnostische Schwierigkeiten in Folge des wechselnden kli¬ 
nischen Bildes. l»el dem Krämpfe, Erbrechen. Amaurose. Nacken¬ 
steifigkeit wechselten mit maniakalisehen und depressiven C.eistes- 
zustiinden. Bessernd wirkte ausgiebige Koelisalzinfuslon perklysnm 
und besonders die Spinalpunktion, die den Druck von ImD nuii nu- 
zeigte. Augenliintcrgrund normal. 

D I s c u s s i o n: Herr S e n a t o r weist auf die diagnostische 
Wichtigkeit der G«*frlerpunktsl>estimnmng des Blutes bei Ernenne 
hin, wo derselbe fast regelmässig erniedrigt gefunden wird, und 
empfiehlt, zur Keetallnfusiou die hypotonische Kochsalzlösung zu 
nehmen. 

2. Herr Mosse: Vorstellung eines Mannes mit einer geuerali- 
sirten Bleivergiftung; besonders sind betroffen «1er rechte Nervus 
radlalis und die unteren Extremitäten mit beiden Nervi peiouel 
Gleichzeitig bestellt Augemnuskellähmung und Atropliia nervi 
optici. 

3. Herr Senator: a) Demonstration eines Blutpriiparates 

mit Recurrensspirillen. 

b» Vorstellung eines 32 jährigen Musikers mit Poliomyelitis 
anterior acuta adultorum. Die ohne bekannte Ursache eiu- 
setzeude Lähmung hat sich zuriiekgeblldct bis auf die Lähmung 
der linken unteren Extremität, an der degenerative Atrophie mit 
Freibleibeu des Sartorius und vasomotorische Störungen bestehen. 
Sensibilität und Sphinkteren sind frei. 

4. Herr Strauss: Vorstellung a) eines 39jährigen Manucs 
mit Kompression der Vena cava superior. Die vor 1 >/ 2 Jahren 
naeligewlesene Dämpfung (liier dom Sternum hat sich zurück- 
gebildet. Es wird die Möglichkeit einer schwieligen Mediastinit's 
in Betracht gezogen. 

b) eines 20 jährigen Mannes mit Tumor mediastini, Stau¬ 
ungen im (Jeliiet <l«*r Vena cava superior. Oedem an Gesicht und 
Armen, sternnler Dämpfung und entsprechendem Schatten iiu 
Uöutgeubikle. 

Diseussion: Herr Dorendorf lierichtct über einen 
analogen Fall der 2. medicinlselien Klinik, bei welchem an den 
oberen Extremitäten das Blut aus «lern Hautsticb sich konzen- 
trirter erwies als an den unteren. 

5. Herr Menzer: Ueber Angina, Gelenkrheumatismus 
und Erythema nodosum. 

Vortragender hat bei cxcidirtcn Tonsillen in Fällen von 
Angina mit Gelenkrheumatismus in dem blutig infiltrirten 
peritonsillären Gewebe Diploooeccn und kurze Stivptocoocon g«*- 
funden, und sieht diese Stellen als die Eintrittspforte der Krank¬ 
heitserreger in die Bluthalm an. In einem excidirten Hautknoteu 
bei Erythema nodosum wurden Staiih.vloeoecen naehgewiesen. 

Er hält es für wahrscheinlich, dass bei Pneumonie, die Er¬ 
krankung der Lungen nicht auf dem Luftwege, sondern durch 
die Blutbahn erfolgt., vielleicht von einem Bakterien-Depot im 
Rachen aus. 

Für Scharlach und Masern nimmt er ubi<)uitäre Bakterien 
als Erreger an, welche auch die gewöhnliche Angina und 
Bronchitis verursachen, so dass diese Krankheiten nur besondere 
Allgemeinreaktionon. von ubiquitären Bakterien hervorgerufen, 
darstellen. 

Diseussion: Herr Michaelis widerspricht den Aus¬ 
führungen un«l nimmt bei der Angina mit Gelenkrheumatismus 


2923 

specittsehe Streptococcen als Erreg«*r au, lud der Pneumonie hält 
er die Infektion auf den Athinungswcgeii für wahrscheinlich. 

Herr litt her weist auf 'die experimentell durch Inhalation 
erzeugten Lungenentzündungen hin. 

Herr Menzer hält di«- Experimente für nicht beweisend für 
ilie Entstehung der Lungenentzündung heim Menschen und weist 
auf die Analogie /.wischen «ler vorzugsweise di«* rnterluppcu 1 h*- 
fallenden Pneumonie und der Emholh* der Lungenarterien hin. 

K. B r a n «1 e u b u r g - Berlin. 


Medicinische Gesellschaft zu Leipzig. 

(Officlellos Protokoll.) 

Sitzung v o m 5. N o v e tu b e r 1901. 

Vorsitzender: Herr C ursch mann. 

Schriftführer: Herr Braun. 

Herr Kolli ker «lemonstrirt einen Fall von Nerven- 
implantation und Nervendehnung. Es wurde bei einer Patientin, 
die an ltadiulislähimmg nach cerebraler Kiuderlühmuug litt, «ler 
N. radlalis im unteren Drittel des Oberarmes freigelegt und In den 
N. medianus nach Dehnung di«*s«*s Nerven seitlich implantirt. l'ni 
die Wrelniguug beitler Nerven zu ermöglhdien musste der lla«lialis 
uuter «lein Bi«*t*ps «lurehgefiihrt werden. Schliesslich wurde auch 
noch der X. ulnarls Im Sulcus ulnaris freigelegt und ginlehnt. Da 
die Operation erst vor 11 Tagen ausgeführt ist. kann natürlich noch 
nichts über den Erfolg der Xervenimplautation gesagt werden, erst 
nach Ablauf von Monaten ist auf ein Resultat zu roclunm. 
Immerhin hat die Operation schon ein bemerken« wert lies Ergebnis« 
g«*liefert. indem durch die Dehnung «les Medianus und Ulnaris «lic 
vor den Eingriffen bestehende Athetosc. cIkmiso wie «Ile Muskel- 
kriimpfe versehwunden sind. Speziell b«*i Athetosc waren bislang 
die Erfolge der Nervendehnung nicht bedeutend. 

Herr Perthes hält einen Vortrag: Medicinisches und 
Chirurgisches aus Peking. 

Vortragender berichtet über seine in Peking in der Stellung 
als ordinironder Arzt der chirurgischen Ahlhciluug <l«*s G. ost- 
asialischeu Feldlazareths gesammelten ärztlichen Erfahrungen. 
Das Lazareth 6 (Chefarzt Olierstabsarzt Dr. Thiele) wimle ctab- 
lirt in dem Gui-Gung-Fu, d. h. Haus des Herzogs Gui. Die chi¬ 
nesische Ilausanlage erwies sieh als dnu Klima sehr gut an¬ 
gepasst (weit vorspringendo Dächer zum Schutz gegen die Sonne, 
völliger Abschluss nach Norden — grösstentheils durch Papier¬ 
wände — gegen die aus Norden kommenden Sandstürme, gutes 
Drainagesystem der ganzen Anlage zur Abführung «les Wassers in 
der Regenzeit und anderes). Die einzelnen Chinesenwohnungen 
Hessen sich ohne Schwierigkeit in brauchbare Kraukenpavillons 
um wandeln. Besondere Beachtung wurde der Wasserversorgung 
wegen der Gefahr der Infektion mit. Typhus und Dysenterie, 
wie der Heizung wegen der Gefahr der Kohlenoxyd Vergiftung 
durch die chinesischen Thonöfen geschenkt. Eine be¬ 
sondere Wasserkochküche ermöglichte die Verwendung nur ge¬ 
kochten Wassers, die chinesischen Oefeu wurden nur für be¬ 
sondere Zwecke, Kockküchen, Sterilisation beim Operationssaale 
beibehalten, wo sie sich als gut brauchbar erwiesen. Aus «1cm 
Krankcubcstandc «les Lazarette« berichtet Vortragender ausführ¬ 
licher über 4 von ihm operirte Fälle von L e I» «• r a h s e es s 
(3 tropische Lebcrabseessc, darunter I im Anschluss an Dys¬ 
enterie, ein Leberabseess nach Typhus; 3 der Patienten wurden 
geheilt) und geht sodann auf die Erfahrungen in «ler Chi¬ 
nesenpraxis ein, die in einer, gimieiusam mit der London- 
Mission eingerichteten Poliklinik für Chinesen gewonnen wur¬ 
den. Die chinesische Bevölkerung erwies sieh der Behandlung 
durch den fremden Arzt und den Operationsvorsehlugen sehr gut 
zugänglich, 3 chinesische Gehilfen verriet heu stellenweise l><- 
merkeuswerthes Geschick für ärztliche Ding,*. Einzelne b«*- 
obaehtetc Fälle werden durch Projektion v.m Photographien 
mittels d«*s Epidiaskops vorgeführt; so insbestmdere: ein Fall 
hochgradiger Spaltbildung an allen 4 Extremitäten, ein Fall 
von Fibroma molluseum, vnnviegeml der linken Hand, mit 
Steigerung des Knoeh«*nwu<*lv«thums, «lie Eff«*kte der chine- 
siseh«*n Prügelstrafe in verschieden« u Stadien, ein wegen 
Urethra Ist «mesc operirter Eunuch, Sehussfrakturen des 
Humerus, der Ulna und der Tibia. Schuss durch 
den Nervus ulnaris, Läsion der Arteria iliaea externa durch 
Schuss, mit folgender Gangracn «les Fioms. Zum Schlüsse wer¬ 
den Gipsabgüsse, Fussalxlrüeke und Röntgenbilder verkrüppelter 
eliinesiseher Frauenfüsse «lemonstrirt. Die Röntgenbilder lassen 
sehr deutlich die Umbildung der äusspr«*n Kno«*lu*nform, sowie 
die Transfonnation der Knoehenarehitektur entsprechend «h*r 
veränderten Belastung erkennen. 


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2024 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 50. 


Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offldelles Protokoll.) 

Sitzung vom 10. Oktober 1901. 

Vorsitzender: Herr S e n d 1 e r. 

Vor der Tagesordnung stellt Herr Enke einen 32 jährigen 
Patienten vor, der au progressiver Muskelatrophie leidet und 
zwar an der Ainyotrophla spinalis progressiva. Seit ca. 2 Jahren 
merkt Pat. selbst den Muskelschwund an Arm und Hand rechts. 
Beginn an den Daumenmuskeln und den Interossei. Derartige 
Fälle sind ja keine Seltenheit. Was den Fall aber äusserst Inter¬ 
essant macht, Ist das ausserordentlich ausgesprochene Phänomen 
der fasclculären Muskelzuckungen, welch’ letztere sich mit Aus¬ 
nahme der Hand über fast alle Muskeln des Unter- und Ober¬ 
arms, der Schulter, des Schulterblattes, des Serratus und des 
Halses erstrecken. Es kontrahlren sich theils einzelne Fascikel 
sporadisch, theils sämmtllche Bündel eines Muskels nach einander, 
so dass z. B. beim Pectoralls malor eine Welle über den ganzen 
Muskel hinwegzieht Die Muskeln „spielen“ auch des Nachts 
in der Ruhe, am lebhaftesten aber nach einiger Arbeit. In dieser 
ausgesprochenen Form Ist das Phänomen doch recht selten be¬ 
obachtet. 

Sodann spricht Herr Biermer Uber die Gefährlichkeit des 
sogen. Dr. H o 11 w e g’scheu Occlusiv-Pessars. Es zeigt das ab¬ 
gebrochene Stück eines derartigen Instrumentes, das er aus dem 
Uterus einer Frau entfernt hat. Der Fall ist zur Anzeige ge¬ 
kommen und B. verliest sein diesbezügliches Gutachten. 

Herr Unverricht hält alsdann einen Vortrag über „die 
neueren Untersuchungen zur Physiologie und Pathologie des 
Herzens“. 

Er macht darauf aufmerksam, wie die innere Klinik in der 
letzten Zeit von der rein anatomischen Betrachtungsweise der 
Krankheiten sich mehr und mehr abgewandt und die funktionelle 
Prüfung der einzelnen Organe in den Vordergrund gestellt hat. 
Dadurch ist es bedingt, dass die Physiologie wieder in den Brenn¬ 
punkt des ärztlichen Interesses gerückt ist, denn nur bei einer 
genauen Kenntniss der physiologischen Vorgänge ist ein tieferer 
Einblick in die krankhaften Störungen möglich. Das gilt ins¬ 
besondere für die Erkrankungen des Herzens. 

An der Hand der Untersuchungen von Gaskoll, Engel¬ 
mann, Tigerstedt u. A. gibt TJ. alsdann einen Ueberbliek 
über die Anschauungen, zu welchen man bezüglich der auto¬ 
matischen Thätigkeit des Herzens gelangt ist. Die wichtigste 
Umwälzung beruht darin, dass man die Automatie der Herz- 
thätigkeit nicht mehr als durch nervöse Centralapparate bedingt, 
sondern als eine der Muskelsubstanz selbst innewohnende Eigen¬ 
schaft auffasst. 

An Beispielen au9 der Pathologie wird dann erläutert, wie 
weit diese Lehren unsere Auffassung gewisser Herzstörungen 
zu beeinflussen geeignet sind. 

Auch die Therapie wird sich mit diesen modernen Forsch¬ 
ungen abzufinden haben, deren Bedeutung für die Beseitigung 
krankhafter Abweichungen schon jetzt klar in die Augen fällt, 
wie U. durch angeführte Beispiele erläutert, die sich auf die 
Digitalisbehandlung beziehen. 

Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in 
München. 

Sitzung vom 7. Mai 1901. 

Herr 0. Neustätter: Die Refraktionsbestimmung 
mittels Skiaskopie und deren Theorie mit Demonstration an 
künstlichen Angen und Flächenphantomen. 

M. H.! Die allgemein bekannte objektive Refraktions¬ 
bestimmung beruht auf dem Gesetz der conjugirten Brenn¬ 
weiten oder auf der Bildschärfe. 

Es gibt hiefür die meist geübte aber schwierige Bestimmung 
im aufrechten Bild und eine Reihe von Methoden für die 
Bestimmung im umgekehrten Bild; doch haben sich weder 
die von Coccius, Hasner, Snellen-Landolt, 
Mauthner, Burchhardt, noch die vielleicht bestbekannte 
von Schmidt-Rimpler einzubürgern vermocht. 

Auf eine andere Art der Refraktionsbestimmung führte erst 
die Entdeckung der Skiaskopie durch den französischen Arzt 
Cuignet, der allerdings ihr Wesen vollkommen verkannte, 
indem er die Erscheinungen auf die Hornhaut bezog und von 
der Schattenprobe als Mittel die Refraktion zu bestimmen nur 
insofern sprach, als er dadurch Krüminuugsanomalien der Horn¬ 
haut nachwies, die er als gleichbedeutend mit Refraktions¬ 


anomalien erachtete. Erst durch Landolt, Parent, Leroy 
wurde die Theorie geklärt und damit die zielbewusste Anwendung 
der „Keratoskopie“ angebahnt. 

Der Name hat alle möglichen Stadien durchlaufen; Skia¬ 
skopie führte C h i b r e t ein; Priestley-Smith sprach 
von shadow-test, Pflüger verdeutschte dies in Schattenprobe, 
Schweigger sprach von Beleuchtungsprobe. Da aber in der 
Nähe des Umschlagpunktes die Lichtbewegung kaum mehr zu 
verfolgen ist, verdient Schattenprobe den Vorzug, weil die Auf¬ 
merksamkeit auf die vorragende Erscheinung dadurch gelenkt 
wird. Ueber das Wesen enthält der Ausdruck nichts; um dies 
zu bezeichnen sprach Parent von Retinoskopie, L a n d o 11 
von Pupilloskopie; am exaktesten wäre die von mir vorge¬ 
schlagene Bezeichnung Pupillo-Retinoskopie; doch genügen auch 
diese Ausdrücke nicht, um eine Vorstellung zu geben. Desshalb 
bleibt man am besten bei „Skiaskopie“, 

Im Prinzip nun beruht die Skiaskopie auf den B e - 
wegungserscheinungen optischer Bilder. Es ist dies 
ein Gebiet, da9 bishin wegen seiner praktischen Bedeutungs¬ 
losigkeit in der Optik nicht beachtet wurde. In der Praxis be¬ 
ruht die übliche Bestimmung der Brillengläser, wie sie jeder 
Augenarzt übt, auf diesen gleichen Gesetzen. 

Ferner hat man schon länger höhere Grade von Myopie oder 
Hyperopie darnach unterschieden, ob die Gefässe des Augen¬ 
hintergrundes sich entgegengesetzt oder gleichsinnig mit der Be¬ 
wegung des Kopfes des Untersuchers verschieben. Diese Methode 
ist eigentlich genau das Gleiche wie die Skiaskopie; nur lässt 
sie gerade da im Stich, wo es sich um die genaue Messung handeln 
würde; denn wenn sich das Bild des Augenhintergrundee unserem 
Auge zu sehr nähert, sehen wir eben nichts mehr von den Ge- 
fässen. Hier nun setzt die Skiaskopie glücklich ein, indem sie 
an Stelle der Gefässe den erleuchteten Bezirk setzt und dessen 
Grenzen = Schatten in’s Auge fasst. 

Doch zunächst: Was machen und sehen wir bei der Skia¬ 
skopie, worin besteht sie eigentlich? 

Lassen wir ein Auge mittels Augenspiegels aufleuchten und 
drehen den Spiegel, dann sehen wir das Roth der Pupille von 
einem dunklen sichelförmigen oder mehr geradlinigen 
Saum verdrängt werden, allmälilieh verschwindet daß Roth ganz 
und wir sehen die Pupille schwarz. Machen wir nun dieses Ex¬ 
periment bei einem stark myopischen und stärker hypermetropi- 
schen Auge in gleicher Weise, so sehen wir, dass jene Ver¬ 
drängung in entgegengesetztem Sinne erfolgt. Nehmen wir beim 
gleichen Auge einmal einen Planspiegel, das andere Mal einen 
Konkavspiegel, so sehen wir, dass die Wanderung des Schattens 
für jeden in entgegengesetztem Sinne erfolgt. Wenn wir ein 
Auge untersuchen, dessen Fernpunkt ungefähr der Entfernung 
zwischen Beobachter- und Untersuchtem-Auge entspricht, sehen 
wir überhaupt keine deutliche Schattenwanderung, sondern einen 
unvermittelten Uebergang von Hell zu Dunkel. 

In der Praxis kommt es darauf an, diesen Punkt zu be¬ 
stimmen. Zu dem Zweck kann man jedes Auge myopisch machen 
durch Vorsetzen einer Konvexlinse. Dann kann man sich so 
lange annähern und entfernen, bis man den „Umschlag“ findet. 
Da dieser, wie wir erfahrungsgemäss jetzt voraussetzen, statt¬ 
findet, wenn der Fernpunkt in der genannten Distanz liegt, 
brauchen wir nur diese zu messen und das Glas dazu rechnen, 
um zu wissen, welche Refraktion das Auge hat. 

Statt dieser Methode auf labile Distanz ist jetzt mehr die 
auf stabile Distanz üblich; sie ist aus verschiedenen Gründen ein¬ 
facher und besser. Bei ihr wird durch Vorhalten immer stärkerer 
Gläser der Fernpunkt allmählich in die gewünschte Entfernung 
gebracht, die ein für allemal beibehalten wird. Die Rechnung 
ist dann sehr einfach. Wenn z. B. die Distanz Vs m beträgt, 
so muss immer berechnet werden, dass ein Myop um 2 D mehr 
kurzsichtig, ein Hyperop 2 D weniger liyperopisch ist. Ein In¬ 
strument., wie ee hiezu verwendet wird, ist das von mir ange¬ 
gebene Leiterskiaskop. 

Für praktische Bedürfnisse ist die Skiaskopie, wie Sie sehen, 
ausserordentlich einfach und wegen der Leichtigkeit der Er¬ 
lernung und Anwendung, der Einfachheit des Kriteriums — ob 
ein Schatten gleichsinnig oder entgegengesetzt wandert, kann 
Jeder entscheiden — ist sie eine ausserordentlich werthvolle Er¬ 
rungenschaft für die Refraktionsbestimmung, namentlich z. B. 
bei Massen- oder Kinderuntersuchung, und besonders auch für 
Astigmatismus, bei dem nicht nur der Grad, sondern gleich 


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10. Dezember J 901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


2025 


auch die Art, ob myopisch oder hyperopisch oder gemischt und 
die Achsenrichtung gefunden werden kann. Für dieses Bedürf- 
niss habe ich auch eine einfache Vorrichtung an meinem Leiter¬ 
skiaskop angebracht: eine Kreisscheibe, auf welche der Spiegel 
mit seinem Loch in der eingenommenen Haltung aufgelegt 
wird.’) 

So einig man bald über den praktischen Werth der Skia- 
skopie wurde — Anfangs haben allerdings auch gegen diesen 
einige Autoren sich ausgesprochen — so uneinig war man lange 
über die Erklärung der Erscheinungen. Es ist viel polemisirt 
worden, viel Dilettantismus eingerissen und auch jetzt werden 
nooh falsche Theorien aufgestellt und aufrecht zu halten gesucht. 
Es wäre aus diesem und auch aus praktischen Gründen wünschens- 
werth, die Theorie der Skiaskopie in die physiologischen 
Vorlesungen aufzunehmen, wie ich dies letztes Jahr in 


nicht. Dies die einfache Erklärung für ein vielumstrittenes 
Gebiet. 

Das Genauere über den Vorgang zeigen Ihnen meine Wand¬ 
tafeln und Phantome, an deren Hand ich Ihnen den Strahlen¬ 
gang demonstriren mochte (Demonstration). 



Paris schon angeregt. 

Ich will hier nicht auf das Geschichtliche und auf Kritik 
cingehen. 

Hier handelt es sich, die Erscheinungen bei der Skiaskopie 
zu erklären, nämlich: wie die Schattenwanderung zu Stande 
kommt, was der Schatten ist, wesshalb derselbe für Myopie 
entgegengesetzt wie für Hyperopie, für Plan- 


Fig. 1. 

Abbildung des ,Myopie“-Phautomes in Ausgangsstellung, d. h. 
Beleuchtungsfeld und Gesichtsfeld decken sich auf der unter¬ 
suchten Netzhaut (links), daher ist auch das Bild der untersuchten 
Pupille auf der Beobachtungsnetzhaut (rechts) ganz von Strahlen 
ausgefüllt und wird durch Rückprojektion die untersuchte Pupille 
ganz hell erscheinen. 


Spiegel entgegengesetzt wie für Konkav¬ 
spiegel wandert, obgleich der Lichtreflex auf dem Gesicht 


des Untersuchten für beide gleich wandert und schliesslich, 
welches die Lage des Umschlagpunktes ist 
und wesshalb wir in diesem Augenblick keinen 
Schatten neben dem hellenTheil derPupille 
auftreten sehen? 

Im Grossen und Ganzen erfolgt der Vorgang so: von der 
der Lichtquelle wird durch die Spiegel ein Bild, d. h. ein heller 
Fleck auf der Retina des Auges erzeugt. Von diesem ,3eleuch- 
tungsfeld“ gehen Strahlen zurück in die Luft und in das Be¬ 
obachterauge, wo ein mehr oder minder unscharfes Bild des be¬ 
leuchteten Bezirkes der untersuchten Netzhaut entsteht. 

Dieser Vorgang lässt sich ungezwungen in zwei Phasen zer¬ 
legen, die der eintretenden und der austretenden Strahlen. 

Zunächst möchte ich Ihnen mittels einer Linse die ein¬ 
tretenden Strahlen vorführen (Demonstration). Noch besser 
sehen Sie den Vorgang an den künstlichen Augen, die Herr 
Dr. v. Ammon mir zur Verfügung zu stellen die Freundlich¬ 
keit hatte (Demonstration). 

Sie sehen dabei eine Wanderung des je nach der Refraktion 
mehr oder weniger unscharfen Flammenbildes, und zwar erfolgt 
dieselbe immer in gleichem Sinne bei Drehung des Spiegels 
falls dieser plan, entgegengesetzt, falls er konkav ist. Sie sehen 
ausserdem einen Schatten, der sich über das vorher helle Feld 
schiebt, wie beim Skiaskopiren. Dies ist der von mir als 
„falscher“ bezeichnet« Schatten; er zeigt sich bei dieser experi¬ 
mentellen Vorführung immer, wenn der Spiegel so weit gedreht 
wird, dass das Ende des Strahlenkegels auf die Linsenöffnung 
tritt; beim Skiaskopiren wird er bei der Vorführung an Phan¬ 
tomen mit weiter Pupille gesehen. Beim menschlichen Auge da¬ 
gegen wird er, ausser unter gewissen ungewöhnlichen Verhält¬ 
nissen, nicht gesehen. Dass er nicht der wahre Schatten sein 
kann, geht schon daraus hervor, dass er für Plan- und Konkav¬ 
spiegel gleichartig verläuft, dagegen für Myopie und Hyperopie 
entgegengesetzt. 

Wenn wir nun das Beleuchtungsfeld als gegeben annehmen 
und statt neben der Linse vorbei, durch diese blicken, so erhalten 
wir die Erscheinungen der Skiaskopie. Wir können diese 
zweite Phase nur dadurch vereinfacht vorführen, dass wir einen 
weissen, flammenförmigen Fleck auf schwarzem Grund hinter 
einer Linse bewegen. Es lassen Bich dann alle Erscheinungen 
nachahmen. Es wird aus diesem Experiment auch klar, wess¬ 
halb wir einen „Schatten“ sehen, obgleich doch auf der Fläche 
nur der helle Fleck wandert. Indem wir durch die Linse blicken, 
schneidet diese für uns ein begrenztes, kreisförmiges Feld jener 
betrachteten Fläche aus: das Gesichtsfeld; wo dieses nicht 
erhellt ist, sehen wir in der Linse Dunkelheit, und dass neben 
druussen noch erleuchtet ist, bleibt für uns bedeutungslos, weil 
wir eben dort nicht mehr hinsehen. Da der falsche Schatten ge¬ 
wöhnlich erst auftritt, wenn das Beleuchtungsfeld über das Ge¬ 
sichtsfeld hinausgewandert ist, so sehen wir ihn für gewöhnlich 

') Cfr. Münch, med. Wochenschr. 1809, No, 3. 



Flg. 2. 

Dasselbe Phantom. Das „Beleuchtungsfeld“ Ist nach oben ge¬ 
wandert. Vergleicht man die Jetzt noch welsse Partie Im unter¬ 
suchten Auge, so sieht man, dass der untere Thell des „Gesichts¬ 
feldes“ von vorhin nicht mehr erleuchtet Ist Entsprechend hat 
sich auch .der Lichtkegel zwischen den Augen gedreht (nach 
unten); wiederum entsprechend der Drehung des Luftbildes (mitt¬ 
lerer schwarzer Punkt) dreht sich jenseits des Beobachtungs¬ 
knotenpunktes der Lichtkegel (nach aufwärts) und der untere 
Thell des vorher erleuchteten Pupillenbildes Ist nicht mehr erhellt. 
Dieser „Schatten“ wird durch Rückprojektion im oberen Thelle der 
untersuchten Pupille scheinbar auftreten nud zwar an der Stelle, 
wo sie von der vom untersten erleuchteten Punkt aus gezogenen 
Knotenlinie getrofTen wird. 

Sie sehen an den ersteren die Strahlenkegel durch mehr¬ 
farbige Linien, an letzteren in Flächenschnitten als weisse Flächen 
auf dunklem Grund beweglich dargestellt. Ihre Form gibt die 
Ausdehnung der Strahlenkegel an jeder Stelle wieder; durch 
ihre Bewegung lassen sich die Bewegungserscheinungen vor¬ 
führen und zwar sowohl getrennt für die eintretenden und aus¬ 
tretenden Strahlen, als auch durch Auflegen eines Spiegel¬ 
phantoms (Konkav- oder Planspiegel) auf ein Refraktionsphan¬ 


tom (Myopie bezw. Hyperopie), der gesammte Vorgang im Zu¬ 


sammenhang. Die Drehpunkte, um welche die Bewegungen statt¬ 


finden, entsprechen den Knotenpunkten, die Angriffspunkte für 


die Uebertragung der Bewegung von den virtuellen bezw. reellen, 
optischen Bildern auf die von ihnen ausgehenden Strahlenkegel, 
den Mittelpunkten dieser Bilder. Durch mechanischen Ausgleich 
ist die Konstruktion derart gestaltet, dass die Bewegung der 
Strahlenkegel ununterbrochen sich vollzieht. (Demonstration.) 

Als Grundlage für diese Phantome dienen die Wandtafeln, 
auf welchen die Konstruktionen des Strahlenganges in gleicher 
Grösse gegeben sind. Ein vergleichender Blick auf sie und die 
Phantome zeigt die Erleichterung, welche die letzteren für die 
Darstellung und Vorstellung der Vorgänge gewähren. Auf der 
Tafel ist dann noch eine Konstruktion gegeben, welche den 
Umschlagspunkt darstellt. Zwischen der „myopischen“ 
und „liyperopisehen“ Bewegung muss es einen Punkt geben, wo 
die entgegengesetzten Bewegungen, die eine in die andere Um¬ 
schlagen. Dieser Punkt liegt dann vor, wenn der Fern¬ 
punkt des untersuchten Auges auf die Pu¬ 
pillenebene des Beobachters (genauer auf dessen 
scheinbare Pupillenebene) fällt. Die Erscheinung, welche sich 
dabei zeigt: plötzlicher Wechsel von voller Erleuchtung zu Ver¬ 
dunklung der untersuchten Pupille, hat nichts mehr mit den 


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2026 

Biwegungsorsoheinungen zu thun, sondern mit den eigenartigen 
Verhältnissen der Erleuchtung: in Zcrstrcuungskrciscu. die bei 
genauerer Darstellung allerdings sieh auch neben den obigen Be ¬ 
wegungserscheinungen bei Myopie und Hyperopie schon zeigen 
lassen (Demonstration an den Phantomen, wo nicht sofort bei 
der Bewegung des erleuchteten Theiles im untersuchten Auge 
Schatten im Beobachterauge auftritt). 

Diese Erscheinung lässt sich auf das „Gesichtsfeld“ pro- 
jieiren und man erhält dann in diesem eine „aktive“ und „in¬ 
aktive“ Zone; so lange die Verdunklung nur die letztere (äussere) 
/.u überziehen beginnt, nehmen wir keinen begrenzten Schatten, 
sondern nur eine Abnahme der Helligkeit wahr. Tritt dann Ver¬ 
dunklung in jener auf, so erhalten wir einen proportionalen 
Schatten. Da nun die aktive Zone im Falle des Zusammen¬ 
treffens des Fernpunktes des untersuchten Auges mit der Pu- 
pillarebeno des Beobachters auf einen Punkt zusammen¬ 
schrumpft, das ganze Gesichtsfeld also von der inaktiven Zone 
eingenommen ist, kann keine Schattenwanderung wahrgenommen 
werden. 

Diese Tlmtsaehe kann aber nur unter einer Bedingung ein- 
troten, dass nämlich der Beobachter die untersuchte Pupille 
scharf fixirt. Nur unter diesen Verhältnissen nämlich vermag 
jeder erleuchtete Punkt im Hintergrund des untersuchten Auges 
auf der Beobachternetzhaut einen Zerstreuungskreis zu bilden, 
der das Pupillenbild ganz ausfüllt und dessen Grenzstrahlen 
nirgends auf ihrem Wege allmählich abgeblendet werden können, 
weil eben der eonjugirte Bildpunkt auf der Pupillarebene liegt 
und die von ihm ausgehenden Strahlen erst bei dem Auftreten 
auf den Irisrand plötzlich allesamt abgeblendet werden. Ist das 
Beobachterauge nicht auf die untersuchte Pupille eingestellt, 
dann vermag der Zerstreuungskreis das Zerstreuungsbild der¬ 
selben nicht ganz auszufüllen und es tritt ein Schatten auf der 
Seite auf") (Demonstration an der Wandtafel). 

Einfacher zu erklären ist die Thatsache, dass die Sehatten- 
be.wegung bei Lage des Fernpunktes des Untersuchten vor oder 
hinter dem Beobachterauge mit der Bewegung des Beleuchtung.'- 
fehles im untersuchten Auge gegenläufig bezw. gleichläufig er¬ 
folgt. Sofern die Strahlen sieh zwischen Pupille des Unter¬ 
suchten und Pupille des Beobachters kreuzen (Myopie > als deren 
Abstand im gegebenen Fall 50 cm = 2 D), werden jeweils die von 
entgegengesetzter Seite der untersuchten Pupille kommenden 
Strahlen durch die Beobachteriris abgeblendet. Erfolgt da¬ 
gegen die Kreuzung erst hinter dieser (Myopie < 2 D) oder über¬ 
haupt nicht (Emmetropio oder Hyperopie des Untersuchten), 
dann werden die Strahlen, welche von der der Bewegung gleich¬ 
sinnigen Seite der untersuchten Pupille kommen, entweder von 
der Beobachtenris abgeblendet oder durch die Bewegung des Be¬ 
leuchtungsfeldes zum Wegfall gebracht. 

Wenn man, wie dies in den Phantomen geschehen, den 
Knotenpunkt als in einer Ebene mit der Pupille gelegen an¬ 
nimmt, was man ohne Fehler von Bedeutung thun kann, so lässt 
sich die Sehattonwanderung auch so erklären: wir haben zwei 
Drehpunkte: die Knotenpunkte im Beobachtungsauge und im 
untersuchten Auge und einen Angriffspunkt. Dieser liegt bei 
Myopie y 21) zwischen jenen. Wir haben dann zwei Hebel, die 
durch diesen Angriffspunkt = Luftbild auf einander einwirken. 
Geht das eine Ende (Belcuehtungsfeld) nach unten, so gellt der 
Angriffspunkt nach oben, folglich das andere. Ende (Schatten) 
wieder nach unten. Bei Myopie < 2 D bis Emmetropio liegt der 
Angriffspunkt jenseits des Beobachterknotenpunktes, bei Hypero¬ 
pie hinter dem Knotenpunkt des untersuchten Auges. In beiden 
Fällen muss das eine Ende (Beleuchtungsfeld) und das andere 
(Schatten) entgegengesetzt zu einander wandern; im ersteren, 
weil der Angriffspunkt hinter dem Bo.-Drehpunkt den Schatten 
mitnimmt, im letzteren, weil er mit dem Belcuehtungsfeld geht 
und vor dem Beobachterknotenpunkt liegt (cfr. Fig. 1 und Fig. 2). 

Nimmt man in diesen Fällen das Gesetz der umgekehrten 
Projektion entlang den Knotenlinien zu Hilfe, so ergibt sich: 
für Myopie entgegengesetzter „Schatten“, für Hyperopie und 
Emmetropio und Myopie < als Abstand zwischen Be. und Unt. 
mit dem Beleuchtungsfeld gleichsinnig wandernder „Schatten“. 

Auf diesen Grundlagen sind die Phantome konstruirt. 

-) Näheres cfr. bei Itüppel: Grnefe’a Areh. f. Ophtli. 1892. 
pag. 174. und iu meinem Grundriss der Skiaskople. der als Bei¬ 
gabe zu den Wandtafeln und Phantomen auch bei J. I<\ Leh¬ 
mann in München erschienen ist. 


No. 50. 

Es erübrigt noch der Gegensatz zwischen Konkav- und Plan¬ 
spiegel. Bedieilen wir uns der gleichen Ausdrucksweise, so ergibt 
sieh: Bei ersterem ist der Angriffspunkt für den Beleuchtungs¬ 
kegel zwischen Spiegeldrehungspunkt und untersuchtem Knoten¬ 
punkt ; folglich muss die Bewegung des Beleuchtungsfeldes ent- 
gegengesetzt wie die Spiegeldrehung erfolgen. Beim Planspiegel 
liegt der Angriffspunkt hinter dessen Drehpunkt; er muss 
also den Beleuchtungskegel jenseits des Knotenpunktes des unter¬ 
suchten Auges in gleichem Sinne bewegen wie die Spiegeldrehung 
erfolgt. Auch diesen Vorgang sehen Sie an den Phantomen 
dargestellt. 

Durch die Kombinationen dieser Erscheinungen am „Be¬ 
leucht ungsfeld“ und jener am „Schatten“ ergeben sich die ex¬ 
perimentell Ihnen vorgeführten Verhältnisse. 


Aerztlicher Verein in Nürnberg. 

(Officlelles Protokoll.) 

Sitzung vom 1. August 1901. 

Vorsitzender: Herr G o l d sc h m i d t. 

1. Herr Neuberger stellt uochmals den bereits (18. VII.) 
vorgestellten Fall von lymphangiektatischem Tumor vor und 
glaubt nunmehr mit Sicherheit eine luetische Basis desselben aus- 
sehllessen zu dürfen; ferner einen Fall von Acne necrotica s. 
varioloiformis. 

2. Herr Glauning berichtet über einen Fall von Pan- 
kreascarcinom unter Demonstration des gewonnenen Leleken- 
prii parates. 

Herr Friedrich Merkel berichtet über einen Fall von 
Sarkom des linken Ovnrlum bei einem 10 Jährigen Mädchen: das 
bei der Operation gewonnene. 7 Pfund schwere Präparat wird 
demonstrirt. 

4. Hon- C. Port berichtet über einen im Eiterherd eines 
Obernrmabscesses gefundenen Cysticercus. 

Sitzung vom 15. August 1901. 

Vorsitzender: Herr S. Merkel. 

1. Herr F. Giulini stellt einen Fall von Orbltalcyste vor. 

2. Herr Alexander macht Mittheiluug vou einem Fall 
schnell vorübergehender diabetischer Myopie. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 11. Oktober 1901. 

Herr T r n ka macht Mittheilung über einen Fall von Pferde¬ 
hufschlag auf den linken Warzenfortsatz, mit anstandsloser 
Heilung der Quetsch wunde. Die ersten 6 Wochen Symptome von der 
Gehirnerschütterung, nachher unter den Erscheinungen von Ge¬ 
hirnblutung Herdsymptome im Pons (Drehung des Kopfes nach 
rechts). Paralvsis glossopharyngeo-labinlis und von unten nach 
olien fortschreitende Lähmung der Extremitäten. Nach weiteren 
."> Wochen Exitus. Sektion ergab ein Haematom aus der Art verte 
hrnlis il. stammend, das tlieiis dem Pons, tlieils der Medulla ob- 
lougntn aufsass. T rnka nimmt an. dass es sich um GelilrngefUss- 
läsion durch Contrevoup und um sekundäre Spiltapoplexle handelt. 
Weiters demonstrirt Trnka ein etwa 10 cm langes, ab¬ 
geschlossenes. cylindrisches Divertikel mit Sekundärdivertikelu 
an der Spitze, dessen Durchmesser dem dos Dünndarmes ungefähr 
gleich war. 

Sitzung vom 18. Oktober 1901. 

Herr Frank: Wie wird in Heiden die TTebun&stherapie 
von Frenkel gehandhabt? 

Das Wesen der Methode besteht darin, dass der Tabiker 
das übrig gebliebene Quantum von Sensibilität verwertben lernt, 
um den Centralorganen hinreichende Signale über die Lage der 
Glieder zuzuführen. Das Mittel hiezu ist Uebung. Die Uebuuga- 
therapie bezweckt die Wiedereinübung der Coordination durch 
Wiederholung gewollter Bewegungen bei Schonung der Muskel¬ 
kraft. Die Behandlung der Ataxie der unteren Extremitäten 
wird ohne Apparate durehgeführt. 

Frank bespricht dann den Unterschied zwischen den durch 
Ataxie und den durch Hypotonie bedingten Störungen und er¬ 
wähnt weiters die grosse Bedeutung der Rumpfbewegung für die 
Locomotion. Nach einer Kritik der Goldscheider-, 
L e y d e n - und Jako b’sehen Apparatenbehandlung, deren 
Prinzip er verwirft, schildert der Vortragende dann die Ge- 
sammtbehandlung eines Tabikers in Heiden, die spezielle Aus¬ 
führung der Bettübung, der Uebungen im gymnastischen Saale, 
die Dosirung der Uebungen, das Verhalten des Kranken ausser¬ 
halb derselben, die Elektro- und Hydrotherapie. Frank sah 
bei allen in diesem Sommer in Heiden in Behandlung ge- 


MTTKNCHENER MEDICINISCHE WOCHESCHRIFT. 


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10. Dezember 1901. 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2027 


standenen Tabikern bedeutende Besserungen und von früher 
Dauererfolge und glaubt nach den letzteren schließen zu 
können, dass der Ansicht, die Tabes sei eine konstant fort¬ 
schreitende Erkrankung, der Boden entzogen sei. 


Jahresbericht des ärztlichen Bezirksvereins für 
Südfranken vom Jahre 1899 und 1900. 

In beiden Jahren wurde ln jedem Monat eine Versammlung 
abgehnlten, je 2 Tagesversammlungen im Mai und Oktober zu 
Gunzeuliausen, je 10 Abendversammlungen abwechselnd ln 
Gunzenhausen, Treuchtlingen, Pleinfeld, Wassertrüdlugeu und 
Weissenburg a. S., um bei dem ausgebreiteten Bezirk allen Kol¬ 
legen den Besuch der Versammlungen zu erleichtern. Sie waren 
fast Immer gut besucht und stets anregend durch wissenschaftliche 
Beiträge und Mittheilungen aus der Praxis, wofür die unten ge¬ 
brachten zahlreichen Verhandlungsgegenstiinde den besten Beweis 
liefern. Mehr wie früher, entsprechend den bewegten und schweren 
Zelten des ärztlichen Standes und Lebens der Gegenwart, wurden 
Standesfragen, das Verhältnis» zu Krankenkassen und Berufs- 
genossenschaften, sowie die allgemeinen Interessen des ärztlichen 
Standes vielfach und eingehend besprochen. 

Im Jahre 1899 hielten grössere Vorträge: In der Mal-Tages¬ 
versammlung: M e h 1 e r - Georgensgemünd über den Chirurgen- 
congress, G o p p e 11 - Heidenheim Uber Privatversicheruug der 
Aerzte (Empfehlung der ärztlichen Versicherungskasse in Berlin», 
in der Oktober-Tagesversammluug: M e h 1 e r über excessiv hohe 
und tiefe Körpertemperaturen. Dörfler- Weissenburg: Beitrag 
zur Pathologie des Tankreas, Goppel t über Unfallversicherung, 
Raab- Roth a. S. über Haftpflichtversicherung der Aerzte. 
G o p p e 11 demonstrirte mikroskopische Präparate von Aktlno- 
mykose. Im Jahr 1900: ln der Maiversammluug: Beltlnger- 
Dltteuheiin über Ursachen von Missbildungen, mit Demonstration 
eines Aneucephalus, M e h 1 e r über Schleie li’s neue Metho¬ 
den der Wundheilung, mit Demonstration seiner Seifen und Salben, 
L a u k - Elllngeu über mehrere Fälle von Wurstvergiftung; in 
der Oktoberversammlung: M eh ler über Aseptik des Naht- und 
Unterblndungsraaterlales, Raab über Aetiologie der Angina. 
M e h 1 e r demonstrirte einen fahrbaren Tisch zur Auskochuug von 
Instrumenten für die Sprechstunde. 

In den Abendvera \mndungen hielten grössere Referate oder 
Vorträge: Sommer- Scliwabach über Alexander'» Buch: 
„Wahre und falsche Heilkunde“, Meyerson - Treuchtlingen über 
H o f m e i e Fs Artikel: „Behandlung der Nachgeburtsperiode“, mit 
Protest gegen die hier auf gestellten Postulate an den praktischen 
Arzt, Dörfler über Rückenmarksverletzungen, über den Ber¬ 
liner Clilrurgencongress, Meyerson über „eine durchführbare 
Lösung der Kassenarztfrnge“, Dörfler über die Gründung einer 
allgemeinen ärztlichen Unterstützungskasse. 

Grössere Dlscussiouen Uber wissenschaftliche Themata fanden 
statt: lieber Laparotomie bei Bauchfelltuberkulose (Eidam. 
M eh ler, Lochuer. Hofmann, Meyerson, Dörfler). 
ül>er Aktinomykose (Doppelt, Meyerson, Heckei), über 
excessive Körpertemperaturen (Lochner, M e h 1 e r. Gün¬ 
ther, Meyerson, Heckei), über Alkoholumschläge nach 
Büchner (Eidam, Dörfler, M e y e r s o n), über Kalomel 
bei Herzaffektionen (B 1 s c h o f f, M e h 1 e r, Hofmaii n, 
K 1 d a m), über Wurstvergiftung (Dörfler, Lochner, Lauk, 
Doppelt, B 1 s c li o f f), über Bauchverletzung durch stumpfe 
Gewalt (Dörfler, Eidam, Lochner), über Kochsalzinfusion 
(Goppelt, Dörfler, Eidam) über Exantheme bei Rheumartlirl- 
tls, Diphtherie und Influenza (Goppelt, Dörfler, Eidam, 
Gflnthe r), über Tuberkulose durch Kalk- und Nadelstaub 
(M eyeraon, Mehle r, L o c lincr, Goppel t). 

Im Jahre 1899 wurde auf Antrag von B i s c h o f f - Günzen¬ 
hausen ein Rechtsschutzverein gegründet. 

Von Mittheilungen aus der Praxis seien erwähnt: 

B 1 s c h o f f - Gunzenhausen: Demonstration der Ilöntgen- 
pbotographie eines interessanten Oberarmbruches. — Ascites, durch 
jahrelanges Einnehmen von Kalomel immer wieder beseitigt» 

Dörfler- Weissenburg a/S.: Exstirpation eines 0 cm langen 
Hauthomes von einem Handrücken. — Mehrere Fälle von Wurst¬ 
vergiftung. — Demonstration eines Herzens mit Endokarditis 
verrucosa acuta. — Pneumon. duplex mit Pleuritis haemorrhaglca 
und Dllatatio cordis. — Rückenmarksverletzung mit Lähmung 
durch Halswlrbelfraktur. — Bauchverletzung durch Hufsclilng. — 
Operation einer Ranuln unter der Zunge. — Resektion eines tuber¬ 
kulösen Schultergeleukes. Heilung. — Resektion des 2. Trigeminus- 
astes wegen hartnäckiger Neuralgie, Heilung. — An 3 jährigem 
Kind Operation einer Hydrocele mit Exstirpation einer cysten- 
förmigeu Fortsetzung in die Bauchhöhle, Heilung. 

E i d a m - Gunzeuliausen: Vorstellung eines Mannes mit links¬ 
seitiger Recurrenslähmung in Folge von luetischen Aortenaneu¬ 
rysmas. — Laparotomie wegen Bauchfelltuberkulose mit günstigem 
Erfolg. — Laparotomie wegen Messerstich Verletzung der Leber 
und starker Blutung in das Abdomen, Tod am 5. Tag an septischer 
Peritonitis. — Komplizirtc Fraktur der Tibia und Fibula dicht an» 
Fussgelenk mit Fussluxation, durch Resektion des Fussgeleukes 
gute Heilung. — Erfahrungen über Buch n e r's r»0 proc. Alkohol- 
umschlüge. — Brustwirbelfraktur durch Fall aus dem Scheuerloch. 
— Seltener Dammriss bis zum unverletzten Anus, nach rechts und 
links uni denselben sieh forts- tzmid. Rnuehvorletzung durch 


Hufsclilng. — Lupulinvergiftung bei Hopfenpflückera. — Hernio- 
tomie an alter Frau, bei der sich im Bruchsack der spitze Knochen 
eines Taubenflügels vorfand, Tod am 2. Tag. 

E i s e u 8 t ä d t - Pappenheim: Demonstration eines Footus 
papyraceus. — Fraktur der Bmstwirbelsäule durch Stoss der Loco- 
motive. — Ueber Angina und Rheumatismus. 

F r i t z s c h e - Allersberg: 2 Fülle von epidemischer Cerebro¬ 
spinalmeningitis. 

Goppelt- Heidenheim: Demonstration mikroskopischer Prä¬ 
parate vonAktinom.vces. — Ueber Knrbolgangrüu. — IJtcrus-Exstir- 
patlon wegen Carcinoms des Uteruskörpers, durch mikroskopische 
Untersuchung nach Auslöffelung diagno6tizirt. Heilung. — Ueber 
Kochsalzinfusion. — Sonderbarer Fall von Vierfach-Sehen (Gehirn¬ 
herd). — Fall von Erythema exsud. multiforme. — Beobachtung 
von spontanen Muskelbewegungen mich eingetretenem Tode. 

Günther- Treuchtlingen: Sehr schwierige Ovariotomie, mit 
M e h 1 e r-Georgensgemünd ausgeführt. Heilung. — Riickgrats- 
verletzuug durch Stoss der Lokomotive. 

H e c k e 1 - Triosdorf: Sehfelddefekt auf rechtem Auge nach 
sehr profuser Magenblutung. — Tetanus mit tödtlichem Ausgang. 

II o f m a n n - Ililpoltstein: Demonstration eines verschluckten 
Knochens, durch Oesophagotomie entfernt. — Demonstration von 
fibrinösen Brouchialnbgüssen und von Sputa einer interstitiellen 
Pneumonie. 

L a u k - Elllngen: Schwere Frakturen und Luxation durch 
Transmisslousverletzung. vorzügliche Heilung. 

Lochner- Schwabach: Gelenkrheumatismus mit wochen¬ 
langer Temperatur von 43 °. — Sektionsbericht über Nephritis mit. 
llerzliypertrophle und Arteriensklerose. — Demonstration des 
H e 1 n e c k e’sclien Verbandes bei Knieselieibenbruch. — Ein Fall 
von Abreissen des Rückenmarkes ohne Fraktur. — Schwere Trans¬ 
missionsverletzung des rechten Armes. -- Bauchverletzung durch 
Hufschlag. — Sarkom der grossen Zehe, durch Kxartlkulation des 
Mitteifussknochens geheilt. 

M e h 1 e r - Georgensgemünd: Vorstellung eines 12jährige:: 
Knaben mit schwerer Prurigo. — Laparotomie wegen Tuben- 
sehwnngerschaft (Tube geplatzt, Ei in den Riss eingeklemmt). 
Heilung. — Vorstellung eiuer operativ sehr schön gehellten Schuss¬ 
verletzung des Kniegelenkes, -r- Uterus-Exstirpation wegen Cervlx- 
carcinoms. Heilung. — Demonstration eines 10 Pfund schweren 
Kotlisteines aus dem Dickdarm eines Pferdes. — Revolverschuss 
in den Nabel. Tod am 7. Tage in Folge Druohbruclies eines durch 
die Kugel am rechten Psoas gebildeten Abscesses in die Bauch¬ 
höhle. 

Meyerson - Treuchtlingen: Perityphlitis, binnen 24 Stunden 
durch perforätive Peritonitis zum Tod führend. — Prostata-Hyper- 
ti*ophie. Unmöglichkeit zu katheterisiren, Puuctio veslcae. Heilung 
durch Blasenausspülungen. — Psoriasis unlversalis durch Arsenik 
geheilt. — Exartikulation der vierten, durch Wunddiphtherie in- 
fiziiten Zehe und dadurch Heilung der allgemeinen, das Leben 
bedrohenden Infektion. 

O h 1 y - Langenaltheim : Demonstration sogen, siamesischer 
Zwillinge, deren Extraktion sehr schwierig war. 

Raab-Roth a. S.: Demonstration einiger spontan zertrüm¬ 
merter und abgegangener Binsensteinstücke. — Verschlucken eines 
Fünfpfennigstückes, Asphyxie, plötzlicher Tod trotz Tracheotomie, 
wobei kein Fremdkörper zu finden ist. 

S o m m e r- Sehwnbaeh: Ein Fall von Purpura peliosis rheu- 
mntiea. 

Weinig- Scliwabach: Verletzung der liuken Gesichtsseite 
in epileptischem Anfall, starkes Hautemphysem, wohl in Folge 
Luftdurchtrittes durch eine Fissur des Nasenbeines entstanden. 

Zahl der Vereinsmitglieder 44. Vorsitzender: Lochner- 
Schwabacli; Schriftführer: E i d n in - Günzenhausen; Kassier: 
Bischof f - Günzenhausen. 

Gunzeuliausen, im November 1901. 

Bezirksarzt Dr. Eidam. 


Aus den Pariser medieinfschen Gesellschaften. 

Acad6mie de m6decine. 

Sitzung vom 22. Oktober 1901. 

Behandlung des Lupus mit übermangansaurem Kali. 

Butte hält die Wirkung der Phototherapie für ungenügend, 
wenn es sich darum handelt, einen sehr ausgedehnten Lupus zu 
behandeln. Zu diesem Zwecke bedient er sieh der 2 proc. (?) 
Lösung von Kal. perinnngan. und zwar ausschliesslich der eine 
Viertelstunde lang aufzulegenden Kompressen; die lietreff enden 
Stellen müssen zuvor gereinigt werden. Unter diesen Bedingungen 
hat er stets Heilung erzielt. 

llallopeau hat diese Methode bei 2ö Kranken versucht 
und konstatirte. dass die vorhandenen Ulcerationen nach einigen 
Wochen oder Monaten, je nach ihrer Ausdehnung, stets ver¬ 
narbten: in Fällen von nicht ulcerirtem Lupus hatte mau fast 
i immer Misserfolg. Trotzdem kommt H. zu dem Schlüsse, dass 
j das übermangansaure Kali rascher wie jede andere Methode wirkt 
I und zwar jedesmal, wenn cs sich um einen allzu ausgebreiteten 
Fall, welcher der Ltchtliehandlung nicht zugängig ist. handelt. 
Diese letztere Methode kann allein in den Füllen wirken, wo 
keine Ulceratloneu oder keine vorspringenden Knötchen vorhanden 
| sind und wo mm» neue Gewobslndurntinn und miliare, tiefliegende 
i Knötchen konstutlrt. 


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2028 


No. 50. 


UUENCITENKU MEDICJNISCHE WO(VHENSCHRIFT. 


Poncet berichtet Cil»t*r zwei neue Fälle von tuberkulösem 
Rheumatismus, welcher gewöhnlichen akuten Gelonkrheumatis- 
lnus vorgetüusclit hat. Kr schliesst von Neuem, dass man in 
solchen Fällen, wo Antipyrin und Salieyl im Stiche lassen, an 
Tuberkulose denken und die Tuberkulinprobe vornehmen muss. 
Das wäre um so zweckmässiger, als der tuberkulöse Rheuma¬ 
tismus mit seinen oft leichten und vorüberflehenden Formen die 
erste Erscheinung einer bacillären Infektion sein kann, deren 
schlimmen* Folgen man bei geeigneter Behandlung vermeiden 
kann. 

Sitzung vom 29. Oktober und 5. November 1901. 

Die Pest an Bord des Senegal und die Quarantäne in Friaul 
war Gegenstand eines längeren Berichtes von B u c q o y, welcher 
schwere Vorwürfe gegen die Marinebeliördcn. speciell von Mar¬ 
seille. von wo das Schiff ausging, enthielt. Die Senegal war 
17 Tage vorher von Alexandrien gekommen und hatte in Marseille 
171 Passagiere, worunter 17 Aerzte. zu einer Vergnügungsreise 
au Bord genommen. Der kurz nach der Abreise vorgekoni'uene 
Pestfall nöthigte zu obiger Quarantäne. wo man in d *r Sidtmutz- 
väschkainmer des Schiffes hunderte von tollten Hatten, und zwar 
an Pest verstorben, fand: ausserdem waren alle lebenden Knttcu 
mit der Pest infleirt. Auf die weiteren Einzelheiten bezüglich des 
Qnarantäneverfahrens in Friaul und auf die eingehende Iteplik 
Proust’« zu Dunsten der Behörden kann hier nicht eingegangen 
werden. (Vergl. den Pariser Brief in No. 4S.) 

B o i n e t - Marseille theilt fünf Fälle von Milzruptur bei 
Malaria mit und kommt zu dem Schluss, dass der Mechanismus 
dieser Verletzung ein sehr verschiedener sein kann. Die sogen, 
spontane Ruptur der Milz während eines Anfalles ist jedenfalls 
möglich, sie wird begünstigt durch die Erweichung. Schwellung 
und den Kongestivzustand des Organs. In den vier anderen Fällen 
waren die Hypertrophie und Zerbrechlichkeit der grossen Milz, 
die bei der chronischen Malaria beobachtet wird, prädisponirende 
Erwachen der Ruptur, welche durch traumatische Einwirkung 
(Fall. Schlag) direkter oder indirekter Natur zu Stande kam: ein 
ganz leichtes Trauma kann eine Ruptur bewirken. Bei dreien der 
obigen Fälle waren sternförmige Zerreissungen im Niveau d; s 
Hilus vorhanden. 

Soci6t6 medicale des hopitaux. 

Sitzung vom 18. und 2Ö. Oktober 1901. 

Heber den tuberkulösen Pseudorheumatismus. 

R o z a ti c o li berichtet ausführlich über einen Fall von all¬ 
gemeiner Tuberkulose der serösen Häute, welcher ausser anderen 
Erscheinungen Gelenksaffi kt Ionen mit Stilen Charakteren des 
PseudorheumatIsmus dargeboten hat. Die Krankheit hat IS Mo 
nate gedauert, hat zwei grosse Stadien gezeigt, ln deren ersten das 
Endokard und die Gelenke ergriffen waren, Fieber. Anorexie 
u. s. w. bestand, in deren zweiten Pleura. Peritoneum und schliess¬ 
lich die Hirnhäute ergriffen wurden, und endete tödtlich. ohne 
dass die Rungen befallen wurden. Die Cytodiaguose des Pleura¬ 
ergusses hatte zahlreiche I.ymphoeyten ergeben. Der Tuberkel- 
baeilius kann also an den serösen Häuten der Gelenke, ebenso wie 
an Rippen und Bauchfell, nicht eiternde, heilbare Veränderungen 
hervorrufen, welche als Erscheinungen einer Allgcmcininfektion 
wie bei der Miliartuberkulose aufzufass: n sind. 

G a I 1 i a rd theilt den Fall eines 17 jährigen, mit Tuberkulose 
der beiden Lungenspitzen behafteten Mädchens mit. welches im 
Anschluss au eine akute Peritonitis und Pleuropneumonie (vorne 
unten) einen akuten Rheumatismus an den Finger- und Knie¬ 
gelenken durchmachtc. Er hält den Fall von B. für sehr inter¬ 
essant und glaubt, dass ähnliche Fälle, d. h. Tuberkulose bei 
Rheumatismus, besonders unter den lange sich hinschleppenden 
Fällen von Rheumatismus, häutiger seien, als bis jetzt ange¬ 
nommen wurde. 

Soupault und Franqais berichten über Polyneuritis 
professionellen Ursprungs. Dieselbe beliel zwei in einer Färberei 
beschäftigte Arbeiter an beiden Ober- und Cnterextremltäten: 
diese Neuritis schien auf die Einathmung einer Mischung von 
Petroleuinrtther, Gazoline und Benzin, besonders ab *r auf den sehr 
gefährlichen IVtroleumäthcr zurih-kzulühren zu sein. 

D n f o u r beobachtete einen ähnlichen Fall und glaubt, dass 
die Vergiftungen mit ungereinigtem Benzin häutiger seien als be¬ 
kannt sei; man solle daher nur gereinigtes Benzin verwenden. 

Nach einer Mittheilung von Gaue her hat Schach¬ 
mann, Oberarzt zu Bukarest, einen Fall von Myelitis syphi¬ 
litica, der allen anderen Behandlungsmethoden widerstanden hat, 
mit E I n s p r 11 z u n g d e r Q u c v k s i 1 h e r 1 ö s u n g ( Hg 
benzoat. 1 proe.) i n d e n R ii <• k e n in a r k s k a. n a 1 bedeutend 
gebessert: es wurden mit täglich 1 <vm der Lösung im Ganzen 
23 Einspritzungen gemacht. Sch. empliehll diese Methode bei all» u 
elironisehen Erkrankungen des Rückenmarks, wo inan die Syphi¬ 
lis als Crsache annelimen kann, ebenso auch bei anderen (nicht 
syphilitischen) Rückenniarksc rkraukungen wegen der resorbiren- 
den Eigenschaften des Quecksilbers. 

In der Discussioii drücken sich Ballet und \V i d a I, dann 
Ga ueher sehr reservirt über diese kühne Behandlungsart und 
deren möidiche Folgen ans. 

S i t z U 11 g v o in S. N o \ e in b e r 1901. 

Die Serumtherapie des Typhus abdominalis, 
h a n t e m e s s e ist es i;cli;ugcii. von ihn Toxinen und 
nicht mehr von «len Bacillen (wie Will a 1 im Jahre JS92» aus- 
gehelid. ein T\ | *iii l»le -iIs-ril III zu •\\ ill IICII. Die Z.llll der Fälle. 


welche er damit behandelte, beträgt 200. Alle jene, welche vor 
dem S. Tage der Krankheit injizirt worden sind, genasen; von 
den anderen starhen nur l». Die Typliusmortalitiit hat zu derselben 
Zeit ln den übrigen Spitälern von Paris 23 Proc. überstiegen. Die 
Injektion verhindert nicht das Auftreten von Rückfällen, daher 
ist es not li wendig, die Temperatur der Kranken zu überwachen, 
um eine erneute Injektion zu machen, sobald ein Rückfall sich 
anzeigt. Die Folgen der Injektion sind sehr ausgeprägt, der Fuls 
verlangsamt sieh in einigen Stunden, die Diarrhoe verschwindet 
in 1. 2. 3 Tagen, der Blutdruck steigt auf seine Norm, die typhöse 
Albuminurie ist oft kurz nach der Injektion verschwunden. Die 
Anwendung des Serums schliesst nicht jene der kalten Bäder und 
reichlicher G» trimkezufiihr aus. aber alle anderen Medikamente, 
wie Chinin und besonders Coffein und Salzwusserinjcktioneu. Ch. 
injizirt das Serum unter die Ilaut des Armes, in der Dosis von 
13 1 ein: di.* Hauptbedingung für den Erfolg Ist frühzeitige In¬ 
jektion. beim ersten Verdacht auf Typhus muss man dieselbe vor- 
nelnneu. ohne die Seruimliagnose abzuwarten. Bei den frühzeitig 
behandelten Fällen muss sicher die Heilung eintreten. (Lebhafter 
Beifall.) 

Le Ge n d r e und D tt f 1 o c q berichten über die Typhus- 
fiille. welche C h n n t c nt e s s e injizirt und welche sie gleich¬ 
zeitig mit ihm beobachtet haben: der Erfolg des Serums war ein 
zweifelloser und dasselbe ohne Nebenerscheinungen, 


Aus italienischen medicinischen Gesellschaften. 

Königl. Akademie zu Rom. 

In der Sitzung vom 7. Juli 1901 stellt Sc hupf er fünf 
Malariakranke mit nervösen Störungen vor. Diese reihen sich 
den bis jetzt bekannten Nervensymptomen nach Malaria an. Es 
handelt sich um Pseudotnbes. dissemlnirte Sklerose, Dysarthrien, 
Polyneuritis, Hemiparesen und Gehirnsymptome; aber keine dieser 
Krankheitsfonnon zeigt sich vollständig ausgesprochen und exakt. 
Die Krankheit, welche in Wahrheit die Symptomenbilder, welche 
dies** Kranken bieten, hervorruft. ist die Polioencephalitis superlor 
oder inferior; aller ohne dass die anatomischen Veränderungen in 
diesen Füllen die für Polioenccphalltls charakteristischen sind. 

Zur Entstehung dieser Kmnkheitserscheinungen werden 
Toxinwirkungen, vielleicht durch die Malariaparasiten, vielleicht 
durch intestinale Toxine, ferner Circulationsstörungen. punkt¬ 
förmige llaeinorrhagien im Gehirn angeführt. Die Cblnlnsalze 
haben auf diese Symptome keinerlei heilenden Einfluss: Inwieweit 
dieselben sic eventuell her\erbringen können, erscheint zweifelhaft. 

Akademie der Medicin zu Turin. 

Aus der Sitzung vom 12. Juli erwähnen wir eine Mittheilung 
von Bozzolo über einen Fall von primitiver Splenomegalie, 
in welchem die Milzexstirpation gemacht wurde. Die Kranke 
erlangt ihre vollständige Gesundheit allmählich wieder. 

Der liaemoglobingehnlt wie die rotlien Blutkörperchen ge¬ 
langten allmählich zur Norm, die Albuminurie verschwand, ebenso 
die Crobillnurie. Die Salzsäure, welche aus dem Magensaft ver¬ 
schwunden war. erschien wieder. Die vergrösserte lieber ver¬ 
kleinerte sieli wieder, kurzum, trotz verschiedener Zwischenfälle 
in der Rekonvalescenz erscheint die Kranke vollständig geheilt. 

Bemerkenswerth ist. «lass sich nach der Operation eine leichte 
Lymphocythaemio cinstclltc und eine beträchtliche Eosinophilie. 

Carle berichtet (Hier einen anderen Fall von Milz¬ 
exstirpation, in welchem cs sich um Tuberkulose dos Organs 
handelte: auch diese Kranke hellte vollständig und machte nacli- 
■ her noch zwei Entbindungen durch. 

Bei dieser Gelegenheit theilt Bozzolo den Fall einer Pfort- 
i aderthrombose mit, welche von Carle nach der Methode Talma 
; mit Verlegung des Pfortaderkreislaufs behandelt wurde. Der 
Ascites, welcher vorher alle 15 Tage eine Paracentese nothwendig 
machte, ist seit der Operation langsam im Abnehmen. 

Aus der Sitzung vom 19. Juli 1901 erwähnen wir die Mit- 
I theilung F o ä’s über einen Fall von Chordom. Die Geschwulst 
I von der Grösse einer kleinen Nuss sass auf dem Clivus Blutnen- 
, bachii. hing zusammen mit den Meningen und mit der Arteria 
1 basüaris: sie war von grauweisser Farbe, knorpelartig, welch. 

1 >ie St ruktur war die einer embryonalen Chorda d o r - 
j s a 1 i s. als deren Rest sie auch F o i\ im Anschluss an 
1 R i b b (* r t betrachtet. II n g c r- Magdeburg-N. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den 
Stadtkreis Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Ordentliche Sitz u u g v o iu 23. N o v e m b e r 1901. 

(Schluss.) 

Es folgt die Berathung über das Schreiben des Herrn 
Ministers, betreffend die Ehrengerichtsbar- 
k i* i t der ii r z 11 i e h c n Bezirks- und Standes ver¬ 
eine. Der Referent. Herr Alexander, beginnt mit der Ver- 
1 lesung des ministeriellen Erlasses vom 23. Mal d. J. an den Aerzte- 
j kamineraussebuss. welcher ersucht wird, sich darüber zu ätisseni. 
ob nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, betr. die ärztlichen Eliren- 


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UV KNCIIKN EU M V Dl CIN I SCIl E WOCIIE NSCI1R \ ET. 


2020 


lö. Dezember 1001. 


Seriellte pp. vom 25. November 1809 sieh die statutarischen Ehren¬ 
gerichte der ärztlichen Vereine nicht überhaupt oder wenigstens 
bezüglich der Medicinai beamten erübrigen dürften und ob — event. 
auf welchem Wege — es angezeigt erscheint, bei den Vereinen auf 
eine Aenderuug der Satzungen hinzuwirken. Der AerzteUamnier- 
ausseliuss hat die Vorsitzenden der einzelnen Kammern gebeten, 
im Bereiche des Kammerbezirks feststellen zu wollen, ob und 
welche Bestimmungen in den Satzungen der ärztlichen Vereine in 
der in dem Mlnisterialschreiben angegebenen Beziehung enthalten 
sind. Herr Alexander hat uun an 45 Aerztevereiue des 
Kaiamerliezirks, 37 Landes- und 8 wirthschaftliche Vereine, eine 
Reihe von Anfragen einschlägiger Art gerichtet. Verwerthbar sind 
von den 40 Antworten, die eingegangen sind, 31. Danach haben 
30 Vereine Satzungen, welche Bestimmungen über Ehrengerichte 
oder Ehreuriithe enthalten, und zwar gelten diese Bestimmungen 
in diesen 30 Vereinen auch für die diejenigen Mitglieder, weiche 
einem staatlichen Disciplinarverfahren unterstehen (Medieinal- 
beamte, Universitätslehrer). 25 Vereine halten das Fortbestehen 
der ehrengerichtlichen Vereinsbcstimmuugeu auch nach dem In¬ 
krafttreten des Ehrengerichtsgesetzes für geboten und 24 Vereine 
halten es für erforderlieh, dass Medielnnlheamte als Mitglieder 
sich auch in Zukunft den ehrengerichtlichen Bestimmungen des 
Vereins unterwerfen. Das wäre das Material aus dem Kainmer- 
liezirke. Referent geht nunmehr auf die einzelnen Punkte des 
Erlasses ein. 

Zu der Frage, ob nach dem Inkrafttreten des Ehrengerichts¬ 
gesetzes die ehrengerichtlichen Sonderbestinnmingen der ärzt¬ 
lichen Vereine sieh nicht überhaupt erübrigen, bemerkt Referent 
zunächst, der Minister scheine über die Natur der betreffenden 
Institutionen der Vereine nicht informirt zu sein. Die Vereins¬ 
satzungen, soweit sie dem Referenten zugänglich waren, so die der 
Berliner ärztlichen Standesvereine. enthalten Bestimmungen über 
einen „Ehrenrath“, der nicht identisch ist mit Ehrengericht. Die 
Vereinsehrenräthe decken sich nicht ganz mit den im Ehren¬ 
gerichtsgesetz vorgesehenen Ehrenrüthen, dl ff er Iren andererseits 
aber sehr wesentlich von den staatlichen Ehrengerichten. Ihre 
Aufgabe besteht nicht in erster Linie darin. Kollegen, die sich 
eine Verfehlung haben zu Schulden kommen lassen, zu bestrafen, 
sondern einmal darin, den Verein, welcher die Pflege der Kol¬ 
legialität bezweckt, von unlauteren Elementen zu befreien — also 
eine Art Selbstschutz auszuüben, und sodann darin, Kollegen, 
welche auf Abwege gerathen sind, durch gute Rathschläge, Er¬ 
mahnungen und Warnungen auf den richtigen Weg zu bringen. 
Der Vereinsehrenrath bildet demnach eine kollegiale Be¬ 
hörde, welche von den Mitgliedern, also auch den angeschuldigten, 
nucli freier Wahl eingesetzt ist, um die Interessen des Vereines, 
die sich mit denen des Standes meist decken, zu schützen. Das 
Urtheil eines solchen Ehrenrathes wirkt freilich auch als Strafe; 
aber die Wirkung ist nicht Selbstzweck, sondern Folge der Hoch¬ 
achtung vor dom Urtheil unparteiischer Kollegen. Die Mitglieder 
unterstehen diesem Urtheil auf Grund freiwilliger Entschüessung. 
demgemäss ist das Verfahren frei von allen Förmlichkeiten. Das 
Urtheil hat somit auch keine öffentlich-rechtliche Wirkung. Da¬ 
gegen ruht das staatliche Ehrengericht auf diametral entgegen¬ 
gesetzter Basis. Wenn auch sein Endzweck gleichfalls in der Er¬ 
haltung der Integrität des Standes besteht, so siud die Mittel zur 
Erreichung dieses Zieles grundverschieden von denen der Vercins- 
elirenräthe. Hier überall Freiwilligkeit, dort überall Zwang: 
Zwangsweise Vorladung, Zwang zur Zcugenschaft, Zwang zur 
Anerkennung nicht selbst gewählter Richter. Zwang zur Nach¬ 
achtung des Urtheils, Förmlichkeit des Verfahrens unter Beihilfe 
der Staatsgewalt; das Urtheil wirkt ausschliesslich als Strafe und 
soll als solche abschreckend wirken. Zwar besitzt, wie schon 
oben angedeutet, auch das Ehrengericht ein Vermittlungsver¬ 
fahren, aber doch nur Im „Nebenamt“, während es für die Ver¬ 
einsehrenräthe die Hauptthätigkeit darstellt. Dem Minister waren 
diese Unterschiede Jedenfalls nicht bekannt, und so erklärt es sieh, 
dass er die Frage aufwerfen konnte, oh die Vereinsehrenräthe 
nicht überflüssig wären. Uebrigens ist diese Frage in letzter Linie 
weder von der Staatsbehörde, noch von den Aorztokammern und 
deren Ausschuss, sondern von den Standesvereinen seihst zu ent¬ 
scheiden. Unbegreiflich muss es aber erscheinen, dass Kollegen, 
die mit den fraglichen Institutionen vertraut sind, die Vereins¬ 
ehrenräthe nicht nur als überflüssig, sondern geradezu als schäd¬ 
lich erachten. Dem gegenüber wirft Referent die Frage auf. ob 
die Vereinsehrenräthe trotz der staatlichen Ehrengerichte noch 
Nutzen stiften. Die Ehrenräthe bilden einen integrirenden Be¬ 
standteil der Standesvereinsorganisation; man würde die Axt an 
deren Wurzeln legen, wollte man sie von ihr trennen. Undenkbar 
ist auch die Pflege der Geselligkeit in Vereinen, denen nicht die 
Befugniss zustehen soll, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen. 
Einige Standesvereine sind der Frage näher getreten, ob es sich 
nicht empfiehlt, statt der Ehrenräthe Schiedsgerichte einzusetzen, 
mit der ausschliesslichen Aufgabe, Streitigkeiten zu schlichten, 
während die Ausschiiessuug von einem Urtheil des staatlichen 
Ehrengerichts abhängig zu machen sei. Referent hält die Idee 
für recht unglücklich, entweder das Schiedsgericht ist ein ver¬ 
kappter Elirenrnth, dann ist es nur eine Formsache, oder man 
entkleidet die Standesvereine ihrer ohreurüthliehen Gewalt, dann 
erleidet ihr Einfluss auf die Förderung der Kollegialität einen 
argen Stoss, und damit gehe der wichtigste Theii ihrer Aufgabe 
iu die Brüche. Trotz Aerztekammer und Ehreng«»rieht brauchen 
wir die Vereine, nicht nur. well sic einen fruchtbaren Boden für 
die Erörterung von Standesangolegonheiten bilden, sondern auch, 
weil sie die Kollegialität fördern, die Aerzte persönlich einander 
palie bringen, durch Unterstützung Schwacher, durch Erziehung 


Unerfahrener, durch Versöhnung in Streit Gerathener prophylak¬ 
tisch wirken und damit mindestens soviel Gutes stiften, wie die 
Ehrengerichte mit Ihrer Strnfgewalt. Im Uchrigen wird die Ver- 
iirtheilung von Mitgliedern eines Standesvereins durch das staat¬ 
liche Ehrengericht nur iu Ausunlmicfällcn bekannt werden, da die 
Veröffentlichung der Entscheidung nur iu besonders geeigneten 
l allen erfolgen darf. Dann werden dl«* Vereins«.*hrenrüthe gegen¬ 
über dem staatlichen Ehrengericht mit Vorliebe in Anspruch ge¬ 
nommen, wo cs sich um geringfügig«* I >ift'«*r«*nzen kollegialer Art 
und mit lokaler Färbung bandelt. Dazu kommt, dass «He staut- 
lichen Ehrengerichte von einer nicht unh«*trächtiicheu Minderheit 
nnt«*r «len Aerzten nach wie vor grundsätzlich perliorreseirt wor¬ 
den; cs entspricht «ler Billigkeit, diesen Aerzten durch <li«* Vereins- 
ehivimi(ho «he Möglichkeit d«*r Anrufung eines kollegialen Forums 
zu verschaffen. Schliesslich wer«len Differenzen mit Kollegen, 
welche <l«*r staatlichen Khrengerh-litsbarkeit nicht unterstehen, am 
besten «lur«*h die Vereins«*hreiiräthe aus <l«*r Welt g«*seliafft; nur 
seiten dürfte Geneigtheit bestehen, «len Weg der Dlsciplinar- 
g«*richtsharkeit zu betr«*t«*n. Wie aus all«*«lcm hervorgeht, stellen 
«lic Vereinsehrenräthe eine im Interesse des Standes geschaffene, 
nützlich«*, segensreich wirkende Einrichtung dar. deren Beseitigung 
die geselligen Beziehungen vielfach trüben und tlie Empfindungen 
kollegial gesinnter Mitglied«*!* unseres Standes verletzen wür«h*. 

Die zweite Frage des Ministers bezieht sich darauf, ob «lic 
..ehrengerichtlichen Sonderbestiimmmgon" oder, wie Referent prä¬ 
ziser sagen will, die Ehrenräthe der Vereine si«*h nicht bezüglich 
der Medicinalhcamtcn erübrigen. w«*l« h«> «len Ehrengerichten «ler 
Kammern ni«-ht unterstehen; cs wird darauf liingcwiesen, dass aus 
dem Fortix*stan«lc «ler jetzigen Verhältnisse l'nzutriiglichkeiten 
entstehen können, deren Vermeidung angezeigt erscheint. Ab¬ 
gesehen davon, dass es nahe liegt, ahzuwarten, oh sieli ln Wirklich¬ 
keit Unzuträgliehkeiton ergeben, ist nicht fortzuleugnen, dass Ur- 
theih* verschiedener Behörden über eine und dieselbe Handlung 
zu Unzutriiglichkeiten und Kollisionen führen können. Aber 
«lic gefürchteten Unzutrüglh-hkoiten schrumpfen in «ler Wirklich¬ 
keit auf ein Minimum zusammen. Die behördliche Allgewalt ist 
so gross, «lass das Votum eines staatlichen Gerichtshofs nicht Hin¬ 
auf «len Betroffenen, sondern auch in «ler Oeffentlichkelt stets prä- 
pondorirend wirken wird. Die Autorität des Staates wird durch 
Urtheil«* «ler Vereinselmmräthe in keiner Weise getroffen, und von 
einer ernstlichen Kollision zwischen Urtheilen des Discipliuarhofs 
und der Vereinsehrenräthe kann in Wirklichkeit kaum die Rede 
sein. Andererseits sprechen gewichtige Gründe dafür, «lass auch 
die Medicinalbeamt« n dem Votum «ler Vereinsehrenräthe unter¬ 
stellt bleiben. In erster Linie würde «las Gefüge «ler ärztlichen 
Vereine Schaden leiden, wenn den Medicinalbeamteu eine Aus¬ 
nahmestellung zugestnnden würde. Denn die nicht beamteten 
Aerzte würden von einem Gefühl der Erniedrigung beschlichen 
werden; sie würden fürchten müssen, als Aerzte niederer Ordnung 
zu gelten und dem Vereint* bei passender Gelegenheit den Rücken 
kehren. Aber auch die Medicinalbeamteu selbst würden Schaden 
leiden. So lange sie mich Privatpraxis treiben, werden Differenzen 
mit Kollegen und Konflikte mit dem Publikum nicht ausbleihen. 
Unterständen sie den Vereinseh reurät heu nicht, dann wären sie 
genötbigt, diese Konflikte entweder vor «lern Diselplinarliof oder 
vor den ordentlichen Gerichten auszutragen, wenn sie es nicht Vor¬ 
zügen, zu schweigen. Alle «liese Eventualitäten lägen nicht im 
Interesse der Beamten. Der beamtete Arzt könnte den Privatarzt 
noch bei dem staatlichen Ehrengericht anzeigeu. Aber die Be¬ 
rechtigung, Zeuguiss abzulegen, hängt von der Genehmigung der 
Vorgesetzten Behörde ab. und sie wird iu allen Fällen versagt 
wer«len. in denen dienstliche Interessen im Spiele siud, d. h. in 
«lenen der Diseipiiuarhof noch nicht geurtheilt hat. Dann liegt 
es auch im Interesse der praktischen Aerzte, die Medicinalbeamteu 
vor ein kollegiales Forum fordern zu können. Das Disciplinar- 
gerieht ist sicherlich kein geeignetes Forum zur Aburtheiluug be¬ 
ruflicher oder k«)llegialer Verfehlungen. Uu«l «ler Antrag auf 
ehrengerichtliche Untersuchung gegen «lic eigene Person, welcher 
dem nicht beamteten Arzte noch bleibt, führt zu keinem Resultat, 
wenn dem Modicinalbcanueu das Recht. Zeuguiss abzulegen, ver¬ 
weigert wird. Einen probnhl«*u Ausweg aus diesem Dilemma 
bietet der Vereinsehrenrath; er bildet auch für die praktischen 
Aerzte ein Ventil, um Spannungen mit den Metlieinalbenmten zu 
belieben und das normale Niveau wieder lierzustelleu. Die Unter¬ 
stellung der Medicinalbeamteu unter die Vereinsehrenräthe liegt 
also im Interesse der Verein«*, der praktischen Aerzte und der 
Mediciualbeamttm selbst. 

Wenn sielt nun die Vereine weigern, ihre Satzungen zu 
Gunsten «ler Medicinalbeninten zu ändern, so könnte die Folge 
sein, dass der Minister den M<>diciunlbcamteu «len Austritt be¬ 
fiehlt resp. den Eintritt iu die Vereine untersagt. Der Eintritt 
einer solchen Eventualität wäre in hohem Grade beklagenswerth. 
Von «len praktischen Aerzten würde das Fernbleiben der Medicinai- 
Iteamten von «len Vereinen schmt*rzlleh empfiiudeu werden. Aber 
an der gemeinsamen Arbeit der privatim und beamteten Aerzte 
ln den Vereinen müssten auch der Staat und die Medicinnlh(*amt(*ii 
das lebhafteste Interesse luihtm. Uebrigens übersehen «lie Medi- 
cinalheauiten seihst in ihrer Mehrheit di«* Verhältnisse ganz rich¬ 
tig und wären, wie aus «>inz«>lncn Zuschriften und mündllclum 
Aeusserungen hervorgoht. gern bereit. si«-h den Ehrenrätheu der 
Vereine zu unterstellen. 

Schliesslich ist noch die Frage «lcs Ministers zu beantworten, 
ob — eventuell auf welchem \V«*g<* — i*s angezeigt. «*rscli«*int. bei 
den Vereinen auf eine Amulerung ihrer Satzungen hinzuwirken. 
Referent empfiehlt von der Beantwortung di«*ser Frage abzusehen, 
da rechtlich we«lor für «lic Ktnntsregierung u«>«-h für die Aeratc- 


e 




2080 MUENCITENER MEDICIxNISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 50. 


kamrocrn dir Möglichkeit vorliegt, auf die Aenderung der Vereins- 
Hatzungen hinzmvirken. Den ärztlichen, wie überhaupt allen 
Vereinen stellt es in unserem Vaterlande frei, ihre Verfassung 
selbst zu regeln, und sie unterliegen allein deu Bestimmungen des 
bürgerlichen Gesetzbuchs, Insofern sie nicht nach preussischem 
Vereinsrecht öffentliche Angelegenheiten behandeln oder die ge¬ 
setzliche Freiheit und Ordnung durch Missbrauch des Versamm- 
luugs- und Vereinigungsreehts gefährden. 

In Uebereinstimmung mit der überwiegenden Mehrzahl der 
Vereine des Kammerbezirks kommt Referent zu dem Resultat, 
um einstimmige Annahme folgenden Antrags zu bitten: 

Die Aerztekaminer für die Provinz Brandenburg und den 
Stadtkreis Berlin ersucht deu Ausschuss der preusslscheu Aerzte- 
kanunern, den Erlass des Herrn Ministers der geistlichen, Unter¬ 
richts- und Medicinalangelcgcuheiten vom 23. Mai 1901 duhin zu 
beantworten, dass 

1. Auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes betr. die ärzt¬ 
lichen Ehrengerichte vom 25. November 1S99 die ehrenräthlicheu 
Bestimmungen ärztlicher Vereine sich nicht erübrigen. 

2. eine Ausnahmestellung der Medicinalbeamten hinsichtlich 
dieser Bestimmungen sich nicht empfiehlt, 

3. die Zugehörigkeit, der Medicinalbeamten zu den ärztlichen 
Standesvereinen den allseitigen Interessen entspricht. 

Herr K ä li 1 e r betont, wenn der Ministerialerlass auch nur 
Anfragen enthalte, so könne man doch zwischen den Zeilen lesen, 
dass eventuell eine Aenderung in Bezug auf die Medicinal¬ 
beamten beabsichtigt sei, und das seien nicht nur die Kreisärzte, 
sondern auch die Privatdocentou und Professoren. Da es sich aber 
dringend empfehle, die Gemeinsamkeit der praktischen Aerzte und 
der Medicinalbeamten in den Vereinen beizubehalten — in kleinen 
Städten sei der Mediciualbeamte die Seele des Vereins —, so 
komme es darauf an, eine geeignete Form zu finden, welche das 
ermögliche, und eine solche sei in dem Schiedsgerichte gegeben, 
welches sich von dem Ehreurath dadurch unterscheide, dass es 
keine Strafgewalt habe. Die Schiedsgerichte seien auch zur Ent¬ 
lastung der staatlichen Ehrengerichte sehr geeignet. Der Char¬ 
lottenburger Aerztevereln gehe damit um. den Ehreurath ln ein 
Schiedsgericht umzuwandeln; der mit der Angelegenheit betraute 
Ausschuss habe auch schon eiuen Statutenentwurf ausgearbeitet. 

Herr Kühler beantragt: 

1. Die Aerztekaminer für die Provinz Brandenburg und den 
Stadtkreis Berlin hält die Beibehaltung einer Instanz innerhalb der 
ärztlichen Vereine zur Schlichtung von Streitigkeiten und Prüfung 
von Klagen, welche gegen Mitglieder über unkollegiales oder der 
Würde des ärztlichen Standes widerstrebendes Benehmen erhoben 
werden, für notlnvendig. 

2. Die Aerztekaminer erklärt für die geeignetste Form einer 
derartigen Instanz ein Schiedsgericht ohne Straf¬ 
gewalt und empfiehlt den ärztlichen Vereinen des Kammer¬ 
bezirks dessen Einführung ungefähr in folgender Weise: (K. ver¬ 
liest, gleichsam als Erläuterung, die Statuten des für den Car¬ 
lottenburger Aerztevereln geplanten Schiedsgerichts, auf dessen 
Antrag u. A. der Ausschluss eines Vereinsmitgliedes erfolgen 
kann.) 

Herr S. M arcuse empfiehlt, deu Antrag Alexander an- 
zunelimen. Den Antrag Kühler verwirft er, und zwar aus 
2 Gründen, einem formalen und einem materiellen. Der erstere 
sei, dass eine Anfrage eine Antwort — aber nicht mehr — ver¬ 
lange. Auf die an die Kammer gerichtete Anfrage gebührt eine 
ruhige klare, deutliche Antwort, die von Herrn Alex a uder er- 
theilt sei. Alles Weitere sei von Uebel; speeiell hätte die Aerzte- 
kauimer weder die Aufgabe, noch eine Veranlassung, Vermittlungs¬ 
vorschläge zu machen, nicht an die Adresse des Ministers, nicht 
an die der ärztlichen Vereine. Der andere Grund betreffe die Irr- 
thümliehkeit des von Herrn Kühler aufgestellten Unterschiedes 
zwischen Ehrenrath uud Schiedsgericht; auch das Schiedsgericht 
übe eine Strnfgewalt aus, ja, es verfüge über die bedeutendste 
Strafgewalt, welche ein Ehrengericht überhaupt habe, nämlich 
über den Ausschluss aus dem Verein. 

Herr Mugdan glaubt nicht, dass ilie Vereinsehrengerichte 
noch nothwendig seien. Durch solche Institutionen könnte die 
Einheit der Rechtsprechung hinfällig werden. Ihre einzige Auf¬ 
gabe könnte nur noch die Vermittlung sein, und insofern sei der 
Antrag Kühler der Ausdruck eines glücklichen Gedankens. 
Nur wenn die Vermittlung nicht möglich sei, müsste das staatliche 
Ehrengericht einschreiten. Erst habe man nach staatlichen Ehren¬ 
gerichten gerufen, und nun man sie habe, wolle mau die Vereins¬ 
ehrengerichte doch noch beibehnlten. Auch andere Stände, wie 
die Anwälte, hätten in ihren Vereinen auch nicht Ehrengerichte. 
.Jedenfalls bestehe die Gefahr, dass die Medicinalbeamten ver¬ 
hindert würden, den Vereinen weiter anzugehüreu. 

Herr Mendel wundert sich, dass die so einfache Frage eine 
solche Debatte veranlasst. Was sei denn geschehen, dass eine 
Einrichtung, die schon Jahrzehnte hindurch bestehe, nun mit 
einem Male geändert werden solle! Man warte doch ab, bis sich 
wirkliche Unzuträglichkeiten eingestellt haben. Es scheint in 
d*-r That. als ob die Anfrage lediglich aus formalen Gründen er¬ 
folgt sei. Man habe sich gewöhnt, verschiedene Standesehren zu 
unterscheiden und innerhalb der Standesehre wiederum einen 
Unterschied zu konstrniren. je nachdem der Standesgenosse be¬ 
amtet ist oder nh-lit. Man erinnere sich nur der Vorgänge, die sich 
bei den Berathungen über die verschiedenen Vorlagen des Ehren- 
geriehtsgesetz.es in Bezug auf die Unterstellung der beamteten 
Aerzte abgespielt! Die Furcht, die Medicinalbeamten würden 
verhindert werden, den Vereinen weiter anzugehören, sei unbe¬ 
gründet. Wenn der Mediciualbeamte doch weiter einem Vereine 
angehöre, der nicht staatsgcl'ährliche Tendenzen habe, so glaube er 


nicht, dass der Minister das Diclpllnarverfahren gegen Ihn ein¬ 
leiten werde. 

Herr Alexander bemerkt Im Schlusswort, dass er den 
Unterschied zwischen Ehrenrath uud Schiedsgericht in seinem 
Referat bereits gestreift habe. Wie mau die Institution auch 
nenne, es gebe nur 2 Möglichkeiten: Entweder Ist das Schieds¬ 
gericht ein verkappter Ehrenrath, und dann hat es eine Straf- 
gewalt, oder aber der Verein begibt sich des Rechts jeder Dls- 
cipliuargewalt über seine Mitglieder. Herrn K ii h 1 e r’s Schieds¬ 
gericht ist ein verkappter Ehrenrath. Was den Vergleich des 
Herrn Mugdan mit anderen Ständen, speeiell den Rechts¬ 
anwälten betrifft, so haben andere Stände überhaupt nicht Vereins¬ 
ehreugerichte auf historischer Basis. 

Die Kammer entscheidet sich mit grosser Mehrheit für den 
Antrag Alexander. 

Einen Vertrag, welcher zwischen der Berliner ärzt¬ 
lichen Unterstützungskasse uud der Aerzte- 
k a ui in e r Berlin-Brand e n bürg abgeschlossen werden 
soll, legt Herr Davidsohn vor. Der Vertrag umfasst folgende 
Paragraphen: 

§ 1. Die Berliner ärztliche Untersttttzungskasse verpflichtet 
sich, ihr Kapital-Vermögen, sowie das Kapital-Vermögen der mit 
Ihr verbundenen Stiftungen, nämlich der Wilhelm Augusta-Stlftung 
lind der Ivrlsteller-Stiftung, der Aerztekaminer für die Provinz 
Brandenburg und den Stadtkreis Berlin zwecks Verwaltung durch 
benannte Kammer zu übertragen. Die Aerztekammer für die 
Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin verpflichtet sich 
dagegen, das Kapital-Vermögen der Berliner ärztlichen Unter¬ 
stützungskasse, sowie das Kapital-Vermögen der mit Ihr verbun¬ 
denen Stiftungen zwecks Verwaltung zu übernehmen. 

§ 2. Die Berliner ärztliche Unterstützungskasse verpflichtet 
sich weiter, ihre Einkünfte aus fortlaufenden Beiträgen ihrer Mit¬ 
glieder, aus Geschenken, Legaten und Stiftungen, sowie die Ein¬ 
künfte der mit Ihr verbundenen Stiftungen, aus Beiträgen, Ge¬ 
schenken, Legaten und Stiftungen, der Aerztekammer für die Pro¬ 
vinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin alljährlich zur Ver¬ 
fügung zu stellen. 

§ 3. Im Falle der Auflösung der Berliner ärztlichen Uuter- 
stützungskasse geht deren Vermögen, sowie das Vermögen der mit 
ihr verbundenen Stiftungen in das Eigenthum der Aerztekammer 
für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin über; 
jedoch ist die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den 
Stadtkreis Berlin verpflichtet, il 1 e s e Vermögen unter Auf¬ 
recht Haltung der Integrität derselben und unter 
Beibehaltung des Namens der Berliner ärzt¬ 
lichen Unterstützungskasse und des Namens 
der mit dieser verbundenen Stiftungen ge¬ 
trennt von Ihrem eigenen Vermögen zu ver- 
w alte n. 

§ 4. Die Verwaltung des Kapital-Vermögens der Berliner 
ärztlichen Unterstützungskasse uud des Kapital-Vermögens der mit 
ihr verbundenen Stiftungen erfolgt sowohl für die Zeit des Be¬ 
stehens, als auch für die Zelt nach der Auflösung der Berliner 
ärztlichen Unterstützungskasse nach den für die Verwaltung des 
eisernen Fonds der Aerztekammer für die Provinz Branden¬ 
burg und den Stadtkreis Berlin aufgestellten Verwaltungsgrund- 
sätzen. Die benannten Kapital-Vermögen dürfen Jedoch zu Ver¬ 
sicherungszwecken nicht verwendet werden. 

Die der Aerztekammer für die Provinz Brandenburg uud deu 
Stadtkreis Berlin seitens der Berliner ärztlichen Unterstützungs- 
knsse alljährlich zu überweisenden Einkünfte aus Geschenken. 
Legaten und Stiftungen erhöhen das Kapital-Vermögen der Ber¬ 
liner ärztlichen Unterstützungskasse und bezw. das Kapital-Ver¬ 
mögen der mit ihr verbundenen Stiftungen, während die der Aerxte- 
kaimner für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin 
seitens der Berliner ürztlicheu Unterstützungskasse alljährlich zu 
ttlierweisenden Einkünfte aus Beiträgen die ausserordentlichen 
Einnahmen der Aerztekammer für die Provinz Brandenburg uud 
den Stadtkreis Berlin erhöhen. 

§ 5. Die Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und deu 
Stadtkreis Berlin verpflichtet sieh, sämmtllche von der Berliner 
ärztlichen Unterstützungskasse derzeit unterstützten Personen bei 
nach Ansicht des Prüfungs-Ausschusses fortdauerndem Bedürfnis* 
auch fernerhin in mindestens dem gleichen Umfang • zu unter¬ 
stützen, in dem dieseltwn bisher Unterstützungen von er Berliner 
ärztlichen Unterstützungskasse empfangen haben. 

§ (>. Die Aerztekaminer für die Provinz Brandenburg und den 
Stadtkreis Berlin verpflichtet sich, während der Dauer des Be¬ 
stehens der Berliner ärztlichen Unterstützungskasse zu Beschluss¬ 
fassungen über Verwendung von Unterstützungsgeldern der Aerzte¬ 
kammer für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin 
im Curatorium und im Prüfungs Ausschüsse für die Stadt Berlin 
mindestens je 2 Mitglieder des Cumtorii <^er Berliner ärztlichen 
Unterstützungskasse zuzuziehen. 

§ 7. Sollte eine Theilung der Aerztekammer für die Provinz 
Brandenburg und deu Stadtkreis Berlin eintreten, so sind das 
Kapital-Vermögen der Berliner ärztlichen Unterstützungskasse und 
die Kapital-Vermögen der mit dieser verbundenen Stiftungen der¬ 
jenigen Kammer zuzuführen, welcher der Bezirk der Stadt Berlin 
zugewiesen wird. 

§ 8. Die Wirksamkeit dieses Vertrages Ist durah die dem¬ 
selben zu erthellemle Genehmigung der Aerztekammer für die 
Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Berlin und der General- 
Versammlung der Berliner ärztlichen Unterstützungskasse. sowie 
endlich dadurch bedingt, dass die von der Berliner ürztlicheu Unter- 


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10. Dezember 1901. 


MDENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2031 


stützungskasse geplante, durch den Abschluss dieses Vertrages er¬ 
forderliche Aenderung ihres Statuts die landesherrliche Geneh¬ 
migung erhält. 

Herr Davidsohu erbittet und erhält die Genehmigung der 
Kammer zum Abschluss des Vertrages, dem sich die Kassen in 
den Regierungsbezirken Potsdam und Frankfurt a. O. auschliessen 
werden. 

Im Anschluss erfolgt die Wahl des Kuratoriums für 
die Unterstützungskasse der Aerztekammer (cfr. 
§ 8a, letzter Absatz und b der Satzungen der für den Aerzte- 
kammerbezirk errichteten Unterstützungskasse, abgedruckt ln 
dieser Wochenschrift 1901, No. 27, S. 1117). 

Es folgt zur Berathung der Antrag des Kammervorstandes: 

„Die Aerztekammer möge dem Herrn Kultusminister die 
Bitte aussprechen, „im Bundesrath dahiu zu wirken, 
«lass die Bestimmungen der Prüfungsordnung 
vom 28. Mai 1901 (§ 6 und § 24) in Zukunft iu allen 
Fällen aufrecht erhalten werde n“, und von diesem 
Beschlüsse den medicinischen Fakultäten des Deutschen Reictms 
Kenntnlss geben." 

Es handelt sich hierbei, wie der Vorsitzende bemerkt, um die 
bereits iu der Sitzung am 25. Juni 1901 von der Aerztekammer be- 
rathene Zulassung von Personen mit ausländischen Reifezeugnissen 
zu den medicinischen Studien und Prüfungen. Die Aerztekammer 
fasste damals auf Grund eines eingehenden Referates des Herrn 
Kossmann zwei Beschlüsse, welche im Bericht dieser Wochen¬ 
schrift 1901, No. 28, S. 11G0 wiedergegeben sind. Der Kammer 
war damals der Beschluss des Bundesrathes vom 28. Juni 1900 
nicht bekannt, der den Reichskanzler ermächtigte, ln Ueberein- 
stlmmung mit der zuständigen LnndescentraJbehörde bei reichs- 
angehörigen weiblichen Personen, die vor dem Soramersemester 
1899 sich dem medicinischen Studium au einer Universität ausser¬ 
halb des Deutschen Reiches gewidmet haben, behufs Zulassung 
zu den medicinischen Prüfungen die Vorlegung des Zeugnisses 
der Reife von einem humanistischen Gymnasium mit Rücksicht 
auf ein ausländisches Reifezeugniss zu erlassen und das medi- 
cinlsche Universitätsstudium, welches sie nach einer im Auslande 
bestandenen Prüfung vor dem Wintersemester 1900/1901 zurück¬ 
gelegt haben, auf die in § 4 Zlff. 3 der Bekanntmachung über die 
ärztliche Prüfung vom 2. Juni 1883 erforderten vier Halbjahre 
medicinischen Universitätsstudiums anzurechnen. Da die Kcnnt- 
niss dieses Beschlusses auf die Entscheidung der Kammer nicht 
ohne Einfluss gewesen wäre, hat der Vorstand der Kammer be¬ 
schlossen, die Ausführung des einen Beschlusses, betr. die Petition 
an den Reichstag um Feststellung der Ungesetzlichkeit einiger 
Approbationen und um event. Veranlassung der Zurücknahme 
dieser Approbationen, auszusetzen und das Thema ln der nächsten 
Plenarsitzung zu erneuter Berathung zu stellen. 

Herr v. Bergmann erklärt sich gegen den Antrag des Vor¬ 
standes, es wäre eine unberechtigte Härte, keine Ausnahmen zu¬ 
zulassen, z. B. für deutsche Reiehsangohörige, die ln Russland das 
Gymnasium besucht haben, deren Eltern nicht die Mittel hatten, 
ihre Kinder eine Schule in Deutschland besuchen zu lassen. 

Herr Kossmann bemerkt, der Vorredner habe den An¬ 
trag nicht verstanden. Es handle sich um eine Reihe von Fällen, 
im Ganzen 22, in denen eine ungenügende Vorbildung als aus¬ 
reichend angesehen worden. Auch gegenüber den Uebertreibuugen 
in der Presse halte er seine Behauptungen aufrecht. Nur zwei 
Punkte bedürften noch der Erwähnung, in beiden Fällen sei die 
Sache noch ärger, als man annahm. Erstens habe die Schweiz den 
Beschluss vom 14. Dezember 1899, durch welchen die Anforde¬ 
rungen für die Maturität erhöht worden waren, rückgängig ge¬ 
macht, als sich zeigte, dass auch auf Grund der früheren mlnder- 
werthigen Maturität Aprobationen ln Deutschland ertheilt wurden. 
Und zweitens stellte sich die Vermutliung, dass die Vergünsti¬ 
gungen nicht lediglich weiblichen Personen gewährt würden, als 
falsch heraus, wie jener Bundesrathsbeschluss zeigt. Danach ist 
ein weiblicher Arzt etwas anderes, als ein männlicher, nämlich 
zweifellos ein minderwerthiger Arzt. 

Herr v. Bergmann gibt sein Missverständnis zu, be¬ 
mängelt aber die unklare Fassung des Antrages des Kannnervor- 
standes. 

Herr M u g d a n bittet, den Antrag abzulehmm; es handle sich 
um eine alte, jetzt erledigte Sache, die nach den neuen Prüfungs- 
bestimmungen nicht mehr Vorkommen werde. 

Herr Alexander bemerkt, der Bundesrath habe zweifellos 
das Recht, solche Ausnahmen zu gestatten; der Antrag bezwecke, 
den Bundesrath zu veranlassen, von diesem Recht keinen Gebrauch 
mehr zu machen. 

Der Antrag des Vorstandes wird mit 19 gegen 15 Stimmen 
abgelehnt. 

Herr Kossmann stellt unter Heiterkeit fest, dass dann der 
frühere Beschluss in Kraft bleibt. 

Der Vorsitzende bemerkt dazu, dass die Angelegenheit nun 
auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt werden müsse. 

Die anderen Gegenstände der Tagesordnung: 

Antrag der rheinischen Kammer, betreffend die Beschaffung 
eines Agitationsfonds, und 

Ueber die Zulässigkeit des Prakticlrens im Umherziehen 
(Abhalten bestimmter Sprechstunden in verschiedenen Land¬ 
orten) 

werden vertagt. P. H. 


Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 4. Dezember 1901. 

Demonstrationen vor der Tagesordnung: 

Herr Qrawitz: Mann mit Huntingto n’scher Chorea. 

Herr Salomonsohn: Frau mit einseitiger Ptosis amyo- 
trophica. 

Tagesordnung: 

Herr K r ö n i g und Herr Gramer: Heber Bettbäder. 

Herr Krönig demonstrlrt eine Vorrichtung, um Patienten, 
besonders bei Typhus Im Bette mit einer Giesskanne kalt zu ttber- 
giessen. Einem unter den Patienten gelegten Stück Gummistoff 
wird durch geeignetes Falten die Gestalt einer flachen Wanne 
verliehen. 

Herr Cramer demonstrlrt eine Gummiwanne, die zu Bett¬ 
bädern verwendet wird. 

Herr Jürgens: Ueber Syphilis, insbesondere Syphilis 
congenita. 

An der Hand eines Materials von 17 eigenen Beobachtungen 
schildert Vortragender besonders eingehend das Bild der Enteritis 
syphilitica congenita. In-sämmtlichen Fällen fand Vortragender 
einen Pilz, der ihm mit der Syphilis in Beziehung zu stehen 
scheint. Das langgestreckte Mycel dieses Pilzes, das immer zar¬ 
ter wird, zerfällt zuletzt in Stäbchen und diese wieder in feinste 
Ooecen. Die bei fliessendein Wasser untersuchten Kulturen zeig¬ 
ten rasches Wachsthum und waren schon nach 24 Stunden in 
feinste Coccen zerfallen. Was die Darmaffektion selbst anlangt, 
so kommen bei derselben alle Stadien der Syphilis vor: ober¬ 
flächliche Ulcerationen auf der Darmschleimhaut, besonders auf 
früher meist schon uleerös entarteten Follikeln, gummöse In¬ 
filtrationen bis auf die Serosa, daselbst lokale Peritonitis er¬ 
zeugend, sowie miliare Gummata bildend. Der M e i s s ne r’sche 
und der Auerbac h’sche Plexus sind durch Fettmetaraorphoec 
verändert, wodurch schwere haemorrhagische Erkrankungen des 
Darms hervorgerufen werden. Mikroskopisch findet man Sklerose 
der Gofässe, Fettmetamorphose dos Darmparenchyms und den 
oben erwähnten Pilz, der sich gewöhnlich an den Stellen mit ge¬ 
ringsten histologischen Veränderungen findet. 

Bei Osteochondritis syphilitica congenita findet man wenig 
von diesem Pilze an der Epiphysenlinie, jedoch zahlreiche durch 
endogene Sporenbildung entstandene Dauersporen. 

Herr H. Strauss: Die blutreinigende Funktion der 
Nieren. 

Vortragender suchte der noch durchaus unaufgeklärten 
Frage von der blutreinigenden Funktion der Nieren beizukommen 
dureh Untersuchung von mehr als 200 Blutseren und Trans¬ 
sudaten mittels der verschiedensten Methoden. Er kommt zu d«?m 
Schlüsse, dass zur Klärung dieses überaus schwierigen Problems 
sein Material ein viel zu kleines sei und fordert zur regen Mit¬ 
arbeit auf diesem interessanten und noch viel zu wenig be¬ 
arbeiteten Gebiete auf. Max Secklmann. 


Verein für innere Medicin zif Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 2. Dezember 1901. 

Herr Schütze berichtet ln aller Kürze vor der Tages¬ 
ordnung Uber Versuche zur Gewinnung von Antipräclpitinen, wo¬ 
rüber er demnächst ausführlich berichten will. 

Herr Blumreich: Experimentelle und kritische Bei¬ 
träge zur Eklampsiefrage. 

Die Eklampsie der Schwangeren, deren charakteristisches 
Symptom die Krämpfe sind, kann, wie Vortragender meint, durch 
drei Möglichkeiten hervorgerufen werden, durch abnorme Reize 
oder durch eine abnorme Erregbarkeit oder durch diese beiden 
Faktoren zusammen. 

Untersuchungen über in Betracht kommende Reize li«igen 
zahlreich vor, ohne ein befriedigendes Resultat gegeben zu haben. 
Vortragender wandte sich dem Studium der abnormen Er¬ 
reg b a r k e i t zu. Er stellt die Frage, sind Schwangero einem 
krampferzeugenden Mittel gegenüber leichter erregbar, als Niclit- 
sehwangero? Zur Beantwortung dieser Frage wurde sowohl 
trächtigen, als nichtträchtigen Kaninchen die Grosshimrindo 
freigelegt und auf die motorische Region Kreatinin gebracht. 
Es ergab sich, dass die schwangeren Thiere wissentlich leichter 
dadurch zu allg«aneincn Krämpfen gebracht wurden, als die nicht- 
schwangeren. Wurde das krampferzeugende Kreatinin nicht 
direkt auf die motorische Region gebracht, sondern in die Carotis 
eingeführt, so ergab sich das gleiche Resultat. Das schwan- 


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2032 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 50. 


gere Kaninchen ist also jedenfalls in einem 
Zustand höherer Erregbarkeit gegen ein 
Krampfgift. Das Kreatinin ist natürlich nur ein Induktor, 
und es soll nicht gesagt sein, dass dieses Gift gerade bei der 
schwangeren Frau in Wirksamkeit träte. Welcher Art die Reiz¬ 
wirkung bei der eklamptisehen Frau ist, sei unentschieden. 
Früher dachte man an eine reine TTraemie; dagegen spräche aber 
der von Schmorl erhobene pathologisch-anatomische Befund 
von Nekrosen in der Leber und Thrombosen in 
verschiedenen Organen. Die Autointoxikations¬ 
theorie, also die Ansicht von der Selbstvergiftung mit Pro¬ 
dukten des intermediären Stoffwechsels, stehe auf ebenso 
schwachen Füssen, wie die ganze Autointoxikationshypothese 
Bouchard’s für welche vorläufig jedenfalls jede Unterlage 
fehle. 

Die Ansicht von der VergiftungdurchdenFoetus 
sei ebenfalls hinfällig, da die von diesem producirten Gifte (an 
Harnstoff dachte man vorwiegend) ja unbedeutend seien. Die An¬ 
sicht vom Druck auf die U röteren durch den schwan¬ 
geren Uterus sei durch das Experiment widerlegt, wonach nach 
beiderseitiger Nierenexstirpation bei schwangeren und nicht- 
schwangeren Thieren ziemlich gleichzeitig Krämpfe eintreten, 
welche also wohl rein uraemischer Natur seien. 

Man wisse also zunächst nur, dass das Gehirn der Schwan¬ 
geren im Zustande höherer Erregbarkeit sei und in ihm durch 
Reize unbekannter Art Krämpfe ausgelöst werden können. 

Dlscusslon: Herr Gottschalk hillt die Eklampsie für 
Etwas von der Uraemie Verschiedenes und zwar nur fiir einen 
Symptoinenkomplex, welcher durch verschiedene Gifte erzeugt 
werden könne und daher auch verschieden zu bewerthen sei. 

Die Drucktheorie sei doch nicht so ohne Weiteres abzulehnen; 
denn es sei etwas anderes, wenn die Ureteren durch ein Ms’om 
koinprimirt werden, oder wenn der kreissende Uterus mit seiner 
ausserordentlichen Kraft den Foetuskopf dagegen presse. Er sah 
zwar auch einen Fall von vollkommener Anurie durch Kompression 
der Ureteren durch ein Myom, wobei die Sektion das vollkommene 
Bild der Eklampsie ergab. Obwohl er den Fall nur als Uraemie 
betrachten möchte, könne er doch auch für die Drucktheorie ver- 
werthet werden. 

Daneben gäbe es auch toxische Fälle. 

Man müsse sich aber vor Verwechslungen mit epileptischen 
Anfällen hüten, die zufällig zum ersten Male in der Schwanger¬ 
schaft auftreten. Auch Aufregung und Angst der Frauen ver¬ 
mögen Krampfanfälle hervorzurufen. 

Herr Blum reich: Die letzterwähnten Fälle Gottsclialk's 
halte er für hysterische Krämpfe. 

Wenn die Eklampsie nur ein Symptomenkomplex sein solle, 
wie Gottschalk will, wie wäre dann das einheitliche ana¬ 
tomische Bild Schmorl's zu erklären? 

Eine Brücke Hesse sich vielleicht zwischen beiden Ansichten 
schlagen mit der Annahme, dass die Eklampsie zwar ein einheit¬ 
liches Krankheitsbild sei, das aber durch die verschiedensten 
sensiblen Reize ausgelöst werden kann. 

Herr P. Meissner: Die erste ärztliche Studienreise in 
die deutschen Nordseebäder. Mit Demonstrationen. 

Bericht über die den Lesern dieses Blattes schon bekannte 
Reise. Hans K o h n. 


Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Wien, 7. Dezember 1901. 

Partieller Aerztestreik. — Standeswidrige Titel. — 
Fliegenlarvenerkrankung des Darmes. — Modellirende Pro¬ 
thesen. 

Bei der Besprechung der zeitgemässen Aenderung unseres 
Sanitätsgesetzes, resp. der Verbesserung der materiellen Lage 
unserer Distrikts- und Gemeindeärzte als der praktischen Aerzte 
überhaupt, machte der Delegirte Dr. List dem jüngst ab- 
gohaltenen österreichischen Aerztevereinstage einen Vorschlag, 
der uns erwähnenswerth erscheint. Mit einer noch so schönen 
Resolution, sagte er, ist nichts gethan, sie wird wieder ad acta 
gelegt. Er beantragt daher die theilweise Einstellung 
«ler ärztlichen Thätigkeit und begründet dies an 
einem kleinen Beispiele. Der niederösterreichische Landtag hat 
im Jahre 1899 beschlossen, die Untersuchung der Schüblinge den 
Aerzten mit 36 Hellem (18 Kreuzern) zu honoriren. Da muss der 
Arzt einen separaten Besuch machen, in’s Schublokal gehen, er 
muss sich daselbst bei der Untersuchung, da es sich oft um 
Simulanten handelt, länger aufhalten, er muss ein Gutachten ab¬ 
geben und bekommt dafür 36 Heller. Als Gegensatz dazu dient, 
dass der Friseur, der vielleicht seinen Lehrling liinschickt. 


um einem sclimutzigen Zigeuner die Haare abzunehmen, 40 Heller 
bekommt! Ein Arzt hat sich in einem Falle darüber beschwert, 
doch sind seither 6 Monate verflossen, ohne dass eine Erledigung 
erfolgte. 

Ist es nicht das einfachste — sagte Dr. L. — in solchen Fällen 
zu erklären, wir leisten solche Dienste nicht? Das 
nenne ich einen partiellenStreik. Er wird strenge durch¬ 
geführt werden, wir haben die Garantie, dass es hier keinen 
Streikbrecher geben wird. Man wird sehen, die Aerzte fangen 
klein an, sie werden aber fortschreiten. Man wird der Sache nach¬ 
gehen und wir werden etwas erreichen. Ein Streik in einer 
grossen Stadt wäre zu schwer, aber in der hier geschilderten Weise 
kann er geführt werden. Es ist damit nicht gesagt, dass diese 
theilweise Einstellung ärztlicher Thätigkeit morgen oder über¬ 
morgen geschehen soll, sondern es soll nur unsere principiolle 
Stellung dazu ausgesprochen werden, der Aerztevereinstag soll 
erklären: Wir stimmen den Aerzten zu; sie haben ihr Mittel der 
Bitten und Petitionen erschöpft, es muss zu Thaten geschritten 
werden. Wenn wir den alten Usus fortbestohen lassen, stehen 
wir in 20 Jahren noch dort, wo wir heute sind. Ich habe die 
Erfahrung — und ich stehe 25 Jahre im ärztlichen Leben — 
dass die Fortschritte, die wir mit Bitten erreicht haben, minimale 
sind. — Der österreichische Aerztevereinstag nahm sodann eine 
in diesem Sinne gehaltene Resolution an. 

Die Wiener Aerztekammer hat jüngst nachfolgenden Be¬ 
schluss gefasst: Die Führung der Titel: „Naturarzt“, „Arzt für 
natürliche Heilmethode“, „Kneipparzt“, „Naturheilarzt“ oder 
einer ähnlichen Bezeichnung nach einem wissenschaftlich nicht 
begründeten Verfahren durch einen zur Praxis berechtigten Arzt 
ist standeswidrig. Dieser Beschluss wird als Nachtrag 
in die Standesordnung aufgenommen werden. 

lieber den seltenen Fall einer letal verlaufenden Fliegen¬ 
larvenerkrankung (Myiasis intestinalis) berichteten in der Gesell¬ 
schaft für innere Medicin Docent Dr. Hermann Schlesinger 
und Professor W eichseibau m. Der 22 jährige Mann war 
seit ca. 1 Vs Jahren krank. Vorerst traten blutige Stühle auf, 
sodann gingen stinkende Gewebsfetzen ab, wobei Fieber und 
Tenesmus fehlten, dann wurden im Stuhle wieder Eiter, Schleim 
und Blut nachgewiesen. Erst vor einem halben Jahre gingen 
zum ersten Male in 3 Stühlen grosse Mengen von Fliegenmaden 
ab, wornach der Stuhl eine Zeit lang normales Aussehen bot 
Unter Fiebererscheinungen, hoher Abmagerung, Abgang von 
Stühlen, welche stets Blut und Eiter, wiederholt auch derlei 
Maden enthielten, unter zunehmender Darmstenose und lokaler 
Kothanhäufung starb der Unglückliche an völliger Inanition. 

Der Mann hatte einmal mit fester oder flüssiger Nahrung 
lebende Fliegen oder Fliegenlarven oder Eier verschluckt, welche 
den Magen passirten, in den Dickdarm gelangten und daselbst 
einige Zeit verweilten. Die Larven von Zweiflüglern besitzen 
Schlundhaken, mittels derer sie sich in die Schleimhaut ein¬ 
bohren, wobei sie durch ihre lebhaften Eigenbewegungen unter¬ 
stützt werden. Dadurch entstehen blutende Stellen, an welchen 
sich Darmbakterien ansiedeln und in weiterer Folge bilden sich 
kleinere nekrotische Partien, welche abgestossen werden; durch 
den nekrotisirenden Process treten in der Submucosa auch Ge- 
schwürchen auf, deren Höhlen sich allmählich vergrössem und 
zu einem grösseren Raume zusammenfliessen. So fand man in 
diesem Falle im Colon transversum und im Colon descendens je 
eine tumorartig resistente Stelle, woselbst das Darmlumen von 
Kothmnssen erfüllt war, nach deren Entfernung je ein grosses 
Geschwür, bis 15 cm lang, stark unterminirt, von zumeist nekro¬ 
tischem Gewebe bedeckt; daneben waren zahllose kleine Ge- 
sehwürchen im Dünndarm und im Kolon zerstreut, einzelne 
Stellen mit polypösen Exerescenzen bedeckt. Wegen Zerstörung 
der Muscularis an den grossen Geschwürsstellen konnten hier die 
Faeces nicht fortgeführt werden, es kam zur Darmobstruktion 
mit ihren Folgen. Zeitweise brach in Folge Andauer des Nekroti- 
sirungsprocesses eine solche grosse Höhle durch und dann wurden 
massenhaft Fliegenlarven entleert, welche hier gesessen haben. 

Schlesinger und Weichselbaum legen sich auch 
die wichtige Frage vor, wie es kam, dass diese Fliegenmaden 
wiederholt, also in Schüben abgingen. Sie neigen Beide zur An¬ 
nahme hin, dass es sich hier vielleicht um Paedogenese, bei wel¬ 
cher die Larve selbst lebende Junge pröducirt, handle, welche Art 
der Vermehrung bei diesen Dipteren bisher aber nicht beobachtet 
wurde. Die veränderten Lebensbedingungen, unter welchen sich 

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lö. Dezember 1901. 


MüENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


£033 


diese Maden befanden, konnten hiezu führen, zumal die Paedo- 
genesi9 bei verwandten Arten vorkommt. Freilich kann in diesem 
Falle wiederholte Infektion mit Fliegeneiern oder -Larven nicht 
ausgeschlossen werden, oder es gingen bei jedem der 4 Schübe 
nicht alle Larven ab, wogegen aber die gleiche Entwicklung der 
jedesmal abgegangenen Larven spricht. 

Wenn man einen Fall von multipler Darmstenose zur Be¬ 
handlung bekommt, wird man in Hinkunft auch an die Myiasis 
intestinalis denken müssen, ebenso wird man daran denken 
müssen, wenn man bei Sektionen ulcerativen Darmprocessen be¬ 
gegnet, welche sich nicht auf Tuberkulose, Syphilis oder Dys¬ 
enterie zurückführen lassen. Aus prophylaktischen Gründen wird 
man den Genuss rohen Fleisches vermeiden. Die Abtreibungs¬ 
kuren mit unseren antiparasitären Heilmitteln wird man wieder¬ 
holt vornehmen, da es bei chronischer Myiasis starke Remissionen 
gibt und vorübergehendes Aufhören der Anfangs vagen Sym¬ 
ptome nicht unbedingt für das Erloschensein der Krankheit 
spricht. 

In der Gesellschaft der Aerzte sprach Dr. Karl Henning, 
Y’orstand der Universitätsanstalt für Moulage, über seine model- 
lirenden Prothesen und stellte 3 Patientinnen vor, bei welchen er 
durch Anwendung dieses Verfahrens einen kosmetischen Effekt 
erzielte. Nach einem Gipsabdruck wird aus Celluloid ein Apparat 
gemacht, welcher hermetisch aufsitzt, Mittels eines stark- 
wandigen Ballons wird nun im Apparate ein negativer Luft¬ 
druck erzeugt, es findet sonach eine Aspiration statt und der zu 
korrigirendo Gesichtstheil wird genöthigt, die Form der Pro¬ 
these anzunehmen. 

Dr. Henning beschreibt das Verfahren, die zu beobachten¬ 
den Kautelen, die längere Andauer der Behandlung, seine ersten 
bezüglichen Versuche und stellt sodann seine 3 Fälle vor: 1. Eine 
Patientin mit einem bis auf den Knochen reichenden Hautdefekt 
nach Gumma an der Stirne, wo eine Dehnung der Hautränder be¬ 
absichtigt wird, um nach Anlegung einer Naht eine lineare Nurbe 
im Hautniveau zu erzielen. 2. Eine Patientin mit lange be¬ 
stehendem Lupus nasi, wo die Nase in Folge Narbenbildung 
coulissenartig flachgezogen war und jetzt die zweite grössere Pro¬ 
these vollständig ausfüllt; den Nasenlöchern entsprechend ist 
die Prothese durchlocht und an dieser Stelle mit kurzen Drain¬ 
röhren gedichtet. 3. Eine Patientin mit Verbrennung nach Blitz¬ 
schlag, in Folge dessen die rechte Ohrmuschel zu einem klein¬ 
fingerdicken Hautwulst zusammenschrumpfte, unter der ständi¬ 
gen, seit 8 Wochen tagsüber fortgesetzten Dehnung aber sich nun¬ 
mehr so weit wieder entfaltete, dass eine zweite grössere Form 
angelegt werden konnte; dem Gehörgang entsprechend ist die 
Prothese durchlocht. Sämmtliche Patientinnen sind in den 
zwanziger Jahren, die besprochenen kosmetischen Maassnahmen 
daher für dieselben von begreiflicher Wichtigkeit. Im kindlichen 
Alter dürften Wachsthumsprocesse dem kosmetischen Eingriffe zu 
Hilfe kommen, während bei Erwachsenen die Cutis und das sub¬ 
kutane Zellgewebe in eine neue Gleichgewichtslage gebracht wer¬ 
den sollen. 


Verschiedenes. 

Oberschenkelbrüche bei Neugeborenen. 

Im Anschlüsse an die Mittheilung von Herrn Dr. Stern 
über die Behandlung der Oberschenkelfrakturen kleiner Kinder 
(diese Wochenschr. 11)0.1, 8. 1750) möchte Ich mir gestatten, einer 
kleinen Vorrichtung zu erwähnen, die sich bei Oberschenkelbrüchen 
der Neugeborenen bewährt hat. und die mau im Bedarfsfälle sich 
rasch selber anfertigen kann. Aus 4 Brettchen von ungefähr 18 cm 

Breite wird ein viereckiges Käst¬ 
chen (ohne Boden) von 56 cm Länge 
und 28 cm Breite zusammengenagelt. 
Auf den oberen Band des Kästchens 
wird ein Stück Leinwand so auf¬ 
genagelt, dass sie eine Mulde von 
Haudbreittiefe bildet, und im Drittel 
der Länge des Kästchens ein den 
oberen Rand des letzteren um etwa 
25 cm überragender Bügel aus Band¬ 
eisen angebracht. Das Kind liegt 
ohne weitere Befestigung des 
Kumpfes in der Mulde, das Bein- 
chen wird mit Heftpflaster an dem 
Bandeisenbügel aufgehängt. Ohne 
von Seite der Mutter eine umständlichere Pflege zu erfordern, als 
sie sonst Neugeborenen zu Theil werden muss, kann das Kind so¬ 
gar an die Brust angelegt werden. Der Bruch hellt in längstens 
3 Wochen. Dr. Port sen.-N'Urnberg. 


Therapeutische Notizen. 

Die Dauer des Pocken-Iinpfschutzes betrügt 
nach den umfangreichen Beobachtungen von Dr. S o b o 11 a nicht 
einmal 1 J / 2 Jahre. Er empfiehlt daher, beim Auftreten vou Pocken 
oder verdächtigen Fällen das Aerzte- und Pflegepersonal, soweit 
seine Berührung mit den Kranken auch nur möglich, in kürzeren 
Zwischenräumen wieder zu impfen. Dass für die Schutztruppeu, 
die in einer nicht durch Impfung geschützten Bevölkerung einer 
Pockeuinfektlon ausgesetzt sind, dass ferner für Expeditionskorps 
in fremden Ländern und im Falle eines europäischen Krieges für 
die gesammte Feldarmee weitere Impfungen empfehlenswerth sind, 
ist selbstverständlich. (Allg. med. Central-Ztg. 1901, No. 53.) 

. P. H. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 10. Dezember 1901. 

— In der I. Dezember-Nummer des ärztlichen Vereinsblattes 
verabschiedet sich der bisherige Redakteur des Blattes, Herr Geh. 
San.-Ratli Dr. W a 11 i c h s, von seinen Lesern. W. war seit 1887 
Geschäftsführer des Aerztevereiusbuudes und Leiter des Vereins¬ 
blattes. Der Beginn seiner Thätigkeit fällt in die erste Zeit der 
Wirksamkeit des Kranken Versicherungsgesetzes, in die Zeit des 
wirtschaftlichen Niedergangs des ärztlichen Standes und der 
inneren und äusseren Kämpfe. Damit erhöhten sich die Schwierig¬ 
keiten und Verantwortlichkeiten, die mit seiner Stellung verknüpft 
waren, ausserordentlich. W. hat sich ihnen aber stets gewachsen 
gezeigt; er war ein Uberzeugungstreuer, gewandter und schlag¬ 
fertiger Vertreter der Sache des Bundes. An Widerspruch hat es 
ihm nicht gefehlt — nur wer keine eigene Meinung hat, wird nie 
auf Widerspruch stosseu — aber auch wenn man anderer Meinung 
war, wie er, musste man die Vornehmheit seiner Gesiuuuug und 
die Lauterkeit seiner Absicht anerkennen. Wir sehen daher mit 
lebhaftem Bedauern W a 11 i c h s aus der Leitung des Vereins- 
blattes ausscheiden und wissen uns in diesem Gefühle eins mit der 
grossen Mehrheit der deutschen Aerzte, deren Dank er in reichem 
Maasse verdient hat. Unser Wunsch ist, dass auch nach seinem 
Ausscheiden aus der vordersten Schlachtlinie seine Erfahrung und 
Sachkeuntniss dem Aerztevereiusbunde noch lange zu Gute 
kommen möge. ^ 

— Der neu eingesetzte Wissenschaftliche Senat 
der Kaiser Wilhelms -Akademie für das militär¬ 
ärztliche Bildungs wesen, der die Aufgabe hat, in 
mediciuisch-wisseusehaftlichen Fragen als begutachtende Behörde 
dem Leiter des preussischen Militärsauitätswesens zur Seite zu 
stehen — also ein militärärztlicher Obermediciualausschuss —. 
trat am 30. vor. Mts. unter Vorsitz des Generalstabsarztes der 
Armee Prof. Dr. v. L e u t h o 1 d in der Aula der Kaiser Wilhelms- 
Akademie zur ersten Sitzung zusammen. Erschienen waren die 
Geh. Riithe Koch, Gerhardt, König, v. Leyden, Ruh¬ 
ne r, Jolly, Heubner, L. Frankel, Sonuenburg, 
Trautmann und W a I d e y e r, sowie die Generalärzte S t a h r, 
Sch aper, Stricker, Werner, Schjerniug, Herter, 
S t r u b e - Karlsruhe, G ä h d e - Hannover und Kern- Stettin 
und Geueraloberarzt Stechow. Nach einer begrüssendeu An¬ 
sprache des Vorsitzenden verhandelte der Senat zunächst über die 
in der Armee bereits eingeführten Zählkarten für Tuberkulose 
und setzte die besonders die Ursache der Krankheit betreffenden 
Punkte fest, auf die besonders geachtet werden soll. Der zweite 
Punkt der Tagesordnung betraf die in Folge der neuen medicini- 
scheu Prüfungsordnung nöthig werdende Aenderung der Studieu- 
pläne der Kaiser Wilhelms-Akademie. 

_ Aus dem neuen Etat des Reichsamts des 

Innern sind folgende Positionen von allgemeinem gesundheit¬ 
lichen Interesse: Im Gesundheitsamte sollen in Folge der starken 
Steigerung der Geschäfte zur tlieilweisen Entlastung des Präsi¬ 
denten drei Direktorstellen geschaffen werden, in welche die 
Abtheilungsvorsteher der naturwissenschaftlichen, der medi- 
cinischen und biologischen Abtheilung einrücken würden. Die 
Ausgaben für das Gesundheitsamt sind auf 618 160 M. (04 800 M. 
mehr als im Vorjahre) erhöht. Zur Förderung der Erforschung 
und Bekämpfung der Tuberkulose sind 150 000 M. ausgeworfen. 
Insbesondere sollen von Reichswegen über die Frage der Ideuti- 
Uutersuchungen, verbunden mit Thierversuchen, augestellt wer¬ 
den. Auch sollen die gemeinnützigen Bestrebungen zur Errichtung 
von Lungenheilstätten durch finanzielle Beihilfen gefördert 
werden. 

— Die deutsche Heilstätte für Lungenkranke 
in Davos wurde Ende des vorigen Monats feierlich eröffnet. 
Der Vorstand des KomitGs, Herr Vizekonsul Burchard, dessen 
unermüdlicher Thatkraft die glückliche Ueberwludung der enormen 
der Durchführung des Werkes sich eutgegenstellenden Schwierig¬ 
keiten zu danken ist, hielt die Festrede, mit der er das Gebäude 
dem leitenden Arzte, Dr. B r e c k e, übergab. Der Andrang zu der 
Heilstätte ist, wie wir hören, ein so grosser, dass nur etwa der 
vierte Theil der Gesuche berücksichtigt werden konnte. 

— Ein in der Nähe von Berlin gelegenes Sanatorium B. ver¬ 
sendet unter dem Hinweis darauf, dass das Sanatorium „mit Vor¬ 
liebe von vornehmen russischen Herrschaften besucht werde“ an 
russische Aerzte ein das Sanatorium anpreisendes Schreiben, das 
mit folgenden Worten schliesst: ..Wenn auch Sie die Güte haben 
wollten, uns Patienten zu überweisen, so würden wir bitten, jedes 
Mal einen Krankenbericht an unseren Chefarzt Herrn Dr. med. Z. 



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No. 50. 


2034 


MJENCHENER MEDiCINISCME WOCHENSCHRIFT. 


zu richten und würden wir uns erlauben, jeden derartigen 
Krankenbericht mit M. 30.— zu honorire u“. Hier 
wird also der etwas verblümte Versuch gemacht, Aerzte für die 
Zuweisung von Patienten zu bezahlen. Das unanständige und 
darum höchst beleidigende Anerbieten wird hoffentlich bei allen 
Empfängern des Briefes das Gegeutheil der von den Absendern 
bezweckten Wirkung haben. 

— Die Statistik der Bevölkerungbewegung in 
Frankreich für das Jahr 1900 ergibt ein unbefriedigendes 
Resultat. Die Zahl der Lebendgeburten betrug 827 297, die Zahl 
der Todesfälle 853 285. Es überwiegen also die Todesfälle die 
Geburten um 25 988. Im Jahre 1899 hatte bei 847 627 Lebend¬ 
geburten und ca. 816 233 Todesfällen noch eine Bevölkerungs¬ 
zunahme von 31 394 Seelen stattgefunden. Auffallend ist die Zu¬ 
nahme der Todesfälle, die auf Influenza und Typhus zurüekgeführt 
wird. 

— Die im Grossherzogthum Hessen mit dem B a c c e 11 l’schen 
Heilverfahren bei der Maul- und Klauenseuche angestellten Ver¬ 
suche haben befriedigende Ergebnisse nicht gehabt. Die Ver¬ 
suche sind eingestellt worden. 

— Pest. Grossbritannien. Laut amtlicher Erklärung sind 
am 18. November in Glasgow die letzten Pestkranken als geheilt 
aus dem Krankenhause entlassen worden. — Aegypten. In der 
Zeit vom 15. bis 22. November wurde nur in Ziftah noch eine Er¬ 
krankung an der Pest beobachtet; dieselbe verlief tödtlich. — 
Britisch-Ostindien. Während der am 1. November abgelaufenen 
Woche sind in der Präsidentschaft Bombay 10 740 neue Erkrank¬ 
ungen und 7693 Todesfälle an der Pest festgestellt, mithin 704 
bezw. 632 mehr als in der Woche vorher. Auf die Hafenstadt 
Karachi entfielen hiervon 58 (37) Erkrankungen (Todesfälle) gegen 
37 (18) in der Vorwoche. In der Stadt Bombay wurden während 
der am 2. November endenden Berichtswoche 186 Pesterkrank¬ 
ungen und 176 erwiesene Pesttodesfälle gezählt, ausserdem waren 
von den insgesnmmt 779 Sterbefälleu dort 140 unter pestverdäch¬ 
tigen Erscheinungen erfolgt. — Philippinen. Nach den Ausweisen 
von Ende September kamen in Manila nur noch vereinzelte Fälle 
von Pest vor, die eigentliche Epidemie ist angeblich abgelaufen. — 
Kapland. In der am 2. November abgelaufenen Woche ist nach dem 
amtlichen Wochenausweise nur 1 Person, und zwar ein Einge¬ 
borener in Port Elizabeth, an der Pest erkrankt, jedoch sind 3 Pest¬ 
todesfülle ebendaselbst festgestellt. — Vereinigte Staaten von 
Amerika. Vom 10. bis zum 30. Oktober sind in San Franzisko 
2 Neuerkrankungen und 2 Todesfälle an der Pest festgestellt 
worden. — Brasilien. Zu Folge einer Mittheilung vom 5. November 
forderte ln Rio de Janeiro die Pest fortgesetzt täglich einige Opfer. 
In Campos waren von Mitte September bis Ende Oktober 141 
Fälle von Beulenpest, darunter 75 tödtlich abgelaufene, festgestellt 
worden; 27 Pestkranke befanden sich am 31. Oktober noch in Be¬ 
handlung. V. d. lv. G.-A. 

— In der 47. Jahreswoche, vom 17.—23. November 1901, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Freiburg i. Br. mit 30.0, die geringste Koblenz mit 4,6 
Todesfällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel 
aller Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, Fürth, Ober- 
liausen; an Masern in Altona, Borbeck; an Diphtherie und Croup 
in Elberfeld, Glelwitz. 

(Hochschulnachrichten.) 

Breslau. Das neue zahnärztliche Institut der Universi¬ 
tät mit Poliklinik, am Burgfeld gelegen, ist am 2. ds. durch dessen 
Direktor, Prof. Dr. Partsch, eröffnet worden. 

Halle. In diesem Semester sind 192 Mediclnstudirende, 
einsehliessl. 49 Damen (meist Russinnen), eingeschrieben. 53 sind 
neu immatrikullrt. 

Kiel. Dr. G o e b e 11, Assistent an der chirurgischen Klinik, 
habilitirte sieh für das Fach der Chirurgie. Prof. Dr. Kirchhoff, 
Privatdozent in der medicinischen Fakultät, gegenwärtig Oberarzt 
der Pflegeanstalt ln Neustadt in Holstein, hat seine Stellung als 
Privatdozent an hiesiger Universität niedergelegt. 

München. Die k. bayer. Akademie der Wissenschaften 
hat den Professor der Anatomie in München Dr. Rückert zum 
ordentlichen Mitgliede, den Professor der Physiologie in Leipzig 
Dr. Hering zum korrespoudirenden Mitgliede erwählt. 

Würzburg. Die Frequenz der Universität beträgt in diesem 
Semester 1180 Studirende, darunter 429 Mediciner; im Sommer 
1901 betrug die Zahl der Immatrlkulirteu 1108, darunter 411 
Mediciner und im Winter 1900/1901 1167 mit 502 Medicineru. 

Löwen. Dr. Lemaire wird über Hygiene, Prof, 
van Gebuchten über topographische Anatomie lesen. 

(Todesfälle.) 

Dr. B. v. J i r u s, Professor der Pharmakologie an der czechi- 
schen medic. Fakultät zu Prag. 

Dr. W. F. N o r r i s, Professor der Augenheilkunde an der 
Pennsylvania-Universität zu Philadelphia. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Niederlassung: Dr. W. Chr. Fr. Hauenschild, approb. 
1891, Dr. Berth. Kronaclier, approb. 1898, Dr. Phil. K r a e m e r, 
approb. 1881; sümmtlich in Nürnberg. Dr. Karl Welsch, approb. 
1898, in Augsburg. Dr. Hermann Kuspert, approb. 1897, in 
Nordhalben. Dr. Wilhelm K ö r b e r, approb. 1900, in Donndorf, 
Bez.-A. Bayreuth. Dr. Karl K n o e 11, appr. 1899, in Weisseu- 
burg a. S. 


Verzogen: Dr. Höchtler von Dinkelsbühl nach Kaisers¬ 
lautern. Dr. Karl P i 8 t o r y von Marktbreit nach Furth. Dr. 
Krüger von Furth nach Hannover. 

Versetzt: Der Bezirksarzt 1. Klasse Dr. Ignaz Ferdinand 
Tischler in Wegscheid, seiner Bitte entsprechend, nach Deggen¬ 
dorf. 

Ernannt: Seitens des Generalstabsarztes der Armee wurden 
zu Unterärzten ernannt und mit Wahrnehmung offener Assistenz¬ 
arztstellen beauftragt: die einjährig-freiwilligen Aerzte Dr. Her¬ 
mann Schöppler des 13. Inf.-Reg. und Dr. Wilhelm Braun¬ 
wart des 1. Ulanen-Reg. in diesem Regiment. 

Gestorben: Medicinalrath Dr. Peter Walter, k. Bezirksarzt 
und Gefangenenanstaltsarzt in Sulzbach, 61 Jahre alt, am 
4. Dezember 1901. Medicinalrath Dr. Melchior Josef Bandorf. 
Director a. D. der oberbayerischen Kreisirrenanstalt in Gabersee, 
56 Jahre alt. 


Correspondenz. 

Fort mit den Apotheken. 

Von H o m o s u ra. 

Unter diesem Titel verschickt die Verlagsbuchhandlung von 
Max P o e s s 1 in München eine Schrift unaufgefordert an Mün¬ 
chener Aerzte. Obwohl ich die Schmähschrift mit Namensangabe 
sofort wieder zurücksandte — wozu unter diesen Umständen gar 
keine Verpflichtung bestund — brachte heute ein Bote folgende 
gedruckte Zuschrift in meine Wohnung: 

„Mit Gegenwärtigem ersuche ich Sie, da ich wohl annehmen 
darf, dass Sie im Interesse Ihres Standes, die Broschüre eines 
Münchener Arztes: Homosuni, Fort mit den Apotheken, 
Preis 60 Pf., welche ich Ihnen vor einigen Wochen zusandte, be¬ 
halten, dem Ueberbringer Dieses giitigst 60 Pf. auszuhändigeu, 
und Vorliegendes als Quittung zu behalten. Max P o e s s 1, Ver¬ 
lagsbuchhandlung.“ 

Irrthümlicher Weise wurde ihm in meiner Abwesenheit der 
Betrag von 60 Pf. übergeben. Natürlich habe ich umgehende 
Rückzahlung verlangt. 

Aber es handelt sich nicht um die 60 Pf., sondern um ein Ge- 
schüftsgebahren, das in der Oeffentlichkeit auf’s schärfste ge¬ 
brandmarkt werden muss. Und mehr noch: Es muss offen aus¬ 
gesprochen werden, dass — ich darf wohl sagen — die über¬ 
wiegende Mehrzahl der Aerzte dieser systematischen Hetze gegen 
die Apotheker und Apotheken nicht nur fern steht, sondern sie 
für ungerechtfertigt und ungehörig hält. 

Mag das eine oder andere im Apothekerwesen besserungs¬ 
bedürftig sein — so das Kurpfuschen Einzelner, der Apotheken¬ 
schacher — so ist doch der deutsche Apothekerstaud auf einer 
Höhe, um welche uns andere Staaten beneiden dürfen. Viel, viel 
mehr gibt es für uns Aerzte vor der eigenen Thüre zu kehren. 
Oder ist es keine Kurpfuscherei, wenn approbirte Aerzte sich 
zu Assistenten von Kueipp-Aposteln und anderen Kurpfuschern 
erniedrigen? Wenn approbirte Aerzte Careinom mit Thee be¬ 
handeln und mit Thee zu heilen vorspiegeln? Und sind die un¬ 
gezählten traurigen Vorkommnisse im Krankenkassenweseu nicht 
viel schlimmer und entwürdigender, als der Apothekenschaeher, 
der ja nie zu einer Erhöhuug des von Amtswegen festgelegtcn 
Arzneipreises führt? 

Es muss einmal ausgesprochen werden, dass diesem Ge- 
schäftsgebahren einer Verlagsbuchhandlung und der Hetze Ein¬ 
zelner gegen den Apothekerstand nicht die Sympathien der 
Mehrheit zur Seite stehen. G. Klei n. 


Morbiditätsstatistik d. infektionskrankheitenfür München 

in der 48. Jahreswoche vom 24. bis 30. November 1901. 
Betheiligte Aerzte 211. — Brechdurchfall 15 (10*), Diphtherie, 
Croup 17 (12), Erysipelas 10 (11), Intermittens, Neuralgia interm. 

— (—), Kindbettfieber 2 (4), Meningitis cerebrospin. — (—), 
Morbilli 47 (42), Ophthabno-Blennorrhoea neonat. 5 (—), Parotitis 
epidem. 9 (3), Pneumonia crouposa 16 (19), Pyaemie, Septikaemie 

— (—), Rheumatismus art. ac. 19 (20), Ruhr (dysenteria) 1 (—), 

Scailatina 9 (22), Tussis convulsiva 18 (23), Typhus abdominalis 
4 (3), Varicellen 29 (18), Variola, Variolois —- (—), Influenza 4 (—), 
Summa 201 (194). Kgl. Beeirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 48. Jahreswoche vom 24. bis 30. November 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern — (—*), 8charlach —(—), Diphtherie 
and Croup 3 (1), Rothlauf — (—), Kindbettfleber 1 (2), Blutr 
Vergiftung (Pyaemie) 1 (—), Brechdurchfall 5 (1), Unterleibtyphus 
2 (—), Keuchhusten 2 (2), Croupöae Lungenentzündung 4 (6), 
Tuberkulose a) der Lungen 25 (26) b) der übrigen Organe 7 (5), 
Akuter Gelenkrheumatismus — (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 5 (8), Unglücksfälle — (2), Selbstmord — (1), Tod durch 
fremde Hand — (—). 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 217 (189), Verhältnisszahl auf 
das Jahr und 10<K) Einwohner im Allgemeinen 22,6 (19,7), für die 
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 14,1 (13,3). 


*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die Fälle der Vorwoche. 


Verlag von J. F. Lehmann in München. — Druck von E. Miihlthaler’s Buch- un** Kunstdruckerei A.G., München. 


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MED ICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 


ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Herausgegeben von 

Cb. Biulir, 0. Bolllngir, H. Carschminn, C. 6erfaardt, 6. hlerkil, J.». Michel, H. v. Rilke, 

Freiburg 1. B. München. Leipzig. Berlin. Nürnberg. Berlin München. 


No. 51. 17. Dezember 1901. 


Redaction: Dr. B. Spats, Ottostraaae 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20. 


F. v. Wiickil, H. v. Ziiissu, 

München MfVnehan. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Ueber ein die Krebskrankheit beim Menschen häufig 
begleitendes, noch wenig gekanntes Symptom.") 

Von Prof. Dr. Leser. 

M. H.1 Wie ich in dem Vortrag, den ich Anfang des 
Sommerseinesters vor Ihnen zu halten die Ehre hatte, betonte, 
fehlt es uns bis jetzt noch an solchen Symptomen, welche uns 
verhält nissmässig sicher und frühzeitig erlauben, die Diagnose 
maligner Tumor bezw. Carcinom zu stellen. Wir sind trotz vieler 
Fortschritte auf anderen Gebieten, in der Diagnose Carcinom in 
dem letzten Jahrzehnt nicht viel weiter gekommen; wir sind 
darauf angewiesen, aus einer Reihe von Erscheinungen, welche 
sich bei verschiedenen Processen einstellen, mehr oder weniger 
sicher und früher oder später die Diagnose aufzubauen und von 
jeher war man bemüht, die Sicherheit der Diagnose durch be- 
slimmte Vorgänge zu erhöhen, d. li. Veränderungen zu ver- 
wertlien, die zwar an und für sich n i c h t ausschlaggebend für 
die Diagnose sind, sich aber im Verein mit den übrigen Sym¬ 
ptomen als gute Wegweiser bewährt haben. Ich erinnere nur 
an die Ovula Nabothi, deren Vorhande-nsein ein Carcinom der 
Portio bezw. des Uterus mit grosser Sicherheit ausschliessen 
lässt; au die Virehow’sche Drüse bei der DifFerentialdia- 
gnoso der Leberkrankheiten, oder an den in neuester Zeit ge¬ 
machten Opplcr-Boa s’sehen Bacillen bof und bei Magen- 
earcinom. 

Wenn ich mir nun in Folgendem erlaube, die Aufmerksam¬ 
keit mediciniseher Kreise auf eine Veränderung der Haut zu 
lenken, welche bisher in ihrem Zusammenhang mit der malignen 
Neubildung noch wenig oder gar nicht bekannt ist, und welche 
in dem Auftreten zahlreicher kleiner und kleinster Blutgefiiss- 
geschwiilste, sog. Angiome der Hautdecke besteht, so bin ich mir 
wohl bewusst, dass es meine Pflicht ist, auch das Thatsächliche 
dieses Vorganges nachzuweisen. Bevor ich auf die Veranlassung 
eingehe, welche mich zu der ernsteren Beachtung dieses Vor¬ 
ganges zwang, möchte ich betonen, dass bis 1899 in der mir 
wenigstens zugängigen Literatur irgend eine hierauf bezügliche 
Arbeit oder Notiz nicht zu finden war. Erst aus den letzten 
2 Jahren konnte ich 2 Mittheilungen verwerthen, welche meine 
Beobachtungen zu bestätigen scheinen. H. W. Freund 1 ) 9agt 
in einem Vortrag: „Die Haut der schwangeren und genital- 
kranken Frauen“: Ungemein häufig sind bei Frauen mit Ge¬ 
schwülsten der inneren Geschlechtsorgane kleine und 
kleinste Angiome, dunkelbraune Warzen, Naevi, seltener 
grössere Fibrome, Lipome und cavernöse Geschwülste vorhanden, 
speciell am Abdomen (lebhafte Mitbetheiligung der Haut an Ver¬ 
änderungen der inneren Genitalorgane, vielleicht eine gewisse 
konstitutionelle Schwäche der Haut). Und ferner E. Hol¬ 
länder*): „Beiträge zur Frühdiagnose des Darmcarcinoms“: 
Häufig findet man bei inneren Carcinomen sehr zahlreiche, hell- 
rothe, Stecknadelkopf- bis erbsengrosse, das Hautniveau über¬ 
ragende Flecke, die stets isolirt in gesunder Umgebung zu finden 
sind. Sic schwanken in ihrem Verhalten zwischen capillüreu 

*) \ortrag, gehalten am 'S.\. Oktober 1901 im Verein der Aerzte 
zu Halle. 

*) Verhandlungen der Deutschen dermatologischen Gesell¬ 
schaft, VI. Kongress 1899. Ref. im Centralhlatt für Chirurgie. 

’) Deutsch, med. Woclienschr. 

No. 51. 


Blutungen und kleinen Angiomen rosp. Capillaraneu- 
rysmen, unterscheiden sich von diesen jedoch darin, dass Finger- 
und Glasdruck sie nicht blass werden lässt. Ob diese im reiferen 
Alter auch bei gesunden Individuen auftretenden Veränderungen 
auf atrophische resp. kachektische Zustände zu beziehen sind, er¬ 
scheint zweifelhaft, da ich dieselben gerade auch bei fetten In¬ 
dividuen und auch au den fettreichsten Hautstellen fand. 

Was nun meine Beobachtungen angeht, so war mir schon vor 
1898 einigemal bei Carcinomkranken aufgefallan, dass sich bei 
denselben multiple, kleinste, blaurothe Geschwülste in der Haut¬ 
decke fanden, welche sich, wie mir schien, auffallend schnell 
während des Krankheitsverlaufes vermehrten. Da wurde mir im 
Mai 1898 ein Patient zugeführt, der, nachdem er monatelang 
an einem chronischen Rachenkatarrh behandelt war, an einem 
schon ulccrirten, leicht papillären Tumor des linken weichen 
Gaumenbogens und des linken Randes der Uvula litt. Bei seiner 
Untersuchung, welche ich, wenn irgend angängig, stets am ganzen 
Körper vornehme, zeigte sich, dass in der Haut des Halses, des 
Thorax, der Supra- und Tnfraclaviculargrubc und des Abdomen 
etwa 15— 16 stccknadelkopf- bis halberbsengrosse blaurothe Go- 
schwülst chcu sich etwas über das Niveau der Hautoberfläche er¬ 
hoben. Ich operirte dem Herrn, nachdem die Tracheotomie vor- 
hergeschickt, indem ich nicht nur das primäre Sehleimhautcarei- 
nom, beide Gaumenbügen linkerseits und die Uvula exstirpirte, 
sondern auch die bereits palpirbar intumescirten Lymphdrüsen 
der linken Ilalsseite unter weiter Freilegung der grossen Hals- 
gefässe herausnahm. Während der ersten Monate war der Ver¬ 
lauf ein sehr guter; dann stellten sich weitere Halslymphdrüscn- 
metastasen ein, denen in den letzten Septembertageji desselben 
Jahres der Patient erlag. Während der also ca. 4 monatlichen 
Behandlung vermehrten sien, und zwar im ersten Monat be¬ 
sonders schnell, die kleinen angiomatüsen Geschwülste in so 
starkem Maasse, dass auch ein Arzt, der auf dieselben weniger 
Acht gegeben hätte als ich, bald darauf aufmerksam geworden 
wäre; innerhalb von 2 Monaten zählten wir 216 solcher kleiner 
Geschwülste. 


Da es für mich ausgeschlossen schien, dass es sich dabei nur 
um ein zufälliges Zusammentreffen handele, weil ich eben schon 
wiederholt Aehnliches bei Carcinomkranken beobachtet hatte, for¬ 
derte ich meinen damaligen ersten Assistenten, Herrn Dr. 
M ü 11 o r, auf, diesen Dingen auch fernerhin Beachtung zu 
schenken. Während ich selbst seit der Zeit etwa 60 Fälle sah, 
die ähnliche, wenn auch nicht immer so ausgesprochene Er¬ 
scheinungen boten, hat Herr Dr. Müller die Sache mit ausser¬ 
ordentlichem Fleisse und grosser Gewissenhaftigkeit verfolgt und 
bot. sieh ihm dazu besonders reichliche Gelegenheit, als er, nach¬ 
dem er hier gedient, zunächst im deutschen Hospital in London 
und dann im städtischen Krankenhaus in Hirschberg das ge¬ 
summte, dort reichlich eonfluirendo Krankrmnaterial studiren 
und verwerthen konnte. 


Drei Fragen sind es, die uns zunächst hierbei inter- 
essiren. Die eine lautet: Ist das Auftreten von derartigen 
kleinsten angiomatüsen Geschwülsten in der Hautdecke eine 
häufige, eine gewöhnliche Begleiterscheinung bei Kranken mit 
malignen Tumoren, bezw. mit Carcinom? Die zweite lautet: 
Kommen derartige Geschwülste auch bei gesunden, bezw. nicht 
an Carcinom leidenden Menschen vor? Und daraus folgernd 
drittens: Ist das Auftreten von diesen Angiomen diagnostisch zu 
verwerthen ? 


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2036 


MtlENcHENER MEDlCtNlSCHE WÖCHMsÖHRiFT. 


No. 51. 


Um zu einer Antwort auf diese Fragen zu kommen, hat Herr 
Dr. Müller in den Jahren 1897—99 einerseits 50 Krebskranke, 
andererseits 300 andere chirurgische bezw. interne Fälle auf das 
Vorhandensein von kleinen Angiomen der Haut auf das Ge¬ 
naueste untersucht. Die Carcinomfälle sind sämmtlich klinisch 
und mikroskopisch fostgestellt, und bei den anderen Patienten 
konnte auf Grund längeren Krankenhausaufenthaltes das Be¬ 
stehen einer bösartigen Neubildung, insbesondere eines Carci- 
noins mit grösster Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. 

Was den Sitz der einzelnen Carcinome bei diesem Be¬ 
obachtungsmaterial anlangt, so handelt es sich um 10 Fälle mit 
(’arcinom des Pylorus bezw. Yentriculus und zwar 9 m., 1 w.; 
3 Fälle Carcinoma oesophagi (3 m.); 3 Fälle Carcinoma recti 
(1 m., 2 w.); 1 Carcinoma hepatis (1 m.); 11 Mammacarcinomfälle 
(11 w.); 16 Fälle von Uteruscarcinom (16 w.); 1 Carcinomfall des 
Ovarium (1 w.); 5 Fälle von Hautkrebs (2 m., 3 w.). 

M. H.! Bevor ich auf die Resultate unserer Beobachtungen 
eingehe, halte ich für absolut nöthig, erst einige Worte über 
das Wesen und den Charakter der Geschwülste, mit welchen wir 
uns beschäftigen, einzufügen, damit Verwechselungen vermieden 
werden. Die Veränderung in der Haut besteht in kleinsten und 
kleinen, nadelst ich- bis linsengrossen, hellrothen, auch blaurothen 
Flecken, welche stets das Niveau der Hautfläche überragen, und 
also dem leise über sie hinwegstreichenden Finger als erhabene 
Unterbrechung der sonst glatten Hautfläche imponiren. Finger¬ 
druck lässt sie nicht verschwinden. Gegen die umgebende, an¬ 
scheinend ganz normale Haut sind sie scharf abgegrenzt; mit 
Vorliebe finden sie sich am Rumpf, seltener werden sie an den 
Extremitäten beobachtet, fast niemals an Händen und Füssen. 
Offenbar sind sie nicht von dem Verlauf der Gefässe und Nerven 
beeinflusst; jedoch zeigen sie bisweilen auf der dem Sitz des 
carcinomatös erkrankten Organs entsprechenden Hautpartie ein 
gehäuftes Auftreten; z. B. bei Carcinoma uteri ist wesentlich das 
Abdomen Sitz der Geschwulstbildung. Makroskopisch und nach 
dem mikroskopischen Bilde muss man diese Geschwülstchen als 
Angiome ansprechen. Sie erscheinen makroskopisch der 
normalen Haut aufgesetzt und lassen nicht venöse Ausläufer in 
die Umgebung ausstrahlen. Auf dem mikroskopischen 
Schnitt erkennt man gewucherte und erweiterte capillare Ge¬ 
fässe. Irgend welche Veränderungen des Gewebes, die auf einen 
direkten Zusammenhang zwischen ihnen und der malignen Neu¬ 
bildung sehliessen Hessen, haben wir bisher nicht nacliweisen 
können. 

Was nun, m. II., die erste Frage angeht, die also lautet: 
ob das Auftreten von derartigen kleinsten Angiomen eine häu¬ 
fige, eine gewöhnliche Begleiterscheinung des Carcinoms ist, so 
muss dieselbe auf Grund des mir durch Dr. M ü 11 e Fs Mühe 
und Arbeit zur Verfügung gestellten Beobachtungsmaterials 
durchaus bejaht werden. Unter den 50 genauest untersuchten 
Fällen von Carcinoin ist nur ein einziger Fall (39 Jahre alter 
Patient), Carcinoma oesophagi, bei dem sich kein Angiom ge¬ 
funden hat. Bei allen übrigen sind derartige Neubildungen ge¬ 
funden worden, und zwar bei den Männern in folgendem 
Yerhältniss: 17 Fälle mit 310 Tumoren, also im Verhältnis 
1:18. Darunter war bei einem Falle von Leberkrebs (37 Jahre 
alter Patient) die höchste Zahl 76 Tumoren; bei den Frauen 
stellt sich das Verhältnis 33 Fälle mit 444 Tumoren, also 1:13. 
Die höchste Zahl an Angiomen wurde bei einer Dame mit 
Manunacarcinom, welche 58 Flecke auf weist, nachgewiesen. Der 
Gesammtdurehschnitt beläuft sich also auf 50:754, d. h. 1:15. 

Zur Beantwortung der zweiten Frage ist ein Kranken¬ 
material von 300 Menschen verwendet worden; aus diesem ergibt 
sich, dass allerdings im späteren Alter hin und wieder derartige 
kleine Gefässgesohwülste auftreten, ohne dass die genaueste 
Untersuchung und Beobachtung ein Carcinom bei dem betreffen¬ 
den Kranken feststellt. Immerhin ist einerseits das Alter ein 
sehr viel höheres, andererseits die Zahl der Geschwülste eine so 
erheblich kleinere, dass ich nicht anstelle, auf Grund meiner bis¬ 
herigen Beobachtungen zu behaupten, dass den im relativ 
frühen Alter und in Verhältnis» massig grosser 
Anzahl auf tretenden Angiomen der Haut¬ 
decke ein diagnostischer Werth bei der Dia¬ 
gnose Carcinom beigemessen werden muss. 

Aus einer graphischen Darstellung ergibt sich, dass eigent¬ 
lich erst nach dem 50. Lebensjahre bei anscheinend Gesunden 
auch derartige Angiome sich finden, während bei Carcinoin- 


kranken bereits mit dem 25. Lebensjahre diaselben in mehr oder 
weniger gehäufter Zahl auftreten. Und desshalb möchte ich 
eben diesen Angiomen einen zur Diagnose leitenden Werth zu- 
erkonnon. Wir finden eben bei Krebskranken eine Erscheinung, 
die bei Gesunden oft gar nicht oder sehr viel spater und meistens 
viel beschränkter einsetzt. 

Ob dieser Vorgang nur auf eine Schwäche des Gewebes, ent¬ 
sprechend der V i r c h o w’schen Theorie zu beziehen ist, oder 
ob etwa das aetiologische Moment der Neubildung hierbei eine 
Rolle spielt, muss vorläufig noch dahingestellt bleiben. Ich per¬ 
sönlich neige mehr zu der ersten Annahme hin. Meine heutige 
Mittheilung verfolgt nur den Zweck, auf die diagnostische Ver¬ 
wert hung dieser in Obigem erörterten Erscheinung aufmerksam 
zu machen. 

Bevor ich schliesse, möchte ich noch auf einige Punkte hin- 
weisen. Einmal, dass es nun unsere Aufgabe sein dürfte, meine 
Behauptungen nachzuprüfen und dass sich hierbei namentlich 
die Krankenanstalten, welche über grosses Krankenmaterial von 
Krebskranken verfügen, betheiligen möchten. 

Hierbei scheint mir wichtig, auf folgende Fragen zu achten: 
a) Sind die rothen Flecke schon vor den ersten Symptomen de> 
Carcinoms da und vermehren sie sich erst dann, wenn das 
Carcinom zur Ausbildung kommt? b) Sind sie etwa in ihrer 
feinsten Anlage angeboren und als solche vielleicht in ersicht¬ 
lichem Zusammenhang mit dem Carcinom, wobei man an Keim¬ 
versprengungen denken müsste, oder c) sind sie erst als Folgen 
der Krebserkrankungen aufzufassen oder d) gar nur häufige Be¬ 
gleiterscheinungen ? 

Ferner wäre die Frage zu erörtern, ob sich diese vermehrten 
Angiome ausschliesslich bei Carcinom finden oder auch bei 
anderen malignen Tumoren, z. B. bei Sarkomen ? 

Auch scheint mir nicht ohne Bedeutung, darüber nachzu¬ 
forschen, ob, da in der Hauptsache der Ausbreitungsbezirk der 
Flecke der Carcinom-Gegend entspricht, vielleicht ihre Aussaat 
der Verästelung einer Vene, die in der Nachbarschaft des Car¬ 
cinoms entspringt, entspricht 

Dass man bei diesen Untersuchungen auch darauf Rück¬ 
sicht nimmt, ob nicht auch bei gutartigen Geschwülsten und 
event. bei welchen ähnliche Proeesse sich abspielen, versteht sich 
von seihst, obwohl unsere Resultate nach dieser Richtung negativ 
geblieben sind. 

Und endlich dürfte d i e Frage allgemeines Interesse haben, 
ob nach irgend einer Richtung hin die Aussaat der Angiome 
Rückschlüsse auf die Proeesse zulässt, sei cs dass die Prognose 
sich dadurch verschlechtert, dass mau dabei eine Verminderung 
der Widerstandskraft des Gewebes annimmt oder sei es, dass 
ihr allmähliches Verschwinden, wie ich bis jetzt dreimal be¬ 
obachtete, nach gelungener Exstirpation des kranken Gewebes 
einen Schluss auf günstige Prognose zulässt. 

M. H.! Wenn diese Mittheilung die Anregung gibt, dass 
von jetzt ab mit Aufmerksamkeit dieser Proeess verfolgt wird, 
so hat sie ihren Zweck erreicht, denn sie soll den unglücklichen 
Oarcinomkranken nützen und das thäte sie, wenn sie die Dia¬ 
gnose rechtzeitiger stellen lehrt. 


Die experimentelle Begründung der Sehnenplastik.*) 

Von Prof. Dr. A. lloffa in Würzburg. 

M. TL! Es ist Ihnen Allen bekannt, welchen grossen Fort¬ 
schritt die von N i c o 1 a d o n i begründete, daun von Drobn ik, 
F rank e, V u 1 p i u s, Lang e und vielen Anderen weiter aus¬ 
gebaute 8 e h n o n p 1 n s t i k für die Entwicklung der ortho¬ 
pädischen Chirurgie bedeutet. Nach meinen eigenen zahl¬ 
reichen Erfahrungen haben wir in der Sehnenplastik 
ein n u s g e z e i e h n e t e s Hilfsmittel nicht nur für die 
Behandlung paralytischer Deformitäten, son¬ 
dern auch für die Behandlung zahlreicher spastischer 
Kontrakture n sowie traumatischer Sehnen¬ 
de f e k t e. Die Technik der Operation ist im All¬ 
gemeinen eine recht einfache. Immerhin geht es auch hier wie 
bei anderen Operationen; je grösser die Erfahrung des Einzelnen 
wird, um so besser wird es ihm im einzelnen Fall gelingen, die 
für den betreffenden Fall günstigste Art der Sehnenplastik 


*) Vortrag, gehalten in der chirurgischen Sektion der 73. Natur¬ 
forscherversammlung zu Hamburg am 25. September 1901. 


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17. -Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2037 


horauszufindei). Es kommen da fiir einen, einzelnen Fall, um 
das denkbar beste Resultat zu erzielen, dos Oefteren eine ganze 
Anzahl notlnvendiger Maassnahmen zusammen, und es handelt 
sieh in einem solchen Fall oft nicht allein darum, eine Sehne an 
die andere auzunähen, sondern es müssen gleichzeitig auch Ver¬ 
längerungen und V erkürzungen anderer Sehnen oder 
die Verlagerung von S e h n e n a n 8 ä t z e n in An¬ 
wendung gezogen werden. Namentlich die letztere Art der Opera¬ 
tion. ausgeführt als sogen, periostale Sehnenver¬ 
pflanzung nach dem Vorgänge von Lange, wirkt oft ausser¬ 
ordentlich segensreich und möchte ich diese Meithode noch einmal 
besonders empfehlen. So zieht man z. B. beim paralytischen 
Plattfuss die Sehne des einen Peroneus unter der Achillessehne 
durch und näht sie an der inneren Seite des Calcaneus an. Da¬ 
mit erreicht man, in Kombination mit den anderen geschilderten 
Eingriffen eine wirklich normale Stellung und oft auch eine wirk¬ 
lich normale Funktion des Fusses. 

Die Sehnenplastiken sind nun schon tausendfältig ausgeführt 
worden und auf Grund der Erfahrungen, die man bei der ein¬ 
fachen Tenotomie oder Tenektomie gemacht hat, hat man sich 
wohl auch die Ileilungsvorgänge analog den Heilungsvorgängen 
bei diesen Operationen vorgestellt. Besondere Untersuchungen 
über die Heilungsvorgänge im Anschluss an Sehnenplastiken 
liegen meines Wissens bisher noch nicht vor. Diese Lücke habe 
ich auszufüllen versucht und möchte Timen in kurzen Zügen über 
die Resultate meiner Untersuchungen berichten. Ich werde da- 
l>ei dio histologischen Details übergehen und Ihnen nur das 
Wesentlichste der Ergebnisse mittheilen. Für die Herren, die 
sich dafür interossiren, habe ich eine grössere Anzahl schöner 
mikroskopischer Präparate aufgestellt und bin gern bereit, die¬ 
selben spater genauer zu demonstriren. (Ist nach Beendigung des 
Vortrags geschehen.) 

Die Versuche wurden an Hunden und Katzen ausgeführt, 
und zwar wurden alle möglichen Variationen der Rehnenplastik an 
diesen Thieren ausgeführt. Am einfachsten klärt Sie wohl ein 
Blick auf diese Tafel hier über die Art der vorgenommenen Ope¬ 
rationen auf. Es wurden, wie Sie sehen, die Sehnen zunächst 
verlängert, indem sio in Form eines (lurchtrennt wurden. 

Dann wurden sie verkürzt, indem sie entweder durchschnitten 
und dann unter Verschiebung der Sehnenenden gegeneinander 
wieder zusammengonäht wurden, oder es wurde die Verkürzung 
nach der Lang e’schen Methode vorgenommen, indem die Sehnen 
mit einem Seidenfaden durchflochten und dann durch Zusammen- 
ziehen des Fadens gefaltet und so verkürzt wurden. Weiterhin 
wurde eine Sehne an die andere angenäht und zwar entweder so, 
dass die Sehnen einfach aneinandergelegt und zusammengeheftet 
wurden oder dass die eine Sehne durch ein Knopfloch der anderen 
hindurehgesteckt und dann mit dieser vereinigt, wurde. Als ge¬ 
eignetste Sehnen erwiesen sich die Achillessehnen, sowie die 
Sehnen der Pfoten. Sämmtliche Operationen wurden unter mög¬ 
lichster Wahrung der aseptischen Kautelen ausgeführt. Als Näh¬ 
material diente ausschliesslich durch Kochen sterilisirte Seide. 
Dio Thierc wurden nach Ablauf von 14 Tagen bis mehreren 
Monaten nach der Operation getödtet. Ausser den durch die 
Thierversuche gewonnenen Präparaten wurde noch ein sehr inter¬ 
essantes Pränarat untersucht, das vom Menschen stammt. (Prä¬ 
parat No. IV, der folgenden Serie.) Ich hatte bei einer Patientin 
vor 1 Jahre den Muse, tibialis anticus durch Faltung nach der 
Lan ge’schen Methode verkürzt. Bei einer Nachoperation habe 
ich dann, um noch eine stärkere Verkürzung des Muskels zu er¬ 
reichen, die erste Operationsstelle exstirpirt und so ein schönes 
Präparat gewonnen. 

Die histologische Untersuchung hatte mein Kollege. Herr 
Privatdocent Dr. Borst,!. Assistent am pathologischen Institut 
der Universität Würzburg, vorzunehmen die Güte und sage ich 
ihm für seine viele Mühe an dieser Stelle meinen besten Dank. 

Ich möchte nur, um Ihnen einen Begriff über die Unter¬ 
suchungsresultate zu gehen, zunächst einige der Untersuchungs¬ 
protokolle mittheilen: 

T. Linker Vorderfuss einer Katze. Die Opera¬ 
tion fand am 29. IV. 1001 statt: (ins Thier wurde am 23. V. 1901 
getödtet. also 24 Tage nach der Operation. Dieselbe bestand In der 
Lange’sehen Verkürzung der Sehne mittels Faltung. 

Die alte Sehne ist überall deutlich von der neugebildeten zu 
unterscheiden: letztere ist zellreich und bläulich gefärbt. Man 
erkennt in dem Präparat die alte Sehne an ihrem stark welligen 


Verlauf; sie ist an einzelnen Stellen — meist peripherischen — sehr 
zellreich und strahlen von liier aus Junge zellreiche Sehnenfaseikel 
in die Umgebung aus; sie verflechten sich mit benachbarten Bün¬ 
deln innig und in den verschiedensten Richtungen. So entstehen 
zwischen den Windungen der all n Sehne oft sehr umfangreiche 
verbindende Füllmassen jungen Sehnengewebes. Zwischen 
weiter auseinander gelegenen Sehne, ist durch Proliferation des 
Bindegewebes ein zellreiches libropKstischos. gefüssrelches Ge¬ 
webe entstanden. Um die Nähte sind starke Zellanhäufungen 
wahrnehmbar, die aus ein- und mehrkernigen Leukoeyten, Jungen 
Gewebezellen, Fibroblasten und Riesenzellen bestehen. 

II. Rechter Vorderfuss einer Katze. Die Opera¬ 
tion fand am 29. IV. 1901 statt; am 23. V. wurde das Thier ge¬ 
tödtet, also 24 Tage nach der Operation. Es war die Verpflanzung 
einer Sehne auf die nächstgelegene mit Hilfe von 3 Seidenmihteu 
vorgenommen worden. 

Die Verbindung der 2 Seimen wird fast ausschliesslich durch 
junges Sehnengewebe hergestellt. Zahlreiche Bündel jungen, zell- 
reichen Sehnengewehes verflechten sich im Bereich der Narbe 
innig und bilden hier einen förmlichen Knoten. Man kann sehr 
deutlich den direkten Uebergang der alten ruhenden Sehne in die 
Wucherung sehen und konstatirt das Einstrahlen und Slchauf- 
lösen der gewucherten Sehnenzellenbündel ln die Narbe. Das 
Peritenonium intexnum und externum zeigt nur geringe Verbreite¬ 
rung durch Vermehrung der Zellelemente. Um die Nahte herum 
finden sich wiederum Leukoeyten, Riesenzellen und junge Ge¬ 
webszellen 

III. Rechter Hinterfusg einer Katze. Die Daten 
sind dieselben. Die Operation bestand darin, dass eine Sehne unter 
einer anderen durchgezogen und auf die nächste verpflanzt wurde. 

Hier zeigen die Präparate allenthalben eine Zunahme des 
Peritenonium internum, dessen Gefüsse vielfach dickwandig und 
zellreich erscheinen; kleine Anhäufungen von Blutpigment liegen 
innerhalb des Peritenonium internum. Die Vermehrung der 
Sehnenzellen ist geringer wie in 1 und II. Zwischen den grösseren 
Sehuenbündeln starke Wucherung des Bindegewebes; die liier be¬ 
findlichen Nähte sind von kolossalen Massen von Leukoeyten 
und Gewebszellen umgeben; die einzelnen Fäden bereits vielfach 
durch junges flbroplastisclies Gewebe auseinandergedrängt bezw. 
in Junges Bindegewebe eingeheilt. Das alte Sehnengewebe ist 
also vorwiegend durch neugebildetes Bindegewebe vereinigt und 
bethelllgen sich an der Narbe Sehnenzellen nur ln beschränktem 
Umfang. 

IV. Seil n en narbe von einer Tibialisverkür- 
z u n g. Das Präparat stammt von der oben erwähnten Patientin. 
Die Operation fand am 22. IX. 1900 statt, die Exstirpation der 
Operationsstelle am 31. V. 1901, also nach 242 Tagen. Es war eine 
L a u g e'sche Sehnenverkürzung vorgenommen worden. 

An dem Präparat kann man sehr deutlich den oberen und 
unteren Stumpf der Sehne erkennen: zwischen beiden Stümpfen 
boliudet sich ein aus der wellig zusammengezogeuen Sehne ge¬ 
bildetes Zwischenstück. Die Stümpfe und der grössere Theil 
des Zwischenstücks, soweit cs das Sehnengewebe selbst betrifft, 
sind reaktionslos und unverändert. Das Peritenonium externum ist 
dagegen gewuchert und zell- uml gefässreich; an dem einen Stumpf 
sieht man zwischen dem gewucherten Peritenonium ext. und dem 
umgebeuden. ebenfalls zell- und gefiissreichen Bindegewebe eineu 
klaffenden (lymphatischen) Spalt. Dieser Stumpf erscheint von 
dem welligen alten Sehnengewebe durch breite Massen von Gra- 
nulationsgewebe bezw. jungem flbropiastiscliem Gewebe getrennt, 
dessen Elemente auch vielfach zwischen die Sehnenbilndel und 
-fasern eingewandert sind. Die an dieses junge Zellgewebe an¬ 
grenzende gewundene alte Sehne Ist aufgefasert, ohne Reaktion, 
im Gegentheil vielfach in Zerklüftung und Auflösung begriffen; 
auch hier wachsen zwischen die gelockerten Sehnenbündel junge 
Zellen ein; (lessgleichen sind viele Leukoeyten eingewaudert. Im 
Bereich der zusammengekniiuelten alten Sehne (also in dem Ver¬ 
bindungsstück der beiden Stümpfe) findet sich stellenweise massige 
Zunahme des Zellreichthums der Sehne, an einer Stelle aber Ist 
eine starke Wucherung und Bildung reichlicher junger Sohneu- 
fascikel zu konstatiren, die sich zu einem dichten Narbenfleclit- 
werk zusammenftigen. An dieser Stelle ist auch, aber in unter¬ 
geordnetem Maasse, neugebildetes fibrilläres Bindegewebe mit Go- 
füssen an der Narbe betheiligt. Um die Fäden herum ist eine 
kolossale Reaktion cingetretcn, die sich in starker Anhäufung von 
Leukoeyten, jungen Gewebszellen und Riesenzellen dokumentirt; 
vielfach ist auch schon junges fibrilläres Bindegewebe entstanden. 

V. Linke Hinterpfote eines Dachshundes. 
Die am 24. IV. 1901 vorgenommene Operation bestand in einer 
Verlängerung der Achillessehne nach “I-förmiger Durchschneidung : 
es wurden 2 Seidennähte angelegt. Das Thier wurde nach 
04 Tagen (am 27. VI. 1901) getödtet. 

Gegen die Operationsstelle hin nimmt der Kernreichthum der 
Sehnen beträchtlich zu; (las Periteuonium internum zeigt ebenfalls, 
Je näher man der Operationsstelle kommt, desto stärkere Kern¬ 
anhäufung und damit Verbreiterung; man findet hier um die Ge- 
fässe reichliche Massen von Rundzelleu, sowie starke Vermehrung 
spindliger Biudegewebszelleu. Im Bereich der Naht selbst ist 
reichlich Junges Bindegewebe mit Gefässen, deren nächste Um¬ 
gebung mit Rundzelleu dicht besetzt ist, zur Entwicklung ge¬ 
kommen. Dies junge Bindegewebe steht mit den Proliferations¬ 
gebieten des Peritenonium internum und externum in Zusammen¬ 
hang. In die Narbe strahlen die neugebildeten Sehnenfaseikel ein. 

VI. Rechte Hinterpfote desselben Thier es. 
Die Daten sind dieselben. Die Achillessehne war nach der 
L a u g c'scheu Methode verkürzt worden. 


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Goögle 



2038 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


Au (Uesen Präparaten Ist die Reaktion des Bindegewebes 
bezw. die Betheiligung von leukoeytären Wanderzellen eine ganz 
enorme. Um die Nähte haben sieh mächtige Rundzellennnsamm- 
luugen gebildet, die sich weithin in das Narbengewebe verlieren; 
an einzelnen Stellen sind die Anhäufungen von Leukocyten und 
jungen (Jewebszellen förmlich abscessartig. Die Proliferation 
seitens der Bindegewebsausbreitungen des Peritenonium externum 
und internum ist ülienill im Bereich des Operationsgebietes sehr 
bedeutend. I’ebeliill lmt sich zwischen der alten Sehne junges, 
gefässreielies Bindegewebe gebildet. Wo die vorhin erwähnten 
Kumlzellennnsammlungen sich finden, da ist auch jedesmal eine 
Einwanderung der Leukocyten und jungen Gewebszellen zwischen 
die Eibrillen der alten Sehne zu konstatiren. Eine Vermehrung 
der Sehnenzellen ist auch an diesen Präparaten, wenn auch ln 
massigem Grade, vorhanden; hie und da sieht man junges Schuen- 
gewebe in die neugebildeten Bindogewebsmassen einstrahlen und 
siel« darin verlieren. 

VII. Linke Vorderpfote eines D a c h s h u n d e s. 
Die Operation bestand in der durch “L-förmige Durchschneidung 
ausgefiihrten Verlängerung einer Sehne; sie fand am 16. V. 1901 
statt. 42 Tage später, am 27. VI. 1901. wurde das Thier getödtet. 

Auch hier ist am Ileilungsproeess das Peritenonium externum 
und internum wesentlich betheiligt: jedoch fehlen die starken 
Rundzellenansammlungen, die im Falle VI das ganze Operations¬ 
gebiet förmlich iiberAutheten. Das Peritenonium internum zeigt 
sieh massig verbreitert und zellreich. Durch Wucherung der 
Sehnenzellen der alten Sehne ist reichlich junge Sehne entstanden, 
welche, in Zügen angeordnet, sich mit benachbarten Zügen junger 
Sehnen verflicht, wobei in der Regel die Bündel sich in spitzen 
Winkeln treffen. Stellenweise ist die Neubildung von Sehnen- 
gewebe sehr bedeutend und die Verflechtung der zellreichen 
Schnenziige sehr innig; an solchen Stellen ist die entstandene 
Narbe durchweg von jungem Sehnengewebe gebildet, welches nur 
noch von gefässführenden, zellreichen Bindegewebszügen (.Pro¬ 
dukte des Peritenonium internum?) durchzogen ist. 

VIII. Rechte Vorderpfote eines Dachshundes. 
Die am 16. V. 1901 ausgeführte Operation bestand in einer Ver¬ 
pflanzung einer Sehne auf eine andere. Das Thier wurde am 
27. VI.. also nach 42 Tagen, getödtet. 

Bei diesen Präparaten sieht man benachbarte Sehnen durch 
reichliches, ueugebildetes Bindegewebe (Peritenonium externum) 
getrennt bezw. zusammengehalten. Um die Fäden ist sehr reich¬ 
lich junges Bindegewebe entwickelt und sind bereits eigenartige 
Lymphspalten und grössere buehtige Räume um die Fäden ent¬ 
standen. in welchen auch Bruchstücke gequollener Sehne frei¬ 
liegen. Was von den operirten Sehnen zu schon ist. scheint eher 
degenerativen Processen entgegen zu gehen, als progressiven. Ein 
Selmenzipfol ist im Präparat umgebogen und in Auffaserung be¬ 
griffen; er ist von dem benachbarten Sehnenstück durch eine Naht 
getrennt; das benachbarte Stück ist grossen!hoi 1s nnfgofnsert und 
in Zerfall begriffen; zwischen die kernlosen gequollenen Sehnen¬ 
fasern sind Leukocyten und junge Gewebszellen eingewandert: 
auf diese folgt dann wieder eine Naht, so dass die Vermuthung 
nahe liegt, dass durch die Schnitte Stellen getroffen sind, an 
welchen durch Umschnürung mit den Fäden eine partielle Rück¬ 
bildung der alten Sohne eingetreten ist. Eine weitere Unter¬ 
suchung dieses Präparates behalte ich mir vor. 

IX. Linker II i n t. e rftts s e i n e s s c h w a r z e n 
Hundes. Am 20. VI. 1901 ist die Achillessehne nach der 
Lang c’seht'U Methode verkürzt worden. Nach 14 Tagen, am 
4. VII., wurde der Hund getödtet. 

Man sieht die in Wellenlinien verlaufende alte Sehne. An 
einer Stelle ein grosser Bluterguss, in dessen Bereich die alte 
Sellin» aufgefasert und kernlos ist und sieh in Degeneration bo- 
lindct. Gerade in das Gebiet der Ilaomorrhagie sieht man nun 
von der alten Sehne reichlich jungt? Schnellzüge, die sein* zellreich 
sind, einstralden. Eine geringe Vermehrung und Zollintiltration 
des Peritenonium internum ist im Bereich der Selinenwuehernng 
zu konstatiren. Die Sohnenneubildung ist allenthalben sehr stark; 
um die Nähte findet sich nur geringe Reaktion. Die centralen 
Partien des Blutergusses sind noch nicht von der Wucherung 
erreicht; hier ist also der Ileilungsproeess bedeutend verzögert. 

X. Rechte Hinterpfote eines schwarzen 
Hundes. Die Daten sind dieselben wie bei Fall IX. Die 
Achillessehne war verkürzt worden, indem man sie mittels 
eines Hakens hervorzog und faltete. 

Das Präparat besteht hauptsächlich aus einer mächtigen 
Narbe, die von verflochtenen, zellreichen, jungen Bchnenbündeln 
und jungem Bindegewebe, das Gefässe mit Mänteln von Rund¬ 
zollen führt, gebildet wird. Von Seiten des Peritenonium 
externum und dem peritendinösen Bindegewebe ist reichlich 
neues Bindegewebe gebildet, auch die Ausbreitungen des 
Peritenonium internum zeigen sich verbreitert und zell- 
reich. Die Neubildung von Sehnengewebe ist sehr bedeutend 
und kann man von der alten Sehne her zahlreiche Junge Sehnen- 
faseikel in die Narbe einstrahlen und sich hier mit anderen Fas- 
cikHii verflechten sehen; stellenweise ist die Narbe fast aus¬ 
schliesslich sehnig. 

XI. lt e eilte r Vorderf uss d e s s e 1 b c n T hier e s. 
Die Zeit Verhältnisse sind ebenfalls dieselben. Es wurde hier die 
Schm» eines tiefen Beugemuskels mit derjenigen eines oberfläch¬ 
lichen Beugers vernäht. 

FebernII im Präparat ist in der Umgebung der Narbe das 
Peritenonium externum und das pcritendlnüse Bindegewebe ver¬ 
breitert und gewuchert, die Gefässe sind vielfach verdickt: die 
benachbarten Reimen sind durch das neugebildete Bindegewebe 


verbunden. Die Narbe selbst wird aus verflochtenen Zügen zell¬ 
reichen jungen Sehnengewebes gebildet, ferner von Zügen fibril¬ 
lären Bindegewebes und von Gefiissen. deren Umgebung von 
Rundzellen besetzt ist; das Geflecht der Narbe ist ausserordent¬ 
lich dicht. In die Narbe sind reichlich Haare eingeheilt. An zwei 
Stellen sieht man im Nnrbengewebe gequollene, degenerirte 
Sohnenbündel der alten Sehne eingeschlossen. 

Fassen wir das, was sich als wesentlich aus obigen 
Unt< rsuchungsprotokollen ergibt, zusammen, so wäre dies etwa 
Folgendes : 

Die nach den verschiedenen Methoden der Sehnenplastik im 
Verlaufe der nächsten Wochen sich abspielcnden Processi; führen 
zur Bildung einer Narbe, an deren Aufbau einerseits das Sehnen- 
gewebe selbst, andererseits das Peritenonium internum und ex¬ 
ternuni, sowie das peritendinöso Bindegewebe? Antheil nimmt. 
Es spielen sieh dabei histologisch annähernd die gleichen Vor¬ 
gänge ab, wie sie uns nach den Untersuchungen von E n d e r 1 e n, 
1> u s s e und neuerdings von Schradick für die Heilungsvor- 
giingo nach der einfachen Tenotomie geschildert worden sind. 

Die Neubildung des Sehnengewebes ist in der Regel eine 
sehr bedeutende; es entstehen zahlreiche Bündel junger Sehnen, 
die in die Narbe einstrahlen und mit gleiehgeartcten Fasei kein 
innige Geliechte cingehen. In den ersten Wochen erscheint die 
neugebildete Narbe noch mehr oder weniger bindegewebig, später 
alter wird sie vorwiegend ‘-ehnig. Alte und neugebildete Sehne 
sind aber auch noch nach Monaten durch den verschiedenen Zcll- 
reiehthum. sowie durch die Farhemtntersehiede (hoi Haenia- 
toxylin-EoMnfärbung) gut zu unterscheiden. 

War die Operation nicht ganz aseptisch verlaufen, hatte 
vielmehr eine leichte Infektion stattgehabt., so überwog die Pro¬ 
liferation des Bindegewebes entschieden die von der Sehne aus¬ 
gehende! Neubildung. Die Heilung wird ferner bedeutend ver¬ 
zögert, wenn sich grössere Ilaemorrhagien im Ojierationsgebij't 
einstellen. Sehr interessant ist das Verhalten der Sehnen partiell, 
welche zwischen die einzelnen Nähte gefasst, gewissermaassen 
abgesehniirt werden. Man erkennt dann zunächst deutlich eine 
Degeneration der al»geschnürten Sehnenbündel. Die regressiven 
Proceppp am Sohnengewehe verlaufen unter Kernschwund, unter 
Auffaserung und homogener Quellung der Fasern. In die dc- 
generirten Sehncnahschnitte wandern dann zahlreiche Leuko¬ 
cyten und Wanderzellen ein, durch deren Umwandlung dann 
wieder zunächst Bindegewebe und später sehniges Gewelie ent¬ 
steht. 

"Mit. dem Alter der Narbe nimmt, deren Zellgehalt und Gefäss- 
rcichtlnun allmählich ah, während die Zwischensubstanzen zu- 
nehir.cn, aber auch noch nach Monaten sind die Processe der 
Emigration und Immigration, sowie die Bildung und Rück¬ 
bildung der Narlie nicht beendet. 

Soviel, m. TT., über meine Untersuchungen; die genauen 
hi>t''logischen Milthoilungen über dieselben werden in einer aus¬ 
führlichen Arbeit von Dr. Borst erfolgen. Für die Praxis 
ergibt sieb aus den seilten einmal, dass strengste Aseptik und 
Vermeidung jeder Infektion, ferner exakte Blutstillung zur Ver¬ 
hütung von TTaemorrbagien für die Erzielung einer guten Hei¬ 
lung nötliig sind, und ferner, dass die Fixation des operirten 
Theiles in der gewünschten Stellung für längere Zeit auch nach 
vollständig beendeter Wundheilung statthaben muss, damit eine 
wirklich solide Narbe entsteht. 


Reagenspapier zum Nachweis von Jod bei klinischen 
Untersuchungen.*) 

Von G. Heiliges und J. Snbrazes in Bordeaux. 

Der Nachweis des Jods irn Harn und im Speichel nach sub¬ 
kutaner Injektion oder nach innerlichem Gebrauch von Jodver- 
hiiulungeii wird tagtäglich zu klinischen Zwecken durchgefülirt. 
Da man hauptsächlich bezweckt, den genauen Zeitpunkt zu no- 
tiren. in welchem das Jod in diesen Ausscheidungen aut tritt, 
so begnügt man sich mit qualitativen Untersuchungen. Will 
man z. B. das Resorptionsvermögen der Magenschleimhaut l»e- 
stimincn. so gibt man dem Kranken bei leerem Magen 10 eg Jod¬ 
kali in einer Gelatinekappel und man untersucht hierauf den 
Speichel: normal ist die Jodreaktion positiv nach Verlauf von 
10 Minuten. 


*i SoCiöte de Pharmaeie de Bordeaux. Fövrler 1901. 


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17. Dezember 1901. 


MÜENCHENER MEDICiNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2039 


Will man sich Aufschluss verschaffen über die Motilität des 
Magens, oder richtiger gesagt, über den Zeitpunkt, in welchem 
der Speisebrei den Pylorus zu durchtreten beginnt, um in das 
Duodenum zu gelangen, so kann man seine Zuflucht nehmen 
zur Jodipinprobe l ). 

Diese Substanz ist eine feste Verbindung von Sesamöl und 
Jod; sie wird weder in der Mundhöhle noch im Magen zersetzt, 
was zahlreiche Experimente erwiesen haben. Nach Einnahme 
vollzieht sich die Zersetzung des Jodipins im Dünndarm in Gegen¬ 
wart der Galle. Eine Viertelstunde nach der Probemahlzeit, die 
aus einer Tasse Thee und einem kleinen Brod besteht, gibt man 
in ein wenig Wasser einen Kaffeelöffel voll einer 10 proc. Jodipin- 
lösung (3,50 g), was 0,35 g Jod repräsentirt. Das Auftreten der 
Jodreaktion im Speichel zeigt deutlich an, dass die Entleerung 
des Speisebreis des Magens in den Darm ihren Anfang genommen 
hat. Das Jod, welches aus der öligen Verbindung frei geworden 
ist, wird von der Blutcirculation als Jodsalz fortgetragen und 
durch den Ham und durch den Speichel ausgeschieden, wo es 
dann leicht ist, dessen Gegenwart zu entdecken. In der Regel 
tritt die Jodreaktion im Speichel nach einer Viertelstunde auf. 
In einigen pathologischen Fällen, wie z. B. bei der Magenerwei¬ 
terung, beim Pyloruskrebs, bei der Magenatonie der Tuberku¬ 
lösen, etc. konstatirt man eine manchmal sehr bedeutende Ver¬ 
zögerung im Auftreten des Jods. Beim Retentions-Ikterus, vor¬ 
ausgesetzt, dass keine Spur von Galle in das Duodenum Über¬ 
tritt, zersetzt sich das Jodipin nicht, und der Nachweis des Jods 
im Speichel bleibt auf unbestimmte Zeit negativ. 

Man wendet das Jodkali auch an, um den Zustand der Durch¬ 
gängigkeit der Nieren festzustellen. Man bestimmt den Anfang 
und die Dauer der Jotlausscheidung aus dom Ham; den quali¬ 
tativen Feststellungen fügt man in diesem Falle, so wie es 
L. Bard und L. M. Bonnet 2 ) im Jahre 1898 angerathen 
haben, die Dosirung des Jods im Ham, der in den 24 Stunden 
nach der subkutanen Injektion von 4 cg Jodkali ausgeschioden 
worden ist, hinzu. 

Neuerdings hat man vorgeschlagen, das durch den Magen 
in der Dosis von 4 g eingeführte Jodkali zu benutzen, um ge¬ 
wisse entzündliche Affektionen der Hirnhäute zu bestimmen: die 
subarachnoidalen Räume, die für das Jod in normalen Verhält¬ 
nissen undurchgänglich sind, werden bei der tuberkulösen Me¬ 
ningitis durchgänglich; dies hat zur Folge, dass die cerebrospinale 
Flüssigkeit, welche durch Lumbalpunktion gewonnen wurde, Jod¬ 
reaktion aufweist s ). 

Dieee Beispiele erschöpfen nicht die Reihe der Falle, in 
welchen der Arzt berufen sein wird, das Jod in den Säften des 
Organismus nachzuweisen. 

Die Untersuchungsmethoden sind zahlreich. Man hat sich 
bestrebt, sie zu vereinfachen. Die praktischsten sind die mit 
Reagens-Papieren; so hat Bourget*) folgende Formel em¬ 
pfohlen : Mit Stärkekleister imprägnirte Papierstreifeu werden 
in der Dunkelheit mit einer 5 proc. Ammonium hypersulfatum- 
Lösung befeuchtet und vor Licht beschützt auf bewahrt; die 
kleinsten Spuren von Jod in den zu untersuchenden Flüssigkeiten 
rufen eine Blaufärbung des Papiers in Gegenwart von ein wenig 
Chlorwasser oder rauchender Salpetersäure hervor. Dieses Re¬ 
agens-Papier ist von der Mehrzahl der Autoren, welche bisher 
die Motilität des Magens mit Hilfe des Jodipins studirt haben, 
angewendet worden; Ferdinand Winkler u. Konrad Stein“), 


*) H. Winternitz: lieber das Verhalten von Jodfetten im 
Organismus und deren therapeutische Verwendung. Deutsche 
med. Woehenschr. 1897, No. 23. 

T'eber Jodfette und ihr Verhalten im Organismus nebst Unter¬ 
suchungen Uber das Verhalten von Jodkalieu etc. Zcitschr. f. 
physiol. Chemie 1899. Bd. XXIV, H. 5 u. 0. 

9 L. Bard und L. M. Bonne t: Recherehes et considörntlons 
oliniques sur les dlfferences de permöabilitß rSnale dans les diverses 
espfcces de nßphrites. Areh. gelier, de m6d., fövrier, mars, avril 
1898. Vol. 1, p. 129. 282, 404. 

•’) Widal, Sieard et Monod: Perm(*abilite mening<*e 
A Tiodure de potassium au cours de la meningite tuberculeuse. 
Presse m6d. 7. novembre 1900, No. 92. 

4 ) Bourget: Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte 1898, 
pag. 523. 

9 Ferdinand W i n k 1 e r und Konrad Stein: Die Ver¬ 
wendung des Jodipins zur Funktiousbestimmuug des Magens. 
Centralbl. f. inn. Med., 19. August 1899, No. 33. 

No. 51. 


A. S t e r n b e r g *), S. Heichelheim') haben es benutzt. 
Der Letztere merkte immer hierbei, dass dieses Reagens-Papier 
ausserordentlich unbeständig ist; 2 Tage nach seiner Herstellung 
verliert es seine Empfindlichkeit und kann ungenaue und sogar 
ganz irrige Resultate liefern; es muss ferner immer vor Licht 
beschützt aufbewahrt werden. 

Wir haben ein Reagens-Papier angewendet, welches keine 
dieser Unannehmlichkeiten besitzt, da es bezüglich seiner Sen¬ 
sibilität dem von Bourget empfohlenen nachsteht. Es ist 
nicht nöthig, dass es frisch präparirt ist; so benützen wir ein 
Paquet seit mehr als 8 Monaten. Es ist so empfindlich wie zur 
Zeit seiner Herstellung. Das Licht hat demselben keine seiner 
chemischen Eigenschaften verlieren lassen. Wir konnten uns 
davon überzeugen, indem wir es 8 Tage der Sonne aussetzten; 
es lässt sich unbestimmt lange Zeit konserviren. 

DiesesReaktiv-Papier, dessen wir uns tagtäglich bedienen, um 
Jod nachzuweisen, namentlich bei dem Jodipinversuch, wird fol- 
gendermaassen hergestellt: Man löst in einer Porzellanschale lg 
Stärkemehl in 10 ccm kalten, destillirten Wassers auf und fügt, in¬ 
dem man umrührt, 40 ccm kochendes Wasser dazu, hierauf bringt 
man das Gemenge zum Kochen und lässt es 1 oder 2 Minuten 
kochen, indem mau fortwährend rührt, hierauf lässt man ab- 
kiililen und setzt der so erhaltenen Flüssigkeit 0,5 g salpetrig¬ 
saures Natrium hinzu und nach Auflösung dieses Salzes und 
Umrühren bepinselt man mit einer Schichte dieses so zubereiteten 
Reaktivs beide Seiten von starkem Schreibpapier, indem man 
Sorge trägt, die zuerst befeuchtete Fläche, sei es spontan in 
freier Luft oder viel schneller in einem Strom heisser Luft 
trocknen zu lassen, bevor man die andere Fläche mit der Nitro- 
Stärkeflüssigkeit bedeckt. Ist einmal die Trockenheit erzielt, 
so zertheilt man die Blätter in Streifen von 1 —IVa cm Breite 
und 8—10 cm Länge, man konservirt sie entweder in Büchsen 
oder in Gläsern ohne weitere Vorsicht. 

Beim Gebrauch befeuchtet man dieses Papier mit der Flüssig¬ 
keit, in der man das Jod nachweisen will und man fügt mittels 
eines Glasstäbcheus einen Tropfen von einer dem Volumen nach 
10 proc. Schwefelsäure hinzu. 

Die Sensibilität der Reaktion ist derart, das6 sie gestattet, 
bis zu ein Tausendstel eines Milligramms Jodkali in einem 
Tropfen der Lösung dieses Salzes nachzuweisen. 

Für die selir starken Lösungen ist es gut, das Papier über 
eine Länge von 2—4 cm zu befeuchten, hierauf gibt man, indem 
man den Streifen fast vertikal hält, mit der befeuchteten Fläche 
nach oben einen Tropfen von 10 proc. Schwefelsäure auf den 
obersten Punkt der befeuchteten Partie. Dieser Tropfen beleckt 
beim Heruntergleiten die Fläche, welche die Jodflüssigkeit ent¬ 
hält und auf dem unteren Rande des Papiers beobachtet man 
sehr deutlich eine charakteristische blaue Zone. 

Fügen wir noch hinzu, dass in der Mehrzahl der Fälle der 
erstere Modus ganz genügend ist. 


Aus dem Institut für allgemeine Pathologie zu Turin. 

(Direktor: Dr. C. S a c e r d o 11 i.) 

Ueber die Desinfektion der von Phthisikern bewohnten 

Räume. 

Von Dr. D. Ottolenghi, Assistenten. 

Eine vor Kurzem erschienene Arbeit von F. Stoinitz 1 ) 
über die Desinfektion von tuberkulösen Sputa gibt mir zu einigen 
Erwägungen praktischer Art Anlass. Dieser Autor meint zwar, 
dass die von Schwindsüchtigen bewohnten Räume mit Formal- 
deh.vd desinfieirt werden müssen, empfiehlt jedoch, die grob¬ 
beseh m u t z t. e n Stelle n der W o h n u u g o n, an tlene n 
S p u t u m o der sputu in verdächtige Masse n 
sichtbar sind, mit einer 2 p r o in. Sublimat- 
lösuug gründlich zu befeuchten. Ohne auf die, 


") A. Sternberg: Die Verwendung des Jodipins zur Be¬ 
stimmung der Magenmotilitiit mit besonderer Berücksichtigung der 
Phthise. Deutsch, raed. Zeitung. 3. Mai 1900. 

T ) S. Heichelheim: Ueber Jodipin als Iudikator für die 
motorische Thütigkeit des Magens. Zeitsehr. f. klln. Med. 41. Bd.. 
H. 5 u. 6. 1900. 

') Zeitsehr. f. Hygiene 1901. 38. Bd.. p. IIS. 


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MÜENcHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


2040 


offenbar gefährliche, Einschränkung des Verfassers, der sich 
nur auf von sichtbaren Sputummassen beschmutzte Stellen be¬ 
zieht, näher einzugehen, möchte ich jedoch bemerken, dass die 
empfohlene 2 prom. Sublimatlösung absolut unzulänglich ist. 
Denn handelt es sich um noch frische Sputa, so scheint mir das 
einzige Experiment des Verfassers, bei welchem er die Desinfek¬ 
tion mit einer 2 prom. Sublimatlösung nach 3'A Stunden erzielte 
— während in einem anderen Falle, in welchem das Sputum 
etwas reichlicher war, nach 4 Stunden keine Desinfektion erfolgt 
war —, nicht beweiskräftig genug, um einen Vorschlag von 
solclier Bedeutung darauf zu gründen, auch wenn Verfasser bei 
weiteren drei Experimenten fand, dass die 1 proc. Sublimat* 
lösung nach 5—8 Stunden die Desinfektion herbeiführe. Handelt 
es sich aber, wie in der Mehrzahl der Fälle, um seit mehr oder 
weniger langer Zeit eingetrocknete Sputa, so konnte ich J ) bei 
einer langen Reihe von Experimenten feststellen, dass reine oder 
auch in verschiedenen Proi>ortionen mit HCl oder Na CI versetzte 
3 prom. Sublimatlösungen selbst nach 24 Stunden keine zuver¬ 
lässige Desinfektion herbeiführen; um diese zu erzielen, muss 
die Lösung mindestens eine 5 prom. sein. Zwar konstatirte 
Stein itz bei einigen Desinfektionsversuchen von seit 14 bis 
91 Stunden auf Taschentüchern eingetrockneten Sputa, dass 
selbst 1 prom. Sublimatlösungen die Virulenz des Materials nach 
4 Vs Stunden vernichten; dies«; Resultate können jedoch bei der 
Frage von der Desinfektion der Sputa in Räumen, meiner An¬ 
sicht nach, nicht in Betracht gezogen werden. Denn 1. sind 
in Räumen die Verhältnisse; viel weniger günstige als bei der 
Wäsche, die, wie es Verfasser that, in die Desinfektionslösung 
getaucht und somit von dieser gänzlich durchtränkt werden kann; 
2. sind 4 Experimente (s. Tab. II, S. 137 der Arbeit von S t o i - 
n i t z) und somit nur 4 geimpfteThiere wohl ein zu spärliches Be¬ 
weismaterial, wenn man es mit tuberkulösem Sputum zu thun 
hat, dessen Beschaffenheit und Reichthum an Bacillen ausser¬ 
ordentlich variabel ist. Jedenfalls, und von dieser letzteren Er¬ 
wägung ganz abgesehen, dürften zur Desinfektion der von 
Schwindsüchtigen bewohnten Räume niedrigere als 5 prom. 
Sublimatlösungen, meiner Ansicht nach nicht empfehlen werden. 

Bezüglich der Allgemeindesinfektion von Räumen meint 
S t e i n i t z, dass die auch von mir befürwortete und in Be- 
sprengung mit mindestens 5 prom. Sublimatlösung bestehende 
Methode zur Einführung in die Praxis nicht zu empfehlen sei, 
vor Allem, weil ich deren Wirksamkeit nur bei auf Papier aus- 
gebreitetem Sputum konstatirte, ferner weil sich die Desinfektion 
erst nach 24 Stunden erhalten lasse und endlich, weil eine gleich- 
mässige Befeuchtung grosser Flüchen, z. B. der Wände, schwer 
durchzuführen sei. Diesen Einwendungen glaube ich Folgendes 
entgegenhalten zu müssen: 

1. Meine Experimente nahm ich in der That an auf Papier 
ausgebreitetem Sputum vor; doch, wie ich schon damals bemerkte, 
hatte die Sputumschicht mindestens die gleiche Dicke wie bei 
den gewöhnlichen tuberkulösen Sputumhäufchen; in dieser Hin¬ 
sicht bestanden also bei den Laboratoriumsversuchen keine ge¬ 
ringeren Schwierigkeiten als bei den praktischen Anwendungen, 
da es sich immer um dicke Massen handelte. Es Hesse sich viel¬ 
leicht einwenden, dass wenn das Material sich in den Ritzen 
der Wände und des Fussbodens befindet, oder an porösen Stellen, 
die es zum Theil resorbiren, die Verhältnisse ungünstiger seien, 
als bei auf Papier ausgebreitetem Sputum. Befeuchtet man je¬ 
doch, wie ich es gerathen habe, gründUch und zweimal alle 
Wand- und Fussbodentheile, so wird man, da eine 5 prom. SubH- 
rnatlösung die Virulenz des Sputum zweifellos zu vernichten ver¬ 
mag, den Zweck auch in diesen weniger günstigen Fällen er¬ 
reichen. Es wir«! sich also, im Grunde genommen, nur darum 
handeln, den mit der Desinfektion betrauten Arbeitern die übri¬ 
gens leicht ausführbare Instruktion zu geben, dass sie die Be¬ 
feuchtung der Ecken, der rauhen Flächen, der Ritzen u. s. w. 
mit besonderer Sorgfalt vornehmen. Und hier mochte ich be¬ 
merken, dass bereits Abba 3 ), der allerdings die Concentration 
der Sublimatlösung auf 10 Prom. erhöhte, durch zahlreiche und 
sorgfältig ausgeführte Experimente, die er vor Kurzem der 
Piemont.-sischen Gesellschaft für Hygiene inittheilte, deutHch 
nachgewiesen hat, dass sich mit der in Rede stellenden Methode* 


0 Zeit.sehr. f. Hygiene 1000, 34. Bd. p. 250. 
s ) Die ausführliche Arbeit wird bald erscheinen. 


auch in den schwierigsten Verhältnissen eine sichere und 
vollständige Desinfektion erzielen lässt. 

2. Der Umstand, dass die Desinfektion erst nach 24 Stunden 
zu Stande kommt, kann keine grossen Bedenken erregen, denn 
dies verhindert nicht, dass im Nothfalle die Räume gleich nach 
vollzogener Befeuchtung wieder bewohnt werden können. 

3. S t e i n i t z meint, dass die Besprengung der Räume sich 
schwer ausführen lasse. Aber die Erfahrungen, die man in grossen 
Städten damit gemacht hat, wie z. B. in Turin, wo diese Methode 
seit länger als 10 Jahren zur Desinfektion von Räumen regel¬ 
mässig angewendet wird, thun deutlich dar, dass sie im Gegen- 
tlieil wegen ihrer Einfachheit zum mindesten eine der bequemsten 
und am leichtesten ausführbaren ist. 

Ich habe mir erlaubt, mich über diesen Gegenstand etwas zu 
verbreiten, da es mir nothwendig schien, Einwürfe zurückzu¬ 
weisen, die schon von vielen Autoren erhoben wurden, um, meiner 
Ansicht nach mit Unrecht, von einer Methode abzurathen, die 
doch sehr empfohlen zu werden verdient. Und dies um so mehr, 
als es gerade diese Methode ist, die bis jetzt die besten Resultate 
zu geben vermag, wenn man nicht geringere als 5 prom., oder 
— nach dem ausgezeichneten Vorschlag Abba’s — geradezu 
10 prom. SubUmatlösungen anwendet. Da ich selbst Desinfektions- 
versuche mit Formaldehyd nicht ausgeführt habe, so stellt es 
mir nicht zu, einen Vergleich anzustellen zwischen den Des¬ 
infektionen mit Sublimat und denen mit Formaldehyd, die, nach 
Einigen, die besten sein sollen. Andere haben dies schon, wie ich 
glaube, in erschöpfender Weise gt-than. Hier sei nur noch bemerkt, 
dass selbst Stein itz, der doch zur Desinfektion der von Schwind¬ 
süchtigen bewohnten Räume Formaldehyd empfiehlt, bei seinen 
mit dem Breslauer Apparat ausgeführten Experimenten konsta¬ 
tirte, dass in dicker Schicht eingetrocknete Sputa nicht des- 
infizirt wurden (s. Tab. III, S. 142 der Arbeit von S tei n i tz), 
ja nicht einmal solche, die er 10 cm über dem Boden in einige 
Ecken des Raumes gelegt hatte, wo sie von einem Strahl Sublimat¬ 
lösung sicher getroffen worden wären. 


Ueber chronischen Schleimhaut-Pemphigus der oberen 
Luftwege.*) 

Von Dr. Jacob Gugenheim, 

Spezialarzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten in Nürnberg. 

Seit Langem war schon die Erkenntniss gewonnen, dass beim 
Pemphigus in seinen verschiedenen Formen, dem Pemphigus 
acutus, wie dem Pemphigus chronicus vulgaris und foüaoeus, 
Eruptionen auf den Schleimhäuten der Mundhöhle und der oberen 
Luftwege Vorkommen. Das spezielle Studium dieses Schleim¬ 
hautpemphigus ist indess naturgemäss relativ jungen Datums: 
es war den Laryngologen Vorbehalten, als deren Erster 
L. v. Schrötter vor nahezu 30 Jahren mit 2 Fällen den 
Reigen der literarischen Mittheilungen über die interessante und 
seltene Affektion eröffnete, von der Menzel im Jahre 1899 nur 
einige 40 Fälle in der laryngologischen Literatur hat ausfindig 
machen können. 

In der Mehrzahl der Erkrankungen treten die Eruptionen 
auf den Schleimhäuten sekundär in die Erscheinung, nach¬ 
dem mehr weniger lange Zeit zuvor der Pemphigus der äusseren 
Haut bestanden hat. Nicht unbeträchtlich ist aber andererseits 
die Zahl der Beobachtungen von primärem Auftreten des 
Schleimhautpemphigus; nicht nur, dass dieser akute fieberhafte 
Fälle einleitet, in denen erst nach Tagen die Hauteffloresoenzen 
folgen, sondern namentlich auch sind chronische Fälle in der 
Literatur verzeichnet, in denen die Affektion monate- and jahre¬ 
lang auf die Schleimhäute der oberen Luftwege — häufig ver¬ 
gesellschaftet mit der Conjunctiva — beschränkt bheb, ehe die 
Haut sich betheiligte und noch andere, ganz besonders bemerken 
werthe Fälle, in denen jahre- und selbst jahrzehntelang die 
Schleimhäute den alleinigen isoHrten Sitz der Erkrankung ab- 
gaben, ohne dass überhaupt Hauteruptionen hinzugetreten sind. 
Berichte, wie die von Sachsalber über einen seit 27 Jahren 
isolirt stehenden Pemphigus des Raoliens und der Conjunctiva 
ohne IlautmitbetheiUgung oder von van Dremmen über 
12 jährige Dauer der Pemphiguserkrankung in Mund, Nase, 

*) Nach einem Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein Nürn¬ 
berg am 23. Mai 1901. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2041 


17. Dezember 1901. 


Rachen und Kehlkopf wie an den Bindehäuten ohne Hautaffek¬ 
tion lehren zum Mindesten, dass der Konnex des Schleimhaut- 
peinphigus mit dem der äusseren Haut — vom Wesen des Leidens 
natürlich abgesehen — nicht so absolut innig ist, wie gemeinhin 
angenommen wird. Die bemerk enswertheete Differenz zwischen 
beiden tritt insonderheit bei den meisten chronisch verlaufenden 
Fällen von Schleimhautpemphigus bezüglich der Beschaffenheit 
und Entwicklung der Effloresconzen zu Tage. Kann es 
doch bei den eben bezeichneten Fällen sehr wohl sich ereignen, 
dass die für den Pemphigus typische Eruption, die Blasenbildung, 
dem sorgfältigsten Untersuoher auch während langer Beobach¬ 
tungszeit überliaupt niemals zu Gesicht kommt. Mandel¬ 
stara m, Killian u. A., denen wir ausgezeichnete Mitthei¬ 
lungen verdanken, gelangten geradezu auf Grund ihrer Beobach¬ 
tungen zu der Ansicht, dass es einen Schleimhautpemphigus ohne 
Blasenbildung gebe, eine Anischt freilich, die neuerdings durch 
die anderwärts gewonnenen Erfahrungen und das Studium aller 
übrigen in der Literatur berichteten Fälle als unrichtig erkannt 
worden ist. Will man nach dem Stande unseres heutigen Wissens 
ein Bild von den Schleimhauteruptionen in ihren mannigfachen 
Varianten entwerfen, so mag man zweckmässig zuvörderst an 
die besonderen Bedingungen erinnern, welche für die Efflores- 
cenzen im Gegensatz zur Haut an den Schleimhäuten obwalten. 
Fortwährend durch die feuchten Sekrete maoerirt, vermag hier 
dio weit dünnere Epitheldecke der Blase dem angesainmelteu 
Serum nur geringen Widerstand zu leisten, sie wird alsbald grau 
getrübt, platzt und wird abgestossen: Die Blase — von Hanf- 
kom- bis Bohnengrösse, mit wasserhellem oder gelblichtrübem 
Serum gefüllt — hat zumeist nur einen ganz kurzen Bestand 
und kommt schon eben desshalb öfter gar nicht zur Beobachtung. 

Andrerseits ist aber auch der Charakter der einzelnen Affek¬ 
tion in dieser Hinsicht von Bedeutung. Da gibt es zunächst 
seltenere Fälle, die während langer Beobachtungzeit fast bei 
jeder Untersuchung immer wieder Blasen konstatiren lassen: 
deren alsbald abgestossene Epitheldecke legt dann an einer Stelle 
einen stark gerötheten, manchmal leicht blutenden, scharf be¬ 
grenzten Schleimhautbezirk bloss, der am Rande zuweilen cha¬ 
rakteristische, faltige, weissliche Epithellappen als Reste der 
Blase auf weist und nach kürzerer oder längerer Frist sich über¬ 
häutend zur Norm zurückkehrt.; an anderer bedeckt sich das 
exkoriirte Schleimhautareal sogleich mit weissen oder grau- 
gelblichen Auflagerungen, mit exsudativen Pseudomembranen, 
die sich abstossend und wiedererstehend eine Weile die Restitu¬ 
tion zur Norm hintanhalten. An der überhäuteten Schleimhaut¬ 
stelle kann früher oder später wieder eine Blase entstehen, welche 
die eine oder die andere dieser Wandlungen folgen lässt, ebenso 
wie neben der exkoriirten oder mit Belag belegten Schleimhaut¬ 
zone andere Blasen den Ausgangspunkt für dio angedeuteten 
Veränderungen abgeben können. Den geschilderten stehen indess 
andere, häufigere Fälle gegenüber, in denen eigentliche 
Blasen höchst selten wahrgenommen werden: Statt ihrer be¬ 
herrschen weisse oder grauweissliche, zumeist dicke, unregel¬ 
mässig scharf begrenzte Auflagerungen die Scenerie, die, crou- 
pösen und diphtherischen Membranen ähnlich, oft ansehnliche 
Grösse zeigen können. Die unter ihnen belegene, zumeist intensiv 
geröthete, leicht blutende Schleimhaut bedeckt sich nach Ab¬ 
ziehen der Hülle nach wenigen Stunden mit neuem gleichen 
Belag. Sich selbst überlassen stossen sich diese Membranen 
nach kürzerem oder längerem Bestehen ab, wonach dann die ent- 
blösste Schleimhaut entweder mehr weniger lange hochroth ohne 
Epitheldecke verharrt oder sich bald üborhäutet oder aber neue 
Auflagerung bekommt. Sind mehrere solcher Eruptionen in ver¬ 
schiedenen Entwicklungsstadien neben einander, so entsteht ein 
sehr abwechslungsreiches Bild: Mit Auflagerungen bedeckte 
Partien neben exkoriirten Zonen und anderwärts zwischen eben 
frisch überhäuteten und gänzlich normalen Bezirken. 

In einer Gruppe von schwersten Fällen kommt die Schleim¬ 
haut der oberen Luftwege bei fast unaufhörlicher Folge der ge¬ 
kennzeichneten Schübe gleichsam gar niemals zur Ruhe; unstet 
lösen sich die Eruptionen ab, den Untersucher oft verblüffend 
durch die Mannigfaltigkeit der dabei sich ergebenden Befundei 

In einer zweiten Gruppe von gleichfalls lange hingezogenem 
\ erlaufe treten dieEruptionen stets nur attackenweise in längeren 
Zwischenräumen auf, während welcher an der Schleimhaut über¬ 
haupt keinerlei Veränderung wahrnehmbar ist. Ihnen stehen 


Fälle gegenüber, in denen mit mehreren Eruptionen in kürzeren 
Intervallen die Erkrankung gänzlich abgeschlossen ist, und 
schliesslich jene in der Literatur verzeichneten, die nur einmaliges 
Auftreten der Peraphigusefflorescenzen mit Restitution zur 
Norm zeigten. 

Je länger die Erkrankung dauert, um so seltener treten im 
Allgemeinen — freilich gilt dies nicht ausnahmslos — deutliche, 
eigentliche Blasen in die Erscheinung: Bisweilen sind da nur 
ganz im Beginn der Affektion wirkliche Blasen gesehen worden 
und dann während sehr langer Beobaehtungszeit in dem ge¬ 
schilderten Ablauf der Vorgänge nur die weisslichen Auflage¬ 
rungen, die wie Croupmembranen aus Fibrin mit eingestreuten 
Leukocyten bestehend, den Process als eine chronisch exsudative 
Entzündung im Wesentlichen kennzeichnen. Manchen Autoren 
sind, wie gesagt, Fälle derart zur Beobachtung gekommen, die 
— wie man heute anzunehmeu geneigt ist — über das Stadium 
der anfänglichen vereinzelten Blaseneruptionen bereits hinaus 
waren und nun ausschliesslich Membranbildung dargeboten 
haben. In anderen Fällen, wie auch in dem von uns beobachteten, 
treten dann und wann einmal mitten im Ablauf der membranösen 
Processe deutliche Blasen zu Tage, um freilich mit der zu¬ 
nehmenden Dauer der Affektion immer seltener zu werden; die 
sehr lange währende exsudative Entzündung, welche nachher die 
Scene beherrscht, hat schliesslich öfter tiefergreifende Verände¬ 
rung der Gewebe im Gefolge: es kommt nach Infektion zur Ge¬ 
schwürsbildung, zur Granulationswucherung an den exeoriirten 
Partien, namentlich aber zu chronischer Infiltration der Schleim¬ 
haut und bindegewebiger Schrumpfung. Verdickung des Kehl¬ 
deckels und zunehmende narbige Verengerung des ganzen Kehl- 
kopfeingangs sieht man u. a. als Folge der letzteren Gewebs¬ 
veränderungen, während andererseits Verwachsungen zwischen 
geschwürigen, korrespondironden Theilen beobachtet wurden. An 
der Conjunetiva ist der Ausgang in Symblepharon eine fast 
typische Erscheinung. 

Wir hatten bisher die grauweissen Auflagerungen beim 
Schleimhautpemphigus — der oben angedeuteten histologischen 
Struktur nach — als Exsudat- bezw. Pseudomembranen be¬ 
zeichnet, entsprechend dem, was die meisten neueren Untersucher 
am häutigsten ermittelt haben, während wir dieselben von 
früheren Autoren vielfach als Epithelverdichtungen und Epitliel- 
abhebungen angesprochen finden. Nach C h i a r i kommen Blasen 
nur bei schneller reichlicher Exsudation zu Stande, bei langsamer, 
spärlicher Exsudat ion kommt es zur Erhebung und Trübung des 
Epithels mit Gerinnung des Exsudats. Besonders beinerkens- 
werth in dieser Hinsicht ist das Ergebniss der mikroskopischen 
Untersuchungen Menzel’s bei einem seiner Fälle, welche die 
Beläge geradezu als AnalogaderBlasen erkennen Hessen, 
indem über dem fibrinösen Stratum in dünnster Schicht Epithel 
nachzuweisen war, mithin eine Effloresccnz vorlag, die nur durch 
die grössere Gerinnungsfähigkeit des Exsudats von einer Blase 
sich unterschied. 

Auch uns gelang es in unserem Falle, während zahl¬ 
reiche Untersuchungen immer wieder nur die Struktur der Ex¬ 
sudatmembranen erkennen liossen, an einem Belag häut- 
chen, das wir von der hinteren Pharynxwand vor¬ 
sichtigst entfernt hatten, eine dünne, oberflächliche 
Epitheldecke über dem Exsudate nachzu¬ 
weisen und uns diesen Befund — weil er uns sehr bemorkens- 
werth erschien — durch unabhängige Kontrole von einem er¬ 
fahrenen Untersuchor bestätigen zu lassen; danach hätten 
wir diese Auflagerung gleichfalls als ein 
Blasenanalogon anzusprechen. 

Nach alledem ist jedenfalls die Struktur der Beläge nicht 
allenthalben eine einheitliche; namentlich ist aber auch Ihm der 
Bcwerthung der diesbezüglichen Lintersuchungsbefunde nochmals 
daran zu erinnern, wie vergänglichen Bestandes das dem Einfluss 
der Maceration ausgesetzte Epithel der Schleimhaut ist. Wei¬ 
teren Forschungen muss es Vorbehalten bleiben, diese Verhält¬ 
nisse noch mehr zu klären. 

In einem merkwürdigen Gegensatz zu den vielgestaltigen und 
ruhelos wechselnden objektiven Erscheinungen stehen namentlich 
in manchen chronischen Fällen die subjektiven, relativ geringen 
Beschwerden der Patienten. Ausser zeitweiligem Hitze- 
und Wundgefühl, mässigen Schluckschmerzen, die ihnen Ent¬ 
haltung von reizenden Speisen und Getränken auferlegen, ver- 


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2042 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


zoiehuon «io bei Betheiligung des Kehlkopfs oft ein leichteres Er¬ 
müden bei vielem Sprechen, und sind dabei behindert durch das 
Gefühl, als ob sich etwas im Halse bewegte; bereitet sich die Ab- 
stossung von aufgelagerten Häutchen vor, so geht allerdings der 
Expektoration oft ein belästigender Hustenreiz und wohl auch ein 
Anfall dyspnoischer Beengung mehr oder weniger lange voraus, 
während andererseits den Attacken vorübergehend ein Gefühl der 
Ermüdung folgt. Aber das Allgemeinbefinden kann, wie in 
unserem Falle, bei alledem lange Zeit (in manchen Fällen viele 
Jahre hindurch) ein sehr befriedigendes bleiben; nie begleitet 
Fieber die. wechselnden Ausbrüche an den Schleimhäuten, die 
zeitweilig mehr, dann wieder weniger modifizirte Ernährung er¬ 
hält den Körperzustand wie ehedem unverändert günstig, kurz der 
Patient macht ganz und gar nicht den Eindruck eines Kranken. 
Auch wenn ein Fall wie der unserige denen beizurechnen ist, die 
objektiv immerwährend wechselnd örtliche Befunde erheben 
lassen, so gibt es auch hier doch neben zeitweiligen bewegteren 
Epochen mit raschen Schüben und ausgedehnteren Eruptionen 
viel häufiger Perioden geringerer örtlicher Veränderungen und 
sehr verlangsamten Ablaufes derselben. Während letzterer sind 
dann auch die subjektiven Beschwerden noch mehr verringert. 
Foetor ex ore und Speichelfluss, die bei unserem Falle ganz und 
gar fehlen, sind in anderen häufiger beobachtet worden; nament¬ 
lich aber zeigten andere Patienten von vornherein so schwer ge¬ 
schädigte Ernährung, dass T h o st z. B. die gleichzeitig be¬ 
stehende Kachexie als eines der charakteristischen Momente be¬ 
sonders hervorhebt. Wo die Nahrungsauf nähme immer mehr Be¬ 
einträchtigung erfährt oder unregelmässige Fieberbewegungen 
schliesslich doch den Eruptionen sich hinzugesedlen, tritt rasch 
zunehmende Erschöpfung ein; narbige Verdickungen im Kehl¬ 
kopf andererseits bringen um sich greifend gefährliche Stenose 
zu Stande, während den Eruptionen sich anschliessendes Oedem 
des Larynx schon in früheren Stadien sehr bedrohlich werden 
kann. Meist führen indess — wenn die Erschöpfung inzwischen 
nicht das Ihrige thut — interkurrente Krankheiten, wie nament¬ 
lich Bronchopneumonien den Ausgang herbei, der in anderen 
Fällen besonders dann beschleunigt heranrückt, wenn schliesslich 
die äussere Haut in grösserer Ausdehnung an der Erkrankung 
sich betheiligt. 

Zur Illustration der Schilderung, die wir von dem inter¬ 
essanten Krankheitsprocesse zu geben bemüht waren, dürfte nicht 
leicht ein besseres Paradigma sich finden, als der von uns be¬ 
obachtete Fall. 

Derselbe betrifft eine 62 jährige Dame von gutem Ernährungs¬ 
zustand und kräftigem Körperbau, die, früher nie ernstlich krank, 
vor einigen Jahren einmal an einem Rückenfurunkel und dann an 
kru8tÖBem Ekzem am linken Ellbogen ganz vorübergehend zu 
leiden hatte. In den Februar 1899 verlegt sie den Beginn der in 
Rede stehenden Erkrankung. Bald da, bald dort an den Schleim¬ 
häuten der Mundhöhle und des Halses auftretende „wunde Stellen“ 
und „Bläschen“ fingen an, die Patientin durch Hitze und Wund¬ 
gefühl, sowie Schluckschmerzen zu belästigen. Die später hinzu¬ 
tretende Kehlkopfbetheiligung gab sich ln den oben geschilderten, 
allmählich stärkeren und häufigeren Beschwerden kund, von denen 
die Patientin nie mehr völlig frei blieb auch in den Zeiten ihres 
relativen Wohlbefindens. Letztere waren namentlich zu Anfang 
des Herbstes 1900 für die Kranke immer knapper bemessen, immer 
mehr fielen ihr die Attacken von „Häutchen“expektorationen zur 
Last. Am 24. Oktober 1900 wurden wir wegen der beängstigenden 
Häufung gerade dieser letzteren zu der Patientin gerufen, die uns 
eine annähernd elliptische. 4 cm lange und iy 2 cm breite, Tags 
zuvor ausgehustete Membran zeigte. Wir erhoben folgenden 
Befund: 

An der hinteren Rachen wand zeigte sich eine granweisse, 
annähernd rechteckige scharf umrandete Auflagerung von 2 cm 
Länge und 1 cm Breite mit etw'as stärker gerötheter Scbleimhaut- 
umgebuug; an der linken oberen, etwas abgerundeten Ecke war 

die Auflagerung in Falten vom Grunde 
ein wenig abgehoben und liess die in¬ 
tensiv geröthete, bei Berührung leicht 
blutende Schleimhaut erkennen. Im 
Larynx (Fig. 1) fanden sich die seit¬ 
lichen Theile der Epiglottis beiderseits 
über den freien Rand hinweg je mit 
einem dichten weissen Belag bedeckt, 
während der mittlere Abschnitt des 
kleine normale Zone zwischen sich und 
freien Randes, nach rechts noch eine 
dem rechtsseitigen Belag belassend, ex- 
koriirt war, bei Berührung leicht 
blutete und in der Peripherie einzelne 
unregelmässige, fetzige, häutige Läpp¬ 



chen aufwies. Den Schleimhautüberzug der Aryknorpel deckte 
beiderseits ein dünner, weisser Belag-Anflug. 

Nächsten Tags (25. Oktober) war der Belag von der hinteren 
Rachenwand verschwunden, der Tags zuvor von demselben be¬ 
deckte, scharf begrenzte Schleimhautbezirk nur noch durch stärkere 
Röthung markant ausgezeichnet; am 26. Oktober bot die hintern 
Racheuwand gar nichts Abnormes mehr. Im Larynx waren am 
2. Beobachtungstage die dünnen Beläge der Aryknorpel ver¬ 
schwunden, dafür die linke ary-epiglottisclie Falte mit leichtem 
Anflug bedeckt, am Kehldeckel links war die belegte Stelle durch 
eine exkoriirte, intensiv geröthete ersetzt, die mittlere Zone* in der 
Ueberhäutung begriffen, der rechtsseitige Randbelag eben daran, 
sich von der Unterlage abzustossen. In den folgenden Tagen 
wechselte so der Befund unaufhörlich in der mannigfaltigsten 
Weise: heute belegte Zonen zeigten sich nächsten Tags oxkoriirt 
oder normal Uberhäutet, exkoriirte zur Norm zurückgekehrt oder 
mit neuer Auflagerung bedeckt, normale Stellen als Sitz von Belag 
oder in scharf umgrenztem Bezirke epithelentblösst, leicht blutend. 
Fast ebenso variabel'— nur nicht in ganz so beschleunigtem Ab¬ 
lauf — waren die Befunde im Rachen, am Velum, an Zahnfleisch 
und Wangenschleimhaut. Die Diagnose: Pemphigus war nach alle¬ 
dem schon sichergestellt, als am 29. Oktober am Epiglottisrand 
rechts eine deutliche kleinbohnengrosse Blase mit gelbgrünlich 
durchschimmerndem Inhalt neben den geschilderten Veränderungen 
«ich zeigte; Tags darauf war die Blase spurlos verschwunden, wie 
denn überhaupt im Kehlkopf nie wieder eine Blase seitdem von uns 
wahrgenommen wurde. Die eben geschilderte stürmische Epoche 
wurde alsbald abgelöst von einer ruhigeren Zeit mit langsamer sich 
folgenden Schüben viel weniger ausgedehnter Eruptionen bei fast 
völlig geschwundenen subjektiven Beschwerden. Dann setzte mit 
einem Mal wieder eine Periode lebhaftesten Ablaufes der örtlichen 
Erscheinungen ein, zugleich mit Steigerung der Beschwerden. In 
diesem Wechselturnus ging es fort und fort 

Zur Illustration seien noch 2 charakteristische Befunde heraus¬ 
gegriffen, ein sehr günstiger hinsichtlich derKehlkopferschoinungen 
vom 4. Dezember: die Epiglottis ist bis auf eine kleinste Zone am 
iiussersteu linken Rand völlig überbautet, nur intensiv liellroth er¬ 
scheinend, frei von jedwedem Belag. Der Larynx sonst normal. 
Pharynx frei, am Velum rechts ein Belag von der Grösse eines 
Pfennigstückes, links am Velum linsengrosse, seharfbegreuzte, ge¬ 
röthete, epithelentblösste Stelle. Am 22. Dezember hingegen prä- 
sentirte sich die Epiglottis wieder bis auf eine kleine, mittler«*, 
knapp 1 cm breite exkoriirte Zone 
mit granullrendem Schlcimhaut- 
grund, völlig mit dichtem Belag 
überzogen; als ob man von der 
luryngealen Seite her dem Kehl¬ 
deckel eine weisse Hülle umge¬ 
worfen habe, so sieht es aus; weiss- 
liche Läppchenstreifen säumen den 
granulirenden mittleren exkorilrten 
Bezirk. Die Epiglottis ist nicht 
unwesentlich verdickt und hebt 
sich schwerer beim Phoniren; 
am rechten Aryknorpel kleine, 
epithelentblösste, leicht blutende 
Stelle; im Pharynx rechts oben 
seitwärts eine kleinerbsengrosse 
Blase. Nie waren während der ganzen Zeit der Beobachtung die 
Schleimhäute der oberen Luftwege völlig frei von Efflorescenzen: 
trotzdem blieb das Allgemeinbefinden relativ wenig alterirt, Tem¬ 
peratur stets normal. Die Haut ist völlig intakt; an den Binde¬ 
häuten, die sehr häufig bei chronischem Schleimhautpemphigus 
raitergriffen sind, ist nichts Abnormes nachweisbar und auch die 
Nase zeigt keinerlei Antheil an dem Processe. 

Bis heute (seit nunmehr 2’A Jahren) ist der Krankheits¬ 
zustand unverändert, der anfänglich recht wohl diagnostische 
Schwierigkeiten bereiten konnte. Im Herbst 1900 hingegen war 
die Diagnose, zumal als an unserem 2. Beobachtungstage der 
merkwürdige Wechsel in dem Krankheitsbilde in die Augen fiel, 
unschwer zu stellen. Die Mannigfaltigkeit der unsteten, kurz¬ 
lebigen Efflorescenzen mit dem immerhin typischen Turnus im 
Ablauf der einzelnen Stadien charakterisirt zur Genüge den 
chronischen Schleimhautpemphigus der Luftwege in diffe¬ 
rentielldiagnostischer Beziehung gegenüber anderen 
mit Blasen- oder Membranbildung bezw. mit dem Auftreten weiss- 
farbener Oberflächenvcriinderungen einhergehenden Schleim¬ 
haut afFekt innen. 

Da sind zunächst jene eigenartig mattweissen oberflächlichen 
Efflorescenzen des sekundären Luesstadiums, nekro¬ 
tische Trübungen des Epithels darstellend, über der in den 
obersten Schichten infiltrirten Schleimhaut, mit denen die Pem- 
phigus-Exsudatmembrnnen wohl einmal verwechselt werden 
können; die genauere B«x>bachtung wird freilich hier die auf¬ 
fallend dicken, abziehbaren Auflagerungen erkennen lassen und 
namentlich in Folge der frappirenden Veränderlmhkeit der ört¬ 
lichen Eruptionen die etwa zuerst auf Lues gestellte Diagnose 
in’s Wanken bringen. Während die in Rede stehenden svphi- 



Fig. 2. 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2043 


17. Dezember 1901. 


litischen Eruptionen das Gebiet des Larynx ungemein selten er¬ 
reichen, hat der Sohleiinhautpemphigus relativ häufig den Sitz 
im Kehlkopf und namentlich am Kehldeckel. Auftreten von 
Blasen wird in manchen Fällen etwaige diagnostische Zweifel zer¬ 
streuen, gleichwie in anderen sonstige Symptome von Lues Auf¬ 
klärung bringen. 

Die Diphtherie zeigt hinsichtlich des Alters der Patien¬ 
ten, der schweren Störung des Allgemeinbefindens bei akut 
fieberhaftem Verlauf, sowie der Lokalisation der örtlichen Ver¬ 
änderungen gerade in der Gegend der Tonsillen, die beim Pem¬ 
phigus bemerkenswerther Weise verschont bleiben, ein so wesent¬ 
lich verschiedenes Gesammtkrankheitsbild, dass sie leicht aus- 
zuschliessen sein wird, wenn sie je einmal in den Rahmen der 
diagnostischen Erwägungen fallen sollte. 

Die mikroskopische Untersuchung klärt durch den Nachweis 
der betreffenden Pilze ehestens Fälle von Soor auf, der ja 
übrigens bei Erwachsenen nur in schwersten, hochfieberhaften 
Erkrankungen bei vernachlässigter Mundpflege vorkommt. 

Die Stomatitis ulcerosa (mercurialis), welche über 
Zahnfleisch, Wangenschleimhaut und Zunge selten sich hinaus 
erstreckt, hat wohlgekanute, typische Veränderungen zur Folge. 

Unter den mit Blaseneruptionen einhergehenden Schleim- 
huutaffektionen ist der Herpes febrilis durch den akuten 
Verlauf, durch die Gruppenanordnung seiner kleinen, von einem 
Entziindungshof umgebenen Efflorcscenzen und insbesondere 
durch die kaum fehlende Betheiligung der Haut der Lippen oder 
Nasenflügel charakterisirt. 

Die Stomatitis epidemica (M undseuche des 
Mensche n), eine unter schwersten Allgcmeinerscheinungen 
stürmisch einsetzende Infektionskrankheit von 2—3 wöchent¬ 
licher Dauer, mit Blasenbildung an Lippen, Mundwinkel und 
Zahnfleisch, sowie Petechien an der Haut, ist in ihrer Eigenart 
unschwer vom Pemphigus zu trennen. 

Grösseren Schwierigkeiten begegnet indess die differentiell 
diagnostische Abgrenzung zwischen isolirtem Erythema 
multiforme der Schleimhaut und Pemphigus, so 
zwar, dass die hinzutretende Betheiligung der äusseren Haut die 
in manchen Fällen erst Klarheit zu bringen vermag. Beim Ery¬ 
thema multiforme ist übrigens ein längerer isolirter Bestand der 
Schleimhautaffektion im Gegensatz zum Pemphigus überhaupt 
nicht beobachtet; nach Menzel ist eine gewisse Regelmässig¬ 
keit der Eruptionsrecidive für das besonders im Frühlung und 
Herbst gehäuft vorkommende Erythema charakteristisch, sowie 
die stärkere Alteration des Allgemeinbefindens. In Fällen von 
Erythema, in denen, wie in dem von Schütz beschriebenen, 
knötchenförmige Infiltrationen zu Tage traten, ist die Diagnose 
wesentlich erleichtert. 

Mit der richtigen Stellung der Diagnose ist leider der Höhe¬ 
punkt unsere« ärztlichen Könnens bei der in Rede stehenden 
deletären Krankheit schon erreicht, deren Prognose, was die 
Heilung anlangt, eine absolut ungünstige ist. Nicht so traurig 
steht es hingegen mit der Prognose quoad vitam in den Fällen 
von chronischem Schleimhautpemphigus, so lange die 
äussere Haut sich nicht in grösserer Aus¬ 
dehnung an der Erkrankung betheiligt. Im 
Gegensatz zu den Dermatologen, die den primären Schleimhaut¬ 
pemphigus vornweg als ein Kriterium absolutester Malignität 
ansprechen, weil ihnen eben mehr die Fälle zur Beobachtung 
kommen, denen in kürzerer Zeit die Affektion der äusseren Haut 
sich hinzugescllt und damit zumeist rasch die Wendung zum 
Schlimmen besiegelt, wissen die Laryngologen von relativ zahl¬ 
reichen Fällen zu berichten, in denen, wie schon im Eingang 
erwähnt, Jahre und Jahrzehnte lang bei wenig oder gar nicht 
alterirtem Allgemeinbefinden die Schleimhautcfflorescenzen des 
Pemphigus isolirt ihr Wesen treiben. 

Die Therapie steht mit ganz unzulänglichen Mitteln in 
verzweifeltem Kampfe dem Pemphigus gegenüber. Das vielfach 
empfohlene Arsen und auch Strychnin ebenso wie Badekuren 
sind auch bei lange fortgesetztem Gebrauch ohne wesentlichen 
Einfluss auf den Gang der Dinge. Oertliche Behandlung versagt 
vollständig; die symptomatische Therapie bleibt als unsere einzige 
Zuflucht zur Linderung des Schmerzes, der Hustenanfälle und 
Schluekbeschwerden, und auch sie feiert keine sonderlichen 
Triumphe. Eine hochinteressante Wendung, einzig dastehend in 
der Literatur, nahm ein von L. v. Schrötter berichteter Fall 

No. 51. 


von Haut- und Schleimhautpemphigus, in welchem nach dem 
Ueberstehen einer Variola völlige, mehr als 20 Jahre hindurch 
beobachtete Heilung eintrat; hiedurch angeregte Versuche, mit 
Vaccination Heilung zu erzielen, sind jedoch ohne jeden Erfolg 
geblieben. 

Noch ist die Aetiologie des Pemphigus in fast völliges 
Dunkel gehüllt. Die akuten Fälle glaubt man nach der ganzen 
Art ihres Verlaufes — wir folgen hier den prägnanten Aus¬ 
führungen Menzel’s — auf Infektion zurückführen zu sollen; 
Bakterienbefunde, die man bei Untersuchung von Blut, Ham 
und Blaseninhalt manchmal erhoben, meint man im Sinne dieser 
Ansicht verwerthen zu können. Bei den chronischen Fällen denkt 
man an eine chronische Intoxikation des Körpere mit einem ab¬ 
normen Stoffwechselprodukt; Befunde von Harnsäure, Harnstoff 
und freiem Ammoniak, die man im Blut und Blaseninhalt ver¬ 
einzelt nachgewiesen, sollten dieser Anschaumig zur Stütze 
dienen, für welche zumal jene in der Literatur nieder gelegten 
Fälle sprechen, in denen Pemphigus unmittelbar nach über¬ 
standener Variola, nach eben durchgemachter Scarlatina und 
während des Ablaufs einer Pyaemie zum Ausbruch gekommen ist. 
Mit dieser Auffassung einer Intoxikation als Ursache lassen 
sich auch die am peripheren und centralen Nervensystem 
(Rückenmark) ermittelten Veränderungen sehr wohl in Einklang 
bringen. 

Freilich ist es noch ein grosser Schritt von den bisher ge¬ 
wonnenen, unbestreitbar wichtigen Ermittelungen bis zur völligen 
Erkennung des eigentlichen Wesens unserer Krankheit. Ein 
weites Feld eröffnet sich hier noch der zukünftigen Forschung, 
auf deren Boden vielleicht einmal auch eine der Aetiologie ge¬ 
recht werdende, siegreiche Therapie ersteht. 


Literatur: 

1. Händler: Prager med. Wochenschr. 1890, No. 42. — 
2. Landgraf: Berl. klln. Wochensehr. 1891, No. 1. — 3. Mandel¬ 
stamm: Berl. klln. Wochensehr. 1891, No. 49. — 4. Kl 111 an: 
Monatsschr. f. Ohrenhellk. 1892, No. 0. — 5. O. Chlari: Wien, 
klln. Woehensehr. 189.3, No. 20. — 0. Thost: Monatsschr. f. 
Ohrenhellk. 1896, No. 4. — 7. Handbuch der Laryngologie und 
Khiuologie v. Hey mann. 1898, II. Bd.; S. 1296 ff. — 8. M. Men¬ 
zel: Monatsschr. f. Ohrenhellk. 1899, No. 4. — Weitere Literatur 
siehe bei 7. und 8. 


1 


Weitere Versuche Uber Puro, 

angestellt in der Spitalabtheiiung des Zuchthauses München. 

Von Dr. Friedrich Schaefer, kgl. Bezirksarzt. 

Die Resultate meiner ersten Versuche mit Puro bei anämi¬ 
schen und Magenkrankheiten in der Spitalabtheiiung des Zucht¬ 
hauses München waren so ermunternd, dass ich Herrn Dr. Scholl, 
den Hersteller des Puro, bat, mir weitere Versuchsquanta zur Ver¬ 
fügung zu stellen. 

Die Patienten, für welche ich den Gebrauch des Puro für 
angezeigt erachtete, litten diesmal theils an während der Haft¬ 
zeit erworbenen anämischen Formen, an Magenstörungen, Abge¬ 
gessensein, Erbrechen, Diarrhöen, theils Marasmus praematurus, 
d. h. frühzeitiges Altern-, in einem Falle an Skorbut, theils an 
Tuberkulose. 

Die anämischen Erkrankungen, die Magenaffektionen, das 
vorzeitige Altersiechthum, der Fall von Skorbut und die Fälle 
von Tuberkulose waren sämmtliche durch die Hafteinwirkungen 
bedingt. 

Ich habe in meinen Arbeiten über Gefängnisskrankheiten 
gesagt, dass neben der häufigsten Erkrankungsform, der Tuber¬ 
kulose, die Anämie und die Magen-Darmkrankheiten in den 
Anstalten am meisten in Behandlung kommen und habo dort 
diese Krankheiten eingehend beschrieben, so dass ich auf meine 
Ausführungen verweisen darf. 

Hier will ich nur erwähnen, dass bei unserer zweiten Ver¬ 
suchsreihe Patienten in Frage kamen, die sich in äusserst 
herabgekommenem Zustande befanden und von denen zwei die 
unangenehme besonders für Häftlinge so gefährliche Grenze der 
Inanition überschritten hatten. 

Man könnte mir nun einwenden, es wäre für einen Anstalts- 
arzt wohl möglich, einer so ernsten Gefahr der Unterernährung 
durch Verordnung von Krankenkost, Aufnahme in die Spital¬ 
abtheilung zu begegnen, indess ich muss Ihnen nach meinen 


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2044 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 5L 


langjährigen Erfahrungen bemerken, dass dieser bedenkliche Zu¬ 
stand manchmal überraschend schnell eintritt, ohne dass der 
Befallene eine Ahnung von der Gefahr hat, in der er sich be¬ 
findet. Dies beweisen die Untersuchungen des Blutes mit dem 
Haemoglobinometer. 

Die Abnahme des Haemoglobingehaltes des Blutes eines 
Büssers entsteht zuweilen überraschend schnell. Sie kann sich 
innerhalb weniger Tage vollziehen und bietet dann das Bild 
einer akuten Anämie, wie man sie als unmittelbare Folgen 
akuter Infektionskrankheiten oder bei grossen Blutverlusten 
findet, verursacht durch verringerte arterielle Blutzufuhr, welche 
in diesen Fällen theils durch eine quantitative Verringerung der 
Blutmenge, theils durch eine mangelhafte Herzthätigkeit ent¬ 
steht. 

Neben der thatsächlichen quantitativen Minderung des 
Blutes lässt sich jedesmal die oft erschreckende qualitative Ver¬ 
änderung des Blutes konstatiren. 

Diese eigenthümliche fast schockartig eintretende Erschei¬ 
nung ist noch nicht ganz aufgeklärt, weil sie sich mit der de¬ 
pressiven Einwirkung der Haft nicht ganz deckt, denn sie wird 
sowohl bei Büssern beobachtet, welche sehr kurz inhaftirt sind, 
als auch bei solchen, welche eine längere Haftstrafe bereits er¬ 
standen haben. 

Ich habe früher bei anderen Gelegenheiten bereits bemerkt, 
dass diese akuten anämischen Attacken in den meisten Fällen 
rasch vorübergehen und von unmittelbaren sichtbaren Folgen 
nicht begleitet sind — aber eine grössere Beobachtungsreihe hat 
mir besonders in letzterer Zeit den Beweis geliefert, dass die 
akute Abnahme des Haemoglobingehaltee sich nur langsam er¬ 
setzt. Die lange Dauer des subnormalen Gelialtes an Haemo- 
globin führt dann in leider nicht seltenen Fällen und zwar in 
einer unheimlich latenten Weise zu jener Grenze, an der das 
Gefängnisssiechthum mit allen seinen Komplikationen, seien es 
chronische Verdauungsstörungen, frühzeitiges Altern, sei es 
Tuberkulose, beginnt. 

Der Zusammenhang aller eben erwähnten Gefängnisskrank- 
heiten mit der Herabsetzung des Haemoglobingehaltes des Blutes 
bezw. die Entstehung dieser Krankheiten aus den akuten und 
chronisch eintretenden anämischen Zuständen kann nicht scharf 
genug betont werden. 

In der freien Bevölkerung begegnen wir ja oft genug den¬ 
selben Krankheitsentstehungsursachen, aber so charakteristisch 
ausgeprägt, ich möchte sagen, so unbestritten sind sie nicht, 
wie bei der Gefängnissbevölkerung. Der freie Arbeiter lebt eben 
trotz der Entbehrungen und trotz der manchmal schlechten Ver¬ 
hältnisse doch noch ungleich günstiger als der Gefangene. 

Dieser hat nach Schluss seiner Arbeit seine freie Zeit, seine 
frische Luft, seine Bewegung, eventuell seine Vergnügungen, 
jener eine Stunde, wo er sich im Freien bewegt, nicht unge¬ 
bunden, sondern vorechriftsraässig, ausser dieser Stunde ist er 
in einem geschlossenen Raum ohne Bewegung, ohne frische Luft. 

Die nachstehend zu schildernden Erkrankungsfälle dürfen 
sicher als durch die Einwirkung der Haft erworben gelten: 

1. Fall. Büsser No. . . ., 45 Jahre alt, leidet seit Vi Jahr an 
vorzeitigem Eintritt der charakteristischen Erscheinungen des 
Greisenaltere, welches dem Lebensjahre, in welchem Patient steht, 
absolut nicht entspricht 

Abgesehen von dem Fettschwund und der Abmagerung im 
Allgemeinen, die als Zeichen der Einwirkung der Haft auf den 
seit 4 Jahren eingelieferten Detenten aufgefasst werden konnten, 
zeigt sich eine Sprödigkeit, eine Abschuppung der Haut die Haare 
fallen aus, die Nägel werden rissig, also Ernährungsatrophie, die 
sonst gewöhnlich jenseits der Greisenaltersgrenzen beobachtet 
wird. Dabei macht sich ein für diese Erkrankungsform während 
der Gefangenschaft so bedeutsames und folgewichtiges Symptom 
geltend, der Kranke verliert den Appetit, insbesondere kann er 
die sonst von ihm gern gegessenen Leguminosen nicht mehr ver¬ 
dauen und steuert so langsam aber sicher jener Grenze der Inani- 
tiou zu, die eine unaufhaltsame Auflösung, ein Siechthum be¬ 
deutet. 

Es ist nun ganz originell, dass vielen derartig erkrankten 
Detenten diese Krankheitserecheinung völlig entgeht und von ihnen 
für eine vorübergehende Verdauungserscheinung gehalten wird, 
sonst würden sie zweifelsohne längst hausärztliche Hilfe in An¬ 
spruch genommen haben. 

Man ist erstaunt, in kurzer Zeit einen derartigen Menschen 
total verändert zu finden, besonders was sein Aeusseres anlaugt. 
Es sind ganz andere Gesichtszüge, die man findet, so dass die 
Leute kaum mehr zu erkennen sind. 

So oben erwähnter Gefangener. Es handelt sich zunächst 
darum, die Appetitlosigkeit, die sich bis zur Unfähigkeit, Fleisch¬ 
speisen zu geniesso», gesteigert hatte, zu heben. 


Aequal den Erfahrungen, die ich bei meinen ersten Versuchen 
mit Puro bei totalem Abgegessensein gemacht habe, setzte ich den 
Patienten auf reine Purodiät, d. h. ich gab ihm 4 mal des Tags 
einen Kaffeelöffel voll Puro auf Weissbrod mit mässlg gesalzener 
Butter. 4 Tage lang geniesst er keine andere Speise. Der Effekt 
war ein hochinteressanter. Erstens behielt er diese Kost ohne 
wie vorher nach anderen Speisen zu erbrechen, sondern es stellte 
sich zweitens nach 4 Tagen ein ganz gehöriger Appetit ein, er 
vertrug schon am 5. Tage, was besondere zu betonen ist. die ge¬ 
wöhnliche Gefangenen-Krankenkost (Griessuppe mit der vorge¬ 
schriebenen Quantität Rindfleisch). 

Es ist selbstverständlich, dass nicht augenblicklich zur stän- 
dlgen Hauskost Ubergegangen werden konnte. 14 Tage musste 
noch Ausnahmskost gegeben werden, aber nach Ablauf dieser Zeit 
wurde auch diese Kost anstandslos vertragen. 

Die marantischen Erscheinungen haben sich sehr langsam 
verloren, freilich kehrte der Haarwuchs nicht mehr wieder, aber 
die Sprödigkeit und Abschuppung der Haut und die vorerwähnten 
Erscheinungen waren nach einem halben Jahre vollständig ver¬ 
schwunden. 

2. F a 11. Eine Erkrankung an Skorbut (Scharbock). Der 
Skorbut, ein echter Zuchthaussprössling, entwickelt sich ebenfalls 
auf miserablem Boden, hervorgerufeu durch die Blutverschlech¬ 
terung in Folge Mangel an frischer Luft und einseitiger Kost 

Er wird bei der freien Bevölkerung nur ab und zu beobachtet 
und dann nicht mit so ausgeprägten Erscheinungen wie in Ge¬ 
fangenenanstalten, wo er früher der ständige Gast war, ähnlich 
wie jetzt die Tuberkulose. 

In Folge der verbesserten sanitären Einrichtungen und der 
abwechselungsreicheren Kost wird er auch in den Gefangeuen- 
«nstalten seltener, doch kommen zuweilen noch recht heftige 
Fälle mit sehr langsamem Heilungsverlauf vor. 

Büsser No. . . ., früher Schreiber, verbüsst wegen Unter¬ 
schlagung eine 3 jährige Zuchthausstrafe. Er wird mit hoch¬ 
gradigem Skorbut aus einer Untersuchungshaft wo er 6 Monate 
vor seinem Strafantritt verweilte, eingeliefert Neben zahlreichen 
Blutaustritten unter der Haut und blutendem Zahnfleisch bot spe¬ 
ziell die Haut des rechten Unterschenkels und theilweise auch des 
rechten Oberschenkels jene für den Skorbut charakteristische 
tief dunkle Verfärbung von so grosser Ausdehnung, dass die ge¬ 
sunden Hautpartien fast verschwanden. 

Die allgemeine Schwäche des Körpere und die gänzliche 
Appetitlosigkeit im Verein mit den örtlichen Veränderungen ver¬ 
anlasst« eine sofortige Aufnahme in die Krankenabtheilung der 
Anstalt. Besondere musste das völlige Darniederliegen der Magen- 
thätigkeit und die Abneigung gegen jede Speise, auch gegen 
Fleischspeisen, als verhängnisvoll aufgefasst werden. 

Es wurde daher absolute Purodiät verordnet und 3 Tage laug 
in der Weise eingehalten, dass 5 mal täglich ein Kaffeelöffel voll 
Puro in einem y 8 Liter Xereswein gegeben wurde. Der früher 
in guten Verhältnissen lebende Mann war theils durch das nicht 
erwartete Strafmaass, theils durch die Erkrankung in hohem 
Grade apathisch und deprimirt. 

Nach 3 Tagen hob sich der Appetit in nennenswerther Weise 
und mit ihm kehrte eine hoffnungsfreudigere Stimmung ein. die, 
nuchdem mit gemischter Kost Puro 4 mal täglich auf Schwarz 
brod aufgestrichen, nach 10 Tagen weiter verabreicht w’urde, auch 
anhielt. Bis zur vollständigen Heilung der bis iu’s Unterhaut¬ 
zellgewebe entstandenen Blutaustritte brauchte es allerdings noch 
lange Zelt. 

3. Fall. Abgegessensein mit hochgradiger Anaemie. Büsser 

No.27 Jahre alt, vor seiner Einlieferung Bauernknecht, wird 

wegen Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode mit einer 7 Jähr. 
Zuchthausstrafe eingeliefert. Von äusserst kräftiger Körper- 
koustitution, durch die langzeitige Untersuchungshaft nicht ge- 
sciiwäclit, erträgt er ein halbes Jahr den Vollzug der Strafe, ohne 
nennenswerth in seiner Gesundheit tangirt zu werden. 

Von da ab verliert er allmählich den Appetit. Er nimmt tage¬ 
lang ausser einer geringen Menge Schwarzbrot keine Nahrung. 
Mit der Abnahme des Appetits schwindet das Fett, der Mann 
magert ab, schliesslich tritt eine solche Abneigung gegen jede 
Speise ein, dass der Anblick der Speisen sofort ein Erbrechen aus¬ 
löst. Bei der Aufnahme in die Krankenabtheilung bietet der bei 
dem Eintritt in die Anstalt vollständig gesunde Büsser das Bild 
eines hochgradig Anaemiscben. Der Haemoglobingehnlt ist tief 
unter der Norm, die Abnahme der rothen Blutkörperchen eine 
nicht unbedeutende. 

In Folge der totalen Appetitlosigkeit wird Patient auf reine 
Purodiät gesetzt und nur eine mässige Quantität Schwarzbrot, 
die die ersten Tage ebenfalls erbrochen wird, verordnet. Die 
ersten Kaffeelöffel voll Puro bleiben ebenfalls nicht Am 2. Tage 
wird Puro nicht mehr erbrochen, doch wird noch 4 Tage lang 
ausser Schwarzbrot Jede Speise verweigert. Am 8. Tage endlich 
wird gehacktes rohes Fleisch vertragen. Nur allmählich kommt 
der Appetit wieder. 

Der Haemoglobingehalt ergänzt sich nach 3 Wochen. Spitat 
aufenthalt 2 y g Monate. Verbrauch von Puro 8 Fläschchen. Bei 
der Entlassung aus dem Spital ist Patient arbeitsfähig. Um keinen 
Rückfall des Abgegessensein eintreten zu lassen, erhält Patient 
ein weiteres Monat Ausnahmekost. 

4. Fall. Beginnende Tuberkulose. Büsser No.24 Jahre 

alt, hereditär nicht belastet, wegen Brandstiftung zu 3 Jahren 
Zuchthaus verurthellt, tritt gesund in die Anstalt ein. Nach 
% Jahren - die bekannte kritische Zeit, in der die Widerstand« 
kraft des Inhaftirten gewissermaassen auf die Probe gestellt wird 
— magert er ab, ohne zu husten. Der Appetit wird weniger, ohne 


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17. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2045 


vollständig zu schwinden. Die Untersuchung ergibt eine be¬ 
ginnende Spitzenverdichtung auf der linken Lungenspitze. Kein 
Fieber. Spitalaufnahme. 4 malige Purogabe zu 1 Kaffeelöffel 
mit Xereswein. Appetit hebt sich nach 5 Tagen so, dass ausge¬ 
prägtes Hungergefühl elntritt. Der Kranke bessert sich nach 

3 Monaten ganz wesentlich. Nach 5 monatlichem Aufenthalt wird 
Patient arbeitsfähig entlassen. Eine Kontrole nach einem Jahre 
zeigt Aufhellung des Dämpfungsbezirkes. Patient bleibt während 
dieser Zelt arbeitsfähig. 

In diesem Falle erleichterte die Verabreichung von Puro sehr 
wesentlich die Nahrungsaufnahme und veranlasst somit den ersten 
Schritt zur Besserung des beginnenden Lungenleidens. 

5. Fall. Akute Anaemie mit starker Abnahme des Ilaeiuo- 
globingehaltes. 35 jähriger BUsser, rückfälliger Brandstifter, be¬ 
findet sich seit 2 Jahren in der Strafanstalt. Der Eiutrittsbefuud 
lautet: ohne nachweisbare Krankheit, leichte Blutleere. Hueino- 
globingehalt gehörig. Vor seiner Einlieferung mit landwirtschaft¬ 
lichen Arbeiten beschäftigt, wird er in der Anstalt als Schneider 
verwendet und arbeitet fleissig. Plötzlich sinkt er mitten in der 
Arbeit zusammen und wird bewusstlos in die Krankenabtheilung 
gebracht. Dort erholt er sich nach einer Stunde, klagt Uber 
Schmerzen im Hinterkopfe, Ohrensausen, Flimmern vor den 
Augen, Abnahme des Sehvermögens, Schwere im linken Arme. 
Er ist nach 3 Stunden noch nicht im Stande, zu gehen, das Auf¬ 
sitzen vermehrt den Kopfschmerz und das Ohrensausen und 
löst ein sofortiges Erbrechen aus. Erscheinungen einer akuten 
Himanaemie, wie nach einem grösseren Blutverluste. 

Die Blutuntersuchung ergibt eine auffallende Verringerung 
der rothen Blutkörperchen und des Haemoglobingehaltes. 

In Anbetracht der geringen Herzthiitigkeit und des sehr ver¬ 
langsamten Pulses wird an eine Kochsalzlnfusion gedacht, doch 
hebt sich nach 5 Stunden der Puls auf einige Kamphereinspritz¬ 
ungen. 

Weil Jede Nahrungsaufnahme verweigert wird, wird Puro 

4 mal täglich gegeben und ein Nährklysma verabreicht. 

Die Wirkung der Purogaben war in diesem Falle augen¬ 
scheinlich, denn am nächsten Tage konnte mit leichter Nahrung 
begonnen werden. Am 7. Tage lässt sich eine mässige Zunahme 
des Haemoglobingehaltes konstatireu. 

Patient erholte sich von der Attaque ziemlich rasch, obgleich 
die Blutbeschaffenheit noch Wochen als nicht normal bezeichnet 
werden musste. 

6. F a 11. Tuberkulose der Lunge und des Darmes mit aus¬ 
geprägter Appetitlosigkeit. (Mischform der Tuberkulose mit 
Streptococcen im Sputum.) 

Büsser, 40 Jahre alt, rückfälliger Verbrecher, wird mit einer 
beginnenden Lungentuberkulose eiugeliefert Die Affektion nimmt 
im Laufe der Huft rapid zu, nach y 4 Jahre tritt hohes Fieber ein, 
Kurve steigt Abends bis auf 40,1, sekundäre Darmtuberkulose mit 
unstillbaren Diarrhöen. 

Obwohl die Prognose hoffnungslos war, wurde der Versuch 
mit Puro gemacht, um das gänzliche Darniederllegen des Appetits 
einigermaassen günstig zu beeinflussen, Puro G mal täglich einen 
Kaffeelöffel mit Vin. Xeres. Nach 3 Tagen kehrt der Appetit 
wenigstens bis zu einem gewissen Grade wieder, so dass einige 
Nahrung aufgenommen werden kann. 

Angenehm fällt auf, dass sich die Diarrhöen verringern. Die 
geringe Besserung des Befindens hält allerdings nur 8 Tage an. 
dann tritt das letale Ende unter allgemeiner Erschöpfung ein. 

7. F a 11. Akuter Brechdurchfall mit beginnender Tuber¬ 
kulose. Büsser No.seit 3 Jahren inhaftirt, gesund ein¬ 

geliefert, krankt seit y, Jahre an einer beginnenden Spitzen Ver¬ 
dichtung. Ohne besonders zu husten, ohne Auswurf und ohne 
Fieber arbeitet er in der gemeinsamen Arbeitsabtheilung der 
Schneider und klagt nur über Appetitabnahme. In der Sprech¬ 
stunde untersucht, wird die Veränderung der Lunge konstatirt und 
der Kranke in die Krankenabtheilung genommen. Dort wird er 
am 2. Tage von einem Brechdurchfall, der im vergangenen Sommer 
In einer kleinen Hausepidemie in der Anstalt und somit auch im 
Anstaltsspital herrschte, befallen. Durch die neue Infektion 
nehmen die Kräfte des Patienten ungemein rasch ab, insbesondere 
weil keine Nahrung mehr aufgenommen werden kann. 

Temperatur Früh subnormal 35.8, Mittags 36,5, Abends 38,2. 

Nach der charakteristisch abendlichen Temperatursteigerung 
am 3. Tage nach der Spitalaufnahme hätte an eine Streptococcen¬ 
invasion gedacht werden müssen, wenn nicht die Mehrzahl der 
Brechdurchfälle besagter Hausepidemie ebenfalls von abendlichen 
Temperaturerhöhungen begleitet gewesen wäre. Neben Ichthalbin, 
letzteres per anum mit Nährklystier verabreicht, wird strenge 
Purodiät angeordnet und Puro (erster Tag alle % Stunde y 2 Kaffe- 
löffel voll) als Medikament gegeben. 

Nach 4 Tagen wird Patient kräftiger und erträgt wieder 
leichte Schleimsuppen in welche ebenfalls Puro gelöst wird. Erst 
nach 8 Tagen kann eine feste Nahrung genommen werden. 

In diesem Falle war die Ordination von Puro insoferne von 
ausgezeichneter Wirkung, als am 2. Tage das Erbrechen aufhörte 
und nicht mehr wiederkehrte. In Folge dessen verschwanden auch 
die subnormalen Temperaturen. Die abendliche Steigerung verlor 
sich erst nach 10 Tagen. Die Spitzenverdichtung ist gleich ge¬ 
blieben. 

8. Fall. Primäre tuberkulöse Darmerkrankung. BUsser 
No. . . vor dem Eintritt in die Anstalt als Bauernknecht be¬ 
dienstet, wird wegen eines Roheitsdeliktes mit einer 6 jährigen 
Zuchthausstrafe eingeliefert und als Weber beschäftigt. 

Nach % Jahren erkrankt er an täglich wiederkehrenden 
Schmerzen im Unterleib. Die Schmerzen sind mit einer Unregel¬ 


mässigkeit der Darmthätigkelt verbunden. Verstopfung wechselt 
mit plötzlich auftretenden Diarrhöen, schliesslich bleiben die Diar- 
höeu bestehen. Der Kranke, vor der Inhaftirung vollkommen ge¬ 
sund, magert rasch ab und wird in hohem Grade blutleer. Die 
Schmerzen steigern sich in den letzten Tagen. Spitalaufnahme. 

Die Temperatur misst Früh 37,4, Mittags 38,1, Abends 39,1. 
Der Befund der Lunge ergibt normale Verhältnisse. Nahrungsver¬ 
weigerung. 

Behandlung mit Ichthoform 2,0: 3 mal täglich 1 Pulver, Puro 
4 mal täglich 1 Kaffeelöffel im Vin. xer., daneben Schleimsuppen¬ 
diät. In 5 Tagen kehrt der Appetit wieder, der Kranke ver¬ 
langt nach Mehlspeisen, welche er unter Beachtung diätetischer 
Vorsichtsmaassregeln allmählich verträgt. 

Die Diarrhöen mindern sich ln 8 Tagen. Nach 14 Tagen tritt 
eine geordnete Darmfunktion ein, die Neigung zu dünnflüssigen 
Stuhlentieerungen bleibt noch 4 Wochen bestehen. 

Die Temperatur kehrt nach 5 Wochen zur Norm zurück. 

Auch in diesem Falle hat die Verabreichung von Puro den 
Appetit gehoben. 

Ausser vorstehenden acht in der Spitalabtheilung behandelten 
und genau beobachteten Erkrankungsfällen hatte ich Gelegenheit 
Puro im hausärztlichen Ambulatorium zu verwenden: 

21 mal bei Magen-DarmstÖrungen, verbunden mit Appetit¬ 
losigkeit, 

48 mal bei Abgegessensein, 

8 mal bei leichtem Skorbut mit Verdauungsstörungen, 

36 mal bei sogen. Sommerdiarrhoen, die heuer, wie erwähnt, 
den Charakter einer Hausepidemie angenommen hatten, 

20 mal bei verschiedenen Formen von Anämie. 

Ich kann nun sagen, dass ich in allen Fällen von der 
Wirkung des Präparates im hohen Grade befriedigt war, ins¬ 
besondere muss die appetiterregende Eigenschaft hervorgehoben 
werden, welche das Puro in Fällen von gänzlichem Damieder¬ 
liegen der Magenthätigkeit zu einem werthvollen Unterstützungs¬ 
mittel in der Emährungstherapie im Allgemeinen und speziell in 
der Therapie der Magenerkrankungen macht. 

Ferner muss Puro bei allen Fällen der Unterernährung und 
der daraus entstehenden Inanition, wie bei den Folgekrankheiten 
der verschiedenen Formen von Blutleere auf’s Wärmste empfohlen 
werden. 


Bericht über die Ergebnisse der Schlitzpockenimpfung 
im Königreiche Bayern im Jahre 1900, 

erstattet von dem k. Centralimpfarzte, Medicinalrath 
Dr. L. Stumpf. 

A. Statistischer Theil. 

I. Erste Impfung. 

A. Allgemeines. 


Zahl der Einwohner nach der Zählung von 1900 .... 
Gesammtzahl der zur Erstimpfung vorzustellenden Kinder 
Im Laufe des Geschäftsjahres vor dem Nachweise er¬ 
folgreicher Impfung zugezogene, im Vorjahre geborene 

Kinder. 

Impfpflichtig waren somit. 

Im Laufe des Geschäftsjahres sind ungeimpft gestorben 

Ungeimpft verzogen sind. 

Von der Impfpflicht befreit, weil sie die natürlichen Blat¬ 
tern überstanden haben. 

Bereits im Vorjahre eingetragen als mit Erfolg geimpft . 
Bereits im Vorjahre geimpft, aber erst jetzt zur Nach¬ 
schau erschienen . 

Demnach sind impfpflichtig geblieben: 

zum 1. Male . 


6'175 153 
208 679 


7 577 
216 266 
17 207 
13 369 


Von den Pflichtigen wurden geimpft 


Im Ganzen 


163 578 
6 431 
1701 
171710 
152 360 


Ungeimpft blieben: 

1. auf Grund ärztlichen Zeugnisses vorläufig zurück¬ 
gestellt . . 18199 

2. weU nicht aufzufinden oder zufällig ortsabwesend 4 966 

3. weil vorschriftswidrig der Impfung entzogen ... 1 206 

Im Ganzen 19 860 


B. Zahl der Geimpften, Erfolg der Impfung. 


1. Impfpflichtig Gebliebene wurden geimpft. 152 860 

[ mit Erfolg. 140 943 

und zwar öffentlich j ohne Erfolg. 1166 

l mit unbekanntem Erfolge . . . 212 

Im Ganzen 142 811 

I mit Erfolg. 9 779 

privat | ohne Erfolg. 237 

I mit unbekanntem Erfolge. 28 

' Tn «A AOA 


Im Ganzen 10039 


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2046 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


2. Im Geburtsjahre wurden geimpft. 13 422 

| mit Erfolg. 11 956 

und zwar öffentlich \ ohne Erfolg. 298 

| mit unbekanntem Erfolge ... 17 

Im Ganzen 12 271 

[ mit Erfolg .. 1 092 

privat | ohne Erfolg. 56 

[ mit unbekanntem Erfolge. 3 

Im Ganzen 1151 

3. Sonstige Nichtpflichtige wurden geimpft. 34 

[ mit Erfolg. 33 

und zwar öffentlich j ohne Erfolg. — 

| mit unbekanntem Erfolge ... — 

Im Ganzen 33 

privat (mit Erfolg). 1 

4. Somit wurden überhaupt zum ersten Male geimpft . 165 806 

[ mit Erfolg. 152 932 

und zwar öffentlich { ohne Erfolg. 1 454 

I mit unbekanntem Erfolge . . . 229 

j mit Erfolg. 10 872 

privat j ohne Erfolg. 293 

| mit unbekanntem Erfolge. 26 

C. Erfolg der Impfungen nach der Art der Lymphe. 

1. Mit Thierlymphe wurden geimpft überhaupt. . . . 165 802 

a) mit Lymphe aus der Centralimpfanstalt.162 125 

| mit Erfolg. 152 795 

und zwar öffentlich j ohne Erfolg. 1 447 

( mit unbekanntem Erfolge . . . 229 

[ mit Erfolg. 7 463 

privat | ohne Erfolg. 171 

( mit unbekanntem Erfolge. 20 

b) mit Glycerinlymphe aus anderen Bezugsquellen 

oder mit anders aufbewahrter Lymphe. 3 677 

und zwar öffentlich j ohne Erfolg. 7 

I mit unbekanntem Erfolge ... — 

l mit Erfolg. 3 409 

privat | ohne Erfolg . 122 

[ mit unbekanntem Erfolge . . .. 3 

2. Mit Me ischenlymphe wurden geimpft (von Körper zu 

Körper). 4 

3. Zahl der erzielten Pusteln bei den Impfungen mit 

Thierlymphe. 675 029 

a) bei den öffentlichen Impfungen. 632 688 

„ „ privaten Impfungen. 42 346 

b) . „ impfpflichtig Gebliebenen. 626 259 

„ „im Geburtsjahre Geimpften und son¬ 
stigen Nichtpflichtigen. 48 770 

c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Central¬ 

impfanstalt . 661525 

„ Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬ 
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 13 504 

4. Fälle mit je 1 Pustel sind verzeichnet. 5 600 

a) bei den öffentlichen Impfungen. 5 206 

„ „ privaten Impfungen. 894 

b) „ „ impfpflichtig Gebliebenen. 4 724 

„ „ im Geburtsjahre Geimpften und son¬ 
stigen Nichtpflichtigen. 876 

c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Central- 

impfanstalt. 5 450 

„ Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬ 
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 150 

5. Fehlimpfungen. 1747 

a) bei den öffentlichen Impfungen. 1 454 

„ „ privaten Impfungen. 293 

b) „ „ impfpflichtig Gebliebenen. 1393 

„ „ im Geburtsjahre Geimpften und son¬ 
stigen Nichtpflichtigen. 354 

c) bei Impfungen mit Lymphe aus der Central¬ 

impfanstalt . 1618 

„ Impfungen mit anderweitig bezogener Gly¬ 
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe 129 


D. Berechnungen. 

(Hiebei sind die Impfungen mit Menschenlymphe ausser Betracht 


geblieben.) 

1. In Procenten der Erstimpfangen wurden geimpft: 

f mit Erfolg . 98,80 

a) | ohne Erfolg. 1,05 

( mit unbekanntem Erfolge. 0,15 

b) mit Lymphe aus der Centralimpfanstalt . . . 97,78 

„ anderweitig bezogener Glycerin- oder anders 

aufbewahrter Lymphe. 2,22 

2. Durchschnittliche Blatternza'hl überhaupt. 4,12 

und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Central¬ 
impfanstalt . 4,13 

bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glycerin- oder 

anders aufbewahrter Lymphe. 3,81 


I 3. Fälle mit nur je 1 Pustel überhaupt. 3,42 

und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Central¬ 
impfanstalt . 3,41 

bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glycerin¬ 
oder anders aufbewahrter Lymphe. 4,23 

4. Fehlimpfungen in Procenten der Impfungen überhaupt 1,06 

und zwar bei Impfungen mit Lymphe aus der Central- 

impfanstalt .. 1,0 

bei Impfungen mit anderweitig bezogener Glyoerin- 
oder anders aufbewahrter Lymphe. 3,51 


II. Wiederimpfung. 

A. Allgemeines. 


Gesammtzahl der zur Wiederimpfung vorzustellenden 

Kinder. 124 994 

Hievon sind im Laufe des Geschäftsjahres ungeimpft ge¬ 
storben . 140 

Hievon sind im Laufe des Geschäftsjahres ungeimpft ver¬ 
zogen . 1986 

von der Impfpflicht befreit, weil sie in den vorhergehen¬ 
den 5 Jahren die natürlichen Blattern überstanden 15 

während der 6 vorhergehenden Jahre mit Erfolg geimpft 388 

Zugezogen sind im Laufe des Geschäftsjahres. 930 

Es sind wiederimpfpflichtig geblieben: 

zum 1. Male . 122 268 

„ 2. 830 

„ 3. 297 

Im Ganzen 123 395 

Hievon wurden wiedergeimpft. 122 050 

Ungeimpft blieben: 

auf Grund ärztlichen Zeugnisses vorläufig zurückgestellt 873 

wegen Aufhürens des Besuches einer die Impfpflicht be¬ 
dingenden Ivehranstalt. 53 

weil nicht aufzufinden oder zufällig ortsabwesend .... 192 

weil vorschriftswidrig der Impfung entzogen. 227 

Im Ganzen 1 345 

in Procenten der wiederimpfpflichtig Gebliebenen . . . 1,09 


B. Zahl der Wiedergeimpften, Erfolg der Wieder¬ 


impfung. 

1. Wiederimpfpttichtige wurden geimpft. 122 050 

I mit Erfolg. 190 266 

und zwar öffentlich j ohne Erfolg. 1 010 

| mit unbekanntem Erfolge . . 70 

Im Ganzen 121346 

I mit Erfolg. 616 

privat j ohne Erfolg. 85 

| mit unbekanntem Erfolge. 3 

Im Ganzen 7‘ 4 

2. Nichtwiederimpfpflichtige wurden geimpft. 1 655 

I mit Erfolg. 718 

ohne Erfolg. 16 

mit unbekanntem Erfolge . . 911 

Im Ganzen 1 045 

I mit Erfolg. 492 

privat | ohne Erfolg. 118 

| mit unbekanntem Erfolge. — 

Im Ganzen 610 

3. Somit wurden überhaupt wiedergeimpft. 123 705 

I mit Erfolg. 120 984 

und zwar öffentlich ] ohne Erfolg. 1 026 

| mit unbekanntem Erfolge . . . 381 

I mit Erfolg..'. 1 108 

privat | ohne Erfolg. 203 

( mit unbekanntem Erfolge. 3 


C. Erfolg der Wiederimpfung nach der Art der 

Lymphe. 


1. Mit Thierlymphe wurden wiedergeimpft überhaupt 
a) mit Lymphe aus der Centralimpfanstalt. 

I mit Erfolg. 

ohne Erfolg ...... . 

mit anbekanntem Erfolge 

j mit Erfolg. 

privat ohne Erfolg .. 

| mit unbekanntem Erfolge. 

b) mit Glycerinlymphe aus anderen Bezugsquellen oder 

anders aufbewahrter Lymphe. 

und zwar öffentlich (mit Erfolg). 

[ mit Erfolg. 

privat j ohne Erfolg. 

[ mit unbekanntem Erfolge. 

2. Mit Menschenlymphe (von Körper zu Körper) wurden 

wiedergeimpft. 

3 Fälle mit vollkommenen Pusteln überhaupt. 

a) bei den öffentlichen \ 

„ „ privaten | Wiederimpfungen. 

b) „ „ wiederimpfpflichtig Gebliebenen. 

„ „ Nichtpflichtigen (ausserordentl. Impfungen) 


123 704 
123 168 
120 599 
1026 
381 
980 
179 
3 

536 

384 

128 

24 


1 

92 691 
92002 
689 
92 070 

621 


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17. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2047 


c) Wiederimpfung mit Lymphe a. d. Centralimpfansta.lt 
„ „ anderweitig bezogener Glycerin 

oder anders aufbewahrter Lymphe. 

4. Fülle mit Bläschen oder Knötchen überhaupt . . . 

5. Fehlimpfuugen überhaupt. . 

a) bei den öffentlichen I , . - 

„ privaten | Wieder,mpltlngen . . . 

b) „ „ wiederimpfpflichtig Gebliebenen. 

„ „ Nichtpflichtigen. . . 

c) Wiederimpfung mit Lymphe a. d. Centralimpfanstalt 

„ „ anderweitig bezogener Clycerin- 

oder anders aufbewahrter Lymphe. 

D. Berechnungen. 

(Hiebei sind die Wiederimpfungen mit Menschenlymphe ausser 


Betracht geblieben). 

1. In Prozenten der Wiedergeimpften wurden geimpft 

a) mit Erfolg. 98,70 

ohne Erfolg. 0,99 

mit unbekanntem Erfolge. 0.31 

b) mit Lymphe aus der Centralimpfanstalt ... . 99,57 

„ anderweitig bezogener Glycerin- oder andere auf¬ 
bewahrter Lymphe. 0,43 

2. Fälle mit vollkommenen Blattern in Prozenten der er¬ 

folgreichen Wiederimpfungen überhaupt. 75,92 

und zwar bei Wiederimpfungen mit Lymphe aus 

der Centralimpfanstalt .. .... 70,09 

mit anderweitig bezogener Glycerin- oder anders 
aufbewahrter Lymphe. 35,55 

3. Fälle mit Bläschen oder Knötchen in Prozenten der 

erfolgreichen Wiederimpfuugen. 24,08 

4. Fehlimpfungen in Prozenten der Wiederimpfungen 

überhaupt. 1,0 

und zwar bei Wiederimpfung mit Lymphe aus der 

Centralimpfanstalt. 0,98 

bei Wiederimpfung mit anderweitig bezogener Gly¬ 
cerin- oder anders aufbewahrter Lymphe. 4,48 


B. Sachlicher Theil. 

Zur Durchführung der Schutzpockeuimpfung im Königreiche 
Bayern wurde die Gesammtsumme von 497000 Portionen Lymphe¬ 
emulsion hergestellt, gegen das Vorjahr mehr um 77987 Portionen. 

Zu dieser Gesammtproduktion waren 81 Kälber nötliig, von 
welchen 55 Kuhkälber und 26 Stierkälber waren. Während in 
früheren Jahren wiederholt grössere und kleinere Versuche ge¬ 
macht wurden, reine animale Lymphe von Thier zu Thier fort¬ 
zuzüchten, welche theils gänzlich fehlschlugen, t hoi Ls nur sehr 
kümmerliche und kurzdauernde Erfolge hatten, gelang es im 
Berichtjahre zum ersten Male, aus einem guten Variola-Vaccine- 
Stamme reine Thierlymphe durch 9 Generationen mit vorzüg¬ 
lichem Erfolge fortzuzüchten. Eine aus Italien erhaltene Variola- 
Lymphe brachte auf dem mit allen Kautelen geimpften Kalb 
No. 46 zwei grosse Blattern zur Entwicklung, aus welchen durch 
sorgfältige Verreibung ihres Inhalts 50 Impfportionen Emulsion 
gewonnen wurden. Mit dieser Emulsion wurde hierauf das Kalb 
No. 48 in Stich- und Strich-Insertionen geimpft, und zwar mit 
vollem Erfolge. Von den durchwegs tadellosen Pusteln hatten 
einige einen Durchmesser von 0,9—1,0 cm und eine wahrhaft 
ideale Farbe und Turgescenz. Der Rohertrag dieses Thieres, 
welches nach Ablauf von 4 und 5 Tagen, also in zwei Zeiten, 
abgenommen wurde, betrug 5,17 g, woraus 4650 Portionen 
Lymphoemulsion hergestellt wurden. Das Thier zeigte sich in 
seinem Allgemeinbefinden so schwer affizirt, dass es dem Ge¬ 
nüsse entzogen und der thermischen Vernichtungsanstalt über¬ 
geben werden musste. Von der Lymphe dieses Kalbes No. 48 
stammten alle jene Produkte, welche sowohl in der k. b. Central- 
impfanstalt in einer fortlaufenden Reihe von 9 Thiergenerationen 
weitergezüchtet als auch in einer Anzahl von deutschen Lymphe¬ 
gewinnungsanstalten mit grossem Erfolge verimpft wurden. Die 
allenthalben durch Verimpfung dieser Lymphe auf den Thieren 
zur Entwicklung gebrachten Pusteln setzten durch ihre Grösse 
und Schönheit die erfahrensten Fachmänner Deutschlands in 
Erstaunen und wurden in mehreren deutschen Anstalten als 
Grundlage für die weitere Zucht verwendet. 

Aus diesen positiven Züchtungserfolgen des Jahres 1900 
kann und muss der Schluss gezogen werden, dass für das Fehl¬ 
schlagen früherer Versuche, die Lymphe von Thier auf Thier 
fortzuzüchten, nicht die Beschaffenheit des in München zur Ver¬ 
fügung stehenden Thiermaterials, sondern einzig und allein die 
zur Fortzüchtung reiner Thierlymphe von auswärts bezogenen 
Sorten sogen. Stammlymphe verantwortlich zu machen waren. 

No. 51. 


92 509 

182 
29 400 
l 229 
1026 
203 
1095 
134 
1 2<'5 

24 


Dieselben jungen Thiere, wie sie von dem hiesigen Markte an 
die Impfanstalt geliefert zu werden pflegen, denen der Bericht¬ 
erstatter nach den vielen fruchtlosen Züchtungsversuchen die 
geeignete Qualität für dieses Züchtungsverfahren abzusprechen 
geneigt war, brächten erstklassige Lymphesorten hervor, als es 
endlich gelungen war, einen zur Animpfung geeigneten Variola¬ 
stoff zu erhalten. 

Von 81 Thieren wurden im Berichtjahre 53 mit humaner 
Glycerinlyraphe, theils mittels Flächenimpfung, theils mittels 
Anlegung einzelner Stich- und Strichinsertionen geimpft, 17 
mit animaler Lymphe, 5 Thiere mit humaner und animaler 
Lymphe, 2 mit Variolastoff, dann je 1 Thier mit Lammlymphe, 
mit Rinderblutserum, mit dem Drüsensafte eines geschlachteten 
Impfthieres und mit einer im Laboratorium des hiesigen hygie¬ 
nischen Institutes hergestellten Bacillenreinkultur. Da alle 
diese Versuche in ihren Einzelheiten in dem Berichte über die 
Thätigkcit der k. b. Centralimpfanstalt im Jahre 1900'), sowie 
in einem in der Versammlung der Vorstände der staatlichen 
Lymphegewinnungsanstalten zu Aachen gehaltenen Vortrage : ) 
bereits besprochen worden sind, so dürfte es hier genügen, auf 
diese Veröffentlichungen hinzuweisen. Von den in die Anstalt 
gelieferten 81 Thieren wurde je eine« mit .Variolastoff, mit 
Rinderblutserum vom Kalb No. 46, mit dem Drüsensafte eines 
geschlachteten Impfthieres, endlich auch mit im Laboratorium 
hergestelltcr Reinkultur ohne Erfolg geimpft, und da ferner auch 
der mit Lammlymphe auf Kalb No. 60 geerntete kümmerliche 
Ertrag keine weitere Verwendung fand, so kamen im Jahre 1900 
für die gesammte Lympheproduktion nur 76 Thiere in Betracht. 
Somit trifft auf 1 Thier der Ertrag von 6539 Portionen Lyinphe- 
eraulsiou, ein Ergebnis.?, welches in Ansehung des Umstandes, 
dass in der hiesigen Anstalt nur Saugkälber zur Lympheproduk¬ 
tion verwendet zu werden pflegen, als sehr günstig zu bezeichnen 
ist. Es erscheint noch um so günstiger, als eine grössere Anzahl 
von Thieren nicht mittels der Methode der Flächenimpfung, 
welche in früheren Jahren hier durchwegs zur Anwendung ge¬ 
kommen war, sondern mittels einzelner Stich- und Strich¬ 
insertionen geimpft wurde, eine Methode, welche durchschnittlich 
quantitativ viel kleinere Erträge zu geben pflegt. Insbesondere 
wurden alle Thiere, welche der Fortzüchtung unseres kräftigen 
Variolavaccincstammes dienten, ausnahmslos mittels einzelner 
Stich- und Strichinsertionen geimpft. Der durchschnittliche 
Rohertrag eines Thieres berechnet sich für das Berichtjahr auf 
7,06 g. Der höchste und niedrigste Grenzwertli des Rohertrages 
ist mit 17,74 und 0,3 g verzeichnet. Der Gesundheitszustand 
der Impfthiere war sehr gut. Dieselben waren von dem er¬ 
fahrenen Thierarzte, welcher die Anstalt schon seit Jahren zu 
versorgen hat, vortrefflich ausgewählt, und mit Ausnahme jenes 
schon erwähnten Thieres — No. 48 —, das in Folge seiner 
schweren Impfaffektion dem Genüsse entzogen werden musste, 
Waren alle Impfthiere vom veterinärpolizeilichen Standpunkte 
aus bei der Rückgabe derselben an das Schlachthaus völlig ein¬ 
wandfrei. Sümmtliche Impfthiere hatten im Laufe ihres Auf¬ 
enthaltes im Stalle der Anstalt mehr minder an Körpergewicht 
zugenommen. 

Von dem gesammten Roherträge von 536,45 g, welcher, wie 
schon erwähnt, 497 000 Portionen Lympheemulsion ergab, kam 
der grösste Theil, nämlich 388 712 Portionen, zur Versendung. 
Hievon erhielten die öffentlichen Impfärzte des Landes 339 635 
Portionen in 643 Sendungen, die Militärärzte 43 110 Portionen 
in 301 Sendungen und die Privatärzte 5967 Portionen Lymphe¬ 
emulsion. Ausserdem wurden 13 000 Portionen in München selbst 
verbraucht, 40 000 Portionen gingen als Vorrath auf das nächste 
Jahr über, und der Rest wurde, als zur Verimpfung nicht ge¬ 
eignet, weil nicht genügend wirksam, vernichtet. Auf der Flöhe 
der Thätigkeit befand sich die k. Centralimpfanstalt im Monat 
Mai, in welchem 221622 Lympheportionen in 399 Sendungen 
abgegeben wurden. 

Die Heeresiinpfuug ergab auch im Jahre 1900 wieder sehr 
gute Erfolge. Im Ganzen wurden in der k. b. Armee 33 608 Mann 
der ein- bis dreimaligen Wiederimpfung unterzogen, davon im 
T. Armeekorps 12 268, im II. 11 240. im III. 10100 Mann, und 
zwar wurden im I. Armeekorps 10 814 Mann mit. und 1440 ohne 
Erfolg wiedergeimpft, mithin 88.1 Proe. mit Erfolg. 11.7 Proe. 
ohne Erfolg, im II. Armeekorps 9893 = 88 Proe. mit, Erfolg, 


’) Med.-statist. Mitthell, aus d. k. Gesuudh.-A. VII. B«l.. 1. II. 
*) Allgem. med. Central-Zeltung 1901, No. 10 u. ff. 


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2048 


MÜENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


1347 = 12 Proc. ohne Erfolg, im III. Armeekorps 8456 = 83,7 
mit Erfolg und 1632 = 16.1 Proc. ohne Erfolg. P'iir die ge- 
sammte bayerische Armee berechnet sieh der positive Impferfolg 
auf 86,8 Proe., der Fehlerfolg auf 13,1 Proc. Von besonderen 
Vorkommnissen ist zu erwähnen, dass in der Garnison Regens¬ 
burg we^ens Auftretens von Pocken unter polnischen Arbeitern 
in der Nähe der Kreishauptstadt 161 Mann, welche in den letzten 
5 Jahren nicht mit Erfolg geimpft worden waren, einer ausser¬ 
ordentlichen Impfung unterstellt wurden. Von ihnen zeigte sich 
bei 78 Mann ein positiver, bei 83 Mann ein negativer Impf¬ 
erfolg. In einigen Fällen traten nach der Impfung der Soldaten 
Krankheitserscheinungen auf, welche als Folge der Impfung 
angesehen werden müssen, und zwar wurde in 4 Fällen Zell¬ 
gewebsentzündung beobachtet, davon 2 mal mit nekrotischen 
Veränderungen der Impfpusteln und einmal mit Abseessbildung 
in der Achselhöhle. Ferner trat beim III. Bataillon des 21. In¬ 
fanterieregiments bei 5 Mann 8 Tage nach der Impfung Roth- 
lauf in grösserer Ausdehnung auf. Alle diese Folgeerscheinungen 
endeten mit völliger Genesung. Auf die Gesammtheit der ge¬ 
impften Mannschaften berechnet, ergibt sich somit auf 3734 
Impfungen je 1 vorübergehende Gesundheitstörung. Die Heeres¬ 
impfung vollzog sieh grösstentheils im Herbste im Laufe von 
wenigen Wochen nach erfolgter Einstellung der jungen, dienst¬ 
pflichtigen Mannschaft. 

Die Virulenz der im Berichtjahre produzirten Lymphe Hess 
nichts zu wünschen übrig. Auf Grund der mit den erhaltenen 
Lymphesorten vorgenommenen Probeimpfungen ergibt sich, dass 
von 75 zur Probe verwendeten Sorten 65 erstklassig und nur 
10 etwas weniger kräftig waren. Von den 65 erstklassigen 
Sorten erwiesen sich 12 als ganz besonders virulent. Die Probc- 
impfung erstreckte sich fast, ausnahmslos auf mehr als 100 Im¬ 
pfungen, um einen unzweifelhaften Aufschluss über die Art und 
den Grad der Lymphewirkung zu erhalten. 

Die Haltbarkeit der Lymphe, welche durchwegs in grösseren 
Mengen für eine mehr minder grosse Anzahl von Impfterminen 
an die öffentlichen Impfärzte versendet wurde, Hess nur in 
einigen wenigen Fällen zu wünschen übrig. So zeigte sich im 
Amtsbezirke Rosenheim nach Ablauf von 3 Wochen eine ent¬ 
schiedene Abschwächung ihrer Wirksamkeit. Die gleiche Er¬ 
scheinung wurde in den Amtsbezirken Dingolfing und Altötting 
und eine leichte Abschwächung einer einzekien Lymphesorte 
auch in den Bezirken Reichenhall und Ludwigshafen beobachtet. 
Auch in den Amtsbezirken Wemeck und Oettingen hat sich im 
Laufe der Impfung eine Abschwächung des Impfstoffes erkennen 
lassen. Diesen Beobachtungen steht eine überwiegende Anzahl 
von solchen gegenüber, welche sich auf die lange Dauer der Halt¬ 
barkeit der Lymphe beziehen. So übte im Amtsbezirke Ebers¬ 
berg eine am 18. April empfangene Lymphe, welche wegen des 
Ausbruchs von Masern erst am 14. Juli verimpft werden konnte, 
noch ihre volle Wirkung. 

Von keiner Seite ist im Berichtjahre eine Klage darüber 
eingelaufen, dass die zugemessene Lymphemenge zur Durch¬ 
führung der Impfung nicht ausreichte. Häufig kam es im Gegen- 
theile vor, dass bald kleinere, bald grössere Mengen der über¬ 
sandten Lymphe als unverwendbarer Rest übrig blieben, thcils 
weil die Impfärzte im Lympheverb rauche sparsam waren, theils 
weil viele derselben bei der Bestellung die zu erwartende, Zahl 
von Impflingen zu hoch schätzten und folglich auch zu viel 
Lymphe zugetheilt erhielten. Ein grosser Tlieil dieser über¬ 
schüssigen Lymphe kam nach Beendigung der Impfung wieder 
an die C.'entralstelle zurück. 

Wie immer, so vollzog sich die Impfung im ganzen Lande 
wieder im Grossen und Ganzen in der Zeit vom 15. April bis 
15. Juni. Ausnahmen kamen jedoch im Berichtjahre dadurch 
recht hiiufig vor, dass eine weit verbreitete Masernepidemie, 
welche in vielen Bezirken des Landes gerade während der Impf- 
zeit herrschte, in die Durchführung des ursprünglich fest¬ 
gesetzten Impfplanes mehr minder bedeutende Störungen brachte, 
so dass viele Aerzte gezwungen waren, eine Anzahl von Terminen 
auf den Herbst zu verschieben. 

Zu den öffentlichen Impfungen bezogen die Amtsärzte des 
Landes mit einer einzigen Ausnahme Lymphe aus der k. Central¬ 
impfanstalt. Diese eine Ausnahme betraf die Impfung in der 
Landeshauptstadt selbst. Um über die Frage in’s Klure zu 
kommen, ob die bei der Wiederimpfung in Hamburg erzielten 
ungünstigen Resultate in der That von einer hochgradigen Im- 


munisirung der Bevölkerung durch die Erstimpfung herrühre 
— eine Erklärung, zu welcher sich der dortige Impfarzt be¬ 
kannte — war von dom Berichterstatter dem Impfarzte des 
Staates Hamburg der Vorschlag gemacht worden, eine Anzahl 
von 2000 Wicderimpflingen in Hamburg mit Münchener Lymphe 
und in gleicher Weise 2000 Wiederimpflinge in München mit 
Hamburger Lymphe zu impfen. Die zwischen den beiden Staats¬ 
anstalten ausgetauschte Lymphe war von gleichem Alter und 
kam in den beiden Städten gleichzeitig zur Verwendung. Nach¬ 
dem in München die Wiederimpflinge von 3 städtischen Schulen 
mit Hamburger Lymphe geimpft worden waren, musste die Fort¬ 
setzung des Versuches aus dem Grunde abgebrochen werden, weil 
die damit ei zielten Impf resultate nicht genügend waren, uin die 
Durchführung des ganzen Versuches räthlieh erscheinen zu 
lassen. Die Hamburger Lymphe brachte bei 227 Wiederiinpf- 
lingen nur in 25 Fällen wirkliche Blattern zu Stande (11 Proe.). 
während sieh unter den übrigen 6138 Wiederimpfungen, welche 
in München mit Lymphe aus unserer Staatsanstalt vollzogen 
worden waren. 4514 Fälle = 75 Proe. mit wohleharakterisirtcn 
Blattern befanden. Die Einzelnheiten dieses Impf Versuches in 
München und Hamburg sind an anderem Orte zur Veröffent¬ 
lichung gelangt 3 ). 

Sonst kam im Lande fremde Lymphe nur von Seiten der 
Privatärzte zur Verwendung. 

Von den in Bayern importirten Lympliesorten scheint die 
Elberfelder Lymphe im Berichtjahre die grösste Verbreitung ge¬ 
wonnen zu halten. Sie hat Verwendung gefunden in den Amts¬ 
bezirken München Stadt (öS Privatärzte impften damit 4dl Erst¬ 
und 24 Wiederimpflinge). Landshut. Landau a. I.. Prunkeuthal, 
Grilnstndt, Kirrhheiniltolanden, Landau (Pf.). Ludwigshafen. 
Cham. Kulmbnch. Wnnsiedel. ltotli a. S.. Pappenheiin. Kitzliigen 
und Neustadt a. S. Im Ganzen dürfte Elberfelder Lymphe etwa 
in 750 Fällen verimpft worden sein. Jedoch macht diese Zahl¬ 
angabe ans dem (»runde nicht auf Richtigkeit Anspruch, weil 
Lymphe aus Elberfeld auch noch ln einigen von den Fällen Yer 
Wendung gefunden haben kann, in welchen sieh die impfenden 
Privatärzte nicht Uber die Provenienz ihrer Lymphe geäusser» 
haben. Beeilt häufig findet sich auch die Schweizer Lymphe aus 
dem Institute von Lausanne als Impfmaterial erwähnt. Sie kam 
zur Verwendung in deu Amtsbezirken München Stadt, (iermers- 
heim, Ludwigshafen, Hersbruek, Kulmbach, Eichstätt. Stadtam¬ 
hof, Mitterteich und Waldsnssen. Ausser diesen liebten Lymphe¬ 
sorten wurden in einzelnen Fällen wohl so ziemlich alle Lymphe¬ 
produkte verimpft. welche gegenwärtig in Deutschland zu haben 
sind, und es Ist erstaunlich, welcher Mangel an Konstanz in der 
Wahl der Lymphe bol den Aerzten zu finden Ist. Es gibt in der 
That eine Anzuhl von Aerzten, welche alljährlich Ihre Lyniphe- 
bezugsquelle zu wechseln pflegen. Einer festen Kundschaft 
können sich, wie es scheint, die verschiedenen Lympheproduktious- 
stiitten nicht freuen. Leipziger Lymphe finden wir verzeichnet iui 
Impfbezirke München Stadt, Dresdener Lymphe Im Impfbezirke 
Mellrichstadt. Weimarer Lymphe in den Amtsbezirken München 
Stadt, Landau (Pf.), Neustadt a/H., Lauf und Hofhelm. Die 
Strassburger Lymphe, w’elche noch vor 2 Jahreu besonders ln der 
Pfalz so häufig verimpft wurde, scheint im Lande bedeutend au 
Boden verloren zu haben. Wir finden sie noch verimpft in den 
Amtsbezirken Kaiserslautern und Pirmasens, dort in 71, hier in 
165 Fällen. Darnvstädter Lymphe wurde in Griiustadt verwendet, 
Kasseler Lymphe in Neustadt a/II. Frankfurter Apotheken liefer¬ 
ten Lymphe zu Privatlmpfuugen in den Amtsbezirken Kaisers¬ 
lautern, Pirmasens. Bamberg. Roth a/S. und Stadtamhof. Lymphe 
aus der Apotheke von Aelile in Lübeck wurde in Kaiserslautern 
und Ludwigshafen verwendet. Die Erfolge, welche mit dieser 
Lymphe erzielt wurden, waren wieder recht mitteinnissig. Bei 
41 Impfungen wurden im erstgenannten Bezirke im Ganzen nur 
52 Pusteln erzielt. Ausserdem wurde vielfach erfolglos geimpft, 
und die Impfung mit dieser Lymphe ln Ludwigshafeu fiel nicht 
besser aus. Eine stattliche Reihe von Impfungen in Ludwigshafen 
wurde mit Lymphe aus der Apotheke in Birkesdorf vollzogen, 
endlich in dem gleichen Bezirke noch 14 Impfungen mit Lymphe, 
welche das meflicinische Waarenliaus in Berlin geliefert hatte. 
Dass die Aerzte, welche ihren Lymphebedarf aus den verschieden¬ 
sten Apotheken bezogen haben, über die eigentliche Herkunft 
dieses Impfstoffes, liezw. seine Produktionsstätte, besser unter¬ 
richtet gewesen sind als in früheren Jahreu, lässt sich leider aus 
den betreffenden Berichten nicht schllessen. 

In Bezug auf die Methode der Impfung war ja naturgemäss 
das Verfahren der Impfärzte des Landes ein sehr mannigfaltiges. 
Ueberall waren dieselben jedoch auf’s eifrigste bemüht, die Im¬ 
pfung unter Beobachtung der bestehenden Vorschriften sowie 
jener Vorsiehtsmaassregeln zu vollziehen, wie sie für die Aus¬ 
führung einer chirurgischen Operation heutzutage verlangt wer¬ 
den. Wenn auch die Methode je nach Anschauung, Erfahrung 
und Gewohnheit des Impfarztes im Einzelnen verschieden war. 
so gewinnt man doch den Eindruck, dass äussere Umstände, wie 

I *) Allgem. med. Central-Zeitung 1901, No. 16 u. ff. 


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17. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2049 


z. B. die Zahl der Impflinge, die Anschauung und Lebensgewohn¬ 
heit der Bevölkerung u. s. w. eine gewisse Einheitlichkeit im 
Verfahren herauszubilden beginnen, welche die Berichterstat¬ 
tung über diesen Punkt nicht unwesentlich erleichtert. Die 
Verschiedenartigkeit der Desinfizientien, welche zur Reinigung 
der Impflanzettcn im Gebrauche der Aeryzte waren, kommt im 
Berichtjahre nicht mehr so augenfällig zum Ausdruck wie in 
früheren Jahren. Mehr und mehr wird das Ziel, die Impfung 
in tadelloser Weise auszuführen, durch Vermehrung der Lan¬ 
zetten bei jedem Impftermine erstrebt, eine Maassregel, welche 
nicht nur den an die Reinheit der Instrumente gestellten An¬ 
forderungen in vollkommener Weise gerecht wird, sondern auch 
eine mehr minder beträchtliche Zeitersparniss im Gefolge hat. 
Alle, die Impfbezirke aufzuzählen, in welchen eine kleinere oder 
grössere Zahl von Impfinstrumenten zur Hand waren, würde zu 
weit führen. Es dürfte genügen zu bemerken, dass von 103 
Tmpfärzten, welche sich überhaupt in ihren Berichten über das 
Instrumentarium sowie die Ausführung der Impfung geäussert 
haben, 84 eine Mehrheit von Lanzetten im Gebrauche hatten. 
Die Grenzzahlen der bereitliegenden Lanzetten dürften mit 2, 
als der untersten, und mit 300, als der obersten, richtig angegeben 
sein. Fast überall, wo von 2—4 Lanzetten die Rede ist, war es 
die Platin-Iridiumlanzette, welche sich in der Hand des Impf¬ 
arztes befand. Ihre leichte Ausglühbarkeit während des Impf- 
aktcs, welche freilich bei grösseren Terminen durchwegs eine 
brauchbare Assistenz nöthig machte, liess die kleine Anzahl von 
2—3 Impfinstrumenten auch bei grösseren Impfterminen als aus¬ 
reichend erscheinen. 

Die Platin-Iridiumlanzette war im (»«brauche in den Impf- 
lvezirken Erding. Dorfen. Gartnisch, Laufen, Kaiserslautern, Neu¬ 
stadt a/II.. Auerbach. Neustadt a/WX.. Ilernau, Rodlng. Nittenau, 
Tirschenreuth. Bamberg. Schesslitz. Naila. Pottenstein, Schwa- 
bacli, Lauf. Roth a/S.. Windsheim. Kipfenberg, Kitziugen. 
Sehwelnfurt, Brückenau. Hofheim, Miltenberg, Oberuburg, Ochsen- 
furt. Werueck. Giiuzburg, Rain und Immenstadt. Wenn nun auch, 
wie aus der vorstehenden Reihe von 32 Impfbezirken hervorgeht, 
die Platin-Iridiumlanzette im Lande im Iamfe des letzten Jahres 
bedeutend an Boden gewonnen hat. so sind ihrer allgemeinen Ein¬ 
führung doch durch die Notliwendigkeit einer geeigneten Assistenz 
für grössere Impftermine unü bersch reit bare Grenzen gesetzt. 
I'eber diesen Punkt haben sich mehrere Impfärzte geäussert. So 
berechnet der Impfarzt von Garmisch für das Ausglühen der 
Lanzetten, welche vorher mit Watte gereinigt wurden, 3 und für 
die nachfolgende Abkühlung 8 Sekunden, eine Zeit, welche dein 
Berichterstatter auf Grund seiner Erfahrung mit dieser Lanzette 
recht knapp bemessen erscheint. Der Impfarzt von Tirschenreuth 
nussort sich dahin, dass das Ausglühen der Lanzetten, von denen 
er 0 im Gebrauche hatte, viel Zeit sowie die Anwesenheit einer 
Assistenz, für die ein Bader uufgestellt. war. erforderte. Der¬ 
selbe tadelt auch die Eigenschaft der Platin-Iridiumlanzette. dass 
sie durch das häufige Ausglühen schnell stumpf wird, sowie dass 
sich ihre Spitze leicht umbiegt. Denselben Nachthell hat auch der 
Impfarzt von Scliwabach lieim Gebrauche der Lanzette an ihr ge¬ 
funden 4 ). Der Impfarzt von Potteustein bemerkt, dass das Aus¬ 
glühen der Instrumente bei den kleinen Terminen nicht zuviel 
Zeitaufwand erfordere. Der Amtsarzt von Windsheim äussert sich 
dahin, dass die Verzögerung durch das Ausglühen nicht in Betracht 
kommt, wenn ein Gehilfe zur Hand ist. Der Impfarzt von Oehsen- 
furt hat im Berichtjahre die Platin-Iridiumlanzette probeweise be¬ 
nützt und fand, dass dieselbe ohne Assistenz unbedingt zu viel 
Zeit erfordere. In einigen Impfbezirken diente die Platin-lridium- 
lanzette neben anderen Lanzetten nur zur Impfung der kränklich 
aussehenden und mit unreiner Haut behafteten Kinder, so in 
laufen und Rain. Au einigen Orten scheint die Platin-Iridium- 
lanzette auch wie ein anderes Impf Instrument mit Desinflzientien 
behandelt und nicht ausgeglüht worden zu sein, ein Verfahren, 
mit welchem sich der Berichterstatter aus dem Grunde nicht be¬ 
freunden könnte, weil damit gerade auf den Hauptvorzug dieser 
Lanzette, die leichte Ausglühbarkeit. welche ja doch die beste 
Form der Sterilisirung darstellt, zu Gunsten einer minder guten 
Methode derselben verzichtet wird. Aus den angeführten Aeusse- 
rungen einiger Amtsärzte über die Verwendbarkeit der Platin- 
Iridiumlanzette dürfte das schon mehrmals ausgesprochene IJrthell 
des Berichterstatters, dass der Verwendbarkeit des Instrumentes 
gewisse Grenzen gesetzt sind, seine volle Bestätigung Anden. 

In vielen Impfbezirken, insbesondere in solchen, deren grosse 
Ijnpftermine den Gebrauch der Platin-Iridiumlanzette bei 
mangelnder Assistenz ausschliesst, waren vernickelte Stahl¬ 
lanzetten in kleinerer oder grösserer Anzahl, ja selbst bis zu 
Hunderten, im Gebrauche, welche ausgekocht waren und beim 
Termine mit verschiedenen Desinflzientien gereinigt wurden. Zur 
Desinfektion der Lanzetten während der Impfung diente bald 
eine 2 proc. Lysol-, bald 2—5 proc. Karbollösung. In einigen 


4 ) Die neuerdings ln den Handel gebrachten Instrumente 
scheinen von minder guter Qualität als die älteren zu sein. 


wenigen Fällen war auch eine Sublimatlösung (1:1000), sowie 
Hydrargyrum oxycyanatum iin Gebrauche. Natürlich wurden 
nach Anwendung der starken Desinfizientia die Instrumente sorg¬ 
fältig mit Wasser abgespült und mit Brun s’seher oder Salieyl- 
und Karbolwatte abgetrocknet. 

Alle Desinfizientia traten im Berichtjahre jedoch in den 
Hintergrund vor dem Gebrauche des absoluten Alkohols. Dieser 
hat theils zur Reinigung der Lanzetten während der Impfung, 
theils zur Aufbewahrung gebrauchter Instrumente weitaus die 
grösste Rolle gespielt. Es wird wohl behauptet werden können, 
dass der Alkohol in der nächsten Zeit bei dom Impfakte noch 
mehr Boden gewinnen wird. 

Ausser den vernickelten Stuhlin nzetten ln kleinerer oder 
grösserer Anzahl war Im Berichtjahre auch das W e 1 c li li a r d t*- 
sche Besteck im Gebrauche, Mit diesem Impften die Amtsärzte 
von Lautereeken. Vohenstrauss. Mlndelheim und Türklielm. Der 
Impfarzt von Miltenberg benützte die W e 1 c h h a r d f sehen 
Messer nur zur Impfung der Wiederimpflinge. Die Pentzoldt'- 
sehen Lanzetten waren in den Händen der Impfärzte von Schess- 
litz und Hofheim, während die Amtsärzte von Weismain, Alzenau 
und Waldsassen das Impfbesteek von Even« und P i s t o r be¬ 
nützten. Der Amtsarzt von Waldsassen kochte seine 00 dazu 
gehörigen Messer im Impf lokale in Sodalösung aus und legte sie 
daun in absoluten Alkohol. So konnte für jedes Kind ein eigenes 
sterilisirtes Impfmesser verwendet werden. Der Impfarzt von 
Weisumiu verfuhr in ähnlicher Weise, hält aber auf Grund seiner 
Erfahrung die Platin-Iridiumlanzette für handlicher als die 
Doppelmesser aus Nickelblech. 

Auch die Soeunecko n’schen Impfnadeln, wie die Impf¬ 
federn von Heiutze und Blankertz waren im Gebrauche, 
und zwar die ersteren in den Impfbezirken Laufen und Cham, die 
letzteren im Amtsbezirke Schwabmünehen. Die Impffedern wur¬ 
den vor dem Gebrauche durch Ausglühen sterilisirt und von den¬ 
selben je eine für 2 Impflinge benützt und daun weggeworfen. 
Der Impfarzt von Laufen nennt die Soenneckc n'sehen Impf¬ 
nadeln kurz und unhandlich, und dies wird auch der Grund ge¬ 
wesen sein, dass er nur einen Theil seiner Impfungen damit dnreli- 
fiilirte. 

Vor der Impfung wurden an vielen Orten von den Amts¬ 
ärzten die Oberarme der Kinder einer mehr minder gründlichen 
Reinigung und Desinfektion unterzogen. Besonders geschah dies 
in jenen Fällen, in welchen die Reinlichkeit der Haut des Impf¬ 
feldes zu wünschen übrig liess. Als Desinfektion»- und Reini¬ 
gungsmittel dienten Acther, 1 proc. Lysollösung, schwache 
Sublimatlösungen, Alkohol und endlich auch warmes Wasser, 
Seife und Bürste. Die gleiche Sorgfalt verwandten die Irapf- 
ärzte auf die Reinigung und Desinfektion ihrer eigenen Hände. 

(Schluss folgt) 


Referate und Bücheranzeigen. 

Dr. Heinrich Kraft: Die Röntgenuntersuchung der 
Brustorgane. Mit 2 Tafeln in Lichtdruck. Strassburg i. E., 
Verlag von Schlesier & Schweikhardt. 1901. 63 S. 
Preis M. 1.60. 

Die kleine Schrift soll ein „Ergänzungskapitel zur physi¬ 
kalischen Diagnostik innerer Erkrankungen“ sein und schildert 
die bis jetzt bekannten Erfahrungen auf dem Gebiete der Rönt¬ 
genuntersuchung der Brustorgane. Die beiden Tafeln sind von 
massigem Werth, der Literaturnachweis dagegen bis zum Jahre 
1900 für weitere Forschungen von Nutzen. Auf Vollständigkeit, 
kann die kleine Habilitationsschrift keinen Anspruch machen. 
Bei der Untersuchung des Herzens vermissen wir vor Allem den 
von Moritz angegebenen Tisch (cf. diese Wochensehr. 1900, 
No. 29), der bestimmt zu sein scheint, neue Bahnen durch die 
sogen. „Orthodiagraphie“ zu eröffnen. Wer sich rasch über den 
jetzigen Stand der Radiographie der Brustorgane orieutiren will, 
dem sei die kleine Schrift K.’s empfohlen. 

J a f f e - Hamburg. 


Julius Tandler und Josef H a 1 b a n: Topographie des 
weiblichen Ureters, mit besonderer Berücksichtigung der patho¬ 
logischen Zustände und der gynäkologischen Operationen in 
32 chromolithographischen Tafeln mit erläuterndem Texte. 
Vorworte von Zuckerkandl und Sch aut a. Wien und 
Leipzig, Willi. Braum ii 11 e r, 1901. 

Nach wissenschaftlichem Inhalte und Ausstattung einfach 
ein Prachtwerk ersten Ranges! Die Topographie des weiblichen 
Beckens und besonders des Ureters steht für jeden operirenden 
Gynäkologen im Vordergrund des Interesses, sei es, dass er die 


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2050 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


vaginalen, sei es, dass er die abdominalen Methoden vorzieht — 
dopjwdt. wenn er beide je nach der Sachlage anwendet. Zum 
ersten Male wird hier neben dem normalen Situs des Ureters 
auch sein Verhalten in abnormen Fällen abgebildet und ge¬ 
schildert: Verlauf des Ureters bei herabgezogenem 
Uterus während vaginaler Totalexstirpation, bei lnversio Uteri 
puerperalis, bei Scheidenvorfall mit Cystocele, bei Uterus- und 
Scheidenkrebs; ferner bei Gravidität, bei „intraligamentärer 
Blase“; Ureterfistel nach abdominaler Totalexstirpation u. s. w. 
Der normale Verlauf des Ureters wird mit Rücksicht auf opera¬ 
tive Zwecke abgebildet, theils halb, theils ganz freipräparirt 
neben den übrigen Organen in Frontal- und Sagittalebenen, bei 
p r ä peritonealer Aufsuchung nach seitlichem Bauchschnitt, bei 
r e t. r o peritonealer Aufsuchung durch Lumharschuitt entlang 
dem Musculus psoas. Zahlreiche Tafeln zeigen den Ureter in 
den verschiedenen Stadien und bei den verschiedenen Methoden 
der vaginalen, abdominalen und sacralen Exstirpation des Uterus. 
Es ist kaum ein Fall denkbar, in welchem sich der Operateur 
rasch Aufklärung über die Topik des Ureters wünscht, die er 
nicht in klarster Weise sofort im „T nndler und H a 1 b a n“ 
fände. Die mustergiltigen Lithographien sind in natürlicher 
Grösse des Objektes ausgeführt und Arterien, Venen und Ureter 
in roth, blau und gelb hervorgehoben. Der Text ist klar und bei 
aller Kürze erschöpfend. Die Buchstabenbezeichnung der Tafeln 
erleichtert das Studium wesentlich — und jedes neue Betrachten 
fördert neue Gesichtspunkte zu Tage. 

Man sollte das geradezu unentbehrliche Werk neben dem 
Operationszimmer aufbewahren, um es in schwierigen Fällen 
stets bei der Hand zu haben. Und welcher Operateur würde es 
nicht vor einer Ureterplastik oder einer schwierigen „abdomi¬ 
nalen Radikaloperation“ (Entfernung des Uterus mit Adnexen, 
Parametrien, Theil der Scheide und mit regionären, earcinoma- 
tösen Lymphdrüsen) mit Dank gegen die Autoren zur Hand 
nehmen ? 

Aufrichtiger Dank gebührt vor Allem den beiden ausge¬ 
zeichneten Verfassern, aber in hohem Maasse auch dem unüber¬ 
troffenen Zeichner medicinischer Objekte, Herrn B. Keilitz, 
und der Verlagsbuchhandlung. Voll und ganz wird man sich 
Zuckerkandl’s Worten anschliessen müssen: „Es möge 
bald Aehnliches für die anderen Organe gesehehen, für ihre nor 
male und besonders für ihre pathologische Topi k“. Der 
vorliegende Atlas wird für jedes derartige Werk allezeit vorbild¬ 
lich und mustergiltig bleiben. Gustav Klein- München. 

1 - 

Dr. Karl Waibel, k. Bezirksarzt in Kempten: Leitfaden 
für Unfallgutachten. Ein Hilfsbuch zur Untersuchung und 
Begutachtung Unfallverletzter und traumatisch Erkrankter. 
Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1902. — 424 Seiten. 

Die kasuistische Literatur über Unfallheilkunde ist bereits 
sehr reich angewachsen. Als wissenschaftliche Disziplin steckt 
dieser jüngste Zweig unserer medicinischen Wissenschaft aber 
trotz der bahnbrechenden Werke von T h i e m , Kaufmann , 
Becker, Golebiewski, Ledderhose, Blasius u. A. 
doch gewissermaassen noch in den Kinderschuhen. 

Der ärztliche Praktiker, dessen Zeit durch die anstrengende 
berufliche Thätigkeit vollauf in Anspruch genommen ist. ist. 
nicht in der Lage, durch das Studium der Kasuistik und der 
umfangreichen wissenschaftlichen Werke sich auf dem Laufenden 
und damit auf der Höhe auch dieser Spezialwissenschaft zu er¬ 
halten, deren Studium in der Jetztzeit für jeden Arzt ein Er¬ 
forderniss bildet. Mit der immer mehr anwachsenden Zahl der 
in die Unfallversicherung auf Grund des Gewerbe-Unfallversichc- 
rungsgesetzes vom 20. Juni 1900 einbezogenen Gewerbszweigc 
und Betriebe und der in denselben beschäftigten Personen er¬ 
öffnet sieh für einen immer grösseren Kreis von Aerzten ein 
Feld für die praktische Thätigkeit auf diesem Gebiete. Die 
damit verbundene gutachtliche Thätigkeit der Aerzte 
unterliegt aber gerade hier der öffentlichen Kritik in einer früher 
nie dngewesenen Ausdehnung. Die Pflicht, jetles Einzelnen, sich 
auf diesem Gebiete unantastbar in wissenschaftlicher und ethi- 
seher Hinsicht zu erweisen, ist geradezu zu einer Lebensfrage 
liir den ärztlichen Stand geworden. Mit der in ärztlichen Kreisen 
immer mehr durchdringendenUeberzeugung von der Nothwendig- 
keit unhidingtcr Objektivität wird aber auch bei den gesetzgebe¬ 
rischen und ausführenden Organen die Erkenntniss sieh immer 
mehr Hahn brechen, dass eine gedeihlicheThiil igkeit des ärztlichen 


Standes gerade auf diesem Gebiete die Rücksichtnahme auf die 
materiellen Interessen des Einzelnen zur Voraussetzung hat und 
dass eine Blossstellung des Arztes gegenüber seiner Klientel nur 
schädigend wirken kann. In dieser Beziehung muss noch ein 
Ausweg gefunden werden, der den Interessen der Aerzte mehr 
als bisher gerecht wird. 

Jeder neue Versuch, den Aerzten ihre Pflichterfüllung nicht 
nur zu kennzeichnen, sondern auch zu erleichtern, kann desshalb 
nur freudigst begrüsst und gewiss nicht als überflüssig erachtet 
werden. 

Ein hiezu vollauf geeignetes, höchst gelungenes Hilfsmittel 
bildet aber das vorliegende Werk, das von neuen, bisher meines 
Wissens noch nicht berücksichtigten Gesichtspunkten ausgeht 
und einen zusammenfassenden, vornehmlich dem praktischen Be¬ 
dürfnisse entgegenkommenden Ueberblick über den gegen¬ 
wärtigen Stand der Unfallheilkunde bietet. 

Wenn der Verfasser in der Vorrede von seiner Arbeit in be¬ 
scheidener Weise sagt, sie trage vorwiegend nur einen kompi- 
latorischen Charakter, so zeigt dieser Charakter doch, schon in 
der ganzen Anlage, das eigenartige Gepräge reicher persönlicher 
Erfahrung. 

Der „Allgemeine Theil“ bringt, nach einer Uebersicht über 
die benützte Literatur, in 7 Kapiteln zunächst eine klare und 
umfassende Zusammenstellung der gesetzlichen und organisa¬ 
torischen Bestimmungen, erläutert den Begriff „Betriebsunfall“, 
bespricht die „Vorschriften über das Heilverfahren“, gibt sehr 
beachtenswerthe Anhaltspunkte für die Ausstellung der „Aerzt- 
lichen Gutachten“, und schliesst mit dem Kapitel: „Praktische 
allgemeine Regeln zur Untersuchung und Begutachtung Unfall¬ 
verletzter“, welches namentlich der besonderen Beachtung der 
Kollegen nur dringend empfohlen werden kann. 

Auch der „Specielle Theil“ mit seiner streng systematischen 
Gliederung lässt nicht minder die Originalität des Verfassers in 
Auffassung und Durchführung ersehen. In den 8 Kapiteln 
desselben wird je ein Hauptgliedabschnitt des menschlichen 
Körpers behandelt. Den ersten Abschnitt eines jeden Kapitels 
bilden dann „anatomische, bezw. anatomisch-mechanische Vor¬ 
bemerkungen“, die ein kurzes, klares Bild dieser Verhältnisse 
geben; dann folgen die Abschnitte: „Untersuchung des nor¬ 
malen Körpertheiles in anatomischer und funktioneller Be¬ 
ziehung“ und „Untersuchung des verletzten Körpertheiles mit 
anatomischen und funktionellen Störungen und den hauptsäch¬ 
lichsten diagnostischen Merkmalen derselben“. — Diese drei Ab¬ 
schnitte sind in ihrer Art neu und so streng systematisch meines 
Wissens noch in keinem Werke über Unfallheilkunde durch¬ 
geführt worden. 

Im folgenden Abschnitt wird dann die „Bewerthung der 
funktionellen Erwerbsstörungen nach Verletzungen und trau¬ 
matischen Erkrankungen des betr. Körpertheiles mit den haupt¬ 
sächlich vorkommenden Unfallfolgen“ in äusserst übersichtlicher 
und möglichst umfassender Weise behandelt und schliesslich 
eine reichhaltige Kasuistik der procentuarischen Renten¬ 
abschätzungen der mannigfachen Verletzungen und trauma¬ 
tischen Erkrankungen theils nach den Entscheidungen des 
Reichsversicherungsamtes, theils nach den Veröffentlichungen 
verschiedener Autoren und Berufsgeuossenschaften, meist in 
tabellarischer Zusammenstellung gegeben. 

Dass bei dieser streng schematischen Behandlung des Stoffes 
sich nicht selten Wiederholungen nothwendig machen, war durch 
das System bedingt und nicht zu vermeiden, wenn ein vornehm¬ 
lich den praktischen Bedürfnissen entsprechender Führer auf 
dem weiten Gebiete der Unfallkeilkunde geschaffen werden 
sollte. 

Auf den sachlichen Inhalt hier näher einzugehen, würde zu 
weit führen. Zu erwähnen dürfte nur sein, dass manche Er¬ 
krankungen, wie z. B. Carcinoma mammae, Osteomyelitis 
feinoris u. ähnl., deren kausaler Zusammenhang mit einem Un- 
fnlltrauma doch nicht in jedem Falle geliiugnet werden kann, gar 
nicht berücksichtigt sind und andere, wie die Wundinfektions¬ 
krankheiten, nur eine ganz kursorische Behandlung im Allge¬ 
meinen Theile gefunden haben. Gerade derartige Krankheits¬ 
zustände bilden nicht gar selten Schwierigkeiten bei der Beur- 
theilung und Begutachtung. Diesen und ähnlichen Fragen wird 
der Verfasser bei der voraussichtlich bald nothwendig werdenden 
folgenden Auflage seines verdienstvollen Werkes sicher seine 
Aufmerksamkeit zuwenden. Dabei werden dann auch manche 


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37. Dezember 1901. MU EN CHEN ER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2051 


Härten der Wortbildung, wie „Erwerbsbeschränktheitsrente“, 
dann Härten der Satzbildung, wie auf S. 309 bei Beschreibung 
der Roser-Nelaton’schen Linie, sowie verschiedene Druck¬ 
fehler beseitigt werden können. 

Doch das sind nur nebensächliche Dinge, die dem Werthe 
des Buches keinen Eintrag thun können. Der Wai bersche 
Leitfaden kann den Kollegen nur dringend nucinpfohlcn werden 
und wird sich unter denselben wegen seiner praktischen Brauch¬ 
barkeit auch sicher bald sehr viele Freunde erwerben. 

Dorffmeister. 

Hygiene und Diätetik des Magens. Von Kreisphysikus a. I). 
F. Schilling zu Leipzig, Spceialarzt für Verdauungs- und 
Stoffwechselkrankheiten. Mit 9 Abbildungen. Leipzig 1901. 
Verlag von H. Hartung & Sohn. 

Innerhalb seines eng gehaltenen Rahmens behandelt das vor¬ 
liegende Buch folgende Kapitel: Ursachen der Magenkrankheiten, 
Nahrungsmittel u. Magenverdauung, Hygiene und allgemeine Diä- 
tetik, Symptome u. Diagnostik der Magenkrankheiten, allgemeine 
Therapie, specielle Diät, bei Sekretionsstörungen, Motilitäts¬ 
störungen, Sensibilitätsstöruugen, akutem Magenkatarrh, chro¬ 
nischem Magenkutarrh, Magengeschwür, Magenkrebs, Lage-, 
Gestalt- und Grösseveränderungen des Magens. Bei der Durch¬ 
führung seiner Aufgabe geht Verfasser von den Ursachen, welche 
den häufigsten Magenstörungen zu Grunde liegen, aus, knüpft 
an die Besprechung unserer jetzt geltenden Anschauungen über 
die Verdauungsvorgänge die hygienischen und diätetischen 
Grundsätze und bespricht unter Darlegung der Diagnostik der 
einzelnen Krankheitsformen die allgemeinen und speciellen Be¬ 
handlungsmethoden. Uebcrall tritt die grosse persönliche Er¬ 
fahrung des Verfassers auf diesem Gebiete — Sch. hat bekannt¬ 
lich auch werthvolle Untersuchungen über die Verdaulichkeit 
der einzelnen Nahrungsmittel auf Grund zahlreicher Faeccs- 
untersuchungen veröffentlicht — sehr deutlich in die Erschei¬ 
nung. Trotz der compendiösen Form des Ganzen wird der Prak¬ 
tiker, namentlich hinsichtlich der diätetischen Behandlung der 
Magenkrankheiten, doch recht eingehend gehaltene thera¬ 
peutische Rathschlüge in dem Buche finden, das bestens em¬ 
pfohlen werden kann. Grassmann - München. 

Neueste Journalliteratur. 

Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 49. 

A. Welscher-Hamm 1. W.: Stichverletzung der Blase 
(durch das Foramen ischiadicuzn majus). 

Mittheilung eines günstig verlaufenen Falles von Blasenver¬ 
letzung durch einen Sensenhieb in die linke Glutüalgegend. Die 
fest im Becken sitzende Sense konnte nur mit grosser Mühe unter 
Mithilfe des Pat. aus dem Körper entfernt werden. Sofort stürzte 
mit dem Blut massenhaft Urin aus der Wunde. Der Iseliiadicus 
war nicht verletzt; Pat. ging nach 5 Tagen dem Spital zu. Die 
Wunde wurde nach Drainirung der Blase mit .Todoformgnze tam- 
ponirt, bald entleerte sich siimmtlicher Urin durch den Gummi¬ 
schlauch; wegen Cystitis wurde die Blase 3—4 mal täglich mit 
Karbol-, später Sublimatlösung ausgespült und nach fast einem 
Monat der Drain entfernt. W. ist der Ansicht, dass in dem betr. 
Fall wohl primär das Peritoneum Verletzt war. dass aber bei dem 
breiten Wundkanal eine Stockung des Harns (dies für die Genese 
der Peritonitis bei Blasentumoren so bedeutungsvolle Moment) 
nicht zu Stande kam und eine Verklebung durch die anfängliche 
ltuhe (Unterlassen eines Transports) begünstigt wurde. Sehr. 

Archiv für Gynäkologie. 64. Bd. 3. Heft. Berlin 1901. 


Der mitgetheilte Fall betraf eine 30 jährige III. Para, die Dia¬ 
gnose schwankte vom 2.—7. Monat zwischen Perityphlitis, intra- 
oder extrauteriner Gravidität und Kombination beider. Bei der 
Laparotomie fand sich ein 1250 g schwerer, lebender Foet zwischen 
den Darmschlingen. Die Placenta war in der ganzen rechten 
Beckenhälfte und auf dem Douglas-Peritoneum entwickelt. Ihre 
Iiüsuug veranlnsste eine Blutung, welche nur durch Kompression 
der Aorta beherrscht wurde. Drainage, Genesung. Primär hatte 
es sich um Tubengravidität gehandelt. — Eine grosse Anzahl 
solcher Kinder ist schon dauernd am Leben geblieben, das ist 
für die Indikation der Operation zu beachten. — Die Mortalität 
der Mütter bei diesen Operationen betrügt für die letzten 4 Jahre 
10 Proc. 

3) L. Pick. Privatdozent: Die Marchan d’schen. Neben¬ 
nieren und ihre Neoplasmen. (Aus Prof. L. Land a u's Frauen¬ 
klinik.) 

Die M a r c h a n d’schen Nebennieren werden als kleine Knöt¬ 
chen entsprechend dem Verlauf des Wolf f’schen Körpers ge¬ 
funden. «Iso beim Weibe überall da. wo Reste der Urniore Vor¬ 
kommen. A i c li e 1 fand diese Gebilde im Ligamentum latum 
Neugeborener regelmässig und nach ihm entstammen sie der l'r- 
niere. Diese Organe zeigen histologisch den Bau typischer, nor¬ 
maler Nebennierenrinde und besitzen nach Thierverxuchcu und 
Beobachtungen am Menschen vielleicht eine physiologische Auf¬ 
gabe bei Zugrundegehen der eigentlichen Nel>ennleren, daher: 
accessoris <• h e N ebennior e n. 

Von diesen M arch a n d’sclicn Nebennieren können anato¬ 
misch und klinisch wohl umschriebene Geschwulstbilduiigen iin 
weiblichen Genital ihren Ausgang nehmen. P. beobachtete einen 
solchen Fall: bei einer 51jährigen Frau wurde ein rechtsseitiger 
faustgrosser Ovarialtumor entfernt. Die Untersuchung ergab 
„Neubildung vom Typus der Nebenniere mit destruirender Ten¬ 
denz“. Die Frau wurde nach der Operation wiederholt untersucht, 
blieb 1 Jnlire gesund und starb 2 Jahre nach der Operation 
unter Goschwulstbildungen in beiden Nieren, der linken Neben¬ 
niere und dem linken Kleinhirn. — P. hält die liypeniephroide Eier- 
stocksgeschwulst für autoc hton. hervorgegangen aus einer M n r - 
c li a n d’schen Nebenniere im Eicrstockhilus. 

Die liyperuephroiden Geschwülste enthalten gewöhnlich 
Glykogen in bedeutender Menge, doch kommen auch im Ovarium 
glykogenhaltige Tumoren vor. die bestimmt nicht liypernephroider 
Natur sind. P. bringt dafür zwei Beobachtungen au ovariellen 
Endothelgeschwülsten und eine an einem Adenoeareinoum ovnrii. 

4) Georg Preiser. prnkt. Arzt: Ein Beitrag zur Lehre von 
den Tuboovarialcysten. (Aus der gynäkologischen Abtheilung des 
Krankenhauses der Elisabethinerinnen in Breslau, Prof. Pfannen¬ 
stiel.) 

Die Mehrzahl der Tuboovarialcysten ist entstanden aus Saeto- 
salpinx und Ovarinlcyste durch Druckatrophic an der Verlütkungs- 
stelle. — Jene Befunde, wo die Tubenfiinbrien entweder frei int 
Cysteninnem flottiren oder an der Wand anllegen. sind so zu er¬ 
klären: Pyocele peritubaria, Schwund der Wand zwischen 
P.vocelo und Ovarialcyste. — Aehulieh der Pyocele peri¬ 
tubaria kann denkbarerweise eine Haematocele wirken. — Für 
die verschiedenen Grade dieser Bildungen erbringt Pr. klinische 
und anatomische Beobachtungen. 

5) Georg Fleck, Assistenzarzt: Mittheilungen aus der 
Göttinger Frauenklinik: 

I. Zur Aetiologie der Mastitis. 

<5 Tage nach Ablauf eines Gesichts-Erysipels Entbindung; 
Mastitis abscedens klinisch verlaufend wie Staphylococeen- 
Mastitis. Im Eiter fanden sich ausschliesslich Streptococcen. — 
Klinische Formen der Mastitis lassen sich nicht ln Beziehung 
bringen zu den bakteriologischen Befunden. 

n. Primäres Carcinom der vollkommen invertirten Scheide 
mit totalem Prolaps des Uterus. 

Bei der 43 jährigen Nullipara bestand der Vorfall seit 3 Jahren. 
Eine Operation war bei dem Zustande der Patientin und der Aus¬ 
dehnung des C-arelnoms auf Douglas und Rectum nicht mehr 
möglich. Dr. Anton H e n g g e - München. 

Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. 46. Band, 
2. Heft. Stuttgart, F. Enke. 1901. 


Die ersten 3 der folgenden Arbeiten gehören noch zu der Fest¬ 
schrift für Prof. L. Landau. 

1) Leopold Thumlm. Assistent: Chirurgische Eingriffe bei 
Myomen der Gebärmutter in Schwangerschaft und Geburt. (Aus 
Prof. L. Landa u’s Frauenklinik.) 

Eine Zusammenstellung der seit 1885 veröffentlichten Fälle er¬ 
gibt für abdominale Totalexstirpation bei Myom mit Schwanger¬ 
schaft eine Mortalität von 8.9 Proc., für supravaginale Amputation 
11 Proc. Die Totalexstirpation vermeidet spätere katarrhalische 
und maligne (bis jetzt 15 Fälle) Erkrankung des Cervixstumpfes 
und ermöglicht bessere Drainage. 3 Fälle von Myom-Enueleation 
während der Schwangerschaft führten alle zu rechtzeitiger nor¬ 
maler Entbindung. Unter 6 Fällen von abdominaler Totalexstlr- 
pation während der Schwangerschaft endete nur einer tödtlieh. 

2) A. S i 11 n e r, Frauenarzt in Brandenburg a. H.: Ein Fall 
von 7 monatlicher Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter 
mit lebendem Kind, zugleich einige Betrachtungen über die 
Diagnose und die Operation bei vorgeschrittener Extrauterin¬ 
gravidität mit lebender Frucht auf Grund einer Zusammen¬ 
stellung von 120 Fällen dieser Art. 


1) K. Winkler- Breslau: Das Deciduom. 

W. bemüht sich, in dieser sorgfältigen kritischen Arbeit, die 
am Aufbau der malignen Declduome betheiligten Zellformen auf 
Bestandtlieile der Decldua zurückzuführen und ihren Ursprung 
in die Plncentarstelle des graviden oder puerperalen Uterus zu ver¬ 
legen. Seine Ausführungen richten sich wesentlich gegen Mar¬ 
chan d. der die Geschwulst als „Chorlon-Epithelloma“ bezeichnet 
wissen will und das Syncytium und die L a n g h a n s’scbe Zell¬ 
schicht als IJrsprungsstätten ansprieht. Auf Grund zweier ein¬ 
gehend beschriebener Beobachtungen stellt W. zunächst 2 Zell¬ 
formen der Geschwulst fest, die sowohl im Primärtumor, als in 
den Metastasen stetig wiederkehrten und bezeichnet als Ursprung 
derselben die „d oddualo Basalplatte der Placenta“. W. gibt 
alsdann eine Erörterung der Genese von Svneytium. Langhans- 
schiebt und Decldua und weist nach, dass die von March and 
u. A. behauptete Entstehung der Declduome aus den beiden erst¬ 
genannten Schichten und den cliorialen Wanderzcllen irrig sei. 
vielmehr die Gesehwulsteleinente sich aus Zellformen der Deeidua 
berleiten lassen. Die beiden Zellformen. welche die Declduome 
aufbauen, sind die decidttalen Rundzellen und die s\ ivytlalen 


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2052 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


Element**. Der Nmne ..DechTumn" kommt, «ler G»»schwulst mit 
Recht zu. «Ile mit B«*zug auf «lie Abstammung ihrer Zellen «len 
Sarkom«*» zug»*re<-hn«*t. w«*rd«*u muss. 

2> li! W. E r e u u «1 - Strassburg: Zur erweiterten Freund- 
schen Operation bei Krebs der Gebärmutter. 

E. tritt »*nergiseh für «li«* abdominale Operation «l«*s l'terus- 
«areinoms <*in. Von 15 operirten Eilllen betrafen 5 auf «len Uterus 
b«*s«'h rankte Uareinome. Von l«*tzt«*reu sind 2 g»*storheii. die 
ratlh-aliuoperabel waren, die aud«*ren wurden geheilt. Als Indi¬ 
kationen der erweiterten E r e u n «l'sehen Operation l>ezeichnet F. 
die lH*ginnen«len uml auf den Uterus l»esehränkten ('arcinome. so¬ 
wie solche mit Verbreitung des Krebses in die nächste Nachbar¬ 
schaft des Uterus. Eiir alle übrig«*n kommt nur di<* vaginale Ex¬ 
stirpation. «ptasi als Palliativmittel, in Ketraeht. 

3» (1. Bu rcklia ril-Wiirzburg: lieber Drainage bei Lapa¬ 
rotomien. 

B. b«*riclitet ülw»r .‘‘»1 Laparotomien aus <l«*r Würzburger Klinik, 
«li«* mit Drainage behamhdt wurden. Es liamlelte sich «lal»«*i um 
0 Ovarialtumoren. IS eiterige Adnextumoren. 2 Tubargravi«lität«*n. 

2 vereitert»* Uterustuniore» mul 3 P«*ritonltiden. Von diesen starben 
S unmitt«*lbar nach der Operation. 1 in«*hmv Wo«*hen »achh«*r. 
Drainirt wurd»* mit Gnz»* oder Gktsdrains. b»*zw. kombinirt mit 
b«*i«len. liuli/.irt ist die Drainag»*. wenn grössere Mengen Eiter 
das Op«*rationsfel«l verunreinigt haben, wenn g Wisse re Wund- 
liöhlen zurü« , kg«*bli»*lM*n sin«l. wenn Theih* «l«*r Oescliwillstwämle 
zurückgelnssen werd«*n mliss«*n. w«»nn Blasen- »Hier Darinver- 
letzuugen vorhanden sind, endlh’h. wenn Eitersacke nicht ausgelöst 
w«*rden können, sondern angenälit und incidirt werden müssen. 

3a) (i. K i en - Strassburg i. E.: Zwei Fälle eigenthümlicher 
Schwellung der Parotis bei Neugeborenen. 

Es liamlelte sich um «loppelseitige Schwellung der Parotis, die 
gh*i»*h nach der Geburt vorhamlen war und nach Verlauf von 
4 Wochen spontan wi«»«ler verschwand. Die Natur »ler Schwellung 
blieb dunkel: Hypertrophie. Angiotn und Sp«‘ichelretent.ion selilii*sst 
K. aus. ebenso Parotitis epidemica, «la die Mütter g»*suml waren. 
Am wahrscheinll« - h’st«*n bleibt noch ein«* Vergnisserung «1«*r Parotis 
in Folge von Stauung, für deren Entstehung allerdings keim* Ur¬ 
sache zu finden war. 

4) A. Feitel-Wien: Zur arteriellen Gefässversorgung des 
Ureters, insbesondere der Pars pelvina. 

Veranlassung zur vorliegend«*» Arbeit gab «li<* Angabe 
W «* r t h <* i m’s. »lass es bei 5 s«*hu*r 57 an Car«*, uteri «»perirt»*» 
Krank»*n znr Bildung «*im*r X T ret«*reniist«*l gekommen sei. wofür W. 
das aus der T T t»*riua eutspring«*nd«‘ Gefliss wahrscheinlieh verant¬ 
wortlich machen zu sollen glaubte. An Injektionspräparafon fand 
F. für «las untere Dritt«*l des Ureters als Ernührutigsgefässe 
TM«*rinn und Vesicalis. für das mittlere einen stets vorhandenen 
Ast mit tvplsohem Verlaufe, der entweder direkt aus der Aorta 
oder der llypogastrica oder Iliaca communis entsprang. F. nennt 
diesen Ast ..A r t «* r I a u r «• t «* r 1 <• a“. Die genannt»*n Gefässo 
sind während «ler W e r t h e i m*seheu Operation «r«*fälirdet b«*l d«*r 
Freilegung d«*s I T r«*t«*rs und Aufsuchung der Drüs»*n. Als Regeln 
für «li«* Operation «*rgeben sich daraus folgende: 

1. Die stumpf«- Präparation <l«*s Ur«*t«*rs und <l«*r flofüss«* ist 
thuidiclist zu v«*rniold»*n. 

2. Die Ernähntmrsgcfässe sind thunlielist zu priipariren. 

3. Die Spaltung des Peritoneums über «lein Ureter bat bis in 
«lie Mitte der Pars pelvina an «ler lnt«*rnl«*n. von da ab au der 
medialen Seite des Ureters stattzufinden. 

4. Die Driis«*» sind womöglich von den Erniilirutigsg«*fäss«*n 
abztmräpariivn. 

5) E. I h m - Königsberg: Zur Therapie der Extrauterin¬ 
schwangerschaft. 

Die Frage, ob bei abgestorbener Frucht ln den ersten Monaten 
und bei fertig nusgcbildetcr Ilaeniatocele operativ oder exspectatlv 
behandelt werden soll, ist noch unentsehio«len. .T. hat daraufhin 
«las Material «ler Königsln*rg«*r Klinik 130 Fälle ln 2*4 .Tahren) 1 h*- 
arlH'itet. Ili«*von wurden 10 Fälle operativ und 20 Fälle exspectatlv 
lK'handelt. Das unmittelbare Resultat war b«*i beiden Methoden 
«•in gutes. AlH'i* »li«* Operirten waren alle nach 4 Wochen wl«*»ler 
arbeitsfähig. während dies IhM <l«*n exsneetatlv B«*hnnd«*lt»n viele 
Monate oder sogar Jahre lang dauerte. Di«* Erfahrungen T.’s fallen 
also zu Gunsten d«*r oi><*rativ«*n Metli»»de aus. 

0) R. L o in e r - Hamburg: Zur Therapie wiederholter Aborte 
und der Früheeburt. todter Kinder. 

Als häufigste Ursachen habitueller Aborte haben Lues. 
Sidiwnngerseliaftsniere und Endometritis zu gelten. L. gibt unter¬ 
schiedslos in 1«*dem derartigen Fall«* .Todknli In Verbindung 
mit Eisen (Blaud’sche Pillen) und hat dabei unter 22 Fällen 
nur einen Miss«>rfolg erlebt. Er erklärt seine Erfolg«* aus den Wir¬ 
kung«*» des Jods auf «li«* Oefiisse der Pla«-enta. dl«* «*rw«»itert werden 
und «li«* Ent Wickelung «ler Frucht dadurch lM*gfl»stlg«*n. Vielleicht 
wirkt «li«* Behandlung auch dadurch, dass sie Blutergüssen in di«* 
Plac<*nta vorheugt. T.. ist gegen die Liegekur bei habituellem 
Abort, ebenso »regen «lie Opiumh«*handlung: von beiden Mitteln 
hat er nie Erfolge t-«*sehen. Jod und Eisen werden während der 
gatiz.Mi Schwangerschaft gegeben. Das Eisen soll die bei den Ein¬ 
gangs erwähnten Krankheit»*!! stets vorhandene Anaemie be¬ 
kämpfen. „ . .. . , 

7) C J. B u «* u r a-Wien: Ueber die Verkürzung der runden 
Mutt**rbänder auf vaginalem Wege. 

B tritt für «li«* von Wert beim im Jahre ISO« zuerst be¬ 
sehrieben«* Operation «in. T/*tzt«*r»*r hat di«* Operation seither 
SC, „,al ansgefilhrt. TTh-rvon hatten l.ei «ler Entlassung nur 
2 Frauen R«*ci«live; geboren haben nachher, und zwar ganz normal. 


7 Frauen, abortirt 3 Frauen. 3 waren noch gravid. Dauerresultate 
k«>nut«*n an 55 Fällen f«*stg«*stellt werden; unter 48 fanden sieh 
io ltccidivc. «li«* aber «lur«*h Komplikation»*» zu erklären sind und 
nicht. «l«*r Methode zur Last fallen. Die Dauerresultate der Ventri- 
uiul Vagiuifixation sind l>ess»*r. ersten* macht aber mehr Schmerzen 
und leh'hter Bauchbrüehe, letztere führt zu gefährlichen Kompli¬ 
kationen hei Enthiudungen. Vor derA lexander-Adam s’sch«*n 
Operation hat die W e r t h e i m’sche Methode voraus, »lass Baueh- 
narhen uud «li«* stets bestehende Gefahr von Hernien vermieden 
wird. J a f f 6 - Hamburg. 


Monatsschrift für Geburtshilfe u. Gynäkologie. Bd. XIV. 
Hoi't 5. 


1) II. P a 1 in-Güttingen: Experimentell-physiologische Unter¬ 
suchungen über das Verhalten des Kaninchennterus bei der 
Athmung von Wasserstoff, Kohlensäuregemisch und bei der 
Erstickung. 

Verf. wiederholte die von Runge augestellten Experiment»* 
über «las Verhalten des Kanimlienuterus bei Sauerstoffniang»*l und 
Kohlensäureül)«‘i*schuss <l«*s Blutes, da von einer Seite di«* Resul¬ 
tate R u nge’s nicht bestätigt wurden und arnlere Nachprüfungen 
fehlen. Um die einzige eveut. Fehlerquelle in den Versuchen von 
R. nuszusehllessen. wählte Verf. bei der Zuleitung der Gase einen 
geuaueren Apparat, mit »lein er den Druck, unter dem das Gas 
ln «lie Lungen strömte, genau regul Iren konnte und versuchte, in 
seinen V»*rsuehon klarzustellen, wodurch die abweichenden Er¬ 
gehniss«* au«l«*rer S»*it<* zu erklären seien. Die Untersuchungen er¬ 
gaben nun, «lass unter verschiedenen Möglichkeiten die Erregbar¬ 
keit des Uterus «l»*mrt herabgesetzt sein kann, dass die von R. be- 
s«-hri»*lH*n«*n B«*w«*gungsersciieinungeu nicht zum Ausdruck ge- 
langen. nümilch bei zu jugendlichem Alter der Yersuchsthiero und 
bei zu kurz zurückliegender Geburtsthätigkeit. Andererseits be¬ 
stfit ig«*n «lie V«*rsuche »lie Angaben Ru nge’s. «lass bei blosser 
Steigerung der COO-Spannung im Blute ohne Veränderung «les O- 
G«*haltes «l«*r I’terus in Bewegung g«*riith. und dass ebenso bei 
Ilernbs«»tzung des 0-G»»halt»*s im Blut«*, bei unveränderter COO- 
Spnnmmg. Bewegungen des Utems auftreten und zwar noch ener¬ 
gischer als unter dein Einfluss «ler COO-I T t*berladung des Blutes. 

2) F. K e r m a u li e r-Graz: Seltene Form der Vaginal¬ 


portion. 

An Stell«* «les äusseren Muttermund«*» sass ein s«*hlnffes. höckc- 
rig»*s. hahiienkainmälinliehes Gebilde. Die Untersuchung vieler 
S«-linitt«* des abg«*trag«*n»*n G«*bildes ergab gross«*, gefässreicho mit 
gesell l«-lit et ein Platt enepitli«*l ülK*rz»nr<*ne Papillen. Die Austastung 
des Uterus und ili<* Untersuchung des gleichzeitig vorgenonimenen 
f ■uivttenients ergabeu keine Spur einer malignen Erkrankung. Da- 
iregen fanden sieh in Selinitten aus «ler AbtragnngsstoUe des Ge- 
blldes solide Zellstriinge und Nester. «Ile keinen Zweifel an der 
Diagnos»* Careiiiom lassen konnten. Total«*xstirpation. Fareinom 
der Cervix. Verf. empfiehlt, in ähnlichen Fällen aufs Genaueste 
nach v«*rst«*ckten lsisartigen Neublklungen zu fahnden. 

3) A. v. G u 0 r a r «1 - Düsseldorf: Ueber die vorzeitige Lösung 
der normal sitzenden Placenta am Ende der Schwangerschaft. 

Tn einem Falle handelte «*s sich um eine traumatische vor¬ 
zeitige Ablösung der normal sitzenden Plaeonta mit konsekutivem 
Tode der Fruelit und Partus praematnras. im zweiten Falle wiesen 
ohne anamnestische Anhaltspunkte die Zeichen schwerer innerer 
Blutung, die Vergröss«*rung des Uterus, das plötzliche Absterben 
des Kindes und die Blutung aus dem Uterus auf eine vorzeitig«* 
Lösung der PI. hin: im dritten Falle konnte die Hand bei der 
Wendung die Plaeenta im Utems flottiren fühlen. Bei der Ex¬ 
traktion ‘ doppelseitiger Cervixriss. Pat. erlag am 0. Tag einer 
Nachblutung. . 

Als Ursachen der vorzeitigen Lösung sind allgemein dnreli 
schwere Krankheiten oder schlechte Lebensweise herb«*1geffihrt«* 
Schwäeliezustände des ganzen Organismus anzusehen. dann 1 m*- 
sonders bei frühzeitigen Geburten NephrltiR. Die Ursache für dl«* 
grosse Gefährlichkeit der Komplikation ist lokal in dem sehr oft 
schwer lädirten Myometrium zu suchen. 

Ob in der Behandlung die Blase zu sprengen Ist oder nicht, 
kann nur von Fall zu Fall entschieden werden. Eine für alle 
Fälle gütige R«*gel lässt sieh nicht hierüber nufstellen. 

4) A. Mart in-Greifswald: Ueber Myom-Enucleation. 

Vortrag, gehalten in der geburtshilflichen Sektion der Natnr- 

forselierversnmmlung in Hamburg 1901. Referat s. d. Wochen¬ 
schrift. Jahrgang 48. No. 42. 

5) C. E v e r k o - Bochum: Ueber Kaiserschnitt. ITT. 

Vortrag, gehalten in der geburtshüfllclmn Sektion «l«*r Natur 

fors«'h<*rv<*rsammlung in Hamburg 1901. Referat s. d. Wochen- 


» lirift. Jahrgang 48. No. 42. 

0) Ph. .T u n g - Greifswald: Zur Frage der Malignität der 
loliden Embryome. „ _ 

Beschreibung zweier Embrvome. Tn dem einen raue war 
las Peritoneum auf der Blase, am Ligamentum Intimi sinistnim. 
sowie im Netz von zahllosen weissgniuen Knötchen bedeckt, ebenso 
•inden sich gescliwolb'n«* rotroperitonenle Lymplidrüsen. Patient 
st IV. Jahr post op. gesund. „ 

Die mikroskopische Untersuchung mehrerer dieser Knotctien 
•rgab. dass es sich um obllterirte Geffisse hand«fite. Als T^rsache 
l«*r Entstehung dieser Gefässwandwneheningen sieht \ erf. den 
lermanenten Druck seitens d**r wachsenden Geschwulst nn »n.i 
rlaubt, dass diese oder ähnliche Bildungen eineiw Thell «U*r ti«*u- 

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17. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


205 :; 


ungen nach Entfernung maligner Abdominaltumoren bei scheinbar 
vorhandenen und zurückbleibenden Implantationen erklären 
können. 

Nach der Theorie von der foetalen Inklusion können cystisclie 
und solide Embryome nicht qualitativ verschieden aufgefasst 
werden, daher müssen auch die soliden Embryome an sich gut¬ 
artig sein. Elamso müssen nach dieser Theorie die Embryome an¬ 
geboren sein und können schliesslich überhaupt nicht als Neu¬ 
bildungen im Sinne der Geschwulstlehre aufgefasst werden, son¬ 
dern als einfache Parasiten, auf die die Begriffe der Geschwülste 
von gut- und bösartig nicht übertragen werden können. 

Einwandsfreie Beobachtungen von länger dauernder Iteeidiv- 
freiheit bei soliden Embryomen mit histologisch gutartigem Bau 
stützen diese Erwägungen. 

7) II. II e i 1 - Darmstadt: lieber die physiologische Pulsver¬ 
langsamung im Wochenbett. 

Polemisches. Weinbrenner - Erlangen. 

Centralblatt für Gynäkologie. 1901. No. 49. 

1) B. S. S c h u 11 z e - Jena: Zur Kenntniss der Todesart des 
Kindes bei vorzeitiger Lösung der Placenta. 

Vorstehender Artikel richtet sich gegen eine kürzlich von 
Herzfeld (cf. diese Wocheuschr. No. 4ü, p. 1847) ausgesprochene 
Ansicht, wonach eine Frucht bei ltuptura Uteri sich durch die 
vorzeitig gelöste Placenta in die Bauchhöhle verblutet haben soll. 
Sch. demoustrirt und lehrt seit Jahren das Geschlossensein der 
kindlichen Kapillaren gegenüber den Räumen der Placenta, iu 
denen das mütterliche Blut fliesst. I)ns Kind kann desshalb bei 
vorzeitiger Plaeentarlösung kein Blut verlieren und der dabei etwa 
eintretende Tod oder bleiche Scheintod des Neugeborenen beruht 
nicht auf Anaemie. 

2) A. T h eil h aber - München: Zur Behandlung der Dys¬ 
menorrhoe. 

Th. hat für die schweren Fälle von Dysmenorrhoe empfohlen, 
kleine Stücke aus dem Sphincter orif. Int. herauszuschneiden: 
Itesectlo oriflcii interai (cf. diese Wochensehr. 1901, No. 22 u. 23). 
Zur leichteren Ausführung der Operation beschreibt Th. Jetzt ein 
eigenes Messer, dessen Klinge höchstens 6 mm in die Tiefe drängen 
kaum Abbildung uud Gebrauch des Messers müssen im Original 
uachgeseheu werden. Die Sphinkterresektion hat Th. bis Jetzt 
in 22 Fällen mit stets befriedigendem Erfolge angewendet. 

3) W. Rosenfeld - Wien: Zur Peesartherapie bei Prolapsus 
uteri et vaginae. 

Für solche Fälle, wo aus irgend einem Grunde die Operation 
eines Prolapses ungeeignet erscheint, empfiehlt R. ein Pessar, «las 
sich ihm iu 4 Fällen bewährt hat, wo andere Pessare versagten. 
Das sogen. „Zapfenpessar" besteht aus einem schüssel¬ 
förmigen Ring, wie die Hysterophore ihn tragen, aus Hartgummi 
mit einem hohlen, abgerundeten und durchlochten Zapfen. Zu 
haben bei der Firma Leiter in Wien. 

4) S. C h a z a n: Ueber Zwillingsgeburten mit langen Pausen 
zwischen der Geburt des ersten und zweiten Zwillings. 

Ch. widerspricht der kürzlich von F ü t h (cf. diese Wochen¬ 
schrift, No. 41, p. 1014) geäusserten Ansicht, dass durch zu langes 
Abwarten pyaemische Erscheinungen bei der Mutter entstehen 
könnten. Fieber könne dabei wohl auftreten, aber Ch. hat nie 
beobachtet, dass dieses durch putride Intoxikation entstehende 
Fieber sich Jemals bei aseptisch geleiteter Geburt zur Pyaemie 
ausbilden könne. J a f f 6 - Hamburg. 

Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. 

46. Bd., 5. u. 6. Heft. 

18) H. U 1 r i c i - Marburg: Ueber pharmakologische Beein¬ 
flussung der Hamsäureausscheldung. 

Da bei den meisten bisherigen Versuchen, welche eine Beein¬ 
flussung der Hamsäureausscheldung durch Medikamente darthuu 
sollten, nicht genügende Rücksicht auf die Verhältnisse des Ge- 
sammtstoffwechsels, mit welchem der Harnsäurestoffwechsel in 
enger Beziehung steht, genommen wurde, so wiederholte U 1 r i c i 
diese Versuche bei N- und P 2 O s -Gleichgewicht an sich selbst. 
Benzoesäure (8 g pro die) hatte keine wesentliche Wirkung auf 
den N-Stoffwechsel, setzt* 1 aber die Harnsäureausscheidung in den 
ersten Tagen herab. Nachher trat eine geringe Vermehrung der 
Harnsäure ein. Aehnlich wirkte Gallussäure (8 g pro die). China¬ 
säure (8 g pro die) hatte iin Gegensätze zu den bekannten Resul¬ 
taten von Weiss weder auf den Stoffwechsel noch auf die Harn¬ 
säure eineu Einfluss. Tauuiu (3 g pro die) bewirkte nur leichte llaru- 
säurevennehrung. Salicylsaures Natron (3—5 g pro die) steigerte 
die N-Ausfuhr um 7 Proc., die Harnsäureausfuhr dagegen um 40 
bis 50 Proc., so dass man ihm eine specielle Beförderung der Harn¬ 
säuren ussclieidung zuschrelbeu muss. Eine Vermehrung der Leuko- 
eyten im Verhältnis zu den Erythrocyteu konute U. in der Salicyl- 
periode nicht uachweiseu. 

19) H. M e y e r- Marburg: Zur Theorie der Alkoholn&rkose. 
3. Mittheilung: Der Einfluss wechselnder Tempera¬ 
tur auf Wirkungsstärke und Theilungscoeffi- 
cient der Narcotica. 

Der Aufsatz bringt weitere Beweise zu M e y e v's Theorie, 
dass die Narkose mittels alkoholartiger Substanzen auf einer 
physikalisch-chemischen Bindung der letzteren au die fettartigen 
Stoffe des Central nervonsystemg beruhe. An einer Reihe solcher 
Substanzen wurde nachgewiesen, dass die von der Theorie ge¬ 
forderte gleichsinnige Aemlerung von Theilungscoefflcieut und Wir¬ 
kungsstärke unter dem Einflüsse wechselnder Temperatur in der 
That eintritt. Es muss indess hervorgehoben werden, dass dem 


Verfasser Rechenfehler unterlaufen sind, welche die Beweiskraft 
seiner Ausführungen nicht unwesentlich beeinträchtigen. 

20) C. A r c h a u g e 1 s k y - Tomsk: Ueber die Vertheilung 
des Chlor&lhydrats und Acetons im Organismus. 

Auch diese, aus dem Heidelberger pharmakologischen Institut 
stammende Arbeit bringt Belege für die Narkosetheorie von 
Meyer und Overton. Bei Vergiftungen mit Chloralhydrnt 
und Aceton finden sich diese Körper in solcher Menge im (Zentral¬ 
nervensystem. dass mau ein specitisches Biudungsvennögen der 
Xerveumasse für beide Gifte annclimeu muss. 

21) E. II a r n a e k - Halle: Ueber die Resorption des Man- 
gans. 

Vom Mangan, das recht selten als Medikament verordnet und 
meist nur in Verbindung mit Eisen gegen Anaemien verabreicht 
winl, war behauptet worden, dass es überhaupt nicht vom Ver- 
dauuungsapparat resorbirt werde. Ha mack weist nun mich, 
dass (‘s iu der That von der intakten Schleimhaut resorbirt wird, 
al>er in so kleinen Mengen, dass Allgemeinverglftungeu nicht ent¬ 
stellen. Die Ausscheidung erfolgt wie beim Eisen zu tu grössten 
Theii durch den Darm, nur in minimalsten Mengen durch die 
Nieren. 

22) E. N c b e 11 h a u - Halle: Experimentelle Beiträge zur 
Lehre vom Fieber und Diabetes mellitus. 

Nebelt hau prüfte die noch strittige Frage über den Ein¬ 
fluss intorourrent.er Fielter auf die Glykosurie der Diabetiker, 
indem er bei einer Reihe von Hunden das Pankreas exstirpirte 
und sie daun mit Bakteriengiften oder lebenden Kulturen inflzirte. 
Eine konstante Beeinflussung des Kohlehydratstoff Wechsels fand 
indess weder durch die Steigerung der Körpertemperatur noch 
durch akut verlaufende Infektion statt. Nur unter dem Einfluss 
der Tuberkulose fand eine Herabsetzung der Glykosurie statt. 

23) J. Schreiber- Königsberg: Ueber den Schluckmecha¬ 
nismus. 

S c li r e i 1» e r liestreltet die Behauptung von Iv r o n e e k e r 
und M e 11 z e r, wonach die Speise beim Schlucken durch die 
Pharynxmuskulatur mit der blitzartigen Geschwindigkeit von 
0,1 Sekunden durch den Oesophagus hindurch gespritzt werde. 
Auf Grund einer genauen Untersuchung mittels graphischer Re- 
gist.riningtingsnietlioden (s. Original) kommt er zu dem Ergebnis*, 
dass der Pliarynxsehluck durch Mylohyoideus-Hyoglossuskontrak- 
tion ausgeführt wird, welcher die Kontraktion des Geulohyoideus 
und Thyreohoideus sofort folgt. Die Eröffnung der Speiseröhre er¬ 
folgt 0.2 Sekunden später. Die Beförderung derSeliluekmassc in und 
durch den Oesophagus erfolgt durch die Oonstrletores pharyngis, 
den Mylohyoideus und eine Ahsclilussdruckerliöhung. lut Oeso¬ 
phagus seihst sind peristaltisclie Schnürung und der negative Intra- 
tlioracische Druck wirksam. Die Peristaltik vollzieht sich rasch 
innerhalb der Pars colli, welche quergestreifte Muskulatur trägt, 
langsam in die Pars thoracica mit ihrer glatten Muskulatur. 

24) L. E b stein- Breslau: Ueber einen Protozoenbefund 
in einem Falle von akuter Dysenterie. 

Kasuistische Mitthellmig aus der Breslauer medieinlsehen 
Klinik. J. Müller- Wlirzbnrg. 


Centralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und 
Infektionskrankheiten. Bd. 30, No. 19. 1901. 

1) Cohn-Graz: Ueber die nach Gram färbbaren Bacillen 
des Säuglingsstuhles. 

2) A. Petterson - Upsala: Ein sichtbarer Nachweis von 
Alexin Wirkungen. 

Im Gegensatz zu B a u m g a r t en und A. F i s c li e r, welche 
die Existenz der B u c h u e r'schen Alexine verneinen, bringt Ver¬ 
fasser neue Versuche zur Stütze der B u c h u e r’schen Annahme. 
Säet man z. B. In ein 3,5 Proc. Gelatine oder 1 Proc. Agar ent¬ 
haltendes Röhrchen Bakterien, z. B. Typhus, und schichtet a k - 
t i v e s Rinderserum durülter, so bemerkt man unter der 
Oberfläche des Nährbodens nach einiger Zeit eitle helle Zone, 
wälirend der übrige Nährboden von den gewachsenen Typhus 
kolonien trübe erscheint. Es muss sich also hier um eine Diffusion 
der Bakteriengifte und um Abtödtung der Bakterien in dem Nähr¬ 
boden gehandelt haben. 

Auf diese sell>e Weise kann man auch die h a e m o 1 y t i s c li e 
Wirkung der Blutsera anschaulich machen. 

3) G o 1 d h e r g - Petersburg: Ueber die Einwirkung deß 
Alkohols auf die natürliche Immunität von Tauben gegen Milz¬ 
brand und auf den Verlauf der Milzbrandinfektion. (Schluss.) 

T a u b e n, welche gegen Milzbrand natürlich immun sind, 
erüegeu der Milzbrnndiufektiou. sobald dem infleirten Tliietv 
mittlere und grosse Dosen (2—3 ccm) 40 proc. Branntweins, welche 
nur voriiltergehcnde Alkoliolintoxikution. nicht aber den Tod dev 
Thiere herbeiführen, eingegebeu werden. Die chronische Alkohol¬ 
intoxikation setzt die natürliche Widerstandsfähigkeit von Tu ulten 
gegen Milzbrand herab. Kleine Alkoholdosen, welche mit tüdt : 
liehen Dosen Milzbrandkultur infleirten Tauben zu wiederholten 
Malen eingegeben werden, retten die Thiere nicht vor dem Tode 
uud verlängern nur selten ihr Leiten lm Vergleich zu den Kou- 
troltaubeu; zuweilen führen sie augenscheinlich die Thiere sogar 
rascher zum Tode. 

4) C. V r I e n s - Rotterdam: Erhöhung des Schmelzpunktes 
der Nährgelatine mittels Formalin. 

Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass man die Fähigkeit 
des Formalins, Gelatine hart und unschmelzbar zu machen, bereits 
früher kannte, als J. v a n’t Hoff in letzter Zelt seine Beobach¬ 
tungen veröffentlichte. R. O. Neumauu - Kiel. 


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2054 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 49. 

1) M. Borchardt - Berlin: Ueber Lumbalhernien und ver¬ 
wandte Zustände. (Schluss folgt.) 

2) A. W e s t p h n 1 - Greifswald: lieber das Westphal- 
P i 11 z’sche Pupillenphänomen. 

Verfasser bezweifelt die Richtigkeit der Erklärung, welche 
Schanz kürzlich über die Thatsache der Verengerung der Pupille 
bei versuchtem oder ausgeführtem energischem Lidschluss gegeben 
hat, indem er die Erscheinung auf Stauungserscheinungeu zurück¬ 
führte, welche durch ungleichen Druck des Kingmuskels auf das 
Auge hervorgerufen würden. Nach wie vor erscheint es W. als 
die vorläulig beste Erklärung, eine „Mitbewegung“ bei dem ange¬ 
führten Phänomen anzunehmen. Bei Tauben kommt die betreffende 
Pupilleuveränderung wohl durch sensible Reizung der Cornea zu 
Stande, wie Experimente ergaben, doch trifft diese Erklärung auf 
den Menschen nicht zu. Ein Urtheil über die diagnostische Be¬ 
deutung des genannten Pupillenphänomens kann z. Z. noch nicht 
abgegeben werden. 

3) L. L e w i n - Berlin: Ein neuer Aetzmittelträger. 

Die Beschreibung des Instrumentes, welches hauptsächlich 
ermöglicht, dass der Aetzstift nur im Augenblicke des Gebrauches 
aus seiner Hülse heraustritt, während er sonst dem Einflüsse des 
Lichtes entzogen ist, muss nebst den erläuternden Zeichnungen 
im Original eingesehen werden. 

4) S. B a n g - Kopenhagen: Der gegenwärtige Stand der 
biologischen Lichtforschung und der Lichttherapie. 

Cfr. den Bericht über den Vortrag S. 1765 der Münch, med. 
Wocliensehr. 1901. 

5) E. L e x e r - Berlin: Ueber Bauch Verletzungen. 

Vergl. das Referat S. 1854 der Münch, med. Wocliensehr. 1901. 

Grassmann - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 190 1 . No. 49. 

1) H. K i o n k a und A. Liebrecht - Jena: Heber ein 
neues Baldrianpräparat (Valeriansäurediaethylamid). 

Bei der Unbeständigkeit und wechselnden Zusammensetzung 
der Baldrianpräparate ist der Wunsch nach einem chemisch reinen 
und verlässigen Präparate gerechtfertigt. Als solches scheint das 
Diaethylamid der Valeriansäure, eine eigentümlich riechende, 
farblose, wasserklare Flüssigkeit von scharf brennendem Ge¬ 
schmack, in seiner Wirkung der Drogue am nächsten zu kommen. 
Es wird von den Höchster Farbwerken unter dem Namen 
„Valyl“ dargestellt und in Gelatinekapseln zu 0,125 g mit der 
gleichen Menge Sebum ovile 3 mal täglich 2—4—6 Stück verordnet. 

2) Adolf Bickel- Göttingen: Zur Analyse von Bewegungs¬ 
störungen. 

Vortrag mit Demonstration von Thiei-en mit symmetrischen 
Kleinhimresektioueu in der medicinischen Gesellschaft zu Güt¬ 
tingen. (Schluss folgt.) 

3) H. Curschmanu- Leipzig: Medicin und Seeverkehr. 
(Schluss aus No. 48.) 

Nach einem auf der diesjährigen Naturforscherversammlung 
gehaltenen Vortrag. Referat siehe diese Wochenschrift No. 43, 
pag. 1716. 

4) F. Plehn: Ueber die praktischen Ergebnisse der 
neueren Malariaforschung und einige weitere Aufgaben der¬ 
selben. (Schluss aus No. 48.) 

Vorliegende Abhandlung bildet die Einleitung zu dem in der 
hygienischen Sektion der Naturforscherversammlung am 25. Sep¬ 
tember d. Js. in Hamburg gehaltenen Vortrag über Malariahygleue 
und gibt eine kritische Uebersicht des heutigen Standes unserer 
Kenntnisse über Diagnose, Pathologie, Therapie und Prophylaxe 
der tropischen Malaria. 

5) Levy-Dorn - Berlin: Ueber Zwerchfell. 

Autor zeigt an einer Anzahl von Diagrammen, welche die 
Untersuchung mit dem Röntgenschirm ergab, dass dieselben wohl 
Aufschluss über die relativen Verhältnisse, nicht aber über die 
wahre Bewegung des Zwerchfells ergeben und beschreibt einen 
Apparat mit feststehender Projektionstafel, durch dessen An¬ 
wendung die Brustwandbewegung ausgeschaltet und die wirkliche 
Exkursion des Zwerchfells bestimmt werden kann. 

6) H. Senator - Frankfurt a. M.: Ueber den Sitz der Damen 
zu Pferde. 

Erwiderung auf den gleichnamigen Artikel in No. 46, worin 
für den Herrensattel plaidirt wird. F. Lacher - München. 

Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 31.Jahrg.No.23. 

Emil Feer-Basel: Das Koplik’sche Frühsymptom der 
Masern. 

Verfasser fand die K o p 1 i k’schen Flecken, deren Eigen¬ 
schaften näher beschrieben werden, bei 89 Proc. seiner Masem- 
l alle, hält sie für ein untrügliches Zeichen (besonders gegenüber 
Rötheln). Differentialdiagnostisch kommt in Betracht die „Stoma- 
tite erythöraato-pultacOe” (Com liy), die ebenfalls, doch nicht nur. 
bei Masern verkommt, und das Masernenanthem. 

E. H e u s s - Zürich: Wie behandeln wir die Syphilis? 
«Schluss folgt.) 

De. Oomelta - Brieg: Bemerkungen zur Behandlung des 
Abdominaltyphus mit dem Antityphusextrakt von J e z. 

Verfasser verwahrt sich gegen den unter seinem Namen (Wien, 
med. Woeliensclir. No. 28) erschienenen bezüglichen Aufsatz. Er fand 


in 10 Fällen keine wesentliche Beeinflussung der Krankheitsdauer 
durch das Mittel. 

H. Henne- Schaffhausen: Zur Reposition der vorgefallenen 
Nabelschnur. 

Durch ein vorgeschobenes Tuch gelang die Reposition leicht 
und sicher. Plschinger. 

Oesterreiohizohe Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 1901. 

No. 49. 1) S c h n a b e 1 - Wien: Ueber das Sekundärschielen. 

Ein 17 jähriger Patient, bei dem vor 4 Jahren wegen einer 
Verletzung die Disclssion und Extraktion einer traumatischen 
Katarakt nötkig geworden war, zeigt jetzt Schielen an dem seh¬ 
schwach gewordenen, ehemals verletzten linken Auge. An den 
Einzelheiten des Falles erörtert Sch. nun ln einer hier nicht kurz 
zu referirenden Welse die Anschauungen über die Entstehung des 
Sekundärschielens und kommt für den concreten Fall zu dem 
Schlüsse, dass der Grund der Schieiablenkung in einem Baufehler 
nicht des verletzten, sondern des intakten Auges gesucht werdeu 
müsse. Der vorliegende fehlerhafte Bau wird eingehend analysirt 
Auch der Mechanismus, durch welchen die Schieioperation die 
Ablenkung heilt, wird sehr ausführlich an der Hand des mit- 
getheilten Falles besprochen. 

2) F. Hamburger - Graz: Biologisches über die Eiweiss- 
körper der Kuhmilch und über Säuglingsernährung. 

Aus den mitgetheilten Versuchen zieht Verfasser besonders 
2 Schlüsse: 1. der Milch und dem Blutserum des Rindes sind Stoffe 
gemeinsam, welche sie als der Gattung Rind angehörig bezeichnen; 
2. Casein und Albumin der Kuhmilch sind sicher zwei von ein¬ 
ander, auch durch die biologische Methode nachweisbar, ver¬ 
schiedene Körper, im Gegensatz zu den Anschauungen über die 
Einheitlichkeit der Milcheiweisskörper. Die einander entsprechen¬ 
den Körpersäfte verschiedener Species sind von einander nach¬ 
weisbar verschieden, eine Thatsache, welche in der Säuglings- 
erniihrung noch nicht die gebührende Würdigung gefunden hat. 
Fremdes Eiweiss, ln das Gewebe eines Organismus eingebracht, 
wirkt als Gift. Bei der künstlichen Ernährung bekommt das Kind 
Kuhmilch, also Rindereiweiss, das als speciflsch verschiedeu die 
menschliche Magen- und Darmschleimhaut reizen kann. Das 
Rindereiweiss muss in Menscheneiweise umgesetzt, also assimllirt 
werden. Dieser Process ist für das Gedeihen des Säugllugs das 
Wesentlichste. 

3) O. v. F 1 e i s c h 1 - Rom: Ueber Fang hi di Sclafani, ein 
wenig bekanntes, bei Acne rosacea sehr wirksames Mittel. 

Die chemische Analyse dieses Stoffes, einer Erde vulkanischen 
Ursprunges, ergibt einen ganz beträchtlichen Gehalt desselben an 
höchst fein vertbeiltem Schwefel, im Betrage bis zu fast 80 Proe. 
Die Erde wird mit Wasser verrührt, auf die betreffenden Stellen 
auf getragen, wo sie durchaus keine Dermatitis hervorruft Die 
Resultate sind, wie aus den mitgetheilten Fällen sich ergibt, an¬ 
scheinend sehr gute. Dass für die Heilung der Rosacea gleich¬ 
zeitig bestehende Komplikationen der Verdauungs- oder der 
Genitalorgane erst beseitigt sein müssen, kann Verfasser nach 
seiner Erfahrung nicht bestätigen. Grassmann - München. 

Ophthalmologie. 

W. A. Nagel: Ueber den. Ort der Auslösung des Blen- 
dungsschmerzee. (Klln. Monatsbl. f. Augenheilk., Nov. 1901, 
S. 879.) 

Beim plötzlichen Einfall hellen Lichtes besonders in die auf 
Dunkel oder Dämmerung gestimmten Augen, tritt das Gefühl der 
Blendung und daneben auch noch unter Umständen wirklicher 
Schmerz im Auge auf. Durch diese unangenehmen Empfin¬ 
dungen werden wir veranlasst, den Einfall blendenden Lichtes 
durch Zukneifen der Lider möglichst einzuschränken. Bemüht 
die Existenz besonderer Schmerznerven nachzuweisen, machte 
v. Frey vor einigen Jahren darauf aufmerksam, dass die höheren 
Sinnesnerven keine Schmerzempflndung vermitteln können, dass 
speciell der Sehnerv keiner schmerzhaften Erregung fähig sei. Um 
den bekannten Blendungsschmerz zu erklären, sprach v. Frey die 
Vermuthung aus, derselbe beruhe auf der heftigen Zusammen¬ 
ziehung der schmerzempflndlichen Iris. Trifft diese Annahme zu. 
so muss der Blendungsschmerz wegfallen, wenn die reflektorische 
Iriskontraktion bei Lichteinfall unterdrückt wird, wie es durch 
Einträufelung von Homatropin geschieht Verfasser hat nun 
diesen Versuch einige Male ausgeführt mit dem Ergebniss. dass 
in der That der Blendungsschmerz im homatro- 
plnisirt.en Auge völlig fehlt Wegen der weiten 
Pupille Ist natürlich die Blendung beträchtlich vermehrt das An¬ 
sehen einer hellen Farbe (Himmel) Ist höchst unangenehm, aber der 
charakteristische Schmerz wird nicht empfunden. 

Axenfeld fügt dem die zutreffende Anmerkung an, dass 
die vorstehende Ausführung des Herrn Prof. Nagel aufs Besu¬ 
dle scheinbar paradoxe, in Wahrheit aber sehr wirksame und wohl- 
bekannte Therapie erklärt, dass wir beim Blepharospasmus der 
lichtscheueu phlyktaenulären Kinder oft, und zwar nicht nur bei 
iritischer Reizung, auffallend schnell eine Oeffnung der lange ge¬ 
schlossenen Augen beginnen sehen, sobald wir eine Mydriasis her¬ 
bei führen. Die Beseitigung des Biendungsschmerzes, welcher 
der krampfhaften Pupillenkontraktion bei diesen lange nicht be¬ 
lichteten Augen entspricht, nützt alsdann mehr, als der vermehrte 
Lichteinfall bei weiter Pupille schadet 


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17. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


P. Römer: Experimentelle Untersuchungen über Abrin - 
Jequiritol-) Immunität, (v. GrÜfe’s Areh. f. Oplitli. Bd. 52. 1001.) 

Der umfangreichen. sehr interessanten Arbeit entnehmen wir 
hier folgendes über die Wirkung des Jequiritol auf das 
menschliche Auge. Das von der Firma E. Merck in Darm¬ 
stadt hergestellte Präparat ist nach den Resultaten des Verfassers 
das beste Aufhellungsmittel für Hornhauttrübungen, das wir zur 
Zeit besitzen. Die Anwendung eignet sich nicht bloss für die 
Behandlung des tracliomatösen Pannus, sondern ist bedeutungs¬ 
voll gerade für die Behandlung der sümmtlichen sogen, skrophu- 
lösen Augenlider. Das Wesen der neuen Jequiritythernpie besteht 
darin, dass unter der Wirkung des Jequiritols eine Entzündung der 
Conjunctiva mit seröser Durchtrilnkung der Cornea eintritt, die 
bei ihrer Rückbildung zur Aufsaugung der Trübungen führt. Mit 
Hilfe steigender Jequiritoldosen kann diese Entzündung mehrfach 
wiederholt werden, bis der Erfolg sichergestellt ist. Das Verfahren 
gestattet eine exakte Dosirung der Entzündung und besteht aus 
folgenden Maassnahmen: Es wird zunächst die therapeutische 
Anfangsdosis bestimmt, indem aus Jequiritol No.l ein oder mehrere 
Tropfen in das Auge eingeträufelt werden, tritt darnach noch keine 
Entzündung auf, so erfolgen nach 24 Stunden Tropfen aus Jequiri¬ 
tol No. II u. s. w., bis die erste Entzündung mit zarten croupöseu 
Membranen und Oedemen der Lider einsetzt. Nach Abklingen der 
ersten Entzündung erfolgen von Neuem stärkere Dosen, bis der 
Effekt eintritt. Ist eine Entzündung zu stark, so wird einige Male 
von dem Jequiritolserum auf die entzündete Conjunctiva einge¬ 
träufelt, das Serum entzieht der entzündeten Conjunctiva das Gift, 
und die Entzündung schreitet nicht mehr weiter, sondern geht 
schnell zurück. Wird das Verfahren den Vorschriften gemäss an¬ 
gewendet, so kann der Arzt ganz erstaunliche Erfolge erzielen. Bei 
Kindern mit skrophulösem, ekzematösem Pannus, die kaum noch 
Finger dicht vor dem Auge zählen konnten, wurde durch Jequiri- 
tolbelmndlung y, bis % der normalen Sehschärfe erhalten. 

W. Krauss: Ueber die Anwendung des Jequiritols. (Zeit¬ 
sehr. f. Augenheilk., Nov. 1901, S. 432.) 

In der Universitätsaugenklinik zu Marburg wurde das von 
Römer angegebene Jequiritol fast ausschliesslich bei Erkran¬ 
kungen der Hornhaut angewandt, namentlich l>ei parenchymatösen 
llornhauterkrankungen und bei diesen zurückgebliebenen Trü¬ 
bungen, und gerade diese Können, die sonst therapeutischen Ein¬ 
griffen recht hartnäckigen Widerstand leisten, scheinen der Jequi¬ 
rl tybehandlung besonders zugänglich zu sein. Es wurden aber 
auch frische Fälle von interstitieller Keratitis, sowie Ekzem und 
Pannus der Hornhaut mit Jequiritol erfolgreich behandelt. Die 
Reaktion auf das Mittel ist individuell ungemein verschieden, so 
dass Höhe der Dosis und zeitliche Aufeinanderfolge der Gaben 
lediglich nach den gesetzten entzündlichen Erscheinungen zu be¬ 
stimmen sind. Angefangen wurde stets mit einem Tropfen der 
Lösung I, wobei meist noch keine deutliche Reaktion eintrat, und 
dann schnell zu stärkeren Gaben fortgeschritten, da verschiedent¬ 
lich bei langsamem Ansteigen sich eine Immunität gegen das Mittel 
einstellte, die auch bei stärkster Dosirung keine genügend er¬ 
scheinende Reaktion mehr zu Stande kommen liess. Und gerade 
eine plötzlich und heftig eiusetzende Entzündung ist zur Be¬ 
einflussung des Krankheltsprocesses uothwendig. Irgend welche 
schädlichen Allgemeiusymptome wurden in keinem Falle be¬ 
obachtet. Lokal traten mehr oder weniger starke entzündliche Er¬ 
scheinungen an der Conjunctiva auf, während sich die Hornhaut iu 
ganz charakteristischer Weise derart veränderte, dass das Par¬ 
enchym eine eigentümlich glasige, oedematüs suceulente Be¬ 
schaffenheit annahm, um sich dann allmählich aufzuhellen. Etwa 
8 bis 14 Tage nach der Anwendung der stärksten Dosis waren 
dann die entzündlichen Erscheinungen meist geschwunden. Auf 
«liese Weise gelang es, nicht nur alte Trübungen mehr oder weniger 
aufzuhellen, sondern auch das Fortschreiten von frischen Infil¬ 
traten zum Stillstand zu bringen. Als Nebenerscheinungen traten 
oft Membranbildungen auf der Conjunctiva auf, die jedoch ohne 
Folgeerscheinungen wieder zurückgingen. Nur in 2 Fallen, wo 
sehr starkes entzündliches Oedem der Lider auftrat, erschien die 
Anwendung des Jequiritolserums nothwendig, worauf die Ent- 
zündungscrscheinuugen sich bald wieder zurückbildeten. 

L. D o r: Die Beziehungen zwischen nicht myopischen Netz¬ 
hautablösungen und Herzfehlern im Allgemeinen und Mitral¬ 
stenose im Besonderen. Vortrag, gehalten in der Societö nationale 
de M&lecine de Lyon, Sitzung vom 20. Mai 1901. (Annal. d’ocullst.) 

In den Fällen, wo bei Nichtmyopen Netzhautablösung zu 
Stande kommt, ist meist das Vorhandensein von Herzfehlern, ins- 
l>esondere von Mitralstenose zu konstatiren. Die Erklärung hiefür 
findet Vortragender in Folgendem: Der Herzfehler hat einerseits iu 
•len Kapillaren, die das Blut zum Ciliarkörper führen, ein Sinken 
des Druckes zur Folge und damit eine Verringerung der Spannung 
der Glaskörper- und Vorderkammerflüssigkeit, andererseits ver¬ 
ursacht das Herzleiden eine Drucksteigerung in den Vasa vorticosa 
der Aderhaut. Der Druck ist also im Glaskörper zu gering, In der 
Aderhaut zu hoch; die Netzhaut befindet sich zwischen beiden 
DruckverliältniB8en, sie wird sich naturgemiiss ablösen, ebenso wie 
sie sich ablöst, wenn man den zwischen den Fingern gehaltenen 
Augapfel mit dem Rasirmesser aufschneidet; bei diesem Vorgang 
löst sich die Netzhaut in dem Momente ab, wo der Glaskörper aus 
der Schnittöffnung entweicht und der Binnendruck des Auges gleich 
Null wird, wenn man nur einen geringen Druck mit den Fingern 
ausübt. Auch bei Operationen tritt nach Glaskörperverlust leicht 
Netzhautablösung ein. 

Die Rückenlage, die zur Heilung der Netzhautablösung em¬ 
pfohlen wird, wirkt wahrscheinlich durch Vermittlung der Circu- 


2055 

latlon und nicht dadurch, dass die Netzhaut durch ihr eigenes Ge¬ 
wicht^ ihre ursprüngliche Lage wieder zu gewinnen suche. 

K. Wiek: Ueber Simulation von Blindheit und Schwach¬ 
sichtigkeit und deren Entlarvung. (Zeitsclir. f. Augenheilk., Ok¬ 
tober 1901, Heft 4, S. 309.) 

Als Nachtrag eines Referates über diesen Gegenstand gibt 
Verfasser ein Verfahren von A. Roth an, das für Entlarvung von 
Simulanten und zur Feststellung der wirklichen Sehleistung sehr 
bemerkenswert!! erscheint Dasselbe basirt darauf, dass ein 
Simulant bei Aufforderung, einen angeblich nicht mehr genau er¬ 
kannten S n e 11 e n’schen Haken, rathweise anzugeben, stets und 
ausschliesslich falsch räth. 

Verfasser hat dieses Verfahren folgendermanssen ausgebildet: 
Er hat eine Anzahl weisser Pappquadrate hergestellt von 10 cm 
Seitenlänge und auf Jedes derselben (in der Mitte) einen Haken 
nach Sn eile n iE) aufgekiebt von verschiedener Leseweite Gur 
50, 30. 20, 15, 10 und 0 in). Dem Untersuchten, der bisher z. B. eine 
Sehleistung von a / M zugegeben hat, wird zunächst das Quadrat mit 
E für 30 m Entfernung vorgehalten. Er wird auch bei ver¬ 
schiedenen Drehungen des Quadrates richtig angeben, nach welcher 
Seite sich der Haken öffnet. Nunmehr wird in derselben Ent¬ 
fernung das Quadrat mit dem Haken für 20 in Entfernung vor- 
gelialten. Gibt der Untersuchte an. diesen Haken nicht mehr zu 
erkennen, so lässt man ihn rat heu, nach welcher Seite sich der 
Haken bei einer Anzahl verschiedener Drehungen öffnet. Hat er 
25—30 mal hintereinander verkehrt geratheu, so kann man 
sicher sein, dass er thatsächlich den Haken richtig erkannt hat, 
da er nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung etwa 10 richtige An¬ 
guben hätte machen müssen. Man nimmt dann den nächst klei¬ 
neren Haken und verführt in derselben Weise. Eine abermals 
25—30 mal hintereinander gemachte falsche Angabe beweist 
wiederum, dass der Untersuchte sich in Wirklichkeit über die Cou- 
figuration des kleinen Hakens jedesmal klar war. So schreitet man 
eventuell allmählich bis zu den kleinsten Haken vor und gewinnt 
so wider den Willen des Untersuchten eine sichere Schätzung 
seines Sehvermögens. Erkennt er die Haken in der Tliat nicht 
mehr, so werden plötzlich seine Angaben zeitweise richtig. 

Es Ist nothwendig, die Haken einzeln aufzukleben und einzeln 
vorzuzeigeu, da bei Benutzung einer grossen Tafel mit einer Anzahl 
verschiedener Haken die Drehungen der Tafel leichter verfolgt 
werden können und der Untersuchte sich eventuell damit salvireu 
kann, dass er seine ursprüngliche erste Angabe bezüglich der Oeflf- 
nung der Haken im Sinne behalten und nur nach der beobachteten 
Drehung der Tafel immer entsprechend abgeändert habe. Dies 
ist bei den kleineren Quadraten, die man stets schnell und durch 
Umkehren völlig unkontrolirbar in verschiedene Stellungen bringen 
kann, nicht möglich. Auch ist das Arbeiten mit diesen kleinen 
Quadraten natürlich wesentlich bequemer als mit einer grossen 
Tafel. — Hat man es bei der Prüfung mit Ametropen zu thun, so 
ist natürlich die Ametropie erst zu korrigiren. 

Für unzweckmässig wäre es zu erachten, wollte man dem 
Untersuchten nach beendeter Prüfung das Verfahren auseinander¬ 
setzen und ihm dadurch seine Ueberführung demonstrireu. Man 
würde damit nur ihn und zugleich andere Simulationslustige über 
das Verfahren aufklären und sich der Möglichkeit berauben, ihn 
eventuell später nochmals vor grösserem Zuschauerkreise in 
gleicher Weise zu überführen. Sackgemäss wird es übrigens bei 
dieser Prüfung stets sein, sich einen elngeweihten, ein wandsfreien 
Zeugen zugegen zu halten.. 

Blennorrhoea neonatorum. Nach der Wochenschr. f. Therap. 
u. Hygiene d. Auges No. 2, 10. Okt 1901, ist für Preussen ein 
Erlass, betr. die Anwendung des Credß’schen Ver¬ 
fahrens bei Blennorrhoe der Neugeborenen, ergangen, welcher 
verordnet, dass auch Einträufelungen mit starken (5—20 proc.) 
Protargollösungeu angewendet werden können. Derselbe enthält 
folgenden Passus: 

„Bel der grossen Bedeutung, welche der Blennorrhoe der 
Neugeborenen beizumessen ist, ersuche ich Eure Excellenz er¬ 
gebenst, auch mit Rücksicht auf den Unterricht der Hebammen¬ 
schülerinnen und ihre Unterweisung iu dem C r e d 6’schen Ver¬ 
fahren auf die thunllchst allgemeine Anwendung des C r e d ß’schen 
Verfahrens in den Provinzial-Entbindungs- und Hebammen-Lelir- 
anstalten hinzuwirken. Einem Bericht über das hiernach Ver- 
anlasste sehe ich in 3 Monaten entgegen. Auch empfiehlt es sich, 
die Kreisärzte behufs Unterweisung der Hebammen in geeigneter 
Weise mit Nachricht zu versehen.“ Rhein. 


Vereins- und Congressberichte. 

Berliner medieinische Gesellschaft siehe Seite 2064. 


Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offlcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 5. Oktober 1901. 

Herr Mann: Hirnhäute, Lymph- und Blutbahnen im 
Schädel (mit besonderer Berücksichtigung eines Falles von 
freiliegendem Bulbus venae jugularis im Mittelohr). 

(Erscheint ausführlich in den Sitzungsberichten der Gesell¬ 
schaft.) 


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2056 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


Aerztlicher Bezirksverein zu Erlangen. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 18. November 1901. 

Herr L. R. Müller zeigt eine Reaktion auf Aceton in der 
Exspiratlousluft, die, obgleich sie recht einfach ist und über¬ 
zeugende Resultate gibt, noch nicht in die Lehrbücher aufge¬ 
nommen ist. Der Kranke treibt die Ausatlimungsluft durch eine 
eisgekühlte W u 1 f’sche Flasche, in der eine Mischung von Natron¬ 
lauge und Jod-Jodkaliumlösung vorliegt. Ist Aceton vorhanden, 
so wird sich die vorher klare Flüssigkeit bald trüben (Licben'sehe 
Probe). Der Niederschlag, der aus Jodoform besteht, kann abflltrirt, 
über Schwefelsäure getrocknet und gewogen werdeu. Aus der ge¬ 
bildeten Menge Jodoform lässt sich dann leicht die Menge des 
Acetons bestimmen und auf 24 Stunden berechnen. (Demonstration 
eines Kranken mit schwerem Diabetes und reichlicher Aceton¬ 
ausscheidung.) 

In der Discussion weist Herr Peuzoldt darauf hin, 
dass diese Probe auch mit Alkohol in der Exspiratiousluft positive 
Resultate gibt. 

Herr Rosenthal hält einen Vortrag über die Sauerstoff- 
aufnahme durch die Thiere bei der Athmung. 

So zahlreich auch die Untersuchungen sind, welche über den 
respiratorischen Gaswechsel angestellt worden sind, so lassen doch 
die bisher dabei in Anwendung gekommenen Methoden noch viel 
zu wünschen übrig. Dies gilt besonders von der Bestimmung 
des aufgenommenen Sauerstoffes, während die Bestimmung des 
ausgegebenen Kohlendioxydes, Dank der namentlich von Pet- 
t.enkofer eingeführten Methoden, recht genaue Ergebnisse 
liefert. Der Vortragende schildert kurz die von ihm erprobten 
Verbesserungen des R e g n a u 11 - R e i s e t’schen Verfahrens, 
welches Bestimmungen bis zu einer Genauigkeit bis zu 1 Proc. 
des zu messenden Werthes ergibt, eine bisher bei physiologischen 
Untersuchungen nicht erreichte Sicherheitsgrenze. Mit diesem 
Verfahren hat R. zahlreiche Bestimmungen gemacht über die 
Abhängigkeit der Sauerstoffaufnahme von der Ernährung, der 
Verdauungsperiode, der Umgebungstemperatur. R. bespricht 
ausführlicher die Abhängigkeit der Sauerstoffaufnahme von dem 
Sauerstoffgehalt der Athemluft, welche zeigt, dass, entgegen 
der meist verbreiteten Anschauung, die Sauerstoffaufnahme mit 
dem Sauerstoffgehalt wächst. 

In der Dlscussiou wurde von P e n z o 1 d t darauf hinge¬ 
wiesen, dass diese Ergebnisse der neuerdings von verschiedenen 
Seiten empfohlenen Sauerstofftherapie eine physiologische Be¬ 
gründung gewähren. 

Der Vortragende spricht sich dahin aus. dass selbst bei 
schweren Herzfehlern mit mangelnder Kompensation und bei 
anderen Erkrankungen, welche die Sauerstoffaufnahme in’s Blut 
erschweren, die Athmung sehr sauerstoffreicher Luft sich empfehle, 
da sie jedenfalls im Stande sei, das Befinden der Kranken zu ver¬ 
bessern. dass aber bei Kohlenoxydvergiftung durch sie geradezu 
Rettung aus Lebensgefahr herbeigeführt werdeu könne. 

Herr Merkel zeigt ein Präparat von Pseudohennaplirodi- 
tismus masculinus internus mit vollständiger Entwicklung von 
Uterus, Scheide und Tuben und bespricht kurz die verschiedenen 
Formen der wahren und falschen Zwitterbildung. (Ausführliche 
Mittheilung des Falles erscheint an anderer Stelle.) 

Herr Bezirksarzt Bischoff referirt über den Beschluss der 
in Erlangen praktlzirenden Aerzte, anlässlich der k. Allerh. Ver¬ 
ordnung vom 17. Oktober d. J. die Ortstaxe entsprechend zu er¬ 
höhen und halbjährige Rechnung zu stellen. Der Verein nimmt 
hiervon Kenntniss und beschllesst Veröffentlichung im städtischen 
Amtsblatt. 


Aerztlicher Verein in Hamburg. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 10. November 1901. 

Vorsitzender: Herr I{ ü m m e 11. 

I. Demonstrationen: 

1. Herr Sick: a) Fall von operativ geheilter Spondylitis 
tuberculosa. 10 jähriges Mädchen: April 1900 spastische Parese 
beider Beine mit erloschenen Reflexen. Durch Gipsbett Anfangs 
das Gehvermögen gebessert, dann wieder sehr schlecht. Deutlicher 
Gibbus und durch Röntgenaufnahme sicher gestellter präverte¬ 
braler Abscess, der das Rückenmark komprimirte. Ende 
Januar 1901 Aufmeisselung der Wirbelsäule. Entfernung von drei 
Dornfortsiitzen und der Wirbelbögen. Eröffnung des Abscesses. 
der ausgoschubt, ausgespült und wieder vernäht wird. Glatte 
Heilung, rasche Besserung der Motilität. Trotz des grossen 
Knochendefektes ist der Gibbus nicht gewachsen. Das Kind geht 
j«• izr wieder vorzüglich, trügt ein Korset. 

bi Demonstration eiues Falles von nach Chipault operativ 
geheiltem Mal perforant du pied. Das Verfahren besteht in der 
Dehnung des Nervus tibialis. bezw. seiner Aeste Plantaris internus 
und extermiK, und Auskratzung des Geschwürs. Durch einen 


Bogenschnitt am Malleolus Internus wird der Nerv freigelegt und 
sowohl peripher wie central kräftig gedehnt. Die Erfolge sind 
recht gut. Von G Fällen sind 5 dauernd gehellt, in einem Falle 
kam nach einigen Monaten ein Recidlv. Der wesentlichste Nutzen 
besteht ln der Abkürzung der Heilung. 

2. Herr König- Altona stellt ein 17 jähriges junges Mäd¬ 
chen vor, das einen 1% cm langen Lup^sherd an einem Nasen¬ 
flügel hatte, der trotz vorangegangenerXetzung sich vergrösserte 
und bereits auf die Schleimhaut Übergriff. Desshalb Exclslon Im 
Gesunden und Deckung des Defektes durch einen aus der Ohr¬ 
muschel excidirten ungestielten Hautlappen. Das kos¬ 
metische Resultat ist ausgezeichnet. Die Ohrwunde Ist ebenfalls 
mit kaum sichtbarer Narbe gehellt. 

3. Herr Z a r n i k o demonstrirt 3 Patieuten mit selteuen 
Tumoren des Nasenrachenraums. 

a) 59 jährige Frau. Linke Nasenhälfte bis zum Racbeu hinein 
ausgestopft mit welchen höckerigen bis zottigen, auf leichteste Be¬ 
rührung bluteuden Tumormasseu. Prol>eexelsiou mit der Schlinge. 
Abundante Blutung. 22. X. Entfernung der ganzen intranasaleu 
Tumormasse mit Schlinge und Zange unter anfänglich sehr starker 
Blutung. 12. XI. Operation der Kieferhöhle, Entfernung der 
Tumormnssen aus derselben. 19. XI. Eröffnung der Keilbein¬ 
höhle wegen Empyem. Pat. bekommt einen Obturator, um die 
Höhlen stets überwachen und neue Wucherungen excidlren zu 
können. Diagnose: Papilloma durum, Epithelioma 
papilläre, Carcinoma villosum. 

b) 15 jähriger Knabe mit tbeils weichem, theils derbem, leicht 
bluteuden Tumor: sogen, typischem Nasenracheupolyp. 
Mikroskopisch Spindelzellen mit welcher, oedematöser Zwischeu- 
substanz; starkes Kapillarnetz: juveniles Fibrosarkom. 
Seltene Geschwulstart, die das männliche Geschlecht ln der Puber¬ 
tätszeit bevorzugt. Im vorgestellten Fall besteht auch eine starke 
Verdickung der Wangengegend, herrührend von einem ln der Backe 
fühlbaren Fortsatz des Tumors, der aus der Fossa spheno palatlna 
hervorgewachsen ist. Therapie bezweckt nur ein zu starkes Wachs¬ 
thum des Tumors zu verhindern, da nach dem 25. Jahre die 
Tumoren spontan zu verschwinden pflegen. Es besteht daher die 
Absicht, nur den Theil der Geschwulst, der sich ln Nase und Nasen¬ 
rachenraum befindet, zu beseitigen, den Wangenast nach tempo¬ 
rärer Resektion des Jochbeins (v. Bruns) zu entfernen. 

4. Herr Grisson berichtet lm Anschluss an die Kd mm eil- 
sehen Erörterungen in der vorigen Sitzung über den Ausgang des 
vor 2 Jahren von ihm vorgestellten Falles von operativ behandel¬ 
tem Ascites. Durch die damals vorgenommene Einheftung des 
Netzes in die Bauchwand erholte sich die vorher bereits G mal mit 
Punetio abdomlnis von dem Ascites befreite und 1 mal laparoto- 
mirte Frau derart, dass sie 2 Jahre lang völlig arbeitsfähig ge¬ 
wesen. Sie Ist vor Kurzem nach kurzem Krankenlager uraemisch 
zu Grunde gegangen. An dem bei der Sektion gewonnenen Prä¬ 
parat demonstrirt G. die enorme Entwicklung von Gefässen 
zwischen Bauchwand und Kolon transversum und die durch die 
Schaffung dieses Collateralkreislaufs entstandene Gefässerwelte- 
rung, deren Effekt die Entlastung des Pfortaderkreislaufs bedeutet. 
Das Verfahren erzielt daher den gewünschten Erfolg. 

5. Herr Deneke zeigt 3 Röntgeuplatten und das Ijeichen- 
präparat eines Falles von Lungenmetastase eines vor 3 Jahren 
von W1 e s 1 n g e r exstirplrten Osteosarkoms des rechten 
F e m u r, dessen Träger, ein 22 jähriger Mann, ln der Zwischen¬ 
zeit einer 3 maligen Recldivoperation ln der Narbe unterzogen 
wurde. Im Juli 1901 kam Pat zur Aufnahme auf der inneren 
Abtheilung des St. Georger Krankenhauses mit den Erscheinungen 
einer Pneumonie im Unken Unterlappen. Nach allmählichem Ab¬ 
fall des Fiebers erholte Pat. sich nicht; es trat massenhafte, zum 
Theil hlmbeergeleeartlge Expektoration ein, ln welcher einkernige 
Ruudzellen, grösser als Leukocytcen" gefunden wurden. Auskul¬ 
tatorisch und perkutorisch war d^r Bef üfKL negativ, ebenfalls die 
Röntgenaufnahme. Erst im September zeigte, die Radiographie 
einen rundlichen scharfen Schatten unter der linken Scapula. Im 
Laufe des Oktober trat ein zweiter kleinerer, scharf abgegrenzter 
Schatten lm Bereich des 1. Unterlappens hinzu. Die Autopsie des 
Patienteu, der am 4. Dezember kacbektisch zu Grunde ging, ergab 
(‘inen rannnsfaustgrossen lm Ceutrum erweichten Tumor iu den 
lateralen Thellen des Oberlappens, entsprechend dem grösseren 
Schatten und eine etwa günseeigrosse Metastase lm 1. Unterlappeu, 
die zum Tbell Verknöcherung erkennen llees. 

b) Ein Aneurysma der Aorta descendens, welches an einem 
45 jühr. Manne zur Beobachtung gelangte, der 20 Stunden nach der 
Aufnahme einer Haemateraese erlag. Der Aneurysmasack hatte 
seinerseits 2—3 Wirbel usurlrt und stand durch ein Decubltus- 
geschwür mit dem Oesophagus ln Verbindung. Diese Oeffnung 
war jedoch durch derbe Gerinnsel verlegt. Die tödtllcbe Blutung 
war erfolgt durch eine kleine, von dem schwer atheromatös ver¬ 
änderten Aortenbogen in den Oesophagus erfolgte Perforation. 

6. Herr Jollasse berichtet über einen Fall von Schwarz- 
wasserfleber. Der Fall betraf einen 30 jährigen Patienten, der 
seit 12 Jahren in Kamerun gelebt hatte. 1890 angeblich leichte 
Malaria. Als er nach längerem Aufenthalt in Europa in diesem 
Frühjahr wieder nach K. gegangen war, bekam er im Juni einen 
mittelschweren Malarlaanfali und nahm 8 Tage lang Chinin in 
kleinen Dosen, ohne eine Schädigung zu bemerken. Im August 
Rückkehr. Am 2. Oktober wegen Eryslpelas faciel Aufnahme lm 
Krankenhaus St. Georg. Nach Abheilung des Erysipels bekam 
der Kranke, da er noch hochgradig anaemisch war und einen derben 
Milztumor aufwies, am 31. Okt. 3 mal 0,5 Chinin. Nachdem er 


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17. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


am 1. Nov. nochmals 2 mal die gleiche Dosis erhalten, erkrankte I 
er mit Schüttelfrost, 40.5" Temp., schweren Allgemeinerschein- 
ung£n und nach wenigen Stunden blutigem Stuhl und Haemo- 
globinurie. die auch noeli den nächsten Tag nndauerte. Von da 
au «relatives Wohlbefinden. Keine Plasmodien. Nachdem Anfang 
Dezember zweimal ein typischer Malariaanfall aufgetreten war. 
wurde am 0. Dez. nochmals Chinin 1,0 versucht. Genau 4 Stunden 
darauf wieder ein schwerer Anfall von Scliwarzwasserfieber. dies¬ 
mal mit Ikterus. Nach 2 Tagen Urin wieder normal, frei von 
Haeinoglobln. Diese doppelte Beobachtung illustrirt nach Ansicht 
des Vortragenden in sehr bestimmter Weise den Einfluss des 
Chinins auf das Zustandekommen des Schwarzwasserflebers nach 
iiberstandener tropischer Malaria. 

7. Herr Hildebrand demonstrirt mittels Projektions¬ 
apparat eine grosse Zahl von Röntgenbilder als Illustrationen zu 
seinem in dieser Wochenschrift No. 40 u. 50 erschienenen Vor¬ 
trage: Ueber den diagnostischen Werth der Rönt¬ 
ge u s t r a h 1 e u in der inneren Medicln. 

II. Vortrag des Herrn Kümmell: Erfahrungen über 
Diagnose und Therapie der Nierenerkrankungen. 

Redner gibt in seinem Vortrage in gedrängter Kürze eine 
Gesammtübersicht über seine in den letzten Jahren gemachten 
Erfahrungen betreffend die Nierenchirurgic. Er betont die 
technischen Fortschritte, die die besseren Resultate des letzten 
Decenniums bedingen und die diagnostischen Verbesserungen, 
die in der Verwendung und Ausgestaltung neuer Methoden be¬ 
stehen. Hierzu sind ausser der Cystoskopie der Ureterenkatlie- 
terismus und die Gefrierpunktsbestimmungen des Blutes in erster 
Linie zu rechnen. 

K. berichtet der Reihe nach über die verschiedenen Nieren¬ 
erkrankungen, wegen welcher operirt wurde, erläutert jede 
Gruppe durch Statistik, Vergleich mit den Resultaten anderer 
Operateure, casuistische Mittheilungen und zahlreiche Demon¬ 
strationen der gewonnenen Präparate. Aus der Fülle des 
Materials: (152 operativ behandelte Fälle, dazu 32 Wandernieren¬ 
anheftungen) seien nur einzelne Daten hervorgehoben: Es wur¬ 
den behandelt 12 Hydronephrosen, die alle geheilt wur¬ 
den; Ursache waren 8 mal Wandernieren, 2 mal Striktur des 
Ureters (gonorrhoisch!), ferner Dislokation der Niere in Folge 
hochgradiger Skoliose, Verlagerung des Ureters. Von 31 Pyo- 
nephrosen wurden 27 geheilt. Die Todesfälle betrafen: 
a) doppelseitige Pyonephrose, Exstirpation der einen Seite, 
Exitus, b) 29 jährige Frau wird mit peritonitischen Erschei¬ 
nungen und einem kindskopfgrossen Tumor der linken Seite, 
hochgradig collabirt, aufgenommen; es wird Achsendrehung 
eines Ovarialtumors angenommen; Laparotomie; Exstirpation 
des Niereneitersacks; Tod nach 6 Stunden, c) Perforation in 
Pleura und Lunge, d) Verletzung der Vena cava während der 
Operation; Unterbindung; Tod nach 6 Tagen an Erschöpfung. 
29 N i e r e n s t e i n Operationen. Werth der Röntgendiagnose. 

2 Todesfälle: an Sepsis und Kombination mit Darmfistel. Red¬ 
ner erörtert die Anurie, die nicht immer durch doppelseitige 
calculöse Verlegung des Ureters bedingt zu sein braucht, son¬ 
dern auch nach anderen Eingriffen an der einen Niere zur Be¬ 
obachtung kommt, ohne dass man gezwungen ist, eine „reflek¬ 
torische“ Anurie aiizunehmen. Von 21 Fällen von Nieren¬ 
tuberkulose sind 19 geheilt: 1 Todesfall an Lungenembolie, 

1 anderer an Peritonitis durch Verletzung des Bauchfells. Bei 

2 Fällen wurde nur eine Spaltung der Niere vorgenommen, der 

eine lebt noch, der andere ist bei der Doppelseitigkeit der Er¬ 
krankung an Lungenphthise nach Wochen erlegen. Nierentuber¬ 
kulose führt oft zu tuberkulöser Cystitis. Die chronische Cystitis 
der Frau, die nicht auf Gonorrhoe oder Infektion beim Kathe¬ 
terismus beruht, ist meist tuberkulöser Natur. 8 mal hat K. 
durch Tuberkulose bedingte paranephritische Ab- 
s c e s s e gespalten. Schliesslich berichtet K. über 12 Fälle von 
Tumoren. Werner. 


Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg 

(Offictelles Protokoll.) 

Sitzung vom 5. November 1901. 

Vorsitzender: Herr Edlefsen. Schriftführer: Herr Just. 

Herr Lochte demonstrirt 2 pathologische Präparate: 

a) einen arterio-mesenterialen Duodenalverschluss, 

b) einen Ileus, veranlasst durch ein M e c k e Peches Diver¬ 
tikel (worüber Orlgiualartikel in dieser Wochenschrift erscheinen 
wird). 

Discussion über den Vortrag des Herrn Edlefsen Uber 
Nierenquetschung und über subcatane Nierenverletzungen 
im Allgemeinen. 


2057 

Herr S o 1 1 s 1 e n: M. H.! Der von Herrn Prof. Edlefsen 
besprochene Fall interessirt mich in erster Linie, weil ich als 
Vertrauensarzt der Bruuereiberufsgeiiussensehaft den Arbeiter G. 
zuerst uaeh dem Unfall untersucht und das erste Gutachten Uber 
den Betriebsunfall abgegeben habe. Ich kann mm nur sagen, 
dass G. sich zu verschiedenen Zelten sehr verschieden über den 
Unfall geüussert und offenbar auch Herrn Edlefsen durch un¬ 
richtige Angaben irregeführt hat. Mir hat er den Vorgang in 
folgender Welse geschildert und noch vor wenigen Tagen die 
Richtigkeit meiner nach seinen Angaben gemachten Aufzeich¬ 
nungen, die ich Ihm vorlas. bestätigt: ..Als ich ein Fass aus der 
obersten und vordersten Reihe des Fässerstapels (in dem die 
leeren Gebinde in Reihen zu vieren über und neben einander 
standen) wegnehmen wollte, sah ich, wie ein Fass, welches in 
gleicher Höhe dahinter stand, nachrutsehte, dem Fass, welches ich 
gefasst hatte, einen Stoss gebend, so dass dieses über meinen Kopf 
und das hinter mir befindliche Geländer weg im Bogen nach der 
Fassreiniguugsmasehlne fiel, während das zweite nachrutschendc 
Fass, welches ich zu fassen suchte, aber nicht festhalten konnte, 
gegen meine Brust fiel und au meiner Ix'derschiirzo herunter¬ 
rutschend. zu Boden fiel.“ Diese Darstellung erscheint durchaus 
glaubwürdig. Wenn sie aber zutreffend ist. dann kann offenbar 
von einer Einklemmung des Rumpfes zwischen Fass und Geläuder- 
stange, wie sie Herr Edlefsen in seinem Gutachten als nmtli- 
maassliehe Ursache einer Nierenquetschung hlugestellt und auch 
noch in seinem Vortrag als möglich bezeichnet hat, gar nicht die 
Rede sein. Das ergibt sich auch daraus, dass das Geländer sich 
1 V 4 m von dem Fässerstapel entfernt befindet, ein Zwischenraum, 
der so gross ist, dass G. selbst wenn er zurückwich, die Stange bis 
zu dem Augenblick, wo das Fass Ihn traf, gar nicht erreicht haben 
konnte. Ueherdies ist das Geländer nur 85 cm hoch. Die oberste 
Stange konnte daher, wenn G. wirklich mit dem Rücken dagegen 
stioss, nicht die Nieren-, sondern höchstens die Steissbelngegeml 
treffen, falls er nicht etwa, was er bestimmt ln Abrede stellt. Ihm 
dem Anprall des Fasses in die Knie sank. Kurz der Unfall ver¬ 
lief so. dass nach meiner Ueberzeugung eine Quetschung der Nieren 
nicht dadurch veranlasst werden konnte. 

Auf der anderen Seite sprach die Wahrscheinlichkeit durch¬ 
aus dafür, dass G. schon vor dem Eintritt des Unfalls nierenleidcnd 
war. Die auffallend blasse, anaemische Fnrbe des Kranken Hess 
sich sicher nicht aus dem geringen Blutverlust hei der Haematuric. 
falls diese überhaupt bestanden hat, erklären. Die Gelegenheit, 
eine Erkältungsnephritis zu acquiriren. Ist dagegen hei einem 
Brauereiarbeiter, der abwechselnd in heissen und kalten Räumen 
zu thun hat. sehr günstig. Ausserdem ist ja auch die Möglichkeit 
nicht von der Hand zu weisen, dass andere Noxen eingewlrki 
haben. Bekanntlich kann schon eine Angina oder eine leichte 
Diphtherie, die von dem Kranken kaum beachtet wird, zu einer 
Nephritis führen. Von der angeblichen Haematurie hat G., der bei 
der ersten Vorstellung nur über Brustschmerzen und Husten mit 
blutigem Auswurf klagte, mir nichts gesagt, und dass ein Arbeiter, 
der Anspruch auf Kassenbehaudlung hat, eine Haematurie, die 
doch jeden Menschen im höchsten Grade beunruhigt, 2 Tage lang 
verheimlichen sollte, erscheint mir, nach meinen Erfahrungen als 
Kassenarzt, einfach unglaublich. Bei einer traumatischen Nephri¬ 
tis hätte auch der Eiweissgehalt des Urins nicht schon am zweiten 
Tage ein so beträchtlicher sein können, da er bei dieser zunächst 
nur von dem beigemengten Blut herrührt, und demgemäss nur ein 
minimaler hätte sein können, wenn der Harn wirklich noch etwas 
Blut enthalten hätte, wovon”* ich jedoch (freilich ohne mikro¬ 
skopische Untersuchung) nichts bemerkt habe. Eine erhebliche 
Verminderung der Harnahsonderung ist erst am 5. Tage auf¬ 
gefallen, als eine Zunahme des Anasarka den Kranken zwang, im 
Bett zu bleiben. 

Ich muss daher an meiner Auffassung festhalten, dass es sich 
hei G. nicht um eine traumatische Nierenläsion, sondern um eine 
spontan entstandene Newhrüis gehandelt hat. Uehrigens habe ich 
in meinem Gutachten ausnrnckllch gesagt: „Eine wissenschaftliche 
Begründung dafür, dass G. schon vor dem Unfall nierenleidend 
war. kamt ich nicht beibringeii. In dieser Beziehung kann Ich 
mich nur auf die Anamnese, das Aussehen des Kranken und den 
Ilarnbefuud am Tage der Krankmeldung berufen.“ 

Herr Alsberg: Der Fall, den Herr Prof. Edlefsen zum 
Ausgangspunkt seiner Erörterungen in der vorigen Sitzung ge¬ 
nommen hat, ist gleich interessant für innere Aerzte, wie für 
Chirurgen. Es handelt sich darum, festzustellen, ob die Xieren- 
erselieinungen, die der Patient dnrbot, in Folge eines Traumas ent¬ 
standen sind, oder oh es sich um eine aus anderer Ursache ent¬ 
standene Nierenerkraukung handelt. Zunächst wäre zu erörtern, 
ob die Verletzung, die der Patient erlitten hat, geeignet war, die 
Niere zu schädigen. Nieren Verletzungen sind sehr selten. 
Küster berechnet erst auf chirurgische Fälle eine Niereu¬ 
verletzung. Dabei ist die Niere nicht etwa ein Organ, das sehr 
unempfindlich gegen traumatische Einflüsse ist. liu Gegeuthcil. 
sie reagirt schon auf sehr geringfügige Traumen. Menge hat 
festgestellt dass schon nach der einfachen Palpation der tief- 
stehenden Niere bei Frauen in der Mehrzahl der Fälle Eiwelss 
im Urin auftritt, wie er nnnimmt in Folge Blutaustrittes aus den 
Kapillarknäueln der Niere, und jedem Chirurgen ist es bekannt, 
wie leicht nueh hei ganz vorsichtigem Manipuliren an der Niere 
hoi Operationen Blutungen unter der fibrösen Kapsel und im 
Parenchym der Niere auftreten. Dass trotzdem Nieronkontusionen 
so selteu sind, liegt an der geschützten Lage der Niere unter dem 
Rippenbogen. Wenn auch nicht bestritten werden kann, dass 
unter Umständen die verletzende Gewalt die Niere direkt treffen 
kann, so wird docli in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die 


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20f>8 


MUENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


(Jewalt zunächst auf die Rippen tiud erst durch die Vermittlung 
dieser auf die Nieren einwirken. Dabei können die Rippen brechen, 
und A. lmt selbst einen Fall beobachtet, in dem der gauze linke 
Hippenbogen zertrümmert war und die Symptome einer Nieren- 
quetsehung eintraten. Es handelte sieh um einen Knecht, der von 
einem wüthenden Ochsen auf die Hörner genommen und in die 
I-uft geschleudert war. Die Bauchmuskeln waren ausserdem vom 
Rippenbogen abgerissen, aus der eröffneten Bauchhöhle waren 
mehrere Darmschlingen und das Netz vorgefalleu. Der Patient 
ist. genesen. Diese Fälle mit gleichzeitiger Rippenfraktur ge¬ 
hören jedoch zu den Seltenheiten, gewöhnlich kommt die Nieren 
Kontusion ohne gleichzeitige Rippenfraktur vor. Nach Küster, 
der sich um die Frage der Entstehung von Nierenkontusionen 
grosse Verdienste erworben hat. ist der Vorgang dann folgender: 
Durch die eiuwlrkende Gewalt werden die beiden untersten Rippen 
stossweise in stärkste Adduktion gebracht und üben so einen 
Druck auf die Niere aus. Dieser Druck wird dadurch verstärkt, 
dass gleichzeitig eine plötzliche krampfhafte Kontraktion der sich 
an der Rippeuwand ansetzeuden Bauchmuskeln eintritt. Die 
Nieren Verletzung selbst entsteht dann durch hydraulische 
Pressung, d. h. der Druck überträgt sich auf die ln der Niere be¬ 
ll nd liehe Flüssigkeit und hierdurch wird das Nierengewebe ge¬ 
presst. in schweren Fällen wird die Niere zersprengt. Küster 
hat dies auf experimentellem Wege sehr einleuchtend nach¬ 
gewiesen. 

Durch diese Küste r’sche Theorie finden auch die Fälle von 
Nierenkontusion ihre Erklärung, die ohne Einwirkung einer 
äusseren Gewalt, durch Muskelzug entstehen. So finden sich in 
der Literatur Fälle von schweren Nierenverletzungen, die ent¬ 
standen sind beim Ringen, beim Aufheben einer schweren Last, 
beim Versuch, einen von einem Wagen herabfallenden schweren 
Sack zurückzuhalten etc. 

Nach dem Gesagten muss der Unfall, den der Patient erlitten 
hat, als ganz besonders geeignet erscheinen, eine Nierenkontusion 
hervorzurufen. Das Auffallen eines schweren Fasses auf den 
unteren Theil des Thorax genügt schon allein, um eine Nieren¬ 
verletzung zu bewirken, es kommt hier hinzu, dass der Patient 
von der Wucht des Stosses nach hinten gegen eine eiserne Ge¬ 
länderstange gedrängt wurde, die ungefähr die Nierengegend traf, 
und dass so der Patient für einen Moment zwischen Fass und 
Stange eingeklemmt wurde. A. hat im letzten Jahre einen Fall 
beobachtet, in welchem durch das Auffallen auf eine solche Ge¬ 
ld nderstange eine schwere Nierenverletzung entstanden war. Ein 
Schiffsmaschinist wollte vom Schiff auf die Landungsbrücke 
springen, da das Schiff höher lag als die Brücke, so trat er auf 
die Stange des Geländers, das die Brücke umgab. Dabei rutschte 
er ab und' fiel mit der rechten Seite auf die Stange. Eine schwere 
Nieren Verletzung mit Bildung eines grossen Extravasates war die 
Folge, erst nach 18 Tagen war das Blut aus dem Urin verschwun¬ 
den. Als drittes Moment kommt vielleicht noch die Abwehr¬ 
bewegung in Betracht, die Patient machte, um das stürzende Fass 
zuriickzuhalteu. 

Wenn also ohne Weiteres zugegeben werden muss, dass der 
erlittene Unfall geeignet war, eine Nierenverletzung herbei¬ 
zuführen. so ist die weitere Frage, ob die beobachteten Krank¬ 
heitserscheinungen auf eine Nierenverletzung zurückgeführt wer¬ 
den können. Dass sich keine Sugillationen fanden, spricht nicht 
gegen Nieren Verletzung, denn diese 'fehlen gewöhnlich. Dass in 
der Nacht nach dem Unfall Drang zum Wasserlassen eintrat, und 
dass der Urin röthlich, also doch wohl blutig aussah, würde die 
Annahme einer Nierenverletzung nur bestätigen. Dass der Urin 
am zweiten Tage reichlich Eiweiss enthielt, spricht ebenfalls für 
eine Niereuverletzung, besonders da eine mikroskopische Unter¬ 
suchung nicht vorgenommen wurde und der Eiweissgehalt jeden¬ 
falls zum Theil von einer Blutbeimengung hergerührt haben kann. 
Nun aber kommt ein Symptom, welches den zuerst begutachtenden 
Arzt wahrscheinlich zu der Ansicht geführt hat. dass es sich nicht 
um eine Unfallfolge, sondern um eine Nephritis gehandelt habe, 
das ist das Auftreten von Oedem des Skrotums und der Füsse 
schon innerhalb 48 Stunden nach der Verletzung. Herr Prof. 
Edlefsen sagte selbst, dass ihn dieses Symptom zuerst in der 
Deutung des Falles zweifelhaft gemacht habe. Ist es möglich, 
dass in Folge einer Nierenverletzung schon innerhalb weniger 
Tage Oedeme auftreten? Es finden sich in der Tliat in der Litera¬ 
tur derartige Fälle. Es gibt Fälle, in welchen sich an das Trauma 
Erscheinungen anschllessen. die man als traumatische Nephritis 
bezeichnet hat. nämlich das Auftreten von Albuinen und Cylindern 
im Harn. Die ersten derartigen Fälle, die von Bill rot h und 
Bäu ml er, hat Herr Prof. Edlefsen bereits erwähnt. 
K iister hat 18 Fälle aus der Literatur znsnmmenstelleu können. 
Al bar ran 20. Da Küster keim* Literaturangaben macht, so 
konnten die Fälle nicht daraufhin nachgesehen werden, ob und in 
welcher Zeit in diesen Fällen Oedeme auftraten, doch sagt 
Küster auf Grund der beobachteten Fülle folgendes: Zuweilen 
tritt die traumatische Nephritis in unmittelbarem Anschluss an 
eine Gewalteinwirkung auf. ohne dass Blutharnen sich gezeigt 
hätte, häufiger indessen so. dass sie sich an eine mehrtägige 
liaematurie anschiiesst. Und weiter: Eine weitere Eigenthilmlich- 
keit dieser traumatischen Albuminurie ist das zuweilen ungewöhn¬ 
lich starke Auftreten von oedematosen Anschwellungen der Füsse. 
des Gesichts oder des ganzen Körpers. Danach würde also das 
schnelle Auftreten der Oedeme in dem In Frage stehenden Falle 
in der Litteratur schon seine Vorgänger gehabt halten. Zu er¬ 
wähnen sind dann auch noch die merkwürdigen Fälle von 
Pot a in. die veröffentlicht sied als ..Einseitiges Anasarka in 
Folge von Nit rcnkontusioii". Es handelt sieb um 5 Fälle, in 


welchen sich an eine Nierenkontusion ein Anasarka auschloss. 
das sich in 3 Fällen auf die verletzte Seite beschränkte, während 
in den beiden übrigen Fällen die verletzte Seite bei allgemeinem 
Anasarka stärker bet heiligt war. Da die Fülle nur in einem Be¬ 
richt über eine klinische Vorlesung kurz erwähnt sind, so lässt sich 
über den Zeitpunkt des Auftretens der Oedeme nichts Bestimmtes 
feststellen, doch ist mehrmals erwähnt, dass sie bald nach der 
Verletzung auftraten. Wie diese Oedeme zu Stande kommen, ist 
schwer zu erklären; Potalu nimmt an, dass sie in Folge einer 
traumatischen Reizung des Sympathicus entstehen. Wie dem auch 
sei, die Thatsaclie ist als feststehend zu betrachten, dass stets 
nach Nierenverletzungen Oedeme auftreten können. Damit fällt 
das einzige Bedenken, das man gegen die Auffassung der vor¬ 
handenen Nierenläsiou als einer traumatischen haben kann. 

Herr Bertelsmann erklärt, er wolle auf den vorliegenden 
Fall nicht näher eingehen, aber versuchen, aus der chirurgischen 
Abtheilung des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg und aus der 
Literatur einiges Material beizubringen, was vielleicht zur Klärung 
der Frage beitragen könne. Er hat unter ca. 20 000 chirurgischen 
Aufnahmen 15 Fälle von Nlerenquetschung ausfindig machen 
könneff. 3 von diesen sind hier belanglos, weil die Patienten 
innerhalb der nächsten 24 Stunden an massenhaften Verletzungen 
zu Grunde gingen, so (lass die Nieren Verletzung Nebenbefund war. 
Bei 4 weiteren Patienten war bei klinisch sicheren Erscheinungen 
clnerNierenquetschung der Urin nach 10Tagen wieder normal. Der 
anfänglich in allen Fällen beobachtete Blutgehalt verminderte sich 
schnell und machte normalem Befunde Platz. Eiweiss wurde im 
Urin dem Blutgehalt entsprechend gefunden, hie und da zeitige 
Elemente, niemals ist der Befund von Cylindern angegeben. Bei 
einem fünften Fall geht es nicht aus der Krankengeschichte her¬ 
vor, wann (1er Urin blutfrei und normal war, sicher war er es 
am 30. Tage nach der Verletzung. In 4 Fällen dauerten die Er¬ 
scheinungen längere Zeit an. In einem fand mau erst am 17. Tag«* 
den Urin frei von Blut. 3 andere Patienten wurden auf ihren 
Wunsch entlassen,obwohl noch ein pathologischer Urinbefund be¬ 
stand und zwar am 31., 79. und 102. Tage der Krankenhnusbehaud- 
lung. In allen diesen 3 Fällen war zu Anfang massenhaft Blut 
im Urin, in einem Falle fanden sich Blutcyllnder. Eiweiss fnjid 
sich in allen drei Fällen. In zwei Fällen (dem, der 31 Tage und 
dem, der 102 Tage bei uns war) machte der Blutgelmlt allmählich 
einem massenhaften Leukocytengehalte Platz; es fanden sich im 
Sediment auch Plattenepithelien und Bakterien. Der Befund er¬ 
weckt (len Verdacht auf Cystltis. B. ist aber eine in den Nieren 
selbst gelegene Erkrankung wahrscheinlicher, weil über Kathete- 
rismus nichts in der Krankengeschichte steht, weil fast bis zu 
Ende immer noch rothe Blutkörperchen im Urin gefunden wurden 
und weil in einem Falle y 4 Jahr nach dem Trauma beide Nieren 
noch schmerzhaft waren. Es kann sich um partielle Nekrosen, 
Demarkationsentzündungen, zersetzte Blutgerinnsel im Nieren¬ 
becken oder etwas Aelinllches gehandelt babeu. Bei der Entlassung 
waren diese Erscheinungen sehr zurückgegangen, aber nocli nicht 
völlig, ln dem Falle, der 79 Tage im Krankeuhause war, fanden 
sich zuerst grössere, dann immer kleiner werdende Blutungen mit 
Eiweissspuren ohne jeden Nebenbefund. Bel der Entlassung 
waren immer noch einige rothe Blutkörperchen Im Urin, kein 
Eiweiss. Kurz vorher hatte noch leichte Albuminurie und Polyurie 
bestanden. (Soll nachuntersucht werden.) 

Zwei weitere Patienten machten nach Monaten Ansprüche auf 
Unfallrente. Einer hatte nach der Nierenverletzung 30 Tage lang 
Blut im Urin gehabt, der andere nur 8 Tage. Bei beiden war die 
verletzte Niere angeblich schmerzhaft, der Befund normal. Nach 
einer Palpation Hessen sich allerdings bei einem Patienten Blut¬ 
körperchen im Urin nachweisen, die später völlig verschwanden. 

Zu operativen Eingriffen hatten wir nur einmal Gelegenheit. 
Wie auch W i e s I n g e r in der Festschrift zum 30. Stiftungsfest 
des ärztlichen Vereins betont hat. ist das von den Nieren aus¬ 
gehende Urininfiltrat lange nicht so gefährlich, als wenn es von 
einer tieferen Stelle ausgeht. Nur in einem Falle wurde ein peri¬ 
renales Haeinatom mit Urinbeiinengung 27 Tage nach der Ver¬ 
letzung eröffnet. Es hatte bis dahin Haematurie bestanden. 

Wir haben also ln keinem Falle eine sichere traumatische 
Nephritis beobachtet, wohl aber erhebliche langaudauemde patho¬ 
logische Urinbefuude in manchen Fällen. Nur einmal wurden 
Blutcyllnder gefunden, ich glaube allerdings nach den Erfahrungen, 
die ich hei Nierenannähungen gemacht habe, dass man bei 
mehrfachem Centrifugiren und langem Suchen wohl öfter ver¬ 
einzelte hyaline und Blutcyllnder gefunden haben würde. 

Aus der Literatur geht hervor, dass ln vielen Fällen von 
subkutaner Nierenverletzung ein Urinbefund auftritt. der ganz 
ilem bei Nephritis entspricht, cs fehlt jedoch noch der strikte 
Nachweis, dass dieser klinische Befund durch einen anatomischen 
wie bei einer echten Entzündung der Nieren verursacht ist. 

B. sehliesst sieh Stern an, (1er dies bis auf Weiteres dahin¬ 
gestellt. sein lassen will, nekrotische Herde in den Niereu mit De 
luarkationsentziimlung könnten denselben Befund hervorbringen. 
Hierfür spricht der meist auffallend günstige Verlauf. 

Die Art des Trauma heim Falle des Herrn Edlefsen ge¬ 
nüge vollkommen, um eine subkutane Nlerenquetschung zu er¬ 
zeugen. hierzu sei (1er Druck einer Eisenstange gegen den Rücken 
gar nicht nöthig. 

B. führt zum Schluss mehrere Fälle aus der Literatur au. 
die beweisen, dass eine kräftige plötzliche Beugung nach hinten, 
um sich vor einem Falle zu bewahren, Nierenlaesionen herbei 
führen könne. Eine wesentliche Stütze würde es aller für die 
Auffassung Prof. E d 1 e f s e n's gewesen sein, wenn im Urin ein 
sicherer Blutbcfuml festgestellt worden wäre. 


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2050 


17 . Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Herr König- Altona erbittet sieh (Ins Wort, well er selbst 
noch zu einem Gutachten in dem Falle, welcher Herrn Prof. 
Eillefscn's Vortrag zu Grunde liegt, aufgefordert Ist. Hie An¬ 
gaben des Vorletzten muss er fiir sehr unzuverlässig halten. Je 
doch scheint ihm zweifellos, dass, wenn man das geschilderte 
Trauma als gegeben anerkennt, durch dasselbe sehr wohl elue 
Nierenlaesion hervorgerufeu werden kann, sogar ohne die An¬ 
nahme, dass das Kreuz auf die Geländerstauge gestossen wurde. 
Eine durch Nierenverletzung bedingte II aomnturi e kann schon 
am 2. Tag nicht mehr nachweisbar gewesen sein. Ob man eine 
traumatische Nephritis s. s. (Hier eine traumatische Albuminurie 
annimmt, scheint ihm für die praktische Beurthellung ohne Be¬ 
lang. Will man aber darauf bestehen, dass schon vor dem Unfall 
eine akute Nephritis, deren Aetiologie dann jedenfalls ganz im 
Dunkeln ist, vorhanden war, so hält K. es für wahrscheinlich, Ja 
fiir ganz natürlich, dass das Trauma eine Verschlimmerung nach 
sich zog, wie wir denn täglich bei den verschiedenartigsten acut- 
entzündlichen Zuständen sehen, dass Traumen sie zu stärkerer 
Entfaltung bringen. So stellt er sich gegenüber der praktisch 
wichtigen Frage „nach dem ursächlichen Zusammenhang zwischen 
dem Unfall und jener Nierenerkrankung, die den Verletzten viele 
Wochen auf’s Krankenlager warf und lange Monate erwerbs¬ 
unfähig machte“, auf einen positiv, liejahenden Standpunkt. 

Herr Saenger fragt an, ob die Augen des Kranken oph¬ 
thalmoskopisch untersucht seien. Der Befund einer Retinitis 
albuminurica würde zweifellos vou ausschlaggebender Bedeu¬ 
tung sein. 

Herr C. Lauenuteiu ist auch nach den Ausführungen 
des Herrn Dr. Soltsien der Meinung, dass Herr Prof. Ed 
lefsen sein Gutachten zu Recht abgegeben hat. Praktisch wäre 
sicher kein Zweifel an einem Unfall, da Herr Dr. S. hier mitge- 
theilt. hat. dass der Pat. Blut im Auswurf gehabt habe. — Dass 
die Wirbelsäule nicht beschädigt worden sei, spreche ebensowenig 
gegen Nierenquetschung, wie das Fehlen äusserer Zeichen von 
Weichtheil Verletzung. 

L. hat unter 12 (XX) Verletzten in ca. 20 Jahren 23 Männer 
mit Nierenquetschung beobachtet. Die Verletzung war einseitig 
und durch sichere Gewalteinwirkung herbeigefülirt und stets mit 
anderweitigen Verletzungen komplizirt: Brüchen der Extremitäten¬ 
knochen der Schädelbasis, des Beckens, Zerreissung anderer 
innerer Organe besonders häufig mit Rippenfrakturen, sowie 
Lungenverletzuugen, Ilaeino- und Pneumothorax. 

Der Mechanismus der Verletzung, die Schmerzen und die 
Druckempflndlichkeit der Nierengegeud. die Schwellung und 
Dämpfung, manchmal der Zwerchfellstillstand und die Hae- 
maturie gestatteten immer eine sichere Diagnose. Dauer der 
Ilaematurie ln den beobachteten Fällen 2 -21 Tage. Nach dem 
Verschwinden von Blut im Urin hörte auch immer bald der El- 
weissgehait auf. 

Zurückbleiben einer andauernden Albuminurie wurde ln 
keinem Falle beobachtet. 

Von den 23 Fällen starben 3: 1. der neben einem Einriss in 
die linke Niere Bruch der 3.—T.Rippe und Huemothorux. Schädel¬ 
bruch und Hirnquetschung hatte; 2. der zahlreiche Rippenbrüche 
links, Durchreissung der Milz uud linken Niere hatte und 3. der 
30 Fu8s tief in den Schiffsraum gefallen war, mehrfache Rippen¬ 
brüche und Beckenbruch hatte und nach einigen Tagen au beider¬ 
seitiger Pneumonie starb. 

Die übrigen Verletzten genasen von ihrer Nierenquetschung 
ohne jeden operativen Eingriff. In einem Falle wurde unter acht¬ 
tägigem Fieber eine Entleerung von jauchigem Urin beobachtet. 
Aber auch hier trat spontane Heilung ein. so duss die Annahme 
nahe liegt, dass es sich hier um Zersetzung von Coagula in der 
Blase gehandelt habe. 

Herr F r a e n k e 1: Die Frage, um welche es sich hier handelt, 
spitzt sich dahin zu, ob in dem vorliegenden Fall lH*relts vor statt¬ 
gehabtem Trauma eine Nephritis bestanden hat oder ob erst 
durch das Trauma Schädigungen der Nieren herbeigeführt 
worden sind, als deren Ausdruck die klinisch zur Beobachtung ge¬ 
langten Erscheinungen ungesehen werden müssen. Um eine chro¬ 
nische Nephritis kann cs sich nicht gehandelt haben, da die 
Albuminurie, wie von verschiedenen der Herren Vorredner bemerkt 
wurde, seit vielen Monaten völlig geschwunden ist. Es entstellt 
also die Frage, ob Patient zufällig vor Einwirkung des Traumas 
an einer akuten Nephritis gelitten hat. Das ist höchst un¬ 
wahrscheinlich, da ein derartiges Leiden meist schwere Symptome 
macht, während Patient bis zu dem Tage, wo ihn der Unfall ereilte, 
frei von Störungen war. In dem Urin des Patienten nach dem 
Unfall wurde aber nur Eiweiss gefunden; dieser Befund allein 
berechtigt durchaus nicht zur Dinguose einer Nephritis, er gestattet 
nur den Schluss, dass eine funktionelle Beeinträchtigung der Niere, 
welcher Art immer, vorliegt. Es fehlt die mikroskopische Unter¬ 
suchung des Urinsediments. Dass durch ein Trauma aber eine 
Schädigung der Nieren herbeigeführt werden kann, welche zu 
Albuminurie Veranlassung gibt, ist nicht von der Hand zu 
weisen. Die Entstehung einer Nephritis durch ein Trauma 
hält F. einstweilen für durchaus unbewiesen uud tiieilt in dieser 
Beziehung vollkommen die von Herrn Bertelsmann vorge- 
brucliten Ansichten. Wir hätten ja Jetzt bisweilen Gelegenheit, 
den Einfluss chirurgischer Traumen auf die Niere anatomisch zu 
kontroliren; hier handelt cs sich zudem noch um offene Wunden. 
Al»er auch nach diesen Verletzungen hat F. nur lokale Nekrosen 
von wechselnder Tiefe mit «»aktiven Entzündungen in der Um¬ 
gebung. aber keine Veränderungen gesehen, di«» in den Rahmen 
einer als Nephritis aufztifassendeu Erkrankung hineinpassen. F. 


hält es desswegen auch für richtiger, die Bezeichnung traumatische 
Nephritis vorläufig zu vermeiden und lielier einfach von einet» trau¬ 
matischen Schädigung der Niere zu sprechen. Dass im vorliegenden 
Fall durch das Trauma t hat sächlich eine solche herbeigeführt 
worden sein kann, ist nach der Ansicht von F. nicht in Abmlc zu 
stellen. 

Herr Ed lefsen (Schlusswort): Nach den heutigen Mit- 
theiluugen des Herrn Soltsien st«»llt sich der Vorgang bei dem 
Unfall ja allerdings etwas anders dar, als wie ich ihn mir auf 
Grund der mir gemachten Angaben des Verletzten und der Wahr¬ 
scheinlichkeit konstruirt hatte, und, wenn Herr Soltsien da¬ 
rüber von Anfang an im Klaren war, muss ich nur bedauern, dass 
er mich, als er mir den G. zur Untersuchung und Begutachtung 
überwies, ohne die bei der Dürftigkeit des Akteumaterials be¬ 
sonders wünschenswerthe Aufklärung gelassen hat. Aber durch 
diese etwas veränderte Anschauung von dem Verlauf des Unfalls 
kann meine T T ela»rz«»ugung, dass die beobachteten Erscheinungen 
auf die Wirkung deswillen zurückzuführen waren, nicht er¬ 
schüttert werden. Es haben ja manche ebenso leichte uud noch 
leichtere Gewalteinwirkungen schon viel schwerere Nierenver¬ 
letzungen zur Folge gehabt und, wenn es nach «ler heute von 
Herrn Soltsien wiedergegebenen Schilderung wahrscheinlich 
wird, dass der Stoss des Fasses gegen die Brust mit nur sehr ge¬ 
ringer Kraft erfolgt ist. so würde immer noch der Muskelzug 
lK'im Greifen nach dem nachstürzenden Fasse als aetiologlsehes 
Moment, für ein«* Nierenverletzung in Frage kommen. Mit Rück¬ 
sicht darauf möchte ich nur ln»m«»rk<»n, dass, so plausibel mir im 
Ganzen jene Schilderung erscheint, «loch ein Punkt in derselben 
nach meiner Meinung wenig Glaulien verdient: Es ist. wie mir 
scheint, kaum denkbar, dass das Fass, welches der Manu in «len 
Händen hielt, durch das, zunächst doch mit geringer Geschwindig¬ 
keit, nachrutschende Fass einen so wichtigen Stoss enthalten haben 
sollte, dass es im Bogen in die Reinigungsmaschine geschleudert 
wurde. Dagegen erscheint es ganz naturgemiiss, auzunehmen. 
«lass er es absichtlich hinter sich geschleudert hat, um seine näiule 
für die Abwehr des nadistürzendcn Fasses frei zu machen. Dann 
aller würde die Wirkung des Muskelzuges, wie ich nicht näher 
auszuführen brauche, leicht verständlich sein. 

Die übrigen von Herrn Soltsien gegen meine Auffassung 
erhobenen Einwände habe ich. wie die Herren, die in der vorigen 
Sitzung zugegen waren, erinnerlich sein wird, der Hauptsache nach 
in meinem Vortrag schon im Voraus widerlegt und halte es daher 
nicht für nöthig. näher darauf einzugehen, zumal auch mehrere 
der Herren Vorredner an Beispielen aus der Literatur und Praxis 
gezeigt haben, wie wenig oft bei den Nieren Verletzungen die that- 
süehlielien Verhältnisse dem entsprechen, was man a priori für 
wahrscheinlich halten möchte. Nur einen Punkt glaube ich noch 
kurz berühren zu müssen: Herr Soltsien meint, die bleiche, 
anaemische Farbe des Verletzten lasse sich aus dem geringen Blut¬ 
verlust bei der Haematurie (falls diese überhaupt vorhanden ge¬ 
wesen) nicht erklären, und entnimmt daraus ein wichtiges Argu¬ 
ment zur Stütze seiner Annahme, dass schon vor dem Unfall 
längere Zeit eine Nephritis bestanden habe. Aber gerade die 
grosse Blässe, die ihm gleich bei d«»r ersten Untersuchung auffiel, 
spricht nach meiner Meinung sehr zu Gunsten einer subkutanen 
Nierenverletzung, die. wenn auch die dadurch veranlasste Haema- 
turie nur gering und von kurzer Dauer war, sehr wohl, wie so 
häufig, zu einer beträchtlichen circurn- oder retrorenalen Blutung 
geführt haben kann, deren unmittelbare Folgen sich der Beachtung 
entzogen. Auf diese Möglichkeit, für die manche Gründe sprechen, 
habe Ich schon in meinem Vortrag hingewiesen und muss es mir 
versagen, jetzt noch näher darauf einzugehen. Eine spontane Ent¬ 
stehung des Nierenleidens aber ist so unwahrscheinlich, dass dem¬ 
gegenüber alle sonst vielleicht berechtigten Zweifel an der trau¬ 
matischen Natur desselben zurücktreten müssen. 

Herrn Saenger habe ich zu erwidern, dass eine ophthal¬ 
moskopische Untersuchung nicht stattgefunden hat Ich halte die¬ 
selbe indessen auch für zwecklos, da, wie ich In meinem Vortrage 
auseinandergesetzt halte, an eine Schrumpfniere ebensowenig, wie 
an eine chronische parenchymatöse Nephritis zu denken ist. In 
dieser Beziehung «lecken sich die Ausführungen des Herrn 
Fraenkel, der meinen Vortrag nicht gehört hat, wie ich mit 
Genugthuung konstatire, fast vollkommen mit Dem. wns ich ge¬ 
sagt habe. Ich möchte dabei nur noch lietonen, dass i c h es grund¬ 
sätzlich vermieden habe, von einer „traumatischen Nephritis“ zu 
sprechen. 


Naturhtetorisch-Medicinischer Verein Heidelberg. 

(Medicinische Section.) 

Sitzung vom 8. Januar 1901. 

1. Herr Hoffman n: Krankenvorstellungen. 

a) Fall von Akromegalie; b) Fall von Basistumor. 

(Soll später veröffentlicht werden.) 

Diskussion: Herr Jordan, Herr Hoff m a u n. 

2. Herr Schwalbe: Der Einfluss der Salzlösungen auf 
die Morphologie der Gerinnung. 

Verfasser betont die Parallel«», welche sich zwischen den 
gcrinmuigsbeschleunigcnden bzw. -hemmenden Wirkungen einer¬ 
seits und der blutpliittehenbildenden Wirkung andererseits bei 


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2060 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


den Salzlösungen ziehen lässt. Er weist darauf hin, dass in 
eoneentrirten Salzlösungen z. B. die Gesetze der Isotonie, wie 
Hamburger dieselben formulirte, den rothen Blutkörperehen 
gegenüber nicht zur Geltung kommen. (Der Vortrag ist in dieser 
Wochenschrift erschienen.) 

An der Diskussion betliciligen sich: Herr Gell. Rath 
Quincke, Herr Magnus, Herr Wessely. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 22. A p r i 1 1901. 

Vorsitzender: Prof. Hochhaus. 

Schriftführer: Dr. Schulte. 

1. Herr Finkas: Amblyopie bei Bleivergiftung. 

Unter den Originalien in dieser Wochenschrift (No. 33) ver¬ 
öffentlicht. 

2. Herr v. Meer: Zur operativen Behandlung der Retro¬ 
flexio und des Prolapsus uteri. 

Vortr. berichtet über eine Modifikation der Alexander- 
Ada m s’schen Operation, die in einem Vermittelungsvorschlage 
zur Ausgleichung der Gegensätze zwischen denjenigen Opera¬ 
teuren besteht, welche die Verkürzung der Ligamenta rotunda 
nur nach ausgiebiger Spaltung der Fascie des M. obliquus ex- 
temus, vom üuseren Leistenringe ausgehend, und Denjenigen, 
welche die Operation nur durch Hervorziehen der Bänder aus 
dem äusseren Leistenringe selbst vornehmen wollen. Er em¬ 
pfiehlt hierzu folgendes Verfahren: 

Auf suchen der Ausstrahlung des Lig. rot. im äusseren 
Leistenringe. Spalten der Fascie des M. obliquus ext. Vg —% cm 
weit in der Richtung ihres Faserverlaufes an der Stelle des 
inneren Leistenringes. Von dort aus wird in Analogie zu der 
Ko eh ersehen Leistenbruchoperation subfasoial eine dünne 
Korazange nach dem äusseren Leistenringe durcligc*stossen, dort 
werden die Ausstrahlungsfascrn des Lig. rot. gefasst, von ihrer 
Insertion abgeschnitten und auf dem umgekehrten Wege aus dem 
künstlichen Fasciensehlitz hervorgezogeu, bis der Processus vagi¬ 
nalis peritonei erscheint. Dieser wird zurückpräparirt, event. 
resecirt und das Ligament in der Riclitung des Leistenkanales 
unter Verschluss des künstlichen. Schlitzes auf die Fascie des 
M. obliquus extemus in einen aus derselben gebildeten Kanal 
mit fortlaufender Catgutnaht festgenäht, wobei das Ligament 
immer in der Längsrichtung zu seinem Faserverlauf durchstochen 
wird. Der äussere Leistenring wird geschlossen. 

Von der Zweckmässigkeit des Verfahrens unter event. Hin¬ 
zufügung einer scheidenverengernden Operation bei Retroflexio 
mobilis ohne und mit Prolaps konnte Vortragender sieh in 
mehreren Fällen überzeugen. 

Für die Fälle von Retroflexio mit Prolaps bei Frauen in der 
Nähe und jenseits dos Klimakteriums empfiehlt Vortragender die 
von F u n k e an der Strassburger Frauenklinik geübte Einnähung 
des Corpus uteri in extremer Anteflexion zwischen hintere Blasen- 
und vertiere Scheidenwand, wobei unter Hinzufügung einer 
Dammplastik gute Dauerresultate erzielt werden. 

Dlscussion: Eberhart erklärt, er habe die Alexander- 
Ada ms’sclie Operation nur an der Leiche ausgeführt und ist im 
Uebrigen Anhänger der Pessartlierapie bei Retroflexio uteri mobilis. 

Dietrich hat unter 8 Fällen die Ligamenta rotunda das 
letzte Mal nicht gefunden; er spricht sich als Anhänger der 
Alcxnndcr-Ad a in s'schen Operation aus. 

Zöllner will die Operation als F r e u n d’sclie, Operation 
bezeichnet wissen, da dieser Ende der 70 er Jahre in der schlesi¬ 
schen Gesellschaft für vaterländische Kultur in Breslau Leiehen- 
versuehc über die Operation mitgetheilt habe. Er empfiehlt auf 
Grund einer Erfahrung an der F reun d’schen Klinik (Pat., die 
wegen Fistula vesieo- und rectovaginalis von W. A. Freund 
mit Einnähen des Uterus in die Scheide geheilt wurde) die Retro¬ 
flexio überhaupt nicht zu behaudein, sondern nur deren Begleit¬ 
erscheinungen, da die Retroflexio, wie er bei der Pat. F reua d’s 
erfahren, keine Beschwerden mache. 

Fritz Gaben betont, dass auch bei der mitgetheilten Modi¬ 
fikation die vordere Wand des Leistenkauais, wenn auch nur in 
geringer Ausdehnung, gespalten werde. 

v. Mee« ven\I‘ist zunächst auf die in seinem Vorträge um¬ 
grenzten Indikation 1 i zur operativen Behandlung der Retroflexio 
mobilis und glaubt, dass bei der nüthigen Uebung das Auftlnden 
der Liuameuta rotun la immer gelingen wird. Bezüglich der Be¬ 
zeichnung der Alexander- A dam s’selien Operation Ist her¬ 
vorzuheben, dass die. olbe 1840 von A ra n' und A 1 q u i 0 zuerst 
vorgvsehlagen, von W. A. Freund Ende der 70 er Jahre zuerst 
au der Leiche studirt und 1883 resp. 1KS4 von Alexander und 


A d a ni s fast gleichzeitig ausgeführt wurde. Die Retroflexio als 
solche überhaupt nicht zu behaudein, dürfte sich wohl nicht em¬ 
pfehlen, zumal da die erwähnte Patientin F reun d’s nicht he 
weisend für die Ansicht des Herrn Zöllner Ist. Bei derselbeu 
besteht nämlich, wie Vortr. aus eigener Erfahrung weiss. ein anti- 
cipirtes Klimakterium. 


Medicinische Gesellschaft zu Magdeburg. 

(Offlcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 24. Oktober 1901. 

Vorsitzender: Herr S e n d 1 e r. 

Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Blencke Becken 
und untere Extremitäten eines mit beiderseits kongenitalem 
Femurdefekt behaftet gewesenen Kindes, das im Alter von 
5 Monaten gestorben ist. Das Becken ist normal bis auf die 
beiden Pfannen, an deren Stelle sich zwei halbkugelige knorpelige 
Hervorwülbungen befinden, die fest mit ihrem Boden verwachsen 
sind. Die untere Extremität ist beiderseits mit dieser Pfannen¬ 
gegend schlotterig verbunden durch starke fibröse Bandinassen, 
lu denen sich ein Kuorpelstückchen befindet. Es Ist nur eine Tibia 
vorhanden, an deren oberem Ende sich ein harter, 2>/ 2 cm breiter 
und langer Knorpel befindet, in dem 2 deutliche Kuochenkernc 
auf dein Röntgenbilde sichtbar sind. Am unteren Ende der Tibia 
sitzt der rudimentär entwickelte Fuss und zwar au der hinteren 
Seite derselben. Links befindet sich nur eine Zehe, rechts da¬ 
gegen drei, von denen zwei miteinander verwachsen sind. 

Sodann stellt Herr Tschm&rke einen 10Jährigen Knaben 
vor mit follikulärer Zahncyste. Dieselbe sass im Unterkiefer und 
enthielt 2 gut entwickelte Zalmkelme, welche dem Eckzahn und 
ersten Pmoniolaris entsprachen. 

Herr Tschm&rke stellt ferner einen 17 jährigen Patienten 
vor, welchen er wegen einer fehlerhaft gehellten Vorderarmfraktur 
operirt hatte. Es handelte sich tun einen Bruch des Radius, dessen 
oberes Fragment in Supination und dessen unteres Fragment in 
Pronationsstellung zusammengeheilt war. Eine Röntgenphoto 
graphie stellte die Verhältnisse klar. Pat. war nicht im Stande, 
den Arm zu supiniren. Es wurde daher eine offene, lineare Osteo¬ 
tomie des Radius gemacht, der Vorderarm in Supinatlonsstelluug 
gebracht und in dieser Stellung eingegipst. Die Heilung war eine 
vollkommene, auch mit gutem fuuktionelleui Resultat, wurde aber 
durch Eliminiruug zweier kleiner cortiealer Sequester wesentlich 
verzögert. 

Darauf hält Herr Tachmarke den angeküudigten Vor¬ 
trag über Operationen am Sympathicns bei Morbns Basedowii, 
Epilepsie nnd Glaukom. Derselbe bildet ein Referat über die 
modernen Bestrebungen der Chirurgie auf jenen Gebieten, wie 
sie vor Allem von Jonnesco, Jaboulayu. A. in Anregung 
gebracht wurden. Unter Benützung der in- und ausländischen 
Literatur entwickelte Vortragender den physiologischen Ge¬ 
dankengang, der jenen Bestrebungen zu Grunde lag, beleuchtete 
in kritischer Weise die Hypothesen und Theorien, die aufgestellt 
worden sind, und die Statistiken, auch in ihrer Gegenüberstellung 
zu den früheren Operationsmethoden bei jenen Krankheiten. 
Im Allgemeinen kommt er dabei zu einem recht wenig ennuthi- 
genden Resultat; insbesondere kann T. die Operationen am Hal?- 
sympatliicus bei Epilepsie nicht empfehlen; bei Morbus Base¬ 
dowii müssen die Zeit und weiteren Versuche, auch bei uns in 
Deutschland von berufener Seite angestellt, zeigen, ob die Opera¬ 
tion wirklich den Werth hat, welchen ihre Erfinder ihr beilegen. 
Etwas günstiger scheinen die Aussichten bei einigen Formen 
von Glaukom zu sein; auch von deutschen Augenärzten, wie 
Grunert, Ziehe und Axenfeld sind günstige Resultate 
mitgetheilt worden, welche immerhin zu weiterem Vorgehen auf 
diesem Gebiete ermuthigen. Besonders ausführlich hat Vor¬ 
tragender des allgemeinen Interesses halber die physiologischen 
Erscheinungen nach der Resektion oder Exstirpation des HaF- 
sympathicus behandelt. 

Dlscussion: Herren Un verricht, Schreiber. 


Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in 
München. 

Sitzung vom 2. Juli 1901. 

Herr M. Wilde: lieber das biologische Verfahren zum 
Nachweis von Menschenblut. 

M. H.! Schon bei seinen ersten Arbeiten über die Serum¬ 
alexine hatte Büchner auf die Analogie der Wirkung, welch- 1 
frisches normales Blutserum sowohl auf pathogeue Bakterien, 
wie auf die rothen Blutkörperchen einer fremden Species ausübt. 
hingewiesen und in den, im Serum vorhandenen enz.vmartigen 
Körpern, den „Alexinen“, die Ursache sowohl für die Abtödtuug 

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17. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDlCIftlSCHE WOCEEtfSCHRtET. 


der Bakterien, wie für die Auflösung der rothen Blutzellen er¬ 
kannt. In weiterer Verfolgung des Buchne r’sehen Gedanken- 
ganges zeigte dann Bordet, dass man wie gegen Bakterien so 
auch gegen rothe Blutkörperchen immunisiren kann, indem durch 
Injektion von geeigneten Mengen fremden Blutes in dem Blut¬ 
serum eines Thieres die Fähigkeit diese Erythrocyten aufzulösen 
erzeugt oder doch sehr verstärkt wird; behandelt man z. B. ein 
Kaninchen mit Kinderblut, so erhält das Serum dieses Kanin¬ 
chens nach einigen Injektionen das Vermögen, Rinderblutkörper- 
chen aufzulösen, welche Eigenschaft normales Kaninchenserum 
nicht oder nur in ganz geringem Grade besitzt. Weitere Unter¬ 
suchungen zeigten nun, dass dabei im Serum des so behandelten 
Thieres eine neue Substanz, der Anti- oder Immunkörper, 
auf tritt, welcher von den zur Vorbehandlung verwendeten Ery tlxro- 
cyten gebunden wird, und dadurch diese für die Einwirkung des 
im Serum normaler Weise vorhandenen Alexins zugänglich macht. 
Alle Forscher konnten nun übereinstimmend die wichtige Tliat- 
sache konstatiren, dass der so entstehende Immunkörper spe¬ 
zifisch ist, d. h. durch Injektion von Rinderbluterythrocyten 
entsteht ein Immunkörper, welcher nur auf diese, nicht aber 
auf Hundeblut- oder Meerschweinchenblutkörperchen einwirkt 
und umgekehrt. Es ist ohne Weiteres klar, dass diese Eigen¬ 
schaft zur Erkennung einer Blutprobe, so auch von Menschen¬ 
blut, verwendet werden kann und Deutsch hat zuerst darauf¬ 
hin ein Verfahren zum Nachweis von Menschenblut ausgearbeitet; 
aber seine Methode hat den grossen Nachtheil, dass in der zu 
untersuchenden Blutprobe die rothen Blutkörperchen wohl er¬ 
halten sein müssen, um deren Auflösung deutlich beobachten zu 
können. Da dieselben aber recht hinfällige Gebilde sind, die 
ihr Haemoglobin schon von selbst ohne besondere äussere Schä¬ 
digung nach einiger Zeit verlieren, erst recht aber durch Aus- 
troeknen, Einfrieren, Fäulniss etc., so wird diese Methode in 
der Praxis nur bei seltenen, besonders günstigen Fällen Ver¬ 
wendung finden können. Bei dem weiteren Studium der Ver¬ 
änderungen, welche im Organismus eines mit fremdem Blute 
behandelten Thieres vor sich gehen, zeigte sich aber, dass es 
sich dabei um einen höchst komplizirten Vorgang handelt, denn 
es entstehen nicht nur gegen die zelligen Elemente, also in 
erster Linie gegen die Erythrocyten, gerichtete Antikörper, son¬ 
dern auch die Fermente und Eiweisskörper des eingeführten Blut¬ 
serums rufen die Bildung von Antikörpern hervor, welche gleich¬ 
falls spezifischer Natur sind. So entsteht gegenüber dem Alexin 
und etwaigen Agglutininen des eingespritzten Blutes ein Anti¬ 
alexin resp. Antiagglutinin und die gelösten Eiweisskörper, be¬ 
sonders die Globuline, bedingen die Bildung von Präcipitinen, 
welche mit jenem „Präcipitate“ Niederschläge erzeugen. Fast 
gleichzeitig fanden Uhlenhuth und W assermann und 
Schütze, dass man gerade diese Präcipitine mit Vortheil für 
die praktischen Zwecke der forensischen Medicin zur Identi- 
fizirung von Blutproben verwenden kann, denn einerseits ist die 
Reaktion eine äusserst empfindliche, selbst sehr stark (mehrere 
tausendfach) verdünntes Blut gibt auf Zusatz des betr. Anti¬ 
serums noch einen prompt auftretenden Niederschlag, so dass 
auch Spuren von Blut noch mit Sicherheit identifizirt werden 
können, andererseits ist auch bei alten, eingetrockneten, selbst 
in Fäulniss übergegangenen Blutproben bei geeigneter Technik 
die Erkennung möglich. 

Um ein empfindliches Menschenblut-Antiserum zu erhalten 
injizirt man am besten Kaninchen in regelmässigen Zwischen¬ 
räumen von mehreren Tagen je 10—30 ccm Menschenblut oder 
Serum in die Bauchhöhle; je länger die Behandlung fortgesetzt 
wird, um so empfindlicher wird das Serum, so dass Stern 
durch mehrmonatliche Behandlung eines Kaninchens ein Serum 
erhielt, mit dem er Menschenblut sogar in einer Verdünnung 
von 1:50 000 nachweisen konnte. Aber auch bei grösseren 
Thieren kann man die Bildung dieser Präcipitine durch fort¬ 
gesetzte Blutinjektionen hervorrufen und ich kann Ihnen hier 
die Reaktion mit dem Serum einer mit Menschenblut immuni- 
sirten Ziege zeigen. (Demonstration.) Da, wie Sie sehen, die 
Reaktion auf einer Fällung und bei grösserer Verdünnung auf 
einer Trübuug der Mischung beruht, so ist es natürlich absolut 
nothwendig, ganz klare Flüssigkeiten zu haben; zu untersuchende 
Blutflecken etc. wäscht man daher mit destillirtem Wasser oder 
Sodalösung aus, verdünnt mit Kochsalzlösung und filtrirt durch 
ein dichtes Filter; die so ganz klare, leicht röthlich gefärbte 
Flüssigkeit versetzt man dann mit ca. Va ccm des ebenfalls ganz 


5001 


klaren Menschenblut - Antiserums; ein in kurzer Zeit ani 
schnellsten bei 37° auf tretender Niederschlag beweist das Vor¬ 
handensein von Menschenblut. 

Wenn oben erwähnt wurde, dass diese Präcipitine spezifisch 
sind, d. h. nur auf die EiweissstofTc des zur Immunsirung ver¬ 
wendeten Blutes wirken, so bedarf das doch einer Einschränkung, 
insofern nämlich auch mit dem Blute nahe verwandter Thier- 
species zuweilen eine Reaktion allerdings immer in erheblich ge¬ 
ringerem Maasse eintreten kann. So fand schon Bordet, dass 
Hühnerblut-Antiserum auch mit Taubenblut Fällungen gibt, und 
auch von dem Serum der mit Menschenblut immunisirten Thiere 
wird eine, wenn auch geringe, Trübung in verdünntem Affenblut 
hervorgerufen; da dies aber die einzige bisher beim Menschen¬ 
blut-Antiserum beobachtete Ausnahme ist, obwohl schon mit 
dem Blut fast aller in unserem Klima in Betracht kommenden 
Siiugethiere und Vögel Versuche angestellt wurden, so dürfte 
dadurch die praktische Brauchbarkeit der Methode für gericht¬ 
liche Zwecke keine Einbusse erleiden. 


Sitzung vom 16. Juli 1901. 

Herr Eugen Albrecht: Ein Fall von Pankreasbildung 
in einem Mecke Eschen Divertikel. 

Der Vortragende fand in der Spitze eines M e c k e l’schen 
Divertikels einen von Serosa und reichlicher subseröser Fett¬ 
schicht umhüllten nicht ganz erbsengrossen gelblichen Knoten, 
der sich mikroskopisch als eine typische und vollständige 
Pankreasbildung erwies (Drüsen mit reichlichen Zymogenkörn¬ 
chen in den Zellen, centroacinäre Zellen, Langerhaus’sche 
Zellhaufen, Ausfübrgänge, in’s Darmlumen mündend, Nerven 
und Gefässe in gewöhnlicher Anordnung). 

In der Literatur sind 5 (6?) Fälle der gleichen Art, jedoch 
ohne weitere Angaben, notirt. 

Unter Hinweis auf die Bedeutung solcher Experiments 
naturae für die verwickelten entwicklungsmechani¬ 
schen Fragen der Organogenese analysirt der Vor¬ 
tragende die verschiedenen zunächst in Betracht kommenden 
Deutungsmöglichkeiten: 

1. Aberrirtes Pankreas? Diese Möglichkeit ist 
desshalb nicht auszuschli essen, weil durch die Untersuchungen 
v. K u p f f e r’s am Stör, die Auffindung von Pankreasanlagen 
im Ductus choledochus und in der Papilla minor (L a g u e s s c, 
Pilliet, Helly) eine grössere Ausdehnung der ersten Pan¬ 
kreasanlage wahrscheinlich ist. Immerhin ist es fraglich, ob 
diese Anlage bis zum Nabel reichend angenommen werden darf; 
ferner erklärt die Annahme nicht, wesshalb die „Reste“ im Be¬ 
reich des Ileum regelmässig nur in der Spitze des M e c k e l’schen 
Divertikels angetroffen werden. 

2. Reste von Drüsenbildungen des Dotter¬ 
gangs oder der Dotterblase? In der letzteren sind 
von Graf S p e e für den menschlichen Embryo zahlreiche tubu- 
löse Drüschen mit prismatischem Epithel beschrieben. Der An¬ 
nahme steht vor Allem im Wege, dass die Analogie für das 
normale Pankreas nicht möglich ist; ferner, dass es sich um eine 
völlige Metaplasie eines embryonalen Organs handeln müsste; 
u. a. m. 

3. Atavistische Bildung? Anhaltspunkte liegen 
nicht vor, um diese Deutung zu versuchen. 

4. Cänogenetische Bildung? Per exclusionem 
erscheint diese Annahme neben der sub 1 genannten als die 
wahrscheinlichste. 

Gleichviel, welche der beiden Hypothesen man vorzieht, er¬ 
geben sich interessante Folgerungen aus der von dem Ge¬ 
setz der Oekonomie des Denkens geforderten Erwägung, dass 
für das heterologe Pankreas in der Spitze des M. D. die g e - 
sammten wesentlichen Bildungsfaktoren vor¬ 
handen gewesen sein müssen, welche für das normale Pan¬ 
kreas bestimmend sind (abgesehen von den Ursachen der 
verschiedenen Grössenentwicklung und topographischen Be¬ 
ziehungen). Für letzteres fallen somit ohne Weiteres alle jene 
Momente weg, die nur in der Duodenalgegend möglich sind 
(mechanische Kombinationen, eng lokalisirte „organbildende 
Stoffe“). 

Die spezifischen Ursachen müssen, wie im Ein¬ 
zelnen begründet wurde, in einer dem Entoderm des gesammten 
Dün n d arm abschni11e8 der I n t estina1an1age 


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MÜENCHENER MEDtClNlSCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


2062 


(wenigstens von der normalen Pankreasanlage bis zum Ductus 
omphalo - enterieus) gemeinsamen ..Fähigkeit zur 
P ankreasbildung“ gesucht werden; vielleicht lassen sich 
für diese in der Phylogenese oder Ontogenese noch morpho¬ 
logische Anhaltspunkte finden. Dagegen scheint die fast typisch 
zu nennende Lokalisirung des heterotopen Pankreas in der Spitze 
des Mecke loschen Divertikels darauf hinzuweisen, dass die 
auslösenden Faktoren, welche zur Aktualisirung 
der Pankreasbildung in beiden Fällen führen, in eng lokali- 
s i r t e n Besonderheiten der „U m g e b u u g“ (vielleicht mecha¬ 
nischer Art?) zu suchen sind. 

Zum Schlüsse weist der Vortragende auf die Bedeutung hin, 
welche ein derartiges Pankreas für die „Personalselektion“ seines 
Besitzers hat: da es wenigstens im vorliegenden Falle völlig 
sekretionstüchtig war und anscheinend kräftig secernirte, so 
verminderte es die Gefahren, welche das ca. 25 cm lange 
Mecke l’sche Divertikel durch die Möglichkeit der Stagnation 
Von Darminhalt und deren mechanische und infektiöse Kompli¬ 
kationen seinem Träger bot. 

Sitzung vom 5. November 1901. 

Herr Trommsdorff: Ueber die Beziehungen der 
0 r a m’schen Färbung zu chemischen Vorgängen in der ab- 
getödteten Hefezelle. (Auszug.) 

M.H.! Landau hat im Jahre 1899(Hc gewöhnlichen Hefczellen, 
in Rohrzuckerlösung aufgesehwenimt, zur Behandlung von Fluor 
albus und ähnlichen Processen vorgeschlagen, von dem Gedanken 
ausgehend, dass der bei der Gährung entstehende Alkohol die die 
Katarrhe verursachenden Mikroorganismen zu vernichten im 
Stande sei. Die Versuche mussten aufgegeben werden, nach¬ 
dem sich zeigte, dass bereits die lebende Ilefezelle allein im 
Stande war, katarrhalische Erscheinungen hervorzurufen. 

Nun beschrieb K. Albert 1 ) ein Verfahren, bei dem durch 
Alkohol-Aetherbehandlung die gewöhnliche Presshefe ihres 
Wachsthumsvermögens beraubt wird, ohne dabei die Gährfähig- 
keit zu verlieren. Mit diesem unter dem Namen „Sterile Dauer¬ 
hefe“ in den Handel eingeführten Präparat unternahm nun 
W. Albert neue therapeutische Versuche. 

Die katarrhalischen Sekrete mittels der G r a m’schen 
Methode auf ihren Gehalt an Mikroorganismen untersuchend, 
stiess er dabei auf sehr merkwürdige Bilder: Die in den Prä- 
jia raten sich findenden Hefezellen färbten sich nicht mehr wie 
gewöhnliche Hefezellen nach Gram schwarz, sondern nahmen 
bei einer Gegenfärbung mit Safranin, mit fortschreitender 
Gährung immer mehr rothen Farbstoff an, bis am Ende der 
Gährung nur noch blassrosa Zellen mit etwas dunklerem Kern 
zu sehen waren. 

Diese kurz veröffentlichten interessanten Beobachtungen a ) 
veranlassten mich. Ihnen seinerzeit derartige, nach Gram ge¬ 
färbte Präparate von steriler Dauerhefe zu demonstriren und 
den Ursachen dieser merkwürdigen Erscheinungen naclizu- 
forschcn. 

Ich erlaube mir heute. Ihnen im Kurzen die Ergebnisse 
meiner Untersuchungen, sowie die soeben veröffentlichten Re¬ 
sultate R. und W. A1 b e r t’s *) über den gleichen Gegenstand 
mitzutheilen. 

Schematisirend können wir 3 Stadien der Gramfärbbarkeit 
unterscheiden: 

Die Zellen färben sich: I. schwarz-blau, II. schwarz-blau- 
roth und HI. roth. 

Der Anfang des II. Stadiums kennzeichnet sich durch ein 
Auftreten von rothen Tönen; diese nehmen immer mehr zu, 
während die schwarz-blau gefärbten Theile theils in Form klein¬ 
ster Kügelchen die ganze Zelle erfüllen oder auch in mehr oder 
minder zusammenhängenden Partien Theile der sich immer mehr 
roth färbenden Zelle ausmachen. Im III. Stadium nehmen die 
Zellen nur noch rothen Farbstoff an und zwar in der Art, dass 
stets eine central gelegene, deutlich markirte, kernartige, dunkler- 
roth gefärbte Partie sichtbar ist. 

Ich glaube mich, da das kernartige Gebilde in keiner Zelle 
vermisst wird, der von R. und W. Albert ausgesprochenen 
Vermuthung, dass wir cs liier mit dem Zellkern der Hefezelle 
zu thun haben, anschliessen zu dürfen. 

: i Bericht der Deutsch, ehern, Gesellseh. «*I3, 
i Ceutralbl. f. Gynäkologie 1901, Is'o. 17. 

r i Ceutralbl. f. Bakteriol. II. Abth., Kd. 7, 1901. No. 21. 


Von dem III. Stadium erhielten R. und W. Albert, 
klarere Bilder, vor Allem der Zollgrenzen und des „Kernes“, wenn 
sie mit Methylenblau färbten. 

Ich erhielt auch mit Gramfärbung reichlich so schöne Bilder, 
mit klarer und scharf sichtbarer Zellmembran. 

Die Veränderung an den Zellen während der Gährung lassen 
sich auch mit Karbolfuchsin und anderen Färbemethoden (z. B. 
der nach Marx-W oithe etc.) zeigen. 

Gelegentlich meiner früheren Demonstration hatte Herr 
Prof. Cremer die Güte, auf die Möglichkeit, dass das Ver¬ 
schwinden der Gramfärbung (bei welcher Jod eine wesentliche 
Rolle spielt) mit dem wechselnden Glykogengehalt der Hefezellen 
Zusammenhängen könne, hinzuweisen. Die von mir diesbezüglich 
augestellten Untersuchungen ergaben, dass das Verschwinden 
der Gram-Färbung in keiner Weise mit dem Glykogengehalt der 
Zellen in Zusammenhang steht. 

Das Verschwinden der Gramfärbung tritt nun ebenso ein, 
wenn die sterile Dauerhefe, in destillirtem Wasser suspendirt, 
bei 37° gehalten wird; sie bleibt jedoch erhalten, wenn man die 
Zellen vorher aufkocht oder die Mischung bei 0 0 erhält. Daraus 
liess sich annehmen, dass das Verschwinden der Gramfärbung be¬ 
dingt. sei durch Enzymwirkung. 

Es lag da zunächst nahe, an die Wirkung der Zyrnase zu 
denken. 

Man kann nun die Zyrnase zerstören, wenn man die sterile 
Dauerhefe mit Aether behandelt; so behandelte, in Wasser auf- 
geschwemmte und bei 37 0 gehaltene Hefe verliert aber ebenso die 
Fälligkeit sich nach Gram zu färben; mithin ist die Zyrnase 
nicht die Ursache des Verschwindens jener Färbung. Das 
zweite in der sterilen Dauerhefo sich findende Enzym, ein amylo¬ 
lytisches, wurde ebenfalls als nicht ursächlich für das Verschwin¬ 
den der Gramfärbung erkannt, und so musste man an die Wir¬ 
kung eines proteolytischen Enzyms denken. Diese Auffassung 
wurde dadurch bestätigt, dass aufgekochte — also ihrer Enzyme 
beraubte — sterile Dauerhefe, die sich nach Gram schwarz 
färbt, durch Verdauung mit Pepsin und Trypsin prompt in das 

II. und III. Stadium der Färbbarkeit übergeführt wird. 

R. und W. Albert sind auf anderem Wege zu demselben 
Resultate gelangt. Sie schlossen die Zymasewirkung aus, weil 
die Gramfärbung, auch wenn die Hefe in destillirtem Wasser 
aufgeschwemmt ist, verloren geht und wiesen in dem zellfreien 
Filtrat einer solchen Aufschwemmung mit der abnehmenden 
Gramfärbbarkeit der Zellen zunehmende Mengen von coagulir- 
baren, als auch schon hydrolysirten Eiweisses nach. Sie konnten 
dabei gleichzeitig zeigen, dass auch die proteolytischen Enzyme 
mit in das Filtrat übergehen, dass aber die Zyrnase nicht diffus- 
sibel ist. 

Die sich nach Gram färbenden Stoffe der sterilen Dauer¬ 
hefe sind somit Eiweissstoffe. 

R. und W. Albert halten diese Eiweisskörper im Inneren 
der Zelle für in ähnlichem Zustande vorhanden, wie in dem 
mit Alkohol-Aether gefällten Presssaft. Diese Annahme kann 
nicht ganz zutreffend sein, denn sonst müsste sich der gefällte 
Hefepresssaft nach der Gram’schen Methode schwarz färben; 
das ist aber nicht der Fall; er färbt sich nach der Gram’schen 
Methode rosa. 

Ich erwähne noch kurz einige andere interessante Punkte, 
die sich bei den Untersuchungen ergaben. 

R. und W. Albert fanden, ebenso wie ich, bei der sterilen 
Dauerhefe im frischen Präparat stets einige Zellen, die im 

III. Stadium der Färbung waren. R. und W. Albert be¬ 
zeichnen diese Zellen als „offenbar schon vor der Behandlung 
mit Alkohol-Aether abgestorben“. Die durch Alkohol-Aether- 
Behandlung „abgetödteten“ Hefezellcn färben sich aber schwarz: 
cs ist. somit ein Unterschied zwischen „abgestorben“ und ,.ab- 
getödtet“, und dieser Unterschied findet wohl seine Erklärung 
in dem Umstand, dass die von selbst absterbenden Hefezellen 
dadurch, dass sie feucht sind, den proteolytischen Enzymen ihre 
Wirkung gestatten. 

Ferner fand ich im zweiten Stadium auch ausserhalb der 
Zellen schwarz-blau gefärbte Körnchen, von der Grösse der in 
den Zellen liegenden, frei liegen, und man hat den Eindruck, 
als ob die am Rand der Zellen liegenden Körnchen nahe dem 
Austritt wären. 

Diese Körnchen erinnern unwillkürlich an die Niederschläge, 
die sich gleichfalls in den ersten Stunden bei der Selbst Verdauung 
des Hefepresssaftes, also des Hefezelleninhaltes zu bilden pflegen. 


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17. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2063 


Im III. Stadium sieht man ferner noch völlig schwarze 
Zellen; diese haben vielleicht ihre proteolytischen Enzyme ein- 
gebüsst. durch die Alkohol-Actherbehandlung, welche ja auch auf 
peptische Enzyme immer eine, wenn auch geringe Schädigung 
besitzen, so dass sie in Zellen, die von vornherein wenig Enzym 
enthalten, dasselbe gelegentlich einmal vernichten kann. 

Endlich sei noch auf einen Umstand hingewiesen, dass näm¬ 
lich die Wirkung der in der sterilen Dauerhefe wirksamen 
Enzyme abhängig ist von der Concentration. 


Aerztlicher Verein Nürnberg. 

(Officlelles Protokoll.) 

S i t z u n g v o m 29. A u g u s t 1901. 

Vorsitzender: Herr S. Merkel. 

1. Herr August Beckh demonstrirt: 

a) einen durch Totalexstirpation nach dem von 1) ö d e r 1 e 1 n 
angegebenen Verfahren gewonnenen Uterus mit Plattenepithel- 
carcinoin der vorderen I.ippe. bespricht obige Operationsmethode 
im Vergleich mit den bisher Üblichen, wobei er besonders die Vor¬ 
züge des Verfahrens bezüglich der Blasenversorgung hervorhebt. 

b) ein 3500 g schweres, myxomatös degenerirtes Myom, 
welebes einer 43 jährigen Frau entstammt und in den letzten 
Wochen rapid gewachsen war: dasselbe war Intraligamentär ent¬ 
wickelt, der breite Stiel ausserordentlich gefässreich: die Tube ver¬ 
läuft vor dem Tumor, das cystiscli degenerlrte linke Ovarium 
hinter dem Tumor. Ausgangspunkt wahrscheinlich Ligamentum 
lat um der linken Seite. 

bespricht e) einen Fall von Recidiv nach Venlrotixatio» des 
l'terus wegen Retrollexio Uteri. Der Uterus war bei der am 
io. -Tun! 1899 vorgenommeneu Operation mit 2 Seidenniihten an 
die vordere Rauchwand iixirt worden und war nilmähiieh 
langsam wieder zurückgesunken. 2 lange, fadenförmige Adhae- 
sionen ausziehend, dieselben waren schliesslich 20 cm lang ge¬ 
worden und wurden gelegentlich der wiederholten Laparotomie 
zur abermaligen Veutrofixation gefunden (2. Operation 14. VII. 
1900; bis jetzt recidivfrei). Hinweis auf die Gefahr des möglichen 
Eintritts eines Ileus. 

berichtet d) über 2 Geburten mit sogen. Riesenkindern; 
beide männlichen Geschlechts. Das eine. 5610 g schwer, stammt 
von einer 37 jährigen X. Para: Schädellage, Spontangeburt des 
Kopfes nach 29Va ständiger Geburtsdauer; kurz vorher Mcconium- 
ahgang: Extraktion der Schultern und des Rumpfes nur mit ausser¬ 
ordentlicher Kraftanstrengung möglich. Kind lebt. 

Das zweite. 5350 g, welches einer 31 jährigen IX. Para ge¬ 
hörte, musste wegen Mcconiumabgang gewendet werden, wurde 
tief aspliyktisch geboren und konnte leider nicht wieder belebt 
werden. 

Im Anschluss hieran berichtet Vortragender noch über eine 
Zwillingsgeburt einer X. Para, die er vor 2 Jahren geleitet hat, 
bei der der erste 3300 g, der zweite Zwilling 3760 g wog. welche 
Gewichte für Zwillinge gewiss nicht gewöhnlich zu nennen sind. 
Beide waren Knaben. Gehurt dos ersten in Stelsslage spontan, 
heim zweiten musste 3 Stunden nach der Geburt dos ersten die 
komhiuirte Wenduug auf den Fuss und Extraktion vorgouotnmen 
werden. Beide leben. 

2. Herr E. Rosenfeld demonstrirt unter Mittheilung der 
Krankengeschichten folgende Präparate: 

n) eine Extrauteringravidität, 

b) einen Ovarialtumor bei einem 19 jährigen Mädchen. 

3. Herr W. Beckh bringt Mittheilungeu über Bad Kissingen 
und die daselbst eingefillirten Neuerungen. 

4. Herr W erthheimber berichtet über die Sektions¬ 
befunde von 2 mit Ichthyol behandelten tuberkulösen Frauen, 
bei welchen sich verschiedene verkalkte Herde in den Lungen 
fanden. 


Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik. 

(Officlelles Protokoll.) 

Sitzung vom 7. November 1901. 

Herr Krapf demonstrirt: 

1. ein 2 jähriges Kind mit Hydrocephalus congenit. 

2. ein 10 jähriges Mädchen mit angeborener Sattelnase. 

Herr Johann Merkel spricht über' Unterschenkelgeschwüre 

und deren operative Behandlung. 

Nach kurzer historischer Einleitung wird der Operations- 
methoden gedacht. 1871 erfand Nussbaum seine Circumcision 
variköser Geschwüre: Schede, in den 70er Jahren, komprimirte 
rlie Varicen durch aufgenähte dicke Gummiröhren; Trcndelon- 
bürg unterband die Vena saphena. Schwarz in Paris und 
Caroti empfahlen die Exstirpation mehr weniger grosser 
Strecken vom Venenplexus. Rei allen Venenoperationen besteht 
die Gefahr der Embolie, besonders bei nicht ganz intaktem Clrcula- 
»ionsapparat. Angeführt wird ein Fall, der nach Nussbaum- 
seher Circumcision durch Embolie der beiden Aeste der Art. pul¬ 
monal. letal endete. Sektionsbefund wird mltgetheilt. 

Auch wird der Transplantation nach Thier sch und Ro¬ 
ver d 1 n gedacht, jedoch als nicht aetiologisch wirkend verworfen. 
Dann folgt die Beschreibung der Operation nach Trendelen - 


b u r g, welcher der Vortragende den Vorzug gibt. Sie besteht iu 
doppelter Unterbindung der V. saphena magna in der Fovea ovalis 
und Diseision. Der oft grossen Schwierigkeit des Auftindens dieses 
Gefiisses bei den häufigen Venenanomalien wird gedacht und eine 
dahin gehende Zeichnung vorgelegt. Bei Kombination von syphi¬ 
litischen Geschwüren auf varikösem (Jebiet muss der Operation 
eine spcclfische Behandlung vorausgehen, wovon 1 Fall mitgetheilt 
wird. 

Schliesslich werden kurze Kranken- und Operationsgosehichten 
von 5 Fällen, nach T r e n d e 1 e n bürg operirt, beschrieben. Die 
Theorie der Operation nach T roudolen 1> u r g, sowie die palho- 
logiseh-histologischen Veränderungen der Varicen finden ein¬ 
gehende Erwähnung. 

Nach Fehlschlagen exspectativer Behandlung, bei mehr und 
mehr zunehmendem Marasmus, wenn die Ulcera Jahre gedauert 
haben und die Erwerbsfähigkeit auf gehoben haben, wühle mau 
die T re n d e 1 e n b u r g’sche Operation. Personen mit nachweis¬ 
baren Herz- oder Gefüsskrnnkheiten sollen uuoperirt bleiben. Die 
Exstirpationen von ganzen Venenpaekets führen zu schmerzhaften 
Oedomen und Lymphgefässlisteln, sogar Hautgangrucn und ver¬ 
dienen keine Nachahmung. 


Verein deutscher Aerzte in Prag. 

(Eigener Bericht.) 

Sitz u n g v o ni 25. O k t o b e r 1901. 

1 lerr Schloff er bespricht an der Hand mehrerer Fälle die 
Vorzüge der B o 11 i n Eschen Operation bei Prostatahyper¬ 
trophie. 

Herr Lucksch: Ueber Aspergillose. 

Nach einer Einleitung über die bekannte Häufigkeit von 
Mykosen bei Diabetikern berichtet Vortragender über eine noch 
nicht bekannte Schimmelart, aus dem Bronehialbaum eines Dia¬ 
betikers gezüchtet. Bei der Sektion hatten sieh neben einer 
durch Bacillus pneumoniae Friedländer hervorgerufenen lobu¬ 
lären Pneumonie in der Trachea einige Plaques von Schiimnel- 
rasen gefunden, während die grösseren Bronchien damit völlig 
ausgckleidet waren. Der Srhimmelrasen bestand aus einem 
Aspergillus, der deutliche soptirte Hyphen und ziemlich lange, 
meist einfache Conidienträger besass, auf denen Stcrigmen Auf¬ 
sitzen, von denen sich runde Sporen abschnüren. Der Asper¬ 
gillus ist charakterisirt durch binsenförmige Auftreibungen 
seiner Hyphen, die manchmal Vacuolen erkennen lassen. Sein 
Temperaturoptimum liegt bei 32° C., er verflüssigt die Gelatine, 
sein Myoel ist weiss. Die Kulturen nehmen nach einigen 
Tagen eine grünliche Farbe an, welche später in Braun über¬ 
geht. Aus den Thiorversuchen gebt, hervor, dass er für Hühner 
und Tauhon bei Einbringung in die Luftwege pathogen ist. 
Ob er auch pathogen für Menschen ist, ist nicht zu entscheiden, 
da die Wucherung in den Bronchien nach Vergleich mit Kul¬ 
turen erst 4—5 Tage alt war und klinisch keine Symptome ge¬ 
macht hatte. 

Herr v. Ritter spricht über einen von ihm seeirten Fall von 
Aspergillusmykose der menschlichen Lunge (72 jähriges Weib). 
Es fanden sieb 3 stark verschimmelte, etwa haselnussgrosse Er¬ 
krankungsherde innerhalb des Oberlappens der rechten Lunge; als 
Erreger wurde der Aspergillus fmnigatus de Bary konstntlrt. R. 
nimmt, primäre Entwicklung linemorrhagischer Infarkte (Throm¬ 
bose der r. Ihnen) und sekundäre Verschimmelung derselben an. 

O. W. 


Aus den Pariser medicinischen Gesellschaften. 


Soci6t6 de Biologie. 

Sitzung vom 26. Oktober und 2. November 1901. 

Chipault berichtet über 57 Fälle von sacrolumbaler 
Punktion zu therapeutischen Zwecken. 9 mal war es nicht mög¬ 
lich dieselbe auszuführen wegen Verwachsungen (Rheumatismus) 
oder wegen eines subarachnoidalen Oedems (Syphilis). Von den 
restiremien 48 Fällen haben 25 ein negatives Resultat gegeben 
(Hydrocephalus. Meningitis tuborculosa. allgemeine Paralyse. 
Epilepsie), in 14 Fällen war der Erfolg ein vorübergehender und 
nur bei 4 Fällen konnte von einem wirklichen Erfolg die Rede 
sein, so dass Ch. rnth, nur mit Vorsicht und grosser Auswahl 
zu therapeutischen Zwecken die Lumbalpunktion anzuwenden. 

Netter hebt hervor, dass die Lumbalpunktion, wie jede 
therapeutische Methode, ihre Indikationen und Gegenindikationen 
hat; die Indikation derselben ist die Vermehrung des Druckes 
in der Gehirnrückenmarkshöhle, wie es besonders bei ver¬ 
schiedenen Arten von Meningitis der Fall ist; N. hat die Uober- 
zeugung, mehreren Kindern mit Meningitis cerebrospinalis das 
Leben gerettet zu haben, indem er zur richtigen Zeit eine Ent¬ 
leerung der Flüssigkeit auf lumbalem Wege vorgenommen hat. 

O d d o - Marseille berichtet über eine familiäre Muskel¬ 
erkrankung, welche sieh durch vorübergehende und recidlvirende 
Liihniung wechselnder Muskeln auszeiehnet; während der 


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2064 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 51. 


Lähmung fohlt die elektrische Erregbarkeit vollkommen. Die 
Krankheit hat Aehnlichkeit mit der Thomsen’sohen (familiären, 
periodischen Myotonie) und kann auch familiäre, periodische Myo- 
plegie genannt werden. Stern. 


XI. italienischer Kongress für innere Medicin 

in Pisa vom 27. bis 31. Oktober 1001 . 

Bnccelli eröffnet denselben und erwähnt seine Verdienste 
um die intravenöse Therapie: zuerst des Chinins bei schweren 
Formen von Malaria, in welchen jede andere Therapie frucht¬ 
los ist. dann des Sublimats. Bei diesem letzteren hätten manche 
Autoren Misserfolge erlebt, welche aber nur der mangelhaften 
Technik zu verdanken seien. Neuerdings habe sich in der 
Veterinärmediein bei einer schweren Form von Maul- und Klauen¬ 
seuche in Oivitaveceliia sowohl als in Sardinien dies nach seinen 
Angaben intravenös angewandte Heilmittel ganz ausgezeichnet 
bewährt und allenthalben habe man mit Erfolg diese Behandlung 
ausgeübt. 

M o n t i - Pavia und Guzzi l>cstätigeu diese Erfolge. 

Sanarelli und B 1 f f i theilen ihre Untersuchungsresul- 
tate über schlechte Luft bewohnter Räume mit.. Es sei durchaus 
falsch, den Kolilensäuregehalt als Index der 
Luftverunreinigung in solchen Fällen aufzu¬ 
stellen. Man habe vielmehr Rücksicht zu nehmen auf die ganze 
Reihe flüchtiger organischer Stoffe, welche in der Ausathmungs- 
luft enthalten seien und welche durch Resorption aus dem Darme 
entständen. Hier erzeugen sich während vielfacher und kons- 
plizirter putrider Processe auf Kosten der Eiweisssubstanzen eine 
Reihe flüchtiger Stoffe, welche vom Blut nur mangelhaft oxydirt, 
durch die Lungen ausgeschieden werden. Sie allein geben der 
Ausathmungsluft die verschiedenen Arten von Geruch, welche 
uns als höchst unangenehm belästigen und die wir mit muffig 
bezeichnen. Experimentell an Hunden stellten die Autoren fest, 
dass organische, wie anorganische, flüchtige vom Darm auf genom¬ 
mene» Stoffe durch die Lungen in grossen Mengen ausgeschieden 
werden können und dass diese Ausscheidung in keinem Verhült- 
steht zur Ausscheidung der Kohlensäure, deren Ausscheidung 
Immer eine bestimmte und begrenzte ist. 

Die folgenden Vorträge galten dem Thema Tuberkulose. 

M i re o 11 - Genua spricht über die haemoly tlscho 
Eigenschaft des Blutes Tuberkulöse r. “Die Initinl- 
blutungen - Tui Tuberkulose sind unabhängig von Laesionen des 
Respirationsappartes: es handelt sich um eine Form von tuber¬ 
kulöser Haemophilie. M. fand den Congulationscoefticienten des 
Blutes Tuberkulöser geringer. Ferner fand er. dass Tuberkulin¬ 
zusatz die Gerinnbarkeit des Blutes vermindert und dass diese 
Wirkung durch Maragliano’s Tuberkuloseheilserum aufge¬ 
hoben wird. Die haemoly tische Beschaffenheit des 
Blutes Tuberkulöser soll im umgekehrten Ver¬ 
hüt t n i s s zur Gerinnungsfähigkeit stehen. 

Sn nt in i spricht über die Toxicität tuberkulöser und eite¬ 
riger Exkrete und M a r a g 11 a n o betont, dass man ohne Tu¬ 
berkelbacillen allein durch Tuberkelbacillentoxlnc 
experimentell Gewebslaesionen erzeugen kann, 
wie sie der Tuberkulose e i g e n t h ti m 11 c h sind. 

lieber den diagnostischen und prognostischen Werth der 
eosinophilen Zellen im Auswurf handelt M e in m i. 

A s c o 1 i und M o r e s c h i veröffentlichen ihre Entdeckungen 
über ein proteolytisches Ferment, welches sie in 
den Leukocyten fanden. 

Evoli betont die therapeutische Wirkung des arsenigsanren 
Natrons bei der Tuberkulose. Maragliano glaubt, dass diese 
Resultate des Arsens, wie diejenigen, welche man mit anderen 
Präparaten bei der Tuberkulose erhalten kann, so zu erklären sind, 
dass diese Stoffe die Erzeugung von Antitoxinen seitens des be¬ 
fallenen Körpers befördern. 

Dessgleichen macht Cavazzani Mittheilung von seiner 
B e h a n d 1 u n g der Lungentuberkulose mit Jod in 
statu nascenti, welche er leichten wie schweren Fällen angedeihen 
lässt. Dieselbe besteht in der inneren Einverleibung eines Jod¬ 
präparates; sobald man annehmen kann, dass dasselbe sich im 
Kreislauf befindet, wird Terpentinöl eingeatlimet und so kommt, 
es zur Entwicklung von Jod in der Lunge. 

Die Jodbehandlung soll sich nach Cava z z a n 1 und 
L u c c h e s i n i auch beim T y p h u s b e w ii liron. Auch 
experimentell soll sich beim Meerschweinchen die antitoxlsche 
Wirkung gegen die Toxine des Eberth'schen Bacillus nach- 
weisen lassen. 

M e m m 1 hat eosinophile Leukocyten bei Leberechinococcus 
nnehweisen können und zwar bei 7—20 Proe. der gesummten 
Leukocyten. Bei anderen Untorleibstumoron hat man den gleichen 
Befund nie. so dass er für Ilydatiden differentialdiagnostische Be¬ 
deutung haben soll. 

R o n c a g 1 i o spricht über Herzaffektionen beim Rheuma¬ 
tismus chronicus deformans. Dieselben sind viel seltener als 
beim akuten Rheumatismus und die wenigen Fälle betreffen nur 
das Ostiurn aortae. R. fand keinen Fall mit Laesionen der 
Mitralis. 

Dies führt zu der Frage, ob es sich bei beiden Affek- 
1 innen nicht um vollständig verschiedene Krank- 
heitsagentien h a n d e 11. welche R. bejahen möchte. 

M a s s a 1 o n g o: lieber anchylosirende Arthritis der Wirbel¬ 
säule. M. ist der Ansicht, dass es nicht richtig sei, eine besondere 


Krankheitsform obiger Art aufzustellen. Es handle sich bei der¬ 
selben nur um eine Varietät der chronischen Arthri¬ 
tis. Ein Theil der Fälle gehöre in die infektiöse, ein anderer in 
die dyskrnsisehe Gruppe der chronischen Arthritis, ein dritter in 
die nervöse Gruppe. 

F e n o g 1 i o und Cesaris Demel behandeln einige moderne 
Fragen der Pathologie der Leber. Evoli handelt über die Alv- 
nahmc der Virulenz des Pneumococcus bei hoher Temperatur, 
welche er im Gegensatz zu Bnumgarten und Klemperer 
auf Grund seiner Experimente bestreitet. 

Benvenuti erwähnt einige Fälle von Gangraen durch 
Arteriitis bei Influenza und betont die dlfferentialdiagnostlscho 
Wichtigkeit dieser bei Infektionskrankheiten nicht seltenen Form 
von Gangraen gegenüber der durch Gefässembolie entstandenen. 

S c i a 11 e r o behandelt die Radioskopie der tracheo- 
bronchialen Drüsen. Bei seitlicher Durchleuchtung sind solche 
Drüsentumoren, welche fast immer tulierkulöser Natur sind, hoi 
einiger Uebung gut zur Anschauung zu bringen. 

Boeri: Feber graphische Kurven bei ver¬ 
schiedenen Formen von Tremor (in diesen Blättern ist 
die Arbeit bereits erwähnt). 

Reale: Feber den Stoffwechsel der Kohle¬ 
hydrate in Beziehung zu den oxydativen orga¬ 
nischen Processen. 

Ferranninl behandelt Formen von angeborener 
Dislocation des Herzens und A p o r 11 spricht von der 
Art der Lagerung akuter perikarditischer Ergüsse. 

Q u e i r o 1 o - Pisa: Ueber die Entstehung der Peritonitis 
(nicht der Perforationsperitonitis) beim Typhus. 

Die Propagation der Infektionsträger, meist des Bnctorium 
coli, geschieht durch die Venen der Darmwand und die perivasalen 
Lyinphräume. (Auch diese Arbeit von Qu. ist bereits erwähnt in 
dieser Wochensohr.) 

B 1 f f i und G a 11 i berichten von einem Psammogliosarkom 
des Kleinhirns. 

Ferner wollen wir noch eine Abhandlung von Massalongo: 
Ueber Myasthenie erwähnen. Kr nennt die Myasthenie vielleicht 
nicht ganz mit Recht Morbus Erb-Goldflam-Oppenheim und er¬ 
wähnt eine Statistik von 107 Fällen, mit dem von ihm selbst be¬ 
obachteten. 

Als den Herd der Krankheit bezeichnet er die motorischen 
Fentren des Bulbus und der Medulla spinalis: es sind die Stämme 
dieser motorischen Regionen, welche sich erschöpft zeigen und 
man könnte die Krankheit Neuronastlienia motoria bulbo spinalis 
nennen. 

Die meisten Autoren sind geneigt, diese Krankheilsform als 
eine Varietät, der Poliomyelitis oder Polioencephalomyelitis anzu- 
solien. aber klinisch wie nosographiseh und besonders anatomisch 
wegen des Fehlens histologischer Befunde am Nervensystem ist 
diese Krankheitsform als eine besondere aufzufassen. 

M. glaubt, dass auf anatomische und morphologische Eigon- 
thümlichkeiten, welche auf Abweichung der fötalen Entwicklung 
und auf Anomalien des Skelets beruhen, sowie auf fehlerhafter 
und unregelmässiger Vertheilung der Blutgefässe und Capillaren 
in den nervösen Centrnlorganen. mehr die Aufmerksamkeit der 
Fntersuchenden gelenkt werden müsse, um diese seltene Krank- 
heitsform einer Erklärung zugängig zu machen. 

Hager- Magdeburg-N. 


Berliner medicinische Gesellschaft. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 11. Dezember 1901. 

Demonstration: 

Herr Freund ein heute Morgen geborenes Iviud mit Hemi- 
kephalie, welches zwar asphyktisch. aber noch am Leben ist 

Herr P. Strassmann: kleines verkalktes Myom, das er 
operativ entfernt hatte. St. erinnert daran, dass diese verkalkten 
Myome sehr widerstandsfähig sind und z. B. von japanischer 
Seite eines heschrielx*n wurde, welches die Leiehenverbrennung 
überdauerte und dass er selbst eines in einem alten Etruskergrab 
in Fiesoie gefunden habe. 

Herr Finkeistein: Streptothrixpränarate aus dem 
Kinderdarm, welche er mit Bezug auf die nculichen Demonstra¬ 
tionen von Herrn Jürgens bespricht. Diese Streptothricheen 
wurden in den letzten Jahren mehrfach studirt und es zeigt sich, 
dass sie im normalen Darm noch regelmässiger gefunden werden, 
als die gewöhnlichen Bacillen. Die Kultur ist etwas schwierig: 
sie gelingt nach seinen T'ntersuehungen aber leicht, wenn man den 
Stuhl in V.. proe. Essigsäure und Bouillon überträgt, dann sterben 
die Bacillen ab und man erhält Reinkulturen von Streptothricheen. 
Dieselben sind polymorph und bilden Ketten von Stübchen un 
Forcen. 

Discussion: Herr Jürgens weist darauf hin. dass er 
seine Bakterien nicht im Dannlumen, sondern in der Dannwand 
gefunden habe. 

Tagesordnung: 

Herr Westenhoeffer: Schaumleber bei Sepsis nach 
Abort. 

Bei einer an septischem Abort verstorbenen Frau wurde neben 
zahlreichsten miliaren Eiterherdehen in allen Organen eine 


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17. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 206,1 


S e h a u m 1 c b e r, also eine mit Gasbinsen durchsetzte Leber ge¬ 
funden. ln mikroskopischen Schnitten der Leber fanden sich sehr 
reichlich »S t ä l> c li e n, welche den von W eich, N u t u 11 und 
Ernst beschriebenen gleichen, während das mikroskopische Bild 
sich von dem bei jenen Autoren dadurch unterscheidet, dass das 
Lebergewelte nur eine durch die Gasblasen bedingte mechanische 
Verdrängung, aber keine in der l-'ärbbarkeit der Zellen zum Aus¬ 
druck kommende biologische Veränderung zeigte. lJle Gasblasen 
liegen in den l’fortnderverzweigungen gleich den Bakterien, ln 
den Luugenabscesseu wurden auch spärliche Stäbchen neben reich¬ 
lichen Streptococcen gefunden. Im Uterus nur Streptococcen. 
Mit Leberstückehen geimpfte Meerschweinchen starben, aber ohne 
Gasbildung; 1 Kaninchen blieb am Leben. 

Yortr. bespricht die Geschichte der Gasbildung, welche als 
Leichenerscheinung altbekannt ist und als Fäulnissvorgang ge¬ 
deutet wurde. Dann wurden im malignen Oedem und dein 
Rauschbrand ähnliche Affektionen am Lebenden erkannt und 
deren Erreger isolirt. Endlich haben die genannten amerikani¬ 
schen Forscher den beschriebenen Bacillus gefunden, welcher 
nach den von jenen Autoren beobachteten Zellveründerungen 
schon im lebenden Blute gewesen sein muss, während in W.'s 
Fall diese Zellveränderungen fehlten. 

I) i s c u s s i o n. Herr Stadelmann: Er hat vor einiger 
Zeit bei einem an I’urpura h a e ui o r r li a g i c a leidenden 
jungen Mädchen, das an den Folgen der abundanten Blutungen zu 
Grunde ging und offenbar au einem septischen Frocesse erkrankt 
war (kleine Verletzung am Finger), aus dem Herzblut unmittel¬ 
bar nach dem Tode einen Bacillus isolirt und gezüchtet, der 
also nel>en gleichzeitig gefundenen Eitercoceeu in der Lebenden 
vorhanden gewesen war. Derselbe war mit dem von \V. eben de- 
moustritten wohl identisch und cs waren in den Leichenorganeu 
ebenfalls Gasbildungen gefunden worden. Der Bacillus bildete 
in der Kultur eine Säure, die aber nicht genau detinirt werden 
konnte; das Gas enthielt Kohlensäure, Stickstofl und ein brenn¬ 
bares Gas, wahrscheinlich Grubengas. Beendigung der Unter¬ 
suchungen wegen Eingehens der Kultur unmöglich gewesen. 

Herr Senator: Wenn es darauf ankomtue, Gasbildung am 
Leitenden festzustelleu, so habe er solche Fälle mehrfach gesehen. 
Zuerst im Feldzuge 1870 um Kniegelenk eines verwundeten Fran¬ 
zosen, dann später mehrfach an Schultergelenken. Eiuige Male 
konnten auch Bakterien miehgewleseu werden. 

Für die innere Mediein sei die Frage wichtig geworden zur 
Erklärung des ohne Verletzung des Lungengewelvs entstandenen 
Pneumothorax. 

Discussiou zum Vortrage des Herrn A. W. Freund: 
lieber Thoraxanomalien bei Phthisis und Emphysem. 

Herr Vircliow: Er habe liier eine Anzahl von Präparaten 
aus seiner Sammlung aufgestellt, an welchen die von F. be¬ 
sprochenen Veränderungen zu sehen seien. Diese Ossidcirung des 
1. ltippenkuorpels sei häutig und entweder eine schalenförmige 
oder compacte. Vor der völligen Ossitieirung sei der Knorpel 
brüchig und es kommen dann häutig sowohl Intravital als auch 
beim ilantlren mit der Leiche post mortem Frakturen vor. 
Erstere können zu Geleukbildtmgen führen. 

Dass die Verknöcherung bei alten Leuieti die Ausdehnungs¬ 
fähigkeit des Thorax schädigen könne, glaube er wohl: Schleim 
u. dergl. könnten dann wohl zuniokgehalti u worden und k »unten 
allenfalls verkäsen: doch glaube er nicht, dass diese 
Iv norpel v e rkal k u n g ein e A n 1 a g e z u r T u I »or¬ 
kul o s e b e d o it t o. 

Herr Ha nse mann: Er halte die Mitthellmigeti F.'s für 
eine Sache von grosser Tragweite, sowohl für die Lumrenspltzon- 
erkrankung als auch überhaupt für die Dispositionslelnv. Die 
Bakteriologen haben die Disposition erst ganz geleugnet, dann sie 
wieder gefunden, aber Immer nur im Sinne der Immunität. Im¬ 
munität und Disposition seien aber nicht zwei Gegensätze in dem 
Sinne, dass die Verminderung der einen Erhöhung der anderen 
bedeute. Richtig gefasst habe Liebreich diese Dinge mit dem 
von ihm eingeführtenNosoparasitisnms; er wollte damit sagen, dass 
zur Festsetzung der Bakterien eine Verminderung der Vitalität des 
Organismus gehöre. II a n s o m n n u habe dann dafür greifbare 
Dinge gesucht und ein solches In der Syphilis als einer Disposition 
zur Tuberkulose gefunden. 

In den von Freund angeführten Fällen sei daun die Ver¬ 
kürzung und Verkalkung des 1. Itippcnknorpels ein weiteres Mo¬ 
ment, welches zur Lungentuberkulose disponite. Doch sei die Ver¬ 
kürzung das Primäre und die Verkalkung erst das Sekundäre. 
Auch fänden sich die Frakturen in noch ganz weichem Knorpel 
und endigen mit Psetidartlirosenblldung. 

I Herr Vircliow: Er sehe ein, dass er Unrecht hatte, die 
; Demonstration seiner aufgestellten Präparate auf den Schluss zu 
verschieben, denn Herr II an sein au n habe ihn nicht ver- 
.• standen. 

/ Herr Cowl: Durch Freund’» Vortrag angeregt, habe er 
bei Durchleuchtung des Thorax auf den ersten ltippenknorpel mehr 
Aufmerksamkeit gerichtet. Er sei nur bei ganz kurzer Be¬ 
lichtung darstellbar. Demonstration. 

Fortsetzung der Discussion vertagt. Hans K o h n. 


Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

W icn, 14. Dezember 1901. 

Die Wiener freiwillige Rettungsgesellschaft. — Aerzte 
als Kurpfuscher. — Die Fleischprobe zur Funktionspr&fung 
des Darmes. — Ein neuer Nahtapparat. — Utensilien für 
Kranke ans Asbest. 

Die Wiener freiwillige Rettungsgesellsehaft hat tun 9. d. M. 
die zwanzigste Wiederkehr des Gründungsjahres mit einer in¬ 
timen Fest Versammlung gefeiert. Bei diesem Anlasse gab der 
jetzige Chefarzt, kaiserl. Rath Dr. Charas, einen kurzen 
historischen Rückblick über die Thätigkeit und Erfolge dieser 
Gesellschaft während ihres 20 jährigen Bestandes. Er wies auf 
Grund statistischer Daten darauf hin, dass sieh die Inanspruch¬ 
nahme der Gesellschaft seit zehn Jahren verdreifacht und seit, 
dem Bestände verfünffacht habe. Noch vor 7—8 Jahren bedrohte 
die Gesellschaft aus finanziellen Gründen stets das Gespenst der 
Auflösung, während sie heute ein schönes grosses Heim und ein 
nennenswert lies unantastbares Stammkapital ihr Eigen nennt. 
Es harren aber noch wichtige, im Wirkungskreise der Gesell¬ 
schaft gelegene Einrichtungen der Verwirklichung. IHoher ge¬ 
hören in erster Linie die Errichtung von Eilial-Sanitätsstationen, 
die Schaffung eines Unfallspitales zur Entlastung der überfüllten 
Spitäler, die Organisation eines geregelten ärztlichen Nacht¬ 
dienstes. die Verbreitung des Samariterthums und die Propa- 
girung des freiwilligen Rettungswesens in der Provinz. Wenn 
auch, meinte Dr. Charas, alle diese Postulate unter den ob¬ 
waltenden Verhältnissen als fromme Wünsche bezeichnet werden 
müssen, so will die Rettungsgesellschaft dennoch diesen Zielen 
unentwegt zustreben. Man beschloss noch, den 20 jährigen 
Gründungstag auch nach aussen damit festlich zu begehen, an 
sämmtliehcn zehn Brücken des Donaukanals in Wien und an 
den zwei rcbergangsbrüoken über die grosso Donau Rettungs- 
geräthe mit Belehrungen zur Wiederbelebung Ertrunkener auf¬ 
zustellen. — Unserer Ansicht nach obliegt die Kreirung eines 
neuen Spitalcs zur Entlastung der übrigen, überfüllten Spitäler 
und die Organisirung eines geregelten ärztlichen Nachtdienstes 
in Wien ganz anderen Faktoren als der Rettungsgesellschaft, 
während die sonstigen Zukunftspläne derselben im Interesse des 
Wohles der Bevölkerung realisirt werden sollten. 

Da schrieb vor nicht langer Zeit ein inedieinischer Jour¬ 
nalist in einer politischen Zeitung einen Aufsatz gegen die Kur¬ 
pfuscher und bemerkte zum Schlüsse folgendes: „Es gibt in 
unserem Strafgesetze keine Stelle, welche sieh auf die Kur¬ 
pfuscherei von — Aerzton seihst bezöge. Auch wäre es 
schwierig, da eine gerechte Grenze zu ziehen. Denn auf Grund 
seines Diploms hat jeder Arzt die Berechtigung, seine Behand¬ 
lungsmethoden zu wählen, wie er will. Wenn es ihm passt, seine 
Patienten mit magnetisirten Mixturen zu behandeln, so hat er 
zwar dadurch persönlich auf jede wissenschaftliche Achtung Ver¬ 
zicht geleistet, aber er kann dafür nicht zur Verantwortung ge¬ 
zogen werden, vorausgesetzt natürlich, dass seine Kuren nicht 
offenbar schädlich sind. Und da gibt es auch keine Reinedur 
d ureli 7 wa ngsinu assregel 11 . 

Auch wir glaubten, dass gegen ärztliche Kurpfuscher 
unter obenerwähnten Verhältnissen bloss die betreffende Aerzte- 
kammer, aber keineswegs die Strafrichter einsehreiten könnten. 
Vor einigen Tagen wurden wir aber eines Besseren, belehrt. 
Ein Arzt, Dr. Moriz Oppe n haue r, wurde vom Bezirksgericht 
„wegen Tlieilnahme an Kurpfuscherei“ zu einem Monate Arrest, 
der Kurpfuscher selbst zu derselben Strafe verurtheilt. Der 
Fall war ein unsäglich trauriger. Es handelte sieh um die Appli¬ 
kation des sogen, thierisehen Magnetismus seitens eines gerichts¬ 
bekannten Individuums, das sieh mit dem Herrn Doktor zu- 
sainmenthat, in der Meinung, dass ihm nun die Behörde nichts 
anhaben könnte. Bei der Verhandlung sagte der Kurpfuscher, 
er sei von Dr. O. als Magnetiseurgehilfe mit 160 Kronen Monats¬ 
gehalt angestellt worden, er besitze eine magnetische Kraft, mit 
welcher er Kranke gesund machen könne. Dagegen wurde kon* 
statirt, dass der Herr Doktor bei den Ordinationen (es sollen 
täglich 50—60 Kranke in diese „Ordinationen“ gekommen sein) 
eine passive Rolle gespielt habe. Ueber Befragen dos Richters, 
wie der Herr Doktor zu dem Magnetismus gekommen sei, sagte 
er, dass ihm in Innsbruck, wo er studirte, ein altes Buch in die 
Hände gefallen sei, welches vom Magnetismus handelte; den 



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ffo. 61 . 


2066 


MUEffCHEffER MffDlClfflSCÜE WOCffEffSCffRlEf. 


Autor des Werkes habe er vergessen, aber auch an den Inhalt 
erinnere er sich nicht mehr. Mit rührender Offenheit gestand 
also der Doktor, der nach den Zeitungsberichten schon ein alter 
Herr ist, dass er vom Magnetismus nichts wisse. 

Und wohl nur darum, wegen Förderung und wirksamer 
Unterstützung eines Kurpfuschers, erfolgte die Verurtheilung 
des Arztes. 

Erst jüngst proinulgirte die Wiener Aerztckammer, dass sie 
dem der Kammer angehörigen Dr. J e z (nebenbei bemerkt 
einem wissenschaftlich tliätigen jungen Arzte) wegen schwerer 
Verletzung der Standesehre durch Deckung der Kurpfuscherei 
eines Laien und seine der Würde des ärztlichen Standes wider¬ 
sprechende Association mit demselben die Strafe der Entziehung 
des aktiven und passiven Wahlrechtes auf die Dauer von drei 
Jahren auferlegt habe. 

ln der Gesellschaft der Aerzte besprach Dr. Walter Zweig 
„die Fleischprobe zur Funktionsprüfung des Darmes“. Wenn 
man zu 10 ccm Magensaft von normaler Acidität und normalem 
Fermentgehalt ein Stückchen rohes Bindegewebe hinzuthut und 
das Ganze der Wärme des Thermostaten aussetzt, so findet man, 
dass schon nach zwei Stunden das Bindegewebe zerbröckelt und 
endlich sich vollständig auflöst. Nimmt man jedoch statt Binde¬ 
gewebe ein Stückchen Muskelfleisch, so kann man das Muskel¬ 
gewebe selbst nach 24 Stunden unverändert im Magensaft liegen 
sehen. Nimmt man 10 ccm Pankreassaft und gibt das Muskel- 
Üeisch hinein, so wird es nun rasch zerfallen und sich auflösen, 
während in dieses Dünndarmsekret gelegtes Bindegewebe unver¬ 
ändert bleibt. Auf diesen Antagonismus basirt der Vortragende 
seine „Fleischprobe“. Er lässt also den Patienten am Abend 
100 g in Würfel gehacktes, rohes Beefsteakfleisch mit etwas Salz 
angemacht nehmen und untersucht nun die beiden nächsten 
Stühle mittels des Boas'sclien Stuhlsiebs. In etwa 5 Minuten 
lässt sich dabei ein Stuhl vollkommen durchsieben. Das, was 
auf dem Siebe bleibt, lässt uns auf eine event. Störung seitens 
des Magens (Bindegewebsreste) oder des Dünndarms (Reste von 
Muskelfasern) sehliessen. Eine starke Vermehrung des Binde¬ 
gewebes im Stuhlreste weist also auf eine Störung der Magen¬ 
verdauung hin, eine Vermehrung der Muskelmassen auf eine 
schwere I)armnSektion. Gewöhnlich wird letztere im Zusammen¬ 
hang mit den anderen bestehenden Symptomen als chronischer 
Dünndarmkatarrh aufgefasst werden können. In therapeutischer 
Hinsicht werden wir bei positivem Ausfall der Fleischprobe 
das Fleisch nur in ganz fein vcrtheiltem Zustand verabreichen 
lassen. 

Einen neuen Nahtapparnt. zeigte Primararzt Dozent Dr. 
R. F rank. Fis ist dies Dr. P. M i c h c l’s Apparat zur Wund- 
vereinigung. Er besteht aus 1 cm langen, 2Ys mm breiten Klam¬ 
mern aus Nickelblech. Die Blättchen sind an den Enden ein¬ 
gerollt und tragen an diesen je eine kleine Spitze. Mit einer 
Pinzette werden die Klammern über den einander genäherten 
und mit einer zweiten Pinzette fixirten Hauträndern zusammen¬ 
gebogen, die Spitzen greifen in die Haut und halten die Ränder 
exakt aneinander. Zur Entfernung der Klammern dienen Häk¬ 
chen. Nach längerer Erprobung kann Vortrag, die Schnelligkeit, 
Leichtigkeit und Exaktheit der Naht gegenüber der Seidenknopf- 
naht rühmend hervorheben. Der Hauptvortheil ist jedoch, dass 
bei dieser Methode die Aseptik strikte gehaudhabt werden kann, 
es gibt überdies keine die Haut durchsetzenden Stichkanäle, so¬ 
mit auch keine Eiterung derselben. Auch die Narben der kleinen 
Wunden sind schöner als die bei der Knopfnaht. Er empfiehlt 
die M i c h e l’schen Klammern, die sich auch von den Serres 
fines vorteilhaft unterscheiden, den praktischen Aerztcn, zumal 
den Chirurgen, auf’s Beste. 

Endlich zeigte Dr. J. Kornfeld in einer „Zur Prophy¬ 
laxe der Tuberkulose“ betitelten vorläufigen Mittheilung eine 
ganze Reihe Utensilien der Krankenpflege und die Gebrauchs¬ 
gegenstände Tuberkulöser, also Spuckschalen, Leibschüsseln, 
Lavoirs, Zungcnspatel, Eitertassen, Sterilisationsöfen etc., welche 
sämmtlich aus fast reinem Asbest (95 Proc.) hergestellt werden. 
Dieses Material ist ungemein plastisch und leicht zu verarbeiten, 
auch Katheter sind aus Asbest herstellbar, sodana brennt es 
nicht, lässt sich dagegen leicht ausgliihen, endlich ist das Roh¬ 
material ungemein billig, so dass der Herstellungspreis einer 
Spuckschale circa 2—4 Heller, der eines Sterilisationsbeckens 
bloss 40 Heller beträgt. Die verlässlichste Unschädlichmachung 
des keimführenden (tuberkelbacillenhaltigen) Inhaltes geschieht 


beim Asbest durch das Feuer, durch welches aber die Utensilien 
selbst nicht im Geringsten einen Schaden oder eine Veränderung 
erleiden. 


Verschiedenes. 

Der Papst und die moderne Medicin. 

Wer hätte erwartet, dass Leo XIII. sich lebhaft für die medi- 
einisehen neuesten Entdeckungen luteressirlV Vor einigen Tagen 
sah mau seinen Leibarzt Dr. Lapponi in seine Privatgemächer 
eintreten mit Zeiss’schem Mikroskop und allem Zubehör. Es 
galt, Sr. Heiligkeit die mikroskopischen Infektionsträger der be¬ 
kanntesten Infektionskrankheiten zur Anschauung zu bringen, den 
Typhus-. Tuberkulose-, Diphtherie-, Milzbrandbacillus, den Pneumo- 
coccus, die Slnphylococcen, die Malariaplasmodien u. n. Der Paps», 
welcher Myop ist, beschäftigte sich lange mit dem Mikroskop und 
es gelang sehr gut. ihm alle Pilze zu demoustrireu. Er zeigte sich 
ausserordentlich wissbegierig bezüglich der Isolirung, der Fürbo- 
technik und iiess sich unterrichten über die Art ihrer Vermehrung, 
ihres Eintritts in den menschlichen Körper und über die neuesten 
Methoden, ihrem verderblichen Wirken Einhalt zu Ihm», (Gazzotta 
degli osped., No. 121, MOL) II. 

Therapeutische Notizen. 

Europhen hat Prof. II a t c h am (ienuan West Side l>is 
peusary zu Ncw-York an Stelle des Jodoform mit Erfolg bei Nasen- 
und Kaeheukrankbeiten, besonders lxü tuberkulöser Laryngitis an 
gewendet. In dem Zeiträume von 1S9Ö—1898 hat er im Ganzen 
4017 Fülle behandelt, darunter 20S3 mit Jodoform oder mit Euro¬ 
phen in Aetberlösung. und zwar 1225 mit Jodoform und 145S mit 
Europhen. Die erzielten Resultate waren zwar sowohl auf der 
einen, wie auf der anderen Seite günstig; doch war II. von dem 
Europhen ganz besonders befriedigt, einerseits wegen seiner Vor¬ 
züge (Geruchlosigkeit, leichteres Gewicht, absolute Reizlosigkeit i. 
andererseits wegen der raschen Wirkung, die ganz besonders in 
speeilischen Fülleu hervortrat. Im Ganzen sind die Erfahrungen 
mit dem Europhen so günstig ausgefallen, dass 11. seit 1898 sieh 
ausschliesslich des Europiums bedient. (AHg. med. (Vntralztg. 
UHU, No. 80.) P. H. 


Tagcsgeschichtlicbe Notizen siche S. 2094. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

Berufen: Vom 1. Januar 1902 an zu der Funktion eines Mit¬ 
gliedes des Kreismedieinal-Aussehusscs von Oberbayern der Land¬ 
gerichts» rat, ausserordentl. l'niversitäts-professor Dr. Moritz Hof- 
inann in München. — Der Beziiksarzt. a. I>. Dr. Georg Reiter 
in Landshut, wurde seiner nlleruntcrthUuigsten Bitte entsprechend, 
vom 1. Januar 1902 an unter Allerhöchster Anerkennung seiner 
langjährigen und erspricsslichen Dienstleistung von der Funktion 
eines Mitgliedes des Kreistucdieiual-Aussehusses von Niederbayern 
enthoben und zu derselben der Bezirksarzt Dr. Joseph Spaotli 
in Landshut berufen. 

Abschied bewilligt: dem Stabsarzt Dr. Schuster fi la suite 
des Saultütscorps mit der gesetzlichen l'ensiou und der Erlaubnis 
zum Forttragen der Filiform mit den für Verabschiedete vor¬ 
geschriebenen Abzeichen; von der Landwehr 1. Aufgebots dem 
Oberarzt Dr. Christian v. Reit z (Passau) und dem Stabsarzt 
Dr. Karl Schirmer (Kissingen), Beiden mit der Erlaubuiss zuui 
Tragen der Uniform mit den für Verabschiedete vorgeschriebeneu 
Abzeichen; von der Landwehr 2. Aufgebots dem Stabsarzt Dr. Ger¬ 
hard Buss (Aschaffenburg), den Oberärzten Dr. Eugen Miller 
(Augsburg) und Dr. August Klesser (Aschaffenburg). 

Erledigt: die Bezirksarztstelle I. Klasse in Wegscheid. Be¬ 
werber um dieselbe haben ihre vorschriftsmiissig belegten Gesuche 
bei der ihnen Vorgesetzten K. Regierung, Kammer des Innern, bis 
zum 27. Dezember 1. Js. einzureichen. 

Verzogen: Dr. Felix Neu mann von Abenberg nach Mühl¬ 
hof, Bezirksamt Scliwabnch. 

Oestorben: Dr. Carl Pirazzi in Schlüsselfeld. Bezirksamt 
Höchstadt a. A. 

Befördert: zu Stabsäraten die Oberärzte Dr. Joseph Hauck 
(Rosenheim), Dr. Gustav Fischer und Dr. Hugo W o 1 f f (Hof) 
von der Reserve; die Oberärzte Dr. Siegfried Mankiewitz 
(Hof). Dr. Wilhelm Krem er (Zweibrücken) und Dr. Ludwig 
Schaumberg (Landau) von der Landwehr 1. Aufgebots; zu 
Assistenzärzten in der Reserve die Unterärzte Ludolf Engelke 
(I. München), Friedrich Hundhausen (Wasserburg), Dr. Adolf 
II o t z und Heinrich M ayer (I. München), Johann Tappeser 
(Würzburg), Otto Thaler und Hans Knoll (I. München». 
Gustav Wollner (Nürnberg), Otto Sauer (Ludwigshafen), 
llans Reitz (Straubing), Dr. Maximilian Klar (I. München). 
Dr. Otto Michael (Hof), Dr. Karl Mattig und Dr. Wilhelm 
Rüper (Würzburg); ln der Landwehr 1. Aufgebots die Unterärzte 
Karl Freiherr Lochner von Hüttenbach genannt 
Heusslein von Eussenheim und Gustav V a 11 e r 
(I. München). 


Verlag von J. F. Lebmaup. iu Muuchcu. — Oruek von E. MuliUliuler - * ßucli- uu 1 Uuiisitlnickerol A.O., München. 

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»., Aiuucuen. 

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DIo ilflnoh. Mod. Wochenschr. erscheint wflchenü. H IT T*Y'\T/’'1 I I IjIXT I il I > Zusendungen «lnd in adreadren: Für dl« BedMtlon 

in Nummern von durchschnittlich 6-6 Bogen. VI I \l , I - I H, \ li, rf, Ottoainaae t. — Für Abonnement an J. F. Leh- 

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Ins Ausland 7.60 JL Einzelne No. 8) •}. an Rudolf Mosse, Promenadeplats 16. 

MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 

(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 

Heraasgegeben von 

Cb. Bhiler, 0. Belllnier, H. CerschiMB, C. Bwlirdt, 6. Merkel, J. i. Nickel, H. v. Riebe, F. i. Wleckel, H. i. Zleessei, 

Fretburg L B. Mönchen Leipzig. Berlin. Nftmberg. Berlin. München. Münohm. München. 


No. 52. 24. Dezember 1901. 


Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostrasse 1. 
Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20. 


48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus dem pathologisch-anatomischen Institut zu Dresden 
(Medicinalrath Dr. S c h m o r 1). 

Moderne Immunitätslehre 

mit besonderer Berücksichtigung der für den praktischen 
Arzt wichtigen Immunisirungen.*) 

Von Dr. Weichardt, Assistenten am Institut. 

Die Aufgabe, welche ich mir gestellt habe, die moderne 
Immunitätslehre einfach, klar und leicht verständlich zu be¬ 
handeln ist keine leichte; denn die Entwicklung dieses neuesten 
Zweiges unserer Wissenschaft ist gerade in der allerjüngsten 
Zeit eine so rapide, ich möchte fast sagen sich überstürzende 
geworden, dass es selbst dem Fachmanne nicht immer leicht wird, 
über alle auf ihn einstürmenden Fragen volle Klarheit zu er¬ 
langen. 

Um Sie sofort in medias res zu versetzen, erlauben Sie, 
dass ich Ihnen eine der augenfälligsten Antitoxinreaktionen vor 
Augen führe. Sie sehen dort ein Reagensröhrchen mit frischem 
Blute, dem ich etwas Toxin der Ricinuspflanze zugefügt habe. 
Sie sehen die schädigende Wirkung des Ricins auf das Blut: 
Die rothen Blutscheiben sind agglutinirt und grösstentheils zer¬ 
stört, so dass das Haemoglobin in das Serum übergegangen ist 
und das Blut lackfarben erscheint. 

Im anderen Röhrchen sehen Sie die gleiche Menge Kanin¬ 
chenblut mit derselben Quantität Ricin und einigen Tropfen 
Serum eines Kaninchens, das vorher mit wieder¬ 
holten Einspritzungen von Ricin behandelt worden 
ist. Dieses Röhrchen zeigt im Gegensatz zum ersten Röhrchen 
kein lackfarbenes Blut. Das Haemoglobin ist vielmehr in den 
rothen Blutkörperchen geblieben. Warum? 

In den wenigen Tropfen Serum des mit Ricin vorbehandelten 
Kaninchens muss ein Stoff sein, ein Antitoxin, das die blut¬ 
lösende Toxinwirkung des Ricins aufhebt. 

Genau dasselbe, was ich Ihnen hier mittels des Ricinanti- 
toxins demonstrirt habe, dass nämlich ein Toxin durch ein im 
Thierkörper gebildetes, ganz specifisches Antitoxin unschädlich 
gemacht werden kann, genau dasselbe Experiment nimmt be¬ 
kanntlich ein Jeder vor, der einem Diphtheriekranken Heilserum 
injizirt. 

Naturgemäss waren der Forschung mannigfache Irrwege 
nicht erspart, ehe auf diesem Gebiete einige Klarheit geschaffen 
werden konnte. 

So stellte sich Pasteur vor, dass die Mikroorganismen 
bei ihrem Wachsthum im Körper die ihnen nothwendigen Nähr¬ 
stoffe verbrauchen, so dass dann die Krankheitserreger aus 
Mangel an Nährstoffen im Organismus nicht weiter zu wuchern 
vermögen. Andere Autoren glaubten, dass die beim Wachsthum 
der Mikroorganismen sich anhäufenden Stoffwechselprodukte das 
weitere Wuchern der Krankheitserreger im Körper verhinderten. 

Flügge und seine Schüler stellten dagegen durch exakte 
Untersuchungen fest, dass keine dieser Hypothesen zutreffend ist. 

Auch die Annahme einer direkten Umwandlung der Toxine 
in Antitoxine im Körper erwies sich als unhaltbar. 

*) Vortrag, gehalten am 19. Oktolier 1901 in der Gesellschaft 
für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

No. 52. 


Erst mittels der E h r 1 i c h’schen Seitenkettentheorie scheint 
es möglich, die komplizirten Vorgänge der künstlichen Immuni¬ 
tät in befriedigender Weise zu erklären. 

Gestatten Sie daher, dass ich Ihre Aufmerksamkeit auf 
diese hochgeistvolle Theorie E h r 1 i c h’s lenke, die sich in vielen 
Fällen sogar von heuristischem Werthe gezeigt hat. 

Schon W e i g e r t wies von seinem pathologisch-anatomi¬ 
schen Standpunkte aus darauf hin, dass der Organismus eine 
Schädigung mittleren Grades irgend eines seiner Bestandtheile 
nicht nur compensirt, sondern in der Regel übercom- 
p e n s i r t. Am deutlichsten kommt dieses Verhältniss zur Gel¬ 
tung bei der reichlichen Callusbildung nach Knochenfrakturen. 

Genau wie der geschädigte Knochen, überproducirt auch 
die durch Toxin geschädigte Zelle. 

Wie findet diese Schädigung der Zellen durch Toxine statt? 

Eine Giftwirkung auf die Zelle ist selbstverständlich nur 
dann möglich, wenn ein bestimmtes Toxin überhaupt am Zell¬ 
protoplasma einen Angriffspunkt finden kann. Auf dem voll¬ 
kommenen Fehlen aller Angriffspunkte am Zellprotoplasma be¬ 
ruht die Immunität gewisser Thierspecies gegen einige Toxine. 

So z. B. die Immunität des Hundes gegenüber dem Botulis¬ 
mustoxin, dem Gift, welches bekanntlich von einem wohlcharak- 
terisirten Bacillus in verdorbenen Würsten producirt wird. 

So findet auch das Toxin des Tetanusbacillus nur Angriffs¬ 
punkte an gewissen Zellen des Nervensystems. Diese Angriffs¬ 
punkte, diese Atomgruppen des Zellprotoplasmas, welche ein be¬ 
stimmtes Toxin an sich fesseln, verankern, nennt Ehrlich 
Receptoren. 

Werden diese Receptoren von Toxinen verankert, so be¬ 
deutet das eine Schädigung im Zellleben. 

Nach dem schon erwähnten biologischen Gesetze der Ueber- 
kompensation werden die Receptoren von den geschädigten Zellen 
ersetzt — nicht nur einfach, sondern mehrfach. Der Ueberschuss 
der zu reichlich gebildeten Receptoren gelangt in’s Blut. Je 
mehr von diesen Receptorengruppen in das Blut gelangen, um¬ 
somehr Antitoxineinheiten besitzt das Blutserum des betreffenden 
Individuums, um so hochwerthiger ist das Heilserum. 

Sind einem Pferde starke Diphtherietoxine, gewonnen aus 
hochvirulenten Diphtheriestämmen, wiederholt injicirt worden, 
so enthält das Blutserum des betreffenden Thieres reichlich Diph¬ 
therieantitoxin. Injizirt man einem Diphtheriekranken früh¬ 
zeitig genügende Mengen dieses Heilserums, so werden nur die 
Toxine der Diphtheriebacillen gebunden, somit für die Körper¬ 
zellen unschädlich, nicht etwa die Bacillen selbst vernichtet, wie 
fälschlich hie und da angenommen wird. Vermehren sich doch 
diese im reinen Diphtherieheilserum sogar! 

Freilich verlieren die Diphtheriebacillen, so lange sich ge¬ 
nügende Mengen dieser Antitoxine vorfinden, ihre deletäre Be¬ 
deutung für den Körper und werden ebenso harmlos wie Sapro- 
phvten. 

Anders liegen die Verhältnisse in solchen vorgeschrittenen 
Fällen, in denen die Toxine bereits eine mehr oder weniger feste 
Bindung mit den Receptoren des Zellprotoplasmas im er¬ 
krankten Körper eingegangen sind. 

Es ist unschwer einzusehen, dass in derartigen verschleppten 
Fällen nur ganz ausserordentlich grosse Doseja hochwerthigen 
Serums bisweilen noch im Stande sind, die Toxino ihren festen 
Verankerungen mit dom Zellprotoplasma zu entreissen. 

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2096 


MUENCHENER MEDIOINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


Zu prophylaktischen Injektionen sind natürlich nur kleine 
Dosen des Heilserums erforderlich, da die Toxine etwa sich ein¬ 
nistender Diphtheriebacillen sofort unschädlich gemacht werden, 
ehe sie der Kreislauf zu den lebenswichtigen Körperzellen führt. 

Gleich Vorzügliches leistet das prophylaktisch in- 
jizirte Tetanusantitoxin. Dagegen lassen die thera¬ 
peutischen Erfolge des Tetanusserums, wie bekannt, noch recht 
viel zu wünschen übrig. Denn die Toxine des Tetanusbacillus 
finden, wie R a n s o m am B e h r i n g’sehen Institute nach¬ 
gewiesen hat, nur in bestimmten Zellen des Centralnervensystems 
geeignete Receptoren, sie concentriren gleichsam ihre deletäre 
Wirkung auf dieses lebenswichtigste der Organe, während sie 
die anderen Körperzellen gänzlich intakt lassen. R a n s o m 
konnte nämlich bei an Tetanusintoxikation verendeten Thieren 
das Tetanusgift in allen Organen nachweisen, mit Ausnahme des 
Nervensystems. Dort war das Toxin an die Zellen fest ver¬ 
ankert. Roux und W assermann injizirten ein mit Gehirn¬ 
masse verriebenes Tetanustoxin einem Thiere und beobachteten 
toxische Wirkung nicht mehr. Es waren also hier die Toxine des 
Tetanusbacillus von den Receptorengruppen der mitinjizirten 
Himmasse schnell verankert und unschädlich gemacht worden. 
Die gesammte Giftmenge der Tetanusbacillen concentrirt dem¬ 
nach, wie schon erwähnt, ihre deletäre Wirkung auf eine be¬ 
schränkte Anzahl überaus lebenswichtiger Zellen. Dazu kommt 
noch, dass das Tetanustoxin, wie experimentell von Doenitz 
nachgewiesen ist, sehr viel schneller als das Diphtherietoxin an 
die entsprechenden Receptoren der Ganglienzellen verankert wird. 
Fand doch Doenitz, dass eine Stunde nach der Einverleibung 
des Tetanusgiftes, um das infizirte Thier zu retten, 24 mal so viel 
Tetanusheilserum nöthig war, als wenn Heilserum sofort mit dem 
Tetanusgifte zusammen eingespritzt wurde. 

Doch muss ich nunmehr wieder auf die E h r 1 i c h’sche 
Seitenkettentheorie zurückkommen. 

Wie schon öfter erwähnt, nimmt Ehrlich im Zellprotoplasma 
besondere, die Toxine verankernde Atomgruppen — die Recep¬ 
toren — an. Ferner unterscheidet er an den Toxinen eine hapto- 
phore und eine toxophore Atomgruppe. 

Die haptophore Gruppe hat die Fähigkeit das Toxin an die 
auf sie abgestimmte Receptorengruppe des Zellprotoplasmas zu 
fesseln. 

Der toxophoren Gruppe kommt die Giftwirkung des be¬ 
treffenden Toxins zu. 

Die toxophore Gruppe des Toxins ist im Gegensatz zur hapto- 
phoren wenig haltbar, wird durch Wärme und mit der Zeit zer¬ 
stört. Das Toxin wird dann in eine ungiftige Modifikation, in 
das Toxoid umgewandelt. In diesem ist die haptophore Gruppe 
dieselbe wie im Toxin geblieben. 

Da nun, wie wir soeben gesehen haben, die resistentere hapto¬ 
phore Gruppe der Toxine auf die Receptoren des Zellprotoplasmas 
einwirkt, so ist nur sie es, die haptophore Gruppe, welche eine 
Vermehrung und Abstossung der Receptoren anregt. 

Es ist demnach, da die durch Wärme veränderten Toxine, die 
ungiftigen Toxoide, diese haptophore Gruppe unverändert bei¬ 
behalten, die Möglichkeit gegeben, durch wiederholte Einführung 
ungiftiger Toxoide Immunkörper gegen die Toxine herzustellen. 

Dieser Umstand ist für die Immunserumgewinnung von 
ausserordentlicher Wichtigkeit geworden. 

Uebrigens ist auch der menschliche Magen und Darmtraktus 
im Stande Toxine in ungiftige Toxoide umzuwandeln. Diese 
bequeme und unschädliche Methode, im Körper Immunstoffe zu 
erzeugen, dürfte in Zukunft werthvoll werden. 

Bei seinen Studien über die Werthbestimmung des Diph¬ 
therieheilserums konnte sich Ehrlich auf das Genaueste von 
verschiedenen Toxinvarietäten in dem einheitlich erscheinenden 
Diphtherietoxin überzeugen. Diese Toxinvarietäten haben, wie 
erwiesen ist, dieselbe haptophore, aber verschiedene toxophore 
Gruppen. So produciren die Diphtheriebacillen häufig neben 
dem typischen Toxin das Toxon, auf dessen Rechnung vor allen 
die post diphtherischen Lähmungen zu setzen sind. 

Um diese Verhältnisse dem Verständnisse näher zu rücken, 
sei es mir gestattet, einen von Ehrlich gebrauchten Vergleich 
heranzuziehen: 

Denken Sie sich, dass einem Gemische von Essigsäure und 
Salzsäure allmählich Alkali hinzugesetzt wird. Was geschieht? 
Zuerst wird das Alkali die stärkste Säure, die Salzsäure, binden. 

Genau dasselbe geschieht, wenn durch Antitoxin das nicht 
einheitliehe Diphtherietoxin gesättigt wird. Zunächst ver¬ 
ankert sieh das typische Toxin, dann erst das Toxon. 


Wie wir gesehen haben sind die Antitoxine eines Ser ums 
nichts weiter, als die in das Blut abgestossenen Receptoren¬ 
gruppen. 

Metschnikoff und seine Schule bewiesen durch zahl¬ 
reiche, mit vielem Scharfsinn durchgeführte Arbeiten, direkt, 
dass die Immunkörperbildung in den Leukocyten vor sich geht. 

In Deutschland neigen die Führenden mehr der Ansicht zu, 
dass die Leukocyten recht wohl als Immunkörper bildende Zellen 
anzusehen sind, dass aber auch andere Organzellen bei der 
Immunkörperbildung eine Rolle spielen. 

J edenfalls produziren, wie die Versuche von Pfeiffer und 
W assermann lehren, die verschiedenen Organe zeitlich 
und quantitativ in sehr verschiedener Weise Immunkörper: Die 
letztgenannten beiden Gelehrten konnten mittels direkter 
Titrirung der Antitoxine zeigen, dass bei Typhus und Cholera 
die Immunkörper in den blutbildenden Organen pro- 
duzirt werden. Bei der Pneumonie erscheinen die Immunkörper 
in grösserer Menge zuerst im Knochenmark. Auffallender Weise 
kann man, wie W assermann hervorhebt, in Uebereinstim- 
mung mit diesem Befunde, vor der Krise bei Pneumonie ver¬ 
mehrte Knochenmarkelemente im Blute nachweisen. Das 
Knochenmark also ist wahrscheinlich in allererster Linie für den 
Eintritt der Krisis bei Pneumonie ausschlaggebend. 

Auf zwei wichtige Punkte in der Wirkungsweise der Anti¬ 
toxine möchte ich hier noch besonders eingehen: 

Alte Theorien über ihre giftzerstörenden oder ausbalanciren- 
den Eigenschaften mussten fallen, als es Ehrlich gelang, 
direkt nachzuweisen, dass die Toxinwirkung durch das Antitoxin 
auch ausserhalb des Organismus, im Reagensglase, aufgehoben 
wird, und dass dieser Vorgang ein rein chemischer ist. 

Dieser chemische Vorgang wird in der Wärme beschleunigt, 
in der Kälte verzögert. In concentrirten Lösungen erfolgt er 
schneller als in verdünnten. 

Der zweite wichtige Fortschritt, welcher aus den Ehrlich’- 
schen Arbeiten über die Werthbestimmung des Diphtherieheil¬ 
serums resultirt, war die Erkenntniss, dass die Toxine und Anti¬ 
toxine dem Gesetze der Multipla unterworfen sind, d. h. Toxine 
und Antitoxine binden sich in dem Verhältnisse einer reinen 
Aequivalenz: wenn nämlich eine bestimmte Menge Toxin vou 
einer bestimmten Menge antitoxinhaltigen Serums gebunden 
wird, so wird die 5 fache, ja die 100 fache Menge Toxin auch von 
der 5 resp. genau 100 fachen Menge Heilserum unschädlich ge¬ 
macht. Auf diesem Gesetze beruht die leichte und sichere An¬ 
wendbarkeit der antitoxischen Sera, ihre praktische Bedeutung. 
Leider ist man, wie wir sehen werden, bei den baktericiden 
Immunseris nicht in gleich günstiger Lage. Hier liegen die 
Verhältnisse viel komplizirter. 

Um dies gründlich erörtern zu können, bedarf es allerdings 
einiger weiteren theoretischen Ausführungen. Die Basis der 
Forschung in dieser Richtung bildet der sogen. P f e i f f e Fache 
Versuch: 

Sie sehen unter dem einen dort aufgestellten Mikroskope im 
hängenden Tropfen die Bacillen einer virulenten Typhuskultur 
in vollständig intaktem Zustande lebhaft beweglich das Gesichts¬ 
feld durcheilen. Unter dem anderen Mikroskope sehen Sie 
Typhusbacillen der gleichen Kultur zumeist in glänzende Kügel¬ 
chen zerfallen. Die Beweglichkeit der noch als Bacillen zu er¬ 
kennenden ist erloschen — sie liegen zusammengeballt, todt im 
Gesichtsfelde. 

Dieses zweite Präparat ist auf folgende Weise gewonnen: 

Ein Kaninchen wurde wiederholt mit Injektionen kleiner, 
nicht tödtlicher Dosen von Typhusbacillen vorbehandelt. Die 
vor etwa einer Stunde diesem Kaninchen in die Peritonealhöhle 
injizirten Typhusbacillen wurden einige Zeit nach der Injektion 
mittels Isäeff’scher Kapillare der Bauchhöhle wieder ent¬ 
nommen und unter das Mikroskop gebracht. 

Es hatte sich bei dem so behandelten Kaninchen ein Immun¬ 
serum gegen Typhusbacillen gebildet. Dasselbe wirkt aber nicht, 
wie das Diphtherieheilserum, gegen die Produkte der 
Bacillen, sondern gegen die Bacillen selbst. Wie 
kommt das? 

Erst die allerjüngsten Forschungen B o r d e t’s und Ehr- 
1 i c h’s über die Haemolysine haben vermocht, hierüber einige 
Aufklärung zu geben: Injizirt man einem Meerschweinchen 
wiederholt Kaninchenblut, so treten in dem Blute des Meer¬ 
schweinchens Stoffe auf, welche die rothen Blutkörperchen des 
Kaninchens auflösen. 


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24. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2097 


Ich habe in einem der Mikroskope ein solches haemolysirtes 
Blut aufgestellt. Sie sehen, wie die rothen Blutkörperchen zer¬ 
stört sind, ihr Haemoglobin in das Serum ausgetreten ist. 

Diese sich bildenden Haemolysine sind streng spezifische, 
d. h. sie wirken nur auf die rothen Blutkörperchen, auf keine 
andere Zellart des Körpers ein, und zwar nur auf die rothen 
Blutscheiben derjenigen Species, durch deren Blut sie erzeugt 
worden sind. 

Bald nach der Entdeckung der Haemolysine zeigte es sich, 
dass der thierische Organismus auch nach Injektion anderer 
Zellelemente in ähnlicher Weise reagirt wie nach Injektion von 
rothen Blutkörperchen. Es bilden sich auch hier spezifische 
Immunkörper, die sogen. Cytotoxine; denen übrigens auch das 
Haemolysin zuzurechnen ist. 

So bildet z. B., wie Metschnikoff zeigte, der thierische 
Organismus nach Injektion von Spermatozoen Spermatoxin, 
welches die Bewegungen der Spermatozoen momentan zum Still¬ 
stand bringt. — Unter Mikroskop 5 und 6 sehen Sie die Wirkung 
des Spermatoxins. 

Ferner gelang es v. Düngern durch Injektion von 
Flimmerepithel aus den oberen Luftwegen des Ochsen bei Ka¬ 
ninchen ein Cytotoxin zu erzeugen, das die Flimmerbewegung 
dieser Cylinderzellen sofort aufhebt. Bald folgte die Entdeckung 
des Nephrotoxins, das die Parenchymzellen der Niere zerstört 
und bei den Versuchstieren parenchymatöse Nephritis hervor¬ 
ruft. Sodann wurde durch Injektion von Nervensubstanz Neuro¬ 
toxin erzeugt, das eine schwere Schädigung des Nervensystems 
hervorruft. 

Durch Injektion von Kaninchenlymphdrüsen erhält man 
Leukotoxin, welches die weissen Blutkörperchen auflöst. Das 
Leukotoxin ist der Ausgangspunkt einer grossen Reihe von 
Forschungen der M e t s c h n i k o f f’schen Schule geworden, 
denn es zeigte sich, dass der Organismus, genau nach dem oben 
schon erwähnten, von Weigert zuerst formulirten Gesetze der 
Ueberkompensation massiger Schädigungen, auf die Injektion 
geringer Dosen von Leukotoxin mit einer enormen Ueberproduk- 
tion von Leukocyten antwortet. Da nun die Leukocyten ganz 
entschieden als die Hauptproduzenten der Immunkörper und 
als eine vorzügliche Waffe des Körpers gegen Mikroorganismen 
anzusehen sind, so lag es nahe, durch Anhäufung von Leuko¬ 
cyten einen günstigen Einfluss auf infektiöse Prozesse zu 
erlangen. In der That glückte es, mittels einer vorsichtig ge¬ 
leiteten Leukotoxintherapie lepröse Prozesse zum Schwinden zu 
bringen. 

Auch gegen eine ganze Reihe von Eiweissarten, die Nähr¬ 
stoffe des Organismus sind, konnten spezifische Antikörper er¬ 
zeugt werden. So gelang es unter anderem Bordet, mittels 
solcher Antikörper auf die verschiedenen Eiweissarten der Milch 
in spezifischer Weise einzuwirken, sie zu koaguliren. 

So entstehen nach Injektion von Kuhmilch Laktosera, welche 
nur die Eiweisse der Kuhmilch ausfällen, die der Frauenmilch 
aber intakt lassen. Spritzt man umgekehrt Frauenmilch einem 
Thiere ein, so entstehen bei diesem Laktosera, die nur die Ei¬ 
weisse der Frauenmilch, nicht die der Kuhmilch ausfällen. Ein 
Thier, dem man ei weisshaltigen Harn oder Exsudate injizirt, 
liefert ein Serum, das wiederum in eiweisshaltigem Harne 
Fällungen erzeugt und zwar ist der Nachweiss des Eiweisses 
im Harne mittels dieser Methode ein sehr feiner. 

Es hat also der thierische Organismus die 
Fähigkeit, in gleich er Weise gegen Zellen, wie 
gegen Zellprodukte spezifische Antikörper zu 
erzeugen. 

Gegen bestimmte chemisch definirbare Toxine, wie z. B. 
die Alkaloide, vermag der Körper dagegen keine Anti¬ 
toxine zu bilden: Durch neuere Arbeiten im Schmiedeberg- 
schen Laboratorium wurde exakt nachgewiesen, dass ein Mensch 
nicht etwa, wie man zunächst wohl anzunehmen geneigt wäre, in 
seinem Körper ein Anti morphin bildet, das ihn in den Stand 
setzen würde, selbst das Vielfache der letalen Morphiumdosis 
nun zu ertragen. 

Der Körper des Morphinisten entledigt sich vielmehr der 
enormen eingeführten Dosen Morphiums dadurch, dass er die 
Fähigkeit erworben hat, das Morphin viel schneller und viel 
vollständiger, als der Körper des normalen Individuums, zu ex- 
pediren. 


Dieser Unterschied zwischen chemisch definir- 
baren und von der lebenden Zelle direkt pro- 
duzirten hochkomplizirten Giften oder Nähr¬ 
stoffen in ihrer Einwirkung auf den lebenden Organismus 
ist ein ganz scharfer und grundlegender. Ich hebe 
das hier besonders hervor, da ich aus einem Vortrage am vorigen 
Sonnabend die Anschauung herauszuhören glaubte, als ob die 
Wirkung der von Mikroorganismen produzirten Toxine 
und die der Alkaloide eine analoge sei. 

Aus der Entdeckung, dass der Organismus gegen Zellen 
und Zellprodukte spezifische Antikörper zu bilden vermag, re- 
sultirte das in jüngster Zeit besonders von Uhlenhut und 
Wassermann für die forensische Praxis ausgearbeitete Ver¬ 
fahren, bei alten Blutflecken an Kleidungsstücken oder Ge¬ 
brauchsgegenständen nachweisen zu können, von welcher Thier- 
species sie herrühren, oder ob man es mit Menschenblutflecken 
zu thun hat. 


Ich habe Ihnen die Präparate von einem solchen Versuche 
aufgestellt: Es wurde das Serum eines Kaninchens durch wieder¬ 
holte Injektion von Menschenblut gegen das letztere stark haemo- 
lytisch gemacht. In dem einen Röhrchen sehen Sie die Ein¬ 
wirkung der in diesem Kaninchenserum enthaltenen Haemolysine 
auf alte filtrirte Menschenblutlösung. „Sie sehen einen deut¬ 
lichen wolkigen Niederschlag.“ In dem anderen Röhrchen sehen 
Sie die gleiche Menge Serum des mit Menschenblut vorbehan¬ 
delten Kaninchens altem Meerschweinchenblute zugesetzt. Die 
Lösung ist ganz klar geblieben. Ebenso bleibt die Lösung 
klar, wenn man statt des Meerschweinchenblutes die fil- 
trirten Lösungen von Blut irgend einer anderen Thierspezies hin¬ 
zufügt, mit alleiniger Ausnahme des Affenblutes. Hier zeigt 
sich ebenfalls eine deutliche Trübung, wenn man Serum eines 
mit Menschenblut vorbehandelten Kaninchens zusetzt. Dieses 
Resultat ist in phylogenetischer Hinsicht natürlich äusserst 
interessant. 

An dieser Stelle sei es mir gestattet, eines für die Ophthal¬ 
mologie wichtigen Antikörpers zu gedenken, des Antiabrins, 
welches neuerdings von Römer für die ophthalmologische 
Praxis empfohlen wurde und das durch Injektion eines Thieres 
mit Abrin gewonnen wird. Durch Antiabrin gelingt es nunmehr, 
das zu gefährliche Abrin bei Behandlung von Hornhauttrübungen 
im gegebenen Momente so abzuschwächen, dass einer rationellen 
Abrintherapie zur Beseitigung von Hornhauttrübungen nichts 
mehr im Wege stehen dürfte. 

Kehren wir jetzt zurück zu den baktericiden Immunseris. 
Die Gifte bei Cholera und Typhus und bei anderen Infektions¬ 
krankheiten werden, ganz im Gegensatz zu den Giften der 
Diphtheriebacillen, in den Bakterienleibern fest¬ 
gehalten. — Injiziren wir, um Immunserum zu erzeugen, 
ein Thier mit den Kulturen dieser Krankheitserreger, z. B. 
mit Cholerabacillen, so wird der thierische Organismus zunächst 
nicht, wie bei Injektion von Diphtheriekulturen, 
Antitoxine bilden, sondern Cytolysine, welche nur 
die Bacillen zu vernichten im Stande sind. 


Wollte man ein solches baktericides Serum, z. B. das Cholera¬ 
serum, einem an Cholera Erkrankten ohne Weiteres injiziren, 
so könnte man an Stelle eines kurativen Erfolges das Gegen- 
theil erleben. Denn das baktericide Choleraserum würde die 
Milliarden von Cholerabacillen im Körper des Kranken zwar 
vernichten, deren dann frei werdendes furchtbares Toxin 
aber dürfte den Organismus in Kürze zu Grunde richten. 

Noch ein anderer Umstand ist bei praktischer Anwendung 
der baktericiden Sera äusserst hinderlich: Bei Weitem nicht 
immer wirkt ein baktericides Serum schon im Reagensglase ab¬ 
töd tend. Irii Gegentheil, es kommt leicht vor, dass z. B. Cholera¬ 
bacillen schon am Tage nach der Entnahme des Choleraimmun¬ 
serums sich in demselben munter vermehren. Prompt dagegen 
tritt die Abtödtung der Cholerabacillen ein, wenn man bakteri¬ 
cides Immunserum und die betreffenden Bacillen in die Peri¬ 
tonealhöhle eines Thieres spritzt. Wie ist diese Betheiligung 
des thierischen Körpers bei dem Wirken der baktericiden Sera 
zu erklären? 

Ehrlich zeigte, dass alle Cytotoxine aus zwei Körpern be¬ 
stehen, aus dem beständigen Zwischenkörper, der substance sen- 
sibilisatrice Borde t’s, und dem äusserst labilen Komplement. 
Den beständigen Zwischenkörper oder Amboceptor, Fixateur, wie 
ihn Metschnikoff nennt, sehen Sie hier aufgezeichnet. Er be- 


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2098 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


sitzt 2 haptopliore Gruppen, die eine greift an den Receptor der 
Körperzelle an, die andere an das Komplement. Das Komplement 
entspricht in seinem chemischen Bau einem Toxin mit hapto- 
phorer und toxophorer Gruppe. Der Zwischenkörper wird einzig 
und allein bei der Immunisirung eines Thieres gegen Zellen, 
bei der Cytotoxinbildung, produzirt. Durch seine Vermittelung 
erst wird die toxophore Gruppe des Cytotoxins, das Komplement, 
Alexin, wie es Büchner nennt, an die Zelle gekettet, und 
kann seine auflösende Wirkung auf dieselbe entfalten. Diese 
Komplemente nun haben eine frappante Aehnlichkeit mit den 
eiweissverdauenden Fermenten. Sie sind äusserst labile 
Körper und werden schon durch relativ niedere Wärmegrade 
und schon nach -kurzer Zeit zerstört und in Komplementoide 
übergeführt. Die Komplemente kommen in jedem normalen 
Körper vor und werden nicht, wie die Zwischenkörper, bei dem 
Immunisirungsprozesse vermehrt; sie sind aber, nach der Ehr- 
1 i c h’schen Vorstellung, das eigentlich Wirksame am Cytolysin, 
der Zwischenkörper spielt nur die Rolle des Bindegliedes, nach 
der Borde t’schen Anschauung macht der Zwischenkörper die 
Zelle nur geeignet für die Einwirkung der Komplemente. Da 
diese letzteren aber in vitro, ausserhalb des Thierkörpers, bald 
zu Grunde gehen, so wird Ihnen jetzt verständlich sein, dass in 
dem P f e i f f er’schen Versuche die Cholerabacillen nur in der 
Peritonealhöhle des Thieres aufgelöst werden, im baktericiden 
Serum selbst aber, ausserhalb des Körpers, mag dasselbe noch 
so hochwerthig, d. h. reich an Zwischenkörpern sein, unter Um¬ 
ständen ruhig weiter wuchern können. Doch auch im Thier¬ 
körper selbst ist ein richtiges Verhältnis von Zwischenkörpern 
und Komplementen nöthig, um eine gute baktericide Wirkung 
zu erzielen. So fand Sobernheim, dass ein bei Hammeln 
erzeugtes Milzbrand-Immunserum, das andere Hammel in vor¬ 
züglicher Weise gegen Milzbrand schützt, Kaninchen fast gar 
nicht zu schützen vermag, einfach desshalb, weil die im Hammel¬ 
organismus erzeugten Zwischenkörper beim Kaninchen 
keine passenden Komplemente finden. Bei der praktischen Im¬ 
munisirung dös Menschen mit baktericiden Seris muss man sich 
also ebenfalls zunächst fragen: Finden denn die bei anderen 
Thieren erzeugten Zwischenkörper beim Menschen die auf sie 
passenden Komplemente? 

W assermann machte diesen Punkt zum Objekt ge¬ 
nauerer Studien, und es gelang ihm, durch Zufügen ganz be¬ 
stimmter Komplemente in relativ grossen Quantitäten äusserst 
wirkungsvolle baktericide Sera zu erzeugen. Sie sehen also, dass 
die Verhältnisse, besonders bei den baktericiden Seris, keines¬ 
wegs so einfach sind, wie man sich das Anfangs wohl dachte. 

Bei den antitoxischen Seris sahen wir die Bindung von 
Toxin und Antitoxin im Verhältnisse einer reinen Aequivalenz 
vor sich gehen. Wir hatten einen einfachen, leicht zu regieren¬ 
den chemischen Process vor uns. Die Wirkung der bakteri¬ 
ciden Sera ist, wie wir gesehen haben, von einer grossen Reihe 
oft sehr variabler und schwer zu überblickender Faktoren ab¬ 
hängig. Dem Gesetze der Multipla, das die leichte Dosirbarkeit 
und sichere Anwendbarkeit der antitoxischen Sera in der 
Praxis bedingt, können die baktericiden Sera also nicht unter¬ 
worfen sein. 

Trotzdem sind auch hier in der letzten Zeit sehr beachtens¬ 
werte Fortschritte für die Praxis gemacht worden. Ich möchte 
nur an die H a f f k i n’sche Pestimpfung in Indien und an die 
erfolgreiche Bekämpfung des Schweinerothlaufes erinnern. Be¬ 
sonders wichtig war es, dass man lernte, die sogen, aktive und 
passive Immunisirung zu kombiniren. 

Bekanntlich ist ein Körper, dem von einem anderen Indi¬ 
viduum stammende Antitoxine oder Immunkörper beigebracht 
worden sind, passiv immun. Diese Art von Immunität tritt 
zwar sofort nach der Injektion ein, schwindet aber relativ bald 
wieder, da die dem Organismus fremden Bestandteile in kurzer 
Zeit ausgeschieden werden. Die aktive Immunität wird durch 
die Thätigkeit des Organismus selbst erworben. Es dauert' na¬ 
türlich ungleich länger, ehe die aktive Immunität eintritt, aber 
dafür bleibt sie, einmal erworben, zumeist sehr lange bestehen. 

Es lag nahe, beide Immunisirungsmethoden zu kombiniren, 
indem man die Individuen aktiv durch Injektionen von Kulturen 
und zugleich passiv durch Einführung von Immunserum immuni- 
sirte. Der damit erreichte Vorteil ist ein ganz bedeutender; 
denn zunächst wird das so geimpfte Individuum durch das passive 
Immunisiren sogleich vor dem Ergriffenwerden der epidemischen 


Erkrankung geschützt. Zugleich verläuft aber auch die mit den 
Kulturen ausgeführte aktive Immunisirung in Folge dieses 
Schutzes sehr vfbl milder. Es resultirt dann ein überaus kräf¬ 
tiger und dauernder Impfschutz. 

Bei dieser Gelegenheit will ich nicht verfehlen, die Tuber¬ 
kulinfrage kurz zu beleuchten. Erinnern Sie sich an das histo¬ 
logische Bild eines Tuberkels: Vom verkästen Centrum nach 
dem normalen Gewebe hin zeigt sich eine mehr oder weniger 
ausgesprochene Schädigung der Zellelemente durch die Tuberkel¬ 
bacillen und die durch ihre Anwesenheit gebildeten, schädlichen 
Stoffe. Diese Schädigung ist bereits in ihren ersten Anfängen 
schon eine so starke, dass z. B. den Bindegewebszellen ihre Fähig¬ 
keit, Bindegewebe zu bilden, zumeist fast vollständig genommen 
wird. Wie wir nun oben sahen, ist die E h r 1 i c h’sche Theorie 
auf der Thatsache aufgebaut, dass jeder Bestandteil des Orga¬ 
nismus auf niässige Schädigungen durch starke, reparatorische 
Vorgänge so reagirt, dass eine mehr oder weniger starke Ueber- 
produktion der geschädigten Elemente stattfindet. Ueber- 
schreitet indessen die Schädigung der Zellelemente ein gewisses 
Maass, so vermag der Organismus die geschädigten Bestandteile 
nicht mehr zu ersetzen, die Zelle geht zu Grunde. Die Schädigung 
der Zellelemente in der Umgebung eines tuberkulösen Herdes 
ist nun, wie wir das ja direkt mikroskopisch sehen 
können, in den meisten Fällen schon eine sehr starke. Durch 
die Tuberkulininjektion kommt noch eine neue Schädigung 
hinzu. Die notwendige Folge ist, dass in vielen Fällen, be¬ 
sonders bei ulcerösen Phthisen, der Gewebszerfall gefördert wird. 
Freilich werden bei anderen, mehr latenten Processen, die Zellen 
des Bindegewebes, das den tuberkulösen Herd umgibt, durch das 
Tuberkulin entschieden zu produktiver Thätigkeit angeregt und 
eine Heilung des Processcs wird dadurch gefördert. Aber wer 
vermöchte in vivo die histologischen Verhältnisse in der Um¬ 
gebung tuberkulöser Herde so genau festzustellen, dass er die 
richtige Dosis des Tuberkulins darnach ermessen könnte? 

Wie wir bereits gesehen haben, producirt der tierische 
Organismus, z. B. der Körper des Meerschweinchens, wenn man 
ihm rothe Blutkörperchen des Kaninchens injizirt, ein 
Haemolysin. Dasselbe löst bekanntlich nur die roten Blut¬ 
körperchen des Kaninchens, keine andere Zellart. 

Die Anwesenheit von Haemolysinen ist, wie Bier jüngst 
nachgewiesen hat, der Grund der ungünstigen Wirkung von 
Lammbluttransfusionen auf den menschlichen Organismus. Die 
erste Injektion wird immerhin leidlich ertragen, finden doch die 
rothen Blutkörperchen des Lammblutes im menschlichen Orga¬ 
nismus auf sie einwirkende Haemolysine nur in mässiger Menge 
vor. Ganz anders sind die Verhältnisse bei wiederholten Injek¬ 
tionen. Denn je mehr Lammblutkörperchen in den Organismus 
des Menschen gelangen, um so mehr müssen sich specifische, nur 
auf die Lammblutkörper wirkende Haemolysine bilden. Daher 
wird die Toleranz des menschlichen Organismus gegen wieder¬ 
holte Lammblutinfusionen nothwendig von Mal zu Mal sehr viel 
geringer. Denn mit jeder erneuten Transfusion vom Lamm¬ 
blutkörperchen wird eine sehr viel grössere Anzahl derselben 
rasch haemolysirt und der Organismus mit den in den Blut¬ 
körperchen enthaltenen äusserst giftigen Substanzen über¬ 
schwemmt werden. Die Wirkung dieser giftigen Substanzen 
kann eine so starke sein, dass eine augenblickliche Gerinnung 
des fliessenden Blutes in allen Körpergefässen stattfindet. So 
hatten wir im Verlaufe von Versuchen, die augenblicklich am 
hiesigen pathologischen Institute im Gange sind, das Serum 
eines Kaninchens Meerschweinchenblut gegenüber stark haemo- 
lytisch gemacht. Wurde mit dem Serum dieses Kaninchens 
Meerschweinchenblut in vitro haemolysirt und einem anderen 
Thiere injizirt, so trat dessen Tod blitzartig, in wenigen Se¬ 
kunden, ein. Bei der Sektion zeigten sich alle grossen Gefässe 
und die Herzka mm ern mit Thromben vollständig erfüllt. Das 
Herz arbeitete noch krampfhaft, war jedoch nicht im Stande, 
das plötzlich erstarrte Blut weiter zu befördern. 

Eine frappante Aehnlichkeit mit diesen bei der Haemolyse 
frei werdenden Giften zeigen die Schlangengifte. Wie Unter¬ 
suchungen von Birch-Hirschfeld zeigten» findet auch in 
den Gefässen eines von einer Kreuzotter gebissenen kleineren 
Thieres eine plötzliche Gerinnung des fliessenden Blutes im 
lebenden Organismus, eine sogen. Fermentthrombenbildung, statt. 

Nach dieser kurzen Abschweifung sehe ich mich genöthigt, 
wieder auf bereits mehrfach Erwähntes zurück zu greifen, um 


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24. Eezember lööl. 


MüENCHENER MEDICINISCHE WOCSENSCäRIFT. 


das Allerneueste auf unserem Gebiete, das nach meiner Anschau¬ 
ung das grösste Interesse beanspruchen darf und für die Zu- , 
kunft von enormer Bedeutung werden wird, Ihrem Verständ¬ 
nisse näher zu bringen. 

Wie wir gesehen haben, bilden sich analog dem eben be¬ 
sprochenen Hacmolysin andere, ähnliche Stoffe, wenn man an 
Stelle rother Blutkörperchen andere Zellarten injizirt. Mau 
fasst alle diese Zellgifte nach Metsehnikof f unter dem 
Namen der Cytolysine zusammen. Genau wie das Hacmolysin 
nur gegen die rothen Blutkörperchen wirkt, so wirkt auch jedes 
andere Cytolysin ebenso nur gegen diejenige Zellart, durch deren 
Einführung es vom Thierkörper hervorgebracht wurde. Was 
geschieht nun, wenn man wiederum ein solches Cytolysin 
einem anderen Thiere injizirt? Es bilden sich Anti- 
cytolysine. Wie Sie sich erinnern wollen, bestehen 
die Cytolysine aus Zwischenkörper und Complement. In ähn¬ 
licher Weise bestehen auch die Anti cytolysine aus Anti- 
zwischenkörper und Antikomplement. Das Antikomplement 
greift an das Complement an, und der Antizwischenkürper an 
den Zwischenkörper. Leider ist es mir nicht möglich, in dem 
engen Rahmen eines Vortrages auf die zahlreichen, scharf¬ 
sinnigen Bindungsversuehe und Synthesen einzugehen, deren 
Frucht die erwähnten Anschauungen sind; ich muss mich ledig¬ 
lich darauf beschränken, Ihnen die Resultate dieser 
neuesten Forschungen mitzutheilcn. Wie ich schon Eingangs 
erwähnte, mehren sich indess die Beweise für die Richtigkeit 
dieser E h r 1 i c h’schen Anschauung fast in jeder Woche. 

Ihnen Allen ist natürlich die Gruber-Wida l’sche Re¬ 
aktion bekannt, die für die Diagnose des Typhus abdominalis 
in den letzten Jahren eine gewisse Wichtigkeit erlangt hat. 
Es bilden sich, wie Sie wissen, im Blute eines typhuskranken 
Menschen Agglutinine, das sind Stoffe, welche die Fähigkeit 
besitzen, Typhusbacillen zu Häufchen zusammen zu ballen. Die 
Agglutinine sind hitzebeständige Substanzen, welche zu gleicher 
Zeit mit den Immunkörpern gebildet werden. 

Mir ist es gelungen, in einer Arbeit über Spermatoxine, die 
ich unter Metsehnikof f’s Leitung in Paris anfertigte, und 
die augenblicklich in den Annales de l’Institut Pasteur erscheint, 
nachzuweisen, dass diese Agglutinine sofort aus dem Serum ver¬ 
schwinden, wenn AntizwisclienkÖrper in demselben auftreten. 

Ganz gewaltig musste die Anregung sein, welche die allge¬ 
meine Pathologie durch die moderne Cytolysinlehre empfing; 
vor Allem seitdem es gelang, das Vorkommen von sogen. Iso- 
lysincn zu beweisen und das von Autolysinen sehr wahrschein¬ 
lich zu machen. 

Denken Sie sich wiederum, cs sei einem Meerschweinchen 
Kaniuchenblut zu wiederholten Malen injizirt. Die Hacmolysin- 
bildung erfolgt hier prompt. Ehrlich bezeichnete diese, im 
Blute einer anderen S p e c i e s auftretonden Cytolysine mit 
dem Namen: Ileterolysine. Injizirt man dagegen mit dem Blute 
eines Kaninchens ein zweites Kaninchen, so erfolgt eine Haemo- 
lysinbildung bei Weitem nicht so prompt, man muss wenigstens 
gewisse Kunstgriffe anwenden, um von Individuen derselben 
Species Haemolysine zu erhalten. So musste Ehrlich die 
rothen Blutkörperchen gewissermaassen erst schädigen, indem 
er dem Kaninchenblute vor der Injektion in den Körper eines 
anderen Kaninchens destillirtcs Wasser zusetzte. Ganz unmög¬ 
lich schien es jedoch Anfangs, in ein und demselben 
Thierkörper durch Injektion der eigenen Zellen 
gegen diese selbst Cytolysine zu erzeugen. Alle dahin zielenden 
Versuche, so zahlreich und variirt sie auch angestellt wurden, 
schlugen fehl. 

Es wäre das ja auch eine höchst dysteleologische Einrich¬ 
tung, die zu einer Schädigung der eigenen Körperzellen führen 
würde; und doch scheint eine solche Autotoxinbildung vorzu¬ 
kommen und zwar in pathologischen Fällen. So macht 
Michaelis auf einen Krankheitsfall aufmerksam, bei dem 
nach einem Tubarabort eine sehr grosse Blutung erfolgt war. 
Das Blut sammelte sich nicht, wie so häufig, im D o u g 1 a s’sehen 
Raume an, um eine Haematocele retrouterina zu bilden, sondern 
es blieb in der freien Bauchhöhle und wurde dort nach sehr 
kurzer Zeit fast vollständig resorbirt. In diesem Falle bezieht 
Michaelis eine Ausscheidung ganz unveränderten 
Blutfarbstoffes im Urin auf eine Autohaemolysinbildung, -zu 
der die erwähnten Blutextravasate geführt hatten. 

No. 62. 


2099 


Stellen Sie sich vor, dass bei Lebercirrhose oder parenchyma¬ 
töser Nephritis ganz im Anfänge des Leidens einige wenige 
irgendwie geschädigte Parenchymzellen im eigenen Kör¬ 
per specifische Cytolysine zu erzeugen vermochten, so war für 
diesen Organismus der Anfang zu einem Circulus vitiosus ge¬ 
geben, dem das Individuum unaufhaltsam erliegen musste; denn 
die von den zuerst gebildeten Cytolysinen zum Zerfall gebrachten 
Parenchymzellen wurden nun wiederum Anlass zu einer neuen, 
grösseren Cytolysinbildung. 

Sehr interessant in dieser Beziehung sind die Versuche von 
Delezennes mit Isocytotoxinen. Dieser Forscher erzeugte 
mit Chromsäure in kleinen Dosen bei Hunden eine Nephritis. 

Das Serum dieser Hunde nun, obgleich nicht im geringsten 
Grade mehr chromhaltig, erzeugte jetzt, anderen Hunden in¬ 
jizirt, bei diesen gleichfalls Nephritis. Metschnikoff 
unterband einen von den beiden Ureteren eines Kaninchens 
und schädigte die eine Niere schwer. Die andere Niere blieb in 
der folgenden Zeit vollständig intakt und das Thier gesund; eine 
Autocytolysinbildung trat also nicht ein, wohl aber eine Isocyto- 
lysinbildung, indem das Serum des Kaninchens einige Zeit nach 
der Unterbindung des einen Ureters, anderen Kaninchen injicirt, 
jetzt bei diesen eine ausgesprochene parenchymatöse Nephritis 
hervorrief. Delezennes erzeugte ferner durch Injektion von 
Leberzellen bei einem Thiere ein antihepatisches Serum. Dieses 
Serum, einem zweiten Thiere derselben Art injizirt, erzeugte bei 
letzterem in der Leber genau das pathologisch-histologische Bild 
der akuten gelben Leberatrophie. Metschnikoff injizirtc 
ein Meerschweinchen wiederholt mit Meerschweinchenspermato¬ 
zoen. Es waren Isospermatoxine entstanden, denn die Spermato¬ 
zoon anderer Meerschweinchen wurden durch das Serum des be¬ 
handelten Thieres sofort abgetödtet. Die Spermatozoon des be¬ 
handelten Thieres selbst hingegen blieben in den Hodenkanälchen 
vollständig intakt. Nahm man sie jedoch heraus und fügte als 
Complement ein wenig Serum eines unbehandelten Meerschwein¬ 
chens hinzu, so gingen sie sofort zu Grunde. 

Es wurde also bei diesem Antitoxin ganz sicher wenigstens 
der Zwischenkörper gebildet, das Complement aber wurdo viel¬ 
leicht durch eine regulatorische Einrichtung in der Wand des 
Samenkanälchens zurückgehalten. 

Eine zweite regulatorische Einrichtung, die eine etwaige 
Auto toxinbildung im Organismus unschädlich macht, ist sicher 
die sofortige Bildung von Anti autotoxinen. Fehlt die Anti 
autotoxinbildung, oder ist sie mangelhaft, so werden die Auto¬ 
toxine natürlich ihre schädliche Wirkung entfalten können. 
Versuche, die augenblicklich am hiesigen pathologischen Institute 
im Gange sind, scheinen dafür zu sprechen, dass bei der Eklamp¬ 
sie dieser Faktor eine wesentliche Rolle spielt. Ich möchte mir 
erlauben, auf diese Versuche noch ganz kurz einzugehen. Durch 
S c h m o r l’s Untersuchung über Eklampsie wurde nachgewiesen, 
dass sich in den Gefässen Eklamptischer auffallend viel aus der 
Placenta stammende Elemente, dio Syncytialzcllen, vorfinden. 
Nun haben die Forschungen, selbst namhafter Bakteriologen, 
die darauf gerichtet' waren, etwaige Erreger der Eklampsie zu 
finden, nie zu einem befriedigenden Resultat geführt. Nicht 
mit Unrecht konnte man daher im Sinne der modernen Immuni¬ 
tätslehre vermuthen, dass auch hier, bei der Eklampsie, die Cyto- 
toxine eine Hauptrolle spielen. In der That haben wir bei Ka¬ 
ninchen, bei denen wir die Antikörper bildende Fähigkeit 
des Organismus durch einen Kunstgriff zu umgehen wussten, 
durch Injektion von Placentarelementcn Leberveränderungen 
erzeugt, die denen bei der menschlichen Eklampsie frappant ähn¬ 
lich sind. Untersuchungen zu einem ferneren Ausbau und einer 
weiteren Bestätigung dieser Befunde sind augenblicklich noch 
im Gange. 

Wie Sie sehen, ist das hochinteressante Gebiet der modernen 
Immunitätslehre bereits so mächtig angeschwollen, dass Dem¬ 
jenigen, der sich herausnimmt, dasselbe in einem kurzen Vor¬ 
trage vollständig bewältigen zu wollen, die Wogen über dem 
Kopfe zusammenschlagen müssen. Immerhin hoffe ich, den 
Nachweis geliefert zu haben, dass jetzt genügend feste Grund¬ 
lagen gewonnen sind, auf denen sich die Immunitätslehre ge¬ 
deihlich theoretisch und praktisch weiter entwickeln kann. Sind 
wir doch schon jetzt, wie wir gesehen haben, in der Lage, auf 
diesem Wege allerhand bestimmte Zellarten gewaltig zu beein¬ 
flussen. 

2 


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MtTENCHENER HFDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


Ö1Ö0 

Die einen können wir zu mächtiger produktiver 
Thütigkeit anregen, andere Zellspecies vermögen wir 
mit unseren Toxinen in überraschender Weise zu 
vernichten. 

Sollte die Zeit fern sein, in der es gelingen wird, auch be¬ 
stimmte pathologisch wuchernde Zellgruppen zielbewusst zu ver¬ 
nichten '( Sollte die Zeit fern sein, in der der Kampf gegen 
das mit unheimlich sich mehrender Macht die Menschheit heim¬ 
suchende Careinoin nicht mehr von dom Messer des Chirurgen 
allein ausgefoehten werden muss? 

Nachtrag bei der Korrektur: Die hochbedeutsamen 
Arbeiten von Max drüber in dieser Wochenschrift, sowie die 
Veröffentlichung von Robert Koch über die Agglutination der 
Tuberkclbacillen, konnten mir zur Zeit dieses Vortrages noch nicht 
bekannt sein. 


Zur unblutigen Behandlung der'angeborenen Hüft¬ 
verrenkung.*) 

Von Dr. Dreesmann, Oberarzt am St. Vincenz-Kraukenhaus 

in Köln. 

Da bezüglich der unblutigen Behandlung der angeborenen 
Hüftverrenkung noch vielfache Meinungsverschiedenheiten 
herrschen und die erzielten Resultate zweifellos noch der Ver¬ 
besserung bedürftig sind, dürfte jeder Beitrag zur Lösung dieser 
Frage willkommen sein. Unzweifelhaft steht wohl heute fest, 
dass die von Lorenz angegebene Methode uns die besten, viel¬ 
fach wirklich ideale Resultate liefert. Trotzdem hat er bei 102 
einseitigen Repositionen nur 61 und bei 110 doppelseitigen Re¬ 
positionen (bei 55 Patienten) nur 47 anatomisch gute Resultate 
erzielt. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass bei den anderen 
Fällen das funktionelle Resultat gleichwohl sehr gut sein kann, 
ja vielleicht noch besser als in den Fällen, wo eine wirklich 
dauernde Reposition gelungen ist. Selbstredend müssen wir aber 
darnach streben, neben einem funktionell guten Erfolg auch 
möglichst völlige Wiederherstellung der normalen anatomischen 
Verhältnisse, soweit dies natürlich erwartet werden kann, zu er¬ 
reichen. Dass auch andere Autoren von diesem Ziel noch ent¬ 
fernt sind, beweist die Veröffentlichung S c h e d e’s. Er theilt 
uns mit, dass er von 268 behandelten luxirten Gelenken nur bei 
50 ein völlig befriedigendes Resultat erzielt habe; resp. stehe ein 
solches in Aussicht; von diesen 50 waren 14 ohne jeden Verband. 
Die Mittheilungen von Wolff, Drehmann, Lüning, 
Kölliker, Sherman n, Bradfort, Ghillini, II off a, 
Paradies, Ducroquet, Kümmell u. A. zeigen gleich¬ 
falls, dass die unblutige Behandlung vielfach uns noch nicht 
dus gewünschte Resultat liefert. 

Daher ist es auch nicht auffallend, dass von den verschieden¬ 
sten Seiten Modifikationen versucht und empfohlen werden, wo¬ 
bei allerdings stellenweise direkte Widersprüche vorzuliegen 
scheinen. Der Hauptstreitpunkt liegt hierbei meist in der Frage, 
ob wir bei der Reposition Aussen- oder Innenrotation machen 
müssen und in welcher Primärstellung bezüglich der Rotation 
das luxirtc Bein zu fixiren sei. Bedenken wir die Anteversion 
des Kopfes, so scheint es von vornherein richtig, dass nur bei 
Innenrotation der Kopf der Pfanne gegenüberstehen und also 
auch in sie eindringen kann. Aber dies ist nur richtig bei einer ge¬ 
wissen Stellung des Oberschenkels bezüglich der Abduction. 
Es ist zweifellos richtig bei nicht abdueirtem Schenkel. Anders 
aber verhält sich die Sache, wenn der Schenkel um 90° abducirt 
ist. Stellen wir uns zunächst eine reine Abduction von 90° vor, 
die also in der Frontalebene ausgeführt wird, und wobei die Fuss- 
spitze stets nach vorn gerichtet bleibt, so bleibt der Kopf gleich¬ 
falls in Folge der Anteversion nach vorn gerichtet, auch noch 
bei horizontal verlaufendem Oberschenkel, d. h. bei Abduction 
von 90 °. Fügen wir nun eine Aussenrotation von 99 0 hinzu, 
so kommt der Schcnkelkopf nach oben gerichtet zu stehen und 
zwar richtet er sich vermittels des in einem stumpfen Winkel 
mit dem Schaft verbundenen Schenkelhalses nunmehr fast senk¬ 
recht gegen die schräg ansteigende Ebene des Os ilei resp. gegen 
die Pfannengrube. Würden wir dagegen anstatt dieser Aussen¬ 
rotation von 90° eine Innenrotation von 90° machen, so würde 
der vorher nach vorne stehende Kopf nach unten gerichtet wer- 
ih n, der Schenkelhals kommt parallel der Ebene des Os ilei zu 

‘i Nach einem Vortrage, gehalten Im Allgemeinen ärztlichen 
Ycicin zu Köln. 


stehen und der Kopf kann dann nicht gegen dieselbe angedrückt 
werden. Diese Verhältnisse sind deutlich auf dem Röntgeu- 
bilde kenntlich, welches von einer 4 jährigen Patientin stammt. 



Auf der linken Seite haben wir Aussenrotation, auf der rechten 
Innenrotation. Es geht hieraus zweifellos hervor, 
dass bei einer Abduction von 99° eine Aussen¬ 
rotation von 99° noth wendig ist, um den Kopf 
der Pfanne gegenüber zu bringen und ihm die 
Möglichkeit des Eintrittes in sie zu verleihen. 
Es ist das also die Stellung des Hüftgelenks, bei der der recht¬ 
winklig abducirte Oberschenkel und das rechtwinklig gebeugte 
Kniegelenk mit Unterschenkel und Fuss in die Frontalebene 
fallen. 

Zu genau derselben Stellung kann man auch noch auf andere 
Weise gelangen, nämlich indem man den Oberschenkel um 90* 
flektirt und dann um 90 0 abducirt. Hierbei geschieht gn- 
seheinend keine Rotation und Lorenz bezeichnet daher auch 
diese Stellung bezüglich der Rotation als indifferent. Dieser 
Auffassung kann ich nicht beitreten; vielmehr glaube ich, dass 
es richtiger ist, wenn der Cond. int. des Femur nach vorne sieht, 
dann von einer Rotation nach aussen zu sprechen. Dass diese 
Stellung wirklich Aussenrotation ist, wird auch durch die Un¬ 
möglichkeit einer weiteren Aussenrotation in dieser Lage be¬ 
wiesen; wie man sich nach der Einrenkung bei der vorhin 
skizzirten Lage des Oberschenkels überzeugen kann, ist jetzt nur 
mehr eine Innenrotation möglich. Eine Einigung über die Be¬ 
zeichnung dieser extremen Stellungen des Hüftgelenkes wäre sehr 
wünschcnswerth, zumal die Schwierigkeiten, wenn die Ueber- 
streckung oder Ueberbeugung hinzukommt, noch erheblich 
wachsen. 

Es unterliegt, wie Lorenz gezeigt hat, nun keinem Zweifel, 
dass die Reposition .am sichersten gelingt bei Flexion um 90' 
und Abduction um 90“. Hiebei ist nach dem Vorhergehenden 
zu berücksichtigen, dass diese Abduction keine reine Abduction 
ist, sondern gleichzeitig mit Aussendrehung verbunden ist. Wir 
machen so die Einrenkung nach Lorenz über den hinteren 
Pfannenrand. Da wir nun gesehen haben, dass man zu genau 
derselben Stellung des Beines auch auf anderem Wege gelangen 
kann, nämlich durch Abduction um 90 0 und dann Aussendrehung 
um 90°, so ist es klar, dass uns auf diese Weise ebenso die Ein¬ 
renkung gelingen kann und dass dieselbe, wenn sie gelungen ist. 
auch ebenso stabil sein muss. Wir haben dann eine Einrenkung 
über dein oberen Pfannenrand gemacht, die aber meist grösseren 
Schwierigkeiten begegnet. 

Bezüglich der Einrenkung über dem oberen Pfannenrand 
sagt Lorenz, dass sie nur ab und zu gelinge und dass hierzu 
Extension, Abduction und prononcirte Innenrotation nothwendig 
sei. Das ist richtig, wenn die Abduction eine geringe ist; so¬ 
bald sie aber an 90° herankommt, ist auch bei der Einrenkung 
über dem oberen Pfannenrand nicht Innenrotation, sondern 
Aussenrotation nothwendig und wird ferner auch dann die Ein¬ 
renkung über den oberen Pfannenrand, wenn auch vielleicht 
schwerer gelingen. Das charakteristische Geräusch lässt sich bei 
Reluxation resp. Reposition über den oberen Pfannenrand nach 
meiner Erfahrung sehr oft deutlicher machen, wenn man die mit 
Aussenrotation verbundene Abduction des vorher rechtwinkelig 
gebeugten Oberschenkels etwas über 90° hinaus fortsetzt, so 
dass der Oberschenkel nach hinten aus der Frontalebene heraus- 


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24. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2101 


rückt und in dieser Lage die Abduction vermindert resp. ver¬ 
mehrt. Ob man nun im einzelnen Falle der Einrenkung über 
den oberen oder hinteren Pfannenrand den Vorzug geben soll, 
ist im Voraus nicht zu bestimmen. Man wird bei schwierigen 
Fällen beides versuchen und je nachdem auf die eine oder andere 
Weise zum Ziele gelangen. Meist ist die Einrenkung über den 
hinteren Pfannenrand zumal für den mit der Hand arbeitenden 
Operateur bequemer. Bezüglich der der Einrenkung vorher¬ 
gehenden Extension stimme ich Kümmell bei, dass dieselbe 
in den meisten Fällen überflüssig ist. 

Mit Lorenz möchte ich aber auch als einziges Instrumen¬ 
tarium bei der Einrenkung die Hand empfehlen; alle maschinellen 
Einrichtungen gestatten nicht eine so genaue Abwägung und Mo¬ 
difikation der anzuwendenden Kraft, als dies bei der alleinigen 
Benutzung der Hand möglich ist. Ich bin immer hiermit aus¬ 
gekommen. Für besonders schwierige Fälle scheint mir der kürz¬ 
lich von Schlesinger gemachte Vorschlag sehr beachtens- 
werth zu sein; er empfahl, wenn die Reposition nicht gelingt, 
dann zunächst das Bein in annähernd reponirter Stellung einzu¬ 
gipsen und nach 2—3 Tagen den Versuqh der Einrenkung zu 
wiederholen. 

Dieselben Betrachtungen, die uns bei der Reposition geleitet 
haben, müssen uns auch leiten bei der Wahl der Primärstellung. 
Nur kommt hierbei noch in Betracht, dass wir die Primärstel¬ 
lung nach Möglichkeit so wählen müssen, dass eine funktionelle 
Belastung des Beines von Anfang an ermöglicht ist. Mit Recht 
hat Lorenz darauf aufmerksam gemacht, dass die funktionelle 
Belastung für die Ausgestaltung der Pfanne von grösster Wich¬ 
tigkeit ist. Ferner ist sie auch desshalb von Bedeutung, weil 
durch das lange Liegen der Kinder in festen Verbänden das All¬ 
gemeinbefinden derselben zweifellos nicht günstig beeinflusst 
wird. Bei der Wahl der Primärstellung gestattet Lorenz 
und mit ihm Andere eine Verringerung der Abduction des über¬ 
streckten Beines soweit, dass eine Reluxation nicht eintritt. Es 
unterliegt keinem Zweifel, dass, je mehr wir die Abduction ver¬ 
ringern, die Gefahr einer Reluxation um so grösser wird. Der 
einzige Grund, welcher Lorenz zur Empfehlung der Ver¬ 
ringerung der Abduction veranlassen kann, ist die funktionelle 
Belastung. Nach meinen Erfahrungen indessen können wir, zu¬ 
nächst bei der einseitigen Luxation, in allen Fällen die Ab¬ 
duction von 90° beibehalten, ohne auf die so ausserordentlich 
wichtige funktionelle Belastung verzichten zu müssen. Ich habe 
zu dem Zweck den von mir behandelten -Kindern einen um 
10—12 cm (d. h. etwa die Länge des Oberschenkels) mittels Kork 
erhöhten Schuh auf der kranken Seite gegeben; einige Male 
wurde durch einen seitliche, an ihm angebrachte Stahlstange, 
die unterhalb des Knies befestigt wurde, dem Fussgelenk der 
nöthige Halt gegeben. Die Kinder lernen fast alle auf diese 
Art, wenn auch etwas unbeholfen, sich fortbewegen, vielfach sehr 
schnell, können sogar klettern, dass hierdurch die Gefahr eines 
Fullens sehr nahe gerückt wird. Ein Knabe hat sich in Folge 
dessen während der Behandlung einen Bruch des Oberschenkels 
zwischen mittlerem und unterem Drittel, ungefähr an der Grenze 
des Gipsverbandes zugezogen. 

Schwieriger ist das Gehen der Kinder mit doppelseitiger 
Luxation, wenn beide Beine rechtwinkelig abducirt sind. Aber 
auch hier lässt sich das Gehen durch oine einfache Vorrichtung 
ermöglichen. Ich gebe diesen Kindern einen eigens gebauten 
Laufkorb, der naturgemäss unten einen sehr grossen Durch¬ 
messer haben muss (die Länge beider Oberschenkel -f- der Breite 
des Beckens + der Länge beider Füssc). Der Lauf korb ist dann 
noch so eingerichtet, dass er allmählich erhöht werden kann, was bei 
Verringerung der Abduktion nothwendig ist. Die Kinder werden 
in den Laufkorb gestellt, indem man denselben gleichsam über 
dieselben stülpt oder indem 'man den aus zwei Hälften be¬ 
stehenden Laufkorb um die Kinder durch Schrauben verschlicsst. 
Es ist ausserordentlich interessant und geradezu überraschend, 
wie vorzüglich die Kinder es lernen, sich in einem solchen Lauf¬ 
korb fortzubewegen. Achtet man genauer auf die Art der hierbei 
ausgeführten Bewegungen, so erkennt man, dass es sich um 
kleine Rotationen der Oberschenkel handelt; dieselben sind mög¬ 
lich, weil der Gipsverband die Knie frei lässt. Es unterliegt 
keinem Zweifel, dass diese kleinen Rotationen äusserst zweck¬ 
dienlich bezüglich der Ausgestaltung der Pfanne sein müssen. 

Es kann nun wohl eingewandt werden, dass die funktionelle 
Belastung bei dieser Abduction von 90° nicht so wirksam sein 


könnte, wie bei einer verringerten Abduction. Dahingegen gibt 
sie uns die sicherste Gewähr gegen eine Reluxation nach hinten 
und in Folge der meist vorhandenen Anteversion des Schenkel¬ 
halses, der, wie vorhin ausgeführt, nunmehr nach oben gerichtet 
ist, auch nach vorne. Auf letzteres möchte ich noch besonders 
aufmerksam machen. Um aber die Belastung noch wirksamer 
zu gestalten, habe ich mich noch eines weiteren Hilfsmittels be¬ 
dient. Bei einseitiger Luxation wird auf das rechtwinkelig 
gebeugte Kniegelenk eine rechtwinkelig gebogene, innen gut 
gepolsterte, rinnenförmige Metallschiene durch je einen Gurt 
um Unterschenkel und den im Gipsverband befindlichen Ober¬ 
schenkel befestigt. Diese Metallschiene wird durch einen starkem 
Gummizug, der um das Beckentheil des Gipsverbandes herum¬ 
läuft, in der Richtung des Oberschenkels zum Becken angezogen. 
Handelt es sich um eine doppelseitige Luxation, so wird an jedem 
Bein je eine solche Kniekappe angebracht und diese beiden 
werden durch zwei Gummigurte vor und hinter dem Becken 
gegen einander gezogen. Diese Bandage wird zuerst nur stunden¬ 
weise angelegt, da sie, zumal in den ersten Tagen nach der Ein¬ 
renkung, öfters etwas Schmerzen verursacht, später nach 2 bis 
3 Wochen hingegen bleibt sie den Tag über liegen, selten auch 
die Nacht. Doch muss täglich nachgesehen werden, ob auch 
keine Druckgeschwüre in Folge schlecht gepolsterter Bandage 
entstehen. Die Wirksamkeit dieses elastischen Zuges, dessen wir 
uns selbstredend nur in der ersten Fixationszeit, so lange die 
Oberschenkel rechtwinklig abducirt sind, bedienen, kann man 
durch Röntgeubilder leicht nachweisen. Ein 12 jähriges Mäd¬ 
chen habe ich 10 Tage nach der Einrenkung ruhig zu Bett liegen 
lassen; dann wurde eine Röntgenaufnahme gemacht. Bei 
weiterer Bettruhe wurde nun in den ersten Tagen eine kurze 
Zeit die Bandage angewandt und zeigte sich 14 Tage später bei 
einer erneuten Röntgenaufnahme der Kopf lVz cm näher an’s 
Becken gerückt; die Schatten des Kopfes und der Pfanne deckten 
sich nunmehr zum TheiL Durch Konstatirung dieser 
Thatsache erscheint mir der Beweis erbracht, 
dass der auf den R ö n t g e n b i 1 d e r n fast stets 
vorhandene Zwischenraum zwischen Kopf und 
Pfanne wenigstens nicht in allen Fällen durch 
Knorpel oder I n t e r p o s i t i o n der Kapsel be¬ 
dingt ist und dass ferner die Muskelkraft 
oder die Spannung der vorderen Kapsel allein 
nicht genügt um den Kopf in die Pfanne zu 
ziehen. Dies ist auch desshalb nicht so auf¬ 
fallend, weil die vorher verkürzten, hier allein 
wirksamen Muskeln, speciell die Adductoren, 
in Folge Zerreissung oder starker Zerrung 
bei der Reposition zunächst kaum funktions¬ 
fähig sein können. 

Die von mir angewandte Bandage hat auch noch den weiteren 
Vortheil, dass sie durch die Fixation der Beugeatellung des Knie¬ 
gelenks den Kindern einen besseren Halt beim Gehen verleiht. 
Dass hierdurch die Entstehung einer Kniegelenkkontraktur be¬ 
günstigt werde, ist nicht zu befürchten. Lorenz empfiehlt, um 
dieser vorzubeugen, besondere Uebungen, auf die ich trotz der 
Bandage, ohne Nachtheil für die Patienten, stets verzichtet 
habe; ich verzichtete gerne darauf, weil durch allzu gewaltsames 
Strecken Paresen und Paralysen erzeugt werden können. Bei 
Verringerung der Abduction verringerte sich die Beugestellung 
ganz von selbst, ohne irgend welche Maassnahmen, wie ich noch 
in allen Fällen beobachten konnte. Indessen muss ich doch auf 
einen möglichen Nachtheil dieser Bandage aufmerksam machen, 
der allerdings nicht so gross ist, dass er von der Anwendung der¬ 
selben in Zukunft mich abhalten wird. Handelt es sich um 
Kinder mit Rachitis, so kann möglicher Weise durch starken 
Druck in der Richtung der Achse des Femur eine Ausbiegung 
am Schaft desselben entstehen. Zweimal habe ich eine solche 
Verbiegung unterhalb des Troch. maj. feststellen können; 
das eine Mal war sie mit der Convexität nach oben gerichtet, 
das andere Mal mit der Convexität nach vorne. In letzterem 
Fall erschwerte sie naturgemäss auch die Retention in erheb¬ 
lichem Maasse. Dass dieser mögliche Nachtheil, der sich nur 
bei rachitischen Kindern zeigt und sich zweifelsohne nach Ab¬ 
schluss der Behandlung schnell ausgleichen wird, nicht besonders 
in’s Gewicht fallen kann, liegt auf der Hand. 

Hier möchte ich noch auf ein kleines Hilfsmittel bei An¬ 
legung des Gipsverbandes aufmerksam machen. In manchen 

2 * 


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2102 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


Fällen ist nämlich die Reposition äusserst labil und kann schon 
unbemerkt während Anlegung des Verbandes eine Reluxation 
erfolgen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade bei 
jüngeren Kindern von 2—3 Jahren Reluxation sehr leicht er¬ 
folgt, bei denen die Reposition spielend gelungen war. Im 
Gegensatz hierzu bot die Reposition bei älteren Kindern über 
4 Jahren viel grössere Schwierigkeiten, zeigte dann aber auch 
wesentlich grössere Stabilität. Bei labiler Reposition ist, wie 
bekannt, besonders auf Ueberstreckung des abducirten Beines 
Gewicht zu legen und lässt sich diese Stellung am besten im 
Gipsverband fixiren, wenn man denselben bei Bauchlage an¬ 
legt. Die Kinder werden an den Beinen emporgehalten, wobei 
die Schwere des Körpers, die durch Druck noch verstärkt werden 
kann, eine Ueberstreckung im Hüftgelenk erzeugt. 

Von grösster Wichtigkeit ist nun, dass in der ersten Zeit 
nach Anlegung des Verbandes keine Reluxation erfolgt. Wenn 
die Palpation, was selten der Fall ist, hierüber Zweifel offen lässt, 
sollte man sich, spätestens 8 Tage nach der Einrenkung, durch 
Röntgenaufnahme von dem richtigen Stand des Kopfes über¬ 
zeugen. Dies kann so geschehen, dass man einen grösseren Aus¬ 
schnitt aus dem Gipsverband auf seiner vorderen, wie auf seiner 
hinteren Seite macht, der die Hüftgelenke freigibt. Dieser Aus¬ 
schnitt kann nach der Aufnahme durch Gipsbinden wieder ver¬ 
schlossen werden. Aus dem Röntgenbild können wir auch einen 
Schluss ziehen, ob der Kopf noch in der Pfanne steht oder vor 
oder hinter dieselbe gerückt ist. Wir werden in diesen beiden 
letzteren Fällen auf dem Bilde stets finden, dass die Mitte des 
Schenkelkopfes nicht mehr auf die Knorpelfuge der Pfanne zu 
gerichtet ist, sondern stets etwas nach oben gerückt ist, so dass 
die Spitze des Kopfes das mehr oder - weniger ausgeprägte 
Pfannendach überragt. Ist Reluxation erfolgt, so muss die Ein¬ 
renkung wiederholt werden; dieselbe ist dann meist leicht, aber 
auch wohl meist labiler. In einem hartnäckigen Falle habe 
ich mit dauerndem Erfolg während Anlegung des Gipsverbandes 
einen Zügel um die Hiiftbeuge gelegt und vermittels desselben 
einen direkten Zug auf den Schenkelhals nach unten ausgeübt. 
Ferner halte ich es für wichtig bei einseitiger Luxation in solchen 
Füllen das gesunde Bein mit in den Gipsverband zu nehmen. 
Geschieht dies nicht, so wird das Kind dem naturgemässen Be¬ 
streben, die starke Abduction zu vermindern, nachgeben können; 
der um das Becken, resp. um die untere Bauchgegend gelegte, 
meist schmale Gipsring rutscht auf der gesunden Seite einfach 
in die Höhe. Unbemerkt kann so beim Gehen das eingerenkte 
Bein in Folge Verminderung der Abductionsstellung reluxiren. 

Die Primärstellung muss nun so lange beibehalten werden, 
bis der Kopf den nöthigen Halt in der Pfanne gefunden hat. 
Bei Anwendung der vorhin geschilderten Maassnahmen, Wirkung 
der Zugbandage, funktionelle Belastung, genügen hierzu meist 
3 Monate; wenigstens bei einseitiger Luxation habe ich selten 
mehr Zeit benöthigt, wohingegert ich bei doppelseitiger Luxation 
mich hin und wieder gezwungen sah, die doppelte Zeit hierauf 
zu verwenden. Hat der Kopf während 3 Monaten in der Pfanne 
Halt gefunden und ergibt das Röntgenbild auch ein festeres 
Heranrücken des Kopfes an oder in die Pfanne, so kann die 
Abductionsstellung vermindert werden. Es ist ohne Weiteres 
klar, dass bei stärkerer Verminderung der Abduction, etwa um 
45°, auch eine Innenrotation eintreten muss; der Kopf würde 
sonst einfach von der Pfanne abgehebelt. Daraus ergibt sich, 
dass wir die Grösse der Verminderung der Abduction keines¬ 
wegs schematisch feststellen können. Wir haben hierbei ausser 
den schwer zu beurtheilenden Verhältnissen an Gelenkknorpel 
und Kapsel sowohl die Tiefe der Pfanne, resp. die seitliche Aus¬ 
dehnung des Pfannendaches, als auch den Winkel zwischen 
Schenkelhals und Schenkelschaft zu berücksichtigen. Zeigt sich 
auf dem Röntgenbild ein gut entwickeltes Pfannendach oder 
ein steil gestellter Schenkelhals, so wird man beim zweiten Ver¬ 
band die Abduction mehr vermindern können, als bei den um¬ 
gekehrten Verhältnissen. Bei einseitiger Luxation konnte ich 
indessen, fast stets unbeschadet des Erfolges, bereits beim ersten 
Verbandwechsel die Abduction um 45" vermindern. Ganz von 
selbst tritt hierbei auch eine Verminderung der Aussenrotation 
ein, die Fussspitze kommt mehr nach vorne zu stehen. Streng 
genommen müsste man dann die Innenrotation so stark machen, 
dass die Fussspitze nach innen sieht. Dies wäre nur möglich 
durch Miteingipsung von Unterschenkel und Fuss oder durch die 
von Schede neuerdings empfohlene Methode der Osteotomie 


des Oberschenkels nach Fixirung des Kopfes mittels eines Nagels. 
Ich will nicht bestreiten, dass in einzelnen Fällen diese von 
Schede sehr empfohlene starke Innenrotation zweck¬ 
mässig ist, d. h., um dies besonders hervorzuheben und wie auch 
hier angenommen ist, nur in dem Stadium der Behandlung, in 
dem der Kopf schon einen gewissen Halt in der Pfanne gefunden 
hat. Ist dies nicht der Fall, steht der Kopf noch nicht in der 
Pfanne, oder hat er durch die Länge der Zeit in derselben noch 
keinen Halt gefunden, so muss bei der Innenrotation und ge¬ 
ringeren Abduction des Beines der Kopf über den oberen 
Pfannenrand, an dem er keinen Halt finden kann, heraus¬ 
rutschen, zumal wenn die funktionelle Belastung hinzukommt 
Bei starker Abduction des Beines indessen ist die Aussem- 
rotation für das Eindringen des Kopfes in die Pfanne, wie vor¬ 
hin gezeigt, zweckmässiger. Ich habe bis jetzt stets auf diese 
starke Innenrotation Verzicht leisten können. Wir dürfen nicht 
vergessen, dass das Verhältniss zwischen Kopf und Pfanne inner¬ 
halb der Zeit der Primärstellung ein anderes geworden ist, wie 
vor der Einrenkung. Der Kopf hat inzwischen einen festen Halt 
in der Pfanne gefunden resp. unter dem inzwischen kräftiger 
entwickelten Pfannencfach, den er bei langsamer Verminderung 
der Abduction und gleichzeitiger, von selbst sich einstellender 
Verminderung der Aussenrotation nicht mehr verliert. Wenn 
nach % oder 1 Jahr die Abduction ganz beseitigt war, so war in 
den meisten Fällen auch die Rotationsstellung eine normale, 
d. h. die Aussenrotation war gleichfalls beseitigt und die Fuss¬ 
spitze sah nur wenig mehr nach aussen. Trotzdem ergab die 
Untersuchung wie das Röntgenbild, dass der Kopf am Ort der 
Pfanne selbst einen festen Halt gefunden und die Pfanne sich 
fast in normaler Weise ausgebildet hatte. Ich will nicht be¬ 
haupten, dass die Anteversion des Schenkelhalses sich gleichfalls 
verloren hat, was ja auch möglich wäre, sondern in den meisten 
Fällen wird dieselbe mehr oder weniger dauernd bleiben, doku- 
mentirt sich aber bei der Funktion des Beines gar nicht, äuaser- 
lich am Kinde vielleicht nur in einem geringen Hervortreten 
des Trochanter major. Auf dem Röntgenbild werden wir die¬ 
selben bei anscheinend ganz steil gerichtetem Schenkelhals ver- 
muthen und durch eine zweite Aufnahme bei starker Innen¬ 
rotation nachweisen können. 

Gleichzeitig bei Verringerung der Abduction streckt sich 
auch das bei der Primärstellung rechtwinkelig gebeugte Knie¬ 
gelenk. Schwierigkeiten habe ich, wie schon hervorgehoben, hier¬ 
bei noch niemals gefunden. 

Den Gipsverband konnte ich bei einseitiger Luxation meist 
nach 5—6 Monaten ganz in Wegfall kommen lassen, bei doppel¬ 
seitiger Luxation gelang dies erst nach 10—12 Monaten. Einen 
Apparat irgend welcher Art habe ich die Kinder bisher niemals 
tragen lassen. Ich halte denselben bei einseitiger Luxation für 
vollkommen entbehrlich. Entweder stand beim Wegfall des Gips- 
verbandes der Kopf Vs —1 Jahr bereits in der Pfanne fest, dann 
ist nicht zu befürchten, dass er ohne Apparat wieder heraus¬ 
rückt; die einzige bekannte Schutzmaassregel, auf der gesunden 
Seite noch längere Zeit einen erhöhten Schuh tragen zu lassen, 
genügt vollkommen. Oder aber der Kopf steht trotz monatlicher 
Behandlung und wiederholte Einrenkungsversuche noch nicht 
in der Pfanne, dann bringt ihn irgend ein Apparat durch Druck 
oder Abductionsschiene sicherlich nicht herein. Ob bei doppel¬ 
seitiger Luxation eine Abductionsschiene die oft auf einer Seite 
eintretende Reluxation nach vorne verhindern kann, wage ich 
nicht zu entscheiden. Unser Hauptaugenmerk haben wir nach 
Abnahme des Gipsverbandes auf Kräftigung der Muskulatur 
und Mobilisirung der Hüftgelenke zu richten und würde hierbei 
ein Apparat hinderlich sein. Dass die Hüftgelenke nach einer 
längeren Fixirung im Anfang sehr steif sind, liegt auf der Hand. 
Diese Versteifungen waren in einzelnen Fällen ausserordentlich 
hartnäckig, so dass ich schon eine Ankylose befürchtete. Doch 
hat dieselbe sich regelmässig im Laufe der Zeit bei zweckent¬ 
sprechender Behandlung ganz oder nahezu ganz gehoben. 

Zum Schlüsse möchte ich noch auf die Resultate hinweisen, 
die ich bei der Durchführung der vorher geschilderten Behand¬ 
lungsweise erzielt habe. Wenn die Fälle an Zahl auch gering 
sind, so dürften die Erfolge doch die Richtigkeit dieser Dar¬ 
legungen und der darauf gegründeten Behandlung beweisen. Ich 
habe bis jetzt 22 Patienten mit 31 Luxationen der Lorenz- 
sehen unblutigen Behandlung unterzogen, Von diesen hatten 
9 Kinder doppelseitige Luxation; 5 hiervon sind noch in Behand- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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lung. Von den übrigen 4 erkrankte eines während der Behand¬ 
lung an einer (tuberkulösen?) Kniegelenkentzündung, die zur 
Ankylose des Kniegelenks und mangels weiterer ärztlichen Be¬ 
handlung zu einer rcehtwinkeligen Contractur desselben führte. 
Das anatomisch normale Hüftgelenk auf dieser Seite ist in Folge 
der absoluten Schonung des Beines ebenfalls steif geblieben; 
während dasselbe auf der anderen Seite in anatomischer sowie 
funktioneller Hinsicht als normal bezeichnet werden muss. Bei 
den übrigen 3 Kindern habe ich auf einer Seite Reluxation nach 
vorne, auf der anderen Reposition erzielt. Das funktionelle Re¬ 
sultat ist bei allen 3 sehr befriedigend; ein ganz geringes Hinken 
ist nur bei schnellem Gehen oder Laufen zu konstatiren; wenn 
die Kinder sich Mühe geben, ist auch das nicht mehr vorhanden. 
Die von Trendelenburg angegebene Prüfung bezüglich der 
Wirksamkeit der Glutaealmuskulatur ergibt deren normale Funk¬ 
tion. Die abnorme Lendenlordose ist geschwunden. (Diese 
3 Kinder wurden in der Sitzung vorgestellt.) 

Noch viel günstiger, ich darf sagen ideal ist das Resultat, 
welches bei einseitiger Luxation erzielt wurde. Von den 13 Kin¬ 
dern mit einseitiger Luxation sind 3 noch im Gipsverband; 3 sind 
vor Kurzem von demselben definitiv befreit worden; bei diesen 
ist eine richtige dauernde Reposition erzielt worden und werden 
zweifelsohne die noch bestehende Steifigkeit im Hüftgelenk und 
die Abductionsstellung des Beines einer normalen Funktion in 
Kürze weichen. Dasselbe Resultat wurde bei einem 4. Kinde 
erreicht, welches leider einige Wochen nach Entfernung des 
Gipsverbandes an tuberkulöser Meningitis starb. Bei den übrigen 
6 Kindern, bei denen die Einrenkung vor 4 —VA Jahren gemacht 
wurde, habe ich in anatomischer sowie funktioneller Hinsicht 
ein ideales Resultat jedes Mal erreicht. Bei allen ist selbst bei 
schnellem Gehen ein Hinken z. Z. nicht mehr nachweisbar. (Diese 
6 Kinder wurden im Verein vorgestellt.) Die behandelten Kinder 
standen im Alter von 2—10 Jahren. 

Irgend welche unangenehmen Ereignisse, die auf die Be¬ 
handlung zurückzuführen wären, Frakturen, Lähmungen u. dgl. 
habe ich nicht zu verzeichnen. Die einzige Fraktur und zwar 
zwischen mittlerem und unterem Drittel des Oberschenkels er¬ 
folgte bei einem 3 jährigen Knaben, welcher mit seinem recht¬ 
winkelig abducirten linken Bein allzu wild umherlief, sogar oft 
im Klettern sich übte, bis er schliesslich durch einen unglück¬ 
lichen Fall den oben erwähnten Unfall sich zuzog. Das Resultat 
der Behandlung ist hierdurch nur verzögert, aber nicht weiter 
ungünstig beeinflusst worden. 

Es ergibt sich also, dass wir bei der doppelseitigen, ganz 
besonders aber bei der einseitigen Luxation durch die unblutige 
Behandlung, deren grundlegende Bedingungen wir Lorenz zu 
verdanken haben, Resultate erzielen, wie sie idealer wohl durch 
keine andere Behandlungsmethode erreicht werden, Resultate, 
die in funktioneller, sowie in anatomischer Hinsicht fast nor¬ 
male Verhältnisse schaffen. Da diese Behandlungsmethode heute 
auch keine besonderen Gefahren mehr darbietet, darf es wohl 
als die Pflicht der Eltern bezeichnet werden, ihre mit Hüft¬ 
gelenkluxation behafteten Kinder, soweit sie sich innerhalb der 
Altersgrenze befinden, dieser unblutigen Behandlungsmethode zu 
unterwerfen und dürfte angesichts dieser Erfolge auch der skep¬ 
tischste Arzt seine Bedenken fallen lassen. 


Ein Fall von tiefstehender Idiotie mit Skelet- 
Veränderungen.*) 

Von Privatdozent Dr. W. Weygandt in Wiirzburg. 

M. II.! Der 34 jährige Idiot, den Sie hier in einem kleinen 
Korbe, in dem ein 12 jähriges Kind kaum Platz hätte, vor sich 
sehen, mag mit seiner auffälligen Skeletverbildung auf den 
ersten Blick den Gedanken an eine primäre Wachsthumsstörung 
des Knochensystems mit sekundärer Hemmung des Gehirn¬ 
wachsthums wachrufen, an jene Auffassung, welche vor 10 Jahren 
L a miclongu e zu praktischen Versuchen einer operativen 
Behandlung derartiger Kranker durch Kraniektomie veranlasst 

*) Nach einer Demonstration in der physikaliseh-medi- 
ciuiselien Gesellschaft zu Würzburg. Herrn Direktor II er¬ 
be rieh sage ich für Uebersendung des Patienten zur Unter¬ 
suchung, Herrn Prof. H o f f a für die in seinem Laboratorium 
aufgenommenen Röntgenbilder und Herrn Prof. Rlcger für das 
der Kraniometrie entgegengebrachte Interesse vielmals Dank. 

No. 52. 


hat. Jene Operation ist an mehr als 200 Idioten durchgeführt 
worden, aber von einer thatsächlichen Heilung wurde nie etwas 
laut. Es war von psychiatrischer Seite alsbald schon darauf hin- 
gewieseu worden, dass jene Theorie Ursache und Wirkung ver¬ 
wechselt, indem das Schädelwachsthum sich nach dem Hirnwacha- 
tlium richtet, aber nicht umgekehrt. 

Bourneville und Morselli haben betont, dass die 
vermeintliche vorzeitige Nahtverknöcherung bei jugendlichen 
Idiotenschädeln überhaupt so gut wie nie vorkommt. Ersterer 
fand unter 350 Schädeln früh verstorbener Idioten keinen 
einzigen Fall derart. Immerhin zeigen die Arbeiten von 
P i 1 c z') und Löwenatein 1 ), welche sich gegen die 
Kraniektomie richten, dass auch in den letzten Jahren noch eine 
Widerlegung jener irrthümlichen Ansicht am Platz ist. Selbst 
heutzutage wird von nicht-psychiatrischer Seite manchmal noch 
die krankhafte Skeletentwicklung, vor Allem die Rachitis als 
häufige Ursache der Idiotie namhaft gemacht, wesshalb 
auch ein Fall, wie der unserige, vielleicht immer noch ein ge¬ 
wisses Interesse erwecken mag, indem er zeigt, wie den Skelet¬ 
veränderungen bei Idioten eine ganz andere Bedeutung inne 
wohnen kann, als die einer primären Wachsthumshemmung mit 
sekundärer Störung des Gehirnwachsthums. Zugleich aber lässt 
der Fall auch eine Reihe von Anhaltspunkten erkennen, aus denen 
sich die Zweckmässigkeit einer ärztlichen, nicht ausschliesslich 
pädagogischen Behandlung für Idioten ergibt. 

Auf den ersten Blick füllt der Patient durch seine kleine, zu¬ 
sammengekauerte Figur, niedere Stirne, starke Skoliose und hoch¬ 
gradige Verkümmerung der unteren Extremitäten auf. Die 
Schädclmessung wurde nach der bisher exaktesten Methode, der 
Kraniographie Rleger’s, vorgenommen. Der grösste Sehildel- 
umfang betrügt 54 cm, der grösste Lüngsdurehmesser 18,0 cm, der 
grösste Breiteudurehmesser 15.0 cm. Der Litngen-Breitenindex stellt 
sich somit auf 80,0, so dass der Schädel auf der Grenze zwischen 
Mesocephalle und Brachycephalie steht. Die Schiidelhöhe betrügt 
nach dem Riege r’schen Schema 9,2 cm, der Höhen-Lüngenindex 
somit 49,4. Prof. R 1 eg e r hatte die Freundlichkeit, sich über den 
nach seiner Methode ermittelten Befund zu äussem: Der muth- 
maassliehe Schädelinhalt liegt auf der Grenze zwischen 1200 und 
1350 ccm; der Kopf zeigt nichts Ungewöhnliches, weder in seiner 
Form, noch in seinem Inhalt; nur wenn der zugehörige Mensch 
besonders schwer wäre, über 70 kg, wäre die Behauptung be¬ 
rechtigt, dass der Kopf Im Verhältnlss dazu zu klein sei. Da 
der Patient noch nicht einen Zentner wiegt, ist dieser Gesichts¬ 
punkt hinfällig. Als muthmaassliches Hirngewicht ergibt sich 
nach der angeführten Methode 1137 g. Hinsichtlich des Profll- 
winkels liegt Mesognathle vor. 



Ftg. 1. 


') Pilcz: Ein weiterer Beitrag zur Lehre von der Mlkro- 
cephulie, nebst zusammenfassemlom Bericht über die Folgen der 
Kraniotomie bei der Mikrocephalie. Jahrb. f. Psyclilatr. u. Neur. 
XVIII, 1899. 

-) Löwen stein: Ueber mikrocephalisclie Idiotie und die 
chirurgische Behandlung nach Lanuelongue. Beitr. z. kliu. 
Chirurg. XXVI, 1900. 

3 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


Es besteht fernerTotalskoliose der Wirbelsäule (Fig.l), con¬ 
vex nach links, die offenbar als eine statische aufzufassen ist Die 
Länge der Wirbelsäule vom oberen bis zum unteren Ende beträgt 
43 cm. Die oberen Extremitäten sind morphologisch durchaus gut 
entwickelt; der Oberarm misst 27 cm, der Unterarm bis zur Mittel- 
lingerspitze 33 cm, was der Länge bei einem Erwachsenen von 
kleiner Figur entspricht. 

Die unteren Extremitäten (Fig.2) zeigen hochgradige Kontrak¬ 
turen; gewöhnlich sind die Oberschenkel in einem ^pitzen Winkel 
angezogen und das Knie in einem rechten Winkel gebeugt. Passiv 
lassen sich dieKuiee ungefähr um 25°, das Hüftgelenk etwa um das 



Fig. 2. 


Doppelte beugen, während eine aktive Beugung im Knie gar nicht, 
im Hüftgelenk nur bei dem geringen Hin- und Herbewegen des 
Kumpfes zu beobachten ist. Der rechte Unterschenkel Ist nun 
14 ein unter dem Knie in einem spitzen Winkel, von — äusserlleh 
betrachtet — etwa 70° rechts nach aussen abgeknickt. Das Röntgen¬ 
bild (Fig. 3) zeigt bei einer geringen Differenz der Ebene des oberen 
und unteren Abschnittes einen weit spitzeren Winkel der um 
gebogenen Tibia und Fibula, die nahe bei der Abknickungsstelle 
miteinander verwachsen sind. Der Befund entspricht einer intra¬ 
uterin oder intra partum entstandenen Fraktur, welche spontan 
diesen ungünstigen Heilverlauf nahm. Vom oberen Rande des 



Fig. 3. 


Trochanter raajor aus gemessen, beträgt die Summe der einzelnen 
Abschnitte der unteren Extremitäten ca. 80 cm Länge. 

Patient hustet viel und zeigt beschleunigte Athmung (45). 
Der Puls hat die Frequenz von 72; er ist nicht ganz rhythmisch. 
Die Herzgrenzen entsprechen der Norm; der 2. Ton an der Spitze 
ist gespalten. 

Am Halse rechts, dicht beim Unterkieferwinkel, sitzt eine harte, 
taubeneigrosse Geschwulst, möglicherweise Dermoid, von einem 
Kiemengangrest ausgehend. Die Thyreoidea Ist nicht zu pal- 
piren. Der Kopf ist gewöhnlich nach links gewandt, offenbar 
wegen der rechtseitigen Geschwulst 

Die Pupillen reagiren auf Lichteinfall. Es besteht Nystagmus 
liorizontalis; wenn man die Cilien berührt, blinzelt der Patient. 

Die Zähne sind defekt, nur 2 Molare und ein Zahn an der 
Stelle des linken unteren Canlnus sind einigermaassen erhalten, 
breit, aber wenig differenzlrt so dass sie an Milchzähne erinnern. 
Die Zunge streckt Patient nicht heraus, doch klemmt er sie nach 
Idiotenart öfter zwischen die Zähne und Lippen. Es besteht leb¬ 
hafter Speichelfluss, wodurch die Mundwinkel leicht erodirt sind. 
Die Lippen sind wulstig, besonders die Unterlippe. 

Die Armreflexe sind lebhaft; der Patellarreflex ist rechts leb¬ 
haft; links nicht auslösbar; Bauchdecken- und Kremasterreflex 
sind lebhaft; der Plantarreflex ist rechte lebhafter als links. Am 
Gesäss zeigt eine markstückgrosse Stelle Decubitus. Es besteht 
Incontinentia urinae et alvi, wahrscheinlich psychisch bedingt. Die 
elektrische Prüfung der Muskeln und Nerven zeigt keine Ab¬ 
weichung. 

Die psychische Untersuchung ist erschwert, da Fatlent kein 
Wort versteht und spricht. 

Er fixirt jedoch, sieht um sich, blickt nach einem Licht, das ln 
seiner Nähe angezündet wird, greift nach einem Fell, das er neben 
sich liegen sieht, erkennt seine Mundharmonika und greift darnach. 
Wird ihm eine Hand hingehalten, so sieht er es und gibt korrekt 
die seine. Auch auf akustische Reize reagirt er öfter, doch nicht 
so prompt wie auf die optischen. Er dreht den Kopf um, wenn 
ein Wagen vorüberrollt. Als neben ihm Klavier gespielt wird, 
sieht er sich nicht um. sondern greift nach einem Teppich, auf 
dem sein Korb steht. Bei Nadelstichen oder Berührung mit einem 
heissen Gegenstand zieht er die Hand, die Beine und den Kopf 
zurück. 

Der Gesichteausdruck ist gewöhnlich ernst, doch in Folge des 
Fixirens keineswegs schwachsinnig. Manchmal aber auch zeigt 
sich der Ausdruck herzlichen Lachens. 

Spontan greift Patient öfter nach seiner Mundharmonika und 
bläst darauf, oder er packt den rechten Fuss und bewegt ihn hin 
und her. Alle Bewegungen sind langsam, doch besteht keinerlei 
Ataxie oder Tremor dabei. 

Esswaren nimmt er in den Mund; doch würde er sich auch un- 
geniessbare Gegenstände in den Mund geben lassen. Er isst nur so 
viel, bis er satt ist, dann hört er spontan auf. Ab und zu ver¬ 
schluckt er sich beim Trinken. 

Manche Eindrücke, so das Geräusch vorüberfahrender Wagen, 
begleitet er mit unartikulirten, grunzenden Lauten. Von seinen 
Pflegerinnen wurde er darauf eingeübt, dass er nach einem vor¬ 
gehaltenen Kreuz greift und es an seinen Mund führt. Die Be¬ 
hauptung der Pflegerinnen, dass er zu weinen anfange, wenn man 
vom Sterben spreche, liess sich natürlich nicht bestätigen. 

Wir sehen, dass von einer stärkeren, einheitlichen Entwick¬ 
lungsstörung des Skeleteystcms überhaupt keine Rede sein kann, 
da alle die namhaft gemachten Symptome ihre besondere Er¬ 
klärung finden. Die niedrige Stirn ist wohl nur durch die tiefe 
Haargrenze vorgetäuscht, während im Uebrigen die Schädel- 
maasse «reichlich gross sind. Die Skoliose ist statisch bedingt. 
Die Verkrümmung des rechten Unterschenkels beruht auf jener 
früh erworbenen, falsch geheilten Fraktur, und die Kontrakturen 
der Beine sind offenbar, da an sich der Gelenk-, Muskel- und 
Nervenapparat ausgebildet ist, in Folge des Nichtgebrauchs ent¬ 
standen, zu dem der Patient durch den so schlecht geheilten 
Unterschenkel verurtheilt war. 

Immerhin kann die gesanunte Entwicklung des Körpers 
nicht als besonders kräftig gelten, denn wenn man aus den 
einzelnen Theilen die ganze Körperlänge zusammen rechnen will, 
kommt man doch nicht über 145 cm hinaus. Von irgend welchen 
Zeichen der Rachitis zeigt sich übrigens nicht die Spur, eben¬ 
sowenig wie am Skelet oder an der llaut ein Anhaltspunkt für 
Kretinismus zu finden wäre. 

In geistiger Hinsicht fällt ein gewisser Gegensatz auf 
/.wischen der ziemlich regen Auffassung und den äusserst mangel¬ 
haften Ausdrucksbewegungen, vor Allem der Sprachlosigkeit. 

Auf diesen cigentliiimliehen Symptomenkomplex fällt neuer. 
Lieht durch die Betrachtung der Anamnese und Vorgeschichte. 
Der Vater soll früh gestorben sein; die Mutter, eine arme Händ¬ 
lerin, starb vor einigen Jahren, nachdem sie immer schwächlich 
und kränklich gewesen. Eine Bruder ist taubstumm, ein anderer 
geisteskrank, aber körperlich wohlgebildet. Eine Schwester, die 
mit 12 Jahren starb, soll geistig und körperlich ähnlich zurück- 


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24. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2105 


geblieben sein, wie unser Patient. Zwei Schwestern sind ge¬ 
sund, eine davon ist verheirathet und hat gesunde Kinder. 

Patient lebte in höchst mangelhafter Pflege bei seiner Mutter 
bis zu seinem 25. Jahre. Er war vollkommen verwahrlost, als 
die Behörde auf ihn aufmerksam wurde und seine Unterbringung 
in die Idiotenanstalt St. Josefshaus in Gemünden a. M. veran- 
lasste, wo er mit Läusen und Geschwüren bedeckt ankam. 

Jene Heredität zeigt, dass in der Familie Neigung zu psy¬ 
chischer Entartung besteht, die bei einem Bruder auch ohne 
körperliche, sichtbare Anomalie in Erscheinung trat. Auch bei 
unserem Patienten werden wir die wesentlichste Ursache des 
Leidens in der Entwicklungshemmung des Hirns 
zu suchen haben. Ein weiteres Moment, das seinen elenden Zu¬ 
stand begünstigte, ist aber entschieden auch die Verwahr¬ 
losung. Die vernachlässigte Fraktur verhinderte das Kind 
von vorneherein an jedem Versuch, gehen zu lernen. Bei der 
Hilflosigkeit und psychischen Schwäche wurde offenbar auch 
nie ernstlich irgend ein Bildungs- und Erziehungsversuch mit 
ihm vorgenommen. Es ist nun mit grösster Wahrscheinlichkeit 
zu sagen, dass bei korrekter Heilung der Unterschenkelfraktur 
das Kind gehen gelernt hätte und nie zu jenen Kontrakturen, 
vielleicht auch nicht zu der Skoliose, gekommen wäre. 

Weiterhin aber ist in Anbetracht der leidlich guten Auf¬ 
merksamkeit die Annahme naheliegend, dass bei rechtzeitigen 
Erziehungs- und Unterrichtsversuchen der Patient auch einen 
gewissen Grad von Uebung in den Ausdrucksbewegungen, insbe¬ 
sondere wohl auch in der Sprache hätte gewinnen können. Die 
so spät, im 25. Jahre, einsetzende sachverständige Pflege vermochte 
natürlich derartige Versäumnisse nicht mehr einzuholen. Ein 
rechtzeitiges ärztliches Eingreifen konnte also in diesem Fall 
die schweren körperlichen Störungen des Skelets beseitigen bezw. 
verhüten und dadurch freie Bahn für eine zweckmässige päda¬ 
gogische Behandlung schaffen, wodurch der Patient wahrscheinlich 
zu einem leidlich bildungs- und unterrichtsfähigen Imbecillen ge¬ 
worden wäre, der womöglich seinen Lebensunterhalt durch eigene 
Arbeit verdienen lernte. Der Fall bietet somit einen Hinweis 
auf die mannigfachen Ansatzpunkte für ein ärztliches Ein¬ 
greifen zum Besten jener bedauernswerthesten menschlichen 
Existenzen, der Kranken mit angeborenem Schwachsinn. 


Spülbecken für urologische Zwecke. 

Von Dr. Friedrich Dommer, Specialarzt für Harnleiden 

in Dresden. 

Bei jedem technischen Eingriff in den menschlichen Körper 
lMJsteht seit Langem das Bestreben der Aerzte, den betreffenden 
Theil des Körpers möglichst isolirt vor sich zu haben. So geht 
die Gepflogenheit bei kleineren und grösseren Operationen der Chi¬ 
rurgen, der Otologeu, der Dermatologen u. a. m. Der Zweck bei 
dieser Art der Bestrebung ist einerseits darin zu suchen, den in 
Frage stehenden Körpertheil thunlickst vor einer Berührung, ge¬ 
gebenen Falls auch Infektion von der Umgebung aus, zu schützen, 
andererseits erscheint es auch wünschenswerth, angrenzende Thelle 
des Körpers vor Verunreinigung mit Blut, und den Hilfsmitteln, 
deren man bei einer Operation bedarf (Lösungen von Sublimat, 
Karbol, Salicylsäure, Jodoform u. s. w\) zu bewahren. 

In diesem Sinne schien mir auch bei Aerzten, die sich mehr 
mit der Erkrankung des Urogenitalapparates beschäftigen, ein Be- 
dürfniss vorzuliegen. Es kam mir daher darauf an, einen Apparat 
zu konstruiren, der es ermöglicht, die männlichen Genitalien in 
ihrer grössten Ausdehnung bei einem technischen Eingriff ge¬ 
sondert vor sich zu haben. 

Ein solches Instrument hat auch die Firma Kuoke & Dressier 
nach meinen Angaben angefertigt (s. Fig. 1). 

Im Wesentlichen be¬ 
steht dieses aus einem 
Sitzbrett, auf dem sich 
ein Aufbau erhebt und 
aus einem Anhänge¬ 
kasten. Die Benützung 
geschieht in der Weise, 
dass man den Apparat 
auf den Untersuchungs¬ 
stuhl setzt, Patient dann 
auf dem Sitzbrett Platz 
nimmt, so dass er den 
Aufbau zwischen die 
Oberschenkel nimmt 
und nun den Penis und Hoden Uber die Ausbuchtung ln den Innen- 
raurn des Aufbaues legt. Dann bleibt der Patient entweder sitzen 
oder er nimmt die Rückeulage ein. Auf diese Weise erreicht man 
ein ausserordentlich sauberes und für Patienten und Arzt vortkeil- 
haftes Verfahren bei vielen urologischen Eingriffen. 



Hierzu gehören vor Allem die Operation der Phimose, die 
Punktion der Hydrocelen, Lösung von Verbänden u. a. m. Ferner 
sind hierher Intraurethrale und vesikale Spülungen jeder Art zu 
rechnen; auch das Jane t'sche Verfahren zählt hiezu. Ein nicht 
zu unterschätzender Vortheil tritt bei Anwendung der Dehnungen 
mit gleichzeitigem Spülen hervor. Als Apparate dabei können die 
neuerdings von A. Lewln angegebenen zweithelligen Spilldila 
tatoren genannt werden, als auch die viertheiligen Kollmann- 
sehen oder die von mir modifizirten Kollmau n’schen mit „ver¬ 
setzten Branchen“. In dem Aulningekasten steht auf einem Ein¬ 
satz ein Glas, welches absichtlich nur etwas über 200 g Flüssig¬ 
keit fasst. In dasselbe ragt ein Gummischlauch, durch den nur 
das urethrale Spülwasser läuft. Das Spülwasser, welches über 
die äussere Haut des Penis und Scrotum läuft, sammelt sich in 
dem Kasten. Da, wie gesagt, das Glas wenig Flüssigkeit fasst, 
so ist der Arzt im Stande, bei den verschiedenen Charriöre- 
nummern deren Aussehen zu prüfen und dann, nachdem er die 
einzelnen Proben ln ein Sammelgefäss gegossen hat, in diesem 
das Gesammtresultat der Spiildelinung vor sich zu sehen. 

Dieser Apparat, wie Ich ihn in seinem Bau und Handhabung 
beschrieben habe, ist für den Arzt bestimmt. 

Die zweite Figur zeigt ein 
Becken, welches in seiner Kon¬ 
struktion dem ersten ähnelt. 

Es besteht in der Hauptsache 
aus einem Sitzbrett mit einem 
Aufbau, welcher nach vorn ge¬ 
schlossen ist Der Anhänge¬ 
kasten fehlt. Der Apparat ist 
für den Patienten bestimmt. — 

Es werden sehr häufig bei den 
Erkrankungen des Genital¬ 
apparates warme oder kalte D. R. G. M. 

Sitzbäder verordnet. Befindet 

sich in dem Orte des betreffenden Kranken keine Badeanstalt, so 
ist meist die Verordnung illusorisch. Mit der Anschaffung einer 
Sitzbadewanne ist stets eine gewisse Unbequemlichkeit verbunden. 

Die Grösse einer solchen, die Reinigung derselben, die For¬ 
derung an die grosse Quantität Wasser, besonders des wannen, 
vielleicht auch die Ansclmffungskosteu, sind Momente, welche 
gegen die Durchführung einer derartigen Verabreichung des Bades 
sprechen. Diese kleine Wanne hier soll einen tlieilweisen Ersatz 
der bisherigen Sitzwanne bringen. — Die Benutzung ist sehr ein¬ 
fach. Der Apparat wird auf einen Stuhl gesetzt; der Kranke lässt 
Bein- und Unterkleider bis an das Knie fallen — er braucht sich 
keines Stückes zu entkleiden — und verfährt im Uebrigen wie 
oben ln den Bemerkungen zu Fig. 1 bereits ausgeführt ist. Da¬ 
durch, dass hier Kürpertheile isolirt gebadet werden, kann Ich 
eine nicht unbedeutende höhere und niedere Temperatur als bei 
den vorher üblichen Sitzbädern erzielen. 

Es werden hier bequem Grade von 37 0 R. und solche von 
10® erreicht, auch auf längere Zeit. — Die Anwendung dieses In¬ 
strumentes empfiehlt sich zunächst zur einfachen Reinhaltung der 
Genitalien, weiter aber bei deren Erkrankungsprozessen: Balanitis, 
Ulcera dum et mollia, bei allen schmerzhaften Erkrankungen der 
Urethra. Für alte Verhärtungen des Hodens und Nebenhodens, 
für Sklerosen der Vorhaut, für beginnende Abscessbildungen 
eignen sich die heissen Bäder besonders. 

Für Sexualneurastheniker, beginnende Impotenz, für Mastur¬ 
banten empfehlen sich solche mit kaltem Wasser. Selbstverständ¬ 
lich liegt es in der Hand des Einzelnen, passende Medikamente 
dein Wasser zuzusetzen. 

Den zuerst beschriebenen Apparat benütze Ich seit etwa 
10 Wochen täglich öfters. Das an zweiter Stelle beschriebene 
Spülbecken benützen gegenwärtig einige Patienten mit veralteten 
Verdickungen am Nebenhoden. 

Seines einfachen Baues und seiner leichten Handhabung 
wegen scheint es mir nicht unwahrscheinlich, dass dieses Instru¬ 
ment in den geeigneten Krankenhäusern und Kliniken für den 
Gebrauch der Krauken Eingang findet. 

Anm. Wie schon oben erwähnt, liefert beide Apparate die 
Firma Kuoke & Dressier in Dresden. 



Die Lactationsatrophie des Uterus. 

Von L. Fraenkol. 

Auf die Ausführungen T h o r n’s in No. 47 dieser Wochen¬ 
schrift sehe ich mich geuöthlgt, hier kurz einzugehen, und zwar 
weniger wegen der geringen, zwischen uns obwaltenden Missver¬ 
ständnisse, sondern weil die praktischen Forderungen, welche 
Herr Kollege Thorn aus seinen klinischen Erfahrungen zieht, 
mir für die Allgemeinheit schädlich zu sein scheinen. Sie wider¬ 
sprechen theilweise dem. was meine von Thorn citirten, im 
G2. Band dos Archivs für Gynäkologie uiedergelegten Unter¬ 
suchungen beweisen. Um, wenn möglich, bei dem Praktiker 
Interesse für die nicht unwichtige Frage zu erwecken, rekapitulire 
ich die Hauptarbeiten Uber dieses Thema. 

Vor 20 Jahren hat Frommei zuerst auf dieses Krankheits¬ 
bild aufmerksam gemacht. Er fand unter 3000 poliklinischen 
Kranken 28 mal eine Atrophie des Uterus im Anschluss an zu 
lange fortgesetztes Stillen. Die Hauptsymptome sind: Amenor¬ 
rhoe, Schmerzen im Leib und Kreuz, Gefühl von Leere im Becken 
und Senkung, frühzeitig gealtertes, greisenhaftes Aussehen u. a. m. 
Frommei sah nur einen einzigen dieser Fälle in Heilung über- 

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MtTENCHENER MEHICtNISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


2106 


gehen, halt demnach das Krankheitsbild für recht schwer und 
rüth, bei abnormer Verkleinerung des Uterus die Lactatiou zu 
unterbrechen. 

Sodann hat sich T h o r n eingehend mit der Frage beschäftigt 
und den Zustand als „Lactatiousatrophie des Uterus“ bezeichnet. 
Bezüglich der klinischen Dignität und Prognose hat er eine von 
F r o m m e 1 völlig abweichende Ansicht. Er hält die bei gesunden 
Frauen auftretende Lactatiousatrophie für eine physiologische Er¬ 
scheinung, welche annähernd immer nach dem Absetzeu heilt. Er 
sah unter 25 Fällen keinen einzigen ungeheilt bleiben. Jede 
amenorrhoisch stillende Frau bekommt die Lactatiousatrophie. 
Diese braucht niemals Veranlassung zu sein, das Stillen innerhalb 
vernünftiger Grenzen zu verbieten. 

Die anderen Autoren auf diesem Gebiete, P. Müller, 
Klein Wächter, Gottschalk, Engström und Doeder- 
lein, schliessen sich im Allgemeinen T hör n’s Ansicht an, dass 
die Lactatiousatrophie eine physiologische Erscheinung sei, nehmen 
jedoch au, dass auch Fälle Vorkommen, die nicht ausheileu. Sie 
ratheu daher, im Gegensatz zu Thor n, höhere Grade von Lac- 
tationsatrophie zum Anlass eines sofortigen Stillverbotes zu 
nehmen. 

Aus dieser Zusammenstellung sieht man, dass es sich um eine 
für Mutter und Kind wichtige Frage handelt, und dass sich die 
Ansichten Fromme l’s und Thor u’s unvermittelt gegenüber 
zu stehen scheinen. 

Im vorigen Jahr habe ich, aufmerksam gemacht dadurch, dass 
ich sehr viele Lactationsatrophien im 3. und 4. Stillmonat, dagegen 
sehr wenige bei übertrieben lange fortgesetztem Stillen sah, mich 
mit dem Zustand beschäftigt. Meinen Untersuchungen ist das 
poliklinische Material von Herrn Professor Dr. E. F r a e u k e 1 
in Breslau zu Grunde gelegt. Ich fand unter 1U0OU Kranken die 
Lactatiousatrophie 95 mal, d. i. bei fast 1 Proe. aller gynäko¬ 
logisch Kranken, ein Procentsatz, der sich mit den Angaben der 
anderen Autoren deckt. Es ergab sich, dass die weitaus über¬ 
wiegende Mehrzahl der stillenden Frauen mit Atrophie des Uterus 
sich in der That im 3. bis 4., höchstens 5. Stillmonat fand. Eine 
Kurve über die Häuiigkeit der Laktationsatrophie in den einzelnen 
Monaten erreicht um diese Zeit einen schroffen Gipfel, fällt dann 
sofort sehr steil ab und besitzt nach dem 7. Monat nur noch sehr 
geringe Werthe. Zusammeugestellt mit den übrigen stillenden 
Frauen, die unsere Poliklinik besuchten, ergab sich, dass unter 
im 3. bis 4. Monat Stillenden 59 eine Lactatiousatrophie hatten und 
17 nicht Von Frauen, die sehr lange, nämlich über U Monate 
stillten, hatten nur 14 eine solche und 10 nicht Das war sehr 
auffallend, ja es fanden sich sogar unter denen, die sehr lange 
stillten und keine Menstruation hatten, 25 mal als Ursache der 
Amenorrhoe eine neue Gravidität Man kann also sagen, dass 
langstilleude Frauen, die wegen Amenorrhoe zum Arzte kommen, 
weit häutiger eine neue Gravidität als eine Lactatiousatrophie 
aufweisen. 

Wenn schon aus diesen Zahlen hervorzugehen scheint, dass 
die Lactationsatrophie meist während des Stillens ausheilt, so habe 
ich zur Sicherung dieser Thatsache das Experiment zu Hilfe ge¬ 
rufen. Ich Hess 9 Frauen mit Lactationsatrophie weiterstillen 
und beobachtete mittels der Soudenmessung und der bimanuellen 
Tastung das Verhalten des Uterus. 7 von diesen 9 Uteri sah 
ich von Neuem grösser werden bezw. zur Norm zurüekkehren. 

Dieser einen Klasse von Fällen stand jedoch eine 
Serie anderer gegnüber, die weder während des Stillens, 
noch nach dem Absetzen heilten. Von 37 Fällen, die 
lange genug, meist viele Jahre lang beobachtet wurden, blieben 
9 Fälle ungeheilt, 3 von ihnen trotz sorgfältiger Behandlung. 
Durchaus nicht ln allen diesen Fällen lag eine Uebertreibuug der 
StiUzeit vor, sondern manche haben auch nach kürzerer Stillzeit 
ungeheilt gebliebene Lactationsatrophien acquirirt. Demnach 
gibt es neben der weitaus häufigeren physio¬ 
logischen, nicht ganz selten eine pathologische 
Form der Lactatiousatrophie. 

Ich habe weiterhin zeigen können, dass die physiologische 
Lactatiousatrophie nur eine Theilerschelnung eines allgemeinen 
puerperalen Involutionsgesetzes des Uterus ist, welches auch für 
den Uterus der Nichtstillenden gilt Es geht nämlich die puer¬ 
perale Rückbildung, wie vielfache Messungen des Uterus von 
P. Müller, Hansen und mir ergeben haben, nicht so vor sich, 
wie man bisher annahm; der grosse puerperale Uterus wird nicht 
allmählich kleiner, bis er zur Norm zurückgekehrt ist, sondern 
auch bei der nichtstillenden Frau kommt es oft im 3. und 4. Monat 
zu einer rapiden Verkleinerung des Organes bis unter die 
Norm und erst in den folgenden Monaten stellt sich die normale 
und definitive Grösse wieder her. Das kommt dann zu Stande, 
wenn die Verfettung und Degeneration der in der Schwangerschaft 
gebildeten, jetzt unuöthigen Muskelelemente schneller vor sich 
geht, als die Regeneration, die Bildung neuer Zellen; ein Vorgang, 
der sich besonders bei etwas anaemischeu Frauen abspielt, und 
erst recht bei solchen, die unter einem chronischen Säfteverlust 
stellen, wie die Stillenden. Auf diese Weise konnte ich die zu¬ 
nächst befremdende Erscheinung des Ausheilens der Lactations- 
atrophie während des Stillens erklären. 

Nachdem sich zeigen liess, dass es eine physiologische und 
eine pathologische Form der Lactationsatrophie gibt, war es der 
Therapie wegen sehr wichtig, dieselben möglichst von Beginn an 
zu unterscheiden. Ein anatomisches oder klinisches Unter¬ 
scheidungsmerkmal der beiden Formen besitzen wir leider nicht.— 
Sollten wir Frommei folgen, der bei höheren Graden von Lac¬ 


tationsatrophie zum Absetzeu räth, oder Thorn, der den Säug¬ 
lingen ihre natürliche Ernährung nicht entzogen wissen will? 

In diesem wichtigen Dilemma schlug ich vor, bis zur Auf¬ 
findung eines allgemein anerkannten Unterscheidungszeichens, die 
von mir ermittelten, zahlenmässig belegten Thatsachen über den 
Verlauf der physiologischen Lactationsatrophie zu verwertben und 
sich darnach zu richten: Wenn wir im 3. Stillmonat eine Lac¬ 
tationsatrophie finden, so können wir ruhig weiter stillen lassen, 
weil wir wissen, dass bis zum 7. Monat die grosse Mehrzahl der 
Lactationsatrophien geheilt ist. Wir müssen aber die Frau in Be¬ 
obachtung behalten. Wird jedoch nach dem 4. Monat der 
Uterus noch weiter kleiner, so ist das ein Abweichen von der 
Norm; daun lasse mau absetzen. Bleibt der Uterus aber bei 
weiterem Stillen unverändert oder wächst er wieder, was meist der 
Fall ist, so lasse man weiterstillen. Nach dem 7. Monat muss 
jeder Uterus, der atrophisch war, trotz weiteren Stillens wieder 
grösser werden, sonst kann es sich leicht um die pathologische 
Form handeln. Wächst der Uterus also nicht, so lasse i nan sofort 
absetzeu, andernfalls kann das Stillen bis zu einem Jahre fort¬ 
gesetzt werden. Längeres Stillen ist allen Frauen zu widerrathen. 
Mit dieser Norm, die sich aus den Häufigkeits¬ 
zahlen der Lactationsatrophie in den einzelnen 
Monaten ohne Weiteres ergibt, glaubte Ich am 
ehesten den Uebergang der physiologischen in 
die pathologische Form der Lactationsatrophie 
vermeiden zu können und halte die Befolgung 
dieses Vorschlags daher für zweckmässig. 

Soweit die bisherige Literatur. Zu ihr nimmt Thorn in 
No. 47 dieser Wochenschrift Stellung, indem er sagt: Er müsse 
dabei beharren, dass die reine Lactationsatrophie stets elu physio¬ 
logischer Vorgang sei. Fälle von scheinbar unheilbarer Atrophie 
seien so zu erklären, dass Komplikationen aller Art vorliegeu. 
Th. glaubt auch weiter, dass alle amenorrholschen Frauen die 
Lactationsatrophie bekommen. Dass die Lactationsatrophie bereits 
während des Stillens heilen könne, gehe bereits aus seinen Arbeiten 
zur Genüge hervor. Der Unterschied zwischen seinen Angaben 
und denen anderer Autoren erkläre sich so, dass diese ein ganz 
anderes Material untersucht hätten, nämlich Frauen, die wegen 
Beschwerden zum Arzte kamen, oder es seien noch andere aetio- 
loglsche Faktoren mit im Spiel gewesen. Er dagegen habe vielfach 
gesunde Frauen, die er entbunden hatte oder deren Kinder er be¬ 
handelte, untersucht. Th. hat noch keinen Fall von reiner Lac¬ 
tationsatrophie gesehen, der nicht geheilt wäre. Für die 
Praxis ergibt sich nach Th., dass die reine Lac¬ 
tationsatrophie, mag sie noch so hochgradig sein, an sich 
niemals den Grund zum Absetzen des Kindes geben kann, weil sie 
ein durchaus physiologischer Vorgang sei, der stets, spätestens 
6 Wochen nach dem Absetzen, spontan mit völliger Regeneration 
heilt Erst wenn die Atrophie auf den übrigen Genitalapparat 
(Cervix, Ovarien) und Gesammtorganismus fortschreitet und sich 
durch Ueberernährung nicht redressiren lässt soll mau abseüeu 
lassen. 

Der Zweck meiner heutigen Mittheilung Ist es, einmal die 
Resultate meiner erwähnten Arbeit einem grösseren Kreise von 
Aerzten zu unterbreiten, im Wesentlichen aber, die Ansichten und 
Rathschläge Thor u’s als zu weit gehend und dabei nicht ganz 
ungefährlich zu bezeichnen und vor ihrer Annahme zu warnen. 

Selbstverständlich haben wir — Herr Prof. E. Fraenkel 
und ich — stets auf’s Sorgfältigste auf alle Inneren Kompli¬ 
kationen, welche Thorn anfülirt, geachtet, dessglelchen auf noch 
so geringe Wochenbetterkrankungen etc. und alle verdächtigen 
Fälle ausgeschlossen. Das habe Ich auch in meiner Arbeit an¬ 
geführt und bin von den anderen Autoren ebenso überzeugt, dass 
sie die Lactationsatrophie von den durch andere Ursachen erklär¬ 
lichen Atrophien des Uterus zu unterscheiden verstanden. Als Lac¬ 
tationsatrophie bezeichnen wir nur solche Fälle, bei denen absolut 
kein anderes aetiologisches Moment ausser der Lactation sich auf- 
fiuden liess. Wenn Thorn sagt, wir alle hätten ein zum Theil 
anderes Material gesehen als er. der sich mit gesunden Frauen 
beschäftigte, so ist darauf zu erwidern: Dann hat Thorn, und 
nicht wir Anderen, das für diese Frage ungeeignete Material ge¬ 
sehen. Uns Allen ist nicht der mindeste Zweifel aufgestiegen, dass 
es ausserordentlich viel mehr schnell heilende, symptomlose Lac¬ 
tationsatrophien gibt, als uns bekannt sind. Das ändert doch aber 
nichts an der Thatsache, dass es hochgradig pathologische Fälle 
gibt; und diese müssen wir bei der Prognose und Therapie berück¬ 
sichtigen. Frauen, denen gar nichts fehlt, und die sich, wie bei 
Thorn, zum Theil nur aus Dankbarkeit zur Untersuchung her- 
beiliessen, denen werden wir auch nicht zu ratlien haben, dass sie 
absetzen möchten; sondern doch immer nur solchen Frauen, die 
wegen Beschwerden den Arzt aufsuchen, und darum ist es gerade 
dieses Material, welches zur Beurtheilung der Frage, ob es eine 
pathologische Lactationsatrophie gibt, herangezogen werden muss. 

Es ist durchaus Thor n’s Verdienst gezeigt zu haben, dass die 
Lactationsatrophie meist eine physiologische Erscheinung ist, die 
nach dem Absetzeu heilt. Meinerseits konnte dieser 
Satz dahin erweitert werden, dass nicht erst 
nach dem Absetzen, sondern bereits während 
des Stillens die Atrophie heilt. Thorn sagt, dass 
diese Thatsache bereits in seinen Arbeiten genügend gewürdigt 
worden sei. Indessen kann davon gar keine Rede sein. Thorn 
hat wohl gesagt, dass hin und wieder schon während des Stillens 
die Atrophie sich verlöre, das habe ich auch von ihm und Eng¬ 
st r ö m koustatirt. Aber er hat absolut nicht festgestellt, dass 


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24. Dezember 1901. 


MTJENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2107 


die weitaus überwiegende Zahl der Lactationsatrophien bereits 
während und trotz des Stillens hellt, wie Ich das an einem grossen 
Material und durch experimentell-klinische Untersuchungen als 
allgemeines Gesetz feststellen konnte; eine Thatsache, die 
ich ln der angeführten Weise zur Unterscheidung von physio¬ 
logischen und pathologischen Fällen benutzt habe. Dessgleichen 
geht aus meinen Untersuchungen hervor, dass nicht, wie Th. 
meint, eine jede amennorrhoisch stillende Frau eine Lactations- 
atrophle bekommt, sondern nur ein erheblicher Thell derselben. 
(Ich habe auch nicht, wie Th. meint, vergessen, hinzuzusetzen, 
dass nach Th. nur die „amenorrhoisch" Stillenden eine Lactatlons- 
atrophie bekommen, sondern habe angeführt *), dass die regel¬ 
mässig menstruirenden Stillenden auch nach seiner Ansicht einen 
normalen Uterus besitzen.) Ich meine, dass die Amenorrhoe kein 
untrügliches Zeichen einer Atrophie des Uterus, wenigstens seiner 
Muskulatur, sein muss, und habe auch amenorrhoisch Stillende mit 
grossem Uterus gefunden. 

Der Umstand, dass Th. bisher unheilbare Fälle von reiner 
Lactationsatrophie nicht gesehen hat, ist kein Beweis für ihre 
Nichtexistenz. Im Gegen thell sind alle übrigen Autoren darüber 
einig, dass es solche Fälle gibt und zwar durchaus nicht nur 
Fälle, die das Stillen übertrieben haben. Ferner sind diejenigen 
Zeichen, die nach Th. anzeigen sollen, wann wir das Stillen ver¬ 
bieten müssen, für die allgemeine Praxis nicht verwerthbar, 
nämlich die Atrophie der Cervix und Ovarien. Zunächst be¬ 
theiligt sich die Cervix in vielen Fällen von Anfang an der 
Lactationsatrophie des Uterus und nicht erst sekundär. Das haben, 
wie ich höre, auch E .Fraeukel und A. Martin gegenüber 
Thorn in der Discusslou auf der Hamburger Naturforscherver¬ 
sammlung gebührend hervorgehoben. Die beginnende Atrophie 
der Ovarien aber durch Tastung festzustelleu, wird nicht nur nicht 
dem praktischen Arzte gelingen — und dieser ist nicht immer in 
der Loge, sogleich den Specinlarzt zuzuziehen — sondern auch 
durchaus nicht immer, ja nicht einmal häufig dem Gynäkologen 
trotz der leichten Untersuchbarkelt vor Kurzem entbundener 
Frauen. Das werden die geübtesten Untersucher bestätigen 
können. Eine selbst geringe Vergrösserung oder pathologische 
Veränderung des Ovarium können wir tasten, aber wir können 
nicht mit Sicherheit von einem Ovarium sagen, es beginne sich zu 
verkleinern oder zu atrophiren. Wir meinen auch, dass man die 
Atrophie nicht so lange bestehen lassen darf, bis sie auf den 
übrigen Genitalapparat und den Gesammtorgauismus fort¬ 
geschritten ist Dann könnte der Versuch, sie durcli Ueber- 
ernührung ln ihre physiologischen Grenzen zurückzubringen, viel¬ 
fach zu spät kommen. 

Wenn Th. pathologische Fälle bisher nicht gesehen hat, so hat 
er, wie es ln der Medlcin eben zuweilen zugeht, trotz seiner grossen 
Erfahrung, vielleicht die schweren Fälle zufällig nicht zu Ge¬ 
sicht bekommen, wir Anderen jedoch haben sie wiederholt ge¬ 
sehen und können uns durch Th.’s entgegenstehendeu negativen 
Befund darin nicht erschüttern lassen. Also bei voller An¬ 
erkennung der Verdienste Th.'s um die Klarstellung der Thatsache, 
dass es eine physiologische Lactationsatrophie gibt upd dass diese 
die Regel ist, wollen wir dennoch nicht übej: das Ziel hinaus- 
schiessen, und mit Frommei dabei verharren, dass auch eine 
prognostisch ungünstigere Form der Lactationsatrophie vorkommt, 
mit Rücksicht auf welche das Stil verbot mitunter erlassen werden 
muss. Auf Grund der von mir mitgetheilten neuen Thatsacheu und 
in Ermangelung sicherer Keimzeichen für die beideu Formen 
möchte ich vorläufig rathen, sich des von mir vorgeschlageuen Be- 
obachtungs- und Behandlungsmodus zu bedienen. 

Erwiderung auf den vorstehenden Aufsatz. 

Von W. Thorn. 

Mein oben erwähnter Vortrag über die praktische Bedeutung 
der Lactationsatrophie des Uterus bezweckte, einer Einschränkung 
des Stillens auf Grund allzu pessimistischer Auffassung der Pro¬ 
gnose der Lactationsatrophie vorzubeugen. Ich habe dabei auf die 
sehr fleissige und werthvolle Arbeit L .F r a e n k e l’s Bezug 
nehmen müssen, hauptsächlich, um einige lrrthümer richtig zu 
stellen. Die Untersuchungen L. Fraenke Ts, wie diejenigen aller 
anderen Autoren, die sich nach mir mit der Lactationsatrophie 
eingehender beschäftigt haben, wie Gottschalk, Klein- 
Wächter, Engström, Vineberg, haben im Wesentlichen 
die Richtigkeit meiner Lehre von der Lactationsatrophie bestätigt, 
und dem bat auch Doederlein in dem Kapitel „Uterus¬ 
atrophie“ im V e i t’schen Handbuch Ausdruck gegeben. Die Zahl 
der Fälle von reiner Lactationsatrophie, welche unheilbar 
bleiben, ist eine verschwindend geringe; das bestätigt auch 
L. Fraenke 1. Von seinen 95 Fällen verwerthet er 37 zur Be¬ 
urteilung der Prognose. Bei 9 dieser Fälle wurde die Restitutio 
in integrum nicht beobachtet, womit nicht gesagt ist, dass sie in 
einigen später nicht erfolgt wäre. So sind die Fälle No. 1(5 (28 jiihr. 
II. Para lact 3 Monate, völlig gesund, aber amenorrhoisch seit 
dem Partus vor ’/« Jahren) und No. 19 (32jähr. II. Para lact. 
5 Monate, amenorrhoisch seit dem Partus vor */« Jahren) nur 3 
und 5 Monate, also zu kurze Zeit, beobachtet. Drei Fälle men- 
struirten, zwei allerdings postponirend (No. 24, 28, 34). Die Funk¬ 
tion der Ovarien war also noch nicht erloschen, die Möglichkeit 
der Heilung nicht ausgeschlossen. In nicht weniger als (» Fällen 
handelte es sich um langes Stillen (No. 2: 1% Jahr; No. 5: 1 J.; 
No. 13: 1 y 4 J.; No. 28: 1 J.; No. 34: 11 Monate; No. 56: 2 J.). Ein 
Thell der Fälle, namentlich der mit kurzer Stillzeit, ist, wie 


*) Sep.-Abdr. S. 27, Anna. 

No *2 


L. F r a e n k e 1 ausdrücklich bemerkt, nicht behandelt worden. 
Demgemäss berechnet L. Fraenkel selbst die Unhellbarkelt auf 
3,1 Proc., nicht etwa 24 Proc., Indem er nur die Fälle 2, 5 und 56 
als unheilbar erachtet, bei denen es sich um Stillzeiten von lVi J-, 
1 J. und 2. J. handelt. Erwägt man, dass überhaupt nur 
die schwereren Fälle von Lactationsatrophie in die Hände der 
Gynäkologen gelangen, so kann man auch aus dem Fraeukel- 
scheu Material beim besten Willen nur herauslesen, dass eine recht 
geringe Zahl Stillender durch zu langes Stillen dauernden Schaden 
erleidet. Ich glaube, man wird dieser Schädigung, wenn man meine 
Rathschläge befolgt, genügend Vorbeugen und ich hoffe, auch 
L. Fraenkel wird seine Behauptung, dass dieselben „für die 
Allgemeinheit schädlich zu sein scheinen“, nicht allzu ernst nehmen. 
Auf den weiteren Iuhalt des L. Fraenke Tschrn Aufsatzes ein¬ 
zugehen, erscheint mir an dieser Stelle überflüssig; ich hoffe, ge¬ 
legentlich an anderem Ort darauf zurückzukommen. 


Oie Leistung des Wassmuth’schen Inhalationsapparates. 

Von Prof. Dr. R. Emmerich in München und Dr. V. Ger- 
lach in Wiesbaden. 

In No. 26 der Münch, med. Wochenschr. machte der Eine von 
uns (Emmerich) Mittheilungen über die Leistungen des im 
Kraukenliause 1/1. zu München aufgestellten W a s s m u t h’scheu 
Iuhalatiousapparates, welche darin gipfeln, dass dortselbst bei der 
Zerstäubung von Wasser eine Nebelbildung überhaupt nicht auf- 
tritt und dass sich bei Zerstäubung von Soole keine Flüssigkeits- 
tröpfclien, sondern nur Kochsalzkrystalle in der Luft finden. Von 
letzteren wurden auf den exponirten Objektträgern pro Quadrat- 
centimeter in 1 Minute nur ca. 300 gezählt. Etwa gleichzeitig und 
angeregt durch diese Publikation untersuchte der Andere von uns 
(Gerlach) die Wassmut h’schen Inhalatorien in Münster a/St. 
und Bad Soden a/T. und fand dort auch bei Zerstäubung von 
Wasser kräftige Nebelbildung, bei Zerstäubung von Soole nach 
1 Minute bis zu ca. 14 000 Flüssigkeitströpfcheu pro Quadratcenti- 
meter der exponirten Objektträger, nach längerer Exposition noch 
viel mehr derselben (bis zu ca. 150 000) von der Grösse eines 
rothen Blutkörperchens, daneben grössere, aber auch sehr viel 
kleinere, bis kleinste Tröpfchen. 

Zur Aufklärung dieser widersprechenden Resultate wurde eine 
gemeinsame Untersuchung des im Krankeuhause zu München auf¬ 
gestellten W a s s m u t h’schen Apparates von uns vorgenommen. 
Die erste Untersuchung bestätigte Emmerich’« Angaben voll¬ 
ständig: von einer Nebelbildung. sowie von niederfallenden Tröpf¬ 
chen konnte kaum eine Spur wahrgeuommen werden. Dabei fuuk- 
tionirte der Apparat insofern gut, als die Zerstäubungstlüssigkeit 
mit grossem Druck ausgeschleudert wurde, daun allerdings sofort 
in der Luft verschwand. Dieser Befund gab den Hinweis darauf, 
dass dieses ungünstige Resultat in äusseren Verhältnissen begiündet 
sein müsse, und es gelang auch eine ganze Anzahl von ungünstig 
l wirkenden Faktoren festzustellen. Der Raum, in welchem der Zer- 
■ stiiubungsapparat sich befindet, ist aussergewohnlich hoch und letz 
terer war in beträchtlicher Höhe angebracht. Die Temperatur des 
| Raumes betrug in Kopfhöhe ca. 21 u C„ war also in den oberen 
Schichten noch höher und somit wurde die zerstäubte Flüssigkeit 
sehr schnell und zum allergrössten Theile zur Sättigung der oberen 
Luftschichten verwendet. In dieser Hinsicht wirkte ein längs der 
Decke gelegenes Heizrohr noch besonders ungünstig. Ausserdem 
war die dem Inhalationsraum durch den Was«m u t h’schen 
Apparat zugeführte Veutilatiousluft sehr warm und trocken, so 
dass dieselbe Im Staude war, erhebliche Mengen der zerstäubten 
Flüssigkeit aufzunehmeu. Es konnte demnach nicht Wunder 
| nehmen, dass bei diesem Zusammentreffen mehrerer ungünstig wlr- 
• kender Faktoren, deren Wirkungsgrösse zum Theil wieder von der 
Beschaffenheit der athmosphiirlscheu Luft abhängig war. der In¬ 
halationsraum sich nicht mit Flüssigkeitströpfchen anfüllte. Dem 
bei unseren Versuchen anwesenden Herrn Wassmuth wurden 
diese Verhältnisse domonstrirt. Nach Ausführung der von uns 
und Herrn Wassmuth gemachten Verbesserungsvorschläge, 
welche im Wesentlichen darin bestanden, dass der Apparat in ge¬ 
ringere Höhe (Mitte der Zimmerhöhe) verlegt und im Anfaugstheil 
des Luftzuführungskanales durch Wasserzerstäubung die Zuluft 
mit Wasser angereichert wurde, besserten sich die Verhältnisse, 
und nachdem auch noch die Heizung zum Theil abgestellt wurde, 
befanden sich zahlreiche feine Flüssigkeitströpfcheu ‘Nebel) In 
der Luft des Inhalationsraumes. 


Bericht Uber die Ergebnisse der Schutzpockenimpfung 
im Königreiche Bayern im Jahre 1900, 

erstattet von dom k. Centralimpfarzte, Medioinalrath 
Dr. L. Stumpf. 

(Schluss.) 

Was die Schnittform bei der Impfung betrifft, so 
waren einfache, genügend weit von einander entfernte Längs¬ 
schnitte die Regel. 

Die Amtsärzte von Alchach, Schrobenbausen, Grafenan, Vlls- 
blbnrg, Roth a/S„ Kitzingen, Bischofsheim, Aub, Rain, Nabburg 
und Vohenstrauss brachten den Kreuzschnitt zur Anwendung. Je- 


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2108 


MTTENOHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 82. 


doch verfuhren diese Aerzte bei ihrer Schnittanlage sehr ver¬ 
schieden. So wurden von den Amtsärzten von Alchach, Schroben- 
hausen, Grafenau, Nabburg und Vilsbiburg bloss die Wiederimpf¬ 
linge mittels des Kreuzschnittes geimpft. Der letztgenannte Arzt 
setzte manchmal Kreuzschnitte mit einfachen Schnitten vermischt, 
und zwar auch besonders bei Wiederimpflingen, um einen besseren 
Impferfolg zu erzielen. Die Amtsärzte von Roth a/S. und Aub 
impften mittels des Kreuzschuittes ausser den Wiederimpflingen 
auch jene Erstimpflinge, bei denen die erste Impfung mittels des 
Längsschnittes erfolglos gewesen war. Bei den Amtsärzten von 
Bischofsheim, Rain und Vohenstrnuss war der Kreuzschnitt die 
bei sämmtliclien Impflingen angewandte Schnittmethode. Ge¬ 
wöhnlich war die Zahl der Kreuzschnitte die vorgeschriebene. 
Der Amtsarzt von Kitzingen gestattete sich Jedoch eine Ausnahme 
hievon, indem er sich über die Vorschrift mit der Reflexion hin¬ 
wegsetzte, dass 3 Kreuzschnitte 0 einfachen Schnitten gleich¬ 
zusetzen seien. Auf Grund von in früheren Jahren gemachten 
ungünstigen Erfahrungen wollte der Amtsarzt auf den Kreuz¬ 
schnitt nicht verzichten. Er kann sich der Ansicht nicht an- 
schllessen, dass 4 Schnitte, also auch Kreuzsehuitte. als das vor¬ 
geschriebene Minimum zu betrachten und anzulegen seien. Da 
es sich beim Kreuzschnitte tliatsächlieh um 2 Schnitte handle, da 
ferner die Wirksamkeit des Kreuzschnittes erfahrungsgemäss jene 
von 2 einzelnen Schnitten bedeutend übertreffe, indem der Kreu- 
zungspuukt der Schnitte zur besseren Haftung der Lymphe in 
hervorragender Weise geeignet erscheine, so glaubte sich der Impf¬ 
arzt mit 3 solchen Schnitten umsomehr begnügen zu sollen, als 
bei 4 Kreuzschnitten die Reaktion häufig beängstigend werde. 
Auch der Impfarzt von Neustadt a/H. begnügte sich bei den Erst¬ 
impflingen manchmal mit 3 seichten Schnittchen. Meist sollen 
jedoch 4 Schnitte gesetzt worden sein. Auch der Impfarzt von 
Eichstätt impfte schwächere oder vorher erkrankte Kinder, „um 
eine Concession zu machen“, nur mit 3 Schnittchen, und begründet 
dieses Verfahren damit, dass mehr als 3—4 Impfschnitte auf dem 
Arme eines mittelstarken Kindes sich so entwickeln würden, dass 
sie kaum untergebracht werden könnten. In der Erwiderung 
hierauf möchte sich der Berichterstatter auf das beziehen, was er 
schon lm Berichte des Jahres 1899 zu äussern veranlasst war. 
Wenn die Sachverständigenkommission seinerzeit drei Impf-‘ 
schnitte für genügend erachtet hätte, um den erstrebenswerthen 
Grad des Impfschutzes für die Bevölkerung Deutschlands zu er¬ 
reichen, so hätte sie nicht vier Impfschnitte als das Mindest¬ 
raaass festgesetzt. Kinder, welche so schwächlich sind, dass der 
Impfarzt für nöthig hält, den Eltern mit 3 Schnitten eine „Con¬ 
cession“ zu machen, bleiben besser ungeimpft und werden dann 
im nächsten Jahre vorschriftsmässig geimpft. 

Mittelstarke Kinder wurden in früheren Jahren ln Bayern 
ohne Schwierigkeit auf beiden Armen mit je 5 Schnitten geimpft, 
und in Holland wird die Impfung heute noch in der gleichen 
Weise vollzogen. Der Berichterstatter hat dort nicht bemerken 
können, dass die Anbringung von 5 Schnitten auf dem Arme eines 
mittelstarken Kindes den holländischen Aerzten irgend welche 
Schwierigkeiten bereitet hätte. 

Von anderen Schnittmethoden ist nur noch der Doppclschnitt 
zu erwähnen, dessen sich der Impfarzt von Neustadt a/\VN. bei der 
Impfung bedient. In Bezug auf die Methode der Impfung mag 
noch bemerkt werden, dass der Impfarzt von Alzenau bei einer 
Anzahl von Kindern sofort nach der Impfung einen Schutz¬ 
verband anlegte, der am Nachschautage erneuert wurde. Welcher 
Art dieser Schutzverband gewesen ist, wird nicht näher er¬ 
läutert. Um über den Grad der Virulenz der erhaltenen Lymphe 
Kenntniss zu erhalten, liessen 2 Impfärzte des Landes, jene von 
Ebern und Münnerstadt, -der öffentlichen Impfung einzelne 
Probeimpfungen vorausgehen. Der Ausfall der Blattern und 
ihre Beschaffenheit war dann maassgebend für die Auswahl der 
Lymphesorten für die Erst- und Wiederimpfung. Mit Menschen¬ 
lymphe wurden im Berichtjahre in 2 Regierungsbezirken, Mittel¬ 
und Unterfranken, 4 Erstimpflinge und 1 Wiederimpfling ge¬ 
impft. Von 3 im Amtsbezirke Kipfenberg vollzogenen Erst¬ 
impfungen ist der Erfolg unbekannt geblieben. Sonst ist die 
Menschenlymphe in Bayern bei keiner Impfung mehr zur An¬ 
wendung gekommen. 

An Beobachtungen enthalten die Berichte der Amtsärzte 
vom Jahre 1900 ein reiches Material, von welchem wir nur das 
Bemerkenswertheste hervorheben wollen. Verspätete Pustelent¬ 
wicklung ist im Berichtjahre nicht häufig und nur in vereinzelten 
Fällen beobachtet worden, jedenfalls aus dem Grunde, weil die 
Qualität des Impfstoffs im Ganzen sehr gut war. 

Es verdient angeführt zu werden, dass im Amtsbezirke 
Schwelnfurt auf demselben Termine Impfstiche mit demselben 
Impfstoff bei der einen Hälfte der Geimpften einen sehr guten, bei 
der anderen Hälfte einen schwachen Impferfolg zeigten. Die elgen- 
tliümliche Erscheinung von sehr ungleicher Wirkung einer und 
derselben Lymphesorte wurde auch im Amtsbezirke Oettingen 
beobachtet. Der Impfarzt erklärte sie damit, dass viele Mütter 
«Ion Impfstoff unmittelbar nach der Impfung aus den Schnitten 
herauszuwlscheu bestrebt waren, damit die Blattern nicht so gross 
würden. Dass jüngere und schwächliche Kinder, sowie auch 
solche, welche kurz vorher Infektionskrankheiten Uberstanden 
hatten, weniger entwickelte und kleinere Pusteln bekamen als 


kräftige und ältere Kinder, wurde wiederholt beobachtet So 
scheinen besonders vorausgegangene Maseru und Varicellen nach 
mehrfachen Aeusserungen die impferfolge ungünstig beeinflusst 
zu haben. Im Amtsbezirke Wunsledel waren 2 Kinder wenige 
Wochen vor der Impfung an Varicellen erkrankt; bei einem der¬ 
selben bildeten sich nur kleine und kümmerliche Blattern. Im 
Amtsbezirke Tölz entwickelte sich bei einem Kinde, welches erst 
jüngst vorher die Varicellen Uberstandeu hatte, nur 1 Pustel, was 
bei dem sonst beobachteten vorzüglichen Impfresultate auffallend 
war. An anderen Orten dagegen konnte ein Einfluss der kurz vor 
der Impfung durchgemachten Varicellen auf die Entwicklung der 
Impfpusteln nicht beobachtet werden. Der Unterschied der Pustel¬ 
entwicklung je nach dem Kräftezustande der Kinder wurde von 
mehreren Amtsärzten ziffermässig erhärtet. So entwickelten sich 
bei C» Impfschnitten im Amtsbezirke Erbendorf 5,G8 Pusteln bei den 
impf pflichtigen Kindern, hingegen nur 4,8 bei den lm Geburtsjahre 
Geimpften. Im Amtsbezirke Berneck trafen auf jedes impf- 
pfliclitige Kind 5.7 Blattern, auf Jedes im Geburtsjahre geimpfte 
4,5 Blattern bei 6 Impfschnitten. Nach der Beobachtung des Impf¬ 
arztes von Hammelburg waren die Pusteln der Wiederimpflinge 
in der Regel um so zahlreicher und besser entwickelt. Je weniger 
Narben von der Erstimpfung sichtbar waren. 

Den wenigen Beobachtungen, welche auf die vorzeitige Ab- 
schwächung einiger Lymphesorten schliessen liessen, steht eine 
Fülle von solchen gegenüber, welche die vorzügliche Beschaffen¬ 
heit des Impfstoffes erwiesen. Viele Impfärzte sprechen sich in 
ihren Berichten dahin aus, dass die von ihnen verimpfte Lymphe 
von geradezu idealen Eigenschaften gewesen sei. In einer grossen 
Anzahl von Amtsbezirken wurden Erfolge erzielt, welche 
schlechterdings nicht mehr übertroffen werden können. Es sollen 
hier nur einige solcher Mustererfolge ziffermässig angeführt 
werden. 

Im Amtsbezirke Haag wurden bei 509 Erstlmpflingeu 2078 
Blattern erzielt, also 5,26 Blattern bei 0 Impfschnitten. Von 380 
mit Erfolg geimpften Wiederimpflingen zeigten 360 = 94,7 Proc. 
vollkommen entwickelte Pusteln. Im Amtsbezirke Mühldorf ent¬ 
wickelten sich aus 2388 Schnittchen 4518 Pusteln; somit trafen 
auf einen Impfling 7,5 Pusteln. Von den 444 Wiederimpflingen 
hatten 399 bei 4 Schnittchen 1814 wohlcbarakterisirte Pusteln. 
Die Impfung lm Amtsbezirke Kötzting ergab ebenfalls einen vor¬ 
züglichen Erfolg. Bei 4 Schnitten trafen auf jeden Impfling 
5,9 Blattern; Fehlimpfungen oder Fälle mit 1 Blatter kamen nicht 
vor. Bei 309 Wiederimpflingen wurden in 302 Fällen insgesammt 
1239 Blattern gezählt. Auch die Impfung in der Stadt Bamberg 
war in allen Fällen erfolgreich. Bei 623 geimpften Kindern ent¬ 
wickelten sich aus 2492 Impfschnitten 2952 Impfblattern = 118,4 
Proc. Auf jeden Impfling trafen somit 4,7 Blattern. Einblätterige 
Fälle kamen nicht vor. Die gleichen Erfolge hatten die Amts¬ 
bezirke Tölz, Wolfstein, Bayreuth, Grilfenberg, Lichtenfels, Her¬ 
zogenaurach, Potteustein, Schwabach, Pappenheim, Alzenau, 
Euerdorf, Mellrichstadt, Douauwörth, Nördlingen, Furth und 
Rodlng aufzuweisen. In Mellrichstndt wurden sämmtliche Wieder- 
ImpfUuge ohne Ausnahme mit dem Erfolge von schönen, grossen 
Pusteln geimpft, ein Resultat, wie es von dem dortigen Amts¬ 
ärzte noch niemals beobachtet worden war. An diesen erst¬ 
klassigen Erfolgen war die Retrovaccine wie die reine animale 
Lymphe In gleicher Welse betheiligt. 

Dass sich aus 1 Impf schnitte 2 und mehr Pusteln ent¬ 
wickelten, und dass sogar das Impffeld bei 4 Impfschnitten von 
ganzen Gruppen von grossen, mitunter auch konfluirenden 
Pusteln bedeckt war, scheint im Berichtjahre eine ganz ge¬ 
wöhnliche Erscheinung gewesen zu sein, und 12—16 Pusteln bei 
4 Impfschnitten wurden auf dem Oberarme nicht selten gezählt. 

Manchmal hatte die Impfung kurzdauernde Störungen des 
Allgemeinbefindens zur Folge, von denen das Wichtigste erwähnt 
zu werden verdient. 

In der Stadt München wurden von 6678 öffentlich geimpften 
Kindern 19 nach der Impfung ärztlich behandelt, da die Ange¬ 
hörigen wegen wirklicher oder vermeintlicher Krankheltsfolgeu 
der vorausgegangenen Impfung ärztliche Hilfe erbeten hatten. 
Meist handelte es sich nur um unbedeutende Reizerscheinungen 
«n der Impfstelle. In 3 Fällen war, da ekzematöse Stellen unter 
dem Kopfhaare verborgen geblieben waren, ein generalisirter 
Blattern-Ausschlag der Gesichts- und Kopfhaut aufgetreten. Die 
HeilUDg dieser Fälle von Vaccinia nahm einen normalen Verlauf. 
In 3 Fällen kam es zu Abscedirung der Achseldrüsen. Die recht¬ 
zeitige Oeffnung dieser Abscesse führte in kurzer Zelt Heilung 
herbei. Endlich wurde noch ein Fall von Phlegmone der rechten 
Schultergegend mit dem Ausgang in völlige Heilung beobachtet. 
Fälle von generalisirter Vaccine hatten ausserdem noch die Amts¬ 
ärzte von Vilshofen, Homburg, Bamberg, Pottenstein, Heidenheim, 
Brückenau, Cham und Hemau Gelegenheit zu beobachten. Sämmt¬ 
liche Fälle endeten in kurzer Zeit mit Heilung. Andere allgemeine, 
über den ganzen Körper verbreitete urticaria- und masernähnliche 
Exantheme wurden nach der Impfung mehrmals beobachtet. Das 
Allgemeinbefinden der Kinder war nur selten eine kurze Zeit 
hindurch, besonders beim Ausbruche des Exanthems, gestört. Von 
solchen einzelnen Fällen berichten die Amtsärzte von Gelsenfeld. 
Kötzting. Vilshofen, Rockenhausen, Bamberg, Hammelburg, 
Münnerstadt, Marktheidenfeld. Erbendorf und Neunburg v. W. 
Auch ekzeru- und herpesähnllche Eruptionen wurden ln der Um- 


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24. Dezember 1901. 


MTTENCHENEB MEDICINTSCJHE WOCHENSCHRIFT. 


2109 


gebung der Impfstelle, besonders auf reizbarer Haut, manchmal 
beobachtet, so ln 2 Fällen von dem Impfarzte von Kötztlng, 
dann mehrmals von dem Impfarzte von Neumarkt und in 
einem Falle, bei dem die Körperpflege sehr viel zu wünschen 
übrig lies», von dem Amtsärzte von Hemau. Im Amtsbezirke 
Wunsiedel traten bei 8 Wiederimpflingen in der Umgebung der 
Impfpusteln Sugillationeu auf. Die gleiche Erscheinung beob¬ 
achtete der Impfarzt von Kötztlng. Bei einigen Wiederimpflingen 
des Amtsbezirks Münnerstadt bildete sich au den Impfstellen ein 
haemorrhagischer Hof, auch wenn keine Blattern, sondern nur 
Knötchen aus den Impfschnitten sich entwickelt hatten. Bei einem 
mit 4 Schnitten geimpften Erstimpfling des Amtsbezirks Bamberg 
zeigten sich am Nachschautage 3 Blattern, von denen 2 auf ihrem 
Grunde und in der Umgebung eine auffallend starke Vasculari- 
sution erkennen Hessen. Endlich zeigte 1 Impfling des Amts¬ 
bezirks Hemau 3 Monate nach der Impfung noch an zwei Impf¬ 
stellen umschriebene Granulationen in der Höhe einer kleinen 
Erbse. Auch hier scheint eine schlechte Körperpflege die Ur¬ 
sache der abnormen Bildung gewesen zu sein. Mehrfach wurden 
Fälle beobachtet, bei denen bald in Folge von Insultirung der 
Blattern, besonders durch Aufkratzen derselben mit schmutzigen 
Fingernägeln, manchmal aber auch ohne nachweisbare Ursache 
die Blattern sich In mehr minder tiefe Geschwüre mit scharfen 
Rändern und nicht unbeträchtlichen Substanzverlusten verwan¬ 
delten. Durch geeignete ärztliche Maassnahmen reinigten sich 
diese geschwürig entarteten Blattern und kamen bald in kurzer 
Zelt, bald nnch Ablauf von mehreren Wochen ausnahmslos zur 
vollkommenen Heilung. Von solchen Fällen berichten die Amts¬ 
ärzte von Altötting, Arnstorf. Viechtnch, Waldmohr, Kaisers¬ 
lautern, Ludwigshafen, Kipfenberg, Heidenheim, Schweinfurt und 
Ebern. In allen diesen 10 Amtsbezirken handelte es sich immer 
nur um vereinzelte Fälle, an denen die Wiederimpflinge in gleichem 
Grade wie die Erstimpflinge betheiligt waren. Diese erheblicheren 
Lokalaffektionen waren nicht selten von Schwellungen der Achsel¬ 
drüsen begleitet, welche sich mit der Besserung der lokalen Er¬ 
scheinungen durchwegs schnell wieder zurtlckbildeten. Im Amts¬ 
bezirke Thurnau waren die Pusteln eines unreinlich gehaltenen 
und wenig beaufsichtigten Mädchens bei der Nachschau aufge¬ 
kratzt, und nicht nur die Impfstelle selbst, sondern auch die da¬ 
zwischenliegende Haut mit grauwelssen, croupähnlichen Mem¬ 
branen belegt. Das Allgemeinbefinden des Kindes war dabei nicht 
gestört. Das Kind wurde täglich verbunden, machte während des 
Hellungsprocesses die Masern durch und war nach etwa 3 Wochen 
vollkommen genesen. 

Zu den besonderen Vorkommnissen sind jene Fälle zu 
rechnen, in denen an Stellen, die oft von der Impfstelle entfernt 
lagen, grosse, wohlcharakterisirte Pusteln auftraten. 

Von solchen Fällen berichtet der Impfarzt von Gegenfeld. 
Auch im Amtsbezirke Bamberg zeigte 1 Kind an der rechten 
Wange eine versprengte Pustel. Im Amtsbezirke Neustadt a. S. 
brachte sich ein Erstimpfling durch Kratzen mehrere Selbstimpf¬ 
ungen an verschiedenen Körperstellen bei, welche sich zu schönen 
Pusteln entwickelten. Der Amtsarzt von Friedberg beobachtete 
eine grosse Pustel in der Achselhöhle eines Erstimpflings. Auch 
einige Erwachsene wurden im Berlehtjahre wieder mittels der 
Fingernägel ihrer Kinder auf erfolgreiche Weise an verschiedenen 
Körperstellen geimpft. 

Dass Mütter nach vollzogener Impfung die Impfstelle ab¬ 
zuwischen oder selbst mit dem Munde auszusaugen bestrebt 
waren, wurde in mehreren Amtsbezirken beobachtet. Meist hatte 
dieses Verfahren keine Wirkung auf die Entwicklung der 
Pusteln. 

Solche Fälle werden gemeldet aus den Amtsbezirken Ebers¬ 
berg. Neumarkt 1.0., Neustadt a. W.-N. und Roding. Im Amts¬ 
bezirke Neustadt a. W.-N. sollen dadurch die Impf erfolge In der 
That beeinträchtigt worden sein. Wenigstens zeigten die mit 
der nämlichen Lymphe am Kontroltage nachgeimpften Kinder 
wiederholt die schönsten Pusteln. In Roding war jenes Kind, 
dessen Mutter nach eigenem Geständnis« dieses Verfahren geübt 
hatte, das einzige, welches erfolglos geimpft worden war. Die 
Nachimpfung desselben mit dem nämlichen Impfstoffe brachte 
auch hier 4 schöne Pusteln zur Entwicklung. Dem Amtsärzte 
von Riedenburg wurde ein Kind vorgestellt. welches im Jnhre 
1S99 als erfolglos geimpft verzeichnet worden war. Es zeigten 
sich 2 unzweifelhafte Impfpusteluarben, und die Mutter gab au, 
dass erst 14 Tage nach der Impfung damals noch 2 Blattern ent¬ 
standen seien. 

Die Vertheilung von Rathschlägen über das Verhalte i 
der Kinder nach der Impfung an die Angehörigen gewinnt im 
Lande mehr und mehr an Boden und kann (len Amtsärzten nur 
rückhaltlos empfohlen werden. Wenn der Impfarzt von Homburg 
der Ansicht ist, dass die Angehörigen durch die vertheilten Vor¬ 
schriften nur ängstlich würden, und dass in Folge davon der 
linpfarzt öfter zu kranken Kindern geholt würde, deren Krankheit 
mit der Impfung in gar keinem Zusammenhänge stünde, so kann 
ihm der Berichterstatter auf Grund seiner Erfahrung nicht bei¬ 
pflichten. Dass solche Fälle manchmal Vorkommen, ist ja wahr, 
und dass solche fruchtlose Gänge manchmal unbequem für den 
Impfarzt sind, kann ja auch zugegeben werden; aber wir meinen, 
dass diese kleine, manchmal vergeblich auf gewandte Mühe doch 
weniger Schaden bringt, als eine durch das Ausbleiben der ärzt¬ 


lichen Hilfe verschleppte und schlimm gewordene, wirkliche 
Folgekrankheit. 

Dio Impfung hatte auch im Berichtjahre wieder vielfach 
mehr minder starke entzündliche Reizungen der Haut 
der Impfstelle und deren Umgebung im Gefolge. Es kam in 
manchen Fällen zur Induration und Infiltration der Haut, bald 
in kleinerem, bald in grösserem Umkreise. Der Berichterstatter 
pflegt alle diese Fälle, je nach den Aeusserungen der Amtsärzte, 
in 3 Intensitätsgrade einzutheilen und dem ersten Grade der 
reaktiven Folgeerscheinungen diejenigen Fälle zuzuzählen, bei 
denen sich dio entzündlichen Reizerscheinungen nur auf die 
Impfstelle selbst und deren nächste Umgebung beschränken. 
In die 2. Klasse der Hautentzündungen wären dann jene Fälle 
einzureihen, bei denen sich die Reizerscheinungen auf weiter von 
der Impfstelle entfernte Regionen erstrecken, sowie solche, bei 
denen die Lymphdrüsen der Umgegend mit einer kleineren oder 
grösseren sympathischen Schwellung betheiligt sind. Jene Fälle 
aber, bei welchen die Impfung noch bedeutendere lokale Krank- 
heitserscheinungen zur Folge hat, die insbesondere auch das All¬ 
gemeinbefinden der Kinder in mehr oder minder erheblichem 
Grade stören, pflegt der Berichterstatter der 3. Klasse der Folge¬ 
zustände nach vorausgegangener Impfung zuzutheilen. Für die 
absolute Richtigkeit der Einreihung der namentlich aufge¬ 
führten Krankheitsfälle in diese 3 verschiedenen Intensitäts¬ 
grade kann freilich bei der Kürze der amtsärztlichen Aeusse¬ 
rungen, mit welcher viele dieser Fälle behandelt werden, keine 
Gewähr übernommen werden. Es dürfte jedoch die Annahme 
richtig sein, dass alle diejenigen Fälle, welche wir nur beiläufig 
und nebensächlich in den Berichten erwähnt finden, auch in der 
That bedeutungslos gewesen .sind. 

Von solchen vereinzelten, unbedeutenden Reizerscheinungen 
der Impfstelle und ihrer nächsten Umgebung berichten 26 Amts¬ 
ärzte. In der überwiegenden Anzahl dieser Fälle waren wieder, 
wie in den früheren Jahren, die Schulkinder betroffen, welche 
durch zu geringe Schonung des Armes, besonders durch land¬ 
wirtschaftliche Arbeiten, aber auch durch direkte Insulte, wie 
Aufkratzen der Blattern etc. öfters Anlass zur Schwellung und 
entzündlichen Reizung des geimpften Armes gaben. Auch un¬ 
geeignete, enge Kleidung und mangelhafte Reinlichkeit waren 
nicht selten die augenfällige Ursache dieser abnormen Folge¬ 
erscheinungen. In allen diesen Fällen verschwand die Entzün¬ 
dung und Schwellung der Haut in kürzester Zeit, und die Hei¬ 
lung der Blattern nahm einen normalen Verlauf. Aus der Reihe 
der erheblicheren Störungen ist Folgendes hervorzuheben: 

Im Amtsbezirke Kötzting wurde bei 14 Erstimpflingen eine 
vorübergehende Entzündung des rechten Arms, sowie bei 6 Wieder¬ 
impfungen eine solche des ganzen linken Arms mit Anschwellung 
der Achseldrüsen ohne jede weitere Folge beobachtet. Die Blattern¬ 
eutwicklung war in allen Füllen tadellos. Der Amtsarzt von Vleeh- 
tach sah bei einem Wiederimpfung nach einem kalten Bade im 
Regenflusse eine starke Infiltration der Umgebung der Impfstelle 
mit Schwellung der Achseldrüsen auftreten. Die Amtsärzte von 
Homburg. Waldmohr, Kaiserslautern. Wolfstein und Blieskastel 
beobachteten 12 Fülle von rotblaufartlgen Entzündungen, von 
denen einige im Amtsbezirke Wolfstein nicht unbedeutend gewesen 
zu sein scheinen. Im Amtsbezirke Stadtsteinach war bei einem 
18 jährigen Mädchen, wahrscheinlich in Folge unreiner Kleidung, 
ein ziemlich starkes Erysipel zu beobachten. Auch ln den Amts¬ 
bezirken Kitzingen und Schweinfurt zeigte sich nicht selten, und 
zwar besonders bei den Wiederimpfungen, eine starke Reizung 
der Umgebung der Impfstelle mit Anschwellung der Achseldrüsen. 
Bei einem Kinde des Amtsbezirkes Hammelburg war am Nach¬ 
schautage eine starke eryslpelatöse Entzündung der Haut sicht¬ 
bar. die sich auf den ganzen rechten Oberarm erstreckte. Die 
Ursache war mangelhafte Reinhaltung der Impfstelle seitens der 
Eltern. Auch in den Amtsbezirken Oclisenfurt, Werneck und 
Neuburg zeigte sich in mehreren Fällen, jedoch immer vereinzelt, 
und besonders bei den Wiederimpflingen, eine starke Röthung und 
Schwellung des Arms mit Schwellung der Achscldrüsen. Häufig 
waren die Blattern durch enge Kleider oder die Fingernägel zer¬ 
kratzt und insultirt. Gleichfalls vereinzelt traten solche Krank¬ 
heitserscheinungen auf in den Amtsbezirken Riedenburg. Neun¬ 
burg v. W., Erbendorf und Neumarkt. Bel dem im letztgenannten 
Amtsbezirke beobachteten Falle war die Impfstelle mit durch den 
Harn des Kindes durchnässten Windeln bedeckt. Der hartnäckigste 
Krankheitsfall scheint ein vom Amtsärzte von Moosburg beob¬ 
achteter gewesen zu sein. Bei einem schwächlichen Erstirapfllng 
sollen nach der Versicherung der Mutter desselben mehrere Monate 
vergangen sein, bis die Impfstelle völlig geheilt war. — In allen 
angeführten Fällen sind die Kinder ohne Zwischenfall vollkommen 
genesen. Diejenigen Fälle, bei welchen es sich um anders ge¬ 
artete sekundäre Infektionen der Impfstelle handelte, wurden 
bereits unter den „Beobachtungen“ besprochen. Irgend ein wei¬ 
terer Krankheitsfall im Gefolge der Impfung ist sonst im ganzen 
Lande nicht vorgekommen. 

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2110 


MTTENCHENER MEDICINI80HE WOCHENSCHRIFT. 


• No. 52. 


Im Berichtjahre kamen wieder bald in den Tagen zwischen 
Impfung und Nachschau, bald in der auf die Nachschau folgenden 
Zeltperiode mehrere Todesfälle vor. Allen diesen Todesfällen, 
welche kurz vorher geimpfte Kinder betrafen, wurde auf’s Sorg¬ 
fältigste nachgegnngen, um die Sachlage völlig klar zu stellen, 
was bei einigen Kindern, deren ärztliche Behandlung die Eltern 
nicht für nöthig gefunden hatten, nicht ganz leicht war. 

Nachstehend folgt das Ergebniss der bei Todesfällen von 
kurz vorher geimpften Kindern gepflogenen Erhebungen. Im 
Amtsbezirke Altötting starben vor dem Nachschautage 2 Erst- 
impfliuge. Diese hatten schon vor der Impfung an Diarrhöen ge¬ 
litten, ein Umstand, der dem Impfarzte verschwiegen worden war. 
Im Amtsbezirke Berchtesgaden starb ein im Geburtsjahre ge¬ 
impftes Kind 4 Tage nach dem Nachschautermine ohne ärztliche 
Behandlung wahrscheinlich an Masern. Das Aussehen der Impf- 
blattern, welche in normaler Abheilung begriffen waren, gab zur 
Annahme einer Folgekrankheit der Impfung keinen Anlass. Ob 
die „während der Impfzeit“ im Amtsbezirke Dachau an Meningitis 
und Brechdurchfall verstorbenen Kinder sich unter den Geimpften 
befunden hatten, geht aus dem Berichte des Amtsarztes nicht hervor. 
Im Amtsbezirke Neumarkt a. R. starb je 1 Erstimpfling an akutem 
Darmkatarrh, an Pneumonie und an Bronchitis, dieser Letztere 
ohne ärztliche Behandlung. In Vilshofeu Helen 3 Erstimpflinge 
in der Zeit zwischen Impfung und Nachschau der Lungen- und 
Hirnhautentzündung zum Opfer. Im Amtsbezirke Pottenstein 
starb ein Erstimpfling 2 Tage vor der Nachschau an Eklampsie. 
Auch hier war ärztliche Behandlung nicht in Anspruch genommen 
worden. Die gut entwickelten Impfblattern waren völlig reizlos. 
Auch über 3 Todesfälle, welche sich in den Amtsbezirken Weissen- 
burg und Schwandorf während der Impfperiode ereigneten, er¬ 
gaben die Erhebungen nicht den geringsten Anhaltspunkt für die 
Annahme feines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung 
und Tod. Dasselbe kann von 2 In der Zeit zwischen Impfung 
und Nachschau im Amtsbezirke Waldsassen verstorbenen Kindern 
gesagt werden, von denen eines todt im Bette gefunden wurde. 
2 Kinder in den Amtsbezirken Schwabach und Kitzingen erlagen 
der Lungenentzündung. An letzterem Orte erkrankte ein Erst¬ 
impfling, der am 4. Mai geimpft worden war, einige Tage nach 
der Impfung an Durchfall und einer Phlegmone der Mastdarm¬ 
gegend. Unter Hinzutritt von Krämpfen trat der Tod ein. Zwei 
im Geburtsjahre geimpfte Kinder des Amtsbezirkes Bamberg-Land 
fielen noch vor dem Nachschautage dem akuten Brechdurchfall 
mit folgender Eklampsie zum Opfer. Der Impferfolg dieser beiden 
Kinder ist unbekannt geblieben. 

Bei einigen Todesfällen, welche sich im Amtsbezirke 
Bamberg-Stadt ereigneten, muss der Berichterstatter wegen des 
impf gegnerischen Beiwerks, welches diese Todesfälle umgab, 
etwas länger verweilen. 

Dortselbst war theils in der Presse, theils in öffentlichen Ver¬ 
sammlungen die Beschuldigung erhoben worden, dass in Folge 
der Impfung Schädigungen an Gesundheit und Leben vorgekommen 
seien. Der erste Fall betraf einen Schuhmacherssohn, geboren am 
5. September 1809. welcher, am 2. Mai mit 4 Schnitten geimpft, 
am 25. Mai verstarb. Das Kind war vom Erscheinen zun Nach¬ 
schau durch ein ärztliches Zeugniss l>efreit worden, welches be¬ 
sagte, dass der Impfling, weil an Gastroiutestlnalkatarrh erkrankt, 
nicht zur Kontrole gebracht werden könnte. „Impfung von Er¬ 
folg, keine Entzündung etc. an den Pusteln.“ Im Verlaufe der 
genannten Krankheit trat am 12. oder 13. Mal ein Masernausschlag 
mit charakteristischer Augenentzündung auf. Das Exanthem nahm 
allmählich den Charakter der haemorrhagischen Masern an. Als 
der Impfarzt am 24. Mai das kranke Kind sah, waren noch pig- 
mentlrte Reste von dem früheren Exanthem sichtbar. Am Ober¬ 
arme zeigten sich 4 eingetrocknet«*, aber noch fest haftende 
Blatternschorfe. Am Gesiiss fanden sich verscliorfte Hautstellen 
von Druckbrand. Der allgemeine Zustand «les Kindes Hess be¬ 
reits das Aeusserste erwarten. Am 25. Mai trat der Tod ein. 
Die Vornahme einer gerichtliclu'n Leichenöffnung wurde von der 

k. Staatsanwaltschaft, an welche Anzeige erstattet worden war, 
abgelehnt. Die Diagnose lautete: Masern. Sepsis. 

Der zweite Fall betraf ein Ilutmacherskind, geboren am 
21. März 1899. welches bei der öffentlichen Impfung am 1. Mai 
ein leichtes Ekzem an der linken Seite der Stirnhaut zeigte und. 
weil sonst gesund, ohne Bedenken geimpft wurde. Der Impf¬ 
ling erkrankte am 2. Mai an Brechdurchfall, zeigte bei der Nach¬ 
schau am 8. Mai wohl entwickelte, einwandsfrele Pusteln und 
erkrankte am 11. Mai neuerdings an Lungenentzündung, der das 
Kind zum Opfer fiel. 

Ein dritter Fall von ang«*blicher Impfschädigung wurde in 
öffentlicher Versammlung des Naturheilvereins von dem Vorstande 
desselben bezüglich seines eigenen Kindes, geh. am 24. Nov. 1897, 
beobachtet. Dies«*s wurde am 0. Mai privat mit 3 Schnitten ge¬ 
impft. Nach Angabe des Vaters soll es dann blauschwarz ge¬ 
worden und ..nur durch Anwendung von Kaltwassermanipulationen 
gerettet worden sein“. Am Nachschautage zeigte das Kind 2 wohl 
entwickelte Pusteln und keine Spur von Erkrankung. Wann die 
..Rettung“ des Kindes erfolgt sein soll, blieb unaufgeklärt. Auf 
Anordnung des k. Staatsministerlums des Innern wurde der That- 
bestand dieser 3 Fälle in der lokalen Tagespresse wahrheitsgetreu 
und amtlich veröffentlicht. 

Hierauf erschienen in der Zeitschrift „Der Impfgegner“ noch 
2 Fälle von angeblichen Impfschiidlgungen, welche sich bei der 
Impfung des Befiehl Jahres zugetragen haben sollen. Die itn Jahre 

l. VK.S geboren«* Schuhmacherstochter M. Schmidt. Schwester 
des erstgenannten, an Maseru verstorbenen Kindes, soll nach der 


Impfung an einer nässenden Flechte am Gesäss erkrankt sein. 
Die Nachfrage bei den Eltern ergab, dass diese Flechte bei dem 
genannten Kinde bereits von Geburt an bestanden habe, was die 
Eltern auch dem Impfgegner, Dr. Berthelen aus Dresden, 
welcher in der Sache bei ihnen nachgefragt habe, ausdrücklich 
mitgetheilt hätten. Das Kind ist 1897 an einem Gehirn- und 
Rückenmarksleiden gestorben. Der weitere Fall von angeblicher 
Impf Schädigung betraf eine Gärtnerstochter, welche im Jahre 1898 
öffentlich geimpft worden war. Auf dem Heimwege vom Impf¬ 
termine acquirirte das Kind eine Lungenentzündung und starb 
noch vor der Nachschau. Die Mutter gab an, dass sie die Erkran¬ 
kung und den Tod des Kindes niemals der Impfung zugeschrieben 
habe, auch nicht «len beiden Herren gegenüber, welche ira Früh¬ 
jahre zu ihr kamen und ihr in zudringlichster Weise in den Mund 
legen wollten (!), dass ihr Kind eine Impf Schädigung erlitten habe. 
Unter diesen beiden Herren befand sich gleichfalls der oben ge¬ 
nannte Dr. Berthelen. 

Privatimpfungen wurden im Berichtjahre im ganzen König¬ 
reich 11894 vorgenoinmen, gegen 11325 im Vorjahre. Davon 
waren Erstimpfungen 11190, Wiederimpfungen 704 (im Vor¬ 
jahre 10 708 bezw. 617). Von den 11190 Erstimpflingen wurden 
10 871 mit Erfolg, 293 ohne Erfolg und 26 mit unbekanntem 
Erfolge geimpft. Von den 704 Wiederimpfungen wurden 616 
mit Erfolg, 85 ohne Erfolg und 3 mit unbekanntem Erfolge 
vollzogen. 

Es gereicht dem Berichterstatter zu ganz besonderer Befrie¬ 
digung, konstatiren zu können, dass der Hinweis auf die un¬ 
günstigen Ergebnisse der Privatimpfung im Jahre 1899 nicht 
fruchtlos geblieben zu sein scheint. Wenn auch die Erfolge 
der privaten Wiederimpfungen noch viel zu wünschen übrig 
lassen, so haben sich doch jene der privaten Erstimpfungen 
gegen das Vorjahr ganz erheblich gebessert (1899: Fehlimpfungen 
4,8 Proc., 1900: 1,53 Proc.), wenn sie auch hinter den Erfolgen 
der öffentlichen Impfungen noch zurückgeblieben sind. In der 
Landeshauptstadt waren im Berichtjahre von 6678 öffentlichen 
Erstimpfungen 12 erfolglos; in 18 Fällen wurde nur 1 Pustel 
erzielt. Von 2211 privaten Erstimpfungen waren 52 erfolglos 
und einblätterige Fälle wurden 44 gezählt. 

Ausserordentliche Impfungen kamen ira Bericht¬ 
jahre in 4 Regierungsbezirken vor. 

Im Amtsbezirke Starnberg fand am 2. und 5. August eine 
ausserordentliche Impfung statt in der Gemeinde Aschering. Ver¬ 
anlassung hiezu grab das Auftreten von Vaiäola bei einer 48jähr. 
Frau dortselbst, welche am 8. August an den Pocken starb. Der 
Grund der Entstehung dieser Erkrankung konnte nicht festgestellt 
werden. Der Fall ist um so merkwürdiger, da die Ergriffene schon 
mehrere Wochen vor ihrer Erkrankung wegen zunehmender Kränk¬ 
lichkeit weder aus dem Orte, noch aus dem Hause gekommen war. 
Der Impfung wurden 101 Personen unterzogen, davon 70 mit 
Erfolg. 

In den Amtsbezirken Dett-ilbach. Marktbreit, Ochsenfurt und 
Würzburg wurden 02 landwirtschaftliche Arbeiter aus Russisch- 
Polen prophylaktisch geimpft. Von 41 derselben ist ausdrücklich 
konstatirt, dass sie mit Erfolg geimpft worden seien. 19 Arbeiter 
hatten bereits die Pocken überstanden. 1 Arbeiter war erst kürz¬ 
lich aus dem Blatternspitale entlassen worden. 

Im Amtsbezirke Lohr wurden wegen der im nahen Frankfurt 
vorgekommenen Blatternfälle die nicht geimpften österreichischen 
Staatsangehörigen der Impfung unterzogen. Eine ausserordent¬ 
liche Impfung, bei welcher 53 Erwachsene und 3 Kinder im Ge¬ 
burtsjahre zur Vorstellung kamen, wurde durch die Erkrankung 
eines am 7. Juli von Frankfurt nach Augsburg gekommenen 
Fabrikarbeiters nöthig. Es erkrankte nur noch die Pflegerin dieses 
Kranken an leichten Blattern. Sie war zwar auch prophylaktisch 
geimpft worden; jedoch war die Infektion mit dem Blatterngifte 
offenbar bereits vor der Impfung geschehen. Auch im Land¬ 
bezirke von Augsburg hatte ein von Frankfurt eingeschleppter 
Blatternfall eine ausserordentliche Impfung zur Folge. Ein ver- 
heiratheter Taglöhner war bereits mit dem Exanthem behaftet von 
seiner in Oberhausen wohnenden Mutter in seiner Stadtwohnung 
besucht worden. In Folge davon wurden 285 Personen prophy¬ 
laktisch geimpft, und zwar 24 im Stadtbezirke Augsburg, 5 In Deu¬ 
ringen, 2 in Kriegshaber. 14 In Oberhausen, 1 in Stadtbergen und 
239 in Pfersee. Obwohl der erkrankte Fabriktaglöhner noch am 
Tage vor seiner flel»erhaften Erkrankung fast in allen Fabrik¬ 
räumen beschäftigt war, kam doch keine weitere Pockenerkran- 
kung vor. 

In Neuburg-Land wurden 2 italienische Arbeiter geimpft 
welche keinen Ausweis Uber die vollzogene Wiederimpfung zu 
erbringen vermochten. In Regensburg war eine ausserordentliche 
Impfung veranlasst durch das Auftreten von Blattern auf dem 
isollrt gelegenen Gute Aukofen. Dort war kurz vorher ein Arbeiter 
angekommen; bald darauf an Varlolois erkrankt hatte er sich nicht 
ln Spitalbehandlung begeben, sondern vielmehr die Krankheit 
ambulant überstanden. Aus diesem Anlass wurden die Arbeiter 
des Gutes sowie die dort zeitweilig thätigen Personen der Impfung 
unterzogen. Später wurden auf Anordnung der k. Regierung die 
sämmtlichen russisch-polnischen und galizischen Arbeiter von 
12 Gütern — im Ganzen 270 Personen — geimpft Auf die gleiche 


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24. Dezember 1001. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2111 


Veranlassung bin mussten sich auch alle ln den benachbarten 
Amtsbezirken Stadtamhof und Regenstauf befindlichen Oekonomle- 
nrbeiter der Impfung unterziehen. 

Fälle von Renitenz gegen das Impfgesetz kamen 
im Berichtjahre in 5 Regierungsbezirken vor. 

Die Fälle von einfachem Wegbleiben vom Impftermine können 
hier füglich übergangen werden, weil die Absicht, sich der Impf- 
pflieht entziehen zu wollen, bei diesen Füllen nicht zweifellos fest¬ 
steht. Hingegen liegen aus der Pfalz mehrere Fülle von direkt er¬ 
klärter Weigerung vor, sich dem Gesetze zu fügen. So erklärte ein 
Handelsmann im Amtsbezirke Grünstadt, seine 2 Kinder nicht 
Impfen lassen zu wollen. Er wurde bestraft, brachte aber seine 
Kinder doch nicht zur Impfung. Im Bezirke Kaiserslautern scheint 
nach dem Berichte des dortigen Amtsarztes die Zahl der eigent¬ 
lichen Impfgegner abzunehmen. Ein dortiger Uhrmacher be¬ 
hauptete, vor einigen Jahren ein Kind in Folge der Impfung ver¬ 
loren zu haben, und weigert sich seitdem, sein Kind impfen zu 
lassen. Alljährlich bezahlte er seine Geldstrafe, liess aber sein Kind 
nicht impfen. Als dieses nun schulpflichtig wurde, erstattete die 
Lokalschulkommission Anzeige beim k. Bezirksamte, welches den 
Säumigen beauftragte, sein Kind innerhalb einer bestimmten Frist 
impfen zu lassen. Da er sich abermals weigerte, drohte ihm das 
Bezirksamt neben der Strafanzeige die Zwangsimpfung des Kindes 
an. Der Uhrmacher erhob liiegcgen Einspruch bei der k. Kreis¬ 
regierung, deren Entscheidung dahin lautete, dass Zwangsimpfung 
für gewöhnlich nicht zulässig sei. Es mag hier darauf hingewiesen 
werden, dass vor Kurzem in der gleichen Sache ein preussisches 
Obergericht sich im entgegengesetzten Sinne ausgesprochen hat 5 ). 
Im Amtsbezirke Neustadt a/H. wurde bei einem 2 mal durch pri¬ 
vatärztliches Zeugnlss von tler Impfung befreiten Erstimpfling die 
Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses gefordert. Der Fall kam 
in die Berufungsinstanz des k. Landgerichtes und endete mit der 
Verurtheiluug des Renitenten trotz des persönlichen Auftretens 
desjenigen Arztes, welcher das l>efreiende Zeuguiss abgegeben 
batte. Ini Amtsbezirke Pirmasens machte ein Baumeister und 
Badbesitzer die Angabe, das Impfen seiner Kinder unterlassen zu 
wollen, weil er es für schädlich hielte. Anzeige wurde erstattet. 

In Roth a/S. kam ebenfalls ein Fall von absichtlicher Entziehung 
von der Impfung vor. Der Impfling ist 1881) geboren und iiat sich 
der Impfung bisher regelmässig entzogen. Der Amtsarzt von Lohr 
berichtet von einem k. Forstmeister, welcher sich weigerte, seine 
Kinder, deren eines bereits die Volksschule besucht, impfen zu 
lassen. Im Amtsbezirke Türkheim hatte grundsätzliche Gegner- | 
Schaft in Wörishofen in 3 Fällen von Erstimpfung die absichtliche 
Entziehung der Kinder von der Impfung zur Folge. In dem Grenz¬ 
bezirke Furth v/W. wurde bei 3 österreichischen Kindern, welche 
ungeimpft eingewandert waren, die Vornahme der Impfung ver¬ 
weigert und erst nach Strafandrohung endlich zugestanden. 

Im Gegensätze zum vorhergehenden Jahre kamen im Bericht¬ 
jahre weit ausgedehnte Störungen in der Durch¬ 
führung der öffentlichen Schutzpocken¬ 
impfung vor. Dadurch, dass in vielen Amtsbezirken des 
Landes während der Impfzeit die Masern in epidemischer Ver¬ 
breitung herrschten, mussten viele Impftermine auf einen 
späteren Zeitpunkt verschoben werden. Wie bedeutend die Ver¬ 
breitung der Masern im Berichtjahre gewesen ist, geht schon 
allein aus der Thatsache hervor, dass in 46 Amtsbezirken des 
Landes die Durchführung der öffentlichen Impfung in geringerem 
oder höherem Grade gestört wurde. 

In 4 Gemeinden des Amtsbezirkes Grünstadt konnte im Be¬ 
richtjahre überhaupt nicht, mehr geimpft werden. In dem Amts¬ 
bezirke Aichach schloss sich an die Masernepidemie eine solche von 
Keuchhusten an. welche neue Störung brachte. Auch in den Amts¬ 
bezirken Grünstadt. Stadtprozelten und Oelisenfurt herrschte zur 
Impfzeit der Keuchhusten in epidemischer Verbreitung und ver¬ 
hinderte die Durchführung des Impfplans. Diphtherie störte in 
einer Gemeinde des Amtsbezirkes Landau (Pf.) die Durchführung 
der Impfung. 

Von anders gearteten Störungen ist zu erwähnen, dass an 
einem Orte des Amtsbezirks Homburg der Adjunkt den ausge¬ 
schriebenen Impftermin bekannt zu geben vergessen hatte, so 
dass die Impfung erst 8 Tage später vollzogen werden konnte. Die 
wegen Mangels eines passenden Impflokales verfügte Verlegung 
eines Impftermins lm Amtsbezirke Otterberg wurde von den Ein¬ 
wohnern damit beantwortet, dass dieselben mit allen ihren Impf¬ 
lingen demonstrativ der Impfung femblieben. ln 3 Amtsbezirken 
des Landes konnten im Laufe des Monats Mai die Impftermine 
In Folge von Unwetter nicht abgehalteu werden. 

Aus 6 Regierungsbezirken sind Vorschläge in Bezug 
auf die Ausführung der Impfung eingelaufen. 

Wenn der Impfarzt von Rosenheim einen 3 maligen Bezug 
seines Lymphebedarfs dem bisherigen 2 maligen vorziehen zu sollen 
glaubt, so steht es ihm Jederzeit frei, die Art des Lympheempfangs 
vollkommen seinen Wünschen entsprechend zu regeln. Die Ccn- 
tralatelle geht auf jeden in dieser Hinsicht geäusserten Wunsch 
seit Jahren auf’s Bereitwilligste ein. Nach dem Vorschläge des 
Amtsarztes von Mitterfels sollten die Angehörigen der Impflinge 


•) Entscheidung des preuss. Oberverwaltungsgerichts vom 
14. Mal 1901. 

No. 52 


durch den gemessensten Befehl des k. Bezirksamts angehalten 
werden, die Impflinge wenigstens mit rein gewaschenen Armen 
zur Impfung zu bringen. Aus der Erfahrung des Impfarztes, dass 
etwa der dritte Theil der Kinder ungewaschen zur Impfung er¬ 
scheint, muss geschlossen werden, dass es mit den Reinlichkeits- 
begriffen der dortigen Bevölkerung etwas misslich bestellt ist. Der 
Wunsch des Amtsarztes von Germersheim, dass solche Eltern, 
welche ihre Kinder privat impfen lassen wollen, gehalten sein soll¬ 
ten, dem amtlichen Impfarzte hievon spätestens am Tage der 
öffentlichen Impfung schriftlich oder mündlich Kenntniss zu geben, 
ist schon wiederholt geüussert worden. Leider muss zu diesem 
Wunsche bemerkt werden, dass der Ausführung einer solchen 
generellen Bestimmung unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege 
stehen würden. Die Impfärzte von Xördlingeu und Augsburg 
warnen, auf wohlerwogene Gründe gestützt, vor der allzu grossen 
Vermehrung der Impftermine. Die Bevölkerung war mit der bis¬ 
herigen Eintheiluug der Termine fast durchwegs zufrieden; 
andererseits schadet die früher festgesetzte Mnxinmientfernung 
von f> km bis zur nächsten Impfstation weder dem Impfling noch 
der Mutter in irgend einer Weise. Aus der in manchen Amts¬ 
bezirken beliebten nilzugrossen Vermehrung der Impfstationeu 
geht auch der folgerichtige Wunsch des Impfarztes von Teuscli- 
ritz hervor,, es sollten neben den grösseren Impf glitschen auch 
Röhrchen mit 5 oder 10 Impfportionen abgegeben werden, damit 
der Impfarzt nicht gezwungen ist, l>ei einem Reste von 5—19 Impf¬ 
lingen ein neues Glas mit 50 oder 100 Portionen zu öffnen. Der 
Berichterstatter steht in seiner Eigenschaft als Lympheproduzent 
in dieser Frage auf Seiten der Amtsärzte, da er im Interesse der 
Konservirung der Lymphe es durchaus nicht für wünschenswerth 
hält, eiu Lympheglas wiederholt zu öffnen, was doch viele kleine 
Impfstationen zur Nothweudigkeit machen würden. Die Ein¬ 
führung von mehreren neuen, kleineren Gläsertypen würde aber 
die richtige Zutheilung der Lymphe an die Aerzte während der 
Impfzeit, in weicher ohnehin schon alle Kräfte bis zum äusser- 
sten Grade angespannt sein müssen, um allen Anforderungen ent¬ 
sprechen zu könneu, ungemein erschweren. Ja zeitweise zur Un¬ 
möglichkeit machen. Die Erhöhung der Zahl der Impfstationeu 
hat daher in der Möglichkeit der richtigen Austheilung eines so 
empfindlichen Stoffes, wie es die Lymphe ist. ihre gewissen, ziem¬ 
lich eng gezogenen Grenzen. In diesem Sinne hat sich der Be¬ 
richterstatter auch in einem Gutachten über die vorliegende Frage 
geüussert, welclves auf Verlangen der k. Kreisregierung von 
Schwalten im Laufe dieses Jahres erstattet wurde. 

Wenn endlich ein Impfarzt wünscht, dass die Benützung der 
Schulen zu Impflokalen offlciell befohlen werden sollte, so eilt er 
mit diesem Vorschläge seiner Zeit voraus. Die allgemeine Durch¬ 
führung dieser au sich sehr begrüssenswertlien Maassregel ist 
, nach dem Urtheile vieler Impfärzte heute noch nicht möglich, 
i Gleichwohl hat die behördliche Anregung dieser Frage schon viel¬ 
fach Besserung gebracht und notorische Uebelstäude beseitigt, 
wofür mau dankbar sein muss. Dieser Baum lässt sich mit einem 
Hiebe nicht fällen. Das erstrebenswerthe Ziel soll Jedoch nicht 
aus dem Auge verloren werden. 


Ueber den Begriff „Klima “. 

Von Dr. KarlErnstRanke, II. Arzt am Sanatorium Arosa. 

Bei Ausarbeitung einiger Versuche Uber die Einwirkung ver¬ 
schiedener Klimata auf die Gesammternülirung des Europäers 
sah ich mich veranlasst, mich mit der Definition von Klima zu 
beschäftigen. Ich war damals sehr erstaunt, statt der erwarteten 
einen, eine ganz«* Anzahl von Definitionen vorzufinden, die, 
wenn auch theilweise nur wenig von einander abweichend, sich 
doch im Ganzen in 3 principiell von einander verschiedene Gruppen 
eintheilen lassen. Ich hatte mich zuerst damit begnügt, unter 
all« n diesen Variationen des Begriffs diejenige nuszuwählen, die 
mit meiner eigenen latenten, individuellen Vorstellung von Klima 
am besten übereinstimmte, und die ausserdem noch den Vorzug 
hatte, die für mein Thema wichtigsten Verhältnisse scharf zu 
umgrenzen. Die weitere Ausdehnung meiner Arbeiten und vor 
Allem der Widerspruch, den die Annahme gerade dieser Definition 
schon gefunden, hat mich veranlasst, mich über dieses Thema ein¬ 
gehender zu informiren und da einerseits die heute kurslreudcn 
Definitionen von Klima nicht scharf genug sind, um der wissen 
schaf tliclien Analyse eines Vorgangs als Grundlage dienen zu 
können und andererseits ül>er die Auffassung dieses Wortes zur 
Zeit so viel Meinungen als Köpfe vorhanden sind, scheint es mir 
sehr wünschenswerth. die Entstehung und vielfach wechselnde Be¬ 
deutung dieses Begriffs einmal gründlich durchznspreehen. 

Ich möchte dabei mit einer historischen Skizze be¬ 
ginnen. auch auf die Gefahr hin, allgemein Bekanntes zu wieder¬ 
holen, da wir eine genaue Kenntniss der einzelnen Komponenten 
und damit die Grundlage zu einer späteren Vereinigung der wlder- 
strelH'nden Meinungen auf diese Welse am leichtesten erreichen 
können. 

Das Wort Klima ist uns aus dem Vorstellungskreis der griechi¬ 
schen Welt überkommen. Dort hatte es ln erster Linie eine 
astronomische Bedeutung und bezeichnete die Neigung der Mittags- 
strahlen des längsten Tages im Jahn* gegen die Erdoberfläche. 
Gemessen wurde dieselbe durch die Sehatteuliiugen, deren un- 
| geheure Verschiedenheiten unter den verschiedenen geogrnphIschen 

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2112 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 52. 


Breiton ja auch viel weniger gebildeten Völkern, wie z. B. den 
mittelamerikanlsehen, aufgefallen sind. Von diesem Einfallswinkel 
der Sonnenstrahlen sind im Grossen und Ganzen die thermischen 
Verhältnisse der einzelnen Himmelsstriche abhängig, ein Zu¬ 
sammenhang. der der ägyptisch-griechischen Welt vollkommen ge¬ 
läufig war. Wo die Sonnenstrahlen senkrecht einilelen, waren die 
Laude heiss, mit der zunehmenden Schiefe derselben wurden die 
Länder immer kälter und dunkler. So linden wir also am Aus¬ 
gangspunkt unsrer Betrachtung einen astronomisch-geographischen 
Begriff associirt mit der Vorstellunig verschiedener allgemeiner 
Temperaturverhältnisse. In der Zeit, in der die griechische Wissen¬ 
schaft in ein dogmatisches Lehrgebäude zusammengefasst wurde, 
wurde dann die Erdoberfläche nach den Neigungswinkeln der 
Mittagsstrahlen in verschiedene Zonen eingetheilt, die jetzt selbst 
den Namen Klimata erhielten, und zwar wurde als ein Klima die 
Zone zwischen 2 Parallelkrelseu der Erde bezeichnet, für welche 
von dem Aequator nach den Polarkreisen zu die Hauer des längsten 
Tages um y, Stunde zunimmt. 

Dieses Wort mit dem zugehörigen Begriff ist bei der Neuord¬ 
nung der Machtverhältuisse in und nach der Völkerwanderung 
von den germanischen Stämmen übernommen worden. Einerseits 
fristete es sein Leben fort in der Scholastik des Mittelalters, wo 
die eben erwähnten ptolemüischen Kiimate Jahrhunderte lang aus 
einem Lehrpergament in's andere übergingen, andererseits ging 
der lebensvolle thermische Begriff in den allgemeinen Sprach¬ 
gebrauch auch dieser Völkerschaften über, machte aber hier eine 
interessante Wandlung durch. Zunächst wurde er seines mathe¬ 
matisch-astronomischen Charakters entkleidet. Dass das Wort ur¬ 
sprünglich nur die Neigung der Mittagsstrahlen bezeichnet hatte, 
ging aus dem Bewusstsein des Volkes vollständig verloren. Nur 
wenige Beste von der früheren astronomischen Bedeutung sind im 
Sprachgebrauch erhalten geblieben, so sagen wir z. B. allgemein 
noch: I nter dem und dem Klima, ein Ausdruck, der nur unter der 
latenten Vorstellung «1er Sonnenstrahlung zu Stande gekommen 
sein kann. Die thermischen Vorstellungen sind dagegen geblieben, 
wie sie auch bis heute noch mit dem Begriff unzertrennlich ver¬ 
bunden sind. Damit ist aber die Entwicklung des Wortes durch¬ 
aus nicht abgeschlossen. Die vielfachen Wärmeeintiilsse, die ja 
mit der Sonnenstrahlung allein noch lange nicht vollständig ge¬ 
geben sind und die unter verschiedenen Himmelsstrichen den 
Wärmehaushall der Organismen bestimmen, sind zum grossen 
Tlieil nicht direkt greifbar. Trotzdem werden sie sehr merkbar 
im subjektiven Empfinden gespiegelt. Wir fühlen uns unbehaglich 
im „kalten und heissen" Klima und wir erkennen uusor ther¬ 
misches Optimum au einem deutlichen subjektiven Wohlbefinden. 
So gliedert' sich dem Begriff Klima in der Vorstelluugswelt der 
folgenden Zeiten, der wir ja auch angehören, ein subjektives 
Element an. Dieses subjektive Element ist es, was sich weiter 
entwickelt hat. Wir alle denken heute bei Klima an ein wahres 
Labyrinth von Einflüssen und von Empfindungen, vornehmlich 
unseres Hautorgans. Alles was mehr oder weniger unfassbar 
und unsichtbar aus der Umgebung auf unsem Organismus eiu- 
wirkt, ist in dem Begriff, wie er im nichtwissenschaftlichen Sprach¬ 
gebrauch kursirt, einbegriffen worden. 

Im Laufe des der Entwicklung von mystischen Begriffen so 
günstigen Mittelalters hat sich dieser höchst komplexe Begriff 
dem Gedankenlebi n der europäischen Völker eingebürgert und ich 
glaube eine ziemlich vollständige Definition desselben mit den 
Worten zu geben: Als Klima bezeichnen wir die Gesammiheit aller 
der Einflüsse der Umgebung, die den Organismus merkbar al'Üzlren, 
ohne direkt sieht- und greifbar zu sein. 

Damit enthielt der Vorstellungskreis Klima allerdings die 
heterogensten Bestandthelle, so z. B. die verschiedenen endemischen 
Krankheiten, deren Erreger erst in den allerletzten Jahrzehnten 
der Menschheit, wenn nicht greifbar, so doch wenigstens sichtbar 
geworden sind. Unter seiner Flagge sammeln sich ausserdem alle 
thermischen, atmosphärischen, elektrischen und magnetischen Eiu- 
llüsse. Wieder andere Bestandthelle der Umgebung oder des 
Milieus, wie wir es heute nennen, die sichtbar und greifbar sind, 
wie z. IS. die Bodenbesehaffeuhelt, sind dagegen meist vom Klima 
getrennt worden. Jedem von uns ist die Redensart Klima und 
Bodonbeschaffenheit geläufig. 

Dieser Vorstellungskreis hat sich bis in die jüngsten Tage im 
Volk vollkommen ebenso erhalten, wie ich ihn eben geschildert, 
als Zusammenfassung des „Geheimnissvolleu, Unbewussten“ in 
unserer Umgebung. Die Wissenschaft dagegen, die aus diesem 
Kreis des früher Unbewussten rastlos Entdeckungen auf Entdeck¬ 
ungen häufte, hat ihm gegenüber einen schweren Standpunkt ge¬ 
habt. Bis Humboldt gingen die beiden Begriffe ihren ge- 
1 rennten Entwicklungsgang, der eine im täglichen Sprachgebrauch 
des Volkes, der andere in wissenschaftlichen Lehrbüchern. 

Auch der mathematisch-astronomische Begriff war nicht un¬ 
verändert geblieben. An der Hand der grossen Fortschritte, die 
die Astronomie und Physik gemacht hatte, hatte man versucht, 
die Wärmemenge zu berechnen, die der einzelnen klimatischen 
Zone von der Sonn«* während des Jahres zugeführt wird und 
daraus Schlüsse auf die mittleren Temperaturen der einzelnen 
Gegenden ziehen wollen. Man war sehr erstaunt, dass die so be¬ 
rechneten Temperaturen durchaus nicht mit den thatsächlich be- 
ohachteten üben-iuslimmen wollten. 

Man fand dabei, dass die grössten Abweichungen von der 
berechneten Temperatur durch die geographische Lage des Ortes 
bedingt waren. Die Orte im Innern eines Kontinents waren im 
Sommer heisscr und im Winter kälter als seine Küstenstriche und 


die grösseren Gebirgszüge zeigten sich ebenfalls von einem deut¬ 
lichen Einfluss auf die angrenzenden Landstriche. Ihre Süd- und 
Nordseite ergaben sehr grosse klimatische Unterschiede. 

Man sah sich also gezwungen, zwischen dem sogenannten 
astronomischen und dem i*ealen Klima zu unterscheiden, wobei 
ersteros defiuirt wurde als die Temperatur der Erde, insofern die¬ 
selbe Funktion der erreichten Mittagshöhe der Sonne und der 
Dauer ihres Verweileus über dem Horizont ist. (M ä d 1 e r: 
Astronomie § löü; Humboldt: K«>smos Bd. III, pag. 450.) Dabei 
wurde stets angefügt, die Temperatur wäre nur daun eine direkte 
Funktion der geographischen Breite, wenn die ganze Erdober¬ 
fläche mathematisch genau eine Sphäroidfläche ohne Unebenheiten 
wäre und durchwegs aus derselben Substanz bestände. Vou diesem 
astronomischen oder solaren Klima unterschied mau das Thatsäch- 
liclie oder reale, als das durch die Ungleichförmigkeit der Erde 
moditizirte solare Klima. Der alte griechische Begriff hat sich 
also in direkter Kontinuität zu einem Synomnion der allgemeinen 
Temperaturverhältnisse eines Punktes der Erdoberfläche ausge¬ 
bildet. 

Diese Definition hat Humboldt im ersten Band seines 
Kosmos in die Besprechung des allgemeinen Weltbildes aufge- 
nommen und sie hat von da aus eine gewisse Popularität erlangt, 
die noch über die Lehrbücher der Astronomie und die physikalischen 
Handbücher hiuausgeht. Bei dem ungeheuren Einfluss, den dieses 
Buch auf seine Zeitgenossen ausübte, ist di«;se II u m b o 1 d t'sche 
Fassung für die Zukunft ein neuer Ausgangspunkt der Auffassung 
vom Klima geworden. Sie sei desswegen hier in extenso gegeben. 

„Wenn die Oberfläche der Erde aus einer und derselben homo¬ 
genen flüssigen Masse oder aus Gesteinssehicliteu zusammen¬ 
gesetzt wäre, welche gleiche Farbe, gleiche Dichtigkeit, gleiche 
Glätte, gleiches Absorptionsvermögeu für die Sonnenstrahlen be¬ 
sitzen und auf gleiche Weise durch die Atmosphäre gegen den 
Weltraum ausstrahlten, so würden die Isothermen, die lsotheren 
und Isochimenen sämmtlich dem Ae«iuator parallel laufen. In 
diesem hypothetischen Zustand der Erdoberfläche wären dann in 
gleichen Breiten Absorptlons- und Emissionsvermögen für Licht 
und Wärme überall dieselben. 

Von diesem mittleren, gleichsam primitiven Zustand, welcher 
weder Strömungen der Wärme im Innern und in der Hülle des 
Erdsphiirolds, noch die Fortpflanzungen der Wärme durch Luft¬ 
strömungen ausschliesst, geht die mathematische Betrachtung der 
Klimata aus. Alles was das Absorptlons- und Strahluugsvermögen 
an einzelnen Theileu der Oberfläche, die auf gleichen Parallel- 
kreisen liegen, verändert, bringt Inflexloneu in den Isothermen 
hervor. Die Natur dieser Inflexiouen, der Winkel, unter welchem 
die Isothermen, lsotheren oder Isochimenen die Parallelkreise 
schneiden, die Lage der convexen oder coucaven Scheitel in Bezug 
auf den Pol der gleichnamigen Hemisphäre sind die Wirkung vou 
Wärme oder Kälte erregenden Ursachen, die unter verschiedenen 
geographischen Längen mehr oder minder mächtig auftreten." 

Im Laufe der Zeiten war ein anderer griechisch-römischer 
Begriff, derjenige der Meteorologie, Gegenstand einer allgemeinen 
Aufmerksamkeit der Physiker und Reisenden geworden. 

Die Schwankungen des Luftdrucks, die ungeheueren ther¬ 
mischen Schwankungen, Luftelektrlcitiit und Erdmagnetismus 
waren bekannt geworden, auch vom Winde war die Zeit zu Ende, 
in der cs geheissen hatte, Du hörst sein Sausen wohl, aber Du 
welsst nicht wohin er geht und vou wannen er kommt, auch Wind 
uud Wetter mussten sich vor einer wissenschaftlichen Kritik ihres 
Verhaltens beugen. 

Schon zu Humbold t’s Zeiten war die Meteorologie ein 
eigener Wissenszweig, «lern das deutliche Bestreben inne wohnte, 
sich immer weiter und weiter auszubreiten und im Bereich des 
grossen Sammelbegriffs alles Unbekannten, im Klima, eine uu- 
gelieure Summe von Kenntnissen aufzustapeln. Weitere Fort¬ 
schritte auf diesem Gebiete wurden durch die chemische Analyse 
der Luft gebracht, die nachwies, dass die gasförmige Hülle 
unseres Planeten aus mehreren für die Organismen sehr ungleich- 
werthigen Körpern bestehe. 

Damit war die schöne Zeit des alten Begriffs Klima auch zu 
Ende. Anstatt seiner geschlossenen Einheitlichkeit und dräuenden, 
geheimnisvollen Unsichtbarkeit war er In nahezu unzählige Ein¬ 
zelheiten zersplittert und auseinander gelaufen, wie Wasser, wenn 
der zusammenhaltende Topf zerbrochen. 

Die Wissenschaft, die als Störenfried in seinen Bereich eiu- 
gedrungen war, machte nach einiger Zeit auch Versuche, den alten 
Topf zu repariren oder einen neuen au seine Stelle zu setzen. Der 
erste Versuch, eine wissenschaftliche Zusammenfassung für deu 
im Sprachgebrauch kursirenden Klimabegriff aufzustellen, ist 
meines Wissens von Humboldt ausgegangen. Er fühlte das 
Bedürfnlss, neben der astronomischen Detiuitiou eine zweite, die 
dem nilgemeinen Sprachgebrauch mehr Rechnung trüge, aufzu- 
stelleu. Er tliut das wieder bei der Besprechung des aUgt-meinen 
Naturbildes uud zwar bei der Besprechung seiner atmosphärischen 
Hülle folgendermaassen: „Der Ausdruck Klima bezeichnet in 
seinem allgemeinsten Sinn alle Veränderungen in der Atmosphäre, 
die unsere Organe merklich affizireu: die Temperatur, die Feuchtig¬ 
keit, die Veränderungen des barometrischen Drucks, den ruhigen 
Luftzustand oder die Wirkung ungleichnamiger Winde, die Grösse 
der elektrischen Spannung, die Reinheit der Atmosphäre oder die 
Vermengung mit mehr oder minder schädlichen Exlialationen, end¬ 
lich den Grad habitueller Durchsichtigkeit und Heiterkeit des 
Himmels, welcher nicht bloss wichtig ist für die Wärmestrahlung 


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24. Dezember 1901. MUENCIIENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2113 


des Bodens, die organische Entwicklung der Gewächse und die 
Reifung der Früchte, sondern uuch für die Gefühle und ganze 
Seelenstimmung des Menschen.“ 

Wir erkennen deutlich die einzelnen Einflüsse, die ihn zu 
dieser Definition gebracht haben. Vor Allem das starke subjektive 
Element, die Beziehung auf den Organismus, die von der Vorstel¬ 
lung Klima auch fii? ihn nicht mehr abtrennbar war. Dann die 
Vordringlichkeit der alten thermischen Bedeutung in der Voran¬ 
stellung des Wortes Temperatur und schliesslich die Wirkung der 
Entwicklung der Meteorologie, deren einzelne Faktoren siimmt- 
lich in der H u m b o 1 d t’schen Klimadeflnition wieder auftreten. 
Diese Definition wollen wir ln der Folge als die meteorologische 
Definition bezeichnen, im Gegensatz zu der mathematisch-astro¬ 
nomischen. Sie hat sich sehr rasch eingebürgert, nicht ohne dabei 
wieder durch die allgemeine Benützung etwas abgerundet werden. 

Auf diese beiden Definitionen beziehen sich alle diejenigen, die 
heute in den einschlägigen Lehrbüchern kursiren. Die ganze Auf¬ 
fassung der Klimatologie trennt sich dadurch in zwei feindliche 
Lager. Humboldt'» meteorologische Definition lebt fort in den 
Lehrbüchern der Hygiene und Meteorologie, da alle Meteorologen 
und Mediciner eine ausgesprochene Vorliebe für sie zu besitzen 
scheinen. Die astronomische Definition lebt auch heute noch wie 
damals in den Lehrbüchern der Astronomie und der physikalischen 
Erdbeschreibung, da die Mathematiker und Geographen sich ihren 
geschlossenen, mit einem einheitlichen Maasse, der Kalorie, mess¬ 
baren Begriff nicht nehmen lassen wollen. Während illjer die 
Auffassung der astronomischen Definition kein Zweifel mehr laut 
geworden, liegen die Verhältnisse nicht ganz so günstig auf der 
meteorologischen Seite. Für die heute am meisten gebrauchte Fas¬ 
sung dieser Definition ist das Lehrbuch der Klimatologie von Hann 
massgebend geworden. Bei ihm lautet die Definition: „Unter Klima 
verstehen wir dieGesammtheit der meteorologischen Erscheinungen, 
welche den mittleren Zustand der Atmosphäre an irgend einer Stelle 
der Erdoberfläche charakterisiren.“ Wie wir sehen, ist hier der Orga¬ 
nismus zunächst aus der Definition fortgelassen, doch schon wenige 
Zeilen weiter unterhalb gibt auch Hann die Definition mit der 
subjektiven Umgrenzung: „In der That wird dieser Umstand (Be¬ 
ziehung auf das organische Leben der Erde) meist schon in die 
erste Definition des Begriffes Klima aufgenommen als die Ge- 
sammtheit der meteorologischen Bedingungen, insofern sie auf 
das thierlsche oder vegetabilische Leben Einfluss nehmen.“ 

Die Humbold t’sche Neudefinition, deren wesentlich Neues 
in der mehr oder weniger vollständigen Idcutificirung von Klima 
und Meteorologie gelegen hatte, hat sich also gerade nach dieser 
Richtung hin weiter entwickelt Heute ist auf Seite der Meteoro¬ 
logen wenigstens eine unverkennbare Tendenz vorhanden. Klima 
als die Gesainmtwirkuug der meteorologischen Faktoren auf einen 
Organismus aufzufassen. 

Damit sind aller nicht alle Interessenten zufrieden gewesen. 
Abgesehen von den Mathematikern und Geographen exlstirt ja 
neben den Meteorologen noch eine dritte, für den allgemeinen 
Sprachgebrauch sehr wichtige Interessentengruppe. Es sind das 
die Aerzte. Wir.haben gesehen, dass schon im Mittelalter die 
Vorstellung Klima eine pathologische Färbung enthielt, die sich 
nicht bloss auf die Pathologie der thermischen Einwirkungen be¬ 
schränkte. Der praktische Arzt und das Volksbewusstsein und 
damit auch der Sprachgebrauch halten daran heute noch fest. 
Das Wort Klima bezeichnet eben in sehr bequemer und im Sinn 
des Sprachgebrauchs auch in durchaus richtiger Welse alle die 
mehr oder weniger unbekannten Einflüsse aus der Umgebung. 
So konnte es nicht daran fehlen, dass in Abhandlungen hygie¬ 
nischer oder medieinisch-geographischer Natur das Wort Klima 
häufig in dem eben genannten Sinn benutzt wurde. Doch ist 
das durchaus nicht allgemein der Fall. Von 10 Lehrbüchern der 
Hygiene und anderer einschlägiger medicinischer Wissenszweige, 
ln denen ich eine förmliche Definition von Klima gefunden habe, 
wird sie nur von der Minderzahl benützt. Keiner von ihnen Allen 
benützt die mathematisch-astronomische, 12‘) meist unter direktem 
Bezug auf Hann die meteorologische Definition und nur 4 a ) 
haben die pathologische Färbung des Sprachgebrauchs in Ihre 
Definition übernommen. In erster Linie ist das li u b n e r. dessen 
Definition von Klima auf S. IW» seines Lehrbuchs der Hygiene zu 
finden ist: „Unter Klima versteht man alle durch die Lage eines 
Ortes bedingten Einflüsse auf die Gesundheit. Zu einer er- 

’) 1. W. J. van Bebbe r: Hygienische Meteorologie. Stutt¬ 
gart 1895. p. 247. — 2. Erismann: Gesundheitslehre für Ge¬ 
bildete aller Stände, p. 57. — 3. Martin Kirchner: Grundriss 
rler Militärgesundheitspflege. — 4. C. Flügge: Grundriss der 
Hygiene. — 5. H U p p e: Handbuch der Hygiene. — 6. A. Gärt¬ 
ner: Leitfaden der Hygiene. — 7. lt. Assmann: Handbuch 
der Hygiene, hgg. von Th. Weil. — S. Fr. Oester len: Hand¬ 
buch der Hygiene. Tübingen 1857. p. 105. — !). W. P rnusni tz: 

(Jrundzüge der Hygiene, p. 127. — 10. A. If i rseli: Aeclimntisat.ion 
und Kolonisation. Verhandl. d. Berliner anthropol. Gesellsch. 1896. 
1». 150. — 11. A. Hammond: A Treatiso on Hygiene. Phila¬ 
delphia. .— 12. F. Scholz: Naturgemüsse Gesundheit sichre. 
Deipzig 1884. 

*) 1. Kramer: Hygiene. Leipzig 18JM5. -- 2. A. Hirsch: 
Acelimatisatiou und Kolonisation. Verhandl. d. Berliner anthropol. 
Gesellsch. 1800. — 3. Edmund A. Park e s: A manual of practical 
Hygiene. London 1854. — 4. Ruinier: Lehrbuch der Hvgiene. 

Ii. 06. 


schöpfenden Besprechung gehören keineswegs, wie so häufig an¬ 
genommen wird, nur die Besprechung der Wärme- und Regenver- 
hiiltnisse, sondern einerseits die Bekanntschaft mit allen meteoro¬ 
logischen Faktoren, welche auf die Gesundheit wirken, anderer¬ 
seits die Ivcnntuiss aller Gefährdungen der letzteren, insoweit sie 
durch die Anwesenheit der einer Oertliehkeit zugehörigen (ende¬ 
mischen) Krankheitserreger bedingt sind.“ Im Anschluss an ihn 
findet sich diese meteorologisch-pathologische Auffassung in dem 
Lehrbuch von Kramer und in den beiden Arbeiten über Ae- 
elimatisation von S c h e 11 o n g und H i r s c h. die Beide aller¬ 
dings nahezu alles Thatsächliche aus ihrem Thema verloren hätten, 
wenn sie die Anpassuugsvorgänge an die endemischen Krank¬ 
heiten hätten streichen wollen. 

Wir sehen, von einer allgemein gütigen Definition für Klima 
kann heute keine Rede sein. Der alte, fest eingewurzelte Sprach¬ 
gebrauch, die mathematisch-astronomische Definition und die 
II u m b o 1 d fsche atmosphärische kämpfen einen bisher erfolg¬ 
losen Kampf, der zwar verschiedene Kompromisse zwischen den 
einzelnen Parteien, aber keine Einigung bis jetzt hervorbringen 
konnte. 

Wir leben in einem Zeitalter der Schiedsgerichte. Wollen wir 
also das blutige Ende dieses Kampfes abwarten oder ist es nicht 
vielmehr gerathon, die streitenden Parteien zu einer Einigung auf¬ 
zufordern V 

Die Entscheidung ist gewiss nicht leicht. 

Wir haben die historische Entwicklung betrachtet und die 
Gedankengänge, die die einzelnen Variationen unseres Begriffes 
hervorbrachten. Zwischen diesen einzelnen Variationen aber nun 
eine Wahl zu treffen, dazu bedürfen wir eines allgemeinen Ge¬ 
sichtspunktes, nach dem wir unsere Entscheidung treffen können, 
denn ohne triftigen Grund wird sich Niemand von der individuellen 
Färbung seines Begriffes trennen wollen, die ihm lieb geworden, 
sondern seine Einwilligung zu dieser „Gedankenoperation“ ver¬ 
weigern. 

Suchen wir nach einem Standpunkt, der uns einen gewissen 
Uebcrblick über diese Gedankenkreise verschaffen kann. Jeder, 
der mir bis hierher gefolgt ist, wird mir zugeben müssen, dass 
man für keinen der vier kreise das absolute Recht in Anspruch 
nehmen kann. Auch das logische Recht steht jedem oder keinem 
von den Begriffen zur Seite, denn jeder hat sich für den Vorstel¬ 
lungskreis, den er treffen wollte, so logisch als unter den gegebenen 
Verhältnissen möglich war, entwickelt. Wenn wir also überhaupt 
zwischen den vier entscheiden wollen, so müssen wir die wissen¬ 
schaftliche Brauchbarkeit und das praktische Itedürfniss ent¬ 
scheiden lassen. Wir werden das Wort Klima nur dann weiter 
in der Wissenschaft benützen können, wenn es einen klar definir- 
baren Erscheinungskomplex von deutlich erkennbarer Zusammen¬ 
gehörigkeit bezeichnet, und ein praktisches Bidürfniss werden wir 
nur dann anerkennen, wenn dieser Erscheinungskomplex nicht 
schon einen anderen, gut eingebürgerten Namen erhalten hat. 
Unter diesen beiden Gesichtspunkten wollen wir nun die vier Kon¬ 
kurrenten Revue passiren lassen. Als erster kommt der allgemeine 
Sprachgebrauch. Wir haben ihn schon hinreichend genau analy- 
sirt, um ohne Weiteres sagen zu können, dass seine einzelnen 
Komponenten zwar in der ihnen allen gemeinsamen Eigenschaft 
des mehr oder weniger Unfassbaren, Geheimnissvollen. Unklaren 
und Unbekannten gewiss einst ein gemeinsames Merkmal belasst n. 
dass aber dieses Merkmal bei der ungeheuren Verschiedenheit 
derselben in allen anderen Beziehungen zu einer wissenschaftlichen 
Benützung unmöglich als hinreichend erachtet werden kann. 
Einem wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Bediirfniss. 
alle diese Faktoren mit einem Wort zu bezeichnen, sei das Wort 
„Umgebung" oder „Milieu“ vorgeschlagen, das neben allen sicht¬ 
baren nach der immanenten Bedeutung des Wortes auch alle die 
unbekannten Dinge zwischen Himmel und Erde umspannt. Als 
zweiter erscheint nun der mathematisch-astronomische Begriff. Er 
besitzt zweifelsohne nicht nur eine hinreichende, sondern eine in 
jeder Hinsicht vollständige Geschlossenheit, als die Gesammtheit 
der thermischen Lebensbodingungen an einem Punkt der Erdober¬ 
fläche. Wir besitzen ein sicheres wissenschaftliches Kriterium, ob 
irgend eine Erscheinung nach ihm dem Klima zugerechnet werden 
soll oder nicht. Um das darzuthun, wollen wir einmal schnell ein:* 
Uebersiclit über die meteorologischen Faktoren halten. Selu-u wir 
uns dazu die einzelnen Kapitel der „Hygienischen Meteorologie“ 
von Prof. W. J. v a n B e b b e r, Stuttgart 1885, durch, ein Buch, 
das zweifelsohne von allen Betheiligten als einwandfreie Autorität 
liezeichnet werden dürfte. Er bespricht als meteorologische Fak¬ 
toren: 1. Die physikalischen Eigenschaften der Luft. Zu ihnen 
gehören sümmtliehe thermische Konstanten der Luft, ihr Lei¬ 
tungsvermögen, ihr Strahlungsvermögen, ihre Durchlässigkeit und 
ihr Absorptionsvermögen für Wärme, also haben wir es hier mit 
einem mathematisch-klimatischen Faktor 1. Ranges zu thuu. Als 
2. Kapitel folgt eine Besprechung der Bestundtheile der Luft. Es 
folgen sich dabei: O, N. H. H a O. CO* NH* UNO,. O,. 111). und 
Mikroorganismen. O ist als eines der wichtigsten Nahrungsmittel 
zu betrachten, er kommt also in thermischer Beziehung erst auf 
dem Umwege der Wänneproduktion des Organismus für den 
Wärmehaushalt eines Organismus oder erst bei chemischer Ver¬ 
bindung (Oxydation) für den eines unbelebten Körpers in Betracht. 
Abgesehen von seinen thermischen Konstanten, die diejenigen d«-r 
Luft natürlich mitbestimmon, kann er also nicht als klimatischer 
Faktor angesehen werden. Das Gleiche gilt für N und H. Anders 
verhält es sich mit dem Wassergehalt der Luft. Seine Schwan- 

5* 


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2114 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


kungen verändern erstens die thermischen Konstanten, be¬ 
schränken ausserdem die von der Sonne zugestrahlte Wärmemenge 
und besitzen für Organismen, die für ihre Wärmeabgabe ja theil- 
weise auf die Wasserverdunstung angewiesen sind, eine ungeheure 
thermische Wichtigkeit. Wir haben es hier also wieder mit einem 
klimatischen Faktor 1. Ranges zu thun; CO*. NII„ HNO,. O,. H a O, 
und staubförmige Beimengungen fallen dagegen fort. Das nächste 
Kapitel ist mit Temperatur überschrieben und enthält 3 Unter¬ 
abtheilungen: 1. Die strahlende Wärme, 2. die Lufttemperatur, 

:i. die Bodenteniperatur: Alles klimatische Faktoren 1. Ranges. 
Kapitel 4: Die Niederschläge, enthalten wieder manches Meteoro¬ 
logische, dafür aber auch manches thermisch Wichtige. Sie 
müssten also erst einmal in klimatischer Beziehung eingehender 
durchgearbeitet werden. Das Gleiche gilt von Kapitel 5: Ge¬ 
witter. Doch ist hierein noch grössererTlieil rein meteorologischer 
Natur. Das letzte Kapitel, das von Luftdruck und Wind handelt, 
besitzt wieder verschiedenerlei thermische Einwirkung. Erstens 
beeinflusst der verschiedene Luftdruck die physikalischen Eigen¬ 
schaften der Luft, darunter auch die Schnelligkeit der Wasser¬ 
verdunstung, und zweitens ist die Luftliewegung mit ihrer un¬ 
geheuren Veränderung der Leitungsverhältnisse gegenüber dem 
ruhigen Luftzustand ein äusserst wichtiger, für das Leben sehr 
häutig direkt ausschlaggebender thermischer Faktor. 

Die wissenschaftliche Brauchbarkeit des astronomischen Be- 
griffs scheint mir damit in unwiderleglicher Weise dargethau. Was 
nun das praktische Bedürfnis betrifft, so ist zunächst anzu¬ 
erkennen. dass wir für die Gesammthelt der thermischen Lebens¬ 
bedingungen in der Umgebung noch kein kurzes, knapp be¬ 
zeichnendes Wort besitzen, und wer sich mit der wlss *nscliaftlicheu 
Analyse dieser Vorgänge beschäftigt hat, wird, wie ich, diesen 
Mangel oft schmerzhaft empfunden haben. Wir sehen, No. 2 er¬ 
füllt alle unsere Ansprüche. 

Die 3. in der Reihe ist die meteorologische Definition in ihrer 
heutigen Fassung. Aus dem Vorausgehendeu ist uns noch erinner¬ 
lich, dass unsere Definition vollständig abhängig ist von der De¬ 
finition des Begriffs Meteorologie. Dieses Wort hat eine ganz ähn¬ 
liche Geschichte wie das Wort Klima, doch hat es seine alte 
griechische Bedeutung: ..Lehre von überirdischen Dingen, vor¬ 
züglich von den himmlischen Körpern und den Erscheinungen in 
der Luft oder der Atmosphäre“ wenigstens beschränkt beibehalten. 
Aus seinem alten Vorstellungskreis hat sich die Theologie, die 
Astronomie und die Meteorologie entwickelt. Für Meteorologie 
hat sich aber ein von allen Interessenten ziemlich gleichmiissig um¬ 
grenzter Vorstellungskreis nusgebildet, so dass praktisch über seine 
Definition, wenn wir so sagen wollen, oder wenigstens über seine 
Bedeutung kein Zweifel besteht. Das gemeinsame, heute di * prak¬ 
tische Umgrenzung leitende Prineip ist die Zusammemvirkung 
aller meteorologischen Faktoren zu demjenigen, was wir als Wetter 
oder Witterung zu bezeichnen gewohnt sind. Die wissenschaft¬ 
liche Brauchbarkeit dieses Begriffs der Meteorologie ist praktisch 
auf’s Schlagendste bewiesen, so dass wir uns mit der theoretischen 
Seite dieser Frage, die über den Rahmen dieser Arbeit hinaus¬ 
gehen würde, nicht weiter zu beschäftigen brauchen. Wenn nun 
Klima als die Gesammthelt der meteorologischen Faktoren de- 
flnirt ist, so gilt Alles das, was wir über Meteorologie gesagt haben, 
auch für diesen neuen Begriff. Auch ein praktisches Bedürfnis« 
für diese Zusammenfassung kann nicht von der Hand gewiesen 
werden. Bedenklich ist bei dieser neuen Benennung nur das eine, 
dass Klima schon ein ganz abweichend deflnlrter Begriff ist, so 
dass bei seiuer Benützung Missverständnisse und ungenaue Vor¬ 
stellungen unvermeidlich scheinen. Weniger missverständlich wäre 
eine Zusammenfassung, die schon in dem Wort selbst die Be¬ 
ziehung auf die Meteorologie erkennen Hesse. Das Wort Meteoro¬ 
logie ist natürlich zu dieser Bedeutung unfähig, da es eine Wissen¬ 
schaft und nicht die von ihr nmspannten Thatsacheu bezeichnet. 
No. 3 ist also ein genügend geschlossener Begriff, um eine Zu 
snmmenfassung in einem Worte zu rechtfertigen und die Beilürf- 
nissfrage kann gleichfalls nicht abgelehnt werden, doch scheint 
es seine grosse Bedenken zu haben, diesem Begriff den Namen 
Klima zu geben, der schon lauge vorher anderweitig deflnirt 
worden und damit für einen anderen Erscheinungskomplex mit 
Beschlag belegt ist. 

Der vierte Konkurrent ist die meteorologisch-pathologische De¬ 
finition. Die Einheitlichkeit derselben können wir nach dem 
Vorausgegangenen kurzer Hand verneinen, nicht so sicher das 
praktische Bedürfniss. Denken wir nur einmal an den Begriff der 
Acclimatisation, von dem aus gewiss die neue Formulatiou dieses 
Begriffes ausgegangen, so wird jedem Arzt klar werden, was ich 
meine. Doch hat sich der Begriff Acclimatisation im Sprach¬ 
gebrauch und zwar sowohl Im wissenschaftlichen wie im nicht- 
wissenschaftlichen etwas weiter entwickelt, als seine Wurzel 
Klima. Wir sprechen von Acclimatisation an alle möglichen Ver¬ 
hältnisse, die mit dem Begriff Klima nur lose oder auch gar nicht 
Zusammenhängen. Von ihm dürfen wir uns also nicht leiten 
lassen. Schliesslich ist auch gewiss die Umgrenzung aller durch 
die Lage eines Ortes bedingten Einflüsse auf die Gesundheit durch 
ihn eine zu vage, die uns die Grenze in sehr verschiedenen Höhen 
der chemischen, physikalischen und organischen Umgebung zu 
ziehen gestattet. Eine dieser Vorstellung ohne Weiter, s zu- 
kommetide immanente Begrenzung fehlt hier vollständig. Maa 
denke nur z. B. an die Grenze innerhalb der Fauna und Flora des 
betreffenden Ortes, um die Unmöglichkeit sich klar zu machen. 
Sollen wir die Grenz«; vor oder hinter den Schimmelpilzen ziehen 
oder wollen wir etwa nur parasitäre Organismen unserer Be¬ 


trachtung eingllcdern, jedenfalls Ist es nothwendig, liier anders 
zu speclficlren al9 mit dem Begriff Gesundheit, denn ein Schlangen¬ 
biss oder ein Mückenstich oder eine Attacke durch einen wilden 
Stier oder ein Schuss aus der Flinte eines Einheimischen kann 
unter Umständen für die Gesundheit recht verhängnisvoll wer¬ 
den und wird doch wohl von den betreffenden Autoren trotz Ihrer 
Definition nicht als Höriger ihres Begriffs bezeichnet werden. Es 
sei hier auch bemerkt, dass die betreffenden Autoren niemals von 
Irgend einer endemischen Krankheit als klimatischem Faktor 
sprechen, sondern dass sie bei ihrer späteren Besprechung des 
Klimas von Ihrer eigenen Definition ahseheu. und nur eine be¬ 
schränkte Anzahl meteorologischer Faktoren besprechen. 

Als ernsthafte Konkurrenten können wir also nur die meteoro¬ 
logische und mathematische Definition betrachten: zwischen ihnen 
müssen wir demnach untergeordnetere Merkmale heranziehen. Zu¬ 
nächst sei hier hervorgehoben, dass die mathematisch-astro¬ 
nomische Definition sicher den grössten Authell historischen 
Rechts auf ihrer Seite hat. In zweiter Linie, dass das praktische 
Bedürfniss auf ihrer Seite das grössere ist. Drittens sind die ge¬ 
bräuchlichsten Wendungen unseres Sprachgebrauchs die Aus¬ 
drücke kaltes, warmes, gemässigtes, excessives, gleichförmiges 
Klima mit einer rein thermischen Vorstellung verbunden. Die 
Missverständliehkeit des Wortes Klima bat auch eine so grosse 
Autorität auf unserem Gebiet wie van Bebber bewogen, seinem 
Buch nicht den Namen Klimatologie, sondern „hygienische 
Meteorologie“ zu geben, eine Anerkennung der Bedenklichkeit 
dieser Humbol d t’schen Neubezelehnung, die ich mit Vergnügen 
acceptire. Ich möchte also den maassgebenden Stellen den Vor¬ 
schlag unterbreiten, sich illier eine einheitliche Definition von Klima 
zu verständigen und proponire hiezu die Definition von Klima: 
„als Gesammthelt der thermischen Lebensbedingungen an irgend 
einem Funkt der Erdoberfläche“. Dieselben können dann vom 
rein mathematisch-physikalischen Standpunkt oder auch in ihrer 
physiologischen und pathologischen Wirkung betrachtet werden, so 
dass diese Definition den Anforderungen der Geographen und Phy¬ 
siker. wie der Hygieniker undAerzte genügen kann. Als klimatische 
Faktoren wären dann in einer künftigen Besprechung von KlHna 
nufzuf(Ihren: 1. Thermische Konstanten der Umgebung (Leitung»-. 
Strahlung»- und Absorptionsvermögen, Durchsichtigkeit und 
Dinthermnnsie der Luft. Leitung»- und Strahlungsvermögen der 
festen und flüssigen Umgebung». 2. Temperatur der Luft und der 
festen Umgebung. 3. Bestrahlung: a) von der Sonne, direkt und 
reflektirt, b) von der irdischen Umgebung, direkt und reflektirt. 
4. Thermische Wirkungen der Luftfeuchtigkeit (incl. der atmo¬ 
sphärischen Niederschläge). 5. Luftbewegung und Luftdruck. 

Ich gebe diese Specialisirung nicht mit dem Anspruch auf Voll¬ 
ständigkeit, sondern lediglich, um den Hygienikern zu zeigen, dass 
von den klimatischen Faktoren, die sie zu besprechen gewohnt waren, 
weitaus die Mehrzahl auch in der neuen Fassung des Begriffs ge¬ 
blieben ist. Dass gerade die gebliebenen als die wichtigsten 
Faktoren betrachtet werden, dafür wäre eine Unzahl von Stelle» 
aus sämmtlichen vorhandenen Lehrbüchern beizubringen. Ich 
glaube, ich habe kaum eines durchgesehen. In dem nicht irgendwo 
der Satz vorkäme, dass die Teiupemturverhältnisse für die Be¬ 
urteilung des Klimas in erster Linie maassgebeud seien. Der 
Rest,* die chemische Zusammensetzung der Luft, Luftelektrizität 
und Erdmagnetismus nehmen ln «len einschlägigen Besprechungen 
stets nur einen ganz geringen Platz ein und machen auf jeden 
Unbefangenen den Eindruck von etwas Heterogenem, das sich 
selbst nicht ganz am rechten Platz fühlt. 

Ohne Widerspruch wird es bei einer dem Einzelnen so lieb 
gewordenen, im Sprachgebrauch so fest eingewurzelten Ausdrucks¬ 
welse nicht abgehen. Desshalb möchte ich zum Schluss noch 
einige Prozentzahlen nnführen, in denen die Verhältnisse des 
mathematisch-astronomischen Begriffes zum meteorologischen l>e- 
leuehtet werden sollen. Wenn wir die Seiten zählen, auf denen 
in einigen der einschlägigen Lehrbücher diejenigen sogen, klima¬ 
tischen Faktoren besprochen werden, die Ich heute aus dem Be¬ 
griff Klima abtrennen möchte, so finden wir doch nur sehr ge¬ 
ringe Bruehtlielle. Bei Flügge sind es 3.8, bei Assmanu 
sogar nur 2 y 2 Proc. der Besprechung von Klima, die fortzubleiben 
hätten und selbst bei dem reinen Meteorologen van Bebber 
beansprucht die Besprechung unserer thermischen klimatologischen 
Faktoren 81 Proc. des ganzen Lehrbuchs. Ich denke, dieser Ver¬ 
lust wird sich am Ende tragen lassen. 


Hermann Löhlein f. 

Christian Adolf Hermann Löhlein wurde am 
2?. Mai 1847 zu Coburg aus einer alten, landeingesessenen 
Familie geboren, besuchte das Gymnasium daselbst und von 1865 
bis 1870 die Universitäten Jena, woselbst er der Burschenschaft 
Arminia angehörte, und Berlin. 1871 wurde er zum Dr. med. 
promovirt. (Dissertation: lieber die Kunsthilfe bei der 
durch allgemeine Beckenenge erschwerten Geburt.) Nach¬ 
dem er den Feldzug als Feld-Assistei>zarzt beim X. Armee¬ 
korps mitgemacht hatte, bestand er 1871 das Staatsexamen. 
1871—1873 Assistenzarzt der Berliner Klinik unter Eduard 
Marlin. 1873—1875 Sekundärarzt, wirkte er von 1875—1888 
als vielbeschäftigter Frauenarzt und Dozent für Geburtshilfe und 


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24. •Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2115 


Gynäkologie in Berlin. 1887 hielt er die Gedächtnis«rede auf 
Karl Schröder in der Berliner Gesellschaft für Geburtshilfe. 
1888 wurde er als ordentlicher Professor und Nachfolger Hof• 
meyer’s nach Giessen berufen. Einen Ruf nach Königsberg 
als Nachfolger Dohrn’s 1897 lehnte er ab. 1898 Rektor der 
Universität und zum Geh. Medicinalrath ernannt. 

Wenn man von einem Manne sagen kann, es wächst der 
Mensch mit seinen Zielen, so gilt dies von Löhlein; 
man muss die Art und Weise rückhaltlos bewundern, 
wie L ö h 1 o i n seine Stellung als Leiter der Giessenor 
Frauenklinik, hervorragend als Arzt, Lehrer und Autor 
von Jahr zu Jahr mehr ausgefüllt hat.. Ich hatte Löh¬ 
lein, meinen hochverehrten Lehrer, eine Reihe von Jahren, 
gerade während seiner Hauptwirksamkeit in Giessen, nicht ge¬ 
sehen. Erst der diesjährige Kongress der deutschen Gesellschaft 
für Gynäkologie brachte mich ihm wieder näher. 

Der wissenschaftliche und materielle Aufschwung der klini¬ 
schen Anstalten, vor Allem der persönliche Eindruck in Unter¬ 
redung und besonders in der umsichtigen und geistvollen Leitung 
des Kongresses — Alles zeugte von geistigem Wachsthum des 
Mannes, von einer Anpassung an hochgesteigerte Anforderungen, 
von höchster Anspannung aller seelischen und körperlich; n Kräfte, 
ziun Schaden freilich des Körpers. 

Als Hauptzweck seines späteren Lebens hatte sich L ö h 1 c i n 
die Vervollkommnung der neuen Giessener gynäkologischen Klinik 
gesetzt. In einer kleinen Schrift „Die Frauenklinik einer kleinen 
Universität 1892“ legte er das bis dahin Erreichte und die wei¬ 
teren Ziele dar. Diesem Stroben widmete er die Kraft seines 
unermüdlichen Geistes und seines festen Willens. 

Sein gutes Lehrtalent, sein reiches Wissen, unterstützt von 
wohlwollendem Eingehen auf die individuellen Erfordernisse 
seiner Schüler zogen von Jahr zu Jahr mehr Zuhörer zu seinen 
Hörsälen. Seinen Assistenten war er ein freundlicher, zur PHege 
der Wissenschaft und Humanität mahnender Vorgesetzter und 
Berather. 

'Was ihm früher in Berlin als jüngeren Arzte seine reiche 
Praxis besondere als Geburtshelfer angebahnt hatte — sein mildes, 
ruhiges Wesen, sein echt bescheidenes, jedoch der Würde und der 
Bestimmtheit nie entbehrendes Auftreten, seine geschickte durch 
raschen und sicheren diagnostischen Blick gestärkte Hand — 
hier bewährten sich diese Grundeigenschaften de3 Arztes auch in 
der Gynäkologie. 

Bald zogen seine Persönlichkeit und seine Erfolge als Arzt 
Schaaren von Patientinnen nach Giessen. Wer ihn einmal in 
seinem Umgänge mit leidenden Frauen zu beobachten Gelegen¬ 
heit hatte, der wird begreifen, dass sein Ruf sich zuletzt weit 
über die Grenzen Hessens hinaus bis in’s Ausland ausdehnte. 
Sein unwillkürlich Zutrauen einflössendes Wesen, Vornelunheit 
mit Leutseligkeit gepaart, überzeugende ruhige Sprache, ge¬ 
winnender offener Blick machten ihn gleich zum Vertrauten der 
armen wie reichen leidenden Frauen, dem sie sich beruhigt, zur 
schwersten Operation anheimgaben; und auch die unheilbare 
Carcinomkranke verliess getröstet die Sprechstunde. 

Die Statistiken der Klinik legen beredtes Zeugniss ab von 
seiher hervorragenden Operationssicherheit, seiner Fürsorge für 
Vor- und Nachbehandlung. Am Schlüsse der ersten Decade seines 
Giessener Wirkens hatte sich die Zahl der Patientinnen der 
Klinik verzwei- ja verdreifacht. 

Dass hierdurch jedoch seine körperlichen und geistigen 
Kräfte hochgradig angespannt wurden, ist nicht zu verwundern, 
um so mehr, als er stets seine Thätigkeit als klinischer Lehrer 
zur Verwerthung des Materiales in den Vordergrund stellte. Kr 
war ein arbeitsamer, in der Erfüllung seiner Berusfspflichteu 
äusserst gewissenhafter Mann. Als deutscher Gelehrten - wusste 
er noch Zeit zu finden, die Resultate seiner Thätigkeit als 
Forscher und Arzt der Wissenschaft nutzbar zu machen. Eine 
stattliche Anzahl von Schriften zeigen ihn als exakten Forscher 
und genauen Beobachter, der sein Arbeitsgebiet hauptsächlich in 
der durch Thatsachen begründeten Erforschung und Begrenzung 
praktisch besondere prophylaktisch wichtiger Fragen, jeder un¬ 
sicheren speculativen Ergründung abhohl, suchte und fand. Sein 
Hauptwerk „Gynäkologische Tagesfrageu“, 5 vol., in ihrer Go- 
sammtheit einem Lehrbuch ähnlich und vielleicht der Vorläufer 
eines solchen, lässt dieses deutlich erkennen. 


Wenn man Lühlein’s literarisches Schaffen als Ganzes 
und damit die Ergebnisse seiner Forschungen und Beobachtungen 
überblickt, so wird man einer sieh über «las ganze Gebiet der 
Geburtshilfe und Gynäkologie sieh ersl reckenden Wirksamkeit 
gewahr. 

Es sind 60 einzelne Arbeiten, die ebenso sehr von grossem 
Fleisse, also von genialer Schärfe der Beobachtung, kritischer 
Sichtung, Sicherheit der Schlussfolgerung und weitsehauender 
praktischer Verallgemeinerung zeugen. 

In der Geburtshilfe erstrecken sieh seine Forschungen haupt¬ 
sächlich auf die Pathologie und Therapie, speziell auf die Be¬ 
deutung des engen Beckens. 

Eine von der Berliner medie. Fakultät preisgekrönte Arbeit 
„lieber die Lehre vom durchweg zu engen Becken“ entspringt 
diesem Bestreben. 

Schon in Berlin hatte er besondere der Osteomalaeie seine 
Aufmerksamkeit zugewandt. Als sieh ihm später in Gie-sen ein 
selten grosses Material darbot. konnte er seine Studien ein¬ 
gehender gestalten. Seine Resultate über. Pathogenese, geburts¬ 
hilfliche und klinische operative Therapie bei dieser Affektion 
sind allgemein anerkannt. 

Sein Hauptinteresse nahm jedoch die Frage der Eklampsie 
in Anspruch. Nicht weniger als 8 einzelne Arbeiten sind ihr 
gewidmet, die in diesem immer noch dunkeln Krankheitsbilde 
werthvolle Aufschlüsse brachten. Neue Wege betrat er in seinen 
Veröffentlichungen, besonders über den Kaiserschnitt, die 
manuelle Beckenschätzung, die Endometritis gravidarum, die 
Eklampsiebehandlung u. a. 

Nicht minder war er bestrebt, seine reichen Erfahrungen in 
der Gynäkologie zu sammeln und zu verwerthen. Ausser Arbeiten 
über Fibromyome, Erkrankungen der Eierstüeke, Dysmenorrhoe. 
Sarcoma Uteri waren es hauptsächlich seine Untersuchungen über 
Peritonitis tubereulosa. besonders über die Frühdiagnose und 
operative Therapie derselben, über Stumpfbehandlung, über 
Ventrotixatio Uteri, über «las Curettement, über Antisepsis und 
Asepsis in der Gynäkologie, die klärend wirkten. 

Sein Interesse blieb jedoch immer mehr der Geburt-hilfe 
überhaupt zugewandt. Dies bezeugen seine Arbeiten über die 
Grenzgebiete: lieber Schwangerschaft im ventrolixirten Uterus, 
über Geburtskomplikationen durch Geschwülste (4 Arbeiten), 
über Ovariotomie und Schwangerschaft u. a. 

ln regem Eifer und vollem Verständnis« für die Ideen eines 
Semmel weis, widmete er dem wichtigsten Kapitel der Ge¬ 
burtshilfe, der Verhütung des Kindbettfiebers, unausgesetzt seine 
Arbeitskraft als Forscher, als klinischer Lehrer und Direktor 
der Hebammensehule. ln Beispiel, Wort und Schrift, war «*r 
stets dafür thätig. Seine Veröffentlichungen: Zur ITcbammen- 
frage, Ucber Gebäranstalten, Nutzen einer aseptischen Hand für 
den Geburtshelfer, Abstinenz der Aerzte von geburtshilflichen 
Operationen, zeugen von seiner Fürsorge für die Prophylaxe der 
Geburt, wie seinem weitausschauenden Verständnis für die 
Hygiene des Wochenbettes un«l die soeialwiehtigen Folgen ihrer 
Vernachlässigung seine Arbeiten über Wüehnerinnonasylo etc. 

Wenn man zu dieser literarischen Wirksamkeit noch die 
grosse Inanspruchnahme von Löhlein 's Arbeitszeit durch 
seine Thätigkeit als Arzt in Sprechstunde, Klinik, Operations¬ 
saal, als Consiliarius, als Universitiitsprofessor, Decan und 
Rector pro temp. hinzunimmt und das Facit zieht, so wird man 
die Bethätigung einer solchen Lebensauffassung nur mit Hoch¬ 
achtung wieder als den Ausfluss deutschen, als solchen in der 
ganzen Welt anerkannten Gelehrtenfleisses betrachten können. 

Er war von grosser Belesenheit, und beherrschte auch di<* 
grossen Züge und Wandlungen der medkultischen Weltgeschichte 
und verwendete sie zum Nutzen und Wrstündniss der heutigen 
Zeitstnömungen. Er war als Bscr reiner Kritiker; Wohlwollen«I 
die Forschungsergebnisse Anderer heurtheilend. war er streng 
gegen sich selbst. 

Er war ein ruhig prüfender Arzt, der sieh nie vom En¬ 
thusiasmus z. B. über neue, glänzend befürwortet«* Operations¬ 
methoden und Heilverfahren hinreissen li« - s. Sein Standpunkt 
war der des auswählenden, prognostisch weitsehauendeit. conser- 
vativen Chirurgen, der sti'fs «las Dauerre>ultat. di«* endliche, 
dauernde Gesundheit der Frau mehr im Äugt» hatte, als den 
Augenblickserfolg der glücklich vollendeten Operation. Wie 
Recht er hatte, lehrt die Geschieht«*,• d.r O;vriition->inetho«leu 
überhaupt, z. B. die der Uterusfixationen. 


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MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


2116 


Wie er schon in Berlin für die Pflege der entlassenen Wöch¬ 
nerinnen eifrig gearbeitet hatte-, so beschäftigte er sich in Giessen 
mit Erfolg mit der Verbesserung des Hebammen wesens, besonders 
durch Einführung von obligatorischen Wiederholungskursen für 
ältere Hebammen, eine segensreiche Maassregel, die in anderen 
deutschen Gebieten Nachahmung fand. 

Wenn man als Hauptergebnis« von Lühlcin’s arbeits¬ 
reichem Leben die Blütho der Giessener Frauenklinik hinstellen 
und diese aus seiner Arbeitswilligkeit und Arbeitstüchtigkeit ab¬ 
leiten darf, so muss man nicht vergessen, dass er neben hervor¬ 
ragenden inneren, auch der äusseren Eigenschaften, die seine 
Stellung als Univorsitätsprofessor, pro temp. Rector Magnifieus 
und Decan verlangte, nicht ermangelte. Die Gabe des freien 
Wortes besass er in hohem Maasse; er war ein fesselnder, geist¬ 
voller Redner, wie seine Gedächtnissrede für Schröder und 
seine Rectoratsrede beweisen. Mit welcher Würde und Hingabe 
er der Leitung des diesjährigen gynäkologischen Kongresses ge¬ 
recht wurde, ist noch in Aller Erinnerung. 

Wie er gelebt hatte, so starb er, mitten in der Arbeit, an 
seinem Schreibtische in der Klinik, als er eben zur Visite gehen 
wollte, am 25. November Vormittags 11 Uhr. In der Klinik, der 
Stätte seiner arbeitsfreudigen, erfolgreichen Thätigkeit, verschied 
er auch, noch am selbigen Tage — mors dulcis et decora. 

Sein Familienleben war ein äusserst glückliches. Von liebens¬ 
würdiger Gattin in seinen Bestrebungen verständnissvoll unter¬ 
stützt, führte er ein gastliches Haus. Sein reiches inneres Leben 
zeigte sich in der Liebe zu seinen Kindern. Er hatte noch die 
Freude, den Aeltesten als Arzt und Assistent zu sehen. 

Zusammenfassend möchte ich Löhlein als Arzt einen 
Empiriker in der klassischen Bedeutung des Wortes nennen, als 
Mensch einen feinsinnigen Humoristen, dessen vielsei tigern Geiste 
auch die Humaniora nicht fremd waren. Er war ein Idealist, von 
glühendem Patriotismus beseelt. Den Kollegen an der Universität 
ein hochgeschätzter Freund, in der Bürgerschaft hoch geachtet, 
war er den Aerzten, alten wie jungen, gegenüber stets von herz¬ 
lichem Wohlwollen erfüllt. 

Den Nachruf eines solchen Mannes zu schreiben, ist nicht 
schwer. Er wird von der Dankbarkeit getragen. Wen hätten 
Schüler und Assistenten sich als besseres Vorbild suchen wollen, 
als den Mann von lauterem Charakter, von vornehmer und ge- 
müthvoller Denkungsart, den genialen und humanen Arzt, wie 
Löhleines war. Manchen seiner Schüler sprach ich noch später 
und alle sprachen noch von ihm mit derselben Verehrung wie 
vor Zeiten die Schüler des grossen Koers oder des Alexandriners 
Ilerophilus. 

Für seine Verdienste fehlten Löhlein äussere Ehren, 
Titel und Orden nicht, jedoch gilt für ihn das Wort Seneca’s: 

Die Würdigkeit besteht nicht darin, dass man Ehren geniesst, 
sondern dass man ihrer würdig ist. 

Karl Ernst Laubenburg. 


Referate und Bücheranzeigen. 

F. Do fl ein: Die Protozoen als Parasiten und Krank¬ 
heitserreger nach biologischen Gesichtspunkten dargestellt. 

Jena, Gustav Fischer, 1901. 274 S. 

Die glänzenden Resultate der Malariaforschung der letzten 
Jahre haben die Aufmerksamkeit weiterer Kreise diesem nied¬ 
rigsten thierisehen Lebewesen zugewendet; es hat sich gezeigt, 
dass dieselben für die Aetiologie mancher der verbreitetsten 
menschlichen und thierisehen Infektionskrankheiten von kaum 
geringerer Bedeutung sind, als die Bakterien, und wie die er¬ 
weiterte Kenntniss dieser in Therapie und Prophylaxe die segens¬ 
reichsten Früchte getragen hat, so steht auch zu hoffen, dass es 
den vereinten Bemühungen von Aerzten und Zoologen gelingen 
wird, unser fast täglich zunehmendes Wissen von den parasitischen 
Protozoen in der gleichen Richtung zu verwerthen. Unter diesen 
Umstünden ist, es freudig zu bogrüssen. wenn ein durch eigene 
Arbeiten auf diesem Gebiete vortheilhaft bekannter Forscher es 
unternimmt, das bisher Krreiehte in übersichtlicher Weise dar- 
zustellen, die speziell für den Arzt wichtigen Gesichtspunkte be¬ 
sonders hervorhebend. Einer kurzen Charakterisirung der Klasse 
lkst J) o f 1 e i n die von sehr instruktiven, zum guten Theil selbst 
gezeichneten Abbildungen begleitete Schilderung der betr. Para¬ 


siten folgen, welcher sich die Darstellung der von ihm event ver¬ 
ursachten pathologischen Vorgänge und seiner Bedeutung für die¬ 
selben anschliesst. Besondere Sorgfalt ist auf die biologisch so 
interessante Entwicklung der Sporozoen verwendet, wobei die 
übersichtlichen von Schaudinn eingeführten „Zeugungs¬ 
kreise.“ natürlich oft Verwendung finden. (Ein Beispiel eines 
solchen findet sieh S. 393 dieses Jahrganges der Münch, med. 
Woohonschr.) 

Dass auch der bei Arbeiten mit diesen so diffieilen Ob¬ 
jekten nothwendigen Technik jedesmal ein besonderer Abschnitt 
gewidmet ist., werden Alle, welche selbständige Untersuchungen 
über Protozoen vorzunehmen in der Lago sind, angenehm em¬ 
pfinden, ebenso sind die reichlichen Literaturangaben auf einem 
solchen Grenzgebiet von Medicin und Zoologie höchst will¬ 
kommen. Wenn der Verfasser sich im Wesentlichen auf die 
Mittiieilung desjenigen beschränkt hat, was wir heute als ge¬ 
sicherten Besitz der Wissenschaft betrachten dürfen, so ist das 
durchaus zu billigen; die so überaus zahlreichen Angaben über 
das Vorkommen von Protozoen und ähnlichen Gebilden in der 
menschlichen Pathologie, speziell bei den malignen Geschwülsten, 
Variola etc. sind theils direkt irrthümlich, theils in ihrer ursäch¬ 
lichen Beziehung zu der betr. Erkrankung durchaus zweifelhaft, 
jedenfalls aber viel zu vage, um dem Zoologen die Deutung dieser 
Befunde als Protozoen (abgesehen von der durch Schaudinn 
untersuchten Leidenia) zu erlauben; gerade die Erfahrung des 
vergangenen Jahres zeigt ja wieder deutlich, wie sehr hier Vor¬ 
sicht und Skepsis am Platze ist. Jedem aber, der sich für diesen 
Zweig biologisolier Forschung intoressirt, kann D o f 1 e i n’s Buoh 
angelegentlichst empfohlen werden. Wilde. 

Dr. Guido Holzknecht-Wien: Archiv und Atlas der nor¬ 
malen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgen¬ 
bildern. Die röntgenologische Diagnostik der Erkrankungen 
der Brusteingeweide. Mit 60 Abbild, im Text und 50 Röutgen- 
bildem auf 8 Tafeln. Hamburg, Lucas Gräfe & Sillem, 
1901. X und 229 S. Preis 25 M. 

Von dem als Ergänzungshefte der Fortschritte auf 
dem Gebiete der Röntgenstrahlen, herausgegeben 
von Dr. Albers-Schönberg, erscheinenden Archiv und 
Atlas der normalen und pathologischen Ana¬ 
tomie, in typischen Röntgenbildorn bildet der vor¬ 
liegende stattliche Band den sechsten. Kaum 6 Jahre sind seit 
R ö n t g e n’s epochemachender Entdeckung vergangen und schon 
jetzt ist sein Verfahren, um mit H. zu reden „ein unentbehrliches 
diagnostisches und therapeutische« Hilfsmittel geworden“, das 
sieh „ebenbürtig den übrigen physikalischen Methoden an¬ 
schliesst“. Man muss es dem um die Ausbildung dieser Lehre 
verdienten Herausgeber der „Fortschritte“ daher nur Dank 
wissen, dass er die einzelnen medicinischen Gebiete der neuen 
Lehro durch hervorragende Forscher spezialistisch bearbeiten 
lässt. Der vorliegende Band nimmt unter den bisher erschienenen 
eine hervorragende, wenn nicht die erste Stelle ein. Während 
die Chirurgie die ersten und zahlreichsten Erfolge der neuen Ent¬ 
deckung einheimste, fängt die innere Medicin erst neuerdings an, 
sich mehr und mehr an ihren Früchten ebenfalls zu betheiligen, 
und das Holzknech t’sche Werk ist so recht geeignet, 
zu weiteren Studien anzuregen. Der Inhalt desselben entstammt 
theils selbstunternommenen Nachprüfungen, theils eigenen Be¬ 
obachtungen und zerfällt in einen nur kurz gehaltenen tech¬ 
nischen und einen ausführlichen klinischen Theil. Letzterer um¬ 
fasst so ziemlich Alles, was bis jetzt die Röntgenuntersuchung 
der Brusteingeweide gelehrt hat, wobei zunächst die normalen 
Verhältnisse geschildert werden, denen sich dann die pathologi¬ 
schen Prozesse anschliessen. Den Schluss bildet eine Kasuistik 
von 25 Fällen zur Ergänzung der Stellen im Text, an denen auf 
sie verwiesen ist.. 

Die Abbildungen auf den Tafeln sind photographische Re¬ 
produktionen und grösst eil theil 9 von hervorragender Schönheit 
und Deutlichkeit. Bei der Auswahl derselben hat H. die typischen 
und häufig wiedorkehrenden Bilder, also das klinisch Wichtigste, 
bevorzugt. Die dabei verwendete Technik (Rotationsphotograpliie) 
macht ihrer Urheberin, der Neuen- Photogr. Gesellseh. Berlin- 
Steglitz, alle Ehre. 

Wir bezweifeln nicht, dass das H.’sche Werk sich bald in 
den Händen aller Aerzte befinden wird, die sich für die Fort- 


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MUENCIIENER MEDICI NISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2117 


24. Dezember 1901. 

schritte der Röntgenlehre interossiren und denselben zu folgen 
gewillt sind. 

Sollte es der Verlagsbuchhandlung gelingen, in den sicher 
zu erwartenden neuen Auflagen den Preis des Werkes herab¬ 
zusetzen, so würde die Verbreitung desselben sicher noch eine be¬ 
deutend grössere werden. J affe- Hamburg. 

Prof. Dr. Otto v. Franque: Die Entstehung und Be¬ 
handlung der Uterusruptur. Würzburger Abhandlungen II. Bd., 

1. Heft. Preis 75 Pf. 

Kurz und doch erschöpfend bespricht v. F. zunächst die ver¬ 
schiedenen Ursachen und Momente, die eine Uterusruptur hervor- 
rufen resp. begünstigen können. 

Bei der Erwägung der Frage, in wie weit die abnorme Aus¬ 
dehnung des Uterus (Gemini, Ilydramnios) eine Prädisposition 
für Ruptur abgeben kann, macht v. F. darauf aufmerksam, dass 
diese Möglichkeit auch bei der Anwendung der intrauterinen 
Kolpeuryse zur Beschleunigung langsam verlaufender, recht¬ 
zeitiger Geburten und noch stehender Blase in Erwägung ge¬ 
zogen zu werden verdient; ein Punkt., der gewiss trotz der zu¬ 
nehmenden Häufigkeit in der Ausübung dieses Verfahrens bis¬ 
her wohl nicht allseitig berücksichtigt worden ist. 

Die Symptome der Ruptur werden nur gestreift, eingehender 
wird die Prophylaxe besprochen. Nach kritischer Besprechung 
der Therapie bei kompleter und inkompleter Uterusruptur kommt 
v. F. zu dem Resultate: Vorsichtige Entbindung auf natür¬ 
lichem Wege, Druckverband des Abdomens, einfache Drainage 
mit Drainrohr oder Jodoformdocht. 

Die Lektüre dieser anregend gesehriebenen Abhandlung ist 
dem Praktiker wohl zu empfehlen. 

Max II e n k e 1 - Berlin. 

v. Ammon: Sehprobentafeln zur Bestimmung der Seh¬ 
schärfe für die Ferne. München 1901, J. F. Lehman n. 

Diese Sehprob 3n tafeln empfehlen sich durch ihre zweckmässig.; 
Anordnung und ihre Mannigfaltigkeit besonders für Entlarvung 
von Simulation und Uebertreibung. Neu ist eine richtige An¬ 
passung der S n e 11 e n’schen Hacken durch Abschrägung der 
Ecken, so dass sie den Buchstabonproben nun völlig gleieh- 
werthig und nicht mehr leichter als diese zu erkennen sind, und 
zweckmässig ist die Idee Kröge Fs in den Tafeln 4 und 5 
mit etwas kleineren Buchstaben als auf Tafel 1 und 2 durch¬ 
geführt. 

Tafeln mit Buchstaben in Spiegelschrift und eine für den 
Einzelgebrauch nuszuschneidende Tafel mit Hacken bewirken, 
dass sich v. A.’s Tafeln nicht nur durch die gute und reich¬ 
liche Auswahl der Buchstaben und Zeichen, sondern auch durch 
ihre praktische Verwendbarkeit auszeiehnen. 

Für eine neue Auflage würde sich etwas stärkeres Papier 
empfehl*”'. S e g g e 1. 

ff. Herrera V e g a s y Daniel J. Cranwell: Los Quistes 
hidatidicos en la rlpublica Argentina. Buenos Ayres 1901. 
gr. 8 \ 466 Seiten, mit 27 Abbildungen. 

Dieses stattliche Werk ist von einer Einleitung des Prof. 
Carlos Berg (Direetor del Museo de Ilistoria Natural) begleitet. 
Die. Verfasser sind junge Aerzte, welche, wie die Einleitung 
sagt, alles Wissenswerthe mit Berücksichtigung fremder und 
eigener Beobachtungen über die „enfermedad parasitaria dc- 
nominada hidatidiea“ zusammengestellt haben. 

Im ersten Abschnitt finden wir kurze historische Notizen, 
die Naturgeschichte der Taenia Echinococcus, woran sich die j 
Aetiok)gie und Pathogenie reiht. Die Synonymik ist p. 9 aus i 
R. B 1 a n c h a r d‘s gediegener Zoologie medicale sogar mit Bei¬ 
behaltung der Druckfehler (Terratus Roll, statt T. serrata) ent¬ 
nommen. Hierauf folgt das Geographische und die Vorbeugung. 

Im besonderen Theil (p. 76—300) wird das Vorkommen der 
Hydatiden in den einzelnen Organen behandelt. Diese Zusammen- , 
Stellung ist eine der besten der gesammten Eehinococcenliteratur 
und zeugt Von grosser Kenntniss der Kasuistik, die in zahllosen 
Artikeln und Dissertationen zerstreut ist. Es ist hier schwer, i 
erhebliche Lücken zu entdecken. 

Im 3. Thcile (p. 307—466) finden wir die gesummte argen¬ 
tinische Kasuistik nach Organen geordnet. Es sind 970 Falle, 
von denen 644 die Leber, 68 die Lunge, 29 die Milz, 20 die 


Nieren etc. betreffen. Einzelne wichtige Vorkommnisse sind aus¬ 
führlich berichtet. 

Wenn wir uns erinnern, dass Neisser (1877) in seiner 
trefflichen Monographie nur 968 Fälle aus der Weltliteratur zu- 
sammengebraeht hat, so muss das argentinische Material als ein 
gewa 11 iges erseheineu. 

Der wichtigste Inhalt des Buches ist der Nachweis von der 
grossen Verbreitung des Echinococcus in Argentinien, einen; 
Lande, das etwa viermal so gross als das deutsche Reich, auf 
seinen ausgedehnten Pampas kolossale Herden von Rindern und 
Schafen ernährt. Die grösste Häufigkeit des Parasiten zeigt 
die Provinz Buenos Ayres. 

„Worauf beruht die Verbreitung der Krankheit in jener 
Provinz?“ so fragen sich die Verfasser. 

„Unzweifelhaft auf der grossen Zahl von Herden, welche 
nach der jüngsten Zählung aus 8 724 683 Rindern und 52 000 000 
Schafen bestehen, ferner auf der Menge der Hunde, die auf allen 
Weideplätzen (Estancias) sich finden und oft ganze Meuten 
bilden. Dazu kommt die geringe Sorgfalt, die bei der Fütterung 
der Hunde beobachtet wird, welche sich von den kranken Einge- 
weiden nähren. Auch ist cs bekannt, dass in der Provinz 
Buenos Ayres fast bei sämmtliehen alten Schafen die Leber und 
Lungen mit Wasserblasen (vejigas de agna) besät sind. Die 
Veterinäre der Schlachthäuser der Stadt, welche Institute ihre 
Rinder aus der Provinz beziehen, stellen fest, dass 40 Proc. aller 
Rinder und 60 Proc. aller Schweine an Hydatiden leiden.“ 

Die erste Kunde von den Echinocooeen Argentiniens ist aus 
den Jahren 1860—70. wie Dr. M asi in einer „Tesis de Buenos 
Ayres“ nachweist. (El quiste hydatidico en la Republica Argen- 
tinia 3893.) Nach Europa ist von diesen Dingen wenig ge¬ 
drungen und nur der unermüdliche Posse lt gibt bessere 
Nachrichten über die Blasenwurmkrankheit des Laplata-Landes. 

Aus dem Werke von Vegas und Cranwell erfahren 
wir auch, dass in Argentinien eine tüchtige medicinische Thätig- 
keit sich entwickelt. Eine stattliche Reihe von medicinischen 
Zeitschriften sorgt für die dortige ärztliche Welt. Ueber die 
„Quistes hidatidicos“ sind in den letzten Jahrzehnten nicht 
weniger als 20 Teses de Buenos Ayres erschienen, die Mehrzahl 
davon in den neunziger Jahren. — Ich selbst habe schon den 
Versuch gemacht, etwas überdie südamerikanische Helminthologie 
zu erfahren, musste aber viele Monate harren, bis es mir gelang, 
das Bueh von Eliseo Ca u ton: „Tratado de los Zooparasitos 
del cuerpo hutnano“, Buenos Ayres 1898, für schweres Gold zu 
bekommen. Dieses Werk, welches sich besonders auf R. B 1 a n - 
ch a r d stützt, enthält aber nur die Protozoen und Platelminthen. 

Der Echinococcus Argentiniens wird zwar nbgehandelt, aber 
über die grosse Literatur desselben schweigt der Verfasser. 

Zuin Schlüsse muss ich die Ausstattung des Buches und die 
guten Abbildungen, welche wichtige Fälle illustriren, rühmend 
hervorheben. J. Ch. H u b e r - Memmingen. 

Neueste Journalliteratur. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 61. Bd., 3. u. 4. Heft- 
Leipzig, Vogel, 190L 

10) Enderlcn und J u s t i: Ueber die Heilung von Wun¬ 
den der Gallenblase und die Deckung von Defekten der Gallen¬ 
blase durch transplantirtes Netz. (Chirurgische Klinik Marburg.) 

Die Verfasser studlrten zunächst an Kaninchen die Heilung 
von Wunden der Gallenblase und fanden, dass dieselbe mit voll¬ 
ständigem Ersätze der Schleimhaut zu Stande kommt. Das neu- 
gebildete Epithel zeigt zunächst niedere Formen, welche erst später 
ln die hohen Cyiinderepithelzellen übergehen. Die Regeneration 
der Muscularis ist wenig ausgesprochen. 

Die Versuche mit NotztrnImplantationen auf Gallenblasen¬ 
defekte wurden au Hunden nusgeführt Auf dem transplantirten 
Netze bildet siel» sehr bnld ein Epithelüberzug, der sieh mit der 
darunter liegenden neugebildeten Schleimhaut ln Falten erhebt 
In dem transplantirten Netz kommt es zur Bindegewebswucherung 
und später zur Schrumpfung. 

Dadurch, und in Folge der Kontraktion der Muscularis, kommt 
es zur Verkleinerung des Defektes. 

Zum Schluss haben die Verfasser noch einen Versuch von 
C o r n i 1 und Cornat wiederholt und die Gallenblase aufge- 
sclmitten und mit ihrer Schleimhaut auf die lieber ausge¬ 
breitet. Sie fanden in Uebereiustimmung mit den genannten 
Autoren, dass sich die Höhle der Gallenblase wieder herstellte 
unter Annäherung der Lol>erlnppcn. 

ID Dietzer: Ueber Spiralfrakturen des Oberschenkels. 
(Bürgerhospital Köln.) 

ln den letzten 4 Jahren wurden am Kölner Bürgerspital unter 
150 Fenuirfrnklaren 9,8 Proc. Splrnlhrüche gesehen. Scheidet man 


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211 « 


t 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Nu. 52. 


diu Brüche bei Kindern unter 10 Jahren, bei denen meist ein Quer- 
brueh zu Stande kommt, aus, so ergeben sieh 20 Proc. Splral- 
brilehe auf 54 l’roe. Querfrakturen und 25 I’roc. Schriigbfliehe. 
Unter Spiralbruch versteht man diejenige Bruchform, welche sich 
aus einer Schraubenlinie und einer geraden, der Längsachse des 
Knochens parallelen Bruchlinie zusammensetzt. Sie waren in des 
Verfassers Fällen mit der einzigen Ausnahme eines 10 jährigen 
Knaben, indirekte Frakturen, meist dureh holten Fall auf die 
Beine hervorgerufen. 

Die Behandlung erfolgte ausschliesslich mit Hilfe der Strecke. 
Das Ergebnis» ist ein wunderbares, Durehsehnittsverkürzung 
0,2 ent. 

12) de Q ii e r v a i n - Cliitux-de-Fonds: Ueber subkutane 
Verlagerung und Einklemmung des Leistenhodens. 

Der vom Verfasser beobachtete 50 jährige Patient hatte seit 
dem 14. Jahre eitlen Feisteiilioden. Bei dem Ilelten eines Har¬ 
moniums wurde derselbe durch den äusseren Leisteiiriug heraus¬ 
gepresst und verlagerte sielt seitwärts. Sofortige starke An¬ 
schwellung. Verfasser machte mu h 11 Tagt n di * Exstirpation des 
Hodens und stellte dureh die anatomische l itt« rsuchuug fest, dass 
cs sich um einen fettig und bindegewebig degencrlrten Hoden 
handelte mit frischer Thrombose der grösseren Venen und hoch¬ 
gradigster vtnöser Stauung mit beginnender Nekrose hei wegsam 
gebliebenen Arterien. Von Torsion war nichts zu entdecken. 

Verl', führt ans, dass dieser Fall mit Bestimmtheit zu den 
Einklemmungell des i.eisteiiltodens zu rechnen ist. Filter Ein¬ 
klemmung hat mau dann allerdings beim Samenstrang nicht eine 
eigentliche Einklemmung wie heim Darm, sondern ..Zerrung und 
Aliknickung“ zu versteh» n. Man könnte auch von Stauungslnfarkt 
des Hodens in Folge Sameitstrangalikniekitng mit Irreponibilität 
des Hodens sprechen. 

]3i Mintz: Ein Fall von primärer Parotistuberkulose. 
(All-Katharinciispital Moskau.) 

Die l ntersuelittiig des operirten seltenen Falles ergab, dass 
die Erkrankung sieh topographisch streng an die Drilsenlüppchen 
hielt, ln fast allen Läppchen sassen kleinere und grössere Tu¬ 
berkel. Die die Driisenläppcheii trennenden Bindcgewebssepta 
zeigten vielfach kleiiizidlige lntiltratioii, aber nirgends Tuberkel¬ 
bildung. 

Verf. glaubt, dass es sieh um eine aus dein Kanalsystem der 


Drüse eingedmngciie Infektion gehandelt hat. 

14» Kaiser: Ueber die Erfolge der Gastroenterostomosis. 
iCliirurgiselie Klinik Bern.» 

Wegen gutartiger Erkrankungen wurde 15 mal die Onstro- 
enterostomie votg» iioiumen. und zwar die Anteoolica anterior 7 mal, 
di,. Betmeoliea posterior 5 mal und die IDmx'srhe Methode „en Y“ 
mal. Es lassen sielt sowohl mit der hinteren wie mit der vorderen 
Methode gleich gute Erfolge erzielen. Sehr gut war der Erfolg ln 
in Fällen, unbefriedigend in 2 Fällen. Die einzelnen Fälle sind 
sehr sorgfältig in Bezug auf Dilatation, motorische Funktion. 
Chemismus liaehuutersueht, die hemerkenswerthen Einzelheiten 
entziehen sich der Wiedergabe. 

Wegen Careinom wurde 33 mal operirt. Bei 12 PatUnten trat 
sehr bald nach »ler Operation der Exitus ein. Bei 10 überlebenden 
Patienten betrug die dmvhsehnittliehe Tadtensrinuer 3.0 Monate. 
Grosses Int »»resse verdienen die Ausführungen des Verfassers über 
mangelhafte Austreibung des Mageninhaltes, über den Circulus 
vitiosv.s, über das Verhalten dos anatomischen Befundes zu den 
klinischen Erscheinungen, über die chemischen Verhältnisse des 
Magensaftes (4 mal freie Salzsäure) und deren Veränderung durch 
die Operation, über den Befund von (lalle im Magen und ähnliches. 

15) v. Illges: Der Ureterenkatheterlsmus im Dienste 
einiger neuerer Methoden der Nierendiagnostik. (I. chirur¬ 
gische Klinik Ofen-Pest.) 

Auch Verfasser hält für das beste Verfahren, um die I' uuktion 
einer Niere zu prüfen, die Bestimmung des Gefrierpunktes, die 
Krvoskopie. Die Gefrierpunktsernicdrigiiiig einer Flüssigkeit ist 
um* so grösser, je mehr gelöste Moleküle dieselbe enthält und um¬ 
gekehrt. Bei krankhaften Nieren Veränderungen wird die Gefrier- 
punktseriiiedrigung »les Blutes grösser, die der Nieren geringer. 
Wrf. hat au 12 Nierenkranken mit Hilfe des Freterenkatlieters 
derartige Untevsmlning.-n n»gestellt. Die Bedeutung der Unter- 
sueluingsiiiethod». kommt ja besonders bei der Entscheidung über 
einen opcnitiveti Eingrilf in Betracht. 

10) Fridberg: Zur Aetiologie und Therapie des Caput 
obstipum musculare congenitum. (N e u tu a n n sehe Kiuder- 
polikliitik Berlin.) 

Von FS operativ behandelten Fällen konnte hei 9 das cxzhlirte 
Muskelstitek mikroskopiseh untersucht werden. Darnach muss als 
Fisache für das genannte Leiden in der grossen Mehrzahl der 
Fälle die dmvh »las Gcburtslraumn bedingt«* pathologische Ver¬ 
änderung im Koptnickeniiuskcl angesehen werden. In vereinzelten 
Fällen kann die pathologische Haltung schon während der Entwick- 
lnng »les Fötus in utero verursacht werden. Das anatomische Bild 
ist ln nileii Fällen makroskoptsi-li und mikroskopiseh ein gleieh- 
•trligcs. eine interstitii'lle My»»sitis. I iieutselii<‘d»‘U bleibt es, ob 
»s sielt um einen rein anatomiselien degetierativeii Prozess im 
Muskel, nur »luf« b »las Trauma b»*dingt. handelt, oder ob ein wlrk- 
1 j,-l, «• 111 v.ii 11 < 11 i<-1 m* t* Prozess im klinischen Sinne in Folge bacillürer 


Infektion vorli. gt. 

],.is <>p,•rati\». Norinalverfalireii ist die Besektion des er¬ 
krankten Mnskrls. In g»*eigneten Fällen kann dieselbe durch die 
plastisch»* \'i rliing».niteg des Muskels ersetzt werden. 

J7i II. M a n s s - Berlin: Ueber mechanische Störungen des 
Knochen wnehsthums. 


M. vertritt gegenüber Herz nochmals seine Auffassung,.dass 
einer mechanischen Hemmung des Knoehenwachsthums in irgend 
einer Richtung ein entsprechend stärkeres Wnchsthum In einer 
anderen — druekfrelen — Richtung entspricht. 

18) Gerulanos - Kiel: Zum Vorkommen des Tetanus nach 
subkutaner Gelatineinjektion. 

Zur Verminderung der parenchymatösen Blutung waren vor 
einer Kehlkopfexstirpatiou 200 ccm einer 2 proc. sterilisirten Gela- 
tinelösung am Oberscltenkel injlzirt worden. 

An »ler Einstichsteile entwickelte sieh eine handtellergrosse 
Gangrän und 8 Tage nach der Operation setzte ein tödtlielier Te¬ 
tanus ein. Die Halswunde war reaktionsloe. 

Die bakteriologische Untersuchung der Einstichwunde blieb 
ohne positiven Erfolg. Das Gelatineglas war verloren gegangen. 
Eine andere Frau, welche vor Vornahme einer Thoraxplastik mit 
derselben Gelatine injlzirt war, bekam eine Hautgangrän, aber 
keinen Tetanus. 

Ein weiterer Fall von Tetanus wurde von Georgis - Flens¬ 
burg nach Gelatineinjektiou wegen starker Blutung aus einer 
Abscessltöble beobachtet. 0 Tage darnach setzte tödtlicher Te¬ 
tanus ein. 

Helfericlt mahnt auf Grund dieser beiden Fälle mit Recht 
zu doppelter Vorsicht bei der Vornahme von Gelatineinjektionen. 

Krecke. 

Centralblatt für Chirurgie. 1901. No. 10. 

J. Sehoemaker - Nimwegen: Zur Technik der Kranio- 
tomie. 4 

Nachdem die Giglisäge immer die Schattenseite hat, dass sie 
erst durcligeftlhrt werden und die Dura geschützt werden muss, 
die D a h 1 g r e n’selte Zange nur sehr kleine Stückchen Knochen 
aus dem Schädel kneift ,uud unter Umständen sehr oft eingeführt 
werden muss, empfiehlt Sch. ein Instrument, bei dem der durch- 
zuführeude Durnsehlitzer zugleich den Knochen durehschneideu 
soll oder bei der Zange das Prinzip der schiefen Ebene angebracht 
ist, während als Stützpunkt (um deu Gegendruck zu tragen) ein 
zweites Bohrloch iu den Schädel gemacht und die erforderliche 
Kraft ln einem Schraubenapparat repräsentirt wird. — Das Essen¬ 
tielle au dem dureh Abbildungen dargestellten Instrument ist das 
Metallstüek, das durch den Schädel vorwärts geschoben wird, das 
unten geknöpft mit seiner vorderen Kante schief gestellt und 
vorne etwas breiter als hinten ist. Sehr. 

Archiv für Gynäkologie. 65. Bd. 1. Heft. Berlin 1901. 

1) E. Wertheim: Ein neuer Beitrag zur Frage der B adi k a l - 
operation beim Uteruskrebs. (Aus der Bettina-Stiftung in Wien.) 

W. veröffentlicht eine zweite Reihe von 31 Fällen abdominaler 
Radikaloperation bei Uteruskrebs: im Ganzen bis jetzt 60 Fälle. 
Kurze Angaben über Befund, Operation (NebenVerletzungen) und 
späteren Verlauf mit Skizzen über Ausdehnung des Carcinoms und 
Erkrankung der regionären Lymphdrüsen. 

„Während von den ersten 30 Fällen 12 dem Eingriff erlagen, 
gingen in der zweiten Serie nur 5 Fälle In Folge der Operation 
zu Grunde.“ Obwohl nie der Ureter verletzt wurde, traten doch 
in der zweiten Serie 5 mal Ureter-Sclieideufisteln auf, die smal 
Nephrektomie und einmal Exitus letalis zur Folge halten. Mit- 
theilungeu über Operationstechnik und Nachbehandlung besonders 
bezüglich der häutigen Blaseuparese. 

2) Hans Loew enstein, Assistenzarzt am städt Kranken¬ 
haus zu Frankfurt a. O.: Klinisch-statistische Beiträge zur Puer- 
peralfieberfr&ge. (Aus der Provlnzial-Hebammen-I^ehraustalt zu 
Breslnu, Direktor Dr. Baum m.) 

Von den 3352 Frauen der letzten 4 Jahre fieberten 45 Proc- 
und zwar untersuchte wie nicht untersuchte ohne wesentlichen 
Unterschied. „Vergleicht man die Resultate der einzelnen Des- 
infektionsmethoden (1. nur Wasser und Seife ohne jedes Antl- 
septicum, 2. Lysol, 3. Desinfektion nach Holmeier) und die 
Gesammt-Morbidität, so stehen ziemlich gleich H o f m e 1 e r 
(45 Proc.) und blosse mechanische Reinigung (46 Proc. Gesammt- 
Morbidität), beträchtlich schlechter ist Lysol mit 66 Proc. Dar¬ 
nach lässt sich also die absolute Nothwendigkeit einer präliminaren 
inneren Desinfektion bei jeder Geburt nicht erweisen.“ 

Im Ganzen starben 36 Frauen, davon 12 an Puerperalfieber, 
unter diesen sind aber nur 6, für welche die Anstalt verantwort¬ 
lich gemacht werden kann, d. i. 0,181 Proc. — In Erkrankungs- 
fäHeu wird prinzipiell kein lokaler Eingriff vorgenomnteu. 

3) M i c h o 1 i t s c h: Ein Fall von B r • u a’aeher Haematpm- 
mole mit blaaenmolenähnlicher Degeneration der Chorionzottan. 
(Aus der Bettina-Stiftung in Wien, Vorstand Prof. Wert heim.» 

Bei einer 38 Jährigen IX. Para wurde im 0. Schwangerschafts- 
inonat ein faustgrosses Molenei ausgestossen. Die Aussenfläche 
zeigte das Bild der Blasenmole, ln die Eihöhle sprangen zahlreiche 
buckelige, zuin Tltell gelappte und gestielte Tumoren vor von tief¬ 
blauer Farbe. Ein 11 mm langer Embryo war gut erhalten. 

4) R. Kuudrat, Laboratoriums-Assistent: Zur Tuberku¬ 
lose der Tuben und der Uterusmucosa. (Ibidem.) 

Unter 140 Fällen von Entfernung des Uterus mit Anhängen 
wegen entzündlicher Affektloneu wurde 4 mal Tuberkulose 
der Tuben, 1 mal mit solcher der Uterusschleimhaut gefunden. Iu 
einem Fall von Carcinoma cervicis mit gleichzeitiger Tuberkulose 
der Tuben zeigte auch eine exstlrpirte regionäre Lymphdriise diese 
beiden Erkrankungsprozesse neben einander. 

5) Achilles N ordmann - Basel: Zur Frage der Ftocentar- 
adhaerenz. 


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24. Dezember 1901. 


2119 


MÜENCHKNEB MEDICINI8CHE WOCHENSCHRIFT. 


N. beobachtete bei Adhaerenz der Placenta wiederholt Ver¬ 
änderungen der Decidua serotina durch bindegewebige Wucherung 
Mer innige Verwachsung der Uterusmuskulatur mit der uterinen 
Placentarfläche. Für die Aetiologie (1er serotinnlen Form sind 
vorausgegangene Traumen (Curettage, Placentarlösung. Aetzuneen) 
in Betracht zu ziehen. 

Pie folgenden Arbeiten bilden den Schluss der Festschrift für 
L. Landau. 

6) Joachimsthal, Privatdozent in Berlin: Ueber ange¬ 
borene Defektbildungen am Oberschenkel. 

J. sah 2 mal an lebenden Kindern theilweisen Defekt des Ober¬ 
schenkelknochens und einmal bei einem todten Neugeborenen voll¬ 
ständigen Mangel desselben. Er belegt seine Befunde mit Köntgen- 
photographien. 

7) Ernst Orgler, Voloutärarzt: Zur Prognose und Indikation 
der Ovariotomie während der Schwangerschaft. (Aus Prof. Dr. 
L. Landau’s Frauenklinik in Berlin.) 

Von 10 Ovariotomien bei bestehender Gravidität führte 4 mal 
die Operation Abort herbei. Alle 10 Patientinnen wurden geheilt 
Aus einer Zusammenstellung von 148 bis jetzt noch nicht statistisch 
venvertheten Fällen ergibt sich eine Mortalität der Mütter von 
2,7 Proc. und 22,5 Proc. vorzeitige Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft. Die Ovariotomie ist bei bestehender Schwangerschaft so 
frühzeitig als möglich vorzunehmen. 

8) W e 1 u r e b , Assistenzarzt an der Prof. Land a u'schen 
Frauenklinik in Berlin: Ein Beitrag zur Therapie der Ureteren- 
verletzungen bei Laparotomien. 

Bei einer wegen Carcinoma cervicls vorgenommenen abdomi¬ 
nalen Totalexstirpatiou passlrte es L. Landau, dass ein Stück 
des rechten Ureters exeidirt wurde. Da ein anderes Verfahren 
nicht möglich war. unterband Landau den centralen Ureter¬ 
stumpf. um event. später die Niere zu entfernen. Die Heilung ver¬ 
lief ohne besondere Störung, es trat kein Nierentumor auf. Be- 
obachtungsduuer 8 Monate. 

Wenn möglich, soll in derartigen Fällen der Ureter in die 
Blase iinplantirt werden, im anderen Fall ist die Ligatur des 
Ureters der sofortigen Nephrektomie vorzuziehen. 

9) Georg Davidsohn, Assistent: Zur Lehre von der 
„Mola haematomatosa“. (Aus Prof. Dr. L. L a n d a u’s Frauen¬ 
klinik.) 

D. nimmt an, dnss die Mola haematomatosa aus einem pri¬ 
mären Hydramnlon entsteht. Das ganze Ei ist in Folge dessen 
schon beim frühen Absterben des Foet unverhältnissmässig gross 
und wächst später nicht mehr. 

Beschreibung von 2 fast faustgrossen, spontan ausgestossenen 
Haematommolen mit Embryonen von 11 bezw. 9 mm Länge. 
Beide Präparate zeigen Reste von Clioriongefässen. 

Dr. Anton H e n g g e - München. 
Centralblatt für Gynäkologie. 190 1 . No. 50. 

1) E. Waldstein - Wien: Weiterer Beitrag zur Carcinom- 
statistik. 

Das Material entstammt der Schaut a'schen Klinik, wo 
die vaginale Methode principiell geübt wird. W.’s Statistik ergibt 
folgende Resultate: Dauerresultate (5 jährige Recldivfrelheit) 
waren bei 112 Fällen bekannt, von denen 70»/ 3 Proc. reeidivirten. 
Portlocarcinome reeidivirten in 71,9 Proc.. Cervixcarcinome ln 
76,2 Proc., Collumcarcinome überhaupt in 73.6 Proc.. Corpuscarcl- 
nome in 16,7 Proc. Von 14,7 Proc. operablen Frauen sind 8.8 Proc. 
an den Folgen der Operation gestorben. Von denen, welche letz¬ 
tere Uberstanden, blieben nur 3,95 Proc. recidlvfrol. d. li. von 100 
carcinomkranken Frauen konnten nur ca. 4 geheilt werden. 

2) Menge- Leipzig: Das Wesen der Dysmenorrhoe. 

M. unterscheidet 2 Arten der Dysmennorrhoe: eine von Geni¬ 
talerkrankungen unabhängige idiopathische und eine durch letz¬ 
tere bedingte sekundäre D. Alle Dysmenorrhöen sind auf eine 
menstruelle W e h e n t h ä 11 g k e 1 1 des l'h-rus zurück¬ 
zuführen, die durch eine prämenstruelle Schwellung der TJterus- 
schleimhaut und durch das Meustrnalblut bedingt wird. Bei 
somatisch und psychisch gesunden Frauen ist diese Welientliütig- 
keit Insensibel, dagegen wird sie als Schmerz empfunden 1. bei 
Hysterie und Neurasthenie. 2. bei Erkrankungen des Genital¬ 
kanals. 3. bei Erkrankungen der Beckenorgane. M. kommt zu dem 
Schluss, dnss keine Menstruation und Dysmenorrhoe ohne Wehe, 
aber auch zahlreiche Dysmenorrhöen nur die Folge eines kranken 
Nervensystems sind. Für die Therapie ergibt sich hieraus, dass 
die Behandlung ln erster Linie kausal sein muss. Zur Behandlung 
des Nervensystems sind diätetische Maassnahmen (Mastkuren) und 
physikalische Heilfaktoren (Massage. Hydrotherapie, Gymnastik), 
sowie Loslösung der Pat. aus ihrer Umgebung besonders wirksam. 
Die Wirkung der nasalen Therapie beruht nach M. im Wesent¬ 
lichen auf Suggestivwirkung. 

3) O. Schaeffer - Heidelberg: Ueber ein neues Früh- 
merkmal begonnener Schwangerschaft und über ein Gleiches 
betreffs des Absterbens junger Früchte. 

Sch.’s Symptom beruht auf der Annahme von Aenderung vaso¬ 
motorischer Vorgänge im Gesammtorganismus mit dem Eintritt 
der Schwangerschaft. Diese dokumentiren sich iiusserlich durch 
die bekannte Colehleumfärbung der Vulva und durch eine weniger 
bekannte Streifenfärbung der Gegend der Urethra oder der Aussen- 
seite des Tuberculum vaginae. woselbst sie meist quer oder schräg 
verläuft. Ferner fand Sch. bei Untersuchungen des Blutes, dass 
dessen Resistenzfähigkeit sofort mit dem Eintritt der Schwanger¬ 
schaft stieg. Für die näheren Angaben muss auf das Original 
verwiesen werden, woselbst man Sch.’s Untersuchuugsmethoden 
beschrieben findet. J a f f 6 - Hamburg. 


Virchow’s Archiv. Bd. 166. Heft 2. 1901. 

^1) H. Hirschf eld: Ueber die Entstehung der Blut¬ 
plättchen. (Aus dem städt. Krankenhause Moabit, Abth. des 
Herrn Prof. Goldscheider.) 

Nach H.’s Untersuchungen sind die Blutplättchen noch als 
eniioglobuläre, in den Erythroeyten entstandene und dann ausge- 
stossene Gebilde zu betrachten und wohl zu trennen von den aus 
Leukocyten hervorgehenden blutplättchenähnlichen Gebilden. In¬ 
zwischen sind jedoch die hochinteressanten von Detjen (Vir- 
chow’s Arch, 164, 2) im physiologischen Institut zu Kiel ausge- 
führteu Untersuchungen erschienen, die die Blutplättchen als nor¬ 
male kernhaltige Zellgebilde mit amoeboider Bewegung schildern 
Wie Kopse h und Dorendorf bestätigt auch II. einstweilen' 
die D e t j e u’schen Resultate, nur konnte er das Vorhandensein 
eines Kernes nicht konstatlren. 

12) G. Muscatello und J. Ottaviano: Ueber die 
Staphylococcenpyaemie. (Experim. Unters, ans dem Institut f. 
Pat hol. und der chir. Klinik zu Neapel.) 

Die vorliegenden experimentellen Untersuchungen beschilfti 
gen sich mit den zur Hervorrufung der Pyaemie erforderlichen Be¬ 
dingungen und der Pathogenese der metastatischen Lokalisationen. 
Die subkutane Einverleibung führte nur zum Tod durch 
..Toxikaernie“, bei grösseren Dosen verbunden mit „Bacteri- 
aemie“; bei intraven ö ser Injektion tritt durch starke Dosen 
Toxikaernie und Bakteriaemie. durch mittelgrosse Bakteriaemie 
und multiple Eiterherdbildung (Pyaemie). durch noch geringere 
reine Pyaemie auf — ohne Coccenbefund im Blut —. mit meta- 
statlscheu Abscessen in Nieren. Herzmuskel. Lunge, Leber und in 
meist bestimmten (s. Orig.!) Gruppen der Körpermuskulatur. 

13) B. Wolff II: Beiträge zur pathologischen Histologie 
der Ovarien, mit besonderer Berücksichtigung der Ovarialcysten. 
(Aus dem pathol. Institut zu Berlin.) 

W. hat besonders Ovnrien untersucht von Kindern, die an 
akuten Infektionskrankheiten gestorben waren und glaubt an 
einen Zusammenhang zwischen Infektionskrankheit und Cvsten- 
bildung: dersellK* entzündliche Reiz bewirke zuerst eine Sprossung 
des Keimepithels und daun sekundär (durch Ilümorrhagien etc.» 
in den Sprossen die Bildung von Cysten. 

14) E. M e y e r: Ueber scheinbare metaplastische Verände¬ 
rungen an Epithelien der Uterusdrüsen. (Aus dem pathol. In¬ 
stitut zu Zürich.) 

Der geschilderte Befund und dessen Erläuterung ist von 
rein pathologisch-histologischem Interesse. 

15) W. Cimbal: Beiträge zur Lehre von den Geschwülsten 
im 4. Ventrikel. (Aus dem pathol. Institut zu Breslau.) 

Verf. berichtet über 2 eigene Beobachtungen (Gliom und Peri¬ 
theliom [ ?]) und stellt 31 aus der Literatur entnommene Fälle 
tabellarisch zusammen. In klinisch-diagnostischer Beziehung sind 
abgesehen von den Symptomen des Hirn drucken die auf¬ 
fallend häufigen psychischen Störungen (Schlaflosigkeit, 
melancholische Verstimmungen etc. oft deutlich Intermittirend) zu 
berücksichtigen: die vorherrschenden K 1 e i u li i r n s v mp t o m e 
sind auf die geringe Widerstandsfähigkeit der grauen Substanz 
des C'erebellum und dessen Ganglienzellen zurückzuführen. Das 
Erbrechen will C. als Druck auf den Vagusker n auf¬ 
fassen; von sonstigen Lokalsymptomeu wären zu nennen: Augen¬ 
muskellähmungen (A bduc e n s. seltener Oculomotorius 
betr.), dann im Facialis-, seltener Ae u s t J c u s- und Glosso- 
p h a ry u ge u s gebiet, ln vereinzelten Fällen sind regellos die 
übrigen in der Medulla liegenden Kerne betroffen. Die Läsion der 
Medullakerne und des Kleinhirns hängt natürlich von der Grösse 
und der Wachstlmmsart des betr. Tumors (gut- oder bösartig!) ab. 

16) O. Brucauf f: Ueber die Heilungsvorgänge bei dis- 
seminirten infektiösen Nephritiden, insbesondere bei der Pyelo¬ 
nephritis ascendens. (Aus dem pathol. Institut zu Breslau.)*» 

Bei Pyelonephritis ascend. finden sich in einem Tlieli der Fälle 
neben fioriden eiterigen Processen noch Sclirumpfuugsherde in der 
Rinde, die den Charakter schwielig-narbiger Ausheilung tragen und 
sowohl von arteriosklerotischen wie von Infarktnarben wohl unter¬ 
schieden werden können. Im Verlauf solcher Ausheilungsproeesso 
sind wohl Wucherungen der llariikauälcheuepithelien zu be¬ 
obachten. eine Neubildung vollkommener Tubuli jedoch kaum. 
(Literatur.) 

17) L. Spiegel: Beiträge zur Kenntniss des Schwefelstoff¬ 
wechsels beim Menschen. (Aus dem pharm. Institut zu Berlin.) 

Cystin sowohl wie dessen nächstes Oxydationsprodukt, die 
uuterschwefelige Säure, treten nach 8. regelmässig als Zwischen¬ 
produkt!* beim oxydativen Eiweissabbau im Organismus auf. 
werden jedoch normaliter weiteroxydirt. Bei Cystinurie (die nach 
S. nicht so selten Ist) oder Ilvposulflturie handelt es sich dem¬ 
nach um eine Herabsetzung des Oxydationsvermögens gegenüber 
den Schwefelverbindungen. H. Merkel- Erlangen. 

Ziegler’s Beiträge zw pathologischen Anatomie. 30. Bd. 

3. Heft. 1901. 

12» M. v. Bt'UJin: Ueber die Entzündung seröser Häute 
mit besonderer Berücksichtigung der Balle der Serosadeckzellen. 

(Aus dein pathol. Institut zu Freiburg I. B.) 

Die vorliegenden höchst interessanten Untersuchungen fassen 
theils auf Leichenuntersnehmigcn. tlieils auf Thierexperitnonten 
(Hunden und Kaninchen): lw*i letzteren hat Verfasser, um mög¬ 
lichst geringe und lokalisirte Reize zu erzeugen, kleinste sterilisirtc 
Hollundermarkplättehen in die Pleura- und Leibeshöhle eingebmeht 


*) Von der medie. Fakultät zu Breslnu preisgekrönte Ailndt. 


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2130 


MTTETfOHENER MEMCINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


und dann nach bestimmten Zeiten untersucht Seine Unter¬ 
suchungsresultate fasst v. B. selbst ln folgende Schlusssätze zu¬ 
sammen: Die Serosadeckzellen gehören ln die Gruppe der Epi¬ 
thel len. Dafür spricht von morphologischen Kennzeichen vor 
Allem das Vorhandensein eines feinen Härchen- 
saumes (auch beim Menschen!), von physiologischen Lebens- 
äusserungeu die ausgesprochene Tendenz, in zusammenhängender 
Lage freie Flächen zu bedecken und vor Verwachsungen zu 
schützen. Im Fibrin eingeschlossene Reste von Deckzellen können, 
falls sie an freien Flüchen von Lücken und Spalten günstige 
Wachsthuinsbedingungen finden, zur Bildung cystischer, schlauch¬ 
förmiger und adenomartiger Hohlräume (besonders in den sogen. 
Sehnenflecken des Herzens!) führen, indem sie eine Entwicklung 
von bindegewebigen Adhaesionen an diesen Stellen verhindern. 
Eine Entwicklung von Bindegewebe aus Dock- 
zeilen findet nicht statt; scheinbare Fortsatzbildungen der 
letzteren kommen ausschliesslich in den ersten Tagen, zur Zeit der 
stärksten entzündlichen Exsudation, zur Beobachtung und sind 
durch direkte Einwirkung des Exsudationsstroraes. auf passivem 
Wege entstanden, zu denken. Junge Deckzelfen entstehen aus¬ 
schliesslich durch Theilung schon vorhandener, nie 
aus Fibroblasten. 

13) II. Brüning: Untersuchungen über das Vorkommen 
der Angiosklerose im Lungenkreislauf. (Aus dem pathol. Institut 
zu Bonn.) 

B. lenkt die Aufmerksamkeit auf die den Lungenkreislauf be¬ 
treffenden sklerotischen Processe. Die Sklerose findet sich nach 
den zusammengestellten 21 eigenen Beobachtungen am häufigsten 
und hochgradigsten In den Lungenarterien, weniger stark und 
reichlich in den Lungenvenen; ausserdem tritt sie manchmal ln den 
Bronchlalarterlen auf, während die Brouchialvenen vollkommen 
frei gefunden wurden. Sie Ist demnach nicht so selten, als man 
bisher vielfach angenommen hat, und findet sich auffallend häufig 
bei Stauungslunge (Mitralfehler, Myodegeneratio). ferner bei patho¬ 
logischen Zuständen der Respirationsorgane (Verkleinerung der 
Lungenblutbahn!) und kombinirt mit allgemeiner Arteriosklerose. 
Allgemeine Schädlichkeiten, Circulatlonsstörungen und entzünd¬ 
liche Processe in der Gefässwand und deren Umgebung, spielen 
ebenso wie bei der Arteriosklerose des grossen Kreislaufs, so auch 
in der Aetiologie und Genese der Pulmonalgefässsklerose die 
Hauptrolle. 

14) H. Egget: Ueber das primäre Carcinom der Leber. 
(Aus dem pathol. Institut zu München.) 

In der vorliegenden umfangreichen Arbeit bringt Verfasser 
eine tabellarische Zusammenstellung von 163 primären Leber¬ 
krebsen aus der Literatur und vergleicht sie von den verschie¬ 
densten Gesichtspunkten aus mit einander. Daran schllesst sich 
eine eigene Beobachtung an mit genauem mikroskopischen Befund. 
Hinsichtlich des ungemein häufigen Zusammentreffens von atro¬ 
phischer Cirrhose und Carcinom spricht sich E. dahin aus, dass 
die Cirrhose wohl als der primäre Process zu betrachten sei und 
das Carcinom (der Theorie R 1 b b e r t’s entsprechend) „durch eine 
Wucherung von Epithelzellen entstehe, welche aus ihrem normalen 
Verband, sei es durch entwicklungsgeschichtliche oder trauma¬ 
tische. oder vor Allem durch entzündliche Processe ab¬ 
getrennt und in das Bindegewebe verlagert wurden.“ 

15) Fr. H a r b 11 z - Christlania: Ueber Osteogenesis imper¬ 
fecta. 

H. stellt 19 Beobachtungen aus der Literatur zusammen und 
berichtet über einen eigenen Fall von Osteogenesis imperfecta. 
Es handelt sich bei diesem Krankheitsbild um entweder todt- 
geborene oder meist bald nach der Geburt gestorbene Kinder, die 
von kleiner und kurzer Gestalt sind, dicke, kurze, missgestaltete 
Extremitäten besitzen, während Körper und Kopf meist wohl- 
entwickelt sind. Die mangelhafte Ossifikation an den langen 
Röhrenknochen wie an den Rippen führt zum Auftreten zahl¬ 
reicher Frakturen, die theils Intrauterin entstanden und dann mit 
starker Callusbildung geheilt oder aber frisch und bei der Geburt 
zu Stande gekommen sind. Diese Frakturen mit den daraus fol¬ 
genden abnormen Stellungen der Bruchenden bedingen die Kürze 
und Missstaltung der Extremitäten. H. fasst die vorliegende Er¬ 
krankung als eine eigene Form der foetalen Rachitis auf, deren 
Ursache zur Zeit noch völlig unbeknnnt ist. 

H. Merkel- Erlangen. 

Centralblatt für Bacteriologie, Parasitenkunde und In¬ 
fektionskrankheiten. Bd. 30. No. 20, 1901. 

1) A. Macfadyen and S. R o w 1 a n d - London: Upon the 
intracellular constituents of the typhoid bacillus. 

2) A. Slilbayama - Tokio: Einige Experimente über 
Haemolysine. 

Verfasser fand, dass normales Hunde - und Ziegen¬ 
serum die Fähigkeit besitzt, Erythroeyten des normalen 
Kaninchens und Meerschweinchens in vitro auf¬ 
zulösen. Die Auflösungsfähigkeit des Serums wird aber durch 
Dialyse zerstört und es ist nicht möglich, diese inaktivlrten Sera 
durch Zusatz eines normalen Serums zu reaktlviren. 

Die haemol.vtische Wirkung des Meerschweinchenserums wird 
durch Injektion von Erythroeyten des Hundes verursacht und 
nicht durch die Einwirkung von Hundeserum. 

Die Annahme, dass der Haemolyse vorher eine Agglutination 
der Erythroeyten vorausgehen müsse, kann Verfasser nicht ohne 
Weiteres bestätigen, da die Haemolyse auch ohne vorherige 


Agglutination elntritt In letzteren Fällen würden die Sera von 
hochlmmunlsirten Tbieren abstammen. 

3) Carl Spengler- Davos: Zur Diagnose und Prognose 
der Misch- und Begleitinfektion bei Lungentuberkulose. 

Unter Mischinfektion versteht Verfasser die Sekun¬ 
därinfektion tuberkulösen Granulationsge¬ 
webes. 

Die Tuberkelbacillen und Mischbacillen (alle die ausser T.-B. 
vorhandenen Bakterien) lassen sich durch die Koch-Kita- 
sato’sche Waschmethode nicht von einander trennen, es ge 
langen besonders die Mischbacillen zur Entwicklung. 

Unter Begleitinfektion wird die chronische 
Bronchitis der Lungentuberkulosen verstanden. 

Es handelt sich dabei um eine reine Lungentuberkulose, deren 
Bronchialgebiet sekundär erkrankt Ist Es kommen nach korrekter 
Waschung der Sputumballen, weil die Sekundärbakterien nur in 
den Kernumhüllungen sitzen, nur Tul»erkelbacillen zur Ent¬ 
wicklung. 

Die Prognose der chronischen Begleittuberkulose Ist im All¬ 
gemeinen gut; die Prognose einer tuberkulösen Erkrankung, bei 
der ln den Mischbakterien sich zalilrelche lange Strepto¬ 
coccen finden, meist sehr schlecht. 

4) Kausch- Charlottenburg: Formaldehydmischungen. 

Eine Zusammenstellung aller bis jetzt in den Handel ge¬ 
brachten chemischen Form aldehydverbindüngen 
und mechanischen Vermischungen des Formalde¬ 
hyds mit anderen Körpern. Genannt sei: 1. Das Para¬ 
formaldehyd: 2. eine Verbindung des Formaldehyds mit Natrium. 
Kupfer, Eisen- und Kalksalzen; 3. Sanolith, mit Formalin ge¬ 
tränkte. poröse Platten; 4. Mischung von Alkohol, Aceton und 
Formalin; 5. Holzin oder Holzinol, Mischung von Menthol, Methyl¬ 
alkohol und Formaldehyd; 6. Glykoformal, Mischung von Glycerin 
und Formalin; 7. Formalin mit Kaliummetabisulfitlösung; 

8. Formaldehyd mit Akrolöin; 9. Formallnsalbe; 10. Formoforln, 
Gemisch aus Thymol, Formaldehyd, Zinkoxyd und Stärke; 

11. Sudol, formalinhaltlges Wollfett mit Glycerin; 12. Tannofonn. 
Tannin mit Formaldehyd; 13. Desodor und Kosmin (Mundwässer); 

14. Foroformpulver; 15. Sterifonnum jodatum, ein Gemisch aus 
Formaldehyd, Jodammonium, Pepsin und Milchzucker. 

R. O. Neumann - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 50. 

1) P. Bauragarten - Tübingen: Mikroskopische Unter- ( 
Buchungen über Haemolyse Im heterogenen Serum. 

Vortrag, gehalten bei der Tagung der deutschen patho¬ 
logischen Gesellschaft in Hamburg. September 1901. 

2) E. Saul-Berlin: Beiträge zur Morphologie des Typhus¬ 
bacillus und des Bacterium coli commune. 

Cfr. Referat S. 1900 der Münch, med. Wochenschr. 1901. 

3) A. Albu-Berlin: Ueber die Grenzen der Zulässigkeit 
ausgedehnter Dannresektionen. 

Die bisherigen Erfahrungen an Operirten scheinen dafür zu 
sprechen, dass die Entfernung etwa eines Drittels des Dünndarms 
als mit dem Leben und der Gesundheit der Patienten noch ver¬ 
einbar angesehen werden kann. Bel dem Ausmaass des zu ent¬ 
fernenden Stückes ist das annähernd feste Verhältnis zwischen 
der Körpergrösse und der Darmlänge zu berücksichtigen, eine 
Forderung, welcher sich praktisch freilich grosse Schwierigkeiten 
eutgegenstellen. Ein etwas sichereres Urtheil erlauben nun Stoff- 
wechselunterauchungen, welche man an den Kranken mit grossen 
Darmresektionen angestellt hat. Es zeigt sich hiebei, dass bei Ent¬ 
fernung grösserer Darmabschnitte vor Allem die Fettresorption 
leidet, weniger die Aufnahme von Elwelss. Verf. hat selbst an 
einem Kranken, dem wegen eines Tumors ein fast 2 Meter langes 
Dünndarmstück resezirt worden war. Stoffwechseluntersuchungen 
angestellt lind fand, dass die Rcsorptionsverhllltuisse bei dem 
41 jälirlgcn Patienten sowohl hinsichtlich des Elweisses. wie 
namentlich des Fettes an der oberen Grenze des Normalen lagen, 
trotzdem nicht mehr als ein Drittel des Dünndarmes entfernt 
worden war. Am ehesten kann noch der untere Ileumtheil ent¬ 
behrt werden, während Duodenum und Jejunum für die Resorption 
sehr wichtig sind. Was der Dünndarm an Oberfläche verloren hat. 
ersetzt er durch kompensatorische Hypertrophie der erhaltenen 
Resorptionsfläche. 

4) L. K u 11 n e r - Berlin: Plätschergeräusch, Atonie und 
Gastroptose. 

In seinen Erörterungen kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 
Das lebhafte, schon bei oberflächlicher Berührung entstehende 
Plätschergeräusch des Magens ist ein pathologisches Symptom. 
Das Auftreten des Geräusches bei gegebenem Füllungszustande 
des Magens ist im Wesentlichen abhängig von dem Tonus der 
Magenmuskulatur und der Beschaffenheit der Bauchdecken. Die 
Lage des Magens kommt erst ln zweiter Linie in Betracht. Das 
während der Verdauungszelt vorkommende Plätschergeräusch 
spricht für Atonie des Magens; abnorm lange Zelt nach dieser 
vorkommend, weist es auf motorische Insufflclenz hin. Für die 
Feststellung der letzteren ist die Sondenuntersuchung vor Allem 
maassgebend. Bei nüchternem Magen sich zeigendes Plätsclier 
geräusch kann sowohl durch Parasekretiou, wie durch motorische 
Insufflclenz hervorgebracht werden. Atonie und motorische In- 
sufficienz dürfen nicht ohne Weiteres als identisch betrachtet 
werden. _ ... __ 

5) B. Stiller- Ofen-Pest: Noch ein Wort über Magen- 

atoni* 


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24- Dezember 1901. _ MUENOKENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2121 


Gegenüber Elsner betont Verf. nochmals, dass Atonie nicht 
als gleich mit motorischer Insufflclenz angesehen werden darf: 
nur in einer Minorität von Füllen steigert sich die Atonie zur regu¬ 
lären motorischen Insufflclenz. Der ptotisclie Plätschermagen 
muss stets als ein atonischer angesehen werden. Die Magen- 
atouie ist das früheste und konstanteste Zeichen der Euteroptose; 
sie beruht auf einer angeborenen asthenischen Grundlage. Ptose, 
Atonie und nervöse Dyspepsie sind im Grossen und Ganzen iden¬ 
tisch. Das Plüt8chergeriiusch bedeutet auf der Höhe der Ver¬ 
dauung einfache, peristolische Atonie, nach der Verdauungszeit 
motorische Insufflclenz, bei nüchternem Magen Stagnation oder 
atonlsche Ektasie. Als sehr werthvolle Kontrolmethode des 
Plütscherns ist die bei linker Seitenlage auftretende Dämpfung 
zu verwerthen, welche eine natürliche Belastungsprobe des Magens 
darstellt. 

6) M. Borchardt - Berlin: Ueber Lumbalhernien und ver¬ 
wandte Zustände. 

Der Vortrag ist bereits in den Sitzungsberichten der Berliner 
inedicinisclieu Gesellschaft besprochen. 

Grussmann - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 50. 

1) P. Ehrlich- Frankfurt a/M: Die Schutzstoffe des Blutes. 

Nach einem Vortrag auf der diesjährigen Naturforscherver¬ 
sammlung zu Hamburg. (Fortsetzung folgt.) 

2) R. P f e i f f e r - Königsberg i. Pr.: Ueber die immuni- 
sirende Wirkung mit Choleraamboceptoren beladener Cholera¬ 
vibrionen. (Schluss folgt.) 

3) Rudolf A b e 1 - Hamburg: Versuche über die Verwend¬ 
barkeit des Bacillus Danysz zur Vertilgung von Ratten. 

Das Resultat der zum Theil experimentellen, zum Theil prak¬ 
tischen Versuche mit dem D a n y s z’schen Bacillus ist kein voll¬ 
ständig befriedigendes, und bedarf es noch weiterer Untersuch¬ 
ungen, die besten Bedingungen zur rationellen Verwendung des 
Bacillus festzustellen. 

4) Adolf B i c k e 1 - Göttingen: Zur Analyse von Bewegungs¬ 
störungen. (Schluss aus No. 49.) 

In diesem in der Göttinger medicinlscheu Gesellschaft ge¬ 
haltenen Vortrag entwickelt B. unter Demonstration von Thieren 
mit symmetrischen Klelnhirnresektiouen seine Ansichten über die 
Funktionen der Kleinhirns dahin, dass in demselben sowohl ein 
Kombinationscentrum für die Bewegungen der Equilibrirung des 
Körpers, als auch ein Regulationscentrum besteht, dessen Zer¬ 
störung eine statische und eine motorische Ataxie auslöst. 

5) Alfred Rothschild - Berlin: Beitrag zur Kenntniss 
gerinnselartiger Gebilde im Urin. 

Vortrag, gehalten im Verein für innere Medicin zu Berlin am 
8. Juli 1901. Referat siehe diese Wochenschrift No. 29, pag. 1192. 

6) Alexander K a t z - Hamburg: Zur parasitären Aetiologie 
des Carcinoma. 

Eine Erwiderung auf die gleichlautende Arbeit von R i b b e r t 
in No. 47 der Deutsch, med. Wochenschr.. mit Bemerkungen des 
Letzteren im Anhänge. 

7) A. L o e w y - Berlin: Eine Expedition zur Erforschung 
der physiologischen Wirkungen des Hochgebirges. (Schluss 
folgt.) 

8) Oeffentliches Sanitätswesen: 

L ö s c h m a n n - Allenstein: Zur staatlichen Bekämpfung 
der Granulöse. (Schluss folgt.) 

9) Standesangelegenheiten: 

W i e d e b u r g - Schwarzeck 1. Thüringen: Specialärzte für 
N aturheil verf ähren. 

Mit einer Erwiderung von H e n i u s. 

F. Lacher- München. 

Oesterreiohisohe Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 50. 1) F. Eisenberg und lt. V o 1 k - Wien: Unter¬ 

suchungen über die Agglutination. 

Die Verfasser geben ln dieser vorläufigen Mittheilung die Er¬ 
gebnisse einer Untersuchungsreihe Uber den Agglutinationsprozess, 
die sie unter besonderer Berücksichtigung der E h r 1 i c h’schen 
Absorptionsmethode, sowie der dabei in Betracht kommenden 
quantitativen Verhältnisse angestellt haben. Die Ergebnisse sind 
ln 19 ausführlichen Sätzen zusammengefasst, so dass auf das 
Original verwiesen werden muss. 

2) A. P 11 c z - Wien: Zur Frage der Funktion der Pyramiden 
beim Menschen. 

Es wird derzeit angenommen, dass die Pyramiden die aus¬ 
schliessliche Leitungsbahn für cortlcospinale motorische Impulse 
seien. Experimente an Hunden zeigen, dass dies wenigstens für 
diese Thiere nicht zutrifft. Wenn mau in der Literatur nach That- 
sachen sucht, welche in einwandsfreier Weise die Funktion der 
Pyramiden in Bezug auf die Motilität beweisen könnten, findet 
sich das Ergebniss, dass die Kasuistik höchst wenige Fälle dar¬ 
bietet, welche zur Lösung dieser Frage verwendet werden können. 
Verf. hat nur 9 verwerthbare Fälle ln der Literatur aufflnden 
können. Man kommt auch hinsichtlich des Menschen zu dem 
Schlüsse, dass ausser der Pyramideubahn noch andere cortico- 
fugale, motorische Bahnen vorhanden sein müssen. Für die Ent¬ 
scheidung der Frage sind nur jene Fälle zu verwerthen, wo die 
Verletzung oder Zerstörung der Pyramidenbahn isolirt in der Me- 
dulla oblongata stattfand. Aus der epikritischen Durchsicht dieser 
ausgewählten Fälle ergibt sich, dass es keinen Fall gibt, der das 
Dogma von der ausschliesslichen Rolle der Pyramiden für die 


motorische Leitung einwandsfrei beweisen könnte. Freilich spricht 
auch kein Fall dagegen. 

3) E. Urbantschitsch- Wien: Die Aenderung der Puls¬ 
frequenz durch mechanische Verhältnisse. 

Verf. bespricht kurz die bereits bekannten Einflüsse der 
Körperhaltung, sowie der Athmung auf die Pulsfrequenz. An sich 
selbst hat Verf. Versuche darüber augestellt, in welcher Weise die 
Umschnürung mit der E s m a r c h’schen Binde, welche er an Ex¬ 
tremitäten oder circulär um den Leib anlegte, die Pulszahl beein¬ 
flusse und fand beim Einwirken der Kompression fast immer ein 
Ansteigen der Pulszahlen. In ähnlicher Weise scheint auch der 
durch das Mieder ausgeübte Druck einzuwirken. Es ist möglich, 
dass die von verschiedenen Autoren hinsichtlich der Pulszahl ge¬ 
fundenen Differenzen mit der Tracht der untersuchten Personen 
Zusammenhängen. Schon ein stärkeres Drücken der Arterie beim 
Fühlen des Radialpulses steigert die Zahl der Pulsschläge etwas. 
Eine Veränderung des Blutdruckes kommt dabei nicht vor. 

4) Fr. N e u g e b a u e r - Mährisch-Ostrau: Ueber Rücken¬ 
marksanalgesie mit Tropacocain. (Schluss folgt.) 

">) E. Z en t n e r- Wien: Ueber einen Fall von oberer seit¬ 
licher Bauchwandhernie. 

Verf. erörtert zunächst die anatomischen Verhältnisse, welche 
das Zustandekommen der genannten Hernien ermöglichen, die 
übrigens ausserordentlich selten sich ereigneu. Es handelt sich 
hiebei entweder um kongenitale oder relativ häufiger um acquirirte 
Formen, die dann meist durch Traumen, aber auch nach 
Schwangerschaften zu Stande kommen. Er gibt dann die Be¬ 
schreibung eines von ihm beobachteten Falles, ein 6 jähr. Mädchen 
betreffend, in welchem die Hernie in der linken oberen Lenden- 
gegeud hervortrat. Aetiologisch war Keuchhusten, sowie ein an 
sich geringfügiges Trauma in Erwägung zu ziehen. Verf. ist für 
die operative Behandlung derartiger Hernien, welche auch in 
diesem Falle zur Heilung führte. 

Grass mann - München. 

Wiener medicinische Wochenschrift. 

No. 49. J. E 1 g a r t - Brünn: Osteomyelitis beim Neuge¬ 
borenen. 

Das frühgeborene (im 8. Monat) Kind erkrankte 10 Tage nach 
der Geburt. Nach wiederholten Incislouen wurde im Anfang des 
4. Lebensmonates durch Nekrotomie ein Sequester entfernt, wel¬ 
cher die ganze obere Hälfte der Tlbiadiaphyse daretellte. Glatter 
Verlauf und Heilung, im 15. Monat Verkürzung des Unterschen¬ 
kels % cm. Interessant, aber nicht zu entscheiden, ist die Frage 
nach der Aetiologie, bezüglich deren ein bald nach der Geburt 
erschienenes pustulöses Ekzem oder aber ein kurz vor der Geburt 
bei der Mutter aufgetretener akuter Gelenkrheumatismus in Be¬ 
tracht gezogen werden muss. 

No. 49 u. 50, v. N i e s s e n - Wiesbaden: Neue Ergebnisse der 
ätiologischen Syphilisforschung. 

Verfasser glaubt, dass das Contagium der Syphilis in allen 
ihren Phasen im Blut zu Anden ist, und dass er denselben that- 
sächlich gefunden hat. Aus dem Venenblut Syphilitischer hat er 
auf in 2—3 facher Menge zugesetzter Gelatine oder Bouillon einen 
Bacillus gezüchtet, der in seinen Kulturen einen charakteristischen 
Farben-, Formen- und Generationswechsel aufweist, in manchen 
Entwicklungsstadien reichlich gummiähnliche Massen produzirt 

Eine Reihe von Impfverauchen an Schweinen sowohl, wie an 
Affen, von denen Hamandrias, Makak und Kronenaffeu sich als 
besondere empfänglich erwiesen, führte zu positiven Resultaten. 
Sieben solche Versuche an Affen werden genauer beschrieben. 
Nach 3—6 Wochen stellte sich ein kleinpustulöses Exanthem ein, 
im Uebrigen Geschwürsprocesse an Schleimhäuten, Drüsen¬ 
schwellungen, Haemorrhagien ln wechselnder Kombination. Die 
Thiere gingen alle zu Grunde und zwar meist unter Erscheinungen 
von Selten des Centralnervensystems (Krämpfen, Lähmungen) 
oder Stauungen im Gefässsystem. Dem entsprachen als Sektions¬ 
befunde: Sulzige Leptomeningitis, Pachymeningltls, Blutergüsse 
im Gehirn und Rückenmark, akute Hepatitis und Perihepatitis, 
bindegewebige und sulzige Auflagerungen längs den Herzgefüssen. 
in einem Fall eine aneurysmatische Ausbuchtung am Arcus aortae. 
An 3 Schweinen war besonders das papulöse Exanthem lebhaft 
und typisch entwickelt, das eine Thier zeigte Geschwüre an den 
Genitalien, ein anderes ein typisches Gumma in der Dammgegend, 
ln 2 Fällen gelang die Weiterkultur aus dem Blute eines In- 
flzirten Schweines während des Ausbruches des Exanthemes. 
Mikroskopische Untersuchungen verschiedener erkrankter Organe 
ergaben immer die Bilder der syphilitischen obliterirenden Gefäss- 
erkrankung, wie beim Menschen. 

Die auf eine Serumtherapie oder Immunisirung gerichteten 
Versuche des Verfassers sind noch nicht abgeschlossen. 

Wiener medicinische Presse. 

No. 49. W. Mager-Brünn: Ueber Amyloidtumoren im 
Larynx. 

Die seltene Erkrankungsform trat hier bei einem (50 jährigen 
Manu als eine grobhöckerige Infiltration beider Taschenbänder 
auf. Dem mikroskopischen Befund nach war die Geschwulst eine 
primäre, es war nicht, wie es in manchen Fällen beobachtet wurde, 
die Amyloidbildung sekundär in einer früher bestandenen Ge¬ 
schwulst erfolgt; die Amyloidmassen waren zwischen normales 
Gewebe vorgeschoben. Die von anderen Autoren beobachtete und 
besonders von Schmidt erörterte stellenweise Anhäufung von 
Knorpelzellen im Bereich der Geschwulst fand sich auch ln diesem 
Falle. Die Diagnose wurde erst an dem durch die Operation ge- 


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2122 


wonnenen Präparat gestellt. Bei der Operation fiel die nur ganz 
geringe Blutung und später die Roaktionslosigkeit der Wund- 
tliiche auf. Nicht ohne Bedeutung für die Diagnostik ist, dass bis¬ 
her an den wahren Stimmbändern Amyloidgeschwülste nicht be¬ 
obachtet wurden. 

No. 50. S. Federn-Wien: Vorschlag zur Behandlung des 
Ulcus durum.- 

Heber das Verhältniss zwischen Ulcus durum und molle be¬ 
kennt sich F. zu folgender Anschauung: Die Induration Ist keine 
notliweudige Folgt* oder Bedingung der syphilitischen Infektion. 
Auch auf den weichen Schanker, der besser als „stark eitern- 
d e s primäres Geschwür“ bezeichnet würde, kann allgemeine 
Syphilis folgen, in der Hegel aber erfolgt keine solche, wenn eine 
tiefgreifende Eiterung beim primären Geschwür auftritt. Wenn 
geringe oder keine Eiterung am primären Geschwür besteht, er¬ 
folgt in der Regel allgemeine Syphilis. F. nimmt nun au. dass 
durch Eiterung der Erreger der Syphilis zerstört wird, dass bei 
Männern gewöhnlich eine Mischinfektlou erfolgt durch den 
Syphiliserreger und einen Eitererreger. Es kommt dann nicht 
die Syphilis zur Entwicklung, sondern nur ein stark eiterndes 
Geschwür und eiterige Bubonen. Die Versuche zu einer Abortiv- 
hehandlung der Syphilis sind immer fehlgeschlagen. 

Möglicherweise, und das ist der Vorschlag des Verfassers, 
würde sich ein Erfolg erzielen lassen durch IJebertragung von 
Eiter aus einem Ulcus molle auf schwach sezernirende primäre 
Geschwüre, d. li. durch Umwandlung jedes Geschwürs in ein 
Ulcus molle. 

Wiener klinische Rundschau. 

No. 48—50. R. Brauchbar: Dermatoplastische Mitthei¬ 
lungen. 

Mittheilungen aus der L a n g"sehen Klinik über die Erfolge 
der plastischen Operationen bei Lupus, bei einem Fall von Keloid 
(Transplantationen nach Thierse h). Naevus pigmentosus, aus¬ 
gedehnter Verbrennung, akuter Gangrän der Haut des Penis und 
Skrotums (gestielte Lappen) und Defekt an der Nasenwurzel nach 
Gumma. 

No. 49. W. K o p f s t e i n - Jungbunzlau: Erfahrungen mit 
der spinalen Anästhesie nach Bier. 

Bei Anwendung von E ucain « In vier Fällen kam es drei¬ 
mal zu recht unangenehmen Erscheinungen, Temperaturen bis 
40° <\, Kopfschmerzen, starkem Collaps und nachträglichen sehr 
heftigen Schmerzen au der Operationswuude. Ein vierter Fall bot 
von diesen Erscheinungen nur die lebhafte Temperatursteigerung, 
dagegen im weiteren Verlauf eine Steigerung der Patellarreflexe, 
Kreuzschmerzen, Schwäche und Gefühl des Ameisenlaufens in 
den Beinen. Bei Injektionen mit T r o p a e ocai n machte K. 
an 40 Patienten folgende Erfahrungen: Bei 27 erfolgte eine ideale 
Narkose ohne jede unangenehme Begleit- oder Nacherscheinung. 
5 weitere Kranke hatten eine sehr gute Narkose, aber verschie¬ 
dene unangenehme Nebenerscheinungen: Erbrechen, Urinverhal¬ 
tung. Kopfschmerz. Parese der Beine, einmal Kollaps, dagegen 
kein Fieber. Die übrigen 8 zeigten ebenfalls derartige Beschwer¬ 
den. es kam aber auch keine Anästhesie zu Stande. 

Da die Inhalationsnarkose immer die Anästhesie garantirt, 
die medulläre Narkose aber unsicher ist, empfiehlt sich die erstere 
von vornherein für alle dringenden Operationen. 

No. 50. J. P re i n d 1 a b e r ge r-Sarajevo: Zwei Fälle von 
Echinococcus der Orbita. 

Innerhalb eines Jahres kamen dem Verf. zwei Fälle, Bauern¬ 
kinder von 6 bezw. 8 Jahren zu Gesicht. Bei dem einen konnte 
selbst während der Operation die Diagnose nicht gestellt werden, 
der devlie wallnussgrosse Tumor war mit der Hinterseite des Bul¬ 
bus fest verwachsen und wurde mit diesem durch typische Evis- 
cerationen der Orbita entfernt. Der N. opticus war stark nach 
oben geknickt. In dem zweiten Fall wurde durch die bläulich 
durchschimmernde Hülle der freigelegten Geschwulst eine Probe¬ 
punktion gemacht und dann aus der gespaltenen Cyste eine wall¬ 
nussgrosse Eehinococcus(Mutter)blase extrahirt. Die Exstirpation 
des Sackes, der sehr dünnwandig war und weit nach hinten reichte, 
erwies sich als unmöglich. Nach P.’s Ansicht dürfte diese Ent¬ 
fernung gegenüber der Totalexstirpation eine viel schonendere und 
vollkommen ausreichende Operation sein. 

Prager medicinische Wochenschrift. 

No. 49. A. T ö b b e n - Prag: Zur Kenntniss der „Ein- 
wachsung“ von Gallensteinen in die Gallenblasen wand und der 
„Verwachsung“ derselben mit der Gallenblasenwand. 

Nach T.’s Untersuchungen muss in den Fällen von „Verwach¬ 
sung" eines Steines mit der Blasenwand stets, wie auch der Eln- 
wachsung ln die Wand ein ulceröser Prozess mit tiefgreifender 
Zerstörung der Mucosa und Muscularis vorausgehen. Eine ein¬ 
fache Umschliessung des Steines durch die Gallenblasenwaud ohne 
Verwachsung kann sowohl bei Geschwüren als bei chronischem 
Katarrh zu Stande kommen. Ulcera der Blasenwand bei Chole- 
lithiasis sind ein ziemlich häufiger Befund. 

No. 45, 47, 50. R. W. Raudnitz: Ueber einige Ergebnisse 
der Harnuntersuchung bei Kindern. 

Der Aufsatz beschäftigt sich in ausführlicher Weise mit der 
minimen Albuminurie der Kinder, deren genauere Erkenntnis« und 
sorgfältigere Beobachtung eine wichtige Forderung bildet. Man 
kann nach der bis jetzt bekannten Aetiologie verschiedene Formen 
unterscheiden, als weitaus häufigste zunächst die postinfektiöse, 
dann die praemenstruelle, die lithaemische, gastrointestinale, ferner 
die bei Wanderniere auftretende. In den meisten Fällen wird 


No. 52. 


I die minime Albuminurie einer minimen Nephritis entsprechen. 
| Eine geringe Albuminurie findet sich auch in manchen Fällen vou 
; Uröteren- und Nierenbeckenerkrankungeu, deren diagnostische 
j Schwierigkeiten gerade für das Kindesalter mehrere Krankenge¬ 
schichten erweisen. B e r g e a t - München. 


Vereins- und Congressberichte. 

Berliner medicinische Gesellschaft 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 18. T) e z e in b e r 1901. 

Demonstrationen: 

i Herr Müllerheim: Präparat einer durch Perivaginitis 
i dissecans ausgestosseneu Vagina. Dieselbe in toto als ca. 8 cm 
langer Schlauch durch einen perivagiualen, von einem tiefen Ge- 
| scliwür ln der Schleimhaut ausgehenden Eiterungsprozess zur 
; Ausstossuug gebracht. Blase in breitem Umfang perforlrt. Schluss 
I der Bluscnfistel durch Naht. 

Herr L a s s a r: Moulagen, Projektionsbllder und einige 
| Patienten mit Tuberculosis verrucosa cutis. Es war in der 
| Schlüchterzeitung die Notiz zu lesen und dieselbe in die Tages- 
i blätter übergegangen, dass auf dem hiesigen Ceutralviehhof zwei 
; Sehlächtergesellen sich mit Tuberkulose an der Hand inflzirt haben 
, und dass somit die Uebertragbarkeit der Riudertuberkulose auf 
| den Meuschen erwiesen sei. Nach L.’s Meinung sei dies zwar sehr 
wahrscheinlich, aber durch diese beiden Fälle keineswegs bewiesen. 

| Er habe in den letzten zehn Jahren 34 Personen mit Tuberculosis 
verrucosa cutis bezw. Leiehentuberkulose behandelt Die meisten 
kommen auf Metallarbeiter, Glasschleifer u. dgl., daun auf Aerzte 
und Krankenpfleger und nur 4 auf Schlächter. Es sei also ebeu- 
I sogut möglich, dass die Uebertragung durch menschliche 
i Sputa bezw. sonstiges menschliches Material erfolge, als wie durch 
I tliierisches. 

Zur Behandlung empfehle sich nicht die Ausschabung wegen 
i der Eröffnung zahlreicher Lyraphbaliuen und der Gefahr der Ver- 
j allgemeinerung der Tuberkulose, die sonst bei dieser Affektlon be- 
j kanutlich selten ist. Es empfehle sich Kauterisation unter Blut- 
' leere. 

Discussion: Herr V 1 r e h o w fragt, wie oft er ln seinen 
• Fällen Tuberkelbacilleu gefunden habe. 

Herr Lassar: Diese wurden nur sehr selten gefunden, sie 
seien aber mehrfach konstatirt. Ueberdles beweise die ana¬ 
tomische Struktur die tuberkulöse Natur. 

Herr Liebreich: Mau dürfe nicht die Schlächter den 
anderen Berufsarten entgegeustellen. sondern müsse scheiden 
zwischen Schlächtern, die viel mit tuberkulösem Material zu thun 
haben und anderen Schlächtern. Auch der von Lassar vorge¬ 
stellte eine Schlächter ist auf der Tuberkulose-Abtheilung des 
Schlachthofes seit 15 Jahren tliätig und hat seine Hauttuberkel 
seit 8—9 Jahren. Er habe sich bei einer Untersuchung auf dem 
Viehhof davon überzeugt, dass Hauttuberkulose bei den auf der 
Tuberkulose-Abtlieiluug. Beschäftigten sehr viel häufiger sei, als 
bei den anderen. 

Herr Bla sch ko: Er habe bei einer jungen Kollegin nach 
einem Hauttuberkel eine Peritonealtuberkulose entstehen sehen. 
Er habe in keinem seiner zahlreichen Fälle von Leichentuberkeln 
T.-B. gefunden. 

Herr B. F r a e n k e 1: Man müsse ln solchen Fällen den Nach¬ 
weis zu erbringen suchen, ob es sieb um thlerlsche oder mensch¬ 
liche Tuberkulose handelt. Zu diesem Zwecke müsse man ein 
Stückchen Hauttuberkel eiuem Meerschweinchen implantiren und 
dann von dem Meerschweinchen nach seiner Allgemeinerkrankung 
auf Rindvieh zu til>ertrageu suchen. Wenn dieser Versuch positiv 
ausfällt, so handle es sich um thlerlsche Tuberkulose, soust nicht. 
(Grosser Widerspruch.) 

Herr Liebreich: Der Vorschlag B. Fraenkel’s sei ein 
logischer Circulus vitiosus. Dass Rindertuberkulose auf den 
Meuschen übertragbar sei. das sei gar keine Frage, sondern alt¬ 
bekannt. Er erinnert an den bekannter Kieler Fall, wo ein Maan 
eine Tätowirungszeichnung durch Einreibung von Rahm zu ent¬ 
fernen suchte und eine der Zeichnung entsprechende Tuberkulose 
der Haut bekam; der Rahm war eben tuberkelbacillenhaltig. 

Herr Adler: Demonstration eines orthopädisch behandelten 
Falles von Coxa vara, dieser von Kocher entdeckten Verbiegung 
des Schenkelhalses, welche ein ganz ähnliches Bild hervorrufen 
kann, wie die angeborene Hüftgelenksluxation. 

Tagesordnung: 

Discussion über den Vortrag des Herrn 
A. W. Freund: Ueber Thoraxanomalien bei Phthisis und 
Emphysem. (Fortsetzung.) 

Herr Z u e 1 z e r: Durch seine hervorragende Arbeit habe 
Freund die Lehre von der Disposition der Lungentuberkulose 
neubegründet und eine neue Aussicht ihrer präventiven Behand- 
! lung durch die Operation eröffnet. 

Er selbst habe daraufhin dem Verhalten des ersten Rippen- 
knorpels seine Aufmerksamkeit zugewandt und. wie schon Herr 
i C <> w 1 mitgethellt, lässt sich dessen frühzeitige Verknöcherung 
I durch Röntgenbild nachweisen. Es gelinge auch durch Druck 
auf denselben oft, eine abnorme Schmerzhaftigkeit und damit eine 
| Erkrankung desselben zu erweisen. 


MTJENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT, 


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24. Dezomber 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2123 


Herr A. Fraenkel: Der Kernpunkt der Ausführungen 
Freun d’s betreffe den Einfluss der Disposition auf 
die Entwickelung der Lungentuberkulose. Mau 
dürfe aber diesen Begriff nicht zu eng fassen und die lokale 
Disposition nicht überschätzen. Die allgemeine Disposition 
sei jedenfalls viel wichtiger und dass eine solche besteht und noth- 
wendig sei zum Zustandekommen der Lungentuberkulose, sei ihm, 
wie auch den meisten Praktikern, niemals zweifelhaft 
gewesen trotz aller bakteriologischen Experimente, in welchen 
kleine Thlere mit Bacillen überschüttet und dann natürlich auch 
inflzirt wurden. Schon vor Liebreich’s Nosoparasitismus habe 
man die Disposition gekannt und schon unsere ärztlichen Vor¬ 
fahren haben mit diesem Begriff gerechnet. 

Die lokale Disposition der Lungenspitzen sei vielfach Gegen¬ 
stand der Erklärungsversuche gewesen. Man habe die Anämie 
der Spitzen, die Störung der Ly mphcirculation 
und die unvollkommene Athmung der Spitzen vorwiegend 
augeschuldigt. 

Und gerade der erstere Punkt werde durch die Untersuch¬ 
ungen Freun d’s dem Verstäuduiss uähergerückt; denn der 
Druck der ersten Rippe, der, wie die von S c h in o r 1 kürzlich be¬ 
schriebene Furche zeigt, ein erheblicher sein kann, könne wohl 
eine ungenügende Blutversorgung hervorrufen. 

Aber es kommen daneben auch sicher andere Momente ln 
Betracht, welche die Disposition der Spitze erklären. 

Der Schluss Freun d’s, dass man die operative Durch¬ 
trennung als Heilmittel zur Bekämpfung dieser Disposition 
vornehmen solle, sei sicherlich zu weitgehend. 

Herr B. Fraenkel: Es sei zwar sicher, dass Störungen der 
Athmung durch Anomalien des Thorax entstehen können, aber 
meist werde es umgekehrt sein: die Störung der Athmung z. B. 
durch adenoide Vegetationen, grosse Tonsillen, Nasenpolypen, be¬ 
dinge eine Anomalie des Thorax. Wie hier durch operative Ent¬ 
fernung der Ursachen, könne in anderen Fällen durch methodische 
Uebungen (Gesangsunterricht) eine schlechte Athmung verbessert 
und damit ein schmaler Thorax zur kräftigen Entwicklung ge¬ 
bracht werden. 

Es erkranken bekanntlich auch vierschrötige Leute und Sol¬ 
daten, die ja niemals einen phtliisischen Habitus haben, an Tuber¬ 
kulose der Lungen; die Thoraxauomalie sei also nicht das Primäre. 

Herr A. Bagiusky schliesst sich dem Vorredner durchaus 
an. Die Ansicht, dass der Thorax die Schuld trage, sei zwar 
schon alt, aber trotzdem nicht zutreffend. 

Die Ansicht Freun d’s von der operativen Beseitigung der 
Thoraxanomalie halte er für eine direkt bedrohliche. 

Schluss der Discussion vertagt. 

Herr Hanse mann bemerkt noch, es walte ein Missver¬ 
ständnis vor, Herr Freund habe die Operation nicht e m - 
p f o h 1 e n. Gegen diese Deutung H.’s protestirt aber die Ver¬ 
sammlung auf’s lebhafteste. Hans K o h n. 


Verein für innere Medicin zu Berlin. 

(Eigener Bericht.) 

Sitzung vom 16. Dezember 1901. 

Der G e s o h ä f t s a ussc h u ss des Vereins hatte 
an Herrn Geheimrath P. Ehrlich in Frank¬ 
furt a. M. die Einladung ergehen lassen, in 
diesem Verein seine Seitenkettentheorie gegen¬ 
über den Gruber’schen Angriffen nochmals dar¬ 
zulegen. Herr Ehrlich war diesem Rufe ge¬ 
folgt. 

Der Vorsitzende, Herr A. Fraenkel, b o - 
grüsste das berühmte Ehrenmitglied des Ver¬ 
eins mit warmen Worten, welchen sich das den 
Saal und die Vor halle überfüllende Au d i t o r i u m 
mit lauten^ Beifall anschloss. 

Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Huber Uuter- 
sucliungsresultate aus der Leyde n’schen Klinik, welche die 
G r 1 f f o n’schen Befunde der Agglutination von Pneumo- 
coccen durch das Serum von Pneumoniekranken, namentlich kurz 
vor der Krise, bestätigen. 

/ Tagesordnung: 

Herr E h r 1 i ch- Frankfurt a. M.: Die Seitenkettentheorie 
und ihre Gegner. 

In energischer Weise wendet sich Vortragender gegen den 
Inhalt und die Form des jüngst von G r u b e r gegen Ehr- 
1 i c h’s Seitenkettentheorie unternommenen Angriffs (vgl. Münch, 
med. Wochenschr. 1901, No. 46—49), der durch seine Härte und 
Haltlosigkeit geeignet sei, in weiten Kreisen Verwirrung anzu¬ 
richten. Nach besonderer Betonung des durch die Seitenketten¬ 
theorie geschaffenen verbindenden theoretischen 
Bandes für die Auffassung der Immunitätsvorgiinge und 
ihres grossen, allgemein anerkannten Worthes als heuristi¬ 
scher Theorie werden die Schwierigkeiten erörtert, die das 
Arbeiten in diesem so verwickelten Gebiete schon für den mitten 
in dieser Thätigkeit Stehenden, umsomehr für den Fernstehenden 


mit sich bringt, der, wie G ru ber von sich sagt, nur in einigen 
wenigen Ferienwochen „die erforderliche Müsse gefunden hat, 
um das Problem der Antikörper im Blute gründlicher als bisher 
zu übersehen“. Gruber’a Publikation sei für die Gefahren, 
die ein solches pauschales Vorgehen biete, der eklatanteste Beweis. 
Seine eigenen Versuche bezweckten zunächst die Feststellung 
einer einheitlichen Alexinwirkung des normalen Serums, 
im Gegensatz zu der von Vortragendem und Morgenroth be¬ 
gründeten und vertretenen Auffassung der komplexen Natur 
der normalen Hämolysine (Amboceptor- und Komplement-Hämo- 
lysine). G r u b e r bediente sich einer Modifikation der schon von 
Ehrlich und Morgenroth angewandten Kältetrennungs- 
methode, und es gelang ihm auch in einigen Fällen die Trennung, 
in vier anderen aber nicht. Vortragender weist auf die Bedeu¬ 
tungslosigkeit der negativen Fälle hin, da die Methode nach den 
ersten Angaben von ihm und Morgenroth nur für einen 
Theil der Fülle anwendbar sei. Dr. Hans Sachs sei.es mühelos 
gelungen, in dreien der Grube F sehen negativen Fälle auf dem 
Wege der Kompletirung der inaktivirten Sera durch andere Sera 
den Nachweis von Amboceptoren zu erbringen. Der Nachweis 
einer reinen Alexinwirkung sei also Grub er ebensowenig wie 
Büchner gelungen, und die von Gruber vorgeschlagene Be¬ 
zeichnung „Präparator“ für Immunkörper sei überflüssig, 
da für die Immunsubstanzen kein Bedürfnis« nach neuen nichts¬ 
sagenden Namen vorliege. 

Die V erschiedenheit der normal vorkommenden und 
immunisatorisch erzeugbaren Amboceptoren sei vom Vortragenden 
stets vertreten worden, und hätte es keinen Beweises von Seiten 
Gruber’s bedürft 

G r u b e Fs Beweisführung aber sei, da den Thatsachen 
widersprechend, unrichtig, indem nach zahlreichen Erfahrungen 
normale Amboceptoren von dem SeTum der Blutart, auf die sie 
wirken, in geeigneten Fällen aktivirt werden, in anderen nicht, 
und dasselbe wechselnde Verhalten auch bei den immunisatorisch 
erzeugten Amboceptoren statt hat, im Gegensatz zu dem von 
Gruber supponirten gesetzmässigen Verhalten. Für die grosse 
Flüchtigkeit G r u be Fs spreche auch die Thatsache, dass unter 
6 Fällen, die er als Beweis für die Unaktivirbarkeit normaler 
Amboceptoren durch das Serum der Blutart, auf die sie wirken, 
anführt, sich drei Kombinationen finden, in denen nach seinen 
kurz vorher mitgetheilten Versuchen überhaupt keine Präpara¬ 
toren vorhanden sein sollen. 

Die Annahme der Einheitlichkeit des Alexius, die 
Gruber ebenso wie Bordet und Büchner vertritt, habe 
sich auch nach neueren zahlreichen Versuchen im Frankfurter 
Institut als unhaltbar erwiesen, und alle Erfahrungen zwängen 
zu dor komplizirten Auffassung. 

Der Abkühlungsversuch Grube Fs, aus dem er 
schliesst, dass sich Komplement und Immunkörper überhaupt 
nicht vereinigen, sei absolut irrig. Die Bindungsverhältnisse der 
Amboceptoren seien so verschiedenartig, dass man Fall für Fall 
isolirt untersuchen müsste, und seine Behauptung, dass es keine 
Dissociation durch Kälte gebe, stehe mit der 
chemischen Erfahrung in schroffem Gegen¬ 
satz (das Natriumammoniumsalz der Traubensäure krystallisire 
oberhalb 27,2° als raoemischcs, unterhalb dieser Temperatur ge¬ 
trennt als r. und L weinsaures Salz). 

So hätten sich G r u b e Fs thatsiichliche Angaben ebenso, 
wie seino chemistdien Deduktionen als irrig und unhaltbar er¬ 
wiesen, aber auch die literarische Heranziehung anderer Autoren 
(Bosrodka, Pohl, Fuld und Spiro) se,i verunglückt, wie 
im Einzelnen ausführlich begründet wird. 

Vortragender wendet sich darauf gegen den I. Theil der 
Grube Fsehen Ausführungen, der die Lohre von den 
Toxinen und Antitoxinen betrifft. 

Es sei unmöglich, alle Einwände, die Gruber anführt, zu 
berühren, jedoch erkläre er sich bereit, auf alle bezüglichen An¬ 
fragen ausführlich zu antworten. Er kritisirt in scharfer Weise 
das Vorgehen Grube Fs, der nach vielen Angriffen in wesent¬ 
lichen Punkten zu denselben Ergebnissen, wie er selbst gelange. 
Gegen den Vorwurf GrubeFs, dass Vortr. das Richtige nur 
erratlien habe, müsse er sich auf das Entschiedenste vor¬ 
wahren, da seino Anschauungen die Konsequenz der müh¬ 
seligsten und gewissenhaftesten Versuche darstelle, die von 
vielen Seiten bestätigt worden seien. Nur durch die Viel- 


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2124 MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. No. 52. 


fnltigkeit der Toxino und Toxoide Hessen sich die beim 
Diphtheriegift-, Tetanusgift eto. gewonnenen Erfahrungen er¬ 
klären, und es sei ein Zeichen mangelnder Einsicht in die Ver¬ 
hältnisse, wenn G ruber meint, dass durch den Umstand, dass 
Diphtheriegiftlösungen, die für eine Thierart gleich giftig sind, 
für eine andere Differenzen der Giftigkeit aufweisen, das Ur- 
theil über des Vortragenden Bestrebungen gesprochen sei. 

Es sei ferner höchst erstaunenswerth, dass Gruber viel¬ 
fach nach langem Polemisiren zu gleichen Anschauungen, 
wie der Vortragende, gelange. So sei die Sekretionstheorie der 
Antitoxine von Anfang an ein Kernpunkt der Seitenkettentheorie 
gewesen, und es sei von den verschiedensten Seiten darauf hin- 
gowiesen worden, dass die Antitoxinproduktion an ganz anderer 
Stelle, als die Giftwirkung erfolgen könne. Für die Unabhängig¬ 
keit beider Phänomene spreche ja schon die Möglichkeit, mit 
Toxoiden zu immun isiren. 

Neuerdings habe Gruber als Wurzel des Uebels die Wahl 
des Artikels bezeichnet, indem er meinte, man hätte von einer 
statt von der haptophoren Gruppe sprechen sollen. Vortragender 
weist auf die Belanglosigkeit dieses Vorwurfs hin, führt aber aus, 
dass die von Gruber gewollte Annahme mehrerer hapto- 
phorer Gruppen in ihren Konsequenzen mit den bestehenden 
That-saehen unvereinbar sei und eine Verfolgung dieser Idee ab¬ 
solut in die Irre führe. Die Anschauung G r ube Es sei ausser¬ 
dem viel komplizirter, als die des Vortragenden, was um so auf¬ 
fälliger sei, als Gruber als Hauptmotiv seines Kampfes gegen 
die Seitenkettentheorie die Gefährlichkeit einer derartigen, seines 
Erachtens „ungezügelten Ilypothesenmacherei“ angibt. 

Zum Schluss wird nochmals die experimentelle Fundirung 
der Seitenkettentheorio betont, ihre Einfachheit und Zweck¬ 
mässigkeit hervorgehoben und ihre Befähigung, Erscheinungen 
richtig voraussehen zu lassen, an der Hand mehrerer Beispiele 
dargethan. Das auf Grund der Theorie sich ergebende Studium 
des unendlich mannigfachen Haptinsystems sei geeignet, Licht 
in die feinsten Vorgänge des cellularen Stoffwechsels zu werfen 
und könne für die Pathologie und Therapie von grösstem Nutzen 
werden. 

Piscusslon: Herr Blumenthal geht bei der vor¬ 
gerückten Zelt nur auf 2 Fragen ein. Gruber hält nicht ein- 
mnl die Bindung des Tetanusgiftes durch das Centralnervensystem 
für erwiesen. Gegen diese Auffassung wendet sich B., indem er 
auf seine Versuche hinweist, wonach er fand, dass proportional 
der eingcfährten Glftmenge beim Meerschweinchen und Kanin¬ 
chen die von A. Wassermann entdeckte antitoxische Kraft 
des Rückenmarks ahiiahm. Diese Abnahme entstand eben da¬ 
durch, dass das im Rückenmark vorhandene, präformirte Anti¬ 
toxin durch das eingeführte Tetanusgift gebunden war. Ferner 
citirt er Versuche von sich und M i 1 e li n e r, wonach bei einer 
Mischung von Nervenbrei und Giftlösung die Giftbinduug an den 
Nervenbrei dadurch gezeigt werden konnte, dass beim Centri- 
fuglren der Mischung der in den Rückstand gehende Nervenbrei 
das Gift der Giftlösuug entzogen hatte. 

B. geht dann über auf die Frage der natürlichen Immunität. 
Nach der E h r 1 i c h'schen Theorie müssen die giftempfänglichen 
Thiere eine giftbindende, liaptophore, Gruppe haben. B. hatte nun 
früher gezeigt, dass das Huhn, das gegen Tetaqusgift eine starke 
Immunität besitzt, weit weniger Tetanusgift im Reagensglase 
bindet, als die giftempfünglieheu Thiere, und hatte diese Frage in 
Zusammenhang gebracht mit seiner natürlichen Immunität. 
Gruber behauptet nun, dass das Fehlen der haptophoren 
Gruppen im Centralnervensystem gar nicht in Frage käme für die 
natürliche Immunität des Huhns, well man trotzdem durch sub- 
nrachnoldeal und lntrucerebral eingeführtes Gift mit verhältniss- 
mi'.ssig geringen Dosen Hühner vergiften könne. B. wirft nun 
Gruber vor, das von Leyden und ihm vor ca. 2 Jahren in 
ihrnn Buche über Tetanus veröffentlichte Kapitel Uber die natür¬ 
liche Immunität nicht gekannt zu haben. Dort wird bereits der 
vcu Gruber gemachte Einwand erhoben, aber ln folgender Weise 
erledigt: Wäre nämlich wirklich ein Mangel der haptophoren 
Gruppe im Rückenmark des Huhns vorhanden, so müsste das 
Huhn immun sein, ganz gleich, welche Dosen ihm iujizirt würden. 
Das ist nicht der Fall. B. fand nun, dass zw r ar die liaptophore 
Gruppe im Rückenmark des Huhns vorhanden sei, dass nber die 
Affinität derselben im Rückenmark zum Tetanusgift eine weit 
geringere sei, als bei den giftempündliclien Thieren. Daher käme 
es, dass direkt an die giftempfindlichen Centren gebrachtes, also 
concentrirtes Gift leichter Tetanus beim Huhn erzeuge, als sub¬ 
kutan eingeführtes und durch die Circulatlon verdünntes Gift. 

Herr A. Wassermann: Derselbe setzt noch einmal in 
kurzer, klarer Weise das Wesen der Seiteukettentheorie aus¬ 
einander, von der man umsomehr überzeugt werden müsse, je 
länger man sich damit beschäftige. Hans Koh n. 


Gesellschaft der Charite-Aerzte |n Berlin. 

(Eigener Bericht) 

Sitzung vom 12. Dezember 1902. 

1. Herr Schütze: Heber Isopraecipitine. 

Der Vortragende hat sich die Frage vorgelagt, ob ee gelingt, 
in gleicher Weise, wie bei den von Ehrlich und Morgen- 
roth beschriebenen Isolysinen, Isopraecipitinq darzustellen. Zu 
diesem Zwecke injizirte er Kaninchen subkutan normales Ka¬ 
ninchenserum bis zu einer Gesammtmenge von 50—60 ccm, also 
das Serum einer gleichen (homologen), nicht einer andersartigen 
(heterologen) Art. Setzte man das Serum eines io vorbehandelten 
Kaninchens zu dem Serum der gleichen Art, also zu Kaninchen¬ 
serum hinzu, so konnte er, allerdings keineswegi konstant, wohl 
aber bisher in einem Falle, einen deutlichen Niederschlag, d. h. 
Praeoipitinbildung wahrnehmen, wie an aufgoatcllten Reagens¬ 
röhrchen demonstrirt wird. 

2. Herr Nletner berichtet über den klinischen Verlauf 
eines Falles von Carcinom der Lunge bei einem GO jährigen Manne, 
welches die Brustwand durchwachsen und ein^ apfelgrosse Ge¬ 
schwulst am oberen Rande der Herzdämpfung gebildet hatte. 

Herr Davidsohn demonstrirt die Brpstorgane dieses 
Falles, bei dem es sich um einen Krebs, ausgehend vom linken 
Hauptbronchus, 3 cm unterhalb der Bifurkation handelte, der unter 
anderem auch zu Stenose dör Pulmonalarterie geführt hatte. 

3. Herr H e u b n e r: Vorstellung 

a) eines 13 jährigen Mädchens mit chronischer Nephritis. 

Beginn der Krankheit vor 94 Jahren mit Oedemen, ohne 
vorhergegangenen Scharlach, Masern oder Diphtherie, mit reich¬ 
licher Albuminurie. Nach Punktion eines Hjrdrothomx wurde 
durch Digitalis eine starke Diurese hervorgerufen. Seitdem ist die 
Urinmenge dauernd auffällig gross geblieben, täglich 2>/ 3 Liter, 
bei gleichzeitig hohem Eiweissgehalt und Blutgehalt Herzhyper¬ 
trophie ist gering. 

b) eines 11 jährigen Mädchens mit abgelaqfener Spondylitis 
des 5. bis 7. Halswirbels. 

Kein Zeichen früherer Skrophulose. Vor 2 Jahren Beginn mit 
Schwäche im rechten Arm und Bein, aus der eine schlaffe Läh¬ 
mung beider Arme mit Atrophie und eine spastische Lähmung der 
Beine, geringer Blasen- und Mastdarmlähmung und Gefühlsstörung 
sich entwickelte. Die obere Lähmung wird als Plexuslähmung ge¬ 
deutet, entstanden in Folge des Zusammensinkeus der Interverte- 
bralriiume. Fast völlige Wiederherstellung der Funktionen nach 
18 monatlicher Behandlung mit Suspension in der G 11 s s o n’schen 
Schlinge und kinetotlierapeutischen Bädern. 

c) eines 11 monatlichen Kindes mit Hydrocephalus. 

Bemerkenswert!! war die starke Entwicklung des übrigen Kör¬ 
pers, mit 79 cm Länge bei 14 kg Körpergewicht, so dass man von 
einer Art von Riesenwuchs sprechen konnte. 

Discussion: Herr J o 11 y fragt an, ob Sympathicuserschei- 
nungen in dem Falle von Spondylitis bestanden hätten, was Herr 
II e u b n e r verneint. 

Herr Jacob berichtet Uber 5 Fälle der v. LeyJe n’schen 
Klinik, die erfolgreich mit Suspension und kinetotherapcutischen 
Bädern behandelt worden waren. 

K. Brandenburg - Berlin. 


Medicinische Gesellschaft in Chemnitz. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 13. November 1901. 

Herr Reiohel: Behandlung der Appendioitis. 

Vortragender nimmt Stellung zu der Frage: „In welchen 
Fällen und wann sollen wir bei Behandlung der akuten Peri¬ 
typhlitis zum Messer greifen?“ 

Die Statistik allein gibt uns für die Abgrenzung der opera¬ 
tiven und rein konservativen Therapie der Appendicitis keinen 
ausreichenden Anhalt, wenn auch die sorgfältigen statistischen 
Erhebungen S a h 1 i’s und R o 11 e r’s grosse Beachtung ver¬ 
dienen, um so mehr, als sie auf sehr verschiedenem Wege und 
bei ungleichem Materiale zu ungefähr gleichen Ergebnissen 
kommen. Ihr Werth liegt namentlich darin, gezeigt zu haben, 
dass bei konsequent und von Anfang an streng durchgeführter 
Opiumtherapie die Resultate einer rein medikamentösen Behand¬ 
lung viel besser, die Zahl der Heilungen ohne Operation viel 
grösser, die der Recidive nach Spontanheilung viel kleiner sind, 
als man im Allgemeinen angenommen. Die Frage aber, wann 
wir im speziellen Falle operiren sollen, lassen die Statistiken un¬ 
berührt. 

Vortragender bespricht kurz die hauptsächlichsten patho¬ 
logisch-anatomischen Vorgänge bei den verschiedenen Formen 
der Appendicitis, hebt das so häufige Vorkommen einer begleiten¬ 
den circumscripten eiterigen Peritonitis hervor und erkennt 
an, dass jene eben erwähnte Häufigkeit der Spontanheilung zu 


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24. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2125 


der Annahme nÖthigt, dass eine spontane Resorption bei der peri- 
typhlitischen, wie überhaupt der intraperitonealen Eiterung nicht 
ganz selten sei, dass für ihre Behandlung der alte chirurgische 
Grundsatz „ubi pus, ibi evacua“ nicht volle Geltung besitzt, warnt 
aber auf Grund seiner Erfahrungen davor, von diesem Grundsatz 
nun allzusehr abweichen zu wollen. Je mehr er gesehen, um so 
mehr neigt er einem nicht zu späten operativen Eingreifen bei 
Behandlung der akuten Appendicitis zu. 

Mit R o tt e r stimmt Vortragender darin überein, dass man 
die Indikationsstellung zur Operation von der Beobachtung des 
Verlaufes abhängig machen solle, auch darin, dass man bei länger 
dauerndem, ganz besonders höherem Fieber, sowie bei remittiren- 
dem Fieber operiren solle; nicht für richtig hält er es jedoch, 
den Entschluss zur Operation in solchem Maasse von der Höhe 
der Fiebertemperatur abhängig zu machen, wie das R o 11 c r vor¬ 
schlägt. Zu gross ist die Zahl der Fälle, in denen das Messer 
einen intraperitonealen jauchigen Eiterherd aufdeckt, ohne dass 
höheres Fieber vorhanden war, ja ohne dass die Temperatur auch 
nur 38 0 erreichte, zu gross die Zahl der Fälle, in denen bei fast 
fieberlosem Verlauf plötzlich der Ausbruch einer diffusen Peri¬ 
tonitis den Durchbruch eines bisher circumscripten perityphli- 
tischen Abscesses in die freie Bauchhöhle — dann meist zu 
spät —- ankündigt. 

Vortr. empfiehlt für die Behandlung jedes perityphlitischcn 
Anfalles — sofern dieser nicht sogleich als diffuse Peritonitis 
einsetzt — von Anfang an eine strenge Opiumtherapie, da¬ 
bei absolute Enthaltung jeder Nahrungsaufnahme per os (kein 
Tropfen Wasser! keine Eisstückchen!) und Stillung des Wasser- 
bedürfnissea in den ersten Tagen durch subkutane Kochsalz¬ 
infusion, später durch vorsichtige kleine Wassereinläufe in den 
Mastdarm, Eisblase auf das Abdomen, völlig ruhige Lage. Die 
Mehrzahl der Fälle wird dabei zur Heilung gelangen. 

Während des weiteren Verlaufes verfährt Vortr. nach folgen¬ 
den Grundsätzen: 

1. Sind die Symptome von Anfang an milde, das Fieber ge¬ 
ring, der Puls ruhig oder nur wenig beschleunigt, die Schmerz¬ 
haftigkeit auf die Gegend des Wurmfortsatzes beschränkt, der 
übrige Leib weich und nicht druckempfindlich, oder tritt nach 
Anfangs stürmischen Erscheinungen rasch auf Opium eine deut¬ 
liche Besserung ein und gehen alle Symptome gleichmässig zu¬ 
rück, so beschränke man sich auf ein konservatives Verhalten. 

2. Sind umgekehrt die Erscheinungen von vornherein sehr 
bedrohlich und bleiben es trotz strikter Durchführung oben er¬ 
wähnter interner Behandlung, bleibt das Fieber hoch, geht ins¬ 
besondere die Pulsfrequenz in die Höhe, hält das Erbrechen an, 
nimmt die Schmerzhaftigkeit an In- und Extensität zu, wächst 
der sichtbare Tumor, kurz schreitet das Leiden deutlich fort, 
dann zögere man nicht mit der Operation, sei es auch erst am 
2. oder 3. Tage der Erkrankung. 

S. Fiir die grosse übrig bleibende Mehrzahl der in der Mitte 
zwischen diesen Extremen liegenden Fälle halte man daran fest: 
Jedes Abklingen der Erscheinungen rechtfertigt längeres Zu¬ 
warten, jedes Fortschreiten derselben oder auch nur länger 
dauerndes Anhalten eines selbst mässigen Fiebers, insbesondere 
Zunahme der Pulsfrequenz, Anhalten oder Wiederkehr von Er¬ 
brechen, Wachsthum des fühlbaren Exsudates drängt zur Ope¬ 
ration. — Der Nachweis eines grösseren Abscesses, eine Bethei¬ 
ligung der Bauchdecken an der Infiltration bildet für Vortr. stets 
eine Indikation zur Operation. Die Gefahr eines weiteren Zu¬ 
wartens halt er unter solchen Umständen für grösser wie die 
Gefahr der Operation. 

Für gewöhnlich soll die gleichzeitige Entfernung des er¬ 
krankten Wurmfortsatzes, sowie man sich überhaupt zu opera¬ 
tivem Eingreifen entsehliesst, die Regel bilden; macht seine 
Auffindung indess zu grosse Schwierigkeiten oder Gefahren, so 
begnüge man sich vorläufig mit der Incision des Abscesses und 
Tamponade. 

Bietet die Erkrankung von Anfang an das Syrnptonienbild 
der diffusen Perforationsperitonitis, so rätli Vortr. im Allgo* 
meinen zu sofortiger Operation. 

Herr Schödel: lieber einseitige Bildungsfehler der 
Brustwandung und der entsprechenden oberen Gliedmaasse. 

Vortragender stellt ein (»jähriges Mädchen mit linksseitigem 
Mangel des sternocostalen Theils des M. pector. malor und des 
gesammten M. pect. min. vor. Ausserdem fehlt das sternale Ende 
der 3. ltlppe. Die Haut entbehrt über diesem Bildungsfehler des 
Pannie. adiposus. Die linke Mnmmilla Ist nach oben und innen 
etwas verschoben; Drüseusubstanz der Mamma Ist nicht nach¬ 


zuweisen. Daneben besteht eine leichte Atrophie des ganzen linken 
Arms mit Syndaktylie und Brachydaktylie der betreffenden Hand. 

Die bisher für die Entstehung solcher und ähnlicher Miss¬ 
bildungen geltend gemachten Ursachen: Fehlerhafte Keimanlage, 
foetalo Erkrankungen (Osteoinalacie, Rachitis, Muskel- und 
Nervenerkrankungen, Herzerkrankungen, Verklebung des Am¬ 
nion mit den Brustorganen) und Trauma werden zurückgewiescu. 

Aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen müssen derartige 
Verbildungen in dem Zeitraum von der 5.—9. Woche des Foetal- 
lebens entstehen. Da der Regel nach um dieselbe Zeit die Ab¬ 
hebung des Amnions vom Embryo erfolgt, bringt Vortr. die Ent¬ 
stehung der beschriebenen Missbildung mit einer Verzögerung 
dieses Vorgangs in Zusammenhang: die dadurch hervorgerufene 
Raumbeengung erzeugt durch Druck des kindlichen Kopfes gegen 
die eine Brustseite gleichzeitig die Missgestaltung der betreffen¬ 
den Brustwand und des vorderen Endes der gleichseitigen 
oberen Gliedmaasse. 

Einfacher angeborener Mangel der Brustmuskulatur, Rippen¬ 
defekte, Trichterbrust und Fissura sterni congenita entstehen 
wohl in gleicher Weise mit Ausnahme der wenigen Fälle, wo 
Erblichkeit solcher Missbildungen auf Keimesvariation schliewsen 
lässt. 


Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden. 

(Offldelles Protokoll.) 

III. Sitzung vom 12. Oktober 1901. 

Vor der Tagesordnung: 

Herr Rudolf Panse zeigt ein Schläfebein mit einer Lücke 
im Dach des Bulbus venae jugularis an derselben Stelle, wie der 
Kranke des Herrn Mann zeigte. Diese Stelle entspricht genau 
dem üblichen Trommelfellscbuitt, der in Folge dessen leicht iu 
solchen Fällen die Jugularis verletzen könnte. 

Herr Forstmann stellt einen Patienten mit Lupus vor, 
bei welchem sieh auf Grund der Geschwüre Elephantiasis ent¬ 
wickelt 

Tagesordnung: 

Herr Mann: Intrakranielle Komplikationen bei Mittel¬ 
ohreiterung. 

Der Vortrag erscheint in den Sitzungsberichten der Gesell¬ 
schaft. 

IV. Sitzung vom 19. Oktober 1901. 

Tagesordnung: 

Herr Weichardt, Assistent am pathologisch-anatomischen 
Institut des Stadtkrankenhauses, als Gast: ModerneImmunitäts- 
lehre mit besonderer Berücksichtigung der für den praktischen 
Arzt wichtigsten Immunisirungen. 

Der Vortrag erscheint in dieser Wochenschrift. 

Besprechung: Herr Hessel hätte den Wunsch gehabt, 
dass der Vortrag In ausführlicherer Weise, als geschehen, das 
Thema behandelt hätte. 

Herr Hermann Becker: Ich möchte mir nur erlauben, einige 
Worte hinzuzufügen zu der Bemerkung des Herrn Vortragenden, 
dass in der Ophthalmologie ein Antitoxin des Abrin gefunden wor¬ 
den sei. Wir verdanken diese Entdeckung dem Prlvatdoceuten der 
Augenheilkunde in Würzburg Dr. Römer, und zwar erst in 
allerjüngster Zeit. Sie wissen, dass das Abrin das wirksame Prin- 
cip des Jequlrity darstellt, welch’ letzteres im Anfang der 80 er 
Jahre des vorigen Jahrhunderts von de Wecker in Paris mit 
grossem Enthusiasmus als Allheilmittel gegen Trachom in die 
Augenheilkunde eingeführt wurde. 

Man merkte jedoch bald, dass die inflammatorischen Eigen¬ 
schaften des Jequlrity so hochgradig werden konnten, dasB viele 
Augen zu Grunde gingen. Es wurde desswogen im Allgemeinen 
wenig mehr in Anweudtmg gezogen. Ich habe es gesehen bei 
Coppez in Brüssel; ferner hat Dr. Meracho iu Barcelona 
das Jequlrity häufig angewandt und vor allen Dingen de Wecker 
in Paria. 

Jetzt — mit der Entdeckung des Antitoxin des Abrin — wird 
die Anwendung des Jequlrity wUslentm gefahrlos, weil man eine 
conjuiictivale Imiuimisirung herboiführen und somit die Wirkung 
des Jequlrity genau doslren kann. 

Es sollen nicht nur beim Pannus traehomatosus, sondern auch 
beim Pannus skruphulosus. sowie überhaupt bei Hornhaut¬ 
trübungen gute Resultate erzielt worden sein. 

Zur Zeit wird von Merck in Dannstadt unter dein Namen 
Jequiritol ein Präparat hergestellt und in den Handel gebracht, 
welches das Jequlritygift sehr rein enthält: das Antitoxin führt 
den Namen Jcquiritolserum. 

llerr Dohm, Assistent am Carolahaus, als Gast spricht 
über die Heilbehandlung der Tuberkulose. 

An der inneren Abtheilung de« Carolahauses wurden im 
Ganzen 31 Fälle von Lungen- reap. Kehlkopf tuberkulöse mit 


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2126 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


Hetol behandelt. Unter Zugrundelegung der Ländere r’schen 
Eintheilung handelt es sich um 9 leichte, 6 vorgeschrittene, 14 
schwere und 2 Fälle von galoppirender Schwindsucht. Von diesen 
sind 6 gestorben; 6 wurden ungeheilt und 19 gebessert entlassen. 
Bei der Sektion konnten die erwarteten bindegewebigen Verände¬ 
rungen der Lunge nicht festgestellt werden. Vielmehr zeigte sich 
das gleiche Bild wie auch bei den nicht mit Hetol behandelten 
Fällen. Es wäre nun gerade der Befund des pathologischen Ana¬ 
tomen für die Frage entscheidend, ob thatsächlich die von Län¬ 
derer beobachteten Vorgänge eintreten oder nicht. Bisher sind 
diese Mittheilungen sehr spärlich. 

Die Heilbehandlung erwies sich im Ganzen als ein völlig 
unschädliches Verfahren. Die Technik ist sehr einfach und ohne 
Schwierigkeiten ausführbar. Irgend welche verderbliche Ein¬ 
flüsse auf den Puls, Athmung und Temperatur konnten im All¬ 
gemeinen nicht festgestellt werden. Insbesondere wurde auch 
nie die oft erwähnte Neigung zu Lungenblutungcn beobachtet. 

Während der Heilbehandlung wurde Anfangs jede weitere 
Therapie unirlasson. Erst späterhin wurde ausnahmsweise in 
einigen Fällen Kreosotal, Thiocol etc. gegeben. 

Fällo, in denen die Wirkung des Heils eklatant gewesen 
wäre, sind nicht beobachit. Dagegen nahmen einige Fälle, die 
mit ganz geringfügigen Lungenveränderungen eingeliefert wur¬ 
den, einen sehr progredienten Verlauf. 

Es konni also weder anatomisch noch klinisch die von Län¬ 
derer beschriebene Einwirkung des Iletols auf den tuberkulösen 
Prozess beobachtet werden. Der einzige Vorzug der Hotolhehand- 
lung war der suggestive Einfluss, den die Injektionen mit ihren 
deutlich sichtbaren Manipulationen auf den Kranken ausübten. 

Gegen die Nachtschweisse der Phthisiker übte das Hetol 
nicht die erwartete Wirkung aus. Dagegen haben sich hier Ein¬ 
reibungen mit einer 10 proc. Formalinleinölseife sehr bewährt, 
mit welcher ich Versuche anstellen konnte. In allen Fällen wurde 
eine sehr wesentliche Besserung, in vielen eine vollständige Hei¬ 
lung erzielt. 

Besprechung: Herr Sclinialtz theilt mit, dass er im 
Hinblick auf die wenig ermuthigendeu Itesultate, die von anderen 
Beobachtern mit den Hetolinjektionen gewonnen worden seien, 
davon abgesehen habe, dieselben im Stadtkrankenliaiise anzu¬ 
wenden, zumal doch von verschiedenen Seiten über eine gesteigerte 
Neigung zu Haemoptysen nach den Einspritzungen berichtet wor¬ 
den sei. 

Herr H e y d e hat ebenfalls keinen Erfolg von der Hetol- 
behandlung gesehen. 

Herr Pu sin eilt: Ich möchte in Bezug auf die in den letz¬ 
ten 2 Jahren auf meiner Abtheilung im Cnrolahause gemachten 
Versuche mit Hetol nur kurz betonen, dass ich dieses Mittel als ein 
absolut ungefährliches ansehen muss, da ich weder Neigung zu 
Blutungen noch andere Schädigungen auftreten sah. Was nun 
die Erfolge anbelangt, sei Folgendes bemerkt. In schweren Filllen 
war ja von vornherein auf eine Besserung nicht zu rechnen; in 
leichten Fällen von beginnender Tuberkulose sah ich verschiedene 
Male eine deutliche Besserung während der Behandlung eintreten, 
doch kann ich dieselbe meiner Ueberzcugung nach nicht dem Hetol, 
als vielmehr den günstigen äusseren Verhältnissen, in denen sich 
die Kranken im Krankenhaus befinden, zuschreiben, niimlich der 
Ituhe, dem reichlichen Luftgenusse und der kräftigenden Diät. 
Leider muss ich konstatlren, dass selbst in leichten Fällen, wo 
der tuberkulöse Proeess von vornherein Tendenz zu weiterer Aus¬ 
breitung zeigte, durch die Hetolbehnndlnng ein Stillstand oder gar 
Heilung nicht erzielt werden konnte. Wie schon in dem Vortrag 
meines Herrn Assistenten erwähnt wurde, fanden wir bei Sektionen 
von mit Hetol behandelten Kranken nie eine irgendwie charakte¬ 
ristische Veränderung ln den Lungen in dem Sinne Ländere r’s, 
wie bindegewebige Umwallung der tuberkulösen Herde und der¬ 
gleichen mehr. Auch aus meiner Privatpraxis habe ich mehrere 
Fälle zu verzeichnen, die auf eine selbst konsequent durchgeführte 
lletolbeliandlung keine auffällige Besserung zeigten. Als Beisiriel 
möchte ich einen 47 jährigen Herrn erwähnen, welcher im vorigen 
Winter in Davos war und dort eine regelrechte lletolkur in einem 
Sanatorium durchmachte. Nach Angabe des betreffenden Arztes, 
sowie des Herrn Prof. Länderer, den der Patient auf seiner 
Heimreise besuchte, sollte der Kranke bedeutend gebessert sein; 
leider konnte ich mich hiervon nicht überzeugen und hat auch der 
weitere Verlauf gezeigt, dass die Besserung nur eine scheinbare 
war. 

Ich möchte daher mein Urtheil über das Hetol dahin zu- 
sammenfnssen, dass ich dasselbe zwar für ein unschädliches Mittel 
erkläre, dass demselben jedoch Irgend welche Heilwirkungen nicht 
zugeschriebeu werden können. 


Nu. 52. 


Verein Freiburger Aerzte. 

(Offlcielles Protokoll.) 

Sitzung vom 25. Oktober 1901. 

1. Herr Hildebrand: Bericht über die diesjährige 
I. ärztliche Studienreise in die Nordseebäder. 

Dlscusslou: Bäumler, Schottelius, Thomas, 
Baas. 

2. Herr Pertz: Demonstration stereoskopischer Röntgen- 
photographien des menschlichen Arteriensystems. 

3. Herr Winter: Bemerkungen über Lepra. 

Discusslon: Bäumler. 

Sitzung vom 22. November 1901. 

1. Herr Eraske: Heber metastatische Darm-, ins¬ 
besondere Mastdarmcarcinome. (Erscheint ausführlich an 
anderer Stelle.) 

2. Herr Fritschi: lieber einen Entwurf betr. Ueber- 
tragung der Leichenschau an die Aerzte. 

Sitzung vom 13. Dezember 1901. 

1. Herr Alterthum: Zur Pathologie und Diagnose der 
Cervixtuberkulose. (Erscheint ausführlich an anderer Stelle.) 

2. Herr Kr&gke: Demonstration eines Falles von un¬ 
gewöhnlich grosser Ausbreitung eines Angioms mit elephan- 
tiastischen Verdickungen in der Gesichtshaut. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 13. M a i 1901. 

1. Herr Steiner: Ueber Epilepsie. (Folgt später.) 

2. Herr Goldberg: a) Heber Lithotripsie. 
h) Statistik der Kystoskopie. 

In den letzten Jahren habe ich 21 Patienten mit Blasen- 
steinen beobachtet. Etwa die Hälfte habe ich selbst lithotripsirt; 
dio übrigen Fälle betreffen Patienten, die sich noch nicht haben 
operiren lassen, oder solche, die vor oder nach der Operation 
(Lithotripsie oder Lithotomie) längere Zeit von mir behandelt 
wurden. 

Ausführlichen Bericht über die anderen Fälle behalte ich 
mir vor, nur einen will ich seiner Besonderheiten wttgen hier er¬ 
zählen : 

Ein 83 jähriger Mann verspürte seit */ 2 Jahr etwas mehr Harn¬ 
drang. als vorher, und entleerte vor 14 Tagen etwas blutigen Harn. 
Znweilcn hatte er mässige Schmerzen in den Lenden, die für 
rheumatisch gehalten wurden. Bewegung bekommt ihm gut. 

Rüstiger, nicht fettleibiger Greis; Herz und Lungen gesund. 
Puls 70—90, mittelstark. Harn eiterfrei, mit y 2 Prom. bis 1 Prorn. 
Eiweiss, 1 = 1020, in 24 Stunden 1 bis 2 Liter. Blase Ist nicht 
entzündet, leert sich, fasst 150 bis 200 ccm; Sondirung und Cysto- 
skopie ergeben: links vorne oben, oberhalb des ge- 
wulsteten OriÜeium urethrovesicale, sitzt ein grosser Stein. Die 
Prostata ist hypertrophisch, die Urethra prostatica ist lang, das 
Orifieium urethrovesicale liegt hoch, links vorne seitlich ein 
grösserer Vorsprung der Prostata. Bei Füllung der Blase mit 
75 ccm 10 proc. Antipyrinlösung, Anaesthesie der Urethra mit 
10 ccm 2 proc. Cocaiulösung nahm Ich die Lithotripsie vor; der 
3 bis 4 cm grosse, abnorm gelegene Stein konnte nicht in einer 
Sitzung ganz beseitigt werden; die Sitzung wurde nach ca. >4 Std. 
mit Ausspülung der Trümmer beendet. Patient brauchte nicht 
zu Bett zu liegen; nach 2 Tagen war er schmerzfrei. Aeusserer 
Umstünde wegen 2. Sitzung erst nach 6 Wochen. Unter aus¬ 
giebiger Anwendung der verschiedenen von Guyou gelehrten 
Griffuiellioden, insbesondere Anziehen des Blasenhalses. Ver¬ 
schieben des sonst unbewegten weiblichen Arms und mit Aus¬ 
spülung und Auspumpung mit dem Ileurtelou p’sehen Eva- 
cuator befreite ich in der 2. Sitzung, dessgleiehen ohne Narkose, 
in ca. y 2 Stunde den Patienten vollständig von seinem Stein. 
8 Tage nach der 2. Sitzung wurde Patient geheilt entlassen: das 
Allgemeinbefinden war glänzend, der Ham klar, eiterfrei. 1 bis 
iy 2 Liter in 24 Stunden. 1017, mit V , 0 Prom. Albuinen; abgesehen 
von eiucr Steigerung der praeexisteuten Albuminurie in den ersten 
3 Tagen p. op. fehlen Folgeerscheinungen der Operation gänzlich. 
>/o Jahr später macht Patient eine schwere Niereusteinkolik durch. 

ln der A u s f ü li r u n g der Lithotripsie befolg«“ ich die bis 
in’s kleinste genauen und rationellen Vorschriften (1 uyo n’s, die 
er noch kürzlich (Annalcs de. in. de org. gcnit.-urin. 1899, 1900) 
wiederg«'geben hat: Vollständige Zertrümmerung auch der 
kleinsten Bröckid an allen Stellen, besonders in der Nähe 
des Oriticium und des posteroinferioren Angulus, sehr reichliche 
Spülungen mit Spritze nach der Zertrümmerung, Aspiration erst 
nach Reinspülung. Nach Guyon und Nitze systematisch 
in allen Fällen mit allgemeiner Narkose in einer Sitzung zu 


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24. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2127 


operiren, ist in Kliniken möglich; in den Verhältnissen der Bade¬ 
praxis ist ee meistens besser, ohne Chloroform zu lithotripsiren; 
soll die Narkose die hinderlichen Kontraktionen der Blase aus¬ 
schalten, so muss sie bis zur Aufhebung des Comealreflexes ge¬ 
trieben werden. Die Asepsis ist bei primären Steinen ohne 
Cystitis von ausschlaggebender Wichtigkeit; ich habe alles Aus¬ 
kochbare vom Instrumentarium 10 Minuten gekocht, die Spritzen 
und Pumpen mit Arg. nitric. gefüllt 24 Stunden in Formalin¬ 
dämpfen belassen; die Spülungen und Pumpungen während der 
Operation mit 4 proc. Borsäure und 1 prom. Arg. nitric. vorge¬ 
nommen, zum Schluss nochmals mit 2 prom. Arg. nitric. gespült. 
Bei sekundären Steinen in Folge alkalischer Cystitis ist ebenso 
zu verfahren; man könnte sonst die örtliche Infektion zu einer 
allgemeinen machen. 

Die Erfolge der Lithotripaie sind denen der Lithotomie 
weit überlegen. Während die Mortalität der Lithotripsie 
bei Guyon 1890—1900 (555:11) 2 Proc. beträgt, bei Thomp¬ 
son, Freyer, Guyon, Dittel (1419:69) vor 1890 
4—5 Proc., stirbt denselben Operateuren ungefähr jeder 3. Litho- 
tomirte. Das liegt bei ihnen aber daran, dass sie n u r die Fälle 
lithotomiren, bei welchen die Lithotripsie unmöglich ist; das sind 
meistens sehr schwere Fälle. Diejenigen Operateure aber, welche 
wahllos alle Steine lithotomiren, haben nach einer auf die Zeit 
der Antisepsis und auf 274 Fälle verschiedener Autoren sich be¬ 
ziehenden Statistik Güterbock’s immer noch 13 Proc. Todes¬ 
fälle. Nur bei Kindern ist die Mortalität der Lithotomie 
ebenso gering, wie die der Lithotripsie. Neueste Berichte mit 
der gleich günstigen Lithotomiemortalitüt betreffen vorwiegend 
jüngere Leute. Von den 13 Lithotripsirten meiner Statistik starb 
einer an reflektorischer Uraemie bei praoexistenter genuiner 
Schrumpfniere. 

Die Morbidität nach Lithotripsie ist noch weit mehr 
geeignet, sie der Lithotomie vorziehen zu lassen. Die Litho¬ 
tripsirten ruhen einige Tage, die Lithotomirten machen ein langes 
(bei 5 Lithotomien meiner Statistik 4, 7, 4, 2, 3 Monate) und bei 
Alten, die stets doch an primärer Lithiasis oder an schwerer 
Cystitis, oft noch an anderen Leiden kranken, nicht bloss be¬ 
schwerliches, sondern auch an sich gefährliches Krankenlager 
durch. 

Wenn man nun sagen wollte, die Lithotripsie sei zwar eine 
gutartigere Operation, al>er sie habe nicht die Sicherheit des 
Heilerfolges wie die Lithotomie, so ist auch das nicht 
mehr richtig. Nach Lithotomie wie nach Lithotripsie besteht die 
Ursache der Steinbildung, sei es die Urat- bezw. Oxalatdiathese, 
sei es die alkalisclve, Phosphatconcremente schaffende, Cystitis 
weiter; es ist demnach ein etwaiges Reeidiv nicht ohne Beweis 
darauf zu schieben, dass Trümmer in der Blase belassen seien. 
Schon die methodische Aspiration mit Heurteloup- 
Guyon’s Evacuateur cunde et eourbe gibt die Möglichkeit, die 
meisten Blasen gänzlich auszuräumen; hat man doch noch 
Zweifel, so kann man mit kystoskopischem Evacuator (Nitz e) 
oder durch spätere Kystoskopie sieh vergewissern. 

Aus Vorstehendem folgt, dass zur Entfernung von Blasen¬ 
steinen die Lithotripsio bezw. Litholapaxie an gezeigt ist, 
wo sie möglich ist, d. i. in ca. 80—90 Proc. aller Fälle (Litho¬ 
tripsie : Lithotomie bei 0|>eratouren, die beide Methoden be¬ 
herrschen : Thompson: 850:157, Dittel: 572:228, Guyon 
1890—1900 : 555: 39, bis 1894). 

Gegenanzeigen der Lithotripsie sind demnach: 

1. a) Unzerbrechlichkeit des Steines: primäre Oxalate und 
Urate von über 5 cm Durchmesser pflegen bei grosser Härte zu 
widerstehen; sekundäre Phosphate zerbröckeln meist leicht, auch 
wenn sie enorm sind. 

Bei 2 Fällen meiner Statistik begründet sich hiermit die 
Lithotomie. 

b) Unmöglichkeit, Steine auszuräumen, weil sie zahllos 
sind oder weil sie in so unzugängigen Ausbuchtungen liegen, 
dass sie per vias naturales nicht fassbar sind. 

Letzteres war bei 1 meiner 21 Blasensteinkranken der Fall; 
Lithotomie lehnte er ab. 

Guyon hat nur 23 von 594 Steinen aus der Indication 1 a 
und b durch Schnitt entfernen müssen. 

2. Unpassirbarkeit dos Weges für die Instru¬ 
mente. Strikturen sind vorher zu dilatiren oder zu urethro- 
tomiren; Prostatahypertrophie ist nur, wenn sie ganz enorm, ein 


Hinderniss, weniger für die Einführung als für die freie Beweg¬ 
lichkeit der Instrumente, die besonders bei der Aspiration nöthig 
ist. Die von mir selbst lithotripsirten Patienten hatten alle auch 
Prostatahypert rophie. 

3. Der Allgemein zustand, sei es, dass schwere allge¬ 
meine Harnvergiftung, sei es, dass vorgeschrittene Nephritis be¬ 
steht, verbietet zuweilen die Lithotripsie; gelingt es nicht, durch 
vorgängige Behandlung ihn zu heben, so ist die Prognose der 
Lithotomie, wie der Lithotripsie gleich ungünstig. 

Sitzung vom 3. Juni 1901. 

Herr Hochhaus: Heber Adams-Stoke s’sche Krank¬ 
heit. 

Seine Beobachtung betrifft einen 32 jährigen, kräftigen Mann, 
der zuerst vor 11 Jahren einen akuten Gelenkrheumatismus durch- 
gemacht hatte; bald nachher wurde dann eine Mltraliusufücieuz 
konstatirt. In den nächsten Jahren traten mehrfach Recidive auf. 
Daun erfreute sich Patient während 5 Jahren (bis 1899) eines 
relativen Wohlbefindens, während dessen er seiner sehr anstrengen¬ 
den Berufstätigkeit oblag. Ende Dezember trat wieder ein Re- 
cidiv des Gelenkrheumatismus auf, nachdem sich die Beschwerden 
von Seiten des Herzens (Herzklopfen, Athemnoth) besonders stark 
zeigten. Trotz aller Therapie gingen dieselben auch nicht ganz 
zurück. Im Oktober 1900 plötzlich ein Ohnmachtsanfall: Der 
Kranke bekam plötzlich heftige Athemnoth, wurde bewusstlos und 
in den Händen traten leichte Zuckungen auf. Der sofort hinzu¬ 
gerufene Arzt fand den Kranken noch leicht somnolent, schwer 
athmend und, was besonders auffiel, den Puls sehr langsam. Der 
Puls schlug nur 17—20 mal in der Minute und war unregelmässig. 
Durch hohe Kampherdosen wurde der Puls zwar kräftiger, über¬ 
stieg 20 in der Minute, aber nur selten, und auch in den nächsten 
Tagen war die Frequenz der Herzaktion die gleiche; erst danu 
stieg er allmählich auf 30—40 und 40, die Höchstzahl. Nach 
einigen Wochen Bettruhe stand der Kranke wieder auf, bekam 
aber wieder einen ähnlichen Anfall von etwas geringerer Dauer. 
Trotz aller Schonung und Anwendung der meisten Herzmittel 
traten die Anfälle jetzt doch häufiger auf; manchmal alle paar 
Tage. Das Ilerannahen merkte der Kranke au einem eigentüm¬ 
lichen ängstlichen Gefühl auf der Brust selber; dann wurde er 
schwindelig, zuweilen auch ganz bewusstlos, nach mehreren Mi¬ 
nuten erwachte er schwerathmend wieder und fühlte sich recht 
matt. 

Als ich den Kranken zuerst sah, 3 Wochen a. exltum, war der 
Herzbefund folgender: Der Herzspltzeustoss hebend im 5. und 
0. Intercostnlraum, 1—2 Finger breit nusserlialb der Mammillar- 
linie; die relative Ilerzdämpfung war nach rechts und links er¬ 
heblich verbreitert; Uber sämmtlichen Ostien waren systolische 
Geräusche, am stärksten über der Spitze: die 2. Töne waren rein; 
der 2. Pulmonalton klopfend. Der Puls betrug 40 in der Minute, 
war ziemlich voll, kräftig und regulär. An den übrigen Organen 
war nichts Besonderes. Kurz nach der Untersuchung wurde der 
Kranke plötzlich dyspnoiscli, unruhig und leicht somnolent. Der 
Puls war während dessen auf 17 in der Minute gesunken, in den 
Pausen zwischen den einzelnen Pulsen war über dem Herzen 
kein Geräusch wahrnehmbar. Nach kurzer Zeit, vielleicht 3 bis 

4 Minuten, kam er wieder zu sich; die Pulsfrequenz war 20 und 
stieg dann wieder ganz allmählich auf 40. 

Derartige Anfälle wiederholten sich in der Folgezeit häufig; 
nicht selten mehrere an einem Tage und in einem solchen Anfall 
erfolgte danu der Exitus letalis. 

Die Obduetion, welche sich nur auf die Brusthöhle erstreckte, 
zeigte, dass das Herz in allen seinen Theilen sehr stark dilatirt 
und hypertropliirt war; ausserdem bestand totale perlcnrdiale 
Synechie und eine ausgesprochene Insuffieienz der Mitralklappe. 
Ich habe an mehreren Stellen des Herzens (1. Ventrikel, r. Ven¬ 
trikel und 1. Vorhof) Stücke entnommen und darin nur eine mässige 
fibröse Myokarditis feststellen können. 

Der Fall gehört zu den typischen Fällen der sogen. Adams- 

5 t o k e s’sclien Erkrankung, die in den letzten Jahren durch 
II. und A. Hoffman n eine eingehende Bearbeitung erfahren 
hat. Als Ursache ist. hier zweifelsohne die Erkrankung des Her¬ 
zens sc11)ct zu betrachten. 

Herr Hochhaus spricht dann noch über einen Fall von 
Pankreatitis haemorrhaglca unter Demonstration des zugehörigen 
Präparates. (Der Fall würd zusammen mit anderen nächstens in 
extenso veröffentlicht werden.) 


Nürnberger medicinische Gesellschaft und Poliklinik. 

(Offlclelles Protokoll.) 

Sitzung vom 21. November 1901. 

Herr Mock gibt ein umfassendes Referat Uber Königs- 
höf er: Prophylaxe in der Augenheilkunde, über welches Buch 
er sieh zumeist ungünstig ausspricht. 

Herr Steinhardt: Zur Diagnose der Larynxstenosen. 

Der Vortrag wird anderwärts ln extenso veröffentlicht werden. 

Sitzung vom 5. Dezember 1901. 

Herr Joh. Merkel: Heber Gelenkresektion. 

M. gibt zunächst einen historisch-kritischen Ex¬ 
kurs über Resektionen und konservative Ope- 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


ratlonen am Knochensystem überhaupt. Von 
B 11 g n e r (1761 *), dem Generalfeldchirurgen Friedrichs des 
Grossen, welcher entgegen der Schulautorttüt eines II e 1 s t e r 
und Jean Louis Petit die ersten schüchternen Versuche macht;*, 
verletzte Gelenke und Knochen erhaltend zu behandeln und da¬ 
durch den Amputationsunfug beschränkte, bis O 11 i e r in Lyon 
(1890),welcher die Lehre von den subperiostalcu Resektionen auf's 
Feinste ausbildete. 129 Jahre lang mühten sich die Chirurgen der 
3 grossen Kulturstaaten — Franzosen, Engländer und Deutsche — 
ab, um das grosse Ziel, die Erhaltung der Glieder mit Heilung 
der Krankheiten und Verletzungen der Knochen und Gelenke zu 
verwirklichen. \V1 the(1708). Park(1782), Moreau,Vater uudSolm 
(1780—1806). die Militärchirurgen Paroy. Larrey und Sa¬ 
ba t i e r (1790—1815). Nach einer längeren Pause war es deutschen 
Chirurgen Vorbehalten mit klarem Verständnis» die Idee Moreau's 
wieder aufzugreifen und weiter zu entwickeln. J ä g e r. R i e d 
und Textor (1830—1840), L a ngenbeck (1848—1860), O 11 i e r 
(1860—1890) sind die Namen, welche die Marksteine des grossen 
konservativen Prinzips, in der Tliat eine illustre Antiamputations¬ 
liga, bildeten! 

Hierauf stellt der Vortragende einen 30 jährigen Oekonomen 
vor. welchem vor Jahresfrist auswärts ein Kongestionsahsc?ss des 
r. Vorderarmes geöffnet wurde. Nach 7 monatlicher Eiterung soll 
sich die Fistelöffnung geschlossen haben, doch sei die spindel¬ 
förmige Anschwellung dos r. Kilbogengeleukes geblieben. Die 
Stellung des Vorderarmes zum Oberarm war eine in Extension 
ankylosirte geworden; dabei bestanden grosse Schmerzen spontan 
und bei Druck, der Arm war total unbrauchbar. 

M. machte die Resektion des Ellbogengelenks 
nach L i s t o n. als diejenige Methode, welche bei pathologischen 
Resektionen die beste Einsicht in das Gelenk gestattet. Dabei 
erwähnt Vortragender die Methoden von Moreau*.Tilger. 
Wattmann, Lanpenbeck und 011 i e r, das Ileraus- 
präpariren des Nerv, ulnaris, sowie die Discisslon und Wieder¬ 
vereinigung der Tricepssehne, die vorzüglich gelang Aus der 
Nachbehandlung bespricht M. besonders die Anfangs extendirte. 
vertikal suspendirte Stellung der Extremität, sowie die Knochen¬ 
reproduktion in der vorantiseptischen und antiseptischen Periode, 
welche in ersterer lebhafter vor sich ging. Der Patient war in 
2 Monaten mit voller Gebrauchsfähigkeit seines r. Armes geheilt. 

Das vorgelegte Präparat wies die diagnostizlrte Synovitis 
granulosa nach, welche auf die Humerusepiphysp und das Ole¬ 
kranon mit stellenweiser Zerstörung der Cambiumschlehte des 
Periosts und Knorpels übergegangen war. In der Fovea supra- 
troehlearls anter. befinden sich tlieils isolirte, tlieils aggreglrte 
Miliartuberkel. Das Radiusköpfchen war unversehrt. 

Zum Schlüsse streift M. noch seine vieljährige reichhaltige 
Thätigkeit auf diesem Gebiet, welche zahlreiche Resektionen aller 
Gelenke mit sehr befriedigendem Erfolg umfasste. 

Herr Weigel: Ueber Torsion des Samenstrangs. 

W. gibt unter Zugrundelegung eines von ihm operirten Falles 
eine Darstellung dieses seltenen Leidens, von dem bis jetzt erst 
ca. 20 Fälle in der Literatur veröffentlicht sind. 

In seinem Fall, bei dem auf Grund der vorhandenen 
Einklemmungserscheinungen und der Geschwulst im Bereich des 
Leistenkanals die Diagnose auf eingeklemmten Leistenbruch ge¬ 
stellt und sofort operirt worden war, hing der Hoden frei und 
(piergestellt (Inversio testis horizontal!» Kocher) am abgeplatteten 
und verbreiterten Samenstrang und befand sich etwa in der Höhe 
des äusseren Leistenrings. Der Samenstrang war einige Centi- 
meter über dein Hoden durch ein kurzes straffes Band an die 
mediale Wand des Lcistenkanals angeheftet und hatte um dieses 
Band als Drehpunkt eine Torsion erlitten iu der Welse, dass er 
in Form einer Schleife gelagert und gleichzeitig um 360° um seine 
Längsachse torquirt. war. Hoden und Samenstrang waren blau- 
schwarz verfärbt, ihre Gefässe thrombosirt und wurden entfernt. 

Die Aetiologie und Therapie des Leidens wurden unter Heran¬ 
ziehung der einschlägigen Literatur besprochen und für die erstere 
als disponirende Momente unvollkommener oder verspäteter Des- 
census testis im Zusammenhang mit der abnorm freien Beweglich¬ 
keit und der in einigen Fällen erwähnten und auch in diesem 
Fall vorhandenen Querstellung des Hodens, als auslösender Faktor 
dagegen ein Trauma oder eine abnorme Muskelkontraktion ver¬ 
antwortlich gemacht. Bezüglich der Therapie wurden die Ex¬ 
perimente M i f 1 e t’s und E nderle n’s an Hunden erwähnt und 
die Resultate, welche in einigen Fällen bei dein Versuch, die Or¬ 
gane zu erhalten, erzielt worden waren. Es wird im Anschluss 
daran als rathsam bezeichnet, sofort zu operiren und. falls sich 
bei der Operation die Torsion des Samenstrangs herausstellt, den 
Versuch der Erhaltung des Hodens unter Wiederherstellung der 
normalen Lageverhältnisse zu machen, wenn die Erscheinungen 
weniger oder wenigstens nicht viel länger als 24 Stunden bestehen 
und das Aussehen der Organe diesen Versuch rechtfertigt. Im 
anderen Falle wird man im Interesse einer glatten Heilung so¬ 
fort die Kastration ausführen. Die Differentialdiagnose gegen¬ 
über eingeklemmter Leistenhernie und eingeklemmtem Leisten¬ 
hoden hat nur theoretisches Interesse, da auch hier sobald wie 
möglich operirt werden muss, und Repositionsversuche wegen der 
wohl meist vorhandenen grossen Schmerzhaftigkeit der Geschwulst 
sich von selbst verbieten. 

Herr Görl demonstrirt: 

I. das mikroskopische Präparat eines Cysticercus cell. Die 
Finne hatte sich bei einem 26 jährigen jungen Manne in der linken 
Nasolabialfalte entwickelt, wo sie erbsengross unter unveränderter 


*) Die Jahreszahlen beziehen sich auf die Publikationen der 
betreffenden Autoren, nicht ihr Lebensalter. 


Haut liegend, als tiefsitzendes Atherom angesehen wurde. Bei 
der Inzision der Haut quoll eine mit griingell>er Flüssigkeit ge¬ 
füllte Blase heraus mit einer weissliclien Verfärbung an einer 
Stelle der Blasenwandung (Skolexausatz), so dass die Diagnose so¬ 
fort richtig gestellt werden konnte. 

Am übrigen Körper sind keine Finnen zu finden, ebensowenig 
ist ein Bandwurm oder ein Ei nach Eingabe von Extract. Allein 
nachzuweisen. 

II. Derselbe bespricht in Kürze die Sterilisation der Ka¬ 
theter und empfiehlt als geeignete und in der Hand des Patienten 
sicherste Sterilisationsmethode für die weichen Katheter das Ab¬ 
kochen in Wasser, für die elastischen in neutraler schwefelsaurer 
Ammonlösung (3:5). Ein elastischer Katheter, der 12 Stunden 
der letzteren Prozedur unterworfen worden war, wird vorgezeigt. 
Derselbe ist glatt und glänzend. 

III. Arsen bei Blasentumoren hat G. in zwei Fällen mit 
gutem Erfolg versucht 

Der eine Patient hatte einen Tumor des Blasengruudes mit 
einem strangförmigen Fortsatz gegen die Harnröhre zu. Die am 
IS. März 1899 vorgenommene Operation (Heini ein) ergab ein 
Myom, dessen Grenzen gegen das gesunde Gewebe hin nicht wahr- 
zunelimen waren. Kurz nach Heilung deuteten erneute Blutungen 
daraufhin, dass Reste der Geschwulst ln der Blase geblieben seien. 
Hohe Dosen Arsen verminderten die Blutungen, die bei Aussetzen 
des Medikamentes stets stärker sind, so dass Patient noch Jetzt 
kräftig und arbeitsfähig ist. 

Der.zweite Patient — 43 Jahre alt — hat seit einem Jahr 
einen dünnen schwachen Harnstrahl, starke Schmerzen während 
des Urinirena und entleert am Schluss des Urinlreus einige Tropfen 
Blut. Bei der (’ystoskopie (16. Februar) findet man einen breit 
aufsitzeuden Tumor mit geringer Zotteuentwickluug, der von oben 
gegen das Oriflcium int. der Urethra hereinragt. Der Tumor wuchs 
bald so. dass der Urin stets nur per Katheter entleert wurde. Auch 
traten stärkere Blutungen ein. Am 25. April verordnete ich dem 
operationsscheuen Patienten Arseu mit dem Erfolge, dass vom 
3. Juni an der Urin wieder spontan abging. Ende Juli sind auch 
die Schmerzen verschwunden. Blut zeigt sich jetzt nur noch am 
Schluss des Urinirens tropfenweise. Eine nochmalige Cystoskopie 
verweigerte Patient. 

Herr Frankenburger demonstrirt mikroskopische Blul- 
präparate eines Falles von reiner lien&ler Leukämie, sowie ein 
weiteres Zellpräparat mit sehr schönen Kerntliellungsflguren. 


Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Wflrzburg. 

(Elgenw Bericht.) 

Sitzung vom 21. November 1901. 

3. Herr Seifert demonstrirt einen Fall von Pityriasis 
rubra pilaris. 

2. Herr H 0 f f a hält an der Hand dreier eigener Beobach¬ 
tungen einen Vortrag über angeborene Skoliosen. 

Die angeborene Skoliose kann durch abnorme intrauterine 
Belastung, durch Heber- oder Unterbildung von Wirbeln oder 
Wirbeltheilen oder durch fehlerhafte Verwachsungen an der 
Wirbelsäule bedingt sein, findet sich aber auch bei angeborenen 
Lähmungen der Stammmuskulatur oder als zufälliger Neben¬ 
befund neben anderen hochgradigeren Missbildungen. 

II. demonstrirt zuerst als Beispiel der in der Literatur ver- 
zeiehneten Fälle die Zeichnung einer kongenital skoliotischen 
Wirbelsäule, welche 4 halbo Wirbel zu viel auf weist; der Fall 
wurde seiner Zeit von Rokitansky veröffentlicht. Die Halb- 
wirbel sind an verschiedenen Theilen der Wirbelsäule rechts und 
links zwischen die normalen Wirbel eingeechoben und sind so die 
Ursache einer mehrfachen seitlichen Verkrümmung der Wirbel¬ 
säule geworden. 

Ferner demonstrirt Vortragender die Wirbelsäule eines Er¬ 
wachsenen aus seiner Sammlung, an welcher der 2. und 3. Lenden¬ 
wirbel vollkommen mit einander verwachsen sind, eine deutlich 
sichtbare Narbe in Gestalt einer vorspringenden Knochenleiste 
deutet die Linie der Verwachsung an, die offenbar schon in einem 
sehr frühen Stadium der Entwicklung stattgefunden hat. Ein 
Doppelwirbel von Keilgestalt, links 4 cm, rechts 2,8 cm hoch, ist 
das Resultat der Verwachsung der 2 Wirbel; er bildet den Keil- 
wirbcl einer linksseitigen Skoliose. 

Des weiteren zeigt II o f f a das Skelet eines neugeborenen 
Kindes, das eine sehr hochgradige linkskonvexe Krümmung der 
Wirbelsäule aufweist. Bildungsanomalien finden sich an der¬ 
selben nicht vor; die Zwischenwirbclscheiben der Konvexität sind 
keilförmig gestaltet. An demselben Skelete besteht rechtersei ts 
eine angeborene Hüftgelenksluxation; als Ursache der Skoliose 
betrachtet der Vortragende in diesem Falle eine abnorme intra¬ 
uterine Belastung. 

Den 3. Fall demonstrirt H. in der Photographie und im 
Röntgenbilde; es handelt sich um ein 6Vfe jähriges Mädchen, bei 


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24. Dezember 19Ö1. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2129 


welchem eine angeborene linkskonvexe Kyphoskoliose der Brust¬ 
lendenwirbelsäule besteht; das Röntgenbild zeigt ein keilförmiges 
zwischen die Körper des 1. und 2. Lendenwirbels eingescliobenes 
überzähliges Knochenstück als Ursache desselben. Vortragender 
betrachtet es als rudimentären halben Wirbelkörper. 

3. Herr Gürber: Heber Fettverdauung im Magen. 

Vortragender bespricht zunächst 2 Verdauungsversuche bei 
Katzen, die in der Weise ausgeführt wurden, dass nach 24 stän¬ 
digem Hunger eine überreiche Menge Speck gegeben wurde, 
dessen Gehalt an freier Fettsäure vorher bestimmt war. Nach 
einer Verdauungszeit von 6 Stunden wurden die Katzen getödtet 
und ein abgewogener Theil des Mageninhaltes, der fast nur aus 
Speckstückchen bestand, auf freie Fettsäuren analysirt. Bei der 
einen Katze zeigte sich nun eine beträchtlielie Zunahme der 
freien Fettsäure im Mageninhalt, während bei der anderen eine 
solche nicht zu konstatiren war. Mit der Schleimhaut dieser 
Katzenmägen hat der Vortragende Versuche über die Fettspal¬ 
tung in der Weise angestellt, dass er neutrales Olivenöl mit in 
Wasser suspendirten Stücken der Schleimhaut oder mit Wassor- 
extrakt bezw. Glycorinextrakt der Magenschleimhaut zusammen¬ 
brachte und unter fortwährendem kräftigen Schütteln ‘/ 2 Stunde 
bei 40° digerirte und als Kontrolprobc das neutrale Olivenöl mit 
gekochter Schleimhaut oder gekochtem Wasserextrakt ebenso be¬ 
handelte.. Die Proben wurden nun mit Petroläther extrahirt 
und im Extrakt der Gehalt an freien Fettsäuren bestimmt. Das 
Ergebniss war, dass die Magenschleimhaut (bezw. das Wasser¬ 
extrakt) der Katze, die eine Fettverdauung auch im lebenden 
Thier zeigte, eine deutliche, wenn auch nicht starke Spaltung des 
Neutralfettes bewirkte. Das Glycerinextrakt dagegen schien 
wirkungslos. Ebenso schien die zweite Katze kein fettspaltendes 
Ferment in ihrer Magenschleimhaut enthalten zu haben. — Eine 
deutliche Fettverdauung konnte der Vortragende auch durch 
frischen Hundemagensaft bewirken, immer unter der Voraus¬ 
setzung, dass die Verdauungsprobe ausserordentlich kräftig ge¬ 
schüttelt und so das Fett mechanisch fein vertheilt wurde. Die 
Fortführung seiner Versuche hielt Vortragender nach dem Er¬ 
scheinen der V o 1 h a r d’schen Publikation über Fettverdauung 
für gegenstandslos, und wenn er sie trotzdem zur Sprache ge¬ 
bracht hat, so wollte er damit zugleich die Gelegenheit benützen, 
die ausgezeichneten Versuche Volhard’s in der Gesellschaft 
zur Discussion zu stellen. 


Aus ärztlichen Standesvereinen. 

Aerztlicher Bezirksverein München. 

Sitzung vom 14. Dezember 1901. 

Die Tagesordnung der Sitzung brachte ln erster Linie ge¬ 
schäftliche Interna, wie deu Jahresbericht der Schriftführer, aus 
dem die rege Vereinsthätigkeit im abgeluufenen Jahre in Ziffern 
und Zahlen hervorglug. Hatte doch z. B. unsere Vorstamlschaft 
eine Summe von 27 Sitzungen zu bewältigen gehabt, während der 
Verein als solcher zu 7 Sitzungen Zusammentritt. Dass das Krieg- 
füliren Geld kostet, erscheint nun neuerdings aus dem Berichte 
unseres Schatzmeisters mit der Angabe bewiesen, dass der Streit 
mit der Ortskraukenkasse IV im heurigen Jahre einen peeuniäreu 
Aufwand von 874 M. erforderte. Bei der Vornahme der Vor¬ 
standswahl ging Kollege Dr. Karl Becker nahezu mit Stimmen- 
einheit als erster Vorsitzender aus der Urne hervor. Mit Freude 
begrüssen wir es. dass unsere gesummte übrige Vorstandschaft 
auch für das nächste Jahr wieder gewählt wurde. Möge es ein 
für den Bezirksverein erfolgreiches werden! Mit unbeschränkter 
Zustimmung nahm die Versammlung die Ausführungen des Herrn 
Med.-Rathes Stumpf entgegen, der unserer kampferprobten 
Vorstandschaft den wärmsten Dank des Vereines zum Ausdruck 
brachte und zu treuem Zusammenhalten und energischer Dis- 
ciplin in unseren eigenen Reihen aufforderte. Es folgten noch 
2 Vortrüge: 1. Ueber die ärztlichen Unterstützungsvereine zur 
Fürsorge für die Hinterbliebenen des ärztlichen Standes, in 
welchem Kollege Daxenberger - München die Vortheile des 
Pensionsverelus und des bayerischen Sterbekassavereins ein¬ 
gehend auseinandersetzte, die günstige finanzielle Position der 
beiden Vereine im Vergleiche zu anderen derartigen Standes¬ 
vereinen darlegte und zu lebhafterem Beitritt in dieselben auf- 
aufforderte. 2. sprach Herr Krüclie über die Frage: „Wie 
kommen wir Aerzte aus der Gewerbeordnung. Vortragender wird 
hierüber im Aerztllchen Vereinsblatt ausführlich berichten, worauf 
hier verwiesen sei. 

Aerztlicher Bezirksverein Nürnberg. 

Der Nürnberger ärztliche Bezirksverein hat seine Winterver¬ 
sammlungen am 24. Oktober mit einer bedeutsamen Internen An¬ 
gelegenheit begonnen: mit der Ernennung seines lang¬ 


jährigen ersten Vorsitzenden, Herrn Hofrath 
B e c k h, zum Elirenmitgliede des B e z 1 r k s v e r e i n s. 
In einer Ende Juli stattgefundenen ausserordentlichen Versamm¬ 
lung des Bezirksvereins, in der Herr Hofrath Emmerich über 
den Verlauf des Aerztetages zu Hildesheim Bericht erstattete und 
Herr Neuberger im Anschlüsse daran über die Ergebnisse des 
Aerztetages l>ezUglieh des Leipziger Verbandes kritisch berichtete, 
hatte der Schriftführer. Herr S c h u h, die eminenten Verdienste 
des Herrn Hofrath Beckh erläutert und deu einstimmig ange¬ 
nommenen Antrag auf Ehrung des ersten Vorsitzenden gestellt. 
In der schon üusserlich durch die grosse Zahl der anwesendeu Kol¬ 
legen (circa 90) und den durch Blumenarrangements festlich ge¬ 
schmückten Sitz des Vorsitzenden kenntlichen Festversammlung 
hielt Herr Hofrath Emmerich als zweiter Vorsitzender die 
Festrede. In begeisterten Worten feierte er das langjährige, 
segensreiche Wirken des Jubilars, dem der Nürnberger ärztliche 
Bezirksverein in erster Linie es zu verdanken habe, (lass er gross 
und geeinigt dastiinde, dass Nürnberg als die Hochburg der freien 
Arztwahl bezeichnet würde. Gerade durch die energische, aber 
auch milde Form, in der der Jubilar den ärztlichen Bezirksvereiu 
geleitet habe, seien Erfolge erzielt worden. Zum Schluss? sprach 
der Redner unter mächtigem Beifall der Versammlung den Wunsch 
aus. (lass Herr Hufrath Beckh, so wie er heute der hundertsten 
»Sitzung prasidlre, noch viele Jahre dem Bezirksverein in gleicher 
Weise vorstehen möge. Unter dem Ausdrucke herzlichsten Dankes 
für die hohe Ehre, das grosse Vertrauen und das wahrhaft künst¬ 
lerisch ausgeführte Ehrendiplom versprach Herr Hofrath Beckh 
auch noch fernerhin seine Dienste dem Nürnberger ärztlichen Be¬ 
zirksverein widmen zu wollen. 

Auf der weiteren Tagesordnung standen die Vorlagen zur 
Aerztekammer. Der Antrag der pfälzischen Vereine bezüglich der 
Fürsorge für die Geschlechtskranken wird genehmigt, ebenso der 
Antrag des Münchener Bezirksvereins, dass bei der Novelle des 
Krankenversiclieruugsgesetzes eine Begutachtung durch den er¬ 
weiterten Obermedicinalausschuss oder eine besondere ärztliche 
Kommission Platz greifen solle. Zustimmung erfolgt ferner zu 
den Anträgen bezüglich der Forderung eines erhöhten Luftkubus 
für die Volksschlller und der ministeriell zu erlassenden Aufklärung 
der Gymnasiasten und Realgymnasiasten über die Ueberfüllung des 
ärztlichen Standes. Der Antrag des Nürnberger ärztlichen Be¬ 
zirksvereins, dass auch die übrigen Aerztekammern aufzuforderu 
seien, gelegentlich der Revision des K ran keil versichern u gsgesetzes 
im Buudesrathe auf die Zuziehung von Aerzteu zu dringen, wird 
gutgeheisseu. Hinsichtlich der Gebührentaxen für amtliche Funk¬ 
tionen der Aerzte erklärt Herr Medicinalrath Merkel entgegen 
einer früher ausgesprochenen Ansicht, dass es im Interesse der 
praktischen Aerzte läge, wenn diese für amtsärztliche Leistungen 
nach der privatärztlicheu GebUlirentaxe sich honoriren Hessen. 
Eine lebhafte Debatte rief der vom Münchener ärztlichen Bezirks¬ 
verein gestellte Antrag hervor, behufs Unterdrückung der Kur¬ 
pfuscherei und der Geheimmittelreklame einen der Hamburger Ver¬ 
ordnung vom 1. Juli 1900 entsprechenden Regierungserlass herbei¬ 
zuführen. Dem Münchener Anträge wird zugestimmt, doch ver¬ 
spricht sich Herr Medicinalrath Merkel nur aussichtsvolle 
Besserung durch ein Reichsgesetz, wozu bereits einleitende Schritte 
erfolgt seien; Herr Landau befürwortet eine Ueberwachung des 
Kurpfuschergewerbebetriebs. Mit Bedauern wird dann von ver¬ 
schiedenen Rednern konstatirt, dass, während die socialdemokra- 
tische Presse, speciell der Vorwärts, Kurpfuscherannonceu ablehne, 
hier in Nürnberg die verbrelteste Tageszeitung zahlreichen Inse¬ 
raten von Heilkünstlern Aufnahme gewähre. 

Sodann referirt Herr W e 1 s s sehr eingehend über den bis¬ 
herigen Verlauf der Berathungen der ärztlichen Ehrengerichts¬ 
und Standesordnung im diesjährigen Abgeorduetenkammeraus- 
seliusse, erwähnt die von deu verschiedenen Bezirksvereineu er¬ 
lassenen Protestkundgebungen, spricht sich sehr energisch gegen 
das Referat des Herrn v. Landmann ans und beantragt, unter 
besonderer Betonung, dass gerade das Ehrenmitglied des Nürn¬ 
berger ärztlichen Bezirksvereins, Herr Medicinalrath Merkel, 
der Vater des Entwurfs sei, eine deu übrigen bayerischen Bezirks¬ 
vereinen analoge Resolution. Es wird einstimmig beschlossen, 
die Vorstamlschaft mit der Abfassung der Resolution uud deren 
Uebermittlung an das Abgeordnetenhaus zu betrauen. 

In der Sitzung vom 27. November gedachte zuuäclist der Vor¬ 
sitzende, Herr Hofrath Beckh, dos mitten im Kampfe um die 
Standesinteressen in den Sielen verstorbenen Herrn Ilofrath 
Nähe r. Zum Zeichen der Anerkennung der hohen Verdienste 
des Verblichenen erhob sich die Versammlung von ihren Plätzen. 

Der Schriftführer, Herr Schuh, gibt bekannt, dass bei der 
von der mittelfränkischen Aerztekammer veranstalteten EnquGte 
hinsichtlich der Zahl der dem Regierungsentwurfe der Standesord¬ 
nung zustimmenden Kollegen nur 2 Aerzte sich ablehnend ver¬ 
halten hätten, da — ursprünglich waren es nach dem Berichte der 
Tagespresse 8 Kollegen — uaehtrügUeh noch 0 Kollegen ihre Zu¬ 
stimmung ausgesprochen hätten, weil sie nur bezüglich Details 
der Standesordnung divergenter Ansicht seien. Eine schou im 
vorigen Jahre in's Leben gerufene Kommission des ärztlichen Be¬ 
zirksvereins gegen die Kurpfuscherei soll nunmehr ihre Thätigkeit 
beginnen. Zu Mitgliedern der Kommission werden die Herren 
Landau (Obmann), H. Koch (Delegirter der Vorstandschaft), 
Kirste, Frankenburger und P. G i u 11 n i ernannt. 

Der Antrag des Herrn Neuburger, dass die Gemeinde¬ 
krankenkasse die sogen. „Nothfälle“ honorire und in die Be¬ 
rechnung des Staffeltarifs einreihe, wird angenommen. Ueber den 


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MUEttCÜENEß &EDiCItfISCäE WOCHENSCHRIFT. 


tto. 62 . 


Begriff „Nothfall“ entsteht eine sehr ausgedehnte Discussion. Die 
Vonstandschnft wird sich mit dieser Frage noch weiterhin be¬ 
schäftigen. Herr Landau beantragt, dass bei Kranken, deren 
Behandlung von Versicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften 
etc. nach Beendigung der 13. Woche der Gemeindekrunkenkasse 
übertragen wird, die Minimaltaxe der privatürztlichen Gebühren¬ 
ordnung in Anwendung zu bringen sei. Der Antrag findet allge¬ 
meine Zustimmung. Auf Antrag des Herrn Seiler spricht der 
Nürnberger ärztliche Bezirksverein aus. dass es unstatthaft 
sei, dem Deutschen Versicherten verbände, dessen 
TbUtigkeit schon auf dem diesjährigen Aerztetage eine abfällige 
Kritik erfahren hatte, als Vertrauensarzt zu dienen. 

Die Gemeindekrankenkasse hat eine Liste derjenigen Personen 
aufgestellt, die Krankengeld bezogen, aber gesund waren, ar¬ 
beiteten etc. Herr A. Beckh beantragt, die Gemeindekranken- 
kassen aufzufordem. von solchen betrügerischen Vorkommnissen 
den behandelnden Arzt später in Kenutniss zu setzen. Herr Ilof- 
rath Emmerich stellt den Antrag, dass nur denjenigen Patien¬ 
ten wöchentliche Krankheitsatteste ausgestellt werden, die sich 
entweder dem Arzte selbst vorstellen oder vom Arzte besucht 
werden. Beide Anträge werden acceptirt. Herr Neuberger 
begründet schliesslich seinen bei der Vorstandschaft eingereichten 
Antrag, dass der Nürnberger ärztliche Bezirks¬ 
verein der Centrale für freie Arztwahl bei¬ 
treten solle. Der Antragsteller verbreitet sich über die Ziele 
der ..Centrale", erwähnt, dass in Bayern der Münchener Verein 
für freie Arztwahl und der Bezirksvereiu Südfranken der „Cen¬ 
trale“ bereits angehören, und dass es Pflicht des Nürnberger ärzt¬ 
lichen Bezirksvereins sei, derartige Bestrebungen zu unterstützen, 
zumal — nach persönlichen Mittheilungen von Seiten des Vorsitzen¬ 
den der Centrale — der Mitgliedsbeltrag für Vereine demnächst 
um die Hälfte reduzlrt werden solle. Gegen den Antrag erfolgt 
kein Widerspruch. . N. 


Auswärtige Briefe. 

Berliner Briefe. 

(Eigener Bericht.) 

Kurse über erste Hilfeleistung. — Zehn Jahre freie Arzt¬ 
wahl. — Kassenarztfrage und Leipziger Verband. — Gebet¬ 
heilungen. 

Nach altem Brauch ist der Monat Dezember den General¬ 
versammlungen gewidmet; wesentliche Neuerungen sind weder 
in den Standes- noch in den anderen Vereinen beschlossen wor¬ 
den; am meisten Interesse dürfte die Generalversammlung des 
Ae.rztevereins der Rettungsgesellschaft bieten, in welcher über 
eine erfreuliche Ausdehnung der Thätigkeit dieses Instituts, so¬ 
wie über den Plan einer vielen Aerzten gewiss willkommenen 
Neueinrichtung berichtet wurde. Es besteht die Absicht, in 
erster Reihe für die Aerzte des Vereins, sodann aber auch für die 
Berliner Aerzte überhaupt Kurse über die erste ärztliche Hilfe 
cinzurichten. Es ist das eine Lücke in der ärztlichen Aus¬ 
bildung, die vielleicht nur selten eingestanden, aber von Vielen 
empfunden wird. Das Universitätsstudium bietet nur Wenigen 
Gelegenheit, sich gerade bei solchen Ereignissen, bin denen so¬ 
fortiges Eingreifen unbedingt erforderlich ist, praktisch zu be- 
thätigen. Dahin gehört die Einleitung der künstlichen Athmung, 
die kunstgerechte Einführung des Magenschlauchs, die Lagerung 
des Verletzten, die Anordnung des sachgemässen Transports und 
viele andere Dinge, in denen Heilgehilfen und Krankenwärter 
ausgebildet und geübt sind, die wohl auch jeder Arzt theoretisch 
kennt, die aber im gegebenen Fall nicht Jeder mit der nöthigen 
Sicherheit und Entschlossenheit auszuführen im Stande ist. Mit 
der Einführung des praktischen Jahres wird das wohl anders 
werden; aber von der jetzt thätigen Aerztegeneration sind Viele 
ohne vorausgegangene Krankenhausthätigkeit in die Praxis ein¬ 
getreten, und diese werden mit Freuden die Gelegenheit wahr¬ 
nehmen, auch auf diesem so ungemein wichtigen Gebiete ärzt¬ 
licher Thätigkeit sich auf der Höhe des ärztlichen Wissens und 
Könnens zu erhalten. 

Die diesjährige Generalversammlung des „Vereins der frei 
gewählten Kassenärzte“ bietet ein gewisses historisches Inter¬ 
esse, denn sie fiel zusammen mit dem 10 jährigen Jubiläum dieses 
Vereins und bildet auch charakteristischer Weise die einzige 
„Feier“ dieses Jubiläums; denn der Verein hat es sich stets ver¬ 
sagt, durch Stiftungsfeste die errungenen Erfolge zu verherr¬ 
lichen, sondern in rastloser Thätigkeit zur Förderung kollegialer 
Interessen seine ausschliessliche Aufgabe gesehen; und doch kann 
er mit Stolz auf die Erfolge, welche in den 10 Jahren erreicht 
wurden, und auf die Anerkennung, welche er sich trotz vielfacher 
Anfeindungen ertrotzt hat, zurückblicken. Es war ein Novum 


in der Geschichte des Krankenkassenwesens, als vor 10 Jahren die 
Ortskrankenkasse der Maschinenbauer, welche 14000 Mitglieder 
zählte, sich entschloss, die freie Arztwahl einzuführen; und die 
Zahl derer war nicht gering, welche ein negatives Ergebniss dieses 
Experiments voraussagten; heute wird die Lebensfähigkeit der 
freien Arztwahl nirgends mehr ernstlich in Zweifel gezogen. Der 
zur Versorgung der 14 000 Kassenmitglieder nach dem neuen 
Prineip gegründete „Verein der frei gewählten Kassenärzte“ um¬ 
fasste damals 600 Mitglieder, und schon im nächsten Jahre wurde 
ihm die ärztliche Behandlung mehrerer anderer Kassen über¬ 
tragen, und Anfang 1894 betrug die Mitgliederzahl derjenigen 
Kassen, welche die freie Arztwahl eingeführt hatten, fast 150 000. 
Dann aber begannen die eigentlichen Schwierigkeiten des 
Vereins; mit Unbehagen sah mancher Kassengewaltige, wie die 
Macht seinen Händen entwunden wurde, von Seiten der Behörden 
wurden den umstiirzlerischen Bestrebungen des Vereins durchaus 
keine Sympathien entgegengebracht, und auf formale Gründe ge¬ 
stützt, verfügte der Magistratskommissar für eine Reihe von 
Krankenkassen, dass die Vertrüge mit dem „Verein der frei ge¬ 
wählten Kassenärzte“ nicht erneuert werden dürfen. Dadurch 
schien der Verein damals ernstlich in’s Wanken zu gerathen, und 
leider erstand ihm auch zugleich eine nicht sehr rühmliche 
Gegnerschaft aus einer kleinen Gruppe der Berliner Aerzte selbst, 
welche einen Gegenverein, den „Verein Berliner Kassenärzte“, 
gründeten. Aber aus all’ diesen, oft recht harten Kämpfen ist 
schliesslich die freie Arztwahl doch siegreich hervorgegangen. 
Der „Verein der freigewählten Kassenärzte“ welcher jetzt mehr 
als 1500 Aerzte umfasst, hat es verstanden, seinen Platz un¬ 
bestritten zu behaupten und viele seiner früheren Gegner zu 
Anhängern zu machen. Während es früher ein Magistrats¬ 
kommissar war, der ihm beinahe den Todesstoss versetzt hätte, hat 
ihm jetzt die Betriebskrankenkasse der Stadt Berlin von Anfang 
an die Behandlung ihrer Mitglieder übertragen. Während er 
früher von dem Vorstande der Aerztekammer auf das Heftigste 
angefeindet wurde, entsendet jetzt die Stadt Berlin und ihre Vor¬ 
orte fast nur Anhänger der freien Arztwahl in die Aerztekammer. 
Während früher ein schroffer Gegensatz zwischen „fixirten“ und 
„frei gewählten“ Kassenärzten bestand, gehört jetzt ein grosser 
Theil der fixirten selbst dem Verein an, und mit Befriedigung 
kann der Verein konstatiren, dass seine Bestrebungen in ganz 
Deutschland Anerkennung und Nachahmung gefunden haben. 

Als vor Jahresfrist von Leipzig aus der Ruf an alle deutschen 
Aerzte erging, sich zu einem Schutz- und Trutzverbande zur Ab¬ 
wehrung der unerträglichen Uebergriffe der Krankenkassen zu- 
sammenzuschliessen, da war es gerade der Vorstand des Vereins 
der frei gewählten Kassenärzte, welcher vor der allzu scharfen 
Tonart warnte und von einer friedlichen Entwicklung der Dinge 
sich grösseren Erfolg versprach. Bekanntlich hat der Leipziger 
Verband sich diesen Anschauungen, inzwischen genähert und da¬ 
durch sicherlich die Zahl seiner Anhänger vermehrt. In einer 
allgemeinen Aerzteversammlung, welche von der Ortsgruppe Ber¬ 
lin einberufen war, setzte der Begründer des Verbandes, Heri 
Kollege Hartmann, die Zwecke und Ziele des Leipziger Ver¬ 
bandes auseinander. Er schilderte zunächst die bekannten Miss¬ 
stände, die das ärztliche Berufs- und Erwerbsleben bedrücken, 
den Schaden, der durch die Freigabe des Kurirens, durch die ge¬ 
rade in Sachsen besonders üppig wuchernde Kurpfuscherei, durch 
die Ueberfüllung des Aerztestandes, den im Anschluss an die 
Krankenkassengesetzgebung noch erhöhten Zudrang zum medici- 
nischen Studium entstanden ist. Das durch die Ueberproduktion 
hervorgerufene übermässige Angebot von Kassenärzten machten 
sich die Kassen Vorstände zu Nutze, die Bewerber wurden vielfach 
auf das Unwürdigste behandelt, Kaeeenarztstellen mitunter ge¬ 
radezu erkauft, und die Kassenärzte waren jeder Willkür und 
jeder Laune des Vorstandes unterworfen. Wo diese Zustände 
allzu unerträglich wurden, kam es vielfach zu Aerzteausständen, 
die, an sich ein peinliches und unerfreuliches Vorkommniss, 
z. Th. auch in Folge der Intervention der Behörden nicht immer 
den Wünschen der Aerzte entsprechend beendet wurden. Bei 
diesen Ausständen zeigte es sich immer, dass die Schaffung eines 
Fonds unerlässlich sei, aus welchem ein in seiner Existenz durch 
eine Krankenkasse bedrohter Arzt geschützt, von Orten, in denen 
Streitigkeiten zwischen Aerzten und Krankenkassen bestehen, der 
Zuzug fern gehalten, geeignete Stellen zur ärztlichen Nieder¬ 
lassung nachgewiesen und die öffentliche Meinung über kassen- 


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24. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2131 


ärztlicho Verhältnisse aufgeklärt werden könne. Vor Allem sei 
ein Zusammenschluss aller Fachgenossen nöthig, um eine grosse 
Organisation zu gründen, welche der Organisation der Kranken¬ 
kassen mit gleichen Machtmitteln gegenüberstehe. Diesen Zweck, 
den weder der Deutsche Aerztevereinsbund noch die staatlichen 
Organisationen zu erreichen im Stande waren, wolle der Leipziger 
Verband erstreben; er wolle auch keinen Krieg gegen die Kassen 
führen und in deren Rechte in keiner Weise eingreifen, sondern 
auf friedlichem Wege die Rechte der Aerzte gegenüber den Kassen 
schützen. In der Besprechung des mit grossem Beifall aufgenom¬ 
menen Vortrages wurde mit Befriedigung auf diesen letzteren 
Punkt hingewiesen, der eine Wandlung in den ursprünglichen 
Tendenzen des Verbandes bedeute, und zugleich der Wunsch aus¬ 
gesprochen, dass der Verband nicht nur theoretisch, sondern auch 
praktisch für das Prinzip der freien Arztwahl eintrete. 

Das erste Jahr des zwanzigsten Jahrhunderts, welches die 
grossartigen Errungenschaften des Zeitalters des Dampft« und 
der Elektrizität weiter auszubauen und das Licht der Aufklärung 
in die weitesten Kreise zu tragen berufen ist, ist noch nicht zu 
Ende gegangen, und wir sehen in dem Lande der Denker, in der 
Centrale der Intelligenz einen Unfug Boden gewinnen, wie wir 
ihn ärger uns kaum in den schwärzesten Zeiten des Mittelalters 
denken können. „Gebetheilung“ heisst diese neueste Blüthe am 
Baume der Kurpfuscherei, ihre Wiege steht in Amerika, und von 
dort hat sie jetzt ihren Weg über den Ozean gefunden. Stifterin 
der neuen Lehre ist eine 80 jährige Greisin, welche angeblich von 
den Aerzten aufgegeben war, aber während sie im Sterben lag, 
in der Bibel eine Verheissung las, ein Gebot sprach und sofort 
gesund war. Nun studirte sie fleissig weiter die Bibel und suchte 
nach ähnlichen Verheissungcn, die Frucht dieser Arbeit war ein 
grosses Werk, welches die Anleitung zur Gebetheilung enthält. 
Die Erlöserkraft zu heilen — das ist der Grundgedanke ihrer 
Lehre — ist auch auf uns gekommen, wir müssen sie nur zu 
gebrauchen verstehen; die Krankheit ist eine Art Geistesstörung, 
sie existirt nur in Gedanken und Anschauungen, vor Allem ist 
sie eine Folge der Furcht und diese muss ausgerottet werden; 
das kann durch das Gebet derer, die die Erkenntniss gewonnen 
haben, der Scientisten, geschehen; mit dieser Fähigkeit zu heilen 
sind die Sendlinge der alten Dame, die nun Berlin beglücken, 
ausgerüstet. Aber man ist sehr im Irrtlium, wenn man glaubt, 
dass diese Heilkunst, die doch ihre Quelle in der Bibel hat, 
nun auch ad majorem Dei gloriam ausgeübt wird; sie bildet viel¬ 
mehr für den Scientisten eine sehr ergiebige Milchkuh, denn jede 
Gebetsitzung kostet 2 M., 20—30 Sitzungen pro Tag sind für 
einen Scientisten keine übermässige Leistung, und ein Unter¬ 
richtskursus zur Erlernung der Gebetheilung kostet 400 M. Wie 
mancher Arzt blickt da wohl resignirt auf seinen Steuerzettel 
und fragt sich, warum er sich mit Studium und verantwortungs¬ 
reicher Arbeit abquälen muss, wenn man als Scientist so mühelos 
zum Erwerb kommen kann. Denn zur Heilung ist nichts weiter 
nöthig al9 das Gebet des Heilere. Der Kranke braucht gar nicht 
anwesend zu sein, er muss nur einigermassen in das Prinzip ein¬ 
geweiht sein, damit er nicht aus Unwissenheit der Heilung ent¬ 
gegenarbeitet. Das ist wieder ein sehr feiner Tric, denn er dient 
zur Unfehlbarkeitserklärung der Methode. Wird ein Kranker 
nicht geheilt, so liegt das eben nicht an der Methode, sondern 
an dem Kranken, der durch seinen mangelnden Glauben die Hei¬ 
lung gehindert hat, und im äussersten Nothfall muss der Zweifel 
der Umgebung des Patienten als Ursache für den Misserfolg her¬ 
halten. Dass eine solche heilverkündende Botschaft einen mäch¬ 
tigen Einfluss auf die grossen Massen ausübt, hat für den Kenner 
der Volksseele nichts Uoberraschendes, und thatsächlich ist auch 
das Haus, in dem die Gebetheilungen stattfiuden, weit mehr be¬ 
sucht, als die Sprechstunde des berühmtesten Arztes. 

M. K. 


Wiener Briefe. 

(Eigener Bericht) 

W i e n, 21. Dezember 1901. 

Alltägliches in der kleinen Chirurgie. — Concretio peri- 
cardii mit Leber- und Milzschwellung. — Ein Fall von Fliegen¬ 
larvenerkrankung des Darmes. 

„Alltägliches in der kleinen Chirurgie“ — war der Titel 
eines Vortrages, welchen Reg.-Rath Dr. Gersuny im Wiener 


medic. Doktoren-Kollcgium hielt. Er besprach vorerst die Be¬ 
handlung des Furunkels. Da sieht man im Beginn ein kleines 
eiteriges Knötchen, welches einen vereiterten Haarfollikel dar¬ 
stellt. Man nehme ein kleines Holzstäbchen und tauche es in 
rauchende Salpetersäure; eine Spur der Säure verätzt das Knöt¬ 
chen und es gelingt in dieser Weise recht oft, den Furunkel im 
Entstehen zu coupiren. Sind aber schon einige Tage vorüber, 
dann findet man in der Tiefe um das Haar einen graugrünlichen 
Cylindcr, welcher in das subkutane Gewebe hineinführt. Nun 
senke man von der Spitze des Infiltrates aus ein Skalpell in die 
Tiefe und entferne mittels eines kleinen scharfen Löffels das 
nekrotische Gewebe, fülle die kleine eylindrisclie Höhle mit Der¬ 
matol oder einem anderen antiseptisehen Pulver aus, bedecke mit 
Zinkpasta oder essigsaurer Thonerde. Man wird rasche Heilung 
erzielen. Bekommt man endlich den Furunkel im Zustande der 
„Reife“ zu Gesicht, dann inzidiro man mit dem Skalpell und 
evidire mit dem scharfen Löffel. Die gebildete Höhle wird ein¬ 
mal (mit Jodoformgaze) ausgestopft, später, ohne Umschläge, 
trocken behandelt, um so die Verschleppung des Eitere zu ver¬ 
hüten. Multipel entstandene kleine Furunkelknötchen behandelt 
man am besten mit dem scharfen Löffel oder Galvanokauter. 

Eine eigenartige Affektion ist die sogen. Furunkulose der 
Kinder. Man sieht da, an der ganzen Körperoberfläche zerstreut, 
zahllose, subkutane, also mit der Oberfläche nicht kommuni- 
zirende, winzige Abszesschen. Eröffnet man ein Dutzend und 
bestellt das Kind für den nächsten Tag, so sind wohl ebenso viele 
neu entstanden. Man muss also den Mutli haben, sämmtliche 
Abszesschen in einer Sitzung zu eröffnen, indem man sie einzeln 
mit einer Ilaarfalte aufhebt, mit einem spitzen Skalpell eröffnet 
und den Eiter ausdrückt. Kein Verband, w'ohl aber warmes Bad. 

Auch den Anthrax oder Carbunkel möge man möglichst früh 
incidiren. Macht man dabei die vielfach benützten Kreuz- oder 
Gitterschnitte, so setzt man eine grosse, klaffende Wunde, welche 
lange Zeit zur Heilung braucht. Man gehe so vor, dass man vom 
Gesunden aus gegen das Centrum hinstrahlende, aber dieses 
freilassende Einsclinitte verschiedener Länge in das derb infil- 
trirte Gewobe mache, sodann mit dem scharfen Löffel durch jede 
der strahlenförmig angelegten Incisionen eingehe und das nekro¬ 
tische Gewebe zerwühle. In die Incisionen lege man das erste 
Mal Jodoform- oder Dermatolgaze, später bloss Streifen von 
Guttaperchapapier und darüber die Gaze. Der in dieser Weise 
operirte Anthrax heilt rascher. Einen kleinen Carbunkel wird 
man mit Erfolg auch ganz excidiren. 

Das beginnende Panaritium wird man oft rasch zur Heilung 
bringen, indem man die kleine Höhle eröffnet und öfters fest aus¬ 
drückt. Hat man es mit einem tiefer gehenden entzündlichen 
Process zu thun, so incidire man ebenfalls sofort, auch wenn noch 
kein Eiter nachweisbar ist. Will man mit der Prava z’schen 
Spritze den Eiter in der Tiefe nachweisen, so gehe man so vor, 
dass man in die Spritze eine Cocainlösung thue, einsteche, einige 
Tropfen der Lösung injicire und nun erst den hiedurch ver¬ 
dünnten Eiter aspirire. Es ist nicht nothwendig, hier breit zu 
incidiren, sondern man mache eine kleine Incision, gehe sodann 
mit einer spitzen Kornzange in die Tiefe, öffne deren Schenkel, 
sobald man in eine freie Höhle gekommen ist und lege ein Drain¬ 
rohr ein, welches den Eiterabfluss sichert. In derselben Weise, 
nämlich durch Einstossen einer spitzen Komzange, und brüskes 
Oeffnen derselben, kann man auch die Höhle eines retro¬ 
pharyngealen Abscesses bei Kindern zur Entleerung bringen. 
Der bis zur Kuppe des Abscesses eingeführte Finger des Opera¬ 
teure ist selbstverständlich durch einen Metallfingerring zu 
schützen, der Kopf des Kindes, nach der Eröffnung des Abscesses, 
stark nach vorne zu neigen. Periproctale Abscesse eröffne man 
in gleicher Weise, tamponire bloss einmal die Höhle und halte 
sie sodann durch Einführen eines Drains oder eines Streifchens 
Guttaperchapapiere so lange offen, als die Eiterung der Höhle an¬ 
hält. Da9 ist viel weniger schmerzhaft und führt rascher zur 
Heilung. Wundflächen nach Verbrennungen etc. bedecke man 
mit Guttaperchapapier, welches mit Borvaseline oder mit einer 
Lapissalbe bestrichen ist. Der Wechsel eines so angolegten Ver¬ 
bandes ist gar nicht schmerzhaft. 

Die Dermatitis serpiginosa, ein oberflächlich verlaufender, 
oft recht hartnäckiger Process, wird am besten zur Heilung ge¬ 
bracht, indem man die sich leicht ablösende Epidermis abträgt 
und den (nässenden) Grund mit einer Lapislösung betreicht. 


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2132 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


Statt der Lapislösung: kann man auch einen Umschlag mit recti- 
fioirtem Alkohol applieiren, wie denn überhaupt dieses letztere 
Mittel häufiger Verwendung finden sollte, so bei Verbrennungen, 
wo es schmerzstillend wirkt und Blasenbildung verhindert. 
Waschungen mit Alkohol beseitigen auch rasch die Intertrigo, die 
sich z. B. bei grossen Brustdrüsen fetter Frauen einstellt. 

Schliesslich besprach der Vortragende noch die Behandlung 
des eingewachsencu Nagels und des Erysipelas migrans. Sehr 
häufig gelingt die Heilung, wenn man die scharfe Ecke des 
Nagels, welche gegen den Nagelfalz drückt, durch eingelegtes 
Verbandzeug abhebt und das Ganze mittels Pflasterstreifens fixirt. 
Will man aber radical operiren und die betreffende Nagelhälfte 
ganz entfernen, so muss man die Matrix durch Kali caustieum 
zerstören, um ein Recidiv zu verhüten. Das Erysipel bekämpft 
man am besten durch alle jene Methoden, welche den Luftzutritt 
zu der erkrankten Partie abhalten, durch Bestreichen mit weisser 
Leinfarbe oder mit Leinölfirniss (Siccativ), durch Applikation 
einer 30 proc. Ichthyolsalbe, Abgrenzen durch Aufkleben von 
Guttaperchapapier u. dergl. m. Empfehlung verdienen auch 
wiederholte Waschungen mit Alkohol. Die schlechteste Behand¬ 
lung ist wohl die mit Applikation von Umschlägen, während die 
oben erwähnten Methoden in ca. 50 Proc. der Fälle raschen Tem¬ 
peraturabfall und Zurückgehen des Processes beobachten lassen. 

In der Gesellschaft für innere Mediein stellte Assistent 
Dr. Wilh. Türk einen Fall von Coneretio pericardii mit be¬ 
sonderer Schwellung der Leber und namentlich der Milz vor. 
Die Diagnose ist trotz Fehlens aller Lokalsymptome am Herzen 
durch die Anamnese (Perikarditis vor 2 Jahren) und durch die 
rein kardiale Natur der siimmtlichen subjektiven Beschwerden 
sichergestellt, da ein Klappenfehler ausgeschlossen ist und bei 
dem 18 jährigen Kranken jedes andere aetiologische Moment 
für die myokardiale Insufficienz fehlt. Die besondere Ver- 
grösserung der Leber ist als ein geradezu gewöhnliches Symptom 
der Coneretio pericardii nicht auffallend. Ungewöhnlich ist aber 
der bis weit unter den Nabel, nach rechts bis zur Mittellinie 
reichende, gleichmässig derbe Milztumor, der bei flüchtiger Unter¬ 
suchung den Verdacht einer Leukaemie oder Pseudoleukaemie 
erwecken muss. Der Blutbefund ist jedoch negativ, ebenso fehlen 
— wie Türk ausführt — die Anhaltspunkte, welche eine andere 
Diagnose zuliessen, wesshalb der Milztumor trotz seiner ganz un¬ 
gewöhnlichen Grösse mit dem perikardialen Processe in Zusam¬ 
menhang gebracht wird. Einen ganz analogen Fall hat Vor¬ 
tragender bei einem etwa 14—15 jährigen jungen Mann be¬ 
obachtet, wo ebenfalls die akute Perikarditis ärztlich beobachtet 
worden war, und der später hervortretende sehr grosse Milztumor 
den Verdacht auf Leukaemie erweckte, die Coneretio pericardii 
aber wegen gleichzeitiger Accretio cordis auch geradezu unver¬ 
kennbare Lokalsymptome erzeugte. Es scheint, dass jugendliche 
Individuen zu derartig hervortretenden Milzschwellungen beson¬ 
ders geneigt sind. 

Bei der Discussion über das Thema Myiasis intestinalis be¬ 
richtete Regimentsarzt Dr. Josef Feix über einen Fall von 
Fliegenlarvenerkrankung des Darmes, welchen Fall er heuer im 
Lagerspitale in Bruck zu beobachten Gelegenheit hatte. Der 
Mann, ein Artillerist, erkrankte unter heftigen Brustschmerzen, 
häufigem Stuhldrang und Kopfschmerz; die Stuhlentleerungen 
waren flüssig, jedoch nicht bluthaltig. Therapie: Kalomel 0,30 
als Dosis, ein Pulver. Tags darauf flüssiger Stuhl, in welchem 
sich 200—300 Fliegenmaden befanden. Nun Hessen die koHk- 
artigen Schmerzen und der Stuhldrang nach. Patient erhielt zwei 
weitere Kalomelpulver. Tags darnach sollen nach Angabe des 
Mannes mit dem Stuhle wieder Fliegenlarven abgegangen sein, 
ärztlich konstatirt ist es aber nicht. . Eine hohe Darmirrigation 
ergab jetzt kein weiteres positives Resultat. Der Mann genas 
rasch und ist bisnun gesund geblieben. 

In unseren vorwöchentlichen Briefe hat sich ein kleiner Irr¬ 
thum eingeschlichen, den wir zu berichtigen bitten. Die „Fleisch¬ 
probe zur Funktionsprüfung des Darmes“ rührt nicht von Dr. 
Walter Zweig, sondern von Prof. Schmidt in Bonn her und 
Ersterer hat die mit dieser Probe bei mehreren Kranken erzielten 
Präparate demonstrirt, sodann über die Ergebnisse der Therapie 
berichtet, welche von ihm auf Grund dieser Probe eingeleitet 
wurde. 


Verschiedenes. 

Kalender für das Jahr 1902. 

Für das herannabende neue Jahr sind uns nachstehende ärzt¬ 
liche Kalender und Taschenbücher zugegangeu: 

Medici nal-Kaleuder 1902. Uerausgegeben von Dr. 

R. Wehmer, Regieruugs- und Medicinalrath in Berlin. Verlag 
von A. H i r s c h w a 1 d ln Berlin. 2 Theile. L. Theil. solid in 
Leder gebundenes Taschenbuch, mit Tageskalender in 2 Halb¬ 
jahresheften und Text (Heilapparat, Verordnungslehre, diagnosti¬ 
sches Nachschlagebueh). II. Theil: Verfügungen und Personalien 
des Civil- und Militär-MediciualWesens im deutschen Reich, mit 
alphabetischem Namen- und Ortschaftsregister. 

Reichs - Medlcinalkalender 1902. Herausgegebe» 
von J. S c h w a 11» e. Verlag von G. Thierne ln Leipzig. Preis 
5 M. I. Theil: Tageskalendarium in 4 Quartalsheften und ge¬ 
schäftliches Taschenbuch, in Leder gebunden, enthaltend 20 Nach- 
schlagenrtikel. darunter „Anwendung, Dosirung und Arzneifonn 
der gebräuchlichen, der neu eingeführteu und der im Arzneibuch 
für das deutsche Reich 1900 enthaltenen Heilmittel“ von O. Lieb¬ 
reich. Der II. Theil, der die neueste Medicinalgesetzgebung und 
die Personalien der deutschen Aerzte enthalten wird, steht noch 
aus. 

Fischer’s Kalender für Mediciner. Herausgegebeu 
von Dr. A. Seidel. 1902. Berlin, Verlag von F l s c h e r's 
medic. Buchhandlung H. Kornfeld. Taschenbuch mit Notiz¬ 
kalender und Originalartikeln. Preis 2 M. 

Medlcinalkalender und Recepttaschenbuch 
1902. Herausgegeben von H. Lohnstein. Verlag der Allg. 
med. Centralztg. in Berlin. Taschenbuch, ln Leder gebunden, mit 
zahlreichen Nachschlageartikeln und Tageskalender in 4 Quartals¬ 
heften. Preis 2 M. 

Lorenz’ Taschenkalender für die Aerzte des 
Deutschen Reiches auf das Jahr 1902. Berlin, Verlag von 

S. Rosenbaum. Preis 2 M. Taschenbuch mit Naclischlage- 
artikeln und 4 Quartalsheften. 

Medlcinischer Taschenkalender für das Jahr 
1902. Herausgegeben von K i o n k a, P a r t s c h, A. u. F. Lepp- 
m a n n. Verlag von Vogel & Kreienbrink in Berlin. 
Taschenbuch und 12 Monatshefte. 

Aerztliches Vademecum und Taschenkalen¬ 
der für das Jahr 1902. Zusammengestellt von Dr. Arno 
K r li c h e. München, Verlag der Aerztl. Rundschau (O. G m e - 
11 n). Taschenbuch mit 4 Quartalsheften. Preis 2 M. 

Taschenbuch für C i v i 1 ä r z t e 1902. Herausgegeben 
von Dr. H. Adler. Verlng von M. Perles in Wien. Taschen¬ 
buch mit Nachschlagekalender und dem Verzeichniss der Aerzte 
in Wien; Tageskalender. Preis 3 Kr. 20. 

Deutscher Militärärztlicher Kalender für 
die Sanitätsoffiziere der Armee, der Marine und der Schutztruppen. 
Herausgegeben von Prof. K r o c k e r und Dr. F r i e d h e i m. 
1902. Hamburg, Verlag von Gebrüder L ü d e k I n g. I. Theil. 
Taschenbuch mit Nachschlageartikeln, Tageskalendarium in zwei 
Halbjahreshefteu, zwei Beihefte: Dienstliche Zelteingaben und 
Krankenlisten. Theil II: Verordnungen und wissenschaftliche 
Uebersichtsartikel. Theil III: Ranglisten. Endlich eine Beilage: 
Täfelchen zur Prüfung feinen Farbensinns von Prof. H. Cohn 
in Breslau. Preis 4 M. 50 Pf. 

Allgemeiner hygienischer Kalender für das 
Haus 1902. Herausgegeben von G. F 1 a t a u. Verlag von 
Vogel & Kreienbrink in Berlin. Enthält zahlreiche be- 
merkeuswerthe populär-medlcinische Artikel. 

Deutscher Kalender für Krankenpflege- 
rlnnneu und Krankenpfleger auf das Jahr 1902. 
Herausgegeben von Dr. Georg Meyer, Frankfurt a/M. Verlag 
von J. R o s e n h e i m. I. Abtheilung: Kalendarium nebst Notiz¬ 
blättern. II. Abtheilung: Wissenschaftliche Abhandlungen. Dazu 
ein Beiheft: Die für das Pflegepersonal wichtigsten Bestimmungen 
der deutschen Reichs- und Landesgesetzgebung. Preis M. 1.T0. 

Galerie hervorragender Aerzte und Naturforscher. 
Der heutigen Nummer liegt das 121. Blatt der Galerie bei: Her¬ 
mann Löhlein. Nekrolog siehe S. 2114. 

Therapeutische Notizen. 

Prophylaktische Schmierkuren empfiehlt Dr. 
H e d d ä u s - Essen a. d. Ruhr allen Eltern, die Grund haben zu 
glauben, dass sie nicht ganz frei von Syphilis sind, d. h. von der¬ 
jenigen Krankheit von welcher man als einziger mit aller Be¬ 
stimmtheit welss, dass sie sich vererben kann und mit unheimlicher 
Regelmässigkeit sich vererbt. Oft würde genügen, wenn die Frau 
schmiert, weil von ihrem Wohlsein doch wohl mehr als von dem 
des Mannes die Gesundheit der Kinder abhängt; sicherer Ist es, 
wenn beide schmieren. Wenn auch durch andere Maassnahmen, 
wie Bade- und Terrainkuren, durch Massage, sowie durch Alles, 
was den Stoffwechsel tüchtig anregt, eventuell dasselbe zu er¬ 
reichen wäre, so ist die Schmierkur doch der einzige Weg, welcher 
auch den Unbemittelten zugänglich ist, und wohl auch derjenige, 
welcher am schnellsten und sichersten zu dem ersehnten Ziele, 
d. h. der Befreiung des Körpers von dem syphilitischen Gift, führt. 
(Allg. med. Central-Ztg. 1901, No. 83.) P. H. 

Ueber die Heissluftbehandlung der Gelenke 
mittels der B i e Fachen Heissluftkästen berichtet Dr. Mohr- 
Bielefeld. Man beginnt, da die Empfindlichkeit der Kranken 


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24. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2133 


gegenüber der Hitze individuell äusserst verschieden Ist, die Be¬ 
handlung mit niedrigen Wärmegraden (80—90° C.) und steigt bis 
100—230—150° C. Die Anwendungsdauer ist je nach der Erkran¬ 
kung und der individuellen Empflndungsart verschieden und be 
trägt 2 mal täglich y 2 —ly 2 Stunden. Indikationen: Rheumatische 
Arthritiden, Arthritis deformans, subakuter und chronischer rnono- 
tmd polyarticulärer Gelenkrheumatismus, subakute und chronische 
gonorrhoische und luetische Gelenkerkrankungen, traumatische 
Gelenkentzündung, besonders bei der Nachbehandlung von Frak¬ 
turen und Kontusionen mit chronischem Hydrops, entzündliche 
Verdickungen, Oedeme und Steifigkeit, ferner partielle Ankylosen 
und Kontrakturen verschiedenen Ursprungs. Contralndizirt ist 
die Methode bei allen akut-entzündlichen Gelenkerkrankungen, so¬ 
wie bei Tuberkulose. Ausser bei den Gelenkleiden wurden gute, 
zum Theil überraschende Erfolge erzielt bei Ischias, Lumbago, 
Coccygodynie, Neurasthenla spinalis, verschiedenen Neuritiden, 
Muskelrheumatismus, Weichtheilkontusionen, Nachbehandlung 
von Frakturen, chronischer Ostitis und Periostitis, abgelaufenen 
Zellgewebsentzündungen, chronischen Ulceratlonen, Erfrierungen. 
Die therapeutischen Resultate sind oft geradezu überraschend, be¬ 
sonders bei rheumatischen und gonorrhoischen Gelenkleiden. Die 
erzielten Besserungen sind bei vielen Erkrankungen viel erheb¬ 
licher als die während der gleichen Zeit mit Massage und ähnlichen 
Maassnahmen erreichten. (Die med. Woche 1901, No. 37.) P. H. 

Ueber Gebrauch der Bierhefe in Form von Furun- 
culin an der dermatologischen Klinik des Cantonspitals zu Genf 
berichtet Dr. Ch. Du Bois (Revue mödicale de la Suisse romande 
1901, No. 8). Das Präparat wurde in Gaben von 1—2 Kaffeelöffel 
bis 3 und 4 Esslöffel pro die, mit Wasser oder Bier verrührt, un¬ 
mittelbar vor den Mahlzeiten gegeben und stets gut vertragen. 
Die Wirkung trat besonders zu Tage bei Furunculose, Akue rosa- 
cea, Jodakne, bei akutem und chronischem Ekzem, bei Urticaria, 
ferner bei Magenleiden, sogar Magenerwelteruug, bei chronischem 
blennorrhagischem Rheumatismus; unwirksam zeigt sich das 
Mittel bei Psoriasis und Seborrhoe. Aeusserlich angewandt leistete 
die Bierhefe gute Dienste bei Behandlung torpider Ulceratlonen, 
varicösen und tertiär-syphilitischen Geschwüren und eiternden 
Neubildungen; sie desodorisirt und befördert die Narbenbildung. 

R. S. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 24. Dezember 1901. 

— Der Ausschuss der bayerischen Abgeordnetenkammer zur 
Vorberathung der ärztlichen Standes- und Ehren¬ 
gerichtsordnung hat nach längerer Pause seine Sitzungen 
wieder aufgenommen und die 2. Lesung der Vorlage rasch zu Eude 
geführt. Die Zusammensetzung des Ausschusses hat insoferne 
eine Aenderuug erfahren, als der Abgeordnete Dr. Hauber, 
das einzige ärztliche Mitglied, das im Grossen und Ganzen, aller¬ 
dings mit erheblichen Konzessionen an seinen Parteistandpunkt, 
die Wünsche der Aerzte vertreten hatte, ausgeschieden ist und nn 
seine Stelle der ultramontane Abgeordnete Fuchs gewählt wurde. 
Die 2. Lesung hat nun, dank der energischen Bemühungen des 
Herrn Ministers Dr. v. Feilitzsch, einige überraschende Ver¬ 
besserungen im Sinne der Wiederherstellung der ursprünglichen 
Vorlage gebracht, insoferne eine Anzahl der negativen Bestim¬ 
mungen, die nach der 1. Lesung in das Gesetz aufgenommeu 
werden sollten, gestrichen wurden. Nur bezüglich der Forderung, 
dass durch die Standesordnung keine Bestimmungen „über die 
Festsetzung des ärztlichen Honorars, über den Abschluss von 
Verträgen mit öffentlichen und privaten Korporationen, sowie über 
das Unterbieten bei Bewerbungen um ärztliche Stellen" getroffen 
werden dürfen, entspann sich eine längere Diskussion, deren Er¬ 
gebnis war, dass der Ausschuss nur das Unterbieten bei Be¬ 
werbungen preisgab und im Uebrigen an der Forderung fest- 
hielt Doch gelang es dem Minister gegen die Stimmen der 
Herren v. Land mann, Gäch und v. Haller durchzu¬ 
setzen, dass der Ausschuss gegen eine Bestimmung der Standes¬ 
ordnung folgenden Inhalts: „Bei Verträgen mit öffentlichen oder 
privaten Korporationen soll der Arzt eines unlauteren Herab¬ 
drückens oder Unterbietens des Honorars sich enthalten“ keine 
Erinnerung erhebt. In dieser Bestimmung ist ein weitgehendes 
Zugeständnis der Regierung gegenüber dem Ausschuss enthalten; 
ähnlich wie in Sachsen (s. vor. No.) soll also auch in Bayern auf 
die Mitwirkung der Bezirksvereine bei Beurtliellung von Verträgen 
mit Korporationen verzichtet werden und es soll lediglich Sache 
des Ehrengerichts sein, zu entscheideu, ob ein Vertrag unlauteres 
Herabdrücken oder Unterbieten in sich schliesst. Der Herr Mi¬ 
nister bemerkte zu diesem Punkte, dass dieses Entgegenkommen 
der Regierung sich kaum der Zustimmung der Aerzte erfreuen 
dürfte. Das trifft sicher zu und nur die Erwägung, dass die 
Standesordnug in erster Linie um idealer, nicht um materieller 
Vorthelle willen angestrebt wird, kann die Aerzte veranlassen, 
im Interesse des Zustandekommens des Gesetzes sich mit dieser 
einschneidenden Aenderung des Entwurfs zufrieden zu geben. 
Eingehender soll noch In unserer nächsten Nummer auf die 
2. Lesung zurückgekommen werden. 

— Die wichtige und ln anderen Stiidten, vor Allem in Berlin, 
bereits erfolgreich gelöste Frage des ärztlichen Fort¬ 
bildungswesens Ist nunmehr auch in M ü n c h e n in An¬ 
griff genommen worden. Auf Anregung einiger hiesiger Aerzte 
hat sich ein Comitö gebildet, das vor Kurzem unter dem Vorsitz 
des Herrn Geheimrath v. Ziems seu eine Sitzung abhielt, in 


der die ersten nothwendigen Schritte beschlossen wurden. Nach¬ 
dem die medicinische Fakultät sich der Frage bereits günstig 
gegenüber gestellt hat, soll vor Allem auch die Unterstützung des 
k. Staatsministeriums und der Stadt erwirkt werden. Man hofft, 
dass die ersten Kurse und Vorträge im kommenden Sommer¬ 
semester beginnen können. 

— Das Centralcomitö für das ärztliche Fort¬ 
bildungswesen ln Preussen, welches vor ungefähr 
Jahresfrist von dem Kultusministerium in’s Leben gerufen wurde, 
um die Weiterbildung der praktischen Aerzte durch die Ver¬ 
anstaltung unentgeltlicher Kurse und Vorträge zu fördern, trat am 
Sonnabend den 7. Dezember in der Medicinalabthellung des ge¬ 
nannten Ministeriums zu einer Sitzung zusammen. Zu Beginu 
der Sitzung, welcher Ministerialdirektor Dr. A 11 h o f f beiwohnte, 
theilte der stellvertretende Vorsitzende Geh. Ober-Med.-Rath Prof. 
Dr. Kirchner mit, dass Se. Majestät der Kaiser von der Thätig- 
keit des Centralcomitös mit Befriedigung Keuntniss genommen 
habe. Der nun erstattete ausführliche Bericht über den gegen¬ 
wärtigen Stand der Angelegenheit erwies die bemerkeuswerthe 
Thatsache, dass schon ln dem einen Jahre, in welchem das Central- 
comitö zu wirken Gelegenheit hatte, die Organisation des ärztlichen 
Fortbildungswesens sich fast über ganz Preussen ausgebreitet hat. 
Der Schriftführer des Centralcomitös, Dr. R. K u t n e r referlrte 
schliesslich über die Nothwendigkelt der Begründung einer ärzt¬ 
lichen Lehrmittelsammlung, welche insbesondere den Kurslehrern 
der lokalen Vereinigungen in der Provinz zu Gute kommen solle, 
um ihnen die Möglichkeit zu bieten, noch mehr als bisher Ihre Vor¬ 
träge durch Demonstrationen an Tafeln, Lichtbildern, Präparaten 
und Phantomen zu unterstützen. Das Centraleomitß beschloss die 
Begründung einer solchen Sammlung, welche zunächst in der 
k. Charitß ln Berlin ihren Platz finden wird und Ministerialdirektor 
Dr. A 11 h o f f sagte für ihren Ausbau in dankenswerther Weise 
seine Unterstützung zu. 

— Am 28. November 1901 wurde eine „Militärärztliche Ge¬ 
sellschaft München“ gegründet mit dem Zwecke der Förderung 
eines kameradschaftlich-geselligen Verkehrs durch regelmässige 
Zusammenkünfte, bei denen wissenschaftliche Vorträge und De¬ 
monstrationen, insbesondere auf dem Gebiete des Militärsanitäts¬ 
wesens, gehalten werden und Fragen von wissenschaftlichem 
Interesse zur Besprechung gebracht werden können. Zur Mit¬ 
gliedschaft sind berechtigt alle aktiven, ä la suite stehenden und 
mit Erlaubniss zum Tragen der Uniform verabschiedeten Sanitäts¬ 
offiziere des Standorts München. Gäste werden von Mitgliedern 
elngeführt. Versammlungen finden monatlich einmal statt; im 
Juli, August und September fallen sie in der Regel aus. Vor¬ 
standswahl wird alljährlich vorgenommen. Der derzeitige Vor¬ 
stand besteht aus: Generalarzt Dr. Ueimpel, Vorsitzender. 
Stabsarzt Dr. Wöscher, Schriftführer, Oberarzt Dr. Dresch¬ 
feld Kassier. Der Generalstabsarzt der Armee. Dr. Bestei- 
m eyer, hat den ihm von der Gesellschaft angetragenen Ehreu- 
vorsitz übernommen. 

— P e 8 t. Türkei. Am 27. November Ist in Konstantiuopel 
ein neuer Pestfall beobachtet worden. — Britisch-Ostlndien. 
Während der am 15. November abgelaufenen Woche sind 
in der Präsidentschaft Bombay 8423 neue Erkrankungen 
und G50C Todesfälle an der Pest festgestellt also 810 
bezw. 124 weniger als in der Woche vorher; auf die Stadt 
Karachi entfielen davon 68 Erkrankungen und 47 Todesfälle. In 
der Stadt Bombay wurden während der am 16. November endenden 
Berichtswoche 152 Erkrankungen und 182 erwiesene Pesttodes¬ 
fälle, dazu 147 pestverdächtige Todesfälle gezählt; die Gesammt- 
zahl der Todesfälle ging daselbst auf 800 ln der letzten Berichts¬ 
woche herunter. — Kapland. Während der am 16. November ab¬ 
gelaufenen Woche wurden weder Neuerkrankungen noch Todes¬ 
fälle an der Pest amtlich gemeldet, doch sind in Port Elizabeth 2 
unter pestverdächtigen Erscheinungen erkrankte Eingeborene 
unter Beobachtung gestellt worden. Am 18. November wurde da¬ 
selbst ein neuer Pestfall festgestellt. — Queensland. Zu Folge 
einer Drahtnachricht vom 11. Dezember aus Brisbane war daselbst 
wiederum ein Pestfall vorgekommen. V. d. K. G.-A. 

■ In der 49. Jahreswoche, vom 1. bis 7. Dezember 1901, hatten 
von deutschen Städten über 40 000 Einwohner die grösste Sterb¬ 
lichkeit Borbeck mit 35,3, die geringste Krefeld mit 7,8 Todes¬ 
fällen pro Jahr und 1000 Einwohner. Mehr als ein Zehntel aller 
Gestorbenen starb an Scharlach in Bremen, an Masern in Bochum, 
Borbeck, an Diphtherie und Croup ln Dessau, HUdesheim. 

— Vom Jahresbericht über die Leistungen 
und Fortschritte auf dem Gebiete der Neuro¬ 
logie und Psychiatrie, redigirt von Prof. Mendel und 
Dr. L. Jacobsohn. Verlag von S. Karger in Berlin, ist der 
IV. Jahrgang, enthaltend den Bericht Uber das Jahr 1900, soeben 
erschienen. Ein starker Band von 1135 Seiten. Preis 32 M. 

— Eine sehr zweckmässige Mappe zum Ordnen und Auf¬ 
bewahren von Documenten geht uns von der Firma C. A n d el¬ 
fin g e r & Co. in München. Landwelirstr. 59, zu. Dieselbe ent¬ 
hält 12 nummerirte Fächer und ein Register auf der Vorderseite, 
dessen Zahlen mit den Zahlen der Fächer korrespondiren; ein 
Blick auf das Register orientlrt iil>er den Inhalt der Mappe und 
mit einem Griff kann das Gewünschte herausgenommen werden. 
Auf demselben Princip beruht eine andere, ähnliche Mappe, die 
dem vorläufigen Ordnen von Briefen, Rechnungen u. dergl. dient, 
sowie ein Notizbuch zum raschen Auffinden eingetragener Notizen. 
Die Mappen, die unter dem Namen „Blitzordner“ ln den Handel 
kommen, sind solid gearbeitet und scheinen uns wegen ihrer prak¬ 
tischen Einrichtung sehr empfehlenswerth. Die Firma versendet 
für M. 2.— ein kleines, für M. 4.— ein grosses Sortiment direkt 
per Post. 


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2134 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 52. 


(Hochschulnachrlchten.) 

Bonn. Der Privatdocent der Physiologie Dr. B 1 e 1 b t r e u. 
Assistent am hiesigen physiologischen Institut, hat den Professor¬ 
titel erhalten. Der Sekundärarzt am hiesigen Johannes-Hospital. 
Dr. Karl Hubert Vogel, hat sich für Chirurgie an der hiesigen 
l'niversität liabilitirt. 

Bresla u. In der medic. Fakultät hat sich der 1. Assistenz¬ 
arzt an der psychiatr. Klinik, Dr. E. Storch, als Privatdozent 
für Psychiatrie liabilitirt. — Es wird beabsichtigt, die hygien. Sektion 
Beut heil O.-S. als eine Abtlieilung des hygienischen Instituts in 
Breslau bis auf Weiteres beizubehalten und zu diesem Zwecke zu¬ 
nächst für den Jahrgang 1902 folgenden Betrag flüssig zu machen: 
An Remuneration für den Anstaltsleiter und Assistenten 5100 M., 
Lohn für den Diener und sächliche Ausgaben 3500 M., Einrichtung 
des Laboratoriums, sowie Beschaffung von Mobiliar, Apparaten 
und Instrumenten 1000 M., in Summa also 10 000 M. 

Erlangen. Der Privatdocent an der hiesigen Universität 
Dr. Max v. Kryger wurde zum ausserordentlichen Professor 
ernannt und ihm chirurgische Propaedeutik, specielle Chirurgie 
und Unfallheilkunde als Lehraufgabe zugewiesen, sowie die Funk¬ 
tion eines Oberarztes der chirurgischen Poliklinik übertragen. 

(Jöttlngen. In der Notiz in No. 51 findet sich ein Druck¬ 
fehler. Es sind 83 Hörer vorhanden, darunter 32 Damen, die aber 
nicht Medlciner sind. (Die Göttinger Kliniker lassen Personen 
weiblichen Geschlechts zum Unterricht überhaupt nicht zu.) 

Halle. Auf die Anregung von Professor Karl Fraenkel 
hat der Magistrat im Anschluss an das hygienische Institut der 
l’niversität ein Untersuchuugsamt für ansteckende Krankheiten 
errichtet, das den Aerzten die Möglichkeit gewähren soll, in ver¬ 
dächtigen und zweifelhaften Krankheitsfällen zu einer Diagnose 
zu gelangen. 

Königsberg. Die medlcinischc Fakultät der hiesigen 
Universität hat dem bisherigen ersten Assistenzarzt an der Klinik 
und Poliklinik für Syphilis und Hautkrankheiten der Universität 
Breslau, Dr. med. Walther S ch o 11 z, die venia legendi als Privat¬ 
dozent für Dermatologie verliehen. — Die Zahl der Studiremlen 
beläuft sich in diesem Semester auf 911, dazu kommen 32 Hörer 
und 38 Hörerinnen. Die Frequenz der medlcinischen Fakultät 
bet rät 207. 

Tübingen. Nach dem Schwäbischen Merkur ist als Nach¬ 
folger des Prof. Liebermeister auf dem Lehrstuhl für Patho¬ 
logie und Therapie der Vorstand der Greifswalder medlcinischen 
Klinik Prof. Dr. Krehl in Aussicht genommen. 

Brüssel. Herzog Karl Theodor von Bayern 
wurde von der k. Akademie der medlcinischen Wissenschaften 
zum Ehrenmitglied ernannt. 

Kopen h a g e n. Dr. F. C. C. Hansen wurde an Stelle des 
verstorbenen Prof. C h i e v 11 z zum Professor der Anatomie er¬ 
nannt. 

RlodeJaneiro. Der a. o. Prof. Dr. Miquel Couto wurde 
zum Professor der inediclnisch-propädeutischen Klinik ernannt. 

Wien. Gegen den Professor der Physiologie Sigmund 
Exner. den die Studenten für den Urheber der neuen Ordnung 
des medlcinischen Rigorosums halten, veranstalteten Studirende 
am 13. Dezember Im physiologischen Institut eine Kundgebung 
und verhinderten die Vorlesung. — Das Professorenkollegium der 
Wiener medlcinischen Fakultät hat einstimmig beschlossen, den 
Professor der Kinderheilkunde an der Grazer Universität, Dr. 
Echerich, für die erledigte Lehrkanzel Widerhofe r’s prlmo 
et unico loco vorzuschlagen. 

(Todesfälle.) 

Am 13. XII. 1901 starb in Kiel unerwartet, nach wenigen 
Krankheitstagen. Dr. Hans H e n s e n, Privatdocent und Ober¬ 
arzt an der medlcinischen Klinik der Universität. 

Dr. Fr. M e 1 6 n d e z y Herrer a. Prof, der topographischen 
Anatomie zu Cadix. 

Dr. R. II arve y, Generaldirektor des Medicinalwesens von 
Britiseh-Indien. 

Dr. Jarvis S. W i g h t, Professor der chirurgischen Klinik 
und operativen Medicin am Long Island College Hospital zu 
Brooklyn. 


Personalnachrichten. 

(Bayern.) 

In den Ruhestand versetzt: Der Bezirksarzt I. Klasse 
I)r. Julius M a y r in Bogen, seinem Ansuchen entsprechend, wegen 
nachgewieseuer Krankheit und hiedurch bedingter Dienstes¬ 
unfähigkeit. auf die Dauer eines Jahres. 

Erledigt: Die Bezirksarztstelle I. Klasse in Bogen. Bewerber 
um dieselbe haben ihre vorschriftsmiissig belegten Gesuche bei 
der ihnen Vorgesetzten k. Regierung. K. d. Innern, bis zum 
5. Januar 1902 einzureichen. 


Amtlicher Erlass. 

(Bayern.) 

No. 28 23(5. 

Bekanntmachung. 

Bakteriologische Kurse im Jahre 1902 betreffend. 

K. Staatsministerium des Innern. 

Das k. Staatsministerium des Innern wird im Einverständ¬ 
nisse mit dem k. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und 
Schuhingelegrnheiten im Jahre 1902 1(5 Aerzten, welche die Prü- 

Verlug von J. F. Lehmann in München. — brück von 


fung für den ärztlichen Staatsdienst bestanden haben, in Bayern 
ihren Beruf ausüben, aber nicht In einer der drei Universitäts¬ 
städte Bayerns wohnen, AVersalbeträge von je 250 M. bewilligen, 
um ihnen die Theilnaliine an einem mindestens 14 tägigen, an 
einer der drei Landesuniversitäten statt findenden bakterio¬ 
logischen Kurse zu erleichtern, wobei es jedem Einzelnen über¬ 
lassen bleibt, an welcher der drei Landesuniversitäten und zu 
welcher Zeit des Jahres 1902 er einen solchen Kurs mitmacheu 
will. 

Amtsärzte und praktische Aerzte, welche sich um solche 
Aversalbetriige bewerben wollen, haben ihre Gesuche spätestens 
bis 15. Januar 1902 beim k. Staatsministerium des Innern einzu¬ 
reichen. Die Einsendung von Belegen ist nicht erforderlich. 

München, den 17. Dezember 1901. 

gez. v. Feilitzsch. 


Generalrapport über die Kranken der k. bayer. Armee 

für den Monat Oktober 1901. 


Iststärke des Heeres: 


50 473 Mann, — Invaliden, 202 Kadetten, 145 Unteroft-Vorechfller 







Unter- 



Mann 

Invali¬ 

den 

Kadetten 

Ottxter- 

vor- 

schüler 

1. Bestand waren am 

30. September 1901 : 

678 

— 

2 

11 

( 

im Lazaretli: 

1072 

— 

1 

— 

2. Zugang: j 

im Revier: 

2097 

— 

15 

11 

in Summa : 

3169 

— 

16 

11 

Im Ganzen 

sind behandelt: 

3847 

— 

4 

11 

°/oo 

der Iststärke: 

76,2 

— 

89,1 

76,8 


dienstfähig: 

2267 

— 

17 

6 


°/oo der Erkrankten: 

589,3 

— 

944,4 

646,4 


gestorben : 

5 

— 

— 

— 

3. Abgang: ■ 

°/oo der Erkrankten : 
invalide: 

* 1,3 

22 

— 

z 

z 

*) Darunter 15 

dienstunbrauchbar : 

24*) 

— 

— 

— 

nach d. Ein- 

anderweitig : 

165 

— 

— 

1 

sicllung 

in Summa: 

2483 

— i 

17 

7 

4. Bestand | 
bleiben am \ 
31. Okt.1901: 

[ in Summa: 

1 °/oo der Iststärke: 

1 davon im Lazareth : 
l davon im Revier: 

1364 

27,0 

834 

530 

1 1 II 

1 

4,9 1 

1 

4 

27,6 

4 


Von den in Ziffer 3 aufgeführten Gestorbenen haben gelitten 
an: Pyaemie 1, akuter Miliartuberkulose 1, Lungentuberkulose 1, 
eiteriger Entzündung der Herzinnenhaut 1, Blinddarmentzündung 1 
Ausserdem endete noch 1 Mann durch Selbstmord (durch Er- 
schiessen). 

Der Gesammtverlust der Armee durch Tod betrug demnach 
im Monat Oktober 6 Mann. 


Morbiditätsstatistik d. Infektionskrankheiten für München 

in der 50 Jahreswoche vom 8, bis 14.Dezember 1901. 
Betheiligte Aerzte 202. — Brechdurchfall 2 (9*), Diphtherie, 
Croup 11 (6), Ervsipelas 13 (11), Intermittens, Neuralgia interm. 

— (—), Kindbettfieber 2 (.1), Meningitis cerebrospin. — (—), 

Morbilli 07 (66), Ophthalmo-Blennorrhoea neonat 2 (7), Parotitis 
epidem. 15 (10), Pneumonia crouposa 12 (26), Pyaemie, Septikaemie 

— (I), Rheumatismus art. ac. 22 (19), Ruhr (dysenteria) — (1), 

Scariatina 8 (9), Tussis convulsiva 31 (18), Typhus abdominalis 
3 (4), Varicellen 24 (29), Variola, Variolois — (-), Inflnenza 5 (4), 
Summa 212 (201). Kgl. Bezirksarzt Dr. Müller. 


Uebersicht der Sterbefälle in München 

während der 50. Jahreswoche vom 8. biß 14. Dezember 1901. 

Bevölkerungszahl: 499 932. 

Todesursachen: Masern 2 (—*), Scharlach —(—), Diphtherie 
und Croup — (3), ßothlauf 1 (—), Kindbettfieber — (1), Blut¬ 
vergiftung (Pyaemie) 2 (1), Brechdurchfall 2 (5), Unterleibtyphus 
— (2), Keuchhusten 2 (2), CronpÖse Lungenentzündung 5 (4), 
Tuberkulose a) der Lungen 25 (25) b) der übrigen Organe 10 (7), 
Akuter Gelenkrheumatismus 1 (—), andere übertragbare Krank¬ 
heiten 3 (5), ünglücksfälle — (—), Selbstmord 4 (—), Tod durch 
fremde Hand — (—). ... , , , 

Die Gesammtzahl der Sterbefälle 199 (217), Verhältmsszalil auf 
das Jahr und 1000 Einwohner im Allgemeinen 20,7 (22,6), für die 
über dem 1 Lebensjahre stehende Bevölkerung 11,9 (14,1). 


*) Die eingeklammerten Zahlen bedeuten die F älle der Vorwoche. 
E. Mühlllialer’s Buch- uud Kunstdruckerei A.Q., München. 


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lHe Mönch. Med. Wocbennchr. erscheint wfichentl. II f 1*VXT/^iTT 171XT1 il 1 1 2nsendnn*eu sind st! sdrewdren: Für die Itedscdott 

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MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT 


(FRÜHER ÄRZTLICHES INTELLIGENZ-BLATT) 

ORGAN FÜR AMTLICHE UND PRAKTISCHE ÄRZTE. 


Cb. Binder, 0. Bollingir, H. CnrschBinn, 

Freibari 1. B. München Lelpslx 

No. 53. 31. Dezember 1901. 


Horausgegeben von 

C. Gerhardt, 6. Merkel, J. v. Michel, H. i. Rinke, 

Berlin. Nürnberg. Berlin. München. 

Redaction: Dr. B. Spatz, Ottostraase 1. 

Verlag: J. F. Lehmann, Heustrasse 20. 


F. t. Wlickel, H. !• Zleissei, 

München. München. 

48. Jahrgang. 


Originalien. 

Aus der chirurgischen 1. Universitätsklinik zu Kiel 
(Professor Helferich). 

Ueber die Bedeutung des Descensus testiculorum 
für die chirurgische Pathologie.*) 

Von I)r. Rudolf G ö b e 11, Assistenzarzt. 

Der Descensus testiculorum und der Processus vaginalis 
peritonei war, wenn auch nur bei Affen, doch schon Galen 
bekannt. 

Obwohl G a 1 en’s [1] Nachfolger die Resultate seiner Unter¬ 
suchungen auch auf die menschliche Anatomie übertrugen, blieb 
der Descensus testiculorum gleichwohl beim Menschen andert¬ 
halb Jahrtausend unentdeckt. Fabricius Hildanus [1] und 
andere Schriftsteller des 17. Jahrhunderts wussten, dass bei 
Föten der Hoden gelegentlich in der Bauchhöhle zu finden sei, 
und Kerkring war bei einer congenitalen Hernie, welche er 
beobachtete, nahe daran, die richtige Deutung in einem Des¬ 
census testiculi zu finden. In der ersten Hälfte des 18. Jahr¬ 
hunderts war dagegen der Descensus zwar noch nicht allgemein 
anerkannt, aber vielen von den Schriftstellern bekannt. Der 
Entdecker des Gubernaculum und Derjenige, welcher zuerst den 
Zusammenhang zwischen Jlernia congenita und dem Descensus 
testiculorum nachwies, war Albert v. Haller [2]. 

Bald nach Halle r’s Schrift (1749) erschienen kurz hinter¬ 
einander und unabhängig von einander die Arbeiten von 
Pott [SR Ca m per [4] und Hunter [5]. 

Pott kam zu demselben Resultat wie Haller, getraute 
sich aber nicht, die Consequenzcn in Bezug auf die Entstehung 
der Hernien bei Kindern zu ziehen. 

Camper dagegen wies statistisch nach, dass der Processus 
vaginalis peritonei bei Neugeborenen seltener geschlossen, denn 
offen wäre und fand darin die Erklärung für das häufige Vor¬ 
kommen von Leistcnbrüehen bei Kindern im ersten Lebensjahre. 

William II unte r’s Arbeit würde vollständig bedeutungs¬ 
los sein, wenn nicht in ihr enthalten wäre die geradezu klassische 
Beschreibung, welche John Hunter von dem Descensus testi- 
culorum geliefert hat, und welche grundlegend für alle weiteren 
Untersuchungen geworden ist. 

Albert v. Haller hat das Leitband dt*s Hodens, welches 
vom fötalen Ilodcn zum Skrotum zieht, entdeckt. Er nannte 
es Vagina cylindriea, weil er es für einen hohlen Cylinder hielt, 
in welchem der Iloden nach abwärts stiege. John Hunter 
aber hat das Leitband in seiner wahren Natur erkannt. Spätere 
Untersucher belegten desshalb mit vollem Recht das von Haller 
zuerst entdeckte Gebilde mit II u n t e r’s Namen. 

Nach John Hunter wird die Verbindung zwischen fötalem 
Hoden und der vorderen Bauchwand durch ein Ding hergestellt, 
welches vom unteren Ende des Hodens zum Skrotum nach ab¬ 
wärts zieht. Er gab ihm den Namen Ligamentum oder Guber¬ 
naculum testis, weil es den Lauf des Hodens beim Abstieg lenkt. 
Es ist von Pyramidenform. Sein breiter, bulbusartigor Kopf 
ragt aufwärts und ist am unteren Ende des Hodens und Neben¬ 
hodens fixirt. Sein unteres zarteres Ende verliert sich in dem 
Zellgewebe des Skrotum. Das Gubernaculum ist gefässhaltig, 
fibrös, die Fasern verlaufen in der Richtung des Ligaments. 

*) Vortrag (Probevorlesung), gehalten am 25. Juli 1901 lu Klei. 
No. 53. 


Aus der Analogie mit dem Befund bei Thieren ist Hunte r 
geneigt, zu glauben, dass das Gubernaculum Muskelfasern ent¬ 
hält und einwärts gewandte Cremasterfasem an seiner Zu¬ 
sammensetzung theilnehmen. John Hunter hat die Anatomie 
des Descensus vorzüglich beobachtet. Er beschreibt schon, was 
vielen späteren Untersuchern entgangen ist, dass sich mit dem 
Gubernaculum bei beginnendem Descensus eine Pcritoneal- 
tasehe bis zum M. obliquus externus hinabsenkt, welche bereit 
ist, den Testikel in sich aufzunehmen (das spätere sogen. 
Seyler’sche Blindsäckchen). Ueber die treibenden Kräfte ist 
Hunter sich nicht klar. Er gibt nur an, dass das Guber¬ 
naculum kürzer wird und dass der Iloden, wenn er durch den 
Obliquus externus hindurch getreten ist, das Bauchfell hinter 
sich herzieht und so der Processus vaginalis gebildet wird. 

Obwohl der Descensus und namentlich der Ursprung und 
die Zusammensetzung des Gubernaculum nach John Hunter 
ein beliebtes Thema wurden, so brachte doch erst die histologische 
Forschung in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aucli 
in dieses Gebiet Klarheit. Vorzüglich waren es die Arbeiten 
von Weil [6], Bramann [7] und Klaatsch [8], welche 
an zahlreichen Föten den Descensus kennen lehrten und durch 
Präparation und Serienschnitte die Anatomie des Gubernaculum 
und des Processus vaginalis klarstellten. Sie wiesen nach, dass 
das Gubernaculum nicht, wie früher angenommen, in das Skro¬ 
tum, sondern nur bis in die Höhe der Symphyse hinabreiche. 

Der Descensus testiculorum vollzieht sieh nach ihren Unter¬ 
suchungen folgendermaassen: 

Von dem Orte seiner Entstehung an der medialen Seite 
der Urniere rückt der Iloden bis zum 3. Monat nach dem Leisten¬ 
ringe zu herab und liegt am Ende dieses Monats der Gegend des 
inneren Leistenringes dicht an. Vom Hoden zieht zu diesem 
Thcil der Bauchwand, welche gleichzeitig eine Ausstülpung, die 
Bursa inguinalis, gebildet hat, als ein feiner, vom Peritoneum 
bedeckter Strang, das Gubernaculum. In der folgenden Zeit 
aber wird der Iloden durch stärkere Ausbildung des Guber¬ 
naculum wieder in die Höhe gehoben. Die Bursa inguinalis wird 
flacher. Es findet also ein Aseensus statt, welchem gegen Ende 
des 6. Monats, bezw. im Anfang des 7. Monats, der zweite und 
eigentliche Descensus folgt. Der Hoden steigt tiefer herab. Das 
Gubernaculum im Abdomen wird kürzer. Diese Verkürzung ist 
aber in der ersten Zeit nur scheinbar, denn das untere Ende des 
Gubernaculum mit dem Processus vaginalis tritt um so viel 
hinab, als das Gubernaculum im Abdomen kleiner wird. Erst, 
wenn der Hoden bis in die Nähe des inneren Leistenringes und 
des Gubernaculum mit dem Processus vaginalis bis an seine 
Ursprungsstelle in der Höhe der Symphyse gelangt ist, tritt 
eine wirkliche Verkürzung des Gubernaculum ein, welche mit 
der Verlängerung des Processus vaginalis nach abwärts gleichen 
Schritt hält. 

Das Gubernaculum des 3. und 4. Monats ist nach 
Klaatsch ein anderes Gebilde als das des 6. und 7. Monats. 

Ersteres entsteht durch Differenzirung der glatten Kolon¬ 
muskulatur, letzteres durch Einstülpung der Bauchwand¬ 
schichten, welche abdominalwärts vom M. obliquus externus ge¬ 
legen sind. Die Einstülpung geschieht durch den aus dem 
zwischen dem M. obliquus externus gelegenen Gewebe auf¬ 
gebauten Conus inguinalis. Dem Gubernaculum des 3. und 

1 


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2136 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 53. 


4. Monats haben W aldeycr den Namen Ligamentum genito- 
inguinale, Klaatsch den des Ligamentum inguinale gegeben. 

Der Bildungsweise entsprechend ist das Gubemaculum des 
6. und 7. Monats zusammengesetzt. Unter dem Peritoneum liegt 
als Fortsetzung der Fascia transversalis lockeres Bindegewebe. 
Dann folgt ein Muskelschlauch, in dessen Centrum lockeres 
Bindegewebe mit mehreren Gefässen gelegen ist. Bramann 
gelang es, den Nervus spermaticus externus in dem Gubernacu- 
lum zu präpariren und damit den unumstösslichen Beweis zu 
liefern, dass die Muskulatur des Gubernaculum zur Bildung des 
Cremaster bestimmt ist. 

„Der Processus vaginalis eilt dem Hoden bei dessen Wande¬ 
rung in das Skrotum voraus.“ Mit diesem Satz trat B r a - 
m a n n in Gegensatz zu Allen, welche über den Descensus bis 
dahin geschrieben hatten. Die Richtigkeit dieser Beobachtung 
wurde von Sachs bestätigt, welcher an über 300 Kinderleichen 
des Petersburger Findelhauses Untersuchungen anstellte. Sie 
kann stets erwiesen werden, wenn wegen unvollständigen Des¬ 
census eine Operation ausgeführt wird. Dann findet man den 
Testikel oben im Skrotum oder im äusseren Leistenring oder im 
Leistenkanal, der Processus vaginalis peritonei aber reicht bis in 
das Skrotum hinab. 

Eine wesentliche Stütze für die Annahme einer selbständigen 
Entwicklung des Scheidenfortsatzes bildet die Analogie mit dem 
Divertieulum Nuekii, welches sich bildet, ohne dass das Ovarium 
in das grosse Labium hinabsteigt. 

Indessen ist die vollständige Ausbildung des Processus vagi¬ 
nalis vom Gubernaculum abhängig. Denn sobald das Leitband 
iiber seinen Ursprungsort hinaus nach unten treten soll, be¬ 
ginnt cs sieh umzustülpen. Seine Gewebe gehen in die Wand 
des Processus vaginalis über. Schliesslich sitzt der Hoden im 
Grunde des Proc. vaginalis einem kurzen bindegewebigen Zapfen 
auf, der später auch ganz verschwindet. 

Ueber die Kräfte, welche den Hoden zum Hinabsteigen ver¬ 
anlassen, bestehen die verschiedensten Theorien. So lange mau 
glaubte, das Gubernaculum reiche bis in den Grund des Skro¬ 
tum hinab, wurde der Vorgang allein durch das Gubernaculum 
erklärt. 

1. Nach Camper und P a 1 e 11 a verkürzt sich das Leit¬ 
band und stülpt sich wie der Finger eines Handschuhes um. 
Der auf der Kuppe sitzende Hoden liegt dann im Grunde des 
Sackes. 

2. S e i 1 e r’s Theorie lässt die das Gubernaculum bekleiden¬ 
den Bauchfellblätter sich entfalten und dadurch den Testikel 
entwickelt werden. Ihr wurde durch Oesterreicher der 
Name „Entfaltungstheorie“ zu TheiL 

3. C lei and und Kolli ker stimmten der Oester- 
reiche r’schen „Verkümmerungstheorie“ zu, aber nur insoweit, 
als sie die Schrumpfung des Gubernaculum für eine mitwirkende 
Kraft beim Descensus ansahen, während 

4. B r u g n o n i, Tuminati und auch Walde y er dem 
M. Gubernaculi die Fähigkeit zutrauten, den Testikel aus der 
Bauchhöhle in den Ilodensack zu befördern. 

Als die mikroskopische Untersuchung aber bewies, dass das 
Gubernaculum nur bis in die Höhe der Symphyse reiche, mussten 
zum Mindesten für den unterhalb des Leitbandansatzes gelegenen 
Weg andere Kräfte eintreten. Es wurden zur Erklärung heran¬ 
gezogen : 

Die Differenz des Wachsthums zwischen dem übrigen Körper 
und dem Gubernaculum, 

der intraabdominelle Druck, 

die wachsenden Baueheingeweide, 

der Liquor peritonei; 
für die Zeit nach der Geburt: 

Die Respiration und das Gewicht des Hodens. 

Viele dieser Kräfte können als Faktoren bei einem so kom- 
plizirten und lange Zeit dauernden Vorgang in Betracht kommen. 
Die eigentlichen Ursachen des Descensus sind damit noch nicht 
der Erkenntniss näher gebracht. Klaatsch kommt durch 
vergleichend anatomische Untersuchungen zu dem Schluss, duss 
ein primitives Mammarorgan zur Verlagerung der Hoden den 
Anstoss gab. 

Zu pathologischen Zuständen kann der Descensus testicu- 
lorum auf verschiedene Weise Veranlassung geben. 


1. Er verläuft normal, hinterlässt aber zu pathologischen 
Bildungen disponirende Unvollkommenheiten. 

2. Er selbst ist pathologisch, d. h. er erfolgt nicht, oder er 
geschieht unvollkommen, oder er vollzieht sich in falscher Rich¬ 
tung. 

In ersterem Falle kommt vornehmlich das Verhalten des Pro¬ 
cessus vaginalis in Betracht, bei den letzterwähnten Möglich¬ 
keiten, spielen der Testikel und der Processus vaginalis eine fast 
gleich wichtige Rolle. 

Normaler Weise sollte der Processus vaginalis peritonei bei 
der Geburt in das Ligamentum vaginale, einen Strang, um¬ 
gewandelt sein. Die Obliteration des Scheidenfortsatzes ist aber 
häufig unvollständig. Sachs fand ihn bei 155 Kindern nur 
47 mal ganz obliterirt, 26 mal beiderseits offen, 36 mal einseitig 
offen, die übrigen oben unverklebt. 

Tritt in dem offen gebliebenen Processus vaginalis oder in 
dem erhaltenen Theil desselben ein Erguss auf, so entwickelt sich 
je nach dem Grad der unvollständigen Obliteration eine Hydro- 
celenart. 

Dringen in den Processus vaginalis peritonei Eingeweide 
hinein, so entsteht eine Ilernia inguinalis congenita. Sie ist 
nicht nur eine Ilernia congenita, wenn der Testikel und die In¬ 
testina in einem Sack liegen, sondern die Anlage kann auch 
congenital sein, wenn der Bruchsack von der Tunica testis pro- 
pria getrennt ist. Der aufgefaserte Samenstrang dokumentirt 
dann den Zusammenhang der Bruchbildung mit dem offen ge¬ 
bliebenen Processus vaginalis. 

Geschieht die Bildung eines Ergusses und der Austritt von 
Intestina in den Proc. vaginalis gleichzeitig, so kommen die ver¬ 
schiedenen, lange Zeit falsch gedeuteten Kombinationen von 
Hernie und Hydrocele zu Stande, je nach Art und Ausdehnung 
der fehlenden Obliteration z. B. eine Hernia inguinalis con¬ 
genita mit Hydrocele vaginalis communicans oder eine Hydro¬ 
cele mit eingestülpter Ilernia. 

Neben dem geschlossenen Proc. peritonei gilt als Forderung 
an ein ausgetragenes normal entwickeltes Kind, dass sich beide 
Hoden im Skrotum befinden. Dieser ideale Zustand ist relativ 
selten. W r i s b e r g sah unter 93 Kindern nur bei 70 die 
Testikel im Hodensack'). 

Der Hoden war bei den übrigen aus irgend einem Grunde 
ganz oder theilweise an seinem Descensus verhindert und zurück- 
gehalten worden. Man spricht von einer Retentio testis und je 
nach der Lage der Hoden von einer Retentio abdominalis und 
inguinalis. Werden beide Testikel am Zutagetreten gehindert, 
so heisst man dies Kryptorchismus, die einseitige Retentio testis 
Monorchismus. 

Der Processus vaginalis ist bei abdomineller Retentio meist 
nicht aus dem äusseren Leistenring getreten. Er kann aber auch, 
wie es bei Retentio inguinalis fast regelmässig ist, bis in das 
Skrotum hinab entwickelt sein. 

Neben den gewöhnlich auf gezählten aetiologisehen Momen¬ 
ten : Missbildungen der Genitalien, abnorme Grösse und Lage des 
Nebenhodens, abnorme Beschaffenheit des Mesorchium, peri- 
tonitische Adhäsionen, sei W e i l’s Angabe besonders erwähnt, 
welcher 'gewisse Fälle von Retentio testis durch ungewöhnliche 
Darmbildung, z. B. des Coecuin, zu erklären sucht. 

Der Descensus testiculi kann in falscher Richtung erfolgen. 
Der Hoden verlässt die normale Bahn und liegt ausserhalb des 
Weges, welchen der regelrecht descendirende Testiculus zurück¬ 
legt. Man bezeichnet diesen Zustand als Ectopia testis. (Leider 
hat man in der letzten Zeit auch die Retentio testis mit dem 
Namen Ektopic belegt und sich dadurch des Vortheils klarer 
Ausdrucksweise begeben.) Die Lagerungsvarietäten werden nach 
Kocher [9] durch die Namen Ectopia cruralis, properitonealis, 
interstitialis, supra- et intrainguinalis, seroto-femoralis und peri- 
nealis gekennzeichnet. 

Als aetiologische Momente sind zu erwähnen: Falsche An¬ 
heftungen des Gubernaculum, eine derbe Aponeurose des M. ob- 
liquus externus, Verengerung am Skrotumeingang, und im post- 
foetalen Leben: durch ein Bruchband, Traumen oder Reposi¬ 
tionen erfolgende äussere Einwirkungen. 

’) In Sachs’ Tabellen findet man bei 143 Knaben im Alter 
von 1—4 Monaten 20 mal Retentio testis angegeben, darunter 
11 mal doppelseitige, Gmal rechtsseitige, 2 mal linksseitige Retentio 
inguinalis. Einmal bestand rechts eine Retentio abdominalis, links 
eine inguinalis. 


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31. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2137 


Der früheren Annahme der falschen Anheftung des Guber- 
naeulum würde die der Einstülpung einer falschen Bauchwand¬ 
partie als Gubernaculum oder der Differenzirung eines falschen 
Coelominuskelzuges als Lig. genito-inguinale entsprechen. 

Die Berechtigung einer solchen Hypothese erscheint zweifel¬ 
haft. Beobachtet sind die beweisenden Vorgänge noch nicht. 

Wie bei normal gelagerten Hoden, so können auch bei reti- 
nirten und ektopischen Testikeln verschiedene Hydrocelen- und 
Hernienarten auftreten. Da der Processus vaginalis bei diesen 
Zuständen meist offen geblieben ist, so entwickeln sich die ent¬ 
sprechenden Hydrocelen- und Hernienformen. 

Die Ilernien stehen zu den retinirten Hoden in einer ge¬ 
wissen Wechselbeziehung. 

Einerseits kann der Bruchinhalt den retinirten Testikel von 
dem eingeschlagenen Weg ab zwischen die Bauchwandschichten 
treiben und ihm dann folgen. Andererseits kann der retinirto 
Iloden den Bruchinhalt aufhalten und ihn hindern, in regel¬ 
rechter Richtung sich nach abwärts zu bewegen, vielmehr ihn ver¬ 
anlassen, sich zwischen den Bauchwandschichten auszudehnen. 
Schliesslich kann auch primär eine Hodencktopie vorhanden sein 
und sich sekundär eine Hernie entwickeln. 

Es würde indessen zu weit führen, auf alle Varietäten von 
mit einer Lageanomalie des Testikels verbundenen Hernien ein¬ 
zugehen. 

So viel dürften diese kurzen Bemerkungen schon darthun, 
dass der Descensus testiculorum von der grössten Bedeutung für 
die Entwicklung vieler pathologischer Zustände dieser Region 
ist, und dass ein Verständniss derselben nur möglich ist, wenn 
man bei der Erklärung immer wieder auf den Descensus testicu¬ 
lorum zurückgreift. 


Literatur. 

1. Hugo Sachs: Untersuchungen über den Processus vagi¬ 
nalis peritonei als priidisponirondes Moment für die äussere 
Leistenhernie. Dorpat ISST». — 2. Albertus de Haller: Progr. 
hemiarum observatioues aliquot (Joetting. 1749. Elementa-Physlo- 
logica. T. VII. 414. — 3. Perclval Pott: Sümmtliche chirurgische 
Werke. Berlin 1787. — 4. Peter Camper: Sümmtliche kleinere 
Schriften. Deutsch v. Herbell. Leipzig 1785—88. Bd. II. Stück I. 
p. 47—78. — 5. John Hunter: Observation» ou tbe State of the 
Testis in the foetus and on the Hernia congenita. Observations 
of certain parts of the animal oeconomy. London 178(5— 0. C. Weil: 
Ueber den Descensus testiculorum nebst Bemerkungen über die 
Entwicklung der Scheidenhäute und des Skrotums. Zeitschr. f. 
Heilkunde. Bd. 5. 1884. — 7. F. Bramann: Beitrag zur Lehre 
von dem Descensus testiculorum und dem Gubernaculum llunteri 
des Menschen. Archiv f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1884. Anatom. 
Abtheilung. — 8. H. Klaatscli: Ueber den Descensus testicu¬ 
lorum. Morpliolog. Jahrbuch. Bd. 16. 1890. — 9. Th. Kocher: 
Die Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane. Deutsche 
Chirurgie. Lieferung 50b. — 10. F. Bramann: Der Processus 
vaginalis und sein Verhalten bei Störungen des Descensus testi- 
eulorum. Archiv f. kliu. Chir. 40. Bd. 


Ueber eine durch Koch-Weeks’sche Bazillen hervor¬ 
gerufene Epidemie von Schwellungskatarrh.*) 

Von Dr. C h. Markus. 

M. H.! Durch Vermittlung meines bisherigen Chefs, Herrn 
Geh. Rath Schmidt-Rimpler und im Aufträge der Stadt 
Bitterfeld bin ich seit dem 24. September an der Beobachtung 
und Bekämpfung einer epidemischen Augenentzündung, die in 
letztgenannter Stadt bisher fast ausschliesslich unter den Kin¬ 
dern aufgetreten ist. Um nun den Boden zu kennen, auf dem 
diese Epidemie sich ausbreitet oder aus dem sie erwächst, habe 
ich mich einmal um die Vorgeschichte, bemüht und dann durch 
Untersuchung säinmtlicher Schulkinder, 2363 an der Zahl, 
und Eintragung des Befundes in amtlich hergestellte Listen, 
eine Grundlage für die sichere Beurtheilung neu hinzukommen¬ 
der Fälle mir wie jedem etwaigen späteren Beobachter zu schaffen 
gesucht. Ich habe nun von dem früheren Kreisphysikus, Herrn 
Geh. Rath Altenstaedt erfahren, dass seit etwa 10 Jahren 
Trachom, eingesc hleppt von d en Polen, auch unter den Er¬ 
wachsenen in Bitterfeld vorkäme, - dass "Uber eine akute eiterige 
Bindehautentzündung zum ersten Male vom November 1899 bis 
Februar 1900, sodann wieder seit dem Mai 1901 bis jetzt epi¬ 
demisch aufgetreten sei. Es ist nun ganz im Allgemeinen 

*) Vortrag, gehalten ltn Verein der Aerzte zu Halle a/S. am 
23. Oktober 1901. 


von Wichtigkeit, ob an einem Orte, der der Sitz einer epi¬ 
demischen Augenentzündung wird, Trachom endemisch vor¬ 
kommt und seit etwa wie langer Zeit.. Mir ist nun kein Fall von 
älterem Trachom, etwa im Stadium der Narbenbildung, zu Ge¬ 
sicht gekommen, noch konnte ich einen einzigen Fall finden, 
als ich, vor Allem unter Eltern von Kindern, bei denen ich 
Trachom diagnostieiren musste, nach der gleichen Krankheit 
suchte. Ferner hat sich bei Durchsicht des Verzeichnisses der 
in die k. Augenklinik zu Halle aufgenommenen und klinisch 
behandelten Trachomfälle herausgestellt, dass nur 2 Patienten 
aus Bitterfeld stammten, im Verlaufe von 8 Jahren, und dies 
waren zugereiste polnische Arbeiter, so dass sie also nicht weiter 
in Betracht kommen. 

Die poliklinischen Bücher nachzusehen, hatte ich allerdings 
noch keine Zeit. Doch bis ich mich nicht vom Gegentheil über¬ 
zeugt habe, und ich werde auch in der nächsten Zeit auf diesen 
Punkt achten, muss ich die Ansicht aussprechen, dass Trachom 
in Bitterfeld selbst seit einigermaassen langer Zeit endemisch 
nicht vorkommt. 

Bevor ich nun die Resultate meiner Schuluntersuchungen 
mittheile, muss ich erstens betonen, dass ich geringfügige Ver¬ 
änderungen der Conjunctiva, wie etwa Hyperacraie oder ein 
Paar Follikel, überhaupt nicht mitgezählt habe; solche Fälle 
wurden unter „gesund“ rubricirt. Zweitens muss ich bemerken, 
dass ich als Schüler Schmidt -KimplePs und aus eigener 
Ueberzeugung (wenn damit überhaupt ein Unterschied aus¬ 
gedrückt werden darf) Follikularerkrankungen und Trachom im 
ersten Stadium streng auseinanderhalten resp. zu trennen mich 
bemühe. Aber gerade wenn man, ich möchte sagen, in liberalster 
Weise zu den Follikularerkrankungen zählt, was nur irgend gellt, 
so darf man wohl die anders gearteten Fälle um so sicherer als 
Trachom im ersten Stadium bezeichnen; nur dieses macht ja 
diagnostische Schwierigkeiten, und nur solches habe ich in 
Bitterfeld beobachtet. Uebrigens habe ich für zweifelhafte Fälle 
die Rubrik „Trachomverdächtig“ offen gelassen. 

Ich habe nun am 7. Oktober Folgendes gefunden: In den 
3 Volksschulen mit zusammen 1928 Schülern beiderlei Geschlechts 
litten 9 I’roc. an reichlicher Follikelentwicklung in normaler oder 
annähernd normaler Schleimhaut, was Ich mit F, bezeichnet habe. 

3 Proc. an reichlicher Follikelcntwicklung in stärker gerötheter 
oder auf gelockerter Schleimhaut ^ F 2 . 

6 Proc. an einfachem Bindehautkatarrh ohne Follikel und 
ohne oder mit nur ganz geringer Sekretion — O. s. 

5 Proc. an Schwellungskatarrh in ganz akutem Stadium mit 
reichlicher eitriger Absonderung oder im Stadium der Besserung 
mit mässiger Sekretion und geringer Schwellung der IJebergangs- 
falten — S. 

1,2 Proc. litten an Trachom und ebenso viele (1,2 Proc.) waren 
Trachom verdächtig = Tr. resp. Tr. v. 

Die Realschule mit 267 Schülern und die sogen, gehobene 
Mädchenschule (alias höhere Töchter) mit 168 Schülerinnen er¬ 
gaben 20 Proc. F„ 3 Proc. F s , 7 Proc. C. s., kein Trachom oder 
Tr. v. Ein einziger Schüler hatte Schwellungskatarrh und dieser 
passt, das ist bemerkenswerth, seinem ganzen äusseren Habitus 
nach entschieden mehr in eine Volks- als ln eine Realschule. Das 
Ergebnis» aus den mltgetheilten Zahlen ist, kurz zusamnienge- 
fasst, folgendes: 1. In den Schulen Bitterfelds kommen Binde- 
hautaffektionen harmloser Art, die der Behandlung grösstentheils 
nicht bedürftig sind, mit und ohne Follikel zahlreich vor; doch 
entspricht dies nur sonstigen Erfahrungen, wie sie besonders 
Schmidt-Rimpler bei seinen zahlreichen Schulunter¬ 
suchungen gemacht und bekannt gegeben hat. Die von Kindern 
aus den social besser gestellten Kreisen besuchten Schulen halten 
einen höheren Procentsatz an Follikularaffektionen als die Volks¬ 
schulen. 

2. N u r in den letzten finden sich trachomverdächtige, an 
Trachom und an Schwellungskatarrh erkrankte Kinder. Dieser 
Satz war richtig bis heute Morgen um 8 Uhr, als mir ein Real¬ 
schüler mit Schwellungskatarrh zugeführt wurde. 

Es ist nun ganz ausgeschlossen, dass etwa die Schulgebäude 
selbst für diesen sehr ausgeprägten Unterschied auch nur zum 
Theil verantwortlich gemacht werden könnten. Denn die evan¬ 
gelische Volksschule könnte ihrer Ausstattung nach gerade so gut 
ein Gymnasium sein. Ferner zeigt sich mir auch ausserhalb der 
Schule der Schwellungskatarrh nur in den gleichen Kreisen, aus 
denen sich die Volksschüler rekrutiren. Solcher Kinder unter dem 
schulptlichtigen Alter behandele ich zwischen 50 und 60; das 
jüngste Ist 2 y 2 Monate alt. 

Im Ganzen habe ich bis heute mindestens 150 Fälle von 
Sehwellungskatarrh in allen Stadien gesehen. Ich sage min¬ 
destens, und rührt diese Ungenauigkeit des Ausdrucks daher, 
dass, wie ich mich erst im Verlaufe überzeugt habe, der akute 
Katarrh ausserordentlich Neigung hat, chronisch zu werden. 
Daher würde ich heute einen Theil der mit F,, wohl alle Traelmm- 

1 * 

e 




2138 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 53. 


verdächtige und auch manchen der Trachomfälle anders auf- 
fassen und ihnen den Namen „chronischer follikulärer Schwel¬ 
lungskatarrh“ geben. Auf diese heiklen Beziehungen will ich 
aber jetzt noch nicht eingehen, sondern das klinische Bild der 
Krankheit nach meinen Erfahrungen von Anfang an beschreiben. 

An die Spitze einer derartigen Schilderung möchte ich den 
Satz stellen, dass der durch Koch-W eek s’sche Bacillen her¬ 
vorgerufene Schwellungskatarrh eine schwere Bindehautentzün¬ 
dung, aber eine leichte Augenkrankheit insoferne ist, als ich 
eine Mitbetheiligung der Hornhaut nicht ein einziges Mal be¬ 
obachtet habe, auch von anderer Seite solche nur ganz ausnahms¬ 
weise beobachtet worden ist. Das erste Zeichen der Erkrankung, 
das ich allerdings nur in wenigen Fällen beobachten konnte, ist 
die Absonderung eines ziemlich reichlichen, gclbweissen, fädigen 
Sekrets, das sich auf der Schleimhaut beider Lider findet. Im 
auffallenden Gegensatz hierzu steht die Blässe der Schleimhaut; 
am Oberlid zeigt sich ferner eine Verdickung der offenbar in- 
filtrirten, wei-sen Uebergangsfalte. Dieser Theil der Conjunctiva 
wird nun von Tag zu Tag succulenter, weicher und blutreicher, 
die Sekretion immer reichlicher, so dass man den Eiter sich im 
inneren Augenwinkel stets wieder ansammeln sieht. Auch die 
ITiterlidschleimhaut verliert ihre blasse Farbe, wird stark in- 
jicirt und aufgelockert, doch muss ich es als eine Regel be¬ 
zeichnen, von der ich keine Ausnahme gesehen habe, dass durch 
den ganzen Verlauf der Krankheit die obere Uebergangsfalte 
viel stärker betheiligt ist, als die untere. Gewöhnlich bekam ich 
die neuen Fälle in folgendem Stadium zu sehen: Beide Lider 
massig oedematüs und geröthet, dabei weich, selten zeigte sich 
die Lidhaut maeerirt. Bulbus hochgradig injieirt, im Wesent¬ 
lichen conjunetival, aber auch perieorneale Injektion fehlte 
selten; fast stets vorhandene subconjunetivale Blutungen, die 
in den ersten Tagen die obere Bulbushälfte bevorzugen; hie und 
da sah ich diese Blutungen auch in der unteren Uebergangsfalte. 
Sie verschwanden stets in wenigen Tagen. Gelber Eiter im 
inneren Augenwinkel, dicke Sekretflocken mit zähen Fäden auf 
der Lidschleimhaut. Rahmiger Eiter kam nie vor und ist dieses 
bei kleinen Kindern ein wichtiges, ja das einzige kli¬ 
nische Moment zur Unterscheidung von der eigentlichen 
Blennorrhoe. 

Chemosis der Conj. bulbi habe ich ebensowenig beobachtet 
wie croupöse Membranen. Das ektropionirte Oberlid zeigt ent¬ 
weder die Uebergangsfalte noch verdickt, die dann leicht Blut 
aus vielen kleinen Punkten austreten liess, oder hochgradig, 
zuweilen kolossal, gewulstet mit glatter gespannter Schleimhaut 
oder den Uebergangstheil in zahlreiche parallele Längsfalten 
gelegt, zwischen und auf denen man Follikel theils sehen, theils 
nur vermuthen konnte. Diese letzteren Fälle boten häufig das 
Bild des „akuten Trachoms“. 

Ich glaube, keinen frischen Fall gesehen zu haben, bei dem 
nicht zu irgend einer Zeit. Randphlyktänen, gewöhnlich multipel, 
aufgetreten wären. Sie gehören zum Krankheits¬ 
bilde der Bitterfelder Epidemie. Von einer zu¬ 
fälligen, etwa durch Skropliulose bedingten Komplikation, kann 
gar keine Rede sein, zumal die Phlyktänen auch bei allen 
5 Erwachsenen, die ich an Schwellungskatarrh erkrankt sah, 
aufgetreten waren. Diese Erwachsenen waren sämmtlich Mütter 
kranker Kinder und boten ein etwas abweichendes klinisches 
Bild. So war die perieorneale Injektion stärker, und sah ich 
mich, was bei den Kindern nie vorkam, genöthigt, Atropin ein¬ 
zuträufeln, worauf die Pupille nur mittelweit wurde. Ferner 
blieb 3 mal das andere Auge verschont, was ich bei Kindern nie 
beobachtet habe, bei denen das 2. Auge gewöhnlich nach 1 oder 2 
und 3 Tagen stets miterkrankte. Im Uebrigen waren die Er¬ 
wachsenen, soweit ich es heute sagen kann, nach etwa 14 Tagen 
ohne weitere Veränderungen geheilt. Das eben geschilderte 
akute Auftreten mit stürmischen Erscheinungen ist die Regel, 
nur wenige Fälle mit subakutem Charakter sind mir vor- 
gekommen, dagegen eine ganze Anzahl, bei denen ich einen von 
vornherein chronisc h e n Verlauf annehmen muss. Ich gebe 
zu, für eine Behauptung von solcher Tragweite, keine unum- 
stössliehen Beweise zu besitzen, insofern, als ich in allen hier¬ 
hergehörigen Fällen die Angabe der betreffenden Mutter ver¬ 
werthon muss, dass die Augen niemals geröthet gewesen seien 
und auch nicht stark geeitert hätten. Bei den, jedem Laien auf¬ 
fallenden Erscheinungen des akuten Katarrhs, dürfen diese An¬ 


gaben jedenfalls nicht leicht als unzuverlässig bezeichnet 
werden. Es sei mir gestattet, ein Beispiel anzuführen. 

Den 4 jährigen Otto K. sah ich zum ersten Mal am 19. Oktober. 
Mutter erklärte auf eindringliches Befragen, dass die Augen nie 
roth gewesen seien, nie stark geeitert hätten. Vor 14 Tagen habe 
sie zum ersten Mal des Morgens ein wenig Verklebung der Augen 
beobachtet. 

Die Augen Ixoten nun das Bild des Trachoms mit ziemlich 
reichlichem, schleimigem Sekret, indem ich K.-W.-Bacillen, auch 
intracelluläre, gefunden habe. Unten und besonders oben massen¬ 
haft dicke Follikel in stark gerötheter und verdickter Uebergangs¬ 
falte. Bulbi ganz blass, kein Lldoedem etc. Dieser Juuge hat 
Eltern mit gesunden Augen und 4 Geschwister; eine 14 jährige 
Schwester, die zwar noch in die Schule geht, aber gleichzeitig in 
Stellung Ist und ausserhalb schläft, hat gleichfalls ge¬ 
sunde Augen. Von den beiden Brüdern, die die Volksschule be¬ 
suchen, bietet der Eine am rechten Auge ganz das Bild des 
Trachoms ohne Sekretion, der Andere ist wegen Schwellungs¬ 
katarrhs behandelt und am 14. X. mit geringer Auflockening der 
olH-ren Uebergangsfalten und wenig Follikeln aus der Behand¬ 
lung entlassen worden. Eine kleine Schwester, die ich vorher in 
den Listen als gesund bezeichnet hatte, ist am 12. X. an akutem 
follikulärem Seliwellungskatarrh erkrankt. Von diesem Falle 
stammt das eine Präparat, das ich aufgestellt habe. 

Vorhin habe ich das Bild des akuten Trachoms gebraucht; 
ich muss nun auf die Frage des Vorkommens von Follikeln über¬ 
haupt dcsshalb näher eingehen, weil allgemein der Koch- 
W eek s’sche Bacillenkatarrh als ein „f o 11 i k e 1 f r e i e r“ 
charakterisirt wird. Wo Follikel trotzdem beobachtet worden 
sind, wurden sie als praeexistirend aixgeschen oder für ihr Auf¬ 
treten von W i 1 b r a n d, S a e n g e r und S t a e 1 i n die gleich¬ 
zeitig im Sekrete Vorgefundenen gonoeoccenähnlichen Diplo- 
coecen verantwortlich gemacht. Da ich etwas Derartiges nie 
gefunden habe, so bliebe nur die, auch sicher häufig zutreffende 
crstcre Annahme übrig, zumal, wie wir gesehen haben, Follikel 
unter den Kindern Bitterfelds sehr zahlreich Vorkommen. Nun 
tragen aber meine erwähnten Notizen in den Schülerlisten 
Früchte; ich wüsste auch nicht, wie eine derartige Frage anders 
entschieden werden könnte. Ich muss nun sagen, dass auch 
nach meinen Erfahrungen in der Mehrzahl der frischen Fälle 
Follikel fehlen, dass aber andererseits Kinder, die ich als „ge¬ 
sund“ bezeichnet hatte, und die daher höchstens ein Paar Follikel 
gehabt haben können, als sie an K o c h - We e k s’schem Bacillen¬ 
katarrh erkrankten, das Bild des akuten Trachoms darboten. 
Eine Ursache kann ich nicht angeben. 

In der Arbeit von W i 1 b r a n d, Saenger und S t a e 1 i n 
fällt mir nun besonders Eines auf, und ich möchte nicht ver¬ 
fehlen, darauf hinzuweisen, das ist der allererste Satz, er lautet: 
„Unter vielen Patienten der Augenklinik des Alten allgemeinen 
Krankenhauses wurde seit Beginn des Frühjahrs 1893 eine Binde- 
hautatfektion beobachtet, die wegen anfänglich aufgetretener 
Phlyktänen am Hornhautrande mit Atropin behandelt wurde, 
aber nach 8—10 Tagen eine starke Schwellung der Uebergangs¬ 
falte mit Follikelbildung erkennen liess. Die Uebergangsfalte 
der Bindehaut war stark geschwollen und mit Reihen grosser 
Follikel besetzt.“ Die Autoren hatten Verdacht, dass es sich um 
eine Atropineonjunctivitis handeln könne, was sich aber nicht 
bestätigte. Es heisst dann weiter: „Zu diesen Schwellungs¬ 
katarrhen mit Follikelbildung, die Anfangs nur mit mässig ver¬ 
mehrter Sekretion einhergegangen waren, trat plötzlich gegen 
Mitte Mai eine blennorrhoeartige Affektion hinzu.“ Es wird 
dann die eigentliche Epidemie beschrieben. Es -ist sehr zu be¬ 
dauern. dass wir über die Bakteriologie dieser gewissermaassen 
prodromalen Erkrankung nichts wissen. So wenig es auch den 
Ansichten der erwähnten Autoren entspricht, so halte ich absolut 
nicht für ausgeschlossen, dass K o c h - W e e k s’sche Bacillen 
die Erreger dieser subakuten Erkrankung gewesen sind. 

M. II.! Mein Aufenthalt an dem Orte der Epidemie ist 
noch zu kurz, um über die Dauer der Krankheit und über 
eventuelle, die Heilung verzögernde Umstände ein ganz festes 
TTrthcil abgeben zu können. Meine Ansicht ist folgende: Die 
Mehrzahl der Fälle braucht zur Heilung bei entsprechender 
Therapie 3—4 Wochen, eine kleine Minderzahl kann in 8 oder 
14 Tagen aus der Behandlung entlassen werden. Ein grosser 
Theil geht in ein chronisches Stadium über; meine chronischen 
Kranken sind naturgemäss lauter übernommene Fälle. Ist die 
Krankheit einmal chronisch geworden, so neigt sie sehr zu Ro- 
cidiven, die dann gewöhnlich subakut verlaufen. Gestatten Sie 
mir, diese beiden wichtigen Eigenschaften an einem Falle zu 
illustriren. 


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31. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 2139 


Die Anna G. ist. wie mir Herr Geheimrath Altenstaedt 
freumllichst mittheilte, schon seit dem Mal ln Behandlung, und 
stellte einen besonders schweren Fall dar. In meiner Statistik 
vom 7. X. habe ich die Diagnose F 2 gestellt, heute würde ich sagen; 
„Chronischer Schwellungskatarrh mit einigen Follikeln*'. Der Be¬ 
fund war folgender: Beiderseits Unterlidschleimhaut massig ge- 
rüthet, wenig aufgelockert, so gut wie frei von Follikeln: die oberen 
Uebergangsfalten stärker gerötliet als die unteren, ziemlich stark 
aufgelockert, mit einigen Follikeln. Nur noch spärlicher Schleim, 
in dem ich K.-W.-Bacillen reichlich nachweisen konnte. Sonst 
Alles normal. Ich habe nun im Ganzen einmal mit Lapis und im 
l'eitrigen mit Bleilösung gepinselt und am 12. X. die Patientin aus 
der Behandlung entlassen; mit normaler Unterlidschlehnhaut, die 
oberen Uebergangsfalten blass, aber noch etwas aufgelockert, auch 
einige Follikel waren noch zu sehen. Sekretion gleich Null. Schon 
nach 4 Tagen kam die Patientin mit einem Reeidiv; subakuter 
Schwellungskatarrh des rechten Auges, im Sekret K.-W.-Bacillen. 
Dabei hat diese Patientin keine Geschwister, so dass eine frische 
Infektion nicht anzunehmen ist. 

Leider kann ich heute noch keine genaue Zahl für die chro¬ 
nischen Katarrhe angeben, doch sind es mehrere Dutzend; in 
den nächsten Tagen will ich eine Statistik darüber anfertigen. 
Gewöhnlich zeigt sich folgendes Bild: Unterlidschleimhaut in 
Folge der Bleibehandlung ganz blass und glatt, „auffallend’* 
normal, keine Spur von Sekretion, so dass man sehr leicht ver¬ 
sucht sein könnte, die Oberlider gar nicht anzusehen. Um so 
mehr ist man überrascht, bei gründlicher Ektropionirung die 
obere Uebergangsfalte stark verdickt, gerötliet, häufig blauroth, 
in starke Falten gelegt, event. mit Follikeln besetzt, zu finden. 
In den Buchten und Falten des Uebergangstheiles zeigen sich 
dann gewöhnlich auch noch graue Schleimflöckchen, in denen 
mir der Nachweis der Bacillen öfter gelungen ist. Follikel be¬ 
günstigen offenbar das Chronischwerden des Processes, doch 
gibt es auch Fälle ohne besondere Follikelschwellung, bei denen 
dann die Veränderungen sich aus Röthung und Auflockerung 
der oberen Uebergangsfalten, sowie geringer schleimiger Sekre¬ 
tion zusammensetzen. 

Bei der Wichtigkeit dieser Seite der Krankheit möchte ich 
kurz auf die Literatur eingehen: 

Kartulis. der 1887 eine Arbeit über die K.-W.-Bacillen in 
Alexandrien veröffentlichte, schreibt: „Es bleibt eine granulöse 
Infiltration der Bindehaut zurück .welche späterhin das klinische 
Bild des Trachoms bietet“; anderseits: „Eine frühzeitig behandelte 
Conjunctivitis führt schnell zur Heilung und endet selten mit 
Trachom". Wecks 0887) in Nordamerika sagt: „Der Katarrh 
läuft in 3 Dis 8 Wochen ab, kann aber auch länger anhaltcn“. Die 
schon genannten Wilbraud. S a e n g e r und S t a e 1 i n (1893), 
die eine Epidemie in Hamburg la‘schreiben, bei der sich allerdings 
neben unseren Bacillen die gleichfalls schon erwähnten Diplo- 
eoeceu fanden, iiussem sich, wie folgt: „Während die mit Fol¬ 
likeln nicht komplizirten Fälle meist nach 3—4 wöchentlicher Be¬ 
handlung geheilt worden waren, zeigten sich meist die Fälle mit 
Follikelschwellung in hohem Grade hartnäckig“. Ferner: „Bei 
einer geringen Anzahl von Fällen entwickelte sich aus dem akuten 
Stadium ein wirkliches Trachom, was um so auffallender er¬ 
scheinen muss, als hier in Hamburg Trachom endemisch nie vor¬ 
zukommen pflegt und nur an zugereisten Arbeitern zur Beobach¬ 
tung kommt“. Auch Reehlive kamen in Hamburg vor. Ausser 
in der Stadt trat die Krankheit auch in einem Pavillon des Eppen- 
dorfer Allg. Krankenhauses auf. Sämmtliche 20 Insassen sind 
erkrankt nebst den beiden Wärterinnen. Alle neu hinzu¬ 
gekommenen Kinder erkrankten ebenfalls wieder. Sie zeigten 
dann klinisch meist eine starke Follikelschwellung mit Schwellung 
der Uebergangsfalte, Röthung und Oedem der Lidhaut und schlei¬ 
mig-eitrige Sekretion der Bindeha'ut. Von den beiden Wärterinnen 
zeigte die Eine glatte Conjunetiva, bei der Anderen, einer Ilam- 
burgerin, entwickelte sich auf beiden Augen ein ausgesprochenes 
Trachom“. Im Sekret fanden sich nur K.-W.-Bacillen. aber keine 
Diplococceu; doch nehmen die Verf. an, dass auch letztere vor¬ 
handen gewesen waren und nur in Folge der späten Untersuchung 
vermisst worden sind. 

In der neuesten Arbeit über den K o c h - W e e k s’schen 
Bacillus kommt H offmann (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 33, 1900t 
gleichfalls zu dem Schlüsse, dass die acute Entzündung chronisch 
werden und dann „sehr erhebliche papilläre Hypertrophien der 
Bindehaut hervorrufon kann“. Ich könnte noch weitere Belege für 
das Chronisch werden des Processes aus der Literatur beibringen. 

Der Schwerpunkt der Bekämpfung der Epidemie liegt meiner 
Ansicht nach in der Behandlung des einzelnen Falles, da mit der 
möglichst schnellen Beseitigung des Eiters die Quelle der An¬ 
steckung verstopft wird. Auch darf man hoffen, durch eine ge¬ 
eignete Therapie, dem Chronischwerden verbeugen zu können. 
Ich behandle desshalb die Fälle mit succulenter Schleimhaut und 
starker Sekretion mit 2 proc. Lapislösung unter Nachspülen von 
Kochsalz; zu Hause kalte Umschläge. Die Phlyktänen bilden 
sich, wie auch sonst, auf gelbe Salbe zurück. Die gebesserten 
und chronischen Fälle touchire ich meist mit lVz proc. Blei- 

No. 53 


lösung, die trachomähnlichen Fälle eventuell mit Alaun¬ 
oder Kupferstift. Bei wirklichen Trachomen habe ich auch die 
K n a p p’schc Rollpinzette benutzt. Da die Infektion wohl aus¬ 
schliesslich durcli Kontakt erfolgt., so wurden natürlich die sich 
daraus ergebenden Rathschläge eindringlich ertheilt. Doch ist 
cs bis jetzt nicht gelungen, die Epidemie zum Erlöschen zu 
bringen; fast täglich kommen 1 oder 2 neue Fälle zur Be¬ 
obachtung, der 15. Oktober überraschte mich sogar mit 8 frischen 
Erkrankungen. Dabei waren die letzten 14 Tage Schulferien. 

Ueher die Ausbreitung dc4 Epidemie kann ich mit Bestimmt¬ 
heit sagen, dass sie familien- resp. häuserweise erfolgt, wie dies 
auch in Hamburg der Fall war. Ich konnte mich davon so recht 
überzeugen, als ich einmal erkrankte Kinder strasseuweise in 
ihren Wohnungen aufsuchte. Das höchste leistete eine Familie 
H.; hier war die Mutter mit ihren sämmtlichen 6 Kindern gleich¬ 
zeitig befallen. Hat demnach die Epidemie entschieden n i c h t. 
den Charakter einer Sehulepidemie, so ist doch natürlich auch 
dort. Vorsicht geboten; und so werden auf Anordnung des Herrn 
Kreisarztes täglich die Thürklinken, Bänke, Tische und Fuss- 
böden mit Karbolsäure-Seifenlösung abgewaschen. Anderseits 
sehliesse ich aber nur die. frischen, secernirenden Fälle vom 
Schulbesuche aus; die anderen in Behandlung stehenden Schul¬ 
kinder nehmen nur in den Klassen von den Gesunden möglichst 
getrennte Sitze ein. 

Wie die Epidemie vor 2 Jahren zuerst entstanden ist, darüber 
kann man wohl nicht einmal Vermuthungen haben. Dass sie 
aber in der ärmeren Bevölkerung begonnen und sich bisher fast 
ausschliesslich unter ihr verbreitet hat, ist Thatsaehe. Eines, 
Bindehautentzündungen ganz im Allgemeinen begünstigenden 
Umstandes, möchte ich noch gedenken; das ist der Mangel an 
Pflaster in sehr vielen Strassen Bitterfelds. Bei Wind er¬ 
hebt sich daher (‘in starker Staub, und war ich bei meinen Sehul- 
untersuchungen über die Menge von Schmutz im Bindehaut¬ 
sacke vieler Kinder doch erstaunt. 

Wenn ich nun zu meinen bakteriologischen Resultaten über¬ 
gehe, so kann ich auf eine Captatio benevolent iae leider nicht 
verzichten und muss darauf hinweisen, dass ich in der ersten 
Zeit neben den Schuluntersuchungon gegen 300 Fälle täglich zu 
behandeln hatte und dazu noch durch die Eisenbahnfahrt nach 
Halle stets viel Zeit verloren habe. Auf der anderen Seite 
drängt es mich aber, Herrn Prof. F raenkel für die freund¬ 
liche Aufnahme in seinem Institute und Herrn Löh lein für 
sein grosses Entgegenkommen auch hier meinen herzlichsten 
Dank zu sagen. Von vorneherein kamen als Erreger der Epi¬ 
demie eigentlich nur Pneumncoeeen und K o e h - W e c k s’sche 
Bacillen in Betracht. Wenn ich nun die letzteren für unsere 
Epidemie in Anspruch nehme, so geschieht es auf Grund folgen¬ 
der Befunde. Ich habe das Bindehaut sekret von über 60 Fällen 
in Ausstrichpräparaten untersucht und in allen frischen und fast 
allen chronischen Fällen K.-W.-Bacillen gefunden, und zwar ge¬ 
wöhnlich in Reinkultur, nur hie und da fand sich einmal ein 
Coccus oder ein Xerosestäbchen. Von der Massenhaftigkcit, mit 
der die Bacillen auftreten können, sowie ihrem Aussehen bitte 
ich Sie, sieh durch Betrachtung der aufgestellten Präparate zu 
überzeugen. Es handelt sich um sehr kleine und besonders sehr 
dünne, den Intluenzabacillen ähnliche Stäbchen, die sowohl intra- 
als extracellulär liegen; auf das erstere Verhalten ist aber das 
Hauptgewicht zu legen. Ihre Länge kann übrigens etwas wech- 
sein. Gewöhnlich liegen sie in Haufen, selten in kurzen Ketten. 
Zu ihrer Färbung empfiehlt sich besonders verdünntes Karbol- 
fuehsin; sic werden aber im Allgemeinen weniger stark gefärbt, 
als zufällig gleichzeitig anwesende Coccen und Bacillen anderer 
Art. Nach Gram werden sie entfärbt, und gelingt eine Nach¬ 
färbung, etwa mit Safranin nur sehr unvollkommen. Ganz im 
Anfang der Erkrankung finden sich die Bacillen nur relativ 
spärlich im Sekret, ihre Zahl wächst dann ausserordentlich in den 
nächsten Tagen. Auch in alten chronischen Fällen fand ich sie 
gelegentlich noch massenhaft; dass man sie auch nach 5 bis 
6 Monate langem Verlaufe noch reichlich im Sekrete antrifft, 
davon habe, ich vorhin ein Beispiel angeführt. Nur bei einer 
Frau überwogen einmal Xerosebacillcn die Koeh-Weeks’- 
selxen und im Bindehautsekrete ihres 5 Monate alten Kindes fand 
ich neben den K.-W.-Bacillen zahlreiche Pneumococcen. Von 
besonderem Interesse dürfte sein, dass bei 11 untersuchten Tra- 
chomfällen 6 mal K.-W.-Bacillen sich im Sekrete nachweisen 
Hessen, in 2 Fällen mit gleichzeitiger Blepharitis angularis fand 

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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 53. 


2140 

ich Diplobacillen, 1 mal Xerosebaeillen und Staphylococcon und 
2 mal überhaupt keine Bakterien. Zur Ergänzung des Deckglas¬ 
befundes habe ich mich bemüht, Reinkulturen zu erhalten. Nun 
ist zu bemerken, dass die Bacillen nach übereinstimmendem 
Urtheil sehr schwer zu züchten sind, einmal, da sie besondere 
Ansprüche an den Nährboden stellen, dann weil die Kulturen 
nicht sehr dauerhaft sind, und schliesslich sind sie von gleich¬ 
zeitig wachsenden saprophytischen Mikroorganismen nur schwer 
zu trennen. Ich habe mich auch von der Schwierigkeit des 
Wachsthums überzeugt, und liegt hierin schon ein halber Beweis, 
dass ich es wirklich mit K.-W.-Bacillen zu thun habe. So ist auf 
Blutserum-Röhrchen nichts oder nur Staphylococcen gewachsen. 
Dagegen habe ich durch Aufträgen von dicken Eiterflocken auf 
mit menschlichem Blut bestrichenen Agarröhrchen Kulturen er¬ 
halten. Ich nahm den Eiter von der Schleimhaut des ektropio- 
nirten Oberlids und vermied dabei die Berührung von Cilien 
oder Lidhaut. Zweimal habe ich auf diese Weise primäre 
Reinkulturen erhalten, die ich mir erlaube. Ihnen hier zu 
zeigen. Von dem einen Röhrchen rührt auch das, die Bacillen 
in Reinkultur zeigende, aufgestellte Präparat her. Die Kolonien 
hüben sich nach 24 Stunden in der Umgebung der Eiterflocken 
entwickelt; sic setzen sich aus glasigen Punkten zusammen und 
sind in Folge ihrer transparenten Beschaffenheit etwas schwer zu 
sehen. Weiterzüchtung ist mir bisher noch nicht geglückt, doch 
habe ich mich, aus Mangel an Zeit, auch erst wenig mit diesem 
Theile der Untersuchung beschäftigt. 

Auf die bakteriologische Literatur möchte ich nicht näher 
eingehen; nur zur Erklärung des Namens sei bemerkt, dass 
Robert Koch die Bacillen 1883 zuerst in Aegypten in Aus¬ 
strichpräparaten gesehen, Wecks in Nordamerika 1886 die 
ersten Kulturen beschrieben hat. Die einzige grosse Epi¬ 
demie in Deutschland ist von Wilbrand, Saenger 
und Staelin in Hamburg beschrieben worden. Auf das 
sonstige V o r k o in in e n der Bacillen will ich nicht zu sprechen 
kommen, nur kurz erwähnen, dass ich hier in Halle als Assistent 
die Bacillen öfters in Ausstrichpräparaten gefunden habe. 

Differentialdiagnostisch kommt eigentlich nur ein von 
Müller in Aegypten gefundenes, gleichfalls dem Influenza¬ 
bacillus sehr ähnliches Stäbchen in Betracht, das Müller ge¬ 
neigt ist, als den Erreger des Trachoms aufzufassen. Dieser 
M ü 11 e rische Bacillus unterscheidet sich aber nur in sehr sub¬ 
tiler Weise, besonders durch sein kulturelles Verhalten, von 
dem Koch-Week s’schen. 

Zum Schluss möchte ich noch einmal kurz auf die wich¬ 
tigste Seite der Epidemie hinweisen, und das sind die Be¬ 
ziehungen zwischen Schwellungskatarrh und Trachom, die sich 
in Bitterfeld herausgestellt haben. Ich glaube, dass dieser Ort 
als eine neue und junge Domaine des Trachoms, dessen Fort- 
schreiten von Osten nach Westen öfter betont worden ist, an¬ 
gesehen werden kann; und da ist denn das zeitliche Zusammen¬ 
treffen mit dem epidemischen Schwellungskatarrh doch be- 
merkenswerth. Ich habe sehr wohl die beiden Möglichkeiten im 
Auge, dass es sich um eine superponirte, Infektion (der Ausdruck 
stammt nicht von mir) handeln könnte, sei es, dass Trachom 
oder Schwellungskatarrh das Primäre gewesen ist, das letztere 
würde ich für das Wahrscheinlichere halten. Oder es könnte, 
um wieder einen kurzen und gelehrten Ausdruck zu gebrauchen, 
eine simultane Infektion vorliegen. Wie dem auch sei, in 
praxi verdient die Epidemie ernste Beachtung, und ich glaube, 
dass über längere Zeit fortgesetzte Beobachtungen in der an¬ 
gedeuteten Richtung uns auch in der Erkenutniss des Wesens 
des Trachoms einen Schritt weiter bringen könnten. 


Ueber einen Fall von Prolaps der Urethra bei einem 
fünfjährigen Mädchen. 

Von Dr. Beute, prakt. Arzt in Sulingen, Pr. Hannover. 

Herr Prof. Glaevcckc in Kiel hat in No. 22 der Münch, 
med. Wocheiischr. vom 28. Mai l!»()l über einen Fall von Prolaps 
der Urethra beim weiblichen Geschlecht berichtet, die Seltenheit 
dieses Leiden* mich den literarischen Aufzeichnungen dargelegt 
und betont, da-s jeder solcher Fall von Interesse zur Veröffent¬ 
lichung sei. Ich möchte cs des-halb nicht versäumen, einen 
i bcii-«- leben Fall, den ich nicht lange nachher zu beobachten 
Gelegenheit hatte, mitzutlieileii, zumal ja eigentlich jeder Fall 
Besonderheiten bietet und dieser in aetiologischer Beziehung zu 


den Ausnahmen gestellt werden müsste, da er sich den Fällen 
von Graefe, Benecke und Simon anreiht. 

Ich lasse in Kürze die Krankengeschichte folgen: 

Am 20. VI. li)01 wurde Ich zu der 5»/« jährigen Minna V. von 
hier gerufen, weil dieselbe nach Angabe der Mutter seit etwa 
2 Tagen Blutungen habe, ähnlich wie Frauen bei der Menstruation; 
eine Tbatsacbe, welche die Mutter nicht fassen konnte, die sie'dess- 
halb in Staunen und Schrecken setzte. 

Die betreffende kleine Patientin, ein kräftig entwickeltes, 
sonst völlig gesundes Mädchen von angeblich ca. 50 Pfund Gewicht, 
soll vorher nie krank gewesen sein, auch die Eltern sind angeblich 
stets gesund gewesen. 

Die Pat. liegt zu Bett, hat sich aber bis dahiu frei bewegt 
und keinerlei Beschwerden gehabt, ausser der Blutung. Allerdings 
gibt die Pat. jetzt an, dass sie etwas Schmerzen in der Scheide 
habe. Weitere amuuuestisch wichtige Thatsacheu werden nicht 
angegeben. 

Status praesens: Nachdem ich iin Hemd einige Blut¬ 
flecken koustatirt hatte, welche dem Anliegen desselben in der 
Schamgegend entsprachen, untersuchte ich die Kranke in Steiss- 
rückeuiage bei auseinandergebaltoueu Schamlippen. Sofort fiel 
nun ein intensiv dunkelrotli verfärbter, feuchtschimmernder rund¬ 
licher Tumor in die Augen, welcher etwa taubeneigross war und 
nach vorn gegen die Klitoris, nach hinten gegen das Hymen semi¬ 
lunare begrenzt, Iwiderseits einen freien Spalt nach vorn und hinten 
liess. Auf Druck ist derselbe nur massig empfindlich, blutete leicht, 
war aber nicht exkoriirt Die linke Hälfte des Tumors ist etwas 
stärker entwickelt als die rechte; etwa in der Mitte desselben be¬ 
findet sich eine mehr längliche als runde eben sichtbare Einziehung, 
welche ich als das Orificimn externum urethrac ansprach und 
daher zum Katheter griff, um diese Annahme zu sichern. Der 
Katheter liess sicli nun auch, wie ich erwartet hatte, glatt durch 
die Einziehung einführen und der sofort abfliesseude klare Urin 
zeigte mir, dass ich die Harnröhre passlrt hatte. Nachdem die 
Reposition des Tumors gelungen war. wenn auch nicht ganz so 
leicht, als ich erwartet hatte, zumal das Kind recht kräftig schrie 
und ln der Vagina nichts Abnormes mehr zu entdecken war. konnte 
die Diagnose auf Prolaps der Urethralsohlelmhaut — und zwar 
handelte es sich um einen totalen — als gesichert betrachtet 
werden, wie sie denn später auch von dem Spezialisten, an den 
das Kiiul zwecks Openition verwiesen wurde, bestätigt worden 
ist. Der Prolaps kam sofort wieder zum Vorschein, wenn nach 
der Reposition der angewandte Gegendruck aufgehoben wurde. 
Endlich mag nicht unerwähnt bleiben, dass Schmerzen beim Urin- 
lassen nicht bestanden und der Urin gut gehalten werden konnte. 

In Bezug auf die Frage der Aetlologie dieses Falles ist zu¬ 
nächst ja die interessanteste Tliatsacho die. dass es sieb in diesem 
Fall um ein kräftig entwickeltes, sonst völlig gesundes Mädchen 
handelte, so dass man den allgemeinen Annahmen geinäss, dass 
schwächliche und körperlich heruntergekommene Kinder oder 
senile dekrepidc Frauen besonders disponirt sind, diesen Fall zu 
den Ausnahmen rechnen muss. 

Obgleich nun von den Eltern Anfangs angegeben wurde, dass 
das Leiden „von selbst“ gekommen sei. Hessen sich doch auf 
genaue Nachforschung hin zwei Momente finden, die man sicher¬ 
lich als Gelegenheit.sursachcn für die Entstehung in Anspruch 
nehmen kann und muss. Das erste Moment wird man in einem 
heftigen Hustenreiz erblicken, welcher mir am 2. Tage auffiel, so 
heftig, dass ich mich schon im Hinblick auf die eingeschlagene 
Therapie genöthlgt. sah. ihn zu bekämpfen. Dieser Hustenreiz sollte 
bereits seit einigen Tagen, allerdings nicht ln der Heftigkeit be¬ 
stehen, war mir am ersten Tag freilich nicht aufgefallen. Wich¬ 
tiger erscheint mir die Angabe der Eltern, dass das Kind stets 
auffallend lange Zeit zur Stuhlentleerung gebraucht habe, also 
sicher eine bestehende chronische Obstipation anzunehmen ist, so 
dass also die starke Anstrengung der Bauchpresse als förderndes 
Moment bei der Entstehung des Prolapses eine Hauptrolle spielen 
würde. Eine noch verstärkte Aktion wurde in letzter Zell durch 
die heftigen Hustenanfälle herbeigeführt. Ob nun lieide Momente 
zusammen die bereits vorhandene Anlage so gefördert haben, dass 
die erwähnten Erscheinungen plötzlich auftraten? Es isc wohl als 
sicher anzunehmen, dass es sich um ein chronisch entstandenes 
Leiden handelte, und man könnte hierfür in der Thntsache, dass 
akut entstandene Prolapse meistens ohne Operation ausheilen, was 
hier nicht der Fall war. einen weiteren Beweis erblicken, wenn 
man will. Alles in Allem nicht uninteressante Erscheinungen, 
da bei der kräftigen Körperkonstitution an und für sich eine Er¬ 
schlaffung der Gewebe nicht angenommen werden kann, diese 
aber doch durch die lange,vorhandene chronische Obstipation (an 
der das Kind eigentlich stets gelitten haben soll) au der in Frage 
kommenden Stelle bewirkt zu sein scheint. 

Die Therapie bestand in Actzungen mit dem Argentumstift, 
nachfolgender Reposition und Einlegen eines für das Lumen der 
Urethra passenden Gmumidrains, das in geeigneter Weise gut 
zurück gehalten wurde. Trotzdem war diese Therapie erfolglos, 
wie ich denn gleich Anfangs den Eltern die Openition als das 
wahrscheinlich allein Wirksame in Aussicht gestellt batte, die aber 
Anfangs verweigert wurde. Sie wurde später vom Frauenarzt 
Herrn Dr. Z. in B. ausgeführt und zwar nach dessen liebens¬ 
würdigen Mittheilungon in folgender Weise: Es wurde zunächst 
die Harnröhre bis zum ursprünglichen Orificiuiu externum urethrac 
gespalten, also bis zum äusseren Saum der TJrethralschlehnhaut, 
dann an der richtigen Stelle die von ihrer Unterlage abgehobene 


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31. Dezember 1901. MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2141 


Schleimhaut circular excldirt, sodann in dieser Höhe der ganze 
Prolaps abgetragen, nun endlich der Saum des noch übrig ge¬ 
bliebenen kleinen Stückes der Harnröhre mit der äusseren Haut 
vernäht, also ungefähr mit dem ursprünglichen Orificium uretlirae 
externum. 

Der Erfolg war glatte Heilung, und das Kind nunmehr völlig 
von seinen Beschwerden befreit. 


Aus der kgl. sächsischen Heil- und Püegeanstalt für Frauen 
zu Hubertusburg. 

Zwei Fälle von Urticaria, hervorgerufen durch die 
Vogelmilbe (Dermanyssus avium). 

Von Dr. W. He in icke, Hilfsarzt. 

Es dürften bis jetzt in der Literatur nur wenig Fälle be¬ 
kannt sein, wo die bei den verschiedensten Vögeln vorkommende 
Yogchnilbe als Schmarotzer des Menschen und Erreger eines 
typischen Nessel frieseis geschildert wurden, und doch kann diese 
Kenntniss sicher in manchen Fällen von Urticaria, deren Hei¬ 
lung sonst viel Schwierigkeiten machen würde, recht nützlich 
sein, ja die 2 Fälle, die ich weiter unten beschreiben will, er¬ 
mahnen, möchte ich fast sagen, dazu, bei Erkrankung an Urti¬ 
caria, hauptsächlich wenn sie z. B. in einer Familie bei mehreren 
Mitgliedern derselben auftritt und keine der bekannten Ent¬ 
steh ungsursachen in Betracht kommt, darnach zu fahnden, ob 
nicht im Hause ein Kanarienvogel, Kreuzschnabel, Papagei u. s. f. 
gehalten wird, oder ob nicht ein Schwalbenpaar in demselben 
nistet, Vögel, die oft von der Vogelmilbe heimgesucht werden. 
Ich komme jetzt auf die 2 Fälle zu sprechen, die ich an 2 Pa¬ 
tientinnen der Heil- und Püegeanstalt Hubertusburg beobachten 
konnte. 

Eines Morgens wurde mir mitgetlieilt, dass 2 Damen, die ver¬ 
schiedene in demselben Parterre gelegene Zimmer eines Einzel¬ 
hauses der Anstalt bewohnten, Uber Nacht plötzlich von einem 
heftig juckenden Ausschlag befallen worden seien. 

Die Untersuchung ergab eiue weit Uber den Körper ausge- 
breitete Urticaria bullosa, tbeihveise auch die Form der Urticaria 
liaemorrhagiea. Die Kranken waren fieberfrei. Eiue Ursuche Hess 
sieli jedoch trotz genauester Exploration nicht finden; es wurde 
in Folge dessen nur symptomatisch vorgegangen und der lästige 
Juckreiz durch Waschungen mit 1 proc. Karbolsäurelösung bedeu¬ 
tend gemildert. Tags iilK*r befanden sich nun die beiden Kranken 
fast ganz wolii. einiges Grimmen der über Nacht entstandenen 
Eruptionen abgerechnet, um aber Nachts von Neuem durch einen 
verstärkten Nachschub der Urticaria auf's Stärkste belästigt zu 
werden. Dieser Umstand erregte wenig Aufsehen, da ja der Nessel- 
friesel meist in der Bett wärme sich verschlimmert; um so mehr 
fiel es aber im Verlauf des nächsten Tages auf, dass die eine der 
Patientinnen, die zufälliger Weise in Folge einer ihr öfters Be¬ 
schwerden machenden Nierenaffektion auch tagsüber das Bett 
nicht verliess. trotzdem wenig von dem Friesei behelligt wurde, 
wo doch dieselben Wärmebedingungen wie Nachts gegeben waren. 
Zur nämlichen Zeit gab die andere Dame an, dass sie zwischen 
dem Nachts aufgetretenen heftigen Jucken oft sehr intensive Stiche 
gefühlt habe, wie Mückenstiche; dann sei es ihr gewesen, als liefe 
etwas über den Körper hin, um an einer anderen Stelle wieder zu 
stechen; sie habe daraufhin Nachts nachgesehen und auf der Haut 
ein ganz winziges, sich schnell bewegendes Thierclien von grauer 
Farbe gesehen, Angaben, die in derselben Weise jetzt auch von 
der anderen Kranken bestätigt wurden. Es wurde nun der ganze 
Körper nach den bezoichncten Thierehen durchsucht, jedocli ganz 
erfolglos: dagegen fand man in den Falteu der Wäsche solche in 
ziemlicher Anzahl und die mikroskopische Untersuchung ergab, 
dass wir es mit der ganz gewöhnlichen Yogelmilbe zu tlnm hatten. 
Im Innern dos licibes sali man gehäufte rothe menschliche Blut- 
körpcn heii. Setzte man eine solche Milbe auf die Haut, so lief 
sie ziemlich schnell ein Stück vor, stach ein, saugte sich voll, 
lief weiter und stach wieder, oder kehlte nach der ersten Stieli- 
stelle zurück. 

Woher kamen mm die Millien? Die Lösung war sehr 
einfach, von einem ganz in der Nähe der beiden Zimmer sieh be¬ 
findenden Schwalbennest, das lliigge Junge beherbergte, die Uber 
und über mit der Yogelmilbe liesüt waren. 

Aus dem Leben dieser Schmarotzer erklärt o$ sich nun sehr 
leicht, dass die Patientinnen fast nur zur Nachtzeit von ihnen 
gepeinigt wurden; genau, wie die Wanzen, verkriechen sich 
diese Milben am Tage in Schlupfwinkel — in unserem Falle 
werden das Thürritzen, Spalten zwischen den Brettern der Bett¬ 
stellen etc. gewesen sein —. um Nachts aus ihren Verstecken 
horvorzukonniien, sich ein Wohnthier zu suchen, an dessen Blut 
sie ihren Hunger stillen können; dieses Nachtleben macht cs 
auch verständlich, warum am Tage trotz sorgfältigster Unter¬ 
suchung am Körper der Kranken keine Milbe gefunden wurde. 
Nachdem nun die Ursache erkannt war, wurde das Nest be¬ 
seitigt, Wiinde, Thüren, Bettstellen etc. gründlich abgeseift, 


Matratzen, Wäsche, Kleider desinficirt und von diesem Punkte 
ab traten keine weiteren Schübe von Urticaria mehr auf, die 
noch vorhandenen Reste derselben verschwanden rapid unter 
der schon oben erwähnten Waschung mit 1 proc. Karbolsäure - 
lösung, und am nächsten Tage waren die Patientinnen voll¬ 
kommen geheilt. 


Das Isodynamiegesetz. 

Von Dr. H. v. Hösslin in Bergzabern. 

Prof. Crem er, Schüler Karl v. Voit’s, schreibt in seiner 
Abhandlung „Zum 70. Geburtstage Karl v. Volt’s“, die mir in 
Folge Urlaubs erst vor 3 Tagen zu Gesicht kam, Rubner die 
„Auffindung“ des Isodyuainiegesetzes zu. Der Satz, dass die 
Nährstoffe sich nach dem Verhältnis ihrer Wärmewerthe ver¬ 
treten, ist schon weit früher, z. B. schon 1846 von C. Schmid, 
ausgesprochen worden, eT war nur unter dem Einflüsse der spä¬ 
teren Schule wieder völlig vergessen worden. In meiner Arbeit 
über den Einfluss der Nahrungszufuhr auf Stoff- uud Kraftwechsel 
(Vlrcli. Arch. Bd. 89, S. 333) habe Ich von Neuem den Satz auf¬ 
gestellt und eingehende Beweise dafür beigebracht, dass die Nähr¬ 
stoffe sich annähernd genau nach ihrem Verbrennungswerthe im 
Thierkörper vertreten. 

Ich hatte diese Arbeit gemeinsam mit der Arbeit „Experimen¬ 
telle Beiträge zur Frage der Ernährung fiebernder Kranker“ 
(Virch. Arcli. Bd. 89) an Weihnachten 1881 Vo i t übergeben zur 
Aufnahme in die Zeitschrift der Biologie. Meine Arbeit gab An¬ 
lass zu endlosen Verhandlungen und zu den heftigsten Debatten im 
Münchener physiologischen Institute, während der ersten Monate 
des Jahres 1882, und Rubner stand damals nicht auf meiner 
Seite. Nur Max G ruber, jetzt Professor in Wien, vertheidigte 
von Anfang an die Richtigkeit meiner Schlussfolgerungen, spec. 
auch gegenüber Rubner in Bezug auf die Vertretung der Nähr¬ 
stoffe nach dem Verhältniss ihres Verbrennungswerthes im Thier¬ 
körper. Meine Arbeit wurde schliesslich wegen der darin (S. 349 
u. ff.) vertretenen wissenschaftlichen Ansichten, von deren Ver¬ 
öffentlichung ich nicht abstehen wollte, von Volt abgewiesen. 

Rubner hat dann eine Reihe neuer Versuche mit exakter 
Fragestellung über die Frage der Isodynamie gemacht und da¬ 
durch neue, schlagende Beweise beigebracht. Sein erster Versuch 
mit Rohrzucker (lliol. Bd. 19, S. 354) ist schon Februar 1882 (3. 11. 
bis 8. II) augestellt worden, wie der Vergleich mit den Zahlen 
S. 541 (Hund VI ') beweist, der zweite Versuch ist 4 Wochen später 
angestellt (S. 361); der Rohrzuckcrversueh am Huhn ist angestellt, 
um zu zeigen, dass der Rohrzucker beim Huhn denselben Ver¬ 
tretung« wertli hat, wie beim Hunde, ist also noch später augestellt. 
Der erste Stärkeversuch ist am Hunde VI am 2.-7. II. 1883 
(s. S. 541) angestellt, wie nachstehende Zusammenstellung beweis»: 

S. 376: Körpergew. 6,215; Temp. 15,9° C.; Hungertag (13—6'; 

S. 541: „ 6,21 ; „ 15,9° C.; „ ( 8); 

Cal. aus Fett 289,82 (291,300 ist falsch*). 

„ ,, n 289,82 

Der Versuch mit Traubenzucker (der als direktes Nahrungs¬ 
mittel wenig Bedeutung hat) steht zwischen den Rohrzuckerver¬ 
suchen und den Stärke versuchen: es ist anzunehmen, dass er auch 
zeitlich in den langen Zwischenraum von März 1882 bis Februar 
1883 hineinfällt. Bezüglich des Eiweissversuches S. 341 weiss ich 
von Rubner selbst, dass er erst nach dem Jahre 1881 angestellt 
worden ist. Auch der Versuch S. 328 ist 1882 am 2. V. (Hund V. 
S. 541) angestellt. Abgesehen von dom Fett- und Hungerversuche 
S. 325 ist nur der — eine völlig andere Frage Itetreffende — Ver¬ 
such S. 332 vor dem Jahre 1882, nämlich am 5. XII 1881 (Hund VI, 
S. 541). alle anderen, d. h. alle, w e 1 c h e d i e Isodynamie- 
frage behandeln, sind also später augestellt. 

Wie die Ansichten Rubner'» vor dem Jahre 1882 gestalte» 
waren, darüber gibt seine kleine Arbeit, die Biol. Bd. XVII, S. 214 
im Sommer 1881 erschien, gerade genügenden Aufschluss. S. 236 
spricht er davon, dass 160 Theile stickstoffhaltiger Substanz 42.7 
oder 41,5 Theile Fett äquivalent sind und schliesst, es scheine, 
als ob Eiweiss diejenige Menge von Fett vertritt, die aus ihm zu 
entstehen vermag. Von der Anschauung, dass der Wärmewerth 
der Stoffe das Mnass der Vertretung abgebe, ist in der ganzen Ab¬ 
handlung noch keine Spur zu finden. S. 237 unten uud 238 oben 
stellt er seine Befunde am Kaninchen als direktes Beispiel der 
Richtigkeit der V o 1 t’sehen Anschauung hin, dass kleine Thlere 
nur in Folge des rascheren Säftestromes mehr Eiweiss. aber nicht 
mehr Fett (pro Kilo) verbrauchen als grosse Thiere. Von der An¬ 
schauung, dass die grössere Wärmeabgabe an der relativ grösseren 
Oberfläche der kleinen Thiere die Ursache des erhöhten Stoff¬ 
wechsels der kleinen Thiere sein könne, ist vor der Zeit, wo ich 
diese Anschauung im Münchener physiologischen Institut ver¬ 
theidigte, bei ihm also auch keine Rede. 

S. 238 schreibt er: „Diese Zahlen lassen sieh deuten unter der 
von Volt aus seinen Versuchsergebnissen gemachten Annahme, 
dass das Eiweiss, als am leichtesten zersetzliehe Substanz, zu¬ 
nächst ln den Zerfall gezogen wird und die Grösse der Zersetzung 
desselben abhängig ist von der Quantität des den Zellen in der 
Saftströmung zugeführten gelösten Eiweisses uud von der Masse 


') Vergl. Zahl der Hungertage (4), Körpergewicht, Temp.. 
Cal. aus Fett und Eiweiss. 

: ) 63,15 C aus zersetztem Fett (S. 341» geben nach R. 
705,45 Cal., also lCr 12.5954 Cal. und 23,01 — 289,82 Cal. 

2 * 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


der stoffhaltigen Zellen. Ist dadurch die Kraft der Zellen, Stoffe zu 
zerstören, noch nicht verbraucht, so wird erst das Fett in Angriff 
genommen.“ Kühner steht also hier ganz auf dem alten Stand¬ 
punkte, den Volt noch iu seinem Lehrbuche, das auch 1881 
erschien, vertritt*): dass die Zelle Kraft aufwenden müsse, um 
die Nährstoffe zu zertrümmern; am leichtesten zerlegbar ist für 
die Zellen das Eiweiss, daun die Kohlehydrate, am schwersten 
das Fett. Nach der V o i t'schen Auffassung hat Wärmebildung 
und der Wärmewerth der einzelnen Stoffe mit der Ernährung 
nichts zu thun; wenn ein Stoff bei seiner Oxydation nebenbei 
Wärme liefert, so ist dies eine andere Wirkung, als die eines 
Nahrungsstoffes. Hauptsächlich die Nahruugszufuhr und die 
Arbeit haben Einfluss auf die Höhe des Stoffwechsels; der Sauer¬ 
stoffverbrauch schwankt, nur durch die wechselnde Zufuhr von 
Nahrungsmitteln bedingt, iu den weitesten Grenzen hin und her. 
Besonders Elweisszufulir erhöht stets den Sauerstoffverbrauch. 
Hie Zersetzung der Stoffe erfolgt innerhalb der die Zellen und 
das Protoplasma umspülenden Flüssigkeit durch eine Art Coutact- 
wirkung, die von den Zellen ausgeht; Alles was den Flüssigkeits- 
stroni vermehrt, steigert desshalb die Zersetzung u. s. w. 

Wer meine Arbeit (Vircli. Arcli. Bd. Sb, S. 333) gelesen hat. 
wird es begreiflich finden, dass Voit meine Arbeit nicht in 
die Zeitschrift für Biologie aufgeuommen hat, er wird es aber 
nicht begreiflich linden, dass Kühner sowohl in seiner Arbeit 
über die Vertretungswerthe (Biol. Bd. 11). S. 313). wie in allen 
folgenden meine Arbeit nirgends citirt hat. Wer noch die An¬ 
schauung vertreten konnte, dass die Zellen Kraft auf wenden 
müssen, um die Stoffe zu zersetzen, ist vom Erfassen des sogen. 
„Isodyuamiegesetzes“ meilenweit entfernt. 


Aerztliche Standesangelegenheiten. 

Die beste Art der ärztlichen Buchführung. 

Von F. A. P h 11 i p p l in Bad Salzschlirf. 

Beim Jahresschluss sieht, namentlich unter den vielbeschäf¬ 
tigten Kollegen, gewiss so mancher mit einigem Missbehagen der 
im Monat Januar alljährlich drohenden, öden, wenn auch unent¬ 
behrlichen, Arbeit der Ausfertigung der Liquidationen entgegen. 
Unglücklicher Weise fällt damit meist gerade die Zeit der ange¬ 
strengtesten praktischen Thütigkeit zusammen. Um so mehr Grund 
hat man also, sich zu überlegen, ob sich diese Arbeit nicht auf die 
eine oder andere Weise erleichtern lassen dürfte. Sicherlich aber 
erschweren viele Aerzte sich dieselbe durch eine ungeordnete 
oder eine unnötliig komplizirte Art der Buchführung. Ich glaube, 
desshalb etlichen einen ganz willkommenen Dienst zu erweisen, 
wenn ich sie auf eine höchst einfache Methode der Buchführung, 
nämlich mit Benützung eines alphabetischen ltegistrirapparates, 
eines sogen. Briefordners, aufmerksam mache. Ich wenigstens 
bediene mich bereits seit 6 Jahren derselben zu meiner vollsten 
Zufriedenheit und möchte allen Denen, die mit ihrer jetzigen Art 
der Buchführung unzufrieden sind, einen Versuch damit auf's 
Wärmste empfehlen. 

Das ganze Material zur Buchführung besteht aus folgenden 
5 Theilen: 

1. Ein „Briefordner“ in Grossquart, ca. 30 X-4 cm, System 
von Soenuecken oder irgend einer anderen Firma. Jede Kon¬ 
struktion ist gut, nur ist dabei nöthlg, dass die Einrichtung zum 
Aufziehen der Blätter derartig getroffen sei, dass nur ein Um¬ 
schlagen, nicht ein völliges Herausnehmen der oberen Blätter er¬ 
forderlich Ist (wie bei einigen Soenneclcen’s), um zu den unteren 
zu gelangen. Auch muss nicht etwa ein Apparat genommen werden 
mit nur einseitigem hölzernen Deckel, sondern ein solcher mit rich¬ 
tigem Bücherdeckel aus Pappe, wie sie ja auch in allen grösseren 
Papierhandlungen zu haben sind. 

2. Der dazu gehörige Locher aus Eisen. 

3. Je nach dem Umfang der Praxis einige oder mehrere hundert 
nicht zu dünne einzelne Blätter mit (oder auch ohne) Ilorizoutal- 
linien. In vertikaler Kiclitung sind dieselben folgendennaassen zu 
liniiren: Beide Ränder werden in fingerbreiter Ausdehnung wegen 
des Lochens resp. als Ileftrand freigelassen, was durch je einen 
die ganze Ausdehnung des Blattes einnehmenden Strich zunächst 
gesichert wird. Ferner wird am linken Rande des Blattes ein 
4—5 cm breiter Kaum für die geschäftlichen Notizen, Datum und 
Art der ärztlichen Leistung und Honorar, durch einen dritten Ver- 
tikalstrich abgesperrt. Ausser einem abschliessenden horizontalen 
Kopfstrich ist nun weiter nichts erforderlich. Natürlich ist jedes 
Blatt auf beiden Selten in der gleichen Weise einzurichten. Ob 
derartige liuiirie Blätter im Handel zu haben sind, woiss ich nicht; 
ich habe mir vor einigen Jahren einen grösseren Vorrath für ein 
massiges Geld anfertigen lassen. Man kann sie aber sehr leicht 
selbst herrichten. 

Der Kaum rechts von der Honorarspalte dient zur Aufnahme 
der Krankengeschichten; eventuell kann man nach Belieben noch 
einen zweiten Ilonorarraum darauf einrichten. Im Allgemeinen 
wird man je eine Seite oder auch ein ganzes Blatt für je eine 
Familie bestimmen. Bei einzelnen Patienten, bei denen man nur 
auf wenige Bemühungen rechnet, richtet man einen entsprechenden 
Bruch!heil einer Seite ein. indem man mit rother Tinte oder Bunt¬ 
stift einen llorizontalstrich zieht. Farbiee Abtrennung erleichtert 
dem Auge die nachherige l'ebersicht erheblich. Es ist der Bequem- 

•) s. S. 31N. 32«», 311, 2X1. 2X2. 311. 32«;. 323 u. a. 


No. 53. 


lichkeit halber zweckmässig, die Blätter auf beiden Rändern zu 
lochen, damit man sie in der Welse umlegen kann, dass die Hand 

beim Schreiben sich stets rechts vom Aufsehnürbügel befindet. _ 

Dies stellt also das Jouraal dar, zugleich für die Honorare wie 
für wissenschaftliche Notizen. Beim Jahresschluss kann man 
natürlich, je nach Belieben, die Blätter einbinden lassen, wenn 
man sich auf die Diskretion des Buchbinders verlasseu kaun, oder 
auch man belässt sie im Registrirapparat wie bisher. 

4. Ferner gehört dazu ein Kalendarium oder irgend ein 
sonstiges Heftchen, worin für jeden einzelnen Tag eine Seite mit 
dem betreffenden Datum und Wochentag reservirt ist, sei es füris 
ganze Jahr zusammen oder für die einzelnen Quartale oder Monate. 

Hierin verzeichnet man nach den betreffenden Strassen resp. 
Ortschaften zusammengestellt, die an jedem bestimmten Tage zu 
machenden Besuche, die daun Abends in’s Journal übertragen 
werden, während die Konsultationen in der Sprechstunde sogleich 
in letzteres eingetragen werden. 

3. Ein grösseres oder kleineres gewöhnliches Kontobuch zum 
Aufzeichnen der eingehenden Honorare. Natürlich wird stets im 
Journal an betreffender Stelle ein entsprechender Vermerk bei der 
Zahlung eingetragen, aber zu Koutrole und. um die Gesaruratsutnme 
zu übersehen, ist dies Heft natürlich unentbehrlich. 

Aus diesen paar Theilen also setzt sich das ganze Material 
zusammen, das zur geschäftsmässigen, wenn auch nicht handels¬ 
wissenschaftlichen Buchführung bei der ärztlichen Praxis nötliig 
ist. Allenfalls kann man noch ein Buch aulegen nach Art eiues 
Hauptbuches, in welches man listenweise die einzelnen Schuldner 
nebst den zu fordernden Beträgen einschreibt. Nach einer solchen 
Aufzeichnung kann man sich dann durch jeden beliebigen Schreiber 
das Ausfertigen der auszusendenden Rechnungen besorgen lassen, 
oder auch, man erleichtert sich die Sache, indem man ihm nach 
dem Jouraal die einzelnen Posten diktirt. 

Als wesentliche Vortheile dieser Methode möchte ich kurz 
folgende anführen: 

1. Man hat Konto und Krankengeschichte jedes einzelnen 
Patienten zur gegenseitigen Kontrole stets nebeneinander und kaun 
ferner bei der alphabetischen Einreihung jeden gewünschten Namen 
in wenigen Sekunden auffinden. Ein Register auzufertigen hat man 
hierbei selbstverständlich nicht nötliig. 

2. Das Einträgen geht leichter und schneller von statten als 
bei den vorgedruckten Formularen, wo man erst sorgsam das be¬ 
treffende Feld aufsuchen muss, und das Zusammenzählen der hier 
vertikal untereinander geschriebenen Einzelposten geht viel be¬ 
quemer und rascher vor sich als bei horizontaler Aufstellung. 

3. Der Raum für jeden einzelnen Patienten, sei es für Honorar¬ 
forderungen, sei es für Notizen bei Fällen, die man genauer ver¬ 
folgen will, ist durch Einfügen von neuen Blättern unbegrenzt aus¬ 
dehnbar. während ein sonstiges Freilassen von Reserveraum auf 
ein Minimum reduzirt wird; man hat es nachher statt mit zentner¬ 
schweren Folianten mit einem relativ kleinen, aber fast voll aus¬ 
geschriebenen Buch zu thun. 

4. Die ganze Einrichtung ist sehr wohlfeil, da ein Briefordner 
etwa M. 1.50 kostet, der Locher M. 3.— und die einzelnen Blätter 
pro Stück höchstens 1—2 Pf. 

5. Etwaige Irrt hümer in den Eintragungen sind bequem zu 
berichtigen, da man sich stets von Neuem Raum sebaffeu kann. 

6. Auch der vielbeschäftigte Arzt in allgemeiner Praxis kann 
genaue Krankengeschichten führen; er wird sogar durch die Be¬ 
quemlichkeit der Handhabung förmlich dazu gedrängt, beim Regl- 
striren der Honorarforderung ein pjiar Notizen über den betreffen¬ 
den Fall beizufügen, was oft von grösstem Wertlie zum besseren 
Verstiindniss der Erkrankung und namentlich bei gerichtlichen 
Fällen sein dürfte. 

•Vielleicht wird man geneigt sein, zu glauben, dass die Ver¬ 
wendung von losen Blättern nicht ordentlich und geschäftsmässig 
sei, da dieselben ausgerissen werden und verloren gehen könnten; 
doch ist bei Verwendung eines einigermaassen kräftigen Papiers 
und bei etwas vorsichtiger Handhabung des Apparates ganz und 
gar nichts in dieser Hinsicht zu befürchten. Vielmehr möchte ich 
behaupten, dass diese Art der Buchführung, wenn nicht für alle, 
so doch für sehr viele Aerzte die einfachste und beste ist. und ich 
gebe mich der Hoffnung hin, dass diese Zeilen dem einen oder 
anderen Kollegen einen Fingerzeig bieten mögen, wie er sich seine 
Buchführung angenehmer und erspriesslicher gestalten und sich 
zugleich von einer nicht uubedeut«*nden Portion geisttödtendtu* und 
wenig rezidivirender Plackerei befreien kann. 


Referate und Bücheranzeigen. 

Robert Koch: Heber die Agglutination der Tuberkel- 
bazillen und über die Verwerthung dieser Agglutination. (Aus 
dem Institut für Infektionskrankheiten in Berlin.) (Deutsch, 
mcd. Wochenschr. 1001, No. 48.) 

A r 1 o i n g und Cour m o n t haben als Erste die Agglutina¬ 
tion des Tuborkelbazillus beschrieben und die Verwendung der¬ 
selben zur Frühdiagnose der Tuberkulose empfohlen. Ihr Ver¬ 
fahren fand wenig Anhänger, auch Koch bezeichnet dasselbe 
als für den praktischen Gebrauch viel zu umständlich und unver¬ 
lässlich. Im Verein mit F. N c u f e 1 d und F. K. K1 e i n e hat er 
ein neues, wesentlich einfachere« Verfahren ausgenrboitet und 


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31. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2143 


berichtet nun über diese seine Methode und die Resultate der am 
Thier und Mensehen angestelltcn Versuche. 

Die erste Bedingung zur Herstellung einer geeigneten Test¬ 
flüssigkeit ist. die kompakte Masse, welche die Tuberkelbazillen¬ 
kultur darstellt, zu lösen und damit die Bazillen erst agglutina- 
tionsfiihig zu machen. Dies wird durch gründliche Verreibung 
mit schwacher Natronlauge (1 Theil Kultur auf 100 Theile 
' / M Normalnatronlauge, welche Anfangs nur tropfenweise zu ge¬ 
setzt werden darf) erreicht. Die so erhaltene Flüssigkeit wird 
alsdann eentrifugirt. mit- der Pipette vom Bodensatz abgehoben 
und mit verdünnter Salzsäure bis zu schwach alkalischer Re¬ 
aktion gebracht. Alsdann muss sic. um zum Gebrauch fertig zu 
sein, nochmals verdünnt werden mit einer 0,5 proz. Karbolsjiure- 
und 0.85 proz. Kochsalzlösung und zwar im Verhältuiss von 1 der 
ursprünglichen Kulturmenge zu 3000 der Lösung, welch’ letztere 
last wie reines Wasser aussieht und nur bei schräg einfallendem 
Lieht auf dunklem Hintergründe schwach opaleszirend erscheint. 

Noch einfacher wird die Methode bei Anwendung getrock¬ 
neter Tubcrkelkuliuren, des Neu-Tuberkulins, und hat dabei den 
Vortheil, dass das Präparat genau dosirbar und haltbar ist und 
eine stets gleichwerthige Tcstllüssigkeit liefert. Das Verfahren 
ist dann kurz folgendes: 0,1 g des Präparates wird mit der oben 
erwähnten Karbolkochsalzlösung im Aohatmörser unter all¬ 
mählichem Zusatz ca. 15 Minuten lang verrieben im Verhältuiss 
von 1:100, dann wird 6 Minuten zentrifugirt, vom Bodensatz ab¬ 
gegossen und mit Karbolkochsalzlösung nochmals 10 fach verdünnt. 
In dieser Verdünnung lässt sich die Flüssigkeit im Eissehrank 
2 Wochen lang konservireu. Zum Gebrauch wird nach Bedarf 
entnommen und nochmals 10 lach verdünnt, so dass die fertige 
Testlösung eine 10 000 fache Verdünnung darstellt. 

Das Serum des zu untersuchenden Individuums wird in der 
Weise hergestellt, dass das mittels Schröpfkopf entnommene 
Blut alsbald zentrifugirt und eventuell zum Zwecke der Kouscr- 
virung mit einer Mischung von 5.5 proz. Karlmlsiiure und 20 proz. 
Glyzerin (im Verhältuiss von 1 aut 9 Theile Serum) versetzt wird. 
Zu l>emcrkcn ist. dass auch das konservirte Serum seinen Ag¬ 
glutinationswerth nicht unverändert bewahrt, sondern dass der¬ 
selbe innerhalb weniger Wochen erheblich herabgehen kann. 

Zu vergleichenden Beobachtungen ist natürlich immer eine 
Kontrolprobe mit unvermisehter Testflüssigkeit aufzustellen. Bei 
den Versuchen ist zu beachten, dass bei abnehmenden Mengen 
von Serum die Reaktion immer längere Zeitdauer zu ihrem Zu¬ 
standekommen erfordert. Erfahrungsgemäss ist. ferner nach 15 
bis 20 Stunden der grösste Tlicil der Reaktion abgelaufen, ver¬ 
gleichbare Werthe ergeben sieb demnach nur innerhalb dieser 
Zeit., ausserdem muss aber auch die Temi>eratur, bei welcher die 
Proben abgehalten werden und das Quantum der Mischung das 
gleiche bleiben. Als Grenze der Agglutiimtionscrscheinung 
nimmt lv o <* h das Vorhandensein eines bei makroskopischer Be¬ 
trachtung eben noch deutlich erkennbaren, schwebenden und 
gleichmäßig vertheilten Niederschlags an. 

Was nun die Thierversuche betrifft, so ist das spontane Ag¬ 
glutinationsvermögen bei verschiedenen Arten von Thieren ein 
sehr wechselndes und stimmen die von Koch in dieser Hinsicht 
gemachten Beobachtungen mit. denen der früheren Forscher über¬ 
ein. Dagegen ergaben die Versuche einer künstlichen Steigerung 
des Agglutinationsvermögens einige bemerkonsworthe Resultate. 
Um dasselbe, entstellen zu lassen oder, wenn es bereits vorhanden 
ist, weiter zu steigern, bedarf es immer deutlicher, womöglich 
starker Reaktionen. Das Agglutinationsvermögen zeigt sich nicht 
sofort, sondern erst, einige Togo nach der Injektion, es er¬ 
reicht vom 7.—10. Tage den höchsten Grad und 
sinkt dann langsam w i e d e r. Koch ist geneigt, An¬ 
gesichts der bei diesen Versuchen im Blute neben den aggluti- 
nirenden gleichzeitig auftretenden immunisirenden Eigenschaften 
(an ti toxischen, bakteriziden u. s. w.) dasAgglutinations- 
vermögen seihst als einen Ausdruck der I m - 
m u n i s a t i o n z u b <* t rächte n. Ein weiteres interessantes 
Ergebnis« ist ferner, dass das hochwerlhigo Thierserwm gegen¬ 
über Diphtheriebakterien, den Typhus- und verschiedenen Koli- 
bazillen, den Pestbakterien gar keine agglutinirenden Eigen¬ 
schaften besitzt, dagegen die Bazillen der Perlsueht, der Geflügol- 
tuberkulose, der Fisch- und Blindschleichcntuberkuloso, die 
A r 1 o i n g - (’ o urmon t 'sehen Bazillen, die Butterbazillen, die 
M ö 11 e r’sehen Grasbazillen und anderen säurefesten Bakterien 


j ebenso gut wie die Bazillen der menschlichen Tuberkulose ag- 
: glutinirt. Auch der umgekehrte Versuch mit dem Serum von 
' Thieren, welche mit deu oben genannten Bakterien immunisirt 
wurden, ergab Agglutination der ganzen Reihe inklusive der Ba¬ 
zillen der menschlichen Tuberkulose. 

Die Prüfung des Agglutinationsverfahrens beim Menschen 
erstreckt sieh auf 30 Nicht tuberkulöse und 78 Phthisiker in ver¬ 
schiedenen Stadien, je einen Fall von Blasen-, Knochen- und 
Hauttuberkulose und eine tuberkulöse Iritis. Von den Nicht- 
tuberkulösen reagirten o mit 1:25 (1 Karzinom, bei welchem 
durch Sektion vollständiges Fehlen von Tuberkulose konstatirt 
wurde, 2 Typhusrekonvaleszenten, 1 Erysipel, 1 Furunkulosis). 
J ii einem weiteren Falle von Muskelrheumatismus agglutinirte 
das Serum sogar in der Verdünnung von 1:50. Bei den Tuber¬ 
kulösen reagirte 1 Fall mit 1: 50, 4 mit 1:25, alle übrigen er- 
| reichten diesen Agglutinationswerth nicht oder zeigten gar keine 
Reaktion. Koch hält demnach die Methode zur 
i Diagnose und speziell zur Frühdiagnose der 
T uberkulose für ganz unbrauchbar und bleibt für 
diesen Zweck vorläufig noch das alte Tuberkulin das zuver¬ 
lässigste Hilfsmittel. Eine andere Frage ist es, ob es sich nicht 
analog den Ergebnissen bei den Thier versuchen erreichen Hesse, 
durch Steigerung des Agglutinationsver¬ 
mög e n s u n d künstliche Erzeugung von Schutz- 
s t o f f e n dem Organismus auch im Kampfe 
gegen die Tuberkulose die immunisirende 
Kraft, zu verschaffen, wie er sie selbstthätig 
beim T yphus, Cholera, Pest u. s. w. erwirb t. 

Koch glaubt nun diese Frage in befriedi¬ 
gender Weise gelöst zu haben. Er behandelte 
74 Kranke, meist im 2. und 3. Stadium, und gelang es ihm, das 
Agglutinationsvermögen bei 14 auf 1:25, bei 28 auf 1:50, bei 
9 auf 1:75 und bei weiteren 19 auf 1:100—300 zu steigern. 
Dass diese Steigerung in der That mit der Bildung von Schutz- 
stoffen verbunden war, lässt sieh daraus entnehmen, dass das Be¬ 
finden der Kranken von dein Zeitpunkte an, wo ihr Serum ag- 
glntinirende Eigenschaften angenommen hatte, sich sichtlich 
besserte. Appetit und Körpergewicht nahmen wieder zu, die 
Nachtsehweisso hörten auf, die Rasselgeräusche und der Auswurf 
nahmen ah, bei einigen verschwanden das Sputum und mit ihm 
die Tuberkelbazillen gänzlich. Am auffallendsten aber ist das 
Verhalten der Temperatur: Bei Fieberfreien nachdem 
Ablauf der Reaktion niemals eine Steigerung. 
Bei früher Fiebernden zuerst vorübergehend 
v o m 3.—4. Tage nach der Reaktion ein Abfall, 
mit zunehmender I in m u n i s i r u n g ständige 
E n t f i e b e r u n g. Bei dieser Art der Behandlung bildete also 
das Fieber keine Kontraindikation mehr, wie bei der Anwendung 
des alten Tuberkulins. 

Was endlich die Methode dieser neuesten Tuberkulinbehand¬ 
lung anlangt, so nimmt Koch hiezu keine Trennung der auf¬ 
geschlossenen Tuberkelbazillen in TR und TO vor, sondern be¬ 
nützt die Kulturmasse ungetrennt und zwar in der Form einer 
Aufschwemmung der pulverisirten Tuberkelbazillen (1 Theil auf 
je 100 Theile Aqua destillata und Glyzerin), welche nach einigen 
Tagen dekantirt wird. 1 ccm des Präparates entspricht 5 mg 
der pulverisirten Tuberkelbazillen. Die weiteren Verdünnungen 
werden mit 0.8 proz. Na CT Lösung hergestollt. Die Anwendung 
erfolgt in der Weise, dass mit einer subkutanen Injektion von 
0,0025 mg Bazillensubstanz = eines Kubikzentimeters des 
Präparates begonnen wird. Hierauf tritt nur ausnahmsweise 
eine Reaktion ein, und wird die Dosis mit 1—2 tägigen Pausen 
jedesmal um das 2—5 fache gesteigert, bis ausgesprochene Re¬ 
aktion mit Temperaturerhöhung von lVs — 2° cintritt. Sobald 
dies der Full ist, wird je nach dem Ausfall der Agglutinations¬ 
prüfung in G—8 tägigen Pausen weitergegangen, niemals jedoch 
soll aus den oben entwickelten Gründen die Dosis verringert oder 
nochmals die gleiche Menge angewandt werden. Sind deutliche 
Reaktionen eingetreten, so empfiehlt sich an Stelle der in ihrer 
Wirkung beschränkten subkutanen Injektion die Anwendung 
intravenöser Einspritzungen, durch welches Verfahren das Ag- 
glutinationsvermögen in ungleich wirksamerer Art erhöht wird. 
Hiezu verwendet Koch das frühere TO, als ein Präparat, aus 
welchem alle suspendirton Bostandtheile elirainirt sind, und zwar 
in der subkutanen Dosis. Einzelnen Kranken konnten bis 


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2144 

5—10 mg intravenös gegeben werden, ohne dass merkliche Re¬ 
aktion eingetreten wäre. Die Dauer der Behandlung soll sieh im 
Allgemeinen über mindestens ein halbes Jahr erstrecken, in all¬ 
mählich grösseren Pausen, auf jeden Fall aber so lange fort¬ 
gesetzt werden, als noch Tuberkelbazillen im Sputum nachweis¬ 
bar sind. 

Koch betont, dass diese immunisirende Behandlung der 
Tuberkulose sieh in keiner Weise iin Gegensatz zu anderen Be¬ 
handlungsmethoden befindet, sondern hauptsächlich dann ein- 
trcten soll, wenn die Leistungsfälligkeit der anderen aufhört. 
Speziell empfiehlt er aber ihre Anwendung in Lungenheilstätten 
bei den vorgeschritteneren Fällen. 

Zum Schlüsse möge noch bemerkt werden, dass das zur sub¬ 
kutanen Verwendung fertige Präparat von den Höchster Farb¬ 
werken bezogen werden kann. F. Lacher- München. 

W. Sternberg: Allerlei Praktisches für die ärztliche 
Sprechstunde. Berlin 1901. August H i rschwald. Preis 
M. 1.60. 

Das Büchlein gibt Erfahrungen aus der allgemein ärztlichen 
Praxis, und zwar aus der Kinderheilkunde, inneren Medizin und 
Gynäkologie, in einer neuen Art, nämlich in der Form kurzer 
Sentenzen, wieder. Diese Darstellungsweise birgt einen grossen 
Naehtheil in sich, den Mangel an Allgemeingiltigkeit, und damit 
die Gefahr, zu falschen Schlüssen zu verleiten. Unter diesem 
Gesichtspunkt müsste man vor der Benützung des Büchleins 
warnen. 

Andererseits begegnet man nicht unbedeutenden Schwierig¬ 
keiten, wenn man Erfahrungen aus der Heilkunst, in der ja jeder 
Fall seine besonderen Eigenthümliclikciten hat, kurz und bündig 
zu fassen versucht. Wer solche Regeln mit ihrer unabänderlichen 
Mangelhaftigkeit mechanisch gedankenlos benutzt, der lasse lieber 
die Hand davon, der sollte sich unserer Warnung erinnern. Aber 
auch nur Der. Wer die Aphorismen mit Verstand liest — und wir 
haben zu den deutschen Aerzten das Vertrauen, dass sie überhaupt 
mit Verstand lesen —, der wird von dem Büchlein grossen Nutzen 
haben; er wird mit Hilfe des beigegebenen Registers in vielen 
Fällen schneller und sicherer zur Diagnose, Therapie, und was 
auch nicht, ganz unwichtig ist, zur Prognose kommen, und über¬ 
dies nicht selten veranlasst werden, in grösseren Werken nachzu- 
seh lagen. 

Für die zweite Auflage möchten wir dem Verfasser eine 
sorgfältige Durchsicht empfehlen. Wo nur irgend angängig, 
sollte der Wortlaut so modifizirt werden, dass die These an all¬ 
gemeiner Giltigkeit gewinnt. Und dann, scheint uns. ist der Stil 
verbesserungsbedürftig. P. II. 

Neueste Journalliteratur. 

Beiträge zur klinischen Chirurgie. Red. von P.v.Bruns. 
Tübingen, L a u p p. 31. Bd. 2. Heft. 

C. Blaue! eröffnet (las Heft mit einer Arbeit aus der 
v. Brun s'solien Klinik: Das Verhalten des Blutdruckes beim 
Menschen während der Aether- und Chloroformnarkose. Er hat 
in eingehenden Versuchen (bei 100 Aether-, 37 Cliloroformuarkoseu) 
das Verhalten des Blutdrucks mit dem G a e r t u e r’schen Tono¬ 
meter sudirt und fast konstant in der Aethernarkose eine Steige¬ 
rung, In der Chloroformnarkose ein Sinken des Blutdrucks be¬ 
obachtet. Die A et herblutd ruck kurve ist eine ruhige und be¬ 
ständige, bei kräftigen und bei durch Siechthum reduzirten 
Menschen kommt während der ganzen Narkose ein plötzliches 
Nachlassen des Blutdrucks nicht vor. Das Chloroform als Nar- 
eotiemn bewirkt dagegen eine Herabsetzung des Blutdrucks in 
hohem Maasse selbst bei kleinen Dosen und kommen von dem 
schon an sich tiefen Stand der Kurve unvermuthete, plötzlich«*, 
weitere Senkungen vor. Bl. entnimmt daraus den ltath, dom 
Aether den Vorzug vor dem Chloroform zu geben. «1a letzteres die 
Cireulation schädigt. Bei 100 Aetberunrkosen der Tübinger Klinik 

• mit J u 11 i a r d'sclier Maske) gelang die Narkose stets glatt und 
wurde die Schwierigkeit, durch den Aetlier volle Narkose zu er¬ 
reichen, nicht beobachtet. 

G. Iloward IT o x I e gibt Bericht über die in der Züricher 
chirurgischen Klinik in den Jahren 1881—1900 behandelten 
Fälle von offenen Wunden des Abdomens; insgesammt 97 Fälle 

• von «lenen 09 als penetrirende, 28 als nicht penetrirende) mit 27 
resp. 2 Todesfällen. Unter den erster«-» 09 fanden sich 12 Schuss-, 
•17 Stich-, 8 Quetsch-, 2 Exploslonswundon, davon waren 30 
=- 42.4 I’roc. ohne weitere Organverletzuiigen. was II. gegenüber 
«leu ontgegeiistehenden Anschauungen von Otis, Barnes, 

S e b ii f f e r betont. Auf 47 Stichwunden kommen 25 einfache, 
auf 12 Schusswunden 3 einfache, auf 8 Quetschwunden 2, auf 
2 Explosiouswunden keine einfachen Fälle. 4 Verletzungen be- 


No. 53. 

trafen «ieu Magen (sämmtlich f). 13 den Dünndarm, 4 den Dick- 
darin, 5 den Mast dann, 12 die Leber, 3 die Nieren, 3 intraperi¬ 
toneal und 3 extraperitoneal die Blase. Die Mortalität ist !>ei den 
Stichwunden am geringsten (29,8 Proc.). bei «len Schusswunden 
(38.33 Proc.) und Explosionswunden (100 Proc.) am grössten. 5 mit 
Naht behandelte Leberwunden sind alle geheilt. 

Durch die Fortschritte in der Behandlung ist die Mortalität 
von 57,4 I’roc. auf 34 Proc. gesunken, die frühzeitige Operation 
ist von der grössten Wichtigkeit, da innerhalb der ersten 4 Stunden 
Operille 27.7 Proc., die erst nach 12 Stunden Operirten 41,8 Proc.. 
die noch später Operirten 58.3 Proc. Mortalität ergeben. H. be¬ 
spricht Diagnose und Prognose der Abdomiimlwunden und kommt 
unter Berücksichtigung «1er entsprechenden Literatur zur Forde¬ 
rung, «lass man im Falle eines Zweifels immer zu operiren habe. 

3 Heilungen unter 8 operirten Peritonitisfällen berechtigen zur 
Hoffnung, dass in Zukunft durch frühzeitige aktive Behandlung 
eventuell noch mehr peritonitische Fälle geheilt werden. Be¬ 
merkungen über die Technik des Eingreifens, Zusammenstellung 
der betr. Fälle und Llteraturverzeiehniss beschlossen die ein¬ 
gehende Arbeit. 

B. K rafft schreibt aus der Rostocker Klinik über lokale 
und allgemeine Schädigungen in Folge von Taxisversuchen 
incarcerirter Hernien und bespricht an der Hand einiger typischer 
Fälle die Rep. en bloc., die Blutung In’s Darmlumen, Sugillationen 
mul Haenmtoinc des Mesenterium, Quetschung des Darms mit 
Lügender Gangrän, Danuperforation, die Taxisversuche sollen da¬ 
nach die Ausnahme darstellen — ein schonender Taxisversuch ist 
nur in den Fällen von lncarc. stercoralis erlaubt, wo die Brucli- 
plorte sehr weit, der Darminhalt breiig und das Allgemelnbotinöen 
gut ist. 

I\. R o e d 1 g e r gibt aus der Heidelberger Klinik weitere 
Beiträge zur Statistik des Zungencarcinoms und zwar an der 
Hand des Materiales von 1888—1900 (31 Fälle), das er im An¬ 
schluss an die frühere Arbeit von Steiner (Uber die Fälle von 
1878-—1888) entsprechend verwerthet. Unter den 31 Fällen sind 
nur ß Frauen, die meisten der Pal. sind zwischen 50 und 00 Jahren, 
häutiger sind ('s Stadtbewohner; bezüglich der Aetiologie bildet 
der Reiz eariüser Zähne die grösste Rolle. R. bespricht Beginn. 
Sitz, Ausdehnung der Erkrankung. Diagnose und Prognose. Be¬ 
züglich der Therapie wird die Prophylaxe hervorgeboben und be¬ 
sonders vor Aetzmitteln gewarnt. Von den 30 operirten Fällen 
(mit 13.3 Proc. Mortalität) wurden 5 zweimal operirt. Bei d-r 
Besprechung der Behandlung trennt R. die vom Mund aus von 
den von «l«*r SuhlinguinoJgegend aus (nach Langen heck) ope¬ 
rirten Fälle, er empfiehlt den Thermokauter inehr zur Anwendung 
zu bringen, «1a die mit Paquelin Operirten die günstigsten Heiltings- 
resultate gaben, übrigens wurde auch bei «len später Iieciiliven 
Erlegenen noch eine nicht unwesentliche Lcbonsverlängcruug ivoii 
5,3 Mou.) erzielt. 

Aus «1er gleichen Klinik berichtet II. Bundschuh zur 
Pathologie und Therapie der Brucheinklemmung und bespricht, 
an die frühere Arbeit von K r u m m anknüpfend. das betr. Ma¬ 
terial bis 1901, d. h. 231 Fälle, wovon 48.5 Proc. Leistenhernien. 
47,2 Proc. Sehenkelheraien, 3.9 Proc. Nabelhcrnien, 4,4 Proc. Baucli- 
hernien. Das Lebensalter jenseits der 50 er Jahre ist ungleich 
schwerer betroffen. B. bespricht die Diagnose und Differential¬ 
diagnose «1er Einklemmung, das Verhalten des Bruchwassers, ab¬ 
norme Bruchsackbildung etc. und zeigt au einzelnen Beispielen, 
wie sehr die Taxis verhüngnissvoll werden kann. Er will der¬ 
selben, einer höchst zweifelhaften Manipulation, nur in der Land 
praxis einen gewisseu Spielraum lassen, nicht aber in der Tliätig- 
keit des Chirurgen, besonders ist bei Schenkelbrüchen in der Regel 
von jeder Reposition abznseben, während für alte, schon lang 
bestehend«* Hernien zweifellos Fälle bleiben, die der Taxis Zu¬ 
fällen können. Von «len 231 Fällen wurden 10 durch Taxis re- 
ponirt. 222 herniotomirt; bei nicht weniger als 9 Fällen war der 
Exitus direkt mit der Reposition in Zusammenhang zu bringen. 
B. bespricht die gangränösen Hernien und deren Therapie, 14 Fälle 
von Anus praeternat. 24 Resektionen (20 mit Murphyknopf). Be¬ 
treffs der Radikaloperation wird «las C z e r n y’sche Verfahren be¬ 
vorzugt, 14 mal wurde nach Bassini, 4 mal nach Mncewen. 
7 mal nach Kocher operirt. Kontraimlikation gegen sofortige 
Kndikaloperntion sieht B. in Phlegmone des Bruchsackes, der Re¬ 
sektion, bestellenden peritonitiachen Symptomen: die Mortalität 
(10 Proc.) ergibt für die Nabelhernien die höchste Ziffer: 50 Proc.. 
für Leistenhernien 17,1, für Schenkelbrüelio 10.0 Pro«'. 

Aus der Leipziger Klinik bespricht Mertens Carcinome 
auf dem Boden eines Dermoids mul beschreibt einen diesbezüg¬ 
lichen Fall von Larynxexstlrpation (Trendelonburg), der 
auch wegen des demselben konstruirten Stimmapparates von Inter- 
«>ss«> ist. 

Fr. Kriselte schildert aus d«*r Rostocker Klinik einen Fall 
von primärem Krompecher’schen drüsenartigen Oberflächen¬ 
epithelialkrebs im geschlossenen Atherom. Fall eines aus der 
Crista ilel-Gegend bei 40jährigem Manu exstirplrten Atheroms, 
dessen Innenseite pnpillonintöse Wucherungen mit ausgesprochenem 
Charakter des Cnreinoms zeigte. Aus der Literatur werden 28 Fälle 
von Entwicklung eines Carcinoma aus dem Epithel der Cyste y.u- 
snuimengcstcllt. 

P. Liuser berichtet aus der Tübinger Klinik über die Ent¬ 
wicklung von Epitheliomen und Carcinomen in Dennoidcysten 
und gibt u. a. Bemerkungen über die Genese des Epithelioms, 
er beschreibt 10 Fälle und speziell an der Hand von Tafeln «li«* 
histologischen Details. Epitheliale Wucherungen sind naoli L. in 
Dermoidcysten nicht so gar selt«*n und gehen fast nusunhmsl«*- 
von der direkt unter der Haut liegenden Stelle der Cystcuwau«! 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


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31. Dezember 1001. MUENCHENER MEDICIJSTISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2145 


J«ns, so dass wohl äussere Einflüsse eine Rolle spielen. Diese epi¬ 
thelialen Wucherungen breiten sich zuerst im Cystentumor aus 
und bilden In den frühesten Stadien Papillome, die, wenn sie das 
ganze Lumen erfüllen, das Aussehen von soliden Epitheliomen 
bekommen. Nach L. sind auch die verkalkten Epitheliome nichts 
anderes also solche Papillome mit Kalkablagerung. Wenn sie auf 
dieser Entwicklungsstufe nicht stehen bleiben, wachsen sie entweder 
unter Bildung sekundär abgekapselter Epitheliome ohne Ueber¬ 
greifen weiter oder sie gehen in echte Carcinome mit infiltrirendem 
Wachsthum über. In zweifelhaften Fällen ist stets die Exstir* 
pation mit Entfernung allen mit dem Tumor fast adhürenten Ge¬ 
webes (besonders der bedeckenden Haut) lndizirt. Sehr. 

Centralblatt für Bakteriologie, ParaBitenkunde und 
Infektionskrankheiten. Bd. 30, No. 21. 1901. 

1) Schult z- Sc hultzc n stein: Zur Kenntniss der 
Einwirkung des menschlichen Magensekretes auf Cholera¬ 
vibrionen. 

Zur Abtödtung der Cholera Vibrionen ist am wenigsten Säure 
nütliig, wenn sich die Vibrionen in reinem Wasser befinden, 
ri:d zwar 0.05 Proe. bei 0 Minuten Einwirkung. Sind dagegen 
Pepsin und nur Spuren von Säure vorhanden, so werden 
die Vibrionen in ihrer Entwicklung gehemmt. IV]»sin und Salz¬ 
säure zusammen tödten die Vibrionen schon bei einem Gehalt von 
0,019 Salzsäure. 

GOO ccm Wasser auf nüchternen Magen getrunken, nahmen ln 
12—15 Minuten vom Magen eine Acidität von 0.03 Proe. Salzsäure 
an. Hierin starben die Vibrionen in 15 Minuten. Betrug der 
Salzsäuregehalt nur 0.014 Proe. so starben die Vibrionen noch in 

I Stunden nicht ab. Wenn, wie lvabr hei nach wies, Kiweiss 
und Pepton im Wasser vorhanden ist. dann gehört zur Abtödtung 
0.097 bis (*,217 Proe. Salzsäure und eine 1 ständige Einwirkungs¬ 
dauer. 

2) W a 1 b a u m - Kiel: Zur Methodik der bakteriologischen 
Wasseruntei-suchung, mit Angaben über Bereitung des Nähr¬ 
agars. 

Um einheitliche Endzahlen bei der (piautituliven 
Wasseruntersuchung zu erhalten, empfiehlt Verfasser, sich regel¬ 
mässig des gewöhnlichen Agars zu bedienen, da weder der von 

II esse uud N i e d n e r eiugeschlageue A 1 b u m o s e a g a r noch 
d< r ausschliessliche Gebrauch von Gelatine, wie es Abba 
wünschte, vortheilhaft sei. An einer Reihe von 2o0 Wasserunter- 
suchuugen zeigt Wal bäum, dass die gefundenen Keime auf 
Gelatine und auf Agar fast immer in gleicher Menge vorhanden 
sind. l>a man aber mindestens bis 8 Tage mit der letzten Zählung 
warten müsse, um alle noch entstehenden Kolonien zu ermitteln, 
sei die Gelatine wegen» ihrer sehr oft vorzeitigen Verflüssigung un¬ 
geeignet und der Agar entschieden vorzuziehen. 

Das Wesentlichste bei seiner Methode, um den Agar ohne be¬ 
sonder«* Hilfsmittel schnell fertig zu stellen, ist darin zu finden, 
dass er den Agar im A u t o k 1 a v e n löst. Dann lässt er sich 
schnell durch ein gewöhnliches Filter klar liltriren. 

3) B o s s e - Königsberg: Eine Nachprüfung der D e y c k e’- 
schen Nährböden. 

Die olektive Wirkung der I) e y c k e’sehen A 1 b u m i n a t -. 
A 1 1> u m ose- und P e p l o n nährböden konnte Verfasser im All¬ 
gemeinen bestätigen, da entschieden die Begleitorgauismen zurück- 
gedrängt worden. Besonders der „Deyckeboden Ila“ zeigte für 
Piphtherieisolirung eine ausgezeichnete Wirkung. Die Vortheile 
vor dem Löffler serum sind: Durchsichtige Nährboden, min¬ 
destens gleich gutes, fast stets besseres Wachsthum, Zurückhaltung 
der Begieitorganlsmen, vor Allem der Streptococcen. 

It. ü. Neu m a u n - Kiel. 

Berliner klinische Wochenschrift. 1901. No. 51. 

]) M. Borchardt - Berlin: Symptomatologie und Therapie 
der Halsrippen. 

Vergl. das Referat S. 1853 der Münch, nied. Wochenschr. 1901. 

2* 8 p re n g e 1 - Braunschweig: Welche Fälle von sog. chir¬ 
urgischer Tuberkulose eignen sich zur Behandlung in den Heil¬ 
stätten P 

liefenrt pag. 17G4 der Münch, med. Wochenschr. 1901. 

3) G. Z uelzer: Zur Symptomatologie und Therapie der 
chronischen Lungenlähmung (Vagusneurose). 

Bereits 8. 1901 der Müueh. med. Wochenschr. 1901 besprochen. 

4) Abel-Berlin: Fall von Hämatrometra im rechten atre- 
tischen Nebenhorn eines Uterus duplex mit Hämatosalpinx. 
Operation. Heilung. Referat ibidem. 

Grass m a n n - München. 

Deutsche medicinische Wochenschrift. 1901. No. 51. 

1) F. L o e f f 1 e r: Hygiene der Molkereiprodukte. 

Vortrag, gehalten auf der Versammlung des deutschen Ver¬ 
eins für öffentliche Gesundheitspflege in Rostock. (Schluss folgt.» 

2l P. Ehrl ich: Die Schutzstoffe des Blutes. 

Fortsetzung aus No. 50. (Schluss folgt.) 

3» Ii. Pfeiffer: Ueber die immunisirende Wirkung mit 
Clioleraambozeptoren beladener Choleravibrionen. 

Bericht aus dem hygienischen Institut der Universität in 
Königsberg. Zu einem kurzen Referat nicht geeignet. 

4| Ernst U n g e r - Berlin: Gonokokken im Blute bei gonor¬ 
rhoischer Polyarthritis. 

Nach einem Im Verein für innere Medicin am 18. November 
1901 gehaltenen Vortrage. (Referat s. diese Wochenschr. No. 48, 
pag. 1912.) 


5) I) ii n s e 1» m a n n-Wiesbaden: Experimentelle Glykosurie. 

Bericht über den von Pa.vy in der diesjährigen Versamm¬ 
lung der British Medical Association zu Choltenham gehaltenen 
Vortrag. (Referat siehe diese Wochenschr. No. 38, pag. 1512.) 

0) Aus der ärztlichen Praxis. 

ii) Max Salonion: Amputation bei Phlegmone. 

Ein Beitrag zu der bekannten Kontroverse zwischen v. Berg¬ 
mann und Dörfler, worlu der konservativen Behandlung das 
Wort gesprochen wird. 

b) M. Krön er: Scarlatina, Nephritis scarlatinosa bei 
einem 7 Wochen alten Kinde. 

Kasuistische Mittliellung. 

7) A. L o e w y - Berlin: Eine Expedition zur Erforschung 
der physiologischen Wirkungen des Hochgebirges. (Schluss aus 
No. 50.) 

Interessante Mittheilung über die Vorbereitungen und den 
..Feldzugsplan“ der von Buntz, Caspar!, Müller und 
Loewy auf der Punta Grisetti, der zweiten Monte Itosaspitze 
(4500 in), ausgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen. 

8) L ö s c h in a n n - Allensteln: Zur staatlichen Bekämpfung 
der Granulöse. (Schluss aus No. 50.) 

Vorliegender Aufsatz gibt im Anschluss an eine Beschreibung 
der von der Regierung getroffenen Maassnahmen zur Bekämpfung 
der Granulöse in Ostpreussen ein recht anschauliches und er¬ 
bauliches Bild davon, was durch amtliche Erlasse mit Uebergehung 
der Aerzte erreicht wird. Nicht nur, dass gegen ärztliches Gut¬ 
achten von oben herab dekretlrt wird, die Behandlung wird — 
wegen der Kosten — statt Aerzten den Lehrern übertragen. Und 
da wundert man sich noch über die Zunahme der Kurpfuscherei! 

F. L a c her- München. 

pag. 1942.) 

Oesterreiohische Literatur. 

Wiener klinische Wochenschrift. 

No. 51. 1) R. Chrobak-Wien: Ueber Sterilität. 

Bezüglich der Beurtheilung der Sterilität weist Verf. auf die 
noch bestehenden grossen Lücken in der Kenntniss des Gene- 
intionsvorganges hin. Die Vorgänge bei letzterem werden sicher 
durch die allgemeine Ernährung in hohem Maasse beeinflusst, wo¬ 
rauf bei der Behandlung der Sterilität Rücksicht genommen werden 
muss. Die mitspielenden chemischen und physikalischen Verhüll- 
nisse sind allerdings einer Therapie oft gar nicht zugänglich. Der 
Mangel der geschlechtlichen Empfindung ist nach Ansicht des 
Verf. als eine funktionelle Anomalie aufzufnssen, welche auf Un¬ 
regelmässigkeiten der physiologischen Vorgänge ln den Gene¬ 
ration sorga neu hindeutet. In manchen Fällen gelang cs Ch., durch 
Erweiterung des engen Cervikalkanals mittels Quellmitteln be¬ 
züglich der mangelhaften Sexualempflndung eiue Besserung her- 
heizuführen. Von Bedeutung für die Behandlung der Sterilität 
erscheint auch die möglichste Beseitigung eines bisher nicht ge¬ 
nügend beachteten Symptoms, nämlich des Abflusses des Sperma 
aus der Vagina post coitum. Dies kommt zum Theil durch Er¬ 
schlaffung (1er Scheiden wände, zum Theil durch aktive Muskel¬ 
wirkung zu Stande. Hie und da bringt hier die Pessarbelmndlung 
Erfolg, am besten hilft die Vornahme einer entsprechenden plasti¬ 
schen Operation, wie der Perineo- und Kolporrhaphie. Der Sperma- 
Ausfluss stellt für den Verf. bei gewissen Fällen die Indikation 
zur radikalen Therapie der Itetroversio-flexio dar. Bei einer 
grösseren Anzahl von Fällen von Sterilität, wo dieselbe mit dem 
Sperma-Ausfluss zusnmmeuhlng, gelang dem Verf. die Heilung 
durch Spaltung der hinteren Muttermundslippe. 

2) A. Füge s-Wien: Schwangerschaftshypertrophie der 
Mammae und Nebenmammae. 

Verf. veröffentlicht die Krankengeschichte und den histo¬ 
logischen Befund eines Falles, wo bei einer 18 jährigen Frau von» 
3. Monate der Schwangerschaft an eine enorme Zunahme der 
Mammae eintrat und zwar bei rapidein Kräfteverfall und hoch¬ 
gradiger Abmagerung der Patientin. Die hypertrophischen Mam¬ 
mae und Nebenmamliiae mussten ln Folge des schlechten Allge¬ 
meinbefindens noch während der Schwangerschaft amputirt wer¬ 
den, ein Eingriff, welchen die Kranke gut überstand. Am nor¬ 
malen Ende der Schwangerschaft wurde ein kräftiges Kind ge¬ 
boren. Bezüglich des histologischen Befundes an den 4 Brust¬ 
drüsen wird auf den Originalartikel verwiesen. 

3) II. v. II a u 8 c h k a-Wien: Ein Fall von primärer 
aszendirender Genitaltuberkulose. 

Kasuistische Mittliellung, eine 29 jährige Frau betreffend, bei 
welcher sich an der Cervix ein derber, lmselnussgrosser Knoten 
entwickelte, während die Cervixhöhle mit weichen Ilervorragungen 
ausgefüllt erschien. Nach der Totalexstirpation ergab sieh der 
unzweifelhafte Befund der Genitaltuberkulose, deren Ausgangs¬ 
punkt sieh für den betreffenden Fall nicht emiren Hess. Die 
Totalexstirpatlou wurde auf vaginalem Wege vorgeuoiumen. 

4t F. N e u g e b a u e r - Mäliriscli-Ostrau: Ueber Rückenmarks- 
nnalgesie mit Tropakokain. (Schluss folgt.) 

M. Pfaundler gibt in einer technischen Notiz eine An¬ 
weisung, wie man ein Sphyinograinm mittels Celloidinpapiers und 
eines Tunfixirbades haltbarer, übersichtlicher und gefälliger her- 
stellen kann, als auf dem gewöhnlichen Wege der Bcrussung uud 
Schellack-Fixiruug. G r a s s in a n u- München. 


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2146 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 53. 


Vereins- und Congressberichte. 

Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins Hamburg. 

(OfflcielIe8 Protokoll.) 

Sitzung vom 19. November 1901. 

Vorsitzender: Herr C. Lauen» t e i n. 

Schriftführer: Herr Haff wer. 

I. Demonstrationen: 

1. Herr Grüneberg demonstrirt das Präparat eines kind¬ 
lichen Magen» als Beitrag zu der strittigen Frage: ob bei dem 
unstillbaren Erbreeheu der Säuglinge als pathologisch-anatomische 
Ursache ein Pylorospasiuus oder eine angeborene hypertrophische 
Pylorusstenose angenommen werden soll. Bekanntlich hat Mein¬ 
hard Schmidt letztere in einem Vorträge auf dem letzten 
Chirurgenkongress auf «rund eines von ihm mit Erfolg behan¬ 
delten Falles ln Abrede gestellt. 

_I)er Pat., dem das Präparat entstammt, ist am 3. Oktober d. .1. 
als 7 Pfund schweres Kind gesunder Eltern — Vater neurasthe- 
nisch. in vorgerückteren Jahren stehend — unter normalen Um¬ 
ständen mit beiderseitigen hochgradigen Klumpfüsscn geboren. 
Bis zum Anfang der 4. Woche Magen und Darm Verhältnisse voll¬ 
ständig normal. Anfang der 4. Woche ab und zu nicht beeinfluss¬ 
bares Erbrechen. Stuhlgang regelmässig. Anfang der Woche 
massige Verstopfung durch Abführmittel zu beseitigen. Anfang 
der 6. Woche stärkeres Erbrechen, die ganze eingeführte Nahrung 
wird wieder ungefärbt ausgebrochen und Stuhlgang ist auch per 
klysumta, Abführmittel und mehrfach veränderte Nahrung nicht 
zu erzielen. Da äussere Maassuahmen, Magenausspülungen, 
Opium, Atropin nur von ganz vorübergehendem Erfolge sind. Pat. 
immer mehr in seinen Ernährungsverhältnissen zurüekgeht 
(Körpergewicht 2900 g). so wird am 12. Nov. die Loret a'sche 
Operation vorgenommen. Laparotomie, Incision in die vordere 
Magenwand, Dehnung des hochgradig verengten und als solider 
weisslicher Tumor imponireuden Pylorus mit der Kornzange. Die 
bei letzterer Manipulation geplatzte Serosa wird genäht, ebenso 
die Mogenwunde und das Ganze versenkt. Pat. nimmt am Abend 
die Brust und saugt kräftig. Ab und zu Erbrechen von schleimig¬ 
blutigen Massen. Am 2. Tage einige Male Erbrechen genossener 
Milch, Abends Stuhlgang. Am 3. Tage ausgiebiger Stuhl, häutigeres 
Erbrechen. Am 4. Tage Kollaps. Exitus. 

Die Sektion ergibt überall vollkommen normales Peritoneum, 
die Magen- und Serosanaht hat gut gehalten. Darm mit Ivoth und 
Gasen gefüllt. Die Pyloruspassage erhalten. Die ganze Pars 
pylorica in Längsausdehuung von 2 cm sehr stark verdickt, so dass 
sie grosse Aehnlichkeit mit einer Neubildung hat. Magen- und 
Oesophagus ebenfalls relativ hypertrophisch. Mikroskopischer Be¬ 
fund steht noch aus. Jedenfalls kann behauptet werden, dass das 
vorliegende Bild sowohl klinisch als auch pathologisch-anatomisch 
verschieden von dem als spastische Pylorusstenose beschriebenen 
ist, und wir nicht umhin können, den Begriff der angeborenen 
hypertrophischen Pylorusstenose aufrecht zu erhalten. 

2. Herr Lochte demonstrirt eine Herzmissbildung von 
einem Foetus (Cor biloculare). Das Präparat stammt von einer 
30 cm langen Frucht. Bei der Eröffnung der Brusthöhle fiel es 
auf, dass der Konus der Art. pulm. nicht in gewohnter Weise aus¬ 
gebildet war. Die Art. pulm. stieg senkrecht in die Höhe, das 
ganze Herz hatte eine etwas platte Form. Die Herzspitze ist vom 
1. Ventrikel gebildet. 

ln den gemeinsamen Vorhof münden rechts die Vena onvn 
sup. und inf.. links die Lungenvenen. 

Durch ein sehr weites Ostium atrioventr. doxtr. gelangt man 
in den r. Ventrikel. Die Atrioventrikularklappe ist mit 3 Zipfeln 
au den Wänden des r. Ventrikels befestigt, aber hier nicht allein; 
eine Anzahl von Sehnenfäden zieht durch eine grosse Oeffnung 
im oberen vorderen Theile des Ventrikelseptums und lnserirt an 
der Innenwand des 1. Ventrikels an einer der äusseren Herzkante 
entsprechenden Stelle. Ein Ostium ntrioventrlculare sinistrum be¬ 
steht überhaupt nicht 

Der linke Ventrikel hat auch keinen Abfluss durch die Aorta, 
sondern der einzige Zugang und Ausgang aus dem 1. Ventrikel 
wird durch den Defekt im Sept. veutriculorum dargestellt. 

Beide arteriellen Gefässstämme, Aorta und Art. pulmonal., 
entspringen vorn aus dem r. Herzen. Beide Gefässe ver¬ 
laufen ]| nach aufwärts neben einander. Die sehr weite 
Art. pulm. gibt ca. 1 cm über ihrem Ursprung die Lungenarterien 
ab und geht dann in den D. Botalli über. Die Aorta ist enger als 
die Art. pulm.. aber überall gleich weit, von ihr entspringen die 
Ilalsgefässe und »Schlüsselbeinschlagader in gewohnter Weise. 

Beide Gefässe haben nur 2 Semiluuarklnppen; diejenigen der 
Art. pulm. sind zart, die der Aorta sind unregelmässig gebildet und 
stellen eine lappige endotheliale Masse dar. die in das Lumen des 
rechten Herzens herabhängt. 

Nirgends lassen sich, wedey von dem Endokard der Ventrikel, 
noch an den Klappen Veränderungen feststellen, die makroskopisch 
mit Sicherheit auf einen endokarditischen Process hinwiesen. Im 
I 'eitrigen linden sich keine Anomalien, ausser einer Zweitheilung 
der Milz, und einem sehr langen Mesocoeeuut. Der Blinddarm 
bildet sich an normaler Stelle. Auch die Leber ist nicht miss¬ 
gestaltet. 

Der Blutkreislauf gestaltete sich so, dass im Vorhof und Ven¬ 
trikel eine innige Mischung des Blutes eiutrat. Durch den ge¬ 


meinsamen Ventrikel werden dann die Aorta und Lungeuarteric 
gespeist. 

Lebensfähig dürfte ein Kind mit solchem Herzen extrauteriu 
nicht oder jedenfalls nur kurze Zeit sein, weil das zur Zeit gar 
nicht arterialisirte Blut immer wieder sofort in den grossen Kreis¬ 
lauf geworfen wird. Auf dieser Entwicklungsstufe entspricht das 
Herz dem der Fische. Mau muss es als ein Cor biloculare 
bezeichnen. Freilich lässt sich diese Bezeichnung beanstanden, 
weil es sich um ein foetales Herz handelt, und sich vielleicht noch 
ein Theil des Sept. atriorum hätte bilden können, auch ist ja nicht 
ein einziger Ventrikel vorhanden. Der linke bestellt, wenn auch 
mehr in Form eines bedeutungslosen Appendix. 

Will man sich von der Entstehung einer solchen Missbildung 
eine Vorstellung machen, so muss man von der ursprünglichen 
Herzanlage, der Herzschleife ausgehen. Diese war jedenfalls 
völlig normal angelegt, wie unzweifelhaft daraus hervorgeht, dass 
beide grossen arteriellen Gefässstämme im rechten Ventrikel 
steckten. 

Man sieht aber auch gleich, dass die Theilung des Truucns 
art. communis keine normale war, weil die art. Gefässe nicht in 
gewohnter Weise spiralig umeinander verliefen, sondern parallel 
aufstiegen. 

Dcssgleichen ist die Theilung des Ohrkanalcs in die beiden 
Atrioventrieularostien keine normale gewesen, nur ein rechtes 
Ostium wurde ausgebildet, ein linkes bestellt überhaupt nicht: 
demgemäss war auch die Trennung der Ventrikelhöhlen eine un¬ 
vollkommene. In Folge der anormalen Theilung traf das Septum 
truuei nicht auf das Ventrikelseptum, und blieb die Oeffnung im 
Septum veutriculorum eine dauernde. 

Das Ganze stellt, also eine Hemmungsbildung dar. durch die 
der Ohrkanal, bezw. ein grosser Theil desselben bestehen blich, 
die Ventrikel sich nicht völlig von einander abtheilten und die 
beiden arteriellen grossen Gefässstämme im rechten Herzen 
stecken blieben. 

Demonstration: 

3. Herr Simmonds demonstrirt ein frisches Präparat von 
multiplen Atresien des Samenleiters. Zwischen den Atresion 
finden sieh ektatisehe, mit milchähnlicher Flüssigkeit gefüllte 
Abschnitte. Der Nobenhode ist stark geschwollen, seine Kanäle 
enthalten denselben milchigen Inhalt. Der Ilode Ist dagegen von 
völlig normalem Aussehen. Die Samenleiterntresien sind das Re¬ 
sultat einer abgelaufenen schweren gonorrhoischen Deferent itis. 
An den Atresien ist das Epithel völlig verschwunden, der Kanal in 
einen derben bindegewebigen Strang verwandelt. Bei doppel¬ 
seitigem Auftreten dieser Erkrankung resultirt dauernde Sterili¬ 
tät. Eine Hebung dieser wäre auf operativem Wege, durch Re¬ 
sektion. wohl möglich in Fällen, wo nur eine solitäre Atresie vor¬ 
liegt. Die Angabe, dass Verschluss des Samenleiters Atrophie 
des Hodens zur Folge habe, ist falsch. Im vorliegenden, wie in 
der Mehrzahl der Fälle zeigt der Ilode normale Grössen Verhältnisse 
auch nach jahrelangem Bestehen der Atresie. Selbst die Sper- 
matogenese geht in beschränktem Maasse weiter vor sieh. Dess- 
lialb behalten auch Individuen mit doppelseitigem gonorrhoischen 
Samenleiterverschluss, trotz ihrer Sterilität normalen Geschlechts- 
sinn und verhalten sich in keiner Weise wie Kastrirte. 

II. V o r t r a g des Herrn Fraenkel: Ueber Gasphleg- 
monen und Schaumorgane. 

Fr. spricht unter Demonstration von Kulturen und Mikro¬ 
photogrammen, sowie an experimentell erzeugter Ga-phlegmone 
erkrankter bezw. ein gegangener Meersehweineheu über die Mor¬ 
phologie und Biologie des von ihm als Erreger der Gasphlegiuonc 
(Ggr. foudroyante) im Jahre 1892 erkannten und als Bae. phlog- 
nion. em l*h.\ •semnt. bezeichneton Mikroorganismus, dessen Identi¬ 
tät. mit dem Bae. aerogenes eapsulat. (Welch) betont wird. Kr 
wendet sieh gegen die von Grassbergcr und »Schott e n - 
f roh vertretene Ansicht, dass es sieh um eine pathogene Abart 
der in der Natur weitverbreiteten Buttersäurebacillcn handelt, 
die mit dem sogen. Granulobacillus saceharo-butyricus immobilis 
der genannten Autoren identisch sein soll. Vortragender hebt die 
gegen eine solche Identität sprechenden Momente hervor. 

Unter eingehender Erörterung eines weiteren von ihm obdu- 
zirten Falles von reiner Gasphlegmone an zahlreichen Mikro¬ 
photogrammen und unter Vorführung von Mikrophotogrammen 
aus verschiedenen Soluuunorganen und einem Falle von extrem¬ 
stem postmortalen, über den ganzen Körper verbreitetem Em¬ 
physem des Unterbaut- und Zwisehonmuskelgewebcs legt Fr. die 
Unterschiede in der Wirkung des Gasphlegmoneerregers auf den 
lebenden oder todten Körper des Menschen bezw. des Versuchs¬ 
thiers dar. 

(Der Vortrag erscheint in extenso in der Zeitsehr. f. Tlyg. 
u. Infektioiiskrankh.) 


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31. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2147 


Naturhi8tori8ch-Medicini8cher Verein Heidelberg. 

(Medicinische Section.) 

Sitzung vom 29. J anuar 1901. 

Vor der Tagesordnung: 

Herr v. Hippel: Demonstration eines Falles von ange¬ 
borenem Lidkolobom. 

Marie D., 10 Jahre. Familien-Anamnese belanglos. Beide 
Augen zeigen angeborene Anomalien. 

Rechts: Das obere Lid zeigt einen die ganze Dicke desselben 
einnehmenden Defekt, der das nasale Drittel des Lides betrifft; der¬ 
selbe hat dreieckige Gestalt, die Basis fällt mit dem Lidrande zu¬ 
sammen (vergl. Abbildung). Nasal von dem Defekt ist noch ein 



kleines Stück des Lides vorhanden, welches das Thrünenpiinkt- 
chen enthält. Beim Lidschluss geht der Bulbus nach oben rechts, 
so dass die Cornea vollkommen bedeckt ist. Der freiliegende Be¬ 
zirk der Conjunctiva Bulbi zeigt leichte Injektion und ist etwas 
trocken, aber nicht xerotlsch. Beim Blick nach unten und leichter 
Anspannung des oberen Lides tritt ein von der Spitze des Defektes 
ausgehender mit Conjunctiva bedeckter etwas derberer Strang 
hervor. Im Bereiche des Koloboms fehlen die Cilien, an der Braue 
und der Haargrenze keine Besonderheit. 

Links; Ein erbsengrosses Dermoid sitzt der Corneoskleral- 
greuze unten auf und greift eine Strecke weit auf die Cornea über. 

Oplith. beiderseits normal. 

Visus R.: ES :- '/,. (Mit Javal 2y 2 D Astigm. Cyl. Gläser 
bessern nicht.) 

L.: -f 3 D opli. = —7D cyl. Achse vert 45° u. a. S = */*«• 

Links: Vom Haaransatz der Schläfe bis über die Mitte der 
Augenbraue sich erstreckend eine pigmoutnrme Stelle der Haut, 
die sich besonders im Sommer durch ihre welsse Farbe stark von 
der sonst gebräunten Haut abheben soll. Die Haut hat in diesem 
Bezirk eine narbenähnliche Beschaffenheit, die Haare sind weiss 
und borstig. Eine ähnliche Stelle findet sich am Rücken. 

Der Fall lässt sich gut nach der v. D u y s e’schen Theorie 
der amniotischen Verwachsungen erklären. 

Operation: R. Umschueidung des Defektes entsprechend der 
punktirten Linie und Vereinigung der Wundränder durch Nähte 
nach Lockerung der Haut. L. Abtragung des Dermoids. 

1. Herr Flelner: Krankenvorstellung. Fall von Vor¬ 
magen. Besprechung der Aetiologle. Symptomatologie und 
Therapie der Krankheit. 

(Der vorgestellte Fall wird mit anderen in einer demnächst 
erscheinenden Arbeit von Dr. Zu sch veröffentlicht werden.) 

Diskussion: Herren 1* e tersen. F 1 e i n e r, Star e k. 

2. Herr Hoffmann: Kasuistisches über Armlähmungen. 

(Mit Kranken Vorstellungen.) 

Diskussion: Herren Klaatsch. Erb, Iloffmann. 

• 

Sitzung vom 12. Februar 1901. 

1. Herr Petersen: Heber Bauchschussverletzungen. 

(Mit Krankenvorstellung.) 

Diskussion: Herr Czcrn y. 

2. Herr Nehrkorn: Ueber multiple Carcinome. 

Heide Vorträge sind in dieser Wochenschrift in extenso puhli- 
zirt. worden. 

Diskussion: Herr Petersen. 

Sitzung vom 2G. Februar 1901. 

1. Herr Schönborn: Ueber den B a b i n s k i’schen 
Plantarreflex und seine diagnostische Bedeutung. 

Die von Babinski 1893 zuerst beschriebene Veränderung 
dos Plnntnrreflexcs Ihm Erkrankungen der Pyramidcnbnhnon hat 
Sch. an dem Material der E r b’sehen Klinik nachgeprüft und 


hat fast durchweg die Bedeutung des Reflexes bestätigende Re¬ 
sultate erhalten. Der pathologische („B a b i n s k i’sehe“) Reflex 
eharakterisirt sich als eine träge Dorsalflcxion im Wesentlichen 
der grossen Z e h e , nach der üblichen Auslösung durch Strei¬ 
chen der Fusssohle, während der normale Reflex bekanntlich 
Plantarflexion aller Zehen darstellt. Die 2.—5. Zehe treten auch 
beim B.’schen Reflex bisweilen in Plantarflexion oder bleiben un¬ 
beweglich; in manchen Fällen folgen sie der Dorsalflexion der 
grossen Zehe. Babinski hielt den Reflex für pathognomoniseh 
für Laesion der Pyramidenbahnen. Während andere Beobachter 
sich vereinzelt dagegen ausspraehen, hat Sch. unter 400 Fällen 
von Erkrankung des Nervensystems den pathologischen Reflex 
n u r bei sicherer oder wahrscheinlicher Affektion der Pyramiden¬ 
hahnen gefunden. Bei Gesunden fehlte er stets, ausgenommen 
lxä Säuglingen, wo die reflektorische Dorsalflexion normaler Weise 
vorkommt. 

Er ist besonders häufig hei multipler Sklerose und bei älteren 
Hemiplegien, wurde dagegen nie hei Neurosen gefunden, ausge¬ 
nommen hei Epileptikern im Anfall, wo er in*ca. 50 Proc. 
der Fälle (nach französischen Autoren) Vorkommen soll. Hier 
ist. die Veränderung wohl auf eine Stufe mit der Veränderung 
des Pupillenreflexes und der Sehnenreflexe zu stellen. Differential- 
diagnostisch werthvoll ist der Reflex besonders für die Unter¬ 
scheidung organischer und hysterischer Affektionen. 

Eine Erklärung des Reflexes bezw. seiner Entstehung kann 
zur Zeit noch nicht gegeben werden. Einiges spricht für die 
Beeinflussung des Reflexes durch Veränderungen der Vorderhorn¬ 
ganglienzellen. 

(Demonstration des Reflexes.) 

Diskussion: Herr E r b. 

2. Herr Ar nsperger: Ueber Pneumothorax im Büntgen- 
bild. 

Vortragender bespricht den Werth der Durchleuchtung und 
Photographie mittels Röntgenstrahlen für die Diagnose des 
Pneumothorax, insbesondere für die Differentialdiagnose zwischen 
traumatischem und tuberkulösem Pneumothorax und für die Er¬ 
kennung des cireumseripten Pneumothorax ohne sicheren, physi¬ 
kalisch-diagnostischen Befund. 

Der Vortrag ist in den ..Mittheilungen aas den Grenzgebieten 
der Mediein und Chirurgie“ erschienen. 

3. Herr H e g e n e r: Beiträge zur Lehre von der Meningitis 
serosa. (Publizirt in dieser Wochenschrift.) 

Diskussion: Herren K rli, P n s s o w, Mar w edel. 
Brauer, Itclmar, llcgenor. 


Allgemeiner ärztlicher Verein zu Köln. 

(Bericht des Vereins.) 

Sitzung vom 8. Juli 1901. 

1. Herr Huismans: Ich möchte mir zunächst erlauben. 
Ihnen einige Ausgüsse von einer Bronchitis flbrinosa zu demon- 
striren. Dieselben wurden expektorirt von einem Herrn, welcher 
seit ca. 40 Jahren schrumpfende tuberkulöse Proeesse auf beiden 
Spitzen hat. In Jedem Jahre mehrereinale an llaemoptoe leidet, und 
jedesmal sich in Soden am Taunus ausgezeichnet erholt. Im 
letzten Frühjahr trat zunächst wieder eine llaemoptoe auf. Mit 
dem Nachlass derselben fanden sieh im blutig-schleimigen Aus- 
j wurf sehnig-weiss-gläuzende Brocken, welche sich beim Flottiren 
im Wasser als verästelte Gebilde, somit als Brnnchiolausgiisse 
erwiesen. Dieselben waren bis zu federkieldick, entstammten also 
nicht nur den kleineren, sondern auch den mittleren Bronchien. 
In denselben sali man deutlich das blutig-schleimige Sekret, wie 
es überhaupt ausgehustet wurde. Die Entleerung dieser Aus¬ 
güsse dauerte ca. 8 Tage an. ohne dass je Fieltcr eingetreten wäre. 
Nach Schwund der Erscheinung stieg die Temperatur aber bis auf 
40.5 0 C. Es bestand dabei Ntuldverhaltung. Erbrechen, leichter 
Mcteorismus und Schmerzhaftigkeit des Hplgastriunis. Dieselben 
Symptome wiederholten sieh 2 mal. und verschwanden, indem zu¬ 
erst blutig schleimiger, dann breiiger, normaler Stuhl erfolgte. 
Ich glaube, man darf hier nicht von einer Febris ex ohstipatinuc 
sprechen, wie sie letzthin wieder von E d 1 e f s e u < Klin.-therap. 
Woelicnschr. Ifioo. 40» beschrieben i^t: man hat vielmehr an eine 
intermiltirende Imagination resp. Torsion im Colon transversum 
zu denken; sie allein ist für das Fieber verantwortlich zu machen. 

Der zweite Fall betrifft ein Sarcoma oesophagi. Es bandelt 
. sich um einen 5Sjiihrigen Patienten, welcher seit einem halben 
Jahre von mir wegen einer Stenosis oesophagi behandelt wurde. 
Er hatte schon bei der ersten Untersuchung einen wnllnussgrossen 
Knoten in der Mitte des rechten Oberschenkels. Da der Patient 
eine sehr bewegte Jugend nicht ablougnete. gab ich ihm trotz 
Fehlens anderer luetischer Symptome grosse Dosen Jodkali und 
Hydrargyr. salicylie.-Injcktionen. allerdings ohne Erfolg. Ich Hess 
ihn auch das Bett hüten, weil der Tumor um Oberschenkel wuchs 


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2148 


MTJENCITENEIt MEDICINISCHE WOCIIENSCnillFT. 


No. 53. 


und eine Spontanfraktur zu befürchten war. Dieselbe erfolgte 
trotzdem, als Pat. sich eines Morgens im Bett umdrehen wollte. 
Nachdem sich nun noch analoge Schwellungen am linken Trochan¬ 
ter und an der linken Fibula entwickelt hatten und die __Kon- 
dirung unmöglich geworden war. erfolgte der Tod an Inanition. 

Wir hatten ein Sarkom des Oesophagus desshalb für wahr¬ 
scheinlicher als ein Carcinoin gehalten, weil in letzter Zeit von 
mehreren Autoren wieder darauf hingewiesen wird, dass gerade 
die Metastasirung ziemlich charakteristisch für Sarkom ist. 

Die Autopsie ergab einen ringförmigen. .'1 cm dicken. 15 cm 
hohen Tumor der Speiseröhre, derselbe reichte bis auf 10 cm an 
die Kardia. Auf seinen Durchschnitt ergoss sich bei Druck 
massenhaft ..Krebssaft“. Der rechte Oberschenkel war spindel¬ 
förmig aufgetrieben in einer Länge von 25 cm, und zeigte beim 
Einschnitt unter der atrophischen Muskulatur zunächst, allseitig 
eine papierdünne periostale Knochenschale, im Inneren eine 
markig - weisse. mit Knochense«iucstern durchsetzte weiche Ge¬ 
schwulst. Aehnliehe Bilder am linken Trochanter und an der 
linken Fibula. Peinige Organe normal. 

Die mikroskopische Ftitersuchuiig bot das Bild eines gross- 
alveolären Kundzellensarkoms mit nekrotischen Herden im ('en¬ 
tmin der Alveolen (Zollgrenzen verwischt. Kerne ungefärbt). Nir¬ 
gends Kiesenzellen, dagegen fand sich heute nach Durchsuchung 
einer grossen Keilie von Schnitten durch den Oesophagustumor 
ein Kost hyalinen Knorpels; derselbe* gehört entschieden der Oeso- 
phaguswand an. da das geschnittene Stück aus dem Innern des 
Tumors stammt. 

Wir hielten den Tumor im Oesophagus für den primären Herd. 
Geh. Kath A r n o 1 d - Heidelberg, welcher die Liebenswürdigkeit 
hatte, die Geschwulst ebenfalls zu untersuchen, war der Ansicht, 
dass der primäre Herd ein myelogenes Sarkom im rechten Ober¬ 
schenkel sei. Wenn ja von liier aus auch siiinmtlichc Metastasen 
entstanden sein können, so ist immerhin sehr auffällig, dass die 
Geschwulst im Oesophagus gleichmässig ringförmig die ganze 
Wand der Speiseröhre ein na hm. 

Nachdem wir heute Knorpel entdeckten, ist die* Möglichkeit 
nicht von der Hand zu weisen, d;iss es sich um einen primären 
versprengten Keim in der Oesophaguswand handelte, und (lass 
sieh von diesem aus ein gemischtes, metastasirendes Sarkom ent¬ 
wickelte. 

3. Feber Myelitis im Anschluss an einen Fall von Encephalo- 
myelitis disseminata acuta. (Wird an anderer Stelle in extenso 
veröffentlicht werden.) 

2. Herr van Meer: Demonstrationen. 

Sitzung v o m 17. J u n i 1001. 

1. Herr Dreesmann: Zur unblutigen Behandlung der 
angeborenen Hüftverrenkung. (Mit Demonstrationen.) (Der 
Vortrag ist in Xo. 52 dieser Wochensclir. erschienen.) 

2. Herr Jac. Strohe: Ueber Diphtherie in den letzten 
Jahren. (Wird in extenso in dieser Wochenschrift veröffentlicht.) 


Aerztlicher Verein Nürnberg. 

(Offlclelles Protokoll.) 

S i tzun g v o m 10. S e p t e m her 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

Es berichten: 

1. Herr Landmann über einen Fall von Gonorrhoe, kom- 
plizirt durch starke Blasenbildungen und schwere Polyarthritis. 

2. Herr Latte über einen nach erfolgloser Intubation, trotz 
schwerster Asphyxie, durch Tracheotomie geheilten Fall von Diph¬ 
therie. 

3. Herr Hadelich über Versuche mit Pilokarpinbehand¬ 
lung der Tuberkulose, sowie über einen mit Kal. permangan. 
behandelten und geheilten Fall von Schlangenbiss. 

Sitzung vom 3. Oktober 1901. 

Vorsitzender: Herr Carl Koch. 

1. Herr Simon berichtet über folgende Fälle, unter Demon¬ 
stration der einschlägigen Präparate: 

a) Ein über kindskopfgrosses subinuköses Myom mit In- 
versio Uteri. 

Vortragender wird in der Nacht von dem behandelnden Arzte 
nach auswärts gerufen zu einer 02 jährigen Frau, welche seit 
einigen Stunden an einer enormen Blutung leidet. Es fand sieb 
bei der fast pulslosen, sehr anämischen Frau ein grosser Tumor 
vor der Vulva, bei dessen leisester Berührung ein heftiger Blut¬ 
strom aus der Vulva kam. Anamtiestiseh war zu eruireu. dass 
die Frau im letzten Jahre zweimal eine Blutung hatte, die aber 
von selbst stand. Sie halb» öfters das Gefühl, als ob etwas aus 
der Scheide herauswollte. Die Hebamme halb* wegen angeblichen 
Vorfalles versucht, einen King zu appliciren. was jedoch nicht ge- 
lang. Die Frau hatte dann gearbeitet bis zu dem betreffenden 
Tage. Abends merkte sie beim liehen eines schweren (Jegen¬ 
standes. dass plötzlich etwas herausfiel und wurde wegen so¬ 
fortiger heftiger Blutung in's Bett gebracht. 

Die bei schlechter Beleuchtung und heftiger Blutung er¬ 
schwerte Orientirung ergab ein längliches, über Kindskopf grosses, 
halb gangränöses Myom, welches mit einem kurzen, sehr breiten 
Stiel in der Mitte des invertirten Fundus sass. Unter Kom¬ 


pression wurde sofort lm Querbett der Tumor durch keilförmige 
Exzision entfernt und die Wunde lm Fundus vernäht, worauf 
die Blutung ziemlich stand. Die Muttermundslippen waren blau¬ 
schwarz und ödematös dick geschwollen. Unter Anziehen der¬ 
selben mittels Muzeuxzangen und massigem Druck, gelang es, dt u 
Uterus zu reinvertiren. .Todoformgnzetnniponade. Der Verlauf 
war ein befriedigender und hat sich Patientin wieder vollständig 
erholt. Der Fall ist besonders desshalb erwähuenswerth. weil er 
wieder zeigt, dass die Bedeutung der Myome nicht mit dem Ein¬ 
tritt des Klimakteriums erloschen ist, sondern dass dieselben gar 
nicht so selten erst Jahre danach zu weiterem Wachsthuin und 
schweren Symptomen gelangen können. 

1>» Eitertube. Dieselbe stammt von einer 20 Jährigen Virgo, 
welche vor 12 Jahren eine mehrmonatliche schwere Unterleibs- 
entzündung, angeblich vom Blinddarm ausgehend, durchgemacht 
hatte. Sie war danach, wenn auch nicht sehr kräftig, so doch 
gesund gewesen, regelmässig menstrulrt. Vor ca. 3 Monaten er¬ 
krankte sie plötzlich unter heftigen Leibschmerzen und Fieber. 
Der Zustand besserte sich während dieser 3 Monate nicht; in 
Folge des continuirlfohen Fiebers kam Patientin sehr herunter 
und wurde dann von auswärts in die Klinik des Vortragenden 
gebracht. 

Die Untersuchung ergab das Vorhandensein einer Peritoultis. 
Meteorismus. Fieber, häufiges Erbrechen; das Allgemeinbetinden 
war sehr schlecht; Abendtemperatur um 39° herum. 

Fluor war nicht vorhanden. Hymen erhalten. Rechts vor 
dem Uterus ein gut faustgrosser, prall elastischer Tumor, sehr 
empfindlich. 

Die Laparotomie ergab eine frische Peritonitis: es entleerte 
sich ca. -T, Liter flüssiger, trüber, mit Flocken gemischter, grün¬ 
gelber Eiter, das beiderseitige Peritoneum war stark injizirt.- 
Rechts war (in innig verlöthetes Konvolut von Därmen unter (lern 
Tumor: derselbe enthielt die kinderarmdicke, eitergefüllte rechte 
Tube, welche vom retrovcrtlrten Uterus nach vorne zog und fast 
recht winkelig an die Blase inserlrte. 

Die Lösung der Därme war sehr mühsam: auch der Wurm¬ 
fortsatz war innig mit der Tube verwachsen; jedoch war eine hier 
stattgehabte Perforation nicht nachweisbar. Indess zeigte sich 
nach Loslösung der Dünndarmschlingen eine Perforationsöffnung 
in der Tube. Letztere wurde vollständig entfernt. Die Anhänge 
der linken Seite waren völlig gesund. 

Nach thunlichster Reinigung wurde die Bauchhöhle, bezw. 
Beckenhöhle vor und hinter dem Uterus reichlich mit steriler Gaze 
tamponirt und diese zur halb offen gelassenen Bauchwunde 
hemusgeleitct- Diese Tampondrainage hat sich sehr bewährt; 
unter normaler Sekretion in den nächsten Tagen fiel das Fielier 
ab; am 7. Tage wurde der letzte Tampon entfernt und erfolgte 
völlige Heilung. Die Aetiologlo der Erkrankung konnte nicht 
aufgeklärt werden; Gonorrhoe und Tuberkulose sind sicher aus- 
zuschliessen. Auffallend war die abnorme Richtung der Tube, 
welche in der Mitte hufeisenförmig nach vorne abbog und mit der 
Blase innig zusammenhing. 

e) Eine junge Frau, seit 3 Jahren steril verheirathet, leidet 
unter fortwährenden heftigen Leib- und Kreuzseh merzen seit 
einigen Jahren, die sieh zur Zeit der Menstruation in’s Unerträg¬ 
liche steigern. Die Untersuchung ergibt einen sehr kleinen retro- 
vertirt flxirten Uterus und nach beiden Seiten ziehende, runde, 
fingerdicke, sehr empfindliche Organe, ebenfalls entzündlich 
fixirt, die als erkrankte Tuben angesproelien werden. Die Ope¬ 
ration ergab nun., dass es sich um einen in perimetritiselie Ent- 
zündungs Vorgänge eingebetteten Uterus bicornis handelte; der kleine 
gefühlte Uterus war nur die virgtnelle, etwas hypertrophische 
Cervix: gleich über dem inneren Muttermunde theilte sich der 
Uterus und bog sich jede Hälfte fast rechtwinkelig nach aussen 
um. Die Tulien waren sehr rudimentär entwickelt; linkes Ovarium 
normal, rechtes fehlte. Es wurde der Uterus aus den Ver¬ 
wachsungen ausgelöst und an der Theilungsstelle sowohl, wie an 
beiden Hörnern ventroftxirt. Von der Exstirpation des ganzen 
Uterus wurde wegen des jugendlichen Alters der Pat. abgesehen. 
Die hauptsächlich von der Perimetritis ausgehenden Schmerzen 
sind völlig verschwunden; auch die Dysmenorrhoe ist geringer ge¬ 
worden, wenn sie auch nicht völlig verschwinden wird. 

2. Herr W. B e c k h bringt die Krankengeschichte einer 
hysterischen Psychose. 

3. Herr Carl Koch spricht über die Behandlung der Angiome. 


Aus italienischen medicinischen Gesellschaften. 

II. ital. Kongress für Pädiatrie in Florenz. 

Aus den Verhandlungen dieses Kongresses im Oktober 19ol 
erwähnen wir eine Mittheilung von Comba über früh auftretende 
Amyloiderkrankung nach Diphtherie. Er fand dieselbe bei zwei 
Kindern, welche 11 resp. 30 Tage nach Beginn der Diphtherie ge¬ 
storben waren, in Leber, Milz und Nieren. Die histologische Unter¬ 
suchung bestätigte den makroskopischen Befund. 

Pacchioni theilt das Resultat seiner Arbeit über normale 
Knochenbildung und die Knochenbildung bei BAchitis mit. Er 
wandte die Met linde von M o n t i und Lilienfeld zum Nach¬ 
weis des Phosphors an und das Purpurin zum Nachweis des Kalks. 
Der Knorpel nimmt den lebhaftesten Antliell an der Knoehen- 
hildung und auch seine .serienartige Anordnung ist ein aktives 
Phänomen. Bei der Rachitis fehlt diese letztere mehr weniger 
vollständig und der Knorpel enthält weniger Phosphor und viel 
weniger Kalk als unter gewöhnlichen Bedingungen. Die patho¬ 
logisch-anatomischen Veränderungen der Knochen bei Rachitis 


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31. Dezember 1901. 


MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


2149 


hängen nicht von entzündlichen Processen ah. son¬ 
dern von einer fehlerhaft metabolischen Aktivität des Knorpels. 

Per fundamentale Krankheitsprozess der Rachitis liegt nicht 
Im Knochen, nicht im Periost, sondern im Knorpel und genauer 
nusgedrückt im Protoplasma und Kern der Knorpel¬ 
zellen. 

Oref ici: TJebergang von Jod und Brom in das Liquidum 
cerebro-spinale. Das Brom ist ln der Cerehrospiualflüssigkeit auch 
nach starken Dosen von Bromkali und Bromuatrium nicht nach¬ 
zuweisen, auch nicht bei den verschiedenen Formen von Meningitis. 
Dagegen ist der Uebergaug des Jods leicht nachzuweisen, doch 
schwankt der Gehalt von Fall zu Fall: bei tuberkulöser 
Meningitis geht besonders leicht Jod über, schon 
nach innerlicher Anw e n düng von zwei Gr a m m. 

Das beste Kriterium zum Nachweis kleiner Mengen von Jod 
gibt die Reaktion mit Chloroform und rauchender Salpetersäure. 

Massalongo: Ueber akute Kinderpneumonie mit Sym¬ 
ptomen einer Appendicitis. Die Aufmerksamkeit des Arztes 
wird in solchen Fällen mehr auf das Abdomen als auf die Lungen 
gelenkt und es kann 3—4 Tage dauern, ehe die Diagnose klar wird. 
Ja, es ist ln solchen Fällen schon die Laparotomie gemacht und 
ein vollständig gesunder Appendix exstirpirt. 

Die Pseudoappeudieltis pneumoniea findet ihre Erklärung in 
einem reflektlrten Schmerz des vorderen As t e s 
des 12 . Interkostal nerven rocliterseits. 

J e m m a beobachtete die Barlo w’sche Krankheit bei 
einem 31 monatlichen Kinde, welches mehrere Monate nur mit 
Muttermilch ernährt war. Bei Anwendung von gekochter 
Milch und frischem Apfelsinensaft erfolgte Genesung in einem 
Monat. 

Villa berichtet über Lungenspitzenphänomen bei kleinen 
Kindern, welche einen auf die Spitze lokalisirten Katarrh Vor¬ 
täuschen und zur Diagnose Phthisis incipions Veranlassung geben 
können. In Wirklichkeit konnte sich V. davon überzeugen, dass 
Liegen mit niedrigem Kopf krepitirende Rasselgeräusche mit ver¬ 
schärftem Athmen In den Lungenspitzen erzeugen kann. Diese 
Rasselgeräusche kann man mit E i c h h o r s t als physiologische 
bezeichnen. Sie rühren von Lungenatelektase her wegen fehlender 
Ausdehnung der Luugenalvcolen oder wegen eitler leichten Ex¬ 
sudation und sie verschwinden, sobald sich die Athemthütigkeil 
durch Lageverüuderung wieder herstellt. 

Derselbe Autor macht auf die Verschiebbarkeit der Leber¬ 
dämpf ungsgrenze bei Kindem in der Rückenlage und bei 
gefülltem Magen aufmerksam. 

Hager- Magdeburg-N. 


Verschiedenes. 

Aus den Parlamenten. 

Bayerischer Landtag. 

Nach längerer Pause wurde die Vorberathung des Gesetz¬ 
entwurfes über die ärztliche Standes- und Ehrengcrichtsordnung 
in dem besonderen Ausschüsse wieder aufgenommen und die 
zweite Lesung in 2 Sitzungen erledigt. An Stelle des wegen 
Krankheit ausgeschietleuen seitherigen Korreferenten Dr. Ha über 
trat Abgeordneter F uclis, Bürgermeister in Bad Kissingen, in 
den Ausschuss ein und übernahm das Korreferat. Er nahm als 
solcher eine günstige Stellung ein, während die beiden noch dem 
Ausschüsse angehörenden Aerzte auf ihrer ablehnenden Stellung 
verharrten, sich in keiner Weise ihres Standes anuahmen, allerlei 
Befürchtungen für das Publikum äusserten und die Aerzte auf 
den Weg der Selbsthilfe verwiesen, dabei aber für die Verstaat¬ 
lichung des Mcdizinalwesens schwärmten, ln die Berathung der 
Standesordnuug ward nicht mehr eingetretcu. 

Die Stellungnahme des Ausschusses zu der Ehrengerichts- 
Ordnung. dem eigentlichen Gesetzentwürfe, war bei der zweiten 
Lesung eine wesentlich günstigere als nach der ersten Lesung; 
insbesondere ward nunmehr beschlossen, folgende von v. Land- 
mann beantragten negativen Betimmungen nicht in das Ge¬ 
setz aufzunehmen: „Die Standesordnung darf insbesondere keine 
Bestimmung enthalten, welche dem Arzte (die freie Wahl der Heil¬ 
methode oder des Heilverfahrens — siehe unten) die Verordnung und 
Verwendung von Heilmitteln aller Art, das Abhalteu von Sprech¬ 
stunden ausserhalb seines gewöhnlichen Praxisgebietes, das Halten 
von wissenschaftlichen Vorträgen, die Bezeichnung als Spezialist, 
wenn er im Besitze der nötliigcn Vorbildung ist, die Kritik ärzt¬ 
licher Thiitigkeit Nichtärzten gegenüber, es sei denn eine leicht¬ 
fertige oder rücksichtslose, die unentgeltliche Behandlung der 
Patienten, das Bekanntgeben der Praxiseröffnung und des Woh¬ 
nungswechsels, soferne es nicht in einer des Standes unwürdigen 
Form geschieht, verbietet“. 

Mit dem Fallenlassen dieser Bestimmungen ist ein Stein des 
Anstosses aus dem Wege geräumt, der den Aerzteu das Gesetz un¬ 
annehmbar gemacht hätte. Dieser Umschlag ist namentlich 
den Bemühungen und Aufklärungen des k. Staatsministers 
Frhr. v. Feilitzsch zu verdanken, der sich mit der Aufnahme 
der negatlveu Bestimmungen des Referenten v. Land mann 
nicht einverstanden erklärte und bei den einzelnen Punkten 
hervorhob, dass nur das unwürdige, auf Täuschung des Publikums 
abzielende Verhalten eines Arztes getroffen werden solle; so werde 
die Standesordnung die Anwendung homöopathischer Heilmittel 
nicht verbieten, wohl" aber sich mit den bedenklichen, betrüge¬ 
rischen Heilmitteln befassen; die unentgeltliche Behandlung 
zahlungsfähiger Personen sei unangemessen, wenn damit ein eigen¬ 
nütziger Zweck verfolgt werde; das Abhalten von Sprechstunden 


ausserhalb des Praxisgebietes solle nur verboten werden, wenn 
es auf unlauteren Absichten beruhe u. s. f. 

In das Gesetz selbst sollen nach Beschluss des Ausschusses 
aufgenommen werden die beiden allgemeinen Vorschriften: „Der 
Arzt ist verpflichtet, seine Berufsthätlgkeit 
g ewissen haft a u s z u ii b e n u u d d u r e h sei n Ver¬ 
halt e n i u A u s ii buug des Berufes, s o wie ausser¬ 
halb desHelb e n s i e h d e r A chtung w ü rdig zu 
zeigen, die sein Beruf erf o rdert. Politische, 
wissenschaftliche und r e 1 i g i ö s e Ansichte n oder 
11 a n d 1 u n g e n ei n es Arztes als s o 1 c ii e k ö n n e n nie¬ 
mals Gegenstand eines e h re u g e rie h 11 i c h e n V e r • 
f a ii r ciis Dil d e n.“ 

Ferner wurde, obgleich der k. Staatsminister zu Protokoll 
erklärte, nicht zu beabsichtigen, eine Bestimmung hinsichtlich der 
Heilmethode in die Standesordnung aufzunehmen, beschlossen, 
dass in das Gesetz folgende Bestimmung mitaufzunehmen sei: 
„Die Standesordu u n g darf keine Best! m m u u g 
e n t li a 11 e u , w e lohe d e nt A rzt die frei e W a li 1 der 
II e i 1 m e t h o d e oder des Heilverfahrens verbiete t.“ 
Wenn damit nicht ausgesprochen werden soll, dass das stundes- 
unwiirdige, achtungsverletzende, unlautere und auf Täuschung des 
Publikums berechnete Verhalten eines Arztes bezüglich der Wahl 
der Heilmethode oder des Heilverfahrens überhaupt nicht Gegen¬ 
stand eines ehrengerichtlichen Verfahrens bilden dürfe, dann 
könnte man allenfalls diese Bestimmung gelten lassen, dann ist 
sie aber auch überflüssig. Es scheint hier bei einzelnen Personen 
innerhalb und ausserhalb des Parlamentes der Irrthum vorzu¬ 
liegen, als ob die auf unseren Hochschulen gelehrte Medizin, die 
von Aerztefeiuden sogen. „Schulmedizin", (len Arzt verpflichte, 
nach einer bestimmt vorgeschriebenen Schablone zu kuriren, uini 
ihm jede andere Heilmethode verbiete. Dies trifft nur bei solchen 
Ausübern der Heilkunde, leider auch einzelnen Aerzten, zu, die 
von vornherein sich auf eine Heilmethode festlegen und aus¬ 
schliesslich nach dieser, auch trotz gegentheillger Erfahrung und 
Ueberzeugung. kuriren. Die auf unseren Hochschulen gelehrte 
Heilkunde weist dem Arzte nicht nur viele und verschiedenartige 
Wege zur Heilung von Krankheiten, sie lässt ihm auch vollkommen 
freie Wald unter denselben; sie verlangt von ihm nur Wissen¬ 
schaftlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Der Arzt muss im Stande 
sein, Kranklieitszustände richtig zu erkennen, deren Verlauf richtig 
zu beobachten und ihre Beeinflussung durch Heilbestrebungen 
richtig zu handhaben und zu verfolgen. Ist er dazu nicht be¬ 
fähigt, dann versage mau ihm die Approbation. 

Ausserdem aber ist der Arzt verpflichtet, seinen Beruf ge¬ 
wissenhaft auszuüben, die Aufmerksamkeit, die sein Beruf be¬ 
sonders fordert, niemals aus den Augen zu setzen, und den 
Kranken seinen Rath und seine Hilfe nach bestem Wissen und 
Gewissen zu ertheilen. Hält ein Arzt nach seinen Erfahrungen 
am Krankenbette eine besondere Heilmethode für zweckmässig, 
erprobt und zulässig, so wird man ihm daraus einen Vorwurf nicht 
machen, dass sie von der sonst üblichen Behandlungsmethode ab¬ 
weicht. Verschliesst sich aber der Arzt, jeder Selbstkritik. Jeder 
Beobachtung und Erfahrung Anderer, behandelt er handwerks- 
mässig alle Krankheiten ausschliesslich nur nach einer Methode, 
unbekümmert um Nutzen oder Schaden in dem einzelnen Falle, 
dann handelt er pilicht- und gewissenlos und hat. wenn er hie¬ 
durch einen Mitmenschen an Gesundheit oder Leben schädigt, sich 
vor dem Strafrichter zu verantworten. 

Neben diesen Pflichten der Wissenschaftlichkeit und Gewissen¬ 
haftigkeit hat der Arzt aber auch durch sein ganzes Verhalten sich 
derjenigen Achtung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert. 
Wählt ein Arzt eine besondere Heilmethode nur dosshalb, um 
das Publikum zu täuschen, irre zu führen und auszubeuten, ver¬ 
dächtigt und beschimpft er andere Anschauungen, bloss um damit 
Gutgläubige anzulocken und Bauernfang zu treiben, greift er zu 
schwindelhafter Reklame oder bramarbasirt er wie Charlatane mit 
einer ihm besonders Innewohnenden Heilkraft, dann verliert er 
nicht nur die Achtung seiner Kollegen, sondern er untergrübt 
zweifellos auch die Achtung des Publikums vor dem ärztlichen 
Stande und das Vertrauen zu demselben und er verdient ehren¬ 
gerichtliche Bestrafung. 

Mit diesen meinen Anschauungen über die freie Wahl der 
Heilmethode oder des Heilverfahrens können sieh jedenfalls auch 
die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften einverstanden 
erklären. 

Bei der ersten Lesung war auch beschlossen worden, in dns 
Gesetz die Bestimmung aufzunehmen: „Durch die Standesordnung 
darf in keiner Weise eine Bestimmung über die Festsetzung des 
ärztlichen Honorares, über den Abschluss von Verträgen mit 
öffentlichen und privaten Korporationen, sowie iil>er das Unter¬ 
bieten bei Bewerbungen um ärztliche Stellen getroffen werden.•• 
Während der Referent v. Laudmann seinen früheren Stand¬ 
punkt nicht verfloss und Jede Bestimmung bezüglich des Honorars 
als mit der Gewerbeordnung unvereinbar erklärte, war der 
k. Staatsminister anderer Meinung; er wies darauf hin. dass die 
Staatsregierung bei Aufstellung der Standesordnung sich nicht in 
Widerspruch mit § 80 der Gewerbeordnung setze, und dass die 
Bestimmungen über das Honorar und den Abschluss von Ver¬ 
trägen etc. nicht in das Gesetz, sondern in die Standesordnung 
gehörten; man könne eine Bestimmung nicht entbehren, dass ein 
Arzt dabei nicht in unlauterer Weise Vorgehen und stamles- 
ordnungswidrig die Preise herabdrücken dürfe; Verträge sollten 
nicht der Genehmigung der Bezirksvereine unterliegen, es dürfe 
nur nie eine unlautere Absicht des Arztes vorliegeu. Dr. Frhr. 
v. Haller und Dr. G ii e h wiesen auf die Schädigung des Publi¬ 
kums durch die bevorstehende Honorarerhöhuug hin und Ersterer 


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MUENCHENER MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 


No. 53. 


2] 50 


erklärte <lio Aerzte. da Konkurrenten, nicht für unparteiisch genug, 
um über das Yorllegen eines unlauteren Verhaltens zu befinden. 
Der Korreferent Fuchs beantragte in das (Jesetz folgende Be¬ 
stimmung aufzuiiehm« n: ..Durch die Standesordnuug darf eine Be¬ 
stimmung über die Festsetzung des ärztlichen Honorare*, über den 
Abschluss von Vertrügen mit öffentlichen und privaten Korpo¬ 
rationen nur insofern getroffen werden als ein standesunwürdiges 
Verhalten des Arztes in Frage kommt": dieser Antrag ward jedoch 
aligelehnt und dafür trotz Bekämpfung durch den Referenten 
v. Land mann und Dr. Frlir. v. Haller der Vorschlag des 
k. Slaatsministers angenommen, ln der Stau d e s o r d n u u g eine 
Bestimmung etwa folgender Fassung zu erlassen: 

..B e 1 V e r t r ii g e u m i t ü f f e n t 1 i c h e n <» d e r p r i - 
v a t o n K o r i> o r a t i o n e n . Versi e h e r u n g s g e s e Il¬ 
se h a f t e n . K r a uken-, F n f a 11 - . Invalidität«- 
u n d sonstig e n K a ssen s «»11 de r A r z t e i n e s 
unlauteren llerabdriickens oder Unterbiete ns 
sieh e n t h a 1 1 e n." 

liu Feluigen wurden sämmtlichc Artikel des Gesetzentwurfes 
nach den Beschlüssen der ersten Lesung »siehe diese Wochen¬ 
schrift S. litt Kl und lb.VJ) angenommen. Bei der nament¬ 
lichen Abstimmung über den ganzen Gesetzentwurf ward 
tlersell»e mit allen Stimmen gegen diejenige des Abgeordneten 
Dr. Frlir. v. Ilall e r (Dr. G ii e h hatte sich vorher in den Finanz¬ 
ausschuss entfernti angenommen. 

Hoffentlich tritt das Plenum der Abgeordnetenkammer bald 
in die Berat billig des Gesetzes über die Standes- und Ehrengericlits- 
ordmtng ein und bringt das Schicksal derselben zur Entscheidung. 

Dr. B e c k e r - München. 

Ueber den Erfolg der Maassnahmen gegen die Malaria 

tlieilt der Vorstand der italienischen Gesellschaft für das Studium 
der Malaria mit. dass eine grosse Anzahl neuer Fntersuchungs- 
statloiieli in den Zentren der von der Krankheit heimgesuchten 
Distrikte errichtet sind. Das Schutzsystem gegen die Malaria ist 
in Latium mit vorzüglichster Wirkung in diesem Jahre angewandt, i 
an anderen Orten jetzt schon im 3. Jahre. j 

In diesem Jahre ist dasselbe eingerichtet auf den Bahn¬ 
strecken Koma—Orte. Koma—Tivoli, Koma—Pisa, ferner im 
Distrikt Foggia. Ofantine. in Sizilien und Sardinien. 

Auch die am meisten intizirten Zollwachen an der ganzen 
Küste entlang wurden geschützt, ebenso die in den Provinzen ltom 
und Grossen», auch die Wohnungen der Strassenwärter und Feld¬ 
hüter. 

Ausserdem wurden die engen Metallnetze angewandt ln den 
Aufenthaltsorten der Feldarbeiter auf dem Ager romanus, im 
Thale des Aldo, bei Rustica, Cevell otta. Boecoleone u. s. w.. in 
den pontinischen Sümpfen, bei Ferrara und ln der mailändischen 
Tiefebene. Die Resultate beweisen deutlich, wie in allen 
g e s c h ii tüten Station e u d i e M a 1 a r i a f ä 11 e z u r 
Seltenheit w e r d e n . w ii h r e n d i n d e n (i r enz- 
Stationen, w e 1 e h e z u r K o n t r o 1 e n o e h u n g e - 
s c h ii t z t blieb e n , di e M a 1 a r i a best ä n d i g w i e 
f r ii h e r h e r r s c li t m i t de r g 1 e i e h e n Heftigkeit 
i n B e z u g auf K r a n k li e i t s - u n d T o d e s f ä 11 e. «Jazz, 
degli osped. 1001, No. 130.) 

Therapeutische Notizen. 

Die W i rk u n g des S t r ye h nin s be i d e r L u n gen- 
tuberkulose bespricht Ferra n-Lyon (Mcdecine moderne 
10O1. Ni». 45» auf Grund eigener Erfahrungen. Ebenso wie das 
Arsenik und die in neuerer Zeit warm empfohlenen Kakoilyl- 
präparate, welche jedoch bei mauehen Krankt n Verdauungsstörungen 
verursachen, wirkt demnach das Strychnin gegen die tuberkulöse 
Kachexie, indem es die Körperkräfte und den Allgemeinzustand 
des Kranken hebt; die Wirkung muss eine ähnliche sein wie bei 
anderen Krankheitszuständen (seniler Schwäche, bei Depressions¬ 
gefühlen nach Infektionskrankheiten, besonders nach Influenza», 
wo das Strychnin ein sehr gutes therapeutisches Hilfsmittel sein 
soll. Im Gegensatz zu anderen Substanzen, z. B. Coffein, scheint 
es nicht nach einer vorübergehenden Periode der Excitation eine 
noch stärkere Depression zu hinterlasseu. F. weist besonders 
darauf hin. dass auch bei lange fortgesetztem Gebrauche hoher 
Dosen von Strychnin der Organismus dasselbe vollständig gut 
vertrügt und nicht das geringste Zeichen von Vergiftung aul'tritt. 
NIit der Besserung des Lungenleidens geht auch eine solche der 
Dyspnoe, des Fiebers und der nächtlichen Sehweissc einher. Zwei 
solcher Fälle — der eine mit sehr vorgeschrittener Kachexie, der 
andere noch im Anfangsstadium des Leidens — führt F. genauer 
an. Mit Vortheil bediente er sich bei dieser Medikation der kom- 
binirten Verordnung von Arsenik und Strychnin: Arsensaures 
Strychnin <UH*2, Natr. glycerophosphat. 0.2. Ca hypophosphit. 0.05 
pro Pille. Die Schnelligkeit und Leichtigkeit, mit welcher das 
Schwefelsäure oder arsensaure Strychnin durch den Verdauungs¬ 
kanal resorbirt werden, zwingen bei diesem Mittel niemals, den 
hypodermatischen Weg einzuschlagen. Die tägliche Dosis von 
0 mg. auf 3 mal im Tage (nach dem Essen) vertheilt, hat in den 
meisten Füllen sehr gute Resultate, zu schwache Dosen weniger 
befriedigende gegeben: letztere scheinen nicht diese Kräfte- und 
Energiesteigerung, diese Appetitbessening zu geben, welche mit 
der Wirkung des Strychnins meist verknüpft sind und welche 
dasselbe zu einem werthvollen Hilfsmittel in der Tubcrktilose- 
behandlung machen, indem der Organismus in die Möglichkeit 
versetzt wird, alle therapeutischen Quellen besser auszuuützen. 


Tagesgeschichtliche Notizen. 

München, 31. Dezember 1001 . 

— Der nächste deutsche Aerztetag soll nach Beschluss 
des Gesehäftsaussehusses am 27. und 28. Juni in Königsberg tagen. 
Als Verhandlungsgegensliinde sind bestimmt: „Der Stand des 
ärztlichen Uuterstützungswesens in Deutschland“ (Berichterstatter 
Geheimrath Dr. S e 1 b e r g - Berlin) und „Aufgal»en der Hospital¬ 
ärzte gegenüber den Anforderungen der neuen Prüfungsordnung". 

— Die badische Regierung hat die medizinischen Fakultäten 
von Freiburg und Heidelberg um ein Gutachten über die Ein¬ 
richtung homöopathischer Lehrstühle an den 
Universitäten ersucht. Beide Fakultäten sprachen sich mit Ent¬ 
schiedenheit gegen die Einrichtung solcher Lehrstühle aus und die 
Senate der beiden Universitäten schlossen sich dem an. Daraufhin 
eröffnet«* die Regierung dem Landesausschuss der badischen 
homöopathischen Vereine, dessen Petition die letzte Zweite 
Kammer ihr zur Kenntnissnahme überwiesen hatte, dass diesem 
Gesuch keine Folge gegeben werden könne und ebenso wenig dem 
Antrag auf Zulassung der homöopathischen Heilmethode in den 
dem Unterricht dienenden Krankenhäusern. 

— Das ärztliche Ehrengericht für Berlin-Brandenburg hat in 
seiner letzten Sitzung die Bezeichnung „Naturarzt" seitens appro- 
birter Aerzte für unstatthaft im Sinne des Ehrengerichtsgesetzes 
erklärt. 


Personalnachrichten. 

(Bayer n.) 

Niederlassung: Dr. Karl Bauer, approl». 1805, in Nord¬ 
halben. 

Verzogen: Valentin Hamburger von Michelau nach 
Schlüsselfeld. Dr. Hermann Kiispert von Nordhalben: unbe¬ 
kannt wohin? 

Gestorben: Dr. Josef I, i e g 1. prakt. Arzt in Alzing. Badearzt 
in Bad Adelholzen, Oberstabsarzt j. L.. 54 J. alt. 


Correspondenz. 

Aufforderung zur Einsendung von Berichten über Kurpfuscher. 

Wer die Statistik des Aerztevereinsbundes über die Schäden 
der Kurpfuscherei gelesen hat. konnte sieh des Eindruckes nicht 
erwehren, dass die aufgeführten Zahlen und Thatsaelien nur 
einen ganz ungenügenden Abklatsch derWirkliclikeit darbieteu. Nun 
wird vor Allem immer tlmtsächliches Material verlangt, wenn 
wir uns über Kurpfuscher im engeren Kreise oder in der breiten 
Oeffentlichkeit äussern und gegen dieselben kämpfen wollen. 
Bei der unendlichen Vielseitigkeit der Sache ist es daher nie 
genügend was wir schon wissen und jeder Beitrag ist eine werth¬ 
volle Waffe. Andererseits ist es fast noch wichtiger, dass wir 
über alle einzelnen Pfuscher und ihr Treiben, ihre Persön¬ 
lichkeit. Gepflogenheiten etc. möglichst Orient irt sind. Ich könnte 
aus der allerletzten Zeit 3 wichtige Gelegenheiten anführen, wo 
mir die durch die Anregungen von Dr. Criimer im hiesigen 
Bczirksverein zu Tage geförderten Thatsaelien sehr wichtig waren. 
Nun ist es aller ganz unmöglich, wirklich orieutirt zu sein, wenn 
nicht m e lir Kolleg e n ihnen bekannt gewordene That- 
saclien. statt sie für sich zu behalten o d e r ge¬ 
legentlich ei n mal z u e r z ii h len, regelmässig an eine 
Zentralstelle bekannt geben, von der aus sie 
allen Kollegen wieder leicht zugänglich wären. Es ist dies kein 
Spitzel wesen; für uns Aerzte ist es ziemlich glelcligiltig. was die 
Pfuscher treiben, so lange ihnen prinzipiell das Handwerk erlaubt 
ist. Aber für unsere Patienten müssen wir orieutirt sein. Mit 
einigen allgemeinen, noch so gut gemeinten Warnungen machen 
wir keinen Eindruck. Wenn wir ihnen aber Thatsaelien bringen, 
die auf den Charakter und das Treiben und Können des be¬ 
treffenden Pfuschers ein klares Licht werfen, dann können wir 
Manchen vor Dummheiten und Schaden bewahren. Ebenso nüthig 
sind Thatsaelien und zwar möglichst viele und detaillirte, wenn 
wir in der Oeffentlichkeit Eindruck machen und ein gesetz¬ 
geberisch verwerthbares Material liefern wollen. 

Dosshalb sollten doch alle Diejenigen, welche selbst oder aus 
verlässiger Quelle etwas über Pfuscher wissen oder erfahren — 
und im Gespräch mit Kollegen überzeugt mau sich, dass 
jeder Erfahrungen gemacht hat —, es sich zur Pflicht machen, 
von ihrem Wissen auch Gebrauch zu machen. Einige Zeilen an 
die Redaktion der Münchener medic. W oclien- 
sehrift sind leicht geschrieben; stilistische Leistungen, lange 
Erörterungen sind ja nicht nöthigf einige kurze Worte genügeu 
meist: ausführlichere Berichte, Ausschnitte aus Zeitungen, Ge¬ 
richtsverhandlungen etc. sind natürlich um so willkommener. Die 
Mittheilungen wären nicht zur Publikation bestimmt, 
sondern nur zur Information für Kollegen! Also be- 
thciligo sich Jeder, in Stadt und Land! Denn nur durch ein 
reges Zusammenarbeiten ist hier etwas zu erreichen. 

Neustätte r. 


St. 

Verlag von J. K. J-ebniauc iu Muuclicu. — Itruck vuu E. MuliUlntler'a Buch- uu"* Muustdruckerei A.U., München. 


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